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(
\~
DAS EPOS
VON
ISEMBARD UND GORMUNH
SEIN INHALT UND SEINE mSTORISCHEN
GEÜNDLAGEN
NEBST EINER METRISCHEN ÜBERSETZUNG
DES BRÜSSELEE FRAGMENTES
VON
BR. RUDOLF JENKER,
PKIVATDOCENT AN DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG.
HALLE A. S.,
MAX NIEMEYEE.
1896.
\
'r
X.
■T.
DEM ANDENKEN
MEINES BRUDEES KONRAD.
\
^O^^^'cVl
Vorwort.
Das nur als Fragment erhaltene Epos von Isembard und
Gormund ist nicht nur wegen seines hohen Alters, seiner eigen-
artigen metrischen Form und seiner geschichtlichen Grundlagen
äufserst merkwürdig, es gehört auch, ästhetisch betrachtet, zu
dem besten, was von altfranzösischem Heldengesang auf uns
gekommen ist. Keine Frage: diese 661 Verse sind das Werk
eines Dichters von hervorragender Begabung. Die Sprache ist
von einer Frische, einer kraftvollen Gedrungenheit, einer mar-
kigen Prägnanz, wie sie in der gesamten altfranzösischen Litte-
ratur nicht ihres gleichen haben dürfte.^ Da ist keine Spur
von jener kindlichen Unbehilflichkeit des Ausdrucken, die
sonst die französischen Volksepen charakterisiert. Der Dichter
beherrscht die Sprache, ja er handhabt sie mit einer für jene
Zeit geradezu erstaunlichen Sicherheit; man gehe das Fragment
durch, Zeile für Zeile, — man wird kaum ein Wort finden, das
als matt, als Lückenbüfser, ja nur als entbehrlich bezeichnet
werden dürfte. Festgefügt ist die Sprache, wie aus einem
Gusse, von Anfang bis zu Ende. Dazu kommt eine lebens-
volle Anschaulichkeit und bisweilen eine vollendete Plastik
der Darstellung. Der Dichter sieht die Scenen, die er schil-
dert, leibhaftig vor Augen, und in nicht gewöhnlichem Mafse
besitzt er die Fähigkeit, das Geschaute mit wenigen kräftigen
1) "Wenn A. Tobler, Das volkstümliche Epos der Franxosen, Zeitschr.
f. Vblkerpsychol. und Sprackwissensch. IV (1866), S. 156 meint: „Käme
nur der Stil in Betracht, einem Verfasser könnte man versucht sein, bei-
nahe die ganze Fülle der altfranzösischen Epik zuzuschreiben'^, so ist Isem-
bard und Gormund jedenfalls den Ausnahmen beizuzählen.
— VI —
strichen in deutlichen , scharf umrissenen Bildern vor uns hin-
zustellen. Einige Beispiele mögen diese Behauptung illustrieren :
Die Schlacht zwischen Franken und Sarazenen ist in vollem
Gange; Hugo, der junge Bruder König Ludwigs, ist von Gor-
mund, dem Sarazenenfürsten, vom Rofs gestochen worden;
rasch schwingt er sich wieder in den Sattel und macht einen
Umritt durchs Gefilde, um dann Gormund von neuem anzufallen
„Hin durch die Schlacht stürmt Hugo nun,
Ganz entrollt seine Fahne,
Den Schlachtruf ruft er des Heldenkönigs,
Den Schlachtruf Ludwigs, des Sohnes Karls.
Frohlockend sehens die Seinen alle,
Doch Schrecken fafst die Heiden an''
— ein bewegtes Bild von homerischer Anschaulichkeit.
Hugo ist, schwer verwundet, abermals aus dem Sattel ge-
worfen worden; sein Schlachtrofs geht davon; Isembard will es
einfangen, mit dem Stumpf seiner zersplitterten Lanze hascht
er dem Tier nach dem Zaum, indes
„das Pferd trug den Kopf zu hoch",
so war seine Mühe vergeblich — ein kleiner, aus unmittel-
barer Anschauung geschöpfter Zug, der uns die Scene deut-
lich vor Augen rückt.
König Ludwig hat Gormund mit einem furchtbaren Streiche
von der Schulter bis zum Gurt durchgespalten, die Wucht
des Hiebes reifst ihn aber selbst so stark vornüber, dafs er,
um nicht zu stürzen, sich am Hals des Bosses anklammern
mufs; nur mit Aufbietung aller Kräfte vermag er sich im Sattel
wieder aufzurichten:
„So stemmt' er sich im Bügel fest:
Das Eisen krümmt sich unter'm Fuls,
Drei Finger breit dehnt' sich der Gurt.'*
— eine Hyperbel, die wunderbar die krampfhafte Anstrengung
des Wiederaufrichtens versinnlicht (infolge deren der König sich
eine tödliche innere Verletzung zuzieht).
Isembard findet den Leichnam Gormunds auf dem Schlacht-
felde, er liegt da:
„auf dem Rücken, blutüberströmt, es klafft der Mund**
— vn —
^,envers, sanglent, guh baee^^ — mit drei Strichen das Bild
eines Erschlagenen, das an Deutlichkeit und krassem Realismus
nichts zu wünschen läfst.
Mit dieser sinnlichen Anschaulichkeit der Darstellung ver-
bindet sich eine rasch, energisch fortschreitende Handlung. Die
Ereignisse drängen sich vor den Augen des Dichters: Heraus-
forderung und kurzes Trotzwort fliegen herüber und hinüber,
es saust der „grofse" Speer, .das breite Schwert zerhaut Schild
und Brünne, tot sinkt der (jetroffene vom Rofs und weiter
sprengt der Sieger zu neuer That. Da ist kein Baum für lang-
atmige Reden, für breite Schilderungen, „rasch wie die Thaten,
geschwind wie die Schwerter in den Händen der schnellen
Helden" ist des Dichters Lied, das ihre Thaten feiert.
Was die Komposition betrifft, so gestattet über diese ja
das Fragment selbst kein Urteil, wir werden aber anderweitig
über den Inhalt des Epos unterrichtet, und da erkennen wir
denn, dafs die Handlung, was Geschlossenheit und psycho-
logische Motivierung anlangt, auch den strengsten Anforderungen
Genüge that:
Isembard und sein Bruder, fränkische Edele, leben am
Hofe König Ludwigs, des Sohnes Karls des Grofsen. Isembards
Bruder wird von einer feindlichen Partei heimtückisch ermordet,
Isembard übt Blutrache, indem er die beiden Mörder — oder
die Anstifter des Mordes? — erschlägt. Um die Blutfehde
beizulegen, will König Ludwig Isembards Schwester dem Sohn
des einen der beiden Erschlagenen zur Frau geben. Aber Isem-
bard widersetzt sich — nach der Auffassung des Dichters mit
Recht — diesem Vorhaben. Darob erzürnt, verbannt der König
ihn aus dem Lande. Isembard, von Rachsucht erfüllt, geht zu
dem heidnischen König Gormund nach England, schwört seinen
Glauben ab und überredet Gormund, gemeinsam mit ihm an
der Spitze eines grofsen Heeres in Frankreich einzufallen. Bei
Cayeux kommt es zur Schlacht, die Franken bleiben Sieger,
Gormund fällt durch Ludwigs Hand, Isembard selbst büfst nach
heldenmütigem Kampfe seine Schuld mit dem Tode. Aber
sterbend bekehrt er sich, er bereut seine Missethat und der
Dichter giebt uns Hoffnung, dafs er um seines reuigen Todes
willen nicht verloren sein wird:
— vni —
^ÜDd sterbend spricht er ein Gebet,
Das seine Seele retten wird.*^
Isembards Eltern und Schwester gehen ins Kloster, um für
sein Seelenheil zu beten, seine Schwester stirbt vor Gram.
Die Handlung ist, wie man sieht, eine vollkommen ein-
heitliche und wohl motivierte. Isembard ist ein tragischer Held
und ganz und gar nicht der „typische Verräter*, als den Xyrop^
ihn bezeichnet; er verstrickt sich in Schuld, indem er seinen
Glauben verleugnet und sein eigenes Vaterland mit Krieg über-
zieht, aber was ihn dazu treibt, das ist keineswegs Schlechtig-
keit und böser Wille, sondern allein das leidenschaftliche Ver-
langen, Rache zu nehmen für die ihm von Seiten des Königs
widerfahrene ungerechte Behandlung. Darum hat er vollen
Anspruch auf unsere Sympathie und unser Mitleid, darum er-
öffnet der Dichter uns auch die tröstliche Aussicht, dafs seine
Seele, trotz der Schuld, die er auf sich geladen, nicht ver-
loren sein werde — ein Zug grofsaitiger, edelster Poesie.
In ihrer düsteren Tragik erinnert die Handlung an die
Nibelungen und an die Lieder der Edda. In der That ist der
germanische Grundzug, der überhaupt dem französischen National-
epos eignet, in unserem Gedichte besonders stark ausgeprägt.
Germanisch ist das Motiv der Blutrache, auf dem die ganze
Handlung sich aufbaut; ein skandinavischer Berserker ist dieser
Gormund, der in unbändiger Kampfeslust die Blüte des frän-
kischen Adels niedermäht, germanisch ist die grausame Ironie,
mit der er seine Gegner höhnt (z. B. v. 107 : Herberge wirst
Du finden im Heidekraut, vgl. dazu das deutsche Ludwigslied
V. 53: „Er — König Ludwig — schenkte seinen Feinden bitteren
Würzwein"), auf germanisch -feudalistischen Anschauungen be-
ruht die Aufforderung Isembards an die Holden, „den Tod ihres
Herrn zu rächen, der ihnen die grofsen Länder gab, das Grau-
work und das Hermolin, die Schlösser und die Burgen", die
höchste gormanische ivriogortugond übt Isembard selbst, wenn
er dem toten Oormund Treue gelobt bis zum letzten Atemzuge,
gonnanischo Sitte war es, sich durch Loswerfen die Zukunft
voraussagen zu lassen, wie Isembard gethan hat, und einer Ge-
1) iStoria dcU' cpopca frmicesCf trad. d. Oorra, Turin 1888, p. 199.
— IX —
pflogenheit germanischer Epik entspricht es, wenn Isembard
die Totenklage anstimmt an der Leiche des gefallenen Herrn.
Die Formel, welche man für das französische Epos überhaupt
aufgestellt hat: „germanischer Geist in romanischer Form", sie
hat in ganz besonderem Mafse Gültigkeit für das Lied von
Isembard und Gormund.
Der geschichtliche Hintergrund dieses merkwürdigen und
poetisch hochbedeutenden Denkmals war nun bisher einer ge-
naueren Untersuchung nicht teilhaftig geworden. Man hat sich
im wesentlichen darauf beschränkt, zu konstatieren, dafs die
in dem erhaltenen Fragmente geschilderte Schlacht die Schlacht
von Saucourt sei, in der der westfränkische König Ludwig DI.
im J. 881 die Normannen besiegte, die gleiche Schlacht also,
der auch das deutsche Ludwigslied seine Entstehung verdankt;
was sonst etwa geschichtliches noch in dem Epos enthalten sei,
das blieb dahingestellt. Zweck der nachfolgenden Abhandlung
ist es nun, diese Lücke auszufüllen und die geschichtlichen
Grundlagen der Dichtung, soweit es die vorhandenen Quellen
gestatten , möglichst vollständig blofszulegen. Dazu war es natür-
lich erforderlich, zunächst den Inhalt der Dichtung, über den
uns ja das erhaltene Fragment nur sehr unvollkommen Aus-
kunft erteilt, möglichst genau festzustellen. Die Abhandlung
zerfällt deshalb in zwei Hauptteile:
1. den Versuch einer Eekonstruktion des Inhalts des alten
Epos, aus dem unser Fragment stammt: das wesentliche Er-
gebnis dieses Teiles wurde oben bereits vorausgenommen;
2. die Untersuchung der historischen Grundlagen der
Dichtung.
Die gewonnenen Resultate, welche das Epos von Isem-
bard und Gormund in ein völlig neues unerwartetes Licht
rücken, glaube ich in der Hauptsache als gesichert bezeichnen
zu dürfen; dagegen schmeichle ich mir keineswegs, dafs es
mir gelungen ist, im einzelnen überall das Richtige zu treffen.
Die Untersuchung bewegt sich vielfach auf schwankenden
Grundlagen; nicht immer war es möglich, die Probleme, die
sich auf Schritt und Tritt darboten, einer exakten Lösung zu-
zuführen und öfter, als mir lieb, war ich genötigt, zu Ver-
— X —
mutungen und Hypothesen meine Zuflucht zu nehmen. Ich
halte es deshalb wohl für möglich, ja sogar für wahrscheinlich,
dafs andere Forscher, von anderen Gesichtspunkten ausgehend,
unter Verwertimg neuer Momente — vielleicht auch neuer
Quellen, die mir entgangen sind — in manchen Punkten zu
abweichenden, vielleicht besser fundierten Resultaten gelangen
werden. Ich werde für jede Belelu-ung nur dankbar sein und
keinen Augenblick anstehen, meine Ansichten aufzugeben, wenn
ich die Überzeugung von ihrer ünhaltbarkeit gewinnen sollte.
In dem kurzen Referat meines auf der 42. Philologen-
versammlung zu Wien, Pfingsten 1893, gehaltenen Vortrages:
Über die historische Grundlage und die Entwicklung
der Sage von Gormund und Isembard, Zeitschrift für
französische Sprache und Litteratur 1893, S. 257, und Ver-
handhmgen der 42. Versammlung deutscher Philologen und
Schulmäniier in Wien, Leipzig 1994, S. 492 f. sind die Resul-
tate der nachstehenden Abhandlung nur zum Teil niedergelegt,
da ich meine Untersuchung damals noch nicht abgeschlossen
hatte und über eine Reihe wichtiger Punkte erst später ins
Klare gelangt bin.
Die metiische Übersetzung habe ich beigefügt in der An-
nahme, dafs auch von denen, die des Altfranzösischen nicht
mächtig sind, vielleicht der eine oder andere gerne von imserem
Denkmal Kenntnis nehmen werde. Freilich kann dieselbe von
dem Original nur eine sehr abgeblafste Vorstellung geben, haupt-
sächlich deshalb, weil sie des Schmuckes der Assonanz und
des Reimes entbehrt. Die erstere geht ja in dem Fragment
schon oft in den letzteren über und wo sie es nicht thut,
da kommt sie ihm doch vielfach nahe; beide, Reim und die
ihm nahe kommende Assonanz, wirken im Original, ganze
Tiraden durch den gleichen Klang verbindend, bei der Kürze
des Verses aufserordentlich stark aufs Ohr und verleihen der
Darstellung dann einen eigenartigen musikalischen Reiz. Auf
eine Durchführung des Reimes und der ihm nahe kommen-
den Assonanz durch längere Reihen von Versen mufste ich
natürlich von vornherein verzichten; eine auf den Gleich-
klang der Vokale sich beschränkende Assonanz aber würde
wenig Wert haben, da unser Ohr von einer solchen doch keinen
— XI —
rechten Eindruck empfängt. Als einzige Möglichkeit, dem Verse
einen äufseren Schmuck zu verleihen, wäre also die Anwendung
des gepaarten Reimes geblieben. Indessen hätte dieser einerseits
eben doch nur einen unvollkommenen Ersatz geboten, andrer-
seits würde er immerhin bei der Knappheit der Darstellung und
der Kürze des Verses genötigt haben, dem Gedanken Gewalt
anzuthun; es kam mir aber darmif an, eine möglichst getreue
Übersetzung zu geben und, soweit es nur irgend anging, den
Wortlaut des Originals beizubehalten. Ich zog es deshalb vor,
sowohl auf Reim als auf Assonanz gänzlich zu verzichten;
nur für die Refrainstrophe habe ich den gepaarten Reim, den
das Original hier aufweist, beibehalten.
Florenz, im Juni 1895.
Rudolf Zenker«
InlialtsTerzeiclinis.
Seite
Vorwort V— XI
Einleitung. Das Brüsseler Fragment . .'s. 1 — 7
Ausgaben 1 — Titel 1 — Entstehungszeit 2 —
Heimat des Fragmentes 6 — Vorarbeiten über die
geschichtlichen Grundlagen der Dichtung und die;
Entwictlung der Sage 6.
I. Rekonstruktion des Inhalts der Dichtung .... 8 — 63
1. Das Fragment selbst 8
2. Kürzere Erwähnungen der Sage in Denkmälern aus
dem 12., 13. und 14. Jahrhundert 14
Galfrid von Monmouth 14 — Bmt Tysylio 16 —
Wace 17 — Layamon 19 — Gaimar 20 — Gott-
fried von StraJfeburg 20 — Guiraut von Cabrera 21
— Walter Map 22 — Jocelin 22 — Eandbemer-
kung in einer Handschrift des 12. Jh. 22 —
Giraldus Cambrensis 23 — Chanson des Saxons 24
— Nicolaus von Amiens 25 — Alexander Neckam 25
— Vita Merlini 26 — Aymeri de Narbonne 26 —
Bertran de Paris 26 — Genealogie der Grafen von
Boulogne 27 — Chanson von Hugjjes Capet 27.
3. Das Resume Philippe Mouskets 28
A. Inhalt 28. — B. Kritik des Inhalts 33.
4. Der Loher imd Maller 42
A. Inhalt 42. — B, Kritik des Inhalts 55.
Ergebnis 62
n. Die historischen Grundlagen 64 — 177
Die Schlacht von Saucourt 64
Geschichtliches über die Schlacht von Saucourt 64 —
Gründe für die Identificierung derselben mit der in
dem Fragmente geschilderten Schlacht, Ludwigs DI.
mit König Ludwig 68 — Ludwig H. als historisches
Vorbild für König Ludwig 70 — Die Schlacht von
Thimeon, historische Vorbilder für Hugo 73.
— XIV —
Seite
Ooniuiiul-üuthorm 78
Gutliorm in dor Geschichte 78 — Gründe für die
Montifici(?rung Oonnunds mit Guthorm 80 — Gor-
niund nicht identisch mit Ilasting 83.
Das Chronicon Crniuhnsc und Ciuido von Bazoche; Wil-
Iiohn von Malmcsbury 85
Dor Hericht Ilariulfs über die Schlacht von Sau-
oourt. 85 — Der Bericht Guido's 87 — Beide Berichte
auf dem Kpos oder der aus diesem geflossenen
Sago beruhend 88 — Outliorm an der Schlacht
von Saucourt nicht beteiligt 88 — Isembard, der
Solin des Grafen Warin von Macon, in der Ge-
scliichte und in Urkunden 91 — war ein treuer
Diener Karls des Kahlen 93 — Der Bericht Wil-
hehns von Malmcsbury 9(5.
(lormund- Vurmo 98
rrsprünglic-hos geschichtliches Vorbild Gormunds
vielleiehl ein Normannenhäuptling Wurm 99 — Wie
erklärt, sich die Vtu'wandlung der Normannen in
Sarazenen? lln/ulänglichkoit der bisherigen Er-
klärungen 1(K).
Die Sperlings -Kpisodo; Ceawlin 104
Vf»rbnütung der Sage von dor Einäscherung einer
belagort.en Stadt dun^h Vögel 104 — An wessen
Nanien war die S;ige ursprünglich geknüpft? 105
- - CiMdig 107 (Vawiin U^ — Die I^yamon'sche
V»M"sion 110.
Isembard ,./' Manjariv 113
D<»r haitihiinl fih'ns Warini beim ^lönch von
St. (lallen IM — Der /semhanlus Pontin' comc^
b«»i Willu»lm von Malmesburv 119 — Tscmbards
«
DtMname Mnrtfnn'x PJl - Der Oastal de Isembard
im iliroti. S. lU'm'dirti Ca:iincnsh 1Ü7 — Die
S.'ira/.«»M«Mikri»»gi> KaistM- lAulwigs 11,, Königs von
It.ihiMi \\)\) D«'r (iastalde Isembard das ge^chieht-
lielu» VorbiM für den Helden unsoivs Epos 133 —
Konsoqui»n/«Mi dieses Ixosultates K^G — Erklärung
für dio ViMWjuidliing derNonuanntMi in Sarazenen 137
D;is SauiM>urt l.ied und das Isembnni-Liod 138.
Das Isombjird I.umI; «lie Srhla«'l\t \on San Maniuo . . 141
D«M' Inli;i1l dos IsiMul^ard - Liedes 141 — Mut-
mjilsiin/'.iM» uImm" mmiiou svMistigen Inhalt 142 —
K.'iiNcr l.ud\\ij',s 11. n«MMr:jliM gegrn die Sarazenen
und du» S« hl.'U'lil \on S. Martine am Vi-ltamo als
— XV —
Seite
historische Grundlage des Liedes 144 — Hugo's
Knappe Guntier und der Guntari des Chronicon
Salernitanum 144 — Isembard als Verbündeter
der Sarazenen 149 — Der Sultan von Bari als
Vorbild Gormunds 151.
Rollo 154
Die Tradition Dudo's von St. Quentin über Rollo 155
— König Aethelstan bei Dudo identisch mit Gu-
thorm 1 58 — Übereinstimmende Züge in der Tradi-
tion Dudo's und dem Resume Mouskets 161 — Be-
denken 164 — Dudo's historische Glaubwürdig-
keit 166 — Weitere Folgemngeü 168 — Der
dänische Seekönig Gotfrid 169 — Isembards Vor-
bild in dem Saucourt- Liede ein Wikingerhäupt-
ling 173.
Ergebnisse 174
Anhang: Zeitgenössische Berichte über die Schlachten von Sau-
court, von Thimeon imd von San Martine 178 — 181
III. Das Brüsseler Fragment im Versmafs des Originals
übersetzt . 183—203
Einleitung.
Das Brüsseler Fragment.
Ausgaben. Das Fragment von Isembard und Gormund
wurde von dem Kanonikus de Ram auf einem alten Ein-
bände entdeckt und zum ersten Mal veröffentlicht vom Baron
von Reiffenberg in der Einleitung zu seiner Ausgabe der
Chroniqus Hm6e des Philippe Mousket, Bruxelles 1838, t. 11,
p. X — XXXII. Nachdem das Manuskript eine Zeit lang ver-
schollen gewesen war, wurde es unter den von der Brüsseler
Kgl. Bibliothek erworbenen Papieren de Rams wieder aufgefun-
den durch Auguste Scheler und von ihm nun zum zweiten
Male herausgegeben im Bibliophile Beige, Bulletin mensuel
t. X., Bruxelles 1875, p. 149 — 198, daneben auch separat unter
dem Titel „ La Mati. du roi Gormond, fragment unique d'une
chanson de geste inconnue, conserv6e ä la Bibl. Roy, de Bei-
gique, r44diU litt^ralement sur Vorginal et annot4 p, Ä. Scheler j
Bruxelles 1876" (vgl. dazu die Recensionen von Gaston Paris,
Romania V, 376 ff. und von W. Förster, Jenaer Litter atur-
zeitung 1876, No. 35, S. 557 f.). Eine streng kritische Aus-
gabe, welche im wesentlichen als definitiv bezeichnet werden
raufs, veranstaltete dann Robert Heiligbrodt unter dem Titel
„Fragment de Oormund et Isembard, Text nebst Einleitung^
Anmerkungen u?id volhtändigem Wortindex^' in Böhmers Ro-
manischen Studien III, 1878, S. 501 — 596 (auch als Strafs-
burger Dissertation 1878; dazu eine kurze Anzeigenotiz von
G. Paris, Romania VIII, 300).
Titel. Heiligbrodt verwirft im Hinblick auf die Ent-
wickelung der Ereignisse in dem Denkmal die von Ideler ^ und
1) Gesch. der altfranx. Nationallitt, j Berlin 1842, S. 131.
Zenker, Das Epos ?on Isembard etc. 1
_ 2 —
P. Meyer^ gebrauchte Bezeichnung „Isembartet OormonV^ und
meint, der allein berechtigte Titel für das Fragment sei „Oor-
mund et IsemharV^. Nun hat Heiligbrodt allerdings Recht,
wenn er betont, dafs das Fragment zuerst ausschliefslich von
Gormund handele und dafs erst nach dessen Tode Isembard
in den Vordergrund trete. Indessen wird sich aus der nach-
folgenden Untersuchung ergeben, dafs das Epos umgekehrt mit
der Erzählung von Isembards Schicksalen begann und dafs
überdies er, nicht Gormund, auch der eigentliche Held der
Dichtung war. Somit kann der Titel für das Epos nur „Isem-
bard und Gormund" lauten. Da es nun doch wohl eine Pedan-
terie sein würde, von einem Epos von Isembard und Gormund,
dagegen von einem Fragment von Gormund und Isembard
zu sprechen, so werde ich auch das letztere „Isembard und
Gormund" betiteln, obwohl ich zugebe, dafs für dieses allein
die von Heiligbrodt gewählte Bezeichnung zutreffender sein
würde.
Auf Grund einer Stelle im Fabliau des deus bordeors
ribaux, Bartsch et Horning, La langue et la litterativre frang,,
Paris 1887, Sp. 617, V. 10, wo ein Jongleur sich rühmt:
et si sai du roi Loeis,
vermutet G. Paris, Hist. po6t de Charle^nagne, p. 400 n. 2,
Romania V, 377 und Histoire littSraire de la France XXVIII,
250, der ursprüngliche Titel für das Epos sei gewesen ,yle Roi
Loiiis^^ und er hat diesen Titel denn auch in seiner Litt fra?ip.
au moyen äge, 2^ 4d., Paris 1890, p. 43, bereits adoptiert. Nun
wäre es ja gewifs möglich, dafs G. Paris mit seiner Vermutung
Recht hätte. Aber einmal ist das doch noch keineswegs sicher,
und dann wäre jener Titel, auch wenn er alt sein sollte, doch
wenig glücklich gewählt. Denn der eigentliche Held der Dich-
tung ist König Ludwig sowenig als Gormund, sondern, wie
schon bemerkt, allein Isembard. Ich bleibe also bei der Be-
zeichnung Isembard und Gormund.
TEntstehungszeit. P. Mejer a. a. 0. meint, die Chanson
von Isembard und Gormund könne wohl gleichzeitig mit dem
1) Mem, de la Soc. de lingu.^ I, 1868, p. 260.
— 3 —
Rolandsliede sein, und derselbe bemerkt Bihl de Vilc. des Charles
V, 2, 85, sie stamme allem Anschein nach aus dem 11. Jh. .
Heiligbrodt a. a. 0. S. 511 urteilt, der Ursprung des Denkmals
sei „in das dritte Viertel etwa des 11^ Jh., wenn nicht, was viel-
leicht wahrscheinlicher, noch früher zu setzen"; S. 512 erklärt er,
man müsse „im Hinblick auf die äufsere Form, den Stil und
die Sprache eine dem Rolandsliede nicht ferne, vielleicht sogar
frühere Zeit für die Entstehungszeit der Vorlage des uns über-
lieferten Fragmentes ansehen," In welche Zeit G. Paris unser
Fragment setzt, ist nicht klar; in der Histoire littäraire XXVIII
(1881), 251 rückt er es in die erste Hälfte des 12. Jh. her- v
auf, indem er die Verkleidung der Normannen in Sarazenen,
welche darin vollzogen ist, als eine Wirkung der Kreuzzüge
betrachtet; ebenso bezeichnet er in seiner Litt franp. au
moyen äge im Tableau chronlogique p. 246 das erste Drittel
des 12. Jh. als die Entstehungszeit; dagegen setzt er es, im
Widerspruch mit dieser Datierung, ebenda p. 39 und p. 43, in
die zweite Hälfte des 11. Jh., bezw. überhaupt ins 11. Jh.; es
mufs also entweder hier oder dort ein Versehen vorliegen, wo?
das kann ich nicht entscheiden.
Ich möchte nun glauben, dafs die von Heiligbrodt ge-
gebene Zeitbestimmung der Wahrheit ziemlich nahe kommt; ich
vermute, dafs das Fragment um J1080 und zwar eher früher /
als später entstanden ist. Dafür scheinen mir zu sprechen zwei
in dem Fragment enthaltene geschichtliche Anspielungen, die,
soweit ich sehe, für die Datierung bisher noch nicht verwertet
worden sind.
y. 140 wird genannt ein „Graf von der Normandie,
jener, der Herr vonRouen war und die Abtei von F6camp
baute"; der Graf wird von Gormund im Kampfe getötet.
Reiffenberg merkt zu der Stelle nur an, die Abtei von F6camp
stamme schon aus dem 7. Jh. und Heiligbrodt im Kommen-
tar verweist einfach auf Reiffenberg. Nun bestand aller-
dings zu F6camp ein Nonnenkloster, Fiscamnensis parthenon,
welches schon im 7. Jh. von einem gewissen Wadingus ge-
gründet worden war.^ Aber nicht von diesem ist hier die
1) Vgl. Migoe, Patrologiae cursusj Series latina, Index t. III, 1063
1*
— 4 —
Bede; das Kloster, welches der Dichter meint, ist vielmehr das
der heil. Dreifaltigkeit, Fiscavinense S. Trinitatis, das in der
That von einem Grafen der Normandie, von Graf Richard I.
Ohnefurcht, dem Sohne Wilhelms L, gegründet wurde; vgl.
Bodulfus Glaber, Hist U, c. 7^: Tu7ie temporis etiam dux
TU>i(yinag(yiULm Riexirdus obiii, qui monasterium aedifi-
caverat nimiuin locuples in loco, qui dicitur Fisca^n-
pus^ in quo etiam sepultiis quieseiL Nun starb Richard I.
im J. 996 zu Ronen an einer Krankheit, vgl. Dudo von
St Quentin* c. 128 — 29. Bevor diese Thatsache soweit in
Vergessenheit geraten war, dafs der Dichter ihn bei Cajeux-
sur-mer in einer Schlacht ^egen die Sarazenen fallen lassen
konnte, mufste offenbar seit Richards Tode ein ganz beträcht-
licher Zeitraum verstrichen sein; er mulste in der Vorstellung
des Dichters und seiner Zeitgenossen bereits einer grauen Ver-
gangenheit angehören. Wir werden also annehmen dürfen,
dals seit seinem Tode mindestens etwa 70 Jahre vergangen
waren, womit wir denn auf die Zeit um 1070 als den ter-
minus a quo für die Entstehung des Gedichtes heruntergeführt
würden.
Es wird dann weiter V. 88 in dem Fragmente genannt ein
Graf Odo (Eodun) von Champenois, „der Chartres, Blois
und Chäteaudun in Gätinais zu eigen hatte**. Zwei Grafen
haben existiert, auf welche die gegebene Charakteristik palst:
Odo L, gest 995, und Odo IL, sein Sohn und Nachfolger,
geb. 982 oder 983, gest. 1037. ^ Graf von Champagne war
freilich nur Odo II. (seit 1019), aber schon Odo I. besafs von
seiner Mutter einige Landschaften im Champagnischen und
wird deshalb von den Chronisten le Champenois genannt*
1) Pertz, Monumenta Germaniae Historica. Scriptores ATI, 61. —
Migne 1. c.
2) De moribiis et actis primorum Xormanniae ducum, ed. Jules
Lair, Caen 1865, in Mhn. de la Soc. des Äntiqu, de Xorm. v. XXTTT .
3) Vgl. Arbois de Jubaiuville , Hist. des ducs et des comtes de Cham-
pagne, Paris 1859, t I. — Leonce Lex, Endes, comte de Blois, de Tours,
de Chartres, de Troyes et de Meaux (995 — 103T). Ext. d. Mem. de l.
Soc. aead. de l'Aube, t 55. Troyes 1892.
4} Lex, a. a. 0. p. 17 f.
— 5 —
Offenbar kann unser Dichter nun allein Odo IL im Auge haben.
Denn wenn er den Grafen schlechthin bezeichnet als „den-
jenigCD, der Chartres u. s. w. besafs", so kann ihm natürlich
nur ein Graf Odo, auf den diese Bezeichnung pafste, bekannt
gewesen sein; das mufs aber dann der jüngere gewesen sein,
denn dafs er zwar von der Existenz Odo's I., nicht aber von
der Odo's II., der ihm zeitlich näher stand, Kenntnis gehabt
haben sollte, das ist nicht denkbar, wohingegen das umgekehrte
als ganz natürlich erscheint (Reiffenberg, auf den Heilig-
brodt auch hier verweist, glaubt, es handle sich um Odo L). Nun
ist es sehr beachtenswert, dafs von sieben französischen Rittern,
die mit Gormund den Kampf aufuehmen, sechs getötet werden,
Odo allein — er ist der vierte in der Reihe — entkommt un-
versehrt. Dies legt die Vermutung nahe, der Dichter habe
sehr wohl gewufst, dafs Odo in dei* von ihm geschilderten
Schlacht seinen Tod nicht gefuüden hatte. Es ist dann weiter
zu beachten, dafs der Dichter die Thatsache von Odo's Errettung
in die Worte fafst: „Gott hat ihn dieses Mal bewahrt (Deus
Vdd guari a cele feiz)^; denn diese Worte fordern doch als
Gegensatz: ein anderes Mal, also in einer anderen Schlacht,
hat er es nicht gethan. Nun wurde Odo in der That in einer
Schlacht getötet, er fiel am 15. Nov. 1037 in einem Treffen
an der Ome in der Ebene von Honol gelegentlich eines Feld-
zuges gegen den Herzog Gozelon von Lothringen i; da er einer
der unruhigsten und kriegerischsten Fürsten seiner Zeit war,
so erregte sein Tod allenthalben grofses Aufsehen. ^ Es geben
deshalb jene Worte die weitere Vermutung an die Hand, dem
Dichter sei nicht nur im allgemeinen bekannt gewesen, dafs
Odo nicht in einer hinreichend fernen Vergangenheit gelebt
hatte, um in der Schlacht, die er in seinem Liede schilderte,
den Tod gefunden zu haben, sondern er habe aufserdem auch
Kenntnis von der speziellen Thatsache gehabt, dafs Odo in
einer Schlacht gefallen war. Ist diese Vermutung richtig,
so werden wir aus ihr den Schlufs ziehen, dafs unser Fragment
nicht allzu lange nach 1037 entstanden sein kann, wir werden
1) Lex, a. a. 0. p. 53 ff.
2) ib. p. 7 f.; Ärbois de Jubainville, a. a. 0. p. 343.
— 6 —
sagen dürfen: gewils nicht länger als 40—50 Jahre danach.
Damit kämen wir denn auf die Zeit gegen 1090 als ter-
minus ad quein, und da wir als terminus a quo die Zeit
um 1070 gewonnen haben, so werden wir die Enstehung des
Fragments um 1080 ansetzen dürfen, — ein Resultat, welches
sich ja mit den Ergebnissen der sprachlichen Analyse des Ge-
dichtes vollkommen im Einklang befindet.
Aber ist dieser Datierung nicht das oben erwähnte, von
G.Paris benutzte Argument hinderlich? Keineswegs. Im zweiten
Abschnitt unserer Untersuchung wird sich zeigen, dafs die Ver-
wandlung der Normannen in Sarazenen keineswegs, wie G. Paris
annimmt — und nach dem, was bisher über die historische
Grundlage des Fragments bekannt war, mit Recht annimmt —
dafs, sage ich, diese Verwandlung keineswegs auf einen Ein-
flufs der Kreuzzüge zurückzuführen ist, sondern sich in einer
ganz andern Weise aufs befriedigendste erklärt. Ich mufs mich
vorläufig auf die Konstatierung dieser Thatsache beschränken.
Heimat des Fragments. Alles weist darauf hin, dafs
das Gedicht entstanden ist in der östlichen Pikardie, in der
Gegend von Abbeville, dem Schauplatz der erzählten Ereig-
nisse, vgl. Heiligbrodt S. 511 f.; ich habe hier seinen Aus-
führungen nichts hinzuzufügen.
Vorarbeiten über die geschichtlichen Grundlagen
der Dichtung und die Entwicklung der Sage. Von den
Herausgebern hat Scheler sich über die geschichtliche Grund-
lage gar nicht geäufsert; was Reiffenberg anführt, ist ohne
Wert. Heiligbrodt bemerkt ausdrücklich, dafs es nicht in
seiner Absicht liege, den geschichtlichen Hintergrund genau zu
untersuchen. Doch bringt er einiges darüber bei und giebt
vor allem sehr dankenswerte bibliographische Nachweise über
eine Anzahl Stellen , welche bei einer Untersuchung des Gegen-
standes zu berücksichtigen wären. Was die Entwicklung der
Sage betrifft, so beschränkt er sich darauf, eine Sagengeschichte
Gormunds und Isembards aus den verschiedenen Denkmälern
zu kontaminieren. San Marte (A. Schulz) in seiner Ausgabe
von Gottfried von Monmouth, Historia Regum Britanniae,
Halle 1854, handelt S. 439—443 im Kommentar zu Buch XI,
cap. VIII, wo sich unsere Sage findet, sowohl über die ge-
schichtliche Grundlage der Sage als über ihre Verbreitung spe-
ziell in England; seine gelehrten Angaben bedürfen indefs teil-
weise der Berichtigung und erschöpfen den Gegenstand auch in
keiner Weise. Im gleichen Jahre, in dem Heiligbrodts Aus-
gabe erschien, veröffentlichte Storm in seinem Kritiske Bidrag
tu Vikingetide7is Historie^ Kristiania 1878, S. 193 unter dem
Titel Gurmundtis rex Africanorum eine kurze, aber gehaltvolle
Studie über die Sagengeschichte Gormunds, in der er jedoch
auf den sonstigen Inhalt unseres Epos nicht näher eingeht.
Nyrop, Storia delV epopea fra?icese (Den oldfranske Heide-
digtning, Kjöbenlmven 1883), trad, di E. Gorra, Turin 1888,
S. 197 — 199 widmet auch dem Gormund und Isembard eine
summarische Besprechung. L6on Gautier hingegen in sei-
nen EpopSes franoaises 2, Paris 1878 — 92, hat unser Frag-
ment von seiner Darstellung ausgeschlossen, offenbar deshalb,
weil er — sehr mit Unrecht — glaubt, ihm den epischen Cha-
rakter absprechen zu müssen.^
Von einem Eingehen auf den Inhalt der genannten Vor-
arbeiten und einer Kritik der in ihnen niedergelegten An-
schauungen von den historischen Grundlagen und der Ent-
wickelung der Sage sehe ich an dieser Stelle ab. Ich werde
in den positiven Darlegungen des zweiten Teiles nicht verfehlen,
es überall zu vermerken, wo ich mich meinen Vorgängern an-
schliefse, und werde, wo es nötig ist, mich mit ihnen aus-
einandersetzen.
1) Er fühi-t es t. I^, in der alphabetischen Liste der erhaltenen Chan-
sons de geste kurz auf mit den Worten : ,jGormon et Isembard. M. de Reiffen-
berg a publie sous ce titre un fragment en octosyllabes , qui n*a rien de veri-
tablement epique/^
L Eekonstruktion des Inhalts der Dichtung.
1. Das Fragment selbst.
Ausschliefslichen Inhalt des Brüsseler Fragmentes bildet
eine Schlacht, welche der Frankenkönig Ludwig gegen den
Sarazenenkönig Gormund und den mit ihm verbündeten Rene-
gaten Isembard, den Sohn eines gewissen Bernard (V. 560)
schlägt Ludwig ist der Sohn des Karl (fe fix Ckarlun V. 276);
er wird reis (V. 201. 203. 224. 365 u. ö.) oder emperere (V. 178.
212. 484. 500) genannt; sein Heer besteht aus Franken {genx
de France V. 79, Franceis V. 407. 461. 473 u. ö.), doch sind
darin auch Deutsche {un Aleman V. 27) und Lombarden (un danxel
de Lumbardie V. 152). Gormund wird bezeichnet als eist
d' Oriente (V. 69. 78), als li Arabi (V. 186. 443), als rei amire
(V. 530), und als empet^ere de Leutix (V. 444), sonst stets als
reis] sein Heer besteht aus Sarraxin (V. 340. 448 u. ö.), aus
Turx et Persanx et Ärabix (V. 433), aber auch Iren befinden
sich darunter (uns Ireis V. 100. 282), und einmal werden die
Leute Gormunds überhaupt genannt ces d'Irlande (V. 610).
Isembard führt den stehenden Beinamen li Margari (V. 422.
436. 451. 462. 585. 628). Ort der Schlacht ist die Gegend von
Cayeux (desus Quaiou, a la chapele V. 41; desus Quaiou, en
la champaigne V. 65), die Heiden flüchten „mitten durch Vimeu
und Ponthieu auf St. Valery zu (parmi Vimeu et par Pontif,
Vers les aloex Saint Valeri V. 434)".
Die Schlacht ist da, wo das Fragment einsetzt, bereits in
vollem Gange. Gormund haust furchtbar in Ludwigs Heere;
von den fränkischen Fürsten und Edlen erliegt einer nach dem
andern seinen gewaltigen Streichen. Gautier von Maus, der
— 9 —
Sohn eines Frankenherzogs Erneis (V. 11), Terri von Termes^
(V. 47), ein Graf von Flandern (V. 67) werden von ihm zu
Boden gestreckt; Odo von Champagne (V. 87) entkommt mit
Gottes Beistand, aber es fallen dann wieder der Graf von Poitou
(V. 114), der Graf von der Normandie (V. 140), sowie Ernaut,
der Herr von Ponthieu und St. Valery (V. 165). Gormund
verhöhnt nun mit lauter Stimme die thörichte Hoffnung der
Franken, dafs ihr Gott ihnen beistehen werde, er, der doch, als
die Juden ihn ans Kreuz schlugen, sich selbst nicht habe helfen
können und eines elenden Todes habe sterben müssen. Als
Hugo (Hues, Hugelin)^ der Bruder König Ludwigs, diese gottes-
lästerlichen Worte vernimmt, wird er tief empört und be-
schliefst, den Spötter zu züchtigen. Trotz Ludwigs Warnung
sprengt er, „nicht wie ein irdisches Wesen, nein, wie ein Sturm-
wind", auf Gormund los und greift ihn an. Dieser trifft ihn
mit dem Speer in die Seite und wirft ihn vom Rofs; Hugo
aber rafft sich schnell auf, schwingt sich wieder in den Sattel
und greift, nachdem er einen Umritt durchs Schlachtfeld ge-
macht hat, Gormund von neuem an. Abennals trifft dieser
ihn mit dem Speer, abermals stürzt Hugo vom Rofs, abermals
gelingt es ihm, sich wieder in den Sattel zu schwingen. Je-
doch der Blutverlust erschöpft ihn, plötzlich stockt ihm das
Herz und ohnmächtig sinkt er zu Boden. Guntier, Hugo 's
Neffe und Schildknappe, will seinen Herrn rächen, er reitet
auf Gormund los und greift ihn an; da wir über den Ausgang
des Kampfes nichts erfahren, so ist hier nach V. 359 im Texte
eine Lücke anzunehmen ; wie V. 548 beweist, mufs in den aus-
gefallenen Versen erzählt gewesen sein, dafs Guntier von Gor-
mund getötet wurde. Als König Ludwig sieht, wie seine
Ritter, einer nach dem andern, von Gormund erschlagen wer-
den, fafst er den Entschlufs, selbst dem furchtbaren Gegner
Einhalt zu thun. Nachdem er St. Dionys und St. Richardius um
ihren Beistand angefleht, tritt er selbst ihm entgegen; Gormund
schleudert drei Wurfspiefse nach ihm, aber Gott beschützt den
König, so dafs er unverletzt bleibt; nun holt Ludwig seiner-
seits mit dem Schwert aus und spaltet Gormund mit einem
1) Wohl Terme in der Pikardie, Diöc. Beauvais.
— 10 —
gewaltigen Streich mitten durch, so dafs der Körper in zwei
Hälften zu Boden sinkt Die Wucht des Hiebes reifst Ludwig
aber so stark mit, dafs er gestürzt wäre, hätte er sich nicht noch
am Hals des Rosses festgehalten. Die Anstrengung, die es ihm
kostet, sich im Sattel wieder aufzurichten, ist so grofs, dafs ihm
die Eingeweide reifsen und er seitdem nicht 30 Tage mehr lebte.
Drei Tage lang dauert die Schlacht; am vierten endlich
ergreifen die Heiden die Flucht und eüen in wilder Hast
nach dem Meere zu. Vergebens bemüht sich Isembard, sie
zum Stehen zu bringen; als all sein Zureden vergeblich ist,
wirft er sich allein dem Feinde entgegen, Seguin, ein leib-
licher Vetter des Königs, sowie zwei andere vornehme Franken
erliegen seinen Streichen. Weitereilend stöfst er auf den Leich-
nam Gormunds; blutüberströmt, mit offenem Munde, liegt der
König da; von heftigem Schmerz überwältigt, stimmt Isembard
eine ergreifende Totenklage an um den gefallenen Herrn, dann
erneut er seine Bemühungen, die fliehenden Heiden zur Um-
kehr zu bewegen, diesmal nun mit besserem Erfolg: 40000 Mann
halten noch vier Tage lang mit ihm Stand. Inzwischen hat
Ludwig Gormunds Leichnam, mit einem Schild bedeckt, nach
seinem Zelte tragen lassen, ebendahin wird der schwerverwundete
Hugo geschafft, man bettet ihn neben den toten König.
Die Schlacht tobt heftig weiter; im Getümmel trifft Isembard
mit seinem eigenen Vater, dem alten Bernard, zusammen ^ und
wirft ihn, ohne ihn zu erkennen, durch einen Lanzenstofs in
den Sand, dann ergreift er Bernards Rofs beim Zaum, schwingt
sich selbst in den Sattel und sprengt davon. Die Heiden,
durch die Anstrengung und den Hunger entkräftet, wenden
sich endlich abermals zur Flucht; sie werden von den Franken
verfolgt und hätten sie nicht am Strande die Schiffe vorgefun-
den, die sie bei ihrer Ankunft dort zurückgelassen, so wäre nicht
einer von ihnen entkommen. Isembard allein mit 2000 Mann
harrt heldenmütig aus. Aber auch seine Stunde hat geschlagen ;
an einem Kreuzweg, neben einem dicht belaubten Gehölz, fallen
zu gleicher Zeit drei Grafen und ein Herzog über ihn her,
1) Über die Verbreitung dieses Motivs vgl. Köhler in Warnkes Ausg.
der Lais der Marie de France, Bibl. Norm, in, Einl. XCVII.
— 11 —
schwergetroffen sinkt er vom Kofs. Im Gefühl seines nahen
Todes bekehrt er sich, er flehlt Gott an um Erbarmen, die
Jungfrau Maria aber, dafs sie bei ihrem Sohne Fürbitte für
ihn einlege. Dann schleppt er sich mühsam thalabwärts zu
einem einzelstehenden Olivenbaum; er setzt sich ins frische
Gras, wendet das Antlitz gegen Osten, verneigt sich, schlägt
das Kreuz, richtet sich ein wenig auf ....
Hier bricht das Fragment ab, die folgenden Zeilen müssen
seinen Tod gemeldet haben.
Über die Ereignisse, welche der Schlacht vorausgingen,
erfahren wir durch einige in dem Fragment sich findende An-
spielungen noch folgendes:
Gormund ist zu Hause in der Gegend von Cirencester, wo
sich Isembard bei ihm aufgehalten hat, vgl. Y. 471 f.:
„Ahif^^ dist il [sc. Isembard], „reis emperere,
tant le vus dis plusurs fiees
a Cirencestrej a vox cuntrees . . .*'
Isembard selbst ist Kenegat, er ist es, der die Sarazenen
nach Frankreich geführt hat, um das Land zu erobern, vgl. die
Worte der paten V. 585 — 90:
y,Af IsembarXj fei Margariz,
fei reneies pur repentir,
ca sunt les Chevaliers hardiz;
mar arivames en Pontif
pur lur honurs sur eus saisir,
mult nus avez del tut tratst'
Das Heer ist bei Ponthieu gelandet — s. die oben zitierte
Stelle — und hat daselbst seine Schiffe zurückgelassen, V. 606 — 8 :
se ne fu^sent barges e nes
qu'il laissierent a Variver,
ja n^en peust uns eschaper.
Ein Sarazene hat Isembard „jenseits des Meeres" das Los
geworfen und ihm prophezeit, wenn er nach Frankreich komme,
so stehe ihm Tod oder Gefangenschaft bevor, V. 636 — 39:
„e! jal me dist wis Sarrazins,
ultra la mer, qui en sorti,
— 12 —
si jeo veneie en cest pais,
que jeo serreie o morx o pris,^^
Die gleiche Angabe V. 426 — 29.
Gormund hat das Kloster SL Riquier niedergebrannt,
V. 351 — 53 (Worte Guntiers):
„. . . a Saint Richter;
que vus arsistes sun mustier,
mesavenir vus en deit bienJ'
Hugo ist einige Tage vor der Schlacht als Bote Ludwigs
in Gormunds Lager gewesen, er hat Gormund „wie ein Mäd-
chen bedient, den Pfau in die Schale gelegt", doch hat Gor-
mund nicht von dem Gerichte gegessen (auf welchen Vorgang
hier angespielt wird, ist nicht recht klar). Hugo hat bei dieser
Gelegenheit einem von Gormunds Vasallen sein Rofs entführt,
vgl. V. 241 — 46 (Worte Hugo 's zu Gormund):
„Cest Hnelins qui vus maisele,
qui Vautrier fut a voz herberges
le message Loevis faire,
si vus servi cume puceU,
le poun mis en lu squiele;
unques n'en musies la maissele.^^
V. 257 — 63 (Worte Gormunds):
„jeo te conuis assez, Hugun,
qui Vautrier fus as paveilluns;
si me servis de mun poun,
que n^en mui unques le gernun,
si pur folie dire nun;
e le cheval a mun barun
en amenOrS par traisun.^^
Guntier, Hugo's Knappe, ist sein Begleiter gewesen, der-
selbe hat dem heil. Richarius ein Schiff von reinem Golde ge-
weiht, V. 346 — 51 (Worte Guntiers):
„Sire Gormunx, reis dreituriers,
co7iuiste7^ez [vus] Vescuier
qui a vostre tref fut Vautrier
ove Hugun le messagier?
Jeo aportai la nef d'or mier,
cele mis jeo a saint Richter . . ."
— 13 —
Endlich ist noch zu beachten die Bezeichnung des heid-
nischen Heeres als ,jCes d'Irlande''\ diese Bezeichnung hat
offenbar nur dann einen Sinn, wenn das Epos Gormund und
seine Leute von Irland aus — natürlich nicht direkt, denn wir
hörten ja, dafs Gormund vorher bei Cirencester war — nach
Frankreich kommen liefs.
Das ist alles, was wir über die der Erzählung unseres
Fragmentes vorausgehenden Ereignisse erfahren ; über die nach-
folgenden erhalten wir Andeutungen überhaupt nicht. Somit
werden wir durch das Fragment über den Inhalt des Epos, dem
es entstammt, nur sehr unvollkommen unterrichtet und wären
wir auf seine Angaben allein angewiesen, so würden wir uns
von dem Inhalt des ganzen Gedichts eine recht deutliche Vor-
stellung nicht machen können. Nun sind uns aber in einer
ganzen Reihe jüngerer Denkmäler nicht nur mehr oder weniger
ausführliche Erwähnungen einer Sage von Gormund und Isem-
bard, Anspielungen auf eine solche oder direkt auf unser Epos,
erhalten, sondern wir besitzen auch ein vollständiges R6sum6
eines Remaniement dieses Epos aus dem 13. Jh., sowie eine,
wie es scheint, ziemlich wörtliche Übersetzung oder doch sehr
ausführliche Analyse von einer Prosa -Auflösung eines ebensolchen
Remaniement aus dem 14. Jh.; mit Hilfe dieser jüngeren Denk-
mäler sind wir denn im Stande, über den Inhalt unseres Epos,
soweit das Fragment uns im Stich läfst, genaueres zu ermitteln.
Ich werde nun im folgenden die betreffenden Stellen,
bezw. Abschnitte, soweit sie über den Inhalt der Sage irgend
welche Auskunft erteilen , anführen oder analysieren und unter-
suchen, was aus ihnen für die Rekonstruktion des Inhalts
unserer Chanson zu gewinnen ist. Dabei mufs ich aber unberück-
sichtigt lassen jene Stellen, deren rein sagenhafter Charakter
nicht von vornherein feststeht, bei denen vielmehr die Mög-
lichkeit gegeben ist, däfs sie über die Personen unseres Epos
historische Nachrichten enthalten. Diese Stellen können erst
im zweiten Abschnitt zur Sprache kommen.
Die Reihenfolge wird im allgemeinen die chronologische sein;
doch werde ich, wenn von einem Denkmal jüngere Bearbei-
tungen existieren, diese im unmittelbaren Anschlufs an das
Denkmal selbst besprechen.
— 14 —
3. Kürzere Erwähnungen der Sage in Denkmälern aus
dem 13., 13. und 14. Jahrhundert.
Galfrid von Monmouth, Historia Rcgum Britanniae,
verfafst zwischen 1128 und 1135;^ hg. von San Marte, Halle
1854, Buch XI, cap. Vm, S. 159.
Malgojii [britischer König] siiccessit Careücus, amator
dvilium bellorum, invis^is Deo et Bntonibus. Cujus incon-
stantiam comperientes Saxones iverunt ad Gormundum
regem Africanorum in Hyberniam, in qtiam maximis
navigiis advectus, g entern patriae suhjugaverat Exin
proditione eorum, cum centum sexaginta sex milibus Afri-
canorum ad Britanniam transfretavit , quam in una parte
mentitae fidei Saxones, in alia vero cives patriae, civilia beUa
inter se assidue agentes, penitus devasiabant. Inito ergo
foedere cu7n Saxonibu^ oppugnavit regem Careticum, et post
pluria praelia inter eos, fugavit cum de cimtate in civitatem,
donee cum trusit m Oirecestriam , et obsedit. Ubi Isem-
bardus Ludovici regis Francorum nepos venit ad cum,
et cum eo foedus amdcitiae i7iivit, et Christianitatem
suam tali pacta pro amore ejus deseruit, ut auxilio
ejus regnum Galliae avunculo eripere passet, a quo
(ut ajebat) vi et injuste expulsus erat Capta tandem
praedicta civitate et sicccensa, commisit praelium cum Caixtico
et cum fugavit ultra Sabrinam [= den Sevem] in Guallias. Mox
depopulans agros, ignem cumulavit in finitimas quasque elvi-
tates: qui non quievit acceyisus, donec cunctam pene super-
fidem insulae a mayi, usque ad mare exussit: ita ut cunctae
cohniae crebris arietibus, omnesque coloni cum sa^erdotibus
ecclesiae, mucronibus uudique micantibus, ac flammis crepi-
tantibus, simul humi sterner entur. Diffugiebant ergo reit-
quiae tantis cladibus affectae, qu^cunque ipsis cedentibus tu-
tarnen patebat
Cap. X wird dann noch berichtet, Gormund habe, nach-
dem er mit unzäliligen Afrikanern beinahe die ganze Insel ver-
1) Vgl. Zimmer, Nennius Vindicattis. über Entstehung , Oeschichte
und Quellen der Historia Britonum. Borlin 1893, S. 278.
— 15 —
wüstet, den gröfseren Teil derselben, Loegria, den Sachsen
übergeben. Weiteres über seine Schicksale erfahren wir nicht.
Der angebliche britische König Careticus, den Gormund
vertrieben haben soll, ist identisch mit dem ersten angelsächsi-
schen König von Wessex, Cerdig, der 534 starb. ^ Galfrid
versetzt also Gormund ins 6. Jh., — wie wir später sehen
werden, infolge einer Yerwechselung Cerdigs mit dem ca.
350 Jahre jüngeren König Aelfred.
Es fragt sich nun, inwieweit wir aus Galfrids Erzählung
einen Schlufs machen dürfen auf den Inhalt unseres Epos. Dafs
Galfrid dieses selbst oder doch die in ihm behandelte Sage ge-
kannt haben niufs, ergiebt sich aus dem, was er von Isembard
berichtet. Denn es stimmt vollkommen zu unserm Fragment,
wenn Isembard sich bei Gormund aufhält, während derselbe vor
Cirencester liegt, wenn er seinen christlichen Glauben abschwört
und wenn er mit Gormund ein Bündnis schliefst, um Frank-
reich zu erobern. Neu ist nur für uns, was Galfrid über die
Geschichte Gormunds bis zur Belagerung von Cirencester zu
berichten weifs, neu ist die Angabe, Gormund habe Cirencester
erobert, ferner die Angabe, Isembard sei ein Neffe König Lud-
wigs gewesen und er sei ungerechterweise aus seinem Vater-
lande vertrieben worden. Was die drei zuletzt genannten Punkte
betrifft, so mufs es vorläufig dahingestellt bleiben, ob in ihnen
unser Epos mit Galfrid übereinstimmte. Dagegen darf es als
sehr wahrscheinlich bezeichnet werden, dafs, wie bei Galfrid,
so auch in unserem Epos Gormund als Eroberer Irlands und
Englands hingestellt wurde. Denn die diesbezüglichen Angaben
Galfrids machen es ja erst verständlich, warum in unserm
Fragmente Gormunds Leute als „die von Irland" bezeichnet
werden, warum Isembard die Gegend von Cirencester Gormund
gegenüber als sein — Gormunds — Land bezeichnet (a Oiren-
cestre, a voz cuntrees)\ die Erzählung Galfrids giebt uns den
Kommentar zu jenen an sich etwas dunklen Anspielungen.
Dafs der von Gormund und Isembard gefafste Plan eines
Zuges nach Frankreich zur Ausführung gelangt sei, meldet
1) Vgl. Lappenberg, Oeschtckte von England^ Hamburg 1834, 1, S. 112.
Anglo - Saocon Chronicle ed. Thorpe, London 1861, t. II, 14, a. 534.
— 16 —
Galfried, wie wir sahen, nicht Es mufs zweifelhaft bleiben,
ob sein Stillschweigen daher rührt, dafs jener Zug etwa mit
einer anderen, ihm bekannten Sage von Gormund im Wider-
spruch stand, oder ob er sich absichtlich auf Gormunds Schick-
sale in England beschränkte.
Derselbe, Prophetia Merlini, verf. um 1132, zuerst selbst-
ständig publiziert, dann als Buch YII der Hist Reg. Brit ein-
verleibt; hg. von San Marte a.a.O. S. 93, aufserdem von dem-
selben, Die Sagen von Merlin, Halle 1853, S. 21:
Sex posteri ejus [sc. apri Cornubiae = Arthuri] seqicentur
sceptrum: sed post ipsos eocsurget Oermanicus vermis, Sub-
limabit illum aequoreus lupus: quem Africana nemora conti-
tabuntur, Delebitur Herum religio . .
Der sechste britische König nach Arthur war nach Galfrid
Careiicus^ der Get^manicus vermis sind die Sachsen, der aequo-
reus lupu^s ist Gormund.
Brut Tysylio, übersetzt von San Marte in seiner oben
citierten Ausgabe des Galfrid von Monmouth S. 568.
Der Brut Tysylio ist bekanntlich nur eine wälsche Über-
tragung der' Chronik Galfrids.^ Seine Erzählung stimmt denn
auch mit der Galfrids vollkommen überein — Isembard heifst
hier Imbert, König von Gaul, — nur weifs er näheres zu be-
richten über die Art und Weise, wie Cirencester, das erst Si7-
ehester^ dann Caer-Vyddan genannt wird, von Gormund ein-
genommen wurde: In der Absicht, heifst es, den Verhist an
Menschenleben zu vermeiden, habe Gormund, nachdem er
Cirencester eingeschlossen, seine Zuflucht zu einer Ki-iegslist
genommen. Man habe eine grofse Menge Sperlinge eingeftmgen,
habe ihnen mit Pech und Schwefel gefüllte Nufsschalen an die
Flügel gebunden, dieselben angezündet und die Vögel dann
bei Nacht freigelassen. Durch die Bewegung der Flügel sei
das Feuer angefacht worden und am nächsten Tage habe die
Stadt in Flammen gestanden.
1) Vgl. Zaracke, lieber das Verhältnis des Brut y Tysilio xtt öal-
frids Hist. reg. Brit, im Jahrb. f. rom. u. engl. Litt. V, 249.
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Diese Geschichte mufs der Verfasser aus der Volkssage
geschöpft haben; wir werden ihr sogleich auch in einer anderen
Bearbeitung der Galfrid'schen Chronik begegnen.
Wace (normannischer Clerüer), Roman de Brut^ voll-
endet 1155; hg. von Le Roux de Lincy, Ronen 1836 — 38,
V. 13787 flf.
Der Brut ist bekanntlich eine freie französische Bearbeitung
der Historia Galfrids. Wace's Erzählung stimmt durchaus mit
der Galfrids überein, ist aber viel breiter gehalten und weist
auch einige Züge auf, die sich bei Galfrid nicht finden; der
Verfasser scheint dieselben direkt aus der mündlichen Über-
lieferung geschöpft zu haben. Dafs eine solche damals über
Gormund (Wace: Gormont, Oormon, Chuermon) existierte,
scheint hervorzugehen aus V. 13 794 ff.: unter Ceris (=02-
reticus), sagt der Dichter, sei „der grofse Umsturz" {la grant
sorverse) gekommen durch das heidnische Volk, das Guermon
übers Meer herbeiführte:
bien en aves o'i 'parier
qu'il firent la destruision
dont Bretaigne perdi son nom.
Gleichfalls auf die Benützung mündlicher Quellen oder
auch auf persönlichen Augenschein deuten die Verse 14043 ff. hin:
Encore en perent les ruines
et les desers et les gastines
que Ouermonx fist an phisors letcs
pour tolir as Bretons lur feus.
Neu ist bei Wace die Erzählung von Gormunds Herkunft
und Vorgeschichte: Gonnund, so hören wir, war der Sohn
eines heidnischen Königs von Afrika; nach dem Tode seines
Vaters wäre das Reich ihm zugefallen, aber er zog es vor, die
Erbschaft seinem Bruder zu überlassen, und erklärte, er wolle
sich selbst ein Königreich erobern; jenseits des Meeres, in
,«---,
fremdem Lande, wolle er König werden. Von ihm hatte "\
Merlin prophezeit, er werde ein Meerwolf sein. Gormund
rüstete nun eine grofse Flotte aus, fuhr über 's Meer und er-
Zenker, Das Epos von Isembard etc. 2
— 18 —
oberte viele Länder und Inseln, zuletzt auch Irland, wo er König
wurde (V. 13797 — 13 831). i
Das folgende stimmt dann zu Galfrid, enthält aber, wie
gesagt, eine Reihe Plus-Züge. So erfahren wir näheres über
die Gesandtschaft der Briten an Gormund: sie lassen ihm sagen,
sie seien, wenn er ihnen helfe, bereit, seine Vassalen zu wer-
den; sie stellen ihm vor, dafs sie, als Heiden, gemeinsame
J) V. 13797: Ouermons fu rices e poissatis
et de son cors pros et vaillans^
hardis et de mult fort corage
et mult estoit de grant linage.
D'Aiifriq^e fu fils ä un rot
qiii estoit de patene loi;
la ihre apres son pere eut
et rois en fust, se lui ple^ttst.
Mais il iie valt, ne ne daigna^
a un son frlre le donay
a un son frere joneor
otroia sa tere et s'onor,
et si dist ja rois ne seroit
se roiaume ne conqueroit;
par 7ner, se dist, iroit conquerre
que rois seroit en autre terre;
de lui profetisa Merlins
|V^l4 qice ce seroit uns %is m arins^
Mariniers prist et estirmans
et nes et barges et calans;
cant et cinquante mil armes
tos coneus et tos nomes
estre sergans et Chevaliers,
et estre tos les mariniers,
mena Ouermofis ä son navire,
Ne sai des barges nombre dire;
mult en ot et grant gent mena;
rnainte grant mer avirona,
tnaint ille prist, maint roi conquist,
mainte tere saisist et prist.
Tant ala par mer naviant,
rois venquant, terres eonquerrant,
en Irlande vint salvement,
la tere prist delivrement,
d' Irlande se fit roi clamer^
puis valt en Engleterre aler.
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Sache machen müfsten gegen die christlichen Briten (13865
— 70). Gormund landet in Northumberland (13875); während
der Belagerung von Cirencester läfst er Belagerungstürme
{castiax A bretesques et ä cherniax) errichten, von denen er
einen dem Ysembart, einen seinen eigenen Leuten und einen
den sächsischen Fürsten anvertraut (13975). Vor allem finden
wir dann auch hier die Geschichte von der Einnähme Ciren-
cesters durch Sperlinge (13997 — 14018). Der Dichter fügt
die Bemerkung bei, die Stadt heifse noch jetzt bei den Land-
leuten „die Sperlingsstadt" {la die as moissons, 14029).
Ob die Zusätze des normannischen Dichters, vor allem
Gormunds Vorgeschichte, in dem Epos enthalten waren, mufs
dahingestellt bleiben.
In Le Roux de Lincy's Ausgabe schliefst die Erzählung
mit der bei Galfrid fehlenden Schilderung von Gormunds und
Isembards gemeinsamer Heerfahrt nach Frankreich. Beide segeln,
vom Hombre kommend, in die Somme ein, Isembard führt
Gormund nach Ponthieu, welches mit Feuer und Schwert ver-
wüstet wird. Als König Ludwig von ihrer Ankunft hört, zieht
er ihnen mit Heeresmacht entgegen und besiegt sie in einer
Schlacht bei St. Val6ry, in der Gormund und Isembard beide
fallen. AUe Sarazenen werden niedergemacht, so wird Frank-
reich von den Afrikanern befreit (14097 — 14122).
Dieser ganze Passus findet sich indefs nur in einer und
zwar einer jüngeren Handschrift {y^Ms. du Roi 7518 Colb."-)
und weist sich dadurch als Interpolation aus.
Layamon, Brut^ verf. Anf. 13. Jh.; hg. von Frederic
Madden, London 1847, III, S. 156 — 179.
Bekanntlich eine freie Bearbeitung des Wace. Wie Wace
gegenüber Galfrid, so weist wieder Layamon gegenüber Wace
einige Zusätze auf: er nennt die Namen von Gormunds Vater
und jüngerem Bruder, welche Wace nicht hat: Anster und
Oerion; er erzählt ferner, Urheber der Kriegslist, mittels deren
Gormund Cirencester erobert, sei „ein heidnischer Mann" ge-
wesen, der eines Tages, als Gormund und seine Leute fröhlich
waren und trunken von Wein, ins Lager kam und sich erbot,
dem König Cirencester in die Hände zu liefern. Da Layamon
— 20 —
anerkanntermaCsen neben seinen schriftlichen Vorlagen auch
Volkslieder, volkstümliche Sagen und Erzählungen benutzt hat,^
so wird nicht zu bezweifeln sein, dafs er eben aus dieser
Quelle auch hier geschöpft hat; dagegen könnte möglicherweise
nur ein Versehen Layamons vorliegen, wenn Isembard bei ihm
nicht, wie bei Galfrid und Wace, der Neffe, sondern der Sohn
des Königs* von Frankreich ist.
Geffrei Gaimar, Estorie des Engles, verf. 1147 — 1151;
hg. von Hardy und Martin, London 1888 {Herum brif. med.
aei\ scriptores)^ auch bei Petrie, Monum. Hist. Brit., 1848,
V. 3241 — 3295.
Gaimar berichtet über Gormunds Zug nach Frankreich —
Isembard erwähnt er nicht — in einer mit der Darstellung
unseres Fragmentes zum Teil übereinstimmenden AVeise. Seine
Erzählung ist indessen für unsere Kenntnis der Sage ohne
Wert, da er neben einer sagenhatten Quelle eine solche rein
historischen Charakters, die Angelsächsische Chronik, benutzt
und die Angaben der beiden, wie es scheint, contaminiert, bezw.
mit einander in Einklang gebracht hat Ich werde bei Be-
sprechung der historischen Grundlagen unserer Dichtung näher
auf seine Darstellung eingehen.
Gottfried von Strafsburg, Tristan^ verf. um 1210; hg.
von Bechstein, Leipzig 1873, 2. Aufl. V. 5885 ff.; kurze Erwäh-
nung des Inhalts der Stelle auch in der altnordischen Tristan-
sage, hg. von Kölbing, Die nordische und englische Version
der Tristansage^ Heilbronn 1878, c. 26, S. 135; allerdings
wird Gormund hier nicht genannt, es heifst nur, dafs England
seit lange Irland zinspflichtig gewesen sei, immerhin dürfen
wir schon daraus wohl schliefsen — wie auch Kölbing S. XLVII
thut — , dafs die Erzählung Gottfrieds schon in dessen anglo-
normannischer Vorlage, dem um 1170 entstandenen, nur frag-
mentarisch überlieferten Tizian des Thomas enthalten war.
Morolt kommt nach Cornwales, um im Namen des Königs
von Irland, Gurmün Gemiiotheit, den Zins von Cornwales
1) Vgl. Wülker, Ueber die Quellen Layamons, Paul u. Brauue's
Beiträge IH (1876), S. 547 ff.
— 21 —
und England einzutreiben. Gurmun, heifst es, war in Afrika
geboren, wo sein Vater König war. Nach des Yaters Tode
fiel das Land an ihn und seinen Bruder; aber er verzichtete
auf die Erbschaft, überliefs das Land seinem Bruder und fuhr
mit einer Schar auserlesener Krieger übers Meer, um sich selbst
ein Reich zu gewinnen. Von den „gewaltigen Römern" er-
wirkte er die Zusage, dafs alles, was er mit bewaffneter Hand
bezwinge, ihm zu eigen gehören solle. Er eroberte Irland
und nötigte die Bewohner, ihn als König anzuerkennen; dann
unterwarf er sich Cornwales und England und machte sich so
Marke, der damals noch ein Kind war, tributpflichtig. Es ge-
reichte ihm auch zu grofsem Vorteil, dafs er die Schwester
Morolts, eines Herzogs von Irland, — Isolde — , zur Frau nahm.
Von der Einnahme Cirencesters und Gormunds Verbin-
dung mit Isembard meldet Gottfried, d. h. also Thomas, nichts.
Dies, sowie die Erwähnung der Römer, die bei Wace fehlt,
könnte dafür zu sprechen scheinen, dafs Thomas nicht aus dem
Brut des letzteren, den er ja der Zeit nach wohl kennen konnte,
sondern aus der gleichen Quelle wie Wace, ans der lebendigen
Sage, geschöpft habe. Indefs ist es offenbar auch recht wohl
möglich, dafs wir es einfach mit Kürzungen, bezw. einem Zu-
satz des Dichters zu thun haben.
Die Einführung Gormunds in die Tristansage ist natür-
lich erst jüngeren Datums.
Guiraut von Cabrera (catalanischer Dichter), Efisefi-
harnen (Spielmannsunterweisung), vermutlich nicht später als
1170 verf.; hg. von Milä j Pontanals, De los trovadores en
Espana^ Barcelona 1861, p. 265.
Guiraut wirft dem Spielmann Cabra Unkenntnis einer
ganzen Reihe epischer Dichtungen ^or; unter den Personen,
von denen Cabra nichts wisse, nennt er auch Isembard und
Gormund, „der die ganze Welt für sich erobern wollte":
ni d' Esi7nbart
ni de Ouormon
qui tot lo mon
cuidava conquerre per son.
— 22 —
Walter Map, De nugvi curialium („Kurzweil für Hof-
leute**), verf. gegen Ende des 12. Jh.; hg. von Wright, Cani-
den Society 1850, S. 211; auch bei Pertz, SS, XXVII, 78.
Walter, Archidiakonus von Oxford, Vertrauter des Königs
Heinrich II. von England, erwähnt unsere Sage zugleich mit
der von Kaoul vcn Cambrai:
Ludotncus, filius Karoli Magni, jacturam omnium opti-
matum Fraticie fere totiusque militie Francorum apud Evore
per stultam superbiam Radulfi Cambrensis, nepotis sui, per-
tulit; satis egre rexit ab illa die regnum Francorum ad ad-
venttim usque Gurmundi cum Ysembardo, contra quos
cum residuis Francorum bellum in Pontivo commisit, victorque
reversus est cum pau^ssimo comitatu, cesis hosiibus suis pi^o
parte maiori, recedensque decessit in brevi tam lesione quam
labore predicti prelii cum lamentis et luctu totiu^ Franeie.
Jocelin, Vita S. Patridi, verf. um 1183; hg. Acta Sancto-
rum Bolland. 17. März t. II, p. 575.
Jocelin betrachtet Gormund als Eroberer Irlands, sieht aber
in ihm nicht einen Afrikaner, sondern einen Norweger:
Tempus autem tenebrarum Hibernici illud autumant, quo
prius Ourmundus ac postea Turgesius^, Noruagicnses prin-
dpes j^ga/rd, in Hibernia debellata regnabant: in Ulis efiim
diebus Sancti in caveiiiis et spelunds, quasi carbones eine-
ribus cooperti, latitabant a fame impiorum, qui eos toto die
quusi aves ocdsionis mortifieabant
Randbemerkung in einer Handschrift der Chronik Hugo 's
von Fleury {Cod, Bern. 90) aus dem 12. Jh.; gedr. bei Pertz,
SS, IX, 384 n. 14.
Es heifst von Ludwig V. Faineant (f 987), dem letzten
Karolinger :
Hie in pago Viminaco pugnavit adversus quendam con-
sobrinum suum Ysenbardum regemque Afncanorum Guer-
1) Turgeis war der Führer einer norwegischen Wikingerflotte, die im
J. 831 in Nordirland landete. Er unterwarf das Land und gründete einen
selbständigen Wikiugerstaat, der 13 Jahre lang bestand; 844 wurde er von
dem irischen Oberkönig besiegt und umgebracht; vgl. Todd, Cogadh Gaedhel,
London 1867 {Rer. hrit. med. aev. scr.)^ p. XLIIff.; Zimmer, Zeitsckr, f.
deutsch. Altert. 35 (N.F. 23), 109.
— 23 —
mundum, et deleto em^um eocerdtu, quem de transmarinis
conduxer*ant partibuSj maximo tropheo potitus est
Giraldus Cambrensis (Girald von Bairi), Topographia
Hiherniae, Frucht einer im J. 1184 im Gefolge Heinrichs IL nach
Irland unternommenen Reise, erschienen 1188;^ hg. v. Dimock,
Giraldi Camhr. Opera t Y, London 1867 (Rer. brit med,
aev. scr.), Dist. III, cap. XXXVII ff., p. 182.
Yon Girald erfahren wir, dafs gegen Ende des 12. Jh. in
England die Sage von Gormund allgemein verbreitet war.^
Er berichtet, zur Zeit des Pedlimidius^ hätten die Normannen
unter Führung des Turgesius nach heftigen Kämpfen binnen
kurzem die ganze Insel unterworfen und an allen irgend ge-
signeten Plätzen Burgen errichtet. Aus dieser Zeit stammten
die zahllosen tiefen Gräben und alten Burgen, die man noch
jetzt allenthalben in Irland antreffe. Er fährt dann fort
(c. XXXVIII): Ceterum hoc mihi mirandum videtiir, quod
noster Anglorum populus Ourmundum clatnat Hibemiam sub-
jugasse, et tarn castra praedicta quam fossata struxisse, de
Turgesio nullam peniiics facie7is mentionem. Hiberni&nses
vero et eorum historiae scriptae Turgesium pra^dicant, Gut-
1) Vgl. Dictionary of Nat. Biogr. XXI, 390.
2) Zu den englischen Sagen rechnet die unsrige Lambert von Ardre
(unweit Calais) in seiner Historia Comitum Ohisnensium, Pertz, SS. XXIV,
607 (ab a. 800—1203, verf. Anf. 13. Jh.). Er erzählt von Arnold von
Ghisnes :
Senes autem et decrepitos, eo quod veterum eventuras et fabulas et
historias ei narrarent et mo7'alitatis seria narrationi stie contintcarent
et annecterent , venerahatur et secum detinebat. Proinde militem quen-
dam veteranum Robertum dictum Constantinensem [= Coutance] qui
de Romanis imperatoribus et de Karlomanno, de Rolando et Olivero
et de Arthur Britannie rege eum- instruebat et aures ejv^s demuleebat;
et Philippum de Mongardino , qui de terra lerosolimorum et de obsidione
Antiochie et de Arabicis et Babilonicis et de ultramarinarum partium
gestis ad aurium delectationem ei referebat; et cognatum suum Walterum
de Clusa [= Ecluse] nom^inatum^ qui de Anglorum gestis et fabulis,
de Oormundo et Ysembardo, de Tristanno et Hisolda, de Merlino
et Merekulfo et de Ardentium gestis et de prima Ardee constructione . . .
diligenter edocebat, familiäres sibi et domesticos secum retinebat et
libenter eos audiebat.
3) König von Irland 840 — 47, vgl. Todd, a. a. 0. XLIV.
— 24 —
mundum autem prorsits ignorant Girald legt sich die Sache so
zurecht, dafs er annimmt, Turgesius habe Irland erobert im
Auftrage Gormunds, nachdem dieser sich Britannien unter-
worfen hatte, und er sei dann von Gormund als Statthalter
eingesetzt worden. Er erwähnt femer die Erzählung eines bri-
tannischen Buches {Britaimica historia)^ wonach Gurmund
von Afrika nach Irland gekommen , von dort durch die Sachsen
nach Britannien gerufen worden sei, Cirencester, wie es heifse,
durch Sperlinge eingenommen und nach Vertreibung des Königs
Keredicius das ganze Reich sich unterthan gemacht habe. Er
bemerkt dazu, er halte es für wahrscheinlicher, dafs Gormund
nicht Afrikaner, sondern Norweger gewesen sei, und er er-
wähnt dann (cap. XL) noch kurz, Gurmund sei irgendwo in
Gallien [in Galliarum partibus) getötet worden.
Derselbe, De instrucHone principiim, verf. Anf. 13. Jh.;
hg. V. Warner, Gir. Gambr, Op, VIII, London 1891, p. 258.
Girald erzählt, er habe einmal den Seneschall Ranulf von
Glanville gefragt, warum die Herzoge der Normandie, die doch
früher ihr Herzogtum so erfolgreich gegen die französischen
Könige verteidigt hätten, jetzt, da sie auch noch England hin-
zuerobert, in der Verteidigung ihres Besitzes weniger glücklich
wären. Ranulf habe erwidert:
„Duobus parum ante adventum Normannorum bellisy
primo Pontiacensi, inter Lodovicum regem, Karoli
magni filium, et Gurmimdiim, secundo vero longe post
Kameracensi, Radulphi scilicet Kameracensis levitate pariter
et animositate, adeo totam fere Frande jitventutem extinctafu
fuisse funditus et exinanitam, ut ante hec tempora nostra
numerositate minime fuisset restaurata.^^
Diese Stelle stimmt inhaltlich vollkommen überein mit der
bei Walter Map, nur erscheinen hier die beiden Kriege in
umgekehrter chronolgischer Folge. Ranulf dürfte wohl aus
Walter geschöpft oder doch die gleiche Quelle benutzt haben.
Jean Bodel, Chanson des Saxons, verf. Ende 12. Jh.;
p. p. Michel, Paris 1839, t. II, p. 75.
Bodel zählt einige Schlachten auf, welche grofse Menschen-
opfer gefordert haben:
— 25 ~
Voir est que molt morut de gent an Roncevax
ou piain Vinmeu ou Oormonz fit estax
ancontre Loeys qi fii prox et loiax.
Nicolaus von Amiens, Auctuarium (kurze Weltchronik
bis 1203), verf. um 1203; hg. bei Pertz, SS, VIII, 474.
Nicolaus verlegt den Einfall Gormunds ins Jahr 902 und
erzählt, die Matronen von Amiens hätten, mit den Rüstungen
ihrer Männer angethan, das heidnische Heer von den Mauern
Amiens' zurückgetrieben:
a. 902. His temporibus Oormundus rex Africas de secta
Mahometh collectis copiis regmim ÄJighrum mari transvectus
invasit Ad quem cmifugiens Hysenbertus , in avuneulum
suu7n Ludovicum res novas moliens, promisit ei, quod ope
ejus Franciam obtineret Qui vana spe ductus, navibus multis
bellatorum plenis Pontivo applieans, maritima populatus est.
Cujus exercitum pervagante^n extra menia Ambianensiurn,
fessis hello civibus, indigne ferentes matrone, egresse urbem
cum armiSj kostes ad castra fugere compulerunt. U?ide Privi-
legium hoc meruerunt, quod in ecclesia midieres a dext^is
sedeant. Ambianis rex autem Francorum profligavit deinde
Sarracenos illos, Oormundo rege ab [lies: et\ Hysemberto pro-
ditore gladio interemptis.
Welche Bewandtnis es vermutlich mit dieser Geschichte
hat, werden wir später sehen.
Alexander Neckam (geb. 1157), De laudibus divinae
Sapientiae, verf. Anf. 13. Jh.; ed. Wright, London 1863 (Rer.
briL med. aev. ser.)^ p. 503, Y. 341.
Neckam erwähnt die Sage, dafs Cirencester sieben Jahre
lang von Gormund belagert worden sei. Er apostrophiert am
Schlüsse sein Buch und fordert es auf, nach Gloucester oder
nach St. Albans oder nach Paris zu wandern. Dann fährt
er fort:
Si suspecta tibi loca stmt soUnnia, nostrae
Inter septa domus tutior esse potes.
Urbs vires experta tuas, Ourmunde, per aniios
Septem y ni fallor, vix tibi deesse volet.
— 26 —
Vita Merlini, verf. bald nach 1216 von einem englischen
Geistlichen, dessen Name nicht bekannt ist, früher fälschlich
dem Galfrid von Monmouth zugeschrieben; hg. von San Marte,
Die Sagen von Me?iin, Halle 1853, S. 290 u. 591— 595. Die Vita
beruht zum Teil, besonders von V. 580 an, wörtlich auf Galfrids
Historia und seiner Prophetia Merlini^ doch ist auch die franzö-
sische Romanlitteratur verwertet, vgl. San Marte, a. a. 0. S. 271 f.
Von Arthurs Nachfolgern, heifst es, werde der vierte der
gewaltthätigste sein (gemeint ist CareticuSy der aber nach Gal-
frid, Historia B. XI, c. 3 — 8 und nach der Prophetia vielmehr
der sechste war):
Hunc lupus aeqtig reus^ debellans vincet, et ultra
Sabritmm victum per barbara regna fugabit.
Idem Kaerkeii drcumdabit obsidiane
Passeribusque domos et moenia trudet ad imwn.
Glosse petet Oallos, sed ielo Regis obibit.
Vgl. S. 16. Wir haben hier also die bei Galfrid weder in
der Historia noch in der Prophetia sich findende Sage von
der Einäscherung Cirencesters durch Sperlinge, Gormunds Zug
nach Frankreich und seinem Tod durch König Ludwigs Hand.
Äymeri de Narbonne, chanson de geste, verf. im ersten
Viertel 13. Jh.; p. p. L. Demaison, Paris 1887 (S. d. a. t. fr.),
V. 4678—83:
li fix Charlon
rois Looys qui molt par fu preudon,
et tint la terre a force et a bandon,
et ocist puis ta^it Sarrazin felon,
Bie7i en avex, oie la chanson,
que en bataille ocist le roi Gormont
Bertran de Paris aus Rovergue, Ensenhamen, aus der
ersten Hälfte 13. Jh., spätestens um 1250 verfafst; hg. von
Bartsch, Denkmäler der prov. Litt.^ Stuttgart 1856, S. 85.
Wie Guiraut von Cabrera dem Spielmann Cabra, so macht
hier Bertran dem Guordo den Vorwurf, er wisse nichts von
Gormon und Isambart:
ni non sabetx novas del rey Gormon
ni del cosselh qu'Ixambart det sul pon.
— 21 —
Über die Episode, auf die Bertran anspielt, den „Eat, den
Isambart auf der Brücke erteilte*', ist uns etwas näheres nicht
bekannt.
Genealogie der Grafen von Boulogne-sur-mer aus
dem 13. Jh.; gedr. im Anzeige?' /*. Kunde der teiitschen Vorzeit^
hg. V. Mone, Karlsruhe 1835, S. 346; desgl. bei Reiffenberg,
Philippe Mousket, t. II, Introd. p. VIII; vgl. auch p. CCLXVm f. ^
In illo tempore venit Wermundics et Ysembardus in istam
terram, et comes Hernekitius de Bohnia XXX*^ militum ho-
mines cum armis ad cnstodiendum portus Bohniae, Sed Sara-
ceni de Anglia venierites vi et violentia sua extra Bohniam
apud Werneroue applicaverunt et ceperunt Boloniam vi, et
necaverunt decem milia homifium de XXX* milia kominibus,
quos comes Hmnekinus Iiabtdt. et quando Sarraceni ceperunt
Boloniam, pueros ocdderunt et illos ocdsos igne combiirebant
in hastis suis in despectu Christianorum. Comes autem Herne-
kinus 171 fugam convertit cum vigi7iti M, kominibus armatis
super costam maris.
Die Genealogie ist britischen Ursprungs. Der sagenhafte
Charakter der vorliegenden Erzählung ergiebt sich ohne weiteres
aus der Bezeichnung Gormunds und Isembards als Sarazenen;
für den Inhalt unserer Dichtung ist aus ihr natürlich nichts
näheres zu entnehmen.
Hugues Capet, chanson de geste, verf. gegen 1330 2;
ed. Guessard, Paris 1864 [Andetis poetes de la France VIII),
p. 19 — 20.
Der Dichter berichtet über die Schlacht in Ponthieu, augen-
scheinlich auf Grund einer ihm vorliegenden Chanson de geste:
Mais droit en ce tempore que je chi vous devis
furent par dedens Franche entre ly Ärabis,
che fu Gormans ly rois qui tant fu postai's,
s'i estoit Ysembars c'on nommoit Margaris,
ou pais ariverent qui est nommex Pontis;
mais contre eus alla ly fors rois Loays.
1) Im Art de verif. les dates t. Xu, 346 ist die Genealogie als histo-
rische Quelle verwertet.
2) Vgl. G. Paris, Ldtt. fr. au m. ä. \ p. 255.
— 28 —
La ot teile bataiUe et si grant caplats
que plus de .C. mil Turs y ot mors et fenis.
La vit on les paiiefis mattex et desconfis;
la s'y prouva ce jour Vemperere Loys
que Ysembart, ses niex, fut par lui a mort mis,
et Gorinotis etisement, le fellori Arabis.
Mais tant souffry de paine ce jour ly rois Loys
qu'il fu de malladie moult greve et acquis;
onques puis il ne fu a son cors bien santis.
Hier wird Isembard also von Ludwig selbst getötet; in
unserem Fragment fallt er vielmehr im Kampfe mit „ drei Grafen
und einem Herzog".
Aus allen diesen Stellen ist über den Inhalt der alten Chanson
offenbar wenig zu entnehmen; anders verhält es sich mit dem
R6sum6, welches Philippe Mousket in seiner Reimchronik giebt.
3. Das ß^suiii6 Philippe Mouskets.
Mousket (t vor 1244, vgl. Pertz, SS. XXVI, 719) analy-
siert in seiner bis zum J. 1242 reichenden Chronique riniee
V. 14 039 — 14 296^ in ziemlich ausführlicher Weise ein ihm
vorliegendes Reinaniement der alten Chanson von Isembard
und Gormund. Den König Ludwig identifiziert er mit Lud-
wig IV. d'Outremer.
A. Inhalt.
Louis d'Outremer, so hören wir, hatte einen Bruder
Namens Lohier, der Lothringen mit Aachen besafs, aufserdem
hatte er drei Schwestern, Gisle, welche mit Ron, Herluis,
welche mit dem Herzog Garin, der Vimeu, Ponthieu und die
Lehen von St. Val6ry besafs, sowie Aelais, welche mit Taillefei
von Cambrai vermählt war, die letztere die Mutter jenes Raoul,
der die Söhne des Herbert von St. Quentin bekriegte, Bierne9on
im Kampfe tötete und das Kloster Origni verbrannte.'^
1) Philippe Mousket j Chronique rimee, p. p. le baron de Reiffeuberg,
Bmssel 1838, t. II, p. 74—83. Die vorliegende Stelle ist auch abgedruckt
bei Bartsch et Horning, La langue.et la littcrature fra^i^aises, Paris 1887,
Sp. 429 — 436. Ich citiere nach dem letzteren Drucke , als dem leichter zu-
gänglichen.
2) Anspielung auf das Epos von Raoid von Cambrai, ed. P. Meyer
et Longnon, Paiis 1882 (S. d. a. t. fr,). Louis d'Outremer hatte in der
— 29 —
Herluis nun hatte zwei Söhne, Isembart und Girardin;
beide dienten ihrem Onkel, dem König Ludwig, waren aber
den Franzosen verhafst — warum? erfahren wir nicht:
Loeis, hr oncle, servirent,
mais li Francois les enhairent
Diese setzten dem König nun so lange zu, bis er, ihrem
böswilligen Rate folgend, Isembart an den König Guion von
Dänemark sandte, damit er den Tribut einfordere; in Isembarts
Abwesenheit liefsen sie seinen Bruder Girardin in einem Garten
umbringen. Isembart, zurückgekehrt, nahm blutige Rache, in-
dem er an der Tafel des Königs zwei Diener erschlug; denn
der König liefs sich von Intriganten und Ohrenbläsern be-
einflussen :
a la table le r&i JL siers
671 ocist puisy g'en sui tous ciers,
quar li rais creoit volentiers
et gengleours et nouveliers.
Dann floh Isembart in seine Heimat. Um nun die Fehde
beizulegen (por la faide^ a demorer) und seinen Knappen
Alardin, den Sohn des einen der beiden von Isembart er-
schlagenen Diener, zu entschädigen ^ (pour sa painne guerre-
doner) ^ woUte König Ludwig diesem Isembarts Schwester zur
Frau geben. Aber Isembart widersetzte sich dem Plane. Darüber
geriet der König in Zorn; er überzog den Herzog Garin in
Ponthieu mit Krieg und belagerte ihn so lange, bis er es dahin
gebracht hatte, dafs Isembart Frankreich und das Land seines
Vaters verschwören mulste — zum grofsen Kummer seiner
Mutter und seiner Schwester:
That eine Schwester Gisla — die aber nicht die Gemahlin Rollo's war —
und eine Schwester Adelheid, hingegen ist Herluis unhistorisch; vgl. Pertz,
SS. IX, 303: jjKarolus rex genuit ex Frederuna regina Hyrniintrudimy
Frederimanif Adelheidim, Oislam, Rotrvdim et Hildegardim/^
1) fr. faide = germ. faida, nicht Fehde in unserem Sinne, sonderü
eigentlich „Feindschaft", „Rache*', war der juristische Ausdruck für den
zwischen zwei Familien bestehenden Zustand der Blutfeindschaft, vgl. Waitz,
Deutsche Verfassungsgesch. ^ I, 429, Anm. 2.
2) So ist offenbar die Stelle: a oes celui qui pere ocist zu verstehen.
Reiffenbergs Konjektur qui frere (das wäi*e dann Girardin , celui = Isem-
bart) giebt keinen Sinn.
— 30 —
sour le duc Garin s'en ala
droit en Pontiu, si Vasega
tant qu'il estut par sa poisance
a Yxenbart forjurer France
et toute la tiere son pere;
grant duel en ot et stier et mere.
Isembart bestieg nun unter den Äugen des Königs ein
Scbiflf und segelte, nur von seinem Kiiappen Ludemart begleitet,
nach England, wo er sich zum König begab. Ludwig aber
räumte Ponthieu und kehrte nach Frankreich zurück. Als er
hörte, dafe Isembart in Sicherheit sei, liefs er zornig dem
König von England die Weisung zukommen, dafs er Isembart
aus dem Lande jage:
le roi manda totes couredes,
que d'Engletiere fust kacies.
Der König that, was Ludwig verlangte, doch Dicht, ohne
Isembart reich beschenkt zu haben. Dieser begab sich nun auf
den Rat des Engländers Evrart, der die sarazenische Sprache
erlernt hatte, übers Meer zum König Gormont, bei dem er
nach achttägiger Fahrt eintraf. Gormont nahm ihn freundlich
auf und brachte ihn dazu, dafs er Gott verleugnete, obwohl
ihn dieser doch vom Ertrinken gerettet hatte; Isembart war
sehr traurig darüber (doch wohl über das Abschwören seines
Glaubens?), darum nannte er ihn den Margari:
Mais dieu li a fait renoiier,
Jd garit Favoit de noiier,
Mais moult en ot son cue/r mari,
si le clama le Margari,
Isembart besiegte nun einen Sarazenenfürsten (un ätcma-
cour), der Gormont sein Land entreifsen wollte. Zum Dank
dafür gab Gormont ihm seine Tochter Margot zur Frau und
beschenkte ihn mit Bocidante, einem grofsem Lande im Orient.
In der Folge wufste Isembart Gormont zu bereden, dafs er
Schiffe baute, dann begaben sich beide auf die Fahrt, um
Frankreich zu vernichten. Bei der Überfahrt erhob sich ein
grofser Sturm, durch den der dritte Teil ihrer Leute seinen
Tod in den Wellen fand. Aber Isembart und Gormont selbst
— 31 -
gelangten wohlbehalten mit 2025 Schiffen nach Frankreich.
Um sich jede Möglichkeit einer Rückkehr abzuschneiden, ver-
brannten sie ihre Schiffe; dann steckten sie das Kloster St. Ri-
quier in Brand und verheerten den dritten Teil des ganzen
Landes. Ein Kleriker Namens Gautier meldete dem König
ihre Ankunft nach Laon.
Es bestand damals in Frankreich die Sitte, dafs, wenn ein
Grofser starb, der König sein ganzes Land an sich nahm und
die Frauen zwang, ihm lehenspflichtig zu werden; es stand
»
damals schlecht um die Lehen:
Adonqes France tele estoit
que quant .7. haus om i moroit,
li rois prendoit la tiere toute
et des dames sans nule doute
recevoit a force relief;^
trop estoient mauvais li fief.
Als nun Gautier jene Nachricht brachte, da erklärte ein
vornehmer Ritter, Hugo, dem König, er sei bereit, sich ins
Lager der Sarazenen zu begeben und ihre Stärke auszukund-
schaften, unter der Bedingung, dafs der König verspreche, auf
die Einforderung des refe'e/* Verzicht zu leisten und seine Barone
wohlwollend zu behandeln:
s'il voloit laiscier son desroi
et les relies quites clamer
et ses barons vosist amer.
Der König gab ohne weiteres die gewünschte Zusage und
schwor einen Eid darauf. Nun machte sich Hugo auf den
Weg; im feindlichen Lager eingetroffen, suchte er Isembart,
seinen Neffen, auf und erklärte ihm, er sei seinetwegen bei
Hofe verklagt, seines Erbes beraubt und aus Frankreich ver-
bannt worden. Isembart war über diese Mitteilung sehr erfreut
1) D. h. er zwang sie, ihm lehenspflichtig zu werden. Die Beleh-
nung pflegte symbolisch vollzogen zu werden durch Uebergabe irgend eines
Objektes, des ,jrelief^\ gewöhnlich eines Rasenstückes, eines Baumzweiges
oder einer Hand voll Erde, an den Lehensherrn; vgl. Luchaire, Marmel des
instit. fran^.^ Paris 1892, p. 204. Schmidt, Geschichte Frankreichs , Ham-
burg 1835, I, 243.
* . - » ■ . "
— 32 —
lind führte Hugo zu Gormont. Hugo erklärte, er müsse ihn,
um seine Angelegenheiten zu ordnen, noch einmal verlasseu,
werde dann aber wieder kommen. ^) Isembart nahm Hugo nun
mit sich in sein Zelt unten im Thal; er zeigte ihm sein Rofs
und erklärte ihm, wenn er es fertig bringe, demselben Zaum
und Sattel anzulegen, so solle es ihm gehören. Hugo erfüllte
die von Isembart gestellte Bedingung und schwang sich rasch
in den Sattel; seinem Knappen rief er zu, er möge sich auf
sein, Hugo's, Pferd setzen, vorausreiten und ihn oben bei den
Bäumen erwarten; dann sprengte er davon. Auf Isembarts
Mahnung, umzukehren, sie wollten sich nun zum Mahle be-
geben, erwiderte er mit der höhnischen Erklärung, das Pferd
sei nun sein, er habe Gormont hintergangen, er sei ein Spion
des Königs und werde demselben ihr übermütiges Gebahren
melden. Zugleich setzte er dem Rofs die Sporen ein und
dieses flog nun, wie ein Star durch die Luft, ins Thal hinab,
dann den Berg hinauf durch den Wald.^ Die Sarazenen ver-
folgten den Flüchtling, aber sie vermochten ihn nicht einzuholen.
Hugo kehrte zum König zurück und meldete, was er gesehen.
Dieser sammelte nun ein Heer und zog dem Feinde rasch
entgegen. In der Nähe von Amiens kam es zur Schlacht, in
der nach erbittertem Kampfe Gormont und sämtliche Sara-
zenen ihren Tod fanden; doch auch von den Franzosen bUeben
viele auf der "Wahlstatt. Isembarts Vater, der Herzog Garin,
hatte mit seinem Sohne eine Unterredung gehabt und versucht,
ihn zu bestimmen, dafs er sich von Gormont lossage, aber
seine Bemühung war umsonst gewesen ; statt Gormont den Ge-
horsam zu kündigen, hatte Isembart durch seinen Vater dem
1) Die Interpunktion ist hier bei Reiffenberg und Bartsch offenbar
unrichtig; das Komma ist statt nach iroit nach eoses zu setzen:
Euelins dist k'il s'en iroit
pour ses coses, si revenroit.
2) Es ist mir zweifelhaft, ob die Interpunktion von Bai*tsch, welche
der obigen Übersetzung zu Grunde liegt, hier zutreffend und ob nicht viel-
leicht das Komma hinter esproko7is zu streichen ist, sodafe dann zu über-
setzen wäre: „wie ein Star durch die Luft zu Thal fliegt, so sprengt das
Rofe den Berg hinan etc." Es ist zu beachten, daüs Isembarts Zelt schon
im Thale liegt und dafs Hugo seinem Knappen befiehlt, ihn „dort oben bei
den Bäumen* zu erwarten.
— 33 —
König Ludwig eine Herausforderung überbringen lassen. Er
erkannte das Abzeichen des Königs, griff ihn an und warf ihn
aus dem Sattel. Im Veiteren Verlaufe des Kampfes fand er
dann seinen Tod; der König liefs ihn beerdigen und beweinte
ihn wie einen Bruder. Isembarts Vater, der Herzog Garin,
trat, in bitterem Gram, um des Seelenheiles seines Sohnes
willen in ein Kloster; das gleiche thaten seine Mutter, seine
Schwester und seine Gattin Margot, Gormonts Tochter, die sich
hatte taufen lassen, alle drei wurden Nonnen in der Abtei zu
Montreuil; dort starb Beatrix vor Kummer, Isembarts Mutter
aber betete täglich, dafs seine Seele ins Paradies gelangen möge,
denn er hatte Sündenschuld auf sich geladen, als er um Gor-
monts willen Gott verleugnete. Doch hatte er noch sterbend
seine Sünde bereut und ganz und gar sich Gott befohlen;
darum darf man nicht sagen, dafs er verloren sei. Grofse
Schuld hatte ja auch der König, dafs er ihm sein Erbe nahm
und ihn aus seinem Lande jagte; dadurch hatte er wesentlichen
Anteil an Isembarts Verfehlung.
Übrigens wären die Sarazenen nicht besiegt worden, wenn
nicht die Frauen, welche ihre Kinder säugten, die Rüstungen
der gefallenen Franzosen angelegt und in die Schlacht einge-
griffen hätten; während des Kampfes tropfte ihnen die Milch
zwischen den Panzerschuppen durch, wie noch zu sehen ist in
der Nähe von Amiens auf dem Felde, das man Molleronval
nennt. Sie thaten dem Feinde grofsen Schaden und ihnen ist
der Sieg zu verdanken. König Ludwig aber wurde verwundet
durch Ludemart und dessen Herrn Isembart, als er, tapfer
kämpfend, ihnen auswich:
et Loeys, dl rois sacans,
fu desrompits par Ludemart
et par son signour Isembart
a Vestordre qu'il fist a aus;
so schwer war seine Verwundung, dafs er nicht 30 Tage mehr
lebte. „So erzählt das Buch (l'estore)^ wo ich dies finde."
B. Kritik des Inhalts.
Es fragt sich, inwieweit das Epos, welches Mousket ana-
lysiert, inhaltlich noch übereinstimmte mit dem alten Epos des
Zenker, Das Epos von Isembard etc. 3
— 34 —
11. Jh., inwieweit wir von seiner Darstellung auf den Inhalt
des letzeren einen Schlufs machen dürfen.
Vergleichen wir das ß^sumö, an dessen vollkommener
Treue zu zweifeln wir keinen Grund haben, mit den Angaben
unseres Fragmentes, so erkennen wir sofort, dafs das Epos,
welches Mousket vorlag, sich inhaltlich keineswegs mehr deckte
mit dem Epos, dem unser Fragment entstammt. Zwar ist,
soweit wir überhaupt im Stande sind, das zu beurteilen, die
Handlung in den Hauptzügen noch dieselbe, aber im einzelnen
finden wir eine ganze Reihe Abweichungen.
Bei Mousket ist Isembards Vater der Herzog Garin, dem
Vimeu, Ponthieu und die Lehen von St. Valery zu eigen ge-
hören, in dem Fragment hingegen heifst er Bemard und kann
er die genannten Landschaften nicht besessen haben, da V. 165
ein gewisser Emaut als Inhaber derselben genannt wird.
Bei Mousket wird Isembard, als er Frankreich verläfst, be-
gleitet von seinem Knappen Ludemart, der noch in der Schlacht
bei Amiens mit ihm gemeinsam gegen Ludwig kämpft; im Frag-
ment hingegen wird Ludemart nicht erwähnt, ein Umstand, der
es zwar nicht gewifs, aber doch sehr wahrscheinlich macht,
dafs er in dem Epos überhaupt nicht auftrat.
Bei Mousket begiebt sich Isembard von Frankreich zunächst
zum König von England; nachdem dieser ihn auf Verlangen
Ludwigs verbannt hat, geht er zu Gormund in den Orient. Dafs
diese Erzählung in unserem Epos nicht ursprünglich sein
kann, ergiebt sich mit Sicherheit aus der Thatsache, dafs ihr
offenbar die Vorstellung zu Grunde liegt, der König von Eng-
land sei ein Vasall des Königs von Frankreich und müsse als
solcher thun, was dieser ihm befiehlt; die Erzählung kann also
erst entstanden sein nach dem Jahre 1066, seit welchem die
Herzöge der Normandie, Vasallen des Königs von Frankreich,
zugleich Könige von England waren. Dafs die Erzählung aber
auch in der durch unser Fragment repräsentierten Fassung des
Epos, welche, wie wir sahen, dem Ende des 11. Jh. angehört,
noch nicht vorhanden gewesen ist, das wird wenigstens höchst
wahrscheinlich gemacht durch folgende weitere Erwägung:
Da für den Dichter oder Überarbeiter, welcher jene Ver-
sion erfand, die ganze Handlung des Epos doch in einer grauen
— 35 ~
Vergangenheit lag, so mufste er die Vorstellung hegen, jenes
Lehnsverhältnis zwischen dem König von England und dem
von Frankreich, welches Voraussetzung für die Erzählung ist,
bestehe schon seit langer Zeit; die Erzählung wird also schwer-
lich erfanden worden sein um 1080, der mutmafslichen Ent-
stehungsseit unseres Fragmentes (vgl. S. 6), wo jenes Verhält-
nis noch ganz jungen Datums war und die Erinnerung noch
lebendig sein mufste an eine Zeit, wo es nicht bestanden hatte.
Ebendafür, dafs die in Rede stehende Erzählung in dem
Epos zu Ende des 11. Jh. noch nicht enthalten war, sprechen
auch zwei weitere Gründe: einmal die Worte Isembards zu Gor-
mund, Fragm. V. 471: „er habe es ihm oft gesagt zu Ciren-
cester, in seinem Lande, dafs die Franzosen ein krieggewohntes
Volk seien"; denn wenn Isembard Gormund im Orient auf-
gesucht hätte, wie Mousket berichtet, und von dort aus mit
ihm den Zug nach Frankreich unternommen hätte, so hätte er
ihm sicher jene Aufklärung über die Franken schon daheim, im
Orient, und nicht erst in England-, in Cirencester, erteilt; so-
dann spricht für die erwähnte Annahme die Angabe bei Gal-
frid von Monmouth, Isembard habe Gormund aufgesucht, als
derselbe vor Cirencester lag; denn aus ihr geht hervor, dafs
die Sage noch im ersten Drittel des 12. Jh. (vor 1135) von
einem Aufenthalt Isembards bei Gormund im Orient nichts
wufste. Somit spricht alles dafür, dafs wir es bei Mousket mit
einer jüngeren Version zu thun haben, dafs in der älteren
Fassung des Epos Isembard von Frankreich direkt zu
Gormund ging und dafs dieser in England vor Ciren-
cester weilte, nicht im Orient.
Weiter erzählt Mousket, Gormund habe bei der Ankunft
in Frankreich die Schiffe verbrennen lassen, um sich die Mög-
lichkeit einer Rückkehr abzuschneiden; dagegen hören wir im
Fragment, dafs die Heiden ihre Schiffe am Ufer zurückgelassen
haben und auf denselben entfliehen.
Sodann ist das Lokal der Schlacht bei Mousket und im
Fragmente, wie es scheint, nicht genau das gleiche; dort wird
gekämpft bei Amiens, hier bei Cayeux — beide Orte sind
ca. 60 km. von einander entfernt; man könnte ja daran denken,
dafs die Schlacht etwa auf halbem Wege zwischen Amiens und
3*
— 36 —
Cayeux stattgefunden habe^), indessen ist es doch wahrschein-
licher, dafs eine, wenn auch nicht sehr starke, Verschiebung
des Lokales stattgefunden habe.
Endlich berichtet Mousket, Ludwig habe die tödliche Ver-
letzung, welche bald nach der Schlacht seinem Leben ein Ende
machte, erlitten im Kampfe mit Isembart und Ludemart, im
Fragmente hingegen zieht er sie sich zu im Zweikampfe mit
Gormund.
Die Thatsache nun, dafs Mouskets Erzählung in mehreren
Punkten zu der Darstellung des alten Epos nicht stimmt, könnte
es offenbar a 'pHoH bedenklich erscheinen lassen, da, wo das
Fragment uns im Stiche läfst, von Mouskets Angaben auf den
Inhalt des alten Epos irgend welche Schlüsse zu machen.
Denn wer garantiert uns, dafs wir es nicht auch da, wo wir
den Nachweis auf Grund unseres Fragmentes nicht direkt er-
bringen können, doch mit jüngeren Versionen, Modifikationen
des ursprünglichen Sachverhaltes durch einen späteren Über-
arbeiter zu thun haben? Trotzdem glaube ich nun, dafs wir
aus inneren Gründen berechtigt sind, auch wesentliche Stücke
in Moukets E6sum6, die durch unser Fragment nicht direkt
bestätigt werden, als vollkommen echt und ursprünglich, als
der Darstellung des alten Epos entsprechend, zu betrachten.
Dahin rechne ich zunächst, was Mousket erzählt über die Vor-
gänge, die Isembards Verbannung aus Frankreich herbeiführten.
Wir haben es hier nämlich offenbar zu thun mit dem uralt-
germanischen Motiv der Blutrache; dafs dieses Motiv erst im
12. oder 13. Jh. nachträglich in das Epos eingeführt worden
sein sollte, ist ganz unwahrscheinlich, wie denn auch der Zug,
dafs Isembard die beiden Schuldigen an derTafel desKönigs
erschlägt, in seiner barbarischen Wildheit einen durchaus alter-
tümlichen Eindruck macht. Dafs Isembard ,,vi et injuste^^
aus Frankreich vertrieben worden sei, hören wir ja auch bei
Galfried von Monmouth (vgl. S. 14). Ich halte deshalb die
Mouskef sehe Motivierung für Isembards Verbannung im wesent-
lichen entschieden für alt und ursprünglich — dafs sie es
auch in allen Einzelheiten sei, will ich nicht behaupten.
1) Über das Thal Molleronval^ wo nach Mousket die Schlacht statt-
fand, vermochte ich etwas näheres nicht zu ei-mitteln.
— 37 —
Als eine spätere Erfindung sehe ich dann aber an die
Vermählung Isembards mit Gormunds Tochter Margot^); es ist
ja bekannt, dafs Liebeshändel der christlichen Helden mit
schönen Sarazenenprinzessinnen ein Ingredienz der epischen
Maschinerie erst zu einer verhältnismäfsig späten Zeit wurden
und dafs die Frau im älteren Epos überhaupt nur eine ganz
untergeordnete EoUe spielt.
Ursprünglich dürfte dann aber wieder sein die Schilderung
von Hugo 's Kundschafterritt in Gormunds Lager; einmal wird
dieselbe in einigen Punkten bestätigt durch unser Fragment:
Hugo hat seinen Knappen bei sich (Fragm. V. 347 ff.), er wird
mit Gormund selbst bekannt (Fr. V. 257), er entführt das Ross
einem von Gormunds Vasallen (Fr. V. 262); sodann blickt in
Mouskets Erzählung von Hugo's Flucht unverkennbar die leben-
dige, vollendet anschauliche Erzählungsweise des Verfassers
unseres Fragmentes durch.
Für ursprünglich halte ich weiter auch die Angabe Mouskets,
Isembards Vater sowie seine Mutter und Schwester — seine
Gattin käme nach dem oben bemerkten in Wegfall — seien ins
Kloster gegangen und seine Schwester sei vor Kummer gestor-
ben. Denn dieser melancholische Abschlufs steht durchaus im
Einklang mit dem tragischen Charakter der ganzen Dichtung —
sie hallt gleichsam in einen dumpfen, schweren Accord aus.
Als ein späterer Einschub dürfte dann aber wieder die
Episode von der Teilnahme der Frauen von Amiens an der
Schlacht zu betrachten sein. Denn diese Episode hat doch wohl
zur Voraussetzung, dafs die Schlacht nahe bei Amiens statt-
gefunden habe; in unserem Fragmente wird aber, wie wir sahen,
vielmehr bei Cayeux gekämpft. Indessen gesetzt auch, der
Dichter habe es mit den Entfernungen nicht so genau genom-
men, so würde doch ein anderer Grund gegen die Ursprüng-
lichkeit der Episode sprechen. Nach der Darstellung unseres
Fragmentes wendet sich ja, wie wir sahen, schliefslich fast das
ganze heidnische Heer, durch die Anstrengung und den Hunger
entkräftet, zur Flucht; nur Isembard mit 2000 Mann hält noch
Stand; aber auch er fällt bald darauf, das Fragment schliefst
1) Der Name ist offenbar gewählt in Anlehnung an Isembards Bei-
namen Margari.
— 38 —
mit der Schilderung seines Todes. Es ist nun gewifs ganz un-
wahrscheinlich, dafs nach dem Tode ihres Führers jene wenigen
allein noch länger Widerstand geleistet haben sollten ; vielmehr
werden auch sie nunmehr die Flucht ergrififen haben und es
wird somit nicht mehr des Eingreifens der Frauen bedurft
haben, um die Schlacht zu Gunsten der Franken zu entscheiden.
Der Ursprung der sonderbaren Geschichte läfst sich übrigens,
wie mir scheint, ziemlich deutlich nachweisen:
Ich habe im vorigen Abschnitt eine Stelle angeführt aus
der um 1203 entstandenen Weltchronik des Nicolaus von
Amiens, in welcher die Erzählung von der Beteiligung der
Frauen von Amiens am Kampfe gegen Gormunds Heer sich
gleichfalls findet, nur in etwas abweichender Fassung, indem
dort die Frauen nicht in die Entscheidungsschlacht selbst ein-
greifen, sondern vorher einmal, als ihre Männer vom Kampfe
ermüdet sind, bewaffnet aus der Stadt ausrücken und die vor
den Mauern umherschweifenden Feinde in ihr Lager zurück-
treiben. Wir hörten dort, dafs seit jener mutigen That die
Frauen zu Amiens das Privilegium hätten, in der Kirche auf
der rechten Seite zu sitzen. Aus dieser Bemerkung geht nun
offenbar hervor, dafs wir es hier mit einer zu Amiens be-
stehenden Lokalsage zu thun haben, deren Entstehung sich,
unter Berücksichtigung von Mouskets Angaben, aus folgenden
drei Faktoren erklären dürfte:
1. aus einer volksetymologischen Deutung des Namens des
Thaies, wo nach Mousket der Kampf stattgefunden haben soll:
Molleronval = Thal der Frauen (der mollers, moillers)\
2. aus irgend einem, doch wohl geologischen, Naturphänomen
in jenem Thale, welches aufgefafst werden konnte als herrührend
von zu Boden geflossener Milch; denn Mousket sagt ausdrücklich:
. . ,lor lais es grans batailles
lor degoutoit par mi les malles,
encore i pert, s'a voir ne fal,
es cans c'on dist Molleronval;
3. aus dem von dem Verfasser des Auctuarium bezeugten
Brauche, dafs die Frauen, die sonst offenbar in der Kirche auf
der linken Seite zu sitzen pflegten, zu Amiens ihre Plätze auf
der rechten Seite hatten; der eigentliche Grund dieses Brauches
— 39 —
war wohl in Vergessenheit geraten und man glaubte ihn nun
durch ein besonderes Verdienst, das die Frauen sich um die
Stadt erworben hätten, erklären zu sollen.
Einem späteren Überarbeiter der alten Chanson wurde
diese Lokalsage bekannt und er verwertete sie in der Weise,
dafs er die Frauen, die der ursprünglichen Sage zufolge nur
den Feind von den Mauern Amiens zurückgetrieben hatten, in
die Entscheidungsschlacht selbst eingreifen und den Sieg ge-
winnen liefs; dies dürfte dann auch wohl der Grund gewesen
sein, dafs das Lokal der Schlacht von Cayeux in die Nähe von
Amiens verschoben wurde.
Auffallig ist es nun noch, dafs bei Mousket Gormund und
Isembard vom Orient aus direkt nach Frankreich fahren und
von einer Belagerung Cirencesters nicht die Rede ist. Dafs
die letztere Episode in dem Epos zu Mouskets Zeit noch vor-
handen gewesen sein mufs, geht daraus hervor, dafs sie sich
noch in dem wesentlich jüngeren, nachher zu besprechenden
Remaniement des Loher und Maller findet, nur ist hier Ciren-
cester ersetzt durch Gloucester (Name der Provinz, in der
Cirencester liegt). Der Grund für das Fehlen der Episode bei
Mousket dürfte darin zu suchen sein, dafs, nachdem man den
Aufenthalt Isembards beim König von England erfunden hatte,
ein von Isembard gemeinsam mit Gormund gegen diesen ge-
führter Krieg, den eine Belagerung Cirencesters doch zur Vor-
aussetzung hatte, als widersinnig erscheinen mufste; wir werden
annehmen dürfen, dafs entweder Mousket selbst auf Grund
dieser Erwägung die betreffende Episode unterdrückt hat, oder
dafs sie aus dem gleichen Grunde schon in seiner Vorlage be-
seitigt war, — in welchem Falle dann neben der ihm vorliegen-
den Version des Epos eine zweite, die Quelle für die Vorlage
des Loher und Maller, existiert haben müfste, in der jene
Episode trotz ihrer Widersinnigkeit erhalten geblieben war.
Noch ein Punkt in Mouskets Erzählung erfordert schliefs-
lich Beachtung. Es ist nämlich höchst auffällig, in welch un-
günstigem Lichte der französische König Ludwig erscheint:
Ludwig folgt den böswilligen Ratschlägen der Franzosen und
schickt Isembard nach Dänemark (Bartsch, Sp. 429, 37 ff.), er
läfst sich von Verleumdern und Ohrenbläsern beeinflussen
— 40 —
(Sp. 430, 11), er verbannt Isembard ungerechterweise aus Frank-
reich und wird dadurch zu dessen Mitschuldigem (Sp. 434,
26—29), er ist übermütig und behandelt die Barone schlecht
(Sp. 432, 9 — 11), stirbt ein Grofser, so reifst er seine Lehen
an sich (Sp. 432, 1 — 5), er wird schliefslich in der Schlacht
von Isembart aus dem Sattel geworfen (Sp. 433, 43). Es er-
hebt sich die Frage, ob diese ungünstige Auffassung von Lud-
wigs Charakter und Handlungsweise schon dem Epos des
11. Jh. eigen gewesen ist In der That findet sich in unserm
Fragment eine Stelle, welche in diesem Sinne gedeutet werden
könnte. Als Ludwig sieht, wie einer nach dem andern von
seinen Rittern unter Gormunds Streichen zu Boden sinkt, da
ruft er bekümmert aus: „Steh mir bei, Herr des Himmels!
Gar sehr halte ich mich für betrogen, dafs ich nicht selbst
heute als der erste. Mann an Mann, mit dem Feinde [d. h.
Gormund] kämpfte. Traun, er ist König und König bin auch
ich; ein Kampf zwischen uns beiden hätte sich wohl geziemt.
Wer von uns dann auch gesiegt hätte, so wären doch nicht
so viel Ritter getötet und nicht so viel edle Männer erschlagen
worden." 1 Klingt es nicht so, frage ich, als wollte der Dichter
Ludwig durch diese ihm in den Mund gelegte Selbstanklage
einen Vorwurf machen? Den Vorwurf, dafs er nicht den Mut
oder doch nicht den verständigen Einfall gehabt habe, sich
gleich zu Beginn der Schlacht selbst mit Gormund zu messen
und dadurch das viele Blutvergiefsen zu vermeiden? Ich will
es nicht behaupten, dafs dies wirklich die Meinung des Dich-
ters ist, doch scheint mir der Gedanke wohl zulässig zu sein.
Aber auch ganz abgesehen von dieser Stelle halte ich es aller-
1) V. 364 ,iAiey Deus, pere del eiel''\
dist Loevisj li reis preisies,
„tant par me t&iic [pv/r] engignie
que [jeo] n'i jvstai hui premier
tut eors a cors a Vaversier,
ja est il reis e reis sui ieo,
La nostre [ckose] avenist bi&ti;
li quels de nus idunc venquiest,
nen fussent mort tant Chevalier
ne tant franc hume detrenchie.
V. 367 hat in der, Hs. eine Silbe zu wenig; Heiligbrodt druckt
justerai, wodurch aber die ganze Stelle sinnlos wird. Schelers Vorschlag:
jeo ne justai dürfte das richtige treffen.
— 41 —
dings für sehr wahrscheinlich, dafs auch in unserm Epos Lud-
wigs Handlungsweise gegen Isembard als ungerecht dargestellt
wurde. Dafür scheint mir einmal zu sprechen die Sympathie,
welche der Dichter offenbar für Isembard hegt; derselbe er-
scheint durchaus als ein edler heldenhafter Charakter: er ist es,
der die Flüchtigen zur Umkehr zu bewegen sucht, er gelobt
an Gormunds Leichnam, dem toten Herrn die Treue zu be-
wahren, „so lange er das Schwert führen könne", er allein
harrt denn auch mit einer kleinen Schar aus bis zum letzten
Atemzuge, und als er schliefslich zum Tode getroffen vom Rofs
sinkt, da endet er nicht als ein verstockter Sünder, sondern er
bereut seine Missethat, er befiehlt Gott seine Seele und wir
hören, dafs der Dichter hofft, es werde ihm um seines bufs-
fertigen Todes willen Verzeihung zuteil werden. Eine solche
Sympathie würde der Dichter nun Isembard sicher nicht ent-
gegengebracht haben, wenn er ihn nur betrachtet hätte als
einen, der den gerechten Lohn empfängt für seine Missethat, wenn
er ihn nicht vielmehr wie Mousket betrachtet hätte als einen,
der in Schuld getrieben wurde durch fremde Schuld, nämlich
durch die ungerechte Behandlung von Seiten König Ludwigs.
Eben dafür, dafs schon in dem alten Epos Isembards Ver-
bannung hingestellt wurde als eine unverdiente, spricht ent-
schieden auch die allgemeine Erwägung, dafs es nicht wahr-
scheinlich ist, dafs in einem Punkte von so fundamentaler
Bedeutung für die Auffassung der ganzen Handlung, wie es
der Charakter von Ludwigs Vorgehen gegen Isembard ist, dafs,
sage ich, in einem solchen Punkte im Laufe der epischen Tra-
dition sich eine Wandlung vollzogen haben sollte, dafs Lud-
wigs Handlungsweise, etwa durch eine veränderte Motivierung,
aus einer wohlberechtigten in das Gegenteil sollte umgeprägt
worden sein. Derartige wesentliche Züge haften doch in der
Erinnerung zu fest, als dafs sie sich verwischen könnten. Es
ist mir deshalb kaum zweifelhaft, dafs die Auffassung von
Isembards Verbannung als einer unverdienten, unver-
schuldeten zu den konstitutiven Elementen der Dich-
tung zu rechnen ist
Soviel über Mouskets R6sum6, das nach dem Gesagten
trotz einiger unursprünglicher Züge uns doch höchst wichtige
Aufschlüsse über den Inhalt des alten Epos gewährt.
— 42 —
Es erübrigt Dim Doch, dasjenige Denkmal zu besprechen,
welches uns die Sage von Gormund und Isembard am aus-
fuhrlichsten überliefert, den deutschen Ritterroman von Loher
und Maller.
4. Der Loher und Maller.
In dem dritten Teil des von E. Simrock ins Neuhoch-
deutsche übersetzten Ritterromans von Loher und Maller^ be-
sitzen wir direkt eine deutsche Übertragung einer aus dem
Anfang des 15. Jh. stammenden Prosaauflösung einer Chanson
von Isembard und Gormund. Die der deutschen Übertragung
zu Grunde liegende «französische Prosaauflösung wurde verfalst
im J. 1405 für Margarete von Joinville, Gemahlin des Ferri
von Lothringen, die deutsche Üebertragung selbst im J. 1437
durch deren Tochter Elisabeth von Lothringen, Grafin von
Nassau und Saarbrücken. Dals die Vorlage der Prosaauflösung
nicht, wie es in den Handschriften und iu dem Drucke von
1514 heilst, eine lateinische, sondern eine französische, und
und zwar eine französische Chanson de geste war, das hat mit
ausreichenden Gründen dargethan G. Paris in der BisUrire
litterare XXVLU, p. 241 AT., wo er unseren Roman des
näheren bespricht G. Paris hält es im Hinblick auf die nahe
Übereinstimmung zwischen den Schlufsworten des Romans und
dem Anfang des Hugues Capet für wahrscheinlich, dals jene
Chaiisan de geste mit dem Hugues Capet ungefalir aus der
gleichen Zeit stammt, also aus der Zeit um 1330.
A. Inhalt
Der Inhalt des uns hier allein interessierenden dritten
Teiles, den mit den beiden ersten Teilen nur einige lose, vom
1) Loher und Maller^ Ritterroman, erneuert von E. Simrock, Stutt-
gart 1868. Der Roman ist eriialten in zwei, im niederrheinischen Dialekt
abgefaCsten Handschriften des 15. Jh., von denen die eine sich zu Köln,
die andere zu Hamburg auf der Stadtbibliothek befindet, femer auch in
einem Drucke vom J. 1514. Auf der ersterwähnten Handschrift und auf dem
Drucke beruht die Übersetzung Simrocks , auf Grund der anderen hat eine kurze
Inhaltsangabe des Romans, unter Verweisungen auf Mousket, als Nachtrag zu
seiner Ausgabe des Fragmentes, veröffentlicht Heiligbrodt in Böhmers Roma-
nUehen Studien lY, 119: Zur Sage von Gormund und Isembard.
— 43 —
Compilator gesponnene, Fäden verknüpfen, ist im wesentlichen
der folgende:
Tsenbart ist der Sohn des Herzogs Werin des Frommen
von Pontier und der Herzogin Adelheid, der Schwester Lud-
wigs und Lohers, der beiden Söhne Kaiser Karls von Frank-
reichs; er hat einen Bruder Gerhard und eine Schwester
Fröhlich. Auf die letztere hat Richard von Orl6ans seine
Augen geworfen, der beim König sehr in Gunst steht und
mit vielen Ämtern betraut ist. Als er eines Tages mit Fröh-
lich tanzt, drückt er ihr die Hand. Isenbart entgeht das
nicht, er ruft seine Schwester zu sich und tadelt sie, dafs sie
solches dulde; denn Richard gehöre zu denen, die ihren Oheim,
Kaiser Loher, verraten hätten [Anspielung auf eine Episode
im 2. Teile des Romans]. Richard merkt, dafs Isenbart seiner
Schwester Vorwürfe macht und schwört, sich an ihm zu
rächen. Er beredet König Ludwig, Isenbart mit einer Sendung
an den unbotmäfsigen Herzog Gering von Dänemark zu
betrauen, um von ihm den Zins einzutreiben. Isenbart über-
nimmt es, den Auftrag auszuführen, obwohl er weifs, dafs
ihm dadurch der Untergang bereitet werden soll; denn 13 Boten
hat Ludwigs Vater schon nach Dänemark abgeschickt und
keiner ist zurückgekehrt. In seiner Abwesenheit nun vergiftet
Richard im Bunde mit seinen Verwandten Isenbarts Bruder
Gerhard, weil er von ihm Einspruch gegen seine beabsichtigte
Werbung um Isenbarts Schwester Fröhlich erwartet; dafs
Isenbart zurückkehren sollte, hält er für ausgeschlossen. Der
letztere ist inzwischen nach Dänemark geritten, er findet den
Herzog im Saale sitzend und richtet seine Botschaft aus. Der
Herzog ist im höchsten Grade aufgebracht über die Zinsforde-
rung und droht, Isenbart an den Galgen schleifen zu lassen.
Da zieht Isenbart sein Schwert und will ihm zu Leibe gehen,
aber ein Kammerknecht springt dazwischen, dem spaltet er
das Haupt, dann schlägt er um sich, dafs niemand ihm zu
nahen wagt Während der Herzog in seine Kammer flüchtet,
um den Harnisch anzulegen, eilt Isenbart hinaus, wirft sich
aufe Rofs und sprengt davon. Der Herzog verfolgt ihn auf
einem Rofs, das sieben und einen halben Schuh hoch ist,
Isenbart aber wendet sich um und ersticht den Verfolger mit
— 44 —
dem Speer, sein ßofs führt er mit sich hinweg. Am Meere
findet er ein Schiff, das er besteigt; als des Herzogs Ritter
am Ufer ankommen und ihn auf dem Meere sehen, verwünschen
sie ihn in die Hölle. In Paris angekommen stattet Isenbart
dem König Bericht ab über seine Sendung; der König (sie)
von Dänemark wolle ihm „keinen Würfel" geben, doch habe
er sein apfelgraues Pferd erbeutet Der König erklärt darauf-
hin, er wolle den Herzog vertilgen und sein Herzogtum an
Isenbart geben.
Isenbart erfahrt nun, dafs sein Bruder tot sei; tief beküm-
mert erklärt er, so lange von Paris fern bleiben zu wollen,
bis er erfahren habe, wie sein Bruder ums Leben gekommen
sei. Der König sagt ihm, er dürfe niemand die Schuld daran
geben, es sei Gottes Wille gewesen, dafs er gestorben.
Bald danach wirbt Richard von Orleans bei Ludwig um
dessen Nichte, Isenbarts Schwester Fröhlich. Ludwig sagt ihm
ihre Hand zu und beauftragt Isenbart, in seine Vaterstadt
St. Richard [==St. Riquier] zu reiten und seine Schwester zu
holen. Dieser aber weigert sich, den Auftrag auszuführen, er
erklärt, Richard, der ein Verräter sei, solle seine Schwester
nimmermehr zur Frau bekommen, wolle der König seine Schwe-
ster haben, so möge er sie sich selbst holen, aber bevor sie
ihm werde, müsse noch „mancher Harnisch erklingen." Er
reitet nun nach St. Richard, wo seine Eltern und seine
Schwester weilen. Der König aber thut einen grofsen Schwur,
Richard von Orlöans solle Fröhlich, seine Nichte, bekommen.
Er sendet einen Boten an Worin, Isenbarts Vater, und läfst
denselben auffordern, ihm seine Tochter zu bringen. Werin
aber erklärt, nachdem er sich mit Isenbart beraten hat, seine
Tochter solle keinen Mann nehmen aus dem „Geschlechte der
Schälke" [dem Richard nach Teil H des Loher und Maller an-
gehört].
Der König überzieht nun Herzog Worin mit Krieg, er
verwüstet Ponthieu und belagert St. Richard. Bald geraten
die Belagerten durch den Mangel an Lebensmitteln in grofse
Not; da reitet Isenbart ohne Harnisch hinaus aus der Stadt,
begiebt sich in das Zelt des Königs und fleht um Gnade: der
König möge seinen Vater nicht seines Erbes berauben, er,
— 45 —
Isenbart, wolle ihm seine Schwester schicken, er möge sie zur
Erau geben, wem er wolle. Aber deif König befiehlt, Isenbart
zu fesseln und ihm das Haupt abzuschlagen; da nehmen die
„hohen Mannen" sich Isenbarts an, auf ihre Fürsprache hin
schenkt der König ihm das Leben, aber er verlangt von ihm,
dafs er schwöre „nimmermehr nach Frankreich zu kommen,
noch auch in die Christenheit jenseits des Meeres noch dies-
seits." Isenbart fleht seinen Oheim an, er möge von diesem
Verlangen abstehen, denn sonst müsse er ja ein Heide werden;
er möge ihm wenigstens gestatten, in England, bei seinem
Vetter, dem König Wilhelm, oder in Lamparten, bei seinem
Oheim, Ludwigs Bruder, oder in Konstantinopel, bei seinem
Vetter Marphone, [der in den früheren Teilen des Romans eine
Rolle spielt] zu verweilen. Aber der König bleibt unerbittlich,
und so mufs denn Isenbart schwören, „dafs er aus der Christen-
heit fahren und eine Nacht nicht liegen wolle, wo er die
andere gewesen, bis er in die Heidenschaft käme." Mit schwe-
rem Herzen reitet er davon, Ludwigs ganze Ritterschaft weint
und flucht Richard von Orleans, weil er daran schuld sei,
dafs dieser junge, tapfere Held aus seinem Vaterlande ver-
trieben werde.
Nicht weit von der Stadt begegnet Isenbart dem Richard
von Orleans, er fordert denselben zum Kampfe heraus, weil
er um seinetwillen aus der Christenheit verbannt sei; als
daraufhin Richard sich zur Flucht wendet, verfolgt Isenbart
ihn und spaltet ihm das Haupt. In St. Richard angekommen,
setzt er seine Eltern von dem Geschehenen in Kenntnis; diese,
wie alle Bewohner der Stadt, sind über die Nachricht von
seiner Verbannung tief betrübt. Am nächsten Morgen nimmt
er Abschied und reitet davon. Als Ludwig hört, dafs er aus
dem Lande ist, hebt er die Belagerung auf und zieht mit
seinem Heere ab.
Isenbart begiebt sich nun zunächst nach London, zu seinem
Blutsfreund, dem König Wilhelm von England, der ihn mit offenen
Armen aufnimmt. Als er dem König mitteilt, dafs er seinem
Schwüre gemäfs schon am nächsten Morgen das Land wieder
verlassen müsse, erklärt Ludemann, des Königs Sohn, er wolle
ihn begleiten und sich nimmermehr von ihm trennen. Die
— 46 —
beiden schiffen sich dann ein und segehi nach Constantinopel,
wo sie von Kaiser Marphone willkommen geheifsen werden.
Als der Kaiser hört, dafs Isenbart nur eine Nacht bei ihm
bleiben darf, erklärt er, er wolle ihn mit Heeresmacht be-
gleiten und ihm in der Heidenschaft ein Land erobern.
Es folgt nun eine lange Reihe kriegerischer Abenteuer,
bei deren Wiedergabe ich mich so kurz als möglich fasse, da
dieselben sich deutlich als das Fabrikat eines späten Über-
arbeiters darstellen und ich überdies schon oben bei der Be-
sprechung von Mouskets R6sum6 gezeigt habe, dafs die ganze
Geschichte von Isenbarts Fahrt nach dem Orient als unursprüng-
lich betrachtet werden mufs.
Marphone fährt mit Isenbart gen Orient, nach dem Lande,
„das man zu den vier Städten heifst." Sie erobern zunächst
die Stadt Roppe, wo der heidnische König Scorpion wohnt;
dabei fallen zehn Jungfrauen in ihre Hände, die Töchter heid-
nischer Könige: unter ihnen Margeli, die Tochter König Ger-
mons von Orient. Isenbart verliebt sich in Margeli und er-
klärt, sie zur Frau nehmen zu wollen, wenn sie sich taufen
lasse, aber Margeli weigert sich, ihren Glauben zu verleugnen.
Die Christen ziehen nun vor Murklar, die Stadt des Königs
Mabion, wohin sich König Scorpion geflüchtet hat und wo
auch Germon weilt. In einer Schlacht vor den Thoren der
Stadt werden Isenbart und Ludemann von Germon gefangen ge-
nommen; der heidnische König Equilon schleicht sich, indem
er sich taufen läfst, in Marphone's Vertrauen ein und vergiftet
denselben. Als das Christenheer den Tod des Kaisers erfahrt,
ergreift es die Flucht; auch Roppe wird von den Heiden zurück-
gewonnen, unter den Gefangenen findet Germon seine Tochter
Margeli wieder. Er nimmt sie mit sich in seine Stadt Orient,
wo Margeli unter Germons Gefangenen Isenbart und Ludemann
erkennt. Auf ihre Fürbitte hin verspricht Germon, dafs beiden
nichts zu Leide geschehen solle. Isenbart erzählt nun Germon
seine Schicksale und bittet ihn, an seinem Hofe bleiben zu
dürfen, er wolle ihm nach besten Kräften mit seinem Schwerte
dienen. Germon ist damit einverstanden und redet Isenbart
zu, er solle seinen Glauben abschwören, dann wolle er ihm
seine Tochter zur Frau geben. Durch eine list gelingt es
— 47 —
Margeli, Isenbart zur Verleugnung seines Christenglaubens zu
bewegen. (Sie läfst ihren Lehrer Callifis sich in Mahomets
hohler Bildsäule verstecken und von dort aus predigen, so dafs
es erscheint, als ob Mahomet selbst spräche.) Isenbart ver-
leugnet Christus, aber er gedenkt in seinem Herzen: „Maria,
Mutter Gottes, dich verleugne ich nicht." Er erhält von Ger-
mon den Namen Margris, „seiner Tochter Margeli wegen, weil
er ihr Ehre entboten hat." Dagegen weigert Ludemann sich,
seinem Christenglauben untreu zu werden.
Gennon wird nun von König Bückart von Daffrit mit
Krieg überzogen, aber er bleibt in der Schlacht Sieger, dank
dem Beistande Isenbarts, der König Bückart tötet Germon
erweist sich Isenbart erkenntlich, indem er ihm grofse Ehre
anthut, zwei Könige müssen ihn bei Tische bedienen; dies
verdriefst die Heiden, sie verleumden ihn bei Germon, dals
er damit umgehe, ihn zu vergiften, um dann seine Tochter zu
heiraten und sich selbst zum König krönen zu lassen. Die
Folge ist, dafs Isenbart von Germons Hof verwiesen wird. Er
lebt mit Ludemann ein Jahr lang in einer Herberge und gerät
in grofse Armut; beide gehen als Bettelleute in der Stadt umher.
Isenbart macht einmal einen Selbstmordversuch, er will sich
mit einem Strick erhängen, er wird aber von Ludemann an
der Ausführung seines Vorhabens gehindert.
Es geschieht nun, dafs Germon einen Feldzug unternimmt
gegen den König von Magür in Indien, der ihm den Tribut
verweigert, Isenbart und Ludemann folgen als arme Burschen
dem Heere nach. Es wird vereinbart, dafs ein Zweikampf
zwischen dem König von Magür und einem von Germons
Rittern über den Ausgang des Krieges entscheiden soll; aber
unter Germons Leuten ist keiner, der es wagte, dem heidni-
schen König entgegenzutreten. Da hört er, dafs Isenbart im
Heere sei und läfst ihn holen. Isenbart ist sofort bereit, den
Zweikampf auszufechten; er bleibt natürlich Sieger, macht den
König von Magür zum Gefangenen und wird nun wieder von
Germon zu Gnaden angenommen.
Eines Tages spielen Germon und Isenbart zusammen Schach,
Isenbart setzt den König matt. Darüber gerät dieser in Zorn:
nur seine Verräterei, erklärt er, habe Isenbart aus Frankreich
— 48 —
vertrieben, sein Oheim werde wohl Grund zur Genüge gehabt
haben, ihn zu verbannen. Isenbart entfernt sich weinend, ohne
ein Wort zu entgegnen; er flucht dem König von Frankreich,
dafs er ihn in diese Not gebracht habe; wenn er noch eine
Zeit lang lebe und Germon zu bereden vermöge, wolle er
grimmig Rache an ihm nehmen.
Er geht dann bis zur Vesperzeit hinaus ans Meer; dort
trifft er französische Pilger, deren Schiff vom Winde ans Land
geworfen ist. Auf seine Erkundigung hin, wie es in Frank-
reich stehe, erfährt er, König Ludwig belagere eben den Herzog
von Pontier in St. Richard, er hasse ihn um seines Sohnes
Isenbart willen, der aus dem Lande verwiesen sei; auch sonst
gebe es Krieg in Frankreich und es stehe übel um das Land.
Isenbart hört weiter, dafs seine Mutter noch lebe und dafs
seine Schwester Nonne geworden sei. Er kehrt nun betrübt
zum Schlofs zurück; dort trifft er Germon, der ihm um den
Hals fällt und ihn um Verzeihung bittet, wenn er ihn gekränkt
habe. Isenbart erwidert, sein Kummer habe einen anderen
Grund; er erzählt Germon , was er soeben vernommen und be-
klagt es, dafs er seinem Vater nicht beistehen könne gegen
seine Feinde. Da erklärt Germon, wenn Isenbart sich getraue,
ihn nach Frankreich zu führen, dann wolle er ihm seine Tochter
zur Frau geben und ihn zum König von Frankreich machen.
Isenbart ist mit dem Vorschlag einverstanden; seine Hochzeit
mit Margeli wird gefeiert, zugleich erhält Ludemann die Tochter
eines anderen heidnischen Königs zur Frau. Im April wird
dann die Heerfahrt nach Frankreich angetreten.
Sie landen zuerst in der Gascogne, die sie verheeren, dann
segeln sie weiter nach England, der Heimat Ludemanns. Dieser
bittet Germon, er möge das Land schonen, da es sein Erbe
sei; sein, Ludemanns, Vater werde ihn gewifs für den Zug
nach Frankreich mit Kriegsmannschaft unterstützen. Auf Ger-
mons Frage, wo sein Vater sei, erwidert Ludemann, er sei in
Gloucester, er wolle Germon dahin führen. Sie ziehen nun
vor die Stadt und belagern sie. [Die Erzählung ist hier ganz
unverständlich. Es klingt so, als sei Germon geneigt, Lude-
manns Bitte zu willfahren; trotzdem belagert er ohne weiteres
Gloucester, ohne einen Versuch gemacht zu haben, sich mit
— 49 —
dem König ins Benehmen zu setzen.] Als sie eine Weile vor
der Stadt gelegen haben, reitet Ludemann mit Germons Zu-
stimmung hinein und sucht seinen Vater zu bereden, dafs er
Germon für seinen Zug gegen Frankreich 4000 Schützen zur
Verfügung stelle. Aber Wilhelm verweigert die verlangte Unter-
stützung, weil er des Königs Mann sei und sich auch nicht
mit Heiden gegen Christen verbünden wolle. So kehrt Lude-
mann unverrichteter Sache ins Lager zurück. König Wilhelm
sucht nächtlicherweile aus der Stadt zu entkommen, um ein
Heer gegen die Belagerer aufzubieten, aber er wird von den
Heiden gefangen genommen und vor Ludemann geführt. Dieser
erklärt seinem Vater, es solle ihm nichts geschehen; er selbst
giebt ihm das Geleit, bis er ihn in Sicherheit gebracht hat.
Wilhelm macht sich auf den Weg zum König von Frankreich.
Germon ersinnt nun eine List, um die Stadt zu erobern.
Er läfst alle Vögel aus der Stadt fangen, Krähen, Tauben und
andere, die man nur fangen mag, wohl 2000, bindet jedem
ein kleines Gläschen mit Feuer ans Bein und läfst sie in die Stadt
fliegen. Als die Vögel in der Stadt sind, zerbrechen die Gläser,
das Feuer fällt heraus und zündet die Stadt an allen Enden
an, die nun von den Heiden gestürmt und zerstört wird.
Germon bemerkt gegen Isenbart, er — Isenbart — habe ihm
immer gesagt, die Franzosen seien kühne Leute, er sehe aber
jetzt, dafs sie gar nichts taugten; Isenbart läfst ihm darauf die
Aufklärung zu Teil werden, dafs dies noch nicht Frankreich,
sondern England sei.
Sie fahren nun nach Frankreich über und landen bei
St. Welleris [==St. Val6ry]. Zum Zeichen, dafs er nicht mehr
heimkehren will, er hätte denn Frankreich erobert, läfst Ger-
mon die Schiffe alle verbrennen. Seine Scharen verwüsten
das Land, zerstören Kirchen und Klöster und lassen nicht
einen Altar stehen bis nach Arras; dann ziehen sie weiter
nach St. Richard; als sie ein am Kloster angebrachtes Crucifix
verhöhnen und mit Äxten und Schwertern danach schlagen,
dringt überall, wo sie es treffen, Blut heraus. Durch dieses
Wunder werden viele Heiden bekehrt.
Ein Schüler zu Amiens, der nach St. Richard reiten will,
vernimmt von dem Herannahen der Heiden , er eilt zum König
Zenker, Das Epos von Isembard etc. 4
— 50 —
von Frankreich und meldet, was er gehört; zu gleicher Zeit
trifft König Wilhelm von England ein, der genaueres zu be-
richten weifs. Ludwig verflucht die Stunde, da er Isenbart
freigelassen, und hält dem Herzog Worin, der anwesend ist,
vor, welches Unheil der Christenheit durch seinen Sohn wider-
fahre. Darüber weint der Herzog; aber seine Gattin Adelheid
sucht ihn zu trösten und nimmt ihren Sohn in Schutz : Isenbart
sei ungerecht vertrieben worden, ihr Bruder Ludwig sei nicht
wert, ein Königreich zu regieren, er sei nur darauf bedacht,
alle seine Verwandten zu schädigen und zu vertreiben.
Der König zieht nun nach Laon und bietet seinen Heerbann
auf. Als alle seine Ritter versammelt sind, richtet er an sie
die Frage, wer von ihnen geneigt sei, dem Feinde entgegen
zu reiten und seine Stärke auszukundschaften. Es meldet sich
niemand, worüber der König sehr betrübt ist. Da erklärt Adel-
heid ihrem Bruder, er habe eine böse Gewohnheit, derentwegen
er bei seinen Leuten mifsliebig sei: wenn einer sterbe und Erben
oder eine Frau hinterlasse, so nehme der König die Hälfte der
Erbschaft an sich: das werde ihm von allen sehr verargt Ein
Ritter Namens Hug erklärt sich bereit, den Kundschafter zu
machen, wenn Ludwig jene üble Gewohnheit abstellen wolle.
Ludwig sagt ihm das zu und Hug macht sich denn auf den
Weg nach St. Richard. Im feindlichen Lager angekommen,
begiebt er sich in das Zelt Germons, wo er diesen, Isenbart,
Ludemann und 14 heidnische Könige vorfindet. Er kniet vor
Germon nieder, und erklärt, im Namen König Ludwigs von
Frankreich kündige er ihm die Fehde an und er fordere ihn auf,
das Land zu räumen. Auf Hugs Frage, was ihn nach Prank-
reich führe, erwidert Germon, er wolle Frankreich erobern
und Isenbart zum König machen. Eine trotzige Entgegnung
Hugs versetzt Germon in Zorn. Als Isenbart das merkt, nimmt
er Hug, den er von früher her wohl kennt, bei der Hand
und führt ihn weg, er zeigt ihm das ganze Heer und sagt
ihm, sie seien wohl 600000 Mann stark; dann nimmt er ihn
mit sich in sein Zelt zu seiner Frau und ifst mit ihm zu
Abend. Hug erklärt, er solle im Namen des Königs Isenbart
auffordern, zurückzukehren, der König wolle ihm verzeihen
und ihm sein Erbe wiedergeben. Aber Isenbart schlägt das
— 51 —
Anerbieten aus, er habe von Ludwig nur Schlimmes, dagegen
von Germon viel Gutes erfahren, erst kürzlich habe er ihm ein
ausgezeichnetes Rofs geschenkt, das zehn Meilen renne und
nicht müde werde, über alle Gräben springe, über alle Wasser
schwimme und weifser sei als Schnee. Hug wünscht das Rofs
zu sehen, Isenbart läfst es holen und reitet es ihm vor. Dann,
auf Isenbarts Anerbieten hin, besteigt Hug es selbst. Als er
im Sattel sitzt, erklärt er Isenbart, er wolle das Pferd als ein
Geschenk von ihm seinem Oheim überbringen; Isenbart hält
das für Scherz, aber Hug sprengt davon so schnell er kann.
Die Heiden verfolgen den Flüchtling, aber sie sind nicht im
Stande ihn einzuholen. Hug reitet über Amiens nach Laon,
wo er den König vorfindet und ihm über seine Erlebnisse und
Beobachtungen Bericht erstattet. Er macht dem König das
Pferd zum Geschenk und wird dafür mit einer Grafschaft in
der Normandie belehnt.
Ludwig sendet nun Herzog Werin selbst zu seinem Sohn,
um ihn zur Rückkehr zu bestimmen; es solle ihm verziehen
und all sein Erbe zurückerstattet werden. Werin begiebt sich
ins feindliche Lager zu Isenbart und bietet alle seine Über-
redungskunst auf, aber auch er mufs unverrichteter Sache wie-
der abziehen. Auf diese Nachricht hin setzt der König seinen
Vormarsch fort; Herzog Richard von der Normandie, dem
Heere voranreitend, stöfst auf einen Trupp heidnischer Ritter,
er tötet zwei derselben, die übrigen ergreifen die Flucht.
Als Ludwig sieht, dafs die Heiden sich zum Kampfe
rüsten, schickt auch er sich an, sein Heer zur Schlacht zu
ordnen. Doch entschliefst er sich auf Bitten Werins, selbst
noch einmal den Versuch zu machen, eine Aussöhnung mit
Isenbart herbeizuführen. Er lädt ihn zu sich durch den Grafen
von Blois, der inzwischen als Geifsel bei den Heiden bleibt.
Isenbart wird, als er im christlichen Lager erscheint, aufs ehren-
vollste empfangen. Der König selbst steigt vom Pferde, wäh-
rend Isenbart im Sattel bleibt. Der König macht ihm dann
das Anerbieten, er wolle ihm, wenn er sich von den Heiden
lossage, sein halbes Königreich geben und nach seinem, des
Königs, Tode solle es ihm ganz zufallen; auch wolle er in
seinem Reiche nichts unternehmen ohne Isenbarts Zustimmung.
4*
— 52 —
Isenbarts eigener Vater sowie alle anderen Herren und Ritter
fallen vor ihm auf die Kniee und flehen ihn unter Thränen
an, dafs er zu ihnen zurückkehren möge. Aber Isenbart bleibt
taub gegen alle Bitten: Ludwig, sagt er, trage die Schuld, dafs
er Jesus, Marieens Kind, habe verleugnen müssen; soweit er zu
reichen vermöge, solle nicht Kreuz, Kapelle noch Altar stehen
bleiben; sei er aus der Christenheit verstofsen worden, so wolle
er sie nun auch vertilgen und Mahomets Ruhm erhöhen. Da
alles weitere Zureden vergeblich ist, erklärt Ludwig, er wider-
sage ihm nunmehr und Isenbart reitet davon.
Es folgt nun eine unverkennbar als späte Interpolation
sich ausweisende Episode, in der erzählt wird, wie der „böse
Reinliart von Hennegau", um sich bei König Ludwig in Gunst
zu setzen, den Versuch macht, Germon zu ermorden. Germon
aber, durch einen Traum gewarnt, hat den heidnischen Ritter
Durfier veranlafst, seinen Namen und sein Wappen anzuneh-
men, so wird Durfier statt Germons erstochen.
Wir hören dann, dafs Germon sich mit seinem Heere gegen
Morliens in Bewegung setzt, alles verwüstend und Kirchen
und Klöster zerstörend. Als Ludwig das sieht, wird er tief
bekümmert, er versammelt seine Grofsen zur Beratung und es
wird beschlossen, den Feinden am kommenden Donnerstag eine
Schlacht zu liefern. Germon wird durch einen nach Amiens
geschickten Späher von diesem Plan benachrichtigt, er nimmt
Rücksprache mit Isenbart und entschliefst sich auf dessen Rat,
die Schlacht anzunehmen.
Am Donnerstag Morgen hört der König mit seinem ganzen
Heere die Messe; der Bischof von Orlöans erteilt allen den
Segen und fleht Gott um seinen Beistand an. Sein Banner
vertraut Ludwig dem Herzog von der Normandie, den zweiten
Streit dem Joffrei Dangier [= d'Anjou]. Als sie vor Amiens
kommen, hält hier der Bischof von Amiens eine längere Predigt
und erteilt allen, nachdem er ilmen die Beichte vorgesprochen,
die Absolution. 1
1) Es ist unverkennbar, dafs wir es in der Scene mit dem Bischof
von Orleans und der mit dem Bischof von Amiens mit einer Doppelentwick-
lung einer ursprün glich identischen Scene zu thun haben . Ein zweimaliger
— 53 —
Inzwischen hat auch Germon auf der andern Seite von
Amiens, in einem Grunde Namens Monier, seine Scharen ge-
ordnet und die Heere rücken gegen einander an. Die Schützen
beginnen zu schiefsen, die Seile zwischen den Heeren werden
. zerhauen, der Zusammenstofs erfolgt. Die Heiden sind bei wei-
tem in der Überzahl, auf einen Christen kommen sechs Heiden,
und hätte Gott den Christen nicht beigestanden, so würden sie
den Sieg nicht davon getragen haben. Ludwig selbst wird
von Isenbart angegriffen, heftig schlagen beide aufeinander los;
Germon und König Scorpion kommen Isenbart zu Hilfe, Lud-
wig wird unterstützt durch den Grafen von Champagne, den
Grafen von Amiens und Richard von der Normandie; der letz-
tere erschlägt Germons Bruder, Germon wiederum tötet Joffrei
von Dangier, dafs er dem König vor den Füfsen liegt. Lude-
mann tötet Herna von Rheims, ihm selbst aber wird das Pferd
erschlagen und er findet unter den Hufen der Rosse seinen
Tod. Ein Rittter Namens Gernier verwundet Germon, wird
dann aber von ihm erschlagen, das gleiche Schicksal ereilt den
Grafen von Flandern, der Germon mit der Lanze anrennt. Nun
greift Ludwig selbst Germon an, aber dieser rennt ihn samt
seinem Pferde nieder. Als die Franzosen dies sehen, kommen
sie ihrem König zu Hilfe, Richard von der Normandie bringt
ihm ein Pferd und hilft ihm wieder auf. Dann greift Richard
selbst Germon an, aber dieser spaltet ihm das Haupt, dafs er
entseelt vom Rosse sinkt. Germon trifft mit Hug zusammen,
dem er zuruft, er, Hug, habe es ihm schlecht gedankt, dafs
er es ihm in seinem Zelte so wohl erbot. Im selben Moment
greift Ludwig Germon an und wirft ihn aus dem Sattel, aber
seine Leute helfen ihm wieder auf und er bringt nun seiner-
seits durch einen Schwerthieb Ludwigs Rofs zu Fall; auf frischem
Pferde setzt Ludwig den Kampf fort, erbittert, aus vielen Wun-
den blutend, schlagen die Könige aufeinander los; endlich wirft
Ludwig den Schild zurück, fafst das Schwert mit beiden Hän-
den und trennt durch einen gewaltigen Hieb seinem Gegner
Gottesdienst vor der Schlacht ist doch des guten etwas zu viel und es ist
ein Widerspruch, wenn der König zweimal ^jauftrompeten" läfst und
sein Banner doit dem Herzog von der Normandie , hier aber dem Bernhard
von Senlis anvertraut.
— 54 —
die eine Achsel bis auf die Brust vom Leibe. Germon fällt
tot vom Pferde, der Teufel führt seine Seele in die Hölle. Es
heifst, dafs Ludwig infolge der grofsen Anstrengung „seine
Adern zerdehnt habe", so dafs er seitdem nicht länger als
30 Tage mehr lebte.
Auf Isenbarts Vorschlag wird, da die Leute ermüdet sind,
ein Waffenstillstand geschlossen bis zom nächsten Morgen; die
Heiden benutzen denselben, um Germons Leiche, die sie mit
sich zu den Zelten genommen haben, zu bestatten.
Am folgenden Tage wird der Kampf fortgesetzt; noch nie
wurde solch gewaltiger Streit auf Erden gesehen, die Wiesen
alle sind besät mit Leichen. Im Getümmel begegnet der König
Isenbart; nochmals dringt er in ihn, dafs er sich von seinem
Unglauben abwende, er selbst wolle gerne zu seinen Gunsten
auf die Krone Verzicht leisten, aber Isenbart weist jede Ver-
söhnung zurück; da versetzt der König ihm einen so mächtigen
Hieb, dafs er schwer getroffen aus dem Sattel sinkt; Isenbart
fühlt, dafs er dem Tode nahe ist, er wendet sich gegen Osten
und ruft Gott an mit ganzem Herzen , dafs er ihm seine Misse-
that verzeihe, zur Jungfrau Maria aber betet er, dafs sie bei
ihrem Kinde Fürsprache für ihn einlege; habe er sie doch nie
verleugnet. Er schlägt dann das Kreuz, befiehlt Gott seine
Seele und stirbt reuigen Sinnes.
Als die Heiden Isenbarts Tod vernehmen, wenden sie
sich zur Flucht, doch gelingt es König Omer, sie nochmals zu
sammeln und die Schlacht wird fortgesetzt.
Nun reitet Bernhard von Senlis nach Amiens hinein und
rät den Frauen, aus Leintüchern und Schleiern Banner her-
zustellen und mit diesen aus der Stadt herauszuziehen. Die
Frauen thuen, wie ihnen geheifsen; als die Heiden so viel
neue Banner sehen, wenden sie sich zur Flucht. Die Christen
setzen ihnen nach, schlagen tot, was ihnen in die Hände fällt,
und erobern das feindliche Lager; wer sich nicht taufen läist,
wird umgebracht.
Der König zieht nach Amiens und ruht dortselbst acht
Tage; die Leichen der Christen werden begraben, die der Hei-
den verbrannt; die Fürsten und Herren kehren in ihre Heimat
zurück, der König selbst begiebt sich nach Metz, wo er nach
— 55 —
Ablauf eines Monats stirbt; er hinterläfst eine einzige Tochter,
Marie, die mit Hugschapler, dem späteren König von Frank-
reich, vermählt wird. Damit schliefst der Roman.
B. Kritik des Inhalts.
Es erhebt sich hier offenbar die analoge Frage, die wir
oben bezüglich des Mousket'schen R6sum6s zu erörtern hatten:
Inwieweit deckt sich die Darstellung in dem Roman von
Loher und Maller mit der unseres alten Epos, inwieweit
sind wir berechtigt, von ersterem auf letzteres einen Schlufs
zu machen? G. Paris, Histoire lüteraire XXVIII, 252,
meint, die Hand des Kompilators der französischen Vorlage
sei zwar an einigen Stellen unschwer zu erkennen, aber, fährt
er fort: „en general, il a suivi son oHginal avec fidelite,
et nous devons lui en savoir gix, car il nous a conserv^
presque intacte une des productions les plus interessantes, les
plus dramatiques et les plus nationales de notre vieille
SpopeeJ^ Wenn G. Paris damit, wie es scheint, sagen will,
dafs die dem Kompilator vorliegende französische Chanson des
14. Jh., abgesehen von einigen geringfügigen Abweichungen,
noch identisch gewesen sei mit dem Epos des 11. Jh., so hält
diese Ansicht einer genaueren Prüfung nicht Stich; eine solche
führt vielmehr zu dem Resultat, dafs das alte kernige Epos in
dem breiten, wässerigen Remaniement des Loher und Maller
bereits vielfach bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist.
Ich werde nun im folgenden die Erzählung des Romans —
so werde ich der Kürze halber den Loher und Maller be-
titeln — mit der des Fragmentes und Mouskets im einzelnen
vergleichen.
Zunächst scheint die Erwartung berechtigt, dafs in allen
den Punkten, in denen bereits Mousket von dem Fragmente ab-
weicht, dies auch der Roman thun werde; denn seine Vorlage
stammt ja aus einer wesentlich späteren Zeit als die Mouskets,
es ist also wahrscheinlich, dafs jene auf diese zurückgeht. In
der That finden wir eine Reihe Abweichungen, welche der
Roman mit Mousket gegenüber dem Fragment gemein hat:
auch hier heifst Isembards Vater Garin (Werin) und ist Her-
zog von Ponthieu; auch hier hat Isembard einen Genossen
— 56 —
Ludemart (die Form Ludemann rührt natürlich von dem deut-
sehen Übersetzer her); auch hier begiebt sich Isembard zu-
nächst zum König von England und erst von da nach dem
Orient zu Gormund; auch hier läfst Gormund die Schiffe bei
der Ankunft in Frankreich verbrennen, endlich findet auch hier
die Schlacht bei Amiens statt und wird durch die Frauen von
Amiens entschieden.
Dagegen hat nun bezüglich zweier Punkte, unserer obigen
Erwartung zuwider, der Roman gegenüber Mousket die ur-
sprüngliche Fassung bewahrt: auch im Eoman geht, wie in
dem alten Epos, dem Einfall Isembards und Gormunds in
Frankreich ein Aufenthalt der beiden in England, bei Ciren-
cester bezw. Gloucester, voraus (Gloucester ist, wie schon
oben bemerkt, nur durch Verwechselung an die Stelle von
Cirencester getreten); sodann zieht sich im Roman wie im
Fragment Ludwig die tödliche Verletzung im Kampfe mit
Gormund, nicht, wie bei Mousket, im Kampfe mit Isembard
und Ludemart zu. Dafs wir es im ersteren Falle mit einer
blofs zufälligen oder auch absichtlichen Auslassung, im letztern
mit einem Versehen Mouskets zu thun haben sollten, das ist
kaum zu glauben. Wir werden deshalb die bemerkten beiden
Übereinstimmungen zwischen dem Roman und dem Fragmente
erklären müssen durch die Annahme, dals gleichzeitig zwei in
einigen Punkten von einander abweichende Versionen unseres
Epos existiert haben, in deren einer, der von Mousket analy-
sierten, jene beiden ursprünglichen Züge getilgt bezw. modi-
fiziert waren, während sie sich in der anderen, der dem Roman
zu Grunde liegenden, intakt erhalten hatten. Aus dieser Fol-
gerung ergiebt sich denn für die Beurteilung der Darstellung
unseres Romans überhaupt, soweit dieselbe durch das Fragment
nicht zu kontrollieren ist, als methodischer Grundsatz, dafs
wir nicht berechtigt sind, da, wo die Darstellung des Romans
von der Mouskets abweicht, die letztere, als die zeitlich ältere,
ohne weiteres auch für die ursprünglichere zu halten; denn im
Hinblick auf das eben Gesagte ist natürlich die Möglichkeit
gegeben, dafs der Roman aufser den beiden angeführten auch
noch andere ursprüngliche Züge, die bei Mousket verwischt
»ind, bewahrt hat.
— 57 —
Aufser den schon bemerkten, auch bei Mousket sich finden-
den Abweichungen von dem Fragmente weist unser Roman
allein nun noch die folgenden auf:
Der Kundschafterritt Hugo's mufs im Fragment in anderer
Weise geschildert gewesen sein als im Roman: im letzteren er-
scheint Hugo im feindlichen Lager als Ludwigs Gesandter, der
Gormund die Fehde ankündigen soll; als Gormund zornig wird,
führt Isembard ihn hinaus aus dem Zelt, damit ihm kein Leids
geschehe; im Fragment hingegen hören wir, Hugo habe Gor-
mund bei dieser Gelegenheit „wie ein Mädchen bedient, ihm
den Pfau in die Schale gelegt" ; worauf sich diese Worte auch
beziehen mögen, mit der Erzählung des Romans lassen sie
sich jedenfalls nicht vereinigen. Es scheint auch, dafs sich im
Roman noch eine Spur einer älteren, abweichenden Version
jener Episode erhalten hat, nämlich in dem Zurufe Gormunds
an Hugo bei ihrer Begegnung in der Schlacht: Hugo habe es
ihm schlecht gedankt, „dafs er es ihm in seinem Zelte so wohl
erbot"; denn in der jetzigen Fassung der Scene ist ja von
einem „wohl erbieten" nicht die Rede.
Sodann ist vor allem die Schilderung der Schlacht selbst,
auf die Mousket nicht näher eingeht, im Roman und im
Fragment völlig verschieden. In übereinstimmender Weise
wird nur berichtet über Gormunds Zweikampf mit Ludwig
und über Isembards Tod; aufserdem hören wir auch hier,
dafs ein Graf Richard von der Normandie von Gormund ge-
tötet worden sei und es werden unter den fränkischen Grofsen
hier wie dort noch genannt ein Graf von Champagne und ein
Graf von Flandern; alles übrige, die Schilderung des
ganzen Verlaufs der Schlacht und sämtlicher Einzel-
kämpfe ist total verschieden im Roman und im Frag-
ment: von einem Waffenstillstand während der Schlacht weifs
das Fragment nichts, Gormunds Leiche wird im Fragment
nach Ludwigs Zelt geschaßt, im Roman wird sie von seinen
eigenen Leuten begraben, Isembard wird im Fragment von
vier nicht genannten Rittern, im Roman von Ludwig selbst
erschlagen u. s. w. u. s. w^
Vergleichen wir dann, soweit wir durch das Fragment
über den Inhalt des alten Epos keinen Aufschlufs erhalten, die
— 58 —
Darstellung des Bomans mit der Mouskets, so begegnen uns
hier folgende Differenzen:
Isembards Mutter heifst bei Mousket Herluis, im Boman
Adelheid, vielleicht infolge einer Verwechselung mit ihrer an-
geblichen Schwester, die bei Mousket die Mutter des Raoul
von Cambrai ist^ Die Schwester Isembards wird im Boman
genannt Fröhlich, was wohl eher eine Übersetzung von Gaie
oder Gaiete sein dürfte als von Beatrix, wie sie bei Mousket
heifst. Die Figur des Bichard von Orl6ans, der um Isembards
Schwester wirbt, ist Mousket völlig unbekannt; bei Mousket
sind es die Franzosen im allgemeinen, die — wir erfahren
nicht, weshalb — Isembard und seinem Bruder feindlich ge-
sinnt sind und den letzteren umbringen lassen; bei ihm ist es
Alardin, ein Schildknappe Ludwigs, der die Schwester Isem-
bards zur Frau bekommen soll, nicht auf seine Werbung hin,
wie Bichard im Boman, sondern dem Wunsch des Königs
entsprechend, damit die Blutfehde zwischen der Familie Isem-
bards und der Alardins beigelegt werde. Der Name des Königs
von Dänemark ist bei Mousket Guion, im Boman Gering. Von
einer Bache, die Isembard für die Ermordung seines Bruders
genommen, hören wir im Boman nichts. Ebenso geschieht
keine Erwähnung der von Mousket berichteten Landschenkung
Gormunds an Isembard sowie des Sturmes, den die heidnische
Flotte bei der überfahrt nach Frankreich durchzumachen hat.
Der Kundschafterritt Hugo's wird anders geschildert als bei
Mousket: bei letzterem bedient Hugo sich einer List, er sagt
seinem Neffen Isembard, den er in Gormunds Lager trifft, er
sei seinetwegen aus Frankreich vorbannt, im Boman tritt er
ganz offen als Ludwigs Gesandter auf und begiebt sich direkt
zu Gormund selbst. Auch die Art und Weise, wie Hugo in
den Besitz von Isembards Bofs gelangt, ist hier wie dort ver-
schieden: im Boman reitet Isembard ihm das Bofs selbst vor
und läfst ihn dann ohne weiteres aufsteigen; bei Mousket hin-
gegen führt er es ihm nur vor und erklärt dann, er wolle es
1) Im Roman heifst die Mutter des Raoul {Rühe) von Cambrai, Lud-
wigs Schwester, Beatrix, wie bei Mousket Isembards Schwester, vgl. Sim-
rock S. 172.
— 59 —
ihm zum Geschenk machen, wenn Hugo es fertig bringe, ihm
Zaum und Sattel anzulegen; Hugo erfüllt die gestellte Bedingung
und reitet davon. Von Isembards Eltern und Schwester hören
wir im Koman am Schlufs nichts mehr; Mousket erzählt, dafs
sie alle drei ins Kloster gegangen (von der Schwester wird dies
im Boman schon früher erzählt) und dafs die Schwester vor
Kummer gestorben sei.
Dafs die Persönlichkeit Ludemarts, die Erzählung von
Isembards Aufenthalt beim König von England, seine Fahrt
zu Gormund in den Orient und seine Vermählung mit Margeli
als unursprünglich zu betrachten sind, wurde schon oben bei
Erörterung von Mouskets Verhältnis zu dem Fragment aus-
geführt. Der Nachweis der bezüglich aller dieser Punkte zwi-
schen Mousket und dem fioman bestehenden Differenzen hat
deswegen eigentlich für uns kein Interesse, immerhin mögen
dieselben kurz hervorgehoben werden:
Bei Mousket begleitet Ludemart Isembard schon von Frank-
reich aus, im Boman hingegen ist er der Sohn des Königs
von England und schliefst sich ihm erst in London an. Im
Boman mufs Isembard, bevor er in die Verbannung geht,
schwören, dafs er sich nirgends in der Christenheit länger als
eine Nacht aufhalten wolle, und er handelt aus freien Stücken
seinem Schwüre gemäfs, wenn er England sofort wieder ver-
läfst; in Mouskets Vorlage kann von einem solchen Schwüre
nicht die Bede gewesen sein, denn es bedarf erst einer Ordre
König Ludwigs an den König von England, um Isembard auch
von dort zu vertreiben. Dafs Isembard zu Gormund gegangen
sei auf Bat des Engländers Evrart, y^qui ot appris sarrasifials^^
wird im Boman nicht erwähnt. Bei Mousket wird Isembards
Beiname Margari erklärt als zusammengesetzt aus mari^ trau-
rig, und gari^ gerettet, im Boman erhält er ihn in Anlehnung
an den Namen von Gormunds Tochter Margeli,
' Was nun jene ersterwähnten Differenzen angeht, so dürfte,
obwohl ja, wie oben bemerkt, a p7'iori die Versionen des Bo-
mans ebensowohl ursprünglich sein könnten wie die Mouskets,
doch thatsächlich kein Zweifel sein, dafs wenigstens die Schil-
derung der Ereignisse, welche Isembards Verbannung herbei-
führen, sowie der Sendung Hugo's bei Mousket ursprünglicher
— 60 —
sind als im Roman. Die Liebesgeschichte des Richard von
Orlöans mit der Beatrix trägt deutlich das Gepräge einer spä-
teren Zeit: das bei Mousket vorhandene uralte Motiv der Blut-
rache ist getilgt und durch eine höfisch galante Episode ersetzt
Was sodann die Erzählung von Hugo's Sendung betrifft, so ist
sie bei Mousket wesentlich sinnvoller und individueller gehalten
als im Roman; es ist gewifs das ursprüngliche, dafs Hugo als
Spion, nicht als Gesandter, sich ins feindliche Lager begiebt,
desgleichen, dafs er durch Erfüllung einer von Isembard ge-
stellten Bedingung dessen Pferd gewinnt. Dafs die Version
des Romans nicht ui-sprünglich sein kann, erschlossen wir ja
schon oben aus der im Fragment sich findenden, auf diese
Episode bezüglichen Anspielung.
Was die Landschenkung und den Seesturm betrifft, so
müssen wir die Echtheit dieser Züge dahingestellt sein lassen,
immerhin liegt die Annahme näher, dafs sie von einem Be-
arbeiter übergangen, als dafs sie neu hinzugedichtet wor-
den seien.
Hiennit dürfte denn nun wohl der Nachweis zur Genüge
erbracht sein für die oben aufgestellte Behauptung: dafs der
Inhalt der alten Chanson in dem Remaniement des Loher und
Maller bereits arg, teilweise bis zur Unkenntlichkeit entstellt
sei. Daraus folgt denn, dafs wir Züge, Episoden, welche uns
allein im Loher und Maller überliefert sind, zur Rekonstruktion
des Inhalts der alten Chanson, soweit uns das Fragment und
Mousket über denselben keine Auskunft erteilen, nur dann
verwerten dürfen, wenn sich für ihre Echtheit und Ursprüng-
lichkeit besondere Gründe geltend machon lassen. Denn kann
es gleich keinem Zweifel unterliegen, dafs auch von den Zügen
im Loher und Maller, für welche sich der Nachweis der Echt-
heit nicht erbringen läfst, manche vollkommen echt und ur-
sprl'mglich sind, so bietet doch ihr Vorhandensein im Ijoher
und Maller an sich noch keine Garantie dafür; jeder einzelne
Zug kann echt, er kann aber auch interpoliert, oder, wenn
er auch im Korne echt sein sollte, doch in der Fassung
stark modifiziert sein.
Ein Zug nun, dessen Echtheit sich thatsächlich durch be-
sondere Gründe wahi-scheinlich machen läfst, ist, wie mir
— 61 —
scheint, die im Loher und Maller berichtete EinäscheruDg
Gloucesters d. i. also Cirencesters durch Vögel. Denn ein-
mal wird ja Gormunds Aufenthalt bei Cirencester in unserem
Fragmente ausdrücklich erwähnt; die Stadt mufs also in seiner
Geschichte eine besondere Kolle gespielt haben. Sodann war
jene Erzählung, wie wir aus ihrer Erwähnung im Brut Tysylio,
bei Wace und Layamon sehen, im Volke als Sage verbreitet;
sie dürfte also, so gut wie den genannten Autoren, auch dem
Dichter der alten Chanson bekannt gewesen sein und es wäre
nicht einzusehen, warum er sich einen so dankbaren Stoff
sollte haben entgehen lassen. Ich möchte deshalb glauben,
dafs jene Geschichte auch in der alten Chanson des 11. Jh.
vorhanden war.
Für unursprünglich halte ich dagegen einen Zug, der bis-
her noch nicht zur Sprache gekommen ist: ich meine die
wahrhaft klägliche Rolle, die König Ludwig im Loher und
Maller spielt. Die Art und Weise, wie er sich vor Isembard
erniedrigt, macht ihn beinahe zu einer lächerlichen Figur: er
steigt vor Isembard vom Eofs, er bietet ihm sein Königreich
an, wenn er sich von Gormund lossage, er bettelt, obgleich
wiederholt abgewiesen, immer und immer wieder um seine
Eückkehr. Allerdings sahen wir, dafs Ludwig schon bei Mous-
ket in imgünstigem Licht erscheint und dafs dieser Zug gewifs
ursprünglich ist. Aber so stark, wie im Loher und Maller,
kann er in der alten Chanson unmöglich ausgeprägt gewesen
sein; spätere Überarbeiter haben hier offenbar einen vorhandenen
Zug in mafsloser Weise outriert.
Was in der Erzählung des Loher und Maller nun aufser
jener einen Episode noch echt ist, das zu bestimmen besitzen
wir vorläufig kein Mittel. Erst unsere Untersuchung über die
historischen Grundlagen der Dichtung wird es uns ermöglichen,
eine anderweitig nicht überlieferte Scene als sicher echt nach-
zuweisen und in derselben direkt eines der Urelemente
der ganzen Dichtung zu erkennen.
Ich fasse nun im Folgenden das Ergebnis der bisherigen
Nachforschungen über den Inhalt unserer Chanson kurz zu-
sammen.
— 62 —
Ei^bnis.
Der mutraafsliche Inhalt der Chanson von Isembard und
Gornumd, aus der unser Fragment stammt, war der folgende:
Isembard und sein Bruder Gerardin, Söhne eines gewissen
Bemard, leben am Hofe König Ludwigs von Frankreich (ihres
Oheims?), des Sohnes Karls des Grofsen. Sie machen sich bei
den Franzosen verhafst — wodurch, erfahren wir nicht; ihre
Feinde bereden den König, der Verleuriidem nur allzu willig
sein Ohr leiht, Isembard mit einer gefährlichen Sendung an den
König von Dänemark (Guion M., Gering L. u. M.) zu betrauen:
er soll den Tribut einfordern; in seiner Abwesenheit lassen
sie seinen Bruder Gerardin ermorden. Isembard, zurückgehrt,
nimmt blutige Rache, indem er an der Tafel des Königs zwei
Diener — die Mörder oder Urheber des Mordes — erschlägt;
dann flieht er in seine Heimat. Der König wünscht die Fehde
beizulegen: er will seinem Knappen Alardin, dem Sohne des
einen der von Isembard ei^schlagenen Diener, dessen Schwester
Beatrix zur Frau geben. Aber Isembard widersetzt sich der
Heirat Darüber gerät der König in Zorn; er überzieht Isem-
bard mit Krieg, belagert ihn in seiner Vaterstadt, zwingt ihn
zur Übergabe und verbannt ihn aus Frankreich.
Isembard begiebt sich übers Meer zu dem Sarazenenkönig
Gormund, der, nachdem er Irland erobert hat, eben im Begriff
steht, auch England sich unterthänig zu machen und Cirencester
belagert Die Stadt wird durch eine Kriegslist genommen: man
bindet Vögeln kleine Feuerbrände an und läfst sie fliegen; die
Vögel lassen sich in der Stadt nieder und äschern dieselbe ein.
Isembard schwört seinen christlichen Glauben ab und erhält den
Beinamen Margari. (Er besiegt einen heidnischen König, der
Gormund seines Reiches berauben will, und wird dafür von
letzterem mit Land beschenkt?) Er beredet Gormund, mit ihm
einen Zug nach Frankreich zu unternehmen, um König Ludwig
zu vertreiben und die Herrschaft an sich zu reifsen. (Auf der
überfahrt vernichtet ein Sturm einen grofsen Teil der Flotte?)
Sie landen in Ponthieu und verheeren die Gegend; das
Kloster St Riquier wird in Brand gesteckt Ein Cleriker
meldet dem König diese Vorgänge nach Laon. Hugo, der
— 63 —
Bruder des Königs, begiebt sich auf dessen Wunscli mit seinem
Knappen Guntier als Spion ins feindliche Lager. Er macht die
Bekanntschaft Gormunds und sucht dann auf Isembards Rofs
das Weite. Der König sammelt seinen Heerbann und zieht
dem Feinde entgegen. In Vimeu, in der Nähe von Cayeux-
sur-mer, kommt es zur Schlacht. Gormund erweist sich als
ein furchtbarer Gegner: im Kampfe mit ihm fallt ein grofser
Teil der fränkischen Grofsen, auch Hugo, Ludwigs Bruder,
wird von ihm schwer — vermutlich tödlich — verwundet.
Endlich nimmt Ludwig selbst den Kampf mit Gormund auf;
er tötet ihn mit einem gewaltigen Streich, zieht sich aber selbst
eine schwere innere Verletzung zu, die wenige Wochen später
seinem Leben ein Ende macht. Auch Isembard fällt nach
heldenmütigem Kampfe; sterbend bereut er seine Missethat,
um seines bufsfertigen Todes willen steht zu hoifen, dafs
seine Seele nicht verloren ist Die Sarazenen wenden sich zur
Flucht, die Franken tragen einen glänzenden Sieg davon. Isem-
bards Eltern und seine Schwester Beatrix gehen ins Kloster,
um für seine Seele zu beten, Beatrix stirbt vor Gram.
Nachdem wir so eine einigermäfsen feste Basis gewonnen
habeti, können wir nunmehr daran gehen, unsere Hauptauf-
gabe, die Untersuchung der historischen Grundlagen der Dich-
tung, in Angriff zu nehmen.
IL Die historischen Grundlagen.
Die Schlacht von Saucourt.
Es ist allgemein anerkannt^, dafs die Schlacht, welche das
Brüsseler Fragment schildert, die Schlacht von Saucourt (auf
halbem Wege zwischen Abbeville und Eu) im Gau Vimeu ist,
in der der jugendliche, damals höchstens 19jährige König Lud-
wig III. von Westfranken, der Sohn Ludwigs II. des Stammlers,
am 3. Aug. 881 einen glänzenden Sieg über die Normannen
davontrug, einen Sieg, von dessen tiefem Eindruck auf die
Zeitgenossen auch das deutsche Ludwigslied Kunde giebt.
Über die Ereignisse, welche diese Schlacht herbeiführten,
sowie über die Schlacht selbst meldet uns die Geschichte
folgendes. ^
Mit dem Ende des 8. Jh. treten die nordgermanischen
Völker in das Wikingerzeitalter ein. Die geringe Ergiebigkeit
ihres heimischen Bodens im Verein mit einem raschen An-
wachsen der Bevölkerung, der Hang zu kühner Seefahrt, die
1) Vgl. P. Meyer, Bihl de VEc. des Ghartes, 5« s., t. II (1861), p. 84;
Hoiligbrodt, a. a. 0. S. 505; Nyrop, Storia delV Epopea Francese, p. 197;
G. Paris, Hist. litt. t. XXVIII, 250; derselbe Rist, de la litt. fr. au
moyen dge'^, Pai'is 1890, p. 43; Junker, Grii^idrifs der Gesch. d. franx.
Litt:', Münster 1894, S. 66.
2) Vgl. wegen des folgenden bes. E. Dümmlor, Geschichte des ost-
fränkischen Reiches^ Leipzig 1887—88, I, 194 ff., 280ff., 422 ff.; III,
128 ff., 147 ff. — Ferner: Schmidt, Gesch. von Frankreich^ Hamburg 1835,
S. 184 ff. — Büdinger, Über die Normannen, Sybels Hist. Zeitsehr, IV
(1860), S. 357 ff. — Petersen, Die Raubzüge der Normannen in West-
franken. Progr. von Luckau 1873. — Stoenstrup, Normannertie , 2 Bde.,
Kopenhagen J876 — 78. — Allen, Hist. de Danemark., ti*ad. p. Beauvois,
Kopenhagen 1878, t. I, 21. — Storni, Kritiske Bidrag til Vikingetidens
Historie, Kristiania 1878, S. 133.
— 65 —
Hoffnung auf kriegerischen Ruhm und auf reiche Beute, alles
das wirkte zusammen, um jene neue Völkerwanderung ins
Leben zu rufen, welche, von Dänemark und Norwegen aus-
gehend, damals die Küsten des westlichen Europas zu über-
fluten begann und bis weit ins Binnenland hinein ihre Wellen
schlug. Besonders die britischen Inseln, Flandern und Frank-
reich wurden auf lange Zeit hinaus ein Tummelplatz nordischer
Raubscharen, aber auch Spanien, Nordafrika, ja Italien blieben
von den kühnen Abenteurern nicht verschont, denen der Krieg
als der edelste Beruf des Mannes erschien. Der Schlachten tod
allein, so glaubte man ja, gewähre Eintritt in Walhall, und der
werde drüben am ehrenvollsten empfangen, „der viele Länder
verheert und das bluttriefende Schwert weit umhergetragen habe".
Wo immer die normannischen Horden erschienen, da gingen
Städte und Klöster in Flammen auf, die Einwohner wurden,
ohne Ansehung des Alters und Geschlechts, hingemordet, in
ihren Behausungen verbrannt oder in die Gefangenschaft ge-
schleppt, blühende, volkreiche Gegenden verwandelten sich in
menschenleere Einöden; die Chroniken der Zeit sind voll von
Klagen über den Jammer der normannischen Verwüstungen:
„Gleich unersättlichen, und durch grause Begier erbarmungs-
losen Parzen und Furien", so schreibt ein Chronist z. J. 857,
„verzehrten die Normannen vom Strande an die ganze Schön-
heit jener Gegenden, die der Seinestrom auf beiden Seiten wie
ein Paradies Gottes benetzte, mit mitleidslosem Schwerte und
übergaben alles den gefräfsigen Flammen . . ."i
Die ersten Züge der Normannen waren nach Irland ge-
richtet gewesen, hier fafsten sie seit 830 festen Fufs und grün-
deten im Norden einen förmlichen Wikingerstaat Bald danach
traten sie erobernd in England auf. Vor allem aber wurden
sie seit 834 durch die weit ausgedehnten Küsten Westfrankens
angelockt, die ihrer Thatenlust einen Aveiten Spielraum boten
und infolge der inneren Wirren des Reiches ihnen fast wehrlos
preisgegeben waren; die zahlreichen, tief ins Land einschneiden-
den Flüsse dienten ihnen als willkommene Blingangspforten ins
Innere, die Mehrzahl der grofsen Städte, Ronen, Nantes, Bor-
1) Vita 8. Faroois c. 123.
Zenker, Das Epos von Isembard etc.
— 66 —
deaux, Orleans wurden mit Feuer und Schwert von ihnen ver-
wüstet Nachdem sie sich dann in den Jahren von 875 — 79 in
unaufhörlichen Kriegen das ganze östliche England unterworfen
hatten, richtete sich in den nächsten Jahren die Wut ihrer An-
giiffe vornelimlich auf die gegenüberliegenden Küsten des Kon-
tinents, die Länder zwischen der Somme und der Scheide.
Im Juli des J. 879 liefen sie, von Fulham an der Themse
konmiend, mit einer grofsen Flotte in die Scheide ein, ver-
wüsteten die anliegenden Gebiete mit Feuer und Schwert und
bezogen dann Winterquartiere bei Gent Im folgenden Jahre
brachte der ostfränkische König Ludwig ilmen bei Tliim6on
(nördlich von Charleroi) an der Sambre eine schwere Niederlage
bei; nichtsdestoweniger behaupteten sie sich aber in Gent und
setzten ihre Raubzüge in der alten Weise fort
Nachdem sie 880 ihre Winterquartiere weiter südlich,
nach Kortrijk, verlegt hatten, durchstreiften sie zu Ende dieses
Jahres und zu Anfang des folgenden das ganze Land bis zur
Somme, alles rings aufs fürchterlichste verheerend; im Februar
des Jahres liefsen sie die an der Somme - Mündung ge-
legenen Klöster St Riquier und St. Val6ry in Flammen auf-
gehen. Im Juli 881 überschritten sie die Somme und unter-
nahmen einen Plünderungszug gegen Beauvais. Damals nun
fafste der junge König Ludwig, der im J. 879 gemeinsam mit
seinem Bruder Karlmann dem Vater in der Regierung gefolgt
war^, auf den Hilfei'uf seines bedrängten Volkes den Entschlufs,
einen Hauptschlag gegen die räuberischen Horden zu thun. Er
zog mit seinem Heere über die Oise nach Lavier unterhalb Abbe-
ville, um den Normannen den Rückweg in ihr festes Lager
abzuschneiden, imd als sie nun mit Beute beladen herannahten,
da trat er ihnen am 3. Aug. 881 bei dem Orte Saucourt im
Gau Vimeu {in pago Witmau in villa quae dicebatur Sathulr
mirlis) entgegen; die Normannen hielten dem Angriffe nicht
Stand, sondern flüchteten auf Saucourt zu; Ludwig verfolgte
sie und errang einen glänzenden Sieg. Doch fehlte nicht viel,
dafs sich der Sieg in eine Niederlage verkehrt hätte. Denn
1) Beide hatten dann 880 zu Amiens das Eeich unter sich geteüt:
Ludwig empfing Francion und Neustrien, Karlmann Aquitanien, Burgund
und Gothien.
— 67 —
da die Franken sich voreilig, wie ein zeitgenössischer Chronist
sagt, „zu rühmen begannen, dafs sie diesen Erfolg ihrer eigenen
Kraft verdankten, und nicht Gott die Ehre gaben", da stürmte
unvermutet eine Schar Normannen aus dem genannten Hof
hervor und trieb die Verfolger in die Flucht; rasch entschlossen
sprang Ludwig vom Pferde, brachte durch sein Beispiel die
Seinigen zum Stehen und rettete so den Erfolg des Tages; die
Zahl der gefallenen Normannen wird auf 8- oder 9000 geschätzt.
„Von Stund an'', sagt ein Mitlebender, „begannen die Nor-
mannen den jungen König Ludwig zu fürchten." ^
Ludwig zog nun mit seinem Heere in den Gau Kammerich
und errichtete dort bei Estrun a. d. Scheide ein Bollwerk
gegen die feindlichen Horden. Als die Normannen hievon
Nachricht erhielten, kehrten sie nach Gent zurück und begaben
sich von da, nachdem sie ihre Schiffe ausgebessert hatten , teils
zu Wasser, teils zu Lande nach Esloo a. d. Maas, wo sie unter
der Führung ihrer Seekönige Gotfrid und Sigfrid die Winter-
quartiere bezogen und sich in einem festen Lager verschanzten.
Ludwig hat seinen Triumph nicht lange überlebt; gelegent-
lich eines Aufenthaltes zu Tours im nächsten Jahre setzte er,
heifst es, eines Tages in jugendlicher Leidenschaft einem Mädchen,
der Tochter eines gewissen Germund, nach; das Mädchen
flüchtete sich in ihr väterliches Haus und als Ludwig ihr
folgte, zog er sich beim Einreiten durch den niedrigen Thor-
weg eine schwere Verletzung an Brust und Schultern zu, der
er bald darauf, am 5. Aug. 882, zu St. Denis erlag. ^ Sein
1) Über die Schlacht von Saucourt handelt am ausführlichsten Dümmler,
a. a. 0. m, 153 ff. und derselbe in einer Anm. zum deutschen Ludwigs-
liede bei Müllenhof u. Scherer, Denkmäler deutscher Poesie u. Prosa^
3. Ausg. V. E. Steinmeyer, Berlin 1892, 11, 75; femer Steenstrup, Nor-
manneme U, 192 ff. Die obige Darstellung beruht auf den Annalen von
St. Vaast (Portz, SS, 11, 199), welche allein genauere Angaben machen.
2) Ann. Vedast. a. a. 0.: Hludowicus vero rex Ligerem petiit, Nort-
mannos volens e regno suo eicere atqiie Alstingum in amicitiam recipere;
qiwd et fecit. Sed quia iuvenis erat, quandatn puellam , filiam cujusdam
Qermundi, insecutus est; illa in domum paternum fugiens, rex equo
sedens iticundo eam insecutus scapulas superliminare et pectus scella
equi atfrivit, eumque valide conf regit. Unde aegrotare coepit, et delatus
apiul sanctum Dionysiuni, Nonis Augusti defunctus, maximum dolorem
Francis reliquit, sepultusque est in aeclesia sancti Dyonisii . . .
5*
— 68 —
Hingang wurde allgemein betrauert: „in ganz Gallien", sagt
ein Zeitgenosse^, „erhob sich lautes Wehklagen um seinen Tod;
denn er war ein Mann von hervorragender Tapferkeit imd hat
sein Keich gegen den Einfall der Heiden kraftvoll und ener-
giscli verteidigt." Nachkonmienschaft hinterliefs er keine, eben-
sowenig sein Bruder Karlnuinn, der ihm schon 884, erst 18 Jahre
alt, im Tode nachfolgte.
Dafs nun in der That eben die Schlacht von Saucourt es
ist, welche unser Fragment schildert, dafs also der König Lud-
wig des Gedichts identisch ist mit Ludwig IIL von Westfranken,
das ergiebt sich mit unzweifelhafter Gewifsheit aus den folgen-
den übereinstimmenden Zügen:
1. Der Ort der Schlacht ist genau der gleiche. Zwar wird
Saucoui't nicht ei-wähnt, aber wir hören, dafs gekämpft wird
bei Cayeux (V. 4L 65: Qiiaiou = Cayeux-sitr-mer^ westlich
von St. Val6ry), die Heiden flüchten „mitten durch Vimeu und
Ponthieu auf die Lehen von St. Val6ry zu" (V. 434).
2. Nach V. 352 hat Gormund das Kloster St. Riquier
niedergebrannt; eben dieses wurde nun, wie wir sahen, in der
That im Februar des J. 881, sechs Monate vor der Schlacht
von Saucourt, durch die Normannen eingeäschert
3. Es heifst in dem Fragment, König Ludwig habe infolge
einer inneren Verletzung, die er sich im Kampfe mit Gormund
zuzog, keine 30 Tage mehr gelebt:
V. 411: De tel air s'est redresdes
que Ics curailles dunt (?) runipie
que irenie jurs puis ne vesquie.
In der That ist Ludwig HL, wie wir sahen, schon ein Jahr
nach der Schlacht von Saucourt gestorben; freilich stand sein
Tod mit der Schlacht in keinem Zusammenhange; aber bei der
Kürze der Zeit, die zwischen beiden Ereignissen verstrich,
mufste es der Sage nahe liegen, zwischen denselben einen
ui-sächlichen Zusammenhang herzustellen, den Tod des Königs
direkt als die Folge einer Verletzung aufzufassen, die er sich in
der Schlacht zugezogen habe.
1) Regino a. 883, bei Pertz, SS. I, 593.
— 69 —
4. Gormund wird in dem Fragmente V. 444 bezeichnet
als „empef'ere de Leutix^^, Diese, lat. Lutidi, Liutid, Leu-
ticü u. ä., sind, wie Gaston Paris, Romania II, 331 gezeigt
hat, identisch mit den Wilzen, einem zahlreichen, kriegerischen
Slavenstamm, der westlich von den Abodriten, zwischen Elbe,
Oder und Ostsee safs, also unmittelbar südlich von Dänemark
und östlich von den in Friesland ansässigen Dänen. Es mufste
für die Zeitgenossen nahe liegen, sie, wie die nördlichen
Slavenstämme überhaupt, mit den Dänen zu verwechseln. So
läfst die Angelsächsische Chronik zum J. 918 in der That eine
dänische Flotte, die in England landet, kommen „sitäan of
Lidtüiccum^^^ und die Annalen von Hildesheim bezeichnen die
Normannen, welche am 2. Febr. 880 den Sachsen eine furcht-
bare Niederlage beibrachten, als Slaven^ (Giesebrecht, Wen-
dische Geschichten, Berlin 1843, I, 129 vermutet, dafs sich
in der That Slaven, und zwar Abodriten bei jenem Feldzuge
den Normannen angeschlossen hatten). Wenn also Gormund
bezeichnet wird als „Kaiser der Wilzen", so hat sich hier eine
deutliche Spur erhalten, dafs die Gegner der Franken in unserem
Epos, welche in dem Fragmente Sarazenen heifsen, ursprüng-
lich Normannen waren. ^
Diese vierfache Übereinstimmung genügt, um jeden Zweifel
auszuschliefsen , dafs in der That, wie man ja auch allgemein
annimmt, die Schlacht von Saucourt die geschichtliche Grund-
lage unseres Fragmentes bildet, oder — so werden wir uns
1) Ttoo of the Saxon Chronides ed. Earle, Oxford 1865, S. 102
(Parker Ms.; Laud Ms. a. 910, ib. S. 101).
2) Dümmler, Ost fr. Reich III, 136, Anm. 2.
3) Ich raufs hier noch auf eine merkwürdige Übereinstimmung zwi-
schen der Geschichte und dem Loher u. Maller aufmerksam machen.
"Wie nämlich Dümmler in der S. 67 zitierten Anmerkung bei Müllenhof u.
Scherer, Denkm. II, 75 ausrechnet, fand die Schlacht von Saucourt nicht,
wie die Chronisten angeben, an einem Dienstag, sondern an einem Frei-
tag statt. Nun wird im L. u. M. die Schlacht, die hier zwei Tage dauert,
Simrock S. 288, nachdem sie an einem Donnerstag begonnen hat, in der
That an einem Freitag entschieden. Haben wir es hier mit einem Zufall
zu thun oder sollte wirklich eine Erinnerung an die geschichtliche That-
sache vorliegen? Wahrscheinlicher ist doch wohl das erstere, doch dürfte
auch das letztere nicht geradezu auTser dem Bereich der MögUchkeit liegen.
— 70 —
korrekter ausdrücken, — dafs geschichtliche Erinnerungen an
jene Schlacht in dem Fragmente enthalten sind. Denn nach
dem, was wir über das Leben der Sage und des epischen
Heldensanges insbesondere wissen, ist es natürlich a priari
sehr wohl möglich, dafs sich verschiedene geschichtliche Er-
eignisse in dem Gedichte wiederspiegeln, dafs mit den Erinne-
rungen an die Schlacht von Saucourt sich solche an irgend
eine andere Schlacht verschmolzen haben, dafs Vorgänge, welche
mit jener Schlacht in gar keinem Zusammenhang standen , durch
die Sage mit ihr in Verbindung gebracht worden sind, dafs
also auch in den Personen, welche in dem Gedichte auftreten,
verschiedene historische Persönlichkeiten, etwa infolge Namens-
gleichheit, miteinander vermengt worden sind.
Ich möchte nun glauben, dafs wir in der That zunächst
in dem König Ludwig des Epos einen Wiederschein nicht nur
des Siegers von Saucourt, sondern auch seines gleichnamigen
Vaters, Ludwigs II. des Stammlers, zu erblicken haben. Ich
gründe diese Vermutung auf eine Episode, welche uns sowohl im
B6sum6 Mousket's als auch im Loher und Maller aufbewahrt
ist und gegen deren ürsprünglichkeit nicht das geringste Be-
denken vorliegt, eine Episode, welche von vornherein ganz den
Eindruck macht, als ob irgend ein geschichtlicher Kern in ihr
stecke.
Nachdem nämlich Mousket berichtet hat, dafs dem König
die Kunde von dem Herannahen des feindlichen Heeres über-
bracht worden sei, bemerkt er, es sei damals in Frankreich
Brauch gewesen, dafs der König beim Tode eines
Grofsen dessen ganzes Land an sich rifs und von den
Frauen relief einforderte, es habe schlecht um die
Lehen gestanden. Hugo nun, uns grans caraliers, habe dem
König erklärt, wenn er diese Unsittte abstellen wolle, dann sei
er bereit, dem Feinde entgegenzureiten und seine Stärke aus-
zukundschaften. Der König habe das gewünschte Versprechen
gegeben und einen Eid darauf geschworen; vgl. S. 31.
Ganz ähnlich lautet die Erzählung im Loher und Maller,
Simrock S. 262. Der König, heifst es, habe seine Grofsen ge-
fragt, wer von ihnen bereit sei, den Kundschafter zu machen;
es habe sich keiner gemeldet.
— 71 —
„Da ward der König sehr betrübt. Seine Schwester Adel-
heid sprach zu ihm: Zürnt nicht, König, ich will euch zwei Worte
sagen: Ihr habt eine böse Gewohnheit in eurem Lande, um
die euch eure Leute nicht desto lieber haben. Wer stirbt, es
sei im Streit oder sonst, läfst er Erben oder eine Haus-
frau, so nehmt ihr die Hälfte seiner Verlassenschaft
hinweg. Darum fliehen euch die Leute Tag und Nacht,
und es geht euch übel; das ist eure Schuld. Wer euch aber
darum schilt dem wollt ihr den Tod anthun. . . . Darüber ward
der König sehr zornig. Nun war da ein Eitter mit Namen Hug,
ein reicher Mann. Hug, sprach der König, ihr seid ein kühner
Mann. Wollt ihr ins Lager reiten, um die Feinde zu über-
schlagen? Herr, sprach Hug, des geschweiget; eh liefse ich mir
alle Glieder versclmeiden, denn dafs ich mein Haupt also wagen
wollte. Ich habe von eurer Schwester wohl gehört, welche böse
Gewohnheit ihr eingeführt habt. Wolltet ihr aber die Gewohn-
heit abstellen, so thäte ich es gerne. Ja, sprach der König, so
mir St. Dionys^, ich will es gern abstellen."
Nun meldet die Geschichte, dafs eben Ludwig IL bei seinem
Regierungsantritt einen Teil der Lehen in gewaltthätiger
Weise an sich rifs und dadurch die Unzufriedenheit
seiner Grofsen erregte, dafs dann aber infolge seiner
Nachgiebigkeit ein Vergleich zu Stande kam.
Die Vorgänge, welche ich im Auge habe, sind kurz die
folgenden: 2
Kurz bevor Ludwig II. im J. 877 nach dem Tode seines
Vaters, Karls des Kahlen, den Thron bestieg, hatte sich die
Mehrzahl der fränkischen Grofsen gegen letzteren offen auf-
gelehnt und ihm die Heeresfolge nach Italien, wohin Pabst
Johann VIII.. ihn zur Bekämpfung der Sarazenen gerufen, ver-
weigert. Um nun bei der Unsicherheit der Lage sich von allen
Seiten Anhänger zu gewinnen, verteilte Ludwig, ohne den
von seinem Vater eingesetzten Eegentschaftsrat zu
1) Die Hülfe eben dieses Heiligen ruft Ludwig in dem Fragment
Y. 374 an.
2) Vgl. Dümmler, Ost fr. Reich UI, 52; 67 f.; Kalckstein in Forschufigen
%u/r deutsch. Oesch. 14, 801
— 72 —
befragen, mit vollen Händen Abteien, Grafschaften und
Kronlehen und verfügte dabei in willkürlicher Weise
über Lehen, die sich im Besitze anderer befanden. Da-
durch erregte er den Unwillen gerade der vornehmsten Männer
des Eeiches, umsomehr, als sein Vater vor seinem Abzüge nach
Italien auf der Versammlung zu Quierzy (14. — 16. Juni 877) die
Erblichkeit der Lehen im Prinzipe ausdrücklich und
feierlich anerkannt hatte. ^ Doch wurde der Ausbruch eines
Bürgerkrieges glücklich vermieden, da Ludwig den Eatschlägen
des greisen Bischofs Hincmar, Verliandlungen mit den Grofsen
anzuknüpfen und der Habgier seiner Umgebung Schranken zu
setzen, willig Gehör gab. Es kam eine Einigung zustande, Lud-
wig bewilligte den Häuptern der Unzufriedenen die geforderten
Besitzungen und gelobte den Bischöfen in einer Urkunde, die
Gesetze und Kegeln der Kirche zu beobachten und dem Volk alle
Gesetze und Verordnungen seiner Vorfahren nach dem gemein-
samen Eat seiner Getreuen zu bewahren. Nunmehr huldigten
ihm alle Grofsen und er wurde am 8. Dez. 879 — im Alter
von 31 Jahren — zu Compiegne feierlich zum König gekrönt.
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dafs eben diese ge-
schichtlichen Vorgänge jener Episode bei Mousket und im
Loher und Maller — die dann also ursprünglich sein müfste —
zu Grunde liegen. Dann sind also in dem Ludwig des Epos
die Gestalten Ludwigs IL und seines Sohnes, Lud-
wigs III., zusammengeflossen. Eine Vermischung der bei-
den konnte in der Sage offenbar leicht eintreten, da sie beide
nur kurze Zeit und unmittelbar nacheinander regierten: Lud-
wig IL 877 — 79, Ludwig m. 879 — 82.
Weiter möchte ich nun glauben, dafs sich eine der Haupt-
figuren unserer Dichtung, die Gestalt, von Ludwigs Bruder
Hugo, erklärt aus einer Vermengung der Schlacht von Saucourt
mit einer andern, von ihr nur durch den Zeitraum eines Jahres
getrennten Schlacht, in der ein anderer König Ludwig, Lud-
wig III. von Ostfranken (876 — 82), der Sohn Ludwigs des
Deutschen, einen Sieg über den gleichen Feind, die Normannen,
1) Hincmar, Ann. a. 877, bei Pei*tz, SS. I, 504. Vgl. auch P. Roth,
Geschichte des Benefix^ialwcsens , Erlangen 1850, S. 420. Dümmler III, 44 f.
— 78 —
davon trug, ich meine, mit der oben S. 66 erwähnten Schlacht
von Thimeon im Hennegau.
Folgende Erwägungen sind es, die mich zu dieser Ver-
mutung bestimmen:
Hugo spielt in imserem Epos eine viel zu hervorragende
Rolle, er ist an der Haupthandlung viel zu stark beteiligt, als
dafs die Annahme zulässig wäre, er sei, wie Richard von der
Normandie oder Odo von Champagne (vgl. S. 3 ff.), erst nach-
träglich in die Dichtung eingeführt worden; es hat vielmehr
durchaus den Anschein, als ob seine Gestalt ebenso ursprüng-
lich wäre wie die der übrigen Hauptpersonen, die Gestalten
Ludwigs selbst, sowie Isembards und Gormunds. Andrerseits
ist es ganz unwahrscheinlich, dafs die Gestalt Hugo's vom
Dichter erfunden sein sollte; lassen sich, wie wir sehen wer-
den, nicht nur für König Ludwig, sondern auch für Gormund
und Isembard ganz bestimmte historische Vorbilder nachweisen,
so ist zu vermuten, dafs auch für Hugo ein solches existiert
habe. Nun besafs König Ludwig IIL einen Bruder Namens Hugo
nicht; ebensowenig berichten die zeitgenössischen Quellen von
einer Persönlichkeit dieses Namens, die an der Schlacht von
Saucourt Teil genommen hätte. Dagegen wissen wir nun, dafs
ein jimger Franke Namens Hugo eine hervorragende Rolle
spielte in der genannten Schlacht von Thiraöon.
Die Geschichte meldet, es sei in dieser Schlacht Hugo, ein
natürlicher Sohn des Königs von einer vornehmen Concubine, ein
Jüngling von grofser Schönheit und Tapferkeit, allzu hastig vor-
dringend, von Gotfrid, dem Führer des dänischen Heeres, tödlich
verwundet worden und habe bald darauf unter den Händen der
Feinde sein Leben ausgehaucht. Ludwig, der den heifsgeliebten
Sohn gefangen wähnte, brach sofort die Schlacht ab, um ihn los-
kaufen zu können. Die Normannen benutzten die Dunkelheit
der Nacht, um zu ihren Schiffen zu entfliehen und entgingen so
der sicheren Vernichtung. Bei anbrechendem Morgen fand der
König die Leiche seines Sohnes, die er tief bekümmert in einem
Sarge fortschaffen liefs, um sie in Lorsch, seines Vaters und
seiner eigenen dereinstigen Ruhestätte, beizusetzen.^
1) Vgl. Düüimler, III, 134 f.; Böhmer, Regesta hnperii I, neu be-
arbeitet von Mühlbacher, Innsbruck 1889, S. 606.
— 74 —
Das tragische Ende des jungen Eönigssohnes mufste not-
wendig auf die Gemüter der Zeitgenossen einen tiefen Ein-
druck machen; dafs er grofses Aufsehen erregte, beweist schon
die Thatsache, dafs Hugo 's Tod von einer ganzen Reihe zeit-
genössischer Chroniken, zum Teil mit näheren Details, gemeldet
wird.^ Nun konnten aber zwei verschiedene Traditionen, oder,
gesetzt den Fall, es sei ein Lied auf die Schlacht von Thimöon
entstanden, zwei verschiedene Lieder über einen Sieg eines
fränkischen Königs Ludwig über die Normannen, unmöglich
nebeneinander existieren; beide mufsten, nach allem, was wir
über das Leben der Sage und des volksmäfsigen Heldensanges
wissen, sehr bald in einander fliefsen. Erwägen wir nun, dafs
Hugo in unserem Fragmente, wie das mehrfach gebrauchte
Diminutivum //?/e/m beweist, als jugendlich gedacht ist, dafs
eben jenes jugendliche Ungestüm, welches dem historischen
Hugo verhängnisvoll wurde, auch ihm eigen ist: trotz der
dringenden Warnung König Ludwigs reitet er auf Gormund
zu und greift ihn an, erwägen wir ferner, dafs er, wie jener
andere Hugo, als Ludwigs nächster Anverwandter erscheint,
und dafs eben jene herzliche Liebe, die der ostfränkische König
nach ausdrücklicher Angabe der Historiker für seinen Sohn
empfand, auch der Ludwig unseres Fragmentes, für Hugo, den
jungen Bruder hegt: „Wehe'', spricht er zu ihm, „willst Du
mich jetzt verlassen? Wirst Du mir erschlagen, dann habe
ich unter dem Himmel keinen Freund mehr", erwägen wir
Aveiter, dafs beide von dem Anführer des feindlichen Heeres
erschlagen bezw. schwer verwundet werden, dafs, wie der ost-
fränkische Ludwig, so auch der Ludwig unseres Fragmentes
Hugo auf dem Schlachtfelde auffindet und mit sich
fortführt: er wird zum Zelte geschafft und neben Gormunds
Leichnam gebettot, erwägen wir endlich, dafs offenbar gerade
die Gestalt Hugo's vom Dichter mit besonderer Liebe be-
handelt ist, — erwägen wir dies alles, sage ich, dann liegt
die Vermutung doch wohl nahe genug, es sei eben in jenem
Hugo, dem Sohne König Ludwigs von Ostfranken, das historische
Vorbild für (Um Hugo in unserem Epos zu erblicken und er
1) Vgl. Dümnilcr, a. a. 0. Anm. 3, S. 135 Anra. 1.
— 75 —
sei in dasselbe eingeführt worden infolge einer Verwechselung
des Sieges von Saueourt mit dem von Thimöon, Ludwigs III.
mit seinem Oheim.
Allerdings bleibt zweierlei bei dieser Identifikation bedenk-
lich: einmal ist Hugo eben nicht Ludwigs Sohn, sondern sein
jüngerer Bruder, und dann hören wir nicht, dafs er getötet,
sondern nur, dafs er schwer verwundet worden sei; indefs
was den ersteren Punkt betrifft, so hat die Annahme doch
wohl nichts unwahrscheinliches, die Sage 'habe nur im allge-
meinen die Thatsache der Nächstverwandschaft festgehalten, die
besondere Art der Verwandtschaft aber vergessen; so sind z. B.
auch in dem Liede von Hörn und Rirnenhild ed. Fr. Michel,
Paris 1845, p. 148, V. 2905 ff. Hildebrant und Herebrant, Vater
und Sohn, zwei Brüder geworden; was dann das zweite Be-
denken angeht, so bleibt die Möglichkeit, dafs Hugo's Tod
in dem uns verlorenen Schlufs der Dichtung noch gemeldet
worden sei; seine Verwundung wird als eine so schwere ge-
schildert, dafs es durchaus den Anschein hat, als betrachte der
Dichter sie als eine tödliche.^
Nun bin ich aber der Ansicht, dafs jener Sohn Ludwigs
von Ostfranken nicht das alleinige Vorbild des Helden in
unserem Epos ist, ich vermute vielmehr, dafs in letzterem noch
eine zweite historische Persönlichkeit gleichen Namens steckt:
ich meine, der mächtige Abt Hugo von Tours und St. Ger-
main, der Sohn des weifischen Grafen Konrad von Paris und
Auxerre, der Bruder der Kaiserin Judith , der Oheim Ludwigs
und Karlmanns. 2 Dieser, Geistlicher und Kriegsmann in einer
Person, war einer der einflufsreichsten und bekanntesten Männer
1) Junker, Qrtindrifs %. Oesch. d. franx. Litt. ^ S. 66 in der Inhalts-
angabe unseres Fragmentes nimmt in der That an, dafs Hugo getötet
worden sei; er sagt, Ludwig lasse den „Leichnam Hugo's" zu den Zeiten
bringen; aber wenn es V. 551 f. heifst, man habe Hugo „aufs Pferd ge-
setzt, Ludwig habe ihm „den Steigbügel gehalten", so geht daraus
doch hervor, dafs er nicht als tot zu denken ist.
2) Vgl. über ihn Dümmler I, 442; II, 151, 360; III, 71, 134; femer
die ausführliche Monographie von Kalckstein, Äbt Hugo aus dem Hause der
Weifen, Markgraf von Neustrten, in Forschungen xur deutschen Ge-
schichte, 14 (1874), S. 37 — 128.
— 76 —
jener Zeit und hat besonders in den Kämpfen mit den Nor-
mannen eine ganz hervorragende Rolle gespielt. Als Abt von
St. Germain erscheint er schon zum J. 853^; im J. 866 w^urde
er dann nach dem Tode des tapferen Grafen Eobert von Anjou
von Karl dem Kahlen mit der Verwaltung der von den nor-
dischen Raubscharen am schwersten bedrohten Grafschaften
Anjou und Touraine betraut; er führte seitdem vermutlich wie
sein Vorgänger den Heerbann nicht nur seiner eigenen Graf-
schaften, sondern der ganzen Gegenden zwischen der Seine
und Loire 2, tapfer und unermüdlich stand er gegen die Nor-
mannen auf der Wacht, verhinderte ihre weitere Ausbreitung
und unternahm gegen sie im J. 878 einen erfolgreichen Feld-
zug ^; seit dem Tode Karls des Kahlen war er es, in dessen
Händen eigentlich die Geschicke Westfrankens ruhton ; in einer
Urkunde des jungen Königs Karlmann heifst er „der erlauch-
teste Abt, den wir wegen seiner uns stets bewahrten Treue
als einen Vater verehren" und in einer anderen Urkunde wird
er bezeichnet als „der berühmte und verehrungswürdige Abt
Hugo, . . . der mächtigste Beschirmer des Reiches"*; er nahm
dann im J. 880 an eben jener Schlacht von Thimöon Teil ^, im
J. 882 brachte er gemeinsam mit Karlmann an der Spitze eines
Heeres den Normannen bei Cond6 Verluste bei und im J. 884
hatte er hervorragenden Anteil an dem Zustandekommen des
zu Compiögne mit den Normannen abgeschlossenen Vertrages. ^
Er starb am 12. Mai 886 zu Orlöans an einem Fufsübel, das
ihn schon im Frühjahr 885 befallen hatte.
Dafs eben dieser kriegerische Abt Hugo, der unermüdliche
Bekämpfer der Normannen, als Vorbild gedient haben möchte
für einen fränkischen Grofsen gleichen Namens, der in einem,
in den Ereignissen eben jener Zeit wurzelnden, einen Sieg
1) Kalckstein, a. a. 0. S. 41.
2) Kalckstein, S. 51.
3) Ein ausführlicher Bericht über diesen Feldzug findet sieb in Ade-
lerii Mir. S. Bernd., Poitz, SS. XV, 499.
4) Dümmlcr III, 207, Anm. 5.
5) Nach den Ann. Vedast. a. 880: Hugo qicoque abba fuit in illo
praelio.
aj Kalckstein, S. 121.
— 77 —
über die Normannen feiernden Liede auftritt, diese Vermutung
liegt offenbar von vornherein sehr nahe. Die beiden für wirklich
identisch zu halten, dazu bewegt mich nun eben jene Episode,
welche mich in dem König Ludwig unseres Gedichts einen
Widerschein nicht nur Ludwigs IIL, sondern auch seines Vaters
Ludwigs n. erblicken läfst. Wie wir nämlich sahen, ist bei
Mousket und im Loher und Maller Hugo unter den fränkischen
Grofsen, welche mifsvergnügt sind über die willkürliche Be-
handlung der Lehen durch König Ludwig; er erscheint aber
zugleich als der wohlmeinende Berater des Königs und als
sein treuester Freund, indem er ihn bewegt, die vorhandenen
Mifsstände zu beseitigen und daraufhin den gefahrlichen Kund-
schafterritt übernimmt. In genau dem gleichen Verhält-
nisse zeigt uns nun die Geschichte den Abt Hugo teils
zu Ludwig IL, teils zu seinem Sohne Ludwig IIL Der
Abt Hugo war unter jenen Grofsen, welche Karl der Kahle bei
seinem Zuge nach Italien als Berater seines zurückbleibenden
Sohnes Ludwig eingesetzt hatte und die letzterer nach dem Tode
des Vaters durch seine eigenmächtige Verleihung der Lehen vor
aUem gegen sich aufbrachte. Nachdem dann die Aussöhnung
zustande gekommen war und Ludwig sich den Wünschen der
Grofsen gefügt hatte, da wurde eben Hugo Ludwigs zuverlässigster,
treuester Freund, er war seine wie seines Sohnes rechte Hand,
der eigentliche Lenker der Geschicke Westfrankens in den Jahren
877 — 86, und er hatte als solcher gerade auf die Vergebung der
Lehen hervorragenden Ernflufs.^ Wir hören femer im Loher
und Maller, dafs Ludwig Hugo zur Belohnung für seinen
kühnen Eitt eine Grafschaft in der Normandie geschenkt habe 2;
eben dort nun, in dem Lande zwischen Seine und Loire, gebot,
wie wir sahen, der Abt Hugo.
Im Hinblick auf diese tibereinstimmenden Züge halte ich es
für sehr wahrscheinlich, dafs sich aufser der Gestalt des jungen
Sohnes Ludwigs von Ostfranken auch die des kriegerischen
Abtes von St. Germain und Tours in dem Helden unseres
Epos spiegelt, dafs die beiden durch die Sage miteinander ver-
1) Vgl. KalcksteiD, a. a. 0. S. 126.
2) Simrock, S. 266.
— 78 —
schmolzen wurdeD. Eine solche Verschmelzung hat durchaus
nichts auffälliges; denn es ist klar, dafs die Sage zwei ver-
schiedene Hugos, die in der Schlacht von Thimöon gegen die
Normannen gekämpft haben sollten, nicht brauchen konnte,
beide mufsten notwendig in einander aufgehen.
Dafs etwa — woran man auch denken könnte — der
Abt Hugo gar das alleinige Vorbild des Hugo im Epos ge-
wesen sein sollte, das glaube ich nicht. Folgende Gründe
scheinen mir gegen eine solche Annahme zu sprechen: Einmal
ist Hugo in unserem Fragment, wie schon bemerkt, als jung
gedacht, während der Abt Hugo im J. 880 bezw. 881 schon
in höherem Alter stand, denn schon 853 erscheint er als Abt
von St. Germain, vgl. S. 76; sodann ist es kaum glaublich, dafs
die Sage Hugo's geistlichen Beruf, seine Ifiigenschaft als Abt,
ganz vergessen haben sollte; endlich ist der Abt Hugo weder
in einem Treffen gegen die Normannen gefallen, noch auch
haben wir irgend eine Nachricht, dafs er in einem solchen
schwer verwundet worden sei; dafs aber dieser so wesentliche
Zug rein erfunden sein sollte, ist kaum anzunehmen; es liegt
ihm sicher eine historische Thatsache zu Grunde. Deshalb
glaube ich, dafs die genannten Abweichungen von der Ge-
schichte erklärt werden müssen durch die Annahme einer Ver-
mischung des Abtes Hugo mit dem in der Schlacht von Thimöon
gefallenen Sohne Ludwigs von Ostfranken.
Sehen wir nun, was wir weiter in unserem Liede noch
an historischen Elementen nachweisen können.
Grormund - Gruthorm.
Schon San Marte, Gottfried von Monmouth, S. 441, sowie
Storm, Kritiske Bidrag iil Vikiiigetidens Historie y S. 79 und
193, erklären den Sarazenenkönig Gormund, den Verbündeten
Isembards, für identisch mit dem bekannten dänischen See-
könig Guthorm oder Guäru7n\ ich halte diese Ansicht in der
That für richtig.
Guthorm (= Guth-orm, d. i. Schlachten wurm), von der
Angelsächsischen Chronik mit Metathese Godrurn genannt, war
einer der hervorragendsten unter jenen nordischen Häuptlingen,
— 79 —
welche zu Ende der 60 er und im Laufe der 70 er Jahre des
9L_Jh. in England Krieg führten gegen den König Aethelred
und gegen dessen Nachfolger Aelfred den Grofsen. Er wird
genannt unter den dänischen Seekönigen, die dem bei Kesteven
im J. 869 geschlagenen Dänenheer zu Hilfe eilten und wir
hören, dafs er sich im J. 870 Ostangliens bemächtigte.^ Er
war dann einer der Führer jenes grofsen dänischen Heeres,
welches im J. 871 Aelfred den Grofsen bei Wiltun besiegte
und für dessen Wanderungen Asser, der Biograph' Aelfreds,
für die folgenden Jahre die Stationen London, Nordhumbrien,
Eepton, Cambridge, Werham, Exeter und Chippenham namhaft
macht. 2 Im J. 878 wurde er bei Aethandune (vermutlich Eding-
ton in Wiltshire) von Aelfred geschlagen und nach 14tägiger
Belagerung mit seinem Heere zur Übergabe gezwungen. Er
trat mit 30 seiner hervorragendsten Krieger zum Christentum
über, wurde — nach Aelfreds verstorbenem Bruder — auf den
Namen Aethelstan getauft, und erhielt Ostanglien als Lehen.
Der vermutlich zu Wedmore abgeschlossene Vertrag, welcher
die Grenzen seines Territoriums festsetzt, ist noch vorhanden. ^
Guthorm verweilte ein volles Jahr mit seinem Heere bei Ciren-
cester in der Grafschaft Gloucester und zog dann nach Ost-
anglien, um die Landteilung vorzunehmen. Es scheint aller-
dings, dafs er den Vertrag im J. 885 wieder gebrochen hat.
Doch wird sein Name nicht genannt, wir hören nur, dafs das
Heer in Ostanglien den Vertrag mit Aelfred brach.* Jeden-
falls hat er bald mit Aelfred wieder Frieden gemacht, denn er
ist im Besitz von Ostanglien ebenda im J. 890 gestorben.^
1) E. Winkelmann, Geschichte der Angelsachsen bis xum Tode König
Aelfreds, Berlin 1883, S. 139 ff. Vgl. für das folgende auch Dictionary
of National Biography XXIII, 384.
2) Asser, de Bebus gestis Aelfredi in Monumenta Historica Bri-
tannica I, 475 ff.
3) Schmid, Gesetze der Angelsachsen, t. I, 57.
4) Assor, a. a. 0. p. 484, a. 884: Eodem quoqiie anno ille Pagano-
rum exercitus, qtii in Orientalibus Anglis habitavit, pacem, qiie?n cum
Aelfredo rege pepigerat, opprobriose fregii. — Anglo-Saxon Chronicle ed.
Thorpe, London 1861, t. II, S. 67, a. 885.
5) Angl. - Sax. Chron. a. 890.
— 80 —
Dafs nun eben dieser Guthorm wirklich identisch ist mit
dem König Gonnund in unserer Chanson, das ergiebt sich aus
folgenden Thatsachen und Erwägungen:
1. Der Name Oormund stellt sich dar als eine Ableitung
von Quthmm, Die Kurzform von Outhorm lautete Qorm,
dieses, lat. OormOj mu&te französisch ergeben Oormoriy wie
der Name in der That bei Wace und andern lautet. Aus
Oormon wurde dann weiter in Anlehnung an die zahlreichen
Namen auf -mund, -mojidy speziell vielleicht an Oodhinundr,
Qodmwid, oder an Oermund: Oormund, Oormond.
2. Wir hören in unserem Fragment, dafs Gormund vor sei-
nem Zuge nach Frankreich sich bei Cirencester aufgehalten
habe; ebendort lag nun, wie wir sahen, Guthorm mit seinem
Heere ein volles Jahr, bevor er von Ostanglien Besitz ergriff.
Diese Übereinstimmung kann unmöglich als ein Zufall
betrachtet werden; ich erblicke in ihr das sicherste
Anzeichen für die Identität Guthorms und Gormunds.
Gesetzt nun aber, es bestünde zwischen den letztgenannten
beiden Thatsachen keinerlei Zusammenhang, so sprechen für
unsere These doch folgende Erwägungen:
3. In Gormunds Heer befinden sich nach Angabe unseres
Fragmentes Iren, die Sarazenen werden einmal geradezu be-
zeichnet als „die aus Irland". Diesen Angaben liegt offenbar
die Vorstellung zu Grunde, entweder, dafs Gormund mit sei-
nem Heere sich vorübergehend in Irland aufgehalten hat und
eben von dort kommt, oder aber, dafs sein Heer direkt ein
irisches Heer, er selbst Beherrscher von Irland ist. Wie wir
sahen, wird bei Galfrid von Monmouth Gormund in der That
als Eroberer Irlands bezeichnet und wir folgerten daraus, dafs
er als solcher auch in unserem Epos gegolten habe. Nun
weifs freilich die Geschichte von einem Aufenthalt Guthorms
in Irland , geschweige denn von einer Eroberung Irlands durch
ihn, nichts 2, wir werden es also nur mit einer an seinen
1) Sarrazin, Beoiculf- Studien, Berlin 1888, S. 56 vermutet für den
Namen Otirmün im Tristan direkt Herkunft von an. Qodhmundr; davon
kann nach den obigen Darlegungen natürlich keine Rede sein.
2) Todd, Cogadh Qaedhel^ I^ondon 1867, p. LXIV, spricht allerdings
die Vermutung aus, Guthorm möchte identisch sein mit einem gewissen
— 81 —
Namen sich knüpfenden Sage zu thun haben; aber eben die
Thatsache, dafs eine solche sich in unserem Epos findet, sowie
die weitere schon erwähnte Thatsache, dafs Cirencesterin Gor-
munds Geschichte eine Rolle spielt, sprechen doch insofern für
die Identität Gormunds mit Guthorm, als es nicht wahrschein-
lich ist, dafs die in Eede stehenden Sagen in Frankreich er-
funden sein sollten, wo man zu Irland in keinen näheren Be-
ziehungen stand und von Cirencestor wohl überhaupt nichts
wufste; vielmehr ist ihnen ihre englische Herkunft deutlich
an die Stirn geschrieben. Eine andere Persönlichkeit aber als
Guthorm, an deren Namen jene Sagen hätten geknüpft sein
können, ist in der englischen Geschichte nicht nachzuweisen.
4. Wie S. 17 ff. dargethan, macht Wace über die Geschichte
Gormunds genauere Angaben als Galfrid von Monmouth und
Layamon wieder genauere als Wace; wir durften es als wahr-
scheinlich betrachten, dafs beide jene Angaben aus der Volks-
sage geschöpft haben. Nun wäre es ja an und für sich denk-
bar, dafs die ganze Gormundsage ausschliefslich beruhte auf
unserem Epos, dafs sie in England französischer Import wäre,
dafs jenes Detail, welches Wace und Layamon der Erzählung
Galfrids beifügen, schon in dem alten Epos vorhanden gewesen
wäre, dafe die Gormundsage mit dem alten Dänenkönig Guthorm
oder Godrum, Guthrun in gar keinem Zusammenhang stünde
und der Name Gormunds in England erst bekannt geworden
wäre durch unsere Chanson von Isembard und Gormund. Gegen
diese Annahme scheint mir folgende Erwägung zu sprechen:
Galfrid erzählt, wie wir sahen, während der Belagerung von
Cirencester sei Isembard, der Neffe des Königs von Frankreich,
zu Gormund gekommen, habe seinen Glauben abgeschworen
und habe Gormund beredet zu einem Kriege gegen seinen
Honn d. i. Gorm , der in nicht näher bezeichneten „Fragmenten von An-
nalen" als Anfühi*er der Dänen genannt wird in einer Seeschlacht, die diese
im J. 852 den Norwegern an der irischen Küste liefern. Das ist aber sehr
wenig wahrscheinlich, denn jener Horm wird gewifs kein anderer sein als
der Dänenhänptling gleichen Namens, der nach dem Chronicon Scotorum
ed. Hennessy, London 1866 (Rer. hrit. med. aev. scr.), p. 155 im J. 856
auf Irland durch Ruaidhrigh, den Sohn des Königs Mermcn von Britannien,
ei'schlagen wurde.
Zenker, Das Epos von Isombard etc. 6
— 82 —
Oheim, von dem er nn»erechterweise Temieben wordfti seL
Weiteres über Isembard erfahren wir nicht, eines ron ihm mit
Gormund nach Frankreich unternommenen Kriegszuges ge-
schieht keine Erwähnung. \un ist es sehr bemerkenswert
dafs alles neue Detail, welches Wace und Laramon beibringen,
ausschliefslich Bezug hat auf Gormund: was Isembard betrifft,
so beschränken sich beide auf die Wiedergabe dessen, was
schon Galirid von ihm meldet: auch sie erzählen von einem
Kriege gegen Frankreich nichts. Aus dieser Beobachtung
möchte ich den Schlufs ziehen, dafe die Sage, aus der Wace
und Layamon ihre Angaben schöpften, von Isembard und
seinen Beziehungen zu Gormund überhaupt nichts wufste und
dafs beide infolgedessen gar nicht in der Lage waren, der Er-
zählung Galfrids etwas neues über ihn hinzuzufügen. Da nun
in unserem Epos Gormund und Isembard eng verbunden er-
scheinen und also auch eine aus ihm fliefsende Sage Isem-
bard unmöglich eliminieren konnte, so würde aus ihrer ünbe-
kanntschaft mit Isembard folgen, dafs sie von unserem Epos
unabhängig war, dafs es eine autochthone englische Gormund-
Sage war; eine solche konnte von Isembard nichts wissen, da
dieser, wie wir später sehen werden, erst durch unser Epos
mit Gormund in Verbindung gebracht worden ist, aus welchem
allein auch Galfrid das, was er von Isembardei-zählt, entnom-
men haben kann. Eine andere Persönlichkeit als Guthorm aber,
auf welche sich jene Sage beziehen könnte, existiert, wie schon
unter no. 3 bemerkt, in der englichon Geschichte nicht.
5. Wie zum Teil schon gezeigt wurde, zum Teü im Fol-
genden dargelegt werden wird, sind es durchaus Ereignisse
aus der zweiten Hälfte des 9. Jh., speziell aus den Jahren
860 — 81, welche die geschichtliche Grundlage unseres Epos
bilden; es ist deshalb wahrscheinlich, dafs auch das historische
Vorbild Gormunds, einer der Hauptpersonen der Dichtung, in
eben dieser Zeit zu suchen sei.
0. Wilhelm von Malmesbury, Gesta Bcgimi Anglonim (be-
endigt 1125), Buch II, § 121 1 bezeichnet ausdrücklich Guthorm
und Gorniund als identisch. Er nennt Guthorm da, wo er von
J) cd. Stubbs, London 1887 {Rer. hrit. med. aev. scr.)^ 1. 1, p. 126;
übor diu Abfassungszoit vgl. Pref. XXXI.
• — 83 —
seiner Taufe berichtet: „Gudram, quem nostri Qurmundum
vocanty (Die gleiche Angabe in der Fälschung des Ingulphus^,
Historia seu descriptio abbatiae Groylandensis , Rer. Angl,
Scriptores, Frankfurt 1601, p. 869: „Godroun^, quem nos Our-
mound vocamus^^ ist wohl erst aus Wilhelm entnommen.) Dafs
wir es hier mit einer willkürlichen gelehrten Identifikation zu
thun haben sollten, halte ich nicht für wahrscheinlich; viel-
mehr dürfte Wilhelm mit jener Angabe nur die allgemeine
Überzeugung wiedergeben, nach der eben Gormund und der
dänische Häuptling Guthorm ein und dieselbe Person waren.
Diese Gründe zusammengenommen reichen, denke ich, aus,
um die Identität Guthorms und Gormunds sicher zu stellen.
Es ist nun aber bezüglich des historischen Vorbildes
Gormunds auch eine andere Ansicht ausgesprochen worden.
Steenstrup nämlich, Normannernel^ 27 erblickt in ihm viel-
mehr den berühmten dänischen Seekönig Hasting und Lot,
Romania XIX, 594 wirft wenigstens die Frage auf, ob beide
vielleicht ein und dieselbe Person seien. Diese Ansicht bezw.
Vermutung gründet sich ausschliefslich auf eine Angabe Hugo's
von Fleury (a. d. Loire, unweit Sully) in seinen, einige Jahre
nach 1108 begonnenen Modeniorum Regum Francorum Actvs,
B. I, cap. I: yjVerum iste Älstagnus vulgo Gurmundus solet
nominari^^^] denn die Stelle im Chronicoii Turoneiise (ab
a. 249 — 1227), verfafst im ersten Viertel des 13. Jh., welche
Lot noch anführt: ;,. . . cum Hastmgo duce eorum, qui Gor-
mundibs a populo vocabatur^^^ geht doch sicher in letzter Linie
auf Hugo von Fleury zurück, und was die gleiche Bemerkung
in einem Fragmentum Historiae Frmidcae (ab a. 814 — 896)
betrifft: „Verum iste Alstag7ius vulgo Gurmundus verso nomine
solet no7ninari"^^ so ist in diesem Fragment anerkanntermafsen
die Chronik Hugo's stark benutzt. ^
Dafs nun jene Angabe in keiner Weise dazu berechtigt,
Hasting als das eigentliche historische Vorbild Gormunds zu
1) Vgl. Dict. of Nat. Biogr. XXIX, 17.
2) Pertz, ÄÄ IX, 378.
3) Martene, Amplissima Collectio Y, 969.
4) Bouquet, Eecueil des Ilistoriens des Gaules et de la France
VII, 224.
5) Vgl. ib. VI, 231.
6*
— 84 —
betrachten, das dürfte ohne weiteres klar sein; wollte man es
thun, dann müfste man doch annehmen, Gurmund sei ein Bei-
name Hastings gewesen; von einem solchen weifs aber keine
der älteren Quellen etwas. ^ Vielmehr kann aus dem Zeugnis
Hugo's offenbar weiter nichts entnommen werden als dies, dafs
zu Hugo's Zeit, zu Ende des 11. und zu Anfang des 12. Jh.,
die volksmäfsige Tradition nur den Namen des Gurmund, nicht
auch den des Hasting kannte, und dafs sie jenem eine ähn-
liche Eolle zuwies, wie sie nach den Hugo vorliegenden litte-
rarischen Quellen Hasting in der Geschichte thatsächlich gespielt
hatte oder gespielt haben sollte. Es könnte sein, dafs sich die
Übereinstimmung zwischen den Schicksalen Hastings in der
litterarischen und denen Gormunds in der populären Tradition
darauf beschränkte, dafs beide als die hervorragendsten Anführer
der Normannen hingestellt wurden. Es wäre aber gewifs auch
möglich, dafs der Volksmund irgend welche spezielle Thaten,
die die litterarischen Quellen von Hasting berichteten, dem
Gormund zuschrieb. Daraus würde also weiter nichts folgen, als
dafs Gormund in der Sage den Hasting verdrängt hatte, dafe
gewisse Thaten des Hasting auf Gormund übertragen worden
waren, keineswegs aber, dafs Hasting und Gormund ein und
dieselbe Person sind.^
Wie steht es nun mit der Erzählung unseres Epos von
Gormunds Bündnis mit einem fränkischen Renegaten Isembard,
1) Petei*sen, Raubzüge der Normannen , S. 18, Anm. 4 meint, die
Angabe des Chronicon Tiironense habe ihren Ursprung vielleicht in einer
miüsverständÜchen Auffassung der S. 67 mitgeteilten Stelle der ÄnncUes
Vedastim a. 882, Pertz, SS. II, 199: hier wird nämüch berichtet,
Ludwig in. habe mit Hasting Frieden geschlossen und es folgt dann gleich
die Erzählung von Ludwigs Tod, wonach er einer Verletzung erlag, die er
sich zuzog bei der Verfolgung der Tochter eines gewissen Oermund
(filiam cujusdam Oermundi insectttus). Aber Hasting und Germund wer-
den hier doch ganz deutlich als zwei verschiedene Personen bezeichnet, es
wäre nicht zu verstehen , wie man dazu gekommen sein sollte , sie zu iden-
tifizieren. Die fragliche Vermutung ist durchaus unwahrscheinlich.
2) Hugo berichtet über Hastings Thaten auf Grund der sagenhaften
Erzählung des Wilhelm von Jumieges (schrieb zwischen 1070 — 1080), bei
Duchesne, Uistoriae Normannoru7n Scriptores, p. 218. Wilhelm läCst
Hasting zuei-st in Flandern landen und dann Vermandois d. i. die südliche
Pikardie vorwüsten; wie Gormund einen Verbündeten Isembard, so hat
— 85 —
dem gemeinsamen Zuge beider nach Frankreich und ihrem
Kampf gegen König Ludwig in der Schiacht von Saucourt?
Haben wir auch hierin vielleicht den Nachklang geschichtlicher
Ereignisse zu erblicken? In der That hat man das früher
angenommen auf Grund des im wesentlichen übereinstimmen-
den Berichtes zweier Chroniken des 11. und 12. Jh., des sog.
Ghronicon CentuUiise und der Chronik des Guido von Bazoche
bei Alberich von Troisfontaines.
Das Chronicon Centulense und Gruido von Bazoche;
Wilhelm von Malmeshury.
Das Chronicon Centulense d. i. die Chronik des Klosters
St. Eiquier (Centulum) in Ponthieu, wurde begonnen mehrere
Jahre vor 1088 von dem Mönch Saxowalus, der in der Chro-
nik zum J. 1068 als lebend erwähnt wird (cap. XXIII) ^; voll-
endet wurde es im J. 1088 durch den Mönch Hariulf.^ Wer
von den beiden der Verfasser der uns hier interessierenden
Stelle ist, wissen wir nicht, da sich nicht ermitteln läfst, wo
Hariulfs Anteil beginnt; doch werde ich der Bequemlichkeit
halber im folgenden Hariulf als den Verfasser betrachten.
Die betreffende Stelle lautet folgendermafsen ^ :
Post mortem Hludogvid^, filii ejus Hludogvicus et Karlo-
mannus regnum inter se dispertiunt. His ergo regnantibu^,
Hosting eineü Genossen Bier (= J5iörw) „Eisenrippe** (Costae ferreae; Jern-
side)^ den Sohn des dänischen Königs Lothroc (den Hugo aber wegläfst).
Sollten , frage ich , vielleicht diese beiden , entfernt an unser Epos erinnern-
den Züge Hugo veranlafst haben, Hasting und Gormund, welch letzterer
in seinen litterarischen Quellen nicht erwähnt wurde, zu identifizieren?
1) Er erscheint als Vorsänger bei einer Prozession.
2) Die Schlufsworte lauten: Eyo frater SariulfuSy monasterii heati
Richarii humilis mofiachus, hoc de sancti loci nostri nohilitate vel uti-
litatibus a Domno Saxoivalo ante plures annos inchoatimi opus Deo
auxiliante perficiens, obsecro omnes . . . ut haec . . . qtcalicumque modo
deperire non permittant. Completum est aute7n istud opus hunianitatis
filii Dei anno MLXXXVIII. Indict. X. Anno regni Philippi XX VIII.
Widone Pontivorurn Comite annis XXXVI.
3) Chron. Centid. c. X, bei d'Achery, Spicilegiurn, nouv. ed., Paris
1723, t. II, 322; Bouquct, EecueilYlll, 273, B—C.
4) Ludwigs n. des Stammlers.
— 86 —
contigit Dei jtidicio iiimimerabilem barbarorum multitudineni
limited Franciae pervadere, agoiie id rege eoriim Otiaramundo,
qui multis, ut fertiir, regnis suo din'^simo imperio siibactis,
etiafn Franciae voluit dm)nnan, persuadente id fieri Esim-
bardo, Frandgena nobili, qui regis Hludogtnci animos offen-
derat, quique genitalis soli prodiior, gentium barbariem Jiostros
ftnes visere hortabatur. Sed quia quomodo sit factum, non
solum historiiSj scd etiam patriensium memoria quo-
tidie recolitur et cantatur, nos pauca memorantes, cetera
omittamus, td qui cuncta nosse anhelat, non nostro scripto,
sed priscorum auctoritate doceatur . . . . ^ Cum populi super-
venientes iiostris finibus prinium appulissent exeuntes de
navibus Vimmacum [= Vimeu] et Pontivum [= Ponthieu]
provincias lustrarunt, ecclesias straverunt, christianos jugu-
laverunty et omnia mortibus et sanguine repleverunt Denique
ecclesiam splendidissimam B, Richarii [== St. Riquier], quae
pro sua nmgnitudine vel firmitate dejici non polerat , admoto
igne succenderunt, sublatis prius omnibus, quae discedentibus
fratribus remanserunt ecclesiac. Fraedictus ergo Hludogvicus
rex in pago Vimmaco cum eisdem gentibus bellum gerens,
triumphum adeptus est, interfecto eorum rege Guaramundo,
Et caesis millibus populi infidelis, ceteri fugati sunt, Dici-
tur autem qiiod in ipso congressu prae nimio fej'endi con-
amine sua interiora ruperit, ac deinde mortuus esf
Mit diesem Bericht der Chronik von St. Riquier stimmt
der bei Alberich von Troisfontiiines uns aufbewahrte Bericht des
Guido von Bazoche in der Hauptsache überein. ^ Guido,
Kantor zu St. Stephan in Chälons, lebte in der zweiten Hälfte
des 12. Jh.; er hat die Ereignisse des J. 1158 schon miterlebt
und ist 1203 gestorben.^
1) Der ausgelassene Passus berichtet, dafs beim Herannahen der
genannten Völkerschaften der Mönch Iliercmias, der Schatzmeister von
St. Riquier, die hauptsächlichsten Kostbarkeiten und Reliquien des Klosters
nach Sens ins Klostor df?r heil. Coluniba flüchtete.
2) Pei-tz, ,S'>S'. XXllL 743; Bouquet, Bccucil IX, 58, A — C.
3) Vgl. Wilmanns in Pertz' Archiv ckr Gcsellsch. für alt, deutsche
Gcschichtskiaide X (1851), S. 202.
— 87 —
Alberich erzählt an der frag^Iichen Stelle, König Ludwig —
den er falschlich mit Ludovicus Nichilfedt identifiziert^ —
der Bruder Karlmanns, habe m pago VG7^iminiaco einen Sieg
über die Normannen davon getragen und sei bald darauf ge-
storben; er fügt bei. Guido berichte über ilm folgendes:
Sed ut fertur, Ysembardtis juvenis egregiae probitatis et
militiae, nepos ejus, fiiit occasio, per quam ante ineridiem
aetatis et magnificentiae sime vitae est stcbire coactus occasum.
Hie enim cum per adulatorimt iniqua consilia regis avunculi,
quam non meruerat, incur risset offensayn, non jure, sed per
injuriaTYi regno pulsus et ad regem Ouormunduoiii, quando
adhnc erat paganus, fugere compulsiis, tarn arcto familiari-
tatis et amicitiae vinculo colligatus est ei, quod ob ejus dilec-
tionem ad tdtionem de avuncido reposcendam cum innumera-
bilibus armatorum milibus coiijunctisqiie sibi Normannis et
Danis adhuc geutilibus depopulatus Augliam, transfretavit in
Frandam et devastavit adjacentem mari Britannico regionem
ibique cum multis aliis Ccntulum regium vieum et a^itiquum
ac nobile monasteritim sancti Richa7^i concremavit. Quo com-
perto rex Frandae ^nagiianimus Ludovicus cum armipotenti
virtute Francorum haud segniter occiirrit furentibus impiis
et concurritj magnam eorum multitudijiem abrasit, ceteros
fugere compulit. In quo conflictu, quia rotando fulmineos
ictus graviter est afflictus per nimiuni laborem, vigorem per-
didit et incidit in langiiorein, quo quasi fructus in 7iovitate
a vita est praeruptus.
Diese beiden Berichte sind von Suhm, Historie af Dan-
7narkII (1784), S. 345, Lappenberg, Geschichte von E7iglandl
(1834), S. 323, Anm. 2, Hardy in seiner Ausgabe des Wilhehn
voll Malmesbury (1840), bei Migne, Patrol. lat., 1. 179, Sp. 1092,
Anm. 2, Grässe, Littefiirgeschichte, B. II, Abth. III (1842),
S. 379, Petrie, Momim. Hist, Brit. (1848), p. 805 n. c, Pauli,
König Aelfred (1851), S. 144, von San Marto, Gottfried vo7i
Mo7imouth (1854), S. 441, ja noch von Stubbs in seiner Aus-
gabe des Wilhelm von Malmesbury, II (1889), Pref. XXXV
1) „. . quia tarn cito subtractus estj quasi 7iichil fecisse dictus est,
unde et in quibusdam annalibus inscribitur: Ludovicus Nichilfedt/^
— 88 —
in der Hauptsache als vollkommen glaubwürdig hingenommen
worden, — in welchem Falle also die Handlung unseres Ge-
dichts in ihren wesentlichen Zügen historisch wäre. Demgegen-
über hat nun aber schon Heiligbrodt in der Einleitung zu
seiner Ausgabe des Fragmentes, Rom. Stud. IH, 504, bemerkt,
dafs man die beiden Stellen nicht als rein historische Quelle
ansehen dürfe, und Dümmler vollends in seiner Geschichte
des ostfränldschen Reiches ^ (1888), III, 154, sowie in seiner
schon zitierten Anmerkung zum deutschen Ludwigsliede bei
Müllenhof und Scherer, Denkmäler deutscher Poesie ic. Prosa ^ II,
S. 75 hat sie ohne weiteres als sagenhaft bezeichnet und ihre
Verwertung durch Lappenberg und Pauli getadelt.
In der That kann es nun keinem Zweifel unterliegen, dafs
sowohl Hariulf als Guido entweder direkt aus unserem Epos
oder aus der auf ihm beruhenden, vielleicht schon litterarisch
fixierten Sage geschöpft haben.
Zunächst ist zu beachten, dafs Hariulf ca. 200, Guido aber
vollends ca. 300 «tahre nach den erzählten Ereignissen schreibt,
ihren Angaben gegenüber also von vornherein die gröfste Vor-
sicht geboten ist; umsomehr, als Hariulf sich auf noch lebende
Volksgesänge beruft, denen ep also historische Glaub-
würdigkeit beiraifst. Guido aber nachgewiesenermafsen
vielfach Sagen und epische Dichtungen verarbeitet hat.^
Vergleichen wir sodann ihre Darstellung mit den Angaben
der zeitgenössischen Geschichtsquellen, so finden wir, dafs
sie durch dieselben nicht nur nicht bestätigt wird , sondern
direkt im Widerspruch zu ihnen steht.
Nach Hariulf sowohl als nach Guido wäre König Ludwig
infolge der in der Schlacht gehabten Anstrengung gestorben;
in Wirklichkeit stand, wie schon oben dargelegt wurde, sein
Tod mit der Schlacht in keinem Zusammenhang. Sodann
nennen die zeitgenössischen Geschichtsschreiber die Anführer
des dänischen Heeres in der Schlacht von Saucourt nicht und
was Guthorm- Gormund betrifft, so macht es der Bericht der
Angelsächsischen Chronik , unserer Hauptquelle für die englische
Geschichte der damaligen Zeit, so gut wie gewifs, dafs er an
1) Vgl. die von Wilinanns a. a. 0. S. 239 gegebene Liste der bei Guido
sich findenden Sagen.
— 89 —
der Schlacht nicht Teil genommen hat. Nach ihrer ausdrück-
lichen Angabe war das dänische Heer, welches die Schlacht
von Saucourt schlug, nicht das Heer Guthorms. Die Chronik
berichtet nämlich zu den Jahren 879 — 81 folgendes ^i
879. In diesem Jahre zog das Heer [des bei Ethandune
von Aelfred besiegten und dann getauften Godrura] von Chippen-
ham nach Cirencester und safs dort ein Jahr {alias: einen
Winter).
Und im gleichen Jahre sammelte sich eine Schar Wikinger
und lagerte bei Fulhara an der Themse ....
880. In diesem Jahre zog das Heer von Cirencester nach
Ostanglien und ergriff Besitz von dem Lande und teilte es.
Und im selben Jahre zog das Heer, das vorher bei
Fulham safs, übers Meer nach Gent in Frankreich und safs
dort ein Jahr.
881. In diesem Jahre zog das Heer weiter hinein nach
Frankreich. Und die Franken fochten mit ihm [= Schlacht
von Saucourt, vgl. Dümmler, Ostfränk. Reich ^ III, 153]. Und
da wurde das Heer nach der Schlacht beritten gemacht.
Wir hören also hier, dafs das Heer, welches nach Frank-
reich übersetzte, dasjenige war, welches 879 — 80 bei Ful-
ham an der Themse gelagert hatte, während das Heer
1) Earle, Two of the Saxon Ghronicles, Oxford 1865, S. 80 ff.
{Parker Ms.):
Her for se here to Cirencestre of Cippanhamme and scet fcer an
gear (Land Ms.: an winter).
And Py geare gegadrode an hloß tvicenga and gescet cet Fullan-
hamme be Themese
880. Her for se here of Cirenceastre on Fast Engle and gesagt
ßcet lond and gedcelde.
And Py ilcan geare for se here ofer sce pe cer on Fullan-
hamme scet on Froncland to Oend and scet Peer an gear.
881. Her for se here ufor on Froncloiid and Pa Francan him wip
gefuhton . and Peer wearp se here gehorsod cefter Pam gefeohte.
Aus einer Kontamination dieses Berichtes der Angelsächsischen Chro-
nik sowie der unmittelbar folgenden Angabe zum J. 882: Her for se here
up onlong Mcese feor (al. ofor) on Fronclond and Peer scet an gear mit
der Erzählung unseres Epos oder einer auf ihm beruhenden Quelle erklärt
sich offenbar, was Geoffroi Gaimar, der zwischen 1147 und 1151 schrieb,
in seiner Estorie des Engles ed. Hardy und Martin, London 1888, t. I,
— 90 —
Guthorms, das zu gleicher Zeit bei Cirencester weilte,
im Jahre 880 von Ost-Anglien Besitz ergriff. Dafs nun
etwa der eben erst getaufte und mit einer grofsen Provinz be-
lehnte Guthorin noch im selben Jahre sich von seinem eigeneh
Heere getrennt haben und auf neue Abenteuer nach Frankreich
gezogen sein sollte, das ist offenbar ganz und gar unwahr-
scheinlich, i Somit sind wir berechtigt, die Erzählung Hariulfs
S. 136 ff., V. 3241 — 3296 von y,Ourmund'^ erzählt. Nachdem er von
jjGudrums^^ Taufe und dem Vertrag von Wedmore berichtet hat, fähi-t er
fort: „Zu jener Zeit, so sagt mein Meister {co dist mi meistre = ein fraq-
zösisches Buch, vgl. t. II, S. XXI), kam König Gurmuud nach Cirencester."
Gurmund läfst das Heer von Chippenham rasch zu sich kommen und ver-
weilt mit ihm den ganzen Winter bei Cirencester. Im April „wird
mancher Unglückliche verbannt*' {mistrent maint chetif en exil)\ Gur-
muud zieht nach Ost-Anglien und setzt seine Statthalter über das Land;
dann befiehlt er das Heer, das bei Fulham lag, zu sich und versammelt
seinen ganzen Heerbann, mehr als 100 Könige. Sie stechen bei Gernemue
in See und landen bei Cajoux; ihre Schiffe ziehen sie ans Land, sie
glauben ihrer nicht mehr bedürfen zu werden. Dann verwüsten sie das
Land um St. Valery und ziehen weiter nach Ponthieu. Sie zerstören das
Kloster St. Riquier, zei'spalten die Krucifixe (vgl. eine entsprechende Epi-
sode im Loher und Maller oben S. 49, Simrock S. 260) und verbreiten
sich über das ganze Land. Gurmund selbst bleibt in der Gegend, aber ein
grofser Teil des Heeres zieht weiter bis nach Gent und verbnngt doil; den
"Winter. Endlich versammeln sich die Franzosen, ziehen Gormund ent-
gegen und kämpfen mit ihm; sie tragen den Sieg davon, Gormimd selbst
fällt. Das Heer, das bei Gent überwintert hatte, zieht von da nach Frankreich;
die Franzosen liefern ihm eine Schlacht, aber sie werden besiegt, da sie zu
wenig Leute haben und ihr König verwundet und nicht bei ihnen ist. Der
König siechte lange dahin an seiner Wunde und starb dann. Die Heiden
rücken weiter vor, sie finden Frankreich ohne Schutz.
Aus einer Schlacht sind also hier zwei geworden, indem Gaimar die
Identität der in seiner französischen Quelle geschilderten Schlacht mit der
in der Angelsächsischen Chronik erwähnten {pa Francan hiin loip gefuhton)
nicht erkannt hat; dafs die letztere für die Franzosen unglücklich gewesen sei,
schliefst er offenbar aus der unmittelbar folgenden, oben zitierten Angabe der
Chronik, das dänische Heer sei dann „weiter nach Franki-eich hinein gezogen '',
vgl. seine Worte: E les paens en vont avant . France trovere^it sanx garant.
1) Nach Wilhelm von Malmesbury, Gesta regum Änglortim, ß. 11,
§ 121 wäre Hasting der Anführer jenes Heeres gewesen, welches von Eng-
land nach Frankreich übersetzte: „Ceteri ex Danis, qiii Chrtstiani esse
recusasscnt , cuni Hastengo wäre transfretaverunt . .^'; doch findet sich
diese Angabe, so weit ich sehe, in keiner der älteren Quellen.
— 91 —
und Guido's von Guthorms Teilnahme an der Schlacht von
Saucourt als unhistorisch zu betrachten.
Was nun die weitere Angabe der beiden Chronisten be-
trifft, das Barbarenheer sei nach Frankreich geführt worden
durch einen von König Ludwig verbannten fränkischen Edlen
Namens Isembard — nach Guido wäre er Ludwigs Neffe ge-
wesen — , so geht schon aus dem oben über die Schlacht von
Saucourt bemerkten hervor, dafs die Geschichte auch hiervon
nichts meldet. Nun würde dieser Umstand ja noch nicht be-
weisen, dafs nicht trotzdem vielleicht eine geschichtliche That-
sache zu Grunde läge, die uns nur von den Chronisten der
Zeit nicht aufbewahrt wäre. Aber dann müfsten wir doch
wenigstens erwarten, dafs uns die Existenz eines fränkischen
Grofsen Namens Isembard zu jener Zeit in der Geschichte
irgendwo bezeugt wäre, auf den die Erzählung Hariulfs und
Guido's allenfalls passen könnte. Sehen wir uns nun in der Ge-
schichte des in Betracht kommenden Zeitraums um, so begegnet
uns ein einziger fränkischer Grofser dieses Namens: Isembard,
der Sohn des bekannten burgundischen Grafen Warin
von Mäcon^: er wird erwähnt in der Chronik von Fontenav zum
7 v
J. 849, sowie, anläfslich des gleichen Ereignisses, in den Annalen
des Prudentius zum J. 850.
Es heifst hier, Graf Wilhelm, der Sohn des Markgi-afen Bern-
hard, der erbitterte Feind Karls des Kahlen, habe sich — nach
anderen Quellen im Bunde mit dem spanischen Sarazenen Abder-
rhaman IL — an der Spitze einer ansehnlichen Streitmacht in der
spanischen Mark behauptet. Er habe Barcelona eingenommen, den
Verteidiger der Stadt, den spanischen Markgrafen Aledrann^, aus
der Stadt vertrieben, dann durch trügerische Vorspiegelungen ihn
sowie Isembard, den Sohn des Warin, in seine Gewalt ge-
bracht; 850 aber sei er besiegt, durch die List einiger Gothen von
der Partei Aledranns gefangen genommen und getötet worden ^i
1) Vgl. über Warin bes. Meyer von Knonau, lieber Nttkard's vier
Bücher Oesehichten, Leipzig 1866, S. 140, auch S. 108, Nr. 267.
2) Nach Kalckstein, Gesch. des franx. Känigthums unter den ersten
Capetingern, Leipzig 1877, I, 471 vielleicht identisch mit einem Grafen
dieses Namens, der unter Karl dem Grofsen, dann 820 in Italien Sendbote
war; vgl. Sickel, Urk. der Karol. I, 305 u. 447.
3) Vgl. Dümmler, I, 340.
— 92 —
Chron. Font a. 849^: Isembardus, filius Wariiiij et
Aledranniis per dolum pacis fictae capti sunt a Wühelmo, in-
vasore urbis Barcinonae.
Prud. ann, a. 850 ^i Guilhelmus Beniardi filius in Marca
Hispanica Aledramnuni et Ise?nbardum Comites dolo capit,
sed ipse dolosius captus et apud Bardnonem interfectus est.^
Dies ist das einzige Mal, dafs Isembard, der Sohn Waiins,
in der Geschichte erwähnt wird. Dagegen erscheint nun ein
Graf Isembard, der sicher mit ihm identisch ist, noch in einer
Reihe Urkunden. Er wird genannt als Sendbote in einem
Capitular Karls des Kahlen vom November 853, aus dem her-
vorgeht, dafs er seinem Vater als Graf von Mäcon gefolgt war*;
in einer Urkunde Karls vom gleichen Jahre wird er bezeichnet
als illuster comes Isembardus^; als inissus erscheint er dann
wieder in einem Capitular vom 14. Febr. 857^; gewifs ist es
1) Pertz, SS. II, 302.
2) Pertz, SS. I, 444; Bouquet, Eeeueil "^l, 66.
3) Auf die obigen beiden Stellen hat schon Keiffenberg, Philippe
Mousket^ t. II, p. Yin aufmerksam gemacht; er verlegt das einzahlte Er-
eignis aber fälschlich ins J. 890 und identifiziert Isembard, den Sohn Warins,
ohne weiteres mit dem Helden unserer Chanson.
4) Bouquet, Reeueil VII, 617; Mo?i. Oerm. Leguni Sectio 11, t. II,
pars 2, p. 276. Unter den missi werden genannt: Teutboldtis Episeoptis,
Jonas EpiscoptiSj Isemhardus et Ahbo Ahha, Daddo, missi in Comitati-
bus MiloniSj et in Cornitatibus Isembardi, Augustiiduno scilicet [= Autun],
Matiseonense [= Mäcon] , Divioiiense [= Dijon], Cabillono [= Chälons-sur-
Saone], Hatuariis [in Geldern, am Niers], et in Tornedriso [= Tonnerois],
et in Beiniso [= Beaunois] , et in Dusiniso Comitatu Ättela^ et in Gomi-
tatu Romoldi. Die Identität des hier genannten Grafen Isembard mit dem
Sohne Warins von Mäcon ergiebt sich offenbar eben aus der Erwähnung
von Mäcon unter den ihm und Milo gehörigen Grafschaften.
5) Bouquet, Reeueil VIII, 527. Karl restituiert in der Urkunde der
Kirche von Autun die heil. Kreuzkirche mit den zugehörigen Ländereien
„medianfe assensu illustris Comitis Isenibardij cujus dominio habeba-
tiir.^^ Die Identität mit dem in der vorigen Urkunde genannton Isembard
darf daraus erschlossen werden, dafs dort Autun unmittelbar neben dem
ihm geographisch benachbarten Mäcon genannt wird, also jedenfalls zu
Isembards Grafschaft gehörte.
6) Pertz, SS. III, 451: „dilecto nobis Jonae ve?ierabili episcopo et
Isembardo inlustri comiti missis nostris salutem^'. Die Identität ergiebt
^
— 93 —
auch derselbe Isembard, der am 21. März 858 mit anderen
Vasallen Karl den Schwur der Treue leistet^, der im gleichen
Jahre der Versammlung zu Quierzy beiwohnt 2, und dem als
Isemberto illastri viro amico suo der Bischof Hincmar von
Rheims (f nach 882) ein Schreiben sendet. ^ Dahingestellt mufs
es wohl bleiben, ob wir ihn schon erkennen dürfen in dem
Isembardus vassus, der in einer zwischen 814 — 825 aus-
gestellten Urkunde mit anderen Prindpes und Mag?iates von
Ludwig dem Frommen den Befehl erhält, dem Abte Herlegaud
bei der Wiederherstellung der Kirche des heil. Benignus zu
Dijon behilflich zu sein.^ Nicht identisch ist hingegen mit
dem Grafen von Mäcon jedenfalls ein gewisser Hisimbert, der
genannt wird in einer Urkunde vom J. 832 0, worin Ludwig
der Fromme dem Kloster Montierender (Ders) zwölf Mausen
vermacht in der villa Dodoniaca curtis, jetzt St. Christophe
in der Grafschaft Brienne, y^quam hactemis vassalu^ noster,
nomine Hisimbertus, nostra largitione in beneficium habuisse
dinoscitur^^ ; desgleichen der „Getreue" Isembert, dem Karl im
J. 859 auf Bitten des Markgrafen Humfried einige Güter im
Narboneser Gau zum Geschenk macht. ^
Der Graf Isembard von Mäcon war also den obigen Ur-
kunden zufolge ein treuer Diener Karls des Kahlen und eine
zu seiner Zeit hochangesehene Persönlichkeit. Dafs nun dieser
sich daraus, dals hier, wie in der ersterwähnten Urkunde, Isembard mit
dem Bischof Jonas zusammen genannt wird.
1) Pertz, SS. in, 458.
2) Pertz, Leg es 1., 451.
3) Pertz, SS. XIII, 545. Das Schreiben ist nicht datiert; der Heraus-
geber setzt es vermutungsweise ins J. 869.
4) Bouquet, Recueil VI, 236 und 557. Für die Identität mit Isem-
bard von Mäcon spricht allerdings, dafs Dijon ebenso wie Autun in der
zuerst erwähnten Urkunde unmittelbar neben Mäcon genannt wird, also
wohl gleichfalls zu dieser Grafschaft gehörte; Sickel, Urkunden d. Karol. II,
S. 152 u. 227.
5) Bouquet VI, 574; Mühlbacher, Regesten no. 868.
6) Bouquet VIII, 556. „Libuit celsitudini nostrae quendani fidelem
nosirum, notnine Isemhertunij ad deprecatiofiem Hunifridi carissimi
nohis Comitis ac Marchiojiis nostri, de quibusdam rebus nostrae pro-
prietatis Honorare atque sublimare/' Mit ihm identifiziert den Isembard
des Ckronieon Centulense Suhm, Eist, af Danmark 11, 345.
— 94 —
etwa im J. 881, wenn anders er damals überhaupt noch am
Leben war, mit den Normannen gemeinschaftliche Sache ge-
macht und in der Schlacht von Saucourt mitgekämpft haben
sollte, das darf ohne weiteres als ausgeschlossen bezeichnet
werden. Ein anderer fränkischer Grofser Namens Isembard
ist aber in jener Zeit überhaupt nicht nachzuweisen: folglich
gehört auch das, was Hariulf und Guido über Isembard be-
richten, ins Gebiet der Sage.
Bemerken wir nun andrerseits, dafs beide Chronisten in
den eben als unhistorisch nachgewiesenen Zügen vollkommen
übereinstimmen mit unserem Epos, dafs speziell die Worte
Hariulfs: „didtur quod sua interiora ruperit [sc. LudovicusY^
sich geradezu darstellen als eine Übersetzung der entsprechen-
den Stelle unseres Fragmentes: y,que les curaüles sunt rum-
pies^', erinnern wir uns, dafs Hariulf ausdrücklich ihm be-
kannte Volksgesänge über Gormund und Isembard erwähnt,
dafs Guido anerkanntermafsen vielfach aus sagenhaften Quellen
geschöpft hat, — ziehen wir dies alles in Rechnung, dann
dürfen wir es offenbar als zweifellos betrachten, dafs beide
ihre Erzählung entweder aus dem Epos selbst oder aus der
mit ihm inhaltlich identischen Volkssage geschöpft haben. Dann
sind also beide Berichte in Wahrheit nichts als ein R 6s um 6
unseresEpos. Hier ist nun, was Guido betrifft, nur zu be-
merken, dafs dieser in einem Punkte an dem Inhalt des Epos
oder der Sage augenscheinlich Kritik geübt hat. Guido sagt
nämlich, Isembard sei zu Gormund gekommen „quando adhuc
erat paganus [sc. Gormundusy^ und er erwähnt nicht, wie
Hariulf, dafs Gormund in der Schlacht getötet worden sei.
Er nimmt also an, dafs Gormund die Schlacht überlebt habe
und dann später Christ geworden sei. Diese Auffassung findet
ihre Erklärung in der Thatsaclie, dafs eine von Guido's haupt-
sächlichsten Quellen die Chronik des Wilhelm von Malmesbury
De Oestis Regum Anghrum ist.^ In dieser fand er B. II, § 121,
dafs Guthorm, den Wilhelm, wie wir sahen, ausdrücklich als
identisch mit Gormund bezeichnet, die Taufe empfangen habe.
Da nun die von ihm benutzte sagenhafte Quelle Gormund als
1) Vgl. Wilmanns, Pertz' Archiv X, 202 ff.
— 95 —
Heiden, als Sarazenen bezeichnete, so folgerte er, dafs Gormunds
Zug nach Frankreich vor seine Bekehrung fallen und die An-
gabe, er sei in der Schlacht geblieben, auf einem Irrtum beruhen
müsse. Er korrigierte deshalb in diesem Punkte die ihm vor-
liegende sagenhafte Überlieferung, die er im übrigen getreu
wiedergiebt
Können nun die beiden Berichte auf historische Glaub-
würdigkeit keinen Anspruch machen, so sind sie doch eben
in ihrer Eigenschaft als R6sumes der Dichtung für uns von
Interesse, vor allem der Bericht Hariulfs, der sich nach dem
Gesagten darstellt als das älteste, unserem Fragment an-
nähernd gleichzeitige Zeugnis über die Existenz und
den Inhalt des Epos von Isembard und Gormund.
Denn, wie wir sahen, wurde die Chronik von St. Riquier
im J. 1088 abgeschlossen, unser Fragment aber durften wir
mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Zeit um 1080 setzen.
Etwas neues über den Inhalt der Dichtung zu jener Zeit ver-
mögen wir nun freilich aus dem kurzen R6sum6 mit Sicher-
heit nicht zu entnehmen. Immerhin spricht der Umstand, dafs
auch hier, wie in unserem Fragmente, Isembard nicht aus-
drücklich als Ludwigs Neffe bezeichnet wird, vielleicht dafür,
dafs das alte Epos von einer solchen Verwandtschaft in der That
nichts wufste; wenn sodann von Gormund gesagt wird: „qui
7nultis, ut fertur, regyiis suo diHssimo imperio subactiSj etimn
Fi^anciae voluit do7?iinari^^, so erinnert diese Angabe an die
Worte des Wace:
mamt ille pi^ist, viaint roi conqtiist,
mainte tere saistst et prist,
tant ala par uner naviant
rois venquant, te7'res conqiierant . . .
und wir dürfen in ihr vielleicht eine, freilich nur undeutliche
und zu einem sicheren Schlüsse nicht berechtigende Spur er-
blicken einer Bekanntschaft Hariulfs mit der von Wace be-
richteten Vorgeschichte Gormunds, spezioll mit der Sage von
der Eroberung Irlands und Englands, deren Vorhandensein in
dem alten Epos wir ja in der That aus einem andern Grunde
als wahrscheinlich bezeichnen durften. Wenn schliefslich
— 96 —
Hariulf nicht sagt, welcher Nation die Barbaren angehörten,
die Isembard nach Frankreich führte, so erklärt sich diese auf-
fällige Erscheinung am ungezwungensten durch die Annahme,
dieselben seien in der von ihm benutzten sagenhaften Quelle,
wie in unserem Epos, als Sarazenen bezeichnet worden; un-
gewifs, wem er Glauben schenken sollte, der Sage oder der
ihm vorliegenden historischen Quelle, der zufolge es vielmehr
Normannen gewesen waren, zog er es vor, einer Entscheidung
aus dem Wege zu gehen, indem er nur ganz allgemein von
Barbaren sprach. Dafs ihm eine historische Quelle über jene
Zeit zur Verfügung stand, das ergiebt sich ja aus seiner Be-
merkung über die Flüchtung der Klosterreliquien von St. Riquier
nach Sens.
Was das R6sum6 Guido's betrifft, so stimmt seine Angabe,
Isembard sei bei Ludwig in Ungnade gefallen „per adulato-
rum iniqua consilia^^, er sei verbannt worden „non jure, sed
per injuriam^\ vollkommen mit der Darstellung Mouskets, die
wir in diesem Punkte als ursprünglich bezeichnen durften,
überein; etwas neues erfahren wir von Guido nicht.
Direkt als ein R6sum6 unseres Epos können wir nun auf
Grund der bisherigen Ermittelungen auch bezeichnen, was ein
dritter Historiker, Wilhelm von Malmesbury, in seinen
schon wiederholt zitierten Oesta Regum Anglorurriy B. II, § 128^
von dem Kriege eines französischen Königs Ludwig gegen
einen Renegaten Isembard zu berichten weifs:
§ 128. De Hugone Capet, quomodo factus sit rex Frandae.
Filius hujus Caroli [Karls lU.] fuit Lvdouncus: is a quo-
dam IsambardOy qui, ad paganismum versus, fidem
luserat, irritatus, proceres sicos de suffragio couvenit; quibu^
nee responsum referentibus , Hugo quidam, non magni nomi-
nis tyrOj filius Rober ti comitis Montis Desiderii^ nitro pro
domino duellum expetiitj et provocatorem interemit Lodo-
wicus cum toto exercitu apud Pontivum subsecutus, omnibus
1) ed. W. Stubbs, 1. 1, p. 139.
— 97 —
barbaris quos ille adduxerat vel ocdsis vel elapsis, opimam
lauream obtinuit Sed non multo post, pro labore illius ex-
peditionis extixma valitudine debilitatuSj heredem regni Hugo-
nem illum instituit, praedicandae fidei et virtutis juvenem.
Ita prosapia Caroli magni in ülo cessavit^ seu quod tiocor
ejus sterilis fueraij seu quod pro brevitaie vitae absque prole
decesserat
Wir haben es hier offenbar mit nichts anderem zu thun
als einer gelehrten Verballhornung des Inhalts unserer Chanson
von Isembard und Gormund; in dem Bestreben, die Sage mit
der Geschichte in Einklang zu bringen, die Gestalten der Sage
mit historischen Persönlichkeiten zu identifizieren, hat der ge-
lehrte Historiker willkürliche Änderungen vorgenommen; teil-
weise mag ihm allerdings die Sage auch nur ungenau bekannt
oder doch nur ungenau erinnerlich gewesen sein. Wenn er
zunächst in dem König Ludwig, der in unserem Fragment als
Sohn Karls d. i. Karls des Grofsen bezeichnet wird, Ludwig IV.
d'Outremer (936 — 954), den Sohn Karls IIL des Einfältigen
(893 — 923) erblickt, und wenn er diesen wieder mit Ludwig V.
Fainäant (986 — 87), dem letzten Karoünger, identifiziert^ so
dürfte er diese Verwechselungen schon in seiner Quelle vor-
gefunden haben, da wir ihnen auch bei Mousket, in der Chanson
von Hugues Capet, im Loher und Maller und bei Alberich von
Troisfontaines begegnen. Auf Wilhelms eigene Rechnung sind
aber gewifs die übrigen Abweichungen zu setzen: den Hugo
der Sage, der in dem Epos als Ludwigs Bruder erscheint, iden-
tifiziert er mit Hugo Capet, den er wieder mit seinem Vater,
Hugo dem Grofsen, dem Sohne des Grafen Robert von Neustrien,
identifiziert; aus dem Kundschafterritt Hugo's, bei dem dieser
Isembards Rofs entführt, macht er — ich vermute, infolge
mangelhafter Kenntnis der Sage — einen Zweikampf Hugo's mit
Isembard, in dem letzterer getötet wird, während er dem Epos
zufolge erst in der Schlacht seinen Tod fand; dafs eben jener
Kundschafterritt die Grundlage von Wilhelms Erzählung bildet,
erschliefse ich daraus, dafs hier wie dort Hugo dem Heer vor-
ausreitet: „subsecuius^^ heifst es von Ludwig; endlich hat
er Gormund ganz eliminiert, offenbar deshalb, weil er, wie
wir sahen, in ihm den dänischen Seekönig Guthorm erkannte,
Zenker, Das Epos von Isembaxd etc. 7
— 98 —
Gormunds Krieg gegen Ludwig IV. ihm mithin als eine chro-
nologische Unmöglichkeit erscheinen mufste.
Die Erzählung Wilhelms ist nun, als R6sum6 der Sage
betrachtet, für uns insofern von Interesse, als durch sie ein
Zug, der nur im Loher und Maller überliefert ist, als sehr alt,
ja, da Wilhelm wenige Jahrzehnte nach der Entstehungszeit
unseres Fragmentes schrieb, als vermutlich ursprünglich er-
wiesen wird — ein Zug in eben jener Episode, auf die wir
die Vermutung gründeten, dafs für den König Ludwig des Ge-
dichts König Ludwig II., für Hugo der Abt Hugo von St. Ger-
main und Tours als Modell gedient habe, und die wir deshalb
als ursprünglich betrachteten. Es heifst im Loher und Maller,
Ludwig habe, als er die Nachricht von dem Herannahen des
feindlichen Heeres erhielt, seine Grofsen gefragt, wer von ihnen
bereit sei, die Stärke des Feindes auszukundschaften: „Ihr
Herren — fragte er — wer ist der, der zu dem Heere reiten
will, zu überechlagen, wie viele ihrer sind? Da war keiner,
der sein Haupt aufhub.'' Endlich macht Hugo sich anheischig,
das Wagestück zu unternehmen. Dazu stimmt nun offenbar
aufs schönste die Angabe Wilhelms: „proceres sttos de suffra-
gio convenit; quihus nee responsum referentibus Hugo
.... nitro pro domino duellum expetiiV^; nur handelt
es sich hier nicht um einen Rekognoscierungsritt, sondern um
einen Zweikampf.
Soviel über die Fassung, in der unsere Sage bei Wilhelm
von Malmesbury erscheint.
Gorinund - Vurmo.
Durch unsere bisherige Untersuchung sind wir zu dem
Resultat gelangt, dafs von einer Beteiligung Guthorms an der
Schlacht von Saucourt keine Rede sein kann und dafs auch
das, was unser Epos von seinem Bündnisse mit einem Rene-
gaten Isembard berichtet, ins Gebiet der Sage zu verweisen ist.
Nun erhebt sich sofort die wichtige Frage : Wie hat diese
ganze Sage entstehen können? Liegen ihr vielleicht doch irgend
welche historische Thatsachen zu Grunde, die nur durch die
— 99 —
Dichtung umgestaltet, verschoben, aus ihrem ursprünglichen
Zusammenhang herausgerissen worden sind?
Was zunächst Gormund betrifft, so vermute ich, dafs sein
eigentliches geschichtliches Vorbild gar nicht Guthorm-Aethel-
stan gewesen ist — mit dem ihn die Sage allerdings sehr früh
identifiziert haben mufs — , sondern ein anderer Wikinger-
häuptling Namens Wurm, der sehr wohl der Anführer der Nor-
mannen in der Schlacht von Saucourt gewesen sein kann und
der jedenfalls kurz nachher auf französischem Boden nachzu-
weisen ist. Ein Häuptling Wurm wird in zwei zeitgenössischen
Chroniken genannt als einer der Anführer jenes Dänenheeres,
welches im J. 882 in seinem befestigten Lager bei Elsloo an
der Maas von Kaiser Karl dem Dicken belagert und zur Über-
gabe gezwungen wurde ^:
Annales Fuldenses a. 882 ^i . . ilUco rex arrepto itinere
cum omni exercitu, fines et munitionein Nortmannoi^um , eorum
cum ipsis regibus, id est Sigifredo et GodofridOy prindpibus
Vurm, Hals intus incluMs, occupavit,
Annales Bertiniani zum gleichen Jahre ^: Carolus autem
nomine Imperator contra Nortmannos venit cum. multo exerdtu
usque ad illorum firmitatem. Quo veniens^ concidit cor ejus,
et placida mente Ootafridum cum suis ut baptisma su^ciperet
et Frisiam aliosque honores, quos Roricus habuerat^ reciperet,
interventtone quorumdam obtinuit. Sigefndo etiam et Vur-
moni, iUorumque complicibus plura millia argenti et auri . . .
eis dedit.
Nun war dieses Normannenheer das gleiche — wenn auch
jedenfalls durch Zuzug verstärkt — , welches bei Saucourt ge-
kämpft hatte; es ist deshalb recht wohl möglich, dafs Wurm
schon an jener Schlacht beteiligt gewesen war und dafs er sich
unter den normannischen Häuptlingen besonders hervorgethan
hatte. Jedenfalls konnte die Sage leicht darauf verfallen, ihn
zum Anführer der Normannen in der Schlacht von Saucourt zu
1) Vgl. Dümmler, Ost fr. Reich^ III, 201, 203. Mühlbacher, Reg,
Imp, no. 1595 d, 1596 b.
2) Pei-tz, SS.l, 396; Bouquet, Recuetl YllI, 41 D.
3) Pertz, SS. I, 537; Bouquet, YIII, 36.
7*
— 100 —
machen, wenn er, auch ohne an derselben dirtkt Teil genom-
men zu haben, doch sonst unter den normannischen Häupt-
lingen eben zu jener Zeit eine hervorragende Rolle spielte. Der
Name Wurm, lat. Vurmo, mufste französiert Oarmon ergeben.^
Es wäre dann anzunehmen, dafs die Sage nachträglich Wurm-
Gormon identifiziert hätte mit Guthorm-Gormon, von dem
sagenhafte Nachrichten eben damals über den Kanal dringen
mochten, dafs die angeblichen Thaten Guthorms auf Wurm
tibertragen worden seien. Auf diese Weise würde sich offen-
bar ganz natürlich die sonst höchst auffallende Thatsache er-
klären, dafs die Sage einen dänischen Seekönig, der, soviel
wir wissen, nur in England eine Rolle gespielt und das Fest-
land überhaupt nicht betreten hat, zum Anführer der Dänen
gemacht hat in einer Schlacht, in der ein fränkischer König
einen Sieg über die Dänen des Festlandes davon trug.
War nun die Sphlacht, welche unser Fragment schildert,
eine solche zwischen Franken und Normannen, war Gormund
in der Geschichte ein Normannenhäuptltng, dann drängt sich
offenbar sofort die Frage auf: Wie kommt es, dafs in unserer
Chanson die Normannen zu Sarazenen, zu „Türken, Persem und
Arabern" geworden sind, dafs Gormund selbst bezeichnet wird
als „der aus dem Orient'', „der Araber", ja dafs er, zwar
nicht in unserem Fragment — was nur Zufall sein wird — ,
wohl aber in allen jüngeren Zeugnissen über die Sage geradezu
„König von Aifrika" heifst? Wie ist diese merkwürdige Ver-
wandlung zu erklären? Verschiedene Ansichten sind darüber
aufgestellt worden.
1) Schon Lot, Romania XIX, 594 hat auf Vurmo als das geschicht-
liche Vorbild Gormunds hingewiesen. Doch bin ich völlig unabhängig von
Lot, dessen kurae Mitteilung mii' entgangen war, auf die gleiche Vermutung
gekommen; anderenfalls würde ich es nicht unterlassen haben, in meinem
auf der 42. Philologenversammlung zu Wien gehaltenen Vortrag Lot als
den Urheber dieser Vermutung namhaft zu machen. Die zweite der ange-
führten Stellen wird wörtlich bei Dümmler III, 203 citiert, konnte mir also
unmöglich entgehen. Übrigens hat vor Lot schon Lair in seiner Ausgabe
des Dudo von St. Quentin, 1865, p. 45 Gormund, freilich nicht den Gor-
mund unseres Epos, sondern den Alstagnus, vulgo Qurmundus des Hugo
von Fleury, als identisch bezeichnet mit Vurmo -Oormon,
— 101 —
Lappenberg, der unsere Sage nur aus der Stelle bei
Galfrid von Monmouth kennt, mächt Geschichte von England
II, 408 (Zusatz zu I, 324) darauf aufmerksam, dafs die wal-
lisischen Chroniken die Dänen als Dub Gale^ d. i. „Schwarze
Fremde'^ bezeichneten^ und meint nun, wenn Galfrid eine
wallisische Quelle benutzt habe, so könne jene Bezeichnung
ihn vielleicht veranlafst haben, Gormund für einen Afrikaner
zu halten. Nun wird aber Gormund schon lange vor Gal-
frid, schon in unserem Fragmente, als Sarazene bezeichnet.
Wollten wir deshalb die in Rede stehende Verwandlung zurück-
führen auf die Bezeichnung der Dänen als Dub Oale, so
müfsten wir annehmen, Gormund sei schon als Sarazene über
den Kanal gewandert; wir müfsten annehmen, es habe eine
keltische Tradition über ihn existiert, die ihn als einen Dub
Oale bezeichnete und diese Bezeichnung sei der Anlafs ge-
worden, dafs die, dann später nach Frankreich gewanderte, eng-
lische Sage ihn zu einem Afrikaner oder Sarazenen machte.
Gegen diese Annahme spricht aber einmal, däfs, soweit mir
bekannt ist, wallisische Quellen von Gormund nichts wissen;
was Irland betrifft, so haben wir ja das ausdrückliche Zeugnis
des Girald von Barri, dafs Gormund in Irland gänzlich unbe-
kannt sei 2; sodann spricht gegen jene Annahme, dafs Wilhelm
1) Eine Erklärung des Ausdruckes dtcb gale, dub genti für die Dänen
und des entsprechenden Ausdruckes find gale, find genti „TVeilse Fremde,
weilse Heiden" für die Norweger hat vei"sucht Zimmer, Zeitschr, f. deutsches
Altert,, B. 35 (N. F. 23), S. 97. Er meint, die ei-sten Wikinger auf Irlands
Boden seien Noi^woger gewesen; diese hätten oft den Beinamen Hviti ge-
führt, weshalb man sie 5e?iVi - Heiden , Find Oenti, genannt habe. Als
man dann norwegische und dänische Wikinger zu unterscheiden angefangen,
sei die ursprüngliche Bedeutung des Namens in Vergessenheit geraten ge-
wesen, man habe Find Oenti aufgefafst als „Weifse Heiden* und habe,
um den Gegensatz zu bezeichnen, die Dänen ^Schwai^ze Heiden" genannt.
Auch könne mitgewirkt haben , dafs die Dänen von Süden kamen und zum
Teil in Spanien gewesen waren; diese hätten vielleicht von Afrika zu er-
zählen gewufst und seien deshalb als Afrikaner betrachtet worden.
2) Gegenüber der Behauptung des Giraldus, Gurmund sei in Irland
gänzlich unbekannt, weist allerdings ein irischer Schriftsteller des 17. Jh.,
üsser, in seinen Britannicarum Ecclesiarum Äntiquitates , Dublin 1639,
p. 571 darauf hin, dafe noch jetzt eine porta Ourmundi zu Dublin existiere,
dafe ein nahe bei der Stadt gelegenes kleines Landgut (praediolum) den
— 102 —
von Malmesbury Gormund und Guthorm (Gudram) identifiziert;
denn dies macht es wahrscheinlich, dafs für die englische Sage
damals Gormund noch Däne war. Die Vermutung Lappen-
bergs, die im Hinblick auf die Stelle bei Galfrid von Mon-
mouth zuläXsig war, ist mithin unserem Fragmente gegenüber
nicht aufrecht zu erhalten.
G. Paris, Eist litt XXVIII, 251 erblickt, wie schon S. 3
bemerkt, in der Verwandlung der Normannen in Sarazenen
eine Folge der Kreuzzüge, er rückt ebendeshalb unser Fragment
in die erste Hälfte des 12. Jh. herauf. Gegen diese Ansicht —
die G. Paris übrigens möglicherweise inzwischen selbst aufge-
geben hat, vgl. S. 3 — scheint mir zweierlei zu sprechen.
Einmal die folgende Erwägung: Für den epischen Dichter,
der zu Anfang des 12. Jh. die Normannen in Sarazenen um-
kostümiert haben sollte, lagen die erzählten Ereignisse doch
bereits in einer grauen Vergangenheit; er müfste also, falls
er jene Änderung traf, die Vorstellung gehabt haben, schon
in jenen fernen Zeiten seien die Sarazenen mit den Christen
in stetem Kampfe gelegen. Konnte aber eine solche Vorstellung
als eine Wirkung des ersten Kreuzzuges der Jahre 1096 — 99
sich wohl schon zu Anfang des 12. Jh. gebildet haben, mulste
es damals nicht noch in aller Erinnerung sein, dafs jener Zug
Namen Orange- Oorman führe, desgleichen der nicht weit von der Stadt
entfernte Stammsitz der Vize -Grafen von Prestor den Namen Oomians-
toton (Oormanston ca. 35km nördlich von Dublin an der Küste?), dafe
femer bei Leghlin nicht nur ein Öminundi nemus und ein Öormundi
vadum existierten, sondern auch noch vor kurzem, im J. 1589, nach dem
Zeugnis des Thadaeus Doulingus in seinen Annales Hibemici auf einem
Grabstein in der Kirche zu Leghlin die Inschrift gestanden habe:
Hie jacet humattis Dttx fundator Lentae (=Legh-leniae)
Bn Qormundi Burchardtis, vir grattis Ecclesiae,
Der genannte Doulingus behaupte an der betreffenden Stelle, Gurmund
habe nicht ganz Irland, sondern nur Lagenia und Meath sich unterworfen
und seinen Sohn Burchardus als Herzog des Mons Margeus eingesetzt.
Es ist klar, daJfe wir es hier entweder mit einem viel jüngeren, histo-
rischen Gorman oder Gormund zu thun haben oder mit einer späteren, nach
Giralds Zeit erfolgten Lokalisierung der Sage.
Yon Interesse ist noch die Bemerkung Ussers: y^Oireeestrenses . . .
Orismundi quam ostentant turrem a Ourmundo positam fuisse credunV' ;
darnach scheint es, als ob die Sage von Gormund noch im 17. Jh. in Eng-
land lebendig war.
— 103 —
nach dem heiligen Lande eben der erste gewesen war, dafs ihm
andere Kriege mit den Sarazenen nicht vorausgegangen waren?
Unser Fi^ment aber etwa gegen die Mitte des Jahrhunderts
heraufzurücken, das verbietet doch entschieden der altertüm-
liche Charakter der Sprache.
Das zweite Bedenken gegen die Ansicht von Gr. Paris ent-
nehme ich der auffälligen Thatsache, dafs Hariulf in seinem
vor 1088, also vor dem ersten Kreuzzug, verfafsten R6sum6
sich über die Nationalität Gormunds und seines 'Heeres nicht
äufsert; denn, wie oben dargelegt wurde, erklärt sich diese
Thatsache am einfachsten durch die Annahme, die von ihm
benutzte sagenhafte Quelle habe die Normannen im Wider-
spruch mit seiner historischen Quelle als Sarazenen bezeichnet
Storm, Kritiske Bidrag , S. 193 und Nyrop-Gorra, Storia
delV epopea franeese, p. 198 (vorher schon Roynania VIII, 280
n. 3) sehen in der Bezeichnung Gormunds als Sarazenen nur einen
epischen Gemeinplatz: „Dafs Gorm im 11. oder 12. Jh. Sara-
zene wurde", sagt Storm, „dazu stimmt vollkommen, dafs die
französische Heldendichtung auch den Longobardenkönig Desi-
derius und den Sachsen Widukind in Sarazenen verwandelte.
Der nächste Schritt war dann, die Sarazenen in Afrikaner zu
verwandeln; denn die Feinde der Franken in Sicilien wie in
Spanien und Palästina waren abwechselnd Araber und Mauren.''
Nyrop meint a. a. 0., die fragliche Bezeichnung dürfe nicht
auffallen, „poicke nel piccolo frammento del poema che d e
rimasto, puö mostrar si un numero non piccolo di luoghi cO'-
rnunij i quali attestano che la redaxione ri7nasta doveva essersi
giä allontanata dalU originale e aver ricevuio diversi tratti
stereotipati dai ritnanenti poemi epici.^^. Er weist auf eine in
der Anglia IV, 384 zitierte Stelle hin, wo von den Normannen
gesagt werde: „Li Sarrasin qui vinrent d'Ängleterre^^, Aber
dafs schon zu Ende des 11. oder zu Anfang des 12. Jh. die
Bezeichnung der Feinde der Christenheit als Sarazenen zu einem
epischen Gemeinplatz geworden war, das müfste eben erst be-
wiesen werden; von den uns erhaltenen Epen geht aulser dem
Kolandsliede bekanntlich keines in jene frühe Zeit zurück. Das
von Nyrop zitierte Beispiel ist sehr wenig glücklich gewählt;
denn jene „Sarazenen, die von England kamen'', sind ja eben
— 104 —
Gormund und Isembard, die Stelle ist entnommen aus der S. 27
erwähnten Genealogie der Grafen von Boulogne, sie beruht also
auf unserem Epos, und Wissmann, der sie a. a. 0. in einer
Abhandlung über den King Hörn anführt, erwähnt ausdrücklich,
der Name der Sarazenen sei auf die nördlichen heidnischen
Völker, die sich dem Seeraub widmeten, erst während der
Kreuzzüge übertragen worden; er merkt an, dafs Geoffroi
Gaimar Danes und Saraxin noch nicht als gleichbedeutend
betrachte.
Von den bisher vorgeschlagenen Deutungen der in Rede
stehenden Thatsache vermag also keine recht zu befriedigen.
Wir werden denn auch im Folgenden sehen, dafs die Er-
klärung in einer ganz anderen Richtung zu suchen ist, in
einer Richtung, in der man sie freilich bisher nicht wohl
suchen konnte. Der Nachweis des historischen Vorbildes für
Isembard wird uns zugleich den Schlüssel liefern zu der sonder-
baren Metamorphose der Normannen Gormunds in Sarazenen
und Afrikaner.
Eine Besprechung heischt nun zunächst noch die Sage von der
Einnahme Cirencesters durch Sperlinge, die, wie wir oben sahen,
höchst wahrscheinlich schon in dem alten Epos enthalten war.
Die Sperlings -Episode; Ceawlln.
Über die Verbreitung der Sage von der Einäscherung einer
belagerten Stadt durch Vögel, denen man kleine Feuerbrände
— brennende Schwämme, Nufsschalen mit brennendem Pech
u. ä. — angebunden hat, handelt kurz schon Steenstrup,
Normannerne I, 24, doch erschöpfen seine Bemerkungen den
Gegenstand noch nicht.
Die betreffende Kriegslist wird aufser von Gormund (Brut
Tysylio, Wace, Layamon, Vita Merlini, Loher und Maller) noch
von einigen anderen Heerführern erzählt; es soll sie nämlich
angewandt haben:
1. nach Gefifrei Gaimar, Estorte des Engles (verf. 1147 — 51),
V. 855 — 72, ed. Hardy und Martin, London 1888, I, p. 35,
Monumenta Historica Britafinica, p. 775, der erste westsäch-
sische König Cerdig (f 534) gleichfalls gegen Cirencester;
— 105 —
2. nach Nestors Russischer Chronik (verf. nicht nach An-
fang des 12. Jh.; ed. Miklosich, Wien 1860), übers, von J. Müller,
Alirussische Geschichte nach Nestor y Berlin 1812, S. 120 ff.
die russische Königin Olga im J. 946 gegen die Stadt Iskorsten
(Nestor, Mönch von Kiew, verarbeitet vielfach skandinavische
Sagen, vgl. Miklosich a. a. 0. p. V);
3. nach Saxo Gramm aticus, Hist Dan, (Ende 12. Jh.),
Buch I, ed. Holder, Strafsburg 1886, p. 24 der Dänenkönig
^2i^t\xig[HaMingus) gegen die Stadt Duna im Hellespont, anläfs-
lich seines Krieges mit dem König Handuvanus (dem Aridvari
der Edda, vgl. Detter, Paul und Braune's Beiträge XVIII, 80);
4. nach demselben, Buch IV, ed. Holder, p. 119 der
Dänenkönig Fridleif „Hadingiani acuminis ingetiium aemu-
laiiis" gegen die Stadt Dublin (Duflynum)-,
5. nach Snorre (1178 — 1241), Harald Haardraades Saga,
c. 6, Konunga-Bokenj öfversatt af Hildebrand, örebro 1871, III,
S. 8, Harald Haardraade (seit 1033 Anführer der Waräger-
schar am Hofe zu Constantinopel, 1047 — 66 König von Nor-
wegen, vgl. Jahresher. /". Oesohichtsivissensch. 5, II, 395) gegen
eine Festung in Sicilien.
Es wäre nun für uns von Wichtigkeit, zu ermitteln, an wessen
Namen die Sage ursprünglich geknüpft gewesen sein mag, ob
an den Gormunds oder an den eines anderen Häuptlings, und
wenn das letztere, von wem sie auf Gormund übertragen wurde.
Zunächst ist die Fassung der Sage in no. 1 und 3 — 5 die
gleiche, wie in den auf Gormund bezüglichen Quellen (unter den
letzteren weicht nur Layamon etwas ab, worüber unten), no. 2
hingegen nimmt eine Sonderstellung ein. Während nämlich dort
die Vögel von den Belagerern eingefangen werden, liefern
hier die Belagerten sie selbst als Tribut
Nestor erzählt, Olga habe nach vergeblicher einjähriger Be-
lagerung der Stadt den Dreviem — den Bewohnern — erklärt,
sie sei bereit, abzuziehen, wenn sie ihr als Tribut drei Tauben
und drei Sperlinge von jedem Hofe gäben; die Drevier seien auf
den Vorschlag eingegangen, Olga habe dann die Vögel in der
bekannten Weise benutzt, um die Stadt in Brand zu stecken. ^
1) Ein wackerer Gelehrter des 18. Jh., Tselin, hat es für nötig ge-
halten, sich auf Grund eines Experimentes über die Glaubwürdigkeit von
— 106 —
Es fragt sich, welche von beiden Versionen die ursprüng-
liche ist: meiner Ansicht nach die erstere. Dafs nämlich ein so
wesentlicher Zug wie der, dafs die Vögel von den Belagerten
selbst als Tribut geliefert werden, sich verwischt haben sollte,
ist m. E. nicht recht wahrscheinlich, für eine bewufste Ände-
rung wäi'e aber ein Grund nicht zu ersehen; andererseits ist
es recht wohl erklärlich, dafs aus jener anderen Version die
Nestor'sche wurde. Es liegt nämlich bei der ersteren offenbar
die Frage nahe: Welche Garantie haben denn die Belagerer, dafe
die von ihnen eingefangenen Vögel gerade nach der belagerten
Stadt fliegen, es könnte ja sein, dafs sie ihren Flug ganz anders
wohin nähmen? Diese Erwägung konnte leicht dazu führen,
dafs man darauf verfiel, die Vögel den Belagerern von den Be-
lagerten selbst als Tribut liefern zu lassen: da die Vögel aus
der Stadt stammen, so fliegen sie natürlich dahin zurück. Aus
diesem Grunde möchte ich denn glauben, dafs die Nestor'sche
Version nicht ursprünglich ist, dafs mithin die Sage auf Olga
erst übertragen wui-de.
Wenn sodann nach Saxo Hasting die Stadt Duna, Fridleif
die Stadt Dublin in der in Rede stehenden Weise eingenommen
haben soll, so macht Steenstrup darauf aufmerksam, dals hier
offenbar eine Verwechselung von Duna und Duflyna, Duna-
bo rg und Duflynaborg vorliege; dafs die Sage von Hasting auf
Fridleif, nicht umgekehrt von diesem auf jenen übertragen
Nestora Erzählung ein Urteil zu bilden; er ist aber zu dem Resultat ge-
langt, dafs alles einfältige Lüge sei: „Vögel **, sagt er, „die Feuer an sich
tragen, können nicht weit fliegen. Ich selbst vereuchte das mit Krähen:
ich band ihnen Feuer an die Füfse, sie drehten sich in die Runde, hoben
sich in die Höhe, fielen aber fast gerade an dem Platze wieder nieder, von
dem sie aufgeflogen waren.'* S. Schlözer, Etiss. Ännalen, Göttingen 1809,
V, 47. Er mufs sich aber wegen seines Unglaubens von Müller a. a. 0.
S. 217 scharfen Tadel gefallen lassen: „Heifst das das Verfahren Nestors
beobachten? Keineswegs; denn nach diesem mufs das Feuer erst allmäh-
lich durchbrennen.'' M. weist unter Berufung auf Hagek, Böhm. Chronik
a. 1422 darauf hin, dafs der Fürst von Molfsen, Heinrich von Plauen, das
gleiche Verfahren gegen die böhmische Stadt Saatz angewandt habe, nur
durch die Vorsichtigkeit der Einwohner sei das Unglück abgewendet wor-
den; er zitiert ferner als einen Beweis des hohen Alters des Verfahrens
Buch der Richter XV, 4, 5 (Simsons Füchse F). Wegen Saatz vgl. auch
Pierer, Universal- Lexikon y 2. Ausg., s. v. Saatz.
— 107 —
worden sei, schliefst er daraus, dafs irische Quellen die Sage
nicht kennen. Ich möchte Steenstrup hier beistimmen, ebenso
bezüglich seiner Ausführungen über Harald Haardraade; als
Bedenken gegen die Annahme, die Sage sei ursprünglich von
ihm erzählt worden, macht er geltend, dafe von den vier bei
Snorre ihm zugeschriebenen Kriegslisten eine sicher von einem
andern nordischen HäuptUng, von Hasting, erst auf ihn über-
tragen worden ist, dafs der Name der eroberten Stadt bei
Snorre nicht genannt wird und dafs die List gegen eine Festung
in Sicilien angewandt worden sein soll.
Es bleiben somit noch Gormund, Cerdig und Hasting.
Die auf Cerdig bezügliche Stelle bei Gaimar ist Steenstrup
unbekannt geblieben, Gormund und Hasting hält er für iden-
tisch — wie oben S. 84 gezeigt wurde, mit Unrecht. Es fragt
sich also noch, wem von diesen dreien die Priorität zukommt.
Die Stelle bei Gaimar lautet folgendermafsen :
Vint e quatre anx dura la guere,
ainz ke Certiz poust conquere
sur les Bretons gueres de chose:
idonc ert Oirecesire close,
mes par la mesguarde as Bretons
fust alum6 par mtissons,
ki feu e suffre dedenx pcrrterent,
et des meissons muh alumerent,
e li seges ki dehors fu,
firent Vasalt par grant vertu.
Donc fu cele cit6 conquise^
e Oloucestre refu prise;
tresk a Saverne tut conquistrent,
tux les meillurs Bretons oscistrent,
e de la mer, u ariverent,
tresk'a Saverne, a eis tumerent
tut fe pais, et le regn4,
e les Bretons en unt chasc4.
Vergleicht man diese Stelle mit dem auf Gormund bezüg-
lichen Passus bei Galfrid von Monmouth, so wird man nicht
— 108 —
zweifeln, dafs zwischen beiden ein Zusammenhang besteht:
entweder Gaimars Erzählung beruht direkt auf Galfrid, den er
anerkanntermafsen benutzt hat, oder aber, sie geht mit der
Galfrids in letzter Linie auf die ' gleiche Quelle zurück. Im
ersteren Falle müfsten mir annehmen, Gaimar habe erkannt,
dafs Careticus mit dem Cerdig der Angelsächsischen Chronik,
einer seiner Hauptquellen, identisch, desgleichen, dafe die Er-
zählung Galfrids von einem Kriege Gormunds, den er später
richtig ins 9. Jh. versetzt, gegen Careticus unhistoriseh ist, er
habe deswegen dem Careticus, von dessen Kriegen gegen die
Briten die Angelsächsische Chronik berichtet, die Kolle Gor-
munds zugewiesen und die Erzählung von der Einnahme
Cirencesters durch Sperlinge, wie Brut Tysylio und Wace, aus
einer anderen, mündlichen oder schriftlichen Quelle entnommen.
Im andern Falle — wenn die Erzählung Galfrids und Gaimars
auf die gleiche QuoUe zurückgeht — müfsten wir annehmen, die
Sage von der Einnahme Cirencesters sei ursprünglich an Cer-
digs Namen geknüpft gewesen, sie sei erst von ihm auf Gor-
mund übertragen worden und Gaimar habe uns, doch wohl
auf Grund einer alten schriftlichen Quelle — Gaimar hat Quellen
benutzt, welche uns unbekannt sind — gegenüber Galfrid jene
ältere Fassung der Sage aufbewahrt Es fragt sich, für welchen
von den beiden Fällen wir uns zu entscheiden haben: ich
denke doch, für den letzteren. Da wir nämlich doch einmal
genötigt sind, der Sperlings-Episode wegen, für Gaimar neben
Galfrid von Monmouth eine zweite Quelle anzunehmen, so
liegt es jedenfalls viel näher, auch die übrigen Abweichungen
Gaimars von Galfrid eben auf die Benutzung jener anderen
Quelle zurückzuführen, als in ihnen willkürliche Änderungen
zu erblicken, die Gaimar an der Darstellung Galfrids vor-
genommen habe. Sodann spricht für die Unabhängigkeit
Gaimars von Galfrid sehr entschieden die folgende Erwägung.
Gaimar berichtet, dafs Cerdig aufser Cirencester auch
noch Gloucester eingenommen habe; nun meldet die
Angelsächsische Chronik zum J. 577, dafs eben diese beiden
Städte, dazu eine dritte Stadt, Bath, der westsächsische
König Ceawlin, Cerdigs Enkel (560 — 593), im Bunde mit
einem anderen sächsischen Fürsten, Cuthwin, eingenommen
— 109 —
habe.^ Dieses Zusammentreffen kann doch unmöglich auf
einem Zufall beruhen; wir werden annehmen müssen, dafe
eine Verwechselung Cerdigs und Ceawlins vorliegt Dafs nun
nicht etwa Gaimar selbst sich dieser Verwechselung schuldig
gemacht hat, das ergiebt sich daraus, dafs er später, V. 993,
aiif Grund der Angelsächsischen Chronik die Eroberung eben
jener drei Städte durch Ceawlin berichtet. Die Verwechselung
mufs also schon in seiner Quelle vollzogen gewesen sein, die-
selbe muls die Eroberung Cirencestei's und Gloucesters dem
Cerdig zugeschrieben haben.
Ist dem nun so, dann mufs die Gaimar'sche Version zu-
gleich als die ursprüngliche betrachtet werden, da ja Cerdig um
350 Jahre älter ist als Gormund und Gaimars Erzählung, inso-
fern Cerdig wie Ceawlin ein sächsischer Fürst war, der Ge-
schichte näher steht als die Galfrids, der die Eroberung Ciren-
cesters Gormimd, dem Dänen, zuschreibt; dann ist also jene
Kriegslist erst von Cerdig auf Gormund, und dann von diesem
auf die übrigeii nordischen Häuptlinge übertragen worden. Da
nun, wie aus Gaimars Darstellung hervorgeht, die Einnahme
Cirencesters auf Cerdig selbst erst von Ceawlin übertragen
worden war, so ist es gewifs einigermafsen wahrscheinlich,
dafs das gleiche gilt bezüglich der Art und Weise, wie die
Stadt eingenommen worden sein soll, dals also auch jene Sper-
lingslist urprünglich an den Namen Ceawlins geknüpft war.
Die Filiation wäre dann also die folgende:
Ceawlin
^ I
Cerdig (Gaimar)
I
Gormund (Brut Tysylio etc.; Galfrid)
^1 h 1
Olga Hasting Harald Haardraade
Fridleif.
1) Earle, p. 18: A. 577. Her Ctißwine and Ceawlin fiihton wiß
Brettas . and hie III kyningas ofslogon. Commail and Condidan and
Farinmail . inpcere stowe pe is gecueden Deorham . and genamonlll ceastra
Oleawan ceaster and Cirenceaster and Bapan csa^ter.
Dafe die Einnahme Cirencesters von der Angelsächsischen Chronik
dem Ceawlin zugeschrieben werde, hat gelegentlich einer Kritik der auf
— 110 —
Dafür nun, dafs die Sage jedenfalls in England zu Hause,
dafs sie angelsächsischen Ursprunges ist, scheint mir auch die
folgende Beobachtung zu sprechen.
Layamon, der englische Bearbeiter des Wace, der aber,
wie wir wissen, aufserdera vielfach die Volkssage benutzt hat
(vgl. S. 20), weicht bezüglich eines Punktes in der Erzählung
der in Rede stehenden Episode von allen übrigen Denkraälem,
die uns dieselbe überliefern, ab. Während nämlich sonst
stets die Belagerer selbst es sind, welche die Kriegslist
ersinnen, erscheint bei Layamon als ihr Urheber ein fremder,
heidnischer Mann, von dem keine andere Quelle etwas
weifs.
„Als Gormund und seine Mannen — heiM es — eines
Tages [während der Belagerung Cirencesters] fröhlich waren
und trunken von Wein, da kam ein heidnischer Mann (an
heäene mon) — verflucht sei er! — und fragte nach König
Gormund. „Sage mir, Herr Gormund, — Du bist ein mäch-
tiger König — wie lange willst Du noch liegen um diese
Burg? Was willst Du mir geben, wenn ich Dir die Burg in
die Hände liefere und alles was darin ist. Deinen Willen zu
thun, so dafs nichts übrig gelassen wird, alles sollst Du be-
sitzen." Da antwortete Gormund, der mächtige heidnische König:
„Ich will Dir eine Grafschaft geben, immer zu besitzen, unter
der Bedingung, dafs Du mir rasch die Burg überlieferst." Dies
wurde verabredet — wenige Menschen wufsten darum. Dann
stand der heidnische Mann auf und suchte Netze, die eng ge-
woben waren, und Werkzeuge dazu, und schnitt sie sehr eng;
davor schüttete er Futter, Spreu und Hafer, so richtete er es
aus. Und Sperlinge kamen heran und auf den ersten Zug fing
er ihrer viele; und er nahm sie behutsam vom Grunde, so
dafs ihre Kttige nicht beschädigt wurden. Dann suchte er
Nulsschalen, und nahm die Kerne heraus, und nahm Zunder
und liefs ihn in die Schalen thun, und that, bevor es Nacht
Gormund bezüglichen Überlieferungen schon Usser, Britannicarum Ecele-
siarum Antiquitates, Dublin 1639, p. 569 bemerkt: j,Verum in Anglo-
sttoconum anttquioribus historiis non modo de Ourmundo isto altissimum
est silentium, sed etia/m captae Cireeestriae et domttonim Britonum inte-
gra laus Oecidentalium Saxonum regt Geaulino tribuiturJ'
~ 111 —
wurde, Feuer hinein, diese band er den Sperlingen an die
Füfse und liefs sie fliegen, viele Sperlinge." Die Sperlinge
fliegen nun in die Stadt, lassen sich in den Dachrinnen und
auf den Kornböden nieder und stecken die Stadt in Brand,
die den Belagerern eine leichte Beute wird (Layamon, Bruty
ed. Fr. Madden, t. III (London 1847), S. 170, 7. 21 bis S. 174,
V. 14). Von dem heidnischen Manne ist weiter nicht mehr
die Rede.
Es ist nun klar, dafs es mit diesem geheimnisvollen Fremd-
ling, der plötzlich in Gormunds Lager auftaucht und ihm zum
Siege verhilft, irgend eine besondere Bewandtnis haben mufs;
r/g Ttöd-ev elg ävdQCJv; Ttö&i toi TtöXig '^de rox^eg; möchte
man ihm zurufen — Layamon erteilt uns darüber keinerlei
Auskunft. Ich halte es nun für wahi-scheinlich, dafs wir in
ihm keinen anderen zu erkennen haben als Odin, den germa-
nischen Kriegsgott, selbst. Sein Auftreten entspricht durchaus
dem Charakter Odins, wie ihn uns die Sagen der nordischen
Völker zeigen:
Odin ist zunächst der Gott des Krieges und selbst Krieger,
er ist der oberste Leiter aller kriegerischen Unternehmungen,
hat den Sieg in Händen und steuert die Seinen mit sieg-
bringenden Waffen aus; er ist deshalb der Gott der Fürsten,
die von ihm ihre Herkunft ableiten^; auf dem Schlachtfeld lehrt
er neue Schlachtordnung und kämpft selber mit. Er ist aber
zugleich der Gott aller List, oder, nach dem Ausdruck eines
christUchen Schriftstellers , der Gott aller Diebereien und Betrüge-
reien. ^ Er ist dann weiterhin ein unermüdlicher Wanderer,
er nimmt als solcher die verschiedensten Gestalten an und
besucht unerkannt die Heimstätten der Menschen: er erscheint
als Knecht, der sich als Emtearbeiter verdingt, als Fährmann,
als greiser Skalde, als Wanderer, der von den Königen dw
Vorzeit erzählt u. s. w.; als ankommender Fremdling weicht er
gerne der Angabe seines wahren Namens aus und legt sich
einen solchen bei, der allgemein den Wandersmann, den Her-
bergsuchenden, den Unbekannten bezeichnet.^ So erscheint er
1) E. Mögt in Pauls Orundrifs der germ. Philol. I, 1075 f.
2) Mogk ib. S. 1080.
3) Uhlaud, Schriften xur Oesek, u. Sage, B. VI, 305.
— 112 —
in menschlicher Gestalt dem Dänenkönig Hrolf kraki und er-
bietet sich, ihm Helm und Paozer zu schenken; dieser aber
erkennt den Gott nicht und verweigert die Annahme, was zur
Folge hat, dafs das Kriegsglück ihn verläXst^
Wie man sieht, ist die Rolle, die der heidnische Mann
bei Layamon spielt, ganz im Charakter Odins gehalten: Er
taucht als ein Unbekannter plötzlich auf, wir erfahren nicht,
woher er kommt und wer er ist, er beweist sich als der Freund
Gormunds des Fürsten, als der Listenkundige und als der
Siegverleiher. Durch die Annahme, der Fremdling sei Odin,
gewinnt die Layamon'sche Fassang überhaupt erst einen Sinn;
denn andernfalls wäre es durchaus nicht einzusehen, wie die
Sage dazu gekommen sein sollte, zum Urheber der siegbringen-
den üst statt, wie es doch am nächsten lag, Gormund selbst,
einen mit der Erzählung sonst in gar keinem Zusammenhang
stehenden fremden Mann zu machen.
Trifft nun diese Annahme zu, dann ist die Layamon'sche
Fassung der Geschichte ihres mythologischen Charakters wegen
sicher die älteste, die ursprünglichste, dann repräsentieren die
anderen Versionen, welche von einem Eingreifen Odins nichts
mehr wissen, eine jüngere Stufe der Sagentradition.
Nun spricht gewifs einige Wahrscheinlichkeit dafür, dafe
die Sage da zu Hause ist, wo sie uns in ihrer ursprünglichsten
Gestalt entgegentritt. Deshalb möchte ich aus der Layamon'-
schen Version den Schlufs ziehen, dafs die Sage aus England
stammt — eine Annahme, deren Wahrscheinlichkeit erhöht
wird durch die Thatsache, dafs Odin gerade bei den Angel-
sachsen hoch verehrt wurde ^ und dafs die Angelsächsische
Chronik den Stammbaum der einheimischen Fürsten ausdrück-
lich auf Odin (Wodeii) zurückführt. ^
1) Mannhardt, Die Oötterwelt der deutsch, u. nord. Völker I, Berlin
1860, S. 163.
2) Vgl. Kemble, The Saxons in Engla9id, London 1849, I, 338.
3) Vielleicht war eben der Umstand, dafs Odin in der in Rede stehen-
den Geschichte als der Freund des Helden auftrat, der Anlass, dafe sie
auf Hasting übertragen wurde. Hasting erscheint nämlich bei Saxo als der
besondere Liebling Odins. Er ist es — grandaevus forte quidam altero
orbus oculo — , der den jungen Hasting der Einsamkeit entreifet und ihm
— 113 —
Im Hinblick auf das Gesagte möchte ich also annehmen,
dafs die Geschichte von der Einäscherung Cirencesters durch
Sperlinge ursprünglich an den Namen Ceawlins geknüpft war,
dafs sie von ihm auf Cerdig und von diesem wieder auf Gor-
mund übertragen wurde; der Grund der Übertragung der Ge-
schichte von Cerdig auf Gormund dürfte zu suchen sein in
dem einjährigen Aufenthalt Guthorms und seines Heeres bei
Cirencester, aus dem die Sage leicht eine Belagerung der Stadt
machen konnte.
Isembard ,,11 Margavi^".
Dafs wir, wie in Gormund, so auch in Isembard, dem eigent-
lichen Helden unseres Epos, nicht etwa eine freie Schöpfung
der dichterischen Phantasie, sondern das poetische Abbild einer
ganz bestimmten historischen Persönlichkeit zu erblicken haben,
darüber kann von vornherein ein Zweifel nicht bestehen. Frag-
lich mufs es nur erscheinen, ob wir bei der grofsen Lücken-
haftigkeit der historischen Überlieferung jener Zeit auch im
Stande sein werden, die Persönlichkeit, welche für ihn als
Modell gedient hat, ausfindig zu machen.
Dafs das, was wir aus Geschichte und Urkunden über
den gleichnamigen Grafen von Mäcon, den Sohn des Warin,
erfahren, uns in keiner Weise zu der Annahme berechtigt, der-
selbe habe in der Geschichte eine auch nur entfernt ähnliche
Bolle gespielt wie Isembard in unserem Epos, das wurde oben
des nähern dargelegt. Wir müssen nun aber bei einem Punkt
deu Piraten Lysis als Genossen zufühi-t. Als beide in einer Schlacht be-
siegt werden, da nimmt wieder Odin sich seiner an, er hüllt ihn in seinen
eigenen Mantel, führt ihn auf seinem Rofs mit sich in seine Wohnung und
stärkt ihn durch einen Zaubertrank. Als Hasting später zu Felde zieht
gegen die Männer von Perm , da erscheint er abermals und lehrt ihm eine
neue Schlachtordnung, auch nimmt er selbst am Kampfe Teil, indem er
eine Armbrust handhabt, welche zehn nie fehlende Pfeile auf einmal ab-
schiefst. Als die Gegner durch Zauberkunst ein Regenwetter herauf-
beschwören, da vertreibt er es durch eine Gegen wölke, und als Hasting
Sieger geblieben ist, da prophezeit er ihm die Art seines Todes. Dabei
erscheint der Gott stets als ein geheimnisvoller, unbekannter, bejahrter
Mann, sein Name wird nirgends genannt (vgl. Saxo, Historia Danioa).
Zenker, Das Epos von Isembaid etc. 8
— 114 —
noch etwas verweilen , der oben noch nicht zur Sprache gebracht
wurde. Es ist nämlich doch eine höchst auffallige Thatsache,
dafs Isembard, der in der ältesten uns bekannten Version
unseres Epos, in dem Brüsseler Fragment, als der Sohn eines
gewissen Bemard erscheint, in den beiden jüngeren, durch
Mousket und den Loher und Maller repräsentierten Versionen
genau wie der historische Isembard bezeichnet wird als Sohn
eines Warin, eines Warin, der freilich nicht Graf von Mäcon,
sondern Herzog von Ponthieu ist. Wie ist diese sonderbare
Thatsache zu erklären?
Nun ist weiter zu bemerken, dafs auch die Sage im 9. Jh.
bereits einen Isembardtis filius Warini kennt. Der — wahr-
scheinlich mit Notker Balbuhts identische ^ — Möncli von
St. Gallen berichtet nämlich in seiner sagenhaften Geschichte
Karls des Grofsen, B. II, cap. 8 Folgendes ^r
Zu der Zeit, wo die Gesandten der Perser an seinem Hofe
weilten, sei Karl der Grofse eines Morgens zur Jagd auf
Wisende und Auerochsen in den Forst gezogen und habe seine
Gäste mitgenommen. Als diese jedoch der gewaltigen Tiere
ansichtig wurden, seien sie entsetzt geflohen. „Aber Karl der
Held erschrak nicht, sondern, auf seinem mutigen Rosse sitzend,
näherte er sich einem von ihnen, zog sein Schwert, und ver-
suchte, ihm das Haupt abzuhauen. Aber der Hieb mifslang
und das furchtbare Tier zerrifs dem König Stiefel und Hose,
und sein Bein treffend, obgleich nur mit der Spitze des Hernes,
lähmte es etwas seine Schnelligkeit und entfloh, durch die ver-
gebliche Wunde gereizt, in eine sichere, durch Baumstämme
und Felsblöcke geschützte Schlucht. Und da nun zum Dienste
des Königs fast alle ihre Hosen ausziehen wollten, verliinderte
er sie daran mit den Worten: „In solchem Zustande mufs ich
zu Hildegard kommen." Isambard aber, der Sohn Warins,
1) Vgl. Jahresbericht für Qeschichtstcisse'nsckaftj 1890, 11, 17.
Baechtold, Gesch. der deutsch. Litt, in der Schicehj Frauenfeld 1892, S. 28.
2) Pei-tz, aSaS'. II, 751; Bouquet, EecueilY^ 125; Migne, Patrologiae
cursusj Series latina, t. 98, 1405. Ich zitiere Dach der Übersetzung von
Wattenbach, Der Mönch von Sankt Oallen über die Thaten Karls des
Grofsen , Berlin 1850 , in Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit,
B. Xm, S. 47.
— 115 —
des Verfolgers eures Schutzheiligen, des Othmar
{Isambardy filius Warini, persecutoris patronis vesiri
Oihmari)^ erreichte das Tier, und da er nicht näher heran-
zudringen wagte, durchbohrte er mit der Lanze sein Herz
zwischen Hals und Schulter und zeigte das noch zuckende Tier
dem Kaiser. Der that als bemerke er es nicht, liefe das Wild
seinen Gefährten, kehrte nach Hause, rief die Königin und
zeigte ihr die zerrissenen Hosen mit den Worten: „Was ver-
dient der Mann, welcher mich von einem Feinde, der mir das
gethan, befreit hat?" Und da sie erwiderte: „Alles gute", er-
zählte der Kaiser ihr alles der Reihe nach, und die ungeheuren
Homer als Wahrzeichen ihr vorlegend, bewegte er die Herr-
scherin zu Thränen und Seufzern, und dafs sie an ihre Brust
schlug. Als sie nun gehört hatte, dafs der damals verhafste
und aller Ehren beraubte Isambard {t7inc odibilis et ctmctis
honoribüs exspoliatus Isambardö) den Kaiser an solchem Gegner
gerächt hatte, warf sie sich diesem zu Füfsen und erlangte für
Isambard alles zurück, was ihm genommen war, auch fügte sie
selbst noch Geschenke hinzu."
Bekanntlich hat das Werk des Mönches von St. Gallen auf
historische Glaubwürdigkeit keinen Anspruch, sondern trägt
bereits sagenhaften Charakter. Dafs dieser sich auch in der
vorliegenden Geschichte bethätigt, ergiebt sich schon daraus,
dafs Karls Gemahlin Hildegard längst tot war, als Gesandte
Harun -al- Raschids zuerst an seinem Hofe weilten, sie starb
783 im Alter von 26 Jahren.
Wie verhält sich nun der hier genannte Isambard, filius
Warini, zu dem gleichnamigen Grafen von Mäcon und zu dem
Helden unseres Epos? Sein Vater Warin wird bezeichnet als
„der Verfolger des heil. Othmar"; dieser ist eine historisch
nachweisbare Persönlichkeit, er wird genannt in Urkunden
vom J. 754 — 771 als Graf des Thurgau, in einer solchen vom
J. 764 als Graf des Linzgau i, er erscheint zweimal unter den p^*-
r/xa^es Karlmanns 2, war 772 mit seinem -Bruder Ruodhart Statt-
1) Pertz, SS, II, 43.
2) Ann. Lauriss. a. 771 bei Pertz, SS. I, 148. Einh, Ann, a. 771,
ib. I, 149.
8*
- 116 —
hHlIni* AIpmiinnionH' und Hturb im J. 774.* Von den Mifs-
hinHllnUfrnn, din dpr lioil. Othinar, Abt von St Gallen (f 759)
\\\\\v\\ ihn und lluodltHri zu orduldcn hatte, berichtet die Vita
iV Ohiitfn doH Widafrid cv •!.•* Ist somit jene Angabe des
M\\holm «idh^Hond, ho kann dor Hold seiner Erzählung offen-
U\v \\\'\\ \W\\\ Ut^nlmni dos Jahros 849 nichts zu thun haben.
OrtH»^^'^* abor, dals tlor Mönoh otwa jene beiden Warins ver-
NMH^hKoU Imbou \\\\i\ dit> i^osohiohto ursprünglich an den Namen
j\^U\^K at\d<^n^n l8on\banl ji^^knüpft gowesen sein sollte — Karl
dov l<'^^\^»o konnto ja at\ dio Stollo eines seiner Nachfolger ge-
t<>Men H\^n^ , da,4ti^*rxM\ sprioht. was wir über die Entstehung
der ^Mvv^^luohh^ d^vv Monohs wissiHi: derselbe erklärt nämlich
ÄUvhAVklü^b. er l^^be das. w^is er im 2. Buche« in dem sich
unv>Mv KvyÄlduujr findet, ülvr die TliÄten Karls des Greisen
K^Hohtol. xenu^nuiuM^ aus deu> Mur.de eines alten Kriegsmannes
Nx^m^M^,^« AdAUvii. der seinen Herm GeroM ^-^ 799) anf den
^'fij^i^ l^>^^n d:o Hunnen. \\ enoer* ;;Tiii S^i^-^h^n begleitet habe,
i\^ \x;v rr,v, ;^vl;; lv^;\vhr«i:t sir,^,. r;; bcxweifeln, da& eb«i
o:,vsvv V.>Ä Jvvt Ä;;oh *5o: iVx\Ährsn^*r.T. fiir liie in Kede stebende
^;>,\vvb?o)^r<^ c«'\xvv\.r, is^. ^"^ *i5^;:'^o ;>s k*r,rr. anpebfn. den Liem-
^^-\Sa,%»- \*iv^>'»iv i>i»u'» \sv. j, 7<r: Kfcrts ft<^ wrcitMai bereust.
Vir K\^v^^-. >ÄM-v, <v'^jjVr. .'i. o.T, - SOf nnd Sil in der
> lO •».■s •i.'v^^x :t*.i^-4* ;>. *N ;.A ::Tr nmec den Gkrofeen.
^;.s >.v». M -v-. V .iM^r ." y*. o V>aü. nui: des- llroiiiis
-x \*. 'S Sc'.;'.-! » -. ^»^'vv -• >5.'^v ^-- -.,M i«äK^t. wrr ihfiiiiBrkd
<,-'-•.* "i N.'\* •■". V ■ . -. "ü l'i i - •- X ."1 S . :*- "i "- -.'l". ?S V annS TflJH Jkfc"
— 117 —
einen Warin zum Vater hatten, würde sich sehr natürlich er-
klären durch die Annahme, dafs sie in direktem Descendenz-
verhältnis standen und der Name des Grofsvaters beide mal
auf den Enkel übergegangen war; soweit ich sehe, steht auch
dieser Annahme ein Bedenken nicht im Wege.^
Es bleibt dann die weitere Frage zu beantworten: Wie
verhält sich der Isembard des Mönchs zu dem Helden unseres
Epos? Sind beide vielleicht identisch, wäre also das geschicht-
liche Yorbild für letzteren in einer Persönlichkeit zur Zeit
Karls des Grofsen zu erblicken, vielleicht eben in dem er-
wähnten Isembard des J. 809? Es ist klar, dafs diese Frage
aufs entschiedenste verneint werden mufs. Einen Zug haben
die beiden zwar gemein: Beide sind bei ihrem Herrn, einem
fränkischen König, in Ungnade gefallen, beide sind odibiles et
cunctis honoribus exspoliati. Aber alles übrige, was uns von
ihnen berichtet wird, ist total verschieden, und es ist durch-
aus nicht einzusehen, wie aus Isembard, dem Sohne Warins,
der, am Hofe Karls des Grofsen lebend, bei einer Jagd Ge-
legenheit hat, die verscherzte Gunst des Kaisers wiederzugewin-
nen, Isembard, der Sohn des Bernard, hätte werden sollen,
der, aus Frankreich vertrieben, als Renegat und Anführer eines
Barbarenheeres in einer Schlacht gegen den westfränkischen
König Ludwig seinen Tod findet.
Wie verhält sich nun aber die Thatsache, dafs Isembard
in den jüngeren Fassungen unseres Epos aus einem Sohne
Bemards zu einem Sohne Warins geworden ist, zu der anderen,
dafe im 9. Jh., bezw. im 9. und zu Ende des 8. Jh., wirklich
zwei Persönlichkeiten dieses Namens gelebt haben, die beide
Söhne eines Warin waren? Sollte zwischen diesen beiden That-
sachen gar kein Zusammenhang existieren? Ich kann mich
doch kaum entschliefsen, das anzunehmen. Aber ich gestehe,
dafs ich zu einer befriedigenden Lösung des Rätsels nicht ge-
langt bin. Nur zwei Möglichkeiten einer Erklärung scheinen
sich mir darzubieten. Entweder es haben schon zu einer sehr
1) Geschichtlich ist über die nächsten Nachkommen "Warins von Ale-
mannien nichts bekannt, vgl. Orandaur, Eine alte Genealogie d. Weifen in
Geschichtschr. d. deutsch. Vorxeit, Lief. 66, Leipzig 1882.
— 118 —
frühen Zeit zwei in einzelnen Punkten von einander abweichende
Versionen unseres Epos existiert: eine, die ursprünglichere, in
der der Held als Sohn Bemards bezeichnet wurde, und eine
andere, in der er zu einem Sohne Warins gemacht war, sei es
infolge einer Identifikation mit dem historischen Grafen von
Mäcon, sei es infolge einer Verwechselung mit dem Helden
der beim Mönch von St Gallen uns aufbewahrten Sage. Diese
Sage könnte möglicherweise ja auch in epischer Form existiert
haben; dafs sie uns vom Mönch nur unvollkommen überliefert
wird, ergiebt sicli ja sclion aus dem Umstände, dafs wir über
die Vorgeschichte Isembards, über die Gründe, weshalb er in
Ungnade gefallen und aller seiner Güter beraubt war, nicht
unterrichtet werden. Auf die erstgenannte Version ginge das
Fragment, auf die andere die Vorlage Mouskets und des Loher
und Maller zurück. Eine zweite Möglichkeit wäre die, dafs
die Vertauschung Bernards mit Warin auf gelehrtem Einflufs
beruhte, dafs sie durch direkte Benutzung der Geschichte des
Mönchs von St. Gallen von Seiten eines Uberarbeiters des Epos
veranlafst wäre. Beide Annahmen scheinen mir aber gleich
bedenklicli und ich mufs es denn dahingestellt sein lassen,
wie die in Rede stehende sonderbare Übereinstimmung zu er-
klären sei.
Ich komme nun auf den Punkt zurück, von dem wir
ausgingen , nämlich auf die Frage nach dem historischen
Vorbild unseres Helden. Durchmustern wir die Geschichte
Frankreichs im 8., 9. und 10. Jh., so begegnen wir einer Per-
sönlichkeit, welche als solches irgend in Betracht kommen
könnte, nicht. Dagegen müssen wir nun bei einer Persönlich-
keit des 11. Jh. einen Augenblick verweilen. Isembards Vater
wird bei Mousket und im Loher und Maller als Graf von Pon-
thieu bezeichnet — im alten Epos kann er, wie wir sahen, das
nicht gewesen sein, da dort als HeiT von Ponthieu ein ge-
wisser Ernaut erscheint. Nun hätte nach dem Ä7i de verif,
les dates, t. XII (1818), p. 319, Bouquet, Remeil XI, 768,
Reg. und Mas Latrie, Tresor de Chronologie, Paris 1889,
p. 1584 im 11. Jh. in der That ein Graf von Ponthieu dieses
Namens existiert. Bouquet führt Enguerrand L, den Sohn
Hugo 's L, auf als „Ingelranniis, Angelramms, seu Isernbar-
— 119 —
dus, Abbatisvillae et Pontivi Comes, fiUiis Hugonis
Pontivi ComitiSy und der ^r^ und MasLatrie geben an, En-
guerrand habe den Beinamen Isambart geführt. Dies wäre
nun offenbar eine höchst beachtenswerte Tliatsache. Sehen wir
indefs näher zu, so stellt sich heraus, dafs jene Angabe an
allen drei Orten lediglich auf einem Irrtum ihrer gemeinsamen
Quelle beruht. Unter den von Bouquet a. a. 0. registrierten
Stellen ist nämlich nur eine, welche Enguerrand den Namen
Isembard beilegt, imd zwar ist dies eine Stelle aus Wilhelm
von Malmesbury, Gesta Regum Anghriim, B. III, § 232,
Bouquet XI, 179; ed. Stubbs, t. II, p. 289. Der englische
Historiker erzählt hier, es habe sich gegen Wilhelm von der
Normandie dessen Oheim, Wilhelm, Graf von Arques, empört.
Der Herzog habe seinen Oheim erst in Arques belagert, als
aber dann der König von Frankreich zur Unterstützung des
Empörers herannahte, sei er abgezogen, doch habe er einige
seiner Grofsen zurückgelassen, damit sie dem König die Stirn
böten: quormn ashitia insidiis exeeptus [sc. rex: die Konstruk-
tion ist hier sehr mangelhaft], Isembardum [= Ingelrannum]
Pontivi comiiem coram se obtruncari, Hugonem Pardulfum
eapi 7ne)'ito ingemuit. Auf eben diesen Wilhelm von Malmes-
bury nun beruft sich als Quelle für seine Angabe auch der
Art d. ver. l. d., wenn er angiebt: Enguerrand werde Isambart
genannt „par le coiitiniiateur de Vhistoire de Bede^\ und was
Mas Latrie betrifft, so kann es keinem Zweifel unterliegen,
dafs er seine Angabe wieder ausschliefslich aus dem Art ge-
schöpft hat. Der ganze Abschnitt nun, dem das betreffende
Kapitel angehört, § 229 — 238, beruht ausschliefslich auf
Wilhelm von Poitiers, vgl. Stubbs, t. II, Pref. CXII; bei diesem
aber findet sich der Name Isembard nicht, er erwähnt nur einen
„Ingelran7ius^ Pontivi coines^^.^ Da nun der in Rede
stehende Name auch sonst, soweit ich sehe, für Enguerrand
nirgends bezeugt ist, so werden wir annehmen dürfen, dafs er,
wie im Art d. ver. l. d., so auch im Register bei Bouquet
ausschliefslich entnommen ist aus Wilhelm von Malmesbury
und dafs er bei diesem beruht entweder auf einem Versehen,
1) Duchcsne, Hist. Norm. Scriptores, p. 185.
~ üfl —
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4a lux f/*xfrir U,h y/r^tn 'U fj/n ^h^tUau. [fafH^.iri *? rtm^fa hiem^r'i de
*'MU'. //*r//y//> «w r^twr»/, are^ Oaramr/nd. ff^ttr^ U fU\^ dframi fcnr
YfUfft/mUrt'. f'ffiifMA *U iourn ^ *U rtoßraUUa f:r*:9ULU.€i ^jmmt iotttts U^ amirts
Mß^uy^H //e fA ttmpK, Ayrtn taroir rtduit en t*ndrti, H masfatrt toms
Uit! reltf/üv/rf U aUaqvji U thal^jxu fh la FertA. et e'est hi qm'ü anrait
i',U iiAHf fiinni ////« U roi Sf/rmand, de. la main de LohU^ qni s'etaii
/cmfrreß!ü4 </« rentr au Kef^mm fUji moitie^ are*: ttne formidabte armee,
l/i iraMiifm raitjtf/rU ffu! Inam^jdrd fut enierre pre^ de ee Heu, derriere
l/i hmtif tru. l'tm toU en^'j/re, aujourd'hui, en effei. un tertre que la cuitttre
fiffa/e /'/f/i//ti^. jof/ff ei ffu'f/n appelle U/mfje d' Isambard,
//^ liAijUf'nnvd d' Inamhard, irritn de sa perie, ajoutent les memes
t'kfimifiueH f raUta Uh (UiHwjf/jinH , excita leur rage, et, malgre la plus
t/hc, f/'nUffi/nfe, pfi/rvini k repren/lre U chäteau. Äfin de perpetuer le
Hoantmir dv. la cofuLuüe, thtH nußinea, U exigea que iun d^eux se rendtiy
t'haqw. wmU'./if In, tutrdd', au i-jm et une iorche ä la main sur le pont-lecis
— 121 —
Danach gewinnt es nun den Anschein, als ob wir über-
haupt darauf verzichten müfsten, das historische Vorbild Isem-
bards — das doch sicher existiert hat — ausfindig zu machen.
Indessen haben wir einen Punkt noch nicht ins Auge, gefafst,
der doch möglicherweise von Bedeutung sein könnte für die
Frage, welche uns hier beschäftigt: Isembard führt in unserem
Fragment den stehenden Beinamen ,yli Margarix^^^, Welche
Bewandtnis hat es mit diesem Beinamen, was bedeutet er?
Sollte er uns nicht vielleicht einen Fingerzeig geben, wo wir
das geschichtliche Vorbild unseres Helden, nach dem wir bis-
her vergeblich gefahndet haben, suchen dürfen, uns auf die
Spur weisen, welche ans Ziel führt?
Sehen wir zu, was sich über Bedeutung und Herkunft
des Beinamens ermitteln läfet
Heiligbrodt in seiner Ausgabe des Fragmentes, Anm. zu
V. 422, äufsert sich über die Bedeutung des Wortes Margarix
nicht, er begnügt sich mit einem Hinweis auf die in der J2o-
mania V (1876), 380 veröffentlichte Eecension von G. Paris
über Schelers Ausgabe des Fragmentes. Aber G. Paris er-
klärt* dort nur, die von Scheler acceptierte, auf Mousket
(Bartsch Sp. 431, 18 — 21) beruhende Deutung Reiffenbergs:
Margari = „gm a eU sauv6 ä son malkeur'^ (= mar-gari)
-•-.«aai falsch — worüber natürlich kein Zweifel bestehen kann;
positiv spricht er sich nicht aus, er beschränkt sich auf die
Bemerkung, eine Erklärung des Wortes würde „eine Studie
für sich'' erfordern.
Godefroy, Dictionnahx s. v. legt margari zwei verschie-
dene Bedeutungen bei: 1. arniral, chef d'une flotte; 2. r^nä-
gat Für Bedeutung 1 bringt er als Belege bei drei Stellen
aus unserem Fragment, ferner zwei Stellen aus dem Partkeno-
peus von Bhis p. p. Crapelet: V. 8973 Ferant ahit le mar-
du ehäteaUj pour y jurer^ au nom de ses cmifrereSj qit'ils ne trouhleraient
point les cendres d'Isambard. Cette humiliante cerenomie, qui subsisia
jusqu'en 1762, avait Heu la vieille de la feie de St. Riquier, epoque ä
laquelle ort nommait dans ceite ville un maire dont les fonctions ne
duraient que trois jours. Ce maire se transportait sur le pont du chä-
teau pour y preter le serment que sa Charge exigeaitf et reccvait ensuite
celui des moines.
— 122 —
gari und V. 9775 La u li vmgaris gisoit, sowie eine Stelle
aus den handscliriftlichen Faifs des Romains (Richel. 23083,
f. 122''): Ociavmx, uns margaris, qui estoit amis Pompee, Für
Bedeutung 2 führt er nur eine Stelle aus dem Mousket'schen
R6sum6 unseres Epos auf. Er merkt aufserdem an, dafs das
Wort im Rolandslied als Eigenname vorkommt, ed. Müller,
V. 955: Ciirant i vint Marganx de Silnlie.^
Aus dem Gesagten ergiebt sich zunächst, dafs die von
Godefroy getroffene Unterscheidung zweier verschiedener Be-
deutungen des Wortes in den von ihm citierten Belegstellen
nicht begründet ist; denn die Bedeutung von margari ist bei
Mousket, aus dem allein er die zweite Bedeutung belegt,
natürlich dieselbe, w4e in dem von Mousket analysierten Epos,
aus dem drei der Belegstellen für Bedeutung 1 entnommen sind.
Eine solche Unterscheidung zweier verschiedener Bedeutungen
des Wortes ist aber überhaupt hinfallig; das Wort hat an
allen den angeführten Stellen nur die bei Godefroy unter 2
verzeichnete Bedeutung renegat, niemals die Bedeutung
ainiralj chef d'une flotte. Dies wird durch die im Folgenden
zu gebenden Nachweise vollkommen sichergestellt werden. * Zu-
vor aber bemerke ich noch, dafs das Wort im Provenzalischen
ein einziges Mal belegt ist in einer, nur in einer Handschrift, F
(Rom, Bibl. Chig. 2348), erhaltenen, somit interpolierten Tor-
nada zu Bertran de Borns S' abrils e fitolhäs e flors , Bartsch,
Gnindrifs 80, 38, gedruckt bei Raynouard, Lexiqtie roman s. v,
und bei Stimming, Bertran de Born, Halle 1879, S. 321:
liassa, non sui niargeritx,
an% es tan ferma ma leis,
que s'anc jorn ftd reerezefis^
ara m'en [sui] repreiidens^^
1) Nach Nyrop-Gorra, Storia delV ej). franc, p. J99 fände sich das
"Wort auch in der Bataille Loquifer^ Histoire litter aire XXII, 532, als
Name eines Dämons. Diese Angabe scheint aber auf einem Versehen zu
beruhen, es ist an jener Stelle nur von einem Dämon Isembart, nicht von
einem Dämon Margari die Rede.
2) Prof. Levy teilt mir auf meine Anfrage freundlichst mit, dafe
auch ihm ein weiterer Beleg aus dem Provenzalischen nicht bekannt ist
— 123 —
Das Wort fnargarix ist griechisch -byzantinischen
Ursprunges.^ ifiaya^/u£i' bedeutet nach Ducange, Glossarium
fnediae et infimae graedtatis, der sich auf Leunclavius,
Pandect, Tureic.^ no. 22 beruft, eigentlich „stercore fadem con-
spiica^x, maculare, inquinare, foedare^^, desgl. [.layaQiaia^ f.iaydQt'
oig, f,iaydQiaf.ta, ,^foeditas, sordes, inqiiinamentum^^ ; in derThat
existiert das Verbum noch in dieser Bedeutung im Neugriechischen,
vgl. Kontopulos, Neov ^€^L7,dv'Ellr]voayyli/,6vy Athen 1880:
f,iayaQiCiü^ ,^to votd the howels, io soil, dirV^; ebenso das
Substantivum f.iaydQiaf.ia ,jdirtymgj inaking filthy^", MayaQiCeiv
hat dann aber die abgeleitete Bedeutung erhalten „m i^eligione
foedari, maxime Agarenorum [= Söhne der Hagar d. i. Sara-
ceni] religionem p^vfiteri, amplecti^^; die gleiche Bedeutung
hat es neben jener andern auch im Neugriechischen, vgl. Konto-
pulos s. v. i-iayaQiCeiv j „apostvxe^^; f.taydQiaina , „apostacy^^. Das
zugehörige Substantivum /nayaQiTtjg heikt „apostata^ Sara-
cenoruin religionevi amplexus,'' In dieser, und, soweit
ich sehe, allein in dieser Bedeutung, kommt das Wort häufig
vor bei byzantinischen Autoren des 8., 9. und 10. Jh.; so
f,iayaQiil€iv in der Chronographia des Historikers Theophanes
Confessor (f bald nach 816) ed. Boor, 1885, t. I, p. 399, 21:
[OJ^jUöß] . . . fLiayaQiKeiv rovg Xqiaxiavovg fjvdyAoCev, xat
Tovg f.iev (.layaQi'CüVTag dzeXelg aTcolei . .; ib. p. 452, 26; bei
Symeon Logotheta (10. Jh.) im Corpus Scrijyt. Hist Byxant,
t. 29% p. 639, 19; 711, 10; bei dem Fortsetzer des Theophanes
(9.-10. Jh.), bei Leo Grammaticus (10. Jh.), Petrus Chartu-
larius, Achmes Onirokritus u. a. m. MayaQlrrjg ist belegt bei
Theophanes a. a. 0., t. II, p. 314, 14: ibg . . . [/rgöt:] Koaf.idv
1) Über die weitere Herkunft des Woi^tes vermag ich. sichere Aus-
kunft nicht zu oi*teilen. Nach E. A. Sophocles, Greek Lexicon ofthe Roman
and Byxantine Periods, New -York und Leipzig 1890, s. v. ist fiayuQito^
ursprünglich =-„ <o hefoul, pollutej deßlCj contaminate^\ für das S. unter
Verweisung auf nNinn, draiight-house, D^Nin, gxGjq^ semitischen Ur-
sprung annimmt, in der Bedeutung „zum Mohamedanismus übertreten" nichts
als eine Travestie von ayaQi^ta (Ableitung von Hagar, "AyuQj s. oben.),
das er in der Bedeutung „^o he or hecome a Moka?nmedan'^ aus Nicetas
Byzantinus (a. 891), Patrol. graeca t. 105, p. 728 B {ßi $k tovto ^oO^eirj, ov^lv
xtalvec XQiaTKcvoig uyciQiCecv) belegt (ebenso äyuQcGia, ayuQvOfxog, ,jMo-
hammedamsm^^ bei Nicet. Byz. a. a. 0. p. 712 A und 736 A). Ich kann mir
über die Richtigkeit dieser Herleitung ein Urteil nicht erlauben , doch scheint
sie mir einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zu besitzen.
— 124 ~
Tiva TtXtjGiov avTod iatojta jtqdaq^vya ^Pu}fial(ov fxayaQiTtjv
elrtelv^ ib. p. 343, 19; 436, 17: xqiaiiavdgj äjcb xpicrr/arcDv
fÄayaQiTtjg-^ bei dem Fortsetzer des Theophanes u. a.
über die Bedeutung des Wortes, sowie darüber, dafe es
den Byzantinern des angegebenen Zeitraumes ganz geläufig
war, kann also ein Zweifel nicht bestehen.
über das Vorkommen des Wortes im Lateinischen sodann
giebt Auskunft Ducange, Glossaiium mediae et infimae latini-
taiis s. vv. ^nogarixare, magarita, magarites und inargarixare;
als Bedeutung wird verzeichnet „Saracenicam vel Mahome-
tmiicam impietaiem iwn modo 'profiteri, ut qtiidam volunt,
sed maxime post ahdicatam et desertam Religionem Christianam,
a qtia qui transibant ad Musidmanismum, fxaqyaQiteiv dice-
bantur/^ Die lateinische Nebenform margarixare — griech.
fiaqyaqiteiv ist nicht belegt — erklärt sich wohl durch An-
lehnung an die Worte auf marg — , speziell margaHta, Perle.
Was nun die lateinischen Belegstellen betrifft, so ist hier
sofort eine hochwichtige Thatsache zu verzeichnen:
Magantes, magarixare, margarixare sind im Lateinischen
nur belegt in vier in Italien entstandenen Denkmälern und
zwar gehört von diesen nur eines Oberitalien und dem 12. Jh. an,
die anderen drei stammen alle aus Mittel- und Unter-
italien und aus der Mitte und de'm Ende des 9. Jh.
Ich führe die Stellen in chronologischer Reihenfolge voll-
ständig auf:
1. Radeigist et Siginulfi Dimsio Ducatus Beneventani^ ;
a. 847 nach Mühlbacher, Regesta hnperii, no. 1058:
Et amodo, ut dictum est, nullum Sarracenum redpiam
vel recipere permittam, praeter illos qui temporibus dom?ii
Siconis et Sicardi fuerunt christiani, si magarixati non sunt
2. Chronica Sancti Benedicti Casinensis, ^ c. 7 ; verf. 867—71.
Cumque ante jamias assisteret [sc. Massar dux] mona-
steril [sc. Benedicti Casinensis]^, proti7iics portas claudere jussit,
ne subsequentes introire magaritae praesumerent [a. 844].
1) Pertz, Leges IV, 224.
2) Pertz, SS. III, 222; Monumenta Germaniae, Scriptores Rerum
Langohardicarum et Italicarum Saec. VI — IX, ed. Waitz, Hannover 1878,
p. 473; Muratori, Script. Rer. It., 1. 11, 1, 264.
— 125 —
3. Epistol Johannis YIIL papae (872 — 882), no. 219 (?)i:
Portos patentes relinquentes , multis magaritis fugiendi
et Saraceftiis ingrediendi aditum . . . reliquerunt
4. Vita S, Raynerii Pisani (f 1160)2, verf. von seinem
Schüler Benincasa, Kanonikus zu Pisa:
Tunc Ammira Mumminus jussit vocari istum Bentiveg^
nam, ut legeret eis breve illud, cum multi essent in exerdtu
suo Margarixati, qui bene sciebaiit legere et exponetx,^
Welchen Schlufs legt nun die in Kede stehende Thatsache
nahe? Doch wohl diesen, dafs die Worte magarizare,
niagarites aufser im byzantinischen Griechisch selbst
nur noch üblich waren in dem zu Byzanz in nahen Be-
ziehungen stehenden Italien und zwar hier wiederum
vornehmlich im 9. Jh. und in Mittel- und Unteritalien,
wo das byzantinische Element am stärksten war, wo
auch nach dem Sturze des Exarchats von Kavenna im
J. 751 Neapel und Calabrien unter byzantinischer Oberhoheit
dauernd verblieben, wo die griechische Sprache noch viel-
fach unter der Bevölkerung lebendig war*, so dafs leicht ein
1) Ich entnehmo das Zitat Ducange, vermag es aber Dicht zu veri-
fizieren, da sich die Stelle weder bei Mansi, Conciliorum CollecHo, noch
in dem bei Migne, PatroL lat., t. 126, 647 die Nummer 219 tragenden
Briefe des Papstes findet. Dafs das Zitat trotzdem materiell richtig ist,
düi'fte nicht zweifelhaft sein.
2) Acta Sanctorum BolL, 17. Juni, t. HL, 447.
3) Als Beleg füi-s Lateinische kann nicht in Betracht' kommen maga-
rixare in der sogen. Historia miscella j beiMuratori, Scriptores Rer. ItaL,
1. 1, 164 E, da der betreffende Abschnitt abgeschiieben ist aus Anastasius,
Gkronographia (verf. 873 — 75), welche wiederum nur eine Übersetzung
des gleichnamigen griechischen Werkes des Theophanes ist; vgl. Pott-
hast, Biblioth. hist.j p. 486; Krummbacher, Oesehichte der hyxantin. Litt.,
1891 , S. 122. Das gleiche gilt hinsichtlich der von Ducange für lateinisches
magarites zitierten Stelle aus der Vita S. Stephani Sabaitas Thaum. (f 794),
verf. von seinem Schüler Leontius zu Anfang des 9. Jh., Acta Sanet.
BolL, 13. Juli, t. m, p. 572b: Comitem mihi se jwixerat magarites
quidam etc., indem diese Stelle einer modernen Übersetzung (18. Jh.) der
von Leontius griechisch abgefafsten Vita entnommen ist.
4) Vgl. das Kapitel L'Hellenisme dans VItalie Byxantine bei Diehl,
Mildes sur V administration Byxantine dans VEooarchat de Ravenne, Paris,
These 1888, p. 241 ff.
— 126 —
griechisches Lehnwort, wie es viagariies ist, Eingang finden
konnte.
Spricht nun aber das Vorkommen des Wortes im Altfran-
zösischen und Provenzalischen nicht gegen diese Schlufefolge-
rung? Keineswegs. Sehen wir ab von den Stellen, welche
unserem Fragment entnommen sind, so belegt Godefroy das
Wort nur aus zwei altfranzösischen Texten: aus dem Partheno-
peus von Blois und aus dem handschriftlichen Prosatext Les
Faits des Romains. Im Provenzalischen haben wir nur den
einen Beleg aus dem interpolierten Geleit bei Bertran von Born.
Nun geht der Parthenopeus bekanntlich auf eine byzantinische
Quelle zurück, das Wort ist also hier einfach aus dem grie-
chischen Original herübergenommen: das interpolierte Geleit
findet sich nur in der einen, in Italien entstandenen
Handschrift F, es ist mithin wahrscheinlich, dafs es von
einem Italiener fabriziert wurde: bleibt die Stelle in den Faiis
des Romains: über diesen Text ist mir näheres nicht bekannt,
natürlich haben wir es aber in ihm nur mit der Übersetzung
eines lateinischen Originals zu thun und da dürfen wir denn
nach dem, was wir bisher über das Vorkommen des Wortes
ermittelt haben, ohne weiteres annehmen, dafs jene lateinische
Vorlage entweder in Italien entstanden ist oder aber auf ein
griechisches Original zurückgeht.
Somit dürfen wir es als so gut wie gewifs betrachten, dafe
das Wort magarites = Renegat nur gebräuchlich war im byzan-
tinischen Sprachgebiet und in dem mit Byzanz im engen Kon-
takt stehenden Italien, besonders im südlichen Italien, und dafe
es in Frankreich unbekannt war. Daraus folgt denn unmittel-
bar, dafs der Beiname li ^largarix. dem Helden unseres
Epos nicht in Frankreich gegeben worden sein kann,
sondern nur in einem der eben bezeichneten Sprach-
gebiete; und diese Erwägung wiederum macht es a priori
höchst wahrscheinlich, dafs die Gestalt Isembards über-
haupt nicht, wie wir bisher annahmen, in Frankreich
zu Hause ist, sondern in einer Gegend, wo jener Bei-
name ihm gegeben werden konnte, dafs wir also
auch sein historisches Vorbild allein dort zu suchen
haben.
— 127 --
Man wird, denke ich, die Berechtigung dieser Schlufs-
folgerung zugeben.
Nun gut: von ihr bis zu dem historischen Isembard ist
es nur noch ein Schritt, ja wir werden durch sie geradezu —
wenn der Ausdruck zulässig ist — mit der Nase auf ihn ge-
stofsen.
Eben jene Chronik von Montecasino nämlich, welche
neben dem Briefe des Papstes Johann das einzige lateinische
Denkmal ist, in dem uns das Substantiv am magarites begegnet,
eben jene Chronik, sage ich, berichtet uns wenige Kapitel darauf
von einem Grofsen Namens Isembard, der mit den
Sarazenen gemeinschaftliche Sache macht und gegen
einen König Ludwig — freilich nicht von Frankreich,
sondern von Italien — in Rebellion begriffen ist
Die genannte Chronik erzählt cap. 13^ über einen Auf-
stand italienischer Grofser gegen Kaiser Ludwig 11. Folgendes:
Lampert, filitis Widonis [Herzogs von Spoleto 842 — 58],
et Ildepert [vermutlich Graf von Camerino^] comites nisi sunt
manus erigere contra Hltidowicum imperatorem; sed relata
iHorum fraudem perseeutus est eos Hludotmciis usque Marsim,
At Uli demum ante fadem ejus fugerunt Benevento apud
Adehhisum pHndpem. Hildepert vero pertransieiis , Jiabiit
Barim. Ubentissime quidem a Seodane rege susceptus est, et
halntavit ibi tempore quo voluit Hludowicus ergo imperator
pm^sequens eos^ devenit Hiserniani^; quam cum infidelem sibi
comperissetj bellando cepit. Ac deinde pei^transiens Aliphem^,
post plura bella urbs capta est. Per Telesiam^ ig-itur devenit ad
civitatem quae dicitur Sanctae Agathae^ et urbem expugnare
coepit. Quue dum valde esset munita, multis diebu.s obsedit
eam; erat enim tmic aestivum tempus. „Nemo uinquam^^, ut
1) Waitz, p. 475.
2) Vgl. Wüstenfeld, Ueher die Herxoge von Spoleto atis dem Ilatise
der Quidonen in Forschungen xur deutschen Geschichte 3, 400.
3) Neapel, Prov. Molise.
4) Alife, Neapel, Prov. Casei-ta.
5) Telese, Neapel, Prov. Terra di Lavoro nw. Benovent.
6) S. Agata dei Goti, Neapel, Prov. Benevent.
— 128 —
apostolus ait, „came7n suam odio habet ^ sed nutrit et fobei eam".
Tandem Berthari abbas condoluit super Hisembar-
dum, eonsanguinetim sibi et gastaldium obsesse civi-
tatis^y et intervenit pro eo apud imperatorem augu-
stum. Cujus et promeruit gratiam et pactum dedit
[sc. imperator] civitatij ac illius juri protinus urbs
mancipata est. Adelchis pmiceps ad pedes prostratus de-
mentissimi imperatoris , et suqm obtinuit veniam et fugadbus
comitibus; abhific tandem Hludotvichiis rediit Frandam.
An der vollkommenen Authentizität dieser Erzählung ist
kein Zweifel, denn der in ihr genannte Abt Berthari war Abt
von Montecasino in den Jahren von 856 — 74, deijenige
Teil der Chronik aber, dem das vorliegende Kapitel angehört,
wurde verfafst ebenda innerhalb der Jahre 867 — 71 2, Berthari
dürfte also wohl selbst der Gewährsmann des Chronisten ge-
wesen sein.
Der geschilderte Aufstand fällt ins Jahr 860; es ist der
gleiche, den Prudentius im Auge hat, wenn er in seinen
Annalen zum J. 861 berichtet: Hludowicu^, imperator Italiae,
suorum factio7ie impetitur et ipse contra eos ac contra Bene-
venta?ios rapinis atque incendiis desaevit, ^ Irgend eine andere
Nachricht haben wir über die Vorgänge nicht, denn der Bericht
des Chronico7i Monasteni Casi7iensis des Leo Marsicanus
(f vor 1118)^ ist aus dem Chron. Ä Ben. Casin, ausgeschrieben.^
Auch der Gastalde Isembard wird sonst nirgends erwähnt
1) Die Gastaldon waren königliche Beamte, denen vor allem die Ver-
waltung des Krongutes oblag und die aufserdem als Richter (judices) in
den königlichen Städten fungierten, weshalb die städtischen Bezirke häufig
als Gastaldate bezeichnet wurden; ihre Stellung war eine ähnliche wie im
Reiche die der Pfalzgrafen des 10. und 11. Jahrb.; doch hatten in frän-
kischer Zeit auch die Herzöge von Benevent ihre Gastalden; vgl. Hegel,
Qesch. d. Städteverfassung in Italien, Leipzig 1847, I, 455; U, 16. Pabst
in Forschungen %ur deutschen Gesch. 2, 443. Pertz, Leges IV, 671.
2) Vgl. Waitz , a. a. 0. p. 466.
3) Vgl. Mühlbacher, Reg. Imp., no. 1182 1. Dümmler, Ostfränk.
Eeich^ m,19.
4) Pertz, SS. VH, 606.
5) Vgl. Mühlbacher a. a. 0.
— 129 —
Es ist nun zunächst erforderlich, dafs wir uns die Er-
eignisse vergegenwärtigen, in deren Rahmen sich jener Aufstand
abspielte. ^
Was der Geschichte Italiens im 9. Jh. ihre Signatur aufdrückt,
das sind die Kriege der Christen mit den Sarazenen, welche
letzteren in diesen südlichsten Marken des karolingischen Reiches
eine ähnliche Rolle spielen, wie im Westen die Normannen.
Von Afrika aus hatten sie zu Ende der zwanziger Jahre auf Sizilien
festen Fufs gefafst, 881 eroberten sie Palermo und richteten
die Insel als arabische Provinz ein. Bald darauf boten ihnen
Zwistigkeiten longobardischer Fürsten Gelegenheit, die Waffen
des Islams nacli der Apenninenhalbinsel selbst hinüberzutragen.
Nach der Ermordung des Herzogs Sicard von Benevent im J. 839
hatten Salerno, Capua und andere Städte des Landes Sicards
Bruder Sikenolf als Nachfolger proklamiert, die Bewohner von
Benevent den Schatzmeister Radelchis. Der letztere nun rief
zu seiner Unterstützung ein sarazenisches Heer herbei , welches
noch im J. 840 oder 41 Bari an der Ostküste durch Hand-
streich einnahm, bald darauf Tarent eroberte und sich in Apu-
lien dermafsen festsetzte, dafs an seine Vertreibung nicht mehr
gedacht werden konnte. Sikenolf, Gleiches mit Gleichem ver-
geltend, wandte sich seinerseits um Beistand an die Sarazenen
auf Sardinien und Corsica, welche der Einladung bereitwillig
Folge leisteten und unter Anführung Massars alsbald im Bene-
ventanischen erschienen. Während die arabischen Söldnerheere
übel im Lande hausten, machten gleichzeitig kecke Piraten-
scharen die Westküste unsicher. Im J. 846 lief eine grofee
Flotte in die Tiber ein und bedrohte Rom; die Peterskirche,
die aufserhalb der Mauern lag, wurde geplündert, ein herbei-
eilendes fränkisch -italisches Heer bei Gaeta aufs Haupt ge-
schlagen. Als die Kunde von diesen Vorgängen zu Kaiser
Lothar über die Alpen drang, erteilte er seinem Sohn Ludwig,
der bereits 844 zu Rom als König der Longobarden gekrönt
1) Vgl. für das Folgendo besonders Dümmler, 1, 191—194, 303 — 308;
U, 235 f., 264 — 275, 341 f.; IJI, 1 — 24. — Mühlbachor, Reg, Itnp.y
no. 1081a — 1226 b passim. — Amari, Storia dei Musnlmani di Sic Uta,
Florenz 1854, 1. 1, 354 — 389.
Zenker, Das Epos von Lsembard etc. 9
— 130 —
worden war, den Auftrag, der Sarazenenpiage zu steuern. Im
J. 847 oder 48 trat der junge König seine Heerfahrt nach dem
Süden an. Er rückte in Apulien ein, errang bei Bari einen
grofsen Sieg über die Sarazenen und liefs ihren Führer Massar,
der von seinem eigenen Bundesgenossen Radelchis verräterisch
ausgeliefert wurde, enthaupten. Die Fehde zwischen Badeichis
und Sikenolf wurde nun im J. 849 durch einen Vergleich bei-
gelegt, demzufolge das ehemalige Herzogtum Benevent in zwei
selbständige Herzogtümer geteilt wurde: Benevent unter Radel-
chis und Salerno unter Sikenolf. Nachdem so die Ruhe her-
gestellt schien, begab sich Ludwig nach Rom und wurde dort
im J. 850 durch Papst Leo zum Kaiser gesalbt
Die Sarazenen von Bari setzten indefs, durch Nachschübe
aus Sizilien verstärkt, in den folgenden Jahren ihre Plünderungs-
züge in alter Weise fort. Ihr Anführer war damals ein gewisser
Mofareg -ihn- Salem 1, der den Titel „Sultan" angenommen hatte
oder doch von seinen Leuten so bezeichnet wurde. * Arabische
Quellen wissen von ihm zu berichten, er habe nicht weniger
als 24 Burgen eingenommen und sei von ungemessenem Stolze
erfüllt gewesen; die christlichen Schriftsteller sprechen von ihm
mit Ausdrücken des tiefsten Absehens und des bittersten Hasses:
auf Leichenhügeln, heifst es, habe er seinen Schmaus gefeiert
und in Abendmahlskelchen sich den Wein kredenzen lassen;
den Saugdan nequissimus ac scehratissimu^ rex HismaJielitum
nennt ihn der Zeitgenosse Erchempert.
Eben in jene Zeit nun fällt die Empörung der Grafen
Lambert und Hildebert gegen Kaiser Ludwig, von der uns
allein das Chron. S. Bened. Cousin, in der oben angeführten Stelle
genauere Kunde aufbewahrt hat. Was den Grund der Empö-
rung betrifft, so erteilt uns die Chronik über diesen keine Aus-
kunft; anderweitig erfahren wir, dafs Ludwig gegen Hildebert,
Grafen im Spoletinischen — er war vermutlich Graf von Came-
rino und ehedem Statthalter des Herzogs Guido von Spoleto
(842 — 858) — einen Prozefs eingeleitet hatte wegen zahlreicher
1) Vgl. über ihn Aman a. a. 0. p. 371 f.
2) Der Ausdruck findet sich nach Aman sonst bei arabischen Autoren
bis zum Ende des 10. Jb. selten.
— 131 —
Bedrückungen und eigenmächtiger Übergriffe auf Kosten des
Fiskus, die er sich hatte zu Schulden kommen lassen. Wenn
wir Lambert [comes und dux von Spoleto 860 — 71, dann ab-
gesetzt, restituiert 875 oder 76, — 879), den Sohn und Nach-
folger Guido's, sowie den Herzog Adelchis von Benevent mit
dem angeklagten Hildebert gemeinsame Sache machen sehen,
so erklärt sich dies offenbar daraus, dafs beide sich durch das
energische Vorgehen des Kaisers in ihrer eigenen Selbständig-
keit bedroht glaubten. ^ Der Seodan rex, zu dem Hildebert
nach dem Chron. Casin. flüchtete, ist natürlich kein anderer
als der gefürchtete Mofareg -ihn -Salem. Wie wir sahen, kehrte
Ludwig nach der Einnahme S. Agatha's und der Begnadigung
der Empörer mit seinem Heere nach Oberitalien {Franda)
zurück. Seine Expedition war, wie es scheint, gleichzeitig gegen
die Sarazenen gerichtet gewesen; denn wir hören, dafs nach
seinem Abzüge der Sultan von Bari, alles mit Feuer und
Schwert verwüstend, gegen Benevent vorrückte; Adelchis sah
sich genötigt, den Frieden durch einen Tribut und Stellung
von Geifseln zu erkaufen. Ein longobardisches Heer, das dem
Sultan entgegentrat, erlitt eine furchtbare Niederlage, infolge
deren ein Graf Garard, zwei Gastalden sowie viele andere den
Tod erlitten und unzählige Gefangene in die Hände der Sieger
fielen. Diese setzten ihre Verheerungen nun unbehindert fort
und es kam so weit, dafs man schon den Besitz der römischen
Kirche und des Kaisers für bedroht hielt.
Da unternahm Ludwig denn, dem Hilferufe der hartbe-
drängten Longobarden, namentlich der Beneventaner und Capu-
aner, Folge leistend, im J. 866 jene grofsartige Heerfahrt
nach ünteritalien, zu der er in einem noch vorhandenen
Edikt 2 die Bevölkerung von ganz Italien unter die Waffen
rief. Er eroberte in glücklichen Kämpfen fast alle Städte im
Beneventanischen, die sich mit den Sarazenen verbündet hatten
und schritt dann mit fränkischen, longobardischen und anderen
Truppen zur Einschliefsung Bari's. Nach vierjähriger Belagerung
1) Vgl. Wüstenfeld, Ueber die Herzoge von Spoleto aus dem Hause
der Guidonen, Forschungen %ur deutsch. Gesch. 3, 400.
2) Waitz, Scrijjt. Rer. Lang., p. 469.
9*
— 132 —
wurde die Stadt am 2. Febr. 871 zur Übergabe gezwungen und
der Sultan samt der Besatzung in die Gefangenschaft abgeführt;
alsdann ging ein Heer ab zur Belagerung Tarents und zur Ver-
treibung der Sarazenen aus Calabrien. Da geschah es, dafe
Adelchis, veranlafst, wie es scheint, durch Gewaltthätigkeiten
der fränkischen Truppen gegen die Longobarden , sich im Bunde
mit Lambert von Spoleto abermals gegen den Kaiser auflehnte;
während das kaiserliche Heer über das Land zerstreut war,
setzte er einen Yolkstumult ins Werk und nahm Ludwig selbst
gefangen.^ Die Anhänger des Kaisers betrachteten es als eine
gerechte Strafe des Himmels, dafs eben damals ein neues
grofses Sarazenenheer, 30000 Mann stark, aus Afrika kom-
mend bei Salerno landete, die Stadt einschlofs und in mehreren
Abteilungen mordend und plündernd gegen Capua, Benevent
und Neapel vorrückte. Nun gab Adelchis seinen hohen Ge-
fangenen auf Vermittelung des Bischofs von Benevent frei, liefs
ihn aber zuvor schwören, dafs er nie für die erlittene Un-
bill an ihm Bache nehmen wolle. Ludwig begab sich vorläufig
nach Kom und verweilte dort bis zum nächsten Jahre. Auf
dringende Bitten des Bischofs Athanasius von Neapel rückte er
dann im Juli bis August 872 nach Unteritalien vor, auf dem
Wege kam ihm der Bischof Landolf von Capua, gleichfalls
Hülfe suchend, entgegen. Ludwig entsandte nun unter der
Führung mehrerer Grafen ein Heer zum Entsatz von Salemo;
bei San Martine am Volturno in der Nähe von Capua kam es
zur Schlacht, die Sarazenen wurden aufs Haupt geschlagen
und beinahe vollständig v^erniclitet; was nicht durchs Schwert
umkam, fand seinen Tod grofsen teils in den Fluten des
Volturno, man schätzte den Verlust der Ungläubigen auf
12000 Mann. Eine andere kleinere Abteilung wurde bei Bene-
vent von dem gleichen Lose ereilt, der Best gab die Belage-
rung von Salerno auf und flüchtete übers Meer. So schien
die Sarazenengefahr fürs erste beseitigt. Ludwig verweilte noch
ein Jahr bei Capua und kehrte dann 873 nach Oberitalien
zurück, wo er schon zwei Jahre darauf, 875, bei Brescia starb.
1) Über die Gefangennahme Ludwigs existiert ein lateinisches Volks-
lied von 32 Versen, gedr. bei Muratori, Antiqu. Ital.l\l^l\\\ Dumeril,
Poesies jwpulairesj p. 264. Vgl. Mülilbaohor, Reg., no. 1216.
— 133 —
Dies die Vorgänge in Italien unter Kaiser Ludwig IL,
soweit sie für uns von Interesse sind.
Ich kehre nun zu der Erzählung des Chron. S, Bened,
Casin,, von der wir ausgingen, zurück.
Darüber, dafs in dem Gastalden Isembard des Chron,
Casm. das geschichtliche Vorbild für Isembard li Margarix
zu erblicken ist, kann nach dem, was wir über die zeitliche
und örtliche Verbreitung des Wortes magarites ermittelt haben,
offenbar auch nicht einen Augenblick ein Zweifel bestehen.
Allerdings wird Isembard von dem Chronisten nicht als maga-
rites bezeichnet; aber abgesehen davon, dafs er es ja später
geworden sein könnte — worüber unten — , mochte es für die
Sage nahe liegen, ihn zu einem solchen zu stempeln, eben
deshalb, weil er als ein Verbündeter des beim Sultan von Bari
weilenden Hildebert mit den Sarazenen gemeinschaftliche Sache
gegen den Kaiser machte und wie ein magarites handelte.
Sollte man aber trotzdem noch Bedenken tragen, die in Kede
stehende Identifikation ohne weiteres gutzuheifsen, so dürfte
wohl die frappante Übereinstimmung, die zwischen der Er-
zählung des Chron. Casin. und einer Episode im Loher und
Maller besteht, geeignet sein, diese Bedenken endgültig zu be-
seitigen.
Im Loher und Maller wird, wie wir S. 44 f. sahen, erzählt,
Isembard sei, weil er Richard von Orleans seine Schwester
nicht zur Frau geben wollte, mit seiner Familie von Ludwig
in St. Riquier belagert worden; Ludwig habe „bei aller Marter,
die Gott je erlitt", geschworen, er wolle Isembard nimmermehr
verzeihen. „Darauf rückte er, heifst es weiter^, so nahe an
die. Stadt, dafs keine Lebensmittel hineinkommen mochten: da-
von ging den Städtern bald die Leibziu)ht ab, worüber sie sehr
bestürzt waren. "Worin und seine Hausfrau schrieen oft und
viel; auch Fröhlich, die Jungfrau, sprach: Ach, dafs ich je
geboren ward! Dafs dieser grofse Jammer um meinethalben
geschieht! Als Isenbart diese Klagen vernahm, ritt er stiU-
schweigends und ohne Harnisch hinaus und kam in des Königs
Gezelt und sprach: Oheim, ich bitt euch um Gnade, enterbt
meinen Vater nicht; ich will euch meine Schwester schicken;
1) Simrock, S. 232.
— 134 —
gebt sie, wem ihr wollt. Schalk, sprach der König, so sanft
kommst du nicht davon: du mufst mir das Haupt hier lassen.
Bindet ihn und haut ihm das Haupt ab. Oheim, sprach Isen-
bart, ich bitt euch um Gnade um des willen, der für uns ge-
storben ist. Ijafst mich nicht so jämmerlich töten, es wird
euch ein Vorwurf sein. Hört ihr nicht, sprach der König, was
ich euch gebiete? Fangt mir den Schalk und haut ihm das
Haupt ab: er hat es wohl verdient, liätte er mir auch keinen
andern Verdrufe gethan, als dafs er mich gegen meinen Bruder
Loher oft böslich verraten hat. Darum will ich nicht essen
noch trinken, er sei denn getötet. Als Isenbart das hörte,
begann er heifs zu weinen: er wand die Hände und raufte das
Haar und bat stets um Gnade: das härteste Herz hätte mit
ihm weinen müssen. Des Königs Gesinde griff Isenbart an;
aber die hohen Mannen traten vor den König und sprachen:
Herr, lafst Euch raten, denn wer sich die Nase abschneidet,
entstellt sein Angesicht. Ihr Hen-n, sprach der König, was
soll ich thun? Ich sehe meinen Feind vor Augen, der mir
viel Verdrufs gethan hat. Ich weifs das selber wohl, was ihr
mir vorstellt; aber was ratet ihr mir zu thun? mit welcher
Rute soll ich ihn schlagen? Herr, sprach ein Herzog, ich will
in dem Rate nicht sein, dafs ihr ihn tötet, denn es stund euch
übel und brächt euch grofsen Vorwurf. Aber weil ihr ihn so
sehr hasset, so lafst ihn euch geloben, dafs er nie mehr nach
Frankreich komme." König Ludwig befolgt diesen Rat, Isem-
bard wird begnadigt, aber aus Frankreich und der ganzen
Christenheit verbannt; er begiebt sich zum Sarazenenkönig Gor-
mund und schliefst mit ihm ein Bündnis.
Hier haben wir also, wie in der Erzählung des Chron.
Casin.y einen Grofsen Namens Isembard, der gegen einen König
Ludwig in Auflehnung begriffen ist, von ihm in seiner Heimats-
Stadt belagert und zur Übergabe gezwungen, aber auf die Für-
sprache hochstehender Personen in der ümgebimg des Königs,
bezw. — im Chron. Casin. — auf die Fürsprache einer hoch-
stehenden Person, begnadigt wird; der aufserdem mit den Sara-
zenen gemeinschaftliche Sache macht. Dafs diese Übereinstim-
mung eine zufällige sein sollte, ist nicht denkbar. Nun habe
ich allerdings oben gezeigt, dafs der Loher und Maller nichts
— 135 —
weniger ist als eine getreue Reproduktion unseres alten Epos.
Aber andererseits sahen wir doch, dafs nicht nur die Hand-
lung in ihren wesentlichen Umrissen die gleiche geblieben ist,
sondern dafs auch verschiedene Episoden sich ziemlich intakt
erhalten haben, und wir durften es als wahrscheinlich bezeichnen,
dafs auch in den Partieen, welche sich mit Hilfe der älteren
Versionen auf ihre Ursprünglichkeit nicht kontrollieren lassen,
mancher ursprüngliche Zug bewahrt sei. In der That konnten
wir denn auch bereits auf Grund einer auf unserem Epos be-
ruhenden Stelle bei Wilhelm von Malmesbury einen sonst nir-
gends überlieferten Zug im Loher und Maller als alt und ver-
mutlich als ursprünglich nachweisen. Nun liegt gegen die
Ursprünglichkeit der in Rede stehenden Episode irgend ein
Bedenken nicht vor; dafs Isembard von Ludwig in Ponthieu
belagert und im Anschlufs an die Belagerung verbannt worden
sei — was doch zur Voraussetzung hat, dafs die Belagerung
eine erfolgi'eiche war — , das berichtet ja auch Mousket; anderer-
seits spricht direkt für die Ursprünglichkeit der Episode der
Umstand, dafs dieselbe nicht etwa entbehrliches Beiwerk ent-
liält, sondern dafs in ihr recht eigentlich der Knoten der
ganzen Handlung geschürzt wird: aus Isembards un-
gerechter Verbannung folgt alles weitere, sie bildet
das Fundament, auf dem die Handlung sich aufbaut.
Unter diesen Umständen werden wir denn, denke ich, doch
keinen Augenblick anstehen, aus der nahen Übereinstimmung
zwischen dem Bericht des Chron. Casin. und der Episode im
Loher und Maller den Schlufs zu ziehen, dafs eben jenes ge-
schichtliche Ereignis die Grundlage der Episode gewesen ist,
dafs dieselbe mithin in einer vielleicht teilweise abweichenden, in
allen den Punkten aber, bezüglich deren sie mit der Erzählung
des Chron, Cqsin. zusammentrifft, übereinstimmenden Fassung
schon in dem Epos in seiner ältesten Gestalt vorhanden ge-
wesen ist, ja dafs sie eines der Urelemente der ganzen Dichtung
bildet, dafs also auch der Isembard li Margariz unseres
Epos identisch ist mit dem Gastalden Isembard, dem
Verwandten des Abts Berthari, im Chron. Casin.^
1) Noch auf eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen dem betreffen-
den Passus in der Chronik und im Loher und Maller mufs ich aufmerksam
— 136 —
Durch dieses Ergebnis wird nun ofiPenbar unser Epos mit
einem Schlage in ein völlig neues ungeahntes Licht gerückt:
Dann sind ihm ja zwei ganz verschiedene ge-
schichtliche Ereignisse durch die Dichtung aufs
innigste mit einander verschmolzen: Die Schlacht von
Saucourt im J. 881 und die Empörung des Hildebert,
Lambert und Adelchis gegen Kaiser Ludwig im J. 860.
Dann ist ja das geschichtliche Vorbild für den König Lud-
wig in unserem Epos nicht nur der westfränkische König Lud-
wig III., der Besieger der Normannen, sowie vermutlich sein
Vater Ludwig II. und sein Oheim Ludwig III. von Ostfranken,
sondern eben so sehr der Kaiser Ludwig IL von Italien,
der Gegner Isembards und Bckämpfer der Sarazenen.^
Dann steckt weiter — setze ich nun hinzu — in dem
Sarazenenfürsten Gormund aufser dem dänischen Seekönig Gu-
machen. Dio Grofeen, dio im Lolier und Maller für Isembard hei Ludwig
Fürsprache einlegen, thun dies mit den Worten: «Herr, lafst euch raten,
denn wer sich die Nase abschneidet, entstellt sein Angesicht" (weil Isem-
bard Lud\vigs Neffe ist). Das ist ja genau der gleiche Gedanke,
mit welchem der Verfasser des Chron. Casin. seinen Bericht
von der Fürsprache des Abtes Berthari einleitet: j,Nemo umquum,
ut apostohfs ait^ carnem siiain odio habet, sed nidrit et fobet eam'^: „Nie-
mand, bezw. kein Vernünftiger, wütet gegen sein eigenes Fleisch und
Blut"! Die Tendenz des Satzes ist freilich in beiden Fällen ganz vei-schie-
den: Im Chron. Casin. motiviert durch ihn der Erzähler das Eintreten des
Abtes für seinen Verwandten Isembard; im L. u. M. wollen die Für-
sprecher selbst durch ihnLudwig von einer Frevelthat gegen seinen Ver-
wandten Isembard abhalten. Immerhin erscheint die Übereinstimmung, die
doch kaum andere als zufällig sein kann, recht sonderbar. Denn dafs etwa der
Chronist nur von Berthari selbst gesprochene Worte reproduziere, die, in
ihrer Tendenz verändert, sich per tot discrimina verum bis in das späte
Remaniement des Loher und Maller erhalten hätten , das wäre doch eine gar
zu kühne Hypothese!
1) Möglichen^^eiso ist in dem alten Epos noch eine deutliche Spur der
teilweisen Identität Ludwigs mit Kaiser Ludwig IL vorhanden gewesen.
Mousket bemerkt nämlich, Ludwig habe einen Bruder Lothar gehabt, dem
Lothringen mit Aachen gehörte und ebenso ist im Loher und Maller
Lothar ein Bruder Ludwigs. Nun war ja Kaiser Ludwig 11. in der That
ein Bruder Lothars 11. von Lothringen, während der westfränkische Ludwig
einen Bruder dieses Namens nicht hatte. Indessen mufs es zweifelhaft
bleiben, ob jene Angabe schon in der alten Chanson enthalten war; in
unserem Fragment hören wir über Ludwigs Familienbeziohungen nichts
weiter, als dafs er der Sohn eines Karl wai' und einen Bruder Hugo hatte.
— 137 —
thorm und vielleicht einem andern Häuptling Wurm aller Wahr-
scheinlichkeit nach auch noch der berüchtigte „Sultan"
von Bari, der impiissimus atque C7^udelissimus latro . . ille
pestifer Seoda7i des Chron. Casin.^ der Saugdan nequissimus et
scekratissimus rex Hismahelihim des Erchempert. Dafs der
Sultan in jener Tradition oder in jenem Liede, durch welches
Isembard in unser Epos eingeführt wurde, figurieii haben mufs,
das ergiebt sich doch schon aus der Thatsache, dafs letzterer,
wie sein Beiname Margarites beweist, in ihr als ein Kenegat,
als ein mit den Sarazenen verbündeter Überläufer hingestellt
wurde; denn als der Hauptrepräsentant der Sarazenen kann in
jener Tradition oder in jenem Liede der Sultan selbst, ihr An-
führer, unmöglich gefehlt haben. Dafs die Sage sich der Person
des Sultans bemächtigte, kann nach dem, was wir über den
tiefen Eindruck wissen, den er auf die Zeitgenossen gemacht
hatte, nicht im mindesten auffallen; überdies sind uns bei dem
byzantinischen Historiker Constantinus Porphyrogenitus,
De administrando imperio, c. 29, direkt sagenhafte, unten
näher zu besprechende Nachrichten über ihn aufbewahrt.
Und damit hätten wir ja nun die Erklärung in
Händen für die auffällige Thatsache, dafs Gormund
aus einem Normannenhäuptling ein Sarazenenfürst,
dafs das Normannenheer zu einem Sarazenenheer ge-
worden ist. Denn „einer aus dem Orient", ein „Araber",
war ja der Sultan in der That, als "Af.irjQßg (V. 530 m amire)
bezeichnet ihn der eben genannte byzantinische Historiker i, und
direkt von Afrika kamen zum gröfsten Teil jene Sarazenen-
horden, die im 9. Jh. Unter- und Mittelitalien überschwemmten.
Die Prädikate des Sultans und seines Heeres sind
also einfach auf Gormund und sein Heer übertragen
worden.
Hier drängt sich nun sofort wieder eine wichtige Frage
auf, nämlich die: in welcher Weise ist die Verschmelzung
jener beiden geschichtlichen Vorgänge zu Stande gekommen?
Vier Fälle scheinen a priori möglich:
1. Eine Tradition, d. h. also, eine, sei es noch historisch
getreue, sei es bereits sagenhaft umgestaltete und ausgeschmückte
1) De (hematibtis occidentis c. 11, Migne, Patrol. graeca t. 113, 137.
— 138 —
mündliche Erzählung über die imteritalischen Vorgänge des
J. 860, speziell über die Belagerung S. Agatha's, gelangte nach
Nordfrankreich, nach der östlichen Pikardie, und wurde dort
mit einer eben solchen Tradition über die Schlacht von Sau-
court vermischt. Später bemächtigte sich ein Dichter des
Stoffes und verarbeitete ihn in einem Epos.
2. Die unteritalischen Vorgänge fanden ihren Widerhall
sehr bald in einem epischen Liede, welches ich das Isembard-
Lied nennen will. Dieses Lied gelangte nach Nordfrankreich ;
dort bestand eine Tradition über die Schlacht von Saucourt,
die nun in das Lied eingearbeitet wurde; neue Personen wur-
den eingeführt, die alten zum Teil umgetauft: das Lied wurde
für Nordfrankreich adaptiert.
3. Der Vorgang war der umgekehrte: eine Tradition ge-
langte nach Nordfrankreich, dieselbe wurde dort ein verwoben
in ein Lied über die Schlacht von Saucourt, welch letzteres
ich im Unterschied von dem Isembard-Lied das Saucourt-
Lied nennen will.
4. Sowohl in Frankreich als in Italien wurden die in Rede
stehenden Ereignisse in einem Liede behandelt; das in Italien
entstandene Lied gelangte nach dem Norden Frankreichs und
dort wurden die beiden Lieder kontaminiert.
Hier wären wieder zwei mögliche Fälle zu unterscheiden:
a. Die formelle Grundlage unserer Chanson ist das Isem-
bard-Lied. Dasselbe wurde stofflich modifiziert durch das
Saucourt-Lied.
b. Die formelle Grundlage ist umgekehrt das Saucourt-
Lied; es wurde stofflich beeinfluf^t durch das Isembard-Lied.
Für welchen von diesen vier Fällen sollen wir uns nun
entscheiden?
Ich möchte glauben, dafs zunächst Fall 1 und 3 mit ziem-
licher "Wahrscheinlichkeit eliminiert werden können. Dafs näm-
lich nicht blofs eine Tradition über Isembard nach Frankreich
gelangte, sondern dafs die Tradition über ihn sich schon in der
festen Form eines epischen Gedichtes krystallisiert
hatte, dafür spricht, wie mir scheint, die Thatsache, dafs sein
Beiname Margarites erhalten blieb. Denn da dieser nach meinen
— 139 —
obigen Ausführungen in Nordfrankreich unverständlich sein
mufste, so hätte eine formlose Überlieferung von Mund zu
Mund ihn gewifs rasch beseitigt, wohingegen seine Erhaltung
vollkommen erklärlich wird durch die Annahme, er sei als
stehendes episches Beiwort mit dem Namen des Helden
eng verwachsen gewesen.
Was dann Fall 3 betrifft, so darf in Anbetracht der That-
sache, dafs zu Ende des 9. Jh. der Heldengesang schon in seiner
vollen Blüte stand, der Gedanke, die Erinnerung an Ludwigs
glorreichen Sieg über die Normannen habe sich nur in der
Form einer Tradition fortgepflanzt, als höchst unwahrscheinlich
bezeichnet werden; eine Erwägung, die natürlich ebensosehr
gegen Fall 1 spricht.
Es bleibt also Fall 4. Dieser scheint mir in jeder Be-
ziehung am meisten für sich zu haben und ich nehme denn
an, dafs unser Epos entstanden ist durch Kontamination,
Verschmelzung zweier, ursprünglich von einandervoU-
kommen unabhängiger, fertiger epischer oder episch-
lyrischer Lieder: des Saucourt-Liedes und des Isem-
bard-Liedes.
Ob nun von den beiden hier wieder möglichen Fällen 4a
oder 4b das richtige trifft, das zu entscheiden vermochte ich
bisher einen Anhaltspunkt nicht zu finden; doch scheint es mir
recht wohl möglich, dafs es noch gelingen wird, auch diese
Frage in einem bestimmten Sinne zu beantworten.
Die Entstehung eines französischen Liedes in Italien hat
nun zu jener Zeit durchaus nichts auffälliges. Die nächstliegende
Annahme wäre ja doch die, das Lied sei als ein unmittelbarer
Widerhall der Ereignisse, welche es schildert, in Kaiser Lud-
wigs eigenem Heere gedichtet worden. Dieses Heer rekrutierte
sich nun unzweifelhaft zum grofsen Teil aus Frankreich; der
Zeitgenosse Erchempert spricht da, wo er von den Vorgängen
des J. 860 handelt, geradezu von einem Gallorum exercitus^
und derselbe erwähnt später, zum J. 871, die Oalli, welche
durch ihre Gewaltthätigkeiten Ludwig bei den Beneventanern
1) Hist. Long. Benev., c. 29, bei Waitz, Scriptores Rer. Lang.f
p. 245.
— 140 —
mifsliebig machten und jenen Aufstand gegen ihn veranlafsten^;
besonders war im Herzogtum Spoleto das französische Element
sehr stark vertreten. ^
Ebensowenig kann die Verpflanzung des Liedes von Ita-
lien nach Nordfrankreich befremden. Wir werden als Ver-
mittler zu betrachten haben entweder einen fahrenden Spiel-
mann oder aber direkt französische Kriegsleute aus dem Heere
Kaiser Ludwigs, welche später in ihre nördliche Heimat zurück-
kehrten.
Was den Zeitpunkt der Überführung betrifft, so wird
sich über diesen etwas näheres nicht ermitteln lassen. Sollte
die zweite der eben genannten Möglichkeiten zutreffen, so
müfste dieselbe natürlich noch zu Ende des 9. oder Anfang
des 10. Jh. erfolgt sein und gleichfalls zu Ende des 9. Jh.
müfste sie stattgefunden haben, wenn Isembard, wie wir oben
als möglich bezeichneten, aus einem Sohn des Bernard zu
einem Sohn des Warin geworden sein sollte infolge Verwechse-
lung mit dem fränkischen Grofsen Isembard, dem Sohn des
Grafen Warin von Mäcon.
Ebenso mufs es dahingestellt bleiben, wann die Ver-
schmelzung der beiden Lieder vorgenommen wurde; nur soviel
läfst sich sagen, dafs sie erst beträchtliche Zeit nach 881 statt-
gefunden haben kann, als die * Erinnerung an die Kriege mit
den Normannen bereits verblafst war und der Dichter keinen
Widerspruch mehr zu befürchten brauchte, wenn er als die
Gegner der Franken in der Schlacht von Saucourt die Sara-
zenen bezeichnete.
Weiter entzieht es sich nun vollständig unserer Kenntnis,
welche umstände bewirkt haben mögen, dafs gerade der
Gastalde Isembard, der doch nach der Darstellung des Chron,
Cdsin, in jenem Aufstande des J. 860 durchaus keine hervor-
ragendere Rolle gespielt hatte als die eigentlichen Empörer,
der Graf Hildebert von Camerino, der Graf Lambert von Spo-
leto und der Herzog Adelchis von Benevent selbst, warum
gerade er, sage ich, von der Dichtung aus der Reihe der
anderen herausgegriffen und zum Helden eines epischen Liedes
1) ib. c. 34.
2) Vgl. Dümmler XU, 18, Anm. 2.
— 141 —
gemacht wurde. Wir müssen annehmen, dafs jene Kreise, in
denen unser Lied entstand, von Isembards Persönlichkeit und
Schicksalen einen ganz besonders nachhaltigen Eindruck em-
pfangen hatten und es ist ja auch gewifs absolut nicht aus-
geschlossen, dafs er bei jenen Ereignissen stärker in den Vorder-
grund getreten war, als man nach der Erzählung des Chron.
Casin. anzunehmen geneigt wäre. Im übrigen ist zu bemerken,
dafs wir ja durchaus nicht wissen, ob nicht in dem alten Isem-
bard-Liede vor seiner Vereinigung mit dem Saucourt-Liede
m
auch jene eigentlichen Kädelsführer der Empörung eine Kolle ge-
spielt haben und ob dieselben nicht erst durch die Verschmel-
zung mit jenem andern Liede eliminiert worden sind.
Damit habe ich nun bereits eine wichtige und interessante
Frage berührt, welche nicht zu umgehen ist, nämlich diese:
Welches war der Inhalt des alten Isembard-Liedes, inwieweit
deckte sich derselbe mit dem Inhalt des uns vorliegenden Epos
von Isembard und Gormund?
Sehen wir, was sich zur Beantwortung dieser Frage bei-
bringen läfst.
Das Isembard -Lied; die Schlacht Yon San Martino.
Was wir über den Inhalt des Isembard-Liedes auf Grund
unserer bisherigen Feststellungen wissen, beschränkt sich auf
Folgendes :
1. In dem Liede mufs — das ergiebt sich aus der Über-
einstimmung des Chron. Casin, mit dem Loher und Maller —
erzählt gewesen sein, der Gastalde Isembard habe sich
gegen Kaiser Ludwig IL aufgelehnt, der Kaiser habe
ihn in S. Agatha belagert^ und nach hartnäckigem
Widerstand zur Kapitulation gezwungen; Ludwig habe
die Absicht gehabt, den Empörer seinen Zorn fühlen
zu lassen, bezw. ihn zu töten, er habe ihn aber auf
Fürsprache eines oder mehrerer seiner Grofsen be-
gnadigt. Ob in dem Liede auch die historische Wiedereinsetzung
Isembards in sein Amt als Gastalde S. Agatha's berichtet wurde,
das wissen wir nicht, da die Erzählung im Loher und Maller
— 142 —
hier abweicht. Nach ihr wird Isembard vielmehr durch Ludwig
verbannt und geht nach England. Ebensowenig wissen wir,
ob das Isembard-Lied schon mit der Einnahme S. Agatha's ab-
schlofs, da ja im Loher und Maller jene Episode nur die Ein-
leitung bildet für die Haupthandlung.
2. In dem Liede mufs Isembard die Rolle eines
Überläufers, eines mit den Sarazenen verbündeten
Renegaten gespielt haben: das beweist sein Beiname Mar-
garites.
3. In dem liede mufs der Sultan der Sarazenen auf-
getreten sein; denn wenn Isembard darin als ein Verbünde-
ter der Sarazenen erschien, so kann, wie schon früher bemerkt
wurde, als Hauptrepräsentant der letzteren der Sultan selbst
unmöglich gefehlt haben.
Über den sonstigen Inhalt des Liedes wissen wir nichts.
Dagegen können wir über denselben nun noch einige Ver-
mutungen aufstellen, denen an sich eine ziemliche Wahrschein-
lichkeit innewohnt und die durch eine besondere Beobachtung
nahezu zur Gewifsheit erhoben werden:
1. Es ist zunächst nicht wahrscheinlich, dafs jenes Lied
mit der völligen Rehabilitierung Isembards, seiner Wieder-
einsetzung in Amt und Würden , geschlossen habe. Ein solfcher
Ausgang würde dem aller Volkspoesie innewohnenden Gerechtig-
keitstriebe widersprochen haben; denn dieser verlangt, dafs der
Schuldige den begangenen Frevel büfse. Die Begnadigung des
Renegaten Isembard, des Bundesgenossen der Sarazenen, konnte
nicht wohl den Abschlufs eines epischen Liedes bilden.
2. Es ist Folgendes zu erwägen: Wir wissen freilich nicht,
welche Momente die Verschmelzung des Saucourt -Liedes mit
dem Isembard -Liede herbeigeführt haben; aber am nächsten liegt
doch der Gedanke, sie sei bewirkt worden dadurch, dafs beide
eine Schlacht schilderten, in der ein fränkischer König
Ludwig einen glänzenden Sieg davon trug über seine
Feinde; dafs die Schilderung einer solchen siegreichen Schlacht
den Hauptinhalt des Saucourt-Liedes bildete, das wissen wir ja.
Nur die Annahme, das Isembard-Lied habe den Sultan der
Sarazenen in einer grofsen Schlacht eine ähnliche Rolle spielen
lassen, wie unser Fragment den Gormund, nur diese Annahme
— 143 —
würde es begreiflich machen können, dafs die Gestalten der
beiden in einander flössen, dafs die Prädikate des Sultans auf
Gormund übertragen wurden, dafe das normannische Heer sich
in ein solches von l}iirx, Persanx et Arahis verwandelte.
Ebenso erklärt es sich nur durch die Annahme, das Isembard-
Lied habe eine Schlacht geschildert, wenn sich nach unserm
Fragmente V. 152 in Ludwigs Heere auch befindet „ww danxel
de Lombai'die^^ ; denn dafs Longobarden an der Schlacht von
Saucourt Teil genommen haben sollten, ist nicht glaublich, wir
haben hier offenbar einen Überrest aus der Schlaohtschilderung
des Iserabard -Liedes vor uns. Da nun Kaiser Ludwigs Feld-
zug gegen die aufrührerischen Grafen nach dem Chron. Oasin,
mit der Einnahme S.Agatha's und der Unterwerfung der Empörer
endete, so müfste, falls das Isembard-Lied mit dem gleichen
Ereignis abschlofs, jene Schlacht in ihm der Belagerung S. Agatlia's
vorausgegangen sein; man könnte in diesem Fall daran denken,
die historische Grundlage derselben etwa zu erblicken in den
Kämpfen, die vor Alife stattgefunden hatten (post plura bella
tirbs capta est); dann könnte aber laembard natürlich in dem
Isembard-Liede nicht, wie in unserem Epos, in der Schlacht
seinen Tod gefunden haben, und da in unserem Epos die Belage-
rung des Helden in seiner Vaterstadt (= S. Agatha) dem Bündnis
mit Gormund und der grofsen Schlacht zwischen Christen und
Sarazenen vorausgeht, so müfste aufserdem später, anläfslich
der Kontamination mit dem Saucourt- Liede, eine vollständige
ümkehrung, eine unnatürliche Verrenkung der ursprünglichen
Handlung des Isembard- Liedes stattgefunden haben, wie sie
denn doch kaum glaublich erscheint.
Beshalb dürfen wir es, zugleich im Hinblick auf die
unter 1 ausgesprochene negative Erwägung, als höchst wahr-
scheinlich bezeichnen, dafs das Isembard-Lied nicht abschlofs
mit der Einnahme S. Agatha's durch Kaiser Ludwig, sondern,
genau wie unser Epos, mit einer grofsen Schlacht zwischen
Christen und Sarazenen, in der der Renegat Isembard seine
Schuld mit dem Tode büfste; daraus würde dann also weiter
folgen, dafs jenes Lied Isembard nach der Eroberung S. Agatlia's
zu den Sarazenen flüchten und sich mit ihnen gegen Kaiser
Ludwig verbünden liefs.
— 144 —
Nun kann jene supponierte Schlacht natürlich nicht von
dem Dichter des Isenibard-Liedes erfunden worden sein, es
mufs ein historisches Vorbild für sie existiert haben. Sehen
wir uns in der Geschichte Italiens nach 860 nach einem solchen
um, so bietet sich uns sofort jener grofse Feldzug Ludwigs
gegen die Sarazenen in den Jahren 866 — 72 dai*, zu dem die
waffenfähige Mannschaft von ganz Italien unter die Fahnen
gerufen wurde, und innerhalb dieses Feldzuges würde offenbar
zunächst wieder in Betracht kommen jene letzte entschei-
dende Schlacht bei San Martine am Volturno, in der
ein erst im Jahre zuvor von Afrika eingetroffenes Sarazenenheer
aufs Haupt geschlagen und zum grofsen Teil vernichtet wurde.
Denn mit diesem glorreichen Sieg fand ja Ludwigs Feldzug
seinen Abschlufs, er mufste mehr als alle vorausgehenden
Kämpfe die Phantasie der Zeitgenossen in Bewegung setzen
und zu poetischer Verherrlichung reizen.
Sollte die Vermutung, dafs eben jene Schlacht von San Mar-
tine in dem Isembard-Liede gefeiert wurde, zutreffen, dann wäre
also diese neben der Sclflacht von Saucourt als die historische
Grundlage unseres Fragmentes zu betrachten, beide Schlachten
wären durch die Dichtung in eins verschmolzen worden.
Nun scheint es in der That, dafs sich in unserem
Fragmente eine deutliche Erinnerung an jene Schlacht
von San Martine erhalten hat: nämlich in der Person
von Hugo^s Schildknappen Guntier.
Guntier wird in dem Fragmente bezeichnet als Hugo 's, also
auch König Ludwigs Neffe und wird als ausnehmend jung
geschildert: noch sind es nicht acht Tage, dafs man ihn zum
Kitter geschlagen hat:
V. 327: De Vautre pari fut dan% Guntier s
dl qui fut ja sis [Hugo's] escuiers,
fix sa seruVy si ert sis niex,
— ceo dit la geste a Saint liichier —
uncore n' ot oit jurs entiers
qu'il Vot arm6 a Chevalier.
Guntier greift, um seinen von Gormund schwer verwun-
deten Oheim zu rächen, heldenmütig den furchtbaren Sarazenen-
— 145 —
fürsten an, bezahlt aber seine Kühnheit mit dem Leben.
König Ludwig findet ihn später neben Hugo tot auf der Wahl-
statt (V. 333 — 359; 548 f.).
Nun bezeichnet die Chronik von Salerno,^ verfafst zu
Salemo um 978, c. 119 als Führer des christlichen Heeres in
jener Schlacht von S. Martine eben einen blutjungen, erst
zwölfjährigen Neffen Kaiser Ludwigs Namens Cuntart
(Pertz) oder Gontar (Muratori), d. i. Quntari = franz.
Ountier, und wir hören, dafs derselbe in der Schlacht
getötet worden sei.
Die Chronik von Salemo, die neben guten alten Quellen
vielfach auch die Volkssage benutzt hat,^ erzählt über die jener
Schlacht vorausgehenden Ereignisse und über die Schlacht
selbst c. 118 — 119 folgendes:
Von Adelchis aus der Gefangenschaft entlassen, kehrt
Ludwig nach Pavia zurück [diese Rückkehr nach Pavia ist
un historisch]. Dort erscheint bei ihm der Bischof Landolf von
Capua, um seinen Beistand anzurufen gegen die Sarazenen,
die soeben, von Afrika kommend, in ünteritalien eingefallen
sind. Kaiser Ludwig sitzt neben seiner Gemahlin, umgeben
von seinen Grofsen, auf einem goldenen Throne. Landolf
bricht beim Eintritt in den Saal in Thränen aus und wirft sich
aufs Antlitz nieder; der Kaiser aber läfst ihn aufheben und vor
seinen Thron führen. Landolf bringt nun in längerer Rede sein
Gesuch vor; die Kaiserin will ihm „nach Prauenart" wider-
sprechen, jedoch der Kaiser läfst sie nicht zu Wort kommen, er
erklärt weinend seinen Grofsen, sie sollten sich alle zum Auf-
bruch bereit halten, er gedenke Landolfs Rufe Folge zu leisten
und die Ungläubigen aus Italien zu vertreiben. Er läfst Lan-
dolf Wein in einem goldenen Becher reichen, Landolf trinkt und
will den Becher dem Schenken zurückgeben, aber der Kaiser
befiehlt ihm, denselben seinem eigenen Diener einzuhändigen,
der Becher solle ihm als Geschenk verbleiben; Landolf dankt,
indem er sich vor dem Kaiser verneigt. Am nächsten Tage
1) Pertz, aS'ÄIII,467; Muratori, Script. Eer. IL II, 2, p. 261.
2) Pertz a. a. 0.: „fabellas et carmina m ore populi circiimlata ad-
miseet." Vgl. auch Wattenbach, Deutsckla?ids Oeschichtsquellen^ 1, 399.
Zenker, Das £pus von Isombord otc. 10
— 146 —
wird er in Gnaden entlassen. Der Kaiser zieht nun mit seinem
Heere nach Campanien, zu Patenara [jetzt Caianello bei Capua]
kommen zu ihm die Gesandten verschiedener Städte, ferner
Landolf sowie seine eigenen Neffen. Er hält einen Kriegsrat
ab und fragt Landolf, wie stark der Feind sei; Landolf schätzt
ihn auf 5000 Mann. „Ich denke, es sind ihrer mehr'' er-
widert der Kaiser. Nun gesteht Landolf, es stünden allerdings
10000 Mann allein bei Capua, ebensoviele bei Benevent, ein
weiterer Teil liege vor Salerno. Da wirft sich ein junger
zwölfjähriger Neffe des Kaisers, Cuntart (Gontar), vor diesem
nieder, umfafst seine Kniee und fleht ihn an, dafs er gegen die
Sarazenen ins Feld ziehen dürfe. Aber der Kaiser, zu Thränen
gerührt, weigert sich in Anbetracht seiner grofsen Jugend, ihm
die Erlaubnis zu erteilen. Cuntart jedoch läfst die Kniee des
Kaisers nicht los; da vermag dieser nicht länger zu widerstehen,
er überreicht dem Knaben seinen Szepter und wünscht ihm
Gottes Beistand für sein Unternehmen; als Begleiter giebt er
ihm einen Grafen Suavius. Die beiden ziehen nun nach Capua,
wo sie bei dem Bischof Landolf die Messe hören und das
Abendmahl nehmen. Dann rücken sie vereint mit den Capua-
nern den Sarazenen entgegen. Ein Diakonus Namens Petrus
will am Kampfe Teil nehmen, der Bischof erteilt ihm auf seine
dringenden Bitten die Erlaubnis, prophezeit ihm aber, dafs er
nimmer zurückkehren werde. Als die beiden Heere sich ein-
ander nähern, vermögen die Christen infolge eines dichten
Nebels der Feinde nicht ansichtig zu werden. Da vernimmt
Cuntart das Wiehern ihrer Pferde und den Klang ihrer Waffen;
sofort giebt er den Hörnern das Zeichen zum Blasen, er selbst
weist mit erhobenem Arme den Seinen die Eichtung und
stürmt auf die Feinde los. Die Franken eningen einen glän-
zenden Sieg, 9000 Sarazenen bleiben auf dem Platze; aber
auch Cuntart selbst ist unter den Gefallenen, dazu jener kampf-
lustige Diakonus. Der Best der Sarazenen wird von Landolf
vernichtet.
Der sagenhafte Charakter dieser Erzählung ist unverkenn-
bar; aber mehr noch: es springt in die Augen, dafs wir hier
gei'adezu das E6sum6 eines epischen Liedes, einer Chanson de
geste vor uns haben; die Schilderung von Landolfs Empfang
— 147 —
am Hofe zu Pavia, die Schilderung des Kriegsrates zu Patenara
und der Schlacht selbst lassen darüber keinen Zweifel. Folglich
liefert uns das Chronicon Salernitanum zunächst den Beweis,
dafs Ludwigs IL Feldzug gegen die Sarazenen und die
Schlacht von San Martine ein Gegenstand epischen
Heldensanges geworden waren — eine Thatsache, die
offenbar geeignet ist, unserer oben geäufserten Vermutung, es
möchte eben jener Feldzug und eben jene Schlacht die histo-
rische Grundlage des Isembard- Liedes gebildet haben, zur Stütze
zu dienen.
Besteht nun aber an sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit,
dafs die Schlacht von San Martine der Schlachtschilderung des
Isembard -Liedes, also auch unseres Fragmentes, zu Grunde
liege, so werden wir weiter doch keinen Augenblick zögern,
den Guntier unseres Fragmentes mit der gleichnamigen Persön-
lichkeit, welche nach Ausweis des Chrmi. Salefm, in der epischen
Tradition über eben jene Schlacht eine Rolle spielte, zu iden-
tifizieren und in seiner Gestalt direkt eine Bestätigung für
die Richtigkeit unserer in Rede stehender Vermutung
zu erblicken. Wir werden annehmen, dafs Ountari in ähnlicher
Weise wie in der im Chron. Sale?vi, analysierten epischen Dich-
tung in der entsprechenden Partie des Isembard -Liedes auftrat
und dafs er durch letzteres in unser Epos eingeführt wurde. Wir
werden dann auch wohl nicht fehlgehen, wenn wir vermuten,
Hugo, als dessen Schildknappe Guntier in unserem Fragmente
erscheint, entspreche dem Grafen Suavius, den das Chron.
Salern, ihm als älteren Begleiter im die Seite stellt, es sei bei
der Kontamination des Isembard- und des Saucoui-t - Liedes
Suavius durch Hugo ersetzt worden.
Belanglos ist es für uns offenbar, ob dem, was das Chron,
Salem, von Guntari erzählt, ein historisches Faktum zu Grunde
liegt. Amari, Storia dei Musiilmmd 1,387 nimmt es an, nach
ihm wäre der Anführer des christlichen Heeres in der Schlacht
von San Martine in der That ein junger Verwandter Ludwigs
Namens Guntai* gewesen. Die rein historischen Quellen wissen
jedoch davon nichts; nach dem Zeitgenossen Andreas von
Bergoma, der über die Schlacht am ausführlichsten be-
richtet, wären die Anführer des Heeres vielmehr die prindpes
10*
— 148 —
Ilunrochy Agefrid und Boso gewesen.^ Dafe für Guntari ein
historisches Vorbild existiert hat, ist natürlich nicht zu be-
zweifeln , inwieweit aber die Erzählung des Chron. Salern, histo-
risch ist, mufs dahingestellt bleiben; uns genügt es hier, zu
wissen, dafs die Sage ihn an der Schlacht von S. Martine be-
teiligt sein liefs.
Somit düi*fen wir es nun wohl als ausgemacht betrachten,
dafs das Isembard-Lied mit einer Schilderung der
Schlacht von San Martine abschlofs und dafs dem
Zuge König Ludwigs gegen die Normannen in dem
Saucourt-Liede in dem Isembard-Liede der Zug Kaiser
Ludwigs IL gegen die Sarazenen entsprach; folglich
sind in unserem Fragmente eine Schilderung der
Schlacht von Saucourt und eine Schilderung der
Schlacht von San Martine aufs engste mit einander
verschmolzen, folglich war aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht Ludwigs Zug gegen die aufrührerischen
Orafen Lambert und Hildebert im J. 860 der Haupt-
inhalt des Isembard-Liedes, sondern seine Heerfahrt
gegen die Sarazenen — ob der Krieg der J. 866 — 72
überhaupt oder nur der Schlufsakt desselben, der Feldzug des
J. 872, das wird sich nicht mit völliger Sicherheit entscheiden
lassen, dooli dürfte immerhin das letztere das wahrscheinlichere
sein, da in unserem Epos Ereignisse, welche denen der
Jahi-e 866 — 71, speziell der 4jährigen Belagerung Bari's, ent-
spi*echen könnten, nicht erwähnt werden und aus der Dar-
stellung des Chron. Salem, hervorgeht, dafs die epische Tradi-
tion den von ßom aus unternommenen Feldzug des J. 872
als einen selbständigen Feldzug betrachtete.
Dafs Kaiser Ludwig an der Schlacht von San Martino
nicht selbst Teil genommen hat, kann natürlich einen Zweifel
an der Richtigkeit des gewonnenen Ergebnisses nicht begründen.
Denn da, wie S. 132 bemerkt, Ludwig den Sarazenen entgegen-
rückte, so konnte sich später offenbar leicht die Sage bilden,
er selbst habe der Sclüacht beigewohnt, und andrerseits wissen
1) Andr. Benjom. HisiaHaf c. ir>, bei Waitz, Scriptares, p. 228.
ilühlbacher, Eeyeifta, uo. 1219 d. Vgl. Anhang III.
— 149 —
wir ja eben nicht, ob schon in dem Isembard-Liede Ludwig
selbst als der Anführer des Heeres bezeichnet wurde, es könnte
ja sein, dafs dieser Zug aus dem Saucourt - Liede stammt,
und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dafs in dem Isem-
bard-Liede, genau wie im Chron. Salern.^ der junge Guntier,
Kaiser Ludwigs Neffe, als der Anführer des Heeres bemchnet
wurde.
Dafs nun d^s Isembard-Lied auch darin mit unserem
Epos übereinstimmte, dafs es Isembard nach der Einnahme
S. Agatha's zu den Sarazenen flüchten, mit ihnen ein Bündnis
schliefsen, seinen Glauben abschwören und in der Schlacht von
San Martine fallen liefs, das darf als höcht wahrscheinlich be-
zeichnet werden. Denn es ist doch nicht anzunehmen, dafs
ihm alle jene Schicksale erst von dem Kontaminator des Sau-
court- und des Isembard -Liedes sollten angedichtet worden
sein ; auch mufste doch in dem Liede zwischen der Belagerung
Isembards in S. Agatha und dem Feldzuge Ludwigs gegen die
Sarazenen ein innerer Zusammenhang hergestellt sein und es
liegt am nächsten, sich diesen Zusammenhang durch die Person
Isembards selbst gebildet zu denken.
Nun weifs ja aber die Geschichte davon, dafs Isembard in
dem Kriege der Jahre 866 — 72 als ein Verbündeter der Sara-
zenen eine Rolle gespielt habe, absolut nichts; wir stehen des-
halb vor der Frage: wie kam die Dichtung dazu, solches von
ihm zu erzählen? Zwei Fälle sind denkbar:
1. Die Erzählung unseres Liedes kann trotz des Still-
schweigens der Geschichte recht wohl historisch sein. Dafs
Christen mit den Sarazenen gemeinsame Sache machten, dafs
sie deren Glauben und Gebräuche annahmen und gegen ihre
eigenen Landsleute zu Felde zogen, das war ja damals in Unter-
italien vollkommen an der Tagesordnung; andrerseits sind
unsere Quellen für die Geschichte jener Zeit viel zu dürftig,
als dafs aus ihrem Stillschweigen irgend etwas geschlossen wer-
den könnte. Es würde doch sicher absolut falsch sein, wollte
man in Sage und epischer Dichtung alles das, was nicht als
geschichtlich erwiesen werden kann, ohne weiteres als un-
geschichtlich erklären; nur mit der Möglichkeit, dafs es
ungeschichtlich sei, wird man rechnen müssen. Dafür, dafs
— löO —
Isembards Renegatentum historisch ist, scheint mir sein Bei-
name Margarites zu sprechen; dals ihm dieser nur deshalb ge-
geben sei, weil er gelegentlich jenes Aufstandes des J. 860
mit den Sarazenen gemeinsame Sache machte, das kann ich
nicht glauben. Ich halte es recht wohl für denkbar, dafe die
Erzählung des Isembard -Liedes in ihren Hauptzügen vollkommen
historisch war.
2. Gesetzt, die Erzähl img des Isembard -Liedes sei, was
Isembard betrifft — abgesehen von seiner Beteiligung an dem
Aufstande von 860 — nicht historisch, so würde es doch
wohl möglich sein, die Entstehung der Sage zu erklären. Die
Empörung des Adelchis von Benevent und des Lambert von
Spoleto im J. 860 hatte nämlich eine gewisse Ähnlichkeit mit
der Empörung der nämlichen Grofsen im J. 871; beide Male
war noch eiu dritter Gro&er mit ihnen im Bunde, das erste
Mal der Graf Hildebert, das zweite Mal ein gewisser Lambert,
über den nichts näheres bekannt ist Es mufste deshalb für
die Sage nahe liegen, diese beiden Empörungen mit einander
zu verwechseln. Diese Verwechselung ist in der That voll-
zogen bei dem Historiker Leo, der die Ereignisse des Jahres
860 ins Jahr 871 verlegt. Nun mufs ja, wie schon oben be-
merkt, die Persönlichkeit Isembards anläfslich des Aufetandes
vom J. 860 in jedem Falle auf die Kreise, in denen unser
Lied entstand, einen besonders starken Eindruck gemacht haben.
Verlegte deshalb die Sage die Belagei-ung S. Agatha's ins J. 871,
so konnte sie leicht dazu kommen, den auf jene zweite Empö-
rung unmittelbar folgenden Einfall eines neuen grofsen Sara-
zenenheeres als ein Werk Isembards zu betrachten, der nach
Ludwigs angeblicher Rückkehr nach Pavia (Chron. Salem. f)
die Sarazenen herbeigerufen habe, um mit ihrer Hilfe an Lud-
wig Rache zu nehmen ; er mufste dann natürlich seinen Frevel
büfsen, indem er in der Schlacht, in der jenes Heer besiegt
wurde, seinen Tod fand.
Dies wäre ein Versuch, den Inhalt des Isembard -Liedes
zu erklären auf Grimd der Voraussetzung, dafs er, was Isem-
bard betrifft, im wesentlichen ein sagenhafter sei. Indessen,
ich wiederhole es, es ist mir, besonders im Hinblick auf den
Beinamen Margarites, bei weitem wahrscheinliche!, dafs der
— 151 —
Sage von Isembard ganz bestimmte historische Thatsachen zu
Grunde liegen , über die uns die dürftigen Chroniken jener
Zeit nur keine Auskunft erteilen: sei es nun, dafs Isembard
selbst nach dem J. 860 eine ähnliche Rolle gespielt hat, wie
sie ihm unser Epos zuweist, sei es, dafs die Sage ihn mit
einer anderen historischen Persönlichkeit verwechselt und deren
Schicksale auf ihn, der infolge der Ereignisse des J. 860 Held
eines epischen Liedes geworden sein mochte, übertragen hat.
Es sind nun noch einige weitere Punkte zu besprechen.
Wir nahmen oben S. 187 an, das Vorbild für Isembards sara-
zenischen Verbündeten, der mit Gormund vermengt wurde, sei
zu erblicken in dem Sultan von Bari, zu dem das Chron. Casin.
gelegentlich der Empörung des J. 860 den Hildebert flüchten
läfst. Nun war aber dieser an der Schlacht von S. Martine
nicht beteiligt, er befand sich seit der Einnahme Bari's im
J. 871 in der Gefangenschaft, aus der er erst 875 befreit
wurde; zu seinen Glaubensgenossen zurückgekehrt, wurde er
von seinen eigenen Leuten ermordet, da inzwischen einer seiner
Feinde die Macht an sich gerissen hatte. ^ Anführer des im
J. 871 neu eingefallenen Sarazenenheeres war ein gewisser
Abd- Allah und nach dessen, noch im gleichen Jahre erfolgtem
Tode ein Abd-el-Melik; wer speziell bei S. Martine die Sara-
zenen befehligte, wissen wir nicht. Somit werden wir fragen
müssen: Läfst sich nach unseren neuerdings gewonnenen Er-
gebnissen auch jene frühere Annahme aufrecht erhalten? Ich
glaube ja. Wenn irgend einer, so war der Sultan von Bari
geeignet, ein Held der Sage zu werden und in einem epischen
Liede über die Sarazenenkriege Ludwigs eine hervorragende
EoUe zu spielen. Er war lange Jahre hindurch der Schrecken
der Christenheit gewesen, seine Persönlichkeit hatte sich, das
wissen wir, der Phantasie der Zeitgenossen tief eingeprägt So
konnte die spätere Sage leicht dazu gelangen, ihn auch zum
Anführer der Sarazenen in dem Peldzug der Jahre 871 — 72
zu stempeln. Aber wir sind hier keineswegs auf eine blofse
Vermutung angewiesen, wir haben ein ausdrückliches Zeugnis,
dafs die Sage dies gethan hatte. Bei dem byzantinischen
1) Ygl. Aman, a. a 0. I, 372.
— 152 —
HiütfjnkffT Constantina?- PvrphTrogenitas igmdiiseher
Kaiser rtm 912 — 959» in der .Schrüt Im admimi^nmdo imperw,
c, 29- findet ^ich nämlich fcig'ende G€^-hicbtie:
KaL«^ LadwijT hat Bari ein^te^nommen und den Soltan
{ISoiAavo^} mit sich nai-h Capua und Benevent in die Ge-
faniren><rhaft «geführt. Bald trin er in näheren Terkehr mit
seinem Gefangnen und zieht ihn !^ogar zur Tafel. Der Soltan
nun. ali» ein hinteriisti^r Mann, erzählt den Groisen {Si^oviez)
von (?d\fusk und Benevent, die ihn in medizinischen und an-
deren Dingen t>fter um Rat fragen, der Kaiser führe Übles
gegen .sie im Schilde, er wolle sie gefangen setzen und ins
Fmnkenreich schicken. Dann seht er zum Kaiser und warnt
ihn vor den ihm aufsässigen Groisen: seine Herrschaft im
Lande werde s^j lange nicht gesichert sein, als bis er jene habe
in Ketten legen lassen. Der Kaiser leiht den Einflüsterungen
Gehör und läfst durch seine Schmiede Ketten anfertigen. Die
Grofs^-n. hiervon unterrichtet, gewinnen die Überzeugung, dafs
der Sultan die Wahriieit gesprochen habe und fassen den man,
sich des Kaisers zu entledigen. Als derselbe eines Tages von
der Jagd zurückkehrt, findet er die Thore der Stadt ver-
schloss'.'n [der Name der Stadt wird nicht genannt, es ist aber
jedenfalls Benevent gemeint]; der Kaiser merkt, dafs eine Ver-
sf;hwörung gegen ihn im Werke ist, und begiebt sich zurück
in sein l^nd. Der Sultan wird nun von den Grofsen zum
Dank für den Dienst, den er ihnen geleistet hat, in Freiheit
ffüHit/X Er aber begiebt sich nach Afrika, sammelt eio greises
HfM^r und fallt in Italien ein. um Capua und Benevent zu er-
obern. Die Einwohner rufen Ludwig um Beistand an, werden
aber vrin dem erzürnten Kaiser abschlägig beschieden. Sie
wenden sich nun an den Kaiser von Konstantinopel, der
sofortige Hilfe zusagt. Ihr Bote wird auf der Rückkehr von
den Sarazenen oingefangen. Der Sultan verspricht ihm die
Freiheit und reiche Geschenke, wenn er, an die Mauern der
Stadt herantretend, seinen Mitbürgern verkünden wolle, dafe
sie auf Untf^rstützung vom Kaiser nicht zu rechnen hätten.
\) Migrio, Patrol. f/raeca, t. 113, 258 ff. Der ganze Passus ist aus-
geHcliriobori von Theoph, Omtm., c. 56, Scriptores Eist. Byxant 29%
p. 2Ü4 IT.
— 153 —
Der Bote erklärt sich bereit, dem Ansinnen zu entsprechen;
aber, vor die Stadt geführt, richtet er, des sicheren Todes ge-
wärtig, heldenmütig den Seinen die Antwort des Kaisers wahr-
heitsgetreu aus: sie sollten sich tapfer zur Wehr setzen, in
wenigen Tagen werde Hilfe zur Stelle sein. Er wird von den
erbitterten Sarazenen sofort niedergemacht, der Sultan aber
kehrt, aus Furcht vor dem herannahenden griechischen Heere,
unverrichteter Sache nach Afrika zurück.
Es ist klar, dafs wir in dieser Geschichte nichts anderes
vor uns haben als eine Sage über den Aufstand des Adelchis
von Benevent im J. 871 und jenen unmittelbar darauf folgen-
den Einfall eines neuen sarazenischen Heeres unter Abd- Allah.
Zwischen beiden Ereignissen ist ein kausaler Zusammenhang
hergestellt, in analoger Weise, wie in dem Isembard-Liede die
Empörung des J. 860 mit eben jener Invasion, speziell mit der
Schlacht von San Martine, verknüpft gewesen sein mufs. Hier
war die Verbindung aller Wahrscheinlichkeit nach bewerk-
stelligt durch die Person Isembards, dort ist sie es durch die
Person des Sultans.
Demnach erfahren wir also aus der Erzählung Constantins,
dafs eine Sage existierte, wonach eben der Sultan von Bari
der Anführer jenes sarazenischen Heeres gewesen wäre, dessen
Niederlage bei S. Martine das Isembard-Lied geschildert haben
mufs. Die Annahme, dafs eben jener Sultan das historische
Vorbild des mit Isembard verbündeten Sarazenenfürsten gewesen
sei, hat mithin durchaus nichts bedenkliches. Wenn im übrigen
die von dem byzantinischen Historiker aufbewahrte Sage grund-
verschieden ist von dem mutmafslichen Inhalt des Isembard -
Liedes, so hindert das natürlich nicht, dafs beide doch in einem
Zuge übereingestimmt haben. Weicht doch die byzantinische
Version auch von der des Chronicon Salernitamim vollständig
ab und trifft doch in dem einen Punkte mit ihr zusammen,
dafs auch sie Ludwig- nach dem Aufstand in Benevent — der
Geschichte entgegen — nach Oberitalien zurückkehren läfst.
Soviel über den Inhalt des Isembard -Liedes und seine
geschichtlichen Grundlagen. Ich gehe nun über zur Erörterung
eines Problem es, welches Bezug hat auf den Inhalt des Sau-
court-Liedes.
154 —
Rollo.
Wir sind im vorigen Abschnitt zu dem Kesultate gelangt,
dafs sowohl in dem König Ludwig als in dem Araberfürsten
Oormund unserer Chanson zwei ganz verschiedene Persönlich-
keiten miteinander verschmolzen sind, eine Figur des Isem-
bard-Liedes und eine des Saucourt -Liedes: in König Ludwig
der Kaiser Ludwig IL von Italien und der westfränkische König
Ludwig IlL, in Gormund der arabische Sultan von Bari und
der dänische Seekönig Gormund. Im Hinblick auf diese That-
sache liegt doch nun gewifs a priori die Vermutung nahe
genug, es möchte auch in dem Haupthelden unserer Dichtung,
in Isembard, nicht nur eine Figur des Isembard- Liedes, son-
dern auch eine solche des Saucourt- Liedes stecken, der Rene-
gat Isembard möchte, wie ^^aiser Ludwig und wie der Sultan
von Bari, in das Saucourt-Lied nicht als eine völlig neue
Person eingeführt worden sein , sondern es möchte in letzterem
bereits eine Figur vorhanden gewesen sein, deren Charakter
und Schicksale mit den seinigen irgend welche Berührungs-
punkte darboten und welche deshalb von dem Kontamtnator
der beiden Lieder mit ihm identifiziert wurde. Wirküch läf$t
es sich nun in hohem Grade wahrscheinlich machen, dafs auch
die Gestalt Isembards, wie die Ludwigs und Gormunds, in
unserem Epos das Resultat eines Verschmelzungsprozesses ist;
freilich sind wir nicht, wie in jenen beiden anderen Fällen, in
der Lage, eine ganz bestimmte historische Persönlichkeit nach-
zuweisen, welche mit dem Renegaten Isembard in eins zu-
sammenwuchs, wohl aber können wir soviel mit annähernder
Gewifsheit sagen, dafs der später auf den Namen Isembard
getaufte Verbündete Gormunds in dem Saucourt-Liede wie
dieser selbst ein normannischer Wikingerhäuptling gewesen
sein mufs.
Um nun den Nachweis für diese Behauptung zu führen,
müssen wir ünteritalien und seinen Sarazenenhorden den Rücken
kehren und uns mit einem grofsen Sprunge zurückversetzen
nach den fernen nördlichen Gestaden Frankreichs, dem Tummel-
plätze zukunftsreicher dänischer Wikingerscharen.
— 155 —
Es besteht nämlich eine höchst bemerkenswerte Überein-
stimmung zwischen dem, was unser Epos nach Mouskets
R6sum6 von Isembard bis zu dessen Landung in Frankreich
berichtete, und einer alten sagenhaften Tradition über den ersten
Normannenherzog Rollo, einer Tradition, die uns aufbewahrt
ist bei dem Normannenhistoriker Dudo von St. Qu entin.
Über d§n Autor und sein Werk ist Folgendes voraus-
zuschicken: Dudo, Domherr und Dechant der Kongregation
von St. Quentin, lebte um die Wende des 10. Jh.; er ist wahr-
scheinlich geboren um 960 in der Grafschaft Vermandois in
der südlichen Pikardie, wo er auch den gröfsten Teil seines
Lebens zubrachte. Sein Geschichtswerk: De morilnis et actis
primorum Nonnanniae ductim ^, die Hauptquelle für die älteste
Geschichte der Normannen in Frankreich, hat er begonnen
zwischen 994 und 996, vollendet hat er -es nicht vor 1015.
Dudo 's Hauptgewährsmann war, wie er selbst angiebt, der Graf
Rodulf von Ivry, der jüngere Bruder des Herzogs Richard I.;
er sagt in seinem versus ad comitem Rodulfum hujus operis
relatorem:
cujus quae constant libro hoc consai'ipta relatu
digessi attonitus, tremuluSy hebes, anxius^ anceps.
Dudo giebt also ausschliefslich das wieder, was die nor-
mannischen Fürsten seiner Zeit sich von ihren Vorfahren er-
zählten, „die am Hofe von Ronen fortgepflanzte Haussage''.^
' Dudo berichtet nun über RoUo's Herkunft und früheste
Schicksale Buch II, cap. 1 — 19^ Folgendes:
In Dänemark (Dada) lebt ein alter „Herzog" (dux)^ der,
reich begütert und im Besitz einer grofsen Hausmacht, bei-
nahe das ganze Land beherrscht und sich noch nie vor einem
König gebeugt hat. Als er stirbt, hinterläfst er zwei Söhne,
1) ed. Jules Lair, Caen 1865, in Memoires de la Societe des Änti-
quaires de Normandie, v. XXIII; Duchesne, Bist. Norm. Script, j Paris
J619, p. 49-^60.
2) Vgl. Lair, Introd. p. 17 ff. E. Dümniler, Zur Kritik Dudo's von
St, Quentin in Forschungen xur deutschen Geschichte ^ 6 (1866), S. 362.
Steenstrup, Normannerne I, 30.
3) Lair, p. 140 ff.
ä
156 —
ff,,r. !Mfr) und Gurim (- Gorm)^ beide aus-
. xoojLihoit un<l kriegerische Tüchtigkeit. Um
■K... iKcrun^ hervorgerufenen unaufhörlichen inne-
.li liiido zu machen, hat der König des Landes
..-.».u Kar aller älteren Männer festgesetzt, dafs ein
.iu^iu lAUito aufser Landes gehen soll. Alle die
. ;u' diis Los zur Auswanderung bestimmt, wenden
..; >'iuj beiden Brüder mit der flehentlichen Bitte, sie
. to 11 iliuen beistehen gegen den König, der sie mit Gewalt
uiu Laude vertreiben wolle; bereitwillig sagen Rollo und
..ii:im liuv Untei-stiityAing zu. Inzwischen hat der König die
\.4xl»inl»t vvm dem Tode ihres Vaters erhalten; um sich für das
xirlo l'ble, was dieser ilim zugefügt hat, zu rächen, beschliefst
. I , ilii? beiden Brüder mit Krieg zu überziehen. Aber diese
.'iiahren, was der König gegen sie im Schilde führt, und be-
imIi'h sirli, ihm zuvor zu kommen, indem sie, von den zur
VuNWiUiderung bestimmten jungen Leuten unterstützt, mit
llriTosinacht in sein Land einfallen. Der Krieg dauert fünf
.liiiuis endlich wird Friede geschlossen auf Grund der Be-
ilih«;ung, dafs der beiderseitige frühere Besitzstand gewahrt
bli'ibe. Aber der Kimig bricht den Frieden in verräterischer
Wi^isi», greift nächtlicherweile die Stadt, in der die Brüder
wohnen, an und legt gleichzeitig nahe den Mauern der Stadt
i^ihi^n Hinterhalt. Als Rollo und Gurim mit ihrer Mannschaft
i^iiuui Ausfall machen, da ergreift er zum Schein die Flucht
und lockt so die Brüder hinter sich her. Als beide mit ihren
Scharen über den Hinterhalt hinaus sind, bricht die im Ver-
sti^cko liegende Truppe hervor, und während ein Teil die von
Verteidigern entblöfste Stadt in Brand steckt, fällt der andere
die Brüder im Rücken an; gleichzeitig macht der König mit
seintu- Truppe Front, so dafs die Brüder zwischen zwei Heere
eingeklemmt sind. Gurim findet im Getümmel seinen Tod, Rollo
(entkommt mit einer kleinen Schar, wendet Dänemark den Rücken
und segelt mit sechs Schiffen nach der Insel Scanxa [= Skan-
dinavien i] (c. 1 — 4). Einer im Traum vernommenen göttlichen
1) Skandinavien war nach mittelalterlicher Anschauung eine grofise
Xnsol im nördlichen Ozean.
— 157 —
Stimme folgend, fährt er von da weiter nach England; die ein-
heimische heidnische Bevölkerung will ihm die Landung wehren,
wird aber in einer Schlacht besiegt. Eollo schwankt nun, ob
er nach Dänemark zurückkehren, nach Frankreich weitersegeln
oder England erobern soll. Er hat einen wunderbaren Traum,
der ihm von einem gefangenen Christen dahin gedeutet wird,
dafs er und sein Volk in Frankreich die Taufe empfangen wür-
den (c. 5 — 6).
Zu jener Zeit herrschte über England der König Alste-
mus [= Aethelstan] y,rex Anghrurn christianissimtcs . ,
sacrosanctae ecclesiae praedignus adiwcaiiis". An ihn schickt
Rollo Boten und läfst ihm sagen, er sei ungerechter Weise
aus Dänemark vertrieben, habe keinerlei feindliche Absichten
und bäte nur für die Dauer des Winters um die Erlaubnis, in
Alstemus' Lande kaufen und verkaufen zu dürfen; sobald der
Frühling anbreche, wolle er nach Frankreich weiterziehen. Der
König erteilt die erbetene Erlaubnis und fordert die Gesandten
auf, Eollo zu bewegen , dafs er persönlich zu ihm komme. Rollo
leistet der Einladung Folge, er wird aufs freundlichste von
Alstemus empfangen und schliefst mit ihm ein Schutz- und
Trutzbündnis. Im Frühling tritt Rollo mit den Seinigen die
Überfahrt nach Frankreich an. Die bösen Geister, welche
wissen, dals er und seine Begleiter die Taufe empfangen sollen,
erregen einen ungeheuren Sturm, der die Flotte mit dem
Untergang bedroht; da richtet Rollo ein inbrünstiges Gebet an
Gott und sofort glätten sich die Wogen. Sie landen nun bei
Walchern, schlagen die Einwohner, die sich ihnen entgegen-
stellen, in die Flucht und verwüsten das Land. Alstemus, ein-
gedenk des mit Rollo geschlossenen Freundschaftsbundes, sendet
ihm 24 Schiffe mit Proviant und Kriegsmannschaft. Nachdem
Rollo Walchern und Friesland verwüstet hat, fährt er in die
Scheide ein bis zur Abtei Condö, besiegt den Raginer Lang-
hals in einer Reihe von Schlachten und nimmt ihn selbst ge-
fangen, schenkt ihm jedoch auf die Bitten von Raginers Gattin
die Freiheit wieder (c. 7 — 10).
Ln J. 876 verläfst Rollo die Scheide und fährt an Jumieges
vorbei nach St. Vaast, wo er landet, von da weiter nach Ronen.
Nachdem er eine von Hasting ihm überbrachte Aufforderung,
— 158 —
sich dem König von Fi-ankreich zu unterwerfen, abgewiesen
und den Franzosen unter dem Herzog Rainald ron Maine eine
schwere Niederlage beigebracht hat, beginnt er Paris zu belagern;
er erobert Baveux und nimmt Poppa, die Tochter des Fürsten
Berengar, zur Frau (c. 11 — 16).
Als die Engländer hören, dafs Rollo durch die Belagerung
von Paris in Anspruch genommen ist, greifen sie zu den WaflFen
und empören sich gegen König Alstemus; da dieser allein nicht
im Stonde ist, sich der Angreifer zu erwehren, schickt er einen
Gesandten an Rollo mit der Bitte um Unterstützung. Rollo
verläfst die Belagerung von Paris und begiebt sich nach Eng-
land zu Alstemus, der ihm die Hälfte seines Königreiches und
seiner Habe schenkt. Beide vereint bekriegen nun die Engländer,
brennen ihre Städte nieder und zwingen sie schlielslich zur
Unterwerfung. Alstemus, in der Meinung, Rollo werde nun
dauernd in England bleiben, erklärt ihm nochmals, er schenke
ihm die Hälfte seines Reiches. Rollo erwidert, er habe nichts
gethan, als dafs er dem Könige seinen Dank abgestattet habe
für die Unterstützung, die dieser ihm seinerseits in Walchem
habe angedeihen lassen; unter dem Symbol eines Dolches, dessen
Griff 12 Pfund Goldes enthält, giebt er dem König das ge-
schenkte Reich zurück; er erkläit dann, er wolle nun wieder
nach Frankreich, um dort seine Feinde zu bekämpfen. Der
König will ihn begleiten, aber Rollo schlägt das Anerbieten
aus; mit einem gewaltigen, in England zusammengebrachten
Heere kehrt er nach Frankreich zurück und setzt dort die Be-
lagerung von Paris fort (c. 17 — 19). Rollo 's weitere Schicksale
interessieren uns hier nicht mehr.
Es ist nun zu bemerken, dafs der König Aethelstan
identisch ist mit dem dänischen Seekönig Guthorm,
der ja, wie wir sahen, im J. 879 auf den Namen
Aethelstan getauft wurde. Allerdings ist es wahrschein-
lich, dafs Dudo in ihm vielmehr den späteren König von Eng-
land gleichen Namens (924 — 40), den Enkel Aelfreds, erblickt;
denn als König von England bezeichnet er ihn ja, und
später^ spricht er von eben diesem jüngeren Aethelstan, ohne
anzudeuten, dafs er hier einen anderen meine als zuvor. Aber
1) c. 41 u. 49, Lair p. 185 u. 193.
— 159 —
unmöglich kann das die Meinung von Dudo's Quelle gewesen
sein, die Meinung der ihm aus dem Munde des Grafen . Rodulf
zufliefsenden Tradition; es liegt einfach eine Verwechselung
von Seiten Dudo's oder möglicherweise schon seines Gewährs-
mannes vor. Dafs der Aeihelstan Dudo's identisch ist mit Gu-
thorm-Aethelstan, das ist die übereinstimmende Ansicht von
Lappenbergi, Clement^, Kruse^, Lair*,Pauii^, Petersen^,
Steenstrup^, Storm® und Kalckstein^. Dümmler^® meint
nur, es führe auch diese Annahme noch nicht auf das Gebiet
der historischen Thatsachen, — aber das ist natürlich eine an-
dere Frage, die uns hier nicht interessiert. Sollte man noch
irgend einen Zweifel hegen an der Berechtigung der in Rede
stehenden Identifikation, so müfste derselbe schwinden gegen-
über einem ausdrücklichen Zeugnis in der bald nach 1108 be-
gonneneu Chronik des Hugo von Fleury ^^, welches man, soweit
ich sehe, aus einem leicht erkennbaren Grunde bisher in diesem
Sinne noch nicht verwertet hat. Nachdem Hugo B. I, c. 1 über
die Raubzüge des Hasting berichtet und dabei die Bemerkung
gemacht hat: „verum iste Alstaynus vulgo Oormundus solet
nominari^'y erzählt er von der Einfahrt der Dänen in die Seine
und nennt als ihren Führer: „Rollo y vir potentissimus , supra-
nominati Gormundi regis et archipyratae propincus^
Hier wird also Rollo mit Gormund, der, wie wir wissen, iden-
tisch ist mit Guthorm- Aethelstan und nicht, wie Hugo meint, mit
Hasting, direkt in engste Beziehung gebracht; wenn Hugo den
Rollo als Guthorms Verwandten, Dudo hingegen ihn als seinen
Freund und Verbündeten hinstellt, so läuft das offenbar im
1) Geschichte von England I, 326.
2) Die nordgermanische Welt, Kopenhagen 1840, S. 316.
3) Chronicon Nortmannorttm , Hamburg und Gotha 1851, S. 382.
4) Ausgabe Dudo*s, Introd. p. 53.
5) König Äelfred, S. 146.
6) Die Raubxüge der Normannen, S. 23.
7) Normannerne I, 131.
8) Kritiske Bidrag til Vikingetidens Historie, S. 147.
9) Geschichte des französischen Königtums unter den ersten Cape-
tingern, Leipzig 1877, I, 127.
10) A. a. 0. S. 368.
11) Pei-tz, SS. IX, 340.
— 160 —
Grunde auf dasselbe hinaus. Dafs die Stelle bisher für die
Identifizierung von Aethelstan und Guthorm noch nicht ver-
wendet wurde, das rührt natürlich daher, dafs man die Iden-
tität von Gormund und Guthorm nicht erkannt hatte.
Die Angabe Hugo's ist nun aber gleichzeitig auch noch
in einer anderen Beziehung für uns von hohem Interesse. Wir
erfahren nämlich durch sie, dafs zu Hugo's Zeit, also zu Ende
des 11. und Anfang des 12. Jh., eine volksmäfsige Tradition
vorhanden war, welche Gormund und Rollo in enge Verbindung
bracht«; denn Hugo sagt ja ausdrücklich, Hasting werde vom
Volk ivulgö) Gormund genannt, und dafs er eben aus der
Volkssage schöpfte, ergiebt sich schon aus der Namensform
Oormundy welche sich nirgends in rein historischen, sondern
ausschliefslich in sagenhaften Berichten über Guthorm, den
OutfiTun der englischen Geschichtsquellen , findet Gormund war
Güthorms Name in der Volkssage.
Weiter ist es für uns von Interesse, aus den Worten Hugo's
zu ersehen, dafs jene volksmäfsige Tradition die Persönlich-
keit Güthorms in einem völlig anderen Lichte erscheinen liefs
als Dudo es thut; sie betrachtete Guthorm nicht, wie letzterer,
als einen „ allerchristlichsten König", sondern, ganz im Einklang
mit der Geschichte und mit unserem Epos, als einen — natür-
lich heidnischen — „Erzpiraten'', als einen normannischen
Wikingerführer.
Es kann nun keinem Zweifel unterliegen , dafs eben dieses
auch die Auffassung der von Dudo benutzten Tradition ge-
wesen ist; alles specifisch christliche bei Dudo ist augenschein-
lich nichts als mönchische Zuthat; dahin gehört die erwähnte
Bezeichnung Guthorm's als allerchristlichsten Königs, sodann
der Traum, durch den Rollo aufgefordert wird, nach England
zu gehen, der andere Traum, der ihm seine bevoi-stehende Taufe
ankündigt, die Angabe, der Sturm bei der Überfahrt nach
Frankreich sei en^egt worden von bösen Geistern, die nicht
wollen, dafs Rollo Christ werde, sowie die Angabe, Rollo habe
den Sturm durch ein Gebet beschwichtigt. Für die Tradition
in ihrer ursprünglichen Fassung können Rollo sowohl als sein
Verbündeter Guthorm nichts anderes gewesen sein, als was sie
in der Geschichte waren: auf Beute- und Eroberungszügen
— 161 —
begriffene nordische "Wikingerhäuptlinge, „Jlrzpiraten^, um mit
Hugo von Fleury zu reden.
Hält man sich nun dies gegenwärtig und schält man aus
der mönchischen Verhüllung die ursprüngliche Tradition, so
weit es angeht, heraus, so ist eine nahe Übereinstimmung un-
verkennbar zwischen den Schicksalen Rollo 's, wie sie jene
Tradition erzählte, und dem, was unser Epos nach Mouökets
R6sum6 von Isembard berichtete.
Die übereinstimmenden Züge sind die folgenden: hier wie
dort haben wir zwei Brüder, Söhne eines Herzogs, von denen
der jüngere durch Verrat ums Leben kommt; denn dafs Gurim
als- der jüngere zu betrachten ist, das ergiebt sich aus dem
Umstände, dafs Rollo stets an erster Stelle genannt wird und
als der Wortführer erscheint, dafs Gerardin es gleichfalls ist,
das geht hervor aus dem Diminutiv und wird bestätigt durch
die ausdrückliche Angabe im Loher und Maller^ Ein Unter-
schied zwischen Mousket und Dudo besteht nur darin, dafs bei
jenem die Tötung des Bruders die Ursache des ganzen fol-
genden Konfliktes mit dem König ist, bei diesem ist sie eine
Folge des Konfliktes. Weiter: hier wie dort ist der Held mit
dem König zerfallen, er wird von demselben ungerechterweise
in seiner Vaterstadt angegriffen und aus dem Lande vertrieben;
hier wie dort begiebt er sich übers Meer zu Guthorm nach
England (dafs Mouskets Angabe, Isembard sei erst nach Eng-
land und dann zu Gormund in den Orient gegangen, eine jüngere
Version darstellt, habe ich S. 34 f gezeigt); hier wie dort wird
er von Guthorm freundlich aufgenommen und schliefst mit ihm
ein Bündnis; hier wie dort besiegt er einen Jeind Guthorms,
der ihn seines Landes berauben will; nur ist dieser Feind bei
Dudo Guthorms eigenes Volk, bei Mousket ein fremder Fürst*
und findet die Hülfeleistung bei Mousket vor der Überfahrt
nach Frankreich statt, bei Dudo erst nach derselben: der Held
kehrt von Frankreich nach England zurück. Hier wie dort
wird dann der Held zur Belohnung seiner Dienste von Guthorm
mit Land beschenkt, bei Mousket erhält er „Bocidante, ein
1) Simrock S. 22a
2) Puis venqui il un aumacour
qui li voloit tolir s*ounour,
Zenker, Das Epos von Isembard etc. 11
— 162 —
grofses Land im Orient^, bei Dudo schenkt Outhorm ihm die
Hälfte seines eigenen Königreiches, nur stattet bei Dudo der
Held dem König das geschenkte Land wieder zurück. Hier
wie dort segelt der Held von England nach Frankreich, um es
zu erobern, bei Mousket in Guthorms Begleitung, bei Dudo
allein, aber doch mit seiner Unterstützung: Guthorm sendet
Rollo 24 Schiffe mit Proviant und Mannschaft, und als BoUo
sich das zweite Mal zur Überfahrt aaschickt, da will Guthorm
ihn selbst begleiten, BoUo schlägt das Anerbieten aus, doch
besteht sein Heer zum grofsen Teil aus XJnterthanen Guthorms.
Endlich hat der Held hier wie dort bei der Überfahrt einen
gewaltigen Sturm durchzumachen, der seine ganze Flotte mit
dem Untergange bedroht
Ich meine nun, diese Übereinstimmungen sind auffallig
genug, um es in hohem Grade wahrscheinlich zu machen, dals
wir es in beiden FäUen mit einer ursprünglich identischen Tradi-
tion zu thun haben, welche sich nur an verschiedene Namen
geknüpft und in Folge mündlicher Fortpflanzung im Laufe der
Zeit teilweise differenziert hat Die Mehrzahl der Abweichungen,
welche die Darstellung Mouskets gegenüber der Dudo's aufweist,
würde sich unschwer erklären lassen, wenn wir annehmen
dürften, dafs jene gegenüber der letzteren eine jüngere Fassung
der Tradition darstelle, welche durch ihre Träger teils bewulst,
teils unbewufst modifiziert wurde. So war der Grund, auf
welchen Dudo den Zwist des Königs und der beiden Brüder
zurückführt, das Verlangen des Königs, Bache zu nehmen für
die viele Unbill, die er von dem Vater der Brüder erduldet
hatte, dieser Grund, sage ich, war, weil zu unbestimmt, poe-
tisch wenig tauglich und es mufste sich das Bedürfnis einer
konkreteren Motivierung geltend machen; da konnte denn die
Sage wohl darauf verfallen, die Tödtung des Bruders, die ur^
sprünglich nur eine Folge jenes Zwistes war, zu dessen eigent-
licher Ursache zu machen und die betreffende Episode an den
Anfang der Geschichte zu transponieren. Wenn sodann bei
Dudo der Held zweimal bei Guthorm weilt, so konnte für die
Sage dieser zweimalige Aufenthalt leicht in einen einzigen zu-
sammenfliefsen, was dann zur notwendigen Folge haben muüste,
dals die Guthorm durch der Helden geleistete Unterstützung
— 163 —
vor den Zug nach Frankreich fiel. Wenn weiter bei Dudo der
Held Guthorm Beistand leistet anlässlich einer Empörung von
dessen eigenen Unterthanen, bei Mousket gegen einen fremden
Fürsten, so konnte, da eine Motivierung für jene Empörung
ni<5ht gegeben wird, leicht aus der ersteren Version die letztere
werden; im übrigen könnte es sein, dafs hier Mousket sogar
die ältere Version bewahrt hätte, denn die historische Grund-
lage für jiwle Erzählung Dudo^s ist ja sicher zu erblichen in
Guthonns Krieg gegen König Aelfred und wohl erst durch seine
Verwechselung mit dem späteren König Aethelstan sind seine
Gegner, die Engländer (Angli)^ zu seinen eigenen Unterthanen
geworden. Wenn weiter Guthorm bei Dudo mit dem Helden
ein Bündnis schliefst, ihn mit Kriegsmannschaft auf seinem
Zuge nach Frankreich unterstützt und ihm sogar seine eigene
Begleitung anbietet, so ist es von da zu der Sage, er habe ihn
thatsächlich begleitet, offenbar nur ein Schritt, und wenn er
ihm endlich einen Teil seines Landes schenkt, es aber durch
eine symbolische Handlung zurückgeschenkt bekommt, so mufste
diese Episode der Sage natürlich zu kompliziert erscheinen: die
Schenkung war das natürliche, die Rückschenkung mufste fallen.
Ich will nun keineswegs behaupten, dafs die Differenzen
der beiden Versionen wirklich in dieser Weise erklärt werden
müssen, es kam mir nur darauf an, zu zeigen, dais sie eine
Erklärung sehr wohl zulassen.
Nun darf freilich eines nicht verschwiegen werden: es ist
nämlich bei einigen der Mouskets R6sum6 entnommenen ver-
glichenen Züge nicht sicher, ob sie wirklich schon in dem alten
Epos vorhanden waren. Zwar sind sie, was ihre Ursprünglich-
keit angeht, vollkommen unverdächtig, es spricht absolut nichts
dagegen; aber freilich, sicher ist dieselbe darum noch nicht
Indessen meine ich, dafs gerade der Umstand, dafs sie zu an-
deren übereinstimmenden Zügen hinzutreten und mit denselben
zusammengenommen eine solche Kette gemeinsamer Züge er-
geben, eben dieser Umstand spricht für ihre Ursprünglichkeit,
indem es nicht wahrscheinlich ist, dafs diese Reihe von Über-
einstimmungen zwischen Mousket und Dudo auf einem blofsen
Zufall beruhen sollte. Aber selbst wenn man es für unzulässig
erklären würde, die in Rede stehenden Züge, für deren Echtheit
11*
— 164 —
wir keine Oarantieu haben, in der Weise, wie es oben geschehen
ist, als wirklich echte Züge zu verwerten, so würden doch die
bei weitem wesentlichsten Übereinstimmungen zwischen dem
alten Epos und Dudo bestehen bleiben: hier wie dort begiebt
sich der Held, ungerechterweise von dem Könige des Landes
in seiner Vaterstadt angegriffen und vertrieben, übers Meer
nach England zu dem dänischen Seekönig und Erzpiraten
Guthorm, schliefst mit ihm ein Bündnis und unternimmt mit
seiner Unterstützung einen Eroberungszug nach Frankreich.
Nun besteht freilich andrerseits ein sehr wesentlicher Unter-
schied zwischen den Schicksalen Rollos und denen Isembards,
ein Unterschied, der auf den ersten Blick die Annahme der
ursprünglichen Identität der beiden Traditionen als sehr gewagt
erscheinen lassen könnte: BoUo ist ein Däne, wird aus Däne-
mark veqagt und zieht aus, um ein fremdes Land, Frankreich,
zu erobern; Isembard ist ein Franke, wird aus Frankreich ver-
bannt, und überzieht, nach Frankreich zurückkehrend, sein
eigenes Vaterland mit Krieg. Ist es wohl denkbar, dais aus
der ersteren Version die letztere werden, die Sage eine so ein-
schneidende Modifikation erfahren konnte? Ich glaube, diese
Frage aufs entschiedenste mit „Ja" beantworten zu sollen, und
zwar scheinen mir zwei Möglichkeiten gegeben zu sein, welche
geeignet sind, die in Rede stehende Umbildung der ursprüng-
lichen Tradition zu erklären:
1. Es ist eine bekannte Thatsache, dafs die einheimische
Sage die Neigung hat, einen fremden Eroberer als einen in sein
Vaterland zurückkehrenden Verbannten zu betrachten. Dafe
diese Neigung der Sage sich auch in Frankreich gegenüber den
erobernd vordringenden normannischen Häuptlingen bethätigte,
das ersehen wir aus einer Angabe in der Chronik des Rodulfus
Glaber, B. I (verfasst innerhalb der J. 1030 — 35, vgl. Petit,
Revue historique t. 48, p. 283) cap. 5^, wonach der berühmteste
der normannischen Seekönige, Hasting, ein aus Herrschbegier
1) Pertz, SS* Vn, 58: ... ortus est vir quidam ex infimo rvsticorum
genere, Ästingics nomine, in vico videlicet qui TranquilliLs [Trancost oder
Trancou€\ dicitur Quijuvenis . . . elegit exul fore, dominandi victus
cupidifie, Deniqtie dam egrediens ad praedictam Normannorum gentem.
oto
— 165 —
zu den Normannen übergelaufener junger Landmann aus. der
Gtegend von Troyes gewesen wäre. Ebenso könnte offenbar
auch Rollo oder derjenige Häuptling, an dessen Namen die
Dudo'sche Tradition ursprünglich geknüpft war, durch die Sage
zu einem verbannten Franken gemacht worden sein. Die not-
wendige Folge war dann, dafs der König von Dänemark, der
ihn vertrieben haben sollte, sich in einen König von Frankreich
verwandelte.
2. Wie ich dargethan habe, sind in unserm Epos zwei
ganz verschiedene Lieder, die ich als das Isembard-Lied und
als das Saucourt- Lied bezeichne, auf's innigste mit einander
verschmolzen worden. Nun wissen wir über den Inhalt des
Saucourt- Liedes weiter nichts als dieses:
Es schilderte einen Sieg des fränkischen Königs Ludwig
bei Saucourt über die von England aus in Frankreich einge-
fallenen Normannen.
Es bezeichnete als Anführer und Vorkämpfer der Normannen
einen Wikingerhäuptling Gormund.
Vermutlich trat in ihm ein junger fränkischer Ritter Namens
Hugo auf, der in der Schlacht schwer verwundet oder getötet
wurde.
Es enthielt, die ursprüngliche Identität der Dudo'schen Tra-
dition mit der Erzählung unseres Epos vorausgesetzt, alle jene
Züge, hinsichtlich deren jene Tradition mit dem Epos über-
einstimmt.
Das ist alles, was wir über den Inhalt des Saucourt- Liedes
ermitteln können. Ob der vermutlich in ihm vorhandene Ver-
bündete Gormunds, der später, bei der Contamination mit jenem
anderen Liede, den Namen Isembard erhielt, als ein durch
König Ludwig verbannter Franke hingestellt wurde, das wissen
wir absolut nicht. Es kann sein, dafs er erst in einen solchen
verwandelt wurde durch Verschmelzung seiner Gestalt mit der
des Helden des Isembard -Liedes. Dafs dieser als ein Über-
läufer, als ein Verräter am Vaterlande geschildert war, das
wissen wir bestimmt, es geht hervor aus seinem Beinamen
Margarites, Ja man dürfte es vielleicht sogar fast als wahr-
scheinlicher bezeichnen, dafs der Verbündete Gormunds in dem
Saucourt- Liede n i cht als ein Überläufer hingestellt wurde. Denn
i
— 166 —
es kann doch gar keinem Zweifel unterliegen, dafs die beiden
Lieder inhaltlich sehr stark von einander abwichen und die
Annahme, es möchten auch die beiden in der Gestalt Isembards
verschmolzenen Personen in den beiden Liedern sehr verschie-
dene Schicksale gehabt haben, liegt bei weitem näher als die
gegenteilige, ihre Schicksale seien im wesentlichen die gleichen
gewesen. Folglich ist es sehr wohl möglich, dals der Verbün-
dete Gormunds in dem Saucourt-Liede thatsächlich ein aus
Dänemark vertriebener Däne war und dafs jenes Lied in diesem
Punkte mit der Dudo'schen Erzählung vollkommen überein-
stimmte.
Nach dem Gesagten läfst sich also die in Rede stehende
Abweichung sehr wohl erklären und man wird aus ihr einen
Grund gegen die Identifizierung der beiden Traditionen nicht
ableiten dürfen.
Es ist nun erforderlich, ein Wort zu sagen über die ge-
schichtliche Glaubwürdigkeit von Dudo's Nachrichten über Eollo.
Neben der Tradition Dudo's über RoUo's Vorgeschichte, der
sogenannten normannischen Tradition, besitzen wir eine zweite,
von ihr grundverschiedene, welche man als die skandinavische
oder nordische zu bezeichnen pflegt. Diese, aufbewahrt in nor-
disch-isländischen Sagas, stimmt mit der normannischen nur
in dem einen Punkte überein, dafs auch sie Rollo durch den
König aus seinem Vaterlande vertrieben werden läfet. Rolf,
genannt Oaungu - Hrolfr, war nach ihr der Sohn des norwegischen
Jarls Ragnvald auf Mören. Der König hatte den Seeraub an
Norwegens Küsten streng verboten; dieses Verbot übertrat Rolf
und wurde deshalb aus dem Lande verbannt, er zog übers Meer
nach Prankreich, wo er das Herzogtum der Normandie gründete.
Die zeitgenössischen Geschichtsquellen wissen von
Rollo's Vorgeschichte nichts; aus einem Dokument vom
J. 918, in dem sein Name zuerst genannt wird, erfahren
wir nur, dafs die Normandie abgetreten wurde an die
„Seine-Normannen, nämlich Rollo und seine Leute."
Von den neueren Historikern haben nun Depping, Liquet,
Thorpe, Maurer u. a. die Tradition Dudo's als sagenhaft ver-
worfen und sind der skandinavischen gefolgt; Maurer^ meint,
1) Bekehrung des norweg, Stammes xum Christent, I, 58 ff.
— 167 —
Dudo habe aus der normannischen Volkssage geschöpft, es
müsse in Bezug auf Rollo's Vorleben lediglich auf nordische
Quellen zurückgegangen werden. Lappenberg, Oesch v. Engl
n, 373 betrachtet Dudo's Angaben im Kern als glaubwürdig,
aber erst von EoUo's Ankunft in England anf bis dahin folgt
er der nordischen Tradition, vgl. I, 326, obgleich er II, 7 an
dieser wieder Zweifel äufsert Lair in seiner Ausgabe, IntrodA9K^
hält Dudo 's Darstellung im wesentlichen für historisch, wenn
er auch zugiebt, dafs ihm Irrtümer mit untergelaufen sind.
Dümmler in seinem Artikel über Dudo ^ läfst es dahingestellt,
ob bezüglich der Gründe von Rollo's Auswanderung aus seinem
Vaterlande der normannischen oder der skandinavischen Tradi-
tion mehr Glauben zu schenken sei, was aber Dudo's sonstige
Angaben betrifft, so kommt er zu dem Resultate, dafs „nach
Abzug aller sagenhaften Bestandteile der geschichtliche Rest
ein sehr dürftiger sei." Dudo habe „Rollo's frühere Thaten
durch Vermischung mit denen anderer Seekönige so verwirrt,
dafs uns vor der Schlacht von Chartres keine sichere Thatsache
bleibe"; aufser einigen allgemeinen Grundzügen, für die wir
uns auf andere Quellen stützen können, erübrige von brauch-
baren Angaben allenfalls nur noch „die Sage über Rollo's
Herkunft, seine Verbindung mit Poppa, das Jahr seiner Taufe
und den Charakter seiner Regierung sowie einige Andeutungen
über sein Verhältnis zu den Gefährten." Dümmler nimmt denn
auch in seiner Gesch, des ostfr. Reiches ^ von Dudo's Angaben
keinerlei Notiz. Dagegen hat Steenstr up, ^or/wam^en^e I (1876),
128 — 163 sich bemüht, der Erzählung Dudo's historische
Glaubwürdigkeit zu vindizieren und ihm hat Amira, Die An-
fänge des norm. Rechtes, Sybels Hist Zeitschr, N. P. 3 (1878),
S. 241 ff. zugestimmt Storm wiederum in einer ausführlichen
Kritik der Quellen für die Geschichte Rollo's, Kritiske Bidrag
S. 130 — 191, tritt entschieden für die skandinavische Tradition
tm vni bezeichnet die Angaben Dudo's als sagenhaft; wie
Hasting, meint er, aof seine Feacsan alle die Thaten vereinigte,
die er selbst und andere normannische Häapflinge in der Zeit
zwischen 850 und 880 ausgeführt hatten, so habe die Sage
1) Forschungen %, deutsch, Oesch, 6, 386.
— 168 —
später EoUo alle die normannischen Unternehmungen von 880
an zugeschrieben. 1
Es kann nun natürlich nicht meine Absicht sein, auf die
vorHegende, rein historische Frage hier näher einzugehen; ich
beschränke mich darauf, zu konstatieren, dafs die Ansichten
geteilt sind, bemerke jedoch, dafs mir die ünglaubwürdigkeit
Dudo's durch Dümmler und Storm in vollkommen überzeugen-
der Weise dargethan zu sein scheint. Dies schliefst natürlich
nicht aus, dafs seinen Angaben auch da, wo wir Orund haben,
an ihrer Eichtigkeit zu zweifeln, bisweilen doch irgend etwas
historisches zu Grunde liegt.
Nach dem Gesagten werden wir nun in unserer Argumen-
tation folgendermafsen fortfahren müssen:
1. Gesetzt, die Dudo'sche Tradition ist, soweit sie mit der
Darstellung unseres Epos übereinstimmt, historisch, oder aber,
sie war, wenn unhistorisch, doch von Anfang an an Rollo 's
Namen geknüpft, dann wäre kein anderer als Rollo selbst als
der Held des Saucourt-Liedes zu betrachten, der dann mit dem
Renegaten Isembard verschmolzen wurde. Die Glaubwürdig-
keit von Dudo's Erzählung, angenommen, würde es, was die
Zeit von Rollo's Auftreten in Frankreich betrifft, nicht befremden
können, dais ihm in einem Liede über die Schlacht von Saucourt
eine Rolle angewiesen wurde. Dudo berichtet nämlich, Rollo
sei, nachdem er, von England kommend, Walchem und Fries-
land verheert hatte, in die Scheide eingefahren und bis zum
Kloster Cond6 gelangt: Pererrato ponto intrat Scaldi alveurriy
eis eitraque tefiTam depopulans . . . venit ad quandam abbatiam
(Uctam nomine Condatum^. Die Einfahrt eines normannischen
Heeres in die Scheide und sein Aufenthalt bei dem Kloster
Cond6 (nordöstlich Valenciennes) ist nun zum J. 883 durch die
zuverlässigsten Quellen sicher bezeugt'*, und zwar war dieses
Heer das gleiche, welches im J. 880 von England nach Frank-
reich übersetzte und dann im folgenden Jahre bei Saucourt
kämpftet Dafs Dudo eben diesen Zug im Auge hat, unterliegt
1) A. a. 0. S. 154.
2) ed. Lair p. 150.
3) Ygl. Dümmler, Ost fr. Beich^ HI, 209.
4) Vgl. ÄngL Sax. öhron. a. 880—83.
— 169 —
denn auch keinem Zweifelt Somit wäi*e es möglich, dafs BoUo
direkt an der Schlacht von Saucourt Teil genommen hatte, in
jedem Falle hielt er sich damals in Nordfrankreich auf, so daft
die Sage ihn zu einem Teilnehnier der Schlacht machen konnte.
Hingegen wird es nun durch eine Erwägung anderer Art höchst
unwahrscheinlich, dafs Rollo wirklich in dem Saucourt- Liede
aufgetreten sein sollte. Wie oben bemerkt, wird Rollo in einer
zeitgenössischen Quelle erst zum J. 911 genannt; aus dieser
Thatsache dürfen wir schliefsen, dafs er vor seiner Belehnung
mit der Normandie unter • den Wikingerhäuptltngen, welche da-
mals die Küsten Frankreichs brandschatzten, durchaus nicht
besonders hervorgetreten war; es ist deshalb nicht wahrscheinlich,
dafe die Sage sich vor dem J. 911 seiner Person sollte bemächtigt
haben. Dals er aber nach jenem Jahre nicht mehr als ein
Gegner Frankreichs in ein episdies Lied eingeführt werden
konnte, das liegt auf der Hand. Aus diesem Grunde glaube
ich der sofort zu besprechenden zweiten Möglichkeit entschieden
den Vorzug geben zu sollen.
2. Gesetzt, die Dudo'sche Tradition war ursprünglich nicht
an Rollo 's Namen geknüpft, sondern wurde von einem anderen
normannischen Häuptlinge auf ihn übertragen, dann müfste
offenbar eben dieser andere Häuptling der Held des Saucourt-
Liedes gewesen sein.
Nun ist es so gut wie gewifs, dafs Dudo sich bezüglich
eines wichtigen Punktes seiner Erzählung eine Verwechselung
Rollo's mit einem anderen dänischen Seekönig hat zu Schulden
kommen lassen.
. Dudo berichtet nämlich c. 31, Rollo habe sich, nachdem
er im J. 912 die Taufe empfangen, mit Karls des Einfältigen
Tochter Gisla vermählt. Diese Angabe findet sich in keiner der
älteren Quellen. Nun war Karl der Einfältige, geb. 879, zum
ersten Mal vermählt im J. 907 mit Frideruna, die 917 starb.
Von den aus der Ehe hervorgegangenen 6 Töchtern führte die
4. den Namen Gisla. Diese kann also zu der Zeit, wo sie mit
Rollo vermählt worden sein soll, kaum erst das Licht der Welt
erblickt haben. Dudo's Angabe erklärt sich aus einer Ver-
wechselung Rollo's mit dem Normannenhäuptling Gotfrid, der
1) Vgl. Storm, KriU Bidrag S. 155.
— 170 —
im J. 882 von Kaiser Karl III. mit einigen friesischen Land-
schaften belohnt wurde, das Christentum annahm und — in
diesem oder dem folgenden Jahre — die karolingische Prinzessin
Gisla heiratete, die Tochter Lothars II. und der Waldrada.
Die Verwechselung wurde herbeigeführt dadurch, dafs die Um-
stände der Belehnung eine auffallende Ähnlichkeit hatten mit
der 30 Jahre später erfolgten Belehnung Rollo's, und sie wurde
erleichtert dadurch, dals der Belehnende in beiden Fällen den
Namen Karl fährte.
Die Ansicht von der Verwechselung Rollo's und Gotfrids
ist nach dem Vorgang früherer Antoren besonders vertreten
worden von Liquet^jWaitz^ und Dümmler^. Die Gegengründe
Deppings* und Lappenbergs* sind widerlegt worden von
Waitz a. a. 0. Lair^ und Steenstrup^ — dem der Aufeatz
Dümmlers unbekannt geblieben ist — bringen bei ihrem Ver-
suche, die Angabe Dudo's aufrecht zu erhalten, irgend etwas
neues nicht bei.
Aber auch noch eine andere Angabe Dudo's wäre nach
Dümmler eventuell auf eine Verwechselung Rollo's und Gotfrids
zwückzuführen. Nach Dudo c. 25 hätte die Vermittelung
zwisdien Karl und Rollo übernommen der Erzbischof Franko
von Ronen und eben derselbe hätte nach c. 30 die Taufe Rollo's
vollzogen. Biese Angabe ist falsch, da nachweislich der da-
malige Erzbischof V(Hi Ronen vielmehr Wido hiefs. Dümmler
meint nun, der von Dudo genannte Name fände seine voll-
ständige Erklärung, wenn wir wmehmen dürften — was freilich
nicht überliefert ist — , dafs die zu SMoo im Lütticher oder
Maastricher Sprengel vollzogene Taufe Gotfrids auch durch
den Bischof dieses Sprengeis, Franko, vollzogen wurde. Eine
Verwechselung — die bezüglich der Heirat mit Gisla — IriMe
dann die andere nach sich gezogen.
1) Rist, de Normandie I, 81 ff.
2) Über d. Quellen xur Geschichte der Begründung der norm. Herrsch,
in Frankreich, Nachrichten von d. Oött Oesellsch. d. Wissensch. 1866, S. 71.
3) A. a. 0. S. 372.
4) HisL des exped. mar. des Norm,^ 1844, p. 281; 425.
5) Qesch. V. Engl, I, 14.
6) Introd. p. 73.
7) Norm, I, 41.
— 171 —
Hat nun aber Dudo zwei Tbiiteachen aus Grotfrids Geschichte
auf Eollo übjBrtragen, so wird lUäü weiter gehen und die Frage
aufwerfai dürfen: Sollte sich nicht aiKsfe noch manches ande^
in der Dudo'schen Tradition aus einer Verwechselung Rollo's
und Gotfrids erklären? In der That nimmt Storm dies aü.
Er meint, Kritiske Bidrag S. 157, in der ErzähluÄg Dudo's von
Eollo 's Vertreibung aus Dänemark sei nichts anderes zu erblicken
als eine Erinnerung an die Vorgänge, welche kurz wr 879
eben jenen Gotfrid und seinen Genossen Sigfrid zur Auswandeniag
aus Dänemark veranlafsten ; er betrachtet es femer S. 149 alft
wahrscheinlich, dals an der Spitze jenes Normannenheeres, wel-
ches im J. 880 von der Themse aus nach Frankreich hinüber-
setzte, eben jenes Heeres, das nach Dudo Rollo angeführt hätte
(vgl. S. 168), von Anfang an die nämlichen Könige Gotfrid und
Sigfrid, sowie die Fürsten Wurm und Hals gestanden hätten,
welche im J. 883 bei Elsloo als die Führer des Heeres erscheinen,
— dafs also auch das, was Dudo über Rollo's Zug nach Fries-
land berichtet, auf einer Verwechselung mit jenen anderen
Häuptlingen, zunächst also doch wohl mit Gotfrid, beruhe.
Danach dürften wir also annehmen, dafs die ganze Dudo'sche
Tradition, soweit sie für uns von Interesse ist, von Gotfrid auf
Rollo übertragen worden wäre. Ist diese Annahme richtig,
dann wäre also vermutlich Gotfrid der Held des Saucourt-Iiedes
gewesen, der dann mit Isembard verschmolzen wurde.
Nun ist in der That das, was wir über Gotfrid wissen,
vollkommen geeignet, es verständlich zu machen, dafs er als
historisches Vorbild für Isembards mutmafslichen Doppelgänger
in dem Saucourt-Iiede gedient hatte, nämlich:
1. Gotfrid ist einer der hervorragendsten und meistge-
nannten Normannenhäuptlinge jener Zeit; er war, wie es scheint,
der Hauptanführer jenes Heeres, das bei Elsloo belagert wurde,
da die Annalen von Fulda und von St. Vaast ihn allein nam-
haft Machen. 1 Die Vorbedingung dafür, dafs die Sage sich
seiner Person bemächtigte, ist bei ihm also im vollsten Mafse
gegeben.
1) Dümmler HI, 201 Anm. 4.
— 172 —
2. Wir sahen S. 72ft, dafs Grund zu der Vermutung ist,
es sei iii das Saucourt-Lied eine Tradition oder ein Lied über
die Sohlacht von Thimöon eingeflossen ; der Anfuhrer der Nor-
maunen war nun in jener Schlacht eben Gotfrid, er soll Hugo,
den Sohn König Ludwigs, mit eigener Hand getötet haben.
3. Wir wissen zwar nicht, wer der Anführer der Nor-
riiannen in der Schlacht von Saucourt selbst war; da aber das
normannische Heer, welches diese Schlacht schlug, das gleiche
war, welches im vorhergehenden Jahr bei Thim6on gekämpft
hatte und im folgenden Jahre bei Elsloo lagerte, und da beide
Male Gotfrid als Anführer, bezw. unter den Anführern genannt
wird, so ist es wahrscheinHch, dafs er es auch in der Zwischen-
zeit, also doch wohl auch bei Saucourt, befehligt hatte.
4. Wie S. 99 f. gezeigt wurde, liegt die Vermutung nahe,
Gormund, der Verbündete Isembards, möchte identisch sein mit
dem Normannenhäuptling Wurm; Gotfrid nun, das eventuelle
Vorbild Isembards, erscheint bei Elsloo in der That als ein
Verbündeter Wurms.
5. Gotfrid endete als ein Empörer gegen seinen König.
Nach der Kapitulation des normannischen Heeres bei Elsloo im
J. 883 war er zum Christentum übergetreten und mit Land-
schaften im westlichen Friesland belehnt worden. Es zeigte
sich aber bald, dafs seine Bekehrung keine aufrichtige gewesen
war. Im J. 883 gestattete er einem in Friesland gelandeten
dänischen Eaubgesch wader, den Rhein aufwärts zu fahren, und
er hatte sich deswegen, wie es scheint, vor dem König zu
rechtfertigen. Im J. 885 rüstete er sich im Bunde mit Hugo,
dem Sohne Lothars H, zur Empörung gegen Kaiser Karl und
rief aus Dänemark ein Heer zu seiner Unterstützung herbei.
Der Kaiser durchschaute jedoch seine Pläne, und weil er fürchtete,
mit Gewalt gegen Gotfrid nichts auszurichten, so liefs er ihn
durch Gesandte, die ihm in scheinbar friedlicher Absicht gegen-
übertraten, auf einer Bheinuisel ermordend
Ich meine, dafs die angeführten Momente wohl zu der
Vermutung berechtigen, es möchte eben Gotfrid die Stelle Isem-
bards in dem Saucourt -Liede vertreten haben. Wenn seine
1) Dümmler lU, 237 ff.
— 173 —
sonstigen Schicksale, soweit die Geschichte uns über sie Aus-
kunft erteilt,, mit denen Isembards in unserem Epos durchaus
nicht übereinstimmen , so bleibt eben wieder zu bedenken, dafs
wir ja absolut nicht wissen können, wie viel von dem, was
unser Epos von Isembard berichtet, abgesehen von jenen Zügen,
die mit der Erzählung Dudo's von Rollo stimmen, schon in dem
Epos vorhanden war, bevor die Kontamination ijait der Isem-
bard-Dichtung erfolgte; nur so viel ist wahrscheinlich, dafs die
Schicksale des Helden mit denen Isemoards in dem auf ihn
bezüglichen Liede eine gewisse Verwandtschaft hatten, da
sonst nicht einzusehen wäre, wie die beiden Personen identifiziert
werden konnten. Im übrigen wäre es ja vielleicht denkbar,
dafs die Sage von Gotfrids Ausgang nur das festgehalten hatte,
dafs er als Verräter in Auflehnung gegen seinen König den Tod
gefunden hatte.
Indessen ist nun freilich bei alledem zuzugeben, dafs die
Annahme, der bekannte Normannenkönig Gotfrid sei der Vor-
läufer Isembards in dem Saucourt -Liede gewesen, eine reine
Hypothese ist, für welche einigermafsen feste Anhaltspunkte
nicht gegeben sind. Ich möchte mich denn auch begnügen, zu
betonen, dafs die in Rede stehende Annahme zu dem, was
wir über Gotfrid wissen, recht wohl stimmen würda
Dagegen glaube ich allerdings, im Hinblick auf die Über-
einstimmung zwischen der Tradition Dudo's und dem R6sum6
Mouskets, so viel als sehr wahrscheinlich bezeichnen zu dürfen,
dafs in dem Saucourt- Liede eine Person vorhanden gewesen
ist, welche dem Isembard in unserem Epos entsprach und dals
das geschichtliche Vorbild für diese Person, eben so wie für
Gormund selbst, ein Wikingerhäuptling war, entweder Rollo
selbst oder — und diese Annahme hat mehr für sich — ein
anderer Häuptling, der durch die Sage mit Rollo verwechselt
wurde.
Und damit wäre ich denn am Ende meiner Untersuchung
über die historischen Grundlagen der Dichtung angelangt.
Ich werde nun im Folgenden die gewonnenen Resultate
kurz zusammenfassen.
— 174 —
Ergebnisse.
1. In dem Epos von Isembard und Gormund sind zwei ver-
schiedene epische oder episch -lyrische Lieder eng mit einander
verschmolzen :
A. Ein Lied, welches zur historischen Grundlage hatte:
a. die Empörung des Grafen Hildebert, des Grafen Lambert
von Spoleto und des Fürsten Adelchis von Benevent gegen
Kaiser Ludwig U. im J. 860, speziell die Belagerung des von
dem Gastalden Isembard verteidigten S. Agatha dei Goti im Ge-
biet von Benevent;
b. entweder überhaupt den grofsen Feldzug Kaiser Lud-
wigs IL gegen die Sarazenen in den Jahren 866 — 72, speziell
die letzte entscheidende Schlacht des Feldzuges, die Sdilacht
bei San Martine am Voltumo in der Nähe von Capaa im J. 872,
oder aber — und dies ist wahrscheinlidier — ausschliefslich
den letzten Akt dieses Feldzugi», Ludwigs Heerfahrt gegen das
im J. 871 in Italien neo eingefallene Sarazenenheer, welches
eben bei Saa Marfino besiegt wurde.
B; Bin in Nordfrankreich, vermutlich in der westlichen
Pflcardie entstandenes lied, dessen geschichtliche Grundlage die
Schlacht von Saucourt bildete, in der der westfränkische König
Ludwig IIL im Jahre 881 die Normannen besiegte.
Wann die beiden Lieder mit einander vereinigt wurden,
wissen wir nicht. Ebensowenig liefs sich ermitteln, welches
der beiden Lieder die formelle Grundlage unseres Epos ge-
wesen ist
2. Es ist wahrscheinlich, dafs in das Epos aufserdem noch
eingeflossen ist eine Tradition oder ein Lied über die Schlacht
von Thim6on im Hennegau, in welcher der ostfränkische König
Ludwig in. im J. 880 die Normannen besiegte. Diese Tradition
oder dieses Lied mufs mit dem Saucourt-Liede vereinigt worden
sein vor seiner Verschmelzung mit dem Isembard -Liede.
3. In der Gestalt des Königs oder Kaisers Ludwig des
Epos sind in einander aufgegangen:
a. der westfränkische König Ludwig HI. (879 — 82), der
Sohn Ludwigs des Stammlers;
b. Kaiser Ludwig 11. (850 — 75), König von Italien (seit
844), der Sohn Kaiser Lothars L;
— 175 —
c. höchst wahrscheinlich der Vater Ludwigs III., der west-
:fränkische König Ludwig U. (877—79);
d. vermutlich auch der ostfränkische König Ludwig III.
(876 — 82).
4. Als historische Vorbilder für Hugo oder Hugolin,
König Ludwigs Bruder, haben vermutlich gedient:
a. der gleichnamige Sohn Ludwigs von Ostfranken, der in
der Schlacht von Thim6on von Gotfrid, dem Anführer der
Normannen, getötet wurde;
b. der mächtige kriegerische Abt Hugo von Tours und
St Germain, der an eben jener Schlacht von Thim6on beteiligt
war (t 886).
5. Die geschichtlichen Vorbilder für den Sarazenenfürsten
Gormund waren:
a. vielleicht ein Normannenhäuptling Wurm (lat. Vm-mo
= fr. Oormon)^ der als einer der Anführer jenes dänischen
Heeres genannt wird, welches sich nach der Schlacht von Sau-
court bei Elsloo a. d. Maas niederliels und dort von Kaiser
Karl dem Dicken im J. 883 belagert und zur Übergabe ge-
zwungen wurde;
b. sicher der dänische Seekönig Guthorm, Gorm (== fr. Oor-
mon) oder Guthrun, der im J. 879 von Aelfred dem Grofsen
besiegt und nach empfangener Taufe mit Ostanglien belehnt
wurde (f 890). Auf den Namen Guthorms mufs die englische
Volkssage die Thaten aller übrigen normannischen Häuptlinge
vereinigt haben, sie betrachtete ihn als den Eroberer Englands
und Irlands. Diese Sage mufs in Nordfrankreich bekannt ge-
worden und in der Folge in das Saucourt- Lied aufgenommen
worden sein. War Gormunds historisches Vorbild ursprünglich
der Häuptling Wurm, dann hat die Sage die beiden infolge der
Gleichheit ihres Namens in seiner französischen Form — Oor-
mon — identifiziert, die Thaten Guthorms auf Wurm übertragen;
c. sicher ein Sarazenenhäuptling,, höchst wahrscheinlich der
„Sultan" Mufareg-ibn-Sälem, von den Zeitgenossen schlecht-
hin „Sultan" {Seodan, Satigdariy 2oXdav6g) genannt (f 875),
der Krieg führte gegen Kaiser Ludwig IL
6. Die Verwandlung der Normannen in Sarazenen ist eine
Folge der Kontamination des Saucourt- Liedes mit dem Isem-
— 176 —
bard-Iiede, der Vermischung der Schlacht von Saucourt mit
der Schlacht von San Martine; die Prädikate des arabischen
Sultans jyli AraW\ „ci^t df Oriente'^, „rei amir4^*, und die
seines Heeres „Sarraxi^^, „Turx, Persanx et AraUx" %mA über-
tragen worden auf Gonnund und sein Heer.
Hieraus folgt unmittelbar, dafs alle Zeugnisse tiber
die Gormund-Sage, in denen dieser als König von
Afrika oder als Sarazene bezeichnet wird, direkt oder
indirekt beruhen auf unserem Epos. Für die autochihone
englische Sage mufs Gormund Normanne gewesen sein. Auch
Galfrid von Monmouth schöpft also, wenn er Gormund König
von Afrika nennt, entweder direkt aus dem Epos oder aus
der auf ihm beruhenden Sage; Galfrid schüefeen sich dann an
Wace und Layamon.
7. Es ist wahrscheinlich, dafe die Sage von der Einäsche-
rung Cirencesters durch Sperlinge auf Gormund von Cerdig
(f 534) und auf diesen . wieder von Ceawlin (560 — 593) über-
tragen wurde.
8. Das gesdiichtliche Vorbild für Isembard li Mar gar ix
ist der mit dem Abt Berthari von Monte Casino verwandte Oastalde
Isembard, der im J. 860 von Kaiser Ludwig II. in S. Agatha
dei Goti belagert und zur Übergabe gezwungen wurde. Die
Belagerung S. Agatha's mufs in dem Isembard -Liede in kau-
salen Zusammenhang gebracht gewesen sein mit dem Feldzug
Kaiser Ludwigs gegen die Sarazenen, speziell mit der Schlacht
von San Martine; es ist wahrscheinlich, dafs jenes Lied, genau
wie unser Epos, erzählte, Isembard habe naoh der Einnahme
S. Agatha's durch Kaiser Ludwig mit dem Sultan der Sarazenen
ein Bündnis geschlossen, sei Eenegat . geworden und habe in
der Schlacht von S. Martine seinen Tod gefunden, Isembard
mufs in dem Liede den Beinamen Margarites gehabt haben.
9. Es ist wahrscheinlich, dafs in dem Saucourt- Liede eine
Person vorhanden war, welche bei der Kontamination desselben
mit dem Isembard -liede mit dem Renegaten Isembard ver-.
schmolzen wurde. Das Urbild dieser Person mufs ein Wikinger-
häuptling gewesen sein, von dem erzählt wurde, dafs er, aus
seinem Vaterland vertrieben, in England mit Guthorm ein
Bündnis geschlossen und dann einen Zug. nach Frankreich
— 177 —
unternommen habe: entweder Eollo, der erste Herzog der Nor-
mandie, oder — was wahrscheinlicher ist — ein anderer Wi-
Mngerhäuptling, der mit ihm verwechselt wurde, vielleicht
Gotfrid, wie es scheint, der hervorragendste unter den Nor-
mannenhäuptlingen, welche zu Anfang der achtziger Jahre des
9. Jh. auf dem Festlande auftraten.
10. Hugo's Knappe Guntier ist identisch mit einem angeb-
lichen, ungewöhnlich jungen Neffen Kaiser Ludwigs II. Namens
Guntari, der nach italienischer Sage des 10. Jh. Anführer des
christlichen Heeres in der Schiacht von San Martine war und
in ihr seinen Tod fand.
In Anbetracht dieser Resultate mache ich mich nun wohl
keiner Übertreibung schuldig, wenn ich das Fragment von Isem-
bard und Gormund hinsichtlich seiner historischen Grundlagen
als das Merkwürdigste bezeichne, was von altfranzösischem
Heldengesang auf uns gekommen ist. Spiegeln sich doch in
ihm jene beiden weltgeschichtlichen Kämpfe wieder, welche
das christliche Europa des 9. Jh. erschütterten: der Kampf des
Nordens gegen die ungestüm hereinflutende skandinavische In-
vasion und der des Südens gegen die erobernd vordringende Welt-
macht des Islams. In eigenartiger Weise ist eine Schlacht, in der
ein fränkischer König Ludwig über die Normannen triumphierte,
verschmolzen worden mit einer anderen Schlacht, in der das Heer
eines anderen fränkischen Königs gleichen Namens im fernen
Süden Italiens die Sarazenen aufs Haupt schlug; ein dänischer
Seekönig, der Krieg führte gegen Aelfred den Grofsen, ist in
eine poetische Gestalt zusammengeflossen mit einem arabischen
Sultan und von einander völlig unabhängige, doch zeitUch nur
durch kurze Zwischenräume getrennte geschichtliche Ereignisse,
deren Schauplatz England, Frankreich und Unteritalien, vielleicht
auch Dänemark, war, sind durch die Dichtung zu einem orga-
nischen Ganzen vereinigt worden, einem künstlerisch in sich
abgerundeten epischen Liede, aus dem uns der Hauch jener
kriegerischen Zeit, in der es wurzelt, noch mit seltener Frische
entgegen weht : dem Liede von Isembard dem Eenegaten und Gor-
mund „dem vom Orient.'^
Zenker, Das Epos von Isembard etc. 12
Anhang.
Zeitgenössische Berichte über die Schlachten von Saucourt,
von Thimäon und von San Martine.
I.
Schlacht Ton Saucourt.
Annales Vedastini, a. 881; bei Pertz, SS. 11, 198; nach einer
andern, teilweise abweichenden Handschrift (a) ib. I, 519; Bouquet,
Recmü Vm, 81.
Nortmanni vero cum infinita multitvdine monasterium Sitdiu ^ in-
gressi 7. Kai. Januariij ipsum monasterium et civitatemj exceptis aeclestis,
et vicv/m monasterii et omnes villas in circuitu 5. Kai. Januariij inter-
fectis Omnibus quos invenire poterant, igne cremaverunt, 07?inemque ter-
ram usque Sumnam pervagati sunt, capta praeda infinita hominum,
pecudum et iumentorum. Indeque eisdem 5, Kai. Janu/irii Camaracum^
ingressiy incendiis et occisionibus tarn civitatem quain monasterium
sancti Gaugerici vastantes^ atque ctim infinita praeda ad castra sua
reversi, omnia monasteria supra Hisscär^ fluvium devastant, fugatis ac
interfectis hahitatoribus.
Et circa purifi^ationem sa7ictae Marias iterum moventes per Tar-
vennam iter accipientes usqtie Ge^itula^ , monasterium sancti Richa-
rii, et sancti Walarici^, omnia loca circa mare^ motia^teria et vicos,
indeque Ambianis^ civitatem atque Gorbeiam'' monasterium petentes,
multisque honusti praedis sani et sine impedimento ad propria repeda-
vere castra. Iterum circa sollefupnitatem sancti Petri Atrebatis venerunt,
1) St. Omer; a: monasterium nostrum = St. Vaast, welche Lesart
Dümmler bevorzugt.
2) Cambrai.
3) Vielleicht die Yser, vgl. Pertz I, 519 n. 14.
4) St. Riquier.
5) St. Valery.
6) Amiens.
7) Corbie.
— 179 —
cfmnesqtce qtios ibi repperiere interfecere; et cir&uüa omni terra, ferro
et igne cuncta vastantes^ sani revertuntur ad castra.
Interifn Hltidowietis rex gravi dolore cofitristatus , videns regnum
deleriy convocato exereitu praeparat se ad proelium. At Nortmanni pro-
spera omnia agentes , cum magno exereitu fluvium Smnnam mense Julio
transeuntf euneta vastantes more solito usque prope civitatem Belva-
gorum.^ Hludowicies vero rex cum exereitu transiens Hysam^ fluvium,
Latverum^ tendere coepit, quo credebat Nortmannos redire. Missis itaqus
exploratoribus , nuntiant redire eos onustos a praeda. Contra qux)s rex
ire perrexit, obviavitque eos in pago Witmau^, in villa quae dice-
batur Sathuleurtis^, et eommissum est proelium, Moxque Nort-
manni fugam ineunt, atque ad dictam villam deveniunt: qtcos rex in-
secutus est, gloriosissimeque de eis triumphavit. Et patrata vietoria
ex parte, coeperunt gloriari suis hoc a^tum viribus, et non dederunt
gloriam Deo; paucique Nortmanni ex dieta villa egressi, omnem
eocereitum vertit in fugam, pluresqus ex eis, videlicet usqus ad centum
homines, interfecerunt : et nisi rex eititis equo descende^is, locum resi-
stendi et audaciam suis donaret, omnes turpiter ex eodem loco fugiendo
abirent, Hac vero patrata vietoria, quia multos contigit ibi ruere Nort-
mannos, rex ovans repedavit trans Hysam, perpauci vero Dani quieti
interitum suorum nuntiavere in castra; indeque Nortmanni Eludovicum-
regem adolescentem timere coeperunt.
Rex quoqus adunato exereitu in pago Ca/maracensium venit , castrum-
que sibi statuit in loco qui dicitur Strwn^, ad debellationem Danorum.
Nortmafini hoc cognoscentes , Gandavum'' rediere^ suisque reparatis navi^
bus terra marique iter facientes, Mosatn ingressi sunt^ et in Hasloo^
sibi sedem firmant ad hyemandum.
n.
Schlacht Ton Thim^on.
Eegino, Ghronicon a. 879; bei Pertz, SS. I, 590.
Es wird vorher berichtet, dafis Ludwig von Ostfranken in einer per-
sönlichen ZusammenkuDft mit den jungen Königen Ludwig und Karlmann
einen Yerti'ag abschloüs, der die Grenzen der beiden Reiche feststellte.
Facta itaque pactione datisque sacramentis, cum in regnum idem
rex reverteretur , repente obviam habuit Nordmannorum innumeram inulti-
tudinem, juxta Carbonariam, in loco qui vocatur Thimiun cu7n
1) Beauvais. 5) Saucoui-t.
2) Oise. 6) Estrun.
3) Laviers, unterhalb Abbeville. 7) Gent.
4) Vimeu. 8) Elsloo a. d. Maas.
12
♦
— 180 —
ingenti praeda ad classeni repedantem. cum quibus absque mora con-
flixitj et Deo propitiante maximavi ex eis pariem gladio prostravit.
Reliqui fiiga dilapsi, in supradietum fiscum regium se cofnimmiunt,
tibi Hugo, filius regis ex pellice natus, cum incautius dimicaret, gra-
viter vulneratus, ad [sie] Iiostibus rapitur, et inter mantis adversa-
riorum animam reddidit. Rex existimans, qicod adhuc filitis vivus ab
inimicis servaretur, exereitum, ab impugnationis i7ifestatione jubet ces-
sare^ ut quocumque pacto illum incolumem recipere posset, Interea nox
superveniens , rege)?i cum suis redire ad castra compulit. Nordmanni
cadavera suoruTn flamviis eocurentes, noctu diffugiunt, et ad classem
dirigunt gressum. Rex diluculo consurgens, cum filium extinctum repe-
risset, nimio dolore afficitur; corpus ejus in loculo compositufn ad
Loreskeim monasterium^ imperat deferri, ibique tumulari,
IIL
Schlacht Ton San Martine.
Andreas von Bergoma, Historia, c. 15 (Ende 9. Jh.; A. hat dem
Leiclienbegäugnis Kaiser Ludwigs im J. 875 beigewohnt); gedr. SS. Rer.
Langoh. et Ital. ed. Waitz, p. 228; Pertz, SS. III, 236; Bouquet, Recueil
VII, 205; Muratori, Äntiqu. Ital. 1,49.
Sarracini vero in suorum terra haec [die Einnahme von Bari
a. 871] audiens, elegentes se fortissinii viri, sicut audivimus, viginti
milia hominum , dicentes : „ Orandis ignmniniam de oceisorum nostrorum
consonant; camus illuc!^^ Gumque navigio prepararent, ascenderunt et
navigaverufit et exierunt in ßnibus Beneventana. Tunc dixerunt per
suoruin audatiae elationis: „Quid nobis fiducie ßiabere debemus in navi-
bus nostris? Dissipemus eas, quia Franci adver sufu nos nihil possunt;
et sie prevaluerint adver sum nos, sine ullo metu in regnum nostrum
pergere possunt!^' Et dictis f actis , Fr a7ici querere ceperunt. Nunciatum
id est domno itnperatori, quoniam statim mittens principibus suis, id
est Hunroch., Agefrid et Boso, cum electa manus Francorum et Lango-
bardorum vel ceterorum nationes. Jungentes se loco (ad San et o Mar-
tino, ad strada scilic^ prope Capua ad Vulturno^) acies hinc
et inde utraque partis forti intenciones pugnantes , Dei adiuvante miseri-
cordia Sarracini devicti et debellati sunt 7nultitudo innumerabiles ; quia
quod gladius non interemit, i7i fluvio Vulturno negatisunt, reliqui fuga
vis [1. vix] evaderunt. Sie Dei iudicio conplacuit; qui venerant exaltati,
facti sunt huyniliati.
Erchempert, Hist. Laiig obardor um Beneventanorum, c. 34, 35;
gedr. SS. Rer. Lang., p. 247; Pertz, SS.lll, 252; Muratori, SS. Rer.
Ital. II, 1, p. 246.
1) In der Handschrift (9. Jh) auf freigelassenem Platze nachgetragen.
— 181 —
c. 34. . . . Consistente itaqiie atcgusto [sc. Lodoguico] in custodia,
^xcitavit Deus spiritum Hismaelitum eosqite ah Africa regione protinus
^svexit^ ut ulciscerentur augtisti obprobrium, sieuti Filii Dei passionein
HTespasianus et Titus ulti sunt. Set defensio Domini dilatata est in an-
-^ws 42 , . . .; htijus autem contemptum nee in 40 distulit dies. Ex
^guo datur intelligi, qualis quantusve vir iste fuerit, qui tarn cito de-
^ensus est.
c. 35. Äbsoluttcs autem, Domino iuhente, cesar insons, statim Sara-
^seni Salemum applicuerunt quasi 30 7tiilia; quam graviter obsidentes,
Jiinc et inde cuneta forinsecus stirpitus deleverunt, occisis in ea innume-
-rahilihus colonis; et depopulati sunt ex parte Neapolim, Beneventum et
Ca2)uam Cmnque in hac [sc. Salerni] ohsidione prope terminaretur
annus, misso exercitu iam dictus augtisfus per sv^estionem Landulfi
presulis — hoc e7iim solujnmodo memorabile ho7ium gessit a die ortus
sui — et perdidit ex proplianis in Capua ferme novem milia viros; post
liaec per semet ipsum dignatus est adveniret Capuam. Guiics advento
cognito, Saraceni Salemum relinquetites , Calabriam adeunt eamque
intra se divisam repperientes , fundittis depopularunt , ita ut deserta sit
veluti in diluvio.
i
ni.
Das Brüsseler Fragment
im Versmafs des Originals übersetzt
Die Handschrift , durch die Scheero verstümmelt , enthält eine Reihe Lücken von
je einem Verse. Ich habe dieselben, wo über ihren Inhalt kein Zweifel sein
konnte, ergänzt, die betreffenden Verse aber durch Cursivdruck ausgezeichnet.
- l?s- -
1
I
Mit lauter Stimme ruft er^ dann:
„Verloren seid Ihr insgesamt,
Hofft nicht, dafs Euer Gott Euch schirmt"
Als er den Held gefällt, zum Trofs 5
Jagt er zurück des Toten ßofs;
Nach vorne streckt er dann den Speer,
Da reicht man frischen Schild ihm her.^
2. Der Kampf war grimm und heifs entbrannt
Und gar gewaltig war die Schlacht. 10
Seht, Gautier dort von Mans sprengt an.
Des Frankenherzogs Erneis Sohn,
Gormund erspäht er auf der Höh';
Mifst er sich nicht mit ihm zur Stell',
Erschien' er selbst ein Feigling sich. 15
Er setzt dem Rofs die Sporen ein,
Dafs hell das Blut zu Boden tropft.
Auf König Gormund jagt er zu;
So trifft er vorn ihn auf den Schild,
Dafs der ihm gleich in Stücke fährt, 20
Den Schuppenpanzer stöfst er durch.
Hart an der Seite streift er ihn,
Doch dringt der Speer nicht bis ins Fleisch
Und unverletzt der König bleibt.
Den Wurfspiefs schleudert Gormund jetzt, 25
Der fährt ihm sausend durch den Leib,
1) Gormund.
2) D. h.: Er hält dem Knappen die Speerspitze hin und läfst sich an
dieser einen neuen Schild befestigen; wenigstens verstehe ich so die Stelle.
Das Reichen und Empfangen eines Gegenstandes mit der Speerspitze war
Sitte, es wurde geübt, wenn zwei Ritter sich gegenüber standen und ein
Reichen, bezw. ein Empfangen mit den Händen unmöglich war, vgl. Heinzel,
Sitxungsher. der Wiener Äkad., philol. hist. Klasse y B. 119, S. 46.
— 186 —
TrifTt einen Deutschen hinter ihm,
Tot sinken beide ins Gefild.
Der edelste, der beste Fürst,
30 Der je das Licht der Welt geschaut.
Glaubt' er an Gott den Himmelsherm,
Erhob die Stimme laut und rief:
„Bothört ist dieses Christenvolk,
Das mir die Stirn zu bieten wagt,
35 Nicht Einer rühm' sich dessen, traun.
Ich weih' dem Tod sie allesammt"
Als er gefallt die zwei, zum Trosse
Jagt er zurück der Toten Rosse;
Nach vorne streckt er dann den Speer,
40 Da reicht man frischen Schild ihm her.
3. Bei der Kapelle von Cayeux
"Wogt grimmig auf und ab die Schlacht.
Gortmmd, der Sarazenenfärst^
Haut ein mit Macht, spoUt Haupt wie Leib;
45 Won er erreicht, der sinkt vom Rofs,
Dem bittern Tod entrinnt er nicht
Terri von Tennes, seht da, sprengt an,
Auf braunem Schlachtrofs von Chastele,
Gerad' auf Gormund eilt er los,
50 So trifft er ihm den neuen Schild,
Dafs der in Trümmer gleich zerspringt;
Die Lanze splittert ihm entzwei.
Und Gormund zieht sein blankes Schwert,
Führt auf den Helm ihm solchen Streich,
55 Dafs stracks das Haupt vom Rumpfe fliegt,
Grad' vor ihn hin ins frische Gras.
Dann ruft er solchen Spruch ihm zu.
Der klingt den Franken schlecht ins Ohr:
„Traun, Euer Gott ist viel zu schwach,
60 Er kann Euch nicht Beschirmer sein.*'
Als er den Held gefällt, zum Trofs
Jagt er zurück des Toten Rofs;
— 187 —
Nach vorne streckt er dann den Speer,
Da reicht man frischen Schild ihm her.
4. In dem Gefilde bei Caveux 65
Tobt wild die Schlacht ohn' XJnterlafs.
Der Graf von Flandern, seht, sprengt an,
Verhängten Zügels stürmt er los
Auf Gormund, den vom Orient;
Er trifft den Schild mit voller "Wucht, 70
Yon Rand zu Rand zerbricht die "Wehr,
Die weifse Brünne haut er durch.
Doch dringt das Eisen nicht ins Fleisch.
Nun schleudert Gormund seinen Spiefs,
Der fährt dem Grafen durch den Leib 75
Und bohrt sich jenseits in den Sand;
Der Körper stürzt, die Seele flieht.
Drauf Gormund, der vom Orient:
„Ein thöricht Volk, dies Frankenvolk,
Und wahnbefangen ist sein Sinn, 80
Dafs es mit mir die Speere kreuzt.
Des soll sich Keiner rühmen, traun.*'
Als er den Held gefällt, zum Trofs
Jagt er zurück des Toten Rofs;
Nach vorne streckt er dann den Speer, 85
Da reicht man frischen Schild ihm her.
5. Der Kampfsturm tobt mit voller Wut.
Seht Odo dort von Champenois,
Den Herrn von Chartres und von Blois,
Yon Chäteaudun in Gätinais; 90
Er sitzt auf einem Maurenhengst
Und König Gormund fällt er an;
Yom Schilde trennt er ihm den Schmuck,
Die Bänder auch vom Panzerhemd,
Doch hat den Leib er nicht verletzt. 95
Sein Kolaschwert ^ ergreift er nun.
1) Schwert von der Halbinsel Kola amTVeifsen Meer, wo der Sage zufolge
die Schwerter von Zwergen gehärtet wurden; vgl. Heiligbrodt, Commentar.
— 188 —
Giebt ihm drei Streiche auf den Helm,
Dafis Gormund jäh vornüber sinkt;
Den Garaus hätt' er ihm gemacht,
100 Als eiaes Iren Speer dem Held
Das Streitrofs unterm Leib durchbohrt.
„Ha*', ruft Gormund mit bitterm Hohn,
„Dir wäre wohl, wärst Du daheim;
Dein Röfslein hat man Dir geraubt,
105 Man giebt es nimmer Dir zurück;
Hier wirst Du bleiben hübsch bei mir:
Das Haidekraut Dein Nachtquartier/
Er schleudert einen Spiefs ihm zu,
Doch Gott hat diesmal ihn beschirmt,
110 Dafs er den Leib ihm nicht berührt,
Und rasch macht Odo sich davon.
6. Der Kampf war wild und heifs entbrannt
Und rings die Schlacht in vollem Gang.
Seht da den Grafen von Poitou,
115 Er sitzt auf braungeflecktem Eofs,
Gormund erschaut er auf der Höh;
Stellt' er sich ihm zum Zweikampf nicht.
Empfand' er vor sich selber Scham.
Die Weichen spornt er seinem Hengst,
120 Dafe draus das Blut zu Boden spritzt.
Und hurtig greift er Gormund an.
Trifft so den erzbeschlagnen Schild,
Dafs der in Stücke gleich zerspringt,
Den guten Harnisch stöfst er durch,
125' Doch dringt das Eisen nicht ins Fleisch.
Und Gormund zieht sein blankes Schwert,
Thut ihm aufs Haupt gewaWgeti Streich
Und spaltet durch ihn bis zum Gurt.
Der beste Fürst, der kühnste Held,
130 Der je aus Heidenblut entsprofs,
Ruft aus mit lauter Stimme Schall:
„Yerloren seid Ihr allesamt.
Hofft nicht, dafs Euer Gott Euch schirmt.*^
— 189 —
Als er den Held gefällt, zum Trofs
Jagt er zurück des Toten Kofs; 135
Nach vorne sti^eckt er dann den Speer,
Da reicht man frischen Schild ihm her.
7. Die Schlacht tobt rastlos immer zu
und mächtig hau'n die Streiter drein.
Seht da den Graf der Normandie, 140
Ihn, dem Ronen gehört, und der
Zu F6camp baute die Abtei;
Nicht Späher schickt er Gormund zu.
Selbst greift er kühn den Eecken an.
Wirft ihn zurück niit wucht'gem Stofs — 145
So sagt das Buch zu St. Denis;
Zerspellt' ihm nicht der Lanzenschaft,
Hätt' er den Garaus ihm gemacht.
Nun schleudert Gormund seinen Spiefs,
Der fährt dem Grafen durch den Leib, 150
Trifft weitersausend hinter ihm
'Nen Ritter aus der Lombardei
Und streckt entseelt die beiden hin.
Frohlockend ruft der Heidenfürst:
„Yerblendet, traun, war dieses Volk, 155
Yon eitlem Dünkel ganz bethört,
Dafs es mit mir den Kampf gewagt;
Nicht Einer werde dessen froh.
Ich weih' dem Tod sie allesamt."
Als er gefällt die zwei, zum Trosse 160
Jagt er zurück der Toten Rosse,
Nach vorne streckt er dann den Speer,
Da reicht man frischen Schild ihm her.
8. Grimm war der Kampf, das Ringen heifs.
Seht hier Ernaüt — St. Yal^ry 165
Hat er zum Lehn, dazu Ponthieu —
Auf König Gormund stürmt er los;
Er rennt den Schild ihm durch und durch.
Den Harnisch spellt er ihm entzwei,
— 190 —
170 und bohrt den Speer ihm in den Leib;
Das gute Fähnlein, das dran weht,
Tritt auf der andren Seit' hervor,
Von Blute spritzt ein roter Strahl;
und Ernaut spricht: „Steht Rede mir,
175 Mein war das Land, der Boden mein,
Denn ke.inem Menschen dient' ich je.
Als Kaiser Ludwig, meinem Herrn,
Und droben dem wahrhaiVgen Gott;
Dies sag' ich kühn Euch ins Gesicht."
180 5?Hei", ruft Gormund, „hab's wohl gehört.
Gleich werd' ich wieder bei Euch sein."^
Er zieht das Schwert mit goldnem Knauf,
Schlägt ihn aufs Haupt mit voller Wucht,
«
Haut bis zum Gurt ihn durch und durch
185 Und streckt entseelt ihn in den Sand.
„Ha", ruft Gormund, der Maurenfürst,
„Ein kläglich Ende nehmt Ihr all';
Der schützt Euch nicht vor meinem Arm,
Den mit Gewalt ans Kreuz man schlug,
190 Der elend starb durch Judenhand.
Glaubt Ihr denn, dafs er auferstand
Und dafs er Euch beschirmen kann?
Das kann er nicht, bei ApoUin,
Der selber sich nicht helfen könnt'
195 Und selbst dem Tode nicht entrann."
Da schaut ihm Hugolin ins Aug',
Er, der die Botschaft überbracht;
Als Gott er so beschimpfen hört.
Wird er im Herzen tief betrübt;
200 Er spornt das Rofs, auf dem er sitzt
Und sprengt auf König Ludwig zu.
Er ruft ihn an und spricht zu ihm:
„Ha, edler König, hoher Herr,
Saht Ihr wohl dort den Antichrist,
1) Es ist zu denken, dafs Gormund, nachdem Ernaut ihn mit der
Lanze angerannt hat, weitergesprengt ist und dem Gegner die obigen Worte
aus einiger Entfernung zuinift.
— 191 —
Der unsre Mannen all' erschlägt 205
Und frech beschimpft den Himmelsherrn?
Das schafft im Herz mir bittem Gram.
So helf mir der wahrhaft'ge Gott,
Ich lass' es nicht, und war 's mein Tod,
Ich züchtige den Lästrer denn, 210
Mag mir geschehen was da will!"
Zur Antwort giebt der König drauf:
„Weh! lieber Bruder Hugoün,
Willst Du denn also von mir gehn?
Findst Du in diesem Kampf den Tod, 215
Bleibt unter 'm Himmel mir kein Freund.''
9. Spricht Hugolin: „Es mufs so sein.
Stolz war mein -Vater und mein Ahn,
Ein Sprofs bin ich aus edlem Stamm,
Der Ahnen will ich bleiben wert. 220
So steh' mir Gott der Vater bei.
Im Zweikampf Gormund zu bestehn
Soll nichts mich hindern auf der Weif
Der König greift ihm nach dem Zaum,
Doch Hugolin weicht aus nach rechts, 225
Er läfst dem Rofs die Zügel frei
Und bricht sich mit dem Speere Bahn,
Nicht einem ird'schen Wesen gleich.
Nein, wie ein Sturmwind saust er hin.
Geraden Wegs auf Gormund zu. 230
Er trifft ihn auf den neuen Schild,
Dafs der in Stücke ihm zerbricht.
In Splitter springt der Lanzenschaft.
Und Hugo zieht sein gutes Schwert,
Giebt auf dem Helm ihm solchen Streich, 235
Dafs Gormund unterm Hieb sich beugt.
Zum Tod getroffen hätt' er ihn,
Hätt' nicht ein Heide sie getrennt;
Und Hugolin that einen Spruch,
Der klang dem König schlecht ins Ohr: 240
„'S ist Hugolin, des Arm Ihr spürt.
— 192 —
Der jüngst im Lager Euch besucht
Und Ludwigs Botschaft überbracht'.
Wie eine Magd bedient' ich Euch,
245 Legt' in die Schüssel Euch den Pfau,
Bei Gott, Ihr rührtet ihn nicht an."
„Ha*^, ruft Gormund, „so gehts im Krieg,
Nimm heut den Lohn für Deinen Dienst!
Bevor Du wieder mir entkommst,
250 Sollst Du ihn bitter spüren, traun."
Er rennt ihn an mit starkem Speer,
Schwer trifft er Hugo's linke Seit',
Blut überströmt das Satteltuch
Und jäh zu Boden stürzt der Held.
255 10. Da ruft ihm Gormund höhnend zu:
„Zu keck hast Du geprahlt, Du Wicht:
Wohl hab' ich, Hugo, Dich erkannt.
Der jüngst Du zu den Zelten kamst;
So legtest Du den Pfau mir vor,
260 Dafs ich ihn nimmer angerülirt.
Und Thorheit war es, was ich sprach.
Verräterrisch entführtest Du
Mir des Getreuen gutes Rofs;
Den Lohn dafür empfängst Du jetzt:
265 Entseelt wirst Du im Sande ruhn.
Nicht sagst Du fürder ja noch nein.
Und Rettung schafft vor sichrem Tod
Kein Arzt Dir in der weiten Welt,
Noch wird Dein Gott Dir Helfer sein."
270 „Ihr lügt", ruft Hugo drauf ihm zu,
„Das Wams nur habt Ihr mir zerschlitzt.
Den Lederkoller leicht gestreift.
Wir halten Zwiesprach noch einmal;
Hier durchs Gefild sollt Ihr mich sehn
275 Den Schlachtruf Ludwigs stimmen an.
Des Helden kühn, des Sohns des Karl;
Prohlocken soll der Freunde Schar
Und zittern soll das Heidenvolk."
— 193 —
Er springt vom Boden auf und packt
Mit beiden Fäusten seinen Speer, 280
Dem Tod ist Gormund schon geweiht,
Da springt ein Ire zwischen sie,
Den trifft des Stofses volle Wucht,
Dafs er entseelt ins Brachfeld sinkt.
Nun schwingt sich Hugo schnell aufs Rofs, 285
Durchs Schlachtgetümmel stürmt er hin.
Sein Fähnlein hat er ganz entrollt^,
Den Schlachtruf Ludwigs stimmt er an,
Des Helden kühn, des Sohns des Karl;
Frohlockend sehn's die Seinen all, 290
Doch Schrecken packt das Heidenvolk.
Den Umritt nimmt er durchs Gefild,
Dann kehrt zu Gormund er zurück.
Trifft ihm den Schild mit solcher Wucht,
Dafs Gormund aus dem Sattel stürzt, 295
Doch wie er wendet, stöfst ihm der
Die Lanze seitlich in den Leib,
Dafs er vom Bosse sinkt ins Gras.
11. So liegt nun Hugo im Gefild,
Zweimal durchbohrt vom starken Speer; 300
Da geht sein Schlachtrofs ihm davon.
Als Isembard, der Eenegjit,
Das Streitrofs herrenlos erblickt.
Da denkt er sich in seinem Sinn,
Er woir im Lauf es fangen ein, 305
Er hofft, es soll um keinen Preis
Das edle Tier ihm jetzt entgehn.
So sprengt er, was er kann, herbei.
Und hascht mit seiner Lanze Stumpf
Dem flüchtigen Renner nach dem Zaum; 310
Der aber reckt das Haupt empor,
Dafs Isembard ins Leere stöfst.
Und nun eilt Hugo selbst herzu.
1) Die Fahnen an den Lanzen waren oft sehr laog, reichten bis auf
den Helm oder selbst auf die Hand herab, vgl. Roland, V. 1158. 3005.
Zenker, Das Epos von Isembard etc. 13
— 194 —
Derr. Rok en^^^^en rar^hf-n >?br::i=u
Zl'j Das s*re;:: ^.•aiiz 'ikh: an ihm T-rt-ri:
Da pa/^:kt er es am e'«ldnen Ziiüzi
Und s^rbwin^r sic-h in den Sarrel fi:;^
Die Armbnisrschützen zielen riEZ"s.
Die B-'^^enfK-hutzen allesamt,
.'^20 Do<^h Hn<r*.» jagt, -w^as er nur kann.
Kis er deni .Schufsbereieh ennl-hn,
Die Wunden bluten heftig jetzt.
Es stockt das Herz, er sinkt toüi Rjfe.
Das war ein jammervoll Geschick.
325 Denn Hujro war ein wackrer Held
Und stellt' im Kampfe seinen Mann.
Nicht weit davon Herr Guntier stritt.
Er, der Herrn Hugo's Knappe war.
Er war sein XefFe. .Schwestersohn,
H?/) - So sagt das Buch zu St. Riquier —
Noch warens nicht acht Tage her.
Dafs ihm erteilt der Ritterschlag.
Als seinen Herrn er stürzen sah.
Empfand im Herz er bittem Gram:
335 Er sprengt' in wilder Hast herbei.
Nahm Hugo's Streitrofs rasch beim Zaum
Und schwang sich in den Sattel flugs;
In seiner Faust das Schwert von Stahl,
Ganz bhitig war's und schartenvoll,
340 Von Sarazenenblut gefärbt.
Auf König Gormund sprengt er los,
Er trifft ihn auf den grünen Helm,
Dafs dran das Lederzeug zerreifet
Und Gormund in die Kniee sinkt.
345 Dann thut or zu ihm solchen Spruch:
„Herr Gormund, edler König wert,
Gedenkt Ihr wohl des Knappen noch.
Der jüngsthin Euch im Zelt besucht,
An Hugo 's, des Gesandten, Seit'?
350 Ich bracht' das Schiff aus laut'rem Gold,
Das hab' ich St. Riquier geweiht;
— 195 —
Dafe Ihr sein Kloster ihm verbrannt,
Das kommt Euch teuer noch zu stehn.*'
Zur Antwort giebt ihm Görmund drauf,
Hochfahrenden und stolzen Sinns: 355
„Mir aus dem Weg, elender Bursch,
Ich bin aus ritterlichem Blut,
Aus edlem hochberühratem Stamm,
Nicht rühr' ich heut' 'nen Knappen an." ^ .
Als Ludwig sah, der Köüig wert, 360
Wie seine Ritter sinken hin
«
Und seine Kampfgenossen all,
Fühlt' in der Brust er herben Schmerz.
„Gott, Herr des Himmels, steh' mir bei,"
Rief Ludwig aus, der König wert, 365
„Das kränkt mich bitter, dafs ich nicht
Als erster heute. Mann an Mann,
Mich mit dem Heidenfürsten mafs.
Bin König ich, so ist er's auch.
Ein Zweikampf hätt' uns wohl geziemt; 370
Wer dann von uns auch Sieger blieb —
Manch' wack'rer Ritter lebte noch.
Der jetzt entseelt im Grase ruht.
Steht Ihr mir bei, Sankt Dionys,
Durch Euch empfing ich ja mein Leh'n, 375
Von keinem Andern ward es mir
Als nur von Gott, dem Himmelsherrn.
Auch Euch, Sankt Riquier, ruf ich an.
Das Kloster hat er Euch zerstört, ;
Zum Ruhme Gottes will ich's Euch 380
Um sieben und dreifsig Fufs erhöhn.^
Wohlan, ergreift mein Rofs beim Zaum
1) Zwischen diesem Verse und dem folgenden ist eine gröfeere Lücke
im Text aozunehmen, obgleich die Handschrift eine solche nicht aufweist.
In den fehlenden Versen mufs, wie aus V. 548 hervorgeht, erzählt gewesen
sein, dafs Guntier von Gormund getötet wurde.
2) Ich acceptiere die Konjektur von Scheler: jel für jeo der Hand-
schrift, und verstehe den Vers so, dafs Ludwig dem heil. Bicharius das zer-
störte Kloster um 37 Fufs höher wiederaufbauen will, als es vor der Zer-
störung gewesen.
13*
— 196 —
Und führt mich selbst zu Gormund hin.*'
Bei diesen Worten sprengt es los:
385 Drei Spiefse schickt ihm Gormund zu.
Doch Gott hat gnädig ihn bewahrt,
Dafs keiner ihm den Leib verletzt
In Zorn ist Ludwig jetzt entbrannt,
Die Lanze lälst er aus dem Spiel,
390 Dreht sie nach oben grad' empor ^,
Schlägt Gormund biit dem Schwert aufs Haupt,
Zerteilt den Helm mit wucht'gem Hieb,
Die Kappe auch vom Panzerhemd,
Und spaltet bis zum Gurt ihn durch.
395 Die Hälften sinken in den Sand,
Der Speer entfällt der starren Faust
So wuchtig war der Hieb geführt,
Dafs Ludwig selbst beinahe stürzt;
Doch hält er sich, im Fallen schon,
400 Noch an dem Hals des Bosses fest
Schwer zog das Doppelpanzerkleid,
Der grüne Helm ihm auf dem Haupt,
Am Hals der viergeteilte Schild 2,
Des guten Speeres scharfer Stahl,
405 — Breit war er einen halben Fufs —
Schwer zog die Last, er hob sie kaum
Und vor den Seinen fühlt' er Scham;
So stemmt' er sich im Bügel fest:
Das Eisen krümmt' sich unterm Fufs,
410 Drei Finger breit dehnt' sich der Gurt.
So krampfhaft reckt' er sich empor.
1) Der Passus ist von Heiligbrodt offenbar nicht richtig verstanden
worden. Für ajusie ist mit der Handschrift a jtiste zn lesen und zu über-
setzen: „Mit Lanzenbrechen Q'tiste) sucht er ihn nicht heim, Gerade nach
oben richtet er den Speer etc." d. h., wie ich die "Worte verstehe: Er läfst
sich nicht aufs Lanzenbrechen ein, rennt Gormund nicht, wie es sonst
üblich war, erst mit eingelegter Lanze an, sondern richtet die Spitze der
Lanze nach oben, setzt letztere also auiser Thätigkoit, und greift gleich zum
Schwert, — das allerdings nicht ausdrücklich genannt wird; mit diesem
schlägt er ihn aufs Haupt u. s. w.
2) D. h. durch Eisenstäbe in vier Felder geteilt.
— 197 -
Dafs ihm das Eingeweide rifs:
Nicht dreifsig Tage lebt' er mehr.
Das war ein jammervolles Los,
Denn Ludwig war ein tapfrer Held 415
Und stellt' im Kampfe seinen Mann,
Dem Christenvolk ein Schirm und Hort
(So heifst's im Buch, das Wahrheit spricht;
Er war der letzte seines Stamms).^
12. Als Gormunds Fall die Heiden schaun, 420
Zum Hafen fliehn sie insgesamt.
Ihr "Wehgeschrei hört Isembard;
Er sprengt an die Standart' heran ^
Und findet König Gormund tot;
Dreimal warf ihn die Ohnmacht hin. 425
„Weh^, rief er, „Wahrheit sprach das Los:
Tod oder Kerker sei mein Teil,
Zog' ich mit diesem Heer ins Feld.
Nun weifs ich, dafs es nicht geirrt."
13. Drei Tage hat die Schlacht gewährt, 430
Die Gormund gegen Ludwig schlug;
Am vierten wenden sich zur Flucht
Die Türken, Perser, Araber;
Quer durch Vimeu und Ponthieu wälzt
Der Strom sich nach St. Val6ry. 435
Der Renegat vernimmt den Lärm,
Er spornt sein Rofs und ruft sie an;
„Wohin entflieht Ihr, feiges Volk?
Kein Zufluchtsort ist weit und breit,
Ihr habt nicht Eltern, Vetter, Ohm, 440
Bei denen Ihr Euch bergen könnt.
Stellt ein die Flucht und kehrt zurück.
Dann rächen uusern Kaiser wir,
Den Araber, den Wilzenfürst,
1) Diese beiden Verse sind vermutlich interpoliert.
2) Nämlich an die Standarte der Heidon, welche, als Sammelpunkt
für letztere, auf der Höhe, wo der Zweikampf zwischen Ludwig und Gor-
mund stattgefunden hat, aufgepflanzt ist.
— 198 —
445 Der Euch die weiten Länder gab,
Das Bunt werk und das Hermelin,
Die Schlösser und die Burgen fest."
Umsonst! die Heiden bleiben taub,
Und weiter geht's in wilder Flucht.
450 Als Isembard, der Renegat,
Sieht, dafs sein Müh'n vergeblich ist.
Da wird vor Grimm er rasend schier.
Er sprengt allein durchs Brachgefild
Und fällt 'nen Ritter an, Seguin,
455 Der König Ludwigs Vetter war.
Li Stücke schlägt er ihm den Schild,
Den Schuppenpanzer bohrt er durch
Und rennt den Speer ihm in den Leib,
Soweit er mit dem Schafte reicht,
460 Tot wirft er ihn vom Rofs ins Gras.
Noch zwei der Franken, edlen Stamms,
Erschlug uns dort der Renegat,
Dann jagt er weiter vor sich hin.
14. Jetzt sieht er Gormund tot im Feld,
465 Blutüberströmt, es klafft der Mund;
Da biegt er ab von seinem Pfad
Und reitet auf den Leichnam zu.
Laut hebt er drauf zu klagen an,
Vernehmt die Worte, die er spricht:
470 „"Weh'', ruft er, „kaiserlicher Herr,
Wie oft hab ich Euch nicht gesagt.
Zu Cirencester noch daheim,
Die Franken sei'n ein stark Geschlecht;
Nicht hehlt' ich bei der Überfahrt,
475 Euch stund' ein harter Kampf bevor.
Wie ich's gesagt, so fandet Ihr's,
Ein edles, ruhmbedecktes Volk,
Dem keins auf Erden sich vergleicht;
Ihr Land raubt ihnen Niemand, traun.
480 Weh, Gormund, kaiserlicher Herr,
Wie klar war Euer Antlitz sonst,
— 199 —
In Schönheit strahlend und in Kraft,
Und ach! wie ist es jetzt entstellt]^
Ha, Ludwig, guter Kaiser wert,
Wie hast Du Frankreich wohl beschirmt 485
Und wie hat Gormund schwer gebüfst!
Fürwahr, ich brech' die Treu' ihm nicht, 4:"
Bis dieser Faust das Schwert entsinkt."
Laut ruft er dann den Heiden zu:
„Wohin, Ihr Thoren, flüchtet Ihr, 490
In fremdem Land, des Herrn beraubt?
Kehrt um, dem Feinde bietet Trotz,
Nehmt Eache für des Kaisers Tod,
Der Euch die festen Burgen gab.
Das Silber und das rote Gold 495
Und edlen Pelzwerks reiche Zier."
Mcht wirkungslos verhallt sein Ruf:
Es stockt die Flucht, man kehrt zurück.
Rasch ordnet Ludwig seine Eeih'n, . ,
In ihrer Mitten sprengt er an, 500
Und als die Sarazenen nahn,
Da konntet ihr manch wucht'gen Hieb
Und splittern manche Lanze sehn;
Die Heiden sinken scharenweis
Blutüberströmt ins saft'ge Gras. 505
15. Wo auf der Höh' bei der Standart
Gormunds, des Satans, Leiche ruht,
Yersammelt sich das Heidenvolk:
„Bei Deinem Gott, Herr Isembard,
Wir flehn Dich an, verlafs uns nicht." 510
„Das thu' ich nicht", spricht Isembard,
„So lang mein Herz im Busen schlägt,
Ihr Sarazenen, seid getrost."
16. Vier Tage dauert noch die Schlacht,
Seit Gormund fiel durch Ludwigs Hand, 515
Denn Isembard, der Renegat,
Hält Stand mit vierzigtausend Mann.
Sie sprengen in der Franken Reih'n,
— 200 —
Manch guter Degen sinkt vom RoJfe.
520 Kasch ordnet Ludwig seine Schar,
Zehntausend Mann umringen ihn;
Die stürmen auf die Heiden ein
Und stecken ihrer inehr ins Gras
Als zählen ich und sagen kann.
525 Nun reitet Ludwig auf die Höh'
und findet Gormunds Leichnam dort
Bei der Standarten ausgestreckt,
Wo er im Zweikampf ihn erschlug.
Da hebt er so zu klagen an:
530 „Weh'', spricht er, „edler König gut,
Dein Schicksal ist beklagenswert;
Hättst Du geglaubt an Gott den Herrn,
Warst Du der beste Mann der Welt"
Da zeigte Ludwig hohen Sinn,
535 Dafs er zum Zelt ihn tragen liels
17. Bei der Standarten auf der Höh'
Herr Ludwig Gormunds Leichnam fand.
Den Held beklagt er ritterlich:
540 „Dir ward ein jammervolles Los;
Hätt'st an den Schöpfer Du geglaubt.
War keiner Dir gewesen gleich."
Das war von Ludwig wohl gethan,
Dafs er zum Zelt ihn schaffen liefs,
545 Bedeckt mit einem runden Schild.
Dann kehrt' zur Wahlstatt er zurück;
Da fand er Hugo schwer verletzt.
Den tapfern Guntier neben ihm.
Der ihm als Knappe treu gedient.
550 Li einen Mantel eingehüllt
Hob man den Helden auf ein Rofs,
Den Bügel hielt der König selbst,
So hat man ihn zum Zelt geschafft,
Wo Gormund schon gebettet lag,
555 Ihm legt Herrn Hugo man zur Seit'.
— 201 —
18. Rastlos indessen tobt die Schlacht.
Herr Milo, seht, der Degen gut,
Ficht Mann an Mann mit Isembard.
Der hätt' ihn, traun, zu Fall gebracht.
Da sprang der greise Bernard ein ^ 560
— Er war der Vater Isembards — ;
Dem Sohn versetzt' er solchen Stofs,
Dafs dem der Schild in Trümmer brach;
Doch besser noch traf Isembard,
Denn er zerspellt' den Schild ihm stracks, 565
Den Schuppenpanzer auch dazu.
Die scharfe Schneide fuhr hindurch.
Doch drang sie nicht ins Fleisch; vom Rofs
"Warf Isembard den Vater nur.
Das nahm er rasch beim Zaum und schwang 570
Vor Bprnards Augen sich hinauf —
Nicht um Erlaubnis bat er erst!
Das war nicht recht, dafs Isembard
Den Vater aus dem Sattel warf.
Indessen: er erkannt ihn nicht! 575
Hätt' er den Vater nur erkannt.
Er hätt' ihn nimmer angerührt.
So sprengt er fort durchs Kampfgewühl
Und setzt uns Franken übel zu:
Wen er erreicht, der bleibt am Platz, 580
Und wen er trifft, der spricht nicht mehr,
Wenn Gott der Herr ihn nicht erweckt
19. Grimm war die Schlacht, das Eingen heifs.
Laut tönt der Heiden Weheruf:
„Ha, Isembard, unsel'ger Mann, 585
Verworfner Renegat, Du logst;
Hier fehlt's an mut'gen Rittern nicht.
Ein Unstern führt uns nach Ponthieu,
Dies Land mit Krieg zu überzieh'n;
Verraten sind wir all' durch Dich.'' 590
Zur Antwort drauf giebt Isembard:
„Verworfnes Sarazenenvolk,
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Elende Heiden, feiges Pack,
Auf einen von den Franken stehn
595 Wohl dreifsig Sarazenen hier;
Haut drein und lafst zu jammern ab,
Wehrt Euch des Lebens, wie Ihr könnt"
Und jene folgen seinem Rat
20. Der Kampf war wild und heils entbrannt,
600 Und rings die Schlacht in vollem Gang.
Nicht länger trägt's das Heidenvolk,
Denn müde sind sie, ganz erschöpft.
Von Durst und Hunger arg gequält
Die Flucht ergreifen sie zusamt,
605 Die Franken hurtig hinterdrein,
Und fänden von der Landung her
Sie Schiff' und Barken nicht am Strand,
Nicht einer würd' entkommen sein.
21. Gleichwie der Hirsch durchs Brachfeld setzt,
610 So flüchten Irlands Streiter dort;
Die Franken ihnen nach mit Macht,
Der König Ludwig und sein Heer.
22. Die Sarazenen flieh 'n zu Häuf,
Nur Isembard hält mutig Stand,
615 Zweitausend Streiter noch dazu.
Wen er erreicht, der sinkt ins Gras,
Der starke Helm beschirmt ihn nicht.
Der blanke Harnisch, den er trägt.
Er spellt ihn durch bis auf den Rumpf.
620 Da stünne7i plötzlich auf ih7i los
Ein Herzog und der Grafen drei.
Der eine trifft ihn auf den Schild,
Die andern drei aufs Panzerhemd,
Aus dreien Wunden spritzt das Blut,
625 Sie stechen ihn vom Rofs herab,
Doch haben sie ihn nicht erkannt
Und stürmen weiter durchs Gefild.