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Full text of "Das epos von Isembard und Gormund. Sein inhalt und seine histoischen grundlagen, nebst einer metrischen übersetzung des Brüsseler fragments"

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DAS EPOS 



VON 



ISEMBARD UND GORMUNH 



SEIN INHALT UND SEINE mSTORISCHEN 

GEÜNDLAGEN 

NEBST EINER METRISCHEN ÜBERSETZUNG 
DES BRÜSSELEE FRAGMENTES 

VON 

BR. RUDOLF JENKER, 

PKIVATDOCENT AN DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG. 



HALLE A. S., 

MAX NIEMEYEE. 
1896. 



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X. 



■T. 



DEM ANDENKEN 



MEINES BRUDEES KONRAD. 






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Vorwort. 



Das nur als Fragment erhaltene Epos von Isembard und 
Gormund ist nicht nur wegen seines hohen Alters, seiner eigen- 
artigen metrischen Form und seiner geschichtlichen Grundlagen 
äufserst merkwürdig, es gehört auch, ästhetisch betrachtet, zu 
dem besten, was von altfranzösischem Heldengesang auf uns 
gekommen ist. Keine Frage: diese 661 Verse sind das Werk 
eines Dichters von hervorragender Begabung. Die Sprache ist 
von einer Frische, einer kraftvollen Gedrungenheit, einer mar- 
kigen Prägnanz, wie sie in der gesamten altfranzösischen Litte- 
ratur nicht ihres gleichen haben dürfte.^ Da ist keine Spur 
von jener kindlichen Unbehilflichkeit des Ausdrucken, die 
sonst die französischen Volksepen charakterisiert. Der Dichter 
beherrscht die Sprache, ja er handhabt sie mit einer für jene 
Zeit geradezu erstaunlichen Sicherheit; man gehe das Fragment 
durch, Zeile für Zeile, — man wird kaum ein Wort finden, das 
als matt, als Lückenbüfser, ja nur als entbehrlich bezeichnet 
werden dürfte. Festgefügt ist die Sprache, wie aus einem 
Gusse, von Anfang bis zu Ende. Dazu kommt eine lebens- 
volle Anschaulichkeit und bisweilen eine vollendete Plastik 
der Darstellung. Der Dichter sieht die Scenen, die er schil- 
dert, leibhaftig vor Augen, und in nicht gewöhnlichem Mafse 
besitzt er die Fähigkeit, das Geschaute mit wenigen kräftigen 



1) "Wenn A. Tobler, Das volkstümliche Epos der Franxosen, Zeitschr. 
f. Vblkerpsychol. und Sprackwissensch. IV (1866), S. 156 meint: „Käme 
nur der Stil in Betracht, einem Verfasser könnte man versucht sein, bei- 
nahe die ganze Fülle der altfranzösischen Epik zuzuschreiben'^, so ist Isem- 
bard und Gormund jedenfalls den Ausnahmen beizuzählen. 



— VI — 

strichen in deutlichen , scharf umrissenen Bildern vor uns hin- 
zustellen. Einige Beispiele mögen diese Behauptung illustrieren : 
Die Schlacht zwischen Franken und Sarazenen ist in vollem 
Gange; Hugo, der junge Bruder König Ludwigs, ist von Gor- 
mund, dem Sarazenenfürsten, vom Rofs gestochen worden; 
rasch schwingt er sich wieder in den Sattel und macht einen 
Umritt durchs Gefilde, um dann Gormund von neuem anzufallen 

„Hin durch die Schlacht stürmt Hugo nun, 
Ganz entrollt seine Fahne, 
Den Schlachtruf ruft er des Heldenkönigs, 
Den Schlachtruf Ludwigs, des Sohnes Karls. 
Frohlockend sehens die Seinen alle, 
Doch Schrecken fafst die Heiden an'' 

— ein bewegtes Bild von homerischer Anschaulichkeit. 

Hugo ist, schwer verwundet, abermals aus dem Sattel ge- 
worfen worden; sein Schlachtrofs geht davon; Isembard will es 
einfangen, mit dem Stumpf seiner zersplitterten Lanze hascht 
er dem Tier nach dem Zaum, indes 

„das Pferd trug den Kopf zu hoch", 

so war seine Mühe vergeblich — ein kleiner, aus unmittel- 
barer Anschauung geschöpfter Zug, der uns die Scene deut- 
lich vor Augen rückt. 

König Ludwig hat Gormund mit einem furchtbaren Streiche 
von der Schulter bis zum Gurt durchgespalten, die Wucht 
des Hiebes reifst ihn aber selbst so stark vornüber, dafs er, 
um nicht zu stürzen, sich am Hals des Bosses anklammern 
mufs; nur mit Aufbietung aller Kräfte vermag er sich im Sattel 
wieder aufzurichten: 

„So stemmt' er sich im Bügel fest: 
Das Eisen krümmt sich unter'm Fuls, 
Drei Finger breit dehnt' sich der Gurt.'* 

— eine Hyperbel, die wunderbar die krampfhafte Anstrengung 
des Wiederaufrichtens versinnlicht (infolge deren der König sich 
eine tödliche innere Verletzung zuzieht). 

Isembard findet den Leichnam Gormunds auf dem Schlacht- 
felde, er liegt da: 

„auf dem Rücken, blutüberströmt, es klafft der Mund** 



— vn — 

^,envers, sanglent, guh baee^^ — mit drei Strichen das Bild 
eines Erschlagenen, das an Deutlichkeit und krassem Realismus 
nichts zu wünschen läfst. 

Mit dieser sinnlichen Anschaulichkeit der Darstellung ver- 
bindet sich eine rasch, energisch fortschreitende Handlung. Die 
Ereignisse drängen sich vor den Augen des Dichters: Heraus- 
forderung und kurzes Trotzwort fliegen herüber und hinüber, 
es saust der „grofse" Speer, .das breite Schwert zerhaut Schild 
und Brünne, tot sinkt der (jetroffene vom Rofs und weiter 
sprengt der Sieger zu neuer That. Da ist kein Baum für lang- 
atmige Reden, für breite Schilderungen, „rasch wie die Thaten, 
geschwind wie die Schwerter in den Händen der schnellen 
Helden" ist des Dichters Lied, das ihre Thaten feiert. 

Was die Komposition betrifft, so gestattet über diese ja 
das Fragment selbst kein Urteil, wir werden aber anderweitig 
über den Inhalt des Epos unterrichtet, und da erkennen wir 
denn, dafs die Handlung, was Geschlossenheit und psycho- 
logische Motivierung anlangt, auch den strengsten Anforderungen 
Genüge that: 

Isembard und sein Bruder, fränkische Edele, leben am 
Hofe König Ludwigs, des Sohnes Karls des Grofsen. Isembards 
Bruder wird von einer feindlichen Partei heimtückisch ermordet, 
Isembard übt Blutrache, indem er die beiden Mörder — oder 
die Anstifter des Mordes? — erschlägt. Um die Blutfehde 
beizulegen, will König Ludwig Isembards Schwester dem Sohn 
des einen der beiden Erschlagenen zur Frau geben. Aber Isem- 
bard widersetzt sich — nach der Auffassung des Dichters mit 
Recht — diesem Vorhaben. Darob erzürnt, verbannt der König 
ihn aus dem Lande. Isembard, von Rachsucht erfüllt, geht zu 
dem heidnischen König Gormund nach England, schwört seinen 
Glauben ab und überredet Gormund, gemeinsam mit ihm an 
der Spitze eines grofsen Heeres in Frankreich einzufallen. Bei 
Cayeux kommt es zur Schlacht, die Franken bleiben Sieger, 
Gormund fällt durch Ludwigs Hand, Isembard selbst büfst nach 
heldenmütigem Kampfe seine Schuld mit dem Tode. Aber 
sterbend bekehrt er sich, er bereut seine Missethat und der 
Dichter giebt uns Hoffnung, dafs er um seines reuigen Todes 
willen nicht verloren sein wird: 



— vni — 

^ÜDd sterbend spricht er ein Gebet, 
Das seine Seele retten wird.*^ 

Isembards Eltern und Schwester gehen ins Kloster, um für 
sein Seelenheil zu beten, seine Schwester stirbt vor Gram. 

Die Handlung ist, wie man sieht, eine vollkommen ein- 
heitliche und wohl motivierte. Isembard ist ein tragischer Held 
und ganz und gar nicht der „typische Verräter*, als den Xyrop^ 
ihn bezeichnet; er verstrickt sich in Schuld, indem er seinen 
Glauben verleugnet und sein eigenes Vaterland mit Krieg über- 
zieht, aber was ihn dazu treibt, das ist keineswegs Schlechtig- 
keit und böser Wille, sondern allein das leidenschaftliche Ver- 
langen, Rache zu nehmen für die ihm von Seiten des Königs 
widerfahrene ungerechte Behandlung. Darum hat er vollen 
Anspruch auf unsere Sympathie und unser Mitleid, darum er- 
öffnet der Dichter uns auch die tröstliche Aussicht, dafs seine 
Seele, trotz der Schuld, die er auf sich geladen, nicht ver- 
loren sein werde — ein Zug grofsaitiger, edelster Poesie. 

In ihrer düsteren Tragik erinnert die Handlung an die 
Nibelungen und an die Lieder der Edda. In der That ist der 
germanische Grundzug, der überhaupt dem französischen National- 
epos eignet, in unserem Gedichte besonders stark ausgeprägt. 
Germanisch ist das Motiv der Blutrache, auf dem die ganze 
Handlung sich aufbaut; ein skandinavischer Berserker ist dieser 
Gormund, der in unbändiger Kampfeslust die Blüte des frän- 
kischen Adels niedermäht, germanisch ist die grausame Ironie, 
mit der er seine Gegner höhnt (z. B. v. 107 : Herberge wirst 
Du finden im Heidekraut, vgl. dazu das deutsche Ludwigslied 
V. 53: „Er — König Ludwig — schenkte seinen Feinden bitteren 
Würzwein"), auf germanisch -feudalistischen Anschauungen be- 
ruht die Aufforderung Isembards an die Holden, „den Tod ihres 
Herrn zu rächen, der ihnen die grofsen Länder gab, das Grau- 
work und das Hermolin, die Schlösser und die Burgen", die 
höchste gormanische ivriogortugond übt Isembard selbst, wenn 
er dem toten Oormund Treue gelobt bis zum letzten Atemzuge, 
gonnanischo Sitte war es, sich durch Loswerfen die Zukunft 
voraussagen zu lassen, wie Isembard gethan hat, und einer Ge- 

1) iStoria dcU' cpopca frmicesCf trad. d. Oorra, Turin 1888, p. 199. 



— IX — 

pflogenheit germanischer Epik entspricht es, wenn Isembard 
die Totenklage anstimmt an der Leiche des gefallenen Herrn. 
Die Formel, welche man für das französische Epos überhaupt 
aufgestellt hat: „germanischer Geist in romanischer Form", sie 
hat in ganz besonderem Mafse Gültigkeit für das Lied von 
Isembard und Gormund. 

Der geschichtliche Hintergrund dieses merkwürdigen und 
poetisch hochbedeutenden Denkmals war nun bisher einer ge- 
naueren Untersuchung nicht teilhaftig geworden. Man hat sich 
im wesentlichen darauf beschränkt, zu konstatieren, dafs die 
in dem erhaltenen Fragmente geschilderte Schlacht die Schlacht 
von Saucourt sei, in der der westfränkische König Ludwig DI. 
im J. 881 die Normannen besiegte, die gleiche Schlacht also, 
der auch das deutsche Ludwigslied seine Entstehung verdankt; 
was sonst etwa geschichtliches noch in dem Epos enthalten sei, 
das blieb dahingestellt. Zweck der nachfolgenden Abhandlung 
ist es nun, diese Lücke auszufüllen und die geschichtlichen 
Grundlagen der Dichtung, soweit es die vorhandenen Quellen 
gestatten , möglichst vollständig blofszulegen. Dazu war es natür- 
lich erforderlich, zunächst den Inhalt der Dichtung, über den 
uns ja das erhaltene Fragment nur sehr unvollkommen Aus- 
kunft erteilt, möglichst genau festzustellen. Die Abhandlung 
zerfällt deshalb in zwei Hauptteile: 

1. den Versuch einer Eekonstruktion des Inhalts des alten 
Epos, aus dem unser Fragment stammt: das wesentliche Er- 
gebnis dieses Teiles wurde oben bereits vorausgenommen; 

2. die Untersuchung der historischen Grundlagen der 
Dichtung. 

Die gewonnenen Resultate, welche das Epos von Isem- 
bard und Gormund in ein völlig neues unerwartetes Licht 
rücken, glaube ich in der Hauptsache als gesichert bezeichnen 
zu dürfen; dagegen schmeichle ich mir keineswegs, dafs es 
mir gelungen ist, im einzelnen überall das Richtige zu treffen. 
Die Untersuchung bewegt sich vielfach auf schwankenden 
Grundlagen; nicht immer war es möglich, die Probleme, die 
sich auf Schritt und Tritt darboten, einer exakten Lösung zu- 
zuführen und öfter, als mir lieb, war ich genötigt, zu Ver- 



— X — 



mutungen und Hypothesen meine Zuflucht zu nehmen. Ich 
halte es deshalb wohl für möglich, ja sogar für wahrscheinlich, 
dafs andere Forscher, von anderen Gesichtspunkten ausgehend, 
unter Verwertimg neuer Momente — vielleicht auch neuer 
Quellen, die mir entgangen sind — in manchen Punkten zu 
abweichenden, vielleicht besser fundierten Resultaten gelangen 
werden. Ich werde für jede Belelu-ung nur dankbar sein und 
keinen Augenblick anstehen, meine Ansichten aufzugeben, wenn 
ich die Überzeugung von ihrer ünhaltbarkeit gewinnen sollte. 

In dem kurzen Referat meines auf der 42. Philologen- 
versammlung zu Wien, Pfingsten 1893, gehaltenen Vortrages: 
Über die historische Grundlage und die Entwicklung 
der Sage von Gormund und Isembard, Zeitschrift für 
französische Sprache und Litteratur 1893, S. 257, und Ver- 
handhmgen der 42. Versammlung deutscher Philologen und 
Schulmäniier in Wien, Leipzig 1994, S. 492 f. sind die Resul- 
tate der nachstehenden Abhandlung nur zum Teil niedergelegt, 
da ich meine Untersuchung damals noch nicht abgeschlossen 
hatte und über eine Reihe wichtiger Punkte erst später ins 
Klare gelangt bin. 

Die metiische Übersetzung habe ich beigefügt in der An- 
nahme, dafs auch von denen, die des Altfranzösischen nicht 
mächtig sind, vielleicht der eine oder andere gerne von imserem 
Denkmal Kenntnis nehmen werde. Freilich kann dieselbe von 
dem Original nur eine sehr abgeblafste Vorstellung geben, haupt- 
sächlich deshalb, weil sie des Schmuckes der Assonanz und 
des Reimes entbehrt. Die erstere geht ja in dem Fragment 
schon oft in den letzteren über und wo sie es nicht thut, 
da kommt sie ihm doch vielfach nahe; beide, Reim und die 
ihm nahe kommende Assonanz, wirken im Original, ganze 
Tiraden durch den gleichen Klang verbindend, bei der Kürze 
des Verses aufserordentlich stark aufs Ohr und verleihen der 
Darstellung dann einen eigenartigen musikalischen Reiz. Auf 
eine Durchführung des Reimes und der ihm nahe kommen- 
den Assonanz durch längere Reihen von Versen mufste ich 
natürlich von vornherein verzichten; eine auf den Gleich- 
klang der Vokale sich beschränkende Assonanz aber würde 
wenig Wert haben, da unser Ohr von einer solchen doch keinen 



— XI — 

rechten Eindruck empfängt. Als einzige Möglichkeit, dem Verse 
einen äufseren Schmuck zu verleihen, wäre also die Anwendung 
des gepaarten Reimes geblieben. Indessen hätte dieser einerseits 
eben doch nur einen unvollkommenen Ersatz geboten, andrer- 
seits würde er immerhin bei der Knappheit der Darstellung und 
der Kürze des Verses genötigt haben, dem Gedanken Gewalt 
anzuthun; es kam mir aber darmif an, eine möglichst getreue 
Übersetzung zu geben und, soweit es nur irgend anging, den 
Wortlaut des Originals beizubehalten. Ich zog es deshalb vor, 
sowohl auf Reim als auf Assonanz gänzlich zu verzichten; 
nur für die Refrainstrophe habe ich den gepaarten Reim, den 
das Original hier aufweist, beibehalten. 

Florenz, im Juni 1895. 

Rudolf Zenker« 



InlialtsTerzeiclinis. 



Seite 
Vorwort V— XI 

Einleitung. Das Brüsseler Fragment . .'s. 1 — 7 

Ausgaben 1 — Titel 1 — Entstehungszeit 2 — 
Heimat des Fragmentes 6 — Vorarbeiten über die 
geschichtlichen Grundlagen der Dichtung und die; 
Entwictlung der Sage 6. 

I. Rekonstruktion des Inhalts der Dichtung .... 8 — 63 

1. Das Fragment selbst 8 

2. Kürzere Erwähnungen der Sage in Denkmälern aus 

dem 12., 13. und 14. Jahrhundert 14 

Galfrid von Monmouth 14 — Bmt Tysylio 16 — 
Wace 17 — Layamon 19 — Gaimar 20 — Gott- 
fried von StraJfeburg 20 — Guiraut von Cabrera 21 

— Walter Map 22 — Jocelin 22 — Eandbemer- 
kung in einer Handschrift des 12. Jh. 22 — 
Giraldus Cambrensis 23 — Chanson des Saxons 24 

— Nicolaus von Amiens 25 — Alexander Neckam 25 

— Vita Merlini 26 — Aymeri de Narbonne 26 — 
Bertran de Paris 26 — Genealogie der Grafen von 
Boulogne 27 — Chanson von Hugjjes Capet 27. 

3. Das Resume Philippe Mouskets 28 

A. Inhalt 28. — B. Kritik des Inhalts 33. 

4. Der Loher imd Maller 42 

A. Inhalt 42. — B, Kritik des Inhalts 55. 

Ergebnis 62 

n. Die historischen Grundlagen 64 — 177 

Die Schlacht von Saucourt 64 

Geschichtliches über die Schlacht von Saucourt 64 — 
Gründe für die Identificierung derselben mit der in 
dem Fragmente geschilderten Schlacht, Ludwigs DI. 
mit König Ludwig 68 — Ludwig H. als historisches 
Vorbild für König Ludwig 70 — Die Schlacht von 
Thimeon, historische Vorbilder für Hugo 73. 



— XIV — 

Seite 

Ooniuiiul-üuthorm 78 

Gutliorm in dor Geschichte 78 — Gründe für die 
Montifici(?rung Oonnunds mit Guthorm 80 — Gor- 
niund nicht identisch mit Ilasting 83. 

Das Chronicon Crniuhnsc und Ciuido von Bazoche; Wil- 

Iiohn von Malmcsbury 85 

Dor Hericht Ilariulfs über die Schlacht von Sau- 
oourt. 85 — Der Bericht Guido's 87 — Beide Berichte 
auf dem Kpos oder der aus diesem geflossenen 
Sago beruhend 88 — Outliorm an der Schlacht 
von Saucourt nicht beteiligt 88 — Isembard, der 
Solin des Grafen Warin von Macon, in der Ge- 
scliichte und in Urkunden 91 — war ein treuer 
Diener Karls des Kahlen 93 — Der Bericht Wil- 
hehns von Malmcsbury 9(5. 

(lormund- Vurmo 98 

rrsprünglic-hos geschichtliches Vorbild Gormunds 
vielleiehl ein Normannenhäuptling Wurm 99 — Wie 
erklärt, sich die Vtu'wandlung der Normannen in 
Sarazenen? lln/ulänglichkoit der bisherigen Er- 
klärungen 1(K). 

Die Sperlings -Kpisodo; Ceawlin 104 

Vf»rbnütung der Sage von dor Einäscherung einer 
belagort.en Stadt dun^h Vögel 104 — An wessen 
Nanien war die S;ige ursprünglich geknüpft? 105 
- - CiMdig 107 (Vawiin U^ — Die I^yamon'sche 
V»M"sion 110. 

Isembard ,./' Manjariv 113 

D<»r haitihiinl fih'ns Warini beim ^lönch von 
St. (lallen IM — Der /semhanlus Pontin' comc^ 
b«»i Willu»lm von Malmesburv 119 — Tscmbards 

« 

DtMname Mnrtfnn'x PJl - Der Oastal de Isembard 
im iliroti. S. lU'm'dirti Ca:iincnsh 1Ü7 — Die 
S.'ira/.«»M«Mikri»»gi> KaistM- lAulwigs 11,, Königs von 
It.ihiMi \\)\) D«'r (iastalde Isembard das ge^chieht- 
lielu» VorbiM für den Helden unsoivs Epos 133 — 
Konsoqui»n/«Mi dieses Ixosultates K^G — Erklärung 
für dio ViMWjuidliing derNonuanntMi in Sarazenen 137 
D;is SauiM>urt l.ied und das Isembnni-Liod 138. 

Das Isombjird I.umI; «lie Srhla«'l\t \on San Maniuo . . 141 

D«M' Inli;i1l dos IsiMul^ard - Liedes 141 — Mut- 
mjilsiin/'.iM» uImm" mmiiou svMistigen Inhalt 142 — 
K.'iiNcr l.ud\\ij',s 11. n«MMr:jliM gegrn die Sarazenen 
und du» S« hl.'U'lil \on S. Martine am Vi-ltamo als 



— XV — 

Seite 
historische Grundlage des Liedes 144 — Hugo's 
Knappe Guntier und der Guntari des Chronicon 
Salernitanum 144 — Isembard als Verbündeter 
der Sarazenen 149 — Der Sultan von Bari als 
Vorbild Gormunds 151. 

Rollo 154 

Die Tradition Dudo's von St. Quentin über Rollo 155 
— König Aethelstan bei Dudo identisch mit Gu- 
thorm 1 58 — Übereinstimmende Züge in der Tradi- 
tion Dudo's und dem Resume Mouskets 161 — Be- 
denken 164 — Dudo's historische Glaubwürdig- 
keit 166 — Weitere Folgemngeü 168 — Der 
dänische Seekönig Gotfrid 169 — Isembards Vor- 
bild in dem Saucourt- Liede ein Wikingerhäupt- 
ling 173. 

Ergebnisse 174 

Anhang: Zeitgenössische Berichte über die Schlachten von Sau- 
court, von Thimeon imd von San Martine 178 — 181 

III. Das Brüsseler Fragment im Versmafs des Originals 

übersetzt . 183—203 



Einleitung. 



Das Brüsseler Fragment. 

Ausgaben. Das Fragment von Isembard und Gormund 
wurde von dem Kanonikus de Ram auf einem alten Ein- 
bände entdeckt und zum ersten Mal veröffentlicht vom Baron 
von Reiffenberg in der Einleitung zu seiner Ausgabe der 
Chroniqus Hm6e des Philippe Mousket, Bruxelles 1838, t. 11, 
p. X — XXXII. Nachdem das Manuskript eine Zeit lang ver- 
schollen gewesen war, wurde es unter den von der Brüsseler 
Kgl. Bibliothek erworbenen Papieren de Rams wieder aufgefun- 
den durch Auguste Scheler und von ihm nun zum zweiten 
Male herausgegeben im Bibliophile Beige, Bulletin mensuel 
t. X., Bruxelles 1875, p. 149 — 198, daneben auch separat unter 
dem Titel „ La Mati. du roi Gormond, fragment unique d'une 
chanson de geste inconnue, conserv6e ä la Bibl. Roy, de Bei- 
gique, r44diU litt^ralement sur Vorginal et annot4 p, Ä. Scheler j 
Bruxelles 1876" (vgl. dazu die Recensionen von Gaston Paris, 
Romania V, 376 ff. und von W. Förster, Jenaer Litter atur- 
zeitung 1876, No. 35, S. 557 f.). Eine streng kritische Aus- 
gabe, welche im wesentlichen als definitiv bezeichnet werden 
raufs, veranstaltete dann Robert Heiligbrodt unter dem Titel 
„Fragment de Oormund et Isembard, Text nebst Einleitung^ 
Anmerkungen u?id volhtändigem Wortindex^' in Böhmers Ro- 
manischen Studien III, 1878, S. 501 — 596 (auch als Strafs- 
burger Dissertation 1878; dazu eine kurze Anzeigenotiz von 
G. Paris, Romania VIII, 300). 

Titel. Heiligbrodt verwirft im Hinblick auf die Ent- 
wickelung der Ereignisse in dem Denkmal die von Ideler ^ und 



1) Gesch. der altfranx. Nationallitt, j Berlin 1842, S. 131. 
Zenker, Das Epos ?on Isembard etc. 1 



_ 2 — 

P. Meyer^ gebrauchte Bezeichnung „Isembartet OormonV^ und 
meint, der allein berechtigte Titel für das Fragment sei „Oor- 
mund et IsemharV^. Nun hat Heiligbrodt allerdings Recht, 
wenn er betont, dafs das Fragment zuerst ausschliefslich von 
Gormund handele und dafs erst nach dessen Tode Isembard 
in den Vordergrund trete. Indessen wird sich aus der nach- 
folgenden Untersuchung ergeben, dafs das Epos umgekehrt mit 
der Erzählung von Isembards Schicksalen begann und dafs 
überdies er, nicht Gormund, auch der eigentliche Held der 
Dichtung war. Somit kann der Titel für das Epos nur „Isem- 
bard und Gormund" lauten. Da es nun doch wohl eine Pedan- 
terie sein würde, von einem Epos von Isembard und Gormund, 
dagegen von einem Fragment von Gormund und Isembard 
zu sprechen, so werde ich auch das letztere „Isembard und 
Gormund" betiteln, obwohl ich zugebe, dafs für dieses allein 
die von Heiligbrodt gewählte Bezeichnung zutreffender sein 
würde. 

Auf Grund einer Stelle im Fabliau des deus bordeors 
ribaux, Bartsch et Horning, La langue et la litterativre frang,, 
Paris 1887, Sp. 617, V. 10, wo ein Jongleur sich rühmt: 

et si sai du roi Loeis, 

vermutet G. Paris, Hist. po6t de Charle^nagne, p. 400 n. 2, 
Romania V, 377 und Histoire littSraire de la France XXVIII, 
250, der ursprüngliche Titel für das Epos sei gewesen ,yle Roi 
Loiiis^^ und er hat diesen Titel denn auch in seiner Litt fra?ip. 
au moyen äge, 2^ 4d., Paris 1890, p. 43, bereits adoptiert. Nun 
wäre es ja gewifs möglich, dafs G. Paris mit seiner Vermutung 
Recht hätte. Aber einmal ist das doch noch keineswegs sicher, 
und dann wäre jener Titel, auch wenn er alt sein sollte, doch 
wenig glücklich gewählt. Denn der eigentliche Held der Dich- 
tung ist König Ludwig sowenig als Gormund, sondern, wie 
schon bemerkt, allein Isembard. Ich bleibe also bei der Be- 
zeichnung Isembard und Gormund. 

TEntstehungszeit. P. Mejer a. a. 0. meint, die Chanson 
von Isembard und Gormund könne wohl gleichzeitig mit dem 



1) Mem, de la Soc. de lingu.^ I, 1868, p. 260. 



— 3 — 

Rolandsliede sein, und derselbe bemerkt Bihl de Vilc. des Charles 
V, 2, 85, sie stamme allem Anschein nach aus dem 11. Jh. . 
Heiligbrodt a. a. 0. S. 511 urteilt, der Ursprung des Denkmals 
sei „in das dritte Viertel etwa des 11^ Jh., wenn nicht, was viel- 
leicht wahrscheinlicher, noch früher zu setzen"; S. 512 erklärt er, 
man müsse „im Hinblick auf die äufsere Form, den Stil und 
die Sprache eine dem Rolandsliede nicht ferne, vielleicht sogar 
frühere Zeit für die Entstehungszeit der Vorlage des uns über- 
lieferten Fragmentes ansehen," In welche Zeit G. Paris unser 
Fragment setzt, ist nicht klar; in der Histoire littäraire XXVIII 
(1881), 251 rückt er es in die erste Hälfte des 12. Jh. her- v 
auf, indem er die Verkleidung der Normannen in Sarazenen, 
welche darin vollzogen ist, als eine Wirkung der Kreuzzüge 
betrachtet; ebenso bezeichnet er in seiner Litt franp. au 
moyen äge im Tableau chronlogique p. 246 das erste Drittel 
des 12. Jh. als die Entstehungszeit; dagegen setzt er es, im 
Widerspruch mit dieser Datierung, ebenda p. 39 und p. 43, in 
die zweite Hälfte des 11. Jh., bezw. überhaupt ins 11. Jh.; es 
mufs also entweder hier oder dort ein Versehen vorliegen, wo? 
das kann ich nicht entscheiden. 

Ich möchte nun glauben, dafs die von Heiligbrodt ge- 
gebene Zeitbestimmung der Wahrheit ziemlich nahe kommt; ich 
vermute, dafs das Fragment um J1080 und zwar eher früher / 
als später entstanden ist. Dafür scheinen mir zu sprechen zwei 
in dem Fragment enthaltene geschichtliche Anspielungen, die, 
soweit ich sehe, für die Datierung bisher noch nicht verwertet 
worden sind. 

y. 140 wird genannt ein „Graf von der Normandie, 
jener, der Herr vonRouen war und die Abtei von F6camp 
baute"; der Graf wird von Gormund im Kampfe getötet. 
Reiffenberg merkt zu der Stelle nur an, die Abtei von F6camp 
stamme schon aus dem 7. Jh. und Heiligbrodt im Kommen- 
tar verweist einfach auf Reiffenberg. Nun bestand aller- 
dings zu F6camp ein Nonnenkloster, Fiscamnensis parthenon, 
welches schon im 7. Jh. von einem gewissen Wadingus ge- 
gründet worden war.^ Aber nicht von diesem ist hier die 



1) Vgl. Migoe, Patrologiae cursusj Series latina, Index t. III, 1063 

1* 



— 4 — 

Bede; das Kloster, welches der Dichter meint, ist vielmehr das 
der heil. Dreifaltigkeit, Fiscavinense S. Trinitatis, das in der 
That von einem Grafen der Normandie, von Graf Richard I. 
Ohnefurcht, dem Sohne Wilhelms L, gegründet wurde; vgl. 
Bodulfus Glaber, Hist U, c. 7^: Tu7ie temporis etiam dux 
TU>i(yinag(yiULm Riexirdus obiii, qui monasterium aedifi- 
caverat nimiuin locuples in loco, qui dicitur Fisca^n- 
pus^ in quo etiam sepultiis quieseiL Nun starb Richard I. 
im J. 996 zu Ronen an einer Krankheit, vgl. Dudo von 
St Quentin* c. 128 — 29. Bevor diese Thatsache soweit in 
Vergessenheit geraten war, dafs der Dichter ihn bei Cajeux- 
sur-mer in einer Schlacht ^egen die Sarazenen fallen lassen 
konnte, mufste offenbar seit Richards Tode ein ganz beträcht- 
licher Zeitraum verstrichen sein; er mulste in der Vorstellung 
des Dichters und seiner Zeitgenossen bereits einer grauen Ver- 
gangenheit angehören. Wir werden also annehmen dürfen, 
dals seit seinem Tode mindestens etwa 70 Jahre vergangen 
waren, womit wir denn auf die Zeit um 1070 als den ter- 
minus a quo für die Entstehung des Gedichtes heruntergeführt 
würden. 

Es wird dann weiter V. 88 in dem Fragmente genannt ein 
Graf Odo (Eodun) von Champenois, „der Chartres, Blois 
und Chäteaudun in Gätinais zu eigen hatte**. Zwei Grafen 
haben existiert, auf welche die gegebene Charakteristik palst: 
Odo L, gest 995, und Odo IL, sein Sohn und Nachfolger, 
geb. 982 oder 983, gest. 1037. ^ Graf von Champagne war 
freilich nur Odo II. (seit 1019), aber schon Odo I. besafs von 
seiner Mutter einige Landschaften im Champagnischen und 
wird deshalb von den Chronisten le Champenois genannt* 



1) Pertz, Monumenta Germaniae Historica. Scriptores ATI, 61. — 
Migne 1. c. 

2) De moribiis et actis primorum Xormanniae ducum, ed. Jules 
Lair, Caen 1865, in Mhn. de la Soc. des Äntiqu, de Xorm. v. XXTTT . 

3) Vgl. Arbois de Jubaiuville , Hist. des ducs et des comtes de Cham- 
pagne, Paris 1859, t I. — Leonce Lex, Endes, comte de Blois, de Tours, 
de Chartres, de Troyes et de Meaux (995 — 103T). Ext. d. Mem. de l. 
Soc. aead. de l'Aube, t 55. Troyes 1892. 

4} Lex, a. a. 0. p. 17 f. 



— 5 — 

Offenbar kann unser Dichter nun allein Odo IL im Auge haben. 
Denn wenn er den Grafen schlechthin bezeichnet als „den- 
jenigCD, der Chartres u. s. w. besafs", so kann ihm natürlich 
nur ein Graf Odo, auf den diese Bezeichnung pafste, bekannt 
gewesen sein; das mufs aber dann der jüngere gewesen sein, 
denn dafs er zwar von der Existenz Odo's I., nicht aber von 
der Odo's II., der ihm zeitlich näher stand, Kenntnis gehabt 
haben sollte, das ist nicht denkbar, wohingegen das umgekehrte 
als ganz natürlich erscheint (Reiffenberg, auf den Heilig- 
brodt auch hier verweist, glaubt, es handle sich um Odo L). Nun 
ist es sehr beachtenswert, dafs von sieben französischen Rittern, 
die mit Gormund den Kampf aufuehmen, sechs getötet werden, 
Odo allein — er ist der vierte in der Reihe — entkommt un- 
versehrt. Dies legt die Vermutung nahe, der Dichter habe 
sehr wohl gewufst, dafs Odo in dei* von ihm geschilderten 
Schlacht seinen Tod nicht gefuüden hatte. Es ist dann weiter 
zu beachten, dafs der Dichter die Thatsache von Odo's Errettung 
in die Worte fafst: „Gott hat ihn dieses Mal bewahrt (Deus 
Vdd guari a cele feiz)^; denn diese Worte fordern doch als 
Gegensatz: ein anderes Mal, also in einer anderen Schlacht, 
hat er es nicht gethan. Nun wurde Odo in der That in einer 
Schlacht getötet, er fiel am 15. Nov. 1037 in einem Treffen 
an der Ome in der Ebene von Honol gelegentlich eines Feld- 
zuges gegen den Herzog Gozelon von Lothringen i; da er einer 
der unruhigsten und kriegerischsten Fürsten seiner Zeit war, 
so erregte sein Tod allenthalben grofses Aufsehen. ^ Es geben 
deshalb jene Worte die weitere Vermutung an die Hand, dem 
Dichter sei nicht nur im allgemeinen bekannt gewesen, dafs 
Odo nicht in einer hinreichend fernen Vergangenheit gelebt 
hatte, um in der Schlacht, die er in seinem Liede schilderte, 
den Tod gefunden zu haben, sondern er habe aufserdem auch 
Kenntnis von der speziellen Thatsache gehabt, dafs Odo in 
einer Schlacht gefallen war. Ist diese Vermutung richtig, 
so werden wir aus ihr den Schlufs ziehen, dafs unser Fragment 
nicht allzu lange nach 1037 entstanden sein kann, wir werden 



1) Lex, a. a. 0. p. 53 ff. 

2) ib. p. 7 f.; Ärbois de Jubainville, a. a. 0. p. 343. 



— 6 — 

sagen dürfen: gewils nicht länger als 40—50 Jahre danach. 
Damit kämen wir denn auf die Zeit gegen 1090 als ter- 
minus ad quein, und da wir als terminus a quo die Zeit 
um 1070 gewonnen haben, so werden wir die Enstehung des 
Fragments um 1080 ansetzen dürfen, — ein Resultat, welches 
sich ja mit den Ergebnissen der sprachlichen Analyse des Ge- 
dichtes vollkommen im Einklang befindet. 

Aber ist dieser Datierung nicht das oben erwähnte, von 
G.Paris benutzte Argument hinderlich? Keineswegs. Im zweiten 
Abschnitt unserer Untersuchung wird sich zeigen, dafs die Ver- 
wandlung der Normannen in Sarazenen keineswegs, wie G. Paris 
annimmt — und nach dem, was bisher über die historische 
Grundlage des Fragments bekannt war, mit Recht annimmt — 
dafs, sage ich, diese Verwandlung keineswegs auf einen Ein- 
flufs der Kreuzzüge zurückzuführen ist, sondern sich in einer 
ganz andern Weise aufs befriedigendste erklärt. Ich mufs mich 
vorläufig auf die Konstatierung dieser Thatsache beschränken. 

Heimat des Fragments. Alles weist darauf hin, dafs 
das Gedicht entstanden ist in der östlichen Pikardie, in der 
Gegend von Abbeville, dem Schauplatz der erzählten Ereig- 
nisse, vgl. Heiligbrodt S. 511 f.; ich habe hier seinen Aus- 
führungen nichts hinzuzufügen. 

Vorarbeiten über die geschichtlichen Grundlagen 
der Dichtung und die Entwicklung der Sage. Von den 
Herausgebern hat Scheler sich über die geschichtliche Grund- 
lage gar nicht geäufsert; was Reiffenberg anführt, ist ohne 
Wert. Heiligbrodt bemerkt ausdrücklich, dafs es nicht in 
seiner Absicht liege, den geschichtlichen Hintergrund genau zu 
untersuchen. Doch bringt er einiges darüber bei und giebt 
vor allem sehr dankenswerte bibliographische Nachweise über 
eine Anzahl Stellen , welche bei einer Untersuchung des Gegen- 
standes zu berücksichtigen wären. Was die Entwicklung der 
Sage betrifft, so beschränkt er sich darauf, eine Sagengeschichte 
Gormunds und Isembards aus den verschiedenen Denkmälern 
zu kontaminieren. San Marte (A. Schulz) in seiner Ausgabe 
von Gottfried von Monmouth, Historia Regum Britanniae, 
Halle 1854, handelt S. 439—443 im Kommentar zu Buch XI, 
cap. VIII, wo sich unsere Sage findet, sowohl über die ge- 



schichtliche Grundlage der Sage als über ihre Verbreitung spe- 
ziell in England; seine gelehrten Angaben bedürfen indefs teil- 
weise der Berichtigung und erschöpfen den Gegenstand auch in 
keiner Weise. Im gleichen Jahre, in dem Heiligbrodts Aus- 
gabe erschien, veröffentlichte Storm in seinem Kritiske Bidrag 
tu Vikingetide7is Historie^ Kristiania 1878, S. 193 unter dem 
Titel Gurmundtis rex Africanorum eine kurze, aber gehaltvolle 
Studie über die Sagengeschichte Gormunds, in der er jedoch 
auf den sonstigen Inhalt unseres Epos nicht näher eingeht. 
Nyrop, Storia delV epopea fra?icese (Den oldfranske Heide- 
digtning, Kjöbenlmven 1883), trad, di E. Gorra, Turin 1888, 
S. 197 — 199 widmet auch dem Gormund und Isembard eine 
summarische Besprechung. L6on Gautier hingegen in sei- 
nen EpopSes franoaises 2, Paris 1878 — 92, hat unser Frag- 
ment von seiner Darstellung ausgeschlossen, offenbar deshalb, 
weil er — sehr mit Unrecht — glaubt, ihm den epischen Cha- 
rakter absprechen zu müssen.^ 

Von einem Eingehen auf den Inhalt der genannten Vor- 
arbeiten und einer Kritik der in ihnen niedergelegten An- 
schauungen von den historischen Grundlagen und der Ent- 
wickelung der Sage sehe ich an dieser Stelle ab. Ich werde 
in den positiven Darlegungen des zweiten Teiles nicht verfehlen, 
es überall zu vermerken, wo ich mich meinen Vorgängern an- 
schliefse, und werde, wo es nötig ist, mich mit ihnen aus- 
einandersetzen. 



1) Er fühi-t es t. I^, in der alphabetischen Liste der erhaltenen Chan- 
sons de geste kurz auf mit den Worten : ,jGormon et Isembard. M. de Reiffen- 
berg a publie sous ce titre un fragment en octosyllabes , qui n*a rien de veri- 
tablement epique/^ 



L Eekonstruktion des Inhalts der Dichtung. 



1. Das Fragment selbst. 

Ausschliefslichen Inhalt des Brüsseler Fragmentes bildet 
eine Schlacht, welche der Frankenkönig Ludwig gegen den 
Sarazenenkönig Gormund und den mit ihm verbündeten Rene- 
gaten Isembard, den Sohn eines gewissen Bernard (V. 560) 
schlägt Ludwig ist der Sohn des Karl (fe fix Ckarlun V. 276); 
er wird reis (V. 201. 203. 224. 365 u. ö.) oder emperere (V. 178. 
212. 484. 500) genannt; sein Heer besteht aus Franken {genx 
de France V. 79, Franceis V. 407. 461. 473 u. ö.), doch sind 
darin auch Deutsche {un Aleman V. 27) und Lombarden (un danxel 
de Lumbardie V. 152). Gormund wird bezeichnet als eist 
d' Oriente (V. 69. 78), als li Arabi (V. 186. 443), als rei amire 
(V. 530), und als empet^ere de Leutix (V. 444), sonst stets als 
reis] sein Heer besteht aus Sarraxin (V. 340. 448 u. ö.), aus 
Turx et Persanx et Ärabix (V. 433), aber auch Iren befinden 
sich darunter (uns Ireis V. 100. 282), und einmal werden die 
Leute Gormunds überhaupt genannt ces d'Irlande (V. 610). 
Isembard führt den stehenden Beinamen li Margari (V. 422. 
436. 451. 462. 585. 628). Ort der Schlacht ist die Gegend von 
Cayeux (desus Quaiou, a la chapele V. 41; desus Quaiou, en 
la champaigne V. 65), die Heiden flüchten „mitten durch Vimeu 
und Ponthieu auf St. Valery zu (parmi Vimeu et par Pontif, 
Vers les aloex Saint Valeri V. 434)". 

Die Schlacht ist da, wo das Fragment einsetzt, bereits in 
vollem Gange. Gormund haust furchtbar in Ludwigs Heere; 
von den fränkischen Fürsten und Edlen erliegt einer nach dem 
andern seinen gewaltigen Streichen. Gautier von Maus, der 



— 9 — 

Sohn eines Frankenherzogs Erneis (V. 11), Terri von Termes^ 
(V. 47), ein Graf von Flandern (V. 67) werden von ihm zu 
Boden gestreckt; Odo von Champagne (V. 87) entkommt mit 
Gottes Beistand, aber es fallen dann wieder der Graf von Poitou 
(V. 114), der Graf von der Normandie (V. 140), sowie Ernaut, 
der Herr von Ponthieu und St. Valery (V. 165). Gormund 
verhöhnt nun mit lauter Stimme die thörichte Hoffnung der 
Franken, dafs ihr Gott ihnen beistehen werde, er, der doch, als 
die Juden ihn ans Kreuz schlugen, sich selbst nicht habe helfen 
können und eines elenden Todes habe sterben müssen. Als 
Hugo (Hues, Hugelin)^ der Bruder König Ludwigs, diese gottes- 
lästerlichen Worte vernimmt, wird er tief empört und be- 
schliefst, den Spötter zu züchtigen. Trotz Ludwigs Warnung 
sprengt er, „nicht wie ein irdisches Wesen, nein, wie ein Sturm- 
wind", auf Gormund los und greift ihn an. Dieser trifft ihn 
mit dem Speer in die Seite und wirft ihn vom Rofs; Hugo 
aber rafft sich schnell auf, schwingt sich wieder in den Sattel 
und greift, nachdem er einen Umritt durchs Schlachtfeld ge- 
macht hat, Gormund von neuem an. Abennals trifft dieser 
ihn mit dem Speer, abermals stürzt Hugo vom Rofs, abermals 
gelingt es ihm, sich wieder in den Sattel zu schwingen. Je- 
doch der Blutverlust erschöpft ihn, plötzlich stockt ihm das 
Herz und ohnmächtig sinkt er zu Boden. Guntier, Hugo 's 
Neffe und Schildknappe, will seinen Herrn rächen, er reitet 
auf Gormund los und greift ihn an; da wir über den Ausgang 
des Kampfes nichts erfahren, so ist hier nach V. 359 im Texte 
eine Lücke anzunehmen ; wie V. 548 beweist, mufs in den aus- 
gefallenen Versen erzählt gewesen sein, dafs Guntier von Gor- 
mund getötet wurde. Als König Ludwig sieht, wie seine 
Ritter, einer nach dem andern, von Gormund erschlagen wer- 
den, fafst er den Entschlufs, selbst dem furchtbaren Gegner 
Einhalt zu thun. Nachdem er St. Dionys und St. Richardius um 
ihren Beistand angefleht, tritt er selbst ihm entgegen; Gormund 
schleudert drei Wurfspiefse nach ihm, aber Gott beschützt den 
König, so dafs er unverletzt bleibt; nun holt Ludwig seiner- 
seits mit dem Schwert aus und spaltet Gormund mit einem 



1) Wohl Terme in der Pikardie, Diöc. Beauvais. 



— 10 — 

gewaltigen Streich mitten durch, so dafs der Körper in zwei 
Hälften zu Boden sinkt Die Wucht des Hiebes reifst Ludwig 
aber so stark mit, dafs er gestürzt wäre, hätte er sich nicht noch 
am Hals des Rosses festgehalten. Die Anstrengung, die es ihm 
kostet, sich im Sattel wieder aufzurichten, ist so grofs, dafs ihm 
die Eingeweide reifsen und er seitdem nicht 30 Tage mehr lebte. 

Drei Tage lang dauert die Schlacht; am vierten endlich 
ergreifen die Heiden die Flucht und eüen in wilder Hast 
nach dem Meere zu. Vergebens bemüht sich Isembard, sie 
zum Stehen zu bringen; als all sein Zureden vergeblich ist, 
wirft er sich allein dem Feinde entgegen, Seguin, ein leib- 
licher Vetter des Königs, sowie zwei andere vornehme Franken 
erliegen seinen Streichen. Weitereilend stöfst er auf den Leich- 
nam Gormunds; blutüberströmt, mit offenem Munde, liegt der 
König da; von heftigem Schmerz überwältigt, stimmt Isembard 
eine ergreifende Totenklage an um den gefallenen Herrn, dann 
erneut er seine Bemühungen, die fliehenden Heiden zur Um- 
kehr zu bewegen, diesmal nun mit besserem Erfolg: 40000 Mann 
halten noch vier Tage lang mit ihm Stand. Inzwischen hat 
Ludwig Gormunds Leichnam, mit einem Schild bedeckt, nach 
seinem Zelte tragen lassen, ebendahin wird der schwerverwundete 
Hugo geschafft, man bettet ihn neben den toten König. 

Die Schlacht tobt heftig weiter; im Getümmel trifft Isembard 
mit seinem eigenen Vater, dem alten Bernard, zusammen ^ und 
wirft ihn, ohne ihn zu erkennen, durch einen Lanzenstofs in 
den Sand, dann ergreift er Bernards Rofs beim Zaum, schwingt 
sich selbst in den Sattel und sprengt davon. Die Heiden, 
durch die Anstrengung und den Hunger entkräftet, wenden 
sich endlich abermals zur Flucht; sie werden von den Franken 
verfolgt und hätten sie nicht am Strande die Schiffe vorgefun- 
den, die sie bei ihrer Ankunft dort zurückgelassen, so wäre nicht 
einer von ihnen entkommen. Isembard allein mit 2000 Mann 
harrt heldenmütig aus. Aber auch seine Stunde hat geschlagen ; 
an einem Kreuzweg, neben einem dicht belaubten Gehölz, fallen 
zu gleicher Zeit drei Grafen und ein Herzog über ihn her, 



1) Über die Verbreitung dieses Motivs vgl. Köhler in Warnkes Ausg. 
der Lais der Marie de France, Bibl. Norm, in, Einl. XCVII. 



— 11 — 

schwergetroffen sinkt er vom Kofs. Im Gefühl seines nahen 
Todes bekehrt er sich, er flehlt Gott an um Erbarmen, die 
Jungfrau Maria aber, dafs sie bei ihrem Sohne Fürbitte für 
ihn einlege. Dann schleppt er sich mühsam thalabwärts zu 
einem einzelstehenden Olivenbaum; er setzt sich ins frische 
Gras, wendet das Antlitz gegen Osten, verneigt sich, schlägt 
das Kreuz, richtet sich ein wenig auf .... 

Hier bricht das Fragment ab, die folgenden Zeilen müssen 
seinen Tod gemeldet haben. 

Über die Ereignisse, welche der Schlacht vorausgingen, 
erfahren wir durch einige in dem Fragment sich findende An- 
spielungen noch folgendes: 

Gormund ist zu Hause in der Gegend von Cirencester, wo 
sich Isembard bei ihm aufgehalten hat, vgl. Y. 471 f.: 

„Ahif^^ dist il [sc. Isembard], „reis emperere, 

tant le vus dis plusurs fiees 

a Cirencestrej a vox cuntrees . . .*' 

Isembard selbst ist Kenegat, er ist es, der die Sarazenen 
nach Frankreich geführt hat, um das Land zu erobern, vgl. die 
Worte der paten V. 585 — 90: 

y,Af IsembarXj fei Margariz, 

fei reneies pur repentir, 

ca sunt les Chevaliers hardiz; 

mar arivames en Pontif 

pur lur honurs sur eus saisir, 

mult nus avez del tut tratst' 

Das Heer ist bei Ponthieu gelandet — s. die oben zitierte 
Stelle — und hat daselbst seine Schiffe zurückgelassen, V. 606 — 8 : 

se ne fu^sent barges e nes 
qu'il laissierent a Variver, 
ja n^en peust uns eschaper. 

Ein Sarazene hat Isembard „jenseits des Meeres" das Los 
geworfen und ihm prophezeit, wenn er nach Frankreich komme, 
so stehe ihm Tod oder Gefangenschaft bevor, V. 636 — 39: 

„e! jal me dist wis Sarrazins, 
ultra la mer, qui en sorti, 



— 12 — 

si jeo veneie en cest pais, 
que jeo serreie o morx o pris,^^ 
Die gleiche Angabe V. 426 — 29. 

Gormund hat das Kloster SL Riquier niedergebrannt, 
V. 351 — 53 (Worte Guntiers): 

„. . . a Saint Richter; 
que vus arsistes sun mustier, 
mesavenir vus en deit bienJ' 
Hugo ist einige Tage vor der Schlacht als Bote Ludwigs 
in Gormunds Lager gewesen, er hat Gormund „wie ein Mäd- 
chen bedient, den Pfau in die Schale gelegt", doch hat Gor- 
mund nicht von dem Gerichte gegessen (auf welchen Vorgang 
hier angespielt wird, ist nicht recht klar). Hugo hat bei dieser 
Gelegenheit einem von Gormunds Vasallen sein Rofs entführt, 
vgl. V. 241 — 46 (Worte Hugo 's zu Gormund): 

„Cest Hnelins qui vus maisele, 
qui Vautrier fut a voz herberges 
le message Loevis faire, 
si vus servi cume puceU, 
le poun mis en lu squiele; 
unques n'en musies la maissele.^^ 
V. 257 — 63 (Worte Gormunds): 

„jeo te conuis assez, Hugun, 
qui Vautrier fus as paveilluns; 
si me servis de mun poun, 
que n^en mui unques le gernun, 
si pur folie dire nun; 
e le cheval a mun barun 
en amenOrS par traisun.^^ 
Guntier, Hugo's Knappe, ist sein Begleiter gewesen, der- 
selbe hat dem heil. Richarius ein Schiff von reinem Golde ge- 
weiht, V. 346 — 51 (Worte Guntiers): 

„Sire Gormunx, reis dreituriers, 
co7iuiste7^ez [vus] Vescuier 
qui a vostre tref fut Vautrier 
ove Hugun le messagier? 
Jeo aportai la nef d'or mier, 
cele mis jeo a saint Richter . . ." 



— 13 — 

Endlich ist noch zu beachten die Bezeichnung des heid- 
nischen Heeres als ,jCes d'Irlande''\ diese Bezeichnung hat 
offenbar nur dann einen Sinn, wenn das Epos Gormund und 
seine Leute von Irland aus — natürlich nicht direkt, denn wir 
hörten ja, dafs Gormund vorher bei Cirencester war — nach 
Frankreich kommen liefs. 

Das ist alles, was wir über die der Erzählung unseres 
Fragmentes vorausgehenden Ereignisse erfahren ; über die nach- 
folgenden erhalten wir Andeutungen überhaupt nicht. Somit 
werden wir durch das Fragment über den Inhalt des Epos, dem 
es entstammt, nur sehr unvollkommen unterrichtet und wären 
wir auf seine Angaben allein angewiesen, so würden wir uns 
von dem Inhalt des ganzen Gedichts eine recht deutliche Vor- 
stellung nicht machen können. Nun sind uns aber in einer 
ganzen Reihe jüngerer Denkmäler nicht nur mehr oder weniger 
ausführliche Erwähnungen einer Sage von Gormund und Isem- 
bard, Anspielungen auf eine solche oder direkt auf unser Epos, 
erhalten, sondern wir besitzen auch ein vollständiges R6sum6 
eines Remaniement dieses Epos aus dem 13. Jh., sowie eine, 
wie es scheint, ziemlich wörtliche Übersetzung oder doch sehr 
ausführliche Analyse von einer Prosa -Auflösung eines ebensolchen 
Remaniement aus dem 14. Jh.; mit Hilfe dieser jüngeren Denk- 
mäler sind wir denn im Stande, über den Inhalt unseres Epos, 
soweit das Fragment uns im Stich läfst, genaueres zu ermitteln. 

Ich werde nun im folgenden die betreffenden Stellen, 
bezw. Abschnitte, soweit sie über den Inhalt der Sage irgend 
welche Auskunft erteilen , anführen oder analysieren und unter- 
suchen, was aus ihnen für die Rekonstruktion des Inhalts 
unserer Chanson zu gewinnen ist. Dabei mufs ich aber unberück- 
sichtigt lassen jene Stellen, deren rein sagenhafter Charakter 
nicht von vornherein feststeht, bei denen vielmehr die Mög- 
lichkeit gegeben ist, däfs sie über die Personen unseres Epos 
historische Nachrichten enthalten. Diese Stellen können erst 
im zweiten Abschnitt zur Sprache kommen. 

Die Reihenfolge wird im allgemeinen die chronologische sein; 
doch werde ich, wenn von einem Denkmal jüngere Bearbei- 
tungen existieren, diese im unmittelbaren Anschlufs an das 
Denkmal selbst besprechen. 



— 14 — 

3. Kürzere Erwähnungen der Sage in Denkmälern aus 
dem 13., 13. und 14. Jahrhundert. 

Galfrid von Monmouth, Historia Rcgum Britanniae, 
verfafst zwischen 1128 und 1135;^ hg. von San Marte, Halle 
1854, Buch XI, cap. Vm, S. 159. 

Malgojii [britischer König] siiccessit Careücus, amator 
dvilium bellorum, invis^is Deo et Bntonibus. Cujus incon- 
stantiam comperientes Saxones iverunt ad Gormundum 
regem Africanorum in Hyberniam, in qtiam maximis 
navigiis advectus, g entern patriae suhjugaverat Exin 
proditione eorum, cum centum sexaginta sex milibus Afri- 
canorum ad Britanniam transfretavit , quam in una parte 
mentitae fidei Saxones, in alia vero cives patriae, civilia beUa 
inter se assidue agentes, penitus devasiabant. Inito ergo 
foedere cu7n Saxonibu^ oppugnavit regem Careticum, et post 
pluria praelia inter eos, fugavit cum de cimtate in civitatem, 
donee cum trusit m Oirecestriam , et obsedit. Ubi Isem- 
bardus Ludovici regis Francorum nepos venit ad cum, 
et cum eo foedus amdcitiae i7iivit, et Christianitatem 
suam tali pacta pro amore ejus deseruit, ut auxilio 
ejus regnum Galliae avunculo eripere passet, a quo 
(ut ajebat) vi et injuste expulsus erat Capta tandem 
praedicta civitate et sicccensa, commisit praelium cum Caixtico 
et cum fugavit ultra Sabrinam [= den Sevem] in Guallias. Mox 
depopulans agros, ignem cumulavit in finitimas quasque elvi- 
tates: qui non quievit acceyisus, donec cunctam pene super- 
fidem insulae a mayi, usque ad mare exussit: ita ut cunctae 
cohniae crebris arietibus, omnesque coloni cum sa^erdotibus 
ecclesiae, mucronibus uudique micantibus, ac flammis crepi- 
tantibus, simul humi sterner entur. Diffugiebant ergo reit- 
quiae tantis cladibus affectae, qu^cunque ipsis cedentibus tu- 
tarnen patebat 

Cap. X wird dann noch berichtet, Gormund habe, nach- 
dem er mit unzäliligen Afrikanern beinahe die ganze Insel ver- 



1) Vgl. Zimmer, Nennius Vindicattis. über Entstehung , Oeschichte 
und Quellen der Historia Britonum. Borlin 1893, S. 278. 



— 15 — 

wüstet, den gröfseren Teil derselben, Loegria, den Sachsen 
übergeben. Weiteres über seine Schicksale erfahren wir nicht. 

Der angebliche britische König Careticus, den Gormund 
vertrieben haben soll, ist identisch mit dem ersten angelsächsi- 
schen König von Wessex, Cerdig, der 534 starb. ^ Galfrid 
versetzt also Gormund ins 6. Jh., — wie wir später sehen 
werden, infolge einer Yerwechselung Cerdigs mit dem ca. 
350 Jahre jüngeren König Aelfred. 

Es fragt sich nun, inwieweit wir aus Galfrids Erzählung 
einen Schlufs machen dürfen auf den Inhalt unseres Epos. Dafs 
Galfrid dieses selbst oder doch die in ihm behandelte Sage ge- 
kannt haben niufs, ergiebt sich aus dem, was er von Isembard 
berichtet. Denn es stimmt vollkommen zu unserm Fragment, 
wenn Isembard sich bei Gormund aufhält, während derselbe vor 
Cirencester liegt, wenn er seinen christlichen Glauben abschwört 
und wenn er mit Gormund ein Bündnis schliefst, um Frank- 
reich zu erobern. Neu ist nur für uns, was Galfrid über die 
Geschichte Gormunds bis zur Belagerung von Cirencester zu 
berichten weifs, neu ist die Angabe, Gormund habe Cirencester 
erobert, ferner die Angabe, Isembard sei ein Neffe König Lud- 
wigs gewesen und er sei ungerechterweise aus seinem Vater- 
lande vertrieben worden. Was die drei zuletzt genannten Punkte 
betrifft, so mufs es vorläufig dahingestellt bleiben, ob in ihnen 
unser Epos mit Galfrid übereinstimmte. Dagegen darf es als 
sehr wahrscheinlich bezeichnet werden, dafs, wie bei Galfrid, 
so auch in unserem Epos Gormund als Eroberer Irlands und 
Englands hingestellt wurde. Denn die diesbezüglichen Angaben 
Galfrids machen es ja erst verständlich, warum in unserm 
Fragmente Gormunds Leute als „die von Irland" bezeichnet 
werden, warum Isembard die Gegend von Cirencester Gormund 
gegenüber als sein — Gormunds — Land bezeichnet (a Oiren- 
cestre, a voz cuntrees)\ die Erzählung Galfrids giebt uns den 
Kommentar zu jenen an sich etwas dunklen Anspielungen. 

Dafs der von Gormund und Isembard gefafste Plan eines 
Zuges nach Frankreich zur Ausführung gelangt sei, meldet 



1) Vgl. Lappenberg, Oeschtckte von England^ Hamburg 1834, 1, S. 112. 
Anglo - Saocon Chronicle ed. Thorpe, London 1861, t. II, 14, a. 534. 



— 16 — 

Galfried, wie wir sahen, nicht Es mufs zweifelhaft bleiben, 
ob sein Stillschweigen daher rührt, dafs jener Zug etwa mit 
einer anderen, ihm bekannten Sage von Gormund im Wider- 
spruch stand, oder ob er sich absichtlich auf Gormunds Schick- 
sale in England beschränkte. 

Derselbe, Prophetia Merlini, verf. um 1132, zuerst selbst- 
ständig publiziert, dann als Buch YII der Hist Reg. Brit ein- 
verleibt; hg. von San Marte a.a.O. S. 93, aufserdem von dem- 
selben, Die Sagen von Merlin, Halle 1853, S. 21: 

Sex posteri ejus [sc. apri Cornubiae = Arthuri] seqicentur 
sceptrum: sed post ipsos eocsurget Oermanicus vermis, Sub- 
limabit illum aequoreus lupus: quem Africana nemora conti- 
tabuntur, Delebitur Herum religio . . 

Der sechste britische König nach Arthur war nach Galfrid 
Careiicus^ der Get^manicus vermis sind die Sachsen, der aequo- 
reus lupu^s ist Gormund. 

Brut Tysylio, übersetzt von San Marte in seiner oben 
citierten Ausgabe des Galfrid von Monmouth S. 568. 

Der Brut Tysylio ist bekanntlich nur eine wälsche Über- 
tragung der' Chronik Galfrids.^ Seine Erzählung stimmt denn 
auch mit der Galfrids vollkommen überein — Isembard heifst 
hier Imbert, König von Gaul, — nur weifs er näheres zu be- 
richten über die Art und Weise, wie Cirencester, das erst Si7- 
ehester^ dann Caer-Vyddan genannt wird, von Gormund ein- 
genommen wurde: In der Absicht, heifst es, den Verhist an 
Menschenleben zu vermeiden, habe Gormund, nachdem er 
Cirencester eingeschlossen, seine Zuflucht zu einer Ki-iegslist 
genommen. Man habe eine grofse Menge Sperlinge eingeftmgen, 
habe ihnen mit Pech und Schwefel gefüllte Nufsschalen an die 
Flügel gebunden, dieselben angezündet und die Vögel dann 
bei Nacht freigelassen. Durch die Bewegung der Flügel sei 
das Feuer angefacht worden und am nächsten Tage habe die 
Stadt in Flammen gestanden. 



1) Vgl. Zaracke, lieber das Verhältnis des Brut y Tysilio xtt öal- 
frids Hist. reg. Brit, im Jahrb. f. rom. u. engl. Litt. V, 249. 



— 17 — 

Diese Geschichte mufs der Verfasser aus der Volkssage 
geschöpft haben; wir werden ihr sogleich auch in einer anderen 
Bearbeitung der Galfrid'schen Chronik begegnen. 

Wace (normannischer Clerüer), Roman de Brut^ voll- 
endet 1155; hg. von Le Roux de Lincy, Ronen 1836 — 38, 
V. 13787 flf. 

Der Brut ist bekanntlich eine freie französische Bearbeitung 
der Historia Galfrids. Wace's Erzählung stimmt durchaus mit 
der Galfrids überein, ist aber viel breiter gehalten und weist 
auch einige Züge auf, die sich bei Galfrid nicht finden; der 
Verfasser scheint dieselben direkt aus der mündlichen Über- 
lieferung geschöpft zu haben. Dafs eine solche damals über 
Gormund (Wace: Gormont, Oormon, Chuermon) existierte, 
scheint hervorzugehen aus V. 13 794 ff.: unter Ceris (=02- 
reticus), sagt der Dichter, sei „der grofse Umsturz" {la grant 
sorverse) gekommen durch das heidnische Volk, das Guermon 
übers Meer herbeiführte: 

bien en aves o'i 'parier 
qu'il firent la destruision 
dont Bretaigne perdi son nom. 

Gleichfalls auf die Benützung mündlicher Quellen oder 
auch auf persönlichen Augenschein deuten die Verse 14043 ff. hin: 

Encore en perent les ruines 

et les desers et les gastines 

que Ouermonx fist an phisors letcs 

pour tolir as Bretons lur feus. 

Neu ist bei Wace die Erzählung von Gormunds Herkunft 
und Vorgeschichte: Gonnund, so hören wir, war der Sohn 
eines heidnischen Königs von Afrika; nach dem Tode seines 
Vaters wäre das Reich ihm zugefallen, aber er zog es vor, die 
Erbschaft seinem Bruder zu überlassen, und erklärte, er wolle 
sich selbst ein Königreich erobern; jenseits des Meeres, in 



,«---, 



fremdem Lande, wolle er König werden. Von ihm hatte "\ 
Merlin prophezeit, er werde ein Meerwolf sein. Gormund 
rüstete nun eine grofse Flotte aus, fuhr über 's Meer und er- 

Zenker, Das Epos von Isembard etc. 2 



— 18 — 

oberte viele Länder und Inseln, zuletzt auch Irland, wo er König 
wurde (V. 13797 — 13 831). i 

Das folgende stimmt dann zu Galfrid, enthält aber, wie 
gesagt, eine Reihe Plus-Züge. So erfahren wir näheres über 
die Gesandtschaft der Briten an Gormund: sie lassen ihm sagen, 
sie seien, wenn er ihnen helfe, bereit, seine Vassalen zu wer- 
den; sie stellen ihm vor, dafs sie, als Heiden, gemeinsame 



J) V. 13797: Ouermons fu rices e poissatis 

et de son cors pros et vaillans^ 
hardis et de mult fort corage 
et mult estoit de grant linage. 
D'Aiifriq^e fu fils ä un rot 
qiii estoit de patene loi; 
la ihre apres son pere eut 
et rois en fust, se lui ple^ttst. 
Mais il iie valt, ne ne daigna^ 
a un son frlre le donay 
a un son frere joneor 
otroia sa tere et s'onor, 
et si dist ja rois ne seroit 
se roiaume ne conqueroit; 
par 7ner, se dist, iroit conquerre 
que rois seroit en autre terre; 
de lui profetisa Merlins 
|V^l4 qice ce seroit uns %is m arins^ 

Mariniers prist et estirmans 
et nes et barges et calans; 
cant et cinquante mil armes 
tos coneus et tos nomes 
estre sergans et Chevaliers, 
et estre tos les mariniers, 
mena Ouermofis ä son navire, 
Ne sai des barges nombre dire; 
mult en ot et grant gent mena; 
rnainte grant mer avirona, 
tnaint ille prist, maint roi conquist, 
mainte tere saisist et prist. 
Tant ala par mer naviant, 
rois venquant, terres eonquerrant, 
en Irlande vint salvement, 
la tere prist delivrement, 
d' Irlande se fit roi clamer^ 
puis valt en Engleterre aler. 



— 19 — 

Sache machen müfsten gegen die christlichen Briten (13865 
— 70). Gormund landet in Northumberland (13875); während 
der Belagerung von Cirencester läfst er Belagerungstürme 
{castiax A bretesques et ä cherniax) errichten, von denen er 
einen dem Ysembart, einen seinen eigenen Leuten und einen 
den sächsischen Fürsten anvertraut (13975). Vor allem finden 
wir dann auch hier die Geschichte von der Einnähme Ciren- 
cesters durch Sperlinge (13997 — 14018). Der Dichter fügt 
die Bemerkung bei, die Stadt heifse noch jetzt bei den Land- 
leuten „die Sperlingsstadt" {la die as moissons, 14029). 

Ob die Zusätze des normannischen Dichters, vor allem 
Gormunds Vorgeschichte, in dem Epos enthalten waren, mufs 
dahingestellt bleiben. 

In Le Roux de Lincy's Ausgabe schliefst die Erzählung 
mit der bei Galfrid fehlenden Schilderung von Gormunds und 
Isembards gemeinsamer Heerfahrt nach Frankreich. Beide segeln, 
vom Hombre kommend, in die Somme ein, Isembard führt 
Gormund nach Ponthieu, welches mit Feuer und Schwert ver- 
wüstet wird. Als König Ludwig von ihrer Ankunft hört, zieht 
er ihnen mit Heeresmacht entgegen und besiegt sie in einer 
Schlacht bei St. Val6ry, in der Gormund und Isembard beide 
fallen. AUe Sarazenen werden niedergemacht, so wird Frank- 
reich von den Afrikanern befreit (14097 — 14122). 

Dieser ganze Passus findet sich indefs nur in einer und 
zwar einer jüngeren Handschrift {y^Ms. du Roi 7518 Colb."-) 
und weist sich dadurch als Interpolation aus. 

Layamon, Brut^ verf. Anf. 13. Jh.; hg. von Frederic 
Madden, London 1847, III, S. 156 — 179. 

Bekanntlich eine freie Bearbeitung des Wace. Wie Wace 
gegenüber Galfrid, so weist wieder Layamon gegenüber Wace 
einige Zusätze auf: er nennt die Namen von Gormunds Vater 
und jüngerem Bruder, welche Wace nicht hat: Anster und 
Oerion; er erzählt ferner, Urheber der Kriegslist, mittels deren 
Gormund Cirencester erobert, sei „ein heidnischer Mann" ge- 
wesen, der eines Tages, als Gormund und seine Leute fröhlich 
waren und trunken von Wein, ins Lager kam und sich erbot, 
dem König Cirencester in die Hände zu liefern. Da Layamon 



— 20 — 

anerkanntermaCsen neben seinen schriftlichen Vorlagen auch 
Volkslieder, volkstümliche Sagen und Erzählungen benutzt hat,^ 
so wird nicht zu bezweifeln sein, dafs er eben aus dieser 
Quelle auch hier geschöpft hat; dagegen könnte möglicherweise 
nur ein Versehen Layamons vorliegen, wenn Isembard bei ihm 
nicht, wie bei Galfrid und Wace, der Neffe, sondern der Sohn 
des Königs* von Frankreich ist. 

Geffrei Gaimar, Estorie des Engles, verf. 1147 — 1151; 
hg. von Hardy und Martin, London 1888 {Herum brif. med. 
aei\ scriptores)^ auch bei Petrie, Monum. Hist. Brit., 1848, 
V. 3241 — 3295. 

Gaimar berichtet über Gormunds Zug nach Frankreich — 
Isembard erwähnt er nicht — in einer mit der Darstellung 
unseres Fragmentes zum Teil übereinstimmenden AVeise. Seine 
Erzählung ist indessen für unsere Kenntnis der Sage ohne 
Wert, da er neben einer sagenhatten Quelle eine solche rein 
historischen Charakters, die Angelsächsische Chronik, benutzt 
und die Angaben der beiden, wie es scheint, contaminiert, bezw. 
mit einander in Einklang gebracht hat Ich werde bei Be- 
sprechung der historischen Grundlagen unserer Dichtung näher 
auf seine Darstellung eingehen. 

Gottfried von Strafsburg, Tristan^ verf. um 1210; hg. 
von Bechstein, Leipzig 1873, 2. Aufl. V. 5885 ff.; kurze Erwäh- 
nung des Inhalts der Stelle auch in der altnordischen Tristan- 
sage, hg. von Kölbing, Die nordische und englische Version 
der Tristansage^ Heilbronn 1878, c. 26, S. 135; allerdings 
wird Gormund hier nicht genannt, es heifst nur, dafs England 
seit lange Irland zinspflichtig gewesen sei, immerhin dürfen 
wir schon daraus wohl schliefsen — wie auch Kölbing S. XLVII 
thut — , dafs die Erzählung Gottfrieds schon in dessen anglo- 
normannischer Vorlage, dem um 1170 entstandenen, nur frag- 
mentarisch überlieferten Tizian des Thomas enthalten war. 

Morolt kommt nach Cornwales, um im Namen des Königs 
von Irland, Gurmün Gemiiotheit, den Zins von Cornwales 



1) Vgl. Wülker, Ueber die Quellen Layamons, Paul u. Brauue's 
Beiträge IH (1876), S. 547 ff. 



— 21 — 

und England einzutreiben. Gurmun, heifst es, war in Afrika 
geboren, wo sein Vater König war. Nach des Yaters Tode 
fiel das Land an ihn und seinen Bruder; aber er verzichtete 
auf die Erbschaft, überliefs das Land seinem Bruder und fuhr 
mit einer Schar auserlesener Krieger übers Meer, um sich selbst 
ein Reich zu gewinnen. Von den „gewaltigen Römern" er- 
wirkte er die Zusage, dafs alles, was er mit bewaffneter Hand 
bezwinge, ihm zu eigen gehören solle. Er eroberte Irland 
und nötigte die Bewohner, ihn als König anzuerkennen; dann 
unterwarf er sich Cornwales und England und machte sich so 
Marke, der damals noch ein Kind war, tributpflichtig. Es ge- 
reichte ihm auch zu grofsem Vorteil, dafs er die Schwester 
Morolts, eines Herzogs von Irland, — Isolde — , zur Frau nahm. 

Von der Einnahme Cirencesters und Gormunds Verbin- 
dung mit Isembard meldet Gottfried, d. h. also Thomas, nichts. 
Dies, sowie die Erwähnung der Römer, die bei Wace fehlt, 
könnte dafür zu sprechen scheinen, dafs Thomas nicht aus dem 
Brut des letzteren, den er ja der Zeit nach wohl kennen konnte, 
sondern aus der gleichen Quelle wie Wace, ans der lebendigen 
Sage, geschöpft habe. Indefs ist es offenbar auch recht wohl 
möglich, dafs wir es einfach mit Kürzungen, bezw. einem Zu- 
satz des Dichters zu thun haben. 

Die Einführung Gormunds in die Tristansage ist natür- 
lich erst jüngeren Datums. 

Guiraut von Cabrera (catalanischer Dichter), Efisefi- 
harnen (Spielmannsunterweisung), vermutlich nicht später als 
1170 verf.; hg. von Milä j Pontanals, De los trovadores en 
Espana^ Barcelona 1861, p. 265. 

Guiraut wirft dem Spielmann Cabra Unkenntnis einer 
ganzen Reihe epischer Dichtungen ^or; unter den Personen, 
von denen Cabra nichts wisse, nennt er auch Isembard und 
Gormund, „der die ganze Welt für sich erobern wollte": 

ni d' Esi7nbart 



ni de Ouormon 

qui tot lo mon 

cuidava conquerre per son. 



— 22 — 

Walter Map, De nugvi curialium („Kurzweil für Hof- 
leute**), verf. gegen Ende des 12. Jh.; hg. von Wright, Cani- 
den Society 1850, S. 211; auch bei Pertz, SS, XXVII, 78. 

Walter, Archidiakonus von Oxford, Vertrauter des Königs 
Heinrich II. von England, erwähnt unsere Sage zugleich mit 
der von Kaoul vcn Cambrai: 

Ludotncus, filius Karoli Magni, jacturam omnium opti- 
matum Fraticie fere totiusque militie Francorum apud Evore 
per stultam superbiam Radulfi Cambrensis, nepotis sui, per- 
tulit; satis egre rexit ab illa die regnum Francorum ad ad- 
venttim usque Gurmundi cum Ysembardo, contra quos 
cum residuis Francorum bellum in Pontivo commisit, victorque 
reversus est cum pau^ssimo comitatu, cesis hosiibus suis pi^o 
parte maiori, recedensque decessit in brevi tam lesione quam 
labore predicti prelii cum lamentis et luctu totiu^ Franeie. 

Jocelin, Vita S. Patridi, verf. um 1183; hg. Acta Sancto- 
rum Bolland. 17. März t. II, p. 575. 

Jocelin betrachtet Gormund als Eroberer Irlands, sieht aber 
in ihm nicht einen Afrikaner, sondern einen Norweger: 

Tempus autem tenebrarum Hibernici illud autumant, quo 
prius Ourmundus ac postea Turgesius^, Noruagicnses prin- 
dpes j^ga/rd, in Hibernia debellata regnabant: in Ulis efiim 
diebus Sancti in caveiiiis et spelunds, quasi carbones eine- 
ribus cooperti, latitabant a fame impiorum, qui eos toto die 
quusi aves ocdsionis mortifieabant 

Randbemerkung in einer Handschrift der Chronik Hugo 's 
von Fleury {Cod, Bern. 90) aus dem 12. Jh.; gedr. bei Pertz, 
SS, IX, 384 n. 14. 

Es heifst von Ludwig V. Faineant (f 987), dem letzten 
Karolinger : 

Hie in pago Viminaco pugnavit adversus quendam con- 
sobrinum suum Ysenbardum regemque Afncanorum Guer- 

1) Turgeis war der Führer einer norwegischen Wikingerflotte, die im 
J. 831 in Nordirland landete. Er unterwarf das Land und gründete einen 
selbständigen Wikiugerstaat, der 13 Jahre lang bestand; 844 wurde er von 
dem irischen Oberkönig besiegt und umgebracht; vgl. Todd, Cogadh Gaedhel, 
London 1867 {Rer. hrit. med. aev. scr.)^ p. XLIIff.; Zimmer, Zeitsckr, f. 
deutsch. Altert. 35 (N.F. 23), 109. 



— 23 — 

mundum, et deleto em^um eocerdtu, quem de transmarinis 
conduxer*ant partibuSj maximo tropheo potitus est 

Giraldus Cambrensis (Girald von Bairi), Topographia 
Hiherniae, Frucht einer im J. 1184 im Gefolge Heinrichs IL nach 
Irland unternommenen Reise, erschienen 1188;^ hg. v. Dimock, 
Giraldi Camhr. Opera t Y, London 1867 (Rer. brit med, 
aev. scr.), Dist. III, cap. XXXVII ff., p. 182. 

Yon Girald erfahren wir, dafs gegen Ende des 12. Jh. in 
England die Sage von Gormund allgemein verbreitet war.^ 
Er berichtet, zur Zeit des Pedlimidius^ hätten die Normannen 
unter Führung des Turgesius nach heftigen Kämpfen binnen 
kurzem die ganze Insel unterworfen und an allen irgend ge- 
signeten Plätzen Burgen errichtet. Aus dieser Zeit stammten 
die zahllosen tiefen Gräben und alten Burgen, die man noch 
jetzt allenthalben in Irland antreffe. Er fährt dann fort 
(c. XXXVIII): Ceterum hoc mihi mirandum videtiir, quod 
noster Anglorum populus Ourmundum clatnat Hibemiam sub- 
jugasse, et tarn castra praedicta quam fossata struxisse, de 
Turgesio nullam peniiics facie7is mentionem. Hiberni&nses 
vero et eorum historiae scriptae Turgesium pra^dicant, Gut- 



1) Vgl. Dictionary of Nat. Biogr. XXI, 390. 

2) Zu den englischen Sagen rechnet die unsrige Lambert von Ardre 
(unweit Calais) in seiner Historia Comitum Ohisnensium, Pertz, SS. XXIV, 
607 (ab a. 800—1203, verf. Anf. 13. Jh.). Er erzählt von Arnold von 
Ghisnes : 

Senes autem et decrepitos, eo quod veterum eventuras et fabulas et 
historias ei narrarent et mo7'alitatis seria narrationi stie contintcarent 
et annecterent , venerahatur et secum detinebat. Proinde militem quen- 
dam veteranum Robertum dictum Constantinensem [= Coutance] qui 
de Romanis imperatoribus et de Karlomanno, de Rolando et Olivero 
et de Arthur Britannie rege eum- instruebat et aures ejv^s demuleebat; 
et Philippum de Mongardino , qui de terra lerosolimorum et de obsidione 
Antiochie et de Arabicis et Babilonicis et de ultramarinarum partium 
gestis ad aurium delectationem ei referebat; et cognatum suum Walterum 
de Clusa [= Ecluse] nom^inatum^ qui de Anglorum gestis et fabulis, 
de Oormundo et Ysembardo, de Tristanno et Hisolda, de Merlino 
et Merekulfo et de Ardentium gestis et de prima Ardee constructione . . . 
diligenter edocebat, familiäres sibi et domesticos secum retinebat et 
libenter eos audiebat. 

3) König von Irland 840 — 47, vgl. Todd, a. a. 0. XLIV. 



— 24 — 

mundum autem prorsits ignorant Girald legt sich die Sache so 
zurecht, dafs er annimmt, Turgesius habe Irland erobert im 
Auftrage Gormunds, nachdem dieser sich Britannien unter- 
worfen hatte, und er sei dann von Gormund als Statthalter 
eingesetzt worden. Er erwähnt femer die Erzählung eines bri- 
tannischen Buches {Britaimica historia)^ wonach Gurmund 
von Afrika nach Irland gekommen , von dort durch die Sachsen 
nach Britannien gerufen worden sei, Cirencester, wie es heifse, 
durch Sperlinge eingenommen und nach Vertreibung des Königs 
Keredicius das ganze Reich sich unterthan gemacht habe. Er 
bemerkt dazu, er halte es für wahrscheinlicher, dafs Gormund 
nicht Afrikaner, sondern Norweger gewesen sei, und er er- 
wähnt dann (cap. XL) noch kurz, Gurmund sei irgendwo in 
Gallien [in Galliarum partibus) getötet worden. 

Derselbe, De instrucHone principiim, verf. Anf. 13. Jh.; 
hg. V. Warner, Gir. Gambr, Op, VIII, London 1891, p. 258. 

Girald erzählt, er habe einmal den Seneschall Ranulf von 
Glanville gefragt, warum die Herzoge der Normandie, die doch 
früher ihr Herzogtum so erfolgreich gegen die französischen 
Könige verteidigt hätten, jetzt, da sie auch noch England hin- 
zuerobert, in der Verteidigung ihres Besitzes weniger glücklich 
wären. Ranulf habe erwidert: 

„Duobus parum ante adventum Normannorum bellisy 
primo Pontiacensi, inter Lodovicum regem, Karoli 
magni filium, et Gurmimdiim, secundo vero longe post 
Kameracensi, Radulphi scilicet Kameracensis levitate pariter 
et animositate, adeo totam fere Frande jitventutem extinctafu 
fuisse funditus et exinanitam, ut ante hec tempora nostra 
numerositate minime fuisset restaurata.^^ 

Diese Stelle stimmt inhaltlich vollkommen überein mit der 
bei Walter Map, nur erscheinen hier die beiden Kriege in 
umgekehrter chronolgischer Folge. Ranulf dürfte wohl aus 
Walter geschöpft oder doch die gleiche Quelle benutzt haben. 

Jean Bodel, Chanson des Saxons, verf. Ende 12. Jh.; 
p. p. Michel, Paris 1839, t. II, p. 75. 

Bodel zählt einige Schlachten auf, welche grofse Menschen- 
opfer gefordert haben: 



— 25 ~ 
Voir est que molt morut de gent an Roncevax 

ou piain Vinmeu ou Oormonz fit estax 
ancontre Loeys qi fii prox et loiax. 

Nicolaus von Amiens, Auctuarium (kurze Weltchronik 

bis 1203), verf. um 1203; hg. bei Pertz, SS, VIII, 474. 

Nicolaus verlegt den Einfall Gormunds ins Jahr 902 und 
erzählt, die Matronen von Amiens hätten, mit den Rüstungen 

ihrer Männer angethan, das heidnische Heer von den Mauern 

Amiens' zurückgetrieben: 

a. 902. His temporibus Oormundus rex Africas de secta 
Mahometh collectis copiis regmim ÄJighrum mari transvectus 
invasit Ad quem cmifugiens Hysenbertus , in avuneulum 
suu7n Ludovicum res novas moliens, promisit ei, quod ope 
ejus Franciam obtineret Qui vana spe ductus, navibus multis 
bellatorum plenis Pontivo applieans, maritima populatus est. 
Cujus exercitum pervagante^n extra menia Ambianensiurn, 
fessis hello civibus, indigne ferentes matrone, egresse urbem 
cum armiSj kostes ad castra fugere compulerunt. U?ide Privi- 
legium hoc meruerunt, quod in ecclesia midieres a dext^is 
sedeant. Ambianis rex autem Francorum profligavit deinde 
Sarracenos illos, Oormundo rege ab [lies: et\ Hysemberto pro- 
ditore gladio interemptis. 

Welche Bewandtnis es vermutlich mit dieser Geschichte 
hat, werden wir später sehen. 

Alexander Neckam (geb. 1157), De laudibus divinae 
Sapientiae, verf. Anf. 13. Jh.; ed. Wright, London 1863 (Rer. 
briL med. aev. ser.)^ p. 503, Y. 341. 

Neckam erwähnt die Sage, dafs Cirencester sieben Jahre 
lang von Gormund belagert worden sei. Er apostrophiert am 
Schlüsse sein Buch und fordert es auf, nach Gloucester oder 
nach St. Albans oder nach Paris zu wandern. Dann fährt 
er fort: 

Si suspecta tibi loca stmt soUnnia, nostrae 
Inter septa domus tutior esse potes. 

Urbs vires experta tuas, Ourmunde, per aniios 
Septem y ni fallor, vix tibi deesse volet. 



— 26 — 

Vita Merlini, verf. bald nach 1216 von einem englischen 
Geistlichen, dessen Name nicht bekannt ist, früher fälschlich 
dem Galfrid von Monmouth zugeschrieben; hg. von San Marte, 
Die Sagen von Me?iin, Halle 1853, S. 290 u. 591— 595. Die Vita 
beruht zum Teil, besonders von V. 580 an, wörtlich auf Galfrids 
Historia und seiner Prophetia Merlini^ doch ist auch die franzö- 
sische Romanlitteratur verwertet, vgl. San Marte, a. a. 0. S. 271 f. 
Von Arthurs Nachfolgern, heifst es, werde der vierte der 
gewaltthätigste sein (gemeint ist CareticuSy der aber nach Gal- 
frid, Historia B. XI, c. 3 — 8 und nach der Prophetia vielmehr 
der sechste war): 

Hunc lupus aeqtig reus^ debellans vincet, et ultra 
Sabritmm victum per barbara regna fugabit. 
Idem Kaerkeii drcumdabit obsidiane 
Passeribusque domos et moenia trudet ad imwn. 
Glosse petet Oallos, sed ielo Regis obibit. 
Vgl. S. 16. Wir haben hier also die bei Galfrid weder in 
der Historia noch in der Prophetia sich findende Sage von 
der Einäscherung Cirencesters durch Sperlinge, Gormunds Zug 
nach Frankreich und seinem Tod durch König Ludwigs Hand. 

Äymeri de Narbonne, chanson de geste, verf. im ersten 
Viertel 13. Jh.; p. p. L. Demaison, Paris 1887 (S. d. a. t. fr.), 
V. 4678—83: 

li fix Charlon 

rois Looys qui molt par fu preudon, 
et tint la terre a force et a bandon, 
et ocist puis ta^it Sarrazin felon, 
Bie7i en avex, oie la chanson, 
que en bataille ocist le roi Gormont 

Bertran de Paris aus Rovergue, Ensenhamen, aus der 
ersten Hälfte 13. Jh., spätestens um 1250 verfafst; hg. von 
Bartsch, Denkmäler der prov. Litt.^ Stuttgart 1856, S. 85. 

Wie Guiraut von Cabrera dem Spielmann Cabra, so macht 
hier Bertran dem Guordo den Vorwurf, er wisse nichts von 
Gormon und Isambart: 

ni non sabetx novas del rey Gormon 
ni del cosselh qu'Ixambart det sul pon. 



— 21 — 

Über die Episode, auf die Bertran anspielt, den „Eat, den 
Isambart auf der Brücke erteilte*', ist uns etwas näheres nicht 
bekannt. 

Genealogie der Grafen von Boulogne-sur-mer aus 
dem 13. Jh.; gedr. im Anzeige?' /*. Kunde der teiitschen Vorzeit^ 
hg. V. Mone, Karlsruhe 1835, S. 346; desgl. bei Reiffenberg, 
Philippe Mousket, t. II, Introd. p. VIII; vgl. auch p. CCLXVm f. ^ 

In illo tempore venit Wermundics et Ysembardus in istam 
terram, et comes Hernekitius de Bohnia XXX*^ militum ho- 
mines cum armis ad cnstodiendum portus Bohniae, Sed Sara- 
ceni de Anglia venierites vi et violentia sua extra Bohniam 
apud Werneroue applicaverunt et ceperunt Boloniam vi, et 
necaverunt decem milia homifium de XXX* milia kominibus, 
quos comes Hmnekinus Iiabtdt. et quando Sarraceni ceperunt 
Boloniam, pueros ocdderunt et illos ocdsos igne combiirebant 
in hastis suis in despectu Christianorum. Comes autem Herne- 
kinus 171 fugam convertit cum vigi7iti M, kominibus armatis 
super costam maris. 

Die Genealogie ist britischen Ursprungs. Der sagenhafte 
Charakter der vorliegenden Erzählung ergiebt sich ohne weiteres 
aus der Bezeichnung Gormunds und Isembards als Sarazenen; 
für den Inhalt unserer Dichtung ist aus ihr natürlich nichts 
näheres zu entnehmen. 

Hugues Capet, chanson de geste, verf. gegen 1330 2; 
ed. Guessard, Paris 1864 [Andetis poetes de la France VIII), 
p. 19 — 20. 

Der Dichter berichtet über die Schlacht in Ponthieu, augen- 
scheinlich auf Grund einer ihm vorliegenden Chanson de geste: 
Mais droit en ce tempore que je chi vous devis 
furent par dedens Franche entre ly Ärabis, 
che fu Gormans ly rois qui tant fu postai's, 
s'i estoit Ysembars c'on nommoit Margaris, 
ou pais ariverent qui est nommex Pontis; 
mais contre eus alla ly fors rois Loays. 



1) Im Art de verif. les dates t. Xu, 346 ist die Genealogie als histo- 
rische Quelle verwertet. 

2) Vgl. G. Paris, Ldtt. fr. au m. ä. \ p. 255. 



— 28 — 

La ot teile bataiUe et si grant caplats 
que plus de .C. mil Turs y ot mors et fenis. 
La vit on les paiiefis mattex et desconfis; 
la s'y prouva ce jour Vemperere Loys 
que Ysembart, ses niex, fut par lui a mort mis, 
et Gorinotis etisement, le fellori Arabis. 
Mais tant souffry de paine ce jour ly rois Loys 
qu'il fu de malladie moult greve et acquis; 
onques puis il ne fu a son cors bien santis. 
Hier wird Isembard also von Ludwig selbst getötet; in 

unserem Fragment fallt er vielmehr im Kampfe mit „ drei Grafen 

und einem Herzog". 

Aus allen diesen Stellen ist über den Inhalt der alten Chanson 

offenbar wenig zu entnehmen; anders verhält es sich mit dem 

R6sum6, welches Philippe Mousket in seiner Reimchronik giebt. 

3. Das ß^suiii6 Philippe Mouskets. 

Mousket (t vor 1244, vgl. Pertz, SS. XXVI, 719) analy- 
siert in seiner bis zum J. 1242 reichenden Chronique riniee 
V. 14 039 — 14 296^ in ziemlich ausführlicher Weise ein ihm 
vorliegendes Reinaniement der alten Chanson von Isembard 
und Gormund. Den König Ludwig identifiziert er mit Lud- 
wig IV. d'Outremer. 

A. Inhalt. 

Louis d'Outremer, so hören wir, hatte einen Bruder 
Namens Lohier, der Lothringen mit Aachen besafs, aufserdem 
hatte er drei Schwestern, Gisle, welche mit Ron, Herluis, 
welche mit dem Herzog Garin, der Vimeu, Ponthieu und die 
Lehen von St. Val6ry besafs, sowie Aelais, welche mit Taillefei 
von Cambrai vermählt war, die letztere die Mutter jenes Raoul, 
der die Söhne des Herbert von St. Quentin bekriegte, Bierne9on 
im Kampfe tötete und das Kloster Origni verbrannte.'^ 

1) Philippe Mousket j Chronique rimee, p. p. le baron de Reiffeuberg, 
Bmssel 1838, t. II, p. 74—83. Die vorliegende Stelle ist auch abgedruckt 
bei Bartsch et Horning, La langue.et la littcrature fra^i^aises, Paris 1887, 
Sp. 429 — 436. Ich citiere nach dem letzteren Drucke , als dem leichter zu- 
gänglichen. 

2) Anspielung auf das Epos von Raoid von Cambrai, ed. P. Meyer 
et Longnon, Paiis 1882 (S. d. a. t. fr,). Louis d'Outremer hatte in der 



— 29 — 

Herluis nun hatte zwei Söhne, Isembart und Girardin; 
beide dienten ihrem Onkel, dem König Ludwig, waren aber 
den Franzosen verhafst — warum? erfahren wir nicht: 

Loeis, hr oncle, servirent, 

mais li Francois les enhairent 

Diese setzten dem König nun so lange zu, bis er, ihrem 
böswilligen Rate folgend, Isembart an den König Guion von 
Dänemark sandte, damit er den Tribut einfordere; in Isembarts 
Abwesenheit liefsen sie seinen Bruder Girardin in einem Garten 
umbringen. Isembart, zurückgekehrt, nahm blutige Rache, in- 
dem er an der Tafel des Königs zwei Diener erschlug; denn 
der König liefs sich von Intriganten und Ohrenbläsern be- 
einflussen : 

a la table le r&i JL siers 

671 ocist puisy g'en sui tous ciers, 
quar li rais creoit volentiers 
et gengleours et nouveliers. 

Dann floh Isembart in seine Heimat. Um nun die Fehde 
beizulegen (por la faide^ a demorer) und seinen Knappen 
Alardin, den Sohn des einen der beiden von Isembart er- 
schlagenen Diener, zu entschädigen ^ (pour sa painne guerre- 
doner) ^ woUte König Ludwig diesem Isembarts Schwester zur 
Frau geben. Aber Isembart widersetzte sich dem Plane. Darüber 
geriet der König in Zorn; er überzog den Herzog Garin in 
Ponthieu mit Krieg und belagerte ihn so lange, bis er es dahin 
gebracht hatte, dafs Isembart Frankreich und das Land seines 
Vaters verschwören mulste — zum grofsen Kummer seiner 
Mutter und seiner Schwester: 



That eine Schwester Gisla — die aber nicht die Gemahlin Rollo's war — 
und eine Schwester Adelheid, hingegen ist Herluis unhistorisch; vgl. Pertz, 
SS. IX, 303: jjKarolus rex genuit ex Frederuna regina Hyrniintrudimy 
Frederimanif Adelheidim, Oislam, Rotrvdim et Hildegardim/^ 

1) fr. faide = germ. faida, nicht Fehde in unserem Sinne, sonderü 
eigentlich „Feindschaft", „Rache*', war der juristische Ausdruck für den 
zwischen zwei Familien bestehenden Zustand der Blutfeindschaft, vgl. Waitz, 
Deutsche Verfassungsgesch. ^ I, 429, Anm. 2. 

2) So ist offenbar die Stelle: a oes celui qui pere ocist zu verstehen. 
Reiffenbergs Konjektur qui frere (das wäi*e dann Girardin , celui = Isem- 
bart) giebt keinen Sinn. 



— 30 — 

sour le duc Garin s'en ala 
droit en Pontiu, si Vasega 
tant qu'il estut par sa poisance 
a Yxenbart forjurer France 
et toute la tiere son pere; 
grant duel en ot et stier et mere. 

Isembart bestieg nun unter den Äugen des Königs ein 
Scbiflf und segelte, nur von seinem Kiiappen Ludemart begleitet, 
nach England, wo er sich zum König begab. Ludwig aber 
räumte Ponthieu und kehrte nach Frankreich zurück. Als er 
hörte, dafe Isembart in Sicherheit sei, liefs er zornig dem 
König von England die Weisung zukommen, dafs er Isembart 
aus dem Lande jage: 

le roi manda totes couredes, 
que d'Engletiere fust kacies. 

Der König that, was Ludwig verlangte, doch Dicht, ohne 
Isembart reich beschenkt zu haben. Dieser begab sich nun auf 
den Rat des Engländers Evrart, der die sarazenische Sprache 
erlernt hatte, übers Meer zum König Gormont, bei dem er 
nach achttägiger Fahrt eintraf. Gormont nahm ihn freundlich 
auf und brachte ihn dazu, dafs er Gott verleugnete, obwohl 
ihn dieser doch vom Ertrinken gerettet hatte; Isembart war 
sehr traurig darüber (doch wohl über das Abschwören seines 
Glaubens?), darum nannte er ihn den Margari: 

Mais dieu li a fait renoiier, 
Jd garit Favoit de noiier, 
Mais moult en ot son cue/r mari, 
si le clama le Margari, 

Isembart besiegte nun einen Sarazenenfürsten (un ätcma- 
cour), der Gormont sein Land entreifsen wollte. Zum Dank 
dafür gab Gormont ihm seine Tochter Margot zur Frau und 
beschenkte ihn mit Bocidante, einem grofsem Lande im Orient. 
In der Folge wufste Isembart Gormont zu bereden, dafs er 
Schiffe baute, dann begaben sich beide auf die Fahrt, um 
Frankreich zu vernichten. Bei der Überfahrt erhob sich ein 
grofser Sturm, durch den der dritte Teil ihrer Leute seinen 
Tod in den Wellen fand. Aber Isembart und Gormont selbst 



— 31 - 

gelangten wohlbehalten mit 2025 Schiffen nach Frankreich. 
Um sich jede Möglichkeit einer Rückkehr abzuschneiden, ver- 
brannten sie ihre Schiffe; dann steckten sie das Kloster St. Ri- 
quier in Brand und verheerten den dritten Teil des ganzen 
Landes. Ein Kleriker Namens Gautier meldete dem König 
ihre Ankunft nach Laon. 

Es bestand damals in Frankreich die Sitte, dafs, wenn ein 
Grofser starb, der König sein ganzes Land an sich nahm und 

die Frauen zwang, ihm lehenspflichtig zu werden; es stand 

» 

damals schlecht um die Lehen: 

Adonqes France tele estoit 
que quant .7. haus om i moroit, 
li rois prendoit la tiere toute 
et des dames sans nule doute 
recevoit a force relief;^ 
trop estoient mauvais li fief. 

Als nun Gautier jene Nachricht brachte, da erklärte ein 
vornehmer Ritter, Hugo, dem König, er sei bereit, sich ins 
Lager der Sarazenen zu begeben und ihre Stärke auszukund- 
schaften, unter der Bedingung, dafs der König verspreche, auf 
die Einforderung des refe'e/* Verzicht zu leisten und seine Barone 
wohlwollend zu behandeln: 

s'il voloit laiscier son desroi 
et les relies quites clamer 
et ses barons vosist amer. 

Der König gab ohne weiteres die gewünschte Zusage und 
schwor einen Eid darauf. Nun machte sich Hugo auf den 
Weg; im feindlichen Lager eingetroffen, suchte er Isembart, 
seinen Neffen, auf und erklärte ihm, er sei seinetwegen bei 
Hofe verklagt, seines Erbes beraubt und aus Frankreich ver- 
bannt worden. Isembart war über diese Mitteilung sehr erfreut 



1) D. h. er zwang sie, ihm lehenspflichtig zu werden. Die Beleh- 
nung pflegte symbolisch vollzogen zu werden durch Uebergabe irgend eines 
Objektes, des ,jrelief^\ gewöhnlich eines Rasenstückes, eines Baumzweiges 
oder einer Hand voll Erde, an den Lehensherrn; vgl. Luchaire, Marmel des 
instit. fran^.^ Paris 1892, p. 204. Schmidt, Geschichte Frankreichs , Ham- 
burg 1835, I, 243. 



* . - » ■ . " 



— 32 — 

lind führte Hugo zu Gormont. Hugo erklärte, er müsse ihn, 
um seine Angelegenheiten zu ordnen, noch einmal verlasseu, 
werde dann aber wieder kommen. ^) Isembart nahm Hugo nun 
mit sich in sein Zelt unten im Thal; er zeigte ihm sein Rofs 
und erklärte ihm, wenn er es fertig bringe, demselben Zaum 
und Sattel anzulegen, so solle es ihm gehören. Hugo erfüllte 
die von Isembart gestellte Bedingung und schwang sich rasch 
in den Sattel; seinem Knappen rief er zu, er möge sich auf 
sein, Hugo's, Pferd setzen, vorausreiten und ihn oben bei den 
Bäumen erwarten; dann sprengte er davon. Auf Isembarts 
Mahnung, umzukehren, sie wollten sich nun zum Mahle be- 
geben, erwiderte er mit der höhnischen Erklärung, das Pferd 
sei nun sein, er habe Gormont hintergangen, er sei ein Spion 
des Königs und werde demselben ihr übermütiges Gebahren 
melden. Zugleich setzte er dem Rofs die Sporen ein und 
dieses flog nun, wie ein Star durch die Luft, ins Thal hinab, 
dann den Berg hinauf durch den Wald.^ Die Sarazenen ver- 
folgten den Flüchtling, aber sie vermochten ihn nicht einzuholen. 
Hugo kehrte zum König zurück und meldete, was er gesehen. 
Dieser sammelte nun ein Heer und zog dem Feinde rasch 
entgegen. In der Nähe von Amiens kam es zur Schlacht, in 
der nach erbittertem Kampfe Gormont und sämtliche Sara- 
zenen ihren Tod fanden; doch auch von den Franzosen bUeben 
viele auf der "Wahlstatt. Isembarts Vater, der Herzog Garin, 
hatte mit seinem Sohne eine Unterredung gehabt und versucht, 
ihn zu bestimmen, dafs er sich von Gormont lossage, aber 
seine Bemühung war umsonst gewesen ; statt Gormont den Ge- 
horsam zu kündigen, hatte Isembart durch seinen Vater dem 

1) Die Interpunktion ist hier bei Reiffenberg und Bartsch offenbar 
unrichtig; das Komma ist statt nach iroit nach eoses zu setzen: 

Euelins dist k'il s'en iroit 
pour ses coses, si revenroit. 

2) Es ist mir zweifelhaft, ob die Interpunktion von Bai*tsch, welche 
der obigen Übersetzung zu Grunde liegt, hier zutreffend und ob nicht viel- 
leicht das Komma hinter esproko7is zu streichen ist, sodafe dann zu über- 
setzen wäre: „wie ein Star durch die Luft zu Thal fliegt, so sprengt das 
Rofe den Berg hinan etc." Es ist zu beachten, daüs Isembarts Zelt schon 
im Thale liegt und dafs Hugo seinem Knappen befiehlt, ihn „dort oben bei 
den Bäumen* zu erwarten. 



— 33 — 

König Ludwig eine Herausforderung überbringen lassen. Er 
erkannte das Abzeichen des Königs, griff ihn an und warf ihn 
aus dem Sattel. Im Veiteren Verlaufe des Kampfes fand er 
dann seinen Tod; der König liefs ihn beerdigen und beweinte 
ihn wie einen Bruder. Isembarts Vater, der Herzog Garin, 
trat, in bitterem Gram, um des Seelenheiles seines Sohnes 
willen in ein Kloster; das gleiche thaten seine Mutter, seine 
Schwester und seine Gattin Margot, Gormonts Tochter, die sich 
hatte taufen lassen, alle drei wurden Nonnen in der Abtei zu 
Montreuil; dort starb Beatrix vor Kummer, Isembarts Mutter 
aber betete täglich, dafs seine Seele ins Paradies gelangen möge, 
denn er hatte Sündenschuld auf sich geladen, als er um Gor- 
monts willen Gott verleugnete. Doch hatte er noch sterbend 
seine Sünde bereut und ganz und gar sich Gott befohlen; 
darum darf man nicht sagen, dafs er verloren sei. Grofse 
Schuld hatte ja auch der König, dafs er ihm sein Erbe nahm 
und ihn aus seinem Lande jagte; dadurch hatte er wesentlichen 
Anteil an Isembarts Verfehlung. 

Übrigens wären die Sarazenen nicht besiegt worden, wenn 
nicht die Frauen, welche ihre Kinder säugten, die Rüstungen 
der gefallenen Franzosen angelegt und in die Schlacht einge- 
griffen hätten; während des Kampfes tropfte ihnen die Milch 
zwischen den Panzerschuppen durch, wie noch zu sehen ist in 
der Nähe von Amiens auf dem Felde, das man Molleronval 
nennt. Sie thaten dem Feinde grofsen Schaden und ihnen ist 
der Sieg zu verdanken. König Ludwig aber wurde verwundet 
durch Ludemart und dessen Herrn Isembart, als er, tapfer 
kämpfend, ihnen auswich: 

et Loeys, dl rois sacans, 
fu desrompits par Ludemart 
et par son signour Isembart 
a Vestordre qu'il fist a aus; 

so schwer war seine Verwundung, dafs er nicht 30 Tage mehr 
lebte. „So erzählt das Buch (l'estore)^ wo ich dies finde." 

B. Kritik des Inhalts. 

Es fragt sich, inwieweit das Epos, welches Mousket ana- 
lysiert, inhaltlich noch übereinstimmte mit dem alten Epos des 

Zenker, Das Epos von Isembard etc. 3 



— 34 — 

11. Jh., inwieweit wir von seiner Darstellung auf den Inhalt 
des letzeren einen Schlufs machen dürfen. 

Vergleichen wir das ß^sumö, an dessen vollkommener 
Treue zu zweifeln wir keinen Grund haben, mit den Angaben 
unseres Fragmentes, so erkennen wir sofort, dafs das Epos, 
welches Mousket vorlag, sich inhaltlich keineswegs mehr deckte 
mit dem Epos, dem unser Fragment entstammt. Zwar ist, 
soweit wir überhaupt im Stande sind, das zu beurteilen, die 
Handlung in den Hauptzügen noch dieselbe, aber im einzelnen 
finden wir eine ganze Reihe Abweichungen. 

Bei Mousket ist Isembards Vater der Herzog Garin, dem 
Vimeu, Ponthieu und die Lehen von St. Valery zu eigen ge- 
hören, in dem Fragment hingegen heifst er Bemard und kann 
er die genannten Landschaften nicht besessen haben, da V. 165 
ein gewisser Emaut als Inhaber derselben genannt wird. 

Bei Mousket wird Isembard, als er Frankreich verläfst, be- 
gleitet von seinem Knappen Ludemart, der noch in der Schlacht 
bei Amiens mit ihm gemeinsam gegen Ludwig kämpft; im Frag- 
ment hingegen wird Ludemart nicht erwähnt, ein Umstand, der 
es zwar nicht gewifs, aber doch sehr wahrscheinlich macht, 
dafs er in dem Epos überhaupt nicht auftrat. 

Bei Mousket begiebt sich Isembard von Frankreich zunächst 
zum König von England; nachdem dieser ihn auf Verlangen 
Ludwigs verbannt hat, geht er zu Gormund in den Orient. Dafs 
diese Erzählung in unserem Epos nicht ursprünglich sein 
kann, ergiebt sich mit Sicherheit aus der Thatsache, dafs ihr 
offenbar die Vorstellung zu Grunde liegt, der König von Eng- 
land sei ein Vasall des Königs von Frankreich und müsse als 
solcher thun, was dieser ihm befiehlt; die Erzählung kann also 
erst entstanden sein nach dem Jahre 1066, seit welchem die 
Herzöge der Normandie, Vasallen des Königs von Frankreich, 
zugleich Könige von England waren. Dafs die Erzählung aber 
auch in der durch unser Fragment repräsentierten Fassung des 
Epos, welche, wie wir sahen, dem Ende des 11. Jh. angehört, 
noch nicht vorhanden gewesen ist, das wird wenigstens höchst 
wahrscheinlich gemacht durch folgende weitere Erwägung: 

Da für den Dichter oder Überarbeiter, welcher jene Ver- 
sion erfand, die ganze Handlung des Epos doch in einer grauen 



— 35 ~ 

Vergangenheit lag, so mufste er die Vorstellung hegen, jenes 
Lehnsverhältnis zwischen dem König von England und dem 
von Frankreich, welches Voraussetzung für die Erzählung ist, 
bestehe schon seit langer Zeit; die Erzählung wird also schwer- 
lich erfanden worden sein um 1080, der mutmafslichen Ent- 
stehungsseit unseres Fragmentes (vgl. S. 6), wo jenes Verhält- 
nis noch ganz jungen Datums war und die Erinnerung noch 
lebendig sein mufste an eine Zeit, wo es nicht bestanden hatte. 

Ebendafür, dafs die in Rede stehende Erzählung in dem 
Epos zu Ende des 11. Jh. noch nicht enthalten war, sprechen 
auch zwei weitere Gründe: einmal die Worte Isembards zu Gor- 
mund, Fragm. V. 471: „er habe es ihm oft gesagt zu Ciren- 
cester, in seinem Lande, dafs die Franzosen ein krieggewohntes 
Volk seien"; denn wenn Isembard Gormund im Orient auf- 
gesucht hätte, wie Mousket berichtet, und von dort aus mit 
ihm den Zug nach Frankreich unternommen hätte, so hätte er 
ihm sicher jene Aufklärung über die Franken schon daheim, im 
Orient, und nicht erst in England-, in Cirencester, erteilt; so- 
dann spricht für die erwähnte Annahme die Angabe bei Gal- 
frid von Monmouth, Isembard habe Gormund aufgesucht, als 
derselbe vor Cirencester lag; denn aus ihr geht hervor, dafs 
die Sage noch im ersten Drittel des 12. Jh. (vor 1135) von 
einem Aufenthalt Isembards bei Gormund im Orient nichts 
wufste. Somit spricht alles dafür, dafs wir es bei Mousket mit 
einer jüngeren Version zu thun haben, dafs in der älteren 
Fassung des Epos Isembard von Frankreich direkt zu 
Gormund ging und dafs dieser in England vor Ciren- 
cester weilte, nicht im Orient. 

Weiter erzählt Mousket, Gormund habe bei der Ankunft 
in Frankreich die Schiffe verbrennen lassen, um sich die Mög- 
lichkeit einer Rückkehr abzuschneiden; dagegen hören wir im 
Fragment, dafs die Heiden ihre Schiffe am Ufer zurückgelassen 
haben und auf denselben entfliehen. 

Sodann ist das Lokal der Schlacht bei Mousket und im 
Fragmente, wie es scheint, nicht genau das gleiche; dort wird 
gekämpft bei Amiens, hier bei Cayeux — beide Orte sind 
ca. 60 km. von einander entfernt; man könnte ja daran denken, 
dafs die Schlacht etwa auf halbem Wege zwischen Amiens und 

3* 



— 36 — 

Cayeux stattgefunden habe^), indessen ist es doch wahrschein- 
licher, dafs eine, wenn auch nicht sehr starke, Verschiebung 
des Lokales stattgefunden habe. 

Endlich berichtet Mousket, Ludwig habe die tödliche Ver- 
letzung, welche bald nach der Schlacht seinem Leben ein Ende 
machte, erlitten im Kampfe mit Isembart und Ludemart, im 
Fragmente hingegen zieht er sie sich zu im Zweikampfe mit 
Gormund. 

Die Thatsache nun, dafs Mouskets Erzählung in mehreren 
Punkten zu der Darstellung des alten Epos nicht stimmt, könnte 
es offenbar a 'pHoH bedenklich erscheinen lassen, da, wo das 
Fragment uns im Stiche läfst, von Mouskets Angaben auf den 
Inhalt des alten Epos irgend welche Schlüsse zu machen. 
Denn wer garantiert uns, dafs wir es nicht auch da, wo wir 
den Nachweis auf Grund unseres Fragmentes nicht direkt er- 
bringen können, doch mit jüngeren Versionen, Modifikationen 
des ursprünglichen Sachverhaltes durch einen späteren Über- 
arbeiter zu thun haben? Trotzdem glaube ich nun, dafs wir 
aus inneren Gründen berechtigt sind, auch wesentliche Stücke 
in Moukets E6sum6, die durch unser Fragment nicht direkt 
bestätigt werden, als vollkommen echt und ursprünglich, als 
der Darstellung des alten Epos entsprechend, zu betrachten. 

Dahin rechne ich zunächst, was Mousket erzählt über die Vor- 
gänge, die Isembards Verbannung aus Frankreich herbeiführten. 
Wir haben es hier nämlich offenbar zu thun mit dem uralt- 
germanischen Motiv der Blutrache; dafs dieses Motiv erst im 
12. oder 13. Jh. nachträglich in das Epos eingeführt worden 
sein sollte, ist ganz unwahrscheinlich, wie denn auch der Zug, 
dafs Isembard die beiden Schuldigen an derTafel desKönigs 
erschlägt, in seiner barbarischen Wildheit einen durchaus alter- 
tümlichen Eindruck macht. Dafs Isembard ,,vi et injuste^^ 
aus Frankreich vertrieben worden sei, hören wir ja auch bei 
Galfried von Monmouth (vgl. S. 14). Ich halte deshalb die 
Mouskef sehe Motivierung für Isembards Verbannung im wesent- 
lichen entschieden für alt und ursprünglich — dafs sie es 
auch in allen Einzelheiten sei, will ich nicht behaupten. 

1) Über das Thal Molleronval^ wo nach Mousket die Schlacht statt- 
fand, vermochte ich etwas näheres nicht zu ei-mitteln. 



— 37 — 

Als eine spätere Erfindung sehe ich dann aber an die 
Vermählung Isembards mit Gormunds Tochter Margot^); es ist 
ja bekannt, dafs Liebeshändel der christlichen Helden mit 
schönen Sarazenenprinzessinnen ein Ingredienz der epischen 
Maschinerie erst zu einer verhältnismäfsig späten Zeit wurden 
und dafs die Frau im älteren Epos überhaupt nur eine ganz 
untergeordnete EoUe spielt. 

Ursprünglich dürfte dann aber wieder sein die Schilderung 
von Hugo 's Kundschafterritt in Gormunds Lager; einmal wird 
dieselbe in einigen Punkten bestätigt durch unser Fragment: 
Hugo hat seinen Knappen bei sich (Fragm. V. 347 ff.), er wird 
mit Gormund selbst bekannt (Fr. V. 257), er entführt das Ross 
einem von Gormunds Vasallen (Fr. V. 262); sodann blickt in 
Mouskets Erzählung von Hugo's Flucht unverkennbar die leben- 
dige, vollendet anschauliche Erzählungsweise des Verfassers 
unseres Fragmentes durch. 

Für ursprünglich halte ich weiter auch die Angabe Mouskets, 
Isembards Vater sowie seine Mutter und Schwester — seine 
Gattin käme nach dem oben bemerkten in Wegfall — seien ins 
Kloster gegangen und seine Schwester sei vor Kummer gestor- 
ben. Denn dieser melancholische Abschlufs steht durchaus im 
Einklang mit dem tragischen Charakter der ganzen Dichtung — 
sie hallt gleichsam in einen dumpfen, schweren Accord aus. 

Als ein späterer Einschub dürfte dann aber wieder die 
Episode von der Teilnahme der Frauen von Amiens an der 
Schlacht zu betrachten sein. Denn diese Episode hat doch wohl 
zur Voraussetzung, dafs die Schlacht nahe bei Amiens statt- 
gefunden habe; in unserem Fragmente wird aber, wie wir sahen, 
vielmehr bei Cayeux gekämpft. Indessen gesetzt auch, der 
Dichter habe es mit den Entfernungen nicht so genau genom- 
men, so würde doch ein anderer Grund gegen die Ursprüng- 
lichkeit der Episode sprechen. Nach der Darstellung unseres 
Fragmentes wendet sich ja, wie wir sahen, schliefslich fast das 
ganze heidnische Heer, durch die Anstrengung und den Hunger 
entkräftet, zur Flucht; nur Isembard mit 2000 Mann hält noch 
Stand; aber auch er fällt bald darauf, das Fragment schliefst 

1) Der Name ist offenbar gewählt in Anlehnung an Isembards Bei- 
namen Margari. 



— 38 — 

mit der Schilderung seines Todes. Es ist nun gewifs ganz un- 
wahrscheinlich, dafs nach dem Tode ihres Führers jene wenigen 
allein noch länger Widerstand geleistet haben sollten ; vielmehr 
werden auch sie nunmehr die Flucht ergrififen haben und es 
wird somit nicht mehr des Eingreifens der Frauen bedurft 
haben, um die Schlacht zu Gunsten der Franken zu entscheiden. 

Der Ursprung der sonderbaren Geschichte läfst sich übrigens, 
wie mir scheint, ziemlich deutlich nachweisen: 

Ich habe im vorigen Abschnitt eine Stelle angeführt aus 
der um 1203 entstandenen Weltchronik des Nicolaus von 
Amiens, in welcher die Erzählung von der Beteiligung der 
Frauen von Amiens am Kampfe gegen Gormunds Heer sich 
gleichfalls findet, nur in etwas abweichender Fassung, indem 
dort die Frauen nicht in die Entscheidungsschlacht selbst ein- 
greifen, sondern vorher einmal, als ihre Männer vom Kampfe 
ermüdet sind, bewaffnet aus der Stadt ausrücken und die vor 
den Mauern umherschweifenden Feinde in ihr Lager zurück- 
treiben. Wir hörten dort, dafs seit jener mutigen That die 
Frauen zu Amiens das Privilegium hätten, in der Kirche auf 
der rechten Seite zu sitzen. Aus dieser Bemerkung geht nun 
offenbar hervor, dafs wir es hier mit einer zu Amiens be- 
stehenden Lokalsage zu thun haben, deren Entstehung sich, 
unter Berücksichtigung von Mouskets Angaben, aus folgenden 
drei Faktoren erklären dürfte: 

1. aus einer volksetymologischen Deutung des Namens des 
Thaies, wo nach Mousket der Kampf stattgefunden haben soll: 
Molleronval = Thal der Frauen (der mollers, moillers)\ 

2. aus irgend einem, doch wohl geologischen, Naturphänomen 
in jenem Thale, welches aufgefafst werden konnte als herrührend 
von zu Boden geflossener Milch; denn Mousket sagt ausdrücklich: 

. . ,lor lais es grans batailles 
lor degoutoit par mi les malles, 
encore i pert, s'a voir ne fal, 
es cans c'on dist Molleronval; 

3. aus dem von dem Verfasser des Auctuarium bezeugten 
Brauche, dafs die Frauen, die sonst offenbar in der Kirche auf 
der linken Seite zu sitzen pflegten, zu Amiens ihre Plätze auf 
der rechten Seite hatten; der eigentliche Grund dieses Brauches 



— 39 — 

war wohl in Vergessenheit geraten und man glaubte ihn nun 
durch ein besonderes Verdienst, das die Frauen sich um die 
Stadt erworben hätten, erklären zu sollen. 

Einem späteren Überarbeiter der alten Chanson wurde 
diese Lokalsage bekannt und er verwertete sie in der Weise, 
dafs er die Frauen, die der ursprünglichen Sage zufolge nur 
den Feind von den Mauern Amiens zurückgetrieben hatten, in 
die Entscheidungsschlacht selbst eingreifen und den Sieg ge- 
winnen liefs; dies dürfte dann auch wohl der Grund gewesen 
sein, dafs das Lokal der Schlacht von Cayeux in die Nähe von 
Amiens verschoben wurde. 

Auffallig ist es nun noch, dafs bei Mousket Gormund und 
Isembard vom Orient aus direkt nach Frankreich fahren und 
von einer Belagerung Cirencesters nicht die Rede ist. Dafs 
die letztere Episode in dem Epos zu Mouskets Zeit noch vor- 
handen gewesen sein mufs, geht daraus hervor, dafs sie sich 
noch in dem wesentlich jüngeren, nachher zu besprechenden 
Remaniement des Loher und Maller findet, nur ist hier Ciren- 
cester ersetzt durch Gloucester (Name der Provinz, in der 
Cirencester liegt). Der Grund für das Fehlen der Episode bei 
Mousket dürfte darin zu suchen sein, dafs, nachdem man den 
Aufenthalt Isembards beim König von England erfunden hatte, 
ein von Isembard gemeinsam mit Gormund gegen diesen ge- 
führter Krieg, den eine Belagerung Cirencesters doch zur Vor- 
aussetzung hatte, als widersinnig erscheinen mufste; wir werden 
annehmen dürfen, dafs entweder Mousket selbst auf Grund 
dieser Erwägung die betreffende Episode unterdrückt hat, oder 
dafs sie aus dem gleichen Grunde schon in seiner Vorlage be- 
seitigt war, — in welchem Falle dann neben der ihm vorliegen- 
den Version des Epos eine zweite, die Quelle für die Vorlage 
des Loher und Maller, existiert haben müfste, in der jene 
Episode trotz ihrer Widersinnigkeit erhalten geblieben war. 

Noch ein Punkt in Mouskets Erzählung erfordert schliefs- 
lich Beachtung. Es ist nämlich höchst auffällig, in welch un- 
günstigem Lichte der französische König Ludwig erscheint: 
Ludwig folgt den böswilligen Ratschlägen der Franzosen und 
schickt Isembard nach Dänemark (Bartsch, Sp. 429, 37 ff.), er 
läfst sich von Verleumdern und Ohrenbläsern beeinflussen 



— 40 — 

(Sp. 430, 11), er verbannt Isembard ungerechterweise aus Frank- 
reich und wird dadurch zu dessen Mitschuldigem (Sp. 434, 
26—29), er ist übermütig und behandelt die Barone schlecht 
(Sp. 432, 9 — 11), stirbt ein Grofser, so reifst er seine Lehen 
an sich (Sp. 432, 1 — 5), er wird schliefslich in der Schlacht 
von Isembart aus dem Sattel geworfen (Sp. 433, 43). Es er- 
hebt sich die Frage, ob diese ungünstige Auffassung von Lud- 
wigs Charakter und Handlungsweise schon dem Epos des 
11. Jh. eigen gewesen ist In der That findet sich in unserm 
Fragment eine Stelle, welche in diesem Sinne gedeutet werden 
könnte. Als Ludwig sieht, wie einer nach dem andern von 
seinen Rittern unter Gormunds Streichen zu Boden sinkt, da 
ruft er bekümmert aus: „Steh mir bei, Herr des Himmels! 
Gar sehr halte ich mich für betrogen, dafs ich nicht selbst 
heute als der erste. Mann an Mann, mit dem Feinde [d. h. 
Gormund] kämpfte. Traun, er ist König und König bin auch 
ich; ein Kampf zwischen uns beiden hätte sich wohl geziemt. 
Wer von uns dann auch gesiegt hätte, so wären doch nicht 
so viel Ritter getötet und nicht so viel edle Männer erschlagen 
worden." 1 Klingt es nicht so, frage ich, als wollte der Dichter 
Ludwig durch diese ihm in den Mund gelegte Selbstanklage 
einen Vorwurf machen? Den Vorwurf, dafs er nicht den Mut 
oder doch nicht den verständigen Einfall gehabt habe, sich 
gleich zu Beginn der Schlacht selbst mit Gormund zu messen 
und dadurch das viele Blutvergiefsen zu vermeiden? Ich will 
es nicht behaupten, dafs dies wirklich die Meinung des Dich- 
ters ist, doch scheint mir der Gedanke wohl zulässig zu sein. 
Aber auch ganz abgesehen von dieser Stelle halte ich es aller- 



1) V. 364 ,iAiey Deus, pere del eiel''\ 

dist Loevisj li reis preisies, 

„tant par me t&iic [pv/r] engignie 

que [jeo] n'i jvstai hui premier 

tut eors a cors a Vaversier, 

ja est il reis e reis sui ieo, 

La nostre [ckose] avenist bi&ti; 

li quels de nus idunc venquiest, 

nen fussent mort tant Chevalier 

ne tant franc hume detrenchie. 
V. 367 hat in der, Hs. eine Silbe zu wenig; Heiligbrodt druckt 
justerai, wodurch aber die ganze Stelle sinnlos wird. Schelers Vorschlag: 
jeo ne justai dürfte das richtige treffen. 



— 41 — 

dings für sehr wahrscheinlich, dafs auch in unserm Epos Lud- 
wigs Handlungsweise gegen Isembard als ungerecht dargestellt 
wurde. Dafür scheint mir einmal zu sprechen die Sympathie, 
welche der Dichter offenbar für Isembard hegt; derselbe er- 
scheint durchaus als ein edler heldenhafter Charakter: er ist es, 
der die Flüchtigen zur Umkehr zu bewegen sucht, er gelobt 
an Gormunds Leichnam, dem toten Herrn die Treue zu be- 
wahren, „so lange er das Schwert führen könne", er allein 
harrt denn auch mit einer kleinen Schar aus bis zum letzten 
Atemzuge, und als er schliefslich zum Tode getroffen vom Rofs 
sinkt, da endet er nicht als ein verstockter Sünder, sondern er 
bereut seine Missethat, er befiehlt Gott seine Seele und wir 
hören, dafs der Dichter hofft, es werde ihm um seines bufs- 
fertigen Todes willen Verzeihung zuteil werden. Eine solche 
Sympathie würde der Dichter nun Isembard sicher nicht ent- 
gegengebracht haben, wenn er ihn nur betrachtet hätte als 
einen, der den gerechten Lohn empfängt für seine Missethat, wenn 
er ihn nicht vielmehr wie Mousket betrachtet hätte als einen, 
der in Schuld getrieben wurde durch fremde Schuld, nämlich 
durch die ungerechte Behandlung von Seiten König Ludwigs. 
Eben dafür, dafs schon in dem alten Epos Isembards Ver- 
bannung hingestellt wurde als eine unverdiente, spricht ent- 
schieden auch die allgemeine Erwägung, dafs es nicht wahr- 
scheinlich ist, dafs in einem Punkte von so fundamentaler 
Bedeutung für die Auffassung der ganzen Handlung, wie es 
der Charakter von Ludwigs Vorgehen gegen Isembard ist, dafs, 
sage ich, in einem solchen Punkte im Laufe der epischen Tra- 
dition sich eine Wandlung vollzogen haben sollte, dafs Lud- 
wigs Handlungsweise, etwa durch eine veränderte Motivierung, 
aus einer wohlberechtigten in das Gegenteil sollte umgeprägt 
worden sein. Derartige wesentliche Züge haften doch in der 
Erinnerung zu fest, als dafs sie sich verwischen könnten. Es 
ist mir deshalb kaum zweifelhaft, dafs die Auffassung von 
Isembards Verbannung als einer unverdienten, unver- 
schuldeten zu den konstitutiven Elementen der Dich- 
tung zu rechnen ist 

Soviel über Mouskets R6sum6, das nach dem Gesagten 
trotz einiger unursprünglicher Züge uns doch höchst wichtige 
Aufschlüsse über den Inhalt des alten Epos gewährt. 



— 42 — 

Es erübrigt Dim Doch, dasjenige Denkmal zu besprechen, 
welches uns die Sage von Gormund und Isembard am aus- 
fuhrlichsten überliefert, den deutschen Ritterroman von Loher 
und Maller. 

4. Der Loher und Maller. 

In dem dritten Teil des von E. Simrock ins Neuhoch- 
deutsche übersetzten Ritterromans von Loher und Maller^ be- 
sitzen wir direkt eine deutsche Übertragung einer aus dem 
Anfang des 15. Jh. stammenden Prosaauflösung einer Chanson 
von Isembard und Gormund. Die der deutschen Übertragung 
zu Grunde liegende «französische Prosaauflösung wurde verfalst 
im J. 1405 für Margarete von Joinville, Gemahlin des Ferri 
von Lothringen, die deutsche Üebertragung selbst im J. 1437 
durch deren Tochter Elisabeth von Lothringen, Grafin von 
Nassau und Saarbrücken. Dals die Vorlage der Prosaauflösung 
nicht, wie es in den Handschriften und iu dem Drucke von 
1514 heilst, eine lateinische, sondern eine französische, und 
und zwar eine französische Chanson de geste war, das hat mit 
ausreichenden Gründen dargethan G. Paris in der BisUrire 
litterare XXVLU, p. 241 AT., wo er unseren Roman des 
näheren bespricht G. Paris hält es im Hinblick auf die nahe 
Übereinstimmung zwischen den Schlufsworten des Romans und 
dem Anfang des Hugues Capet für wahrscheinlich, dals jene 
Chaiisan de geste mit dem Hugues Capet ungefalir aus der 
gleichen Zeit stammt, also aus der Zeit um 1330. 

A. Inhalt 

Der Inhalt des uns hier allein interessierenden dritten 
Teiles, den mit den beiden ersten Teilen nur einige lose, vom 



1) Loher und Maller^ Ritterroman, erneuert von E. Simrock, Stutt- 
gart 1868. Der Roman ist eriialten in zwei, im niederrheinischen Dialekt 
abgefaCsten Handschriften des 15. Jh., von denen die eine sich zu Köln, 
die andere zu Hamburg auf der Stadtbibliothek befindet, femer auch in 
einem Drucke vom J. 1514. Auf der ersterwähnten Handschrift und auf dem 
Drucke beruht die Übersetzung Simrocks , auf Grund der anderen hat eine kurze 
Inhaltsangabe des Romans, unter Verweisungen auf Mousket, als Nachtrag zu 
seiner Ausgabe des Fragmentes, veröffentlicht Heiligbrodt in Böhmers Roma- 
nUehen Studien lY, 119: Zur Sage von Gormund und Isembard. 



— 43 — 

Compilator gesponnene, Fäden verknüpfen, ist im wesentlichen 
der folgende: 

Tsenbart ist der Sohn des Herzogs Werin des Frommen 
von Pontier und der Herzogin Adelheid, der Schwester Lud- 
wigs und Lohers, der beiden Söhne Kaiser Karls von Frank- 
reichs; er hat einen Bruder Gerhard und eine Schwester 
Fröhlich. Auf die letztere hat Richard von Orl6ans seine 
Augen geworfen, der beim König sehr in Gunst steht und 
mit vielen Ämtern betraut ist. Als er eines Tages mit Fröh- 
lich tanzt, drückt er ihr die Hand. Isenbart entgeht das 
nicht, er ruft seine Schwester zu sich und tadelt sie, dafs sie 
solches dulde; denn Richard gehöre zu denen, die ihren Oheim, 
Kaiser Loher, verraten hätten [Anspielung auf eine Episode 
im 2. Teile des Romans]. Richard merkt, dafs Isenbart seiner 
Schwester Vorwürfe macht und schwört, sich an ihm zu 
rächen. Er beredet König Ludwig, Isenbart mit einer Sendung 
an den unbotmäfsigen Herzog Gering von Dänemark zu 
betrauen, um von ihm den Zins einzutreiben. Isenbart über- 
nimmt es, den Auftrag auszuführen, obwohl er weifs, dafs 
ihm dadurch der Untergang bereitet werden soll; denn 13 Boten 
hat Ludwigs Vater schon nach Dänemark abgeschickt und 
keiner ist zurückgekehrt. In seiner Abwesenheit nun vergiftet 
Richard im Bunde mit seinen Verwandten Isenbarts Bruder 
Gerhard, weil er von ihm Einspruch gegen seine beabsichtigte 
Werbung um Isenbarts Schwester Fröhlich erwartet; dafs 
Isenbart zurückkehren sollte, hält er für ausgeschlossen. Der 
letztere ist inzwischen nach Dänemark geritten, er findet den 
Herzog im Saale sitzend und richtet seine Botschaft aus. Der 
Herzog ist im höchsten Grade aufgebracht über die Zinsforde- 
rung und droht, Isenbart an den Galgen schleifen zu lassen. 
Da zieht Isenbart sein Schwert und will ihm zu Leibe gehen, 
aber ein Kammerknecht springt dazwischen, dem spaltet er 
das Haupt, dann schlägt er um sich, dafs niemand ihm zu 
nahen wagt Während der Herzog in seine Kammer flüchtet, 
um den Harnisch anzulegen, eilt Isenbart hinaus, wirft sich 
aufe Rofs und sprengt davon. Der Herzog verfolgt ihn auf 
einem Rofs, das sieben und einen halben Schuh hoch ist, 
Isenbart aber wendet sich um und ersticht den Verfolger mit 



— 44 — 

dem Speer, sein ßofs führt er mit sich hinweg. Am Meere 
findet er ein Schiff, das er besteigt; als des Herzogs Ritter 
am Ufer ankommen und ihn auf dem Meere sehen, verwünschen 
sie ihn in die Hölle. In Paris angekommen stattet Isenbart 
dem König Bericht ab über seine Sendung; der König (sie) 
von Dänemark wolle ihm „keinen Würfel" geben, doch habe 
er sein apfelgraues Pferd erbeutet Der König erklärt darauf- 
hin, er wolle den Herzog vertilgen und sein Herzogtum an 
Isenbart geben. 

Isenbart erfahrt nun, dafs sein Bruder tot sei; tief beküm- 
mert erklärt er, so lange von Paris fern bleiben zu wollen, 
bis er erfahren habe, wie sein Bruder ums Leben gekommen 
sei. Der König sagt ihm, er dürfe niemand die Schuld daran 
geben, es sei Gottes Wille gewesen, dafs er gestorben. 

Bald danach wirbt Richard von Orleans bei Ludwig um 
dessen Nichte, Isenbarts Schwester Fröhlich. Ludwig sagt ihm 
ihre Hand zu und beauftragt Isenbart, in seine Vaterstadt 
St. Richard [==St. Riquier] zu reiten und seine Schwester zu 
holen. Dieser aber weigert sich, den Auftrag auszuführen, er 
erklärt, Richard, der ein Verräter sei, solle seine Schwester 
nimmermehr zur Frau bekommen, wolle der König seine Schwe- 
ster haben, so möge er sie sich selbst holen, aber bevor sie 
ihm werde, müsse noch „mancher Harnisch erklingen." Er 
reitet nun nach St. Richard, wo seine Eltern und seine 
Schwester weilen. Der König aber thut einen grofsen Schwur, 
Richard von Orlöans solle Fröhlich, seine Nichte, bekommen. 
Er sendet einen Boten an Worin, Isenbarts Vater, und läfst 
denselben auffordern, ihm seine Tochter zu bringen. Werin 
aber erklärt, nachdem er sich mit Isenbart beraten hat, seine 
Tochter solle keinen Mann nehmen aus dem „Geschlechte der 
Schälke" [dem Richard nach Teil H des Loher und Maller an- 
gehört]. 

Der König überzieht nun Herzog Worin mit Krieg, er 
verwüstet Ponthieu und belagert St. Richard. Bald geraten 
die Belagerten durch den Mangel an Lebensmitteln in grofse 
Not; da reitet Isenbart ohne Harnisch hinaus aus der Stadt, 
begiebt sich in das Zelt des Königs und fleht um Gnade: der 
König möge seinen Vater nicht seines Erbes berauben, er, 



— 45 — 

Isenbart, wolle ihm seine Schwester schicken, er möge sie zur 
Erau geben, wem er wolle. Aber deif König befiehlt, Isenbart 
zu fesseln und ihm das Haupt abzuschlagen; da nehmen die 
„hohen Mannen" sich Isenbarts an, auf ihre Fürsprache hin 
schenkt der König ihm das Leben, aber er verlangt von ihm, 
dafs er schwöre „nimmermehr nach Frankreich zu kommen, 
noch auch in die Christenheit jenseits des Meeres noch dies- 
seits." Isenbart fleht seinen Oheim an, er möge von diesem 
Verlangen abstehen, denn sonst müsse er ja ein Heide werden; 
er möge ihm wenigstens gestatten, in England, bei seinem 
Vetter, dem König Wilhelm, oder in Lamparten, bei seinem 
Oheim, Ludwigs Bruder, oder in Konstantinopel, bei seinem 
Vetter Marphone, [der in den früheren Teilen des Romans eine 
Rolle spielt] zu verweilen. Aber der König bleibt unerbittlich, 
und so mufs denn Isenbart schwören, „dafs er aus der Christen- 
heit fahren und eine Nacht nicht liegen wolle, wo er die 
andere gewesen, bis er in die Heidenschaft käme." Mit schwe- 
rem Herzen reitet er davon, Ludwigs ganze Ritterschaft weint 
und flucht Richard von Orleans, weil er daran schuld sei, 
dafs dieser junge, tapfere Held aus seinem Vaterlande ver- 
trieben werde. 

Nicht weit von der Stadt begegnet Isenbart dem Richard 
von Orleans, er fordert denselben zum Kampfe heraus, weil 
er um seinetwillen aus der Christenheit verbannt sei; als 
daraufhin Richard sich zur Flucht wendet, verfolgt Isenbart 
ihn und spaltet ihm das Haupt. In St. Richard angekommen, 
setzt er seine Eltern von dem Geschehenen in Kenntnis; diese, 
wie alle Bewohner der Stadt, sind über die Nachricht von 
seiner Verbannung tief betrübt. Am nächsten Morgen nimmt 
er Abschied und reitet davon. Als Ludwig hört, dafs er aus 
dem Lande ist, hebt er die Belagerung auf und zieht mit 
seinem Heere ab. 

Isenbart begiebt sich nun zunächst nach London, zu seinem 
Blutsfreund, dem König Wilhelm von England, der ihn mit offenen 
Armen aufnimmt. Als er dem König mitteilt, dafs er seinem 
Schwüre gemäfs schon am nächsten Morgen das Land wieder 
verlassen müsse, erklärt Ludemann, des Königs Sohn, er wolle 
ihn begleiten und sich nimmermehr von ihm trennen. Die 



— 46 — 

beiden schiffen sich dann ein und segehi nach Constantinopel, 
wo sie von Kaiser Marphone willkommen geheifsen werden. 
Als der Kaiser hört, dafs Isenbart nur eine Nacht bei ihm 
bleiben darf, erklärt er, er wolle ihn mit Heeresmacht be- 
gleiten und ihm in der Heidenschaft ein Land erobern. 

Es folgt nun eine lange Reihe kriegerischer Abenteuer, 
bei deren Wiedergabe ich mich so kurz als möglich fasse, da 
dieselben sich deutlich als das Fabrikat eines späten Über- 
arbeiters darstellen und ich überdies schon oben bei der Be- 
sprechung von Mouskets R6sum6 gezeigt habe, dafs die ganze 
Geschichte von Isenbarts Fahrt nach dem Orient als unursprüng- 
lich betrachtet werden mufs. 

Marphone fährt mit Isenbart gen Orient, nach dem Lande, 
„das man zu den vier Städten heifst." Sie erobern zunächst 
die Stadt Roppe, wo der heidnische König Scorpion wohnt; 
dabei fallen zehn Jungfrauen in ihre Hände, die Töchter heid- 
nischer Könige: unter ihnen Margeli, die Tochter König Ger- 
mons von Orient. Isenbart verliebt sich in Margeli und er- 
klärt, sie zur Frau nehmen zu wollen, wenn sie sich taufen 
lasse, aber Margeli weigert sich, ihren Glauben zu verleugnen. 
Die Christen ziehen nun vor Murklar, die Stadt des Königs 
Mabion, wohin sich König Scorpion geflüchtet hat und wo 
auch Germon weilt. In einer Schlacht vor den Thoren der 
Stadt werden Isenbart und Ludemann von Germon gefangen ge- 
nommen; der heidnische König Equilon schleicht sich, indem 
er sich taufen läfst, in Marphone's Vertrauen ein und vergiftet 
denselben. Als das Christenheer den Tod des Kaisers erfahrt, 
ergreift es die Flucht; auch Roppe wird von den Heiden zurück- 
gewonnen, unter den Gefangenen findet Germon seine Tochter 
Margeli wieder. Er nimmt sie mit sich in seine Stadt Orient, 
wo Margeli unter Germons Gefangenen Isenbart und Ludemann 
erkennt. Auf ihre Fürbitte hin verspricht Germon, dafs beiden 
nichts zu Leide geschehen solle. Isenbart erzählt nun Germon 
seine Schicksale und bittet ihn, an seinem Hofe bleiben zu 
dürfen, er wolle ihm nach besten Kräften mit seinem Schwerte 
dienen. Germon ist damit einverstanden und redet Isenbart 
zu, er solle seinen Glauben abschwören, dann wolle er ihm 
seine Tochter zur Frau geben. Durch eine list gelingt es 



— 47 — 

Margeli, Isenbart zur Verleugnung seines Christenglaubens zu 
bewegen. (Sie läfst ihren Lehrer Callifis sich in Mahomets 
hohler Bildsäule verstecken und von dort aus predigen, so dafs 
es erscheint, als ob Mahomet selbst spräche.) Isenbart ver- 
leugnet Christus, aber er gedenkt in seinem Herzen: „Maria, 
Mutter Gottes, dich verleugne ich nicht." Er erhält von Ger- 
mon den Namen Margris, „seiner Tochter Margeli wegen, weil 
er ihr Ehre entboten hat." Dagegen weigert Ludemann sich, 
seinem Christenglauben untreu zu werden. 

Gennon wird nun von König Bückart von Daffrit mit 
Krieg überzogen, aber er bleibt in der Schlacht Sieger, dank 
dem Beistande Isenbarts, der König Bückart tötet Germon 
erweist sich Isenbart erkenntlich, indem er ihm grofse Ehre 
anthut, zwei Könige müssen ihn bei Tische bedienen; dies 
verdriefst die Heiden, sie verleumden ihn bei Germon, dals 
er damit umgehe, ihn zu vergiften, um dann seine Tochter zu 
heiraten und sich selbst zum König krönen zu lassen. Die 
Folge ist, dafs Isenbart von Germons Hof verwiesen wird. Er 
lebt mit Ludemann ein Jahr lang in einer Herberge und gerät 
in grofse Armut; beide gehen als Bettelleute in der Stadt umher. 
Isenbart macht einmal einen Selbstmordversuch, er will sich 
mit einem Strick erhängen, er wird aber von Ludemann an 
der Ausführung seines Vorhabens gehindert. 

Es geschieht nun, dafs Germon einen Feldzug unternimmt 
gegen den König von Magür in Indien, der ihm den Tribut 
verweigert, Isenbart und Ludemann folgen als arme Burschen 
dem Heere nach. Es wird vereinbart, dafs ein Zweikampf 
zwischen dem König von Magür und einem von Germons 
Rittern über den Ausgang des Krieges entscheiden soll; aber 
unter Germons Leuten ist keiner, der es wagte, dem heidni- 
schen König entgegenzutreten. Da hört er, dafs Isenbart im 
Heere sei und läfst ihn holen. Isenbart ist sofort bereit, den 
Zweikampf auszufechten; er bleibt natürlich Sieger, macht den 
König von Magür zum Gefangenen und wird nun wieder von 
Germon zu Gnaden angenommen. 

Eines Tages spielen Germon und Isenbart zusammen Schach, 
Isenbart setzt den König matt. Darüber gerät dieser in Zorn: 
nur seine Verräterei, erklärt er, habe Isenbart aus Frankreich 



— 48 — 

vertrieben, sein Oheim werde wohl Grund zur Genüge gehabt 
haben, ihn zu verbannen. Isenbart entfernt sich weinend, ohne 
ein Wort zu entgegnen; er flucht dem König von Frankreich, 
dafs er ihn in diese Not gebracht habe; wenn er noch eine 
Zeit lang lebe und Germon zu bereden vermöge, wolle er 
grimmig Rache an ihm nehmen. 

Er geht dann bis zur Vesperzeit hinaus ans Meer; dort 
trifft er französische Pilger, deren Schiff vom Winde ans Land 
geworfen ist. Auf seine Erkundigung hin, wie es in Frank- 
reich stehe, erfährt er, König Ludwig belagere eben den Herzog 
von Pontier in St. Richard, er hasse ihn um seines Sohnes 
Isenbart willen, der aus dem Lande verwiesen sei; auch sonst 
gebe es Krieg in Frankreich und es stehe übel um das Land. 
Isenbart hört weiter, dafs seine Mutter noch lebe und dafs 
seine Schwester Nonne geworden sei. Er kehrt nun betrübt 
zum Schlofs zurück; dort trifft er Germon, der ihm um den 
Hals fällt und ihn um Verzeihung bittet, wenn er ihn gekränkt 
habe. Isenbart erwidert, sein Kummer habe einen anderen 
Grund; er erzählt Germon , was er soeben vernommen und be- 
klagt es, dafs er seinem Vater nicht beistehen könne gegen 
seine Feinde. Da erklärt Germon, wenn Isenbart sich getraue, 
ihn nach Frankreich zu führen, dann wolle er ihm seine Tochter 
zur Frau geben und ihn zum König von Frankreich machen. 
Isenbart ist mit dem Vorschlag einverstanden; seine Hochzeit 
mit Margeli wird gefeiert, zugleich erhält Ludemann die Tochter 
eines anderen heidnischen Königs zur Frau. Im April wird 
dann die Heerfahrt nach Frankreich angetreten. 

Sie landen zuerst in der Gascogne, die sie verheeren, dann 
segeln sie weiter nach England, der Heimat Ludemanns. Dieser 
bittet Germon, er möge das Land schonen, da es sein Erbe 
sei; sein, Ludemanns, Vater werde ihn gewifs für den Zug 
nach Frankreich mit Kriegsmannschaft unterstützen. Auf Ger- 
mons Frage, wo sein Vater sei, erwidert Ludemann, er sei in 
Gloucester, er wolle Germon dahin führen. Sie ziehen nun 
vor die Stadt und belagern sie. [Die Erzählung ist hier ganz 
unverständlich. Es klingt so, als sei Germon geneigt, Lude- 
manns Bitte zu willfahren; trotzdem belagert er ohne weiteres 
Gloucester, ohne einen Versuch gemacht zu haben, sich mit 



— 49 — 

dem König ins Benehmen zu setzen.] Als sie eine Weile vor 
der Stadt gelegen haben, reitet Ludemann mit Germons Zu- 
stimmung hinein und sucht seinen Vater zu bereden, dafs er 
Germon für seinen Zug gegen Frankreich 4000 Schützen zur 
Verfügung stelle. Aber Wilhelm verweigert die verlangte Unter- 
stützung, weil er des Königs Mann sei und sich auch nicht 
mit Heiden gegen Christen verbünden wolle. So kehrt Lude- 
mann unverrichteter Sache ins Lager zurück. König Wilhelm 
sucht nächtlicherweile aus der Stadt zu entkommen, um ein 
Heer gegen die Belagerer aufzubieten, aber er wird von den 
Heiden gefangen genommen und vor Ludemann geführt. Dieser 
erklärt seinem Vater, es solle ihm nichts geschehen; er selbst 
giebt ihm das Geleit, bis er ihn in Sicherheit gebracht hat. 
Wilhelm macht sich auf den Weg zum König von Frankreich. 

Germon ersinnt nun eine List, um die Stadt zu erobern. 
Er läfst alle Vögel aus der Stadt fangen, Krähen, Tauben und 
andere, die man nur fangen mag, wohl 2000, bindet jedem 
ein kleines Gläschen mit Feuer ans Bein und läfst sie in die Stadt 
fliegen. Als die Vögel in der Stadt sind, zerbrechen die Gläser, 
das Feuer fällt heraus und zündet die Stadt an allen Enden 
an, die nun von den Heiden gestürmt und zerstört wird. 
Germon bemerkt gegen Isenbart, er — Isenbart — habe ihm 
immer gesagt, die Franzosen seien kühne Leute, er sehe aber 
jetzt, dafs sie gar nichts taugten; Isenbart läfst ihm darauf die 
Aufklärung zu Teil werden, dafs dies noch nicht Frankreich, 
sondern England sei. 

Sie fahren nun nach Frankreich über und landen bei 
St. Welleris [==St. Val6ry]. Zum Zeichen, dafs er nicht mehr 
heimkehren will, er hätte denn Frankreich erobert, läfst Ger- 
mon die Schiffe alle verbrennen. Seine Scharen verwüsten 
das Land, zerstören Kirchen und Klöster und lassen nicht 
einen Altar stehen bis nach Arras; dann ziehen sie weiter 
nach St. Richard; als sie ein am Kloster angebrachtes Crucifix 
verhöhnen und mit Äxten und Schwertern danach schlagen, 
dringt überall, wo sie es treffen, Blut heraus. Durch dieses 
Wunder werden viele Heiden bekehrt. 

Ein Schüler zu Amiens, der nach St. Richard reiten will, 
vernimmt von dem Herannahen der Heiden , er eilt zum König 

Zenker, Das Epos von Isembard etc. 4 



— 50 — 

von Frankreich und meldet, was er gehört; zu gleicher Zeit 
trifft König Wilhelm von England ein, der genaueres zu be- 
richten weifs. Ludwig verflucht die Stunde, da er Isenbart 
freigelassen, und hält dem Herzog Worin, der anwesend ist, 
vor, welches Unheil der Christenheit durch seinen Sohn wider- 
fahre. Darüber weint der Herzog; aber seine Gattin Adelheid 
sucht ihn zu trösten und nimmt ihren Sohn in Schutz : Isenbart 
sei ungerecht vertrieben worden, ihr Bruder Ludwig sei nicht 
wert, ein Königreich zu regieren, er sei nur darauf bedacht, 
alle seine Verwandten zu schädigen und zu vertreiben. 

Der König zieht nun nach Laon und bietet seinen Heerbann 
auf. Als alle seine Ritter versammelt sind, richtet er an sie 
die Frage, wer von ihnen geneigt sei, dem Feinde entgegen 
zu reiten und seine Stärke auszukundschaften. Es meldet sich 
niemand, worüber der König sehr betrübt ist. Da erklärt Adel- 
heid ihrem Bruder, er habe eine böse Gewohnheit, derentwegen 
er bei seinen Leuten mifsliebig sei: wenn einer sterbe und Erben 
oder eine Frau hinterlasse, so nehme der König die Hälfte der 
Erbschaft an sich: das werde ihm von allen sehr verargt Ein 
Ritter Namens Hug erklärt sich bereit, den Kundschafter zu 
machen, wenn Ludwig jene üble Gewohnheit abstellen wolle. 
Ludwig sagt ihm das zu und Hug macht sich denn auf den 
Weg nach St. Richard. Im feindlichen Lager angekommen, 
begiebt er sich in das Zelt Germons, wo er diesen, Isenbart, 
Ludemann und 14 heidnische Könige vorfindet. Er kniet vor 
Germon nieder, und erklärt, im Namen König Ludwigs von 
Frankreich kündige er ihm die Fehde an und er fordere ihn auf, 
das Land zu räumen. Auf Hugs Frage, was ihn nach Prank- 
reich führe, erwidert Germon, er wolle Frankreich erobern 
und Isenbart zum König machen. Eine trotzige Entgegnung 
Hugs versetzt Germon in Zorn. Als Isenbart das merkt, nimmt 
er Hug, den er von früher her wohl kennt, bei der Hand 
und führt ihn weg, er zeigt ihm das ganze Heer und sagt 
ihm, sie seien wohl 600000 Mann stark; dann nimmt er ihn 
mit sich in sein Zelt zu seiner Frau und ifst mit ihm zu 
Abend. Hug erklärt, er solle im Namen des Königs Isenbart 
auffordern, zurückzukehren, der König wolle ihm verzeihen 
und ihm sein Erbe wiedergeben. Aber Isenbart schlägt das 



— 51 — 

Anerbieten aus, er habe von Ludwig nur Schlimmes, dagegen 
von Germon viel Gutes erfahren, erst kürzlich habe er ihm ein 
ausgezeichnetes Rofs geschenkt, das zehn Meilen renne und 
nicht müde werde, über alle Gräben springe, über alle Wasser 
schwimme und weifser sei als Schnee. Hug wünscht das Rofs 
zu sehen, Isenbart läfst es holen und reitet es ihm vor. Dann, 
auf Isenbarts Anerbieten hin, besteigt Hug es selbst. Als er 
im Sattel sitzt, erklärt er Isenbart, er wolle das Pferd als ein 
Geschenk von ihm seinem Oheim überbringen; Isenbart hält 
das für Scherz, aber Hug sprengt davon so schnell er kann. 
Die Heiden verfolgen den Flüchtling, aber sie sind nicht im 
Stande ihn einzuholen. Hug reitet über Amiens nach Laon, 
wo er den König vorfindet und ihm über seine Erlebnisse und 
Beobachtungen Bericht erstattet. Er macht dem König das 
Pferd zum Geschenk und wird dafür mit einer Grafschaft in 
der Normandie belehnt. 

Ludwig sendet nun Herzog Werin selbst zu seinem Sohn, 
um ihn zur Rückkehr zu bestimmen; es solle ihm verziehen 
und all sein Erbe zurückerstattet werden. Werin begiebt sich 
ins feindliche Lager zu Isenbart und bietet alle seine Über- 
redungskunst auf, aber auch er mufs unverrichteter Sache wie- 
der abziehen. Auf diese Nachricht hin setzt der König seinen 
Vormarsch fort; Herzog Richard von der Normandie, dem 
Heere voranreitend, stöfst auf einen Trupp heidnischer Ritter, 
er tötet zwei derselben, die übrigen ergreifen die Flucht. 

Als Ludwig sieht, dafs die Heiden sich zum Kampfe 
rüsten, schickt auch er sich an, sein Heer zur Schlacht zu 
ordnen. Doch entschliefst er sich auf Bitten Werins, selbst 
noch einmal den Versuch zu machen, eine Aussöhnung mit 
Isenbart herbeizuführen. Er lädt ihn zu sich durch den Grafen 
von Blois, der inzwischen als Geifsel bei den Heiden bleibt. 
Isenbart wird, als er im christlichen Lager erscheint, aufs ehren- 
vollste empfangen. Der König selbst steigt vom Pferde, wäh- 
rend Isenbart im Sattel bleibt. Der König macht ihm dann 
das Anerbieten, er wolle ihm, wenn er sich von den Heiden 
lossage, sein halbes Königreich geben und nach seinem, des 
Königs, Tode solle es ihm ganz zufallen; auch wolle er in 

seinem Reiche nichts unternehmen ohne Isenbarts Zustimmung. 

4* 



— 52 — 

Isenbarts eigener Vater sowie alle anderen Herren und Ritter 
fallen vor ihm auf die Kniee und flehen ihn unter Thränen 
an, dafs er zu ihnen zurückkehren möge. Aber Isenbart bleibt 
taub gegen alle Bitten: Ludwig, sagt er, trage die Schuld, dafs 
er Jesus, Marieens Kind, habe verleugnen müssen; soweit er zu 
reichen vermöge, solle nicht Kreuz, Kapelle noch Altar stehen 
bleiben; sei er aus der Christenheit verstofsen worden, so wolle 
er sie nun auch vertilgen und Mahomets Ruhm erhöhen. Da 
alles weitere Zureden vergeblich ist, erklärt Ludwig, er wider- 
sage ihm nunmehr und Isenbart reitet davon. 

Es folgt nun eine unverkennbar als späte Interpolation 
sich ausweisende Episode, in der erzählt wird, wie der „böse 
Reinliart von Hennegau", um sich bei König Ludwig in Gunst 
zu setzen, den Versuch macht, Germon zu ermorden. Germon 
aber, durch einen Traum gewarnt, hat den heidnischen Ritter 
Durfier veranlafst, seinen Namen und sein Wappen anzuneh- 
men, so wird Durfier statt Germons erstochen. 

Wir hören dann, dafs Germon sich mit seinem Heere gegen 
Morliens in Bewegung setzt, alles verwüstend und Kirchen 
und Klöster zerstörend. Als Ludwig das sieht, wird er tief 
bekümmert, er versammelt seine Grofsen zur Beratung und es 
wird beschlossen, den Feinden am kommenden Donnerstag eine 
Schlacht zu liefern. Germon wird durch einen nach Amiens 
geschickten Späher von diesem Plan benachrichtigt, er nimmt 
Rücksprache mit Isenbart und entschliefst sich auf dessen Rat, 
die Schlacht anzunehmen. 

Am Donnerstag Morgen hört der König mit seinem ganzen 
Heere die Messe; der Bischof von Orlöans erteilt allen den 
Segen und fleht Gott um seinen Beistand an. Sein Banner 
vertraut Ludwig dem Herzog von der Normandie, den zweiten 
Streit dem Joffrei Dangier [= d'Anjou]. Als sie vor Amiens 
kommen, hält hier der Bischof von Amiens eine längere Predigt 
und erteilt allen, nachdem er ilmen die Beichte vorgesprochen, 
die Absolution. 1 



1) Es ist unverkennbar, dafs wir es in der Scene mit dem Bischof 
von Orleans und der mit dem Bischof von Amiens mit einer Doppelentwick- 
lung einer ursprün glich identischen Scene zu thun haben . Ein zweimaliger 



— 53 — 

Inzwischen hat auch Germon auf der andern Seite von 
Amiens, in einem Grunde Namens Monier, seine Scharen ge- 
ordnet und die Heere rücken gegen einander an. Die Schützen 
beginnen zu schiefsen, die Seile zwischen den Heeren werden 
. zerhauen, der Zusammenstofs erfolgt. Die Heiden sind bei wei- 
tem in der Überzahl, auf einen Christen kommen sechs Heiden, 
und hätte Gott den Christen nicht beigestanden, so würden sie 
den Sieg nicht davon getragen haben. Ludwig selbst wird 
von Isenbart angegriffen, heftig schlagen beide aufeinander los; 
Germon und König Scorpion kommen Isenbart zu Hilfe, Lud- 
wig wird unterstützt durch den Grafen von Champagne, den 
Grafen von Amiens und Richard von der Normandie; der letz- 
tere erschlägt Germons Bruder, Germon wiederum tötet Joffrei 
von Dangier, dafs er dem König vor den Füfsen liegt. Lude- 
mann tötet Herna von Rheims, ihm selbst aber wird das Pferd 
erschlagen und er findet unter den Hufen der Rosse seinen 
Tod. Ein Rittter Namens Gernier verwundet Germon, wird 
dann aber von ihm erschlagen, das gleiche Schicksal ereilt den 
Grafen von Flandern, der Germon mit der Lanze anrennt. Nun 
greift Ludwig selbst Germon an, aber dieser rennt ihn samt 
seinem Pferde nieder. Als die Franzosen dies sehen, kommen 
sie ihrem König zu Hilfe, Richard von der Normandie bringt 
ihm ein Pferd und hilft ihm wieder auf. Dann greift Richard 
selbst Germon an, aber dieser spaltet ihm das Haupt, dafs er 
entseelt vom Rosse sinkt. Germon trifft mit Hug zusammen, 
dem er zuruft, er, Hug, habe es ihm schlecht gedankt, dafs 
er es ihm in seinem Zelte so wohl erbot. Im selben Moment 
greift Ludwig Germon an und wirft ihn aus dem Sattel, aber 
seine Leute helfen ihm wieder auf und er bringt nun seiner- 
seits durch einen Schwerthieb Ludwigs Rofs zu Fall; auf frischem 
Pferde setzt Ludwig den Kampf fort, erbittert, aus vielen Wun- 
den blutend, schlagen die Könige aufeinander los; endlich wirft 
Ludwig den Schild zurück, fafst das Schwert mit beiden Hän- 
den und trennt durch einen gewaltigen Hieb seinem Gegner 



Gottesdienst vor der Schlacht ist doch des guten etwas zu viel und es ist 
ein Widerspruch, wenn der König zweimal ^jauftrompeten" läfst und 
sein Banner doit dem Herzog von der Normandie , hier aber dem Bernhard 
von Senlis anvertraut. 



— 54 — 

die eine Achsel bis auf die Brust vom Leibe. Germon fällt 
tot vom Pferde, der Teufel führt seine Seele in die Hölle. Es 
heifst, dafs Ludwig infolge der grofsen Anstrengung „seine 
Adern zerdehnt habe", so dafs er seitdem nicht länger als 
30 Tage mehr lebte. 

Auf Isenbarts Vorschlag wird, da die Leute ermüdet sind, 
ein Waffenstillstand geschlossen bis zom nächsten Morgen; die 
Heiden benutzen denselben, um Germons Leiche, die sie mit 
sich zu den Zelten genommen haben, zu bestatten. 

Am folgenden Tage wird der Kampf fortgesetzt; noch nie 
wurde solch gewaltiger Streit auf Erden gesehen, die Wiesen 
alle sind besät mit Leichen. Im Getümmel begegnet der König 
Isenbart; nochmals dringt er in ihn, dafs er sich von seinem 
Unglauben abwende, er selbst wolle gerne zu seinen Gunsten 
auf die Krone Verzicht leisten, aber Isenbart weist jede Ver- 
söhnung zurück; da versetzt der König ihm einen so mächtigen 
Hieb, dafs er schwer getroffen aus dem Sattel sinkt; Isenbart 
fühlt, dafs er dem Tode nahe ist, er wendet sich gegen Osten 
und ruft Gott an mit ganzem Herzen , dafs er ihm seine Misse- 
that verzeihe, zur Jungfrau Maria aber betet er, dafs sie bei 
ihrem Kinde Fürsprache für ihn einlege; habe er sie doch nie 
verleugnet. Er schlägt dann das Kreuz, befiehlt Gott seine 
Seele und stirbt reuigen Sinnes. 

Als die Heiden Isenbarts Tod vernehmen, wenden sie 
sich zur Flucht, doch gelingt es König Omer, sie nochmals zu 
sammeln und die Schlacht wird fortgesetzt. 

Nun reitet Bernhard von Senlis nach Amiens hinein und 
rät den Frauen, aus Leintüchern und Schleiern Banner her- 
zustellen und mit diesen aus der Stadt herauszuziehen. Die 
Frauen thuen, wie ihnen geheifsen; als die Heiden so viel 
neue Banner sehen, wenden sie sich zur Flucht. Die Christen 
setzen ihnen nach, schlagen tot, was ihnen in die Hände fällt, 
und erobern das feindliche Lager; wer sich nicht taufen läist, 
wird umgebracht. 

Der König zieht nach Amiens und ruht dortselbst acht 
Tage; die Leichen der Christen werden begraben, die der Hei- 
den verbrannt; die Fürsten und Herren kehren in ihre Heimat 
zurück, der König selbst begiebt sich nach Metz, wo er nach 



— 55 — 

Ablauf eines Monats stirbt; er hinterläfst eine einzige Tochter, 
Marie, die mit Hugschapler, dem späteren König von Frank- 
reich, vermählt wird. Damit schliefst der Roman. 

B. Kritik des Inhalts. 

Es erhebt sich hier offenbar die analoge Frage, die wir 
oben bezüglich des Mousket'schen R6sum6s zu erörtern hatten: 
Inwieweit deckt sich die Darstellung in dem Roman von 
Loher und Maller mit der unseres alten Epos, inwieweit 
sind wir berechtigt, von ersterem auf letzteres einen Schlufs 
zu machen? G. Paris, Histoire lüteraire XXVIII, 252, 
meint, die Hand des Kompilators der französischen Vorlage 
sei zwar an einigen Stellen unschwer zu erkennen, aber, fährt 
er fort: „en general, il a suivi son oHginal avec fidelite, 
et nous devons lui en savoir gix, car il nous a conserv^ 
presque intacte une des productions les plus interessantes, les 
plus dramatiques et les plus nationales de notre vieille 
SpopeeJ^ Wenn G. Paris damit, wie es scheint, sagen will, 
dafs die dem Kompilator vorliegende französische Chanson des 
14. Jh., abgesehen von einigen geringfügigen Abweichungen, 
noch identisch gewesen sei mit dem Epos des 11. Jh., so hält 
diese Ansicht einer genaueren Prüfung nicht Stich; eine solche 
führt vielmehr zu dem Resultat, dafs das alte kernige Epos in 
dem breiten, wässerigen Remaniement des Loher und Maller 
bereits vielfach bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist. 

Ich werde nun im folgenden die Erzählung des Romans — 
so werde ich der Kürze halber den Loher und Maller be- 
titeln — mit der des Fragmentes und Mouskets im einzelnen 
vergleichen. 

Zunächst scheint die Erwartung berechtigt, dafs in allen 
den Punkten, in denen bereits Mousket von dem Fragmente ab- 
weicht, dies auch der Roman thun werde; denn seine Vorlage 
stammt ja aus einer wesentlich späteren Zeit als die Mouskets, 
es ist also wahrscheinlich, dafs jene auf diese zurückgeht. In 
der That finden wir eine Reihe Abweichungen, welche der 
Roman mit Mousket gegenüber dem Fragment gemein hat: 
auch hier heifst Isembards Vater Garin (Werin) und ist Her- 
zog von Ponthieu; auch hier hat Isembard einen Genossen 



— 56 — 

Ludemart (die Form Ludemann rührt natürlich von dem deut- 
sehen Übersetzer her); auch hier begiebt sich Isembard zu- 
nächst zum König von England und erst von da nach dem 
Orient zu Gormund; auch hier läfst Gormund die Schiffe bei 
der Ankunft in Frankreich verbrennen, endlich findet auch hier 
die Schlacht bei Amiens statt und wird durch die Frauen von 
Amiens entschieden. 

Dagegen hat nun bezüglich zweier Punkte, unserer obigen 
Erwartung zuwider, der Roman gegenüber Mousket die ur- 
sprüngliche Fassung bewahrt: auch im Eoman geht, wie in 
dem alten Epos, dem Einfall Isembards und Gormunds in 
Frankreich ein Aufenthalt der beiden in England, bei Ciren- 
cester bezw. Gloucester, voraus (Gloucester ist, wie schon 
oben bemerkt, nur durch Verwechselung an die Stelle von 
Cirencester getreten); sodann zieht sich im Roman wie im 
Fragment Ludwig die tödliche Verletzung im Kampfe mit 
Gormund, nicht, wie bei Mousket, im Kampfe mit Isembard 
und Ludemart zu. Dafs wir es im ersteren Falle mit einer 
blofs zufälligen oder auch absichtlichen Auslassung, im letztern 
mit einem Versehen Mouskets zu thun haben sollten, das ist 
kaum zu glauben. Wir werden deshalb die bemerkten beiden 
Übereinstimmungen zwischen dem Roman und dem Fragmente 
erklären müssen durch die Annahme, dals gleichzeitig zwei in 
einigen Punkten von einander abweichende Versionen unseres 
Epos existiert haben, in deren einer, der von Mousket analy- 
sierten, jene beiden ursprünglichen Züge getilgt bezw. modi- 
fiziert waren, während sie sich in der anderen, der dem Roman 
zu Grunde liegenden, intakt erhalten hatten. Aus dieser Fol- 
gerung ergiebt sich denn für die Beurteilung der Darstellung 
unseres Romans überhaupt, soweit dieselbe durch das Fragment 
nicht zu kontrollieren ist, als methodischer Grundsatz, dafs 
wir nicht berechtigt sind, da, wo die Darstellung des Romans 
von der Mouskets abweicht, die letztere, als die zeitlich ältere, 
ohne weiteres auch für die ursprünglichere zu halten; denn im 
Hinblick auf das eben Gesagte ist natürlich die Möglichkeit 
gegeben, dafs der Roman aufser den beiden angeführten auch 
noch andere ursprüngliche Züge, die bei Mousket verwischt 
»ind, bewahrt hat. 



— 57 — 

Aufser den schon bemerkten, auch bei Mousket sich finden- 
den Abweichungen von dem Fragmente weist unser Roman 
allein nun noch die folgenden auf: 

Der Kundschafterritt Hugo's mufs im Fragment in anderer 
Weise geschildert gewesen sein als im Roman: im letzteren er- 
scheint Hugo im feindlichen Lager als Ludwigs Gesandter, der 
Gormund die Fehde ankündigen soll; als Gormund zornig wird, 
führt Isembard ihn hinaus aus dem Zelt, damit ihm kein Leids 
geschehe; im Fragment hingegen hören wir, Hugo habe Gor- 
mund bei dieser Gelegenheit „wie ein Mädchen bedient, ihm 
den Pfau in die Schale gelegt" ; worauf sich diese Worte auch 
beziehen mögen, mit der Erzählung des Romans lassen sie 
sich jedenfalls nicht vereinigen. Es scheint auch, dafs sich im 
Roman noch eine Spur einer älteren, abweichenden Version 
jener Episode erhalten hat, nämlich in dem Zurufe Gormunds 
an Hugo bei ihrer Begegnung in der Schlacht: Hugo habe es 
ihm schlecht gedankt, „dafs er es ihm in seinem Zelte so wohl 
erbot"; denn in der jetzigen Fassung der Scene ist ja von 
einem „wohl erbieten" nicht die Rede. 

Sodann ist vor allem die Schilderung der Schlacht selbst, 
auf die Mousket nicht näher eingeht, im Roman und im 
Fragment völlig verschieden. In übereinstimmender Weise 
wird nur berichtet über Gormunds Zweikampf mit Ludwig 
und über Isembards Tod; aufserdem hören wir auch hier, 
dafs ein Graf Richard von der Normandie von Gormund ge- 
tötet worden sei und es werden unter den fränkischen Grofsen 
hier wie dort noch genannt ein Graf von Champagne und ein 
Graf von Flandern; alles übrige, die Schilderung des 
ganzen Verlaufs der Schlacht und sämtlicher Einzel- 
kämpfe ist total verschieden im Roman und im Frag- 
ment: von einem Waffenstillstand während der Schlacht weifs 
das Fragment nichts, Gormunds Leiche wird im Fragment 
nach Ludwigs Zelt geschaßt, im Roman wird sie von seinen 
eigenen Leuten begraben, Isembard wird im Fragment von 
vier nicht genannten Rittern, im Roman von Ludwig selbst 
erschlagen u. s. w. u. s. w^ 

Vergleichen wir dann, soweit wir durch das Fragment 
über den Inhalt des alten Epos keinen Aufschlufs erhalten, die 



— 58 — 

Darstellung des Bomans mit der Mouskets, so begegnen uns 
hier folgende Differenzen: 

Isembards Mutter heifst bei Mousket Herluis, im Boman 
Adelheid, vielleicht infolge einer Verwechselung mit ihrer an- 
geblichen Schwester, die bei Mousket die Mutter des Raoul 
von Cambrai ist^ Die Schwester Isembards wird im Boman 
genannt Fröhlich, was wohl eher eine Übersetzung von Gaie 
oder Gaiete sein dürfte als von Beatrix, wie sie bei Mousket 
heifst. Die Figur des Bichard von Orl6ans, der um Isembards 
Schwester wirbt, ist Mousket völlig unbekannt; bei Mousket 
sind es die Franzosen im allgemeinen, die — wir erfahren 
nicht, weshalb — Isembard und seinem Bruder feindlich ge- 
sinnt sind und den letzteren umbringen lassen; bei ihm ist es 
Alardin, ein Schildknappe Ludwigs, der die Schwester Isem- 
bards zur Frau bekommen soll, nicht auf seine Werbung hin, 
wie Bichard im Boman, sondern dem Wunsch des Königs 
entsprechend, damit die Blutfehde zwischen der Familie Isem- 
bards und der Alardins beigelegt werde. Der Name des Königs 
von Dänemark ist bei Mousket Guion, im Boman Gering. Von 
einer Bache, die Isembard für die Ermordung seines Bruders 
genommen, hören wir im Boman nichts. Ebenso geschieht 
keine Erwähnung der von Mousket berichteten Landschenkung 
Gormunds an Isembard sowie des Sturmes, den die heidnische 
Flotte bei der überfahrt nach Frankreich durchzumachen hat. 
Der Kundschafterritt Hugo's wird anders geschildert als bei 
Mousket: bei letzterem bedient Hugo sich einer List, er sagt 
seinem Neffen Isembard, den er in Gormunds Lager trifft, er 
sei seinetwegen aus Frankreich vorbannt, im Boman tritt er 
ganz offen als Ludwigs Gesandter auf und begiebt sich direkt 
zu Gormund selbst. Auch die Art und Weise, wie Hugo in 
den Besitz von Isembards Bofs gelangt, ist hier wie dort ver- 
schieden: im Boman reitet Isembard ihm das Bofs selbst vor 
und läfst ihn dann ohne weiteres aufsteigen; bei Mousket hin- 
gegen führt er es ihm nur vor und erklärt dann, er wolle es 



1) Im Roman heifst die Mutter des Raoul {Rühe) von Cambrai, Lud- 
wigs Schwester, Beatrix, wie bei Mousket Isembards Schwester, vgl. Sim- 
rock S. 172. 



— 59 — 

ihm zum Geschenk machen, wenn Hugo es fertig bringe, ihm 
Zaum und Sattel anzulegen; Hugo erfüllt die gestellte Bedingung 
und reitet davon. Von Isembards Eltern und Schwester hören 
wir im Koman am Schlufs nichts mehr; Mousket erzählt, dafs 
sie alle drei ins Kloster gegangen (von der Schwester wird dies 
im Boman schon früher erzählt) und dafs die Schwester vor 
Kummer gestorben sei. 

Dafs die Persönlichkeit Ludemarts, die Erzählung von 
Isembards Aufenthalt beim König von England, seine Fahrt 
zu Gormund in den Orient und seine Vermählung mit Margeli 
als unursprünglich zu betrachten sind, wurde schon oben bei 
Erörterung von Mouskets Verhältnis zu dem Fragment aus- 
geführt. Der Nachweis der bezüglich aller dieser Punkte zwi- 
schen Mousket und dem fioman bestehenden Differenzen hat 
deswegen eigentlich für uns kein Interesse, immerhin mögen 
dieselben kurz hervorgehoben werden: 

Bei Mousket begleitet Ludemart Isembard schon von Frank- 
reich aus, im Boman hingegen ist er der Sohn des Königs 
von England und schliefst sich ihm erst in London an. Im 
Boman mufs Isembard, bevor er in die Verbannung geht, 
schwören, dafs er sich nirgends in der Christenheit länger als 
eine Nacht aufhalten wolle, und er handelt aus freien Stücken 
seinem Schwüre gemäfs, wenn er England sofort wieder ver- 
läfst; in Mouskets Vorlage kann von einem solchen Schwüre 
nicht die Bede gewesen sein, denn es bedarf erst einer Ordre 
König Ludwigs an den König von England, um Isembard auch 
von dort zu vertreiben. Dafs Isembard zu Gormund gegangen 
sei auf Bat des Engländers Evrart, y^qui ot appris sarrasifials^^ 
wird im Boman nicht erwähnt. Bei Mousket wird Isembards 
Beiname Margari erklärt als zusammengesetzt aus mari^ trau- 
rig, und gari^ gerettet, im Boman erhält er ihn in Anlehnung 
an den Namen von Gormunds Tochter Margeli, 

' Was nun jene ersterwähnten Differenzen angeht, so dürfte, 
obwohl ja, wie oben bemerkt, a p7'iori die Versionen des Bo- 
mans ebensowohl ursprünglich sein könnten wie die Mouskets, 
doch thatsächlich kein Zweifel sein, dafs wenigstens die Schil- 
derung der Ereignisse, welche Isembards Verbannung herbei- 
führen, sowie der Sendung Hugo's bei Mousket ursprünglicher 



— 60 — 

sind als im Roman. Die Liebesgeschichte des Richard von 
Orlöans mit der Beatrix trägt deutlich das Gepräge einer spä- 
teren Zeit: das bei Mousket vorhandene uralte Motiv der Blut- 
rache ist getilgt und durch eine höfisch galante Episode ersetzt 
Was sodann die Erzählung von Hugo's Sendung betrifft, so ist 
sie bei Mousket wesentlich sinnvoller und individueller gehalten 
als im Roman; es ist gewifs das ursprüngliche, dafs Hugo als 
Spion, nicht als Gesandter, sich ins feindliche Lager begiebt, 
desgleichen, dafs er durch Erfüllung einer von Isembard ge- 
stellten Bedingung dessen Pferd gewinnt. Dafs die Version 
des Romans nicht ui-sprünglich sein kann, erschlossen wir ja 
schon oben aus der im Fragment sich findenden, auf diese 
Episode bezüglichen Anspielung. 

Was die Landschenkung und den Seesturm betrifft, so 
müssen wir die Echtheit dieser Züge dahingestellt sein lassen, 
immerhin liegt die Annahme näher, dafs sie von einem Be- 
arbeiter übergangen, als dafs sie neu hinzugedichtet wor- 
den seien. 

Hiennit dürfte denn nun wohl der Nachweis zur Genüge 
erbracht sein für die oben aufgestellte Behauptung: dafs der 
Inhalt der alten Chanson in dem Remaniement des Loher und 
Maller bereits arg, teilweise bis zur Unkenntlichkeit entstellt 
sei. Daraus folgt denn, dafs wir Züge, Episoden, welche uns 
allein im Loher und Maller überliefert sind, zur Rekonstruktion 
des Inhalts der alten Chanson, soweit uns das Fragment und 
Mousket über denselben keine Auskunft erteilen, nur dann 
verwerten dürfen, wenn sich für ihre Echtheit und Ursprüng- 
lichkeit besondere Gründe geltend machon lassen. Denn kann 
es gleich keinem Zweifel unterliegen, dafs auch von den Zügen 
im Loher und Maller, für welche sich der Nachweis der Echt- 
heit nicht erbringen läfst, manche vollkommen echt und ur- 
sprl'mglich sind, so bietet doch ihr Vorhandensein im Ijoher 
und Maller an sich noch keine Garantie dafür; jeder einzelne 
Zug kann echt, er kann aber auch interpoliert, oder, wenn 
er auch im Korne echt sein sollte, doch in der Fassung 
stark modifiziert sein. 

Ein Zug nun, dessen Echtheit sich thatsächlich durch be- 
sondere Gründe wahi-scheinlich machen läfst, ist, wie mir 



— 61 — 

scheint, die im Loher und Maller berichtete EinäscheruDg 
Gloucesters d. i. also Cirencesters durch Vögel. Denn ein- 
mal wird ja Gormunds Aufenthalt bei Cirencester in unserem 
Fragmente ausdrücklich erwähnt; die Stadt mufs also in seiner 
Geschichte eine besondere Kolle gespielt haben. Sodann war 
jene Erzählung, wie wir aus ihrer Erwähnung im Brut Tysylio, 
bei Wace und Layamon sehen, im Volke als Sage verbreitet; 
sie dürfte also, so gut wie den genannten Autoren, auch dem 
Dichter der alten Chanson bekannt gewesen sein und es wäre 
nicht einzusehen, warum er sich einen so dankbaren Stoff 
sollte haben entgehen lassen. Ich möchte deshalb glauben, 
dafs jene Geschichte auch in der alten Chanson des 11. Jh. 
vorhanden war. 

Für unursprünglich halte ich dagegen einen Zug, der bis- 
her noch nicht zur Sprache gekommen ist: ich meine die 
wahrhaft klägliche Rolle, die König Ludwig im Loher und 
Maller spielt. Die Art und Weise, wie er sich vor Isembard 
erniedrigt, macht ihn beinahe zu einer lächerlichen Figur: er 
steigt vor Isembard vom Eofs, er bietet ihm sein Königreich 
an, wenn er sich von Gormund lossage, er bettelt, obgleich 
wiederholt abgewiesen, immer und immer wieder um seine 
Eückkehr. Allerdings sahen wir, dafs Ludwig schon bei Mous- 
ket in imgünstigem Licht erscheint und dafs dieser Zug gewifs 
ursprünglich ist. Aber so stark, wie im Loher und Maller, 
kann er in der alten Chanson unmöglich ausgeprägt gewesen 
sein; spätere Überarbeiter haben hier offenbar einen vorhandenen 
Zug in mafsloser Weise outriert. 

Was in der Erzählung des Loher und Maller nun aufser 
jener einen Episode noch echt ist, das zu bestimmen besitzen 
wir vorläufig kein Mittel. Erst unsere Untersuchung über die 
historischen Grundlagen der Dichtung wird es uns ermöglichen, 
eine anderweitig nicht überlieferte Scene als sicher echt nach- 
zuweisen und in derselben direkt eines der Urelemente 
der ganzen Dichtung zu erkennen. 

Ich fasse nun im Folgenden das Ergebnis der bisherigen 
Nachforschungen über den Inhalt unserer Chanson kurz zu- 
sammen. 



— 62 — 

Ei^bnis. 

Der mutraafsliche Inhalt der Chanson von Isembard und 
Gornumd, aus der unser Fragment stammt, war der folgende: 

Isembard und sein Bruder Gerardin, Söhne eines gewissen 
Bemard, leben am Hofe König Ludwigs von Frankreich (ihres 
Oheims?), des Sohnes Karls des Grofsen. Sie machen sich bei 
den Franzosen verhafst — wodurch, erfahren wir nicht; ihre 
Feinde bereden den König, der Verleuriidem nur allzu willig 
sein Ohr leiht, Isembard mit einer gefährlichen Sendung an den 
König von Dänemark (Guion M., Gering L. u. M.) zu betrauen: 
er soll den Tribut einfordern; in seiner Abwesenheit lassen 
sie seinen Bruder Gerardin ermorden. Isembard, zurückgehrt, 
nimmt blutige Rache, indem er an der Tafel des Königs zwei 
Diener — die Mörder oder Urheber des Mordes — erschlägt; 
dann flieht er in seine Heimat. Der König wünscht die Fehde 
beizulegen: er will seinem Knappen Alardin, dem Sohne des 
einen der von Isembard ei^schlagenen Diener, dessen Schwester 
Beatrix zur Frau geben. Aber Isembard widersetzt sich der 
Heirat Darüber gerät der König in Zorn; er überzieht Isem- 
bard mit Krieg, belagert ihn in seiner Vaterstadt, zwingt ihn 
zur Übergabe und verbannt ihn aus Frankreich. 

Isembard begiebt sich übers Meer zu dem Sarazenenkönig 
Gormund, der, nachdem er Irland erobert hat, eben im Begriff 
steht, auch England sich unterthänig zu machen und Cirencester 
belagert Die Stadt wird durch eine Kriegslist genommen: man 
bindet Vögeln kleine Feuerbrände an und läfst sie fliegen; die 
Vögel lassen sich in der Stadt nieder und äschern dieselbe ein. 
Isembard schwört seinen christlichen Glauben ab und erhält den 
Beinamen Margari. (Er besiegt einen heidnischen König, der 
Gormund seines Reiches berauben will, und wird dafür von 
letzterem mit Land beschenkt?) Er beredet Gormund, mit ihm 
einen Zug nach Frankreich zu unternehmen, um König Ludwig 
zu vertreiben und die Herrschaft an sich zu reifsen. (Auf der 
überfahrt vernichtet ein Sturm einen grofsen Teil der Flotte?) 

Sie landen in Ponthieu und verheeren die Gegend; das 
Kloster St Riquier wird in Brand gesteckt Ein Cleriker 
meldet dem König diese Vorgänge nach Laon. Hugo, der 



— 63 — 

Bruder des Königs, begiebt sich auf dessen Wunscli mit seinem 
Knappen Guntier als Spion ins feindliche Lager. Er macht die 
Bekanntschaft Gormunds und sucht dann auf Isembards Rofs 
das Weite. Der König sammelt seinen Heerbann und zieht 
dem Feinde entgegen. In Vimeu, in der Nähe von Cayeux- 
sur-mer, kommt es zur Schlacht. Gormund erweist sich als 
ein furchtbarer Gegner: im Kampfe mit ihm fallt ein grofser 
Teil der fränkischen Grofsen, auch Hugo, Ludwigs Bruder, 
wird von ihm schwer — vermutlich tödlich — verwundet. 
Endlich nimmt Ludwig selbst den Kampf mit Gormund auf; 
er tötet ihn mit einem gewaltigen Streich, zieht sich aber selbst 
eine schwere innere Verletzung zu, die wenige Wochen später 
seinem Leben ein Ende macht. Auch Isembard fällt nach 
heldenmütigem Kampfe; sterbend bereut er seine Missethat, 
um seines bufsfertigen Todes willen steht zu hoifen, dafs 
seine Seele nicht verloren ist Die Sarazenen wenden sich zur 
Flucht, die Franken tragen einen glänzenden Sieg davon. Isem- 
bards Eltern und seine Schwester Beatrix gehen ins Kloster, 
um für seine Seele zu beten, Beatrix stirbt vor Gram. 

Nachdem wir so eine einigermäfsen feste Basis gewonnen 
habeti, können wir nunmehr daran gehen, unsere Hauptauf- 
gabe, die Untersuchung der historischen Grundlagen der Dich- 
tung, in Angriff zu nehmen. 



IL Die historischen Grundlagen. 



Die Schlacht von Saucourt. 

Es ist allgemein anerkannt^, dafs die Schlacht, welche das 
Brüsseler Fragment schildert, die Schlacht von Saucourt (auf 
halbem Wege zwischen Abbeville und Eu) im Gau Vimeu ist, 
in der der jugendliche, damals höchstens 19jährige König Lud- 
wig III. von Westfranken, der Sohn Ludwigs II. des Stammlers, 
am 3. Aug. 881 einen glänzenden Sieg über die Normannen 
davontrug, einen Sieg, von dessen tiefem Eindruck auf die 
Zeitgenossen auch das deutsche Ludwigslied Kunde giebt. 

Über die Ereignisse, welche diese Schlacht herbeiführten, 
sowie über die Schlacht selbst meldet uns die Geschichte 
folgendes. ^ 

Mit dem Ende des 8. Jh. treten die nordgermanischen 
Völker in das Wikingerzeitalter ein. Die geringe Ergiebigkeit 
ihres heimischen Bodens im Verein mit einem raschen An- 
wachsen der Bevölkerung, der Hang zu kühner Seefahrt, die 



1) Vgl. P. Meyer, Bihl de VEc. des Ghartes, 5« s., t. II (1861), p. 84; 
Hoiligbrodt, a. a. 0. S. 505; Nyrop, Storia delV Epopea Francese, p. 197; 
G. Paris, Hist. litt. t. XXVIII, 250; derselbe Rist, de la litt. fr. au 
moyen dge'^, Pai'is 1890, p. 43; Junker, Grii^idrifs der Gesch. d. franx. 
Litt:', Münster 1894, S. 66. 

2) Vgl. wegen des folgenden bes. E. Dümmlor, Geschichte des ost- 
fränkischen Reiches^ Leipzig 1887—88, I, 194 ff., 280ff., 422 ff.; III, 
128 ff., 147 ff. — Ferner: Schmidt, Gesch. von Frankreich^ Hamburg 1835, 
S. 184 ff. — Büdinger, Über die Normannen, Sybels Hist. Zeitsehr, IV 
(1860), S. 357 ff. — Petersen, Die Raubzüge der Normannen in West- 
franken. Progr. von Luckau 1873. — Stoenstrup, Normannertie , 2 Bde., 
Kopenhagen J876 — 78. — Allen, Hist. de Danemark., ti*ad. p. Beauvois, 
Kopenhagen 1878, t. I, 21. — Storni, Kritiske Bidrag til Vikingetidens 
Historie, Kristiania 1878, S. 133. 



— 65 — 

Hoffnung auf kriegerischen Ruhm und auf reiche Beute, alles 
das wirkte zusammen, um jene neue Völkerwanderung ins 
Leben zu rufen, welche, von Dänemark und Norwegen aus- 
gehend, damals die Küsten des westlichen Europas zu über- 
fluten begann und bis weit ins Binnenland hinein ihre Wellen 
schlug. Besonders die britischen Inseln, Flandern und Frank- 
reich wurden auf lange Zeit hinaus ein Tummelplatz nordischer 
Raubscharen, aber auch Spanien, Nordafrika, ja Italien blieben 
von den kühnen Abenteurern nicht verschont, denen der Krieg 
als der edelste Beruf des Mannes erschien. Der Schlachten tod 
allein, so glaubte man ja, gewähre Eintritt in Walhall, und der 
werde drüben am ehrenvollsten empfangen, „der viele Länder 
verheert und das bluttriefende Schwert weit umhergetragen habe". 
Wo immer die normannischen Horden erschienen, da gingen 
Städte und Klöster in Flammen auf, die Einwohner wurden, 
ohne Ansehung des Alters und Geschlechts, hingemordet, in 
ihren Behausungen verbrannt oder in die Gefangenschaft ge- 
schleppt, blühende, volkreiche Gegenden verwandelten sich in 
menschenleere Einöden; die Chroniken der Zeit sind voll von 
Klagen über den Jammer der normannischen Verwüstungen: 
„Gleich unersättlichen, und durch grause Begier erbarmungs- 
losen Parzen und Furien", so schreibt ein Chronist z. J. 857, 
„verzehrten die Normannen vom Strande an die ganze Schön- 
heit jener Gegenden, die der Seinestrom auf beiden Seiten wie 
ein Paradies Gottes benetzte, mit mitleidslosem Schwerte und 
übergaben alles den gefräfsigen Flammen . . ."i 

Die ersten Züge der Normannen waren nach Irland ge- 
richtet gewesen, hier fafsten sie seit 830 festen Fufs und grün- 
deten im Norden einen förmlichen Wikingerstaat Bald danach 
traten sie erobernd in England auf. Vor allem aber wurden 
sie seit 834 durch die weit ausgedehnten Küsten Westfrankens 
angelockt, die ihrer Thatenlust einen Aveiten Spielraum boten 
und infolge der inneren Wirren des Reiches ihnen fast wehrlos 
preisgegeben waren; die zahlreichen, tief ins Land einschneiden- 
den Flüsse dienten ihnen als willkommene Blingangspforten ins 
Innere, die Mehrzahl der grofsen Städte, Ronen, Nantes, Bor- 



1) Vita 8. Faroois c. 123. 

Zenker, Das Epos von Isembard etc. 



— 66 — 

deaux, Orleans wurden mit Feuer und Schwert von ihnen ver- 
wüstet Nachdem sie sich dann in den Jahren von 875 — 79 in 
unaufhörlichen Kriegen das ganze östliche England unterworfen 
hatten, richtete sich in den nächsten Jahren die Wut ihrer An- 
giiffe vornelimlich auf die gegenüberliegenden Küsten des Kon- 
tinents, die Länder zwischen der Somme und der Scheide. 

Im Juli des J. 879 liefen sie, von Fulham an der Themse 
konmiend, mit einer grofsen Flotte in die Scheide ein, ver- 
wüsteten die anliegenden Gebiete mit Feuer und Schwert und 
bezogen dann Winterquartiere bei Gent Im folgenden Jahre 
brachte der ostfränkische König Ludwig ilmen bei Tliim6on 
(nördlich von Charleroi) an der Sambre eine schwere Niederlage 
bei; nichtsdestoweniger behaupteten sie sich aber in Gent und 
setzten ihre Raubzüge in der alten Weise fort 

Nachdem sie 880 ihre Winterquartiere weiter südlich, 
nach Kortrijk, verlegt hatten, durchstreiften sie zu Ende dieses 
Jahres und zu Anfang des folgenden das ganze Land bis zur 
Somme, alles rings aufs fürchterlichste verheerend; im Februar 
des Jahres liefsen sie die an der Somme - Mündung ge- 
legenen Klöster St Riquier und St. Val6ry in Flammen auf- 
gehen. Im Juli 881 überschritten sie die Somme und unter- 
nahmen einen Plünderungszug gegen Beauvais. Damals nun 
fafste der junge König Ludwig, der im J. 879 gemeinsam mit 
seinem Bruder Karlmann dem Vater in der Regierung gefolgt 
war^, auf den Hilfei'uf seines bedrängten Volkes den Entschlufs, 
einen Hauptschlag gegen die räuberischen Horden zu thun. Er 
zog mit seinem Heere über die Oise nach Lavier unterhalb Abbe- 
ville, um den Normannen den Rückweg in ihr festes Lager 
abzuschneiden, imd als sie nun mit Beute beladen herannahten, 
da trat er ihnen am 3. Aug. 881 bei dem Orte Saucourt im 
Gau Vimeu {in pago Witmau in villa quae dicebatur Sathulr 
mirlis) entgegen; die Normannen hielten dem Angriffe nicht 
Stand, sondern flüchteten auf Saucourt zu; Ludwig verfolgte 
sie und errang einen glänzenden Sieg. Doch fehlte nicht viel, 
dafs sich der Sieg in eine Niederlage verkehrt hätte. Denn 

1) Beide hatten dann 880 zu Amiens das Eeich unter sich geteüt: 
Ludwig empfing Francion und Neustrien, Karlmann Aquitanien, Burgund 
und Gothien. 



— 67 — 

da die Franken sich voreilig, wie ein zeitgenössischer Chronist 
sagt, „zu rühmen begannen, dafs sie diesen Erfolg ihrer eigenen 
Kraft verdankten, und nicht Gott die Ehre gaben", da stürmte 
unvermutet eine Schar Normannen aus dem genannten Hof 
hervor und trieb die Verfolger in die Flucht; rasch entschlossen 
sprang Ludwig vom Pferde, brachte durch sein Beispiel die 
Seinigen zum Stehen und rettete so den Erfolg des Tages; die 
Zahl der gefallenen Normannen wird auf 8- oder 9000 geschätzt. 
„Von Stund an'', sagt ein Mitlebender, „begannen die Nor- 
mannen den jungen König Ludwig zu fürchten." ^ 

Ludwig zog nun mit seinem Heere in den Gau Kammerich 
und errichtete dort bei Estrun a. d. Scheide ein Bollwerk 
gegen die feindlichen Horden. Als die Normannen hievon 
Nachricht erhielten, kehrten sie nach Gent zurück und begaben 
sich von da, nachdem sie ihre Schiffe ausgebessert hatten , teils 
zu Wasser, teils zu Lande nach Esloo a. d. Maas, wo sie unter 
der Führung ihrer Seekönige Gotfrid und Sigfrid die Winter- 
quartiere bezogen und sich in einem festen Lager verschanzten. 

Ludwig hat seinen Triumph nicht lange überlebt; gelegent- 
lich eines Aufenthaltes zu Tours im nächsten Jahre setzte er, 
heifst es, eines Tages in jugendlicher Leidenschaft einem Mädchen, 
der Tochter eines gewissen Germund, nach; das Mädchen 
flüchtete sich in ihr väterliches Haus und als Ludwig ihr 
folgte, zog er sich beim Einreiten durch den niedrigen Thor- 
weg eine schwere Verletzung an Brust und Schultern zu, der 
er bald darauf, am 5. Aug. 882, zu St. Denis erlag. ^ Sein 

1) Über die Schlacht von Saucourt handelt am ausführlichsten Dümmler, 
a. a. 0. m, 153 ff. und derselbe in einer Anm. zum deutschen Ludwigs- 
liede bei Müllenhof u. Scherer, Denkmäler deutscher Poesie u. Prosa^ 
3. Ausg. V. E. Steinmeyer, Berlin 1892, 11, 75; femer Steenstrup, Nor- 
manneme U, 192 ff. Die obige Darstellung beruht auf den Annalen von 
St. Vaast (Portz, SS, 11, 199), welche allein genauere Angaben machen. 

2) Ann. Vedast. a. a. 0.: Hludowicus vero rex Ligerem petiit, Nort- 
mannos volens e regno suo eicere atqiie Alstingum in amicitiam recipere; 
qiwd et fecit. Sed quia iuvenis erat, quandatn puellam , filiam cujusdam 
Qermundi, insecutus est; illa in domum paternum fugiens, rex equo 
sedens iticundo eam insecutus scapulas superliminare et pectus scella 
equi atfrivit, eumque valide conf regit. Unde aegrotare coepit, et delatus 
apiul sanctum Dionysiuni, Nonis Augusti defunctus, maximum dolorem 
Francis reliquit, sepultusque est in aeclesia sancti Dyonisii . . . 

5* 



— 68 — 

Hingang wurde allgemein betrauert: „in ganz Gallien", sagt 
ein Zeitgenosse^, „erhob sich lautes Wehklagen um seinen Tod; 
denn er war ein Mann von hervorragender Tapferkeit imd hat 
sein Keich gegen den Einfall der Heiden kraftvoll und ener- 
giscli verteidigt." Nachkonmienschaft hinterliefs er keine, eben- 
sowenig sein Bruder Karlnuinn, der ihm schon 884, erst 18 Jahre 
alt, im Tode nachfolgte. 

Dafs nun in der That eben die Schlacht von Saucourt es 
ist, welche unser Fragment schildert, dafs also der König Lud- 
wig des Gedichts identisch ist mit Ludwig IIL von Westfranken, 
das ergiebt sich mit unzweifelhafter Gewifsheit aus den folgen- 
den übereinstimmenden Zügen: 

1. Der Ort der Schlacht ist genau der gleiche. Zwar wird 
Saucoui't nicht ei-wähnt, aber wir hören, dafs gekämpft wird 
bei Cayeux (V. 4L 65: Qiiaiou = Cayeux-sitr-mer^ westlich 
von St. Val6ry), die Heiden flüchten „mitten durch Vimeu und 
Ponthieu auf die Lehen von St. Val6ry zu" (V. 434). 

2. Nach V. 352 hat Gormund das Kloster St. Riquier 
niedergebrannt; eben dieses wurde nun, wie wir sahen, in der 
That im Februar des J. 881, sechs Monate vor der Schlacht 
von Saucourt, durch die Normannen eingeäschert 

3. Es heifst in dem Fragment, König Ludwig habe infolge 
einer inneren Verletzung, die er sich im Kampfe mit Gormund 
zuzog, keine 30 Tage mehr gelebt: 

V. 411: De tel air s'est redresdes 

que Ics curailles dunt (?) runipie 
que irenie jurs puis ne vesquie. 
In der That ist Ludwig HL, wie wir sahen, schon ein Jahr 
nach der Schlacht von Saucourt gestorben; freilich stand sein 
Tod mit der Schlacht in keinem Zusammenhange; aber bei der 
Kürze der Zeit, die zwischen beiden Ereignissen verstrich, 
mufste es der Sage nahe liegen, zwischen denselben einen 
ui-sächlichen Zusammenhang herzustellen, den Tod des Königs 
direkt als die Folge einer Verletzung aufzufassen, die er sich in 
der Schlacht zugezogen habe. 



1) Regino a. 883, bei Pertz, SS. I, 593. 



— 69 — 

4. Gormund wird in dem Fragmente V. 444 bezeichnet 
als „empef'ere de Leutix^^, Diese, lat. Lutidi, Liutid, Leu- 
ticü u. ä., sind, wie Gaston Paris, Romania II, 331 gezeigt 
hat, identisch mit den Wilzen, einem zahlreichen, kriegerischen 
Slavenstamm, der westlich von den Abodriten, zwischen Elbe, 
Oder und Ostsee safs, also unmittelbar südlich von Dänemark 
und östlich von den in Friesland ansässigen Dänen. Es mufste 
für die Zeitgenossen nahe liegen, sie, wie die nördlichen 
Slavenstämme überhaupt, mit den Dänen zu verwechseln. So 
läfst die Angelsächsische Chronik zum J. 918 in der That eine 
dänische Flotte, die in England landet, kommen „sitäan of 
Lidtüiccum^^^ und die Annalen von Hildesheim bezeichnen die 
Normannen, welche am 2. Febr. 880 den Sachsen eine furcht- 
bare Niederlage beibrachten, als Slaven^ (Giesebrecht, Wen- 
dische Geschichten, Berlin 1843, I, 129 vermutet, dafs sich 
in der That Slaven, und zwar Abodriten bei jenem Feldzuge 
den Normannen angeschlossen hatten). Wenn also Gormund 
bezeichnet wird als „Kaiser der Wilzen", so hat sich hier eine 
deutliche Spur erhalten, dafs die Gegner der Franken in unserem 
Epos, welche in dem Fragmente Sarazenen heifsen, ursprüng- 
lich Normannen waren. ^ 

Diese vierfache Übereinstimmung genügt, um jeden Zweifel 
auszuschliefsen , dafs in der That, wie man ja auch allgemein 
annimmt, die Schlacht von Saucourt die geschichtliche Grund- 
lage unseres Fragmentes bildet, oder — so werden wir uns 



1) Ttoo of the Saxon Chronides ed. Earle, Oxford 1865, S. 102 
(Parker Ms.; Laud Ms. a. 910, ib. S. 101). 

2) Dümmler, Ost fr. Reich III, 136, Anm. 2. 

3) Ich raufs hier noch auf eine merkwürdige Übereinstimmung zwi- 
schen der Geschichte und dem Loher u. Maller aufmerksam machen. 
"Wie nämlich Dümmler in der S. 67 zitierten Anmerkung bei Müllenhof u. 
Scherer, Denkm. II, 75 ausrechnet, fand die Schlacht von Saucourt nicht, 
wie die Chronisten angeben, an einem Dienstag, sondern an einem Frei- 
tag statt. Nun wird im L. u. M. die Schlacht, die hier zwei Tage dauert, 
Simrock S. 288, nachdem sie an einem Donnerstag begonnen hat, in der 
That an einem Freitag entschieden. Haben wir es hier mit einem Zufall 
zu thun oder sollte wirklich eine Erinnerung an die geschichtliche That- 
sache vorliegen? Wahrscheinlicher ist doch wohl das erstere, doch dürfte 
auch das letztere nicht geradezu auTser dem Bereich der MögUchkeit liegen. 



— 70 — 

korrekter ausdrücken, — dafs geschichtliche Erinnerungen an 
jene Schlacht in dem Fragmente enthalten sind. Denn nach 
dem, was wir über das Leben der Sage und des epischen 
Heldensanges insbesondere wissen, ist es natürlich a priari 
sehr wohl möglich, dafs sich verschiedene geschichtliche Er- 
eignisse in dem Gedichte wiederspiegeln, dafs mit den Erinne- 
rungen an die Schlacht von Saucourt sich solche an irgend 
eine andere Schlacht verschmolzen haben, dafs Vorgänge, welche 
mit jener Schlacht in gar keinem Zusammenhang standen , durch 
die Sage mit ihr in Verbindung gebracht worden sind, dafs 
also auch in den Personen, welche in dem Gedichte auftreten, 
verschiedene historische Persönlichkeiten, etwa infolge Namens- 
gleichheit, miteinander vermengt worden sind. 

Ich möchte nun glauben, dafs wir in der That zunächst 
in dem König Ludwig des Epos einen Wiederschein nicht nur 
des Siegers von Saucourt, sondern auch seines gleichnamigen 
Vaters, Ludwigs II. des Stammlers, zu erblicken haben. Ich 
gründe diese Vermutung auf eine Episode, welche uns sowohl im 
B6sum6 Mousket's als auch im Loher und Maller aufbewahrt 
ist und gegen deren ürsprünglichkeit nicht das geringste Be- 
denken vorliegt, eine Episode, welche von vornherein ganz den 
Eindruck macht, als ob irgend ein geschichtlicher Kern in ihr 
stecke. 

Nachdem nämlich Mousket berichtet hat, dafs dem König 
die Kunde von dem Herannahen des feindlichen Heeres über- 
bracht worden sei, bemerkt er, es sei damals in Frankreich 
Brauch gewesen, dafs der König beim Tode eines 
Grofsen dessen ganzes Land an sich rifs und von den 
Frauen relief einforderte, es habe schlecht um die 
Lehen gestanden. Hugo nun, uns grans caraliers, habe dem 
König erklärt, wenn er diese Unsittte abstellen wolle, dann sei 
er bereit, dem Feinde entgegenzureiten und seine Stärke aus- 
zukundschaften. Der König habe das gewünschte Versprechen 
gegeben und einen Eid darauf geschworen; vgl. S. 31. 

Ganz ähnlich lautet die Erzählung im Loher und Maller, 
Simrock S. 262. Der König, heifst es, habe seine Grofsen ge- 
fragt, wer von ihnen bereit sei, den Kundschafter zu machen; 
es habe sich keiner gemeldet. 



— 71 — 

„Da ward der König sehr betrübt. Seine Schwester Adel- 
heid sprach zu ihm: Zürnt nicht, König, ich will euch zwei Worte 
sagen: Ihr habt eine böse Gewohnheit in eurem Lande, um 
die euch eure Leute nicht desto lieber haben. Wer stirbt, es 
sei im Streit oder sonst, läfst er Erben oder eine Haus- 
frau, so nehmt ihr die Hälfte seiner Verlassenschaft 
hinweg. Darum fliehen euch die Leute Tag und Nacht, 
und es geht euch übel; das ist eure Schuld. Wer euch aber 
darum schilt dem wollt ihr den Tod anthun. . . . Darüber ward 
der König sehr zornig. Nun war da ein Eitter mit Namen Hug, 
ein reicher Mann. Hug, sprach der König, ihr seid ein kühner 
Mann. Wollt ihr ins Lager reiten, um die Feinde zu über- 
schlagen? Herr, sprach Hug, des geschweiget; eh liefse ich mir 
alle Glieder versclmeiden, denn dafs ich mein Haupt also wagen 
wollte. Ich habe von eurer Schwester wohl gehört, welche böse 
Gewohnheit ihr eingeführt habt. Wolltet ihr aber die Gewohn- 
heit abstellen, so thäte ich es gerne. Ja, sprach der König, so 
mir St. Dionys^, ich will es gern abstellen." 

Nun meldet die Geschichte, dafs eben Ludwig IL bei seinem 
Regierungsantritt einen Teil der Lehen in gewaltthätiger 
Weise an sich rifs und dadurch die Unzufriedenheit 
seiner Grofsen erregte, dafs dann aber infolge seiner 
Nachgiebigkeit ein Vergleich zu Stande kam. 

Die Vorgänge, welche ich im Auge habe, sind kurz die 
folgenden: 2 

Kurz bevor Ludwig II. im J. 877 nach dem Tode seines 
Vaters, Karls des Kahlen, den Thron bestieg, hatte sich die 
Mehrzahl der fränkischen Grofsen gegen letzteren offen auf- 
gelehnt und ihm die Heeresfolge nach Italien, wohin Pabst 
Johann VIII.. ihn zur Bekämpfung der Sarazenen gerufen, ver- 
weigert. Um nun bei der Unsicherheit der Lage sich von allen 
Seiten Anhänger zu gewinnen, verteilte Ludwig, ohne den 
von seinem Vater eingesetzten Eegentschaftsrat zu 



1) Die Hülfe eben dieses Heiligen ruft Ludwig in dem Fragment 
Y. 374 an. 

2) Vgl. Dümmler, Ost fr. Reich UI, 52; 67 f.; Kalckstein in Forschufigen 
%u/r deutsch. Oesch. 14, 801 



— 72 — 

befragen, mit vollen Händen Abteien, Grafschaften und 
Kronlehen und verfügte dabei in willkürlicher Weise 
über Lehen, die sich im Besitze anderer befanden. Da- 
durch erregte er den Unwillen gerade der vornehmsten Männer 
des Eeiches, umsomehr, als sein Vater vor seinem Abzüge nach 
Italien auf der Versammlung zu Quierzy (14. — 16. Juni 877) die 
Erblichkeit der Lehen im Prinzipe ausdrücklich und 
feierlich anerkannt hatte. ^ Doch wurde der Ausbruch eines 
Bürgerkrieges glücklich vermieden, da Ludwig den Eatschlägen 
des greisen Bischofs Hincmar, Verliandlungen mit den Grofsen 
anzuknüpfen und der Habgier seiner Umgebung Schranken zu 
setzen, willig Gehör gab. Es kam eine Einigung zustande, Lud- 
wig bewilligte den Häuptern der Unzufriedenen die geforderten 
Besitzungen und gelobte den Bischöfen in einer Urkunde, die 
Gesetze und Kegeln der Kirche zu beobachten und dem Volk alle 
Gesetze und Verordnungen seiner Vorfahren nach dem gemein- 
samen Eat seiner Getreuen zu bewahren. Nunmehr huldigten 
ihm alle Grofsen und er wurde am 8. Dez. 879 — im Alter 
von 31 Jahren — zu Compiegne feierlich zum König gekrönt. 

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dafs eben diese ge- 
schichtlichen Vorgänge jener Episode bei Mousket und im 
Loher und Maller — die dann also ursprünglich sein müfste — 
zu Grunde liegen. Dann sind also in dem Ludwig des Epos 
die Gestalten Ludwigs IL und seines Sohnes, Lud- 
wigs III., zusammengeflossen. Eine Vermischung der bei- 
den konnte in der Sage offenbar leicht eintreten, da sie beide 
nur kurze Zeit und unmittelbar nacheinander regierten: Lud- 
wig IL 877 — 79, Ludwig m. 879 — 82. 

Weiter möchte ich nun glauben, dafs sich eine der Haupt- 
figuren unserer Dichtung, die Gestalt, von Ludwigs Bruder 
Hugo, erklärt aus einer Vermengung der Schlacht von Saucourt 
mit einer andern, von ihr nur durch den Zeitraum eines Jahres 
getrennten Schlacht, in der ein anderer König Ludwig, Lud- 
wig III. von Ostfranken (876 — 82), der Sohn Ludwigs des 
Deutschen, einen Sieg über den gleichen Feind, die Normannen, 



1) Hincmar, Ann. a. 877, bei Pei*tz, SS. I, 504. Vgl. auch P. Roth, 
Geschichte des Benefix^ialwcsens , Erlangen 1850, S. 420. Dümmler III, 44 f. 



— 78 — 

davon trug, ich meine, mit der oben S. 66 erwähnten Schlacht 
von Thimeon im Hennegau. 

Folgende Erwägungen sind es, die mich zu dieser Ver- 
mutung bestimmen: 

Hugo spielt in imserem Epos eine viel zu hervorragende 
Rolle, er ist an der Haupthandlung viel zu stark beteiligt, als 
dafs die Annahme zulässig wäre, er sei, wie Richard von der 
Normandie oder Odo von Champagne (vgl. S. 3 ff.), erst nach- 
träglich in die Dichtung eingeführt worden; es hat vielmehr 
durchaus den Anschein, als ob seine Gestalt ebenso ursprüng- 
lich wäre wie die der übrigen Hauptpersonen, die Gestalten 
Ludwigs selbst, sowie Isembards und Gormunds. Andrerseits 
ist es ganz unwahrscheinlich, dafs die Gestalt Hugo's vom 
Dichter erfunden sein sollte; lassen sich, wie wir sehen wer- 
den, nicht nur für König Ludwig, sondern auch für Gormund 
und Isembard ganz bestimmte historische Vorbilder nachweisen, 
so ist zu vermuten, dafs auch für Hugo ein solches existiert 
habe. Nun besafs König Ludwig IIL einen Bruder Namens Hugo 
nicht; ebensowenig berichten die zeitgenössischen Quellen von 
einer Persönlichkeit dieses Namens, die an der Schlacht von 
Saucourt Teil genommen hätte. Dagegen wissen wir nun, dafs 
ein jimger Franke Namens Hugo eine hervorragende Rolle 
spielte in der genannten Schlacht von Thiraöon. 

Die Geschichte meldet, es sei in dieser Schlacht Hugo, ein 
natürlicher Sohn des Königs von einer vornehmen Concubine, ein 
Jüngling von grofser Schönheit und Tapferkeit, allzu hastig vor- 
dringend, von Gotfrid, dem Führer des dänischen Heeres, tödlich 
verwundet worden und habe bald darauf unter den Händen der 
Feinde sein Leben ausgehaucht. Ludwig, der den heifsgeliebten 
Sohn gefangen wähnte, brach sofort die Schlacht ab, um ihn los- 
kaufen zu können. Die Normannen benutzten die Dunkelheit 
der Nacht, um zu ihren Schiffen zu entfliehen und entgingen so 
der sicheren Vernichtung. Bei anbrechendem Morgen fand der 
König die Leiche seines Sohnes, die er tief bekümmert in einem 
Sarge fortschaffen liefs, um sie in Lorsch, seines Vaters und 
seiner eigenen dereinstigen Ruhestätte, beizusetzen.^ 

1) Vgl. Düüimler, III, 134 f.; Böhmer, Regesta hnperii I, neu be- 
arbeitet von Mühlbacher, Innsbruck 1889, S. 606. 



— 74 — 

Das tragische Ende des jungen Eönigssohnes mufste not- 
wendig auf die Gemüter der Zeitgenossen einen tiefen Ein- 
druck machen; dafs er grofses Aufsehen erregte, beweist schon 
die Thatsache, dafs Hugo 's Tod von einer ganzen Reihe zeit- 
genössischer Chroniken, zum Teil mit näheren Details, gemeldet 
wird.^ Nun konnten aber zwei verschiedene Traditionen, oder, 
gesetzt den Fall, es sei ein Lied auf die Schlacht von Thimöon 
entstanden, zwei verschiedene Lieder über einen Sieg eines 
fränkischen Königs Ludwig über die Normannen, unmöglich 
nebeneinander existieren; beide mufsten, nach allem, was wir 
über das Leben der Sage und des volksmäfsigen Heldensanges 
wissen, sehr bald in einander fliefsen. Erwägen wir nun, dafs 
Hugo in unserem Fragmente, wie das mehrfach gebrauchte 
Diminutivum //?/e/m beweist, als jugendlich gedacht ist, dafs 
eben jenes jugendliche Ungestüm, welches dem historischen 
Hugo verhängnisvoll wurde, auch ihm eigen ist: trotz der 
dringenden Warnung König Ludwigs reitet er auf Gormund 
zu und greift ihn an, erwägen wir ferner, dafs er, wie jener 
andere Hugo, als Ludwigs nächster Anverwandter erscheint, 
und dafs eben jene herzliche Liebe, die der ostfränkische König 
nach ausdrücklicher Angabe der Historiker für seinen Sohn 
empfand, auch der Ludwig unseres Fragmentes, für Hugo, den 
jungen Bruder hegt: „Wehe'', spricht er zu ihm, „willst Du 
mich jetzt verlassen? Wirst Du mir erschlagen, dann habe 
ich unter dem Himmel keinen Freund mehr", erwägen wir 
Aveiter, dafs beide von dem Anführer des feindlichen Heeres 
erschlagen bezw. schwer verwundet werden, dafs, wie der ost- 
fränkische Ludwig, so auch der Ludwig unseres Fragmentes 
Hugo auf dem Schlachtfelde auffindet und mit sich 
fortführt: er wird zum Zelte geschafft und neben Gormunds 
Leichnam gebettot, erwägen wir endlich, dafs offenbar gerade 
die Gestalt Hugo's vom Dichter mit besonderer Liebe be- 
handelt ist, — erwägen wir dies alles, sage ich, dann liegt 
die Vermutung doch wohl nahe genug, es sei eben in jenem 
Hugo, dem Sohne König Ludwigs von Ostfranken, das historische 
Vorbild für (Um Hugo in unserem Epos zu erblicken und er 

1) Vgl. Dümnilcr, a. a. 0. Anm. 3, S. 135 Anra. 1. 



— 75 — 

sei in dasselbe eingeführt worden infolge einer Verwechselung 
des Sieges von Saueourt mit dem von Thimöon, Ludwigs III. 
mit seinem Oheim. 

Allerdings bleibt zweierlei bei dieser Identifikation bedenk- 
lich: einmal ist Hugo eben nicht Ludwigs Sohn, sondern sein 
jüngerer Bruder, und dann hören wir nicht, dafs er getötet, 
sondern nur, dafs er schwer verwundet worden sei; indefs 
was den ersteren Punkt betrifft, so hat die Annahme doch 
wohl nichts unwahrscheinliches, die Sage 'habe nur im allge- 
meinen die Thatsache der Nächstverwandschaft festgehalten, die 
besondere Art der Verwandtschaft aber vergessen; so sind z. B. 
auch in dem Liede von Hörn und Rirnenhild ed. Fr. Michel, 
Paris 1845, p. 148, V. 2905 ff. Hildebrant und Herebrant, Vater 
und Sohn, zwei Brüder geworden; was dann das zweite Be- 
denken angeht, so bleibt die Möglichkeit, dafs Hugo's Tod 
in dem uns verlorenen Schlufs der Dichtung noch gemeldet 
worden sei; seine Verwundung wird als eine so schwere ge- 
schildert, dafs es durchaus den Anschein hat, als betrachte der 
Dichter sie als eine tödliche.^ 

Nun bin ich aber der Ansicht, dafs jener Sohn Ludwigs 
von Ostfranken nicht das alleinige Vorbild des Helden in 
unserem Epos ist, ich vermute vielmehr, dafs in letzterem noch 
eine zweite historische Persönlichkeit gleichen Namens steckt: 
ich meine, der mächtige Abt Hugo von Tours und St. Ger- 
main, der Sohn des weifischen Grafen Konrad von Paris und 
Auxerre, der Bruder der Kaiserin Judith , der Oheim Ludwigs 
und Karlmanns. 2 Dieser, Geistlicher und Kriegsmann in einer 
Person, war einer der einflufsreichsten und bekanntesten Männer 



1) Junker, Qrtindrifs %. Oesch. d. franx. Litt. ^ S. 66 in der Inhalts- 
angabe unseres Fragmentes nimmt in der That an, dafs Hugo getötet 
worden sei; er sagt, Ludwig lasse den „Leichnam Hugo's" zu den Zeiten 
bringen; aber wenn es V. 551 f. heifst, man habe Hugo „aufs Pferd ge- 
setzt, Ludwig habe ihm „den Steigbügel gehalten", so geht daraus 
doch hervor, dafs er nicht als tot zu denken ist. 

2) Vgl. über ihn Dümmler I, 442; II, 151, 360; III, 71, 134; femer 
die ausführliche Monographie von Kalckstein, Äbt Hugo aus dem Hause der 
Weifen, Markgraf von Neustrten, in Forschungen xur deutschen Ge- 
schichte, 14 (1874), S. 37 — 128. 



— 76 — 

jener Zeit und hat besonders in den Kämpfen mit den Nor- 
mannen eine ganz hervorragende Rolle gespielt. Als Abt von 
St. Germain erscheint er schon zum J. 853^; im J. 866 w^urde 
er dann nach dem Tode des tapferen Grafen Eobert von Anjou 
von Karl dem Kahlen mit der Verwaltung der von den nor- 
dischen Raubscharen am schwersten bedrohten Grafschaften 
Anjou und Touraine betraut; er führte seitdem vermutlich wie 
sein Vorgänger den Heerbann nicht nur seiner eigenen Graf- 
schaften, sondern der ganzen Gegenden zwischen der Seine 
und Loire 2, tapfer und unermüdlich stand er gegen die Nor- 
mannen auf der Wacht, verhinderte ihre weitere Ausbreitung 
und unternahm gegen sie im J. 878 einen erfolgreichen Feld- 
zug ^; seit dem Tode Karls des Kahlen war er es, in dessen 
Händen eigentlich die Geschicke Westfrankens ruhton ; in einer 
Urkunde des jungen Königs Karlmann heifst er „der erlauch- 
teste Abt, den wir wegen seiner uns stets bewahrten Treue 
als einen Vater verehren" und in einer anderen Urkunde wird 
er bezeichnet als „der berühmte und verehrungswürdige Abt 
Hugo, . . . der mächtigste Beschirmer des Reiches"*; er nahm 
dann im J. 880 an eben jener Schlacht von Thimöon Teil ^, im 
J. 882 brachte er gemeinsam mit Karlmann an der Spitze eines 
Heeres den Normannen bei Cond6 Verluste bei und im J. 884 
hatte er hervorragenden Anteil an dem Zustandekommen des 
zu Compiögne mit den Normannen abgeschlossenen Vertrages. ^ 
Er starb am 12. Mai 886 zu Orlöans an einem Fufsübel, das 
ihn schon im Frühjahr 885 befallen hatte. 

Dafs eben dieser kriegerische Abt Hugo, der unermüdliche 
Bekämpfer der Normannen, als Vorbild gedient haben möchte 
für einen fränkischen Grofsen gleichen Namens, der in einem, 
in den Ereignissen eben jener Zeit wurzelnden, einen Sieg 



1) Kalckstein, a. a. 0. S. 41. 

2) Kalckstein, S. 51. 

3) Ein ausführlicher Bericht über diesen Feldzug findet sieb in Ade- 
lerii Mir. S. Bernd., Poitz, SS. XV, 499. 

4) Dümmlcr III, 207, Anm. 5. 

5) Nach den Ann. Vedast. a. 880: Hugo qicoque abba fuit in illo 
praelio. 

aj Kalckstein, S. 121. 



— 77 — 

über die Normannen feiernden Liede auftritt, diese Vermutung 
liegt offenbar von vornherein sehr nahe. Die beiden für wirklich 
identisch zu halten, dazu bewegt mich nun eben jene Episode, 
welche mich in dem König Ludwig unseres Gedichts einen 
Widerschein nicht nur Ludwigs IIL, sondern auch seines Vaters 
Ludwigs n. erblicken läfst. Wie wir nämlich sahen, ist bei 
Mousket und im Loher und Maller Hugo unter den fränkischen 
Grofsen, welche mifsvergnügt sind über die willkürliche Be- 
handlung der Lehen durch König Ludwig; er erscheint aber 
zugleich als der wohlmeinende Berater des Königs und als 
sein treuester Freund, indem er ihn bewegt, die vorhandenen 
Mifsstände zu beseitigen und daraufhin den gefahrlichen Kund- 
schafterritt übernimmt. In genau dem gleichen Verhält- 
nisse zeigt uns nun die Geschichte den Abt Hugo teils 
zu Ludwig IL, teils zu seinem Sohne Ludwig IIL Der 
Abt Hugo war unter jenen Grofsen, welche Karl der Kahle bei 
seinem Zuge nach Italien als Berater seines zurückbleibenden 
Sohnes Ludwig eingesetzt hatte und die letzterer nach dem Tode 
des Vaters durch seine eigenmächtige Verleihung der Lehen vor 
aUem gegen sich aufbrachte. Nachdem dann die Aussöhnung 
zustande gekommen war und Ludwig sich den Wünschen der 
Grofsen gefügt hatte, da wurde eben Hugo Ludwigs zuverlässigster, 
treuester Freund, er war seine wie seines Sohnes rechte Hand, 
der eigentliche Lenker der Geschicke Westfrankens in den Jahren 
877 — 86, und er hatte als solcher gerade auf die Vergebung der 
Lehen hervorragenden Ernflufs.^ Wir hören femer im Loher 
und Maller, dafs Ludwig Hugo zur Belohnung für seinen 
kühnen Eitt eine Grafschaft in der Normandie geschenkt habe 2; 
eben dort nun, in dem Lande zwischen Seine und Loire, gebot, 
wie wir sahen, der Abt Hugo. 

Im Hinblick auf diese tibereinstimmenden Züge halte ich es 
für sehr wahrscheinlich, dafs sich aufser der Gestalt des jungen 
Sohnes Ludwigs von Ostfranken auch die des kriegerischen 
Abtes von St. Germain und Tours in dem Helden unseres 
Epos spiegelt, dafs die beiden durch die Sage miteinander ver- 



1) Vgl. KalcksteiD, a. a. 0. S. 126. 

2) Simrock, S. 266. 



— 78 — 

schmolzen wurdeD. Eine solche Verschmelzung hat durchaus 
nichts auffälliges; denn es ist klar, dafs die Sage zwei ver- 
schiedene Hugos, die in der Schlacht von Thimöon gegen die 
Normannen gekämpft haben sollten, nicht brauchen konnte, 
beide mufsten notwendig in einander aufgehen. 

Dafs etwa — woran man auch denken könnte — der 
Abt Hugo gar das alleinige Vorbild des Hugo im Epos ge- 
wesen sein sollte, das glaube ich nicht. Folgende Gründe 
scheinen mir gegen eine solche Annahme zu sprechen: Einmal 
ist Hugo in unserem Fragment, wie schon bemerkt, als jung 
gedacht, während der Abt Hugo im J. 880 bezw. 881 schon 
in höherem Alter stand, denn schon 853 erscheint er als Abt 
von St. Germain, vgl. S. 76; sodann ist es kaum glaublich, dafs 
die Sage Hugo's geistlichen Beruf, seine Ifiigenschaft als Abt, 
ganz vergessen haben sollte; endlich ist der Abt Hugo weder 
in einem Treffen gegen die Normannen gefallen, noch auch 
haben wir irgend eine Nachricht, dafs er in einem solchen 
schwer verwundet worden sei; dafs aber dieser so wesentliche 
Zug rein erfunden sein sollte, ist kaum anzunehmen; es liegt 
ihm sicher eine historische Thatsache zu Grunde. Deshalb 
glaube ich, dafs die genannten Abweichungen von der Ge- 
schichte erklärt werden müssen durch die Annahme einer Ver- 
mischung des Abtes Hugo mit dem in der Schlacht von Thimöon 
gefallenen Sohne Ludwigs von Ostfranken. 

Sehen wir nun, was wir weiter in unserem Liede noch 
an historischen Elementen nachweisen können. 

Grormund - Gruthorm. 

Schon San Marte, Gottfried von Monmouth, S. 441, sowie 
Storm, Kritiske Bidrag iil Vikiiigetidens Historie y S. 79 und 
193, erklären den Sarazenenkönig Gormund, den Verbündeten 
Isembards, für identisch mit dem bekannten dänischen See- 
könig Guthorm oder Guäru7n\ ich halte diese Ansicht in der 
That für richtig. 

Guthorm (= Guth-orm, d. i. Schlachten wurm), von der 
Angelsächsischen Chronik mit Metathese Godrurn genannt, war 
einer der hervorragendsten unter jenen nordischen Häuptlingen, 



— 79 — 

welche zu Ende der 60 er und im Laufe der 70 er Jahre des 
9L_Jh. in England Krieg führten gegen den König Aethelred 
und gegen dessen Nachfolger Aelfred den Grofsen. Er wird 
genannt unter den dänischen Seekönigen, die dem bei Kesteven 
im J. 869 geschlagenen Dänenheer zu Hilfe eilten und wir 
hören, dafs er sich im J. 870 Ostangliens bemächtigte.^ Er 
war dann einer der Führer jenes grofsen dänischen Heeres, 
welches im J. 871 Aelfred den Grofsen bei Wiltun besiegte 
und für dessen Wanderungen Asser, der Biograph' Aelfreds, 
für die folgenden Jahre die Stationen London, Nordhumbrien, 
Eepton, Cambridge, Werham, Exeter und Chippenham namhaft 
macht. 2 Im J. 878 wurde er bei Aethandune (vermutlich Eding- 
ton in Wiltshire) von Aelfred geschlagen und nach 14tägiger 
Belagerung mit seinem Heere zur Übergabe gezwungen. Er 
trat mit 30 seiner hervorragendsten Krieger zum Christentum 
über, wurde — nach Aelfreds verstorbenem Bruder — auf den 
Namen Aethelstan getauft, und erhielt Ostanglien als Lehen. 
Der vermutlich zu Wedmore abgeschlossene Vertrag, welcher 
die Grenzen seines Territoriums festsetzt, ist noch vorhanden. ^ 
Guthorm verweilte ein volles Jahr mit seinem Heere bei Ciren- 
cester in der Grafschaft Gloucester und zog dann nach Ost- 
anglien, um die Landteilung vorzunehmen. Es scheint aller- 
dings, dafs er den Vertrag im J. 885 wieder gebrochen hat. 
Doch wird sein Name nicht genannt, wir hören nur, dafs das 
Heer in Ostanglien den Vertrag mit Aelfred brach.* Jeden- 
falls hat er bald mit Aelfred wieder Frieden gemacht, denn er 
ist im Besitz von Ostanglien ebenda im J. 890 gestorben.^ 



1) E. Winkelmann, Geschichte der Angelsachsen bis xum Tode König 
Aelfreds, Berlin 1883, S. 139 ff. Vgl. für das folgende auch Dictionary 
of National Biography XXIII, 384. 

2) Asser, de Bebus gestis Aelfredi in Monumenta Historica Bri- 
tannica I, 475 ff. 

3) Schmid, Gesetze der Angelsachsen, t. I, 57. 

4) Assor, a. a. 0. p. 484, a. 884: Eodem quoqiie anno ille Pagano- 
rum exercitus, qtii in Orientalibus Anglis habitavit, pacem, qiie?n cum 
Aelfredo rege pepigerat, opprobriose fregii. — Anglo-Saxon Chronicle ed. 
Thorpe, London 1861, t. II, S. 67, a. 885. 

5) Angl. - Sax. Chron. a. 890. 



— 80 — 

Dafs nun eben dieser Guthorm wirklich identisch ist mit 
dem König Gonnund in unserer Chanson, das ergiebt sich aus 
folgenden Thatsachen und Erwägungen: 

1. Der Name Oormund stellt sich dar als eine Ableitung 
von Quthmm, Die Kurzform von Outhorm lautete Qorm, 
dieses, lat. OormOj mu&te französisch ergeben Oormoriy wie 
der Name in der That bei Wace und andern lautet. Aus 
Oormon wurde dann weiter in Anlehnung an die zahlreichen 
Namen auf -mund, -mojidy speziell vielleicht an Oodhinundr, 
Qodmwid, oder an Oermund: Oormund, Oormond. 

2. Wir hören in unserem Fragment, dafs Gormund vor sei- 
nem Zuge nach Frankreich sich bei Cirencester aufgehalten 
habe; ebendort lag nun, wie wir sahen, Guthorm mit seinem 
Heere ein volles Jahr, bevor er von Ostanglien Besitz ergriff. 
Diese Übereinstimmung kann unmöglich als ein Zufall 
betrachtet werden; ich erblicke in ihr das sicherste 
Anzeichen für die Identität Guthorms und Gormunds. 

Gesetzt nun aber, es bestünde zwischen den letztgenannten 
beiden Thatsachen keinerlei Zusammenhang, so sprechen für 
unsere These doch folgende Erwägungen: 

3. In Gormunds Heer befinden sich nach Angabe unseres 
Fragmentes Iren, die Sarazenen werden einmal geradezu be- 
zeichnet als „die aus Irland". Diesen Angaben liegt offenbar 
die Vorstellung zu Grunde, entweder, dafs Gormund mit sei- 
nem Heere sich vorübergehend in Irland aufgehalten hat und 
eben von dort kommt, oder aber, dafs sein Heer direkt ein 
irisches Heer, er selbst Beherrscher von Irland ist. Wie wir 
sahen, wird bei Galfrid von Monmouth Gormund in der That 
als Eroberer Irlands bezeichnet und wir folgerten daraus, dafs 
er als solcher auch in unserem Epos gegolten habe. Nun 
weifs freilich die Geschichte von einem Aufenthalt Guthorms 
in Irland , geschweige denn von einer Eroberung Irlands durch 
ihn, nichts 2, wir werden es also nur mit einer an seinen 



1) Sarrazin, Beoiculf- Studien, Berlin 1888, S. 56 vermutet für den 
Namen Otirmün im Tristan direkt Herkunft von an. Qodhmundr; davon 
kann nach den obigen Darlegungen natürlich keine Rede sein. 

2) Todd, Cogadh Qaedhel^ I^ondon 1867, p. LXIV, spricht allerdings 
die Vermutung aus, Guthorm möchte identisch sein mit einem gewissen 



— 81 — 

Namen sich knüpfenden Sage zu thun haben; aber eben die 
Thatsache, dafs eine solche sich in unserem Epos findet, sowie 
die weitere schon erwähnte Thatsache, dafs Cirencesterin Gor- 
munds Geschichte eine Rolle spielt, sprechen doch insofern für 
die Identität Gormunds mit Guthorm, als es nicht wahrschein- 
lich ist, dafs die in Eede stehenden Sagen in Frankreich er- 
funden sein sollten, wo man zu Irland in keinen näheren Be- 
ziehungen stand und von Cirencestor wohl überhaupt nichts 
wufste; vielmehr ist ihnen ihre englische Herkunft deutlich 
an die Stirn geschrieben. Eine andere Persönlichkeit aber als 
Guthorm, an deren Namen jene Sagen hätten geknüpft sein 
können, ist in der englischen Geschichte nicht nachzuweisen. 
4. Wie S. 17 ff. dargethan, macht Wace über die Geschichte 
Gormunds genauere Angaben als Galfrid von Monmouth und 
Layamon wieder genauere als Wace; wir durften es als wahr- 
scheinlich betrachten, dafs beide jene Angaben aus der Volks- 
sage geschöpft haben. Nun wäre es ja an und für sich denk- 
bar, dafs die ganze Gormundsage ausschliefslich beruhte auf 
unserem Epos, dafs sie in England französischer Import wäre, 
dafs jenes Detail, welches Wace und Layamon der Erzählung 
Galfrids beifügen, schon in dem alten Epos vorhanden gewesen 
wäre, dafe die Gormundsage mit dem alten Dänenkönig Guthorm 
oder Godrum, Guthrun in gar keinem Zusammenhang stünde 
und der Name Gormunds in England erst bekannt geworden 
wäre durch unsere Chanson von Isembard und Gormund. Gegen 
diese Annahme scheint mir folgende Erwägung zu sprechen: 
Galfrid erzählt, wie wir sahen, während der Belagerung von 
Cirencester sei Isembard, der Neffe des Königs von Frankreich, 
zu Gormund gekommen, habe seinen Glauben abgeschworen 
und habe Gormund beredet zu einem Kriege gegen seinen 



Honn d. i. Gorm , der in nicht näher bezeichneten „Fragmenten von An- 
nalen" als Anfühi*er der Dänen genannt wird in einer Seeschlacht, die diese 
im J. 852 den Norwegern an der irischen Küste liefern. Das ist aber sehr 
wenig wahrscheinlich, denn jener Horm wird gewifs kein anderer sein als 
der Dänenhänptling gleichen Namens, der nach dem Chronicon Scotorum 
ed. Hennessy, London 1866 (Rer. hrit. med. aev. scr.), p. 155 im J. 856 
auf Irland durch Ruaidhrigh, den Sohn des Königs Mermcn von Britannien, 
ei'schlagen wurde. 

Zenker, Das Epos von Isombard etc. 6 



— 82 — 

Oheim, von dem er nn»erechterweise Temieben wordfti seL 
Weiteres über Isembard erfahren wir nicht, eines ron ihm mit 
Gormund nach Frankreich unternommenen Kriegszuges ge- 
schieht keine Erwähnung. \un ist es sehr bemerkenswert 
dafs alles neue Detail, welches Wace und Laramon beibringen, 
ausschliefslich Bezug hat auf Gormund: was Isembard betrifft, 
so beschränken sich beide auf die Wiedergabe dessen, was 
schon Galirid von ihm meldet: auch sie erzählen von einem 
Kriege gegen Frankreich nichts. Aus dieser Beobachtung 
möchte ich den Schlufs ziehen, dafe die Sage, aus der Wace 
und Layamon ihre Angaben schöpften, von Isembard und 
seinen Beziehungen zu Gormund überhaupt nichts wufste und 
dafs beide infolgedessen gar nicht in der Lage waren, der Er- 
zählung Galfrids etwas neues über ihn hinzuzufügen. Da nun 
in unserem Epos Gormund und Isembard eng verbunden er- 
scheinen und also auch eine aus ihm fliefsende Sage Isem- 
bard unmöglich eliminieren konnte, so würde aus ihrer ünbe- 
kanntschaft mit Isembard folgen, dafs sie von unserem Epos 
unabhängig war, dafs es eine autochthone englische Gormund- 
Sage war; eine solche konnte von Isembard nichts wissen, da 
dieser, wie wir später sehen werden, erst durch unser Epos 
mit Gormund in Verbindung gebracht worden ist, aus welchem 
allein auch Galfrid das, was er von Isembardei-zählt, entnom- 
men haben kann. Eine andere Persönlichkeit als Guthorm aber, 
auf welche sich jene Sage beziehen könnte, existiert, wie schon 
unter no. 3 bemerkt, in der englichon Geschichte nicht. 

5. Wie zum Teil schon gezeigt wurde, zum Teü im Fol- 
genden dargelegt werden wird, sind es durchaus Ereignisse 
aus der zweiten Hälfte des 9. Jh., speziell aus den Jahren 
860 — 81, welche die geschichtliche Grundlage unseres Epos 
bilden; es ist deshalb wahrscheinlich, dafs auch das historische 
Vorbild Gormunds, einer der Hauptpersonen der Dichtung, in 
eben dieser Zeit zu suchen sei. 

0. Wilhelm von Malmesbury, Gesta Bcgimi Anglonim (be- 
endigt 1125), Buch II, § 121 1 bezeichnet ausdrücklich Guthorm 
und Gorniund als identisch. Er nennt Guthorm da, wo er von 

J) cd. Stubbs, London 1887 {Rer. hrit. med. aev. scr.)^ 1. 1, p. 126; 
übor diu Abfassungszoit vgl. Pref. XXXI. 



• — 83 — 

seiner Taufe berichtet: „Gudram, quem nostri Qurmundum 
vocanty (Die gleiche Angabe in der Fälschung des Ingulphus^, 
Historia seu descriptio abbatiae Groylandensis , Rer. Angl, 
Scriptores, Frankfurt 1601, p. 869: „Godroun^, quem nos Our- 
mound vocamus^^ ist wohl erst aus Wilhelm entnommen.) Dafs 
wir es hier mit einer willkürlichen gelehrten Identifikation zu 
thun haben sollten, halte ich nicht für wahrscheinlich; viel- 
mehr dürfte Wilhelm mit jener Angabe nur die allgemeine 
Überzeugung wiedergeben, nach der eben Gormund und der 
dänische Häuptling Guthorm ein und dieselbe Person waren. 

Diese Gründe zusammengenommen reichen, denke ich, aus, 
um die Identität Guthorms und Gormunds sicher zu stellen. 

Es ist nun aber bezüglich des historischen Vorbildes 
Gormunds auch eine andere Ansicht ausgesprochen worden. 
Steenstrup nämlich, Normannernel^ 27 erblickt in ihm viel- 
mehr den berühmten dänischen Seekönig Hasting und Lot, 
Romania XIX, 594 wirft wenigstens die Frage auf, ob beide 
vielleicht ein und dieselbe Person seien. Diese Ansicht bezw. 
Vermutung gründet sich ausschliefslich auf eine Angabe Hugo's 
von Fleury (a. d. Loire, unweit Sully) in seinen, einige Jahre 
nach 1108 begonnenen Modeniorum Regum Francorum Actvs, 
B. I, cap. I: yjVerum iste Älstagnus vulgo Gurmundus solet 
nominari^^^] denn die Stelle im Chronicoii Turoneiise (ab 
a. 249 — 1227), verfafst im ersten Viertel des 13. Jh., welche 
Lot noch anführt: ;,. . . cum Hastmgo duce eorum, qui Gor- 
mundibs a populo vocabatur^^^ geht doch sicher in letzter Linie 
auf Hugo von Fleury zurück, und was die gleiche Bemerkung 
in einem Fragmentum Historiae Frmidcae (ab a. 814 — 896) 
betrifft: „Verum iste Alstag7ius vulgo Gurmundus verso nomine 
solet no7ninari"^^ so ist in diesem Fragment anerkanntermafsen 
die Chronik Hugo's stark benutzt. ^ 

Dafs nun jene Angabe in keiner Weise dazu berechtigt, 
Hasting als das eigentliche historische Vorbild Gormunds zu 

1) Vgl. Dict. of Nat. Biogr. XXIX, 17. 

2) Pertz, ÄÄ IX, 378. 

3) Martene, Amplissima Collectio Y, 969. 

4) Bouquet, Eecueil des Ilistoriens des Gaules et de la France 
VII, 224. 

5) Vgl. ib. VI, 231. 

6* 



— 84 — 

betrachten, das dürfte ohne weiteres klar sein; wollte man es 
thun, dann müfste man doch annehmen, Gurmund sei ein Bei- 
name Hastings gewesen; von einem solchen weifs aber keine 
der älteren Quellen etwas. ^ Vielmehr kann aus dem Zeugnis 
Hugo's offenbar weiter nichts entnommen werden als dies, dafs 
zu Hugo's Zeit, zu Ende des 11. und zu Anfang des 12. Jh., 
die volksmäfsige Tradition nur den Namen des Gurmund, nicht 
auch den des Hasting kannte, und dafs sie jenem eine ähn- 
liche Eolle zuwies, wie sie nach den Hugo vorliegenden litte- 
rarischen Quellen Hasting in der Geschichte thatsächlich gespielt 
hatte oder gespielt haben sollte. Es könnte sein, dafs sich die 
Übereinstimmung zwischen den Schicksalen Hastings in der 
litterarischen und denen Gormunds in der populären Tradition 
darauf beschränkte, dafs beide als die hervorragendsten Anführer 
der Normannen hingestellt wurden. Es wäre aber gewifs auch 
möglich, dafs der Volksmund irgend welche spezielle Thaten, 
die die litterarischen Quellen von Hasting berichteten, dem 
Gormund zuschrieb. Daraus würde also weiter nichts folgen, als 
dafs Gormund in der Sage den Hasting verdrängt hatte, dafe 
gewisse Thaten des Hasting auf Gormund übertragen worden 
waren, keineswegs aber, dafs Hasting und Gormund ein und 
dieselbe Person sind.^ 

Wie steht es nun mit der Erzählung unseres Epos von 
Gormunds Bündnis mit einem fränkischen Renegaten Isembard, 



1) Petei*sen, Raubzüge der Normannen , S. 18, Anm. 4 meint, die 
Angabe des Chronicon Tiironense habe ihren Ursprung vielleicht in einer 
miüsverständÜchen Auffassung der S. 67 mitgeteilten Stelle der ÄnncUes 
Vedastim a. 882, Pertz, SS. II, 199: hier wird nämüch berichtet, 
Ludwig in. habe mit Hasting Frieden geschlossen und es folgt dann gleich 
die Erzählung von Ludwigs Tod, wonach er einer Verletzung erlag, die er 
sich zuzog bei der Verfolgung der Tochter eines gewissen Oermund 
(filiam cujusdam Oermundi insectttus). Aber Hasting und Germund wer- 
den hier doch ganz deutlich als zwei verschiedene Personen bezeichnet, es 
wäre nicht zu verstehen , wie man dazu gekommen sein sollte , sie zu iden- 
tifizieren. Die fragliche Vermutung ist durchaus unwahrscheinlich. 

2) Hugo berichtet über Hastings Thaten auf Grund der sagenhaften 
Erzählung des Wilhelm von Jumieges (schrieb zwischen 1070 — 1080), bei 
Duchesne, Uistoriae Normannoru7n Scriptores, p. 218. Wilhelm läCst 
Hasting zuei-st in Flandern landen und dann Vermandois d. i. die südliche 
Pikardie vorwüsten; wie Gormund einen Verbündeten Isembard, so hat 



— 85 — 

dem gemeinsamen Zuge beider nach Frankreich und ihrem 
Kampf gegen König Ludwig in der Schiacht von Saucourt? 
Haben wir auch hierin vielleicht den Nachklang geschichtlicher 
Ereignisse zu erblicken? In der That hat man das früher 
angenommen auf Grund des im wesentlichen übereinstimmen- 
den Berichtes zweier Chroniken des 11. und 12. Jh., des sog. 
Ghronicon CentuUiise und der Chronik des Guido von Bazoche 
bei Alberich von Troisfontaines. 

Das Chronicon Centulense und Gruido von Bazoche; 

Wilhelm von Malmeshury. 

Das Chronicon Centulense d. i. die Chronik des Klosters 
St. Eiquier (Centulum) in Ponthieu, wurde begonnen mehrere 
Jahre vor 1088 von dem Mönch Saxowalus, der in der Chro- 
nik zum J. 1068 als lebend erwähnt wird (cap. XXIII) ^; voll- 
endet wurde es im J. 1088 durch den Mönch Hariulf.^ Wer 
von den beiden der Verfasser der uns hier interessierenden 
Stelle ist, wissen wir nicht, da sich nicht ermitteln läfst, wo 
Hariulfs Anteil beginnt; doch werde ich der Bequemlichkeit 
halber im folgenden Hariulf als den Verfasser betrachten. 

Die betreffende Stelle lautet folgendermafsen ^ : 

Post mortem Hludogvid^, filii ejus Hludogvicus et Karlo- 
mannus regnum inter se dispertiunt. His ergo regnantibu^, 

Hosting eineü Genossen Bier (= J5iörw) „Eisenrippe** (Costae ferreae; Jern- 
side)^ den Sohn des dänischen Königs Lothroc (den Hugo aber wegläfst). 
Sollten , frage ich , vielleicht diese beiden , entfernt an unser Epos erinnern- 
den Züge Hugo veranlafst haben, Hasting und Gormund, welch letzterer 
in seinen litterarischen Quellen nicht erwähnt wurde, zu identifizieren? 

1) Er erscheint als Vorsänger bei einer Prozession. 

2) Die Schlufsworte lauten: Eyo frater SariulfuSy monasterii heati 
Richarii humilis mofiachus, hoc de sancti loci nostri nohilitate vel uti- 
litatibus a Domno Saxoivalo ante plures annos inchoatimi opus Deo 
auxiliante perficiens, obsecro omnes . . . ut haec . . . qtcalicumque modo 
deperire non permittant. Completum est aute7n istud opus hunianitatis 
filii Dei anno MLXXXVIII. Indict. X. Anno regni Philippi XX VIII. 
Widone Pontivorurn Comite annis XXXVI. 

3) Chron. Centid. c. X, bei d'Achery, Spicilegiurn, nouv. ed., Paris 
1723, t. II, 322; Bouquct, EecueilYlll, 273, B—C. 

4) Ludwigs n. des Stammlers. 



— 86 — 

contigit Dei jtidicio iiimimerabilem barbarorum multitudineni 
limited Franciae pervadere, agoiie id rege eoriim Otiaramundo, 
qui multis, ut fertiir, regnis suo din'^simo imperio siibactis, 
etiafn Franciae voluit dm)nnan, persuadente id fieri Esim- 
bardo, Frandgena nobili, qui regis Hludogtnci animos offen- 
derat, quique genitalis soli prodiior, gentium barbariem Jiostros 
ftnes visere hortabatur. Sed quia quomodo sit factum, non 
solum historiiSj scd etiam patriensium memoria quo- 
tidie recolitur et cantatur, nos pauca memorantes, cetera 
omittamus, td qui cuncta nosse anhelat, non nostro scripto, 
sed priscorum auctoritate doceatur . . . . ^ Cum populi super- 
venientes iiostris finibus prinium appulissent exeuntes de 
navibus Vimmacum [= Vimeu] et Pontivum [= Ponthieu] 
provincias lustrarunt, ecclesias straverunt, christianos jugu- 
laverunty et omnia mortibus et sanguine repleverunt Denique 
ecclesiam splendidissimam B, Richarii [== St. Riquier], quae 
pro sua nmgnitudine vel firmitate dejici non polerat , admoto 
igne succenderunt, sublatis prius omnibus, quae discedentibus 
fratribus remanserunt ecclesiac. Fraedictus ergo Hludogvicus 
rex in pago Vimmaco cum eisdem gentibus bellum gerens, 
triumphum adeptus est, interfecto eorum rege Guaramundo, 
Et caesis millibus populi infidelis, ceteri fugati sunt, Dici- 
tur autem qiiod in ipso congressu prae nimio fej'endi con- 
amine sua interiora ruperit, ac deinde mortuus esf 

Mit diesem Bericht der Chronik von St. Riquier stimmt 
der bei Alberich von Troisfontiiines uns aufbewahrte Bericht des 
Guido von Bazoche in der Hauptsache überein. ^ Guido, 
Kantor zu St. Stephan in Chälons, lebte in der zweiten Hälfte 
des 12. Jh.; er hat die Ereignisse des J. 1158 schon miterlebt 
und ist 1203 gestorben.^ 



1) Der ausgelassene Passus berichtet, dafs beim Herannahen der 
genannten Völkerschaften der Mönch Iliercmias, der Schatzmeister von 
St. Riquier, die hauptsächlichsten Kostbarkeiten und Reliquien des Klosters 
nach Sens ins Klostor df?r heil. Coluniba flüchtete. 

2) Pei-tz, ,S'>S'. XXllL 743; Bouquet, Bccucil IX, 58, A — C. 

3) Vgl. Wilmanns in Pertz' Archiv ckr Gcsellsch. für alt, deutsche 
Gcschichtskiaide X (1851), S. 202. 



— 87 — 

Alberich erzählt an der frag^Iichen Stelle, König Ludwig — 
den er falschlich mit Ludovicus Nichilfedt identifiziert^ — 
der Bruder Karlmanns, habe m pago VG7^iminiaco einen Sieg 
über die Normannen davon getragen und sei bald darauf ge- 
storben; er fügt bei. Guido berichte über ilm folgendes: 

Sed ut fertur, Ysembardtis juvenis egregiae probitatis et 
militiae, nepos ejus, fiiit occasio, per quam ante ineridiem 
aetatis et magnificentiae sime vitae est stcbire coactus occasum. 
Hie enim cum per adulatorimt iniqua consilia regis avunculi, 
quam non meruerat, incur risset offensayn, non jure, sed per 
injuriaTYi regno pulsus et ad regem Ouormunduoiii, quando 
adhnc erat paganus, fugere compulsiis, tarn arcto familiari- 
tatis et amicitiae vinculo colligatus est ei, quod ob ejus dilec- 
tionem ad tdtionem de avuncido reposcendam cum innumera- 
bilibus armatorum milibus coiijunctisqiie sibi Normannis et 
Danis adhuc geutilibus depopulatus Augliam, transfretavit in 
Frandam et devastavit adjacentem mari Britannico regionem 
ibique cum multis aliis Ccntulum regium vieum et a^itiquum 
ac nobile monasteritim sancti Richa7^i concremavit. Quo com- 
perto rex Frandae ^nagiianimus Ludovicus cum armipotenti 
virtute Francorum haud segniter occiirrit furentibus impiis 
et concurritj magnam eorum multitudijiem abrasit, ceteros 
fugere compulit. In quo conflictu, quia rotando fulmineos 
ictus graviter est afflictus per nimiuni laborem, vigorem per- 
didit et incidit in langiiorein, quo quasi fructus in 7iovitate 
a vita est praeruptus. 

Diese beiden Berichte sind von Suhm, Historie af Dan- 
7narkII (1784), S. 345, Lappenberg, Geschichte von E7iglandl 
(1834), S. 323, Anm. 2, Hardy in seiner Ausgabe des Wilhehn 
voll Malmesbury (1840), bei Migne, Patrol. lat., 1. 179, Sp. 1092, 
Anm. 2, Grässe, Littefiirgeschichte, B. II, Abth. III (1842), 
S. 379, Petrie, Momim. Hist, Brit. (1848), p. 805 n. c, Pauli, 
König Aelfred (1851), S. 144, von San Marto, Gottfried vo7i 
Mo7imouth (1854), S. 441, ja noch von Stubbs in seiner Aus- 
gabe des Wilhelm von Malmesbury, II (1889), Pref. XXXV 



1) „. . quia tarn cito subtractus estj quasi 7iichil fecisse dictus est, 
unde et in quibusdam annalibus inscribitur: Ludovicus Nichilfedt/^ 



— 88 — 

in der Hauptsache als vollkommen glaubwürdig hingenommen 
worden, — in welchem Falle also die Handlung unseres Ge- 
dichts in ihren wesentlichen Zügen historisch wäre. Demgegen- 
über hat nun aber schon Heiligbrodt in der Einleitung zu 
seiner Ausgabe des Fragmentes, Rom. Stud. IH, 504, bemerkt, 
dafs man die beiden Stellen nicht als rein historische Quelle 
ansehen dürfe, und Dümmler vollends in seiner Geschichte 
des ostfränldschen Reiches ^ (1888), III, 154, sowie in seiner 
schon zitierten Anmerkung zum deutschen Ludwigsliede bei 
Müllenhof und Scherer, Denkmäler deutscher Poesie ic. Prosa ^ II, 
S. 75 hat sie ohne weiteres als sagenhaft bezeichnet und ihre 
Verwertung durch Lappenberg und Pauli getadelt. 

In der That kann es nun keinem Zweifel unterliegen, dafs 
sowohl Hariulf als Guido entweder direkt aus unserem Epos 
oder aus der auf ihm beruhenden, vielleicht schon litterarisch 
fixierten Sage geschöpft haben. 

Zunächst ist zu beachten, dafs Hariulf ca. 200, Guido aber 
vollends ca. 300 «tahre nach den erzählten Ereignissen schreibt, 
ihren Angaben gegenüber also von vornherein die gröfste Vor- 
sicht geboten ist; umsomehr, als Hariulf sich auf noch lebende 
Volksgesänge beruft, denen ep also historische Glaub- 
würdigkeit beiraifst. Guido aber nachgewiesenermafsen 
vielfach Sagen und epische Dichtungen verarbeitet hat.^ 

Vergleichen wir sodann ihre Darstellung mit den Angaben 
der zeitgenössischen Geschichtsquellen, so finden wir, dafs 
sie durch dieselben nicht nur nicht bestätigt wird , sondern 
direkt im Widerspruch zu ihnen steht. 

Nach Hariulf sowohl als nach Guido wäre König Ludwig 
infolge der in der Schlacht gehabten Anstrengung gestorben; 
in Wirklichkeit stand, wie schon oben dargelegt wurde, sein 
Tod mit der Schlacht in keinem Zusammenhang. Sodann 
nennen die zeitgenössischen Geschichtsschreiber die Anführer 
des dänischen Heeres in der Schlacht von Saucourt nicht und 
was Guthorm- Gormund betrifft, so macht es der Bericht der 
Angelsächsischen Chronik , unserer Hauptquelle für die englische 
Geschichte der damaligen Zeit, so gut wie gewifs, dafs er an 

1) Vgl. die von Wilinanns a. a. 0. S. 239 gegebene Liste der bei Guido 
sich findenden Sagen. 



— 89 — 

der Schlacht nicht Teil genommen hat. Nach ihrer ausdrück- 
lichen Angabe war das dänische Heer, welches die Schlacht 
von Saucourt schlug, nicht das Heer Guthorms. Die Chronik 
berichtet nämlich zu den Jahren 879 — 81 folgendes ^i 

879. In diesem Jahre zog das Heer [des bei Ethandune 
von Aelfred besiegten und dann getauften Godrura] von Chippen- 
ham nach Cirencester und safs dort ein Jahr {alias: einen 
Winter). 

Und im gleichen Jahre sammelte sich eine Schar Wikinger 
und lagerte bei Fulhara an der Themse .... 

880. In diesem Jahre zog das Heer von Cirencester nach 
Ostanglien und ergriff Besitz von dem Lande und teilte es. 

Und im selben Jahre zog das Heer, das vorher bei 
Fulham safs, übers Meer nach Gent in Frankreich und safs 
dort ein Jahr. 

881. In diesem Jahre zog das Heer weiter hinein nach 
Frankreich. Und die Franken fochten mit ihm [= Schlacht 
von Saucourt, vgl. Dümmler, Ostfränk. Reich ^ III, 153]. Und 
da wurde das Heer nach der Schlacht beritten gemacht. 

Wir hören also hier, dafs das Heer, welches nach Frank- 
reich übersetzte, dasjenige war, welches 879 — 80 bei Ful- 
ham an der Themse gelagert hatte, während das Heer 



1) Earle, Two of the Saxon Ghronicles, Oxford 1865, S. 80 ff. 
{Parker Ms.): 

Her for se here to Cirencestre of Cippanhamme and scet fcer an 
gear (Land Ms.: an winter). 

And Py geare gegadrode an hloß tvicenga and gescet cet Fullan- 
hamme be Themese 

880. Her for se here of Cirenceastre on Fast Engle and gesagt 
ßcet lond and gedcelde. 

And Py ilcan geare for se here ofer sce pe cer on Fullan- 
hamme scet on Froncland to Oend and scet Peer an gear. 

881. Her for se here ufor on Froncloiid and Pa Francan him wip 
gefuhton . and Peer wearp se here gehorsod cefter Pam gefeohte. 

Aus einer Kontamination dieses Berichtes der Angelsächsischen Chro- 
nik sowie der unmittelbar folgenden Angabe zum J. 882: Her for se here 
up onlong Mcese feor (al. ofor) on Fronclond and Peer scet an gear mit 
der Erzählung unseres Epos oder einer auf ihm beruhenden Quelle erklärt 
sich offenbar, was Geoffroi Gaimar, der zwischen 1147 und 1151 schrieb, 
in seiner Estorie des Engles ed. Hardy und Martin, London 1888, t. I, 



— 90 — 

Guthorms, das zu gleicher Zeit bei Cirencester weilte, 
im Jahre 880 von Ost-Anglien Besitz ergriff. Dafs nun 
etwa der eben erst getaufte und mit einer grofsen Provinz be- 
lehnte Guthorin noch im selben Jahre sich von seinem eigeneh 
Heere getrennt haben und auf neue Abenteuer nach Frankreich 
gezogen sein sollte, das ist offenbar ganz und gar unwahr- 
scheinlich, i Somit sind wir berechtigt, die Erzählung Hariulfs 



S. 136 ff., V. 3241 — 3296 von y,Ourmund'^ erzählt. Nachdem er von 
jjGudrums^^ Taufe und dem Vertrag von Wedmore berichtet hat, fähi-t er 
fort: „Zu jener Zeit, so sagt mein Meister {co dist mi meistre = ein fraq- 
zösisches Buch, vgl. t. II, S. XXI), kam König Gurmuud nach Cirencester." 
Gurmund läfst das Heer von Chippenham rasch zu sich kommen und ver- 
weilt mit ihm den ganzen Winter bei Cirencester. Im April „wird 
mancher Unglückliche verbannt*' {mistrent maint chetif en exil)\ Gur- 
muud zieht nach Ost-Anglien und setzt seine Statthalter über das Land; 
dann befiehlt er das Heer, das bei Fulham lag, zu sich und versammelt 
seinen ganzen Heerbann, mehr als 100 Könige. Sie stechen bei Gernemue 
in See und landen bei Cajoux; ihre Schiffe ziehen sie ans Land, sie 
glauben ihrer nicht mehr bedürfen zu werden. Dann verwüsten sie das 
Land um St. Valery und ziehen weiter nach Ponthieu. Sie zerstören das 
Kloster St. Riquier, zei'spalten die Krucifixe (vgl. eine entsprechende Epi- 
sode im Loher und Maller oben S. 49, Simrock S. 260) und verbreiten 
sich über das ganze Land. Gurmund selbst bleibt in der Gegend, aber ein 
grofser Teil des Heeres zieht weiter bis nach Gent und verbnngt doil; den 
"Winter. Endlich versammeln sich die Franzosen, ziehen Gormund ent- 
gegen und kämpfen mit ihm; sie tragen den Sieg davon, Gormimd selbst 
fällt. Das Heer, das bei Gent überwintert hatte, zieht von da nach Frankreich; 
die Franzosen liefern ihm eine Schlacht, aber sie werden besiegt, da sie zu 
wenig Leute haben und ihr König verwundet und nicht bei ihnen ist. Der 
König siechte lange dahin an seiner Wunde und starb dann. Die Heiden 
rücken weiter vor, sie finden Frankreich ohne Schutz. 

Aus einer Schlacht sind also hier zwei geworden, indem Gaimar die 
Identität der in seiner französischen Quelle geschilderten Schlacht mit der 
in der Angelsächsischen Chronik erwähnten {pa Francan hiin loip gefuhton) 
nicht erkannt hat; dafs die letztere für die Franzosen unglücklich gewesen sei, 
schliefst er offenbar aus der unmittelbar folgenden, oben zitierten Angabe der 
Chronik, das dänische Heer sei dann „weiter nach Franki-eich hinein gezogen '', 
vgl. seine Worte: E les paens en vont avant . France trovere^it sanx garant. 

1) Nach Wilhelm von Malmesbury, Gesta regum Änglortim, ß. 11, 
§ 121 wäre Hasting der Anführer jenes Heeres gewesen, welches von Eng- 
land nach Frankreich übersetzte: „Ceteri ex Danis, qiii Chrtstiani esse 
recusasscnt , cuni Hastengo wäre transfretaverunt . .^'; doch findet sich 
diese Angabe, so weit ich sehe, in keiner der älteren Quellen. 



— 91 — 

und Guido's von Guthorms Teilnahme an der Schlacht von 
Saucourt als unhistorisch zu betrachten. 

Was nun die weitere Angabe der beiden Chronisten be- 
trifft, das Barbarenheer sei nach Frankreich geführt worden 
durch einen von König Ludwig verbannten fränkischen Edlen 
Namens Isembard — nach Guido wäre er Ludwigs Neffe ge- 
wesen — , so geht schon aus dem oben über die Schlacht von 
Saucourt bemerkten hervor, dafs die Geschichte auch hiervon 
nichts meldet. Nun würde dieser Umstand ja noch nicht be- 
weisen, dafs nicht trotzdem vielleicht eine geschichtliche That- 
sache zu Grunde läge, die uns nur von den Chronisten der 
Zeit nicht aufbewahrt wäre. Aber dann müfsten wir doch 
wenigstens erwarten, dafs uns die Existenz eines fränkischen 
Grofsen Namens Isembard zu jener Zeit in der Geschichte 
irgendwo bezeugt wäre, auf den die Erzählung Hariulfs und 
Guido's allenfalls passen könnte. Sehen wir uns nun in der Ge- 
schichte des in Betracht kommenden Zeitraums um, so begegnet 
uns ein einziger fränkischer Grofser dieses Namens: Isembard, 
der Sohn des bekannten burgundischen Grafen Warin 
von Mäcon^: er wird erwähnt in der Chronik von Fontenav zum 

7 v 

J. 849, sowie, anläfslich des gleichen Ereignisses, in den Annalen 
des Prudentius zum J. 850. 

Es heifst hier, Graf Wilhelm, der Sohn des Markgi-afen Bern- 
hard, der erbitterte Feind Karls des Kahlen, habe sich — nach 
anderen Quellen im Bunde mit dem spanischen Sarazenen Abder- 
rhaman IL — an der Spitze einer ansehnlichen Streitmacht in der 
spanischen Mark behauptet. Er habe Barcelona eingenommen, den 
Verteidiger der Stadt, den spanischen Markgrafen Aledrann^, aus 
der Stadt vertrieben, dann durch trügerische Vorspiegelungen ihn 
sowie Isembard, den Sohn des Warin, in seine Gewalt ge- 
bracht; 850 aber sei er besiegt, durch die List einiger Gothen von 
der Partei Aledranns gefangen genommen und getötet worden ^i 

1) Vgl. über Warin bes. Meyer von Knonau, lieber Nttkard's vier 
Bücher Oesehichten, Leipzig 1866, S. 140, auch S. 108, Nr. 267. 

2) Nach Kalckstein, Gesch. des franx. Känigthums unter den ersten 
Capetingern, Leipzig 1877, I, 471 vielleicht identisch mit einem Grafen 
dieses Namens, der unter Karl dem Grofsen, dann 820 in Italien Sendbote 
war; vgl. Sickel, Urk. der Karol. I, 305 u. 447. 

3) Vgl. Dümmler, I, 340. 



— 92 — 

Chron. Font a. 849^: Isembardus, filius Wariiiij et 
Aledranniis per dolum pacis fictae capti sunt a Wühelmo, in- 
vasore urbis Barcinonae. 

Prud. ann, a. 850 ^i Guilhelmus Beniardi filius in Marca 
Hispanica Aledramnuni et Ise?nbardum Comites dolo capit, 
sed ipse dolosius captus et apud Bardnonem interfectus est.^ 

Dies ist das einzige Mal, dafs Isembard, der Sohn Waiins, 
in der Geschichte erwähnt wird. Dagegen erscheint nun ein 
Graf Isembard, der sicher mit ihm identisch ist, noch in einer 
Reihe Urkunden. Er wird genannt als Sendbote in einem 
Capitular Karls des Kahlen vom November 853, aus dem her- 
vorgeht, dafs er seinem Vater als Graf von Mäcon gefolgt war*; 
in einer Urkunde Karls vom gleichen Jahre wird er bezeichnet 
als illuster comes Isembardus^; als inissus erscheint er dann 
wieder in einem Capitular vom 14. Febr. 857^; gewifs ist es 



1) Pertz, SS. II, 302. 

2) Pertz, SS. I, 444; Bouquet, Eeeueil "^l, 66. 

3) Auf die obigen beiden Stellen hat schon Keiffenberg, Philippe 
Mousket^ t. II, p. Yin aufmerksam gemacht; er verlegt das einzahlte Er- 
eignis aber fälschlich ins J. 890 und identifiziert Isembard, den Sohn Warins, 
ohne weiteres mit dem Helden unserer Chanson. 

4) Bouquet, Reeueil VII, 617; Mo?i. Oerm. Leguni Sectio 11, t. II, 
pars 2, p. 276. Unter den missi werden genannt: Teutboldtis Episeoptis, 
Jonas EpiscoptiSj Isemhardus et Ahbo Ahha, Daddo, missi in Comitati- 
bus MiloniSj et in Cornitatibus Isembardi, Augustiiduno scilicet [= Autun], 
Matiseonense [= Mäcon] , Divioiiense [= Dijon], Cabillono [= Chälons-sur- 
Saone], Hatuariis [in Geldern, am Niers], et in Tornedriso [= Tonnerois], 
et in Beiniso [= Beaunois] , et in Dusiniso Comitatu Ättela^ et in Gomi- 
tatu Romoldi. Die Identität des hier genannten Grafen Isembard mit dem 
Sohne Warins von Mäcon ergiebt sich offenbar eben aus der Erwähnung 
von Mäcon unter den ihm und Milo gehörigen Grafschaften. 

5) Bouquet, Reeueil VIII, 527. Karl restituiert in der Urkunde der 
Kirche von Autun die heil. Kreuzkirche mit den zugehörigen Ländereien 
„medianfe assensu illustris Comitis Isenibardij cujus dominio habeba- 
tiir.^^ Die Identität mit dem in der vorigen Urkunde genannton Isembard 
darf daraus erschlossen werden, dafs dort Autun unmittelbar neben dem 
ihm geographisch benachbarten Mäcon genannt wird, also jedenfalls zu 
Isembards Grafschaft gehörte. 

6) Pertz, SS. III, 451: „dilecto nobis Jonae ve?ierabili episcopo et 
Isembardo inlustri comiti missis nostris salutem^'. Die Identität ergiebt 



^ 



— 93 — 

auch derselbe Isembard, der am 21. März 858 mit anderen 
Vasallen Karl den Schwur der Treue leistet^, der im gleichen 
Jahre der Versammlung zu Quierzy beiwohnt 2, und dem als 
Isemberto illastri viro amico suo der Bischof Hincmar von 
Rheims (f nach 882) ein Schreiben sendet. ^ Dahingestellt mufs 
es wohl bleiben, ob wir ihn schon erkennen dürfen in dem 
Isembardus vassus, der in einer zwischen 814 — 825 aus- 
gestellten Urkunde mit anderen Prindpes und Mag?iates von 
Ludwig dem Frommen den Befehl erhält, dem Abte Herlegaud 
bei der Wiederherstellung der Kirche des heil. Benignus zu 
Dijon behilflich zu sein.^ Nicht identisch ist hingegen mit 
dem Grafen von Mäcon jedenfalls ein gewisser Hisimbert, der 
genannt wird in einer Urkunde vom J. 832 0, worin Ludwig 
der Fromme dem Kloster Montierender (Ders) zwölf Mausen 
vermacht in der villa Dodoniaca curtis, jetzt St. Christophe 
in der Grafschaft Brienne, y^quam hactemis vassalu^ noster, 
nomine Hisimbertus, nostra largitione in beneficium habuisse 
dinoscitur^^ ; desgleichen der „Getreue" Isembert, dem Karl im 
J. 859 auf Bitten des Markgrafen Humfried einige Güter im 
Narboneser Gau zum Geschenk macht. ^ 

Der Graf Isembard von Mäcon war also den obigen Ur- 
kunden zufolge ein treuer Diener Karls des Kahlen und eine 
zu seiner Zeit hochangesehene Persönlichkeit. Dafs nun dieser 



sich daraus, dals hier, wie in der ersterwähnten Urkunde, Isembard mit 
dem Bischof Jonas zusammen genannt wird. 

1) Pertz, SS. in, 458. 

2) Pertz, Leg es 1., 451. 

3) Pertz, SS. XIII, 545. Das Schreiben ist nicht datiert; der Heraus- 
geber setzt es vermutungsweise ins J. 869. 

4) Bouquet, Recueil VI, 236 und 557. Für die Identität mit Isem- 
bard von Mäcon spricht allerdings, dafs Dijon ebenso wie Autun in der 
zuerst erwähnten Urkunde unmittelbar neben Mäcon genannt wird, also 
wohl gleichfalls zu dieser Grafschaft gehörte; Sickel, Urkunden d. Karol. II, 
S. 152 u. 227. 

5) Bouquet VI, 574; Mühlbacher, Regesten no. 868. 

6) Bouquet VIII, 556. „Libuit celsitudini nostrae quendani fidelem 
nosirum, notnine Isemhertunij ad deprecatiofiem Hunifridi carissimi 
nohis Comitis ac Marchiojiis nostri, de quibusdam rebus nostrae pro- 
prietatis Honorare atque sublimare/' Mit ihm identifiziert den Isembard 
des Ckronieon Centulense Suhm, Eist, af Danmark 11, 345. 



— 94 — 

etwa im J. 881, wenn anders er damals überhaupt noch am 
Leben war, mit den Normannen gemeinschaftliche Sache ge- 
macht und in der Schlacht von Saucourt mitgekämpft haben 
sollte, das darf ohne weiteres als ausgeschlossen bezeichnet 
werden. Ein anderer fränkischer Grofser Namens Isembard 
ist aber in jener Zeit überhaupt nicht nachzuweisen: folglich 
gehört auch das, was Hariulf und Guido über Isembard be- 
richten, ins Gebiet der Sage. 

Bemerken wir nun andrerseits, dafs beide Chronisten in 
den eben als unhistorisch nachgewiesenen Zügen vollkommen 
übereinstimmen mit unserem Epos, dafs speziell die Worte 
Hariulfs: „didtur quod sua interiora ruperit [sc. LudovicusY^ 
sich geradezu darstellen als eine Übersetzung der entsprechen- 
den Stelle unseres Fragmentes: y,que les curaüles sunt rum- 
pies^', erinnern wir uns, dafs Hariulf ausdrücklich ihm be- 
kannte Volksgesänge über Gormund und Isembard erwähnt, 
dafs Guido anerkanntermafsen vielfach aus sagenhaften Quellen 
geschöpft hat, — ziehen wir dies alles in Rechnung, dann 
dürfen wir es offenbar als zweifellos betrachten, dafs beide 
ihre Erzählung entweder aus dem Epos selbst oder aus der 
mit ihm inhaltlich identischen Volkssage geschöpft haben. Dann 
sind also beide Berichte in Wahrheit nichts als ein R 6s um 6 
unseresEpos. Hier ist nun, was Guido betrifft, nur zu be- 
merken, dafs dieser in einem Punkte an dem Inhalt des Epos 
oder der Sage augenscheinlich Kritik geübt hat. Guido sagt 
nämlich, Isembard sei zu Gormund gekommen „quando adhuc 
erat paganus [sc. Gormundusy^ und er erwähnt nicht, wie 
Hariulf, dafs Gormund in der Schlacht getötet worden sei. 
Er nimmt also an, dafs Gormund die Schlacht überlebt habe 
und dann später Christ geworden sei. Diese Auffassung findet 
ihre Erklärung in der Thatsaclie, dafs eine von Guido's haupt- 
sächlichsten Quellen die Chronik des Wilhelm von Malmesbury 
De Oestis Regum Anghrum ist.^ In dieser fand er B. II, § 121, 
dafs Guthorm, den Wilhelm, wie wir sahen, ausdrücklich als 
identisch mit Gormund bezeichnet, die Taufe empfangen habe. 
Da nun die von ihm benutzte sagenhafte Quelle Gormund als 



1) Vgl. Wilmanns, Pertz' Archiv X, 202 ff. 



— 95 — 

Heiden, als Sarazenen bezeichnete, so folgerte er, dafs Gormunds 
Zug nach Frankreich vor seine Bekehrung fallen und die An- 
gabe, er sei in der Schlacht geblieben, auf einem Irrtum beruhen 
müsse. Er korrigierte deshalb in diesem Punkte die ihm vor- 
liegende sagenhafte Überlieferung, die er im übrigen getreu 
wiedergiebt 

Können nun die beiden Berichte auf historische Glaub- 
würdigkeit keinen Anspruch machen, so sind sie doch eben 
in ihrer Eigenschaft als R6sumes der Dichtung für uns von 
Interesse, vor allem der Bericht Hariulfs, der sich nach dem 
Gesagten darstellt als das älteste, unserem Fragment an- 
nähernd gleichzeitige Zeugnis über die Existenz und 
den Inhalt des Epos von Isembard und Gormund. 
Denn, wie wir sahen, wurde die Chronik von St. Riquier 
im J. 1088 abgeschlossen, unser Fragment aber durften wir 
mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Zeit um 1080 setzen. 
Etwas neues über den Inhalt der Dichtung zu jener Zeit ver- 
mögen wir nun freilich aus dem kurzen R6sum6 mit Sicher- 
heit nicht zu entnehmen. Immerhin spricht der Umstand, dafs 
auch hier, wie in unserem Fragmente, Isembard nicht aus- 
drücklich als Ludwigs Neffe bezeichnet wird, vielleicht dafür, 
dafs das alte Epos von einer solchen Verwandtschaft in der That 
nichts wufste; wenn sodann von Gormund gesagt wird: „qui 
7nultis, ut fertur, regyiis suo diHssimo imperio subactiSj etimn 
Fi^anciae voluit do7?iinari^^, so erinnert diese Angabe an die 
Worte des Wace: 

mamt ille pi^ist, viaint roi conqtiist, 

mainte tere saistst et prist, 

tant ala par uner naviant 

rois venquant, te7'res conqiierant . . . 

und wir dürfen in ihr vielleicht eine, freilich nur undeutliche 
und zu einem sicheren Schlüsse nicht berechtigende Spur er- 
blicken einer Bekanntschaft Hariulfs mit der von Wace be- 
richteten Vorgeschichte Gormunds, spezioll mit der Sage von 
der Eroberung Irlands und Englands, deren Vorhandensein in 
dem alten Epos wir ja in der That aus einem andern Grunde 
als wahrscheinlich bezeichnen durften. Wenn schliefslich 



— 96 — 

Hariulf nicht sagt, welcher Nation die Barbaren angehörten, 
die Isembard nach Frankreich führte, so erklärt sich diese auf- 
fällige Erscheinung am ungezwungensten durch die Annahme, 
dieselben seien in der von ihm benutzten sagenhaften Quelle, 
wie in unserem Epos, als Sarazenen bezeichnet worden; un- 
gewifs, wem er Glauben schenken sollte, der Sage oder der 
ihm vorliegenden historischen Quelle, der zufolge es vielmehr 
Normannen gewesen waren, zog er es vor, einer Entscheidung 
aus dem Wege zu gehen, indem er nur ganz allgemein von 
Barbaren sprach. Dafs ihm eine historische Quelle über jene 
Zeit zur Verfügung stand, das ergiebt sich ja aus seiner Be- 
merkung über die Flüchtung der Klosterreliquien von St. Riquier 
nach Sens. 

Was das R6sum6 Guido's betrifft, so stimmt seine Angabe, 
Isembard sei bei Ludwig in Ungnade gefallen „per adulato- 
rum iniqua consilia^^, er sei verbannt worden „non jure, sed 
per injuriam^\ vollkommen mit der Darstellung Mouskets, die 
wir in diesem Punkte als ursprünglich bezeichnen durften, 
überein; etwas neues erfahren wir von Guido nicht. 

Direkt als ein R6sum6 unseres Epos können wir nun auf 
Grund der bisherigen Ermittelungen auch bezeichnen, was ein 
dritter Historiker, Wilhelm von Malmesbury, in seinen 
schon wiederholt zitierten Oesta Regum Anglorurriy B. II, § 128^ 
von dem Kriege eines französischen Königs Ludwig gegen 
einen Renegaten Isembard zu berichten weifs: 

§ 128. De Hugone Capet, quomodo factus sit rex Frandae. 

Filius hujus Caroli [Karls lU.] fuit Lvdouncus: is a quo- 
dam IsambardOy qui, ad paganismum versus, fidem 
luserat, irritatus, proceres sicos de suffragio couvenit; quibu^ 
nee responsum referentibus , Hugo quidam, non magni nomi- 
nis tyrOj filius Rober ti comitis Montis Desiderii^ nitro pro 
domino duellum expetiitj et provocatorem interemit Lodo- 
wicus cum toto exercitu apud Pontivum subsecutus, omnibus 



1) ed. W. Stubbs, 1. 1, p. 139. 



— 97 — 

barbaris quos ille adduxerat vel ocdsis vel elapsis, opimam 
lauream obtinuit Sed non multo post, pro labore illius ex- 
peditionis extixma valitudine debilitatuSj heredem regni Hugo- 
nem illum instituit, praedicandae fidei et virtutis juvenem. 
Ita prosapia Caroli magni in ülo cessavit^ seu quod tiocor 
ejus sterilis fueraij seu quod pro brevitaie vitae absque prole 
decesserat 

Wir haben es hier offenbar mit nichts anderem zu thun 
als einer gelehrten Verballhornung des Inhalts unserer Chanson 
von Isembard und Gormund; in dem Bestreben, die Sage mit 
der Geschichte in Einklang zu bringen, die Gestalten der Sage 
mit historischen Persönlichkeiten zu identifizieren, hat der ge- 
lehrte Historiker willkürliche Änderungen vorgenommen; teil- 
weise mag ihm allerdings die Sage auch nur ungenau bekannt 
oder doch nur ungenau erinnerlich gewesen sein. Wenn er 
zunächst in dem König Ludwig, der in unserem Fragment als 
Sohn Karls d. i. Karls des Grofsen bezeichnet wird, Ludwig IV. 
d'Outremer (936 — 954), den Sohn Karls IIL des Einfältigen 
(893 — 923) erblickt, und wenn er diesen wieder mit Ludwig V. 
Fainäant (986 — 87), dem letzten Karoünger, identifiziert^ so 
dürfte er diese Verwechselungen schon in seiner Quelle vor- 
gefunden haben, da wir ihnen auch bei Mousket, in der Chanson 
von Hugues Capet, im Loher und Maller und bei Alberich von 
Troisfontaines begegnen. Auf Wilhelms eigene Rechnung sind 
aber gewifs die übrigen Abweichungen zu setzen: den Hugo 
der Sage, der in dem Epos als Ludwigs Bruder erscheint, iden- 
tifiziert er mit Hugo Capet, den er wieder mit seinem Vater, 
Hugo dem Grofsen, dem Sohne des Grafen Robert von Neustrien, 
identifiziert; aus dem Kundschafterritt Hugo's, bei dem dieser 
Isembards Rofs entführt, macht er — ich vermute, infolge 
mangelhafter Kenntnis der Sage — einen Zweikampf Hugo's mit 
Isembard, in dem letzterer getötet wird, während er dem Epos 
zufolge erst in der Schlacht seinen Tod fand; dafs eben jener 
Kundschafterritt die Grundlage von Wilhelms Erzählung bildet, 
erschliefse ich daraus, dafs hier wie dort Hugo dem Heer vor- 
ausreitet: „subsecuius^^ heifst es von Ludwig; endlich hat 
er Gormund ganz eliminiert, offenbar deshalb, weil er, wie 
wir sahen, in ihm den dänischen Seekönig Guthorm erkannte, 

Zenker, Das Epos von Isembaxd etc. 7 



— 98 — 

Gormunds Krieg gegen Ludwig IV. ihm mithin als eine chro- 
nologische Unmöglichkeit erscheinen mufste. 

Die Erzählung Wilhelms ist nun, als R6sum6 der Sage 
betrachtet, für uns insofern von Interesse, als durch sie ein 
Zug, der nur im Loher und Maller überliefert ist, als sehr alt, 
ja, da Wilhelm wenige Jahrzehnte nach der Entstehungszeit 
unseres Fragmentes schrieb, als vermutlich ursprünglich er- 
wiesen wird — ein Zug in eben jener Episode, auf die wir 
die Vermutung gründeten, dafs für den König Ludwig des Ge- 
dichts König Ludwig II., für Hugo der Abt Hugo von St. Ger- 
main und Tours als Modell gedient habe, und die wir deshalb 
als ursprünglich betrachteten. Es heifst im Loher und Maller, 
Ludwig habe, als er die Nachricht von dem Herannahen des 
feindlichen Heeres erhielt, seine Grofsen gefragt, wer von ihnen 
bereit sei, die Stärke des Feindes auszukundschaften: „Ihr 
Herren — fragte er — wer ist der, der zu dem Heere reiten 
will, zu überechlagen, wie viele ihrer sind? Da war keiner, 
der sein Haupt aufhub.'' Endlich macht Hugo sich anheischig, 
das Wagestück zu unternehmen. Dazu stimmt nun offenbar 
aufs schönste die Angabe Wilhelms: „proceres sttos de suffra- 
gio convenit; quihus nee responsum referentibus Hugo 
.... nitro pro domino duellum expetiiV^; nur handelt 
es sich hier nicht um einen Rekognoscierungsritt, sondern um 
einen Zweikampf. 

Soviel über die Fassung, in der unsere Sage bei Wilhelm 
von Malmesbury erscheint. 



Gorinund - Vurmo. 

Durch unsere bisherige Untersuchung sind wir zu dem 
Resultat gelangt, dafs von einer Beteiligung Guthorms an der 
Schlacht von Saucourt keine Rede sein kann und dafs auch 
das, was unser Epos von seinem Bündnisse mit einem Rene- 
gaten Isembard berichtet, ins Gebiet der Sage zu verweisen ist. 

Nun erhebt sich sofort die wichtige Frage : Wie hat diese 
ganze Sage entstehen können? Liegen ihr vielleicht doch irgend 
welche historische Thatsachen zu Grunde, die nur durch die 



— 99 — 

Dichtung umgestaltet, verschoben, aus ihrem ursprünglichen 
Zusammenhang herausgerissen worden sind? 

Was zunächst Gormund betrifft, so vermute ich, dafs sein 
eigentliches geschichtliches Vorbild gar nicht Guthorm-Aethel- 
stan gewesen ist — mit dem ihn die Sage allerdings sehr früh 
identifiziert haben mufs — , sondern ein anderer Wikinger- 
häuptling Namens Wurm, der sehr wohl der Anführer der Nor- 
mannen in der Schlacht von Saucourt gewesen sein kann und 
der jedenfalls kurz nachher auf französischem Boden nachzu- 
weisen ist. Ein Häuptling Wurm wird in zwei zeitgenössischen 
Chroniken genannt als einer der Anführer jenes Dänenheeres, 
welches im J. 882 in seinem befestigten Lager bei Elsloo an 
der Maas von Kaiser Karl dem Dicken belagert und zur Über- 
gabe gezwungen wurde ^: 

Annales Fuldenses a. 882 ^i . . ilUco rex arrepto itinere 
cum omni exercitu, fines et munitionein Nortmannoi^um , eorum 
cum ipsis regibus, id est Sigifredo et GodofridOy prindpibus 
Vurm, Hals intus incluMs, occupavit, 

Annales Bertiniani zum gleichen Jahre ^: Carolus autem 
nomine Imperator contra Nortmannos venit cum. multo exerdtu 
usque ad illorum firmitatem. Quo veniens^ concidit cor ejus, 
et placida mente Ootafridum cum suis ut baptisma su^ciperet 
et Frisiam aliosque honores, quos Roricus habuerat^ reciperet, 
interventtone quorumdam obtinuit. Sigefndo etiam et Vur- 
moni, iUorumque complicibus plura millia argenti et auri . . . 
eis dedit. 

Nun war dieses Normannenheer das gleiche — wenn auch 
jedenfalls durch Zuzug verstärkt — , welches bei Saucourt ge- 
kämpft hatte; es ist deshalb recht wohl möglich, dafs Wurm 
schon an jener Schlacht beteiligt gewesen war und dafs er sich 
unter den normannischen Häuptlingen besonders hervorgethan 
hatte. Jedenfalls konnte die Sage leicht darauf verfallen, ihn 
zum Anführer der Normannen in der Schlacht von Saucourt zu 



1) Vgl. Dümmler, Ost fr. Reich^ III, 201, 203. Mühlbacher, Reg, 
Imp, no. 1595 d, 1596 b. 

2) Pei-tz, SS.l, 396; Bouquet, Recuetl YllI, 41 D. 

3) Pertz, SS. I, 537; Bouquet, YIII, 36. 

7* 



— 100 — 

machen, wenn er, auch ohne an derselben dirtkt Teil genom- 
men zu haben, doch sonst unter den normannischen Häupt- 
lingen eben zu jener Zeit eine hervorragende Rolle spielte. Der 
Name Wurm, lat. Vurmo, mufste französiert Oarmon ergeben.^ 
Es wäre dann anzunehmen, dafs die Sage nachträglich Wurm- 
Gormon identifiziert hätte mit Guthorm-Gormon, von dem 
sagenhafte Nachrichten eben damals über den Kanal dringen 
mochten, dafs die angeblichen Thaten Guthorms auf Wurm 
tibertragen worden seien. Auf diese Weise würde sich offen- 
bar ganz natürlich die sonst höchst auffallende Thatsache er- 
klären, dafs die Sage einen dänischen Seekönig, der, soviel 
wir wissen, nur in England eine Rolle gespielt und das Fest- 
land überhaupt nicht betreten hat, zum Anführer der Dänen 
gemacht hat in einer Schlacht, in der ein fränkischer König 
einen Sieg über die Dänen des Festlandes davon trug. 

War nun die Sphlacht, welche unser Fragment schildert, 
eine solche zwischen Franken und Normannen, war Gormund 
in der Geschichte ein Normannenhäuptltng, dann drängt sich 
offenbar sofort die Frage auf: Wie kommt es, dafs in unserer 
Chanson die Normannen zu Sarazenen, zu „Türken, Persem und 
Arabern" geworden sind, dafs Gormund selbst bezeichnet wird 
als „der aus dem Orient'', „der Araber", ja dafs er, zwar 
nicht in unserem Fragment — was nur Zufall sein wird — , 
wohl aber in allen jüngeren Zeugnissen über die Sage geradezu 
„König von Aifrika" heifst? Wie ist diese merkwürdige Ver- 
wandlung zu erklären? Verschiedene Ansichten sind darüber 
aufgestellt worden. 



1) Schon Lot, Romania XIX, 594 hat auf Vurmo als das geschicht- 
liche Vorbild Gormunds hingewiesen. Doch bin ich völlig unabhängig von 
Lot, dessen kurae Mitteilung mii' entgangen war, auf die gleiche Vermutung 
gekommen; anderenfalls würde ich es nicht unterlassen haben, in meinem 
auf der 42. Philologenversammlung zu Wien gehaltenen Vortrag Lot als 
den Urheber dieser Vermutung namhaft zu machen. Die zweite der ange- 
führten Stellen wird wörtlich bei Dümmler III, 203 citiert, konnte mir also 
unmöglich entgehen. Übrigens hat vor Lot schon Lair in seiner Ausgabe 
des Dudo von St. Quentin, 1865, p. 45 Gormund, freilich nicht den Gor- 
mund unseres Epos, sondern den Alstagnus, vulgo Qurmundus des Hugo 
von Fleury, als identisch bezeichnet mit Vurmo -Oormon, 



— 101 — 

Lappenberg, der unsere Sage nur aus der Stelle bei 
Galfrid von Monmouth kennt, mächt Geschichte von England 
II, 408 (Zusatz zu I, 324) darauf aufmerksam, dafs die wal- 
lisischen Chroniken die Dänen als Dub Gale^ d. i. „Schwarze 
Fremde'^ bezeichneten^ und meint nun, wenn Galfrid eine 
wallisische Quelle benutzt habe, so könne jene Bezeichnung 
ihn vielleicht veranlafst haben, Gormund für einen Afrikaner 
zu halten. Nun wird aber Gormund schon lange vor Gal- 
frid, schon in unserem Fragmente, als Sarazene bezeichnet. 
Wollten wir deshalb die in Rede stehende Verwandlung zurück- 
führen auf die Bezeichnung der Dänen als Dub Oale, so 
müfsten wir annehmen, Gormund sei schon als Sarazene über 
den Kanal gewandert; wir müfsten annehmen, es habe eine 
keltische Tradition über ihn existiert, die ihn als einen Dub 
Oale bezeichnete und diese Bezeichnung sei der Anlafs ge- 
worden, dafs die, dann später nach Frankreich gewanderte, eng- 
lische Sage ihn zu einem Afrikaner oder Sarazenen machte. 
Gegen diese Annahme spricht aber einmal, däfs, soweit mir 
bekannt ist, wallisische Quellen von Gormund nichts wissen; 
was Irland betrifft, so haben wir ja das ausdrückliche Zeugnis 
des Girald von Barri, dafs Gormund in Irland gänzlich unbe- 
kannt sei 2; sodann spricht gegen jene Annahme, dafs Wilhelm 



1) Eine Erklärung des Ausdruckes dtcb gale, dub genti für die Dänen 
und des entsprechenden Ausdruckes find gale, find genti „TVeilse Fremde, 
weilse Heiden" für die Norweger hat vei"sucht Zimmer, Zeitschr, f. deutsches 
Altert,, B. 35 (N. F. 23), S. 97. Er meint, die ei-sten Wikinger auf Irlands 
Boden seien Noi^woger gewesen; diese hätten oft den Beinamen Hviti ge- 
führt, weshalb man sie 5e?iVi - Heiden , Find Oenti, genannt habe. Als 
man dann norwegische und dänische Wikinger zu unterscheiden angefangen, 
sei die ursprüngliche Bedeutung des Namens in Vergessenheit geraten ge- 
wesen, man habe Find Oenti aufgefafst als „Weifse Heiden* und habe, 
um den Gegensatz zu bezeichnen, die Dänen ^Schwai^ze Heiden" genannt. 
Auch könne mitgewirkt haben , dafs die Dänen von Süden kamen und zum 
Teil in Spanien gewesen waren; diese hätten vielleicht von Afrika zu er- 
zählen gewufst und seien deshalb als Afrikaner betrachtet worden. 

2) Gegenüber der Behauptung des Giraldus, Gurmund sei in Irland 
gänzlich unbekannt, weist allerdings ein irischer Schriftsteller des 17. Jh., 
üsser, in seinen Britannicarum Ecclesiarum Äntiquitates , Dublin 1639, 
p. 571 darauf hin, dafe noch jetzt eine porta Ourmundi zu Dublin existiere, 
dafe ein nahe bei der Stadt gelegenes kleines Landgut (praediolum) den 



— 102 — 

von Malmesbury Gormund und Guthorm (Gudram) identifiziert; 
denn dies macht es wahrscheinlich, dafs für die englische Sage 
damals Gormund noch Däne war. Die Vermutung Lappen- 
bergs, die im Hinblick auf die Stelle bei Galfrid von Mon- 
mouth zuläXsig war, ist mithin unserem Fragmente gegenüber 
nicht aufrecht zu erhalten. 

G. Paris, Eist litt XXVIII, 251 erblickt, wie schon S. 3 
bemerkt, in der Verwandlung der Normannen in Sarazenen 
eine Folge der Kreuzzüge, er rückt ebendeshalb unser Fragment 
in die erste Hälfte des 12. Jh. herauf. Gegen diese Ansicht — 
die G. Paris übrigens möglicherweise inzwischen selbst aufge- 
geben hat, vgl. S. 3 — scheint mir zweierlei zu sprechen. 

Einmal die folgende Erwägung: Für den epischen Dichter, 
der zu Anfang des 12. Jh. die Normannen in Sarazenen um- 
kostümiert haben sollte, lagen die erzählten Ereignisse doch 
bereits in einer grauen Vergangenheit; er müfste also, falls 
er jene Änderung traf, die Vorstellung gehabt haben, schon 
in jenen fernen Zeiten seien die Sarazenen mit den Christen 
in stetem Kampfe gelegen. Konnte aber eine solche Vorstellung 
als eine Wirkung des ersten Kreuzzuges der Jahre 1096 — 99 
sich wohl schon zu Anfang des 12. Jh. gebildet haben, mulste 
es damals nicht noch in aller Erinnerung sein, dafs jener Zug 

Namen Orange- Oorman führe, desgleichen der nicht weit von der Stadt 
entfernte Stammsitz der Vize -Grafen von Prestor den Namen Oomians- 
toton (Oormanston ca. 35km nördlich von Dublin an der Küste?), dafe 
femer bei Leghlin nicht nur ein Öminundi nemus und ein Öormundi 
vadum existierten, sondern auch noch vor kurzem, im J. 1589, nach dem 
Zeugnis des Thadaeus Doulingus in seinen Annales Hibemici auf einem 
Grabstein in der Kirche zu Leghlin die Inschrift gestanden habe: 
Hie jacet humattis Dttx fundator Lentae (=Legh-leniae) 
Bn Qormundi Burchardtis, vir grattis Ecclesiae, 
Der genannte Doulingus behaupte an der betreffenden Stelle, Gurmund 
habe nicht ganz Irland, sondern nur Lagenia und Meath sich unterworfen 
und seinen Sohn Burchardus als Herzog des Mons Margeus eingesetzt. 

Es ist klar, daJfe wir es hier entweder mit einem viel jüngeren, histo- 
rischen Gorman oder Gormund zu thun haben oder mit einer späteren, nach 
Giralds Zeit erfolgten Lokalisierung der Sage. 

Yon Interesse ist noch die Bemerkung Ussers: y^Oireeestrenses . . . 
Orismundi quam ostentant turrem a Ourmundo positam fuisse credunV' ; 
darnach scheint es, als ob die Sage von Gormund noch im 17. Jh. in Eng- 
land lebendig war. 



— 103 — 

nach dem heiligen Lande eben der erste gewesen war, dafs ihm 
andere Kriege mit den Sarazenen nicht vorausgegangen waren? 
Unser Fi^ment aber etwa gegen die Mitte des Jahrhunderts 
heraufzurücken, das verbietet doch entschieden der altertüm- 
liche Charakter der Sprache. 

Das zweite Bedenken gegen die Ansicht von Gr. Paris ent- 
nehme ich der auffälligen Thatsache, dafs Hariulf in seinem 
vor 1088, also vor dem ersten Kreuzzug, verfafsten R6sum6 
sich über die Nationalität Gormunds und seines 'Heeres nicht 
äufsert; denn, wie oben dargelegt wurde, erklärt sich diese 
Thatsache am einfachsten durch die Annahme, die von ihm 
benutzte sagenhafte Quelle habe die Normannen im Wider- 
spruch mit seiner historischen Quelle als Sarazenen bezeichnet 

Storm, Kritiske Bidrag , S. 193 und Nyrop-Gorra, Storia 
delV epopea franeese, p. 198 (vorher schon Roynania VIII, 280 
n. 3) sehen in der Bezeichnung Gormunds als Sarazenen nur einen 
epischen Gemeinplatz: „Dafs Gorm im 11. oder 12. Jh. Sara- 
zene wurde", sagt Storm, „dazu stimmt vollkommen, dafs die 
französische Heldendichtung auch den Longobardenkönig Desi- 
derius und den Sachsen Widukind in Sarazenen verwandelte. 
Der nächste Schritt war dann, die Sarazenen in Afrikaner zu 
verwandeln; denn die Feinde der Franken in Sicilien wie in 
Spanien und Palästina waren abwechselnd Araber und Mauren.'' 
Nyrop meint a. a. 0., die fragliche Bezeichnung dürfe nicht 
auffallen, „poicke nel piccolo frammento del poema che d e 
rimasto, puö mostrar si un numero non piccolo di luoghi cO'- 
rnunij i quali attestano che la redaxione ri7nasta doveva essersi 
giä allontanata dalU originale e aver ricevuio diversi tratti 
stereotipati dai ritnanenti poemi epici.^^. Er weist auf eine in 
der Anglia IV, 384 zitierte Stelle hin, wo von den Normannen 
gesagt werde: „Li Sarrasin qui vinrent d'Ängleterre^^, Aber 
dafs schon zu Ende des 11. oder zu Anfang des 12. Jh. die 
Bezeichnung der Feinde der Christenheit als Sarazenen zu einem 
epischen Gemeinplatz geworden war, das müfste eben erst be- 
wiesen werden; von den uns erhaltenen Epen geht aulser dem 
Kolandsliede bekanntlich keines in jene frühe Zeit zurück. Das 
von Nyrop zitierte Beispiel ist sehr wenig glücklich gewählt; 
denn jene „Sarazenen, die von England kamen'', sind ja eben 



— 104 — 

Gormund und Isembard, die Stelle ist entnommen aus der S. 27 
erwähnten Genealogie der Grafen von Boulogne, sie beruht also 
auf unserem Epos, und Wissmann, der sie a. a. 0. in einer 
Abhandlung über den King Hörn anführt, erwähnt ausdrücklich, 
der Name der Sarazenen sei auf die nördlichen heidnischen 
Völker, die sich dem Seeraub widmeten, erst während der 
Kreuzzüge übertragen worden; er merkt an, dafs Geoffroi 
Gaimar Danes und Saraxin noch nicht als gleichbedeutend 
betrachte. 

Von den bisher vorgeschlagenen Deutungen der in Rede 
stehenden Thatsache vermag also keine recht zu befriedigen. 
Wir werden denn auch im Folgenden sehen, dafs die Er- 
klärung in einer ganz anderen Richtung zu suchen ist, in 
einer Richtung, in der man sie freilich bisher nicht wohl 
suchen konnte. Der Nachweis des historischen Vorbildes für 
Isembard wird uns zugleich den Schlüssel liefern zu der sonder- 
baren Metamorphose der Normannen Gormunds in Sarazenen 
und Afrikaner. 

Eine Besprechung heischt nun zunächst noch die Sage von der 
Einnahme Cirencesters durch Sperlinge, die, wie wir oben sahen, 
höchst wahrscheinlich schon in dem alten Epos enthalten war. 

Die Sperlings -Episode; Ceawlln. 

Über die Verbreitung der Sage von der Einäscherung einer 
belagerten Stadt durch Vögel, denen man kleine Feuerbrände 
— brennende Schwämme, Nufsschalen mit brennendem Pech 
u. ä. — angebunden hat, handelt kurz schon Steenstrup, 
Normannerne I, 24, doch erschöpfen seine Bemerkungen den 
Gegenstand noch nicht. 

Die betreffende Kriegslist wird aufser von Gormund (Brut 
Tysylio, Wace, Layamon, Vita Merlini, Loher und Maller) noch 
von einigen anderen Heerführern erzählt; es soll sie nämlich 
angewandt haben: 

1. nach Gefifrei Gaimar, Estorte des Engles (verf. 1147 — 51), 
V. 855 — 72, ed. Hardy und Martin, London 1888, I, p. 35, 
Monumenta Historica Britafinica, p. 775, der erste westsäch- 
sische König Cerdig (f 534) gleichfalls gegen Cirencester; 



— 105 — 

2. nach Nestors Russischer Chronik (verf. nicht nach An- 
fang des 12. Jh.; ed. Miklosich, Wien 1860), übers, von J. Müller, 
Alirussische Geschichte nach Nestor y Berlin 1812, S. 120 ff. 
die russische Königin Olga im J. 946 gegen die Stadt Iskorsten 
(Nestor, Mönch von Kiew, verarbeitet vielfach skandinavische 
Sagen, vgl. Miklosich a. a. 0. p. V); 

3. nach Saxo Gramm aticus, Hist Dan, (Ende 12. Jh.), 
Buch I, ed. Holder, Strafsburg 1886, p. 24 der Dänenkönig 
^2i^t\xig[HaMingus) gegen die Stadt Duna im Hellespont, anläfs- 
lich seines Krieges mit dem König Handuvanus (dem Aridvari 
der Edda, vgl. Detter, Paul und Braune's Beiträge XVIII, 80); 

4. nach demselben, Buch IV, ed. Holder, p. 119 der 
Dänenkönig Fridleif „Hadingiani acuminis ingetiium aemu- 
laiiis" gegen die Stadt Dublin (Duflynum)-, 

5. nach Snorre (1178 — 1241), Harald Haardraades Saga, 
c. 6, Konunga-Bokenj öfversatt af Hildebrand, örebro 1871, III, 
S. 8, Harald Haardraade (seit 1033 Anführer der Waräger- 
schar am Hofe zu Constantinopel, 1047 — 66 König von Nor- 
wegen, vgl. Jahresher. /". Oesohichtsivissensch. 5, II, 395) gegen 
eine Festung in Sicilien. 

Es wäre nun für uns von Wichtigkeit, zu ermitteln, an wessen 
Namen die Sage ursprünglich geknüpft gewesen sein mag, ob 
an den Gormunds oder an den eines anderen Häuptlings, und 
wenn das letztere, von wem sie auf Gormund übertragen wurde. 

Zunächst ist die Fassung der Sage in no. 1 und 3 — 5 die 
gleiche, wie in den auf Gormund bezüglichen Quellen (unter den 
letzteren weicht nur Layamon etwas ab, worüber unten), no. 2 
hingegen nimmt eine Sonderstellung ein. Während nämlich dort 
die Vögel von den Belagerern eingefangen werden, liefern 
hier die Belagerten sie selbst als Tribut 

Nestor erzählt, Olga habe nach vergeblicher einjähriger Be- 
lagerung der Stadt den Dreviem — den Bewohnern — erklärt, 
sie sei bereit, abzuziehen, wenn sie ihr als Tribut drei Tauben 
und drei Sperlinge von jedem Hofe gäben; die Drevier seien auf 
den Vorschlag eingegangen, Olga habe dann die Vögel in der 
bekannten Weise benutzt, um die Stadt in Brand zu stecken. ^ 

1) Ein wackerer Gelehrter des 18. Jh., Tselin, hat es für nötig ge- 
halten, sich auf Grund eines Experimentes über die Glaubwürdigkeit von 



— 106 — 

Es fragt sich, welche von beiden Versionen die ursprüng- 
liche ist: meiner Ansicht nach die erstere. Dafs nämlich ein so 
wesentlicher Zug wie der, dafs die Vögel von den Belagerten 
selbst als Tribut geliefert werden, sich verwischt haben sollte, 
ist m. E. nicht recht wahrscheinlich, für eine bewufste Ände- 
rung wäi'e aber ein Grund nicht zu ersehen; andererseits ist 
es recht wohl erklärlich, dafs aus jener anderen Version die 
Nestor'sche wurde. Es liegt nämlich bei der ersteren offenbar 
die Frage nahe: Welche Garantie haben denn die Belagerer, dafe 
die von ihnen eingefangenen Vögel gerade nach der belagerten 
Stadt fliegen, es könnte ja sein, dafs sie ihren Flug ganz anders 
wohin nähmen? Diese Erwägung konnte leicht dazu führen, 
dafs man darauf verfiel, die Vögel den Belagerern von den Be- 
lagerten selbst als Tribut liefern zu lassen: da die Vögel aus 
der Stadt stammen, so fliegen sie natürlich dahin zurück. Aus 
diesem Grunde möchte ich denn glauben, dafs die Nestor'sche 
Version nicht ursprünglich ist, dafs mithin die Sage auf Olga 
erst übertragen wui-de. 

Wenn sodann nach Saxo Hasting die Stadt Duna, Fridleif 
die Stadt Dublin in der in Rede stehenden Weise eingenommen 
haben soll, so macht Steenstrup darauf aufmerksam, dals hier 
offenbar eine Verwechselung von Duna und Duflyna, Duna- 
bo rg und Duflynaborg vorliege; dafs die Sage von Hasting auf 
Fridleif, nicht umgekehrt von diesem auf jenen übertragen 



Nestora Erzählung ein Urteil zu bilden; er ist aber zu dem Resultat ge- 
langt, dafs alles einfältige Lüge sei: „Vögel **, sagt er, „die Feuer an sich 
tragen, können nicht weit fliegen. Ich selbst vereuchte das mit Krähen: 
ich band ihnen Feuer an die Füfse, sie drehten sich in die Runde, hoben 
sich in die Höhe, fielen aber fast gerade an dem Platze wieder nieder, von 
dem sie aufgeflogen waren.'* S. Schlözer, Etiss. Ännalen, Göttingen 1809, 
V, 47. Er mufs sich aber wegen seines Unglaubens von Müller a. a. 0. 
S. 217 scharfen Tadel gefallen lassen: „Heifst das das Verfahren Nestors 
beobachten? Keineswegs; denn nach diesem mufs das Feuer erst allmäh- 
lich durchbrennen.'' M. weist unter Berufung auf Hagek, Böhm. Chronik 
a. 1422 darauf hin, dafs der Fürst von Molfsen, Heinrich von Plauen, das 
gleiche Verfahren gegen die böhmische Stadt Saatz angewandt habe, nur 
durch die Vorsichtigkeit der Einwohner sei das Unglück abgewendet wor- 
den; er zitiert ferner als einen Beweis des hohen Alters des Verfahrens 
Buch der Richter XV, 4, 5 (Simsons Füchse F). Wegen Saatz vgl. auch 
Pierer, Universal- Lexikon y 2. Ausg., s. v. Saatz. 



— 107 — 

worden sei, schliefst er daraus, dafs irische Quellen die Sage 
nicht kennen. Ich möchte Steenstrup hier beistimmen, ebenso 
bezüglich seiner Ausführungen über Harald Haardraade; als 
Bedenken gegen die Annahme, die Sage sei ursprünglich von 
ihm erzählt worden, macht er geltend, dafe von den vier bei 
Snorre ihm zugeschriebenen Kriegslisten eine sicher von einem 
andern nordischen HäuptUng, von Hasting, erst auf ihn über- 
tragen worden ist, dafs der Name der eroberten Stadt bei 
Snorre nicht genannt wird und dafs die List gegen eine Festung 
in Sicilien angewandt worden sein soll. 

Es bleiben somit noch Gormund, Cerdig und Hasting. 
Die auf Cerdig bezügliche Stelle bei Gaimar ist Steenstrup 
unbekannt geblieben, Gormund und Hasting hält er für iden- 
tisch — wie oben S. 84 gezeigt wurde, mit Unrecht. Es fragt 
sich also noch, wem von diesen dreien die Priorität zukommt. 

Die Stelle bei Gaimar lautet folgendermafsen : 

Vint e quatre anx dura la guere, 

ainz ke Certiz poust conquere 

sur les Bretons gueres de chose: 

idonc ert Oirecesire close, 

mes par la mesguarde as Bretons 

fust alum6 par mtissons, 

ki feu e suffre dedenx pcrrterent, 

et des meissons muh alumerent, 

e li seges ki dehors fu, 

firent Vasalt par grant vertu. 

Donc fu cele cit6 conquise^ 

e Oloucestre refu prise; 

tresk a Saverne tut conquistrent, 

tux les meillurs Bretons oscistrent, 

e de la mer, u ariverent, 

tresk'a Saverne, a eis tumerent 

tut fe pais, et le regn4, 

e les Bretons en unt chasc4. 

Vergleicht man diese Stelle mit dem auf Gormund bezüg- 
lichen Passus bei Galfrid von Monmouth, so wird man nicht 



— 108 — 

zweifeln, dafs zwischen beiden ein Zusammenhang besteht: 
entweder Gaimars Erzählung beruht direkt auf Galfrid, den er 
anerkanntermafsen benutzt hat, oder aber, sie geht mit der 
Galfrids in letzter Linie auf die ' gleiche Quelle zurück. Im 
ersteren Falle müfsten mir annehmen, Gaimar habe erkannt, 
dafs Careticus mit dem Cerdig der Angelsächsischen Chronik, 
einer seiner Hauptquellen, identisch, desgleichen, dafe die Er- 
zählung Galfrids von einem Kriege Gormunds, den er später 
richtig ins 9. Jh. versetzt, gegen Careticus unhistoriseh ist, er 
habe deswegen dem Careticus, von dessen Kriegen gegen die 
Briten die Angelsächsische Chronik berichtet, die Kolle Gor- 
munds zugewiesen und die Erzählung von der Einnahme 
Cirencesters durch Sperlinge, wie Brut Tysylio und Wace, aus 
einer anderen, mündlichen oder schriftlichen Quelle entnommen. 
Im andern Falle — wenn die Erzählung Galfrids und Gaimars 
auf die gleiche QuoUe zurückgeht — müfsten wir annehmen, die 
Sage von der Einnahme Cirencesters sei ursprünglich an Cer- 
digs Namen geknüpft gewesen, sie sei erst von ihm auf Gor- 
mund übertragen worden und Gaimar habe uns, doch wohl 
auf Grund einer alten schriftlichen Quelle — Gaimar hat Quellen 
benutzt, welche uns unbekannt sind — gegenüber Galfrid jene 
ältere Fassung der Sage aufbewahrt Es fragt sich, für welchen 
von den beiden Fällen wir uns zu entscheiden haben: ich 
denke doch, für den letzteren. Da wir nämlich doch einmal 
genötigt sind, der Sperlings-Episode wegen, für Gaimar neben 
Galfrid von Monmouth eine zweite Quelle anzunehmen, so 
liegt es jedenfalls viel näher, auch die übrigen Abweichungen 
Gaimars von Galfrid eben auf die Benutzung jener anderen 
Quelle zurückzuführen, als in ihnen willkürliche Änderungen 
zu erblicken, die Gaimar an der Darstellung Galfrids vor- 
genommen habe. Sodann spricht für die Unabhängigkeit 
Gaimars von Galfrid sehr entschieden die folgende Erwägung. 
Gaimar berichtet, dafs Cerdig aufser Cirencester auch 
noch Gloucester eingenommen habe; nun meldet die 
Angelsächsische Chronik zum J. 577, dafs eben diese beiden 
Städte, dazu eine dritte Stadt, Bath, der westsächsische 
König Ceawlin, Cerdigs Enkel (560 — 593), im Bunde mit 
einem anderen sächsischen Fürsten, Cuthwin, eingenommen 



— 109 — 

habe.^ Dieses Zusammentreffen kann doch unmöglich auf 
einem Zufall beruhen; wir werden annehmen müssen, dafe 
eine Verwechselung Cerdigs und Ceawlins vorliegt Dafs nun 
nicht etwa Gaimar selbst sich dieser Verwechselung schuldig 
gemacht hat, das ergiebt sich daraus, dafs er später, V. 993, 
aiif Grund der Angelsächsischen Chronik die Eroberung eben 
jener drei Städte durch Ceawlin berichtet. Die Verwechselung 
mufs also schon in seiner Quelle vollzogen gewesen sein, die- 
selbe muls die Eroberung Cirencestei's und Gloucesters dem 
Cerdig zugeschrieben haben. 

Ist dem nun so, dann mufs die Gaimar'sche Version zu- 
gleich als die ursprüngliche betrachtet werden, da ja Cerdig um 
350 Jahre älter ist als Gormund und Gaimars Erzählung, inso- 
fern Cerdig wie Ceawlin ein sächsischer Fürst war, der Ge- 
schichte näher steht als die Galfrids, der die Eroberung Ciren- 
cesters Gormimd, dem Dänen, zuschreibt; dann ist also jene 
Kriegslist erst von Cerdig auf Gormund, und dann von diesem 
auf die übrigeii nordischen Häuptlinge übertragen worden. Da 
nun, wie aus Gaimars Darstellung hervorgeht, die Einnahme 
Cirencesters auf Cerdig selbst erst von Ceawlin übertragen 
worden war, so ist es gewifs einigermafsen wahrscheinlich, 
dafs das gleiche gilt bezüglich der Art und Weise, wie die 
Stadt eingenommen worden sein soll, dals also auch jene Sper- 
lingslist urprünglich an den Namen Ceawlins geknüpft war. 
Die Filiation wäre dann also die folgende: 

Ceawlin 

^ I 

Cerdig (Gaimar) 

I 

Gormund (Brut Tysylio etc.; Galfrid) 

^1 h 1 

Olga Hasting Harald Haardraade 

Fridleif. 



1) Earle, p. 18: A. 577. Her Ctißwine and Ceawlin fiihton wiß 
Brettas . and hie III kyningas ofslogon. Commail and Condidan and 
Farinmail . inpcere stowe pe is gecueden Deorham . and genamonlll ceastra 
Oleawan ceaster and Cirenceaster and Bapan csa^ter. 

Dafe die Einnahme Cirencesters von der Angelsächsischen Chronik 
dem Ceawlin zugeschrieben werde, hat gelegentlich einer Kritik der auf 



— 110 — 

Dafür nun, dafs die Sage jedenfalls in England zu Hause, 
dafs sie angelsächsischen Ursprunges ist, scheint mir auch die 
folgende Beobachtung zu sprechen. 

Layamon, der englische Bearbeiter des Wace, der aber, 
wie wir wissen, aufserdera vielfach die Volkssage benutzt hat 
(vgl. S. 20), weicht bezüglich eines Punktes in der Erzählung 
der in Rede stehenden Episode von allen übrigen Denkraälem, 
die uns dieselbe überliefern, ab. Während nämlich sonst 
stets die Belagerer selbst es sind, welche die Kriegslist 
ersinnen, erscheint bei Layamon als ihr Urheber ein fremder, 
heidnischer Mann, von dem keine andere Quelle etwas 
weifs. 

„Als Gormund und seine Mannen — heiM es — eines 
Tages [während der Belagerung Cirencesters] fröhlich waren 
und trunken von Wein, da kam ein heidnischer Mann (an 
heäene mon) — verflucht sei er! — und fragte nach König 
Gormund. „Sage mir, Herr Gormund, — Du bist ein mäch- 
tiger König — wie lange willst Du noch liegen um diese 
Burg? Was willst Du mir geben, wenn ich Dir die Burg in 
die Hände liefere und alles was darin ist. Deinen Willen zu 
thun, so dafs nichts übrig gelassen wird, alles sollst Du be- 
sitzen." Da antwortete Gormund, der mächtige heidnische König: 
„Ich will Dir eine Grafschaft geben, immer zu besitzen, unter 
der Bedingung, dafs Du mir rasch die Burg überlieferst." Dies 
wurde verabredet — wenige Menschen wufsten darum. Dann 
stand der heidnische Mann auf und suchte Netze, die eng ge- 
woben waren, und Werkzeuge dazu, und schnitt sie sehr eng; 
davor schüttete er Futter, Spreu und Hafer, so richtete er es 
aus. Und Sperlinge kamen heran und auf den ersten Zug fing 
er ihrer viele; und er nahm sie behutsam vom Grunde, so 
dafs ihre Kttige nicht beschädigt wurden. Dann suchte er 
Nulsschalen, und nahm die Kerne heraus, und nahm Zunder 
und liefs ihn in die Schalen thun, und that, bevor es Nacht 



Gormund bezüglichen Überlieferungen schon Usser, Britannicarum Ecele- 
siarum Antiquitates, Dublin 1639, p. 569 bemerkt: j,Verum in Anglo- 
sttoconum anttquioribus historiis non modo de Ourmundo isto altissimum 
est silentium, sed etia/m captae Cireeestriae et domttonim Britonum inte- 
gra laus Oecidentalium Saxonum regt Geaulino tribuiturJ' 



~ 111 — 

wurde, Feuer hinein, diese band er den Sperlingen an die 
Füfse und liefs sie fliegen, viele Sperlinge." Die Sperlinge 
fliegen nun in die Stadt, lassen sich in den Dachrinnen und 
auf den Kornböden nieder und stecken die Stadt in Brand, 
die den Belagerern eine leichte Beute wird (Layamon, Bruty 
ed. Fr. Madden, t. III (London 1847), S. 170, 7. 21 bis S. 174, 
V. 14). Von dem heidnischen Manne ist weiter nicht mehr 
die Rede. 

Es ist nun klar, dafs es mit diesem geheimnisvollen Fremd- 
ling, der plötzlich in Gormunds Lager auftaucht und ihm zum 
Siege verhilft, irgend eine besondere Bewandtnis haben mufs; 
r/g Ttöd-ev elg ävdQCJv; Ttö&i toi TtöXig '^de rox^eg; möchte 
man ihm zurufen — Layamon erteilt uns darüber keinerlei 
Auskunft. Ich halte es nun für wahi-scheinlich, dafs wir in 
ihm keinen anderen zu erkennen haben als Odin, den germa- 
nischen Kriegsgott, selbst. Sein Auftreten entspricht durchaus 
dem Charakter Odins, wie ihn uns die Sagen der nordischen 
Völker zeigen: 

Odin ist zunächst der Gott des Krieges und selbst Krieger, 
er ist der oberste Leiter aller kriegerischen Unternehmungen, 
hat den Sieg in Händen und steuert die Seinen mit sieg- 
bringenden Waffen aus; er ist deshalb der Gott der Fürsten, 
die von ihm ihre Herkunft ableiten^; auf dem Schlachtfeld lehrt 
er neue Schlachtordnung und kämpft selber mit. Er ist aber 
zugleich der Gott aller List, oder, nach dem Ausdruck eines 
christUchen Schriftstellers , der Gott aller Diebereien und Betrüge- 
reien. ^ Er ist dann weiterhin ein unermüdlicher Wanderer, 
er nimmt als solcher die verschiedensten Gestalten an und 
besucht unerkannt die Heimstätten der Menschen: er erscheint 
als Knecht, der sich als Emtearbeiter verdingt, als Fährmann, 
als greiser Skalde, als Wanderer, der von den Königen dw 
Vorzeit erzählt u. s. w.; als ankommender Fremdling weicht er 
gerne der Angabe seines wahren Namens aus und legt sich 
einen solchen bei, der allgemein den Wandersmann, den Her- 
bergsuchenden, den Unbekannten bezeichnet.^ So erscheint er 

1) E. Mögt in Pauls Orundrifs der germ. Philol. I, 1075 f. 

2) Mogk ib. S. 1080. 

3) Uhlaud, Schriften xur Oesek, u. Sage, B. VI, 305. 



— 112 — 

in menschlicher Gestalt dem Dänenkönig Hrolf kraki und er- 
bietet sich, ihm Helm und Paozer zu schenken; dieser aber 
erkennt den Gott nicht und verweigert die Annahme, was zur 
Folge hat, dafs das Kriegsglück ihn verläXst^ 

Wie man sieht, ist die Rolle, die der heidnische Mann 
bei Layamon spielt, ganz im Charakter Odins gehalten: Er 
taucht als ein Unbekannter plötzlich auf, wir erfahren nicht, 
woher er kommt und wer er ist, er beweist sich als der Freund 
Gormunds des Fürsten, als der Listenkundige und als der 
Siegverleiher. Durch die Annahme, der Fremdling sei Odin, 
gewinnt die Layamon'sche Fassang überhaupt erst einen Sinn; 
denn andernfalls wäre es durchaus nicht einzusehen, wie die 
Sage dazu gekommen sein sollte, zum Urheber der siegbringen- 
den üst statt, wie es doch am nächsten lag, Gormund selbst, 
einen mit der Erzählung sonst in gar keinem Zusammenhang 
stehenden fremden Mann zu machen. 

Trifft nun diese Annahme zu, dann ist die Layamon'sche 
Fassung der Geschichte ihres mythologischen Charakters wegen 
sicher die älteste, die ursprünglichste, dann repräsentieren die 
anderen Versionen, welche von einem Eingreifen Odins nichts 
mehr wissen, eine jüngere Stufe der Sagentradition. 

Nun spricht gewifs einige Wahrscheinlichkeit dafür, dafe 
die Sage da zu Hause ist, wo sie uns in ihrer ursprünglichsten 
Gestalt entgegentritt. Deshalb möchte ich aus der Layamon'- 
schen Version den Schlufs ziehen, dafs die Sage aus England 
stammt — eine Annahme, deren Wahrscheinlichkeit erhöht 
wird durch die Thatsache, dafs Odin gerade bei den Angel- 
sachsen hoch verehrt wurde ^ und dafs die Angelsächsische 
Chronik den Stammbaum der einheimischen Fürsten ausdrück- 
lich auf Odin (Wodeii) zurückführt. ^ 



1) Mannhardt, Die Oötterwelt der deutsch, u. nord. Völker I, Berlin 
1860, S. 163. 

2) Vgl. Kemble, The Saxons in Engla9id, London 1849, I, 338. 

3) Vielleicht war eben der Umstand, dafs Odin in der in Rede stehen- 
den Geschichte als der Freund des Helden auftrat, der Anlass, dafe sie 
auf Hasting übertragen wurde. Hasting erscheint nämlich bei Saxo als der 
besondere Liebling Odins. Er ist es — grandaevus forte quidam altero 
orbus oculo — , der den jungen Hasting der Einsamkeit entreifet und ihm 



— 113 — 

Im Hinblick auf das Gesagte möchte ich also annehmen, 
dafs die Geschichte von der Einäscherung Cirencesters durch 
Sperlinge ursprünglich an den Namen Ceawlins geknüpft war, 
dafs sie von ihm auf Cerdig und von diesem wieder auf Gor- 
mund übertragen wurde; der Grund der Übertragung der Ge- 
schichte von Cerdig auf Gormund dürfte zu suchen sein in 
dem einjährigen Aufenthalt Guthorms und seines Heeres bei 
Cirencester, aus dem die Sage leicht eine Belagerung der Stadt 
machen konnte. 



Isembard ,,11 Margavi^". 

Dafs wir, wie in Gormund, so auch in Isembard, dem eigent- 
lichen Helden unseres Epos, nicht etwa eine freie Schöpfung 
der dichterischen Phantasie, sondern das poetische Abbild einer 
ganz bestimmten historischen Persönlichkeit zu erblicken haben, 
darüber kann von vornherein ein Zweifel nicht bestehen. Frag- 
lich mufs es nur erscheinen, ob wir bei der grofsen Lücken- 
haftigkeit der historischen Überlieferung jener Zeit auch im 
Stande sein werden, die Persönlichkeit, welche für ihn als 
Modell gedient hat, ausfindig zu machen. 

Dafs das, was wir aus Geschichte und Urkunden über 
den gleichnamigen Grafen von Mäcon, den Sohn des Warin, 
erfahren, uns in keiner Weise zu der Annahme berechtigt, der- 
selbe habe in der Geschichte eine auch nur entfernt ähnliche 
Bolle gespielt wie Isembard in unserem Epos, das wurde oben 
des nähern dargelegt. Wir müssen nun aber bei einem Punkt 



deu Piraten Lysis als Genossen zufühi-t. Als beide in einer Schlacht be- 
siegt werden, da nimmt wieder Odin sich seiner an, er hüllt ihn in seinen 
eigenen Mantel, führt ihn auf seinem Rofs mit sich in seine Wohnung und 
stärkt ihn durch einen Zaubertrank. Als Hasting später zu Felde zieht 
gegen die Männer von Perm , da erscheint er abermals und lehrt ihm eine 
neue Schlachtordnung, auch nimmt er selbst am Kampfe Teil, indem er 
eine Armbrust handhabt, welche zehn nie fehlende Pfeile auf einmal ab- 
schiefst. Als die Gegner durch Zauberkunst ein Regenwetter herauf- 
beschwören, da vertreibt er es durch eine Gegen wölke, und als Hasting 
Sieger geblieben ist, da prophezeit er ihm die Art seines Todes. Dabei 
erscheint der Gott stets als ein geheimnisvoller, unbekannter, bejahrter 
Mann, sein Name wird nirgends genannt (vgl. Saxo, Historia Danioa). 
Zenker, Das Epos von Isembaid etc. 8 



— 114 — 

noch etwas verweilen , der oben noch nicht zur Sprache gebracht 
wurde. Es ist nämlich doch eine höchst auffallige Thatsache, 
dafs Isembard, der in der ältesten uns bekannten Version 
unseres Epos, in dem Brüsseler Fragment, als der Sohn eines 
gewissen Bemard erscheint, in den beiden jüngeren, durch 
Mousket und den Loher und Maller repräsentierten Versionen 
genau wie der historische Isembard bezeichnet wird als Sohn 
eines Warin, eines Warin, der freilich nicht Graf von Mäcon, 
sondern Herzog von Ponthieu ist. Wie ist diese sonderbare 
Thatsache zu erklären? 

Nun ist weiter zu bemerken, dafs auch die Sage im 9. Jh. 
bereits einen Isembardtis filius Warini kennt. Der — wahr- 
scheinlich mit Notker Balbuhts identische ^ — Möncli von 
St. Gallen berichtet nämlich in seiner sagenhaften Geschichte 
Karls des Grofsen, B. II, cap. 8 Folgendes ^r 

Zu der Zeit, wo die Gesandten der Perser an seinem Hofe 
weilten, sei Karl der Grofse eines Morgens zur Jagd auf 
Wisende und Auerochsen in den Forst gezogen und habe seine 
Gäste mitgenommen. Als diese jedoch der gewaltigen Tiere 
ansichtig wurden, seien sie entsetzt geflohen. „Aber Karl der 
Held erschrak nicht, sondern, auf seinem mutigen Rosse sitzend, 
näherte er sich einem von ihnen, zog sein Schwert, und ver- 
suchte, ihm das Haupt abzuhauen. Aber der Hieb mifslang 
und das furchtbare Tier zerrifs dem König Stiefel und Hose, 
und sein Bein treffend, obgleich nur mit der Spitze des Hernes, 
lähmte es etwas seine Schnelligkeit und entfloh, durch die ver- 
gebliche Wunde gereizt, in eine sichere, durch Baumstämme 
und Felsblöcke geschützte Schlucht. Und da nun zum Dienste 
des Königs fast alle ihre Hosen ausziehen wollten, verliinderte 
er sie daran mit den Worten: „In solchem Zustande mufs ich 
zu Hildegard kommen." Isambard aber, der Sohn Warins, 



1) Vgl. Jahresbericht für Qeschichtstcisse'nsckaftj 1890, 11, 17. 
Baechtold, Gesch. der deutsch. Litt, in der Schicehj Frauenfeld 1892, S. 28. 

2) Pei-tz, aSaS'. II, 751; Bouquet, EecueilY^ 125; Migne, Patrologiae 
cursusj Series latina, t. 98, 1405. Ich zitiere Dach der Übersetzung von 
Wattenbach, Der Mönch von Sankt Oallen über die Thaten Karls des 
Grofsen , Berlin 1850 , in Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit, 
B. Xm, S. 47. 



— 115 — 

des Verfolgers eures Schutzheiligen, des Othmar 
{Isambardy filius Warini, persecutoris patronis vesiri 
Oihmari)^ erreichte das Tier, und da er nicht näher heran- 
zudringen wagte, durchbohrte er mit der Lanze sein Herz 
zwischen Hals und Schulter und zeigte das noch zuckende Tier 
dem Kaiser. Der that als bemerke er es nicht, liefe das Wild 
seinen Gefährten, kehrte nach Hause, rief die Königin und 
zeigte ihr die zerrissenen Hosen mit den Worten: „Was ver- 
dient der Mann, welcher mich von einem Feinde, der mir das 
gethan, befreit hat?" Und da sie erwiderte: „Alles gute", er- 
zählte der Kaiser ihr alles der Reihe nach, und die ungeheuren 
Homer als Wahrzeichen ihr vorlegend, bewegte er die Herr- 
scherin zu Thränen und Seufzern, und dafs sie an ihre Brust 
schlug. Als sie nun gehört hatte, dafs der damals verhafste 
und aller Ehren beraubte Isambard {t7inc odibilis et ctmctis 
honoribüs exspoliatus Isambardö) den Kaiser an solchem Gegner 
gerächt hatte, warf sie sich diesem zu Füfsen und erlangte für 
Isambard alles zurück, was ihm genommen war, auch fügte sie 
selbst noch Geschenke hinzu." 

Bekanntlich hat das Werk des Mönches von St. Gallen auf 
historische Glaubwürdigkeit keinen Anspruch, sondern trägt 
bereits sagenhaften Charakter. Dafs dieser sich auch in der 
vorliegenden Geschichte bethätigt, ergiebt sich schon daraus, 
dafs Karls Gemahlin Hildegard längst tot war, als Gesandte 
Harun -al- Raschids zuerst an seinem Hofe weilten, sie starb 
783 im Alter von 26 Jahren. 

Wie verhält sich nun der hier genannte Isambard, filius 
Warini, zu dem gleichnamigen Grafen von Mäcon und zu dem 
Helden unseres Epos? Sein Vater Warin wird bezeichnet als 
„der Verfolger des heil. Othmar"; dieser ist eine historisch 
nachweisbare Persönlichkeit, er wird genannt in Urkunden 
vom J. 754 — 771 als Graf des Thurgau, in einer solchen vom 
J. 764 als Graf des Linzgau i, er erscheint zweimal unter den p^*- 
r/xa^es Karlmanns 2, war 772 mit seinem -Bruder Ruodhart Statt- 



1) Pertz, SS, II, 43. 

2) Ann. Lauriss. a. 771 bei Pertz, SS. I, 148. Einh, Ann, a. 771, 
ib. I, 149. 

8* 



- 116 — 

hHlIni* AIpmiinnionH' und Hturb im J. 774.* Von den Mifs- 
hinHllnUfrnn, din dpr lioil. Othinar, Abt von St Gallen (f 759) 
\\\\\v\\ ihn und lluodltHri zu orduldcn hatte, berichtet die Vita 
iV Ohiitfn doH Widafrid cv •!.•* Ist somit jene Angabe des 
M\\holm «idh^Hond, ho kann dor Hold seiner Erzählung offen- 
U\v \\\'\\ \W\\\ Ut^nlmni dos Jahros 849 nichts zu thun haben. 
OrtH»^^'^* abor, dals tlor Mönoh otwa jene beiden Warins ver- 
NMH^hKoU Imbou \\\\i\ dit> i^osohiohto ursprünglich an den Namen 
j\^U\^K at\d<^n^n l8on\banl ji^^knüpft gowesen sein sollte — Karl 
dov l<'^^\^»o konnto ja at\ dio Stollo eines seiner Nachfolger ge- 
t<>Men H\^n^ , da,4ti^*rxM\ sprioht. was wir über die Entstehung 
der ^Mvv^^luohh^ d^vv Monohs wissiHi: derselbe erklärt nämlich 
ÄUvhAVklü^b. er l^^be das. w^is er im 2. Buche« in dem sich 
unv>Mv KvyÄlduujr findet, ülvr die TliÄten Karls des Greisen 
K^Hohtol. xenu^nuiuM^ aus deu> Mur.de eines alten Kriegsmannes 
Nx^m^M^,^« AdAUvii. der seinen Herm GeroM ^-^ 799) anf den 
^'fij^i^ l^>^^n d:o Hunnen. \\ enoer* ;;Tiii S^i^-^h^n begleitet habe, 
i\^ \x;v rr,v, ;^vl;; lv^;\vhr«i:t sir,^,. r;; bcxweifeln, da& eb«i 
o:,vsvv V.>Ä Jvvt Ä;;oh *5o: iVx\Ährsn^*r.T. fiir liie in Kede stebende 
^;>,\vvb?o)^r<^ c«'\xvv\.r, is^. ^"^ *i5^;:'^o ;>s k*r,rr. anpebfn. den Liem- 

^^-\Sa,%»- \*iv^>'»iv i>i»u'» \sv. j, 7<r: Kfcrts ft<^ wrcitMai bereust. 

Vir K\^v^^-. >ÄM-v, <v'^jjVr. .'i. o.T, - SOf nnd Sil in der 

> lO •».■s •i.'v^^x :t*.i^-4* ;>. *N ;.A ::Tr nmec den Gkrofeen. 

^;.s >.v». M -v-. V .iM^r ." y*. o V>aü. nui: des- llroiiiis 

-x \*. 'S Sc'.;'.-! » -. ^»^'vv -• >5.'^v ^-- -.,M i«äK^t. wrr ihfiiiiBrkd 

<,-'-•.* "i N.'\* •■". V ■ . -. "ü l'i i - •- X ."1 S . :*- "i "- -.'l". ?S V annS TflJH Jkfc" 



— 117 — 

einen Warin zum Vater hatten, würde sich sehr natürlich er- 
klären durch die Annahme, dafs sie in direktem Descendenz- 
verhältnis standen und der Name des Grofsvaters beide mal 
auf den Enkel übergegangen war; soweit ich sehe, steht auch 
dieser Annahme ein Bedenken nicht im Wege.^ 

Es bleibt dann die weitere Frage zu beantworten: Wie 
verhält sich der Isembard des Mönchs zu dem Helden unseres 
Epos? Sind beide vielleicht identisch, wäre also das geschicht- 
liche Yorbild für letzteren in einer Persönlichkeit zur Zeit 
Karls des Grofsen zu erblicken, vielleicht eben in dem er- 
wähnten Isembard des J. 809? Es ist klar, dafs diese Frage 
aufs entschiedenste verneint werden mufs. Einen Zug haben 
die beiden zwar gemein: Beide sind bei ihrem Herrn, einem 
fränkischen König, in Ungnade gefallen, beide sind odibiles et 
cunctis honoribus exspoliati. Aber alles übrige, was uns von 
ihnen berichtet wird, ist total verschieden, und es ist durch- 
aus nicht einzusehen, wie aus Isembard, dem Sohne Warins, 
der, am Hofe Karls des Grofsen lebend, bei einer Jagd Ge- 
legenheit hat, die verscherzte Gunst des Kaisers wiederzugewin- 
nen, Isembard, der Sohn des Bernard, hätte werden sollen, 
der, aus Frankreich vertrieben, als Renegat und Anführer eines 
Barbarenheeres in einer Schlacht gegen den westfränkischen 
König Ludwig seinen Tod findet. 

Wie verhält sich nun aber die Thatsache, dafs Isembard 
in den jüngeren Fassungen unseres Epos aus einem Sohne 
Bemards zu einem Sohne Warins geworden ist, zu der anderen, 
dafe im 9. Jh., bezw. im 9. und zu Ende des 8. Jh., wirklich 
zwei Persönlichkeiten dieses Namens gelebt haben, die beide 
Söhne eines Warin waren? Sollte zwischen diesen beiden That- 
sachen gar kein Zusammenhang existieren? Ich kann mich 
doch kaum entschliefsen, das anzunehmen. Aber ich gestehe, 
dafs ich zu einer befriedigenden Lösung des Rätsels nicht ge- 
langt bin. Nur zwei Möglichkeiten einer Erklärung scheinen 
sich mir darzubieten. Entweder es haben schon zu einer sehr 



1) Geschichtlich ist über die nächsten Nachkommen "Warins von Ale- 
mannien nichts bekannt, vgl. Orandaur, Eine alte Genealogie d. Weifen in 
Geschichtschr. d. deutsch. Vorxeit, Lief. 66, Leipzig 1882. 



— 118 — 

frühen Zeit zwei in einzelnen Punkten von einander abweichende 
Versionen unseres Epos existiert: eine, die ursprünglichere, in 
der der Held als Sohn Bemards bezeichnet wurde, und eine 
andere, in der er zu einem Sohne Warins gemacht war, sei es 
infolge einer Identifikation mit dem historischen Grafen von 
Mäcon, sei es infolge einer Verwechselung mit dem Helden 
der beim Mönch von St Gallen uns aufbewahrten Sage. Diese 
Sage könnte möglicherweise ja auch in epischer Form existiert 
haben; dafs sie uns vom Mönch nur unvollkommen überliefert 
wird, ergiebt sicli ja sclion aus dem Umstände, dafs wir über 
die Vorgeschichte Isembards, über die Gründe, weshalb er in 
Ungnade gefallen und aller seiner Güter beraubt war, nicht 
unterrichtet werden. Auf die erstgenannte Version ginge das 
Fragment, auf die andere die Vorlage Mouskets und des Loher 
und Maller zurück. Eine zweite Möglichkeit wäre die, dafs 
die Vertauschung Bernards mit Warin auf gelehrtem Einflufs 
beruhte, dafs sie durch direkte Benutzung der Geschichte des 
Mönchs von St. Gallen von Seiten eines Uberarbeiters des Epos 
veranlafst wäre. Beide Annahmen scheinen mir aber gleich 
bedenklicli und ich mufs es denn dahingestellt sein lassen, 
wie die in Rede stehende sonderbare Übereinstimmung zu er- 
klären sei. 

Ich komme nun auf den Punkt zurück, von dem wir 
ausgingen , nämlich auf die Frage nach dem historischen 
Vorbild unseres Helden. Durchmustern wir die Geschichte 
Frankreichs im 8., 9. und 10. Jh., so begegnen wir einer Per- 
sönlichkeit, welche als solches irgend in Betracht kommen 
könnte, nicht. Dagegen müssen wir nun bei einer Persönlich- 
keit des 11. Jh. einen Augenblick verweilen. Isembards Vater 
wird bei Mousket und im Loher und Maller als Graf von Pon- 
thieu bezeichnet — im alten Epos kann er, wie wir sahen, das 
nicht gewesen sein, da dort als HeiT von Ponthieu ein ge- 
wisser Ernaut erscheint. Nun hätte nach dem Ä7i de verif, 
les dates, t. XII (1818), p. 319, Bouquet, Remeil XI, 768, 
Reg. und Mas Latrie, Tresor de Chronologie, Paris 1889, 
p. 1584 im 11. Jh. in der That ein Graf von Ponthieu dieses 
Namens existiert. Bouquet führt Enguerrand L, den Sohn 
Hugo 's L, auf als „Ingelranniis, Angelramms, seu Isernbar- 



— 119 — 

dus, Abbatisvillae et Pontivi Comes, fiUiis Hugonis 
Pontivi ComitiSy und der ^r^ und MasLatrie geben an, En- 
guerrand habe den Beinamen Isambart geführt. Dies wäre 
nun offenbar eine höchst beachtenswerte Tliatsache. Sehen wir 
indefs näher zu, so stellt sich heraus, dafs jene Angabe an 
allen drei Orten lediglich auf einem Irrtum ihrer gemeinsamen 
Quelle beruht. Unter den von Bouquet a. a. 0. registrierten 
Stellen ist nämlich nur eine, welche Enguerrand den Namen 
Isembard beilegt, imd zwar ist dies eine Stelle aus Wilhelm 
von Malmesbury, Gesta Regum Anghriim, B. III, § 232, 
Bouquet XI, 179; ed. Stubbs, t. II, p. 289. Der englische 
Historiker erzählt hier, es habe sich gegen Wilhelm von der 
Normandie dessen Oheim, Wilhelm, Graf von Arques, empört. 
Der Herzog habe seinen Oheim erst in Arques belagert, als 
aber dann der König von Frankreich zur Unterstützung des 
Empörers herannahte, sei er abgezogen, doch habe er einige 
seiner Grofsen zurückgelassen, damit sie dem König die Stirn 
böten: quormn ashitia insidiis exeeptus [sc. rex: die Konstruk- 
tion ist hier sehr mangelhaft], Isembardum [= Ingelrannum] 
Pontivi comiiem coram se obtruncari, Hugonem Pardulfum 
eapi 7ne)'ito ingemuit. Auf eben diesen Wilhelm von Malmes- 
bury nun beruft sich als Quelle für seine Angabe auch der 
Art d. ver. l. d., wenn er angiebt: Enguerrand werde Isambart 
genannt „par le coiitiniiateur de Vhistoire de Bede^\ und was 
Mas Latrie betrifft, so kann es keinem Zweifel unterliegen, 
dafs er seine Angabe wieder ausschliefslich aus dem Art ge- 
schöpft hat. Der ganze Abschnitt nun, dem das betreffende 
Kapitel angehört, § 229 — 238, beruht ausschliefslich auf 
Wilhelm von Poitiers, vgl. Stubbs, t. II, Pref. CXII; bei diesem 
aber findet sich der Name Isembard nicht, er erwähnt nur einen 
„Ingelran7ius^ Pontivi coines^^.^ Da nun der in Rede 
stehende Name auch sonst, soweit ich sehe, für Enguerrand 
nirgends bezeugt ist, so werden wir annehmen dürfen, dafs er, 
wie im Art d. ver. l. d., so auch im Register bei Bouquet 
ausschliefslich entnommen ist aus Wilhelm von Malmesbury 
und dafs er bei diesem beruht entweder auf einem Versehen, 



1) Duchcsne, Hist. Norm. Scriptores, p. 185. 



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*'MU'. //*r//y//> «w r^twr»/, are^ Oaramr/nd. ff^ttr^ U fU\^ dframi fcnr 
YfUfft/mUrt'. f'ffiifMA *U iourn ^ *U rtoßraUUa f:r*:9ULU.€i ^jmmt iotttts U^ amirts 
Mß^uy^H //e fA ttmpK, Ayrtn taroir rtduit en t*ndrti, H masfatrt toms 
Uit! reltf/üv/rf U aUaqvji U thal^jxu fh la FertA. et e'est hi qm'ü anrait 
i',U iiAHf fiinni ////« U roi Sf/rmand, de. la main de LohU^ qni s'etaii 
/cmfrreß!ü4 </« rentr au Kef^mm fUji moitie^ are*: ttne formidabte armee, 
l/i iraMiifm raitjtf/rU ffu! Inam^jdrd fut enierre pre^ de ee Heu, derriere 
l/i hmtif tru. l'tm toU en^'j/re, aujourd'hui, en effei. un tertre que la cuitttre 
fiffa/e /'/f/i//ti^. jof/ff ei ffu'f/n appelle U/mfje d' Isambard, 

//^ liAijUf'nnvd d' Inamhard, irritn de sa perie, ajoutent les memes 
t'kfimifiueH f raUta Uh (UiHwjf/jinH , excita leur rage, et, malgre la plus 
t/hc, f/'nUffi/nfe, pfi/rvini k repren/lre U chäteau. Äfin de perpetuer le 
Hoantmir dv. la cofuLuüe, thtH nußinea, U exigea que iun d^eux se rendtiy 
t'haqw. wmU'./if In, tutrdd', au i-jm et une iorche ä la main sur le pont-lecis 



— 121 — 

Danach gewinnt es nun den Anschein, als ob wir über- 
haupt darauf verzichten müfsten, das historische Vorbild Isem- 
bards — das doch sicher existiert hat — ausfindig zu machen. 
Indessen haben wir einen Punkt noch nicht ins Auge, gefafst, 
der doch möglicherweise von Bedeutung sein könnte für die 
Frage, welche uns hier beschäftigt: Isembard führt in unserem 
Fragment den stehenden Beinamen ,yli Margarix^^^, Welche 
Bewandtnis hat es mit diesem Beinamen, was bedeutet er? 
Sollte er uns nicht vielleicht einen Fingerzeig geben, wo wir 
das geschichtliche Vorbild unseres Helden, nach dem wir bis- 
her vergeblich gefahndet haben, suchen dürfen, uns auf die 
Spur weisen, welche ans Ziel führt? 

Sehen wir zu, was sich über Bedeutung und Herkunft 
des Beinamens ermitteln läfet 

Heiligbrodt in seiner Ausgabe des Fragmentes, Anm. zu 
V. 422, äufsert sich über die Bedeutung des Wortes Margarix 
nicht, er begnügt sich mit einem Hinweis auf die in der J2o- 
mania V (1876), 380 veröffentlichte Eecension von G. Paris 
über Schelers Ausgabe des Fragmentes. Aber G. Paris er- 
klärt* dort nur, die von Scheler acceptierte, auf Mousket 
(Bartsch Sp. 431, 18 — 21) beruhende Deutung Reiffenbergs: 
Margari = „gm a eU sauv6 ä son malkeur'^ (= mar-gari) 
-•-.«aai falsch — worüber natürlich kein Zweifel bestehen kann; 
positiv spricht er sich nicht aus, er beschränkt sich auf die 
Bemerkung, eine Erklärung des Wortes würde „eine Studie 
für sich'' erfordern. 

Godefroy, Dictionnahx s. v. legt margari zwei verschie- 
dene Bedeutungen bei: 1. arniral, chef d'une flotte; 2. r^nä- 
gat Für Bedeutung 1 bringt er als Belege bei drei Stellen 
aus unserem Fragment, ferner zwei Stellen aus dem Partkeno- 
peus von Bhis p. p. Crapelet: V. 8973 Ferant ahit le mar- 



du ehäteaUj pour y jurer^ au nom de ses cmifrereSj qit'ils ne trouhleraient 
point les cendres d'Isambard. Cette humiliante cerenomie, qui subsisia 
jusqu'en 1762, avait Heu la vieille de la feie de St. Riquier, epoque ä 
laquelle ort nommait dans ceite ville un maire dont les fonctions ne 
duraient que trois jours. Ce maire se transportait sur le pont du chä- 
teau pour y preter le serment que sa Charge exigeaitf et reccvait ensuite 
celui des moines. 



— 122 — 

gari und V. 9775 La u li vmgaris gisoit, sowie eine Stelle 
aus den handscliriftlichen Faifs des Romains (Richel. 23083, 
f. 122''): Ociavmx, uns margaris, qui estoit amis Pompee, Für 
Bedeutung 2 führt er nur eine Stelle aus dem Mousket'schen 
R6sum6 unseres Epos auf. Er merkt aufserdem an, dafs das 
Wort im Rolandslied als Eigenname vorkommt, ed. Müller, 
V. 955: Ciirant i vint Marganx de Silnlie.^ 

Aus dem Gesagten ergiebt sich zunächst, dafs die von 
Godefroy getroffene Unterscheidung zweier verschiedener Be- 
deutungen des Wortes in den von ihm citierten Belegstellen 
nicht begründet ist; denn die Bedeutung von margari ist bei 
Mousket, aus dem allein er die zweite Bedeutung belegt, 
natürlich dieselbe, w4e in dem von Mousket analysierten Epos, 
aus dem drei der Belegstellen für Bedeutung 1 entnommen sind. 
Eine solche Unterscheidung zweier verschiedener Bedeutungen 
des Wortes ist aber überhaupt hinfallig; das Wort hat an 
allen den angeführten Stellen nur die bei Godefroy unter 2 
verzeichnete Bedeutung renegat, niemals die Bedeutung 
ainiralj chef d'une flotte. Dies wird durch die im Folgenden 
zu gebenden Nachweise vollkommen sichergestellt werden. * Zu- 
vor aber bemerke ich noch, dafs das Wort im Provenzalischen 
ein einziges Mal belegt ist in einer, nur in einer Handschrift, F 
(Rom, Bibl. Chig. 2348), erhaltenen, somit interpolierten Tor- 
nada zu Bertran de Borns S' abrils e fitolhäs e flors , Bartsch, 
Gnindrifs 80, 38, gedruckt bei Raynouard, Lexiqtie roman s. v, 
und bei Stimming, Bertran de Born, Halle 1879, S. 321: 

liassa, non sui niargeritx, 
an% es tan ferma ma leis, 
que s'anc jorn ftd reerezefis^ 
ara m'en [sui] repreiidens^^ 



1) Nach Nyrop-Gorra, Storia delV ej). franc, p. J99 fände sich das 
"Wort auch in der Bataille Loquifer^ Histoire litter aire XXII, 532, als 
Name eines Dämons. Diese Angabe scheint aber auf einem Versehen zu 
beruhen, es ist an jener Stelle nur von einem Dämon Isembart, nicht von 
einem Dämon Margari die Rede. 

2) Prof. Levy teilt mir auf meine Anfrage freundlichst mit, dafe 
auch ihm ein weiterer Beleg aus dem Provenzalischen nicht bekannt ist 



— 123 — 

Das Wort fnargarix ist griechisch -byzantinischen 
Ursprunges.^ ifiaya^/u£i' bedeutet nach Ducange, Glossarium 
fnediae et infimae graedtatis, der sich auf Leunclavius, 
Pandect, Tureic.^ no. 22 beruft, eigentlich „stercore fadem con- 
spiica^x, maculare, inquinare, foedare^^, desgl. [.layaQiaia^ f.iaydQt' 
oig, f,iaydQiaf.ta, ,^foeditas, sordes, inqiiinamentum^^ ; in derThat 
existiert das Verbum noch in dieser Bedeutung im Neugriechischen, 
vgl. Kontopulos, Neov ^€^L7,dv'Ellr]voayyli/,6vy Athen 1880: 
f,iayaQiCiü^ ,^to votd the howels, io soil, dirV^; ebenso das 
Substantivum f.iaydQiaf.ia ,jdirtymgj inaking filthy^", MayaQiCeiv 
hat dann aber die abgeleitete Bedeutung erhalten „m i^eligione 
foedari, maxime Agarenorum [= Söhne der Hagar d. i. Sara- 
ceni] religionem p^vfiteri, amplecti^^; die gleiche Bedeutung 
hat es neben jener andern auch im Neugriechischen, vgl. Konto- 
pulos s. v. i-iayaQiCeiv j „apostvxe^^; f.taydQiaina , „apostacy^^. Das 
zugehörige Substantivum /nayaQiTtjg heikt „apostata^ Sara- 
cenoruin religionevi amplexus,'' In dieser, und, soweit 
ich sehe, allein in dieser Bedeutung, kommt das Wort häufig 
vor bei byzantinischen Autoren des 8., 9. und 10. Jh.; so 
f,iayaQiil€iv in der Chronographia des Historikers Theophanes 
Confessor (f bald nach 816) ed. Boor, 1885, t. I, p. 399, 21: 
[OJ^jUöß] . . . fLiayaQiKeiv rovg Xqiaxiavovg fjvdyAoCev, xat 
Tovg f.iev (.layaQi'CüVTag dzeXelg aTcolei . .; ib. p. 452, 26; bei 
Symeon Logotheta (10. Jh.) im Corpus Scrijyt. Hist Byxant, 
t. 29% p. 639, 19; 711, 10; bei dem Fortsetzer des Theophanes 
(9.-10. Jh.), bei Leo Grammaticus (10. Jh.), Petrus Chartu- 
larius, Achmes Onirokritus u. a. m. MayaQlrrjg ist belegt bei 
Theophanes a. a. 0., t. II, p. 314, 14: ibg . . . [/rgöt:] Koaf.idv 

1) Über die weitere Herkunft des Woi^tes vermag ich. sichere Aus- 
kunft nicht zu oi*teilen. Nach E. A. Sophocles, Greek Lexicon ofthe Roman 
and Byxantine Periods, New -York und Leipzig 1890, s. v. ist fiayuQito^ 
ursprünglich =-„ <o hefoul, pollutej deßlCj contaminate^\ für das S. unter 
Verweisung auf nNinn, draiight-house, D^Nin, gxGjq^ semitischen Ur- 
sprung annimmt, in der Bedeutung „zum Mohamedanismus übertreten" nichts 
als eine Travestie von ayaQi^ta (Ableitung von Hagar, "AyuQj s. oben.), 
das er in der Bedeutung „^o he or hecome a Moka?nmedan'^ aus Nicetas 
Byzantinus (a. 891), Patrol. graeca t. 105, p. 728 B {ßi $k tovto ^oO^eirj, ov^lv 
xtalvec XQiaTKcvoig uyciQiCecv) belegt (ebenso äyuQcGia, ayuQvOfxog, ,jMo- 
hammedamsm^^ bei Nicet. Byz. a. a. 0. p. 712 A und 736 A). Ich kann mir 
über die Richtigkeit dieser Herleitung ein Urteil nicht erlauben , doch scheint 
sie mir einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zu besitzen. 



— 124 ~ 

Tiva TtXtjGiov avTod iatojta jtqdaq^vya ^Pu}fial(ov fxayaQiTtjv 
elrtelv^ ib. p. 343, 19; 436, 17: xqiaiiavdgj äjcb xpicrr/arcDv 
fÄayaQiTtjg-^ bei dem Fortsetzer des Theophanes u. a. 

über die Bedeutung des Wortes, sowie darüber, dafe es 
den Byzantinern des angegebenen Zeitraumes ganz geläufig 
war, kann also ein Zweifel nicht bestehen. 

über das Vorkommen des Wortes im Lateinischen sodann 
giebt Auskunft Ducange, Glossaiium mediae et infimae latini- 
taiis s. vv. ^nogarixare, magarita, magarites und inargarixare; 
als Bedeutung wird verzeichnet „Saracenicam vel Mahome- 
tmiicam impietaiem iwn modo 'profiteri, ut qtiidam volunt, 
sed maxime post ahdicatam et desertam Religionem Christianam, 
a qtia qui transibant ad Musidmanismum, fxaqyaQiteiv dice- 
bantur/^ Die lateinische Nebenform margarixare — griech. 
fiaqyaqiteiv ist nicht belegt — erklärt sich wohl durch An- 
lehnung an die Worte auf marg — , speziell margaHta, Perle. 

Was nun die lateinischen Belegstellen betrifft, so ist hier 
sofort eine hochwichtige Thatsache zu verzeichnen: 

Magantes, magarixare, margarixare sind im Lateinischen 
nur belegt in vier in Italien entstandenen Denkmälern und 
zwar gehört von diesen nur eines Oberitalien und dem 12. Jh. an, 
die anderen drei stammen alle aus Mittel- und Unter- 
italien und aus der Mitte und de'm Ende des 9. Jh. 

Ich führe die Stellen in chronologischer Reihenfolge voll- 
ständig auf: 

1. Radeigist et Siginulfi Dimsio Ducatus Beneventani^ ; 
a. 847 nach Mühlbacher, Regesta hnperii, no. 1058: 

Et amodo, ut dictum est, nullum Sarracenum redpiam 
vel recipere permittam, praeter illos qui temporibus dom?ii 
Siconis et Sicardi fuerunt christiani, si magarixati non sunt 

2. Chronica Sancti Benedicti Casinensis, ^ c. 7 ; verf. 867—71. 
Cumque ante jamias assisteret [sc. Massar dux] mona- 

steril [sc. Benedicti Casinensis]^, proti7iics portas claudere jussit, 
ne subsequentes introire magaritae praesumerent [a. 844]. 

1) Pertz, Leges IV, 224. 

2) Pertz, SS. III, 222; Monumenta Germaniae, Scriptores Rerum 
Langohardicarum et Italicarum Saec. VI — IX, ed. Waitz, Hannover 1878, 
p. 473; Muratori, Script. Rer. It., 1. 11, 1, 264. 



— 125 — 

3. Epistol Johannis YIIL papae (872 — 882), no. 219 (?)i: 
Portos patentes relinquentes , multis magaritis fugiendi 

et Saraceftiis ingrediendi aditum . . . reliquerunt 

4. Vita S, Raynerii Pisani (f 1160)2, verf. von seinem 
Schüler Benincasa, Kanonikus zu Pisa: 

Tunc Ammira Mumminus jussit vocari istum Bentiveg^ 
nam, ut legeret eis breve illud, cum multi essent in exerdtu 
suo Margarixati, qui bene sciebaiit legere et exponetx,^ 

Welchen Schlufs legt nun die in Kede stehende Thatsache 
nahe? Doch wohl diesen, dafs die Worte magarizare, 
niagarites aufser im byzantinischen Griechisch selbst 
nur noch üblich waren in dem zu Byzanz in nahen Be- 
ziehungen stehenden Italien und zwar hier wiederum 
vornehmlich im 9. Jh. und in Mittel- und Unteritalien, 
wo das byzantinische Element am stärksten war, wo 
auch nach dem Sturze des Exarchats von Kavenna im 
J. 751 Neapel und Calabrien unter byzantinischer Oberhoheit 
dauernd verblieben, wo die griechische Sprache noch viel- 
fach unter der Bevölkerung lebendig war*, so dafs leicht ein 



1) Ich entnehmo das Zitat Ducange, vermag es aber Dicht zu veri- 
fizieren, da sich die Stelle weder bei Mansi, Conciliorum CollecHo, noch 
in dem bei Migne, PatroL lat., t. 126, 647 die Nummer 219 tragenden 
Briefe des Papstes findet. Dafs das Zitat trotzdem materiell richtig ist, 
düi'fte nicht zweifelhaft sein. 

2) Acta Sanctorum BolL, 17. Juni, t. HL, 447. 

3) Als Beleg füi-s Lateinische kann nicht in Betracht' kommen maga- 
rixare in der sogen. Historia miscella j beiMuratori, Scriptores Rer. ItaL, 
1. 1, 164 E, da der betreffende Abschnitt abgeschiieben ist aus Anastasius, 
Gkronographia (verf. 873 — 75), welche wiederum nur eine Übersetzung 
des gleichnamigen griechischen Werkes des Theophanes ist; vgl. Pott- 
hast, Biblioth. hist.j p. 486; Krummbacher, Oesehichte der hyxantin. Litt., 
1891 , S. 122. Das gleiche gilt hinsichtlich der von Ducange für lateinisches 
magarites zitierten Stelle aus der Vita S. Stephani Sabaitas Thaum. (f 794), 
verf. von seinem Schüler Leontius zu Anfang des 9. Jh., Acta Sanet. 
BolL, 13. Juli, t. m, p. 572b: Comitem mihi se jwixerat magarites 
quidam etc., indem diese Stelle einer modernen Übersetzung (18. Jh.) der 
von Leontius griechisch abgefafsten Vita entnommen ist. 

4) Vgl. das Kapitel L'Hellenisme dans VItalie Byxantine bei Diehl, 
Mildes sur V administration Byxantine dans VEooarchat de Ravenne, Paris, 
These 1888, p. 241 ff. 



— 126 — 

griechisches Lehnwort, wie es viagariies ist, Eingang finden 
konnte. 

Spricht nun aber das Vorkommen des Wortes im Altfran- 
zösischen und Provenzalischen nicht gegen diese Schlufefolge- 
rung? Keineswegs. Sehen wir ab von den Stellen, welche 
unserem Fragment entnommen sind, so belegt Godefroy das 
Wort nur aus zwei altfranzösischen Texten: aus dem Partheno- 
peus von Blois und aus dem handschriftlichen Prosatext Les 
Faits des Romains. Im Provenzalischen haben wir nur den 
einen Beleg aus dem interpolierten Geleit bei Bertran von Born. 
Nun geht der Parthenopeus bekanntlich auf eine byzantinische 
Quelle zurück, das Wort ist also hier einfach aus dem grie- 
chischen Original herübergenommen: das interpolierte Geleit 
findet sich nur in der einen, in Italien entstandenen 
Handschrift F, es ist mithin wahrscheinlich, dafs es von 
einem Italiener fabriziert wurde: bleibt die Stelle in den Faiis 
des Romains: über diesen Text ist mir näheres nicht bekannt, 
natürlich haben wir es aber in ihm nur mit der Übersetzung 
eines lateinischen Originals zu thun und da dürfen wir denn 
nach dem, was wir bisher über das Vorkommen des Wortes 
ermittelt haben, ohne weiteres annehmen, dafs jene lateinische 
Vorlage entweder in Italien entstanden ist oder aber auf ein 
griechisches Original zurückgeht. 

Somit dürfen wir es als so gut wie gewifs betrachten, dafe 
das Wort magarites = Renegat nur gebräuchlich war im byzan- 
tinischen Sprachgebiet und in dem mit Byzanz im engen Kon- 
takt stehenden Italien, besonders im südlichen Italien, und dafe 
es in Frankreich unbekannt war. Daraus folgt denn unmittel- 
bar, dafs der Beiname li ^largarix. dem Helden unseres 
Epos nicht in Frankreich gegeben worden sein kann, 
sondern nur in einem der eben bezeichneten Sprach- 
gebiete; und diese Erwägung wiederum macht es a priori 
höchst wahrscheinlich, dafs die Gestalt Isembards über- 
haupt nicht, wie wir bisher annahmen, in Frankreich 
zu Hause ist, sondern in einer Gegend, wo jener Bei- 
name ihm gegeben werden konnte, dafs wir also 
auch sein historisches Vorbild allein dort zu suchen 
haben. 



— 127 -- 

Man wird, denke ich, die Berechtigung dieser Schlufs- 
folgerung zugeben. 

Nun gut: von ihr bis zu dem historischen Isembard ist 
es nur noch ein Schritt, ja wir werden durch sie geradezu — 
wenn der Ausdruck zulässig ist — mit der Nase auf ihn ge- 
stofsen. 

Eben jene Chronik von Montecasino nämlich, welche 
neben dem Briefe des Papstes Johann das einzige lateinische 
Denkmal ist, in dem uns das Substantiv am magarites begegnet, 
eben jene Chronik, sage ich, berichtet uns wenige Kapitel darauf 
von einem Grofsen Namens Isembard, der mit den 
Sarazenen gemeinschaftliche Sache macht und gegen 
einen König Ludwig — freilich nicht von Frankreich, 
sondern von Italien — in Rebellion begriffen ist 

Die genannte Chronik erzählt cap. 13^ über einen Auf- 
stand italienischer Grofser gegen Kaiser Ludwig 11. Folgendes: 

Lampert, filitis Widonis [Herzogs von Spoleto 842 — 58], 
et Ildepert [vermutlich Graf von Camerino^] comites nisi sunt 
manus erigere contra Hltidowicum imperatorem; sed relata 
iHorum fraudem perseeutus est eos Hludotmciis usque Marsim, 
At Uli demum ante fadem ejus fugerunt Benevento apud 
Adehhisum pHndpem. Hildepert vero pertransieiis , Jiabiit 
Barim. Ubentissime quidem a Seodane rege susceptus est, et 
halntavit ibi tempore quo voluit Hludowicus ergo imperator 
pm^sequens eos^ devenit Hiserniani^; quam cum infidelem sibi 
comperissetj bellando cepit. Ac deinde pei^transiens Aliphem^, 
post plura bella urbs capta est. Per Telesiam^ ig-itur devenit ad 
civitatem quae dicitur Sanctae Agathae^ et urbem expugnare 
coepit. Quue dum valde esset munita, multis diebu.s obsedit 
eam; erat enim tmic aestivum tempus. „Nemo uinquam^^, ut 



1) Waitz, p. 475. 

2) Vgl. Wüstenfeld, Ueher die Herxoge von Spoleto atis dem Ilatise 
der Quidonen in Forschungen xur deutschen Geschichte 3, 400. 

3) Neapel, Prov. Molise. 

4) Alife, Neapel, Prov. Casei-ta. 

5) Telese, Neapel, Prov. Terra di Lavoro nw. Benovent. 

6) S. Agata dei Goti, Neapel, Prov. Benevent. 



— 128 — 

apostolus ait, „came7n suam odio habet ^ sed nutrit et fobei eam". 
Tandem Berthari abbas condoluit super Hisembar- 
dum, eonsanguinetim sibi et gastaldium obsesse civi- 
tatis^y et intervenit pro eo apud imperatorem augu- 
stum. Cujus et promeruit gratiam et pactum dedit 
[sc. imperator] civitatij ac illius juri protinus urbs 
mancipata est. Adelchis pmiceps ad pedes prostratus de- 
mentissimi imperatoris , et suqm obtinuit veniam et fugadbus 
comitibus; abhific tandem Hludotvichiis rediit Frandam. 

An der vollkommenen Authentizität dieser Erzählung ist 
kein Zweifel, denn der in ihr genannte Abt Berthari war Abt 
von Montecasino in den Jahren von 856 — 74, deijenige 
Teil der Chronik aber, dem das vorliegende Kapitel angehört, 
wurde verfafst ebenda innerhalb der Jahre 867 — 71 2, Berthari 
dürfte also wohl selbst der Gewährsmann des Chronisten ge- 
wesen sein. 

Der geschilderte Aufstand fällt ins Jahr 860; es ist der 
gleiche, den Prudentius im Auge hat, wenn er in seinen 
Annalen zum J. 861 berichtet: Hludowicu^, imperator Italiae, 
suorum factio7ie impetitur et ipse contra eos ac contra Bene- 
venta?ios rapinis atque incendiis desaevit, ^ Irgend eine andere 
Nachricht haben wir über die Vorgänge nicht, denn der Bericht 
des Chronico7i Monasteni Casi7iensis des Leo Marsicanus 
(f vor 1118)^ ist aus dem Chron. Ä Ben. Casin, ausgeschrieben.^ 
Auch der Gastalde Isembard wird sonst nirgends erwähnt 



1) Die Gastaldon waren königliche Beamte, denen vor allem die Ver- 
waltung des Krongutes oblag und die aufserdem als Richter (judices) in 
den königlichen Städten fungierten, weshalb die städtischen Bezirke häufig 
als Gastaldate bezeichnet wurden; ihre Stellung war eine ähnliche wie im 
Reiche die der Pfalzgrafen des 10. und 11. Jahrb.; doch hatten in frän- 
kischer Zeit auch die Herzöge von Benevent ihre Gastalden; vgl. Hegel, 
Qesch. d. Städteverfassung in Italien, Leipzig 1847, I, 455; U, 16. Pabst 
in Forschungen %ur deutschen Gesch. 2, 443. Pertz, Leges IV, 671. 

2) Vgl. Waitz , a. a. 0. p. 466. 

3) Vgl. Mühlbacher, Reg. Imp., no. 1182 1. Dümmler, Ostfränk. 
Eeich^ m,19. 

4) Pertz, SS. VH, 606. 

5) Vgl. Mühlbacher a. a. 0. 



— 129 — 

Es ist nun zunächst erforderlich, dafs wir uns die Er- 
eignisse vergegenwärtigen, in deren Rahmen sich jener Aufstand 
abspielte. ^ 

Was der Geschichte Italiens im 9. Jh. ihre Signatur aufdrückt, 
das sind die Kriege der Christen mit den Sarazenen, welche 
letzteren in diesen südlichsten Marken des karolingischen Reiches 
eine ähnliche Rolle spielen, wie im Westen die Normannen. 
Von Afrika aus hatten sie zu Ende der zwanziger Jahre auf Sizilien 
festen Fufs gefafst, 881 eroberten sie Palermo und richteten 
die Insel als arabische Provinz ein. Bald darauf boten ihnen 
Zwistigkeiten longobardischer Fürsten Gelegenheit, die Waffen 
des Islams nacli der Apenninenhalbinsel selbst hinüberzutragen. 
Nach der Ermordung des Herzogs Sicard von Benevent im J. 839 
hatten Salerno, Capua und andere Städte des Landes Sicards 
Bruder Sikenolf als Nachfolger proklamiert, die Bewohner von 
Benevent den Schatzmeister Radelchis. Der letztere nun rief 
zu seiner Unterstützung ein sarazenisches Heer herbei , welches 
noch im J. 840 oder 41 Bari an der Ostküste durch Hand- 
streich einnahm, bald darauf Tarent eroberte und sich in Apu- 
lien dermafsen festsetzte, dafs an seine Vertreibung nicht mehr 
gedacht werden konnte. Sikenolf, Gleiches mit Gleichem ver- 
geltend, wandte sich seinerseits um Beistand an die Sarazenen 
auf Sardinien und Corsica, welche der Einladung bereitwillig 
Folge leisteten und unter Anführung Massars alsbald im Bene- 
ventanischen erschienen. Während die arabischen Söldnerheere 
übel im Lande hausten, machten gleichzeitig kecke Piraten- 
scharen die Westküste unsicher. Im J. 846 lief eine grofee 
Flotte in die Tiber ein und bedrohte Rom; die Peterskirche, 
die aufserhalb der Mauern lag, wurde geplündert, ein herbei- 
eilendes fränkisch -italisches Heer bei Gaeta aufs Haupt ge- 
schlagen. Als die Kunde von diesen Vorgängen zu Kaiser 
Lothar über die Alpen drang, erteilte er seinem Sohn Ludwig, 
der bereits 844 zu Rom als König der Longobarden gekrönt 



1) Vgl. für das Folgendo besonders Dümmler, 1, 191—194, 303 — 308; 
U, 235 f., 264 — 275, 341 f.; IJI, 1 — 24. — Mühlbachor, Reg, Itnp.y 
no. 1081a — 1226 b passim. — Amari, Storia dei Musnlmani di Sic Uta, 
Florenz 1854, 1. 1, 354 — 389. 

Zenker, Das Epos von Lsembard etc. 9 



— 130 — 

worden war, den Auftrag, der Sarazenenpiage zu steuern. Im 
J. 847 oder 48 trat der junge König seine Heerfahrt nach dem 
Süden an. Er rückte in Apulien ein, errang bei Bari einen 
grofsen Sieg über die Sarazenen und liefs ihren Führer Massar, 
der von seinem eigenen Bundesgenossen Radelchis verräterisch 
ausgeliefert wurde, enthaupten. Die Fehde zwischen Badeichis 
und Sikenolf wurde nun im J. 849 durch einen Vergleich bei- 
gelegt, demzufolge das ehemalige Herzogtum Benevent in zwei 
selbständige Herzogtümer geteilt wurde: Benevent unter Radel- 
chis und Salerno unter Sikenolf. Nachdem so die Ruhe her- 
gestellt schien, begab sich Ludwig nach Rom und wurde dort 
im J. 850 durch Papst Leo zum Kaiser gesalbt 

Die Sarazenen von Bari setzten indefs, durch Nachschübe 
aus Sizilien verstärkt, in den folgenden Jahren ihre Plünderungs- 
züge in alter Weise fort. Ihr Anführer war damals ein gewisser 
Mofareg -ihn- Salem 1, der den Titel „Sultan" angenommen hatte 
oder doch von seinen Leuten so bezeichnet wurde. * Arabische 
Quellen wissen von ihm zu berichten, er habe nicht weniger 
als 24 Burgen eingenommen und sei von ungemessenem Stolze 
erfüllt gewesen; die christlichen Schriftsteller sprechen von ihm 
mit Ausdrücken des tiefsten Absehens und des bittersten Hasses: 
auf Leichenhügeln, heifst es, habe er seinen Schmaus gefeiert 
und in Abendmahlskelchen sich den Wein kredenzen lassen; 
den Saugdan nequissimus ac scehratissimu^ rex HismaJielitum 
nennt ihn der Zeitgenosse Erchempert. 

Eben in jene Zeit nun fällt die Empörung der Grafen 
Lambert und Hildebert gegen Kaiser Ludwig, von der uns 
allein das Chron. S. Bened. Cousin, in der oben angeführten Stelle 
genauere Kunde aufbewahrt hat. Was den Grund der Empö- 
rung betrifft, so erteilt uns die Chronik über diesen keine Aus- 
kunft; anderweitig erfahren wir, dafs Ludwig gegen Hildebert, 
Grafen im Spoletinischen — er war vermutlich Graf von Came- 
rino und ehedem Statthalter des Herzogs Guido von Spoleto 
(842 — 858) — einen Prozefs eingeleitet hatte wegen zahlreicher 



1) Vgl. über ihn Aman a. a. 0. p. 371 f. 

2) Der Ausdruck findet sich nach Aman sonst bei arabischen Autoren 
bis zum Ende des 10. Jb. selten. 



— 131 — 

Bedrückungen und eigenmächtiger Übergriffe auf Kosten des 
Fiskus, die er sich hatte zu Schulden kommen lassen. Wenn 
wir Lambert [comes und dux von Spoleto 860 — 71, dann ab- 
gesetzt, restituiert 875 oder 76, — 879), den Sohn und Nach- 
folger Guido's, sowie den Herzog Adelchis von Benevent mit 
dem angeklagten Hildebert gemeinsame Sache machen sehen, 
so erklärt sich dies offenbar daraus, dafs beide sich durch das 
energische Vorgehen des Kaisers in ihrer eigenen Selbständig- 
keit bedroht glaubten. ^ Der Seodan rex, zu dem Hildebert 
nach dem Chron. Casin. flüchtete, ist natürlich kein anderer 
als der gefürchtete Mofareg -ihn -Salem. Wie wir sahen, kehrte 
Ludwig nach der Einnahme S. Agatha's und der Begnadigung 
der Empörer mit seinem Heere nach Oberitalien {Franda) 
zurück. Seine Expedition war, wie es scheint, gleichzeitig gegen 
die Sarazenen gerichtet gewesen; denn wir hören, dafs nach 
seinem Abzüge der Sultan von Bari, alles mit Feuer und 
Schwert verwüstend, gegen Benevent vorrückte; Adelchis sah 
sich genötigt, den Frieden durch einen Tribut und Stellung 
von Geifseln zu erkaufen. Ein longobardisches Heer, das dem 
Sultan entgegentrat, erlitt eine furchtbare Niederlage, infolge 
deren ein Graf Garard, zwei Gastalden sowie viele andere den 
Tod erlitten und unzählige Gefangene in die Hände der Sieger 
fielen. Diese setzten ihre Verheerungen nun unbehindert fort 
und es kam so weit, dafs man schon den Besitz der römischen 
Kirche und des Kaisers für bedroht hielt. 

Da unternahm Ludwig denn, dem Hilferufe der hartbe- 
drängten Longobarden, namentlich der Beneventaner und Capu- 
aner, Folge leistend, im J. 866 jene grofsartige Heerfahrt 
nach ünteritalien, zu der er in einem noch vorhandenen 
Edikt 2 die Bevölkerung von ganz Italien unter die Waffen 
rief. Er eroberte in glücklichen Kämpfen fast alle Städte im 
Beneventanischen, die sich mit den Sarazenen verbündet hatten 
und schritt dann mit fränkischen, longobardischen und anderen 
Truppen zur Einschliefsung Bari's. Nach vierjähriger Belagerung 



1) Vgl. Wüstenfeld, Ueber die Herzoge von Spoleto aus dem Hause 
der Guidonen, Forschungen %ur deutsch. Gesch. 3, 400. 

2) Waitz, Scrijjt. Rer. Lang., p. 469. 

9* 



— 132 — 

wurde die Stadt am 2. Febr. 871 zur Übergabe gezwungen und 
der Sultan samt der Besatzung in die Gefangenschaft abgeführt; 
alsdann ging ein Heer ab zur Belagerung Tarents und zur Ver- 
treibung der Sarazenen aus Calabrien. Da geschah es, dafe 
Adelchis, veranlafst, wie es scheint, durch Gewaltthätigkeiten 
der fränkischen Truppen gegen die Longobarden , sich im Bunde 
mit Lambert von Spoleto abermals gegen den Kaiser auflehnte; 
während das kaiserliche Heer über das Land zerstreut war, 
setzte er einen Yolkstumult ins Werk und nahm Ludwig selbst 
gefangen.^ Die Anhänger des Kaisers betrachteten es als eine 
gerechte Strafe des Himmels, dafs eben damals ein neues 
grofses Sarazenenheer, 30000 Mann stark, aus Afrika kom- 
mend bei Salerno landete, die Stadt einschlofs und in mehreren 
Abteilungen mordend und plündernd gegen Capua, Benevent 
und Neapel vorrückte. Nun gab Adelchis seinen hohen Ge- 
fangenen auf Vermittelung des Bischofs von Benevent frei, liefs 
ihn aber zuvor schwören, dafs er nie für die erlittene Un- 
bill an ihm Bache nehmen wolle. Ludwig begab sich vorläufig 
nach Kom und verweilte dort bis zum nächsten Jahre. Auf 
dringende Bitten des Bischofs Athanasius von Neapel rückte er 
dann im Juli bis August 872 nach Unteritalien vor, auf dem 
Wege kam ihm der Bischof Landolf von Capua, gleichfalls 
Hülfe suchend, entgegen. Ludwig entsandte nun unter der 
Führung mehrerer Grafen ein Heer zum Entsatz von Salemo; 
bei San Martine am Volturno in der Nähe von Capua kam es 
zur Schlacht, die Sarazenen wurden aufs Haupt geschlagen 
und beinahe vollständig v^erniclitet; was nicht durchs Schwert 
umkam, fand seinen Tod grofsen teils in den Fluten des 
Volturno, man schätzte den Verlust der Ungläubigen auf 
12000 Mann. Eine andere kleinere Abteilung wurde bei Bene- 
vent von dem gleichen Lose ereilt, der Best gab die Belage- 
rung von Salerno auf und flüchtete übers Meer. So schien 
die Sarazenengefahr fürs erste beseitigt. Ludwig verweilte noch 
ein Jahr bei Capua und kehrte dann 873 nach Oberitalien 
zurück, wo er schon zwei Jahre darauf, 875, bei Brescia starb. 

1) Über die Gefangennahme Ludwigs existiert ein lateinisches Volks- 
lied von 32 Versen, gedr. bei Muratori, Antiqu. Ital.l\l^l\\\ Dumeril, 
Poesies jwpulairesj p. 264. Vgl. Mülilbaohor, Reg., no. 1216. 



— 133 — 

Dies die Vorgänge in Italien unter Kaiser Ludwig IL, 
soweit sie für uns von Interesse sind. 

Ich kehre nun zu der Erzählung des Chron. S, Bened, 
Casin,, von der wir ausgingen, zurück. 

Darüber, dafs in dem Gastalden Isembard des Chron, 
Casm. das geschichtliche Vorbild für Isembard li Margarix 
zu erblicken ist, kann nach dem, was wir über die zeitliche 
und örtliche Verbreitung des Wortes magarites ermittelt haben, 
offenbar auch nicht einen Augenblick ein Zweifel bestehen. 
Allerdings wird Isembard von dem Chronisten nicht als maga- 
rites bezeichnet; aber abgesehen davon, dafs er es ja später 
geworden sein könnte — worüber unten — , mochte es für die 
Sage nahe liegen, ihn zu einem solchen zu stempeln, eben 
deshalb, weil er als ein Verbündeter des beim Sultan von Bari 
weilenden Hildebert mit den Sarazenen gemeinschaftliche Sache 
gegen den Kaiser machte und wie ein magarites handelte. 
Sollte man aber trotzdem noch Bedenken tragen, die in Kede 
stehende Identifikation ohne weiteres gutzuheifsen, so dürfte 
wohl die frappante Übereinstimmung, die zwischen der Er- 
zählung des Chron. Casin. und einer Episode im Loher und 
Maller besteht, geeignet sein, diese Bedenken endgültig zu be- 
seitigen. 

Im Loher und Maller wird, wie wir S. 44 f. sahen, erzählt, 
Isembard sei, weil er Richard von Orleans seine Schwester 
nicht zur Frau geben wollte, mit seiner Familie von Ludwig 
in St. Riquier belagert worden; Ludwig habe „bei aller Marter, 
die Gott je erlitt", geschworen, er wolle Isembard nimmermehr 
verzeihen. „Darauf rückte er, heifst es weiter^, so nahe an 
die. Stadt, dafs keine Lebensmittel hineinkommen mochten: da- 
von ging den Städtern bald die Leibziu)ht ab, worüber sie sehr 
bestürzt waren. "Worin und seine Hausfrau schrieen oft und 
viel; auch Fröhlich, die Jungfrau, sprach: Ach, dafs ich je 
geboren ward! Dafs dieser grofse Jammer um meinethalben 
geschieht! Als Isenbart diese Klagen vernahm, ritt er stiU- 
schweigends und ohne Harnisch hinaus und kam in des Königs 
Gezelt und sprach: Oheim, ich bitt euch um Gnade, enterbt 
meinen Vater nicht; ich will euch meine Schwester schicken; 

1) Simrock, S. 232. 



— 134 — 

gebt sie, wem ihr wollt. Schalk, sprach der König, so sanft 
kommst du nicht davon: du mufst mir das Haupt hier lassen. 
Bindet ihn und haut ihm das Haupt ab. Oheim, sprach Isen- 
bart, ich bitt euch um Gnade um des willen, der für uns ge- 
storben ist. Ijafst mich nicht so jämmerlich töten, es wird 
euch ein Vorwurf sein. Hört ihr nicht, sprach der König, was 
ich euch gebiete? Fangt mir den Schalk und haut ihm das 
Haupt ab: er hat es wohl verdient, liätte er mir auch keinen 
andern Verdrufe gethan, als dafs er mich gegen meinen Bruder 
Loher oft böslich verraten hat. Darum will ich nicht essen 
noch trinken, er sei denn getötet. Als Isenbart das hörte, 
begann er heifs zu weinen: er wand die Hände und raufte das 
Haar und bat stets um Gnade: das härteste Herz hätte mit 
ihm weinen müssen. Des Königs Gesinde griff Isenbart an; 
aber die hohen Mannen traten vor den König und sprachen: 
Herr, lafst Euch raten, denn wer sich die Nase abschneidet, 
entstellt sein Angesicht. Ihr Hen-n, sprach der König, was 
soll ich thun? Ich sehe meinen Feind vor Augen, der mir 
viel Verdrufs gethan hat. Ich weifs das selber wohl, was ihr 
mir vorstellt; aber was ratet ihr mir zu thun? mit welcher 
Rute soll ich ihn schlagen? Herr, sprach ein Herzog, ich will 
in dem Rate nicht sein, dafs ihr ihn tötet, denn es stund euch 
übel und brächt euch grofsen Vorwurf. Aber weil ihr ihn so 
sehr hasset, so lafst ihn euch geloben, dafs er nie mehr nach 
Frankreich komme." König Ludwig befolgt diesen Rat, Isem- 
bard wird begnadigt, aber aus Frankreich und der ganzen 
Christenheit verbannt; er begiebt sich zum Sarazenenkönig Gor- 
mund und schliefst mit ihm ein Bündnis. 

Hier haben wir also, wie in der Erzählung des Chron. 
Casin.y einen Grofsen Namens Isembard, der gegen einen König 
Ludwig in Auflehnung begriffen ist, von ihm in seiner Heimats- 
Stadt belagert und zur Übergabe gezwungen, aber auf die Für- 
sprache hochstehender Personen in der ümgebimg des Königs, 
bezw. — im Chron. Casin. — auf die Fürsprache einer hoch- 
stehenden Person, begnadigt wird; der aufserdem mit den Sara- 
zenen gemeinschaftliche Sache macht. Dafs diese Übereinstim- 
mung eine zufällige sein sollte, ist nicht denkbar. Nun habe 
ich allerdings oben gezeigt, dafs der Loher und Maller nichts 



— 135 — 

weniger ist als eine getreue Reproduktion unseres alten Epos. 
Aber andererseits sahen wir doch, dafs nicht nur die Hand- 
lung in ihren wesentlichen Umrissen die gleiche geblieben ist, 
sondern dafs auch verschiedene Episoden sich ziemlich intakt 
erhalten haben, und wir durften es als wahrscheinlich bezeichnen, 
dafs auch in den Partieen, welche sich mit Hilfe der älteren 
Versionen auf ihre Ursprünglichkeit nicht kontrollieren lassen, 
mancher ursprüngliche Zug bewahrt sei. In der That konnten 
wir denn auch bereits auf Grund einer auf unserem Epos be- 
ruhenden Stelle bei Wilhelm von Malmesbury einen sonst nir- 
gends überlieferten Zug im Loher und Maller als alt und ver- 
mutlich als ursprünglich nachweisen. Nun liegt gegen die 
Ursprünglichkeit der in Rede stehenden Episode irgend ein 
Bedenken nicht vor; dafs Isembard von Ludwig in Ponthieu 
belagert und im Anschlufs an die Belagerung verbannt worden 
sei — was doch zur Voraussetzung hat, dafs die Belagerung 
eine erfolgi'eiche war — , das berichtet ja auch Mousket; anderer- 
seits spricht direkt für die Ursprünglichkeit der Episode der 
Umstand, dafs dieselbe nicht etwa entbehrliches Beiwerk ent- 
liält, sondern dafs in ihr recht eigentlich der Knoten der 
ganzen Handlung geschürzt wird: aus Isembards un- 
gerechter Verbannung folgt alles weitere, sie bildet 
das Fundament, auf dem die Handlung sich aufbaut. 
Unter diesen Umständen werden wir denn, denke ich, doch 
keinen Augenblick anstehen, aus der nahen Übereinstimmung 
zwischen dem Bericht des Chron. Casin. und der Episode im 
Loher und Maller den Schlufs zu ziehen, dafs eben jenes ge- 
schichtliche Ereignis die Grundlage der Episode gewesen ist, 
dafs dieselbe mithin in einer vielleicht teilweise abweichenden, in 
allen den Punkten aber, bezüglich deren sie mit der Erzählung 
des Chron, Cqsin. zusammentrifft, übereinstimmenden Fassung 
schon in dem Epos in seiner ältesten Gestalt vorhanden ge- 
wesen ist, ja dafs sie eines der Urelemente der ganzen Dichtung 
bildet, dafs also auch der Isembard li Margariz unseres 
Epos identisch ist mit dem Gastalden Isembard, dem 
Verwandten des Abts Berthari, im Chron. Casin.^ 

1) Noch auf eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen dem betreffen- 
den Passus in der Chronik und im Loher und Maller mufs ich aufmerksam 



— 136 — 

Durch dieses Ergebnis wird nun ofiPenbar unser Epos mit 
einem Schlage in ein völlig neues ungeahntes Licht gerückt: 

Dann sind ihm ja zwei ganz verschiedene ge- 
schichtliche Ereignisse durch die Dichtung aufs 
innigste mit einander verschmolzen: Die Schlacht von 
Saucourt im J. 881 und die Empörung des Hildebert, 
Lambert und Adelchis gegen Kaiser Ludwig im J. 860. 

Dann ist ja das geschichtliche Vorbild für den König Lud- 
wig in unserem Epos nicht nur der westfränkische König Lud- 
wig III., der Besieger der Normannen, sowie vermutlich sein 
Vater Ludwig II. und sein Oheim Ludwig III. von Ostfranken, 
sondern eben so sehr der Kaiser Ludwig IL von Italien, 
der Gegner Isembards und Bckämpfer der Sarazenen.^ 

Dann steckt weiter — setze ich nun hinzu — in dem 
Sarazenenfürsten Gormund aufser dem dänischen Seekönig Gu- 

machen. Dio Grofeen, dio im Lolier und Maller für Isembard hei Ludwig 
Fürsprache einlegen, thun dies mit den Worten: «Herr, lafst euch raten, 
denn wer sich die Nase abschneidet, entstellt sein Angesicht" (weil Isem- 
bard Lud\vigs Neffe ist). Das ist ja genau der gleiche Gedanke, 
mit welchem der Verfasser des Chron. Casin. seinen Bericht 
von der Fürsprache des Abtes Berthari einleitet: j,Nemo umquum, 
ut apostohfs ait^ carnem siiain odio habet, sed nidrit et fobet eam'^: „Nie- 
mand, bezw. kein Vernünftiger, wütet gegen sein eigenes Fleisch und 
Blut"! Die Tendenz des Satzes ist freilich in beiden Fällen ganz vei-schie- 
den: Im Chron. Casin. motiviert durch ihn der Erzähler das Eintreten des 
Abtes für seinen Verwandten Isembard; im L. u. M. wollen die Für- 
sprecher selbst durch ihnLudwig von einer Frevelthat gegen seinen Ver- 
wandten Isembard abhalten. Immerhin erscheint die Übereinstimmung, die 
doch kaum andere als zufällig sein kann, recht sonderbar. Denn dafs etwa der 
Chronist nur von Berthari selbst gesprochene Worte reproduziere, die, in 
ihrer Tendenz verändert, sich per tot discrimina verum bis in das späte 
Remaniement des Loher und Maller erhalten hätten , das wäre doch eine gar 
zu kühne Hypothese! 

1) Möglichen^^eiso ist in dem alten Epos noch eine deutliche Spur der 
teilweisen Identität Ludwigs mit Kaiser Ludwig IL vorhanden gewesen. 
Mousket bemerkt nämlich, Ludwig habe einen Bruder Lothar gehabt, dem 
Lothringen mit Aachen gehörte und ebenso ist im Loher und Maller 
Lothar ein Bruder Ludwigs. Nun war ja Kaiser Ludwig 11. in der That 
ein Bruder Lothars 11. von Lothringen, während der westfränkische Ludwig 
einen Bruder dieses Namens nicht hatte. Indessen mufs es zweifelhaft 
bleiben, ob jene Angabe schon in der alten Chanson enthalten war; in 
unserem Fragment hören wir über Ludwigs Familienbeziohungen nichts 
weiter, als dafs er der Sohn eines Karl wai' und einen Bruder Hugo hatte. 



— 137 — 

thorm und vielleicht einem andern Häuptling Wurm aller Wahr- 
scheinlichkeit nach auch noch der berüchtigte „Sultan" 
von Bari, der impiissimus atque C7^udelissimus latro . . ille 
pestifer Seoda7i des Chron. Casin.^ der Saugdan nequissimus et 
scekratissimus rex Hismahelihim des Erchempert. Dafs der 
Sultan in jener Tradition oder in jenem Liede, durch welches 
Isembard in unser Epos eingeführt wurde, figurieii haben mufs, 
das ergiebt sich doch schon aus der Thatsache, dafs letzterer, 
wie sein Beiname Margarites beweist, in ihr als ein Kenegat, 
als ein mit den Sarazenen verbündeter Überläufer hingestellt 
wurde; denn als der Hauptrepräsentant der Sarazenen kann in 
jener Tradition oder in jenem Liede der Sultan selbst, ihr An- 
führer, unmöglich gefehlt haben. Dafs die Sage sich der Person 
des Sultans bemächtigte, kann nach dem, was wir über den 
tiefen Eindruck wissen, den er auf die Zeitgenossen gemacht 
hatte, nicht im mindesten auffallen; überdies sind uns bei dem 
byzantinischen Historiker Constantinus Porphyrogenitus, 
De administrando imperio, c. 29, direkt sagenhafte, unten 
näher zu besprechende Nachrichten über ihn aufbewahrt. 

Und damit hätten wir ja nun die Erklärung in 
Händen für die auffällige Thatsache, dafs Gormund 
aus einem Normannenhäuptling ein Sarazenenfürst, 
dafs das Normannenheer zu einem Sarazenenheer ge- 
worden ist. Denn „einer aus dem Orient", ein „Araber", 
war ja der Sultan in der That, als "Af.irjQßg (V. 530 m amire) 
bezeichnet ihn der eben genannte byzantinische Historiker i, und 
direkt von Afrika kamen zum gröfsten Teil jene Sarazenen- 
horden, die im 9. Jh. Unter- und Mittelitalien überschwemmten. 
Die Prädikate des Sultans und seines Heeres sind 
also einfach auf Gormund und sein Heer übertragen 
worden. 

Hier drängt sich nun sofort wieder eine wichtige Frage 
auf, nämlich die: in welcher Weise ist die Verschmelzung 
jener beiden geschichtlichen Vorgänge zu Stande gekommen? 

Vier Fälle scheinen a priori möglich: 

1. Eine Tradition, d. h. also, eine, sei es noch historisch 
getreue, sei es bereits sagenhaft umgestaltete und ausgeschmückte 

1) De (hematibtis occidentis c. 11, Migne, Patrol. graeca t. 113, 137. 



— 138 — 

mündliche Erzählung über die imteritalischen Vorgänge des 
J. 860, speziell über die Belagerung S. Agatha's, gelangte nach 
Nordfrankreich, nach der östlichen Pikardie, und wurde dort 
mit einer eben solchen Tradition über die Schlacht von Sau- 
court vermischt. Später bemächtigte sich ein Dichter des 
Stoffes und verarbeitete ihn in einem Epos. 

2. Die unteritalischen Vorgänge fanden ihren Widerhall 
sehr bald in einem epischen Liede, welches ich das Isembard- 
Lied nennen will. Dieses Lied gelangte nach Nordfrankreich ; 
dort bestand eine Tradition über die Schlacht von Saucourt, 
die nun in das Lied eingearbeitet wurde; neue Personen wur- 
den eingeführt, die alten zum Teil umgetauft: das Lied wurde 
für Nordfrankreich adaptiert. 

3. Der Vorgang war der umgekehrte: eine Tradition ge- 
langte nach Nordfrankreich, dieselbe wurde dort ein verwoben 
in ein Lied über die Schlacht von Saucourt, welch letzteres 
ich im Unterschied von dem Isembard-Lied das Saucourt- 
Lied nennen will. 

4. Sowohl in Frankreich als in Italien wurden die in Rede 
stehenden Ereignisse in einem Liede behandelt; das in Italien 
entstandene Lied gelangte nach dem Norden Frankreichs und 
dort wurden die beiden Lieder kontaminiert. 

Hier wären wieder zwei mögliche Fälle zu unterscheiden: 

a. Die formelle Grundlage unserer Chanson ist das Isem- 
bard-Lied. Dasselbe wurde stofflich modifiziert durch das 
Saucourt-Lied. 

b. Die formelle Grundlage ist umgekehrt das Saucourt- 
Lied; es wurde stofflich beeinfluf^t durch das Isembard-Lied. 

Für welchen von diesen vier Fällen sollen wir uns nun 
entscheiden? 

Ich möchte glauben, dafs zunächst Fall 1 und 3 mit ziem- 
licher "Wahrscheinlichkeit eliminiert werden können. Dafs näm- 
lich nicht blofs eine Tradition über Isembard nach Frankreich 
gelangte, sondern dafs die Tradition über ihn sich schon in der 
festen Form eines epischen Gedichtes krystallisiert 
hatte, dafür spricht, wie mir scheint, die Thatsache, dafs sein 
Beiname Margarites erhalten blieb. Denn da dieser nach meinen 



— 139 — 

obigen Ausführungen in Nordfrankreich unverständlich sein 
mufste, so hätte eine formlose Überlieferung von Mund zu 
Mund ihn gewifs rasch beseitigt, wohingegen seine Erhaltung 
vollkommen erklärlich wird durch die Annahme, er sei als 
stehendes episches Beiwort mit dem Namen des Helden 
eng verwachsen gewesen. 

Was dann Fall 3 betrifft, so darf in Anbetracht der That- 
sache, dafs zu Ende des 9. Jh. der Heldengesang schon in seiner 
vollen Blüte stand, der Gedanke, die Erinnerung an Ludwigs 
glorreichen Sieg über die Normannen habe sich nur in der 
Form einer Tradition fortgepflanzt, als höchst unwahrscheinlich 
bezeichnet werden; eine Erwägung, die natürlich ebensosehr 
gegen Fall 1 spricht. 

Es bleibt also Fall 4. Dieser scheint mir in jeder Be- 
ziehung am meisten für sich zu haben und ich nehme denn 
an, dafs unser Epos entstanden ist durch Kontamination, 
Verschmelzung zweier, ursprünglich von einandervoU- 
kommen unabhängiger, fertiger epischer oder episch- 
lyrischer Lieder: des Saucourt-Liedes und des Isem- 
bard-Liedes. 

Ob nun von den beiden hier wieder möglichen Fällen 4a 
oder 4b das richtige trifft, das zu entscheiden vermochte ich 
bisher einen Anhaltspunkt nicht zu finden; doch scheint es mir 
recht wohl möglich, dafs es noch gelingen wird, auch diese 
Frage in einem bestimmten Sinne zu beantworten. 

Die Entstehung eines französischen Liedes in Italien hat 
nun zu jener Zeit durchaus nichts auffälliges. Die nächstliegende 
Annahme wäre ja doch die, das Lied sei als ein unmittelbarer 
Widerhall der Ereignisse, welche es schildert, in Kaiser Lud- 
wigs eigenem Heere gedichtet worden. Dieses Heer rekrutierte 
sich nun unzweifelhaft zum grofsen Teil aus Frankreich; der 
Zeitgenosse Erchempert spricht da, wo er von den Vorgängen 
des J. 860 handelt, geradezu von einem Gallorum exercitus^ 
und derselbe erwähnt später, zum J. 871, die Oalli, welche 
durch ihre Gewaltthätigkeiten Ludwig bei den Beneventanern 



1) Hist. Long. Benev., c. 29, bei Waitz, Scriptores Rer. Lang.f 
p. 245. 



— 140 — 

mifsliebig machten und jenen Aufstand gegen ihn veranlafsten^; 
besonders war im Herzogtum Spoleto das französische Element 
sehr stark vertreten. ^ 

Ebensowenig kann die Verpflanzung des Liedes von Ita- 
lien nach Nordfrankreich befremden. Wir werden als Ver- 
mittler zu betrachten haben entweder einen fahrenden Spiel- 
mann oder aber direkt französische Kriegsleute aus dem Heere 
Kaiser Ludwigs, welche später in ihre nördliche Heimat zurück- 
kehrten. 

Was den Zeitpunkt der Überführung betrifft, so wird 
sich über diesen etwas näheres nicht ermitteln lassen. Sollte 
die zweite der eben genannten Möglichkeiten zutreffen, so 
müfste dieselbe natürlich noch zu Ende des 9. oder Anfang 
des 10. Jh. erfolgt sein und gleichfalls zu Ende des 9. Jh. 
müfste sie stattgefunden haben, wenn Isembard, wie wir oben 
als möglich bezeichneten, aus einem Sohn des Bernard zu 
einem Sohn des Warin geworden sein sollte infolge Verwechse- 
lung mit dem fränkischen Grofsen Isembard, dem Sohn des 
Grafen Warin von Mäcon. 

Ebenso mufs es dahingestellt bleiben, wann die Ver- 
schmelzung der beiden Lieder vorgenommen wurde; nur soviel 
läfst sich sagen, dafs sie erst beträchtliche Zeit nach 881 statt- 
gefunden haben kann, als die * Erinnerung an die Kriege mit 
den Normannen bereits verblafst war und der Dichter keinen 
Widerspruch mehr zu befürchten brauchte, wenn er als die 
Gegner der Franken in der Schlacht von Saucourt die Sara- 
zenen bezeichnete. 

Weiter entzieht es sich nun vollständig unserer Kenntnis, 
welche umstände bewirkt haben mögen, dafs gerade der 
Gastalde Isembard, der doch nach der Darstellung des Chron, 
Cdsin, in jenem Aufstande des J. 860 durchaus keine hervor- 
ragendere Rolle gespielt hatte als die eigentlichen Empörer, 
der Graf Hildebert von Camerino, der Graf Lambert von Spo- 
leto und der Herzog Adelchis von Benevent selbst, warum 
gerade er, sage ich, von der Dichtung aus der Reihe der 
anderen herausgegriffen und zum Helden eines epischen Liedes 

1) ib. c. 34. 

2) Vgl. Dümmler XU, 18, Anm. 2. 



— 141 — 

gemacht wurde. Wir müssen annehmen, dafs jene Kreise, in 
denen unser Lied entstand, von Isembards Persönlichkeit und 
Schicksalen einen ganz besonders nachhaltigen Eindruck em- 
pfangen hatten und es ist ja auch gewifs absolut nicht aus- 
geschlossen, dafs er bei jenen Ereignissen stärker in den Vorder- 
grund getreten war, als man nach der Erzählung des Chron. 
Casin. anzunehmen geneigt wäre. Im übrigen ist zu bemerken, 
dafs wir ja durchaus nicht wissen, ob nicht in dem alten Isem- 
bard-Liede vor seiner Vereinigung mit dem Saucourt-Liede 

m 

auch jene eigentlichen Kädelsführer der Empörung eine Kolle ge- 
spielt haben und ob dieselben nicht erst durch die Verschmel- 
zung mit jenem andern Liede eliminiert worden sind. 

Damit habe ich nun bereits eine wichtige und interessante 
Frage berührt, welche nicht zu umgehen ist, nämlich diese: 
Welches war der Inhalt des alten Isembard-Liedes, inwieweit 
deckte sich derselbe mit dem Inhalt des uns vorliegenden Epos 
von Isembard und Gormund? 

Sehen wir, was sich zur Beantwortung dieser Frage bei- 
bringen läfst. 



Das Isembard -Lied; die Schlacht Yon San Martino. 

Was wir über den Inhalt des Isembard-Liedes auf Grund 
unserer bisherigen Feststellungen wissen, beschränkt sich auf 
Folgendes : 

1. In dem Liede mufs — das ergiebt sich aus der Über- 
einstimmung des Chron. Casin, mit dem Loher und Maller — 
erzählt gewesen sein, der Gastalde Isembard habe sich 
gegen Kaiser Ludwig IL aufgelehnt, der Kaiser habe 
ihn in S. Agatha belagert^ und nach hartnäckigem 
Widerstand zur Kapitulation gezwungen; Ludwig habe 
die Absicht gehabt, den Empörer seinen Zorn fühlen 
zu lassen, bezw. ihn zu töten, er habe ihn aber auf 
Fürsprache eines oder mehrerer seiner Grofsen be- 
gnadigt. Ob in dem Liede auch die historische Wiedereinsetzung 
Isembards in sein Amt als Gastalde S. Agatha's berichtet wurde, 
das wissen wir nicht, da die Erzählung im Loher und Maller 



— 142 — 

hier abweicht. Nach ihr wird Isembard vielmehr durch Ludwig 
verbannt und geht nach England. Ebensowenig wissen wir, 
ob das Isembard-Lied schon mit der Einnahme S. Agatha's ab- 
schlofs, da ja im Loher und Maller jene Episode nur die Ein- 
leitung bildet für die Haupthandlung. 

2. In dem Liede mufs Isembard die Rolle eines 
Überläufers, eines mit den Sarazenen verbündeten 
Renegaten gespielt haben: das beweist sein Beiname Mar- 
garites. 

3. In dem liede mufs der Sultan der Sarazenen auf- 
getreten sein; denn wenn Isembard darin als ein Verbünde- 
ter der Sarazenen erschien, so kann, wie schon früher bemerkt 
wurde, als Hauptrepräsentant der letzteren der Sultan selbst 
unmöglich gefehlt haben. 

Über den sonstigen Inhalt des Liedes wissen wir nichts. 
Dagegen können wir über denselben nun noch einige Ver- 
mutungen aufstellen, denen an sich eine ziemliche Wahrschein- 
lichkeit innewohnt und die durch eine besondere Beobachtung 
nahezu zur Gewifsheit erhoben werden: 

1. Es ist zunächst nicht wahrscheinlich, dafs jenes Lied 
mit der völligen Rehabilitierung Isembards, seiner Wieder- 
einsetzung in Amt und Würden , geschlossen habe. Ein solfcher 
Ausgang würde dem aller Volkspoesie innewohnenden Gerechtig- 
keitstriebe widersprochen haben; denn dieser verlangt, dafs der 
Schuldige den begangenen Frevel büfse. Die Begnadigung des 
Renegaten Isembard, des Bundesgenossen der Sarazenen, konnte 
nicht wohl den Abschlufs eines epischen Liedes bilden. 

2. Es ist Folgendes zu erwägen: Wir wissen freilich nicht, 
welche Momente die Verschmelzung des Saucourt -Liedes mit 
dem Isembard -Liede herbeigeführt haben; aber am nächsten liegt 
doch der Gedanke, sie sei bewirkt worden dadurch, dafs beide 
eine Schlacht schilderten, in der ein fränkischer König 
Ludwig einen glänzenden Sieg davon trug über seine 
Feinde; dafs die Schilderung einer solchen siegreichen Schlacht 
den Hauptinhalt des Saucourt-Liedes bildete, das wissen wir ja. 
Nur die Annahme, das Isembard-Lied habe den Sultan der 
Sarazenen in einer grofsen Schlacht eine ähnliche Rolle spielen 
lassen, wie unser Fragment den Gormund, nur diese Annahme 



— 143 — 

würde es begreiflich machen können, dafs die Gestalten der 
beiden in einander flössen, dafs die Prädikate des Sultans auf 
Gormund übertragen wurden, dafe das normannische Heer sich 
in ein solches von l}iirx, Persanx et Arahis verwandelte. 
Ebenso erklärt es sich nur durch die Annahme, das Isembard- 
Lied habe eine Schlacht geschildert, wenn sich nach unserm 
Fragmente V. 152 in Ludwigs Heere auch befindet „ww danxel 
de Lombai'die^^ ; denn dafs Longobarden an der Schlacht von 
Saucourt Teil genommen haben sollten, ist nicht glaublich, wir 
haben hier offenbar einen Überrest aus der Schlaohtschilderung 
des Iserabard -Liedes vor uns. Da nun Kaiser Ludwigs Feld- 
zug gegen die aufrührerischen Grafen nach dem Chron. Oasin, 
mit der Einnahme S.Agatha's und der Unterwerfung der Empörer 
endete, so müfste, falls das Isembard-Lied mit dem gleichen 
Ereignis abschlofs, jene Schlacht in ihm der Belagerung S. Agatlia's 
vorausgegangen sein; man könnte in diesem Fall daran denken, 
die historische Grundlage derselben etwa zu erblicken in den 
Kämpfen, die vor Alife stattgefunden hatten (post plura bella 
tirbs capta est); dann könnte aber laembard natürlich in dem 
Isembard-Liede nicht, wie in unserem Epos, in der Schlacht 
seinen Tod gefunden haben, und da in unserem Epos die Belage- 
rung des Helden in seiner Vaterstadt (= S. Agatha) dem Bündnis 
mit Gormund und der grofsen Schlacht zwischen Christen und 
Sarazenen vorausgeht, so müfste aufserdem später, anläfslich 
der Kontamination mit dem Saucourt- Liede, eine vollständige 
ümkehrung, eine unnatürliche Verrenkung der ursprünglichen 
Handlung des Isembard- Liedes stattgefunden haben, wie sie 
denn doch kaum glaublich erscheint. 

Beshalb dürfen wir es, zugleich im Hinblick auf die 
unter 1 ausgesprochene negative Erwägung, als höchst wahr- 
scheinlich bezeichnen, dafs das Isembard-Lied nicht abschlofs 
mit der Einnahme S. Agatha's durch Kaiser Ludwig, sondern, 
genau wie unser Epos, mit einer grofsen Schlacht zwischen 
Christen und Sarazenen, in der der Renegat Isembard seine 
Schuld mit dem Tode büfste; daraus würde dann also weiter 
folgen, dafs jenes Lied Isembard nach der Eroberung S. Agatlia's 
zu den Sarazenen flüchten und sich mit ihnen gegen Kaiser 
Ludwig verbünden liefs. 



— 144 — 

Nun kann jene supponierte Schlacht natürlich nicht von 
dem Dichter des Isenibard-Liedes erfunden worden sein, es 
mufs ein historisches Vorbild für sie existiert haben. Sehen 
wir uns in der Geschichte Italiens nach 860 nach einem solchen 
um, so bietet sich uns sofort jener grofse Feldzug Ludwigs 
gegen die Sarazenen in den Jahren 866 — 72 dai*, zu dem die 
waffenfähige Mannschaft von ganz Italien unter die Fahnen 
gerufen wurde, und innerhalb dieses Feldzuges würde offenbar 
zunächst wieder in Betracht kommen jene letzte entschei- 
dende Schlacht bei San Martine am Volturno, in der 
ein erst im Jahre zuvor von Afrika eingetroffenes Sarazenenheer 
aufs Haupt geschlagen und zum grofsen Teil vernichtet wurde. 
Denn mit diesem glorreichen Sieg fand ja Ludwigs Feldzug 
seinen Abschlufs, er mufste mehr als alle vorausgehenden 
Kämpfe die Phantasie der Zeitgenossen in Bewegung setzen 
und zu poetischer Verherrlichung reizen. 

Sollte die Vermutung, dafs eben jene Schlacht von San Mar- 
tine in dem Isembard-Liede gefeiert wurde, zutreffen, dann wäre 
also diese neben der Sclflacht von Saucourt als die historische 
Grundlage unseres Fragmentes zu betrachten, beide Schlachten 
wären durch die Dichtung in eins verschmolzen worden. 

Nun scheint es in der That, dafs sich in unserem 
Fragmente eine deutliche Erinnerung an jene Schlacht 
von San Martine erhalten hat: nämlich in der Person 
von Hugo^s Schildknappen Guntier. 

Guntier wird in dem Fragmente bezeichnet als Hugo 's, also 
auch König Ludwigs Neffe und wird als ausnehmend jung 
geschildert: noch sind es nicht acht Tage, dafs man ihn zum 
Kitter geschlagen hat: 

V. 327: De Vautre pari fut dan% Guntier s 
dl qui fut ja sis [Hugo's] escuiers, 
fix sa seruVy si ert sis niex, 
— ceo dit la geste a Saint liichier — 
uncore n' ot oit jurs entiers 
qu'il Vot arm6 a Chevalier. 

Guntier greift, um seinen von Gormund schwer verwun- 
deten Oheim zu rächen, heldenmütig den furchtbaren Sarazenen- 



— 145 — 

fürsten an, bezahlt aber seine Kühnheit mit dem Leben. 
König Ludwig findet ihn später neben Hugo tot auf der Wahl- 
statt (V. 333 — 359; 548 f.). 

Nun bezeichnet die Chronik von Salerno,^ verfafst zu 
Salemo um 978, c. 119 als Führer des christlichen Heeres in 
jener Schlacht von S. Martine eben einen blutjungen, erst 
zwölfjährigen Neffen Kaiser Ludwigs Namens Cuntart 
(Pertz) oder Gontar (Muratori), d. i. Quntari = franz. 
Ountier, und wir hören, dafs derselbe in der Schlacht 
getötet worden sei. 

Die Chronik von Salemo, die neben guten alten Quellen 
vielfach auch die Volkssage benutzt hat,^ erzählt über die jener 
Schlacht vorausgehenden Ereignisse und über die Schlacht 
selbst c. 118 — 119 folgendes: 

Von Adelchis aus der Gefangenschaft entlassen, kehrt 
Ludwig nach Pavia zurück [diese Rückkehr nach Pavia ist 
un historisch]. Dort erscheint bei ihm der Bischof Landolf von 
Capua, um seinen Beistand anzurufen gegen die Sarazenen, 
die soeben, von Afrika kommend, in ünteritalien eingefallen 
sind. Kaiser Ludwig sitzt neben seiner Gemahlin, umgeben 
von seinen Grofsen, auf einem goldenen Throne. Landolf 
bricht beim Eintritt in den Saal in Thränen aus und wirft sich 
aufs Antlitz nieder; der Kaiser aber läfst ihn aufheben und vor 
seinen Thron führen. Landolf bringt nun in längerer Rede sein 
Gesuch vor; die Kaiserin will ihm „nach Prauenart" wider- 
sprechen, jedoch der Kaiser läfst sie nicht zu Wort kommen, er 
erklärt weinend seinen Grofsen, sie sollten sich alle zum Auf- 
bruch bereit halten, er gedenke Landolfs Rufe Folge zu leisten 
und die Ungläubigen aus Italien zu vertreiben. Er läfst Lan- 
dolf Wein in einem goldenen Becher reichen, Landolf trinkt und 
will den Becher dem Schenken zurückgeben, aber der Kaiser 
befiehlt ihm, denselben seinem eigenen Diener einzuhändigen, 
der Becher solle ihm als Geschenk verbleiben; Landolf dankt, 
indem er sich vor dem Kaiser verneigt. Am nächsten Tage 



1) Pertz, aS'ÄIII,467; Muratori, Script. Eer. IL II, 2, p. 261. 

2) Pertz a. a. 0.: „fabellas et carmina m ore populi circiimlata ad- 
miseet." Vgl. auch Wattenbach, Deutsckla?ids Oeschichtsquellen^ 1, 399. 

Zenker, Das £pus von Isombord otc. 10 



— 146 — 

wird er in Gnaden entlassen. Der Kaiser zieht nun mit seinem 
Heere nach Campanien, zu Patenara [jetzt Caianello bei Capua] 
kommen zu ihm die Gesandten verschiedener Städte, ferner 
Landolf sowie seine eigenen Neffen. Er hält einen Kriegsrat 
ab und fragt Landolf, wie stark der Feind sei; Landolf schätzt 
ihn auf 5000 Mann. „Ich denke, es sind ihrer mehr'' er- 
widert der Kaiser. Nun gesteht Landolf, es stünden allerdings 
10000 Mann allein bei Capua, ebensoviele bei Benevent, ein 
weiterer Teil liege vor Salerno. Da wirft sich ein junger 
zwölfjähriger Neffe des Kaisers, Cuntart (Gontar), vor diesem 
nieder, umfafst seine Kniee und fleht ihn an, dafs er gegen die 
Sarazenen ins Feld ziehen dürfe. Aber der Kaiser, zu Thränen 
gerührt, weigert sich in Anbetracht seiner grofsen Jugend, ihm 
die Erlaubnis zu erteilen. Cuntart jedoch läfst die Kniee des 
Kaisers nicht los; da vermag dieser nicht länger zu widerstehen, 
er überreicht dem Knaben seinen Szepter und wünscht ihm 
Gottes Beistand für sein Unternehmen; als Begleiter giebt er 
ihm einen Grafen Suavius. Die beiden ziehen nun nach Capua, 
wo sie bei dem Bischof Landolf die Messe hören und das 
Abendmahl nehmen. Dann rücken sie vereint mit den Capua- 
nern den Sarazenen entgegen. Ein Diakonus Namens Petrus 
will am Kampfe Teil nehmen, der Bischof erteilt ihm auf seine 
dringenden Bitten die Erlaubnis, prophezeit ihm aber, dafs er 
nimmer zurückkehren werde. Als die beiden Heere sich ein- 
ander nähern, vermögen die Christen infolge eines dichten 
Nebels der Feinde nicht ansichtig zu werden. Da vernimmt 
Cuntart das Wiehern ihrer Pferde und den Klang ihrer Waffen; 
sofort giebt er den Hörnern das Zeichen zum Blasen, er selbst 
weist mit erhobenem Arme den Seinen die Eichtung und 
stürmt auf die Feinde los. Die Franken eningen einen glän- 
zenden Sieg, 9000 Sarazenen bleiben auf dem Platze; aber 
auch Cuntart selbst ist unter den Gefallenen, dazu jener kampf- 
lustige Diakonus. Der Best der Sarazenen wird von Landolf 
vernichtet. 

Der sagenhafte Charakter dieser Erzählung ist unverkenn- 
bar; aber mehr noch: es springt in die Augen, dafs wir hier 
gei'adezu das E6sum6 eines epischen Liedes, einer Chanson de 
geste vor uns haben; die Schilderung von Landolfs Empfang 



— 147 — 

am Hofe zu Pavia, die Schilderung des Kriegsrates zu Patenara 
und der Schlacht selbst lassen darüber keinen Zweifel. Folglich 
liefert uns das Chronicon Salernitanum zunächst den Beweis, 
dafs Ludwigs IL Feldzug gegen die Sarazenen und die 
Schlacht von San Martine ein Gegenstand epischen 
Heldensanges geworden waren — eine Thatsache, die 
offenbar geeignet ist, unserer oben geäufserten Vermutung, es 
möchte eben jener Feldzug und eben jene Schlacht die histo- 
rische Grundlage des Isembard- Liedes gebildet haben, zur Stütze 
zu dienen. 

Besteht nun aber an sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit, 
dafs die Schlacht von San Martine der Schlachtschilderung des 
Isembard -Liedes, also auch unseres Fragmentes, zu Grunde 
liege, so werden wir weiter doch keinen Augenblick zögern, 
den Guntier unseres Fragmentes mit der gleichnamigen Persön- 
lichkeit, welche nach Ausweis des Chrmi. Salefm, in der epischen 
Tradition über eben jene Schlacht eine Rolle spielte, zu iden- 
tifizieren und in seiner Gestalt direkt eine Bestätigung für 
die Richtigkeit unserer in Rede stehender Vermutung 
zu erblicken. Wir werden annehmen, dafs Ountari in ähnlicher 
Weise wie in der im Chron. Sale?vi, analysierten epischen Dich- 
tung in der entsprechenden Partie des Isembard -Liedes auftrat 
und dafs er durch letzteres in unser Epos eingeführt wurde. Wir 
werden dann auch wohl nicht fehlgehen, wenn wir vermuten, 
Hugo, als dessen Schildknappe Guntier in unserem Fragmente 
erscheint, entspreche dem Grafen Suavius, den das Chron. 
Salern, ihm als älteren Begleiter im die Seite stellt, es sei bei 
der Kontamination des Isembard- und des Saucoui-t - Liedes 
Suavius durch Hugo ersetzt worden. 

Belanglos ist es für uns offenbar, ob dem, was das Chron, 
Salem, von Guntari erzählt, ein historisches Faktum zu Grunde 
liegt. Amari, Storia dei Musiilmmd 1,387 nimmt es an, nach 
ihm wäre der Anführer des christlichen Heeres in der Schlacht 
von San Martine in der That ein junger Verwandter Ludwigs 
Namens Guntai* gewesen. Die rein historischen Quellen wissen 
jedoch davon nichts; nach dem Zeitgenossen Andreas von 
Bergoma, der über die Schlacht am ausführlichsten be- 
richtet, wären die Anführer des Heeres vielmehr die prindpes 

10* 



— 148 — 

Ilunrochy Agefrid und Boso gewesen.^ Dafe für Guntari ein 
historisches Vorbild existiert hat, ist natürlich nicht zu be- 
zweifeln , inwieweit aber die Erzählung des Chron. Salern, histo- 
risch ist, mufs dahingestellt bleiben; uns genügt es hier, zu 
wissen, dafs die Sage ihn an der Schlacht von S. Martine be- 
teiligt sein liefs. 

Somit düi*fen wir es nun wohl als ausgemacht betrachten, 
dafs das Isembard-Lied mit einer Schilderung der 
Schlacht von San Martine abschlofs und dafs dem 
Zuge König Ludwigs gegen die Normannen in dem 
Saucourt-Liede in dem Isembard-Liede der Zug Kaiser 
Ludwigs IL gegen die Sarazenen entsprach; folglich 
sind in unserem Fragmente eine Schilderung der 
Schlacht von Saucourt und eine Schilderung der 
Schlacht von San Martine aufs engste mit einander 
verschmolzen, folglich war aller Wahrscheinlichkeit 
nach nicht Ludwigs Zug gegen die aufrührerischen 
Orafen Lambert und Hildebert im J. 860 der Haupt- 
inhalt des Isembard-Liedes, sondern seine Heerfahrt 
gegen die Sarazenen — ob der Krieg der J. 866 — 72 
überhaupt oder nur der Schlufsakt desselben, der Feldzug des 
J. 872, das wird sich nicht mit völliger Sicherheit entscheiden 
lassen, dooli dürfte immerhin das letztere das wahrscheinlichere 
sein, da in unserem Epos Ereignisse, welche denen der 
Jahi-e 866 — 71, speziell der 4jährigen Belagerung Bari's, ent- 
spi*echen könnten, nicht erwähnt werden und aus der Dar- 
stellung des Chron. Salem, hervorgeht, dafs die epische Tradi- 
tion den von ßom aus unternommenen Feldzug des J. 872 
als einen selbständigen Feldzug betrachtete. 

Dafs Kaiser Ludwig an der Schlacht von San Martino 
nicht selbst Teil genommen hat, kann natürlich einen Zweifel 
an der Richtigkeit des gewonnenen Ergebnisses nicht begründen. 
Denn da, wie S. 132 bemerkt, Ludwig den Sarazenen entgegen- 
rückte, so konnte sich später offenbar leicht die Sage bilden, 
er selbst habe der Sclüacht beigewohnt, und andrerseits wissen 



1) Andr. Benjom. HisiaHaf c. ir>, bei Waitz, Scriptares, p. 228. 
ilühlbacher, Eeyeifta, uo. 1219 d. Vgl. Anhang III. 



— 149 — 

wir ja eben nicht, ob schon in dem Isembard-Liede Ludwig 
selbst als der Anführer des Heeres bezeichnet wurde, es könnte 
ja sein, dafs dieser Zug aus dem Saucourt - Liede stammt, 
und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dafs in dem Isem- 
bard-Liede, genau wie im Chron. Salern.^ der junge Guntier, 
Kaiser Ludwigs Neffe, als der Anführer des Heeres bemchnet 
wurde. 

Dafs nun d^s Isembard-Lied auch darin mit unserem 
Epos übereinstimmte, dafs es Isembard nach der Einnahme 
S. Agatha's zu den Sarazenen flüchten, mit ihnen ein Bündnis 
schliefsen, seinen Glauben abschwören und in der Schlacht von 
San Martine fallen liefs, das darf als höcht wahrscheinlich be- 
zeichnet werden. Denn es ist doch nicht anzunehmen, dafs 
ihm alle jene Schicksale erst von dem Kontaminator des Sau- 
court- und des Isembard -Liedes sollten angedichtet worden 
sein ; auch mufste doch in dem Liede zwischen der Belagerung 
Isembards in S. Agatha und dem Feldzuge Ludwigs gegen die 
Sarazenen ein innerer Zusammenhang hergestellt sein und es 
liegt am nächsten, sich diesen Zusammenhang durch die Person 
Isembards selbst gebildet zu denken. 

Nun weifs ja aber die Geschichte davon, dafs Isembard in 
dem Kriege der Jahre 866 — 72 als ein Verbündeter der Sara- 
zenen eine Rolle gespielt habe, absolut nichts; wir stehen des- 
halb vor der Frage: wie kam die Dichtung dazu, solches von 
ihm zu erzählen? Zwei Fälle sind denkbar: 

1. Die Erzählung unseres Liedes kann trotz des Still- 
schweigens der Geschichte recht wohl historisch sein. Dafs 
Christen mit den Sarazenen gemeinsame Sache machten, dafs 
sie deren Glauben und Gebräuche annahmen und gegen ihre 
eigenen Landsleute zu Felde zogen, das war ja damals in Unter- 
italien vollkommen an der Tagesordnung; andrerseits sind 
unsere Quellen für die Geschichte jener Zeit viel zu dürftig, 
als dafs aus ihrem Stillschweigen irgend etwas geschlossen wer- 
den könnte. Es würde doch sicher absolut falsch sein, wollte 
man in Sage und epischer Dichtung alles das, was nicht als 
geschichtlich erwiesen werden kann, ohne weiteres als un- 
geschichtlich erklären; nur mit der Möglichkeit, dafs es 
ungeschichtlich sei, wird man rechnen müssen. Dafür, dafs 



— löO — 

Isembards Renegatentum historisch ist, scheint mir sein Bei- 
name Margarites zu sprechen; dals ihm dieser nur deshalb ge- 
geben sei, weil er gelegentlich jenes Aufstandes des J. 860 
mit den Sarazenen gemeinsame Sache machte, das kann ich 
nicht glauben. Ich halte es recht wohl für denkbar, dafe die 
Erzählung des Isembard -Liedes in ihren Hauptzügen vollkommen 
historisch war. 

2. Gesetzt, die Erzähl img des Isembard -Liedes sei, was 
Isembard betrifft — abgesehen von seiner Beteiligung an dem 
Aufstande von 860 — nicht historisch, so würde es doch 
wohl möglich sein, die Entstehung der Sage zu erklären. Die 
Empörung des Adelchis von Benevent und des Lambert von 
Spoleto im J. 860 hatte nämlich eine gewisse Ähnlichkeit mit 
der Empörung der nämlichen Grofsen im J. 871; beide Male 
war noch eiu dritter Gro&er mit ihnen im Bunde, das erste 
Mal der Graf Hildebert, das zweite Mal ein gewisser Lambert, 
über den nichts näheres bekannt ist Es mufste deshalb für 
die Sage nahe liegen, diese beiden Empörungen mit einander 
zu verwechseln. Diese Verwechselung ist in der That voll- 
zogen bei dem Historiker Leo, der die Ereignisse des Jahres 
860 ins Jahr 871 verlegt. Nun mufs ja, wie schon oben be- 
merkt, die Persönlichkeit Isembards anläfslich des Aufetandes 
vom J. 860 in jedem Falle auf die Kreise, in denen unser 
Lied entstand, einen besonders starken Eindruck gemacht haben. 
Verlegte deshalb die Sage die Belagei-ung S. Agatha's ins J. 871, 
so konnte sie leicht dazu kommen, den auf jene zweite Empö- 
rung unmittelbar folgenden Einfall eines neuen grofsen Sara- 
zenenheeres als ein Werk Isembards zu betrachten, der nach 
Ludwigs angeblicher Rückkehr nach Pavia (Chron. Salem. f) 
die Sarazenen herbeigerufen habe, um mit ihrer Hilfe an Lud- 
wig Rache zu nehmen ; er mufste dann natürlich seinen Frevel 
büfsen, indem er in der Schlacht, in der jenes Heer besiegt 
wurde, seinen Tod fand. 

Dies wäre ein Versuch, den Inhalt des Isembard -Liedes 
zu erklären auf Grimd der Voraussetzung, dafs er, was Isem- 
bard betrifft, im wesentlichen ein sagenhafter sei. Indessen, 
ich wiederhole es, es ist mir, besonders im Hinblick auf den 
Beinamen Margarites, bei weitem wahrscheinliche!, dafs der 



— 151 — 

Sage von Isembard ganz bestimmte historische Thatsachen zu 
Grunde liegen , über die uns die dürftigen Chroniken jener 
Zeit nur keine Auskunft erteilen: sei es nun, dafs Isembard 
selbst nach dem J. 860 eine ähnliche Rolle gespielt hat, wie 
sie ihm unser Epos zuweist, sei es, dafs die Sage ihn mit 
einer anderen historischen Persönlichkeit verwechselt und deren 
Schicksale auf ihn, der infolge der Ereignisse des J. 860 Held 
eines epischen Liedes geworden sein mochte, übertragen hat. 
Es sind nun noch einige weitere Punkte zu besprechen. 
Wir nahmen oben S. 187 an, das Vorbild für Isembards sara- 
zenischen Verbündeten, der mit Gormund vermengt wurde, sei 
zu erblicken in dem Sultan von Bari, zu dem das Chron. Casin. 
gelegentlich der Empörung des J. 860 den Hildebert flüchten 
läfst. Nun war aber dieser an der Schlacht von S. Martine 
nicht beteiligt, er befand sich seit der Einnahme Bari's im 
J. 871 in der Gefangenschaft, aus der er erst 875 befreit 
wurde; zu seinen Glaubensgenossen zurückgekehrt, wurde er 
von seinen eigenen Leuten ermordet, da inzwischen einer seiner 
Feinde die Macht an sich gerissen hatte. ^ Anführer des im 
J. 871 neu eingefallenen Sarazenenheeres war ein gewisser 
Abd- Allah und nach dessen, noch im gleichen Jahre erfolgtem 
Tode ein Abd-el-Melik; wer speziell bei S. Martine die Sara- 
zenen befehligte, wissen wir nicht. Somit werden wir fragen 
müssen: Läfst sich nach unseren neuerdings gewonnenen Er- 
gebnissen auch jene frühere Annahme aufrecht erhalten? Ich 
glaube ja. Wenn irgend einer, so war der Sultan von Bari 
geeignet, ein Held der Sage zu werden und in einem epischen 
Liede über die Sarazenenkriege Ludwigs eine hervorragende 
EoUe zu spielen. Er war lange Jahre hindurch der Schrecken 
der Christenheit gewesen, seine Persönlichkeit hatte sich, das 
wissen wir, der Phantasie der Zeitgenossen tief eingeprägt So 
konnte die spätere Sage leicht dazu gelangen, ihn auch zum 
Anführer der Sarazenen in dem Peldzug der Jahre 871 — 72 
zu stempeln. Aber wir sind hier keineswegs auf eine blofse 
Vermutung angewiesen, wir haben ein ausdrückliches Zeugnis, 
dafs die Sage dies gethan hatte. Bei dem byzantinischen 



1) Ygl. Aman, a. a 0. I, 372. 



— 152 — 

HiütfjnkffT Constantina?- PvrphTrogenitas igmdiiseher 
Kaiser rtm 912 — 959» in der .Schrüt Im admimi^nmdo imperw, 
c, 29- findet ^ich nämlich fcig'ende G€^-hicbtie: 

KaL«^ LadwijT hat Bari ein^te^nommen und den Soltan 
{ISoiAavo^} mit sich nai-h Capua und Benevent in die Ge- 
faniren><rhaft «geführt. Bald trin er in näheren Terkehr mit 
seinem Gefangnen und zieht ihn !^ogar zur Tafel. Der Soltan 
nun. ali» ein hinteriisti^r Mann, erzählt den Groisen {Si^oviez) 
von (?d\fusk und Benevent, die ihn in medizinischen und an- 
deren Dingen t>fter um Rat fragen, der Kaiser führe Übles 
gegen .sie im Schilde, er wolle sie gefangen setzen und ins 
Fmnkenreich schicken. Dann seht er zum Kaiser und warnt 
ihn vor den ihm aufsässigen Groisen: seine Herrschaft im 
Lande werde s^j lange nicht gesichert sein, als bis er jene habe 
in Ketten legen lassen. Der Kaiser leiht den Einflüsterungen 
Gehör und läfst durch seine Schmiede Ketten anfertigen. Die 
Grofs^-n. hiervon unterrichtet, gewinnen die Überzeugung, dafs 
der Sultan die Wahriieit gesprochen habe und fassen den man, 
sich des Kaisers zu entledigen. Als derselbe eines Tages von 
der Jagd zurückkehrt, findet er die Thore der Stadt ver- 
schloss'.'n [der Name der Stadt wird nicht genannt, es ist aber 
jedenfalls Benevent gemeint]; der Kaiser merkt, dafs eine Ver- 
sf;hwörung gegen ihn im Werke ist, und begiebt sich zurück 
in sein l^nd. Der Sultan wird nun von den Grofsen zum 
Dank für den Dienst, den er ihnen geleistet hat, in Freiheit 
ffüHit/X Er aber begiebt sich nach Afrika, sammelt eio greises 
HfM^r und fallt in Italien ein. um Capua und Benevent zu er- 
obern. Die Einwohner rufen Ludwig um Beistand an, werden 
aber vrin dem erzürnten Kaiser abschlägig beschieden. Sie 
wenden sich nun an den Kaiser von Konstantinopel, der 
sofortige Hilfe zusagt. Ihr Bote wird auf der Rückkehr von 
den Sarazenen oingefangen. Der Sultan verspricht ihm die 
Freiheit und reiche Geschenke, wenn er, an die Mauern der 
Stadt herantretend, seinen Mitbürgern verkünden wolle, dafe 
sie auf Untf^rstützung vom Kaiser nicht zu rechnen hätten. 

\) Migrio, Patrol. f/raeca, t. 113, 258 ff. Der ganze Passus ist aus- 
geHcliriobori von Theoph, Omtm., c. 56, Scriptores Eist. Byxant 29% 
p. 2Ü4 IT. 



— 153 — 

Der Bote erklärt sich bereit, dem Ansinnen zu entsprechen; 
aber, vor die Stadt geführt, richtet er, des sicheren Todes ge- 
wärtig, heldenmütig den Seinen die Antwort des Kaisers wahr- 
heitsgetreu aus: sie sollten sich tapfer zur Wehr setzen, in 
wenigen Tagen werde Hilfe zur Stelle sein. Er wird von den 
erbitterten Sarazenen sofort niedergemacht, der Sultan aber 
kehrt, aus Furcht vor dem herannahenden griechischen Heere, 
unverrichteter Sache nach Afrika zurück. 

Es ist klar, dafs wir in dieser Geschichte nichts anderes 
vor uns haben als eine Sage über den Aufstand des Adelchis 
von Benevent im J. 871 und jenen unmittelbar darauf folgen- 
den Einfall eines neuen sarazenischen Heeres unter Abd- Allah. 
Zwischen beiden Ereignissen ist ein kausaler Zusammenhang 
hergestellt, in analoger Weise, wie in dem Isembard-Liede die 
Empörung des J. 860 mit eben jener Invasion, speziell mit der 
Schlacht von San Martine, verknüpft gewesen sein mufs. Hier 
war die Verbindung aller Wahrscheinlichkeit nach bewerk- 
stelligt durch die Person Isembards, dort ist sie es durch die 
Person des Sultans. 

Demnach erfahren wir also aus der Erzählung Constantins, 
dafs eine Sage existierte, wonach eben der Sultan von Bari 
der Anführer jenes sarazenischen Heeres gewesen wäre, dessen 
Niederlage bei S. Martine das Isembard-Lied geschildert haben 
mufs. Die Annahme, dafs eben jener Sultan das historische 
Vorbild des mit Isembard verbündeten Sarazenenfürsten gewesen 
sei, hat mithin durchaus nichts bedenkliches. Wenn im übrigen 
die von dem byzantinischen Historiker aufbewahrte Sage grund- 
verschieden ist von dem mutmafslichen Inhalt des Isembard - 
Liedes, so hindert das natürlich nicht, dafs beide doch in einem 
Zuge übereingestimmt haben. Weicht doch die byzantinische 
Version auch von der des Chronicon Salernitamim vollständig 
ab und trifft doch in dem einen Punkte mit ihr zusammen, 
dafs auch sie Ludwig- nach dem Aufstand in Benevent — der 
Geschichte entgegen — nach Oberitalien zurückkehren läfst. 

Soviel über den Inhalt des Isembard -Liedes und seine 
geschichtlichen Grundlagen. Ich gehe nun über zur Erörterung 
eines Problem es, welches Bezug hat auf den Inhalt des Sau- 
court-Liedes. 



154 — 



Rollo. 

Wir sind im vorigen Abschnitt zu dem Kesultate gelangt, 
dafs sowohl in dem König Ludwig als in dem Araberfürsten 
Oormund unserer Chanson zwei ganz verschiedene Persönlich- 
keiten miteinander verschmolzen sind, eine Figur des Isem- 
bard-Liedes und eine des Saucourt -Liedes: in König Ludwig 
der Kaiser Ludwig IL von Italien und der westfränkische König 
Ludwig IlL, in Gormund der arabische Sultan von Bari und 
der dänische Seekönig Gormund. Im Hinblick auf diese That- 
sache liegt doch nun gewifs a priori die Vermutung nahe 
genug, es möchte auch in dem Haupthelden unserer Dichtung, 
in Isembard, nicht nur eine Figur des Isembard- Liedes, son- 
dern auch eine solche des Saucourt- Liedes stecken, der Rene- 
gat Isembard möchte, wie ^^aiser Ludwig und wie der Sultan 
von Bari, in das Saucourt-Lied nicht als eine völlig neue 
Person eingeführt worden sein , sondern es möchte in letzterem 
bereits eine Figur vorhanden gewesen sein, deren Charakter 
und Schicksale mit den seinigen irgend welche Berührungs- 
punkte darboten und welche deshalb von dem Kontamtnator 
der beiden Lieder mit ihm identifiziert wurde. Wirküch läf$t 
es sich nun in hohem Grade wahrscheinlich machen, dafs auch 
die Gestalt Isembards, wie die Ludwigs und Gormunds, in 
unserem Epos das Resultat eines Verschmelzungsprozesses ist; 
freilich sind wir nicht, wie in jenen beiden anderen Fällen, in 
der Lage, eine ganz bestimmte historische Persönlichkeit nach- 
zuweisen, welche mit dem Renegaten Isembard in eins zu- 
sammenwuchs, wohl aber können wir soviel mit annähernder 
Gewifsheit sagen, dafs der später auf den Namen Isembard 
getaufte Verbündete Gormunds in dem Saucourt-Liede wie 
dieser selbst ein normannischer Wikingerhäuptling gewesen 
sein mufs. 

Um nun den Nachweis für diese Behauptung zu führen, 
müssen wir ünteritalien und seinen Sarazenenhorden den Rücken 
kehren und uns mit einem grofsen Sprunge zurückversetzen 
nach den fernen nördlichen Gestaden Frankreichs, dem Tummel- 
plätze zukunftsreicher dänischer Wikingerscharen. 



— 155 — 

Es besteht nämlich eine höchst bemerkenswerte Überein- 
stimmung zwischen dem, was unser Epos nach Mouskets 
R6sum6 von Isembard bis zu dessen Landung in Frankreich 
berichtete, und einer alten sagenhaften Tradition über den ersten 
Normannenherzog Rollo, einer Tradition, die uns aufbewahrt 
ist bei dem Normannenhistoriker Dudo von St. Qu entin. 

Über d§n Autor und sein Werk ist Folgendes voraus- 
zuschicken: Dudo, Domherr und Dechant der Kongregation 
von St. Quentin, lebte um die Wende des 10. Jh.; er ist wahr- 
scheinlich geboren um 960 in der Grafschaft Vermandois in 
der südlichen Pikardie, wo er auch den gröfsten Teil seines 
Lebens zubrachte. Sein Geschichtswerk: De morilnis et actis 
primorum Nonnanniae ductim ^, die Hauptquelle für die älteste 
Geschichte der Normannen in Frankreich, hat er begonnen 
zwischen 994 und 996, vollendet hat er -es nicht vor 1015. 
Dudo 's Hauptgewährsmann war, wie er selbst angiebt, der Graf 
Rodulf von Ivry, der jüngere Bruder des Herzogs Richard I.; 
er sagt in seinem versus ad comitem Rodulfum hujus operis 
relatorem: 

cujus quae constant libro hoc consai'ipta relatu 
digessi attonitus, tremuluSy hebes, anxius^ anceps. 

Dudo giebt also ausschliefslich das wieder, was die nor- 
mannischen Fürsten seiner Zeit sich von ihren Vorfahren er- 
zählten, „die am Hofe von Ronen fortgepflanzte Haussage''.^ 

' Dudo berichtet nun über RoUo's Herkunft und früheste 
Schicksale Buch II, cap. 1 — 19^ Folgendes: 

In Dänemark (Dada) lebt ein alter „Herzog" (dux)^ der, 
reich begütert und im Besitz einer grofsen Hausmacht, bei- 
nahe das ganze Land beherrscht und sich noch nie vor einem 
König gebeugt hat. Als er stirbt, hinterläfst er zwei Söhne, 



1) ed. Jules Lair, Caen 1865, in Memoires de la Societe des Änti- 
quaires de Normandie, v. XXIII; Duchesne, Bist. Norm. Script, j Paris 
J619, p. 49-^60. 

2) Vgl. Lair, Introd. p. 17 ff. E. Dümniler, Zur Kritik Dudo's von 
St, Quentin in Forschungen xur deutschen Geschichte ^ 6 (1866), S. 362. 
Steenstrup, Normannerne I, 30. 

3) Lair, p. 140 ff. 



ä 



156 — 

ff,,r. !Mfr) und Gurim (- Gorm)^ beide aus- 
. xoojLihoit un<l kriegerische Tüchtigkeit. Um 
■K... iKcrun^ hervorgerufenen unaufhörlichen inne- 
.li liiido zu machen, hat der König des Landes 
..-.».u Kar aller älteren Männer festgesetzt, dafs ein 
.iu^iu lAUito aufser Landes gehen soll. Alle die 
. ;u' diis Los zur Auswanderung bestimmt, wenden 
..; >'iuj beiden Brüder mit der flehentlichen Bitte, sie 
. to 11 iliuen beistehen gegen den König, der sie mit Gewalt 
uiu Laude vertreiben wolle; bereitwillig sagen Rollo und 
..ii:im liuv Untei-stiityAing zu. Inzwischen hat der König die 
\.4xl»inl»t vvm dem Tode ihres Vaters erhalten; um sich für das 
xirlo l'ble, was dieser ilim zugefügt hat, zu rächen, beschliefst 
. I , ilii? beiden Brüder mit Krieg zu überziehen. Aber diese 
.'iiahren, was der König gegen sie im Schilde führt, und be- 
imIi'h sirli, ihm zuvor zu kommen, indem sie, von den zur 
VuNWiUiderung bestimmten jungen Leuten unterstützt, mit 
llriTosinacht in sein Land einfallen. Der Krieg dauert fünf 
.liiiuis endlich wird Friede geschlossen auf Grund der Be- 
ilih«;ung, dafs der beiderseitige frühere Besitzstand gewahrt 
bli'ibe. Aber der Kimig bricht den Frieden in verräterischer 
Wi^isi», greift nächtlicherweile die Stadt, in der die Brüder 
wohnen, an und legt gleichzeitig nahe den Mauern der Stadt 
i^ihi^n Hinterhalt. Als Rollo und Gurim mit ihrer Mannschaft 
i^iiuui Ausfall machen, da ergreift er zum Schein die Flucht 
und lockt so die Brüder hinter sich her. Als beide mit ihren 
Scharen über den Hinterhalt hinaus sind, bricht die im Ver- 
sti^cko liegende Truppe hervor, und während ein Teil die von 
Verteidigern entblöfste Stadt in Brand steckt, fällt der andere 
die Brüder im Rücken an; gleichzeitig macht der König mit 
seintu- Truppe Front, so dafs die Brüder zwischen zwei Heere 
eingeklemmt sind. Gurim findet im Getümmel seinen Tod, Rollo 
(entkommt mit einer kleinen Schar, wendet Dänemark den Rücken 
und segelt mit sechs Schiffen nach der Insel Scanxa [= Skan- 
dinavien i] (c. 1 — 4). Einer im Traum vernommenen göttlichen 



1) Skandinavien war nach mittelalterlicher Anschauung eine grofise 
Xnsol im nördlichen Ozean. 



— 157 — 

Stimme folgend, fährt er von da weiter nach England; die ein- 
heimische heidnische Bevölkerung will ihm die Landung wehren, 
wird aber in einer Schlacht besiegt. Eollo schwankt nun, ob 
er nach Dänemark zurückkehren, nach Frankreich weitersegeln 
oder England erobern soll. Er hat einen wunderbaren Traum, 
der ihm von einem gefangenen Christen dahin gedeutet wird, 
dafs er und sein Volk in Frankreich die Taufe empfangen wür- 
den (c. 5 — 6). 

Zu jener Zeit herrschte über England der König Alste- 
mus [= Aethelstan] y,rex Anghrurn christianissimtcs . , 
sacrosanctae ecclesiae praedignus adiwcaiiis". An ihn schickt 
Rollo Boten und läfst ihm sagen, er sei ungerechter Weise 
aus Dänemark vertrieben, habe keinerlei feindliche Absichten 
und bäte nur für die Dauer des Winters um die Erlaubnis, in 
Alstemus' Lande kaufen und verkaufen zu dürfen; sobald der 
Frühling anbreche, wolle er nach Frankreich weiterziehen. Der 
König erteilt die erbetene Erlaubnis und fordert die Gesandten 
auf, Eollo zu bewegen , dafs er persönlich zu ihm komme. Rollo 
leistet der Einladung Folge, er wird aufs freundlichste von 
Alstemus empfangen und schliefst mit ihm ein Schutz- und 
Trutzbündnis. Im Frühling tritt Rollo mit den Seinigen die 
Überfahrt nach Frankreich an. Die bösen Geister, welche 
wissen, dals er und seine Begleiter die Taufe empfangen sollen, 
erregen einen ungeheuren Sturm, der die Flotte mit dem 
Untergang bedroht; da richtet Rollo ein inbrünstiges Gebet an 
Gott und sofort glätten sich die Wogen. Sie landen nun bei 
Walchern, schlagen die Einwohner, die sich ihnen entgegen- 
stellen, in die Flucht und verwüsten das Land. Alstemus, ein- 
gedenk des mit Rollo geschlossenen Freundschaftsbundes, sendet 
ihm 24 Schiffe mit Proviant und Kriegsmannschaft. Nachdem 
Rollo Walchern und Friesland verwüstet hat, fährt er in die 
Scheide ein bis zur Abtei Condö, besiegt den Raginer Lang- 
hals in einer Reihe von Schlachten und nimmt ihn selbst ge- 
fangen, schenkt ihm jedoch auf die Bitten von Raginers Gattin 
die Freiheit wieder (c. 7 — 10). 

Ln J. 876 verläfst Rollo die Scheide und fährt an Jumieges 
vorbei nach St. Vaast, wo er landet, von da weiter nach Ronen. 
Nachdem er eine von Hasting ihm überbrachte Aufforderung, 



— 158 — 

sich dem König von Fi-ankreich zu unterwerfen, abgewiesen 
und den Franzosen unter dem Herzog Rainald ron Maine eine 
schwere Niederlage beigebracht hat, beginnt er Paris zu belagern; 
er erobert Baveux und nimmt Poppa, die Tochter des Fürsten 
Berengar, zur Frau (c. 11 — 16). 

Als die Engländer hören, dafs Rollo durch die Belagerung 
von Paris in Anspruch genommen ist, greifen sie zu den WaflFen 
und empören sich gegen König Alstemus; da dieser allein nicht 
im Stonde ist, sich der Angreifer zu erwehren, schickt er einen 
Gesandten an Rollo mit der Bitte um Unterstützung. Rollo 
verläfst die Belagerung von Paris und begiebt sich nach Eng- 
land zu Alstemus, der ihm die Hälfte seines Königreiches und 
seiner Habe schenkt. Beide vereint bekriegen nun die Engländer, 
brennen ihre Städte nieder und zwingen sie schlielslich zur 
Unterwerfung. Alstemus, in der Meinung, Rollo werde nun 
dauernd in England bleiben, erklärt ihm nochmals, er schenke 
ihm die Hälfte seines Reiches. Rollo erwidert, er habe nichts 
gethan, als dafs er dem Könige seinen Dank abgestattet habe 
für die Unterstützung, die dieser ihm seinerseits in Walchem 
habe angedeihen lassen; unter dem Symbol eines Dolches, dessen 
Griff 12 Pfund Goldes enthält, giebt er dem König das ge- 
schenkte Reich zurück; er erkläit dann, er wolle nun wieder 
nach Frankreich, um dort seine Feinde zu bekämpfen. Der 
König will ihn begleiten, aber Rollo schlägt das Anerbieten 
aus; mit einem gewaltigen, in England zusammengebrachten 
Heere kehrt er nach Frankreich zurück und setzt dort die Be- 
lagerung von Paris fort (c. 17 — 19). Rollo 's weitere Schicksale 
interessieren uns hier nicht mehr. 

Es ist nun zu bemerken, dafs der König Aethelstan 
identisch ist mit dem dänischen Seekönig Guthorm, 
der ja, wie wir sahen, im J. 879 auf den Namen 
Aethelstan getauft wurde. Allerdings ist es wahrschein- 
lich, dafs Dudo in ihm vielmehr den späteren König von Eng- 
land gleichen Namens (924 — 40), den Enkel Aelfreds, erblickt; 
denn als König von England bezeichnet er ihn ja, und 
später^ spricht er von eben diesem jüngeren Aethelstan, ohne 
anzudeuten, dafs er hier einen anderen meine als zuvor. Aber 

1) c. 41 u. 49, Lair p. 185 u. 193. 



— 159 — 

unmöglich kann das die Meinung von Dudo's Quelle gewesen 
sein, die Meinung der ihm aus dem Munde des Grafen . Rodulf 
zufliefsenden Tradition; es liegt einfach eine Verwechselung 
von Seiten Dudo's oder möglicherweise schon seines Gewährs- 
mannes vor. Dafs der Aeihelstan Dudo's identisch ist mit Gu- 
thorm-Aethelstan, das ist die übereinstimmende Ansicht von 
Lappenbergi, Clement^, Kruse^, Lair*,Pauii^, Petersen^, 
Steenstrup^, Storm® und Kalckstein^. Dümmler^® meint 
nur, es führe auch diese Annahme noch nicht auf das Gebiet 
der historischen Thatsachen, — aber das ist natürlich eine an- 
dere Frage, die uns hier nicht interessiert. Sollte man noch 
irgend einen Zweifel hegen an der Berechtigung der in Rede 
stehenden Identifikation, so müfste derselbe schwinden gegen- 
über einem ausdrücklichen Zeugnis in der bald nach 1108 be- 
gonneneu Chronik des Hugo von Fleury ^^, welches man, soweit 
ich sehe, aus einem leicht erkennbaren Grunde bisher in diesem 
Sinne noch nicht verwertet hat. Nachdem Hugo B. I, c. 1 über 
die Raubzüge des Hasting berichtet und dabei die Bemerkung 
gemacht hat: „verum iste Alstaynus vulgo Oormundus solet 
nominari^'y erzählt er von der Einfahrt der Dänen in die Seine 
und nennt als ihren Führer: „Rollo y vir potentissimus , supra- 
nominati Gormundi regis et archipyratae propincus^ 
Hier wird also Rollo mit Gormund, der, wie wir wissen, iden- 
tisch ist mit Guthorm- Aethelstan und nicht, wie Hugo meint, mit 
Hasting, direkt in engste Beziehung gebracht; wenn Hugo den 
Rollo als Guthorms Verwandten, Dudo hingegen ihn als seinen 
Freund und Verbündeten hinstellt, so läuft das offenbar im 



1) Geschichte von England I, 326. 

2) Die nordgermanische Welt, Kopenhagen 1840, S. 316. 

3) Chronicon Nortmannorttm , Hamburg und Gotha 1851, S. 382. 

4) Ausgabe Dudo*s, Introd. p. 53. 

5) König Äelfred, S. 146. 

6) Die Raubxüge der Normannen, S. 23. 

7) Normannerne I, 131. 

8) Kritiske Bidrag til Vikingetidens Historie, S. 147. 

9) Geschichte des französischen Königtums unter den ersten Cape- 
tingern, Leipzig 1877, I, 127. 

10) A. a. 0. S. 368. 

11) Pei-tz, SS. IX, 340. 



— 160 — 

Grunde auf dasselbe hinaus. Dafs die Stelle bisher für die 
Identifizierung von Aethelstan und Guthorm noch nicht ver- 
wendet wurde, das rührt natürlich daher, dafs man die Iden- 
tität von Gormund und Guthorm nicht erkannt hatte. 

Die Angabe Hugo's ist nun aber gleichzeitig auch noch 
in einer anderen Beziehung für uns von hohem Interesse. Wir 
erfahren nämlich durch sie, dafs zu Hugo's Zeit, also zu Ende 
des 11. und Anfang des 12. Jh., eine volksmäfsige Tradition 
vorhanden war, welche Gormund und Rollo in enge Verbindung 
bracht«; denn Hugo sagt ja ausdrücklich, Hasting werde vom 
Volk ivulgö) Gormund genannt, und dafs er eben aus der 
Volkssage schöpfte, ergiebt sich schon aus der Namensform 
Oormundy welche sich nirgends in rein historischen, sondern 
ausschliefslich in sagenhaften Berichten über Guthorm, den 
OutfiTun der englischen Geschichtsquellen , findet Gormund war 
Güthorms Name in der Volkssage. 

Weiter ist es für uns von Interesse, aus den Worten Hugo's 
zu ersehen, dafs jene volksmäfsige Tradition die Persönlich- 
keit Güthorms in einem völlig anderen Lichte erscheinen liefs 
als Dudo es thut; sie betrachtete Guthorm nicht, wie letzterer, 
als einen „ allerchristlichsten König", sondern, ganz im Einklang 
mit der Geschichte und mit unserem Epos, als einen — natür- 
lich heidnischen — „Erzpiraten'', als einen normannischen 
Wikingerführer. 

Es kann nun keinem Zweifel unterliegen , dafs eben dieses 
auch die Auffassung der von Dudo benutzten Tradition ge- 
wesen ist; alles specifisch christliche bei Dudo ist augenschein- 
lich nichts als mönchische Zuthat; dahin gehört die erwähnte 
Bezeichnung Guthorm's als allerchristlichsten Königs, sodann 
der Traum, durch den Rollo aufgefordert wird, nach England 
zu gehen, der andere Traum, der ihm seine bevoi-stehende Taufe 
ankündigt, die Angabe, der Sturm bei der Überfahrt nach 
Frankreich sei en^egt worden von bösen Geistern, die nicht 
wollen, dafs Rollo Christ werde, sowie die Angabe, Rollo habe 
den Sturm durch ein Gebet beschwichtigt. Für die Tradition 
in ihrer ursprünglichen Fassung können Rollo sowohl als sein 
Verbündeter Guthorm nichts anderes gewesen sein, als was sie 
in der Geschichte waren: auf Beute- und Eroberungszügen 



— 161 — 

begriffene nordische "Wikingerhäuptlinge, „Jlrzpiraten^, um mit 
Hugo von Fleury zu reden. 

Hält man sich nun dies gegenwärtig und schält man aus 
der mönchischen Verhüllung die ursprüngliche Tradition, so 
weit es angeht, heraus, so ist eine nahe Übereinstimmung un- 
verkennbar zwischen den Schicksalen Rollo 's, wie sie jene 
Tradition erzählte, und dem, was unser Epos nach Mouökets 
R6sum6 von Isembard berichtete. 

Die übereinstimmenden Züge sind die folgenden: hier wie 
dort haben wir zwei Brüder, Söhne eines Herzogs, von denen 
der jüngere durch Verrat ums Leben kommt; denn dafs Gurim 
als- der jüngere zu betrachten ist, das ergiebt sich aus dem 
Umstände, dafs Rollo stets an erster Stelle genannt wird und 
als der Wortführer erscheint, dafs Gerardin es gleichfalls ist, 
das geht hervor aus dem Diminutiv und wird bestätigt durch 
die ausdrückliche Angabe im Loher und Maller^ Ein Unter- 
schied zwischen Mousket und Dudo besteht nur darin, dafs bei 
jenem die Tötung des Bruders die Ursache des ganzen fol- 
genden Konfliktes mit dem König ist, bei diesem ist sie eine 
Folge des Konfliktes. Weiter: hier wie dort ist der Held mit 
dem König zerfallen, er wird von demselben ungerechterweise 
in seiner Vaterstadt angegriffen und aus dem Lande vertrieben; 
hier wie dort begiebt er sich übers Meer zu Guthorm nach 
England (dafs Mouskets Angabe, Isembard sei erst nach Eng- 
land und dann zu Gormund in den Orient gegangen, eine jüngere 
Version darstellt, habe ich S. 34 f gezeigt); hier wie dort wird 
er von Guthorm freundlich aufgenommen und schliefst mit ihm 
ein Bündnis; hier wie dort besiegt er einen Jeind Guthorms, 
der ihn seines Landes berauben will; nur ist dieser Feind bei 
Dudo Guthorms eigenes Volk, bei Mousket ein fremder Fürst* 
und findet die Hülfeleistung bei Mousket vor der Überfahrt 
nach Frankreich statt, bei Dudo erst nach derselben: der Held 
kehrt von Frankreich nach England zurück. Hier wie dort 
wird dann der Held zur Belohnung seiner Dienste von Guthorm 
mit Land beschenkt, bei Mousket erhält er „Bocidante, ein 

1) Simrock S. 22a 

2) Puis venqui il un aumacour 
qui li voloit tolir s*ounour, 

Zenker, Das Epos von Isembard etc. 11 



— 162 — 

grofses Land im Orient^, bei Dudo schenkt Outhorm ihm die 
Hälfte seines eigenen Königreiches, nur stattet bei Dudo der 
Held dem König das geschenkte Land wieder zurück. Hier 
wie dort segelt der Held von England nach Frankreich, um es 
zu erobern, bei Mousket in Guthorms Begleitung, bei Dudo 
allein, aber doch mit seiner Unterstützung: Guthorm sendet 
Rollo 24 Schiffe mit Proviant und Mannschaft, und als BoUo 
sich das zweite Mal zur Überfahrt aaschickt, da will Guthorm 
ihn selbst begleiten, BoUo schlägt das Anerbieten aus, doch 
besteht sein Heer zum grofsen Teil aus XJnterthanen Guthorms. 
Endlich hat der Held hier wie dort bei der Überfahrt einen 
gewaltigen Sturm durchzumachen, der seine ganze Flotte mit 
dem Untergange bedroht 

Ich meine nun, diese Übereinstimmungen sind auffallig 
genug, um es in hohem Grade wahrscheinlich zu machen, dals 
wir es in beiden FäUen mit einer ursprünglich identischen Tradi- 
tion zu thun haben, welche sich nur an verschiedene Namen 
geknüpft und in Folge mündlicher Fortpflanzung im Laufe der 
Zeit teilweise differenziert hat Die Mehrzahl der Abweichungen, 
welche die Darstellung Mouskets gegenüber der Dudo's aufweist, 
würde sich unschwer erklären lassen, wenn wir annehmen 
dürften, dafs jene gegenüber der letzteren eine jüngere Fassung 
der Tradition darstelle, welche durch ihre Träger teils bewulst, 
teils unbewufst modifiziert wurde. So war der Grund, auf 
welchen Dudo den Zwist des Königs und der beiden Brüder 
zurückführt, das Verlangen des Königs, Bache zu nehmen für 
die viele Unbill, die er von dem Vater der Brüder erduldet 
hatte, dieser Grund, sage ich, war, weil zu unbestimmt, poe- 
tisch wenig tauglich und es mufste sich das Bedürfnis einer 
konkreteren Motivierung geltend machen; da konnte denn die 
Sage wohl darauf verfallen, die Tödtung des Bruders, die ur^ 
sprünglich nur eine Folge jenes Zwistes war, zu dessen eigent- 
licher Ursache zu machen und die betreffende Episode an den 
Anfang der Geschichte zu transponieren. Wenn sodann bei 
Dudo der Held zweimal bei Guthorm weilt, so konnte für die 
Sage dieser zweimalige Aufenthalt leicht in einen einzigen zu- 
sammenfliefsen, was dann zur notwendigen Folge haben muüste, 
dals die Guthorm durch der Helden geleistete Unterstützung 



— 163 — 

vor den Zug nach Frankreich fiel. Wenn weiter bei Dudo der 
Held Guthorm Beistand leistet anlässlich einer Empörung von 
dessen eigenen Unterthanen, bei Mousket gegen einen fremden 
Fürsten, so konnte, da eine Motivierung für jene Empörung 
ni<5ht gegeben wird, leicht aus der ersteren Version die letztere 
werden; im übrigen könnte es sein, dafs hier Mousket sogar 
die ältere Version bewahrt hätte, denn die historische Grund- 
lage für jiwle Erzählung Dudo^s ist ja sicher zu erblichen in 
Guthonns Krieg gegen König Aelfred und wohl erst durch seine 
Verwechselung mit dem späteren König Aethelstan sind seine 
Gegner, die Engländer (Angli)^ zu seinen eigenen Unterthanen 
geworden. Wenn weiter Guthorm bei Dudo mit dem Helden 
ein Bündnis schliefst, ihn mit Kriegsmannschaft auf seinem 
Zuge nach Frankreich unterstützt und ihm sogar seine eigene 
Begleitung anbietet, so ist es von da zu der Sage, er habe ihn 
thatsächlich begleitet, offenbar nur ein Schritt, und wenn er 
ihm endlich einen Teil seines Landes schenkt, es aber durch 
eine symbolische Handlung zurückgeschenkt bekommt, so mufste 
diese Episode der Sage natürlich zu kompliziert erscheinen: die 
Schenkung war das natürliche, die Rückschenkung mufste fallen. 

Ich will nun keineswegs behaupten, dafs die Differenzen 
der beiden Versionen wirklich in dieser Weise erklärt werden 
müssen, es kam mir nur darauf an, zu zeigen, dais sie eine 
Erklärung sehr wohl zulassen. 

Nun darf freilich eines nicht verschwiegen werden: es ist 
nämlich bei einigen der Mouskets R6sum6 entnommenen ver- 
glichenen Züge nicht sicher, ob sie wirklich schon in dem alten 
Epos vorhanden waren. Zwar sind sie, was ihre Ursprünglich- 
keit angeht, vollkommen unverdächtig, es spricht absolut nichts 
dagegen; aber freilich, sicher ist dieselbe darum noch nicht 
Indessen meine ich, dafs gerade der Umstand, dafs sie zu an- 
deren übereinstimmenden Zügen hinzutreten und mit denselben 
zusammengenommen eine solche Kette gemeinsamer Züge er- 
geben, eben dieser Umstand spricht für ihre Ursprünglichkeit, 
indem es nicht wahrscheinlich ist, dafs diese Reihe von Über- 
einstimmungen zwischen Mousket und Dudo auf einem blofsen 
Zufall beruhen sollte. Aber selbst wenn man es für unzulässig 

erklären würde, die in Rede stehenden Züge, für deren Echtheit 

11* 



— 164 — 

wir keine Oarantieu haben, in der Weise, wie es oben geschehen 
ist, als wirklich echte Züge zu verwerten, so würden doch die 
bei weitem wesentlichsten Übereinstimmungen zwischen dem 
alten Epos und Dudo bestehen bleiben: hier wie dort begiebt 
sich der Held, ungerechterweise von dem Könige des Landes 
in seiner Vaterstadt angegriffen und vertrieben, übers Meer 
nach England zu dem dänischen Seekönig und Erzpiraten 
Guthorm, schliefst mit ihm ein Bündnis und unternimmt mit 
seiner Unterstützung einen Eroberungszug nach Frankreich. 

Nun besteht freilich andrerseits ein sehr wesentlicher Unter- 
schied zwischen den Schicksalen Rollos und denen Isembards, 
ein Unterschied, der auf den ersten Blick die Annahme der 
ursprünglichen Identität der beiden Traditionen als sehr gewagt 
erscheinen lassen könnte: BoUo ist ein Däne, wird aus Däne- 
mark veqagt und zieht aus, um ein fremdes Land, Frankreich, 
zu erobern; Isembard ist ein Franke, wird aus Frankreich ver- 
bannt, und überzieht, nach Frankreich zurückkehrend, sein 
eigenes Vaterland mit Krieg. Ist es wohl denkbar, dais aus 
der ersteren Version die letztere werden, die Sage eine so ein- 
schneidende Modifikation erfahren konnte? Ich glaube, diese 
Frage aufs entschiedenste mit „Ja" beantworten zu sollen, und 
zwar scheinen mir zwei Möglichkeiten gegeben zu sein, welche 
geeignet sind, die in Rede stehende Umbildung der ursprüng- 
lichen Tradition zu erklären: 

1. Es ist eine bekannte Thatsache, dafs die einheimische 
Sage die Neigung hat, einen fremden Eroberer als einen in sein 
Vaterland zurückkehrenden Verbannten zu betrachten. Dafe 
diese Neigung der Sage sich auch in Frankreich gegenüber den 
erobernd vordringenden normannischen Häuptlingen bethätigte, 
das ersehen wir aus einer Angabe in der Chronik des Rodulfus 
Glaber, B. I (verfasst innerhalb der J. 1030 — 35, vgl. Petit, 
Revue historique t. 48, p. 283) cap. 5^, wonach der berühmteste 
der normannischen Seekönige, Hasting, ein aus Herrschbegier 



1) Pertz, SS* Vn, 58: ... ortus est vir quidam ex infimo rvsticorum 
genere, Ästingics nomine, in vico videlicet qui TranquilliLs [Trancost oder 

Trancou€\ dicitur Quijuvenis . . . elegit exul fore, dominandi victus 

cupidifie, Deniqtie dam egrediens ad praedictam Normannorum gentem. 
oto 



— 165 — 

zu den Normannen übergelaufener junger Landmann aus. der 
Gtegend von Troyes gewesen wäre. Ebenso könnte offenbar 
auch Rollo oder derjenige Häuptling, an dessen Namen die 
Dudo'sche Tradition ursprünglich geknüpft war, durch die Sage 
zu einem verbannten Franken gemacht worden sein. Die not- 
wendige Folge war dann, dafs der König von Dänemark, der 
ihn vertrieben haben sollte, sich in einen König von Frankreich 
verwandelte. 

2. Wie ich dargethan habe, sind in unserm Epos zwei 
ganz verschiedene Lieder, die ich als das Isembard-Lied und 
als das Saucourt- Lied bezeichne, auf's innigste mit einander 
verschmolzen worden. Nun wissen wir über den Inhalt des 
Saucourt- Liedes weiter nichts als dieses: 

Es schilderte einen Sieg des fränkischen Königs Ludwig 
bei Saucourt über die von England aus in Frankreich einge- 
fallenen Normannen. 

Es bezeichnete als Anführer und Vorkämpfer der Normannen 
einen Wikingerhäuptling Gormund. 

Vermutlich trat in ihm ein junger fränkischer Ritter Namens 
Hugo auf, der in der Schlacht schwer verwundet oder getötet 
wurde. 

Es enthielt, die ursprüngliche Identität der Dudo'schen Tra- 
dition mit der Erzählung unseres Epos vorausgesetzt, alle jene 
Züge, hinsichtlich deren jene Tradition mit dem Epos über- 
einstimmt. 

Das ist alles, was wir über den Inhalt des Saucourt- Liedes 
ermitteln können. Ob der vermutlich in ihm vorhandene Ver- 
bündete Gormunds, der später, bei der Contamination mit jenem 
anderen Liede, den Namen Isembard erhielt, als ein durch 
König Ludwig verbannter Franke hingestellt wurde, das wissen 
wir absolut nicht. Es kann sein, dafs er erst in einen solchen 
verwandelt wurde durch Verschmelzung seiner Gestalt mit der 
des Helden des Isembard -Liedes. Dafs dieser als ein Über- 
läufer, als ein Verräter am Vaterlande geschildert war, das 
wissen wir bestimmt, es geht hervor aus seinem Beinamen 
Margarites, Ja man dürfte es vielleicht sogar fast als wahr- 
scheinlicher bezeichnen, dafs der Verbündete Gormunds in dem 
Saucourt- Liede n i cht als ein Überläufer hingestellt wurde. Denn 



i 



— 166 — 

es kann doch gar keinem Zweifel unterliegen, dafs die beiden 
Lieder inhaltlich sehr stark von einander abwichen und die 
Annahme, es möchten auch die beiden in der Gestalt Isembards 
verschmolzenen Personen in den beiden Liedern sehr verschie- 
dene Schicksale gehabt haben, liegt bei weitem näher als die 
gegenteilige, ihre Schicksale seien im wesentlichen die gleichen 
gewesen. Folglich ist es sehr wohl möglich, dals der Verbün- 
dete Gormunds in dem Saucourt-Liede thatsächlich ein aus 
Dänemark vertriebener Däne war und dafs jenes Lied in diesem 
Punkte mit der Dudo'schen Erzählung vollkommen überein- 
stimmte. 

Nach dem Gesagten läfst sich also die in Rede stehende 
Abweichung sehr wohl erklären und man wird aus ihr einen 
Grund gegen die Identifizierung der beiden Traditionen nicht 
ableiten dürfen. 

Es ist nun erforderlich, ein Wort zu sagen über die ge- 
schichtliche Glaubwürdigkeit von Dudo's Nachrichten über Eollo. 

Neben der Tradition Dudo's über RoUo's Vorgeschichte, der 
sogenannten normannischen Tradition, besitzen wir eine zweite, 
von ihr grundverschiedene, welche man als die skandinavische 
oder nordische zu bezeichnen pflegt. Diese, aufbewahrt in nor- 
disch-isländischen Sagas, stimmt mit der normannischen nur 
in dem einen Punkte überein, dafs auch sie Rollo durch den 
König aus seinem Vaterlande vertrieben werden läfet. Rolf, 
genannt Oaungu - Hrolfr, war nach ihr der Sohn des norwegischen 
Jarls Ragnvald auf Mören. Der König hatte den Seeraub an 
Norwegens Küsten streng verboten; dieses Verbot übertrat Rolf 
und wurde deshalb aus dem Lande verbannt, er zog übers Meer 
nach Prankreich, wo er das Herzogtum der Normandie gründete. 

Die zeitgenössischen Geschichtsquellen wissen von 
Rollo's Vorgeschichte nichts; aus einem Dokument vom 
J. 918, in dem sein Name zuerst genannt wird, erfahren 
wir nur, dafs die Normandie abgetreten wurde an die 
„Seine-Normannen, nämlich Rollo und seine Leute." 

Von den neueren Historikern haben nun Depping, Liquet, 
Thorpe, Maurer u. a. die Tradition Dudo's als sagenhaft ver- 
worfen und sind der skandinavischen gefolgt; Maurer^ meint, 

1) Bekehrung des norweg, Stammes xum Christent, I, 58 ff. 



— 167 — 

Dudo habe aus der normannischen Volkssage geschöpft, es 
müsse in Bezug auf Rollo's Vorleben lediglich auf nordische 
Quellen zurückgegangen werden. Lappenberg, Oesch v. Engl 
n, 373 betrachtet Dudo's Angaben im Kern als glaubwürdig, 
aber erst von EoUo's Ankunft in England anf bis dahin folgt 
er der nordischen Tradition, vgl. I, 326, obgleich er II, 7 an 
dieser wieder Zweifel äufsert Lair in seiner Ausgabe, IntrodA9K^ 
hält Dudo 's Darstellung im wesentlichen für historisch, wenn 
er auch zugiebt, dafs ihm Irrtümer mit untergelaufen sind. 
Dümmler in seinem Artikel über Dudo ^ läfst es dahingestellt, 
ob bezüglich der Gründe von Rollo's Auswanderung aus seinem 
Vaterlande der normannischen oder der skandinavischen Tradi- 
tion mehr Glauben zu schenken sei, was aber Dudo's sonstige 
Angaben betrifft, so kommt er zu dem Resultate, dafs „nach 
Abzug aller sagenhaften Bestandteile der geschichtliche Rest 
ein sehr dürftiger sei." Dudo habe „Rollo's frühere Thaten 
durch Vermischung mit denen anderer Seekönige so verwirrt, 
dafs uns vor der Schlacht von Chartres keine sichere Thatsache 
bleibe"; aufser einigen allgemeinen Grundzügen, für die wir 
uns auf andere Quellen stützen können, erübrige von brauch- 
baren Angaben allenfalls nur noch „die Sage über Rollo's 
Herkunft, seine Verbindung mit Poppa, das Jahr seiner Taufe 
und den Charakter seiner Regierung sowie einige Andeutungen 
über sein Verhältnis zu den Gefährten." Dümmler nimmt denn 
auch in seiner Gesch, des ostfr. Reiches ^ von Dudo's Angaben 
keinerlei Notiz. Dagegen hat Steenstr up, ^or/wam^en^e I (1876), 
128 — 163 sich bemüht, der Erzählung Dudo's historische 
Glaubwürdigkeit zu vindizieren und ihm hat Amira, Die An- 
fänge des norm. Rechtes, Sybels Hist Zeitschr, N. P. 3 (1878), 
S. 241 ff. zugestimmt Storm wiederum in einer ausführlichen 
Kritik der Quellen für die Geschichte Rollo's, Kritiske Bidrag 
S. 130 — 191, tritt entschieden für die skandinavische Tradition 
tm vni bezeichnet die Angaben Dudo's als sagenhaft; wie 
Hasting, meint er, aof seine Feacsan alle die Thaten vereinigte, 
die er selbst und andere normannische Häapflinge in der Zeit 
zwischen 850 und 880 ausgeführt hatten, so habe die Sage 



1) Forschungen %, deutsch, Oesch, 6, 386. 



— 168 — 

später EoUo alle die normannischen Unternehmungen von 880 
an zugeschrieben. 1 

Es kann nun natürlich nicht meine Absicht sein, auf die 
vorHegende, rein historische Frage hier näher einzugehen; ich 
beschränke mich darauf, zu konstatieren, dafs die Ansichten 
geteilt sind, bemerke jedoch, dafs mir die ünglaubwürdigkeit 
Dudo's durch Dümmler und Storm in vollkommen überzeugen- 
der Weise dargethan zu sein scheint. Dies schliefst natürlich 
nicht aus, dafs seinen Angaben auch da, wo wir Orund haben, 
an ihrer Eichtigkeit zu zweifeln, bisweilen doch irgend etwas 
historisches zu Grunde liegt. 

Nach dem Gesagten werden wir nun in unserer Argumen- 
tation folgendermafsen fortfahren müssen: 

1. Gesetzt, die Dudo'sche Tradition ist, soweit sie mit der 
Darstellung unseres Epos übereinstimmt, historisch, oder aber, 
sie war, wenn unhistorisch, doch von Anfang an an Rollo 's 
Namen geknüpft, dann wäre kein anderer als Rollo selbst als 
der Held des Saucourt-Liedes zu betrachten, der dann mit dem 
Renegaten Isembard verschmolzen wurde. Die Glaubwürdig- 
keit von Dudo's Erzählung, angenommen, würde es, was die 
Zeit von Rollo's Auftreten in Frankreich betrifft, nicht befremden 
können, dais ihm in einem Liede über die Schlacht von Saucourt 
eine Rolle angewiesen wurde. Dudo berichtet nämlich, Rollo 
sei, nachdem er, von England kommend, Walchem und Fries- 
land verheert hatte, in die Scheide eingefahren und bis zum 
Kloster Cond6 gelangt: Pererrato ponto intrat Scaldi alveurriy 
eis eitraque tefiTam depopulans . . . venit ad quandam abbatiam 
(Uctam nomine Condatum^. Die Einfahrt eines normannischen 
Heeres in die Scheide und sein Aufenthalt bei dem Kloster 
Cond6 (nordöstlich Valenciennes) ist nun zum J. 883 durch die 
zuverlässigsten Quellen sicher bezeugt'*, und zwar war dieses 
Heer das gleiche, welches im J. 880 von England nach Frank- 
reich übersetzte und dann im folgenden Jahre bei Saucourt 
kämpftet Dafs Dudo eben diesen Zug im Auge hat, unterliegt 



1) A. a. 0. S. 154. 

2) ed. Lair p. 150. 

3) Ygl. Dümmler, Ost fr. Beich^ HI, 209. 

4) Vgl. ÄngL Sax. öhron. a. 880—83. 



— 169 — 

denn auch keinem Zweifelt Somit wäi*e es möglich, dafs BoUo 
direkt an der Schlacht von Saucourt Teil genommen hatte, in 
jedem Falle hielt er sich damals in Nordfrankreich auf, so daft 
die Sage ihn zu einem Teilnehnier der Schlacht machen konnte. 
Hingegen wird es nun durch eine Erwägung anderer Art höchst 
unwahrscheinlich, dafs Rollo wirklich in dem Saucourt- Liede 
aufgetreten sein sollte. Wie oben bemerkt, wird Rollo in einer 
zeitgenössischen Quelle erst zum J. 911 genannt; aus dieser 
Thatsache dürfen wir schliefsen, dafs er vor seiner Belehnung 
mit der Normandie unter • den Wikingerhäuptltngen, welche da- 
mals die Küsten Frankreichs brandschatzten, durchaus nicht 
besonders hervorgetreten war; es ist deshalb nicht wahrscheinlich, 
dafe die Sage sich vor dem J. 911 seiner Person sollte bemächtigt 
haben. Dals er aber nach jenem Jahre nicht mehr als ein 
Gegner Frankreichs in ein episdies Lied eingeführt werden 
konnte, das liegt auf der Hand. Aus diesem Grunde glaube 
ich der sofort zu besprechenden zweiten Möglichkeit entschieden 
den Vorzug geben zu sollen. 

2. Gesetzt, die Dudo'sche Tradition war ursprünglich nicht 
an Rollo 's Namen geknüpft, sondern wurde von einem anderen 
normannischen Häuptlinge auf ihn übertragen, dann müfste 
offenbar eben dieser andere Häuptling der Held des Saucourt- 
Liedes gewesen sein. 

Nun ist es so gut wie gewifs, dafs Dudo sich bezüglich 
eines wichtigen Punktes seiner Erzählung eine Verwechselung 
Rollo's mit einem anderen dänischen Seekönig hat zu Schulden 
kommen lassen. 

. Dudo berichtet nämlich c. 31, Rollo habe sich, nachdem 
er im J. 912 die Taufe empfangen, mit Karls des Einfältigen 
Tochter Gisla vermählt. Diese Angabe findet sich in keiner der 
älteren Quellen. Nun war Karl der Einfältige, geb. 879, zum 
ersten Mal vermählt im J. 907 mit Frideruna, die 917 starb. 
Von den aus der Ehe hervorgegangenen 6 Töchtern führte die 
4. den Namen Gisla. Diese kann also zu der Zeit, wo sie mit 
Rollo vermählt worden sein soll, kaum erst das Licht der Welt 
erblickt haben. Dudo's Angabe erklärt sich aus einer Ver- 
wechselung Rollo's mit dem Normannenhäuptling Gotfrid, der 

1) Vgl. Storm, KriU Bidrag S. 155. 



— 170 — 

im J. 882 von Kaiser Karl III. mit einigen friesischen Land- 
schaften belohnt wurde, das Christentum annahm und — in 
diesem oder dem folgenden Jahre — die karolingische Prinzessin 
Gisla heiratete, die Tochter Lothars II. und der Waldrada. 
Die Verwechselung wurde herbeigeführt dadurch, dafs die Um- 
stände der Belehnung eine auffallende Ähnlichkeit hatten mit 
der 30 Jahre später erfolgten Belehnung Rollo's, und sie wurde 
erleichtert dadurch, dals der Belehnende in beiden Fällen den 
Namen Karl fährte. 

Die Ansicht von der Verwechselung Rollo's und Gotfrids 
ist nach dem Vorgang früherer Antoren besonders vertreten 
worden von Liquet^jWaitz^ und Dümmler^. Die Gegengründe 
Deppings* und Lappenbergs* sind widerlegt worden von 
Waitz a. a. 0. Lair^ und Steenstrup^ — dem der Aufeatz 
Dümmlers unbekannt geblieben ist — bringen bei ihrem Ver- 
suche, die Angabe Dudo's aufrecht zu erhalten, irgend etwas 
neues nicht bei. 

Aber auch noch eine andere Angabe Dudo's wäre nach 
Dümmler eventuell auf eine Verwechselung Rollo's und Gotfrids 
zwückzuführen. Nach Dudo c. 25 hätte die Vermittelung 
zwisdien Karl und Rollo übernommen der Erzbischof Franko 
von Ronen und eben derselbe hätte nach c. 30 die Taufe Rollo's 
vollzogen. Biese Angabe ist falsch, da nachweislich der da- 
malige Erzbischof V(Hi Ronen vielmehr Wido hiefs. Dümmler 
meint nun, der von Dudo genannte Name fände seine voll- 
ständige Erklärung, wenn wir wmehmen dürften — was freilich 
nicht überliefert ist — , dafs die zu SMoo im Lütticher oder 
Maastricher Sprengel vollzogene Taufe Gotfrids auch durch 
den Bischof dieses Sprengeis, Franko, vollzogen wurde. Eine 
Verwechselung — die bezüglich der Heirat mit Gisla — IriMe 
dann die andere nach sich gezogen. 

1) Rist, de Normandie I, 81 ff. 

2) Über d. Quellen xur Geschichte der Begründung der norm. Herrsch, 
in Frankreich, Nachrichten von d. Oött Oesellsch. d. Wissensch. 1866, S. 71. 

3) A. a. 0. S. 372. 

4) HisL des exped. mar. des Norm,^ 1844, p. 281; 425. 

5) Qesch. V. Engl, I, 14. 

6) Introd. p. 73. 

7) Norm, I, 41. 



— 171 — 

Hat nun aber Dudo zwei Tbiiteachen aus Grotfrids Geschichte 
auf Eollo übjBrtragen, so wird lUäü weiter gehen und die Frage 
aufwerfai dürfen: Sollte sich nicht aiKsfe noch manches ande^ 
in der Dudo'schen Tradition aus einer Verwechselung Rollo's 
und Gotfrids erklären? In der That nimmt Storm dies aü. 
Er meint, Kritiske Bidrag S. 157, in der ErzähluÄg Dudo's von 
Eollo 's Vertreibung aus Dänemark sei nichts anderes zu erblicken 
als eine Erinnerung an die Vorgänge, welche kurz wr 879 
eben jenen Gotfrid und seinen Genossen Sigfrid zur Auswandeniag 
aus Dänemark veranlafsten ; er betrachtet es femer S. 149 alft 
wahrscheinlich, dals an der Spitze jenes Normannenheeres, wel- 
ches im J. 880 von der Themse aus nach Frankreich hinüber- 
setzte, eben jenes Heeres, das nach Dudo Rollo angeführt hätte 
(vgl. S. 168), von Anfang an die nämlichen Könige Gotfrid und 
Sigfrid, sowie die Fürsten Wurm und Hals gestanden hätten, 
welche im J. 883 bei Elsloo als die Führer des Heeres erscheinen, 
— dafs also auch das, was Dudo über Rollo's Zug nach Fries- 
land berichtet, auf einer Verwechselung mit jenen anderen 
Häuptlingen, zunächst also doch wohl mit Gotfrid, beruhe. 
Danach dürften wir also annehmen, dafs die ganze Dudo'sche 
Tradition, soweit sie für uns von Interesse ist, von Gotfrid auf 
Rollo übertragen worden wäre. Ist diese Annahme richtig, 
dann wäre also vermutlich Gotfrid der Held des Saucourt-Iiedes 
gewesen, der dann mit Isembard verschmolzen wurde. 

Nun ist in der That das, was wir über Gotfrid wissen, 
vollkommen geeignet, es verständlich zu machen, dafs er als 
historisches Vorbild für Isembards mutmafslichen Doppelgänger 
in dem Saucourt-Iiede gedient hatte, nämlich: 

1. Gotfrid ist einer der hervorragendsten und meistge- 
nannten Normannenhäuptlinge jener Zeit; er war, wie es scheint, 
der Hauptanführer jenes Heeres, das bei Elsloo belagert wurde, 
da die Annalen von Fulda und von St. Vaast ihn allein nam- 
haft Machen. 1 Die Vorbedingung dafür, dafs die Sage sich 
seiner Person bemächtigte, ist bei ihm also im vollsten Mafse 
gegeben. 



1) Dümmler HI, 201 Anm. 4. 



— 172 — 

2. Wir sahen S. 72ft, dafs Grund zu der Vermutung ist, 
es sei iii das Saucourt-Lied eine Tradition oder ein Lied über 
die Sohlacht von Thimöon eingeflossen ; der Anfuhrer der Nor- 
maunen war nun in jener Schlacht eben Gotfrid, er soll Hugo, 
den Sohn König Ludwigs, mit eigener Hand getötet haben. 

3. Wir wissen zwar nicht, wer der Anführer der Nor- 
riiannen in der Schlacht von Saucourt selbst war; da aber das 
normannische Heer, welches diese Schlacht schlug, das gleiche 
war, welches im vorhergehenden Jahr bei Thim6on gekämpft 
hatte und im folgenden Jahre bei Elsloo lagerte, und da beide 
Male Gotfrid als Anführer, bezw. unter den Anführern genannt 
wird, so ist es wahrscheinHch, dafs er es auch in der Zwischen- 
zeit, also doch wohl auch bei Saucourt, befehligt hatte. 

4. Wie S. 99 f. gezeigt wurde, liegt die Vermutung nahe, 
Gormund, der Verbündete Isembards, möchte identisch sein mit 
dem Normannenhäuptling Wurm; Gotfrid nun, das eventuelle 
Vorbild Isembards, erscheint bei Elsloo in der That als ein 
Verbündeter Wurms. 

5. Gotfrid endete als ein Empörer gegen seinen König. 
Nach der Kapitulation des normannischen Heeres bei Elsloo im 
J. 883 war er zum Christentum übergetreten und mit Land- 
schaften im westlichen Friesland belehnt worden. Es zeigte 
sich aber bald, dafs seine Bekehrung keine aufrichtige gewesen 
war. Im J. 883 gestattete er einem in Friesland gelandeten 
dänischen Eaubgesch wader, den Rhein aufwärts zu fahren, und 
er hatte sich deswegen, wie es scheint, vor dem König zu 
rechtfertigen. Im J. 885 rüstete er sich im Bunde mit Hugo, 
dem Sohne Lothars H, zur Empörung gegen Kaiser Karl und 
rief aus Dänemark ein Heer zu seiner Unterstützung herbei. 
Der Kaiser durchschaute jedoch seine Pläne, und weil er fürchtete, 
mit Gewalt gegen Gotfrid nichts auszurichten, so liefs er ihn 
durch Gesandte, die ihm in scheinbar friedlicher Absicht gegen- 
übertraten, auf einer Bheinuisel ermordend 

Ich meine, dafs die angeführten Momente wohl zu der 
Vermutung berechtigen, es möchte eben Gotfrid die Stelle Isem- 
bards in dem Saucourt -Liede vertreten haben. Wenn seine 



1) Dümmler lU, 237 ff. 



— 173 — 

sonstigen Schicksale, soweit die Geschichte uns über sie Aus- 
kunft erteilt,, mit denen Isembards in unserem Epos durchaus 
nicht übereinstimmen , so bleibt eben wieder zu bedenken, dafs 
wir ja absolut nicht wissen können, wie viel von dem, was 
unser Epos von Isembard berichtet, abgesehen von jenen Zügen, 
die mit der Erzählung Dudo's von Rollo stimmen, schon in dem 
Epos vorhanden war, bevor die Kontamination ijait der Isem- 
bard-Dichtung erfolgte; nur so viel ist wahrscheinlich, dafs die 
Schicksale des Helden mit denen Isemoards in dem auf ihn 
bezüglichen Liede eine gewisse Verwandtschaft hatten, da 
sonst nicht einzusehen wäre, wie die beiden Personen identifiziert 
werden konnten. Im übrigen wäre es ja vielleicht denkbar, 
dafs die Sage von Gotfrids Ausgang nur das festgehalten hatte, 
dafs er als Verräter in Auflehnung gegen seinen König den Tod 
gefunden hatte. 

Indessen ist nun freilich bei alledem zuzugeben, dafs die 
Annahme, der bekannte Normannenkönig Gotfrid sei der Vor- 
läufer Isembards in dem Saucourt -Liede gewesen, eine reine 
Hypothese ist, für welche einigermafsen feste Anhaltspunkte 
nicht gegeben sind. Ich möchte mich denn auch begnügen, zu 
betonen, dafs die in Rede stehende Annahme zu dem, was 
wir über Gotfrid wissen, recht wohl stimmen würda 

Dagegen glaube ich allerdings, im Hinblick auf die Über- 
einstimmung zwischen der Tradition Dudo's und dem R6sum6 
Mouskets, so viel als sehr wahrscheinlich bezeichnen zu dürfen, 
dafs in dem Saucourt- Liede eine Person vorhanden gewesen 
ist, welche dem Isembard in unserem Epos entsprach und dals 
das geschichtliche Vorbild für diese Person, eben so wie für 
Gormund selbst, ein Wikingerhäuptling war, entweder Rollo 
selbst oder — und diese Annahme hat mehr für sich — ein 
anderer Häuptling, der durch die Sage mit Rollo verwechselt 
wurde. 

Und damit wäre ich denn am Ende meiner Untersuchung 
über die historischen Grundlagen der Dichtung angelangt. 

Ich werde nun im Folgenden die gewonnenen Resultate 
kurz zusammenfassen. 



— 174 — 

Ergebnisse. 

1. In dem Epos von Isembard und Gormund sind zwei ver- 
schiedene epische oder episch -lyrische Lieder eng mit einander 
verschmolzen : 

A. Ein Lied, welches zur historischen Grundlage hatte: 

a. die Empörung des Grafen Hildebert, des Grafen Lambert 
von Spoleto und des Fürsten Adelchis von Benevent gegen 
Kaiser Ludwig U. im J. 860, speziell die Belagerung des von 
dem Gastalden Isembard verteidigten S. Agatha dei Goti im Ge- 
biet von Benevent; 

b. entweder überhaupt den grofsen Feldzug Kaiser Lud- 
wigs IL gegen die Sarazenen in den Jahren 866 — 72, speziell 
die letzte entscheidende Schlacht des Feldzuges, die Sdilacht 
bei San Martine am Voltumo in der Nähe von Capaa im J. 872, 
oder aber — und dies ist wahrscheinlidier — ausschliefslich 
den letzten Akt dieses Feldzugi», Ludwigs Heerfahrt gegen das 
im J. 871 in Italien neo eingefallene Sarazenenheer, welches 
eben bei Saa Marfino besiegt wurde. 

B; Bin in Nordfrankreich, vermutlich in der westlichen 
Pflcardie entstandenes lied, dessen geschichtliche Grundlage die 
Schlacht von Saucourt bildete, in der der westfränkische König 
Ludwig IIL im Jahre 881 die Normannen besiegte. 

Wann die beiden Lieder mit einander vereinigt wurden, 
wissen wir nicht. Ebensowenig liefs sich ermitteln, welches 
der beiden Lieder die formelle Grundlage unseres Epos ge- 
wesen ist 

2. Es ist wahrscheinlich, dafs in das Epos aufserdem noch 
eingeflossen ist eine Tradition oder ein Lied über die Schlacht 
von Thim6on im Hennegau, in welcher der ostfränkische König 
Ludwig in. im J. 880 die Normannen besiegte. Diese Tradition 
oder dieses Lied mufs mit dem Saucourt-Liede vereinigt worden 
sein vor seiner Verschmelzung mit dem Isembard -Liede. 

3. In der Gestalt des Königs oder Kaisers Ludwig des 
Epos sind in einander aufgegangen: 

a. der westfränkische König Ludwig HI. (879 — 82), der 
Sohn Ludwigs des Stammlers; 

b. Kaiser Ludwig 11. (850 — 75), König von Italien (seit 
844), der Sohn Kaiser Lothars L; 



— 175 — 

c. höchst wahrscheinlich der Vater Ludwigs III., der west- 
:fränkische König Ludwig U. (877—79); 

d. vermutlich auch der ostfränkische König Ludwig III. 
(876 — 82). 

4. Als historische Vorbilder für Hugo oder Hugolin, 
König Ludwigs Bruder, haben vermutlich gedient: 

a. der gleichnamige Sohn Ludwigs von Ostfranken, der in 
der Schlacht von Thim6on von Gotfrid, dem Anführer der 
Normannen, getötet wurde; 

b. der mächtige kriegerische Abt Hugo von Tours und 
St Germain, der an eben jener Schlacht von Thim6on beteiligt 
war (t 886). 

5. Die geschichtlichen Vorbilder für den Sarazenenfürsten 
Gormund waren: 

a. vielleicht ein Normannenhäuptling Wurm (lat. Vm-mo 
= fr. Oormon)^ der als einer der Anführer jenes dänischen 
Heeres genannt wird, welches sich nach der Schlacht von Sau- 
court bei Elsloo a. d. Maas niederliels und dort von Kaiser 
Karl dem Dicken im J. 883 belagert und zur Übergabe ge- 
zwungen wurde; 

b. sicher der dänische Seekönig Guthorm, Gorm (== fr. Oor- 
mon) oder Guthrun, der im J. 879 von Aelfred dem Grofsen 
besiegt und nach empfangener Taufe mit Ostanglien belehnt 
wurde (f 890). Auf den Namen Guthorms mufs die englische 
Volkssage die Thaten aller übrigen normannischen Häuptlinge 
vereinigt haben, sie betrachtete ihn als den Eroberer Englands 
und Irlands. Diese Sage mufs in Nordfrankreich bekannt ge- 
worden und in der Folge in das Saucourt- Lied aufgenommen 
worden sein. War Gormunds historisches Vorbild ursprünglich 
der Häuptling Wurm, dann hat die Sage die beiden infolge der 
Gleichheit ihres Namens in seiner französischen Form — Oor- 
mon — identifiziert, die Thaten Guthorms auf Wurm übertragen; 

c. sicher ein Sarazenenhäuptling,, höchst wahrscheinlich der 
„Sultan" Mufareg-ibn-Sälem, von den Zeitgenossen schlecht- 
hin „Sultan" {Seodan, Satigdariy 2oXdav6g) genannt (f 875), 
der Krieg führte gegen Kaiser Ludwig IL 

6. Die Verwandlung der Normannen in Sarazenen ist eine 
Folge der Kontamination des Saucourt- Liedes mit dem Isem- 



— 176 — 

bard-Iiede, der Vermischung der Schlacht von Saucourt mit 
der Schlacht von San Martine; die Prädikate des arabischen 
Sultans jyli AraW\ „ci^t df Oriente'^, „rei amir4^*, und die 
seines Heeres „Sarraxi^^, „Turx, Persanx et AraUx" %mA über- 
tragen worden auf Gonnund und sein Heer. 

Hieraus folgt unmittelbar, dafs alle Zeugnisse tiber 
die Gormund-Sage, in denen dieser als König von 
Afrika oder als Sarazene bezeichnet wird, direkt oder 
indirekt beruhen auf unserem Epos. Für die autochihone 
englische Sage mufs Gormund Normanne gewesen sein. Auch 
Galfrid von Monmouth schöpft also, wenn er Gormund König 
von Afrika nennt, entweder direkt aus dem Epos oder aus 
der auf ihm beruhenden Sage; Galfrid schüefeen sich dann an 
Wace und Layamon. 

7. Es ist wahrscheinlich, dafe die Sage von der Einäsche- 
rung Cirencesters durch Sperlinge auf Gormund von Cerdig 
(f 534) und auf diesen . wieder von Ceawlin (560 — 593) über- 
tragen wurde. 

8. Das gesdiichtliche Vorbild für Isembard li Mar gar ix 
ist der mit dem Abt Berthari von Monte Casino verwandte Oastalde 
Isembard, der im J. 860 von Kaiser Ludwig II. in S. Agatha 
dei Goti belagert und zur Übergabe gezwungen wurde. Die 
Belagerung S. Agatha's mufs in dem Isembard -Liede in kau- 
salen Zusammenhang gebracht gewesen sein mit dem Feldzug 
Kaiser Ludwigs gegen die Sarazenen, speziell mit der Schlacht 
von San Martine; es ist wahrscheinlich, dafs jenes Lied, genau 
wie unser Epos, erzählte, Isembard habe naoh der Einnahme 
S. Agatha's durch Kaiser Ludwig mit dem Sultan der Sarazenen 
ein Bündnis geschlossen, sei Eenegat . geworden und habe in 
der Schlacht von S. Martine seinen Tod gefunden, Isembard 
mufs in dem Liede den Beinamen Margarites gehabt haben. 

9. Es ist wahrscheinlich, dafs in dem Saucourt- Liede eine 
Person vorhanden war, welche bei der Kontamination desselben 
mit dem Isembard -liede mit dem Renegaten Isembard ver-. 
schmolzen wurde. Das Urbild dieser Person mufs ein Wikinger- 
häuptling gewesen sein, von dem erzählt wurde, dafs er, aus 
seinem Vaterland vertrieben, in England mit Guthorm ein 
Bündnis geschlossen und dann einen Zug. nach Frankreich 



— 177 — 

unternommen habe: entweder Eollo, der erste Herzog der Nor- 
mandie, oder — was wahrscheinlicher ist — ein anderer Wi- 
Mngerhäuptling, der mit ihm verwechselt wurde, vielleicht 
Gotfrid, wie es scheint, der hervorragendste unter den Nor- 
mannenhäuptlingen, welche zu Anfang der achtziger Jahre des 
9. Jh. auf dem Festlande auftraten. 

10. Hugo's Knappe Guntier ist identisch mit einem angeb- 
lichen, ungewöhnlich jungen Neffen Kaiser Ludwigs II. Namens 
Guntari, der nach italienischer Sage des 10. Jh. Anführer des 
christlichen Heeres in der Schiacht von San Martine war und 
in ihr seinen Tod fand. 

In Anbetracht dieser Resultate mache ich mich nun wohl 
keiner Übertreibung schuldig, wenn ich das Fragment von Isem- 
bard und Gormund hinsichtlich seiner historischen Grundlagen 
als das Merkwürdigste bezeichne, was von altfranzösischem 
Heldengesang auf uns gekommen ist. Spiegeln sich doch in 
ihm jene beiden weltgeschichtlichen Kämpfe wieder, welche 
das christliche Europa des 9. Jh. erschütterten: der Kampf des 
Nordens gegen die ungestüm hereinflutende skandinavische In- 
vasion und der des Südens gegen die erobernd vordringende Welt- 
macht des Islams. In eigenartiger Weise ist eine Schlacht, in der 
ein fränkischer König Ludwig über die Normannen triumphierte, 
verschmolzen worden mit einer anderen Schlacht, in der das Heer 
eines anderen fränkischen Königs gleichen Namens im fernen 
Süden Italiens die Sarazenen aufs Haupt schlug; ein dänischer 
Seekönig, der Krieg führte gegen Aelfred den Grofsen, ist in 
eine poetische Gestalt zusammengeflossen mit einem arabischen 
Sultan und von einander völlig unabhängige, doch zeitUch nur 
durch kurze Zwischenräume getrennte geschichtliche Ereignisse, 
deren Schauplatz England, Frankreich und Unteritalien, vielleicht 
auch Dänemark, war, sind durch die Dichtung zu einem orga- 
nischen Ganzen vereinigt worden, einem künstlerisch in sich 
abgerundeten epischen Liede, aus dem uns der Hauch jener 
kriegerischen Zeit, in der es wurzelt, noch mit seltener Frische 
entgegen weht : dem Liede von Isembard dem Eenegaten und Gor- 
mund „dem vom Orient.'^ 



Zenker, Das Epos von Isembard etc. 12 



Anhang. 

Zeitgenössische Berichte über die Schlachten von Saucourt, 
von Thimäon und von San Martine. 



I. 
Schlacht Ton Saucourt. 

Annales Vedastini, a. 881; bei Pertz, SS. 11, 198; nach einer 
andern, teilweise abweichenden Handschrift (a) ib. I, 519; Bouquet, 
Recmü Vm, 81. 

Nortmanni vero cum infinita multitvdine monasterium Sitdiu ^ in- 
gressi 7. Kai. Januariij ipsum monasterium et civitatemj exceptis aeclestis, 
et vicv/m monasterii et omnes villas in circuitu 5. Kai. Januariij inter- 
fectis Omnibus quos invenire poterant, igne cremaverunt, 07?inemque ter- 
ram usque Sumnam pervagati sunt, capta praeda infinita hominum, 
pecudum et iumentorum. Indeque eisdem 5, Kai. Janu/irii Camaracum^ 
ingressiy incendiis et occisionibus tarn civitatem quain monasterium 
sancti Gaugerici vastantes^ atque ctim infinita praeda ad castra sua 
reversi, omnia monasteria supra Hisscär^ fluvium devastant, fugatis ac 
interfectis hahitatoribus. 

Et circa purifi^ationem sa7ictae Marias iterum moventes per Tar- 
vennam iter accipientes usqtie Ge^itula^ , monasterium sancti Richa- 
rii, et sancti Walarici^, omnia loca circa mare^ motia^teria et vicos, 
indeque Ambianis^ civitatem atque Gorbeiam'' monasterium petentes, 
multisque honusti praedis sani et sine impedimento ad propria repeda- 
vere castra. Iterum circa sollefupnitatem sancti Petri Atrebatis venerunt, 



1) St. Omer; a: monasterium nostrum = St. Vaast, welche Lesart 
Dümmler bevorzugt. 

2) Cambrai. 

3) Vielleicht die Yser, vgl. Pertz I, 519 n. 14. 

4) St. Riquier. 

5) St. Valery. 

6) Amiens. 

7) Corbie. 



— 179 — 

cfmnesqtce qtios ibi repperiere interfecere; et cir&uüa omni terra, ferro 
et igne cuncta vastantes^ sani revertuntur ad castra. 

Interifn Hltidowietis rex gravi dolore cofitristatus , videns regnum 
deleriy convocato exereitu praeparat se ad proelium. At Nortmanni pro- 
spera omnia agentes , cum magno exereitu fluvium Smnnam mense Julio 
transeuntf euneta vastantes more solito usque prope civitatem Belva- 
gorum.^ Hludowicies vero rex cum exereitu transiens Hysam^ fluvium, 
Latverum^ tendere coepit, quo credebat Nortmannos redire. Missis itaqus 
exploratoribus , nuntiant redire eos onustos a praeda. Contra qux)s rex 
ire perrexit, obviavitque eos in pago Witmau^, in villa quae dice- 
batur Sathuleurtis^, et eommissum est proelium, Moxque Nort- 
manni fugam ineunt, atque ad dictam villam deveniunt: qtcos rex in- 
secutus est, gloriosissimeque de eis triumphavit. Et patrata vietoria 
ex parte, coeperunt gloriari suis hoc a^tum viribus, et non dederunt 
gloriam Deo; paucique Nortmanni ex dieta villa egressi, omnem 
eocereitum vertit in fugam, pluresqus ex eis, videlicet usqus ad centum 
homines, interfecerunt : et nisi rex eititis equo descende^is, locum resi- 
stendi et audaciam suis donaret, omnes turpiter ex eodem loco fugiendo 
abirent, Hac vero patrata vietoria, quia multos contigit ibi ruere Nort- 
mannos, rex ovans repedavit trans Hysam, perpauci vero Dani quieti 
interitum suorum nuntiavere in castra; indeque Nortmanni Eludovicum- 
regem adolescentem timere coeperunt. 

Rex quoqus adunato exereitu in pago Ca/maracensium venit , castrum- 
que sibi statuit in loco qui dicitur Strwn^, ad debellationem Danorum. 
Nortmafini hoc cognoscentes , Gandavum'' rediere^ suisque reparatis navi^ 
bus terra marique iter facientes, Mosatn ingressi sunt^ et in Hasloo^ 
sibi sedem firmant ad hyemandum. 



n. 

Schlacht Ton Thim^on. 

Eegino, Ghronicon a. 879; bei Pertz, SS. I, 590. 

Es wird vorher berichtet, dafis Ludwig von Ostfranken in einer per- 
sönlichen ZusammenkuDft mit den jungen Königen Ludwig und Karlmann 
einen Yerti'ag abschloüs, der die Grenzen der beiden Reiche feststellte. 

Facta itaque pactione datisque sacramentis, cum in regnum idem 
rex reverteretur , repente obviam habuit Nordmannorum innumeram inulti- 
tudinem, juxta Carbonariam, in loco qui vocatur Thimiun cu7n 



1) Beauvais. 5) Saucoui-t. 

2) Oise. 6) Estrun. 

3) Laviers, unterhalb Abbeville. 7) Gent. 

4) Vimeu. 8) Elsloo a. d. Maas. 

12 



♦ 



— 180 — 

ingenti praeda ad classeni repedantem. cum quibus absque mora con- 
flixitj et Deo propitiante maximavi ex eis pariem gladio prostravit. 
Reliqui fiiga dilapsi, in supradietum fiscum regium se cofnimmiunt, 
tibi Hugo, filius regis ex pellice natus, cum incautius dimicaret, gra- 
viter vulneratus, ad [sie] Iiostibus rapitur, et inter mantis adversa- 
riorum animam reddidit. Rex existimans, qicod adhuc filitis vivus ab 
inimicis servaretur, exereitum, ab impugnationis i7ifestatione jubet ces- 
sare^ ut quocumque pacto illum incolumem recipere posset, Interea nox 
superveniens , rege)?i cum suis redire ad castra compulit. Nordmanni 
cadavera suoruTn flamviis eocurentes, noctu diffugiunt, et ad classem 
dirigunt gressum. Rex diluculo consurgens, cum filium extinctum repe- 
risset, nimio dolore afficitur; corpus ejus in loculo compositufn ad 
Loreskeim monasterium^ imperat deferri, ibique tumulari, 

IIL 
Schlacht Ton San Martine. 

Andreas von Bergoma, Historia, c. 15 (Ende 9. Jh.; A. hat dem 
Leiclienbegäugnis Kaiser Ludwigs im J. 875 beigewohnt); gedr. SS. Rer. 
Langoh. et Ital. ed. Waitz, p. 228; Pertz, SS. III, 236; Bouquet, Recueil 
VII, 205; Muratori, Äntiqu. Ital. 1,49. 

Sarracini vero in suorum terra haec [die Einnahme von Bari 
a. 871] audiens, elegentes se fortissinii viri, sicut audivimus, viginti 
milia hominum , dicentes : „ Orandis ignmniniam de oceisorum nostrorum 
consonant; camus illuc!^^ Gumque navigio prepararent, ascenderunt et 
navigaverufit et exierunt in ßnibus Beneventana. Tunc dixerunt per 
suoruin audatiae elationis: „Quid nobis fiducie ßiabere debemus in navi- 
bus nostris? Dissipemus eas, quia Franci adver sufu nos nihil possunt; 
et sie prevaluerint adver sum nos, sine ullo metu in regnum nostrum 
pergere possunt!^' Et dictis f actis , Fr a7ici querere ceperunt. Nunciatum 
id est domno itnperatori, quoniam statim mittens principibus suis, id 
est Hunroch., Agefrid et Boso, cum electa manus Francorum et Lango- 
bardorum vel ceterorum nationes. Jungentes se loco (ad San et o Mar- 
tino, ad strada scilic^ prope Capua ad Vulturno^) acies hinc 
et inde utraque partis forti intenciones pugnantes , Dei adiuvante miseri- 
cordia Sarracini devicti et debellati sunt 7nultitudo innumerabiles ; quia 
quod gladius non interemit, i7i fluvio Vulturno negatisunt, reliqui fuga 
vis [1. vix] evaderunt. Sie Dei iudicio conplacuit; qui venerant exaltati, 
facti sunt huyniliati. 

Erchempert, Hist. Laiig obardor um Beneventanorum, c. 34, 35; 
gedr. SS. Rer. Lang., p. 247; Pertz, SS.lll, 252; Muratori, SS. Rer. 
Ital. II, 1, p. 246. 



1) In der Handschrift (9. Jh) auf freigelassenem Platze nachgetragen. 



— 181 — 

c. 34. . . . Consistente itaqiie atcgusto [sc. Lodoguico] in custodia, 
^xcitavit Deus spiritum Hismaelitum eosqite ah Africa regione protinus 
^svexit^ ut ulciscerentur augtisti obprobrium, sieuti Filii Dei passionein 
HTespasianus et Titus ulti sunt. Set defensio Domini dilatata est in an- 
-^ws 42 , . . .; htijus autem contemptum nee in 40 distulit dies. Ex 
^guo datur intelligi, qualis quantusve vir iste fuerit, qui tarn cito de- 
^ensus est. 

c. 35. Äbsoluttcs autem, Domino iuhente, cesar insons, statim Sara- 

^seni Salemum applicuerunt quasi 30 7tiilia; quam graviter obsidentes, 

Jiinc et inde cuneta forinsecus stirpitus deleverunt, occisis in ea innume- 

-rahilihus colonis; et depopulati sunt ex parte Neapolim, Beneventum et 

Ca2)uam Cmnque in hac [sc. Salerni] ohsidione prope terminaretur 

annus, misso exercitu iam dictus augtisfus per sv^estionem Landulfi 
presulis — hoc e7iim solujnmodo memorabile ho7ium gessit a die ortus 
sui — et perdidit ex proplianis in Capua ferme novem milia viros; post 
liaec per semet ipsum dignatus est adveniret Capuam. Guiics advento 
cognito, Saraceni Salemum relinquetites , Calabriam adeunt eamque 
intra se divisam repperientes , fundittis depopularunt , ita ut deserta sit 
veluti in diluvio. 



i 



ni. 



Das Brüsseler Fragment 



im Versmafs des Originals übersetzt 



Die Handschrift , durch die Scheero verstümmelt , enthält eine Reihe Lücken von 
je einem Verse. Ich habe dieselben, wo über ihren Inhalt kein Zweifel sein 
konnte, ergänzt, die betreffenden Verse aber durch Cursivdruck ausgezeichnet. 



- l?s- - 



1 

I 

Mit lauter Stimme ruft er^ dann: 

„Verloren seid Ihr insgesamt, 

Hofft nicht, dafs Euer Gott Euch schirmt" 

Als er den Held gefällt, zum Trofs 5 

Jagt er zurück des Toten ßofs; 

Nach vorne streckt er dann den Speer, 

Da reicht man frischen Schild ihm her.^ 

2. Der Kampf war grimm und heifs entbrannt 

Und gar gewaltig war die Schlacht. 10 

Seht, Gautier dort von Mans sprengt an. 

Des Frankenherzogs Erneis Sohn, 

Gormund erspäht er auf der Höh'; 

Mifst er sich nicht mit ihm zur Stell', 

Erschien' er selbst ein Feigling sich. 15 

Er setzt dem Rofs die Sporen ein, 

Dafs hell das Blut zu Boden tropft. 

Auf König Gormund jagt er zu; 

So trifft er vorn ihn auf den Schild, 

Dafs der ihm gleich in Stücke fährt, 20 

Den Schuppenpanzer stöfst er durch. 

Hart an der Seite streift er ihn, 

Doch dringt der Speer nicht bis ins Fleisch 

Und unverletzt der König bleibt. 

Den Wurfspiefs schleudert Gormund jetzt, 25 

Der fährt ihm sausend durch den Leib, 



1) Gormund. 

2) D. h.: Er hält dem Knappen die Speerspitze hin und läfst sich an 
dieser einen neuen Schild befestigen; wenigstens verstehe ich so die Stelle. 
Das Reichen und Empfangen eines Gegenstandes mit der Speerspitze war 
Sitte, es wurde geübt, wenn zwei Ritter sich gegenüber standen und ein 
Reichen, bezw. ein Empfangen mit den Händen unmöglich war, vgl. Heinzel, 
Sitxungsher. der Wiener Äkad., philol. hist. Klasse y B. 119, S. 46. 



— 186 — 

TrifTt einen Deutschen hinter ihm, 
Tot sinken beide ins Gefild. 
Der edelste, der beste Fürst, 

30 Der je das Licht der Welt geschaut. 

Glaubt' er an Gott den Himmelsherm, 
Erhob die Stimme laut und rief: 
„Bothört ist dieses Christenvolk, 
Das mir die Stirn zu bieten wagt, 

35 Nicht Einer rühm' sich dessen, traun. 

Ich weih' dem Tod sie allesammt" 

Als er gefallt die zwei, zum Trosse 
Jagt er zurück der Toten Rosse; 
Nach vorne streckt er dann den Speer, 
40 Da reicht man frischen Schild ihm her. 

3. Bei der Kapelle von Cayeux 

"Wogt grimmig auf und ab die Schlacht. 

Gortmmd, der Sarazenenfärst^ 

Haut ein mit Macht, spoUt Haupt wie Leib; 

45 Won er erreicht, der sinkt vom Rofs, 

Dem bittern Tod entrinnt er nicht 
Terri von Tennes, seht da, sprengt an, 
Auf braunem Schlachtrofs von Chastele, 
Gerad' auf Gormund eilt er los, 

50 So trifft er ihm den neuen Schild, 

Dafs der in Trümmer gleich zerspringt; 
Die Lanze splittert ihm entzwei. 
Und Gormund zieht sein blankes Schwert, 
Führt auf den Helm ihm solchen Streich, 

55 Dafs stracks das Haupt vom Rumpfe fliegt, 

Grad' vor ihn hin ins frische Gras. 
Dann ruft er solchen Spruch ihm zu. 
Der klingt den Franken schlecht ins Ohr: 
„Traun, Euer Gott ist viel zu schwach, 

60 Er kann Euch nicht Beschirmer sein.*' 

Als er den Held gefällt, zum Trofs 
Jagt er zurück des Toten Rofs; 



— 187 — 

Nach vorne streckt er dann den Speer, 
Da reicht man frischen Schild ihm her. 

4. In dem Gefilde bei Caveux 65 
Tobt wild die Schlacht ohn' XJnterlafs. 

Der Graf von Flandern, seht, sprengt an, 

Verhängten Zügels stürmt er los 

Auf Gormund, den vom Orient; 

Er trifft den Schild mit voller "Wucht, 70 

Yon Rand zu Rand zerbricht die "Wehr, 

Die weifse Brünne haut er durch. 

Doch dringt das Eisen nicht ins Fleisch. 

Nun schleudert Gormund seinen Spiefs, 

Der fährt dem Grafen durch den Leib 75 

Und bohrt sich jenseits in den Sand; 

Der Körper stürzt, die Seele flieht. 

Drauf Gormund, der vom Orient: 

„Ein thöricht Volk, dies Frankenvolk, 

Und wahnbefangen ist sein Sinn, 80 

Dafs es mit mir die Speere kreuzt. 

Des soll sich Keiner rühmen, traun.*' 

Als er den Held gefällt, zum Trofs 

Jagt er zurück des Toten Rofs; 

Nach vorne streckt er dann den Speer, 85 

Da reicht man frischen Schild ihm her. 

5. Der Kampfsturm tobt mit voller Wut. 
Seht Odo dort von Champenois, 

Den Herrn von Chartres und von Blois, 

Yon Chäteaudun in Gätinais; 90 

Er sitzt auf einem Maurenhengst 

Und König Gormund fällt er an; 

Yom Schilde trennt er ihm den Schmuck, 

Die Bänder auch vom Panzerhemd, 

Doch hat den Leib er nicht verletzt. 95 

Sein Kolaschwert ^ ergreift er nun. 



1) Schwert von der Halbinsel Kola amTVeifsen Meer, wo der Sage zufolge 
die Schwerter von Zwergen gehärtet wurden; vgl. Heiligbrodt, Commentar. 



— 188 — 

Giebt ihm drei Streiche auf den Helm, 
Dafis Gormund jäh vornüber sinkt; 
Den Garaus hätt' er ihm gemacht, 

100 Als eiaes Iren Speer dem Held 

Das Streitrofs unterm Leib durchbohrt. 
„Ha*', ruft Gormund mit bitterm Hohn, 
„Dir wäre wohl, wärst Du daheim; 
Dein Röfslein hat man Dir geraubt, 

105 Man giebt es nimmer Dir zurück; 

Hier wirst Du bleiben hübsch bei mir: 
Das Haidekraut Dein Nachtquartier/ 
Er schleudert einen Spiefs ihm zu, 
Doch Gott hat diesmal ihn beschirmt, 

110 Dafs er den Leib ihm nicht berührt, 

Und rasch macht Odo sich davon. 

6. Der Kampf war wild und heifs entbrannt 
Und rings die Schlacht in vollem Gang. 
Seht da den Grafen von Poitou, 

115 Er sitzt auf braungeflecktem Eofs, 

Gormund erschaut er auf der Höh; 
Stellt' er sich ihm zum Zweikampf nicht. 
Empfand' er vor sich selber Scham. 
Die Weichen spornt er seinem Hengst, 

120 Dafe draus das Blut zu Boden spritzt. 

Und hurtig greift er Gormund an. 
Trifft so den erzbeschlagnen Schild, 
Dafs der in Stücke gleich zerspringt, 
Den guten Harnisch stöfst er durch, 

125' Doch dringt das Eisen nicht ins Fleisch. 

Und Gormund zieht sein blankes Schwert, 
Thut ihm aufs Haupt gewaWgeti Streich 
Und spaltet durch ihn bis zum Gurt. 
Der beste Fürst, der kühnste Held, 

130 Der je aus Heidenblut entsprofs, 

Ruft aus mit lauter Stimme Schall: 

„Yerloren seid Ihr allesamt. 

Hofft nicht, dafs Euer Gott Euch schirmt.*^ 



— 189 — 

Als er den Held gefällt, zum Trofs 

Jagt er zurück des Toten Kofs; 135 

Nach vorne sti^eckt er dann den Speer, 

Da reicht man frischen Schild ihm her. 

7. Die Schlacht tobt rastlos immer zu 
und mächtig hau'n die Streiter drein. 

Seht da den Graf der Normandie, 140 

Ihn, dem Ronen gehört, und der 

Zu F6camp baute die Abtei; 

Nicht Späher schickt er Gormund zu. 

Selbst greift er kühn den Eecken an. 

Wirft ihn zurück niit wucht'gem Stofs — 145 

So sagt das Buch zu St. Denis; 

Zerspellt' ihm nicht der Lanzenschaft, 

Hätt' er den Garaus ihm gemacht. 

Nun schleudert Gormund seinen Spiefs, 

Der fährt dem Grafen durch den Leib, 150 

Trifft weitersausend hinter ihm 

'Nen Ritter aus der Lombardei 

Und streckt entseelt die beiden hin. 

Frohlockend ruft der Heidenfürst: 

„Yerblendet, traun, war dieses Volk, 155 

Yon eitlem Dünkel ganz bethört, 

Dafs es mit mir den Kampf gewagt; 

Nicht Einer werde dessen froh. 

Ich weih' dem Tod sie allesamt." 

Als er gefällt die zwei, zum Trosse 160 

Jagt er zurück der Toten Rosse, 
Nach vorne streckt er dann den Speer, 
Da reicht man frischen Schild ihm her. 

8. Grimm war der Kampf, das Ringen heifs. 

Seht hier Ernaüt — St. Yal^ry 165 

Hat er zum Lehn, dazu Ponthieu — 

Auf König Gormund stürmt er los; 

Er rennt den Schild ihm durch und durch. 

Den Harnisch spellt er ihm entzwei, 



— 190 — 

170 und bohrt den Speer ihm in den Leib; 

Das gute Fähnlein, das dran weht, 

Tritt auf der andren Seit' hervor, 

Von Blute spritzt ein roter Strahl; 

und Ernaut spricht: „Steht Rede mir, 
175 Mein war das Land, der Boden mein, 

Denn ke.inem Menschen dient' ich je. 

Als Kaiser Ludwig, meinem Herrn, 

Und droben dem wahrhaiVgen Gott; 

Dies sag' ich kühn Euch ins Gesicht." 
180 5?Hei", ruft Gormund, „hab's wohl gehört. 

Gleich werd' ich wieder bei Euch sein."^ 

Er zieht das Schwert mit goldnem Knauf, 

Schlägt ihn aufs Haupt mit voller Wucht, 

« 

Haut bis zum Gurt ihn durch und durch 
185 Und streckt entseelt ihn in den Sand. 

„Ha", ruft Gormund, der Maurenfürst, 

„Ein kläglich Ende nehmt Ihr all'; 

Der schützt Euch nicht vor meinem Arm, 

Den mit Gewalt ans Kreuz man schlug, 
190 Der elend starb durch Judenhand. 

Glaubt Ihr denn, dafs er auferstand 

Und dafs er Euch beschirmen kann? 

Das kann er nicht, bei ApoUin, 

Der selber sich nicht helfen könnt' 
195 Und selbst dem Tode nicht entrann." 

Da schaut ihm Hugolin ins Aug', 

Er, der die Botschaft überbracht; 

Als Gott er so beschimpfen hört. 

Wird er im Herzen tief betrübt; 
200 Er spornt das Rofs, auf dem er sitzt 

Und sprengt auf König Ludwig zu. 

Er ruft ihn an und spricht zu ihm: 

„Ha, edler König, hoher Herr, 

Saht Ihr wohl dort den Antichrist, 

1) Es ist zu denken, dafs Gormund, nachdem Ernaut ihn mit der 
Lanze angerannt hat, weitergesprengt ist und dem Gegner die obigen Worte 
aus einiger Entfernung zuinift. 



— 191 — 

Der unsre Mannen all' erschlägt 205 

Und frech beschimpft den Himmelsherrn? 

Das schafft im Herz mir bittem Gram. 

So helf mir der wahrhaft'ge Gott, 

Ich lass' es nicht, und war 's mein Tod, 

Ich züchtige den Lästrer denn, 210 

Mag mir geschehen was da will!" 

Zur Antwort giebt der König drauf: 

„Weh! lieber Bruder Hugoün, 

Willst Du denn also von mir gehn? 

Findst Du in diesem Kampf den Tod, 215 

Bleibt unter 'm Himmel mir kein Freund.'' 

9. Spricht Hugolin: „Es mufs so sein. 
Stolz war mein -Vater und mein Ahn, 
Ein Sprofs bin ich aus edlem Stamm, 
Der Ahnen will ich bleiben wert. 220 

So steh' mir Gott der Vater bei. 
Im Zweikampf Gormund zu bestehn 
Soll nichts mich hindern auf der Weif 
Der König greift ihm nach dem Zaum, 
Doch Hugolin weicht aus nach rechts, 225 

Er läfst dem Rofs die Zügel frei 
Und bricht sich mit dem Speere Bahn, 
Nicht einem ird'schen Wesen gleich. 
Nein, wie ein Sturmwind saust er hin. 
Geraden Wegs auf Gormund zu. 230 

Er trifft ihn auf den neuen Schild, 
Dafs der in Stücke ihm zerbricht. 
In Splitter springt der Lanzenschaft. 
Und Hugo zieht sein gutes Schwert, 
Giebt auf dem Helm ihm solchen Streich, 235 

Dafs Gormund unterm Hieb sich beugt. 
Zum Tod getroffen hätt' er ihn, 
Hätt' nicht ein Heide sie getrennt; 
Und Hugolin that einen Spruch, 
Der klang dem König schlecht ins Ohr: 240 

„'S ist Hugolin, des Arm Ihr spürt. 



— 192 — 

Der jüngst im Lager Euch besucht 
Und Ludwigs Botschaft überbracht'. 
Wie eine Magd bedient' ich Euch, 

245 Legt' in die Schüssel Euch den Pfau, 

Bei Gott, Ihr rührtet ihn nicht an." 
„Ha*^, ruft Gormund, „so gehts im Krieg, 
Nimm heut den Lohn für Deinen Dienst! 
Bevor Du wieder mir entkommst, 

250 Sollst Du ihn bitter spüren, traun." 

Er rennt ihn an mit starkem Speer, 
Schwer trifft er Hugo's linke Seit', 
Blut überströmt das Satteltuch 
Und jäh zu Boden stürzt der Held. 

255 10. Da ruft ihm Gormund höhnend zu: 

„Zu keck hast Du geprahlt, Du Wicht: 
Wohl hab' ich, Hugo, Dich erkannt. 
Der jüngst Du zu den Zelten kamst; 
So legtest Du den Pfau mir vor, 

260 Dafs ich ihn nimmer angerülirt. 

Und Thorheit war es, was ich sprach. 

Verräterrisch entführtest Du 

Mir des Getreuen gutes Rofs; 

Den Lohn dafür empfängst Du jetzt: 

265 Entseelt wirst Du im Sande ruhn. 

Nicht sagst Du fürder ja noch nein. 
Und Rettung schafft vor sichrem Tod 
Kein Arzt Dir in der weiten Welt, 
Noch wird Dein Gott Dir Helfer sein." 

270 „Ihr lügt", ruft Hugo drauf ihm zu, 

„Das Wams nur habt Ihr mir zerschlitzt. 
Den Lederkoller leicht gestreift. 
Wir halten Zwiesprach noch einmal; 
Hier durchs Gefild sollt Ihr mich sehn 

275 Den Schlachtruf Ludwigs stimmen an. 

Des Helden kühn, des Sohns des Karl; 
Prohlocken soll der Freunde Schar 
Und zittern soll das Heidenvolk." 



— 193 — 

Er springt vom Boden auf und packt 

Mit beiden Fäusten seinen Speer, 280 

Dem Tod ist Gormund schon geweiht, 

Da springt ein Ire zwischen sie, 

Den trifft des Stofses volle Wucht, 

Dafs er entseelt ins Brachfeld sinkt. 

Nun schwingt sich Hugo schnell aufs Rofs, 285 

Durchs Schlachtgetümmel stürmt er hin. 

Sein Fähnlein hat er ganz entrollt^, 

Den Schlachtruf Ludwigs stimmt er an, 

Des Helden kühn, des Sohns des Karl; 

Frohlockend sehn's die Seinen all, 290 

Doch Schrecken packt das Heidenvolk. 

Den Umritt nimmt er durchs Gefild, 

Dann kehrt zu Gormund er zurück. 

Trifft ihm den Schild mit solcher Wucht, 

Dafs Gormund aus dem Sattel stürzt, 295 

Doch wie er wendet, stöfst ihm der 

Die Lanze seitlich in den Leib, 

Dafs er vom Bosse sinkt ins Gras. 

11. So liegt nun Hugo im Gefild, 

Zweimal durchbohrt vom starken Speer; 300 

Da geht sein Schlachtrofs ihm davon. 

Als Isembard, der Eenegjit, 

Das Streitrofs herrenlos erblickt. 

Da denkt er sich in seinem Sinn, 

Er woir im Lauf es fangen ein, 305 

Er hofft, es soll um keinen Preis 

Das edle Tier ihm jetzt entgehn. 

So sprengt er, was er kann, herbei. 

Und hascht mit seiner Lanze Stumpf 

Dem flüchtigen Renner nach dem Zaum; 310 

Der aber reckt das Haupt empor, 

Dafs Isembard ins Leere stöfst. 

Und nun eilt Hugo selbst herzu. 



1) Die Fahnen an den Lanzen waren oft sehr laog, reichten bis auf 
den Helm oder selbst auf die Hand herab, vgl. Roland, V. 1158. 3005. 

Zenker, Das Epos von Isembard etc. 13 



— 194 — 

Derr. Rok en^^^^en rar^hf-n >?br::i=u 

Zl'j Das s*re;:: ^.•aiiz 'ikh: an ihm T-rt-ri: 

Da pa/^:kt er es am e'«ldnen Ziiüzi 
Und s^rbwin^r sic-h in den Sarrel fi:;^ 
Die Armbnisrschützen zielen riEZ"s. 
Die B-'^^enfK-hutzen allesamt, 

.'^20 Do<^h Hn<r*.» jagt, -w^as er nur kann. 

Kis er deni .Schufsbereieh ennl-hn, 
Die Wunden bluten heftig jetzt. 
Es stockt das Herz, er sinkt toüi Rjfe. 
Das war ein jammervoll Geschick. 

325 Denn Hujro war ein wackrer Held 

Und stellt' im Kampfe seinen Mann. 
Nicht weit davon Herr Guntier stritt. 
Er, der Herrn Hugo's Knappe war. 
Er war sein XefFe. .Schwestersohn, 

H?/) - So sagt das Buch zu St. Riquier — 

Noch warens nicht acht Tage her. 
Dafs ihm erteilt der Ritterschlag. 
Als seinen Herrn er stürzen sah. 
Empfand im Herz er bittem Gram: 

335 Er sprengt' in wilder Hast herbei. 

Nahm Hugo's Streitrofs rasch beim Zaum 
Und schwang sich in den Sattel flugs; 
In seiner Faust das Schwert von Stahl, 
Ganz bhitig war's und schartenvoll, 

340 Von Sarazenenblut gefärbt. 

Auf König Gormund sprengt er los, 
Er trifft ihn auf den grünen Helm, 
Dafs dran das Lederzeug zerreifet 
Und Gormund in die Kniee sinkt. 

345 Dann thut or zu ihm solchen Spruch: 

„Herr Gormund, edler König wert, 
Gedenkt Ihr wohl des Knappen noch. 
Der jüngsthin Euch im Zelt besucht, 
An Hugo 's, des Gesandten, Seit'? 

350 Ich bracht' das Schiff aus laut'rem Gold, 

Das hab' ich St. Riquier geweiht; 



— 195 — 

Dafe Ihr sein Kloster ihm verbrannt, 

Das kommt Euch teuer noch zu stehn.*' 

Zur Antwort giebt ihm Görmund drauf, 

Hochfahrenden und stolzen Sinns: 355 

„Mir aus dem Weg, elender Bursch, 

Ich bin aus ritterlichem Blut, 

Aus edlem hochberühratem Stamm, 

Nicht rühr' ich heut' 'nen Knappen an." ^ . 

Als Ludwig sah, der Köüig wert, 360 

Wie seine Ritter sinken hin 

« 

Und seine Kampfgenossen all, 

Fühlt' in der Brust er herben Schmerz. 

„Gott, Herr des Himmels, steh' mir bei," 

Rief Ludwig aus, der König wert, 365 

„Das kränkt mich bitter, dafs ich nicht 

Als erster heute. Mann an Mann, 

Mich mit dem Heidenfürsten mafs. 

Bin König ich, so ist er's auch. 

Ein Zweikampf hätt' uns wohl geziemt; 370 

Wer dann von uns auch Sieger blieb — 

Manch' wack'rer Ritter lebte noch. 

Der jetzt entseelt im Grase ruht. 

Steht Ihr mir bei, Sankt Dionys, 

Durch Euch empfing ich ja mein Leh'n, 375 

Von keinem Andern ward es mir 

Als nur von Gott, dem Himmelsherrn. 

Auch Euch, Sankt Riquier, ruf ich an. 

Das Kloster hat er Euch zerstört, ; 

Zum Ruhme Gottes will ich's Euch 380 

Um sieben und dreifsig Fufs erhöhn.^ 

Wohlan, ergreift mein Rofs beim Zaum 



1) Zwischen diesem Verse und dem folgenden ist eine gröfeere Lücke 
im Text aozunehmen, obgleich die Handschrift eine solche nicht aufweist. 
In den fehlenden Versen mufs, wie aus V. 548 hervorgeht, erzählt gewesen 
sein, dafs Guntier von Gormund getötet wurde. 

2) Ich acceptiere die Konjektur von Scheler: jel für jeo der Hand- 
schrift, und verstehe den Vers so, dafs Ludwig dem heil. Bicharius das zer- 
störte Kloster um 37 Fufs höher wiederaufbauen will, als es vor der Zer- 
störung gewesen. 

13* 



— 196 — 

Und führt mich selbst zu Gormund hin.*' 
Bei diesen Worten sprengt es los: 

385 Drei Spiefse schickt ihm Gormund zu. 

Doch Gott hat gnädig ihn bewahrt, 
Dafs keiner ihm den Leib verletzt 
In Zorn ist Ludwig jetzt entbrannt, 
Die Lanze lälst er aus dem Spiel, 

390 Dreht sie nach oben grad' empor ^, 

Schlägt Gormund biit dem Schwert aufs Haupt, 
Zerteilt den Helm mit wucht'gem Hieb, 
Die Kappe auch vom Panzerhemd, 
Und spaltet bis zum Gurt ihn durch. 

395 Die Hälften sinken in den Sand, 

Der Speer entfällt der starren Faust 
So wuchtig war der Hieb geführt, 
Dafs Ludwig selbst beinahe stürzt; 
Doch hält er sich, im Fallen schon, 

400 Noch an dem Hals des Bosses fest 

Schwer zog das Doppelpanzerkleid, 
Der grüne Helm ihm auf dem Haupt, 
Am Hals der viergeteilte Schild 2, 
Des guten Speeres scharfer Stahl, 

405 — Breit war er einen halben Fufs — 

Schwer zog die Last, er hob sie kaum 
Und vor den Seinen fühlt' er Scham; 
So stemmt' er sich im Bügel fest: 
Das Eisen krümmt' sich unterm Fufs, 

410 Drei Finger breit dehnt' sich der Gurt. 

So krampfhaft reckt' er sich empor. 



1) Der Passus ist von Heiligbrodt offenbar nicht richtig verstanden 
worden. Für ajusie ist mit der Handschrift a jtiste zn lesen und zu über- 
setzen: „Mit Lanzenbrechen Q'tiste) sucht er ihn nicht heim, Gerade nach 
oben richtet er den Speer etc." d. h., wie ich die "Worte verstehe: Er läfst 
sich nicht aufs Lanzenbrechen ein, rennt Gormund nicht, wie es sonst 
üblich war, erst mit eingelegter Lanze an, sondern richtet die Spitze der 
Lanze nach oben, setzt letztere also auiser Thätigkoit, und greift gleich zum 
Schwert, — das allerdings nicht ausdrücklich genannt wird; mit diesem 
schlägt er ihn aufs Haupt u. s. w. 

2) D. h. durch Eisenstäbe in vier Felder geteilt. 



— 197 - 

Dafs ihm das Eingeweide rifs: 

Nicht dreifsig Tage lebt' er mehr. 

Das war ein jammervolles Los, 

Denn Ludwig war ein tapfrer Held 415 

Und stellt' im Kampfe seinen Mann, 

Dem Christenvolk ein Schirm und Hort 

(So heifst's im Buch, das Wahrheit spricht; 

Er war der letzte seines Stamms).^ 

12. Als Gormunds Fall die Heiden schaun, 420 
Zum Hafen fliehn sie insgesamt. 

Ihr "Wehgeschrei hört Isembard; 

Er sprengt an die Standart' heran ^ 

Und findet König Gormund tot; 

Dreimal warf ihn die Ohnmacht hin. 425 

„Weh^, rief er, „Wahrheit sprach das Los: 

Tod oder Kerker sei mein Teil, 

Zog' ich mit diesem Heer ins Feld. 

Nun weifs ich, dafs es nicht geirrt." 

13. Drei Tage hat die Schlacht gewährt, 430 
Die Gormund gegen Ludwig schlug; 

Am vierten wenden sich zur Flucht 

Die Türken, Perser, Araber; 

Quer durch Vimeu und Ponthieu wälzt 

Der Strom sich nach St. Val6ry. 435 

Der Renegat vernimmt den Lärm, 

Er spornt sein Rofs und ruft sie an; 

„Wohin entflieht Ihr, feiges Volk? 

Kein Zufluchtsort ist weit und breit, 

Ihr habt nicht Eltern, Vetter, Ohm, 440 

Bei denen Ihr Euch bergen könnt. 

Stellt ein die Flucht und kehrt zurück. 

Dann rächen uusern Kaiser wir, 

Den Araber, den Wilzenfürst, 



1) Diese beiden Verse sind vermutlich interpoliert. 

2) Nämlich an die Standarte der Heidon, welche, als Sammelpunkt 
für letztere, auf der Höhe, wo der Zweikampf zwischen Ludwig und Gor- 
mund stattgefunden hat, aufgepflanzt ist. 



— 198 — 

445 Der Euch die weiten Länder gab, 

Das Bunt werk und das Hermelin, 
Die Schlösser und die Burgen fest." 
Umsonst! die Heiden bleiben taub, 
Und weiter geht's in wilder Flucht. 

450 Als Isembard, der Renegat, 

Sieht, dafs sein Müh'n vergeblich ist. 
Da wird vor Grimm er rasend schier. 
Er sprengt allein durchs Brachgefild 
Und fällt 'nen Ritter an, Seguin, 

455 Der König Ludwigs Vetter war. 

Li Stücke schlägt er ihm den Schild, 
Den Schuppenpanzer bohrt er durch 
Und rennt den Speer ihm in den Leib, 
Soweit er mit dem Schafte reicht, 

460 Tot wirft er ihn vom Rofs ins Gras. 

Noch zwei der Franken, edlen Stamms, 
Erschlug uns dort der Renegat, 
Dann jagt er weiter vor sich hin. 

14. Jetzt sieht er Gormund tot im Feld, 

465 Blutüberströmt, es klafft der Mund; 

Da biegt er ab von seinem Pfad 
Und reitet auf den Leichnam zu. 
Laut hebt er drauf zu klagen an, 
Vernehmt die Worte, die er spricht: 

470 „"Weh'', ruft er, „kaiserlicher Herr, 

Wie oft hab ich Euch nicht gesagt. 
Zu Cirencester noch daheim, 
Die Franken sei'n ein stark Geschlecht; 
Nicht hehlt' ich bei der Überfahrt, 

475 Euch stund' ein harter Kampf bevor. 

Wie ich's gesagt, so fandet Ihr's, 
Ein edles, ruhmbedecktes Volk, 
Dem keins auf Erden sich vergleicht; 
Ihr Land raubt ihnen Niemand, traun. 

480 Weh, Gormund, kaiserlicher Herr, 

Wie klar war Euer Antlitz sonst, 



— 199 — 

In Schönheit strahlend und in Kraft, 

Und ach! wie ist es jetzt entstellt]^ 

Ha, Ludwig, guter Kaiser wert, 

Wie hast Du Frankreich wohl beschirmt 485 

Und wie hat Gormund schwer gebüfst! 

Fürwahr, ich brech' die Treu' ihm nicht, 4:" 

Bis dieser Faust das Schwert entsinkt." 

Laut ruft er dann den Heiden zu: 

„Wohin, Ihr Thoren, flüchtet Ihr, 490 

In fremdem Land, des Herrn beraubt? 

Kehrt um, dem Feinde bietet Trotz, 

Nehmt Eache für des Kaisers Tod, 

Der Euch die festen Burgen gab. 

Das Silber und das rote Gold 495 

Und edlen Pelzwerks reiche Zier." 

Mcht wirkungslos verhallt sein Ruf: 

Es stockt die Flucht, man kehrt zurück. 

Rasch ordnet Ludwig seine Eeih'n, . , 

In ihrer Mitten sprengt er an, 500 

Und als die Sarazenen nahn, 

Da konntet ihr manch wucht'gen Hieb 

Und splittern manche Lanze sehn; 

Die Heiden sinken scharenweis 

Blutüberströmt ins saft'ge Gras. 505 

15. Wo auf der Höh' bei der Standart 
Gormunds, des Satans, Leiche ruht, 
Yersammelt sich das Heidenvolk: 
„Bei Deinem Gott, Herr Isembard, 

Wir flehn Dich an, verlafs uns nicht." 510 

„Das thu' ich nicht", spricht Isembard, 
„So lang mein Herz im Busen schlägt, 
Ihr Sarazenen, seid getrost." 

16. Vier Tage dauert noch die Schlacht, 

Seit Gormund fiel durch Ludwigs Hand, 515 

Denn Isembard, der Renegat, 

Hält Stand mit vierzigtausend Mann. 

Sie sprengen in der Franken Reih'n, 



— 200 — 

Manch guter Degen sinkt vom RoJfe. 

520 Kasch ordnet Ludwig seine Schar, 

Zehntausend Mann umringen ihn; 
Die stürmen auf die Heiden ein 
Und stecken ihrer inehr ins Gras 
Als zählen ich und sagen kann. 

525 Nun reitet Ludwig auf die Höh' 

und findet Gormunds Leichnam dort 
Bei der Standarten ausgestreckt, 
Wo er im Zweikampf ihn erschlug. 
Da hebt er so zu klagen an: 

530 „Weh'', spricht er, „edler König gut, 

Dein Schicksal ist beklagenswert; 
Hättst Du geglaubt an Gott den Herrn, 
Warst Du der beste Mann der Welt" 
Da zeigte Ludwig hohen Sinn, 

535 Dafs er zum Zelt ihn tragen liels 



17. Bei der Standarten auf der Höh' 

Herr Ludwig Gormunds Leichnam fand. 
Den Held beklagt er ritterlich: 

540 „Dir ward ein jammervolles Los; 

Hätt'st an den Schöpfer Du geglaubt. 
War keiner Dir gewesen gleich." 
Das war von Ludwig wohl gethan, 
Dafs er zum Zelt ihn schaffen liefs, 

545 Bedeckt mit einem runden Schild. 

Dann kehrt' zur Wahlstatt er zurück; 
Da fand er Hugo schwer verletzt. 
Den tapfern Guntier neben ihm. 
Der ihm als Knappe treu gedient. 

550 Li einen Mantel eingehüllt 

Hob man den Helden auf ein Rofs, 
Den Bügel hielt der König selbst, 
So hat man ihn zum Zelt geschafft, 
Wo Gormund schon gebettet lag, 

555 Ihm legt Herrn Hugo man zur Seit'. 



— 201 — 

18. Rastlos indessen tobt die Schlacht. 
Herr Milo, seht, der Degen gut, 
Ficht Mann an Mann mit Isembard. 
Der hätt' ihn, traun, zu Fall gebracht. 

Da sprang der greise Bernard ein ^ 560 

— Er war der Vater Isembards — ; 

Dem Sohn versetzt' er solchen Stofs, 

Dafs dem der Schild in Trümmer brach; 

Doch besser noch traf Isembard, 

Denn er zerspellt' den Schild ihm stracks, 565 

Den Schuppenpanzer auch dazu. 

Die scharfe Schneide fuhr hindurch. 

Doch drang sie nicht ins Fleisch; vom Rofs 

"Warf Isembard den Vater nur. 

Das nahm er rasch beim Zaum und schwang 570 

Vor Bprnards Augen sich hinauf — 

Nicht um Erlaubnis bat er erst! 

Das war nicht recht, dafs Isembard 

Den Vater aus dem Sattel warf. 

Indessen: er erkannt ihn nicht! 575 

Hätt' er den Vater nur erkannt. 

Er hätt' ihn nimmer angerührt. 

So sprengt er fort durchs Kampfgewühl 

Und setzt uns Franken übel zu: 

Wen er erreicht, der bleibt am Platz, 580 

Und wen er trifft, der spricht nicht mehr, 

Wenn Gott der Herr ihn nicht erweckt 

19. Grimm war die Schlacht, das Eingen heifs. 
Laut tönt der Heiden Weheruf: 

„Ha, Isembard, unsel'ger Mann, 585 

Verworfner Renegat, Du logst; 

Hier fehlt's an mut'gen Rittern nicht. 

Ein Unstern führt uns nach Ponthieu, 

Dies Land mit Krieg zu überzieh'n; 

Verraten sind wir all' durch Dich.'' 590 

Zur Antwort drauf giebt Isembard: 

„Verworfnes Sarazenenvolk, 



- 202 — 

Elende Heiden, feiges Pack, 
Auf einen von den Franken stehn 
595 Wohl dreifsig Sarazenen hier; 

Haut drein und lafst zu jammern ab, 
Wehrt Euch des Lebens, wie Ihr könnt" 
Und jene folgen seinem Rat 

20. Der Kampf war wild und heils entbrannt, 
600 Und rings die Schlacht in vollem Gang. 

Nicht länger trägt's das Heidenvolk, 
Denn müde sind sie, ganz erschöpft. 
Von Durst und Hunger arg gequält 
Die Flucht ergreifen sie zusamt, 
605 Die Franken hurtig hinterdrein, 

Und fänden von der Landung her 

Sie Schiff' und Barken nicht am Strand, 

Nicht einer würd' entkommen sein. 

21. Gleichwie der Hirsch durchs Brachfeld setzt, 
610 So flüchten Irlands Streiter dort; 

Die Franken ihnen nach mit Macht, 
Der König Ludwig und sein Heer. 

22. Die Sarazenen flieh 'n zu Häuf, 
Nur Isembard hält mutig Stand, 

615 Zweitausend Streiter noch dazu. 

Wen er erreicht, der sinkt ins Gras, 
Der starke Helm beschirmt ihn nicht. 
Der blanke Harnisch, den er trägt. 
Er spellt ihn durch bis auf den Rumpf. 

620 Da stünne7i plötzlich auf ih7i los 

Ein Herzog und der Grafen drei. 
Der eine trifft ihn auf den Schild, 
Die andern drei aufs Panzerhemd, 
Aus dreien Wunden spritzt das Blut, 

625 Sie stechen ihn vom Rofs herab, 

Doch haben sie ihn nicht erkannt 
Und stürmen weiter durchs Gefild.