Skip to main content

Full text of "Das gesetzliche Erbrecht des Kantons Thurgau in historisch-dogmatischer ..."

See other formats


Google 



This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct 

to make the world's books discoverablc online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 

to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 

are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover. 

Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the 

publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying. 
We also ask that you: 

+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc 
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of 
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe. 

Äbout Google Book Search 

Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs 
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web 

at |http: //books. google .com/l 



Google 



IJber dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nu tzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen. 



f 



N 






c. 



t 



Das gesetzliche Erbrecht 

des Kantons Thurgau 



in historisch-dogmatischer Darstellung 



Inangaral-Dissertation 

zur 

Erlangung der Doktorwürde 

der 

hohen jaristiBohen Fakultät der Universität Bern 

vorgelegt von 

Karl Halter 

MttUheim (Et. Thurgau) 



• •■• 



Franenfeld 

Buchdruckerei Hüber & Co. 
1904 




t 



^ r/Tf 






^h 



W 



M li »Ci^-l, 



Inhaltsverzeiclmis. 



§ Seite 
SinleitODg . 1 1 

Erster Teil. 

Das Recht aas der Zeit vor der Befreiung des Tliurgaos 

Yoni Jahre 1798. 

1« Allgremeines 2 2 

II, Gerichtsbarkeit und Gesetzg^ebang in der Landschaft 
Thnr^au. 

1. Die Gerichte 

2. Die Eechtsquellen. Gesetzgebung auf dem Gebiete 

des Erbrechts 

III« Allgemeine Sätze bezüglich der Erbfolge. 

1. Die Erbmasse 

2. Voraussetzungen einer Erbfolge ... 

lY. Die Erbfolgeordnung. 

Ä. Die ehelichen Blutsverwandten. 

1. Die Gradzählung; die Parentelenordnung . . 7 19 

2. Die Nachkommen. 

a. Die Kinder 

b. Eindeskinder und weitere Nachkommen 

3. Vorfahren und Seitenverwandte. 

a. Väterliche und mütterliche Linie der Verwandt- 

schaft. Vatermagenrechte .... 

b. Die Erbordnung in der elterlichen Parentel. 
a. Eltern und Geschwister . . 
g. Geschwisterkinder und deren Nachkommen. 

Kepräseutation 

c. Die Erbfolge der entfernteren Verwandten. Ent- 

ferntester Grad erbfähiger Verwandtschaft 



3 


2 


4 


7 





U 


6 


17 



8 


23 


9 


29 


10 


34 


11 


40 


12 


45 


13 


50 



IV 



i?. Uneheliche 

C. Rechte des Ehegatten. 

1. Allgemeines; die Nachlaßbestandteile 

2. Ansprüche im einzelnen. 

a. Der Erblasser hinterläßt Leibeserben 
h. Leibeserben sind nicht vorhanden 

D. Die erhlose Verlassenschaft . 



§ 
14 

15 



Seite 

5& 



16 


61 


17 


6» 


18 


74 



Zweiter TeiL 

Das neuere und das geltende Recht 

I. Die neuere Oesetzgebungr auf dem Gebiete des Erb- 
rechts« Aufnahme des französischen Rechts 19 7T 

II« Allgemeine Bestimmungen bezflglich der Erbfolge* 

1. Die Erbmasse . ... . . . , 20 81 

2. Passive Erbfähigkeit. Eintritt des Erbfalles (Ver- 

schollenheit) 21 83- 

3. Aktive Erbfähigkeit. Erbschaftsanfall und Erbschafts- 

erwerb 22 84r 

4. Teilung unter Miterben. Die Einwerfungspflicht . 23 94 

ni. Die Erbfolgeordnung* 

A. Die ehelichen Blutsverwandten. 

1. Allgemeines. Die Erbenklassen und die Gradzählung. 

Das Repräsentationsrecht 24 99 

2. Die Nachkommen. 

a. Die Kinder 25 102 

h. Eindeskinder und weitere Nachkommen 26 107 

3. Eltern, Geschwister und deren Nachkommen . . 27 109' 

4. Die Vorfahren und die entfernteren Seitenverwandten 28 113 

B, Außereheliche Kinder wnd außerehelich vermittelte Ver- 

wandtschaft 29 120« 

G. Die Adoptiwerwandtschaft 30 123 

D. Rechte des Ehegatten. 

1. Allgemeines; Ausscheidung der Verlassenschaft . 31 125 

2. Ansprüche im einzelnen 32 129 

3. Allgemeines bezüglich der Nutznießung; Sicherung 

des Hauptgutes 33 136 

E. Die erhlose Verlassenschaft 34 140^ 

Verzeichnis der Abkürzungen 143 



§1. Einleitung. 



Gegenstand der vorliegenden Arbeit soll sein das Recht der 
gesetzlichen Erbfolge, das ,, gesetzliche Erbrecht'', d.h. das Kecht, 
welches bestimmt ist, den Übergang des Vermögens einer ver- 
storbenen Person auf andere Personen zu regeln, wenn und soweit 
eine besondere gültige Verfügung, sei es durch Testament oder 
durch Vertrag, durch jene, den Erblasser, bezüglich dieses Über- 
gangs nicht getroffen worden ist (vgl. G § 6). 

Es bleibt indessen diese Arbeit begrenzt auf Darstellung des 
thurgauischen Rechts, d. h. des Rechts, das nachweisbar auf dem 
Gebiete des heutigen Staates Thurgau Geltung gehabt hat oder 
derzeitig in demselben noch in Geltung ist. 

Dieses Recht soll einmal dargestellt werden in seiner ge- 
schichtlichen Entwicklung vom Beginn der Zeit an, da uns die ersten 
sichern Quellen desselben bekannt sind (s. unten § 2) bis auf die 
neueste Gesetzge^bung und Rechtsprechung (historische Darstellung), 
sodann aber und hauptsächlich bezüglich seiner Grundauffassungen 
und der ihm zu Grunde liegenden Systeme, wie der Einzel- 
bestimmungen, wobei namentlich auch in Berücksichtigung zu 
ziehen ist dessen Verhältnis zu andern, fremden Rechten, speziell 
zum römischen (gemeinen) Recht und zum allgemeinen deutschen 
Recht (dogmatische Darstellung). 

Die gesamte Darstellung teilen wir ab in zwei Hauptabschnitte, 
von denen der erste umfaßt das Recht, wie es bestanden hat vor 
der Befreiung des Thurgaus aus seiner Untertanenstellung vom 
Jahre 1798, der zweite das Recht, wie es sich von diesem Zeit- 
punkte ab im Thurgau fortentwickelt hat. Eine große Verschieden- 
heit dieses alten und neuen Rechts veranlaßt uns zu dieser Zwei- 
teilung. Immerhin soll dabei das Verhältnis des neuen Rechts 
zum alten Recht nicht unberücksichtigt bleiben. 

^ 



Erster Teil. 



Das Recht ans der Zeit vor der Befreiung 
des Thurgans vom Jahre 1798. 



§ 2. I. Allgemeines. 

Unsere Darstellung des Erbrechts beginnen wir ungefähr 
mit Übergang der Landschaft Thurgau aus österreichischer in 
eidgenössische Herrschaft (1460), einer Zeit, da man allgemein 
angefangen hat, das Recht aufzuzeichnen und aus welcher uns 
daher die ersten sichern Nachweise früheren Rechts bekannt sind. 

Vereinzelte Rechtsaufzeichnungen finden sich allerdings auch 
aus noch früherer Zeit. Dieselben wären aber, bezüglich Erbrechts, 
als bloße Bruchstücke nicht fähig, uns ein sicheres Bild des da- 
maligen Rechtszustandes zu beschaffen. Immerhin gedenken wir ihrer 
jeweilen an gegebener Stelle Erwähnung zu tun. Sie werden uns 
über die Entwicklung einzelner Sonderbestimmungen des alten 
Rechts Aufschluß geben. 

Ehe wir auf die nähere Darstellung des Erbrechts eintreten, 
lassen wir eine kurze Betrachtung über die Gerichtsverhältnisse 
und die Rechtsschöpfung der frühern Zeit vorausgehen. 



IL Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung in der 

Landschaft Thurgau. 

§ 3. 1. Die Gerichte. 

An solchen sind zu unterscheiden: Landgericht, Hofgerichte 
und städtische Gerichte. 



Dos Landgericht (als Zivilgericht). Es ist vor allem das 
Gericht der sog. hohen Gerichte, einzelner zerstreuter Höfe und 
Ortschaften, welche ihrerseits die Reste des alten landgrafschaft- 
lichen Gebiets sind. 

Diese »hohen Gerichte*, zusammen als „Grafschaft** oder „Land- 
grafschafk* bezeichnet, hatten keine besondere, ständige Dorf- oder 
Hofgerichte mit eigenem Recht, wie wir dies in den „Höfen* antreffen 
werden. Ihre Bewohner waren unmittelbar dem Landgericht unter- 
stellt, in welchem nach allgemeinem Landrecht gesprochen wurde. ^ 

Dieses Landgericht ist auch, wenigstens in jüngerer Zeit, 
Appellationsinstanz, wenn nicht aller, so doch des größern Teils 
der Hofgerichte oder „niedern Gerichte."^ 

Diese Gerichtsbarkeit stand den Eidgenossen zu, zwar nicht 
schon von Anfang an mit dem Erwerb der Herrschaft über den 
Thurgau. Sie war, als besondere Rechtsame, bis 1499 der Stadt 
Konstanz verblieben. Erst mit diesem Jahre, beim Friedensschluß 
nach dem Schwabenkrieg, ging sie zufolge schiedsrichterlichen 
Spruchs an die Eidgenossenschaft über, und zwar an die Eid- 
genossenschaft in ihrem damaligen Bestände, die acht alten Orte 
nebst den Städten Freiburg und Solothurn, während bekanntlich 
die Regierungsgewalt nur sieben Orten, den acht alten Orten 
außer Bern, zustand.^ 

Sitz des Landgerichts war bis zu dessen Übergang an die 
Eidgenossen die Stadt Konstanz. 1500 wurde sodann Frauenfeld 
als ständiger Gerichtsort bezeichnet. Die Bestellung des Gerichts 
lag seit 1499 dem Landvogt ob, der zugleich demselben vorstand.* 

Eine ähnliche Gerichtsbarkeit, wie sie dem Landgericht zu- 
kam, hatte der Landvogt zeitweilig auch persönlich ausgeübt.^ 

Die HofgericMe. Dieselben sind Dorfgerichte unter der Auf- 
sicht eines Hof- oder Gerichtsherm (Hofherrschaft). Sie ent- 



^ ThBII, 65. Früher führten sie die Bezeichnung : „der Landgrafschaft 
niedere Gerichte.« ThB XXVII, 82, Ziff. 1. Bezüglich des Gehiets derselben 
vgl. Karte von Pupikofer, ThB II, Beilage, und Verzeichnis in PTh II, 117 f. 

^ P Th II, 105 ; Th B XXVII, 82. 

8 PTh II, 71 ff. 

* PTh II, 105, 423; ThB XXVII, 81. 

s PTh II, 283, 362, 450; ThB XXVII, 82; vgl. auch Z I, 2, 39 ff. 



scheiden als , niedere Gerichte*' über alle Zivilsachen der Dorf- 
angehörigen, und diese sind gezwungen, hier ihr Recht zu suchen. 

Diese Gerichte wurden durch den Gerichtsherrn oder „Vogt**, 
der zugleich Schirmherr, Schinnvogt der Dorfschaft war, aus dem 
Volke bestellt. Dreimal jährlich wurde Gericht gehalten, und es 
mußten dazu alle volljährigen, männlichen Grundeigentümer der 
Dorfschaft erscheinen.^ 

In den einzelnen Dorfschaften oder , Höfen* entwickelten sich, 
zufolge dieser besondern Rechtsprechung, auch besondere Rechte 
(Gewohnheitsrechte), die „Hofrechte.* 

Die Berufung von solchen Dorfgerichten ging ursprünglich, 
wenigstens zur Hauptsache, nicht an das Landgericht. Wollte 
eine Partei einen Rechtshandel zu weiterer Entscheidung vor ein 
anderes Gericht ziehen, so war sie angewiesen, vorerst ein anderes 
gleichwertiges Dorfgericht, das demselben Gerichtsherm zugehörte, 
anzugehen, dies meist bis zu einem dritten, bisweilen auch bis 
zu einem vierten Gericht.^ Im weitem konnte von diesen Gerichten 
aus an den Hofherrn selbst oder an das herrschaftliche Gericht 
appelliert werden. Als solches Appellationsgericht kam, wegen 
des großen bischöflichen Besitzes auf thurgauischem Gebiet, 
namentlich das bischöfliche Gericht in Konstanz in Betracht, 
weiter auch das „Hofgericht* der Abtei St. Gallen. Ein Abschied 
vom Jahre 1646 schließt aber alle Appellationen an Gerichts- 
herren und herrschaftliche Gerichte aus, sofern nicht vom Hofherrn 
«in besonderer Rechtsanspruch auf Zulässigkeit derselben nach- 
gewiesen wird. Das Landgericht wird damit allgemeine Appellations- 
instanz und gelangt so (als Zivilgericht) zu erhöhter Bedeutung.^ 



* PTh II, 119 ff.; vgl. auch Isler, das thurg. Fertigungsrecht (Schaff- 
hausen 1901) S. 6; femer Offiiung von Sulgen, Rüty und Mülibach, Art. 1; 
ThB I, 27. 

2 Vgl. Öffnung von Sulgen- Rüty -Mülibach (1472), Art. 59, ThB I, 36; 
von Ittingen (1525), ThB III, 56. — In diesem Verhältnis standen z.B. gegen- 
seitig zu einander die Gerichte von Altnau, Wigoltingen und Pfyn nebst 
Raithaßloch (in Schwaben); s. die Offiiungen dieser Dörfer, Schauberg II, 132, 
142, Art. 21, aus den Jahren 1502 (erneuert 1572) und 1568. 

8 E A VI, I, 1163, Art. 109; ThB XXVH, 9 f., 82; PTh II, 105. Die 
alte Stellung bewahrte sich namentlich die Abtei St. Gallen, welche für ihre 
Gebiete, wie wir sehen werden, auch ein besonderes Recht behauptete. 



In frühern Zeiten war vielfach auch an fremde Gerichte 
appelliert worden: an das Hofgericht in Rottweil, das deutsche 
Beichskammergericht, sowie an den päpstlichen Stuhl. Solche 
Appellationen wurden indessen schon 1488 durch die Eidgenossen 
verboten.^ 

Die Städte und ihre Gerichtsbarkeit. Im Gebiete der Land- 
schaft Thurgau besaßen Frauenfeld, Dießenhofen, Bischofszeil und 
Arbon die alten Vorrechte der Städte. 

Frauenfeld, schon sehr früh als Stadt anerkannt, erlangte 
1331 für seine Bürger die Befreiung von fremden Gerichten. Jene 
mußten sich nirgends anderswo in einen Prozeß einlassen als vor 
ihrem Stadtgericht. Eine Appellation von diesem an andere Ge- 
richte war ausgeschlossen.* 1460 wurde dieses Privileg der Stadt 
durch die Eidgenossen in einem Schirmbrief bestätigt.^ Indessen 
blieb für den Erlaß neuer Gesetze und Verordnungen die Ein- 
willigung der Tagsatzung immer vorbehalten. 

Dießenhofen, eine Zähringerstadt, besitzt eine Handfeste aus 
dem Jahre 1178* und ein erneutes Privileg von 1260 mit ziemlich 
genauer Wiedergabe der Rechte von Freiburg im Breisgau. Gegen 
die Entscheidungen des Stadtgerichts durfte an die Gerichte von 
Freiburg appelliert werden.^ 

Ein Schirmbrief von 1460, den die Eidgenossen beim Erwerb 
der Herrschaft über das Städtchen demselben gewährten, bestätigt 
diese alten Rechte und Freiheiten.® Da sich aber die Appellationen 
nach Freiburg bald als mit den Interessen der Eidgenossen un- 
vereinbar erwiesen, wurden dieselben 1481 durch die Tagsatzung 
verboten. Streitige Urteile sollten nunmehr vor den Rat des je- 
weilen den Thurgau regierenden Ortes gezogen werden.' 

Bischof seeU: dieses stand schon seit seiner Gründung unter 
der Herrschaft des Bischofs von Konstanz und verblieb in derselben 



1 PTh II, 14. 

2 Z I, 2, 62. 

» ThB II, 51. 

* H IV, 81. 

« PTh, Beilage Nr. 7, S. 11. 

« PTh n, 8; erwähnt in E A III, I, 99, lit. g, Abschied vom Jahre 1481. 

^ E A III, I, 102, lit. i. 



6 

bis 1798. Daneben aber war diese Stadt gleichzeitig eidgenössischer 
Schutzherrschaft unterstellt.^ Einen Freiheitsbrief, welcher seiner- 
seits zur Hauptsache schon altes Recht bekundet, besitzt Bischofs- 
zell aus dem Jahre 1350.^ Durch denselben ist namentlich ein 
besonderes Zivilgericht gewährt.^ 1582 erhielt die Stadt einen 
neuen Freiheitsbrief, in welchem eine erhöhte Selbständigkeit in 
der Wahl der Behörden zuerkannt wird.* Appellationsinstanz für 
das städtische Gericht ist das Hofgericht in Eonstanz. Allerdings 
erklärte 1550 die Tagsatzung Appellationen an dasselbe für un- 
zulässig.^ Indessen sind solche aus späterer Zeit, namentlich aus 
dem 18. Jahrh., in größerer Anzahl bekannt.® 

Ärbon, wie Bischofszell dem Bistum von Eonstanz zugehörig, 
hatte seinen Freiheitsbrief von Eönig Eonradin erhalten.'^ Sodann 
wurden 1355 durch Eönig Ludwig der Stadt die Rechte und 
Freiheiten von Lindau verliehen.® Appellationsinstanz blieb für 
das Stadtgericht, trotz Widerspruchs der Bürgerschaft, noch im 
Jahre 1778 das bischöfliche Hofgericht in Eonstanz.* 

Steckbom hatte gleichfalls ein eigenes Stadtgericht „über den 
herrschaftlichen Turm in der Stadt ",^® ohne aber daneben, wie 
die übrigen Städte, ein eigenes Stadtrecht zu haben. 

Von den Städten hatten Frauenfeld, Bischofszell und Dießen- 
hofen ihre Gerichtsbarkeit über den Stadtbann hinaus ausgedehnt. 
Bischofszell unterscheidet hiebei ein besonderes ländliches Stadt- 
gericht vom eigentlichen Stadtgericht, welches aber diesem letzteren 
untergeordnet war. Auch in diesen ländlichen Gerichtsgebieten 
wurde städtisches Recht angewendet. ^^ 



* P Th II, 123, Ziff. 2. 

2 P Th, Beilage Nr. 47, S. 86. 

« Vgl. PTh II, 752 und den Erlaß des Bischofs Henricus I vom Jahre 
1361. Abschriftlich in Memorabilia episcopicellana (vgl. unten S. 12, Anm. 4) 1, 31. 

* PTh II, 464. 

^ Memorabilia episcopicellana I, 110. 
« Ebenda, S. 399. 
' PTh II, 728; H IV, 80. 
« Z I, 2. 13. 

« EA VIII, 347 ; IV, I, C, 1210 f. vom Jahre 1540 über denselben Streitpunkt. 
" PTh II, 121; ThB II, 64. 
" Vgl. ThB II, 63 und Beilage: Karte von Pupikofer. 



Vom Landgericht und den Stadtgerichten aus war auch ein 
Weiterzug von Rechtsstreitigkeiten an die Tagsaimng zulässig. 
Kraft ihrer Landeshoheit ist sie die höchste Appellationsinstanz, 
wie sie auch die höchste gesetzgebende Gewalt darstellt.^ 

§ 4. 2. Die Rechtsquellen. Gesetzgebung auf dem Gebiete 

des Erbrechts. 

Wie dreierlei Gerichtsbarkeiten, so sind auch dreierlei Rechte 
zu unterscheiden: Landrecht, Hofrecht und Stadtrecht. 

Das Hofrecht. Es ist das Recht der Hofgerichte, das Recht, 
wie es, als von alters her überliefert oder in der Rechtsprechung 
neu ausgebildet, in diesen Gerichten zur Anwendung gelangte. 

Dieses Recht, als ein Gewohnheitsrecht, war in älterer Zeit 
ausschließlich mündlich überliefert. Erst im 15. und 16. Jahr- 
hundert erfolgten, zwecks Erhöhung der Rechtssicherheit, Auf- 
zeichnungen. 

Diese Aufzeichnungen sind uns unter der Benennung 
„Öffnungen**, »Weistümer" bekannt. Sie enthalten das Recht, wie 
es vor Gericht „geöffnet**, „gewiesen* wurde. 

Daß diese „Öffnungen" ein alt überliefertes, nicht neu ge- 
setztes Recht enthalten, also, wenigstens zur Hauptsache, Zeugen 
eines älteren Rechtszustandes sind, findet sich oft in diesen selber 
ausgesprochen. So besagt die Öffnung von Tobel, sie enthalte ein 
Recht, „als es dann je vund je von alter har gebrucht vund mit 
disem gegenwärtigen Register ernüweret ist."^ Vereinzelt mögen 
immerhin auch neue Bestimmungen Aufnahme gefanden haben. 

Nicht daß aber diese Offnungen das gesamte Gewohnheits- 
recht aus der Zeit ihrer Aufzeichnung enthielten. Nur vereinzelte 
Punkte, ohne Ordnung nach Materien, sind hier aufgenommen. 
So hat namentlich das Erbrecht nur in geringen Bruchstücken 



^ Vgl. EA III, n, 201, lit. g (1503); V, I, 1333, Nr. 63, 67, 1396; Z I, 2, 
32 ff. - EA VI, II, 1751, Art. 227; VII, I, 1518, H, 1645, Art. 28, bestimmen 
für derartige Appellationen einen Minimalstreitwert von 50 Gulden. 

2 ThB XXVII, 71. Vgl. auch die Offiiung von Üßlingen bezüglich des 
Verfahrens bei diesen Bechtsaufzeichnungen; ThB III, 54. 



8 

Berücksichtigung gefunden. Eine eigentliche Erbfolgeordnung 
ließe sich daher an Hand der Offnungen nicht ermitteln. 

Offnungen sind uns aus dem Thurgau insgesamt etwa 70 be- 
kannt.^ Dieselben enthalten indessen, so mannigfaltig auch ihr 
Inhalt, vielfach gleichmäßige Bestimmungen, und es läßt sich an 
ihnen erkennen, daß die Rechte der verschiedenen Höfe sich im 
allgemeinen deckten.* — Wie dieses Hofrecht durch ein allgemeines 
Landrecht verdrängt wurde, werden wir unten sehen. 

Das Landrecht Dasselbe ist ursprünglich das Recht des 
Landgerichts und damit der „hohen Gerichte.* 

Beim Übergang des Landgerichts an die Eidgenossen (1499) 
mangelte es indessen diesem noch an einer eigenen und einheit- 
lichen allgemeinen Rechtsordnung. „Das Landgericht in Konstanz 
hatte als Quelle und Autorität nur den Schwabenspiegel, die über- 
lieferte Rechtsgewohnheit, die Aussagen ergrauter Richter und 
die Zustimmung der Bevölkerung des Gerichtskreises. **^ Den 
Landvogt konnte man, als ihm die Führung der Landgerichts- 
barkeit übertragen wurde, zur Ausführung seiner neuen Obliegen- 
heiten nur auf das Herkommen verweisen. 

Der Mangel an gesetztem Recht mußte sich bald fühlbar 
machen. Die Rechtsprechung, wesentlich auch auf dem Gebiete 
des Erbrechts, war unsicher und daher auch ungleichmäßig. So 
sah man sich schon 1503 genötigt, in einem RechtsfaU die Tag- 
satzung anzugehen, damit diese bestimme, was Rechtens sein 
sollte,* und bald erwies es sich als unbedingtes Erfordernis, ein 



* Ein genaues Verzeichnis derselben, aufgestellt von Dr. Meyer, findet 
sich in ThB XXIX. 

Für vorliegende Arbeit wurden zur Hauptsache nur die in Druck er- 
schienenen Offiiungen berücksichtigt. 

^ Ähnlich Isler, a. a. 0. S. 9. — Man vergleiche beispielsweise die Be- 
stimmungen verschiedener Offnungen über den Anspruch des überlebenden 
Ehegatten auf das von der Frau eingebrachte Ehebett: Tägerwilen (1447), 
PTh, Beilage Nr. 85; Müllheim (1475), GW I, 261 f.; Wagenhausen (1491), 
GW I, 289; Wellhausen, GW I, 250; Langenerchingen, GW I, 267; Gottlieben 
(1521), ThB I, 20, Art. 38. 

« PTh II, 107. 

* EA III, II, 201, lit. g. 



Oesetz zu erlassen, damit Anhaltspunkte zu einer sichern und 
konstanten Rechtsprechung gegeben seien. ^ 

In diesem Sinne wurde 1541 der Tagsatzung ein Entwurf zu 
einem Erbgesetz unterbreitet. Dieser Entwurf war vom Landvogt, 
unter Beiziehung von fünf Abgeordneten der Gerichtsherren und 
»mit bewilligung des meren teils der gmeinden irer grichtzhörigen 
im Thurgöw*** ausgearbeitet worden. 

1542 gab die Tagsatzung zu dessen Anwendung ihre Zu- 
stimmung und gelangte derselbe unter der Bezeichnung , Land- 
erbgesetz" zur allgemeinen Einführung.* — Eine erschöpfende 
erbrechtliche Gesetzgebung war allerdings auch mit dieser Neue- 
rung noch nicht zustande gekommen; aber die hauptsächlichsten 
streitigen Punkte wenigstens hatten darin eine feste Regelung 
gefunden. 

Zu diesem Landerbgesetz wurden durch die Tagsatzung in 
späterer Zeit mehrere Ergänzungsbestimmungen erlassen.^ 

Das Landerbgesetz von 1542 mit seinen Nachträgen will 
nicht bloß Geltung haben für die der Gerichtsbarkeit des Land- 
gerichts direkt unterstellten Gebiete, die sog. hohen Gerichte. 
Dasselbe will ein einheitliches Recht schaffen, dem die alten Hof- 
rechte weichen sollten, wie ja überhaupt ein allgemeines Land- 
recht das besondere Hofrecht zu verdrängen suchte und allmählich 
dieses auch verdrängt hat.'^ Dementsprechend waren die interes- 
sierten Dorfschaften bei Ausarbeitung des Entwurfs zum Erbgesetz 
um Geltendmachung besonderer Wünsche angegangen worden. 

In einigen Höfen wurde allerdings dieser allgemeinen Anwen- 
dung des neuen Rechts widersprochen ; man wollte das alte Hofrecht 



^ Eine solche mangelte auch der Tagsatzang, wie in der Einleitung zum 
LR (1542) zugestanden wird: „ouch zu tagen von unser Eidgenoßschaft raten 
in appellationen ungleich urteilen ergangen, dardurch unsere underthanen 
gegen einanderen in groß spenn, rechtvertigung, kosten und schaden komen.'^ 

^ Einleitung zu LR. 

* Dieses Landerbgesetz (LR) findet sich abgedruckt in: EA IV, I, d, 
201 ff.; ZI, 2, 24 ff.; inhaltlich wiedergegeben in ThB XXVII, 28 ff.: Zu- 
sammenstellung des Landrechts, von Dr. Fehr; auszugsweise in PTh II, 404 ff. 

* Zusammengestellt in Z I, 2, 32 ff. 

5 Vgl. Isler, a. a. 0. S. 10; ThB XXVII, 104, unter „Offnungen«; Ein- 
leitung zu LR. 



10 

beibehalten. So gelangte schon 1543 die Herrschaft Tannegg- 
Pischingen, welche dem Bischof von Konstanz zugehörte, mit dem 
Ansuchen an die Tagsatzung, ihr das alte Erbrecht zu belassen, 
und machte dabei geradezu einen Rechtsanspruch auf Anwendung 
ihres alten Rechts geltend. Es erging aber die Antwort dahin: 
es hätten auch die meisten übrigen Gerichtsherren besondere 
OflEhungen und Erbrechte gehabt. Sie hätten aber, in Verzicht 
auf dasselbe, ein gemeines Erbrecht geschaffen, dies auf Befehl 
der Obern und mit deren Zustimmung. Dieses Erbrecht sei all- 
gemein anzuerkennen. Zudem sei schon früher ein Tagsatzungs- 
abschied ergangen, daß, „was die Ratsboten der Eidgenossen be- 
schließen, für alle Gemeinden der Landgrafschaft verbindlich sei."^ 
So mußte auch die Herrschaft Tannegg-Fischingen auf ihr an- 
gestammtes Erbrecht verzichten. 

Das Erbgesetz von 1542 hat das alte OflFnungserbrecht all- 
gemein beseitigt. Mit dessen Erlaß kommt besonderes Hoferbrecht 
in Wegfall, und die ländlichen Gebiete, vorbehalten die Anwendung 
städtischen Rechts in einzelnen, der städtischen Gerichtsbarkeit 
unterstellten Gebieten, erhalten damit ein gleiches Erbrecht.^ 

Eine Ausnahme blieb bestehen zu Gunsten der „st. gallischen 
Gotteshausleute", der dem Kloster St. Gallen zugehörenden Gerichts- 
herrschaften. Dieselben erhielten ihr Recht, als ein Hofrecht, 
verliehen durch den Fürstabt von St. Gallen, dem über diese Ge- 
biete, im Verhältnis zur Stellung anderer Gerichtsherren, eine 
besondere Machtbefugnis vorbehalten blieb. Für diese Gotteshaus- 
leute erging ein besonderes Erbgesetz (Statut) aus dem Jahre 
1525, mit Revisionen und Ergänzungen von 1575 und 1587.^ 



^ EA IV, I, d, 291, lit. 111. — „Landgrafschaft" hier nicht in demselben 
Sinne wie oben § 3, S. 3. 

^ Dementsprechend enthalten die Offnungen aus der Zeit nach 1542 
keine erbrechtlichen Bestimmungen. 

8 Abgedruckt in Wasserschieben S. 297 ff; Z I, 2, 56 ff. (hier nur das 
Statut von 1525). — In einem Prozeß vor dem thurgauischen Appellations- 
gericht werden auch Erbstatuten aus den Jahren 1633 und 1680 erwähnt. 
Solche sind uns indessen nicht bekannt geworden. Es ist nicht unwahrschein- 
lich, daß im Protokoll des Appellationsgerichts unrichtig zitiert ist, wie sich 
dort z. B. auch das Landerbgesetz auf das Jahr 1551 datiert findet (1803 Urteil 
Nr. 39). — Bezüglich der diesem Recht unterstellten Gebiete vgl. PTh II, 139. 



11 

Noch gegen Ende des 18. Jahrb., am Schluß der Periode 
des alten Bechts, wurde eine Revision des Landerbgesetzes an- 
gestrebt, da dasselbe, als teilweise veraltet, den neueren Bechts- 
anschauungen nicht mehr entsprechen konnte, sich auch in vielen 
Punkten als undeutlich erwies, welcher Umstand zu vielen Pro- 
zessen Anlaß gab.^ 1785 erklärte sich eine Abordnung der Land- 
schaft zur Ausarbeitung eines Entwurfes bereit, sofern die Tag- 
satzung auf Revisionsberatungen eintreten wollte. 1788 wurde 
derselben ein solcher Entwurf vorgelegt. Dieser fand aber nicht 
die Zustimmung aller regierenden Orte, so daß der Versuch auf 
Verbesserung und Vervollständigung des alten Rechts scheiterte.^ 

Die Stadtrechte. Wie die Städte ihre besonderen Gerichte 
hatten, so hatten sie auch ihr besonderes Recht, das sich neben 
dem Landrecht erhalten und fortentwickelt hat. Erst durch die 
Gesetzgebung des 19. Jahrb. ist dieses besondere Recht beseitigt 
worden. 

Frauenfeld erhält die Garantie, ein eigenes Recht haben zu 
dürfen, in seinem Schirmbrief von 1460 durch die Eidgenossen 
zugesichert.* Schon aus früherer Zeit sind einzelne erbrechtliche 
Bestimmungen bekannt, wenn dies auch nur in sehr geringem 
Umfang. Solche sind enthalten in den Freiheitsbriefen von 1294 
und 1302 und in dem 1368 von Österreich der Stadt verliehenen 
Recht.* 1566 erlangt die Stadt ein eigenes Erbgeset2, das aber 
zur Hauptsache nur eine zum Teil wortgetreue Wiedergabe des 
Landerbgesetzes von 1542 darstellt.^ 



* Mehrere solche noch vor dem Appellationsgericht 1803 — 1815. 

2 EA VIII, 350, Art. 269, 272. — Dieser Entwurf ist uns nicht bekannt 
geworden. Derselbe hat auch in den Beratungen zur Gesetzgebung von 1810 
keine Berücksichtigung gefunden. 

8 ThB II, 88. 

* H IV, 93; Z I, 2, 12 ff., 59; PTh I, 349, 725; PTh, Beilagen Nr. 23, 
28 ; Schauberg II, I, 16 f. 

^ EA IV, II, 1052, Art. 565. Dasselbe findet sich teilweise abgedruckt 
in Z I, 2, 64 ff ; abschriftlich in „Thurgauische Sachen" I (Staatsarchiv) ; aus- 
zugsweise abgedruckt in Pupikofer, Geschichte der Stadt Frauenfeld (1871). 
Die Übereinstimmung des Stadterbgesetzes mit dem Landerbgesetz veranlaßt 
uns, dasselbe jeweils nur insoweit zu erwähnen, als es von letzterem abweicht. 
Vgl. Z I, 2, 68. 



12 

Dießenhofen^ als Tochterstadt von Freiburg im Breisgau, war 
1260 mit dem Recht dieser Stadt beliehen worden.^ Später stellt 
dasselbe autonome Satzungen auf, damit auch ein ziemlich ausführ- 
liches Erbstatut.* 

Bischofszell. Dieses hatte im 14. Jahrhundert von seinem 
Oberherrn, dem Bischof von Konstanz, ein eigenes Stadtrecht 
erhalten.^ 1574 legte die Stadt dem Bischof einen Erbgesetzes- 
entwurf vor, der zur Hauptsache, wie das Erbgesetz von 
Frauenfeld, sich an das Landerbgesetz anlehnte. Da jener die 
Zustimmung zu diesem Entwurf versagte, wurde die Tagsatzung 
darum angegangen, welche der Stadt dessen Anwendung ge- 
währte (er wird erwähnt als Erbgesetz von 1574). 1578 wurde 
derselbe endlich vom Bischof bestätigt (Erbgesetz von 1578). 
1650 erfolgte sodann eine Revision, welche einige wesentliche 
Neuerungen zufügte, hinter denen alle andern thurgauischen Rechte 
zurück blieben (Erbgesetz von 1650). Später wurden diesem Erb- 
gesetz noch einzelne Ergänzungen, zum Teil erheblicher Bedeutung, 
beigefügt.* 



^ Durch die zweite Handfeste; die erste Handfeste von 1178 enthält 
kein Privatrecht. 

2 Abgedruckt in Z I, 2, 74 ff. Der Wortlaut des Statuts ist, wie in einer 
Anm. in Z I, 2, vermeldet wird, teilweise entstellt. — Das Erbstatut ist nicht 
datiert; jedenfalls ist es aber älter als das Landerbgesetz. 

8 H IV, 79; PTh I, 727; Z I, 2, 14. 

* Diese Gesetze finden sich in Abschrift in den „Archivii episcopicellani 
oder Der Stadt Bischoffszell Archiv Brieffen« I, Gesetz von 1574, S. 71; 
1578, S. 62; 1650, S. 54; letzteres gleichfalls in „Memorabilia episcopicellana 
oder Merkwürdigkeiten der Stadt Bischoffszell" I, 234. — Beide erwähnte 
Werke, geschrieben vom evang. Stadtschreiber Dr. med. Diethelm um die 
Mitte des 18. Jahrb., finden sich auf dem Bureau der städtischen Verwaltung 
von Bischofszell. Dieselben wurden von genannter Verwaltung dem Verfasser 
in verdankenswerter Weise zur Verfügung gestellt. — Als Quellen des Rechts 
von Bischofszell wurden des weitern verwendet: „Extract-Protokoll" und 
„Fortsetzung des Diarii Domestici" II, beide ebenfalls von Dr. med. Diethelm 
geschrieben. Dieselben befinden sich auf der Stadtbibliothek Bischofszell. — 
Im Gesetz von 1650 decken sich die Art. 3—7, 9, 10, 13—15 fast wörtlich 
mit denen derselben Zahl des Landerbgesetzes ; noch näher schließen sich die 
Gesetze von 1574 und 1578 an dasselbe an. Dies veranlaßt uns, das Erb- 
recht von Bischofszell, wie das von Frauenfeld (s. S. 11, Anm. 5), nur insoweit 
zu erwähnen, als es vom LR abweicht. 



13 



Arbon erhielt 1335 das Recht von Lindau, das seinerseits 
Freiburger Recht hatte,* Ein besonderes Erbgesetz dieser Stadt 
ist uns nicht bekannt.^ Eine Öffnung aus dem Jahre 1255, in 
lateinischer Sprache abgefaßt, mit einer Übersetzung und Neu- 
bestätigung von 1430, enthält nur eine einzige erbrechtliche Be- 
stimmung.« 

Die drei verschiedenen Arten von Erbrechten: Hofrechte, 
Landrecht und Stadtrechte sind nicht etwa in ihrem Grund- 
charakter verschiedene Rechte. Sie beruhen, mit einziger Aus- 
nahme des jungem Erbrechts der st. gallischen Gotteshausleute 
(Statute von 1575 und 1587), alle auf gleicher Grundlage, 
germanischen Rechtsanschauungen,* wobei sie verschiedene Ent- 
wicklungsstufen des Erbrechts darstellen: ein altes Recht enthalten 
die Offnungen, ein neueres die Erbgesetze mit ihren Ergänzungen. 

Das römische Recht hat, außer im erwähnten Recht der 
st. gallischen Gotteshausleute, das ganz auf römisch -rechtlichen 
Grundlagen beruht, in den thurgauischen Rechten Anerkennung 
nicht gefunden. Dasselbe hat das germanische Element nicht zu 
verdrängen vermocht. Es wären auch die bestehenden Gerichte, 
als Volks- und Laiengerichte, zu dessen Aufnahme kaum befähigt 
gewesen.^ Immerhin ist das römische Recht ganz ohne Einfluß 
auf die Rechtsbildung, wenigstens in jüngerer Zeit, nicht geblieben, 
wie sich dies namentlich erzeigt am Jüngern Recht von Bischofs- 
zell in der besondem Begünstigung der Aszendenten, allgemein 

1 H IV, 85. 

* Kolb, 4, Anm., erwähnt ein solches als im „Meersburger Archiv" ent- 
halten. Dieses Archiv befindet sich im kantonalen Archiv in Frauenfeld. 
Indessen ist in den zugehörigen Registern ein Erbgesetz nicht erwähnt 
und ist auch dem Archivar, Herrn Prof. Dr. Meyer, von einem solchen nichts 
bekannt. 

« Abgedruckt in ThB XLI, 131 ff. Ein „Spruchbrief oder Öffnung« von 
Arbon aus dem Jahre 1484 (im thurg. Staatsarchiv) enthält keine erbrecht- 
lichen Bestimmungen. 

* Von Einfluß auf die Rechtsbildung mag namentlich der Schwaben- 
spiegel gewesen sein. Vgl. oben, S. 8, bei Anm. 3 ; v. Wyß, Intestaterbfolge, Z IV, 
I, 126; Huber, Die schweizerischen Erbrechte in ihrer Entwicklung seit der 
Ablösung des alten Bundes vom deutschen Reich (1872), S. 13. 

^ Vgl. H IV, 121, Anm. 16: Zurückweisung des fremden, römischen Rechts 
vor dem Gericht in Frauenfeld. 



14 

auch in den für uns allerdings nicht in Betracht fallenden Be- 
stimmungen über letztwillige Verfügungen bezüglich der Form- 
vorschriften. ^ Ihren deutschrechtlichen Grundcharakter haben aber 
dabei die thurgauischen Rechte nicht eingebüßt. 



III. Allgemeine Sätze bezüglich der Erbfolge. 

§ 5. 1. Die Erbmasse. 

Die erbrechtlich in Betracht fallende Verlassenschaft einer 
Person besteht aus den übertragbaren Rechten und Pflichten der- 
selben. Der gute und der schlimme Pfennig sind beizurechnen. 
Die Erben haften daher für sämtliche Nachlaßschulden auch mit 
eigenem Vermögen. Sie haften nicht etwa bloß soweit, als die 
Nachlaßaktiven ausreichen. 

Einen Nachweis indessen, daß in früherer Zeit das deutsch- 
rechtliche System einer Haftung bloß mit den Nachlaßaktiven 
auch im Thurgau Geltung gehabt habe, glauben wir zu finden 
in einer Bestimmung des Erbrechts der st. gallischen Gotteshaus- 
leute (1525), Art. 15: 

„Item so dick ein Erbfall beschicht, dabi man schuldig 
Ist, da soll man usz der varenden hab die schulden be- 
tzallen, so wyt das Lanngen mag und ob das nit Langt, 
darnach usz dem gelegen guott.'' 
Zahlung der Schulden nur aus den Nachlaßaktiven wird vor- 
gesehen, nicht eine Haftung des Erben mit dem eigenen Gut.* 



* In Memorabilia episcopicellana I, 3, 36 wird gesprochen von „Testa- 
ment" und „legata." 

NB. In nachfolgender Darstellung zitieren wir, als im Gegensatz zum 
Offiiungsrecht, das Landerbgesetz, die städtischen Erbgesetze und die Statuten 
der st. gallischen Gotteshausleute unter der Gesamtbezeichnung „Erbgesetze" 

2 H IV, 671. 

« Stobbe V, 50, 52; vgl. auch Heusler II, 550 ff.; H IV, 304: ursprüng- 
liche Haftung nur mit der Fahrhabe. 

* In ähnlicher Weise wird (landrechtlich) geordnet : wenn bei gerichteten 
Verbrechern und bei Selbstmördern die fahrende Habe konfisziert wird, die 
Liegenschaften den eigentlichen Erben zufallen, so haften zwar die Erben 



15 

Dafür, daß später (gewohnheitsrechtlich) die unbegrenzte 
Haftung der Erben filr Nachlaßschulden anerkannt war, spricht 
namentlich der Umstand, daß sich diese Haftung in der Gesetz- 
gebung von 1810 als selbstverständlich geltend vorausgesetzt findet. 
Bestimmte Nachweise des Übergangs vom deutschrechtlichen zum 
römisch-rechtlichen System der Erbenhaftung sind uns indessen 
nicht bekannt geworden. 

Die Stellung der Erben erfährt 1736 insoweit eine Erleichte- 
rung, als bestimmt wird, daß unverbriefte Erbschaftsschulden nach 
Ablauf von zehn Jahren verjährt sein soUen.^ 

Die ganze Verlassenschaft eines Erblassers vererbt sich als 
eine Einheit. Eine Ausscheidung besonderer Komplexe, in welche 
Spezialerbfolgen stattzufinden hätten, wie dies dem altdeutschen 
Recht bekannt war,^ findet sich nicht mehr. 

Immerhin kennen einzelne Offnungen noch eine Aussonderung 
von Nachlaßteilen mit besonderer Nachfolge in dieselben. Diese 
speziellen Nachfolgerechte stellen sich aber nicht etwa dar als 
eigentliche Erbrechte; dieselben haben ihre Grundlage in ehe- 
lichem Güterrecht einerseits und in Lehenrecht andrerseits. 

So findet sich einmal eine Aussonderung von Fahrhabe und 
Liegenschaften für Ermittelung der Ansprüche, welche dem über- 
lebenden Ehegatten zustehen sollen, in den Offnungen von Langen- 
erchingen und Gottlieben, namentlich aber in den Statuten der 
st. gallischen Gotteshausleute, in der Weise, daß dem Ehegatten 
entweder nur fahrendes Gut überlassen wird, oder daß, wenn 
ein Anspruch sowohl auf bewegliches wie auf unbewegliches Gut 
zusteht, an diesem nur ein Nutznießungsrecht zuerkannt bleibt, 
während an jenem Eigentumsrecht eingeräumt ist (s. unten §§16 
und 17). Hiebei wird im besondern geordnet, was als bewegliches 
und was als unbewegliches Gut zu gelten habe. So im Erbrecht 
der st. gallischen Gotteshausleute (1525), Art. 1 und 2: neben den 



in erster Linie für Nachlaßschulden mit dem ererbten liegenden Gut; sofern 
dieses aber nicht ausreicht, ist die konfiszierte Fahrhabe in Anspruch zu nehmen ; 
es haben nicht etwa die Erben persönlich in die Schulden einzutreten. ThB 
XVII, 21; EA IV, I, e, 219, 1404. 

1 EA VII, I, 784 f., Art. 475. 

2 Vgl. Heusler II, 555 ff. 



16 

Oegenständen, die schon an sich als beweglich oder unbeweglich 
sich darstellen, werden zu jenen gerechnet ablösbare, zu diesen 
unablösbare Zinsen; hölzerne Häuser und „ Stadel '^ sind beweg- 
liches Gut. Die Öffnung von Tannegg-Fischingen bestimmt dies- 
bezüglich : 

»ob darauff (auf »gelegen gut") gebauwen ist sye höw 
oder kom, was den grundt nit mer begryffl, wann das 
körn an die wid kompt und das höw an die birling, so 
ist es dann varendte haab und gehört dann dem, die die 
fahrende Haabe zieht. *^ 
Mit solcher Ausscheidung von Nachfolge in liegendes und 
fahrendes Gut wird namentlich erstrebt, zu verhindern, daß ersteres 
der Familie desjenigen Ehegatten, von dem es in die Ehe ein- 
gebracht war, infolge Ansprüchen des überlebenden Ehegatten 
verloren gehe. 

Besondere »Erbordnungen* bestehen sodann, auch noch in 
späterer Zeit, für einzelne Erblehen. Das Interesse des Lehens- 
herrn verlangt nach Vererbung nur an Männer, und unter diesen 
an einen ausschließlich, während das übrige Gut, das »Erbe*, sich 
nach den gewöhnlichen, allgemeinen Bestimmungen vererben mag. 
Eine derartige Sondernachfolge hat sich erhalten bezüglich der 
Kellhöfe: der älteste Sohn ist der einzig Berechtigte, und Frauen 
sind, auch in Ermangelung von Söhnen oder Brüdern des Erb- 
lassers, von jedem Anspruch ausgeschlossen. So nach den Offnungen 
von Müllheim und Langenerchingen.^ 

In der Öffnung von Klingenberg (1449) wird besonders ge- 
sprochen von Vererbung von »harnasch* oder »gewör*, der an 
»ein fründ* anfallen soll. Indessen kann es sich auch hier nicht 
handeln um Einräumung eines besondern Erbrechts, um Anord- 
nung einer Sondererbfolge. Zweck betreffender Bestimmung ist 
Ausschluß eines Fallrechts des Hofherm auf Waffen.* 



^ GW I, 276. 

« GW I, 261, 267 ; s. auch unten § 8. 

« GW V, 107. 



17 



§ 6. 2. Voraussetzungen einer Erbfolge. 

Ein Erbfall tritt ein mit dem Tode einer (physischen) Person. 
Bei Verschollenheit wird nach Ablauf von 25 Jahren, berechnet 
vom Eingang der letzten Nachricht vom Leben des Verschollenen 
ab, die Erbschafk eröffnet. Hiebei wird aber, gemäß einer Verord- 
nung von 1718, den Erbansprechem eine Sicherstellung auf ßück- 
leistung bei allfalliger Rückkehr des Verschollenen auf 10 Jahre 
auferlegt.^ 

Die verstorbene Person muß fähig gewesen sein, beerbt zu 
werden. Unfähig dazu waren nach älterem Recht unehelich Ge- 
hörne und Personen geistlichen Standes. Ihr Gut wurde konfisziert. 
Dieses strenge Recht hat sich aber im Laufe der Zeit gemildert, 
und namentlich konnten später die unehelich Gebomen wenigstens 
durch ihre ehelichen Kinder beerbt werden (s. unten § 14). 

Besondere Bedingungen für die Fähigkeit, Erbe zu sein, finden 
sich nirgends aufgestellt, und namentlich ist Ausschluß von der 
Erbfolge wegen körperlicher Gebrechen, wie er altem Recht viel- 
fach bekannt war,' im thurgauischen Recht nicht vorbehalten. 
Ausschließungsgrund bleibt aber Zugehörigkeit zu einem geist- 
lichen Orden, wie dies noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. 
anerkannt war (unten § 22, 3. Anm.). — Bezüglich des Beginns der 
Erbfähigkeit findet sich einzig in der Öffnung von Wagenhausen 
(1491) eine Bestimmung: danach ist ein Eind als Erbe zu berück- 
sichtigen, wenn es , die vier wend ersieht.*'^ 

Voraussetzung einer Erbfolge ist auch, daß ein Erbansprecher 
nicht schon vom Erblasser zu dessen Lebzeiten für seine Erb- 
anwartschafb abgefunden worden sei. Dies kommt namentlich 
fiir die Erbfolge der Kinder in Frage. In älterer Zeit galt ein 
Kind, das mit einer Ausstattung bedacht, zu Lebzeiten der Eltern 
aus dem elterlichen Hause ausschied, als mit dieser Ausstattung 
abgefunden, und es hatte dasselbe, wenigstens neben Geschwistern, 
die mit den Eltern in häuslicher Gemeinschaft verblieben waren, 
an der elterlichen Verlassenschaft keinen Anspruch mehr. Sein 

* Z I, 2, 44; ThB XXVII, 34; H IV, 285, Anm. 8. 
^ Vgl. H IV, 553, 286. 
8 GW I, 290. 



18 



Erbanspruch war konsumiert. So galten namentlich verheiratete 
Töchter als mit ihrer Aussteuer ausgekauft.^ Ein solches Recht 
hat sich aber allmählich verloren, sodaß auch den außerhalb des 
Hausverbandes stehenden Kindern eine Erbanwartschaft zukam. 

Gleichzeitig, wie den aus dem elterlichen Hause ausgeschie- 
denen Kindern ein Anspruch auf die elterliche Verlassenschaft 
gewährt wurde auch im Falle, wo noch unabgeteilte Kinder vor- 
handen waren, mußte aus Billigkeit verlangt werden, daß jene, 
um ihre Erbansprüche geltend machen zu dürfen, ihre zum voraus 
bezogene Ausstattung in die Erbmasse einwarfen oder auf ihren 
Erbanteil anrechnen ließen, und dies zur Voraussetzung ihrer 
Erbfolge gemacht werden (Kdlationspflickt). Eine diesbezügliche 
Bestimmung enthält das Erbgesetz von Dießenhofen, Art. 19: was 
Kinder zum voraus an „Bettsteur* empfangen haben, oder was 
ihnen „sonsten vormahls an Hauptgut worden ist*, müssen sie 
„in gemeine Theilung** einwerfen, oder sie sollen „um so viel still 
ston bis den andern auch so viel wird." 

In den übrigen Gesetzen, wie in den Öffnungen, finden sich 
keine ähnlichen Bestimmungen über Kollationspflicht. Gewohnheits- 
rechtlich mußte aber eine solche unbedingt anerkannt sein. Zu 
einem solchen Gewohnheitsrecht wurde 1735 für das Landrecht 
eine Ergänzung angestrebt, dahin gehend, daß die Aussteuer von 
Töchtern, die sich nach auswärts verheirateten, durch beeidigte 
Taxatoren abgeschätzt würden, behufs Erleichterung der Abrech- 
nung. Ein dahin gehendes Gesuch wurde indessen von der Tag- 
satzung abschlägig beantwortet.* 

Über die Kollationspflicht repräsentationsberechtigter Kindes- 
kinder finden sich keine Bestimmungen. Billigkeit verlangt auch hier, 
daß derVorempfang des repräsentierten Eltern teils angerechnet werde. 

Für Vorfahren und Seitenverwandte kann eine solche Kollations- 
pflicht als Voraussetzung ihrer Erbberechtigung schwerlich in Frage 
kommen (vgl. unten § 23). 



^ Vgl. H IV, 558, Anm. 5, 562. — Diese Nachfolge der im Hause ver- 
bliebenen Kinder in die Verlassenschaft der Eltern stellt sich, wie wir unten 
(§ 8) sehen werden, überhaupt weit eher dar als ein Anwachsungsrecht aus 
einem Gemeinderschaftsverhältnis denn als eine eigentliche Erbfolge. 

2 EA VII, I, 784, Art. 475 f. 



19 

Besondere Bestimmungen über den Erwerb einer angefallenen 
Erbschaft sind uns nicht bekannt. Wir dürfen aber wohl annehmen, 
daß auch die thurgauischen Rechte alle dem deutsch-rechtlichen 
System folgten, das seinen Ausdruck findet im Rechtssprichwort: 
»der Tote erbt den Lebendigen.** Eines besonderen Erbantritts 
bedarf es hiernach nicht. Mit dem Tode des Erblassers wird der 
Erbberechtigte ipso jure Erbe und tritt er, ohne eigenes Zutun, 
in die Rechte und, soweit Haftung für Schulden des Erblassers 
besteht, in die Pflichten desselben ein.^ 



IV. Die Erbfolgeordnung. 

A. Die eheliclieii Blutsverwajidten. 

§ 7. 1. Die Gradzahlung; die Parentelenordnung. 

Die thurgauischen Erbrechtsquellen sind, wie früher erwähnt, 
in ihren Angaben lückenhaft. Es mangelt an einer systematischen 
Erbordnung. Wer Erbe sein soll, wird bei näherer Verwandtschaft 
einzeln geordnet, wenn nicht gar die Nächstberechtigten (Kinder, 
Geschwister) bei Erbenaufzählung, weil ihr Anspruch als selbst- 
verständlich anerkannt gilt, übergangen werden, während von 
Erbansprüchen der entferntem Verwandten gar nicht oder doch 
nur sehr wenig gesprochen wird. Dies hat für die Erbfolge der 
letztem, zumal da sie nur sehr vereinzelt praktisch werden kann, 
eine große Rechtsunsicherheit zur Folge, wie dies im Erbrecht 
der st. gallischen Gotteshausleute (1525), Art. 16, seinen Ausdruck 
findet: es wird hier dem Gericht überlassen, die Erbfolge im ein- 
zelnen Erbfall zu ordnen.^ 

Den einzelnen Erbrechtsbestimmungen liegt aber immerhin 
ein bestimmtes System zu Grunde, wenn dasselbe auch nicht 
liberall mit allen Konsequenzen zur Durchführung gelangt ist. 
TS& ist das deutsch-rechtliche System der Linealgradualerbfolge, der 
Parentelenordnung, wie es in den frühem süddeutschen Rechten, 



1 Vgl. H IV, 669. 

* Vgl. H IV, 648, Anm. 15. 



20 

und namentlich in den Erbrechten der Ostschweiz, allgemein 
anerkannt war.^ 

Nach diesem System ist zunächst und ausschließlich berechtigt 
die Oruppe der Nachkommen, die gerade absteigende Linie. Wie die 
Erbschaft innerhalb dieser Gruppe, der »Parentel** des Erblassers, zur 
Verteilung gelangt, findet sich im folgenden Abschnitt dargestellt. 

Sofern ein Erblasser keine Nachkommen hinterläßt, so be- 
erben ihn die nächsten Verwandten der aufsteigenden Linie, die 
Aszendenten, und der Seitenlinien, die Eollateralen. Nächst- 
berechtigt sind jeweilen in Gruppen, »Parentelen*, die nächsten 
Aszendenten des Erblassers mit ihrer gesamten Deszendenz. Jede 
nähere Gruppe schließt, so lange sie nur durch ein Glied vertreten 
bleibt, die entfernteren aus. In erster Linie sind demnach be- 
rechtigt die Eltern mit ihrer gesamten Nachkommenschaft, die 
elterliche Parentel; nach derselben die Großeltern und deren Nach- 
kommen, die großelterliche Parentel u. s. w. Es findet dies seinen 
Ausdruck im Rechtssatz: die Erbschaft soll vorwärts und nicht 
rückwärts, hinter sich fallen. Die Erbschaft fallt rückwärts, wenn 
sie entfernteren Parentelen anJ^Ut, solange eine nähere noch 
durch ein Glied vertreten ist.* 

Die einer Parentel anfallende Erbschaft wird nicht etwa an 
alle ihre Mitglieder gleichmäßig verteilt.* In erster Linie be- 
rechtigt sind, als am nächsten mit dem Erblasser verwandt, das 
Haupt der Parentel, der die Verwandtschaft vermittelnde Vorfahr, 
und nach ihm, wer in absteigender Linie ihm am nächsten steht: 
seine Kinder, hernach seine Enkel u. s. w.^ 

Der nächste beim Blut, und damit der nächste beim Gut, 
der nächste Erbe ist, wer in der nächsten der vertretenen Paren- 
telen durch die geringste Zahl von Zeugungen vom Haupt der- 
selben und damit vom Erblasser selber entfernt ist. 



^ Hausier II, 596 f., 599; Bluntschli I, 467; H IV, 548. - Die Geltung 
dieses Systems ist indessen bestritten. Vgl. Wasserschieben. 

* Vgl. Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute, 1626, Art. 11 und 
v. Wyß, Intestaterbrechtrechte, Z IV, 1, 123 f. 

^ So in Appenzell. Vgl. H IV, 548, spez. Anm. 14. 

^ Siehe aber unten § 11 die wichtige Ausnahme bezüglich des Erbrechts 
der Geschwister des Erblassers. 



21 

Zur Bestimmung der Gradnähe, wenigstens der Seitenver- 
wandten, ist demnach in zwei Richtungen zuzählen: zunächst ist 
zu bestimmen die Entfernung der Parentel oder Linie, welcher ein 
solcher zugehört, vom Erblasser, welche gleich ist der Entfernung 
des letztem von dem die Verwandtschaft vermittelnden Vorfahren: 
Zählung nach der Linie; sodann die Entfernung dieses Seiten- 
verwandten vom gemeinsamen Vorfahren: Zählung nach dem Grad. 
Ein Erbansprecher muß, um Erbe sein zu können, einmal inner- 
halb der nächsten Parentel oder Linie verwandt sein, und sodann 
in dieser Linie der erste sein nach dem Grad. 

In dieses System der Gradzählung wird eingegriffen mittels 
des Bepräsentationsrechts; dasselbe gewährt einzelnen Seitenver- 
wandten einen früheren Rang, als ihnen zufolge dieser Zählung 
zustehen würde. ^ 

Für den Nachweis der Geltung der Parentelenordnung und 
dieses Gradzählungssystems in thurgauischem Recht finden sich 
einzelne Anhaltspunkte. Einen solchen ersehen wir einmal in der 
Voranstellung der elterlichen Parentel vor alle übrigen Verwandten 
der aufsteigenden Linie und der Seitenlinien.« Im weitem wird 
in einem Zusatz zum LR vom Jahre 1612 angeordnet, es sollen 
Verwandte gleich erben: 

„sofehiti dieselben der abgestorbenen Persohn in 
gleichem Grad der Linien des Geblüets zugethan und ver- 
wandt sind.** 

Wir deuten diese Stelle in dem Sinne, daß zur Bestimmung 
der Verwandtschaffcsnähe eine Zählung nach Linien, Parentelen, 
und in diesen nach Graden zu erfolgen habe. Verwandte desselben 
Grades derselben Linie werden als gleichberechtigt erklärt. — 
Die gleiche Bestimmung hat im Erbgesetz von Bischofszell 1650, 
Art. 16, Aufnahme gefunden. Einen Zeugen einer solchen Grad- 



^ Vgl. anten im Abschnitt über Erbfolge der Seitenyerwandten. 

^ Die Yoranstellung der Nachkommen vor aUe übrige Verwandtschaft 
kann nicht ansschlaggebend sein, da sie sich auch in jeder andern Erbordnung 
findet. 

' Z I, 2, 36, Zeile 20 — 22 v. o. Es handelt sich in zitierter Bestimmung 
um Beseitigung der Vatermagenvorzugsrechte; das hier zum Ausdruck ge- 
brachte Zählungssystem stellt keine Neuerung dar. 



22 



Zählung treflfen wir sodann auch in einem Urteil des Appellations- 
gerichts im Jahre 1808, wo Personen, die mit dem Erblasser 
»Geschwisterkind sind**, als im zweiten Grad verwandt erklärt 
werden. 

Das römische Gradzählungssystem und die römische Klassen- 
gliederung haben die thurgauischen Rechte — eine Ausnahme 
vorbehalten — nicht aufgenommen. 

Einzig das Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute, das 
in seinen Revisionen von 1575 und 1587, gleich den Rechten im 
nordöstlichen Teil des heutigen Kantons St. Gallen, stark vom ge- 
meinen Recht beeinflußt ist, weicht von der deutsch-rechtlichen 
Erbfolgeordnung ab. Dieses hat die römisch-rechtliche Klassen- 
einteilung aufgenommen und anerkennt demnach die Erbenfolge: 

1) Nachkommen. Art. 11, 12. 

2) Eltern, Großeltern, Geschwister und Geschwisterkinder. 
Art. 11, 13. 

3) Halbgeschwister und deren Kinder. 
Im weitern bestimmt Art. 15: 

„Item so aber ein person erstirpt, die In ab- oder 
ufstigender Linien keinen Erben ouch kein geschwüster- 
git, noch derselben kinden wie vorstath, hinter Im ver- 
laßt, So erben on Mittel alle die, •so dem gestorbnen 
Rechter SibschafiFt nach von Vatter und Muotter mag 
zum Nechsten gefründt und die so im vodersten grad 
sind vnder denselben schlieszen die andern vsz ..." 
Unverkennbar hat hier, unter Verdrängung des deutsch-recht- 
lichen Zählungssystems und der Parentelenordnung, die römisch- 
rechtliche Gradzählung nach Zeugungen Aufnahme gefunden. 

In geringerem Maß hat sich auch das jüngste Erbgesetz von 
Bisch ofszell, vom Jahre 1650, unter dem Einfluß der st. gallischen 
Rechte an das gemeine Recht angelehnt, indem es Großeltern den 
Halbgeschwistern voranstellt, dies aber ohne im allgemeinen mit 
dem deutsch-rechtlichen System zu brechen. Großeltern läßt es 
nicht konkurrieren neben zweibändigen Geschwistern und Ge- 
schwisterkindern. 



23 

2. Die Nachkommen. 

§ 8. a. Kinder. 

In den Quellen des alten Rechts finden sich Angaben über 
ein Erbrecht der Kinder, als der dem Erblasser am nächsten 
stehenden Personen, nur in ganz geringem Umfang, wie in den 
Offnungen, so auch im Landerbgesetz und selbst den jungem 
Stadtrechten. ^ Nirgends sind die Kinder expressis verbis zu Erben 
eingesetzt. Ihr Erbanspruch galt in der Gewohnheit als so sehr 
selbstverständlich, daß eine besondere Erwähnung desselben nicht 
als erforderlich erschien.* 

In der ältesten Zeit kann von einem eigentlichen Erbrecht 
der Kinder überhaupt nicht gesprochen werden. Das Recht der 
Kinder auf das elterliche Gut stellt sich dar als ein Anwachsungs- 
recht aus einem Gemeinderschaftsverhältnis. Gemeinschaftlich mit 
den Eltern bewirtschafteten die Kinder deren zugebrachtes Gut, 
das nicht dem Einzelnen, sondern der ganzen Familie zugehörte. 
Den Kindern stand zu Lebzeiten der Eltern eine Art Miteigentum 
an diesem Gute zu, das befähigt war, den Eltern die freie Ver- 
fügung über dieses Gut zu benehmen.*^ 

Die Hauptwirkung dieses Gemeinderschaftsverhältnisses lag 
darin, daß, wenn einzelne der an sich nachfolgeberechtigten Kinder 
aus dem elterlichen Hause ausgeschieden waren, diese durch die 
im Hause verbliebenen Kinder völlig ausgeschlossen wurden.* Als 
Ersatz für den Ausfall bezogen indessen die aus dem Hausverband 
ausscheidenden Kinder ihre Ausstattung.*^ 

In den geschriebenen Quellen finden sich Spuren einer solchen 
Nachfolge aus Gemeinderschaftsrecht nicht mehr. Aus dem Hause 
ausgeschiedene Kinder sind von einem Anspruch nicht mehr aus- 



* Vgl. LR Art. 1; Öffnung Ermatingen (1518), welche bei einer Erben- 
aufzählung mit den Kindeskindern beginnt. 

'^ Heusler II, 573. 

^ Zur Veräußerung des Gutes bedurfte es der Zustimmung der Kinder 
oder wenigstens der Sohne. H IV, 246 f., 553; Heusler 11,552. Isler, a.a.O. 
S. 21, erwähnt einen Fall aus dem Thurgau, wo ein Vater zur Fertigung des 
Verkaufs seines Gutes seine Kinder mit vor Gericht bringt. 

* Huber, Schweiz. Erbrechte a. a. 0., S. 5; vgl. auch Schwabenspiegel L § 5. 
« Vgl. oben § 6. 



24 

geschlossen. Das Nachfolgerecht der Kinder hat sich zu einem 
eigentlichen Erbfolgerecht umgewandelt.^ 

Besondere Angaben über die Erbfolge der Kinder finden sich 
vereinzelt für den Fall, daß diese verschiedenen Ehen des Erb- 
lassers entstammen, Sie sollen alle gleich berechtigt sein, ohne 
Vorzugsrechte der Ender aus einer frühem oder spätem Ehe.^ 
So in LR Art. 5. Es wird angeordnet: nachdem die Kinder 
erster Ehe den Kindsteil, den der jetzige Erblasser aus der Ver- 
lassenschaft des vorverstorbenen ersten Ehegatten zur Nutznießung 
bezogen hatte, vorweggenommen haben, und das eingebrachte Gut 
des überlebenden zweiten Ehegatten ausgesondert ist,^ soll dieser 

„danthin mit der beiderlei kinden, us voriger und 
nachgender ee geporn, an des abgestorbenen gut anston 
und die kind jeglichs ein ungefarlichen kindsteil, eins 
sovil als des anderen darvon nemen." 
Entsprechend vererbt sich auch der Kindesanteil, den der über- 
lebende zweite Ehegatte leibdingsweise bezieht, bei dessen Tode 
an sämtliche Kinder des frühern Erblassers. Abschied von 1695.* 
Ähnlich wie das LR das Erbrecht der st. gallischen Gottes- 
hausleute, Art. 6 (1525). Nachdem erst vom Falle gesprochen, 
daß Kinder aus zwei Ehen vorhanden sind, wird bestimmt: 

„und wenn er stirbt, so erbend die Kind alle des 
Vatters verlassen Gut, ains als vil als das ander. "^ 
Ebenso das Gesetz von 1575, Art. 8 und 11. 

Ahnliche Bestimmungen enthalten auch die Öffnung v. Tannegg- 
Fischingen® und das Erbgesetz von Dießenhofen, Art. 10 und 11. 



^ Ähnliche Gemeinderschaftsverhältnisse mit besonderer Einwirkung auf 
die Erbfolge kommen indessen noch im spätem Recht, wenigstens unter Ge- 
schwistern, vor (s. unten § 11). 

* „Verfangenes Gut" in dem Sinne, daß das eingebrachte Gut der Ehe- 
gatten in einer Ehe nur den Kindern aus dieser Ehe zufallen sollte, kennt 
das thurg. Becht nicht. Die Erbrechte sehen ein solches nirgends vor, und 
ein dahin gehender Ehekontrakt müßte auch mit dem Pflichtteilsrecht der 
Kinder aus späterer Ehe in Widerspruch treten. Vgl. Heusler II, 468. 

8 Vgl. unten § 15. 

* Z I, 2, 39. 

^ Z I, 2, 57; Wasserschieben 299. 
« GW I, 279. 



25 

Vorzugsrechte der Sohne gegenüber den Töchtern. 

Söhne und Töchter sind bezüglich der Erbfolge nicht absolut 
gleichberechtigt. 

Eine bedeutende Zurücksetzung der Töchter findet sich im 
alten Recht: diese wurden durch Söhne von der Nachfolge in 
das elterliche Gut ausgeschlossen. Höchstens ein Anspruch auf 
Mitgenuß, den ,,Ansedel/ stand ihnen zu. Ja dieser Ausschluß 
ging so weit, daß ihnen gegenüber selbst Brüder des Erblassers 
und überhaupt die Vatermagen ^ den Vorrang hatten; sie waren 
erbunfahig. Das Familiengut sollte eben, nach diesem alten Recht, 
derselben Familie, demselben Stamme erhalten bleiben, was bei 
Vererbung durch Töchter nicht möglich gewesen wäre.* — Als 
Entschädigung für den Ausfall erhielt die Tochter, wenn sie zu- 
folge Heirat aus dem elterlichen Hause ausschied, eine Aussteuer, 
die allmählich zum Betrage eines ordentlichen Erbteils anwuchs.^ 

Daß ein solches Recht, wenigstens mit Ausschluß der Töchter 
durch Söhne, früher im Thurgau bestanden hat, beweist uns ein 
Privileg, das 1294 der Stadt Frauenfeld verliehen wurde: die 
Gewährung eines Rechts mit Gleichstellung der Töchter mit den 
Söhnen wird darin noch als besonderer Gnadenakt bezeichnet. 
Dieses Privileg lautet: 

„nostris de Vrowenfeld hanc gratiam duximüs facien- 
dum, quod filiae eorum sicut filii in bonis paternis ipsis 
possint succedere pleno jure praesentium testimonio lit- 
terarum.*** 

In den ländlichen Gebieten mag dieses alte Recht mit Aus* 
Schluß der Töchter noch etwelche Zeit fortbestanden haben. 
Immerhin sind aus der Zeit der Abfassung der Offnungen Zeugen 
eines derartigen Rechts nicht mehr bekannt, und dürfen wir wohl 
annehmen, daß dasselbe bis dahin seine Geltung allgemein verloren 
habe. 

Anders bezüglich der Lehenserbfölge: Dießenhofen und Frauen- 
feld, welche in den Jahren 1260 resp. 1302 prinzipiell Frauen als 



* S. unten § 10. 

« H IV, 350, 542, 556; Heusler II, 578; Bluntschli I, 114. 
8 H IV, 387, 556. 

* PTh, Beilage, Nr. 23, S. 41. 



26 



für die Lehenserbfolge befähigt erklären,^ machen den Vorbehalt, 
daß Söhne durchaus Töchtern vorgehen sollen. So Dießenhofen: 

,,hoc tarnen taliter sub audiendo quod filia nuUum 
erit feodum perceptura quamdiu filius superabit.^ 
Immerhin sind, wenigstens im spätem Recht, Lehen den Söhnen 
als Vorbezug auf ihren Erbteil anzurechnen. Dießenhofen Art. 17. 
Bezüglich eines Speziallehens blieb das alte Recht mit Aus- 
schluß der Töchter und überhaupt der Frauen und durch Frauen 
vermittelter Verwandtschaft bis in späte Zeit erhalten, nämlich be- 
züglich der Kellhöfe. So nach der Öffnung von Müllheim (1475): 

„und laut der keller nit sun, so soll weder wyb noch 
tochter den kelnhof erben*, 
während im weitern bestimmt wird: 

„sy mügendt aber andere zinßlähen da hän.^ 
Ähnlich die Öffnung von Langenerchingen.^ Der Hauptgrund der 
Beibehaltung eines solchen Rechts ist wohl darin zu suchen, daß 
dem Lehensmann auf dem Kellhofe, dem „Keller*, besondere Ob- 
liegenheiten Überbunden waren, denen nachzukommen eine Frau 
nicht befähigt gewesen wäre. 

Mit diesem Recht ist ein besonderes Vorzugsrecht des ältesten 
Sohnes verbunden. Die eben erwähnte Öffnung von Langen- 
erchingen ordnet: 

„war aber dz ain keller sun verließ, die zuo dem 
gottshauß gehörendt, so solt man dem ersten sun den 
kelnhof lassen inn aller der maß als sein vater, ob er will.* 
Ein Gleiches enthält die Öffnung von Müllheim. 

Zur Zeit der Erhgesetze ist die Gleichstellung der Töchter 
mit den Söhnen, wenigstens bezüglich der Erbquote und der Erb- 
fähigkeit, durchwegs anerkannt. So verlangt Dießenhofen für das 
Erbrecht der Kinder „beiderseits eine Gleichheit* (Art. 17), ähnlich 
Frauenfeld, Art. 1:* 



^ Schauberg II, 17, Art. 29; PTh, Beilage, S. 15, Nr. 28, S. 47. Vgl. auch 
Stobbe V, 326, spez. Anm. 26. 

2 GW I, 261. 

8 GW I, 267. 

^ LR und das Erbgesetz von Bischofszell enthalten diesbezüglich keine 
Bestimmungen. 



27 



„Das eheliche Kind Vater und Mutter in ihrem ver- 
ladenen Gut glichlich erben mögend, also das einem deß 
so viel als dem andern gehören und werden soll.* 

Eine entsprechende Bestimmung enthält das Erbstatut der 
st. gallischen Qotteshausleute, 1575, Art. 11. Ein Recht der Söhne 
auf eine erhöhte Erbquote, wie dies im damaligen zürcherischen 
Recht in Geltung war und im heutigen thurgauischen Recht in 
Geltung ist, war dem damaligen thurgauischen Recht nicht be- 
kannt. Söhne und Töchter waren an sich gleich berechtigt. 

Einzig für die Erbteilung waren einzelne Vorrechte vorgesehen, 
wie wir sie im modernen Recht wieder finden werden. Söhne oder 
Töchter, oder einzelne von ihnen, hatten Anspruch auf Zuteilung 
gewisser Gegenstände der Verlassenschaft ihrer Eltern. 

In diesem Sinne räumt die Öffnung von Tannegg-Fischingen 
dem jüngsten Sohn ein Recht ein auf ausschließliche Überlassung 
des elterlichen Heimwesens. Seine Geschwister hat er aber nach 
Verhältnis abzufinden.^ Sodann scheint landrechtliches Gewohn- 
heitsrecht bestanden zu haben auf Überlassung der Liegenschaften 
an die Söhne, wie zu schließen ist aus einem Erlaß der Tag- 
satzung aus dem Jahre 1667, wo verordnet wird, daß die Töchter 
den Anschlag der Grundstücke nicht zu hoch treiben dürften.* 
1735 wurde auch eine Eingabe gemacht, es sollten „Häuser, 
Kraut- und Baumgärten ** den Söhnen „nach Proportion ihrer 
Mittel •* überlassen werden. Die Tagsatzung gab hiezu 1736 ihre 
Einwilligung.« 

Im fernem ist den Söhnen ein Vorrecht eingeräumt auf Über- 
lassung beweglicher Gegenstände, die dem Vater zum persönlichen 
Gebrauch gedient hatten; ebenso, in entsprechender Weise, den 
Töchtern auf Überlassung gewisser Gegenstände aus dem Nachlaß 
der Mutter. So gibt Dießenhofen, Art. 17, den Söhnen Kleider, 
Wehr und Harnisch des Vaters, den Töchtern „Gebänd** und 



1 GW I, 283; H IV, 561, Anm. 9. 

2 ThB XXVII, 33. 

8 EA \ II, I, 784, Art. 475. In ähnlicher Weise sieht Dießenhofen Über- 
lassung der „Mannslehen" an die Söhne vor, mit Verrechnung des Werts auf 
die Erbquote, Art. 17. 



28 

Kleinodien der Mutter, jeweils unter Anrechnung des Sachwerts 
in den Erbanteil des Empfangers. 

Den Eltern bleibt vorbehalten, einzelnen der Kinder mittels 
letztwilliger Zuwendungen besondere Vorteile einzuräumen, wofür 
in den Erbgesetzen eine erhöhte Verfügungsfreiheit gewährt ist. 
Derartige Verfügungen bedürfen aber, behufs Vermeidung von 
üngebührlichkeiten, einer gerichtlichen oder behördlichen Zu- 
stimmung (Frauenfeld Art. 1, Dießenhofen Art. 18), und es wird 
Sache des angegangenen Gerichts oder der angegangenen Behörde 
sein, im einzelnen Fall über die Zulässigkeit solcher besonderer 
Zuwendungen und über deren Umfang zu entscheiden; bestimmte 
Normen stellen die Erbgesetze hiefür nicht auf. Jedenfalls ist, 
im allgemeinen, völlige Enterbung eines Kindes nicht zulässig, 
wie ja auch den Vorfahren und nähern Seitenverwandten der 
gesetzliche Erbteil nicht vollkommen entzogen werden darf.^ Nur 
ausnahmsweise wird sie gestattet bei Vorliegen eines wichtigen 
Grundes. So bestimmt die Öffnung von Tannegg-Fischingen (1432): 

„doch so soll kein vater sine kind enterben, ains thete 

dann daß je recht gnug weren,* 
d.h. es wird für Zulässigkeit einer Enterbung ein „rechter Grund** 
verlangt. 

Zur Bemessung der Zulässigkeit solcher Zuwendungen an 
einzelne Kinder zum Nachteil der andern wird vielfach auf das 
Verhalten der Kinder den Eltern gegenüber abgestellt. Als Bei- 
spiele: die eben erwähnte Ofl&iung von Tannegg-Fischingen: 

„und ob ainiß oder mer nit gehorsam wollte sin, von 

in ging über seinen willen, und ihm nit hilflich wollt 

sin, so mag er wol ainen mer gen, dann dem andern, 

welche in seinem willen sind." 
Frauenfeld Art. 1, nachdem erst von Gleichstellung aller Kinder 
gesprochen: 

„es wer dann, daß eins oder mehr Vater und Mutter 

fürer dann die anderen das best thäten, und sich ihres 

Willens beflissen.** 



^ Vgl. LR Art. 14; Frauenfeld, Art. 14: „doch sollend die nächsten 
natürlichen und rechten Erhen nit gar usgeschlosscn werden.*^ 
« GW I, 279. 



29 

Dabei wird zunächst nur dem Vater diese Verfügungsfreiheit 
gewährt; nach Frauenfelder Recht, Art. 1, auch der Mutter, aber nur: 

„so der Mann ohne Testament oder Geschäft vor ihro 

Tod abginge und sy unveränderet im Wittwenstand ver- 

blibe/ 

Dabei sind ihr Zuwendungen nur an eines ihrer Kinder erlaubt. 

Im Landerbrecht ist eine derartige Verfügungsfreiheit nicht 

vorgesehen. 

§ 9. b. Kindeskinder und weitere Nachkommen. 

1) Kindeskinder, Zur Zeit der ersten Rechtsaufzeichnungen 
scheint das Erbrecht der Kindeskinder noch sehr streitig gewesen 
zu sein. 

Wir dürfen zwar wohl annehmen, daß, wenn ein Erblasser 
nur Enkel als seine Nachkommen hinterließ, indem seine Kinder 
alle vorverstorben waren, diese Enkel als die nächsten Erbansprecher 
anerkannt waren und ihnen nicht etwa, wie dies im altern Recht 
in Geltung gewesen sein mag,^ Geschwister des Erblassers vor- 
gehen konnten. 

Ein solches Erbrecht der Enkel findet sich zum ersten Mal 
in den Erbgesetzen ausdrücklich anerkannt. So enthält das Erb- 
gesetz von Frauenfeld, Art. 2, bezüglich der Erbfolge von Vor- 
fahren und Seitenverwandten die Bestimmung: letztere sollen, »so 
sy (die Erblasser) ohne eheliche Lybs Erben . . . mit Tod abgehen, 
auch zu erben Recht haben. **^ Vorfahren und Seitenverwandte 
können also als Erben nur in Betracht kommen, wenn Kindes- 
kinder oder überhaupt Nachkommen nicht vorhanden sind. 

KindesMnder neben Kindern. Nach älterem Recht werden die 
Kindeskinder durch Kinder des Erblassers völlig ausgeschlossen. 
Dieses blieb im Thurgau bis gegen Ende des 15. Jahrh. in Geltung.^ 



1 Vgl. Hausier, II, 583, 524, 580; H IV, 543 f , 567. 

® In diesem Sinne glauben wir auch Dießenhofen, Art. 4, verstehen zu 
müssen: Kindeskinder gehen den Eltern des Erblassers, die ihrerseits den 
Geschwistern vorangestellt sind, vor. 

Heusler II, 580 f. : „mit Sicherheit ist festgestellt, daß ursprünglich 
Enkel und weitere Abkömmlinge kein Recht hatten neben Kindern.^ Im 



30 

Als Zeugen eines solchen Bechtszustandes finden wir im Erbstatut 
der st. gallischen Qotteshausleute (1525) noch die Bestimmung: 

„wann ain Biderbman Kind hat, und die selben Eind 
gewunnend andere Eind und sterbend denselben Einden 
ir Vatter oder Mutter, so erbend die Eind iren Aeni nit, 
er machs inen dann by seinem Leben; mag er ouch wohl 
thun on Verhinderung der andern seinen Einden.**^ 
Allerdings ist in einer Eopie dieser Bestimmung die Bandver- 
merkung zugefügt „gilt nüt/* Mag nun diese Bemerkung sofort, 
etwa bei Batifikation des Gesetzes, so daß jene Bestimmung nie 
Geltung gehabt hat, oder aber erst später beigefügt worden sein, 
sie läßt uns wenigstens schließen, daß zur Zeit der Abfassung 
des Entwurfs zum erwähnten Gesetz, zu Anfang des 16. Jahrh., 
ein Erbrecht der Enkel neben Eindem des Erblassers auch im 
Thurgau allgemeine Anerkennung noch nicht gefunden hatte. 
Gerade dieser Umstand muß es gewesen sein, der dazu den An- 
stoß gab, daß man sich mit Gewährung einer besonderen Ver- 
fügungsfreiheit zu gunsten verwaister Enkel zu behelfen suchte. 
Andrerseits wird in der Öffnung von Tannegg -Fischingen 
schon sehr früh, 1432, den Eindeskindem ein Erbanspruch neben 
Eindern eingeräumt: 

„Item ist auch in der herrschaft Tannegg und Fischingen 
recht, wenn ainem kindt sin vater und muter sturb, daß 
sie von ihrem vater und mueter nit ußgericht werent für 
die väterlich und müeterlich erb, dann so mag daßelbig 



Schwabenspiegel (W) § 7, (L) § 4 war ein Repräsentationsrecht der Enkel 
aufgenommen, hat sich aber erst im 15. und 16. Jahrh. in schwäbischen Ge- 
bieten eingebürgert. Heusler, ebenda, v. Wyß in Z IV, 1, 118. Aus diesem 
Grunde war 1498 ein Reichsabschied ergangen, welcher Anerkennung eines 
Erbrechts der Enkel neben Eindem verlangte. 1500 und 1521 wurde derselbe 
erneuert und die Einzelstaaten zur Einführung eines solchen Rechts aufgefordert. 
Stobbe V, 95. Vgl. dazu das Erbrecht der Stadt Zürich, wo ein Repräsentations- 
recht der Enkel erst mit einem Erbgesetz vom Jahre 1581 anerkamit wird; 
in einem frühem Gesetz, von 1419, wurde ein solches noch nicht zugestanden ; 
s. BluntschJi II, 295; I, 461; H IV, 569 f. 

^ Z I, 2, 58 (findet sich nicht in der Ausgabe von Wasserschieben). 

' Ebenda, Anm. Vgl. „Landsatzung^ dieser Gotteshausleute, ebenfalls 
vom Jahre 1525, Art. 40, Z I, 2, 55. 



31 



kindt an sins vaters oder mueter stat ston und sinen 
änin oder anen erben in wj& und maß, als ob sin vater 
und mueter in lyb und leben were.*^ 
Diese Öffnung dürfte wohl eines der ältesten thurgauischen 
Rechte sein, welche den Eindeskindem diesen Erbanspruch zu- 
gesichert haben. 

In den Erbgesetzen, einschließlich den jüngeren Erbstatuten 
der st. gallischen Gotteshausleute, hat dieses Erbrecht der Enkel 
durchwegs Anerkennung gefunden. Die Kinder von vorverstorbenen 
Kindern des Erblassers treten für dessen Beerbung in die Stelle 
ein, welche ihr verstorbener Elternteil eingenommen haben würde, 
wenn er den Erbfall erlebt hätte; sie „repräsentieren** ihn. Zu- 
sammen beziehen sie die Erbquote, welche diesem zugefallen wäre, 
als ihren Stammanteil. So nach LR Art. 1: 

„sollend eeliche kindskind mit samt den kinden ire 
gro&väter und großmüter erben und dieselbigen kindskind 
von ihrem verlassnen erb und gut nemen so vil als ire 
abgestorbnen väter oder müter betten nemen und erben 
mögen.* 
Ähnliche Bestimmungen enthalten die Erbgesetze der Städte 
Frauenfeld, Bischofszell und Dießenhofen. — Für die Zulässigkeit 
eines Eintrittsrechts der Enkel bleibt immer vorbehalten, daß ihr 
parens nicht vom Erblasser zu dessen Lebzeiten für seinen Erb- 
anspruch abgefunden worden war.* 

Es bleibt uns zu prüfen, in welcher Weise die Erbschaft 
geteilt wurde, wenn ausschließlich Enkel zur Erbfolge gelangten, 
die, von verschiedenen Kindern des Erblassers abstammend, 
sich dementsprechend in verschiedene Stämme gliederten. Findet 
hier bei Erbteilung der Satz, daß „die kind irs vaters oder irer 
muter tod nit entgelten sollend** entsprechende Anwendung, so 
daß nach Stämmen geteilt wird, oder gelangt hier das alther- 
gebrachte Teilungsprinzip: „so mancher Mund so manches Pfund** 
zum Durchbruch? — Vor Einführung des Repräsentationsrechts 
mußte die Teilung zweifelsohne nach Kopfzahl erfolgen. Alle 

» GW I, 277. 

* Vgl. oben: Bestimmung aus der Öffnung von Tannegg -Fischingen; 
Stobbe V, 94. 



32 

Erbansprecher sind mit dem Erblasser gleich nahe verwandt und 
müssen sie daher für die Erbfolge alle gleichberechtigt sein.^ Zur 
Durchführung einer Stammteilung und damit zu einer Abweichung 
vom allgemeinen Teilungsmodus: »gleich nahe, gleich viel", war 
eine Veranlassung nicht vorhanden. Wie aber bei Einführung des 
Repräsentationsrechts? Auffallenderweise sprechen die Erbgesetze, 
mit einziger Ausnahme des Jüngern Erbrechts der st. gallischen 
Gotteshausleute (1575), Art. 12, das ausdrücklich Stammteilung 
unter Enkeln anordnet, durchwegs nur von dem Falle, daß neben 
Enkeln Kinder des Erblassers konkurrieren.^ Dies zwingt uns zur 
Annahme, daß die Neuerung, welche in diesen Bestimmungen 
enthalten ist, nur für diesen besonders erwähnten Erbfall gelten 
will, und daß man es bezüglich des andern, wo nur Enkel zur 
Erbfolge gelangen, beim althergebrachten Recht vorläufig habe 
bewenden lassen: Teilung nach Köpfen. Eine Ausnahmestellung 
muß indessen, neben dem eben erwähnten Jüngern Recht der 
Qotteshausleute, das Dießenhofer Recht eingenommen haben, das 
Stammteilung sogar für Geschwisterkinder angeordnet hat. 

Gewohnheitsrechtlich hat sich dann im Laufe der Zeit das 
Stammteilungsprinzip unverkennbar allgemeine Geltung verschafft. 
In einem Entscheid des Landvogts vom Jahre 1714 werden die Fälle 
einander gegenüber gestellt, wo ausschließlich Enkel im einen und 
ausschließlich Geschwisterkinder im andern als Erben auftreten, 
und hiebei betont, es dürfte die für Kindeskinder geltende Stamm- 
teilung nicht auf Geschwisterkinder per analogiam ausgedehnt 
werden. Eine Stammteilung unter Geschwisterkindern werde in 
LR, Art. 1, nicht angeordnet. Eine solche habe einzig einzutreten, 
wenn neben ihnen Erben näheren Gliedes (Geschwister) vorhanden 
seien. Irrtümlicher Weise wird in diesem Entscheid vorausgesetzt, 
daß Art. 1 eine Stammteilung unter Enkeln verlange. Unter dem 
Einflüsse damaligen Gewohnheitsrechts scheint Art. 1 zu jener Zeit 
in diesem Sinne ausgelegt worden zu sein.^ — Ein entsprechender 
Entscheid ist für Bischof szell aus dem Jahre 1730 bekannt: 



^ Vgl. Stobbe y, 96 und oben § 7. 

^ So Bischofszell 1650, Art, 1, noch ausdrücklich: „sollen kindskinder 
mit samt den Kindern Ihr Großvätter und Großmütter erben." 
» Z I, 2, 39 f. 



33 

^ Auf gethane einfrag von . . . sei. hinderlassenen Erben, 
ob die theilung nach dem Stammen oder nach den Köpfen 
solle vorgenohmen werden, ist hirauf erkennt worden; bleibt 
es bey unserem Statt Erbrecht, und bisheriger Übung per 
jus repraesentationis als geschwüstoige Kinder» nach dem 
Stammen und nicht nach den Köpfen erben zu lassen/^ 

Da im Statut der st. gallischen Gotteshausleute das Stamm- 
teilungsprinzip schon früh ausdrücklich, in Diei^enhofen, wie aus 
andern Bestimmungen per analogiam zu schließen, schon zur Zeit 
des Erlasses seiner Erbbestimmungen gewohnheitsrechtlich anerkannt 
gewesen, gelangen wir zum Ergebnis: für die Erbfolge von Kindes- 
kindern ausschließlich war, wenigstens in späterer Zeit, nach den 
thurgauischen Rechten Stammteilung allgemein anerkannt. 

Inwieweit die Enkel der Vorteilsrechte ihrer Eltern kraft 
Repräsentationsrechts teilhaftig wurden, ist aus den Quellen nicht 
ersichtlich. Bei konsequenter Durchführung des Satzes: „Kinder 
sollen ihres Vaters oder ihrer Mutter Tod nicht entgelten* (LR 
Art. 1), müßten dieselben in vollem Umfange gewährt werden. 

2) Entferntere Nachkommen. Die Erbgesetze anerkennen nur 
ein Repräsentationsrecht zu gunsten der Enkel, nicht der Urenkel 
und eventuell weiterer Abkömmlinge. Das althergebrachte Recht 
ist hier in Geltung geblieben : Ausschluß entfernterer Nachkommen 
durch die nähern. Zufolge der Parentelenordnung gehen diese aber 
unbedingt allen Seitenverwandten vor. Einzig das Erbrecht der 
st. gallischen Gotteshausleute in seiner neuen Fassung von 1575, 
Art. 12, gewährt auch den Urenkeln ein Eintrittsrecht. 

Indessen, jungem Rechtsanschauungen konnte ein solcher 
Ausschluß der Urenkel durch die nähern Deszendenten nicht mehr 
entsprechen, und wir glauben annehmen zu dürfen, daß sich ein 
Gewohnheitsrecht entwickelte, das den Urenkeln ein Repräsentations- 
recht zuerkannte. Dafür berufen wir uns wiederum auf den Tag- 
satzungsentscheid von 1714, wo gesagt wird, LR Art. 1 (Repräsen- 
tation) komme zur Anwendung: „wenn Kindtskinder ihren Großvater 



^ „als geschwüstrige Kinder", d. h. die Erben unter sich stehen gegen- 
seitig zu einander im Verwandtschaftsverhältnis von „geschwisterten Kindern." 
Ygl. dazu unten § 13, 11. Anm. 

2 „Extract-ProtokoU", a. a. 0. S. 95. 

3 



34 

oder Kindtskinder ihren Anherr erben wollen.*^ Art. 1 wird hier 
wiederum bestehendem Gewohnheitsrecht angepaßt interpretiert. 
Ferner: Bischofszell anerkennt nach einem spätem Erlaß ein Ee- 
präsentationsrecht zu gunsten der Enkel eines Oheims, also bis zum 
dritten Glied der großelterlichen Parentel.* Eine derartige Aus- 
dehnung des Repräsentationsrechts müßte uns als unverständlich 
erscheinen, wenn sie nicht schon vorher in der eigenen Parentel 
des Erblassers bis mindestens zu demselben Glied, für Urenkel, 
Anerkennung gefunden hätte. 

Für die Rechte von Dießenhofen und Frauenfeld sind uns 
Nachweise einer derartigen Ausdehnung des Repräsentationsrechts 
nicht bekannt. Dieselben dürften aber in ihrer Entwicklung kaum 
hinter dem Landrecht zurückgeblieben sein. 



3. Vorfahren und Seitenverwandte. 

§ 10. a. Väterliche und mütterliche Linie der Verwandtschaft, 

Vatermagenrechte. 

Wie oben dargestellt, waren in älterer Zeit die Frauen, und 
damit überhaupt die weiblichen Linien, von der Erbfolge aus- 
geschlossen. Nur vom Mannesstamme her konnte demzufolge der 
Hauptteil des bäuerlichen Vermögens, das bäuerliche Heimwesen, in 
eine Familie eingebracht sein. Billigkeit verlangte, daß, wenn ein 
Mann ohne Hinterlassung erbfähiger Nachkommen verstarb, sich 
sein Gut an den Stamm zurück vererbte, von dem her es ihm 
zugekommen, in aufsteigender Linie an den Mannesstamm oder 
an die durch diesen verwandten Seitenlinien. 

Dieses ursprüngliche Rückfallsrecht blieb auch erhalten, als 
den weiblichen Nachkommen ein Erbrecht allgemein eingeräumt 
wurde und demnach ein Anwesen auch von seiten der Frauen in 
eine Familie eingebracht sein konnte, als sog. Vatermagenrecht. 



^ s. oben S. 32, Anm. 2. Wir vermuten hier einen Fehler in der Kopie, 
so daß statt der Wiederholung des Wortes „Kindtskinder" eingesetzt werden 
sollte „Kindtskindtskinder." Ansonst wäre uns eine Gegenüberstellung von 
„Großvater" und „Ahnherr" unerklärlich. 

2 Vgl. unten § 13. 



35 

Begriff „Vatermagen.^ Derselbe ist streitig.^ Im allgemeinen 
wird definiert: Yatermagen sind der Vater, der Großvater väter- 
licher Seits, der Urgroßvater u. s. w., d. h. alle durch Männer ver- 
wandten männlichen Aszendenten, mit ihrer gesamten, männlichen 
wie weiblichen Deszendenz.^ 

Alle übrigen Verwandten, die nicht diesem Kreis der Vater- 
magen zugehören, zählen zu den „Muttermagen'^ , gleichviel ob 
sie der väterlichen oder der mütterlichen Linie der Verwandtschaft 
zugehören. 

In den thurgauischen Quellen finden wir keine Definitionen 
über diese Begriffe, außer im Erbgesetz von Frauenfeld, Art. 6. 
Vatermagen und deshalb erbberechtigt sind hienach: „die, so von 
dem Stammen, Nammen und Vatermag (männlichen durch Männer 
verwandten Aszendenten) herrühren." Diese Bestimmung dürfte 
sich mit obiger Definition decken,* und wir können dieselbe ohne 
Zweifel als für die thurgauischen Rechte geltend anerkennen. 

In ältester Zeit waren die Vatermagen die einzigen und aus- 
schließlichen Erben, und nur allmählich entwickelte sich ein 
subsidiäres Erbrecht der Muttermagen, im Laufe des 13. und 
14. Jahrh. Noch lange aber behielten die Vatermagen ein un- 
bedingtes Vorrecht selbst gegenüber den nächsten Muttermagen.* 

Von den Offnungen spricht einzig diejenige von Tannegg- 
Fischingen (1432) im besondem von der Stellung der Vatermagen 
gegenüber den Muttermagen. Dieselbe ordnet: 

„Die erbguetter band daß recht, daß sy sond vallen 
von erbwegen je von dem negsten freunt an den negsten, 
und wann ain vatermag und ain muetermag in gljchem 
stand, so zücht vatermag hin, und wenn muetermag ains 
glidts näher, den vatermag, so stand sy zu glychem thaill. 



» Hausier II, 603 f. 

' H IV, 547, Anm. 13. — Ursprünglich, da nur Männer zur Erbfolge 
befähigt waren, mußten von den Vatermagen Frauen und durch Frauen ver- 
wandte Männer ausgeschlossen bleiben; erbfähig waren nur die „Schwertmagen. ^ 

» V. Wyß, Intestaterbfolge Z V, 1, 1 f. 

* Für die Geltung des Vatermagenerbrechts in der Landschaft Thurgau 
haben wir für die älteste Zeit als Zeugen die Handfeste der Stadt St. Gallen 
1272/1291. H IV, 575. Vgl. auch v. Wyß, Intestaterbfolge, Z IV, 1, 134. 



36 

und wenn muttermag zweyer glider neher ist, dann vater- 
mag, so zücht muettermag das erb hin/^ 

Diese Bestimmung ist in dem Sinne zu erklären: es ist still- 
schweigend vorausgesetzt, daß sich Vater- und Muttermagen der- 
selben Parentel gegenüber stehen. In gleicher Parentel vrerden 
die Vatermagen den Muttermagen um ein Glied vorangestellt, und 
sie haben insoweit ein besseres Recht als die Muttermagen. Ge- 
hören sie ungleichen Parentelen an, so geht die nähere Parentel 
der fernem unbedingt vor, ohne daß zwischen Vater- und Mutter- 
magen unterschieden würde.* Die OflFnung Tannegg -Fischingen 
gewährt hier den Muttermagen eine Rangstellung, wie sie zur 
Zeit, da jene abgefaßt wurde, wohl nur wenigen der thurgauischen 
Rechte bekannt war. 

Immerhin ein besonderes absolutes Vorrecht blieb den Vater- 
magen auch hier bewahrt: diese haben alleinigen Anspruch auf die 
Vormundschaft über unmündige Verwandte nach dem Tode deren 
Vaters, ohne Rücksicht auf die Mutter, die sogar selber für die 
Zeit, da sie mit ihren Kindern in Hausgemeinschaft verbleibt, der 
Vormundschaft des nächsten Vatermagen ihrer Kinder unterstellt 
ist. Dieser Vormund hat die ausschließliche Anwartschaft auf das 
Vermögen dieser Kinder für den Fall, daß dieselben in der Vor- 
mundschaft versterben sollten. Der Mutter steht für diesen Fall 
ein Erbanspruch nicht zu.^ 

Im allgemeinen, und namentlich im Landrecht, scheint be- 
züglich der Stellung der Vatermagen zu den Muttermagen vor 
dem Erlaß der Erbgesetze selbst für die nächsten Verwandten 
eine große Rechtsunsicherheit bestanden zu haben. Dies zeigt uns 
ein Erlaß der Tagsatzung vom Jahre 1503. Eine Witwe stellte 
an den nächsten Vatermagen ihrer Kinder die Forderung, es hätte 
dieser für den Unterhalt der Kinder, da deren Vater verstorben 
sei, aufzukommen. Diese Pflicht betreffe denselben, als den all- 
fälligen Erben dieser Kinder, und nicht sie, die Mutter, die auf 
deren Vermögen keine Anwartschaft habe. Die Tagsatzung ver- 
ordnete auf die Klage hin: es sei zu ermitteln, was des Land- 

^ GW I, 275. 

2 Ebenso H IV, 586; v. Wyß, Intestaterbfolge Z V, 1, 6. 

3 GW I, 278; unten § 16. 



37 

gerichts Reclit sei, „ob muttermag erb oder vatter mutter erb 
zum nächsten, oder ob sy glich erben.* Der Landvogt solle da- 
rüber Bericht erstatten.^ Diese Anordnung läßt uns auch erkennen, 
daß in früherer Zeit die Mutter, als der nächste Muttermag, nach 
Landrecht durch die Vatermagen von der Erbfolge ausgeschlossen 
war, und daß sodann gerade um die Zeit des erwähnten Erlasses, 
zu Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh., sich eine Umwand- 
lung des Rechts im Sinne einer Besserstellung wenigstens der 
näheren Muttermagen geltend machte. 

In den Erbgesetzen ist allgemein ein Erbrecht der Mutter 
anerkannt. Die beiden Eltern sind durchaus gleichberechtigt. Der 
Unterschied : Vatermagen und Muttermagen fällt also für ihre Erb- 
folge dahin. LR, Art. 2; Frauenfeld, Art. 2; Dießenhofen, Art. 2; 
Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute, Art. 11 (1525). 

Entsprechend bezüglich der Erbfolge von Halbgeschwistern: 
eine Unterscheidung, ob sie von Vater- oder Mutterseite her ver- 
wandt seien, wird nicht gemacht; alle sind gleichberechtigt. So 
nach LR, Art. 11: 

„und ob es vom Vater sonderbahr geschwüstrigte, 
desgleichen von der Mutter ouch sonderbahr geschwüsterte 
verließ, so sollen die beiderley geschwüstrigte gleich mit 
einan deren in das haupt erben . . .*^ 

Die Erbfolge der entfernteren Verwandten, außerhalb der 
elterlichen Parentel, war ursprünglich in den Erbgesetzen nicht 
geregelt. Es blieb diesbezüglich beim alten, ungleichmäßigen und 
unsichem Gewohnheitsrecht.* Einzig das Erbgesetz von Prauen- 
feld hatte darüber in Art. 6 eine Bestimmung aufgenommen: es 
gewährt außerhalb der elterlichen Parentel den Vatermagen noch 
den unbedingten Vorrang vor allen Muttermagen. Wie aus dem 
Abschied von 1612 ersichtlich, hatte sich dann allmählich eine 
feste landrechtliche Gewohnheit entwickelt, nach welcher allen 
Großeltern, gleichviel ob Vatermag oder Muttermagen, gleiche 
Rechte eingeräumt werden. 



^ EA III, 2, 201, lit. g. — Das Ergebnis dieser Nachforschung ist uns 
nicht bekannt. 

* Vgl. Abschied von 1612, speziell Einleitung. Z I, 2, 34 ff.; v.Wyß, 
Intestaterbfolge, Z V, 1, 21; H IV, 589. 



38 

Der Abschied von 1612, als Ergänzung zum Landerbgesetz, 
ordnet die völlige Gleichstellung der Vater- und Muttermagen 
auch unter entfernteren Verwandten, im „ledigen Fahl**, an. Die- 
selbe Bestimmung fand Aufnahme in das Erbgesetz der Stadt 
Bischofszell von 1650, Art. 16. Für die st. gallischen Gotteshaus- 
leute ist ein solches Eecht schon 1575, durch Art. 16 des Erb- 
statuts, gesetzlich anerkannt worden. Derselbe lautet: 

„Item es sollen ouch vszerhalb vor und nachgeschribner 

sonderbarer specificierter Artigkien In allen andern Erb- 

falen Vatter- und Muotermag zuo glych mit einanderen 

anston, erben und theilen.** 

Frauenfeld erlangte 1653 von der Tagsatzung die Bewilligung, 

sein Erbrecht zu gunsten der Muttermagen zu ändern.^ Über 

diese Änderung ist uns Näheres nicht bekannt. Indessen ist zu 

vermuten, daß diese Stadt, wie in den andern, so auch in diesem 

Punkte des Erbrechts sich dem Landrecht angeschlossen, d. h. völlige 

Gleichstellung von Vater- und Muttermagen eingeführt habe.^ 

Damit hätten alle die früheren Vorzugsrechte der Vatermagen 
ihre Bedeutung verloren, und wäre somit schon um die Mitte des 
17. Jahrh. die völlige Gleichberechtigung der Vater- und Mutter- 
magen in den thurgauischen Erbrechten anerkannt.^ 

Mit dem Wegfall dieser Vatermagenrechte kommt die Erb- 
schaft dem absolut nächsten Verwandten ausschließlich zu. Eine 
Unterscheidung von väterlicher und mütterlicher Verwandtschafts- 
linie, von denen einer jeden je eine Quote der Erbmasse zu ge- 
sonderter Verteilung zugewiesen worden wäre, wie dies im heutigen 
Recht der Fall ist, hat keine Anerkennung gefunden. Mehrere 
gleich nahe Verwandte erbten zu gleichen Teilen, unberücksichtigt, 
ob sie in ungleicher Zahl verschiedenen Linien zugehörten. 

Dies macht sich namentlich geltend bei der Erbfolge der 
Eltern. Ob eines oder beide den Erblasser überleben, sie sind 



^ Z I, 2, 72 f. 

* Für Dießenhofen sind uns Bestimmungen über die Stellung der Vater- 
magen zu den Muttermagen nicht bekannt. Immerhin ist anzunehmen, daß 
dasselbe hinter den andern Rechten nicht zurück geblieben sei. 

^ Vgl. dazu die Rechte der zürch. Landschaften. Bluntschli, Kommentar 
zum Zürcher Erbrecht, 1856, Note zu § 1917. 



39 

immer befähigt, fernere Verwandte auszuschließen. Es tritt nicht etwa 
an Stelle des Vorverstorbenen dessen Verwandtschaftslinie. So nach 
sämtlichen Erbgesetzen. Bischofszell z. B. (Erbgesetz v. 1650, Art. 12) 
läßt die Großeltern erst zur Erbfolge gelangen „so Vatter und Mutter 
nit mehr im Leben % und Dießenhofen bestimmt in Art. 2: 

„so erben dieselben Vater und Mutter, oder welches 
noch bei Leben, ihr abgestorben Kind, und werden Ge- 
schwisterte, so sie vorhanden, in diserem Fahl aus- 
geschlossen. ** 
Siehe auch LR, Art. 12; Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute 
(1575), Art. 13. 

Bezüglich der Erbfolge der Halbgeschwister: es wird — ab- 
gesehen davon, daß diese durch die zweibändigen Geschwister 
völlig ausgeschlossen werden — darauf keine Rücksicht genommen, 
ob sie von Vater- oder Mutterseite her in ungleicher Zahl ver- 
Tvandt seien. Sie teilen unter sich nach Köpfen. LR, Art. 11. 
Sodann können nach dem Erbgesetz von Bischofszeil 1650, Art. 12, 
die Halbgeschwister erst zur Erbfolge gelangen, wenn „weder 
Großvatter noch Großmutter hinder ihm (dem Erblasser) im leben 
verlassen wurde.* Eines derselben ist befähigt, erstere völlig aus- 
zuschließen. Auch für die Erbfolge in den „ledigen Anfählen" 
wird, durch den Abschied von 1612, die völlige Gleichstellung 
von „Vater- und Mutter-Maag* derselben Gradnähe angeordnet: 

„Wofehrn aber auf der einen seithen nähere, und auf 

der anderen seithen weitere Erben wären, daß alsdann 

die nächsten von blut die nächsten bei dem Gut seyen, 

und die weiteren davon abgewiesen.^ 

Dasselbe enthält auch das Erbgesetz von Bischofszell 1650, Art. 16. 

Linieneinteilung wäre mit diesen Bestimmungen nicht vereinbar. 

Gleichstellung aller Verwandten väterlicher und mütterlicher 

Linie findet sich auch ausdrücklich anerkannt in einer Ergänzung 

zum Erbgesetz von Bischofszell, vom Jahre 1768: 

„wan nämlich eine Persohn mit Tod abgeht die . . . 
allein eheliche Geschwisterte Kinder^ von Vatter und 
Mutter seits in gleichem grad verwandt, diese zu gleichen 
Theilen zu erben anstehen sollen ... * 



Geschwisterte Kinder = Consobrini. 



40 

Eine Erbteilung nach dem Grundsatz: patema paternis ma- \ 

terna maternis ist in den thurgauischen Rechten ebenfalls nie zur 
Anerkennung gelangt. 

b. Die Erbordnung in der elterlichen Parentel. 
§ 11. a. Eltern und Oeschwister. 

1) Eltern und jsweibändige Geschwister. Wie oben, § 7, erwähnt, 
folgt die elterliche Parentel als nächstberechtigte Erbenklasse 
hinter den Nachkommen des Erblassers, und schließt alle übrige 
Verwandtschaft, die entfernteren Parentelen zugehört, aus.^ 

Innerhalb der elterlichen Parentel wären, zufolge der Bluts- 
verwandtschaft, die Eltern, als die „nächsten beim Blut **, die zur 
Erbfolge zunächst Berechtigten, wie dies auch in ältester Zeit 
allgemein und im späteren Mittelalter noch in Deutschland aner- 
kannt war,^ Davon weichen aber die thurgauischen Erbgesetze, 
wie überhaupt auch die meisten ostschweizerischen Erbordnungen 
ab. Sie gewähren den (zweibändigen) Geschwistern den Vorrang; 
die Eltern werden durch diese ausgeschlossen. LR, Art. 12, 
Bischofszell 1650, Art. 11, Frauenfeld, Art. 2, und aller Wahr- 
scheinlichkeit nach auch Erbrecht der st. gallischen Gotteshaus- 
leute 1525.^ — Der Grund einer solchen Abweichung von der 
gewöhnlichen Erbordnung, nach welcher die Nähe der Blutsver- 
wandtschaft für die Erbenfolge ausschlaggebend ist, ist in wirt- 
schaftlichen Verhältnissen zu suchen: die Kinder im Hause standen 
sich gegenseitig näher als die einzelnen zu den Eltern.* 

Einzig Dießenhofen folgt dem allgemeinen deutschen System 
und gewährt den Eltern den Vorrang. Art. 2. Dieses Vorzugs- 
recht kann indessen für den überlebenden Elternteil verwirkt 



1 Vorbehalten die Ausnahme bezüglich die Stellung der Großeltern im 
Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute und im jüngsten Erbgesetz von 
Bischofszell. 

2 Heusler II, 584; Stobbe V, 109 ff. 

* Vgl. Wasserschieben 300, Anm. 1. — Die OffiQungen enthalten dies- 
bezüglich keine Angaben. Da es sich um ein selbstverständliches und un- 
bestrittenes Recht handelte, erschienen besondere Aufzeichnungen darüber 
nicht als erforderlich. 

* Heusler II, 684. 



41 

werden durch eine Heirat, die er „zur Verachtung der kind und 
freundschaft, mit ungebührlichen Personen, wider der kind und 
freundschaft willen* eingeht. Art. 3. In solchem Falle fallt die 
Erbschaft den Geschwistern an. Weiter wird dieses Vorzugsrecht 
der Eltern beschränkt durch eine Ergänzung zum Erbgesetz vom 
Jahre 1617, Art. 9: sofern der Erblasser bereits eines seiner 
Eltern beerbt hatte, sollen dessen „liegende Gülten und Güter" 
den Geschwistern verfangen sein. Das Becht des überlebenden 
Eltemteils an diesen Gütern wird damit zu einem bloßen Nutz- 
nießungsrecht, und es werden ihm dementsprechend auch Belastung 
und Veräußerung derselben ausdrücklich verboten.^ 

Mittels dieser Beschränkung des Erbrechts der Eltern schließt 
sich das Dießenhofer Recht enger an die übrigen thurgauischen 
Erbrechte an. 

Auch in den Rechten, nach welchen die Eltern durch die Ge- 
schwister ursprünglich ausgeschlossen wurden, tritt, außer im Land- 
recht, durch neuere Gesetzgebungen eine Änderung ein, und zwar, 
ohne Zweifel unter dem Einfluß des gemeinen Rechts, im Sinne 
einer Besserstellung der Eltern. Im Erbrecht der st. gallischen 
Gotteshausleute kommt 1575 die gemeinrechtliche Klassengliede- 
rung zur Geltung. Eltern und Geschwister konkurrieren danach 
in derselben Erbenklasse, mit Anspruch auf gleiche Quoten (Teilung 
nach Köpfen).* Anfänglich beschränkt sich allerdings der Anspruch 
der Eltern auf ein bloßes Nutznießungsrecht an ihrem Betreffnis; 
aber bereits das Gesetz von 1587 räumt ihnen an demselben 
Eigentumsrecht ein. 1575 Art. 13, Abs. 1 und 4; 1587 Art. 13. 
BischofszeU gewährt in dem Gesetz von 1650, Art. 10, den Eltern 
ein ähnliches Recht, läßt dasselbe aber immer auf einen Nutz- 
nießungsanspruch beschränkt bleiben: 



^ Die Anm. ** in Z I, 2, 76 ist nach unserer Ansicht unrichtig. Art. 2 
und 9 handeln vom Erbrecht eines überlebenden Elternteils, Art. 10 — 13 vom 
Erbrecht des überlebenden Ehegatten. Die in Art. 9 enthaltenen Bestimmungen 
können daher durch diejenigen in Art. 10 ff. nicht widerlegt werden. 

* Nach der in Wasserschieben, a. a. 0. 297 ff. wiedergegebenen Fassung 
des altem Statuts (vor 1527, nach Z I, 2, 56: 1525) wäre ein solches Recht 
schon in diesem anerkannt gewesen. Anders nach derjenigen in Z I, 2, 58. 
Vgl. übrigens Wasserschieben 300, Anm. 1. 



42 



„doch wan sach, daß Yatter und Mutter verbanden und 
noch im Leben wärend (neben zweibändigen Geschwistern), 
sollen alßdann dieselben von des abgestorbenen ihres Kinds 
guth ouch ein Theil und so vil alß einem geschwistrig 
werden mag, erben und zuhanden nehmen, wann dann 
aber der Vatter oder die Mutter, so solchen Theil em- 
pfangen und geerbt ouch Todes abgabt, so solle derselbige 
Theil widerumben des abgestorbnen geschwistrigten so 
beederseits geschwistrigte waren, fallen.** 
Eine ähnliche Neuerung gelangte 1653 in Frauenfeld zur 
Einführung. Nach derselben wird den Eltern, „es wären beede 
oder noch eins im Leben vorhanden", Nutznießung an der gesamten 
Verlassenschaft eines Kindes gewährt.^ Der frühere Ausschluß der 
Eltern von der Erbfolge konnte den damaligen Auffassungen von 
Recht und Billigkeit nicht mehr entsprechen. 

Nachweise, daß auch das Landrecht sich dieser Bewegung, 
die auf Besserstellung der Eltern hinzielte, angeschlossen habe, 
sind uns nicht bekannt. 

Eltern, die zur Erbschaft gelangen, erben zufolge des unter 
ihnen bestehenden Gütergemeinschaftsverhältnisses ^ gemeinschaft- 
lich. Besondere Vorteilsrechte zu gunsten des Vaters oder der 
Mutter können demnach nicht in Frage kommen. 

Sofern nur eines der Eltern den Erblasser überlebt, so kommen 
diesem, da Linienteilung nicht eintritt, alle Rechte zu, wie sie 
beiden Eltern gemeinschaftlich zugestanden hätten.^ Eine Aus- 
nahme besteht einzig für den Fall, wo bei Konkurrenz von Eltern 
und Geschwistern Teilung nach Köpfen zu erfolgen hat. 

Geschwister unter sich teilen eine ihnen zufallende Erbschaft 
gleichmäßig, nach Köpfen. Vorzugsrechte, etwa der Brüder oder 
der Schwestern, oder einzelner Geschwister, sind auch hier nicht 
vorgesehen.* 

Ein besonderes Recht bleibt indessen vorbehalten zu gunsten 



^ Z I, 2, 72. 

2 8. Kolb 29. 
2 8. oben § 10. 

* Hausier II, 586 (allgemein): „unter Geschwistern kommen Vorzugsrechte 
in gleichen Varianten vor wie für Kinder." 



43 

von Geschwistern, die gemeinschaftlich, «zu gemeinem Gedeih und 
Verderb** (Gütergemeinschaft), das von den Eltern ererbte Anwesen 
bewirtschaften. Nach LR, Art. 8 und Frauenfeld, Art. 9: wenn 
eines dieser Geschwister, die zu einander in diesem Gütergemein- 
schaftsverhältnis stehen, kinderlos verstirbt — Kinder würden an 
seine Stelle in die Gemeinderschaft eintreten^ — , so wächst dessen 
Anteilsrecht auf das Gemeingut ausschließlich den im Gemeinder- 
schaf tsverband stehenden Geschwistern an. Andere, außerhalb 
desselben stehende, abgeteilte Geschwister bleiben von jedem An- 
spruch ausgeschlossen. 

Bischofszell, Art. 8, beschränkt die Wirkung dieses Gemeinder- 
schaftsverhältnisses auf ein Anwachsungsrecht in die gemeinsame 
Errungenschaft, während es den Teilanspruch des Verstorbenen 
in das Hauptgut nach gewöhnlichen Regeln an sämtliche, auch 
die abgeteilten Geschwister desselben, vererben läßt: 

„und dann eins unter denen geschwistrigten die in 
unvertheiltem guth sitzen, abstürbe, so sollen die unver- 
theilten und uß gestürte geschwistrigte mit einander im 
Hauptguth erben, was aber die unvertheilten geschwistrigte 
im fürschlag gewunnen und überkommen, solcher fürschlag 
solte allein den unvertheilten geschwistrigten und nit 
denen so von ihnen getheilt, zugehören und dienen ohne 
meniglichs In trag.** 
Voraussetzung für eine solche Wirkung eines Gütergemein- 
schaftsverhältnisses ist, daß dasselbe „vor Gericht und Recht 
förmlich aufgericht und bestätigt** sei (LR).^ 



' H IV, 263; Heusler I, 242. 

2 Dießenhofen und das Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute sehen 
solches nicht vor; auch nicht die Öffnungen. Indessen finden wir in zwei 
derselben, denen von Tannegg -Fischingen (1432) und Wagenhausen (1491; 
GW I, 278, 290) je eine Andeutung, die schließen läßt, daß in der Gewohn- 
heit ein ähnliches Recht, wie es die Erbgesetze wiedergeben, anerkannt ge- 
wesen sei. Es wird nämlich in genannten Oflftiungen verordnet, es solle der 
Laß (vgl. unten § 18, 7. Anm.) nicht geschuldet sein, sofern von mehreren in 
Gemeinderschaft stehenden Geschwistern eines ohne Hinterlassung von Leibes- 
erben verstirbt, während doch sonst immer, wenn ein Erblasser durch Ge- 
schwister beerbt wird, der Laß zu entrichten ist. Geschwister in Gemeinder- 
schaft bilden zusammen eine Familie, als Fortsetzung der frühem elterlichen 



44 

2) Halhgeschwister. Diese sind in der Erbberechtigung be- 
deutend zurückgestellt. Zweibändige Geschwister und die Eltern 
des Erblassers gehen ihnen unbedingt vor. Auch eine geminderte 
Erbquote, wie sie dem modernen Recht bekannt ist, wird ihnen 
nicht zugestanden. LR, Art. 10, 12; Dießenhofen, Art. 5, in Ver- 
bindung mit Art. 2; Erbrecht der st. gallischen öotteshausleute 
(1525) Art. 6, (1575) Art. 14, Abs. 1, Art. 13.^ 

Im Statut der st. gallischen Gotteshausleute von 1575, sowie 
im Erbgesetz von Bischofszell 1650 werden die Halbgeschwister, 
unter Eingriff in die Parentelenordnung, noch weiter im Rang 
zurückgestellt.* Nach diesem Recht folgen sie erst hinter den 
Großeltern. So bestimmt das Bischofszeller Gesetz, Art. 12: 

„so aber sach, daß Vatter und Mutter nit mehr im 
Leben, und dann zumahlen Großvatter oder Großmutter 
verbanden, so sollen dieselben an statt Vatter und Mutter 
ihr Enklin oder Kindskind erben, von des abgestorbnen 
geschwisterten so nur einerseits geschwistrig sind, und 
sonst meniglichem daran ganz ungehinderet. *' 
Halbgeschwister unter sich teilen eine ihnen zufallende Erb- 
schaft nach Köpfen. Darauf, ob auf väterlicher und mütterlicher 
Seite ungleich viele Halbgeschwister vorhanden seien, wird keine 
Rücksicht genommen; Linienteilung wird auch hier nicht anerkannt. 
LR, Art. 11. Bischofszell 1560, Art. 12, bestimmt diesbezüglich: 

„Wann aber daselbig Sach wäre, daß daselbige Kind 
mit Tod abgienge und weder Vatter noch Mutter, Groß- 
vatter noch Großmutter hinder im leben verlassen wurde, 
alßdann sollen die Geschwistrigte einerseits erben der- 
gestalt obs von Vatter her sonderbare geschwistrigte, 
deßgleichen von der Mutter har auch sonderbare ge- 
schwistrigte verließe, sollen diese beiderley Geschwistrigte 



Familie. Beim Tode eines dieser Gemeinderschafter bleibt das Gut als solches, 
als Einheit in derselben Hand. Es tritt keine Änderung, keine eigentliche 
Erbfolge ein, und daher kann auch eine Besteuerung wegen Erbfalls (Laß- 
bezug) nicht eintreten. 

^ Bezüglich der Stellung gegenüber Geschwisterkindern, die von zwei- 
bändigen Geschwistern des Erblassers abstammen, vgl. unten § 12. 

* Vgl. oben § 7. 



45 

gleich mit einander das Hauptguth erben, also daß einem 
so vil alß dem andern von deß abgestorbenen ge- 
schwistrigten gut verfolgen und werden solle." 

§ 12. ß. Geschwisterkinder und deren Nachkommen. Repräsentation. 

1) Die Geschwisterkinder. 

a. Neben Geschtvistern. Zufolge der Erbordnung nach Ver- 
wandtschaftsnähe bleiben Geschwisterkinder, d. h. Kinder vorver- 
storbener Geschwister des Erblassers, nach älterem Recht durch 
Geschwister desselben ausgeschlossen.^ 

Anders nach den Erbgesetzen. Auch Geschwisterkinder sollen 
den Tod ihrer Eltern nicht entgelten. Sie sollen der Anwartschaft 
auf ein Erbe, das ihnen indirekt durch Vermittlung ihrer Eltern, 
sofern diese den Erbfall erlebt hätten, zugekommen wäre, nicht 
verlustig gehen. Es wird ihnen das Recht eingeräumt, an Stelle 
ihres vorverstorbenen Eltemteils in die Erbfolge einzutreten, und 
ihnen dabei der Anspruch auf dieselbe Erbquote zugestanden, die 
ihr vorverstorbener Elternteil bezogen haben würde. Sie haben 
das Einstands- oder Repräsentationsrecht. LR, Art. 1 ; Frauenfeld, 
Art. 2; Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute (1575), Art. 14, 
Abs. 2.^ Damit findet im Thurgau schon zu Mitte des 16. Jahrh. 



1 Stobbe V, 113. 

2 Für Dießenhofen schließt der Wortlaut seines Statuts, wie dieser in 
Z I, 2, 74 ff. wiedergegeben ist, in Art. 6 ein solches Eepräsentationsrecht aus. 
Indessen ist die Fassung desselben durch unrichtige Kopien verunstaltet und 
dessen Sinn teilweise entstellt worden (Note ebenda S. 74). Dies scheint speziell 
bezüglich des erwähnten Art. 6 zuzutreffen, der uns in seiner Fassung in Z I 
unverständlich ist. Derselbe hat, unserer Ansicht, ursprünglich geradezu das 
Gegenteil von dem angeordnet, was dort bestimmt wird: Eintrittsrecht der 
Geschwisterkinder. Dafür sprechen folgende Punkte: 

a. Zusatz zu Art. 6: „dieser Artikel ist anno 1596 zu Baaden um ein Grad 
erweitert worden." Damit eine Ausdehnung dieses Artikels möglich war, 
mußte derselbe positiven Inhalts gewesen sein, nicht negativen, wie 
nach Z I. Dieser Zusatz führt ein Repräsentationsrecht zu gunsten der 
Geschwisterenkel ein. 

b. Art. 6 enthält den Vermerk: „wiewohl bei vielen ein anders, so habend 
wir uns dieser Satzung Versatzung vereiniget, und setzen daß ..." 
Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß Dießenhofen sich mit diesem 
Art. 6 ein Recht setzen will, das von dem damals, bei Erlaß dieser 



46 

ein Becht allgemeine Anerkennung, das sich an andern Orten erst 
viel später Geltung zu beschaflfen vermochte, in der Stadt Zürich 
z. B. erst mit dem Erbgesetz von 1707.^ 

b. Neben Eltern. Der Erbfall, daß neben Eltern des Erb- 
lassers ausschließlich Geschwisterkinder konkurrieren, ist in den 
Erbgesetzen nicht im besondern vorgesehen. An sich wären die 
Eltern, als die nächsten beim Blut, die Erstberechtigten und 
müßten sie die Geschwisterkinder ausschließen. Andererseits sind 
aber letztere, wenigstens im jüngeren Recht, beßlhigt, neben Ge- 
schwistern, welche ihrerseits, außer nach Dießenhofer Recht, die 
Eltern, soweit diesen nicht besondere Nutznießungsansprüche ein- 



Bestimmung allgemein geltenden Recht abweicht. Dieses allgemein 
geltende Recht ging aber auf Ausschluß der Geschwisterkinder. Beweis: 
das Dießenhofer Statut ist in seinen Hauptbestandteilen ziemlich alt — 
dasselbe enthält jüngere Ergänzungen, von denen die erste auf das 
Jahr 1596 datiert ist — und dürfte dasselbe vor dem Landerbgesetz, 
vor 1542, entstanden sein. Zu jener Zeit hatte ein Repräsentationsrecht 
für Geschwisterkinder im allgemeinen noch keine Anerkennung ge- 
funden, was den Reichstag zu Worms (1521) veranlaßt hat, die Landes- 
herren zur Einführung eines solchen Rechts aufzufordern (Heusler II, 586; 
Stobbe V. 113). Ein solches Recht gelangte namentlich in den Dießen- 
hofen benachbarten deutschen Gebieten nur langsam zum Durchbruch. 
Schaffhausen, mit dem Dießenhofen vermöge seiner Lage von alters 
her in regem Verkehr stand, führt ein solches erst 1604 ein (H IV, 598); 
in den anstoßenden zürcherischen Landschaften findet diese Neuerung 
erst im Verlaufe des 17. Jahrh. Aufnahme. Abweichung vom damaligen 
„allgemeinen" Recht liegt demnach in der Gewährung, nicht in der 
Versagung des Repräsentationsrechts an Geschwisterkinder. 

c. Art. 7 stünde in einem allzu großen Widerspruch zu Art. 6. Während 
allgemein, nach Einführung des Repräsentationsrechts, für den Fall, 
daß ausschließlich Geschwisterkinder zur Erbfolge gelangen, die Teilung 
nach Köpfen beibehalten wird, verlangt Dießenhofen Stammteilnng; es 
anerkennt in seinem Recht ein Teilungssystem, das sich allgemein erst 
sekundär aus dem Repräsentationsrecht herausgebildet hat. Es müßte 
uns die Einführung desselben, das einen Bruch mit dem althergebrachten 
Teilungsprinzip: „so mancher Mund, so manches Pfund", darstellt, uner- 
klärlich bleiben, wenn wir nicht annehmen dürften, daß die Gewährung 
des Repräsentationsrechts, nach dem Billigkeit weit eher verlangt, wenn 
nicht schon vorher, zum mindesten gleichzeitig mit der StammteUung 
zur Anerkennung gelangt sei. 

1 Bluntschli II, 307. 



47 

geräumt sind, ausschließen, repräsentationsweise als Erben ein- 
zutreten. 

Eine Entscheidung, wer hier als näher berechtigt anzuerkennen 
sei, ist uns nicht bekannt. 

Nach dem jüngeren Statut der st. gallischen Gotteshausleute 
(1575), Art. 13, Abs. 2, erben Eltern und Geschwisterkinder, als 
derselben Erbenklasse zugehörig, gemeinsam, und zwar beziehen 
Geschwisterkinder je einen Stammanteil wo die Eltern ein Kopf- 
teil. Anfanglich erhielten letztere diesen Anteil indessen nur nutz- 
nießungsweise, später aber zu Eigentum. 1575, Art. 13, Abs. 3; 
1587, Art. 13. 

c. Geschwisterkinder, als Abkömmlinge zweibändiger Geschwister, 
neben HcUbgeschwistem. Dieser Erbfall ist gleichfalls nicht näher 
geordnet. Aus Analogie zu den Bestimmungen über Bepräsentations- 
recht der Geschwisterkinder bei Konkurrenz zweibändiger Ge- 
schwister müßte entschieden werden: da Geschwisterkinder befähigt 
sind, neben zweibändigen Geschwistern, welche ihrerseits die ein- 
bändigen Geschwister vollkommen ausschließen, als Erben ein- 
zutreten, müssen dieselben auch befähigt sein, diese einbändigen 
Geschwister auszuschließen. Anders nach einer Tagsatzungs- 
entscheidung von 1717: Kinder zweibändiger Geschwister und 
Halbgeschwister erben neben einander, und zwar beziehen diese 
ein Kopfteil, wo jene ein Stammteil. Für diesen willkürlichen 
Entscheid berief man sich darauf, daß ein solches ^in den gemeinen 
Rächten und anderwärtiger Übung' gleichfalls anerkannt sei.^ 

Nach dem Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute (1575), 
Art. 14, Abs. 3, werden Halbgeschwister durch Kinder zweibändiger 
Geschwister ausgeschlossen. 

Im erwähnten Tagsatzungsentscheid von 1717 wird gleich- 
zeitig auch den Kindern von Halbgeschwistem ein Repräsentations- 
recht zugestanden. Dieselbe Stellung gewährt diesen das Erbrecht 
der st. gallischen Gotteshausleute (1575), Art. 14. 

d. Geschwisterkinder als alleinige Erben, Das Landerbgesetz, 
die Erbgesetze von Frauenfeld und Bischofszell enthalten darüber 
keine Bestimmung. Es bleibt daher beim alten Recht, nach dem 

^ Z I, 2, 41. 



48 

Teilungsprinzlp : „so mancher Mund, so manches Pfund.*' Dies 
wird landrechtlich bestätigt in einem Entscheid des Landvogts von 
1714;^ Teilung nach Stämmen bleibt auf die Erbfolge von Enkeln 
beschränkt. In demselben Sinne läßt sich Bischofszell 1711 von 
dem „lobl. Ganton Appenzell der Äußern Roden^ anläßlich eines 
Erbfalles eine Gegenrechtsversicherung ausstellen. Diese lautet: 

,daß, wann ein Landmann ohne erben mit hinder- 

lassung Bruders oder Schwester Kinder mit Tod abgeht, die 

von Bischofszell nach ihren Rechten nicht dem Stammen 

sondern den Köpfen nach erben können/* 

Sodann bestimmt auch das Statut der st. gallischen Gotteshausleute 

(1575) Art. 14, Abs. 3, diesbezüglich ausdrücklich: 

„und wirt das Erb in die höpter und nit vff die stämen 
getheilt, Also dasz derselbigen geschwüstergitkinder Jedem 
alls vil alls dem anndern zuogetheilt würdet.* 
Die Teilung in capita blieb in diesen Rechten bis auf die Neuzeit 
erhalten.* 

Dießenhofen Art. 7 ordnet Stammteilung an. 

2) Die Geschwisterkindeskinder. 

Nach Landrecht: das Repräsentationsrecht bleibt auf den Grad 
der Geschwisterkinder beschränkt. Geschwisterenkel können nicht 
an Stelle ihrer vorverstorbenen Eltern und Großeltern eintreten. 
So nach Entscheid des Landvogts von 1716.* Es bleibt beim Grund- 
satz: „der nächste beim Blut'.* Frauenfdd scheint dasselbe Recht 
bewahrt zu haben. 

Dießenhofen erweitert 1596 das Repräsentationsrecht bis zum 
Grade der Geschwistererikel. Zusatz zu Art. 6.^ 

Bischofszell dehnt in späterer Zeit die Geltung des Repräsen- 
tationsrechts bedeutend aus. 1768 wird dasselbe, bei Anlaß eines 
besondern Erbfalles, zu gunsten der Urenkel des Großvaters des 
Erblassers anerkannt. Ohne Zweifel dürfen wir annehmen, daß. 



1 Z I, 2, 39 f. ; ThB XXVII, 33. 

'^ Memorabilia epi8copicellana 1, 355; Archivii episcopicellani 1, 274, Nr. 15. 
^ Ebenso in den zürch. Rechten. Bluntschli II, 308. 
* Z I, 2, 42 ; ThB XXVII, 34. Vgl. unten § 13, die enge Interpretation 
des LR durch das thurg. Apellationsgericht 1803. 
^ Vgl. oben S. 45, Anm. 2, speziell lit. a. 



49 

wenn die Frage praktisch geworden wäre, ein gleiches Recht zu 
gunsten der Urenkel in der elterlichen Parentel, d. h. der Ge- 
schwisterenkel des Erblassers Anerkennung gefunden hätte. ^ 

Nach dem Erbreckt der st. gallischen Gotteshausleute bleiben 
Geschwisterenkel zufolge der römisch-rechtlichen Klassengliederung 
von einem Bepräsentationsrecht neben Geschwistern und Ge- 
schwisterkindern unbedingt ausgeschlossen. 

Geschwisterenkel, als nächste Vertreter der elterlichen Parentel, 
gehen den Verwandten aus entfernteren Parentelen vor. Eine 
Ausnahme besteht für das Erbrecht der st. gallischen Gotteshaus- 
leute, wo Großeltern, als der zweiten Erbenklasse zugehörig, den 
Geschwisterenkeln vorgehen müssen. 

Auffallend ist allerdings ein Vermerk im Abschied von 1612. 
Nach diesem tritt der „ledige Anfahl " ein, wenn der Erblasser 
»keine eheliche Kinder noch Kindtskinder, auch weder Vater und 
Mutter, Brüdern noch Schwöstem, noch derselben Kinder, auch 
weder Großvater noch Großmutter nach dem Todt hinder (ihm) 
verlaßt.* Geschwisterenkel werden nicht erwähnt, und es hat den 
Anschein, als gingen diesen die Großeltern des Erblassers vor. 
Damit käme die ganze Theorie der Erbfolge nach Parentelen- 
ordnung zu Fall.^ Indessen darf, unserer Ansicht, auf zitierte 
Stelle kein zu großes Gewicht gelegt werden. Mit außergewöhn- 
lichen Erbfallen — und als solcher müßte derjenige, wo Geschwister- 
enkel und Großeltern, die ja unter sich im Verhältnis von Urgroß- 
eltern und Urenkeln ständen, als die nächsten Verwandten des 
Erblassers auftreten, bezeichnet werden — ist in den altern Erb- 
gesetzen, und namentlich in den einzelnen Nachträgen, die 
gewöhnlich den Bedürfnissen des einzelnen Falles angepaßt 
wurden, gar nicht gerechnet.^ So wurde wohl bei Aufstellung 
des Abschiedes von 1612 auf die Möglichkeit der Konkurrenz 



^ Vgl. unten § 13. Bischofszell lehnt sich in seinem Spezialgesetz von 
1768 stark an das Erbgesetz der Stadt St. Gallen von 1721 an, das ein Re- 
präsentationsrecht der Geschwisterenkel anerkennt (H IV, 599). 

* So benützt Wasserschieben, S. 199, erwähnten Passus als Nachweis der 
ünhaltbarkeit dieser Theorie und leitet daraus eine Gliederung in zwei Erben- 
gruppen ab. 

* Wir erinnern an die Nachträge im Bischofszeller Recht. 

4 



50 

von Großeltern und Geschwisterenkeln gar nicht Eücksicht 
genommen.^ Wollten wir allzusehr auf das einzelne Wort abstellen, 
so müßten wir zufolge derselben Bestimmung zu dem höchst 
unwahrscheinlichen Resultat gelangen: Urenkel des Erblassers 
gelangen erst im „ledigen Anfahl ** zur Erbfolge; sie werden durch 
Geschwister und Geschwisterkinder des Erblassers ausgeschlossen. 
Die zitierte Stelle kann kein Beweis gegen die Richtigkeit der 
Theorie der Parentelen Ordnung sein. 

Geschwistermkel gegenüber Hcdbgeschmstern. Diesbezügliche 
Bestimmungen fehlen. Indessen dürften allgemein Halbgeschwister, 
als die dem Erblasser näher stehenden Verwandten, als die näher 
Berechtigten angesehen worden sein. — Für das Recht der 
st. gallischen Gotteshausleute muß sich Zurückstellung der Ge- 
schwisterenkel unbedingt aus der Klassengliederung dieses Rechts 
ergeben: nach derselben sind Halbgeschwister in dritter Klasse 
erbberechtigt, während andrerseits Geschwisterenkel erst in der 
Klasse der entfernteren Blutsverwandten (vierte Klasse) zur Erb- 
folge berufen werden. 

Entferntere Nachkommen der Geschwisterkinder: ein Repräsen- 
tationsrecht ist ihnen nirgends vorbehalten. 

§ 13. c. Die Erbfolge der entfernteren Verwandten. Entferntester 

Grad erbfähiger Verwandtschaft. 

über die Erbfolge der entfernteren Verwandten sind, wie 
früher erwähnt, die Quellenangaben sehr spärlich, und ist dieselbe 
zumeist nicht ausdrücklich geordnet. Die Seltenheit derartiger 
Erbfalle ließ die besondere Regelung nicht als erforderlich er- i 
scheinen. 

Die Erbfolge dieser entfernteren Verwandten mußte sich, 
sofern nicht besondere Abweichungen von demselben nachweisbar 
sind, nach den allgemeinen Regeln, wie wir sie oben (§§ 7 und 9) 
dargestellt haben, vollziehen. 

Die Großeltern sind danach, als die nächsten Verwandten, 
die am nächsten Berechtigten, und schließen alle entfernteren 

^ Daß Bischofszell diesen Abschied in gleichem Wortlaut in sein Erb- 
gesetz von 1650, Art. 16, aufgenommen hat, kann nicht von Belang sein. 



51 

Vorfahren, sowie alle Seitenverwandten außerhalb der elterlichen 
Parentel von der Erbfolge aus. Vereinzelt finden wir sie im be- 
sondern als Erben erwähnt: in der Offiaung von Ermatingen,^ dem 
Tagsatzungsabschied von 1612, im Erbgesetz von Bischofszell 
1650, und endlich im Statut der st. gallischen Gotteshausleute. 

Nach dem jungem Recht von Bischofszell haben die Groß- 
eltern insofern eine besondere Stellung, als sie den Halbgeschwistern 
des Erblassers in der Bangordnung vorgehen (s. oben § 11). 

Im Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute, 1575, kon- 
kurrieren die Großeltern, als der zweiten Erbenklasse zugehörig, 
sofern beide Eltern des Erblassers vorverstorben sind, neben dessen 
Geschwistern und Geschwisterkindern (Art. 13), und zwar, laut 
Ergänzung zu Art. 13 vom Jahre 1587* in der Weise, daß ein 
Großeltempaar, oder, spfem nur das eine dieser Großeltern über- 
lebt, dieses, sein Kind, als vorverstorbenen Elternteil des Erblassers, 
repräsentiert.^ Repräsentationsweise beziehen Großeltern je ein 
Teil, wo Geschwistern ein Kopfteil und Geschwisterkindern ein 
Stammanteil zukommt. Ursprünglich, nach den altern Statuten, 
hatten erstere indessen an ihrem Betreffnis nur ein Nutznießungs- 
recht. Sie durften ihr Erbteil „weder verschaffen, verwyben noch 
vermannen, und sollte dieses nach ihrem Ableben „wider an das 
bluott fallen.** Später, durch das Statut von 1587, Art. 13, wird 
ihnen dasselbe zu freiem Eigentum zugesprochen. 

Zufolge der Klassengliederung dieses Statuts der Gotteshaus- 
leute gehen, gleich wie im Bischofszeller Recht, die Großeltern 
Halbgeschwistem vor. Aus demselben Grunde mußten jene auch, 
sollte die Frage einmal praktisch geworden sein, den Nachkommen 
von Geschwisterkindern des Erblassers vorgehen. 

Sofern ein Erblasser, in Ermangelung näherer Erbberechtigter, 
auch keine Großeltern hinterläßt, so tritt der „ledige Anfahl^ ein, 
und es folgen, vorbehalten die Änderungen des jungem Bischofs- 
zeller Rechts, die entfernteren Vorfahren und die Seitenverwandten 



' GW I, 242. 

2 Wasserschieben 305, Anm. 1. 

* Demzufolge muß bei Erbfolge von Großeltern ausschließlich eine Linien- 
teilung eintreten, die sonst den thurg. Rechten nicht bekannt war (vgl. oben § 10). 

* 1575 Art. 13, Abs. 4. 



52 

der großelterlichen und fernerer Parentelen nach allgemeiner Erb- 
ordnung. Abschied von 1612*/ Bischofszell 1650, Art. 16. Die 
Zuteilung der Erbschaft erfolgt nach den Grundsätzen: «der 
nächste beim Blut, der nächste beim Gut^,^ und «so mancher Mund 
so manches Pfund.'' Gleich nahe Verwandte sind unter sich alle 
gleichberechtigt; sie teilen nach Köpfen und nicht nach Stämmen 
oder Linien (§ 10). 

RepräsentationsrecfUe sind, vom eben erwähnten Bischofszeller 
Recht abgesehen, außerhalb der elterlichen Parentel nicht bekannt. 
Die Gradnähe ist absolut maßgebend. Ausdrücklich wird dies 
hervorgehoben im Statut der st. gallischen Gotteshausleute (1575) 
Art. 15, Abs. 2: 

«Es mögen ouch hierüber (nach Geschwisterkindern) 
die kind wytter an Irer Eltern statt nit mehr ston ..." 
Ähnlich erging 1803 auf Grund des Landerbrechts ein Urteil 
des thurgauischen Appellationsgerichts, in dem Sinne, daß «des 
Vater oder Mutters Bruder oder Schwester Kinder neben den 
Geschwisteren des Vaters oder Mutters zugleich (zu) erben" nicht 
befähigt seien,^ d. h. außerhalb der elterlichen Parentel wird ein 
Repräsentationsrecht nicht anerkannt. 

Anders, wie erwähnt, das jüngere Erbrecht von Bischofszell. 
Dem Erbgesetz von 1578 ist eine (undatierte) «Erläuterung* bei- 
gefügt nachfolgenden Inhalts. Indem erst Bezug genommen wird 
auf das Repräsentationsrecht der Geschwisterkinder gemäß Art. 1 
des Gesetzes, wird fortgefahren: 

«So ist doch dieser bißherr in zutragenden Erben nach 
der Stadt Bischofszell brauch ebenmäßig noch einen grad 
weiters, und also dahin erstreckt, verstanden und gehalten 
worden. Nämlichen daß er nit allein auf den fahl, wann 
mann von Erbung deß abgestorbenen Vatters oder Mutter 
geschwüstrigten, sonder wann mann auch von Erbung 
Vatter oder Mutter geschwüstrigten Kinder geredt und 
gehandelt hat, in Kräften bestanden und verbliben auch 
darnach geerbt worden, wie es dann auch billich in 

1 Z 1, 2, 34 ff. 

2 Vgl. oben § 7. 

* Protokolle des thurg. Appellationsgerichts 1803, Nr. 89. 



53 

künftige Zeit nachmachten al£ gehalten, daby bestehn 
und verbleiben sollen.*^ 
Mit dieser Bestimmung wird, vom Erblasser ausgegangen, 
ein Repräsentationsrecht in der großelterlichen Parentel anerkannt, 
zu gunsten der Geschwisterkinder des Vaters oder der Mutter des 
llrblassers. Durch andauernde üebung hat sich, wie aus jener selbst 
ersichtlich, ein dahin gehendes Gewohnheitsrecht entwickelt. 

Zitierte „Erläuterung^ wurde in das spätere Erbgesetz von 
1650, Art. 1, aufgenommen. 

Noch weitere Ausdehnung erfuhr dieses Repräsentationsrecht 
durch ein Nachtragsgesetz von 1768: „damit Kinder ihrer Eltern 
Tod biß auf die Sprößlein der Geschwisterten Kinder in ledigen 
anfahlen nit entgelten, sonder zum Erben alß ein Stamm zu- 
gelassen werden. ** Dieses Gesetz lautet: 

„Dieses obgenannten 16*'" Artic. abänderung.* Daß 
in ledigen Fahlen, wan nämlich eine Persohn mit Tod 
abgeht, die keine eheliche Kinder, noch Kindskinder, 
weder Vatter noch Mutter, weder Bruder noch Schwester 
noch derselben Kinder, weder Groß -Vatter noch Groß- 
Mutter hinter ihro verlaßt, sonder allein eheliche Ge- 
schwisterte Kinder von Vatter und Mutter seits in gleichem 
Grad verwandt, diese zu gleichen Theilen zu erben an- 
stehn sollen, jedoch so, daß wan von diesen geschwisterten 
Kindern eines oder mehrere vor dem Erbfahl gestorben 
wären und Kinder hinterlassen, diese Kinder den Tod ihrer 
Eltern nicht entgelten, sonder alß ein von Geschwisterten 
Kindern entsprossener Zweig anstatt ihrer abgestorbenen 
Vatters oder Mutter auf die Stamme einen Haubtheil 
nehmen, und zubeziehen haben, weitere grad aber auß- 
geschlossen seyn sollen" — folgt die Gegenrechtsklausel.'* 
Damit Ist ein Repräsentationsrecht gewährt den „Kindern 
der Geschwisterten Kinder**, d. h. den Geschwisterenkeln Von Vater 



^ Archivii episcopicellani I, 66. 

* Im Grunde genommen ist dieses Gesetz weit eher ein Zusatz zu Art. 1. 

* Memorabilia episcopicellana I, 247. — Dieses Gesetz wurde von den 
Bäten der Stadt aufgestellt und am 22. Febr. 1768 durch Bischof Franz 
Eonrad von Konstanz genehmigt. 



54 

oder Mutter, also bis zum dritten Glied, den Urenkeln, der groß- 
elterlichen Parentel.^ Anstoß zu dieser Ausdehnung des Repräsen- 
tationsrechts gab das Erbrecht der Stadt St. Gallen, wo, nach 
einem Erbgesetz vom Jahre 1721, das Repräsentationsrecht in 
gleichem Umfang anerkannt war,^ und worauf Bischofszell in einem 
besonderen Erbfall eine Gegenrechtsversicherung abzugeben hatte.' 
Für entferntere Verwandtschaftsgrade wird ein Repräsentations- 
recht auch im Bischofszeller Recht nicht anerkannt. 

Der entfernteste Qrad erbfähiger Verwandtschaft. In den Hof- 
rechten mochte in ältester Zeit das Erbrecht der Vorfahren und 
Seitenverwandten sehr beschränkt sein. Wenn eine Familie aus- 
starb, so nahm der Hofherr als Leiheherr das Leihegut behufs 
neuer Verleihung zurück. Es fiel dasselbe nicht etwa von Rechts 
wegen der Verwandtschaft der früheren Leiheleute zu.* Ein solches 
Recht findet sich z. B. noch in „HoiBFrodell zue Eschenz* von 1296: 

»Stirbet ouch Man ald Wyb one Lyberben, so er 
niemer erben, wan das Gottßhuß . . ."'^ 
Ahnlich die Öffnung von Klingenberg (1449): 

„Es nimmt ouch ein herr von aller lüten daselbs, 

das ist, so ein man oder frau abgant die mit nieman 

teil noch gemein hat und nit elich liberben hinter inen 

lauszend, so nimmt ein herr alles das si verlauszend.^® 

In späterer Zeit wurde aber den Verwandten ein Erbrecht 

zugestanden, und obige Öffnung von Klingenberg dürfte wohl 

einer der jüngsten Zeugen des alten Rechtszustandes sein. Die 

Rechte des Hofherm wurden zurückgedrängt, und es blieb ihm 



^ „ Geschwister te Kinder^ bedeutet in obiger Bestimmung nicht, wie in 
der ihr vorgehenden Erläuterung „Geschwisterkinder", als Kinder von Ge- 
schwistern des Erblassers, sondern wie im heutigen Sprachgebrauch die Be- 
zeichnung „gschwüsterti Chind" Kinder verschiedener Eltern, die unter sich 
im Verhältnis von Geschwistern stehen (consobrini). 

2 H IV, 599. 

' Laut Einleitung zu diesem Nachtragsgesetz. Vgl. oben § 9, S. 34, bei 
Anm. 2 und § 12, S. 49, bei Anm. 1 bezüglich des Repräsentationsrechts der 
Urenkel und Geschwisterenkel. 

* Bluntschli I, 209 ; vgl. auch H IV, 550. 
5 Z I, 2, 84; H IV, 550, Anm. 17. 

• GW V, 107. 



55 

an Stelle des alten Rückfallsrecht nur ein Anspruch auf Abgaben, 
den Fall und den Laß. Dies ging soweit, daß ein erbloses Gut 
nicht mehr dem Hofherm, sondern dem nächsten Nachbarn anfiel.^ 
Für die Begrenzung dieses Erbrechts der Vorfahren und Seiten- 
verwandten finden sich in den Offnungen, wie sich diese ja überhaupt 
sehr wenig mit der Erbfolge befassen, keine Angaben. Einzig die 
Öffnung von Sulgen-Rüti-Mülibach (1472) bestimmt diesbezüglich : 

„Ittem es ist auch von alter recht und gewonlich, 
das ain Jecklicher sant Polayen man und wib von rechts 
wegen aine Jecklichen sinen frundt den anndern Erben 
sol, biß an das Neündte geschlecht, und dan dannethin 
Jener mehr Ewiglich, als fer das von geburt und ge- 
schlecht ist."^ 
Die Erbfähigkeit erstreckt sich danach bis auf das neunte Glied 
der neunten Parentel, was etwa als gleichbedeutend zu erachten 
wäre mit einer Bestimmung dahin gehend: die Erbföhigkeit er- 
streckt sich soweit, als eine Verwandtschaft nachweisbar ist. 

In den landrechtlichen und den städtischen Erbgesetzen, sowie 
im Statut der st. gallischen Gotteshausleute ist die Erbberechtigung 
an sich unbegrenzt. Indessen mußte schon bei nicht allzu ferner 
Verwandtschaft der Nachweis verwandtschaftlicher Verbindung 
in Ermangelung zuverlässiger Beweismittel erschwert, wenn nicht 
geradezu unmöglich sein, und waren damit der Erbföhigkeit 
natürliche Grenzen gesetzt.* 



§ 14. B. Uneheliche. 

Die „ledigen Kinder^ sind, wenn schon nach modernem, so 
ganz besonders nach altem Recht in schlechter Stellung. Sie 
stehen, wenigstens in älterer Zeit, völlig außerhalb eines Familien- 
verbandes, gehören weder zur Familie ihrer Mutter noch zu der- 
jenigen ihres außerehelichen Vaters. Dementsprechend haben sie 



* Vgl. unten § 18. 

* ThB I, 35 f., Art. 56. — Die Schlußbestimmung ist uns unklar. 

' Vgl. Entscheidung des thurg. Appellationsgerichts 1814, 502. Sitzung, 
Protokollbuch S. 126; des Obergerichts 1816, Nr. 38, Protokollbuch S. 407. 



56 

auch keine Erbansprüche geltend zu machen, weder gegenüber 
dem Vater und dessen Verwandtschaft, noch der Mutter und deren 
Verwandtschaft. Sie sind auf dem Gebiete des Erbrechts, wenigstens 
bezüglich ihrer Stellung als Kinder, rechtlos.^ So stellen auch alle 
Erbrechtsbestimmungen für ihre Erbeinsetzungen den Vorbehalt 
ehelicher Abstammung oder ehelich vermittelter Verwandtschaft 
auf. Nicht einmal ihre Mutter können die unehelichen Kinder 
beerben, selbst wenn diese andere, eheliche Nachkommen nicht 
hinterläßt, wie dies z. B. aus dem Statut der st. gallischen Gottes- 
hausleute (1575), Art. 18, ersichtlich ist. 

Diese schlechte Stellung der Unehelichen wurde in späterer 
Zeit, wenn auch nur in beschränktem Maße, verbessert. Verfügungen 
zu gunsten unehelicher Kinder werden als zulässig erklärt. So 
erlaubt 1524 der Rat von Dießenhofen einer Frau, ihr gesamtes 
Vermögen ihren unehelichen Kindern zuzuwenden, „diweil die 
genannt Frow nit ehlichen stant were noch eliche Kinder hette.*^ 
Das Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute (1575), Art. 18, 
räumt eine solche Verfügungsfreiheit dem außerehelichen Vater 
wie der außerehelichen Mutter ein, unabhängig davon, ob dieselben 
neben den unehelichen auch eheliche Kinder hinterließen. 

Vereinzelt kommen auch Legitimationen unehelicher Kinder 
auf Gesuch ihrer Eltern vor.^ So wurde 1525 dem Landvogt von 
der Tagsatzung die Vollmacht erteilt, ein derartiges Gesuch nach 
besonderer Prüfung des Sachverhalts zu erledigen; »er solle mit 
dem Gesuchsteller abkommen,** lautet sein Auftrag. Aus den 
Jahren 1786 und 1794 sind weitere derartige Gesuche um Legiti- 
mationen bekannt.* 

Ein gesetzlicher Erbanspruch der Unehelichen ist nach altem 
Recht nirgends zur Anerkennung gelangt, wenigstens nicht gegen- 
über Aszendenten und Seitenverwandten. Anders wohl gegenüber 
den eigenen ehelichen Kindern. Sie stehen mit diesen in einem 
Familienverband, und dies muß die Gewährung des Erbrechts zur 



1 



^ Stobbe V, 145; Huber, Die Schweiz. Erbrechte, a.a.O. S. 6. 
2 Schauberg II, 116, Urkunde Nr. 7. 

^ Solche Legitimationen werden schon im Schwabenspiegel L § 47 als 
zulässig erklärt; sie sind vorzunehmen durch Kaiser oder Papst. 
* EA IV, I, a, 558, lit. q; VIII, 331, Art. 146, 147. 



57 

Folge haben.^ Entsprechend mußten dem unehelich Gehörnen 
gegenüber seinem Ehegatten dieselben Rechte zustehen wie dem 
ehelich öebomen. 

Ehelichen Kindern unehelich gebomer Eltern kann gegen- 
über Aszendenten und Kollateralen dieser Eltern ein Erbrecht 
gleichfalls nicht zustehen. 

Wie die Unehelichen unfähig waren, zu erben, so waren sie 
auch unfähig, beerbt zu werden. Ihr Gut wurde bei ihrem Tode 
konfisziert. Seit 1498 werden derartige Verlassenschaften von den 
Eidgenossen beansprucht. Der Landvogt mußte sie, sobald sie ledig 
wurden, zu Händen derselben in Beschlag nehmen.^ Solches Recht 
behaupteten die Eidgenossen nachweisbar noch im Jahre 1757, 
und, wie anzunehmen, bis zur Befreiung des Thurgaus aus seiner 
Untertanenstellung im Jahre 1798. Einzig der Abtei St. Gallen 
blieb das Recht zugestanden, solche Verlassenschaften Unehelicher, 
die auf ihren Gebieten frei wurden, für sich einzuziehen, nach 
einem Entscheid vom Jahre 1571.® 

Nur allmählich kam man dazu, ehelichen Kindern unehelich 
geborner Eltern einen Anspruch auf die Verlassenschaffc dieser 
Eltern einzuräumen, dies anfänglich allerdings nur insoweit, als 
den unehelich Gehörnen die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich 
zu gunsten ihrer Kinder bei der Obrigkeit aus dem unehelichen 
Stand auszukaufen. Abschied vom Jahre 1525.^ Später, 1533, 
beschloß endlich die Tagsatzung, auf eine neue Klage der Land- 
bevölkerung wegen der Ungerechtigkeit eines solchen Rechts- 
zustandes hin, die Beseitigung der alten Ordnung und räumte 
den ehelichen Kindern unehelich geborner Eltern ein unbedingtes 
Erbrecht auf die Verlassenschaft dieser letztern ein.^ 



* Vgl. H IV, 530; Stobbe V, 147, Anm. 6. 

« ThB XXVII, 28; EA III, II, 827, lit. g, vom Jahre 1514. 
» EA IV, I, d, 990. 

* EA IV, I a, 668, Ziff. 13; vgl. Stobbe V, 156,Anm. 3; Bluntschli II, 223. 
*^ Nach ThB XXVII, 28 wäre ein solches Recht schon 1504 zugestanden 

gewesen. Ebenso behaupten 1533 die Edelleute und Gerichtsherren, es sei altes 
Recht, daß den ehelichen Kindern gegenüber ihren unehelich gebomen Eltern 
eine Erbberechtigung zukomme. Auf jeden Fall war aber ein solches Recht, 
wenn es auch bestanden hat, vor 1533 noch sehr streitig. EA IV, I, c, 64, lit. n; 
98, lit. b; IV, II, 1003, Abschied Nr. 559, lit. b. — Der Abschied sollte „in das 
Buch zu Frauenfeld" eingetragen werden. 



58 

Weitere Zugeständnisse für Beerbung Unehelicher wurden 
von Seiten der Eidgenossen auch in späterer Zeit nicht gemacht. 
Es blieb, in Ermangelung ehelicher Leibeserben, bei der Konfis- 
kation der Verlassenschaft. 



C. Bechte des Ehegatten.^ 
§ 15. 1. Allgemeines; die Nachlassbestandteile. 

Erbrecht unter Ehegatten und eheliches Güterrecht stehen 
miteinander in engem Zusammenhang. Sehr oft bedeutet, was 
sich auf den ersten Blick als ein Erbrecht darstellt und auch in 
den Quellen als solches benannt wird, nur die Realisierung eines 
ehelich-güterrechtlichen Verhältnisses, das schon während der Ehe 
bestanden hat, aber erst mit Auflösung derselben, in der Regel 
also mit dem Tode des einen der Ehegatten, zu Tage tritt. 

Infolge des engen Zusammenhangs von ehelichem Güterrecht 
und Erbrecht kann, wenigstens für das alte Recht, eine strenge 
Ausscheidung dieser beiden Materien nicht als zulässig, auf keinen 
Fall als zweckmäßig erscheinen. Dies zwingt uns, dieselben neben 
einander darzustellen. Immerhin werden wir bestrebt sein, nur 
diejenigen Punkte ehelichen Güterrechts hervorzuheben, die mit 
dem Erbrecht besonders eng verbunden sind: diejenigen, welche 
die Ansprüche des überlebenden Ehegatten am Eigenvermögen 
des Verstorbenen oder an ehelichem Gemeingut nach Auflösung 
der Ehe regeln. 

Nach altem Recht steht dem überlebenden Ehegatten ein 
Erbrecht am Gute des Verstorbenen überhaupt nicht zu. Erbrecht 
ist ein pretium sanguinis; die Vererbung der Verlassenschaft er- 
folgt nach dem Grundsatz: „wer mein Blut hat, der nimmt mein 
Erbe.**^ Die Rechte, welche dem überlebenden Ehegatten über 
den Tod des andern hinaus zustehen, resultieren aus einer Fort- 
setzung des früheren ehelichen Güterrechtsverhältnisses, das auch 



1 Vgl. dazu speziell Kolb I. Teil, Titel VII und VIII, S. 14 flf. 

2 H IV, 239; Kolb 79. 



59 

nach Auflösung der Ehe erhalten bleibt. Dies kommt namentlich 
noch, wenigstens für den Fall, wo die Ehe beerbt ist, zur Geltung 
in der Öffnung von Tannegg -Fischingen (1432): Mannes- und 
Frauengut bleiben in der Hand des überlebenden Teils vorläufig 
(in der Regel bis zu dessen Wiederverheiratung) vereinigt. Dieser 
hat am Gesamtgut die volle Nutznießung und behält er, es sei der 
Mann oder die Frau, bezüglich desselben eine ähnliche Stellung, 
wie er sie während der Ehe inne gehabt hat. Sobald aber Teilung 
eintreten muß, verUert er alle Rechte auf das Gut des verstorbenen 
Teils. Namentlich bleibt ihm nicht etwa, wie vielfach in andern 
Rechten, ein Anspruch auf eine Quote dieses Nachlasses, die ihm 
zu Eigentum oder zur Nutznießung verbleiben würde, und damit 
überhaupt kein Anspruch, der nicht in den Rahmen des ehelich- 
güterrechtlichen Verhältnisses, das unter den Ehegatten bestanden 
hat, fallen würde. ^ 

In den jungem Rechten, namentlich in den Erbgesetzen, 
werden dagegen den überlebenden Ehegatten eigentliche Erb- 
ansprüche zugestanden, wenn sich auch andrerseits der Gedanke 
einer Fortsetzung des ehelichen Güterrechtsverhältnisses über den 
Tod des einen der Ehegatten hinaus nicht verloren hat. 

Das System des ehelichen Güterrechts, das sich in den thur- 
gauischen Quellen findet, ist das der Gütergemeinschaft; das Gut, 
das Mann und Frau in die Ehe einbringen, wird zu einer Einheit 
verschmolzen, die sich in Gemeineigentum der beiden Ehegatten 
befindet.^ 

Für die Beerbung der Ehegatten bedarf es einer Liquidation 
dieses ehelichen Gemeingutes, sei es, daß diese sofort mit dem 
Ableben des einen der Ehegatten zu erfolgen habe, oder, wenn 
die Güter vorläufig in der Hand des Ueberlebenden vereinigt 
bleiben, erst später, beim Tode des zweiten Ehegatten — sofern 
wenigstens nicht beide Ehegatten ausschließlich durch Nachkommen 
aus gemeinsamer Ehe beerbt werden^ — oder aber noch zu dessen 



^ Vgl. unten § 16. 

2 Kolb 29; H IV, 429 ff. 

' Eine Ausnahme besteht auch nach Bischofszeller Recht für den Fall 
der kinderlosen Ehe, wo sich das Gemeingut als solches nach dem Tode des 
zweiten Ehegatten an die Verwandten beider Ehegatten vererbt; s. unten § 17. 



60 

Lebzeiten, wenn infolge Wiederverheiratung desselben oder aus 
beliebigen andern Gründen geteilt werden mufi. 

Dieses eheliche Gemeingut besteht aus verschiedenen Kom- 
plexen, die im besondem auszuscheiden sind. Es sind dies folgende:^ 

1) das eingebrachte Gut des Ehemanns und der Ehefrau, um- 
fassend das von einem jeden bei Eingehung der Ehe Zu- 
gebrachte, sowie, was dem einzelnen durch späteren gesetz- 
lichen Erbgang zugekommen und von ihm in das Gemeingut 
eingebracht worden ist; 

2) die Morgengabe, als eine (bedingte) Schuldforderung des einen 
Ehegatten an den andern zufolge Schenkungsversprechens;' 

3) die eheliche Errungenschaft; deren Zuteilung ist eine Frage 
des ehelichen Güterrechts; sie bildet nicht etwa eine be- 
sondere Erbmasse.^ 

Die eigentliche Verlassenschaft des einzelnen Ehegatten setzt 
sich demnach zusammen aus 

1) dessen eingebrachtem Gut, 

2) seiner Morgengabe, und 

3) seinem Anteil an der ehelichen Errungenschaft. 



^ Vgl. Kolb 14 ff. 

« Vgl. LR, Art. 2, 13; Gantordnung von Bischofszell von 1650 und 1714 
(Archivii episcopicellani I, 232, 234; teilweise abgedruckt in Eolb 10 ff.), wo 
die Morgengabe im Konkurse des Mannes, als privilegierte Forderung, bei 
15 Gläubigerklassen im 11. resp. 8. Rang eingereiht wird. — Die Morgengabe 
kommt in thurg. Rechten auch vor als eine Schenkung der Frau an den 
Mann; sie hat ihren ursprünglichen Charakter verloren. Kolb 15; H IV, 381, 
Anm. 28. 

' In der Regel fallt dieselbe der Mannesseite ausschließlich zu. Kolb 17 f. 
Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute (1525), Art. 4, 5, 7. Landrechtlich 
mangelte es diesbezüglich an einem bestinunten Recht. 1804 erkennt das 
Appellationsgericht mangels eines solchen: „Das Verfahren wird eingestellt 
und werden die Parteien zu gütlicher Ausgleichung gewiesen ; nicht erhältlichen 
Falles soll bey nächst abzuhaltendem Appellationsgericht gesprochen werden 
des Rechts." 7. Dez. 1804, Protokollbuch S. 102. — Ein besonderes Recht 
bestand für solche Eheleute, die arm zusammen gekommen waren und sich 
zu etwelchem Wohlstand empor gearbeitet hatten: der überlebende Ehegatte 
kann, wenn die Ehe kinderlos geblieben ist, eine bestimmte Quote des ge- 
samten ehelichen Vermögens beziehen, ohne daß eine spezielle Liquidation 
einzutreten hätte. LR, Art. 2 ; Kolb 23 ff. s. auch unten § 17. 



61 

Anfällige in der Ehe eingetretene Verluste kommen an dieser 
Masse, nach den Bestimmungen ehelichen Güterrechts, in Abzug. 
Es bleibt im speziellen zu prüfen, welche Ansprüche dem 
überlebenden Ehegatten auf diese Verlassenschaft zustehen. 

2. Ansprüche im einzelnen. 

§ 16. a. Der Erblasser hinterlässt Leibeserben. 

1) Ausschließlich aus der Ehe mit dem überlebenden 
Ehegatten. 

a. Anspruch auf Fortsetzung der Familiengemeinschaft. Der 
Tod des einzelnen soll in der Familie möglichst geringe Ände- 
rung hervorbringen. Die durch die Ehe begründeten und einmal 
erlangten Yermögensverhältnisse des einzelnen Familiengliedes 
sollen, wenigstens so lange dasselbe sich nicht durch Eingehung 
einer neuen Ehe einen neuen Familienstand beschafift hat, nicht 
vernichtet und damit dieses Familienglied in ökonomisch schlechtere 
Lage versetzt werden. Diese Tendenz kommt namentlich bei der 
Regelung der Stellung des überlebenden Ehegatten im Verhältnis 
zu seinen und des Erblassers Kindern zum Durchbruch. 

Nach den Offnungen. Von den Rechten des überlebenden 
Ehemannes wird im speziellen wenig gesprochen. Es gilt als 
selbstverständlich, daß er nach wie vor Haupt der Familie bleibt. 
Er behält als solches Verwaltung und Nutzung des ganzen ehe- 
lichen Vermögens. Dies findet sich bestätigt in der Oflfnung von 
Gottlieben (1521): 

,gat aber die muter vor ab, da sol der vatter gewalt 
und band haben, der kind, und das gutz was da ist mit 
ain ander (nutzen)."^ 

Ausdrücklich wird dem Ehegatten in einigen Offnungen das 
Recht auf Zurückbehalten des von der Frau in die Ehe ein- 
gebrachten Ehebettes eingeräumt, für die Zeit, da er „Witwen- 
stand halt. '^ Es handelt sich aber dabei nicht etwa um Gewährung 
eines speziellen Nutzungsrechtes an den Ehemann, sondern um 
eine ausdrückliche Einschränkung der Ansprüche der Hofherren, 



1 GW IV, 419; ThB I, 19. 



1 



62 

welche zufolge ihres Rechts auf Fall und Laß derartige Fahrhabe- 
stücke einziehen konnten.^ 

Die Stellung der Frau nach dem Tode des Mannes ist im 
Verhältnis zur Stellung eines seine Frau überlebenden Ehemannes 
eine bedeutend schlechtere, aber auch ähnlich derjenigen, welche 
sie während der Ehe inne gehabt hat. Sie kann, und für das 
erste Jahr soll sie bei ihren Kindern im Hause ihres Mannes ver- 
bleiben. Sie hat auch Anspruch auf Unterhalt aus dem Gemeingut. 
Dabei ist sie aber im Hause mehr nur geduldet, und jede Ver- 
fügungsgewalt ist ihr benommen. Ja nach der Öffnung von 
Tannegg- Fischingen (1432) gelangt sie, sofern unmündige Kinder 
vorhanden sind, unter die Vormundschaft des Vormunds ihrer Kinder: 

„Wann ainer frowen ir ehelicher mann stirbt, der 

wyb und kindt hinter im lat, so soll der kinden negsten 

vatermag daß erst jähr vogt sin der frowen und der 

kindern . . . ** 
Wenn aber ein Jahr um ist, 

„danethin so mag die frow hengken an ain andern 

nagel und mag danethin daß ir gen nach frowen recht, 

als vorgeschrieben ist.**® 
Ahnlich die Öffnungen von Wellhausen, Müllheim und Langen- 
erchingen. Ohne die Frau zu zwingen, bei ihren Kindern in Haus- 
gemeinschaft zu verbleiben, gewähren sie ihr, wenn sie, ohne eine 
neue Ehe einzugehen, „über Jahr und Tag*' bei denselben ver- 
blieben ist, besondere Vorteile.*^ 

Nach den Erbgesetzen. Das eheliche Gemeingut bleibt 
gleichfalls zu freier Nutzung vorläufig in der Hand des über- 
lebenden Ehegatten vereinigt. Mann und Frau sind hier durchaus 
gleich gestellt. Letztere ist im Hause nicht mehr bloß geduldet, 
sie hat nicht bloß den „Witwenbeisitz." Verwaltung und Nutz- 
nießung des gesamten Gutes stehen ihr in gleicherweise zu wie 
dem überlebenden Ehemann. In diesem Sinne LR, Art. 4: 

„So mag das ander, es sye der man oder die frow, 

aldwyl es witwen stat halt und nit unnütz in allem ligenden 

^ Vgl. die Zitate oben, S. 8, in Anm. 2 ; unten § 18, 7. Anm. 

« GW I, 278. 

« GW I, 256, 262, 272. Vgl. auch unten: Teilung. H IV, 431. 



63 



und varendem gut, das von im und dem abgestorbnen 
vorhanden ist, sin leben lang fiy sitzen und darüber ge- 
waltige band heißen und syn und söUichs nutzen und 
nießen nach siner notdurft, und als sinem stat und eeren 
wol gezimt.* 
Gleiches Recht besteht nach den Erbgesetzen von Frauenfeld, Art. 5, 
und Bischofszell, Art. 4, ebenso, laut einer Erläuterung von 1587, 
nach dem Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute (1587, Art. 6). 
Dießenhofen, Art. 8, spricht dieses Nutzungsrecht am Gesamt- 
gut auffalliger Weise nur dem Manne zu. Indessen findet sich 
aus dem Jahre 1260 zu gunsten der Witwe die Bestimmung: 

„uxor ejus cum liberis utriusque sexus omnia possidere 
sine contradictione, quecumque vir ejus dimiserit, teneatur 
libere et quiete.**^ 
Sodann wird nach Art. 10 und 11 des späteren Statuts der über- 
lebenden Frau zweiter Ehe ein Nutzungsrecht zugestanden an den 
Erbanteilen, welche aus der Verlassenschaft des Mannes den Kindern 
dieser zweiten Ehe zufallen. Daraus ist zu schließen, es habe bei 
nur einer Ehe der überlebenden Ehefrau dasselbe Recht zustehen 
müssen an den Erbanteilen aller Kinder, d. h. an der gesamten 
Verlassenschaft des Ehemannes; Mannesgut und Frauengut blieben 
in einheitlicher Verwaltung und Nutzung.^ 

Die Verlassenschaft des verstorbenen Ehegatten wird sofort 
mit dem Erbfall Eigentum seiner Kinder. Der überlebende Ehe- 
gatte hat aber an derselben ein Recht, welches die Geltendmachung 
ihres Eigentumsanspruchs vorläufig ausschließt. Dieses (latente) 
Eigentumsrecht der Kinder gelangt zur Geltung mit dem Wegfall 
des Nutzungsrechts des überlebenden Elternteils. Das Nutzungs- 
gut fällt an die Erben des erstverstorbenen Ehegatten nach den 
Verhältnissen zur Zeit dessen Todes zurück. Sofern einer dieser 
Erben während der Zeit, wo sein Erbteil in Nutznießung ausstand, 
verstorben ist, vererbt sich sein Anteil durch seine Person an seine 
Erben, dies, obwohl dieser Anteil nie in seiner Verfügungsgewalt 
gestanden hat. So bestimmt das Statut der st. gallischen Gottes- 
hausleute (1575), Art. 21 : 

> PTh, Beilage Nr. 7, S. 11. 

2 Vgl. Anm. in Z I, 2, 76, am Schluß. 



64 

«Darumb so ainer das Lybting verwürckt oder der 
Lybting Inhat mit tod abgath, fallt das Lybtingguot an 
die, so dessn, der das eigenthumlich besessen, nechste fründ 
geweszen zuo der Zyt, wie derselb gestorben oder, so die- 
selbigen nechsten fründ nit mehr wären, an derselben erben.* 
Besonders auffallig tritt diese Folge, Vererbung von Hauptgut 
während der Nutznießungszeit, zu Tage in einem Entscheid der 
Tagsatzung aus dem Jahre 1571 über einen Bechtsfall, wo sich 
jenes während der Nutznießung mehrfach und in Familien, welche 
mit dem ursprünglichen Erblasser in gar keiner verwandtschaft- 
lichen Verbindung stehen, vererbt. 

Für Wahrung des Nutznießungsgutes kann von den Erben 
Sicherung verlangt werden, die zu erfolgen hat durch Stellung 
von Kaution, oder durch Übergabe des Gutes in dritte Hand. 
Landrecht ;^ Bischofszell, Art. 4. 

Im Falle der Not darf das Nutznießungsgut angegriflfen werden, 
auf einmal jedoch nur in beschränktem Betrag, 4 oder 5 Gulden, 
und jeweilen nur mit besonderer obrigkeitlicher oder gerichtlicher 
Bewilligung. LR, Art. 4; st. gallische Gotteshausleute (1525), 
Art. 9; Frauenfeld, Art. 3; Bischofszell, Art. 4; Dießenhofen, Art. 
15, 11; Öffnung Gottlieben, Art. 34.^ 

Den nutznießenden Ehegatten betreffen besondere Pflichten 
gegenüber den Kindern: er muß für Erziehung und Unterhalt 
derselben besorgt sein, und, wenn sie sich nach Erlangung der 
Volljährigkeit verselbständigen, wenn sie sich verheiraten, nach 
Gebühr ausstatten. So nach LR, Art. 4: 

„doch soUe daßelbige daraus die Kindt erziehen und 

sie, wenn sie zu ihren mannbaren Jahren kommen, mit 

Treuw weiters versehen und bedenken nach gestalt der 

sach und des guts ..." 

Ähnlich Frauenfeld, Art. 3; Dießenhofen, Art. 10; Erbrecht der 

st. gallischen Gotteshausleute (1587), Art. 6.^ 



» ThB XXVII, 34 (1734); EA VII, I, 784. Art. 473, 474. 

2 ThB I, 19. 

* Erziehungs- und Unterhaltspflicht müßte wenigstens den Vater schon 
betreffen zufolge seiner Eltempflichten ; vgl. auch Erbrecht der st. gallischen 
Gotteshausleute (1525), Art. 13. 



65 



6. Teilung unter Ehegatte und den Leibese9*ben, Teilungsgründe. 
Das Nutznießungsrecht des überlebenden Ehegatten am gesamten 
Qut des Verstorbenen ist dadurch bedingt, daß er nicht eine neue 
Ehe eingehe. Durch neue Heirat geht er desselben verlustig. 
Die wirtschaftlichen Gründe, welche dazu geführt hatten, dem- 
selben dieses Recht zu gewähren: Aufrechterhaltung einmal er- 
langter Vermögensverhältnisse zu gunsten des überlebenden Ehe- 
gatten, Verhinderung einer Verschlechterung seiner wirtschaftlichen 
Stellung, sind dahin gefallen. Er hat sich mit Eingehung der 
neuen Ehe eine neue Existenz beschafiPt und bedarf daher jenes 
ßechtes nicht mehr. Im weitern wäre die Fortdauer des alten 
Verhältnisses, das eine Vermischung der Verlassenschaft des Erb- 
lassers, des Vermögens des überlebenden Ehegatten und desjenigen 
des zweiten Ehegatten des letztern zur Folge hätte, mit den In- 
teressen der Erben des erstgenannten, wenigstens für die Regel, 
unvereinbar und muß auch aus diesem Gründe Teilung eintreten. 
Das Nutznießungsrecht kann auch verwirkt werden durch 
schlechte Bewirtschaftung des Gutes; die Erbberechtigten können 
auf Teilung klagen.^ LR, Art. 4; Frauenfeld, Art. 3; Erbrecht 
der st. gallischen Gotteshausleute (1587), Art. 6.^ 

Ohne daß einer dieser besondem Gründe vorliege, können 
Erben Teilung nicht verlangen, weder von einem überlebenden 
Ehemann noch von einer überlebenden Ehefrau. Eine Ausnahme 
bestellt nach der Öffnung von Tannegg-Fischingen (1432): 

»Item kindt sollen den vater nit zwingen, wann er 
muß denen nüt gen by siuem leben, er wolle denn gern. 
Aber ob die kindt von der mueter tailen wellten, da soll 
die mueter halbs nemen an varendem und ligendem, und 
die kind den andern halbtail, und mögent die kind die 
mueter woll nöten, und soll und muß die mueter tailen.* 



^ Bischofszeil Art. 4 sieht vor, daß ein auf schlechte Bewirtschaftung 
hegründetes Teilungsbegehren zurückgeschoben werden kann mit „genügsamer 
bürgschaft und Tröstung.** 

^ GW I, 279. — Wir beziehen diese Stelle auf Teilung ehelichen Ge- 
meinguts, die hier vorzunehmen ist ohne eine Ausscheidung von eingebrachtem 
Mannesgut imd Frauengut. Ygl. H IV, 431, speziell Anm. 22; s. auch unten 
§ 17, bei 3. Anm. 

5 



66 

Die schlechte Stellung der Witwe in diesem OflFnungsrecht wird 
dadurch besonders gekennzeichnet. Ein unbedingter Witwenbeisitz 
steht derselben nicht zu. Sie kann durch die Kinder vom ehe- 
lichen Gut getrieben werden. 

TeilungsmodiLS. In den Offnungen befinden sich keine Be- 
stimmungen bezüglich der Bezüge des Mannes, wohl aber über 
solche der Frau. 

Nach der Öffnung von Tannegg -Fischingen: wenn Kinder 
Teilung begehren, so behält die Frau auf Grund des ehelichen 
GütergemeinschaftsTerhältnisses, das zwischen ihr und dem Ehe- 
mann bestanden hat, die Hälfte des Gemeingutes, während die 
andere Hälfte an die Kinder ausbin zu geben ist. An der eigent- 
lichen Yerlassenschaft des Ehemannes, dieser auszuscheidenden 
Hälfte des ehelichen Gemeingutes, stehen ihr Rechte (eigentliche 
Erbansprüche) nicht zu. 

Nach den Offnungen Ton Wellhausen und Langenerchingen 
erhält die Frau, wenn sie vor Ablauf von „Jahr und Tag" eine 
neue Ehe eingeht, nur die Hälfte der Fahrhabe, und nach der 
Öffnung von Müllheim kommt ihr in diesem Falle ein Anteil über- 
haupt nicht zu. Sofern sie aber die vorgeschriebene Zeit von „Jahr 
und Tag** bei den Kindern verblieben ist, so bezieht sie nach 
diesen Ofl&iungen neben den Kindern ein Kopfteil. Sie hat einen 
eigentlichen Erbanspruch. So bestimmt die Ofl&iung von Müllheim: 

„Item wann ein hofjünger abgath der kind verlath, 
wil den die mueter bei iren kinden in witwenstant be- 
leiben, so sol man sy von den kindern nit tryben, und 
wen sy jar und tag bey den kindern belyben ist, so mag 
sy an ains kindstheil stan, ob sy sich aber endert und 
in dem jar und tag ainen andern man nimpt und nit bey 
den kindern belybet, so soll ir werden ir morgengab und 
daß so sy zu ihrem man bracht hat.**^ 
Nach den Offnungen von Wellhausen und Langenerchingen be- 
schränkt sich indessen der Anspruch der Frau auf ein Nutznießungs- 



^ GW I, 262 ; auch 256, 272. — Nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen 
hat die Ehefrau keinen Anspruch auf eine Quote der ehelichen Errungen- 
schaft. Aus dem ehelichen Gemeingut nimmt sie nur ihr Eingebrachtes und 
ihre Morgengahe. 



67 

recht an ihrer Erbquote, welches sich aber, wenn die Frau vor 
ihrem zweiten Ehemann verstirbt, auf diesen vererbt. Erst mit 
dessen Tod wird das Gut rückfallig. 

Nach den Erbgesetzen: der überlebende Ehegatte, Mann oder 
Frau, hat Anspruch, ein Erbrecht, auf Überlassung eines Eindes- 
anteils, den er indessen nur leibdingsweise bezieht, so daß, wenn 
der überlebende Ehegatte später auch Kinder aus zweiter Ehe 
hinterlassen sollte, dieser Anteil ausschließlich an die Nachkommen 
erster Ehe zurückfallt. LR, Art. 4; Frauenfeld, Art. 6; Dießen- 
hofen, Art. 8, 11. Im Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute: 
der überlebende Ehegatte bezieht gleichfalls einen Eindesanteil, 
erhält dabei aber fahrendes Gut zu Eigentum, während ihm an 
unbeweglichem Gut gleichfalls nur ein Nutznießungsrecht zusteht.^ 
(1525) Art. 5, 7. Dieser Anspruch, wenigstens auf Nutznießungsrecht 
an unbeweglichem Gut, wird indessen verwirkt, wenn der verwitwete 
Ehegatte vor Ablauf eines Jahres (Trauerjahr) seit Auflösung der 
frühem Ehe eine neue Ehe eingeht, außer, es geschehe dies mit 
besonderer obrigkeitlicher Bewilligung. (1525) Art. 14, (1587) Art. 9. 

2) Der überlebende Ehegatte neben Leibeserben aus- 
schließlich aus früherer Ehe. 

Aus den Offnungen ist uns diesbezüglich einzig eine Andeutung 
in derjenigen von Tannegg-Fischingen bekannt: 

„und welches vor dem andern abgath, so erbt ainß 
daß ander in allem, ob sy sonst nit ander lyberben hand.^^ 
Nachkommen aus früherer Ehe gehen danach dem Ehegatten 
späterer kinderlos gebliebener Ehe vor. Das eheliche Güter- 
gemeinschaftsverhältnis ist, wohl sofort, zu liquidieren, und es 
stehen dem überlebenden Ehegatten Ansprüche auf die Yerlassen- 
schaft des Verstorbenen nicht zu. 

Nach den Erbgesdjsen:^ es ist sofort zu teilen. Der über- 
lebende Ehegatte bezieht einen Eindesanteil. LR, Art. 7. 

Lange war streitig, ob dem überlebenden Ehegatten an diesem 
Kindesteil Eigentum oder nur Nutznießung zustehen solle. So 

» Vgl. H IV, 473. 
« GW I, 278. 

' In den Stataten von Dießenhofen und der st. gallischen Gotteshausleute 
nicht geordnet. 



68 

erging bezüglich des Landrechts eine Reihe von Entscheidungen^ 
bald in diesem, bald in jenem Sinne, bis im Jahre 1727 endgültig 
bestimmt wurde, daß sich der Anspruch auf ein Nutznießungsrechi 
beschränke.^ In Frauenfeld kam man, in Ermangelung sicherer 
Anhaltspunkte, 1611 zu einer Einigung dahin gehend: ein Dritteil 
dieser Quote erhält der überlebende Ehegatte zu Eigentum, zwei 
Dritteile nur zur Nutznießung.^ Indessen dürfte eine solche Rechts- 
ordnung kaum fähig gewesen sein, sich auf längere Zeit zu behaupten. 

Bischofszell gewährt an diesem Kindesanteil Eigentumsrecht. 
Der überlebende Ehegatte soll „samt des abgestorbenen (Kindern) 
an sein verlaßen guth anstohn und einen ungefährlichen Kinds- 
theil wie der Kinder eins eigenthumlich zubehalten, darvon Erben 
und nehmen." (1650) Art. 7. Dies findet sich auch in späteren 
Urteilen, aus den Jahren 1756 und 1773, bestätigt.* 

3) Der Erblasser hinterläßt Leibeserben aus früherer 
Ehe und aus der Ehe mit dem überlebenden Ehegatten. 

Die Offnungen enthalten über diese Nachfolge keine Bestim- 
mungen. 

Nach den Erhgesetßen:^ es hat sofortige Teilung zu erfolgen. 
Der überlebende Ehegatte bezieht wiederum, indem alle Nach- 
kommen des Erblassers mit ihm konkurrieren, einen Kindesanteil. 
LR, Art. 5; Dießenhofen, Art. 10, 11. 

Gegenüber den Nachkommen des Erblassers aus der Ehe mit 
dem überlebenden Ehegatten bleibt diesem eine ähnliche Stellung 
bewahrt wie im Falle, wo der Erblasser nur Nachkommen aus 
dieser einen Ehe hinterläßt: es steht ihm für die Zeit des Witwen- 
standes, und wenn er nicht aus besonderen Gründen dieses Rechtes 
verlustig geht, die freie Nutznießung am Erbteil derselben zu. 
Ebenso betreffen ihn gegenüber diesen, seinen eigenen Nach- 
kommen, dieselben Verpflichtungen: er hat aufzukommen für 
Erziehungs- und Unterhaltskosten und er muß sie bei ihrer Ver- 
heiratung, oder wenn sie sonstwie sich verselbständigen, nach 
Verhältnissen ausstatten. LR, Art. 6; Dießenhofen, Ai*t. 10, 11. 



1 Kolb 20 f. 

« Z I, 2, 70. 

* „Fortsetzung des Diarii Domestici" a. a. 0. II, 656. 

^ Im Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute nicht geordnet. 



69 

Der Eindesanteil, welchen der überlebende Ehegatte bei der 
Teilung bezieht, steht diesem nach Landrecht, wie auch nach 
Frauenfelder und Bischofszeller Recht, nur zur Nutznießung zu. 
Lange blieb aber streitig, ob derselbe rückfällig sei nur an die 
Nachkommen des Erblassers aus dessen Ehe mit dem nutznießungs- 
berechtigten Ehegatten, oder aber an alle, auch früherer Ehe 
entstammenden Abkömmlinge desselben. 1717 wurde landrechtlich 
durch die Tagsatzung definitiv in letzterem Sinne entschieden;^ 
ebenso 1773 in Bischofszell.* 

§ 17. b. Leibeserben sind nicht vorhanden. 

Nach den Offnungen. Nur einzelne wenige Bestimmungen 
sind aus denselben bekannt. In der Öffnung yon Gottlieben (1521): 

„ die Ehegatten sind (mit consumptio matrimonii) ain- 
ander recht erben und gemainder worden an ligendem 
und farendem gut ...*** 
Li demselben Sinne die Öffnung von Rheinau,^ sowie die von 
Tannegg-Fischingen: ,so erbt ainß das ander in allem . . .« In- 
dessen wird in letzterer der Vorbehalt gemacht: bei anererbten 
liegenden Gütern des Verstorbenen beschränkt sich der Anspruch 
auf ein „Widemsrecht*; 

»und wenn der widem ledig würth, so soll er wieder 
umb fallen an den negsten erben, danen er komt und 
komen ist.***^ 
Nach den Erbgesetzen. Dieselben enthalten ungleiches Recht. 
Dos Landrecht. Vor 1542 bezog der überlebende Ehegatte 
die gesamte Verlasseuschaffc. Es blieb aber dabei im Ungewissen, 
ob ihm an derselben Eigentums- oder nur Nutznießungsrecht zu- 
stehen sollte. Ein Abschied von 1537 vermeldet zwar als all- 
gemein geltendes und der damaligen allgemeinen Volksanschauung 
entsprechendes Recht: Anspruch auf Eigentum. Indessen erwies 



* Kolb 22; EA VII, I, 783, Art. 465; Z I, 2, 42 f. 
' s. oben S. 68, Anm. 3. 

» GW IV, 419; ThB I, 19, Art. 34. 

* GW I, 287. 

» GW I, 278; auch oben § 16, S. 67, bei Anm. 2. 



70 

sich dies schon 1540 wiederum als so sehr streitig, daß von der 
Tagsatzung eine Entscheidung nicht gefallt werden konnte.^ 

Das Erbgesetz von 1542, Art. 2, beschränkt den Anspruch, 
auf die Hälfte des Eigengutes des Erblassers ; Teilung hat sofort zu 
erfolgen. — Auch hier blieb, indem das Gesetz sich darüber niclit 
ausspricht, unbestimmt, ob der gewährte Anteil zu Eigentum 
oder nur zu Nutznieiaung zustehen sollte. Zwar wurde schon 1543 
von der Tagsatzung in ersterem Sinne entschieden; aber dieselbe 
Frage wurde später wiederum streitig. Die Tagsatzung befaßte 
sich damit neuerdings im Jahre 1696, ohne aber zu einem Ent- 
scheid zu gelangen.^ 

Ein besonderes Recht besteht für Eheleute, die arm zusammen 
gekommen sind und sich zu etwelchem Wohlstand emporgearbeitet 
haben. Der überlebende Teil, es sei der Mann oder die Frau, 
erhält zwei Drittel des ganzen ehelichen Vermögens, das sich in 
seiner Gesamtheit als gemeinsame eheliche Errungenschaft darstellt. 
Sofern aber der Überlebende etwelches Vermögen in die Ehe ein- 
gebracht hat, so steht ihm ein Wahlrecht zu : er kann gleichfalls 
zwei Dritteile des gesamten ehelichen Gemeingutes für sich be- 
anspruchen, ohne Ausscheidung seines eingebrachten Gutes,*^ oder 
aber er kann letzteres vorweg nehmen, muß sich aber dann mit 
einem Anspruch auf die Hälfte am Rest des ehelichen Gemeingutes, 
der ehelichen Errungenschaft, begnügen.* 



' EA IV, I, c, S. 847, lit, h; S. 1210; H IV, 473, Anm. 8. 

'^ Anspruch auf Eigentum: EA V, II, 1509, Art. 86; abgedruckt in 
Kolb23; Tagsatzungsentscheid 1571, ZI, 2, 32 ff. Bestritten: E A \ I, II, 1751, 
Art. 234. — Vgl. dazu oben § 16, S. 67 f.: Stellung des überlebenden Ehe- 
gatten bei kinderloser Ehe neben vorehelichen Leibeserben des Erblassers. 

* Vgl. unten: Bischofszeller Recht. 

* Diese Ansprüche des überlebenden Ehegatten qualifizieren sich als eigent- 
liche Folgen der ehelichen Gütergemeinschaft; sie sind nicht Erbansprüche. — 
Die Stellung des überlebenden Ehemannes wird hier, im Verhältnis zum ge- 
wöhnlichen Hecht, verschlechtert, indem er nur einen Bruchteil der ehelichen 
Errungenschaft bezieht, wo sonst die gesamte Errungenschaft (s. Kolb 17 f.). 
Bezüglich der Frau: ihr bleibt für den Fall, wo sie ihr eingebrachtes Gut 
vorweg nimmt, dieselbe Stellung (sofern wenigstens dem überlebenden Ehe- 
gatten hier Eigentum an der ihm zufallenden Hälfte der Verlassenschaft ein- 
geräumt ist): sie erhält das Eingebrachte zurück und bezieht daneben die 
Hälfte der ehelichen Errungenschaft, im einen Fall direkt als ihren Anteil 



71 

Frauenfeld. Art. 3. Der überlebende Ehegatte behält die 
Nutzung des gesamten ehelichen Gemeingutes, auf Lebenszeit.^ 
Das eingebrachte Gut des Verstorbenen darf hiebei im Falle der 
Not, sofern auch das Eigengut des Überlebenden bereits erschöpft 
ist, angegriffen werden, „doch nach Zimlichkeit" und nur mit 
besonderer Einwilligung von Schultheiß und Rat. — Beim Tode 
des Nutznießers gelangt das Gemeinvermögen zur Liquidation. 
Eingebrachtes Gut und Morgengabe fallen dabei auf die Verwandten 
des Einbringers oder des Bedachten zurück, während von der ehe- 
lichen Errungenschaft zwei Dritteile der Mannes-, einer auf Frauen- 
seite zukommen. Allfällige Verluste werden im gleichen Verhältnis, 
wie der Vorschlag zugeteilt wird, auf Mannes- und Frauengut in 
Anrechnung gebracht. 

Für Eheleute, die sich aus Armut emporgearbeitet haben, 
kennt Frauenfeld dasselbe Spezialrecht wie das Landerbgesetz. 

Dießenhofen. Art. 14, 15. Nach „altem Stadtbruch" hatte, wie 
in diesen Bestimmungen hervorgehoben wird, der überlebende Ehe- 
gatte Anspruch auf die Hälfte der Verlassenschaft des Erblassers, 
welcher Anteil ihm zu Eigentum zukam. Mit dem Erbstatut aber 
wird ein gleiches Recht eingeführt, wie es im Frauenfelder Erb- 
gesetz anerkannt ist: Nutzung des Gemeingutes auf Lebenszeit 
mit Möglichkeit des Angriffs des Hauptgutes im Notfall. Bei 
der Auseinandersetzung nach dem Tode des Nutznießers fallt die 
gesamte eheliche Errungenschaft ausschließlich dessen Verwandt- 
schaft zu. 

Bischofs^ell. 1674, Art. 2; 1650, Art. 2.^ Das Gemeingut 
bleibt auch hier in der Hand des überlebenden Ehegatten ver- 
einigt, und zwar wächst ihm dasselbe in seinem ganzen Umfang 
zu Eigentum an zufolge des Gemeinderschaf tsverhältnisses, das 
zwischen den beiden Ehegatten bestanden hat und das, mit allen 
seinen Wirkungen, die Ehe überdauert. 



am ehelichen Gemeingut, im andern indirekt durch Beerbung des Ehemannes, 
dessen Yerlassenschaft die ganze eheliche Errungenschaft beizurechnen ist. 

* Durch neue Heirat geht derselbe, indem ein Vorbehalt, daß er im 
Witwenstand verbleibe, nicht .aufgestellt ist, dieses Rechts nicht verlustig. 
Vgl. Kolb 23. 

2 Abgedruckt in Kolb 25 f. 



72 

Letzteres, Fortsetzung des ehelich-güterrechtlichen Verhält- 
nisses über den Tod des einen Ehegatten hinaus, macht sicli 
namentlich auch geltend beim Tode des zweiten Ehegatten. Eine 
Liquidation des Gemeinderschaftsverhältnisses, wie sie oben in § 15 
dargestellt wurde, hat nicht einzutreten. Die Gemeinderschaft 
als solche wird beerbt. Das Gemeingut vererbt sich ohne Unter- 
scheidung von Mannesgut und Frauengut an die Verwandtschaft: 
von Mann und Frau, und zwar mit völliger Gleichstellung der 
beidseitigen Verwandtschaft, zu gleichen Teilen. Eine Ausnahme 
bestand im älteren Recht für den Fall, wo der überlebende Ehe- 
gatte eine neue Ehe einging und aus dieser Ehe Nachkommen 
hinterließ: diese Nachkommen erbten in das gesamte frühere 
Gemeingut. Es ergibt sich dies aus der Bestimmung: 

„doch so wann nachgeendts das überblyben Eegemächt 
auch one Eeliche kinder vnnd liberben Todes abgon 
wurde, solte Ir beider Hindergelassen hab vnnd guet, 
alles an Ir beider fründtschafften glichlicher fallen . . .^ 
(Erbgesetz von 1574, Art. 2.) 
Durch Wiederverheiratung geht der überlebende Ehegatte seines 
Rechts am gesamten ehelichen Vermögen nach dem älteren Gesetz 
nicht verlustig. Die Verwandten des verstorbenen Ehegatten können 
eine Teilung nicht verlangen, ja sie werden sogar, wie eben er- 
wähnt, durch Nachkommen des überlebenden Ehegatten aus seiner 
zweiten Ehe von jedem Anspruch ausgeschlossen. Anders nach 
dem Erbgesetz von 1650; es muß geteilt werden. Bei dieser 
Teilung nimmt der überlebende Ehegatte aus der Masse vorweg 
sein Eigengut. Aus dem Gut des Verstorbenen erhält er sodann 
(als Erbe) die eine Hälfte zu Eigentum, während die andere 
Hälfte den Verwandten des Erblassers zu verabfolgen ist.^ — Dem 
überlebenden Ehegatten steht auch das Recht zu, solche Teilung 
zu begehren, ohne daß er eine neue Ehe einginge; er hat ein 
Wahlrecht. Das Begehren kann aber nur unmittelbar nach dem 
Tode des Erblassers gestellt werden. 

Erbrecht der st gallischen Gotteshausleute, (1525) Art. 3, 4. 
Der überlebende Ehegatte bezieht fahrendes Gut, das der Ver- 

^ Die Zuteilung allfälliger ehelicher Errungenschaft ist nicht geordnet. 
Vgl. indessen Kolb 18. 



73 

storbene eingebracht hat, zu Eigentum; an liegendem hat er Nutz- 
nießung auf Lebenszeit. Es ist dasselbe Recht, wie wir es schon 
in der Offiiung von Tannegg-Fischingen angetroffen haben. 

Wenn wir die einzelnen Rechtsordnungen überblicken, so 
ersehen wir, daß, mit einziger Ausnahme des neuen Landrechts, 
alle dasselbe Ziel verfolgen: es soll der überlebende Ehegatte, 
soweit dies tunlich und mit den Interessen erbberechtiger Ver- 
wandter vereinbar ist, in seiner bisherigen wirtschaftlichen Stellung 
belassen werden, ebensogut in der kinderlosen, wie in der «beerbten* 
Ehe. Er soll namentlich auf dem ehelichen Gut verbleiben und 
dieses wie bis anhin bewirtschaften können. Die Stellung, die er 
sich mit Eingehung der Ehe erworben hat, soll ihm erhalten 
bleiben, sei es auf Lebenslänge, sei es wenigstens solange, als bis 
er, durch Eingehung einer neuen Ehe, sich eine neue Existenz 
beschafft hat. Die einzelnen Rechte sind nur insoweit voneinander 
verschieden, als sie beim Tode des überlebenden Ehegatten, oder 
schon bei dessen Wiederverheiratung, wo diese Teilungsgrund ist, 
eine ungleichartige Verteilung des früheren ehelichen Gemein- 
vermögens eintreten lassen, welche rückwirkend dem Recht des 
überlebenden Ehegatten ungleichen Charakter aufprägt, anderer- 
seits gleichzeitig auch von Einfluß ist für die Bemessung der 
Verfügungsgewalt, welche jenem am eingebrachten Gut des Ver- 
storbenen zusteht (Eigentum, Nutznießung). 

Dasselbe Ziel, dem überlebenden Ehegatten bei Auflösung 
der Ehe die einmal erlangte wirtschaftliche Stellung zu wahren, 
verfolgt auch das Erbgesetz von 1810,^ und es scheint dies auch 
am ehesten, und wohl noch heute, dem allgemeinen Rechtsgefühl 
zu entsprechen. 

Ein subsidiäres Erbrecht des Ehegatten auf die ganze Ver- 
lassenschaft eines Erblassers für den Fall, daß derselbe keine erb- 
fähigen Blutsverwandten hinterläßt, wie wir dies im modernen 
Recht antreffen werden, findet sich in den alten Quellen nirgends 
vorgesehen. 



* s. unten § 32. 



74 



§ 18. D. Die erblose Verlassenscliaft. 

Über den Anfall einer erblosen Verlassenscliaft enthalten das 
Landrecht wie das Erbgesetz von Frauenfeld keine Bestimmungen. 
Aus Bischofszell ist allein der Vorbehalt bekannt: 

„Es soll anhain Herre (Bischof von Konstanz) von 
sinen Aagen mann Erben nach sinem Tode dehain Hus 
noch anhain ligends gut das zu mardtrecJit lit" (1350).^ 
Wer indessen bezugsberechtigt sein soll, wird nicht geordnet. 

In Dießenhofen: erbloses Gut föllt der Stadt an, und zwar 
soll dasselbe, nach einem Statut von 1260, zu einem Teil dem 
„advocatus** (Vogt) überlassen, zu einem andern zur Befestigung 
der Stadt verwendet und zu einem dritten unter die Armen ver- 
teilt werden.^ 

Häufiger finden sich Bestimmungen in den Offnungen. 
Nach einigen derselben, namentlich solchen aus älterer Zeit, 
fallt das erblose Gut auf den Hofherrn zurück; dieser hat einen 
Rückfallsanspruch. So nach den Offnungen von Eschenz (1296) 
und Klingenberg (1449), bei letzterer, bei der engbegrenzten Erb- 
berechtigung, mit dem Vorbehalt, daß Waffen des Verstorbenen 
an dessen „nächsten freund* fallen sollen.* 

Andere Offnungen schließen einen Anspruch des Hofherrn 
auf erbloses Gut ausdrücklich aus. Dasselbe soll dem nächsten 
Nachbarn anfallen. So bestimmt die Öffnung von Landschlacht: 

„War daß ein gotshusmensch von tods wegen ab- 
gieng und keinen gebornen fründ hinder im verließ, so 
soll und mag man einen faden binden an des abgegangen 
menschen herberg türnagel und den strecken an des 
nechsten gotshus menschen hus, der daby wont und 
seßhaft ist: der selb gotshus mentsch soll und mag die- 
selben gotshusgüeter erben, die der abgegangen mensch 
vor besessen hat.*** 



^ Archivü episcopicellani I, 5, 16, 35. 
2 PTh, Beilage Nr. 7, S.U. 
8 Vgl. oben § 18, S. 54, bei Anm. 5 und 6. 
* GW I, 246; ThB XXIX, 44. 



75 

Ähnlich die OflFhungen von Wigoltingen (1403), Langenerchingen, 
Petershausen, Gottlieben (1521).^ 

Das ursprüngliche Rückfallsrecht der Hofherren war damit, 
wenigstens in den erwähnten Höfen, völlig beseitigt.^ 

Eine besondere Ordnung besteht für die Zuteilung der Ver- 
lassenschaft beerbungsunfahiger Personen.^ 

Das Gut Unehelicher sowie der Findelkinder wurde, seit 
Übergang der Herrschaft an die Eidgenossen, zu Händen dieser 
konfisziert.* Ein besonderes Recht blieb dabei vorbehalten zu 
gunsten der Abtei St. Gallen: die Verlassenschaft unehelich Ge- 
bomer aus ihren Gebieten fiel dem Kloster zu.*^ 

Personen geistlichen Standes: Bei Weltgeistlichen kam deren 
Verlassenschaft ihrem Leiheherm, als solchem namentlich dem 
Bischof von Konstanz zu, bei Klostergeistlichen dem Kloster, dem 
diese zugehörten.® Vereinzelt haben indessen die Höfe das Recht 
erlangt, daß Geistliche durch die Verwandten beerbt werden konnten. 
So Engwilen nach der Öffnung vom Jahre 1532 (erneuert 1611); 
die Hofleute beerben „pfaffen, munch und nunnen.*' 

Mit der Reformation mußte es aufkommen, daß die Geist- 
lichen der reformierten Kirche wenigstens durch ihre Nachkommen 
beerbt wurden. Allerdings wurde ein erstes Gesuch auf Zulassung 
eines solchen Erbrechts, welches die Stadt Frauenfeld im Jahre 
1530 an die Tagsatzung richtete, von dieser aufs schroftste zurück- 
gewiesen mit der Begründung: „es sei recht und billig, daß von 



* Schauberg II, 72, Art. 17; GW I, 269, 246; ThB I, 19, Art. 35. 

* Vgl. Bluntschli I, 311; auch Hausier II, 616. — Als Rest dieses Rück- 
fallsrechts blieb dem Hofherm der Anspruch auf den „Laß", eine Abgabe, 
die ursprünglich die gesamte verlassene Fahrhabe umfaßte, später aber auf 
eine Quote (\'io) derselben beschränkt wurde. Sie war zu entrichten, sobald 
ein Erblasser nicht durch eheliche Nachkommen oder durch Geschwister, die 
mit ihm im Gütergemeinschaftsverhältnis standen (s. oben § 11), beerbt wurde, 
d.h. in allen Fällen, wo in alter Zeit das Rückfallsrecht bestanden hatte. 

' s. oben § 6. 

* Vorbehalten das Erbrecht ehelicher Nachkommen im jungem Recht. 

* 8. oben § 14. 

' Eine Verfügung zu gunsten ihrer Verwandten war diesen nicht möglich. 
EA IV, I, e, 1248 f. Entscheid vom Jahre 1555. 
' GW I, 284. 



76 

Pfaffen die Erbschaft an den Landesherm komme; sie würden zu 
geizig, wenn ihr Gut den Kindern zufiele.*^ Diese höchst un- 
gerechte Antwort begreifen wir nur, wenn wir uns erinnern, daß 
gerade um jene Zeit, da dieselbe erging, der Reformationsstreit 
aufs heftigste entbrannt war.^ Daß aber ein solcher Rechts- 
zustand auf die Dauer habe aufrecht erhalten werden können, 
ist nicht denkbar. 



1 EA IV, I, c, 610, Ziff. 21. 
« Vgl. PTh II, 298 ff. 



Z^veiter Teil. 



Das nenere und das geltende Recht 



§ 19. I. Die neuere Gesetzgebung 
auf dem Gebiete des Erbrechts. Aufnahme des 

französischen Rechts. 

Nachdem zufolge des großen politischen Umschwunges der 
Jahre 1798 und 1803 der Thurgau sich zum selbständigen und 
einheitlichen Staatswesen organisiert hatte, ^ verlangte man in 
demselben auch nach selbständiger und einheitlicher Gesetzgebung; 
für alle Bürger sollte gleiches Recht gelten.^ 

Eine einheitliche Gesetisgebung auf dem Gebiete des Erbrechts 
kam indessen vorläufig nicht zustande, wenn auch bereits im 
Jahre 1804 von Seite des Großen Rates eine Einladung an den 
Kleinen Rat ergangen war auf Ausarbeitung und Vorlegung eines 
Erbgesetzesentwurfs. Es blieb beim alten Recht: dem Landerb- 
gesetz mit seinen Ergänzungen, den Erbordnungen der Städte 
und den Erbstatuten der st. gallischen Gotteshausleute. ^ 

* Vgl. Sulzberger, Geschichte des Thurgaus, 1798 — 1830 (herausgegeben 
als Anhang zu PTh II). 

^ Hier auch auf die Frage der Gerichtsyerhältnisse, wie im ersten Teil, 
einzutreten, erachten wir als entbehrlich. Wir verweisen diesbezüglich auf 
Kolb 36 f. 

' Dies ist namentlich ersichtlich aus Urteilen des Appellationsgerichts 
aus den Jahren 1803 (Nr. 39 des Protokolls), 1804 (vom 7. Dez.) und 1808, 
wo das Landerbgesetz, und einem andern, wo das Erbstatut der st. gallischen 
Gottesbausleute zur Anwendung gelangt. Vgl. auch die Einleitung zum Erb- 
gesetz von 1810. 



78 



Ein erstes und ausführliches Erbgesetz wurde erlassen am 
9. Mai 1810 auf Grundlage eines am 21. März 1809 vom Kleinen 
Rat herausgegebenen Entwurfs.^ 

Dieses Gesetz wurde am 17. Juni 1839 durch ein neues er- 
setzt, das aber zur Hauptsache die Bestimmungen des früheren 
in demselben Wortlaut wiedergibt. Dieses neue Gesetz erfuhr 
sodann Revisionen am 11. Februar 1867 und 3. März 1885.* Es 
wird zitiert als Erbgesetz vom 17. Juni 1839, 11. Februar 1867 
und 3. März 1885. Es ist das heute geltende Erbgesetz.^ 

Zu den einzelnen Gesetzen wurden vom Großen Rat, als gesetz- 
gebender Behörde, erläuternde Beispiele erlassen, denen die Be- 
deutung authentischer Interpretationen beizumessen ist. 

Allgemeiner Charakter der Erhgesetze; Anlehnung an das 
französische Recht. Die Erbgesetze, wie wir sie eben erwähnt, 
haben, wenigstens bezüglich ihrer Bestimmungen über gesetzliche 
Erbfolge der Blutsverwandten, den Code Napoleon zum Vorbild, ein 
Gesetzgebungswerk, das um die Zeit des Erlasses des ersten thurg. 
Erbgesetzes (1810) allgemein als vorbildlich gefeiert war. Nament- 
lich eng schließt sich an denselben das Gesetz von 1810 an, das 



* Demselben sind kurze Begründungen beigefügt. Ausführlichere Moti- 
vierungen wollte der Kleine Bat, laut seinem Begleitschreiben zum Entwurf, 
vor dem Großen Rat mündlich vorbringen; indessen finden sich solche in den 
Großratsprotokollen nicht aufgezeichnet. 

* Letztere gleichzeitig mit der Revision des „privatrechtlichen Gesetz- 
buches. '^ Die Änderungen von 1885 sind indessen nur unwesentliche: dem §26 
wurde ein Zusatz beigefügt und sodann die erläuternden Beispiele zu den 
§§ 26 und 41 geändert. Eine durchgehende Revision erschien nicht als er- 
forderlich (Amtsblatt, Jahrgang 1881, S. 1044). 

' Die verschiedenen Erbgesetze finden sich abgedruckt: G 1810: Tag- 
blatt der Beschlüsse, Dekrete und Verordnungen (1803—1812) VIII, 179 ff.; 
Sammlung der während des Zeitraums von 1803—1814 erschienenen . . . Gesetze 
und Verordnungen (1830), 359 ff. G 1839: Kantonsblatt III, 219 ff. G 1867; 
Amtsblatt, Jahrgang 1867, 113 ff und in besonderem Heft (zugleich mit dem 
„privatrechtlichen Gesetzbuch" von 1860) als Anfang zu einem Band VI der 
(alten) Gesetzessammlung. G 1885 : Neue Gesetzessammlung IV, 664 ff; thur- 
gauisches Rechtsbuch (1902) 174 ff. — Neben dem Erbgesetz kommt als Rechts- 
quelle für uns auch gelegentlich in Betracht das „privatrechtliche Gesetzbuch'^, 
vom 11. April 1860, revidiert 3. März 1885 (Abgedruckt: neue Gesetzessammlung 
IV, 599 ff; Rechtsbuch 1 ff.). 



79 

in manchen Punkten dessen Bestimmungen in fast wortgetreuer 
Übersetzung wiedergibt.^ Auch im heute geltenden Gesetz ist 
diese Nachbildung noch deutlich erkennbar. Eine Zusammen- 
stellung der sich entsprechenden Sätze dieses Gesetzes und des 
Code Napoleon möge dies beweisen: 



G 1885 §§ 


C c fr. Art. 


4 


724 


7, 8 


745 


9, 10, 11 


739, 740, 743 


24, 25 


748 


26, Abs. 1 


751 


27 


742 


28 


742, 749, 750 


29« 


752 


30 


750 


31, 32 


746, 733, 734, 741 


33 


754 


36 


755» 


56 


755 


57 


735, 736, 737, 738.* 



Im weitem zeigen die thurgauischen Erbgesetze, im geltenden 
Recht allerdings mehr nur nach dem Wortlaut als in der praktischen 
Anwendung, mit dem Code Napoleon viel Übereinstimmung be- 
züglich der Ordnung des Erbschaftsantritts. (Vgl. unten § 22.) 



^ Der Kleine Rat bemerkt in seinem Begleitschreiben zum Entwurf von 
1809: „Es lag in Ihrem (des Großen Rates) Willen, den Sie uns erst ktlrzlich 
mittels besonderen Auftrag zu erkennen gaben, daß wir beim Entwurf dieses 
Gesetzes auf das französische Gesetzbuch vorzügliche Rücksicht nehmen sollen. 
Wir benützten dasselbe im allgemeinen in Hinsicht der ab-Intestat-Erbfolge, 
glaubten aber dann in manch anderen Fällen davon abweichen zu müssen, 
da manche Verfügungen, so trefflich sie auch seyn mögen, uns mit unserer 
Verfassung und dem Geist der Nation noch nicht vereinbarlich seien." 

^ G 1810, § 23 (G, § 29, entsprechend), ist die genaue Wiedergabe von 
Art. 752 des C. c. fr. ; G § 29 enthält eine kleine Abänderung. 

* G 1810, § 40, übereinstimmend. 

^ Indem auch das st. gallische Erbgesetz vom Jahre 1808 sich an den 
C. c. fr. anschließt, ergibt sich, daß die thurgauischen Gesetze auch mit diesem 
bezüglich der Erbfolge der Blutsverwandten vielfach übereinstimmen. 



80 

In einzelnen Punkten des Erbrechts ist immerhin andrerseits 
auch eine Anlehnung an das französische Recht geradezu abgelehnt: 
so einmal bezüglich des Nachfolgerechts des überlebenden Ehe- 
gatten, wo, zwar nicht ohne wesentliche Änderungen, zur Haupt- 
sache beim althergebrachten und selbständig herausgebildeten 
Recht verblieben wird; sodann bezüglich des Erbrechts der Un- 
ehelichen, das, im Verhältnis zu den alten Rechtszuständen, 
wenigstens in späterer Zeit, bedeutende Erweiterungen erfährt;^ 
endlich bezüglich der Stellung der Adoptivverwandtschaffc,* hin- 
sichtlich deren sich die thurgauischen Gesetze eng an das Zürcher 
Recht anlehnen. Namentlich hat die Unterscheidung des fran- 
zösischen Rechts in eine eigentliche Erbfolge nur der ehelichen 
Blutsverwandten und eine »succession irr^guliere" des überlebenden 
Ehegatten und der unehelichen Verwandtschaft (C. c. fr., Art. 723, 
724, 769 ff., 773)^ keine Aufnahme gefunden. 

Das alte thurgauische Recht, wie wir es oben, im ersten Teil, 
zur Darstellung gebracht haben, ist, außer, wie erwähnt, bezüglich 
Regelung der Ansprüche des überlebenden Ehegatten, in der 
Gesetzgebung des Staates Thurgau wenig, und namentlich in den 
Bestimmungen über Erbfolge der ehelichen Blutsverwandten der 
geraden aufsteigenden Linien und der Seitenlinien gar nicht zur 
Berücksichtigung gelangt. Die neuere Gesetzgebung bietet sich 
zur Hauptsache nicht dar als eine Weiterbildung des alther- 
gebrachten oder allmählich selbständig ausgebildeten Rechts. Sie 
enthält ein neues, fremdes Recht. Der alte deutsch -rechtliche 
Grundcharakter, den die alten Erbordnungen, wenn auch nicht 
unbeeinflußt durch gemeinrechtliche Prinzipien, aufgewiesen haben, 
ist dem neuem Recht verloren gegangen. Er ist durch einen 
römisch-rechtlichen, der auch dem Code Napoleon zu gründe liegt, 
verdrängt worden.* 



^ G 1810 schließt sich diesbezüglich an das st. gallische Erbgesetz an. 

2 Erst 1860 geordnet. 

8 s. H II, 12. 

^ Wir erinnern an die Elassenordnung des neuen Rechts und die Grad- 
zählung nach Zeugungen im Verhältnis zur Parentelenordnung des alten Hechts. 
Vgl. indessen auch unten § 28: Erbfolge der entferntem Seitenyerwandten. 



81 



IL Allgemeine Bestimmungen bezüglich der 

Erbfolge/ 

§ 20. 1. Die Erbmasse. 

, Der Inbegriff der übertragbaren Rechte und Verbindlichkeiten 
eines Verstorbenen macht seine Verlassenschaft aus.* G, § 1.^ 
Diese Verlassenschaft vererbt sich als Einheit an sämtliche Erben. 

Mit der Annahme der Erbschaft, dem , Erbantritt **, wird der 
Erbberechtigte Universalsukzessor des Verstorbenen. Er tritt in 
alle Rechte und Verbindlichkeiten desselben ein, soweit nicht 
diese Rechte und Verbindlichkeiten durch den Tod des Erblassers 
aufgehoben wurden. § 4. Miterben erwerben diese Rechte zur 
gesamten Hand; für Nachlaßverbindlichkeiten werden sie solidarisch 
haftbar. §5.« 

Der Erbe, der die Erbschaft angetreten hat (s. unten § 22), 
haftet für die Nachlaßschulden unbegrenzt, auch mit seinem eigenen 
Vermögen ; die Schulden des Erblassers sind durch Erbantritt seine 
persönlichen Schulden geworden. Er haftet nicht etwa bloß mit 
den Aktiven, die er aus der Verlassenschaffc des Erblassers bezogen 
hat. §4.^ OGE202. 

Um nicht Gefahr zu laufen, unbewußt eine überschuldete 
Erbschaft anzutreten und, zufolge der unbegrenzten persönlichen 
Haftung, daraus Verluste zu erleiden, kann ein zur Erbfolge Be- 
rufener um Gewährung des beneßcium invenfarii nachsuchen 
(unten § 22), welches ihm ermöglicht, sich vor Erbantritt über den 
Stand von Nachlaßaktiven und -Passiven zuverlässige Kenntnis zu 



^ Dieselben haben, wenigstens teilweise, auch Geltung für die Erbfolge 
aus letztwilliger Verfügung oder aus Erbvertrag. 

^ Auf der Yerlassenschaft eines Verstorbenen lasten auch die ordentlichen 
Auslagen für die Beerdigung. OGE 204. 

* G 1839, § 5, sagt diesbezüglich: „Mehrere Miterben haften Einer für 
Alle und Alle für Einen (solidarisch) für die Verbindlichkeiten ..." 

^ In G 1810 findet sich dies zwar nicht direkt ausgesprochen; indessen 
läßt sich aus § 102 schließen, daß solche Haftung als selbstyerständlich geltend 
vorausgesetzt ist, indem dort bestimmt wird, daß auch bei Erbantritt unter 
Bechtswohltat des Inventars alle mit der Erbschaft „verbundenen Lasten und 
Verbindlichkeiten'^ auf den Erben übergehen. 

6 



82 

beschaffen. § 115. Wo diese Rechtswohltat gewährt ist, erfolgt 
öffentliche Inventaraufnahme, und wird ein öffentlicher Schulden- 
ruf erlassen. Wenn dann der Erbberechtigte nach der Inventar- 
aufnahme die Erbschaft antritt, so haftet er zwar für die Erb- 
schaftsschulden gleichfalls persönlich,^ aber nur soweit als die- 
selben inventiert sind. Zur Inventuraufnahme nicht angemeldete 
Erbschaftsforderungen sind verwirkt, vorbehalten die Möglichkeit 
der Restitution für besondere Fälle, wo der Erbe nachträglich 
bis auf den Betrag seiner Bereicherung aus der Erbfolge in An- 
spruch genommen werden kann (§29 des Einführungsgesetzes 
zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Eonkurs, 1891^).^ 
Ein Gegenstück zu diesem beneficium inventarii ist das bene- 
ficium separationis, die Rechtswohltat der Sonderung der Ver- 
lassenschaft. Die Erbschaftsgläubiger können, sofern die (solvente) 
Erbschaft einem überschuldeten Erben zufallt und fttr sie bei 
Vermischung der Erbmasse mit dem Vermögen dieses Erben Gefahr 
besteht, wegen Konkurrenz auch der persönlichen Gläubiger des- 
selben in die Erbmasse, für ihre Forderungen volle Befriedigung 
nicht mehr erlangen zu können, gesonderte Liquidation des Nach- 
lasses und vorgehende Befriedigung aus diesem verlangen. Ein 

1 Vgl. Erbgesetz von St. Gallen (1808), § 193. 

' Dieselbe Bestimmung enthält eine Verordnung des Obergerichts „be- 
treffend das Verfahren bei Benefizinventuren" vom Jahre 1865, § 3 (Gesetzes- 
sammlung V; 62), erlassen auf Grundlage des Eonkursgesetzes von 1853, § 35 
(ebenda S. 74). Femer sind schon aus früherer Zeit amtliche Schuldenrufe 
bekannt, welche Verwirkung des Anspruchs bei Unterlassung der Anmeldung 
androhen. Diese beweisen, daß ein solches Recht schon früher in der Praxis 
anerkannt war. Vgl. Amtsblatt, Jahrgang 1850, S. 20, 43, 57 u. a. m. 

' Bei den Vorberatungen zu der Gesetzesrevision von 1885 befaßte man 
sich unter anderem auch mit dem Gedanken, die Haftung der Erben zu mindern, 
indem die unbegrenzte Haftung als zu hart empfunden wurde. In seiner 
Weisung an den Regierungsrat vom 22. Nov. 1881 auf Ausarbeitung und Vor- 
legung von Revisionsanträgen bemerkt der Große Rat: „dabei soll er auch 
die Frage prüfen, ob nicht der in § 4 des Erbgesetzes aufgestellte Grundsatz 
etwelcher Maßen eingeschränkt werden sollte^ (Amtsblatt, Jahrgang 1881, 
S. 1044). Eine diesbezügliche Vorlage ist uns indessen nicht bekannt geworden. 
Ein Rechtsgutachten des Bezirksgerichts Bischofszeil anerkennt die volle Erben- 
haffcung gleichfalls als in vielen Fällen zu hart, vertritt indessen zugleich 
die Ansicht — wie wir wenigstens dieses Gutachten verstehen zu müssen 
glauben — , daß man mit dem beneficium inventarii auskommen könne. 



83 

dahingehendes Begehren ist innert drei Monaten nach dem Tode 
des Erblassers zu stellen. Voraussetzung für Erlangung dieses 
beneficium ist, daß von den Naehlaßgläubigem die Geföhrdung 
ihrer Ansprüche glaubhaft gemacht wird. (Einführungsgesetz zum 
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Eonkurs, § 27.) 

§ 21. 2. Passive Erbfähigkeit. Eintritt des Erbfalles 

(Verschollenheit). 

Fähig, beerbt zu werden, ist jede physische Person. Erb- 
unfähigkeitsgründe, wie sie dem alten Recht eigen waren (ygl. oben 
§ 6), kennt das neuere Recht nicht mehr. 

Ein Erbfall tritt ein mit dem Tode einer (physischen) Person. § 3. 

Besonders geregelt ist der Eintritt des Erbfalles bei langer 
nachrichtsloser Abwesenheit einer Person (VerschoUenheit). Da 
eine Gewißheit, ob dieselbe noch lebe oder bereits verstorben sei, 
nicht beschafft werden kann, behilft man sich mit Vermutungen. 

Für die ersten 15 Jahre, gerechnet von dem Tage an, „auf 
welchen die letzte sichere Kunde vom Leben des unbekannt Ab- 
wesenden sich bezieht*, wird dessen Leben vermutet. PR, § 12. 
Für eine folgende Frist derselben Dauer werden weder Leben noch 
Tod vermutet (eigentliche Verschollenheit). Wer während dieser 
Zeit gestützt auf das eine oder andere ein Recht geltend machen 
will, hat den Beweis des Lebens oder des Todes des unbekannt 
Abwesenden zu erbringen.* PR, § 14, Abs. 1. Nach Ablauf dieser 
zweiten Frist, also 30 Jahre seit der letzten sichern Nachricht 
vom Leben des Verschollenen, wird sodann der Tod desselben 
angenommen. Auf Begehren der Interessenten (Erbansprecher) 
erläßt das Gericht (Bezirksgericht) die Todeserklärung. Die Erb- 
schaft wird damit eröffnet. Hiebei wird vom Gericht ein bestimmter 
Tag als (mutmaßlicher) Sterbetag des Verschollenen bezeichnet, 
auf welchen die Eröffnung des Erbganges bezogen wird. PR, § 16. 
Die Pflicht zur Rückleistung bei allfalliger Rückkehr des Ver- 
schollenen, und, mit allen seinen Rechtsfolgen, ein Gegenbeweis 
gegen die Todeserklärung, daß der als verstorben Erklärte noch 

^ Ygl. H I, 120. Thurgau schließt sich in diesem Punkte eng an das 
zürcherische Recht an. 



84 

lebe, oder daß er zu anderer Zeit als an dem vom Gericht ein- 
gesetzten „mutmaßlichen Todestag ** verstorben sei, bleiben vor- 
behalten.i PR, § 18. 

Sofern eine Person in Verbindung mit einer besondem Todes- 
gefahr verschwunden ist, ohne daß aber deren Tod nachgewiesen 
werden kann, oder wenn ein nachrichtlos Abwesender das 80. Alters- 
jahr überschritten hätte, so fallt die Vermutung für das Leben 
dahin. Es werden diese Personen, ohne daß es eines Fristablaufs 
bedarf, als im Sinne des § 14, Abs. 1, PR, „verschollen** betrachtet- 
Nach 15 Jahren kann sofort die Todeserklärung nachgesucht und 
damit Eröffnung des Erbganges verlangt werden. PR, § 15; OQE, 4.* 

Bei Eintritt der Verschollenheit können, auf Grund einer 
gerichtlichen Verschollenheitserklärung, die jeweiligen Präsumitiv- 
erben des Verschollenen Aushingabe der Zinsen von vorhandenem 
Vermögen des Verschollenen verlangen. PR, § 14, Abs. 2.* 

§ 22. 3. Aktive Erbfähigkeit. Erbschaftsanfall und Erbschaftserwerb. 

Fähig, Erbe zu sein, ist jede (auch juristische*) Person. 
Gründe von Erbunfahigkeit, sei es einer absoluten, wie für Un- 
eheliche nach ältestem Recht (oben § 14), oder nur einer relativen, 
wie Verwirkung des Erbrechts gegenüber einem bestimmten Erb- 
lasser durch Begehung eines Verbrechens gegen dessen Person,^ 
sind den thurgauischen Erbgesetzen nicht bekannt.* 



^ Eine Kaution auf Bückleistung für den Fall einer möglichen Eückkehr \ 

des Verschollenen kann von den Erben nicht gefordert werden. Verhandlungen 
des Regierungsrats vom 24. November 1880, Amtsblatt, Jahrgang 1880, S. 895. \ 

OGE 6. 

2 Dabei gilt bei Personen, die in hoher Todesgefahr verschollen sind, 
nicht etwa der Tag dieser Todesgefahr als deren Todestag, sondern ein vom 
Gericht angesetzter „Sterbetag." Vgl. H I, 118. 

8 Vgl. ZPR § 912 (1970). 

^ Solche kommen allerdings zur Hauptsache nur auf Grund letztwilliger 
Verfügung als Erben in Betracht, ausnahmsweise ab intestato in „erbloser 
Verlassenschaft" (Gemeinde und Eirchspielarmenkasse; s. unten § 34). 

ö Vgl. z. B. ZPR § 921; auch OGE 236 (1885): bezüglich einer Erbfolge 
aus letztwilliger Verfügung. 

• Vor Aufhebung der Klöster war gewohnheitsrechtlich geistlichen Ordens- 



V 



85 

Die Erbschaft fällt den erbberechtigten Personen an mit dem 
Tode (Todeserklärung) des Erblassers: Erbanfall. 

Unbedingte Voraussetzung für jede Erbfolge einer Person ist, 
abgesehen von der Frage spezieller Erbberechtigung, daß dieselbe 
zur Zeit des Erbanfalls gelebt, als rechtsfähige Persönlichkeit 
existiert habe.^ Eine Ausnahme besteht zu gunsten der nascituri 
(nachgeborene Kinder^. Ihnen wird, sofern sie schon zu Lebzeiten 
des Erblassers konzipiert waren, obwohl sie zur Zeit des Erb- 
anfalls Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit noch nicht erlangt 
hatten, für den Fall lebendiger Oeburt ein Erbanteil zurückbehalten. 
Mit lebendiger Geburt^ werden sie, weil nun rechtsfähig (PR, § 2), 
erbberechtigt. PR, § 3. 

Zugleich mit dem Erbanfall wird, nach geltendem Recht, 
der Berufene Erbe. Er tritt ipso jure in die Rechte und Pflichten 
des Erblassers ein. »Der Tote erbt den Lebendigen.** Es bedarf 
für Erlangung der Erbenstellung keiner besondern Erbhandlungen 
(Antrittserklärung) seitens des Berufenen. Dieser Erwerb bleibt 
indessen resolutiv bedingt durch die Möglichkeit der Erbaus- 
schlagung.- Es ist dies Erwerb deutsch-rechtlichen Systems, wie 



Personen für die Dauer ihres Ordensgelübdes nur eine beschränkte Erbföhig- 
keit zugestanden: sie hatten nur Anspruch auf ein Pekulium ans dem Nachlaß 
eines Erblassers. Dies hatte auch zur Folge, daß eine Erbberechtigung, die 
ihnen, wenn sie weltlichen Standes geblieben wären, zugestanden hätte, sich 
nicht an die nächsten Verwandten ihrer Person, sondern direkt vom Erblasser 
auf dessen übrige Intestaterben vererbte. Urteil des Obergerichts vom 27. März 
1843. Aus Hirzels Sammlung prinzipieller Entscheidungen des thurg. Ober- 
gerichts (Manuskript auf der Obergerichtskanzlei), S. 4. Vgl. dazu Bluntschli, 
Kommentar zum privatrechtlichen Gesetzbuch für den Kanton Zürich, Band 
„Erbrecht« (1856), Note 2 zu § 1968. 

* H 11, 19. — Für (eigentlich) VerschoUene kann durch ihren Vertreter, die 
Waisenbehörde (s. G, § 122), ein Erbanspruch nicht mehr geltend gemacht werden. 
Es fehlen Nachweis und Vermutung, daß sie den Erbanfall erlebt haben. 
H I, 120. Obergerichtliches Urteil 1879, § 15: „wer aus dem Leben oder Tod 
des Verschollenen ein Becht ableiten will, muß dessen Leben oder Tod nach- 
weisen.« Vgl. auch Schneider, Kommentar zum Zürcher Erbrecht (1901), 
§§ 908 (1966) Note 1, 910 (1968) Note 3. 

« Bezeichnung nach ZPR, § 868 (1914). 

' Lebensfähigkeit ist nicht erforderlich. Vgl. dazu G. c. fr., Art. 725; 
8t. gallisches Erbgesetz (1808), § 19. 



86 



sicli derselbe z. B. im zürcherischen Erbrecht und im schweizerischen 
Zivilrechtsentwurf anerkannt findet.^ 

Allerdings mit voller Bestimmtheit findet sich dieses System 
des Erbschaftserwerbs im thurgauischen Recht nicht durchgeführt. 
Das Erbgesetz enthält Bestimmungen, die eine besondere Antritts- 
handlung zu erfordern scheinen, durch welche der von Rechts wegen 
eintretende Erbanfall in seiner rechtlichen Wirkung suspensiv be- 
dingt wäre (System des französischen Rechts).' Dies trifft nament- 
lich zu bezüglich § 4, welcher bestimmt: 

,, Derjenige, welchem eine Erbschaft angefallen ist, 
macht sich durch die Annahme derselben zum wirklichen 
Erben und tritt in alle Rechte und Verbindlichkeiten 
ein, welche der Yerlassenschaft angehören oder auf der- 
selben lasten.^ 
Des weitern bezüglich § 3, der im besondem unterscheidet 
zwischen „Erbanfall* und „wirklicher Übernahme der Erbschaft*; 
§ 116, der über die Art und Weise einer eigentlichen Antritts- 
erklärung Bestimmungen aufstellt. Andrerseits aber, und dies 
muß maßgebend sein, sehen §§ 115 und 117, Abs. 1, vor, daß, 
wer unterläßt, innerhalb bestimmter Frist eine besondere und 
förmliche Erbausschlagserklärung abzugeben, endgültig Erbe sein 
soll. Darin findet sich anerkannt: der Erbschaftserwerb tritt ein 
von Rechts wegen, und nur durch eigenes Handeln kann sich der 
zur Erbschaft Berufene dieser Rechtsfolge erwehren. 

Dieser Widerspruch in der Fassung des Gesetzes ist geschicht- 
lich zu erklären: es ist im Laufe der Zeit eine Wandlung im 
Erwerbssystem eingetreten. 

Das Erbgesetz von 1810 lehnt sich bezüglich seiner Bestim- 
mungen über Erbschaftserwerb stark an diejenigen des Code 
Napoleon über den Erbschaftserwerb der ehelichen Blutsverwandten 
an, indem es diese Bestimmungen zugleich auf den Erbschafts- 
erwerb aller zur Erbfolge Berufener ausdehnt.® Namentlich wird. 



^ Vgl. H n, 349; ZPR, § 928 (1986); Schweiz. Entwurf, Art. 577. 

« Vgl. H II, 348, 357 ; C. c. fr., Art. 724, 774, 777. Dieses ist auch das 
System des st. gallischen Hechts, Erbgesetz von 1808, § 5. 

' Die Unterscheidung zwischen eigentlicher Erbfolge der ehelichen Bluts- 
verwandten einerseits, einer „succession irröguliöre" der unehelichen Ter- 



87 

wie dort, das Erfordernis besonderer Antrittshandlungen aufgestellt. 
Der Erbschaftsantritt hat hienach im allgemeinen zu erfolgen durch 
ausdrückliche Erklärung des Berechtigten gegenüber den Mit- 
berufenen oder, in Fällen, wo Gründe vorliegen, die amtliche Erb- 
teilung verlangen, gegenüber dem Friedensrichter. § 97. Daneben 
kann der zur Erbfolge Berufene seinen Erbantritt auch kund geben 
durch Vornahme konkludenter Handlungen, d. h. solcher Hand- 
lungen, welche er nur in der Eigenschaft als Erbe rechtmäßig 
und rechtsgültig vorzunehmen befähigt ist. Mit deren Vornahme 
geht er dementsprechend, wie namentlich auch durch Beseitigung 
von Nachlafigegenständen, der Möglichkeit, sich der Erbschaft zu 
entledigen, verlustig. § 99.^ 

Die Abgabe der Erklärung ist, im Gegensatz zum französischen 
Recht, das eine andere Befristung als eine solche durch Verjährung 
nicht kennt (s. C. c. fr., Art. 784, 789), im Gesetz von 1810 befristet. 
§ 97. Die Frist beträgt für die Regel 10 Tage. Für besondere Fälle 
(Landesabwesenheit des Erben) kann sie durch obrigkeitliche Ver- 
fügung angemessen verlängert werden. § 98. — Welche Bedeutung 
dieser Fristansetzung zukommen sollte, ist nicht geordnet. Auf 
keinen Fall kann indessen unbenutztes Verstreichenlassen der Frist 
Verwirkung des Erbanspruchs zur Folge haben, indem nach § 102 
Erb verzieht immer bestimmter Erklärung bedarf.^ Andrerseits 
aber, ob es die Annahmeerklärung ersetzen könne, wie nach 
dem Erbgesetz von 1839 (s. unten), oder ob der Bestimmung des 
§ 97 nur die Bedeutung einer Ordnungsvorschrift zukomme, so 
daß auch nach Fristablauf freie Erklärung über Annahme 
oder Verzicht möglich wäre, läßt sich mit Bestimmtheit nicht 
erkennen. 

Enger noch als das Erbgesetz von 1810 schließt sich das 
Gesetz von 1839 in seinen Bestimmungen über Erbschaftserwerb 
an den Code an. Einzelne Sätze desselben, die 1810 unberück- 
sichtigt geblieben waren, haben nachträglich hier Aufnahme ge- 
funden. So besonders § 3, welcher, in Anlehnung an Art. 781 



wandten und des Ehegatten andrerseits, wie sie der Code aufstellt, hat, wie 
oben, S. 80, erwähnt, im thurg. Hecht Anerkennung nicht gefunden. 

* Entspricht C. c. fr., Art. 778. 

2 Vgl. dazu C. c. fr., Art. 784. 



88 

des Code, bestimmt, da& die angefallene Erbschaft, wenn der 
Berufene verstirbt, bevor er seine Annahme erklärt oder nur um 
die Erbfolge gewußt hat, sich an dessen Erben weiter vererben 
soll. Für die Ausschlagung der Erbschaft werden, nach dem Vor- 
bild von Art. 784, besondere Formvorschriften erlassen: der Be- 
rufene hat dieselbe, damit sie rechtlich wirksam sei, gegenüber 
einer Amtsperson, dem Friedensrichter (seit 1867 schriftlich gegen- 
über dem Präsidenten des Bezirksgerichts) am Wohnort des Erb- 
lassers zu erklären. § 113. 

Wie im Gesetz von 1810, so ist auch hier die Erklärung 
über Annahme oder Verzicht kurz befristet. An die Nichtbeachtung 
der Frist (bezüglich deren Dauer s. unten) werden besondere Rechts- 
folgen geknüpft, wodurch namentlich den Nachlaßgläubigem baldige 
Gewißheit darüber, ob die Erbschaft angenommen oder ausgeschlagen 
sei, beschafft werden soll. Wer nicht rechtzeitig den Erbausschlag 
erklärt (oder das Gesuch um Gewährung des beneficium inventarii 
stellt), gilt unwiderruflich als annehmend und hat deshalb für 
Nachlaßverbindlichkeiten einzustehen. Der Erbschaftserwerb voll- 
zieht sich insoweit von Rechts wegen. §§ 113, 115 (entsprechend 
G, §§ 115, 117, Abs. 1). 

Trotz dieses Erwerbs von Rechts wegen verbleibt indessen 
das Gesetz von 1839, gleich dem von 1810, prinzipiell beim Er- 
fordernis besonderen Erbschaftsantritts. Mangels Erklärung ersetzt 
unbenutztes Verstreichenlassen der Erklärungsfrist die Annahme- 
erklärung. Die Annahme wird gesetzlich präsumiert. Was Bern 
(Zivilgesetz, Satzungen 635, 639) für die Erbfolge anwesender 
Noterben, Waadt (Code civil, Art. 716) und Freiburg (Code civil, 
Art. 918) für die Erbfolge der Nachkommen (Freiburg beschränkt) 
anerkennen, Annahme durch bloß passives Verhalten während der 
Erklärungsfrist, ^ anerkennt das thurgauische Erbgesetz von 1839 
für sämtliche Erben. Die Annahme gilt als mit dem Moment 
erfolgt, da die Frist abgelaufen ist. 

Daß die hier vertretene Auffassung: Erfordernis besonderen 
Erbantritts, Ersetzung der Antrittserklärung durch die gesetzliche 
Präsumtion der Annahme mit Fristablauf dem Gesetz von 1839 
zu gründe liegt, dafür spricht unverkennbar die Aufnahme ein- 

^ Vgl. H II, 361 f. 



89 

zelner neuer Bestimmungen in dasselbe, welche uns anderswie 
unerklärlich bleiben müfite. So namentlich die Aufnahme von 
§ 4, wonach der zur Erbfolge Berufene erst mit einer besonderen 
Annahme der Erbschaft zum „wirklichen Erben* wird; von § 3 
mit seiner Unterscheidung in Erbanfall und Erbantritt; von § 114 
(entsprechend Q, § 116), welcher, in Ersetzung von Q 1810, § 97, 
im besondem die Formen des Erbantritts bestimmt: derselbe kann 
hienach erfolgen durch Abgabe einer formlichen Antrittserkläiiing 
oder durch Vornahme konkludenter Handlungen. Des weitern die 
Aufnahme des § 115 (entsprechend 6, § 117, Abs. 1), der ordnet: 
Unterlassen, innerhalb gesetzlicher Frist den Erbverzicht zu er- 
klären oder das Begehren um Gewährung des beneficium inventarü 
zu stellen „ist ebenfalls als stillschweigende Annahme der Erb- 
schaft auszulegen*.^ 

Die erwähnte Auffassung bezüglich Erbschaftserwerbs vertritt 
entschieden auch die ältere Gerichtspraxis. So findet sich diese im 
Urteil des Obergerichts vom 27. Mai 1851.* Der Kläger macht 
geltend: „Der Antritt erfolgte durch Unterlassung der in § 115 
des Erbgesetzes (von 1839) ausdrücklich gebotenen Erbschafts- 
ausschlagung.* In der Urteilsbegründung bemerkt das Obergericht: 
„daß im Sinne des § 115 des Erbgesetzes die Unterlassung eines 
Intestaterben, eine ihm angefallene Yerlassenschaft, gleichviel, in 
welchem Verhältnis Aktiven und Passiven zu einander stehen, 
nach Vorschrift des § 113 des Erbgesetzes auszuschlagen, wenn 
auch nicht die unumstößliche rechtliche Gewißheit des Erbantritts, 
doch eine feste RecMsvermutung für denselben konstituiert, zu deren 
Beseitigung entgegenstehende schlußföhige Tatsachen erforderlich 
sind.* Dabei werden im konkreten Fall als „rechtlich genügend, 
um die Präsumtion des Erbschaftsantritts auszuschließen resp. zu 
zerstören* die Umstände erachtet, daß der Erblasser fallit war 
und daß die unbedeutende vorhandene Fahrhabe der Armenbehörde 
gesetzlich zufiel.* — Dieselbe Auffassung über den Erbschaffcs- 



1 



, ebenfalls* in der Bevision von 1867 gestrichen. 

* Protokollbuch S. 276 f. Aus Hirzels Sammlung a. a. 0. S. 17. 

» Nach § 31 des Armengesetzes von 1833. Kantonsblatt II, 106. (Vgl. § 24 
des Armengesetzes vom 15. April 1861, Gesetzessammlung IV, 46.) — Die Auf- 
fassung, einer Unterlassung der Ausschlagserklärung innerhalb der gesetzlichen 



90 

erwerb findet sich sodann neuerdings in einem obergerichtlicheu 
Urteil vom Jahre 1863 (Urteil § 97), wo geltend gemacht wird, 
ein Erbantritt sei erfolgt »bloß stillschweigend durch unterlassene 
Ausschlagung', und ,, Antritt hat schon aus dem Gründe statt- 
gefunden, als eine Ausschlagung nicht erfolgt ist.^ 

Dieser Erwerb von Rechts wegen zufolge bloß passiven Ver- 
haltens während der Erklärungsfrist kommt nun aber in seiner 
Wirkung dem Erwerb von Rechts wegen mit Eintritt des Erbfalles, 
welcher Erwerb nur durch die Möglichkeit der Erbausschlagung 
innert bestimmter Frist resolutiv bedingt ist, sehr nahe. Sodann 
dürfte Erbantritt durch förmliche Erklärung im Thurgau kaum je 
üblich gewesen sein, so daß Erwerb von Rechts wegen durchaus 
den Normalfall bilden mußte. So gelangte, wohl auch nicht wenig 
unter dem Einfluß zürcherischen Rechts, im Laufe der Zeit, ohne 
daß eine Änderung im Gesetze selber erfolgt wäre, die Auffassung 
zum Durchbruch, daß der Erbschaftserwerb sich ipso jure mit dem 
Erbanfall vollziehe, und dieser Erwerb nur durch Ausschlagung 
innert der gesetzlichen Frist wieder aufgehoben werden könne. 
So erklärt sich auch, daß, in Nachbildung des alten Zürcher 
privatrechtlichen Gesetzbuches, § 1993, die Bestimmung des § 117, 
Abs. 2, in das thurgauische Erbgesetz aufgenommen werden konnte, 
worin angeordnet wird, es sei in gewissen Fällen „der Erbausscfalag 
als sich von selbst verstehend* zu betrachten, während dem System 
des Gesetzes von 1839 ein Wortlaut eher entsprochen hätte etwa 
wie: „der Erbantritt wird nicht vermutet, wenn etc." — Das 
System des Erwerbs von Rechts wegen findet sich auch anerkannt 
in jüngeren Urteilen des Obergerichts. So 1875 (OGE 250): «Mit 
dem Zeitpunkte, in welchem eine Erbschaft angefallen und zügig 
geworden ist,^ geht dieselbe auch ins Eigentum des Erben über; 



.« 



Frist komme nur die Bedeutung einer Präsumtion des Erbantritts zu, hat^ 
wie aus diesem Urteil ersichtlich, namentlich ermöglicht, daß Verhältnisse, wie 
sie § 117, Abs. 2, des geltenden Erbgesetzes vorsieht (s. unten), nachträglich zu 
gunsten des Erben berücksichtigt werden konnten. 

^ Daß das Erbgut „zügig" (darüber s. unten § 33) sei, ist unseres Er- 
achtens nicht erforderlich. Eigentum am Nutzungsgut muß dem Erben sofort 
mit Eintritt des Erbfalles zukommen, unbeschadet des Nutznießungsrechts eines 
Dritten. Andernfalls gelangten wir zum Ergebnis: da auch der Nutznießer 
nicht Eigentümer wird, bleibt das Eigentumsrecht am Nutzungsgut bis zur 



91 

1896 (OGE 201): »wer aus einem erbrechtlichen Grunde Vermögen 
anzusprechen hat, der erwirbt dasselbe rechtlich nicht erst mit 
der wirklichen Übernahme, sondern schon mit dem Zeitpunkte 
des Todes des Erblassers,' woraus die Folgerung abgeleitet wird^ 
daß zum Nachweis, es habe jemand auf dem Erbwege Vermögen 
erhalten, der Nachweis des Erbanfalles genüge. 

Die Erklärung der Nichtannahme einer Erbschaft (Erbausschlag) 
hat zu erfolgen innert 20 Tagen nach Erlangung der Kenntnis vom 
Tode des Erblassers oder Tom Bestehen einer Erbberechtigung.* 
Zu gunsten eines landesabwesenden Erben kann die Erklärungs- 
frist durch Verfügung des Bezirksgerichts angemessen verlängert 
werden. § 115. Die Erklärung ist vorläufig nicht abzugeben, wenn 
die Erbschaft in Nutznießung aussteht, noch nicht „zügig'' ist. 
Die Fristen beginnen in solchem Falle erst mit dem Moment zu 
laufen, wo das Nutzungsgut frei wird und der Erbe davon Kenntnis 
erhält. OGE 220, 203. 

Die Möglichkeit der Erbausschlagung kann schon vor Ablauf 
der Erklärungsfrist verwirkt werden durch Vornahme solcher 
Handlungen, durch welche nach Wortlaut des § 116 der Erbantritt 
kund getan wird, d. h. Handlungen, die der Erbe nur in seiner 
Eigenschaft als Erbe vorzunehmen berechtigt und befähigt ist.^ 

Eine Restitution gegen Verwirkung der Ausschlagsmöglichkeit^ 
wie sie z. B. das zürcherische Recht (§ 934 [1992]) vorbehält» 
findet sich im thurgauischen Recht nicht vorgesehen. 

Einer besonderen Erbausschlagserklärung bedarf es nicht» 
wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes sich in fallitem Zustand 
befand,^ oder almosengenössig war, oder als Bettler oder als 



Beendigung der Nutznießung hereditas jacens. — Vgl. dazu, als nach Wort- 
laut mit unserer Auffassung in Widerspruch stehend, OGE 250, vom Jahre 
1875; indessen auch OGE 87, aus dem Jahre 1880 (Entscheid des Regierungs- 
rates), erster Satz. 

^ G 1839, § 118, berechnet die Frist vom Tode des Erblassers ab, mit 
Möglichkeit der Verlängerung derselben durch gerichtliche Verfügung (bestätigt 
durch Urteil des Obergerichts vom 25. Juni 1867, § 90, Protokollbuch S. 251). 
G, § 115, enthält dieselbe Bestimmung, um sie aber in seinem Schlußsatz in 
dem im Text erwähnten Sinne abzuändern. 

2 Vgl. ZPR, § 930 (1988); H H, 361. 

' Nach dem thurg. Eonkursgesetz yom 14. Sept. 1853. Dem würde nach 



92 

Vagabund lebte, oder wenn nach dessen Tod keine Habe vorhanden 
ist. Die Ausschlagung der Erbfolge wird in diesem Falle vermutet. 
Es sind indessen die Nachlaßgläubiger befugt, zu verlangen, daß 
die Erben vom Präsidenten des Bezirksgerichts zur Abgabe be- 
stimmter Erklärungen angehalten werden. § 117, Abs. 2 und 3. 

Für Erklärungen bevormundeter Personen bedarf es der Zu- 
stimmung der Waisenbehörde (Bezirksrat). PR, § 268, lit. m. Diese 
handelt auch an Stelle unbekannt Abwesender. G, § 122.^ 

Innerhalb derselben Fristen und unter denselben Förmheh- 
keiten (nach geltendem Recht durch schriftliche Eingabe an den 
Bezirksgerichtspräsidenten), wie sie für die Erbausschlagserklärung 
aufgestellt sind, kann ein berufener Erbe, wenn er über die 
Solvabilität der Erbschaft im ungewissen ist, um Gewährung des 
beneficium inventarii (s. oben § 20) nachsuchen. § 115.^ Dieses 
Gesuch kann, mit Wirkung zu gunsten aller Erben, auch durch 
einzelne mehrerer Berufener gestellt werden, wobei aber den übrigen 
das Recht vorbehalten bleibt, unbedingten Erbantritt zu erklären 
und sich damit der Kosten der Inventaraufnahme zu entschlagen. 
§ 120. 

Über die Gewährung einer Benefizinventur entscheidet das 
Bezirksgericht des Wohnorts des Erblassers. Dieses hat gleich- 
zeitig auch die erforderlichen Anordnungen für einstweilige Ver- 
mögensverwaltung zu treffen. § 119. — Nach Aufnahme der In- 
ventur wird den Erben eine neue Frist von 20 Tagen angesetzt, 
innert welcher sie sich über Anerkennung der Erbfolge oder Aus- 
schlagung derselben zu erklären haben. § 121.^ 

AusgescMagene Erbschaft Im Erbgesetz von 1810, §§ 102, 
103, finden sich auch diesbezüglich die Bestimmungen des Code, 
Art. 786, 787. Wenn von mehreren Berufenen einzelne ablehnen, 
so wächst deren Erbquote den Mitberufenen an. Sofern alle 

heutigem Betreibungs- und Konkursrecht entsprechen: „sofern der Erblasser 
Konkursit oder fruchtlos ausgepfändet war." Vgl. ZPR, § 936 (1993) und 
Note 1 in Schneiders Kommentar. 

* Vgl. dazu: Schneider, Kommentar zum Zürcher Erbrecht, Note 2 zu § 928. 

* Für die Sicherung minderjähriger Erben speziell PR, §§ 259, 260. 
(§§ 304, 305 der Fassung von 1860). 

* Vgl. dazu Verordnung des Obergerichts betreffend das Verfahren bei 
Benefizinventuren (1865), § 11. Gesetzessammlung V, 65. 



93 

Berufenen den Verzicht erklären, soll die Erbschaft den nächst- 
folgenden erbfähigen Verwandten angeboten werden (sukzessive 
Delation), bei welcher Erbfolge aber die Grundsätze der Repräsen- 
tation, und, soweit Nachkommen ausschlagender Erbberechtigter 
zur Erbfolge gelangen, die der Stammteilung keine Anwendung 
finden können. 

Im Erbgesetz von 1839 und den spätem Revisionen haben 
die erwähnten Bestimmungen keine Berücksichtigung gefunden. 
Indessen hat sich eine feste Praxis entwickelt dahin gehend: 
Bezüglich des Falles, wo von mehreren Erben einzelne ausschlagen, 
bleibt es beim früheren Recht; die Anteile der ausschlagenden 
Erben sollen denen, welche die Erbschaft antreten, anfallen.^ 
Nach einem Entscheid des Obergerichts aus dem Jahre 1897 (§ 90) 
hat unter diesen die Teilung in der Weise vor sich zu gehen, 
da£ in derselben die Ausschlagenden gar nicht in Berücksichtigung 
gezogen werden.^ Namentlich soll es einem Erben nicht möglich 
sein, den Ausschlag zu gunsten einer der Miterben zu erklären 
(Obergericht, ebenda). — Bezüglich des Falles, wo der einzig 
Berufene, oder sämtliche Berufene ausschlagen: Die Verlassenschaft 
wird nicht weiter, an entferntere Verwandte, deferiert, sondern 
über dieselbe, als einer erblosen Verlassenschaft, sofort das konkurs- 
rechtliche Liquidationsverfahren eröflEhet.^ Über die Verwendung 
eines allfalligen Aktivüberschusses aus dieser Liquidation ist uns 
nichts bekannt geworden. 

Ein besonderes Recht besteht zu gunsten der Gläubiger eines 
berufenen Erben für den Fall, daß dieser, um erstere zu benach- 

1 Vgl. H II, 374. 

2 Ebenso nach ZPR, § 936 (1994). 

' Vgl. dazu: Amtsblatt, Jahrgang 1850, S. 12; Verordnung des Ober- 
gerichts betr. das Verfahren bei Benefizinventuren (1865), § 9, in welcher, in 
Anlehnung an dahin gehende Rechtsübung, bestimmt wird: „Wird dagegen 
(nach der Inventaraufnahme) die Erbschaft ausgeschlagen, so trifft der Gerichts- 
präsident die für die Eröffnung des Konkurses gesetzlich vorgeschriebenen 
Verfügungen." Femer: H II, 375, wo diese Rechtsordnung bezeichnet wird 
als „eine selbstverständliche Folge des Grundsatzes, daß der Nächste am Blut 
als Erbe von Gesetzes wegen alle andern ausschlieft, welche als Erben gar 
nicht in Betracht fallen können, so lange der nähere Erbe existiert." Dazu 
auch: Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs 1889, Art. 193. ZPR, 
§ 937 (1995) f. 



94 

teiligen, die (solvente) Erbschaft ausschlägt: sie können nach 
§ 118 (wie schon nach ö 1810, § 104) an dessen Stelle eintreten, 
um sich aus der Erbschaft bezahlt zu machen. Sie können indessen 
aus derselben nicht mehr als den Betrag ihrer Forderungen ziehen. 
Den Aktiyüberschuß haben sie herauszugeben und ist dieser als 
ausgeschlagene Erbschaft zu behandeln. 

§ 23. 4. Teilung unter Miterben. Die Einwerfungspflicht. 

Wie oben (§ 20) erwähnt, erwerben Miterben die Rechte des 
Erblassers zur gesamten Hand und sind, auf andrer Seite, für die 
Erbschaftsschulden solidarisch haftbar, mit gegenseitiger Regreß- 
pflicht nach dem Verhältnis ihrer Erbquoten. Nachlaßgegenstände 
gehen in ihr Gesamteigentum über, wodurch dem einzelnen Erben 
eine Verfügungsgewalt über dieselben benommen ist. Die Miterben 
stehen zueinander, bezüglich der Erbschaft, in einem Gesamthands- 
verhältnis.^ 

Dieses Gesamthandsverhältnis bedarf in der Regel einer Aus- 
einandersetzung, der „Erbteilung." Auf Verlangen eines der Erben 
muß sie vorgenommen werden (vgl. § 124, lit. a). 

Bestimmungen über diese Teilung, vorbehalten diejenigen über 
Eollations- oder Einwerfungspflicht, finden sich nur vereinzelt. 
Eine eigentliche Teilungsordnung ist nicht aufgestellt. Nach all- 
gemein geltendem Grundsatz ist indessen anzuerkennen: die Miterben 
sind, wo nicht besondere Vorzugsrechte einzelner aufgestellt sind, alle 
gleichberechtigt und haben alle gleichen Anspruch auf Realteilung.^ 

Einzelbestimmungen» G § 5, Abs. 2: wenn die Erbschafts- 
schulden nicht zum voraus aus der Erbschaftsmasse getilgt worden 
sind, so kann jeder einzelne Erbe auf den Fall hin, daß er zufolge 
der Solidarhaft aller Erben für Nachlaßverbindlichkeiten för die 
ganze Schuld in Anspruch genommen würde, von seinen Miterben 
Sicherheitsleistung verlangen für den Anteil, für den diese 
ihm regreßpflichtig wären. Es muß die erwähnte Sicherstellung 
auch zur Bedingung der Aushingabe des Erbbetreffnisses gemacht 
werden können. — Für dieses Solidarhaftsverhältnis der Miterben 



1 Vgl. H II, 439. 
« Vgl. H II, 448, 470. 



95 

dürften auch die Bestimmungen des Bundes -Obligationenrechts 
über Solidarhaftung, Art. 162 — 168, in der Eigenschaft eines 
kantonal anerkannten subsidiären Rechts,^ Anwendung finden. 
Dem einzelnen Erben bleibt im fernem, gleich einem Erbschafts* 
gläubiger, auch hier mit Befristung auf drei Monate (s. oben § 20), 
das Recht vorbehalten, gegenüber einem überschuldeten Miterben 
das beneficium separationis geltend zu machen, um sich damit sein 
Regreßrecht bei allfalliger Inanspruchnahme durch die Erbschafts- 
gläubiger in seinem vollen Umfang zu sichern. Einführungsgesetz 
zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Eonkurs (1891), 
§ 27. — Für die Teilung in Nachlaßgegenstände kommen, soweit 
es Liegenschaften betrifft, auch die Bestimmungen des Flurgesetzes 
(1875), § 82,^ zur Anwendung, welche eine zu weit gehende Zer- 
stückelung von Grundstücken verbieten. 

Besondere Bestimmungen sind aufgestellt für die Erbteilung 
unter den Nachkommen des Erblassers und Teilung zwischen 
Nachkommen und dem überlebenden Ehegatten (§§ 17, 23, 38 
Abs. 2, 43 Abs. 2) bezüglich der Zuteilung und Wertung von 
Liegenschaften. Sofern eine freie Einigung unter den Erben nicht 
zu stände kommt, soll jede Partei zwei Schatzungsmänner be- 
stimmen und diese Schatzungsmänner zusammen einen Schatzungs- 
voranschlag aufstellen. Wenn sich diese auf eine einheitliche 
Schätzung nicht vereinigen können, haben die Parteien gemein- 
schaftlich einen Obmann zu wählen oder, falls eine Wahl nicht 
zu stände kommt, das Gericht (Bezirksgericht des Wohnorts des 
Erblassers) einen solchen zu ernennen; dieser Obmann soll dann 
selbständig, aber innerhalb der Grenzen der von den Schatzungs- 
männern vorgeschlagenen Schatzungswerte, einen definitiven Vor- 
anschlag aufstellen. Nach dieser Ermittelung des Wertansatzes 
muß sich der kraft seiner Vorteilsrechte (s. unten § 25) Bezugs- 
berechtigte erklären, daß er zu dem von den Schatzungsmännem 
und allfallig von dem Obmann aufgestellten Schatzungswert die 
Güter übernehme, oder endgültig auf seine Vorbezugsrechte ver- 
zichten. — Für die Vornahme der Schätzung durch die Schatzungs- 
männer stellt § 18 eine besondere (verbindliche) Wegleitung auf. 

1 Vgl. H III, 662, 663, speziell Anm. 1. 
' Neue thurg. Gesetzessammlung II, 176. 



96 

Die Erbteilung kann privat oder unter amtlicher Mitwirkung 
(„amtliche Teilung") erfolgen. § 123. Amtlicher Teilung bedarf 
es, wenn einer der Erben es verlangt, oder wenn Bevormundete 
oder unbekannt Abwesende an der Erbschaft beteiligt sind. § 124. 
Als Amtspersonen haben bei derselben mitzuwirken Gemeinde- 
ammann und Notar des Wohnorts des Erblassers. Bei solcher 
Teilung sind die einzelnen Erbhandlungen und die schließliche 
Erbteilung zu protokollieren und ist das Protokoll durch die mit- 
wirkenden Beamten zu unterzeichnen. § 125. 

Die Erbteilung ist mit geringer Einschränkung dem freien 
Vertragsrecht der Parteien unterstellt. Auf das Teilungsüberein- 
kommen finden die allgemeinen Bestimmungen des schweizerischen 
Obligationenrechts, speziell Art. 18 ff., subsidiäre Anwendung.^ 

Die JEinwerfungspflicht. Unter Miterben sind diejenigen, welche 
vom Erblasser zu dessen Lebzeiten, aber mit Rücksicht auf den 
spätem Erbfall, mit besondern Zuwendungen bedacht worden sind, 
oder für welche von demselben besondere Aufwendungen gemacht 
wurden, verpflichtet, diese auf ihren Erbanteil anrechnen zu lassen, 
eventuell einen Mehrbetrag zurückzuerstatten; sie müssen ihre Vor- 
bezüge und die Aufwendungen zu ihren Gunsten »in die Erbmasse 
einwerfen." Diese Einwerfung hat, im allgemeinen, soweit statt- 
zufinden, als nicht vermutet werden muß, der Erblasser habe, in 
Abweichung von der gesetzlichen Gleichstellung aller Erben — 
vorbehalten die Pflichtteilsrechte — dem Bedachten besondere 
Vorteile zukommen lassen wollen.^ 

Eine solche Ausgleichung unter Miterben wegen Vorempfangs 
kann allerdings für die Regel nur für die Erbfolge der Nach- 
kommen in Frage stehen. Sollten ausnahmsweise einmal an 
Verwandte der geraden aufsteigenden Linie oder der Seitenlinien 
mit Rücksicht auf deren Erbfolge von einem Erblasser besondere 
Zuwendungen gemacht worden sein, so kann mit der Annahme 
kaum fehl gegangen werden, der Erblasser habe dem Bedachten 
mit der gemachten Zuwendung besondere Vorteile einräumen, ihn 
beschenken wollen. Schenkungen sind aber in die Erbmasse nicht 
einzuwerfen; vgl. G, § 21. Dementsprechend ist auch in den 

' Vgl. S. 95, Anm. 1. 
2 Vgl. H II, 449. 



97 

Erbgesetzen eine Einwerfungspflicht von Vorfahren und Seiten- 
verwandten nicht vorgesehen^ und sind die Bestimmungen über 
Einwerfungspflicht in den Abschnitt über die Erbfolge der Leibes- 
erben eingereiht. 

Einwerfungspflicht der Leibeserben. Bei der Teilung unter 
Kindern in den elterlichen Nachlaß* haben sich die einzelnen auf 
ihren Erbteil anrechnen zu lassen oder in die Erbmasse einzuwerfen : 
was sie von den Eltern empfangen haben als Ausstattung für die 
Ehe oder für einen eigenen Haushalt oder zur Betreibung eines 
Berufes oder Gewerbes;^ Aufwendungen, die von den Eltern ge- 
macht wurden zur Bezahlung von Schulden eines Kindes, oder 
zum Ankauf von Liegenschaften für ein solches. Endlich soll auch 
für außerordentliche, mit dem vorhandenen Vermögen in keinem 
Verhältnis stehende Erzieh ungs- (Studien-) Kosten* ein billiger 

' Vgl. hiezu ZPR, § 966 (2024) und C. c. fr., Art. 843. — Es bleibt aber 
auch nach thurg. Recht nicht ausgeschlossen, daß, wenn aus der Handlung 
des Erblassers deutlich zu erkennen wäre, daß ihm bei der Zuwendung die 
Schenkungsabsicht gefehlt habe — er hat z. B. die Schulden eines nahen Erben 
bezahlt, um ihn vor dem Konkurs zu retten — der Bedachte zur Einwerfung 
angehalten werden könnte. Das Gesetz schließt solches nicht aus. Allerdings 
müßte unserer Ansicht die Gegenpartei zum mindesten den Wahrscheinlichkeits- 
nachweis erbringen, daß Schenkungsabsicht nicht vorgelegen habe. 

2 „Elterlicher Nachlaß": die Zuwendungen an die Kinder sind, für die 
Regel, erfolgt aus dem ehelichen Gemeingut der Eltern. Der Vorempfang ist 
deshalb auch auf das eheliche Gemeingut anzurechnen oder in dieses ein- 
zuwerfen. Sie stellen ein Aktivum des ehelichen Gemeingutes dar. Es muß 
dies von Bedeutung werden, wenn neben Leibeserben zweier Ehegatten aus 
deren gemeinsamen Ehe Leibeserben eines oder beider Ehegatten aus früherer 
Ehe konkurrieren und es daher für die Beerbung einer Auseinandersetzung des ehe- 
lichen Gemeingutes in Eigengut des Mannes und der Frau bedarf (s. unten § 31). 

' Bei (kaufweiser) Übernahme von Fahrhabestücken, wie Liegenschaften, 
ist als Vorempfang anzurechnen der Wert zur Zeit der Übernahme, nicht der 
Zeit des Eintritts des Erbfalles. Nutzen und Gefahr gehen mit der Übernahme 
auf den Ubemehmer über. Vorbezogene Gegenstände sind dementsprechend in 
ihrem Übemahmewert auch anzurechnen, selbst wenn sie zur Zeit der Beerbung 
nicht mehr vorhanden sind. Entscheidungen des Obergerichts 1866, § 115, 
Protokollbuch S. 13; 1867, § 134, S. 374. Anders z.B. st. gallisches Erbgesetz 
(1808), § 240. 

* Obergericht 1875, §11: Studienkosten, die verursacht werden durch 
eine mehr als gewöhnliche Ausbildung, sind zu den außergewöhnlichen Er- 
ziehungskosten im Sinne von § 19 zu rechnen. 

7 



98 

Ausgleich stattfinden (§ 19) und andrerseits, was einer Kollations- 
pflicht für Kosten einer gewöhnlichen Erziehung nahe kommt, 
wenn neben erzogenen Kindeiii noch unerzogene vorhanden sind, 
den letztern ein billiges Äquivalent im Verhältnis des vorhandenen 
Vermögens zum voraus zugeschieden werden. § 22. 

Bei allen derartigen Zuwendungen besteht die gesetzliche 
Vermutung, daß dieselben von seite des Erblassers nicht erfolgt 
seien mit dem Zweck, dem Bedachten im Verhältnis zu seinen 
Miterben besondere Vorteile zu gewähren. Anders, wenn das Maß 
derselben überschritten wird: Bevorzugung wird vermutet und die 
Zuwendung, mangels Gegenbeweis, als Schenkung betrachtet. 
Diese muß deshalb, soweit wenigstens durch sie das Pflichtteils- 
recht der übrigen Erben nicht verletzt wird, nicht konferiert 
werden. § 21.^ 

Für den Vorempfang an Aussteuer und anderm Heiratsgut, 
sowie Erziehungskosten werden Zinsen nicht verrechnet. § 20" 
Auch wird, behufs Ausgleichung zu gunsten unausgesteuerter 
Kinder, welche einen Geschäftsfonds vorbezogen haben, eine den 
zinsfreien Vorbezügen der andern Erben entsprechende Summe 
desselben als zinsfrei erklärt. OGE 215 (1877). Alle übrigen 
koUationspflichtigen Vorbezüge dagegen sind verzinslich.* 

Vorbezüge, soweit sie die Erbquote eines der Erben über- 
steigen, sind effektiv in die Erbmasse einzuwerfen. Eine Aus- 
nahme besteht nur für Aufwendungen an Erziehungskosten: für 

^ G 1810 kennt diese Vermutung der Schenkung nicht und verlangt um- 
gekehrt die Kollation in § 18 viel allgemeiner. Mit G, § 21 (neu 1839), wollte 
man verhindern, daß zwischen Eltern und Kindern ein strenges Schuld- 
verhältnis aufgestellt werde, wie dies nach früherem Recht der Fall war. 
Vgl. Bericht der Großratskommission von 1839, S. 7. 

^ Aus der Fassung von § 20 könnte gefolgert werden, daß Unverzinslich- 
keit dieser Vorbezüge nur zu gunsten des Repräsentanten der Kinder an- 
geordnet sei, als besonderes Vorzugsrecht derselben. Anders nach G 1839, 
§ 20, wo der zweite Satz in Abs. 1 lautet: „Das Einwerfen der Aussteuer, 
des Heirathgutes, sowie der Erziehungskosten, findet stets ohne Zinsberechnung 
Statt, wenn nicht ausdrücklich anders verfügt worden ist." Indessen ist in der 
Praxis unbestritten anerkannt, daß diese Unverzinslichkeit auch nach heutigem 
Recht zu gunsten der Kinder des Erblassers gelte. Vgl. Entscheidungen des 
Obergerichtes 1866, § 115, Protokollbuch S. 16; OGE, 215 (1877). 

3 Obergericht 1866, § 115, Protokollbuch S. 16. 



99 

solche kann eine Rückerstattung nicht verlangt werden. § 20, Abs. 2. 
— Eine Verjährung der Pflicht zur Einwerfung solcher Vorbezüge 
kann, auch wenn seit dem Bezug die gewöhnlichen Verjährungs- 
fristen abgelaufen wären, vor dem Erbanfall niemals eintreten, 
da eine Forderung bis dahin nicht hätte geltend gemacht werden 
können. Die Verjährungsfristen beginnen erst mit dem Moment 
des Erbanfalls zu laufen. Dasselbe gilt bezüglich der Zins- 
Terpflichtungen. ^ 

Repräsentanten vor verstorbener Einder müssen, um an der 
Erbschaft partizipieren zu können, sowohl dasjenige konferieren, 
was sie selber allfallig als kollationspflichtige Vorbezüge erhalten 
haben, als auch den Vorempfang ihrer Eltern und Voreltern, welche 
sie repräsentieren. § 20, Abs. 1.^ 

Diese Bestimmungen über Kollation unter Leibeserben finden 
entsprechende Anwendung bei der Teilung zwischen dem über- 
lebenden Ehegatten des Erblassers und dessen Nachkommen, und 
namentlich auch für die Ausmittelung des Vierteils der Erbquote, 
dessen Verabfolgung volljährige Kinder vom überlebenden Eltem- 
teil in gewissen Verhältnissen verlangen können (vgl. unten § 32). 
06E 223 (1890).^ 



IIL Die Erbfolgeordnung. 

A. Die ehelichen Blutsverwandten. 

^ 24. 1. Allgemeines. Die Erbenklassen und die Gradzählung. 

Das Repräsentationsrecht. 

Die Hauptgruppe der Erben bildet die Klasse der ehelichen 
und ehelich vermittelten Blutsverwandtschaft. — Bei nachfolgender 
Darstellung der Erbfolge der ehelichen Verwandten bleiben immer vor- 
behalten die Ansprüche der unehelichen Verwandtschaft, der Adoptiv- 
verwandten und des überlebenden Ehegatten (unten §§ 29 — 32). 

^ OGE 212, 213, 214. 

^ Bezüglich dieser Bestimmung schlieft sich das thurg. Recht an das 
Bemer Becht und dessen Nachahmungen an. H II, 460. 
8 Vgl. oben S. 97, Anm. 2. 



100 

1) Die JErbenMassen. An Stelle der alten* Parentelenordnung 
(oben § 7) hat das neue thurgauische Recht, ganz in Nachahmung 
des Code Napoleon, eine Erbfolgeordnung nach Klassen angenommen, 
die allerdings für die Stellung der nächsten Verwandtschaft in ihrer 
Wirkung jener Parentelenordnung nahe kommt. Diese Klassen sind : 

1) gesamte Deszendenz; 6, § 7; 

2) Eltern, Geschwister und deren Deszendenz; ö, § 24. 
Diese beiden Klassen sind identisch mit eigener Parentel des Erb- 
lassers und elterlicher Parentel.^ 

3) Die Aszendenten; 

4) die entfernteren Seiten verwandten; G, § 31.* 

Wie die Erbteilung innerhalb der einzelnen Klassen vor sich geht, 
werden wir in nachfolgenden Paragraphen darstellen. 

2) Die Gradmhlung, Mit der Parentelenordnung ist auch das 
deutsch-rechtliche System der Bestimmung der Verwandtschafts- 
nähe, mit Zählung nach Linien (Parentelen) und Graden dahin- 
gefallen. Es ist ersetzt worden durch das römisch-rechtliche System 
mit Berechnung nach der Zahl der die Verwandtschaft vermittelnden 
Zeugungen. Der nähere Verwandte ist darnach, wer vom Erblasser 
um die geringere Zahl von Zeugungen entfernt ist, ohne Rück- 
sicht darauf, ob ein näherer oder fernerer Vorfahr des Erblassers 
diese Verwandtschaft vermittle. G, § 57. Dieses Zählungssystem 
ist indessen mit Hülfe des Repräsentationsrechts dermaßen modifi- 
ziert, daß für die Erbfolge der entfernteren Verwandten — für 
diejenige näherer Verwandter durch die Klassenordnung — die 
Erbfolgeordnung derjenigen nach Parentelengliederung wiederum 
nahe kommt (vgl. unten § 28). 

Zur Veranschaulichung des Gradzählungssystems ist den Erb- 
gesetzen eine Stammbaumtafel beigefügt, welche die Gradnähe der 
einzelnen Verwandten angibt.^ 

3) Das Bepräsentationsrecht. Das Gradzählungssystem wird, 
wie eben erwähnt, durch das Repräsentations- oder Eintrittsrecht 



\ 



^ Vorbehalten die Linienteilung für die Erbfolge der Eltern. 

2 Vgl. C. c. fr., Art. 745, 746, 750, 751, 753; H II, 63. 

^ Diese Stammbaumtafel ist derjenigen zum st. gallischen Erbgesetz von 
1808 nachgebildet. 1810 ließ sich die thurgauische Kegierung Abdrücke der- 
selben zustellen. 



101 

modifiziert. Dies ist das Recht mittelbar Verwandter, an die Stelle 
ihrer vor dem Erblasser verstorbenen Eltern oder weiterer Aszen- 
denten zu treten, um an deren Platze den Erbanspruch geltend 
machen zu können, der dem vorverstorbenen Aszendenten zu- 
gestanden haben würde, wenn er den Erbfall erlebt hätte. Auf 
diese Weise können solche Personen zur Erbschaft gelangen, welche 
nach gewöhnlicher Gradzählung, weil nicht im nächstvertretenen 
Grad verwandt, von der Erbfolge ausgeschlossen wären. Sie werden 
mit Hülfe ihres Repräsentationsrechts gewissermaßen in eine frühere 
ßangstelle vorgeschoben.* 

Repräsentanten beziehen jeweilen gemeinschaftlich den Erb- 
teil, der dem Repräsentierten zugekommen wäre, wenn er den 
Erbfall erlebt hätte. Sie erhalten durch direkte Erbfolge, was sie 
in diesem Falle indirekt durch Beerbung des Repräsentierten er- 
langt hätten. Mehrere Nachkommen eines vorverstorbenen, an 
sich erbberechtigten Verwandten beziehen dementsprechend nur 
eine Erbquote, als ihren „Stammanteil*, den sie unter sich in 
analoger Weise teilen, als wenn sie den repräsentierten Aszen- 
denten beerbt hätten, dabei allerdings, für die Erbfolge von Seiten- 
vei'wandten, ohne Berücksichtigung der Vorzugsrechte unter Leibes- 
erben. — Mit Gewährung dieses Repräsentationsrechts wird er- 
reicht, daß das frühere oder spätere Absterben einer Person gegen- 
über einer andern auf das schließliche Ergebnis der gesetzlichen 
Erbfolge gar keinen oder doch nur geringen Einfluß ausübt.* 

Dieses Repräsentationsrecht ist in den thurgauischen Erbgesetzen 
unbeschränkt anerkannt, wie für die Erbfolge der Nachkommen, 
so auch für diejenige aller Seitenverwandten. Für letztere wird 
sie nur begrenzt durch die absoluten Grenzen der Erbfähigkeit.^ 
§§ 9, 10, 27, 28 Abs. 2, 30, 34, 56. Die Repräsentation kompliziert 
sich in der Weise, daß entferntere Nachkommen eines Repräsen- 
tierten erst ihre vorverstorbenen Eltern, an deren Stelle ihre Groß- 
eltern u. s. w., repräsentieren. Vgl. Beispiel Nr. 3. 



^ Vgl. speziell C. c. fr., Art. 739. 

* Vgl. Erläuterungen zum Vorentwurf des Schweiz. Zivilgesetzbuches, 
Heft II, Erbrecht, S. 9, bezüglich der Vorteile der Parentelenordnung. 

* Anders C. c. fr., Art. 740, 741: Beschränkung auf die erste und zweite 
Erbenklasse ; st. gallisches Erbgesetz (1808), §§ 29, 33, 34. Vgl. dazu G 1810, § 30. 



102 

Eine Repräsentation in der aufsteigenden Linie, etwa so^ 
daß die Urgroßeltern die vorverstorbenen Eltern und Großeltern 
repräsentieren könnten, findet nicht statt.^ Für die Erbfolge der 
Großeltern wird indessen dasselbe, was mit einem Repräsentations* 
recht, erreicht mittels Linienteilung (unten § 28). 



2. Die Nachkommen. 

§ 25. a. Die Kinder. 

Die erste Erbenklasse bilden die Nachkommen des Erblassers^ 
die „Leibeserben.'* G, §7. Sie sind befähigt, die gesamte übrige 
Verwandtschaft von jedem Erbanspruch auszuschließen. Einzig 
der überlebende Ehegatte kann neben ihnen Erbansprüche geltend 
machen. 

Als Erben kommen in dieser Klasse in erster Linie in Betracht 
die Kinder. 

Alle Kinder sind prinzipiell gleich berechtigt. Der Nachla& 
des Erblassers wird unter sie gleichmäßig verteilt, dabei ohne 
Rücksicht darauf, ob sie alle derselben oder verschiedenen Ehen 
des Verstorbenen enstammen. § 8. 

Die Gleichstellung der Kinder ist aber durchbrochen mit 
Gewährung von Vorjsugsrechten. 

Im Erbgesetz von 1810. Die einzelnen Vorrechte, wie sie der» 
alten Recht, speziell dem Landrecht bekannt waren, sind erhalten 
geblieben. Die absolute Gleichstellung des C. c. fr., Art. 745, fand 
keinen Anklang. Anschließend an die Abschiede von 1667 und 
1735^ wird bestimmt: »Ebenso sind den Söhnen die vorhandenen 
Häuser und andere Gebäude samt allen übrigen Liegenschaften^ 
und wenn eine Werkstätte vorhanden ist, auch diese mit dem 
dazu gehörigen Werkzeug, in einem solchen Anschlag zu über- 
lassen, daß sie darauf einen billigen Sohnsvorteil finden können.*^ 
§ 15. Eventuell, wenn es an solchen Gebäuden und Liegenschaften 
mangelt, soll den Söhnen auf andere Weise ein entsprechender Vor- 
teil eingeräumt werden. Genauere Bestimmungen über die Wertung 



^ Wir erinnern an das Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute, oben S. 51- 
2 Oben S. 27, Anm. 2 und 3. 



_ 103 

der Güter und über die Größe des zu gewährenden Sohnsvorteils 
sind dabei nicht aufgestellt, indem man den Erlaß allgemein ver- 
bindlicher, fixer Vorschriften, wegen der Verschiedenheit namentlich 
der städtischen und der ländlichen Verhältnisse, als unpraktisch 
erachtete.^ Es wurde auf die Entscheidung im einzelnen Fall ab- 
gestellt, behufs Anpassung an die jeweiligen Verhältnisse. Vgl. 
G 1810, § 16. — Neben diesem Sohnsvorrecht bestanden nach 
dem Gesetz von 1810, wie nach geltendem Recht, besondere Vor- 
zugsrechte der Söhne oder Töchter auf einzelne bewegliche Nach- 
laßgegenstände. § 14. 

Das neuere und das geltende Becht. Das Gesetz von 1839 
bringt, in Ersetzung der frühem vagen Bestimmungen über Aus- 
mittelung des Sohnsvorteils und behufs Beschaffung gleichmäßigen 
Rechts für alle Verhältnisse, eine bedeutende Änderung. Es sollen 
die Söhne, alle gemeinschaftlich, ohne Rücksicht auf Gutsüber- 
nahme, aus der Erbmasse eine gewisse Quote vorweg nehmen, als 
„Sohnsvorteil.** Dieselbe soll im Maximum betragen 15 vom 
Hundert an dem in die Teilung fallenden unbeweglichen, und 5 
vom Hundert am reinen beweglichen Vermögen, hier ohne Ein- 
rechnung vorhandenen Hausrats und der Feldgeräte, welche 
ohne Berechnung eines Sohnsvorteils in Teilung fallen sollen. 
§ 13, Abs. 1. 

Diese „Maximalansätze** mochten anfänglich in dem Sinne 
aufgestellt worden sein, daß sie nur die äußerste Grenze des zu 
gewährenden Sohnsvorteils bestimmen sollten, während, mangels 
Einigung, der Richter innerhalb derselben, unter Anpassung an 
die jeweiligen Verhältnisse, ähnlich wie es unter der Herrschaft 
des Gesetzes von 1810 geschah, im einzelnen Fall die Vorteils- 
quote festzusetzen hätte. Es bildete sich indessen bald eine feste 
Praxis, wonach diese Maximalansätze als Norm alansät ze aufgefaßt 
wurden: die in § 13, Abs. 1, aufgestellten Höchstbeträge sind hie- 
nach zu gewähren in allen Fällen, wo nicht besondere Gründe für 
Minderung des Sohnsvorteils vorhanden sind. OGE 208 (1871).^ 



^ Bericht des Kleinen Bates 1809. Ähnlich Bericht der Justizkommission 
1838. — Der Entwurf von 1809, Art. 16, enthielt besondere Bestimmungen 
über Einschätzung der Güter, welche aber im Gesetz keine Aufnahme fanden. 

^ Das Obergericht bemerkt zu dieser Entscheidung: es entspreche diese 



104 

Damit hat das Sohnsvorteilsrecht im Verhältnis zum alten Recht, 
da dieses Yorteilsrechte in das bewegliche Gut im allgemeinen zumal 
nicht kannte, eine bedeutende Erweiterung erfahren. 

Neben diesem Anspruch auf den Sohnsvorteil bleibt den 
Söhnen, allen gemeinschaftlich, gleich wie nach dem altem Erb- 
gesetz, ein Recht auf Überlassung der im Nachlaß vorhandenen 
Liegenschaften. Dieselben sind ihnen im Anschlag des laufenden 
Verkehrswerts zu überlassen. G, § 14.^ 

Bei der Erbteilung unter den Söhnen steht, sofern mit dem Wohn- 
haus ein Gewerbe oder eine Werkstätte verbunden ist, demjenigen 
von ihnen, der sich dem hierauf bezüglichen Berufe gewidmet 
hat, ein besonderer Anspruch zu auf Überlassung dieses Wohn- 
hauses oder dieser Werkstätte. G, § 15. Als solches Gewerbe ist auch 
Betreibung der Landwirtschaft aufzufassen. OGE 209 (1868). — 
Weitere derartige Vorzugsrechte einzelner Söhne, etwa des ältesten 
oder jüngsten, sind dem thurgauischen Recht nicht bekannt. 
Obige Ausnahme vorbehalten, sind alle unter sich gleichberechtigt. 
Sofern sie sich über die Verteilung der Liegenschaften nicht einigen 
können, soll das Los unter ihnen entscheiden. — Bei dieser Teilung 
unter Söhnen stehen dem Übernehmer Ansprüche auf besondere 
Vorteile, wie Überlassung unter dem Verkehrswert, nicht zu. 

Bei der Teilung soll, sofern wenigstens Gebäulichkeiten (d. h. 
Wohnhäuser) sich in der Erbmasse befinden, ledigen Töchtern bis 
zu ihrer Verheiratung der benötigte Wohnsitz in einem solchen 

Regelung der gewöhnlichen Auffassung von Maximalansätzen zwar nicht; aber 
einmal ginge dahin die konstante Praxis, und andrerseits finde man darin ein i 

Fixum, das Ungleichheiten und Streitigkeiten verhindere, ohne daß dabei die 
Möglichkeit abgeschnitten wäre, eine Ausnahme zu machen, wo sich dies als 
Bedürfiiis erweisen sollte. Protokollbuch 1871, § 101, S. 577. 

^ Ein Sohnsvorteil ist im Wertanschlag nicht mehr zu gewähren wie 
nach dem Gesetz von 1810. G, § 18. — Das Obergericht entschied bezüglich 
dieses Wertanschlages: „Unter »laufendem Wert* ist nicht etwa zu verstehen 
das Angebot eines einzelnen Eaufliebhabers. Derselbe wird bestimmt durch 
den Anschlag der gerichtlichen Experten (vgl. oben § 23). Es ist anzunehmen, 
daß deren Taxation den mittleren Yerkehrswert der Liegenschaften darstelle, 
und billigerweise kann, wo ein Kind das elterliche Heimwesen übernimmt, 
nicht mehr verlangt werden als Übernahme nach Maßgabe des mittleren 
Verkehrswertes des Heimwesens." Protokollbuch 1890, S. 489 f. (Urteil vom 
5. März.) 



105 

vorbehalten bleiben, oder ihnen statt dessen ein billiges Äquivalent 
ausgeschieden werden. § 16.^ 

Alle obigen Vorzugsrechte der Söhne bestehen sowohl für Be- 
er bung des Vaters wie der Mutter,^ welche Beerbungen sich aller- 
dings in der Regel in der Weise vollziehen, daß eine Ausscheidung 
von Vater- und Muttergut nicht stattfindet. Diese Erbfolge nimmt 
damit den Charakter einer direkten Nachfolge in das eheliche Ge- 
meingut der Eltern, das „elterliche Gut", an. Vgl. Einleitung zu 
G, §§ 12, 19 und Beispiel Nr. 1 (zu § 8). 

Bezüglich der Teilung in bewegliches Gut: im allgemeinen 
haben weder die Söhne noch die Töchter auf die Fahrnis ein 
Vorzugsrecht. Es haben alle Erben gleichen Anspruch auf Natural- 
teilung, eventuell auf Versteigerung, sei diese eine öflFentliche oder 
eine solche nur unter den Miterben. OGE 206 (1866). Nur be- 
züglich spezieller Nachlaßgegenstände, gleich wie schon im alten 
Recht, sind einzelne Vorrechte anerkannt. Die Söhne sollen aus 
dem Nachlaß des Vaters dessen Kleider, Gewehre und Waffen, 
Taschenuhren und Kleinodien,^ die Töchter aus dem Nachlaß der 
Mutter deren Arbeitsgerätschaften, sowie Kleider und Kleinodien 
beziehen können. Diese Gegenstände erhalten die Berechtigten 
„zum Voraus", und fallen dieselben demnach auf den Erbanteil 
nicht in Rechnung.* § 12. 

Behufs Gewährung besonderer Vorteilsrechte an einzelne 
Kinder steht den Eltern, wie nach dem alten, so auch nach dem 
neuen Recht eine erhöhte Verfügungsfreiheit zu. §§ 61, 59 lit. a, 60. 

Allgemeines hemglich des Sohnsvorteilsreckts; wirtschaftlicher 
Zweck, In der Gewährung des Sohnsvorteils liegt eine wesentliche 
Zurücksetzung der Töchter gegenüber den Söhnen, des weiblichen 
Geschlechts gegenüber dem männlichen. So sieht sich auch 1838 
die Justizkommission in ihrem Bericht zum Entwurf des Erbgesetzes 
zu der Bemerkung veranlaßt: »der Sohnsvorteil wird vielfach 



^ Nach G 1810, § 19, konnte denselben auch eine Wohnung in einem 
andern Hause zugewiesen werden. — Dieses Wohnrecht ist ohne Fertigung 
nicht dinglicher Natur. Urteil des Obergerichts vom 24. Jan. 1881. 

2 Vgl. ZPR, § 851 (1895). 

« G 1810, § 14, außerdem: Bibliotheken. 

* Vgl. ZPR, §§ 855 (1899), 858 (1903). 



106 

angefochten, weil er der Rechtsgleichheit zuwider ist und Töchter 
zu den Eltern im gleichen Verhältnis stehen sollten wie die Söhne." 

Für Gewährung der Sohnsvorrechte sprachen vor allem wirt- 
schaftliche Gründe. Es soll dadurch, daß nur einzelnen oder nur 
einem einzigen der Kinder ein Anspruch auf Liegenschaften ein- 
geräumt wird, einer wirtschaftlich nachteiligen Zerstückelung land- 
wirtschaftlicher Güter entgegengetreten werden. Bei den haupt- 
sächlich bäuerlichen Verhältnissen im Thurgau muß dies wesentlich 
in Betracht fallen.^ Im fernem aber wird durch die ausschließ- 
liche Vererbung der Güter an die Söhne, als den Repräsentanten 
des Familienstammes, das Ziel erstrebt, das Stammgut, wie es von 
den Vätern ererbt worden, bei derselben Familie, demselben Stamme 
zu erhalten.^ Dies führte einmal dazu, den Söhnen ein Vorbezugs- 
recht auf die Liegenschaften zu gewähren. 

Die Übernahme soll aber den Söhnen unter solchen Bedm- 
gungen ermöglicht werden, daß ihr Fortkommen möglichst ge- 
sichert ist. Der Übernahmepreis darf deshalb nicht zu hoch an- 
gesetzt sein. Dies führte anfönglich zu einer Überlassung zu emem 
Anschlag unter Verkehrswert (vgl. G 1810, § 15): „Sohnsvorteil/ 
Der Kleine Rat bemerkt diesbezüglich in seinem Bericht von 1810: 
,die Absicht bei Festsetzung des Sohnsvorteils kann vernünftiger 
Weise betrachtet kein anderer gewesen seyn als zu sorgen, daß 
der Sohn das väterliche Stammhaus sicher und in einem solchen 
Preis erhalte, daß er dabei bestehen könne.* Der erstrebte Zweck 
muß zugleich auch die Grenzen des zu gewährenden Vorteils be- 
stimmen. 

Erwähnter Zweck wird aber überschritten,^ schon mit dem 
Gesetz von 1810, wo bestimmt wird, daß den Söhnen, in Ermange- 
lung von Liegenschaften, an Stelle dieses Sohnsvorteils ein Äqui- 
valent aus der Erbmasse auszuscheiden sei. Damit wird das Vor- 
zugsrecht auf bewegliches Gut, namentlich Kapitalien, ausgedehnt. 
Die Gründe, welche zur Gewährung des Sohnsvorteils geführt 
haben, sind hier nicht mehr vorhanden. Ganz besonders aber 



^ Vgl. dazu: Erläuterungen zum Vorentwurf des Schweiz. Zivilgesetz- 
buches, Heft II, Erbrecht, S. 31, „bäuerliches Erbrecht." 

^ Bericht der Großratskommission 1839, sowie der Justizkommission 1838. 
^ Vgl. Erläuterungen zum Vorentwurf (oben Anm. 1), S. 41. 



107 

triflft dies zu für die Ausdehnung mit dem Gesetz von 1839: 
Gewährung einer erhöhten Erbquote an die Söhne, ohne jede 
Rücksicht auf Gutsübernahme, und für die daraus hervorgegangene 
Praxis: Gewährung des gesetzlichen Maximums, wo nicht außer- 
ordentliche Verhältnisse Minderung verlangen. Dies wird auch 
von der Justizkommission (1838) vollkommen anerkannt. Als 
Grund für Einführung dieses Rechts wird aber angeführt: wenn 
dieses Recht nicht angenommen werde, entstehe leicht die Gefahr 
ungleicher Teilung. Daneben wird auch hervorgehoben: der Staat 
auferlege dem Sohne bedeutende Lasten, welche das weibliche 
Geschlecht wenigstens zum Teil gar nicht kenne; daher sei der 
Sohnsvorteil gerechtfertigt, und von einer zu starken Zurücksetzung 
der Töchter könne daher auch nicht gesprochen werden. Ahnlich 
lautet auch der Bericht der Großratskommission (1839). Trotz 
dieser Begründungen zur Einführung dieses Rechts glauben wir 
indessen sagen zu dürfen: dadurch, daß das Sohnsvorteilsrecht 
seinen wirtschaftlichen Zweck überschritten hat, ist es zu einer 
ungerechtfertigten Zurücksetzung der Töchter ausgeartet. Was 
das alte Recht in langem Entwicklungsgang erreicht hatte: Gleich- 
stellung der Töchter mit den Söhnen (s. oben § 8), ist damit wieder 
verloren gegangen. Der modernen Rechtsanschauung, welche nach 
zivilrechtlicher Gleichstellung der Geschlechter verlangt,^ kann ein 
solches Verhältnis nicht mehr entsprechen, und Aufgabe einer 
neuen Gesetzgebung wird es sein, das Sohnsvorteilsrecht auf das 
richtige Maß, wie es die wirtschaftlichen Verhältnisse verlangen, 
zurückzuführen.^ 



§ 26. b. Kindeskinder und weitere Nachkommen. 

Kindeskinder und fernere Nachkommen haben unbedingtes 
Repräsentationsrecht. §§ 9, 10. Selbstverständlich können sie aber 
nur zur Erbfolge gelangen, wenn die ihre Verwandtschaft mit 



* H I, 131. — Wir erinnern hier an die Beseitigung des Anspruchs der 
Söhne auf eine erhöhte Erbquote im zürch. Recht, vom Jahre 1887. ZPR, 
§ 857 (1902). 

* Vgl. Vorentwurf zum Schweiz. Zivilgesetzbuch, Art. 630. Erläuterungen 
zu demselben, Heft II, Erbrecht, S. 39 f. 



108 

dem Erblasser vermittelnden Eltern und weiteren Aszendenten 
vorverstorben sind. > 

Wo ausschließlich Enkel oder weitere Nachkommen erben, 
wird nach Stämmen geteilt. § 11,^ Beispiel Nr. 4. Danach erben, 
gleich wie bei Repräsentation, je die Nachkommen eines vorver- 
storbenen Kindes oder fernem Deszendenten zusammen dieselbe 
Quote, welche diesem zugekommen wäre, wenn es den Erbfall 
erlebt hätte. 

Vorzugsrechte dieser entfernteren Nachkommen. Zufolge 
Repräsentations- und Stammteilungsrechts soll den Nachkommen 
eines vorverstorbenen Kindes gleichviel zukommen, wie diesem zu- 
gekommen wäre, wenn es den Tod des Erblassers erlebt hätte. 
Es müssen ihnen daher einmal die in § 12 vorgesehenen Vorzugs- 
rechte zustehen. Im weitem müssen Kinder eines Sohnes — auch 
wenn derselbe nur Töchter hinterlassen sollte — Anspruch auf 
dessen Sohnsvorteil haben. Hier tritt indessen eine Beschränkung 
des Repräsentations- und Stammteilungsrechts ein: das Sohns- 
vorteilsrecht wird dem dritten und fernerem Grade der Deszendenz 
ausdrücklich verweigert.* § 13, Abs. 2. Bezüglich der Ansprüche 

auf Überlassung gewisser Nachlaßgegenstände bei der Erbteilung: 
«» 

Übergang derselben auf die Repräsentanten oder den Stamm eines 
vorverstorbenen Kindes findet sich in den Gesetzen weder an- 
geordnet, noch wird derselbe ausdrücklich verneint. Es wäre im 
einzelnen Fall nach dem freien Ermessen des Richters zu ent- 
scheiden.* 

Eine erweiterte Verfügungsfreiheit zu Verfügungen zu gunsten 
einzelner Enkel oder fernerer Leibeserben ist in gleicher Weise 
wie zu Verfügungen zu gunsten einzelner Kinder vorgesehen. § 61.* 



^ § 11 ist in seiner Fassung unklar, indem er Repräsentation und Stamm- 
teilung vermischt. Die Stammteilimg erscheint hier geradezu als eine Unter- 
art des Repräsentationsrechts. Enkel, als die alleinigen Erben, würden danach 
nicht aus eigenem Recht zur Erbfolge gelangen, sondern kraft Repräsentation 
ihrer Eltern. So namentlich Beispiel Nr. 4. 

* Nach G 1810, § 17, ist das Sohnsvorteilsrecht auch zu gunsten des 
dritten Grades anerkannt. 

» Vgl. H II, 56. 

* Nicht nach G 1810, § 54. Interpretation durch den Großen Rat Yom 
Jahre 1833. Kantonsblatt II, 92 f. 



109 



§ 27. 3. Eltern, Geschwister und deren Nachkommen. 

In Ermangelung von Leibeserben folgen als nächstberechtigte, 
zweite Erbenklasse Eltern und Geschwister, oder, an Stelle der 
letztem, deren Nachkommen: die elterliche Parentel. § 24. 

Die Regelung der Erbfolge innerhalb dieser Klasse schließt 
sich besonders eng an das französische Recht an. Das alte thur- 
gauische Recht hat auf dieselbe nur geringen Einfluß ausgeübt. 

1) Erbansprüche der Eltern, Die Eltern gelangen neben den 
Geschwistern oder deren Nachkommen zur Erbfolge, und zwar 
beziehen sie, wo beide überleben, gemeinschaftlich^ die Hälfte 
der Erbmasse; wenn nur eines überlebt, so kommt diesem ein 
Viertel zu. §§ 25, 26. Alles übrige fällt den Geschwistern oder 
deren Nachkommen an. Diese Anteile erhalten die Eltern zu 
Eigentum. Es ist demnach, im Verhältnis zum alten Recht, wo 
die Eltern durch Geschwister völlig ausgeschlossen wurden, oder 
wo ihnen, in jüngerer Zeit, im besten Falle ein Kindesanteil, und 
dieser (außer nach dem Erbrecht der st. gallischen Gotteshausleute) 
nur nutznießungsweise, zufallen konnte, eine bedeutende Besser- 
stellung derselben eingetreten. — Das Erbgesetz von 1810 stand 
noch insoweit unter dem Einfluß dieses alten Rechts, als es den 
Eltern an ihrem Erbanteil nur ein Nutznießungsrecht gewährte; 
das Hauptgut war rückfallig an die Geschwister. § 21. 

Sofern neben den Eltern nur Halbgeschwister des Erblassers 
oder Nachkommen von solchen konkurrieren, erhalten jene, gemäß 
einer Neuerung von 1867, drei Viertel, wenn nur eines der Eltern 
überlebt, dieses fünf Achtel. § 26, Abs. 2; Beispiel Nr. 5 (zu § 26). 
Nach den frühern Gesetzen war ihre Stellung auch hier dieselbe 
wie bei Konkurrenz voUbürtiger Geschwister oder Nachkommen 
von solchen. (Vgl. die Bemerkungen unten: Erbrecht der Halb- 
geschwister.) 

Wo Geschwister, vollbürtige oder halbbürtige, oder Nach- 
kommen von solchen nicht vorhanden sind, erben, wenn beide 



^ Eltern erben, zufolge der zwischen ihnen bestehenden (ehelichen) Güter- 
gemeinschaft, in der Regel gemeinsam. Es bedarf daher auch nicht der Vor- 
zugsrechte des Vaters oder der Mutter, wie z. B. im zürch. Recht (ZPR, §§ 872 
[1918], 873 [1919]) solche anerkannt sind. 



110 



Eltern überleben, diese zusammen auf die ganze Verlassenschaft. 
§ 31. Wenn nur eines derselben überlebt, so erbt dieses, zufolge 
Linienteilung (unten § 28) nur auf die Hälfte, während sich die 
zweite Hälfte an die durch den vorverstorbenen Eltemteil ver- 
mittelte Verwandtschaft vererbt. § 32, Beispiele Nr. 9, 10, 11, 12. 

2) Geschmster. Ausschließlich voUbürtige Geschwister, oder 
diese in Konkurrenz mit halbbürtigen, gelangen, wie oben erwähnt, 
neben den Eltern oder einem derselben zur Erbfolge, wobei ihnen 
ein gemeinsamer Anspruch auf die Hälfte resp. drei Viertel der 
gesamten Erbschaft zusteht. §§ 25, 26. Wo Eltern nicht mehr 
vorhanden sind, sind sie, vorbehalten das Repräsentationsrecht 
von Nachkommen vorverstorbener Geschwister, einzige Erben und 
schließen entferntere Verwandte des Erblassers, der aufsteigenden 
Linie wie der Seitenlinien, von jedem Erbanspruch aus. § 28. 

VoUbürtige Geschwister teilen unter sich gleichmäßig, nach 
Köpfen. § 29. 

Vdlbürtige Geschtvister und Halbgeschwister, Das alte Recht, 
wonach Halbgeschwister durch voUbürtige oder zweibändige Ge- 
schwister ausgeschlossen wurden, ist dahingefallen. Voll- und 
halbbürtige Geschwister gelangen neben einander zur Erbfolge. 
Dabei bleibt indessen das Erbrecht der Halbgeschwister auf eine 
geringere Ei'bquote beschränkt: die zweibändigen Geschwister 
beziehen zum voraus die eine Hälfte der unter die Geschwister zu 
verteilenden Erbmasse, behufs Teilung ausschließlich unter sich; 
die andere Hälfte gelangt sodann zu gleichmäßiger Teilung unter 
alle, voll- und halbbürtigen Geschwister, und zwar unberücksichtigt, 
ob die Halbgeschwister von Vater- oder Mutterseite her verwandt 
seien. § 29; Beispiel Nr. 7.^ — Anders teilt das Gesetz von 1810, 
§ 23: ganz nach dem Vorbild des Code Napoleon, Art. 752, tritt 
Linienteilung ein, ähnlich wie bei der Erbfolge der entfernteren 
Verwandten : die eine Hälfte der Masse vererbt sich auf die durch 
den Vater, die andere auf die durch die Mutter verwandten Ge- 
schwister. Indem die zweibändigen Geschwister in väterlicher wie 
mütterlicher Linie erben, gelangen sie, im Verhältnis zu den Halb- 

^ Dieses Beispiel ist insofern ungünstig gewählt, als auch die Linien- 
teihmg dasselbe Kesultat ergibt. Es ist die Wiedergabe des Beispiels zu G 
1810, § 23 (Linienteihmg). 



111 

geschwistern, zu einer erhöhten Erbquote. ^ — Die Wiederbeseitigung 
dieser Linienteilung bedeutet eine wesentliche Schlechterstellung 
der Halbgeschwister wenigstens für den Fall, wo Halbgeschwister 
von väterlicher wie mütterlicher Seite vorhanden sind (die Teilung 
bleibt dieselbe, wo nur Halbgeschwister aus der einen Linie zur 
Erbfolge berufen werden). Dies beweist uns folgendes Beispiel. 
Der Erblasser hinterläßt: einen voUbürtigen Bruder A, väterlicher- 
seits einen Halbbruder JB, und endlich mütterlicherseits die Halb- 
geschwister C, D und E, Es beziehen 

nach G 1810 nach geltendem Recht 

A V4 H- Vs = «/8 V2 + VlO == 'k 

B V4 Vio 

a A E je Vs Vio 

Das Erbteil der voUbürtigen Geschwister ist mit der Änderung 
der neuern Gesetze auf Kosten der Halbgeschwister vergrößert 
worden. 

Halbgeschwister ohne Konkurrent von voUbürtigen Geschwistern, 
Wo nur Halbgeschwister erben, wird unter diese nach Köpfen 
geteilt, ohne Rücksicht darauf, ob sie in ungleicher Zahl von 
väterlicher und mütterlicher Seite her verwandt seien. §30; Bei- 
spiel Nr. 8. Es ist das Teilungssystem des alten Rechts (oben § 11). 
Sie schließen, sollten sie auch alle in derselben, der väterlichen 
oder mütterlichen Linie, verwandt sein, alle entfernteren Ver- 
wandten von jedem Erbanspruch aus.^ § 28, Abs. 1. — Das Erbgesetz 
von 1810, § 23, hatte auch für diese Erbfolge, in Nachbildung 
des französischen Rechts, C. c. fr., Art. 752, die Linienteilung ein- 
geführt. War indessen nur die eine Linie durch Halbgeschwister 
vertreten, so erbten diese Halbgeschwister in den ganzen Nachlaß, 
unberücksichtigt der entfernteren Verwandtschaft der andern Linie. 
§ 24. Die Beseitigung der Linienteilung für die Erbfolge der Ge- 
schwister schon mit dem Gesetz von 1839 läßt schließen, daß sich 
diese im Thurgau nie eingelebt hat. 



^ In H II, 75, Anm., wird diese Teilung als die auch in der Gesetz- 
gebung von 1839 eigentlich gewollte hingestellt und die Auffassung vertreten, 
daß, im Grunde genommen, G, § 29, in diesem Sinne zu interpretieren wäre. 

^ Also auch die Großeltern. Vgl. dazu oben §§11 und 13 bezüglich des 
Erbrechts der Stadt Bischofszell und der st. gallischen Gotteshausleute. 



112 

Wenn Halbgeschwister neben den Eltern, oder einem derselben 
zur Erbfolge berufen werden, so kommt ihnen, wie oben erwähnt, 
zufolge der Neuerung von 1867, nur halb so viel zu, als sie in 
der Stellung zweibändiger Geschwister erhalten haben würden; 
d. h. neben beiden Eltern erben Halbgeschwister zusammen nur 
auf ein Viertel, neben einem derselben nur auf drei Achtel. § 26, 
Abs. 2; Es ist dies eine starke Minderung des Erbrechts der Halb- 
geschwister, ein Rückschritt zum alten Recht mit der schlechten 
Stellung derselben, wie er sich schon in der Aufhebung der Linien- 
teilung (1839) geltend gemacht hat. 

Ein sonderbares Verhältnis entsteht, infolge der Änderung von 
1867, im Falle, wo ein Erblasser als Erben eines der Eltern und 
neben demselben Halbgeschwister hinterläßt. Der überlebende 
Elternteil erbt hier zu fünf Achtel. Vgl. Beispiel Nr. 5 zu § 26. 
Wären aber diese Halbgeschwister nicht vorhanden und würde 
neben jenem ein entfernterer Seitenverwandter der Linie des vor- 
verstorbenen Elternteils konkurrieren (s. unten § 28), der von den 
Halbgeschwistern von jedem Anspruch ausgeschlossen werden 
müßte (s. oben), so würde dieser überlebende Elternteil, zufolge 
Linienteilung, nur auf die Hälfte erben. Vgl. § 32, Beispiele 
Nr. 11, 12. Wir kommen also zum Ergebnis: bei Konkurrenz 
näherer, weitaus besser berechtigter Erben bezieht der überlebende 
Elternteil eine größere Erbquote als bei Konkurrenz ganz ent- 
fernter Verwandtschaft (bis und mit dem achten Qrad).^ Die sonst 
für die Erbfolge der Aszendenten streng durchgeführte Linien- 
teilung wird damit durchbrochen. 

3) Nachkommen vorverstorbener vollbürtiger und halbbürtiger 
Geschwister, Für dieselben ist unbegrenztes Repräsentationsrecht 
anerkannt. §§ 27, 28 Abs. 2. 



^ Beispiel. Der Erblasser hinterläßt: den Vater Ä; auf mütterlicher 
Seite den Halbbruder B und den entfernteren Seitenverwandten C (dieser sei 
z. B. im siebenten Grad verwandt). Es erben: A ^/s, B ^/s; wäre B vorverstorben: 
A nur \'2, C ^/2 ; wäre A vorverstorben : B wäre alleiniger Erbe. Zudem, wenn 
auf väterlicher Seite ein Verwandter, z. B. ein Oheim, vorhanden wäre, würde 
B diesen ausschließen, während C neben ihm nur die Hälfte beziehen würde. 
B hat ein bedeutend stärkeres Recht als 0, und bezieht trotzdem neben Ä 
den geringem Anteil als G, 



113 

über die Erbteilung unter Geschwisterkindern oder Nach- 
kommen derselben im Falle, wo sie als alleinige Erben, oder allein 
neben Eltern des Erblassers zu einer Erbfolge gelangen, finden 
sich keine näheren Bestimmungen. Namentlich fehlt eine Angabe, 
ob gleich nahe Erben nach Stämmen, oder, wie zur Hauptsache 
im alten Recht, nach Köpfen zu teilen hätten. In der Praxis 
findet sich indessen allgemein anerkannt, daß nach Stämmen zu 
teilen sei; es ist dies zum Gewohnheitsrecht geworden.^ 



§ 28. 4. Die Vorfahren und die entfernteren Seitenverwandten. 

In Ermangelung von Leibeserben, Geschwistern und Nach- 
kommen von solchen gelangen, als dritte Erbenklasse, die Vor- 
fahren — dieser Klasse sind die Eltern wiederum beizuzählen — 
und nach diesen, als vierte Klasse, die Seitenverwandten außer- 
halb der elterlichen Parentel zur Erbberufung. § 31. 

1) Linienteilung. Für die Erbfolge dieser Erbenklassen hat 
strenge Linienteilung einzutreten, nach Vorbild des französischen 
Rechts. Die gesamte Erbmasse wird abgeteilt in gleiche Hälften, 
die zu gesonderter Vererbung gelangen, die eine in der väterlichen 
Linie, der zugehören der Vater und die gesamte, durch seine 
Person vermittelte Verwandtschaft, die andere in der mütterlichen 
Linie, der zugehören die Mutter und die gesamte, durch ihre 
Person vermittelte Verwandtschaft. § 32. , — Für diese Teilung 
ist auf die Herkunft der zu verteilenden Nachlaßgegenstände, ob 
sie dem Erblasser zugekommen seien durch Erbgang oder Schenkung 
von Seite des Vaters oder dessen Verwandtschaft, oder der Mutter 
oder deren Verwandtschaft, keine Rücksicht zu nehmen.^ 

In jeder der Linien gelangt der nächste Verwandte zur 
Erbfolge, und namentlich schließt nicht etwa die Klasse der 

^ Die erläuternden Beispiele geben über diese Frage gleichfalls keinen 
genauen Aufschluß. Beispiel Nr. 6 umgeht dieselbe damit, daß es an die Stelle 
Yorverstorbener Geschwister je gleich viele Geschwisterkinder treten läßt. 

'^ C. c. fr., Art. 732 : „La loi ne considere ni la nature ni l'origine des 
biens pour en regier la succession.^ Das französische Becht (Art. 747) gewährt 
indessen den Eltern Yorbezugsrechte. Diese sind im thurg. Becht nicht aner- 
kannt. 

8 



114 

Aszendenten der einen Linie die EoUateralen der andern, wenn 
hier Aszendenten nicht vorhanden sind, aus. Vgl. § 33, Beispiele 
Nr. 10, 11 und 12. Ist jemand in väterlicher und mütterlicher 
Linie (erbfähig) verwandt, so erbt er aus beiden Linien.^ ^ 

Eine Wiederholung der Linienteilung, wie Teilung in groß- ^ 

väterliche und großmütterliche Linie in jeder der elterlichen Linien, 
findet nicht statt. Je der nächste oder die nächsten Aszendenten, 
nach ihnen der nächste oder die nächsten Kollateralen, hier mit 
Vorbehalt des Repräsentationsrechts, sind berechtigt auf die ganze, 
ihrer Linie zufallende Quote (Hälfte). Unzweideutig ergibt sich 
dies aus § 32, der nur die einmalige Teilung vorsieht.* Vgl. OQE 
216 (1870). Ein besonderer Vorbehalt wird nur gemacht für die 
Erbfolge halbbürtig verwandter Kollateralen (s. unten). 

2) Der Erbgang in der einzelnen Linie. Nächstberechtigt 
sind die Vorfahren, als besondere Erbenklasse. Als erster Erbe 
kommt in Betracht der derselben zugehörige Elternteil. Ist dieser 
vorverstorben, so erben an seiner Stelle die Großeltern, oder, 
wo nur eines derselben überlebt, dieses ausschließlich. Es können 
nicht etwa die Eltern des vorverstorbenen Qroßeltemteils (Urgroß- 
eltern) diesen repräsentieren (s. oben § 24), oder dessen Verwandte 
an seine Stelle eintreten. Gleich nahe derselben elterlichen Linie ( 

zugehörige Aszendenten erben nach Köpfen, nicht „in lineas.*** 

Sind in einer Linie Vorfahren nicht vorhanden, so folgen als 
Erben die Seitenverwandten außerhalb der elterlichen Parentel. 

Die Bestimmung der Verwandtschaftsnähe und damit die 
Ermittelung der Erbberechtigung erfolgt an sich nach römisch- 
rechtlicher Gradzählung. § 57 und Stammbaumtafel (vgl. oben 
§ 24). Der Nächstverwandte ist Erbe. § 32. 



1 Vgl. H II, 75 f und Beispiel zu ZPR, § 887 (1935). 

2 6 1839, § 35, sagt ausdrücklich: „Ist die vorgeschriebene erste Ver- 
theilung unter die väterliche und mütterliche Linie einmal geschehen, so hat 
nachhin keine weitere Verteilung nach Verschiedenheit dieser Linien mehr 
Statt." Ähnlich G 1810, § 31. Vgl. C. c. fr., Art. 734. 

' Denken wir uns den allerdings ungewöhnlichen Fall: es überleben in 
einer Linie drei der Urgroßeltern, während der ihr zugehörende Eltemteil 
und die Großeltern vorverstorben sind. Hier bezieht ein jedes dieser Urgroß- 
eltern je ein Drittel des ihnen gemeinschaftlich anfallenden Linienanteils. — 
Vgl. C. c. fr., Art. 746, am Schluß. 



115 

Eine bedeutende Modifikation tritt hier indessen ein zufolge 
^es auch für die Erbfolge der entfernteren Seitenverwandtschaft 
anerkannten Bepräsentationsrechts (§ 34) und erzeigt sich hier 
eine wesentliche Abweichung von dem sonst immer durchaus vor- 
bildlichen französischen Recht. Die Durchführung der Repräsen- 
tation hebt den Unterschied in der Nähe der Verwandtschaft auf 
{vgl. OQE 217, Urteilsbegründung). Nach dem dem Bepräsentations- 
recht zu Grunde liegenden Prinzip: ,,es sollen die Nachkommen 
den frühen Tod ihrer Eltern und weiteren Vorfahren nicht ent- 
gelten" rücken Seiten verwandte fernerer Qrade an die Stelle der- 
jenigen ihrer Vorfahren vor, welche, im Verhältnis zum Erblasser 
noch der Klasse der Seitenverwandten, der vierten Erbenklasse, 
zugehörend, in derselben in erster Linie als Erben in Betracht 
gekommen wären: d. h. derjenigen ihrer Vorfahren, welche im 
Qrade von Kindern der Stammeltern des Erblassers stehen; das 
sind: Oheim, Muhme, Großoheim, Großmuhme, Urgroßoheim, 
Urgroßmuhme u. s. w. des Erblassers (nicht mehr repräsentieren 
können sie dagegen die Aszendenten, die sie als Stammeltern mit 
dem Erblasser gemeinsam haben, indem diese einer andern, frühem 
Erbenklasse zugehören). Als Verwandtschaftsgrad fallt zufolge 
der Repräsentation für Ermittelung der Erbberechtigung immer 
nur in Berechnung die Entfernung von Kindern der Vorfahren 
des Erblassers, als Seitenverwandten desselben, für diese und ihre 
gesamte Deszendenz.^ Dem ist gleichbedeutend bloße Berechnung 
nach der Entfernung der gemeinsamen Stammeltem vom Erblasser 
für die gesamte, durch diese Stammeltem vermittelte Seitenver- 
vrandtschaft. Damit gelangen wir aber zur Anerkennung einer 
Farentelenordnung, ähnlich derjenigen, wie sie zur Hauptsache 
dem alten Becht (oben §7) bekannt war. Ähnlich OGE 217 (1878).« 

^ Beispiel. Ein Erblasser hinterläßt: einen Oheimsenkel A (5. Grad; vgl. 
:Stammbaamtafel) und einen Großoheim B (4. Grad). Nach § 57 ist B näher 
verwandt als A und wäre er daher auch näher berechtigt. Nun repräsentiert 
aber -4, zufolge § 34, als seinen Großvater, den Oheim G (3. Grad), der, wenn 
•er den Erbfall erlebt hätte, den Großoheim B ausschließen würde. Demzufolge 
schließt auch A den B aus. 

^ Der in diesem Urteil vertretenen Ansicht, daß die §§ 32 und 34 zu 
einander in innerm Widerspruch stehen, können wir nicht zustimmen. In § 32 
l)leiben die Bestimmungen von § 34 stillschweigend vorbehalten, während § 34 



116 

Zufolge dieser Parentelenordnung können solche Personen, welche 
nach der gesetzlich anerkannten römischen Gradzählung die ent- 
fernteren Verwandten sind, die nähern von der Erbfolge aus- 
schließen, wenn sie in nähern Aszendenten des Erblassers mii 
diesem die gemeinsamen Stammeltem haben. Mit § 34 gelangt, 
trotz § 57, die deutsch-rechtliche Gradzählung zu tatsächlicher 
Anerkennung. 

Innerhalb der einzelnen Parentel ist, wie ja die Parentelen- 
ordnung selber auf Repräsentationsrecht beruht, wiederum das 
Repräsentationsrecht gewährt, und namentlich steht dasselbe auch 
zu, wo in derselben elterlichen Linie verschiedene Linien höherer 
Aszendenten, z. B. der Großeltern, durch ungleich nahe Verwandte 
vertreten sind. Erbberechtigt sind daher neben einander alle Seiten- 
verwandte derselben Parentel, soweit sie nicht durch ihre eigenen 
Aszendenten ausgeschlossen werden.^ Das Repräsentationsrecht 
wird so ein allgemeines Recht zur Vertretung vorverstorbener 
Miterben. 

Diese Parentelenordnung kann sich nicht erstrecken auf die 
Erbfolge der Aszendenten, indem diese einer bevorzugten Erben-^ 
klasse zugehören. Es gehen dieselben allen Seitenverwandten, 
außer Geschwistern und deren Nachkommen, unbedingt vor.^ 

um nun die gesamte Erbordnung des thurgauischen Rechts 
zusammenzufassen, ergibt sich als solche: 



in der Klassenordnung seine gesetzliche Begrenzung findet; das Repräsentations- 
recht kann nicht jeden unterschied in der Yerwandtschaffcsnähe aufheben. 

^ Dies wird schon anerkannt im Beschluß des Größen Rates vom Jahre 
1833 „enthaltend die Erläuterung einiger Erbrechtsartikel.'' Es wird das 
Beispiel aufgestellt: ein Erblasser hinterläßt in mütterlicher Linie: großväter- 
licherseits einen Großohoims- oder Großmuhmeenkel (6. Grad) (AJ; groß- 
mütterlicherseits ein Großoheims- oder Großmuhmekind (5. Grad) CB). Ersterem 
fAJ wird das Repräsentationsrecht gewährt, obwohl er in anderer Ldnie steht; 
d. h. man läßt ihn um einen Grad vorrücken, damit er, nun gleichen (5.) Grades 
wie das Großoheims(muhme)kind CBJj neben diesem erben kann. Daraus aber^ 
daß als Voraussetzung hingestellt ist, daß die Erbansprecher derselben Parentel 
zugehören, ersehen wir eine wenn auch noch nicht klar ausgesprochene Aner- 
kennung der Parentelenordnung. Siehe Kantonsblatt II, 90 fT., spez. 92, Ziff. 3. 

'^ Der Erblasser hinterläßt z.B. in einer Linie einen Oheim und eines 
der Urgroßeltern. Obwohl der Oheim in näherer Parentel steht, bleibt er aus- 
geschlossen. 



117 

1) Nacbkommen oder Parentel des Erblassers; 

2) die elterliche Parentel; 

3) die Vorfahren; 

4) die entfernteren Seitenverwandten: 

a. die großelterliche Parentel; 

b. die urgroßelterliche Parentel u. s. w. 

Wenn wir berücksichtigen, wie nur höchst ausnahmsweise 
entferntere Vorfahren (Großeltern, Urgroßeltern) als Erben in 
Betracht kommen können, gelangen wir zum Ergebnis: trotz 
römisch-rechtlicher Gradzählung und Elassenordnung vollzieht sich 
die Erbfolge tatsächlich, wenigstens zur Hauptsache, im thur- 
gauischen Recht nach deutsch-rechtlicher Parentelenordnung. 

Es bliebe zu untersuchen, in welcher Weise die Erbschaft 
unter die erbberechtigten Vertreter derselben Parentel zur Ver- 
teilung gelangen soll, ob zu teilen sei nach Stämmen, oder aber 
unter gleich nahen Erben nach Köpfen, wobei fernere Grade als 
Repräsentanten einen Stammanteil beziehen würden. Das Gesetz 
spricht sich hierüber nicht aus, und ist diese Frage unseres Wissens 
auch nie einer gerichtlichen Entscheidung unterworfen worden. 
Der allgemeinen Durchführung des Repräsentationsrechts würde 
eine Teilung nach Stämmen entsprechen; denn nur damit würde 
erreicht, was mittels des Repräsentationsrechts erstrebt wird: daß 
das frühere oder spätere Versterben einzelner erbfähiger Personen 
auf das schließliche Ergebnis der Erbfolge keinen oder nur geringen 
Einfluß ausübt (vgl. oben § 24). Dies würde zu neuer Linienteilung, 
in großelterliche, urgroßelterliche Linie u. s. w. führen. Dem stünde 
§ 32 (OGE 216) nicht entgegen, wenn dieser auch nur Teilung nach 
väterlicher und mütterlicher Linie vorsieht; denn hier handelt es 
sich um eine Teilung behufs selbständiger Vererbung der Linien- 
anteile in den einzelnen Linien, was dort nicht der Fall wäre. — 
Eine besondere Bestimmung ist aufgestellt für die Teilung in einem 
solchen Erbfall, wo neben zweibändig (durch ein gemeinsames 
Stammeltempaar) verwandten Kollateralen einseitig (nur durch 
einen gemeinsamen Stammvater oder eine gemeinsame Stamm- 
mutter) verwandte zur Erbfolge berufen werden. Hier soll die 
Teilung ähnlich vor sich gehen, wie wenn voll- und halbbürtige 
Geschwister oder Nachkommen von solchen zugleich erben: die 



118 

zweibändig verwandten Erben beziehen zum voraus die eine Hälfte \ 

der ihrer Linie zufallenden Erbquote; die zweite Hälfte gelangt 
zu gleichmäßiger Verteilung unter alle, ein- wie zweibändig ver- 
wandte Erben. § 35.^ 

3) Begrenzung der Erbberecktigung. Die Erbberechtigung^ 
schließt ab mit dem zwölften Grad römischer Berechnung. § 56. 
Verwandte außerhalb des zwölften Grades können auch nicht kraft 
Repräsentation erben. 

Eine Einschränkung des Erbrechts stellt dazu § 36 auf: Wenn 
eine der elterlichen Linien nicht durch Verwandte bis und mit 
dem achten Grad vertreten ist, föUt der Erbanteil, welcher dieser 
Linie zugekommen wäre, dem überlebenden Ehegatten an; ist 
auch ein Ehegatte nicht vorhanden^ der andern Verwandtschafts- 
linie, sofern diese durch nähere Grade vertreten ist. — Mit dieser 
Bestimmung dürfte eine Linienteilung für die Erbfolge fernerer 
Verwandten, wo alle außerhalb des achten Grades stehen, über- 
haupt aufgehoben sein: ausschließlicher Erbe wäre, wer, sei ea 
aus eigenem Recht, sei es zufolge Repräsentation, am nächsten 
verwandt wäre, d. h. wer der nächstvertretenen Parentel zugehörte,, 
unberücksichtigt der Linienzugehörigkeit. In § 36 findet sich dies 
zwar nicht ausdrücklich angeordnet, aber es wäre ganz der* in 
demselben zum Ausdruck gelangenden Tendenz entsprechend, eine 
zu weit gehende und unnötige Zersplitterung der Erbschaft zu 
verhindern.* 

In sonderbaren Widerspruch treten nun aber zueinander die 
§§ 34 und 36. Der eine anerkennt, soweit wenigstens überhaupt 



^ Ob nach Stämmen oder nach Köpfen za teilen sei, ist auch aus dieser 
Bestimmung nicht ersichtlich. — G 1810 mangelte es an einer ähnlichen 
Ordnung. Daraus, daß aus Analogie zur damaligen Teilung unter Geschwistern 
eine neue Linienteilung erforderlich gewesen wäre, § 31 aber eine solche aus- 
schloß, folgerte man, daß halbbürtig Verwandten neben gleich nahen zwei- 
bändig Verwandten ein Erbrecht nicht zustehen könne. Bericht der Justiz- 
kommission 1838. 

^ Die Bestimmungen von § 36 sind eine Neuerung des Gesetzes von 1839» 
G 1810, §5, schließt sich eng an C. c. fr., Art. 755, an: die Teilung nack 
den elterlichen Linien erstreckt sich hier soweit als überhaupt Erbberechtigung^ 
besteht, und es kann der Ehegatte erbfähige Verwandte auch der entferntesten 
Grade nicht verdrängen. 



119 

eine Erbberechtigung bestehen kann, ein unbegrenztes Eepräsen- 
tationsrecht. Der andere dagegen muß dasselbe, sobald er zur 
Anwendung gelangen kann, absolut ausschließen. Während sich 
aus dem einen eine deutsch-rechtliche Parentelenordnung ableitet, 
verbleibt der andere streng auf dem Boden römisch-rechtlicher 
Gradzählung. Die Parentelenordnung wird mit den Bestimmungen 
des § 36 durchbrochen, und es entstehen dadurch, daß zwei Erb- 
systeme konkurrieren, Kollisionen, in denen schwer zu entscheiden 
ist, wem jeweilen das bessere Recht zustehen soll. Einzelne Bei- 
spiele mögen dies dartun. 

1) Ein Erblasser hinterläßt in derselben Parentel die Seiten- 
verwandten A und J?, von denen A im siebenten, J5 im neunten 
Grad verwandt ist; daneben den Ehegatten G, Wären nur A und 
-B vorhanden, so könnte 3 unbestreitbar neben A erben zufolge 
§ 34; -4 und .B müßten den ihnen gemeinschaftlich zukommenden 
Linienanteil gleichmäßig teilen. Tritt aber G hinzu, so ist dieser, 
nach § 36, besser berechtigt als J5; G müßte B unbedingt aus- 
schließen, sobald A nicht vorhanden wäre. Soll er ihn auch aus- 
schließen können, wenn derselbe mit A konkurriert? Wem soll 
eventuell sein Betreffnis zukommen, dem A als Miterben oder dem 
(7, der ihn verdrängt? § 36 verlangt nun allerdings den Ausschluß 
des JS nicht. Wenn wir ihm aber das Erbrecht neben A und G 
zugestehen, kommen wir zur Inkonsequenz: 3 hat ein besseres 
Recht, wenn ein näherer Erbe (A) vorhanden ist, als wenn dieser 
fehlt. Der Wegfall des nähern Erben nimmt dem ferneren seiji 
Recht, anstatt es ihm zu verstärken. 

2) Hinterlassen sind: in urgroßelterlicher Parentel der im 
neunten Grad stehende A] in der Parentel der Ahnen (vierter Grad 
der Aszendenten) und im achten Grad ein B\ der Ehegatte (7. 
Nach §§ 32 und 34 schließt A den B aus; nach § 36 (7 den ^, 
aber auch B den (7.^ Wer ist nun der Bestberechtigte? Für die 
Entscheidung ist gänzlich auf freies Ermessen des Richters ab- 
zustellen. 

3) Ein Erblasser hinterläßt: väterlicherseits m urgroßelter- 
licher Parentel und neuntem Grad einen A\ mütterlicherseits in 

^ Selbstverständlich unbeschadet der Ansprüche, die nach § 42 zu- 
kommen. 






120 

der Parentel der « Ahnen '^ und siebentem Orad einen B, Obwohl 
A in der nähern Parentel verwandt ist, wird er, zufolge § 36, 
durch B ausgeschlossen. Wären A und B in derselben elterlichen 
Linie verwandt, so wäre nach § 34 J. näher berechtigt und würde 
er B ausschließen. Die Erbfolge wird hier von Zufälligkeiten ab- 
hängig gemacht. 

Insgesamt, und namentlich an den aus den §§ 34 und 36 sich 
ergebenden Widersprüchen läßt sich erkennen, wie Gewährung 
eines unbegrenzten Repräsentationsrechts mit der Durchführung 
einer Erbordnung nach römischer Gradzählung nicht vereinbar ist. 
Das Repräsentationsrecht hebt einerseits die Unterschiede der Grad- 
nähe auf, während andrerseits zufolge des Erbsystems derselben 
Rechnung getragen werden soll. 



§ 29. B. Ausserelieliclie Kinder und ansserehelicli 

vermittelte Verwandtschaft.^ 

1) Uneheliche Kinder und deren Nachkommen. 

a. Deren Erbberechtigung. Uneheliche Kinder sind von einem 
Erbrecht gegenüber ihrem Vater, sowie dessen Verwandtschaft 
ausgeschlossen. § 54; PR, § 206. Auch freiwillige Anerkennung 
eines unehelichen Kindes durch den Vater, oder gerichtliche Zu- 
sprechung (PR, § 8) können dem ersteren gegenüber diesem und 
dessen Verwandtschaft ein Erbrecht nicht beschafiFen; sie haben 
einzig eine Verpflichtung des Vaters zu Leistungen an Unterhalt 
und Erziehung des Kindes zur Folge (vgl. PR, § 195). 

Gegenüber der Mutter und deren Verwandtschaft stehen dem 
unehelichen Kinde dieselben Erbansprüche zu wie dem ehelichen. 
Es kann neben ehelichen Kindern der Mutter erben und namentlich 
auch die letztere repräsentieren. § 54. Das zwischen der Mutter 

^ „Außereheliche Kinder'* bezeichnet nach thurgauischem ähnlich wie 
nach zürcherischem Hecht eine umfassendere Kategorie, innerhalb welcher 
unterschieden wefden uneheliche Kinder, Brautkinder und legitimierte Kinder. 
Vgl. PR, § 204, und die Überschrift zu Abschnitt III, bei § 186 (s. auch H I, 
486). Mit aller Konsequenz wird die Unterscheidung der Bezeichnungen aller- 
dings nicht durchgeführt. Vgl. die Überschrift zu Titel IV des Erbgesetzes. 



121 

und ihrer YerwandtschafI; einerseits und dem Kinde andrerseits 
bestehende natürliche Band der Familie konnte zufolge modemer 
Rechtsauffassungen auch bei unehelicher Geburt erbrechtlich nicht 
mehr ignoriert werden, wie dies im alten Becht mit dem Ausschluß 
des unehelichen Kindes selbst Ton einem Erbrecht gegenüber der 
Mutter geschehen ist (oben § 14). Anfanglich, im Erbgesetz von 
1810, § 44, und 1839, § 50, wie nach PR 1860, § 249, beschrankte 
man sich allerdings noch darauf, den unehelichen Kindern ein 
Erbrecht zu gewähren nur gegenüber der Mutter und ihren 
Aszendenten.^ 1867 wurde dieses Recht ausgedehnt auf Beerbung 
auch der Seiten verwandten.* 

Gegenüber eigenen ehelichen Nachkommen (und dem Ehe- 
gatten) nehmen unehelich Geborne erbrechtlich dieselbe Stellung 
ein wie ehelich Geborne; denn die Verwandtschaft ist eine eheliche. 

Eheliche Nachkommen Unehelicher können in ähnlicher Weise 
wie diese deren mütterliche Verwandtschaft beerben und namentlich 
auch jene repräsentieren. 

6. Die Beerhung Unehelicher. Uneheliche werden beerbt in 
erster Linie durch ihre Leibeserben; sind solche nicht vorhanden, 
durch die Mutter und die durch deren Person vermittelte Ver- 
wandtschaft; d.h. sie können beerbt werden durch solche Personen, 
welche zu beerben ihrerseits sie fähig gewesen wären. § 55. Aus- 
geschlossen von der Erbfolge sind der Vater und die gesamte 
väterliche Verwandtschaft.^ — Bei dem beschränkten Erbrecht der 
Gesetze von 1810 und 1839 waren auch nicht erbfähig die Seiten- 
verwandten der mütterlichen Linie. G 1810, § 46; 1839, § 51. — 
Eheliche Nachkommen eines Unehelichen müßten, in Ermangelung 
näherer Erben, analog beerbt werden. 



^ Vorbildlich für diese Bestimmungen war das st. gallische Erbgesetz 
(1808), §§ 43, 44. Im Entwurf von 1838 war auch § 45 dieses Gesetzes auf- 
genommen: gegenseitiges Erbrecht unter mehreren unehelichen Kindern der- 
selben Mutter. — Ein „Gesetz über den Bechtszustand der unehelichen Kinder'' 
vom 28. Dez. 1801 und 4. Juli 1803 (Tagblatt der Dekrete und Beschlüsse III, 
215; Y, 451) kennt noch kein Intestaterbrecht zu gunst^ der unehelichen Kinder, 
gestattet aber ausdrücklich testamentarische Zuwendungen. Bluntschli II, 381. 

• Wohl unter dem Einfluß von ZPR, § 893 (1939). 

' Der Linienanteil der väterlichen Linie wäre aber wohl, wo ein Ehe- 
gatte vorhanden ist, auszuscheiden und gemäß § 36 diesem zuzuweisen. 






122 

Vorbehalten bleiben für die Erbfolge der Mutter oder deren 
Verwandtschaft Ansprüche der Gemeinde auf Ersatz aus dem Erb- 
gut für Auslagen, die diese zum Unterhalt des unehelichen Erb- 
lassers allfallig hatte machen müssen. § 55.^ 

2) Brautkinder und legitimierte Kinder. 

Außereheliche, aber unter Eheversprechen ^ erzeugte Kinder 
(Brautkinder) haben alle Rechte der ehelichen Kinder und steht 
ihnen demzufolge ein Erbrecht gegenüber dem Vater und seiner 
Verwandtschaft zu. § 53; PR, §203.^ Ob dieselben auch beerbt 
werden wie eheliche Kinder, so daß also, wenn sie ohne Leibes- 
erben sterben, auch dem Vater und der väterlichen Verwandtschaft 
ein Erbrecht zukäme, findet sich in den Gesetzen nicht ausgesprochen. 
Zum mindesten schließt G, § 55, eine solche Beerbung nicht aus. 
Da es aber allgemeines Prinzip ist, daß, wer von einem andern 
beerbt werden kann, diesen auch soll beerben können, und das 
thurgauische Recht dieses Prinzip unzweideutig anerkennt — z. B. 
gerade in den Bestimmungen über Erbfolge und Beerbung Un- 
ehelicher — , so dürfen wir den Schluß ziehen, daß nach thur- 
gauischem Recht auch dem Vater und dessen Verwandtschaft ein 
Erbrecht gegenüber dem Brautkind zu gewähren sei.* 

Außereheliche Kinder gelangen, auch ohne daß sie unter 
Eheversprechen erzeugt worden wären, durch nachfolgende Ehe 
ihrer Eltern in die Stellung ehelicher Kinder (^legitimierte Kinder*). 
Bundesverfassung Art. 54, Abs. 5; Bundesgesetz über Zivilstand 
und Ehe Art. 25, Abs. 5; PR, §138. Ihnen steht dasselbe Erb- 
recht zu wie ehelichen Kindern und werden sie auch wie diese 
beerbt. G, § 53. Dasselbe muß gelten, wenn ein Kind gemäß 



^ Vgl. dazu § 24 des Armengesetzes von 1861. Thurgauische Gesetzes- 
sammlung IV, 46. 

2 G, § 53, verlangt „gültiges Eheversprechen«; nicht PR, §§ 202, 203. 
Wir glauben indessen, daß trotz des Wortlauts von G, § 53, Bändern, die unter 
ungültigem Eheversprechen (PR, § 30) gezeugt wurden, aus Analogie zu PR, 
§ 133, Abs. 4 (nichtige Ehe), dieselben Rechte zustehen müJßten, wie solchen, 
die unter gültigem Versprechen gezeugt sind. — Bezüglich des Beweises des 
Bestehens eines Verlöbnisses vgl. PR, § 28; OGE 68; H I, 193. 

^ Ähnlich schon das „evangelische Matrimonialgesetz« vom Jahre 1833, 
§ 31 : Brautkinder erhalten die Rechte ehelicher Kinder. Eantonsblatt I, 440. 

* Vgl. ZPR, § 892 (303). 



123 

PR, § 139, nach dem Tode der Mutter auf einseitiges Begehren 
des Vaters hin durch gerichtlichen Erlaß legitimiert worden ist. 
6, § 53, sieht solches zwar nicht vor; da es aber gerade Haupt- 
zweck der Legitimation ist, dem unehelichen Kinde durch diese 
ein besseres Erbrecht zu beschaffen, so kann es nur dem Willen 
des Gesetzgebers entsprechen, wenn auch hier das Erbrecht des 
ehelichen Kindes gewährt wird.^ 

Kinder aus einer nichtigen Ehe gelten als ehelich. Es müssen 
ihnen daher, namentlich in erbrechtlicher Beziehung, alle Rechte 
ehelicher Kinder zukommen. PR, § 133, speziell Abs. 4. 



§ 30. C. Die Adoptiwerwandtschaft. 

Die »Adoption** oder „Annahme an Kindesstatt" ist älterem 
Recht unbekannt. Erst mit Erlaß des privatrechtlichen Gesetz- 
buches im Jahre 1860 gelangt sie als rechtsgültiges und rechtlich 
wirksames Familienverhältnis zur Anerkennung.^ 

Die Annahme an Kindesstatt, als eine Nachahmung des Ver- 
hältnisses ehelicher Blutsverwandtschaft, hat neben familienrecht- 
licher namentlich auch erbrechtliche Bedeutung.* 

1) Erbrecht des Adoptivkindes, Gegenüber den Adoptiveltern 
erlangt das Adoptivkind alle Rechte des ehelichen Kindes. Auch 
die Bestimmungen über Vorzugsrechte unter mehreren Kindern 
haben für diese Erbfolge Anwendung zu finden. § 49; PR, § 152.^ 
Dieses Erbrecht bliebe dem Adoptivkind selbst dann bewahrt, wenn 



^ Zutreffend spricht G 1810, § 43, von Legitimation „durch die zwischen 
ihren Eltern nachgefolgte Ehe oder sonst auf gesetzliche Weise." 

* Auch gewohnheitsrechtlich war sie nicht anerkannt. Urteil des Ober- 
gerichts 1872, §150, Protokollbuch S. 362, OGE 52. Für Gewährung be- 
sonderer Vorteile an ein Pflegekind stand nur das Mittel letztwilliger Ver- 
fügung oder des Erbvertrags zu Gebot. Die Adoption war immerhin schon 
vorgesehen in einem Entwurf zum privatrechtlichen (bürgerlichen) Gesetzbuch 
vom Jahre 1842, § 256 ff. 

» Vgl. H n, 108 f. 

* Dem Adoptivkind steht auch ein Noterbrecht zu, das sich aber auf 
die Hälfte des gesetzlichen Erbanteils beschränkt. § 52. 



124 

den Adoptiveltern nachträglich, nach Vollziehung der Eindes- 
annahme, Leibeserben erwachsen sollten. 

Gegenüber den Verwandten der Adoptiveltern, seien es deren 
Aszendenten oder Eollateralen, eventuell auch Deszendenten, steht 
dem Adoptivkind ein gesetzliches Erbrecht nicht zu, und nament- 
lich kann daher dasselbe seine Adoptiveltern nicht repräsentieren. 
PR, § 153.1 

Das ursprüngliche Erbrecht gegenüber den natürlichen Eltern 
und Verwandten bleibt im allgemeinen trotz der Adoption dem 
Adoptivkind erhalten. PR, § 154; G, § 50, Abs. 1. Dasselbe er- 
fahrt indessen eine Einschränkung, wenn bei Beerbung der Eltern 
andere, nicht in Adoption ausgegebene Leibeserben konkurrieren: 
das in Adoption ausgegebene Kind bezieht nur die Hälfte des 
Erbanteils, der ihm zugekommen wäre, wenn es in der Familie 
der natürlichen Eltern verblieben wäre. § 50, Abs. 2.* 

Eheliche Nachkommen eines Adoptivkindes im Falle Vor- 
versterbens des letztern. Über deren Stellung zu den Adoptiv- 
eltern wie den natürlichen Eltern ihres verstorbenen Parens geben 
weder das Erbgesetz noch das privatrechtliche Gesetzbuch genaueren 
Aufschluß. Indessen dürfte denselben ein ähnliches Recht zu- 
zugestehen sein, wie es diesem zugekommen wäre, wenn er den 
Erbfall erlebt hätte: daher im Verhältnis zu den Adoptiveltern 
die Erbrechte fernerer Grade ehelicher Nachkommen, namentlich 
a.uch deren Repräsentationsrechte. Auch sie gehören ja zufolge 
des Adoptivverhältnisses zur Familie dieser Adoptiveltern.* Gegen- 
über den natürlichen Eltern muß das Erbrecht ein beschränktes 
sein nach § 50, Abs. 2, indem ihnen ein besseres Recht als dem 
ihre Verwandtschaft vermittelnden Aszendenten nicht zustehen 
kann. — Für die Beerbung der übrigen Verwandten bleibt, wie 
ja auch für das Erbrecht des Adoptivkindes, das Adoptivverhältnis 
ohne Einfluß. 

2) Beerbung des Adoptivkindes, In Ermangelung von Leibes- 



^ Im Entwurf zum privatrechtlichen Gesetzbuch (von 1842), § 267, war 
vorgesehen, daß dem Adoptivkind gegenüber leiblichen Kindern der Adoptiv- 
eltem dasselbe Erbrecht zustehen sollte wie gegenüber natürlichen Geschwistern. 

« Nach dem Vorbild von ZPR, § 870 (1916). 

8 Vgl. ZPR, § 869 und (1915). 



125 

erben wird das Adoptivkind, unter Vorbehalt der Ansprüche de» 
Ehegatten, beerbt zu einem Teil durch die Adoptiveltern — nicht 
aber deren Verwandtschaft; PR, § 153 — zu einem andern durch 
seine natürlichen Verwandten. Überleben beide Adoptiveltern, so- 
beziehen diese gemeinschaftlich die Hälfte des gesamten Nach- 
lasses. überlebt nur eines derselben, oder war der Erblasser nur 
einseitig, durch einen Adoptivvater oder eine Adoptivmutter, an 
Kindesstatt angenommen worden, so kommt diesem ein Viertel zu. 
Der jeweilige Rest vererbt sich nach den Bestimmungen über Erb- 
folge der Blutsverwandtschaft an die natürlichen Verwandten. § 51.^ 



D. Rechte des Ehegatten.^ 

§ 31. 1. Allgemeines; Ausscheidung der Verlassenschaft. 

Neben Blutsverwandten, der geraden absteigenden wie auf- 
steigenden Linie und der Seitenlinien, hat auch der Ehegatte eines 
Erblassers gewisse Ansprüche an dessen Verlassenschaft. 

Vorerst haben wir zu ermitteln, was der Verlassenschaft eines 
Ehegatten beizurechnen sei. 

Das Gut der Ehegatten ist, wenigstens im Normalfall,^ zufolge 
des gesetzlich zwischen jenen bestehenden Gütergemeinschafts- 
verhältnisses,* unter Vorbehalt etwelchen Sonderguts, zu einer 
Einheit, als einem Gemeingut dieser Ehegatten, vereinigt. Mit 
Auflösung der Ehe — für uns kann nur in Betracht kommen 
Auflösung durch den Tod des einen Ehegatten — fallt das Ge- 
meinschaftsverhältnis dahin, und die eheliche Gütergemeinschaft 
muß, materiell oder nur formell (durch Inventarisierung, untea 
§ 33) liquidiert werden.^ 

1 Ähnlich ZPR, § 881 (1927). Vgl. dazu Vorentwurf zum Schweiz. Zivil- 
gesetzbuch, Art. 490, und Erläuterungen zu demselben, Heft II, 10. 

« Vgl. dazu im besondem: Kolb II. Teü, Titel VII und VIII, S. 73 ff. 

^ Ausnahmen können bestehen zufolge Vertrages unter den Ehegatten 
(Ehevertrag) oder zufolge Art. 19 des Bundesgesetzes betreffend die zivilrecht- 
lichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter (1891). 

* Kolb 94; H I, 259. 

5 Kolb 73. 



126 

9 Bei der Liquidation lebt die Erinnerung an die Zeit des 
Einbringens wieder auf, und der Heimfall der Güter vollzieht sich 
nach ihrer Herkunft.**^ Das Gemeingut wird dementsprechend 
folgendermaßen abgeteilt.^ 

Vorweg genommen wird beiderseits durch den Ehegatten oder 
an dessen Stelle durch die Erben das „Eingebrachte^ , d. h. das 
Gut, welches der betreffende Ehegatte zur Zeit der Eingehung 
der Ehe besessen oder nachher durch Erbschaft, Testament und 
Schenkung erworben und in die Ehe eingebracht, d. h. in das 
Gemeingut eingeworfen hat, jeweilen unter Abzug der bei Ein- 
bringung auf dem Gut lastenden Schulden.^ Pß, §76; G, §§40, 
41 Ziff. 2 und 3, 42 Abs. 1 ; OGE 225.* — Einfache Schenkungen 
an einen Ehegatten während der Ehe und die üblichen Hochzeits- 
geschenke gelten indessen als durch die Ehegatten gemeinschaft- 
lich erworbenes Gut, sofern nicht persönliche Zuwendung an einen 
der Ehegatten besonders dargetan wird. PR, § 77. — Das Ein- 
gebrachte wird, soweit noch vorhanden, in natura zurückerstattet. 
PR, § 78. An Stelle nicht mehr vorhandener Gegenstände ist deren 
Veräußerungswert, eventuell deren wirklicher Wert zu erstatten. 
PR, § 79. Wertminderungen an Gegenständen sind nicht zu ver- 
güten, und Mehrwert ist nur insoweit in Rechnung zu bringen, 
als er Folge von Hauptverbesserungen ist. PR, §§ 80, 81. In 
entsprechender Weise kann als Wert nicht mehr vorhandener ein- 
gebrachter Gegenstände nicht maßgebend sein der Wert zur Zeit 
der Einbringung; es ist der Wert, der diesen zur Zeit der Teilung 
zukommen würde, zu verrechnen. OGE 227 (1872). Der Mehrwert 
Ton Waldungen infolge Anwuchs ist Ergebnis der Nutzung und ist 



» Kolb 95. 

* Vgl. Kolb 76 ff. — Diese Liquidation ist ausschlieBlich eine Frage 
ehelichen Güterrechts, nicht des Erbrechts. 

' Dabei unbeschadet der Haftung des Ehemannes oder seiner Erben für 
zugebrachte Schulden der Frau. Vgl. Kolb 51. 

* G 1810, §§ 36, 38 Abs. 2; 1839, §§ 40 lit. b— e, 42, 45 rechnen zum 
„Eingebrachten^ nur das „in die Ehe eingebrachte und während derselben 
(einem Ehegatten) durch gesetzliche Erbfolge zugefallene Vermögen." Erwerb 
durch testamentarische Zuwendung und Schenkung wären demnach, in Er- 
mangelung des Nachweises persönlicher Zuwendung an den einen Ehegatten, 
der ehelichen Errungenschaft beizurechnen. 



127 

als solches zu gunsten des Gemeingutes (Errungenschaft) in Rechnung 
zu bringen; Minderwert wegen Holzschlages ist Minderung des zu- 
gebrachten Hauptgutes und muß daher vergütet werden. PR, § 82. 

Der bleibende Rest des ehelichen Gemeingutes stellt sich dar 
als ein Vorschlag, gemacht in der Ehe. Er bildet die „eheliche 
Errungenschaft.'^ Vgl. G, § 40, lit. b. Diese Errungenschaft wird, 
wenigstens nach dem neuern Recht (G 1839, 1867, 1885) zu 
gleichen Teilen der Mannes- und der Frauenseite zugewiesen. PR, 
§ 84; G, § 40, Abs. 1, lit. b— d; § 42, Abs. 1, lit. b, c, Abs. 2, lit. a 
(vgl. dazu namentlich auch, als ursprüngliche Fassung zitierter Be- 
stimmungen, G, 1839, §§ 40, lit. b— d, 42).^ 

Ein während der Ehe allfallig gemachter Rückschlag ist beid- 
seitig pro rata des Eingebrachten an diesem in Abzug zu bringen. 
PR, § 85; G, § 40, Abs. 2, § 45. 

Der auf dargestellte Weise auszuscheidende Anteil eines Ehe- 
gatten am ehelichen Gemeingut bildet, unter Beirechnung allfallig 



^ In G 1810 bestimmen die §§ 36 und 37: wenn der Erblasser, es sei 
der Ehemann oder die Ehefrau, durch Leibeserben, sie entstammen einer 
frühem Ehe oder der Ehe mit dem überlebenden Ehegatten, beerbt wird, so 
entfallt auf Frauenseite das Eingebrachte der Frau und das Ehepfand. Der 
Best des Gemeingutes, und damit die ganze eheliche Errungenschaft, müßte 
hier ausschlieMich der Mannesseite zukommen, während, wo Leibeserben nicht 
vorhanden sind, nach § 38, Abs. 2, die Errungenschaft zu Hälften der Mannes- 
und Frauenseite zuzuweisen ist. Das Obergericht hat indessen in seinem Urteil 
vom Jahre 1842, bezüglich eines Erbfalles, der auf das Jahr 1821 zurück- 
datierte, nachdem es erst beim Kleinen Rat und den Bezirksgerichtskanzleien 
Erkundigungen darüber eingeholt hatte, in welchem Sinne §§ 36 und 37 früher 
angewendet worden seien, erkannt: es sei auch nach altem Gesetz die eheliche 
Errungenschaft auf Mannes- und Frauenseite in allen Fällen gleichmäßig zu 
verteilen; dies mit der Begründung: einmal verlangten weder § 36 noch andere 
Bestimmungen unzweideutig ausschließliche Zuteilung der Errungenschaft an 
den Mann oder die Mannesseite; sodann huldige das Erbgesetz von 1810 un- 
bestreitbar dem System ehelicher Gütergemeinschaft. Gleichwie aber das Ver- 
mögen der Ehefrau bei dem in einer Ehe gemachten Rückschlag zur Hälfte 
(„pro rata^ des § 38, Abs. 3, wird in diesem Sinne ausgelegt) in Mitleidenschaft 
gezogen werde, ebenso werde die von Ehegatten in der Ehe gemachte Errungen- 
schaft durch diese zu gleichen Teilen errungen. (Beiträge zur thurg. Rechts- 
pflege [von Widmer] 1843 I, 17 ff.) Mit obigem Urteil wird auch auf Grund 
von G 1810, trotz § 36, güterrechtliche und erbrechtb'che Gleichstellung beider 
Ehegatten anerkannt. Vgl. indessen Eolb 80. 



128 



Yorbehalteneu Sonderguts,^ dessen Eigengut oder, in erbrechtlicher 
Beziehung, dessen Yerlassenschaft. 

Es bleibt uns zu untersuchen, in welcher Weise sich dieses 
Eigengut eines Ehegatten vererbt, im besondem, welche Ansprüche 
dem überlebenden Ehegatten hierauf zustehen. 

Diese Ansprüche am Eigengut des verstorbenen Ehegatten 
sind, wenn auch die diesbezüglichen Bestimmungen vom bestehenden 
Güterrechtssystem, mit dem das Erbrecht unter Ehegatten über- 
haupt in engem Zusammenhang steht (vgl. oben § 15) stark be- 
einflußt sein mögen, zur Hauptsache erbrechtlichen Charakters. 
Rein erbrechtlich sind die Ansprüche, welche dem Ehegatten ver- 
bleiben da, wo eine Teilung und damit eine (materielle) Aus- 
einandersetzung des frühern ehelichen Güterverhältnisses statt- 
zufinden hat (s. unten § 32). Alle diese Ansprüche stehen deshalb 
nur der Person des überlebenden Ehegatten, und nicht etwa der 
Eheseite, welcher dieser angehört, überhaupt zu. Erbrechtlich sind 
auch die zustehenden Nutznießungsansprüche. Der Ehegatte, der 
diese geltend macht, tritt damit eine Erbschaft an, und wird er 
daher auch für Erbschaftsschulden haftbar. OGE 218 (1878).* 

Das Erbgesetz stellt für Gewährung der Ansprüche an den 
überlebenden Ehegatten nicht ab auf das Güterrechtsverhältnis, 
das unter den Ehegatten bestanden hatte. Die Ansprüche bleiben, 
vertragliche Regelung vorbehalten, dieselben, mögen jene in Güter- 
gemeinschaft, Errungenschaftsgemeinschaft, in Gütertrennung oder 
in irgend einem andern Güterrechtsverhältnis zu einander gestanden 
haben.-^ Gerade dies zeugt für einen überwiegend, wenn nicht 



^ Vgl. Kolb 77; PR, §§ 83, 103. 

^ Für die Stellung des Mannes ist dies, wo eheliche Gütergemeinschaft 
bestand, ohne Belang, da er ohnehin für Schulden der Frau haftet, s. oben 
S. 126, Anm. 3. 

^ Man denke an die Verhältnisse, die entstehen können zufolge Art. 19, 
Abs. 1, und 22, Abs. 1, des Bundesgesetzes über zivUrechtliche Verhältnisse der 
Niedergelassenen und Aufenthalter bei Domizilwechsel während der Ehe. — 
Verwirrend ist es, daß im Erbgesetz Eegelung der Auseinandersetzung de& 
ehelichen Güterverhältnisses (Gütergemeinschaft) und der Erbansprüche, be- 
züglich ersterer in Wiederholung des PK, neben einander gestellt sind. Während 
in G 1839 Auseinandersetzung des Güterverhältnisses und Erbrecht, wenn auch 
in denselben Paragraphen behandelt, genau auseinander gehalten werden, finden 



129 

geradezu ausschließlich erbrechtlichen Charakter dieser Ansprüche. — 
Einzig im Erbgesetz von 1810, §§ 38 und 39, findet es sich, daß 
bezüglich Bestimmung der Ansprüche des überlebenden Ehegatten 
auf das Oüterverhältnis, das in der Ehe bestanden hat, abgestellt 
wird: für die Regelung der Ansprüche da, wo Leibeserben nicht 
vorhanden sind. Die Rechte des überlebenden Ehegatten bestehen 
hier in einem Anspruch auf Fortsetzung des ehelichen Güter- 
verhältnisses über das Bestehen der Ehe hinaus. Dieselben sind 
mehr güterrechtlichen als erbrechtlichen Charakters (s. unten § 32). 

Die vom Gesetz aufgestellten Erbansprüche bleiben auch er- 
halten, wenn die Ehegatten durch gerichtliches Urteil von Tisch 
und Bett getrennt waren; denn die Ehe hatte an sich fortgedauert 
und müssen daher auch ihre zivilrechtlichen Folgen eintreten. 
Vgl. PR, §§ 102, 111.» 

Ein Erbanspruch unter Verlobten wird im thurgauischen 
Recht, wenn auch das Verlöbnis als besonderes Familienverhältnis 
anerkannt ist (PR, § 25), nicht gewährt.^ 

§ 32. 2. Ansprüche im einzelnen. 

1) Der Erblasser hinterläßt Leibeserben. 

a. AusscJüießlich aus der Ehe mit dem überlebenden Ehegatten. 
Dem überlebenden Ehegatten verbleibt die Nutznießung und damit 
die Verwaltung der gesamten Verlassenschaft des Erblassers. § 37. 
Diese Nutznießung steht ihm zu bis zur Wiederverheiratung oder, 
wenn nicht aus andern besondern Gründen geteilt werden muß, 
auf Lebenszeit. 

Infolge dieser Nutznießung bleiben Mannesgut und Frauengut, 
und damit das ganze frühere eheliche Gemeingut in derselben 

sie sich in G 1867/1885 vermischt. Güterrechtliche Auseinandersetzung und 
Erbrecht werden hier eins. Es kommt damit scheinbar zu einer Beerbung 
der Ehe (vgl. dazu G, § 12 : „Hinsichtlich der Verteilung des elterlichen Nach- 
lasses ..."). Regelung der Auseinandersetzung des ehelichen Güterverhältnisses 
im Erbgesetz war ursprünglich insofern gerechtfertigt, als es an anderweitigen 
Bestimmungen fehlte. Mit Aufstellung des privatrechtlichen Gesetzbuches wäre 
dieselbe überflüssig geworden. 

1 Vgl. auch H I, 227 f. 

2 Vgl. ZPR, § 898 (1943, 1944). 

9 



/ 



130 

Hand vereinigt. Die rechtliche Änderung, welche der Tod des 
einen Ehegatten herbeigeführt hat, bringt äußerlich, und nament- 
lich wirtschaftlich eine Änderung nicht hervor. 

Gegen das eingeräumte Nutznießungsrecht ist der überlebende 
Ehegatte verpflichtet, für Erziehung und Unterhalt der Kinder 
aufzukommen.^ Sodann hat er denjenigen von ihnen, welche sich 
verheiraten, oder nach Erlangung der Volljährigkeit auf eigene 
Rechnung einen Gewerb oder Beruf betreiben, ein Viertel^ des 
Erbbetreffnisses, das ihnen aus dem Nachlaß zusteht, aushinzugeben. ^ 
§ 38, Abs. 1. 

Unter gewissen Voraussetzungen geht der Ehegatte seines 
Nutznießungsrechtes verlustig, und er muß das Erbgut, wenigstens 
teilweise, den Leibeserben des Erblassers aushändigen, mit ihnen 
teilen. Gründe für solche Teilung sind (§ 39): 

1) Wiederverheiratung des Nutznießers; 

2) Nichtleistung rechtsgültig auferlegter Sicherstellung 
(s. unten § 33); 

3) Bevogtigung wegen Verschwendung.* 

Bei dieser Teilung verbleibt dem überlebenden Ehegatten ein 
Viertel der Verlassenschaft zu lebenslänglicher Nutznießung, 
während das übrige Gut nach den Bestimmungen über die Erb- 
folge der Nachkommen an diese zur Verteilung gelangt. § 40, 
Beispiel Nr. 15. Der hiebei dem Ehegatten verbleibende Vierteil 
ist rückfällig an die Nachkommen des Erblassers. — Das Erb- 
gesetz von 1810, § 36, ist insoweit von diesem neueren Recht 
verschieden, als es, in Anlehnung an das alte Recht (oben § 16), 
dem Ehegatten bei dieser Teilung die Nutznießung an einem 
Kindesteil einräumt. 



^ Diese Pflicht trifft ihn indessen auch schon zufolge der allgemeinen 
Elternpflichten nach PR, § 157. 

* G 1810, § 33, spricht nur von einem „angemessenen Heiratsgut oder 
sonstiger Unterstützung'^, ohne den Betrag genauer zu bestimmen. Es schließt 
£ich damit an die jungem Quellen der älteren Zeit (Erbgesetze) an. Das 
Recht der Kinder bleibt bei dieser ungenauen Bestimmung von der Willkür 
des Nutznießers abhängig. 

' Mit der Geltendmachung des Anspruchs auf dieses Viertel erklären die 
Kinder ihren Erbantritt. OGE 220 (1885). 

* Der Grund von § 39, lit. c, kann hier nicht in Frage kommen. 



131 

6. Ausschließlich aus früherer Ehe.^ Der Ehegatte bezieht 
«in Viertel der Verlassenschaft zu Eigentum. Indessen ist den 
Leibeserben ein Vorzugsrecht auf vorhandene Liegenschaften ein- 
geräumt. § 43. — Schlechter war die Stellung des Ehegatten 
nach dem Gesetz von 1810: demselben war nur eine, allerdings 
lebenslängliche Nutznießung auf einen Kindesteil gewährt. § 37. — 
Die Erbteilung ist, zufolge § 39, lit. c, sofort nach Eintritt des 
Erbfalles vorzunehmen. Hiebei ist den Kindern des Erblassers 
•oder deren Nachkommen vor allem der Anteil zurückzuerstatten, 
welchen jener aus dem Nachlaß seines vorverstorbenen Ehegatten 
erster Ehe bezogen hatte. 

c. Aus früherer Ehe^ und aus der Ehe mit dem überlebenden 
Ehegatten. Nach § 39, lit. c, muß auch hier sofort zur Teilung 
geschritten werden; denn den Kindern aus fiüherer Ehe sind der 
leibliche Vater und die leibliche Mutter gestorben.® 

Die Nachkommen früherer Ehe beziehen auch hier zum voraus 
das Nutznießungsgut, das dem Erblasser aus dem Nachlaß des 
vorverstorbenen Ehegatten der frühern Ehe zugekommen war. 
Von der Verlassenschaft des Erblassers unterliegen nun, im Gegen- 
satz zu den andern Erbfallen, wo sich jene durchaus als Einheit 
vererbt, das von diesem in die letzte Ehe eingebrachte Gut und 
sein Anteil an der ehelichen Errungenschaft gesonderter Behand- 
lung. Von ersterem gelangen, analog der Teilung im Falle, wo 
Nachkommen nur aus einer Ehe vorhanden sind, dreiviertel zur 
Verteilung an die Kinder oder deren Repräsentanten, dabei un- 
berücksichtigt, ob dieselben der letzten oder einer frühern Ehe 
des Erblassers entstammen. Ein Viertel behält der Ehegatte zu 
lebenslänglicher Nutznießung. Sodann verbleibt letzterem der 

^ Dem wäre der Fall, daß eine Frau uneheliche Nachkommen hinterläßt, 
gleich zu halten. 

^ Wie Anm. 1. 

* Zu teilen wäre auch dann sofort, wenn die vorehelichen Kinder einer 
frühem, geschiedenen Ehe entstammten und der geschiedene Ehegatte noch 
lebte. Hauptzweck der Bestimmung in § 39, lit. c, ist, zu verhindern, daß das 
Gut solchen Personen zur Nutznießung zufalle, welche mit den eigentlichen 
Erben nicht in einem Verwandtschaftsverhältnis stehen, nicht Eltern (event. 
höhere Aszendenten) derselben sind. Zitierte Stelle wäre auf den erwähnten 
Erbfall per analogiam anzuwenden. 



132 

ganze Errungenschafbsanteil des Erblassers zur Nutznießung bis^ 
zur Wiederverheiratung oder auf Lebenszeit. Die Leibeserben 
haben auf denselben rorläufig keinen Anspruch. § 41. Beispiel 
Nr. 16. 

Das Nutznieäungsgut ist rückfallig an sämtliche Kinder des 
Erblassers oder deren Nachkonunen, nicht etwa blo& an die Ab* 
stämmlinge aus der Ehe mit dem überlebenden Ehegatten. 

Zufolge der Fassung von § 41 muß, unter Vorbehalt des Nutz- 
nie&ungsrechts des Ehegatten auf ein Viertel, der Erbanteil am 
eingebrachten Gut sämtlichen Kindern des Erblassers, auch den- 
jenigen, welche der Ehe mit dem überlebenden Ehegatten ent- 
stammen, sofort ausgehändigt werden, (Vgl. Beispiel Nr. 16 zu 
§ 41.) An den Erbanteilen der eigenen Kinder steht letzterem 
nicht etwa, analog zur Erbfolge im Falle, wo nur Kinder aus 
der einen Ehe mit dem überlebenden Ehegatten vorhanden sind, 
und wie es namentlich das alte Recht anerkannt hatte (oben § 16)^ 
ein erbrechtliches Nutznießungsrecht bis zur Wiederverheiratung,* 
eventuell auf Lebenszeit zu, dies, obwohl ihn gegenüber diesen 
Kindern dieselben elterlichen Pflichten betreflfen wie da, wo das 
Nutzungsrecht gewährt ist (vgl. PR, §§ 157, 163, 179). Höchstens 
kann ihm ein Nutzungsrecht zustehen zufolge Elternrechts (PR, 
§ 169), das aber mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes dahin 
fallen muß. Billigkeit würde verlangen, daß dem überlebenden 
Eltemteil im Verhältnis zu seinen Kindern in allen Fällen ein 
gleiches Recht gewährt werde. Etwelchen Ersatz für den Ausfall 
zufolge der sofortigen Erbteilung mag das Recht auf Nutznießung 
am ganzen Errungenschaftsanteil des Erblassers erbringen. 

Im Erbgesetz von 1810 war der Erbfall, daß ein Erblasser 
neben einem Ehegatten Nachkommen mehrerer Ehen hinterlasse, 
nicht besonders vorgesehen. Andrerseits war auch Tod beider 
Eltern rückfallsberechtigter Erben als Teilungsgrund nicht hin- 
gestellt. Der überlebende Ehegatte wurde daher unter der Herr- 
schaft erwähnten Gesetzes, nach allgemeiner Praxis, gleich wie 
im Falle, wo der Erblasser nur Nachkommen aus der Ehe mit 
ihm hinterließ, und unter denselben Bedingungen, in der Nutz- 

^ Wohl nach G 1889, § 41, indem hier nur Aoshändigong des Erbanteils 
an die vorehelichen Kinder verlangt wird. 



133 

nießung der gesamten Yerlassenschaft belassen.^ Man fand es 
<iann anläßlich der Revision Ton 1839 unbillig, daß den vorehe- 
lichen Kindern das ganze Erbgut durch das Nutznießungsrecht 
von Stiefeltern, die zu ihnen in einem Verwandtschaftsverhältnis 
nicht stehen, vorenthalten bleiben konnte. Man anerkannte daher 
Tod beider Eltern als Teilungsgrund.^ Zugleich befürchtete man 
aber, daß durch die Pflicht zu sofortiger Teilung mit Eintritt des 
Erbfalles die Vermögenslage des überlebenden Ehegatten geföhrdet 
werden könnte. Man gelangte deshalb zu dem Mittelweg, daß 
nur zur Teilung gelangen sollte das vom Erblasser in die letzte 
Ehe eingebrachte Gut, hier unter Vorbehalt des Nutzungsrechts 
auf ein Viertel wie bei anderer Teilung — auch mußte der über- 
lebende Ehegatte vorläufig, nach dem Gesetz von 1839, § 41, mit 
den eigenen Kindern nicht teilen* — , während der Anteil des Erb- 
lassers an der ehelichen Errungenschaft in seinem ganzen Umfang 
dem Ehegatten, wenigstens bis zur Wiederverheiratung, zur Nutz- 
nießung verbleiben sollte. Dies führte zu dem, wir möchten sagen, 
gekünstelten Teilungssystem des heutigen Rechts, mit Unter- 
scheidung der Teilung in zugebrachtes Gut und Errungenschaft. 
In ein sonderbares Mißverhältnis zu einander können, unter 
Umständen, die Teilungsbestimmungen der §§ 41 und 43 treten, 
das seinen Grund darin hat, daß im einen Fall (§ 43) dem Ehe- 
gatten ein fixer Erbanteil, ein Viertel, gewährt wird, während, 
vrenn wir vom Nutznießungsrecht des Ehegatten absehen, im andern 
unter die Kinder beider Ehen gleichmäßig, nach Köpfen zu teilen 
ist. Nehmen wir an, im einen Fall hinterlasse der Erblasser fünf 
voreheliche Kinder und aus kinderloser Ehe einen Ehegatten; im 
andern wiederum diese fünf vorehelichen Kinder, und aus zweiter 
Ehe den Ehegatten und ein Kind. Im ersten Fall: der Ehegatte 
nimmt vorweg ^U; bleiben jedem Kind ^/so; im zweiten Fall, da 
nun das Kind zweiter Ehe konkurriert, beziehen jene je ^/e oder 
^/i8, diesen Anteil allerdings teilweise belastet durch das Nutz- 
nießungsrecht des Ehegatten. Lassen wir dieses außer Berechnung, 

^ Bericht der JuBtizkommission 1838. 
2 Ebenda. Vgl. oben S. 131, Anm. 3. 

^ s. oben S. 132, Anm. 1. Mit der Revision von 1867 kam dieses Recht 
in Wegfall. 



134 

so beziehen die Kinder erster Ehe da, wo aus zweiter Ehe ein 
Miterbe hinzutritt, einen höhern Anteil als da, wo dieser fehlt- 
Durch Hinzutreten dieses Miterben wird der Erbanteil um ll^h^lo 
erhöht.^ Die Differenz macht sich um so deutlicher bemerkbar, 
je höher wir die Zahl der Kinder erster Ehe ansetzen. Unverhältnis- 
mäßig schlechter wird durch den Hinzutritt von Nachkommen 
aus seiner Ehe mit dem Erblasser der Ehegatte gestellt. Sein 
früherer Anspruch auf Eigentum wird, wenn wir vom Recht an 
einer ehelichen Errungenschaft absehen, beschränkt auf Nutz- 
nießung bei gleich bleibender Quote. 

2) Leibeserben sind nicht vorhanden. 

Nach dem Erbgeset^ von 1810. Dieses Gesetz schließt sich, 
mit einem rein ehelich-güterrechtlichen System, eng an das alte 
Recht der Städte wie der st. gallischen Gotteshausleute an (oben 
§ 17). Die eheliche Gütergemeinschaft, wenn sie unter den Ehe- 
gatten als deren eheliches Güterverhältnis anerkannt gewesen ist^ 
wird über die durch den Tod des einen Ehegatten erfolgte Auf- 
lösung der Ehe hinaus fortgesetzt und damit dem überlebenden 
Ehegatten die Nutzung des gesamten ehelichen Gemeingutes ein- 
geräumt. Teilung hat zu erfolgen bei Wiederverheiratung oder, 
wo solche nicht erfolgt, mit Ableben dieses Ehegatten. Die Liqui- 
dation des Gemeingutes vollzieht sich dabei in analoger Weise, 
wie sie oben, § 31, dargestellt wurde. Die eheliche Errungenschaft 
wird je zur Hälfte der Mannes- und der Frauenseite zugewiesen. 
Besondere Ansprüche des überlebenden Ehegatten oder seiner Ver- 
wandtschaft auf den Nachlaß des verstorbenen Ehegatten werden bei 
dieser Teilung nicht gewährt. § 38. — Wenn die Ehegatten zu einander 
in (vertraglicher) Errungenschaftsgemeinschaft gestanden haben, so 
ist sofort nach Eintritt des Erbfalles das Eigengut des verstorbenen 
Ehegatten an dessen Verwandtschaft herauszugeben. An dessen 
Errungenschaftsanteil behält der überlebende Ehegatte ein Nutz- 
nießungsrecht bis zur Wiederverheiratung oder auf Lebenszeit. § 39. 



^ Die Erbmasse betrage z. B. 6000. Bleibt die zweite Ehe kinderlos, so 
ist das Betreffnis des einzelnen vorehelichen Kindes 900; würde aus zweiter 
Ehe ein Kind konkurrieren: 1000. Hievon würden allerdings, wenn wir an- 
nehmen, es handle sich ausschließlich um zugebrachtes Gut, 250 beim Ehe- 
gatten in Nutznießung ausbleiben. 



135 

Ein solches Recht wurde schon 1810 stark bekämpft und 
namentlich auch das Recht des Landerbgesetzes angestrebt. Zu 
gunsten des erstem wurde hauptsächlich vorgebracht: »die Ehe- 
gatten haben sich mit Eingehung der Ehe gegenseitig ein gleiches 
Recht auf ihr beidseitiges Vermögen eingeräumt, und es ist nur 
natürlich, einem jeden derselben dieses Recht bis zu seinem Tode 
zu belassen, oder wenigstens bis zur Eingehung einer neuen Ehe, 
die ihm eine neue Existenz verschafft. Die persönlichen Verbindlich- 
keiten des einen Ehegatten zum andern haben mit dessen Tode 
aufgehört, aber nicht auch die Rechte, welche der eine dem andern 
auf Lebenszeit an den gemeinsamen Gütern eingeräumt hat.**^ 
Für dieses Recht wurde sodann wesentlich auch geltend ge- 
macht das deutsch-rechtliche Stammgutsprinzip: Erhaltung des 
Gutes in derselben Familie, wonach dem Ehegatten nur ein Nutz- 
nie&ungsrecht an diesem eingeräumt werden könnte. 

Nach dem Gesetz von 1639; geltendes Recht In den Beratungen 
von 1839 waren die Anschauungen, die 1810 ausschlaggebend 
gewesen waren, noch stark vertreten. Indessen mußten dieselben 
wirtschaftlichen Erwägungen weichen. In der Nutznießung wurden 
die Güter vielfach abgewirtschaftet und entwertet. Man verlangte 
daher sofortige Teilung mit Eintritt des Erbfalles. 

An Stelle des Nutzungsrechtes auf das ganze Gut wird nun, 
wie nach früherem Landrecht, dem Ehegatten ein Anspruch auf 
die Hälfte der Verlassenschaft, die ihm zu Eigentum zukommt und 
daher namentlich mit Wiederverheiratung nicht hinfällig wird, 
eingeräumt. Die zweite Hälfte ist sofort den Blutsverwandten 
des Erblassers auszuhändigen. § 42. — Wenn eine der elterlichen 
Verwandtschaftslinien nicht durch Verwandte bis und mit dem 
achten Grad römischer Zählung vertreten ist, so kommt deren 
Linienanteil dem Ehegatten zu. Sind Verwandte innerhalb dieser 
Gradnähe überhaupt nicht vorhanden, so ist jener ausschließlicher 
Erbe. §§36,44.2 



^ Begründungen des Kleinen Rates zum Entwurf von 1809. 

2 G 1810, §5, läßt, nach dem Vorbild des Co. fr., Art. 755, 767, den 
Ehegatten erst als Universalerben eintreten, wenn erbfähige Verwandte über- 
haupt nicht vorhanden sind. Auch ist ihm in demselben ein Anspruch auf das 
Betreffnis einer nicht vertretenen elterlichen Linie nicht gewährt. 



136 

Besondere Vorzugsrechte auf einzelne Nachlaßgegenstände, 
wie eingebrachten Hausrat, Geschenke, zu gunsten des Ehegatten 
für den Fall, wo Teilung einzutreten hat, sind nirgends Torgesehen. 
Der Innigkeit des Verhältnisses, das unter den Ehegatten be- 
standen hat, wird bei dieser Teilung von Gesetzes wegen nicht 
Rechnung getragen.^ 



§ 33. 3. Allgemeines bezüglich der Nutznießung; Sicherung 

des Hauptgutes. 

Mit dem Anfall eines Nutznießungsrechts kommt dem Nutz- 
nießungsberechtigten nur das Recht auf Verwaltung und Nutzung 
des Nutzungsgutes zu. Das Eigentumsrecht an diesem, als dem 
Hauptgut, fallt sofort mit Eintritt des Erbfalles denjenigen Per- 
sonen an, an welche dasselbe nach Beendigung der Nutznießung 
rückfällig sein soll. Dies hat zur Folge, daß, wenn ein Rückfalls- 
berechtigter in der Zeit, da das Hauptgut in Nutznießung aussteht, 
versterben sollte, sich der Rückfallsanspruch durch dessen Person 
vererbt. Das Nutzungsgut fallt zurück auf die Erben des Erblassers 
von der Zeit des Eintritts des Erbfalles, oder, wenn letztere in- 
zwischen verstorben sind, an deren Erben, nicht etwa au die 
Personen, welche im Moment, da das Nutzungsrecht hinfällig 
wird, Erben des ursprünglichen Erblassers wären. (Vgl. Beispiel 
Nr. 13 bezüglich der Stellung der Ehefrau e.) 

Das Eigentumsrecht der Rückfallsberechtigten ist ein latentes 
Recht. Es kann nicht geltend gemacht werden, solange das Nutz- 
nießungsrecht besteht. Die Erbschaft ist noch nicht „zügig.* 
Mit ihrem Erbantritt erwerben jene nur eine nuda proprietas.^ 

Das Nutzungsrecht des Nutznießers ist dinglicher Natur und 
besteht von Gesetzes wegen. Es kann daher nicht dadurch zu 
nichte gemacht werden, daß der rückfallsberechtigte Erbe das 
Hauptgut veräußert oder daß dieses im Konkursverfahren gegen 



* Vgl. ZPR, § 900 (1946, 1956). Schneiders Kommentar, Note 1 zu § 900. 

^ Dieselbe ist aber nicht etwa eine bloße Anwartschaft. Dieses Recht 
muJß daher für Schulden des Rückfallsberechtigten in Anspruch genommen 
werden können. 



137 

ihn zur Versteigerung gelangt. Das Recht kann vorzeitig nur 
beendigt werden durch den Verzicht des Berechtigten.^ 

Dieses Nutzungsrecht ist wohl ein persönliches, nicht aber 
«in höchst persönliches Recht. Es ist daher veräußerlich und kann 
auch durch den Erwerber geltend gemacht werden.^ 

Ein einmal erworbenes Nutznießungsrecht bleibt bestehen, 
auch wenn die Verhältnisse, unter denen dasselbe erworben wurde, 
sich geändert haben. Denken wir uns z. B. den Fall: ein Erblasser 
hat aus der Ehe mit dem tiberlebenden Ehegatten ein Eind hinter- 
lassen. Dieser Ehegatte hat Nutznießungsrecht an der ganzen, 
an dieses Kind rückßLlligen Verlassenschaft. Das Eind stirbt ohne 
Hinterlassung von Leibeserben. Es hat, obwohl nun Kinder aus 
der Ehe, aus welcher der überlebende Ehegatte sein Nutzungs- 
recht ableitet, nicht mehr vorhanden sind, nicht eine Teilung 
einzutreten, gleich wie wenn die Ehe bei Eintritt des Erbfalles 
kinderlos gewesen wäre. Der Ehegatte hat ein wohl erworbenes 
Recht auf Nutznießung, dessen er durch den Tod des Kindes nicht 
verlustig gehen kann. Da er aber zugleich das Kind zu einer 
Hälfte beerbt, erlangt er an der einen Hälfte des Nutzungsgutes 
Eigentumsrecht. Bezüglich der andern Hälfte kann sich nur der 
frühere Rückfallsanspruch des Kindes auf dessen Verwandte der 
Linie des vorverstorbenen Eltemteils (verstorbenen Ehegatten des 
Nutznießers) vererben. Denn aus Analogie zum Rechtssatz: nemo 
plus juris ad alium transferre potesfc quam ipse habet (1 54 D de 
diversis regulis juris 50, 17), kann dieses Kind nur so viel an 
Rechten auf andere vererben, als ihm selber zugestanden hatten, 
das ist das Rückfallsrecht auf die Verlassenschaffc seines vor- 
verstorbenen Elternteils, oder diese Verlassenschaft mit der ding- 
lichen Belastung des Nutznießungsrechts seines überlebenden 
Eltemteils.^ 



* Entscheidmigeii des Obergerichts vom 28. Februar 1844 (Protokollbuch 
S. 31); 30. Dezember 1848 (S. 307); 4. Juni 1852 (S. 139). Aus Hirzels Samm- 
lung prinzipieller Entscheidungen, a. a. 0. 

* Entscheidung des Obergerichts vom 25. Juli 1853 (Protokollbuch S. 181); 
aus EUrzels Sammlung. 

' Anders das Obergericht in seinem Urteil vom Jahre 1895, Protokoll- 
buch S. 62 f. Es wird sofortige Teilung gemäß G, § 42, verlangt. Eine Gerichts- 
minderheit hat indessen durch Erklärung zu Protokoll obige Ansicht vertreten. 



_ 138 

Über die Substanz des Nutznießungsgutes kann der Nutz- 
nießer nicht verfügen, er habe denn dazu die Einwilligung der 
rückfallsberechtigten Erben, oder, wo diese bevormundet sind, der 
vormundschaftlichen Behörden erhalten. § 48. Dabei kann nur 
eine sachliche Verfügung, z. B. Anordnung von Holzschlag, von 
baulichen Veränderungen in Frage kommen, nicht aber eine recht- 
liche, z. B. Verkauf, dingliche Belastung; denn zu letzterer würde 
ihm schon die erforderliche Sachlegitimation fehlen, indem er nicht 
Eigentümer des Nutzungsgutes ist. Würde er trotzdem eine solche 
Handlung vornehmen, so müßte sie wirkungslos bleiben; die Erben,, 
als Eigentümer, könnten vindizieren. Zu rechtlichen Verfügungen 
kann er allfällig legitimiert sein zufolge elterlicher Gewalt gegen- 
über dem Erben, nach PR, §§ 168 und 179. Frei verfügen kann 
er aber dabei nur über fahrendes Gut, während, wenn es sich 
um Verfügungen über Liegenschaften, oder um Veräußerung oder 
Verpfändung der ganzen Erbschaft handelt, er der Zustimmung 
eines besondern, zur Mitwirkung bei diesem Rechtsgeschäft er- 
nannten Vormundes bedarf.^ — Im gleichen Umfang wie zu recht- 
lichen, dürfte der Inhaber der elterlichen Gewalt zu sachlichen 
Verfügungen bezüglich des Nutzungsgutes kompetent sein, trotz 
ö, § 48. 

Sicherung des Hauptgutes. Behufs leichterer Ermittelung des 
ümfanges des bezogenen Nutzungsgutes bei Beendigung der Nutz- 
nießung ist bei Beginn derselben, d. h. innerhalb nützlicher Frist 
nach Eintritt des Erbfalles, über dessen Bestand die Inventur auf- 
zunehmen. § 46. Diese dürfte da, wo bei späterer Teilung dem 
Ehegatten die Nutznießung an einer Quote der Erbmasse verbleibt, 
zu wiederholen sein. 

In den Fällen, wo dem Ehegatten ein Nutzungsrecht an der 
ganzen Verlassenschaft eingeräumt ist, kommt dieser Inventur- 
aufnahme die Bedeutung einer formellen Liquidation des ehelichen 
Gemeingutes zu (nur die Verlassenschaft des verstorbenen Ehe- 



^ Eine Verordnung des Kleinen Rates vom Jahre 1846 verlangte für 
Veräußerung von Liegenschaften eine schriftliche Eingabe an das Waisenamt^ 
mit genauem Verzeichnis der zu veräußernden Güter und Angabe der Ver- 
äußerungsgründe. Das Waisenamt hatte die Gründe zu prüfen und über die 
Zulässigkeit einer Veräußerung zu entscheiden. Kantonsblatt V, 115 f. 



139 

gatten, nicht etwa das gesamte eheliche Gemeingut ist zu in- 
ventieren; § 46, Abs. 2), die bei späterer allfalliger Teilung zu 
materieller Ausführung gelangen soll. Diese Ausführung unter- 
bleibt indessen im allgemeinen da, wo der überlebende Ehegatte 
sich nicht wieder verheiratet und beide Ehegatten ausschließlich 
durch Nachkommen aus gemeinsamer Ehe beerbt werden. Es wird 
hier dann die Ehe gleichsam als solche, als Einheit beerbt. Da 
aber diese Beerbung weitaus den Normalfall bildet und Ehegatten 
mit nur geringen Ausnahmen zu einander in Gütergemeinschaft 
stehen, so hat sich die juristisch ungenaue Auffassung einer Be- 
erbung der Ehe als solcher eingeschlichen, wie dies namentlich 
in den Bestimmungen über Vorzugsrechte unter Kindern (oben 
§ 25) und über Kollationspflicht zu Tage tritt. ^ 

Formales Erfordernis für die Inventaraufnahme ist die Mit- 
wirkung zweier volljähriger, männlicher naher Verwandter beider 
Ehegatten, eventuell anderer volljähriger männlicher Personen 
(OGE 88), von denen der eine gewählt wird vom Ehegatten, der 
andere von den gesetzlichen Erben des Erblassers, mit Vorbehalt 
der Zustimmung des Waisenamtes in den Fällen, wo minderjährige 
Erben vorhanden sind. 

Bei Vorhandensein minderjähriger Erben ist der Ehegatts 
verpflichtet, einen Doppel der aufgenommenen Inventur auf der 
Notariatskanzlei zu deponieren, dies in der Regel innert 30 Tagen 
nach Eintritt des Erbfalles. § 46, Abs. 3; OGE 228. Wo dieser 
Forderung nicht nachgekommen wird, ist die Inventur amtlich 
aufzunehmen. — Diese der Notariatskanzlei übergebene Inventur 
darf nur zu vormundschaftlichen Zwecken Verwendung finden und 
kann sie daher, sobald minderjährige Erben nicht mehr vorhanden 
sind, zurückgefordert werden. Pß, §258, Abs. 3; Verordnung 
des Regierungsrates betr. die Aufnahme und Aufbewahrung der 
Privatinventuren, 1847/1885, Ziffer 6.^ 

Für rückfalliges Vermögen kann, wenn dessen Verlust zu 



^ Daß es sich dabei in Wirklichkeit nicht um Beerbung der Ehe handelt, 
erzeigt sich schon daraus, daß nicht ausgeschlossen ist, daß die berufenen 
Nachkommen die Erbschaft des einen der Ehegatten ausschlagen, während 
sie die des andern antreten. Vgl. auch Beispiele Nr:!— 4 mit Nr. 13. 

* Neue Gesetzessammlung IV, 717; thurg.jPbCchtsbuch 250. 



140 

befürchten ist, durch die berechtigten Erben oder deren gesetzliche 
Vertreter Sicherstellung verlangt werden. § 47. Wenn eine Sicher- 
stellung, auf welche rechtsgültig erkannt worden ist, nicht ge- 
leistet wird, kann da, wo Nutznießung am ganzen Nachlaß besteht, 
Teilung verlangt werden. § 39, lit. b. Auch für die bei dieser 
Teilung nach § 40 dem Ehegatten zur Nutznießung verbleibende 
<3uote muß gleichermaßen Sicherstellung begehrt werden können. 
Im Erbgesetz von 1810, §§ 34, 109, war, gleich wie im alten 
Recht, vorgesehen, daß der Nutznießer im Notfalle, wenn Nutzungs- 
ertrag und eigenes Gut zum Unterhalt nicht ausreichten, das Haupt- 
gut, doch jeweilen nur mit besonderer Bewilligung des Waisen- 
amtes, angreifen dürfte. Dies ist, als die Nutznießung überschreitend 
und namentlich die Rechte der Erben gefährdend, mit der neuern 
Gesetzgebung beseitigt worden. 



§ 34. E. Die erblose Verlassenschaft. 

Die Verlassenschaft eines Verstorbenen gilt als „erblos", wenn 
weder Blutsverwandte bis zum zwölften Grad, noch ein Ehegatte 
vorhanden sind, auch nicht eventuell erbfähige Adoptivverwandte. 

Diese erblose Verlassenschafk fallt zur einen Hälfte der Bürger- 
gemeinde des Verstorbenen, zur andern der Kirchspielarmenkasse 
dieser Gemeinde an. War derselbe in mehreren Gemeinden ver- 
bürgert, so haben sich diese gleichmäßig in den Nachlaß zu teilen. 
§ 56.^ — Niedergelassene als Bürger aus einem andern Kanton 
oder Ausländer müssen gleichfalls von ihrer Heimatgemeinde 
„beerbt** werden können, indem das Recht auf „erblose Verlassen- 
schaf ten** durch die Fassung des § 56 nicht bloß thurgauischen 
Gemeinden gewährt wird. — Nach dem Gesetz von 1839 sollte 
die Verlassenschaft solcher Personen, denen ein Gemeindebürger- 
recht im Kanton nicht zugestanden hatte, dem Staat zufallen. 

Ob eine Gemeinde, welcher aus §56 eine „erblose Verlassen- 
schaft** zukommt, diese beziehe als eigentliche Erbschaft, so daß 

^ Hatte ein Verstorbener kein Bürgerrecht, so kommt dessen Verlassen- ' 

Schaft der Gemeinde zu, welcher derselbe duldungsweise zugeschieden war. t 



141 

sie evefntuell für Nachlaßschulden in Anspruch genommen werden 
könnte, oder als ein bonum vacans, findet sich im Gesetz nicht 
ausgesprochen. Wenn auch in §56 von einem , erben" der Gemeinde 
gesprochen wird, kann doch darauf nicht abgestellt werden. 



Wie wir im Laufe unserer Darstellung ei-sehen haben, weist 
das thurgauische Erbrecht zum Teil nicht unwesentliche Mängel 
auf. Namentlich macht sich fühlbar^ dai dasselbe sich nicht dar- 
stellt als das Ergebnis einer einheitlichen Gesetzgebung, sondern 
hervorgeht aus einer Reihe von Kodifikationen und Revisionen. 
Es fehlt ihm, da sichtlich einzelne Änderungen und Ergänzungen 
nach Einzelbedürfhissen, ohne Berücksichtigung des Ganzen, vor« 
genommen worden sind, die erforderliche Einheit, woraus nicht 
unwesentliche Inkonsequenzen und Widersprüche hervorgehen. 
Erinnern wir z. B. an das Mißverhältnis zwischen den beiden Erb- 
fallen, wo im einen neben einander zur Erbschaft berufen werden 
eines der Eltern und Halbgeschwister, im andern wiederum eines 
der Eltern und neben ihm entferntere Verwandte der Linie des 
vorverstorbenen Elternteils (s. oben § 27); andrerseits auch an den 
Widerspruch der §§ 34 und 36 (oben § 28, am Schluß). Im weitern 
mangelt es für gewisse Erbfalle an genauen Bestimmungen, wie z.B. 
für die Erbfolge der vierten Erbenklasse, wo uns das Gesetz im 
unklaren läßt, ob unter mehreren gleichnahen Miterben zu teilen 
sei nach Köpfen oder nach Stämmen. Ferner: das Erbfolgesystem, 
dem das thurgauische Recht huldigen will und das es unverkennbar 
als das seinige erklärt, das der römisch-rechtlichen Erbordnung, 
mit Gliederung nach Klassen und Gradzählung nach Zeugungen, 
wird nicht als solches mit allen seinen Konsequenzen durchgeführt, 
sondern dasselbe teilweise mit Einzelbestimmungen (Repräsentation), 
welche mit jenem nicht vereinbar sind, durchbrochen, woraus sich 
für die Erbfolge der vierten Erbenklasse ein anderes System, das 
der deutsch-rechtlichen Parentelenordnung, ableitet. Wenn auch 
dieses letztere System als das volkstümlichere anzuerkennen ist, 
so ist doch das Gesetz insoweit als mangelhaft zu bezeichnen, als 
sich diese Erbordnung aus ihm nicht direkt und mit aller Klar- 



142 

faeit erkennen läßt. Endlicli dürften auch einzelne Bestimmungen 
als durchaus revisionsbedürftig zu bezeichnen sein; so einmal die- 
jenigen betreffend des Erbschaftserwerbs, indem dieselben mit dem 
heute wirklich geltenden Recht nicht mehr in Einklang stehen; 
sodann diejenigen bezüglich der Sohnsvorteilsrechte, welche wegen 
der starken Zurücksetzung der Töchter, die sie zur Folge haben, 
oder diejenigen über die Erbfolge des Ehegatten (in kinderloser 
Ehe) bei Konkurrenz vorehelicher Kinder des Erblassers, welche 
wegen der starken Beeinträchtigung der Kinder durch Ansprüche 
des Ehegatten uns als unbillig und neuem Rechtsanschauungen 
nicht mehr entsprechend erscheinen müssen. 

Mögen nun Änderungen und Ergänzungen des Erbgesetzes 
wegen dieser seiner Mängel auch nicht gerade als dringlich er- 
scheinen — Ergänzungen nicht, da es sich bezüglich ungenügender 
Bestimmungen um ErbföUe handelt, die nur als höchst außer- 
gewöhnliche in Frage kommen können — auf jeden Fall sind sie 
als wünschenswert zu bezeichnen. Möge uns die erhoffte Bundes- 
Zivilrechtsgesetzgebung in absehbarer Zeit Änderung und Ver- 
vollständigung unseres Rechts bringen! 



-o-<^^>-ö-»- 



V 



Verzeiclmis der Abkürzungen. 



a. Quellen. 

LR = Erbgesetz für die thurgauischen Landschaften vom Jahre 1542. 

G 1810 = Thurgauisches Erbgesetz vom 9. Mai 1810. 

O 1839 = Thurgauisches Erbgesetz vom 17. Juni 1839. 

G und §§ ohne nähere Angabe = Revidiertes thurgauisches Erbgesetz, d. d. 
17. Juni 1839, 11. Febr. 1867 und 3. März 1885. 

PR = Thurgauisches privatrechtliches Gesetzbuch, Personen- und Familien- 
recht, d. d. 11. April 1860 und 3. März 1885. 

OGE =r Grundsätzliche Entscheide des Obergerichts etc., nach Zusammen- 
stellung und Numerierung im thurgauischen Rechtsbuch (1902). 

C. c. fr. ^ Code civil frangais (code Napoleon). 

ZPR = Zürcherisches privatrechtliches Gesetzbuch. — Hiebei bezeichnen die 
arabischen Ziffern in () die §§ des Gesetzbuches in seiner Fassung von 
1853/1855, die übrigen diejenigen der revidierten Fassung von 1887. 

b. Literatur, 

Bluntschli = Bluntschli, Staats- und Rechtsgeschichte der Landschaft Zürich. 

1838/1839. 
EA = Amtliche Sammlung der altern eidgenössischen Abschiede. 1856 — 1882. 
GW = Grimm, Weisthümer, 1840/1842. 
H = Huber, System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts. 1886 

bis 1893. 
Heusler = Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts. 1885/1886. 
Kolb = Kolb, Das eheliche Güterrecht des Kantons Thurgau. Bemer Diss. 1900. 
PTh = Pupikofer, Geschichte des Kantons Thurgau, IL Auflage, 1886/1889. 

(Die dabei erwähnten Beilagen sind zur I. Auflage erschienen.) 
Schauberg = Schauberg, Zeitschrift für noch ungedruckte schweizerische 

Rechtsquellen, 1847. 
Stobbe = Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts. 
ThB = Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte; herausgegeben 

vom historischen Verein des Kantons Thurgau. 1861 ff. 
Wasserschieben = Wasserschieben, Das Prinzip der Erbenfolge. 1870. 
Z = Zeitschrift für schweizerisches Recht. 1852 ff. 



NB. Mangels anderer Angabe bezeichnen römische Ziffern den Band, die 
arabischen die Seiten des jeweils zitierten Werks. 



^: 



) 



I 



\ 



&i^:.y 



X ,' * 



• 't 



1 




V 



I