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Full text of "Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker vom Mittelalter bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts"

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HANDBUCH 


DER 


mittelalterlichen  und 
Neueren  Geschichte. 


HERAUSGEGEBEN  VON 


G.  V.  Below,         i  nd  f.  Meinecke, 

l'ROFESSOR  AN  DER  INIVERSITÄT  TÜBINGEN.  PROFESSOR  AN  DER  UNIVERSITÄT  STRASSBURG 


ABTEILUNG  lY: 

HlLFSA\  ISSENSCHAFTEN  UND  ALTERTÜMER. 

A.  Schultz 

DAS  HÄUSLICHE  LEBEN  IM  MITTELALTER. 


MÜNCHEN  UND  BERLIN. 

DRLTK  TND  VERLAG  VOX  K.  OLDKNBOUKG. 

1903. 


Das  Häusliche  Leben 


DER 


EUROPÄISCHEN  KULTURVÖLKER 


VOM 


Mittelalter 

BIS  ZUR 

ZWEITEN  HÄLFTE  DES  XVIIL  JAHRHUNDERTS. 


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ü"-  Alwinnöchciltz, 

R|)FKSSOR-  AN  DER  DEUTSCHfilPrWlIVERSITÄT  ZU  PRAG 


MÜN(;PIEN  UND  J3ERL1N. 

DRUCK  UND  VERFAG  VON  R.  OLDENBOURG. 

1903. 


G22135 

3 1  fO  SS 


S3^ 


VORREDE. 

In  diesem  Ruche  soll  versucht  werden,  einen  kleinen  .  Abschnitt 
der  Sittengeschichte,  allein  das  häusliche  Leben  (la  vie  privee)  der  euro- 
päischen Kulturvölker,  darzustellen.  Die  Besprechung  aller  anderen 
Fragen,  vor  allem  die  über  das  Kriegswesen  und  alles,  was  damit  zu- 
sammenhängt, ist  von  vornherein  ausdrücklich  ausgeschlossen. 

Aber  auch  das  so  eng  begrenzte  Thema  den  Ansprüchen  der 
^\'issenschaft  entsprechend  zu  behandeln,  ist  jetzt  und  voraussichtlich 
für  lange  Zeit  noch  unmöglich :  es  fehlen  so  gut  wie  alle  Vorarljeiten. 
P>st  wenn  die  Sittengeschichte  der  einzelnen  Landstriche  gründlich  und 
erschöpfend  dargestellt  ist,  erst  dann  wird  man,  gestützt  auf  diese  Mono- 
graphien, daran  gehen  können,  die  Sittengeschichte  der  einzelnen  Völker, 
.später  auch  der  europäischen  Kulturwelt  zu  schreiben.  Eine  Schilderung 
des  Lebens  im  frühen  Mittelalter  zu. geben,  ist  bei  der  immerhin  ge- 
ringen Zahl  der  überlieferten  Denkmäler  und  Zeugnisse  nicht  schwer; 
etwas  anderes  ist  es,  sobald  es  sich  um  die  Darstellung  des  14.  und 
Ib.  Jahrhunderts  handelt,  für  die  eine  unübersehbare  Menge  von  Ur- 
kunden, die  ihrer  überwiegenden  Zalil  nach  noch  ungedruckt  sind, 
berücksichtigt  werden  müssen.  Und  die  Menge  der  schriftlichen  Über- 
lieferung, der  erlialtenen  Denkmäler  der  Kunst  und  des  Kunstgewerbes 
aus  dem  16.  bis  18.  Jahrhundert  ist  so  gewaltig,  dafs  ein  Menschenleben 
nicht  hinreichen  würde,  auch  nur  einen  kleinen  Abschnitt  der  Sitten- 
geschichte gründlich  darzustellen. 

Es  ist  daher  nur  eine  Skizze,  die  ich  hier  zu  bieten  imstande  bin, 
deren  Mängel  mir  selbst  am  besten  bekannt  sind.  So  habe  ich  z.  B. 
hauptsächlich  die  deutschen  Verhältnisse  zu  schildern  versucht,  weil  mir 
von  den  Bearbeitungen  der  Sittengeschichte  bei  den  anderen  Völkern 
nur  überaus  wenige  zur  Verfügung  standen.  Im  grofsen  ganzen  wird 
jedoch  das  entworfene  Bild  wohl  den  Verhältnissen  entsprechen,  denn 
wenn  auch  vielfache  Verschiedenheiten  nicht  blofs  unter  den  Völkern, 
sondern  auch  innerhalb  der  cinzehuMi  Länder,  und  zwar  in  noch  ungleich  hö- 
herem Mafse  als  in  der  Gegenwart,  vorhanden  waren,  so  hat  doch  die  Mode, 
der  französische  Einfluls  schon  damals    vielfach  nivellierend    eingewirkt. 


VI  Vorrede. 

Die  Zeit,  die  mir  zur  Ausfülirun^-  (]i(\s('r  Arbeit  gewährt  wurde,  war 
kurz  bemessen,  die  Ausdehnung  der  Schihk^rang  auf  ein  bestimmtes 
Mafs  beschränkt,  das  nicht  überschritten  werden  solUe.  Schon  aus 
diesem  Grunde  habe  ich  die  Besprechung  der  mittelalterhchen  Lebens- 
verhältnisse, die  schon  so  ol't  und  mit  so  viel  Glück  dargestellt  worden 
sind,  kürzer  gehalten,  um  füi'  die  Schilderung  der  neueren  Zeit  mehr 
Raum  zu  gewinnen. 

Die  in  Zeitschriften  enthaltenen  Aufsätze,  die  gewifs  vielfach  meiner 
Darstellung  förderlich  sein  konnten,  habe  ich  nicht  benutzt,  weil  sie  hier 
mir  nicht  in  ausreichendem  Mafse  zur  Hand  waren. 

Hauptsächlich  kam  es  mir  darauf  an,  dem  Leser  dieses  Buches  die 
Gelegenheit  zu  bieten,  sich  durch  eigene  Anschauung  eine  Vorstellung 
von  den  Erscheinungen  der  Vergangenheit  zu  verschaffen.  Es  wurde 
deshalb  immer  auf  die  Kunstdenkmäler  verwiesen,  die  ja  neben  den 
Erzeugnissen  des  Kunstgewerbes  eine  so  grofse,  bisher  lange  nicht  nach 
Gebühr  gewürdigte  Bedeutung  für  die  Sittengeschichte  haben;  so  bietet 
dies  Buch  gewissermafsen  ein  Stück  angewandte  Kunstgeschichte. 

Allein  abgesehen  von  diesen  Werken,  die  die  Kunstgeschichte 
berücksichtigt,  gibt  es  eine  grofse  Zahl  von  Gemälden,  Kupferstichen. 
Holzschnitten,  die  auf  Kunstwert  keinen  Anspruch  erheben  dürfen  und 
die  deshalb  auch  in  den  Kunstsammlungen  nur  selten  und  vereinzelt 
anzutreffen  sind,  trotzdem  sie  für  die  Sittengeschichte  eine  ganz  hervor- 
ragende Wichtigkeit  haben.  Dafs  ^nr  von  diesen  wertvollen  Darstellungen 
Gebrauch  zu  machen  vermögen,  verdanken  wir  Dr.  Georg  Hirth, 
der  in  seinem  »Kulturgeschichtlichen  Bilderbuch  ;  (München  o.  J.)  für  die 
Untersuchungen  über  Sittengeschichte  ein  überaus  dankenswertes  Material 
geboten  hat.  Ich  habe  diese  Nachweise  A'on  Bildern  zu  vermehren  gesucht; 
jedoch  wird  in  dieser  Hinsicht  noch  ebensoviel  zu  ergänzen  sein  wie 
bei  den  Literaturzusammenstellungen.  Es  kommt  ja  auch  hier  nicht  auf 
die  absolute  Vollständigkeit  an,  die  zu  erreichen  mir  unmöglich  war, 
sondern  darauf,  dafs  das  Interesse  für  solche  Studien  angeregt  wird. 

Wenn  dann  durch  viele  neue  Untersuchungen  die  Skizze,  die  ich 
hier  biete,  ergänzt,  verbessert  oder  ganz  ersetzt  wird,  dann  darf  ich 
hoffen,  mit  meiner  Arbeit  doch  etwas  erreicht  zu  haben. 

Die  zahLreichen  Abbildungen,  die,  dank  des  freundlichen  Entgegen- 
kommens der  Verlagsbuchhandlung,  dem  Buche  l)eigegeben  werden 
konnten,  sind  von  dem  Verfasser  ausgewählt  und  dienen  allein  zur  Er- 
läuterung des  in  der  Schilderung  Dargestellten.  Zu  besonderem  Dank 
bin  ich  dem  Direktor  des  Bayerischen  Nationalmuseums,  Herrn  Dr.  Hugo 
Graf,  verpflichtet. 

Prag  im  April   1903. 

Dr.  Alwin  Schultz. 


Inhaltsverzeichnis. 


I.  Die    WollUUUg.  Seile 
Einleitung .  3 

I.  Das  Schlofs  der  Fürsten 5 

1.  Im  Mittelalter 5 

2.  Schlofs-  und  Palastbau  vom  16.  Jhrhd.  bis  zum  Ende  des  SOjälir.  Krieges  22 

3.  Die  Schlofsgärten  im  16.  Jahrhundert 45 

4.  Der  Palastbau  von  1650—1750 47 

5.  Die  Parkanlagen  im  17.  und  IS.  Jahrhundert 63 

IL  Die  Städte 65 

1.  Die  Befestigungen 65 

2.  Die  Strafsen  der  Städte 69 

3.  Wasserleitungen,  (iffentliche  Brunnen 75 

4.  Öifentliche  Denkmäler 81 

5.  Verschiedene  öffentliche  Bauten 82 

A.  Die  öffentlichen  (iebäude  der  Stadt 82 

a)  Das  Rathaus 82 

b)  Andere  städtische  Verwaltungsgebäude 91 

B.  Öffentliche  Gebäude  zur  l'nterhaltung  der  Bürger 96 

C.  Zunfthäuscr,  Trinkstuben 96 

D.  Wirtshäuser 97 

E.  Theater 99 

F.  Spitäler 100 

G.  Zuchthäuser 102 

H.  Schulen  und  Universitäten        103 

J.  Die  Privathäuser 104 

K.  Die  Gärten  der  Bürger 143 

III.   Das  Dorf 146 

Die  Wohnung  der  Bauern 146 

II.  Die  Familie. 

Einleitung 153 

I.  Die  Hochzeit       159 

a)  Der  Fürsten 159 

b)  Der  Bürger 166 

c)  Der  Bauern        s 172 


^m  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

IL  Entbindunü  und  Taufe       ^'^^ 

a)  An  den  Fürstenhöfeu 1'^ 

b^  Im  Hause  des  Adels  und  des  Bürgers l'?'^ 

c)  Bei  den  Bauern ^^^ 

LH.  ]iie  Erziehung  der  Kinder ^^^ 

a)  An  Fürsteuhöfen        J^^ 

b^  Im  Bürgerhause    .  ■ ^^ 

c)  Die  Erziehung  bei  den  J5auern ^lö 

III.    Die  Kleidung. 

I.  Traohteu  bis  zum  Scliluls  des  11.  Jahrhunderts 221 

IL  Trachten  der  Vornehmen  des  12.  und  13.  Jahrhunderts 225 

III.  Das  14.  und  15.  Jahrhundert -^^ 

23  ( 

247 

270 

291 


IV.  Das  16.  Jahrhundert 

V.  Das  17.  Jahrhundert 

VI.  Das  18.  Jahrhundert 

VII.  Kleid uui^  der  Bauern 


Einleitung 

I.  Stunde  des  Essens    . 
IL  Die  fürtlichen  Tafeln 

III.  Mahlzeiten  der  Bürger 

IV.  JMahlzeiten  der  Bauern 


IV.   Essen  und  Trinken. 

295 

297 

'     *     '  299 

311 

331 


V.   Beschäftigung  und  l  nterhaltung. 

I.  Aufstehen  und  Schlafengehen,  tägliche  Beschäftigung  der  Fürsten     ....  335 

IL  Aufstehen  der  Bürger,  die  Beschäftigung  det  Hausfrau 33* 

ni.  Unterhaltung  an  den  Fürstenhöfen ^ 

IV.  Unterhaltungen  der  Bürger ^^ 

V.  Unterhaltung  der  Bauern 

VI.  Tod  und  Begräbnis. 

T..  ,  .,  405 

Einleitung        

I.  Tod  und  Begräbnis  der  Fürsten 

IL  Begräbnis  des  Adels  und  der  Bürger • ^/Z 

HI.  Die  Grabdenkmäler        ^ 

IV.  Tod  und  Begräbnis  der  Bauern " 

425 

Ergänzungen  und  Verbesserungen        

427 
Sachregister 


I. 

Die  Wohnung. 

Schlofs.    —    Stadt.    —    Dorf. 


Schultz.     Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


EINLEITUNG. 


Das  Leben  der  Vergangenheit  ist  der  Gegenwart  völlig  fremd  ge- 
worden, und  alle  wissenschaftlichen  Untersuchungen  werden  nicht  im- 
stande sein,  uns  ein  der  Wahrheit  wirklich  entsprechendes  Bild  alter 
Zeiten  zu  entwerfen.  Nur  den  Äufserlichkeiten  nach  lernen  wir  jene 
längst  vergangenen  Jahre  kennen,  und  mit  dieser  Einsicht  werden  wir 
uns  begnügen  müssen.  Allein  auch  diese  Äufserlichkeiten  sind  nicht 
ohne  Interesse;  vdr  sehen  da,  dafs  \'iele8,  was  die  heutige  Zeit  als  ihre 
Schöpfung  betrachtet  hat,  schon  längst  bekannt  aber  wieder  vergessen 
war,  und  so  gelangen  ^är  zu  einer  gerechteren  Wertschätzung  der  alten 
Zeit,  die  weder  so  vortrefflich  noch  so  gering  war,  wie  uns  das  manche 
Autoren  einzureden  versuchen.  Die  Leute  der  Vergangenheit  haben  alle 
die  Tugenden  gehabt,  deren  sich  die  Jetztzeit  rühmt,  aber  auch  alle  die 
Leidenschaften  und  schlechten  Neigungen,  die  wir  in  der  Gegenwart 
antreffen.  Nur  die  Form,  in  der  sich  diese  allgemein  menschlichen  Be- 
strebungen äufserten,  ist  zum  Teil  eine  andere  geworden.  Sie  zu  schildern, 
ist  die  Aufgabe,  die  diesem  Buche  gestellt  wurde. 


Die  zur  Zeit  der  römischen  Herrschaft  vortreffhch  angelegten  und 
erhaltenen  Heerstrafsen  waren  schon  bald  nach  dem  Sturze  des  römischen 
Kaiserreiches  vernachläfsigt  worden.  Wohl  kann  man  auch  heute  noch 
hie  und  da  die  Überreste  dieser  Strafsenanlagen  wahrnehmen,  und  sie 
mögen  auch  ungepflegt  lange  noch  der  Zerstörung  Widerstand  geleistet 
haben,  allein  durchschnittlich  befanden  sich  während  des  Mittelalters  und 
weit  über  dasselbe  hinaus  die  Strafsen  in  einem  sehr  traurigen  Zustande. 
Die  grofsen  Heeres-  und  Handelsstrafsen  ^)  wurden  immerhin  noch  einiger-, 
mafsen  ausgebessert  und  erhalten,  jedoch  waren  auch  sie  voller  Löcher, 
ausgefahren,  kotreich  in  der  nassen,  staubig  in  der  trockenen  Jahreszeit, 
und  noch  viel  schlinuner  war  es  mit  den  Nebenwegen  bestellt.  Zwar 
wurden  Zölle  erhoben,  (h'ren  Ertrag  zur  Erhaltung  der  Strafsen  und 
Brücken  verwendet  werden  sollte,  indessen  hören  wir  noch  im  1().  Jahr- 
hundert laute  Klagen.  So  schrieb  z.  B.  Paumgartner  über  den  »über- 
unflattigen     bösen«     Weg    von     l^ucca    nach    Florenz    (1582    22./Xn    — 

')  Gafsner,  Zum  deutschen  Stralsenwesen  von  der  ältesten  Zeit  bis  zur  Mitte 
de.s  17.  Jahrhunderts.     Leipzig  1889. 

1* 


4  Kinloituni;-. 

BrielV  S.  11),  über  den  ^-^überbods  niordwcu-.  dov  nlbci-  (nacb  Fi'nnkl'iirt 
a/M.)  von  aller  ortteii  ist^<  (1091  20.JIU  und'  1;V.)4  14./111  —  ib.  lOS,  191), 
über  den  bösen  Weg  z^äschen  Eger  und  Scldackenwald  (1591  ß./VI  — 
ib.  112)  n.  s.  w.  Alle  Rei,'^(>b(^rit-bte  sind  noII  \-on  Klagen  iibci'  Ai^n 
sebleehtcn   Zn.^tand  der  Stral8(Mi. 

Dnch  bat  man  sclion  im  1.").  .labrbundcrt  den  X'cisucb  gemacht, 
durch  Prtasterung  einzelner  Wege,  dnreh  IJelegon  der.seil)en  mit  Stein- 
])latt('n.  die  in  Kalk  gebettet  wurden  —  deshalb  hielsen  diese  StraCsen 
ealeiatae.  idiaussees  —  mit  einem  \\'(>rte  dui-cli  einen  Kunststrafsenbau, 
wie  ihn  die  Reimer  so  vortrefflich  anzulegen  verstanden  hatten,  der  Not 
einigermaCsen  Al)hilfe  zu  schalten,  es  blieb  aber  bei  belanglosen  Ver- 
suchen. Erst  das  18.  .Tabrbund(Mt  brachte  eine  durchgreifende  Besserung: 
die  französischen  Kunststralsen ,  für  die  seit  1716  eigene  Baumeister 
^'des  i)onts  et  chaussees:.  vorgebildet  wurden.  Die  Anweisungen  des 
Schotten  John  London  ^lac  Adam  (1756  — 1836)  ^vdrkten  auch  auf 
Deutschland  ein.  Wenigstens  die  Staatschausseen  wurden  jetzt  sach- 
verständig in  gutem  Zustande  erhalten,  mit  Baumreihen,  Pappeln  oder  Obst- 
l)äunien  eingefafst;  desto  kläglicher  war  der  Zustand  der  Nebenstrafsen. 

Während  der  ersten  Jahrhunderte  des  Mittelalters  dürfen  wir  uns  das 
Land  nicht  besonders  kultiviert  vorstellen.  In  den  von  den  Römern 
einst  beherrschten  Landstrichen  ist  die  Bevölkerung  auch  nach  den 
Stürmen  der  Völkerwanderung  eine  dichtere,  die  Bebauung  der  Felder 
eine  ausgedehntere,  allein  in  den  Gegenden,  wo  die  Römer  nie  festen 
Fufs  gefafst  hatten,  da  gil:)t  es  noch  ausgedehnte  Wälder,  unbebaute 
Strecken;  da  waren  Sümpfe  und  Moräste  noch  in  dem  Zustand,  wie  sie 
von  Anbeginn  her  sich  gebildet  hatten.  In  diesen  Wüsteneien  siedelten 
sich  die  Klöster  an ;  die  Landesherren,  die  ihnen  bereitwillig  umfang- 
reichen (rrundbesitz  schenkten,  wufsten  sehr  wohl,  dafs  diese  Kloster- 
gemeinden die  Wälder  ausroden,  die  Sümpfe  austrocknen,  einen  geord- 
neten Feld-  und  Gartenbau  einführen  und  auf  -Wirtschaft liebem  Gebiete 
der  ganzen  Landbevölkerung  ein  segensreiches,  zur  Nachahmung  reizendes 
Beispiel  bieten  würden.  Und  damit  waren,  abgesehen  von  allem  son- 
.stigen  Nutzen,  die  grofsen  Strecken  Unlandes  reichlich  bezahlt.  Man 
mag  mit  Recht  bezweifeln,  ob  die  Mönche  bei  der  Auswahl  des  Bau- 
platzes für  ihre  Kirche  und  Wohngebäude  von  einem  lebendigen  Sinn 
für  landschafthche  Schönheit  geleitet  worden  sind,  Tatsache  aber  ist 
es,  dafs  sie  immer  mit  sicherem  A'"erständnis  die  schönsten  Punkte  in 
ihrem  Besitze  ausfindig  machten  und  ihre  Bauten  da  errichteten,  wo 
weite  Aussicht  und  landschaftliche  Anmut  auch  heute  noch  unseren 
modernen  Ansprüchen  genügen. 

Durch  diese  Landstrecken  führten  die  Strafsenzüge  von  einer 
Handelsstadt  zur  anderen;  die  Burgen  und  Schlösser  des  Adels  und  der 
Fürsten  waren  in  ihrer  Nähe  angelegt,  kleine  Orte  und  Dörfer  durch 
Nebenwege  mit  ihnen  verbunden;  auf  ihnen  bewegte  sich  der  gesamte 
festländische  Verkehr  der  damahe'en  civilisierten  Welt. 


I.   Die  Wohngebäude. 

I.    Das   Schlofs   der    Fürsten\) 

I.   Im  Mittelalter. 

Über  die  Einriclituiio-  und  Anlage  der  mittelalterlichen  Fürsten- 
paläste ist  uns  überaus  wenig  überliefert  und  das  auch  nur  so  unvoll- 
ständig, dafs  es  kaum  ausreicht,  eine  ])estimmte  Vorstellung  von  einem 
solchen  Baue  zu  gewinnen.  Was  darüber  zu  ermitteln  ist,  hat  Heyne  in 
seinem  genannten  Werke  zusannnengestellt.  Es  ist  nur  wahrscheinlich,  dafs 
in  rein  germanischen  Landen  die  Schlösser  der  Fürsten  in  ihrer  ganzen 
Anlage  dem  Hause  des  bäurischen  Hofbesitzers  ghchen,  allein  mit  mehr 
Aufwand  und  Pracht  erbaut  waren,  durch  Geräumigkeit  und  Ausdehnung 
diese  bescheideneren  Bauwerke  übertrafen ;  dagegen  dürften  die  Völker- 
schaften, welche  auf  dem  von  den  Römern  schon  kultivierten  Boden 
ihre  Wohnsitze  nahmen,  vielfach  die  Form  der  römischen  Paläste, 
Wohnhäuser,  A^illen  nachgeahmt  haben.  Doch,  so  interessant  diese 
Fragen  sein  mögen,  es  ist  kaum  eine  Aussicht  auf  eine  befriedigende 
Lösung  vorhanden:  die  Denkmäler  selbst  sind  untergegangen  und  die 
gelegentlichen  Mitteilungen  über  sie  erscheinen  in  jeghcher  Hinsicht 
unzureichend. 

Einigermafsen  sind  wir  über  den  Palast  unterriclitet,  den  Karl  der 
(Irofse  in  Aachen  erbaute,  wo  schon  im  7.  Jahrhundert  sich  ein  Königs- 
schlofs  nachweisen  läfst.  Das  Vorbild  für  diesen  Palastbau  fand  Karl 
in  dem  Palaste  des  Theodorich  zu  Ravenna,  der  selbst  nach  dem  Muster 
der  kaiserlichen  Residenz  in  Konstantinopel  angelegt  worden  war^). 
Wir  haben  Beschreibungen  von  Karls  Bau,  und  durch  Ausgrabungen  der' 

1)  Moritz  Heyne.  Das  deutsche  Wohnungswesen.  (Lpz.  1899.)  —  Stephiini, 
der  älteste  deutsche  Wohnbau  und  seine  Einrichtung  1.  II.  Lpz.  1902.  1903.  —  Karl 
Simon,  Studien  z.  romanischen  Wohnl)au  in  Deutschland  (Studien  z.  deutschen  Kunst- 
geschichte Heft  36)  Stralsburg  1902.  —  Vgl.  über  venezianische  Paläste  P.  G.  Hol- 
men ti,  La  vie  privöe  ä  Yenise  (Yen.  1882)  140  W.  247  ft'.  394  ff. 

2)  Franz  v.  Reber  in  den  Abh.  der  bist.  Klasse  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  München,  Bd.  XIX  (München  1891). 


g  T.    Das  Schlols  dor  Fiirston. 

Fundrtinonto  ist  auch  ein  Anhaltspunkt  gegeben,  den  Grundrirs  im  all- 
gemeinen 7Ai  rekonstruieren,  wie  dies  Franz  v.  Rebor  getan  hat,  doch 
sind  dies  alles  schwache  Anhalts})unkte :  das  Gehäude  selbst  ist  bei  den 
Verwüstungen  dvr  Normannen  schon  früh  gänzlich  zerstört  worden  und 
allein  die  Palastkapelle,  die  zur  Ik^gräbnisstättc  bestimmt,  in  der  Anlage 
der  Kirche  St.  Vitale  zu  Ravenna  gleicht,  ist  allerdings  halb  ver- 
steckt von  sj)äteren  Zu-  und  Anbauten,  noch  luuite  erhalten.  Jeden- 
falls war  das  Schlols  ursprünghch  mit  Festungswerken  umgeben;  das 
gebot  schon  die  persönliche  Rücksicht  auf  die  Sicherheit  des  Kaisers. 
Dasselbe  gilt  von  dem  Palaste  in  Ingelheim,  dessen  Gröfse  ausdrücklich 
hervorgehoben  wird  (mille  aditus,  reditus  mill(^na(|ue  claustra  domorum. 
Ermoldus  Nigellus).  Er  ist  bis  auf  wenige  Ruinen  el)enso  zu  Grunde 
geaanoen,  wie  der  Palast  in  Nimwegen.  Mit  den  Gebäuden  sind  auch 
die  Gemäkle,  die  sie  einst  schmückten,  der  Zerstörung  anheimgefallen. 
Schon  die  Langobardenkönigin  Theodolinde  hatte  in  ihrem  Schlosse  zu 
Monza  Szenen  aus  dem  Leben  und  der  Geschichte  ihres  Volkes  malen 
lassen,  und  so  folgte  auch  in  dieser  Hinsicht  Karl  älteren  Beispielen,  als 
er  im  Palast  zu  Aachen  seine  Siege  in  Spanien  darzustellen  befahl  und 
Ingelheim  mit  Wandgemälden  ausschmückte,  die  die  Taten  der  Helden 
des  Altertums,  der  Griechen  und  der  Römer,  aber  auch  die  Erfolge  der 
christhchen  Herrscher,  des  Constantin ,  Theodorich ,  der  Franken  und 
endlich  des  Kaisers  selbst  schilderten. 

Auf  Karls  Palastbauten  können  mr  nicht  näher  eingehen,  weil  wir 
einzig  und  allein  auf  Vermutungen  angewiesen  sind,  aber  auch  über  die 
nächstfolgende  Zeit  sind  wir  sehr  schlecht  unterrichtet.  Von  den  Resi- 
denzen der  Ottonen  wissen  wir  so  gut  wie  nichts,  und  wie  der  Palast 
Heinrichs  I.  in  Merseburg  l)eschaffen  war,  in  dem  er  seine  siegreiche 
Schlacht  gegen  die  LTngarn  malen  liefs,  entzieht  sich  jeder  Beschreibung. 
AVohl  mögen  in  der  alten  Salzburg  noch  Mauerreste  auf  die  Ottonen- 
zeit  zurückzuführen  sein,  an  anderen  Orten  sich  vereinzelte  Teile  von 
Burgruinen  finden,  die  im  frühen  Mittelalter  erbaut  sein  dürften,  das 
gibt  uns  aber  noch  lange  kein  Bild,  wie  die  Gebäude,  die  längst  ver- 
schwunden sind,  einst  ausgesehen  haben. 

Erst  aus  dem  12.  Jahrhundert  sind  sowohl  Denkmäler  als  auch 
ausführliche  Beschreibungen,  mit  denen  sich  etwas  anfangen  läfst,  in 
gröfserer  Zahl  erhalten.^) 

In  Deutschland  finden  wir  noch  immerhin  ansehnhche  Reste  vor 
von  den  Palastbauten,  (he  auf  Befehl  des  Kaisers  Friedrich  I.  errichtet 
wurden.  Das  einst  so  prächtige  Schlofs  in  Hagenau  ist  allerdings  ver- 
schwunden, doch  entschädigen  noch  Aufnahmen  für  den  Verlust;  vom 
Trifels  bei  Bergzabern  (Elsafs)  ist  wenigstens  der  Hauptturm  mit  der 
Kapelle  erhalten 2).  Gröfser  und  bedeutender  sind  die  Überreste  von 
dem   Kaiserpalast  zu  Wimpfen   am  Berge,  dem  zu  Gelnhausen^),  zu 


1)  S.  Karl  Simon  a.  a.  0.  47  S. 

')  Krieg  von  Hochfelden.     Gesch.    d.  Militär-Architektur  in    Deutschland   (Stutt- 
gart 1859)  275  ff. 

.')  Hundeshagen.     Kaiserpalast  von  Gelnhausen.     Bonn  1832. 


1.  Im  Mittelalter.  7 

Goslar  und  zu  Eger^),  dann  das  allerdings  stark  restaurierte  Schlofs 
der  Wartburg.  Ja  es  sind  in  Deutschland  viel  bedeutendere  Denkmäler 
des  Palastbaues  der  Zerstörung  entgangen 2),  als  dies  in  Frankreich  und 
in  Italien  der  Fall  ist.  Nehmen  wir  hierzu  die  in  den  französischen  und 
deutschen  Epen,  in  den  liistorischen  Schriften  überlieferten  Beschreibungen, 
so  werden  wir  uns  recht  wohl  eine  Vorstellung  von  den  Palästen  der 
Kaiser,  Könige  und  regierende!'  Herren  entwerfen   können. 


Uurg  Trilels  in  der  ursprünglichen  (iestalt.     i.Xafh  .\.  v.  Essenwein.) 


Eine  gewisse  Gleichheit  ist  allen  diesen  Bauten  des  12.  und  13.  Jahr- 
hunderts gemeinsam:  der  französische  Stil  ist  auch  für  die  Denkmäler 
der  Zivilbaukunst  ebenso  mafsgebend,  wie  er  den  kirchlichen  Monu- 
menten jenen  eigenen  Formencharakter  aufgeprägt  hat,  den  wir  uns 
gewohnt  haben  als  den  romanischen  und  gotischen  zu  bezeichnen^). 

>)  B.  (Trüber.     Die  Kaiserburg  in  Eger.     Prag  1864. 

''')  Vgl.  Schnaase,  Gesch.  d.  bild.  Künste  im  MA^  (Düsseldorf  1872)  230  ff. 

3)  Vgl.  Viollet-le-Duc,  Dictionnaire  de  l'Architecture  fran^aise  etc.  (Paris  1854 
bis  68).  Unter  verschiedenen  Schlagwörtern,  besonders  unter  Architecture  militaire 
(I.  327  ff.),  Chäteau  (HI.  58  ff.)  u.  s.  w.  —  H.  W.  Schulz.  Denkm.  der  Kunst  des 
Mittelalters  in  Unteritalien.     Dresden  1860. 


I.     |):is  Sclilols  (U'i-   Kiirstcn. 


1.  Im  Mittelalter. 


10 


I.    Das  Sclili.rs  <lcr   FüistcMi. 


Wir  werden  ;ilso  i\o\\  ralasll)au  im  all^eiueiiieii  ins  Aii^'e  zu  fassen 
haben  und,  Avas  ja  nnu'etähr  znIrilTt.  annehmen,  dafs  in  ahen  l>änd(>rn 
der  abendländischen  Christenheit  (hese  l*aläste  im  urofsen  (ian/en  nacli 
denselben  (Jrunihdeen  ano-eleo-t  waren.  Die  P>efesti^inii2,-en  dieser  Palast- 
bauten wollen   wir   nur  kurz   erwähnen,   olisclion   sie   hei    \\('it(>m  den  Uau- 


])ie  WiirtbiirLr.     .Nach  ( )ri.ginalzeichnuiig  d.  Architekten  ihr    IVip  in  I^isenach. 


meistern  Aviehtit2,er  warcMi  als  die  für  die  Ihiruherrsehal't  errichteten 
Wohngehäude.  Ka  kann  immer  als  ein  unbestrittener  Grundsatz  ange- 
sehen werden,  dafs  erst  die  Festigkeit  der  Burg  in  ßetraeht  kommt, 
dann  erst  man  für  die  Bequemlichkeit  der  Bewohner  Sorge  trägt.  Indessen 
sind   diese  Befestigungen    so    oft.   schon  eingehend  besprochen  worden ^)- 

')  S.  Viollet-le-Duc,  a.  a.  0.  —  Höf.  Leben  '■^i.  p.  7  ft'.  —  A.  v.  Esaenwein.  Die 
roruanische  und  die  gotische  Baukunst.  I.  Kriegsbaukunst  Darmstadt  1889);  11.  Der 
Wohnbau  (Dariastadt  1892),  [Durm.  Hdb.  d.  Architektur,  n.  4.  Heft  1  u.  2.] 


1.  Im  Mittelalter.  H 

dafs  es  genügt,  kurz  die  wichtigsten  Formen  derselben  hier  zu  er- 
wähnen. 

AVas  die  Anlage  der  Hofburgen  anbetrifft,  so  können  wir  zwei  ver- 
schiedene Dispositionen  unterscheiden,  je  nachdem  die  Feste  für  sich 
allein  im  Freien  erbaut  ist  oder  einen  Teil  einer  städtischen  Fortifikatiou 
bildet.  In  letzterem  Falle  ist  ursprünglich  zuerst  das  feste  Schlofs  da- 
gewesen, unter  dessen  Schutze  sich  dann  Leute  angesiedelt  haben;  aus 
dieser  Häusergruppe  hat  sich  mit  der  Zeit  eine  Stadt  entwickelt,  die 
nun  selbst  mit  Gräben,  Mauern  und  Türmen  geschützt  werden  muCs. 
Die  Herrenburg  dient  dann  als  Kernwerk  (das  Reduit)  der  ganzen 
Festungsanlage.  So  ist  es  etwa  in  Nürnberg  gewesen,  wo  die  städtische 
Befestigung  sich  an  die  der  kaiserhchen  Burg  anschlofs.  Immer  aber 
ist  die  Burg  älter  als  die  Stadt. 

Die  Sicherheit  der  Burg  erheischte,  dafs  sie  leicht  zu  verteidigen 
war.  Man  wählte  deshalb  Plätze  aus,  die  im  Moor  gelegen,  nur  schwer 
zugänghch  sich  erwiesen,  auf  steilen  Felsspitzen,  die  wenn  möglich  nur 
von  einer  Seite  erstiegen  werden  konnten,  an  Flufsgabelungen,  da  dann 
von  zwei  Seiten  das  AVasser  die  Bestürmung  unmöglich  machte.  Vom 
Bauterrain  hängt  es  ab,  ob  die  Burg  eine  oder  mehrere  Ringmauern 
erhält.  Vor  der  Mauer  ist  der  Graben  so  tief  wie  möglich  ausgeschachtet, 
wenn  es  anging,  mit  AVasser  gefüllt.  Über  den  Graben  führt  am-  Tore 
die  Zugbrücke,  die,  aufgezogen,  die  Annäherung  an  die  Mauer  unmöglich 
macht.  Die  Mauern  sind  mit  Türmen  befestigt,  die  ungefähr  immer  einen 
Pfeilschufs  voneinander  entfernt  sind.  Das  Tor  ist  zu  weiterer  Sicher- 
heit noch  mit  einem  Fallgatter  (Cataracta)  zu  verschlief sen.  Diese  ganze 
Fortifikationskunst  stammt  von  den  Römern;  die  Burgenbaumeister  lernten 
sie  aus  den  AA^erken  des  A'^itruvius  und  des  Flavius  A'^egetius  Renatus. 
Sind  zwei  Ringmauern  vorhanden,  so  dafs  nach  der  Erstürmung  der  ersten 
nun  erst  die  zweite  wieder  erobert  werden  mufste,  so  waren  zwischen 
den  beiden  die  A¥irtschaftsgebäude  erbaut,  die  zum  Schlosse  gehörten, 
die  AA'^ohnungen  der  Soldaten,  wenn  sie  nicht  in  den  Türmon  unter- 
gebracht waren,  die  Scheunen,  A^ieh-  und  Pferdeställe,  der  Hühnerhof  — 
kurz,  es  sah  in  einer  solchen  Vorburg  (Faubourg)  ähnlich  wie  auf  einem 
Gutshof  aus,  nur  dafs  des  Raummangels  wegen  alles  mehr  zusammen- 
gedrängt war.  In  der  inneren  Burg  aber  befand  sich  die  AVohnung  des 
Schlofsherren  und  das  Kernwerk  der  ganzen  Anlage,  der  grofse  feste 
Hauptturm,  der  als  letzte  Zufluchtsstätte  im  Falle  einer  Ero])erung  an- 
gesehen wurde. 

In  diesem  grofsen  Turme  hatten  frülier  die  Herren  der  Burg  sell)st 
ihre  AVohnung  gehabt  und  in  England  zumal,  aber  auch  in  Frankreich 
war  der  Gebrauch  auch  später  noch  festgehalten  worden.  Solch  ein 
AVohnturm  wdrd  gewöhnlich  Donjon  genannt.  Jedoch  war  es  kaum 
möglich,  sich  in  diesen  festen,  aber  doch  auch  engen  Räumen  l)ehaglicli 
einzurichten  und  so  suchte  man,  wenigstens  so  lange  keine  Kric^gsgefahr 
drohte,  in  hölzernen  Häusern  Unterkunft,  die  geräumig,  auch  (Icr 
Bequemlichkeit  gemäfs  eingerichtet,  jedoch  im  Falle  der  Belagerung- 
schnell  abgebrochen   oder   niedergebrannt  werden  konnten.     Aus  diesen 


12 


I.    Das  Schlol's  (h'v  Fiirslon. 


provisorischon  llolzlüuisorn  ontwickclii  sich  und  zwar  im  12.  Jahr- 
lumdert  die  stoiuomeu  Palasbauton,  die  nun  auch  mit  allor  Kunst,  die 
j.Mio  Zoit  ja  in  so  holiom  Mafse  besals,  ausgeschmückt  wurden.  Mit 
dit'scn  GoIkUkUmi  wollen  wir  uns  n\ni  etwas  einoehender  beschäftigen. 

Die  Wohnräume  der  llerrschait  lagen,  wi(^  wir  sagen  würden,  im 
Hochparterre;  im  Erdgeschofs  war  die  Küche  und  was  zur  Wirtschaft 
o-eluh-te,  untergebracht.  Zu  dem  oberen  (Jesclids  stieg  man  mit  einer  Frei- 
m'i.pe  hinauf  und  gelangte  durch  «las  oft  mit  Skulpturen  geschmückte  Portal 
in  innen  Korridor,  der  durch  weite  gegliederte  Fenster  mit  zierlichen  Säulen 
üut  erhellt  war.  In  diesem  Korridor  oder  in  dieser  Gallerie  verbrachte  die 
Fiunilie  des  Schlolsherrn  die  schönen  Tage,  wie  in  einer  itahenischen  Loggia 


liittersiial  a,  d.   Schlosse  zu    Marlauü   in   Hessen. 


gegen  Sonne  und  Zug  geschützt,  aber  doch  die  frische  Luft  ung'estört 
o-eniefsend.  Aus  der  Laube,  deren  Fenster  übrigens  sowenig  wie  die 
übrigen  hn  Palaste  angelegten  verglast  sind,  vielmehr  Schnee  und  Regen 
den  unbehindertsten  Zutritt  hefsen,  gelangen  wir  in  den  Saal,  der  für 
alle  möghchen  Zwecke  bestimmt  war.  Hier  versammelte  der  Fürst  seine 
Getreuen  zur  Beratung,  hier  wurde  gespeist,  getanzt  und,  wenn  es  an 
Raum  für  die  Gäste  fehlte,  geschlafen,  auch  diente  der  Saal  der  Herr- 
schaft zum  ständigen  Aufenthalt.  Man  mag  in  einigen  Fällen  mehrere 
Säle  zur  Verfügung  gehallt  haben,  wie  z.  B.  in  der  Wartburg,  und  dann 
konnte  einer  speziell  als  Speisesaal  dienen ;  allein  oft  ist  das  gewifs  nicht 
vorgekommen.  Der  Saal  war  mit  Stein  oder  Backsteinfliefsen  gepflastert, 
die  Wände  an  ihrem  oberen  Teile  gemah,  mit  historischen  Darstellungen 
aus  der  griechischen  Sage  und  Geschichte,  aus  dem  Trojanerkriege,  den 


l.    ]iu  MittelalKM-. 


i;^. 


l.iiniiLrralciihans  der  \Viu-tl>nir   liui  Eiseiiiii-h. 


14 


I.    Das  Schlol's  der  Fürsten. 


Abonteiicni  Alexander  des  Grolsou  u.  s.  w.  goscliniückt,  der  untere  Teil 
war  ge\v()hnlic'h  ohne  jede  weitere  Verzierung  und  wurde  bei  festlichen 
Gelegenheiten  mit  prächtigen  Teppichen,  die  an  Gestellen  längs  der 
Wand  aufgehangen  waren,  wirkungsvoll  dekoriert.  Diese  Wandteppiche 
aber  hob  man  für  gewCthnlich  sorgsam  in  Kästen  auf.  So  geschmückt  mufste 
ein  solcher  Festsaal  ohne  Zweifel  einen  recht  schönen  Anblick  gewähren, 
zumal  an  einem  hellen  Sonmiertage.  Denn  am  Winterabend  war  es  in 
dem  Saale  um  so  weniger  behaglich.  Der  Kamin,  mochte  auch  mit 
<ler  Feuerung  noch  so  wenig  ges])art  werden,  verbreitete  doch  nur  in 
seiner  allernächsten  Nähe  einige  Wärme:  deshalb  sind  die  Ehrenplätze, 
im  Gelnhauser  Schlosse  noch  sichtbar,  dicht  an  der  Feuerstätte.  Wer 
nicht    das   Recht    hatte,    nahe    am   Feuer   Platz   zu   nehmen,    fror   ganz 

erbärmhcli.  Rauchte  der  Ka- 
min, dann  mufsten  die  Fen- 
ster geöffnet  werden  und  es 
drang  erst  recht  die  Winter- 
kälte in  den  schon  schwach 
erwärmten  Saal.  Die  Be- 
leuchtung wird  auch  für  ge- 
Avöhnlich  nicht  die  hellste 
gewesen  sein,  mochte  selbst 
bei  Festfeiern  alles  von 
Licht  strahlen.  Aber  Wachs- 
kerzen waren  teuer,  und  zu 
viele  wird  man  auch  an 
den  Höfen  nicht  an  Werk- 
tagen angebrannt  haben.  Da 
bleibt  nur  die  Beleuch- 
tung mit  Talglichtern  —  und  die  hat  durch  ihre  Helligkeit  sicher 
keinen  geblendet  —  oder  man  zündete  Fackeln  an,  die  allerdings 
Licht  verbreiteten,  aber  auch  einen  unerträghchen  Qualm  verursachten. 
Öllampen  kommen  nicht  in  Betracht,  weil  sie  wie  die  altrömischen  nur 
aus  einer  Ölschüssel  und  aus  einer  Tülle  für  den  Docht  bestehen,  wenig 
leuchten  aber  oft  rauchen  und  übel  duften. 

Am  schhmmsten  aber  war  es  mit  den  Fenstern  bestellt.  Gewifs, 
sie  sehen  mit  ihren  skulpierten  Säulen  sehr  statthch  aus,  jedoch  ihnen 
fehlt  die  Verglasung,  die  im  12.  Jahrhundert  in  den  Kirchen  schon 
ganz  gewöhnhch  war.  Trat  schlechtes  Wetter  ein,  so  mufste  man  den 
Regen,  den  Schnee,  die  Kälte  eben  ertragen,  denn  wenn  man  die  Fenster- 
läden schlofs,  dann  war  es  finster.  Dafs  man  kleine  Lichtöffnungen  in 
die  Läden  schnitt  und  mit  geöltem  Pergament  verklebte,  half  doch  nur 
sehr  wenig.  Im  Laufe  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  werden  diese 
Lichtöffnungen  verglast,  nehmen  an  Gröfse  zu;  dann  ist  der  ganze  obere 
Teil  des  Fensters  mit  Glasscheiben  ausgesetzt,  während  der  untere  noch 
mit  Holzläden  geschlossen  wird;  endhch  gegen  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts wird  das  ganze  Fenster  mit  den  bekannten  runden  oder  sechs- 
eckigen Butzenscheiben  verglast,    die   grünlich   oder  grau,  mit  Schlieren 


Schlofs  Münzenberg  in  der  Wetterau. 


1.  Im  Mittelalter.  15 

üurehzogen .  einen  freien  Ausblick  fast  unmöglich  machten.  l'nd  in 
Palästen  w'io  in  Bürgerhäusern  gibt  es  nur  einfache  Fenster:  die  Doppel- 
fenster liat  erst  das  19.  .lahrliundert  allgemein  eingeführt. 

Im  Winter  mögen  die  Burgl)ew()hner  ein  sehr  trauriges  Dasein 
geführt  haben,  deshall)  ist  der  Jubel,  mit  dem  sie  das  warme  Wetter 
hegrüfsen,  auch  echt  und  kommt  ihnen  wahrlich  von  Herzen. 

Neben  dem  Saah;  oder  den  Sälen  gibt  es  nun  auf  jeder  Burg  eine 
Menge  von  Zimmern,  Gaden,  die,  wenn  sie  heizbar  waren,  den  Namen 
Kemenaten  (camerae  caminatae)  erhielten.  Diese  Zimmer  werden  wahr- 
scheinlich nicht  mit  Kaminen  erwärmt,  sondern  mit  Ofen,  die  in  ihrer 
Form  an  die  altbekannten  Backöfen  anknüpfen.  (Vgl.  M.  Heyne, 
a.  a.  0.  120  &.)  Eine  Fortbildung  dieses  Ofens  ist  der  Kachelofen, 
d.  h.  der  ursprünglich  aus  viereckigen  Töpfen  (Kacheln)  auf  gemauerte 
Heizapparat,  welcher  an  die  seit  alter  Zeit  gel)rauchten  Clluttöpfe,  die  mit 
glühenden  Kohlen  gefüllt  waren,  anknüj)ft.  Ganz  klar  ist  diese  Sache 
keineswegs,  aber  so  viel  steht  fest,  dafs  man  im  14.  Jahrhundert  schon 
künstlerisch  verzierte  Ofenkacheln  henutzte,  wie  die  bei  der  Ausgrabung 
der  Burg  Tannenberg  (an  der  Bergstrafse)  gemachten  Funde  beweisen.^) 
Es  ist  deshalb  immerhin  wahrscheinlich,  dafs  Versuche  mit  solchen  Kachel- 
öfen schon  viel  früher  begonnen  haben. 

Die  Kemenaten  dienten  als  Schlafkammern  für  den  Herrn  und 
seine  Gemahlin,  fih-  die  Kinder,  die  Gäste  u.  s.  w.  Ebenso  scheint  der 
Hausherr  ein  Privatzimmer  für  seinen  ausschliefslichen  Gebrauch  gehabt 
zu  haben  (die  heimliche);  -^-ir  würden  es  heute  Arbeitskabinett  nennen. 
Was  die  Ausstattung  mit  Möbeln  anbelangt,  so  war  dieselbe  selbst  an 
Fürstenhöfen  incht  ])esonders  kostl>ar. 

Im  Saale  standen  längs  der  Wände  Bänke.  Die  Eistische  dagegen 
wurden  erst,  wenn  die  Zeit  des  Mahles  nahe  war.  hineingetragen,  d.  h. 
die  Böcke  (Schrägen)  aufgestellt  und  die  Tisch] »latten  auf  dieselben 
aufgelegt.  Sobald  die  Mahlzeit  vorü])er  war,  trug  man  die  Tische  wieder 
hinaus:  die  Tafel  wurde  aufgehoben.  Ihre  reichere  Ausgestaltung  hätte 
sich  kaum  gelohnt.  Dagegen  sind  die  Bänke  mannigfach  verziert,  die 
Füfse  (S])ondeii)  und  die  Lehnen  werden  zierlich  gedrechselt  und  mit 
bunter  Malerei  noch  besonders  dekoriert.  Das  Holz  s})ielt  kaum  eine 
Rolle,  da  es  fast  gar  nicht  zur  Geltung  gelangt;  man  kann  da  alles 
Material  verwenden,  das  der  Tischler  in  seiner  nächsten  Nähe  zur  Ver- 
fügung fand.  Die  Bänke  haben  einen  Brettersitz  und  werden  nur  durch 
aufgelegte  Kissen  etwas  bequemer  gestaltet.  Noch  elastischer  wurde  die 
Bank,  wenn  statt  der  harten  Bretter  ein  aus  Stricken  gebild(>ter  Sitz 
verwendet  wurde  ('Sjjan-betten). 

Je  mächtiger  d<'r  Fürst,  desto  grol'sartigcr  war  sein  Palast.  Minder 
luxuriös  sind  die  Wohnungen  kleinerer  Dynasten  eingerichtet  und  gar 
einfach  haben  wir  uns  die  Ausstattung  der  kleineren  .\delsburgen  vor- 
zustellen,   die    in     unüberseh])arer    Menge     längs    der    grol'sen    Ilandels- 


')  J.  H.  V.  Ilefner-.Mteneck   u.  .1.  W.   Wolf,  die   Wnvj:  Taiinenliorg  und  ihre  Aus- 
grabungen.    1850. 


16 


I.    Das  ^chlols  der  Fürntcn. 


Das  Lonvre  zu  Paris  zur  Zeit  Karls  V.     (Xaeh  Viollet-le-Duc.) 


1.  Im  Mittelalter. 


17 


strafscii  zunächst  zu  deren  Schutz  und  Sicherheit  angelegt  wurden, 
später  sich  noch  erhebhch  vermehrten  und  oft  genug  (h;n  Raubrittern 
als  sichere  Zufluchtsorte  dienten.     Hatte  man  scht)n  bei  der  Anlage  der 


Hof  des  Schlosse.s  zu  Mcissen. 


Fürstenpaläste  die  Bequemhchkcit  «Ut  Wohnräume  wenig  berück- 
sichtigt, so  kommt  sie  bei  den  Burgen  der  Ritterschaft  überhaupt  kaum 
in  Betracht:  sie  hat  sich  gänzlich  d(;n  Rücksichten  der  Befestigung 
unterzuordnen.     Künstlerisch  bieten  diese  Burgen  überaus  wenig;  meist 


Schultz,  Das  häusliche  LeV)en  im  Mittelalter. 


\>^  T.    Das  Schldfs  der  Fürston. 

sind  sie  aus  Feldsteinen  aui'ge])aut  und,  was  an  llansteinzieraten  ehedem 
vorhanden  war,  ist  längst  fortgeschleppt  worden.  Schon  aus  diesem 
Grunde  ist  es  überaus  schwer,  die  Entsteh ungszeit  eines  Burgbaues  mit 
Sicherheit  festzustellen. 

Im  14.  und  15.  Jahrhundert  werden  keine  Fürstenpaläste  erbaut, 
die  sich  mit  den  Schlössern  Kaiser  Friedrichs  I.  vergleichen  lassen,  und 
wie  selten  und  wie  kurze  Zeit  hatte  der  grol'se  Kaiser  in  diesen  seinen 
Prachtbauten  geweilt.  Das  Louvre  w4rd  in  Paris  (s.  S.  16)  errichtet,  das 
später  im  16.  Jahrhundert  dem  Neubau  Pierre  Lescots  weichen  mufste.  In 
Deutschland  erbaut  Karl  IV.  seinen  Palast  auf  dem  Karlstein,  dessen 
Kapellen  von  Juwelen  (Halbedelsteinen)  noch  heute  funkeln,  allein  von 
der  Pracht  der  Wohngemächer  können  ^är  uns  kaum  eine  Vorstellung 
machen;  wahrscheinlich  hatte  der  bigotte  Herrscher  auch  nur  die 
Sicherheit  der  Reichskleinodien  und  seiner  erlesenen  Rehquiensammlung 
im  Auge.  Das  Hochschlofs  in  Marienburg  gibt  uns  ein  interessantes 
Bild  einer  Ordensburg.  Ein  gutes  Beispiel  aber  eines  Fürstenschlosses 
gibt  uns  der  Palast  in  Meifsen,  der  architektonisch  mit  aller  Pracht  des 
ausgehenden  Mittelalters  ausgestattet  ist  (s.  S.  17). 

Die  besseren  Stuben  sind  gewöhnlich  mit  Holztäfelungen  an  den 
Wänden  ausgestattet,  die  durch  Schnitzereien  und  Bemalung  noch  wirk- 
samer sich  ausnahmen.  Ein  schönes  Beispiel  bieten  die  unter  Erzbischof 
Leonhard  von  Keutschach  (1495 — 1519)  eingerichteten  P^ürstenzimmer 
auf  dem  Schlosse  Hohensalzburg.^) 

Die  Möbel  der  Schlösser  sind  nun  meist  aus  dem  festen  dauerhaften 
Eichenholz  gefertigt,  nicht  völlig  mehr  bemalt,  sondern  mit  Waclis  getränkt, 
ohne  aufdringhche  Glätte,  nach  architektonischen  Prinzipien  aufgebaut 
und  mit  ornamentalen  wie  figürhchen  Schnitzereien  aufs  reichste  und 
geschmackvollste  verziert.  Feste,  auf  geschnitzten  Schrägen  ruliende 
Tische,  Bänke  und  Stühle  gleichfalls  schön  gestaltet.  Über  den  Stühlen 
der  Herrscher  liebt  man  einen  Baldachin  aus  Stoff  aufzuhängen  oder 
ihn  aus  Holz  zu  zimmern.  Es  scheint,  dafs  man  sich  gegen  das  Herab- 
fallen von  Staub  von  der  Decke  schützen  woUte,  denn  an  den  Betten 
bringt  man  die  gleichen  Baldachine  aus  Stoff  oder  aus  massiver  Tischler- 
arbeit an.  Wahre  Meisterstücke  des  Kunsthandwerks  sind  die  zahlreich 
erhaltenen  Schränke,  Truhen,  Kästen  und  Laden.  Die  Farbe  ist  nur 
zu  Hilfe  genommen  die  Formen  schärfer  hervorzuheben.  Die  Bänke 
werden  wolil  auch  noch  verwendet  und  mit  Hilfe  von  Kissen  zum 
Sitzen  und  Schlafen  bequemer  gemacht,  indessen  braucht  man  immer 
mehr  den  beweghchen  Stuhl  und  Schemel,  die  in  den  verschiedensten 
Formen  gebildet  werden.  Das  beliebteste  Material  bietet  das  Eichen- 
holz, doch  wird  namenthch  zu  grofsen  Schränken  auch  das  Holz  der 
Esche,  das  durch  seine  geflammte  Maserung  sehr  wirkungsvoll  erscheint, 
gebraucht.  Die  Tischplatten  werden  bei  Luxusmöbeln  gern  mit  figürhchen 
Malereien  dekoriert.  Eine  solche  Platte  hat  z.  B.  Hans  Holbein  d.  J. 
gemalt  (jetzt  im  Museum  zu  Zürich).     Auch  die  Platten  des  Solenhofener 

*)  Abgeb.  u.  a.  in  meinem  »Deutschen  Leben  des  14.  u.  15.  Jahrhunderts«. 
Leipzig  u.  Prag  1892.     Fig.  101. 


Im  Mittelalter. 


19 


Kalksteins  finden  Verwendung;  man  pflegt  dann  die  einförmige  Fläche 
dm'ch  eingeätzte  figürliche  Darstellungen  zu  beleben.  Ein  solcher  Tisch 
ist  noch  in  dem  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg  erhalten.  Schreib- 
tische mannigfaltigster  Einrichtung  werden  gefertigt ;  die  Tischler  in  den 
Städten  wie  Hamburg,  Lü-  auvv^ 

beck  führen  den  Namen 
Kontormacher.  Einen  sehr 
wohlerhaltenen  Schreib- 
tisch besitzt  z.  B.  die 
Sammlung  von  Basel. ■^)  In 
den  Zimmern  treffen  wir 
aufser  den  Tischen,  Stüh- 
len und  Bänken  kaum  ein 
anderes  Möbelstück,  höch- 
stens noch  das  Wasch- 
schränkchen  und  dann  die 
gegen  Ende  des  Mittel- 
alters immer  häufiger  ge- 
brauchten Spiegel ,  etwa 
noch  Gemälde,  Porträts, 
Genredarstellungen ,  Hei- 
hgenbilder,  hier  und  da  ^ 
auch  eine  Uhr.  Die  grofsen 
Schränke  sind  in  den  ge- 
räumigen Fluren  oder  in  be- 
sonderen Kammern  unter- 
gebracht. In  den  Speisesälen  dürfen  die  ansehnlichen  Anrichttische, 
Kredenzen,  Büffets  nicht  fehlen,  die  durch  den  Aufbau  des  statthchen 
Silberfferätes  einen  wirksamen  Schmuck  erhalten.  Da  ist  bei  festhchen 
Gelegenheiten  aufgestellt,  was  das  Haus  an  Kostbarkeiten  besitzt :  silberne 
und  vergoldete  Schüsseln,  Kannen,  Flaschen,  Pokale  und  Becher,  die 
zierhchen  Trinkschiffe,  Tafelaufsätze  verschiedenster  Form,  Kunstleistungen 
der  Goldschmiede  und  Emailleure.  Auf  die  Einzelnheiten  wird  bei  der  Be- 
Besprechung der  fürstliclien  Prunkmahle  noch  besonders  eingegangen 
werden.  In  den  Miniaturen,  zumal  der  burgundischen  Buchmalerei,  finden 
\\dr  zahlreiche  Abbildungen  so  reich  geschmückter  Kredenzen. 

Die  Waschschränckchen  waren  in  den  Wohnzimmern  gewöhnhch 
neben  der  Tür  aufgestellt;  auf  einem  niederen  Schrank  stand  die  Wasch- 
schüssel; an  der  Wand  hing  das  zinnerne  oder  kupferne  Wassergefäfs, 
aus  dem  man,  sobald  der  Hahn  geöffnet  war,  das  Wasser  auf  die  Hände 
strömen  liefs;  ein  oft  schön  gesticktes  Handtuch  über  einem  Wand- 
gestell hing  in  bequemer  Nähe. 

In  den  Wohnungen  reicher  und  vornehmer  Leute  ist  der  Kamin 
noch  immer  anzutreffen.  Auf  dem  Borde  desselben  standen  Heiligen- 
figürchen,  waren  Kerzenhalter  u.  s.  w.  angebracht.   Die  Kaminwandungen 


Kamin  in  Saint-Antonin  (Tarn  et  Garonne)  nach  Viollet-le-Duc.) 


')  M.  Heyne,  Kunst  im  Hause.     (Basel  1881).     Taf.  XH. 


20 


I.     Das  Sclilofs  .lor  Fürslon. 


^^.,„.,,,,„  ,,„,,1,  vmWmu-v  anls  r,i.\..W  ,l,'k..r,..-l.  Vor  dem  K.unin  steht 
gowolu.lul,  .■..„.  nüt  Pols,..,-,,  M.-.U-  U:n,k,  .„f  der  d,e  lle,-,-e,.  un,1 
ihro   otvlirlcn   Oästo  Plat/   i\(>luncn. 


i,otischer  Ofen  im  Schlosse  zu  Hohensalzbiirg. 

Wahrend  im  Norden  der  Kai„i,i  l.eliebt  blieb,  hat  ma„  in  Sü.h 
deutschland  den  Ofen  zu  würdigen  gewufst.  Die  Kaolrehi  wurden  mit 
Sfs  Wappen,  DarsteUungen  aus  der  biblischen  Geschichte  oder  der 
Legende  veSert'  und  durclfbu,rte  Emailfarben  f-^t^^^^^^s 
lieh  verstärkt.     Ein    musterhaft    schönes   Beispiel    der    lopferkunst    des 


1.  Im  Mittelalter.  21 

Mittelalters  bildet  der  gelbglasierte  Rieseiiofen  von  1504  in  den  Fürsten- 
zimmern zu  Hohensalzburg.  Einfacher  ist  der  Ofen  in  den  Kaiser- 
zimmern zu  Meran. 

Die  Spiegel  sind  gröfser  als  die  im  12.  und  lo.  Jahrlunidert  zum 
I landgebrauch  bestimmten,  etwa  15,  höchstens  20  cm  im  Durchmesser; 
.jedoch  ist  das  Spiegelglas  nicht  flach,  sondern  konvex  gewölbt,  etwa 
wie  ein  Kugelabschnitt.  Wie  sehr  eine  solche  Form  des  Spiegels  das 
Spiegelbild  verzerren  mufste,  ist  leicht  zu  ermessen,  doch  hat  man  bis 
ins  IG.  Jahrhundert  von  diesen  Konvexspiegeln  Gebrauch  gemacht.  Ein 
wohlerlialtenes  Exemplar  in  dem  Münchener  Nationalmuseum. 

Die  AVände  shid  mit  gewirkten  oder  gestickten  Teppichen  bedeckt, 
die  den  Raum  zwischen  der  Tcäfelung  und  der  Decke  ausfüllen.^)  Zumal 
in  Frankreich  und  in  Burgund  hat  man  während  des  15.  Jahrhunderts, 
mit  diesen  Wandteppichen  einen  grofsen  Luxus  getrieben;  Karl  der 
Kühne  nahm  sogar  in  den  Krieg  prächtige  Vorhänge,  Meisterwerke  der 
niederländischen  Teppichweberei  mit,  die  später  nach  der  Schlacht  von 
Granson  in  <he  Hände  der  Schweizer  fielen  und  heute  noch  im  Berner 
Museum  zu  sehen  sind. 

An  den  mit  Tepi^chen  lu'hängten  Wänden  fand  sich  nur  schwer 
(in  Platz  für  Gemälde.  Und  doch  haben  sich  in  den  Palästen  des 
14.  Jahrhunderts  auch  Staffeleigemälde  befunden,  wie  Inventare  u.  s.  w. 
l»ezeugen.  l)i(\se  Bilder  sind  von  den  tüchtigen  niederländischen  Meistern 
ausgeführt,  die  den  Geschmack  des  Nordens  während  des  15.  Jahr- 
Inmderts  bestinmien ,  von  Jan  van  Eyck  und  seinen  Schülern  und 
Nachfolgern:  Porträts,  Genredarstellungen,  Szenen  aus  der  heihgen 
Geschichte.  In  Italien  malt  Sandro  Boticelli  seine  Primavera  für  den 
Palast  der  Medici,  und  Andrea  Mantegna  schmückt  mit  seinen  Fresken 
<He  Camera  de'  Sposi  des  Lodo\äco  Gonzago  zu  Mantua. 

Die  luxuriöse  Einrichtung  beschränkt  sich  auch  im  späteren  Mittel- 
alter nur  immer  auf  einige  Paradezimmer ,  den  Empfangssaal,  den 
Speisesaal,  etwa  noch  das  Privatkabinett  und  die  Schlafstube  des  Schlofs- 
herrn :  alle  anderen  Räume  müssen  wir  uns  sehr  einfach  möbliert  vor- 
.stellen.  Das  Schlafzhnmer  aber  ist  immer  der  Gegenstand  besonderer 
Pflege  gewesen.  Das  grofse  Familienbett  ist  ziemüch  hoch;  ein  niederer 
Kasten,  in  dem  Wäsche  bewahrt  wird,  dient  als  Staffel,  wie  er  beim 
Aus-  und  Ankleiden  als  Sitz  benutzt  wird.  Entweder  hat  nun,  wie  schon 
gesagt,  die  Bettstelle  einen  festen  hölzernen  Baldachin^)  oder  an  der  Decke 
ist  mit  Stricken  oder  Ankern  ein  viereckiger  Rahmen  befestigt,  der  in 
seiner  Gröfse  den  Dimensionen  des  Bettes  entspricht.  Dieser  Rahmen 
ist  mit  Stoff  überspannt  und  auf  den  drei  freien  Seiten  hängt  er  als 
t'^berschlag  weit  hinunter.  Am  Ralnnen  sind  aber  auch  lang  herab- 
reichende Vorhänge  angebracht,  die  bei  Tage  zusammengezogen  und  in 
einen  Knoten  verschlungen  werden,  des  Nachts  dagegen  das  Bett  völUg 
verhüllen.     Gewöhnlich,    nach    den   Bildern    der  Zeit    zu  urteilen,    sind 


1)  Abb.  z.  B.  bei  Heyne,  Kunst  im  Hause.     Taf.  IH,  IV,  V. 
»)  Ebendas.  Taf.  XI.  —  Deutsches  Leben  Fig.  140,  141. 


22  I-    r)iis  Schldl's  der  Fürston. 

diese    Gardinen    wie    der    ganze    Baldachin     aus    leichtem    Seidenstoff 
gefertigt,  rot  und  mit  grüner  Seide  gefüttert.^) 

In  dem  Schlafzimmer  befinden  sich  gewöhnlich  nur  wenige  Möbel- 
stücke: Laden,  in  denen  Kleider  und  Wäsche  bewahrt  werden-),  ein  mehr 
oder  minder  reich  mit  Schnitzereien  verziertes  Betpult,  hin  und  wieder 
auch  ein  paar  Blumen  in  Töpfen  oder  in  Vasen.  Ein  Andachtsbild, 
wenigstens  ein  Kruzifix  dürfte  wohl  niemals  gefehlt  haben.  Im  14.  Jahr- 
hundert dienen  für  die  Hausandacht  die  aus  Elfenbein  geschnittenen 
Diptychen  und  Triptychen,  die  in  Troj^es  fabrikmäfsig  angefertigt  wurden, 
Elfenbeinstatuetten  der  hl.  Jungfrau  u.  s.  w. ;  die  Minderbemittelten  haben 
kleine  gemalte  Klappaltäre,  die  je  nach  Bedürfnis  geöffnet  und  geschlossen 
werden  konnten.  Aus  dem  15.  Jahrhundert  sind  noch  Prachtstücke 
solcher  Hausaltäre  erhalten ;  ich  erinnere  nur  an  die  beiden  im  Berliner 
Museum  bewahrten  Altäre  des  Rogier  van  der  Weyden,  des  Altares  von 
Miraflores  und  des  Johannesaltares,  dann  an  den  kleinen  Dresdener  Altar 
von  Albrecht  Dürer.  Man  täte  gut,  bei  der  Besprechung  der  mittelalterhchen 
Altarbilder  immer  darauf  zu  achten,  ob  sie  für  den  Gebrauch  der  Kirche 
zur  Aufstellung  auf  einem  geweihten  Altare  bestimmt  waren,  oder  ob 
sie  nur  als  Andachtsbilder  zu  dienen  hatten.  Die  feinere  detailliertere 
Arbeit  war  für  diese  Werke  immer  noch  in  höherem  Grade  geboten. 
Vielleicht  hat  man  auch  Bildnisse  teuerer  Angehöriger  in  der  Schlaf- 
kammer an  die  Wand  gehängt,  die  im  15.  Jahrhundert  so  beliebten  Holz- 
schnitte und  Kupferstiche,  welche  nicht  nur  Heiligenbilder  vorstellten, 
sondern  oft  mit  keckem,  etwas  freiem  Humor  entworfen  waren,  ange- 
klebt oder  mit  Nägeln  angeheftet. 

2.   Schlofs-  und  Palastbau  vom  16.  Jahrhundert  bis  zum  Ende 
des  Dreifsigjährigen  Krieges. 

Durch  die  Vorherrschaft,  welche  der  italienische  Baustil  im^  Laufe 
des  16.  Jahrhunderts  erlangte,  ist  auch  die  Form  der  Palastbauten  w^esent- 
lich  umgebildet  worden.  Die  Bedeutung  der  Fortifikation  tritt  mehr  in 
den  Hintergiimd ;  sind  die  Schlösser,  wenn  sie  auf  dem  Lande  liegen, 
auch  gegen  einen  Handstreich  befestigt,  so  haben  sie  doch  nicht  mehr 
ausschliefslich  als  Festungen  zu  dienen.  Mancher  Dynast,  manche  Ritter 
geben  ihre  auf  den  Bergzinken  erbauten  Burgen  auf  und  erbauen  sich 
am  Fufse  des  Berges  ein  neues,  mehr  behaghches  und  bequemes  Schlofs, 
das  sich  unbeirrt  durch  die  Rücksichten  der  Befestigung  nach  Bedürfnis 
ausdehnen  und  strecken  darf.  In  Frankreich  werden  im  16.  Jahrhundert 
unter  Ludwig  XII.  die  Königspaläste  zuBlois,  Amboise,  unter  Franz  I. 
die  zu  Chambord,  zu  Fontainebleau,  zu  Paris  das  Louvre  u.  s.  w. 
erbaut,  die  Adelsschlösser  zu  Chenonceau,  zu  Azay-le-Rideau,  das- 
von  Jean  BuUant  (c.  1515 — 1578)  für  den  Connetable  de  Montmorency 
erbaute  Schlofs  Ecouen  in  der  Nähe  von  Paris,  das  Palais  der  Diane 
de  Poitiers  zu  An  et  und  zahllose  andere  errichtet,  originelle  Schöpfungen,. 

»)  Deutsches  Leben.     Fig.  136—139. 

2)  Ebend.    Fig.  146—148.  —  M.  Heyne,  a.  a.  0.    Fig.  VIII,  IX,  X. 


2.    Sohlofs-  unil   Falastban  vom  16.  Jalirhnndcrt  etc. 


23 


)^-       1', 


24 


I.    Das  .Schlols  der  Fürsten. 


iu    denen    <lie     Kunstformen 
der    Italiener     mit    den    An- 
sprüchen der  Franzosen  (Tür- 
men ,    Zinnen ,    hohe     steile 
Dächer     mit    Dachfenstern , 
reich  verzierte  Schornsteine^) 
zu  einem   anziehenden   Gan- 
zen verschmolzen  sind.     Das 
ausgezeichnete     Kupferwerk 
des    Androuet    du    Cerceau 
(Les  plus  excellents  hätiments 
de  la  France.    Paris  1576  u. 
1Ö79.)   gibt   uns    in   sehr   in- 
struktiven Abbildungen  eine 
klare   Vorstellung   von    dem 
Aussehen  dieser  Paläste,  ehe 
Zerstörung,  Umbauten  u.  s.  w. 
sie  vernichtet   oder  entstellt 
haben.    Die  unter  der  Regie- 
rung Heinrichs  IV.    entstan- 
denen Schlolsbauten   (Palais 
du    Luxembourg)    sind    viel 
einfach  er,  schmuckloser :  Roh- 
ziegel -  Konstruktionen      mit 
Sandsteinquadern    und   Tür- 
und       Fenstereinrahmungen 
aus    gleichem  Material;    nur 
die      hohen      Schieferdächer 
sind  noch  festgehalten.    Die 
Pracht  der  Innenräume  ent- 
schädigt für  die  Kahlheit  der 
Aufsenarchitektur :  in  der  er- 
sten Hälfte  des  16.  Jahrhun- 
derts hatten  das  Aufs  er  e  und 
das  Innere  der  Gebäude  sich 
noch  völhg  entsprochen. 

Grofse  Repräsentations- 
säle sind  je  nach  Bedürfnis 
in  gröfserer  oder  kleinerer 
Zahl  angelegt,  mit  Marmor, 
Stucco  lustro,  mit  Inintf ar- 
bigen Malereien  aufs  reichste 
ausgestattet.  Im  grofsen  Saale 

0  Über  Sch..rnateine  vgl.  J.  Beckmaun,  Beyträge  zur  Geschichte  der  Erfiu- 
dunoen.  Lpz.  1780  ff.  -  II.  441  ö'.  Er  citiert  Garzoiii,  piazza  universale.  (In  \  enzia 
1610\  der  mitteilt,  dafs  die  «chornsteiiifeger,  Spazzacamnüni,  meist  aus  Obentahen  aus 
der  Landschaft  um  die  Seen  herkommen. 


'2.    Schlul's-   und    Palastliau    vi.iii    1(5.   Jahrhiiudcil    (Mc.  2;") 

des  Stettiner  Schlosses  Avird  mit  neun  Kamiufii  und  iiucli  oinigcu  Öfen  ein- 
geheizt. (Ph.  HaiidioftT.  IJeisetaovl).  KilT.  Balt.  Studien  IL  2.  S.  41.)  Aber 
ganz  l)esonders  eliarakteristiseli  sin<l  die  langen  geräumigen  (lalerien,  in 
denen  der  Hot'  sieh  versanunelte.  Sie  knüpl'en  woli!  an  die  T^auhen- 
gänge  des  12.  und  lo.  .lahrhundert.^^  an.  Aus  i\ov  Galerie  tritt  man 
in  die  weiten  und  hohen  Sidiv  in  denen  die  Könige  selbst  sich  auf- 
hielten. In  den  Galerien  pflegte  man  die  Kunstschätze,  die  man  besafs, 
zur  Schau  zu  stellen,  die  GemäTde,  die  Skulpturen.  So  kann  man  bald 
von  Gemäldegalerien  reden.  Oder  man  liefs  sie  durch  ausgezeich- 
nete Maler  ausschmücken  wie  im  Schlosse  zu  F  on  tai  n  (d)l  ea  u  und  im 
Palais  du  Jjuxembourg,  für  das  Rubens  seine  Gemälde  aus  dem  Leben 
Heinrichs  IV.  schuf.  Stuckverzierungen,  Vergoldungen  und  Malerei 
trugen  dazu  bei,  die  Pracht  dieser  grofsen  Empfangssäle  zu  vermehren. 

Mit  noch  gröfserem  Luxus  sind  die  Räume  ausgestattet,  in  deneü 
der  König  selbst  sich  aufhielt,  die  verschiedenen  Speise-,  Tanz-,  Gesell- 
schaftssäle, das  Schlafzinmier  des  Königs  und  seiner  Gemahlin,  sowie 
der  Angehörigen  des  Königlichen  Hauses.  Architekten,  Bildhauer  und 
Maler  hatten  da  gemeinsam  gearbeitet,  diese  Gemächer  mit  all'  der  Kunst, 
über  die  sie  geboten,  auszuschmücken.  Die  Wände  sind  mit  kostbaren 
Teppichen  behängt,  die  Szenen  aus  der  h(Mligen  und  profanen  Geschichte 
darstellen,  (he. Kamine  werden  mit  Bildwerken  belebt;  nur  eins  fehlt 
nach  unserm  Geschmack:  das  reiche  Ameublement.  Die  Räume  erscheinen 
uns  kahl  und  leer:  einige  Bänke,  wenn  auch  reich  geschnitzt,  Lehnsessel 
für  die  vornehmen  Herrschaften,  Schemel  (Tabourets)  für  die  Damen  des 
niederen  Adels,  selten,  wenn  es  nicht  gerade  die  Notwendigkeit  erheischte, 
ein  Tisch.  Und  d(jch  weifs  der  Tischler  bewunderungswerte  Kunstwerke 
zu  schaffen:  Tischplatten  mit  Intarsien  aus  Elfenbein  und  Ebenholz, 
die  beliebten  Schmuckschränkchen  (Cabinets),  an  deren  Herstellung  oft 
noch  der  Goldschmied  beteiligt  war,  der  die  gravierten  Platten,  die 
Emails  etc.  lieferte.  Die  verschiedenen  kleinen  Luxusschränke  sind  in 
Eichenholz  von  Künstlerhand  geschnitzt,  allein  es  gilt  als  Grundsatz, 
dafs  die  Säle  und  Zimmer  für  die  Besucher  bestimmt  sind  und  nicht 
mit  überflüssigen  ^[öbeln  vollgestopft  werden  dürfen. 

Bei  aher  Pracht  fehlte  in  den  Königsschlössern  manches,  was  uns 
als  unbedingt  erforderlich  erscheint.  Wer  über  diese  Fragen  sich  unter- 
richten will,  findet  in  dem  Anhange  zu  Alfred  Franklins  Kajütel  über 
Hygiene  (La  Vie  Privee  d'autrefois.  Paris  1890)  genügende  Auskunft. 
Hier  mag  nur  darauf  hingewiesen  werden,  dal's  in  den  französischen 
Königsschlössern  und  nicht  minder  in  den  sj)anisclien  eine  uns  unbegreif- 
liche Unsauberkeit  herrsclite,  dal's  die  Besuchei-  sieli  l''i'eiheiten  gestat- 
teten, die  sich  heute  einer  in  dem  ärmsten  Hause  nicht  erlauben  würde. 
Die  Folge  davon  war,  dafs  bei  all'  dem  Luxus  die  Liuune  dei-  Laiäste 
von  üblen  (Jerüchen  erfüllt  erschienen;  die  Leute  wai'en  aber  daran 
gewöhnt  und   fanden   nichts  daran   auszusetz(Mi. 

In  Frankreich  war  die  italienische  Renaissance  durch  den  Hof 
heimisch  gemacht  worden:  die  Bürger  hatten  sich  lange  ablehnend  gegen 
diese   fremdartige   Kunst    gezeigt,    an    dem    heimischen   Stile  festgehalten 


26 


I.    Das  Schlol«  der  Fürston. 


und  z.  B.  noch  im  17.  und  18.  Jalirhundert  den  Dom  in  Orleans  im 
reingotischen  Goschmacke  bauen  lassen :  in  Deutschland  sind  es  zuerst  die 
reichen  Kaufleute,  die  ihre  Stadthäuser  in  dem  neuen  Stile  anlegen  lassen; 
erst  nach  ihnen  wenden  sich  auch  die  deutschen  Fürsten  der  neuen 
Mode  zu.  Sobald  dies  aber  geschehen  ist,  beeifern  sie  sich  alle,  ihre 
engen  und  unbequemen  Wohnungen  in  den  festen  Burgen  mit  lichten, 
geräumigen  und  behaglichen  Palästen  zu  vertauschen.  Nur  der  deutsche 
Kaiser  tut  nichts  für  seine  persönliche  Bequemlichkeit.     Karl  V.  ist  wohl 


Ilof  im  Schlosse  llartenfels  bei  Torgan. 


kaum  je  in  der  Lage  gewesen,  längere  Zeit  in  einer  Stadt  zu  verweilen 
und  so  konnte  ihm  wenig  daran  liegen,  ob  ein  Schlofs  wohnlich  war 
oder  nicht,  allein  auch  Ferdinand  I.  und  seine  Nachfolger  haben  kaum 
etwas  für  ihre  persönliche  Bequemlichkeit  getan.  Dagegen  baut  der 
Kurfürst  von  Sachsen  sein  Schlofs  in  Dresden  im  neuen  Stile  um  und 
legt  bei  Torgau  das  reizende  Schlofs  Hartenfels,  eine  Perle  deutscher 
Frührenaissance  an;  der  Kurfürst  von  Brandenburg  läfst  das  Berliner 


2.   Schlofs-  und  ralastbau  vom  lO.  Jahrhundert  etc.  27 

Schlofs  dem  modernen  Geschmack  gemäfs  errichten,  in  Mecklenburg 
entsteht  das  Schlofs  in  Wismar  und  so  liefsen  sich  Hunderte,  ja  Tausende 
von  Schlössern  —  wenn  wir  die  der  kleinen  Dynasten  und  des  Adels 
mitzählen  —  anführen.  Zuerst  sind  es  italienische  Baumeister  und 
deutsche  Architekten,  die  in  Italien  ihre  Kunst  erlernt  haben,  denen  man 


Treppt'  im  Schlosse  zu  Mergentheim. 


die  Ausführung  jener  Sclilofsljauton  anvertraut,  und  die  von  ihnen  errich- 
teten Paläste  tragen  deshalb  noch  immer  den  Stempel  oberitalionischer 
Kunst ;  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  wird  aber  der  krause  überladene, 
oft  geschmacklose  Stil  Mode,  wohl  durch  niederländische  Einwirkung, 
den  man  bis  vor  kurzem  als  den  der  deutschen  Renaissarice  über  Gebühr 
gepriesen  hat.  Dieser  künstlerische  Schwulst  erinnert  an  den  Stil  des 
sonst  so  geistreichen  Johann  Fischart. 


28 


I.    l^as  Schlols  der  Fürsten. 


Der  deutsche  SeliloCsbau  knüpft  an  die  Burganlagen  an.  Die  liolien 
iiicken  Türme  sind  jetzt  mit  den  Zwiel:>ellielmen  —  der  wälsclien  Haube  — 
bedeckt,  die  Mauern  mit  zahlreicheren  Fenstern  durchbrochen,  und  auf 
deren  Sehmuck  ist  zuweilen  auch  einige  Aufmerksamkeit  verwendet 
worden.  Die  Portale  hat  man  jedoch  fast  immer  mit  Säulen  und  archi- 
tektonischer Gliederung  ausgezeichnet,  Wa])pen,  Porträts  der  Erbauer 
mit  Vorliebe  an  ihnen  angebracht.  Inschriften  durften  nicht  fehlen. 
Die  Dächer  der  Gebäude  sind  hoch,  mit  verzierten  Dachfenstern  belebt. 
Eine  besondere  Vorliebe  hat  man  für  die  Wendeltreppen,  die  ja  auch 
in  Frankreich  kunstreich  angelegt  werden.  Es  genüge,  an  die  schöne 
Stiege  im  Schlosse  Hartenfels  (Torgau)  zu  erinnern. 


Schlofs  AschaffeulnirK  160.^— 1613. 


Ein  vorzüglicher  Repräsentant  dieser  Stilrichtung  ist  das  Heidel- 
berger Schlofs  (Otto-Heinrichsbau,  Friedrichsbau),  das  aber  jedenfalls  in 
der  Ruine  sich  schöner  darstellt,  als  zur  Zeit,  da  es  noch  unverletzt  war. 
Gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  und  in  der  Zeit  bis  zum  Beginne  des 
Dreifsigj ährigen  Krieges  tritt  dann  eine  etwas  schlichtere,  formenstrengere 
Architekturform  hervor  (Schlofs  in  München,  in  Aschaffenburg) 
u.  s.  w.  Eigen  ist  allen  diesen  Schlofsanlagen,  dafs  der  Hof  mit  Arkaden 
umgeben  ist,  die  je  nach  der  Höhe  des  Baues  in  mehreren  Geschossen 
übereinander  sich  erheben.  Diese  offenen  Korridore  vermitteln  den  Zu- 
gang zu  den  Wohnräumen.  Was  in  Italien  allenfalls  sich  als  praktisch 
bew^ährte,  pafste  nach  Deutschland  keineswegs ;  die  Arkaden  waren  zugig, 
feucht,  im  Winter  von  dem  hineingewehten  Schnee,  im  Sommer  vom 
Regen.  Man  hat  da  dem  malerischen  Effekt  die  praktische  Anlage 
geopfert. 


2.    Sclilol's-  und  Palastbaii  vom  16.  Jixhrhundert  etc. 


29 


Betrachten  wir  nun,  welche  Räume  im  1().  und  17.  Jahrhundert  in 
jedem  Schlosse  grüiser  oder  geringer  anzutreffen  waren  ^)  und  folgen  wir 
zunächst  der  Schilderung,  die  Wenck  von  dem  Dresdener  Schlosse  gibt. 
Da  interessiert  uns  vor  allem  die  Kunstkammer  (S.  34),  die  Kurfürst 
August  (1503 — 86)  angelegt  hat  2).  Im  ersten  Saale  sah  man  Goldschmiede- 
arbeiten, Werkzeuge,  Drechslerleistungen,  Instrumente,  Trinkgeschirre; 
ein  gemalter  Stammbaum  hatte  hier  seinen  Platz  gefunden.  Im  dritten 
Saale  waren  Tische,  Schränke,  Kabinette  aufgestellt.  An  den  Wänden 
hingen  Gemälde  von  Albrecht  Dürer,  Tizian,  Tintoretto,  Lukas  Kranach, 
Rubens,  »Concheten«,  (wohl  Gilles  Coignet  in  Hamburg  1540 — 99),  Lukas 
von  Leyden,  »Barmisano«  (Parmeggianino)  etc.  Im  vierten  Saale  fand 
man  mathematische  Instrumente,  Orgeln,  Tubus;  an  den  Wänden  Karten, 


l»er  schöne  Hof  auf  Plafsenburg. 


Zeichnungen.  Saal  V  enthielt:  Spiegel,  gestickte  Bilder,  Porzellangefäfse, 
Porträts  der  Potentaten,  heidnische  Historien  von  Dürer,  Kranach, 
Falckinberg  (Martin  Falkenberg  geb.    zu  Mecheln,  f  z^^  Frankfurt  1636), 

*)  Vgl.  die  trettliche  Schilderung,  die  Hugo  Schmerber  in  seiner  Studie  über 
das  deutsche  Schlofs  und  Bürgerhaus  im  17.  u.  18.  Jahrhdt.   (Strafsburg  1902)  gibt. 

2)  Einen  Überblick  über  den  Inhalt  der  Dresdener  Kunstkammer,  1627  verfafst, 
gibt  uns  Martin  Zeiler  in  seinem  Handbuche  I.  47Ei.  Ausführlich  bei  Ph.  Hainhofer. 
Das  Münchener  Antiquarium  (1611)  schildert  Philipp  Hainhofer  in  seinen  Reisen 
(a.  a.  O.  71),  die  Bibliothek  (81)  und  die  Kunstkammer  (S.  84  ff.)  Auf  die  Besprechung 
der  Gemälde  geht  er  aV)er  nicht  ein  und  gedenkt  ihrer  nur  beiläufig,  viel  mehr 
interessieren  ihn  die  Kuriositäten.  Dagegen  erwähnt  er  die  »Conterfett,  sonderlich  in 
der  höhin  der  Bäpst  und  grofser  Potentaten  Conterfette  «  Das  Sammeln  von  Bild- 
nissen war  damals  überaus  beliebt;  die  Fürsten  tauschten  ihre  Porträts  miteinander 
aus.  Eine  sehr  grofse  Sammlung  besafs  Erzherzog  Ferdinand  in  Ambras.  Diese  noch 
im  kaiserlichen  Museum  zu  Wien  bewahrte  Kollektion  hat  Kenner  im  Jahrb.  d.  Kunst- 
eamml.  d.  ah.  Kaiserhauses  eingehend  geschildert. 


3Q  I.    Das  Schlofs  der  Fürsten. 

Rarmasen,  Schürer  (?).  Saal  VI :  Naturalien,  indianische  Arbeiten;  an 
den  Wänden  Jagden,  Conterfaite.  Saal  VII:  Statuen  von  allerhand 
Material  ^> Michel  Angelo  Buonarotta,  Johann  de  Bolognia,  Paul  von 
Vian  (Vianen  aus  Utrecht,  berühmter  Ciseleur  des  17.  Jahrhunderts),  Carl 
de  Caesar  (?),  (Adrian  de)  Friese,  Walther,  Hegewald,  Hilliger« ;  Arbeiten 
aus  Elfenbein,  Kirschkernen,  Uhren.  Ferner  die  zwölf  römischen  Kaiser 
von  Tizian  und  Landschaften  der  Niederländer  und  Polen  (?).  Die  Lust 
am  Sammeln  von  Raritäten  aller  Art,  und  zu  ihnen  zählten  auch  die 
Kunstwerke,  ist  in  jener  Zeit  allgemein  verbreitet.  Fürsten  wie  Bürger 
legen  Kunstsammlungen  an,  der  eine  kostbarer,  der  andere  bescheidener. 
Bekannt  ist  die  Kunstsammlujig,  die  Erzherzog  Ferdinand  1523 — 95  im 
Schlosse  Ambras  bei  Innsbruck  zusammenbrachte,  sowie  die  des  Kaisers 
Rudolf  IL,  welche  er  auf  dem  Hradschin  zu  Prag  aufstellte  und  die 
Sammelleidenschaft  des  bayerischen  Kurfürsten  Maximilian,  anderer 
weniger  bedeutender  Kunstliebhaber  gar  nicht  zu  gedenken.  Aber  wie 
gesagt,  auch  die  Kunstwerke  wurden  mehr  ihrer  Seltenheit,  ihrer  sonder- 
baren Form  wegen  geschätzt,  zählten  zu  den  Raritäten,  wie  die  ge- 
schnitzten Kirschkerne  und  andere  Künsteleien,  wie  die  Versteinerungen, 
Mifsgeburten,  Edelsteine,  Erzstufen  und  was  mehr  da  vorhanden  war, 
nicht  zu  vergessen  die  von  den  hohen  Herren  und  ihren  Verwandten 
gedrechselten  Kunstwerke.^)  Die  Künstler  des  16.  Jahrhunderts  hatten 
häufig  ihre  Stoffe  der  römischen  Mythologie  entnommen,  imi  schöne 
nackte  Männer  und  Weiber  malen  zu  können.  Das  erregte  schon  damals 
den  Zorn  der  Ultramontanen.  Der  treffüche  Arzt  von  Hall  in  Tirol, 
Hippolyt  Guarinonius -),  kennt  recht  wohl  die  Künstler  seiner  Zeit  und 
der  Vergangenheit;  er  spricht  (S.  231)  von  Christoif  Schw^artz  und  von 
Tutianus  und  Tintoretus,  wie  Fischart  in  seiner  Geschichtskhtterung 
(S.  17)  an  Gestalten  erinnert  »wie  sie  Dantes  in  der  fegfewrigen  Höllen 
beschreibet,  Jott  (Giotto)  und  Michelangel  im  Jüngsten  Gericht  malen.« 
Aber  das  Nackte  ist  dem  braven  Guarinonius  sehr  verdächtig  »allhier 
ein  jeder  verstendiger  gar  leicht  erachten  unnd  schätzen  kan,  was  von 
jenen  Gesellen  zu  halten,  welche  die  guten,  keuschen  Gottsehgen  Ge- 
mähln,  die  uns  an  Zucht  und  Ehr,  an  tugent  und  frombkeit,  eyfer  und 
andacht  mahnen  und  antreiben,  in  ihren  Kirchen.  Häusern,  Zimmern, 
ja  vor  ihren  Augen  nit  leyden  mügen,  sonder  trewlofs  und  verlogener 
weifs  für  Abgöttisch  schelten  und  aufsschreyen,  die  nackenden  Weibs 
oder  Manns  gemahln  aber,  die  Gottlosen,  Heydnischen.  verfluchten, 
Hurischen,  entblösten  Venus,  Götzen  und  Bilder,  das  nackend  blind 
Hurenkind  Cupido,  die  nackenden  Pallades,  Junones,  Fortunas,  die 
nackenden  Göttin,  so  sich  waschen  und  baden,  und  ein  jede  besondere 
Leibsgebärden  zu  mehrer  anzeigung  thun,  die  abenthewrischen  unkeuschen 

')  Der  Herzog  von  Pommern  zeigt  1617  Hainhof  er  ein  Castrum  doloris  Impera- 
toris  Eudolphi  gloriosae  memoriae  von  einem  Mailänder,  der  zu  Stettin  lebt,  gearbeitet, 
eine  wandelnde  Prozession,  im  Fufse  ein  Musikwerk,  in  den  vier  Ecktürmen  das 
Leben  Christi  und  die  vier  Kardinaltugenden.  Ein  Paradies  »in  ain  grosen,  runden 
oben  zugespizeten  (ilafs«  (Ph.  Hainhofer,  Reisetagel)    —  Balt.  Studien  H.  2.  S.  41.) 

*)  Die  Grewel  der  Verwüstung  menschlichen  Geschlechts  etc.  Jngolstadt 
1610. 


2.    Schlofs-  lind  Palastbau  vom  16.  Jahrhundert  etc.  31 

Satyros,  die  Heydniscben  Huren  und  Ehebrecherin  Latonam,  Ledam, 
welliche  von  dem  Abgott  Jove  in  gestalt  eines  Schwans  beschlafi'en,  und 
ander  tausenten  Kebfs  und  unschambaren  Weiber  gemähl,  die  mügen 
diese  Gesellen  wohl  allenthalben  leyden  und  seynd  nicht  Abgöttisch,  die 
sein  wol  recht  und  billig,  die  sein  wol  lustig,  bässierlich  und  ehrlich«. 
(IL  c.  20.  S.  225.) 

Guarinonius  weifs  nicht,  dafs  die  allerkatholischeste  Majestät, 
Philipp  IL  von  Spanien,  mit  Vorliebe  solche  Bilder  gesammelt  hat;  er 
ist  so  von  Eifer  erfüllt,  dafs  er  noch  einmal  seinem  Zorn  Luft  machen 
mufs.  »Inmafsen  ich  unter  andern  aulf  dem  ansehenlichen  Reichstag 
Anno  1597  zu  Regenspurg  in  meiner  Jugend  gesehen  und  uns  etliche 
Jüngling  nit  wenig  darob  geärgert,  daselbst  ein  Kunstführer  (der  aber 
verstehe :  ein  Brunstführer)  unter  andern  vilen  unschambaren  Gemahlen 
etlich  Taflen  mit  Lebens  Gröfs  Bilder,  daselbst  die  Eheleute  gantz  ent- 
blöfster  ein  ander  auff  dem  Schofs  sassen  und  die  üppigsten  Kufs  und 
Gebärden  anzeigten,  benebens  der  Cupido  mit  einer  brennenden  Fackel 
beystunde,  als  were  solche  Fackel  fax  Hymenae.(^  Der  gröfste  Teil  der 
Kunstfreunde  jedoch  war  nicht  der  Ansicht  des  frommen  Tirolers ;  selbst 
Kaiser  Rudolf  fand  an  den  oft  recht  freien  Gemälden  seiner  Hofmaler 
Bartholomäus  Spranger  und  Josef  Heintz  Wohlgefallen. 

Im  Dresdener  Schlosse  befand  sich  über  der  Kunstkammer  seit 
1616  die  Anatomie,  in  der  man  ausgestopfte  Tiere  sah  (Wenck  39)  und 
die  Bibhothek  (41.) 

Von  den  Festsälen,  von  den  kurfürstlichen  Privatgemächern  spricht 
Wenck  gar  nicht,  erwähnt  aber  als  zum  Schlosse  gehörig  das  in  nächster 
Nähe  gelegene  Kantzley-Haus  (50),  das  von  Christian  1586  begonnene 
Stallgebäude  mit  der  Rennbahn  (53),  die  Rüst-  und  Sattelkammer,  das 
Zeughaus,  erbaut  1559—63  (S.  62),  das  Jägerhaus  1568—1617  (S.  65), 
das  an  Stelle  des  Ballhauses  1664  errichtete  Komödienhaus  (S.  68),  das 
Ballhaus  von  1668  (S.  69),  die  Hof-Apotheke  1581  —  1609  (S.  69),  die 
Hofbrauerei,  das  Goldhaus  (Probierhaus  S.  70),  das  Reithaus  von  1618, 
abgebrochen  und  1672 — 77  neu  gebaut  (S.  71),  das  Schiefshaus  von  1620, 
(neu  gebaut  1672 — -73),  das  Münzgebäude  von  1556,  Löwenhaus  1612^), 
Klepper-  (Kutschpferde-)  Stall,  Proviant-Haus  von  1588,  Inventions-Haus, 
das  Boy-Haus,  der  Pulverturm,  das  Salzhaus,  Giefshaus,  Rofsmühle  (die 
für  die  Besatzung  mahlt  (S.  72),  das  Lusthaus  von  1617,  die  Laboratoria, 
wo  der  sächsische  Marmor  geschliffen  wird,  das  Kuffen-,  Wagen-,  Frau- 
Mutter-Haus  (S.  73),  der  Kurfürstin  Haus  1612  und  das  Amts-Haus  (S.  74) 

')  In  München  wird  ein  Löwenpaar  gehalten,  das  man  tägUch  mit  22  Pfund 
Kindfleisch  füttert  (Ph.  Hainhofer  a.  a.  0.  S.  81).  Schon  die  Fürsten  des  Mittelalters 
hatten  seltene  Tiere  gern  besessen,  sie  sogar  bei  ihren  Reisen  mit  sich  geführt  (Hof. 
Leben  ^I 450  ff.)  Die  liebe  der  französischen  Monarchen  zu  merkwürdigen  Tieren  hat  Alfr. 
Franklin  in  den  beiden  Bänden  Les  Animaux*  X  u.  XX  seiner  Vie  privee  d'autrefois 
(Paris  1897  und  1899)  gescliildert.  Bereits  Heinrich  I  besafs  eine  Menagerie ;  Philipp 
August  hatte  in  Vincennes  eine  Tiersammlung.  Aus  Vincennes  wurden  die  Tiere  zur 
Zeit  Ludwigs  XHI.  nach  Versailles  gebracht.  Ludwig  XIV.  erljaut  ein  grofsartiges 
Menageriegebäude.  Die  Pariser  durften  am  Sonntage  der  Pfingstwoche  dieselbe  besich- 
tigen. Im  Oktober  1789  wurde  sie  geplündert,  die  Tiere  in  den  Jardin  des  Plantes  gebracht. 


.•i2 


I.     It:is  t^olilols  ,lc>r   Kiirstc 


Zum  Besitze  des  Kurfürsten  t^clHirt  dünn  noeli  das  Kurl'ürstl. 
CJartenhaus  und  Fasan  Haus,  der  Kurl'ürstl.  Fischhof,  l)lnineuii;arten, 
italienische  (larten,  dci-   l'^ilkcnliof  etc.  (S.  84.) 

Die  Mehrzahl  dieser  (iehäude  hat  für  uns  kein  Ix^sonderes  Interesse; 
es  genügt,  ihr  Vorhandensein  festzustellen.  Indessen  einige  Bauten  haben 
auc-h    eine    gewisse    künstlerisehe   l^edculunu-,      N'on    den    Ballhäusei-n,    in 


LJkUt  STUlTiiAlfT 


Lustha\is  zu  Stuttgart. 


denen  das  Ballspiel  als  gesunde  kräftigende  Leibesübung  betrieben 
wurde,  wird  später  noch  zu  sprechen  sein,  und  die  Koniödienhäuser  sind 
erst  spät  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  errichtet  worden,  dagegen 
gehören  der  Zeit  vor  dem  Dreii'sigjährigen  Kriege  noch  die  Lusthäuser^) 

')  Das  älteste  Lusthaus  in  Deutschland  ist  wohl  das  Belvedere  zu  Prag,  das 
Paolo  della  Stella  für  Ferdinand  I.  c.  1534  begonnen  hat,  eines  der  wenigen  Gebäude 
dieser  Art,  die  noch  unverletzt  ei'halten  sind.  Das  neue  Lusthaus  in  Stuttgart  1580 
bis  1593  durch  Georg  Beer  erbaut,  ist  1846  abgebrochen  worden,  um  Platz  für  das 
neue  Theater  zu  schaffen.  Wenigstens  hat  man  genaue  Pläne  des  Bauwerkes  auf- 
genommen, so  dafs  man  sich  von  demselben  doch  noch  eine  klare  Vorstellung 
machen  kann. 


2.    Schlols-  und  Palastbau  vom  16.  Jalirliunflort  etc. 


33 


an,  die  bestimmt  waren,  als  Schauplatz  von  Maskeraden  und  Unter- 
haltungen aller  Art  zu  dienen.  Die  Säle  des  Schlosses  waren  mehr  für 
die  offiziellen  Festfeiern  berechnet;  im  Lusthause  finden  «lio  intimeren 
Unterhaltungen  der  Hofgesellschaft  statt. 

Das  Dresdener  Lusthaus  auf  der  Jungfernbastei  ist  nach  Lübke 
unter  Christian  L  (1586 — 91)  begonnen,  nach  1617  vollendet  worden;  ein 
Bhtzschlag  zerstörte  dies  prächtige  Gebäude  1747.  Schon  vorher  war 
im  grofsen  Garten  ein  neues  Lusthaus  (1679 — 80)  erbaut  worden.  Dies 
Palais  ist  bekanntlich  heute  noch  vorhanden. 


Lusthaus  im  grofsen  Saale  zu  Dresden.     Saaluiisichl. 


Was  nun  die  Einrichtung  der  Schlösser  anbelangt,  so  ist  dieselbe 
von  dem  Einflüsse  der  italienischen  Architekten  nur  wenig  berührt 
worden.  Sie  ist  im  grofsen  ganzen  dieselbe,  wie  sie  im  15.  Jahr- 
hundert gewesen  war,  nur  dafs  die  Zierformen  dem  modernen  Geschmacke 
zu  entsprechen  hatten.  Es  bleibt  die  Vorliebe  für  die  Holztäfelung  der 
Wand.  Sie  reicht  höher  hinauf  als  früher,  bedeckt  oft  die  ganze  Wand- 
fläche bis  zur  Decke  und  ist  architektonisch  reich  gegliedert  mit  Säulen, 
Pflastern,  mit  Simswerk  aller  Art,  oft  auch  wie  in  dem  Schlosse  der 
Brixener  Fürstbischöfe  in  Velthurns  (1580—87)  mit  kösthchen  Intarsi(>n 
geschmückt.  Die  Decke  ist  mit  Stuckornamenton  belebt;  Vergoldungen 
und  Bemalung  tragen  dazu  bei,  den  Effekt  zu  erhöhen.  Oder  die  Holz- 
decke der  Säle  und  Zimmer  ist  mit   kräftigen,    oft  recht  schwerfälligen 

Schultz,     Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  3 


34 


I.    Das  Schlofs  der  Fürsten. 


Täfelungen  geschmückt.  Ein  Prachtstück  dieser  aherdings  überladenen, 
aber  doch  wärksamon  Innenarchitektur  bietet  uns  der  goldene  Saal  des 
Schlosses  Bückeburg. 

Wo  man  keine  Vorhebe  für  die  Holztäfelungen  der  Wände  hatte, 
weil  hinter  der  Verschalung  sich  leicht  Mäuse  und  Ratten,  Ungeziefer 
aller  Art  einnisteten,  da  verwendet  man  Wandteppiche  wie  der  Bischof 
von  Eichstätt  Johann  Konrad  von  Gemmingen  bei  dem  von  Ehas  Hol! 
geleiteten  Neubau  des  Schlosses  Wilibaldsburg,  in  der  Kapelle  wollte 
»nichts  täfern,  \il  weniger  durch  Zug  und  Balcken  darein  richten,  sonder 
allein  Gesümbs  und  tapezereyen  darein  zu  henckhen«.i) 


Lusthaus  im  grofsen  Garten  zu  Dresden. 


In  Lauingen^)  und  in  München  selbst  hatte  man  die  Herstel- 
lung künstlerisch  trefflicher  Wandteppiche  wohl  gelernt.  Der  spätere  Kur- 
fürst Maximihan  I.  hatte  1604  eine  Teppichfabrik  unter  Leitung  des 
Jan  de  Biest  gegründet.  Schon  1615  wurde  indessen  der  Betrieb  der- 
selben wiederum  eingestellt.  1613  sah  Hainhofer  im  Schlosse  zu  München 
die  seiden-  und  goldgewirkten  Tapeten,  die  12  Monate  und  bayerische 
Historien,  beide  in  dieser  Fabrik  gewirkt  (a.  a.  0.  210).  Das  Münchner 
Nationalmuseum,  vor  allem  aber  die  kgl.  Schlösser,  enthalten  noch  vor- 
züghche  Proben  dieser  von  Wilhelm  V.  gepflegten  Industrie.  Andere 
Wandteppiche  bezog  man  aus  den  Niederlanden,  wo  diese  Kunst,  wie 
bekannt,  schon  seit  langer  Zeit  eine  Heimstätte  gefunden  hatte. 


»)  Phil.  Hainhofers  Reisen  etc.  (1621)  hgg.  v.  Chr.  Häutle. 
Ver.  f.  Schwaben  u.  Neuburg.  VIII.     Augsb.  1881.     S.  25. 

2)  Eugene  Müntz.    La  Tapisserie.     Paris,  Quantin.     S.  a. 


Ztschr.  d.  Histor. 


2.    Öchlols-  und  Palastbau  vom  16.  Jahrhundert  etc. 


35 


Die  Malerei  nahm  man  bei  der  Ausschmückung  der  Paläste  gleich- 
falls in  Anspruch.  Cj'riakus  Spangenberg  klagt  in  seinem  Hoffarts- 
Teuffel  (fol.  CCCLXXII^)  über  die  »Welsche  arbeyt  von  gebeuwen, 
gemälden«,  über  »Welsch  und  Niederländische  gemälde«  und  in  der 
Abtei,  welche  Gargantua  baut  (Fischart,  Geschichtskhtterung  446),  waren 
schöne  Galerien  und  »umbgäng,  welche  auff  beiden  selten  mit  schönen 
Historien,  emblematis,  einplümungen ,  De^dsen,  Medeien  (Medaillen), 
zeychen,  Thaten  und  geschichten  auff  gut  Michelangehsch,  Holbenisch, 
Stimmerisch ,  Albrechtdürerisch ,  Luxmalerisch  ,  Bockspergerisch ,  Jost 
Ammisch  bemalet  war,  wie  der  Königin  Haufs  zu  London.«  Michel- 
angelo, Hans  Holbein  d.  J.,  Albrecht  Dürer  sind  bekannt.  Tobias 
Stimmer  wurde  1539  zu  Schaffhausen  geboren  und  starb  1582  in  Strafs- 
burg.     Luxmaler  ist  wahrscheinhch  Lukas  Kranach.     Hans  Bocksberger 


Schlofs  Heiligenberg.    Saal. 


aus  Salzburg  war  als  Fassadenmaler  berühmt,  und  Jost  Amman,  geboren 
zu  Zürich  1539,  gestorben  in  Nürnberg  1591,  galt  als  der  hervorragendste 
Illustrator  seiner  Zeit. 

Wenn  auch  verwahrlost,  finden  sich  auf  dem  Schlosse  Trausnitz 
bei  Landshut  (in  Bayern)  noch  Reste  der  reizenden  farbigen  Aus- 
schmückung, in  Sälen  und  Zimmern,  auf  der  mit  Karnevalsbildern 
gezierten  Narrentreppe.  Unter  den  Malern  ist  Friedrich  Sustris,  ein 
Niederländer,  zu  nennen,  der  1579 — 1580  auf  der  Trausnitz  beschäftigt  war. 

Besonders  trug  dazu  bei,  die  Festräume  statthcher  auszustatten,  der 
Umstand,  dafs  man  es  gelernt  hatte,  gröfsere  Glasscheiben  herzustellen. 
Noch  waren  sie  allerdings  sehr  teuer,  aber  Fürsten  konnten  sich  diesen 
Luxus  schon  gestatten.  So  ist  Ph.  Hainhofer  (a.  a.  0.  S.  29)  1611  ganz 
begeistert  auf  der  Wilibaldsburg  von  »den  schönen   hellen  fenstern  von 


36  I-    l"'as  Schlols  (IcM-  Fürsten. 

grossen  Crystallinen  gläsern  (dass   es    imi    <\('v  stiilx'ii    stlicinet,    es   s{\\>- 
nichts  vor,  und  dass  man  mit  dem   Kopf  will  dardurc-li  aulsfahren).« 

Zahlreiche  Gemächer  sind  in  cincni  [''ürstenschlosse  des  16.  Jahr- 
hunderts unbedingt  erforderlieh:  Vorsäle,  in  denen  die  Trabanten  und 
Wachen  sich  aufhalten  —  in  München  ^A^ar('n  zwei  solche  Säle  zu  durch- 
schreiten, im  ersten  standen  100  Trabanten,  im  zweiten  100  Karabiner, 
ehe  man  in  das  Gemach  kam,  in  dem  der  Herzog  seine  Räte  empfing 
(Ilainhofer  a.  a.  O.  S.  59),  dann  folgen  die  Speisesäle,  die  Gesellschafts- 
räume, die  Schlafzimmer  der  Herrschaft  und  ihrer  Angehörigen.  Audi 
für  Fremdenzimmer  war  reichlich  gesorgt.  »Die  Gastzimmer  gelm  (im 
neuen  Münchener  Schlosse)  mehrer  theils  inn  hof  der  lenge  nacheinander 
hinab,  allzeit  die  stuben  mit  schönen  öfen  und  die  Cammern  an  einander: 
jedes  gemach  hat  noch  ein  Junges  gemächlein,  darein  bagagi  zubehalten. 
Alle  Zinnner  gehen  durch,  immer  ainss  inss  ander,  und  hat  iedes  noch 
seinen  aussgang  auf  einen  langen  gang.  Es  hat  auch  iede  thür  inn 
die  durchgehende  Zimmer  zwen  rigel,  auf  dass  wenn  mehr  herrschaften 
einlosieret  sein,  iede  Ihr  Zimmer  gegen  der  andern  könde  verschlossen 
halten  und  nit  dann  auf  dem  gang  zusammen  kommen«  (Hainhof er 
a.  a.  O.  69).  Herzog  Maximilian  beherbergte  in  seinem  Schlosse  nur 
Fürsten ,  kaiserhche  und  königliche  Gesandte ,  die  andern  Gesandten 
wurden  gegenüber  dem  Schlosse  im  Gesandtenhaus  einquartiert  (ebendas. 
S.  77);  für  hohen  fürstlichen  Besuch  richtete  man  besondere  Staats- 
gemächer ein  (ebendas.  S.  210). 

Dann  baute  man  gern  zur  Erlustigung  zumal  im  heifsen  Sommer 
Grotten,  die  aus  rohen  Steinen  aufgetürmt,  durch  fliefsendes  Wasser 
kühl  gehalten,  mit  Tannen  bepflanzt,  eine  Art  W^ildnis  vorstellten, 
natürhch  nur  eine  höfisch  zulässige  Naturwüchsigkeit.  In  dem  neuen 
Bau,  der  von  Wilhelm  V.  1578  erbaut  wurde  und  in  dem  der  Herzoge 
auch  seit  seiner  Abdankung  residierte,  der  jetzigen  Maxburg  in  München, 
sind  die  Zimmer  des  Fürsten  weifs  gemalt  oder  mit  Strohtapeten  bedeckt, 
die  Fenster  mit  Tenten  (wohl  Marquisen)  versehen,  »dafs  die  Sonnen 
nit  hinein  kan  und  doch  der  lufft  durch  gehet«  (P.  Hainhof  er  a.  a.  O. 
S.  62).  Die  Grotte  aber  ist  von  Felsen  erbaut,  mit  Tannen  und  anderen 
Bäumen  bepflanzt;  aus  dem  Felsen  quillt  ein  Quell,  der  einen  Fisch- 
weiher bildet.  Bleierne  Schlangen,  Kröten,  Krebse  liegen  im  Wasser. 
Die  Decke  ist  aus  Reisig  und  Gesträuch  geflochten.  Das  ist  die  ->wild 
ächtige  construction«.  In  der  Wand  steckt  ein  Zapfen  ;  wenn  man 
den  herauszieht,  sieht  man  den  Stadtturm  und  kann  auf  dessen  Uhr 
die  Stunde  erkennen  »und  ist  dises  dafs  Merckhzeichen  diser  grottenx. 
Über  dem  Wasser  ist  eine  kleine  Loggia,  ein  Brett  liegt  auf  Klötzen, 
und  zwölf  Stühle  aus  Stroh  und  Reisig  stehen  für  die  Besucher  bereit 
(Ph.  Hainhofer  a.  a.  0.  S.  64  ff.). 

Das  Ameublement  der  fürsthchen  Gemächer  ist  von  seltener  Pracht. 
In  dem  Speisesaale  ist  an  der  langen  Tafel  der  Platz  des  regierenden 
Herrn  durch  den  Baldachin  bezeichnet  (Ph.  Hainhofer  S.  59),  in  einer 
andern  Tafelstube  ist  im  Tische  ein  Musikwerk  verborgen ;  man  braucht 
nur    einen    der   Nägel    herauszuziehen,    dann    setzt    sich    die    Walze    in 


2.    Schlofs-  und  Palastbau   vom  16.  Jahrhundert  etc. 


37 


Bewegung  und  so  kann  man  verschiedene  Stücke  spielen  lassen  (ebend. 
8.  69).  In  den  Gesellschafts-  und  Wohnräumen  standen  die  kostbaren, 
mit  seltenem  Geschmack  hergestellten  Tische,  deren  Platten  mit  Malereien 
wie  die  von  Hans  Sebald  Beham  für  den  Kardinal  von  Brandenburg 
1534  ausgeführten  (jetzt  im  Louvre  zu  Paris),  mit  Holzintarsien,  mit 
Einlagen  von  Silber  und  Elfenbein  in  Ebenholz  verziert  waren.  Im 
17.  Jahrhundert  weifs  man  die  Platten  aus  Steinmosaik  (pietra  dura)  zu 
schätzen,  die  in  Florenz  so  ausgezeichnet  angefertigt  wurden.  Wahre 
Kabinettsstücke  des  Kunsthandwerks  sind  damals  von  den  Nürnberger 
und  Augsburger  Tischlern  und  Goldschmieden  geschaffen  worden.  Einige 
Proben  sind  noch  heute  in  dem  Nationalmuseum  zu  München,  im 
historischen  ^lusemn  zu  Dresden  zu  finden.  Aber  die  eigenthchen  Kost- 
barkeiten sind  längst  zu  Grunde  gegangen.  Einen  so  künstlerisch  ver- 
zierten Schreibtisch,  mit  silbernen  Figuren,  gravierten  und  emaillierten 
Silberplatten,  Gold  und  Edelsteinen  verziert,  ein  Werk  des  Augsburger 
Goldschmiedmeisters  Jungmayer,  besafs  1611  der  Fürstbischof  von  Eich- 
stätt,  Johann  Konrad  von  Gemmingen;  er  kostete  6000  fl.,  ein  zweiter 
Schreibtisch  aus  desselben  Meisters  Werkstätte  war  2000  fl.  wert  (Hain- 
hofer  a.  a.  O.  S.  28  u.  32). 

Aufser  den  für  den  })raktischen  Gebrauch  bestimmten  Möbeln,  zu 
•<lenen  auch  die  Kabinette  zu  rechnen  sind,  da  man  in  ihnen  Kostbarkeiten, 
Perlen  und  Edelsteine,  Medaillen  und  kleinere  Kunstwerke,  Schmuck  etc. 
bewahrte,  liebte  man  besonders  die  für  eine  bestimmte  Person  und 
ihren  Geschmack  angefertigte  Kunstleistungen.  Zu  dieser  Art  von 
Kunstwerken  ist  der  berühmte  Pommersche  Kunstschrank  zu  zählen, 
der  unter  Leitung  des  hier  schon  so  oft  genannten  Phihpp  Hainhofer 
für  den  Herzog  Philipp  IL  von  Pommern  1617  in  Augsburg  angefertigt 
wurde.  Der  Schrank  kam  durch  Erbschaft  1681  an  den  Kurfürsten 
von  Brandenburg  und 
befindet  sich  jetzt  im 
Kunstgewerbe  -  Museum 
in  Berlin.  Juhus  Lessing 
hat  in  dem  Jahrb.  der 
kgl.  priv.  Kunstsamm- 
lungen IV,  S.  3,  Berl. 
1883  und  V,  S.  42,  145, 
Berl.  1884,  eine  aus- 
führliche Beschreibung 
dieses  Meisterstückes 
deutschen  Kunsthand- 
werks gegeben.  Zu 
diesen  Kabinettstücken 
<ler  Kunstindustrie  sind 
auch  die  elfenbeinernen 
Münzschränke  zu  zäh- 
len, die  ühristophAnger-  Holzschnitt  aus  der  Hypncrotomat-hia  des  Poliphilus 

mayer  (f  1633)  1618  für  (venetüs,  awus  Mamuius,  1499.) 


38  I-    l^^s  Schlols  der  Fürston. 

Maximilian  von  Bayern  anfertigte  (Nationalmus.  zu  München).  Endlich 
wäre  noch  der  jetzt  verlorene  Meierhof  zu  nennen,  den  Hainhofer  für 
seinen  pommerschen  Gönner  ausführen  liefs.  So  wurde  im  16,  Jahr- 
hundert und  vor  dem  l)eginne  des  Dreirsiujährigen  Krieges  das  profane 
Kunstgewerhe  in  Deutschland  von  den  Fürsten  und  allen,  die  es  ihnen 
nachtun  wollten,  so  tatkräftig  und  nachdrücklich  gefördert,  wie  dies 
weder  vorher  noch  s])äter  je  geschehen  ist. 

Das  riau])tmöl)el  in  den  Schlafzimmern  ist  das  grofse,  geräumige 
Bett.  Der  Betthimmel  wird  entweder  aus  Holz  konstruiert  und  zeigt 
dann  ein  von  vier  Säulen  getragenes  Hauptgesims  oder  die  Säulchen 
tragen  einen  mit  Stoff  überzogenen  Baldachin.  Vorhänge  haben  wohl 
nie  gefehlt.  Die  Betten  sind  Meisterstücke  der  Tischlerkunst,  mit 
Schnitzereien  verziert,  vergoldet,  gemalt,^)  aus  Ebenholz  mit  Alabaster- 
einlageu  gefertigt  etc.  In  den  Kammern  stehen  dann  die  grofsen, 
architektonisch  aufgebauten,  mit  Intarsien  geschmückten  Schränke,  die- 
kleinen  geschnitzten  oder  mit  sonstigen  Zieraten  dekorierten,  auf  hohen 
Fülsen  stehenden  Stollenschränkchen,  Truhen  und  Laden  aller  Art.  Die 
blank  verzinnten  Beschläge  geben  allen  diesen  Einrichtungsstücken  einen 
eigenen  Glanz  und  Reiz. 

In  Norddeutschland  bleiben  auch  jetzt  noch  die  Kamine  beliebt 
und  manche  derselben  sind  durch  die  geschmackvolle  Gestaltung  des 
Mantels  zu  wahren  Kunstwerken  geworden ;  im  Süden  liebt  man  mehr 
die  Öfen,  deren  buntemaillierte  Kacheln  mit  ihren  Reliefs  dazu  beitragen, 
den  farbio-en  Effekt  der  Räume  wirksam  zu  erhöhen.  »Inn  einer  stuben 
daran  steht  ain  schöner,  vilfärbiger,  von  Hafenwerk  künstlich  gemahlter 
ofen,  an  welchem  der  gantze  passion,  schöne  Mayenkrüeg  und  diser 
ofen  wol  zu  sehen  ist;:  (Hainhofer  a.  a.  O.  106).  In  den  Gewerbemuseen 
findet  man  zahlreiche  Proben  der  Töpferkunst  jener  Zeit. 

Die  Wände  der  Säle  und  Zimmer  aber  sind  noch  mit  Gemälden^ 
Spiegeln,  Wandleuchtern  u.  s.  w.  belebt. 

Besonders  hatte  man  seine  Freude  an  schönen  Bildnissen  der 
Vorfahren,  seiner  Angehörigen  und  Freunde,  ja  seinen  eigenen  Porträts. 
Albrecht  Dürer  hatte  den  Kurfürsten  Friedrich  den  Weisen,  den  Kaiser 
Maximilian  gemalt.  Bernhard  Strigel  war  einer  der  Hofmaler  Maximilians. 
Wie  viele  Bilder  der  sächsischen,  brandenburgischen  Kurfürsten  sind 
aus  der  Werkstätte  Lukas  Kranachs  d.  Ä.  hervorgegangen.  Die  Mark- 
grafen von  Baden  hatten  an  Hans  Baidung  Grien  einen  ausgezeichneten 
Bildnismaler.  In  Bayern  arbeitete  Barthel  Beham,  der  unter  anderen 
Werken  das  schöne  Porträt  des  Pfalzgrafen  Otto  Heinrich  (Augsburg) 
geschaffen  hat.  Dafs  eine  Menge  zum  Teil  recht  tüchtiger  Porträtmaler 
im  16.  Jahrhundert  in  Deutschland  tätig  waren,  ist  ja  allgemein  bekannt. 
Dann  aber  waren  es  mythologische  Darstellungen,  die  der  hohen  Gesell- 
schaft jener  Zeit  gefielen  und  die  in  den  Sälen  eine  gern  gesehene  Zier 
bildeten.  Allerdings  auf  diesem  Gebiete  hatte  Deutschland  wenig  Meister 
aufzuweisen,    man    mufste    schon  mit  den  Arbeiten  des  Lukas  Kranach, 


*)  Hainhofer  a.  a.  O.    106:    Inn   der  Camnaer  steht   ein  stattliche  Betstatt,  alle» 
vergalt  und  mit  schönen  gemahlen  gezieret. 


2.    Schlöfs-  und  Palastbau  vom  16.  Jahrhundert  etc.  39 

des  Hans  von  Aachen,  des  Josef  Heinz  fürlieb  nehmen,  wenn  man 
nicht  die  Werke  niederländischer  Meister  wie  des  Franz  Floris  oder  des 
Bartholomäus  Spranger  A^orzog.  So  viel  steht  fest,  sowohl  an  protestan- 
tischen wie  an  katholischen  Höfen  sah  man  gern  schöne  Menschen- 
gestalten, bekleidet  so  wenig  wie  möglich. 

Auf  den  Fluren  und  Korridoren  legten  zahlreiche  Jagdtrophäen, 
besonders  mächtige  Hirschgeweihe,  von  den  Erfolgen  der  fürstlichen 
Ximrode  Zeugnis  ab.  Auch  gemalte  Jagdstücke,  wie  sie  z.  B.  der  ältere 
Kranach  in  seiner  Jugend  schuf,  fanden  da  ihren  Platz. 

Der  wirksamste  Schmuck  des  Speisesaales  ist  das  grofse,  in  mehreren 
Staffeln  aufgebaute  Büffet,  die  Kredenz,  auf  der  die  goldenen  und 
silbernen  Tafelgeräte  prangten:  Die  grofsen  sil])ernen,  oft  vergoldeten 
Schüsseln,  mit  getriebenen  Reliefs  oder  mit  gravierten  Darstellungen 
oft  vergoldet  oder  emailliert,  die  Handbecken  und  die  zugehörigen  Giefs- 
kannen.  die  mannigfaltig  gestalteten  Trinkgefäfse,  riesige  Deckelpokale, 
Humpen  und  Becher,  gravierte,  mit  Silber  montierte  Nautilusbecher, 
Meisterwerke  deutscher  und  niederländischer  Goldschmiedekunst. 

Besonders  hervorzuheben  wären  die  kunstvoll  ausgeführten  Tafel- 
aufsätze, von  denen  nur  überaus  wenige  noch  vorhanden  sind.  Zu  den 
schönste]!  Proben  gehört  der  Tafelaufsatz  aus  der  Werkstätte  des  Wenzel 
Jamnitzer,  der  ehedem  der  Stadt  Nürnberg  gehörte,  dann  im  Besitz  des 
Bankiers  Merkel,  später  des  Barons  Karl  Rothschild  in  Frankfurt  a.  M.  war. 

Die  damalige  Zeit  hat  eine  entschiedene  Vorliebe  für  etwas  zwei- 
deutige Darstellungen;  solche  Gebilde  erregten  nicht  nur  keinen  Anstofs 
sondern  wurden  auch  von  Männern  wie  von  Frauen  gern  gesehen. 
Fischart  deutet  nur  an,  welch  sonderbare  Formen  man  den  Trink- 
geschirren gegeben  hat.  »Wifst  ihr  nicht,  wie  ihr  zu  Zeiten  seit  bei 
höfischen  zecheu  geAvesen,  da  man  euch  zu  einem  Willkomm  mit  einer 
schönen  kälichfecundeten  Red  ein  schön,  grofs  gebeuchet,  wunderfremd 
gebofsiret,  schrecklich  trinkgeschirr ,  welches  die  Lateiner  futile  vas 
heisen,  forgestellet,  das  man  gleich  alle  teuer  und  platten  vor  euch  hat 
müsen  wegräumen,  und  darnach,  wann  man  in  die  sprüng  kommen, 
die  mutwilligste  Geschirr  herfür  gesucht:  Als  gedichte  Armprost,  Jung- 
frauschülin.  silberl)eschlagene  Bundschuh,  gewachtett  stift'el.  Polnische 
Sack})feitt'('n,  Bären,  Leyren,  Lantenküljel,  Kübel,  Lauten,  Narrenkappen, 
beknöpft't  Tolchen,  Windmülen,  Sauärs,  Lastwagen,  Lastschiff,  nackende 
Megdlein,  Bübelein,  Hänlin,  Gifsfässer,  hafen,  onruhige  Lufftvogel, 
gemese  Dannzapffen,  die  nicht  stehen  sine  ponere,  sondern  gehn  wollen, 
Feusthammer,  Weinfewr  speiende  Büchsen  und  andere  dergleichen  seh  öne 
muster«  (Geschichtsklitterung,  N.  Ausg.,  S.  18). 

Unzweideutiger  spricht  sich  Guarinonius  über  diese  Sitte  aus 
(S.  711).  Die  Vollsaufer  haben  ;?Bestiahsche  Trinckgeschirr  ihnen  aus- 
erkoren und  anstatt  der  Gläser,  der  Crystallen,  der  silbern  Becher  auis 
den  Filtzhüten,  Stümpffen,  Schuhen,  Handschuhen,  Stiften,  Ja  (0  zarte 
Kurtzweil)  auis  den  Bruntz-  und  Saichkachlen  und  dergleichen  schönen 
lustigen  Gefässen  einander  zutrincken.«  Er  fügt  hinzu,  »dafs  die  Sauff- 
geschirr  selbsten  Bestien  seyn,  da  man  ja  zu  solcher  bestiahschen  Übung 


4Q  I.    l>:is  Sichlols  der  Fürsten. 

cbon  Gesellin-  in  Bestien  Form  sonders  Fleils  dar/Ai,  wie  man  bey  den 
Goldschmiden  allerley  Form  findet  und  anfrünibt  als  Beeren,  Löwen, 
Eulen,  Katzen. ;  Er  bezeichnet  »als  die  vierte  Bestialitet,  dafs  nit  allein 
in  Form  dei'  Bestien,  sondern  aueli  der  Überbestien  die  Trinck- 
^esehirr,  Gläsern,  Erden  und  Silbern  gemacht  und  mit  solcher  Unscham- 
barkeit  gebraucht  werden,  dafs  sich  ehrliche  Augen  darob  rümpffen  und 
«las  Angesicht  erröten  mufs.  Solche  schöne  Form  der  Sauffgeschirr  ich 
seham  halber  nit  nennen  dart¥  noch  solle.«  An  einer  anderen  Stelle 
(S.  228)  klagt  er  darüber  »das  man  in  den  Gärten,  in  Lustheusern  und 
last  allenthalben  !)ey  den  Bronnen  die  nackenden  Abgöttinen  und  zu  aller 
Kurtzweil  sogar  auff  Trinckgläsern  und  andern  Geschü-ren  haben  mufs.  Als 
etwan  der  Gottlofs  Hehogabalus  pflegte,  wellicher  auff  seinen  silbern  und 
güldenen  Geschirr  die  aller  unschambarsten  Bildnussen  hat  stechen  lassen, 
<lamit  sambt  unter  dem  sauffen  der  üpingkeit  nit  vergessen  werde.«  i) 

Auch  die  protestantischen  Sittenprediger  eifern  gegen  den  Luxus 
der  kostbaren  Geschirre.  Cyriacus  Spangenberg  kommt  in  seinem  »Hof- 
farts-Teufel«  mehrmals  auf  diese  Verschwendung  zurück.  Er  tadelt 
Theatr.  diabol.  (fol.  CCCCXLV'')  »den  grossen  pracht  und  uberflufs  mit 
den  seltzamen,  sonderlichen,  grossen,  prechtigen  trinckgeschirren,  die 
mehr  zum  pracht,  aufs  fürwitz,  zum  schaw  und  schein,  Jtem  aufs  lauter 
unartiger  fleischlicher  wollust  als  aufs  noth  und  zur  notdurfft  gebraucht 
werden,  Als  denn  jetzt  auch  seyn  die  grossen  weiten  Kannen,  Gleser, 
Becher  hoch  und  weit,  dafs  man  sich  darinne  baden  und  erseuffen 
möchte..;  Und  weiter  (fol.  CCCCXLIX^):  »Ihr  trincket  den  guten  Wein 
nicht  aufs  gemeinen  trinckgefessen,  sondern  jr  habet  ewre  sonderhche 
Schalen  darzu,  gleich  wie  wir  jetzund  die  grossen  silbern  Kannen,  becher, 
.seltzame  schöne  Gleser  etc.,  das  noch  alles  wol  hingienge,  denn  man 
mufs  ja  etwas  haben,  daraufs  man  trincket.  Aber  wozu  dienet  der  fürwitz 
und  Kindische,  Heydnische ,  auch  wol  zum  theil  Sewische  Wollust, 
dafs  man  seufEt  aufs  Theereimern,  hüten,  sehnen  etc.  Item  dafs  man 
macht  Armborste,  Büchsen  zu  trinckgeschirren  .  .  .  Item  man  macht 
rocken,  weiffen,  spindein  und  andere  Weibische  dinge  daraufs  man 
seuffet  .  .  .  Item  Schuch  und  Stifel  macht  man,  daraufs  zu  trincken.« 
(fol.  CCCCL*').  Zu  solchem  geprenge  dienen  nu  fast  wol  hohe,  weite 
Silberne  und  Güldene  Becher,  Kannen  und  was  mehr  ist,  die  da  weid- 
lich umb  den  Tisch  her  gehen,  dafs  wo  jr  10.  über  Tisch  sitzen  15. 
oder  20.  Becher,  Kannen,  Gleser  und  ander  beyleufferlein  für  in  stehen, 
solt  nu  das  nicht  demut  seyn,  fo  weifs  ichs  nicht.  Fürsten,  Herrn  liesse 
man  wol  billich  jren  schätz  an  solchem  geschmeide,  wenns  gleichwol  eine 
masse  wer(\  alzu  grossen  pracht  und  uberflufs  mit  solchen  dingen  ist 
auch  nicht  recht,  sonderüch  wenns  Fürsten  dem  Keyser,  und  Graffen  den 

1)  A'gl.  Brantome,  oeuvres  (Par.  1787).  —  Dames  Galantes  (des  cocu.s)  S.  35 :  J'ay 
connu  un  Prince  de  par  le  monde,  qui  fit  bien  mieux,  car  il  achepta  d'un  orfevre 
une  fort  belle  couppe  d'argent  dore,  comme  i)Our  un  chef  d'ceuvre  et  grande  speciaute, 
.  .  .  oü  estoient  taillees  bien  gentiment  et  subtilement  au  burin  plusieurs  figures  d'Aretin, 
de  l'homme  et  de  la  femme,  et  ce  au  bas  etage  de  la  couppe;  et  au  dessus  et  au 
liaut  plusieurs  aussi  en  diverses  manieres  de  cohnbitations  de  bestes  .  .  .  Cette  couppe 
estoit  l'honneur  du  buffet  de  ce  Prince.  —  Das  Weitere  mag  man  nachlesen. 


2.    Schldl's-  lind  I'alastbau  vom  16.  .Tahrhun<lert  etc.  41 

Fürsten,  die  schlechten  gemeinen  Edelleut  den  Graffen  und  der  Bürger 
dem  Edehnann  und  schier  der  Bawr  dem  Bürger  wi\  nachthun ;  das 
taug  warhch  gar  nicht  und  ist  Unordnung  und  schedhch  am  gut  und 
macht  haffs  bey  den  höhern.«  Matthaeus  Friderich  hat  als  Anhang 
seines  Sauffteuffels  (lööö)  einen  »Sendbrieff  an  die  vollen  Brüder',  ver- 
fafst.  Da  lesen  wir  (Tlieatr.  diabol.  fol.  CCCXXXIIf^) :  »So  braucht  man 
auch  nicht  mehr  gebührliche  und  gewöhnliche  Trinckgefäfs,  sonder  aufs 
Schüsseln,  Töpffen,  Saltzirichen,  Kel'snepffen,  Becken,  Handbecken,  Hand- 
fessern,  Fischpfannen,  Kacheln.  Item  aufs  Hüten,  Schuhen  unnd  so 
noch  was  ärgers  ist,  feuift  man  einander  zu.  Unnd  ich  achte,  so  es  noch 
lenger  stehen  sol,  so  werden  sie  einander  aufs  Seutrögen  (so  es  anders 
nicht  geschehen  ist)  zusauffen  .  .  .  Also  hat  man  auch  den  Willkomm 
erfunden,  damit  man  die  Leut  empfahen  und  den  lieben  Gast  (dem  man 
kein  andere  Ehr  kan  thun,  man  mache  jn  denn  als  ein  Sauw  voll)  wil 
irölich  machen,  den  darff  keiner  nidersetzen,  er  saufft  jn  denn  zu  vor 
gar  aufs.«  Wie  grofs  aber  diese  Willkommsbecher  waren,  zeigt  eine 
Geschichte,  die  Hans  von  Schweinichen  S.  91  erzählt:  »(1576)  Auf  den 
Morgen  gab  der  Graf  (Johann  von  Nassau  in  Dillenburg)  mir  den  Will- 
kommen. Wann  ich  aber  den  ersten  Abend  das  Lob  hatte  bekommen, 
dafs  ich  des  Herrn  Grafen  Diener  alle  vom  Tische  hätte  weggesoifen,  wollt 
sich  der  Graf  (jedoch  heimlich)  an  mir  rächen  mit  dem  Willkommen, 
welcher  von  3  Quarten  Wein  war.« 

In  den  fürstlichen  Schatzkammern,  in  den  Museen,  zumal  in  den 
Gewerbemuseen  sind  noch  die  geringen  Überreste  dieser  Fülle  von 
Edelmetall  anzutreffen;  der  überwiegend  gröfsere  Teil  ist  längst  ein- 
geschmolzen und  zerstört  worden. 

Neben  den  Gold-  und  Silbergefäfsen,  die  einst  die  Kredenzen  fürst- 
licher Paläste  schmückten,  sind  noch  hervorzuheben  die  köstlichen  Email- 
geräte: Waschbecken  und  Giefskannen,  Doppelbecher,  Konfektschalen, 
Kuchenteller  etc.  aus  den  Werkstätten  der  Meister  von  Limoges.  Deutsche 
Adelsfamilien  bestellten  da  ihren  Bedarf  an  Geräten  und  liefsen  auch  ihr 
Familienwappen  auf  dieselben  malen.  So  finden  sich  im  Münchener  Na- 
tionalmuseum Emaillen  mit  dem  Wappen  der  Familie  von  Tucher. 

Glasgefäfse  fehlten  nicht,  deutsche  Fabrikate;  die  grofsen  Past- 
gläser, mit  dem  Wappen  des  Reichs  und  seiner  Kurfürsten,  mit  oft 
recht  unzweideutigen  Darstellungen  verziert,  Trinkgefäfse  in  abenteuer- 
licher Form  u.  s.  w.  Thomas  Platter  erzählt:  »Hernach  koufft  uns  ein 
gutter  Frind  Heinrich  Billing  ein  glafs,  was  geformiert  wie  ein  stifell«.^) 

Kostbarer  aber  sind  die  venezianischen  Trinkgläser  (.1.  Fischart, 
Gesell. -Klitt.  S.  74),  wunderbar  fein  geblasnu'  Meisterwerke,  diese 
Flügelgläser,  Millefiori-,  Petiiietgläser,  die  schon  im  16.  Jahrhundert  als 
sehr  kostbar  galten.  Hans  von  Schweinichen  war  1575  mit  seinem 
Herrn  zu  Augsburg  Ijei  Marcus  Fugger  eingelad(Mi.  »Es  war  ein  Cre- 
denztisch  aufgeschlagen  durch  den  ganzen  Saal,  der  war  mit  goldenen 
Credenzen  besetzt  und  merklichen  schönen  Venedischen  Gläsern,  welches, 

')  Thomas  und  Felix  Platter,  zwei  Autobiographien,  hg»,  v.  A.  Fechter.  Basel 
1840.     S.  69. 


42 


I.     l>aK  Sclilnls  «Um-   Kürston. 


wie  man  tiagt't.  weit  über  ciiK^  'l'omic  (ioldcs  würdig-  sein  sollte  Ic-li 
stund  .1.  F.  G.  (llircM-  l'^ürstliflicn  (liuidcn)  vor  (I(mii 'rraid<.  Nun  nab  «Icr 
Herr  Fnji'gcr  .1.  V.  (J.  fin  Willkoiniiifii ,  wi^ldics  von  dem  scluinstcu 
Vonedisi-liiii  ( d;is  ein  Si'hilV  war,  küiistlicii  gcnuichl.  Wie  ich  es  nun 
vom  Srluiuktiscli  iirlinu'  und  ülici'  den  Snal  gclic,  lialto  ich  neue  ScIuiIih 
an    und   uh'ili'.    I'alir   niillrn    im  Saal   auf  den    Kiickiai.   uiiTsc  mir  den  \\'(Mn 


David  ToMiiers  d.  .1.  Markt  (Teilstück).     (Münclu'ii,  Alte  l'inakolhek. 


auf  den  Hals,  und  weil  ich  ein  neu  roth  dannnastc^n  Kleid  anhatte,  ward 
es  mir  gar  zu  Scliaden.  Das  schöne  ScliifE  aber  ging  auch  in  viel 
Stücke.  Ob  nun  wohl  unter  der  Hand  und  männiglich  ein  grofs  Ge- 
lachter ward,  so  ward  ich  doch  hernach  bericht,  dafs  Herr  Fugger 
gesaget,  er  wolle  dasselbi'ge  Schiff  mit  100  Gulden  gelöset  habenc 
(hgg.  V.  H.  Österley,  Breslau  1878,  S.  77).  Noch  im  17.  Jahrhundert  er- 
freuten sich  die  venezianischen  Gläser  der  wohlverdienten  Beliebtheit; 
ein    Gemälde  David  Teniers  d.  .T.    in    der   Münchener  Alten  Pinakothek 


2.    Schlofs-  und  Palastlmu  vom  16.  Jahrhundert  etc. 


43 


(Saal  V,  No.  923)   zeigt  uns,  dafs   diese  gebrechliehen  Kunstwerke  selbst 
auf  Jahrmärkten  feilgeboten  wurden.^) 

Kostbarer  als  die  Glasgefäfse  waren  die  aus  Bergkristall  gearbeiteten 
Geschirre,  die  dann  von  Künstlern  mit  Reliefs,  Ornamenten  aller  Art,  er- 
haben oder  vertieft  ge- 
schnitten, verzieret,  von 
Goldschmieden  in  Gold 
und  Silber  montiert 
wurden.  Lange  Zeit 
verstand  man  das  Glas 
nicht  so  klar  wie  den 
Bergkristall  herzustel- 
len. Als  man  gegen 
Ende  des  16.  Jahrhun- 
derts endlich  auch  die- 
ses lernte,  verlieren  die 
Kristallgefäfse  an  Wert. 
Die  böhmische  Glasin- 
dustrie wird  unter  Ru- 
dolf IL  ins  Leben  ge- 
rufen ;  tüchtige  Stein- 
schneider leiten  die 
Glasschleifer  an. 

Besonders  wertvoll 
erschienen  die  aus  dem 
Hörn  des  Rhinozeros 
geschnittenen  Trinkge- 
fäfse,  die  in  Gold  mon- 
tiert, mit  Edelsteinen 
und  Emaillen  deko 
riert,^)  schon  deshalb  S(  > 
teuer  bezahlt  wurden, 
weil  man  glaubte,  dal's 
in  einem  so  kostbaren 
Becher  eine  Vergiftung 
des  Trunkes  sofort  zu 
erkennen  sei.  Und  vor 
der  Giftmischerei  hatte 
man  im  16.  u.  17.  Jahr- 
hundert eine    vielleicht  lUMidrik  von  Baien,   Der  Winter.    i.Miincben,  Alte  l'inakothek.  i 

Übertriebene,  aber  doch 

auch   gegründete    Furcht.     (Vgl.   Ph.  HainlioIVi'    Ucisclageb.    1617.    Balt. 

Stud.  II,  2,  S.  30.)     Endlich   wären  noch  die  farbonj)räclitigen   Majoliken. 


*)  Vgl.  auch  das  Gemälde  von  Hendrik  van  P.alen.  Alte  l'inakotlu-k,  Cahinet  XTIl, 
No.  711. 

^)  Abo;,  z.  B.  in  meiner  Einführung?  in  das  Studium  der  neueren  Kun.st<ieschichte- 
Prag  etc.     1887.     Taf.  VI. 


44 


I.    Das  Schlofs  <lor  Fürsten. 


7.U  nennen,  die  aus  Italien  eingeführt  wurden.  Diese  Schüsseln  und  Teller, 
Vasen  und  Kannen  sind  wohl  kaum  in  Gebrauch  genommen  worden,  waren 
immer  nur  dazu  bestimmt,  als  Anrksame  Dekorationen  7A\  dienen.  Wurden 
sie  aber  wirklich  verwendet,  dann  dienten  sie  nur  als  Kuchenschüsseln, 
Konfektschalon  u.  s.  w.  Auch  solche  Kunstwerke  haben  die  reichen 
Leute  in  Deutschland  in  Italimi  eigens  für  sich  bestellt  und  mit  ihren 
Wappen  zieren  lassen.  Das  Germanische  Museum  zu  Nürnl^erg  besitzt 
z.  B.  zwei  Urbino-Teller,  die  das  Wappen  der  Familie  von  Kreis  zeigen. i) 

Seit  man  gelernt  liatte,  das  Tafelglas  durch  Blasen  herzustellen, 
waren  auch  gröfsere  riansi)iegel  angefertigt  worden.  Docli  mufsten  die- 
selben immer  noch  in  bescheidenen  Dimensionen  gehalten  sein,  da 
gröfsere  Scheiben  bei  dem  Blasen  zu  dünn  und  deshalb  zu  gebrechhch 
wurden.     Die  besten  Si)iegel  bezog  man  aus  Venedig  und  Murano. 

Mit  der  Beleuchtung  war  es  aber  noch  immer  sehr  schhmm 
bestellt.  Zwar  hingen  von  den  Decken  schön  geformte  Kronleuchter 
herab-),  waren  Stand-  und  Wandleuchter  in  Menge  vorhanden,  doch 
konnte '  immer  nur  die  Frage  sein,  ob  man  Wachskerzen  verwenden 
^^ollte  —  und  die  waren  selbst  in  jener  Zeit  sehr  teuer  —  oder  ob  man 
sich  mit  Talghchtern  liegnügte.  Talglichter  aber  konnte  man  auf  den 
Kronleuchtern  schon  aus  dem  Grunde  nicht  brennen,  weil  es  da  nicht 
möghch  war,  sie  ■  mit  der  Lichtputze  (abbreche)  immer  rechtzeitig  zu 
.■schneuzen.  Bei  grofsen  Festlichkeiten  mag  das  Schlofs  wohl  von  zahl- 
losen Wachskerzen  erleuchtet  gewesen  sein,  für  gewöhnhch  begnügte 
man  sich  mit  einfachen  Talglichtern.  Man  war  noch  zu  Beginn  des 
19.  Jahrhunderts  nicht  gewöhnt,  grof^e  Ansprüche  zu  machen.  In  der 
Familie  der  späteren  Malerin  Caroline  Bardua  wurde  nur  ein  Licht 
gebrannt,  bei  dem  die  Mutter  las,  die  Töchter  arbeiteten;  nur  wenn 
Besuch  kam,  zündete  man  zw^ei,  ja  vier  Talglichter  an.=^) 

Zu  einem  deutschen  Fürstenschlosse  des  16.  Jahrhunderts  gehörten 
unbedingt  stattHche  Kehereien.  »Also  was  hilfft  mich« ,  sagt  Fischart  einmal 
in  seiner  Geschichtsklitterung,  »wann  man  mir  das  grofseFafs  auf  dem 
Schlofs  zu  Thübingen,  die  Kellerei  zu  Seh  äff  hausen  und  die  Berg- 
gebärnde  alte  Fuder  zu  Murbach  weiset,  wenn  man  mir  nicht  auch  Wein 
vom  heifsen  Sommer  daraufs  also  zu  versuchen  gibt,  dafs  ich  die  Keller- 
stig  nicht  mehr  finden  kan:  wiewol  die  Leut,  die  es  eim  weisen,  selbs 
so  verstendig  sein  und  wissen,  dafs  einer  den  Babst  nimmer  on  ein 
zwenfingerigen  Herrgottsesehgen  segen  sihet.  Ich  weifs  wol,  wie  es 
dem  Poeten  (Nicodemus  Frischlin  1547—1590)  gieng  auff  der  Hochzeit 
zu  Studgarten,  im  Kellerstüblin,  da  ihm  das  new  Fafs  anlacht,  welchs 
hielt  der  Fuder  zwenzig  siben,  welche  im  recht  die  Reiff  antrieben. 
Grandgusier  liefs  auch  einen  Weinkeller  in  einen  Felsen  hawen,  in 
welchem  er  ethch  tausend  Fuder  Wein  ohn  Fafs  erhielte,  besser  als  ein 

1)  A.  V.  Essenwein,  kunst-  und  kulturgescliichtliehe  Denkmäler  des  Germanischen 
Museums  o.  0.  u.  J.  (1877),  Taf.  LXXXXII,  vgl.  auch  Taf.  LXXXXI. 

»)  Ebend.  Taf.  LXXIII. 

ä)  Jugendleben  der  Malerin  Caroline  Bardua  (1781—1864),  hgg.  v.  Walter  Schwarz. 
Breslau  1874,  S.  43. 


3.    Die  Schlofsgärten  im  16.  Jahrhundert.  45 

Bischoff  von  Würtzburg,  der  solches  auch  unterstünde,  oder  der  zu 
Trier  auff  dem  Schlofs  Ehrnbrechtstein«.  Es  gab  berühmte  Kellereien 
in  Penig  (Sachsen),  Landshut  (Bayern),  Würzburg,  den  Schlofskeller 
zu  Königsberg  (Preufsen),  zu  Friedberg  in  der  Wetterau,  den  Spital- 
keller zu  El'slingen.  Grofse  Fäfser  zeigte  man  in  Heidelberg^),  Grü- 
ningen bei  Halberstadt,  auf  den  Schlössern  zu  Tübingen^)  und  Königs- 
stein^)  (Sachsen),  in  der  Pleifsenburg  zu  Leipzig,  im  Kloster  Erbach, 
im  Bischofsschlofs  zu  Speier  (M.  Zeiller,  Hdb.  I,  441). 

Die  meisten  Schlösser  der  kathohschen  Fürsten  sind  mit  besonderen, 
für  die  Religionsübung  der  fürstlichen  Familie  und  ihres  Hofstaates 
bestimmten  Kapellen  versehen;  auch  in  den  Palästen  protestantischer 
Herrscher  fehlten  sie  selten.  Sie  sind  bei  den  Katholiken  reich  mit 
kostbaren  Reliquien  aller  Art  ausgestattet,  mit  Geräten  von  künstlerisch 
vollendeter  Form  versehen.  Hainhofer  schildert  (a.  a.  0.  S.  67)  die 
Schlofs-  und  die  reiche  Kapelle  des  Münchener  Schlosses.  Die  herr- 
hchen  Kunstarbeiten  der  reichen  Kapelle  sind  bekanntlich  noch  heute 
zugänglich.  Ein  Prachtstück  ist  die  aus  Gold  und  Edelsteinen  gefertigte 
Reiterstatue  des  hl.  Georg,  die  unter  Herzog  Wilhelm  angefertigt,  unter 
Maximihan  verändert  worden  war.  Die  Edelsteine ,  Diamanten  und 
Rubine  wurden  auf  60000  Gulden  geschätzt  (Hainhofer  a.  a.  O.  S.  69 
und  loT).  Ein  Kunstwerk  aus  Gold,  Email,  Edelsteinen,  ähnhch  dem 
berühmten  goldenen  Röfsl  zu  Altötting,  aus  Frankreich  stammend  und 
Anfang  des  15.  Jahrhunderts  gefertigt,  besafs  die  Jesuitenkirche  zu 
Ingolstadt.  Es  stellte  die  hl.  Jungfrau  dar,  zu  deren  Füfsen  ein  Ritter 
kniete  (Hainhofer]  a.  a.  0.  S.  173).  Dies  seltene  Denkmal  altfranzösischer 
Emaillierkunst  wurde  1801  eingeschmolzen. 

3.   Die  Schlofsgärten  im  16.  Jahrhundert. 

Aus  den  Abbildungen  in  Androuet  du  Cerceaux  schon  genannten 
Werke  »Les  plus  excellents  bätiments  de  la  France«  kann  man  über 
das  Aussehen  der  Schlofsgärten  einiges  erfahren.  Die  Anlage  zeigt  uns  das 
in  regelmäfsige  geometrische  Figuren  zerlegte  Gartenareal,  wenige  Bäume, 
dagegen  ausgedehnte  überwachsene  Laubengänge.  Häufig  hat  man  Irr- 
gärten, Labyrinthe,  angeordnet,  deren  Wege  von  hohen  Laubwänden 
eingefafst,  in  den  im  Innern  ausgesparten  Räum  und  aus  demselben 
wieder  hinausführten.  Verschnittene  Baumhecken  und  Bäume,  bunt- 
farbige Teppichbeete  sind  im  holländischen  Geschmacke  angelegt. 

Und  ähnlich  sind  die  deutschen  Gärten  angeordnet,  ebenso  steif, 
mit  den  gleichen  Laubengängen  etc.  So  zeigt  uns  die  Abbildung 
den   von    Salomon    de    Gaus    entworfenen    Schlofsgärten     zu     Heidel- 

')  Das  Heidelberger  Fafs  ursprünglich  1591  unter  dem  Pfalzgrafen  Johann  Casimir 
erbaut,  dann  unter  Kurfürst  Karl  Ludwig  (1617 — 80)  erneuert  und  1728  wiederhergestellt. 
Curios.  (Vulpius)  Vn.  52.  —  Abb.  von  1608  im  Kulturg.  Bilderb.  TU.  N.  1521. 

2)  Curios.  vn.  54. 

^)  Ebend.  Vn.  53.  Aufserdem  im  Schloiskeller  zu  Asch  äffen  bürg  und 
Würzburg,  im  Kloster  zu  Salmansweiler. 


46  I-     '^;i^  Schldls  (lor  Fürsten. 

berg.-')  In  dersellx'n  Art  wai-cii  auch  tlirSclilolsuiu-tcu  in  München  entworfen, 
die  uns  iraiiiholer  l»esclir(Ml)t.  Immcii  I  lauptschniuck  dieser  Oärton  bilden 
die  zabhHMi'hen  in  ihnen  aufgestellten  bronzenen  und  marniornen  Figuren, 
die  mit  wiMlstMu  Saiul  bestreuten  We^e,  die  mit  Steinen  und  Hecken 
eingel'aisttMi  Beete,  di(>  W'asserheeken,  Sin'iii^brunnen  (S.  73  jPE.).  In  dem 
Garten  dvv  Herzogin  Marie  Maximiliane  sind  l'ünl'  Sommerhäuser.  »Imm 
vierten  Sommerhauis  ist  ain  br(>tt;  wann  man  ainen  vexieren  will,  stellt 
niaii  Ihn  darauf  und  W(MS(>t  ihm  inn  der  lu'die  die  gemählte,  ain  anderer 
ihut  ein  ti'itt  auf  ain  eisen,  dardurch  dafs  brett  ledig  wird  und  ihn 
hinunder  inn  das  wasser  schuplTt,  dals  er  bils  über  die  Knüe  darinnen« 
{S.  108).  In  dem  Garten  steht  dann  noch  ein  Lusthaus,  das  einen  mit 
Gemälden  geschmückten  Saal,  eine  heizbare  Stube,  eine  Kammer  ent- 
hält. In  einem  Nel)enhause  ist  das  »FraAvenzimmer«  untergebracht. 
Eine  Voliöre  für  Vögel,  ein  Pfauengarten,  Ställe  für  Geflügel,  Hunde, 
sin  ainem  Sommerhaus  springt  ain  röhr  Kasten  mit  50  Röhren,  hat 
ein  hübsch  Wildbad  daran  und  ist  ein  lustiges  wesen  zur  recreation« 
(S.  106). 

Im  Garten  des  Bischofs  von  Eich  statt  sah  Hainhof  er  1611  »Rosen, 
Lilien,  Tolepon«  (S.  25),  im  Münchener  Schlofsgarten  »auf  stöckhen 
schöne  grofse  nägelscherben  (d.  h.  Blumentöpfe  mit  Nelken)  stehen  mit 
Ihren  Umbrelen  oder  hütten  für  die  Sonne  und  dafs  Wetter«  (S.  73).  Die 
Tulpen  sollen  von  Busbeck  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  in  Deutsch- 
land eingeführt  und  zuerst  in  Prag  kultiviert  worden  sein.  Konrad 
Gessner  sah  1559  die  erste  Tulpe  im  Garten  des  Augsburger  Senators 
Heinrich  Herwart  (Curios.  V,  348),  der  zwei  Jahre  vorher  die  Zwiebel 
aus  Konstantinopel  erhalten  hatte  (Curios.  III,  363,  Beckmann,  Beitr. 
z.  Gesch.  d.  Erf.  I,  223  II,  549).  Die  Tuberosen  sind  erst  1594  aus 
Indien  nach  Europa  gekommen,  die  Kaiserkrone  kennt  schon  Clusius 
(Charles  Lecluse  1525 — 1609),  ebenso  die  Amaryllis  (ebend.  III,  296  ff.). 
Berühmt  waren  die  Gärtner  Vespasien  Robin,  der  im  Dienste 
Heinrichs  IV.  von  Frankreich  stand,  und  Emanuel  Sweert,  der  die 
Gärten  KaiserRudolfs  IL  pflegte. 2) 

In  dem  Garten  am  Stettiner  Lusthause,  »welcher  sehr  grofs,  mit 
gar  langen  gruen  überzogenen  Gängen  oder  pergolis  (under  welchem 
man   auch   mit  der  Kutschen    fähret  und   wegen   ihrer  Länge   hüpsche 


*)  Kulturg.  Bilderbuch  IV.  N.  2055  Stich  von  Matth.  Merian.  —  Einen  Garten  in 
der  Vorstadt  von  Heidelberg  hinter  der  Peterskirche  legte  Otto  Heinrich  ebenfalls  an, 
ebenso  in  Weinheim.  Curios.  II.  238.  —  Garten  am  Lusthause  zu  Stuttgart,  gest.  von 
Matth.  Merian.  Kulturg.  Bilderbuch  HI,  N.  1586.  —  S.  den  Stich  von  Hans  Bol. 
Ebendas.  HI.  N.  1148. 

«)  Über  das  Alter  der  Blumenzucht  vgl.  J.  Beckmann  a.  u.  O.  III.  296  ff.:  Tube- 
rosen, 1594  aus  Ostindien  importiert;  Kaiserkrone  wird  aus  Persien  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  über  Konstantinopel  nach  Wien  gebracht.  Amaryllis  kommt  1593 
aus  Südamerika,  die  Guernsey- Lilie  (Amaryllis  farniensis)  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts aus  Japan,  die  Eanunkel  Ende  des  16.  Jahrhunderts  aus  der  Levante  über 
Konstantinopel.  Welche  Blumen  gerade  beliebt  sind,  zeigen  uns  die  Gemälde  der 
grofsen  Blumenmaler:  des  Jan  Brueghel  d.  Alt.  (1568 — 1625),  des  Daniel  Seghers  (1590 
bis  1661).     Abraham  Mignon  (1640-1679),  Jan  van  Huysum  (1682—1749). 


4.     Der  ralastbaii  von   1650—1750.  47 

Perspectiven  abgeben)    \pr\veilt  HainhotVr  KHT  als  (last  des  })Oinnierischeii 
Herzogs  (Balt.  StiKlicn  II.  2.  S.  40). 

Welche  Liebe  /u  seiiüiieu  Blumen  die  vornehmen  Herren  jener 
Zeit  hegten.  l)eweist  <his  Unternehmen  des  Bischofs  von  Eichstätt,  Joh. 
Konrad  von  Gemmingen,  der  seine  Blumen  in  Nürnberg  malen  und  in 
Kupfer  stechen  liel's.  Das  Werk  wurde  unter  dem  Titel  »Hortus 
Eystettensis  1613  in  Nürnl)erg  veröffentlicht  (Plainhofer  a.  a.  0.  19, 
26  ff.).  Das  Buch  ko.stete  ihm  gegen  3000  Guldeii;  wüchenthch  wurde 
eine  oder  zwei  Schachteln  mit  Blumen  an  den  Apotheker  Beseler  in 
Nürnberg  geschickt  und  von  ihm  dem  Maler  übergeben.  Der  Bischof 
besafs  an  500  ^"arietäten  von  Tulpen  (S,  28).  Für  sein  Bilderwerk 
interessierten  sich  lebhaft  die  Herzoge  Wilhelm  V.  von  Bayern  und 
Philipp  H.  von  Pommern.  Als  Hainhof  er  1617  Stettin  besucht,  sieht 
er  beim  Herzog  /das  Evstetisch  illuminierte  Blumenbuch "  (Balt.  Stud. 
H,  2,  S.  30). 

4.   Der  Palastbau  von  1650—1750. 

Die  Blütezeit  des  Palastbaues  dauert  etwa  hundert  Jahre  und  fällt 
zusammen  mit  der  höchsten  Entwicklung  des  absoluten  Herrschertums. 
Für  den  Herrn  sind  die  Steuern  des  Volkes  da;  wie  er  über  dieselben 
verfügt,  wie  er  sie  verwendet,  darüber  hat  er  allein  zu  entscheiden, 
denn  wenn  auch,  wie  in  Württemberg,  die  Stände  ein  Recht  hatten,  über 
die  Finanzen  des  Staates  zu  wachen,  so  wurde  dies  Recht  eben  nicht 
beachtet.  Es  beginnt  eine  Zeit,  die  für  die  Entwicklung  der  Baukunst 
von  allergröfster  Bedeutung  ist.  Die  Fürsten  bauen  ihre  Paläste,  und 
was  der  Bau  kostet,  soll  er  ihren  Ansprüchen  genügen,  kommt  nicht  in 
Betracht;  als  Louis  XIY.  die  Rechnungen  über  die  Baukosten  von  Ver- 
sailles verbrannte,  wollte  er  auch  der  Nachwelt  die  Kontrolle  seiner 
Ausgaben  unmöglich  machen. 

Frankreich  geht  mit  seinem  Beispiele  voran,  wie  es  ja  in  den 
hundert  Jahren,  die  uns  hier  beschäftigen  sollen,  in  ganz  Europa  den 
Ton  angil)t,  und  Frankreich  selbst  ist  wieder  verkörpert  in  seinen 
Königen,  Ludwig  XIV.  und  XV.  Den  Wünschen  und  Ansprüchen 
der  Herrscher  gemäfs  sind  auch  ihre  Paläste  entworfen  und  ausgeführt 
worden. 

Dadurch,  dals  Jjudwig  XIV.  es  erreichte,  den  früher  oft  so  wider- 
spenstigen Adel  an  seinen  Hof  zu  fesseln,  erwuchs  für  ihn  auch  die 
Verpflichtung,  diesen  Adel  in  seinen  Schlössern  zu  empfangen  und  zu 
unterhalten,  durch  prachtreiches  Auftreten  und  blendendes  Zeremoniell 
die  Untertanen  zur  Verehrung  ihres  Souveräns  zu  zwingen.  Und  diesen 
Zwecken  der  täghchen  Repräsentierung  entsprachen  die  alten  Paläste, 
zumal  die  Pariser,  das  Louvre  und  die  Tuilerien,  in  keiner  Weise,  wohl 
aber  das  von  Leveau  und  Mansart  erbaute  Schlots  von  Versailles, 
aufsen  trotz  seinen  mächtigen  Dimensionen  in  seiner  architektonischen 
Erscheinung  eher  unbedeutend,  zurückhaltend,  feierlich,  aber  kaum 
gewinnend,  im  Innern  mit  verschwenderischer  Kunst,  mit  allem  Raffine- 
ment,   dessen  der  französische  Barockstil   fähig    ist,    ausgestattet.     Aber 


48 


I.     Das  Si-hlnCs  i\cv  FnrsKMi. 


!•.;'/ 


4.     l)or  Piilastlnin  von  1650—1760. 


49 


Galerie  des  Glaces  im  Schlosse  von  Versailles. 


Schnitz,  Das  hiiiisliclii;  Leben  im  Mittelalter. 


:>() 


1.     l>:is    Schi 


der  Fürst(Mi. 


v(.ii  (lifsi'i-  l'r.-iclil  linlir  Ulli',  wer  das  Sdilols  hctroton  durfte,  eine 
Aliiiunu;  für  die  Mcnuc  .uciuiiitc  <lic  strenge  al)\v(>isende  Aufseiiseite. 
Alles,  die  .urorscii  (ialcricii,  die  Tliroiisäle.  ja  die  Schlafzimmer  des 
K(>iiii2;s])aarcs  ist  aid'  die  iJcpräsnitation  IxM-ccliiiet,  bestimmt,  täglich 
den  fraii/('isischeii  Adel  und  zahllose  l^'i-cmdc  /u  eni)>fangen,  vor  denen 
d(M-  l\(Mug  mit  uuNtTgieiehlicher  Kunst  seine  Ivulle  als  souveräner 
llervsrhei'  spielte.     Die   Maler  Unter  Leitung  des  grofsen  Charles  Lebrun, 


Salle  ile  rOeil-de-Boeuf  im  Schlosse  zti  Versailles. 


die  Bildhauer  tun  ihr   li(>stes,  in  jeder  denkbaren  Form  den  Ruhm  und 
die  Herrhchkeit  des  Königs  zu  verkünden. 

So  lange  Ludwig  XIV.  jung  war  und  Gefallen  daran  fand,  sich  so 
bewundern  zu  lassen,  genügte  ihm  das  Yersailler  Schlofs,  in  dem  er 
seit  1672  residierte;  als  er  aber  älter  und  bequemer  wurde,  zog  er  sich 
gern  in  kleinere  Palais  zurück,  in  denen  die  Repräsentation  seiner 
Würde  nicht  so  hohe  Anforderungen  an  ihn  stellte.  Schon  1676  erbaut 
Jules  Hardouin  Mansart  für  Mme.  de  Maintenon  das  kleine  Palais  im 
Park  von  Versailles,  das  grofse  Trianon  [im  Gegensatz  zu  dem  kleinen 
Trianon,  das  Jacques-Ange  Gabriel  (1710—82)  für  Lud^dg  XV.  1745 
errichtete].  1682  wurde  dann  wieder  von  Mansart  das  Schlofs  Marl- 
begonnen.  In  diesen  kleinen  Palais  erholte  sich  der  König  von  den 
Anstrengungen,  welche  die  Tage  von  Versailles  ihm  auferlegten. 


4.    Der  Palasthan  von  1650—1750. 


51 


Die  Einrichtung  der  Paläste  ist  auf  den  Effekt  berechnet.  Marmor 
und  Stuck,  Malereien  und  Vergoldungen,  schwere,  ernst  gefärbte  Gobe- 
lins^), die  Szenen  aus  dem  klassischen  Altertum  vorführten,  alles  das 
macht  einen  imponierenden  Eindruck.  Und  auch  die  schwer  vergoldeten 
Möbel  mit  aller  ihrer  Kostbarkeit  lassen  den  Gedanken  an  ein  behag- 
liches Ausruhen  nicht  aufkommen.  Auch  sie  haben  ihren  Anteil  an 
dem  imposanten  Ausstattungsstücke,  das  zu  Ludwigs  XIV.  Zeiten  in 
Versailles  vor  der  bewundernden  AVeit  gespielt  wurde.-)  Ludwig  XV. 
hat  keine  Neigung,  grofse  Monumentalbauten  zu  unternehmen.  Manche 
praktische  Gründe  mö- 
gen dabei  mitgeT\ärkt 
haben.  Er  legt  weniger 
Wert  auf  die  grofsen 
Schaustellungen  als 
auf  Bequemlichkeit. 
An  Stelle  der  grofsen 
Festsäle  treten  die  Sa- 
lons, in  denen  sich 
eine  kleine  ausge- 
wählte Gesellschaft 
verhältnismäl'sig  un- 
gezwungen bewegte. 
Auch  bei  den  Palast- 
bauten aus  der  Zeit 
Ludwigs  XV.  ist  das 
Aufsere  streng  und 
ohne  Anmut;  im  In- 
nern hat  der  Rokoko- 
stil das  feierliche,  im- 
posante Barocco  ver- 
drängt.  Alles  ist  licht 

und  hell,  an  Stelle  der  schweren  Gobelins  treten  nach  und  nach  die  lichten 
Seidentapeten  mit  ihren  Schäferbildern  und  Chinoiserien.  Ganze  Wand- 
flächen werden  mit  Spiegeln  bekleidet,  die  zumal  das  Kerzenlicht  viel- 
fach reflektieren,  und  die  Ornamentik  des  Rokoko  mit  ihren  unberechen- 
baren Capricen,  ilu-en  S])alieren,  oft  unsymmetrisch  angeordnetem  Blatt- 
werk, ihren  Gruppen  von  zierhchen  Putti,  zusammen  mit  den  Gemälden 
von  Watteau,  Fran9ois  Boucher,  Natoire,  das  gibt  ein  Ganzes,  dessen 
Unvernunft  ein  Architekt  der  klassischen  Schule  verwerfen,  ein  Moralist 
vielleicht  auch  unsitthch  nennen  kann,  aber  das  trotz  alledem  noch 
heute  einen  l)cstech<'n(l  licbcnswiu'digen  Eindruck  auf  uns  hcivorbringt. 


Innendekoration  im  ITotcl  «le  Villars  zu  Pari>^ 


^)  Seba.stien  Ledere,  (ialerie  des  (xobelins.     Knltnrg.  Bilder)).  V.  N.  2S55. 

'■ä)  Grofse  Spiegel  tragen  dazu  bei,  das  festliche  Aussehen  der  Räume  zu  erlK'ihen. 
Die  Spiegelindustrie  war  in  Frankreich  1634  durch  P^ustache  Grandmont  eingefülirt 
worden  und  1688  hatte  Abraham  Thevart  das  Privileg  erhalten,  Spiegel  zu  giefsen ; 
es  gelang  ihm,  (iläser  herzustellen,  die  über  60  Zoll  Höhe  und  40  Zoll  Breite,  ja  bis 
84  Zoll  zu  50  ZoU  erreichten  ri,62  m  :  1,07  in;  2,27:1,35  m.  —  T>.  Beckmann  Beitr.  z. 
Gesch.  d.  Erf.  III    529  ff.) 


02 


I.     Das  Sfhlofs  (Ic>r  FiirstcMi 


Im  Einklanti-  mit  dieser  leii'litcii,  ja  wenn  wir  wollen;  lcu'litl'ertie\-ii' 
Architektur  steht  das  AmeublenuMit.  Weiehe  rolsterinöhel,  Ottoiuaiieii, 
ChaiselonoTies,  Fauteuils,  treten  an  Stelle  der  harten  und  steilen  Stühle  und 
Bänke  die  man  immer  erst  mit  Kissen  belegen  mufste,  wenn  mau  nicht  zu 
hart  sitzen  wollte.  An  Stelle  der  KahineUs  tn>ten  die  Konunoden.  Jetzt 
erst  wenlen  kostbare  ausländisclu^  llölzci-  zur  Tischlerarbeit  verwendet: 
Rosenholz,  später  Mahagoni  (Acajou)  und  ralisander.  Treffliche  Kunst- 
tischler erwerben  sich  einen  Weltruf,  w'w  Andre  Charles  I)()ulle  (1642' 
bis  1732),  aus  dessen  Werkstatt  die  zi(>rlichen  Möbel  hervorgingen,  die 
nach  Art  der  alten  Intarsia  mit  Einlagen  von  IFolz,  vergoldetem  Messing, 
Schildpatt  dekoriert  waren.     Mit  di<\s(Mi  BonllearbeitiMi  konkurrierten  die 


Xymphenburg.     Festsaal  im  Sehlofse. 


Erzengnisse  der  holländischen  Tischler,  die  Möbel  herstellten,  welche 
ganz  mit  Schildpatt  fourniert  waren.  Die  französische  Tischlerei  aber 
hat  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  wirklich  Meisterwerke 
geschaffen. 

Das  Beispiel  der  französischen  Könige  fand  nun  in  allen  Ländern 
der  Christenheit  bereitwilhge  Nachahmung.  Seit  1752  baut  Ludovico 
Vanvitelli.(1700 — 1773)  den  Palast  zu  Caserta,  der  schon  seiner  grofs- 
artigen  Treppenanlage  wegen  Bewunderung  verdient.  Das  Schlofs  in 
Madrid  entwarf  nach  dem  Brande  von  1734  Filippo  Juvara;  Juan  Bau- 
tista  Sachetti  leitete  dann  nach  eigenem  Plane  von  1737  an  den  Bau.  Der 
Winterpalast  zu  Petersburg  wdrd  seit  1754  von  dem  italienischen  Archi- 
tekten Rastrelli  aufgeführt.  Diese  Denkmäler  mögen  nur  kurz  hier  er- 
wähnt sein,  ausführlicher  sollen  die  deutschen  Fürstenpaläste  besprochen 
werden. 


4.    Der  Palastbau  von  1650—1750. 


53 


Nirgends  hat  das  Beispiel  Frankreichs  so  mächtig  eingewirkt  wie 
in  Deutschland  Schon  im  12.  und  13.  Jahrhundert  war  die  fran/.ösische 
Sprache  die  französische  Kunst  und  Mode  in  Deutschland  herrschend 
<rewesen ;    hi  noch  viel   höherem  Grade  wurde    sie    es  nach  Beendigung 


l'iivilluii   venu   Zwinger  zu  Dresden. 

<des  Dreifsigjährigen  Krieges.  Die  zahllosen  kleinen  Dynasten  Deutschlands 
beeiferten  sich,  so  gut  es  ihnen  eben  gelingen  wohte,  Ludwig  XIV.  nach- 
zuahmen, natürhch  nicht  in  seinen  unbestreitbaren  grofsen  Eigenschaften, 
sondern  in  seiner  Prachtliebe  und  sonst  in  noch  manchem,  was  sie  mit 
ihren  bescheidenen  Mitteln  allenfalls  auch  ausführen  konnten.  Jeder  von 
den  Fürsten  inufstc  seinen  Palast  haben,  die  geisthchen  wie  die  weltlichen. 
In  Berlin  wird  von  Schlüter  und  Eosander  von  Goethe  das  Schlofs 
-f-rweitert;  ein  grofses  Palais  will  August  der  Starke  in  Dresden  errichten; 


54 

nur 


1.     I>as   Sclildls   der    l'^ürshMi. 


I.     l'as   >ciil<i|s   der    l'urshMi. 

r  der  Wtrliol'  (lossolb(>n,  der  IktüIiiuIc  Z\viiiij,(  i-,  wird  nach  Danici 
pl»('liuaiin?i  »icinalom  Eiitwui-Ir  ausocrüliit.  In  dw  Niili(>  Müiu-hcns 
(1  itali<Miisi-li('  Ar('hit(>kt(Mi  (iiliu.  liarclli,  der  die  Pläne»  zum  Schlosse 
nu  |)1i(Mi1)UI\l;   cntwirll     und   den    Uau    1(')<>;>   Ix'nimit.    und   Zuccali,   von 


Schlofs  zu  Bruchsal,  Festsaal. 

dem  die  Pläne  für  das  Schlofs  Schleifsheim  (1700 — 1704)  herrühren. 
Solche  grofsartige  Bauten  erfordern  natürhch  bedeutende  Geldmittel; 
wenn  dieselben  nicht  7Air  Verfügung  stehen,  mufs  man  mit  Surrogaten 
fürlieb  nehmen.  Aber  ein  grofses  Schlofs  zu  haben,  das  erforderte  di<^^ 
Würde  des  Fürsten.  So  baut  der  Herzog  von  Braunnschweig  sein 
Schlofs  Salzdahlum  (1688 — 1697)  aus  Fachwerk   auf,   das,   einst  seiner 


4.    PalastljauttMi  von   1650— 17r)0. 


oo 


herrlichen  Gemäldeo-alerip  wogen  berühmt,  nach  IHll  vülhg  abgel)roc-hcii 
wurde.     In  Württemberg  A\drd  (bis  grolse  Pabiis  zu   Ludwigsburg  (seit 
1704)    zum    grofseu    Teile    naeb    den    Entwüi'b'ii   von    Df^nato    Giuseppe 
Frisoni    gebaut.     Aucb    der    dcutscbc    Kaisn-    will   in    Wien    oin    Scblofs 
haben,    das    den    An- 
sprüchen   der     neuen 
luxuriösen    Zeit     ent- 
spricht.    Schon  unter 
Leopold     I.     war    ein 
Teil    der    alten    Burg, 
der   durch  Brand    ge- 
litten hatte  (1663),  im 
neuen  Geschmack  von 
Carnevale        angelegt 
worden.    Den  Plan  zu 
einem      Neubau      der 
Burg  entwarf  Johann 
Bernbard  Fischer  von 
Erlach    (1650—1723); 
allerdings  gelangte  um- 
ein   Teil    zur   Ausfüb- 
rung :    die   Winterreit- 
schule   und    die   Hof- 
bibliothek ,     die    viel- 
leicht   unter    Leitung 
vom   Sohne   des   Mei- 
sters 1723—26  erbaut 
wurde.        Bekanntlich 
sind  bei  dem  jetzigen 
Neubau  der  Burg  die 
Pläne     Fischers     von 
Erlach  zu  Grunde  ge- 
legt worden.  Seine  Ent- 
würfe   zum     Schlosse 
von  Schonbrunn  sind 
nur  zum  Teil  bei  dem 
Ausbau  berücksichtigt 
worden.  Es  sollten  hier 

selbstverständlich  nur  einige  der  wielitigeren  Sebldlsbaulen  nandiaft  ge- 
macht werden;  dafs  eine  grofse  Anzabl  sieb  noch  anf/iUden  liefse,  braucht 
nicht  erst  bervorgehoben  zu  werden.  Alle  die  liier  erwäbnten  Schlösser 
sind  im  Stile  des  P)arocks  und  zwar  der  italieniscben  Ricbtung  geniäfs 
ausgeführt,  freihch  mit  grofseren  oder  geringeren  selbständigen  Umbil- 
dvmgen.  Den  originellsten  Eindruck  macht  immer  Pöpj^elmanns  Meister- 
werk, der  Zwinger  in  Dresden.  Ein  kulturgescliicbtlich  bemerkenswertes 
Gebäude  ist  das  Orangerieschlofs  in  der  Au  zu  Kassel  (1701 — 1711) 
aufgeführt  und  besonders  das  Marmorbad,  das  1702  beendet  wurde.    Das 


(ialerie  im  Schlosse  Ludwigs) )ur<- 
(Württember?) 


:)6 


I.    Das  Schlols  der  ImusIimk 


Vuf^ere  dieses  Baues  ist  durchaus  uik-litern  und  reizlos,  um  s.,  ii.hTcssantcr 
erscheinen  die  Manuorskulpturcn  des  fnucren,  die  Keliefs  uimI  Statnon, 
die  der  französiselie    r.iMh.iuer   Pierre  Franrois   Menno!   [\m)      l<.>n)   .U^- 


Bayreuth,  Eremitage.    Oberes  Schlofs.    Chinesisches  Zimmer. 

schaffen    hat.     Ein    bemerkenswertes    Denkmal    eines    üppigen    kleinen 


Serenissimus ! 


'im  Rokokostile  wurden    dann   eine   Reihe  von    Schlössern    erbaut, 
deren  einige  hier  Erwähnung  verdienen.     Der  Fürstbischof  von  Würz- 


4.    I)e>r  l'ala.stbau  von  1G50— 1750. 


57 


bürg.  Philipi)  Franz  von  Scliönboni  (1719—24),  beginnt  den  })räditigen 
Ban  des  Eesidenzsehlosses  (1720—44).  Sein  Baumeister  ist  Joli.  I)altliasar 
i^enniann.    der  'zumal     in    <leni    Tre] »penhause    ein    Meisterwerk    ersten 


Nyiiiplicnliiirff.     Sclihif'kaliinet  in  der  Amalienliiirg. 

PvangesgeschaHVii  lial.  iMirdiii  lMirstl)isch()f  von  S[)eiei-.  Damian  Hugo  von 
Schönborn,  entwarf  dcrscll.c  Nbiistei-  <las  Schlol's  zu  l>ruchsal  (1722—70). 
Noch  ein  Palais  eines  Kii'elienfürsten,  des  Kurfürsten  von  Köln  Clemens 
August  (1724     ()1),  wäre  zu   nennen:   das  zu   l)rülil  bei  l)onn   (1725 — 70). 


5^ 


1.     |)as  Sclilols  (Irr   FürsliMi. 


Nvmiilu'nliiir.ü:.     iM'Slsanl   in  ilcr  Anijiliriil.iiri; 


Nvmphonbnra:.     Festsaal  in  der  Pagodenbiir.E:. 


4.    Der  Palastbau  von  1650—1750. 


59 


60 


1.     Das  Si-hldls  ilor  Fürsten. 


^\'io  uns  .1.  r>.  \o\\  Ivohr  in  sciiicr  iMiiIcituu^  zur  Coremoniel- 
Wissensc'hal't  (BciTiii  ITl^^))  luitlcilf,  war  in  dein  Schlossi»  des  Fürsten 
jeder  Streit  und  Hader  slrcnu' verj)()u(  :  ilit>  Stth'unij;  des  BurgTriedens 
wurde  aufs  nachdrüi-kliclistc  Ix'stral't.  Audi  l'x'sehädigungen  am  Gebäude 
und  Mühein.  vor  nllcni  I  )i('listähl('  waren  mit  liarten  Strafen  bedroht. 
Das  Schlol's  wurdt^  ilohall»  bcw  ;u-hl ;  es  sind  hc.sonih'rc  Garden  mit 
dieser  Ohhegenhcit  hctraul.  .\ni  ncbstcn  ninnnt  man  Sclnvci/ci-  zur 
Leibwache ;  war  es  zu  Iciicr  sie  anzuwci  licn.  so  kleidete  man  die  aus 
Landeskindern  ausgewählten  (ianleii  in  Sehweizeiunil'ormen.  Die  Auf- 
sicht über  das  Sehlofs  hat  der  Ober-Landbaunieister  oder  ein  Litendant; 
ein  Inspeeteur-General,  (h'r  Schlofshauptinann  hat  im  Schlosse  seine  Woh- 
nung.     Unter  dem  lb)fmais(  liallamte  stehen  die  Hoftapeziere,  Hofmaler 


Garten  des  liolvedere  zu  Wien. 


u.  s.  w.,  unter  dem  Leil)medicus  die  ^Vpotheke  und  Ayas  zu  ihr  gehört, 
der  Hofgrottier  hat  die  Grotten  zu  besorgen  u.  s.  w.  Über  die  Einfahrt  der 
Karossen  in  den  inneren  Schlofshof  gibt  es  besondere  Reglements. 

Im  Schlosse  seligst  wohnen  einige  der  Hofoffizianten,  sonst  gewöhn- 
lich nur  die  Hofdamen  und  die  Pagen. 

In  der  unteren  Etage  sind  die  Dienstgemächer,  Silberkammer, 
Küche.  Konditorei  etc.  untergebracht;  im  Keller  ist  Wein  und  Bier, 
Vorrat  aller  Art  bewahrt.  Statt  der  alten  Wendeltreppen  liebt  man 
jetzt  breite,  helle,  mit  Statuen  geschmückte  Treppen.  Im  Schlosse  zu 
Dresden  wie  in  dem  zu  Altenburg  sind  Aufzüge  (ascenseurs)  für  den 
Kurfürsten  von  Sachsen  und  den  Herzog  von  Sachsen-Gotha  erbaut. 
Auch  diese  Bec|uemlichkeiten  hatten  die  Franzosen  zuerst  erfunden. 
Schon  um  1649  benutzte  Mazarin  einen  solchen  Lift.  Die  Maschinerie 
wurde  dann  noch  verbessert  und  fand  vielfach  in  Paris,  Versailles, 
Chantillv  etc.  Anwendunu'.  M 


')  Alfr.  Franklin.     La  vie  privee  d'autrefois.     Les  Repas  (Paris)  p.  99  Anni    6. 


4.    Der  P;ilastl);in   von  1600  —  1750. 


61 


Schlol's  Xyiiiphenljvn'ff.     Frontansicht.  . 

Reich  ausgeschmückt  sind  die  Schloiska}»elleii.  In  den  Vorzimmern 
befinden  sich  kostbare  Möbel  und  Tapeten;  je  näher  man  den  fürst- 
hchen  Privatgemächern  kommt,  desto  schöner  und  statthcher  ist  die 
Einrichtung.  Da  gibt  es  Audi'enzgemächer,  Neben  -  Audienzgemächer, 
Paradezimmer,  Retiraden,  d.  h.  Zimmer,  in  die  der  Fürst,  wenn  er 
ungestört  bleiben  wollte,  sich  zurückzog;  in  allen  Räumen  sind  Tische, 
Spiegel,  Gueridons  und  Gueridonetten,  Kronleuchter,  AVandleuchter  von 
kostbarer  Arbeit  zu  finden.  In  den  Tafelzimmern  ist  das  Bufet  mit 
den   prunkvollen  Geräten    aufgestellt;    zuweilen    werden    auch    Fontänen 


Schlofs  Nymphenburg.     Parkanlage. 


&2 


I.    Das  SchloCs  dor  Fiirsten. 


und  Rarr;iii'hit'r-\\'asf^(M-  in  den  Kiunncn  'j^:\v  nrti^  ;ni<;rl)r;u'lil.  Mork- 
würdiu"  ist  die  Rosidiroibunji',  dio  dor  w  liohr  t^  2;")  von  d(Mi  'rischon  gilit, 
dit'  sorvi(>rt  aus  (icin  nntcMVMi  Gescliossc  in  dir  Spcisozininicr  liinnuf- 
Ji'ezogon  \V(M<lt'n.  Oic  l'^rlinduiii:'  dieser  KonlidcnztnlVl  srhrcil)!  vr  doni 
verstorluMUMi  kii'l.  })olnisc'hon  und  knil'üi'sll.  säclisisclicn  ModcUnuMster 
Andreas  OärtnorM  zn  (121). 

nie  dcntst'licn  Sclilr)sscr  sind  nicht  so  leicht  zu^iin^iich  wie  die 
l'ran/ösischen.  Haselbst  kchnuMi  (he  l^'rendxlen  in  (h'n  inoislen  Zimnioi'n 
des  Schlosses  zu  A'ersailh^s  nicht  nur  frey  luid  un^i'ehinch'rt  aus-  und 
eingehen,  ob  gleich  die  Wache  (hl  stellet,  sondei'U  aucii  s(dl)st  in  dos 
Kitniiis    Schlal'-(!einach.        in     den     Pri\'ato,'eiuächei'n     deustcher    ]<'ürst(!n 


Nyin|ilicii)iiirLr      I)ir   Ani.-iliciiliurj 


soll  man  sich,  wenn  sie  aus  besonderer  Gunst  gezeigt  werden,  angemessen 
betragen,  nicht  »sich  auf  die  Fürstlichen  Lehn-Sessel  und  Fauteuils 
niedersetzen  und  in  dem  Besehen  weiter  gehen,  als  einem  vergünstiget 
odei-  von  dem,  der  die  Fremden  herum  führet,  gezeiget  wdrd«. 

In  einigen  Schlössern  gestattet  man  es  nicht,  dafs  in  die  Schlofs- 
gomächer  die  Spazierstöcke  (aus  spanischem  Rohr)  mitgebracht  werden; 
vor  den  fürstlichen  Zimmern  hat  man  sie  unbedingt  abzulegen.  Nicht 
ein  jeder  Kavalier  darf  sich  des  Nachts  die  Treppe  hinauf  mit  Fackeln 
leuchten  lassen.  An  die  Türen  anzuklopfen  ist  unstatthaft :  man  darf 
nur  mit  den  Nägeln  kratzen.  Streng  vorgeschrieben  ist,  wer  von 
dem  Hofstaate  in  die  verschiedenen  Gemächer  eintreten  darf.  Unter 
Kaiser  Joseph  I.  erhielten  in  die  letzte  Anticamera  nur  Grafen  Zutritt; 
in    dio    »Retraiten    und  Retiraden«    einzutreten    ist    niemandem    erlaubt 


*)  J.  A.  I»onn(lortf,  Geschichte  der  Erfindungen.    Quedlinb.  n.  Leipz.  1818  V.  511. 


5.   Die   I'arkanlimon   im   17.   niui   18.  Jaiirliundert.  Q';\ 

:iafser  fürstlichen  l'eisoneii,  die  sich  am  Hofe  aufhalten,  Gesandten, 
^^rofsen  Ministern.  In  §  37  bes])richt  der  Verfasser  die  Veränderungen, 
■die  seit  50  bis  60  Jahren  in  der  Ausstattung  der  Schlösser  Eingang 
gefunden  haben.  Jetzt  (1729)  sind  manche  Herren  nicht  zufrieden  mit 
den  Möbeln  aus  Frankreich,  Italien.  Holland  und  England,  sie  lassen 
sie  aus  der  Türkei,  aus  China  kommen. 

Aufser  den  Schlössern  haben  die  Fürsten  auch  Lusthäuser,  in  denen 
wieder  eine  andere  Etikette  herrscht  z.  B. :  darf  kein  Kavalier  mit  dem  I  )egen 
erscheinen;    ein  Versehen   ^drd   mit  einem  grofsen    Glas  Wein   gehülst. 

Die  Anordnung  der  Lusthäuser  ist  verschieden,  einige  bestehen 
aus  einem  grofsen  Pavillon,  den  kleinere  umgeben  (Nymphenburg).  In 
dem  grofsen  wohnt  .  der  Fürst  mit  seiner  Gemahlin  oder  mit  derjenigen, 
die  sie  als  Gemahlin  lieben«.  In  anderen  ist  in  der  Mitte  ein  acht- 
eckiger Saal  füi"  Assembleen-ßallette ;  rings  herum  sind  die  Zimmer 
gruppiert,  die  miteinander  in  Verbindung  stehen.  Zuweilen  liaben  die 
Lusthäuser  flache  Dächer,  die  als  Altane  verwendet  werden  können.  Hof- 
piätze  werden  mit  Terrassen,  Statuen,  Orangerien,  Fontänen  geschmückt; 
die  Haupttreppe  hat  Balustraden ,  das  Treppenhaus  ist  mit  Fresko- 
malereien dekoriert  (Würzburg).  In  den  Zimmern  sind  Kamine ,  auf 
denen  Porträts,  en  bas  relief  stehen;  -vor  den  Spiegeln  liegen  bifs- 
weilen  marmorne  oder  andere  geschnitzte,  nackte  Venus-Bilder,  die  mit 
ungemeiner  Kunst  verfertiget  - .  In  manchen  Schlössern  (Charlottenburg) 
gibt  es  »Porcellain-Gemächer  oder  Cabinettes,  in  welchen  die  schönsten 
von  Porcellain  aufsteigenden  Zierrathen  anzusehen,  an  grofsen  Töpffen, 
Vasen,  Schüsseln,  Aufsätzen,  The-,  Chocolade-,  Caäe- Services  mit  da- 
zwischen gestellten  Spiegeln,  Indianischen  Urnen,  Pagoden  nach  einer 
schönsten  Ordnung  und  mit  besonderer  Magnificenze  .  Gärten  mit 
Haupt-  und  Nebenfontänen,  dazu  gehören  »Reservoirs,  Aqueducs, 
Fontainen,  Grotten/..  Bei  den  Grotten  findet  man  Kaskaden,  »manch erley 
Jets  d'eau«  zur  Kühlung.  Hier  speisen  zuweilen  die  Herrscliaften ;  auch 
Badezimmer  sind  vorhanden,  Tiergärten,  Parks  mit  Alleen,  Statuen,  Kas- 
kaden, ^''olieren,  Fischteichen;  in  den  Kanälen  liegen  Schiffe  bereit. 

Die  Eremitagen,  »nach  Art  der  Einöden,  wie  verfallen«  angelegt, 
<-^nthalten  aufser  der  Kapelle  eine  Schlafkammer,  Küche,  Garten-  und 
Studierstube;  die  Gemälde  stellen  religiöse  Sujets  dar.  Die  Orangerie- 
häuser und  Gärten  gehören  zu  einem  fürstlichen  Lustpark;  endlich  darf 
<^in  Jagdhaus  nicht  fehlen.  Das  des  Herzogs  von  Savoyen,  die  Veneria, 
wird  besonders  bescln-ieben. 

5.   Die  Parkanlagen  im  17.  und  18.  Jahrhundert. 

Dem  feierlichen  Aussehen  der  Schlossfassaden  entsprach  nun  die 
Anlage  der  Parke,  die  die  Gärten  der  früheren  Zeit  völhg  verdrängten. 
Vor  dem  Schlosse  stehen  die  Orangerien,  die  im  Winter  in  geschützte 
Räume  gebracht  werden  mufsten.  Diese  steifen  und  feierhchen  Bäumchen 
in  ihren  grüngestrichenen  Holzkübeln  passen  sehr  wirkungsvoll  zur  ge- 
samten Architektur.     Auf  die  Blumenkultur  legt  man  keinen  Wert  mehr. 


<u 


I.     D: 


il's   ilcr   l'"iirsUMi. 


Hell  ( icscIiuKick  liclicrrsc-lii  der  urt>l>''  <  i;irlciiUiiii--ilcr  AihIih'  l.i- 
Nötre  (l()K->  17001.  der  «ii'H  \':\v\<  \n\\  N'ci's.'iillcs.  ( 'li;iniill\ ,  'IVi.'iiKni  ii.  s.w. 
anloii't.  M  T")!«'  sfliiuir,u'r;i<li'ii  .\\ciiurii  mit  ilircn  'r;i\u>li('ckcii  uinl  SintiU'U- 
sc'linmck.  lifldit  (lurcli  \\  ;isscil>i'ckcii,  mii  l'unläiicn  uihI  Sktilptureiu 
bieten  ülx'i'aus  wirkmiusvoUo  Ausliürkf.  wie  man  sich  j.i  in  ilcm  Parke 
von  X  vin|)lu'nl)nru,-.  allfulalls  andi  xmi  Sclilcirsliciin  iiluT/ru^cn  kann. 
Kloino  'Pli(>oliäusrlirn  und  soiisduc  IJauanla^iMi  wcfdrn  Tüi-  inlimcrc 
(u>s(>lliii"k(.'it  vorwcndiM,  so  im  Nymiilicnliurucr  Parke  die  I'au(Mleidmr!j, 
(^ITK))  und  die  P>adenl)nru'  (ITIS).  xoi'  allem  da>  ici/eiide  iJokokd- 
sehlölschon ,  «lie  .Vmaiienlmru',  'las  .Meisterwerk  i\r<  l*"r;ni(;(iis  ( 'uxillies 
(1698—17681 

')  Dozallier  dArüenvilU',  \n  tlieorie  et  la  i)rati<iue  du  Janlinauf  l'aris  ITOil.  — 
Vgl.  H.  Jäger,  iJartenkunst  und  (iärten  sonst  und  jet/.t.  Berlin  1887.  —  ,\l)l)ildun;i 
vom  Garton   des  Palais  Cardinal  (Koyal)   zu    Paris.     Kulturii     I'>ilderl)ueli  \\\    N.  1864. 

—  Vom  Schlosse  de  Fresnes  bei  Paris  IV,  X.  2058,  gest.  mui  Caspar  ^leriaii.  —  Von 
Israel  Silveslre  sind  gestochen  die  Ansieht  vom  Garten  des  Palais  d'Orleans  dbid.  V^ 
N.  2347),  vom  .lardin  de  Monsieur  Renard  aux  Tuilleries  1G58  ib.  V,  X.  2348),  von 
der  Grotte  in  SaintC'loud  ^V,  X.  2340),  von  dem  Springbrunnen  in  Lisini  en  Brie 
(X.  2350),  von  Fontaine! ileau  (\.  X.  2351,  2352,  2353),  Garten  des  Schlosses  Liencourt 
,V.  X.  256(>,  2568,  2570,  2571,  2572,  2572),  Springbrunnen  in  Fontainebleau  (V.  X.  2579). 
Garten  des  Schlosses  Raincy  (V.  N.  2587).  Xach  Jean  Rigaud,  die  T'romenade  de 
Luxembourg  (ib.  VI.  X.  3135}  und  die  Wasserkünste  von  Saint-Gioud  (ih.  VI.  X'.  3136\ 

—  Romain  de  ITooghe,  holländische  Parkanlage  (abend.   V.  X.  2843  . 


"ta<»s?»!*aaaBi 


Nvmplu'iiliurLr.     I>ie  Paffodeiilpiiri 


II.    Die  Städte. 


Auch  unter  den  Städten  müssen  wir  die  grofsen  Haupt.städte 
der  Länder,  Provinzen,  die  Reichsstädte  von  den  kleineren  Orten  und 
gar  von  den  Flecken  und  Weilern  unterscheiden.  Was  von  den  erst- 
genannten Orten  gilt,  darf  man  keineswegs  auf  die  Kleinstädte  über- 
tragen. Wir  werden  aber  in  dieser  Darstellung  einzig  und  allein  die 
Verhältnisse  der  Grofsstädte  ins  Auge  fassen,  da  über  das  Leben  jener 
unbedeutenden  Ortschaften  zu  wenig  Berichte   vorliegen. 

Nach  unserer  heutigen  Anschauung  sind  allerdings  auch  die  Haupt- 
städte des  Mittelalters  und  der  näclisten  Jahrhunderte  kaum  unter  die 
grofsen  zu  zählen.  Was  wir  über  ihre  Einwohnerzahl  ermitteln  können, 
läfst  sie  nach  modernen  Begriffen  recht  klein  und  unbedeutend  erscheinen. 

Nach  Jastrow  (die  Volkszahl  deutsclier  Städte  zu  Ende  des  Mittel- 
alters und  zum  Beginn  der  Neuzeit.  Berlin  1886)  hatte  im  15.  Jahr- 
hundert Nürnberg  und  Strafsburg  eine  Einwohnerzahl  von  16  — 17  000, 
bis  20000,  Frankfurt  a.  M.  und  Basel  15000  und  weniger,  Rostock  140Q0; 
dagegen  Dresden  nur  5000  und  Meifsen  gar  2000  Bewohner.  Zu  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts  ist  Augsburg  auf  gegen  60000  Einwohner  zu  schätzen. 
Kurz  vor  dem  Dreifsigj ährigen  Kriege  ist  Nürnberg  mit  40 — 50000, 
Breslau,  das  im  16.  Jahrhundert  schon  40000  Bewohner  gehabt  hatte, 
mit  30000,  ebenso  Strafsburg  mit  30000  in  Ansclilag  zu  bringen,  Leipzig 
mit  15000,  Berlin  mit  14000,  Brandenburg  a.  H.  und  Frankfurt  a.  0. 
mit  10000,  Stendal  mit  8000,  Prenzlau  und  Ruppin  mit  6  —  700  Ein- 
wohnern zu  berechnen. 

I.   Die  Befestigungen. 

Jede  Stadt  jedoch,  die  auf  einige  Bedeutung  Anspruch  erhob,  ob 
grofs  ob  klein,  ist  befestigt,  von  Mauern  und  Gräben  umgeben  und 
nach  den  bewährten  Regeln  des  Vitruvius  und  des  Vegetius  gegen  die  Ge- 
fahren einer  Belagerung  geschützt.  Auf  die  verschiedenen  Befestigungs- 
methoden des  Mittelalters  einzugehen,  ist  hier  wohl  nicht  am  Platze; 
auch  sind  dieselben  schon  wiederholt  dargestellt  worden.^)  Meist  sind 
diese  Mauern  der  Zeit  zum  Opfer  gefallen  und  aus  dem  frühen  Mittel- 
alter ist   kaum   eine  Befestigung   noch   in   leidUchem   Zustand    erhalten. 

>)  Z.  B.  Deutsches  Leben  d.  14.  u.  15.  Jhclts.,  S.  17  fl. 
Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  5 


6H 


II.     Dio  Stiidto 


^'i^•lloiellt  rühren  die  rix-i-rcstc  der  alten  Stadlinauei-  von  Verona, 
die  an  der  Viii  Paltone  siclilhar  sind  nnd  .sieli  dnrcli  den  (üräten- 
verband  (appareil  en  aretes)  anszeielmen ,  noch  ans  der  Zeit  ihn-  Ost- 
li'oten  lier;  der  Clara-  oder  Kruneitnrni    in  K  r»  I  n   diii't'te  ans  dem   (>.  Jahr- 


Holstentor  zu  I>übeck. 


hundert  herrühren,  ein  Werk  der  Franken  sein.^)  In  Südfrankreich 
könnte  die  Fortifikation  von  Ca rcas sonne  noch  dem  12.,  die  von 
Aigues-Mortes  dem  13.  Jahrhundert  angehören.^) 

')  Abgeb.   bei  A.  v.    Essenwein,      Die    Ausgänge    der    klassischen   Baukunst  in 
J.  Durm,  Hdb.  d.  Architektur.     Darmst.  1886.     «.  124  Fig.  176. 

^)  Vgl.  Viollet-le-Duc,  Dictionnaire  s.  v.  Architecture  militaire. 


1.    Die  Befestigungen. 


67 


In  Deutschland  werden  wir  solche  frühe  Denkmäler  meist  vergebUch 
suchen;  die  wenigen  Überreste  des  Nürnberger  Mauerrmges  stamnien 
aus  dem  14  und  15.  Jahrhundert,  und  derselben  Zeit  durften  die  Be- 
Be"festiguno-en    die  Luzern  von  der  Landseite  schützen,  angehören.  Diese 


Tcir  iu  liordt'iiux. 

Art  von  Mauern  gewährten  gegen  die  schweren  Geschütze  keine  hin- 
reichende Sicherheit  und  so  hat  schon  Albrecht  Dürer  die  Anlage  von 
Bastionen  u.  s.  w.  befürwortet.  In  seinem  Sinne  ist  die  Stadtfestung  von 
Seh  äff  hausen,  der  Turm  Munot,  (1564-82)  erbaut.  Dagegen  rühren  die 
bekannten  Batterie-Türme  von  N ür n]>  erg ,  am  Frauen-,  Laufer- und  tepittier- 
tore  nicht  von  A.  Dürer  sondern  von  dem  Stadtbaumeister  Georg  Ungar 
'  5* 


68  IT.    Die  Stiidte, 

(t  1559)  lier.  Grofsen  Kuliincs  crlVcutc  sich  im  IC).  .lahrliundcri  dir. 
italionisc'ho  Befest iu'unüskui ist ;  italieiiisclu'  Kriciisbannieister  \v(n'(lon  nach 
Frankreich,  nach  Deutschlantl  berufen  und  trafen  erfolgreich  da/Ai  bei, 
den  itahenischen  Bau4il  (Uesseits  der  Alpen  zu  v(>rbreiten.  Die  weitere 
EntwickhiTig  der  Refesti,ü:uno;skunst  ,  (he  neui(ahenisch(Mi ,  die  nieder- 
liUKÜschen  (Coeliorn),  dw  französischfui  Verbesserungen  hier  hervor- 
zuheben,  würde   von   (h^ni  ei<:;enthchen   Th(^iua,  zu   weit   al)führ(!n. 

In  die  Stadt  selbst  gelano;te  man,  sobald  mittels  einer  Zugbrücke 
der  Graben  überschritten  war,  durch  die  stark  befestigten  Tore.  Auch 
diese  Bauwerke  sind  meist  abgetragen  worden,  als  die  Städte  die  ihr 
Wachstum  beschränkenden  Festungsmauern  niederlegten,  und  nur  wenige 
solche  Denkmäler  sind  durch  rechtzeitiges  Einschreiten  Sachverständiger 
noch  gerettet  worden.  Nur  in  seltenen  Fällen  dürften  einige  Stadttore, 
weini  man  von  dem  grofsartigen  Denkmale  spätrömischer  Befestigungs- 
kunst, der  Porta  nigra,  in  Trier  absieht,  noch  bis  ins  13.  Jalu'hundert 
zurück zAidatieren  sein;  vielleicht  gehören  einzelne  Teile  des  Aachener 
Marschiertores  dieser  früheren  Zeit  an  ^)  und  unter  den  erhaltenen  Tor- 
burgenanlagen Kölns  dürften  einige  wohl  auch  aus  dem  Anfang  des 
13.  Jahrhunderts  herrühren.  Zahlreicher  sind  die  Denkmäler  aus  dem 
15.  Jahrhundert  erhalten.  In  den  Städten  der  Altmark  treffen  wir  da 
die  geschmackvoll  in  Backstein  ausgeführten  Torbauten  von  Stendal  und 
Tangermünde,  von  Brandenburg  a.  d.  Havel,  in  Lübeck  das  im- 
posante Holstentor  (1477),  in  Prag  den  reichgeschmückten  Pulverturm 
(stark  restauriert)  und  die  beiden  die  Moldaubrücke  beherrschenden 
Brückentürme,  den  von  der  Altstadt  (1451)  und  den  entsprechenden  auf  der 
Kleinseite.  Seltener  sind  die  reichgeschmückten  Stadttore  in  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts.  Eins  der  merkwürdigsten  dürfte  das  Jeru- 
salemer Tor  in  Büdingen  bei  Gelnhausen  (1543)  sein;  in  seiner  Bau- 
form macht  sich  noch  der  gotische  Stil  deutlich  bemerkbar.-)  Zur  vollen 
Geltung  ist  der  Renaissancestil  bei  dem  Baue  des  grofsartigen  hohen 
Tores  zu  Danzig  gelangt.  Unter  den  in  Frankreich  aus  dem  Mittelalter 
erhaltenen  Toren  ist  besonders  das  von  Bordeaux  beachtenswert.  In 
Italien  hatten  Meisterwerke  der  Festungstore  geschaffen  San  Michele 
in  der  Porta  Nuova  und  Porta  Stuppa  zu  Verona,  Michelangelo  in  der 
Porta  Pia  zu  Rom.  Die  niederländischen' Festungsbaumeister  liebten  es 
auch,  die  Toranlagen  künstlerisch  zu  gestalten  und  kein  geringerer  als 
Peter  Paul  Rubens  selbst  entwarf  die  Fassade  des  Scheidetores  zu 
Antwerpen.  Mehr  als  Triumphbogen  ist  die  Porte  Saint  Denis  in  Paris 
gedacht,  die  1671  —  72  der  grofse  Architekt  Fran^ois  Blond el  zum 
Andenken  an  die  Siege  in  Flandern  und  der  Franche-Comte  erbaute. 
Das  Königstor  zu  Stettin,  1718 — 28  errichtet,  zeigt  die  Abhängigkeit  von 
dem  französischen  Vorbilde.  Ebensowenig  ist  das  Brandenburger  Tor 
in  Berlin  eigentlich  als  ein  Stadttor  im  Sinne  früherer  Jahrhunderte  an- 


*)  Franz  Bock.     Rheinlands  Baudenkm.  des  MA.  3.  Serie  (Köln  o.  J.  c.  1870), 
die  mittelalterlichen  Befestiirungswerke  Aachens. 

^)  Abgeb.  bei  Ernst  Förster,  Denkmäler  deutscher  Kunst.  U. 


2.    Die  Strafsen  der  Städte.  G9 

zusehen,  es  bildet  nur  den  monumentalen  AbschluTs  der  Linden.  Dagegen 
ist  das  von  Nobile  erbaute  Burgtor  in  Wien  tatsächlich  als  Festungs- 
tor angelegt. 

2.  Die  Strafsen  der  Städte. 

Die  Zugbrücke  überschreitend,  gelangen  wir  durch  das  Torhaus 
nun  in  die  innere  Stadt,  und  da  sind  es  vor  allem  die  Strafsen,  die 
unsere  Aufmerksamkeit  auf  sich  ziehen,  nicht  durch  ihre  Vortrefflich- 
keit, sondern  vielmehr  durch  ihren  verwahrlosten  Zustand')  bemerkenswert. 

Die  so  überaus  verständige  Art,  wie  die  Römer  ihre  Strafsen 
angelegt,  sauber  gepflastert,  mit  Steigen  für  die  Fufsgänger  versehen, 
für  die  gehörige  Abwässerung  gesorgt,  alle  diese  Errungenschaften  alter 
Kultur  waren  im  Mittelalter  in  Vergessenheit  geraten,  ja  wir  können 
behaupten,  dafs  selbst  in  unserer  Zeit  noch  nicht  allerorten  die  Voll- 
kommenheit der  Stadtanlagen  erreicht  ist,  die  die  Römer  überall  als 
unerläfshch  ansahen:  gute  Strafsen,  Wasserleitungen,  öffentliche  Bäder 
u.  s.  w.  In  den  ersten  Jahrhunderten  des  Mittelalters  scheint  man  sich 
imi  die  städtischen  Strafsen  gar  nicht  gekümmert  zu  haben;  man  über- 
liefs  sie  allen  Einwirkungen  der  Witterung:  bei  Regen  und  Tauwetter 
bildeten  sie  einen  bodenlosen  Morast,  den  die  Fufsgänger  nur  auf 
Steckelschuhen,  auf  künstlich  gelegten  Steinen  überschreiten  konnten. 
Aller  Unrat  wurde  auf  die  Strafse  geworfen ;  selbst  in  Paris  trieben  sich 
die  Schweine  auf  ihr  herum.  1131  hef  in  einer  Vorstadt  (in  der  Rue 
du  Martroi)  ein  Schwein  dem  Pferde  des  fünfzehnjährigen  Sohnes  von 
Ludwig  dem  Dicken,  Philipp,  in  die  Beine ;  der  Prinz  wurde  abgeworfen 
und  starb  an  den  Folgen  dieses  Sturzes  am  13.  Oktober.  Das  trug 
aber  keineswegs  dazu  bei,  die  Übelstände  zu  beseitigen.  Man  war  an 
den  Schmutz  in  Paris  so  sehr  gewöhnt;  leitete  man  doch  Lutetia  von 
lutum  ab  und  übersetzte  den  lateinischen  Namen  mit  Schmutzstadt. 

Von  dem  Pestgestank  2)  in  den  Strafsen  können  wir  uns  eine  Vor- 
stellung machen,  wenn  wir  bei  Rigordus  lesen,  dafs  der  König  Philipp 
August,  der  doch  an  die  Ausdünstung  seiner  Residenz  gewöhnt  sein 
mufste,  1185  ohnmächtig  wurde,  als  er  am  Fenster  seines  Palastes  stand 
und  vorüberfahrende  Karren  den  Strafsenschmutz  aufwühlten.  Infolge 
dieser  Erfahrung  befahl  der  König  den  Bürgern,  die  Strafsen  der  Stadt 
mit  harten  und  festen  Steinen  zu  pflastern.  Nur  einige  wenige  Strafsen 
wurden  so  gepflastert  und  zwar  mit  grofsen  Steinplatten,  drei  bis  vier 
P\ifs  im  Quadrat  und  mehr  als  einen  Fufs  dick;  Reste  dieses  Pflasters 
sind  tief  unter  dem  jetzigen  Strafsenniveau  -«Tiederholt  in  Paris  auf- 
gefunden worden.  Aber  bald  war  der  Zustand  der  Strafsen  der  alte; 
die  Pflasterung  wurde  nicht  ausgebessert  und  besonders  die  Gewohnheit, 


')  Alfred  Franklin,  la  vie  privee  d'autrefois  (la  Hygiene).  Paris  18110.  — 
A.  Schultz,  d.  höfische  Leben  z.  Zeit  der  Minnesinger  »I.  (Lpz.  1889)  S  120  ö'.  — 
A.  Schultz,  Deutsches  Leben  im  14.  u.  15.  Jahrhundert.  Prag  u.  Lpz.  189.'.  S.  21  ff. 
—  Hüllmann,  Städte wesen  des  Mittelalters.     Bonn  1825—29. 

'■')  Vgl.  über  das  Folgende  A 1  f  r.  F  r  a  n  k  1  i  n ,  La  Vie  privee  d'autrefois  (la  Hygiene.) 
Paris  1890. 


70  II-    l'ii^  Städte. 

all  und  jedoii  Unrat  und  Kot  auf  die  ÖtraCse  zu  weriVn,  blieb  ungestört, 
so  dafs  noch  nach  mehr  als  (nneinhalb  Jahrhunderten  die  alten  Klagen 
über  die  Unwegsamkeit  und  Unsauberkeit  der  Stralson  vollauf  berechtigt 
waren.  Und  doch  hatte  man  schon  zur  Zeit  Ludwigs  IX.  des  Heiligen 
einen  Stralsenaufscher  (Voyer),  der  zahlreiche  Naturalsteuern  von  den 
Händlern  und  Krämern  (u-hob.  Die  entsetzHclien  Verwüstungen,  welche 
die  Seuche  des  schwarzen  Todes  in  Paris  anrichtete,  veranlaCsten  1348 
den  König  Johann  11.,  die  Bürger  zur  Kcinigung  der  Stralsen  zu  ermahnen  ; 
die  Schweine,  die  sich  gegen  die  Verordnung  auf  der  Strafse  herum- 
trieben, sollten  die  Diener  vom  Chätelet  töten  dürfcMi ;  sie  behielten 
für  sich  den  Ko])f,  das  übrige  wurde  an  die  8})itäler  a])g('liefert.  Die 
Besitzer  sollten  die  Strafse  vor  ihren  Häusern  fegen  lassen;  es  wurde 
ihnen  nahegelegt,  auch  für  ihre  Pflastennig  zu  sorgen.  In  der  Ver- 
ordnung vom  30.  Januar  1350  wurde  alles  das  noch  einmal  wiederholt, 
nur  gedenkt  man  der  Ausräumer  der  Senkgruben  (vidangeurs  oder 
maistres  fifi)  und  nimmt  sie  gegen  jede  Beleidigung  in  Schutz.  Wie  die 
1356  und  1374  erneuten  Bekanntmachungen  zeigen,  fanden  alle  diese 
Verordnungen  wenig  Beachtung.  Einzelne  Hausbesitzer  hatten  Karren 
zur  Abfuhr  des  Unrates  gemietet,  aber  man  lud  den  Schmutz  auf  der 
Place  Maubert  ab,  so  dieseÄ-  Marktplatz  völlig  verpestet  wurde;  1388 
erschien  eine  neue  Bekanntmachung.  Es  mrd  über  den  schlechten 
Zustand  des  Pflasters  sowie  über  die  ekelerregende  Unsauberkeit  der 
Strafsen  geklagt  und  alle  Hausbesitzer,  selbst  die  Geistlichen  und  die  sonst 
Privilegierten,  werden  aufgefordert,  den  Schmutz  vor  ihren  Häusern  fort- 
zuschaffen und  das  Pflaster  auszubessern.  Wieviel  diese  Edikte  genutzt 
haben,  zeigt  am  besten  der  Umstand,  dafs  sie  1392,  1393,  1395  wieder- 
holt werden  nmfsten.  Die  Kosten  der  Abfuhr  wurden  geregelt.  1399 
befahl  der  König,  dafs  Bürger,  Geistliche,'  selbst  Prinzen  von  Geblüt 
für  Instandhaltung  und  Reinigung  der  Strafse  vor  ihren  Häusern  zti 
sorgen  hatten. 

Das  erreichte  man  nun  allenfalls,  allein  dafür  häufte  sich  auf  den 
öffenthchen  Plätzen  der  Schmutz;  die  Anwohner  der  Seine  warfen  ein- 
fach alles  in  den  Flufs  und  verpesteten  ihn  so,  dafs  Karl  VI.  1404 
drohte,  ihn  auf  Kosten  der  Bürger  reinigen  zu  lassen.  So  wird  noch 
wiederholt  während  des  15.  Jahrhunderts  die  Sauberhaltung  der  Strafsen 
eingeschärft,  augenscheinlich  ohne  Erfolg.  Doch  hatte  man  im  15.  Jahr- 
hundert begonnen,    die  Abwässer   durch  Kanäle   in  die  Seine  zu  leiten. 

Unter  Franz  I.  wurde  1531  in  Anbetracht  der  verheerenden  Pest- 
seuche die  Pflasterung  und  Reinigung  der  Strafsen,  die  Abfuhr  der  Un- 
sauberkeiten  geregelt,  zugleich  den  Hausbesitzern  bei  Strafe  befohlen, 
Anstandsorte  und  Senkgruben  in  ihren  Häusern  herstellen  zu  lassen. 
Noch  strengere  Geklstrafen,  ja  körperliche  Züchtigung  drohte  das  Edikt 
vom  November  1539  an.  Es  sollte  nicht  aller  Unrat  auf  die  Strafse 
geworfen  werden;  unsaubere  Flüssigkeiten  sind  in  die  Kanäle  zu  tragen 
und  ein  Eimer  reines  Wasser  nachzuschütten,  damit  der  Unrat  um  so 
schneller  fortgespült  wird.  Ein  Parlamentsedikt  vom  4.  Juni  1536  verbietet 
ausdrücklich,  Unsauberkeiten  durchs  Fenster  auf  die  Strafse  zu  schütten. 


2.    Die  Strafsen  der  .Stildte.  71 

Um  6  Uhr  früh  und  um  3  Uhr  nachmittags  fuhren  (he  Gemüh- 
wagen  diu-ch  die  Strafsen;  jeder  Hausbesitzer  hatte  Sorge  zu  tragen, 
dafs  der  Unrat  zimi  Mitnehmen  bereit  war.  Die  Pohzisten  sollten 
täghch  sich  überzeugen,  dafs  auf  den  Strafsen  alles  in  Ordnung  war. 

Die  grofsen  Steinplatten,  die  man  im  12.  Jahrhundert  angewendet 
hatte,  scheinen  sich  nicht  bewährt  zu  haben,  man  verwendete  erst 
kleinere  Steine  (50 — 60  cm  ini  Quadrat,  16 — 19  cm  dick)  und  zu  Anfang 
des  15.  Jahrhunderts  Würfel  von  6 — 7  Zoü.  Ja  man  kennt  eine  Art 
von  Macadampflaster,  das  unter  dem  Namen  »Pave  de  la  Ligue« 
bekannt  ist. 

Der  Gestank  der  oltenen  Kanäle  verpestet  aber  Paris  bis  ins 
17.  Jahrhundert.  Ein  Fortschritt  war  es  wenigstens,  als  1644  die  Fuhr- 
leute der  Ausräumearbeiten  bei  Strafe  angehalten  wurden,  im  Sommer 
imi  6,  im  Winter  um  7  Uhr  früh  mit  ihren  Verrichtungen  fertig  zu 
sein.  Die  Pflasterung  wurde  unter  Ludwig  XIV.  verbessert,  und  grofse 
Verdienste  erwarb  sich  um  die  Reinhchkeit  der  Stadt  der  bekannte 
Pohzeileutnant  Nicolas  de  la  Reynie.  Allein  trotz  alledem  schüttete 
man  aus  den  Fenstern  den  auf  der  Strafse  Vorübergehenden  allerlei  Unrat 
auf  den  Kopf;  da  für  öffentliche  Bedürfnisanstalten  nur  unzureichend 
gesorgt  war,  war  auf  den  Strafsen  die  Unreinlichkeit  nicht  zu  beseitigen, 
selbst  der  Palast  des  Louvre  war,  wie  ein  Bericht  von  1682  beweist, 
voller  Unsauberkeit.  Ein  gut  Teil  dieser  unerträglichen  Zustände  liegt 
an  der  auch  sonst  oft  bewiesenen  schlechten  Gewohnheit  der  damaligen 
Gesellschaft.  In  Spanien  war  selbst  der  vom  König  bewohnte  Palast 
nicht  vor  ekelhaften  Verunreinigungen  gesichert.^)  Die  Vermehrung 
ötfenthcher  Anstandsorte  (Garderobes)  half  wenigstens  einigermafsen  diesen 
Übelständen  ab. 

Im  18.  Jahrhundert  waren  die  Strafsen  von  Paris  trotz  aller  Edikte 
noch  immer  sehr  schmutzig;  in  der  Mitte  der  Fahrbahn  flofs  der  übel- 
riechende Rinnstein.  Wer  nicht  von  seinen  Ausdünstungen  zu  sehr 
belästigt  sein  wollte,  mufste  dicht  an  den  Häusern  gehen  (le  haut  du 
pave);  vor  den  Güssen  aus  den  Fenstern  war  man  da  aber  erst  gar 
nicht  sicher.  Indessen  wurde  die  Kanalisation  und  das  Pflaster  ver- 
bessert; das  aus  Sandsteinwürfeln  von  7 — 8  Zoll,  sollte  nach  Voltaires 
Aufserung  das  beste  sein. 

Die  Dachrinnen  hatten  bisher  das  Regenwasser  direkt  in  den  Rinn- 
stein geschüttet:  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  verwendet  man  Abfall- 
rohre :  das  Regenwasser,  das  aus  ihnen  strömt,  wäscht,  ehe  es  in  den 
Rinnstein  fällt,  einen  Teil  des  Strafsenpflasters.  Erst  1782  werden 
Trottoirs  nach  englischem  Muster  angelegt ;  das  Besprengen  der  Strafscjn 
hatte  schon  um  1761  Pierre  Outrequin  eingeführt;  gegen  Anfang  des 
19.  Jahrhunderts  werden  öffentliche  Water-Closets  üblich. 

Ich  habe  an  der  Hand  der  trefflichen  Schilderung  von  Alfred 
Franklin  die  Pariser  Strafsen  ausführlicher  l)esprochen,  weil  Paris  eine 
Grofsstadt   ist,    im    13.  Jahrhundert  schon   120000,    im    14.  Jalirhundert 


')  K.  Juati,  Diego  Velas(iuez.     Bonn  1888.  —  II.  219. 


72  H-    r)io  Städte. 

löOOOO,  zu  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  200000,  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts eine  lialhe  INIilHon  Einwohner  hatte.  Von  Paris,  der  angestaunten 
WeUstaiU,  wird  man  einen  Sehhil's  auf  (he  Strafsen  in  den  französischen 
Provinzialstädten  machen  kcnnien.  Aber  auch  die  Übelstände,  die  in 
anderen  T.änihM-n  hinsichthch  der  Strars(>n])ohzei  sich  bemerkhch  machten, 
nuifs  man  »h\nn  gerechter  und  bilhger  beurteilen. 

In  Mantua  hatte  man  1229  mit  der  Pflasterung  begonnen;  1242 
wurde  (h'r  Markt]>latz  von  Verona  gepflastert. 

1)  V  u  t  s  eil  1  and  ^)  war  ziemlich  zurückgeblieben  :  eine  der  Städte,  deren 
Strai'sen  am  h-ühesten  gepflastert  wurden,  ist  Prag  (1331).  In  Nürnberg 
cutschlol's  man  sich  erst  1368  dazu;  vorher  war  bei  Regenwetter  auf 
seinen  Strai'sen  o'm  unergründlicher  Morast.^)  Jedoch  man  mufs  nicht 
glauben,  dafs  viele  Strai'sen  und  Plätze  der  Pflasterung  teilhaftig  wurden : 
solche  Verbesserungen  liefs  man  zunächst  nur  den  Hauptstrafsen,  durch 
die  die  Stadt  passierenden  Wagenzüge  gingen,  angedeihen.  Bern  (1399), 
Regensburg  (1400),  Augsburg  (1416)  folgten  dem  Beispiele  Nürnbergs; 
in  Breslau  pflasterte  man  1406  auf  der  Sandinsel.  Die  kleinen  Städte 
entschlossen  sich  endhch  auch  dazu;  in  Landshut  begann  man  1494. 
Indessen  in  Tuttlingen  war  es  so  schmutzig,  dafs  man  dem  Kaiser 
Friedrich  von  einem  Besuche  abriet,  und  in  Reutlingen  ist  er  1485  am 
28.  August  beinahe  samt  seinem  Pferde  im  Strafsenkot  versunken.  In 
Breslau  war  bis  1534  der  Neumarkt  ungepflastert.^)  1559  wird  das  Pflaster 
in  Dresden  auf  das  gleiche  Niveau  gebracht;  die  Bauern,  die  Holz  vom 
Amte  erhalten,  müssen  umsonst  Steine  in  die  Stadt  mitbringen.^)  1561 
wird  der  Platz  vor  dem  Rathaus  zu  Köln  neu  gepflastert:  man  hatte 
sich  den  Meister  Adrian  aus  Antwerpen  kommen  lassen.^) 

Im  Gegensatz  zu  Paris  waren  die  deutschen  Städte  gewöhnhch  mit 
Feldsteinen  gepflastert. 

Auch  in  Deutschland  waren  die  Strafsen  sehr  unsauber.  Schweine 
hefen  auf  ihnen  herum  —  es  war  selbst  in  Nürnberg  den  Beckern  und 
Pf  ragnern  gestattet,  10  Stück  zu  hahen,  in  Frankfurt  a.  M.  den  Beckern 
(14.  Jahrh.)  2—6:  (1365  den  ßeckern  im  Rate  8,  den  anderen  nur  4). 
Ja  die  Schweinekoben  hatte  man  nach  der  Strafse  hin  untergebracht, 
und  dieser  Umstand  trug  sicher  nicht  dazu  bei,  die  Luft  in  der  Stadt 
zu  verbessern.  In  Breslau  wurde  erst  1495  befohlen,  diese  Schweine- 
ställe an  den  Strafsen  und  am  Ringe  zu  beseitigen,  verboten,  die  Tiere 
bei  Strafe  frei  auf  der  Gasse  herumlaufen  zu  lassen,  doch  mufste  das 
Gesetz  noch  1515  aufs  neue  eingeschärft  werden  und  bei  dieser  Gelegen- 
heit wurde  die  Konfiskation  der  an  hohen  Festtagen,  z.  B.  am  Fron- 
leichnamsfeste, auf  der  Strafse  betroffenen  Schweine  angedroht.  Die 
Einwohner   waren   gewöhnt,    ahen  Unrat   des  Hauses    auf   die  Gasse  zu 

»)  Höf.  Leben  ^H,  120  if . ;  Deutsches  Leben  im  14.  und  15.  Jahrhundert  S.  21  ff. 
—  J.  Beckmann      Beyträge  z.  Geschichte  der  Erfindungen.     Lpz.  1788.  IL  335  ff. 
*)  Anzeiger  für  Kunde  deutscher  Vorzeit  1875.     Sp.  209  ff. 
"■)  Nie.  Pol,  Hemerolog.  Jul.  22. 
*)  Wenck,  483. 
^)  Buch  Weinsberg  II,  113. 


2.    Die  Stralscn  der  Städte.  73 

werfen.  In  gewissem  Sinne  waren  da  die  Scliweine  immerhin  nicht 
ohne  Nutzen.  In  Krakau  hat  man  sclion  im  14.  und  15.  Jahrhundert 
Verordnungen  über  die  Bereinigung  der  Strafsen  erlassen,  in  dem  Mühl- 
dorfer  Stadtrechte  aber  ■s\drd  ausdrückhch  bestimmt,  dafs  ohne  Erlaubnis 
der  Bürger  und  des  Richters  der  Mist  nur  14  Tage  lang  auf  dem 
Markte  liegen  bleiben  darf.  Als  eine  vortreffliche  Einrichtung  wird  es 
in  einem  1490  abgefafsten  Lobgedicht  auf  Nürnberg  gepriesen,  dafs  da 
täglich  ein  Knecht  die  toten  Säue,  Hunde,  Katzen,  Hühner  und  Ratzen 
auf  der  Strafse  sammelt  und  vor  das  Tor  der  Stadt  hinausträgt. 

In  Berlin  sah  es  noch  im  17.  Jahrhundert  schlimm  aus.  Als  1624 
der  Kurfürst  die  Reinigung  der  Strafsen  befahl,  antwortete  der  Rat, 
das  gehe  nicht  an,  weil  die  Bürger  mit  Feldarbeit  beschäftigt  wären. 
1650  erging  ein  neuer  Befehl,  die  grofsen  Kehrichthaufen  an  der  Peters- 
kirche fortzuschaffen;  seit  1671  mul'ste  jeder  Bauer,  der  nach  Berlin 
zum  Markte  kam,  eine  Fuhre  Unrat  wieder  mit  hinausschaffen.  Bis 
1641  hatten  die  Bürger  ihre  Schweineställe  unter  den  Fenstern  an  der 
Strafse;  der  Schmutzerei  wurde  erst  ein  Ende  gemacht  als  1681  der 
grofse  Kurfürst  den  Bürgern  das  Mästen  der  Schweine  verbot.^) 

In  den  seit  dem  13.  Jahrhundert  in  Schlesien,  Böhmen,  Preufsen 
neu  angelegten  Städten  hat  man  die  Strafsen  nach  einem  gewissen 
System  immer  schnurgerade  abgesteckt,  grofse  Marktplätze  in  regelmäfsigen 
Quadraten  vorgesehen.  Seit  dem  14.  Jahrhundert  bei  der  Erweiterung 
der  Städte  ist  man  jedoch  zum  Teil  von  diesen  Grundsätzen  abgewichen : 
die  Verlängerungen  der  alten  geraden  Strafsen  verlaufen  krumm  je 
nach  Bedürfnis.  In  den  alten  Städten  wie  Köln,  Hildesheim,  I'rag  hat 
man  auf  eine  regelmäfsige  Führung  der  Strafsen  überhaupt  verzichtet. 
Des  Nachts  wurden  sie  mit  Ketten  versperrt :  es  brauchte  in  der  Finsternis 
niemand  in  der  Stadt  fahren,  zumal  da  ja  die  Stadttore  seit  der  Dunkel- 
heit längst  geschlossen  waren. 

Für  die  Sicherheit  sorgte  der  Nachtwächter,  der  wie  in  Chemnitz 
1488  im  Sommer  von  10  Uhr  abends  bis  o  Uhr  früh,  im  Winter  von 
7 — 5  Uhr  seines  Amtes  waltete,  an  den  Kreuzwegen  alle  Stunden  aus- 
rief und  zur  Bewahrung  des  Feuers  aufforderte.-)  Die  Hunde  mufsten 
nach  der  Nürnberger  Verordnung  von  1430  eingesperrt  werden,  damit 
sie  nicht  auf  der  Gasse  sich  herumtreibend  die  Nachtruhe  der  friedlichen 
Bürger  störten,  die  ohnedies  durch  das  Lärmen  der  Nachtschwärmer, 
die  Serenaden  verliebter  Jünglinge  oft  genug  bedroht  wurde. 

Die  Strafsen  waren  des  Nachts  absolut  finster,  wenn  nicht  der 
Mond  die  Beleuchtung  übernahm.  Wer  bei  einbrechender  Dunkelheit 
durch  die  Gassen  gehen  mufste,  liefs  sich  mit  Fackeln  oder  Wind- 
lichtern vorlcuchten  oder  trug  sich  selbst  eine  Laterne.  1662  erhielt 
in  Paris  ein  Aljbate  Laudati  das  Privileg,  Fackeln  und  Laternen 
gegen  Entgelt  zu  vermieten.^)  Eine  Strafsenbeleuehtnng  ist  in  Paris 
erst  1667  angeordnet  worden,    da    die  früheren  Befelilf^    von   1524,   1553, 


»)  Beckmann,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  Erf.  II,  360,  Leipz.  1788. 

«)  Vgl.  Beckmann,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  Erf.  IV.  128  ff. 

»)  Beckmann,  Beitr.  z    Gesch.  d.  Erf.,  Leipzig  1786,  I,  72. 


74  n.    Die  Städte. 

1558  ohne  Erfolg  waren  ^);  man  erhellte  ein  wenig  die  Gassen  durch 
Laternen,  in  denen  Talglichter  brannten.  Erst  um  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts wurde  Paris  ca.  1766  mit  Reverb^re-Laternen  beleuchtet  (ebend. 
I,  75;  II,  526);  sie  hingen  an  quer  gesjiannten  Ketten  mitten  in  der 
Strafse,  strahlten  ihr  Lichl  wolil  in  die  Ferne;  aber  gerade  unmittelbar 
unter  der  Laterne  war  es  um  so  dunkeler.  Nur  wenn  hoher  Besuch  in 
der  Stadt  verweilte,  hat  man  Laternen  schon  im  Mittelalter  vor  den 
Häusern  ausgehängt.  Aul"  städtische  Kosten  wurden  bei  Bränden  an  den 
Eckhäusern  Laternen  oder  in  eisernen  Brandkörben  Kienspäne  zur  Be- 
leuchtung angezündet.  In  London  sind  Verordnungen  über  die  Be- 
leuchtung schon  von  1414  vorhanden,  doch  scheint  erst  1668  dieselbe 
geordnet  zu  sein;  jeder  Haus's^'irt  hatte  zwischen  6  Uhr  abends  uml 
11  L^hr  eine  Laterne  auszuhängen.  Erst  1736  und  1739  wurde  die  Be- 
leuchtung durchgeführt.  In  Amsterdam  gibt  es  1669  öffentliche  Strafsen- 
laternen,  in  Hamburg  1675,  in  Berlin  seit  1679,  in  Wien  seit  1687 
(seit  1776  Kugellampen),  in  Hannover  1696,  in  Leipzig  1702,  in 
Dresden  1705  (Neustadt  1728),  in  Frankfurt  a.  M.  1707,  in  Oassel 
1721.  Halle  1728,  Braunschweig  1765.2) 

Wenn  es  in  den  Hauptstädten  Deutschlands  so  schlimm  mit  der 
Sauberkeit  der  Strafsen  bestellt  war,  so  ist  es  leicht,  sich  eine  Vor- 
stellung von  den  Verhältnissen  einer  kleinen  Stadt  zu  mach(Mi.  1610 
veröffentlicht  Hippolyt  Guarinonius  seine  berühmten  »Growel  der 
Verwüstung«.  Er  hat  wohl  seinen  Wohnort,  Hall  in  Tirol,  im  Auge, 
wenn  er  (S.  503)  von  den  » Secrethäusern  gegen  die  Gassen  oder  nechst  hinder 
der  Hausthiern«  erzählt,  mitteilt,  wie  aller  Unrat  in  den  Rinnstein  oder 
aus  den  Fenstern  auf  die  Gasse  geschüttet  ^drd,  w^e  grofs  und  klein 
auf  offener  Strai'se  sich  erleichtern,  wie  die  Düngerhaufen  bei  den 
Bürgern,  die  Vieh  halten,  bis  zmn  Frühling  vor  den  Häusern  oder  auf 
dem  Marktplatze  hegen  bleiben  (S.  504 — 515).^) 


»)  Ebend.  I,  72  ff. 

^)  Beckmann  a.  a.  0.  I,  80  ff.  Als  Beckmann  den  Aufsatz  schrieb  (1780)  ent- 
behrte Rom  noch  jeglicher  Beleuchtuno'. 

2)  Vgl.  Le  Moyen  de  parvenir.  s.  1.  e.  a.  16"  p.  134.  Es  pays  d'Alsassie  en  un 
endroit  assez  beau,  si  vous  n'y  avez  este,  cela  ne  vous  servh-a  ä  rien  de  le  vous  decru-e, 
pource  que  vous  n'y  cognoistrez  rien,  et  si  vous  y  avez  este  c'est  assez,  cele  vous 
emportuneroit  de  le  rapporter,  sinon  allez-y:  La  les  dames  sont  assez  libres,  mais  sages 
et  pour  le  bien  faire  paroistre,  elles  ne  pissent,  qu'une  fois  la  semaine  et  c'est  au 
Vendi-edy  qu'elles  s'assemblent  au  matin  toutes  par  bandes  ce  qu'il  fait  estrangement 
moult  bien  voir,  et  selon  leur  dignitez  s'en  vont  en  pisserie,  comme  on  va  ä  la  foire, 
dequoy  elles  n'ont  plus  de  honte  que  les  femmes  de  bien,  qui  monstrent  l'appanage 
de  leur  fessier  aux  eaux  de  Pougues.  Que  c'est  que  de  coustumes  des  pays,  on  ne 
le  trouveroit  pas  hon  icy,  et  la  il  est  delectable  ;  Ainsi  qu'es  villes  de  Nomiandie  oü 
plusiers  en  leur  i)Ochette  gauche  portent  un  mouchoir  pour  le  cul  ainsi  qu'en  la  droite 
un  pour  le  nez.  Estans  arrivees  ces  femmes  au  lieu  de  la  pisserie  ou  pissotiere  elle.'^ 
se  disposent  commes  des  montagnes  d'Angleterre,  chacune  oü  eile  est  y  gardant  dig- 
nitez, prerogatives  et  honneur  ....  en  cette  commodite  abondamment,  joyeusement  et 
ä  la  copieuse  et  benigne  descharge  des  reins  elles  vuident  leurs  vessies  et  pissent  tant 
que  cette  riviere  en  est  faitte  et  continuäe  ....  Que  s'il  y  a  des  femmes  qui  ne  savent 
pas  bien  pisser,  on  les  envoye  ä  Geneve  d'autant  que  la  il  y  a  plusieurs  heiles  escoles 
oü  on  apprend  a  pisser  et  chier  en  public  et  en  compagnie. 


3.    Wasscrleitunu;en,  öffentliche  Brunnen.  75 

In  Nürnberg  hatte  man  allerdings  schon  im  15.  Jahrhundert 
7  öffentliche  Bedürfnisanstalten,  die  alle  Jahre  einmal  um  Martini 
geräumt  wurden.  Die  »Nachtmeister«  (Guarinonius  nennt  sie  »Nacht- 
kunig  oder  Nachtstüerling«)  sind  verpflichtet,  den  Dung  in  die  Pegnitz 
zu  werfen.  Noch  vor  Menschengedenken  waren  die  Aborte  der  an  der 
Pegnitz  gelegenen  Häuser  ohne  Senkgruben,  einfach  auf  den  Fluls 
angewiesen,  und  dasselbe  fand  z.  B.  auch  in  Breslau  statt,  wo  die  Ohle 
die  Stelle  der  Pegnitz  zu  vertreten  hatte.  In  Breslau  hatte  man  aber 
schon  im  Jahre  1476  einen  Bader  um  10  Mark  gestraft,  der  Unrat  in 
die  Ohle  und  Mist  in  die  Oder  geschüttet  haben  sollte.  ^) 

In  Berlin  wurde  der  neue  Markt  erst  1679,  die  Königsstralse  16H4 
gepflastert,  die  Stechbahn  war  noch  1679  ungepflastert.  ^j 

In  Frankreich  und  Deutschland  beginnt  mit  dem  16.  Jahrhundert 
wenigstens  für  die  gröfseren  Städte  eine  Besserung  der  unerträghchcu 
Übelstände,  die  während  des  Mittelalters  allerorten  anzutreffen  waren, 
im  Norden  dagegen  hat  man  erst  im  16.  Jahrhundert  alles  das  zu 
durchleben,  was  in  anderen  Ländern  schon  m«hr  oder  weniger  über- 
wunden war.  Wir  besitzen  ein  treffliches  Werk  von  Troels  Lund"'), 
dem  wr  folgende  Notizen  entnehmen.  Die  Pflasterung  wurde  in  Dänemark 
und  Norwegen  erst  im  16.  Jahrhundert  und  zwar  von  Holland  aus  ein- 
geführt,  und  die  Strafsen  zeichneten  sich  gleichfalls  durch  Schmutz  und 
Unsauberkeit  aller  Art  aus;  die  Plage  der  auf  den  Stral'sen  sich  herum- 
treibenden Schweine  und  der  herrenlosen  Hunde  war  wie  in  den  Städten 
Deutschlands  nur  schwer  zu  beseitigen;  auch  die  nach  der  Strafse  zu 
gelegenen  Klosets  und  deren  Reinigung  gab  zu  vielen  Übelständen  Ver- 
anlassung. 

Die  Numerierung  der  Häuser  ist  erst  im  18.  Jahrhundert  angeregt 
worden^);  früher  begnügt  man  sich,  die  Stralse  zu  nennen,  die  Nach- 
barn oder  die  Gegenüber  zu  bezeichnen.  Viele  Häuser,  zumal  seit  dem 
15.  Jahrhundert,  tragen  auch  einen  Namen  und  dann  ist  das  ent- 
sprechende Bildwerk  recht  sichtbar  an  dem  Hause  angebracht. 

3.   Wasserleitungen,  öffentliche  Brunnen. 

Dafs  bei  der  in  den  Stral'sen  und  wohl  nicht  minder  in  den 
Häusern  herrschenden  Unreinlichkeit,  auch  infolge  der  von  den  in  der 
Stadt  gelegenen  Begräbnisplätzen  ausgehenden  Infektion  das  Trinkwasser 
schlecht  und  ungesund  wurde,  liegt  auf  der  Hand.  Noch  im  18.  Jahr- 
hundert wird  in  Paris  über  das  ungeniefsbare  Wasser  geklagt.^)  Um 
diesen  Übelständen  abzuhelfen,  hatten  einige  Städte  —  Prag  zwar  selbst  im 
Jahre    1903    nicht   —    Wasserleitungen    angelegt,    um    reines    trinkbares 


1)  S.  B.  Klose,  Breslau  in  Script.  Rer.  Siles.  III,  69,  Brcsl.  1847. 

ä)  Beckmann  a.  a.  O.  II,  351. 

"')  Das  tägliche  Leben  in  Skandinavien  während  des  l(i.  .lahrhunderts,  Kopen- 
hagen 1882, 

*)  Vgl.  .\lfred  Franklin.  La  vie  privee  d'autrefois.  V'arietes  Parisiennes  (Paris 
1901),  Kap.  I— VI) 

»)  Franklin  a.  a.  O.  171. 


76  11-    l^ie  Städte. 

Wasser  von  aul'sen  den  Bürgern  zuzuführen.  Italien  war  mit  dem  guten 
Beispiele  vorangegangen:  Mailand  beginnt  den  Bau  der  Leitung  1179, 
Siena  1193,  dann  i\)lgt  Gremona  1233,  Como  1257,  Modena  1259, 
Parma  1233  und  1285,  später  Bologna  und  Verona.  Auch  in  London 
versuchte  man  es  1236,  und  in  Paris  traf  man  gleiche,  wenn  auch  lange 
nicht  ausreichende  Vorkehrungen.  Die  Wasserleitung  hatte  aber  nicht 
allein  den  Zweck,  Trinkwasser  zu  liefern,  sondern  sie  sollte  auch  zur 
Sjtülung  der  Kanäle  benutzt  werden.  Zu  diesem  Zwecke  leitete  man 
1292  in  Golmar  ein  nahegelegenes  Flüfschen  durch  die  Stadt.^)  In  Zittau 
wird  die  Wasserleitung  1374  erbaut,  in  Nürnberg  mufs  sie  schon  1362  vor- 
handen gewesen  sein,  da  in  diesem  Jahre  mit  der  Errichtung  des  schönen 
Brunnens  begonnen  wurde.  Die  Wasserversorgung  von  Bern  ist  gleichfalls 
alt,  bereits  1393  ins  Werk  gesetzt.  Sieben  Rohrbrunnen  hat  man  1416  in 
Augsburg  dem  Gebrauche  übergeben.  Wurde  nun  mittels  eines  Hebe- 
werkes das  Gefäll  des  Wassers  so  verstärkt,  dafs  es  in  die  Häuser 
geleitet  werden  konnte,  dann  war  es  auch  möglich,  Springbrunnen  und 
beständig  sprudelnde  Röhrbrunnen  anzulegen.  Wenn  man  allerdings 
das  oft  arg  verunreinigte  Flufswasser  zu  diesem  Zwecke  verwendete, 
dann  war  wenig  gewonnen.  So  wollte  der  berühmte  Ingenieur  Salomon 
de  Gaux  1621  die  Stadt  Paris  durch  Zuleitung  von  Seinewasser  reinigen 
und  zugleich  öffentliche  Brunnen  an  schickhchen  Plätzen  mit  diesem 
Wasser  versehen. 

In  Breslau  gab  es  bereits  1479  eine  Wasserkunst,  durch  die  das 
Oderwasser  in  die  Stadt  geleitet  wurde.  1514  waren  so  fast  alle  Strafsen 
mit  fliefsendem  Wasser  versorgt.  Diese  Wasserhebewerke  werden  im 
16.  und  17.  Jahrhundert  noch  vergröfsert.^)  Dresden  erhielt  erst  1542 
Hochquellwasser;  in  diesem  Jahre  wurde  das  »Hochplauische  Wasser« 
durch  den  kurf.  sächsischen  Oberzeug-  und  Braumeister  Kaspar  Wierand 
in  die  Stadt  geleitet.  ^) 

Einer  der  ältesten  monumentalen  Springbrunnen  ist,  wie  es  scheint, 
in  der  Ruine  des  Klosters  Heisterbach  noch  erhalten;  er  mag  aus 
der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  herrühren.  Noch  älter  sind 
die  interessanten  Brunnenöffnungen  der  venezianischen  Zisternen.  In 
Siena  ist  die  Fontebranda  bereits  1248  von  Giovanni  di  Stefano 
künstlerisch  gestaltet  worden;  die  Fönte  Gaja  ist  1402 — 19  durch  den 
grofsen  Bildhauer  Jacopo  della  Quercia  erbaut  worden.  Die  Wasser- 
leitung von  Perugia  hatte  1254  Plenerio  begonnen,  und  der  Brunnen 
Fönte  Maggiore  war  von  Niccolö  Pisano  und  seinem  Sohne  Giovanni 
wie  durch  andere  Bildhauer  zu  einem  hervorragenden  Kunstwerke 
gestaltet  worden.  Erst  im  16.  Jahrhundert  werden  dann  wieder  grofse 
schmuckreiche  Brunnen  errichtet  wie  die  Fontana  Pretoria  zu  Palermo 
(1550),  die  Fontana  del  Duomo  zu  Messina,  welche  Giovanni  Angelo 
Montorsoli  1547 — 51  arbeitete,  der  Oceanusbrunnen  im  Giardino  Boboli 
zu  Florenz  von  Giovanni  da  Bologna  und  desselben  Meisters  Neptuns- 

1)  Vgl.  Hüllmann,  Städtewesen  IV,  39  ff. 
'^)  Nie.  Pol,  Hemerologium,  Ang.  10  u.  s.  w. 
»)  Wenck,  Dresden,  S.  19. 


3.    Wasserleitungen,  öffentliche  Brunnen. 


77 


brumien  zu  Bologna  (1563),  die  Fontana  delle  Tartarughe  des  Taddeo 
Landini  zu  Rom  (1585).  Ein  Meisterwerk  vornehmer  Brunnenfassung 
ist  die  Fontana  Trevi  zu  Rom  von  Nicola  Salvi   (1735—62)   ausgeführt. 

Frankreich  hat  aus  äl- 
terer Zeit  viel  weniger  Monu- 
mentall )runnen  aufzuweisen. 
Der  gegenüber  dem  Hospital 
zu  Provins  erbaute  gehört 
wohl  noch  dem  12.  Jahrhun- 
dert an^),  aber  aus  den  letz- 
ten Jahrhunderten  des  Mittel- 
alters sind  nur  unbedeutende 
Überreste,  wenn  wir  Viollet- 
le-Due  Glauben  beimessen 
dürfen,  erhalten.  Berühmt 
ist  die  Fontaine  des  Inno- 
cents  zu  Paris,  1551  von 
dem  berühmten  Baumeister 
Pierre  Lescot  errichtet  und 
von  Jean  Goujon  mit  ausge- 
zeichneten Skulpturen  ge- 
schmückt. 

Zahlreiche  künstlerisch 
geschmückte  Brunnen  sind  in 
Deutschland  erhalten.  Der 
bekannte  schöne  Brunnen  in 
Nürnberg  gehört  noch  dem 
14.  Jahrhundert  an.  Von 
dem  Originalwerke  sind  nur 
Trümmer  noch  vorhanden ; 
was  heute  auf  dem  Markt- 
platze zu  sehen  ist,  wurde 
in  den  ersten  Jahrzehnten 
des  19.  Jahrhunderts  erneu- 
ert. Dagegen  ist  der  kleine, 
aus  Blei  gegossene  Brunnen 
vor  dem  Rathause  zu  Braun- 
schweig  alt.  Das  zierliche 
Kunstwerk  ist,  wie  eine  In- 
schrift besagt,  1408  gefertigt 
worden.  Den  italienischen 
Brunnen  von  Sie  na  und  Perugia 
Böhmen  1495  erbaute.    Gegen  Ende 


]}riuuieii  in  ireiuur. 


ähnelt  der  von  Kuttenbe'rg  in 
des  15.  Jahrlumderts  ist  der  Zieh- 
brunnen im  Dome  zu  Regensburg,  1511  der  Springbrunnen  im  Chore 
des  Freiburger  Münsters,    1463    oder    1470    der   Monumentalbrunnen 


»)  Viollet-le-Duc,  Dict.  de  lArch.  V,  529. 


'i\ 


Tl.    Die  Städte. 


zu  RotteDburii'  volkMulct  worden.  Der  von  (lic'org  Syrlin  in  Ulm  1482 
erbaute  Fischkasten,  der  inschriftlich  1481  angelegte  Brunnen  in  Luzern 
gehören  zu  den  woniaen  Denkmälern  des  15.  Jahrhundorts,  deren  Her- 
Stellungszeit  })räzis  zu  l)estimmen  ist;  die  Entstehungszoit  der  gotischen 
Brunnenbauten    in   Freiburg   i.  Br.,    in    Urach  u.  a.  a.  0.    war   bisher 

nicht  zu  ermitteln.  1508 
wurde  auf  dem  Wein- 
markte  in  Luzern, 
1 509zu  Seh  ^\'  ä  b  i  s  c  h  - 
Hall  ein  Brunnen  noch 
im  spätgotischen  Stile 
errichtet ,  aber  früh 
findet  der  italienische 
Renaissancestil  gerade 
bei  dieser  Art  von  Denk- 
mälern Anwendung. 
Wilhelm  Rem  meldet 
in  seiner  Augsburger 
Chronik,  dafs  1512  »bei 
sant  Martin  ain  rotter 
marmelstainer  rörka- 
sten  gemacht  wurde : 
es  was  darvor  ain  hult- 
ziner  gewest«  und  dafs 
man   gleiche    Brunnen 

1514  bei   S.   Lienhart, 

1515  bei  dem  Weber- 
haus, bei  S.  Ulrich 
und  bei  unser  frauen 
Brüdern-  erbaute.  Si- 
cher ist  der  1526  unter 
dem  Kardinal  Albrecht 
von  Brandenburg  in 
Mainz  ausgeführte  Ju- 
denbrunnen schon  im 
Renaissancestil  gehal- 
ten. Reizend  zumal 
sind  die  zahlreichen 
Säulenbrunnen  in  der 
Schweiz ;  auf  den  Säu- 
len steht  irgend  eine  Figur  z.  B.  in  Basel  und  Bern  ein  Dudelsack- 
bläser ;  das  den  Säulenschaft  umgebende  Friesband  zeigt  im  Relief  einen 
Bauerntanz  auf  einem  Kinderreigen  dargestellt.  Auf  einer  der  Berner 
Brunnensäulen  sitzt  ein  Bär,  dem  ein  Helm  aufgestülpt  ist,  auf  einer 
anderen  steht  der  bekannte  Kindlifresser.  Ähnlich  scheint  der  Markt- 
brunnen von  Bietigheim  in  Schwaben  komponiert  (1549);  auf  der  Säule 
steht    die   Statue    des    Herzogs    Ulrich   von  Württemberg.     Das    gleiche 


Tusetidbiiu 


\\  iirzi'lliaiier. 


3.    Wasscrleitunüfii,  r>tfontliclu'   l'>runiu'n. 


79 


J 
&^. 


Standbild  Ix'krönt  <lt'ii  Marktl)ruiiiK'ii  von  Sindol- 
fingeii.  der  1544  erbaut,  15HS  erneuert  wurde, 
während  der  Marktbrunnen  7A\  Leonberg  (löfJH) 
mit  der  des  Herzogs  Christoph  geschmückt  ist. 
In  Weil  der  Stadt  zeigt  der  Marktbrunnen  von 
1537  das  Standbild  des  Kaisers  Karl  V.  Ich  glaube, 
dafs  es  sich  empfehlen  würde,  bei  modernen  Brunnen- 
ardagen  auf  diese  hübschen  Ideen  zurückzugreifen. 
Andere  Brunnen,  <lie  weder  durch  ihre  Archi- 
tektur noch  durch  die  zierenden  Bildwerke  sich 
auszeichnen,  erhalten  im  16.  Jahrhundert  vielfach 
eine  künstlerische  Bedeutung  durch  ihre  oft  den 
ganzen  Brunnen  wie  eine  Laube  überdeckenden 
künsthch  geschmiedeten  Gitter.  Eins  der  schönsten 
ist  noch  heute  auf  dem  kleinen  altstädter  Ring  in 
Prag  zu  sehen. 

(Irofs  ist  der  Kunstwert  aUer  dieser  hül)schen 

Denkmäler  kaum  anzuschlagen,  und  sicher  hat  der 
im  übrigen  arg  überschätzte  Brunnen  zu  Nürnberg, 

den    der   Erzgiefser   Pankraz   Labenwolff    mit   dem 

Gänsemännchen  zierte,  ungleich  mehr  zu  bedeuten. 

Auch  der  kleine  Brunnen  im  Nürnberger  Rathause, 

von  demselben  Meister  herrührend  (1557),  kann  als 

ein  wohlgelungenes   Kunstwerk  angesehen  werden. 

Dagegen    stehen    wir   dem  vielgerühmten  Tugend- 
brunnen, an  der  Lorenzer-Kirche  zu  Nürnberg,  den 

Benedikt  \\'urzelbauer  1589  vohendete,  mit  geteilten 

Empfindungen   gegenüber.     Das  Ganze  ist  hübsch, 

die   Einzelfiguren    aber    zeigen    arge    Maniriertheit. 

An  ein  ähnhches  Kunstwerk  denkt  Fischart,  wenn 

er  in   der   Geschichtsklitterung  (449)   erzählt:    »ein 

herrlicher  Pronnen  von  Albaster :   Und  daraufi"  die 

drey  Gracia    oder  Gnadgöttin    mit  dem  Cornucopi- 

schen  Cereshörnern  des  Überflusses  eins  guten  Jars. 

Und  gaben  Wasser  aus  Brüsten,  mund,  oren,  äugen, 

und    andern    öfnungen    des    Leibs«.      Über    einen 

Springbrunnen,  den  Georg  Labenwolf  für  den  K<)nig 

von  Dänemark  gegossen  hatte,  schreibt  Magdalena 

Behem  am  25.  Dezember  1582  an  ihren  Bräutigam 

Bartholomäus    Paumgärtner^) :     -Da    hat    mon    im 

graben  bey  dem  fichsbag  ein  gewaltig  werck  eines 

springenden  prunens  auf  gericht   von  lautter   mes- 

sing   mit   vi\   reren   und  springen.     Das  haben  wir 

gesehen,  wierst  an  zweifei  wol  darvon  gehert  haben, 

weil  es  hie  gemacht  ist  worn  und  dem  Kinchg  von  Denemark  sol  gehern.« 

Von  grofsartiger  Schönheit  jedoch  sind  die  drei  Monumentalbrunnen  von 

^)  Briefwechsel  S.  15. 


liniiinoii  zu  IJiisel. 


11.     \)\v  SUidto. 


80 


,        ,,,,.   überladene   Augustusbrunnen  ^^^^  ^ 
Aug.burg:   der    ^^^J^^^,  Herkulosbrnnnon  von  Aduan 
hard  U-^^O),  der  viel  trettlunei 


iimiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiiiiiiil 
iiiiiiiiiiifiiiiiniiiiiiiiiiiiii 


'  Adrian  aeVries.ner.u.es.rnnnen.uAugs.u.g. 

f^r.m\   apsselben  Meisters.     Diese   dre 
aufzuweisen  hat.     Seit  diesei  /.e 


4.    Öffcntliclie   Denknicälor.  81 

ein  nennenswerter  städtischer  Brunnen  in  Deutschland  erbaut  worden. 
Die  Augsburger  Brunnen  wurden  durch  ein  Hebewerk  gespeist,  welclies 
in  dem  Wasserturme  sich  befand.  Paul  Hentzner  besuchte  im  Mai 
1600  Augsl>urg  und  bewunderte  den  Augustusbrunnen.^)  Er  fügt 
hinzu:  Videtur  quoque  machina  trusatilis,  ubi  per  tubos  plumbeos  aqua 
in  altum  truditur  et  in  quoddam  receptaculum  recipitur,  ex  quo  denique 
aqua  per  totam  urbem  perducitur,  vulgo  der  Wasserthurn  appellatur.« 
In  diesem  Turme  gab  es  mancherlei  scherzhafte  Wasserkünste  zu  sehen. 
Ich  habe  ihn  noch  1854  besucht;  heute  ist  er  längst  beseitigt  worden. 
Unter  den  Monunieutalbrunnen  des  18.  Jahrhiuiderts  ist  das  aus- 
jiezeichnete  AVerk  liervorzuhoben,  das  der  niederländische  Bildhauer 
Gabriel  de  Grupello  (geb.  zu  Geersberge  1644,  gest.  1730)  im  Auf- 
trage des  Kurfürsten  Johann  Wilhelm  für  Düsseldorf  ausführte  und 
das  1741  nach  Mannheim  gebracht  worden  ist.  Dann  die  grofsartig 
angelegte  Pferdeschwemme  in  ^>  alz  bürg,  unter  dem  Erzbischof  Leopold 
Anton  Grafen  von  Firmian  (1727 — 1744)  erbaut. 

4.  Öffentliche  Denkmäler. 

Denkmäler  verdienter  und  gefeierter  Fürsten  waren  in  den 
Städten  noch  überaus  selten  anzutreffen.  Eines  der  ältesten  Monumente 
dieser  Art  treffen  wir  in  Magdeburg  an:  das  Denkmal  des  Kaisers  Otto 
des  Grofsen  und  seiner  Gemahlin  Editha,  eine  Arbeit  aus  der  ersten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.")  Viele  hundert  Jahre  später  (nach  1552) 
wurde  in  Dresden  vor  dem  Pirnaischen  Tore  ein  Denkmal  errichtet: 
Kurfürst  Moritz  überreicht  seinem  Bruder  August  das  Kurschwert.  Es 
mufste  schon  1591   erneuert  werden.^) 

Italien  hatte  allerdings  schon  im  15.  Jahrhundert  zwei  Bronze- 
Reiterstatuen  bedeutender  Heerführer  aufzuweisen,  die  des  Gattamelata 
von  Donateho  zu  Padua  (1443)  und  zu  Venedig  die  des  Colleoni,  welche 
Andrea  Verrocchio  (bis  1480)  ausführte.  Jedoch  erst  seit  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  werden  die  Reiterstatuen  häufiger.  Der  Hauptmeister 
ist  Giovanni  da  Bologna.  Sein  Schüler  Pietro  Tacca  ist  der  Schöpfer 
der  in  Madrid  aufgestellten  Statuen  Philip]n  III.  und  IV.  von  Spanien. 
In  Frankreich  modelhert  Dupre  das  Standbild  Heinrichs  IV.  Mehrere 
solche  Denkmäler  werden  den  Königen  Ludwig  XIV.  und  Ludwig  XV. 
gewidmet.  Von  Frankreich  verbreitet  sich  die  Sitte  bis  nach  Schottland 
und  Dänemark.  In  Deutschland  entsteht  das  treffliche  Reiterstandbild 
des  Grofsen  Kurfürsten  zu  Berlin  (1703),  des  Kurfürsten  von  der  Pfalz, 
Johann  Wilhelm  zu  Düsseldorf  (1703—10),  von  dem  Niederländer 
Gabriel  de  Grupello  modelliert,  das  in  Kupfer  getriebene  Denkmal 
Augusts  des  Starken  in  Dresden,  von  Wiedemann  (1735 — 36).  Seit 
jener  Zeit  hat  die  Zahl  der  Fürsten  und  hervorragenden  Persönlichkeiten 
gewidmeten  Monumente  stetig  zugenommen. 

')  Itinerariuui  Geruianiae,  Galliae  .  .  .  Norimtiergae  1629,  S.  587  IT. 
^)  F.  V.  Quast,  Die  Statue  Kaiser  Ottos  des  Grorsen  in  Mag(leV)urg.  —  F.  v.  Quast 
und  H.  Otte,  Ztschr.  f.  chriatl.  Archäologie  und  Kunst.    I,  108.  —  Lpz.  1856. 
»)  Wenck,  82  ff. 
Schultz,  Das  hiiiisliche  Lel)en  im  Mittelalter.  6 


82 


11.     Dil-   Städte. 


5.   Verschiedene  öffentliche  Bauten. 

Sicher  war  der  Anblick  und  dov  Zustand  der  städtischen  Strafsen 
bis  tief  ins  18.  Jahrhundert  hinein  kein  besonders  erfreuhcher;  malerisch 
mochten  sie  vielleicht  aussehen,  gesund  waren  sie  sicher  nicht.  Trotz- 
dem hat  man  kein  Bedenken  getragen,  mitten  in  dieser  beklagenswerten 
Unordnung  die  schönsten  und  grolsartigsten  Bauwerke   xu  errichtcMi. 

Über  die  Kirchenbauten,  die  Klosteranlagen  des  Mittelalters  und  der 
l^)lgezeit  ist  schon  zahllose  Male  geschrieben  worden;  in  jeder  Geschichte 
der  Architektur  sind  die  stilistischen  Eigenheiten  erörtert.  Hier  möchte 
ich  nur  darauf  hinweisen,  dals  die  freien  Plätze  um  die  Kirchen  als  Be- 
gräbnisstätten (Kirchhöfe)  benutzt  werden.  Die  schädUche  Einwirkung  der 
Kirchh('>fe  erkannte  Guarinonius  sehr  wohl;  er  tritt  entschieden  (1610)  dafür 
(in.  sie  aus  den  Städten  hinauszuverlegen.  Und  zwar  sollen  die  »Freythöff 
imd  Gottsäcker«  unter  dem  Winde  nach  Mitternacht  gelegen  sein.  Die 
Särge  aus  festem  Holze  sind  tief  einzugraben.  Die  Beisetzung  in  den 
Kirchen  erklärt  er  für  ganz  unzulässig.  (S.  513.)  Im  frühen  Mittelalter 
hatte  man  <he  Klosterkirchen  mit  besonderer  Pracht  errichtet,  dann 
waren  im  Laufe  des  11.  bis  13.  Jahrhunderts  die  grofsen  Kathedralen 
entstanden,  die  die  besten  Leistungen  der  mittelalterlichen  Architektm- 
darstellen;  im  späteren  Mittelalter  hatten  die  Städte  ihren  Stolz  darein 
gesetzt,  grofsartige  Pfarrkirchen  zu  erbauen,  wie  das  Ulmer  Münster 
oder  die  Stephanskirche  zu  Wien,  endhch  war  im  15.  Jahrhundert  die 
Mode  entstanden,  möghchst  hohe  Kirchtürme  zu  besitzen;  dieser  Mode 
verdankt  beispielsweise  der  unmäfsig  hohe  Turm  des  Strafsburger  Münsters 
seine  Entstehung.  Alte  Synagogen  sind  nur  selten  noch  zu  finden. 
Eine  der  interessantesten  ist  die  zu  Worms,  die  wohl  zu  Anfang  des 
13.  Jahrhunderts  erbaut  worden  ist.  Die  Altneuschule  in  Prag  dürfte 
nicht  vor  dem  14.  Jahrhundert  errichtet  sein.  In  Frankreich  ist  nach 
Viollet-le-Duc  nicht   eines   dieser  Denkmäler  der  Zerstörung   entgangen. 

Ein  viel  gröfseres  Interesse  haben  für  unseren  Zweck 

A.   Die  öffentlichen  Gebäude  der  Stadt,  p 


Unter  diesen  Bauten  ist  keiner  wichtiger  als 

a)  Das  Rathaus. 

Sobald  eine  Stadt  so  viele  Freiheiten  sich  erworben  hatte,  dafs 
sie  die  Verwaltung  ihrer  Angelegenheiten  selbst  überwachte,  war  ein 
Gebäude  erforderlich,  in  dem  die  gewählten  Schöffen  und  Ratsherren 
sich  versammeln,  die  richterlichen  und  administrativen  Obhegenheiten 
erfüllen,  die  Steuern  von  den  Bürgern  erheben  und  deren  Verwendung 
im  Interesse  der  ganzen  Stadt  veranlassen  konnten.  Bis  ins  12.  Jahr- 
hundert sind  solche  städtische  Paläste  zu  verfolgen.  So  lange  die  Ver- 
waltung noch  einfach  war,  genügten  kleine  Gebäude,  je  komplizierter 
jedoch  die  dem  Rate  anvertrauten  Geschäfte  sich  gestalteten,  desto  mehr 
Räumhchkeiten  waren  erforderlich,  desto  gröfser  wurden  infolgedessen 
auch  die  Rathäuser.  Dies  macht  sich  besonders  seit  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  sehr  bemerkhch :  grofse  Erweiterungsbauten  wie  in 


A.   Die  öffentlichen  Gebäude  der  Stadt,     a)  Das  Rathaus. 


83 


^^,^;i?^gt  tril^tStdie  großen  S.le  hatten  fü.  OSentUche 


Itnf  im  .Tusliziiiiliist  7M  Rmion. 


(belfried)  nenn.-n.  dioMl   als  Warto  für  die  gesamte  Stadt.  ^^ 


84  IT-    l'H'  stü.lto. 

Aul'  tlcii  'rüruu'u  ilci'  Kathiiuscr  (^zuweilen  auch  der  Kirchen), 
waren  Uhren^)  aufgestelU,  (Umi  Bih-*2;ern  die  'rao;o8/.oit  zu  weisen.  Konnte 
man  kein  künstlerisches  Uhrwerk  (M-scliwinocn,  dann  behalf  man  sich  mit 
einer  Sonnenuhr-),  die  nur  leider  ^ar  ol't  ihren  Dienst  versagte.  Schlag- 
uhren soll  es  scliou  im  13.  .lahrhundert  gegeben  haben.  Das  Ziffer- 
blatt zeigte  urs[)rünglich  24  Stunden;  (M'st  1()24  hatte  man  auf  dem 
Turme  des  Rathauses  zu  Breslau  den  dialben  Seiger«  aufgestellt.  In 
Spanien  hat  es  noch  im  IC).  Jahrliundert  an  Uhren  gefelilt'^).  Häufig 
waren  auch  Glockenspiele  voi'liauden ;  das  erste  soll  1487  zu  Aelst 
in  Flandern  geferligt  wordeu  sein.  Dem  K).  Jahrhundert  gehören  schon 
die  Kunstuhren  an,  die,  wie  am  Rathaus  zu  Prag,  die  Apostel  bei  jeder 
Stunde  vormarschieren,  einen  Hahn  krähen  lassen  u.  s.  w.  Das  Uhrwerk 
am  Zeitgiockentunu  zu  Bern  sei  besonders  hervorgehoben.  Derselben 
Zeit,   1Ö73,   geh()rt    die  berühmte    Uhr   des  Strafsburger  Münsters  an. 

Von  solchen  alten  Ratiiäusern  sind  jetzt  aus  den  schon  angegebenen 
Gründen  wenige  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  erhalten  geblieben ;  nur 
in  kleinen  Städten,  wo  die  Geschäfte  der  Stadtverwaltung  sich  nicht 
merklich  vergröfsert  hatten,  sind  sie  hin  und  wieder  anzutrelTen.  So  be- 
sitzt Frankreich  nur  ein  solches  Gebäude,  das  im  12.  Jahrhundert  erbaut 
worden  ist,  in  der  kleinen  Stadt  Saint-Antonin  (Tarn  et  Garonne).  Viollet- 
le-Duc"*)  hat  Abbildungen  dieses  interessanten  Baudenkmales  gegeben. 
Ein  vortreffliches  Denkmal  der  öffentlichen  Rechtspflege  ist  das  Palais 
de  Justice  zu  Ronen,  seit  1493  errichtet.  Zahlreicher  sind  die  aus  dem 
15.  und  16.  Jahrhundert  herrührenden  Rathäuser,  wie  die  zu  Orleans, 
Compiegne,  Saumur  u.  s.  w.  Ein  vortreffliches  Denkmal  der  städti- 
schen Gemeindekunst  bot  das  Hotel  de  Ville  zu  Paris,  das  zur  Zeit  der 
Kommune  1871  niedergebrannt  wurde. 

Italien  hat  noch  zahlreiche  Gemeindehäuser  aufzuweisen:  der  Broletto 
zu  Como  (1215),  in  Padua  der  Palazzo  della  Ragione  (12.  Jhdt.),  der 
Palazzo  del  Municipio  (1558)  und  die  Loggia  del  ConsigHo  (1493  bis 
1526),  in  Vicenza  die  Basilica  (Palazzo  del  Consiglio,  1444  begonnen, 
ausgeführt  von  Andrea  Palladio  seit  1548,  vollendet  1614),  in  Verona  der 
Palazzo  della  Ragione  (1183)  und  der  Palazzo  del  Consiglio  von  Fra 
Giocondo  (1433 — 1519)  erbaut,  in  Brescia  den  Palazzo  del  Municipio,  in 
Bergamo  den  Broletto  (14.  Jhdt.),  in  Mailand  den  Palazzo  della  Ra- 
gione, in  Bologna  den  Palazzo  Pubblico  und  den  Palazzo  del  Podesta, 
den  Palazzo   della   Ragione   zu  Ferrara,    den  Palazzo   del  Comune   zu 


1)  Alfr.  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  La  mesure  du  temps.  Paris  1888. 
—  J.  Beckmann,  a.  a.  O.  I.  149  S.  —  Schlaguhren  ebend.  I.  301  ff. 

*)  Chr.  Zwicker,  Compendium  horologico  -  sciotesicum  oder  Kurzer  Begriff  von 
Abtheilung  allerhand  Sonnen-Uhren.  Dantzig  1647.  —  Jos.  Furttenbach  d.  J ,  Von 
Sonnenuhren.  Augsp.  1652.  —  J.  U.  Müller,  Der  unbetrügliche  Stunden-Weiser,  das  ist 
deutliche  Beschreibung  aller  der  Zeit  üblichen  Sonnen-Uhren.  M.  172  Kpfrn.  Marcht.  1702. 

')  Job.  Naeve,  Keysers  Ferdinand  des  Ersten  Denkwürdige  Tafel-Reden  (Dresd. 
1664  S.  36):  Der  Kayser  gedacht  auch,  dafs  die  Spanier  gar  keine  Seiger,  weder  in  der 
Stadt  noch  auff  den  Dörffern  hätten;  neulichst  aber  wären  sie  aus  Teutschland  zu 
ihnen  hineingebracht  worden. 

*)  Dict.  de  lArch.  VI.  S.  90,  92,  93. 


^.  pie  .«en..icl,e.  GeMude  d«  S«,«.    a)  D.s  Kathaus. 


85 


-rr-i=-£=r.st:tri"'rff^^^^^^ 


......... u.U... ..f^i^::^^^^^^^^^ 


86 


II.    Die  Stiidte. 


Die  Rathäuser  Deutsohlantls  oehören  meist  einer  späteren  Zeit  an. 
Das  Ratbaus    zu   Dortmund   hat   zwar   Partien  aufzuweisen,  'die  noch 
aus  der  ersten  Hälfte  des  KV  Jahrhunderts  herrühren  mögen.     Die  Über- 
reste (h^s  Rathauses  zu 
Gelnhausen  rühren 
vielleicht      noch     aus 
einer  etwas  älteren  Zeit 
her^),  und  ein  Teil  des 
grofsartigen  Stadthau- 
ses zu  Lübeck  gehört 
sicher  demselben  Jahr- 
hundert an.  Viollet-le- 
Duc  hat  diesen  ältesten 
Teil    in    seiner    wahr- 
scheinlichen     Gestalt 
sehr   hübsch   gezeich- 
net.2)  Zahlreicher  sind 
schon  die  dem  14.  Jahr- 
hundert    angehörigen 
Bauten,    unter   denen 
dasRathaus  zu  B  r  a  u  n  - 
s  c  h  w  e  i  g,  sein  er  präch- 
tigen Architektur  we- 
gen,  eine  ganz  hervor- 
ragende    Stelle     ver- 
dient;   auch    das   ein- 
fachere aber  gleichfalls 
meisterhaft  entworfene 
Rathaus  zu  Münster 
gehört     noch    diesem 
Jahrhundert  an.     Das 
von   Bremen   ist   zu 
Anfang   des  15.  Jahr- 
hunderts     begonnen, 
dann   zu   Beginn    des 
17.  zmnal  im  Äufseren 
vöUig  umgebaut  wor- 
den.    Es  wären  dann 
noch   zu    nennen    die 
Rathäuser  zu  Breslau 
(leider      sehr       unge- 
schickt renoviert),    zu 
Prag  (nur  zum  Teil  er- 
halten), Ulm,   Regensburg,  Nürnberg  und  zahlreiche  andere,  die  im 
14.  Jahrhundert   begonnen,    oft  überaus   reich,    wie   es    den^Vermogens- 

1)  Abgeb.  Ix  K.  Simon,  a.  n.  O.,  Taf.  IV,  Fig.  7. 

2)  Dict.  de  lArch.  VI.  97,  98. 


Uatliaiis  zu  Kunigsl 


Neuinark 


A.  Die  öffentlichen  Gebäude  der  Stadt,     a)  Das  Rathaus. 


87 


Verhältnissen  der  Stadt  entsprach,  ausgebaut  wurden.  Auch  die  kleineren 
Städte  Norddeutschlands  haben  reizende  in  Backstein  ausgeführte  Rat- 
häuser aufzuweisen,  so  in  der  Altmark  Brandenburg  a.  d.  H.,  Stendal 
und  Tangermünde,  dann  Jüterbog,  Zerbst,  in  der  Neumark 
Königsberg,  in  Pommern  Stralsund,  in  Preufsen  Marienburg  u.  s.  w. 
Jede  Stadt  setzte  ihren  Stolz  darin ,  ein  schönes  Rathaus  zu  besitzen ; 
wenn  der  Haustein  zu  teuer  war,  begnügte  man  sich  mit  einem  Ziegel- 
bau und  konnte  man  auch  den  nicht  erschwingen,  dann  wufste  man 
mit  einem  Fach  werkbau,  wie  das  reizende  Rathaus  zu  Wernigerode 
(1494—98),  zu  Alsfeld  (1512),  Duderstadt,  Grünsfeld  beweist,  ganz 
überraschende  Wirkungen  zu  erzielen.  Mit  den  Bauwerken,  welche  die 
reichen  Städte  Flanderns  errichteten,  darf  man  allerdings  diese  bescheidenen 
und  doch  gerade  deshalb  so  anziehenden  Gebäude  nicht  vergleichen.  Das 
Rathaus  zu  Brügge  (angefangen  1377)  ist  eins  der  ältesten  und  einfachsten; 
schon  reicher  ist  das  zu  Brüssel,  das  dem  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
angehört  und  gar  überladen  das  von  Löwen  (1448 — 63)  und  das  zu 
Oudenaarde  (1527 — 30.)  Als  das  grofsartige  Stadthaus  zu  Antwerpen 
1561 — -65  von  Cornelius  de  Vriendt  erbaut  wurde,  war  der  niederländische 
Renaissancestil  schon  völlig  ausgebildet.  Die  Zahl  der  im  Laufe  des 
14.  und  15.  Jahrhunderts  in  Deutschland  erbauten,  mehr  oder  minder 
gut  erhaltenen  Rathäuser  ist  eine  so  grofse,  dafs  hier  nur  einige  der 
beachtenswertesten  ge- 
nanntwerden konnten. 
Ein  grofser  Teil  der- 
selben wurde  im  16. 
Jahrhdt.  durch  Um- 
und  Anbauten  im  Re- 
naissancestile verän- 
dert und  verlor  so 
wenigstens  in  einzel- 
nen Partien  seinen 
eigentlichen  Stilcha- 
rakter. Viele  der  mit- 
telalterlichenBaudenk- 
mäler  wurden  arg  ver- 
unstaltet ,  andere  er- 
hielten dagegen  einen 
Schmuck,  der  den  Wert 
des  Gebäudes  wesent- 
lich erhöhte. 

Unter  diesen  letz- 
teren Bauwerken  wäre 
besonders  das  Rathaus 
von  Görlitz  zu  nen- 
nen, das  durch  die  An- 
lage der  so  überaus 
geschmackvollen  Frei-  luihaus  /.u  (imnsiHd  du.ion). 


n.     Die  Stallte 


treppe,  die  AVcmlcl  Rosko])!"  lö.'iT   ci-haiitc.   mif  ,t;vw(»micii   liiit.     So  wi 
in  Lübeck  »'in  Tv(Mi;iiss;iiu'cl.aii   ir)7l^     0."»  iiixl   /war  von  (1(M'  ])räclitig 


ticii   hat.     So  wurde 
sten 


Uiitliaus  zu  Liiweii 


Art  mit  dem  ursprünglich  scbliclitcii  gotischen  Gebäude  verbunden;  m 
Bremen  erbieh  1610  das  Ratbaus  die  anziehende  Ostfassade.  Unter  den 
neu  angelegten  Ratliäusern  wäre  hervorzuheben    das    ziemlich    schhchte, 


Ä.    Die  öffentliclien  Gebäude  der  Stadt,     a)  Das  Rathans. 


89 


4as  A^on  Hieronpmis  Lotter  1556  in  Leipzig  erbaut  wurde,  und  der 
prachtvollen  Bau,  den  seit  1572  der  Nürnberger  Architekt  WolfE  in 
Rothenburg  ob  der  Tauber  ausführte.  1613—19  baute  man  in 
Nürnberg  den  im  streng  klassischen  Stile  entworfenen  Teil  des  Rat- 
Itauses,  der  auch  heut  noch  nichts  von  seiner  treffhchen  Wirkung  ver- 
loren hat.  Die  Leitung  des  ganzen  hatte  wohl  der  Patrizier  Eucharius 
Holzschulier,  allein  der  Architekt  war  der 
Baumeister  Jakob  Wolf.  Man  wird  diesem 
Künstler  um  so  mehr  Anerkennung  zollen 
müssen,  wenn  man  sein  AVerk  mit  dem 
Neubau  des  Augsburger  Rathauses,  den 
der  berühmte  Baumeister  Elias  Holl 
;1573)  entwarf  und  1614—20  leitete,  ver- 
gleicht. Jedenfalls  ist  die  von  Wolf  ent- 
worfene Fassade  viel  vornehmer  und  wirk- 
samer, während  Holl  in  dem  grofsen  Fest- 
-aal  und  der  Dekoration  der  Nebenräume 
sehr  hübsches  geleistet  hat.  Über  die  sonst 
in  jener  Zeit  in  Deutschland  erbauten  Rat- 
liäuser  gibt  AVilhelm  Lübkes  treffliches  Werk 
Geschichte  der  deutschen  Renaissance«^) 
Auskunft. 

Die  Zeit  nach  dem  Dreifsigjährigen 
Kriege  hat  nur  wenige  monumentale  Rat- 
hausl)auten  mehr  aufzuweisen;  man  behilft 
sich,  das  alte  Haus  durch  Um-  und  An- 
))auten  den  Ansprüchen  der  immer  mehr 
sich  entwickelnden  bureaukratischen  Schrei- 
i)erA\drtschaft  gemäfs  umzugestalten  und  zu 
verunstalten.  Allein  das  Rathaus  zu  Magde- 
burg, 1691 — 93  errichtet,  kann  als  eine 
künstlerische    Leistung   angesehen    werden.  u.,,,,,,.    ,  , .  ,. 

In  den  Sälen,  in  denen  die  Schöffen  oder  die  Ratsherren  (Scabini 
oder  Consules)  zu  Gericht  safsen,  ermahnten  weise  Sprüche  die  Richter 
zur  Gerechtigkeit;  es  hingen  da  Bilder,  die  zur  Unparteihchkeit  an- 
spornen sollten:  die  Gerechtigkeit  des  Königs  Otto  oder  des  Trajan; 
die  des  Herkeml)aldus  oder  die  Bestrafung  des  ungerechten  Richters 
Sisamnes,  die  strenge  Gesetzerfüllung  des  Zaleucus.  Solche  Bilder  sind 
zumal  in  den  Niederlanden  ganz  häufig  auch  von  bedeutenden  Künstlern 
ausgeführt  worden.  In  Brügge  malt  Gerard  David  für  das  Rathaus  die 
'  reschiclite  des  Sisamnes,  für  Löwen  Dierck  Bouts  1468  die  des  Kaisers 
I  )tto,  in  Brüssel  Rogier  v.  d.  Weyden  die  Gerechtigkeit  des  Trajan  und 
des  Herkembald,  die  vielleicht  in  den  Tepi)iclien  des  Berner  Museums, 
welche  Karl  dem  Kühnen  nach  der  Schlacht  von  Granson  abgenommen 
wurden,    nachgebildet    sind.     In    deutschen    Rathäusern    läfst    man    das 


«)  2.  Aufl.  Stuttg.  1882. 


90 


II.    Die  Städte. 


Jüngste  Gericht,  das  Urteil  des  Salomo  malen.  Ernste  Sprüche  erinnerten 
die  Richter,  unbestochen  ihres  Amtes  zu  walten: 

»Eins  manns  red  ist  eine  halbe  red: 

Man  sol  die  part  verhören  bed,« 
so  war  z.  B.  im  Gerichtssaal  des  Strafsburger  und  des  Nürnberger  Rat- 
hauses zu  lesen  (cf.  Phil.  Hainhof  er  Reisetagebuch  von  1617  in  d.  halt. 
Studien  II.  2.  S.  3.  Stettin  1834).  In  der  Nähe  des  Rathauses  waren 
in  einigen  Städten  Deutschlands  als  Zeichen  der  Gerichtsbarkeit  die 
Rolandssäulen  aufgesteUt:  in  Halberstadt,  Bremen,  Brandenburg  a.  d.  H.. 
Halle  u.  s.  w.^) 


Pranger  von  Schwäbisch-Hall. 


Vor  dem  Rathause  wurden  ursprünghch  auch  die  vom  Gericht  ver- 
hängten Strafen  vollzogen ;  anfangs  hatte  man  wohl  selbst  die  Delinquenten 
vor  den  Stufen  des  Gemeinde-  und  Gerichtshauses  enthaupten  lassen, 
später  blieben  allein  die  Pranger  bestehen.  In  Schwäbisch  Hall  ist  ein 
Pranger  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  erhalten ;  vor  dem  Rathause 
in  Lübeck  steht  noch  heute  der  Kaak,  vor  dem  zu  Breslau  die  Staup- 
säule, an  der  die  armen  Sünder  mit  dem  Staupbesen  bestraft  wurden. 
Die  Todesstrafe  aber  Avird  schon  im  späten  Mittelalter  vor  d^r  Stadt 
vollzogen,  wo  das  ständige  Schafott,  der  Rabenstein  und  der  festgemauerte 
dreibeinige  Galgen  für  die  zahllosen  Hinrichtungen  bereit  waren.  Diese 
Denkmäler  strenger  Rechtspflege  sind  fast  ohne  Ausnahme  längst  besei- 
tigt; sie  werden  wohl  auch  kaum  künstlerisch  gestaltet  gewesen  sein. 
Dafs  dies  jedoch  nicht  unmöglich  ist,  beweist  der  früher  zu  Montfaucou 

»)  Zöpfl,  Altert,  d.  deutschen  Reichs  und  Rechts.  IV.  Die  Rulandsäule  (Leipz. 
1861).  —  Beringuier,  die  Rolande  Deutschlands  (Berlin  1890). 


A.  Die  öifentlichen  Gebäude  der  Stadt,     b)  Andere  städt.  Verwaltungsgebäude.    91 

bei  Paris  erbaute  Monumentalgalgen,  an  dem,  wenn  es  not  tat,  45  Menschen 
zugleich  gehängt  werden  konnten.  Eine  Freitreppe  führte  auf  eine  Platt- 
form, unter  der  das  Gewölbe  für  die  Gebeine  sich  befand  und  auf  der 
16  Steinpfeiler  standen,  die  je  durch  Holzbalken  in  drei  Horizontal- 
abschnitte geteilt  waren.  Viollet-le-Duc  gibt  (Dict.  de  l'Arch.  V.  558, 
560,  561)  Abbildungen  dieses  merkwürdigen  Denkmales. 

b)  Andere  städtische  Verwaltungsgebäude. 

Die  wehrhaften  Städte  des  Mittelalters  und  der  folgenden  Jahr- 
hunderte mufsten  dafür  sorgen,  Waffen  und  Rüstungen  für  die  städtischen 
oder  geworbenen  Truppen  vorrätig  zu  haben,  die  Belagerungsgeschütze, 
die  Antwerke  oder  Ingenia,  die  auch  bei  der  Verteidigung  eine  grofse 
Rolle  spielten,  stets  bereit  zu  finden.  Zu  diesem  Zwecke  errichtete  man 
besondere  Zeughäuser.  Das  Ulm  er  Zeughaus  ist  1522  errichtet.  In 
Nürnberg  ist  noch  der  statthche  Bau,  dessen  runde  Ecktürme  1538  er- 
baut wurden,  wohl  erhalten,  wie  auch  die  Peunt,  in  der  der  Wohnsitz 
des  städtischen  Baumeisters  und  die  zugehörigen  Werkstätten  unter- 
gebracht waren,  bisher  der  Zerstörung  entgangen  sind.  Anfangs  des 
17.  Jahrhunderts  war  das  Augsburger  Zeughaus  von  Ehas  Holl  ausge- 
führt worden.  Zeughäuser  treffen  wir  dann  noch  in  Amberg,  Breslau, 
Koburg,  Danzig  (1605),  Köln,  Lübeck  (1594),  Wolfenbüttel  (1619). 
Die  Kornmagazine,  in  denen  die  Stadt  für  die  Zeiten  der  Not  Getreide 
aufspeicherte,  finden  wir  auch  heute  noch  in  der  alten  Reichsstadt  Nürn- 
berg. Ein  anderes  Kornhaus  ist  in  Ulm  (1591)  und  in  Nördlingen 
Oberehnheim  1554  erhalten;  dann  wäre  noch  zu  nennen  das  von  Abraham 
Düntz  1711—16  errichtete  zu  Bern.  Für  die  Kaufleute  speziell  sind  die 
Kaufhäuser  bestimmt,  in  der  sie  ihre  Waren  feil  halten  konnten. 
Wir  finden  noch  solche  in  Freiburg  i.  Br.,  in  Besigheim,  hv 
Strafsburg  (14.  Jhdt.),  in  Koblenz  (1479).  Das  interessanteste  unter 
diesen  Gebäuden  besal's  ursprünglich  Mainz.  Es  stammte  etwa  aus  dem 
Anfang  des  14.  Jahrhunderts  her,  zeigte  in  zwei  Geschossen  grofse  Säle ; 
das  Dach  war  von  Zinnen  umgeben  und  vorgekragte  Ecktürmchen  gaben 
dem  Ganzen  eine  treffhche  Wirkung.  Es  wurde  1812  abgebrochen. 
Erhalten  ist  dagegen  das  auch  architektonisch  so  interessante  alte  Kauf- 
haus zu  Danzig,  das  zugleich  Geschäftshaus  der  Kaufleute  war  und  deren 
Trinkstube  enthielt,  den  berühmte  Artushof,  der  im  14.  Jahrhundert 
begonnen,  im  letzten  Viertel  des  15.  vollendet  wurde  und  dessen  grofse 
Halle  als  ein  Meisterwerk  der  damaligen  Baukunst  betrachtet  wird.  Den 
Namen  erhielt  er  von  den  auch  unter  den  Kaufleuten  beliebten  Gräls- 
oder Tafelrundespielen,  die  seit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  aus  den 
Kreisen  der  ritterhchen  Gesellschaft  von  den  ersten  und  angesehensten 
Geschlechtern  der  Städte  entlehnt  wurden.  Die  Häuser,  in  denen  diese 
Spiele  gefeiert  wurden,  erhielten  den  Namen  Artushöfe.  Viel  weniger 
durch  seine  Kunstformen  bedeutend  ist  das  alte  liölzerne,  um  P)odensee 
gelegene  Kaufhaus  zu  Konstanz  (1388),  das  während  des  Konstanzer 
Konzils  als  Versamnilungssaal  der  Kirchenfürston  diente.     Dann  gab  es 


92 


11.    Die  Städte. 


ZenshiUis  in  .\ii.ssbnr,if. 


A.   Die  öffentliclieu  (iel.andc  der  Sta<lt      h)  Amlcre  städt.  Vonvaltunü8.oel)auilo.      9-^ 

Niederlagen  von  Kleiderstoffen ,  die  Gewandhäuser,  wie  z.  B.  in 
Braunschweig  (1590),  zu  Alsfeld,  mit  dem  Weinhause  verbunden  (1538), 
dann  Weinhäuser,  in  denen  nicht  allein  die  Getränke  vorrätig  gehalten 
und  im  groi'sen  verkauft  wurden,    sondern    wo    man   auch   Schankstuben 


Jiatskeller  in  Hal})erstiult 


unterhielt.  So  in  dem  Ratskeller  zu  Halberstadt  (14G1.)  In  dem  Stadt- 
weinhaus zu  Münster  i.  W.  befand  sich  im  Erdgeschofs  die  Stadtwage. 
Zu  diesen  für  die  Handeltreibenden  errichteten  Gebäuden  gehört  dann 
die  städtische  Wage;  ein  Waghaus  von  15H7  ist  noch  in  l^remen  zu 
sehen.  In  den  niederländischen  Städten  finden  wir  die  für  die  Industrie 
bezeichnenden   grofs   angelegten  Tuchhallen,    in    B)rügge  (12H4),    in 


94 


n.    Die  Städte. 


Ypern,  in  Löwen  (1317),  in  Meclieln  (1340.)  Auch  in  Krakau  ist  das 
treräumige,  wenn  auch  vielfach  7Aimal  äufserlich  umgebaute  Tuchhalle 
{Sukiernia),  die  schon  im  14.  Jahrluindert  errichtet  wurde,  noch  erhalten. 
In  Breslau  war  noch  bis  vor  etwa  30  Jahren  das  alte  Lein  wand  haus 
vorhanden.  Die  Käseliallo  in  Alkmaar,  ein  Bau  des  17.  Jahrhunderts, 
crehört  auch  zu  diesen  speziell  für  den  Handel  bestimmten  öffenthchen 
Baulichkeiten. 

Von  Bedeutung  für  den  Handel  sind  dann  die  amtüchen  Beschau- 
ämter,  die  die  Güte  der  Handelsware  durch  ihre  Stempel  bestätigten. 
In  Nürnberg  stand  gegenüber  dem  Rathaus,  südlich  von  St.  Sobald, 
der  architektonisch  anziehende  Bau  der  Schau,  der  im  vorigen  Jahr- 
hundert dem  Wachgebäude  hat  weichen  müssen.^) 


Lonja  (Börse)  zu  Valencia. 

In  Italien  sind  die  Kaufhäuser  schon  während  des  Mittelalters 
nachzuweisen;  die  venezianische  Republik  gestattete  den  Deutschen 
allein  in  ihrem  Kaufhause,  im  Fondaco  dei  Tedeschi,  die  Handelgeschäfte 
zu  betreiben.  Ein  Deutscher,  Hieronymus,  hatte  1505  den  Neubau 
geleitet.  Das  Fondaco  dei  Turchi,  jetzt  Museo  civico,  ist  erst  im  17.  Jahr- 
hundert den  Türken  eingeräumt  worden.  Mehr  für  die  reinen  Geld- 
geschäfte ist  die  Loggia  dei  Mercanti  zu  Bologna,  dieser  so  geschmack- 
volle Backsteinbau  (1337—1425)  bestimmt,  und  dasselbe  gilt  von  dem 
Portico  dei  Banchi  zu  Bologna  (1400),  von  der  Loggia  dei  Banchi  zu 
Genua,  1570  von  Galeazzo  Alessi  erbaut,  und  der  von  Buontalenti  1605 
errichteten  zu  Pisa.  Auch  das  Wechslerhaus,  il  Cambio,  zu  Perugia,  das 
1452—57    erbaut,    1499—1500  von  Pietro  Perugino    mit  den  berühmten 

1)  Abgeb.  in  Heideloff  Nürnbergs  Baudenkmäler  der  Vorzeit.  Nrnbg.  1838. 
2.  Aufl.   1855. 


A.   Die  öftontlichen  (iebände  der  Stadt.     I))  Andere  stiidt    Verwaltiiimsücbäude.      95 

Fresken  geschmückt  wurde,  hat  neben  anderen  Zwticken  aucli  den  erfüllt, 
als  Börsensaal  zu  dienen.  In  Spanien  ist  die  Lonja  von  Valencia  wohl 
das  älteste  Denkmal  dieser  Art. 

Die  Londoner  Börse  (Royal  Exchange)  ist  schon  1064 — 70  erbaut 
worden,  der  ursprünghche  Bau  jedoch  durch  Umbauten  verändert.  Alter 
ist  die  Antwerpener  Börse.  1531  von  Dominions  van  Waghemaker  er- 
richtet. Die  Börse  7A\  Leipzig  ist  1680  angelegt  worden.  Im  allgemeinen 
aber  hat  man  erst  seit  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  in  den  Handelsstädten 
eigens  dem  Geldhandel  gemdmete  Börsengebäude  angelegt,  so  in  Rot- 
terdam 1722  nacli  den  Plänen  von  Adrian  van  der  Werfft  (1659— 1722). 


Lonja  (Börse)  zu  Valencia.    Inneres. 


Die  Fleischmärkte  (und  die  mit  ihnen  verbundenen  Schlacht- 
häuser) stehen  gleichfalls  unter  Aufsicht  der  Stadt.  Während  des  Mittel- 
alters hatte  man  in  den  Städten  Schlachthöfe  (Kuttelhöfe);  das  Fleisch 
wurde  auf  den  Fleisch])änken  feilgehalten.  Die  Fleischhalle  zu 
Nürnberg  ist  wohl  ziemlich  gleichzeitig  mit  der  der  Rialtol)rücke  nach- 
gebildeten Fleischbrücke  (1596 — 98)  entstanden;  die  von  Mühlhausen 
im  Elsafs  ist  1577  erbaut,  das  Schlachthaus  in  Augsburg  1609.  Andere 
Fleischhallen  sind  in  Heilbronn  und  Augsburg  vorhanden.  Wenn  wir 
den  Angaben  sonst  zuverlässiger  Gewährsmänner  glauben  dürfen,  weist 
das  Schlachthaus  zu  Ypern  noch  Bauteile  aus  dem  13.  Jahrhundert  auf. 
Das  Schlachthaus  zu  Haarlem  ist  1602  —  3  von  Licvin  de  Key  erbaut 
worden.  ■ 


96  ^I-     T^i^"   studio. 

B.   Öffentliche  Gebäude  zur  Unterhaltung  der  Bürger. 

In  den  Rathäusern  hatten  Wtährend  des  Mittelalters  meist  die  füi- 
die  Büro-erschaft  veranstalteten  TanzvcM-onügungen  stattgefunden,  auch 
waren  die  Hochzeiten  der  den  regierenden  Geschlechtern  angehörigen 
Bürger  in  den  Rathaussälen  gefeiert  worden.  Allein  je  mehr  sich  dir 
den  Ratsherren  und  Schöffen  aufgelegten  Arbeiten  vermehrten,  desto 
weniger  erschien  eine  solche  Verbindung  von  Amtslokalen  und  Ver- 
gnügungssälen angemessen,  und  so  findet  man  in  Augsburg  schon  ein 
besonderes  Tanzhaus,  das  1429  erneuert  und  zu  Michaelis  dem  Ge 
brauche  übergeben.  Es  brannte  1451  ab,  wurde  1453  (Joh.  Franck 
wiederaufgebaut  und  gewölbt.  Das  Kölner  Tanzhaus  im  Hause  Gürzenich 
begann  man  1441  zu  bauen.  Ein  Judentanzhaus  wird  1442  in  Augs- 
burg errichtet.  Aus  dem  16.  Jahrhundert  stammen  die  beiden  aucl; 
architektonisch  interessanten  Tanzliäuser  zu  Amberg  her.  Mit  diesen 
Denkmälern  sind  nahe  verw^andt  die  Hoch  zeit  h  aus  er  ^),  die  wohl  auch 
für  andere  Zwecke  bestimmt  waren,  denn  für  die  verhältnismäfsig  seltenen 
Heiraten  in  einer  kleinen  Stadt  wäre  doch  die  Errichtung  eines  beson- 
deren Gebäudes  kaum  erforderlich  gewesen.  Das  Hochzeitshaus  zu  Als- 
feld (1560  bis  1565),  zu  Münden  (1603)  mit  dem  Rathause  verbunden, 
zu  Halle  in  einem  Gebäude  mit  der  Stadtwaage  (1573 — 81)  und  zu 
Hameln  (1610)  sind  noch  erhalten. 

Für  das  so  beliebte  Ballspiel  hatte  man  besondere  Ballhäuser 
angelegt.  Aller  Orten  in  Frankreich  wie  in  Italien  und  ebenso  in  Deutsch- 
land fand  man  solche  Häuser,  in  deren  Sälen  man  sich  mit  Ballschlagen 
unterhielt  (Jeu  de  Pamne).  In  Prag  gab  es  zwei,  gegenüber  dem  Schlosse, 
ferner  in  Kassel,  in  Mömpelgart  (M.  Zeiller,  Handb.  I.  343,  560). 
Das  zu  Versailles  war  so  geräumig,  dafs  die  Nationalversammlung  in 
ihm  seine  Sitzungen  abhalten  konnte.  Die  Mehrzahl  dieser  Gebäude  ist. 
als  das  Ballspiel  nicht  mehr  von  der  Gesellschaft  gepflegt  wurde,'  ab- 
gebrochen worden.  In  Dresden  mufste  das  prächtige,  1668  errichtete 
Ballhaus  dem  Neubau  des  Zwingers  Platz  machen.  Der  Versailler  Ball- 
saal zeigt,  dafs  die  Wände  kahl  waren  und  dafs  man  die  Fenster  hoch 
über  dem  Fufsboden  anlegte. 

C.  Zunfthäuser.     Trinkstuben. 

Es  ist  mehr  als  wahrscheinhch,  dafs  die  Kaufhäuser,  deren  schon 
Erwähnung  geschah,  der  Kaufmannschaft  angehörten  und  nur  unter  der 
Kontrolle  der  städtischen  Beamten  standen.  Sie  haben  dann  auch  nicht 
allein  für  die  Geschäfte  der  Kaufleute  gedient,  sondern  enthielten  noch 
Räume  für  die  Unterhaltung  der  berechtigten  Zunftmitglieder,  Speisesäle 
und  Trinkstuben,  in  denen  sich  nach  des  Tages  Arbeit  die  Herren  zu 
geselhger  Unterhaltung  zusammenfanden.     Und  ähnhche  Zw^ecke  hatten 

>)  1561  wird  in  Cöln  das  »Brulofthaus«  auf  dem  Quatennarkt  repariert.  Man 
fürchtete,  der  Rat  werde  es  an  die  Gatf el  der  Harnischmacher  verkaufen ;  andere  soh^he 
Häuser  wie  »die  Pau  in  der  Hellen,  der  Vois  vur  S.  Peter  und  der  mehr«  waren  schon 
eingegangen.     (Buch  Weinsberg  U.  114.) 


1).     Wirtshäuser. 


97 


w5hl  nebenher  alle  die  Zunfthäuser 
consulti  zu  Cremona  ist  vielleicht 
gelehrten  erhalten,  wenn  es  auch 
Zwecken  dienen  mochte.  Ein  glei- 
ches Bauwerk  treffen  wir  in  Mai- 
land an.  In  Deutschland  sind 
einige  Zunfthäuser  noch  von  der 
Zerstörung  einstweilen  gerettet 
worden.  So  steht  noch  in  Gent 
das  Schifferhaus,  ein  si)ätgotischer 
Bau  von  1531,  und  in  Lübeck 
bietet  das  Schifferhaus  mit  seiner 
malerischen  Ausschmückung  der 
Trinkstube  auch  uns  noch  ein 
Bild  von  der  behaglichen  Ein- 
richtung, die  unsere  Vorfahren 
solchen  Räumen  zu  geben  wufs- 
ten.  Noch  älter  ist  das  Knochen- 
haueramtshaus  zu  Hildes  he  im 
(1529),  ein  stattliches  Zeugnis  für 
die  einstige  Bedeutung  der  Hil- 
desheimer  Fleischerzunft.  Auch 
das  Müllergewerkshaus  zu  Dan- 
zigist  hier  zu  nennen.  Ein  Leder- 
haus (1474),  ein  Schuhhaus  (1398), 
ein  Münzhaus  (1395,  abgebrannt 
1447)  wird  in  Nürnberg  aus- 
drückhch  erwähnt.  Diese  Zunft- 
trinkstuben sind  natürlich  nur 
für  die  Mitglieder  und  die,  welche 
ihnen  genehm  waren,  bestimmt. 
So  verweigern  in  Augsburg  die 
Bürger  1496  dem  Kaufmann  und 
kaiserhchen  Rat  Philipp  Adler 
den  Eintritt  in  ihre  Trinkstube 
und  berücksichtigen  auch  die 
Fürbitte  des  Kaisers  nicht. ^) 

Es  gibt  ja  genug  öffentliche 
Wein-  und  Bierhäuser  für  alle 
die,  welche  einer  Zunft  nicht  an- 
gehörten. 


zu  erfüllen.     Im  Palazzo  dei  Giuris- 
ein  solches  Vereinshaus  der  Rechts- 
nebenher noch    manchen    anderen 


Hiklesheim,  Knochenlmneramtshaus. 


D.  Wirtshäuser. 

Jede  Stadt  hatte  dann  ihrer  Grölso  entsprechend  ein  oder  mehrere 
Wirtshäuser.    Wie  in  alter  Zeit'-),  hing  noch  im  16.  Jahrhundert  der  Adel 

*)  Forts,  d.  Chron.  des  Hector  Mülich. 

")  Hof-Leben  «I.  519. 

7 
Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  • 


98  IT.    Dio  Städte. 

seine  Wapi)eiisc'lnl(io  vor  deiirCiHsthause  auf.  in  dem  er  eingekelirt  wai^-). 
Erasmus  von  Kottin-dam  lobt  die  Höflichkeit  der  französischen  Gastwirte 
und  schilt  auf  das  tiegelhaftc  Benehmen  der  Deutschen 2).  In  Italien 
klaute  man  über  die  grol'se  Unsauherkeit.  So  schreibt  Bartholomäus 
raum_üärtn(M'^)  am  9.  Sept.  1584  an  seine  Frau,  er  Avolmc  in  Bologna 
Avic  in  Florenz  l)ei  Freunden  »behilff  mich  also  des  bettls,  so  viel  kan, 
nun  damitt  ich  al>  den  losen  Avelschen  wyrttshäusern,  inn  denen  alle  bett 
voller  wantzen  seind,  khonnn.  :  In  Emmerich  ist  1531  das  Gasthaus 
zum  l^ngel  in  der  Steinstraiseu'^;,  in  Neufs  1549  >im  Lewen  ■*)  in  Be- 
sä nyon  h  porte-enseignev;  und  'die  Krone«,  in  Baden-Baden  »zum 
güldenen  Engel;,  in  Wildbad  zum  »kühlen  Brunnen«"').  In  Frank- 
furt a.  M.  ist  1593  der  Nörmperhoff«  renommiert,  und  »bey  dem  wyrtt 
zum  Krachbaum«,  in  Augsburg  wird  1594  das  Wirtshaus  zum  Linden- 
mayer als  teuer  aber  gut  gelobt.^) 

Im  Mai  1611  kehrt  PhiHpp  Hainhof  er  auf  der  Reise  nach  Eichstätt 
in  der  goldenen  Gans  zu  Neuburg  ein,  in  Eichstätt  selbst  am  Markt  in 
der  Traube''),  auf  der  Weiterreise  zu  Pfaffenhofen  in  der  goldenen  Gans.^) 
In  München  wohnt  er  im  goldenen  Kreuz  (S.  57),  1617  logiert  er  zu 
Nürnberg  in  der  goldenen  Gans^),  zu  Berlin  im  goldenen  Hirsch. ^°)  Hip- 
polyt  Guarinonius  schreibt  von  einer  seiner  Reisen^^):  »gelangeten  wir 
unter  andern  in  die  fürstliche  Hauptstatt  München,  allda  wir  unter  allen 
hervorhangenden  Zeichen  den  Straussen  für  das  beste  Augurium  und 
Wirths  Zeichen  erwöhleten.«  Auch  dieser  kluge  und  erfahrene  Arzt 
klao't  über  die  Unsauberkeit  der  deutschen  Gasthöfe  und  zwar  etwa  hundert 
Jahre  nach  Erasmus  (1610).  Die  Luft  ist  verpestet  »in  den  Schlaff- 
kammern nit  allein  von  nechst  verschienener  Nacht  die  vollen  Kachlen 
(Geschirre)  so  man  darinnen  last  .  .  .  Zum  andern  so  komm  ich  selten 
inn  ein  Kammer,  darinnen  nicht  das  Gemäwr  und  die  Wand  neben  den 
Bettstatten  mit  grofspatzeten  Rotzschlegel  und  Speychel  gezeichnet.«  Die 
Wirte  entschuldigen  sich,  die  Gäste  seien  so  ungesittet,  dafs  alles  Reinigen 
nichts  nutze. ^-)  »Eben  aber  bey  euch  Wirthen  ist  ein  viel  schädhchere 
und  abscheulichere  Unreinigkeit  der  Ligerstetten,  welche  mehrers  also 
beschaffen,  dafs  ein  ehrlicher  Mann,  der  sein  Gelt  offt  doppelt  über  die 
g-ebür  allda  verzehrt,  dennoch  nit  keck  und  behertzt  sich  entblösen  und 
in  das  Bett  zu  schlaff  und  ruhe  sich  legen  darff,  sonder  jeder  und  all- 
zeit förchten  und  wol  gut  acht  haben  mufs,  dafs  er  nit  ein  lecken  oder 


»)  Seb.  Franck.     Weltbuch  (1533)  fol.  XLVj« 
2)  Deutsches  Leben  etc.     S.  62  ff. 
^)  Korresp.  S.  43. 
")  Buch  Weinsberg  I.  72,  318. 
6)  Lukas  Geizkofer  79,  139,  104,  106. 
6)  Barth.  Paumgärtners  Korresp.  S.  180,  187,  227,  243. 

^)  Die  Reisen  des  Ph.  H.  etc.  hgg.  v.  Chr.  Häusle.   Zeitschr.  d.  Hist.  Vereins  f. 
Schwaben  u.  Neuburg  VIH.  Augsb.  1881,  S.  22,  23. 
8)  ib.  S.  55. 

«)  Balt.  Studien  U.  2.   S.  3. 
1»)  ib.  S.  11. 
")  ib.  S.  843. 
18)  Grewel  der  Verwüstung  III,  c.  23,  S.  511. 


E.    Tlicater.  99 

uroben  rufs,  das  ist  so  viel  als  etwaii  gute  feste  Räuden,  Geschwör, 
Schlier,  lvoll)en.  Frantzosen  und  dergleichen  Feg-Teuflen,  wider  welche 
kein  Segen,  rauchen  noch  sprengen  hilfft,  bekomme.  Ursach  dessen 
'lie  Grosse  Nachlässigkeit  der  Gastgeben  oder  Tavernern,  welche  die 
Laugen  und  Seyffen  wie  auch  die  Leilachen  ersparen  und  ein  par  ir 
\  ielen  underschiedlich  beschaffen,  gesondten  und  kranken,  krummen  und 
ueraden,  bifs  sie  gar  erschwartzen,  unterziehen  lassen,  meynen,  es  sey  zu 
viel,  wann  man  jedem  Gast' insonderheit  ein  frisch  par  Leilacher  unter- 
lagen solle,  da  es  doch  nit  zu  viel  ist,  wann  der  fromme  Gast  für  eine 
schhmme  Mahlzeit  oder  zum  andern  und  dritten  mal  von  erwärmbte 
und  fürgesetzte  Speisen  für  sein  Person  allein  einen  halben  Gulden, 
halben  Thaler.  45  bifs  in  54  Kreutzer  und  an  vielen  Orten  noch  darüber 
l)ezahlen  nuiis.  Unnd  wann  es  je  bifsweilen  glücket,  dals  der  Gast  ohne 
der  vorbenemiten  Geschanckungen  eine  davon  kompt,  so  entgehet  er 
<loch  der  guten,  frischen,  lebendigen  Müntz  nit,  es  sey  der  weissen  oder 
<ler  schwarzen  (Läuse  oder  Flöhe),  die  theils  von  den  frembden  dahin 
gebracht  und  Zigel  halber  dahinden  lassen,  theils  aufs  allerley  bifsher 
ernannten  Unreinigkeiten  in  den  Schlaffkammern  aufsgebrüet  werden.« 
Er  klagt  ferner,  dafs  die  Wirte  die  Gäste  zu  unmäfsigem  Trinken  an- 
regen und  zu  Unzucht  Anlafs  geben.  Das  Essen  wird  sehr  häufig  getadelt; 
es  erscheint  immer  am  besten,  mit  dem  Wirte  an  seinem  Familientisch 
(table  d'liote)  zu  essen,  da  er  für  sich  sicher  besser  kocht  als  für  den 
Gast,  der  ein  Gericht  sicli  besonders  bestellt.^) 

E.  Theater. 

Für  die  Unterhaltung  der  Einheimischen  wie  der  Fremden  war  in 
den  Städten  gar  nicht  gesorgt.  Schauspieler  treten  nur  selten  einmal 
auf  und  spielen  dann  in  den  Höfen  oder  wo  sie  gerade  geeignete  Räume 
fanden.  Theaterge bände  werden  erst  im  16.  Jahrhundert  in  Italien 
errichtet,  und  eins  der  ersten  ist  das  Teatro  Olimpico  zu  Vicenza,  das 
von  Andrea  Palladio  entworfen,  erst  nach  des  Meisters  Tode  (1584) 
\'on  Scamozzi  errichtet  wurde.  Dann  wäre  das  Teatro  Farnese  zu 
Parma  zu  nennen,  im  Palazzo  della  Pilotta  1618  für  Ranuccio  I.  Far- 
nese erbaut.  Und  italienische  Baumeister  sind  es,  die  in  Frankreich  wie 
in  Deutschland,  ja  überhaupt,  wo  man  nur  Theater  brauchte,  berufen 
und  beschäftigt  Avurden.  Unter  ihrer  Leitung  bildeten  sich  die  heimischen 
Theaterbaumeister  wie  Fran^ois  Dorbay,  der  1637  die  Comedie  Fran(,;aise 
im  Faubourg  S.  Germain  errichtete.  In  Nürnberg  spielte  man  zuerst  in 
dem  neu   erbauten  Schauspielhause   am  16.  Juni  1628.-) 

In  D(Hitschland  sind  es  zuerst  die  Hoftheater,  die  in  })rächtig  aus- 
gestatteten Räumen  untergebracht  wurden.  Tommaso  Giusti  baut  1636 
das  Theater  zu  Hannover,  Francesco  Saturini  das  zu  München, 
s])äter  (Jiuse])pe  Galli   Bibiena   das  zu  Prag.     Das  erste  deutsche  Opern- 

')  \'gl.  .loli.  Dan.  H(Mr  n  sc  Inii  i  (I  ,  der  iVoiniiu'  Wirtli  und  Christliclici'  (iasthof. 
l'ranckf.  1713. 

*    Kurios.  V.  551. 

7* 


IQQ  II.     Dir  Stallte. 

liaus  wird  in  Ilaiiiburi;  1()7S  angelegt.  So  siiul  alle  diese  Bauten  ziem- 
lich jungen  Ursprungs  inid  die  Mehrzahl  von  ihnen  ist  längst  von  präch- 
tigeren, dem  modernen  Geschmack  und  Ansprüche  mehr  genügenden 
Gebäuden  ersetzt  worden,  nur  ist  der  Z(^rstörung  glücklicherweise  ent- 
gangen: das  Opernhaus  zu  Bayreuth,  dessen  Dekoration  von  Giuseppe 
Galli  -  Bihiena  1748  herrührt  und  das  von  Fran^ois  Cuvillies  erbaute 
Opern- (jetzt  Residenz)  Theater  zu  München  (1752—60).  Was  die  Ein- 
richtung der  Szene  anbelangt,  so  ist  einiges  aus  Phil.  Harsdorffers 
»Frauenzimmer-Gesprächspielen«^)  zu  ersehen.  Der  Vorhang  ist  gemalt 
oder  zwei-  und  dreiteilig;  im  ersten  Falle  wird  er  mit  einem  »Rollwerk« 
in  die  Höhe  gezogen,  sonst  öffnet  er  sich  durch  Beiseiteziehung  der 
Gardine.  Der  Schauplatz  hat  Kulissen,  die  beiseite  gezogen  werden 
können,  Fuisboden,  Hintergrund.  Dann  ist  noch  die  Bedachung  und 
Bedeckung  zu  bemerken.  Harsdörffer  hat  eine  Zahl  Theaterprospekte 
im  Stich  seiner  Abhandlung  beigefügt.  Noch  eingehender  bespricht  Josef 
Furtenhach   die  Anlage   des  von  ihm  1641  erbauten  Theaters  in  Ulm.^) 

F.  Spitäler. 

Das  Mittelalter  hat  seinen  Wohltätigkeitssinn  durch  zahlreiche  Stif- 
tungen für  die  Kranken  und  Elenden  betätigt.  In  Breslau,  einer  Stadt 
von  ca.  30000  Einwohnern,  gab  es  im  15.  Jahrhundert  fünfzehn  Hospi- 
täler. In  keiner  Stadt  fehlen  Krankenhäuser.  Unter  diesen  dürfte  von 
den  noch  heut  bestehenden  besonders  hervorzuheben  sein  das  Spital 
zum  heiligen  Geist  in  Lübeck,  dessen  Gründung  bis  ins  13.  Jahr- 
hundert zurückreicht  und  das  im  14.  erbaut  worden  ist,  eine  grofsartige 
Anlage,  ein  schönes  Denkmal  werktätigen  Gemeinsinns.  Weniger  be- 
deutend hinsichthch  seiner  künstlerischen  Ausstattung  ist  das  1450  zu 
Cues  an  der  Mosel  vom  Kardinal  Nikolaus  de  Cusa  gegründete  Hospital. 
Aus  dem  16.  Jahrhundert  stammt  her  das  zu  Rothenburg  ob  der  Tauber 
(ca.  1576),  zu  Heilbronn  (jetzt  abgetragen),  zu  Freudenstadt,  be- 
sonders aber  das  grofsartige  .Juliusspital  zu  Würzburg,  welches  der  hoch- 
verdiente Bischof  Juhus  Echter  von  Mespelbronn  1567  gestiftet  hat,  aus  dem 
17.  das  von  Elias  Holl  entworfene  Krankenhaus  zu  Augsburg  (1625 — 30). 

Neben  den  Spitälern  für  die  erwachsenen  Kranken  gab  es  in  vielen 
Städten  noch  besondere,  die  für  Schüler  allein  bestimmt  waren,  so  in 
Breslau,  wo  viele  Schulen  ihr  eigenes  Krankenhaus  besafsen."') 

Eine  grol'se  Bedeutung  hatten  für  die  Städte  die  zur  Aufnahme 
der  Aussätzigen  bestimmten  Leproserien  oder  Sondersiechenhäuser. 
In  Frankfurt  a.  M.  wird  1345  ein  solches  Spital  erwähnt,  in  Nürnberg 
1446  eines  erbaut,  das  Gleiche  geschieht  in  Bern  1491.  Diese  Kranken- 
häuser sind  meist  unter  den  Schutz  des  Lazarus  gestellt.  Man  kann 
mit  Bestimmtheit  annehmen,  dals ,  wenn  man  in  einer  Stadt  eine 
Lazarusgasse   antrifft,    ursprünglich    in    deren  Nähe  eine  Leproserie  sich 

1)  VI.  1646. 

2)  j  Furtenbach,  Mannhafter  Kunstspiegel.  Augsp.  1663  —  Vgl.  Kurioa.  V.  415  ff. 

3)  Vgl.  Klose,  249,  327. 


F.    Spitäler.  101 

befunden  hat.  In  Breslau  hatte  man  sogar  zwei  Aussätzigenspitäler,  zu 
8.  Lazarus  und  zu  den  Elftausend  Jungfrauen.  Erhalten  ist  noch  eine 
Leproserie  in  Wasserburg  (Oberbayern). 

Auch  für  Findelhäuser ^)  hatte  man  im  Mittelalter  gesorgt.^)  In 
Frankfurt  a.  M.  wurde  eines  1452  gegründet;  in  Nürnberg  gab  es  deren 
zwei,  in  Breslau  das  zum  heiligen  Grabe. 

In  Frankreich  gibt  es  einige  Krankenhäuser  (Hotels-Dieu),  die 
aus  einer  sehr  frühen  Zeit  herrühren.  Viollet-le-Duc  hat  (Dict.  de 
l'Arch.  VI,  99  ff.)  die  Stiftungen  der  wichtigsten  Spitäler  von  Paris  zu- 
sammengestellt. Unter  den  noch  vorhandenen  Denkmälern  sind  die 
Krankenhäuser  von  Angers  (1153)  und  das  ziemlich  ebenso  alte  von 
("hartres  zu  nennen.  Aus  dem  13.  Jahrhundert  (1293)  stammt  das  von 
der  Schwägerin  des  hl.  Ludwig,  Margarethe  von  Burgund,  Königin  von 
Bicilien,  gebaute  Hospital  zu  Tonerre.  Im  15.  Jahrhundert  wurde  das 
von  Nicolas  Rolin  1443  gegründete  Spital  zu  Beaune  gebaut.^) 

So  grofsartig  jedoch  diese  für  die  leidende  Menschheit  bestimmten 
Stiftungen  angelegt  sein  mögen,  die  Verwaltung  derselben  liefs  aufser- 
ordentlich  viel  zu  wünschen  übrig.  1788  hatte  Paris  48  Spitäler  und 
iu  ihnen  wurden  über  35000  Kranke  und  Hilfsbedürftige  verpflegt, 
rber  das  Hauptkrankenhaus ,  das  Hötel-Dieu ,  liegt  ein  Bericht  des 
V 'hirurgen  Tenon  aus  dem  Jahre  1788  vor,  den  Alfred  Franklin  in 
si^iuem  Werke  »La  Vie  privee  d'autrefois^)  .  abdruckt.  Aus  den  Zu- 
ständen zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  kann  man  einen  Rückschlufs  auf 
die  Übelstände  in  früheren  Zeiten  machen. 

Es  gab  in  Frankreich  im  13.  Jahrhundert  2000  Leproserien  ^) ;  der 
bekannte  Historiker  Matthäus  Paris  schlägt  die  Zahl  der  in  Europa  vor- 
handenen Aussätzigenhäuser  auf  19000  an. 

In  Frankreich  ist  das  Höpital  du  Saint -Esprit  bereits  1362  vor- 
handen, 1640  wird  von  J.  Vincent  de  Paule  das  Höpital  des  enfants 
trouves  ou  de  ND.  de  la  Misericorde  gegründet.*^) 

In  Italien  hat  es  nie  an  grofsen  Hospitälern  gefehlt.  Hier  genüge 
es,  einige  der  wichtigsten  Monumentalbauten  zu  erwähnen.  Zu  diesen 
zählt  das  von  Francesco  Sporza  gegründete,  von  Antonio  Averulino, 
gen.  Filarete,  seit  1456  erbaute,  vielfach  erweiterte  Ospedale  Maggiore 
zu  Mailand,  wohl  das  schönste  Krankenhaus  der  Welt,  dann  das  durch 
della  Robbias  Fries  (1525)  berühmte  Ospedale  del  Ceppo  zu  Pistoja, 
dessen  Stiftung  noch  bis  ins  14.  Jahrhundert  zurückreicht. 

Durch  seine  vortreffliche  Architektur  bekannt  ist  das  Findelhaus 
zu  Florenz,  das  Ospedale  degU  Innocenti  (1362  von  PoUini  gegründet), 
1419  nach  den  Plänen  von  Fihppo  Brunellesco  erbaut. 

')  Das  FindcUiau.s  in  Trier  wird  schon  im  6.  bis  8.  Jahrhundert  erwähnt. 
Das  in  Einbeck  1275  (Beckmann  a.  a.  O.  V.  387);  das  H.  Geistspital  in  Nürn- 
berg ist  13;Jl  gegründet  (ebend.  388). 

*)  Joh.  Backme ister,  de  libris  expositiis  vulgo  Fündlingen.     Heimst.  1()77. 

»)  Abraham  de  Rosse,  Hospital  (Kulturgesch.  Bilderl).  IV.  —  N.  2003). 

*)  Hygiene.     Paris  1890,  S.  181  ff. 

")  A.  Franklin  a.  a.  O.,  95. 

«)  Beckmann  a.  a.  O.     V.  390  ff. 


102  i^-    J^iö  tStiidte. 

S])eziell  für  die  Pflege  der  Armen  sind  die  Armenhäuser  be- 
stimmt. Ein  solches  Haus  ist  noch  in  Lübeck  vorhanden;  prächtiger 
ausgestattet  ist  das  Deposito  del  Mendacita  zu  Lucca  (1413). 

Witwen  und  ältere  Mädchen  fanden  in  den  Konventen  der  Regit •- 
rinnen  oder  Beghinen  Aufnalmie.  Sie  lebten  nach  der  dritten  Regel 
des  hl.  Franziskus,  erhielten  Wohnung  und  sonstige  Unterstützung, 
hatten  aber  die  Ver])fliehtung,  als  Krankenpflegerinnen  zu  dienen.  In 
Breslau  gab  es  im  lö.  Jahrhundert  61  solcher  Konvente.  Das  Beghinen- 
haus  in   Brügge  ist  noch  heute  erhalten. 

Für  arme  Augsburger  Bürger  hatte  die  Familie  der  Fugger  die 
Fuggerei  1519  gegründet;  diese  interessante  kleine,  für  sich  bestehende 
Stadt  ist  einstweilen  noch  der  Zerstörung  entgangen.  Möge  <lie  mächtige 
Hand  der  Patrone  dies  Denkmal  der  Nächstenliebe  auch  ferner  vor 
allen  Angriffen  beschützen. 

Alte  vermögenslose  Ritter  und  ihre  Frauen  sollten  nach  der  Al)- 
sicht  des  Kaisers  Ludwig  des  Bayern  (1333)  im  Kloster  Ettal  einen 
Zufluchtsort  finden. 

Für  alte  arbeitsunfähige  Soldaten  gründete  1670  Ludwg  IV.  das 
grofsartige  Invalidenhaus  zu  Paris;  in  demselben  Jahre  stiftete  Karl  II. 
von  England  das  Invahdenhaus  für  Landsoldaten  in  Chelsea;  das  Iii- 
validenhaus  für  Seeleute  in  Green  wich  wurde  dann  1693  erbaut.^)  Erst 
1748  war  das  in  Berlin  beendet;  in  Prag  rührt  es  vom  Jahre  1751  her. 

Endlich  sei  noch  erwähnt,  dafs  man  auch  durch  Erbauung  von 
Elenden-  (Fremden-)  Herbergen  für  die  Unterkunft  ärmerer  Rei- 
senden, denen  der  Aufenthalt  in  den  Gasthäusern  zu  teuer  war,  Sorge 
trug.     Eine  solche  wird  in  Strafsburg  bereits  1360  erwähnt. 

G.   Zuchthäuser. 

Das  Mittelalter  liatte  allein  in  Ausnahmsfällen  eine  lange  Gefängnis- 
haft als  Strafe  verhängt:  nur  bis  das  Urteil  gefällt  war,  wurden  die 
Angeklagten  in  Gewahrsam  gehalten,  oder  wenn  es  sich  um  kürzere 
Haft  als  Sühne  leichter  Vergehungen  handelt.  Dann  wurden  also  die, 
die  mit  dem  Gesetze  in  Konflikt  gekommen  waren,  in  irgend  einen 
festen  Turm,  oder  in  ein  anderes  Gefängnis,  ins  Loch  gesperrt.  Die 
Freiheitsstrafen  sind,  wie  es  scheint,  erst  nach  dem  Dreifsigjährigen 
Kriege  mehr  gebraucht  worden.  Schon  Joachim  Friedrich,  Kurfürst  von 
Brandenburg  (1598 — 1608),  hatte  in  Berhn  ein  »Zuchthaufs  erbaut, 
da  etwan  mutwillige  Leute  oder  Kinder,  die  auf  der  Stralsen  das  Volk 
mit  Betteln  molestierten  und  doch  gesund  waren  ....  dafs  sie  dahin  zur 
Arbeit  geordnet  sollten  werden  2).«  Zunächst  handelt  es  sich  also,  wie  ^-ir 
sagen  würden,  um  ein  Arbeitshaus,  wie  Abraham  a  S.  Clara  sicli 
ausdrückte,  »die  Leute  durch  Arbeit  von  einem  unerbaren  und  lieder- 
lichen Leben  zu  einem  erbaren  und  züchtigen  Wandel  zu  bringen  <.  Er 
gedenkt  besonders  der  Zuchthäuser  in  Bremen,  Amsterdam,  Ham- 

»)  J.  Beckmann  11.  a.  O.     V.  435  ff. 

2)  Ph.  Hainhofer,  Reisetagebuch  1617  (Balt.  Studien  II,  2,  S.  11. 


H.    Schulen  und   rnivorsitätcn.  lOo 

bürg-  (P^twas  für  Alle  489).  In  diesen  Straf-  oder  richtiger  Besserungs- 
anstalten wurden  aufser  den  eigentlichen,  gesetzhch  verurteilten  Zücht- 
ungen, Waisenkinder  zur  Erziehung  untergebracht,  ja  Eltern  konnten 
ihre  Kinder  mit  Erlaubnis  der  Obrigkeit  zur  Besserung  längere  oder 
kürzere  Zeit  im   Zuchthause  einsjierren  lassend) 

H.   Schulen  und  Universitäten. 

Für  die  Erziehung  des  Volkes  ist  während  des  Mittelalters  wenig 
genug  geschehen,  und  so  hören  wir  auch  nicht,-  dafs  man  den  Schul- 
häusern eine  gröfsere  Aufmerksamkeit  zuwendete.  Im  16.  Jahrhundert 
wdrd  dies  anders:  für  die  Gymnasien  werden,  zumal  im  Norden  Deutsch- 
lands, gröfsere  und  auch  etwas  künstlerisch  gestaltete  Gebäude  errichtet. 
Das  älteste  Schulhaus  dürfte  das  von  Nördlingen  (1513)  sein;  das  in 
Zerbst  ist  1537  erbaut,  das  Gymnasivun  in  Brieg  1564,  in  Liegnitz  15S1, 
in  Schweinfurt  15S2,  in  Rothenburg  ob  der  Tauber  1591,  in  Koburg 
1605.  in  Stuttgart  1685. 

Von  Universitätsgebäuden  ist  nur  wenig  übrig  geblieben.  Das 
gewöhnhch  als  Collegium  Carohnum  bezeichnete  Haus  der  Prag  er  Uni- 
xersität  ist  erst  nach  Karl  IV.  für  die  Lehranstalt  erworben  worden, 
überdies  so  umgebaut  und  erneuert,  noch  dafs  kaum  ein  unverdächtiges 
Stück  an  den  ursi)rünglichen  Bau  erinnert.  Das  C'ollegium  Jagellonicuin 
in  Krakau,  jetzt  Universitätsbibliothek,  bietet  dagegen  noch  innner  den 
Anblick  des  alten,  im  15.  Jahrhundert  angelegten  Baues;  auch  in  Erfurt 
ist  das  Universitätsgebäude  (1476)  noch  wohl  erhalten.  Das  zu  Frei- 
burg i.  l>r.  stammt  schon  aus  dem  16.  Jahrhundert  (1579 — 81),  ebenso 
der  von  Julius  Echter  von  Mespelbronn  gegründete  Universitätsbau  zu 
Würz  bürg.  Das  Juleum,  in  dem  die  Vorlesungen  der  I^niversität  Helm- 
städt  stattfanden,  hat  unter  Julius  von  Braunschweig  (1589 — 1«U3)  der 
berühmte  Architekt  Paiü  Francke  1593—1612  errichtet.  Das  Mainz(M' 
Universitätshaus,  jetzt  Kaserne,  ist  1615  erbaut  worden. 

Neben  den  Universitäten  nehmen  die  Jesmtenschulen  die  Auf- 
merksamkeit in  Anspruch.  Noch  schlicht  ist  das  Jesiütenkollegium  zu 
München,  jetzt  Akademie,  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  entworfen, 
desto  prächtiger  sind  die  Kollegien  ausgestattet,  die  nach  dem  Dreüsig- 
jährigen  Kriege  von  der  Gesellschaft  Jesu  erbaut  wurden.  Unter  diesen 
Anlagen  ist  besonders  hervorzuheben  das  C'lementinum,  jetzt  ITniversität, 
in  Prag  (1653  bis  ca.  1711),  dessen  Imienräume  zumal,  das  Refektorium, 
<he  Bibliothek,  mit  verschwenderischem  Luxus,  Stucco  -  Verzierungen, 
N'ergoldungen,  Malereien  ausgeschmückt  sind.  Auch  das  Jesuitenkollegium 
zu  Breslau,  gleichfairs  als  Universitätsgebäude  später  gebraucht,  ist  ein 
ausgezeichneter  Bau  des  deutschen  Barockstiles  (1723 — 29). 

Die  Universitätsgel)äude  Italiens  sind  nicht  so  alten  Datums,  als 
man   nach  den  Gründungsjahren  vermuten  sollte.     Häutig  sind  die  Lehr- 


')  Fr.  Krausolil,  Discursus  jiii-iil.-pDlit.  ilo  niirnrulis  et  o<ire<;iis  UHil)ns  S.  Rai>i)ini, 
von  dessen  Wunderwerken  und  v<irneffli(;lieii  Nutzbarkeiten  dos  Rapp-  oder  Zucht- 
Hausep.     ...  Mersel).  1698.  —  Viil.  .Mlta^slelxui  einer  deutKclien  Frau  etc.  237. 


104 


II.     Die  Stiidto 


anstalten  später  in  Palästen  uiiteroebraeht  worden.  <lic  l'ür  sie  nrs])rüng- 
lieli  keinesAveu's  be.stiiumt  waren,  wie  in  Bologna  in  dem  Palazzo  Poggi, 
der  von  l'ellegrino  Tibaldi  1570  entworfen  ist,  oder  man  hat,  wie  in 
Deutsollland.  .Iesniteid<ollegien  /ai  Universitätsgebänden  verwendet,  wie 
•  las  z.  B.  in  (Jcnna  mit  dem  grolsartigen,  von  Rartolommeo  Bianchi  1()23 
l)egonnenen  Vnm  gesobeben  ist.  Die  alte  Universität  in  I'erugia  (1483), 
die  zn  Pavia  (1490),  zn  l'adna  (1493—1552)  scheinen  die  ältesten  Denk- 
mäler dieser   Art    daiv.nstellen. 

J.   Die  Privathäuser. 

Die  Bürgerhäuser^)  waren 
in  der  älteren  Zeit  fast  aus- 
schliefslich  aus  Holz  gebaut, 
nicht  Blockhäuser,  wie  man 
deren  wohl  auf  dem  Lande 
antraf,  sondern  Fachwerksbau- 
ten ,  deren  Holzrahmen  mit 
Backsteinen  und  Flechtwerk, 
mit  Lelmiverklebung  oder  durch 
Staken  ausgefüllt  waren.  Solche 
Fachwerkshäuser  konnten  trotz 
des  geringen  Materials  sieh  sehr 
stattlich  präsentieren.  Das  be- 
kannte Dürerhaus  in  Nürn- 
berg ist  nur  im  Untergeschofs 
massiv  gebaut,  der  obere  Teil 
ist  Fachwerk.  Aus  den  nieder- 
ländischen und  französischen 
Miniaturen  des  15.  Jahrhunderts 
können  Anr  uns  ein  Bild  der 
Strafsen  wohl  machen  .  .,  hohe 
steile  Dächer,  deren  Giebel  der 
Strafse  zugewendet  sind,  zeigen 
die  Häuser  fast  ausschliefslich. 
Holzbauten  sind  aus  früherer 
Zeit  nur  überaus  wenige  uns  erhalten  geblieben;  dem  15.  Jahrhdt.  gehört 
noch  der  Ratskeller  zu  Halb  er  Stadt  an,  dessen  Balken  kunstreich  ge- 
schnitzt und  sicher  früher  mit  Farben  wirksam  dekoriert,  von  Geschofs 
zu  Geschofs  weiter  nach  der  Straise  vortreten.  Wenn  zwei  solche 
Häuser  einander  gegenüberstanden,  konnte  es  vorkommen,  dafs  die 
obersten  Dachgeschofse  ganz  nahe  aneinanderrückten  und  dem  Himmels- 
lichte nur  einen  sehr  schmalen  Zutritt  gewährten.  In  Braunschweig, 
Halberstadt,    Hildesheim,    Herford    sind   noch    manche  interessante 


Haus  in    lli'iford. 


1)  Vgl.  P.  G.  Molmenti,  La  vie  privee  a  Venise  (Ven.  1882),  140  ft'.,  247  ff.  — 
Belgrano,  Della  Vita  i)rivata  dei  Genovesi  (Genova  1875).  Parte  prima:  Le  abitazioni 
p.  5 — 150.  —  VioUet-le-Duc.  Dictionnaire  de  l'architecture  franvaise  VI.  214  ff.  — 
Paris    1863. 


J.    Die  Privathäuser. 


105 


Überreste  solcher  Häuser  aus  dem  16.  Jahrhundert  erhalten,  deren 
hübsche  Schnitzereien  zumal  die  Augen  der  Kunstfreunde  auf  sich 
ziehen.  Von  Jahr  zu  Jahr  verringert  sich  aber  die  Zahl  dieser  interes- 
santen Baudenkmäler. 

Allein  auch  in  den  Städten,  in  denen  man  jenes  Yorkragungssystem 
nicht  in  Anwendung    brachte,    liefsen    sich    durch    gefällige  Anordnung 
des  Riegelwerkes  bescheidene, 
aber  recht  ansprechende  Wir- 
kungen  erzielen,    wie   die    be- 
kannten   Häuser   in    Bacha- 
rach,  in  Miltenberg  u.  s.  w. 
beweisen.  Manche  solche  Holz- 
bauten sind  noch  in  E  n gl  a  n  d , 
z.  B.   in  ehester   zu   finden. 
Die  französischen  Holz- 
häuser, deren  Fassaden  Viol- 
let-le-Duc^)    mitteilt,     haben 
ineist  ein  Erdgeschofs,  das  aus 
Stein    aufgemauert   ist.       Ein 
grofser  Teil  dieser  Bauten  ist 
übrigens   schon   längst    durch 
moderne  Häuser    ersetzt  wor- 
den.   Er  bildet  in  Fig.  20  ein 
Gebäude  ab  aus  C  h  ä  t  e  a  u  d  u  n , 
in  Fig.  21    eines    aus   Laval, 
22    aus    Annonay,     23     aus 
Nantua  (Ain).  Aus  Beauvais 
stammt  das  in  Fig.  26,  Fig.  26 
bis  27,  28,  29,  30  ausRouen.^) 
Jedoch  so  husch  sich  ein 
solcher  Bau  auch  präsentieren 
mochte,    er  war   im   höchsten 
Grade   gefährdet,    sobald    ein 
Brand  in  der  Stadt  ausbrach. 
Die  Stroh-,  im  besten  Falle  die 
Schindeldächer  waren  schnell, 
zumal    bei    andauernder   Tro- 
ckenheit,   vom  Flugfeuer  ent- 
zündet und  so  koimte  in  kürzester  Zeit  eine  ganze  Stadt  (hn-cli  Feuers- 
brunst  zerstört  werden.     Von  solchen    Unglücksfällen  bericliten   uns  die 
Oln-onikcii   des   Mittelalters  zahllose  Male.     Es   blieben    von    der  ganzen 
Stadt  aulser  den  Stadtmauern  nur  die  wenigen  Steinhäuser  und  die  massiv 
gebauten  Kirchen  übrig,  auch  diese  oft  genug  stark  beschädigt. 

»)  Dict.  de  lArch.   VI,  214  ff. 

2)  Arcisse  de  Caumont  gibt  in  seinem  Aböcedaire  d'Archeologie  II,  PariH  1858, 
Abbildungen  von  Holzhäusern  in  Saint-Lo  (1494),  Morlaix,  Honfleur  (S.  225,  226,  227), 
in  Troyes^  Sens,  Saint-(inentin  (S.  245,  246,  247.) 


Haus  in  Annonay. 


106 


11.     Kit'  Stadto 


In  Frankreich  hatte  iiian  im  IH.  ,Iahrhuii<UM't  hei  (h'r  Anlage  neuer 
Städte  angeordnet,  (hil's  immer  zwiseheii  je  zwei  Häusern  ein  Zwischen- 
raimi  freiblieb,  dal's  (he  Häuser  also  nieht  unmittelbar  aneinander 
stiefsen,  so  z.B.   in  (h'iii    12X4  er)>aiiten  Städteheii   M  ontpazier.^)    Doch 


-^^^ 


.Vltroniiinisches  Haus  in  Trier  auf  der  Dietriehstrafse. 


konnten  diese  Vorsichtsmafsregeln  nur  dann  wirksam  sein,  wenn  die 
Häuser  aus  Steinen  herg(>stellt  waren;  bei  Holzlianten  hätten  sie  kaum 
etwas  genutzt. 

Sehr  viel  waren   die    unvollkommenen  Lösclianstalten    schuld,    daf-< 
die  Brände  so  gefährlich  wurden.     Die  Handspritzen,  .die  man  Arährend 


1)  Yiollet-le-Duc,  Dict.  .le  lArcli.  VI.     S.  247,  249. 


J.    Die  Privathauser. 


101 


des  Mittelalters  ausschliefslich  benutzte,  konnten  nur  einen  kleinen  Brand 
allenfalls  ersticken,  so  wenig  Wasser  waren  sie  zu  schleudern  imstande 


Turmhaus  in  Regensbur^'. 


allein  sie  trugen  auch  niclit  weit,   und   über  eine  gewisse  Höhe  reichten 
sie    erst    gar    nicht.     So   mochten    die    zahlreichen,    von    den  Räten  der 


108  li-    '*i*^'  Städte. 

Städte  crlassentMi  Ftnioroi-dnungcii^)  recht  teilte  Anweisungen  entluüten, 
nutzen  konnten  sie  ahov  erst,  als  es  gelant;',  die  Feuerspritzen  zu  ver- 
vollkonunnen.  Die  1018  in  Anusburg  erwiduitcMi  Sj)ritzen  scheiiKMi  zwar 
schon  von  koni|)hzierterer  Konstruktion,  docii  erst  im  17.  Jahrhundert 
Avnrden  \on  .1  o  h  a  n  n  II  an  t  seh  in  Nürnberg  Spritzen  gebaut,  die  im 
Staude  waren,  den  Wasserstrahl  bis  80  FuCs  ib'die  zu  si'hleucU'rn.  Der 
Jesuit  Caspar  Schott  sah  nnd  beschri(>b  diese  Maschine  K).");").-)  Eine 
^'ervollkouunnung  der  Feuers])ritze  l'ührte  Letipold  (nni  17l?0)  ein  durch 
l'enutznng   des  AVindk(\ssels.^) 

Die  Abgebrannten  waren  anf  die  llill'e  ihrer  Mitbürger,  ihrer 
i^audsleute  angewiesen,  in  Deutschland  sind  solche  Hilfskassen  schon 
im  17.  .Jahrhundert  nachznw(Msen,  aber  erst  im  18.  Jahrhundert  werden 
die  l'^enerversicherungen  allgemeiner  eingelÜhrt  (Berlin  170()).  Allein 
diese  N'ersicherungsgesellschaften  deckten  nur  den  Schaden,  der  durch 
Brand  den  G(>bäuden  zugefügt  worden  war;  für  die  zerstörten  Mobilien 
kamen  sie  nicht  auf.  Die  Versicherung  der  Hauseinrichtungen  ist  erst 
im    IS.  .b-ibi-nundeil   möglich   geworden. 

Die  r>  r  a  n  (1  a  s  s  e  k  u  r  a  n  z  in  Paris  ist  1 745,  die  von  Kurbraun- 
braunschweig  1750,  die  von  Nassau -Weilburg  1751  gegründet.  Es  folgt 
dann   175.-)   Braunschweig-Wolfenbüttel,   1764  Kurbrandenburg.^) 

Während  des  Mittelalters  begnügte  man  sicli,  die  Verwendung 
leuergefährlichen  Baumaterials  nach  Kräften  zu  beschränken.  In  Frank- 
furt a.  M.  wurde  1466  die  Verwendung  der  Strohdächer,  1474  die  der 
Schindelbedacluuigen  verboten.  In  den  gröfseren  Städten  gehörten  schon 
im  16.  Jahrliundert  Häusei-,  die  nicht  mit  Ziegeln  oder  Schiefer  gedeckt 
waren,  zu  den  Ausnahmen  —  in  den  kleinen  Ackerbürgerstädten  haben 
sich  solche  Dächer  noch  bis  auf  die  neueste  Zeit  erhalten  — ■,  jedoch 
die  Errichtung  von  Fachw^erkshäusern  hat  man  noch  lange  Zeit  unbedenk- 
lich gestattet.  Vornehme  Leute  haben  allerdings  schon  im  Mittelalter 
ihre  Wohnhäuser  aus  Stein  herstellen  lassen,  aber  solche  Gebäude 
Avaren  in  den  grofsen  Städten  selbst  immer  nur  in  geringer  Anzahl  vor- 
handen. Die  ersten  solchen  Denkmäler,  die  uns  erhalten  sind,  rühren 
frühestens  aus  dem  11.  Jahrhundert  her.  Die  beiden  Häuser  (Pro- 
pugnacula)  in  Trier  (im  Hofe  des  Regierungsgebäudes  und  in  der 
Dietrichstrarse^)  dürften  zu  den  ältesten  Monumenten  deutscher  Privat- 
iU'chitektur  zu  zählen  sein. 

Eine  gröfsere  Anzahl  von  Privathäusern  des  12.  und  13.  Jahr- 
hunderts, auch  architektonisch  beachtungswerte  Baudenkmäler,  sind  in 
Regensburg  noch  erhalten.  Es  ist  dringend  geboten,  dafs  diese  Bauten 
aufgenommen    und    sachverständig  beschrieben  werden,    da   ihr  Bestand 


')  S.  J.  Beckmann.     Beiträge  z.  Gesch.  d.  P>tindungen.   IV.  Lpz.  1795.  S.  445. 

^)  Nürnberger  Feuerspritze  1658.  (Kulturgesch.  Bilderb.  V.  —  N.  2665).  —  Vergl. 
.T.  Beckmann  a.  a.  0.  IV.  S.  447. 

^^  Vgl.  (i.  A.  IJöcklcr,  Tlieatrmu  macliinanim  novum  .  .  .  Feuerspritzen  .  .  . 
Nfürnb.   1673. 

■*)  J    Beckmann  a.  a.  O.  I.  218. 

5    Vgl.  die  trefflichen  Abbildungen  l^ei  Stephani,  Wohnbau  II  (1903)  Fig.  275—287.. 


J.    Die  Privathäiisor. 


10V> 


ja  von  dein  Ermessen  der  Besitzer  einzig  und  allein  abhängt.  Es  sind 
teils  einzelne  hohe,  vielstückige,  turmartige  Gebäude,  teils  breite  Wohn- 
häuser, denen  aber  auch  Türme  einen  eigenen  Reiz  verleihen,  wie  z.  B. 
das  bekannte  Goliathaus,  das  heutige  Gasthaus  Zum  goldenen  Kreuz  u.  s.  w. 
Interessante  Giebelhäuser  aus  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
finden  sich  noch  vor  in  Trier  (Simeonsstralse)  und  in  Gelnhausen.^)  Köln 
besitzt  gleichfalls  einige  wenige  Häuserfassaden,  die  aus  dem  späteren 
Mittelalter  herrühren.  Der  Steinfelder  Hof  bei  S.  Gereon  zeigt  noch  roma- 
nische Formen,  dagegen  ist  im  gotischen  Stile  das  Haus  am  Altmarkt  und 


Wohnhaus  der  Familie  Overstolz  zu  Kolu, 
„Templerhaus"  genannt. 


Wohnhaus  der  Familie  Etzuciler 
zu  Köln. 


in  der  Rheingasse  erbaut.  Das  Etzweilersche  Haus  in  Köhi  gehört  schon 
dem  15.  Jahrhundert  an.  In  Frankfurt  a.  M.  wäre  noch  das  spätgotische 
Haus  Fürsteneck  und  das  Steinerne  Haus  zu  erwähnen,  in  Metz  das 
Haus  in  der  Trinitarierstrafse.  In  Nürnberg  bietet  ein  Muster  einer 
stattüchen  Patrizierwohnung  das  sogenannte  Nassauer  Haus.  Es  ist  1422 
von  Jobst  Haug   erbaut  und    hat   nie  dem  Grafen  von  Nassau    gehört.-) 

1)  Karl  Simon,  Studien  etc.  (Strafsburg  1902)  119  ff. 

»)  Vgl.  E  Mummenhof,  die  Besitzungen  der  Grafen  von  Nassau  in  und  bei 
Nürnberg  und  das  sogenannte  Nassauerhaus.  —  In  der  Festgabe  des  Vereins  f.  Gesch. 
der  Stadt  Nürnberg  zur  Feier  des  fünfzigjährigen  Bestehens  des  Germanischen  National- 
museums in  Nürnberg.     Nbg.  1902,  S.  1  ff. 


110 


II.    Die  Städte. 


Beachtenswert  sind  auch  <lie  in  NürnlxTg  nicht  soh(MUMi  l^^rkerbauten,  die 
,i;eM'öhnhch  mit  dem  NanuMi  Chrtrlcin  bo/iMt-hnet  werden  inid  auch  m\ 
l(i.  Jahrhundert  vielfach  noch  an<;('le<it  wurden.^)  Ahm  konnte  da  so 
bequem  übersehtMi.  was  aul'  der  Stralst»  voroini;-,  (hu'lie  ah(M'  nicht  an- 
fällig' sein,  da  es  sicher  in  den  iM-koin.  Ix'soiuh'is  im  Winter,  der  ein- 
faclien  Fenster  wegen,  arg  /,og. 

Fast  ausnahmslos  ist  aber  von  den  Denkmälern  ch-r  mittelaltor- 
hchen  Profanari'hitektur  nur  di(>  AulsensiMte  leidlicli  erhalten :  die  Innen- 
räume haben  in  den  meisten  Fähen  Verän<U'rungen  aller  Art  erlitten, 
welche  die  ehemalige  Eiiiteihuig  last  gän/lidi  unkenntlich  gemacht  haben. 
i>asselbe  gilt  \o\\  den  t  ranz()sisch  en  Deidcmälern  der  Haus-Rau- 
kunst.  Es  sind  —  oder  waren  bis  ins  vorig(>  Jahrhundert  —  noch  eine 
stattliche  .Vii/.ahl  soIcIhm-  MoinnniMite  erhalten.  Dem  12.  Jahrhundert 
gt^hören  nach  de  Caumont'-)  ein  Haus  in  Chartres,  ein  anderes  in  (^luny 
an,  auch  in  Sa  i  nt-(  JiUis  (Gard)  und  Limoges  sind  solche  Bauten  anzu- 
treffen. Viollet-le-Duc^)  bildet  gleichfalls  das  Haus  von  Cluny  ab  (S.224), 
andere  aus  Monreale^);  dem  13.  Jahrhundert  gehört  wohl  schon  an  das 
Haus  aus  Saint-Antonin^),  Amiens  (234),  Caussade  (Tarn  et  (raronne), 
^•or  allem  das  berühmte  Spielmannshaus  in  Reims ^).  Aus  dem  späteren 
Mittelalter  rührt  her  ein  elu'mals  in  Vittraux  (Cöte-d'Or)  vorhandenes 
Haus'),  ein  anderes  zu  Per])ignan.^)  Als  mustergültiges  Beispiel  eines 
Wohnhauses  des  reichen  und  vornehmen  Bürgers  kann  das  Hotel  des 
Jacques  Coeur  zu  Bourges  angesehen  werden,  das  nach  1443  begonnen 
wurde  und  das  in  seiner  reichen  Anlage,  mit  seinem  Kapellenbau,  eine 
Zwischenstellung  z^dschen  dem  ansehnlichen  Bürgerhause  und  dem 
Adelsschlosse  einnimmt.^)  Die  Adelsresidenz  in  der  Stadt 
repräsentierte  das  leider  seit  1840  zerstörte  Palais  La  Tre- 
mouille  zu  Paris;  der  Bau  war  1490  angefangen  worden.^'') 
Dank  den  gründlichen  Studien,  die  wir  Viollet-le-Duc 
und  Feüx  de  Verneilh^^)  verdanken,  sind  wir  über  die  fran- 
zösischen Bürgerhäuser  ziemhch  gut 
unterrichtet    —    besser    wie    über    die 


Haus  in  der  Trinitarierstrafse  in  Metz. 


1)  Fr.  Mayer,  die  interessautesteu  Chör- 
lein an  Nürnbergs  mittelalterlichen  Gebäuden. 
Nürnb.  1848. 

2)  Abecedaire  U\  74  ff. 

s)  Dict.  de  l'Arch.  VI,  223  ff. 

*)  Yonne,  S.  226. 

6)  Tarn  et  Garonne,  S.  229. 

6)  S.  237. 

')  S.  241—242. 

8)  S.  262. 

<*)  S.  Viollet-le-Duc  1.  1.,  S.  277,  279,  281. 

1")  Ebendas.  S.  283,  285. 

")  Architecture  civile  du  moyenäge  in 
Didi'on's  Annales  Archeologiques  t.  VI.  X.  XI. 
XII.  —  Hierzu  käme  noch:  Verdier  et  Cattois, 
Architecture  civite  et  domestique  au  moyen-äge 
et  ä  la  renaissance.     Paris  1855 — 57. 


J.    Die  i'rivathiluscr. 


111 


iVJ 


II.    nie   Stiidtc. 


Sogenanntes  Xassauerhans  in  Nümtieri;. 


deutschen  — ,  dagegen  scheint  es,  dafs  die 
Denkmäler  der  Profankunst  in  Italien 
über  Gebühr  vernachlässigt  worden  sind. 
Von  den  Bauwerken  des  t'rüiuni  Mittelalters 
sind  nur  übcM'aus  wiMiige  bisher  beachtet 
worden.  Am  bekanntesten  ist  die  aus  dem 
11.  Jahrhundert  herrührende  Casa  di  Pilato 
zu  Rom,  der  Überrest  eines  Turmbaues, 
den  Nikolaus  der  Groi'se,  der  Sohn  des  Cres- 
centius  (ca.  998),  erbaute.  Dieses  originelle 
Denkmal,  an  dem  auch  antike  Baureste 
Verwendung  gefunden  haben,  ist  auch  unter 
dem  Namen  des  Hauses  von  Cola  di  Rienzo 
bekainit.  Solche  feste  Turmhäuser,  Burgen 
der  städtischen  Adelsgeschlechter,  Avaren 
in  allen  italienischen  Städten  anzutreffen; 
sie  sind  heute  meist  abgetragen;  nur  S.  Gi- 
mignano  hat  noch  an  13  Turmhäuser  be- 
wahrt. Als  künstlerische  Leistungen  haben 
diese  Bauten  kaum  Anspruch  auf  Beach- 
tung: sie  sind  nur  als  Denkmäler  für  die 
Sittengeschichte  von  hoher  Bedeutung.  Die 
schiefen  Türme  von  Bologna,  die  Torre 
Asinelh,  99,30  m  hoch,  1109  begonnen  von 
Gherardo  degli  Asinelli,  und  die  Torre  Ga- 
risenda,  47,50  m  hoch,  deren  Bau  Filippo 
und  Ottone  de  Garisendi  1110  anfingen, 
sind  wohl  die  bekanntesten  unter  diesen 
Bauwerken. 

Jede    Kunstgeschichte    bespricht    ein- 
oehend  die  Palastbauten,    die  seit  dem  Be- 


ginne des  15.  Jahrhunderts  in  allen  Städ- 
ten Italiens,  vor  allem  in  Florenz,  Siena, 
Rom  entstanden;  aber  es  ist  immer  nur 
die  Kunstform,  welche  interessiert;  die 
Bestimmung  der  eigentlichen  Wohnräume 
findet  in  den  seltensten  Fällen  Beachtung, 
wird  meist  garnicht  erwähnt.  So  sind  auch 
die  Palastarchitekturen  der  Zeit  vor  dem 
Eintreten  der  Renaissance  nur  oberflächlich 
untersucht  worden  ^),  und  doch  gibt  es  auch 
unter  diesen  Denkmälern  viele,  die  als 
Kunstwerke  recht  wertvoll  sind,  z.  B.  der 
Palazzo  Agostini  zu  Pisa.  Allein  das 
Bürgerhaus    des    mäfsig    begüterten  Hand- 


1)  Z    B. 
vn.  202  ff. 


in  Schnaase  Gesch.  d.  Bild.  K^.  — 


Giebelhaus  am  Wollmarkt  zu  Köln. 


J.    Die  Privatgebäude. 


113 


werkers,  Handelsmannes  hat  man  kaum  je  geschildert.  Und  doch  sind 
diese  kleinbürgerlichen  Wohnhäuser  gewifs  in  überwiegender  Masse  in 
den  Städten  vorhanden  gewesen;  die  Palazzi  waren  sicher  inmier  in  der 
Minderzahl. 

Diese  Palazzi  haben  in  ihrer  Anlage  manches  gemeinsame :  durt-li 
einen  ziemlich  engen  Hausflur  gelangt  man  in  den  von  Arkaden  um- 
gebenen Hof,  der  neben  der  Fassade  die  architektonische  Schönheit  zur 


r- 


^'^^^-ir'-'r-rr^LLiiJiJ-, 


Palazzo  Strozzi  in  Florenz.    Durchschnitt  des  Hofes. 

Geltung  bringt.  Das  Erdgeschofs  ist  für  Dienerschaft  und  für  Wirtschafts- 
räume bestimmt;  in  der  ersten  Etage  befinden  sich  die  Empfangssäle ;  in 
den  oberen  Geschossen  wohnt  die  Familie  des  Hausherrn.  Anders  ist  die 
Anlage  der  venezianischen  Paläste,  deren  Haupteingang  gewöhnlich  nm- 
von  einem  der  Kanäle  zugänglich  ist.  Hier  fehlt  der  Hof  gänzlich ;  der 
mittlere  Teil  des  Gebäudes  ist  für  die  Repräsentationssäle  bestimmt; 
häufig  reicht  der  grofse  Festsaal  durch  zwei  Geschosse.  Die  Zimmer 
zur  Seite  der  Prunkgemächer  sind  für  die  Familie  des  Herrn  bestimmt. 
Auch  in  Venedig  kennen  wir,  wenigstens  gilt  dies  von  unserer  Zeit, 
nur  die  Häuser  der  Vornehmen. 


Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


114 


II.     Di 


■^t:iill(\ 


Als  /.u  Anl';m,u  des  1  (i.  .I;ilirliuii(l('i1s  die  Formou  der  italienischen 
Palastl);nd<iiiist  ;iii('li  in  1  )cuiscld;uid  uiitl  Fraukreieh  Eingang  fanden,  da 
zeigte  es  sieh,  dal's  diese  Stilurt  wohl  für  Ttahen  niehi  aber  für  die 
Länth'r  di(\sseits    dei'   Alpen    i)arste.      So    NornidmK!   ( iesehleehter    wie    in 

den  italienischen  Städ- 
ten mochte  es  ja  in 
Dentschland  anch  ge- 
hen, all(Mn  ihre  Woh- 
nungen ixdialten  immer 
den  ('harakt(>r  eines 
Bürgerhauses;  in  den 
deutschen  Städten  gibt 
es  bis  gegen  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  keine 
Taläste.  Die  Verwen- 
dung der  flachen  Dächer 
ist  in  dem  schneereichen 
Norden  nicht  ratsam ; 
man  behält  die  steilen 
Giebeldächer  bei.  Wenn 
man  von  den  Prunk- 
höfen der  Italiener  Ge- 
brauch macht,  so  er- 
weist sich  das  als  ein 
Mifsgriff.  Die  auch  in 
Deutschland  überhand- 
nehmend Sitte,  die  Bür- 
gerhaus er  ixdt  Luxus  ein- 
zurichten ,  hatte  schon 
Geiler  von  Kaisersberg 
getadelt,  später  ist  der 
protestantische  Prediger 
Cyriakus  Spangenberg 
in    seinem    »Hoffahrts- 


rf?Hlila 


-«'.l*>Vü.*.>j.wri 


Reims,  Spielmannshau.s.    (S.  o.  S.  110). 


U"- 


teufel«  ^)  gegen  diese 
Prachtliebe  aufgetreten, 
die  er  allenfalls  dem 
reichen  Nürnberg,  Augs- 
burg, Venedig  gestatten 
will,  aber  nicht  den  armen  Städten  in  Thüringen,  Meifsen,  Sachsen,  der 
Mark.-)  Die  ältesten  Bürgerhäuser,  die  im  Geschmack  der  Italiener  erbaut 
sind,  treffen  wir  in  Augsburg,  in  Nürnberg  an.  Das  Fugger-Haus  auf 
der  S.  Annastrafse  zu  Augsburg  durfte  etwa  1512—16  erbaut  sein;  es 
trägt  den  italienischen  Charakter  noch  ziemlich  unverfälscht  zur  Schau. 
Das  Tucherhaus  in  Nürnberg  (Hirscheigasse),  etwa  1533  errichtet,  zeigt  in 

»)  Fol.  CCCCXXXVt. 

2)  Vgl.  fol.  CCCCLXVnia  und  CCCCLXXna. 


J.    Die  Privathäuser. 


115 


seiner  Fassade  schon  ein  Kompromifs  zmschen  italienischer  und  deutscher 
Formensprache:    das    steile    Dach    mit    den    fialenartigen    Aufsätzen   ist 
entschieden  deutsch,    die  Türmchen  mit  den  Zwiebelspitzen  (die  wälschen 
Hauben)  und  die  Einrichtung  des  Innern  weisen  auf  Italien  hin.     ÄhnHch 
ist    die    Giebelfassade    des 
Toplerscheu  Hauses  am  Pa- 
nierplatze (1590),   mehr  im 
deutschen     Stile    gehalten : 
der   Erker,   die   Gliederung 
des  steilen  Giebels,  die  Ver- 
wendung    gotischer     Mas- 
werkornamente sprechenfür 
die  Tätigkeit  deutscher  Bau- 
meister.   Es  ist  ja  auch  von 
vornherein  als  wahrschein- 
hch    zu     betrachten,     dafs 
deutsche  Handwerksmeister 
die   Mehrzahl    der   Bürger- 
häuser   erbaut    haben;   die 
eingewanderten       Italiener 
fanden  mehr  an  den  Höfen 
der  Fürsten,  vielleicht  auch 
bei  dem  Landadel  Beschäf- 
tigung.   Es  kann  nun  nicht 
die  Absicht  dieser  Darstel- 
lung sein,  im  einzelnen  die 
Geschichte    des    deutschen 
Bürgerhauses   zur  Zeit  des 
16.  Jahrhunderts  zu  erzäh- 
len.    Wilhelm   Lübke    hat 
in  seiner  Geschichte  der  Re- 
naissance  in  Deutschland^) 
da  alles,    »was  von  Bedeu- 
tung:^  ist,   treffhch  geschil- 
dert.    Ich  will  also  nur  be- 
merken,   dafs  die  Tätigkeit 
der    Renaissance  -  Architek- ' 
ten   sich    nicht    darauf   be- 
schränkte,  Neubauten  aus- 
zuführen, sondern  dafs  sie  \äelfach  auch  die  alten  Häuser  des  15.  Jahr- 
hunderts  dem   neuen  Stile   entsprechend    zu  modernisieren   hatten.     Da 
wurde  ein   prächtiges  Portal   eingesetzt   und  vor  allem  der  steile  Giebel 
durch    Säulenstellungen,    Gebälke    etc.    mögUchst   versteckt.      An    Stelle 
der    gotischen    Fialen    treten    ObeUsken.     In    dem    letzten    Viertel    des 
16.  Jahrhunderts    herrscht   die    Mode    der    Überladung,    des    Schwulstes 
vor.     Es  finden  sich  in  den  Ornamenten  jener  Zeit  ja  manche  hübsche 


Nürnberg,  Pellerhaus. 


1)  Zweite  Aufl.  —  Stuttg.  1882. 


8' 


11() 


11.    Dio  Städte. 


Motivt'.  allein  das  (Jati/(>  ist  wüst,  wie  etwa  der  gcisti-ciche  Stil  von 
Johann  Fisehart.  Eins  der  intcitvssantestcMi  Uüro;orliänsor  dieser  späten 
Ei)Oche  ist  das  Pcdler-llans  zu  N  lirnlx-ru-  (1()05)  Nicht  allein  dir  (Jiehcl- 
fassade,  auch  der  malerische  Hol'  mit  seinen  (ialerien,  die  innere  Ein- 
richtmig  bietet  uns  ein  wichtiges  Boisjiiel  für  die  Entwicklung  der  dentschen 

Profanarchitektur.  l*]ine  (ngen- 
artige  Zier  erhicltfni  die  Fas- 
saden anch  der  Häuser,  die 
uit'ht  mit])lastisclieni  Schmuck 
dekoriert  wurden,  durch  die 
hnnte  Bemalung  der  Put/- 
llächeii.  Ornamentale undfigür- 
lichc  Darstellungen  sind  da 
mit  grolsem  Geschick  verwen- 
det worden.  Schon  im  15.  Jahi-- 
hundert  waren  <lie  Häuser  am 
Ring  zu  Breslau  so  festlich  be- 
malt. Hans  Holbein  d.  J.  ent- 
warf die  Kompositionen  zur 
Bemalung  des  Hauses  zum 
Tanz  in  Basel,  des  Hauses 
Hertenstein  bei  Luzern.  Zahl- 
reiche Fassadenmalereien  sah 
man  in  Augsburg.  Noch 
heute  sind  einige  derselben  zu 
erkennen ;  besser  erhalten  sind 
Rhein.     In 


die  zu  Stein  a. 
Schaffhausen  sieht  man 
noch  die  bemalte  Fassade  des 
Hauses  zum  Ritter,  die  von 
dem  Meister  Tobias  Stimmer 
herrührt  (1570).  Im  Osten 
Deutschlands,  in  Böhmen. 
Schlesien  wendet  man  das  ita- 
lienische Sgraffito  an,  die  kah- 
len Mauerflächen  der  Fässaden 
wirkungsvoll  zu  beleben. 

Auch  über  die  franzö- 
sischen Bürgerhäuser  gibt 
W.  Lübke  in  seiner  Geschichte 
der  Renaissance  Frankreichs^)  Auskunft.  Hervorzuheben  wäre,  aufser 
dem  hier  abgebildeten  Hause  aus  Ronen,  in  Orleans  das  sogenannte 
Haus  der  Agnes  Sorel,  in  Wahrheit  wohl  die  Wohnung  eines  reichen 
Kaufherrn  aus  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts.  In  Orleans  finden 
wir   dann  noch   das   angebhche  Haus  Franz  L,    das  1536   erbaut  wairde. 


Haus  7,11  Stein  am  Rheiu. 


»)  Stuttg.  1868. 


J.    Die  Privathäuser. 


117 


Die  Maisou  de  Fran9ois  I.  ist  aus  dem  Dorfe  Moret  bei  Fontainebleau 
nach  Paris  in  die  Champs  Elysees  übertragen  worden.  Andere  Bauwerke 
des  späteren  16.  Jahrhunderts  bespricht  Lübke  a.  a.  0.  265  ff.,  die  aus 
der  Zeit  Heinrichs  IV.  und  Ludwigs  XIII.  S.  293  ff. 

Nach  Beendigung  des  Dreifsigj ährigen  Krieges  werden  nur  wenige 
städtische  Häuser  mehr  erbaut.  Man  begnügt  sich,  die  alten  Häuser  zu 
erhaUen,  auszubessern,  aber  an  Neubauten  ist  einstweilen  nicht  zudenken; 
geschieht  es  aber  ausnahms- 
weise, dafs  ein  neues  Gebäude 
errichtet  wird,  dann  wird  es 
.■^o  schlicht  wie  möglich  ange- 
legt. Die  kathohschen  Kirchen 
und  Klöster,  die  Schlösser  der 
Fürsten  und  Grofsen  mochten 
im  imposanten  Barockstil,  in 
<len  gefälligen  Tändelformen 
des  Rokokostiles  erbaut  wer- 
den :  von  <liesen  Stilen  merkte 
man  an  den  deutschen  Bür- 
gerhäusern so  gut  wie  gar 
nichts.  Schwer  lastet  auf  die- 
."^en  Gebäuden  das  mit  Ziegeln 
gedeckte  gewaltige  Mansarden- 
dach. Keiche  Bürger  haben 
aUerdings  hin  und  wieder 
reicher  ausgestattete,  mit  Pila- 
.^tern  und  Skulpturen  ge- 
.schmückte  Gebäude  errichtet, 
wie  in  Augsburg,  in  Dres- 
den u.  s.  w.  Cornelius  Gur- 
litt  hat  in  seiner  Geschichte 
<les  Barockstiles  und  des  Ro- 
koko in  Deutschland^)  auch 
<liese  Privathäuser  l)esprochen, 
natürlich  aber  nur,  wenn  sie 
einen  künstlerisch  bemerkens- 
werten Charakter  an  sich  tra- 
gen.    Es   sei  hier    als  Muster 

eines  Barockbaues  das  Asamhaus  auf  der  Sendlingerstrafse  in  München 
genannt,  das  die  Brüder  Cosmas  Damian  Asam,  der  Maler  (1686 — 1742) 
und  Egidius  Quirin  Asam.  der  Stukkateur  (f  1764)  erbauten.  Reizend 
ist  das  aber  mehr  im  Geschmack  des  Rokoko  gehaltene  Haus  am  Königs- 
platz  (Nr.  55)  zu  Kassel. 

Vereinzelt  hatten  schon  im  16.  Jahrhundert  Adelsfamilien  auch  in 
den  Hauptstädten  des  Landes  sich  ihre  Paläste  erbauen  lassen.  Der 
Bau  des  Palastes  Schwarzenberg  auf  dem  Hradschin  zu  Prag  war  1545 

0  Stuttg.   1889. 


Hol'  des  rrllerliauses  zu   NiinilK'i^ 


118 


IJ.    \)\c  Städte 


unternommen  Avordeu;  dann  hatte  Waldstein,  der  Herzog  von  Friedland, 
das  grofse  Sehlofs  auf  der  Prager  Kleinseite  1629  mit  der  prächtigen 
Gartenloogia  erbaut.  Es  folgt  das  Palais  der  (Irafen  Thuii  auf  der 
PfarrgassT  (naeh  1()50),  das  Palais  (3zerniu  aul'  dem  Hradschin;  das 
18.  Jahrhundert  sieht  luin  eine  ungeheure  Zahl  von  Adelspalästen  ent- 
stehen, die  zum  'Peil  auch  als  architektonische  Kunstwerke  von  hoher 
Bedeutunu-  sind.  Ich  nenne  in  Tiag  nur  das  Palais  Clam-(xallas  von 
Joh.  Bernhard  Fisdlier  von  Erlach  1707—12  cM-baut,  das  Palais  Golz 
(jetzt  Kinskv)  von  Ivilian  Dientzenhofer  entworfen  und  das  von  dem- 
selben Meister  herridncnde  Palais  Piccolomini  (dann  Nostitz,  jetzt  Sylva- 
Tarnecal      Noch    zahh-eicliere    Palastbauten    hat   Wien   aufzuweisen;    das 


m... 


llouen.'Han.s  am  Domplatz,  seit  150'.».     (Nach  Sauvageot.)    (S.  S.  116.) 


Gleiche  gilt  von  Dresden.  Selbst  kleinere  Residenzen,  wie  München, 
sahen  prächtig  ausgestattete  Adelspaläste  erstehen,  das  Palais  Porcia, 
Törring  (jetzt  Oberpostamt),  Preysing  (Hypothekenbank),  Piosasque 
de  Non. 

Ja,  einzelne  sehr  begüterte  Herren  legten  sich  auch  aufserhalb  der 
Stadtbefestigung  grofsartige  Lustschlösser  an,  in  denen  sie  während  der 
Sommerzeit  ihren  Aufenthalt  nahmen.  So  das  Gartenpalais  Mannsfeld- 
Fondi  (jetzt  Schwarzenberg)  zu  Wien  1705—1720,  wahrscheinüch  von 
Fischer  von  Erlach  entworfen,  und  das  für  den  Prinzen  Eugen  von 
Savoyen  durch  Joh.  Lukas  v.  Kihan  errichtete  Lustschlofs  Belvedere 
(1693—1724). 

Über  die  französischen  Bürgerhäuser  und  die  städtischen  Adels- 
Hotels  der  Zeit  Ludwigs  XIV.  und  XV.  gibt  Cornehus  Gurlitt  in  seinem 
treffhchen   Werke    »Geschichte   des   Barockstiles,    des   Rokoko    und   des 


J.    Die  rrivathanser. 


119 


120  II-    !>»'  Städte. 

Ivlassizisnuis  in   Bt^l^iciu    IloUiind,  Frankreicli,  England«  «enauere  Nach- 
richten.^) 

M()<i('ii  ilii'  Fa.'^.sadcii  dci'  l>ürgorhäU!st»r  noch  so  .siatUicli  sich  aus- 
üenonnncii  lialnui,  d\o  Zustäiuh'  der  Strai'sen  an  denen  sie  gelegen  waren, 
lielson  Ins  in.s  19.  Jahrluuulert  sehr  viel  zu  wünschen  ührig,  nicht  allein, 
dal's  die  /.wischen  den  Iläusergieheln  angelegten  Dachrinnen  das  Regcn- 
wasser  in  ihn-  Mitte  der  Strafse  ergossen,  auch  die  Treppen  zu  den 
Kellern  der  Häuser  seihst  reichten  in  die  Stral'se  hinein;  die  hei  Tage 
anlgt^klapittcn  Türen  d(M'  Treppe  sperrten  den  Verkehr.  Die  Laden, 
Schilder  hingen  zunuMst  in  (he  Stral'se-  liinein,  hänlig  an  sclnin  geschmie- 
deten Kisenhaltcrn,  oft  gtniügte  auch  nur  ein  Kennzeicluui.  Die  laiigen- 
in  die  halht>  Stral'se  ragenden  Bicrkegel  zeigten,  dal's  da  ein  Trunk  zu 
hahen  war.  ein  ]>lankes  llasierbecken  verriet  den  Bartscherer,  ein  Huf- 
<'isen  den  (Irohsehniied,  ein  Schlüssel  den  Schlosser.  Diese  Abzeichen 
sind  \\\\\  so  wichtiger,  weil  sie  auch  von  den  des  Lesens  nicht  Kundig<ni 
\erstanileii  wnrden.  Auf  der  Strafse  selbst  arbeiteten  bei  gutem  Wetter 
die  I  landwelker,  z.  1>.  die  Böttcher.  Meist  ist  das  Erdgeschofs  der  Bürger- 
häuser von  Kaufläden  in  Anspruch  genommen.  Aus  den  Miniaturen 
ersehen  wir,  dafs  der  Verkaufsraum  durch  zwei  horizontal  sich  bewegende 
Türflügel  verschlossen  war;  der  untere  bildete,  aufgeklappt  und  passend 
gestützt,  den  Verkaufstisch,  während  der  obere  Schutz  gegen  Regen  und 
Sonne  gewährte.  Jedoch  eben  jener  untere  Türflügel  hinderte  gleich- 
falls den  Verkehr  auf  der  Strafse :  man  mufste  beständig,  wenigstens  bei 
Tage,  allerlei  Hindernissen  ausweichen.  Nur  in  einigen  wenigen  Handels- 
städten wie  z.  B.in  Danzig  waren  die  vornehmen  Häuser  im  16.. Jahrhundert 
ilurch  eine  Freitreppe  zugänglich,  auf  deren  Plattform  die  Familie  des 
Hausherrn  bei  schönem  Wetter  zu  verweilen  vermochte.  Diese  interes- 
santen Beischläge,  die  heute,  um  die  Strafsen  zu  verbreitern,  vielfach 
geopfert  werden  müssen,  geben  dem  Ganzen  etwas  malerisch  Vornehmes. 
An  den  Haustüren  der  aus  dem  16.  Jahrhundert  herrührenden  Wohn- 
gebäude sehen  wir  oft  in  den  steinernen  Türein fassungen  rechts  und 
links  Sitze  angebracht.  Da  plauderten  die  Bürger  am  Abend  mit  ihren 
vorübergehenden  Freunden  und  Bekannten.  Die  Ungastlichkeit  unserer 
Zeit  hat  diese  traulichen  Sitze  häufig  genug  durch  eiserne  Stachel- 
einfassungen unbrauchbar  gemacht.  Wir  müssen  uns  aber  vorstellen, 
dafs  an  warmen  Sommerabenden  die  Bürger  mit  ihren  Angehörigen  vor 
<ler  Haustür  safsen,  wie  Goethe  das  Ja  noch  in  Hermann  und  Dorothea 
schildert. 

Üljer  der  Tür  sah  man  das  Wahrzeichen,  nach  dem  das  Haus  den 
Namen  erhielt,  Wappen  u.  s.  w.,  in  Stein  gehauen  oder  gemalt.  Die 
Türflügel  selbst  waren  aus  starkem  und  festem  Holze  gezimmert,  seit 
dem  16.  Jahrhundert  öfters  noch  mit  Schnitzwerk  geziert.  Sonst 
waren  die  Schmiede-  und  Schlosserarbeiten,  die  Haspen  und  Beschläge, 
<he  kunstreichen  Schlüsselschilde  sowie  die  prächtigen  geschmiedeten 
Türklopfer  der  Hauj)tschmuck.    Die  ursprünglich  verzinnten  Eisenarbeiten 

1)  Stuttgart  1888. 


J.    Die  Privathäuser. 


121 


hoben  sich  wirksam  von  dem  dunklen  Holzvverke  ab.  OberUchter,  zur 
teilweisen  Beleuchtung  des  Flures  bestimmt,  wurden  im  16.  — 18.  Jahr- 
hundert oft  mit  meisterhaft  geschmiedeten  Gittern,  Kunstwerken  von  ge- 
schmackvollster Arbeit,  ausgefüllt. 

Die  italienische  Sitte,  das  untere  Geschols  mit  einer  fortlaufenden 
Loggienreihe  zu  verzieren,  so  dafs  man  geschützt  gegen  Sonnenbrand, 
Regen  und  Schnee  die  Strafse  hinabgehen  konnte,  diese  gewifs  für  Itahen 
.sehr  wohl  passende  Anlage  wurde  in  Frankreich  und  Deutschland  viel- 
fach nachgeahmt,  Avenn  auch  in  diesen  Ländern  sich  die  üblen  Folgen 
der  Laubeneinrichtung  vielmehr  fühlbar  machten:  Die  Vorderzimmer 
des  Erdgeschosses,  die  ihre  Fenster  nach  den  Laubengängen  hin  hatten, 
erhielten  sehr  wenig  Liclit,  und  die  über  den  Lauben  gelegenen  Zimmer 
des  ersten  Geschosses  hatten  eiskalte  Fufsböd(^n. 

Diesseits  der  Alpen  hat  man  mit  Vorliebe  die  Marktplätze  mit 
Laubengängen  eingefafst,  in  den  Strafsen  dagegen  sie  selten  verwendet. 
In  Frankreich  sind  solche  Anlagen  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderts  nachzuweisen,  in  Deutschland  scheinen  sie,  zumal  im 
Osten,  erst  während  des  16.  Jahrhunderts  allgemeiner  in  Gebrauch  ge- 
kommen zu  sein. 

Einen  guten  architektonischen  Effekt  wei'den  auch  diese  Lauben 
kaum  gemacht  haben,  da  sicher  in  ihnen  die  Krämer  des  Tags  über  ihr 
Wesen  trieben,  wi(^  denn  überhaupt  diese  Handelsleute  viel  dazu  bei- 
trugen, das  malerische  Bild,  welches  eine  Stadt  der  früheren  Jahrhunderte 
doch  immerhin  dai'bot ,  zu  entstellen  und  unerfreuHch  zu  machen, 
überall  nisteten  sie  sich  mit  ihrem  Kram  ein:  zwischen  den  Strebepfeilern 
der  Kirchen,  an  den  öffenthchen  Gebäuden;  ihre  nichts  weniger  als 
schönen  Holzbuden  ei-       „^^^ 


füllten  den  Marktplatz, 
ja  sie  standen  seilest 
an  den  Häusern  der 
Hauptstral'sen.^)  Noch 
ist  der  grofse  Markt- 
platz Breslaus  nielit 
gänzlich  von  solchen 
Buden  gesäubert;  vor 
fünfzig  Jahren  war  er 
mit  diesen  Bretter- 
häusern erfüllt  und 
die  auf  den  Hing  mihi- 


^■J,     .      


*)  Das  Germanische 
Museum  Vjesitzt  eine  merk- 
würdijfcHandzeiclinnniides 
15.  Jahrhundorts,  (hirstol- 
lend  einen  Marktplatz.  Ah- 
eeh.  in  dem  knUarLiesch. 
Bilderathis  II.  (hrsjjg.  veii 
A.  Essen  wein).  Leipzig 
1S83.    Taf.  C'XV.  1. 


I.iiulicii    in    M(inl]i;izi('r  (12S1). 


122  II-    l>i^'  Stiidto. 

deiiden  Strafsen,  die  schon  an    sic-li    schinnl    gvnug   sind,   durch    Buden- 
reihen noch  mehr  verengt. 

Über  den  Hansbau  äulsert  sich  (xuarinonius  aulserordentüch  ein- 
sichtsvoll. Er  will,  dafs  «lie  Fenster  nach  Westen  gerichtet  sind,  weil 
sie  so  am  längsten  Licht  crhaltiMi.  Muls  man  sie  nach  Mittag  liin  legen. 
so  sorge  man  für  Zimmer  an  der  Nordseil(>;  dann  Ix'wolmt  man  diese 
im  Sommer,  jene  im  Winter.  Schlafzimmer  sollen  immer  nach  Osten 
gelegen  sein  :^>sonderlich  diejenigen,  darinnen  die  DiensthottcMi  sehlafen, 
damit  si»^  von  dem  Tjieeht  und  Morgenröten  desto  eilender  von  dem 
Schlaf  (Mweckt  und  zu  iln-er  Arbeit  ermuntert  werden.«  Alle  Schlafstuben 
der  Schüler  sollen  auch  nach  Osten  liegen,  damit  sie  früh  aufstehen  und 
die  kühlen  Morgenstunden  benutzen.  Man  soll,  wenn  grofse  Plätze,  breite 
Strafsen  vorhanden  sind,  die  der  Luft  freien  Durchzug  gestatten,  die 
Häuser  hoch  bauen  und  die  hölieren  Zimmei-  selbst  als  die  gesünderen 
bewohnen,  nicht,  wie  gew(»hnlich,  vermieten.  Er  klagt  über  die  Unsauber- 
keit  der  heimliclnMi  Gemäcliev.  über  die  schlechte  verdorbene  Luft  in 
den  Wohnungen  und  tritt  sehr  enei-giseh  für  grihidliehe  Lüftung  der 
selben  ein  (S.  421). 

Sobald  man  die  Haustür  überschritten,  in  das  Haus  eingetreten 
war,  gelangte  man  zuerst  in  den  Flur,  der  je  nach  dem  Erwei-bszweige 
des  Besitzers  bald  geräumiger  bald  beschränkter  war.  Dal's  auch  die 
Bürgerhäuser  in  der  Vergangenheit  entsprechend  dem  Stande  und  dem  Ver- 
mögen des  Besitzers  bald  reicher,  bald  ärmlicher  entwickelt  sind,  bedarf 
ja  nicht  hervorgehoben  zu  werden;  es  sind  selbstverständlich  auch  da 
die  mannigfaltigsten  Abstufungen  zu  bemerken.  Immer  aber  ist  eins 
gleich,  ob  das  Haus  einem  Armen  oder  Reichen  gehört:  Gebäude  und 
alles,  was  dazu  gehört,  ist,  für  den  Herrn  besonders  hergestellt,  nicht 
nach  einer  Schablone  ausgeführt  worden,  wie  alle  Einrichtungsstücke 
beim  Handwerker  bestellt  und  dem  besonderen  Geschmack  gemäfs  ge- 
arbeitet wmrden.  Möbelmagazine  kennt  jene  Zeit  noch  nicht.  Aber  auch 
die  Häuser,  zumal  bis  ins  17.  Jahrhundert,  haben  ihre  Eigenart:  je  nach- 
dem man  ein  Zimmer  höher  oder  niedriger  bedurfte,  wurden  die  Gewölbe, 
die  Decken  angelegt,  so  dafs  man  allerorten  auf  meist  recht  dunklen 
Treppenstufen  hinauf  und  hinab  steigen  mufste.  Die  in  einer  Ebene 
angeordneten  Geschosse  sind,  meine  ich,  nicht  vor  dem  18.  Jahrhundert 
gebräuchlich  geworden.  Nebenbei  hat  auch  jede  Stadt,  jeder  Landstrich 
seine  besonderen  Eigentümlichkeiten.  Wir  sind  heute  noch  nicht  in  der 
Lage,  alle  diese  Verschiedenheiten  mit  Sicherheit  aufzuweisen,  obschon 
sie  unzweifelhaft  vorhanden  sind,  können  vielmehr  nur  ein  allgemeines 
Bild  entwerfen,  das  allenfalls  der  Wahrheit  nahe  kommt.  Nehmen  wir 
an,  es  bändele  sich  um  das  Wohnhaus  eines  reichen  Kaufherrn. 

Mit  dem  Flure,  in  dem  die  anlangenden  und  die  zur  Versendung 
bereiten  Handelsgüter  aufgespeichert  werden  und  der  deshalb  geräumig 
und  nicht  zu  dunkel  sein  darf,  ist  die  Schreibstube,  das  Kontor,  in 
Verbindung,  in  dem  der  Herr  mit  seinen  Kaufmannsdienern  das  Geschäft 
leitet.  In  diesem  Zimmer  steht  der  Zahltisch ;  an  einem  Rande  des- 
selben   sind    untereinander    die    Zahlzeichen    M.  D.  C.  L.  X.  V.  I.    ein- 


J.    Die  Privathäuser.  123 

geschnitten,  nüt  deren  Hilfe  wie  mit  einer  Rechenmaschine  schnell  die 
Additionen  zu  erlangen  waren.^)  Der  Schreibtisch  des  Herrn  hatte 
viele  Fächer  und  Geheimladen. ^j  Angenagelte  Riemen  an  der  Wand 
dienten  dazu,  eingehende  Korrespondenzen  so  lange  sichtbar  einzu- 
klemmen, bis  sie  beantwortet  worden  waren.  Die  Fenster  des  Erd- 
geschosses sind  meist  zum  Schutz  gegen  Einbrecher  vergittert;  diese 
Gitter  weisen  oft  im  16.  bis  zum  18.  Jahrhundert  wahre  Meisterwerke 
der  kunstgewandten  Schlosser  auf. 

Aus  dem  Flure  gelangt  man  in  den  Hof,  der  während  des  Mittel- 
alters wohl  gänzlich  schmucklos  war,  an  dem  die  verschiedenartigen 
Ställe,  die  Wohnungen  der  Dienstleute  gelegen  waren.  Bei  den  Häusern 
der  vornehmen  Bürger  ist  der  Hof  gleichfalls  von  einer  Arkadenstellung- 
umgeben,  auf  der  die  Säulen  der  Loggien,  der  oberen  Geschosse,  ruhen. 
Diese  Laubengänge  vermitteln  die  Verbindung  der  Zimmer.  So  hübsch 
sich  diese  von  Italien  entlehnte  Anlage  auch  ausnehmen  mag,  praktisch 
für  deutsche  A'^erhältnisse  war  sie  jedenfalls  nicht:  Regen  und  im  Winter 
Schnee  trieb  in  die  offenen  Korridore  hinein;  dafs  sie  bei  Frost  eisig- 
kalt  waren,  und  dafs  von  der  Tür  aus  auch  Kälte  in  die  Zimmer  ein- 
drang, das  liegt  auf  der  Hand.  Der  architektonisch  hübsche  Effekt  war 
so  recht  teuer  erkauft.  Aber  ganz  unbegreiflich  ist  es,  wenn  man  diese 
Verbindungsgänge  auf  blofse  Konsolen  setzte ;  dann  war  nicht  einmal  ein 
künstlerisch  erfreulicher  Anblick  geboten.  Diese  offenen  Galerien,  diese 
halb  im  Freien  angelegten  Treppen  finden  sich  zahlreicli  z.  B.  in  den 
alten  Bürgerhäusern  zu  Prag. 

Die  Höfe,  in  der  Stadt  schon  des  Raummangels  wegen  wenig  ausge- 
dehnt, waren,  von  den  hohen  Häusern  umgeben,  meist  feucht:  Sonne  und 
Mond  schienen  nur  selten  hinein;  Gras  und  Moos  wuchsen  zwischen  dem 
Steinpflaster.  Da  nur  ausnahmsweise  die  Häuser  einen  kleinen  Garten 
besafsen,  so  konnte  sich  die  Familie  des  Hausherrn  kaum  an  warmen 
Sommertagen  auf  dem  Hofe  oder  in  den  Laubengängen  des  Hofes  auf- 
halten; eine  bessere  Luft,  auch  Anregung  mancher  Art  fand  sie  viel 
eher,  wenn  sie  nach  des  Tages  Arbeit  vor  der  Haustür  sich  niederliefs. 

Sehr  bescheiden  sind  die  Ansprüche,  die  man  an  die  Anlage  der 
Haustreppen  zu  stellen  pflegte.  Im  16.  Jahrhundert  mag  manche 
Haupttreppe  schön  geschnitzte  Geländer  aufweisen,  aber  für  ihre  Beleuch- 
tung ist  so  gut  wie  nichts  geschehen.  Die  meisten  Treppen  sind 
dunkel,  eigentlich  nur  für  den  im  Hause  genau  Bekannten  ohne  Gefahr 
zu  passieren :  da  kommen  plötzhch  unerwartet  Absätze,  und  ebenscv 
unerwartet  beginnt  wieder  die  Flucht  der  Stiegen.  Die  im  16.  Jahr- 
hundert weit  verbreitete  Vorliebe  für  Wendeltreppen  machte  das  Auf- 
steigen zu  den  oberen  Geschossen  nicht  angenehmer.  Aber  wollte  man 
in  dem  durch  die  Fortifikation  ohnehin  beschränkten  Areal  in  den 
Burgen  Platz  für  die  Zimmer  gewinnen,  dann  mulste  man  sich  bei  dem 
Bau  aller  Nebenräume  nach  Möglichkeit  beschränken.    Und  [da   in   den 


')  Abgeb.    in    m.  dontschen    Leben  etc.     Fig.  100,    uach    dem    Holzschnitte    von 
Hans  Burkmair. 

*)  Ein  solcher  Schreibtisch  abgeb.  nach  Moriz  Heyne,  ebend.,  Fig.  132. 


124  II-  I^^^'  Stiidto. 

befestigten  Städten  der  Raum  für  die  Iläu.ser  auch  nur  knapp  bemessen 
war,  hat  man  auch  diese  Sitte  nachgeahmt.  Die  Erbauer  der  Schlösser 
können  über  grol'se  Baugründe  verfügen  und  wdssen  deshall^  schon  früb 
den  Wert  schöner,  g(U'äunnger,  ht-hter  Troi)])en  zu  schätzen. 

Die  Einrichtung  eines  Bürgerhauses  zeigt  vortreffhch  die  Reihe  von 
Zeichnungen,  die  Hans  Böscli  in  seiner  Abhandhnig  >Ein  süddeutsches 
Haus  vom  Beginne  des  18.  Jahrhunderts«  (Nürnberg  1897)  ])ubHziert  hat. 
Die   uanze  Anlage  des  Hauses  weist  auf  das  16.  Jabrbun(hn-t  zurück. 

Ehe  wir  aber  die  im  ersten  Geschofs  belindhchon  Wohnzimmer  in 
Augenschein  nehmen,  müssen  wir  noch  einen  BUck  in  den  Keller 
werfen.  Tb.  Hampe  hat  >~ Gedichte  vom  Hausi-at  aus  dem  15.  und 
16.  Jahrhundert.,  herausgegeben  (Strafsburg  1899).  Das  älteste  dieser 
(redichte,  von  Hans  Folz,  gehört  noch  dem  15.  Jahrhundert  an.  Er 
zeigt  uns  den  Weinkeller,  in  dem  es  Fafsbohrer,  Pipen,  Zapfen  gibt, 
Schäffer,  Kannen,  eine  Probierkrause  u.  s.  w.  In  der  von  Hans  Sachs 
berrülirenden  Reimerei  (1544)  wird  Bier  und  Wein  ausdrücklich  erwähnt. 
Aber  aufser  dfni  von  Folz  genannten  Geräten  führt  er  noch  eine  Schrot- 
leiter zum  Einln-ingen  der  Fässer  an.  Der  Verfasser  des  dritten 
Gedichtes  gedenkt  dann  noch  d(U-  Stentner  (StehschäfEer) ,  drichter, 
tiaschen,  Kannen,  Weinleyter,  weinleger,  hebrigel,  Weinror,  damhader 
und  demmesser  (Hadern  und  Eisengerät  zum  Verstopfen)«.  Dabei 
.^ind  Mittel  zur  ^"erbesserung  und  Verschönung  des  Weines  da  zu 
finden :  W^idasche  (Pottasche),  Schwefel,  Senf,  Eiweifs.  Allerlei  Werk- 
zeug, wie  es  im  Hause  unentbehrlich  ist,  wird  auch  hier  bewahrt,  wie 
der  Vorrat  an  Sauerkraut,  bayerischen  und  weifsen  Rüben,  die  man  in 
Sand  eingräbt,  sie  frisch  zu  erhalten.  Auch  die  Waschküchen  liegen 
gewöhnlich  im  Kellergeschofs.  Am  besten  kann  man  die  Einrichtung 
der  Keller  erkennen  in  den  interessanten  Modellen,  die  unter  dem 
Namen  der  Puppenhäuser  wohlbekannt  sind. 

Steigen  wir  die  Treppe  hinauf,  so  gelangen  wir  zunächst  auf  den 
^'orflu^.  Da  stehen  die  grofsen  Schränke,  die  im  15.  Jahrhundert  mit 
einer  geschnitzten  und  bemalten  Zarge  verziert  waren, i)  im  16.  Jahr- 
hundert architektonisch  gegliedert,  mit  Säulen  und  Simsen,  die  Flächen 
mit  Intarsien  bedeckt;^)  dann  erst  gegen  Anfang  des  18.  Jahrhunderts 
werden  die  polierten  Schränke  Mode.  Soweit  sie  nicht  in  den  Schlaf- 
zimmern untergebracht  werden  können,  haben  sie  im  Flur  ihren  Platz. 
Der  Flur  selbst  wird  zuweilen  auch  reicher  ausgeschmückt.  Stuckdecken  und 
Friese  finden  sich  in  manchem  Nürnberger  Hausflur;  dazu  wurden  an 
<;len  Wänden  dekorative,  minder  kostbare  Gemälde :  Stilleben,  Tierstücke 
u.  s.  w.  aufgehängt. 

Aus  dem  Flure  treten  wir  nun  in  die  Empfangszimmer  der  Reichen, 
die  Wohnstuben  der  minder  Bemittelten  ein.  Wir  wollen  aber  immer 
uns  vorstellen,  im  Hause  begüterter  Leute  Umschau  zu  halten. 


1)  Deutsches  Leben  etc.  Fig.  143,  144,  145.  —  A.  Esseuwein,  kunst-  u.  kulturg. 
l)enkm.  des  Germ.  Museums.     Taf.  LIT. 

*)  M.  Einführung  in  das  Studium  der  neueren  Kunstgeschichte.  (Prag  u.  Leipz. 
1887.)    Fig.  96. 


J.  Privathäuser.  12r> 

Auf  die  Stattlichkeit  der  Türen  legt  man  grofsen  Wert.  Man  ver- 
ziert die  Gewände  mit  Schnitzereien.^)  Oft  werden  auch  die  Türflügel 
mit  Eisenblech  und  Schienen  beschlagen,  und  dann  läfst  man  in  das 
Blech  Wappen  etc.  treiben  und  bildet  die  Schrauben  in  Form  zierUcher 
Rosetten.  Die  Schlösser  und  Türbänder  werden  kunstreich  geschmiedet, 
unter  die  durchbrochenen  Muster  farbiges  Tuch  oder  Leder  gelegt. 
Alles  Eisenzeug  ist  sorgfältig  ziseliert  und  verzinnt.  Man  versteht  schon 
allerlei  Kunststücke ;  so  ist  in  dem  Fredenhagenschen  Zimmer  zu  Lübeck  diu 
Tür  nach  Beheben  rechts  oder  links  zu  öffnen.  Die  Fenster  haben,  wie 
schon  früher  geschildert  wurde,  lange  Zeit  der  Verglasung  ganz  oder 
teilweise  entbehrt.  Ln  16.  Jahrhundert  scheint  der  Gebrauch  des  Glases 
auch  in  den  Bauernhäusern  Eingang  gefunden  zu  haben.  Kaiser 
Ferdinand  I.  bemerkt  von  den  Spaniern:  »Defsgleichen  gebrauchten  sie 
sich  keiner  Glasefenster,  sondern  ihre  Fenster  wären  aus  Leinwand  und 
Pappier  zusammen  gemacht.  Hergegen  aber  in  Teutschland  wären  sie 
so  gemein,  dafs  auch  der  ärmste  Bauer  am  Glase  nichts  ermangele.  : 
(Des  AUerdurchlauchtigsten  Römischen  Keysers  Ferdinand  des  Ersten 
Denkwürdige  Tafel-Reden  .  .  .  .  v.  Joh.  Naeve  [1564],  Dresd.  1674,  S.  37.) 
Auch  im  16.  Jahrhundert  machte  gerade  die  Anlage  der  Fenster  den 
Bauenden  viel  zu  schaffen.  Bartholomäus  Paumgartner  schreibt  von 
Frankfurt  a.  M.  am  14.  März  1589  in  Betreff  seines  Hausbaues  an  seine 
Frau:  »Mitt  den  neuhen  fenstern  hab  noch  bessern  rahtt,  dann  wo 
müghch  gern  unten  nicht  4  thürlin  haben  wollt.  Bin  auch  noch  der 
Mainong,  gar  wol  zuwegen  ze  bringen  sein  soll.  Die  Torigiani  sagen, 
in  ihren,  obschon  noch  gröfser,  nichtt  krumb  oder  scheel  geworden; 
hgtt  allein  an  dem,  das  der  schreiner  guett  dürr  holtz  darzu  nehme; 
(S.  94).  Aber  der  Nürnberger  Tischlermeister  will  von  der  Neuerung 
nichts  wissen.  Frau  Magdalena  erwidert  am  18.  März  ihrem  Gatten: 
»Der  fenster  halb  hat  der  Praun  alsbalt  den  andern  tag  gesagt,  er  thus 
sich  mit  4  thirn;  sie  sein  zu  long  und  schmal.  Mon  mus  bey  6  pleiben. 
Wil  in  noch  einmal  holn  lassen.  Wan  er  noch  ich  meind,  es  kin  nit  anders 
sein,  den  mit  6,  so  wein  wirs  bis  auf  dein  zukunft  pleiben  lasen«  (S.  95). 
Paumgartner  ^^11  4  Flügel  im  Fenster;  der  Meister  aber  hält  an  der 
alten  Gewohnheit  fest,  dafs  6  unbedingt  erforderhch  sind.  —  Durch  die 
Butzenscheiben  konnte  man  nicht  erkennen,  was  auf  der  Strafse  vor- 
ging. Da  macht  man  Guckfenster  (Guzer  —  fenestella  in  maiori  fenestra). 
So  schreibt  Frau  Magdalena  am  7.  September  1587:  »Der  guzer  halb 
wil  ichs  pleiben  Ion  bis  auf  dein  zukunft,  den  der  glaser  schon  gesehen 
hat.  Aber  keins  ner  (billiger)  als  umb  20  pazen.  Macht  mons  nun 
miten  in  die  stuben,  so  ist  es  auswendig  nit  im  mitlern  fenster.  So 
sagt  der  glaser,  er  hab  sy  wol  schien  aber  zu  5  pazen  und  hab  ir  nit 
vil  mer  und  sein  von  veniedichsen  glas.  Gefaln  sy  mir,  er  wil  michs 
erst  sehen  lasen,  so  wil  ich  derselben  nemen.«  Seit  dem  15.  Jahr- 
hundert war  es  übhch,  Glasmalereien  in  die  Fenster  als  besondere  Zie- 
rat einzusetzen,    Wappenbilder,  seltener  historische  Darstellungen,    auch 

1)  A.  V.  Essenwein,  Die  rom.  u.  gothische  Baukunst.  Der  Wohnbau.  (Dannst. 
1892.)    Fig.  105,  1Ü6. 


126  I-    ^i^  Städte. 

recht  derbe  Bilder  iiiit  siiinigeii  aber  deutlichen  Keimen.  Zum 
Andenken  an  die  Hochzeit  liefs  man  die  Wappen  des  Ehepaares  und 
<'twa  noch  ein  Bild  aus  der  heiligen  und  rrofangeschichte  malen,  ver- 
x'henkte  auch  solche  Glasgeniälde  an  Freunde  und  Verwandte.  Haupt- 
.<ächlich  in  der  Schw(M/  werden  bis  ins  17.  Jahrhundert  treffliche 
Malereien  ausgeführt,  zu  denen  binleutende  Künstler  wie  Hans  Hol- 
Ix'in  d.  J.,  Niklas  Manuel  Deutsch,  Ilans  Baidung  Grien  u.  a.  die  Ent- 
Avürfe  zeichneten. 

Vtnx  Doppelfenstern  wiilslc  man  in  dov  Zcnt,  (He  uns  beschäftigt, 
iidcli  nichts.  Es  mag  in  den  Krkern  zur  Winterszeit  viel  Zugluft 
Ufgebcn   liaben. 

.b'  vornehmer  oder  reicher  der  Besitzer  ist,  mit  um  so  gröfserem 
Luxus  sind  die  Räume  ausgestattet,  in  denen  er  seine  Gäste  empfängt. 
Schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  liebt  man  es  auch  in 
lUirgcrhäusern.  die  Wände  der  l)esseren  StulxMi  mit  Holztäfelungen  zu 
\crklei(h;Mi  und  dieselben  auch  mit  kunstvollen  Schnitzereien  zu  ver- 
zieren. Im  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg  sind  Zimmertäfelungen 
aus  den  Häusern  des  Mittelstandes  zu  sehen,  die  sehr  schHcht  und 
schnmcklos  sich  darstellen,  dagegen  treffen  ^\dr  in  Tirol,  wie  Pauker  in 
seiner  »Zimmergotik«  mitteilt,  viele  reicher  ausgestattete  Täfelungen 
und  in  Nürnberg  selbst  ist  in  dem  Kaiser-Stübchen  des  Scheurlschen 
Hauses  eine  hübsche  Probe  eines  reich  geschnitzten,  mit  schön  verzierten 
Türen  ausgestatteten  Prunkgemaches  noch  anzutreffen.^)  Im  16.  Jahr- 
hundert hat  man  auf  die  Vertäfelung  der  Wände  und  der  Zimmerdecken 
eine  besondere  Sorgfalt  verwendet.  Die  Wandverkleidung  ist  architek- 
tonisch gegliedert,  Schnitzereien  und  Intarsien  beleben  die  Flächen,  die 
Decken  sind  kassettiert  oder  in  Felder  geteilt;  hin  und  wieder  werden, 
Avie  in  dem  Pellerschen  Hause  in  Nürnberg,  auch  diese  Felder 
mit  Gemälden  verziert,  allegorischen,  mythologischen  Figuren,  die  in 
ihrer  möghchsten  Nacktheit  dem  Beschauer  einen  hübschen  Anbhck 
boten.  Die  getäfelten  Stuben  galten  als  besonders  gesund.  Der  Arzt 
Hippolyt  Guarinonius  spricht  sich  in  seinem  >^Grewel  der  Verwüstung« 
noch  1610  gegen  das  viele  Scheuern  der  Stuben  aus  und  empfiehlt,  die 
Dielen,  Tische  und  Bänke  mit  Firnis  oder  mit  Ölfarbe  anzustreichen 
und  die  Zimmer  mit  Zirbelholz  zu  täfeln.  »Hingegen  die  Gemächer 
und  Zimmer,  sonderlich  die  Stuben  mit  gutem,  wohlriechendem  Holz 
^Is  Zürmen  aufsgetäffelt  werden«  (S.  421).  Er  kommt  noch  einmal  auf 
diese  Sache  zurück.  xOb  die  Teuerten  (getäfelten)  oder  unteuerten 
Stuben  gesunder  sein?  Item  die  gefirneisten  oder  geschlechten?  Denen 
so  wol  als  andern,  die  es  zu  wissen  begehren,  gib  ich  zur  antwort,  dafs 
zu  jeder  und  allzeit  die  gantz-  mehr  als  die  halbgeteuerten  und  die 
gefirneisten  mehr  als  die  schlechten  (aufser  was  Zürmen  Holtz)  besser 
und  nutzer  sein,  dann  das  hültzen  teuer  (Täfelung),  die  übrigen  Stuben- 
dämpff  in  sich  wie  ein  schwamb  zeucht  (S.  486)  .  .  .  Darumben  auch 
<lie   täverten  Schlaff kammer  aufsbundig   und   fürtreff entlich   zu  Winters- 


')  Abgeb.  bei  A.  v.  Essenweiu,  Wohnbau  etc.     Fig.  101. 


J.    Die  Trivathänser, 


127 


Zeiten  sejai  .   .  .    das   ül)erzogeiio   luul   getäflete  Gemäwr    auch   nicht   so 
schädlich  seyn  kan^. 

Behaghch  mochte  es  sicli  schon  in  (^'iner  solciien  getäfehen  Stube 
wohnen  lassen  und  statthch  nahm  sie  sich  auch  aus.  Man  kann  sicli 
davon  in  vielen  Museen  und  Gewerbemuseen  ül^erzeugen,  und  weit  die 
schönsten  Zimmer  finden  ^dr  im  Züricher  Museum.  Schon  allein  die 
aus  dem  alten  Seidenhofe  in  Zürich  herrührende  Prachtstube  zu  sehen, 
würde  den  Besuch  dieses  so  interessanten,  so  trefflich  eingerichteten 
Museums  rechtfertigen.  In  Lübeck  ist  das  Stübchen  aus  dem  Freden- 
hagenschen  Hause  noch  dadurch  besonders  beachtenswert,  weil  selbst 
Alabasterreliefs  zum    Sclnnucke  der   Wände  gel)raucht  worden  sind.^) 


Zürich,  Zimmer  aus  dem  Seidenhole  (jetzt  im  stüdt.  Musenm). 

Indessen  auch  die  Täfelungen,  mochten  sie  noch  so  schön  aus- 
sehen, brachten  doch  auch  manche  Nachteile  mit  sich.  Ge^dfs,  die  zahl- 
reichen Wandschränke,  die  breiten  Borde,  die  die  oben  abschhef senden 
Gesimse  boten  und  die  zum  Aufstellen  von  Nutz-  und  Ziergerät  ver- 
wendet werden  konnten,  das  alles  wap  sehr  hübsch,  aber  hinter  der 
Täfelung  konnten  sich  Ratten  und  Mäuse,  vor  allem  Ungeziefer  aller 
Art  heimisch  machen,  und  man  konnte  ihnen  nicht  beikommen,  wenn 
man  nicht  die  ganze  Holzbekleidung  entfernte.  Aus  diesen  Gründen 
wurde  im  17.  Jahrhundert  die  Täfelung  der  Wände  und  der  Decken 
allmähUch  aufgegeben:  man  kehrte  zu  den  Wandteppichen  zurück,  die 
sich  leicht  abnehmen  und  ausklopfen  liefsen  oder  machte  von  Tapeten 
Gebrauch.  Ledertapeten  bezog  man  aus  Spanien  und  Italien.  Frau 
Magdalene    Paumgartner    erinnert    (Briefw.    S.    158)    ihren    Mann    1592 

1)  Abgeb.  in  nieitier  Allg.  Gescb.  d.  l)il<l.  KünHto  III.    (Berlin  1895.)    S.  140. 


128  11-     I»ii'  Stiidtc. 

Jan.  8.:  I);is  vcroultl  lc(lci-  um  uiiiiscr  vettern  soimuerkaninierii  zu  Pisa 
auch  inaelien  lal's,   soll   teiiiielis   lai'ttiu'  wenleii.  .^) 

r>(Mlei-tai)eten  l»liel>en  i)is  ins  18.  Jahrhundert  im  Gebrauch.  AUcin 
man  hatte  schon  in  .1er  ersten  Iläll'ti^  des  1().  Jahi'Jiunderts  Stoiftaj)oten. 
Bartliolomiius  S;istro\v  sah.  wie  ei'  in  seiner  r)ioui';i|)]iie  er/.iihlt  (11,  621), 
1548  in  -Vntwerpen  das  als  Sclioiiswürdi^keil  berühmte  Haus  dos  Geld- 
wueheria's  Caspar  Huit/..  eines  Italieners.  Der  Gemächer  sein  viell 
und  yedes  tlas  eine  anders  als  das  andei'  ,«;-eschmucket  Ixd'unden,  imd 
in  einem  vf^den  sinnt  ein  Kant/,  oder  l''aidlbef(e;  was  Färb  dasselbt's 
für  Gardinen  hett(\  so  w.Mr  auch  das  ( o-niaeh  umliliei-  behent;^!,  das  eine 
mit  sclnvart/.en,  das  nndei'  inil  roleii,  das  di'itle  mit  liolen-Blumen-Sammit, 
das  vierdte.  hnd'te.  sexte  mit  i)ammast  an  underscheidtliclieii  l'^arben 
wie  mit  dem  S.unmit;  in  einem  ye.lern  (!em;icli  stund  ein  Diseh  und 
darauf!:"  ein  Tisehtuch  eben  derselben  i"'arb  ;ds  das  (iemach.  In  einem 
yedern  Ovaren  instrumenta  nm.siealia,  doch  nicht  in  dem  einen  als  in 
dem  andern;  «lau  in  dem  einen  stundt  ein  Positiff-Zimpfaney,  im  andern 
Polonisclie  (Jeio-en  (wohl  aus  Bolouna),  im  dritten  Partes,  im  vierdteii 
Lautten,  llarffen  und  Githern,  im  fünften  Zincken,  Schallmeyen  und 
Bassunen,  im  sextcai  IMock-  und  Scliweitzer-Pfeiffen.«  Solche  Einrichtung 
konnte  sich  natürhch  inu-  ein  reicher  Mann  verschaffen,  und  reiche  Leute 
hatte  wohl  auch  Cyriacus  Spangenberg  im  Auge,  wenn  er  in  seinem  Hof- 
farts-Teuffel  (fol.  CCCCLVIII^)  sagt:  »Gleich  wie  man  grofse  Herren  jre 
Gemach  mit  den  schönsten,  herrlichsten  Tapezereien,  die  von  mancherley 
schönen  Farben  gemacht  und  gewircket  sind,   behengt  und  schmücket. 

Der  Mittelstand  hat  sich,  als  die  Täfelungen  abkamen,  mit  geringeren 
Tapeten  begnügen  müssen.  Gegen  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  hatte 
man  die  sogenannten  Spoliere,  die  mit  Spolierhaken  an  der  AVand 
befestigt  wurden.     Sie  waren  aus  Seide  und  Lein  gewebt. 

Die  billigen  Papiertapeten  sind  im  17.  Jahrhundert,  vielleicht 
sogar  noch  früher,  in  Gebrauch  gekommen,  sowohl  die  einfach  mit 
Holzformen  gedruckten,  die  erforderhchenfalls  noch  ausgemalt  worden, 
wie  die  mit  Wolle  oder  Bronze  etc.  bestäubten.  Für  die  gedruckten 
Tapeten  gaben  die  Arbeiten  der  Chinesen  das  Vorbild  und  den  Anlafs. 
In  England  soll  König  Karl  I.  1634  dem  Jerome  Lanyer  das  Privileg 
zur  Anfertigung  solcher  nachgeahmten  Wolltapeten  gegeben  haben.  In 
Frankreich  wird  um  1688  Jean  Papillon,  später  Jacques  Chauveau  als 
Tapetendrucker  genannt.  ^) 

Arme  Leute  haben  sich  wohl  immer  nüt  den  kahlen  Wänden 
beholfen,  zufrieden,  wenn  diese  nur  getüncht  und  vielleicht  noch  mit 
einem.  Schablonenmuster  gemalt  waren. 

Die  schweren  kassettierten  Decken  der  Zimmer  werden  auch  in  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  unmodern:  an  ihre  Stelle  tritt  die 
Gipsdecke,  die,  wenn  man  etwas  Besonderes  haben  wollte,  noch  mit 
Stuckornamenten  oder  Malereien  verziert  werden  konnte. 


*)  Abgeb    in  Einführuu"-  in  das  Stud.  d.  neueren  Kunstgescb.  etc.     Fig.  171. 
2)  Vgl.  J.  Beckmann,    Beytr.  z.  Gesch.  d.  Erfind.  II,  583  ff .    (Lpz.  178«);    O.  von 
Schorn,  die  Textilkunst    (Wissen  der  Gegenwart  XXXni).    247  ff.    (Lpz.  u.  Prag  1885.) 


,T.    Die  Privathäuser.  129 

Gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  verfalste  Joh.  Clirist.  Wagenseil 
(t  1705)  seine  Vorlesung  »Aulicarum  atque  politarum  rerumObservationes«. 
Er  schreibt  da  (Kuriositäten  X,  218):  >In  Italien  mufs  das  Zimmer,  in 
welchem  man  Besuche  empfängt,  geziert  sein  mit  einem  grofsen  Spieg(4 
und  mit  Tapezereien.  So  haben  es  dort  auch  die  Schuster  und  Schneider  ; 
es  kostet  nicht  mehr  als  bei  uns  das  Tafelwerk.  Sie  können  aber  die 
Stuben  nicht  täfeln  lassen,  weil  das  Holz  gar  zu  theuer  ist.  Wir  Deutschen 
zieren  unsere  Stuben  mit  Gläsern,  Kannen  und  Schüsseln,  damit  man 
unsere  Trink-  und  Efslust  gleich  sehe,  c 

Auf  den  Simsen  und  Täfelungen  des  1(5.  .lalii-lmudci'ts  wui-de 
allerlei  aufgestellt,  was  zum  Gebraucli  zur  Hand  sein  sollte,  oder  was 
für  den  Schmuck  des  Zimmers  bestinnnt  war.  Folz  erwähnt  als  in  der 
Stube  vorhanden  das  »Kandelpret  und  pir  glas,  Kopff  unde  Kraus,  Do 
man  drinckt  aus,  das  selbig  gar  wol  stat.  Kandel  und  flaschen,  Kul- 
kessel,  Schisselring  (Untersatz  der  Schüsseln),  waschpirs,  laszedel  (wann 
der  Aderlafs  gut  ist),  Leuchter,  liechtscher  und  lichtdigel,  Löffel,  salczfas, 
Ein  engster  glas,  Güttrolff,  triechter  darbey.«  Das  gibt  eine  grofse  Menge 
von  Trinkgefäfsen,  von  Flaschen  aller  Art;  sie  wie  die  anderen  Geräte 
werden  im  kleinbürgerhchen  Hause  wohl  auf  dem  Sims  der  Täfelung 
oder  in  deren  Wandschränken  ihren  Platz  gefunden  haben. 

Die  anderen  Gedichte  vom  Hausrat  weisen  auch  diesen  Gefäl'seri 
den  Platz  in  der  Stube  an.  Bei  den  reicheren  Leuten  hat  man  dagegen 
die  nur  zum  täglichen  Gebrauch  bestimmten  Geschirre  kaum  in  den 
Gesellschaftszimmern  aufgestellt,  vielmehr  <lie  kostbare  Gefäfse,  die 
mehr  zum  Ansehen  als  zur  Benutzung  dienen  sollten.  Die  Waschtischchen 
(Gieskalter)  durften  auch  im  15.  Jahrhundert  nicht  fehlen;^)  Hantüch, 
gisfas,  Hantpeck«  (Folz).  Auf  einem  Untersatzschränkchen  steht  das 
Becken ;  über  ihm  hängt  das  Giefsfafs,  aus  dem  man  mittels  des  Hahnes 
das  Wasser  auf  die  Hände  fliefsen  läl'st.  Das  Handtuch  hängt  über 
einem  Stabe,  der  oft  von  hübsch  geschnitzten  Figuren  getragen  wird. 
Oder  wie  es  in  dem  wohl  aus  Strafsburg  herstammenden  vierten  Gedicht 
vom  Hausrat  heifst:  »Ein  umbgend  Walholtz  an  der  Stnbentür  Zur 
Zwehelen  die  gat  wider  und  für.v 

Eine  wichtige  Rolle  spielen  dann  in  der  Zimmereinrichtung  die 
Kamine  und  Ofen,  erstere  mehr  in  Norddeutschland  und  Italien,  diese 
im  Süden  beliebt  und  gebräuchlich.  Guarinonius  äufsert  sich  über  die 
italienischen  Kamine  sehr  wegwerfend.  »Hieraufs  leicht  erscheint,  was 
von  den  wälschen  Caminen  oder  ihren  Kammern  zu  halten,  unter 
wellichen  sie  zu  Winterszeiten  das  Fewr  anzünden,  ein  jeder  mit  einer 
Eysnen  Zang  in  Henden  rings  herum  sitzen  und  im  Fewr  (ün  unauf?- 
hörliches  schiren,  ein  rüren,  ein  stürlen,  ein  blasen  und  ein  solchen 
Handel  haben,  als  wann  gar  viel  und  hoch  an  diesem  geschafft  gelegen 
were  und  wann  es  gar  glücklich  abgehet,  so  tragt  etwan  einer  ein 
warmen  Fufs  und  kalten  Rucken,  der  ander  ein  warme  Hand  und  ein 
kalten  Bauch,  der  dritt  etwan  gute,  trül)e  und  rotgefei'btc  bifswfülen  auch 


»)  Deutsches  Leben  d.  14.  u.  15.  Jhdt.     Fig.  117. 
Schultz,  Das  hftnslichp  I>Pben  im  Mittelalter. 


130  li-   ^^^^  Städte. 

nasse  Anüon  darvon  und  kau  hiezwischeu,  als  sich  eiuer  wermet,  nicht 
anders  schaffen  noch  verrichten.  Und  ob  sie  wo  der  Teutsclien  Stuben 
verlachen,  jedoch  wann  sie  einmal  hinein  kommen,  so  kan  sie  niemand 
vom  Ofen  noch  auls  der  Stuben  bringen ;  sein  bey  den  Teutsclien  Oefen 
ebenso  eingezogen  als  bey  den  Teutschen  Tajffieln<  (S.  483).  Seit  dem 
14.  Jahrhundert  hat  man  sich  bemüht,  die  Ofenkacheln  künstlerisch  zu 
vorzieren,  hat  im  Relief  historische  Darstellungen,  Wappen,  Zieraten 
aller  Art  in  dem  Ton  ausgeprägt,  mit  Glasuren  einfarbig  oder  bunt  diese 
Bilder  belebt  vuid  so  den  Ofen  zu  einem  Zierstück  ersten  Ranges  aus- 
gestaltet^) Im  17.  Jahrhundert  wurden  die  weifsglasierten,  blaubemalten 
Ofen  beliebt.  Diese  hauptsächlich  in  der  Schweiz,  am  vorzüglichsten  in 
Winterthur,  gefertigten  Öfen  sind  in  ihrer  künstlerischen  Dekorie 
rung  den  zur  selben  Zeit  in  Delft  fabrizierten  Fayencen  älinhch.''^)  Der 
Of(Mi  in  der  aus  dem  Seidenhofe  stammenden  Stube  im  Museum  zu 
Zürich  ist  mit  der  Jahreszahl  1620  bezeichnet.  Ein  anderer  Praclitofen 
aus  der  Werkstätte  des  Hans  Heinrich  Pfau  in  Winterthur,  jetzt  im 
Germanischen  Museum,  ist  1645  gefertigt.^)  Bei  beiden  ist  hinter  dem 
Ofen  ein  aus  Kacheln  hergestellter  Sitz  für  den  Ahn;  die  Fufsbank, 
Sitz  und  Lehne  wird  durch  die  Heizung  selbst  erwärmt.  Diesei-  Raum 
hintez  dem  Ofen  heifst  die  Hölle,  von  der  Guarinonius  sagt:  »Darumb 
nicht  mit  unrecht  der  nechste  und  hinderste  Ofen  Theil  die  Höll  hinder 
dem  Ofen  genennet  -snrd  .  .  .  dafs  man  sogar  die  Schlaff beth statten  oder 
Gutschen  hinder  der  Ofen  Höll  auffschlagt«  (S.  487).  Übrigens  ist  er 
gegen  das  Überheizen  der  Zimmer,  das  Hocken  hinter  dem  Ofen. 

Ein  eiserner  Ofen  wird  1510  für  die  Gerichtsstube  zu  Augsburg 
vom  röm.  kais.  mt.  Buchsenmeister  Hans  Stainkeller  von  Rheinfelden 
bei  Basel  gegossen.  Er  wiegt  46  Zentner  18  Pfund.  Das  Setzen  allein 
kostet  10  Gulden.     (Forts,  d.  Chron.  des  Hector  Mühch.) 

Gewöhnlich  werden  die  Öfen  vom  Flur  aus  durch  sogenannte  A^or- 
gelege  geheizt.  Zur  Aufnahme  der  Feuerung  braucht  man  wohl  im 
17.  Jahrhundert  auch  aus  Gufseisen  hergestellte  Heizkästen.  Die  Wände 
derselben  werden  mit  gegossenen  Reliefs  verziert. 

Selbst  die  Öfen  der  Rokoko-Zeit*)  sind  künstlerisch  den  Porzellan- 
öfen des  19.  Jahrhunderts  weit  überlegen. 

Heizmaterial  ist  fast  ausschliefslich  Holz ;  nur  in  wenigen  Gegenden, 
zumal  in  Norddeutschland,  verfeuert  man  Torf;  noch  viel  seltener  wird 
Steinkohle  gebraucht. 

Was  man  aber  an  Kostbarkeiten  zu  zeigen  für  angemessen  erachtete, 
das  wurde,  wie  schon  gesagt,  auf  dem  Sims  der  Täfelung  aufgestellt. 
Hier  fand  auch  die  Uhr  ihren  Platz.  Schon  Folz  führt  »ein  reissend 
ur,   da  mit  mon   düt  Warten   der   stund«  als  zum  bürgerlichen  Hausrat 


1)  A.  Essenwein,  Kunst-  u.  kulturgesch.  Denkm.  des  Germ.  Nat.-Museums  (Leipzig 
1877).     Taf.  LXXVII.  cf.  Taf.  XXX,  LXII,  LXXI,  LXXU,  CXVH  (1660). 

*)  Vgl.  W.  Lübke,  Die  alten  Öfen  in  der  Schweiz,  namentlich  im  Kanton  Zürich 
(Mittig.  d.  Antiqu.  Ges.  z.  Zürich  XV). 

')  Essenwein  a.  a.  0.  Taf.  CXVI. 

*)  Ebendas.  Taf.  CXX. 


J.    Die  Privathäuser.  131 

gehörig  an.  Hans  Sachs  fügt  noch  den  Spiegel  als  in  der  Stube  am 
Platze  hinzu.  Und  in  der  Tat  sehen  wir  auf  zahlreichen  Gemälden  des 
15.  und  16.  Jahrhunderts  jene  schon  besprochenen  Konvexspiegel  ab- 
gebildet. Ich  erinnere  nur  an  das  bekannte  Porträt  des  Arnolfini  von 
der  Hand  des  Jan  van  Eyck  (National  Gallery,  London),  das  Bronzerelief 
am  Grabe  des  Philipjnis  Callimachus  Buonaccorsi  in  der  Dominikaner- 
kirche zu  Krakau.^) 

Der  Raum  der  etwa  zwischen  der  Täfelung  und  der  Decke  übrig 
blieb,  konnte  durch  Gemälde  geschmückt  werden.  Frau  Magdalene  Paum- 
gartner  erinnert  ihren  Gatten  am  20.  März  1588:  »Weist  ein  duzet  kleine 
tefele  noch  kaufen  (in  Frankfurt  a.  M.)  oder  ein  halbs,  Dan  mr  nichts  in 
die  kamer  aufs  sims  haben«  (Briefw.  90).  Damit  die  Bilder  vor  allem 
nicht  von  der  Sonnengiut  beschädigt  werden,  schützt  man  sie  durch 
(grün-)  seidene  Vorhänge.  Im  Juni  1594  schreibt  Frau  Magdalene  wieder: 
»Wolst  des  ringen  dafets  kaufen  zu  firhengen  vir  die  grosen  tafel;  dan 
sy  doben  hartt  an  der  sunnen  hengeu  in  der  kamer«  (S.  206),  und  er 
eruddert  am  13.  Juli:  »Des  daffatts  für  die  2  grofsen  gemaltten  taffehi 
wil  ich  auch  eingedenck  sein,  den  zu  Florentz  khauffen«  (S.  223.) 

Meist  handelt  es  sich  um  Bildnisse;  der  Hausherr  liefs  sich 
und  seine  Hausfrau  von  einem  tüchtigen  Maler  porträtieren.  Gute 
Künstler  in  diesem  Spezialfach  hat  es  immer  in  Deutschland  gegeben: 
Albrecht  Dürer  und  Holbein  d.  J. ,  Christoph  Amberger,  Barthel 
Bruyn,  Tobias  Stimmer  u.  A.,  im  nächsten  Jahrhundert  Joachim  von 
Sandrart,  dann  Kupecki  und  zahllose  andere.  Hermann  von  Weinsberg 
läfst  sich  wiederholt  malen,  1543  im  Licentiatenkleide  von  Johann  Kemp 
(Buch  Weinsberg  I,  183);  im  Jahre  1551  malt  der  bekannte  Kölner 
Meister  Bartholomäus  Bruyn  die  Bildnisse  des  Hermann  Weinsberg, 
seiner  Mutter  und  seiner  Frau  (ib.  I,  277).  Das  Porträt  vom  Vater  des 
H.  V.  Weinsberg  malt  derselbe  »Barthel  Brun  der  fatter  vur  s.  Alban«, 
1550  den  16.  Mai  nach  einer  Zeichnung  (ib.  I,  114),  »doch  hat  er  im 
das  har  nicht  schwarz  genoich  gemacht  dan  zu  brun«  (I,  339). 

Auch  Genrebilder,  liistorische,  mythologische  Darstellungen  werden 
im  Bürgerhause  willkommen  gewesen  sein. 

Reiche  Bürger  hatten  aufser  den  Wohnzimmern  auch  gröfsere, 
geräumige  Speisesäle,  in  denen  oder  in  einer  anstofsenden  Kammer  der 
Silberschatz  der  Familie  auf  einer  Kredenz^)  ausgestellt  war.  In  der 
Zimmerschen  Chronik  wird  uns  (III,  237  ff.)  der  Karneval  in  Köln 
beschrieben.  »Under  andern  firt  man  sie  .  .  .  in  den  gardenrobbe  der 
am  sale  stunde  und  liefs  sie  das  Silbergeschirr  sehen.  Das  war  vil  silbers 
aldar  und  bei  etlichen,  nit  den  wenigsten,  fursteii  nit  gefunden  wurd, 
wie  dann  die  Kölner  sonderlich  mit  'dem  Silbergeschirr  brangen,  auch 
manches  grofses  vermögen  ist.  Ich  hab  dieses  Wasserfafs  Silbergeschirr 
damals  hören  uf  dreisig  dausent  guldin  schetzen,  dann  es  waren  in  dem 
gardenrobbe  zwo  selten  vom  boden  bifs  an  die  bünen  hinauf  mit  eitelem 


»)  Deutsches  Leben  d.  14.  u.  15.  Jhdts.     Fio.  133. 
2)  Viollet-le-Duc.     Pag.  86  86  ff. 


132 


1.    Die  Piivathäusor. 


silbergeschier  uf  scht^pften  überstellt.  <  Was  auf  solcher  Kredenz  stand, 
zählt  Fischart  (Gesch.  Kl.  4;U)  auf:  »theilt  er  seinen  gantzen  Orgelmäsigen 
Thresor^oder  Credentz  .  .  .  als  allerhand  grosse  Antiquische  geschirr,  vior. 


Dürer,  Der  heilise  Hieronimus. 


ämige  silbere  Fäfshn,  Schenkfafs,  Ehrenkannen,  Schraubflaschen,  grosse 
Beckin,  Giefsfässer,  umbläuffige  Liechtstöck,  tieffe  Täller,  SaUzbüchsen, 
Messerköcher,  Löffelfuter,  schalen,  Näpff,  Scheuren,  Dupplett,  gäbelein, 
beschlagene  Cristallenkrausen,  eingefafste  Eilend  Klawen  und  Greiff- 
Klawen   .  .  .    item    Lampeten,    Schenckkandel,    Külwasserkessel,    Trinck- 


J.  Die  Privathäuser.  133 

becher,  Trinckköpff,  Trinckschalen,  Trincknufs,  Pocalen,  Hengeimer, 
Bollen,  Wassertupffen,  Schüsseln,  Platten,  Kommeken,  Spülfässer  Und 
andere  Credentzgefässer  von  lauter  Gold  und  Silber.« 

Mit  Möbeln  die  Zimmer  anzufüllen,  das  entsprach  dem  Geschmacke 
vergangener  Jahrhunderte  durchaus  nicht.  Stühle,  Bänke ^),  Tische  und 
Tischtücher,  das  ist  das  ganze  MobiUar,  das  Folz  aufzuzählen  weifs. 
Briefe  an  der  Wand,  also  irgend  welche  geschriebene  oder  gedruckte 
Zettel,  Karten  und  Spiel- (Schach-) brett  gehört  allenfalls  auch  dazu.  Hans 
Sachs  ist  schon  anspruchsvoller;  er  hält  für  erforderhch  »disch,  sessel, 
stüel  und  penck,  Panckpolster,  kües  und  ein  faulpet«,  dann  -eine  reisende 
ur^),  schirm  und  spiegel,  ein  schreibzewg,  dinte,  papir  und  siegel,  die 
Wibl  (Bibel)  und  ander  püecher  mer  Zu  kurtzweil  und  sitlicher  1er«. 
Bis  1544  ist  es  also  auch  im  Bürgerhause  übKch  geworden,  die  harten 
Holzsitze  der  Stühle  und  Bänke  durch  Kissen  und  Polster  erträghcher 
zu  machen,  und  das  Faulbett,  etwa  unserm  Sofa  entsprechend,  ist 
selbst  in  der  Wohnung  eines  Handwerkers  erforderlich. 

Nach  den  Abbildungen  zu  urteilen,  namentlich  nach  dem  Strafs- 
burger  Holzschnitt,  der  zu  dem  vierten  von  Th.  Hampe  herausgegebenen 
Gedichte  vom  Hausrat  sich  findet,  ist  es  eine  breite  Bank,  mit  Kissen 
belegt  und  mit  einer  Decke  überbreitet.  Besondere  Kopfkissen  machen 
das  Ruhelager  zu  einem  Schläfchen  bequem. 

Aus  diesen  Lotter-  oder  Faulbetten  entwickelt  sich  dann  unser 
Sofa  oder  Kanapee ;  der  Ausdruck  scheint  aber  in  bürgerhchen  Kreisen 
noch  unbekannt,  da  die  Frauenzimmerlexica  von  1715  und  1739  nur 
von  Faulbetten  mit  ihren  Kissen  und  Matratzen  reden. 

»In  Spanien  sitzen  die  Damen  nicht  in  Sesseln,  sondern  auf  der 
Erde  und  legen  nur  ein  Kissen  unter;  auch  in  der  Kirche.  Quae  con- 
suetudo  a  Mauris  suam  habet  originem«  (Wagenseil  in  Kurios.  X,  218). 

Holzstühle,  bald  reicher,  bald  einfacher  geschnitzt^),  sind  zahlreicher 
wie  Bänke  aus  dem  16.  Jahrhundert  erhalten.  Erst  im  17.  finden  wir  die 
Stühle  mit  hohen  Rücklehnen,  deren  Sitz  und  Lehne  ein  wenig  gepolstert, 
mit  Leder  überzogen  ist.  Besser  gearbeitete  Stühle  des  Mittelalters  sind 
wohl  hie  und  da  in  den  Sammlungen  anzutreffen;  häufig  begegnen  uns 
die  nach  Art  der  Bauernstühle  mit  einem  ausgeschnittenen  Brett  als 
Rückenlehne  versehenen  Stühle  des  16.  Jahrhunderts.  Einen  solchen 
Stuhl,  dessen  Rücklehne  mit  Halbedelsteinen  inkrustiert  war,  besafs  der 
bekannte  Sammler  Alexander  Freiherr  von  Minutoh.  Die  Füfse  und 
die  Lehnenstützen  sind  im  17.  Jahrhundert  wieder  meist  gedrechselt. 
Das  Ameublement  eines  Bürgerhauses  ist  gewöhnUch  ziemhch  einfach; 
die  Prachtstücke  in  den  Museen  stammen  meist  aus  Schlössern.  Ganz 
besonders  gilt  dies  von  Geräten,  die  erst  aus  dem  16.  Jahrhundert  und 
aus  späterer  Zeit  herrühren.  Da  tritt  der  Unterschied  zwischen  einem 
Fürstenschlofs  und  dem  Hause  des  Bürgers   sehr  deuthch   hervor:    dort 


1)  Abg.  b.  VioUet-le-Duc,  Dictionnaire  du  Mobilier  I  (Paris  1858),  p.  31  ff. 
«)  Kunst-  u,  kultur«,^.  Denkm.  des  Genn.  Nat.-Mus.     Taf.  LXXVI.   —    Deutsclios 
Leben  im  14.  u.  15.  Jhdt.     Fig.  134,  135.  —  Viollet-le-Duc,  a.  a.  O.,  8.  125. 

3)  Deutsche's  Leben.     Fig.  110,  111,  112.  —  Viollet-le-Duc,  a.  a.  O.,  S.  41  ff. 


134  il-    Die  Städte. 

grofse  Pracht. ,  vergoldete  Möbel  u.  s.  w. ,  hier  schlichte  aber  solide 
Einrichtung. 

Bis  ins  18.  Jahrhundert,  so  lange  man  die  Möbel  nicht  mit  kost- 
baren Hölzern  fonrnierte,  sondern  aus  heimischen  MaterialicMi,  Eiche, 
Erle,  Esche  massiv  herstellte,  begnügte  man  sicli,  das  Holz  mit  Wachs 
zu  bohnen.  Erst  die  Intarsia-Möbel  werden  zuweilen  poliert  (oft  auch 
uaclitr<äglicli),  dagegen  erhält  Ebenholz  immer  Politur  und  dasselbe  gilt 
von  Rosenholz  und  w\o  die  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  aufkommen- 
den Zierhölzer  auch  heifsen. 

Die  Tische  des  15.  Jahrliunderts^)  sind  meist  schwer  und  massiv. 
Hin  und  wieder  treffen  wir  auch  runde  Tische  an,  aber  als  Regel  galt, 
dafs  der  Tisch  viereckig,  oblong  war.  Die  Zargen  wie  die  jetzt  fest  mit 
dem  Tische  verbundenen  Schrägen  wurden  wohl  auch  mit  ornamentalem 
Schnitzwerk  verziert.  Aufser  dem  Mittelriegel,  der  die  Schrägen  zusammen- 
hielt, hat  man  häufig  diese  Streben  unten  mit  Leisten  verbunden,  auf 
die  man  in  Ermangelung  einer  Fufsbank  die  Fül'se  aufstemmen  konnte. 
AVar  die  Tischplatte  aus  schlichtem  Holz,  dann  deckte  man  sie  in  den 
besseren  Stuben  wohl  mit  einer  schönen  Decke  zu,  jedoch  die  mit  ein- 
geätzten Bildern  verzierten  steinernen  Platten,  die  aus  buntem  Marmor 
gefertigten,  sowie  die,  die  mit  Intarsien  geschmückt  waren,  die  hat  man 
wohl  dem  Anblick  nicht  entzogen.  Die  schönsten  Tischdecken  erhielt 
man  aus  den  Niederlanden.  Magdalena  Paumgartnerin  bittet  ihren  Mann, 
ihr  einen  »Dichsdebig,  die  mon  aus  Niderland  pringt,  schbarcz  in  grien 
von  zarden  adlas  garn«  in  Frankfurt  a.  M.  zu  kaufen.  »Unser  gestreimter 
ist  gar  zu  gros  auf  ein  desgleichen  dichs. «  In  Nürnberg  findet  sie  nichts 
Passendes.  Auch  über  das  Sofa  fehlt  »ein  faulpetdeckla«  (Briefw.  1584 
Apr.  10,  S.  39). 

Im  16.  Jahrhundert  finden  \vir  weniger  geschnitzte  Tische,  dagegen 
sind  die  Platten  nicht  selten  mit  kostbarem  Holzmosaik  dekoriert.  Das 
Breslauer  Provinzial-Musemn  besitzt  einen  prächtigen  Ausziehtisch,  dessen 
Platte  schöne  Intarsien  aufweist. 

Eine  eigene  Bereicherung  hat  das  Tischgestell  durch  die  Anbringung- 
eines zwischen  den  Schrägen  befindlichen  Hundekastens  erhalten. 

Die  Tische  des  17.  Jahrhunderts  werden  meist  nicht  von  Schrägen^ 
sondern  von  vier  einfachen  oder  gedrechselten  Beinen  getragen.  Luxus- 
möbel, die  etwa  den  kostbaren  Pietra-dura-Tischen  der  Schlösser  ent- 
sprachen, stellte  man  in  den  Niederlanden  her:  die  Tischplatte  wurde 
mit  Blumen  oder  mit  Figurenbildern  bemalt.  Natürlich  mufste  man  mit 
einem  solchen  Möbel  sehr  vorsichtig  umgehen. 

Schränke-)  gehörten  nach  der  Auffassung  der  alten  Zeit  nicht  in  die 
Stuben;  sie  haben  ihren  Platz  im  Schlafzimmer  und  etwa  noch  auf  den 
geräumigen  Fluren.  Da  die  reicheren  Familien  meist  ein  Haus  für  sich 
bewohnten,  war  die  Gefahr  nicht  grofs,  weil  die  Haustür  wahrscheinhch 
verschlossen  gehalten  wurde. 


*)  Deutsches   Leben   etc.     Fig.   113,  114.    —   Kunst-    u.  kulturgesch.  Denkm.  des 
Genn.  Nat -Mus.     Taf.  Lin.  —  Viollet-le-Duc,  a.  a.  O.,  p.  253  ff. 
2)  Abgeb.  bei  Viollet-le-Duc,  a.  a.  O.,  p.  3  ff. 


J.  Die  Privathäuser.  135 

Dagegen  hat  man  kleine  Schränkchen  auf  hohen  Beinen  schon  im 
15.  Jahrhundert  selbst  in  den  Wohnzimmern  gern  verwendet.  Es  sind 
das  die  sogenannten  Stollenschränke/)  mit  gotischem  Mastwerksmuster, 
bald  reicher,  bald  einfacher  oder  mit  Renaissanceornamenten  geschnitzt 
oder  eingelegt,  verziert.  Mit  diesen  Stollenschränken  sind  dann  nahe 
verwandt  die  auch  in  bürgerhchen  Häusern  geschätzten  Kabinette,  die 
aber  mit  minderem  Luxus  ausgeführt  sind,  oft  durch  aufgelegte  geätzte 
Stahlplatten  einen  bescheidenen,  aber  mrkungsvollen  Schmuck  erhahen. 
Dann  begegnen  vdv  von  altersher  allerlei  gröfseren  und  kleineren  Truhen 
und  Kästchen,^)  oft  aus  Holz,  zierhch  ornamentiert,  zuweilen  auch  bemalt 
(Wismutmalerei),  aber  auch  aus  Eisen  und  dann  mit  geätzten  Ver- 
zierungen dekoriert.^) 

An  Stelle  dieser  Schränkchen  treten  dann  gegen  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts die  Kommoden,  kostbare  Möbel  aus  besserem  Holze,  oft  mit  Zinn, 
Messing,  Perhnutter  eingelegt,  mit  vergoldeten  Beschlägen  geschmückt. 
Merkwürdigerweise  gedenken  ihrer  die  Frauenzimmerlexica  von  1715  und 
1739  nicht,    ebenso    wie  sie  die  kleineren  Chiffonnieren  nicht  erwähnen. 

Für  das  mittelalterhche  Privatleben  ist  die  Beleuchtung  eine  sehr 
wichtige  Angelegenheit.  Wie  schon  früher  hervorgehoben  wurde,  war 
man  genötigt,  in  den  immerhin  nicht  aüzugrofsen  Wohnzimmern  Wachs- 
kerzen oder  Talghchter  zu  brennen,  da  der  Gebrauch  der  Kien- 
späne und  der  Pechfackeln  ja  selbstverständhch  ausgeschlossen  war, 
die  Lampen  aber  bis  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  in  dem  Zu- 
stande gebheben  waren,  wie  sie  die  Römer  ihrer  Zeit  verwendet  hatten. 
Die  Verbesserung  des  Ölzuflusses  zmn  Dochte  hat  erst  Hieronymus  Car- 
danus um  1550  angegeben.  Seit  dieser  Zeit  sehen  T\dr  die  Studierlampe 
bei  den  Gelehrten  im  Gebrauch,  die  mit  einem,  innen  weifs  lackierten 
Blechschirme  das  Licht  auf  die  Arbeit  konzentrierte,  und  so  ist  es 
gebheben,  bis  Leger  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  die 
Flachdochte  erfand.  Die  von  Argand  angegebenen  Hohldochte  sind  erst 
seit  1783  verbreitet  w-orden;  noch  später  hat  Quinque  die  Anwendung 
der  Glaszvhnder  gelehrt.  Die  Lampe  unserer  Zeit,  also  bis  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts,  bleibt  ein  unbrauchbares  Gerät,  da  die  Flamme 
rufste  und  rauchte  und  einen  üblen  Geruch  verbreitete.  Johannes  Coler 
hat  in  seiner  Oeconomia  (Buch  XX,  c.  53)  nur  die  Nachtlampe  im  Auge. 
^? Mancher  gute  Haufswirth  hat  alle  nachte  durch  eine  Lampe,  die  da 
brennet,  bey  seinem  Bette  stehen,  welche  oben  zugemacht  ist,  das  es 
niemand  in  der  Kammer  sehen  oder  merken  kan,  das  eine  Lampe  vor- 
handen ist,  das  man  bald  Liecht  hat,  wenn  sich  des  nachts  etwas  erhebt. 
An  ethchen  örtern  machen  auch  die  Töpffer  Lampen  und  Leuchter  vor 
die  armen  auff  diese  weis,  schier  wie  eine  Kanne;  oben  hats  ein  Thür- 
lein,  das  man  ein  Liecht  drein  stecken  kan;  darneben  machen  sie  auch 
eine  Lampen  in  einer  schnautzen  und  unter  derselbigen  machen  sie  noch 
ein  Lampe,  wenn  von  der  öbern  etwas  abtreufft,    das  es  in  die  unterste 

»)  Deutsches  Leben  etc.     Fijr.  HO,  115,  128. 

')  Ebend.    Fig.  146,  147,  148. 

3)  Abb.  von  Kasten  bei  Viollet-le-Duc,  a.  a.  0.,  p.  75  ff. 


J36  II-    l^i^  t^tädtc. 

falle.«  Die  Dochte  sind  aus  Binsenmark.  Auch  das  Frauenzimmer- 
lexikon von  ITlö  kennt  «Ue  Lami)e  aus  Zinn  oder  Ton  nur  für  den 
(.Jebrauch   in  der  Küche. 

So  war  man  einziii  aul  den  Uehraucii  der  Wachskerzen  und  der 
Tal,dicht«n-  angewiesen.  Waclis  ist  aber  zu  allen  Zeiten  teuer  gewesen, 
dagegen  wurden  tlie  Talglic-hter  von  den  wirtschaftlichen  Hausfrauen 
selbst  gegossen.  Die  verschiedenartigsten  Leuchter  aus  Eisen,  Bronze, 
Messing,  Zinn,  aus  Ton  und  später  aus  Porzellan  werden  verwendet.^) 
Dazu  kommen  Wandleuchter-),  seit  dem  17.  Jahrhundert  mit  blanken 
AVandschirmen  verbunden,  die  die  Helligkeit  des  Lichtes  zurückstrahlen 
imd  verstärken.  Endhch  die  von  der  Decke  herabhängenden  Kron- 
leuchter. Es  scheint,  dafs  man  tiir  die  Wand-  und  Kronleuchter  nur 
Wachslichter  verwenden  konnte,  da  die  Talghchte  immer  von  Zeit 
zu  Zeit  gejiutzt  werden  muisten.  Zu  diesem  Zwecke  hat  man  Licht- 
scheren (Abl^rechen)'^),  die  auf  einem  besonderen  Metallteller  ihren  Platz 
linden. 

»Sehr  mannigfaltig  ist  die  Form  und  Gestalt  der  Kronleuchter. 

Die  älteste  Gestalt  entspricht  etwa  den  Lichterkronen,  wie  sie  im 
Münster  zu  Aachen,  im  Dome  zu  llildesheim  noch  erhalten  sind,  Werke 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts'*);  nur  sind  die  für  Profanzwecke  bestimmten 
Reife  von  geringeren  Dimensionen,  aber  auch  sie  tragen  auf  ihrer  oberen 
Kante  Dornen,  auf  die  die  WachsHchter  aufgesteckt  werden.  In  der 
gotischen  Zeit  hat  man  besonderen  Wert  auf  das  von  der  Decke  herab- 
hängende Mittelstück  gelegt,  es  geschnitzt  z.  B.  in  Form  einer  Burg^)  und 
dann  von  diesem  Mittelkern  die  aus  Eisen  geschmiedeten  Arme  aus- 
gehen lassen,  die  bestimmt  waren,  die  Lichtdornen  oder  Lichttüllen  zu 
tragen.  Solche  Kronleuchter  wurden  einfacher  wohl  auch  im  Bronze- 
guls  hergestellt.  Eine  sehr  beliebte  Sitte  war  im  16.  Jahrhundert,  schöne, 
statthche  Hirschgeweihe  an  die  Decke  zu  hängen;  die  Hirnseite  des 
Gehörns  wurde  durch  eine  kleine,  in  Holz  geschnitzte  Frauengestalt  ver- 
deckt, die  gewöhnhch  das  Wappen  des  Besitzers  in  ihren  Händen  hielt 
(Wappen weiblein);  auf  den  Stangen  und  Sprossen  des  Geweihes  waren 
die  Lichterhalter  eingeschraubt.  Der  Verfasser  des  vierten  Strafsburger 
Gedichtes  vom  Hausrat  nennt  ?  Zu  lüchten  ein  Hirtzhorn,  hat  wol  zwentzig 
end.  Das  hencke  dann  mittel  in  das  Gaden«.^)  Man  hat  statt  des  Hirsch- 
geweihes wohl  aucli  andere  Jagdtrophäen  wie  z.  B.  Steinbockgehörne 
verwendet.'^) 

Im  17.  Jahrhundert  sind  die  Kronleuchter  viel  einfacher  gestaltet, 
gewöhnlich    aus   blankem   Messing,    wohl    auch   aus  vergoldeter   Bronze. 


1)  Abg.  bei  Viollet-le-Duc,  a.  a.  0.,  p.  142  jBE. 

«)  Bayer.  Nat.-Mus.  zu  München.     Abgeb.  Deutsches  Leben  etc.    S.  96.    Fig.  119. 

s)  Kunst-  u.  kulturgesch.  Denkm.  d.  Germ.  Nat.-Mus.  Taf.  XXXXVI,  1,  3,  4, 
Taf.  LXVin,  2,  LXXXVn,  1.  —  Deutsches  Leben  etc.    S.  99.    Fig.  122,  123. 

*)  Kunst-  u.  kulturg.  Denkm.  etc.     Taf.  XXXXVI,  5. 

')  Kunst-  u.  kulturg.  Denkm.  etc.  Taf.  LXXXVI,  2.  —  Deutsches  Leben  etc. 
Fig.  124. 

6)  Kunst-  u.  kulturg.  Denkm.     Taf.  LXXIH.     Deutsches  Leben  etc.     Fig.  120. 

')  Ebendas.    S.  98.    Fig.  121. 


J.  Die  Privatlüluser.  137 

Dem  18.  Jalirhuiidert  gehört  die  Sitte  an,  den  Glanz  der  Lichter  durch 
angehängte  Glasprismen  oder  Bergkristallperlen  zu  erhöhen. 

In  der  AVohnung  des  Kleinbürgers,  des  Handwerkers  werden  die 
etwa  vorkommenden  Schreibereien  im  Wohnzimmer  abgemacht.  »Ein 
schreibzewg,  dinte,  papir  und  siegel«  hält  deshalb  Hans  Sachs  für  die 
Ausstattung  der  Stube  erforderhch ;  ausführhcher  ist  das  in  dem  vierten 
Gedicht  vom  Hausrat  beschrieben:  Tapyr,  dynt  unnd  federn  gut  zu 
schryben,  Bymls  (zum  Auskratzen  des  Geschriebenen)  und  firnyfs,  sant- 
büfsiin  und  lyngal  (Lineal),  Styler,  Griffel,  Wachstafien  breyt  und  schmal, 
Darzu  ein  Schribtisch  der  ist  recht  gefiert.  Mit  seynen  Ledlin  fast  wol 
geformiret.  Darbey  ist  penal  und  auch  Calamar  (die  F'eder-  und  Schreib- 
rohrbüchse), Schrybmesser  (Federmesser  etc.)«.  Wie  schön  die  Tinten- 
fässer im  16.  Jahrhundert  gestaltet  waren,  zeigen  die  dem  Herm.  Vischer 
zugeschriebenen  kleinen  Bronzegüsse. 

Hans  Sachs  hatte  schon  Bücher  angeführt,  die  in  die  Stul)e  ge- 
hörten: »Die  wibl  und  andre  püecher  mer  Zw  Kurtzweil  und  sitlicher 
1er.«  Und  der  Verfasser  des  vierten  Gedichtes  führt  das  noch  weiter 
aus:  »Eyn  Bedtbüchle,  das  Hüpsch  yngebunden,  Das  du  hin  zu  der 
Kyrchen  mit  dir  Treyst,  Eyn  buch-Pultum,  daruff  du  och  leyst  Deyn 
Cronicken,  Bibeln  und  Legenden  Und  andere  Bücher  zu  deyn  Henden.« 

Spielkarten  und  Brettspiele  dürfen  nicht  fehlen.  »Schach,  Karten, 
würffei  und  pretspiel«  erwähnt  schon  Hans  Sachs,  während  Folz  nur 
von  Karten  und  Spielbrett  spricht. 

Ein  Vogelgebauer  gehört  endlich  auch  ins  Wohnzinnner.  Hans 
Folz  und  Hans  Sachs  erwähnen  es  nicht,  wohl  aber  das  anonyme  drittt^ 
Gedicht  (Vogelhaufs,  vogelhacken)  und  ausführlich  das  vierte:  »Auch 
allerley  Vögel,  die  da  singent,  Und  zwei  wilde  Reichböcklin  (Rehböcke, 
im  Zimmer?),  die  da  springen,  Affen  und  Merkatzen,  die  machen  lust, 
Ein  Papagey  und  ouch  ein  Sittecust.«  Von  den  Rehböcken  wollen  wir 
ganz  absehen  —  Eichhörnchen  werden  wohl  ausgereicht  lia])en  — ,  aber 
auch  Affen  und  Papageien  hat  man  sicher  nicht  häufig  in  Bürgerhäusern 
gesehen.  Dagegen  kann  man  dem  Dichter  eher  glauben,  wenn  er  sagt : 
»Ein  Atzelenkeffich  (Elsterngebauer)  bring  ich  dir  auch,  Daryn  ein 
Atzel,  die  brytet  ein  gaug  (Kukuk),  Darzu  ein  Heher  unnd  ein  Hetzen 
(wieder  eine  Elster?),  Und  ouch  ein  Dulen  (Dohle),  die  knn  wol  seh  wetzen, 
Unnd  ander  der  glychen  seltzen  vogel.« 

Am  Fenster  stehen  dann  noch  Blumen  in  Töpfen  (Scherben).^)  Fiid 
sunst  hüpsch  Würtzgarten  ich  dir  bring.  Die  stel  für  das  Fenster  umb 
gering,  Darvon  so  wachsen  dan  ein  Krentzlin  schon,  Und  wan  du  wiU 
zu  dem  Tantz  dar  mit  gon.  Darein  seind  Blöimeliyn  vergifs  mein  nit, 
Die  blügen  Winter  und  in  Summer  zyt.«  Ein  wenig  Garten  hatte  man 
ja  in  der  Stadt  selten  genug  (»freudengärtlein,  plomengärttlein«.  —  B.  Pauni- 
gartners  Briefw.  S.  6,  24,  S.  10). 

Wer  sich  mit  gelehrten  Arbeiten  zu  Ijescliäftigen  hatte,  richtete  sich 
ein  Arbeitszimmer  oder  eine  Studierstube  \un\  in  der  er  niclit   so  leicht 


')  Kunst-  u.  kulturg.  Denkin.  etc.     Taf.  LXX. 


138  II-   l^^it"   l'rivathäuscr. 

durch  Familienbesiicho,  durch  liäusHche  Goschäftigkeit  u.  s.  w.  gestört 
wurde.  In  eine  solche  bürgerhche  Stutherstube  liat  Albrecht  Dürer 
seinen  h.  Hieronynius  hineingesetzt  (s.  oben  S.  132). 

Die  Form  des  Schreibtisches  und  der  Lesepulte  ist  seit  dem  frühesten 
Mittelalter  zu  verfolgen,  da  sehr  häufig  die  Evangelisten  schreibend  dar- 
gest(dlt  werden,  später  aut-li  mau  es  lieble,  die  Verfasser  von  Chro- 
niken und  anderen  gelehrten  Werken  an  ihren  Arbeitstischen  tätig 
abzubilden.^)  Im  15.  Jahrhundert  haben  di(>se  Pulte  Ähnlichkeit  mit 
den  Chorgestühlen ;  o'm  Bahhichin  überwölbt  den  Sitz  des  Schreibers, 
dessen  ganzer  Arbeitsraum  mit  einer  Tür  verschlossen  werden  kann.^) 
Gegen  diese  reich  geschnitzten  Bauwerke  der  Kunsttischlerei  sieht  das 
Schreibpult  des  Dürerischen  Hieronymus  allerdings  ärmlich  aus  und 
auch  auf  dem  (^u-abdtMikmal  des  Plnli])])us  Gallimachus  Buonaccorsi 
(t  1497)  in  der  Dominikanerkirche  zu  Krakau  ist  dasselbe  sehr  einfach 
gehalten.-)  Diese  sicher  in  den  Niederlanden  ausgeführte  Bronzearbeit 
zeigt  den  Kanzler  auf  einer  mit  Kissen  belegttm  Bank  sitzend;  liiiiter 
ihm  ist  ein  Teppich  aufgespannt.  An  der  Wand  hängt  die  Pelzmütze, 
über  dem  Pulte  der  Konvexspiegel.  Auf  dem  Tische  liegen  Pergament- 
urkunden, Briefe,  eine  Papierschere;  mr  erkennen  das  Tintenfafs  und 
das  seitlicli  herabhängende  Pennal  oder  Calamar.  (Deutsches  Leben  im 
14.  und  15.  Jahrhundert.     Fig.  133.) 

Luxuriös  aber  wufste  man  im  Laufe  der  folgenden  Jahrhunderte 
diese  Möbel  zu  gestalten :  sie  wurden  mit  Intarsien,  Inkrustationen 
dekoriert  und  zimial  den  Mittelraum,  der  durch  die  aufgeklappte  Tisch- 
platte bei  geschlossenem  Schreibschrank  den  Blicken  entzogen  war,  liebte 
man  mit  Alabastersäulen,  mit  Spiegeln  und  allerlei  Schmuckwerk  anziehend 
zu  gestalten.  Dafs  aufser  den  gewöhnlichen  Schubladen  Geheimfächer 
nicht  fehlen  durften,  ist  selbstverständhch.  So  sind  diese  Schreibschränke 
bis  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  ob  sie  nun  reich  ausgestattet 
oder  nur  schhcht  angefertigt  waren,  doch  Zeugnisse  von  der  Tüchtigkeit 
der  alten  Tischlermeister.^) 

In  diesem,  dem  Studium  und  der  Arbeit  gewidmeten  Zimmer  ver- 
wahrt der  Herr  nicht  nur  seine  Bücher,  sondern  auch,  was  er  an  Samm- 
lungen sein  Eigen  nannte.  So  hat  der  h.  Hieronymus  in  dem  bekannten 
Kupferstich  sich  einen  Riesenkürbis  an  die  Decke  des  Arbeitszimmers 
gehängt.  Denn  ebenso  w^e  die  Fürsten,  begannen  nun  auch  wohlhabende 
Bürger  Kuriositäten  aller  Art,  vor  allem  auch  Kunstwerke,  Gemälde, 
Handzeichnungen,  Kupferstiche  zu  sammeln. 

Bekannt  ist  die  Sammlung  des  Nürnberger  Patriziers  Wilibald  Im- 
hof  (t  1580),  die  namenthch  reich  an  Werken  Dürers  war  und  nach  dem 
Tode  des  Besitzers  zerstreut  wurde  (A.  v.  Eye:  Albrecht  Dürer  [Nördl.  1860], 
S.  483  ff.).  In  Basel  besafs  Bonifazius  Amerbach  (f  1563)  die  berühmte 
Sammlung  Holbeinscher  Zeichnungen  (Weltmann,  Holbein  "II,  44  ff.). 
In  Augsburg  war   die    Sammlung  des  Philipp  Hainhofer    in   der    ersten 

•)  Viollet-le-Duc.  Dictionnaire  du  Mobilier  I.    (l»aris  1858.)    p.  238  ff. 

*)  Deutsches  Leben  im  14.  und  15.  Jahrhundert.     Fig.  284. 

3)  Einführung  in  das  Studium  der  neueren  Kunstgeseb.     Fig.  102,  103. 


J.  Die  Privathäuser.  139 

Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  eine  Sehenswürdigkeit,  die  zu  besuchen  die 
vornehmsten  Reisenden  nicht  versäumten. 

Auch  im  17.  und  18.  Jahrhundert  fand  man  fast  in  jeder  Stadt 
Leute,  die  mit  Eifer  Sammhmgen  anlegten  und  nach  Kräften  vermehrten ; 
Ärzte,'  Rechtsgelehrte,  Kaufleute,  die  Kupferstiche  in  ihren  Klebebüchern 
zusammenbrachten,  Gemälde,  Werke  des  Kunstgewerbes,  Naturahen,  kurz 
allerlei  Kuriositäten,  sich  zur  Freude,  den  Besuchern  zur  Ergötzung  und 
Belehrung.  Es  war  wohl  kein  Bürgerhaus  so  arm,  dal's  es  nic-ht  (un 
paar  gute  Originalgemälde  besessen  hätte ;  von  den  holländischen  Kun.st- 
freunden  kann  man  ganz  absehen,  die  ihre  Stuben  wände  dicht  mit  Bildern 
behangen  haben,  aber  auch  der  Minderbemittelte  war  nicht  ganz  arm 
an  Kunstwerken,  die  in  Verbindung  mit  den  Naturalien  und  sonstigen 
Seltsamkeiten  doch  manche  Anregung  für  das  Haus  und  seinen  Freundes- 
kreis gewährten.  Noch  um  1700  sammeh  ein  Breslau  er  Ratsherr,  Sigis- 
mund  von  Haunold  unter  anderen  Kuriositäten  Abbildungen  schöner 
Blumen  u.  s.  w.,  auch  in  einem  Bande  Stoffproben,  von  der  feinsten 
holländischen  Leinwand  bis  zu  den  kostbaren  Kleiderstoffen  aus  Drap 
d'Argent  und  Drap  d'Or  (Breslau,  Stadtbibhothek). 

Ln  Schlafzimmer  ist  das  Hauptmöbel  das  Bett.  Schon  im  Laufe 
des  15.  Jahrhunderts  ist  dasselbe  zu  einem  merkwürdigen  Holzbau  werk 
geworden.  Guarinonius  (Grewel  VIT,  c.  6,  S.  1278)  klagt  über:  »Ein 
seltzams  und  verwunderhchs  Abentheur  der  meisten  Orte  Teutschlands 
der  überhöchten  Bettstatten,  dafs  man  <lieselben  durch  ein,  zwey  offt 
drey  und  mehr  Staffel  besteigen  mufs«.  Es  scheint,  dafs  den  Leuten 
am  meisten  daran  gelegen  war,  den  Kopf  der  Schlafenden  gegen  Un- 
geziefer (Schwaben  etc.),  das  von  der  Decke  herabfallen  konnte,  zu 
schützen.  Daher  die  Baldachine,  die  entweder  über  das  ganze  Bett 
reichen,  bald  nur  zu  Häupten  desselben  sich  wölben.  Während  in 
Deutschland,  wie  man  in  den  reichen  Sammlungen  des  bayerischen 
Nationalmuseums  zu  München,  in  den  kulturgesehichthchen  Sanmilungen 
in  Nürnberg,  Basel,  Zürich  sich  überzeugen  kann,  diese  hölzernen  Bett- 
himmel bräuchhch  waren,  hat  man  in  den  Niederlanden,  wie  die  Gemälde 
Reglers  van  der  Weyden  und  seiner  Zeitgenossen  zeigen,  diese  Baldachine 
aus  Stoff,  wohl  leichter  Seide,  hergestellt.^) 

Das  16.  Jahrhundert  brachte  viele  Veränderungen:  der  feste  Bett- 
himmel wurde  nun  gewöhnhch  von  vier  Säulen  getragen,  auf  denen 
eine  hölzerne  oder  aus  Stoff  hergestehte  Decke  ruht.  2)  Auch  die  Bett- 
himmel mit  Vorhängen  bekamen  andere  Formen ;  sie  wurden  in  Gestalt 
von  Zelten  (z.  B.  in  den  Bildern  von  Martin  Schaffner)  3)  angelegt, 
hiefsen  deshalb  auch  Pavinons.  Noch  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunckn-ts 
ist  diese  Mode  übhch,  wie  aus  B.  Paumgärtners  Briefwechsel  (1592  6./I., 
S.  156)  hervorgeht.     Paumgärtner  schreibt  aucli  (1594  29./VHL,  S.  244): 

1)  Abb.  ven  Betten  und  Bettstellen.  Kunst-  u.  kulturji'.  Üenkm.  etc.  Taf.  UV.  — 
Deutsches  Leben  etc.    Fig.  127,  136—140.  —  Viollet-le-Duc,  Dict.  (Ui  Mob.  I.  171  ff. 

2)  S.  oben  S.  37.  —  Einf.  in  d.  Stud.  d.  neueren  Kunstg.  Fig.  100.  —  Th.  Haiupe, 
Das  Germanische  Museum  1842—1902.    (Lpz.  1902.)    Taf.  X. 

3)  Woermann,  Gesch.  d.  Malerei  II.    8.  455.    iMg.  285. 


140 


II.    Die  Städte. 


>so  hab  ic-li  [in  Liu-ca)  ein  .stuck  blaw  in  goldgelb  damast  von  einem 
schoenen  zierlichen  klein  plüniblein  zu  einem  bett,  als  fürheng,  deck 
und  fraswerck  (Fransen),  was  halt  darzu  gehoertt,  mit  fleifs  angefrümbt; 
wird  schöen  sein,  aber  wol  ettwas  costenn.« 

Stattlieb  sab  soli-b  v\n  Hinmielbett  wohl  aus,  allein  dals  man  auf 
diesen  Sebmuek  im  17.  .Tabrbundert  verziebtete  und  sieh,  wenn  ausnahms- 
weise man  die  ^\)rhänge  nicht  entbehren  wollte,  mit  dem  einfachen 
Hinmielbett  begnügte,  diese  AVandelimg  ist,  wie  es  scheint,  nicht  allein 
auf  Rechnung  der  Mode  zu  setzen,  sondern  damit  zu  erklären,  dafs  sich 
zu  viel  Ungi>zi(>fer  in  den  Betthimmeln  einnistete.  Fischart  prophezeit  in 
seiner  Praktik  (S.  27),  dafs  die  »Wandleufsin  Frankreich«  gedeihen  werden 
und  in  der  Flohatz  2082,  dafs  »kein  Wandlau fs  noch  kein  Floh  nicht 
bleibt  .  Diese  >  Wantzen,  Wantzeln,  Wenteln  oder  Wantleuse«  (Job.  Coler, 
Oeconomia  B.  VIIT,  c.  42)  s])i(4en  in  der  früheren  Zeit  eine  grofse  Rolle, 
wie  denn  überhaupt  das  Ungeziefer  viel  verbreiteter  ist  als  gegenwärtig. 
Neben  den  Wanzen  und  Flöjien,  die  Fischart  in  der  Praktik  und  in  der 
Flöhatz  erwähnt,  sind  auch  andere  Parasiten  nicht  selten.  Job.  Coler 
(Oec.  B.  XVIII,  c.  19)  sagt:  »Es  sind  aber  von  diesen  edlen  creaturen 
dreyerley:  Kopfleuse,  Kleiderleuse  unnd  Filtzleuse.  Die  erste  befehle 
ich  den  Kindern  und  Weibern,  die  andere  den  Landsknechten,  Bothen 
und  Bettlern,  die  dritten  den  Bulern  und  Ilurenhengsten. «  Also  an 
Ungeziefer  fehlte  es  nicht  und  das  mochte  in  den  komphzierten,  schwer 
zu  reinigenden  Betthimmeln  eine  sichere  Brutstätte  finden.  Jedenfalls  hat 
man  seit  dem  17.  Jahrhundert  nicht  mehr  so  grofsen  Luxus  mit  den 
Betten  getrieben. 

Zur  Zeit  des  Hans  Folz  gehörte  in  die  Schlafstube :  »Ein  strosack, 
spanpet  (also  mit  einem  Strippenboden)  und  ein  deck.  Ein  deckpet  .  . 
Küs,  polster,  leylach  mit«,  nnd  mehr  verlangt  auch  Hans  Sachs  nicht.  Der 
Verfasser  des  dritten  Hausratsgedichtes  erwähnt  noch  :  »Peltzdeck,  scbalaun 
und  golter  (culcitra  Steppdecke)  mit,  Ein  himel  dar  ob,   wie    es  ist    sit.« 

In  wohlhabenderen  Häusern  hat  man  sicher  schon  statt  des  Stroh- 
sackes Matratzen  verwendet,  die  ja  bereits  während  des  13.  Jahrhunderts 
bei  dem  höheren  Adel  gebräuchhch  waren. 

Guarinonius  (Grewel  S.  1279)  empfiehlt  die  Matratzen,  wie  er  im 
Winter  die  ledernen  Kissen  auch  für  gut  hält  (S.  1280) ;  dagegen  spricht 
er  gegen  die  »Abschewhchkeit  der  grossen  Küfs  und  Polster«  (1283), 
ratet,  sich  im  Sommer  mit  einer  leichten  Decke,  im  Winter  mit  dem 
Federbett  zuzudecken  (1278),  nicht  zu  hoch  zu  hegen  (1282),  bei  frischer 
Luft  zu  schlafen  (1286).  Man  soU  nicht  sieben  Stunden,  sondern  nach 
Bedarf  schlafen  (1293). 

Auf  eine  hübsche  Bettdecke  legte  man  grofsen  Wert.  In  dem 
Paumgärtnerschen  Briefwechsel  wird  von  Decken  aus  Atlas,  Taft,  Serge 
gesprochen  (1592  6./I  u.  8./I,  S.  155—158). 

In  die  Schlafkammer  gehören  dann  die  nötigen  Gefäfse  (prüncz- 
scherben,  H.  Folz  und  H.  Sachs ;  harnglas,  für  die  ärzthche  Untersuchung, 
H.  Sachs),  ja  in  dem  vierten  Gedicht  über  den  Hausrat  ist  auch  ein 
Leibstuhl  erforderhch,  den  der  Autor  sogar  zweimal  abbilden  läfst. 


J.    Die  Privathäuser.  141 

Sehr  merkwürdig  erscheint  die  Nachttoilette.  Im  frülien  Mittelalter 
hatte,  wie  bekannt,  jedermann  nackt  geschlafen.  Niederländische  Minia- 
tm-en  aus  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  zeigen,  dafs  selbst  in 
dieser  Zeit  die  Sitte  noch  fortdauerte.  Bei  Folz  finden  sich  »nachtschüch, 
nachthauben«  erwähnt;  das  ^dll  nun  nicht  viel  sagen,  denn  die  Schuhe 
bedeuten  nur,  dafs  einer  nicht  barfuls  zu  Bette  gehen  und  aufstehen 
A\dll,  und  so  gleichen  sie  etwa  unseren  Schlafschuhen.  Nachtmützen  aber 
hatten  <lie  Frauen  und  die  jungen  ^länner,  um  ihre  Frisur  zu  schützen, 
schon  längst  getragen.  Hans  Sachs  fügt  dann  noch  die  Pantoffeln 
hinzu.  Also  bis  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  kann  man  vielleicht 
nackt  geschlafen  haben,  allein  schon  in  dem  Briefwechsel  von  B.  Paum- 
gartner  wird  von  Nachtjacken  (nachtschauben)  öfter  geredet  (S.  64, 
125,  159,  189).  Hippolyt  Guarinonius  erwähnt  sogar  (Grewel  etc.  1283) 
»Juncker  und  Nachtbeltzx  und  empfiehlt  ausdrücklich,  nicht  nackt, 
sondern  im  Hemd  zu  schlafen.  Also  man  behielt  nicht  allein,  wenn 
man  sich  schlafen  legte,  das  Hemd  an,  sondern  zog  sogar  noch  Nacht- 
jacken an,  setzte  sich  eine  Nachtmütze  auf. 

In  der  Schlafkammer  hatte  der  grofse  Kleiderschrank  (Gwant  Kalter. 
Folz)  seinen  Platz,'  in  dem  die  Anzüge  bewaln-t  wurden;  dazu  geliörte 
die  Gwantbürste  und  der  Gwantpesen  (H.  Sachs).  In  Truhen  und  Laden 
hebt  man  das  Geld  und  sonstige  Kostbarkeiten,  Silbergeschirr  u.  s.  w. 
auf;  es  ist  hier  besser  als  an  anderen  Orten  gegen  Diebe  gesichert.  In 
anderen  Kästen  aber  hält  man  eine  Magenstärkung  bereit,  Lebkuchen 
(Pfefferkuchen),  Latwergekonfekt  (H.  Folz). 

Es  ist  nun  bemerkenswert,  dafs  in  allen  Beschreibungen  des  Schlaf- 
zimmers eines  Waschtisches,  eines  Waschbeckens,  eines  Handtuches  nicht 
Erwähnung  geschieht.  Man  kann  nur  annehmen,  dafs  man  sich  im  Bade 
wusch ;  allein  hatten  denn  alle  Bürger  eine  Badestube  in  ihrem  Hause  V  Die 
grofsen  Patrizier  in  Augsburg  gewifs  wie  die  Fugger  ^),  deren  Badezimmer 
prächtig  geschmückt  ist;  ob  auch  die  ärmeren. Leute  so  glücklich  waren, 
das  ist  doch  sehr  zu  bezweifeln.  Wenn  Folz  aufzählt,  was  man  hal)en 
nuifs,  wenn  man  ins  Bad  gehen  will,  den  Laugenkrug  das  Badtuch,  das 
Wischtuch,  den  Badeschwamm,  das  Badbecken,  den  Badehut  und  den 
Kamm  (strel),  so  kann  das  bedeuten,  dafs  man  dieser  Dinge  auch  im 
öffentlichen  Badehause  bedurfte.  Ja  Hans  Sachs'  Bemerkung,  dafs  man 
einen  Bademantel  und  einen  Bruch,  also  eine  Badehose,  nötig  habe,^ 
weist  wohl  sicher  darauf  hin,  dafs  er  nicht  an  ein  häusliches  Bad  dachte. 
Alle  Tage  aber  ging  man  doch  nicht  in  die  öffentliche  Badestube. 

Auf  das  Badewesen  werde  ich  später  noch  zurückkommen. 

In  der  Schlaf kammer  befand  sich,  wie  die  zahllosen  Darstellungen 
der  Verkündigung  uns  beweisen,  ein  Betpult  und  sicher  auch  ein  Andachts- 
bild. Im  frühen  Mittelalter  hatte  man  z.  B.  die  aus  Elfenbein  geschnitzten 
Diptychen  und  Triptychen  verwendet,  dann  auch  kleine  gemalte  Klapp- 
altäre benutzt.2)  Aus  dem  15.  Jahrhundert  sind  zahlreiche  solche  Altärchen 


*)  Abgeb.  bei  Dohme,  Geschichte  der  deutschen  Baukunst     (I5erlin  1887.)    Tafel 
z.  S.  326. 

2)  Abgeb.  b.  VioUet-Ie-Duc,  a.  a.  O.,  p.  127. 


142  II-    I^'®  Städte. 

erhalten,  von  Jan  van  Eyok,  von  Roger  van  der  Weyden  (besonders  die 
drei  im  Berliner  Mnsenm);  später  im  IC).  Jahrlmndert  malt  auch  Albrecht 
Dürer  ausnahmsweise  einen  solchen  llausaltar.  Man  fertigt  sie  dann 
auch  aus  Alabaster,  verziert  sie  mit  Vcngohhuigcii,  Jedenfalls  A\Trd  man 
immer  die  Hausaltäre  sehr  wohl  von  den  .\hai'\V(Mk(Mi  der  Kirchen  zti 
unterscheiden  haben  (s.  oben  ^.22).  Wenn  in  den  (iedirhtcn  vom  Haus- 
rat die  Andachtsbilder  und  die  üetstühle  nicht  ci'wähnt  werden,  so  ist 
bei  Hans  Folz  dies  wohl  als  eine  Vergefslichkeit  zu  entschuldig(>n,  bei 
Hans  Sachs  und  den  anderen  Dii-htern  dannt  zn  erklären,  dafs  sie  den 
Hausrat  })rotestantischer  Bürger  im  Auge  hatten. 

Aiüser  den  Schlafstuben  l'üi-  ilie  Herrschaft  nnd  deren  Kinder  und 
Angehörigen,  fih-  die  Dienerschaft  u.  s.  w.  sind  dann  noch  Gastzinnner 
vorhanden,  in  denen  Freunde  logierten,  die  nicht  im  Gasthause  Quartier 
nehmen  wollten.  Alle  diese  Kannnei'n  sind  im  («i-nnde  ghnch,  nur  mit 
minderem  Luxus  eingerichtet. 

Sehr  ausführlich  werden  in  den  erwähnten  Hausratsgedichten  die 
Küchen  mit  ihrem  ganzen  ^"orrat  von  Krügen,  Pfannen,  Mörsern  u.  s.  w. 
beschrieben.  Bei  wohlhabenden  Leuten  prangte  die  Küche  von  glänzendem 
Kupfer-,  Messing-,  Zinngeschirr.  Im  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg 
hat  man  versucht,  eine  solche  Küche  aufzubauen,  aber  viel  grofsartiger 
wirkte  die  alte  Küche  im  Pellerhause,  die  ich  1854  noch  selbst  gesehen 
habe.  Es  ist  wohl  nicht  nötig,  alle  diese  Utensilien  zu  nennen,  nur 
nuH'hte  ich  darauf  aufmerksam  machen,  dafs  schon  Folz  den  Rost  zum 
Braten  und  den  Bratenwender  sehr  wohl  kennt.  Hans  Sachs  weifs  noch 
mehr  Küchengeschirr  aufzuzählen  und  die  beiden  anderen  Gedichte 
bringen  gleichfalls  noch  manches,  für  die  Kulturgeschichte  nicht  Avert- 
loses  Detail. 

Seit  dem  17.  Jahrhundert  wird  es  Sitte,  die  Wände,  zumal  der 
Küchen,  mit  Tonfliesen,  meist  niederländischer  (Delfter)  Herkunft,  zu 
bekleiden.  Diese  weifsen,  mit  blauen  Malereien  gezierten  Platten  wurden 
auch  um  die  Ofen  gelegt,  in  Zimmern,  Kammern,  Vorsälen  verwendet. 
(Cf.  Frauenzimmerlexikon   1715  und  1739,  s.  u.  Fliefsgen  von  Porcellain.) 

Das  Feuerzeug^)  besteht  aus  dem  Stahl,  mit  dem  der  Feuerstein 
bearbeitet  wurde,  bis  die  Funken  in  die  Zunderbüchse  fielen  und  dort 
den  Zunder  entzündeten.  Schwefelfaden ,  in  den  glimmenden  Zunder 
gehalten,  fingen  dann  Feuer  und  mit  ihnen  zündete  man  dann  Lichter 
u.  s.  w.  an.  (Folz  :  Feierzeüg,  schweffei  Macht  ein  feier  schnei.  —  H.  Sachs: 
Schwebel,  zuinter  und  fewer  zeug.  —  Drittes  Gedicht:  Auch  schwebel, 
feurtzeug,  spen  und  Kien,  Dörholtz  und  schleussen  ist  dir  sin,  Behent 
ein  feur  domit  zu  schurn.)  Man  hat  den  Feuerzeugen  die  verschiedensten 
Formen  gegeben,  sie  z.  B.  in  Gestalt  von  Pistolen  gebildet,  aber  mit 
Stahl,  Stein,  Zunderbüchse  oder  Schwamm  hat  man  sich  beholfen  bis 
um  1820  die  Tunkzündhölzchen  aufkamen  und  um  1833  die  Schwefel- 
streichhölzer allgemeiner  p;el>raucht  wurden.  Es  ist  deshalb  wohl  erklärlich, 


')  Feuerzeug  Ist  ein  von  Blech  klein  verfertigtes  Kästlein,  worinnen  Zunder 
Stahl,  Feuerstein  und  Schwefel  lieget,  und  zu  Aufschlagung  des  Lichtes  dienet.  — 
Frauenzimmerlexikon  1715  u.  1739. 


K.    Die  Gärten  der  Bürger.  143 

dafs  man  gern,  zumal  in  den  Schlafzimmern,  Nachtlampen  brannte.^) 
Zur  Küche  gehörte  dann  noch  die  Speisekammer,  deren  Vorräte  aufs 
ausführlichste  von  den  Reimschmieden  der  Hausratsgedichte  aufgezählt 
werden. 

Es  gibt  nun  noch  eine  Menge  von  Dingen,  die  in  ein  wohlein- 
gerichtetes Haus  unbedingt  gehören :  allerlei  Werkzeuge,  Waffen  der  ver- 
schiedensten Art,  musikalische  Instrumente,  je  nach  Bedarf  und  Lieb- 
haberei der  Besitzer.  Bis  zum  Bodenraum  hinauf  ist  das  ganze  Haus 
mit  Kästen  und  Schränken  gefüllt. 

Stiefmütterlich  ist  für  die  notwendigen  Bequemlichkeiten  gesorgt. 
Florinus  spricht  in  seinem  Haus-Vatter  (Th.  I,  B.  2,  Kap.  18)  nur  von 
den  »Stank-Gemächern«,  die  in  der  Nähe  der  Schlafzimmer  anzulegen 
sind,  doch  nicht  gut  in  einem  Verschlage  der  Schlafstube  (vgl.  auch 
Kap.  19  §  4).  Auch  mit  der  Reinigung  der  Senkgruben  ist  es  sehr  übel 
bestellt.  2) 

In  Nürnberg  wurde  auch  das  Holz  auf  dem  Boden  bewahrt,  wahr- 
scheinlich weil  Grundwasser  oder  andere  Umstände  die  Anlage  von 
Kellern  untunHch  machten;  dann  wurde  mit  Windeluken  das  Heiz- 
material auf  den  Boden  hinaufgezogen,  diesen  Turmerkerchen,  die  den 
noch  erhaltenen  Strafsen  Altnürnbergs  einen  so  eigenartigen  Reiz 
verleihen. 

Die  Dächer  sind  meist  mit  Hohlziegeln  (Mönch  und  Nonne)  gedeckt, 
die  Giebel  mit  Dachfahnen  geschmückt,  deren  Blech  in  den  mannig- 
faltigsten Figuren  ausgeschnitten,  deren  Schaft  von  künstlicher  Schmiede- 
arbeit verziert  war;  besonders  das  16.  Jahrhundert  hat  Meisterwerke 
solcher  Kunst  aufzuweisen. 

K.   Die  Gärten  der  Bürger. 

In  der  Stadt  hatte  man  nur  in  Ausnahmefällen  ein  bischen  Garten ; 
der  Grund  und  Boden  war  in  einer  von  Mauern  umschlossenen  Stadt 
viel  zu  kostbar.  Allein  vor  den  Toren  in  der  nächsten  Nähe  der  Stadt 
suchte  ein  jeder,  so  gut  es  mit  seinen  Mitteln  sich  machen  liefs,  ein 
Stück  Land  zu  erwerben,  in  dem  er  nicht  blofs  Blumen  zog,  sondern 
auch  Gemüsebeete  anlegte,  Fruchtbäume  anpflanzte  und  sich  ein  Sommer- 
haus erbaute. 

Berühmt  war  in  Augsburg  der  Garten  des  Aml)rosius  Hochstätter, 
des  steinreichen  Handelsherrn,  der  1534  im  Schuldturme  starb.  Es  gab 
da  eine  Fontäne  mit  200  Wasserröhren;  ein  eigens  erbautes  Wasserwerk 
besorgte  die  Triebkraft.  Dazu  fand  man  allerlei  Vexierüberraschungen, 
wie  solche  ja  einst  so  überaus  beliebt  waren.  ^) 

Job.  Coler  denkt  sicli  (Oecon.  V,  c.  36)  den  Garten  in  vier  Teile 
geteilt.      Im    ersten    befinden    sich    die    Fruchtbäume:     alle    Arten    von 

*)  Vergl.  Amaranthes,  Frauenziumierlexikdii  1715  n.  1739  unter  Nacht-Lampe, 
Nacht-Leuchter,  Nacht-Licht  —  und  oben  S.  135.  Eine  messingne  Feuerspritze  hält 
schon  Hans  Sachs  in  der  Küche  für  crforderUch. 

2)  Deutshes  Lohen  etc.     8.  127. 

3)  (Vulpius)  Kurios.  III,  363. 


144  ^I-    1^^^  Städte. 

Äi)l"elii  (c.  15)  und  ßinien  (c.  IG),  Quitten,  Mispeln,  Maulbeerbäumen, 
Feigen,  Pfirsichen.  Pflaumen,  Marillen,  Kirschen,  Welschen  Nüssen, 
Mandehi,  Kastanien,  roten  Haselnüssen,  Johannisbeeren.  Aufs(M-halb  des 
(lartens  wachsen  die  Preiselbeeren,  Kratzbeeren  (Brombeeren),  Him- 
bciuen.  Erdbeeren,  Wachholderbeeren,  Heidelbeeren  (c.  17 — 32).  Auch 
Kosen  sind  idcht  im  Garten  selbst  (c.  33).  In  der  zweiten  Abteilung 
/ielit  er  wohh-iechonde  Blumen:  Nelken,  Violen,  Lilien,  LiHum  Con- 
vallium,  Meyenblünilcin,  Je  länger  je  lieber.  Tausendschön  oder  Bella 
hortensis,  gelbe  und  Aveifse  Mertzblündcin,  Blümlein  der  Liebe  oder 
Amaranthus,  PingelblumtMi,  Vergis  mein  nicht,  Damaschkonblumen,  Tag 
und  Narlii  u.  dergl.-<  Den  dritten  Teil  be])rtanzt  er  mit  wohlriechenden 
Kräutern:  Kosmarin,  Lavendel,  Spica  Nanü  etc..  den  vierten  endlich 
mit  >^Kücliens})eise«  (c.  36).  >^Wie  noch  heut  zu  Tage  Fürsten  und 
andere  Weltliche  Potentaten  thun,  die  ire  Gärten  mit  artigen  Beeten, 
allerley  Kreutern,  lieblichen  Beumeu,  Lustheusern,  frischen  Brunnen, 
mancherley  Gengen,  Löwingen,  Weinreben,  Kürbsen,  Fischereien,  Vogel- 
fang, allerley  Grafs,  Blumen  und  andern  lustigen  liddiclien,  wolriechenden 
und  zierlichen  dingen  schmücken ^<  (c.  36). 

In  dvm  (xarten  vor  den  Toren  der  Stadt  verbringt  man,  wenn  die 
Sommerhitze  den  Aufenthalt  in  der  Stadt  unerträglich  macht,  seine  freie 
Zeit.  Die  Kinder  hatten  dann  ihre  Ferien  und  brauchten  nicht  in  die 
Scliiüe  zu  gehen,  und  die  Männer  konnten,  sobald  ihre  Geschäfte  beendet 
waren,  sich  auch  im  Kreise  der  Familie,  der  Freunde  eine  Erholung 
gönnen.  Ja,  am  liebsten  baut  man  im  Garten  ein  Lusthaus,  in  dem  man 
während  der  Sommerszeit  wohnen  und  übernachten  konnte;  natürhch 
durfte  man  nur  in  Friedenszeiten  es  wagen,  sich  ungefährdet  aus  der 
Stadt  hinauszubegeben.  Hippolyt  Guarinonius  hebt  die  Nützlichkeit 
dieser  Gartenhäuschen  besonders  hervor.  »Fürtrefflicher  Vortheil  den 
guten  und  freyen  Lufft  zu  geniefsen  ist  aui'ser  den  Stätten  ein  Lust- 
haufs  neben  einem  Garten  zu  haben,  allda  das  haufs  aller  orts  fein 
ledig  und  frey  stehe,  und  bedarff  ein  solches  Lusthaufs  keiner  sonderen 
Höhe,  weil  es  allerseits  frey  und  kein  nebenhaufs  oder  want  hat,  für- 
nemlich  wo  man  darin  die  herrlich  schönen  klaren  und  frischen  springen- 
den Wasserbronnen  als  etwa  hier  in  Tyrol  vmd  sonderhch  im  Yhnthal 
und  in  die  menge  führen  kan«  (S.  420).^) 

Aber  vor  allem  hält  es  Guarinonius  für  heilsam,  dafs  wenigstens 
für  einige  Zeit  die  Leute  frische  Luft  einatmeten.  Den  grünen  Dorff- 
und Feldwasen  vertritt  in  den  Stätten  das  reine  und  wolbesetzte  Pflaster. 
So  aber  die  Häuser  neben  den  Landstrafsen,  wie  fast  alle  Wirtshäuser 
aufser   und   in  den  Stätten,    allda  des   fahrens  und  reitens   nie  kein  end 


^)  Abbildnnaen  von  Gärten  nach  den  Stichen  von  Hans  Eol  (Kulturg.  Bilderb.  II, 
N.  1118,  m,  N.  1198),  von  Jost  Amman  (ib.  lU,  N.  1323),  von  Peter  Stephani  (Steevens) 
m,  N.  1504,  1505\  von  Vinckenboons  (HI,  N.  1538),  Crispin  de  Passe  (HI,  N.  1426), 
Matth.  Merian  (III,  N.  1600,  1602).  —  Michael  Heer,  Garten  <les  Christoph  Peller  in 
Nürnberg  1655.     (Ebend.  V.  H.  2302.) 

^)  Dafs  die  Brunnenfiguren  nicht  immer  besonders  decent  waren,  zeigt  das 
bekannte  Maneken  in  Brüssel,  mehr  noch  ist  aus  den  Stichen  von  Vredemann  de 
Vries  zu  ersehen. 


K.    Die  (xärten  der  Bürger.  245 

und  derselbige  Weg  jederzeit  der  unflätigste,  allda  oft  die  Kotläcken  das 
gantze  Pflaster  bedecken,  nnd  die  Lufft  davon  voller  deren  ungehewren 
Koht-  und  Lacken-dänipf  wivät,  solle  jemand  gern  in  der  nahen  seine 
Wohnung  oder  Zimmer  haben?  und  geschieht  doch  zu  dieser  zeit  das 
Widerspiel,  sintemal  schier  ein  jeder  seine  Wohnung  nur  an  selbigen 
Gassen  und  Strafsen  zu  haben  begert,  allda  er  alles  zum  Fenster  hinaufs- 
ergaffen  und  ersehen  möge,  wer  hindersich  oder  Mrsich  rent,  fährt  oder 
gehet«  (S.  420). 

Vor  den  Toren  Nürnbergs,  in  der  Gegend  des  Johanneskirchhofs 
habe  ich  vor  Jahren  solche  hübsche  Gartenhäuschen  gesehen,  die  wahr- 
scheinhch  noch  dem  16.  Jahrhundert  angeliörten.  Jetzt  werden  sie  wohl 
alle  den  Neubauten  den  Platz  o-eräumt  haben. 


Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  10 


Haiicmhaus  in  Ilochbtirsund  zwisohen  Dijoii 
luiil  Sainte-Seiiu'. 


Bauernhaus  in  Rougemont. 


III.    Das  Dorf. 


Die  Wohnung  der  Bauern. 

Trotz  Moriz  Heynes  trefflicher  und  erschöpfender  Untersuchung 
über  das  deutsche  Bauernhaus  im  Mittelaher^)  ist  es  doch  kaum  möghch, 
sich  von  deren  Aussehen,  ihrer  inneren  Einrichtung  ein  einigermafsen 
klares  Bild  zu  verschaffen,  da  nicht  nur  Denkmäler  bäuerlicher  Baukunst 
beinahe  gänzlich  fehlen,  wenn  sie  aber  auch  aus  früherer  Zeit  erhalten 
blieben,  im  Laufe  der  Jahre  namhafte  Veränderungen  erhtten  haben. 
Zudem  darf  man  nicht  aus  dem  Auge  verlieren,  dafs  gerade  die  Anlage 
des  Bauernhofes  je  nach  dem  Landstrich  eine  überaus  mannigfaltige  ist, 
und  in  alten  Zeiten  unzweifelhaft  noch  viel  verschiedener  war.  Allein 
auch  damit  ist  es  nicht  abgetan ;  der  freie  Grofsbauer  hat  sicher  seinen 
Hof,  sein  Haus,  seine  Stuben  anders  eingerichtet  als  der  arme  hörige 
Kossäte. 

In  Deutschland  sind  Bauernhäuser  aus  dem  Mittelalter  überaus  selten. 
Es  ist  deshalb  sehr  zweifelhaft,  ob  das  berühmte  graue  Haus  in  Winkel 
(Rheingau),  das  aus  dem  11.  Jahrhundert  stammen  soll  und  das,  wie 
man  ohne  jeden  Grund  annimmt,  dem  Hrabanus  Maurus  gehörte,^)  ein 


')  Das  deutsche  Wohnungswesen.  Leipz.  1899.  —  Stephan!,  der  älteste  deutsche 
Wohnbau  I.  Leipz.  3902.  —  Henning.  Das  deutsche  Haus  in  seiner  historischen  Ent- 
wicklung (Strafsburg  1882);  Meitzen,  das  deutsche  Haus  in  seinen  volkstümlichen 
Formen  (Berl.  1883).  —  ISIeringer,  das  Bauernhaus  u.  s.  Einrichtung  (Wien  1892.)  — 
—  Über  die  Bauernhäuser  der  Schweiz:  Grafenriet  u.  Stürler.  Schweizerische  Archi- 
tektur. Bern  1844.  —  Gladbach,  d.  schweizerische  Holzstil  (Zürich  1882),  d.  Holzarchi- 
tektur der  Schweiz  (Zürich  1885),  charakteristische  Holzbauten  der  Schweiz  vom  16.  bis 
19.  Jahrhundert  (Berlin  1889—1893). 

2)  Abgeb.  bei  R.  Görz,  das  graue  Haus  zu  Winkel  (Förster,  Bauzeitung  1847, 
S.  50.)  —  Stephani,  Wohnbau  II.  532  ff.     Fig.  288—297. 


Die  WohnuiiL;   iler  IJauern. 


147 


Haiienihof  in  Lienzingen. 


Bauernhaus  gewesen 
ist.  Der  massive  Stein- 
bau ähnelt  allerdings 
den  von  Viollet-le- 
Duc  (Dict.  de  rArcli. 
VI.  S.  291  und  292) 
abgebildeten  Häu- 
sern aus  dem  Morvan, 
aus  Burgund.  Dage- 
gen können  wir  in 
Deutschland  kein  ein- 
ziges Beispiel  von 
einemsteinernenBau- 
ernhause  des  1 3.  Jahr- 
hunderts aufweisen, 
wie  uns  ViolIet-le-Duc  8.  293  aus  Rougemont  (zwischen  Montbar  und  Aisy) 
mitteilt.  Auch  die  interessanten  Bauanlagen  aus  dem  Süden  Frankreichs, 
von  denen  wir  eine  Probe  S.  296  erhalten,  durften  in  Deutschland  kaum 
ihres  Gleichen  haben.  Frankreich  hat  eine  viel  gröfsere  Anzahl  von 
Denkmälern  der  bäuerlichen  Baukunst  aufzuAveisen,  da  man  sich  sehr 
häufig  des  Steinbaues  bediente,  in  Deutschland  jedoch  die  Bauernhäuser 
aus  Holz  herstellte,  sei  es  im  Blockverbande^),  wie  an  der  Mehrzahl  der 
schweizerischen  Bauten,  teils  in  Fachwerk,  das  mit  Ziegelsteinen  oder  mit 
Klebwerk  ausgefüllt  wurde  ^).  Solche  Gebäude  aber  werden  sehr  leicht  bau- 
fällig, auch  wenn  nicht  eine  Feuersbrunst  sie  gänzlich  zerstört.  Die  frü- 
hesten deutschen  Bauernhäuser  scheinen  nicht  vor  dem  16.  Jahrhundert 
erbaut  zu  sein.  Dieser  Zeit  gehören  vielleicht  die  merkwürdigen,  spitz- 
giebeligen  Häuser  von  Etzelswang  (an  der  Bahn  von  Nürnberg  nach  Schwan- 
dorf) an,  die  mit  einer  Verschwendung  von  Holzriegeln  erbaut  sind,  je- 
doch einen  recht  malerischen  Effekt  hervorbringen  (s.  1  u.  2).  Natürlich 
sahen  sie  ganz  anders  aus,  als  das  gewaltige  Strohdach  noch  nicht  durch 
die  moderne  Ziegeleindeckung  ersetzt  war.   Das  Bauerngehöft,  in  dem  Al- 


1)  Daniel  Hopfer,  Das  liindliche  Fest  (Deutscli. 
Leben.  Fig  209). 

2 1  Seb.  Franck.  Weltbuch  (1533)  Fol.  CYIji> : 
Die  heufser  (der  Sachsen)  seind  schlecht  von  Kat 
gemacht,  schier  wie  in  Ungern. 

Sehr  beachtenswert  ist  die  von  Joh.  Naeve 
in  »Des  Allerdurchleuchtigsten  Römischen  Keysei's 
Ferdinand  des  Ersten  Denckwürdigen  Tafel-Eeden« 
Dresd.  1674)  mitgeteilte  Äufserung  (S.  36):  »Der 
Kayser  gedacht  auch,  dafs  die  Spanier  gar  keine 
Seiger  weder  in  Städten  noch  auff  den  Dörffern 
hätten  ;  neulichst  aber  (1564)  wären  sie  aus  Teutsch- 
land zu  ihnen  hineingebracht  worden.  Desgleichen, 
sagt  er,  gel)rauchen  .'^ie  sich  keiner  Glasefenster, 
sondern  ihre  Fenster  wären  aus  Leinwand  und  Pap- 
pier  zusanmien  gemacht.  Hergegen  aber  in  Teutsch- 
land wären  sie  so  gemein,  dafs  auch  der  ärmste 
Bauer  am  Glaser  nichts  ermangeln  liefse.« 


Bauernhof  in  Strümpfelbach. 
10* 


148 


Das  Dorf. 


brecht  Dürer  uns  die 
Geschichte  vom  ver- 
lorenen Sohn  vorführt, 
ist  massiv  aus  Ziegehi 
gebaut,  wenn  auch  die 
Dächer  noch  mit  Schilf 
gedeckt  sind.  Die  Bau- 
ernhäuser in  Italien  sind 
durchgehends  massiv, 
meist  aus  Feldstein  er- 
baut, doch  läfst  sich  ihr 
Alter  in  der  Regel  nicht 
bestimmen. 

Vom  16.  Jahrhun- 
dert an,  besonders  aber 
aus  dem  17.  Jahrhun- 
dert, sind  uns  eine  grofse 
Zahl  von  Bauernhäu- 
sern, anfangend  von  der 
Schweiz  und  Tirol  bis 
nach  Westfalen ,  Han- 
nover ,  Holstein  und 
Schleswig  erhalten.  In 
den  norddeutschen  Bau- 
ernhäusern findet  der 
in  den  Bürgerhäusern  gepflegte  Luxus  erst  allmählich  Eingang.  Die  Bauern, 
geschickte  Holzchnitzer,  arbeiten  in  der  Mufsezeit  des  Winters  an  der  Ver- 
schönerung ihrer  Wohnung,  schnitzen  Ornamente  und  selbst  Figurenreliefs 
an  ihre  Bettstellen  und  verzieren  kleine  Hausgeräte,  Handrollen,  Kästchen 
mit  Schnitzwerk  im  Stile  der  alten  norwegischen  Holzkirchen.  Dieser 
Schnitzstil  hat  sich  in  den  norddeutschen  Bauernhäusern  Schleswig- 
Holsteins,  der  Friesischen  Inseln  noch  bis  ins  vorige  Jahrhundert  er- 
halten, wie  er  in  Island  sich  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  nach- 
weisen läfst.  Dann  aber  konamen  auch  die  Schmuckstücke,  die  die 
Bauern  in  den  städtischen  Wohnungen  gesehen,  in  die  Bauernstube: 
die  Belegung  der  Wände  mit  gemalten  Fayencefliesen,  wie  z.  B.  in  den 
reichen  Bauernhäusern  des  Hamburger  Vierlandes,  in  der  berühmten 
bunten  Pesel  in  Meldorp  (Schleswig-Holstein).  Die  Täfelungen  der  Zimmer 
wird  Mode;  in  manchen  Ländern  wie  in  Tirol  und  Graubündten  ist  sie 
schon  lange  von  den  Bauern  gebraucht  worden.  Städtische  Möbel  finden 
auch  in  der  Bauernstube  Aufnahme,  Schränke,  Kasten  —  aber,  wo  der 
Bauer  nicht  so  reich  ist,  da  verzichtet  er  auf  die  geschnitzten,  architek- 
tonisch stihsierten  Geräte,  da  läfst  er  vom  Schreiner,  was  er  braucht, 
einfach  schhcht.  herstellen,  dann  auch  bunt  anstreichen.  Und  das 
haben  die  alten  Dorfmaler  vortrefflich  verstanden  —  in  unserer  Zeit 
werden  ja  für  reiche  Leute  diese  Bauernmöbel  nachgemacht.  Abbil- 
dungen alter  Bauernhäuser  finden  wir  in  den  Bildern   der  Kaiendarien ; 


Manoir  zu  Sediöres  (Correzö.) 


Die  AVohmuig  der  Bauern.  149 

zumal  in  dem  Calendarium  des  Breviarimn  Grimani  in  der  Bibliothek 
von  S.  Marco  in  Venedig.  Dann  sind  in  dem  sogenannten  Hausbuche 
des  Fürsten  Waldburg-Wolfegg  Dörfer  abgebildet,  auch  befestigte  Wohn- 
sitze der  Gutsbesitzer.^)  Die  holländischen  Bauernhäuser  lernen  wir  aus 
den  Gemälden  und  Radierungen  des  Adrian  van  Ostade  2)  des  Rembrandt 
van  Rijn=^),  die  flämischen  aus  den  Bildern  von  David  Teniers  d.  J.,'*)  des 
Adrian  Brouwer  u.  a.  kennen.  Die  französischen  stellt  Jaques  Callot  in 
seinen  Grandes  et  Petites  Miseres  de  la  Guerre  uns  dar.^) 

Von  den  Bauernhäusern  sind  wohl  zu  unterscheiden  die  Wohnungen 
der  Gutsbesitzer.  In  Frankreich  sind  solche  Herrenhäuser  (Manoirs)  noch 
in  grölserer  Anzahl  erhalten.  Sie  sind  befestigt,  mn  in  kriegerischen 
Zeiten  gegen  Marodeure  und  anderes  Gesindel  geschützt  zu  sein,  aber 
nicht  wie  die  Burgen  auf  eine  lange  Belagerung  vorbereitet.  Viollet-le- 
Duc  gibt  (a.  a.  O.  VI  S.  306,  307,  308)  die  Abbildung  des  Manoirs  von 
Saint-Medard-en-Jalle,  das  noch  in  die  erste  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
gehört.  Aus  dem  14.  stammt  das  Manoir  von  Camarsac  (Gironde)  S.  310, 
311,  aus  dem  15.  das  zu  Xaintrailles  (Lot  et  Garonne),  S.  312,  313,  aus 
dem  16.  die  zu  Nesle  (Oise)und  Sedieres  (Correze)  S.  314,  315.  Ich  kenne 
von  solchen  Gutsherrnschlöfschen  in  Deutschland  nur  eins  —  aber  jeden- 
falls gibt  es  ihrer  eine  grofse  Zahl  —  das  kleine  feste  Haus  in  Wohn- 
witz bei  Breslau  (1513),  das  ich  wiederholt  besprochen  habe^). 

Joh.  Colerus  '^)  schildert  das  einfache  Gutshaus  des  16.  Jahrhunderts. 
Die  Stuben,  mit  Ziegelsteinen  gepflastert,  sind  kalt;  besser  sind  Bretter, 
aber  man  mufs  Sägespäne  unterfüttern.  Brauchbarer  und  ansehnhcher 
sind  gegossene  (Estrich-)  Fufsboden,  die  Wände  und  Decke  mit  Gips 
verkleidet;  solche  Stuben  sind  reinlich,  warm,  feuersicher.  »Gewundene 
Decken  X  (Windelboden)  sind  besser  als  Bretterdecken.  Er  verlangt 
Brandmauern.  Es  empfiehlt  sich,  die  unteren  Stuben  und  Kammern 
zu  wölben,  der  Feuersgefahr  halber  wenigstens  ein  Gewölbe  mit  eiserner 
Tür  und  gleichen  Fensterläden  zu  erbauen. 

Häuser,  aus  Stein  und  Ziegel  errichtet,  sind  kalt;  baut  man  sie 
aus  Holz  und  Stroh,  so  ist  die  Luft  dampfig  und  warm;  nimmt  man 
Erde  und  Lehm,  so  sind  die  Wohnungen  trüb  und  staubig;  jedenfalls 
müssen  sie  gut  austrocknen.  Fenster  geben  Luft,  Zug ;  Kammern  gegen 
Süd  sind  warm,  gegen  Nord  kühl,  im  Sommer  und  zur  Zeit  der  Pestilenz 
für  Gesunde  und  Kranke  zu  brauchen.  Häuser  auf  der  Höhe  sind  luf- 
tiger, gesünder,  kälter  als  die  am  Berge  oder  im  Tal.  Er  gedenkt  dann 
der  Badestube  für  den  Herrn,  ratet,  die  Häuser  mit  nicht  abfärbender 
Leimfarbe,    die   Balken   aufsen   schwarz    mit   Ölfarbe  zu   streichen.     Die 


')  Deutsches  Leben  etc.  Fig.  204.    —  A.  v.  Essenwein,  kulturhistorischer  liildor- 
athis.     I.pz.  1883.     Taf.  CII,  CI,  CHI. 

2)  Kulturg.  Bilderb.  V;  Nr.  2322,  2360,  2361,  2375,  2410—2413. 

3)  Kulturg.  Bilderb.  IV;  Nr.  1918,  1919. 
*)  Kulturg.  Bilderb.  V;  Nr.  2366,  2367. 
»)  Ebendas.  IV;  Nr.  1692—1709. 

')  Schlesische  Kunstdenkmäler.     Breslau  1875. 

')  Oeconomia  ruralis  et  domestica.     Wittenb.  1591 — 1601.     B.  IX.  c.  25. 


150  III-  ••-i«  l^*""^- 

Zimmerleute  stehlen  Ilolzabfällc  und  Spän<'  und  arbeiten  besser  im  Akkord 
als  im  Tagelohn  (c.  27) : 

>^Die  Zinnnerleut  und  die  Maurer 

Das  sein  rechte  Laurer  : 

Ehe  sie  essen,  messen,  steliii   und  sich  besinnen, 

So  ist  der  tag  von  hinufniA.    (c.  2i)). 

Dal's  diese  Häuser  der  Gutsbesitzer,  gleichviel  ob  diese  adlig  oder 
bürgerlich  sind,  den  Adelsschlössern  vielfach  gleichen,  liegt  auf  der 
Hand.^)  Seitdem  der  Adel  es  aufgegeben  hat,  in  seinen  Burgen  zu  leben, 
ist  er  Gutsbesitzer  und  wohnt  auf  seinem  Besitztum  auf  einem  Schlosse, 
das  je  nach  dem  Reichtum  des  Herrn  oft  s(ilir  schlicht  und  einfach, 
selten  mit  grolser  Pracht  errichtet  ist. 

Auch  nach  den  mannigfaltigen  Gewohnheiten,  Überlieferungen, 
Bedürfnissen  sind  die  Bauernhöfe  bald  inmitten  des  Landbesitzes,  isoliert 
von  anderen  Wohnungen  erbaut,  bald  in  einem  Dorfe  vereinigt.  Die 
Dorfanlaj2:e  ist  nach  den  Landstrichen  verschieden.  Wenn  schon  über 
die  Stral'sen  in  den  Städten  sich  nichts  erfreuliches  sagen  läfst,  so  mögen 
die  Dorfstraisen  und  Gassen  sich  in  noch  schlimmeren  Zustand  befunden 
haben. 

L^m  nicht  wehrlos  einem  jeden  Überfall  preisgegeben  zu  sein,  hat 
man  im  Mittelalter  wohl  auch  in  den  Dörfern  dafür  gesorgt,  dafs  sich 
die  Bauern  mit  ihrem  Hab  und  Gut  im  Falle  der  Gefahr  an  eine  ver- 
teidigungsfähige Festung  zurückziehen  können.  Das  nächstliegende  war, 
dafs  sie  in  der  Burg  ihres  Herrn  Schutz  suchten.  War  eine  solche  nicht 
in  erreichbarer  Nähe,  so  barg  man  alle  Kostbarkeiten  in  der  doch  meist 
massiv  erbauten  Kirche  und  befestigte  den  Kirchhof  mit  Steinmauern, 
Türmen  und  Gräben.  Ein  in  dieser  Art  fortifizierter  Kirchhof  ist  noch 
in  der  Nähe  von  Breslau  in  Roth-Sürben  zu  finden.  In  Siebenbürgen 
richtete  man  die  Kirchen  als  Festungen  ein,  bekrönte  sie  mit  Zinnen; 
wenn  dann  die  Türken  in  das  Land  einbrachen,  fanden  die  Bauern  in 
ihren  Kirchen  einen  sicheren  Schutz. 2) 

In  Frankreich  findet  man  an  der  Meeresküste  turmartige,  feste 
Häuser,  in  denen  während  der  Raubzüge  der  Sarazenen  die  Landbevöl- 
kerung; Schutz  suchte,  so  z.  B.  in  dem  Turm  von  C'anet  bei  Cannes 
(VioUetde-Duc,  Dict.  de  TArch.  VI.  S.  298.)  Ein  anderer  solcher  fester 
Turm  ist  in  der  Nähe  von  Bordeaux  (ib.  S.  299)  erhalten. 

An  der  Küste  des  Tyrrhenischen  Meeres  sind  noch  heute  zahlreiche 
solche  Türme  zu  finden;  sie  dienten  nicht  blofs  als  Ausluge  sondern 
boten  auch  dem  bedrohten  Volke  zu  Zeiten  der  Gefahr  Schutz  und 
Sicherheit. 


1)  Beachtenswert  ist  die  Darstellung  eines  Landhauses  in  dem  Holzschnitt  des 
Hans  Burgkmair.     (Kulturg.  Bilderb.  I.  Taf.  SSb.) 

«)  Friedr.  Müller  in  den  Mitt.  der  k.  k.  Ze^ntral-Kommission  II.  211,  216;  XL 
p.  XXIX;  in  Edlitz  unter  dem  Wienerwalde,  ebend.  I.  104. 


II. 

Die  Familie. 

Vermählung.  —  Geburt.  —  Erziehung, 


4 


his  gibt  kaum  in  der  Sittengeschichte  eine  schwierigere  Frage  zu 
lösen,  als  die,  was  von  der  Moral  einer  Zeit  hinsichtlich  der  geschlecht- 
lichen Bedürfnisse  zu  halten  ist.  Man  hat  auf  die  Berichte  der  alten  Chro- 
nisten, der  Memoirenschreiber  hingewiesen  und,  auf  deren  Zeugnis  ge- 
stützt, beweisen  wollen,  dafs  gewisse  Jahrhunderte  im  Mittelalter  wie  in 
der  Folgezeit  ganz  besonders  ausschweifend  gewesen  seien.  Was  indessen 
die  überlieferten  Skandalgeschichten  anbelangt,  so  wären  sie  kaum  auf- 
gezeichnet worden,  wenn  solche  Abenteuer  so  ganz  gewöhnlich  vorkamen; 
sie  waren  eben  eine  Seltenheit  und  deshalb  wert,  der  Nachwelt  mit- 
geteilt zu  werden.  Wollte  nach  Jahrhunderten  ein  Sittenschilderer  ein 
Bild  unserer  Zeit  nur  auf  Grund  der  ihm  aus  der  Gegenwart  vorliegenden 
Zeitungen  entwerfen,  alle  die  Nachrichten,  die  Gerichtsverhandlungen  zu- 
sammenstellen, er  würde  eine  grauenhafte  Schilderung  der  sittlichen  Ver- 
kommenheit des  19.  Jahrhunderts  uns  vorführen  und  doch  zu  ganz 
falschen  Schlüssen  gelangen.  Wir  müssen  immer  festhalten,  dafs  die 
Sittenlosigkeit  doch  nur  eine  Ausnahme  ist,  wenn  sie  auch  viel  mehr 
von  sich  reden  macht  als  die  Sittenstrenge,  dann  aber,  dafs  namentlich 
in  dieser  Hinsicht  alle  Zeiten  einander  so  ziemlich  gleich  sind,  obschon 
die  Formen  im  Laufe  der  Jahrhunderte  eine  andere  Gestalt  annehmen. 
Die  berufsmäfsigen  Vertreterinnen  der  freien  Liebe  spielen  deshalb 
zu  allen  Zeiten  ihre  Rolle  ^),  mehr  oder  minder  verfolgt,  zumal  ein  Greuel 
in  den  Augen  der  Frommen,  aber  doch  geduldet  als  eine  Notwendigkeit, 
mit  der  man  unbedingt  rechnen  mufs.  Wie  in  den  ersten  Jahrhunderten 
des  Mittelalters  sich  ihre  Lage  gestaltet  hat,  das  ist  nicht  aus  den 
Berichten  jener  Zeit  recht  zu  ersehen,  allein  im  14.  und  15.  Jahrhundert 
gibt  es  allerorten  Frauenhäuser,  die  unter  der  Obhut  eines  Wirtes,  einer 
Äbtissin  stehen,  von  den  städtischen  Behörden  überwacht  werden.^) 
Töchter  der  Stadt  sollten  da  keine  Aufnahme  finden;  jungen  Burschen 
und  Ehemännern  war  der  Zutritt  versagt.  Ln  übrigen  aber  erfreuen 
sich  die     »geschuhten  Wachteln«,    wie    sie    der   Volkswitz    in    Nürnberg 


»)  Vgl.  Hof.  Leben  H,  588  ff.  und  Deutsches  Lelien  etc.  71  und  die  Abb.  Fig.  87. 
—  S.  Chr.  Ursinu.s,  commentatio  iuridica  de  quaestu  raeretricio,  gerni.  Huren-Ijohn. 
Olim  anno  1682  in  vulgus  edita,  iam  vero  ob  praestiintiam  et  raritatem  dcnuo  excnisa, 
Halae  Sax.  1737. 


154 


Kiiiloituni 


nannte,  gewisser  zünitkn-ischer  Rechte,  wurden  gegen  unberechtigte 
Konkurrenz  auf  das  nachdrückhchste  geschützt.^)  Si)äter,  im  17.  Jahr- 
hundert, nannte  man  «hes(>  Orte  Frey-Häuser  und  die  Mädchen  »Frey- 
Frauen  -^  2)- 

»Anno  domini  1520  a  (he  4.  febrer  da  fieng  man  hie  an  (Augs- 
burg) zu  dem  ersten  mal  und  hes  die  Frauen  aus  dem  Frauenhaus  alle 
suntag  in  der  fasten  an  die  predig  gangen  saut  Moritzen,  man  hott  in 
dem  predighaus  ein  besunder  i)ortkirclien  (wohl  Empore)  gemacht,  darauft" 
sie  besunder  giengen  in  der  fasten.  Und  der  frauenwdrt  belaittet  sie 
mit  2  knechten  gen  kirchen  und  wider  haim,  und  den  ersten  tag  auff 
dattum  da  entlieffen  im  2  frauen,  als  sie  an  (k-r  predig  waren  gewesen, 
in  «hc  kirchen  und  kamen  darvon«  (Willi.  Rau). 

Im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  wurden  in  vielen  Städten,  in  cknen 
die  protestantische  Geistlichkeit  einen  Ausschlag  gebenden  Einflufs  hatte, 
die  Frauenhäuser  geschlossen.  =^)  »1551  Ist  das  sündhche  Haus  der  freyen 
Weiber  im  Winckel  bey  dem  alten  Oderthor  (zu  Breslau)  eingerissen 
worden.«  (Nie.  Pol,  Hemerologium,  Aug.  17.)  Ob  dadurch  die  Sitthch- 
keit  viel  gewonnen  hat,  davon  berichten  die  Chronisten  nichts. 

Dals  auch  Kinder  nicht  vor  Nachstellungen  sicher  waren,  wird  uns 
hin  und  wieder  selten  berichtet.  Fafste  man  den  Übeltäter,  so  hatte  er 
sein  Leben  vermrkt.^) 

Dabei  war  das  Laster  der  Sodomie,  das  ja  im  ganzen  Mittelalter 
existiert  hatte,  trotzdem  es  mit  dem  Feuertode  bestraft  wurde,  auch  in 
der  späteren  Zeit  nicht  auszurotten.^)  In  Augsburg  erzählte  man  1532, 
dafs  in  »der  lutherischen  und  zwinglischen  seet«,  deren  Haupt  Sigmund 
AVelser  war,  dies  Laster  gepflegt  werde.  Welser  flieht  nach  Zürich;  zwei 
der  Gefangenen  werden  am  5.  April  1532  enthauptet,  dann  verbrannt 
(Clemens  Sender).  Man  nennt  diese  unnatürliche  Weise  Florentinische 
Unzucht  (Barth.  Paumgärtner,  Briefwechsel,  S.  238—1594,  15./VIII.),  die 
Ausübung  derselben  »Florentzen«  (Wilh.  Rem  1519). 

»1544  Ward  ein  Weibsbild  zum  Fewr  verurtheilt  unnd  in  Mannes- 
kleidern verbrennet.  Denn  sie  in  Manneskleidern  einhergegangen,  sich 
für  einen  Mann  ausgegeben  und  Hans  Lose  genennet,  zwey  Weiber  zur 
Ehe  genommen,  die  eine  durch  unnatürhche  beywohnung  umb  ihr 
Gesundheit  und  Leben  gebracht;  die  ander  hat  ihr  Büberey  verrahten« 
(Nie.  Pol,  Hemerol.,  Aug.  23). 

1)  Vgl.  Kurios.  IX,  406.  Die  Berner  Dirnen  tragen  rote  Mützen,  gewöhnlich 
kleiden  sie  sich  grün.  Man  nennt  sie  Kunnen  (cunni  —  wie  der  S.  Connebert,  der 
h.  Kunibert). 

2)  Eulenspiegelischer  Mercurius.  .  .     Freyburg  1715.    S.  211,  212,  294. 

=>)  Über  das  Frauenhaus  in  AVürzburg  vgl.  Kuriositäten.  IX,  397  ff.  —  Cl.  Sender, 
Augsb.  Chron.  1532:  Hie  zuo  Augspurg  hat  ein  rat  abthan  die  offnen  gemeinen  zwei 
frawenhäuser  aus  angeben    der  lutherischen  predigern. 

*)  Cron.  newer  geschichten  von  Wilhelm  Rem  1514  —  ein  Vikar  von  S.  Moritz 
(Augsburg)  1525  [Clemens  Sender]  —  in  München  wurde  1517  ein  zehn-  oder  elfjähriges 
Mädchen  schwanger  [Wilhelm  Rem];  vgl.  ibid.  z.  J.  1525. 

6)  Höf.  Leben  «I.  585  ff. 


Einleitung.  J  55 

Kindesmord  wird  gar  nicht  selten  gemeldet:  das  Mädchen  wurde 
dann  lebendig  begraben  (1551,  Juni  27,  ebendas.),  der  Mann,  der  die 
Folgen  seines  Leichtsinns  beseitigte,  enthauptet  (1607,  Sept.  13,  ebendas.). 

Blutschande  wurde  mit  den  strengsten  Strafen  geahndet.  In  Augs- 
burg verfuhr  man  zwar  mit  Ulrich  Honold  1534  glimpflicher.  Obschon 
er  »hat  mit  seiner  aigne  Schwester  zu  schalfen  gehept,  ir  die  junckfrau- 
schafft  genommen«,  wird  er  nur  in  Eisen  gelegt  und  lebt  so  noch 
30  Jahre  (Clemens  Sender).  In  Schlesien  jedoch  -wird  das  Verbrechen 
mit  Enthauptung,  Rädern,  Verbrennen,  Pfählen  Ijestraft  (Nie.  Pol,  Hemerol. 
1563  Juni  11;  1572  Mai  17;  1574  Mai  28;   1595  Okt.  20;  1604  Mai  4). 

Aber  auch  jeder  Verstofs  gegen  die  gute  Sitte  wurde  strengstens 
gebüfst.  In  Ausburg  hatte  1517  ein  Kellermeister  der  Weber,  Schitten- 
helm,  74  Jahre  alt,  in  vielen  Kirchen  »frauen  und  junge  mädlin  geheist ', 
unter  ihnen  auch  eine  Frau  von  über  60  Jahren.  Dafür  wird  er  mit 
Ruten  aus  der  Stadt  gepeitscht  (Wilh.  Rem).  »1581  Ward  ein  Schuknecht 
gestrichen  und  des  Landes  verwiesen  wegen  seiner  begangenen  Leicht- 
fertigkeit am  heihgen  Ehestande«,  er  hatte  sich  an  fünf  Orten  verlobt 
(Nie.  Pol,  Hemerol.,  Apr.   1). 

Dagegen  gilt  ein  aufserehelicher  Verkehr  ganz  und  gar  nicht  für 
unsitthch.  •')  Hermann  von  Weinsberg  spricht  in  seinen  für  seine  Familie 
bestimmten  Aufzeichnungen  nicht  nur  von  seines  Vaters  Bastard-Tochter 
(Buch  Weinsberg  I,  33),  sondern  erzählt  auch,  wie  1552  ein  junges  Weib 
aus  Brüssel  nach  Köln  kam  und  ein  Kind  mitbrachte,  das  Hermanns 
Bruder  Gottschalk  angehört.  Dessen  Frau  darf  nichts  erfahren,  aber 
das  Weib  bekommt  Geld  und  das  Kind  behält  die  Familie  (ebend.  II,  19). 
Ja,  seine  eigenen  Abenteuer  mit  seiner  Mutter  Magd  Greitgin  Olups  ver- 
schweigt er  nicht ;  er  mufs  die  Kosten  der  Entbindung  tragen  und  jährlich 
16  Gulden  Alimente  bezahlen  (ebend.  I,  231).  Als  er  selbst  im  Jan.  1548 
heiraten  will,  macht  die  Magd  und  ihr  Vater  Einsprüche  geltend,  und 
als  sie  dann  am  1.  Juli  desselben  Jahres  einen  Mann  nimmt,  mufs  er 
ihr  100  Mark  kölnisch  für  die  Jungfrauenschaft  zahlen  (ebend.  I,  283,  294). 
Die  Tochter  Anna  von  Weinsberg  aber  betrachtet  er  immer  als  sein 
rechtes  Kind. 

Im  übrigen  taten  sich  die  Leute  im  ^Mittelalter  auch  keinen  Zwang 
an  und  dasselbe  gilt  von  denen  des  16.  Jahrhunderts  und  der  Folgezeit. 
Wie  in  Frankreich  zur  Zeit  der  Könige  von  Franz  I.  bis  auf  Heinrich  III. 
die  Damen  vom  Hofe,  wie  Brantome  in  seinen  Dames  galantes  es 
schildert,  in  Sachen  der  Liebe  ein  sehr  weites  Gewissen  hatten,  so  gaben 
ihnen,  nach  den  Berichten  der  Zimmernschen  Chronik  (I,  437,  439,  435; 
III,  477  ff.;  vgl.  Joachim  v.  Wedel,  Hausbuch  96,  116,  223),  die  vor- 
nehmen Damen,  Fürstinnen  in  Deutschland  nichts  nach.  Aus  seiner 
Liegnitzer  Amtstätigkeit  weifs  Hans  von  Scliweinichen  recht  Erbauliches 
von  den  Hofdamen  zu  berichten  und  auch  unter  dem  Bürtrerstande  wird 


*)  Cf.  M.  Schwigius,  Parthenologia  historico  -  mcdica,  hoc  est  virginitatis  con- 
ßideratio,  qua  pubertas  et  menstruatio  tractatur,  varia  ile  insolitis  mensiuni  viis  atijue 
dubiis  virginitatis  signis,  de  partium  genitaliuni  muliolninm  consutiono  ot  infil)nlationo- 
et  aliis  rebus  agitur.     Dresdae  1729. 


156 


Kinlcitun"'- 


es  genug  gegeben  haben,  die  solchem  Beispiele  mit  Freuden  nacheiferten. 
Es  sind  Damen  der  guten  Gesellschaft,  die  ihren  Ansichten  über  die 
Liebe  so  drastischen  Ausdruck  gaben  (Zimm.  Ohron.  III,  75,  385),  nicht 
«twa  leichte  Dirnen,  ndt  denen,  wie  Fisc-hart  behaui)tet,  Schwaben  die 
^•anze  Welt  versorgt  (Gesch.-Kütt.  iV2].  Wie  gemein  der  Ton  war,  der 
unter  der  adhgen  Gesellschaft  zur  Zeit  des  Augsburger  Reichstages 
vorherrschte,  zeigt  die  von  ßartholiMnäus  Sastrow  erzählte  Geschichte 
11,  91   u.  97). 

Die  MänufM-  hatten  allerdings  durch  d(ui  übermälsigen  Dienst  des 
liacchus  ihren  Erfolgen  im  lleiche  der  A^enus  wesenthch  Eintrag  getan 
(Zimm.  Chron.  III,  76),  allein  trotzdem  wufste  man  selbst  von  Geisthchen 
recht  anzügUche  Geschichten  zu  erzählen  (ebend.  III,  36,  76  ö.,  389; 
II,  554,  479,  512).  Die  Nonnenklöster  standen  schon  im  15.  Jahrhundert 
nicht  im  besten  Rufe  —  einige,  nicht  alle  —  und  so  gibt  auch  im 
folgenden  Jahrlmndert  es  mancherlei,  was  nicht  zur  Ehre  dieser  Häuser 
gereichte.  Der  Graf  von  Zimmern  ist  Katholik,  also  eine  Animosität 
gegen  die  Nonnen  ist  bei  ihm  nicht  vorauszusetzen,  und  wenn  er  auch 
unzweifelhaft  ein  Freund  von  saftigen  Anekdoten  ist,  so  sind  seine 
Erzählungen  doch  nicht  von  der  Hand  zu  weisen.  Er  berichtet  da 
erbauhche  Dinge  (II,  524,  546,  552;  Hl,  65,  66,  69  ff.),  nennt  den  Beicht- 
vater der  Klosterfrauen  ihren  ;  Bauchvater«  (III,  70)  und  behauptet,  dafs 
die  Nonnen  den  adhgen  Damen,  die  in  der  Nähe  des  Klosters  wohnten, 
Liebhaber  verschafften,  ihnen  als  Kupplerinnen  dienten  (III,  12).  »Was 
soll  ich  aber  zu  solchen  clostern  in  der  ferre  sagen,  so  ^\är  dergleichen 
hausrath  in  unserer  landsart  haben,  darin  sich  die  frawen  ainsteils  oft 
iungen«  (III,  70).  Weniger  mag  die  Äufserung  von  Fisch art  ins  Gewicht 
fallen,  der  als  Protestant  kein  Freund  der  Klöster  ist:  »Wo  findet  man 
ein  Nonnenkloster,  da  nicht  ein  Mönchskloster  nahe  darbey  sey?  die 
Trescher  fein  nah  bei  der  Scheuren«  (Geschichtsklitterung  38). 

Wie  die  adhgen  Damen,  machten  es  die  Bürgersfrauen,  und  auf 
den  Dörfern,  wenigstens  im  Hunnsrück,  ist  man  recht  nachsichtig  gegen 
Fleischessünden  (Zimm.  Chron.  III,  279).  Die  Männer  denken  erst  gar 
frei  über  solche  Dinge  (ebend.  II,  328 ;  IV,  83),  natürhch  immer  voraus- 
g:esetzt,  dafs  ihre  Frauen  nicht  auch,  diese  Freiheit  beanspruchten. 

Eine  eigene  Sitte  herrschte  in  Sachsen,  in  Westfalen,  in  den  Nieder- 
landen: das  »Beischlafen  auf  Glauben«.  Es  wurden  da  die  gröfsten 
Freiheiten  gestattet,  die  aber  eine  gewisse  Grenze  nicht  überschreiten 
durften  (Zimm.  Chron.  IV,  243).  Diesen  Brauch  fand  Hans  von  Schweini- 
<;hen  z.  B.  in  Dannenberg  am  Hofe  des  Herzogs  von  Braunschweig- 
Lüneburg  (S.  38);  Er  entspricht  etwa  dem,  was  uns  in  unserer  Zeit  von 
den  »Demi-vierges«   erzählt  ^^drd. 

Auch  in  den  Bürgerhäusern  fand  diese  befremdende  Sitte,  die 
übrigens  schon  zur  Zeit  der  Minnesinger  nicht  unbekannt  war,  Eingang. 
Von  Frankfurt  a.  M.  erzählt  der  Prädikant  Wilhelm  Ambach  (Quellen 
z.  Frankf.  Gesch.  II,  34):  »Das  weibhche  geschlecht  ist  ja  fast  blöd  und 
schwach,  aber  man  sähe  hie  bei  vielen,  dafs  in  hurei,  ehebruch  und 
.aller   leichtfertigkeit   stark   und   frech  waren,    dann   auch   50jährige  wit- 


Einleitung.  157 

frauen,  die  jetzt  Kindeskinder  haben,  aller  ehren  und  freundschaft  ver- 
gessen ;  Jungfrauen  sind  ihren  herrn  und  eitern  entlaufen,  sich  in  schänd- 
liche hurei  begeben ;  jedoch  haben  etliche  aus  ihnen  öffentlich  geehlichet, 
viel  blieben  ungeelichet,  schlufen  bei  uf  Gelderischen  glauben, 
gemeiniglich  aber  lebten  sie  frech  und  gut  kriegerisch;  es  sind  auch, 
wie  man  sagt,  ethche  namhaftige  eheweiber,  den  man  es  gar  nicht  ver- 
trauet, von  grossen  hausen  zu  schänden  und  männiglich  zu  spott  gestellt 
worden,  mit  ihnen  gebadet,  bis  mitternacht  bankettiert,  getanzt.  Wo  der 
handel  länger  gewährt,  wäre  zu  besorgen,  Sodoma  wäre  gegen  Frankfurt 
gerechtfertigt  worden.« 

Jedenfalls  harmloser  ist  der  Kul's.  ^)  »Der  Florentiner  Kul's,  wann 
man  eine  Person  bey  zweyen  Ohren  hält  und  küsset  .  .  .  und  mrd  diese 
Art  zu  küssen  bey  den  Alten  vielmals  gedacht.«  2) 

Was  ich  hier  mitgeteilt  habe  —  und  es  liefsen  sich  noch  eine  Menge 
solcher  Geschichten  beibringen  — ,  beweist  nur,  dafs,  selbst  angenommen, 
die  Schriftsteller  sind  wohl  unterrichtet  gewesen  und  haben  nicht  wie 
der  Prädikant  Ambach  der  guten  Sache  wegen  übertrieben,  doch  nur 
ein  Bruchteil  des  Volkes  so  liederlich  gewesen  ist :  alle  sicher  nicht.  Und 
einen  solchen  Bruchteil  hat  es  immer  gegeben  und  wird  es  immer  geben. 
Wenn  wir  aus  dem  17.  und  18.  Jahrhundert  weniger  Klagen  hören,  so 
darf  man  daraus"  nicht  schliefsen,  dafs  in  einer  Zeit,  in  der  jeder  Fürst 
seine  Maitressen  hielt,  die  Bevölkerung,  Adel  und  Bürgerschaft  untadel- 
haft  gelebt.  Da  gilt  es  auch :  Wie  der  Fürst ,  so  der  Herr.  Man 
spricht  nicht  so  viel  über  derlei  Dinge ,  aber  sie  geschehen  doch ; 
man  lebt  si  non  caste  tamen  caute.  Es  wurden  dieser  Abenteuer  zu 
viele  und  so  nimmt  man  von  ihnen  kaum  Notiz,  hält  sie  des  Auf- 
schreibens nicht  für  wert;  aber  besser  geworden  sind  die  Menschen  in 
der  Folgezeit  darum  keineswegs. 

Guarinonius,  der  so  viel  an  seiner  Zeit  mit  Recht  auszusetzen 
findet,  spricht  über  die  Leichtfertigkeit  der  Weiber  gar  nicht ;  er  bemerkt 
nur  (S.  289):  »Es  sein  etliche  Weiber  von  Natur  fröHch  und  lustig, 
geschwätzig,  als  unter  andern  die  Schwäbinnen,  Böhimen,  von  Natur 
mit  jederman  freundlich,  von  Natur  der  Music  und  deren  Däntz  gefährig.« 

Sehr  bemerkenswert  ist  die  Vorliebe  für  freie,  man  könnte  sagen : 
anstöfsige  Darstellungen.  Es  sei  nur  an  die  Skulpturen  der  Kapitelle 
in  der  Doppelkapelle  des  Egerer  Schlosses  erinnert,  die  aus  dem  13.  Jahr- 
hundert herrühren,  an  die  oft  handgreiflichen  Scherze  in  den  Rand- 
zeichnungen mittelalterlicher  Kirchenbücher,  vor  allem  die  ausgelassenen 
Darstellungen  Droleries  der  französischen,  später  der  burgundischen 
Manuskripte.  Das  15.  Jahrhundert  hat  die  Kupferstiche  des  Maitres 
des  Banderolles  aufzuweisen  (Jungbrunnen,  Fechtschule,  Frauenhaus^)  und 
die  Gartenszene  des  Meisters  E.  S.  1466  ;4)  in  den  burgundischen  Bilder- 
handschriften des  Valerius  Maximus  (Breslau,  Leipzig^)  finden  sich  sehr 

*)  J.  J.  Heckelius,  de  osculis  discursus  philologicus.     ChcMiin.  1675. 
!*)  Harsdorffer,  Gesprächsspiclc,  VII,  (1649)  443. 
ä)  Deutsches  Leben  Fig.  245,  84,  87. 
^)  Ebendas.  Fig.  181. 
»)  Ebendas.  Fig.  83. 


;[58  Einleitulli;'. 

froie  Darstolluugen  von  Badeszenen;  auch  Lucas  Cranai-h  d.  A.  liat  noch 
manches  Werk  in  diesem  Geschmacke  geschaffen.  FragUch  erscheint 
ihi.uegen,  oh  <li(^  \oii  >hir('an(()ni()  llainiondi  nach  GinKo  Romano  ge- 
stochenen Uhi.strationon  zu  den  Sonotti  hissoriosi  des  Pietro  Aretino 
jemals  existiert  haben,  oder  ob  von  ilnicn  Ah(h-ücke  tatsächlich  vorhanden 
sind.^)  Von  Annibale  Caracci  sind  Zeichnungen  erfunden  worden,  die, 
durch  den  Kupferstich  vervielfältigt,  zu  den  KostbarkeitiMi  der  Biblio- 
theken  zählen. 

Das  Interesse  für  (hM-artige  l)ilder  erhält  sich  auch  in  d(M-  Folge- 
z(Mt ;  die  Stannnbücher  sind  oft  mit  recht  derl)en  Darstellungen  aus- 
gestattet. In  Frankreicli  hatte  man  Abbildungen!  von  den  Liebschaften 
der  Katharina  von  Me(hci,  der  Maria  Stuart,  der  Herzogin  von  Guise.^) 
Zur  Zeit  Heinrichs  III.  schenkt  ein  Edelmann  seiner  C^eliebten  ein  ]5uch, 
in  dem  32  Damen  vom  Hofe  in  zärtlichen  Situationen  mit  ihren  Lieb- 
liahorn  dargestellt  waren. ^)  Papst  Sixtus  V.  (1535 — 90)  liei's  einen  Sekretär 
Gaitilhis  hängen,  dei'  in  einem  Buche  die  Liebschaft  eines  groisen  Herrn 
und  einer  vornelun(Mi  Dame  abgebildet  hatte. ^)  Die  Kunst  selbst  hat 
auf  iliesem  Gebiete  Avohl  nur  ausnahmsweise  sich  versucht;  es  sind  in 
{\(-\i  allermeisten  Fällen  Künstler  untergeordneten  Ranges,  die  sich  zu  der- 
artigen Darstellungen  hergeben,  die  geheime  Bilder  in  den  Do])})eldeckeln 
der  Schnupftabakdosen  malen,  Gläser  und  Glasscheiben  mit  ausgelassenen 
Bildern  verzieren  etc.  Erst  Fran^ois  Boucher  (1703 — 70)  hat  es  ver- 
standen, auch  für  diesen  Kunstzweig  die  vollendete  Form  zu  finden ;  seine 
Bilder  sind  nicht  für  Asceten  geschaffen,  aber  doch  nie  gemein,  was 
man  nicht  immer  von  den  Leistungen  Pierre  Antoine  Bauduin  1723 — 69, 
und   Honore  Fragonards  (1732 — 1806)   sagen  kann. 


*)  Bniiitöme,  Dames  yiiliuite.s  (Oeuvres,  Paris  1787)  erwaliiit  S.  34  einen  illustrier- 
ten Aretin  und  bemerkt,  dufs  in  Venedig  bei  Bernardo  Tnrisan  vielfach  solche  Exem- 
plare für  grofse  fSummen  an  vornehme  Damen  verkauft  \vurden  (S.  40). 

2)  Ebendas.  S.  35,  Anm. 

^)  Ebendas.  S  555. 

^)  Ebendas    S.  35. 


I.    Die    Hochzeit. 


a)  Der  Fürsten. 

Kaiser,  Könige,  Landesfürsten  waren  bei  ihrer  Verheiratung  schon 
von  altersher  verpflichtet,  nicht  auf  die  Zuneigung  sonde'-n  allein  auf 
den  politischen  Vorteil  und  Nutzen  Rücksicht  zu  nehmen.  In  den 
seltensten  Fällen"  hatten  sie  ihre  Gemahlin  vor  der  Hochzeit  Je  gesehen ; 
sie  liefsen  durch  Gesandte  um  die  Haud  der  Prinzessin  anhalten;  fand 
der  Antrag  eine  günstige  Aufnahme,  so  wurde  die  Dame  feierhch  ver- 
lobt oder  auch  dem  ersten  Gesandten  per  procura  angetraut  und  reiste 
dann  in  Begleitung  der  Gesandtschaft  zu  ihrem  Gemahl,  und  erst  dann 
wurde  die  Ehe  zum  Abschlufs  gebracht.^)  Die  kirchliche  Einsegnung 
folgte  der  Eheschliefsung,  welche  durch  die  von  den  Brautleuten  vor 
glaubwürdigen  Zeugen  gegebenen  Erklärungen  für  rechtsgültig  angesehen 
wurde.  Die  Kirche  gab  dann  am  Tage  nach  der  Vermählung  ihren 
Segen.'^)  Im  13.  Jahrhundert  aber  ist  es  in  den  höheren  Ständen  schon 
allgemein  Sitte,  dafs  das  Brautpaar  vor  dem  Priester  die  Ehe  verspricht 
und  die  Einsegnung  derselben  dann  sogleich  erfolgt.*) 

1235  schickt  Kaiser  Friedrich  II.  seinen  Vertrauten  Petrus  de 
^^ineis  mit  einem  stattlichen  Gefolge  nach  England,  um  bei  dem  Könige 
Heinrich  III.  um  die  Hand  der  Prinzessin  Isabella  anzuhalten.  Es  wird 
];>ei  dieser  Gelegenheit  die  Frage  der  Aussteuer  und  der  Mitgift,  der 
Morgengabe  u.  s.  w.,  kurz  alles  Geschäfthche  aufs  sorgfältigste  geordnet 
und  festgesetzt.^)    Und  ähnlich  läfst  Kaiser  Friedrich  III.,  wie  im  ersten 


1)  (A.  Bohse.)  Amor  am  Hofe  oder  das  spielende  Liebesolück  hoher  Standes- 
personen,  Cavalliere  und  Damen,  der  galanten  Welt  zu  vorgonneter  Gemüthsergötzung 
an  das  Licht  gegeben  von  Talandern.     2  Th.     Lpz.  1710. 

Menantis  (Chr.  F.  Hunold),  der  europäischen  Höfe  Liebes-  und  Heldcngeschichte, 
der  galanten  Welt  zur  vergnügten  Curiosite  ans  Licht  gestellet.    2  Tl.    Hamburg  1715. 

2)  Job.  Kluge,  Zur  Kunde  des  deutschen  Privatlebens  zur  Zeit  der  sahscheu 
Kaiser.     Berl.  1902.     X,  35  ff. 

3)  Höf.  Leben.    «I,  636. 

*)  Job.  Kluge  a.  a.  O.  46. 
')  Höf.  Leben.    %  648. 


160  I.   Die  Hochzeit. 

Teile  des  Weifskunigs  ausführlich  geschildert  Anrd,  in  Lissabon  um  die 
Hand  der  Prinzessin  Leonora  anhalten.  Li  dieser  Art  sind  die  meisten 
Fürstenehen  geschlossen  worden. 

Es  konnte  nicht  ausbleiben,  dals  die  erwählte  Braut  nicht  immer 
den  Erwartungen  ihres  Freiers  entsprach.  Das  war  jedenfalls  sehr 
schlinun,  denn  zurückschicken  durfte  man  schon  der  politischen  Folgen 
halber  eine  aus  einem  angesehenen  Hause  stammende  Prinzessin  nicht, 
und  war  die  Ehe  einmal  geschlossen,  dann  liefs  sie  sich  nur  unter  ganz 
besonderen  Umständen  wieder  lösen.  Deshalb  haben,  als  die  Kunst  der 
Malerei  solchen  Aufgaben  gewachsen  war,  die  hohen  Herren  sich  gern 
ein  Bildnis  von  ihrer  Auserkorenen  verschafft,  um  vor  dem  Abschlufs 
der  Verhandlungen  wenigstens  eine  Vorstellung  von  ihrer  äulseron  Er- 
scheinung zu  erhalten.  Und  zwar  beauftragten  sie,  um  ganz  sicher  zu 
sein,  ihren  eigenen  Hofmaler  mit  der  Ausführung  des  Porträts.  Phihpp 
der  Gute  von  Burgund  schickte  1428  seinen  »Varlet  de  Cliambre«,  Jan 
van  Eyck,  nach  Portugal  und  beauftragte  ihn,  das  Bildnis  der  Prinzessin 
Isabella,  die  er  zu  heiraten  beabsichtigte,  zu  malen. ^)  Hans  Holbein  d.  J. 
fertigt  für  König  Heinrich  VHI.  von  England  1538  das  Porträt  der  ver- 
wittweten  Herzogin  von  Mailand,  Christine  von  Dänemark,  und  1539  malt 
er  die  Prinzessin  Anna  von  Cleve.^) 

Über  die  etwaigen  körperhchen  Gebrechen  hatten  die  Gesandten 
sich  genau  zu  informieren.  Schon  1161,  als  der  griechische  Kaiser 
um  die  Hand  der  Melisendis,  Tochter  des  Grafen  von  Tripohs,  werben 
liefs,  erkundigten  sich  die  Gesandten  »de  occultarum  corporis  partium 
dispositione«  oder  wie  es  in  der  französischen  Übersetzung  des  Wil- 
helmus  Tyrensis  heifst,  »la  fesoient  aler  toute  desfublee«,  d.  h.  sie  liefsen 
sie  nackt  vor  sich  hin-  und  hergehen.^) 

Von  dieser  rohen  Sitte  nahm  man  in  der  Folgezeit  wohl  Abstand, 
doch  wurde  in  Frankreich  noch  im  18.  Jahrhundert  jede  Verlobte  eines 
französischen  Prinzen  vor  der  Verheiratung  von  den  nächsten  weiblichen 
Anverwandten  des  Bräutigams  einer  körperlichen  Untersuchung  unter- 
zogen. Der  Bräutigam  verehrte  der  Braut  noch  vor  der  Hochzeit  an- 
gemessene Geschenke.'*) 

Sobald  die  Braut  auf  ihrer  Reise  das  Land  ihres  Verlobten  betrat, 
wurde  sie  mit  Festen  aller  Art  empfangen  und  gefeiert.^) 

Als  im  Jahre  1524  der  Markgraf  Joachim  von  Brandenburg  Magda- 
lena, die  Tochter  Georgs  von  Sachsen,  heiratet,  findet  die  Hochzeit  in 
Dresden  statt.  Es  nahmen  an  dem  Feste  teil  22  Fürsten,  einige  mit 
ihren  Gemahlinnen  und  Töchtern,  »dazu  119  wohlgeschmückter  Jung- 
f raulin  und  Frauen  vom  Lande«,  dami  Grafen  und  Herren.  2048  Pferde 
wurden   bei   Hofe    gefüttert.     Nach   verschiedenen   prächtigen   Einzügen 

')  Crowe  et  Cavaliaselle.  Les  anciens  peintres  flamands,  trad.  p.  O.  Delepierre. 
Brux.  1862.    I,  52  ff. 

')  Weltmann,  Holbein  und  seine  Zeit.*     Lelpz.  1874.     I,  450  ff. 

*)  Wilh.  Tyrensis,  Hist.  rer.  in  part.  transmar.  gestarum,  lib.  XVIH,  c.  31.  — 
Höf.  Leben«.     I,  619,  Anm.  6. 

*)  (Vulpius),  Kuriositäten  H,  82  und  IV,  245. 

»)  Höf.  Leben,     n,  620  ff. 


a)  Der  Fürsten.  161 

erfolgt  die  Trauung  in  der  Kreuzkirche.  Darauf  ein  Rennen  auf  der 
Rennbahn,  Festmahle  in  den  Herbergen,  am  Abend  Tanz  auf  dem 
Schlosse.  Am  nächsten  Tag  wieder  Kirchgang,  Rennen  auf  der  Stech- 
bahn, Essen,  Tanz.^) 

Bei  der  Hochzeit  des  Kurfürsten  Johann  Friedrich  von  Sachsen 
und  der  Sibylla  von  Cleve,  Torgau  1527,  wurden  prächtige  Schaugerichte 
aufgetragen  und  kösthche  Mummereien  veranstaltet.  (Vulpius)  Kuriosi- 
täten I,  281.2) 

Die  Festhchkeiten  sind  immer  dieselben,  nur  dafs  im  17.  Jahrhundert 
Ballette,  Theater-  und  Opern  vor  Stellungen  die  früheren  Waffenschauspiele 
ersetzten.     Festgedichte  durften  nicht  fehlen. 

Diese  feierhchen  Vermählungen  erschienen  den  Fürsten  so  wichtig, 
dafs  sie  sehr  häufig  das  Andenken  an  die  Festtage  durch  eine  gedruckte 
Beschreibung  noch  in  weiteren  Kreisen  verbreiten  liefsen.  Diese  an  sieb 
herzhch  langweihgen  Schilderungen,  die  von  Ergebenheit  überfliefsen, 
haben  für  uns  nur  noch  der  hübschen  Kupfertafeln  wiegen,  mit  denen 
sie  ausgestattet  sind,  Interesse.  Das  hier  mitgeteilte  Verzeichnis  erhebt 
keinerlei  Anspruch  auf  Vollständigkeit.^) 

1)  Weuck,  Dresden,  339  ff.  Vgl.  Über  die  Hochzeit  des  späteren  Kurfürsten  von 
Sach.sen,  Johann  des  Beständigen,  mit  Sophie  von  Mecklenburg.  Torgau  1500.  Kurios. 
IV,  163  ff.  —  Beiläger  des  Kurfürsten  Christian  II.  von  Sachsen  mit  Hedwig  von  Däne- 
mark.    1602,  Sept.  4.     Kurios.  IX,  325  ff. 

^)  Über  den  Aufwand  bei  fürstlichen  Hochzeiten  vgl.  Kurios.  I,  197  ff.,  306  ff., 
X,  187  ff. 

•■')  Verzeichnis  Sumarien,  wie  sich  die  frölickeit  der  fürstlichen  heymfart  vnsers 
gn.  hen-n  hertzog  Johanns  Friderichen  zu  Sachsen  zugetragen  und  n^ch  gelegenheit 
vngeverlich  ergangen  ist.  Sontags  Exaudi  zu  Torgaw  einkomen,  gedruckt  in  Wittem- 
berg  durch  Hans  Luft.     Anno  Domini  1527. 

Nicola  US  Solls  lieferte  die  Stiche  zur  Beschreibung  der  Vermählungsfeier 
des  Herzogs  Wilhelm  V.  von  Bayern  1568.  15  Bl.  —  1  Tafel  im  kulturg.  Bilderb.  II, 
N.  1089. 

Nicod.  Frischlin,  de  nuptiis  Ludovici  ducis  Wirtemberg.  cum  Dorothea  marchio- 
nissa  Badensi.  Stuccardiae  anno  1575  celebratis.     Tübing.  1577. 

Beschreibung  der  Hochzeit  des  Grofsherzogs  von  Toskana,  Francesco,  mit 
Bianca  Capello  im  Oktober  1579.     S.  Kuriositäten  II,  427  ff. 

Daniel  Bretschneider  sticht  die  Abb.  zu  der  Schilderung  der  Vermählung 
des  Kurfürsten  Christian  I.  von  Sachsen.     1582,  Apr.  25. 

und  die  zur  Hochzeit  des  Herzogs  Christian  von  Sachsen  1584,  März  2. 

Descrizzione  delle  feste  fatte  nelle  reali  nozze  de  Don  Cosimo  de'Medici  e 
M.  Maddalena  d'Austria.     Firenze  1608. 

Hochzeit  Johann  Friedrichs  von  Württemberg  1609,  Nov.  6.  —  Stiche  von  Barth. 
K  u  c  h  1  e  r. 

J.  Oettinger,  Wahrh.  histor.  Beschreibung  der  fürstlichen  Hochzeit  und  des 
Beylagers,  so  Johann  Fridrieh  Hertzog  zu  Würtemberg  mit  der  Fürstin  Barbara  Sophia, 
Marggrävin  zu  Brandenburg  etc.  in  der  christl.  Haubtstatt  Studtgardten  anno  1609 
gehalten  hat  etc.     Stuttg.  1610. 

Festzug  bei  der  Hochzeit  Friedrichs  V.  v.  d.  Pfalz  und  Elisabeth  von  England. 
London  d.  14.  Febr.  1613  (Kulturg.  Bilderb.  III,  N.  1548).  —  Feuerwerk  in  Heidelberg 
zu  Ehren  der  Vermählung,  d.  9.  Juni  1613.  Radierung  von  Harn  ister  (ebend.  IH, 
N.  1549). 

Wilh.  Peter  Zimmermann,  Hochzeitsfeierlichkeiten  bei  Vermählung  des 
Pfalzgrafen  Wolfgang  Wilhelm  mit  der  Herzogin  Magdalena  von  Bayern  1613  (ebend.  HI, 
N.  1556—59). 

Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  H 


162  I-    I)ie  Hochzeit. 

Über  den  Aufwuiul  bei  l'ürstliclu'u  \^'iin:ilihiiiotMi  finden  wir  mancher- 
lei Angaben  in  (Vul}>ins)  Kuriositäten,  1,  198  ff.,  besonders  merkwürdig 
sind  die  Aufzeichnungen  betroffemi  die  Verniähhmg  von  Günther  dem 
Streitbaren,  (Jrafen  von  Schwarzburg,  und  einer  (Jräfin  von  Nassau  in 
Arnstadt  1560,   Donnerstag  nach   Martini.    (Kbend.   X,   1S7.) 

Über  die  iursthehen  Vermähhuigen^)  zu  Anfang  des  18.  .Tal)r- 
luniderts  gibt  uns  am  besten  Auskunft  JuHus  Bernhard  von  Köln-  in 
seiner  Einleitung  zur  >  Ceremonialwissenschaft«  (Berhn  1729),  Tl.  2  Kap.  9. 
Er  schildert  zunächst  die  Art  der  Werbung,  die  Aufstellung  der  Ehe- 
})akten.  die  Vermählung  durch  Prokuratiou.  Die  Gemahlin  des  preufsi- 
schen  Kronprinzen,  späteren  Königs  Friedrich  Wilhelm  T.,  wurde  z.  B. 
dem  General  von  Finckenstein  so  angetraut.  Früher  wurden  ginvöhnlich, 
zumal  au  den  ])rotestantischen  Höfen,  die  Trauungen  in  der  festlich 
geschmückten  Kirche  vorgenonnnen ;  adlige  Jungfrauen  gingen  vor  dem 
Brautpaare  her  und  streuten  aus  silbernen  Körbchen  Blumen  auf  die 
Strafse.  Aber  auch  in  den  Sälen  der  Schlösser  fanden  die  Vermählungs- 
feiern statt;  dann  eröffneten  den  Brautzug  12  Paar  Tromjjeter  und  ein 
Pauker;  es  folgte  dann  die  adlige  Ritterschaft;  darauf  kamen  acht  aus 
den  vornehmsten  Adelsgeschlechtern  mit  brennenden  Fackeln.  Nach 
ihnen  erschien  das  Brautpaar  mit  ihren  Führern,  Hofkavalieren  und 
Hoffrauenzimmern.  Nach  der  Trauung  begab  sich  die  ganze  Gesellschaft 
in  die  Tafelstube,  wo  ein  Paradebett  zugerichtet  war.  In  dieses  Bett 
legte  man  »dem  damaligen  Gebrauch  nach«  in  Gegenwart  des  Hofes 
das  junge  Paar;  Konfitüren,  süfser  Wein  wurden  gereicht,  dann  das 
Paradebett  auseinander  genommen  und  unter  Pauken-  und  Trompeten- 
schall die  Neuvermählten  an  die  fürstliche  Tafel  geführt.  Es  scheint 
aus  dieser  Beschreibung  hervorzugehen,  dafs  zur  Zeit,  als  v.  Rohr  sein 
Werk  verfafste,  das  öffentliche  Beilager  nicht  mehr  stattfand. 


Abbildung  und  Repraesentation  der  Fürstlichen  Inventionen,  Aufzüge,  Ritter- 
Spiel,  auch  Ballet,  so  am  fürstl.  Hoflager  zu  Dessa  bei  Herzog  Georgs  Rudolph!  zu 
Liegnitz  und  Brieg  mit  Fr.  Soj^hia  Elisabeth,  gebornen  Fürstin  von  Anhalt  etc.,  Bey- 
lager  den  27.  und  darauff  folgenden  Tage  Octobris  1614  .  . .  gehalten  worden.    Lpz.  1615. 

Umbständliche  Relation  defs  Bethlen  Gabori  mit  der  Chur.  Brandenburgischen 
Princessin  Catharina  zu  Cascha  (Kaschau  — •  im  Fe])r.  1626)  gehaltenen  Beylagers. 
Augsp.  1626. 

Hochfürstl.  Heimführung  .  .  .  Herrn  Ludwigs  VI.,  Landgrafen  von  Hessen  .  .  . 
mit  Elisabeth  Dorothea,  welche  den  23.  Jan  1667  angetretten,  den  20.  Febr.  in  Darm- 
stadt   geendiget  .  .  .  und    celebriert  worden.  —  Radiert  von   Joh.  Schweitzer    1667. 

J.  U.  König,  vollst.  Beschr.  aller  Solennitäten  bej'  dem  kgl.  sioilianischen  Yer- 
mahlungsfeste  im  May  1738  an  dem  k.  pohlnischen  und  churfürstl.  sächs.  Hofe  in 
Dressden.     Drsd.  u.  Lpz.  1738. 

Beschreibung  der  Illumination  zu  Diefsden  bey  der  kgl.  Sicilianischen  Ver- 
mahlung.    M.  11  Kpfrst.     Dresd.  1738. 

W.  F.  Schönhaar,  Beschreibung  des  zu  Bayreuth  im  Sept.  1748  vorgegangenen 
hochfürstlichen  Beylagers  in  derer  zu  Anfang  Oct.  darnach  in  den  würtembergischen 
Landen  sowohl  zu  Stuttgardt  als  Ludwigsburg  erfolgten  Festivitäten  des  Fürsten  Carl, 
Herzog  zu  Württemberg,  und  der  Fürstin  ElisaVjethae  Fridericae  Sophiae.    Stuttg.  1749. 

')  Die  Vermählung  Lud\vig.s  XI^^  mit  Marie  Therese  von  Österreicli  1660.  Charles 
Lebrun  pinx.  —  Jeaurat  sc.  1731  (Kulturgesch.  Bilderb.  V,  Titelblatt). 


a)   Der  Fürsten.  163 

Die  Kleidung  von  Braut  und  Bräutigam  ist  präclüig,  allein  dem 
persönlichen  Geschmack  gemäfs  gewählt.  Am  kaiserhchen  Hofe  in  Wien 
braucht  man  Kleider  von  Drap  d'Argent,  nach  spanischer  Mode  geschnitten. 
Die  Schleppe  der  Braut  tragen  die  vornehmsten  Damen;  ja  selbst 
Fürstinnen  haben  die  Schleppe  bei  kaiserhchen  oder  königlichen  Ver- 
mählungen einer  vornehmen  Prinzessin  nachgetragen  und  ihre  eigene  sich 
von  Kavalieren  oder  Pagen  tragen  lassen. 

Nach  der  Trauung  blasen  die  Trompeter  zum  Paukenschall ;  Kanonen- 
schüsse, Salven  von  der  »auf  dem  Schlofsplatze  stehenden  Soldatesque« 
werden  abgefeuert.  Zuweilen  werden  auch  beim  Ringwechsel  die  Kanonen 
gelöst.     Die  Trauung  erfolgt  je  nach  dem  kirchhchen  Bekenntnisse. 

Nachdem  die  Zeremonie  vorüber,  läfst  der  junge  Ehemann  seiner 
Gattin  die  Morgengabe  überreichen:  eine  Verschreibung  —  und  die 
ist  jedenfalls  das  Wichtigste  —  dazu  die  >  allerkostbarsten  Galanterien, 
Kleinodien  und  Jubelen,  die  auf  einem  prächtigen,  gestickten  sammeten 
Küssen  oder  in  einer  silbernen  oder  güldenen  Schaale  praesentiret 
werden«.  Die  junge  Fürstin  dankt.  Die  Ehern  des  Bräutigams  schenken 
am  Tage  vor  oder  nach  der  Vermählung.  Die  Reichs-  und  Landes- 
stände überreichen  Präsente  u.  s.  w.  Bei  dem  Festmahle  werden  die 
Gerichte  von  Kavalieren  aufgetragen;  die  Konfitüren  und  Tafelaufsätze 
sind  mit  Sinnbildern  und  Inschriften  dekoriert. 

Nach  der  Tafel  folgt  der  Ehrentanz  mit  den  12  Fackeln,  die  von 
Hofkavalieren,  zuweilen  von  Kammerherren  oder  Generalen,  getragen 
werden.  Dann  bringt  man  das  Paar  zu  Bette;  alle  Gäste,  vor  allem  die 
Angehörigen,  nehmen  teil;  der  Brautvater  bringt  den  »in  Nacht-Habit 
eingekleideten  Bräutigam«  vor  das  Bett  der  Braut;  erbauhche  Reden 
werden  ausgewechselt.  Früher  hielten  noch  andere  am  Brautbette  Reden ; 
diese  Sitte  war  jedoch  zur  Zeit  unseres  Autors  abgekommen. 

Die  Festtage  vertreibt  man  sich  mit  allerlei  Lustbarkeiten,  »mit 
Carousellen,  Masqueraden,  Wirthschaften,  Feuerwercken,  Ihuminationen. 
Fufs-Tournieren,  Kampf-Jagten,  Sclmepper-Schiessen,  Scheiben-Schiessen, 
Opern  und  Comödien«. 

Zur  Erinnerung  an  diese  denkwürdige  Begebenheit  liefs  man 
besondere  Münzen  und  Medaillen  schlagen. 

Der  Einzug  des  jungen  Paares  erfolgt  sodann  und  gibt  wieder 
Anlafs  zu  Lustbarkeiten.     Man  veranstaltet  »Bauernhochzeiten«  etc. 

Was  J.  B.  von  Rohr  dann  noch  über  nicht  ebenbürtige  Ehen  mit- 
teilt, hat  für  unsern  Zweck  kein  Interesse. 

Sehr  umständlich  sind  die  Werbungen  des  Hofadels.  Wie  in  Wien 
zur  Zeit  des  Kaisers  Leopold  I.  die  Sitte  war,  erfahren  vnv  aus  der 
Vorlesung  des  Altdorfer  Professors  Wagenseil. i)  Kein  Fräulein  am  kaiser- 
lichen Hofe  geht  ohne  eine  Anstandsdame  in  Gesellschaft.  Will  sie  ein 
Herr  heiraten ,  dann  mufs  er  um  Erlaubnis  l)itten ,  ihr  aufzuwarten. 
Wird  ihm  das  gewährt,    so   ist    er   seiner  Sache    sicher.     Jetzt  ist   er  zu 

»)  Aus  Joh.  Chrislopli  Wagenscils  (1653—1705)  Voilcsuni-  :>Aiiliciiiuiu  aliiuo 
Politarum  rerum  Observationes«.     Kuriositäten  X,  220. 

11* 


164 


I.  Die  Hochzeit. 


Aufmerksamkeiten  aller  Art  verpÜiclitct.  »1.  Kleidet  Er  Sie  aufs  j)räeh- 
tigste  und  giebt  jedem  Diener  eine  Livere.«  Hier  liegt  wohl  ein  Schreib- 
fehler vor:  er  kleidet  sich;  die  verehrte  Dame  schon  bei  der  Werbung 
zu  kleiden,  wäre  doch  zu  auffallend.  Dann  läi'st  er  sich  alle  Tage  früh 
nach  dem  Befinden  seiner  Maitresse  nach  ihren  Plänen  für  den  Tag  er- 
kundigen; er  schickt  ihr  Blumen,  die  sie  dann  an  der  Brust  trägt;  fährt 
sie  aus  zur  Kirche,  so  hebt  er  sie  in  den  Wagen,  reitet  mit  blolsem 
Haupte  neben  ihr,  steigt  bei  der  Kirche  schnell  ab,  öffnet  den  Wagen- 
schlag, hilft  ihr  beim  Aussteigen  und  führt  sie  an  ihren  Platz.  Nach 
Betuuligung  des  Gottesdienstes  begleitet  er  sie  wieder  zum  Wagen. 
Wenn  sie  eingeladen  ist,  bittet  er  sich  nach  österreichischer  Sitte  gleich- 
falls zu  Gaste,  bedient  sie  mit  Vorlegen,  unterhält  sie,  hält  ihr,  wenn  sie 
trinkt,  einen  Teller  unter  das  Glas,  damit  sie  ihr  Kleid  nicht  betropft. 
FjT  trinkt  nur  auf  ihre  Gesundheit,  was  kein  anderer  tun  darf,  sitzt 
immer  neben  ihr;  führt  die  Hausfrau  die  Dame  in  ihr  Zimmer,  so  bittet 
er,  ihr  folgen  zu  dürfen  und  wartet  ihr  nun  kniend  auf.  Im  Sommer 
^so  führet  er  Sie  zu  Mittage  in  Roder  (ist  eine  von  der  Donau  gemachte 
Insul,    allwo   von  Vornehmen  Herren   immer    zu    Compagnien   sind),    In 

Winter  aber  mufs  er 
sie  tag  und  Nacht  in 
Schlitten  fahren ';^. 

Die  AVerbung 
dauert  mindestens  drei 
Monate.  Nach  der  Ver- 
lobung »mufs  er  seiner 
Liebsten  schicken  Ga- 
lanterien auff  einer 
grofsen  silbern  Tatzen 
(Tablett),  als  etl.  paar 
seidene  Strümpfe,  Sei- 
den Zeug,  Band,  Hand- 
schuh, 12  Fecker  (Fä- 
cher?), Spitzen,  Kam- 
mertuch und  was  er 
meinet,  das  ihr  ange- 
nehm sey.  Nun  Kom- 
mets  auff,  dafs  die 
Hrn.  alle  tage  ein  pre- 
sent  schicken,  da  doch 
Keins  wird  unter 
100  thlr.  kommen,  Sil- 
bern und  Golden  ge- 
schmeide,  als  Armbän- 
der, Ohrengehenke  von 
Edelsteinen«. 

Er  läfst  das  Zmi- 

Kaiserliche  Kammer-Jungfrau.  •  t?i        öVil+on 

(Atr.  a  S.Clara,  Neueröffnete  Welt-Galleria.  Nürnb.  C.  WeigelMDCCm.)      Hier    Semer    Jl,rWdmien 


a)   Der  Fürsten. 


165 


überziehen  (tapezieren),  gibt  seinen  Dienern  neue  Livree;  füi-  die  Frau 
nimmt  er  einen  Pagen  an,  zwei  Lakaien,  Kutscher  und  Vorreiter.  Er 
schickt  ihr  einen  Wagen,  zu  dem  8,  wenigstens  7  Pferde  gehören.  Seine 
eigenen  Kammerjunker  hat  er  auch  noch  zu  kleiden.  Die  Hofdamen 
ihrerseits  schenken  nichts,  »denn  sie  bilden  ihnen  zu  viel  ein«,  nur 
»An  Hochzeit  tage  Weiszeug,  als  6  Hembden,  6  Umschläge  (Kragen), 
12  Schnupftücher,  6  paar  Handblätter.  Die  halben  Unkosten  der  Hochzeit«. 
Am  Hochzeitstage  fährt  der  Bräutigam  gegen  9  Uhr  nachts  mit 
seinen  Freunden  zur  Kirche,  geht  der  Braut  entgegen,  hilft  ihr  aus  dem 
Wagen.  Beide  sind  weifs  und  in  Drap  d'Argent  gekleidet.  Die  drei 
Ellen  lange  Schleppe  der  Braut  trägt  ein  Page  oder  ein  Fräulein. 


Aljr.  de  Bosse,  Les  quatre  ages :  L'adolescence. 


Bei  Tische  legen  die  Herren  Mantel  und  Degen  ab,  nach  Beendi- 
gung des  Mahles  werden  beide  wiederum  angelegt.  Dann  folgt  der 
Ehrentanz :  voran  der  Brautführer  mit  zwei  Fackeln,  dann  das  Paar,  bis 
die  Courante  zweimal  aufgespielt  worden  ist.  Die  Gesandten,  die  Ver- 
wandten vom  Bräutigam  tanzen  bei  Trompetenschall  gleichfalls  den 
Ehrentanz. 

Die  Mäntel  und  Degen  werden  wieder  abgelegt  und  jetzt  beginnt 
man  »auff  teutsche  Manier«  zu  tanzen.  Das  Brautgemach  ist  hergerichtet; 
<lie  Mutter  der  Braut  oder  ihre  Stellvertreterin  übergibt  mit  Vermah- 
mnigen  die  Braut  dem  Bräutigam. 

Wenn  eine  Hofdame  heiratet,  so  speist  am  folgenden  Tage  das 
junge  Paar  beim  Kaiser.  Die  Kaiserin  putzt  wohl  auch  selbst  die  Braut, 
begleitet  sie  zur  Trauung  in  die  Hofkapelle.    Dann  holt  erst  am  nächsten 


igg  I.    Die  Hochzeit. 

Tage  der  Gatte  seine  Frau  mit  grofser  Begleitung  zu  Viovde  vom  kaiser- 
lichen Hofe  ab  mid     hält  erst  in  der  Stadt  rechte   Ilochzeit^c 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dal's  (^s  sieh  hier  nur  um  Hochzeiten  in 
den  vornelmisten  und  reichsten  Adelsgeschlechtern  liandi^lt. 

b)   Der  Bürger. 

Die  Miidchen')  wollen  heiraten,  um  eine  sichere  Stellung  im  Leben 
zu  gewinnen,  eine  Freiheit  zu  erhalten,  die  sie  unverheiratet  nur  mit 
der  Aufopferung  ihres  guten  Rufes  erkaufen  können.  Die  Hauptsache 
ist  innner,  dais  sie  einen  Mann  bekommen.  Die  Neugier,  wie  derselbe 
aussehen  werde,  befriedigen  sie  durch  allerlei  abergläubische  Best-hwö- 
runo-en,  die  sie  am  Andreasabend  z.  B.  ausführen.^)  Diese  Gebräuche 
verhebter  ^[ädchen  sind  sicherhch  sehr  alt,  wenn  ihrer  auch  erst  in  ver- 
hältnismäfsig  später  Zeit  Erwähnung  geschieht.  Und  auch  für  den  Mann 
hat  es  seine  Bedenken,  ledig  zu  bleiben.  »Dann  ob  er  schon  ein  obtach 
luvt,  ist  ihm,  als  wer  er  darein  gelehnet,  und  sitzt  wanderweifs  wie  ein  anderer 
Landstreiffer  im  Gasthaufs;  niemand  kocht  für  seinen  Mund,  niemand 
halt  ihm  das  sein  zusammen,  weder  das  grofs  noch  das  kleinest  Haufs- 
rütlein,  wieder  das  täghch  noch  das  nächthch;  alles  verschwindt  ihm 
unter  den  Hendeu;  hat  niemands,  dem  er  sein  not  klaget,  der  ihm  sein 
anhegen  abnimpt  oder  mit  gleicher  achsel  leuchteret;  keiner  eifert  umb 
sein  Heyl,  niemand  warnet  ihn  mit  trewen,  und  wann  der  Hahn  todt 
ist,  krähet  keine  Henne  nach  ihm;  niemand  truckt  ihm  mit  tiefE  gesuchten 
Turteltaubenseufftzen  die  äugen  zu ;  niemand  nimpt  Leydkleyder  auff  ihn 
aufs;  keine  lafst  ihn  in  ein  alt  Säuhaut  begraben  u.  s.  w.«  {Fischart, 
Gesch. -Klitt.  S.  99.) 

Bei  den  Heiraten  der  Bürger  waren  viele  Umstände  mafsgebend. 
Die  Vermögensfrage  spiehe  die  gröfste  Rolle;  die  Mitgift,  die  Morgen- 
gabe, alle  diese  geschäfthchen  Angelegenheiten  wurden  festgestellt,  ehe 
die  Verlobung  vor  sich  ging.^)  Dann  durfte  an  dem  Rufe  des  Mädchens 
kein  Makel  kleben.  Mochte  sich  nach  der  Hochzeit  auch  mancherlei 
herausstehen,  was  getragen  werden  mufste,  sollte  Aufsehen  vermieden 
werden:  ein  anständiger  Mann  heiratete  nur  ein  unbeschohenes  Mädchen. 
Das  Mädchen,  das,  wie  schon  berichtet  wurde,  1534  in  Augsburg  ihr 
eigener  Bruder  verführt  hatte,  heiratete  trotzdem,  mrd  aber  von  ihrem 
Manne  nach  der  vorzeitigen  Entbindung  ihrem  Vater  zurückgeschickt; 
als    der  jedoch  2000  fi.  zahlt,    behält   der   Mann    seine  Gattin   (Clemens 

»)  (J.  Praetorius.)  Dulc-Amarus  aucillarianus,  d.  i.  Mägde-Tröster,  erzwingend,  dals 
die  Mägde  bessere  Thiere  seyn  als  die  so  genannten  Jungfern,  item,  dafs  sie  einen 
angenelmilicheren  Nahmen   führen    als    die    heutigen   Mähren   oder   kakligten   Damen. 

0.^0.  u.  J. 

Die  vertheidigte  Mägde-Heyrath  d.  i.  Trost  für  alle  so  etwa  ihre  Mägde  zu  hey- 
rathen  sich  resolviren.     Nebst  dem  untrüglichen  Weiber-Spiegel.     Cöln,  1714. 

Über  die  Hochzeiten  in  Venedig  cf.  P.  G.  Molmenti,  La  vie  privöe  ä  Venise 
(Veu.  1882)  p.  2f>!)  ff.  450  ff. 

2)  Ausführlicheres  im  Kapitel  V. 

3)  Deutsches  Leben.    258  ff. 


b)  Der  Bürger.  167 

Sender).  Die  Sitte,  um  eines  Vorteils  mllen  manches  zu  übersehen,  ist 
im  17.  und  18.  Jahrhundert  ganz  allgemein  geworden:  der  Hofmann 
heiratete  die  Geliebte  des  Fürsten,  der  Beamte  die  seines  Vorgesetzten, 
der  Diener  die  Maitresse  seines  Herrn. 

Um  des  Geldes  ^\dllen  heiratet  ein  blutjunges  Mädchen  einen  Greis. 
So  nahm  1521  am  11.  Februar  ein  Zunftmeister  der  Augsburger  Kürschner, 
Emier,  ein  neunzehnjähriges  Mädchen  zur  Frau,  ol)schon  er  60  Jahre  älter 
war  (Wilh.  Rem). 

Der  Verfasser  des  Buches  Weinsberg,  Hermann  von  Weinsberg, 
dagegen  wählt  eine  ältere  Frau ;  er  ist  dreifsig  Jahre,  sie  eine  sechsund- 
dreifsigjährige  Witwe.  Aber  das  hat  seine  eigene  Bewandtnis.  Er  sagt 
selbst:  xDieweil  ich  auch  30  jar  alt  war,  wolte  ich  gein  jongfrau  nemen 
von  20  jarn,  dan  mich  duchte,  das  sulte  sich  besser  schicken,  das  der 
man  jonger  were  dan  die  Frau,  vir  vrsachn  mich  darzu  bewegende.  c<  [Er 
hatte  nämlich  einen  Bruchschaden  (B.  Weinsb.  I.  284,  285).] 

Wenn  alles  Geschäfthche  geordnet  war^),  konnte  die  Verlobung  er- 
folgen, vorausgesetzt,  dafs  die  Kirche  nicht  Einspruch  erhob.  So  hatte  1533 
in  Augsburg  ein  Goldschmied  nach  dem  Tode  seiner  Frau  deren  Schwester 
geheiratet,  die  Ehe  aber  wurde  vom  Stadtvogte  geschieden  (Gl.  Sender). 

Die  Verlobung,  der  Handschlag,  vnrd  festlich  begangen,  mit 
einem  Gastmahl  gefeiert;  die  Hochzeit  erfolgt  dann  innerhalb  kurzer 
Zeit.    (Balth.  Paumgärtner,  Briefw.  1585  21./I.  S.  70  cf.  S.  127,  133,  139.)^) 

Die  Jung-frau  trug  im  Mittelalter  das  langherabhängende  offene  Haar 
und  einen  Blumenkranz  (das  Schapel),  der  im  Winter  wohl  aus  künsthchen 
Blumen  bestand.  Durch  einen  Fehltritt  verscherzte  sie  das  Recht,  den 
Jungfernkranz  zu  tragen.^)  Im  16.  Jahrhundert  setzten  auch  die  Jung- 
gesehen  sich  solche  Jungfernkränze'')  auf.  Im  Kranze  oder  mit  einer 
Krone  geschmückt,  tritt  die  Jungfrau  vor  den  Altar.^)  Diese  oft  unförmig 

>)  Der  Politische  Stumpe  und  Plumpe  Stock-Fisch,  wie  man  ihn  käuen  und 
bleuen,  salzen  und  schmalzen,  würtzen  und  stürtzen  müsse,  dafs  er  werde  bequem, 
lieblich  und  angenehm,  an  dem  Galanisirenden  Freyer  und  Damentisch.  i>.  i.  Wohl 
ausgesonnenes  Kunst-Werklein  für  die  Unabgerichteten  Liebhaber,  zur  Lehr  und  Hand- 
leitung, Wie  sich  ein  armer  und  geringer  Liebhaber  könne  angenehm  machen,  reich, 
schön  u n d  V o r n e h m  zu  h e y r a t h  e n  ,  auch  bey  dem  Frauenzimmer  beliebt  zu 
seyn.  Allen  der  Weibcrey  nicht  ungeneigten  Jungfern  und  Junggesellen-Zeug  vorge- 
stellet.     Von  dem  PoHtischen  Schullehrer  Gal  anisandro.     Nürnb.  168L 

^)  J.  R.  Sattler,  Werlnmgs-Büchlein  oder  von  Anstellung  teutscher  Orationen  und 
Reden,  in  welchen  neben  grundlicher  Underweisung  der  Redekunst  allerhand  Formulen 
von  Fürtrag,  Eynlad-,  Empfah-  und  Abdanckungen,  so  wol  l)ey  Werl»inigen,  Hochzeiten, 
Gevatterschalften,  Kindtaeuffen,  Begräbnussen,  als  vielerley  anderen  Zufaellen  l)egriffen. 
Basel  1633.  —  Sprache  der  Verliebten aus  d.  Franz.  übers,  v.  Mad.  ***  Frkf.  u.  Lpz.  1749. 

Abbildung  einer  Verlobung  nach  einem  Weimarer  Stammbuch  (^Sigu.  306).  Das 
Bild  von  1596  S.  (Vulpius)  Curiositäten  I  (^Weim  1811)  Taf.  10.  Ein  Briefvveclisel  von 
Verlobten. 

»)  Höf.  Leben  ^I.  598. 

*)  Weifskunig  (m.  .\usg.)  S.  53  — 124;  Maximilian  trägt  den  Kranz  bis  zu  seiner 
Verheiratung.—  Jost  Amman, Weigels  Traclitenb.  (Nürnb.  1577\  Kulturg.  l'.ilderl).  III, 
X.  1121,  1122. 

*)  El)end.  III.  X.  1123.  Abb.  aus  dem  17,  Jhdt.  in  meinem  Fraiienlcl)on.  S.  113, 
114,  115,  116,  118.  —  Aus  dem  18.  Jhdt.     Ebend.  S.  112. 


2gg  I.  Die  Hochzeit. 

grofsen  Brautkroneu  bloibon  bis  ins  IS.  .Jalirhun(l(n-t  in  dtMi  lUirger- 
kreisen,  zuletzt  noch  bei  den  Bauorn  boliolit.  Lortniz  Strauch,  der  be- 
kannte Xürnbei-oor  Porträtmaler  (^ir)r)4—l(j;>0),  bat  rtftcr  Bräute  in  ihrem 
vollen   Sehmueke  ])i)rträti(Ml. 

In  Greifswald  war  nneh  lö')!,  als  Bartholomäus  Sastrow  heiratete, 
die  Sitte  erhalten,  dafs  am  Hochzeitstage,  um  H  Uhr  nachmittags,  der 
Bräutigam,  geführt  von  den  beiden  l>ürgerm(Mstern  und  hingleitet  von 
seinen  Freunden,  auf  den  Marktplatz  ging,  da  auf  einen  Stein  trat  (ein 
vierkantig  Fx'kstein),  »ein  Par  pater  noster-  lang  da  stehen  bliel), 
während  dii^  Musik  aufspielte.  Ursprünglich  hatte  die  Sitte  den  Sinn, 
dals  der  Ihiiutigam  feierlich  die  erwartete,  die  Einspruch  gegen  seine 
Eheschlielsung  (>rheben  wollten.  Der  Brauch  wurde  jedoch  bald  ganz 
abgeschalTt  (IIT.  9.). 

ITw  Stunde  der  Trauung  ist  in  den  verschiedenen  Landstrichen 
uanz  verschieden.  In  Köln  fand  die  Trauung  in  aller  Frühe  statt  des 
morgens  ser  froe  umb  4  uren«  (Buch  Weinsberg  1554  Nov.  26,  II.  63), 
daini  folgt  l)ald  das  »Bruloftzessen«  oder  erst  am  Abend  (IL  55.  63), 
oder  am  Morgen  ist  die  Trauung,  darauf  geht  man  zum  Mittagessen, 
es  folgt  dann  ein  Tanz  und  am  Abend  gibt  es  wieder  ein  Festmahl 
(II.  77).  In  Breslau  dagegen  wurde  1602  Apr.  2  geboten,  dafs  für  die 
Morg«MÜiochzeit  die  Trauung  zwischen  12  und  1,  die  Abendhochzeit 
zwischen  3  und  4  Uhr  stattzufinden  habe  (Nie.  Pol,  Hemerol.).  In 
Stettin  findet  eine  Trauung,  der  Philipp  Hainhofer  beiwohnt,  um  5  Uhr 
nachmittags  statt;  dann  geht  man  zum  Nachtmahl  (Reisetagebuch  1617. 
Balt.  Studien  IL  2.  S.  96).  Eine  andere  Hochzeit  ^ird  am  Hofe  des 
Pommerischen  Herzogs  gefeiert.  Der  Silberknecht  der  fürstlichen  AVitwe 
heiratet  die  Köchin,  die  13  Jahre  bei  der  Fürstin  gedient  hat.  Auch 
da  erfolgt  die  Trauung  am  Abend.  Vorher  verteilen  Jungfrauen  Kränze 
(Kreuze  nicht  Kreuze,  wie  gedruckt  ist,  cf.  S.  102),  dann  zur  Vesper 
wird  eine  Predigt  gehalten.  Der  Bräutigam  erscheint,  geführt  von  dem 
Marschalk  und  einem  vom  Adel;  der  Braut  gehen  vor  die  » Stadt- Jungfrawen, 
darnach  bayder  Fürstinnen  Fraw^en-Zimmer ;  (Hofdamen).  Nun  findet 
die  Trauung  statt;  das  feierhche  Beilager  in  einem  im  Saale  auf- 
gestellten Bette.  Darauf  ziehen  sich  die  fürstlichen  Herrschaften  zurück. 
Nachdem  das  Bett  fortgerämnt  ist,  beginnt  das  Festessen ;  wieder  werden 
Kränze  verteilt,  dann  findet  das  Opfer  für  die  Vermählten  statt,  und 
nach  Entfernung  der  Tafel  schhefst  ein  Tanz,  an  dem  die  fürsthchen 
Herrschaften  teilnehmen,  das  Fest.  (Ph.  Hainh.  a.  a.  O.  S.  77  ff.) 

Die  Braut  verehrte  dem  Bräutigam  das  Hochzeitshemd,  das  sie 
selbst  gearbeitet  hatte.  Barth.  Paumgartner  bittet  1583,  Jan.  19,  seine 
Braut,  sie  solle  sich  nicht  zu  viel  bemühen:  Wann  von  einer  saubrn 
raynen  leinwatt,  sonderhch  die  kröefs  zart,  sonnst  schlecht  und  gerecht 
seind,  ists  mir  am  allerhebstenn  (Briefw.  S.  21).  Hermann  von  Weins- 
berg dagegen  schenkt  seiner  Braut  drei  Ringe,  eine  silberne  Scheide 
mit   Messer   und   als    »Morgengabe«    ;ein   vergulte   gurdelket«^  (IL  96).^) 

1)  P.  MüUeri,  Disp.  de  dono  nuptiiili,  Jenae.    1714. 


b)  Der  Bürger. 


169 


Wer  mehr  hatte,  gab  natürhch  auch  mehr.  So  berichtet  Wilhelm  Rem 
aus  Augsburg:  »Anno  domini  1516  an  sant  Martinstag,  da  hat  der 
Ulrich  Fugger  hochzeit  mit  des  Laux  Gassners  toehter.  Der  Gassner  gab 
seiner  toehter  zu  heiratgutt  12  M.  fl.  (12000)  und  der  Függer  vermacht 
ir  hinwider  13  M.  fl.  (loOOO  —  als  Wiederlage)  und  schanckt  der  praut 
wol  3  M.  fl.  (3000)  wert  an  Klaidern  und  Klainaten  und  verschanckt 
andern  frainden  und  Knechten  wol  umb  3  M.  fl.  (3000)  seidins  gewand 
und  samet  und  attlas  und  sunst  Klaider.  So  kostet  die  hochzeit  wol 
1  M.  fl.  (1000),  dafs  al  ding  wol  7  M.  fl.  (7000)  kost  hat.  Es  ward  grosse 
hoffart  getriben,  dafs  man  maint,    es  mecht  ettwann  bös  alter  nemen.«^) 

VOcmvoxbcmat\b(tn/Aü^bam\)/  r  ,  r, 


Hans  BurRkmair,  Trauung'. 

Die  Freunde  hatte  man  durch  besondere  Hochzeitsbriefe  eingeladen 
(B.  Paumg.  Brief w.  31,  33).  Für  die  Unterhaltung  der  jungen  Gesell- 
schaft hatte  der  Jungfrawgesell  zu  sorgen.  (»Das  Jungfrawgesellenambtt 
auf  des  Pfintzings  hochzeitx,  B.  Paumg.  Briefw.  S.  147,  »auf  des  Klee- 
weins hochzeitt  jungfrawgesell«,  ebend.  129,  vgl.  134,  150).-) 

Eine  Hauptsache  war  das  Hochzeitsmahl.  Schon  im  Mittelalter 
hatten  Luxusgesetze  der  Verschwendung  Grenzen  setzen  wollen-'^),  indessen 
haben  alle  diese  wohlgemeinten  Verordnungen  keinen  Erfolg  gehabt, 
obschon  man  immer  von  Zeit  zu  Zeit  sie  in  Erinnerung  brachte.  So 
verlangte  der  Augsburger  Rat  1532,  dafs  .nur  seh  weher  und  sch-^äger, 
brüder  und  Schwestern x  eingeladen  werden  durften  »und  dafs  nemantz 
nichtz  gäbe  oder  schenck'<  (Clemens  Sender),  aber  die  Hochzeitsgeschenke 

1)  P.  Müller,  De  annulo  pronubo;  vom  Jaworts-  oder  Trauring.    Jena  1684. 
^)  Vgl.  Hanauer,  Coutumcs  matrimoniales  au  moyen-äge.    Nancy  1893. 
3)  Deutsches  Leben  etc.  260  ff. ;  282. 


170  I-    ^^^  Hochzeit. 

waren  ja  auch  nicht  zu  verachten,  und  so  hitl  man  ein,  von  wem  man 
ant^tänchge  Geschenke  erwarten  (hn-fte.^) 

Zu  Guarinonius  Zeiten,  1(510,  gab  man  im  Bürgerhause  6  Gänge 
(Trachten)  zu  je  9  S})eisen.  Zum  Voressen  neun  Speisen,  zum  Suppen 
neun  Speisen,  zum  Kraut  neun  Speisen,  zum  Gebratens  neun  Speisen, 
zum  Schröckengast  neun  Speisen,  zur  Nachricliten  neun  Speisen    (S.  797). 

Bei  adehgen  Hochzeiten  ging  es  natürhch  noch  viel  hixuriöser  zu. 
Guarinonius  erzählt  von  einer,«  so  erst  dise  Woche  als  ich  hier  schreibe 
in  einem  kleinen  Städtlein  (vermutlich  Tirols)  gar  solemniter  und  feyerlich 
oder  F'rilslendisch  (d.  h.  von  Fressen  abgeleitet)  gehalten  worden«.  Sie  wurde 
nicht  im  Wirtshaus,  sondern  im  Hause  des  Bräutigams  veranstaltet,  und 
da  gab  es  sieben  Tafeln,  und  auf  jede  vier  Trachten  zu  13  Gerichten,  täg- 
lich zwei  Mahlzeiten,  und  die  Hochzeit  dauerte  zwei  Tage  (S.  792). 

Bei  der  Hochzeit  eines  Freiherrn,  die  auch  vor  kurzem  auf  einem 
Hofe  gefeiert  worden  war,  gab  (\s  drei  Gänge,  jeden  zu  hundert  Gerichten, 
■- aui'ser  die  Nachwehen  und  Nachrichten  del's  Confects  und  Geschlecks, 
so  auch  hundert  waren«.  Da  auf  einem  Tische  kaum  fünfzig  Gerichte 
Platz  fanden,  mufsten  die  übrigen  von  den  Dienern  in  der  Hand  gehalten 
werden  (S.  798). 

Nach  dem  Essen  w^urden  die  Geschenke  eingesammelt  und  dann 
begann  der  Tanz. 2)  Sicher  hat  es  an  dem  Hochzeitstage  nicht  an  mehr 
oder  minder  scherzhaften  Anzüglichkeiten  gefehlt.  So  streute  man  einer 
Braut,  die  ihre  Ehre  nicht  gewahrt,  Heckerling  auf  den  Weg  zur  Kirche.^) 
Wir  brauchen  übrigens  blofs  einen  Blick  in  die  zu  Ehren  der  jungen 
Ehepaare  gedruckten  Gedichte  zu  werfen,  deren  viele  Tausende  noch 
aus  dem  16.  und  17.  Jahrhundert  erhalten  sind,  um  eine  Vorstellung 
von  den  unzweideutigen,  meist  sehr  deutlichen  Witzen  zu  erhalten.  Die 
Sitte,  die  besonders  älteren  Herren  gestattete,  bei  einem  Hochzeitsessen 
die  gewagtesten  Scherze  sich  zu  erlauben,  hat  ja  noch  bis  tief  ins 
19.  Jahrhundert  sich  erhalten. 

Guarinonius  aber  ist  ergrimmt,  dafs  auch  am  Tage  nach  der  Hoch- 
zeit, am  Lendemain,  wie  wir  sagen  würden,  diese  Freiheit  weiter  gemil's- 
braucht  wurde.  Ich  bin  mit  und  bey  gewesen  auf?  einer  Hochzeit  am 
andern  Tag,  wellichen  man  allhie  zu  Lande  den  gülden  Tag  oder  das 
Eyer  in  Schmaltz  nennet,  allda  man  den  Spielleuten  die  allerschendt- 
hchsten  Lieder  an-  und  auiJgeben,  nicht  allein  auff  ihren  Instrumenten 
zu  spielen,    sonder   auch    mit   der   stimme   darein  zu   singen ;    defs    aber 

')  M.  de  Beauu\ont,  Nothige  Unterweisungen  für  junges  Frauenzimmer,  welches 
in  die  Welt  tritt  und  sich  verheirathet.  Nach  deutscher  Art  eingerichtet  von  J.  J.  Schwabe. 
2.  Aufl      Lpz.  175G. 

*)  Hans  Schäuft'elein,  Hochzeitstänzer  (B.  103.  —  Kulturg.  Bilderb.  I,  X.  55  —  74). 

—  Heinrich  Aldegrever:  Die  grofsen  Hochzeitstänzer  (B.  160 — 171.  Kulturg.  Bilderb.  II 
N.  857—868; :   die  kl.  Hochzeitstänzer   (B.  144—151     Kulturg.  Bilderb.  IL  N.  918-925). 

*)  Alltagsleben  e.  d.  Fr.  8.  116.  —  Vgl.  De  injuriis,  quae  haud  raro  no\ds  nuptis 
r.  per  sp»artionem  cüssectorum   culmorum  rugum,    Germ,  durch   das  Heckerling-Streuen 

—  IL  per  injustam  interpellationem  ulterioris  proclamationis  —  durch  ungebührlichen 
F^inspruch,  III.  per  ligationes  magicas  —  durch  das  Nestel-Knüpfen  inferri  solent. 
Quedlinb.  1702.  —  Vgl.  R.  Mentzer,  num  sponsis  ante  solennem  in  ecclesia  copulationeni 
et  benedictionem  concumbentibus  publica  poenitentia  juste  imi^onatur. 


b)  Der  Bürger.  171 

nicht  genug  war,  sonder  ein  ungehobleter  Ehrloser  Schalcksnarr  allda 
zugegen  war,  wellicher  ein  darzu  gerüste  Banck  hette,  dieselb  mitten  in 
die  Stuben  nider  stellet,  damit  er  von  allen  wol  mochte  gesehen  werden, 
der  Taffein  aber  vier  wol  besetzt,  Manns-  und  Weibsbilder  und  Jung- 
t'rawen  verbanden  waren.  Auff  dieser  Banck  übet  er  dergleichen  ge- 
bärden, ob  wellichen  ich  noch  in  dieser  stundt  mich  von  hertzen  schäme 
zu  gedencken,  dergleichen  ich  bey  keinem  Heyden  nie  gelesen  hab, 
viel  weniger  glauben  kan,  das  in  beysein  so  ehrhcher  Personen  jemals 
geschehen  sey.  Was  ist  darnach  geschehen?  Theils  unter  den  Bey- 
sitzern,  die  gröbsten  und  ungehoblesten,  die  schaweten  mit  fleifs  zu  und 
hüben  sich  auff  die  Füfs,  damit  sie  nichts  überseheten,  was  zu  dem 
schönen  Schawspiel  gehörig,  theils  schaweten  mit  dem  einen  Aug  darauff, 
wie  auch  die  mehrern  Weiber,  denen  ichs  nicht  für  übel  hab,  weil 
ihnen  der  Fürwitz  angeboren.  Was  aber  die  Jungfrawen  thaten,  das 
sag  ich  niclit;  difs  sag  ich  wol,  das  deren  ethche  gar  kein  Aug  noch 
Acht  darauff  gaben.  Wie  viel  waren  aber  deren,  die  ob  diesem  ehrlosen 
Werck  ein  mifsfallen  betten?  Ich  weifs  es  nicht  für  meinen  Theil;  das 
weifs  ich  wol,  dafs  ich  zu  einem  Ehrhchen  vom  Adel,  so  neben  mir 
an  der  seyten  safs,  spräche,  er  solle  ein  wenig  zusehen,  was  difs  für  ein 
schöne  Kurtzweil  sey.  Der  sprach  mit  diesen  Worten :  »,Ey  pfuy,  Pesti- 
lentz  den  Schelmen  ankomme' ;  der  rufft  und  befahl  ihm,  solle  sich 
ehist  mit  der  Schelmerey  packen  und  aufs  dem  Staub  machen,  welliches 
auch  geschehen.  Nach  dem  Tisch  aber,  als  man  zu  Tantze  gienge,  nahet 
ich  mich  zu  ihm  und  sprach :  ,Du  Ehrloser  Tropf,  wann  ich  heut  mein 
weih  oder  meine  Töchter  oder  mein  Blutsverwandte  eine  bey  dieser 
Hochzeit  ob  der  Tafel  gehabt  hette,  so  soltu  wissen,  das  die  heutig  Un- 
zucht, so  du  unschambarer  Tropff  getrieben,  dein  leste  müfse  gewesen 
seine;  darob  er  erschrack,  sprechend,  er  wolle  es  so  bald  nimmer  thun. 
Ey  du  Ertztropff,  sprach  ich,  so  hast  du  dennoch  im  wällen,  du  wollest 
es  noch  üben?'  ,Nein,  mein  Herr,  sprach  er,  ich  wils  gar  nimmer  thun.' 
Und  hat  war  geredt,  dann  er  bald  naher  defs  jähen  Tods  gestorben.  . 

Bei  Hochzeiten  mufs  man  sich  schon  ehrenhalber  einen  guten 
Rausch  antrinken  (Schweinichen,  S.  293,  324),  aber  Schweinichen  betrinkt 
sich  auch  l)ei  seiner  eigenen  Hochzeit,  1581,  dafs  er  die  Nacht  verschläft 
(S.  255)  und  ebenso  1601  bei  seiner  zweiten  Verheiratung.  Bin  also 
alle  drei  Abend  mit  guten  Räuschen  zu  Bette  gegangen  und  bin  ein 
Bräutigam  wie  der  liebe  Tobias  bei  seiner  Braut  gewesen«  (S.  539).^) 

Über  die  Form  der  Werbung,  des  Brautstandes,  der  Hochzeit  iu 
einem  wohlhabenden  Bürgerhause  um  die  Mitte  des  IH.  Jahrhunderts 
gibt  uns  ein  sehr  beachtenswerter  Aufsatz :  »Alte  Zeit  und  neue  Zeit. 
Ein  Fragment   aus    den    nachgelassenen  Papieren   der  verwitweten  Frau 

1)  Vgl.  Güpner,  de  jure  thalanii :  vom  Rechte  des  Ehebettes.     Jcnae  1702. 

J.  J.  Beck,  Tractatus  de  eo  quod  justum  est  circa  conjugalis  debiti  praestationeni. 
Von  der  Leistung  der  elieUchen  Pflicht.  Worinnen  von  der  l)Osshaft-  und  halsstarrigen 
Entzieluing  der  ehelichen  Pflicht  ....  gehandelt  wird.     Fikf.  1756. 

Chr.  A.  Schede,  Von  der  verminderten  Straffe  des  Ehebruchs  wegen  versagter 
Ehelicher  Pflichten.  Lpz.  1713. 

J.  Z.  Hartmann,  De  conjugibus  incantatis  eorumque  separatione.  1727. 


1'J2  I-    ^i*'  Ilofhzeit  der  Bauern. 

Ursula    Margaretha«    Aiiskunt't,    der    im    Taschenbuch     zum    geselligen 
Vergnügen,     15.  Jahrg.  1805  (Loipz.)  S.  119  ff.  abgedruckt  ist.^) 

c)  Der  Bauern.-) 

Länger  als  bei  den  höheren  und  mittleren  Gesellschaftsschichten 
ist  die  Zivilehe  bei  den  Bauern  beliebt  gewesen:  die  Brautleute  ver- 
sprechen sich  vor  glaubwürdigen  Zeugen  die  Ehe,  die  dann  als  rechts- 
gültig angesehen  und  alsbald  vollzogen  wird.  Am  nächsten  Tage  geht 
das  Ehej)aar  mit  seinen  Verwandten  und  Freunden  zur  Kirche  und  er- 
hält da  vom  Priester  den  Segen.  So  schildert  uns  der  Dichter  »von 
Motzen  Hochzeitv<  die  Zustände  seiner  Zeit  (um  1300).^)  Später  hat  im 
15.  Jahrhundert  Heinrich  von  Wittenweiler  in  seinem  >  Ring«  eine  Bauern- 
hochzeit beschrieben ;  das  Schliefsen  der  Ehe  erfolgt  aber  hier  vor  dem 
Priester.'*)  Beide  Dichter  führen  uns  dann  das  Hochzeitsmahl  vor,  malen  das 
ungeschickte  tölpelhafte  Benehmen  der  Bauern  mit  Behagen  aus.  Nach 
dem  Essen  werden  die  Geschenke  eingesammelt.  Zum  Schluls  entspinnt  sich 
eine  tüchtige  Rauferei.  Das  junge  Ehepaar  zieht  sich  zurück.  Am 
nächsten  Morgen  erhält  die  Frau  von  ihrem  Gatten  die  Morgen  gäbe. 

Die  Formen  der  Bauernhochzeit  blieben  auch  in  den  folgenden 
Jahrhunderten  ziemlich  dieselben.^)  Die  kirchliche  Trauung  ist  aller- 
orten nun  eingeführt.  Bei  der  Trauung  erschienen  die  unbescholtenen 
Bräute  mit  Brautkronen  geschmückt,  die  je  nach  Landesbrauch  gröfser 
oder  kleiner  waren,  in  der  Form  manche  Verschiedenheit  aufwiesen. 
Dieser  Brauch  hat  sich  an  vielen  Orten  noch  bis  im  19.  Jahrhundert 
erhalten.  Eine  reiche  Sammlung  von  Brautkronen  besitzt  das  National- 
museum in  München,  das  germanische  Museum  in  Nürnberg.  Bei  der 
Hochzeit  eines  reichen  Bauern  wird  wie  vor  alter  Zeit  noch  immer  viel 
gegessen  und  auch,  wenn  nicht  gut,  so  doch  ausgiebig  getrunken.  Zur 
Zeit  des  Guarinonius  also  gegen  den  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  gab 
€S  bei  einer  Tiroler  Bauernhochzeit  zwölf  bis  sechzehn  Tafeln  mit  Gästen ; 
in  reichen  Häusern  hatte  man  sogar  vierundzwanzig  Tafeln  (S.  791,  792). 
Er  ist  aller  Völlerei  abhold,  schlägt  aber  doch  für  das  Festmahl  folgenden 
Speisezettel  vor:  1.  Suppe  mit  einem  guten  Stücke  Fleisch  und  Knödeln; 

2.  Kraut  und  Speck,  die  Schüssel  am  Rande    mit  Bratwürsten  garniert; 

3.  einen  guten  Rinder-  oder  Kall)sbraten;  4.  Gerste  oder  Reis  in  Milch. 
Damit  ist  es  aber  seiner  Meinung  nach  genug. 


1)  Merkwürdige  Hochzeitsgebräuche  der  Einwohner  der  Balearisclien  Inseln  er- 
wähnt Seb.  Franck.  Weltbuch  (1533)  fol  Ixviijb,  sagt  jedoch  nicht,  ob  sie  in  seiner  Zeit 
noch  üblich  waren.  —  C.  Ph.  Hoffmann,De  die  ac  nocte  nuptiali,  von  dem  Hochzeit- 
Tage  und  der  Braut-Nacht.     Lips.  1731. 

2)  Valten  Schumann,  Nachtbüchlein  H  (Vorrede  1559)  fol.  76  a.-  Auch  ich  das 
selber  hab  offt  gehört,  wann  ich  bin  über  Land  zogen  und  in  Dörffern  gelegen,  wie 
sie  zu  nacht  der  Gräten  haben  gehofiert  und  geheület  wie  die  Hund,  wären  wol  da- 
hevmen  in  Betten  still  gelegen. 

s)  Höf.  Leben  ^l.  653  ff. 
*)  Deutsches  Leben.    S.  163  ff. 

s)  Über  den  Brautwagen.  Kurios.  III.  157  ff.  —  Vgl.  Hans  Sebaldus  Beham, 
Bauernhochzeit  und  Hochzeitszug.     Kulturgesch.  Bilderb.  II.  N.  898  —  905 


II.  Entbindung  und  Taufe. 


a)  An  den  Fürstenhöfen.^) 

Es  ist  eine  alte  Sitte,  dafs  der  Gemahl  seiner  Gattin  ein  Geschenk 
macht,  sobald  sie  ihm  mitteilt,  was  sie  zu  erwarten  hofft.  Die  Vorkehrungen 
zur  Entbindung  werden  getroffen,  Hebammen,  seit  dem  16.  Jahrhundert 
auch  Arzte,  zu  Rate  gezogen  und  dann  die  Zeit  abgewartet. 

Ob  man  schon  im  Mittelalter  die  Geburt  durch  Zeugen  hatte  fest- 
stellen lassen,  das  ist  wohl  kaum  mit  Sicherheit  zu  ermitteln.  In  ein- 
zelnen Fällen,  wenn  die  Besorgnis  vorhanden  war,  dafs  die  Geburt  an- 
gezweifelt, die  Unterschiebung  eines  Kindes  gemutmafst  werden  konnte^ 
entschlossen  sich  die  Frauen  wohl  Zeugen  bei  der  Geburt  zuzulassen. 
So  soll  Constanze,  die  Witwe  Kaiser  Heinrichs  VI.,  ihren  Sohn  vor  allem 
Volke  geboren  haben. 

Die  Hebammen  hatten  ihre  Unterstützung  zu  gewähren.  Wenn 
dann  die  Geburt  glücküch  von  statten  gegangen  war,  wurde  sie  auch 
den  Untertanen  verkündigt  und  von  ihnen  mit  lauten  Freudenbezeu- 
gungen begrüfst.  Auch  den  Freunden  läfst  man  die  frohe  Nachricht 
mitteilen  und  erwartet,  dafs  die  Boten  mit  einem  ansehnlichen  Geschenke 
belohnt  werden.  Da  die  Taufzeugen  erst  eingeladen  werden  mufsten,  so 
konnte  die  Taufe  selbst  nicht,  wie  bei  bürgerlichen  Familien,  bald  nach 
der  Geburt  erfolgen ;  es  verstrichen  oft  Wochen,  und  dann  vermochte  man, 
wenn  sechs  Wochen  nach  der  Geburt  die  Taufe  stattfand,  den  feierlichen 
Kirchgang  der  Mutter  mit  dem  Feste  verbinden. 

Die  Taufe  selbst  wurde  nach  dem  kirchlichen  Ritus  vollzogen ; 
das  Kind  trug  man,  bekleidet  mit  einem  hübschen  Anzug,  zur  Kirche 
entkleidete  es  dann,  so  dafs  es  völlig  nackt  in  das  Taufbecken  getaucht 
werden  konnte.  Selbst  erwachsene  Heiden  mufsten  sich  völhg  ausziehen, 
unbekleidet  die  Taufe  erhalten.  Nach  Vollendung  der  heiligen  Handlung 
zogen  sie  das  Taufhemd  (Westerwät)  an.  Die  Paten  beschenkten  den 
Täufling  und  auch  die  Amme. 

*)  Höf.  Leben.  ^I.  141  ff.  —  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  —  L'en- 
fant,  la  naissance,  le  bapteme  (Paris  1898)  und  L'enfant,  le  berceau  et  la  layette  etc. 
(Paris  1898). 


X74  II-  Entbindung  und  Taufe. 

Das  Kind  erhielt  in  der  Taufe  den  Namen.  Bis  ins  16.  Jahrhundert 
scheint  man  mit  einem  sich  begnügt  yai  haben,  im  16.  Jahrhundert  sind 
jedoch  schon  zwei  Namen  ganz  gewöhnhch;  in  der  Folgezeit  pflegt 
man  drei  und  mehr  Taufnamen  dem  Kinde  zu  geben.  Es  wäre  nicht 
uninteressant,  einmal  diese  Frage  genauer  zu  untersuchen,  auch  zu  er- 
mitteln, welche  Namen  in  gewissen  Zeiten  bevorzugt  werden,  unter 
welchen  Umständen  neue  Namen  eingeführt  und  verbreitet  worden  sind. 

Zu  den  fürstlichen  Taufen  sind  selbstverständlich  nur  Paten  von 
vornehmer  Geburt  geladen;  als  Gäste  waren  zahlreiche  Freunde  und 
Angehörige  erschienen,  so  dals  nun  für  die  hochgeborene  Gesellschaft 
auch  ganz  besondere  Feste  veranstaltest.  Unterhaltungen  ersonnen  werden 
mulsten,  die  mehrere  Tage  in  angenelimer  Weise  auszufüllen  ver.^prachen. 
Denn  die  Gäste  sind  zum  grofsen  Teil  von  fernher  gekommen,  die 
Männer  zu  Pferde,  die  Frauen  im  Wagen,  und  da  durfte  man  nicht  er- 
warten, (lafs  sie  sogleich  nach  der  Taufe  Mieder  an  die  Rückreise 
denken  würden. 

Grofse  Festessen  spielten  eine  Hauptrolle,  dazu  kamen  die  Tänze, 
mit  denen  man  den  Tag  zu  beschiefsen  pflegte.  Die  Männer  veranstal- 
teten wie  in  alter  Zeit  Turniere,  es  wurde  gerannt  und  gestochen,  später 
im  Ringelrennen  und  anderen  Waffenspielen  vor  den  Damen  die  Ge- 
wandtheit und  Geschicklichkeit  erwiesen.  Als  die  Turniere  in  der  zweiten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  sich  überlebt  hatten,  traten  an  ihre  Stelle  Bal- 
lette, die  schon  früher  zu  den  Hoflustbarkeiten  gehört  hatten,  dann  Festvor- 
stellungen auf  den  Hoftheatern,  Opern,  Maskeraden,  kurz  alle  die  Unter- 
haltungen, die  an  den  fürstlichen  Höfen  in  jener  Zeit  hergebracht  waren. ^) 

Das  Andenken  jedoch  an  all  die  veranstalteten  Festhchkeiten  liefs 
man  durch  gedruckte  und  illustrierte  Beschreibungen  vere^^ägen-^) 

Die  Fürstinnen  haben  wohl  nur  in  den  seltensten  Fällen  ihre 
Kinder    selbst    gesäugt,    sondern    diese    Sorge  Ammen    anvertraut.     Die 


*)  Festliclikeiten  in  Halle  he\  Geburt  der  Prinzessin  Sophie  Elisabeth,  d.  30.  Juli 
1616.     Kurios.  X.  464  ft'. 

*)  Taufe  der  Elisaljeth  von  Hessen.  —  Kassel  1596,  Aug.  —  Stiche  von  Wil- 
helm Dilich,  1598,  1601. 

Cartel,  Auffzüge,  Vers  und  Abrisse  so  bey  der  Fürstlichen  Kindtauft'  und  freuden- 
fest  zu  Dessa  den  27  u.  28  October  1613  in  gehaltenem  Ringel-  und  (^uintanen-Rennen 
und  Balletten  und  Täntzen  den  anwesenden  fürstlichen  Personen  praesentieret  worden. 
Leipz.  1614.     M.  11  Radierungen  von  A.  Bre  tschnei  der. 

Hoffeste  bei  der  Taufe  des  Prinzen  I'lrich  von  Württemberg.  13.  —  17.  .Juli  1617. 
—  11  Kupferstiche  von  Friedr.    Brentel. 

Es.  van  Hülsen,  Repraesentatio  der  fürstl.  Aufzug  und  Ritterspil,  so  Johann 
Fridiich  Herzog  zu  Württemberg  bey  F.  G.  newgebornen  Sohn  Friedrich  fürstl.  Kind- 
taufen d.  10  — 16  Martii  1616  in  .  .  .  Stutgarten  mit  grosser  solemnität  gehalten. 
(Tüb.  1616;!  m.  80  Kpfrst.  von  M.  Merian  Kulturh.  Bilderb.  III,  N.  1589  —  1594,  1595.  — 
Beschreibung  der  Aufzug  und  Ritterspil,  so  HeiT  Joh.  Friederich  zu  Würtemberg  bey 
Ihres  Sohn  Kindtauffen  und  Ihres  Bruders  Hochzeit  zu  Stuttgarten  gehalten.  Stuttg. 
1618. 

J.  J.  Schudt,  Jüdisches  Franckfurter  und  Prager  Freudenfest  wegen  der  Geburth 
des  Kays.  Erbprintzens,  vorstellend,  mit  was  Solennitäten  die  Franckfurter  Juden 
selbiges  celebrirt,  so  dann  den  curieusen  kostbaren,  doch  recht  possirlichen  Auffzug 
so  die  Prager  Juden  gehalten.     M.  1  Kupferst.     Franckf.  1716. 


a)  An  den  Fürstenhöfen.  175 

aristokratischen  Ideen  des  Dichters  vom  Roman  des  sept  sages,  dafs  ein 
Königskind  nur  von  einer  Herzogin  gesäugt  werden  solle,  ein  Herzogs- 
kind von  einer  Gräfin  u.  s.  w.,  alles,  damit  nur  das  vornehme  Geblüt 
keinen  Schaden  nehme,  diese  Ansichten  sind  selbst  im  13.  Jahrhundert 
kaum  anerkannt  worden,  sonst  würde  der  Dichter  nicht  darüber  klagen, 
dafs  Dienerinnen  und  Schäferinnen  aus  Ersparnisrücksichten  in  vornehmen 
Häusern  als  Ammen  verw^endet  werden.    (Höf.  Leben  ^I.  151). 

Bei  der  Amme  bheb  das  Kind  etwa  bis  zum  zweiten  Jahre;  dann 
erst  traten  andere  Erzieherinnen  an  deren  Stelle. 

Ergänzt  wird  diese  Schilderung  durch  die  Angaben,  welche  vnv  in 
J.  B.  von  Rohrs  Ceremoniel- Wissenschaft  T.  I,  Kap.  XI,  vorfinden. 
Sobald  die  Schwangerschaft  der  Fürstin  sichergestellt  ist,  wird  sie  be- 
kannt gemacht  und  jeden  Monat  von  ihrem  Fortschreiten  gemeldet,  in 
den  Kirchen  gebetet,  das  erforderhche  Personal  angenommen.  Bei  der 
Entbindung  verweilen  je  nach  Landesbrauch  im  Nebenzimmer  Zeugen, 
denen  das  neugeborene  Kind  sofort  gezeigt  wird.  In  England  ist  der 
Prinz  bei  der  Geburt  anwesend;  in  Frankreich  wohnt  der  König,  die 
Prinzen  von  Geblüt  mit  ethchen  Fürstinnen  der  Geburt  bei:  für  ihn 
und  seine  Begleiter  ist  ein  Zelt  in  der  Wochenstube  aufgeschlagen,  in 
einem  kleinen  Zelte  verweilt  die  Königin;  ehe  sie  hineingeht,  werden 
die  Vorhänge  des  Zeltes  zurückgeschlagen,  so  dafs  jedermann  sich  über- 
zeugen kann,  dafs  keine  Frau  und  kein  Kind  in  ihm  verborgen  sei. 
Mit  Geschützsalven  wird  die  erfolgte  Entbindung  dem  Volke  angezeigt. 
Gleich  nach  der  Geburt  erhält  der  Prinz  den  Hausorden.  Dem  neuge- 
borenen Herzog  von  Burgund,  seinem  Enkel,  hing  Ludwig  XIV.  den 
Orden  vom  Heihgen  Geist  um  und  machte  ihn  zum  Ritter,  und  1716 
tat  dasselbe  der  deutsche  Kaiser  Karl  VI.,  der  den  früh  verstorbenen 
Erzherzog  Leopold  zum  Ritter  des  Andreasordens  i)  ernannte  und  ihn 
in  denselben  feierhch  aufnahm.  Von  den  befreundeten  Höfen  werden 
Geschenke  gesandt:  kostbare  Wochenbetten,  prächtige  Wiegen;  der  Papst 
schenkt  katholischen  Prinzen  geweilite  Windeln. 

Stände,  Ritterschaft,  Städte,  Kollegien,  Innungen,  Gemeinden  bringen 
Geschenke  dar. 

Das  frohe  Ereignis  wird  allgemein  gefeiert :  mit  Pauken  und  Trom- 
peten, Glockenläuten,  Kanonenschüsse,  Gewehrsalven;  die  Gesandten 
erhalten  den  Auftrag  in  ihren  Residenzen  Illuminationen  und  Feuer- 
werke zu  veranstalten,  Geld  unter  die  Armen  zu  verteilen,  Fontänen 
mit  Wein  springen  zu  lassen.  Im  Lande  selbst  begnadigt  man,  wenn 
der  erwünschte  Thronfolger  geboren  war.  Gefangene,  läfst  Wein  in 
Si>ringbrunnen  für  jedermann  spenden.  >; Illuminationen,  musicahsche 
Concerte,  Opern  und  Comoedien  und  mancherley  Jubel-Geschrey;  unter 
das  arme  Volck  wird  Brod,  Bier  und  Geld  ausgeteilt.  <  In  manchen 
Ländern  zeigt  man  mehrere  Tage  von  den  Balkons  oder  Erkern  die 
neugeborenen  Prinzen  dem  Volke.  Natürlich  werden  Denkmünzen  und 
MedaiUen  geprägt. 

•)  Der  h.  Andreas  ist  der  Schutzpatron  des  Ordens  vom  Goldenen  Vlieise.  J.  B. 
V.  Rohr.     a.  a.  O.  T.  lU.  Kap.  IX.  §  24. 


176  II-    l"'iitbin(hini:   und  Taufe. 

Bei  den  Tauten  pflegt  man  zuweilen  von  jeder  Praehtentraltunii, 
Abstand  zu  nelnnen,  nur  die  nächsten  Anp;eliörigen  einzuladen.  Iläufii; 
jedoch  werden  befreundete  Fürsten  durch  feierliche  Gesandtschaften  zu 
Gevatter  gebeten.  Fni  (He  Pracht  der  Zeremonie  zu  steigern,  verlegt 
man  den  Taufakt  wohl  auf  den  Abend,  so  dals  die  Beleuchtung  mit 
Wachsfackeln  die  überaus  reich  geschmückte  Schlofska])elle  noch  herr- 
licher erscheincMi  läfst.  In  feierlicher  Prozession  kommen  die  Taufzeugen 
in  die  Kirche:  voran  die  Ilof-Trompeter,  Heer-Paucker,  Herolde,  Hof- 
Marsi'halle,  Ceremonien-Meisttu-  und  die  sämtlichen  Cavaliere«,  dann  die 
Minister,  die  das  zm-  Taufe  erforderliche  (nn-ät  tragen:  bei  den  Katho- 
likcni  das  Salz  und  die  Geschirre  mit  dem  Chrisma,  bei  den  Protestanten 
das  Taufwasser  und  das  Westerhemd.  Der  Täufling  scl})st  wird  unter 
einem  Baldachin  getragen ;  er  ruht  in  einer  Paradewiege  oder  ist  in 
Samtkissen  mit  goldenen  und  silbernen  Frangen  eingewickelt.  Ent- 
weder tragen  die  hohen  Taufzeugen  selbst  das  Kind,  oder  die  Minister 
und  deren  Frauen.  Vor  und  nach  der  Taufe  Vokal-  und  Instrumental- 
musik, Glockenläuten ;  bei  Erteilung  des  Namens  werden  Kanonen  ab- 
gefeuert. In  Frankreich  ruft  ein  Herold :  »Es  lebe  mein  Herr  der 
Dauphin  !x  (Wohl:  Vive  Monseigneur  le  Dauphin.)  Beiden  katholischen 
Fürsten  erhalten  die  Kinder  wohl  acht  oder  mehr  Namen. ^) 

'  Unter  Führung  der  Hof-Marschälle  oder  der  Zeremonienmeister  brin- 
gen die  Taufzeugen  den  fürstlichen  Eltern  ihre  Glückwünsche  dar,  dann  ruft 
Pauken-  und  Trompetenschall  zur  Festtafel.  Die  folgenden  Tage  werden 
in  der  Residenz  allerlei  Festlichkeiten  veranstaltet  ;^mit  Feuerwercken, 
Illuminationen,  musicalischen  Concerten,  Ballettern,  Banquetern,  Comoe- 
dien,  Opern«. 

Jordanwasser  wird  an  den  katholischen  Höfen  gern  bei  der  Taufe 
verwendet,  so  bei  der  des  Erzherzogs  Leopold  1716.  Man  gofs  allerdings 
in  das  Taufbecken  nur  fünf  Tropfen  des  kostbaren  Wassers.  Im  sechsten 
bis  achten  Jahre  erhalten  dann  die  katholischen  Fürstenkinder  das 
Sakrament  der  Firmung. 

Ganz  besonders  prächtig  wurde  der  Kirchgang  der  fürstlichen 
Wöchnerin  an  den  kathohschen  Höfen  veranstaltet.  Vom  Schlosse  bis 
zur  Kirche  oder  Schlofskapelle  geht  die  Festprozession ;  die  Strafsen  sind 
mit  Tapeten,  Gemälden,  Ehrenpforten  geschmückt;  die  Garden  bilden 
Spalier.  Voran  Heiducken,  Lakaien,  Pagen,  Kammer-Fouriere,  Kammer- 
Junker,  Kammerherrn,  die  Minister  nach  ihrem  Dienstalter.  Dann 
kommt  die  Wöchnerin,  geführt  von  ihrem  Gemahl,  einem  Verwandten 
oder  einem  grofsen  Minister,  reich  gekleidet.  Das  Kind  wird  von  einer 
vornehmen  Dame  in  Samtkissen  getragen.  Aus  der  Schlofskapelle 
geht  unter  Pauken-  und  Trompetenschall  die  Geistlichkeit,  mit  weifsen 
Wachskerzen  in  der  Hand,  der  Prozession  entgegen.  Die  Wöchnerin 
nähert  sich  mit  dem  Kinde  dem  Hochaltar,  kniet  nieder,  bekommt 
eine  brennende  geweihte  Kerze  und  erhält  von  dem  Kardinal  oder  Erz- 
bischof den  Segen.    Das  Kind  liegt  während  dieser  Zeit  auf  dem  Altar. 


1)  Jean  le  Pautre,  Gang  zur  Taufe,  Taufe.    (Kultui-g.  Bilderb.  IV ;  N.  2291,  2292.) 


Vj)   Im  Hause  des  Adels  und  des  Bürgers.  177 

Es  folgt  ein  öffentlicher  Gottesdienst,  eine  feierliche  Messe;  das  Te  Deum 
wird  gesungen,  Pauken  und  Trompetenschall.  Dann  geht  die  Prozession 
in  derselben  Ordnung  zurück;  die  hohen  Eltern  nehmen  die  Glück- 
wünsche entgegen.  Gala-  und  öffentliche  Tafel;  am  Abend  Freuden- 
feuer, Illuminationen;  Festlichkeiten,  die  mehrere  Tage  andauern. 

b)  Im  Hause  des  Adels  und  des  Bürgers. 

Sicher  ist  ein  Unterschied  auch  in  den  beobachteten  Formen  Ijeini 
Adel  wie  bemi  Bürgerstand  vorhanden  gewesen,  es  ist  jedoch,  bis  jet/.t 
wenigstens,  nicht  möglich,  die  Verschiedenheit  recht  festzustellen.^) 

Sobald  die  Frau  in  andere  Umstände  kam,  begann  für  den  Mann 
eine  Zeit  der  Sorge  und  der  gröfsten  Ausgaben ;  so  viel  war  der  Sitte 
gemäfs  auf  die  Vorbereitung  zu  verwenden.  Die  Hebammen  halfen  so 
gut  sia  es  vermochten.  AVir  können  uns  in  der  Besprechung  dieses 
Abschnittes  kürzer  fassen,  da  in  dem  trefflichen  Buche  von  Hans  Bosch, 
»Kinderleben  in  der  deutschen  Vergangenheit x^)  eine  ausführliche  Schil- 
derung gegeben  worden  ist.  Bei  der  Entbindung  spielte  der  Hebammen--') 
oder  Geburtsstuhl ■*)  eine  grofse  Rolle.  Mifsgeburten  erreg' en  die  allge- 
meine Aufmerksamkeit  und  werden  deshalb  auch  von  den  Chronisten 
erwähnt;  die  merkwürdigsten  hat  man  sogar  abgebildet  und  diese  Bilder 
in  den  Handel  gebracht.^)  Wie  die  Kometen,  so  sollten  diese  Mifsbil- 
dungen  kommende  Ereignisse  vorher  verkündigen. 

Schwächhche  Kinder  erhielten  bald  nach  der  Geburt  die  Nottaufe^); 
in  einigen  Landesstrichen  scheint  es  Sitte,  dafs  man  nach  14  Tagen  das 
Tauffest  feierte. 7) 

Während  die  Frau  in  den  Wochen  lag,  besuchten  sie  alle  ilii'e 
Freundinnen  und  Nachbarinnen,  und  bei  dieser  Gelegenheit  wurde  denn 
auch  tüchtig  gespeist  und  getrunken.  Albrecht  Dürer  hat  uns  in  seinem 
Marienleben,  bei  der  Darstellung  der  Geburt  Maria  ^),  eine  Nürnberger 
Wochenstube  auf  das  treueste  vorgeführt;  man  l)raue]it  sich  nur  die 
Engel  fortzudenken,  so  liat  man  ein  überaus  wahres  Abbild  der  tatsäch- 
lichen Erscheinung.^)    Auch  auf  diesem  Bilde  sind  die  Gevatterinnen  be- 


»)  Vgl.  P.  G.  Molmenti,  La  vie  privee  ä  Venise  (Ven.  1882).  279  ff.  450  ff. 
^)  Monogr.    z.  deutschen  Kulturgesch.     Hgg.  von  Georg  Steinhausen.    —    Leipz. 
Eug.  Diederichs  1900. 

'')  Fischart.     Geschichtsklitt.  350. 

*)  Leben  einer  deutschen  Frau  z.  Auf.  des  18.  Jhdts.    194. 

*)  Kulturg.  Bilderb.  II,  N.  599,  1099. 

6)  Joach.  V.   Wedel,  Hausb.    283. 

7)  Ebend.  272,  273,  287,  300. 

8)  Kulturg.  Bilderb.  I,  N.  5.  —  Kopfstück  zu  dem  Hiegenden  Blatte:  der  hold- 
seligen  Frauen   Kindbeth-Gespräch  (Eisend.  V,  N.  2630). 

^)  Wochenstuben  sind  im  Mittelalter  häufig  dargestellt  worden ;  sob;dd  es  sich 
darum  handelt,  die  Geburt  der  Maria  oder  Johannes  des  Täufers  zu  malen,  liebt  man 
es,  die  Stube  mit  allen  ihren  Einzelnheiten  vorzuführen.  Der  Meister  der  Lyvers- 
bergischen  Passion  hat  in  seinem  Gemälde  (München,  Alte  Pinakothek),  Israel  van 
Meckenen  im  Kupferstich  eine  Wochenstube  des  fünfzelmten  Jahrhunderts  uns  ge- 
schildert.    (Deutsches  Leben  etc.     Fig.  137,  227.) 

Schultz,     Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  12 


178 


11.     iMilliinilunL:   um!  Taul'e. 


sc'häftigt,  sieh  mit  einem  'rrimk  zu  Iahen.  Hie  Tnsitte  wurde  emllich 
aber  su  lästiü,  dals  die  Ohri^keit  einschreiten  mulste.  In  Nürnberjj^ 
wurden  im  lö.  .lalu'hundei-t  dit^  Kindbetthöfe  üän/Jich  verboten  und  nur 
y-e.stattet.   dal's  die  \\'('iclnicrin  einmal,  j(Mh)eh  naeh  dem  Kssen,  ihre  Mutter, 


Andrea  delhi  Kol>liiii.  Medaillon  am  Findelhause,  dem  Spedale  degli  Inuocente,  in  Florenz. 

Schwiegermutter  etc.,  also  ihre  weibhchen  AnverwaiKheii,  einladet,  aber 
sie  nur  mit  01)st,  Käse  und  Brot,  wie  mit  Frankenwein  bewirtet.  Schon  im 
14.  Jahrhundert  hatte  man  in  Breslau  das  Kinderbier  untersagt.  Andere 
Städte,  wie  Ulm,  Görlitz,  schränkten  die  Schwelgereien  nach  Möglichkeit 
ein.i)  Die  Sitte  der  AVochenbesuche  ist  aber  noch  zu  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts ganz  üldich;  zum  Empfang  der  Gäste  wurde  das  Wochenbett 
und  die  ganze  Stube  aufs  beste  geschmückt.^) 


^)  S.  Deutsch.  Leben  im  14.  u.  15.  Jhdt. 
*)  Leben  e.  deutsch.  Frau  etc.    196 tf. 


183  tf. 


Im   Ifauso  des  Adels  und  des  Bürsers. 


179 


12* 


180 


II.    iMithindiinii   uud  Taufe. 


Ein  weiterer,  in  den  Augen  dei-  Beluh-den  sträflicher  Luxus  war, 
dafs  man  sieh  l)e8trehte,  eine  grol'se  Zahl  xon  Taufzeugen  einzuladen. 
Im  13.  Jahrhundert  tadelt  sehon  Berthold  xon  Regensburg,  dafs  die 
Leute  bis  zu  zwölf  Paten  zur  Taufe  einluden.')  Die  Verordnungen  des 
14.  Jahrhunderts  erlaubten  nur  drei  (}evatt(>rn,  auch  wurde  die  Zahl  der 
Männer  und  Frauen,  welche  aul'ser  den  Taufzeugen  das  Kind  in  die 
Kirche  begleiten,  genau  festgesetzt.  Nach  den  Nürnberger  Statuten 
des  15.  Jahrhunderts  soll  den  b^rauen,  die  ndt  dem  Kinde  zur  Kirche 
<i:inü;en,    nach    ihrer    Kfickkehr    nur    Tjobkuchen    vmd   h^raiikenwein    oder 


Ahriihaiii  (\v   l-iosst',   \.e  retour  du   lia]itöine. 


Meth  vorgesetzt  werden.  In  Wirklichkeit  aber  wurde  nach  der  Taufe 
ein  sehr  stattliches  Festmahl  eingenommen.  Dem  Luxusbedürfnis  der 
Leute  gegenüber  waren  eben  die  Oljrigkeiten  mit  iliren  wohlgemeinten 
Verordnungen  ganz  machtlos.  Aus  den  Breslauer  Taufbüchern  habe  ich 
mir  notiert,  dafs  z.  B.  1580  (d.  5.  Jan.)  Adam  (v.)  Reibnitz  24  Taufzeugen, 
Heinrich  von  Poser  1641  (21.  April)  sogar  62  eingeladen  hat. 

Den  Kaiser  jedoch  zur  Taufe  zu  bitten,  war  streng  verboten ;  wurde 
aber  ein  Kind  in  der  Christnacht  geboren,  dann  nahm  man  es  den 
Eltern  übel,  wenn  sie  den  Kaiser  nicht  zu  Gevatter  luden;  Leopold  I. 
gab  allen  seinen  Patkindern  1000  Rtl.  Geschenk.^)  Jedenfalls  war  die 
Einladung  des  Kaisers  verständiger,  als  wenn  ein  Adjunkt  aus  Eisenach, 
Dr.  Christ.  Friedr  Cotta,  noch  1707  die  Dreieinigkeit  zu  Gevatter  bittet.^) 


»)  Höf.  Leben  "I.   149. 
2)  Curios.  m.    549. 
2)  Curios.  V.    261  ff. 


c)  Bei  den  Bauern.  181 

Auch  die  Patengeschenke  waren  mit  der  Zeit  so  ansehnlich  ge- 
worden, dafs  eine  Einschränkung  erforderhch  erschien.  In  Nürnberg 
wird  im  15.  Jahrhundert  das  einzubindende  Patengeld  auf  32  Pf.  fest- 
gesetzt^); bei  Besuchen  der  Wochenstube  durfte  man  dem  Kinde  nicht 
über  4  Pf.  aufs  Bettchen  legen. 

Ein  neuer  Anlafs  zur  Verschwendung  war  die  Genesungsfeier  der 
jungen  Mutter.  Es  hatte  sich  die  Sitte  eingebürgert,  dafs  sie,  von  ihren 
Freundinnen  umgeben,  zum  P)ade  ging;  in  Ulm  bestimmte  der  Rat, 
dafs  die  Mutter  nur  drei  Frauen  zum  Bade  einladen  dürfe,  dafs  nur  ein 
bestimmtes  Mafs  von  Konfekt  und  Zuckerwerk  verzehrt  werden  dürfe. 
Indessen  waren  noch  zu  Fischarts  Zeiten  >  die  Küchelbäder,  da  man  die 
Kindbetterin  und  sechswöchnerin  wider  zue  Jungfrauen  und  gromet 
sauffet,  die  Kindentwönung ;  -)  berüchtigt. 

Christian  M^eise  sagt  schon  1680:  ;Es  hat  seinen  Ruhm,  wenn 
wohlhabende  Leute  den  Überflufs  ihres  Einkommens  ohne  allen  Schaden 
also  anwenden.  Aber  wo  steht  das  geschrieben,  dafs,  wenn  einer  das 
Jahr  mehr  als  zweyhundert  Gulden  einzunehmen  hat,  die  Hochzeit  mehi 
als  sechshundert  Gulden  kosten  mufs,  Oder  dafs  mancher  mehr  auf  die 
Kind-Tauffe  wendet,  als  er  sein  Lebtage  dem  Kinde  wol  nicht  mit- 
geben kann?^)  - 

c)  Bei  den  Bauern. 

War  schon  die  Verschwendung,  die  in  bürgerhchen  und  adligen 
Kreisen  bei  Taufen  herrschte,  bemerkenswert,  so  erscheint  der  Aufwand, 
den  begüterte  Bauern  bei  solchen  Gelegenheiten  zu  machen  liebten, 
noch  auffälliger.  Freihch  ist  uns  aus  älterer  Zeit  keine  Nachricht  über- 
liefert ;  wir  können  aber  wohl  annehmen,  dafs  die  reichen  österreichischen 
Bauern,  deren  Treiben  Nithart  so  ergötzHch  schildert,  auch  in  dieser 
Hinsicht  es  den  höheren  Ständen  gleichzutun  versucht  haben.  Was 
Guarinonius  über  die  Tiroler  Bauern  erzählt,  gilt  sicher  keineswegs  für 
die  gesamte  ländliche  Bevölkerung  Deutschlands,  denn  Tirol  war  zu 
der  Zeit,  als  der  gelehrte  Arzt  von  Hall  sein  Werk  verfafste,  noch  sehr 
wohlhabend,  während  zumal  im  Norden  Deutschlands  die  Armut  weit 
verbreitet  erscheint,  allein  es  ist  doch  immerhin  interessant,  wie  sehr 
die  Unmäfsigkeit,  die  ja  für  das  gesamte  16.  Jahrhundert  so  bezeichnend 
erscheint,  auch  in  diesen  Kreisen  Eingang  gefunden  hat. 

Im  Ziller-,  Duxer-  und  im  Inntale  schafft  man  an  Vorrat  an:  zu- 
nächst Schmalz,  einen  Kübel  von  1  Zentner  ausgesottenen  und  einen 
halben  Zentner  frischen,  dann  1 — 2000  Eier,  eine  grofse  Menge  Weizen- 
mehl und  ein  mächtiges  Fafs  Traminer-Wein.  Man  legt  den  Wein  ent- 
weder selbst  ein  oder  holt  wöchentlich  1  Basteiden  vom  Wirt.  1  Basteiden 
ist  gleich  8  Innsbrucker,  7  Schwazer  oder  6  Haller  Mafs,  das  kleinste 
Mafs  gleich  drei  Apothekerpfund  und  ein  Pfund  gleich  6  Weingläser, 
also  wöchenthch  an  144  Gläsern.   Die  Wöchnerinnen  essen  unglaubhche 

')  J.  C.  Schleich,  De  eo  quod  justiiin  est  cii'ca  pecuniam  liLstricam  vulgo  Pathen- 
Geld.  —  Erford.    1738. 

2)  Gesch.-Klitt.    74.  —  »)  Die  drei  Haupt-Vorderber  etc.    S.  90. 


|c;2  II.   Eiitltindiiiiu   und   Taute,     c     Hei  den    Uaiu'rn. 

Massen,  die  annon  20— 22nial  die  reichen  24— 28 mal.  8  Eier,  mit 
Weizenmehl  inid  Milch  im  Schmalz  gebacken,  und  ein  Viertel  Traminer 
ist  eine  Mahlzeit  odfi-  eine  Suppe  mit  6  Eiern  und  mehr  oder  12  Eier 
im  Schmalz.  Eine  Zillcrialerin,  die  einen  Bauern  bei  Schwaz  geheiratet 
hat,  Ix'klagt  sich  bei  ihren  Angehörigen,  dafs  ihr  die  Amme  nur  zwölfmal 
zu  essen  gebe,  worauf  er  der  Pflegerin  befohlen  hat,  ihr  vierundzvvanzig- 
nial  Nahrung  zu  reichen. 

Eine  Duxer  Kindbetteriu  läfst  sich,  während  ihre  Mutter  und  ihr 
Mann  in  die  Kirch(>  gegangen  sind,  von  ihrer  Pflegerin  ein  Gericht  aus 
zwölf  Eiern,  P>utter,  Weizenmehl  und  Milch  bereiten;  dazu  esscMi  beide 
eine  gute  Eiersuppe  und  trinken  fünf  Mafs  Traminer,  so  dafs  die  Pfieg- 
annne  sich  niederlegen  mnfs.  Als  die  Mutt(n-  aus  der  Kirche  heimkehrt, 
klagt  die  Tochter,  dafs  sie  eine  Ohnmacht  (Wildnul's)  angekonunen  sei. 
Nachdem  sie  alM'r  mit  der  Mutter  ein  Gericht  von  8  Eiern  gegessen  und 
2  Mafs  Traminer  getrunken,  ist  sie  wieder  ganz  gesund.  Die  Amme 
bekommt  auch  eine  Mals  und  schläft  bis  zum  nächsten  Tage  ihre  Ohn 
macht  aus. 


IM.  Die  Erziehung  der  Kinder. 


a)  An  Fürstenhöfen. 

Nachdem  die  Kinder  entwöhnt  sind,  werden  sie  der  Obhut  von 
Pflegerinnen  anvertraut.  Bis  zum  siebenten  Jahre  verbleuten  auch  die 
Knaben  unter  der  Aufsicht  der  Frauen;  erst  dann  erhalten  sie  männliche 
Erzieher,  die  ihnen  die  Kunst  des  Schreibens  und  Lesens  beibringen, 
sie  in  den  Sprachen,  vor  allem  in  der  lateinischen  und  französischen 
unterrichten,  dann  alles  das  lehren,  was  ein  Prinz  wissen  und  kennen 
mufs.  Mit  den  Fürstenkindern  wurden  auch  adlige  Knaben  als  Gespielen 
erzogen.^)  Die  Sitte,  dafs  diese  Kinder  die  Strafe  erdulden  mufsten,  die 
die  jungen  Prinzen  verdient  hatten,  diese  widerwärtige  Art,  die  Gespielen 
als  Prügelknaben  zu  brauchen-,  ist  erst  seit  dem  16.  Jahrhundert  auf- 
gekommen. Der  spätere  Kaiser  Maximilian  hat  noch,  wie  er  in  seinen 
lateinisch  geschrieljenen  Memoiren  berichtet,  von  seinem  Lehrer  Ohr- 
feigen bekommen.-) 

Im  übrigen  hal)en  die  Kinder  der  Fürsten  wohl  an  denselben 
Spielen  sich  erfreut,  wie  sie  die  Jungen  der  Bürger  erlustigten :  Stecken- 
pferd, Ballspiel  u.  s.  w.  ^) 

Eine  grofse  Hauptsache  aber  war ,  dafs  die  Knaben  aus  den 
Herrscherfamilien  frühzeitig  im  Reiten  geübt  ^),  im  Gebrauch  der  Waffen 


^)  Weifskunig  (meine  Ausg.),  Abb.  S.  55. 

•')  Ebend.  S    424. 

3)  Vielleicht  auch  Soldaten.  Vgl.  Hof.  Leben.  »I,  153,  Abb.  47.  —  Weilskunig 
(ni.  Ausg.),  S.  53,  kulturgesch.  Bilderb.  I,  N.  94.  —  Vgl.  Jacques  Stella,  Les  jeux  et 
plaisins  de  l'enfance.     Invantez  par  Jacques  Stella,  graves  par  Claudine  Stella,  l'aris  1657. 

*)  Georg  Engelhardt  l^öneyssen,  Von  Zeumen  etc.  o.  O.  1588. 

Job.  Geissert,  Ein  Ritterlieli  uml  Adelich  Kunstltucli,  Darinnen  von  Reiten  etc. 
Koburg  1613. 

A.  de  Pluvinel,  L'Instruction  du  Roy  (Louis  XIII.)  en  exercice  de  inonter  ä 
cheval.  Paris  162!).  Mit  Kupfern  von  Crispin  de  Passe.  (Kulturgesch.  Hilderb.  TU, 
N.  1647—165-2.) 

Gull,  marquis  de  Newcastles  Methode  et  iuvention  nouvelle  de  dresserj  les 
chevaux.     Anvers  1658.     Dirk  Maas,  Reitschule  (Kulturg.  Bilderb.  V,*N.  2784—89). 


jg^  III.  I)ic  Erziohung  der  Kinder. 

unterwiesen  wurden.^)  Seit  dem  siebenten  Jahre  beginnen  deshalb  die 
jungen  Prinzen  iln-e  Exerzitien  unter  der  Leitung  eines  erfahrenen 
Kriegsmannes.  An  ihren  Übungen  nehmen  die  adehgen  Knaben  teil, 
die  am  Hofe  ihre  Erziehung  erhielten.  Ein  Fechtmeister  unterweist  sie 
im  Gebrauch  des  Schwertes  und  des  Schildes;  im  13.  Jahrhundert  waren 
besonders  berühmt  die  ]\Ieister  aus  Irland;  in  der  späteren  Zeit  bevor- 
zugte man  die  Fechtlehrer  aus  Italien  und  Frankreich.  Das  Ringen 
wurde  auch  gelehrt,  und  da  waren  wieder  die  Engländer  die  gesuchtesten 
Meister.  Alle  diese  Wai^enübungcn  nehmen  den  grofsten  Teil  der 
Jugendzeit  in  Anspruch.  Sobald  die  jungen  Leute  die  Kunst  des 
Reitens,  den  Gebrauch  der  Lanze,  des  Schwertes  erlernt,  erprobten  sie 
im  Zwcikami)f  zu  Pferde  (dem  tjost)  ihre  Geschicklichkeit  und  erlernten 
im  Gefecht  von  Schar  gegen  Schar  (Turnier)  die  Anfangsgründe  der 
Taktik.  Auch  im  15.  Jahrhundert  wurde  auf  diese  Ausbildung  eines 
jungen  Fürsten  ein  sehr  grofses  Gewicht  gelegt.  Maximilian  erzählt  uns 
im  Weifskunig  von  seinen  Waffenübungen.  Er  hat  schon  als  Knabe 
mit  der  Armbrust  umzugehen  gelernt,  eine  kleine  Kanone  zum  Spielen 
besessen-);  er  lernt  dann  mit  den  verschiedenen  Arten  von  Bogen 
schiefsen  ■^),  mit  dem  langen  Schwerte*),  mit  der  Pavese  im  Kürafs 
fechten ö),  die  Lanze  ^),  die  Hellebarte  ^)  zu  brauchen,  zu  turnieren^),  zu 
beizen^),  fischen ^°)  und  zu  jagen.^^)  Maximilian  wurde  dann  auch  nicht 
nur  ein  ausgezeichneter  Ritter  Und  Kriegsheld,  sondern  auch  ein  vor- 
treffhcher  Jäger  und  Meister  in  allen  ritterüchen  Künsten. 


C.  Lieb,  Practica  et  arte  di  cavalleria  of-oeffening  en  konst  des  rydens.^  Utrecht 
1671.  _  De  SoUeysel,  Le  parfait  mareschal  .  .  .     Brux.  1691. 

de  la  Gueriuiere,  L'ecole  de  cavalerie.     Paris  1733,  1751. 

Joh.  Elias  Ridinger,  Neue  Reit-Kuust.     Augsb.  1744. 

»)  Joach.  Mayer,  (Tründl.  Beschreibung  der  freyen  Ritterlichen  und  Adelicheu  Kunst 
des  Fechtens.  Strafs)>.  1570,  illustriert  von  Tobias  Stimmer.  (Kulturg.  Bilderb.  III, 
N    1333,  40). 

Fechter,  Holzschn.  von  Jost  Amman.  (Kulturg.  Bilderb.  II,  N.  1059— 63 )  —  Nie. 
Solls,  rechtschule  (ebend.  II,  N.  895.) 

Achille  INIarozzo,  Opera  de  l'arte  de  l'armi.     Venezia  1550. 

Mercurio  Spetioli,  Capitolo  nel  quäle  si  mostra  11  modo  di  saper  bene  schermire 
e  cavalcare.     Bol.  1577. 

Aug.  Viggiani,  Trattato  dello  schermo.     Bologna  1588. 

Salvatore  Fabris,  De  lo  schermo,  overo  scienza  d'armi.     Copeuh.  1606. 

Neu  künstlich  Fechtbuch.     Nürnb.  1616. 

F.  Alfieri,  La  scherma.     Padova  1640. 

Ridolfo  Capoferro,  Gran  simulacro  dell  arte  e  dell  uso  della  scherma.    Siena  1610. 

J.  G.  Bruchius,  Grondige  beschryvinge  van  de  edele  en  de  ridderlijcke  scherm- 
ofte  wapenkonste.     Leyden  1671. 

Franc.  Ant.  de  Ettenhard,  Compendio  de  los  fundamentos  de  la  destreza  de  las 
armas.     Madr.   1675. 

Jean  Jamain  de  Beaupre,  Methode  tres  facile  pour  former  la  noblesse  dans 
l'art  de  l'epee.     Ingoist.  1721. 

Fabian  von  Auerswald,  Ringer-Kunst.  Wittenb.  1539.  —  Romein  de 
Hooge,  AVorstelkonst.  xYmsterd.  1674.  —  Ders.  L'acadömie  de  l'admirable  art  de  la 
lutte.     Leide  c.  1700. 

«)  M.  Ausg.,  S.  53.  —  »)  S.  87,  88,  90.  —  *)  S.  99.  —  *)  S.  101.  —  «)  S.  102.  — 
7)  S.  103.  —  «)  S.  105.  —  9)  S.  93.  —  "*)  S.  98.  -  ")  S.  91,  95. 


a)  An  Fürstenhöfen. 


185 


Eine  sehr  lehrreiche  Schilderung  von  der  Erziehung  eines  fürst- 
lichen Knaben  entwirft  uns  Johann  Fischart  in  seiner  Geschichtsklitte- 
rung. Mit  dem  »Abecetäflein  .  wird  Gargantua  das  Lesen  beigebracht  und 
das  Schreiben  gelehrt ;  darauf  kommt  ein  anderer  Lehrer,  bei  dem  er  die 
Anfangsgründe  des  Lateins  erlernt,  i)  Dann  aber  ward  der  Knabe  mit 
einem  Hofmeister   nach  Paris  geschickt.^)     Der  Prinz  steht  spät  auf,  ifst 


Haus  Rurckmaier,  Der  junge  \Neifskuni«  in  »ler  Schule. 


7A\r  Morgensuppe  und  trinkt  tüchtig.  Nach  dem  Kirchgang  wird  eine 
kurze  Zeit  dem  Studium  gewidmet;  dann  folgt  das  Nachtmahl,  bei  dem 
wieder  das  Trinken  eine  grofse  Rohe  spielt.  Den  Rest  des  Abends  ver- 
treibt man  sich  mit  Karten  und  Würfeln,  übt  sich  in  den  Brettspielen 
oder  unterhält  sich  ndt  Gesellschaftsspielen,  deren  Fischart  gegen  600 
anführt.    Rätsel  werden    aufgegeben    und   gelöst.     Die   Spiele   im  Freien 


1)  Neudruck,  cap.  XVII,  S.  216  ff. 
»)  Cap.  XVIII,  S.  224. 


]^36  I''     '*'^  Ei/iohunt;  dor  Kinder. 

kommen  an  die  Reilie,  sobald  sie  aus  der  Stadt  hinausreiten;  alle  sind 
darauf  bt- rechnet,  die  körperliche  Gewandtheit  aufs  beste  auszubilden. 
Der  neue  Hofmeister  aber  hält  den  Knaben  an,  schon  um  4  Uhr  auf- 
zustehen, sich  sofort  zu  kämmen  und  zu  bürsten.  Nach  einer  kurzen 
Morgenandacht  wird  während  des  Anziehens  wiederholt ,  was  sie  tags 
zuvor  gelesen,  das  Aussehen  dos  Himmels  u.  s.  w.  beobachtet.  Die  Lektion 
des  vergangenen  Tages  winl  rtpeliert.  die  neue  vorgenommen.  Damit 
hat  der  wissenschaftliche  Unterricht  sein  Ende.  Sie  gehen  i(^tzt  ins 
Freie,  und  da  werden  Spiele  getrieben,  die  den  Leib  stark  und  ge- 
schmeidig machen.  Auf  dem  Heimwege  führen  sie  belehrende  Ge- 
S])räche;  selbst  beim  Mahl  wird  vorgelesen  oder  über  anregende  Stoffe 
gesprochen.  Nach  Beendigung  der  Mahlzeit  wäscht  man  die  Hände, 
spricht  ein  Dankgebet  oder  singt  einen  Psalm.  Das  Kartenspiel  hat  den 
Zweck,  den  Verstand  zu  schärfen,  oder  sie  vertiefen  sich  in  geometrische 
Kombinationen  u.  s.  w.,  treiben  Astronomie  oder  singen  mehrstimmig. 
Die  Übung  der  musikalischen  Instrumente  spielt  eine  grofse  Rolle.  Dann 
aber  beginnt  das  Studium  aufs  neue  und  es  wird  die  Kunst  des  Schön- 
schreibens geübt.  Nach  den  Schulstunden  kommt  nun  die  Waffenübung 
an  die  Reihe,  dann  \vird  gesprungen,  geschwommen,  geklettert.  Beim 
Rückweg  über  die  Wiesen  spricht  man  von  Feldbau,  von  Blumen- 
gärten. Vor  Tisch  reden  sie  über  alles,  was  am  Tage  neu  gelernt 
wurde;  die  Lektion  für  den  nächsten  Tag  wird  angefangen.  Nach  dem 
Dankgebete  unterhalten  sie  sich  smit  guten,  gelehrten,  nützlichen  reden  . 
Dann  singen  sie  Lieder,  spielen  Karten  oder  Brettspiele,  hören  Erzäh- 
lungen weitgereister,  erfahrener  Männer.  Vor  dem  Schlafengehen  be- 
trachten sie  noch  einmal  den  Himmel  und  überlegen,  was  sie  im  Laufe 
des  Tages  gelernt,  gesehen,  erfahren,  getan.  Erlaubte  das  Wetter  den 
Aufenthalt  im  Freien  nicht,  so  übten  sie  sich  in  den  Scheuern  mit 
Dreschen  u.  s.  w.,  in  den  Ställen,  beim  Bauern  oder  versuchten  sich  in 
den  schönen  Künsten. 

Der  Lehrer  führt  seinen  Zögling  zu  den  verschiedenen  Handwerkern, 
zu  den  Vorlesungen  auf  der  Universität,  zu  Komödien,  Hochzeiten, 
Tänzen,  Kirchweihen,  ganz  besonders  in  die  Fechtschulen,  in  die  Apo- 
theken, zu  Falschmünzern,  Wucherern,  getauften  und  nicht  getauften 
Juden,  Marktschreiern,  Landstreichern.  Brachten  sie  einmal  einen  Tag 
auf  dem  Lande  zu,  dann  wurde  gedichtet,  an  Tanz  und  sonstiger  Lust 
erfreut. 

Fischart  hat  wohl  das  Ideal  einer  Fürstenerziehung  zeichnen  wollen, 
indessen  ist  schon  Maximihan  in  den  Werkstätten  der  Handwerker 
gewesen.  Er  besucht  den  Maler  (S.  75),  die  Bauleute  (S.  76),  die  Zimmer- 
plätze (S.  78),  die  Musikanten  (S.  79),  die  Münzer  (S.  85). 

Das  Gewöhnliche  ist,  dafs  seit  dem  16.  Jahrhundert  die  Fürsten- 
söhne auf  einige  Zeit  mit  ihrem  Hofmeister  eine  Universität  besuchen. 
Da  werden  sie  sehr  geehrt,  zu  Rektoren  gewählt.  Die  Söhne  des  Herzogs 
Philipp  von  Pommern,  Ernst  Ludwig  und  Barnim,  studieren  erst  in 
Greifswald,  gehen  aber  dann  1563  nach  Würzburg,  wo  der  ältere  sofort, 
sein  Bruder  im  folgenden  Jahr   zum  Rektor   gewählt  wird.     1506  reisen 


a)   An  Fürstenhöfen.  187 

sie  zur  Fortsetzung  ihrer  Studien  nach  Paris,  besuchen  England  und 
kehren  im  nächsten  Jahre  heim.  Auch  der  jüngste  Sohn  des  Herzogs 
Bogislaus  von  Pommern  bezieht  1602  die  Universität  Rostock  und  ^vird 
zweimal  zum  Rektor  gewählt.  (Joach.  v.  Wedel.)  Dann  machen  die 
Prinzen  mit  ihrem  Mentor  die  Reise  nach  Italien;  seit  dem  17.  Jahr- 
hundert aber  ist  es  erforderlich,  Paris  kennen  zu  lernen. 

Das  schon  zitierte  Werk  von  Florinus  ist  zuerst  1719  in  Nürnberg 
erschienen,  enthält  also,  was  man  gegen  Ende  des  17.  und  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts  für  erforderlich  erachtete.  Im  ersten  Buche,  Abt.  III, 
Kap.  II,  §  12  zählt  er  auf,  was  nach  La  Mothe  de  Vayer  ein  Prinz 
lernen  müsse:  Rehgion,  Gerechtigkeit,  Finanz-  und  Kriegswesen,  die 
Artes  liberales:  Grammatik,  Rhetorik,  Logik,  Arithmetik,  Musik,  Geo- 
metrie, Astronomie,  dann  Physik,  Geographie,  Moral,  die  sieben  mecha- 
nischen Künste :  Agrikultur,  Architektur,  ( 'hirurgie,  Schiffskunst,  Poesie, 
»Astrologia  judiciaria  aus  den  Sternen  wahr  zu  sagen«,  Alchymie,  Magie 
(die  Magie  hatte  schon  Maximilian  studiert).  ^)  Die  letztgenannten  Dis- 
ziplinen hält  jedoch  der  Autor  eher  für  schädlich,  zumal  die  Alchymie. 
Dagegen  führt  er  selbst  noch  die  Heraldik  an  und  die  Kenntnis  der 
Edelsteine  und  der  Bücher.^) 

Die  Kunst  des  Drechseins  ist  in  der  Tat  von  mehreren  deutschen 
Fürsten  geübt  worden;  August  der  Starke  von  Sachsen  hatte  ansehn- 
üche  Kenntnisse  vom  Bauwesen  und  wufste  mit  Geschick  und  Geschmack 
Bauwerke  zu  erfinden  und  zu  entwerfen;  viele  der  Habsburgischen 
Fürsten  haben  sich  als  Musiker  und  Komponisten  ausgezeichnet. 

Zur  Zeit,  als  J.  B.  von  Rohr  sein  Kapitel  »Von  Auferziehung  Fürstl. 
Printzen«^)  schrieb,  1729,  hatten  sich  die  Ansprüche  an  die  Ausbildung 
eines  zukünftigen  Herrschers  wesentlich  verändert.  Er  meint,  dafs  jeder 
Vater  seinen  Sohn  den  eigenen  Neigungen  entsprechend  erziehe.^)  Der 
eine  legt  auf  die  wissenschaftliche  Bildung,  der  andere  auf  die  militärische 
Schulung  Wert,  und  dann  müssen  die  Prinzen  ;bey  Zeiten  das  Mustern 
der  Regimenter,  das  Commandiren,  Exerciren  und  was  zum  Kriegs-Metier 
gehört,  begreiffen  lernen«.^)  Wieder  andere  Väter  wollen,  dafs  ihre  Söhne 
tüchtige  Jäger  werden.  Um  die  Eitelkeit  der  jungen  Prinzen  einzuschränken, 
sollen  sie  von  den  Lehrern  nur  z.  B.  Prinz  Wilhelm,  nicht  königl.  Ho- 
heit, genannt  werden.     Das  Züchtigungsrecht  wird  zuweilen  den  Lehrern 

')  Weifskunio,  S.  65. 

^)  Bestallunji-  eines  Hofmeisters  fürstlicher  junger  Herren.  Florinus  ti.  a.  0.,. 
T.  II,  Buch  1,  Abt.  3,  Kap.  III,  §  13. 

')  A.  a.  O  ,  T.  I,  Kap.  XII. 

*)  Hofmeister  —  später  (Touverneure  —  und  unter  ilinen  der  I'rä/eptor  oder 
Informator  sind  mit  der  Erziehung  l)eauftragt,  wie  Franciscus  Pliilippus  Florinus  in 
seinem  Oeconomus  prudens  .  .  .  oder  Grosser  Herren  Stand-  und  Adelicher  Haus-Vatter. 
Nmb.,  Frkf ,  Lpz.  1751,  I,  106  mitteilt.  Bis  zuiu  sechsten  Jahre  soll  der  I'rin/,  das 
Lesen  erlernt  haben,     Ebend.  319. 

*)  Florinus  (a.  a.  O.  325)  hält  es  für  nützlich,  den  Fürstenkindern  Bleisoldaten 
zu  geben,  da  sie  bei  diesen  Spielen  mancherlei  lernen  können,  was  ihnen  später  ein- 
Miai  nützlich  ist.  So  habe  Tiaspard  de  Coliguy  von  seinem  Vater  Soldaten  aus  Elfen- 
bein zum  Spielen  erhalten  und,  von  ihm  unterwiesen,  es  so  weit  gebracht,  -»dals  er 
schon  im  dritten  Jahr  seines  .Mters  ein  gantzes  Regiment  hätte  mustern  können.! 


183  III.  Die  Erziehung  der  Kinder. 

übertragen,  in  anderen  Fällen  behalten  es  sich  die  Eltern  vor.  Als  den 
nachmahgen  Kaiser  Leopold  I.  sein  Informator  mit  der  Rute  züchtigen 
Avolltc,  entrifs  ihm  der  junge  Erzherzog  dieselbe  und  überreichte  sie 
seinem  Vater,  dem  Kaiser  (Ferdinand  III.)  mit  diesen  Worten :  »Niemand 
in  der  Welt  hat  ausser  Euer  Kayserlichen  Majestät  die  Macht,  einen 
Ertz-IIertzog  von  Oesterreich  abzustrafen.«  Auf  die  Kenntnis  der  latei- 
nischen Sj)rache  wird  viel  weniger  Wert  gelegt,  als  das  früher  der  Fall 
war ;  nur  wenige  lernen  sie  mündlich  völlig  beherrschen.  In  den  Mufse- 
stunden  vergönnt  man  ihnen  zum  Divertissement  allerhand  Arten  Spiele, 
als  Kegelspiel,  Volanten  schlagen,  Billiard-Tafeln  u.  s.  w. 

Bei  Gelegenheit  von  Spaziergängen  und  Lustreisen  können  den 
Prinzen  allerlei  Kenntnisse  spielend  beigebracht  werden.  Das  Reiten 
aber  müssen  sie  von  frühester  Jugend  an  lernen,  ebenso  die  Schiefs- 
waffen zu  gebrauchen.  ^Heutiges  Tages  gehört  es  unter  die  gröfsten 
Raritäten,  wenn  ein  Printz  Studierens  halber  die  Academien  besuchen 
sollte  <.  Dagegen  sollen  Reisen  in  fremde  Länder  die  Bildung  eines 
Fürstensohnes  vollenden.  Kommen  sie  dann  heim,  so  erhalten  sie  von 
ihrem  Vater  einen  Wirkungskreis  angewiesen,  und  das  gilt  ganz  besonders 
von  den  Erbprinzen;  jüngere  Söhne  treten  bei  mächtigeren  Herrschern 
in  den  Kriegsdienst  oder  suchen  an  einem  grofsen  Hofe  im  Civildienst 
vorwärts  zu  kommen.  Den  Erbprinzen  aber  wird  entweder  »eine  eigene 
und  besondere  Hof-Statt  zugeordnet  und  eine  eigene  Tafel  bestellt,  wenn 
sie  anfangen,  ihre  mündigen  Jahre  zu  erreichen,  oder  sie  müssen  sich 
bifsweilen  mit  dem  von  ihren  Hoch-Fürsthchen  Eltern  ihnen  gewidmeten 
appointement  und  den  wenigen  ihnen  zugegebenen  Bedienten  eine  lange 
Zeit  behelfen,  ob  sie  schon  vermählet  und  wiederum  andere  Hoch-fürst- 
liche Descendenten  haben«. 

Von  den  Apanagen  und  von  der  Versorgung  der  natürlichen  Kinder 
mrd  im  13.  Kap.  des  ersten  Teiles  das  Nötige  mitgeteilt. 

Die  Mädchen  spielten  mit  Puppen  (tocken)  und  bekamen  ihr  kleines 
Kochgeschirr,  ihre  Puppenstuben.^)  Sonst  nahmen  sie  mit  ihren  Ge- 
fährtinnen an  den  Spielen  der  Knaben  teil.  Die  Erziehung  einer  Tochter 
aus  vornehmer  Familie  leitete  die  Meisterin  (magezogin)^),  die  sie  vor 
allem  zur  Frömmigkeit  anzuhalten,  sie  an  gutes,  tadelloses  Benehmen 
zu  gewöhnen  hatte.  Die  wissenschaftliche  Bildung  der  jungen  Mädchen 
wurde  wohl  für  weniger  wichtig  erachtet,  doch  hören  wir  von  Damen, 
die  des  Lesens  und  sogar  des  Schreibens  kundig  waren.  Dagegen  legt 
man  einen  grofsen  Wert  darauf,  dafs  die  Kinder  frühzeitig  die  französische 
Sprache  erlernen,  und  hielt  ihnen  wohl  auch  zu  diesem  Zwecke  französische 


1)  Höf.  Leben,  H,  158  ff. 

In  Arnstadt  wurde  noch  um  1820  eine  merkwürdige  Puppensammlung  gezeigt, 
die,  im  Schlosse  Monplaisir  aufgestellt,  von  der  verwitweten  Gräfin  von  Schwarzburg, 
Augusta  Dorothea  von  Braunschweig  (f  1721),  angefertigt  worden  war.  Besonders  in- 
teressant müssen  die  Darstellungen  aus  dem  Leben  einer  Fürstin  gewesen  sein.  Vgl. 
(Vulpius)  Kuriositäten  VIII  (Weimar  1820),  S.  426  ff.  Es  verlohnte  wohl  der  Mühe, 
über  den  Verbleib  der  Sammlung  Erkundigungen  einzuziehen. 

'■')  Instruktion  für  eine  Hofmeisterin  und  eine  Oberhofmeisterin,  beide  datiert 
1717  bei  Florinus,  a.  a.  0.  (T.  II,  Buch  1,  Abt.  3,  Kap.  II,  §  31.) 


a)    An  Fürstenhöfeii.  189 

Gouvernanten.  Musikalischen  Unterricht  erhielten  sie  immer,  lernten 
die  Harfe,  die  Guitarre  u.  s.  w.  spielen  und  dazu  singen,  die  landes- 
übhchen  Tänze  tanzen,  dazu  die  gewöhnlichen  Brettspiele,  Schach-, 
Dame-,  Mühle  spielen  und  auch  die  Gesellschaftsspiele  wohl  kennen. 
Dafs  nebenher  die  jungen  Fürstinnen  auch  mit  der  Hauswärtschaft  sich 
vertraut  machten,  das  gilt  als  selbstverstcändhch.  Selbst  bei  Florinus 
(a.  a.  0.,  T.  II,  Bd.  I,  Abt.  III,  Kap.  II,  §  29)  wird  es  als  unumgängHch 
notwendig  hingestellt,  dafs  eine  Fürstin  sich  gründliche  Keimtnisse  von 
der  Haushaltung  aneigne. 

Noch  im  18.  Jahrhundert  stellte  man  im  grofsen  Ganzen  dieselben 
Anforderungen  an  die  Erziehung  einer  Prinzessm,  die  man  vor  sechs- 
hundert Jahren  als  bewährt  angesehen  hatte.  Musik  und  Tanz,  dazu 
Kenntnis  des  Französischen  ist  neben  der  Erfahrung  im  Hauswesen  das 
wesenthche  Erfordernis  einer  guten  Erziehung.  Auf  die  wissenschaft- 
Hche  Bildung  kommt  es  weniger  an;  es  werden  zwar  Lehrer  gehalten  — 
die  Hofmeisterin  soll  sie  nie  mit  ihren  Schülerinnen  allein  lassen 
(S.  Abaelard  und  Heloise)  —  indessen  wenn  die  Junge  Dame  einen  leid- 
lichen Brief  zu  schreiben,  fertig  zu  rechnen  lernt,  etwas  von  Geographie 
und  Geschichte  weifs,  dann  ist  es  genug.  Besser  erscheint  es  freihch, 
dafs  sie  statt  der  »Romains«  oder  »schädhcher  Liebes-Bücher  <  ein 
ernstes  Geschichtswerk  liest. 

Die  Kinder  des  Adels  wurden  ähnhch  erzogen,  natürhch  weniger 
kostspiehg,  allein  das  Beispiel  des  Hofes  suchte  man  doch  nach  besten 
Kräften  nachzuahmen.  Eine  kleine  Zahl  der  adligen  Knaben  wuchs  am 
Hofe  auf,  hatte  da  zu  lernen,  aber  auch  die  Herrschaft  zu  bedienen,  bei 
Tische  aufzuwarten,  später  als  Knappen  ihren  Herrn  in  den  Krieg  zu 
begleiten.  Es  sind  das  die  Kindelin  oder  Knaben,  deren  Dienstbarkeit 
zu  Ende  ging,  wenn  sie  sich  der  Ritterwürde  wert  erwiesen  hatten.  Auch 
in  der  Folgezeit  findet  an  den  Höfen  eine  immerhin  beschränkte  Menge 
von  jungen  Adhgen  Aufnahme,  werden  in  der  Pagerie  zu  allen  adhgen 
Künsten  erzogen  und  haben  gleichfalls  persönlich  zu  dienen.  Für  jede 
Ungeschickhchkeit  werden  sie  körperlich  abgestraft^)  oder  mit  Geldbufsen-) 
belegt.     Ist  die  Pagenzeit  zu  Ende,  so  erhalten  auch  sie  den  Degen.'^) 

Wilhelm  Werner  Freiherr  von  Zimmern  (geb.  1485)  wird  noch  so 
wie  die  adligen  Kinder  im  13.  Jahrhundert  früh,  schon  im  vierten 
Lebensjahre,  aus  dem  Elternhause  dem  Grafen  Georg  von  Werdenberg 
zu  Sargans  nach  Ortenstein  in  Rhätien  geschickt,  kommt  dann  an  den 
Württemberger  Hof,  wo  er  mit  Herzog  Ulrich  und  mit  einer  Anzahl 
adliger  Kinder  einem  Präzeptor  anvertraut  wird.  1504  geht  er  nach  Tü- 
bingen auf  die  Universität  und  lebt  da  bei  dem  Doktor  der  Rechte  Endres 
Drostel,  der  war  sein  preceptor  und  sein  costherr-.  In  Freiburg  wird 
er  1506  Rektor  und  bleibt  da  bis  1509.*) 


')  Simplicissimus,  Buch  I,  Kap.  31. 

*)  Unter  Kaiser  Leopold  I.     (Vulpius)  Kuriositäten  III,  549. 

3)  Ebendas.  VI,    373.  —  Cf.  J.   B.  von  Rohr.     Einl.  zur  Cerenioniel.   Wiss.   (P.erl. 
1792).     T.  I,  Kap.  XIV,  §  45. 

*)  Zimni.  Chron.  III,  1  ff. 


igQ  IJI.     Die  Erzieluini:   ilor  Kinder. 

Johann  Christoph  Freiherr  von  Zimmern  Avdrd  anfangs  bei  seinem 
Vetter  erzogen,  dann  sorgt  für  seine  Bildung  der  Domherr  von  Konstanz, 
Dr.  jur.  Johann  von  Blotzheim.  Der  Graf  Christoph  von  Henneberg 
tritt  ihm  sein  Kanonikat  in  Stralsburg  ab;  nachdem  die  Adelsprobe 
genügend  befunden  worden  war,  \nrd  der  Knabe  in  sein  Amt  eingeführt. 
Dann  erst  studiert  er.  1532  überläl'st  ihm  Graf  Otto  von  Henneberg 
sein  Kanonikat  in  Köln.  Der  Bruder  des  Johann  Christoph,  Froben 
Freiherr  von  Zimmern,  ist  indessen  bei  Phihpp  Echter  von  Mespelbronn 
erzogen  und  von  einem  Präzeptor  unterrichtet  worden.  Beide  Brüder 
beziehen  liVM  die  Universität  Tübingen  und  studieren  unter  Leitung 
ihres  Präzeptors  Mgr.  Christ.  Mathias.  ir)ö2  nimmt  der  noch  nicht 
15jährige  Johann  Christo})h  seine  Residenz  in  Strafsburg  —  seit  dieser 
;^t'it  mufs  ein  Kanonikus  24  Jahre  alt  sein.  Froben  erhält  eine  Pfründe 
in  ^^peier.  1534  gehen  sie  auf  zwei  Jahre  nach  Frankreich,  besuchen 
die  Universität  Bourges,  dort  Alciatus  u.  s.  w.  zu  hören.  Nach  ihrer 
Küokkehr  residieren  beide  in  Strafsburg^) 

Das  ist  der  Erziehungsgang  eines  Si»rr)fshngs  aus  roichsunmittel- 
barem  ( Jraf engeschlecht. 

Joachim  von  Wedel  (geb.  1552),  der  Sohn  des  pommerischen  Ober- 
hofmarschalls, hat  1566  einen  Präzeptor.  Unter  Leitung  eines  privatus 
])raeceptor  besucht  er  die  Universitäten  in  Greifswald  1569,  Frankfurt  a.  O. 
1570.  Dann  übernimmt  er  1574  sein  Gut  und  heiratet  1576  Ilse  von 
Arnim. 

Die  merkwürdigste  Erziehung  hat  der  bekannte  Hans  von  Schwei- 
nichen  erhalten.  Auch  er  ist  der  Sohn  eines  Hofmarschalls  (geb.  1552), 
aber  trotzdem  hütet  er  mit  neun  Jahren  noch  die  Gänse,  lernt  nebenher 
beim  Dorfschreiber  deutsch  schreiben.  Als  er  zehn  Jahre  alt  geworden 
war,  wird  er  an  den  Hof  von  Liegnitz  gebracht  und  da  mit  dem  Prinzen 
Friedrich  (später  IV.)  unterrichtet;  nebenher  hat  er  aufzuwarten.  Doch 
1563  ist  er  wieder  auf  dem  väterhchen  Gute  und  setzt  da  seine  Studien 
beim  Dorfschreiber  fort.  Dann  begleitet  er  als  Spiefsjunge  seinen  Herrn 
auf  einer  Reise,  erhält  1564—65  Unterricht  von  einem  Pfarrer  und 
besucht  1566  die  Schule  von  Goldberg.  Als  er,  fünfzehnjährig,  1567  nach 
Hause  zurückkehrt,  ist  er  mit  seinen  Studien  gänzhch  fertig.  Er  wdrd  trotz- 
dem 1572  Junker,  1573  Kammerjunker,  1576  Rat  und  Hofmeister  u.  s.  w. 

Im  17.  Jahrhundert  erhielten  auch  die  Kinder  des  höheren  Adels 
einen  Hofmeister.  Die  Instruktion  .Bestallung  eines  Hofmeisters  eines 
Gräflichen  jungen  Herrens  ist  bei  Florinus  a.  a.  0.  (T.  II,  B.  I,  Abt.  III, 
Kap.  III,  §  13)  zu  finden. 

Ein  Vorrecht  nahmen  die  adhgen  Kinder  schon  im  16.  Jahrhundert 
in  Anspruch:  sie  verlangten  mit  Ihr  und  nicht  mit  Du  angeredet  zu 
werden.  »Die  Junker  sollen  nicht  gedauzt  sondern  geirzt  werden. «2) 
»Selbst  ein  kleines  adliges  Mädchen  verlangt  von  ihrem  Oheim  geirzt 
7Ai  werden.«'^) 


1)  Zimm.  Chruii.  III,  204  ff. 
«)  Zimm    Chron.  H,  343. 
3)  Ebend.  n,  452. 


a)   An  Fürstenhüt'en.  X91 

Der  Adel  hat  während  des  Mittelahers  eine  hervorragende  Rolle 
gespielt,  den  Fürsten  immer  am  nächsten  gestanden,  die  Bildung  und 
die  Intelligenz  des  Volkes  vertreten.  Die  ältesten  Söhne  ererbten 
nach  dem  Tode  des  Vaters  den  Familienbesitz,  die  jüngeren  suchten  als 
Soldaten  in  der  Heimat  oder  in  der  Fremde  ihr  Glück  zu  machen,  eine 
reiche  Erbin  zu  gewinnen  oder  bei  den  Kriegszügen  sich  ein  Vermögen 
zu  erwerben.  Die  zum  Kriegsdienst  nicht  brauchbaren  wurden  der  Kirche 
geweiht;  in  einem  Kloster,  das  von  der  Familie  gestiftet  oder  mit  Ge- 
schenken bedacht  worden  war,  konnte  es  ein  Sprofsling  derselben  bald 
zu  Würden  bringen;  als  M^ eltgeistlicher  konnte  er  bestimmt  hoffen,  ein 
Kanonikat  oder  auch  eine  noch  höhere  Stellung,  dank  dem  Einflüsse 
seiner  Anverwandten,  zu  erlangen.  Ein  Teil  des  Adels  aber  trat  in  den 
Dienst  der  Höfe^);  die  Kämmerer,  Truchsessen  (Senechals),  die  Mar- 
schalke und  Schenken  sind  von  altersher  aus  adligen  Familien  erwählt 
worden.  Je  mehr  sich  die  Verwaltung  an  den  Höfen  entwickelte,  desto 
mehr  Stellen  wurden  in  den  verschiedensten  Zweigen  der  Regierung- 
erforderlich.  Die  nun  zu  höheren  Würden  gelangen  wollen,  müssen 
studiert  haben.  Noch  im  16.  Jahrhundert  gibt  es  sehr  viele  Edelleute, 
die,  was  ilire  Geistesbildung  anbelangt,  den  bürgerhchen  Elementen  der 
sich   jetzt    erst    bildenden  höheren   Gesellschaft  keinswegs    nachstanden. 

Die  Hofordnungen  des  17.  Jahrhunderts  haben  die  Stellen  an  den 
Hofhaltungen  erheblich  noch  vermehrt,  und  zwar  waren  da  dem  Adel 
gewöhnlich  die  Ämter  übertragen,  die  mehr  zur  Vermehrung  des  Glanzes 
der  fürstlichen  Majestät  geschaffen  waren,  bei  denen  es  auf  geschicktes 
Auftreten  liauptsächlich  ankam;  die  Stellungen,  die  positive  Kenntnisse 
un<l  vor  allem  Arbeitskraft  verlangten,  wurden  den  bürgerlichen  Beamten 
eingeräumt.  Knapp  genug  jedoch  waren  die  Gehalte  bemessen ;  so 
erklärt  es  sich,  dafs  allerorten  uns  die  Klagen  über  die  Bestechlichkeit 
der  Hofbeamten  begegnen,  dafs  die  Protektionswirtschaft  eine  sehr  grofse 
Rolle  spielte  u.  s.  ^x^.  Man  braucht  nur  Friedrich  von  Logaus  Sinn- 
gedichte zu  durchblättern  und  wird  da  die  herbsten  Urteile  über  das 
Hofleben  in  grofser  Anzahl  antreffen.     So  z.  B.  (Hl,   1,  33): 

»Ein  Hofemann. 

Wer  redlich  ist  im  Hertzen  und  mit  dem  Munde  frey, 

Der  wisse,  dafs  bey  Hofe  behaglich  er  nicht  sey. 

Wie  man  ihm  vorgesaget,  so  sagt  der  Papegey; 

Drum  wer  daselbst  will  gelten,  der  trete  diesem  bey.« 
l"nd    Logau   ist   selbst   Edelmann    und    hat    als    Beamter    das    Hofleben 
kennen  gelernt. 

Es  kann  daher  nicht  befremden,  dafs  bei  zahlreichen  Schriftstellern 
des  17.  und  18.  Jahrhunderts  sich  Aufserungen  über  die  Gefahren  des 
Hoflebens  finden.  Weiter  auf  diese  Fragen  einzugehen,  mag  anderen 
überlassen  bleiben;  es  sei  hier  nur  auf  ein  auch  sonst  für  die  Sitten- 
geschichte interessantes  Buch  hingewiesen,  Johan  Lassenii,  SS.  Theol. 
Doct.,    Frucht-bringende    Gespräch- Spiel   etc.,    Franckfurl   1686.     In    der 

')  Baltasar  Gracian    (f  1658),    T/lioiuiao    do  conr.  5  "le  t-dition.     Ä  la  Haye    1701. 


192  111.   Die   Kr/ieluin-i  dvv  KindcM-. 

dritten  Unterredung  bringt  er  da  ciiu-  Menge  Bemerkungen  über  das 
Hofleben.  Unter  anderen  äufserte  er  sich  (S.  144),  was  aber  die  Höf- 
linge und  all  die  zu  Hoff  dienen  ....  belanget,  daucht  niich,  dafs  selbige 
unter  allen  andern  in  einem  hochgefährlichen  Stande  leben,  dann  ob 
dieselbe  gleich  offternuihls  nach  langen  Bemühung  untl  viel  Geschenck 
geben,  welche  doch  heutiges  Tages  der  Schlüssel  zu  allen  Thüren  seyn, 
weil  der  Dativus  heutigen  Gebrauch  nach  alleweil  bey  dem  Accusativo 
und  Vocativo  seyn  nuifs  ....  einige  Gunst  und  Gnade  bey  einem  vor, 
nehmen  Herrn  erhalten,  so  müssen  sie  sich  doch  wiederumb  befürchten, 
dafs  so  geschwind  sie  gesti(5gen,  so  geschwind  sie  auch  wieder  fallen 
können  und  dafs  vtn-mitt«dst  der  vielfältigen  Angelder  und  Verläumbder, 
deren  es  zu  Hoff  überaus  viel  giebet,  da  innner  einer  den  andern  aufs 
dem   Sattel  seiner   Wohlfahrt   zu   heben  godencket«. 

In  Dresden  ist  16S5  ein  Werk  erschienen  (Jalante  Nacht-Gc^spräche  ;, 
in  dem  auch  von  den  erforderlichen  Eigenschaften  der  Hofleute  die  Rede 
ist.  Es  versteht  sich  ganz  von  selbst,  dafs  er  adlig  ist  (S.  53  ff.)  —  die 
Begrihidung  dieser  Behauptung  ist  überaus  interessant  — ,  dafs  er  ein 
schöner  Mann  ist,  wohlgestaltet  und  hübsch  von  Gesicht  (S.  57),  unter- 
haltend (S.  242),  gebildet  (S.  144),  musikalisch  (S.  152),  (n-  mufs  auch 
etwas  von  Malerei  verstehen  (S.  169)  u.  s.  w.^) 

Die  Hofilamen  aber  werden  in  demselben  Buche  gleichfalls  aus- 
führlich geschildert.  Über  die  Leibesübungen  derselben  ist  man  nicht 
einer  Meinung;  der  eine  glaubt,  dafs  unter  denen  Leibesübungen  das 
Fechten,  Reiten,  Ballspielen,  Ringen,  Voltisiren  und  viel  andere  denen 
Mannspersohnen  zukommende  Exercitien  dem  Frauenzimmer  übel  an- 
ständig und  unziemlich  seyen«,  sein  Gegner  findet  nichts  dabei,  dafs  auch 
die  Damen  an  der  Lust  des  Ballschlagens,  Fechtens,  Reitens,  Jagens 
teilnehmen  (S.  436).  Allein  beim  Tanzen  soll  sie  nicht  salzu  gaillarde 
gezwungene  und  grosse  Sprünge  machen,  nicht  alle  Instrumente,  z.  B. 
die  Trommel,  Schalmei  oder  Trompete  brauchen  (S.  437),  dagegen  mufs 
sich  die  Hofdame  passend  und  geschmackvoll  kleiden  (S.  438).  Merk- 
würdig erscheint  die  Vorliebe  des  Autors  für  die  dunklen  Kleider.  Der 
Anzug  soll  nicht  >  gackelich  und  pralich  seyn ;  Dahero  halte  ich  an  denen 
Kleidern  (he  schwartze  Farbe  vor  die  annehmlichste  und  wann  gleich 
die  l^^arb  nicht  schwartz,  dafs  sie  doch  zum  wenigsten  auf  eine  Duncke- 
lung  komme«  (S.  251). 

Überall  aber  fehlt  es  an  dem  nötigen  (Jelde.  Und  trotz  alledem 
soll  der  vornehme  Haushalt,  die  luxuriöse  I^ebensführung  fortgesetzt 
werden;  das  ist  man  seinem  Stande  schuldig.  Es  handelt  .sich  immer 
darum,  Geld  zu  schaffen;  auf  das  wie  kommt  es  nicht  an,  sobald  die 
Schulden  schwer  drücken.  Daher  die  Bestechlichkeit  und  so  viele  andere 
Sünden  jener   äufserlich    so   glänzenden   Zeit.      Die  beständige   Geldnot, 


')  Über  'das  Hofwesen  vgl.  Franc.  Phil.  Florin us,  Von  grossen  Heiren  Stands 
und  Adelichen  Haushaltung  insgemein  etc.  Nürnberg  1716  (auch  in  dem  »Adelichen 
Hausvatter«*.  Nürnberg  1751.  Teil  II).  —  Von  1..  v.  Seckendorf,  Teutscher  Fürsten- 
Stat.    Frkf.  1660.  —  J.  Beruh,  v.  Rohr,  Einl.  zur  Ceremoniel-Wissensch.    Berl.  1729. 


a)   An  Fürstenhöfeu.  193 

mit  der  die  höheren  Stände  fast  ausnahmslos  zu  kämpfen  haben,  erklärt 
so  manche  Erscheinung  jener  Zeit. 

Geld  will  man  um  jeden  Preis.  Ob  ein  Schatzgräber  verspricht, 
mit  dem  so  mrksamen  Christophgebete  den  Teufel  zu  zwingen,  dafs  er 
die  Stellen,  wo  Geld  und  Geldeswert  vergraben,  anzeige,  ob  ein  Gold- 
macher erscheint  und  die  Kassen  mit  Gold  zu  füllen  sich  anheischig 
macht,  immer  findet  er  Glauben  und  Leute,  die  ihre  pekuniären  Mittel 
ihm  zur  Verfügung  stellen. 

Die  Alchymie^),  deren  Anfänge  bis  ins  Mittelalter  zurückzuverfolgen 
sind,  hat  gerade  seit  dem  16.  Jahrhundert,  zumal  bei  den  Herrschern, 
die  bereitwilligste  Förderung  gefunden,  versprach  sie  doch  nicht  nui 
unedles  wohlfeiles  Metall  in  kostbares  Gold  zu  verwandeln,  sondern  auch 
den  Leib  zu  verjüngen,  das  Leben  zu  verlängern.^) 

Kaiser  ^MaximiUan  I.  riet  1510  einem  Schweizerischen  vom  Adel, 
er  solle  sich  mit  der  Alchymie  nicht  einlassen.  »Er  solte  abstehen,  denn 
auch  er,  der  Kayser,  hätte  viel  darauff  gewendet,  wäre  aber  dieser 
Kunst  zu  arm. « ")  Johann  Werner  Freiherr  von  Zimmern  (f  1493)  büfste 
bei  den  Versuchen  viel  Geld  ein.^)  1586  trat  in  Freiburg  im  Erzgebirge 
ein  Alchymist,  Franz  Brunner,  auf,  der  einige  Bürger  imi  ihr  Geld 
brachte  und  rechtzeitig  mit  dem  Raube  entfloh.  Schhmmer  erging  es 
dem  Goldmacher  Georg  Honauer,  Herrn  von  Brünhoff  und  Grobschitz 
aus  Mähren,  1597.  Er  hatte  dem  Herzog  von  Württemberg  zwei  Tonnen 
Goldes  abgenommen,  entfloh,  wurde  gefai'st  und  in  einem  Kleid  aus  ver- 
goldeten Fellen  an  einen  vergoldeten  Galgen  gehängt^),  wie  dies  noch 
1709  mit  dem  Grafen  Ruggiero  in  Berhn  geschah. 

Zahllose  Fürsten,  aber  auch  eine  Menge  von  Privatleuten  haben 
ihr  Geld  solchen  Versuchen  geopfert.  Nur  der  eine,  Job.  Friedr.  Böttger, 
hat  zwar  nicht  Gold  zu  machen  verstanden,  aber  doch  durch  die  Er- 
findung des  Porzellans  seinem  könighchen  Herren  einen  bedeutenden 
Gewinn  zu  schaffen  gewufst. 

Geldnot  und  Geldgier  ist  die  Triebfeder  zu  allen  diesen  abenteuer- 
Hchen  Versuchen,  wie  sie  auch  der  Anlafs  zu  so  vielen  Giftmorden 
wurden.  Gift  spielt  seit  dem  16.  Jahrhundert  eine  überaus  grofse  Rolle; 
starb  eine  vornehme  hochstehende  Persönhchkeit  eines  unerwarteten 
Todes:  sofort  vermutete  man  eine  Vergiftung.  Und  die  Geschichte  der 
Marquise  de  Brinvilhers  wie  mancher  anderen  Giftmörder  beweist,  dafs 
in  der  Tat  solche  Verbrechen  keineswegs  zu  den  Seltenheiten  gehörten. 
Immer  aber  wollen  die  Mörder  Geld,  viel  Geld  mit  ihrem  Verbrechen 
sich  verschaffen.  Wer  kein  Geld  hatte,  der  verschwand  aus  der  ange- 
sehenen Gesellschaft  oder  spielte  in  ihr  nur  noch  die  Rolle  des  zweifel- 
haften Abenteurers  oder  des  Schmarotzers. 


^)  Löwinstein,  Die  Alchimie  und  die  Alchimisten.     Berlin.  1870. 
2)  Über  den  Stein  der  Weisen.  S.Kuriositäten  III,  18  ff.  und  23  ff.  —  ITber  Alchemie. 
Ebend.  VI,  103  ff.  X.  146  ff. 

»)  Zeitvertreiber  (1685).    S.  142. 

*)  Zimm.  Chron.  I,  594. 

»)  Zeitvertreiber  (1685).  S.  141. 


Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


13 


194  ni.     nie  Krziehunii  ilor  Kindor. 

Es  hatte  viel  Mühe  gekostet,  auch  der  hiihereii  (iesellschaft  wieder 
gute  Manieren  beizubringen. 

Die  verschiedenen  gereimten  Chastiements  des  Dames,  l)esoiiders 
das  des  Robert  de  Blois,  die  Kutschläge  der  Winsbekin,  des  Francesco 
Barl)erino  Reggimento  di  Donna  geben  den  jungen  Mädchen  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  Anleitung  zum  schicklichen  Benehmen,  wie  im  15.  Jahr- 
hundert das  merkwürdige  vom  (^iievalier  de  la  Tour  Landi'v  »])our 
l'ensingnement  de  ses  tllles«  verfafste  Erziehungsbuch  ^)  allgemein  ver- 
breitet wurde.  Eine  deutsche  Übersetzung  erschien  1493,  durch  Man^uard 
vom  Stein  besorgt;  bis  1682  ist  das  Werk  elhnal  in  Deutschland  auf- 
gelegt worden.-)  .\ucli  die  vielen  Romane  des  Mitt(Jalters,  franz()sische 
wie  deutsclie  verfolgten  nebenher  auch  didaktische  Zwecke.  Im  Anfang 
des  15.  Jahrhunderts  vollendet  Hans  von  Vintler  seine  Pluemen  der 
Tugent,  eine  Übersetzung  der  Fiori  di  virtü  von  Tomaso  Leoni  (c.  1320)^); 
für  junge  Männer  boten  die  Lehren  des  Winsbeke  sowde  die  in  Frei- 
danks Bescheidenlieit  niedergelegten  Lebensregeln  eine  Quelle  zui-  besseren 
Lebensauffassung.  Anstandsiehren  gibt  schon  Petrus  Alfonsi  (t  1105)  in 
seiner  Disciplina  Clericalis,  dann  folgt  Reineri  Phagifacetus,  die  vielen 
verschiedenen  Tischzuchten,  Tanhausers  Hofzucht,  die  Bemerkungen  im 
"Wälschen  Gaste  des  Thomasin  von  Zerclaere  (f  c.  1228).'*) 

In  den  ersten  Jahrzehnten  nach  etwa  1200  war  wirklich  ein  Anfang 
zu  feinerer  Gesittung  in  Frankreich  wie  in  Deutschland  gemacht,  aber 
schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  ist  ein  merklicher 
Rückschritt  wahrzunelmien,  der  aus  den  politischen  Verhältnissen  ja 
leicht  sich  erklären  läfst;  die  besseren  Verkehrsformen  aber  bleiben  von 
dieser  Zeit  an  nicht  ausschlielsliches  Eigentum  des  höheren  Adels,  sondern 
werden  Gemeingut,  an  dem  der  Kleinadel  und  der  bessere  Bürgerstand 
nun  auch  seinen  Anteil  erhält.^)  Schon  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
wurden  die  schlechten  Manieren  der  Zeit  in  Satiren  lächerlich  ge- 
macht. Man  erfand  einen  besonderen  Heiligen  für  die  Flegel,  den 
S.  Grobianus,  dessen  Namen  schon  von  Sebastian  Brant  erwähnt  wird. 
Friedr.  Dedekind  (f  1598)  veröffentlichte  zuerst  1549  seinen  Grobianus, 
De  morum  simplicitate,  ein  Werk,  das,  von  Caspar  Scheidt  (f  1565) 
übersetzt  und  vermehrt  (1551),  viele  Auflagen  erlebte.^)    Aber  Guarinonius 


^)  Hgg.  von  A.  de  Montaiglon.     Pari.s.  1854. 

«)  Vgl.  Goedeke,  Grandrifs  etc.  ^I.  352  It'. 

3)  Ebend.  I.  291. 

*)  Höf.  Leben.  ^I.  429  ff. 
•  s)  Vgl.  K.  Goedeke  a.  a.  0.  n.  455  ff. 

ß)  Für  das  17.  Jahrhundert  bestimmt  ist  die  Tischzucht  von  Conrad  Meyer. 
1645.  (Flieg.  Blatt,  s.  Kultuig.  Bilderb.  lY,  N.  2177.  —  C.  Fr.  Caff'o,  Der  berühmte  Hott"- 
^Meister,  welcher  in  einer  durch  Frag  und  Antwort  sehr  leichten  und  manierlich-gründ- 
lichen Anweisung  die  Adelichen  und  Andere  nach  Lob  und  Ehr  strebende  Jugend  zu 
aller  Höfflichkeit  und  gutten  Sitten  unterrichtet.  Aus  dem  Französischen.  (M.  Titel- 
kupfer.)   Augsb.  1694. 

Die  Kunst  zu  leben.  In  xv.  Abtheilungen  kurtz  und  nachdrücklich  vorgestellet. 
Lüneb.  1698. 

Aus  dem  Beginne  des  18.  Jahrhunderts  rühren  die  folgenden  Komplimentier- 
bücher her: 


a)  An  Fürstenhöfeu.  195 

spottet  doch  über  »unsere  leicht  und  krumsinnigen  Hoff-  unnd  Jungfraw 
Knechten,  so  den  Tag  und  die  Nacht  nicht  änderst  als  die  gestutzten 
wütenden  Hund  alle  Winckel  und  Gassen  auft'  und  ab  hin  und  herwider 
lauffen,  beyderseits  Fenster  auisgaffen  und  göcken,  jetzt  dieser  Hoff- 
und Anstrich-Docken  bald  der  andern  das  leichtfertig  Hütel  jucken,  jetz 
da  ein  basa  las  manos,  bald  dorten  eins  machen«.^)  Besonders  ergötzlich 
ist  seine  Schilderung  des  unwiderstehhchen  Modehelden.-) 

Zur  höheren  Bildung  gehört  dann :  dafs  Männer  wie  Frauen  einen 
dem  Zeitgeschmäcke  genügenden  Brief  zu  schreiben  vermögen.  Füi 
Geschäftsbriefe  hat  man  von  altersher  die  Formelbücher  als  Vorlagen 
benutzt.  Seit  dem  15.  Jahrhundert  sind  dann  zahlreiche  Briefsteller 
veröffentlicht  worden.^) 

Es  war  notwendig,  bei  der  Titelsucht,  die  in  jener  Zeit  sich 
so  merkwürdig  entwickelt,  immer  sich  Rat  erholen  zu  können,  welches 
Epitheton  einem  jeden  Stande  von  rechtswegen  zukomme.*)  Der  Tage- 
löhner hat  Anspruch  darauf  der,  »arbeitsame«,  der  Soldat  der  »mann- 
hafte« genannt  zu  werden  und  so  hat  jeder  Stand  bis  zu  den  höchsten 
das  Recht,   gewisse  Titulaturen  und  Curialien  zu  fordern.^) 

Complimentierbüchlein  nach  der  neuesten  Art  und  dem  wahren  Wohlstand  ein- 
gerichtet. Gedruckt  in  diesem  Jahr  (17  .  .  .  ). 

Auserlesene  Complimente ,  welche  unter  galanten  Leuten  beliebet  werden. 
Deutsch  und  französisch.     Hamb.  1722. 

Moralische  Anweisung  für  junge  Leute,  wie  sie  sich  im  Bürgerlichen  Leben 
allenthalben  wol  aufführen  sollen.     Deutsch  u.  französisch.     Hamb.  1722. 

Menantes  (C.  F.  Hunold).  La  civilite  moderne  oder  die  Höflichkeit  der  heutigen 
Welt.  Nach  der  neuesten  Französischen  Edition  übersetzt  von  Menantes.  Hamb.  1724. 
(K.  Mouton,  La  civilite  moderne  etc.     Hamb.  1744.) 

Neues  Complimentier  und  Sittenlnich  nebst  einem  Trenchier-Büchlein.  2.  vcrm. 
Aufl.     Nordh.  1730. 

Graf,  Der  höfliche  Schüler,  wie  er  sich  in  der  Schule,  zu  Hause,  in  der  Kirche,  beym 
Besuche  etc.  höflich  und  geschickt  aufzuführen  hat.     M.  1  Kpfr.    4.  Aufl.    Augsp.  1751. 

»)  S.  62. 

«)  S.  275. 

ä)  Der  älteste  deutsche  scheint  der  von  Anton  Sorg  in  Augsburg  1484  gedruckte 
zu  sein.  Im  16.  Jahrhundert  erschien  in  Köln,  1565,  H.  Fabris  »Gülden  Epistel- 
büchlein etc.«,  in  Frankfurt,  1590,  das  »Neu  vollkommen  Canzlei-  und  Titelbuch«. 

*)  Christoph  Platt-Eifs,  Der  Politische  u.  kurtzweilige  Stock-Fisch  (Fröhlichs-Burg, 
1723)  S.  147  :  Da  man  sehrieb  den  Erbarn  und  Frommen,  da  war  alles  wohl  zu  be- 
kommen :  da  man  schrieb  den  Edlen  und  Vesten,  da  gab  es  noch  was  zum  besten: 
Jetzt  da  man  schreibt  dem  Hoch-Edelgebohrnen,  ist  Ehre,  Lieb  und  Treu  verlohren.  — 
Von  1590  bis  1790  hatten  die  Anreden  an  Adlige  gelautet:  Edler,  Wohledler,  Hoch- 
wohledler, Hochedler,  Wohledelgeborner,  Hochwohledelgebomer,  Hochedelgeboren, 
Wohlgeborner,  Hochwohlgeborner.  Der  Geistliche  hatte  zu  beanspruchen  die  Titulatur : 
Würdiger,  Ehrwürdiger,  Wohlehrwürdiger,  Hochwohlehrwürdiger,  Hochehrwürdigor, 
Hochwairdiger.  (Vulpius)  Kuriositäten  II,  88.  —  Vgl.  J.  B.  v.  Rohr;  Ceremonialwiss. 
n.  T.  IV.  Kap.  Von  Titulaturen. —  Der  OJrosse  und  eingebildete  Titui-Mann  etc.  Leipz. 
u.  Dresden,  1690. 

*)  Aus  dem  17.  Jahrhundert  habe  ieli  mii'  notiert : 

A.  Moller,  Viridarium  epistolicum,  das  ist  ein  Lust-Garte  vieler  mit  anmuhtiger 
Wortzierlichkeit  und  edlen  Red-Arten  jetzt  beliebten  Styli  nach  eingekleideten  Send- 
schreiben etc.  etc.     Magdeb.  1655. 

Der  deutsche  Secretarius,  d.  i.  Titular-  und  Formularbuch,  enthaltend  Ehrentitel, 
Freundschafts-,  Klag-,  Liebesbriefe.     Nürnb.  1656  (1674). 

13* 


iQß  ni.    l>ie  Erziehung  der  Kinder. 

Einen  wohlerzogenen  Mode-Jüngling  schildert  ein  Unterhaltungs- 
bueh,  das  gegen  1740  veröfEenthcht  wurde,  folgendermafsen^):  »Gleieh  wie 
mm  diejenigen  Pursch-Pflänzler  und  Gassen 'rretter  dem  Frauenzimmer 
wegen  ihres  zärthohen  Kinder-Gesichtes  nicht  allezeit  gefallen,  so  seynd 
auch  ihre  Avunderliclu\  närrische,  ja  fast  übernärrische  Geberden  und 
Kleider-Tändeleyen  einem  verständigen  und  klugen  Weibs-Bild  gantz 
unangenehm;  sie  hupffen  hin  und  wieder  wie  die  Affen,  wenn  sie  eine 
Woibs-Person  erbhcken,  bald  setzen  sie  in  dem  Stehen  den  lincken  bald 
den  rechten  Fufs  vor  und  drehen  sie  so  weit  auf  die  Seiten,  dafs  sie 
allerdings  aus  den  Knye-Schüsscln  springen  möchten.  Bald  ziehen  an 
dem  Peruquen-Zopff,  bald  sehen  sie  nach  der  Sack-Uhr,  bald  langen  sie 
nach  der  Taback-Dose,  ziehen  auch  bifsweilen  den  Spiegel  hervor  um  zu 
schauen,  ob  sie  ihre  vorige  Farbe  noch  haben,  bald  spielen  sie  mit  ihrem 
Stock,  bald  mufs  der  Zahn-Störer  hervor  gelangt  seyn,  bald  das  Schlag- 
Wasser  oder  Balsam-Büchsel ;  under  der  Zeit  aber  ziehen  sie  die  Schuh- 
Bürsten  hervor  und  kehren  den  Staub  von  den  Schuhen  hinweg,  bald 
kratzen  und  zopffen  sie  die  Wartzen  an  den  Händen  und  was  dergleichen 
Narr-  und  Thorheiten  hoch  mehr  seyn  .  .  .  Weiters  von  den  Nacht- 
Musicen  zu  schreiben  gereichen  solche  dem  Frauen-Zimmer  vielmehr  zu 
Schaden  und  Verdrufs  als  zur  Lust  und  Ergötzhchkeit.« 

Fr.  de  Malherbe,  Le  secretaire  de  la  cour  ou  la  maniere  d  escrire  selon  le  temps. 

Paris.  1627. 

J.  H.  Meichfsner,  Hoch  oder  gemainer  Teutscher  Nation  Formuhir,  Allen 
Secretarien,  Statt-,  Gericht-,  auch  Houe-  oder  Cantzleyschreibern  etc.  nothwendig. 
Frkf.  1663. 

Franz,  Neuaufgerichtete  Liebes-Cammer.     1679. 

Brief- Verfassungs-Kunst.     Nürnb.  1682. 

Scliröter,  Sonderbares  Briefschränklein,    Lpz.  1690. 

Le  Secretaire  des  anians  ou  la  maniere  d'ecrire  avec  justesse  sur  differens  sujets 
par  ***  gentilhomme  ä  la  cour  de  France     Amsterd.  1695. 

Talander  (Bohse),  Gründliche  Anleitung  zu  teutschen  Briefen.    Jena.  1700. 

Le  secretaire  des  demoiselles,  contenant  des  billets  galants  avec  leurs  reponses. 
La  Haye.   1709. 

Menantes,  Die  allerneueste  Art  höflich  und  galant  zu  schreiben  oder  auserlesene 
Briefe.    4.  Aufl.    Hamb.  1710. 

Handleitung,  nützliche  und  nothige,  wie  man  sich  in  der  Conversation,  auf 
Reisen,  in  Briefen  und  Einrichtung  der  Geschäfte  verhalten  8oll._  5.  Aufl.  Halle.  1712. 

B.  Neukirch,  Anweisung  zu  Briefen.     Lpz.  1727. 

J.  G.  Neukirch,  Fundamente  zu  teutschen  Briefen  nach  dem  heutigen  Stylo- 
Curiae.     Halle.  1730. 

Geliert,  Gedanken  von  einem  guten  deutschen  Brief.     Lpz.  1742. 

Junker,  Wohlinformierter  Briefsteller.     Lpz.  1746. 

Dazu  gehören : 

Anbind-  oder  Fang-Brietfe,  das  ist:  Glück  wünschungen  auff  etlicher  so  wol  Weibs- 
als  Mannspersonen  Ehren-,  Namen-  und  Geburtstage.  Durch  Lycosthenem  Psellionoros 
Andropediacum.     O.  O.  1628. 

A.  Moller,  Binde-Lust  und  Namen-Freude,  das  ist  ein  artlich  und  kurtz  abge- 
fasstes  Büchlein,  darinnen  uff  alle,  so  wol  Mann-  als  Weibs-Personen,  gemeingebrauch- 
lich und  im  Jahr-Buuch  (!)  befindliche  Tauf-  und  Vornahmen  mancher  art  ernsthafft  und 
lustige  Gedichte  zu  finden.     Magdeb.  1656. 

»)  Allerley  in  einem  Sack.     Augsb.  .  .  .  September.  S.  22. 


a)  An  Fürsteuhöfen.  197 

Gehörte  ein  junger  Mann  einer  angesehenen,  einflufsreichen  Fa- 
milie an,  so  brauchte  er  um  sein  Fortkommen  sich  keine  Sorge  zu 
machen.  Die  Söhne  des  Hofadels^),  die  der  reichsstädtischen  Patri- 
zier, erhielten  Ämter  und  rückten  mit  der  Zeit  in  besser  dotierte 
Stellen  vor. 

Heiratete  gar  einer  die  GeUebte  einer  einflulsreichen  Persönhchkcit^), 
so  war  sein  Vorwärtskommen  völlig  gesichert,  denn  solche  Gefälligkeiten 
wurden  auch  bürgerhchen  Personen  gern  dankbar  vergolten.^) 

Nur  in  den  seltensten  Fällen  standen  die  Einnahmen  und  die 
Ansprüche  der  Fürsten  wie  des  Adels  in  einem  erfreuhchen  Verhältnisse. 
Es  ist  das  ein  Übelstand,  der  schon  im  frühen  Mittelalter  vorhanden  ist, 
aber  in  den  späteren  Jahrhunderten  sich  immer  mehr  fühlbar  macht. 
Die  Erträge  der  Güter,  das  Einkommen  von  Beamtenstellen,  die  Ein- 
nahmen der  Fürsten,  sie  reichten  nicht  aus,  den  Luxus  zu  gewähren, 
den  zu  zeigen,  wie  die  Leute  glaubten,  sie  durch  ihren  Stand  ver- 
pflichtet waren.  Und  damit  war  nach  der  Meinung  der  vornehmen  Ge- 
sellschaft des  16.  bis  18.  Jahrhunderts  noch  lange  nicht  genug  geschehen: 
Jeder  wollte  vielmehr  über  seinen  Stand  hinaus  glänzen  und  die  Auf- 
merksamkeit auf  sich  lenken. 

Der  Bürgefhche  kauft  sich  einen  Adelsbrief,  und  so  wird  aus  einem 
Wagner,  aus  einem  Müller,  ein  von  Wagegern,  ein  von  der  Mühlen.^) 
Jeder  Mail  für  mehr  gelten.^) 

Und  doch  waren  kaum  jemals  die  Zeiten  weniger  zur  Verschwen- 
dung angetan.  Der  Adel  war  schon  im  16.  Jahrhundert,  Ausnahmen 
hat  es  natürhch  gegeben,  keineswegs  reich;  Kleider,  Wohlleben  aller 
Art  kosteten  viel  Geld,  die  Trunksucht  trug  das  ihre  dazu  bei,  dafs  die 
Verhältnisse  immer  mehr  zerrüttet  wurden.*^)  Die  Verwüstungen  des 
Dreilsigjährigen  Krieges  haben  zahllose  Gutsbesitzer  zu  Grunde  gerichtet; 
viele  Famihen  sind  gänzUeh  verarmt,  andere  um  einen  beträchthchen 
Teil  ihres  Wohlstandes  gebracht. 

Wenn  die  Männer  vom  Adel  das  Ihrige  vertan  oder  verloren  hatten, 
dann  zogen  sie  wohl  bei  ihren  Freunden  herum  und  brandschatzten  sie. 
Nach  dem  Dreifsigjährigen  Kriege  wurde  die  Krippenreiterei  geradezu 
zu  einer  Landplage.')  Es  gibt  da  ein  ziemhch  seltenes  Buch,  das  um 
1660  —  90  erschienen  sein  mag  (24  S.  inkl.  Titel): 


')  Hofkleider  (Livree),  s.  Kurios.  VII,  57  ff. 

*)  Alltagsleben  etc.    245. 

ä)  G.  Slevogtii,  De  vocatione  ad  pastoratum  sab  conditionc  matrimonii,  von  der 
Vocation   unter  der  Schürtze.     Lips.    1739. 

*)  Moscberoscb.  a.  a.  O.  S.  39  ff . 

6)  Ebend.    S.  44  ff. 

ö)  Seb.  Franck,  Weltbuch  t'ol.  xlv'^:  Darumb  ist  der  Adel  fast  aller,  wie  er  yetz 
im  schwanck  geht,  ein  überbliben  stuck  der  Heydenschaö't,  von  unsern  altern  auft'  uns 
geerbet,  da  nicht  ist  dann  ein  rennens,  Stechens,  turnierens,  einen  schilt  stamm  und 
nammen  hoch  auffwerffen,  spilens,  kriegens,  hetzens,  herrschens,  müssiggeens,  über- 
muot  treiben  etc. 

')  Friedr.  v.  Logau,  Sämmtl.  Sinngedichte;  hgg.  v.  G.  Eitner.  Tübingen.  1872 
Vj.  I)    47  (S.  641): 


198  in.    nie  Erzicluni-  der  Kinder. 

»Ein  kurtzer  und  kiirtzweiliger  Abdruck  Der  Edlen  W'urst-Zapffen 
oder  Krippen-Reuterei,  Entworffen  durch  Biberium  von  Schmecksbrattel, 
Erblierr  auf  Fressenau  im  FrilsLändischen,  Einen  Nahmhafften  Mitglied 
der  Zechbrüder  und  Wurstgenossen.  Verlegts  Jemand  zu  Irgendswo, 
gedruckt  daselbst  unter  der  Prefs  in  diesem  Jahr.« 

Der  Verfasser  sagt  (S.  11):  »darumb  nennet  man  eben  derley  Bettler 
insgemein  Exequirer  oder  Böhmische  Lezacken  ...  In  Böhmen  gibt 
es  Kobylarzen  zur  (Jenüge  ...  In  Mähren  .  .  .  heisset  man  sie  Fat- 
karzy.  In  Österreich  ebenfalls  ...  In  Schlesien  hat  es  der  Schwonck- 
feldischen  Schw<ärmer  ein  unsäghche  Anzahl  .  .  .  (S.  12).  In  Sachsen 
und  der  Laulsnitz  sind  die  so  daselbst  genannte  Umreuter  unzahlbar.« 
Und  diese  Leute  zeichnen  sich  aus  durch  eine  unglaubhche  Gemeinheit, 
durch  Saufen,  Spielen,  Speien,  Zotenreifsen.  (S.  14.)  «Zugcschweigon  das 
Huren  und  Buben  gilt  auch;  mitten  im  (S.  15)  Tantzen  löschet  man  die 
Lichter  aus,  kaum  in  einer  Stund  läfst  man  sie  wiederum  anzünden, 
unterdessen  auf  gut  Platonisch,  Phitonisch  wolt  ich  sagen,  wiedertäufferisch, 
wer  hats  getan?  Wer  ist  der  Vater?« 

Wenn  ein  Gutsbesitzer  ganz  kahl  gezehrt  ist,  geht  er  mit  seinem 
Einlager  zu  einem  anderen  Herzbruder.  Oft  nehmen  sie  Weiber,  Kinder, 
Gesinde  mit.  (Dieses  Überfallen  der  Freunde  war  noch  im  19.  Jahr- 
hundert in  den  polnischen  Landstrichen  ganz  gebräuchhch.)  »Es  hat  sich 
warhafftig  zugetragen,  dafs  gewisse  geschworne  Ober-  und  Ertz- Wurst- 
Reuter  sich  haben  zusammen  gesetzet,  sechs  gantzer  Tag  nach  einander 
gefressen  und  gesoffen;  unter  dem  Tisch  stund  ein  Schaff  zum  hinein 
bruntzen,  ob  dem  Tisch  aber  waren  vor  jedweden  Krippen-Reuter  ge- 
raume Schüsseln,  nichts  anders  als  Krippen,  zum  einspeyen;  die  Sesseln. 
sind  Nachtstühle  gewesen;  umb  dafs  die  ins  Zimmer  hinein  scheinende 
Sonne  nicht  über  der  Unmenschlichkeit  ein  Deliquium  oder  Ohnmacht- 
bekäme, wurden  die  Fenster  mit  dicken  Tüchern  verhangen,  und  söffe, 
fartzete,  schiesse,  seichte,  speyete  man  in  die  Wette;  der  Garstigste  war 
der  Schönste.« 

So  arg  mag  es  im  übrigen  Deutschland  nicht  zugegangen  sein, 
aber  auch  da  waren  die  Sitten  seit  dem  grofsen  Kriege  verwdldert.  Die- 
Unmäfsigkeit  war  aller  Orten  anzutreffen,  wenn  sie  sich  auch  nicht  so 
roh  äufserte.  Noch  1710  erschien  die  »Renovirte  und  vermehrte  Ald- 
modische  Hobel-Banck,  oder  Lustig  und  Sinnreicher  Discurs  zweyer  ge- 
reister Adels-Personen:  Worinnen  sie  die  groben  Sitten,  Ehr-Sucht, 
falsch-gemeynte  Complementen,  Bücher  lesen,  Kinder-Zucht  etc.  so  heu- 
tiges Tages  bey  vielen  ungewanderten  Frantzös.  Teutschen  in  voUeni 
Schwang  gehen,  zimhch  überhobeln.  Deme  noch  beygefügt  ein  kurtz. 
verfafster  Grobianus  durch  Expertum  Waarmund.     Gedruckt  1710. 

Es  ist  ein  Volck,  das  seine  Pferd  an  fremde  Krippe  bindet, 
Dafs  sich  bey  fremden  Feuer  wärmt,  zu  fremden  Teller  findet,  etc. 
und  Z.  D.  48  (S.  641): 

Scythicus  führt  keine  Sorgen,  lebet  immer  in  den  Tag; 

Nein,  er  sorgt  defs  Morgens  ängstlich,  wo  er  den  Tag  nehmen  mag 

Für  den  Hund,  für  sich,  für  Pferde  sam  dem  Knechte  den  Verlag. 


1))  Im   liürüeiluuiso.  199 

b)    Im  Bürgerhause.') 

Manche  Ehen  waren  reich  mit  Kindern  gesegnet,  üh'ich  Schwartz 
in  Augsburg  (f  Nov.  1519)  hat  32  Kinder  gehabt,  dazu  noch  5  ledige; 
20  ehehche  Kinder  überleben  ihn  (Wilh.  Kern).  In  Dresden  hatte  Hiero- 
nymus  Merbitz  (t  1554)  mit  2  Frauen  29  Söhne  und  4  Töchter  (Wenck, 
Dresden  541).  In  Breslau  starb  am  10.  Mai  1550  Niklas  Uthmaun, 
Vater  von  28  Kindern  (Nie.  Pol,  HemeroL).  In  Stettin  in  der  Jakobs- 
kirche sah  Phil.  Hainhofer  (Reisetageb.  1617.  —  Balt.  Stud.  IL  2.  S.  48) 
das  Grabmal  des  Peter  Eckstede  (t  29.  Juni  1551)  und  seiner  Frau 
Margaretha  Pyhlfs  (t  25.  Febr.  1570),  die  12  Kinder  geboren,  78  Enkel, 
41  Urenkel,  also  131  Nachkommen  gesehen  hatte. ^) 

So  lange  die  Kinder  klein  waren,  liefen  sie  im  Hause  zur  Sommers- 
zeit bei  mildem  Wetter  wohl  unbekleidet  herum.  Andreas  Hoppenrod 
tadelt  diese  Sitte  aufs  strengste :  »Wenn  die  Kinder  klein  und  unerzogen, 
lassen  sie  die  Morgens  und  Abends  etliche  Stunde  (und  bisweilen  eben 
grosse  Kelber)  nackend  und  blofs  durch  einander  lauffen,  das  sie  also 
jung  der  schamhaftigkeit  und  zucht  entwöhnen.«^)  Der  nackte  kleine 
Bube  auf  dem  Holbeinschen  Votivbilde  der  Familie  Meyer  (Darmstadt), 
das  Bildnis  eines  nackten  auf  dem  Steckenpferde  reitenden  Knaben  avis 
der  Familie  Platter  (Basel)  liefern  den  Beweis,  dafs  die  von  dem  Sitten- 
prediger gerügte  Sitte   tatsächlich  geübt  wurde. 

»Die  klein  Madel  (Magdalena),  eins  yars  und  4  monet  alt  .  .  . 
sy  ist  so  fisierlich  (niedlich)  wie  ein  afla,  laufft  im  wa^en;  hof,  sol 
bald  allein  laufen  im  monet  oder  zbeyen.  Wie  ein  afla  (Affchen),  lauft 
noch  nit  gar  allein,  an  pendern.«    (B.  Paumgärtner,  Briefw.   197,  208.) 

Sobald  die  Kinder  älter  wurden,  bekamen  sie  auch  Kleider  nach 
dem  Schnitt  der  Erwachsenen.  Für  den  kleinen  Balthasar  Paumgärtner 
bittet  die  Mutter  den  Vater  »ein  klein  saubr  hüttle  von  fültz«  beim 
Barettmacher  zu  kaufen  (Briefw.  S.  97),  dann  einen  5)sammaten  beuttl, 
2  bar  schuch  unnd  ein  rott  gestricktt  bar  stimpf  (Strümpfe  —  S.  103). 
Als  der  Junge  1591  etwa  7  Jahr  alt  ist,  schickt  die  Mutter  an  ihren 
Mann  das  Mafs  zu  einem  Wams  nach  Lucca;  es  soll  schwarz  sein;  zwei- 
farbige hat  er  schon  Das  Jahr  darauf  schreibt  sie  »Dem  Balthafsle  hab 
ich  vor  datto  von  den  trümmer  (Resten),  so  ich  wolfayl  kaufft  hab,  ein 
weyfs,  sag  weis  attlases  wammas,  doch  von  schlechtten  attlas  unnd  ein 
bar  saflorfarb  Kleinblomen  damast  gallotten  hosen  schneyden  lassen« 
(S.  160). 

Schlimmer  war  es,  was  man  den  Eltern  zum  schweren  Vorwurf  machte, 
dafs  sie  die  Kinder  zu  viel  den  Dienstboten  überliefsen.  »Zu  dem  findet 
man  Eltern,  die  ihre  Kinder  unzüchtige  oder  doch  zum  wenigsten  un- 
tüchtige Lieder,  Reime,  Retzel  und  Märlin  lehren,  die  mit  inen  üben 
und  treiben  oder  es  doch  inen  und  dem  Gesinde  gestatten  zu  hören, 
mit  lachen  und    es    inen  gefallen  lassen.«      »Da    lefst    man  Knecht   und 


')  P.  G.  Molmenti,  I>ti  vie  privee  ä  Venise.     (Von.  1882)  p.  450  tf. 

2)  (Vulpius)  Kuriositäten  I  (Weimar  1811),  S.  368  u.  574. 

=»)  Hurenteufel  (Theatruiu  (lia})olorum.     Frankf.  a.  M.  15H5,  toi.  (X^CLIIii). 


200 


III.    Die   Erziohuni;  der  Kinder. 


Mägde  und  Kinder  alles  zusammen  gehen,  man  gestattet  inen  auch 
alleriey  gemeinschaft,  böse  geschwotz,  fabeln,  Is^irrotcndung,  marlon  mit 
einander  reden,  ja  zusammen  und  alleine  Haufsarlx'it  aulsrichlen;  daraufs 
entsteht  dann  manoherley  unrath.^)«  Da  ist  es  kein  Wunder,  wenn 
Guarinonius  (S.  18S)  klagen  kann:  Was  singen  aber  die  Christen  Kinder? 
Was?  Erst  neuheh  höret  ich  ein  wohlgezogenes  Vögele,  einen  feinen 
Knaben,  an  einem  Ort  auft"  der  Gassen  ein  Gesetzlein  auis  einem  Lied 
singen,  dessen  Anfang  ich  nicht  weifs,  das  hiefs  also:  Da  zog  er  ihr  das 
Ilembdle  ab.  0  Jungfraw  wolt  ihrs  thun,  ja  wol  thun?  Ich  will  zuvor 
mein  Mütterle  fragen*^  Kath  si(^  mirs  nicht,  wills  dannoch  wagen,  Also 
wil  ich  ihm  thun,  ja  wohl  thun.« 

Was  aber  die  Mägde  mit  den  Kindern  für  Scherze  trieben,  davon 
erzählt  Hermann  Weinsberg  ein  bezeichnendes  Beispiel.  Er  war  damals 
(1028)  zehn  Jahr  alt.=) 

Die  Schule^^)  trug  eher  dazu  l)ei,  den  Grund  zur  Unsittlichkeit  zu 
legen.  »Ist  aber  das  nicht  bekannter  grober  Unverstand  und  unscham- 
barer  Grewel  vieler  der  Pedanten,  zu  denen  beyder  geschlechts  Jugend, 
Knaben  und  Mägdlein,  in  die  schul  gehen,  dafs  sie  die  Knaben  vor  den 
mägdlein  und  die  mäglein  vor  den  Knaben  entblössen  und  abstreichen?« 
(Guar.  241.) 

Denn  geprügelt  wurde  in  der  Schule,  wie  dies  von  altersher 
Brauch  und  Herkommen  war.  >ünder  andern  kan  ich  selbsten,  nicht 
allein  mit  Worten,  sondern  auch  mit  Wortzeichen  gut  Zeugnifs  geben, 
aUda  ich  von  dergleichen  einem  (Schultyrannen)  mit  einer  geisel,  so  drey 
liderne  dicke  schneidende  Riemen  gehabt,  nicht  ein,  zwey,  zehn  oder 
zwantzig,  sondern  wol  über  die  50  mahl  im  sibenden  und  achten  (da- 
mit ich  defs  sechsten  geschweige)  Jahr  meiner  Kindheit  dermassen  ge- 
geiselt  worden,  dafs  mir  tieffe  Löcher  in  das  fleisch  hineingehawen  und 
aufs  meinem  Hemmet  zerhawnen  fleisch  und  underflossnen  Blut  ein 
Zelten  worden  und  in  einander  gebacken,  dafs  ich  noch  gehen  noch 
sitzen  können,  welche  Zeichen  und  Masen  ich  noch  heut  an  meinem 
Leib  trägere  (Guar.  24()). 

Wie  diese  Prügelstrafen  in  Szene  gesetzt  wurden,  berichtet  uns  Lucas 
Geizkofler  in  seiner  Selbstbiograhpie  1550—1620  (hgg.  v.  Adam  Wolf, 
Wien  1873).  Er  erzählt  da  (S.  25),  dafs  an  der  Stadtschule  zu  Sterzing 
sich  arme  »schüeler,  Schüzen  genannt«,  mit  Singen  erhalten  haben, 
und  dafs  einer  am  Donnerstag  Bratwürste  bekommen,  von  denen  er  den 
Rest  am  Freitag  (dem  Fasttage)  gegessen  hat.  Der  Lehrer  war  »also 
erzürnt,  dafs  er  ihn  mit  hilf  der  andern  Schüzen  an  banden  und  füfsen 
gebunden  und  mit  Ruten  so  lange  streichen  lassen,  bis  dafs  man  das 
Veni  Creator  spiritus  (welche  weise  auch  bey  vielen  andern  Schuel- 
meistern  im  Papstuml)  nit  ungewöhnlich  war)  über  in  gesungen  und  das 
bluet  herabgerunnen  .  .  .  und  weil  man  vielleicht  dafür  gehalten,  es  sey 
dem  Sixto  das  Veni  creator  zu  seiner  straf  zu   kurz  gewesen,    hat   man 

1)  Ebendas.  Fol.  CCCLnja. 

2)  Buch  Weinsborg,  I.  57. 

••■^  Alfr.  Franklin,  La  vie  privee  dautrefois  —  Ecoles  et  Colleges.     Paris.  1892. 


b)  Im  Bürgerhause.  201 

über  sie  das  Salve  regina  gesungen,  auf  dafs,  so  lang  man  sie  mit  rueten 
hauete  und  peinigte,  man  ir  weinen,  heulen  und  schreyen  wegen  der 
Schueler  lautem  und  stetem* gesang  gegen  die  gassen  nit  hören  möchte« 
(etwa  1560). 

Ganz  dieselbe  Schilderung  entwirft  uns  hundert  Jahre  vor  Geiz- 
kofler  von  dem  Treiben  in  der  Stadtschule  zu  Miltenberg  am  Main  der 
spätere  Prior  von  Laach,  Johannes  Butzbach.  Prügel  gehörten  einmal 
zur  Erziehung,  ja  selbst  Studenten  bekamen  noch  körperliche  Strafen. 
Als  1504  der  19  jährige  Wilhelm  Werner,  Freiherr  von  Zinnnern,  die 
Universität  Tübingen  bezieht  und  der  Obhut  des  Dr.  jur.  Endras  Drostel 
anvertraut  wird,  bei  dem  er  wohnt  und  in  Kost  ist,  fragt  der  Pensions- 
geber »ganz  spottlich«  :  »Darf  man  auch  in  schlachen  oder  mit  ruten 
streichen,  da  ers  beschuldt?«  Das  wird  nun  allerdings  in  diesem  FaUe 
verneint. 

Auch  auf  dem  bekannten  Schulmeisterschilde  von  Hans  Holbein  d.  J. 
1516  (Baseler  Museum)  fehlt  weder  bei  dem  Lehrer  noch  bei  der  Lehrerin 
die  Rute.^)  Die  Darstellungen  einer  Knaben-  und  Mädchenschule,  die 
Abraham  de  Bosse  (1610 — 78)  stach,  zeigen  gleichfalls  die  Rute;  wenn 
sie  auch  nicht  angewendet  wird,  hat  sie  doch  der  Schulmeister  in  der 
•Hand,  die  Lehrerin  handrecht  neben  sich  liegen.-) 

Trotz  der  Strenge,  die  zuweilen  bis  zur  Roheit  ausartete,  wie  z.  B. 
der  Vater  des  Barth.  Sastrow  einmal  mit  dem  Messer  oder  Beile  nach 
dem  Sohne  warf,  trotz  dieser  gelegentlichen  Härte  der  Erziehung  im 
Hause  wie  in  der  Schule,  erfreuen  sich  die  Kinder  doch  vieler  Freiheit 
und   Unterhaltung. 

Mit  Schiffchen  aus  Papier  (Fischart,  Geschichtski.  198),  -  Flinderle- 
steckler  und  Fernen  dran  ein  Windspiel  von  den  Flügeln  einer  Wind- 
mül  aus  Francken  :  (ebend.  202).  Steckenpferden  (ebend.  203  ft\)  spielen 
die  Knaben.  Er  hat  ein  bagelgin  ader  klein  armborst«.  Barth.  Paum- 
gärtners  Sohn  bekommt  erst  ein  sammate  beuttle ;  (Briefw.  S.  102) 
dann  wünscht  er  sich  »ein  kleins  pferdla«  .  .  .  mit  Kalbshaut  überzogen 
(S.  110,  cf.  167),  solche  Pferde  sind  aber  1591  nicht  auf  der  Frankfurter 
Messe  zu  haben  (S.  123).  Zu  Weihnachten  schreibt  die  Mutter  Er  hat 
ein  lebetichs  pferd  in  sein  (Wunsch-)zetel  gesetzt  und  ein  rechte  wer« 
(S.  144,  167). 

Das  Steckenpferd  ist  wohl  von  altersher  das  beliebteste  Spielzeug 
der  Knaben,  wie  die  Puppe  für  das  Mädchen  wiederum  wie  geschaffen  ist.'') 

Natürlich  waren  in  alter  Zeit  die  Steckenpferdchen  sehr  einfach 
hergestellt,  allenfalls  genügte  eine  Gerte;  nur  ein  Kinderherz  konnte 
alles,  was  fehlte,  sich  hinzudenken. 

Eine  Lanze,  ein  Schwert  waren  schnell  hergestellt  und  so  konnten 
die  Knaben  Turniere  aufführen,  wie  dies  so  hübsch  in  einer  der  Rand- 
nnniaturen  des  Breviariums  Grimani  (Venedig,  Bi])liothek  von  S.  Marco)- 


')  Vgl.  A.  Woltiuann,  Holbein  ^  I,  12«  ff. 

2)  Kulturg.  Bilderbuch,  IV,  N.  2001,  2002. 

3)  Höf.  Leben 2,  I,  128  ff.  —  Deutsclies  T.el)en  etc;.,    S.  186. 


20'^  ni.    nie  Kr/ioliuiiü  der  Kinder. 

dargestellt  ist.^)  Oder  der  Bube  ging  rnit  dem  Blaserohr,  später  mit  der 
Armbrust  auf  die  Jagd-),  übte  sich  im  Srhielsen.  Andere  spielten  mit 
Windmühlen.'^) 

Im  Freien  gab  es  mant-herlci  Spiele;  wie  viele  Joh.  Fischart  auf- 
zählt, ist  schon  S.  185  angeführt  worden.  Haschen  und  Ballspielen;  dazu 
versprachen  die  ("^bungen  mit  dem  Kreisel  (Topf)  viel  Unterhaltung,  auch 
andere  Vergnüglichkeiten  boten  stets  willkommene  Abwechslung.'*) 

Das  Schlittschuhlaufen  scheint  doch  nur  in  einigen  Ländern  beliebt 
und  bekannt  gewesen  zu  sein.  In  Tjondon  wird  diese  Leibesübung  schon 
im  12.  Jahrhundert  gepflegt'')  und  in  den  Niederlanden  war  sie  im 
17.  Jahrhundert,  wie  die  Gemälde  des  Hendrik  van  Averkamp  (1585 — 1663) 
beweisen,  allgemein  verbreitet,  allein  in  Deutschland  hat  man  wohl  erst 
in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  an  dies(u-  Unterhaltung  (^e- 
fallen  gefunden,  nachdem  Klopstock  für  sie  so  erfolgreich  Anhänger 
geworben  hatte. 

Die  Mädchen  sjiielen  mit  Puppen  (tocken).  Wir  können  uns  heute 
kaum  eine  Vorstellung  machen,  wie  solch  ein  Spielzeug  einst  ausgesehen, 
jedenfalls  sehr  hübsch,  wenn  wir  der  Aufserung  des  Wolfram  von  Eschen- 
bach über  die  Puppe  seiner  Tochter  Glauben  beimessen  dürfen.  Erhalten 
ist  ja  aus  älterer  Zeit  nichts  von  den  Spielsachen  der  Kinder;  entweder 
sind  sie  der  Zerstürungslust  der  Jugend  zum  Opfer  gefallen  oder  man 
hat  sie,  sobald  sie  ihren  Zweck  erfüllt  hatten,  fortgeworfen.  Es  ist  daher 
sehr  erfreuhch,  dafs  im  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg,  im  National- 
Museum  zu  München  man  auch  von  diesen  interessanten  Denkmälern 
der  Vergangenheit  sammelt,  w^as  noch  der  Zerstörung  entgangen  ist. 
Die  Puppenstuben  haben,  wie  die  Puppenküchen,  die  Herzen  der 
kleinen  Mädchen  zu  allen  Zeiten  erfreut ;  auch  von  ihnen  sind  nur  über- 
aus wenige,  die  sich  durch  Kostbarkeit  auszeichneten,  aufbewahrt  worden. 
Eine  der  schönsten  Puppenstuben,  mit  silbernem  Geschirr  und  Gerät 
ausgestattet,  stammt  aus  der  Familie  von  Gontard  und  befindet  sich  jetzt 
im  Museum  von  Frankfurt  a.  M.  Es  dürfte  etwa  um  1740  in  Holland  ange- 
fertigt sein.  Eine  ähnliche  Stube  mit  silberner  Einrichtung  war  im  Besitz 
der  Familie  von  Schönermarck  in  Prieborn  (preufs.  Schlesien).  Zum  Spielen 
sind  diese  kostbaren,  von  Künstlerhand  ausgeführten  Modelle  von  Prunk- 
zimmern wolil  nie  bestimmt  gewesen ;  die  Kinder  durften  sie  nur  ansehen  l 
unter  ihren  Händen  wären  die  zierhchen  Geräte  bald  zerbrochen  worden. 
Und  zum  Ansehen  sind  auch  einzig  und  allein  die  berühmten  Puppen- 
(Docken-) Häuser  da,  diese  mit  wunderbarem  Geschick  ausgeführten 
Modelle  von  Bürgerhäusern.      Die    älteste    Nachricht   von   ihnen   haben 

^)  Deutsches  Leben.     Fig.  230. 

^)  VVeifskunio-,  m.  Ausg.,  8.  53.  —  Buch  Weinsberg,  I,  57 :  Ein  bagelgin  oder 
klein  armborst. 

=)  S.  den  Kupferstich  von  Israel  van  I\Ieckenen  (B.  187).  —  Deutsches  Leihen. 
Fig.  228. 

*)  Buch  Weinsberg,  I,  57 :  (1528)  nemlich  mit  dem  topp  (Holzkreisel),  koite 
^Knöchel,  Würfel),  ommian  (Ömmer,  Klicker).  —  Andern  spilten  umb  feder,  remen, 
lechpennink. 

6)  Höf.  Lebend  I,  173. 


bi  Im  Bürgerhanse.  20H 

wir  aus  dem  16.  Jahrhundert  (1558);  sie  sind  bis  gegen  Ende  des  17., 
ja  bis  zu  Anfang  des  18.  Jaln-hunderts  behebt  gebheben.  Diese  Kunst- 
werke stammen  aus  den  Werkstätten  von  Nürnberger  und  Augsburger 
Meistern  und  sind  sich  erheb  immer  sehr  kostspiehg  gewesen.  Eine  Glas- 
scheibe schützt  das  Haus,  dessen  Einrichtung  vom  Keher  bis  zum  Boden 
auf  das  zierhchste  nachgebildet  ist,  gegen  die  Berührung  von  Kinder- 
händen. Aufserdem  konnte  der  ganze  Bau  durch  Flügeltüren  abgeschlossen 
werden.  Wie  mir  vor  Jahren  W^ilhelm  Frhr.  von  Löffelholz-Colberg  erzählte, 
wurde  noch  in  seiner  Kinderzeit  als  besondere  Belohnung  den  braven 
Kindern  von  Zeit  zu  Zeit  das  Puppenhaus  gezeigt.  Einige  dieser 
Meisterwerke  besitzt  das  Germanische  Museum  zu  Nürnberg,  andere  sind 
im  Nürnberger  und  Berliner  Gewerbemuseum;  das  schönste  ist  im  South- 
Kensington-Museum  in  London  zu  finden.  Solche  kostbare  Arbeiten 
konnten  nur  reiche,  angesehene  Familien  anschaffen;  die  Durchschnitts- 
zahl der  kleinen  Mädchen  hat  mit  bescheideneren  Spielsachen  fürlieb 
nehmen  müssen. 

In  den  kleineren  Städten,  wie  z.  B.  in  dem  tirolischen  Hall  ging 
es  noch  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  unter  den  Schulkindern,  Knaben 
und  Mädchen,  sehr  frei  zu.  Was  Guarinonius  S.  508  ff.  erzählt,  spricht 
nicht  gerade  von  anständigen  Sitten.  Es  änderte  nichts  an  der  Sache, 
dafs  auch  erwachsene  Männer,  Frauen,  Mädchen  sich  ebenso  unschicklich 
benahmen  (S.  929),  dafs  es  Brauch  war,  halb  oder  ganz  nackt  die 
Mädchen  ins  Bad  zu  schicken,  Mädchen  von  10 — 18  Jahren,  und  sie 
von  ganz  nackten  Burschen  von  10 — 16  Jahren  begleiten  zu  lassen. 
(S.  948.) 

Wir  dürfen  nicht  an  diese  Mitteilungen  weitere  Schlüsse  anknüi)fen; 
wie  in  Hall,  wird  es  kaum  in  anderen  Städten  Deutschlands  zugegangen 
sein.  Aber  dafs  eine  gröfsere  Freiheit  im  Verkehr  der  Schulkinder  unter- 
einander, der  jungen  heranwachsenden  Leute  im  allgemeinen  vorherrschte, 
das  wird  sich  kaum  bestreiten  lassen.  Stellten  sich  hin  und  wieder  un- 
liebsame Folgen  ein,  so  brachte  eine  Verheiratung  wiederum  alles  in 
Ordnung,  oder  es  wurde  das  ^Mädchen  durch  ein  Stück  Geld  abgefunden.^) 
Aber  immer  war  es  gut,  die  Töchter  früh  an  den  Mann  zu  bringen. 
Fischart  bemerkt  schon:  '>Bey  leib  lafs  man  die  Töchter  nicht  veralten ; 
es  ist  kein  legerops,  das  man  kan  halten«  (Praktik  13). 

Über  die  Aufgabe  der  Töchtererziehung  äufsert  sich  überaus  ver- 
ständig der  »Haus-Vatter'<  von  Franz  Phihpp  Florinus  (T.  I,  Abt.  I, 
Buch  I,  Kap.  IX).  Er  verlangt  unter  anderem,  dafs  die  Mutter  die 
Tochter  zum  Fleifs  anhält,  sie  geschickt  macht  dem  Hause  vorzustehen. 
Auf  das  Kochen  kommt  es  besonders  an,  aber  nicht  minder,  dafs  sie 
lernen,  »wie  man  mit  Einmach-,  Candier-,  Destillier-  und  Präpariernng- 
der  Arzeneyen  umgehen  solle«.  Dazu  haben  die  Töchter  »S])innen,  Neben. 
Stricken,  Klöppeln,  Wirken,  Sticken  u.  dgl.  <  zu  erlernen. 

*)  Martin  Montanus  Wegkürzer  (Vorrede  1557),  fol.  8  •' :  dei's  Hirten  Tochter  für 
jhr  Jungkfrawschafft  ein  abtrag  thun. 

Vgl.  J.  J.  Beck,  Tractatus  de  eo  qiKid  ju.stuiii  est  circa  stupruiu.  Von  Schwäch- 
und  Schwängerung  der  Jungfern  und  ehrlichen   Wittwcn.     Nürnb.  1743. 


204  I^'-    ^^'^  Kr/.iolmn<i  der  KiikUm-. 

Neben  der  gelehrten  Bildung  wird  die  Übung  der  Musik  nicht  ver- 
nachlässigt. Der  kaum  7  jährige  Solui  des  Barth.  Paumgärtner  geht 
alle  Tage  nach  der  Schule  zum  Lehrer  und  kann,  wie  die  Mutter 
schreibt,  schon  »ein  tonz  auf  dem  istermend  (Instrument)  schlagen« 
(Briefw.  S.  183,  144). 

Den  Bildungsgang  eines  Bürgerssohnes  schildern  uns  Hermann 
Weinsbergs  Aufzeichnungen  (Buch  Weinsberg).  Im  März  1524  kommt 
er  mit  (>  Jahren  in  ilie  Schule  von  S.  Georgen  zu  Köln  (I,  38). 
Da  studiert  er  Donat,  das  Doctrinale  Alexandri  de  Villa  Dei  (eine 
Grammatik  in  ^'^e^sen),  die  evangelia,  das  peniteas  cito.  1528  wird  er 
in  die  Schule  auf  der  )Sant  Kuilen«  gel)racht,  wo  er  die  Grammatik 
des  Joh.  Desputerius  (Despauterius),  die  bucolica  Vergilii,  in  sacris  etc. 
lernt  (I,  52).  löoO  ist  er  auf  der  Schule  von  S.  Alban  (I,  65  ff.)  und 
geht  dann  im  A])ril  1531  nach  Emmericli  (1,  72).  >llier  leirt  ich  (in 
der  Septima)  kurzlich  minen  Donat  uff  das  neu,  leirte  declinern  und 
conjugern,  horte  auch  in  lectionibus  communibus  Petrum  Mosellanum. 
Darnach  im  octohri  ascendierten  ich  ad  sextam  classem,  da  hört  ich 
grammaticam  Aldi  Manutii«  (I,  74).  1532  kehrt  er  in  den  Halbfasten 
(d.  10.  März)  nach  Köln  zurück,  geht  aber  zu  Ostern  wieder  in  seine 
Schule  (1,  77);  es  waren  wahrscheinüch  Osterferien,  wie  er  auch  die  Zeit 
vom  24.  August  bis  1.  Oktober  bei  seinen  Eltern  verbringt  (I,  80,  81).  Als 
er  zu  den  Osterferien  1534  heimkommt,  ist  er  ganz  von  Läusen  bedeckt 
(I,  95,  96);  im  April  wird  er  nach  Quarta  versetzt.  Er  studiert  'Gram- 
maticam Aldi  Manutii,  Murmelium  de  componendis  carminibus,  Ovidium 
de  tristibus,  metamorphoseos,  epistolas,  evangeha,  Erasmum  de  construc- 
tiones.  Sein  Vater  schickt  ihm  >  Ambrosinm,  Calepinum.  vocabularium, 
collocpda  Erasmi,  Erasmum  de  conscribendis  epistolis  etc.  (I,  96,  97). 
Im  September  1534,  also  16  Jahre  alt,  bekommt  er  einen  Platz  in  der 
Kronenburse  der  Kölner  Universität  (I,  101).  Am  1.  Dezember  wird  er 
in  die  Bursa  Laurentiana  eingeschrieben,  als  Beanus  deponiert.  Er 
studiert  Logica  und  dialectica  Trapezontii,  Rodolphum  Agricolam  de 
inventione,  quedam  opuscula  Ciceronis  (I,  103).  Er  wird  im  Dezember 
Präbendat  der  Kronenburse  (104),  Membrum  der  Universität  (105),  erhält 
im  Februar  1535  die  ersten  Weihen  (108)  und  värd  am  20.  Mai  1536 
Baccalaureus  artium  (113),  dann  am  15.  März  1537  Licentiatus  artium(114). 
Nun  studiert  er  die  Rechte  (115).  Er  hätte  damals  gern  »uff  der  luten 
ader  ^drginail  ader  clavicordio  ader  peifen  leren  spilen  umb  ain  geringt 
vur  zitverdreif,  dan  gemeinlich  alle  Studenten  leirten  dermaissen  etwas. 
Aber  min  fatter  wolt  es  mir  nit  gestaden«  (117);  doch  lernt  er  illumi- 
nieren und  malen.  Kostet  vom  Apfel  der  Erkenntnifs  (119).  1539 
d.  24.  xAug.  mrd  er  baccalaureus  legum;  das  kostet  11  Goldgulden  (136). 
Nachdem  er  Rektor  der  Kronenburse  geworden  (141),  liest  er  1542  pro 
licentia  (170).  Zwischen  Ostern  und  Pfingsten  1543  verläfst  er  die  Kronen- 
burse und  fängt  an,  im  Hause  Weinsberg  als  Advokat  zu  praktizieren 
(190,  191).  Nachdem  er  am  5.  Sept.  das  Privatexamen,  am  26.  Sept. 
-die  öffentliche  Prüfung  bestanden,  wird  er  zum  Licentiaten  befördert  (205). 
1544   erfolgt   dann  seine   Ernennung   zum   Advokaten   und  Assessor  im 


b)  Im  Bür^'crhause.  205 

Säle,  darauf  seine  Vereidigung  (213).  Doktor  \\dll  er  nicht  werden,  da  er  die 
3 — 400  Taler,  die  die  Promotion  kostet,  lieber  auf  Leibrenten  anlegt  (302). 

Der  Greifswalder  Bürgerssohn  Bartholomäus  Sastrow,  geboren  1522, 
besuchte  schon  mit  6  Jahren  die  Schule  und  wurde  als  Student  deponiert. 
Seine  Studien  leitet  ein  Präzeptor,  auch  später,  als  er  in  Stralsund  in 
der  Schule  war  und  zai  der  von  Greifswald  zurückkehrte.  1538,  also 
auch  mit  16  Jahren,  bezieht  er  nach  kurzem  Aufenthalt  in  Stralsund 
die  Universität  Rostock,  wo  er  nochmals  die  Deposition  über  sich  ergehen 
lassen  mul's.  Unter  Leitung  eines  Präzeptors  studiert  er  da  zwei  Jahre. 
1542  reitet  er  mit  seinem  Bruder  Johannes  (geb.  1515,  geadelt  1544  und 
zum  Poeta  laureatus  ernannt,  gest.  zu  Acquapendente  1545)  nach  Speier, 
um  am  Kammergericht  zu  arbeiten.  Er  dient  da  bei  dem  Prokurator 
Dr.  Friedrich  Reiffstock  und  später  bei  Dr.  Simeon  Engelhart  und  wird 
1544  kaiserlicher  Notar.  Nach  kurzer  Beschäftigung  in  der  Kanzellei 
des  Markgrafen  Ernst  von  Baden  in  Pforzheim  geht  er  nach  Worms 
ziun  Reichstage,  tritt  in  die  Dienste  des  Rezeptor  und  Kommendator  der 
Johanniter  und  macht  1546  eine  Reise  nach  Italien.  Am  6.  Juh  verläist 
er  Rom  und  ist  am  29.  August  wieder  in  Stralsund.  Er  tritt  nun  in 
die  fürstl.  pommersche  Kanzellei  ein,  wird  1548  fürstl.  Solhcitator  beim 
Kammergericht  in  Speier,  welche  Stellung  er  1550  aufgibt,  läfst  1552 
sein  Notariat  bei  dem  Speierer  Kammergericht  matrikuheren  und  kehrt 
wieder  heim.  Nachdem  er  1553  Prokurator  in  Wolgast,  1554  Stadt- 
schreiber in  Greifswald,  1555  oberster  Sekretär  in  Stralsund  gewesen, 
kam  er  1562  in  den  Rat  und  wurde  1578  Bürgermeister.    Er  starb  1603. 

Weder  Weinsberg  noch  Sastrow  haben  den  Grad  eines  Doktors 
beider  Rechte  erworben.  Wahrscheinhch  war  beiden  diese  Ehre  zu 
teuer.  Weinsberg  schlägt  die  Kosten  auf  3—400  Taler  an.  Lukas  Geiz- 
kofler  wird  in  Dole  promoviert.  Er  kommt  am  3.  Juli  1577  in  der  Stadt 
an,  meldet  dem  Rektor  sein  Vorhaben,  stellt  Thesen  auf  und  wählt 
D.  Claudius  Chiffletius  aus  Besancjon  zum  Präses.  Die  Thesen  werden 
gedruckt,  in  der  Universität  angeschlagen.  Am  7.  Juh  früh  um  7  Uhr 
iindet  in  einem  Hörsaal  die  Disputation  statt;  Chiffletius  hält  eine  ziem- 
hch  lange  Rede  und  ermahnt  zum  Opponieren;  die  Disputation  dauert 
bis  10  Uhr;  Chiffletius  erhält  3  Dukaten.  Am  Sonntag  darauf  bittet  er 
in  der  Universitätskapelle  den  Rektor  nochmals,  ihm  den  Doktorgrad  zu 
verleihen.  Die  Professoren  wollen,  er  solle  um  den  Grad  eines  Bacca- 
laureus  beider  Rechte  und  um  Dispensation  bitten.  Dann  wird  er  gefragt, 
wie  viel  er  zahlen  wolle.  Er  erwidert:  so  viel  wie  gewöhnlich.  Darauf 
wird  ihm  eröffnet,  dals  er  23  Kronen  (zu  3  Frcs.)  zu  entrichten,  das 
Geld  bereit  zu  halten  habe.  Jetzt  endhch  spricht  der  Rektor  :  »So  sei 
denn  Baccalaureus  beider  Rechte  im  Namen  des  Vaters,  des  Sohnes  und 
des  h.  Geistes.  Amen.:  Es  folgt  nun  ein  Frühstück  auf  Kosten  des 
Examinanden.  Gleich  darauf  geht  er  zum  Professor  Primarius  des 
kanonischen  und  zugleich  des  bürgerlichen  Rechts  und  bittet  ihn,  zwei 
Stellen  ihm  zur  Interi)retation  für  das  Examen  zu  bezeichnen.  Nach 
24  Stunden,  von  3  Pedellen  begleitet,  geht  er  am  9.  Juli  um  1  Uhr 
nachmittags,  im  langen  Rock  und  mit  der  viereckigen  Kappe,  ins  Haus 


90f;  111.     l'if    Kr/.iohiinu  iler   Kindor. 

des  Exaniinatoi-s  Dr.  Mungcstius  uii<l  rrkläil  sil/ciul,  licdeekteii  Hauptes, 
vor  3  Professoren  Prüt'iiuü-lOiiiwihl't  .  Als  die  diitk'  Stunde  herangekommen 
ist,  hat  er  23  Kronen  ä  3  Fres.  oder  27  Uat/en  =  41  11.  28  Kr.  zu  erlegen. 
Nun  wird  er  zu  dem  strenucMi,  zweiten  Examen  zugelassen.  Den  Pedellen 
mul's  or  aher  ö  l-'res.  ()>  ll.)  Trud^geld  (l'ür  ilie  Merenda)  bezahlen.  Am 
11.  lälst  er  sieh  wieder  'riiemata  gt'hen,  darf  sie  jedoch  selbst  wählen. 
Am  Naehmittag  bittet  er  acht  Deutsche,  die  Honoratioren  zu  seiner 
Promotion  einzuladen.  Die  Merenda  für  die  acht  Landsleute  kostet 
Avieder  4  Imrgundische  l-'ianken  -=  2  11  24  Kr.  Am  12.  Juli  um  7  Uhr 
morgens  besteht  er  vor  den  ordenthehen  Professoren  im  Hörsaale  des 
Zivilrechtes  das  zweite  oder  strenge  Examen  (Rigorosum).  Die  Deutschen 
warten  in  (Muem  Vorzinnner  des  Saales  und  werden  von  dem  Ober- 
pedell mit  Wein  und  Gebäck  bewirtet,  was  20  Asse  (3()  Kr.)  kostet.  Vor 
seinen  Landsleuten  wird  er  dann  für  würdig  erklärt,  am  Nachmittag  zum 
Dr.  Juris  proklamiert  zu  werden.  Um  1  Ulu-  nachmittags  kommen  der 
Rektor,  das  ganze  Kollegium,  die  k.  Räte,  Doktoren,  Studenten  in  das 
Haus  des  Doktorand(Mi.  fühi'en  ihn.  der  das  Doktorkleid  angelegt  hat, 
unter  A\)rti'itt  ^on  Pfeifern  und  Flötenspielern  in  den  mit  Teppichen 
geschmückten  öffentlichen  Hörsaal.  Darauf  empfiehlt  der  Rektor,  be- 
kleidet mit  einer  roten  Robe,  dem  Vizekanzler  den  Kandidaten  zur 
Ernennung  zum  Licentiaten.  Rede  des  Vizekanzlers.  Eid,  Ernennung 
zum  Licentiaten.  An  die  Professoren,  Doktoren,  vornehmen  Studenten 
werden  Zweige  mit  Eicheln  aus  Zucker  verteilt,  das  kostet  beim  Apo- 
theker 5  Kronen  =  9  fl.  Der  Beistand  hält  indessen  eine  Rede  über 
Herkunft  und  Kenntnisse  des  Doktoranden  und  empfiehlt  ihn  dem  Vize- 
kanzler zur  Ernennung  zum  Doktor;  dafür  erhält  er  1  franz.  Krone  und 
nach  der  Feier  ^/g  Pfd.  Zucker.  Der  Doktorand  verteidigt  wieder  gegen 
einen  Opponenten,  der  eine  halbe  Krone  bekommen  soll,  aber  eine  ganze 
erhält,  Thesen  und  hält  dann  eine  Rede  über  den  Ruhm  der  Akademie. 
Darauf  Rede  des  Vizekanzlers,  der  ihm  ^^ unter  einigen  Ceremonien«  die 
Abzeichen  verleiht.  Sodann  dankt  der  neue  Doktor  Gott,  dem  Rektor, 
dem  Vizekanzler,  den  Professoren,  den  Anwesenden;  der  Oberpedell 
spricht  einige  Wunschreime.  Wieder  unter  Vortritt  der  Musikanten 
gehen  der  Rektor,  der  neue  Doktor,  der  Vizekanzler  mit  seinem  Ad- 
junkten, die  Professoren  etc.,  alle  die  Zuckerzweige  in  der  Hand  tragend, 
nach  der  Kirche.  Ins  Haus  schickt  man  dem  Rektor  und  allen  Pro- 
fessoren je  V2  Pfd-  Zucker  für  9  Gr.  ==  27  Kr.  Weitere  Geschenke  er- 
halten die  Pedelle,  die  Musikanten,  die  den  Saal  geschmückt,  der 
Glöckner.  Für  das  Leihen  der  seidenen  Doktorkleider  und  der  vier- 
eckigen Kappe  sind  10  Asse  =  18  Kr.  zu  entrichten.  Am  Tage  nach 
der  Promotionsfeier  ladet  er  den  Rektor  u.  s.  w.  (die  Professoren  aber 
nicht)  zum  Mahle  (15  Eres.  =  9  fl.).  Am  13.  bringt  der  Oberpedell  das 
Diplom  und  erhält  2  Kronen  =  6  Eres.  ^  3  fl.  36  Kr.  Die  ganze  Pro- 
motion kostet  96  fl.  27  Kr.  (S.  128— 139).^) 


»)  Abb.  von  Rektoren,  Professoren,  Studenten  in  den  Stamiubtichern.  —  Die  Anits- 
tracht  des  Rektors  der  Wiener  Universität  iii  Abr.  a  S.  Clara,  Neu  eröffnete  Welt-Galleria. 
Nümb.  MDCCCm. 


b)  Im  Küi-üerhause.  207 

Die  einseitige  Wertschätzung  der  klassischen  Bildung  hat  seit  dem 
16.  Jahrhundert  eine  Trennung  unter  den  Bürgern  herbeigeführt;  auf  der 
einen  Seite  stehen  die,  welche  Lateinisch  und  Griechisch,  ja  oft  genug  noch 
Hebräisch  in  den  Gymnasien  gelernt,  auf  der  anderen  alle  die,  welche  diese 
Studien  zu  treiben  nicht  in  der  Lage  waren:  Gebildete  und  Ungebildete. 
Die  Sprache  der  Gelehrten  ist  die  lateinische,  und  um  ihre  Angehörig- 
keit zur  Gilde  der  Gelehrten  auch  äufserlich  zu  kennzeichnen,  suchen  sie 
selbst  ihren  Namen  ins  Lateinische  zu  übertragen.^)  Aus  einem  Schwarzert 
wird  ein  Melanchthon,  aus  einem  Hausschein  ein  Oecolampadius.  Der 
Krause  nennt  sich  Crusius,  der  Schmidt  Faber,  der  Berger  Montanus, 
der  Schulz  Praetorius  u.  s.  w.,  oder  man  hängte  wenigstens  dem  Namen 
ein  US  an  und  aus  einem  Meier  wurde  ein  Meierus,  wenn  er  nicht  vor- 
zog, sich  Major  zu  nennen.  An  dem  latinisierten  Namen  erkannte  man 
sofort,  dafs  einer  entweder  selbst  akademische  Bildung  erhalten,  oder 
dafs  er  aus  einer  Familie  stamme,  deren  Stammvater  sich  derselben 
erfreut  habe  (vgl.  S.  197).  Die  Narrheit,  seinen  Namen  so  geschmacklos  zu 
verunzieren,  ist  damals  allgemein  verbreitet:  in  Frankreich  wurde  aus 
einem  bürgerhchen  Cujas  oder  Cujau  ein  gelehrter  Cujacius,  in  England  aus 
einem  Owen  ein  Audoenus.  Schrieb  ein  solcher  Gelehrter  auch  in  seiner 
Mutterspsache,  so  konnte  er  nicht  unterlassen,  lateinische,  griechische 
Worte,  Redewendungen,  Distichen  u.  s.  w.  einzuflechten,  somit  von  seiner 
klassischen  Erziehung  Zeugnis  abzulegen.  Verstand  er  noch  französisch, 
italienisch,  so  brachte  er  auch  diese  Weisheit  in  seinen  Schriften  zur 
Geltung.  So  entsteht  diese  unerträgliche,  mit  Gelehrsamkeit  prahlende 
Schreibweise,  wie  wir  sie  im  16.  und  17.  Jahrhundert  allgemein  ver- 
breitet finden  und  die  nur  wieder  für  die  Gelehrten  zu  verstehen  ist. 
Die  Tagebücher  des  Phihpp  Hainhofer  sind  z.  B.  in  diesem  unerträg- 
lichen Stil  geschrieben.  Dazu  kommt  nun  die  Spielerei,  die  Buchstaben 
eines  Wortes  umzustellen  und  so  neue  Worte  zu  bilden  (Anagramme). 
Das  Vergnügen,  Eva  und  Ave,  Roma  und  Amor  sich  gegenüberzustellen 
und  erbauliche  Betrachtungen  an  diese  Erscheinungen  zu  knüpfen,  das 
hatte  bereits  das  Mittelalter  verstanden,  seit  dem  16.  Jahrhundert  jedoch 
^ird  diese  Torheit  allerorten  getrieben.  Dazu  kommt  dann  die  Erfindung 
grofstönender  Inschriften,  die  Vorliebe  für  Künsteleien  wie  Akrostichen 
oder  Chronostichen. 

Die  Sitte,  zumal  französische,  doch  auch  italienische  und  spanische 
W^)rte  in  die  deutsche  Sprache  zur  Verschönerung  derselben  einzuschwärzen, 
blüht  besonders  im  17.  Jahrhundert  und  hat  den  Satirikern  vielfach  Anlafs 
zum  Spott  und  zum  ernsten  Tadel  gegeben.  Job.  Laurenberg  hat  ihr 
z.  B.  sein  Scherzgedicht  »Van  Alamodische  Sprake  und  Titeln«  gewidmet. 

Viel  interessanter  als  alle  diese  Verirrungen  der  Gelehrsamkeit 
erscheint  uns  das  Studentenleben  des  Mittelalters  und  der  nachfolgenden 


1)  Vgl.  z.  B.  Moscherosch.  Gedichte  Philanders  v.  Öittewald,  hgg.  v.  F.  Bul)ertag 
(Beil.,  Stuttg.),  8.  35  :  E.s  will  keiner  mehr  Rofskopff  heifsen,  sondern  Hippocephahis, 
keiner  mehz  Schneider  heifsen,  keiner  mehr  Schuster,  "Weber,  keiner  Schmid,  sondern 
Sartor,  Sutor,  Textor,  sondern  Sartorius,  Textorius,  Faber  und  Faljritius,  nicht  Schütz, 
sondern  Sagittarius. 


208 


111.    Die   iM/.ieluing  tk'v  Kinder. 


Jahrhunderte.     Die   Unterweisung    in    den  Wissenschaften    erhielten    im 
frülien    Mittelalter    die    jungen  Leute    in    den   Klesterschulen,    in   denen 
angehende  Theologen  /Aunal  ihre  Kenntnisse  sich  aneigneten.    So  manche 
von  ihnen  lielsen  die  Studien  für  einige  Zeit  otler  auch  für  immer  ruhen 
und  zogen    in  der  Welt   undier,    hettelnd,    fechtend,    singend,    dichtend. 
Das    sind   die    Goliarden,    die    r>acchanten,   die  fahrenden  Schüler.     Aus 
ihrer  Mitte  ist  der  Archipoeta,    der  Dichter  Walter  von  Lille   (Gualterus 
ab  Insula),  Walter  Mapes  hervorgegangen.     Sie  besingen  den  Wein,  die 
Liebe,  wie  die  köstlichen  Gedichte  die  aus  Benediktbeuern  stammenden 
Carmina    Burana   z.  B.    zeigen;    das    Meum    est   propositum   in   TalxM-na 
mori,  das  Gaudeamus  stammt  von    diesen  Dichtern.     Das  Propter  Syon 
non  tacebo    zeigt,    dafs    sie  auch    ernste    politische    Fragini   als   geborene 
Dichter  zu  behandeln  verstanden.   Freilich  die  Mehrzahl  dieser  fahrenden 
Schüler    mag    nicht  viel    getaugt    haben;    durch    Stehlen    und    Rauben, 
Bettelei  in  den  verschiedensten  Formen  schlugen  sie  sich  durchs  Leben, 
so  dals  die  Konzilien  und  Synoden  allen  Ernstes  den  Pfarrern  verboten, 
den  Vaganten  Unterstützung  zu    gewähren,    dem  Unwesen  Vorschub  zu 
leisten.    Die  fahrenden  Schüler  jedoch  machten  meist,  wenn  sie  ein  paar 
Jahre  ihr  Lel>en  genossen  hatten,  ihren  Frieden  mit  der  Kirche,   traten 
ins   Kloster   oder  wurden  Weltgeistliche,    aber  eine   heimliche  Liebe   zu 
den   nichtsnutzigen   Landstreichern   bewahrten   sie,    so   lange   sie  lebten. 
In  jenem  Gohardenlehen  steckt   ein  gut  Stück  Poesie,    das   der  übrigen 
Gesellschaft  längst  abhanden  gekommen  war.^) 

Seit  die  Universitäten  in  immer  gröfserer  Zahl  gegründet  wurden 
und  den  Unterricht  in  den  Wissenschaften  übernommen  hatten,  war 
eine  gewisse  Vorbildung  erforderlich,  wollte  einer  mit  Nutzen  den  Vor- 
lesungen folgen.  Es  entstehen  nun  in  den  Städten  Lateinschulen,  Gym- 
nasien, wie  man  sie  später  nannte.^)  Ältere  Schüler  besuchten  wohl  bald 
die,  bald  jene  Schule,  traten  das  Erbe  der  Goharden  an,  ohne  jedoch 
deren  Geist,  deren  poetische  Begabung  zu  besitzen.  Auch  sie  betteln 
und  fechten  sich  bei  ihren  Landstreichereien  von  einem  Ort  zum  anderen 
fort,  aber  leider  führen  sie  kleine  Knaben  mit  sich,  die  ihnen  von  den 
Eltern  anvertraut  wurden,  die  sie  auf  die  Schule  führen  und  bei  ihren 
Studien  beaufsichtigen  sollten.  Diese  armen  Kinder  sind  die  Sklaven 
der  Bacchanten,  ihre  Schützen;  sie  haben  ihrem  Herrn  in  allem  zu 
gehorchen,  ihn  zu  bedienen,  für  ihn  zu  stehlen,  zu  betteln,  und  dafür 
erhahen  sie  Schläge  und  Strafen  aller  Art.  In  den  Städten  erhielten  sich 
die  Schüler  vor  allem  mit  Singen ;  bei  allen  möghchen  Festen  und  Gele- 
genheiten zogen  sie  truppenweis  von  Haus  zu  Haus,  sicher,  ein  Geldstück 
oder  etwas  Efsbares  zu  erhalten.  Dafs  die  Schüler  die  Leichen  reicherer 
Bürger,  fromme  Lieder  singend,  zum  Grabe  geleiteten,  ist  noch  mi 
19.  Jahrhundert  in  manchen  Städten  wie  Dresden,  üblich  gewesen.=^) 


1)  J.  TT.  Mayer,  Discursus  historicus  philologicus  de  vagantibus  scholasticis  sive- 
von  fahrenden  Schülern.     Lips.  1714. 

2)  Sebaldus   Heyden,    formulare    colloquiorum    pro    primis    tyronibus    Sebaldmao 
scholae  Norimbergae.  Aug.  Vind.  1530  (Facsimilierter  Neudruck.) 

3)  Abb.  von  Schulknaben :  Deutsches  Leben.     Fig.  231—233. 


b)  Im  ]5ür<>erli:mse 


209 


Ein  besonderes  Examen 
wurde  wohl  kaum  gefordert, 
wenn  einer  Znlafs  zu  den  Uni- 
versitätsstudien begehrte.  Si- 
eher aber  hat  er  sich  über 
seine  Herkunft  ausweisen  müs- 
sen; Söhne  von  unehrlichen 
Leuten,  Scharfrichtern  und  AI) 
deckern  und  mancher  anderen 

• 

Arbeiter  nahm  man  schwerlich 
auf.  Wahrscheinlich  V(n' wei- 
gerte man  auch  die  Inskription 
den  unehelich  Geborenen.  Dal's 
Erasmus  von  Rotterdam  trotz 
seines  Geburtsmakels  Auf- 
nahme fand,  war  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  eine  Aus- 
nahme. Der  Student  trat  in 
eine  Bursa  ein  und  mufste 
sich  da  einer  Ceremonie,  der 
Deposition,  unterwerfen,  die 
ebenso  lästig  wie  kostspielig 
war.^)  Erst  dann  hatte  er  das 
Recht,  als  Beaiuis,  oder  wie 
wir  sagen  würden,  als  Fuchs 
sich  zu  fühlen.  Die  Examina 
zum  Baccalaureat,  zum  Licen- 
tiat,  zur  Würde  des  Magisters, 
des  Doktors  wurden  dann,  je 
nach  Bedürfnis,  abgelegt.  Be- 
zeichnend erscheint  es,  dafs 
zumal  mit  dem  Doktorexamen 
das  Prandium  Aristotelis,  das 
in  unseren  Doktorschmäusen 
noch  fortlebt,  verbunden  war, 
Essen  und  vor  allem  Trinken 
eine  grofse  Rolle  spielte.  Im 
18.  Jahrliundert  schenkten 
Damen  den  jungen  Magistern 
den  Magister-Kranz. 2) 

Es  war  die  Masse  der 
Studenten  aus  recht  verschie- 
denen    Bestandteilen     zusam- 


')  W.  Fabricius,  Die  tikademische  Deposition  (depositin  <-nmmiiii),  l>oitr.  zur 
deutschen  Literatur-  und  Kulturgesch.,  speziell  zur  Sittoniiescliichto  der  TTniversitäten. 
Frankf.  1895.  —  Vgl.  Deutsches  Leben  etc.  S.  203  ff. 

*)  Alltagsleben  einer  deutsch.  Frau.    182. 
Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  14 


210  ^^-    I^iß  Erzielmiiti  der  Kinder. 

raengesetzt;  nicht  allein  stammten  sie  aus  mancherlei  Landstrichen  und 
Ländern,  und  dann  fanden  sich  die  Landsleute  in  den  Ijandsmannschaften 
zusammen ;  (^s  Avaren  aber  auch  neben  l)hitjungen  Burschen  ältere,  ge- 
reifte JMänner.  Diese  Mischung  liat  auf  das  Studentenleben  ihre  Wir- 
kung auszuüben  nicht  verfehlt ;  neben  harmlos  lustigen  Streichen  finden 
M-ir  auch  so  manche  Abenteuer  verzeichnet,  die  ein  l)hitiges  Ende  herbei- 
tührtcn. 

Das  Toben  auf  der  Gasse,  zumal  des  Nachts,  ist  zwar  streng  ver- 
boten; sie  sollten  schon  längst  in  die  Bursa  heimgekehrt  sein,  allein  viele 
lärmten  in  der  Stach  herum,  brachten  ihren  Ijiebsten  Ständchen,  die 
nicht  inuner  freundliehe  Aufnahme  fanden,  dann  gerieten  sie  in  Händel, 
die  Waffen  wurden  gezogen,  und  oft  genug  nahm  eine  solche  Nacht- 
belustigung ein  sehr  trauriges  Ende.  Von  Geschlecht  zu  Geschlecht 
aber  pflanzte  sich  der  Hader  mit  den  Handwerkergesellen  fort.  Die 
Studenten  neckten  und  verhöhnten  die  Arbeiter;  z.  B.  wurden  die 
ivürschner  Katzenschinder,  höflich  Kazedonier  (so  heifst  auch  im  A^olks- 
munde  der  Halbedelstein  Chalcedon)  genannt,  die  Schneider  mit  dem 
Bock  und  den  Peterflecken  verspottet,  bis  dann  den  Gesellen  die  Geduld 
rifs  und  es  zu  einer  handgreiflichen  Auseinandersetzung  kam,  bei  der 
nicht  selten  Totschläge  und  schwere  Verwundungen  sich  ereigneten. 

Als  im  16.  Jahrhundert,  in  Deutschland  wenigstens,  die  Trunksucht 
alle  Stände  ergriff,  haben  auch  die  Studenten  sich  mit  jugendlicher  Be- 
geisterung ihr  ergeben.  Die  mittelalterlichen  Überlieferungen  wissen 
ja  von  vielen  Ausschreitungen  der  Studierenden  zu  erzählen,  allein  von 
dieser  Art  der  Völlerei  melden  sie  nur  ausnahmsweise. 

Das  Studentenleben  des  17.  Jahrhunderts  wird  häufig  von  den 
Schriftstellern  besprochen.  C.  A.  M.  v.  W.  in  seinem  »Neuaufsgebutzten, 
Kurtzweihgen  Zeitvertreiber«  (1685)  sagt  S.  280:  »Es  seynd  nicht  alle 
Studenten,  die  Studenten  heissen;  es  giebet  der  Namen  Studenten  viel 
zu  viel,  sie  haben  nur  den  Namen  und  Schein  der  Studenten.  Ihrer 
viel  ziehen  auff  die  Universität  und  wollen  studiren  und  haben  doch 
den  Kopff  nicht  darzu,  haben  mehr  Heckerling  als  Gehirn  im  Kopffe 
und  wissen  sich  in  nichts  zu  schicken.  Viel,  die  den  Kopff  haben, 
wollen  ihn  nicht  dran  strecken  und  sich  weisen  und  ziehen  lassen, 
sondern  meynen,  wann  sie  der  Eltern  Zucht  und  Trivial-Ruthen  ent- 
kommen, wären  sie  ferner  an  nichts  gebunden ;  die  Academische  Libertät 
sey  eine  Licentz  und  Freygelassenheit  zum  Müssiggang  und  Faulheit, 
da  dürfi^te  man  leben,  wie  man  wolle.  Viel  lassen  sich  das  Sauffen  mehr 
beileben  (belieben?)  als  das  Studiren,  gehen  ihrem  Galanisiren  und  dem 
Frauenzimmer  nach  und  fangen  sonst  allerhand  lose  Händel  und  Leicht- 
fertigkeit an,  gerathen  ins  Luder  und  balgen  sich  durch  einander  und 
treibens  so  wüste,  dafs  Sund  und  Schand  ist.« 

Derselbe  Autor  gibt  S.  292  nachstehende  interessante  Schilderung: 
»Ein  vornehmer  Professor  der  Heil.  Schrifft  und  Prediger  auff  einer 
berühmten  Universität  hat  sich  in  einer  Predigt  am  Sonntag  Quinqua- 
gesima  den  27.  Februarii  1620  von  dem  Studenten -Leben  folgender 
Gestalt  hören  lassen:   »Vergangenen  Donnerstag   ist   ein  Auffzug   allhier 


b)  Im  Bürgerhause.  211 

gesehen  worden,  in  welchem  Vita  Studiosorum  statthch  repraesentirt 
worden,  denn  wir  befunden  an  demselben,  dafs  der  Inventor  oder  Dichter, 
der  es  also  geordnet  hat,  nicht  blöd  am  Haupt  müsse  gewesen  seyn. 
Es  verhält  sich  aber  damit  also:  AufE  dem  ersten  Wagen  ist  gefahren 
der  Depositor  und  bey  ihm  etUche  Bachanten,  in  Ansehung,  dafs  nicht 
jeder  Dölpel  zum  Studiren  geschickt  sey;  sondern  es  müsse  vorhero  das 
grobe  abgehauen  werden.  Diesen  folgte  auff  dem  andern  Wagen  ein 
fleissiger  Student,  so  die  Bücher  auff  geschlagen ,  gelesen,  geschrieben 
und  ihme  lassen  einen  sonderhchen  Ernst  seyn.  Auff  dem  dritten  Wagen 
folgete  eine  gar  anmuthige,  schöne  und  hebUche  Music,  mit  welcher  sie 
haben  wollen  zu  verstehen  geben,  dafs  ein  Student  nicht  allein  Cal- 
meisern  und  unter  den  Büchern  verschimmeln,  sondern  auch  zu  Zeiten 
eine  Recreation  haben  dürffe.  Weil  denn  nun  mit  ehrhchen  Gesell- 
schafften einen  Trunck  zu  thun  nicht  auszuschlagen  und  zulässig  ist, 
al^  folgte  diesem  der  vierte  Wagen,  in  welchem  waren  gar  lustige  vier 
Bürschlein,  die  zechten  trefflich  herumb  und  hielten  offt  reinen  Mund. 
In  dem  fünfften  Wagen  waren  etliche  Junggesellen  und  Jungfrauen,  die 
courtesirten  mit  einander.  W^eil  aber  nicht  jedermans  Ding  ist  mit 
Frauenzimmer  umbzugehen,  denn  mancher  wolte  gerne  löffeln  und  kans 
nicht,  derhalben'  war  im  sechsten  Wagen  eine  Compagnie,  die  spielete 
dafür.  Und  dafs  diese  jetzt  bemeldte  drey  Wägen  also  auff  einander 
gefolgt  und  keiner  darzwischen  gewesen,  haben  sie  gesehen  auff  das  alte 
Studenten  Liedlein;  wann  nemhch  die  Eltern  fragen:  »Wo  ist  das  Geld?« 
So  ist  es  verzecht,  verbuhlt  und  verspielet.  Und  weil  anders  nichts 
darauff  erfolget  als  Zorn,  Zwytracht,  Uneinigkeit,  Mord  und  Todtschlag, 
so  kam  auff  den  sechsten  Wagen  der  siebende,  darauff  sich  zween 
mit  einander  balgten  und  manchen  unbequemen  Stofs  einander  mit- 
theilten. Weil  es  aber  bey  Balgen  offt  stösse  gibt  und  mancher  mit 
blutigem  Haupt  abziehen  mufs,  bey  Fressen  und  Sauffen  zerrissene 
Kleider,  bey  Jungfrauen  geringe  Ehr  und  Gunst,  bey  Spielen  leeren 
Beutel,  Als  hat  solches  wol  erfahren  Cornehus,  derohalben  er  im  achten 
Wagen  auffgezogen  kommen  mit  verbundenem  Haupt,  zerfetztem  und 
zerschlagenem  Gesicht;  die  Bücher  lagen  zerstreut,  die  Kleider  zerrissen, 
die  Stuhl  zerbrochen.  Vor  ihm  stunde  eine  Jungfer,  die  ihn  umb  defs 
Kindes  Vater  ansprach,  AVorüber  Cornehus  überaufs  sehr  ergrimmete; 
darzu  schlugen  ihm  auch  vorhergehende  Excessus,  also  dafs  er  sehr 
kranck  wurde,  und  defshalben  fuhr  er  im  neunten  Wagen  mit  dem 
Medice  kranck  nebenst  dem  Tod,  anzuzeigen,  dafs  der  Medicus  könte 
die  Gesundheit  wiederbringen,  der  Tod  aber  den  Muthwillen  dämpffen 
und  aufslöschen,  dafs  er  ins  künfftige  wieder  aufferstehen  möchte  und 
ein  gelehrter  Doctor  aus  ihme  würde.  Defs  wegen  im  letzten  und  zehen- 
den Wagen  solche  graduirte  Personen  gesessen,  welche  solches  bezeuget,  c 

Die  Quälereien  des  PennaUsmus  wurden  1674  auf  dem  Reichstage 
zu  Regensburg  verboten.^) 

Die  musikalischen  Künste  zeigte  der  Student  zumal,  wenn  er  des 
Nachts  sich  auf  der  Strafse  herumtrieb. 

0  Martini  Zeilleri  Miscellanca   .  .     Nürnl).  1661. 
'  14* 


212  III.    Die   Erzieliun«  der  Kinder. 

;:>D«r  Studenten  Gassaten  gehen  liat  einer  folgender  Gestalt  be- 
schrieben : 

Nocte  studens  graditur  ludens  testudine :  bomb,  bomb. 
Personat  hie  aUter  cvthara:  teretrum,  teretrum,  trum. 
Tunc  reUqni  elamant,  tollentes  brachia:  juch!  juch! 
Pellio^)  tunc  gruit,  mox  hie  submurmurat :  Ilny  Katz. 
Pellio  subsequitur  pedibus  tunc  dicere :  schliegs,  Schlags. 
Tunc  gladibus  talem  sonitum  solet  edere :  Kling,  kling! 
Post  sequitur  miser  atque  ictis  vulneribus :  Auweh ! « ^) 
Das  Trinken  wurde    natürlich   nicht  vernachlässigt,    aber   die  War- 
nung der  Triiu'k-Regul  nicht  inuiKM-  Ix-hcrzigt :     Man  soll  trincken: 

UTiliter 
REahter 
Miraliter 
FAmiliariter 
SOLenniter. 
Damit  man  es  nicht  bereue  LAmentabiliter.  ^) 

Siehe,    da  waren   etliche   die  giengen  Gassat  um  mit  Spilleuthen 
unnd    gebrauchten    sich    unzüchtiger  Pargamezo^)    vor  ihrer  Liebsten 
Hause,  andere  giengen  Tunckel  über  die  Gassen,    haweten  in  die  Stein, 
\varfEen  die  Fenster  aufs  und  gebrauchten  sich  aller  Leichtfertigkeit  und 
Muthwillens,  hüben  den  Weinschencken  die  Bäum  aufs  und  trugen  sie  an 
ein  verborgenes  Orth ;  Andere  spanneten  Seyl  an  die  Gassen  und  fiengen 
einen  Tumult  an,  dafs  die  Scharwächter  zulauffen  müssen,  dann  fielen  sie 
über  die  gespannete  Seyl  unnd  wurden  also  von  den  Studenten  mit  Prü- 
geln übel  tractirt.cö)    (Philander,  Infernahs,  Frankf.  1648.  S.  884.) 
Sie  beherzigen  vielmehr:   »Lex  sie  Saxonica  dicit: 
Qui  bibit  e  fundo,  cyatho  bibat  ille  recenti. 
Qui  bibit  ex  negis  ex  Frischibus  incipit  ille.«^) 
»Das  Stättlein  Lippen  (Lipehne)  in  der  Marck  Brandenburg  eygnet 
ihme  dieses  Recht   insonderheit  zu,    dafs  wer   die  Neige  vom  Bier  aufs- 
getruncken,  von  der  vollen  Kanten  wieder  zu  trincken  anfahe,   welches 
die   Märcker   das   Lippenisch  Recht   nennen«   (Dav.  Froel.    in    cynopera 
Peregrinant.,  part.  2,  lib.  1).^) 

Der  Verfasser  des  »Philander  Infernalis  :  (Frankf.  1648)  malt  uns 
die  Studentenhölle  S.  882  ff.  aus:  »Es  wimmelte  darneben  so  voller 
Studenten,  Candidaten  uund  Licentiaten  darinnen,  dafs  ich  mich 
verwunderte.    Die  Vornehmbste  sassen  an  einer  Taffei,  brachten  einander 

')  Es  bezieht  sich  das  auf  die  alte  Neckerei,  dafs  die  Studenten  die  Kürschner 
Katzenschinder  nennen  (Katzedonier).  —  S.  o.  S.  210. 

2)    Zeitvertreiber  281. 

=•)  Ebendas.   195. 

*)  Soll  ^vohl  Pazzamezzo  heifsen.  Das  ist  ein  Tauz,  von  dem  noch  später  das 
nötige    mitgeteilt  wird. 

*)  Einen  solchen  Studentenstreich,  bei  dem  auch  der  bekannte  Goldschmied  Urs  Graf 
mitwirkt,  erzählt  Frey  in  der    »Gartengesellschaft«  (Strafsb.  1557),  fol.  Lxvjt». 

6)  Ebendas.  197. 

)   M.  Zeiller,  Handbuch.     Ulm  1655.     S.  387. 


b)  Im  Bürgerhause.  213 

dapffer  zu  und  soffen  dermassen,  dafs  sie  jlire  Augen  verwandeten  und 
sahen  heraufs  wie  gestochene  Kälber  ...  Da  gienge  jhr  Sauffen  er.st 
recht  an,  soffen  einander  zu  aufs  Kühlen,  aufs  Schüsseln,  aufs  Schuhen, 
aufs  Bechern,  die  mit  allerhand  Speifs  neben  dem  Wein  erfüllet  waren, 
mit  Gläsern,  darinnen  gekotzet  war,  soffen  sie  einander  Brüderschafft 
zu,  schlugen  einander  in  die  Hände  und  gebrauelieten  sich  solcher 
Worten:  Ich  thue,  was  dir  lieb  ist,  meyde,  was  dir  zu  wider  ...  (S.  886). 
Andere  thäten  nichts  anders  als  sauffen;  soffen  einander  zu:  More 
Graeco,  More  Palatino^),  Coela,  Maria,  Buft"  und  liessen  jhnen  den 
Wein  durch  üppige  Gesang  eynsingen  und  eyngeigen,  bifs  sie  da  lagen 
unnd  kotzten  wie  die  Gerber  Hunde  ....  (888)  waren  es  zwölff  Leg  es 
vom  Sauffen  und  üppigen  Leben,  welche  also  geschrieben  stunden : 
1.  More  (Jraeco:  Kevner  vom  andern,  bifs  er  voll  seye.  2.  More 
Palatino.  3.  Aut  bibe  aut  abi.  4.  In  Floribus.  5.  Autt'  einen  Soff. 
6.  Sauff  oder  entlauff".  7.  Gesoffen  oder  geschmissen.  8.  Studenticos. 
9.  Brüderschafft  oder  Freundschafft.  10.  Auff  den  Nagel.  11.  Die  Wäscherin 
ist  darzu  gut  genug.    12.  Studenten  Leben  das  beste. 

»Nun  waren  unter  denen,  welche  nicht  bescheyd  tliun  woltent, 
heifst  es  S.  884,  >jaber  dieselbigen  raseten  und  tobeten  hingegen  wie  das 
unsinnige  Viehe,  stiefsen  einander  Gläser  ins  Gesicht  unnd  mit  den 
Degen  raufften  sie  bis  auff  das  Blut,  dafs  sie  umb  ein  Gläfslein  Weins 
einander  Weyd  und  Wasser  versagen  und  einander  bifs  auff  den  Todt 
raufften.«  >Es  waren  auch  etliche  in  dieser  Compagnya,  welche,  wami 
sie  den  Wein  wieder  aufsgeschlaffen,  dan  Geld  den  Eltern  verthan  und 
nichts  gelernt  hatten,  sondern  durch  rauffen,  balgen  und  sauffen  an 
ihren  Ghedern  ablässig,  Krum  und  Lahm  worden«  (S.  887).  >;Das 
Fechten  erlernten  sie  in  den  Fechtschulen.  Kaiser  Friedrich  III.  hatte 
1487  den  Freifechtern  von  Frankfurt  ein  Privileg  erteilt.  In  Frankfurt 
a.  M.  konnte  einer  die  Würde  eines  Meisters  vom  langen  Schwerte  in 
der  Genossenschaft  der  Marxbrüder  erwerben,  in  Prag  ebenso  in  der 
Zunft  der  Federfechter.  An  einem  Sonntage  1638  wurden  in  Nürnberg 
in  der  Fechtschule  bei  dem  Zudrang  viele  erdrückt  und  verletzt,  ^j  Einen 
Meister  seiner  Kunst,  einen  Studenten,  läfst  der  Verfasser  der  »Hunds- 
tägigen  Erquickstund«  (Frankf.  1650)  S.  140  i)rahlen:  :  Über  dieses  alles 
gebe  ich  auch  einen  praven  Fechter  und  bin  in  dieser  Kunst  dermassen 
fertig,  dafs  ich  mir  auch  offt  mit  einem  dicken  Filtze  das  Angesicht 
lasse  zubinden  unnd  doch  gleich wol  meinen  Widerpart  kan  treffen,  wo 
man  es  nur  begehret,  es  sey  ein  Auge,  den  hindersten  Zahn  aufs  dorn 
Maul,  das  lincke  oder  rechte  Ohr,  Ja  ein  gewisses  Haar  vom  Kopff  oder 
aufs  dem  Knebelbart,  und  dieses  alles  thu  ich  nur  im  blinden;  wie 
meinet  jhr  Herren,  müsse  ich  wol  ein  Fechter  seyn,  wann  ich  meinen 
Gegentheil  kan  vor  mir  sehen.« 

Da  streifen  sie  denn  des  Nachts  auf  den  Gassen  herum,  wetzen 
ihre  Rapiere  am  Pflaster,  hauen  in  die  Steine,  dafs  die  Funken  sj)rühen 

')  More  Palatino  bibimuH  nc  j^utte  siipersit 

Unde  suam  powHit  musca  lovare  .sitiiii.  (Zeitvortr.  287.) 

»)  M.  Zeiller,  Handbuch,  II.  58. 


214  III.    nie  Krzichimg  der  Kinder. 

und  suchen  mit  jedermann  Händel.  Als  der  Kurfürst  Christian  von 
Sachsen  Friedrich  Tauhmann  (ir)G5 — 1613)  fragte,  ^^was  die  Studenten 
in  Wittenberg  machten?  Taubmann  stehet  von  der  Taft'el  aulY,  gehet 
mit  einem  Degen  in  den  Hoft"  hinunter,  hauet  in  die  Steine,  grabet 
etliche  aufs  und  Avirfft  zu  dem  Churfürsten  in  die  Fenster  und  schreyet: 
, Herunter,  du  Penal,  du  S])ul\vurm'  etc.  Der  Churfürst  läfst  ihm  sagen: 
Er  sol  nur  auffhören,  er  hätte  Bescheids  genug.  <^) 

Man  meint  oft,  erst  während  des  Dreifsigjährigen  Krieges  seien  die 
Studenten  so  verwildert,  doch  zeigt  die  eben  erzählte  Geschichte,  dafs 
schon  vor  dem  Kriege  die  Roheit  eine  ziemlich  grofse  war. 

Dafs  der  Venus  gleichfalls  geopfert  wurde,  ist  durch  vicK;  Zeug- 
nisse bestätigt.  >^ Etliche  unter  jhnen  wurden  auch  heimtückisch  unnd 
da  sie  gnugsamb  gefressen  und  gesoffen  hatten,  gaben  sie  sich  heimlich 
in  des  Huren\nrths  Losament  und  dantzten  mit  den  Studenten  Wäsche- 
rinnen und  Studenten  Mägdlein  den  Venus  Dantz.«^)  Auch  was  ihre 
Lektüre  war,  erfahren  wir:  -  Aui?  der  andern  Taffei  lagen  etliche  kleine 
Büchlein  als  wenn  es  der  Amadis,  Schaff erey,  Cento  Novella  oder 
Ovidius  de  Amore  were.^^) 

»Wer  sein  Ehbette  wil  behalten  keusch  und  rein. 
Der  lade  nur  nicht  viel  Studenten  zu  sich  ein.«"*) 

Im  allgemeinen  ist  das  Urteil  über  die  Studenten  ein  recht  un- 
günstiges. >H.  Hans  Michael  Mosch erosch  schreibet  im  Christlichen 
Vermächtnus  am  456  Blat  defs  letzten  Drucks  also :  Wo  ist  die  Demut 
unserer  Studenten?  die  die  Zeit,  so  sie  auf  das  studiren  verwenden 
soften  auf  verdammte  Eitelkeiten  verschmitzen.  Ists  nicht  also,  dafs 
mancher  Student  heutigs  Tags  mehr  Stiffel  hat  als  Bücher,  unnd  das 
Dantzen  und  Fechten  seyn  to.  t'gya^  Studiren  aber  und  Gottesforcht  seyn 
TtaQEQya  geworden,  also  dafs  mancher  viel  Jahr  auf  einer  Hohen  Schuele 
zugebracht,  aber  nicht  einmal  einigen  Professoren!  gesprochen.^) 

Der  Verfasser  des  Philander  Infernalis  verweist  sie  gar  in  die  Hölle 
(S.  890).  »Also  wird  es  allen  den  Studenten  ergehen,  welche  die  thewer  Zeit 
so  hderlich  verschertzet  und  jhre  stattliche  Gelegenheit  zmn  studieren 
nicht  in  obacht  genommen  unnd  ihrer  Eltern  sawren  Schweifs  mit  Extra, 
mit  Fressen  und  Sauflen,  mit  Spielen  unnd  Grassiren,  mit  Buhlen 
und  Stoltzieren,  mitDopplen,Würfflen,  Lautenschlagen,  Dantzen,  Springen, 
Fechten,  Ballenschlagen,  Sprachmeister  vel  scilicet  Schuster,  Schneider, 
Crämer,  Barbierer,  Holtz,  Stuben,  Liecht,  Wäsche,  Buchladen,  utinam 
vel  quasi  durchjagen  und  verzehren,  das  edle  Talen  tum  unnd  von 
GOTT  verliehene  Gaben,  die  herrhch  Ingenia,  Sinne  und  Gedachtnufs 
also  mörderischer  Weise  verderben,  zu  geringschätzigen  unnützen  Dingen 
mifsbrauchen,  die  erleuchte  Natur  zu  Lieder  dichten  und  anderer  Leicht- 
fertigkeit abrichten,  ungeachtet  dafs  sie  von  GOTT  zu  vortrefflichen 
Ständen,  Tugenden   und  Diensten   aufsgerüstet,    sondern  Witz   und  Ver- 

>)  Zeitvertreiber,  S.  87. 

2)  Philander  Infernalis,  884.   —  »)  Philander  Infernalis,  889. 

*)  Zeitvertr.,  S.  292. 

ä)  Zeiller,  Handbuch,  II.  388. 


])')  Im  lUiroerhauHe.  21;") 

standt  versauffen,  Kunst  und  Tugend  verachten  unnd  in  der  Gnadenzeit 
nicht  umbkehren  und  sich  bessern.  < 

Ist  endhch  das  Studium  beendet,  dann  handelt  es  sich  darum,  ein 
Amt  zu  bekommen.     Und  (bis  war  keineswegs  so  leicht.^) 

A^ortreffhche  DarsteUungen  des  Studentenlebens  finden  \nr  in  den 
Bildern  der  Stammbüclier.  Diese  reiche  Quelle  mufs  aber  erst  aus- 
gebeutet werden.  Leichter  zugänglich  ist  das  Bilderbuch  »Pugillus  Fa- 
cetiarum  Iconographicarum  in  Stüdiosorum  i)otissimuni  gratiam  ex 
proprijs  eorundem  Albis  desumptarum  et  iam  }»rimum  hac  forma  edita- 
rum  1608?:  (Strafsburg);  der  zweite  Titel  lautet  »Speculum  Cornehanum  ; 
von  Jakol)  von  der  Heyden  ist  das  (xanze  gestochen  (datiert  Strafsb.  161H). 
Dazu  gehört:  »Stirpium  Insignium  Nobilitatis  etc.  .  .  .  Stammbuch  der 
Jungen  Gesellen  etc.  .  .  .<  (Basel  1617).  Diese  beiden  Kupferwerke 
sind  in  Neudrucken  erschienen.  Bilder  aus  dem  Studentenleben  des  be- 
ginnenden 18.  Jahrhunderts  finden  wir  in  dem  kulturgeschichtlichen 
Bilderbuch  VI,  N.  3149—54.  Den  Fechtsaal  und  die  Bibhothek  der 
Universität  Leyden  stellen  Kupferstiche  von  Jan  Cornelisz  Woudanus 
(c.  1580—1615)  dar  (Ebendas.  III,  N.  1518  u.  1517);  das  chemische  Labo- 
ratorium der  Universität  Altdorf  und  eine  Promotion  an  derselben  Hoch- 
schule die  Kupferstiche  von  Johann  Georg  Paschner(c.  1720)  (Ebend.  VI, 
N.  3155—3156). 

Die  Knaben,  die  sich  nicht  dem  Universitätsstudium  widmen  soll- 
ten, und  die  Mädchen  erhielten  bei  den  sogenannten  deutschen  Schul- 
haltern Unterricht  im  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen.  Die  Unterweisung 
in  der  Religion  ist  wohl  den  Priestern,  bfei  den  Protestanten  später  den 
Predigern  anvertraut  worden.  Auch  die  Mädchen  hatten  Musikunterricht, 
lernten  Instrumente  spielen. 2) 

In  Nürnberg  mufs  im  15.  Jahrhundert  diese  Volksschule  sehr  gut 
gewesen  sein :  Albrecht  Dürer  schreibt  z.  B.  eine  hübsche  leserliche 
Handschrift  und  die  Kinderbriefe  aus  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts 
zeugen  von  bemerkenswerter  Beherrschung  der  Sprache. 

Widmete  sich  dann  ein  Knabe  dem  Kaufmannsstande ^),  so  trat  er 
sehr  früh  in  das  Geschäft  ein,  wurde  nach  Beendigung  der  Lehrzeit 
Gehilfe,  bildete  sich  auf  Reisen,  in  fremden  Handelshäusern  arbeitend, 
weiter  und  eröfi:nete  endlich  seinen  eigenen  Handel.  Georg  Steinhauseu 
liat  in  seinem  »deutschen  Kaufmann«  (Monogr.  zur  deutsch.  Kulturg.  1. 
Lpz.  1899)  den  Lebensgang  eines  Geschäftsmannes  ausführlich  geschildert.'*) 
Die  Abbildungen  sind  zum  Teil  sein-  beachtenswert.  Viel  Schaden  braclite 
es  dem  Kaufmarinsstand,  dal's  die  vornehmen  Patrizier  der  Reichsstadt«' 

')  (I.  Slovogtii,  De  vocatioiie  ud  ])a.stiinituiii  suh  conditionc  matriiiionii,  von  der 
Vocation  unter  der  Schürtzen.  Lips.    1739. 

*)  Deutsches  Leben  etc.  Fig.  443.  II.  Brosamer,  Lautenspieler  (Kulturgesch.  liilderli. 
IL  N.  743).  —  Tobias  Stimmer,  Musicierende  Frauen  (Ebendas.  IL  N.   1079— 108>*^). 

')  Vgl.  Alfred  Franklin,  La  vie  i)rivee  d'autrefois.  —  C'omment  on  devenail 
patron.     Paris.  1889. 

*)  Lehren  für  junge  Kauflcute.  —  Fliegendes  Illntt.  17.  Jhdt.  (KulliirLT.  IMlderli. 
V.  N.  1674). 


216 


III.     l>i('    l'".rzieliuni;  der   Kiii<lor. 


den  Adel  zu  erlaiigni  wurstni  und  aui  den  Handel  verzirlik'ten,  da  er 
eines  Adligen  nicht  würdig  sei.  In  dem  >Grofsen  Schauplatz  Lust- 
und  Lehrreicher  riesehii-hteii  (Frkf.  1()()4)  S.  45  erwähnt  der  Verfasser 
zwei  Kautl'herrtMi  zu  Meiland  und  fügt  hinzu:  ich  sage  Herren,  dann 
der  Orten  die  KautViiiannschaflt  den  Adelstand  nicht  vernachtheiliget 
wie    in  Teutschland. 

Dals  einzelne  lU^trüger   unter  den    Kaufleuten   sieh   \-orfan(h'n,   kaun 
nicht    hefi'enidi'n.      r>es(in(lers    seit    zu   .Vnfaui"    (l(>s    IC).  .Jahrhunderts    die 


«Juinton  AIill■sy^^,   lier  Wechsler  und  seine  Frau.     (Paris,  Lou\re..i 

Handelsgesellschaften  entstanden,  an  deren  Gewinn  und  Verlust  man 
sich  mit  einer  Einzahlung  beteiligen  konnte  —  sie  entsprachen  etwa 
unsern  Aktienunternehmungen  —  da  wird  öfter  über  Unredlichkeit  der 
leitenden  Personen  geklagt.  Schon  1519  gedenkt  der  Augsburger  Chronist 
Wilhelm  Rem  solcher  Betrügereien.  >  Die  hies  man  geschickt  leutt,  man 
sagt  nicht,  dal's  sie  gros  Dieb  weren.  ;  SchHmmer  trieb  es  noch  der 
Augsburger  Grofshändler  Ambrosius  Höchstetter.^)  An  seiner  Handels- 
gesellschaft hatte  sich  Barth.  Rem  mit  900  fl.  beteihgt.  Nach  sechs  Jahren 
schlägt  Rem    sein  Guthaben   auf  33000  fl.  an   und   verlangt   es   zurück. 

1)  Clemens  Sender,  Au<isl;).  C'hron.  (Chron.  d.  deutsch.  Städte.  XXIII.  —  Lpz.  1894.) 


b)  Im  Bürgeihause.  217 

Höchstetter  will  nur  26  000  0.  geben.  Es  kommt  zum  Prozesse;  in  drei 
Instanzen  gewinnt  Rem.  Höchstetter  bietet  jetzt  30000  fl.,  doch  Rem 
appelUert  an  den  Kaiser  und  sucht  sich  selbst  zu  hellen.  Darauf  wird 
er  vom  Rat  gefangen  und  stirbt  1525  im  Kerker  des  Kreuzertorturmes. 
1529  ereilt  jedoch  Ambrosius  Höchstetter  die  Vergeltung.  Er  hatte 
zwar  mit  seiner  Frau,  einer  Tochter  Jakob  Rechlingers,  60000  fl.  mit- 
I»ekommen;  Fürsten  und  Dienstmägde  stellten  ihm  ihr  Geld  zur  Ver- 
fügung, das  er  mit  5°/o  verzinste.  Das  ist  sehr  wenig,  da  damals  8  bis 
10%  der  gewöhnhche  Zinsfufs.war.  1529  aber  hatte  er  bedeutende  Ge- 
.-^chäftsverluste ;  sein  Sohn  Joachim  und  sein  Schwiegersolm  Franz  Baum- 
gartner  vergeudeten  mit  Banketten  in  einer  Nacht  5000 — 10000  fl.,  ver- 
spielten auf  einmal  10000—20000—30000  fl.;  auch  der  Sohn  Ambrosius, 
wie  der  Neffe  Joseph  sind  schlechte  HaushaUer.  Die  ersten  Forderungen 
flnden  noch  Befriedigung,  aber  300  Gläul)iger,  die  zu  lange  gewartet, 
gehen  leer  aus.  Ambrosius  Höchstetter  schickt  heimhch  seine  besten 
Kleinodien  fort;  bei  einer  Inventarisierung  findet  sich  nicht  viel  vor. 
Am  25.  Juli  wird  Höchstätter  mit  seinem  Sohn  Ambrosius  und  dem 
Neffen  Joseph  in  Haft  genommen.  Joachim  und  Schwager  Baumgartner 
sind  mit  viel  Geld  rechtzeitig  entflohen.  Der  Prozels  zieht  sicli  lange  hin. 
1532  werden  Ambrosius  Höchstetter  d.  J.  und  Joseph  auf  Lebenszeit  in 
den  Kreuzertortmn  eingesperrt  (1544  freigelassen).  Der  alte  Ambrosius 
Höchstetter  stirbt  1534  im  Eisen.  Die  Fesseln  hatten  die  Füfse  krank  ge- 
macht ;  offene  Geschwäire  (der  Wolf)  waren  die  Todesursache.  Ich  habe 
diesen  Fall  nur  erwähnt  um  zu  zeigen,  dafs  solche  Dinge  auch  in  der 
guten  alten  Zeit  vorgekommen  sind. 

Das  Leben  der  Gewerbetreibenden  hat  Ernst  xMummenhoff  in  seinem 
reich  illustrierten  Buche  Der  Handwerker  in  der  deutsch.  Vergangenheit  .< 
(Monogr.  z.  deutsch.  Kulturg.  8,  Lpz.  1901)  dargestellt.^)  Nicht  jeder  Knabe 
wurde  bei  den  Handwerkern  als  Lehrling  angenommen,  er  mufste  ehelicli 
geboren  sein  und  einer  nach  damaligen  Begriffen  nicht  bescholtenen  Fa- 
milie angehören.  Hatte  er  die  langen  und  schweren  Lehrjahre  über- 
wunden, dann  sprach  man  ihn  frei.  Er  war  jetzt  Gesell,  durfte  das  Schwert 
oder  den  Degen  umgürten  und  nun  seinerseits  die  Lehrlinge  tyrannisieren. 

Der  Gesell  tritt  jetzt  seine  lange  Wanderschaft  an,  und  diese  Wander- 
Jahre  sind  es,  die  sein  arbeitssames  Leben  verklären,  auch  sein  Hand- 
w^erkerdasein  mit  etwas  Poesie  erfüllen.  Man  erinnert  sich  nur  der 
prächtigen  Wanderlieder.  In  den  verschiedensten  Werkstätten  arbeitend, 
vervollkomnniet  er  sich  in  seinem  Gewerbe.  Aber  er  geniefst  auch  seine 
Jugend ;  wenn  er  einmal  erst  Meister  ist,  dann  muls  er  ehrbar  und  ernst 
sein  Leben  verbringen,  jetzt  nimmt  er  an  aflen  Jugendstreichen  teil, 
prügelt  sich  mit  den  anmafsenden  Studenten,  lärmt  das  Nachts  auf  den 
Gassen    und    singt   vor    dem   Hause    seiner  Auserkorenen.-)     Der    blaue 


')  Vgl.  Berlepsc'h.  Clirouik  il.  (iewerke.  I — IX.  —  S.  (lallen  o.  .F.  —  «)  Valten 
Schumann,  Nachtbüchlein  II  (1559;  t'ol.  16&.  Auch  so  thuons  (Ue  Kawren  nicht  allein, 
man  kans  in  Stätten  auch,  wann  unsere  Sönlein  von  dem  Wein  heymgehen,  so  muofs 
<las  Metzlcin  solches  wissen,  da  kompt  das  Sönlein  mit  der  l.autten  oder  <  reygen  Ofler 
J'feyffen,  macht  also  von  erst  ein  Ijölslein  uniid  mcvnt,  es  sull  dei' ( Jriiteii   Liefallen. 


218  IIJ-  l^if"  Erziolmnii'  der  Kintlcr.     c)  1>cm  den   Hauern. 

Montag  wird  gehalten;  den  Meistern  gegenüber  setzt  man  die  An- 
sprüche mit  Ausständen  durch,  welche  durch  die,  das  ganze  Reich  oder 
grofse  Landstrecken  beherrschenden  Gesellen  verbände  eine  um  so  gröfsere 
Bedeutung  erlangen.  Die  Tjohnkäm})fe  spielen  zu  allen  Zeiten  eine  sehr 
grofse  Rolle.  Auf  der  Wanderung  iindet  der  Ges(dl  in  seinen  Mand- 
werks-TIerbergen  Aufnahme  und  Förderung  jeder  Art,  auch  eine  Bei- 
steuer zum  Reisegelde.  Sinnige  und  eigenartige  Zeremonien,  die  bei 
jedem  Handwerk  verschieden  waren,  gaben  dem  Verkehr  auf  d(>r  Her- 
l)erg(^  noch  einen  besonderen  Reiz.') 

Ist  der  (lesell  in  die  Heimat  zurückgekehrt,  hat  er  das  Meister- 
recht erlangt,  dann  vertritt  er  natürlich  seinen  und  seiner  Mitmeister 
Vorteil,  unterdrückt  die  Pfuscher  und  Störer  des  Handwerkes.  Die 
geistige  Auffrischung  findet  er  in  der  Schule  der  Meistersänger,  sonst 
l)egnügt  er  sich  mit  der  Unterhaltung  der  Trinkstube.  Seltene,  aber 
eben  deshalb  so  mehr  geschätzte  llandwerkerfeste  brachten  auch  den 
Angehörigen  Unterhaltung  und  Auffrischung.'*^)  Allmählich  al)er  b(^- 
ginnt  d(M-  Fabrikbetrieb  das  Handwerkerleben  zu  erdrücken  und  zu  er- 
sticken. 

Dafs  in  der  alten  Zeit  es  auch  unter  den  Handwerkern  nicht  allein 
ehrliche  Leute  gab,  ersehen  wir  aus  Dr.  George  Paul  Hönns  Betrugs- 
L(>xikon,  das  1743  zu  Leipzig  in  neuer  und  verbesserter  Auflage  erschien, 
und  von  dem  in  demselben  Jahre  noch  eine  Fortsetzung  veröffent- 
licht  wiu'd(\ 

c)   Die  Erziehung  bei  den  Bauern. 

Einen  Schulunterricht  haben  Bauern  wohl  nicht  erhalten;  vielleicht 
dafs  in  seltenen  Fällen  eine  Ausnahme  gemacht  wurde,  ein  reicher  Frei- 
bauer seinen  Sohn  beim  Dorfschreiber  unterrichten  und  später  die  Stadt- 
schule besuchen  liefs.  Die  überwiegende  Menge  der  Bauern  kann  weder 
lesen  noch  schreiben;  ein  bischen  Religionsunterricht  hatten  sie  beim 
Geistlichen  erhalten,  das  Credo,  Pater  noster,  Ave  Maria  erlernt,  später 
den  lutherischen  oder  sonst  einen  Katechismus  mit  Kirchenliedern  und 
kräftigen  Bibelsprüchen  sich  eingeprägt.  Und  mit  diesem  wenigen 
Wissen  sind  sie  sehr  gut  ausgekommen ;  praktische  Erfahrung  und  ein 
allzeit  treues  Gedächtnis  ersetzten  ihnen  alle  Gelehrsamkeit.  Wie  Logau 
richtig  sagt  (H.  4.  57): 

Die  Bauern  sind  so  listig  und  sind  gleich wol  so  grob? 

Sie  sinnen  stets  auf?  eines  und  halten  auch  darob. 


')  Frid.  Frisius,  Ceremoniele  Practica.  Lcipz.  1705. 

*)  Disposition  eines  religiösen,  öif entlichen  Aufzuges  zu  Löbau,  zur  Feier  iles 
Kreuzerfindungs-Festes  am  3.  Mai  15'21.     Kurios.  III.  373, 

Friedliebender  Fischer-Kampff,  den  12  Brachnionats  1671  auf  der  Pegnitz  an- 
gestellet  und  gehalten.  —  1614  d.  9.  März  trugen  die  ]\Ietzger  in  Nürnberg  eine  493 
Ellen  lange  Bratwurst  (Kurios.  V.  550). 

Umzug  der  Nürnberger  Metzger  mit  der  Wurst  1658  (Kulturg.  Bilderb.  V.  N.  2630). 

Umzug  der  Schreiner  in  Frankfurt  1659  (Ebendas.  V.  N.  2633). 


III. 


Die  Kleidung. 


Kleidung/) 


I.  Trachten  bis  zum  Schlufs  des  II.  Jahrhunderts. 

Über  die  Trachten  der  Völker  diesseits  der  Alpen  in  den  ersten 
Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  ist  etwas  irgendwie  Haltbares  bis 
jetzt  nicht  ermittelt  worden.  Die  gelegentlichen  Bemerkungen  römischer 
Geschichtsschreiber  wie  Cäsar  und  Tacitus  genügen  noch  lange  nicht, 
uns  ein  klares  Bild  zu  entwerfen,  und  auch  die  römischen  Bildwerke, 
die  germanische  Völkerschaften  darstellen,  z.  B.  die  Reliefs  der  Trajans- 
säule,  die  Bildwerke  des  Trajanischen  Siegesdenkmales  von  Adamküssi-), 
wie  die  der  Antoninussäule,  welche  die  Grofstaten  in  den  Feldzügen  gegen 
die  Marcomannen  verherrlichen,  ist  wenig  geug  zu  entnehmnen,  was  für 
unsere  Zwecke  brauchbar  erscheint.  Abgesehen  davon,  dafs  sicher  die 
nichtrömischen  Völkerschaften  diesseits  der  Alpen  in  ihrer  Tracht  grofse 
Verschiedenheiten  aufwiesen,  dafs  ein  Galher  anders  aussali  als  ein 
Germane  oder  Iberer,  sind  auch  innerhalb  der  einzelnen  Völkerschaften 
bei  den  mannigfaltigen  Stämmen  gewisse  charakteristische  Unterschiede 
der  Tracht  vorhanden  gewesen,  wie  noch  z.  B.  vor  hundert  Jahren  eine 
solche  Verschiedenheit  der  Bauernkleider  in  Deutschland  allgemein  anzu- 
treffen war.  Wie  bis  jetzt  a))er  die  Überlieferungen  zur  Verfügung  stehen, 
werden  'w^r  diese  Fragen  kaum  je  genügend  zu  lösen  vermögen.  Es  ge- 
nügt jedoch  für  unsern  Zweck  festzustellen,  dafs  alle  Abbildungen  von 
Galliern,  Germanen  u.  s.  w.,  die  uns  unsere  modernen  Künstler  bieten, 
ledighch  Phantasiegebilde  sind  und  jeder  liistorischen  Treue  und  Zuver- 
lässigkeit völlig  ermangeln. 

In  den  Landstrichen,  die  der  römischen  Herrschaft  unt(n-worf(Mi 
waren,  haben  zumal  die  höheren  Stände  bald  die  römischtui  Moden 
angenommen;    das  Volk,  die  Bauern,  hat  wohl  an  seiner  angestammten 

*)  Eine  ausgezeichnete  Zusammenstellung  aller  auf  das  Kostümwesen  bezüglichen 
Veröffentlichungen  bietet  uns  Franz  Frhr.  von  Lipperheide  in  seinem  reich  illustrierten 
AVerke   :» Katalog  der  Frhrl.   v.  L.  Sammlung   für  Kostümwissensohaft«     Berlin.   18%  ff.). 

»)  O.  Benndorf,   Das  Monument  von    Adamklissi.      Wi(>n.   1895. 


222  H'-    '*'^'  KkM.liiuir. 

Traclit  festgehalten.^)  Und  ancli  die  germanischen  Stämme  hefsen  sich 
beeinflussen;  ihre  Fürsten  und  Vornehmen  kleideten  sich  in  die  kost- 
baren Stotfe,  die  ihnen  der  Handel  zufülirto,  und  licl'sen  ihre  Kleider 
nach  römischem  Schnitte  anfertigen.  Sidonius  ApoUinaris  hat  uns  die 
Erscheinung  eines  vornehmen  Westgoten  oder  Burgunders  geschildert: 
Wadenbinden,  blofse  Schenkt»],  kurzer  bis  zum  Knie  reichender  gegür- 
teter Rock,  der  Mantel  grün  mit  rotem  Saume.  Von  der  Tracht  der 
Langebarden  wissen  wir  nur,  was  Paulus  Diaconus  uns  mitteilt,  sie  legen 
schon  eine  Art  Hosen  an.  Die  Al>bildungon  langobardischer  Könige, 
die  uns  in  den  Miniaturen  der  Lex  Laiigobardorum,  wie  sie  in  der  Hand- 
schrift von  la  Cava  erhalten  sind-),  vorführen,  dürfen  doch  immer  nur  mit 
Vorsicht  gebraucht  werden,  da  sie  erst  im  11.  Jahrhundert  entstanden 
sind.  Ob  alte  Vorlagen  von  dem  Kopisten  verwendet  worden  sind,  was 
wahrscheinlich  ist,  und  ol)  diese  Vorlagen  treii  und  zuverlässig  nach- 
gebildet wurden,  das  alles  mül'ste  erst  einmal  genau  untersucht  werden. 
Die  Statuen  heiliger  Frauen  in  Cividale  (Friaul)^),  die  man  früher  als  Ab- 
bildungen langobardischer  vornehmer  Damen  ansah,  sind  byzantinischen 
Ursprunges,  also  ganz  und  gar  nicht  geeignet,  uns  eine  Vorstellung  von 
dei-  Erscheinung  einer  Langobardin  zu  geben. 

Im  Schatze  des  Domes  zu  Monza  werden  aufser  den  Brustkreuzen  und 
Kronen  langobardischer  Könige'*),  aufser  den  Reliquiarien,  die  auf  ihre 
Zeit  zurückgehen,  auch  der  Kamm  und  der  Fächer  der  Königin  Theude- 
linde  (Ende  des  6.  Jhdt.)  bewahrt.  Die  Ornamentik  ist  einfach,  nur  be- 
zeichnend die  Vorliebe  für  Granaten  (Almandinen),  die  zum  Schmucke 
verwendet  wurden.  Solche  Goldarbeiten  scheinen  unter  den  germanischen 
Völkern  sich  grofser  Beliebtheit  erfreut  zu  haben.  In  dem  Goldfunde  von 
Petrossa,  der  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ostgotischen  Ursprunges  ist^), 
haben  wir  die  mit  Almandinen  ausgefüllten  Goldzellen  der  Ornamentik; 
mehrere  Adlerspangen  ,  von  denen  eine  für  das  Germanische  Museum 
zu  Nürnberg  erworben  wurde  ^),  wahrscheinlich  auch  ostgotische  Arbeiten 
wie  das  Fragment  einer  in  Ravenna  gefundenen  Rüstung'^)  und  die  be- 
rühmten Waffenstücke,  die  in  dem  Grabe  des  Frankenkönigs  Childerich 
(t  481)  zu  Tournai  1653  entdeckt  wurden,  zeigen  ganz  dieselbe  Ver- 
zierungstechnik. ^)     An    Schmucksachen    aus    der    Zeit    der    Merowinger 

1  Herrn.  Weil's,  Kostümkuude.  Gesch.  der  Tracht  uud  des  Geräts  des  Mittel- 
alters^.     Stuttg.  1883,  S.  284  ff. 

*)  WeiTs,  a.  a.  O.  S.  301.  Fig.  196.  —  Vollständig  in  der  Ausgabe  der  Leges 
Langobardorum  von  Baudi  di  Vesme  in  den  Mouum.  bist.  patr.  YIII.    Torino.  1855. 

»)  Weifs,  a.  a.  O.  S.  302.  Fig.  197.  —  Gailhabaud,  Monuments  d'Arcbitecture 
Paris  1839—49;  Tom.  H.  —  V.  Eitelberger  im  Jahrb.  der  k.  k.  Zentral-Komm.  IV.  245 

*)  Interessante  Funde  wurden  in  den  Gräbern  bei  Lodi  vecchio,  Monza,  Cividale 
del  Friuli,  Yarese  Monza  gemacht :  goldene  Kreuze,  die  man  auf  die  Gewänder  nähte. 
Diese  Goldkreuze  wurden  in  Berlin  1899  versteigert  und  vom  Germanischen  Museum 
in  Nürnberg  erworben.  Abgeb.  im  Katalog  von  Lepke.  10.  Dez.  1899.  —  Vgl.  den 
Aufsatz  von  Th.  Hampe  in  d.  Mitt.  d.  Germ.  Mus.  1900,  S.  27,  92  ff. 

s)  Mitt.  d.  k.  k.  Zentral-Komm.  XHI,  105,  12;  XIV,  60;  XVUI,  304;    XIX,  130. 

6)  Mitt.  des  Germ.  Nat.-Museums  1899,  S.  33  ff.  Taf.  1. 

')  Schnaase,  Kunstgesch.  -III.  598. 

8    Wilh.  Lindenschmidt,  Altert,  d.  heidn.  Vorzeit.  II.  Taf.  V. 


1.  Trachten  bis  zum  Sclilnfs  des   11.  .lahrluinderts.  223 

fehlt  es  uns  überhaupt  nicht,  allein  die  ganze  äufsere  Erscheinung  der 
Leute  in  jenen  Tagen  ist  uns  nur  ganz  unzulänglich  geschildert  worden. 

Und  die  Miniaturen,  die  so  gern  herangezogen  werden,  um  diese 
Lücke  auszufüllen,  beweisen  gar  nichts,  da  sie  fast  ausnahmslos  nur 
Nachbildungen  älterer  Vorlagen  bieten.  Es  ist  da  das  gröfste  Mifstrauen 
sehr  wohl  angebracht.  Vor  allem  darf  man  nicht,  wie  dies  Weifs  tut, 
S.  307,  die  Statuen  an  den  Portalen  der  Kirchen  zu  Corbeil,  Chartres 
u.  s.  w.  als  Beispiele  merowingischer  Tracht  verwenden.  Diese  Denk- 
mäler stammen  aus  dem  12.  Jahrhundert  und  führen  uns  auch  nur  den 
Kleiderschnitt  ihrer  Entstehungszeit  vor. 

Selbst  über  die  Trachten  zur  Zeit  Karls  des  Grofsen  sind  wir  noch 
recht  schlecht  unterrichtet.  Aus  den  Phrasen  des  so  oft  zitierten  Ge- 
dichtes von  Angilbert  läfst  sich  gar  wenig  ersehen.  Schwerhcli  wird 
man  aus  der  Beschreibung,  die  er  von  der  Erscheinung  der  Frauen  am 
Hofe  Karls  entwirft,  als  sie  zur  Jagd  ausziehen,  sich  eine  Vorstellung 
machen  können,  wie  sie  in  Wirklichkeit  gekleidet  waren.  Dafs  Karl 
der  Grofse  nicht  so  aussah,  wie  ihn  unsere  Bilderbücher  immer  noch 
darstellen,  das  ist  bekannt.  Abrecht  Dürers  berühmtes  Bildnis  des 
Kaisers  hat  sicher  che  ^^)rstellungen  der  späteren  Geschlechter  bestimmt. 
Karl  konnte  in  Wirkhclikeit  die  Krone  und  den  Kaiserornat  nicht  tragen, 
da  sie  erst  Jahrhunderte  nach  seinem  Tode  angefertigt  worden  sind, 
auch  fehlt  bei  dem  einzigen  zuverlässigen  Porträt  des  Kaisers,  welches 
noch  im  18.  Jahrhundert  im  Triclinium  Majvis  des  Lateranensischen 
Palastes  zu  sehen  war,  der  lange  Patriarchenbart;  auf  diesem  zur  Zeit 
Karls  entstandenen  Bildwerk  ist  der  Kaiser  l)is  auf  einen  kleinen 
Schnurbart  glatt  rasiert,  was  übrigens  auch  mit  den  Siegelbildern  des 
Monarchen  übereinstimmt. 

Die  Mosaiken  jenes  unter  Papst  Leo  III.  790—99  erbauten  Speise- 
saales des  Lateran-Palastes  sind  nicht  mehr  im  Original  erhalten,  doch 
soll  die  unter  Benedikt  XIV.,  1743,  angefertigte  Kopie  durchaus  zuver- 
lässig sein.^)  Der  Kaiser  trägt  Schenkel-  und  Wadenbinden,  den  kurzen 
gegürteten  Rock,  den  Mantel  und  eine  Art  Barett.  Dieses  Abbild  ent- 
spricht zienüich  genau  der  Schilderung,  die  der  Monachus  Sangallensis 
von  der  Tracht  der  Franken  entwirft. 

Im  grofsen  Ganzen  wird  dieser  Kleiderschnitt  l)is  in  das  12.  Jahr- 
hundert festgehalten.  Dafs  die  Röcke  mit  Borten  verbrämt  oder  sonst 
durch  Zieraten  belebt  werden,  verschlägt  nichts.  Die  Zeitgenossen  werden 
für  die  wechselnden  Moden  schon  Verständnis  gehabt  haben,  denn  es 
ist  kaum  anzunehmen,  dafs  man  mehrere  Jahrhunderte  hindurch  ganz 
die  gleiche  Kleiderform  festgehalten  hat;  wir  jedoch  sind  nicht  in  der 
Lage,  uns  von  diesen  kleinen  Verschiedenheiten  Rechenschaft  zu  geben. 
Der  Mantel  ist  bei  den  vornehmen  Leuten  lang,  bei  den  Arbeitern, 
Bauern  k\n-z ,  oft  mit  einer  Kajjuze  versehen  (s.  den  Totschlag  Alxds 
auf    den    Reliefs    der   Ilildesheimer    Domtür.    Vor    1022).2)     Gewöhnlich 

*)  L.  Quicherat,  Histoire  du  Costume  en  France.    Paris.  1875.    S.  108. 
'O  Ernst  Förster,  Dcnkni.  deutscher  Baukunst,  Bildnerci  und  Malerei.  IV.  (Leipz. 
1,S58.)  —  Wilh.  Bode,  Gesch.  der  deutschen  Plastik,     Berlin.  1837.    8.  24. 


994  ^^^"    '^*'''   l'^l^^i^^'ni- 

wird  der  Mantel  aiii:  der  roehten  Si-luilter  durrh  eine  Agraffe  zusammen- 
gehalten. Die  Beine  sind  mit  Hosen  bekleidet,  d.  h.  die  Oberschenkel 
und  den  Unterleib  sebiitzt  der  Bruch,  d.  h.  eine  Art  Seh  wimmhose,  nur 
an  den  (.'utsprechenden  Stellen  otYen,  während  die  l-ntersc-lienkel  mit 
strunipfartigen  Hosen  bekleidet  sind. 

Der  Bruch  (braca)  ist  wohl  von  altersher  bei  den  Völkern  dies- 
seits der  Alpen  gebräuchhch ;  schon  das  rauhere  Khma  verlangte  einen 
Schutz  des  Unterleibes.  So  sprechen  die  Römer  von  der  GalHa  braccata. 
Auf  den  Bildwerken  ist  dies  Kleidungsstück,  da  es  vom  Rocke  gedeckt 
wird,  nicht  sichtbar.  Dov  Bruch  wie  die  Strumpfhose  wird  durch  Nestel 
an  dem  Gürtel  befestigt.  Statt  der  Strumpfhose  hatte  man  in  der  älteren 
Zeit  den  unteren  'rcil  der  Oberschenkel  und  die  Waden  mit  Binden 
umwickelt.  Die  aus  Wollen-  oder  Leinenstoff  genähte  Strumpfhose  ver- 
drängt allmähhch  die  Beinbinden.  Sie  ist  zuerst  weiter  und  wird  nicht 
vor  dem  12.  Jahrhundert  durch  die  prall  anhegenden  Hosen  verdrängt. 
Man  erkauft  die  Befriedigung  der  Eitelkeit  nnt  der  Unbequemlichkeit, 
(Ue  Hose  mit  Schnürbändern  fest  anpressen  zu  müssen.  Den  Fufs  be- 
deckt der  Schuh,  bald  ein  einfaches  Lederstück,  das  mit  Riemen  an 
den  FuCs  geschnürt  wurde,  bald  ein  künstlicher  gefertigtes  Schuhwerk. 
Im  11.  Jain-hundert  liebten  die  Modehelden,  den  Schuh  in  eine  Spitze 
auslaufen  zu  lassen.  Diese  Schnabelschuhe,  die  in  ganz  übertriebenen 
Formen  getragen  wurden,  gaben  den  Sittenpredigern  vielfach  Anlafs  zu 
Tadel  und  Verdammung.  Was  das  Schuhwerk  anbelangt,  so  hat  immer 
<lie  Form  des  spitzen  und  des  breiten  Schnittes  abgewechselt. 

Über  die  Tracht  der  Frauen  ist  auch  allgemein  als  bis  ins  12.  Jahr- 
hundert geltend  festzustellen,  dafs  über  dem  Hemd  der  Rock  getragen 
wird,  der  vom  Halse  bis  zu  den  Füfsen  herabreicht,  und  mit  einem 
Gürtel  zusammengehalten  wird.  Bald  wurden  diese  Röcke  sehr  lang 
getragen,  bald  am  Halse  weit  ausgeschnitten,  bald  an  der  Büste  durch 
Schnürbänder  fest  angeprefst;  alle  diese  wechselnden  Moden  wurden 
von  den  Morahsten  jener  Zeit  aufs  schärfste  verurteilt.  Auch  die 
Frauen  tragen  Socken  und  Schuhe;  ob  sie  die  Mode  der  Schnabelschuhe 
mitgemacht  haben,  ist  nicht  zu  erweisen,  jedenfalls  sehr  wahrscheinUch. 
Der  lange  Mantel  vollendet  den  Anzug  der  vornehmen  Dame;  er  wird 
mit  einer  Agraffe  über  der  Brust  zusammengehalten.  Das  Haar  tragen 
die  Unverheirateten  offen  oder  in  Zöpfen  geflochten;  die  verheirateten 
Frauen  binden  das  Haar  auf  und  bedecken  es  mit  einer  gewöhnhch  aus 
Leinwand  hergestellten  Haube. 

Wir  haben  noch  keine  wissenschaftlich  brauchbare  Geschichte  der 
Trachten  vor  dem  12.  Jahrhundert.  Weder  hat  man  die  Belegestellen 
sämtlich  gesammelt  —  und  da  dürften  besonders  die  Verhandlungen 
der  Konzilien  und  Synoden  zu  beachten  sein  —  noch  das  vorhandene 
Abbildungsmaterial  erschöpfend  zusammengestellt  und  vor  allem  kritisch 
gesichtet.  Was  v.  Hefner-Alteneck  und  andere  Verfasser  von  Kostüm- 
werken gerade  über  die  Zeit  vor  dem  12.  Jahrhundert  vorl^ringen,  mufs 
immer  nur  mit  Vorsicht  aufgenommen  werden. 


2.   Trachten  rler  Voruehmen  im  12.  und  18.  Jahrhundoit. 


225 


2.  Trachten  der  Vornehmen  im  12.  und  13.  Jahrhundert. 

Seil  dem  Beginne  des  12.  Jahrhunderts  verfügen  wir  über  ein 
reiches  Material.  Nicht  nur  bringen  die  zahlreichen  Epen  der  Franzosen 
und  bald  auch  die  der  Deutschen  in  ihren  breiten  und  behaglichen  Schil- 
derungen uns  eine  bis  aufs  einzelne  genaue  Besprechung  der  Trachten 
der  vornehmen  Welt,  sondern  es  stehen 
uns  von  dieser  Zeit  an  auch  viele  Ab- 
bildungen, zumal  Miniaturen,  zur  Ver- 
fügung, die  eben  dadurch  sich  vorteilhaft 
von  den  Arbeiten  der  früheren  Jahr- 
hunderte unterscheiden,  dafs  sie  nicht 
sich  bemühen,  Vorlagen  älterer  römischer 
Meister  nachzuahmen,  sondern  sich  bestre- 
ben, das  Leben  ihrer  Zeit  darzustellen.  Für 
das  12.  Jahrhundert  kommen  da  vor 
allem  an  Bilderhandschriften  in  Betracht : 

Für  Italien  :  die  Vatikanische  Hand- 
schrift von  Donizos  Lobgedicht  auf  che 
]\Iarkgräfin  Mathilde  (Abg.:  Mon.  Germ. 
S.  S.^XII),  datiert  1115. 

Für  Deutschland :  die  wichtigen  Mi- 
niaturen des  Antiphonars  von  S.  Peter 
in  Salzburg,  die  in  den  Mitt.  der  k.  k. 
Zentralkommission  z.  Erh.  der  Kunst- 
denkm.  XIV  und  später  von  Lind  und 
Camesina  für  sich  (Wien  1870)  heraus 
gegeben  worden  sind.  Hubert  Janitschek 
versetzt  die  Entstehung  der  Handschrift 
zwischen  1092  und  1120,  und  diese  Da- 
tierung ist  wohl  als  die  richtige  anzu- 
sehen. 

Dann  ist  die  beim  Brande  der  Strafs- 
burger  Stadtbiljliothek  1870  leider  zer- 
störte Handschrift  des  Hortus  Deliciarum 
7Ai  nennen.  Einige  ^der  interessantesten 
Miniaturen  dieses  Werkes,  die  von  der 
Verfasserin  Herradis  von  Landsberg  1165 
bis  1175  ausgeführt  wurden,  hat  schon 
1818  Chr.  M.  Engelhardt  in  Stuttgart 
herausgegeben.  Nach  noch  vorhandenen 
Durchzeichnungen  ergänzte  dann  Straub 
vielfach  die  ältere  Arbeit.^) 

In  Frankreich  fehlt  es  an  einem  solchen  Bilderwerke.  I^agegen 
bieten  die  Skulpturen  am  Westportal  der  Kathedrale  zu  Chartres,  welche 
um  1140 — 50   entstanden   sein   dürften,    die   ungefähr   aus   der   gleichen 

')  Hortus  deliciarum  publie  par  A.  Straub  et  G.  Keller.  Strasbour«;.  1873  —  1900. 
Schultz,  Das  hiiusliche  Leben  im  Mittelalter.  15 


(irabmal  des  Wipre<;ht  v.  Oroitzsch  (t  112-4) 
in  der  Klosterkirche  zu  Pegau. 


226 


111.     Dil'   Kli'idun- 


Zeit    herrülirendon  Statiioii    ans    der    Katliodralo    von   C'orbeil,    jetzt    in 
Saint-I)(Miis,    sehr  wertvolle  Anhaltspnnkle  für  die  Kostümgeschiehte. 


Statuen  des  Markj;i;üen  Eckhard  mit  Gemahlin  im  Dome  zu  Naumburg. 


Das  13.  Jahrhundert  ist  schon  reich  an  Miniaturen  und  an  plasti- 
schen Bildwerken.  Die  Grabdenkmäler,  die  die  Bilder  der  Verstorbenen 
uns  vorführen,  haben  wohl  eine  hervorragende  Bedeutung  zu  bean- 
spuchen,   doch  sind   sie  zwar  meist,  aber  bei  weitem  nicht  immer,    bald 


2.  Trachten  der  Vornehmen  im  12.   und  3  3.  Jahrhundert. 


227 


.laluiinl   lleiiui(^h.s  d.   l.uwcn   nml  st'iiu'i'  (kMiialilin  im  Domo  zu   liraunschwcij. 


15* 


228  in.    Die  Kleidung. 

nach  dem  Tode  der  dargestellten  Persönlichkeiten  ausgeführt  worden, 
oft  jedoch  auch  erst  viele  Jahre  später.  So  das  berühmte  Denkmal 
des  Wiprecht  von  Groitzsch  in  der  Klosterkirche  zu  Pegau.  Der  alte 
Kriogsheld  starb  schon  1124,  aber  sein  Denkmal  ist  erst  beinahe  hundert 
Jahre  später  hergestellt  worden.  Die  Monumente  Heinrichs  des  Löwtni 
und  seiner  Gemahlin  im  Dome  zu  Braunschweig  stammen  aus  einer 
Zeit,  lange  nach  ihrem  Tode.^)  Also  gerade  bei  Benutzung  der  Grab- 
darstellungen ist  Vorsicht  geboten.  Es  mufs  auch  immer  bedacht  werden, 
dafs  die  Toten  in  ihrer  besten  Kleidung  dargestellt  werden.  So  zeigten 
sie  sich  durchaus  nicht  alle  Tage.  Später,  für  das  15.  und  16.  Jahr- 
hundert, werden  die  Toten  —  besonders  gilt  dies  von  den  Frauen  — 
auf  den  Grabsteinen  abgebildet,  wie  sie  zur  Kirche  gingen.  Darau.'^ 
darf  man  aber  nicht  auf  ihr  Aussehen  bei  anderen  ( Jelegenheiten 
Schlüsse  ziehen. 

Seit  dem  12.  Jahrhundert  kann  man  die  Herrschaft  der  Mode 
nachweisen,  und  zwar  ist  schon  damals  P'rankreich  auf  diesem  Gebiete 
allmächtig.  Die  französische  Mode  erstreckte  ihren  Einfiufs  auf  alle 
katholischen  Kulturvölker  Europas.  Sicher  hat  es  kleine,  für  uns  un- 
falsbare  Unterschiede  gegeben,  denn  an  ihrer  äul'seren  Erscheinung  er- 
kannten z.  B.  die  Franzosen  die  Deutschen,  die  Oberdeutschen  die 
Sachsen  u.  s.  w.  Von  dieser  Mode,  die  den  Kleiderschnitt  in  Frankreich, 
Spanien,  England,  Italien  und  Deutschland  bestimmte,  haben  wir  allein 
Kenntnis.  Dafs  es  neben  dieser  Festtracht  auch  Hauskleider  gab,  die 
in  StofE  und  Schnitt  viel  einfacher  waren,  dafs  man,  —  wenigstens  Kir  das 
16.  und  17.  Jahrhundert  läfst  es  sich  nachweisen,  —  Hauskleider,  Fest- 
kleider, Kirchenanzüge  hatte,  und  wieder  andere  Trachten  anlegte,  wenn 
man  zu  einem  Begräbnisse  ging,  das  ist  als  ziemlich  sicher  anzunehmen, 
wenn  wir  auch  von  den  unterscheidenden  Formen  kaum  etwas  wissen, 
wie  man  anders  geschnittene  Kleider  im  Sommer  trug,  andere  im  Winter. 
Auch  das  ist  gleichfalls,  nach  Analogie  der  späteren  Zeit,  wahrscheinlich. 

Was  wir  von  der  Tracht  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  feststellen 
können,  beschränkt  sich  also  darauf,  dafs  wir  uns  die  Erscheinung  der 
Vornehmen  jener  Zeit  bei  Gelegenheit  von  Festen  ziemlich  richtig  A^or- 
zustellen  vermögen.  Von  der  Tracht  der  Bürger  und  der  der  Bauern,  die 
je  nach  den  Städten  und  Landstrichen  gewifs  überaus  verschieden  waren, 
\Aässen  wir  so  gut  wie  gar  nichts. 

Die  Modetracht  bleibt  im  12.  und  13.  Jahrhundert  ziemhch  gleich.-) 
Xatürlich  werden  die  Zeitgenossen  schon  den  M^andel  des  Mode- 
geschmackes empfunden  haben,  wenn  wir  auch  annehmen  dürfen,  dafs 
die  französische  Mode  nicht  so  schnell,  wie  in  viel  späterer  Zeit  wech- 
selte :  wir  sind  nicht  in  der  Lage,  diese  feinen  LTnterschiede  festzustellen. 

>)  Bode,  Deutsche  Tlastik.    S.  50. 

*)  Eine  Geschichte  der  französischen  Modetracht  vom  13.  bis  18.  Jahrhundert 
jribt  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  —  Les  magasins  des  nouveautes. 
(Paris.  1894.)  —  Le  vetement.  S.  53  ff.  —  Die  genuesische  Tracht  bespricht  ausführ- 
lich L.  T.  Belgrano,  Della  Adta  privata  dei  Genovesi.  (Genova  1885.)  F.  HI.  cap. 
39 — 63.  —  Die  Kostüme  Venedigs  schildert  F.  G.  Molmenti,  La  vie  privee  äVenise 
(Yen.  1882)  p.  110  ff.  229  ff.  400  ff. 


2.  Tnichton  .Icr  VornehnuMi  im  12.   und   13.  Jahrhundert.  229 

Der  Mann  zieht  iiacli  dein  Aufstehen  das  Hemd  an  und  gürtet 
dasselbe  um  die  Lenden.  An  diesen  Gurt  werden  sowohl  der  Bruch, 
also  die  Bekleidung  des  Unterleibes  und  der  Oberschenkel,  und  die 
beiden  Strumpfhosen  mit  Bändern  (Nesteln)  befestigt.  Bei  grofser  Kälte 
zog  man  wohl  noch  ein  Wams  über  das  Hemd.  Die  Füfse  waren  mit 
Schuhen  bekleidet;  die  Mode  wechselt:  bald  sind  spitze  Schuhe  mit 
langen  Schnäbeln  beliebt,  bald  werden  stumpfe  vorgezogen.  Die  Kirche 
und  bald  auch  die  städtischen  Gesetze  haben  den  Luxus  der  Schnabel- 
schuhe stets  bekämpft. 

Das  Hauptkleidungsstück  ist  der  Rock,  der  bis  über  das  Knie 
herabroicht,  mit  Ärmeln  versehen  und  am  Halse  aufgeschnitten  ist,  so 
dafs  man  ihn  üljcr  den  Kopf  ziehen  kann.  Im  Winter  ist  er  mit  Pelz  ver- 
brämt. Der  Rock  wird  mit  dem  Gürtel  über  den  Hüften  zusammen- 
gehalten; an  diesem  Gürtel  hängt  das  Schwert  des  Ritters.  Trat  Kälte 
ein,  so  zieht  man  einen  zweiten  Rock  an,  den  Surkot.  Auch  die  ärmel- 
lose aus  Tuch  gefertigte  und  mit  Pelz  gefütterte  Suckenie  gewährt  im 
harten  Winter  Schutz.  Handschulie  trägt  man  jederzeit,  zumal  wenn 
man  das  Haus  verläfst.^)  Der  Anzug  der  vornehmen  Leute  \nrd  voll- 
endet, sobald  sie  den  langen  pelzgefütterten  Mantel  anlegon.  Derselbe 
wird  durch  Agraffen  über  der  Brust  zusammengehalten.  Verschieden 
geformte  Mützen  und  Hüte  brauchte  man  als  Kopfbedeckungen,  sobald 
man  ausging.  Strohhüte  und  mit  Pfauenfedern  belegte  Hüte  werden 
ausdrücklich  erwähnt. 

Die  Männertracht  ist  einfach  aber  bietet  volle  Gelegenheit,  die  Schön- 
heit des  Wuchses  zur  Geltung  zu  bringen.  Heitere  bunte  Farben 
gaben  der  Erscheinung  einen  fröhlichen  Charakter:  grüne  Röcke  und 
rote  Hosen ;  halbgeteilte  Röcke  rot  und  blau  u.  s.  w.  Im  Notfalle  konnte 
übrigens  auch  eine  Frau  den  Männerrock  anlegen;  die  Kleider  unter- 
schieden sich  nicht  erheblich  von  einander. 

Die  Frauenkleidung  entspricht,  wie  gesagt,  genau  der  der  Männer, 
nur  tragen  sie  keinen  Bruch,  und  statt  der  Strumpfhose  Socken;  der 
Hock  ist  länger  und  reicht  bis  auf  die  Füfse;  auch  er  ist  um  die 
Taille  gegurtet.  Gefallsüchtige  Frauen  schnür«Mi  das  Kleid  um  die  Büste 
mit  Sclmürbändern  eng,  ihren  Wuchs  zu  zeigen.  Fast  während  des 
ganzen  12.  Jahrhunderts  erweitern  sich  die  Ärmel  so,  dafs  ihre  Säume 
fast  den  Boden  berühren.  Die  Frauen  tragen  mehr  Schmuck  als  die 
Männer:  Armbänder,  Broschen,  Oln-ringe,  Ringe.  Die  Agraffen,  die 
den  Mantel  über  der  Brust  zusannnenhalten,  sind  von  prächtiger  Arbeit 
aus  Edelmetall.  Ledige  Mädchen  lassen  ihr  Haar  frei  herabwallen  odei- 
Hecliten  es  zu  Zöpfen;  verheiratete  Frauen  binden  das  Haar  auf  und 
bedecken  es  mit  Schleiern  oder  verschiedenartigen  Hauben. 

Schminke  und  Parrümerien-),  im  Notfalle  auch  falsche  Haare  finden 
allezeit  Verwendung. 


')  Über    die    Geschichte    der    Handschuhe,    vgl.    Alfr.    Franklin,    T>a    vie    priveo 
d'autrefois.  —  Les  magasins  de  nouvcautes.  (Paris  1895.)  p.  1 — 122. 
«)  Alfr.  Franklin,  a.  a.  O.  Kap.  2—7. 


230  111-     '*'*'   Klc'iannji-. 

3.    Das  14.  und  15.  Jahrhundert. 

Diese  Moden  bleiben  bis  /Aim  Beüiiiu  des  14.  Jahrhunderts  dit- 
selbeii,  wie  die  Miniaturen  zeigen,  mit  dt'uiui  che  bekannte  Heidelberger 
(früher  Pariser)  Liederhandschrift  ausgestattet  ist.^)  Die  Umwandlung  ging 
auch  von  P'rankreieh  aus. 

Der  Rock  wird  arg  verkürzt,  so  dals  er  jetzt  kaum  über  das  (J*- 
.■^äls  reicht,  eine  Art  Jacke  bildet,  die  sich  eng  dem  Leibe  anschmiegt, 
durch  einen  Gürtel  festgehalten  wird.  Durch  die  Verkürzung  des  Rockes, 
eine  Mode,  die  freilich  nur  die  Jugend  mitmachte  —  alte  Herren  trugen 
nach  wie  vor  lange  Röcke,  —  durch  diese  Verkürzung  wird  nun  der  Bruch 
sichtl)ar;  so  weit  man  auch  (he  Strumpfhose  heraufziehen  wollte,  waren 
doch  anstölsige  EntbUUsvmgen  kaum  zu  vermeiden.  Dieser  kurze  Rock 
oder  diese  Jacke  wird  von  jungen  Leute'n  bis  ins  !().,  ja  17.  Jahrhundert 
getragt>n.  Es  kam  nun  darauf  an,  die  Hosen  so  anzuordn(ni,  dafs  kein 
Ärgernis  mehr  entstehen  konnte.  Das  gelingt  aber  erst  gegen  Ende 
des  IT).  Jahrhunderts.  Der  Bruch  wird  jetzt  geschlossen  aus  gutem 
Stoff  angefertigt,  offen  gezeigt.  Der  Hosenlatz,  der  sich  sehr  bemerklicli 
macht  und  auch  absichtlich  recht  sichtbar  getragen  wurde,  hilft  den 
Schwierigkeiten  allenfalls  ab.  Der  Bruch  Tvärd  zur  Culotte,  der  Latz 
bleibt  bis  ins  17.  Jahrhundert  allgemein  modern.  Die  Strumpfhose  ver- 
kürzt sich  zum  Strumpf,  der  über  den  Knien  sich  an  die  Schenkelhose 
anschliefst,  mit  Bändern  und  dergleichen  gehalten.  Schnüre,  mit  Sen- 
keln (aigmlltes)  versehen,  befestigen  die  Hose  am  Wams.  P]s  ist  also 
immer  sehr  umständlich,  die  Nestel  auf-  und  zuzubinden,  und,  wie 
Fischart  bemerkt,  empfiehlt  es  sich,  wenn  man  jungen  Wein  trinkt, 
die  Bänder  schon  vorher  zu  lockern.  Das  Nestelknüpfeu ,  neuer 
l'aiguillette,  welches  den  Vollzug  der  Ehe  durch  Zauberkraft  hinderte 
(s.  0.  S.  170,  Anm.  3),  hat  im  Grunde  nur  die  Unmöglichkeit,  die  Nestel 
aufzubinden ,  die  Hose  herabzuziehen ,  zur  Folge.  Gegen  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  fängt  man  an,  die  Hosen  an  das  Wams  anzuknüpfen. 
Die  Hosenträger  (bretelles)  werden  erst  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts gebraucht.^) 

Die  Strümpfe  hat  man  in  älterer  Zeit  aus  Stoff  gefertigt;  sollten  sie 
recht  prall  anliegen,  dann  schnürte  man  sie  auf  der  Wadenseite  mit 
Schnürbändern  fest.  Erst  im  16.  Jahrhundert  trägt  man  gestrickte  Strümpfe. 
Die  Kunst  des  Strickens  soll  nach  einigen  Autoren  im  13.  Jahrhundert 
in  Italien  erfunden  sein;  andere  schreiben  die  Erfindung  den  Spaniern 
zu  und  verlegen  sie  in  das  16.  Jahrhundert.  Nach  Alfred  Franklin^)  trug 
noch  Franz  I.  von  Frankreich  genähte  Wollstrümpfe;  zur  Zeit  Hein- 
richs H.    waren   schon   gestrickte   seidene  Strümpfe   modern,    wenn    der 


1)  Die  Bilder  hat  zum  Teil  Friedrich  v.  d.  Hagen  iu  seinem  Bildersaal  altdeutscher 
Dichter  (Berlin  185G)  veröffentlicht,  vollständig  Franz  Xaver  Kraus  im  lichtdruck  sie 
'Strafsburg  1887)  herausgegeben. 

-0  Vgl.  Alfred  Franklin,  a.  a.  0.  123—145. 

'')  La  vie  privee  d'autrefois.    —    Les  magasins  de  nouveautes  *  *  *    (Paris.  1896 
]).  282—312. 


Tnicliten 
ans 
dem  14.  Jahrhundert. 
(Federzeichnungen  in   dei- 
sogen     Welislawer  Bilder- 
bibel, im  Besitz  d.  Fürsten 
Lobkowitz  in  Raudnitz.) 


231 


König  sie  auch  selbst  aus  Sparsamkeit  nicht  trug.     Die  Einfülirung  der 
gestrickten  Strümpfe  ist  also  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 


Tracht  a.  d.  14.  Jahrhundert. 
(Welislawer  Bilderbibel.) 


Liebesi)aar.     Tracht  a.  d.  Ende  d.  15.  Jahrliunderts. 
(Ilandzeichn.  i.  Stadeischen  Institute  zu  Franlvfurt  a.  M.) 


erfolgt.  Bald  darauf  erfand  man  die  Strickmaschine.  Die  Engländer 
schreiben  die  Erfindung  dem  Pastor  von  Woodborough  William  Lee,  zu; 
er  soll  1589  die  erste  Maschine  gebaut,  in  England  wonig  Ermunterung 


:>32 


111.     Dill   Kloi.lun- 


(M-lialtcMi  haben.  Er  p;in,U' 
aui  8nllys  Wunsch  nach 
1"' rank  reich,  fand  ah(>r 
nach  dem  Tode  Hein- 
richs 1\'.  keine  Unter- 
st ütznn.u-  und  starb  hu 
l-'lend.  Sein  Bruder 
kehrte  mit  den  Arbei- 
tern nach  England  zai- 
rück  und  erntete  jetzt 
den  Lohn  für  die  Erfin- 
(huig.  In  En<;land  sali 
(He  Maschine  Jean  Hin- 
(het  aus  Nimes  und  war 
im  stände,  sie  nacli/Ai- 
machen.  165G  hat  er 
seine  Fabrik  m\  Schkjsse 
Madrid  bei  Paris  eta- 
bhert. 

In  den  beiden  Jahr- 
hunderten wechselt  die 
Mode  der  Männertracht 
verhältnismäfsig  wenig. 
Der  Rock  wird  bald 
länger  bald  kürzer  ge- 
tragen ;  eine  Zeitlang 
sind  die  langherabhän- 
p-enden  Ärmel  beliebt; 
zur  Zeit  Karls  IV.  ver- 
tritt ein  von  der  Schul- 
ter herabhängender  Pelz- 
streifen diese  Prunkär- 
meP);  die  wieder  in  den  ersten  Dezennien  des  15.  Jahrhunderts  modern 
werden;-)  dann  findet  man  zumal  in  den  BurgundischenLändern  Geschmack 
an  den  Wülsten,  die  den  Oberarin  und  die  Schulter  verunzieren. 

Eine  Hauptsache  ist  die  Verzierung  des  Rockes,  der  mit  Knöpfen 
benäht,  mit  Schellen  besetzt  wird^)  —  die  Tracht  des  Hanswurstes  ist 
das  Kleid  eines  Modeherren  des  15.  Jahrhunderts.  Dann  werden  die 
Kleider  aus  bunten  Stoffstücken  zusammengenäht,  gegen  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  auch  aufgeschlitzt,  damit  das  kostbare  Futter  oder  die 
saubere  weilse  Wäsche  zur  Geltung  gelangt.  Wieder  eine  andere  Zeit 
liebt  es,  die  Säume  der  Röcke  in  mannigfacher  Weise  auszuzacken.  Das 
ist  die  sogenannte  Zaddeltracht,  die  schon  im  13.  Jahrhundert  versucht 
wird  und  von  Zeit  zu  Zeit  wieder  Bewunderer  findet. 


\ittore  Pisano  (1380— 14öti) :  Poriiai  des  Liout-Uu  d  Kstt- . 
(Bergamo,  Sammlung  Morelli.) 


1)  Deutsches  Leben  etc    Tafel  VI.  5,  X.  1.  2.  3.  4,  XV.  3. 

2)  Ebend.  Fig.  335,  336,  340,  Tat    XXII.  XXIII. 

3)  Ebend    Fig.  341.     Tat".  XXII,  XXIII. 


3.  Das  14.   und  15.  JahrliuiHlcrt. 


233 


Von   den    Hosen   habe   ich   schon    gesprochen.     Es    sei    nur    noch 
bemerkt,  rlafs  man  gegen  p]nde  des  1").  Jahrhunderts  (he  01)erhose,  dfii 


Jan  van  Kyck  {'- lllO) .  Der  Mann  mit  der  Xelke  (Ritter  d.  Antonin.s-Orden.s.  —  P.crl,  K^l.  <;eni. -Galerie). 


uUen  Bruch,  in  den  leuchtendsten  Farben  zusammenstückte  und  den 
T^atz  durch  Hervorhebung  der  Kontrastfarben  alisichthch  zur  Gehung 
l)rachte.  Das  bald  mehr  bald  minder  spitze  fSchuhwerk  wird  bis  in  die 
neunziger  Jahre    des  15.  Jahrhunderts  getragen.     Dann   treten  an  seine 


234 


111.   nie  KiiMduu!. 


Stelle  die  \ovuc  l)iHMtcn  St-huhc,  <iit'  ( )('lisciiniiuil('r.  eine  seltsam  iicschniack- 

loso    Modo. 

Der  Mantel  ,ueli(M-t  scIkmi  im  14.  Jalirhuiulert  nielit  mehr  unbe- 
(linut  zum  ( xesellscliaft.saii/,u,u,  man  trä.ul  ihn,  z.  1).  die  Form  des  Tahard 
nur  wenn  es  küld  wird.  l)a.!;-eL!;en  linden  wir  seit  dem  l'>nd(!  des  IT),  .hihr- 
luuulerts  die  relzröcke,  die  vorne  mit  lvnr)i)fen  oder  Nesteln  ^esehlossen 
werden  kTnuien.  Sie  sind  hald  lan.u',  hald  /.icMulieli  kurz,,  mit  breitem 
Folzkrauen  und  relzaufsehläu-en  und  wei'den  mit  \'orli(d)e  von  älteren 
Männern  üctrag-en.  Man  nennt  sie  llusscken;  später  wird  der  Name 
Sc'haube  alli2,"(Muein. 

l-'benso  wie  dei' Schnitt  der  K(»eke  wechselt  der  der  Kopfbedeckungen. 
\\)n  dem  einlaeheu    Haarreilen  dem    alten   Schapcl  --  der    über    der 

Stirn  etAva  mit  einem  Jleiherstutz  oc^schurückt  war,  bis  zu  den  A-erschieden 
geformten  Mützen,  Pelzkappen  und  r>aretten  hat  man  allerlei  Formen 
versueht.  In  d(M-  zweiten  Hälfte  des  IT).  Jahrhunderts  liat  man  in  den 
Niedtn-landen  und  weit  über  dieselben  hinaus  eine  Kappe  getragen,  dir 
an  den  heutigen  türkischen  Fez  erinnert,  nur  ohne  Troddel.  Dann  sind 
in  Italien  Mützen  behebt,  die  in  ihrer  Form  der  schirmlosen  deutschen 
Soldatenmütze  entsprechen.  In  der  Camera  de  Sposi  dei  Palazzo  della 
Corte  zu  Mantua  hat  Mantegna  den  Herzog  Tjodovico  (lonzaga  so  dar- 
gestellt. Dazu  kamen  die 
verschiedenen  Arten  von  Hü- 
ten :  Strohhüte ,  Schafpelz- 
hüte n.  s.  vr.  Gegen  Ende 
des  ir>.  .lalu-hunderts  beginnt 
man  einen  Iaixus  mit  kost- 
baren Straul'senfedern  zu  trei- 
ben, schmückt  mit  ihnen 
Hüte  und  Barette.  Die  Agraf- 
fen, mit  denen  die  Federn 
an  den  Hüten  l)efestigt  wur- 
den, sind  vom  Goldschmied 
kunstreich  gearbeitet,  mit 
pjdelsteinen,  Perlen  besetzt, 
mit  Schmelzwerk  geziert. 

Die  Frauenkleider  be- 
halten im  allgemeinen  den 
Schnitt,  den  sie  im  13.  Jahr- 
hundert hatten,  doch  wird  es 
jetzt  zur  Regel,  dafs  der  Bu- 
sen recht  zur  Geltung  kommt; 
auch  sind  sie  häutig  so  weit 

ausgeschnitten ,     dal's     die 
blofsen  Brüste  sichtbar   wer- 
den.    An    Stelle    der  Haube 
tritt  zuweilen   der   gekrauste 
Schleier  (s.  o.  S.  131.  135). 


Piero  degli  Franoeschi  (t  149'J). 
Fedei-igo  da  :*rontefeltre,  Herzog  von  Urbiuc.  (Florenz,  nti/.ien.V 


3.  Das  14.  uuil  15.  .Jahrhundert. 


23:) 


Die  Frauentraeliten  sind  jedoch  viel  weniger  exzentrisch,  viel  an- 
ständiger als  die  der  Männer,  anch  minder  prächtig.  Die  Arniel  werden 
gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  eng  getragen;  der  lange  Hängeärniel 
wird  noch  durch  einen      ^r.  . 

Streifen  Pelzwerks  ange-  "^AtlltO' 

deutet,  der  lang  von  der  "" 

Achsel  herabfällt.  Dann 
kommen  in  der  ersten 
Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts die  langen 
Hängeärniel,  bald  aus- 
gezaddelt,  bald  glatt  ge- 
säumt wieder  auf.  Das 
Kleid  selbst  ist  bis  Ende 
jenes  Jahrhunderts  aus 
einem  Stück  gefertigt: 
Taille  und  Rock  bilden 
ein  Ganzes.  Die  Taille 
wird  weit  ausgeschnit- 
ten,  mit  Knöpfen-  oder 

Schnürbändern  ge- 
schlossen. Oft  legt  man 
unter   ihr    einen  Brust- 
latz   noch    an,    um    di(^ 

Wirkung  des  weiten 
Brustausschnittes  eini- 
germafsen  zu  mildern. 
Die  Modevariation  be- 
steht darin,  dafs  die  Gür- 
tung der  Taille  bald  hö- 
her bald  niederer  be- 
liebt A^drd. 

Um  das  Jahr  1500, 

etwas  Genaueres  ist 
lieute  noch  nicht  ermit- 
telt, trennt  man  das 
Leibchen  des  Kleides 
von  dem  Rocke,  der  nun 
erst  an  den  Hüften  be- 
gimit    und   bis   auf   die 

Füfse  herabreicht.     Diese  Neuerung  ist  für  die   gesamte  Gestaltung   der 
Frauenmoden  von  allergröfster  Bedeutung.  ^) 

Der  Luxus,  den  die  Frauen  treiben,  beschränkt  sich,  abgesehen 
von   den  Schmucksachen,    haui)tsächhch    auf   die    Kopfputze.     In    dieser 

1)  Über  Broschen  und  Fürs[)anne  s.  A.  Franklin  a.  a.  0.  158  ff.;  über  Nadehi 
und  Stecknadebi  169  ft'.;  über  Finoerlüite  189  ff.;  über  Gürtel  192  ff.;  über  Knöpfe 
210  ff.;  über  Stninipfbänder  230  ff.' 


I(jli:iini('s  Holzlimisen  (t  l^O.S)  im  Dome  zu  Frankl'uit. 


236 


111.     Die   KliMaiiuo-. 


Ilin.sioht  hat  das  15.  .lahrliiitulert  die  mannigfachsten,  oft  abenteuerlichsten 
Sc-hüpfungon  hervorgebracht.  Ich  erinnere  nur  an  den  Hennin,  die  hohe 
.spitze  Haube,  die  am  burgundisch«>n  Hoft^  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
lumderts  in  Nordfrankreich  und  aucli  in  den  angrenzenden  Teilen 
Deutschlands  aufkam. 

Seit  dem  14.  Jahriiunderl  ist  es  möglich,  die  Waiuh^lungen  (h^r 
Mode  nicht  nur  au  dvr  Uaud  der  zahlreichen  datiertciu  Miniaturen, 
Gemälde  und  Zeichnungen,  sondern  seit  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts auch  gestützt  auf  die  ansehnhclie  Menge  von  Holzschnitten 
und  Kupfersticiien  ziendich  genau  zu  verfolgen.  Auch  d'w  vielen  Grab- 
denkmäler geben,  mit  Kritik  l)enutzt,  wichtige  Anhaltspunkte;  dazu 
kommen  die  zahlreichen  Mitteihmgen,  die  wir  in  Chroniken  und  vor 
allem  in  den  städtischen  Pohzeiordnungen  vorfinden,  ja  selbst  die  Kon- 
zilien und  Svnodalbeschlüsse  enthalten  willkommene  Abschnitte  über  die 
Au.sschreitungen  der  Mode.  Es  handelt  sich  aber  in  diesem  Zeitabschnitte 
immer  mehr  um  (He  Trachten  des  Bürgerstandes.  Im  Gegensatz  zu  den 
Nachrichten,  die  wir  ül)er  das  12.  und  13.  Jahrhundert  besitzen,  finden 
wir    in    den  (,)uellcii    des    späteren   Mittelalters   nur   überaus   selten    der 

Trachten  der  Fürsten, 
des  Adels  gedacht. 
Dafs  aber  die  Frauen 
der  Bürger  auch  an- 
dere Kleider  trugen, 
wenn  sie  im  Hause 
sich  aufhielten,  wenn 
sie  zum  Fest,  zum 
Tanz  oder  zur  Kirche 
gingen,  beweisen  Al- 
brecht Dürers  schöne 
Aquarellzeichnungen 
von  1500  in  der  Alber- 
tina zu   Wien.^) 

Wenig  ist  es,  was 
wir  von  den  Kleidern 
der  Bauern  bis  jetzt 
ermittelt  haben.  Man 
müfste  die  Kalender- 
l)ilder,  die  ja  bis  ins 
13.  Jahrhundert  zu- 
rückreichen, einmal  zu 
diesem  Zwecke  ge- 
nauer untersuchen. 

Im  allgemeinen 
unterscheidet  sich  die 


Martin  Zasinger,   Aristoteles  uml   l'liyllis. 


1)  E.  W.  Baader,  Al- 
brecht Dürers  Trachteu- 
bilder  iu  der  Albertina. 
Wien  1871. 


4.    Das  16.  Jahrhundert. 


287 


Hemin, 
Bnrgnndische  Haube. 


deutsche  Modetracht  von  der  Iraiizösischen  nur  wenit;- 
—  dafs  neben  dieser  Mode  aber  noch  eine  in  den 
Städten  und  besonders  auf  dem  T.ande  gebrauchte 
überaus  mannigfache  Volkstraclit  bestand,  von  der  -w^r 
gar  wenig  wissen,  das  dürfen  wir  ni(!  aufser  acht 
lassen. 

Auch  die  itahenische  Tracht  schhefst  sich  der 
herrschenden  Mode  ziemhch  genau  an.  Gerade  für 
die  exakte  Forschung  auf  diesem  Gebiete  ist  in  Itahen 
eine  Fülle  des  wertvollsten  Materials  vorhanden.  Von 
der  Zeit  des  Giotto^)  bis  zu  der  des  Luca  Signorelli 
finden  sich  zahlreiche  Kostümdarstellungen  auf  den 
Gemälden  der  italienischen  Maler.  Z.  B.  bietet  die 
Anbetung  der  Könige  des  Gentile  da  Fabriano  (f  1427/2H) 
in  der  Akademie  von  Florenz,  datiert  1423,  sehr  interessante  Abbildungen 
von  Trachten.  2)  Für  die  spätere  Zeit  sind  zu  beachten  die  Gemälde  des 
Masolino  da  Panicale  (in  Castighone  d'Olona  1383 — 1440),  des  Benedetto 
Bonfigh^),  des  Francesco  Peselhno  (1422—57  —  vgl.  d.  Abi),  in  Werner 
Weisbach,  Fr.  P.  und  die  Romantik  der  Renaissance,  Berlin  1901).  Dann 
kommt  Vittore  Pisano  (c.  1380—1456)  in  Betracht  (S.  Woermami,  Gesch. 
d.  Malerei  II,  235,  Fig.  322),  die  Arbeiten  des  Vittore  Carpaccio  in  Ve- 
nedig, die  des  Andrea  Mantegna  im  Palazzo  del  Corte  zu  Mantua^).  dif 
Fresken  des  Luca  Signorelli  in  der  Sixtinischen  Kapelle  zu  Rom  und 
im  Dome  zu  Orvieto.  Es  wäre  sehr  verdienstvoll,  wenn  einmal  eine 
Spezialuntersuchung  über  die  italienischen  Kostüme  des  Mittelalters  ge- 
meinsam von  einem  Maler  und  von  einem  tüchtigen  Historiker  unter- 
nommen würde.     An  ausgiebigem  Steile  fehlt  es  wahrlich  nicht. 


4.   Das  16.  Jahrhundert.^) 

Das  16.  Jahrhundert  bildet  die  ihm  vom  Mittelalter  überkommenen 
Kleiderformen  nun  weiter  aus,  zunächst  aufserordentlich  phantasievoll. 
Die  Anregungen  zu  diesen  Modeneuerungen  gaben  die  Landskneclite 
und  ihre  Weiber.  Von  ihnen  nahmen  Männer  und  Frauen  die  vielfach 
gepufften,  mannigfach  geschlitzten  Ärmel  und  Wämser  an.  Sie  haben 
den  Modenarren  das  Beispiel  gegeben,  die  obere  Hose  in  verschiedenster 
Art  zu  verzieren,  so,  dafs  nicht  das  rechte  Beinkleid  dem  linken  glich. 
Verständige  ältere  Männer  und  Damen  der  besseren  Gesellschaft  machten 
wohl  diesen  Luxus  und  diese  Torheiten  nicht  mit,  wie  sie  nicht  den 
Gebrauch  der  Straufsenfedern  auf  ihren  Hüten  und  Baretten  übertrieben, 
ganz    aber   konnten   sie    sich  der  einmal  herrschenden  Mode  doch  nicht 

^)  Besonders  die  Freskomalereien  in  der  Scroveguikapelle  zu  Padua. 

»)  Wöermann,  Gesch.  d.  Malerei  H,  209,  Fig.  199. 

s)  The  Magazine  of  Art.    (Lond.  1902.)    S.  128. 

*)  Woermann  a.  a.  0.  II,  S.  269,  Fig.  213. 

*)  Für  die  französischen  Moden  vom  12.  bis  18.  Jalirhundert  ist  selir  wertvoll: 
De  la  Mesangere,  Galerie  frau9ai8e  des  femmes  celebres.  Paris  1841.  Mit  70  kolo- 
rierten Tafeln. 


III.     I»'h-    Klriiliiii-. 


Picro  ilo.uli  Prnnoosehi  {r  1102):  Battisln 
Sforza      iHoi'i'nz,    rflizieii.i 


I.iunlianlisolu'i-  AhMstci';  T.calricc  (VKsto 
ridii'ii/,   I'alazzd  l'ittij 


T)onieiiic(i   Vcnc/iaijd  'UIO  -lliUi:    rortrat. 
(^[niland,    Musen  Poldi    -   rezzoli.i 


4.    Das  1().  .lalirliuiiilHrt. 


239 


1 

i:^.   _._ 

l 

ii 
i 

■Bi 

Sanrtro  Botticelli  (1447— lölO) :  Bella 
Simoiictta.  (Florenz,  Falazzo  Pitti.) 

eiitziflu'ii.  Man  muls  die  A(iua- 
r eilen  vom  jüngeren  Hans  Hol- 
l»ein,  die  Federzeichnungen  von 
Xiklas  ^ilanuel  Deutsch  und  Urs 
(xraf  iiu  Baseler  Museum  be- 
trachten, will  man  eine  Vor- 
stellung von  der  originellen, 
aber  doch  gefälligen  Tracht  ge- 
winnen. 

Für  die  ersten  Deceunien 
-iiid  lian}>tsäclilich  die  lüldiiisse 
vom  älteren  Lukas  Cranacli  zu 
l)eacliten. 

Mau  kann  jetzt  schon  einen 
Unterschied  zwischen  der  Klei- 
dung der  Fürsten  und  des  Vol- 
kes erkennen.  Mag  der  Schnitt 
auch  im  allgemeinen  der  Mode 
entsprechen,  so  sind  die  Stoffe, 
Atlas,  Samt,  Seide  und  Brockat 
kostbarer,  und  die  Menge  der 
Perlenstickereien  gibt  den  Fest- 
gewändern noch  einen  erhöhten 
Keiz.  Wenn  man  das  Porträt 
der  Bianca  Sforza  von  Bernhard 
8trigel  (München,  Privatbesitz), 


"Fr.  Buonsitjnore  (1455-1.519);  Bildnis  der 

Herzogin  von  Mantua  Elisabotta  von 

Jv.ste.  (Florenz,  T'ffl/.ien.) 


Lukas  Cranach  d.  Ä.  (1 17'J— 155:',) :  Knrlürsl  .Toachim  I. 
von   l'.randenViurK-     (Kanzellei  -  Bililiolhek    zn    Bayreuth.') 


240 


III.     Kir    Klfi.luiu 


(las  des  Joachim 
von  Brandenburg- 
vom  älteren  Cra- 

nach    (Berliner 

Sc'hlolsjvanzellei- 

l>il)l.  in  Bayreuth) 

betrachtet,    laUt 

die  überreiche 

Stickerei,  die  un- 

gewOhnhche 
Menge  von  Gold- 
scliniuck  auf.  Die 
i'orträts  von  Al- 
lircclit  Dürer,  sei- 
nen Zeitgenossen 

und  l>esonders 
seinen  Nachfol- 
gern geben  einen 
Überblick  über 
<lie  Wandelungen 
(lerMode  während 
des  16.  Jahrhun- 
derts. Schon  tritt 
die  Verschieden- 
heit der  Trachten 
in  den  einzelnen 
handstrichen  uns 
klar  entgegen.  Die 
abenteuerlichen 
Verzierungen  der 
Hosen  versch\vin- 
den  um  die  Mitte 
des  Jahrhunderts 
dagegen  werden 
nach  1550  die  Plu- 
derhosen in 
Deutschland  mo- 
dern, während 
man  in  Frank- 
reich an  Stelle  von 
diesen  unverhält- 
nismäfsig  aufge- 
bauschten Hosen 

einen  eben  so 
grofsen,  aber  nur 

den    oberen  Teil   des    Oberschenkels   bedeckenden    ausgestopften    Wulst 
trägt.     Der  Hosenlatz  ^drd  noch  immer  als  ein  wichtiger  Teil  der  männ- 


Franrois  Clouet,  Karl  IX.,  Konii 


Fraukreich.     (Wien,  Kais.  Gt-m. -Galerie.) 


4.  J>iis  16.  Jiihrliundort. 


241 


liehen  Toilette  angesehen.  Die 
Schnhe  werden  mit  Schleifen  und 
dergl.  geziert.  ^) 

Als  Kopfbedeckung  trägt  man 
zunächst  das  breite ,  geschlitzte, 
mit  Straufsenfedern  geschmückte 
Barett;  später  ^^drd  die  flache  Form 
des  Barettes  eingeführt;  die  in 
Deutschland  verwendeten  spani- 
schen Truppen  hatten  diese  Mode 
verbreitet.  Gegen  Ende  des  Jahr- 
hunderts sind  allerorten  die  Samt- 
Toquen  beliebt.  Neben  diesen  ver- 
schiedenen Formen  von  Baretten, 
Mützen  aller  Art,  trägt  man  den 
Filzhut  oder  den  mit  Pelz  über- 
zogenen, bald  höheren  bald  nie- 
deren, bald  breit-  bald  schmal- 
ränderigen  Hut,  dessen  Krempe 
auch  aufgeschlagen  wird,  und  den  man  mit  Straufs-  oder  Reiherfedern, 
mit  goldenen  Schnüren,  Medaillen,  Agrafifen  verziert.-) 

Je  nach  dem  Stande  sind  diese  Kleider  bald  aus  bestem,  bald  aus 
geringem  Stoffe,  bald  reicher  dekoriert,  bald  ganz  einfach  gehalten.  Seit 
dem  16.  Jahrhundert  beginnt  die  Frauentracht  die  der  Männer  an 
Reichtum  und  origineller  Aus- 
gestaltung zu  übertreffen^),  was 
in  den  früheren  Zeiten  durch- 
aus nicht  in  dem  Grade  der 
Fall  gewesen  war.  Die  Leib- 
chen sind  in  den  ersten  Jahren 
ziemlich  kurz,  nehmen  aber 
im  Laufe  des  Jahrhunderts  an 
Länge  immer  zu,  zunächst  tief 
am  Rücken  und  über  der  Brust 


Tiziau:  Eleouoro  <i()iiza,t;a,  llerzogiu  von  rrljinc 
(Florenz,  rtfizien). 


*)  Die  Geschichte  des  Schuh- 
werkes giht  u.  a.  Alfred  Franklin, 
La  vie  privee  d'autrefois.  Los  ma- 
gasins  de  nouveautes.  ***"  (Paris 
1898.)  —  La  cordonuerie.  S.  165  ff. 

*)  Über  die  Kopfbedeckungen 
in  Frankreich  vgl.  Alfred  Franklin 
a.  a.  O.  Paris  1896.  Les  niagasins 
de  nouveautes***  (Chapellerie  et 
modes,  Cap.  I — III  und  la  Bonne- 
terie,  Cap.  I— lY). 

^)  Vgl.  Paul  Lacroix.  Moeurs, 
iisages  et  costumes  au  moj'en-äge 
et  ä  repoque  de  la  Renaissance. 
(Paris  1872.)    8.  549  ff. 

Schult«,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


I'.rouziiio :  lauTozia.  Paiiciatioi'hi 
(Florenz,  Ufflzien). 

16 


242 


III.    Die  Kloidunt!:. 


.Tost   .\nnniui  :    l-'r:uicmi:Mlitcii 


aiisgesclinitten,  werden  sie  immer  höher;  die  vor- 
gehundenen  Latze,  (ho  fein  geläUolten  Hemdchen 
iH'doekon  jetzt  züchtig  den  Busen.  Zu  dem  bald 
reicli  gefnheton,  bald  glockonartigen  Rocke  ge- 
rt  ein  lnrl)ig('r  Unterrock,  der,  sobald  das  Kleid 
gelioben  wird,  sichtbar  ist.  Um  die  Taille  ist  der 
ivock  mit  einem  Gürtel  zusammengofafst.  Mit 
(hcsen  (lürteln  wurde  ein  grofser  Luxus  getrie- 
ben; selbst  einfache  Jlandwerkerfrancn  hatten 
silberne,  die  durch  d'\o  Arbeit  des  Goldschmiedes 
einen  nocli  hölnn-cni  Wert  erhielten.  An  dem 
(Jürtel  trägt  die  Frau  ihre  Geldtasche,  den 
Scblüssell)und,  ein  silbernes,  vergoldetes  oder  gar 
goldenes  Efsbesteck  mit  Messer  und  Gabel,  wie 
dov  Mann  an  seinem  Gürtel  Schwert  und  Dolch 
zu  tragen  pflegte.  Von  den  mannigfachen 
Schmucksachen  wurde  schon  gesprochen.  Es 
ist  jedoch  ausdrückhch  darauf  hinzuweisen,  dafs,  wie  die  seit  dem  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  häufiger  erhaltenen  Testamentbücher  beweisen,  auch 
die  Frauen  der  Kleinbürger  einen  oft  ganz  anselnilichen  Schatz  von 
Schmucksachen  aus  Edelmetall  besafsen. 

Eine  sehr  belehrende  Folge  von  Fürstenporträts  des  16.  Jahr- 
hunderts ist  in  der  Sammlung  des  Germanischen  Museums  zu  finden, 
andere  bezeichnende  Proben  von  den  malerischen  Trachten,  die  an  den 
Höfen  jener  Zeit  im  Gebrauche  waren,  enthält  das  National museum  in 
München,  sowohl  Bildnisse  als  auch  einige  Originalkleider.  Es  über- 
rascht bei  allen  diesen  Porträts  die  grofse  Menge  von  Schmucksachen. 
Die  Männer  tragen  kostbare  Agraffen  an  ihren  Baretten  und  Mützen, 
goldene  Ketten  mit  zum  Teil  reich  gefafsten  Porträtmedaillen,  zahlreiche 
Ringe  u.  s.  w.  Die  Frauen  schmücken  sich  mit  Halsketten,  an  denen 
die  heute  so  gesuchten  Anhänger  befestigt  sind,  mit  Schnüren  grofser 
Perlen,  Halskreuzen,  Armbändern,  Gürteln  und  edelsteingeschmückten 
Ringen.  Es  sind  uns  aus  dem  16.  Jahrhundert  eine  Menge  solcher 
Schmuckinventare  erhalten,  die  uns  einen  Einblick  in  den  Besitz  nicht 
allein  der  fürstlichen,  sondern  auch  der  adligen,  ja  selbst  der  bürger- 
lichen Familien  eröffnen.  In  der  Zeit  der  Not,  während  der  Sorgen  des 
Dreifsigjährigen  Krieges  und  der  späteren  Kriegsdrangsale  ist  der  gröfsere 
Teil  dieser  auch  künstlerisch  wertvollen  Schmuckgegenstände  ein- 
geschmolzen und  zerstört  worden.  Einen  Begriff  von  der  Kostbarkeit 
des  Schmuckes  der  bayerischen  Herzogsfamilie  bieten  uns  die  Ab- 
bildungen, die  Hans  Mielich  (1516—73)  von  den  Prunkstücken  malte, 
eine  Sammlung,  die  jetzt  im  Besitz  des  Geh.  Rates  J.  H.  von  Hefner- 
Alteneck  zu  München  sich  befindet.  Verhältnismäfsig  wenige  dieser 
prächtigen  Erzeugnisse  deutscher  Goldschmiedekunst  treffen  wir  heute 
in  den  Museen  an,  am  häufigsten  noch  in  den  Kunstgewerbesamm- 
lungen. Sehr  wertvoll  ist  der  Schatz  von  Schmucksachen,  welche  der 
Gruft  der   bayerisch-pfälzischen  Herzoge    zu  Lauingen   entnommen    sind 


4.   l>:is   l(i   Jalirhundert. 


243 


Schmncksachon.     (W.  I.übke,   Gesch.  rt.  deutsolien  Kunst.  —  Stuttf,'.  1890.) 

und   jetzt   in    dem    bayerischen  Nationalmuseum    zu    München    bewahrt 
werden. 

Was  nun  die  charakteristische  Tracht  des  16.  Jahrhunderts  an- 
belangt, so  mrd  der  Rock  mehr  und  mehr  zum  Wams;  ob  die  Schöfse 
desselben  breiter  sind,  eingeschnitten  werden,  das  sind  die  Mode- 
variationen, die  die  Schneider  zu  ersinnen  wissen.^)  Die  Stoffe  werden 
schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  nicht  mehr  aufgeschhtzt, 
wie  man  für  die  Buntheit  des  Kleides  auch  den  Geschmack  verhert. 
Über  dieser  kurzen  Jacke  (Juste  au  corps)  trägt  man  wieder  den  Mantel, 

*)  Kinderkleidor  in  Eticnnc  Moreau -Nelalou,  J.os  Le  Maunior,  peintrps  offi- 
cielH  de  la  Cour  doH  Valois  au  XVI  siecle.     Taris  1901. 

16* 


244  11^-   ^^i*-'  Kleidung. 

der  aber  kaiim  über  den  Leib  reicht,  mit  steifem  Kragen  ausgestattet 
ist.  Ältere  Herren  brauchen  noch  die  Schaube  oder  ziehen  es  vor,  die 
lange,  mit  Knüpfen  geschlossene  Samaria  zu  tragen.  Eine  eigenartige 
Bereicherung  erhält  das  Kostüm  des  IG.  Jahrhunderts  durch  die  Ent- 
wicklung des  Hemdkragens.  Schon  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
war  es  Mode  geworden,  den  gestickten  oder  gefältelten  Hemdkragen 
sichtl'.ar  zu  tragen.  Immer  grüfser  entwickelt  sich  nun  dieses  neue 
Element,  bis  der  mächtige  Mühlsteinkragen  erwächst  oder  der  teuere 
und  kunstvolle  Sjätzenkragen,  der  rmr  durch  ein  Drahtgestell  in  der 
schicklichen  Stellung  gehalten  werden  kann. 

Über  das  Kleid  legten  die  Frauen  bei  kühlem  Wetter  wohl  noch 
ein  zweites  Überkleid  an,  das  vom  Hals  bis  zu  den  Füfsen  vorn  offen 
war  und  mit  Knöpfen  oder  Nesteln  geschlossen  wurde,  die  Ärmel  konnte 
man  wie  die  der  Samaria,  welche  von  den  Männern  getragen  wurde, 
nach  Belieben  entweder  ganz  anziehen  oder  man  fuhr  mit  dem  Arm 
durch  eine  am  Ellbogen  des  Ärmels  oder  gar  an  der  Achsel  angebrachte 
Öffnung  und  liefs  den  Ärmel  halb  oder  ganz  herabhängen.  Kurze  Pelz- 
jäckchen mit  Puffen  an  den  Schultern  wurden  mit  Vorliebe  von  jüngeren 
Damen  getragen.  In  den  Siebziger] ahren  wird  dann  ein  Schulter- 
mäntelchen  beliebt,  das  etwa  den  noch  vor  kurzer  Zeit  viel  getragenen 
Capes  entspricht  (S.  o.  S,  242).  Eine  grofse  Mannigfaltigkeit  zeigen  die  Kopf- 
bedeckungen. Mit  der  hohen  Haube  beginnt  die  Mode,  dann  kommt  das  in 
aller  erdenklicher  Weise  ausgeschmückte  Landsknechtsbarett  mit  seiner 
reichen  Ausschmückung  von  Straufsenfedern.  Die  kleinen  Samtbaretts  und 
die  Samthüte  mit  ihren  goldenen  Zierraten  und  dem  bescheidenen  Feder- 
schmuck bleibt  den  Damen  der  vornehmen  Gesellschaft  vorbehalten, 
während  die  Bürgersfrauen  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  mit  Vorliebe 
Pelzmützen  tragen.  Von  den  Bürgersfrauen  haben  dann  die  Bauernweiber 
diese  Mode  übernommen  und  viele  Jahrhunderte  festgehalten.  Die  Marder- 
mützen der  Partenkirchener  Frauen,  die  auch  immer  mehr  verschwinden, 
sind  ein  Überbleibsel  jener  weitverbreiteten  Mode.  In  Rom  erkauften 
sich  1560  Frauen  das  Recht,  in  Männerkleidern  zu  gehen  »mit  zerhackten 
und  zerschnittenen  Hosen  und  haben  ihre  Rapiere  an  der  Seite,  als 
wären  sie  Landsknechte«.-^) 

Über  die  Trachten  des  16.  Jahrhunderts  sind  wir  sehr  gut  unter- 
richtet. Zumal  die  deutschen  Geschichtsschreiber  teilen  uns  mit,  wenn 
die  Kleidermoden  sich  änderten.  Zahllose  Kleiderordnungen,  vom  Reiche, 
von  den  Fürsten  und  Städten  erlassen,  geben  uns  eine  Vorstellung  von  den 
Ausschreitungen  der  Putzsucht.  Es  wäre  sehr  verdienstlich,  diese  nur  schwer 
zu  erlangenden  Verfügungen  zusammenzustellen  und  zu  veröffenthchen.-) 


1)  (A^ulpius)  Kurios.  I,  279. 

*)  H.  Bodemeyer,  Die  hannoverischen  Luxus-  und  Sittengesetze.    Göttingen  1857. 

(Kleiderordnung.)  3  Erlasse  von  Herzog  August  Wilhelm,  Karl  I.  und  der  Stadt 
Braunschweig  1705,  1729,  1740. 

Der  Stadt  Braunschweig  Ordnunge  auS  die  zierunge  und  kleidunge  und  auff 
die  Verlöbnisse  und  Hochzeiten  und  was  denselbig  anhengig  ist.     Magdeburg  1579. 

Hamburgische  Hochzeits-  und  Kleiderordnungen  von  1583  u.  1585.    Hamb.  1889. 

Eines  Ehrenvesten  Rahts  der  Stadt  Stralsund  Kleider-Ordnung.     Strals.  1649. 


4.  Das  16.  Jahrhundert.  245 

Die  Verfasser  der  Selbstbiographien  versäumen  nicht,  zu  erwähnen,  wie 
sie  zu  verschiedenen  Zeiten  ihres  Lebens  von  ihren  Kinderjahren  an  ein- 
hergegangen sind,  ja  einzelne  Leute  lassen  sich,  wie  der  Augsburger  Mat- 
thaeus  Schwarz  und  sein  Sohn  Veit  Konrad  dies  taten,  wohl  in  jedem 
neuen  Anzüge  abmalen.^)  Dies  Schwarzische  Trachtenbuch  befindet  sich 
jetzt  in  der  herzogl.  Bibliothek  zu  Braunschweig ;  es  verdiente  wohl  ver- 
öffenthcht  zu  werden,  da  es  die  Wandelungen  der  Augsburger  Moden 
uns  vorzüglich  anschaulich  macht.  Denn  das  kann  man  bei  der  Fülle  des 
zur  Verfügung  stehenden  Materials  mit  Leichtigkeit  feststellen,  dafs  jede 
gröfsere  Stadt  ihre  eigenartige  Tracht  hat;  bei  den  Dörfern  mag  das 
noch  in  erhöhterem  Mafse  der  Fall  gewesen  sein.  Aus  der  letzten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  besitzen  wir  die  ersten  Trachtenbücher ;  bis 
zu  dieser  Zeit  mufs  man  sich  mit  den  Bildnissen  behelfen,  die  von  mehr 
oder  minder  hervorragenden  Malern,  von  Albrecht  Dürer,  Hans  Hol- 
bein d.  J.,  von  Christ.  Amberger,  Ostendorf  er,  Barth.  Bruyn  und  anderen 
herrühren.  Alle  diese  Behelfe  beweisen,  dafs  es  zwar  im  allgemeinen 
eine  Modetracht  gab,  die  in  der  ganzen  abendländischen  Welt  Verbreitung 
fand  —  ich  habe  die  Hauptmerkmale  zu  schildern  versucht  —  dafs 
jedoch  neben  dieser  Modekleidung  —  ich  möchte  sie  die  offizielle 
nennen  —  eine  Mannigfaltigkeit  vorhanden  war,  die  wir  nur  zum  Teil 
zu  kennen  in  der  Lage  sind,  die  ganz  zu  ermessen  wir  vielleicht  nie  im- 
stande sein  werden.  Wenn  wir  die  von  dem  treffhchen  Jost  Amman 
(1539 — 91)  ausgeführten  Holzschnitte  des  beiWeigel  erschienenen  Trachten- 
buches und  die  von  demselben  Meister  herrührende  Folge  Gynaeceum 
sive  Theatrum  Muhebre  (1586,  Neudruck  bei  Georg  Hirth,  Leipzig  und 
München)  durchsehen,  so  finden  wir  eine  kleine  Probe  dieser  Verschieden- 
heiten vor.  Dann  geben  die  Abbildungen  Costumes  Civils  et  Militaires 
du  XVI  Siecle  par  Abr.  de  Bruyn  d'Anvers  (1581,  Neudr.  Bruxelles  1872) 
und  seine  »Omnium  paene  Gentium  imagines«  (1584)  sehr  willkommene 
Ergänzungen  zu  den  Werken  des  deutschen  Meisters.  Beachtung  ver- 
dient dann  das  vierbändige  Werk  »Theatrum  urbium«^);  neben  der  Ab- 
bildung der  Städte  sind  da  häufig  auch  die  Trachten  derselben  abgebüdet. 
Dies  grofse  Kupferwerk  verdient,  besonders  wenn  man  ein  koloriertes 
Exemplar  benutzen  kann,  auch  als  Hilfsmittel  die  italienischen,  fran- 
zösischen, spanischen,  englischen  Trachten  festzustellen,  die  in  Ungarn, 
Polen,  Rufsland  gebräuchhchen  Kostüme  kennen  zu  lernen,  hervor- 
ragende Beachtung.  Die  Trachten  von  Strafsburg  und  von  Basel  ^)  sind 
in  besonderen  radierten  Bilderwerken  veröffentlicht  worden,  seltenen 
kleinen  Büchlein,  die  wohl  auch  eines  Neudruckes  würdig  wären. 

Zahllose  Porträts  von  Männern  und  Frauen,  in  Öl  gemalt  oder  in 
Kupfer  gestochen,  in  Holz  geschnitten,  sind  aus  dem  16.  Jahrhundert 
noch    erhalten    und   so    dürfte  es  möglich    sein,    ein  deutsches  Trachten- 

^)  Reichard,  Matthaeus  und  Veit  Konrad  Schwarz.     Magdeb.  1786. 

^)  Georg  Braun  (liruin)  u.  Hogenberg,  Civitates  orbis  terrarum  ....  6  voll, 
in  fol.  —  Coloniae  Agrippiuae,  1592  ff. 

*)  S.  das  Nähere  in  dem  vom  Frhrn.  v.  Lipperheide  herausgegebenen,  Ö.  121 
Anm.  1  zitierten  Werke. 


246  llf-     l'i<"   Kloiduug. 

buch  dieser  Zeit  wohl  zusammenzustellen,  das  einigermafsen  den  An- 
sprüchen der  Wissenschaft  genügt.  Schwerer  ^\'ird  das  schon  hi  Italien 
sein,  wo  man  einzig  und  allein  auf  Porträts  angewiesen  ist;  eben  jenes 
Theatrum  Urbium  läfst  uns  die  bunte  Mannigfaltigkeit  der  italienischen 
Stadt-  und  Landtrachten  nur  ahnen.  Und  tlasselbe  gilt  von  Frankreich, 
von  Spanien,  von  England  :  wir  besitzen  wohl  zahlreiche  Bildnisse  von 
Königen  und  deren  Gemahlinnen,  Angehörigen,  Ilofleuten  und  Adel, 
aber  auch  in  diesem  Falle  wird  das  Theatrum  Urbium  uns  zeigen,  dafs 
\vir  von  dem  Aussehen  der  Bürger  und  s[)eziell  der  Landleute  wenig 
oder  gar  nichts  wissen.  Deutschland  ist  eben  während  des  16.  Jahr- 
hunderts gerade  auf  dem  Gebiete  der  Illustration  allen  diesen  Ländern 
weit  A'oraus.  Noch  eine  andere  reiche  Quelle  fih"  Kostümgeschichte  ist 
vorhanden:  die  seit  der  zweiten  Hälfte  des  IG.  Jahrhunderts  so  beliebten 
Stanmibücher.  Die  Studenten  liefsen  sich  da  von  ihren  Freunden  Bilder 
liineinstiften,  d.  h.  die  Malerei  besorgte  irgend  ein  billiger  Maler.  Neben 
vielen  gleichgültigen,  zuweilen  auch  recht  unsauberen  Darstellungen 
finden  vrir  da  auch  Kostümbilder,  Andenken  an  den  Aufenthalt  auf 
deutschen  oder  fremden  l^niversi täten.  Die  in  Italien  studierenden  jungen 
Leute  haben  oft  genug  sich  Abbildungen  venetianischer  Dogen,  Würden- 
träger, Courtisanen  in  ihren  Stammbüchern  mitgebracht. 

Diese  Stammbücher,  von  denen  z.  B.  eine  gröfsere  Anzahl  auf  der 
Bibhothek  zu  Weimar  zu  finden  ist,  bieten  für  das  16.  und  17.  Jahr- 
hundert eine  überaus  reichhaltige  Fundgrube.^) 

*)  Über  die  Trachten  zu  Betjinu  des  16.  Jahrhunderts  finden  wir  in  Sebastian 
Francks  Weltbuch  (1533)  einige  beachtenswerte  Mitteilungen,  zunächst  über  Deutsch- 
land Des  Adels  Kleid  ist  »wild  und  weltlich«  (fol.  xLvi  b).  Von  den  Bürgern  bemerkt 
er:  »die  Kleydung  ist,  wie  gesagt,  alltag  new ;  nitt  lang  noch  bey  menschen  gedechtnifs 
truog  man  spitzige  schuoch  mitt  langen  schnäbeln,  kleine  enge  kurtze  kleyder  kappen 
mit  zotten:  yetz  ist  alles  anders  und  umbkert,  weit  grofs,  die  schuoch  breyt  und 
maulecht.  Der  weiber  kleyder  ist  yetz  kostlich  aber  erber  gemacht«  (fol.  xLvij«). 
Die  Bayern  »seind  gmeinlich  in  blaw  gekleydet«  (fol.  Lv  b). 

Von  den  Franzosen  berichtet  er;  »Die  kleydung  vereudert  sich  teglich.  Zur 
Zeit  Ant.  Sabellici  ist  yhr  gmeyn  kleyd  gwesen  ein  kleyn  wappen-  oder  reutröcklin 
mit  ermein,  das  kaum  zuo  halbem  arfsbacken  gieng,  spitzen  eines  halben  schuochs 
an  den  schuohen ;  ein  spitzig  paret  wie  ein  hörn  geformet  betten  sy  autf .  Nun  ist 
alles  anders :  die  schuoch  fornen  breyt  und  maulecht  wie  die  bärn  füffs,  ein  lang  weit 
kleyd  schier  bifs  auf?  die  halben  waden,  seltzam  zerschnitten,  verprembt  und  mit 
mancherley  färb  den  äugen  lustig.  Breytte  weitte  paret  und  huot,  welches  die  Teutschen 
in  kurtzer  zeit  yn  alles  nachznthuon  halien  angefangen,  und  hat  diser  sitteu  also  über- 
hand genummen,  das  man  sieher  alles  Italiam  und  Germaniam  in  (Tallischer  waat 
sihet;  .  .  der  weiber  kleyder  ist  nit  vil  verendert«  (fol  Lxvj  i") 

Die  Spanier  »tragen  kleine  paret  und  kurtze  schwartze  rock....  Ir  weiber 
geen  in  wunder  seltzamer  rüstung  herein,  haben  am  halfs  ein  eisin  halfsband,  das 
recket  krumme  zincken  binden  über  den  kopff  hinaufs  und  strecken  sich  dise  zincken 
oben  über  den  kopff  herfür,  darüber  so  sy  wollen,  mögen  sy  ein  fürhang  ziehen  und 
yn  ein  ein  schatten  machen  und  difs  haben  sy  für  ein  grosse  zier.  Etlich  ropffen 
ihr  glatzen  aufs,  dafs  sy  fornen  weit  harlofs  und  kal  werden  (das  ist  die  französische 
und  burgundische  Mode  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts)  und  allein  binden  aufs 
haben,  fornen  keins ;  das  ist  auch  yr  syben  schöne  eiue.  Die  anderen  binden  eines 
schuochs  hoch  ein  auftgerichten  stecken  auff  das  haupt  (das  erinnert  an  den  Hennin), 
yhr  har  daran  geflochten,  ol)en  an  dem  spitz  ein  schwartz  huotlin  darauff  gesetzt» 
-(fol.  Lxxa).     Üljer  Italien  äuisert  er  sich  :  »die  kleydung  ist  mancherley.    Die  Venediger 


5.    Das  17.  Jahrhundert.  247 

5.  Das  17.  Jahrhundert. 

Die  kriegerische  Zeit  des  17.  Jahrhunderts  hat  nun  auch  auf  die 
Tracht  der  Männer  ihren  Einflufs  ausgeüljt.  An  Stelle  des  Wamses 
oder  der  kurzen  Jacke,  die  Rubens  noch  auf  dem  bekannten  Porträt 
trägt,  in  dem  er  sich  und  seine  Frau  Isabella  Brandt  gemalt  hat  (c.  1610, 
Münchener  alte  Pinakothek),  tritt  der  langschöfsige  Rock,  wie  ihn  die 
schwedischen  Soldaten  zu  tragen  pflegten.  Nicht  auf  einmal  findet  diese 
Modeneuerung  Eingang;  auf  dem  grofsen  Gemälde  David  Teniers  d.  J., 
das  einen  Jahrmarkt  vorstellt  und  sich  in  der  alten  Pinakothek  zu 
München  befindet,  sehen  wir  die  verschiedensten  Anzüge;  die  modernsten 
aber  scheinen  die  langen  Röcke  zu  sein.  Das  Wams  wird  nun  zur 
Weste.  Die  Hose  verhert  den  Latz,  ist  nicht  unter  dem  Knie  gebunden, 
sondern  zunächst  offen.  An  Stelle  der  Schuhe  treten  die  Stiefeln  und 
zwar  bis  mn  die  ]\Iitte  des  Jahrhunderts  die  Reiterstiefeln,  die  man  auch 
in  Gesellschaft  trägt,  die  Stulpen  hinunterschiebend.  Modeherren  ver- 
brämten den  Ausschnitt  der  Stiefelstulpen  mit  Spitzen.  So  wurden  auch 
für  einige  Zeit  selbst  die  schweren  Sporen  gesellschaftsfähig.  Die  Hose, 
bis  ans  Knie  reichend,  ist  unten  offen  —  eine  Unterhose  scheint  jetzt 
allgemein  gebräuchlich  —  oder  mit  Bändern  geschlossen.  Die  Mützen 
und  Baretts  werden  unmodern :  man  braucht  allgemein  den  breitkrämpigen 
Soldatenhut,  den  man  mit  einer  Feder  schmückt.  Am  Hofe  Ludwigs  XIH. 
trägt  man  noch  den  Federhut  ^),  der  je  nach  der  augenbhcklichen  Mode 
mehr  oder  minder  an  einer  Seite  aufgekrempt  wird.  Den  Hut  behielt 
man  auch  im  Zimmer  auf,  bei  Tafel  u.  s.  w.^)  Der  dreieckig  auf- 
geschlagene Hut  wird  unter  Ludwig  XIV.  modern;  zunächst  wird  auch 
er  mit  Federn  geschmückt,  jedoch  gegen  Ende  des  Jahrhundt^rts  besetzt 
man  nur  die  Kanten  des  Dreispitzes  mit  einer  Federborte  (Plumage) 
und  diese  Form  hat  sich  bis  tief  in  das  18.  Jahrhundert  zu  erhalten 
gewufst.     Auch  Damen  tragen,  wenn  sie  ausreifen,  den  dreieckigen  Hut. 

Der  Mantel  gehört  nicht  mehr  unbedingt  zur  Gesellschaftstoilette. 
Wenn  der  ganze  Zuschnitt  der  Kleidung  nun  auch  einen  soldatischen 
Charakter  hat,  so  verstanden  es  die  A-la-Mode-Herren  doch,  durch  allerlei 
Schleifen  und  Bänder  dem  Anzug  etwas  Kokettes  zu  verleihen.  Die 
Moralisten  wie  Logau,  Moscherosch  und  viele  andere  haben  diese  Ver- 
irrungen  ernst  getadelt,  zahlreiche  Karrikaturen  sind  erschienen,  allein 
die  Mode  erhält  sich,  bis  sie  durch  eine  neue,  welche  die  Tracht  am 
Hofe  Ludwigs  XIV.  als    Muster    nimmt,    verdrängt   wird.     Noch    einmal 


tragen  für  andern  weit  lang  aufsfliegende  kleydcr  in  grossem  umbschwciff ;  nacher 
Meylandt,  Florentz  und  Rhom  an  des  Bapsts  hoff  ist  ein  überfluffs  niancherley  selt- 
zanier  leut  und  kleydung  sunderiieh  an  dem  weibsbildt  .  .  .  An  ettlicben  orten  gehen 
nocli  heut  (he  junckfrawen  gehült  und  geschleyrt,  lassen  sich  kaum  sehen.  ...  In 
Kmilia  und  Cisalpina  (iallia  tragen  die  weiber  Hispanisch  kleydung,  die  mann  Fran- 
tzösisch.  Newlich  entljlöfsten  sich  die  Venediger  weiber  an  armen  und  brüst  gar,  yetz 
decken  sy  sich  mit  weiter  waat  und  grofsen  ermein.  .  .  .«  (fol.  Lxxvj  ^).  *) 
Vgl.  über  der  Ungarn  Kleidung,  fol.   Lxxx  ^. 

1)  Kultnrg.  Bilderb.  IV,  S.  VI,  VII;  vgl.  N.  1712,  1713,  1773. 

2)  Ebend.  N.  1729,  1761. 


248  I^^-   ^^^^  Kleidung. 

wird  Frankreich  das  Vorbild  der  eiiropiüsclioii  Mode,  selbst  im  viel 
höheren  Grade  als  im  12.  und  13.  Jahrhundert,  da  sich  jetzt  seine  Macht 
l)is  nach  Polen,  Rufsland,  Skandinavien  erstreckt.  Aber  wohl  gemerkt, 
das  ist  nur  die  Kleidung  der  oberen  Gesellschaftskreise.  Wie  stechen 
die  ehrsamen  Gildenvorsteher  Hollands  mit  ihren  schüchten,  dunklen 
Tuchröcken  und  ihrem  weifscn  Überschlagkragen  ab  von  den  Kavalieren, 
die  Van  Dyck  malt,  von  den  Herren,  die  Abraham  Bosse  in  seinen  so 
wertvollen  Kupferstichen  uns  vorführt.  Wenn  je,  so  hat  es  während 
des  17.  Jahrhunderts  Standestrachten  gegeben;  was  für  die  eine  Gesell- 
schaftsklasse gilt,  darf  man  nicht  bei  einer  anderen  voraussetzen.  Ja,  in 
den  deutschen  Städten  unterscheiden  sich  selbst  Protestanten  und  Katho- 
Hken  in  ihrer  Kleidung.  Im  allgemeinen  Schnitt  sind  die  Kleider  des 
Adels  und  der  Bürger  wohl  gleich,  indessen  verschieden  im  Stoffe,  in 
der  Farbe,  im  Ausputz. 

Seit  dem  Dreifsigjährigen  Kriege  bis  auf  die  Zeit  der  französischen 
Revolution  ist  die  Männertracht  im  grofsen  und  ganzen  immer  die 
gleiche.  Ob  die  Schuhe  mit  Schleifen  oder  mit  Schnallen  verziert  sind, 
ob  die  Strümpfe  aus  Seide  oder  Wolle,  ob  die  Westen  überlang  oder 
kürzer  sind,  der  Rock  an  den  Ärmeln  Aufschläge  (Brandenbourgs)  hat, 
mit  Goldtressen  besetzt  oder  mit  Stickereien  verschönert  ist,  das  sind 
die  alleinigen  Schwankungen  des  Modegeschmackes. 

Eine  notwendige  Ergänzung  des  hier  entworfenen  Bildes  ist  in  der 
Form  der  Haartracht  zu  suchen.  Es  sei  deshalb  gestattet,  hier  noch 
kurz  zusammenzufassen,  was  uns  über  diese  Frage  bekannt  geworden 
ist.  Die  Völker  diesseits  der  Alpen  trugen  im  Gegensatze  zu  den 
Römern  das  Haar  lang,  den  Bart  unverkürzt.  Zur  Zeit  Karls  des 
Grofsen  stutzt  man  das  Haar,  rasiert  sich  und  läfst  nur  einen  kleinen 
Schnurrbart  ungeschoren.  Diese  Mode  scheint  in  den  nächsten  Jahr- 
hunderten die  herrschende.  Otto  III.  erscheint  auf  dem  bekannten 
Bilde  bartlos  1),  Heinrich  IL  dagegen  pflegt  wieder  seinen  bescheidenen 
Bartwuchs.  ^)  So  beginnt  aufs  neue  eine  Zeit,  die  den  Bart  zu  schätzen 
wufste.  Im  12.  Jahrhundert  flechtet  man  ihn  zusammen,  umwindet  ihn 
mit  Perlenschnüren,  und  dann  kommt  im  13.  Jahrhundert  wieder  eine 
Periode  der  Bartlosigkeit.  Die  Haare  werden  glatt  über  der  Stirn  ab- 
geschnitten und  man  läfst  sie  bis  über  die  Ohren  herab,  ja  dafs  sie  den 
Hals  berühren,  wachsen.  Wem  die  Haare  abhanden  gekommen  waren, 
behalf  sich  schon  damals  mit  einer  Perücke. 

Im  14.  Jahrhundert  unter  den  Luxemburgischen  Kaisern  kommt 
der  Bart  wieder  zu  Ehren.  Mit  dem  Haupthaar  wird  aller  erdenkhche 
Unfug  getrieben.  Bald  schor  man  den  Nacken  kahl  (s.  o.  S.  232),  bald  wieder 
toupiert  man  die  Haare,  dafs  sie  in  wilden  Locken  das  Haupt  umgeben. 
Unter  den  habsburgischen  Kaisern  Friedrich  HL  und  Maximihan  liebt 
man  glatt  rasiert  einherzugehen,  allein  dann  fängt  wieder  eine  Periode  an, 
die  den  Bart  schätzt.  Er  \nrd  in  allerlei  Formen  getragen,  als  breiter 
Kinnbart    (Henri   quatre),    als   spitzer,    schmaler   Kinnbart    (Karl  I.  von 

1)  H.  Jauitschek,  Gesch.  d.  deutschen  Malerei  (BerHn  1890).  Taf.  z.  S.  72.  — 
E.  Förster,  Denkm.  deutscher  Baukunst  etc.  II.  —  ^)  Ebend.  U. 


5.  Das  17.  Jahrhundert. 


249 


250 


III.  Die  Kleidung. 


Spottbikl  ii.  d.  Mode. 


England)  u.  s.  w.  Erst  unter  Ludwig  XIV.  beginnt  man  den  Bart  ganz 
zu  beseitigen.  Logau  macht  schon  seine  Bemerkungen  über  diese  natürhch 
in  Deutschland  wiederum  sofort  angenommene  Sitte. ^) 

Man  fleist  sicli  ietzt  den  Bart  vom  Maule  zu  gelosen 
Und  meint,  es  kumme  her,  ich  glaubs  auch,  von  Frantzosen. 
Zur  Zeit  des  Königs  Franz  I.  fing  man  an,  die  Haare  kurz  zu 
schneiden.  Ludwig  XL  und  Maximilian  hatten  noch  lange  Haare 
getragen;  mit  Karl  V.  beginnt  auch  in  Deutschland  die  Zeit  der  kurz- 
geschorenen Köpfe.  Ludwig  XIH.  jedoch  liebt  wiederum  das  lang  herab- 
wallende, gelockte  Haar,  wie  auch  Karl  I.  von  England  und  seine  Kavaliere 
es  zu  tragen  gewöhnt  war^n.  In  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts 
lassen  die  englischen  Kavaliere  und  ihnen  tun  es  die  Modegecken  alier 
Länder  nach,  die  Hauptliaare  lang  wachsen,  ja  auf  der  einen  Seite  be- 
trächtlich länger  als  auf  der  anderen.-)  Die  englische  Revolution  bringt 
die  kurzgeschorenen  Rundköpfe  zur  Regierung.  Wer  von  den  Hof- 
herren über  einen  so  üppigen  Haarwuchs  nicht  verfügt,  der  behilft  sich 
mit  einer  Perücke.  Früher  hatten  nur  Kahlköpfe  von  diesen  Behelfen 
Gebrauch  gemacht,  jetzt  wird  die  Mode  allgemein  angenommen.  Auch 
wer  noch  nicht  kahl  war,  liefs  sich  die  Haare  kurz  scheren  und  setzte 
sich  die  schön  frisierte  und  gepuderte  Perücke  auf.  Schon  die  Königin 
Elisabeth  von  England  trug  eine  blonde  Perücke^),  allein  einzig  in  der 
Absicht,  ihre  dünnen,  grauen  Haare  zu  verbergen.  In  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  wird  die  Perücke  von  allen,  die  auf  Vornehmheit 
Anspruch  erhoben,  getragen.'*)     Man  nimmt  an,  dafs  um  1626  die  fran- 

i)  8innuc(lichtc  II,  3,  '.il  n.  3S ;  III,  4,  41. 

^)  V<il.  die  interessanten  S])otthilder  (c.  1(3'28— 1032^  im  Kulturh.  Bilderbuch  III, 
N.  1660-64  und  N.  1666. 

')  Kurios.  I,  tiT3. 

*)  Rangonis  Liber  de  Capillamentis  vulgo  Perücken.  Magdeb.  1663.  —  Thiers, 
Histoire  des  Perruques  Paris  1690.  —  Nicolai,  Geschichte  der  Perücken.  Berlin  1800. 
Vgl.  auch  Kuriositäten   I,  378  u.  Anm. 


5.  Das  17.  Jahrhundert. 


251 


zösischen  Hofleute  und  wer  dieselben  als  Muster  der  Mode  nachahmte, 
mit  dieser  Tracht  den  Anfang  gemacht  haben;  1660  trugen  schon  die 
Geisthchen  Perücken.  Papst  Innocenz  XII.  verbot  1693  den  katho- 
lischen Priestern  den  Gebrauch  der  Perücken;  ohne  Erfolg.  1670  war 
die  Mode  schon  über  ganz  Europa  verbreitet.  Der  gelehrte  Kanzler 
V.  Ludmg  schrieb:  »Die  grofse  Carre  Perruque  ist  unter  allen  Perücken 
die  kostbarste  und  prächtigste.  Sie  macht  den  Menschen  fast  dem 
Löwen  gleich.«^)  In  Preufsen  wurde  schon  1698  eine  Perückensteuer 
eingeführt.  Für  alle  Stände  waren  besondere  Formen  vorgeschrieben, 
und  diese  Gesetze  handhabte  man  mit  aller  Strenge.  Der  Benedikter 
Wihbald  Kobolt  veröffenthchte  1738  in  Augsburg  ein  Werk  »Grofs-  und 
kleine  Welt«  und  spricht  da  auch  über  die  Perücken:  »Kaum  gelanget 
ein  mancher  armer  Schlucker,  ein  hungericher  Dinten-Schlecker  zu  einem 
Dienstlein,  da  mufs  gleich  ein  guter  Teil  der  Besoldung  auf  die  Haar- 
Kramerey,  auf  eine  Staats-Peruquen  verwendet  werden,  auch  wenn  im 
Hause  alles  fehlt,  Weib  und  Kind  Not  leiden.  <  Es  gibt  spanische  und 
französische  Perücken.  Der  Haarbeutel  soll  um  1730  modern  geworden 
sein,  der  Zopf  erst  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  nachdem  er  vor- 
her schon  bei  den  Soldaten  eingefülirt  war. 


Perüfken  im  17.  und  IS.  Jahrhundert. 


Ganz    besonders    interessant    sind    die    Mitteilungen,    die    wir    in 
Moscherosch'  Geschichte  Philanders  von  Sittewald  findfMi.-)    Das  Werk  ist 


0  Kurios.  IX,  518. 

^)  Ich    benutze    die  Ausgabe  von  Fchx  Bobertag    in    der    Deutsch.  National-Litt. 
Rand  32. 


252 


III.   Die   Kleiduni. 


Spottljild  auf  die  weibliche  Tracht. 
Aus  der  ersten  Iliilfte  des  17.  Jahrhunderts. 


1642  erschienen,  schildert   uns  also   die  Zustände    kurz    vor  Beendigung- 
des  Dreifsigjährigen  Krieges. 

Die  vornehmen  Damen  »Fürstliche  und  Grävliche  Frawenzimmer« 
»wollen  selbst  nicht  allein  alle  Viertel  Jahr,  alle  Monat,  mit  grossen 
Unkosten  und  vergeydung  der  armen  Unterthanen  Schweifs  und  Bluts 
newe  Trachten  haben,  die  man  Ihnen  auff  der  Post  mit  a  la  mode  be- 
kleideten Puppen  und  Tocken  von  Parifs  zuschicken«  mufs,  sondern  sie 
lassen  ihre  Hofschneider  nach  Paris  reisen  und  dort  ausbilden.^)  Um 
den  Röcken  eine  ge^^dsse  Fühe  zu  geben,  legt  man  um  die  Hüften  ge- 
füllte Wülste  (Würste  nennt  sie  Moscherosch),  die  bis  25  Pfund  schwer 
sind.  Man  bezeichnet  sie  als  Speck,  Weiberspeck.^)  Neben  diesem 
Toilettenbehelf  brauchen  die  Frauen  »Grosse  gepulster  unnd  Reylf- 
schürtze;<^),  also  den  Reifrock,  der  nach  des  Autors  Ansicht  ;  v?n 
lüderUchen  Weibern  erfunden  wurde,  »Soltestu  sie  umbfangen  und  be- 
greifen, du  ^\'irdest  nichts  als  Karten -Papier,  groben  Zwilch  und  Lum- 
pen finden,  mit  welchem  allen  ihre  Schnürbrüste,  Brusttücher  und 
Röcke  gefüllet  sind,  damit  sie  dem  verstehen  Leib  irgend  ein  ansehen 
und  gestalt  geben  möchte«.'*)  Die  häfshchen  Gesichter  zu  verstecken, 
hat  man  die  ISIasken  und  Florschleier  erdacht;  die  hohen  Krösen  oder 
Krausen  sollen  die  Narben  am  Halse  verdecken,  die  von  bösen  Krank- 
heiten herrühren,  die  weiten  Ärmel  verbergen,  wenn   eine    bucklig   ist.^) 

1)  S.  149. 

2)  S.  151.  —  Ein  Spottbild  auf  diese  Mode.  —  Kultiirgesch.  Bilderb.  HI.  N.  1554. 
^)  S.  179.    —   Die    gros.sen  Weiberröck    mit    den  Reiffen.     (Clirist.  Platt-Eifg,  der 

politische  .  .  .  Stock-Fisch  Froelichs-Burg  1723.) 
*)  S.  178.  —  5)  s.  93. 


5.  Das  17.  Jahrhundert. 


253 


Mit  Pflastern  aus  schwarzem  Taft  beklebt  man  das  Gesicht^),  das  sind 
die  noch  über  hundert  Jahre  beUebten  Schönheitspflästerchen ;  das  Haar 
pudern  ahe  Leute,  um  ihre  grauen  Haare  unter  Cyperpulver  zu  ver- 
stecken, aber  aucli  Jungfrauen  in  den  besten  Jahren  heben  es  mit  grauen 
statt  schwarzen  Haaren  zu  erscheinen-).  Dazu  kommt  der  Gebrauch  der 
Schminke  zur  Färbung  der  Wangen  und  der  Lippen,  der  falschen  Haare, 
die  mit  dem  Brenneisen  gekräuselt  sind,  die  gemalten  Augenbrauen,  die 
Anwendung  von  Zibet-Bisam  und  anderen  Wohlgerüchen,  mit  denen  sie 
auch  Strümpfe  und  Handschuhe  parfümieren.  Mit  einem  Worte :  die 
Kunst  hat  zu  ersetzen,  was  die  Natur  versagt.  »Vestissez  buisson, 
semblera  baron«^). 

Die  Männer  aber  eifern  den  Frauen  in  dem  Ausdenken  von  ä-la- 
mode-Torheiten  nach.  Die  Haare  sind  ins  Gesicht  gekämmt,  verdecken 
die  Stirne,  reichen  bis  auf  die  Schultern.  Auch  Männer  wenden  den 
Haarpuder  an*).  Die  Deutschen  lassen  sich  das  Haar  kurz  schneiden, 
allein  die  wälsche  Mode  verlangt  die  langen  Haarlocken^).  Dazu  kommen 
allerlei  Bartschnitte  ^),  von  denen  Mosch erosch  neunzehn  anführt.  Auch 
da  mufs  noch  das  Brenneisen  nachhelfen.'^) 
Wams,  Hosen  und  Strümpfe  sind  nach 
Pariser  Schnitt^);  Scharlach,  Atlas  und  Samt 
wird  zu  den  Kleidern  verwendet^);  aus 
England  kommt  das  feine  Tuch^").  Der 
Stutzer  trägt  gelbseidene  Strümpfe  und 
weifse  Schuhe ^^).  Die  langen  Hosen  aber 
sind  von  Leuten  erfunden  worden,  die] 
krumme  oder  dürre  Beine  haben  ^^). 

»Dann  trägt  man  kurtz,  dann  lange  Rock, 
Dann  grosse  Hut,  dann  spitz  wie  Weck, 
Dann  Ermel  lang,  dann  weit,  dann  eng, 
Dann  Hosen  mit  viel  harb  und  spreng.«*^) 

Der  lange  Reitermantel  wird  auch 
von  Leuten  getragen,  die  nie  ein  Rofs  be- 
stiegen^'*) und  ebenso  die  langen  Stiefel, 
die  für  den  Reiter  eine  Notwendigkeit  sind.  ^^) 

Die  Form  des  Hutes  wechselt  fast 
alle  Vierteljahr,  bald  sieht  er  aus  wie  ein 
Buttertopf,  bald  wie  ein  Zuckerhut,  wie 
ein  Kardinals-,  wie  ein  Schlapphut;  bald 
ist  die  Krempe  breit,  bald  ganz  schmal; 
jetzt   wird    er   aus    Ziegenhaar,    dann    aus 


»)  S.  76.  —  ä)  S.  180,  181.  —  3)  s.  66  ff.  — 
*)  S.  180.  —  5)  S.  143  ff.  —  6)  Boni  sperati  barba 
defensa.  S.  Dissertatio  de  barba  Lips.  1690. 
—  ')  Seite  144.  —  »)  Seite  146.  —  »)  Seite 
150.  —  10)  S.  159.  —  ")  S.  175.  —  ")  Seite 
179.  —  ")  8. 142.  —  ")  S.  143,  179.  —  '»)  Seite 
143 :  ein  par  Stiffel  bis  an  Lätzen  anziehen. 
Seite  180. 


Wenzel  lloUar,  Weibliche  Tracht 
um  1640. 


254 


III.    ltit>   KUM.lunü. 


Kamelswolle,  ans  Bi- 
berpelz u.  s.  w.  ge- 
macht. Oder  er  gleicht 

einem    Schwarzwäl- 
dov,    schweizerisclien, 

holländischen  oder 
Münster-Käse^).  Als 
Reisehut  wird  der 
Chapoau  de  fiiyart 
gebraucht,  der  selbst 
dem  Sturme  stand 
hält.  Auch  diese  Mode 
machen  Narren  mit, 
die     nie     eine     Reise 

unternommen  ha- 
ben.2)  Der  Chapeau 
de  fuyart  mufs  Ähn- 
lichkeit mit  einem 
Münsterkäse  haben^). 
Für  den  Wanderer 
ziemt  sich  der  Stab, 
aber  jetzt  trägt  jeder 
Stutzer  einen  Stock.'*) 
Wenn  ein  Jäger  sei- 
nen Hut  mit  den  Fe- 
dern des  von  ihm  er- 
legten Kranichs  oder 
Reihers  schmückt,  so 
ist  das  nur  in  der 
Ordnung ,  aber  un- 
gereimt bei  Leuten, 
die  nie  ein  Feuergewehr  gesehen  haben. ^)  Grofsen  Luxus  treibt  man 
mit  den  Hutschnüren*^).  Auch  die  Form  der  Kragen,  der  ümbschläge 
oder  Überschläge,  die  unsere  Newlinge  Rabbat  nennen«,  wechselt  schnell. 
Bald  sind  sie  ellenl)reit,  bald  eine  halbe  Viertelelle,  vorn  gleich  oder 
mit  spannenlangen  Zipfeln'^). 

>Dann  Stiffel,  dann  Schue,  dann  Dägen,  dann  Wehr-gehencke,  dann 
Sporen,  dann  Wambs  unnd  Hosen,  dann  Hüte  unnd  Strimpff,  dann 
Nestel  und  Bänder,  das  sich  zu  verwundern.«^) 

Die  Modefarben  sind  xColombin,  bleu-mourant.  Isabelle,  Coqui- 
nelle  etc.«     Besonders  schätzt  man  Scliillerfarben.^) 


3}  S.  180.  —  •>)  S.  180. 


a  (,  iii  JoLt  n.>crir  j-q-llj  jcj  jyLeüj  hus  'Vi.au  aiixaij  : 
U..  ^arn^cLLac  e^ciat  de.  lejj^r   ricKc   Cau,rixrvru^ 
.-b  rille    TTia-irui  p-LLt  L  e^jcLaz  de.  jej  TO/rej  HJe^tuj . 

Vime-Marie  d'Orleans-Longueville,   Diu-hesse  de  Xemours. 
Henri  Beaubrun  pinx.  —   Rob.  Xanteuil  sc. 


') 

s. 

142.  - 

-  «)  s 

14c 

i-] 

s. 

180. 

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s. 

181. 

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s. 

181;   ^ 

•gl.  s. 

120 

«) 

s. 

181. 

9^ 

s. 

182  ff. 

5.  Das   17.  Jahrhundert. 


255 


Überau.s  interessante  Einzelheiten  über  die  Tracht  um  die  Mitte 
<les  17.  Jahrliunderts  (1652)  teilt  uns  Johann  Lauremberg  in  seinen 
Niederdeutschen  Scherzgedichten^)  mit,  und  zwar  besonders  in  dem 
zweiten  »Van  Allemodiseher  Kleder-Dracht  c 

Eine  der  wunderlichsten  Ausgeburten  der  Modephantasie  war  die 
Erfindung  des  Gänsebauches.  An  dem  Wams  war  vorn  eine  Art 
ausgestopfte  Spitze  angebracht,  wie  wir  in  der  Maske  des  Polichinelle 
sie  noch  erhalten  finden.-) 

Für  die  erste  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  bieten  uns  die  Frauen- 
bildnisse von  Van  Dyck  und  den  anderen  grofsen  Porträtmalern  die 
besten  Anhaltspunkte.  Die  Taille  ist  weit  ausgeschnitten,  so  dafs  die 
Brust  recht  sichtbar  wird^);  die  Ärmel  werden  gepufft;  der  Rock  er- 
scheint faltig;  eine  Anzahl  Unterröcke  geben  ihm  mehr  Fülle;  das  jetzt 
allgemein  getragene  Korsett  mit  seinen  Stahlschienen,  lälst  den  Wuchs 
schlanker  erscheinen  und  prefst  den  Busen  hoch.  Beliebt  sind  die 
Atlasstoffe,  die  auch  in  der  späteren  Zeit  noch  gern  getragen  werden. 
Die  Mode  um  1630  scheint  in  der  Tat  überaus  anmutig,  bietet  viel- 
leicht das  erste  Mal  eine  Tracht,  die  auch  ims  unbedingt  zu  gefallen 
vermag.  Viel  trägt  dazu  bei  die  geschmackvolle  Frisur,  die  leichten 
Stirn-  und  Schläfenlöckchen  u.  s.  w.  Weniger  können  uns  die  Er- 
scheinungen der  holländischen  Damen  befriedigen,  wie  wir  sie  auf  den 
Gemälden  von  Frans  von  Mieris^),  Gabriel  Metzu'"'),  Gerhard  Douw^), 
Gerh.  Terborch^)  dargestellt   finden.     Die   hohen,    allerdings  züchtigeren 

1)  Neudruck  hgg    v.  Wilhehn  Braune.  Hallel879. 

*)  Besonders  instruktiv  ist  die  Darstellung  des  Fahnenträgers  von  Heinrich  Golt- 
zius.  —  Knlturg.  Bilderbuch  III,  N.  1368. 

')  Friedr.  von  Logau,  Sämtliche  Sinn<redichte,  hcrg.  G.  Fitncr.  Tül)  1872  S  95 
(N.  92,  95). 

Englische  Tracht. 

Die  Jungfern,  die  das  geile  Rund, 

Das  zu  der  Liebe  legt  den  Grund, 

So  frech  ans  Lichte  stellen  aus, 

Die  sind  ein  rechtes  Ballen-Haus 

Da  stets  der  Ballen  liegen  viel 

Und  warten  dem,  der  spielen  wil. 
Die  weit  ausgeschnittenen  Kleider  der  Prin- 
zessin Eli.sabcth  von  England,  der  Gemahlin  des 
Winterkönigs,  erregten  in  Prag  grofses  Ärgernis.  Flo- 
rinus,  Haus-Vatter.  Buch  I.  Abt.  III,  Kap.  H,  §  26. 
—  Kulturhist.  Bilderb.  IV.  N.  1742,  1744,  1746,  1758, 
1892,  1893,  1906,  1907 

Oft  wird  auch  die  ganze  Brust  entblöfst ;  so 
gibt  es  z.  B.  ein  Porträt  eines  jungen  Mädchens,  ge- 
malt von  Jakob  Adrian  Back  er  (1608—1614), 
das  beide  Brüste  weitaufgedeckt  zeigt.  Das  Bildnis 
einer  Bafsgeigenkünstlerin  von  Bernardo  Strozzi 
(1581 — 1644)  in  der  Dresdener  Gallerie  ist  gleichfalls 
der  ausgiebigsten  Entblöfsung  wegen  beachtenswert. 
')  Kulturg.  Bilderb.  V.  N.  2528.  —  <*)  Ebcnd. 
V.  N.  2527.  —  6)  Ebend.  V.  N.  2525  —  ')  Ebend. 
V.    N.  2449,  2450,  2519  (vgl.  2520),  2523,  2524.  w.nxoi  iioUar,  iiaartn„.ht. 


256 


in.    Die  Kleidung. 


5.  Das  7.  Jahrhundert. 


257 


Schultz,     Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


17 


258 


III.  Die  Kleidung 


5.    Das  17.  Jahrhundert. 


259 


Jfännertracht 


um  1670—80. 


Mänuertracht, 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts 


Mannertrat'ht, 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts. 


Münnertracht 


Mitte  des  17.  .Talirliiiiiderts. 


(Nach  August  von  Ileyden,  Die  Tracht  der  Kuropaischen  Kulturv.. 


Iker.     Lpz.  18S!>. 

17* 


260 


]11.    I>ii>   Kleiilmu 


weiTsen  Atlaskleider  mit  den  sc-lnvarzen  Samtbesetzen  sehen  etwas  steif 
aus,  und  aueh  die  ]>elzverbräniten  Hausjäckchon  entbehren  jedes  ver- 
führerischen Reizes  (s.  o.  S.  269,  270).      Pic  Ilaartrai-lit,  <lanials  allgemein 


Jakob  Gole  (1660—1737):    Mode  von  1094. 


von  den  Damen  der  guten  Gesellschaft  angenommen,  liel's  die  Stirnhaare 
breit  zurück  streichen ,  zwei  Scheitel  fafsten  diese  Mittelsträhne  ein. 
Schläfenlöckchen  geben  den  Gesichtern  einen  etwas  koketten  Anschein.^) 
Die  Frauenmoden  wechseln  im  Laufe  des  17.  Jahrhunderts  vielfach, 
wie  wir  das   an   den   im  Kupferstich   oder   in  Gemälden  uns  erhaltenen 

1)  Kulturg.  Bilderb.  IV,  N.  1756,  1757,  1891,  2142. 


5.  Das   17.  Jahrhundert. 


261 


Porträts  verfolgen  können :  die  Taillen  sind  bald  kürzer,  bald  länger, 
die  Ärmel  weiter  oder  enger,  die  Oberkleider  vorn  aufgeschlitzt,  dafs 
das    Unterkleid    sichtbar   wird,    oder    geschlossen.     Die   gewaltigen  Reif- 


Balth.   Alilcitiier,  Bildh    in  München:   Ferdinand  Maria,  (V)  Kurfürst  von  Bayern  (Iiiül—IGTO) 
und  seine  Genialilin  Adelheid  v<iii  Savoyen.    (Relief  aus  lürnlianniholz  i.  Xationalmusenin  zu  >[ünchen.) 


rocke  (Vertugadins)- werden  schon  jetzt  eine  Zeitlang,  zumal  am  spani- 
schen Hofe,  getragen.  Sie  sind  aber  nicht  kreisrund,  sondern  oval,  die 
gröfste  Breite  von  den  Hüften  zu  den  Hüften  (vgl.  zumal  die  Porträts 
von  Velas(|uez).  Die  Haare  scheitelt  man  bald  in  der  Mitte,  bald 
schief,  wie  das  bei  den  spanischen  Infuntinnen  zur  Zeit  des  Velasquez 
beliebt  war  (Las  Meninas,  —  Pradomuseum  z.  Madrid),  man  toupiert  sie, 
setzt  allerlei  Kopfputz  auf;    in    den  letzten  Jahren   des  17.  Jahrhunderts 


262 


III.  Die  Kleidunjr. 


wird  von  Vornehm  und  Gering  das  Spitzenlüiubchon,   die  Fontange,  ge- 
tragen.^)     Das    ist    die   Modetracht,    wie    sie    in    den   Radierungen    von 


.Jakob  Gole  IG'.U  :   liame  de  Qualite  en  Echarpe  (mit  der  Fontange). 

Jacques  Callot  (1592—1635)2),   j^^  j^^  Stichen  nach  Jean   de  Saint  Igny 
(1600,  c.  1650)3)    für    die  erste  Hälfte  des  Jahrhunderts  dargestellt  wird. 

1)  Vgl.  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois,  Lcs  magasins  de  nouveaut^s  *** 
(Paris  1896)  p.  215  fE. 

2)  La  noblesse  lorraine  vere  1625.  —  Kulturg.  Bilderb.  IV.    N.  1832—43. 

3)  Kulturg.  Bilderb.  VI.  N.  1786—1803. 


5.  Das  17.    Jahrhundert. 


263 


a  s 


Ö3         S 


i>f)4 


III.  Die  Kleiduiit 


Die  Zeit  Ludwigs  XIV.,  die  Mode  der  Fontange^),  lernen  wir 
kennen  durch  eine  Anzahl  nach  den  Zeichnungen  von  J.  D.  Saint-Jean 
gestochene  Blätter-)  (s.  o.  S.  '2>oo,  1).  Dann  kenne  ich  noch  sechs  Schwarz- 
kunstblätter von  J.  Gole  und  P.  Schenk,  »Les  Modes  pour  les  danies 
de  qualite  de  lannee  1694«. 3)     (S.  o.  S.  260.  261). 

Das  sind  die  französischen  Modetrachten.  Welche  Nation  speziell 
Romevn  de  Ilooghe  (1645 — 1708)  im  Auge  hatte,  als  er  seine  Modebilder 
veröffentlichte,  ist  nicht  ganz  sichergestellt.  Tch  glaube  al)er,  dals  er 
die  Kostüme  aus  den  Jahren  1670 — SO  uns  schildert  und  hauptsächlich 
französische  Moden  uns  vorführen  will."*) 

Für  Spanien  bieten  in  der  älteren  Zeit  die  Porträts  von  Alonso 
Sanchez  Coello  (t  1590),  für  das  17.  Jahrhundert  die  von  Diego  Velasquez 
(1599 — 1660)  und  andere  weniger  hervorragender  Meister  manche  Be- 
lehrung. Auch  die  allerdings  nicht  sicher  beglaubigten  Genrebilder  des 
Pedro  de  Moya  (1610 — 1666)  sind  wohl  zu  beachten. 

In  Italien  ist  für  die  Kenntnis  der  Kostüme  vom  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts  von  grofser  Bedeutung  Michelangelo  Amerighi  da  Cara- 
vaggio  (1569 — 1609),  dessen  Genregemälde  auch  in  dieser  Hinsicht  viele 

Anregung  bieten.    Es 

ist  im  Interesse 
der  Sittengeschichte 
zu  bedauern,  dafs  die 
Genremalerei,  die  in 
dem  eben  genannten 
Meister  einen  so  aus- 
gezeichneten Vertre- 
ter gefunden  hatte,  in 
Italien  nicht  gedeihen 


Komeyu  de  Hooghe  (lil4.J--1708) :  Traclitfnl.ikl  ca.   1G70-  SO. 


^)  Gespräche  in  dem 
Reiche  der  Toten  zwischen 
dem  französischen  Pater 
La  Chaise  und  der  Herzo- 
gin von  Fontanges,  von 
welcher  die  grofsen  Kopf- 
aufsätze  des  Frauenzim- 
mers den  Namen  haben  etc. 
M.  Kpfr.  4.  Lpz.  1720. 

*)  Kulturg.  Bilderb. 
V.  N.  2792—2835. 

3)  Vgl.  R.  Bonnart, 
Recueil  de  52  plBches  re- 
presentant  des  hommes  et 
des  femmes  habilles  ä  la 
mode  :  en  riches  costumes 
de  neglige,  de  promenade, 
de  chasse,  en  deshabille 
etc.  1685—93.  Paris  chez 
Henry  Bonnart. 

*)  Kulturg.  Bilderb. 
V.  N.  2691—2702. 


5.  Das  17.  Jahrhundert. 


265 


266 


III.    Die  Kleiduiiff. 


wollte.  Die  Arbeiten  von  Salvator  Rosa  bieten  gar  wenig,  und  so  sind 
Avir  ansschliefslich  auf  die  Werke  der  Porträtmaler  angewiesen,  an  denen 
es  ja  auch  nicht  fehlt.  Erst  im  18.  Jahrhundert  tritt  wieder  ein  interes- 
santer Genremaler  auf,  der  Venezianer  Pietro  Longhi  (1702 — 17G2),  merk- 
würdiger als  Sittenschilderer  wie  als  Maler.  Auch  der  Graf  Pietro  Rotari 
(1707—1762)  hat  einige  Sittenbilder  gemalt. 

Englische  Damen  hat  Wenzel  liollar  in  seiner  Folge  der  vier  Jahres- 
zeiten 1643,   1644  trefflich  geschildert.^) 

Die  deutschen  Trachten  des  17.  Jaln-hunderts  lernen  wir  durch 
die  zahlreich  erhaltenen  Gemälde  und  Kupferstiche  jener  Zeit  am  besten 
kennen.  Zwar  ist  unsere  Kenntnis  im  grofsen  Ganzen  noch  immer 
einstweilen  eine  recht  unzureichende,  indessen  unterliegt  es  keinem 
Zweifel,  dafs,  sobald  man  der  Sache  nur  einige  Aufmerksamkeit  zuwendet, 
auch  diese  Frage  wenigstens  leidlich  gelöst  werden  kann.  Es  gilt  da 
vor  allem,  die  alten  Porträts  aufzusuchen  und  ihre  Herkunft  festzustellen. 
Das  Münchener  Nationalmuseum  enthält  zahlreiche  solche  überaus 
interessante  Bildnisse,  andere  sind  im  Germanischen  Museum  zu  Nürn- 
berg zu  finden.  Aber  hauptsächlich  wird  man  in  den  Lokalmuseen 
Umschau  halten  müssen.  In  Frankfurt  sollte  man  den  Arbeiten  des 
Sebastian  Furck  (1589 — 1666)  und  des  Matthäus  Merian  nachgehen,  in 
Ki»ln    die  Bilder  von    Gualdorp  Gortzius,    Fanz  Kessler,  von  Gotth.  de 

Wedig  (c.  1625  —  40 
nachzuweisen),  an  an- 
deren Orten  die  der 
lokalen  Meister  auf- 
suchen und  verwerten. 
Die  Durchforschung 
der  Porträtstiche  wdrd 
sich  sicherlich  als  sehr 
förderlich  erweisen ; 
dafs  die  Stammbücher 
nicht  vernachlässigt 
werden  dürfen,  wurde 
schon  hervorgehoben. 
Die  drei  Blätter,  die 
in  dem  Kulturg.  Bil- 
derbuche IV,  N.  1965 
bis  1667  nach  den  Ge- 
mälden von  Furck  ver- 
öffenthcht  sind,  stam- 
men aus  dem  Jahre 
1639.  Die  Frankfurter 

Patrizierfrau  trägt 
einen  hohcMi  Spitzen- 
kopfputz,   die    zweite 

*)  Kulturg.    Bilderb. 
ebastian  Furck,  Frankfurter  J'atrizieriii  um  Itj.i'j.  IV.   N.   2073 — 76. 


5.  Das  17.  Jahrhundert. 


267 


268 


III.    Die  Kloi.lun. 


Bürgersfrau  eine  Pelzmütze  und  den  Mühlsteinkragen  und  die  dritte 
ist  wiederum  ganz  anders  gekleidet.  Diese  Mannigfaltigkeit  der  Tracht, 
die  in  jeder  Stadt,  in  jedem  Landstrich  ihre  besondere  Eigentümlich- 
keiten aufzuweisen  hat,  lernen  wir  am  besten  kennen,  wenn  wir  uns 
in  die  auch  als  Kunstwerke  hochbedeutenden  Kupferstichfolgen  von 
Wenzel  HoUar  vertiefen.  Unter  dem  Titel  Ornatus  Muliebris  hat  er  um 
1640  eine  Reihe  von  Stichen  ausgeführt,  von  denen  in  dem  Kulturg. 
Bilderbuche  eine  Auswahl  (IV.  N.  2077— 2096)  veröffentlicht  worden  ist. 


litzerei  a.  d.  National-Mi 


München  ■) 


Darstellungen  von  Modedamen,  aber  auch  von  Bürgersfrauen,  Mägden 
u.  s.  w.  (IV.  2111 — 2140,  vgl.  auch  2141 — 43).  Weniger  zuverlässig  sind 
die  Stiche  der  »Aula  Veneris«  (1644),  von  denen  in  dem  erwähnten 
Bilderbuch  eine  Anzahl  mitgeteilt  wird.^) 

Es  erscheint  sehr  fraglich,  ob  der  Künstler  alle  diese  Bilder  selbst 
nach  der  Natur  gezeichnet,  ob  er  nicht  mehrere  nach  älteren  Aufnahmen 
gestochen  hat.  Dann  würden  aber  diese  Blätter  keine  Bedeutung  für 
die    Kostümgeschichte    der    Zeit   um    1640    besitzen.      Viel    zuverlässiger 


0  Vgl.  iinch  Kulturg.  Bilderb.  IV.  N.  2073-76. 


5.  Das  17.  Jahrhundert. 


269 


sind  die  Kopfpiitze  aus  dem  Reisebüchlein  von  1636  (ebend.  2195 — 2200), 
nur  fehlen  leider  die  Angaben,  an  welchem  Orte  der  Meister  diese 
Aufnahmen  gemacht  hat.  Und  dasselbe  gilt  von  den  hübschen  Rund- 
bildern, die  uns  die  Trachten  und  die  Kopfputze  aus  den  Jahren 
1639 — 45  darstellen  (ebend.  2015 — 50).  Manche  der  eigentümlich  ge- 
formten Pelzmützen  sind  noch  bis  in  unsere  Zeit,  z.  B.  im  Grödnertale, 
getragen  worden,  wie  denn  überhaupt  die  Bauerntrachten  fast  ausnahmslos 
auf  Moden  zurückgehen,  die  einst  von  den  Bürgerfrauen  gebraucht 
wurden.     Die  Bauern  haben  die  alte  Tracht  nur  länger  festgehalten. 

Sehr  interessant  ist  es,  das  Porträt  der  Frau  Dorothea  Antonia 
von  Buwinckhausen  aus  dem  Jahre  1680  (ebend.  V.  2767)  mit  den  Bild- 
nissen der  Augsburger  Patrizierfrau  Regina  Barbara  von  Zobel  (ebend.  V. 
2764),  die  1686  stirbt,  und  dem  der  Jungfrau  Clara  Böhin  (f  1680  — 
ebend.  V.  2765)  zu  vergleichen.  Die  adlige  Dame  trägt  das  allgemeine 
Modekostüm,  während  die  beiden  anderen  nach  der  Sitte  ihrer  Heimat- 
stadt gekleidet  sind. 

Speziell  Nürnberger  Trachten  (N.  Kleider-Arten)  veröffentlichten 
1669  bei  J.  Kramer  in  Nürnberg  die  Stecher  H.  J.  Schollenberger  und 
N.  Häublein.  Umfassender  war  das  Trachtenbuch,  -^Abbildung  der  ge- 
meinnützlichem Haupt- 
stände :< ,  dasl698Christ. 
Weigel  in  Regensburg 
herausgab.  Derselbe 
Stecher  lieferte  die  in- 
teressanten Illustrati- 
onen zu  Abrahams  a. 
S.  Clara  Neu  eröffneter 
Weltgallerie(o.  0.1703). 
Auch  in  Augsburg 
hatten  die  Frauentrach- 
ten viel  Eigenartiges. 
Es  sind  schon  früh 
Augsburger  Trachten- 
bücher erschienen.  Wie 
lange  diese  merkwür. 
digen  Moden  sich  hiel- 
ten, beweisen  die  zahl- 
reichen zierlichen 
Stiche  von  Johann 
Esaias  Nilson  (1721  bis 
1788). 

Ebenso  merkwür- 
dig sind  die  Kostüme 
der  Strafsburgerinnen, 
über  die  ein  Kupfer- 
werk    von    Fonbonne 

herauSP-eo-ebpn     wnrdp  ^'"'°'  ""'"  '^""''  (IöSö-ICSI):  Dame  mit  Papagei. 

XierdUbgegeoen     TVUrae,  (Alte  Pinakothek  iu  München.) 


270 


m.   Die   Kleiduni 


Kaspar  Netseher,  Gesaug  mit  Klavierbegleitung  (16G6.)    (Gemälde-Galerie  in  Dresden.) 

»Eigentliche  Vorstellung  der  heutigen  Strafsbürgischen  Mode-  und  Kleider- 
trachten. —  Representation  des  modes  et  habillements  qui  sont  en  usage 
ä  Strasbourg.     Chez  J.  D.   Doulseker  1731«. 

Auch  die  von  Engelhardt  gestochenen  Abbildungen  Augsburger, 
Nürnberger,  Strafsburger  Trachten  verdienen  beachtet  zu  werden. 

Die  belgischen  und  holländischen  Kostüme  kann  man  an  den 
Werken  der  grofsen  Porträtmaler  studieren.  Wenn  man  die  Bildnisse, 
die  Rubens,  van  Dyck,  Franz  Hals,  Michael  van  Miereveit,  Rembrandt 
und  so  viele  Meister  gemalt,  nach  den  Entstehungszeiten,  nach  dem 
Stande  der  Porträtierten  ordnet,  wird  man  leicht  eine  Einsicht  in  die 
Bewegung  der  Mode  auf  dem  Boden  der  Niederlande  gewinnen.  Das 
Aussehen  der  Bürger  und  besonders  der  Frauen  in  den  wohlhabenden 
Häusern  schildert  uns  Jan  Steen,  Gerh.  Douw,  Frans  van  Mieris,  Gabriel 
Metsu,  Gerh.  Terborch,  Konst.  Netscher  und  viele  andere. 

Die  Kostümgeschichte  Italiens  ist  noch  zu  schreiben.  Wir  haben 
Trachtenbilder  des  bekannten  Radierers  Stefano  della  Bella  (1610 — 64), 
aber  es  ist  nicht  sicher,  wo  er  die  gezeichnet,  ja  es  spricht  viel  dafür, 
dafs  er  französische  Erscheinungen  im  Auge  gehabt  hat. 


6.    Das  18.  Jahrhundert. 

Während  das  Männerkostüm  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts wenig  Veränderung  erleidet,  wird  die  Frauenmode  bald  ganz 
erheblich  umgestaltet.     Die  Haare  werden  hoch  auftoupiert,    von  Draht- 


6.  Das  18.  Jahrhundert.  271 

gesteilen  gehalten,  gepudert,  die  Spitzenhaube  der  Fontange,  nach 
der  Geliebten  Lud^Nägs  XIV.,  der  Herzogin  von  Fontanges  (1661 — 1681), 
so  genannt,  bleibt  bis  etwa  1714  beliebt.  Der  Reif  rock  erlangt  wieder- 
einmal  seine  Bedeutung.  Ich  habe  in  meinem  »Alltagsleben  einer 
deutschen  Frau  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts«  (Lpz.  1890)  die  Frauen- 
toilette eingehend  zu  schildern  versucht.^)  Die  Mode  kommt  aus  Frank- 
reich. Für  den  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  sind  die  Bilder  und  Zeich- 
nungen des  grofsen  Antoine  Watteau  von  Wichtigkeit-);  es  ist  aber 
wohl  zu  unterscheiden,  ob  der  Künstler  Theaterkostüme  uns  vorführt, 
und  das  tut  er  in  den  allermeisten  Fällen  —  solche  Anzüge  wurden  nur 
bei  Vorstellungen  der  Komödien  von  Schauspielern  getragen  —  oder 
ob  er  die  Erscheinung  der  vornehmen  Welt  uns  darzustellen  beabsichtigt. 
So  wird  man  die  von  Thomassin  fils  gestochene  Folge  »Figures  de 
Modes  etc.«^)  (S.  272)  und  manche  Schilderung  aus  der  Geschichte  seiner 
Zeit^)  wohl  für  die  Kostümgeschichte  benutzen  können,  dagegen  mufs 
man  sich  hüten,  eben  jene  »Comoedienbilder«^)  als  Darstellungen  des 
wirklichen  Lebens  jener  Tage  anzusehen.  Dasselbe  gilt  von  den  Ge- 
mälden des  Nicolas  Laueret  (1690 — ^1743);  einige  geben  uns  eine 
treue  Vorstellung  von  dem  farbigen  originellen  Treiben  der  Zeit  Lud- 
wigs XV.^),  andere  wieder  lassen  uns  einen  Blick  in  das  Theaterleben 
der  ersten  Hälfte  vom  18.  Jahrhundert  tun.')  Sehr  interessant  und 
unbedingt  zuverlässig  sind  die  Gemälde  von  Jean  Fran^ois  de  Troy 
(1645—1730)8)  und  des  J.  B.  Joseph  Pater  (1696  —  1736).  Karikiert 
hat  die  Modetraeht  vom  Jahre  1745  L.  P.  Boitard  dargestellt.^)  Während 
die  hier  angeführten  Maler  uns  die  Kreise  des  Hofes,  des  Adels,  mit 
einem  Worte  der  exklusiven  Gesellschaft  vorführen,  geben  uns  die  Genre- 
maler J.  B.  Simeon  Chardin  (1699 — 1779) i°)  eine  Vorstellung  von  dem 
Leben  des  Bürger  Standes,  dessen  Trachten  wir  durch  die  Radierungen 
von  Edme  Bouchardon  (1698 — 1762),  dem  berühmten  Bildhauer^^),  die 
Gemäldezeichnungen  und  Radierungen  des  hochgefeierten  Fran^ois 
Boucher  (1703 — 70)  ^^^  noch  genauer  kennen  lernen. ^^) 

')  Das  Hauptwerk  über  das  Kleiderwesen  jener  Zeit  ist:  Christ.  Weigel, 
Abbildung  der  Gemein-Nützlichen  Haupt-Staende  Von  denen  Eegenten  Und  ihren  So 
in  Friedens-  als  in  Kriegs-Zeiten  zugeordneten  Bedienten  an  bifs  auf  alle  Künstler 
u.  Handwercker,  Nach  jedes  Ambts-  und  Beruffs- Verrichtungen  meist  nach  dem  Leben 
gekennzeichnet  und  in  Kupffer  gebracht.    Regensp.)  1698. 

*)  Kulturg.  Bilderbuch. 

3)  Kulturg.  Bilderbuch  VI.  N.  2873—80;  vgl.  N.  2907—42. 

*)  Ebend.  VI.    N.  2863,  2864. 

6)  Ebend.  VI.    N.  2865—72,  2881—84,  2043—59. 

«)  Ebend.  VI.  N.  2994 ;  3000—3003.  Da  sehen  wir  uehen  dem  Staatskleide  der 
steifen  Corsage  die  ungegürteten  K  o  n  t  u  s  c  h  e  n ,  A  n  d  r  i  e  n  n  e  n ,  V  o  1  a  n  t  e  n  ,  die  die 
Deutschen  auch  französische  Säcke  nannten. 

')  Ebend.  VI.  N.  2995—99. 

8)  Ebend.  VI.    N.  2905,  3133,  3134. 

»)  Ebend.    N.  3141. 

10)  Ebend.    N.  3094—96. 

")  Ebend.    N.  3004—27.  —  '^)  Ebend.    N.  3098—3128 

")  Vgl.  auch  L.  P.  Boitard,  Trachten.  —  Ebend.  VI.  N.  3138,  3139  und  besonders 
das  Modenbild  von  1747.     Ebend.  VI.    N.  3140. 


272 


III.    nie   Kleiiluiiir. 


iH      O 
I      Ö 


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6.  Das  18.  Jahrhundert. 


273 


Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


18 


274  ni.    Die   Kleidun«;. 

Vhor  die  ei\ulisclu'ii  Traebteii  aus  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts unterrichten  uns  die  treffliehen  Gemälde  und  Radierungen  des 
grofsen  William  Tlogarth  (1697 — 1764).  Während  (ho  Bilder  der  »Hoch- 
zeit nach  der  Mode^<^)  uns  einen  Einblick  in  das  Leben  des  Adels  tun 
lassen,  führt  er  uns  in  der  Mehrzahl  seiner  Bilder  in  die  Kreise  der 
Bürger,  der  Proletarier-),  und  schildert  uns  mit  unhedinuter  Treue,  was 
der  Künstler  selbst  gesehen  und  beoliachtet  hat. 

Für  Deutschland  lial)en  wir  nur  wenige  Bilder  aufzuweisen.  Es 
gibt  deren  sicherlieli:  Kupferstiche,  Gemälde,  vielleicht  ohne  jeden 
Kunstwert,  aber  für  die  Geschichte  des  Kostüms  doch  recht  willkommen. 
Die  Pariser  Mode  wird  von  der  vornehmen  Gesellschaft,  und  wer  sich 
zu  ihr  hielt,  nachgeahmt,  aber  bis  gegen  Ende  des  Jahrhunderts,  freilich 
immer  mehr  gering  geachtet,  erhalten  sich  die  verschiedenen  Moden 
der  Städte  und   der  Dörfer. 

Bis  gegen  Ende  des  1(S.  Jahrhunderts  bewahren  sieh  auch  die 
Männer  die  Freude  an  farbigen  Kleidern,  die  schon  im  Mittelalter  so 
allgemein  verbreitet  erscheint.^)  Erst  seit  der  französischen  Revolution 
hat  die  schwarze  Farbe  alle  anderen  verdrängt,  verzichtet  man  darauf 
rote,  grüne,  gelbe,  fröhlich  leuchtende  Kleider  zu  tragen.  Der  malerische 
Effekt  der  Tracht  im  17.  und  beginnenden  18.  Jahrhundert  wird  dadurch 
verstärkt,  dafs  bei  festlichen  Gelegenheiten  Fürsten  und  Feldherrn  den 
glänzenden  Harnisd^  anlegen,  der  allerdings  nur  noch  eine  dekorative 
Bedeutung  hat,  da  er  gegen  die  Wirkung  der  Feuerwaffen  längst  nicht 
mehr  sicheren  Schutz  gewährt."^) 

Zur  Verbrämung  und  Fütterung  der  Kleider  wird  schon  im  frühen 
Mittelalter  Pelzwerk  aller  Art  verwendet,  vom  kostbaren  Zobel  und  Her- 
melin bis  zum  gewöhnlichen  Eichhorn-  oder  Fuchspelz.^) 

Der  Gebrauch  der  Straufsenfedern  ist  erst  seit  dem  15.  Jahrhundert 
allgemeiner  geworden.  Um  das  Jahr  1500  braucht  jedermann  vom 
Fürsten  bis  zum  Landsknecht*^)  und  bis  zur  Soldatendirne  die  kostbarsten 
Federn  und  zwar  in  Fülle  und  Menge.  A^on  den  Weibern  der  Lands- 
knechte haben  dann  auch  die  Bürgersfrauen '^)  und  die  Damen  des  Adels 
diesen  kleidsamen  Schmuck  entlehnt. 

Dann  folgt  auf  diesen  übermäfsigen  Aufwand  wieder  ein  Zeit,  die 
nur  bescheiden  von  dem  Federschmuck  Gebrauch  machte,  bis  dann 
während  des  Dreifsigjährigen  Krieges  aufs  neue  die  Vorliebe  für  schöne 
Federn  modern  wurde.    Allein  so  gern  die  Männer  ihren  Hut  mit  Federn 


>)  Kultur^-.  lUlderb.  VI.    2960—65. 

»)  Ebend.    N.  2966—71;  2972—79;  3035—46;  3047—54;  3056—68;  3074—79. 

^)  Vgl.  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  Las  magasins  de  nouveaut^s  *  *  * 
(Paris  1896)  die  Kapitel  Teinturerie  et  Deuil. 

*)  Vgl.  Kulturg.  Bilderbuch  VI,  N.  2983,  2985,  2988,  2989,  2990,  2992. 

*)  Alfr.  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  —  Les  magasins  de  nouveautes 
(Paris  1898).  —  Les  fourrures,  p.  205  ff. 

«)  Burgkmair.  —  Kulturg.  Bilderb.  IL  N.  589.  —  Virgil  Solis.  Ebend.  II.  N.  894, 
895.  —  Jost  Amman.    Ebend.  III.    N.  1289,  1290. 

')  Hans  Holbein.    Ebend.  II.    N.  605,  607,  608. 


6.   l>us  18.  Jahrhundert . 


IS* 


276  ni.    l>it>   Kleidunsi. 

zierten  eine  solche  Verscliwendiinti-  wie  zu  Anfang  des  IG.  Jahrhunderts 
ist  weder  von  Männern  noch  von  Frauen  je  wieder  getrieben  worden. 
Als  die  dreieckigen  Hüte  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  Mode  werden, 
verschwinden  die  Federn  von  den  Kopfbedeckungen  gänzlich;  an  ihre 
Stelle  tritt,  wie  schon  bemerkt,  der  Federbesatz  (die  Plumage),  welche 
den  aufgeschlagenen  Rand  dos  Hutes  verziert :  die  Damen  allein  machen 
noch  von  dem  Federschmuck,  je  nach  den  Anforderungen  der  Mode, 
Gebrauch. 

Die  Kleiderstoffe  wiu'den  entweder  im  Lande  selbst  angefertigt  oder 
aus  dem  Auslande  imj)ortiert.  Die  gemeinen  Wollenstoffe  wufste  man 
in  der  älteren  Zeit  selbst  herzustellen ;  das  Spinnen  und  Weben 
besorgten  die  Hausfrauen  persönlich  oder  unter  ihrer  Leitung  die- 
nenden Mägde.  Diese  Sitte  hat  sich  von  den  Zeiten  der  alten  Römer 
an  fast  durch  das  ganze  Mittelalter  erhalten.  Sicherlich  verstand  man 
es  auch,  die  Gewebe,  wenn  es  erforderUch  war,  zu  färben.  Die  besseren 
Stoffe  jedoch  wurden  immer  von  gelernten  Webern  angefertigt.  Das 
Mittelalter  kennt  da  eine  grofse  Anzahl  von  Wollenwebereien.  ^)  Lein- 
wand wurde  weniger  gebraucht;  wenn  man  ihre  Herstellung  im  Hause 
auch  eifrig  betrieb,  so  sind  doch  die  Kleider  von  Männern  wie  die  der 
Frauen  ausschliefslich  aus  Wollstoffen  hergestellt,  höchstens  dafs  man 
zu  den  Unterkleidern,  die  gewaschen  werden  mufsten,  Leinwand  ver- 
wendete. Die  besten  Wollenzeuge  kamen  aus  den  Niederlanden^)  und 
aus  England,  wo  man  auch  den  kostbaren  Scharlach  mit  Kermes  zu 
färben  verstand. 

Bei  besonders  festlichen  Gelegenheiten  legten  die  vornehmen  und 
reichen  Leute  seidene  Gewänder  an,  wie  dies  schon  in  der  römischen 
Kaiserzeit  Sitte  gewesen  war.  Die  Seidengewebe  kamen  zuerst  aus 
China;  darauf  war  die  Seidenzucht  in  Asien  verbreitet,  endlich  unter 
Justinian  im  Byzantinischen  Reiche  eingeführt  worden.  Die  Sarazenen 
hatten  sie  dann  in  Spanien  und  Sizilien  heimisch  gemacht,  und  von 
Sizilien  war  sie  nach  Italien  übertragen  worden.  Die  mehr  oder  minder 
reich  gemusterten,  mit  Gold  durchwirkten  Seidenstoffe  (Palha,  Pfeiler, 
Paile)  sind  natürlich  sehr  teuer,  im  frühen  Mittelalter  sehr  viel  kost- 
spieHger  wie  am  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts.  ^)  Wenn  seit  dieser 
Zeit  der  Preis  auch  herabgegangen  ist,  so  hat  dafür  die  Quahtät  der 
Gewebe  auch  ganz  erheblich  eingebüfst.  Die  Abneigung  Karls  des 
Grofsen  gegen  den  Luxus,  den  seine  Hofleute  mit  Seidenstoffen  trieben, 
ist  sehr  erklärlich ;  einmal  entsprach  die  Verschwendung  nicht  den  ziem- 
hch  beschränkten  Einnahmen  der  vornehmen  Herren,  dann  ging  das  so 
seltene  bare  Geld  aufser  Landes.  Seit  der  Zeit  Karls  des  Grofsen  ist 
jedoch    der  Gebrauch    der  Seidenstoffe   in    den   höfischen  Kreisen   mehr 


1)  Höf.  Lebeu  «I,  351  ff. 

*)  Die  niederländischen  Tuchmacher  verarbeiten  die  feine  Wolle,  die  sie  aus 
England  beziehen.  Seb.  Franck,  Weltbuch  (1533),  fol.  Lxija.  _  Vgl.  über  Tuchweberei 
u.  8.  w.  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  —  Les  magasins  des  nouveautes. 
(Paris   1895.)  —  La  draperie,  S.  239  ff. 

3)  Francisque  Alichel,  Recherches  sur  les  etoffes  de  soie  d'or  et  d'argent. 
Paris   1852. 


6.  Das  18.  Jahrluindert. 


277 


und  mehr  zur  Gewohnheit  geworden.  Man  brauchte  die  verschieden- 
artigsten Sorten  von  Geweben,  von  dem  schweren  Brokat  der  Pfeiler 
bis    zum    leichten,    dünnen    Zindal.i)     Überreste    der   kostbaren  Seiden- 


Mathias  Ileinricl)  Schnürer.     Markgraf  Friedrich  von  Bayreuth  17.V,. 
(Schlofs  zu  Bayreuth.) 

gewebe   aus   dem   frühen  Mittelalter   shid    nocli  in  den   Kirchenschätzen 

in    neuerer  Zeit   auch   in    den   Gewerbemuseen  —  in   grolser   Menge 

erhalten;    hturgische  Gewänder   sind   häuhg  aus  ihnen  gefertigt  worden, 

»)  Höf.  Loben  %  332  ff. 


278  nr.  Die   Kloidnn-. 

Laien  haben  der  Kirche  ihre  Prunkkloichn'  geschenkt  und  man  hat  die 
Stoffe  verwendet,  wie  man  gerade  den  Bedarf  hatte:  aiicli  in  rTräl)ern 
wurde  manch  interessanter  Fund  gemacht. 

Gegen  Ende  des  15.  .Tahrhun<lerts  beginnt  man,  auf  saubere,  feine 
Wäsche  Gewicht  zu  legen;  (he  Kl(M(Un-  werden,  an  den  Ärmehi  /Aimal, 
aufgeschhtzt.  um  die  weil'se  Leinwand  des  Hemdes  sichtbar  zu  machen. 
Die  ganze  Mode  der  zerschhssenen  Gewänder  hat  ursprünghch  nur  den 
Zweck,  dafs  der  Träger  derscdbiMi  zeigen  konnte,  er  habe  ein  reines 
Hemd  angelegt.  .Vuf  dem  Halse  wird  dei- IltMudkragen  sichtbar,  gestickt, 
gefältelt;  (M-st  als  die  Kragen  ins  Ungeheuere  wachsen,  die  Mühlstein- 
kragen (s.  o.  S.  2()6)  Mode  werden,  trennt  man  den  Kragen  vom  Hemd. 
Lurcli  diese  Wandelung  des  Geschmackes  gewinnt  lum  die  Herstellung 
der  Leinwand  eine  Bedeutung,  wie  sie  dieselbe  nie  vorher  gehabt  hatte. 
Pen  Grund  zu  ihrem  grofsen  Vermögen  legten  die  Fugger  in  Augsburg 
durch  die  von  ihnen  betriebene  Leinweberei,  wie  denn  überhau])t  in 
Sch\\'al)en,  zinnal  in   Ulm,  treffliche  Leinwand  erzeugt  wird.  ^) 

Infolgedessen  entwickelte  sich  in  einigen  Teilen  Deutschlands,  nach- 
dem der  Westfälische  Friede  Sicherheit  des  Erwerbes  ermöglichte,  eine 
Leinwandindustrie,  die  nicht  allein  im  Lande  selbst,  sondern  auch  im  Aus- 
lande Abnahme  und  Wertschätzung  fand.  Der  Benediktiner  Wilibald 
Kobolt  rühmt  die  Leinwand  von  Westfalen  und  von  Schlesien  und  berichtet, 
dafs  ganze  Schiffsladungen  nach  Holland,  England,  Spanien  gingen,  dal's 
in  Bozen  die  Messe  für  die  nach  Italien  bestimmte  Leinwand  abgehalten 
werde.-)  In  der  Umgebung  von  Hirschberg  in  Preufsisch-Schlesiisn  sind 
noch  manche  Denkmäler  dieser  einst  so  gewinnreichen  Industrie  an- 
zutreffen. 

Wollenstoffe  wurden  von  Männern  und  Frauen  fast  ausschliefslich 
für  den  Alltagsgebrauch  verwendet.  Die  feinen  holländischen  und  eng- 
lischen Tuche  erfreuen  sich  eines  hohen  Ansehens,  aber  in  allen  Städten 
fanden  die  Tuchmacher  (Pannifices)  ihren  lohnreichen  Erwerb.  Neben 
den  Wollengeweben  gewinnen  auch  seit  dem  16.  Jahrhundert  die  Baum- 
wollstoffe eine  immer  mehr  anwachsende  Bedeutung. 

Über  das  Weifszeug,  die  Wäsche,  bringt  Alfred  Franklin,  La  vie 
l>rivee  d'autrefois  —  Les  magasins  de  nouveautes  (Paris  1898)  interessante 
Mitteilungen.  Er  bespricht  die  Bettwäsche,  die  Jabots,  Kravatten,  Taschen- 
tücher, die  Weifswarenhändler,  endlich  die  Wäsche  selbst. 

Für  die  Festkleidung  der  vornehmen  oder  der  reichen  Leute  wird 
nach  wie  vor  Seide  verwendet.  Samt,  Brockat,  gemusterte  oder  ein- 
farbige Stoffe.  Im  16.  Jahrhundert  hat  man  eine  besondere  Vorliebe 
für  Schillergewebe,  wie  dies  aus  zalülosen  Gemälden  der  Zeit  zu  ersehen 
ist.  Berühmt  sind  die  geprefsten  Samte '  von  Venedig.  Nach  dem  Tode 
Maximilians  L,  der  noch  gern  die  grofsgemusterten  Brokate  getragen  hat, 
wird  diese  Art  von  Stoff  nur  selten  noch  für  die  Kleidung  der  profanen 
Welt  verwendet,   fast  nur    noch   zur   Herstellung   liturgischer    Gewänder 


0  8eb.  Frauck,  Weltbuch  (1533),  fol.  Liij  a  . 

-)  (ti-oIs-  und  Kleine  Welt.     Aujrspurs  1738.     8.  631. 


6.  Das  18.  JahrhuiKlcrt. 


279 


benutzt.  Die  geprefsten  einfarbigen  Samte  bleiben  jedoch  noch  bis 
zu  Anfang  des  Dreifsigjährigen  Krieges  geschätzt. 

Die  Seidenindnstrie  Itahens  versorgt  auch  Deutschland ;  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  dürfte  Frankreich  gleichfalls  aus  Italien  seinen  Bedarf 
bezogen  haben.  Der  Nürnberger  Kaufmann  Balthasar  Paumgärtner  reist, 
wie  aus  seinem  Briefwechsel  hervorgeht,  immer  nach  Lucca  oder  Florenz, 
kauft  da  Seide  ein  und  bringt  dann  auf  der  Frankfurter  Messe  seine 
Ware  ^\äeder  zum  A^rkaufe. 

Im  17.  Jahrhundert  gewinnt  die  französische  Seidenindustrie  an 
Bedeutung,    die  Werkstätten    von    Lyon    bestimmen    von    jetzt    an    den 


Modeware  ti-Haudluuj; 


Geschmack  der  Modewelt.  Nicht  von  so  grofser  Bedeutung  erscheint 
die  deutsche  Seidenweberei,  die  durch  die  nach  Aufhebung  des  Ediktes 
von  Nantes  durch  die  Refugies  ins  Leben  gerufen  wurde.  Sie  konnte 
nicht  einmal  den  Bedarf  von  Deutschland  decken :  immer  noch  bleibt 
die  vornehme  oder  reiche  Gesellschaft  darauf  angewiesen,  seidene  Stoffe 
aus  Frankreich  zu  beziehen. 

Nicht  allein  Damen  tragen  bei  festlichen  Gelegenh(4ten  seidene 
Kleider,  auch  die  Männer  lieben  es,  wenn  sie  zu  repräsentieren  hatten, 
seidene  Strümpfe,  seidene  Hosen,  Westen,  Böcke  anzulegen  oder  aus 
Samt  Hosen  und  Röcke  anfertigen  zu  lassen. 

Ein  solcher  Anzug  kostete  sehr  viel,  bedeutend  mehr,  als  heute 
für  einen  derartigen  Zweck  ausgegeben  ^värd.  Doshalb  schonte  man  ilm 
aufs  sorgfältigste,  trug  ihn  nur,  wenn  es  unbe(hngt  erforderlicli  war,  so 


280 


HI.  Die   Kleidun' 


dafs  oft  genug  ein  Festkleid  noch  auf  die  zweite  und  dritte  Generation 
vererbt  werden  konnte.  Wer  sieh  einmal  in  den  Museen  mit  den 
erhaltenen  Kostümen  beschäftigt  hat,  bemerkte  sicher,  wie  wenig  Spuren 
der  Abnutzung  sie  an  sich  tragen. 

Wenn  der  Adel  einem  lloffeste  beiwohnte,  der  wohlhabende  Bürger 
zu  einer  Hochzeit,  einem  Taufen  geladen  war,  da  wurden  wohl  die 
Prachtgewäuder  hervorgesucht  und  angelegt,  oder  wenn  sie  ihre  Bild- 
nisse malen  lielsen ,  allein  für  gewöhnlich  hat  man  sich  einer  viel 
grölseren  Einfachheit  befleifsigt,  und  die  modernen  Maler  irren,  wenn 
sie  die  Leute  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  im  Alltagsleben  so  kostbar 
geputzt  darstellen. 

Die  Kleider  selbst  werden  in  älterer  Zeit  hin  und  wieder  mit  Gold- 
stickerei verziert.     Handstickereien  sind  dann  seit  dem  16.  Jahrhundert 
öfter  verwendet  worden,  auch  die  Staatsröcke  der  Herren  wie  die  Westen 
w(n-den  noch  hn  18.  Jahrhundert  von  besonders  vorgebildeten  Gold-  und 
Seidenstickern   bearbeitet.     Die  Perlenstickereien  spielen  zu  Anfang  des 
16.  Jahrhunderts  eine  sehr  bedeutende  Rolle ;  sind  auch  die  verwendeten 
Perlen  nicht  gerade  besonders  grofs,  so  mufs  doch  eine  solche  Stickerei 
bei  der   aulserordenthch   grofsen  Zahl  der  Perlen   sehr  kostbar  gewesen 
sein.     Das  in  München  in  Privatbesitz  befindhche,  von  Bernhard  Strigel 
gemalte  Bildnis  der  Kaiserin  Bianca  Marie  Sforza,  das  Porträt  des  Kur- 
fürsten Joachim  I.  von  Brandenburg  im  Berliner  Schlosse,  von  Lukas  Cra- 
nach  d.  Ä.  gemalt  (s.  o.  S.  239),  können  als  Beispiele  dienen.    Nach  dem 
D reif sigj ährigen  Kriege  werden  die  Perlstickereien  unmodern.    Desto  mehr 
Interesse  wendet   man   den   Edelsteinen   zu.  i)     Während   des   ganzen 
Mittelahers    hatte    man    es    gehebt,    die  von   den    Pvömern   ererbten   ge- 
schnittenen Steine,    Cameen  und  Intaglj,  zum  Schmucke  zu  verwenden. 
Die  Darstellungen   selbst  wurden    so    ausgedeutet,    dafs   der   Stein    noch 
eine    besondere    Bedeutung   erhielt.     Mit   den   während    des   Mittelalters 
selbst  gefundenen  Edelsteinen  jedoch  wufsten  die  Juwehere  nichts  anzu- 
fangen, sie  begnügten  sich,  sie  flach  oder  rundlich  (mughch)  zu  schleifen 
und  zu  polieren.     Ein  Verständnis  für  die   künstlerische  Bedeutung  der 
Edelsteine    beginnt    erst,    seit    Loms    von    Berguem    aus    Brügge    1453 
erfunden   hat,    sie   in  Facetten    zu   schleifen.     Trotz    alledem  spielen  die 
p:delsteine   im    16.  Jahrhundert    noch   nicht    eine    so    ansehnliche   Rolle ; 
bei   den  Schmucksachen  der  vornehmen   Damen   und   Herren  wird   auf 
die   Arbeit    des    Goldschmiedes,    auf    die    kunstreiche    Verwendung    des 
Emails    eher    ein    höherer   Wert    gelegt    als    auf   die   Verwertung    eines 
Steines  oder  einer  Perle. 

Die  wertvollen  Edelsteine  werden  erst  nach  dem  Dreifsigj ährigen 
Kriege  ihrer  Bedeutung  nach  recht  gewürdigt;  sie  allein  und  erst  neben- 
her die  Fassung  bestimmen  den  Wert  eines  Schmuckgegenstandes. 


»)  Vgl.  über  dieseu  Luxus  (Vulpius)  Kuriositäten  I,  S.  303  ff.  —  Philipp  11.  von 
Spanien  schenkte  seiner  Gemahlin  EUsabeth  »einen  sehr  kostbaren  Salat:  eine 
Schüssel  voll  Edelsteine  <^.  Die  Topasen  bedeuteten  das  Öl,  die  Rubinen  den  Essig, 
Perlen  und  Diamanten  das  Salz,  die  Smaragden  den  grünen  Salat.     L.  c.  304. 


6.  Das  18.  Jalirhundert.  281 

Von  früher  Zeit  her  hatte  man  an  Ordensauszeichnungen  seine 
Freude  gehabt.^)  Im  15.  Jahrhundert  gibt  es  schon  eine  grofse  Menge 
von  Orden,  d.  h.  von  Abzeichen,  welche  die  Zugehörigkeit  zu  einer 
bestimmten  Gesellschaft  sichtbar  machten.  Der  Fürst  ist  gewissermafsen 
das  Haupt  dieser  Gesellschaft  und  verleiht  mit  den  Insignien  dem  von 
ihm  als  würdig  Anerkannten  das  Recht,  diesem  Kreise  anzugehören. 
Dafs  an  vielen  Orten  gegen  Erlegung  gewisser  Taxen  Ordenszeichen 
zu  erwerben  waren,  konnte  für  alle,  die  solchen  Schmuck  gern  hatten, 
nur  lieb  sein.  So  konnte  man  in  Cypern  den  Schwertorden,  in  Jerusa- 
lem den  h.  Grabesorden,  im  Katharinenkloster  des  Sinai  den  Katha- 
rinenorden  kaufen.  Der  Nürnberger  Ulrich  Ketzel  (f  1462),  der  wieder- 
holt das  hl.  Land  mit  Reisegefährten  besucht  hat,  war  im  Besitz  von 
16  Ordenszeichen.-)  Die  Mehrzahl  dieser  vielen  Dekorationen  i.st  selir 
bald  wieder  abgeschafft  und  vergessen  worden. 

Die  Orden,  welche  auch  für  die  spätere  Zeit  ihren  Wert  und  ihre 
Bedeutung  behielten,  der  Hosenbandorden  (gestiftet  von  Eduard  III. 
1346),  der  burgundische  Orden  des  Goldenen  Vhefses  (Toison  d'or  1429), 
der  savoyische  Annunciatenorden  (gest.  1362),  bewahrten  auch  in  der 
Folgezeit  den  Charakter  als  Abzeichen  eines  von  den  Königen  und 
Kaisern  bestimmten  Gesellschaftskreises. 

Wollte  ein  Fürst  im  16.  und  17.  Jahrhundert  Verdienste  belohnen, 
Anerkennung  bezeugen,  dann  verehrte  er  dem,  den  er  auszuzeichnen 
beabsichtigte,  eine  goldene  Kette,  an  der  eine  Medaille  mit  dem  Bildnis 
des  Fürsten  hing.  2)  Die  Kette  konnte  mehr  oder  minder  kostbar  sein, 
die  Medaille  noch  in  einem  goldenen,  emaillierten  Rahmen  gefafst 
werden.  Kurz,  es  war  möghch,  das  W^ohlwollen  in  verschiedenster 
Weise,  aber  ohne  statutenmäfsige  Abstufungen  zum  Ausdruck  zu  bringen. 
Teuer  aber  waren  diese  Auszeichnungen  für  den  Spender  immerhin. 

Von  den  alten  Orden,  deren  ich  schon  gedachte,  werden  der  des 
Goldenen  Vliefses^)  und  der  Annunciatenorden  bei  grofser  Feierhchkeit 
an  einer  goldenen  Ordenskette,  sonst  an  einem  Ordensbande  um  den 
Hals  getragen.  ^)  Das  Abzeichen  des  Hosenbandordens  besteht  aus  einer 
Art  von  ovaler  Medaille,  die  den  h.  Georg  mit  dem  Drachen  kämpfend 
zeigt  und  an  einem  blauen  Bande  um  den  Hals  gehängt  wird.  ^)  Unter 
Jakob  I. ')  wird  die  Gruppe  des  St.  Georg  frei  herausmodelliert  an  einer 
Ordenskette  getragen.     Den   gestickten    Ordensstern   hat   bereits   Karl  l. 

')  Vgl.  »Von  den  Ritter-Orden«,  J.  B.  von  Rohr,  Einl.  zur  Ceremoniel-Wissen- 
schaft  (Berlin  1729),  Teil  III,  Kap.  IX. 

*)  Deutsches  Leben  etc.  Fig.  560,  561.  —  Vgl.   ebenda  S.  541. 

»)  Tycho  Brühe,  Kulturg.  Bilderb.  III,  X.  1365.     Vgl.  ebend.  N.  148i>,  1659. 

*)  Crisx)in  de  Passe.  Alexander  Farnese.  Kulturg.  Bilderb.  III,  1421.  Vgl.  ebend. 
N.  1424,  1439,  1449,  1490,  1552,  1553,  1611;  IV,  N.  1724,  1888. 

")  Rubens.    Prinz  Wladislaw  Sigismund  von    Polen.     Kulturg.  Bilder)).  III,    1640. 

6)  Porträt  Friedrichs  V.  v.  d.  Pfalz.  Kulturg.  Bilderb.  III,  N.  1550.  —  M.  Miere- 
veldt.  Moriz  von  Xassau.  Ebend.  III,  1641.  —  Lukas  Vorstermann.  Karl  I.  und  (Iraf 
Pembroke.  Ebentl  N.  1654,  1655.  —  Unter  der  rechten  Achsel,  IV,  1759.  —  An  einer 
Kette,  IV,  N.  1898,  1905. 

'')  AVolfg.  Kilian.  Jakob  I.  Kulturg.  Bilderb.  III,  1567.  —  QtuM'kborn,  Friedrich 
V.  d.  Pfalz.    Ebend.  III,  1623.    Vgl.   V,  N.  2301. 


9^9  lil-    l^ic  Kleidung. 

auf  seinoni   Mantel.^)     Auch  anf  dem  Porträt  des  un.ujlückliclK'ii  Herzoti-s 
von  Moninoiitli  sohon  wir  den  Ordensstern  auf  dem  Oberkleide.-) 

In  Frankreieli  ist  der  erste  Orden  der  des  h.  Geistes,  gestiftet  von 
Heinrieh  Tll.'M  im  Jal\re  1578.  Das  Ordenskreuz  mit  der  Taube  trägt 
Ludwiu-  Xlll.  an  rlwom  blauen  Bande  (Ruban  bleu),  das  um  den  Hals 
uesehlungen  ist.')  Erst  unter  LudA\äg  XIV.  scheint  der  Gebrauch  auf- 
zukonnnen.  dal's  auf  dem  Oberkleide  das  Ordenszeichen  in  Stickerei 
sichtbar  u-cmacht  wird.'")  Gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  wird  es 
übhch,  diu  OrdtMi  an  ciiirm  breiten  Bande  zu  tragen,  das  über  die 
rechte  Schulter  gelegt  bis  zur  linken  Hüfte  reichte.  6)  Das  ist  also  der 
Grand  C'ordon.  wie  er  heute  noch  gebraucht  mrd.  Den  Crachat  auf 
der  Brust  zu  tragen,  ist  erst  im  18.  Jahrhundert  aufgekommen,  auch 
hat  man  in  der  älteren  Zeit  das  Ordenszeichen  gestickt')  getragen;  die 
Anwendung  der  metallenen  Ordenssterne  wurde  erst  um  die  Mitte  des 
Jahrhunderts  gebräuchlich. 

Den  S.  Michaelsorden  hat  der  berühmte  Architekt  Jules  Hardouin 
Mansart^),  den  Christusorden  von  Portugal  Franciscus  de  Andrada  Leitaö^), 
den  dänischen  Elefantenorden  König  Friedrich  III.  von  Dänemark  ^o)  und 
Eberhard  von  AVürttemberg.^^) 

Die  Orden  wurden  in  den  Jahrhunderten,  die  uns  hier  beschäftigen, 
sehr  selten  verliehen  und  galten  deshalb  als  eine  sehr  hohe  Auszeich- 
nung. Die  protestantischen  deutschen  Fürsten,  die  das  Goldene  Vhefs 
nicht  erhalten  konnten,  weil  es  nur  an  Katholiken  verheben  wurde, 
bemühen  sich  deshalb  häufig,  in  England  dekoriert  zu  werden.  Aber 
auch  das  gelang  doch  nur  wenigen. 

Seit  dem  16.  Jahrhundert,  aber  recht  eigenthch  erst  seit  dem  17., 
gehören  zu  einem  Festkleide  die  Spitzenbesätze.^-)  Plauen  tragen  auch 
Spitzenmanschetten^^)  in   Form  der  heutigen  Stulpen,  am  oberen  Rande 

J)  A.  van  Dyck,    Porträt  Karls  I.    —   Ebend.  IV,  X.  1747. 

-)  Porträt  von  Peter  Lely.   —    Ebend.  V,  N.  2301. 

s)  Kulturcr.  Bilderb.  III,  N.  1404.  —  Heinrich  IV.    Ebend.  III,  1405. 

■*)  Porträt  des  Königs  von  Hooghenberg.  —  Ebend.  in,  1535.  —  Von  Crispin  de 
Passe.  Ebend.  1646.  —  Das  Band  unter  der  linken  Achsel  durchgezogen.  Ebend.  IV, 
8.  VI,  unter  der  rechten,  IV,  N.  1870;  IV,  2067. 

A.  van  Dyck,    (laston  de  France.  —  Ebend.  1677. 

Ph.  de  Champaigne,  Richelieu.  —  Ebend.  IV,  1755. 

Claude  Mellan,  Henri  de  Montmorency.  —  IV,  N.  2005. 

Nie.  Mignard,  Graf  Harcourt.  —  V,    N.  2535. 

Ferd.  Voet,  Michel  le  Tellier.  V,  N.  2537. 

5)  Kulturg.  Bilderb.  V,  N.  2537,  2652 

«)  \ntoine  Watteau  :  Ludwig  XIV.  dekoriert  den  Herzog  von  Burgund  mit  dem 
Cordon'bleu.  -  Kulturg.  Bilderb.  VI,   N.  2864.    -  Vgl.  V,   N.  2792,    2794,  2796,  2798. 

')  Pesne,  Porträt  Friechichs  des  (Irofscn.  Kulturg.  Bilderb.  VI,  N.  2993.  —  An- 
ton GrafE,  Porträt  Friedrichs  des  Grofsen.  —  Ebend.  VI,  N.  3179;  vgl.  N.  3180. 

8)  Porträt  von  Fr,  de  Troy  (1699).  —  Kulturg.  Bilderb.  V,  N.  2753. 

9)  Kulturg.  Bilderb.  IV,  N.  2145. 

1°)  Porträt  von  Jeremias  Falck.  —  Ebend.  IV,  N.  2268. 

")  Porträt  von  Georg  Nikolaus  List.  —  Kulturg.  Bilderb.  V,  N.  2297. 

'-)  Mrs.  Palliser,  Historv  of  Lace.  Ed.  by  ]M.  Jourdain  and  A.  Dryden.  Lond.  1902. 

1«)  Kulturs.  Bilder]).  IV,  N.  1969—71. 


6.  Das  18.  Jahrhundert.  283 

mit  feinen  genähten  oder  geklöppelten  Spitzen  besetzt;  die  verschiedenen 
Formen  der  Hanben,  wie  sie  uns  z.  B.  Michael  Miereveldt  in  seinen 
P'rauenbildnissen  vorführt,  entbehren  dieser  schönen  Zierde  nicht.  ^)  Oft 
sind  die  Kleidejr  am  Halsausschnitt  mit  Spitzen  garniert,  am  liebsten 
jedoch  verwenden  sie  die  Damen  bei  dem  Ausputze  ihrer  Kragen.  Die 
Mühlsteinkrägen  (Krösen)  werden  noch  im  17.  Jahrhundert  gebraucht, 
doch  besetzt  man  den  Rand  mit  Spitzen,  wie  z.  B.  das  von  P.  P,  Rubens 
gemalte  Porträt  der  Infantin  Clara  Eugenia  zeigt.  2)  An  den  hohen  Steh- 
kragen, wie  sie  von  Maria  Stuart  getragen  wurden,  darf  ein  Spitzen- 
besatz nicht  fehlen.^) 

Die  Überschlagkragen  verschiedenster  Form  werden  nur  ausnahms- 
weise aus  einfacher  weifser  Leinwand  gefertigt'*),  sind  fast  immer  mit 
sehr  kostbaren  Spitzen  garniert.^) 

Bemerkenswert  erscheint  es,  dafs  auch  die  Männer  den  Wert  der 
Spitzen  sehr  wohl  zu  würdigen  wdssen,  sich  gern  mit  ihnen  schmücken. 
Gegen  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  liefsen  sie  sogar  die  Hosen  unten 
mit  Spitzen  besetzen  oder  eine  Art  Manschette  den  oberen  Rand  der 
Reiterstiefel  innen  umspannen.^)  Das  ist  eine  vorübergehende  Mode,  allein 
zum  Ausputze  der  Halskrägen  hat  man  sie  fast  ein  Jahrhundert  liin- 
durch  verwendet ,  sei  es ,  dafs  man  die  Mühlsteinkrägen  mit  ihnen 
besetzte'')  oder  die  Überschlag- (Schulter-)  Kragen  mit  einer  breiten  Spitzen- 
bordüre zierte.  ^)  Neben  diesen  nur  bei  besonderen  Gelegenheiten  ge- 
brauchten Toilettenbehelfen  trug  man  auch  glatte  Leinwandkrägen,  halb 
stehend^)  oder  übergeschlagen.  Diese  Form  ist  uns  aus  Rembrandts 
Porträts  wohlbekannt ;  die  Staalmeesters  des  Amsterdamer  Reichsmusenms 
können  als  Beispiel  dienen.  Diese  breiten,  gesteiften,  anliegenden  Kragen 
werden  mit  einem  Schnürchen  vorn  zusammengebunden  ;  die  Quasten 
der  Schnüre  sind  meist  sichtbar  hervorsezoo-en.^*^) 


1)  Ebend.  N.  1965. 

«)  Kultur^.  Bilderb.  III,  N.  1488. 

3)  S.  die  Stiche  von  Heinrich  Goltzius.  Ebend.  in,  N.  1396,  1399,  1402,  1403.  — 
Von  Crispin  de  Passe.  Ebend.  N.  1419,  1420,  1422.  —  Porträt  der  RIargarethe  von 
Valois,  N.  1437.  —  Crispin  van  Queckborn,  Ehsabeth,  Tocliter  Jakobs  I.  von  England. 
Ebend.  N.  1476. 

*)  A.  van  Dyck.    Maria  von  Medici.  —  Kulturg.  Bilderb.  III,  N.  1678. 

*)  Kaiserin  Anna.  Ebend.  III,  N.  1551.  —  Lukas  Kilian,  Kurfürstin  Magdalena 
Sibylla  von  Sachsen.  Ebend.  N.  1668.  —  M.  Miereveldt,  Sophie  Hedwig,  Gräfin  von 
Nassau.  Ebend.  N.  1680.  —  Frau  von  Maisonfort,  N.  1683.  —  Van  Dyck,  Henriette- 
Marie,  Königin  von  England.    Ebend.  IV,  N.  1746. 

6)  Kulturg.  Bilderb.  III,  1667. 

')  Heinr.  Goltzius.  Kulturg.  Bilderb.  III,  N.  1397.  —  Crispin  de  Passe,  N.  1422. 
—  P.  P.  Rubens,  Erzherzog  Albrecht  von  Österreich  (1615\  N.  1487. 

8)  Porträt  des  Friedrichs  V.  von  der  Pfalz  (1613).  —  Ebend.  III,  1550.  —  iM.  Miere- 
veldt, Georges  Villiers,  Herzog  von  Buckingham.  —  Ebend.  N.  1656.  —  Van  Dyck,  Ga- 
ston de  France.  —  N.  1677.  Vgl.  N.  1679,  1684;  IV,  1772,  1773,  1830,  1871  —  72, 
1874—77,  1879-81,  1890,  1905,  1950—51,  2178. 

9)  Wolfgaug  Kilian.  Jakob  I.  von  England.  Kulturg.  Bilderb.  III,  N.  1567;  vgl. 
N.  1489,  1535.  —  AVallenstein,  N.  1643,  1644. 

"*)  Philippe  de  Chanii)aigne,  Cardinal  Richelieu.  —  El)end.  IV,  N.  1755.  —  Louis 
de  Conde.  —  N.  2069.  —  Fran(,'ois  d'Angoulesme.  —  N.  2070.  Vgl.  N.  2072 ;  V.  2447,  2448- 


2j^4  ^^^-  ^^^  Kleidung. 

Eine  leichte  Änderung  der  Grundform  dieses  Kragens  wird  zur 
Zeit  Lud^^^gs  XIV.  modern;  der  untere  Teil  ist  wieder  mit  Spitzen 
besetzt.^) 

Der  Übergang  z.ur  Kravatte  \\ärd  durch  eine  Modewandelung  ver- 
mittelt, die  wir  "auf  dem  von  David  15eck  gemalten  Porträt  des  Marschalls 
Leonard  Torstenson  (1649)  dargestellt  finden:  Der  Kragen  ist  mit  den 
vorderen  Spitzen  zusammengeknotet.  2)  Die  spitzenbesetzte  Kravatte 
trägt  dann  Admiral  Michael  de  Ruyter  (t  1676)  auf  dem  von  Blooteling 
gemalten  Porträt^),  so  wie  der  Herzog  von  Mommohth  (f  1685),  gemalt 
von  Sir  Peter  Lely.  **)  Unter  dem  Namen  Steenkerke  verdrängt  in 
den  letzten  Lebensjahren  Ludwigs  XIV.  dieses  Spitzenhalstuch  den  so 
lange  getragenen  Kragen.  Es  ist  aber,  wie  schon  bemerkt,  lange  vor 
der  Schlacht  von  Steenkerke  (1692)  bekannt  gewesen. 

Ein  einfaches  w(>ifses  Halstuch  finden  wir  auf  dem  von  Hyazinth 
Rigaud  gemalten  Bildnis  des  berühmten  Fabeldichters  Jean  de  Lafontaine 
(t  1695)^),  ein  zur  Schleife  gebundenes,  an  den  Enden  mit  Spitzen 
besetztes  auf  dem  Porträt  Karls  IL  von  England,  das  nach  dem  Bilde 
des  Peter  Xasou  (1612  bis  nach  1680)  J.  Sandrart  gestochen  hat.^) 

Dieses  weifse  Halstuch  ersetzt  sehr  bald  die  Steenkerke  und  wird 
während  des  ganzen  18.  Jahrhunderts,  selbstverständhch  mit  kleinen 
Modevariationen,  ja  bis  tief  ins  19.  Jahrhundert  hinein  getragen;  in  der 
Geo-enwart  erinnern  noch  die  weifsen  Kravatten  an  diese  Mode,  die  sich 
nun  schon  über  200  Jahre  behauptet  hat.') 

Zu  den  Schmucksachen  dürfte  noch  zu  zählen  sein,  die  Taschenuhr, 
die  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  in  Nürnberg  erfunden,  nach  und  nach 
so  viel  Beifall  gefunden  hatte,  dafs  um  das  Jahr  1700  wohl  schon  jeder 
Herr  und  jede  Dame  im  Besitze  einer  Uhr  war. 

Die  Damen  bedienten  sich  seit  uralter  Zeit  des  Fächers.  Bekannt- 
lich haben  schon  die  griechischen  Frauen,  die  von  den  Meistern  von 
Tanagra  so  lebensfrisch  gebildet  wurden,  Blattfächer  in  den  Händen. 
Im  Mittelalter  ist  der  Gebrauch  des  Fächers  nicht  unbekannt,  allein 
nicht  häufig;  erst  seit  dem  16.  Jahrhundert  begegnet  er  uns  öfter:  der 
Fahnenfächer  auf  den  Gemälden  der  Italiener,  beispielsweise  der  Por- 
träts von  Paolo  Veronese,  der  Federfächer  8),  der  in  Frankreich  und  Eng- 
land beliebter  ist,  und  der  heute  noch  gebräuchhche  Faltfächer^),  welcher 
schon    zur   Zeit   des   Anton    van  Dyck,    der  die  Gemahlin  Kaiser  Ferdi- 

1)  Mignard,  Ludwig  XIV.  —  Kulturg.  Bilderb.  V,  N.  252L  —  Vaillant,  Ludwig  XIV. 
(1660).  —  Ebend.N.  2529^  —  Vouet,  Louvois  (1686),  N.  2718.  —  Mignard,  Brisacier  (1664\ 
X.  2530.  —  Massen,  Der  grofse  Kurfürst,  N.  2744. 

«)  Kulturg.  Bilderb.  IV.  N.  2226. 

3)  Ebend.  V,  N.  2331. 

*)  Ebend.  V,  N.  2301. 

6)  Ebend.  V,  X.  2451,  S.  4,  2792,  2794  ff. 

6)  Ebend.  V,  X.  2788. 

')  Ebend.  V,  X.  2743. 

«)  Engländerin,  16.  Jhdt.  —  Kulturg.  Bilderb.  III,  1528.  —  Crispin  de  PasBe. 
Kulturg.  Bilderb.  l\,  X.  1993.  —  Wenzel  Hullar.  Ebend.  X.  2074  und  2139. 

9)  Abraham  Bosse,  Der  Ball.  —    Ebend.  Hl,  1690.    Vgl.  ic.  1700 1  V,  X.  2834. 


6.  Das  18.  Jahrhundert.  285 

nands  III.,  Maria  Eleonora,  malt^)  bekannt  ist,  ja  in  der  Hand  einer 
Römerin  bereits  auf  einem  noch  aus  dem  16.  Jahrhundert  stammenden 
Trachtenbilde  erscheint.-) 

Gegen  den  Sonnenbrand  schützten  sich  die  Frauen  durch  den  Ge- 
brauch des  Schleiers.  Von  den  Mummereien  stammt  dann  der  Gebrauch 
der  Maske,  der  seit  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  von  Italien  aus  in 
Deutschland  und  die  Länder  diesseits  der  Alpen  Eingang  fand.  Die 
Maske  hatte  ja  aufserdem  noch  das  Gute,  dafs  sie  die  Person  unkenntlich 
machte.^)  Job.  Christ.  Wagenseil  bemerkt  in  seiner  Vorlesung  »Aulica- 
rum  atque  Politarum  rerum  Observationes«'*):  »Wenn  das  Frauenzimmer 
in  Frankreich  geschwind  ausgehen  und  sich  nicht  viel  anziehen  will, 
nimmt  es  die  Masque  über  den  Kopf,  dafs  nichts  als  die  Augen  heraus- 
gucken und  geht  so  incognito ;  wenn  aber  ein  Bekannter  kömmt  oder 
einer,  dem  sie  affection  bezeugen  wollen,  nehmen  sie  die  Masque 
herunter.  Diese  ist  von  schwarzem  Sammt  gemacht  und  inwendig  eine 
Gry  stalle  angenehet,  welche  das  Frauenzimmer  in  den  Mund  nimmt, 
damit  sie  die  Masque  halten  kann.«  In  dem  Frauenzimmerlexikon  von  1739 
(Sp.  1025)  wird  sie  erwähnt  als  »eine  von  schwartzem  oder  anderm  bunten 
Sammet  nach  dem  Gesichte  geschnittene  und  zusammengepappte  Forme 
mit  offenen  Augen-,  Nasen-  und  Mund-Löchern  versehen,  deren  sich  das 
Frauenzimmer  auf  denen  Redouten  oder  Reisen  und  Spatzier-Fahren, 
wenn  sie  incognito  gehen  wollen,  zu  Bedeckung  des  Angesichtes  zu  be- 
dienen pfleget  und  selbige  durch  eine  von  innen  angeschlungene  Coralle 
oder  auch  einen  durchgesteckten  Ring  in  dem  Munde  zu  halten  pfleget. 
Sie  sind  entweder  mit  Gold  oder  Silber  gestickt  oder  glatt«. ^) 

Fürsten  und  Priester  hatte  man,  wenn  sie  in  einem  festlichen  Zuge 
dahergingen,  schon  im  Mittelalter  durch  ein  mit  Stangen  getragenes 
Schirmdach  gegen  Sonnenbrand  und  auch  gegen  Regen  geschützt.  Das 
Dach  war  mit  kostbarem  Brokat  aus  Bagdad  (Baldak,  wie  man  im  Mittel- 
alter sagte)  überzogen ;  von  dem  Stoffe  Baldekin  wurde  der  Namen  auch 
auf  den  Traghimmel  übertragen :  Baldachin. 

Diese  feierHche  Beschirmung  fand  jedoch  nur  bei  seltenen  Gelegen- 
heiten, Einzügen,  Prozessionen  statt;  für  gewöhnlich  mufsten  auch  die 
Grofsen  dieser  Welt  die  Sonnenhitze  und  den  Regengufs  wie  alle  anderen. 
Menschen  ertragen.  Eine  Art  Sonnenschirm  war  den  Venetianern  schon 
bekannt:  auf  einem  Bilde  von  Paolo  Veronese  »Die  Findung  des  Moses& 
trägt  der  schwarze  Diener  einen  Sonnenschirm  über  dem  Haupte  der 
Prinzessin.  Allein  erst  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  wird  der  Ge- 
brauch des  Parasol  häufiger.  Wir  werden  bei  Besprechung  des  Pa- 
rapluies  auch  dieses  seit  jener  Zeit  unentbehrlichen  Gerätes  gedenken 
Gegen  den  Regen  schützte  man  sich  durch  dicke  Mäntel,  die  ver- 
schiedenen Arten  der  Kappe,  die  auch    mit  Kapuzen  versehen  waren. 


')  Gest.  von  Cornellius  Galle  1649.  —  Ebend.  IV,  N.  1889. 

«)  Ebend.  IH,  N.  1527. 

=*)  Vgl.  Kultiirh.  Rilderb.  III,  N.  1554.  —  Romeyn  de  Hooghc,  ebend.  V,  N.  2701. 

*)  (Vulpius)  Kuriositäten  X.  216. 

«)  S.  o.  die  Abb.  S.  252.  256. 


286 


111.    Wie   Kleiduni. 


und  zwar  scheinen  .Männer  wie  Frauen  diese  Wettermäntel  benutzt  zu 
haben,  während  die  aus  dickem  Fies  gefertigte  Sclavinia  wohl  nur 
von  Männern  gebraucht  wurde.  In  dickem  wasserdichten  Mantel  trotzte 
auch  im  16.  untl  17.  Jahrhundert  der  Mann  dem  ärgsten  Regengusse, 
während  die  Frau  sich  mit  einem  Kegentuche  behalf,  das  die  Gestalt 
vom  Kopf  bis  zu  den  Füfsen  einhüllend,  die  Toilette  vor  jeder  Gefähr- 
dung [sicher  stellte.  Eine  eigentümliche  Form  des  Regenmantels  hat 
man  am  Niederrhein,  in  Holland  und  in  den  spanischen  Niederlanden 
getragen.      In   dem  {Theatrum    Ur])iuni    sehen    wir   sie    abgebildet,    noch 

genauer  dargestellt  aber 
in  dem  Werke  des  Ab- 
raham de  Bruyn  »Habi- 
tus variarum  gentium« 
(ir)Sl),  das  1875  in 
Brüssel  aufs  neue  heraus- 
gegeben worden  ist. 
Tafel  1  zeigt  uns  da  eine 
adlige  belgisclie  Dame, 
wie  sie  zur  Kirche  geht. 
Sie  hat  das  jedenfalls 
durch  Draht  oder  Fisch- 
bein geformte  Regenkleid 
über  den  Kopf  gezogen. 
Tafel  2  bietet  wieder  ver- 
schiedene Formen  des- 
selben ;  merkwürdig  er- 
scheint es,  dafs  es  auch 
bei  Begräbnissen  getra- 
gen wurde.  Tafel  3  gibt 
uns  eine  Darstellung  des 
Antwerpener,  Tafel  16  des 
Kölner  und  Tafel  17  des 
Schnittes  von  Cleve.  Eine  gänzliche  Umgestaltung  des  Regenmantels 
bringt  nun  die  Zeit  um  1600.  Das  dunkle  schwarze  Tuch  ist  an 
einem  ganz  flachen  Mützchen  befestigt,  welches  durch  seine  eigene 
Schwere  fest  auf  dem  Kopfe  aufliegt.  Oben  an  dem  Mützchen  oder  der 
Calotte  ist  an  einem  langen  Stiel  ein  Puschel,  oder  Quast,  angebracht. 
Peter  Paul  Rubens  hat  seine  zweite  Gemahlin,  Helene  Fourment  (s.  o. 
S.  289),  in  diesem  Kleide  gemalt.  Unter  den  zahlreichen  Bildern  will  ich 
nur  einige  anführen.^)  In  dem  übrigen  Deutschland  hatten  diese  Kleider 
einen  anderen  Schnitt.  In  Hamburg  trägt  man  das  Regenkleid  oder  Regen- 


Weiizel  lloUar,  Fraueutrachl  ]C39— 4ö. 


1)  Jan  van  de  Velde.  Marktszene,  gest.  von  Claes  Janfs  Visscher.  —  Knlturg. 
Bilderb.  IV.  S.  V.  —  J.  Sandrart,  September  (c.  1640\  -  Ebend.  IV.  N.  1976.  — 
AVenzel  Hollar.  Ebend.  IV.  N.  2096.  —  Aus  d'er  Aula  Veneris  des  Wenzel  Hollar 
(Loud.  1644):  Edeldame  von  Brabandt  (Ebend.  IV.  N.  2123);  vornehme  Frau  aus  Ant- 
werpen (N.  2124);  aus  Köln:  vornehme  Frau  (N.  2127),  Bürgersfrau  (N.  2128),  wohl- 
habende Bürgersfrau  (N.  2129),  Frau  (N.  2130). 


6.  Das  18.  Jahrhiindort. 


287 


*■■<!,%-  f^     fCt^L 


Wenzel  Ilollar,  Kölner  Frau. 


Wenzel  Ilollar,  Wohlhabende  Koln-r  Büri?ersfrau. 


tuch  über  dem  Kopf;  es  ist  schwarz  sei- 
den oder  wollen,  vier  Ellen  lang,  zw^ei 
Ellen  breit.  Dazu  gehört  der  Regen- 
schurz, ein  Weiberrock,  der  über  den 
Anzug  gezogen  wird.  In  Nürnberg  liebt 
man  grüne  Regentücher,  doch  werden  sie, 
wie  der  Stich  von  Jac.  Andr.  Friderich 
beweist,  den  Jeremias  Wolff  veröffent- 
liclite,  auch  als  weifse  Umhänge^)  getragen. 

Diese  Tücher  und  Regenmäntel  sind 
noch  lange  gebraucht  worden  als  man 
längst  den  Regenschirm  erfunden  hatte. 

In  Frankreich  hatte  man  sich  ebenso 
wie  in  Deutschland  beholfen,  die  Chape 
ä  pluie,  der  Balandras,  schützten  den  An- 
zug und  hielten  ihn  trocken.  Ludwig  XIII. 
aber  hatte  schon  als  Prinz  1607  einen 
Sonnenschirm,  mit  dem  sein  Page  ihn 
beschützte. 2)  In  der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  kam  ein  geschickter 
Mann  auf  den  Gedanken,  den  Sonnen- 
schirm mit  Wachstuch,  s])äter  mit  Seide 
zu  überziehen,  so  dafs  er  auch  gegen 
den    Regen    schützen     konnte.       Schon 


')  Alltagsleben  einer  deutsch.   Frau.    ;^= 
Fig.  18.  —  *)  Vgl.  Alfred  Franklin,  La  vie 
privee  d'autrefois.    Les  luauasins    de    nou- 
veautes.     Paris  1898.  S.  299  ff. 


Wenzel  Ilollar,  KostümliKni-  um  l(;4u. 


288  III-  I^Je  Kleidung. 

1673  weist  das  Inventoire  du  mobilicr  de  la  couronne  elf  Parasols  mit 
verschiedenfarbener  Seide  und  drei  mit  Wachstuch  bezogen  auf.  Ein 
solcher  Schirm  war  jedoch  sehr  unbequem  und  schwer,  und  deshalb  wurde 
die  Erfindung  des  Jean  Marius,  der  ihn  zum  Zusammenklappen  und  viel 
leichter  herstellte,  sehr  willkommen.  Erst  in  der  zweiten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  bedient  man  sich  mehr  der  Regenschirme;  der  Ora- 
torianer  Caraccioli  hebt  1768  hervor,  dafs  niemand  in  Paris  ohne  Schirm 
ausgehe.  1769  entstand  eine  Gesellschaft,  welche  Regenschirme  an  die, 
welche  sie  bedurften,  verlieh;  1788  wurden  sie  weifs,  1789  grün,  1791 
rot  und  1804  blau  getragen. 

Das  Frauenzimmerlexikon  von  1715  kennt  sehr  wohl  den  Parasol, 
>ein  Schirm-Tach  von  Wachs-Tuch,  so  an  einem  Stänglein  das  Frauen- 
zimmer über  sich  traget,  um  sich  dadurch  wider  der  Sonnen-Hitze  zu 
bedecken.  In  hiesigen  Landen  aber  (d.  h.  in  Sachsen)  brauchet  sie  das 
Frauenzimmer  zur  Regen-Zeit.  Sie  können  ausgespannet  und  wieder 
eingezogen  werden.  Die  Frantzosen  geben  ihm  den  rechten  Nahmen 
und  nennen  es  Parapluye«. 

Mehr  zur  Spielerei  wird  der  Stock,  der  Spazierstock,  getragen. 
Die  Fufswanderer,  die  Pilger,  die  Bauern  haben  zu  allen  Zeiten  einen 
Stab  gebraucht.  Seit  dem  17.  Jahrhundert  aber  wird  es  Mode,  dafs  die 
Männer,  bald  auch  die  Damen,  Stöcke  tragen.  Schon  im  15.  Jahr- 
hundert hatten  die  Vertreterinnen  der  Modenarrheit  die  Spazierstöckchen 
benutzt^);  eine  Waffe  in  dem  Stock  verborgen  zu  tragen  war  im  16.  Jahr- 
hundert wieder  in  Gebrauch  gekommen,  aber  den  ersten  rechten  Luxus- 
stock hat  Heinrich  IV.  getragen.  Ludwig  XIII.  hatte  einen  Stock  aus 
Ebenholz  mit  Elfenbeinknopf.  Ludwig  XIV.  liebte  auch,  seine  Stöcke 
(s.  o.  S.  272)  recht  kostbar  zu  haben.^)  Der  Stock  wurde  das  Abzeichen 
des  Befehlens.  Seit  dem  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  wird  der  Rohr 
stock  gebraucht,  der  Griff  desselben  ist  aus  Gold,  Silber  u.  s.  w.  her- 
gestellt. Zur  Zeit  der  grofsen  Revolution  beginnt  der  Stock  den  Degen 
erfolgreich  zu  ersetzen.-^) 

Bis  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  hatte  ein  jeder  Bürger  das  Recht 
gehabt  ein  Schwert,  einen  Degen  zu  tragen.  Der  zum  Gesellen  beför- 
derte Lehrjunge  legte  den  Degen  an  als  Zeichen,  dafs  er  von  der 
Tyrannei  der  Dienstzeit  befreit  sei.  PoUzeiverordnungen  schränkten  das 
Recht,  Waffen  zu  tragen,  immer  mehr  ein,  behielt  es  einzig  den  Soldaten 
vor,  und  so  ist  auch  im  Bürgerstande  der  Stock  an  die  Stelle  des 
Degens  getreten. 

Die  französischen  Damen  hatten  in  den  Spazierstöcken  ein  neues 
Spielzeug  gefunden,  das  sie  weit  über  hundert  Jahre  benutzten.  Natür- 
lich  fand   diese  Mode  auch    in  Deutschland  Eingang,    und    das  Frauen- 


1)  Ebend.  S.  318  ff. 

»)  Alfred  Franklin,  a.  a.  0.  S.  302  ff. 

3)  Saint  Ifrny,  Soldatentypen  um  1630.  Kulturg.  Bilderb.  IV.  N.  1779,  1780,  1782, 
1784.  —  Rudolf  Meyer,  Soldaten  c  1630—35.  Ebend.  IV.  N.  1947,  1949.  —  Porträt 
Ludwigs  Xm.  Ebend.  IV.  2065.  —  Van  Dyck,  Karl  (U)  als  Kind.  Ebend.  IV.  N.  2008. 
—  Romain  de  Hooshe.  Ebend.  V.  N.  2692.  —  Ludwig  XIV.  N.  2794.  N.  2835. 


6.   1)518  18.  Jahrlmudert.  289 

zimnierlexikon  von  1715  oi-\\ähnt  deshall)  »den  Spatzier-Stab  oder  Stock, 
ein  schmal  und  geschwancke.s  von  Spanischen  Rohr  verfertigtes  Stäblein, 
mit  einer  Schleifte  Band  versehen,  dessen  sich  das  Frauenzinmier  an 
etlichen  Orten  bey  dem  Spatzierengehen  zu  bedienen  pfleget«. 


P,    1'     lliilipns,    Helene  Fminiieiit.     (München,     \lte   Pin:il<i.lliek   i 

Die  Hunde  werden  schon  im  frühen  Mittelalter  gern  im  Hanse 
gehalten.  Isolde  hatte  ehi  Scholsliündchen,  Petit  Criu.  das  sie  stets  be- 
gleitete^), und  häufig  finden  ^vir  auf  den  (Trabsteinen   Hunde  abgelnldet, 

>)  Il()f.  lA'heii.  -'I.  450. 

Schnitz,    Das  hiinsli('he  Lehen   im   MitH'hillei .  1  •' 


290  ^I-  ^^^   Kleidimg. 

7AI  den  Füfsen  ihrer  Herren  oder  Herrinnen  hingeschmieü;!..  Die  Minia- 
turen der  neidellHU'ger  Minnesingerhandsehrift  ]>ringen  vielfach  die 
Bilder  solcher  Schofshunde;  sie  gehören  zur  IJa.ss»^  dor  Wachtelhunde^). 
In  Holland  waren  diese  kleinen  Tiere  noch  zur  Zeit  des  Frans  von  Mieris 
beliebt;  er  hat  z.  B.  zwei  auf  Skizzen  dargestellt,  die  später  von  Ploos 
von  Amstel  meisterhaft  in  Kupfer  gestochen  worden  sind.  Diese  weifsen, 
rotgelb  gefleckten  Spaniels  waren  in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts bei  den  Damen  noch  überaus  beliebt.  Die  King  Charles-Hünd- 
chen hatte  man  zuerst  in  England  im  17.  Jahrhundert  geschätzt.  Auf 
<lem  Stiche  des  Meisters  von  Amsterdam  ist  ein  Windspiel  dargestellt'-); 
die  Hunde  auf  den  Stichen  des  Mair  von  Landsberg  ^)  und  des  Israel 
van  Meckenen^)  können  vielleicht  der  Pintscherrasse  angehört  haben.  Von 
den  Jagdhunden  wollen  wir  gar  nicht  sprechen,  sondern  allein  von  den 
Stuben-  und  Luxushunden. 

Die  Geschichte  der  deutschen  Schofshunde  ist  noch  nicht  geschrieben 
worden,  wohl  aber  hat  Alfred  Franklin  in  zwei  Bänden  seiner  Vie  privde 
d'autrefois^)  auch  diesen  Fragen  seine  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Die 
Wachtelhunde,  Espagnols  oder  Epagneuls,  scheint  man  erst  um  die  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts  in  Frankreich  eingeführt  zu  haben. ^)  Sonst  kannte 
man  die   Windhunde  u.  s.  w.") 

Ludwig  XI.  liebte  die  Hunde. '^)  Die  Mutter  Ludwigs  XII.,  Marie 
von  Cleve,  hefs  1455  für  ihre  Windhunde  Kleider  anfertigen^);  ihrem 
Beispiele  folgte  später  Maria  Stuart,  die  ebenfalls  im  Winter  ihre  Hunde 
in  blauen  Samt  kleidete.^")  Alle  Valois  waren  Hundefreunde,  besonders 
weit  trieb  diese  Vorhebe  Heinrich  III.  Unter  seiner  Regierung  wurden 
die  Malteser  oder  Bologneser  Hündchen  geschätzt  ^^),  weifs  mit  glattem 
Seidenhaar,  schwarzen  Augen  und  schwarzer  Nase.  Ganz  kleine  Tiere 
kamen  aus  Artois  oder  aus  Bologna;  die  Damen  trugen  sie  in  ihrem 
Muff  (Chiens  ä  manchon).  Man  wollte  ihr  Wachstum  dadurch  verhindern, 
dafs  man  gleich  nach  der  Geburt  ihre  Gelenke  mit  starkem  Branntwein 
einrieb.  Man  machte  über  diese  Vorliebe  damals  sehr  böse  Bemerkun- 
gen.^'^) Lud\A-ig  III.  war  ein  Hundefreund. ^^)  Unter  Ludwig  XIV.  bleiben 
die  Bologneser  in  der  Mode,  Hnndehändler  versorgten  die  Damen  mit 
diesen  ihren  Liebhngen.  An  Stelle  der  Bologneser  traten  dann  die 
Hunde  aus  Burgos  »Bassets  ä  jambes  torses  au  museau  allonge  et  aux 
oreilles  pendantes«,  also  eine  Art  Dachshunde.  Die  Wolfshunde  wurden 
darauf  modern;  zur  Zeit  der  Regentschaft  waren  wieder  die  Spaniels 
beliebt.")     Der   König   selbst    hebte    die   Hunde    und    hielt    eine    grofse 


1)  Kulturg.  Bilderb.  HI.  N.  1370,  1442,  1447. 

2)  Deutsches  Leben.  Fig.  400. 

3)  Ebend.  Fig.  410,  412,  413. 
*)  Ebend.  Fig.  415. 

5)  Les  auimaux  *  (Paris  1897)  und  Le.s  animaux  *  *  (Paris  1899). 

6)  Les  auimaux  *,  p.  289. 
')  Ibid.  p.  295. 

*)  Comines  in  Les  .\nimaux**,  p.  24. 

3)  Ebend.  p.  36.    —   »°  Pag.  52.  —  ")  Pag.  56.    -  '^)  Pag.  94.  —  '»)  Pag.  88.  — 
»*)  Pag.  144. 


Der  Bauern.  291 

Menge.  Seit  1657  gibt  e.s  das  Hofamt  eines  Capitaine  des  levrettes 
de  la  chambre  du  Roi.  Eine  Gouvernante  de  la  guenon  et  des  chiens 
de  la  chambre  und  Escuyers  capitaines  des  levrettes  werden  auch  ge- 
nannt. Die  letztere  Stelle  existierte  noch  zur  Zeit  Ludwigs  XVI. ^) 
Ludwig  XV.  liebte  seinen  King-Charles  Filou  über  alle.«^.  Die  Pudel 
(caniche,  griffon)  werden  später  modern. 

7.  Kleidung  der  Bauern. 

Die  Kleidung  der  Bauern  wechselt,  zwar  nicht  so  schnell  wie  die 
des  Adels  und  der  Bürger,  allein  auch  in  den  Dörfern  findet  von  Zeit 
zu  Zeit  die  Mode  Eingang.  Es  kleiden  sich  die  Bauern  für  gewöhnlich 
•in  graue  Wollstoffe,  die  sie  selbst  gesponnen  und  gewebt  haben.  Die 
Männer  tragen  selten  Hosen,  sondern  blofse  Beine,  höchstens  hohe 
Stiefeln,  der  Rock  reicht  bis  zum  Knie,  bei  kaltem  Wetter  legen  sie 
eine  Frieskutte  mit  Kaputze  (die  Sclavinia)  an  oder  nehmen  einen  Schaf- 
pelz um,  die  rauhe  Seite  nach  aufsen  gekehrt.  Die  zahlreichen  Kalender- 
bilder gestatten  es,  die  Wandlungen  der  Bauern  trachten  seit  dem  12.  und 
13.  Jahrhundert  ziemlich  sicher  zu  verfolgen. 

Für  ItaHen  kommen  da  auch  die  Rßhefs  von  Niccolö  und  Giovanni 
Pisano  in  Betracht,  die  die  Verkündigung  und  Anbetung  der  Hirten 
darstellen;  auch  die  Gemälde  von  Giotto  in  der  Scrovegni-Kapelle  zu 
Padua  führen  uns  Bauern  vor.  Die  Erscheinung  der  Landleute  im 
15.  Jahrhundert  zeigen  uns  die  Stiche  von  Martin  Schongau  er,  die  Feder- 
zeichnungen des  Mittelalterlichen  Hausbuches  (im  Besitz  des  Fürsten 
Waldburg- Wolf  egg).  Dafs  reiche  Bauern  wohl  auch  gelegentlich  die  Moden 
des  Adels  nachzuahmen  versuchen,  zeigt  uns  die  Geschichte  vom  Meier 
Helmbrecht. 

Über  die  Einzelheiten  der  Bauerntracht  des  15.  Jahrhunderts  dürfte 
in  den  deutschen  Fastnachtsspielen,  in  den  französischen  Novellen  man- 
ches zu  finden  sein.-)  Die  fränkischen  Bauern  des  16.  Jahrhunderts 
führt  uns  Albrecht  Dürer  vor.  Das  sind  die  Leute,  die  Sebastian  Franck 
im  Auge  hat,  wenn  er  in  seinem  AVeltbuche  (1533)  fol.  xlvi_f^  sagt: 
»Difs  muoselig  volck  der  bauren,  Kohler,  hirten  etc.  ist  der  vierd  stand, 
deren  behausung,  leben,  Kleydung,  speifs,  weifs  etc.  weifst  man  wol.  Ein 
seer  arbeitsam  volck,  das  jedermans  fuofshader  ist  und  mit  fronen, 
scharwercken,  zünssen,  gülten,  steuren,  zollen  hart  beschwert  und  über- 
laden ist,  doch  nit  dester  frümmer  auch  nit  wie  etwan  ein  einfeltig 
.sunder  ein  ^dld  hinterHstig  ungezempt  volck;  yr  hantierung,  sitten,  Gots- 
dienst,  bawen  ist  yederman  bekant  doch  nit  allenthalben  gleich,  sunder 
wie  an  allen  orten  1  e  n  d  1  i  c  h ,  sittlich.«  Die  Bayern  tragen  mit  Vor- 
liebe blaue  Kleider ,  die  Bauern  mehr  Stiefeln  wie  Hosen  (ebend 
fol.  Ijv^). 

')  Pag.  145. 

-)  Eine  grofse  Menge  von  Abbildungen  bietet  uns  das  interessante  Werk  von 
Adolf  Bartels,   Der  Bauer  ^Monogr.  z.  deutschen  Kulturg.  IV.)  (Lpz.  1900\ 

19* 


292  11^-   '*'^^   Kleidung  der  Bauern. 

Den  holländischen  Bauer  des  17.  Jahrhunderts  stellt  Adrian  van 
Ostade  und  seine  Genossen  dar;  den  der  katholischen  Niederlande  hat 
nach  dem  Vorgange  der  Breughel  häufig  David  Teniers  d.  .1.  geschildert. 

In  dem  Theatrum  Urhium  sind  auch  viele  Bauerntrachten,  friesische 
und  deutsche.  s[>anische  und  italienische  ahgehildet.  Französische  Bauern 
hat  Jaccjues  Callot  in  seinen  Miseres  de  la  guerre  dargestellt,  italienische 
Hirten  und  ihre  Frauen  Nikolaus  Berchcni  (1G20 — S;5)  g(>malt  und  radiert. 

Dal's  übrigens  die  Bauern  trachten  keineswegs  uralt  sind,  wie  man 
so  oft  vermeint,  dafür  würde,  wenn  uns  mehr  Kostümbilder  zur  Vei'- 
fügung  ständen,  leicht  der  Beweis  zu  liefern  sein :  auch  auf  dem  Lande 
hat  die  Mode  Veränderungen  der  Anzüge  veranlafst;  nicht  so  häufig 
wie  in  der  vornehmen  Gesellschaft,  aber  doch  immeriiin  wahrnehmbar. 
Wenn  man  z.  B.  die  Berner  Tracht  zur  Zeit  des  Schwoizermalers  Sig- 
mund Freudenberger  (1745 — 1801)  mit  der  heutigen  vergleicht,  wird  man 
(he  Dichtigkeit  jener  Wahrnehnumg  nicht  verkennen. 


IV. 

Essen  und  Trinken. 


Essen  und  Trinken. 


Zu  allen  Zeiten  haben  die  Ernährungsfragen  eine  sehr  grofse  Rolle 
gespielt  und  es  ist  deshalb  wohl  wert,  dafs  man  auch  dieser  Erscheinung 
in  den  Tagen  der  Vergangenheit  seine  Aufmerksamkeit  zuwendet.  Es 
ist  ein  hohes  Verdienst,  das  sich  M  o  r  i  z  Heyne  um  die  Sittengeschichte 
erworben  hat,  indem  er  in  seinem  grofsangelegten  Werke  »Fünf  Bücher 
deutscher  Hausaltertümer«  dem  »Deutschen  Nahrungswesen«  einen  be- 
sonderen Band  (H.  Lpz.  1901)  widmete.  Auf  dieses  Werk  seien  alle  ver- 
wiesen, welche  eingehendere  Studien  über  diesen  Zweig  der  Sitten- 
geschichte zu  imternehmen  beabsichtigen.^) 

Dafs  die  Völker  diesseits  der  Alpen  sich  hauptsächlich  von  den 
Erträgnissen  ihrer  Viehzucht  und  ihrer  Jagd  ernährt  haben,  ist  sehr 
wahrscheinlich.  Brot  und  allerlei  aus  den  gewonnenen  Feldfrüchten 
bereitete  Speisen  mögen  ihnen  wohl  auch  bekannt  gewesen  sein,  jedoch 
der  Anbau  besserer  Fruchtarten,  von  Gemüsen  aller  Art,  ist  erst  all- 
mählich von  Italien  her  in  jenen  Ländern  heimisch  gemacht  worden. 
Karl  der  Grofse  hat  sich  um  die  Verbesserung  der  Landwirtschaft  seiner 
Völker  die  allergröfsten  Verdienste  erworben,  durch  die  Aufmerksam- 
keit, die  er  seinen  Musterwirtschaften  zuwandte,  auf  weitere  Kreise 
anregend  und  fördernd  eingewirkt.  Aber  noch  viel  mehr  verdankt  der 
Ackerbau  den  Mönchen,  die  rationeller  ihren  Boden  bestellten  und  durch 
Einführung  neuer  Kulturpflanzen,  Gemüsen,  die  Landwirtschaft  wesent- 
lich bereicherten. 

So  dürfen  wir  uns  schon  um  den  Beginn  des  zweiten  Jahrtausends 
die  Küche,  wenigstens  der  vornehmeren,  reicheren  Leute,  recht  gut  ver- 
sorgt vorstellen.  Verschiedenes  Brot,  schwarz  und  weifs,  Kuchen  mannig- 
faltiger Art,  dann  das  am  Spiefs  gebratene  Fleisch  der  Haustiere,  die 
im  Herbste  geschlachtet  wurden ;  Wurst,  Rauch-  und  Pökelfleisch  mufste 

*)  Über  französische  Verhältnisse  gibt  die  zuverlässigste  Auskunft  Alfred  Franklin. 
Er  hat  diese  Fragen  in  drei  Bänden  seiner  Vie  privee  d'autrefois  behandelt:  La  cui- 
sine  (Paris  1888),  Le  repas  (Paris  1889)  und  Varietes  Gastronomiques  (Paris  1891). 
Wie  es  in  dem  Plane  des  ausgedehnten  Werkes  begründet  ist,  wird  nur  die  Zeit  seit 
<lem  12.  Jahrhundert  in  Betracht  gezogen  ;  am  interessantesten  sind  immer  die  Schil- 
derungen aus  dem   17.  und  IS.  Jahrhundert. 


296  ^^  •  Ksseu   und  Trinken. 

dann  den  Winter  hindurch  vorhalten,  wenn  nicht  die  Jagd  frisches 
Fleisch  in  die  Küche  li(>ferte.  Man  ist  nicht  wählerisch  und  ifst  neben 
den  auch  uns  wohlsclinieckenden  Rebhühnern  und  Wachteln  die  Reiher, 
Kraniche,  Rohrdonunehi,  kurz,  was  mit  der  Falkenbeize  zu  erlegen  war. 
Im  Notfalle  mufste  das  Geflügel  verwendet  werden,  das  man  auf  dem 
Hofe  hielt,  vor  allem  die  Hühner,  die  ein  sehr  geschätztes  Essen 
lieferten  und  tlie  man  auf  die  mannigfachste  Art  zuzubereiten  verstand. 
Es  wäre  ein  Irrtum,  anzunehmen,  dal's  die  Leute  vor  einigen  Hundert 
Jahren  nicht  ebenso  gut  zu  speisen  wufsten  wie  heute.  Wenn  sie  auch 
im  Binnenlande  nichts  von  Austern  wufsten  und  der  Kaviar  wie  manche 
andere  Leckerei  ihnen  unbekannt  waren,  so  haben  sie  Krebse  im  Über- 
tlufs  gehabt  und  mit  ilmen  manch  Gericht  zu  verbessern  gewufst.  Die 
alten  Rezepte  w^ürden  auch  heute  den  Beifall  manches  Gourmets  finden. 

Schlecht  ist  es  dagegen  mit  dem  Getränk  bestellt.  Der  Met  mochte 
noch  allenfalls  einen  leidlichen  Trunk  bieten,  allein  der  Wein  ist  im 
allgemeinen  nicht  wohlschmeckend.  In  einigen  Lagen  hat  man  freihch 
schon  in  alter  Zeit  einen  guten  Tropfen  gekeltert. 

Der  Mosel-  und  Rheinwein  galt  schon  im  frühen  Mittelalter  als  ein 
gutes  Getränk,  wurde  selbst  ins  Ausland  verkauft.  Dieser  Weinbau  ging 
wohl  schon  auf  die  Römerzeiten  zurück,  wenn  auch  einzelne  Weingärten 
ziemlich  spät  angelegt  wurden,  wie  die  Rüdesheimer,  die  1074  der 
Mainzer  Erzbischof  Siegfried  zuerst  gründete.  Dann  erfreuten  sich  die 
burgundischen  Weine  von  Auxerre  und  von  Beaune  eines  wohlverdienten 
Riües;  der  von  La  Rochelle  wurde  sogar  nach  England  ausgeführt. 
Aber  sonst  war  man  nicht  zu  sehr  verwöhnt,  man  baute  Wein  an  Orten 
bis  nach  Pommern  hin,  wo  heute  schon  längst  der  Versuch  solcher 
Kultur  aufgegeben  ist  —  nur  die  Bezeichnung  einiger  Hügel  als  Wein- 
berge erinnert  an  die  ehemaligen  Unternehmungen  — ,  ja  man  hat  den 
Wein,  selbst  den  von  Thorn  an  der  Weichsel,  gekeltert  und  sogar 
getrunken.  Den  Leuten,  denen  das  möglich  war,  mag  allerdings  der 
Bozener  oder  der  Chiavenna-Wein  wie  ein  Göttertrank  gemundet  haben. 
Die  griechischen  Weine  (Cyper,  Malvasier),  wie  die  aus  Italien,  gelangten 
wolü  allerhöchstens  auf  die  Tafeln  der  Kaiser,  Könige,  Fürsten  und 
Prälaten  und  wurden  auch  da  nur  als  Delikatessen  genossen.  Wer  auf 
seinen  Eigenbau  angewiesen  war  oder  fürlieb  nehmen  mufste  mit  dem 
Getränk,  das  in  seinem  Landstrich  erzeugt  wurde,  der  durfte  nicht  zu 
wählerisch  sein;  er  trank  den  Säuerling  oder,  wenn  ihm  das  nicht 
gelingen  wollte,  versüfste  er  ihn  mit  Honig,  zog  ihn  über  Beeren  und 
duftenden  Kräutern  ab,  machte  sich,  wie  wir  heute  sagen  würden,  eine 
Bowle.  Und  in  dieser  Kunst  haben  es  die  Leute  jener  Zeit,  wohl  auch 
angeleitet  durch  die  feinschmeckenden  Klosterherren,  sehr  weit  gebracht. 
Wir  haben  das  meiste  wieder  verlernt.  Würz-  und  Glühweine  sind  wohl- 
bekannt, mit  einem  Worte:  man  wufste  sich  zu  behelfen  und  als  gar 
zu  unempfindhch  dürfen  wir  uns  auch  die  Kehlen  jener  längst  ver- 
gangenen Zeit  nicht  vorstellen. 

Das  Bier  war  allgemein  schlecht,  deshalb  auch  nicht  sonderhch 
beliebt;    erst   im    15.  Jahrhundert   wufste    man    ein    kräftigeres    Getränk 


I.  Die  Stunde  des  Essens.  .  297 

ZU  brauen,  und  wieder  waren  es  die  Klosterbraueroien ,  die ,  unter- 
einander erprobte  Rezepte  austauschend,  mit  gutem  Beispiele  vor- 
angingen. 

Nebenher  wufste  man  allerlei  gegorene  Getränke  herzustellen  aus 
Äpfeln,  Birnen,  verschiedenen  Beeren  und  die  vertraten  in  den  Gegenden, 
denen  der  Weinbau  fremd  war,  das  teuere,  aus  der  Ferne  lierbeigeholte 
Getränk. 

Der  Branntwein  hat  schon  im  15.  Jahrhundert  eine  solche  Be- 
deutung erlangt,  dafs  man  gegen  seinen  Milsbrauch  gesetzlieh  einzu- 
schreiten für  geboten  erachtete.^) 

So  sehr  man  jedoch  auch  den  Trunk  an  sich  zu  schätzen  wufste, 
ist  man  weit  von  der  Trunksucht  entfernt.  Wenn  die  Römer  den  Ger- 
manen Neigung  zu  derselben  vorwerfen,  so  urteilen  sie  unstreitig  nach 
ihrem  eigenen  nüchternen  Geschmack,  denn  auch  das  Mafs  des  Trunkes 
ist  bei  den  verschiedenen  Völkern  und  Ländern  bekanntermafsen  ein 
verschiedenes.  Jedenfalls  war  dem  frühen  Mittelalter  die  Sucht,  sich  zu 
berauschen,  fremd;  dafs  es  nicht  hin  und  wieder  Sünder  gegeben  hat, 
soll  nicht  behauptet  werden;  doch  es  gilt,  ganz  besonders  in  der  guten 
Gesellschaft,  nicht  für  anständig,  sich  zu  betrinken.  Zuerst  beginnt  man 
während  des  15.  Jahrhunderts  Gefallen  am  Rausche  zu  finden,  nicht  so 
in  Italien,  Frankreich  und  Spanien  als  in  Deutschland,  ICngland,  den 
skandinavischen  Jjändern,  auf  die  sich  auch  in  der  Folgezeit  die  Trunk- 
sucht lediglich  beschränkt. 

Wenn  während  des  Mittelalters  die  hohen  Herren  sehr  gut  speisten, 
und  tranken,  der  Adel  bescheidener,  der  Bürger  noch  sani)ruchsloser, 
ist  der  Bauer  sehr  karg  versorgt.  Selten,  aufser  im  Herl)st,  kommt 
Fleisch  auf  seinen  Tisch,  die  Jagd  ist  ihm  verboten,  so  nährt  er  sich 
von  Grütze  und  groben  Mehlgerichten,  Grünzeug  u.  s.  w.  und  sein 
Trunk  ist  allein  Wasser.  Wenn  wohlhabende  Bauern  je  einmal  auch 
für  ihr  materielles  Wohlsein  etwas  geopfert  haben,  so  erregt  das  sogleich 
die  Mifsbilligung,  vielleicht  auch  den  Neid  der  anderen  Stände. 

Wie  die  Tracht  die  allergröfste  Mannigfaltigkeit  je  nach  den  Land- 
strichen aufweist,  so  hat  auch  jeder  Volksstamm,  ja  jede  Stadt  und  viel- 
leicht auch  jedes  Dorf  seine  charakteristischen  Gerichte.  Und  das  gilt 
fast  bis  auf  die  neueste  Zeit  herab,  wenn  sich  auch  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten die  Eigenarten  immer  mehr  verloren,  einer  allgemeinen  inter- 
nationalen Küche  Platz  gemacht  haben. 

I.   Stunde  des  Essens. 

Ursprünghch  scheint  man  nur  zweimal  am  Tage  gegessen  zu  haben 2): 
des  Morgens  gleich  nach  dem  Aufstehen  nahm  man  das  Frühmahl  (dis- 
ners,  pranzo)  und  gegen  Abend  das  Nachtmahl  (souper,  cena).  Wir  können 
für  die  Zeit  bis  zum  Ende  des  13.  Jahrhunderts  lediglich  von  den  Ge- 
wohnheiten der  vornehmen  Leute  sprechen  :  von  dem  Treiben  der  Bürger 

0  Deutsches  Leben  im  14.  und  15.  Jahrhundert.     8.  509. 
^)  Höf.  Leben  »I,  360  ff. 


298  Essen  uiiil   Trinken. 

und  Bauern  ^vissen  wir  not-h  zu  wenig.  Der  Kitter  stand  hei  Anbrucli 
des  Tages  auf  und  hörte  dann  y.uerst  die  Messe.  So  mag  man  im  Sommer 
o-eo-en  7  Uhr  morgens,  im  Winter  gegen  8  Uhr  gespeist  liaben.  Schon 
im  11.  Jahrhundert  hatte  man  jedoch  die  Stunde  des  Frühmahles  auf 
9  Uhr  morgens  (die  kanonisclu'  liora  tertia)  verk^gt.  So  lange  aber 
konnten  die  Leute  nic-ht  nüchtern  bleiben,  darum  nahmen  sie  vor  dem 
Prandium,  dem  Morgent^ssen,  noch  ein  l<'rühstück  ein.  Dejeuner  heifst 
sich  entnüchtern  (dejejunarel  Lateinisch  aber  nciiiit  man  dies  Vor- 
essen Jentamen,  jentaculum. 

Die  Stunde  für  das  Frühinal  ist  gcwidudicli  um  9  Uhr  morgens 
angesetzt;  allein  auch  in  dieser  Hinsicht  wurde,  so  scheint  es,  eine  feste 
Norm  nicht  überall  beobachtet.  Es  werden,  allerdings  vereinzelt,  auch 
^[ahlzeiten  erwähnt,    die  erst  um  Mittag,    also  um  12  Uhr,    stattfanden. 

Das  Nachtmahl  (cena)  nahm  man  um  3  oder  6  Uhr  nachmittags 
ein.  Da  die  Zeit  zwischen  dem  Prandium  und  der  Caena  gar  zu  lang 
erschien,  so  ward  es  Sitte,  eine  kleine  Stärkung  zu  verabreichen.  Das 
ist  die  Merenda  (underimbiz). 

Auf  diese  Art  hatte  man  schon  im  12.  Jahrhundert  sich  gewöhnt, 
mindestens  vier  Mahlzeiten  zu  geniefsen:  das  Frühstück  (jentamen),  das 
Frühmahl  (disner,  prandium,  pranzo),  die  Merenda  und  das  Nachtmahl 
(souper,  caena,  cena).^)  Zum  Frühstück  genofs  man  bald  nur  einen 
Schluck  Wein  und  ein  Stück  Brot,  bald  aber  war  auch  ein  Fleischgericht 
erforderlieh  u.  s.  w.  Das  hat  sich  sicherHch  nach  dem  Geschmack  und 
dem  Wohlstände  der  Einzelnen  gerichtet;  es  mögen  auch  in  verschiedenen 
Ländern  und  Gegenden  verschiedene  Sitten  im  Gebrauch  gewesen  sein. 
Beim  Prandium  wird  nun  ernsthch  gespeist.  Es  entsi>rach  unserem 
Mittagsessen;  die  Suppe  ist  noch  nicht  gebräuchlich.  Zur  Merenda 
nimmt  man  wieder  Wein,  Bier  und  Brot;  auch  brockte  man  das  Brot 
in  das  Getränk,  bereitete  eine  Art  Kalteschale. 

Nach  Beendigung  des  Tagewerkes  geht  man  dann  zum  Nachtmahl 
(caena),  das  immer  viel  reicher  zubereitet  wird  als  das  Frühmahl.  Es 
ist  während  des  ganzen  Mittelalters  eigenthch  die  Hauptmahlzeit,  bei 
der  man  je  nach  Belieben  lange  verweilen  konnte,  nach  dem  Dessert 
trinkend  und  plaudernd,  bis  die  Stunde  des  Schlafengehens  kam.  Den 
Schlaftrunk  konnte  man  allenfalls  auch  noch  den  Mahlzeiten  zurechnen. 

Alfred  Franklin  hat  sich  bemüht,  die  Essensstunden  für  Frankreich 
festzustellen.-)     Nach    seiner    Schilderung    afs    der    König   Karl  V.  sein 
Frühstück   um    10,   Ludwig  XII.    nahm   das   Frühmahl   um   8   Uhr   und 
legte   sich    um    6  Uhr    abends    zum  Schlafen    nieder;    das  Souper  fand 
zwischen  4  und  5  Uhr  statt.     Rabelais  zitiert  das  Sprichw^ort: 
Lever  ä  cincp  disner  ä  neuf, 
Soupper  a  cincp  coucher  k  neuf, 
Fait  ^ivre  l'homme  dix  fois  neuf. 


*)  Geiler  von  Kaisersberg  zitiert  schon  in  seiner   Navicula  fatuoruni  Tnrba  XVI 
den  Vers  :  Qui  semel  est,  deus  est,  bis  houio,  sed  bestia  qui  ter ; 

Est  daemon  quater,  quinquies  est  sua  mater. 
2)  T^a  vio  priv(^e  d'autrefois.  —  Varietes  gastronomiqnes  (Paris  1891),  Cap.  II. 


II.  Die  fürstlichen  Tafeln.  299 

Später,  aber  noch  im  16.  Jahrhundert,  wurde  das  A^erschen  ge- 
ändert : 

Lever  ä  six,  disner  h  dix, 

Souper  ä  six,  coucher  ä  dix, 

Fait  \ivTe  Thomme  dix  fois  dix. 
Die  zehnte  Stunde  \vird  lange  Zeit  allerorten  für  das  Frandium 
festgehalten.  Der  deutsche  Kaiser  Ferdinand  I.  speist  um  diese  Zeit, 
wie  Dr.  Johann  Naeve  in  seinem  Buche  »Des  Allerdurchlauchtigsten 
Römischen  Keysers  Ferdinand  des  Ersten  Denckwürdiger  Tafel-Reden« 
(Dresd.  1674)  erzählt.  Es  hatte  einmal  die  Predigt  zu  lange  gedauert, 
so  dafs  der  Kaiser  erst  »kurtz  vor  Zehen  zur  Mittags-TafEel  kam«  (S.  71). 
Auch  in  den  Bürgerkreisen  afs  man  noch  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
um  10  Uhr.i) 

Heinrich  III.  von  Frankreich  soupierte  um  6  Uhr;  sein  Arzt  Laurent 
Joubert  hatte  ihm  vorgeschrieben,  vom  Mai  bis  August  um  5  Uhr  auf- 
zustehen, um  9  Uhr  zu  essen,  um  5  Uhr  das  Nachtmahl  zu  nehmen  und 
um  9  Uhr  sich  zur  Ruhe  zu  legen,  im  September,  Oktober,  März,  April 
um   6  Uhr    das   Bett   zu  verlassen,    um    10  und  6  Uhr   zu  speisen,    um 

10  Uhr  schlafen  zu  gehen,  im  November  bis  Februar  alles  eine  Stunde 
später.  Zur  Zeit  Heinrichs  IV.  ist  die  Dinerstunde  schon  auf  11  Uhr 
festgesetzt.    Sein  Leibarzt  Josef  Duchene  hatte  die  Zeit  zwischen  10  und 

11  Uhr  vorgeschlagen.  Um  diese  Stunde  speist  man  auch  in  den  Tiroler 
Bädern  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  wie  Guarinonius  (S.  954)  erzählt. 
Zur  Zeit  von  Moscherosch  (c.  1642)  findet  das  Mittagsessen  statt  »gegen 
die  eylffte  stunde,  da  jedermann  in  seinem  Ort  zum  Essen  durch  die 
Bläser  auff  dem  (Rathaus-)  Thurn  nach  löbhchem  Brauch  mit  blasung 
einer  Schalmeyen  ermahnet  werden«  (S.  205).  Das  Abendessen  verlegt 
er  auf  V28  Uhr  (S.  176).  Für  Ludwdg  XIII.  war  zuerst  die  Dinerstunde 
auf  11  Uhr,  die  des  Soupers  auf  6  Uhr  festgesetzt;  seit  1627  jedoch 
speist  er  um  12  Uhr  zu  Mittag.  Als  Ludwig  XIV.  den  Thron  besteigt, 
findet  das  Mittagsessen  zwischen  11  und  12  Uhr,  das  Abendessen  zwischen 
6  und  7  Uhr  statt.  Ludwig  XIV.  nahm  später  sein  Mittagsmahl  um 
1  Uhr,  das  Nachtmahl  um  6  Uhr.  Der  Adel  speist,  um  dem  Essen  des 
Königs  beizuwohnen,  um  12  Uhr  und  soupiert  zwischen    8  und  9  Uhr. 

Bis  ins  18.  Jahrhundert  blieb  die  allgemeine  Speisestunde  für  das 
Mittagsessen  12  Uhr,  für  das  Nachtmahl  zwischen  7  und  8  Uhr.  Dann 
jedoch  wird  für  vornehme  Leute  die  Essensstunde  auf  3  Uhr  verschoben ; 
das  Souper  findet  zwischen  10  und  11  Uhr  statt.  Noch  1768  speisen  in 
Frankreich  die  Handwerker  um  9  Uhr,  die  Provinzialen  vmi  12  Uhr,  die 
Pariser   um  2  Uhr,    Geschäftsleute   um    Va^  Uhr,    der  Adel  um   3  Uhr. 

II.   Die  fürstlichen  Tafeln. 

Die  Gastmähler  an  den  Fürstenhöfen  sind  uns  von  den  Dichtern 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  mit  mehr  oder  minder  Sachkenntnis  oft 
beschrieben  worden. 


')  Phil.  Ilainhofer,  Koiseta.uel).  1617.  —  Balt.  Stu<li(>n   IT.  2,  8S. 


300  1^-  lassen  und  Trinken. 

Der  Truchsefs  (Senechal)  meldet,  dafs  das  Essen  bereit  ist;  darauf 
befiehlt  der  Herr,  das  Signal  zum  Händewascheu  yax  blasen.  Da  jeder- 
mann mit  den  Fingern  ifst,  in  die  gemeinsame  Schüssel  eintaucht,  so 
gebietet  es  die  Sitte  notgedrungen,  dafs  ein  jeder  sich  vor  und  nach 
dem  Essen  die  Hände  wäscht.  Entweder  waren  da  Schüsseln  und  Hand- 
tücher an  einer  schicklichen  Stelle  des  Speisesaales  zu  finden  oder  die 
dienenden  Knaben  (Pagen)  besorgten  das,  indem  sie  kniend  den  Gästen 
über  ein  Becken  die  Hände  aus  einer  Kanne  begossen  und  ihnen  zum 
Abtrocknen  das  Tuch  bieten,  welches  sie  am  Halse  tragen.  Sobald  das 
Waschen  beendet  war,  nahm  man  Platz.  Schon  damals  legte  man  auf 
die  Tischordnung  ein  überaus  grolses  Gewicht;  es  kam  sehr  darauf  an, 
dafs  jeder  Gast  nach  seiner  Bedeutung  und  Wüi'digkeit  geehrt  wurde. 
Ursprünglich  hatten  die  Männer  für  sich  gespeist,  die  Frauen  in  ihren 
Gemächern  ihre  Mahlzeiten  eingenommen.  In  der  Zeit  des  Frauenkultus 
zog  man  auch  die  Damen  zu  den  Festmahlen,  es  wurde  bunte  Reihe 
gemacht  und  dadurch  erhielten  die  Diners  und  Soupers  einen  Reiz,  den 
die  ältere  Zeit  entbehrt  hatte.  Man  safs  übrigens  nur  auf  einer  Seite 
der  langen  Tafeln,  die  andere  Seite  war  für  die  Tischbedienung  frei- 
gelassen. 

War  nun  jedermann  an  dem  ihm  zukommenden  Platze,  so  erschienen 
unter  Vortritt  des  Truchsesses,  der  seinen  Amtsstab  in  der  Hand  führte, 
die  Edelknaben,    welche   aus  der  Küche  die  Speisen   hereintrugen. 

Die  Fleischgerichte  sind  schon  zerlegt,  so  dafs  sie  mit  Zuhilfenahme 
des  Messers  sich  leicht  zerkleinern  lassen.  Beim  Tranchieren  brauchte  man 
wohl  eine  Art  Gabel.  Jeder  Gast  hat  vor  sich  sein  Couvert,  Teller, 
Brot,  Serviette,  Messer,  vielleicht  auch  Löffel,  die  man  zum  Ausessen 
der  Saucen  verwendete,  aber  Gabeln  werden  erst  gegen  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts allgemeiner  verwendet.  Noch  1642  läfst  Mosch erosch  die 
alten  deutschen  Helden  dem  Philander  von  Sittew^ald  einen  Vorwurf 
daraus  machen,  dafs  er  nach  wälscher  Manier  den  Salat  nicht  mit  der 
reingew^aschenen  Hand,  sondern  mit  der  Gabel  ifst  (S.  177).  Selbst  gegen 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  bemerkt  Job.  Christ.  Wagenseil:  »Bei  Tische 
gebraucht  man  weder  in  England  noch  in  Italien  Gabeln.«  (Kuriosi- 
täten X,  219.)  Es  kam  übrigens  auch  vor,  dafs  mehrere  Gäste  mit  nur 
einem  Teller  sich  begnügen  mufsten.  So  langte  nun  jeder  in  die 
Schüs  ein  und  nahm  sich  seinen  Anteil ;  auf  dem  Teller  schnitt  er  die 
Stücke  in  mundgerechte  Bissen.  Die  Brühen  und  Saucen  genofs  man, 
indem  man  Brotstücke  eintauchte. 

Die  Edelknaben  hatten  den  gesamten  Tischdienst  zu  versehen 
unter  der  strengen  Aufsicht  des  Truchsesses,  der  in  eigener  Person  den 
Fürsten  zu  bedienen  verpflichtet  war. 

Die  Könige  und  Fürsten  safsen  inmitten  ihrer  Tischgenossen  bei 
der  Tafel,  das  ersehen  wir  aus  zahlreichen  Miniaturen  und  Zeichnungen 
des  Mittelalters,  vielleicht  hin  und  wieder  auf  einem  erhöhten  Sitze, 
einen  Baldachin  über  ihrem  Ehrenplatze,  aber  immer  mit  ihren  Gästen 
vereint.     Gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  aber  scheint  die  Sitte  schon 


II.  Die  fürstlichen  Tafeln. 


301 


bekannt,  die  später,  zumal  am  französischen  Hofe,  beobachtet  wurde, 
dafs  der  König  allein,  höchstens  mit  seiner  Gemahlin  zusammen  speiste. 
In  dem  von  Michael  Wolgemut  illustrierten  Werke  »Der  Schatzbehälter i)« 
sehen  wir  den  König  an  einer  Tafel  ganz  allein  sitzen  (siehe  Seite  302). 


Hinter  ihm  auf  beiden  Seiten  des  Saales  sitzt  der  Hof  bei  Tische.  Noch 
ist  es  nicht  gebräuchlich,  dafs  die  Hofleute  beim  Mahle  des  Königs 
nur  zusehen  dürfen;  sie  werden  auch  bewirtet,  aber  an  gesonderten 
Tischen. 


')  A.   Essenwein,    Die   Holzschnitte    des    14.    und   15.  Jahiluimlorts    im    (iennan. 
Museum.  —  Nürnh.  1374.     Taf.  CXXXVI. 


302 


IV.   Esson   uiiil  Trinkoii. 


Festmahl  (,1^34).  (BildeiiiaiKlschrifl  des  Wilhelm  von  Oranse, 
Kassel.) 


Die  Verteilung  des  • 
Getränkes  überwachte 
der  Schenk,  der  wiederum 
seinen  Herrn  pers()nlich 
zu  bedienen  hatte.  Die 
Edelknaben  hielten  in 
Kannen  den  Wein,  oder 
was  sonst  für  ein  Getränk 
gereicht  wurde ,  bereit 
und  füllten  die  leerge- 
trunkenen Becher. 

Eine  merkwürdige 
Sitte  wurde  im  Laufe 
des  14.  Jahrhunderts  ein- 
geführt: die  bedienenden 
jungen  J^eute  brachten, 
hoch  zu  Rosse  sitzend, 
die  Speisen  und  Getränke 
den  Gästen  in  den  Speise- 
saal und  präsentierten  sie 
ihnen  so.  Sicher  hat  diese  unbequeme  und  deshalb  unpraktische  Neu- 
erung nur  bei  groisen  Paradediners  gekrönter  Häupter  Anwendung  ge- 
funden und  ist  bald  wieder,  und  zwar  mit  vollem  Recht,  abgeschafft 
und  vergessen  worden. 

Im  15.  Jahrhundert  fing  man  an,  der  Ausschmückung  der  Tafel 
seine  Aufmerksamkeit  zuzuwenden;  bis  dahin  hatte  man  sich  begnügt, 
durch  schöne  Gefäfse  aus  Edelmetall,  durch  geschmackvoll  gestickte 
Tischtücher  dem  Schönheitsbedürfnisse  Rechnung  zu  tragen.  Nur  ver- 
«inzeh  werden  Tafelaufsätze  erwähnt,  Kunstwerke,  die  ledighch  der 
Zierde  wegen  aufgestellt  wurden.  Diese 
Prunkstücke  wurden  am  burgundischen 
Hofe,  zumal  zur  Zeit  Philipps  des  Guten, 
durch  kunstvolle  Aufbauten  verschieden- 
ster Form  verdrängt.  Da  gab  es  Schiffe, 
Gärten,  Burgen  mit  beweglichen  Figuren, 
Springbrunnen  u.  s.  w.,  wie  uns  Olivier 
de  la  Marche  es  beschreibt.  Ein  Kano- 
nikus von  Lihe,  Magister  Stalkin,  hatte 
eins  dieser  bewunderten  Kunstwerke  selbst 
geschaffen. 

Während  des  Festmahles  spielten 
die  Musikanten  und  machten  Gaukler 
und  alle  Arten  von  fahrenden  Leuten 
ihre  Kunststücke.  Die  für  die  Bedien- 
ung freigelassene  Seite  der  Tafel  war 
ihnen  für  ihre  Produktionen  angewiesen.      ^^^^^^  j,^j,^^.^^  ,^  ^    j,,.^_„^  ^    ,^„^^i^_,  ^.^^ 

Bei    den    Festen    Philipps    des    Guten   von  Frankroieh  beim  Mahle.     Crodtentanz.) 


n.  Die  fürstlichen  Tafeln. 


303 


Burgund   wurden   ganze  Aufzüge    zur   Belustigung   der   Speisenden  ver- 
anstaltet. 

Ein    Menü    ist    uns  aus    der   Zeit    bis    ins    13.   Jahrhundert  kaum 
erhalten^),   doch  ^nssen  ^^^.r,   dafs  man  nicht  allein  verschiedene  Braten 


Fürstliches  Festmahl  1491.     (Michael  Wohlgemuth,  Schatzbehalter.) 

1)  Wir  besitzen  dagegen  einen  Bericht  über  das  Gastmahl,  das  am  15.  Sept. 
1303  bei  Gelegenheit  der  Einweihung  der  Stadtkirche  zu  Weifsenfels  stattfand,  und  an 
dem  der  Bischof  Bruno  von  Zeiz  teilnahm.  Es  sind  zwei  Speisekarten  zu  je  drei 
Gängen  s.  (Vulpius)  Kuriositäten  IX  (Weimar  1821),  S.  546.  Bei  dem  ersten  Haupt- 
mahl gibt  es : 

I.  Eiersuppe  mit  SafEran,  Pfefferkörner  und  Honig  darein,  Hirsen,  Gemüse, 
Schaffieisch  mit  Zwiebeln,  gebratenes  Huhn  mit  Zwetschen. 


804 


IV.  Essen  und  Trinken. 


auftrug,  sondern  auch  das  Fleisch  in  nianniofachen  Brülien  zuzuhereiten 
verstand,  dals  Salat  und  Kompote  nicht  fehlton,  zum  Schlüsse  Kuchen 
und  Früchte  gereicht,  endlich  Käse  geboten  wurde.  So  mochte  ein  solche.s 


II.  Stockfisch    mit  Öl    nnd  Rosinen,    Bleie    in  Öl  gebacken,    gesottenen  Aal  mit 
Pfeffer,  gerösteter  Bückling  mit  Senf. 

III.  Sauer  gesottene  Speisefische,  ein  gebacken  Farmen,  kleine  Vögel  in  Schmalz 
gebraten  mit  Rettig,  Schweinskeule  mit  Gurken. 

Am  nächsten  Tage  wird  dem  Bischof  vorgesetzt : 

1.  Gelbes  Schweinefleisch  (in  Saft'ran),  Eierkucherr  mit  Honig  und  Weinbeeren, 
geljratener  Hering. 

2.  Kleine  Fische  mit  Rosinen,  kalte  Bleie,  die  vom  vorigen  Tage  übrig  geblieben 
waren,  eine  geln-atene  Gans  mit  roten  Rüben. 

3.  Gesalzen  Hecht  mit  Peterlin,    Salat  mit  Eiern,    Gallert   mit  Mandeln    besetzt. 


II.  Die  fürstlichen  Tafeln. 


305 


Hofdiner  schon  ganz  ausgiebig  und  auch  wohlschmeckend  erscheinen. 
Sahmbene  berichtet  uns  von  einem  Diner,  das  der  h.  Lud^\dg  1245  in 
Sens  veranstaltete.  Da  gab  es  zuerst  Kirschen  und  Weifsbrot,  dazu  Wein, 
Milch,  Fische  und  Krebse,  dann  frische  Bohnen  in  Aalpasteten,  Reis  mit 
Mandelmilch  und  Zimt,  gebratenen  Aal  mit  Sauce,  Kuchen  und  Torte, 
endhch  Früchte.  Dies  Mahl  fand  wahrscheinlich  an  einem  Fasttage  statt. 
Wenn  man  jedoch  den  Zeitgenossen  Glauben  beimessen  darf,  so  war  die 
Tafel  der  Hofbediensteten  durchaus  nicht  gut  bestellt:  das  Fleisch  war 
nicht  frisch,  sondern  schon  stark  angegangen;  der  Wein  war  schlecht 
und  trüb. 

Über  die  Mahlzeiten  des  Kaisers  Ferdinand  I.  berichtet  Dr.  Johann 
Naeve,  der  die  Tafelreden  seines  Herrn  1564  aufzeichnete  (Dresden  1674): 
»Ihrer  Keyserl.  Majest.  täghche  Speisen  waren  Eyer;  Weiche  Eyer,  von 
welchen  sie  allezeit  früh  und  auff  den  Abend,  und  derer  gemeinighch 
zwey,  aus  der  Schalen  zu  sich  nahmen.  Darauff  Suppe  oder  Milch  von 
Mandeln,  mit  Cimmet  abgewürtzt,  hindere  Lammes- Vierthel,  Lams  Köpfgen, 
Stärckender  Klössergen  aus  gehackten  Fasanen  Fleische,  Gebratene  Reb- 
hüner  und  Ziemer  oder  Krammets-Vogel,  von  welchen  er  aber  gar  selten 
afs.  Ein  gebratener  Capaun,  Lammes  Braten,  Eingemachte  Citronen;  Zu- 
letzt wurde  Quittensaft  aufEgesetzet,  die  Eindaucken  oder  Schmackreitz- 
ungen  sind  Bronnen -Kresse  mit  Efsig,  Citronen  -  Safft,  Granat -Körner 
Safft,  Birnen  mit  SenfE  angemachet  Und  Kirschen-Safft  mit  Zucker  ab- 
gesüsset. « 


Abraham  Bosse,  Le  banquet. 
Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


20 


306  IV.   Essen  und  Trinken. 

Die  adlige  Gesellschaft  wird  es  den  Höfen  gleicbzutun  versucht  haben; 
natürlich  mufsten  da  manche  Einschränkungen  je  nach  dem  Besitzstande 
eintreten,  und  der  Landedelmann,  der  auf  seiner  Burg  inmitten  seines 
Grundbesitzes  hauste,  wird  wohl  mit  weniger  Komfort,  ohne  Tafelmusik 
u.  s.  w.  gespeist  haben. 

Die  bürgerlichen  Kreise  sind  wahrscheinlich  noch  einfacher  in 
ihren  Ansprüchen,  und  die  Bauern  muisten  sich,  wie  schon  angeführt 
wurde,  mit  noch  weniger  zufrieden  geben  und  durften  nur  bei  festlichen 
Gelegenheiten,    bei  Hochzeiten  u.  s.  w.,  sich  eine  Schwelgerei  gestatten. 

Seit  dem  14.  Jahrhundert  erfahren  wir  mehr  von  den  Pestessen 
der  Bürger.  Wie  sie  sich  für  gew^öhnlich  ernährt,  das  aufzuzeichnen 
hat  kein  Schriftsteller  für  nötig  gehalten ;  aber  was  bei  festlichen  Gelegen- 
heiten aufgetragen  wurde,  schien  schon  eher  der  Erwähnung  wert.^) 

Am  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  waren  die  Tafeln  der  Fürsten,  wie 
uns  Julius  Bernhard  von  Rohr  in  seiner  Einleitung  zur  Zeremonial- Wissen- 
schaft (Berlin  1729)  berichtet'-^),  in  folgender  Weise  angeordnet: 

Die  Speisesäle  und  Tafelgemächer  sind  kostbar  möbliert,  mit  »sehr 
vielen  Lustren,  Girandolen,  Crystallinen  Spiegeln  und  dergleichen 
Wand-Leuchtern  geschmückt.  Man  findet  daselbst  prächtige  Credenz- 
Buffette  und  andere  Credenz-Tische,  die  mit  silbernen  und  güldenen 
und  andern  kostbaren  Trinck-Geschirren  besetzt  sind«.  Der  Fufsboden 
ist  mit  rotem  Scharlach  oder  mit  Samt  bedeckt.  Zuweilen,  besonders 
bei  festlichen  Gelegenheiten,  sitzen  die  regierenden  Herren  auf  einer 
mehrere  Stufen  erhöhten  Estrade,  unter  einem  Baldachin  (Dais) ;  gewöhn- 
lich aber  verzichten  sie  auf  diesen  Prunk.  Die  Schüsseln  sind  silbern, 
vergoldet  oder  ganz  von  Gold.  »Nach  der  neuesten  Fa9on  sind  die 
Schüsseln  jederzeit  mit  silbernen  Glocken  bedeckt,  theils,  damit  die 
Speisen  darunter  warm  bleiben,  theils  und  vornehmlich  aber  damit  sie 
nicht  durch  den  herabfallenden  Poudre  und  anderen  Wust  von  denen, 
die  sie    auf  die  Tafeln   setzen,    verunreinigt  und   unappetitlich  werden.« 

Einige  Fürsten  speisen  ganz  allein^),  andere  mit  ihren  Angehörigen 
oder  mit  fürstlichen  Personen,  Gesandten.  Andere  laden  Minister,  Ge- 
nerale, Kavaliere  ein. 

Ludwig  XIV.^)  speiste  zu  Mittag  in  seinem  Schlafzimmer  an  einer 
kleinen  Tafel  allein,  was  des  Abends  aber  nicht  geschah.  Zuweilen 
nahm  er  das  Mahl  bei  Madame  de  Maintenon  ein,    die   dann  noch  eine. 

^)  Ein  französisches  Fabliau  gibt  uns  eine  Beschreibung  von  einem  Essen  im 
Wirtshause:  Brot  und  Wein,  Schweinefleisch  und  Kaninchen,  junge  Vögel,  Kuchen. 
Dann  wird  der  Kapaun  aufgetragen,  Fische  in  Saucen,  Pasteten.  Zum  Schlüsse  Früchte 
und  Spezereien.     (Höf.  Leben  «l.  366  ff.) 

«)  1.  Teil,  VIII.  Capitul.     Von  dem  Tafel-Ceremoniel. 

')  Ludwig  XIII.  speist  mit  seiner  Gemahlin,  jedes  unter  einem  eigenen  Bal- 
dachin. 1640.  —  Kulturg.  Bilderb  IV,  pag.  VII.  —  Jean  Le  Pautre.  Le  repas  du  Eoy. 
—  Ebend.  IV,  N.  2290.  —  Vgl.  Nie.  Solls,  Festmahl  1568  bei  Vermählung  des  Herzogs 
Wilhelm  von  Bayern  mit  Renata  von  Lothringen.  —  Ebend.  IL  N.  1089. 

*)  Der  König  nimmt  sein  Mahl  ein  au  petit  couvert  allein  oder  mit  nur 
sehr  wenigen  Vertrauten,  au  grand  couvert  mit  der  königlichen  Familie  oder  en 
public  öffentlich.  Über  die  Etiketteformen  s.  Alfred  Franklin,  La  vie  privöe  d'autre- 
fois.  —  Varietes  Gastronomiques  (Paris  1891).     Kap.  IV.  S.  175. 


II.  Die  fürstlichen  Tafeln.  307 

oder  die  andere  Dame  einlud.  Vor  dem  Couvert  des  Königs  und  der 
Königin  von  Frankreich  das  sogenannte  Cadenas  (Rohr  schreibt  als  guter 
Sachse :  Catenat),  ein  verschliefsbares  Besteck,  in  dem  Pfeffer,  Salz  u.  s.  w. 
befindlich.^)  Die  Prinzen  und  Prinzessin  bekommen  nur  Salzfässer.  So 
sitzen  auch  nur  die  fürstüchen  Herrschaften  auf  Fauteuils,  alle  anderen 
Teilnehmer  am  Mahl  nur  auf  Lehnstühlen.  Der  Beginn  der  Tafel  wird 
mit  Pauken-  und  Trompetenklang  angezeigt ;  Pagen  und  Lakaien  haben  sich 
bereit  zu  halten.  Bisweilen  wird  auch  bei  jedem  Gange  geblasen  und  gepaukt. 
Bei  der  Krönung  Ludwigs  XV.  war  das  Festmahl  so  angeordnet, 
dafs  im  langen  Zuge  die  Gerichte  aufgetragen  wurden:  »voran  die 
Cammer-Hautboisten,  Trompeter  und  Querpfeifer«,  die  einen  Marsch  auf- 
spielten, dann  die  Herolde,  Ober-  und  Zeremonienmeister,  zwölf  Haus- 
hofmeister, der  Oberhofmeister;  dann  kam  das  erste  Gericht,  dessen  erste 
Schüssel  der  Oberbrotmeister  (Panetier)  trug,  die  anderen  brachten  dann 
die  kgl.  Hofjunker.  Der  Obervorschneider  (Chevalier  tranchant)  setzt 
die  Schüsseln  in  gehöriger  Ordnung  auf  die  Tafel,  hebt  die  Stürzen, 
läfst  sie  »credentzen«i   und  deckt  sie  wieder  zu. 

Am  Hofe  von  Wolfenbüttel  hat  der  Alteste  des  Geschlechts  von 
Veitheim  das  Recht  als  Erbküchenmeister,  bedeckten  Hauptes  das  Essen 
auf  den  fürstüchen  Tisch  zu  setzen.  Der  Kaiser  wird  in  der  Stadt  von 
Kammerdienern  bedient,  in  den  Lusthäusern  von  Pagen  mit  bedecktem 
Haupt  mit  Vortretung  eines  Kayserlichen  Hartschierers  und  Schliefsung 
eines  Trabanten.  Wann  des  Kaisers  Majestät  »en  Serviette  oder  in  ihrer 
Retirade«  speist,  hatten  nur  Kammerdiener  aufzuwarten,  »in  Campagne« 
besorgen  Pagen  den  Dienst.  So  gibt  es  verschiedene  Arten  des  Zere- 
moniells, welche  Rohr  gewissenhaft  beschreibt.  Was  die  Gerichte  selbst 
anbelangt,  so  bemerkt  er:  »Jetzund  haben  manche  vom  bürgerlichen 
Stande  bei  ihren  solennen  Gastereyen  mehr  Gerichte  auf  ihren  Tafeln, 
als  vor  ein  hundert  oder  ein  paar  hundert  Jahren  Fürstliche  Personen 
auf  ihren  Tischen.«  Aber  bei  feierlichen  Gelegenheiten  gibt  es  auch  zu 
Rohrs  Zeiten  an  »Fürstlichen  Tafeln  wohl  80,  90,  100,  ja  über  hundert 
Speisen«,  die  in  drei  bis  vier  Gängen  aufgetragen  werden.  Beim  letzten 
Konfitüren-Auf satze  werden  schöne  Porzellanteller  serviert. 

Einige  Herren  sind  mit  zwölf  bis  achtzehn  Speisen,  in  zwei  Gängen 
gereicht,  zufrieden,  andere  nehmen  mit  acht  Speisen  fürlieb.  An  den 
Tafeln  italienischer  Fürsten  werden  viele  Früchte  und  Konfitüren  auf- 
getragen, bei  französischen  Gastmahlen  »ungemein  viel  Gebackens-Werck«, 
in  England  und  im  Norden  viel  Fleisch,  in  Deutschland  alles  durchein- 
ander. Zuweilen  serviert  man  zuerst  die  Fleischspeisen,  dann  die  Fische 
und  Gebackenes,  darauf  die  Braten  und  zuletzt  das  Konfekt.  Die  Schau- 
essen spielen  eine  sehr  grofse  Rolle  (§  26 — 30).  »Zuweilen  kommen 
oben  von  Decken  Tafeln  herunter  und  verändern  sich  zu  unterschiedenen 
mahlen,  so  dafs  immer  die  eine  die  andere  vertreibt  und  an  der  herab- 
kommenden sich  niederläst,  die  vorigen  aber  von  sich  selbst  ihr 
Raum  machen  und  sich  an  den  Boden  heruntersencken.«  (S.  o.  S.  62.)' 
Beleuchtung  der  Tafel. 

»)  Cf.  A.  Franklin,  a.  a.  O.    S.  93. 

20* 


308  ^^-  Essen  und  Trinken. 

Sobald  der  Hofmarscliall  angekündigt,  dafs  alles  bereit  sei,  geht 
man  zu  Tische.  Der  Kaiser  nimmt  den  Hut  ab  und  legt  ihn  auf  das 
Hut-Tischlein;  speist  er  dagegen  an  Sonntagen  und  Feiertagen,  wie  bei 
Gala-Festen,  in  der  Autecamera,  so  behält  er  den  Hut  auf. 

Der  Fürst  führt  seine  Gemahlin  zur  Tafel,  oder  ihr  Hofmeister 
oder  einer  der  Geheimräte  hat  diese  Ehre,  wenn  nicht  ein  Kavalier  von 
einem  fremden  Hofe  da  ist,  dem  die  Auszeichnung  zu  teil  wird,  die 
Fürstin  zu  führen. 

Vor  Beginn  des  Essens  werden  den  fürstlichen  Herren  der  Hut 
und  die  Handschuhe  abgenommen,  den  Damen  die  Handschuhe  und 
der  Fächer.  Vor  dem  Tischgebet  präsentiert  man  das  Wasser.  An 
grofsen  königlichen  Höfen  reicht  ein  Kammerherr  unter  Leitung  des 
Oberhofmarschalls  die  Giefskanne,  ein  anderer  das  Becken;  der  Ober- 
hofmarschall selbst  bietet  die  Serviette.  Auch  in  dieser  Hinsicht  hat 
jeder  Hof  seine  eigene  Sitte. 

Das  Tischgebet  spricht  bei  den  Protestanten  für  gewöhnlich  ein 
Page,  bei  festlichen  Gelegenheiten  der  Hofprediger,  bei  Katholiken  ein 
Geistücher.  Nach  dem  Gebete  macht  »derjenige  Ministre,  der  den  Stab 
führt,  mit  seinem  Stabe  die  Reverence«  vor  dem  Fürsten  und  seinen 
Tischgästen ;  die  Damen  nehmen  links,  die  Herren  rechts  von  der  Herr- 
schaft Platz.  Die  Tafeln  sind  gewöhnhch  oval.  Wenn  der  Souverän 
sich  mit  seiner  Gemahlin  gesetzt  hat,  lassen  sich  die  Mitglieder  der 
fürstlichen  Familie  nieder,  dann  die  Damen  und  Kavaliere  nach  ihrem 
Range.  Eine  lange  Besprechung  über  die  Bedienung  bei  Tische,  über 
das  Vorschneiden  können  wir  wohl  übergehen.  Bisweilen  werden  die 
Speisen  besonders  kredenzt:  der  Vorschneider  steckt  ein  Stück  Brot  an 
eine  lange  Gabel  und  fährt  damit  über  alle  Schüsseln  und  Speisen;  er 
mufs  das  Brot  dann  verzehren. 

Es  folgt  nun  eine  Schilderung,  wie  die  Getränke  gereicht  und  kre- 
denzt werden.  M^ann  der  Fürst  eine  Gesundheit  trinkt,  ertönen  Posaunen 
und  Pauken,  werden  Kanonenschüsse  abgefeuert. 

»Der  letzte  Gang,  der  auf  die  Fürstl.  Tafeln  kömmt,  bestehet  in 
Confecturen.  x 

»Unter  der  Tafel  werden  bey  Solennitäten  schöne  Musiquen  ge- 
hört; bifsweilen  bestehen  sie  nur  in  Trompeten  und  Paucken,  zuweilen 
aber  auch  in  schönsten  Vocal-  und  Instrumental-Music ;  es  werden 
Castraten  und  Cantatricen  dabey  gehört,  die  mehrentheils  Italienische 
Piecen  dabey  abzusingen  pflegen.«  Die  Überbleibsel  der  Tafel  gibt  man 
den  Zuschauern  preis. 

Sobald  der  Fürst  und  seine  Gäste  sich  von  der  Tafel  erhoben 
haben,  wird  wieder  ein  Tischgebet  gesprochen,  Wasser  gereicht;  dann 
begeben  sie  sich  in  ihre  Gemächer.  Die  Aufhebung  der  Tafel  ist  nach 
spanischem  Zeremoniell  mit  zahllosen  FörmHchkeiten  verbunden 
(§  70,  71). 

Das  Tischservice  war  noch  während  des  16.  Jahrhunderts  überaus 
kostbar,  zumal  an  den  Fürstentafeln  gab  es  bei  festlichen  Gelegenheiten 
goldene  und  silberne  Geschirre,  prächtige  Tafelaufsätze  u.  dgl.     Für  den 


n.  Die  fürstlichen  Tafeln.  309 

Alltagsgebrauch  mag  man  sich  wohl  mit  minder  wertvollen  Geräten  be- 
holfen  haben.  Irdene  oder  zinnerne  Teller  etc.  wurden  da  gebraucht. 
Die  Majolikaschüsseln  sind  wohl  nur  als  Prunkstücke  verwendet  worden. 
Auch  die  grofsen  Reichsstädte  hatten  ihren  Silberschatz,  der  bei  beson- 
dern Feiern  die  Tafel  der  Ratsherren  schmückte.  So  gehörte  der  be- 
kannte Tafelaufsatz  von  Wenzel  Jamnitzer  zum  Ratssilber  der  Stadt 
Nürnberg.  Als  der  Rat,  um  die  Kontributionen  zu  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts zu  erschwingen,  seine  Kostbarkeiten  veräufserte,  wurde  dies 
Meisterwerk  gerettet,  kam  nach  manchen  Schicksalen  in  die  Sammlung 
des  Freiherrn  Karl  von  Rothschild  und  ist  jetzt  im  Besitze  von  dessen 
Erben. 

Die  Zeiten  des  Dreifsigjährigen  Krieges  haben  im  allgemeinen  ^äel- 
fach  mit  diesen  Kostbarkeiten  aufgeräumt;  was  nicht  den  Plünderern  in 
die  Hände  fiel ,  wurde  eingeschmolzen ,  um  die  auferlegten  Brand- 
schatzungen abzukaufen. 

Nach  Beendigung  des  Krieges  haben  dann  allmähhch  auch  die 
Höfe  ihr  Tafelgerät  wieder  ergänzt,  Geschirr  aus  Edelmetall  angeschafft, 
allein  schon  beginnt  man  das  Porzellan  zu  schätzen,  zunächst  das  chine- 
sische, bald  auch  das  sächsische,  das  immer  mehr  die  Fayence  des  all- 
täghchen  Ser^-ices  verdrängte;  kostbare  Tafelaufsätze  wurden  zum  Schmucke 
der  Tische  angefertigt,  bei  festlichen  Gelegenheiten  benutzt.  Einige  dieser 
Meisterwerke  der  Goldschmiedekunst  sind  auch  heute  noch  erhalten,  vor 
allem  die  im  grünen  Gewölbe  zu  Dresden  bewahrten  grofsartigen  Arbeiten 
des  Johann  Melchior  Dinglinger  (1664 — 1731):  die  Hofhaltung  des 
Grofsmoguls  und  das  Dianabad. ^) 

Der  Adel  konnte  allerdings  mit  den  regierenden  Familien  nicht 
gleichen  Schritt  halten,  allein  soweit  es  seine  Mittel  erlaubten,  versuchte 
er  es  doch.  Der  sächsische  Minister  Graf  Heinrich  Brühl  hat  für  seinen 
persönlichen  Gebrauch  in  Meifsen  z.  B.  das  berühmte  Schwanenservice 
anfertigen  lassen.  Allein  Gold-  und  Silbergefäfse  werden  nur  selten  noch 
angeschafft,  dagegen  liebt  man  schöne  böhmische  Kristallgläser,  auf 
denen  von  Künstlerhand  die  Adelswappen  eingraviert  waren. 

Anspruchsloser  war  das  Tischgeschirr  der  Bürgerfamilien.  Noch 
im  16.  Jahrhundert  hatten  die  vornehmeren  unter  ihnen,  die  zu  den 
regierenden  Geschlechtern  gehörten,  Gold-  und  Silbergeräte  in  Menge 
gehabt;  die  Patrizier  liefsen  sich  in  Italien  Majohka-Teller  und -Schüsseln 
mit  ihren  Wappen  malen,  wie  die  Tucher  und  Krefs  in  Nürnberg;  allein 
nach  dem  grofsen  Kriege  sah  es  auch  in  den  einst  so  wohlhabenden 
Häusern  nicht  mehr  so  behaglich  aus.  Fayence-Gefäfse  wurden  vielfach 
gebraucht;  da  das  chinesische  und  später  das  sächsische  Porzellan  zu 
teuer  war,  begnügte  man  sich  mit  den  Nachahmungen,  die  auf  weifser 
Glasur  chinesische  Bilder  zeigten.  Die  feinsten  dieser  Geschirre  kamen 
aus  Delft,  aber  auch  in  Nürnberg,  Augsburg  wurden  sie  nachgemacht, 
billiger,  aber  auch  schlechter. 

In     Frankreich    lieferten    die    Werkstätten    von    Ronen     und    von 


»)  (Vulpius.)  Kuriositäten  EX  (Weimar  1821).    S.  340  ff. 


310  IV.  Essen  und  Trinken. 

Moiistier  treffliche  Ware.  Wer  die  Fayence-Arbeiten  nicht  erschwingen 
konnte,  begnügte  sich  mit  tönernen  Tellern,  Schüsseln,  Kannen.  Auch 
in  diesem  Handwerkzweige  ist  im  17.  und  18.  Jahrhundert  mit  den  be- 
scheidenen Mitteln  noch  sehr  viel  Hübsches  geleistet  worden.  Sinnige, 
oft  humoristische,  zuweilen  auch  recht  derbe  Inschriften  gaben  den  an- 
spruchslosen Geräten  einen  höheren  Reiz. 

Zu  Festtagen  holte  man  das  Zinngeschirr  hervor,  das  in  den 
Bürgerhäusern  an  Stelle  des  Silberschatzes  getreten  war.  Man  hat  von 
den  zinnernen  Gefäfsen  allerdings  schon  im  15.  Jahrhundert  Gebrauch 
gemacht,  mächtige  Zunftkannen  aus  Zinn  gegossen  und  in  der  Folgezeit 
gern  die  Kannen  und  Schüsseln,  die  vor  und  nach  den  Mahlzeiten  beim 
Händewaschen  gebraucht  wurden,  kleine  Kuchenschüsseln  u.  s.  w.  aus 
Zum  angefertigt;  treffliche  Meister,  wie  Briot  und  Enderlein,  hatten  die 
geschmackvollsten  Formen  zu  erfinden  gewufst  — •  jetzt  nach  dem  Kriege 
werden  auch  die  Teller,  Schüsseln  und  alles,  was  zum  Tafelservice  ge- 
hört, aus  Zinn  angefertigt,  das,  gut  und  sauber  geputzt,  ja  fast  wie  Silber 
leuchtete. 

Bei  den  ärmsten  Bürgern  wie  bei  den  Bauern  war  von  diesen 
Herrlichkeiten  freilich  w^enig  zu  finden.  Bei  ihnen  ist  das  irdene  Geschirr 
einzig  im  Gebrauch;  da  die  Teller  zu  gebrechlich  sind,  w^erden  sie  durch 
hölzerne  ersetzt,  die  man,  wenn  sie  einmal  entzweigingen,  ja  noch  als 
Heizmaterial  verwenden  konnte.  Noch  gegen  die  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts afsen  die  reichen  Bürger  zu  Eisenach  von  hölzernen  Tellern.^) 

An  den  Tischen  der  regierenden  Herren  herrschte,  jedoch  nur  bei 
festlichen  Gelegenheiten  und  keineswegs  alltäglich,  natürlich  ein  gröfserer 
Luxus  als  bei  den  vom  Adel  oder  von  den  wohlhabenden  Bürgern 
veranstalteten  Mahlzeiten.  Die  Zahl,  die  Auswahl  der  Gerichte  war 
gröfser.  Besonders  aber  wurde  auf  den  Schmuck  der  Tafel  ein  grofser 
Wert  gelegt,  wie  dies  schon  in  alter  Zeit  geschehen  war.-)  Florinus 
bespricht  ziemlich  ausführlich  die  Anordnung  der  Tafelaufsätze,  der 
kunstreichen  Bauten,  die  zur  Zier  des  festlich  geschmückten  Tisches 
erfunden  werden,  und  beschreibt  die  in  der  Tat  höchst  merkwürdigen 
Festdekorationen  der  Hochzeitstafel  des  dänischen  Königs  Fried- 
richs IV.  (1695).3) 

Den  Tafelschmuck  eines  Faschingsessens,  das  der  Kurfürst  von 
der  Pfalz  1726  veranstaltete,  und  das  über  zehntausend  Gulden  ko.stete, 
beschreibt  B.  von  Rohr  in  der  Einleitung  zur  Zeremonial -Wissenschaft 
(Berl.  1733).^)  Bei  einem  Gastmahl,  das  Herzog  Eberhard  von  Württem- 
berg 1722  am  23.  März  bei  Gelegenheit  seines  Namenstages  gab,  sah 
man  auf  der  Tafel  einen  See,  in  dem  lebende  Enten  und  Fische 
schw'ammen ;  148  Gerichte  wurden  aufgetragen.^) 

1)  (Vulpius.)  Kuriositäten  Vm  (Weimar  1820).     S.  465. 

*}  Vgl.  Alfred  Franklin.  La  vie  privee  d'autrefois.  —  Variät^s  Gastronomiques. 
(Paris  1891.)     Kap.  I. 

')  T.  n,  Buch  I,  Abt.  n,  Kap.  VI,  §  14. 
*)  (Vulpius.)  Kuriositäten  IV.    S.  320. 
»)  Ebend.  IV.    322. 


m.  Mahlzeiten  der  Bürger.  311 

Die  Festaufzüge  blieben  auch  später  noch  behebt.  Bei  den  grofsen 
Gastmahlen,  die  gelegentlich  des  westfälischen  Friedensschlusses  1649 
und  1650  von  den  Gesandten  in  Nürnberg  veranstaltet  wurden,  fehlte 
es  nicht  an  Verkleidungen  aller  Art.^)  Musik  und  Späfse  der  Hofnarren 
wurden  nur  ungern  vermifst,  wie  Florinus  (a.  a.  O.)  bemerkt.  Für  be- 
sonders prächtig  hält  er  die  Tafeln,  an  denen  die  ganze  Hofgesellschaft,  in 
bunter  Reihe  verkleidet  oder  im  gewöhnhchen  Anzug,  teilnahm,  die  aber 
sehr  teuer  und  nur  bei  besonderer  Gelegenheit  stattfanden.  Er  nennt  sie 
»Besle  Mesle  oder  Bonderie,  welches  man  auf  teutsch  bunte  Reihe  heifst«. 

Will  man  die  Anwesenheit  der  Dienerschaft  bei  dem  Mahle  ver- 
meiden, so  läfst  man  die  besetzten  Tafeln  vom  Oberstock  hinab-  oder 
vom  Unterstock  hinaufsteigen.  (S.  o.  S.  62.)  Eine  solche  Einrichtung  be- 
stand noch  1815  in  dem  Schlosse  Belvedere  bei  Weimar.  Man  be- 
zeichnet diese  Art  von  Tischanordnung  als  Table  de  confidence.^)  Aufzüge 
für  Speisen  (monte-plats)  hat  es  in  Frankreich  um  1407  gegeben.^) 

An  den  Tafeln  der  Fürsten  mufste  man  sich  so  manierlich  wie 
möglich  betragen.  Diese  besseren  Formen  suchten  sich  dann  auch  die 
höheren  Stände  und  vor  allem  der  Adel  anzueignen.  Anweisungen,  wie 
man  sich  bei  Tische  zu  benehmen  habe,  sind  deshalb  schon  frühzeitig 
abgefafst  worden.  Unter  diesen  Tischzuchten  dürfte  die  älteste  die 
Disciplina  Clericalis  des  Petrus  Alfonsi  (t  1105)  sein;  dann  wäre  zu 
nennen  der  Phagifacetus  des  Reinerus,  die  Contenance  de  table,  die 
verschiedenen  versifizierten  Tischzuchten  des  13.  Jahrhunderts  und  der 
Folgezeit.'^) 

III.  Mahlzeiten  der  Bürger. 

Bei  Hochzeiten,  Kindstaufen  etc.  liebten  es  auch  die  Bürger,  etwas 
aufgehen  zu  lassen,  so  sparsam  sie  auch  für  gewöhnlich  leben  mochten. 
Die  Ratsherren  der  Städte  suchten  durch  allerlei  Verbote  und  Vor- 
schriften, obwohl  vergeblich,  diesen  Luxus  einzuschränken.  Gastereien 
unter  befreundeten  Familien  kamen  wohl  auch  vor,  waren  aber  gerade 
nicht  besonders  häufig.  Aber  auch  sonst  gab  es  manche  Gelegenheit, 
ein  Festessen  zu  veranstalten.  Das  Prandium  Aristotelis,  das  die  Magister- 
oder Doktor  -  Kandidaten  der  philosopliischen  Fakultät  nach  glückhch 
überstandener  Prüfung  veranstalteten,  war  nur  auf  die  Angehörigen 
der  Universität  beschränkt,  jedoch  luden  die  geselligen  Vereine,  die 
Herrentrinkstuben,    die   bürgerhchen    und   adligen    Gesellschaften    öfters 


*)  (Vulpius )  Kuriositäten  V.    559. 

s)  Ebend.  IV.  322. 

')  Alfred  Franklin  a.  a.  0.  —  Le  Repas  (Paris  1889).  S.  99. 

*)  Höf.  Leben  H.  429;  Deutsches  Leben  im  14.  u.  15.  Jhdt.  509  ff .  —  Vgl.  K. 
Goedeke,  Grundrifs  z.  Gesch.  d.  deutschen  Dichtung«  (Dresd.  1884  ft'.)  I,  167,  480; 
11,  281,  N.  38,  457.  —  Cf.  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  —  Les  repas 
(Paris  1889),  p.  151  ff.  —  Vgl.  Die  Tischzucht  von  Konrad  Meyer,  1645  (Kulturg.  Bilder- 
buch IV,  N.  2177).  —  K.  van  Alkemade  en  P.  van  der  Schelling,  Nederlands 
displegtigheden  vertoonende  de  plegtige  gebruiken  aan  den  dis  in  het  houden  van 
maaltijden  en  het  drinken  van  gezondheden.     Rotterdam  1732 — 35. 


Q-io  IV.    Essen  und  Trinken. 

auch  die  Frauen  zu  einem  gemeinsamen  Mahle  ein.  Besonders  geschah 
dies  in  den  Fastnachtstagen.  Auch  die  Handwerker-Innungen  veran- 
staheten  Feste,  bei  denen  die  weibhchen  FamiUenmitgheder  nicht 
fehlen  durften. 

1461,  am  25.  August,  feierte  der  Bischof  von  Speier  semen  Emzug 
durch  ein'grofses  Festmahl.     Der  Speisezettel  war  überaus  reich: 

T.  Ilanmielfleisch  und  Hühner  in  Mandelmilch,  gebratene  Span- 
ferkel Gän^e,  Karpfen  und  Hechte  und  eine  Pastete. 

II.  Wildbraten  in  Pfeffersauce,  Reis  mit  Zucker,  Forollen  mit  Ingwer 
gesotten,   Maden  mit  Zucker. 

III.  Gänsebraten  und  Hühnerbraten  mit  Eiern  gefüllt,  Karpfen  und 

Hechte,  Kitchen. 

Bei  jedem  dieser  drei  Gänge  suchte  sich  der  Gast  von  den  autge- 
tragenen Gerichten  aus,  was  ihm  gefiel. 

Ein  anderer  Speierer  Bischof  gab  wenige  Jahre  später,  am  9.  Januar 
1466,  ein  noch  opulenteres  Diner  von  fünf  Gängen: 

I.  Rehkeule  mit  Ingwer  gesotten.    Dazu  Malvasier. 

IL  Wurst  gesotten,  ein  grünes  Mus  mit  Senf,  Hühner  mit  Rosinen 
gefüllt  in  Mandelmilch,  Fladen  mit  Zucker. 

III.  Wildschweinbraten  in  Pfeffer,  geprefster  Schweinskopf  m 
Kümmelsauce,  Hecht  gesotten,  Backwerk. 

IV.  Kapaun  und  Kalbsbraten,  Reis  mit  Zucker,  gebackene  Muscheln, 

Rot-  und  Weifswein. 

V.  Karpfen  und  Hecht  in  Gelee  mit  Mandeln,   Kuchen  und  Käse. 
Zum  Nachtisch  Konfekt  mit  Zucker,  Getränk. 

Im  Hause  eines  Frankfurter  Bürgers  fand  am  3.  Juni  1500  ein 
Festmahl  statt:  Erdbeeren  mit  Zucker,  junge  Hühner,  Hammelfleisch 
mit  Zibeben  (Rosinen),  Muskat  und  Muskatblumen  gedämpft.  Dann  ge- 
sottenes Schaffleisch  mit  süfsem  Quark.  Gebratenes:  Junge  Hühner. 
Hammelkeule,  eine  halbe  Gans  in  Sauce,  Käse  und  Kirschen. 

Man  sieht,  dafs  schon  im  15.  Jahrhundert  man  recht  gut  zu  speisen 
verstand.  Das  folgende  Jahrhundert  ist  aber  besonders  für  die  materiellen 
Genüsse  eingenommen.  Bei  einem  Diner,  das  der  Nürnberger  Dr.  Christoph 
Scheurl,  Melanchthon  zu  Ehren  am  25.  November  1525  veranstaltete,  gab 

es  folgende  Gerichte:  .. 

Saukopf  und  Lendenbraten  in  saurer  Sauce.  —  Forellen  und  Aschen. 

—  5  Rebhühner   —   8  Vögel   —    als  Braten  ein  Kapaun.    —    Hecht  in 
Sülze.  —  Wildschweinfleisch  in  Pfeffersauce.  —    Käsekuchen  und  Obst. 

—  Pistaziennüsse,  Latwergen.  —  Lebkuchen  und  Konfekt. 

Dazu   tranken   die   zwölf   Teilnehmer   so   viel  Wein,    dafs    auf   den 

Mann  2^2  Liter  kamen  1^)  n       ^       t^       j 

Wir  stehen  auf  der  Schwelle  des  16.  Jahrhunderts,  das  den  Freuden 
der  Tafel  wie  des  Trunkes  mehr  als  irgend  eine  frühere  oder  spätere 
Zeit  gehuldigt  hat.'^)     Ganz   besonders   hat    die  Trunksucht   m  Deutsch- 

»)  Deutsches  Leben  etc.     S.  496  ff.  .     ^         .  •    ,     ■ 

^)  ÜTjer   den  Tafelluxus   der  Venezianer    vgl.    P.  G.  Molmenti,    La    vie    pnvöe  a 

Venise  (Venise  1882),  285  ff. 


III.  Mahlzeiten  der  Bürger.  313 

land  unglaubliche  Fortschritte  gemacht:  die  Fürsten  gingen  mit  gutem 
Beispiele  voran ^),  zumal  die  Kurfürsten  von  Sachsen,  deren  aufge- 
schwemmte Gestalten  uns  der  alte  Lukas  Cranach  gemalt  hat,  sowie  die  Her- 
zoge von  Pommern  u.  s.  w.  Der  Adel  tat  es  den  Fürsten  nach,  und  in  der 
Zimmerschen  Chronik,  in  des  Hans  von  Schweinichen  Selbstbiographie 
sind  da  gar  erbauHche  Geschichten  zu  lesen.  Man  spricht  da  selten  von 
einem  Rausche,  sondern  von  Räuschen ! 

Der  Bürgersmann  frönte  demselben  Laster,  wie  dies  der  Soldat 
tat^),  und  der  Bauer  blieb,  wenn  es  seine  Mittel  erlaubten,  nicht  hinter 
ihnen  zurück.  Vornehme  Damen  und  Frauen  aus  dem  Volke  huldigten 
gleichmäfsig  dem  Trünke. 

Es  wurden  Mäfsigkeitsvereine  gegründet,  das  Reich,  die  Regierungen 
der  Fürsten,  die  städtischen  Behörden  erliefsen  Gesetze,  ohne  irgend 
einen  Erfolg  zu  erzielen.  Erst  während  der  Leiden  des  Dreifsigj ährigen 
Krieges  wird  die  Trunksucht  einigermafsen  eingeschränkt:  es  fehlten 
den  ausgeplünderten  Leuten  die  Mittel,  der  Schlemmerei  ferner  zu  frönen. 

Über  diese  Zeit  der  Völlerei  ist  schon  so  oft  geschrieben  worden, 
z.  B.  von  Johannes  Janssen,  dafs  es  überflüssig  erscheint,  darüber  noch 
Worte  zu  verlieren. 

Was  nicht,  hervorgehoben  wurde,  ist  der  Umstand,  dafs  auch  das 
Essen  und  zwar  das  Viel-  und  Leckeressen  eine  hervorragende  Rolle 
spielt.  Die  lutherischen  Geistlichen  galten  bei  den  Katholiken  als  hervor- 
ragende Trinker  und  Esser.  Von  ihrer  Trunksucht  erzählt  das  Exilium 
Melanch.  S.  487,  232,  N.  204,  80;  S.  489,  N.  84,  85;  S.  490,  N.  86,  87, 
von  ihrer  Gefräfsigkeit  S.  150,  151,  N.  47.  —  Guarinonius  ist  kein  ganz 
unverdächtiger  Zeuge,  denn  er  hafst  die  Prädikanten,  die  er  sehr  ge- 
schmackvoll »Frefsdreckanten«  nennt,  und  über  deren  »Ohrenschlappen, 
so  an  der  nidern  Schlappen  beyderseits  herabhagen  und  ihre  Ohren 
bedecken«,  und  ihre  »kurtz  gefaltend  gestutzt  Predigkantsschauben«  er 
spottet  (S.  153).  Er  schildert  sie  (S.  1201)  als  Turnierhelden:  »Um  den 
Halfs  ein  güldene  Ketten  aufs  pur  eiteler  zarten  Hanffseiden,  in  seinem 
Maul  ein  gut  batzete  feyste  Brat-  oder  Leberwurst,  in  der  lincken  Hand 
ein  guten,    dicken   und    breiten   Schweizerkäfs    für   ein   Schild,    in   der 

')  Exilium  Melancholiae,  das  ist  Unlust- Vertrei her  ....  Strafsburg,  1643.  — 
S.  410.  N.  7.  Auff  Hertzog  Johann  Fridrichs,  defs  Namens  dafs  Ersten,  Churfürsten  zu 
Sachsen  Beylager,  am  Sontag  Exaudi  1526  zu  Torgau  gehalten,  hatten  Hertzog  Ernst 
von  Lüneburg  und  Hertzog  Heinrich  von  Mechelburg  Herrn  D.  Lutheru  zu  gast  ge- 
nötiget. Über  der  Tafel  klagte  der  Christliche  fromme  Fürst  Hertzog  Ernst  zu  Lüne- 
burg sehr  über  das  unmässige  sauffen  zu  Hof,  wie  das  Hofgesindlin  Tag  und  Nacht 
so  viel  Wein  und  Bier  in  sich  schwelgete,  stets  toll  und  voll  were  und  dennoch  bey 
solcher  Völlerey  jeder  ein  guter  Christ  seyn  und  heissen  wolte,  welches  ein  gar  l)öser 
übelstand  were,  dem  man  Ijillich  furkommen  und  wehren  solte.  Auff  diese  defs  Hort- 
zogs  rede  antwortet  Herr  D.  Luther:  Da  soltet  ihr  Herren  und  Fürsten  zu  thun.  Wo- 
rauff  Hertzog  Ernst  geschwind  wieder  gesagt :  Ja,  lieber  Herr  Doctor,  wir  thun  freylich 
darzu,  es  were  sonst  längst  abkommen.  —  Über  die  Trunkenheit  der  Fürsten  bei  den 
Reichstagen,  s.  Exil.  Melanch.    S.  208,  N.  114. 

^)  Der  deutsche  Soldat  trinkt,  der  spanische  stiehlt ;  das  wufate  Kaiser  Karl  V. 
sehr  wohl.    Exil.  Melanch.    S.  470,  N.  18;  S.  487,  N.  79. 

M.  F.  von  (xörlitz,  Wider  den  Sauffteuffel  ....   Leipz.  1552. 


3j^  IV.  Essen  und  Trinken. 

rechten  ein  gute  lange  dicke,  starcke,   geselchte  Westphähsche  Hampen 
für  ein  Turnierstangen,  reitend  auff  einer  avoI   aufsgemästen  sechs   oder 
acht  Zentner  Saw,  damit  er  Speck  oben,  Speck  unten,  Speck  vorn,  Speck 
hinten  und  Speck  auff   allen  Seiten   für   ein  Pollwerck   habe,   in   seinen 
Taschen  oder  Wetschger  ein  Sprützküchel  von  50  Wiener  Ellen  lang  an 
statt  des  Zündstricks;    an   der  Hüfft   ein   gute   spanische  Boratsch    oder 
üderne   Flaschen   voller  Wein    an   statt   der  Pulverflaschen,    im   Schiefs- 
körblein    eitel    gute    schweinerne    Knödel    oder    Brandküchel    statt    der 
Kuglen   etc.      Neben   ihm   für   ein  Laggey   sein   liebe   Fraw  Predicantin 
mit"  einem    linden   Polster,    Kampel,    Bürsten,    ein    grofsen  Venedischen 
Spiegel  Kröfseisen  und  allem  guten  Zeug,    so   zur  Predicantischen  Zier 
und  linden  Striglung  gehörig.«    Es  fängt,  natürlich    nur   bei  wohlhaben- 
den   Leuten,     das    Essen     schon    am    frühen    Morgen    beim   Frühstück 
an.      Das  wenigste   ist   noch    eine   Suppe   mit  verlorenen  Eiern  (Zimm. 
Chron.  III.  144).     In  den  WeinLändern   nimmt  man   eine  Portion  Wein 
mit  gerösteter  Semmel  oder  Brot,    aber   nicht   schweren  Malvasier   oder 
Branntwein.     In    Bierländern   trinkt   man   gern  Warmbier   (Guarinonius, 
S.  581).     Und  dieser  Brauch  erhielt  sich,  bis  gegen  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts   das    Kaffeetrinken    allgemeiner    wurde.      Martin    Zeiller    sagt 
(Hdb.  I.  527) :  »Ein  Frühstuck  (es  seye  nun  ein  Suppen  oder  ein  Butter, 
sambt  einem  hndgesottenen  Ey  und  ein  Bissen  Brod  mit  einem  wenigen 
Wein  oder  ohne  denselben   oder   sonsten   etwas)  stärcket   die  Natur,  er- 
streuet  das   Gemüt    und    hilfft   der   Unverdäulichkeit   des   Magens.  .  .   . 
Wer  auch  an  statt  eines  Frühstucks  täghch  11.  oder  12.  grofse  Ziweben 
(Rosinen),    wie    man   sie   von    Damasco   bringet,    isset  und    nicht   darzu 
trincket,  der  \Adrd  verspüren,  dafs  ihme  der  Magen,  die  Leber   und   das 
Gedächtnifs  dadurch  gestärcket  wird.« 

Ein  Prasser  ist  natürlich  mit  einem  so  bescheidenen  Frühstück 
nicht  zufrieden ;  der  ifst  wie  Fischarts  Held  (Geschichtsklitterung,  Neudr. 
S.  252)  »eine  Morgensup  ein,  dadurch  die  Nebel  und  den  Dan  zu  legen, 
und  sonst  von  des  bösen  Luffts  wegen,  als  schöne  Fenchelwürstlin,  ge- 
röstete Zünglein stucklin,  beim  Berte  Pfaffenbifslin,  geröstets  Katzen- 
geschrei, Euterprätlin ,  schöne  Wampen  und  Schuncken  oder  feifste 
Hennensüpplin,  Kindbetterprühlin,  warm  Wein,  Matzisprülin,  von  der 
ersten  sut«. 

Das  Hauptessen  fand  aber  gegen  Mittag  statt.  In  Pommern  speiste 
man  um  10  Uhr.^)  Hainhof  er  war  in  Stettin  1617  beim  Kantor  zu  Tisch 
geladen;  man  setzte  sich  um  10  und  stand  um  6  Uhr  auf.  ;>Und  in 
Pommern  alfs  in  der  Mark  der  Brauch  ist,  dafs  man  gantz  raynen  Tisch 
machet,  nur  das  Undertischtuch  hegen  lasset,  Handwasser  reichet  und 
dan  erst  frische  Teller  und  Serviett  gibet,  den  Tisch  mit  Gebackenes, 
Confect  und  Früchten  ganz  übersetzt,  kain  Brot  aber  weiter  aufgeleget 
und  die  Fraw  im  Haufs  dem  Gast  an  die  Saite  gesetzt  würde  und  das 
Trinken  erst  recht  anfanget.  «2) 


»)  Phil.  Hainhofer.  —  Balt.  Studien  II,  2.  S.  88. 
»)  Ebend. 


ni.  Mahlzeiten  der  Bürger.  315 

Es  ist  zweifelhaft,  ob  die  vielbesprochenen  Festessen  zu  Mittag 
oder  am  Abend  stattfanden.  Anlässe  zu  diesen  erwünschten  Unter- 
brechungen des  ziemUch  einförmigen  Lebens  gab  es  gar  viele.  Guari- 
nonius  (455)  zählt  da  auf  die  »Gerichthche  Fresserey,  Vertrag-,  Raitung- 
(Rechnung-),  Quatemberhche  - ,  Gerhabschafft-,  dann  kaufmännische 
Fresserey«.  Starb  einer,  so  war  ein  Gelage  erforderhch:  man  mufste 
»die  Seele  vertrincken«,  dann  den  siebenten,  den  dreifsigsten,  den  Jahres- 
tag feiern. 

Bei  der  Verlobung  (Handschlag)  und  bei  der  Hochzeit  war  eine 
Gasterei  unerläfshch,  allein  auch  die  >^  Willkomm-  und  Valete-Fressereye 
durfte  nicht  umgangen  werden,  dazu  gibt  es  noch  eine  Trinkstuben-, 
eine  kirchtägliche,  eine  gelehrte,  eine  handwerkhche,  eine  Spital-  und 
eine  Hausfresserei ;  dafs  aber  noch  viele  andere  Anlässe  vorhanden  waren, 
daran  ist  nicht  zu  zweifeln. 

Auch  die  Frauen  tun  sich,  ganz  besonders  bei  den  Hochzeitsmahlen, 
etwas  an.  (S.  778)  »Die  ander  Fresserey  der  Weiber  ist  fein  ordenthch 
und  circularis  (das  bezieht  sich  auf  die  später  noch  zu  erwähnenden 
Kränzchen)  und  fürnemblich  under  den  Edlern  bräuchig,  die  ihre 
Mahlzeiten  eine  nach  der  andern  mit  verwandten  Frafs-  und  Sauff- 
schwestern  zusammen  ladet  und  nach  der  Abtheilung  von  einer  zu  der 
andern  kompt,  also  dafs,  wann  der  Schwester  in  einer  Zech  zwölff  seyn, 
ein  jede  ihren  zwölften  zu  fressen  gibt  und  einmal  auff  jedes  Krantzel- 
mahl  gelangen  thut,  darumben  auch  disse  die  Krantz-Fressereyen  oder 
Krantz-Mahlen  genennt  werden.;  Heimhch  essen  sie  die  leckersten 
Speisen,  und  den  Männern  setzen  sie  Kraut  und  Suppe  vor,  schicken 
ihren  Freundinnen  »under  dem  schein  des  Besuches  oder  Heimgartens« 
gute  Bissen  zu  und  leben  herrhch;  die  Männer  aber  dürfen  nichts 
erfahren. 

Eine  Zeit,  die  einen  so  überaus  grofsen  Wert  auf  gute  Mahlzeit 
legte,  wufste  auch  eine  gute  Köchin  nach  Gebühr  zu  schätzen.  »Die 
Köchin  in  Österreich,  wie  auch  die  zu  Brefslau  in  Schlesien  und  die 
Schwäbische  werden  als  in  dieser  Kunst  sonderhch  geschickt  gelobt, 
Theils  machen  ihnen  eine  Lust  mit  kalten  Schalen,  die  mit  Brod,  Wein 
und  Zucker  bereitet  werden,  die  man  auch  Weinrübel  nennet. «  (M.  Zeiller, 
Hdb.  I.  528.) 

Bei  den  fürsthchen  Gastmahlen  wurden  selbstverständlich  die 
reichsten  und  schmackhaftesten  Gerichte  aufgetragen.  Als  am  6.  Nov. 
1524  Joachim  von  Brandenburg  sich  mit  Magdalena,  der  Tochter  Georgs 
avon  Sachsen,  vermählte,  gab  es  (s.  Wenck,  Dresden,  S.  347)  am  Vor 
bend  für  die  Fürstentafel  »Hasen,  Wildpreth,  Gebratens,  Äpfel  in  Butter,- 
Geröste  Vogel,  Ein  Schau-Efsen«.  Zum  zweiten  Gange:  »Schmerlen, 
treuge,  heifs,  Gebratens,  Tortten  von  Quitten  oder  Birnen,  Pasteten  von 
Hasen,  über  göldet  vor  ein  Schau-Essen«.  Zum  dritten  Gange:  »Kap- 
han mit  Traget  (?)  und  süfsen  Wein,  Geronnen  Milch  mit  Reifs.  Ein 
Schau-Efsen  mit  einem  Gebackens.  Summa  12  Efsen.«  Die  Grafen,  Räte 
und  Prälaten  bekamen  8  Essen,  die  Ritterschaft  und  das  Frauenzimmer  7, 
die  in  der  Speiseküche  5.  —  Das  Hochzeitsmahl  fand  erst  am  folgenden 


316  IV.   Essen  und  Trinken. 

Tag  statt.  Da  kam  auf  den  Tisch  der  Fürsten  »Ein  Auerhahn  mit 
einem  gehemmerten  sül'sen  Sode,  Grüne  Fohren  (Forellen),  Mandel- 
Tortten  mit  Confect,  Ein  Schau-Efsen.  —  Der  Andere  Gang :  Schweinen 
Wildpreth,  Gebratens  von  Span-Ferckehi,  Wilde  Hüner  mit  gelben  Sode, 
Ein  Schau-Efsen.  —  Der  Dritte  Gang:  Grüne  Hechte,  treuge,  heifs, 
Kuchen  mit  Oblaten,  Pasteten,  darinnen  ein  Reh-Keule,  vergöldt,  vor 
ein  Schau-Efsen.  —  Der  Vierdte  Gang:  Geprefste  Schwoins-Köpffe  mit 
Aepffeln  und  Wein-Efsig,  Birnen  mit  einer  sül'sen  Brühe,  Gebacknes, 
Eine  hohe  Galerte  von  Fischen,  vergöldt,  vor  ein  Schau-Efsen.  Summa 
16  Efsen.v<  —  Für  die  Grafen  etc.  waren  10  Essen,  für  die  Ritter  8, 
für  die  geringeren  Gäste  6  Essen  bereit. 

Das  ist  gewifs  ein  stattliches  Festmahl,  unter  dessen  Gerichten 
allerdings  die  saure  Milch  sich  seltsam  ausnimmt.  Gegen  Ende  des 
Jahrhunderts  jedoch  bietet  ein  Edelmann  seinen  Gästen  bei  weitem 
mehr.  Guarinonius  erzählt  (S.  793):  »Wann  du  aber  jetzt  ein  Exempel 
einer  Edelmännischen  Privat-Hochzeit  unnd  nur  eines  gemeinen  Edel- 
manns hören  wilt,  so  hab  dir  gar  ein  nagelnewe,  so  erst  dise 
Woche  als  ich  schribe  in  eim  kleinen  Städtlein  gar  solemniter  unnd 
feyerhch  oder  Frifslendisch  gehalten  worden.  Durch  eine  Privat-Hoch- 
zeit verstehe  nit  ins  Wirtshaufs  sonder  bey  dem  Bräutigam  selbs  in 
seiner  Behausung,  allda  der  Taflen  siben  gar  wol  mit  Hochzeitleuten 
oder  Hochzeitfratzen  übersetzt,  zwen  tag  geweret,  auff  jede  Tafel  vier 
Trachten,  jede  Tracht  mit  13  ansehenlichen  Richten,  thut  auf  eine 
Tafel  52,  auf  7  Taflen  364,  zu  zwey  Mahlzeiten  728,  auff  zwey  tag 
1456  Richten.  Hie  sag  ich  nichts  von  allerley  Wein  und  aufsgesoffner 
menge.«  Waren  der  Gerichte  so  viele,  dafs  sie  auf  dem  Tische  nicht 
Platz  fanden,  so  hielten  sie  die  Diener  oder  präsentierten  sie  den  Gästen 
(ib.  S.  798). 

Bei  den  Bürgern  ging  es  ebenso  verschwenderisch  zu  (Guar.  IV, 
c.  57,  S.  797) :  »Nun  aber  kanst  du  aufs  nachfolgender  nagelnewen 
Bürgerlichen  Ladschafft  oder  Gasterey  dich  leicht  auff  die  andern 
richten.  Nembhch  sechs  Trachten  jede  Tracht  neun  Speisen  und  nit 
kleine  noch  leere  Schifslen :  Zum  Voressen :  neun  Speisen ;  zur  Suppen : 
neun  Speisen;  Zum  Kraut:  neun  Speisen;  Zum  Gebratens:  neun  Speisen; 
Zum  Schröckegast :  neun  Speisen;  zur  Nachrichten :  neun  Speisen.  Summa 
54  Speisen.« 

Über  die  Gerichte  spricht  Guarinonius  noch  einmal  ausführhch. 
Zuerst  kam  das  Voressen :  kleine  Fische  in  mancherlei  Saucen,  Rind- 
fleisch mit  Rosinen  und  Mandeln  und  Gewürz.  Ein  paar  gebratene 
Wildhühner  (Spielhähne),  Kalbskopf  oder  Kuttelfleck  (S.  559). 

Zum  zweiten  Gange,  der  Suppe,  gibt  man  Brühe  von  fetten  Hühnern, 
Kapaunen,  Kälbern  mit  zarten  Knödeln,  Rindfleisch,  Selchfleisch,  dann 
heifs  gesottene  Karpfen,  Forchen,  Aschen,  Mandeltorte,  Marzipan ;  wenn 
die  Jahreszeit  es  erlaubt,  ein  halbes  Dutzend  Artischocken^)  (S.  560). 

*)  Frau  Magdalena  Paumgartner  steckt  Artischockenkerue  in  Blumentöpfe  und 
findet  die  von  Bologna  besser  als  die  von  Lucca  (Brief w.  1597  IS./III.,  S.  276);  auch 
ihre  Freundinnen  wollen  solchen  Samen  (ib.  1597  22./III.,  S.  280).   Sie  braucht  Zitronen 


in.  Mahlzeiten  der  Bürger.  317 

Der  dritte  Gang,  das  Kraut,  besteht  aus  Zettelkraut  mit  Speck. 
Am  Rand  der  Schüssel  liegen  Semmelschnitten  mit  geröstetem  Gehirn. 
Dazu   ein   gebratenes  Stück  Kalbfleisch  oder    ein  Gemsschlegel   (S.  560). 

» Die  vierdte  Tracht  nennet  man  den  Seh  recken  gast  nemblich 
die  Gersten,  und  damit  der  Gast  in  solchem  Schricke  nicht  machtloser 
sterbe,  so  trägt  man  benebens  ein  Labung  auff,  als  Eyrküchel,  schöne 
rotgesottene  Krebs,  etwan  ein  wild  Pastette.  .  . 

Was  man  hernach  aufträgt  von  Käfs,  Früchten  und  dergleichen, 
kanstu  aufs  oberzelten  leicht  urteilen«  (S.  561). 

Austern  wurden  wohl  doch  nur  in  den  Orten  verspeist,  die  nicht 
zu  fern  von  der  Küste  lagen.  Die  Venedischen  Austern,  die  Guarinonius 
(S.  527)  erwähnt,  dürften  in  Hall  nicht  gar  zu  frisch  angelangt  sein. 

Auch  Moscherosch  (S.  160)  gedenkt  der  Austern  neben  Schnepfen, 
Schnecken  u.  s.  w.  Er  tadelt  die  Verwendung  der  Melonen,  Zitronen, 
Limonen,  Pomeranzen  zu  Ragouts  und  zur  Herstellung  der  Ollapotrida. 
Vgl.  Logau,  Sinngedichte  (I,  8,  30). 

Eier  aber  w^aren  überall  leicht  zu  beschaffen,  und  so  setzt  denn  der 
berühmte  Baumeister  und  Bildhauer  Giovanni  Battista  Nosseni  in  Dresden 
dem  Augsburger  Patrizier  Pliil.  Hainhof  er  1617  zu  Mittag  »ain  Ain- 
geruerts  von  Ayern  (in  Sachsen  haifst  es  Ayrhaanen)  vor«  •''Hainh.  Tageb. 
—  Balt.  Stud.  IT,  2,  S.  135),  und  in  Pommern  wird  es  zum  Frühstück 
serviert.  Ȇber  der  Malzeit  haben  wir  ain  Eingeruertes  von  Ayern 
gehabt,  welches  man  in  Pommern  ainen  Manuhaber  soll  haissen,  die 
weilen  es  die  Männer  wol  fuettert,  als  wie  der  Haber  die  Pferde« 
(ib.  S.  45). 

Man  frönte  übrigens  nicht  allein  bei  Festmahlen  einem  übertriebenen 
Luxus,  sondern  pflegte  auch  den  eigenen  Leib  mit  zärthchster  Auf- 
merksamkeit. Guarinonius  schildert  das  Leben  in  den  Tiroler  Bädern 
(S.  954):  Des  Morgens  um  6  Uhr  vor  dem  Bade  Setzeier,  eine  Rahm- 
suppe, zwischen  7  und  8  Uhr  eine  Pfanne  voll  Eier  oder  ein  Milchmus. 
dazu  Wein.  Um  9  Uhr  geniefst  man  Schmarren  und  kleine  Fische  oder 
Krebse.  Dazu  gehört  ein  Trunk.  Zwischen  10  und  11  Uhr  findet  das 
Mittagsmahl  statt:  fünf  bis  sieben  Gerichte.  Bis  2  Uhr  geht  man  dann 
spazieren  und  ifst  um  2  Uhr  vor  dem  Bade  eine  Pfanne  mit  Dampf- 
nudeln, eine  Hühnerpastete.  Zwischen  3  und  4  Uhr  zwei  gesottene  Eier 
oder  ein  Hähnchen.  Zum  Nachtmahl  vier  bis  fünf  kräftige  Speisen,  imi 
8  Uhr  vor  dem  Schlafengehen  ein  Schwingmus  und  eine  Schüssel  Wein 
mit  Brot,  Gewürz,  Zucker.  Zur  Jause  oder  zum  )Abend-Märentle^<,  also 
zwischen  Mittag  und  Abend  wird  wieder  tüchtig  gegessen.  —  Guarinonius 


und  Pomeranzen  (ib.  1594  14./ni.,  S.  191),  italienische  Melonen  (ib.  1584  14./Vin.,  S.  63). 
Der  Mann  schickt  ihr  ans  Frankfurt  Kürbiskerne  und  Blumenkohl  (Cavolifior  =  Cavo- 
lofior)-Samen  (1587  l./IV.,  S.  80;  vgl.  1588  23./m,  S.  87),  Limonenkerne  aus  Itahen 
(1588  24./III,  8.  88;  vgl.  1588  29./m.,  8.  90),  süfsen  Fenchel  (8.  45).  Sie  bittet  ihn, 
aus  Bolojrua  ein  Fäfschen  Olivenöl  (Jungfrauöl,  1591,  25./Xn.,  8.  148)  zu  kaufen 
(1594  18. /IX.,  8.  255),  aus  Italien  mitzubringen  »ein  klein  fesla  griene  niesla  (Pistacien) 
und  Mandeln  (1592  13./I.,  S.  164).  In  Frankfurt  kauft  er  3  Hüte  Zucker  (1589  21./IX., 
8.  103)  und  2  Eimer  Essig  (1596  12./IX.,  8.  271),  in  Würzburg  Quitten,  Birnen,  Nüsse 
(Zellernüsse,  1589  14./IX.,  8.  101)  ein  (1589  2./IX.,  9./IX.,  8.  99,  101). 


31^3  ^^*  Essen  und  Trinken. 

ist  auf  einem  Spaziergang  während  eines  Gewitters  in  ein  Dorfwirtshaus 
eingekehrt  und  verlangt  eine  Jause  (S.  334).  Er  bekommt  Salat  mit 
Butter  ohne  Öl,  darauf  harte  Eier,  dann  4  gebratene,  magere  Hühner, 
darauf  4  kleine  Stücke  Fisch,  dann  einen  Schmarren,  »ein  gefräfs  aufs 
gerösten  Teyg  in  Butter  v.  Dreizehn  Mafs  Wein  sollen  sie  dazu  getrunken 
haben.     Die  Zeche  kostet  7  Gulden  57  Kreuzer. 

Dafs  man  auch  am  Rhein  sehr  gut  und  üppig  zu  speisen  verstand, 
beweisen  die  Aufzeichnungen  des  Hermann  von  Weinsberg  in  dem 
>Buche  Weinsberg«. 

Den  Bürgern  und  dem  Adel  suchte  es  nun  der  reiche  Bauer  gloich- 
zutun.  ^Mochte  er  auch  für  gewöhnlich  sparsam  leben,  aber  bei  Festen, 
besonders  bei  Hochzeiten  liefs  er  etwas  daraufgehen.  Wenn  die  geringsten 
Handwerker  sechs,  sieben,  ja  acht  Tafeln  voll  Gäste  einluden,  hatten 
die  bei  einer  >  mittleren  Bawrshochzeit«  bis  12,  14,  16  und  mehr  Tafeln, 
die  vermögenden  bis  24  (Guarinonius  S.  791,  792).  Der  wohlmeinende 
Arzt  macht  ihnen  den  Vorschlag,  ihren  Speisezettel  auf  vier  Gerichte 
zu  beschränken:  Suppe  mit  einem  Stück  Fleisch  und  Knödeln,  Kraut 
und  Speck,  mit  Bratwürsten  garniert,  dann  einen  guten  Rinds-  oder 
Kalbsbraten,  zum  Schlufs  Gerste  (Graupe)  oder  Reis  in  Milch.  Und 
damit  genug. 

Die  von  den  Fleischern  gemachte  Wurst  sieht  aber  schon  Guari- 
nonius für  verdächtig  an;  er  bespricht  S.  747  »die  gefälschten  Wurst, 
darinnen  die  Fleischhacker  und  auch  die  Wirth  allerley  Wüst  und  Unflat 
zusammen  mischen«. 

Jedes  Volk  hat  beim  Essen  seine  eigenen  Gewohnheiten.  So  teilt 
uns  Phil.  Harsdörfer  in  den  Gesprächsspielen  IV  (1644),  415  mit:  »Ein 
Ey  wird,  in  der  Schalen  gesotten,  auf  dreyerley  Art  eröffnet:  Die  Juden 
machen  das  Ey  bey  der  Spitzen  auf  .  .  .  die  Welschen  eröffnen  das  Ey 
oben  und  wir  Teutsche  auf  der  Flächen  oder  Seiten.« 

Man  hat  während  des  16.  Jahrhunderts  und  bis  zur  Zeit  des 
Dreifsigjährigen  Krieges,  so  wie  nie  früher  noch  später,  den  Tafelfreuden 
gehuldigt,  oft,  viel  und  gut  gegessen. 

Dazu  wurde,  wie  schon  früher  gesagt  worden  ist,  ganz  aufser- 
gewöhnhch  stark  getrunken. 

Auch  diese  Neigung  zur  Völlerei  war  keineswegs  allgemein  ver- 
breitet; einzelne  Männer  haben  sich  der  Unsitte  wohl  zu  entziehen 
gewufst,  allein  weniger  aus  sittlichen  Bedenken,  sondern  weil  ihr  Magen 
das  Übermafs  zu  vertragen  nicht  imstande  war.^)  Die  Mehrzahl  aber 
legte  sich  keinen  Zwang  an,  und  so  saufen  sich  die  Männer  voll  2), 
berauschen  sich  beim  ständigen  Zutrinken  3),  es  saufen  die  Frauen  und 
Jungfrauen^),  ja  es  saufen  die  Kinder.^) 

1)  Balth.  Paumgartner  (Briefw.  160,  220).  —  Phil.  Hainhofer  (Reisetageb.  1617.  — 
Balt.  Stud.  n,  2,  S.  33). 

*)  Guarinonius  647. 
■    3)  Ebend.  707. 
*)  Ebend.  721. 
8)  Ebend.  727. 


ni.  Mahlzeiten  der  Bürger.  319 

Sicut  bipsit,  Sic  morixit,  Sine  crux,  sine  lux,  sine  deus.  ^) 
Von  den  Weinen 2)  wurden  besonders  die  im  Lande  selbst  wach- 
senden Sorten  viel  getrunken.  So  hat  in  Deutschland  ^)  der  Rhein-  und 
Moselwein  auch  im  16.,  17.  und  18.  Jahrhundert  seinen  alten  Ruf  sich 
bewahrt.  Der  Kölner  Advokat  Hermann  Weinsberg,  der  neben  seiner 
Geschäftskanzellei  einen  Weinausschank  hat,  verzapft  hauptsächhch  Rhein- 
und  Moselweine."*)  Von  den  Rheingewächsen  preist  J.  Fischart  (Gesch. - 
Khtt.  S.  84  ff.  und  Podagr.  Trostb.)  vor  allem  den  Braubacher  und  den 
Fürstenberger  bei  Bacharach.  »O  Bachi  räch  im  Rauhen  Rachen,  soltu 
heut  erwachen,  wie  ^^'ird  dein  Gurgel  lachen.«  Und  in  dem  Zeitvertreiber 
(S.  190)  lesen  wir  das  bekannte  Sprüchlein : 

Klingenberg  am  Main, 

Würtzburg  am  Stein, 

Bacharach  am  Rhein 

Wachsen  die  besten  Wein. 
Der  gerühmte  Fürstenberger  aber  wuchs  bei  Nieder- Diebach. ^) 
Aber  auch  der  Hochheimer,  Hambacher,  Rüdesheimer  ist  nicht  zu  ver- 
achten. ^)  Fischart  gedenkt  dann  des  Scharlachbergers  und  des  Afsmanns- 
häusers.  Der  Markobrunner  wird  ebenso  geschätzt  wie  der  Gänsfüfser, 
der  bei  Speier  .wächst.'^)  Bei  der  Zerstörung  der  Stadt  1689  ist  auch 
dieser  Weinberg  zu  Grunde  gegangen  (Diethelm  a.  a.  O.  467).  Fischart, 
dem  nicht  so  leicht  eine  gute  Marke  entgeht,  kennt  die  Liebfrauenmilch 
von  Worms  noch  nicht,  allein  Diethelm  weifs  uns  1776  von  ihr  zu 
berichten.  »Insonderheit  ist  der  niedliche  Rheinwein,  so  die  Liebfrauen- 
Milch  genennet  wird,  nicht  zu  vergessen.«^) 

Unter  den  Weinen  des  Elsasses  wird  besonders  gepriesen  der 
Rangenwein,  der  bei  Thann  wächst,  der  Kaisersberger,  Marsheimer, 
Andlauer.  »0  Katzenthal  er  (b.  Colmar)  und  Lüppelsperger  von  Reichen- 
weir  (b.  Colmar),  wie  halten  euch  meine  Lippen  so  theur.« 

Auch  die  Württemberger  Gewächse  sind  nicht  zu  unterschätzen. 
Viel  gefeiert  wird  da  der  Eilfinger,  den  man  bei  Maulbronn  keltert. 
Am  Bodensee  aber  ist  der  »Stoll  zu  Süplingenx  oder,  wie  er  gewöhnlich 


»)  Ebend.  704.  —  1577  d.  26.  Jan.  stellte  in  Küstrin  Andreas  Roebell  einen 
Revers  aus,  sich  nicht  mehr  zu  betrinken.     Kurios.  VII,  382. 

2)  Vinc.  Obsopocus,  Vonn  der  Kunst  zu  trincken  .  .  . ,  übers,  von  Georg 
Wickram.     Treib,  i.  Br.,  1537.     Neudruck,  Köln  1891. 

Andr.  Baccius,  De  naturali  vinorum  historia,  de  vinis  Italiae  et  de  couviviis 
antiquorum  Hbri  septem.  Access,  de  factitiis  ac  cerevisüs,  deque  Rheni,  Galliae, 
Hispaniae  et  de  totius  Europae  vinis,  et  de  omni  vinorum  usu  tractatio.  Fol. 
Romae  1596. 

Der  zu  allerley  guten  Geträneken  treuhertzig  anweisende  wohlerfahrne  und 
curiose  Keller-Meister.     Nürnb.  1705. 

')  .Tul.   Beruh,  von  Rohr,  Viticultura  Germaniae  oeconomica  ....     Leipz.    1730. 

*)  Waldorper  (Waldorf  zwischen  Bonn  und  Brühl)  roit  und  weis  (Buch  Weins- 
berg II,  102);  Geuwer  (aus  St.  Goar)  3  stuck,  Mosler  7  stuck  und  Lainsteiner  2  stuck 
gebend.  II,  108). 

*)  Diethelm,  Rhein,  Antiquarius  (Frkf.  u.  Lpz.  1776),  S.  674. 

«)  Zeitvertreiber  S.  190. 

')  Ebend.  S.  191.  —  s)  S.  531. 


320  IV-  Essen  und  Trinken. 

genannt  wird,  der  »Stollengarten«  (zwischen  Siplingen  und  Überlingen).^) 
Dies  Weingut  gehörte  seit  1411  den  Freiherren  von  Zimmern.  2)  Um 
die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  vernachlässigte  man  die  Pflege,  und  so 
verlor  dieser  ausgezeichnete  Wein  seinen  Ruf.  ^) 

Die  Frankenweine  werden  wohl  auch  geschätzt.  Des  Steinweines 
wurde  schon  gedacht.  Aber  der  Nürnberger  Kaufmann  Balthasar  Paum- 
gartner  kauft  Franken-  und  Tauber  wein  für  seinen  Bedarf"*),  Milten- 
berger und  Klingenberger.^) 

Schon  fragwürdiger  war  Avohl  der  Wert  des  bei  Dresden  gewonnenen 
Weines.  Wenck  behauptet  allerdings  in  seiner  Beschreibung  der  Stadt 
(Dresd.  1689)  S.  15,  dafs  »im  Dresdnischen  Amtsbezirke  .  .  .  viel,  viel 
Tausend  Eymer  gesamlet  werden,  unter  allen  selbigen  Weingebürgen 
aber  werden  die  Kötzschenbrodischen,  Losenitzer,  Züschkemtzer,  Cost- 
wiger  auch  Losch^ntzer  und  Wachwitzer  für  die  edelsten  und  besten 
gehalten«.  Auch  in  der  Mark  Brandenburg  baute  man  mancherlei  Sorten 
edler  Reben. ^)  Wie  der  gekelterte  Trunk  gemundet  hat,  verrät  Joh. 
Coler  allerdings  nicht.  Und  Philipp  Hainhof  er  ist  ein  Temperenzmann, 
also  darf  man  auf  sein  Urteil,  dafs  der  auf  dem  Weinberg  zu  Frauen- 
berg bei  Stettin  gewonnene  Wein  so  gut  wie  Rheinwein  war,  nicht  zu 
viel  geben.') 

Der  böhmische  Wein  von  Podskal  bei  Aussig  ist  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  besser  gewesen.^) 

Nach  unserni  Gewährsmann  Joh.  Fischart  ist  in  Osterreich  der 
Bisenberger  vom  Bisamberg  bei  Wien,  der  Kahlenberger ,  der  von 
S.  Polten  (s.  Bild)  zu  loben.  Dazu  wäre  noch  der  Klosterneuburger 
hervorzuheben.  ^) 

Tirol  bringt  den  Traminer  hervor.  »Tramminer  oder  Trabanter, 
wie  jene  Jungfrau,  die  nicht  gerne  das  Bruch  nent,  sagt.«  Die  sittsamen 
Mädchen,  die  nicht  den  Bruch,  die  Unterhose,  nennen  wollen,  denken  bei 
Traminer  an  Minne,  und  dies  Wort  hatte  im  16.  Jahrhundert  allerdings 
schon  eine  bedenkliche  Bedeutung.  Über  Tiroler  Weine  aber  mufs  man 
bei  Guarinonius  S.  633  If.  nachlesen,  der  alle  sachverständig  beurteilt, 
auch  dem  Kälterer  Seewein  Gerechtigkeit  widerfahren  läfst. 

In  Steiermark  hat  man  den  Kitzendorfer  und  Luttenberger,  in 
Krain  den  altberühmten  Wippacher. 

Unter  den  Schweizer  Weinen  ist  weitaus  der  berühmteste  der  Veit 
hner,  aber  auch  die  aus  dem  Thurgau,  »der  Turgenische  Berlimost« 
und  der  Ottenberger,  der  bei  Weinfelden  auf  dem  Ottenberg  wächst, 
finden  Fischarts  Beifall  wie  der  Aargauische  Rheinfelder. 


>)  Zimm.  Chron.  m,  533;  n,  66. 
«)  Ebend.  I,  225. 
s)  Ebend.  IH,  334. 
*)  Briefw.  1591  5./IX.  (ß.  119). 
»)  Ebend.  S.  28,  29,  30,  34,  43,  119. 

ö)  Joh,  Coler,  Oeconomia,  B.  IV,  Cap.  6.  —  Weinmeisterordnung  des  Kurfürsten 
Johann  Georg.     Köln  an  der  Spree  1578.     (Ebend.  B.  IV,  Kap.  4.) 
')  Reisetageb.  1617.  —  Balt.  Studien  II,  2,  S.  23. 
8)  Zeitvertr.  (1685),  S.  191.  —  ^)  Ebend. 


m.  ^Mahlzeiten  der  Bürger.  321 

Obsclion  es  also  in  Deutschland  keineswegs  an  Weinen  fehlte, 
wurden  doch  auch  fremde  Weine  vielfach  getrunken.  Der  Weinhändler- 
Advokat  Hermann  Weinsberg  berichtet  zum  Jahre  1543:  »Es  quamen  vil 
Hispanische  wein  in  die  stat  (Köln),  bastarden,  romanei,  Canarischwein,  alles 
hitzig  gedrenk,  und  die  secten  drank  man  umb  5  albus  die  quart.«^) 

Auch  der  Herzog  von  Pommern  hat  in  seinen  Kellern  »von  Peter- 
sinen,  spanischen,  französischen  und  wälschen  Weinen,  von  Rosmarin-, 
Maieran-,  Kräuter-,  Weichsel-  oder  Ivirsch-,  Rein-  oder  LandAveinen«.^) 

Spanisch  ist  der  schon  genannte  Kanarische  Wein  (Canarien- 
sekt),  der  Sekt,  der  Bastart.  ^)  Der  Alicante  findet  bei  Fischart  einen 
verständnisvollen  Bewunderer.  ^Allkant  Wein  ist  mein  Latein,  wirft 
den  Bauren  über  die  Zäun  und  stofst  die  Bürger  an  die  Schinbein«.*) 
Der  Petersimen^)  hat  seinen  Namen  »von  einem  Teutschen  Namens 
Peter  Simon,  der  erstlich  Wein-Reben  vom  Rheinstrohm  mit  in  Spanien 
gebracht«.^)  Aufserdem  gedenkt  Fischart  noch  des  S.  Martin,  Bercken- 
meyer  des  Madeira.  '^) 

Aus  Griechenland  schätzt  man  den  Malvasier,  der  aus  Monem- 
basia  (Napoli  di  Malvasia)  im  Peloponnes  herstammt.*)  Seltener  spricht 
man  von  dem  altberühmten  Cyperwein.^)  Vino  greco  erwähnt  Abraham 
a  Santa  Clara. ^")- 

Von  den  italienischen  Weinen  bewahrt  der  Reinfal  oder  Rein- 
val  sein  altes  Renommee. ^^)  Wie  Fischart  ausdrücklich  bemerkt ^"),  stammt 
er  aus  Istrien.     Später  scheint  er  seinen  Ruf  verloren  zu  haben. 

Dann  preist  er  den  Romanei  (aus  der  Romagna)  und  eine  Menge 
andere  Sorten,  wie  den  vom  Vesuv  und  von  Sorrent,  aber  ganz  besonders 
lobt  er  den  von  Montefiascone.  Er  erwähnt  auch  die  bekannte  Inschrift; 
»Est,  est,  propter  bonum  est,  meus  Dominus  hie  est.«  Die  Grabschrift 
des  Augsburger  Kanonikus  Johannes  Fugger  ist  heute  noch  im  Dome 
vorhanden ;  sie  lautet  genau : 
Est.  est.  est.  Propter  nimium  est  Joannes  de  Fuc.  D.  meus  mortuus  est. 

Auch  der  Curfswein  aus  Korsika  fand  seine  Anhänger.  ^^)  Abraham 
a  Sancta  Clara  nennt  noch  den  Wein  Lacrimae  Christi"),  der  Avohl  mit 
dem  Vesuv-Wein  Fischarts  identisch  ist. 


0  Buch  Weinsberg  I,  206. 

»)  Ph.  Hainhof  er,  Reisetageb.  1617.  —  Balt.  Stud.  U,  2,  S.  23. 

^)  Vgl.  P.  L.  Berckenmeyers,  Curieuse  antiquarius.    (Hamb.  1712.)    S.  71. 

*)  Reuter,  Ehrl.  Frau,  Scena  V,  S.  9.     »Spanischen  oder  Alacanten  Wein«. 

^)  Vgl.  Anm.  1.  —  Malvasier  oder  Peterseinen.     Ph.  Hainhofer  a.  a.  O    S.  95. 

•)  Berckenmeyer  a.  a.  O.     Es    ist    der    heute    noch    unter    dem    Namen    Pedi'o- 
Ximenes  bekannte  Malaga -Wein. 

')  A.  a.  O.  II,  340.  —  Erquickstunden.  Frkf.  1650.  S.  47,  48.  —  Vino  di  Mandera. 

8)  Zimm.  Chron.  HI,  167,  310,  534,  cf.  Anm.  3. 

•)  Berckenmeyer  a.  a.  O.  II,  27. 
1»)  Gehab  dicli  wohl.    S.  254. 
")  Hans  von  Schweinichen.     S.  75,  77. 
")  Aller  Practic  Grofsnmtter  (Kloster  VIII,  656). 
*^)  Fischart,  Aller  Practic  Grofsmutter  a.  a.  O.,  656. 
")  Gehab  dich  wohl,  254;  (Tcistl.  Kramer-Laden  III,  15. 
Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  21 


322  ^^-  Essen  und  Trinken. 

Der  Uli  gar  wein  scheint  sich  spät  Anerkennung  verschafft  zu 
haben;  Fischart  kennt  zwar  »Ungarische  Goorger,  Klybor  und  Syr- 
miger«,  doch  den  Tokaier  rühmt  erst  Abraham  a  Sancta  Clara.  ^) 

Die  französischen  Weinsorten  waren  in  Deutschland  auch  in 
den  späteren  Jalirhunderten  sehr  beliebt.  Hainhofer  will  in  Stettin 
»lautter  starkhen  französischen  Wein,  der  wol  ein  halber  Brantwein  ist«, 
getrunken  haben. 2)  Der  Burgunder  von  Beaune  hat  immer  seine  Ver- 
ehrer gefunden,  wie  ihn  Fischart  zu  sehätzen  wufsto;  er  läfst  jedoch 
auch  dem  Muskat  von  Lyon,  dem  Weine  von  Arbois  (ein  sülser  Weifs- 
wein), dem  von  Besan(,'on  Gerechtigkeit  widerfahren.^)  Merkwürdig  ist 
es,  dais  der  Autor  des  Zeitvertreibers  (1685)  schon  den  Bordeaux-Wein 
anführt.  Derselbe  war  bereits  von  alters  her  berühmt,  wurde  im  Mittel- 
alter von  La  Rochelle  aus  viel  exportiert,  scheint  aber  dann,  wenigstens 
am  französischen  Hofe,  gänzlich  in  Vergessenheit  geraten  zu  sein,  voraus- 
gesetzt, dals  die  von  der  Marquise  de  Crequy  erzählte  Anekdote  wahr 
ist.^)  Ludwig  XV.  fragte  einmal  den  Gouverneur  der  Guyenne,  den 
Herzog  von  Richelieu,  ob  in  seiner  Provinz  ein  guter  Wein  wachse. 
Richelieu  lobte  den  Wein  von  Graves^),  fand  es  aber  lächerlich,  dafs 
die  Einwohner  von  Bordeaux  den  Medoc  und  den  Bazadois  schätzten. 
Er  liefs  eine  Probe  von  Chäteau  Lafitte  kommen,  und  der  König  fand 
diesen  Wein  passabel.  —  Champagner  erwähnt  Abraham  a  Sancta  Clara 
(t  1709).  Es  ist  sehr  wohl  möglich,  dafs  er  schon  den  Schaumwein 
kannte,  dessen  Zubereitung  Dom  Perignon,  Kellermeister  der  Abtei 
Hautvillers  (1670 — 1715),  erfunden  hat.  Am  Hofe  von  Hannover 
wurde  schon,  als  Toland^)  schrieb,  »Burgunder,  Champagner,  Rheinischer 
Wein«  getrunken.'^) 

War  der  Wein  unvermischt  nicht  trinkbar,  so  suchte  man  den 
Geschmack  durch  allerlei  Zusätze  zu  verbessern.^)  Fischart  kennt  den 
Wermutswein  ^)  und  Guarinonius  nennt  ihn  neben  dem  Alant-^^),  Salbei-"), 
Rosmarin-,  Kräuter- Wein,  i'-^)  Sehr  beliebt  ist  dann  der  Julep,  ein  süfser 
Kühltrank.^^)  Einen  Zimtwein  (Kneildrank)  setzt  der  schon  oft  genannte 
Hermann  Weinsberg  bei  seinem  Banneressen  1571  den  Gästen  vor.  Er 
hatte  ihn  aus  Zimt,  Ingwer,  Galgan,  Zucker  und  Muskatblumen  bereitet. 


1)  Gehab  dich  wohl,  254 ;  Geistl.  Kramer-Laden  I,  85.  —  Berckenmeyer  a.  a.  O.I,  700. 

2)  a.  a.  O.  76. 

3)  Der  Zeitvertreiber  (1685)  nennt  S.  87  noch:  Vin  de  Orleans,  vin  de  Anjou, 
vin  de  Bordeaux,  vin  de  Beaulne,  vin  de  Muscat;    vgl.  Berckenmeyer  a.  a.  O.  I,  157. 

*)  Paris,  s.  a.  IV,  132. 
^)  Berckenmeyer  a.  a.  0.  I,  157. 

ö)  Gehab  dich  wohl,  254  und  Berckenmeyer  a.  a.  0.  I,  157. 

')  Relation  von  den  königl.  Preufsischen  und  Chur-Hannoverischen  Höfen. 
Frankf.  a.  M.  1707. 

8)  Frid.  Heibach,  Oenographia,  Weinkeller  oder  Kunstbuch  vom  Wein,  d.  1.  Be- 
schreibung defs  Weins,  seiner  Natur  und  Eygenschafft  auch  wie  man  denselben 
bewahren  und  wieder  zurecht  bringen  sol.     Frkf.  1604.  —  S.  S.  296. 

9)  Geschichtsklitterung  S.  229.  —  '")  Grobianus  3177.  —  ")  Ph.  Hainhofer,  Reise- 
tagebuch  von  1617  a.  a.  0.,  S.  127.  —  ")  Seite  673.  -  1»)  Zimm.  Chron.  H,  571. 
—  Spangenberg,  Hoffartsteuffel,  fol.  Cccclixa.  —  Giuleppe,  B.  Paumgartners  Briefw., 
8.  43. 


ni.  Mahlzeiten  der  Bürger.  323 

Die  Bierbrauerei  mufs  seit  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts 
einen  bemerkenswerten  Aufschwung  genommen  haben.  ^)  Zwar  gibt  es 
schon  im  15.  Jahrhundert  eine  grofse  Anzahl  von  berühmten  Biersorten 2), 
allein  sie  ist  ganz  unbedeutend,  vergleicht  man  sie  mit  der  Menge  von 
Biernamen,  die  im  16.  Jahrhundert  Joh.  Fischart ^),  im  17.  Martin 
Zeiller  aufzuzählen  wissen.^)  Es  würde  viel  zu  weit  führen,  alle  die 
wunderUchen  Bierbezeichnungen  aufzuführen.  Nur  des  Eckernförder  Bieres 
möchte  ich  gedenken,  dem  1503  der  durchreisende  Kardinal  Raymundus 
den  Namen  Cacabella  gegeben  hat,  in  Anerkennung  der  heilsamen 
Wirkung  des  Getränkes.^)  Wo  es  keinen  Wein  gab,  wo  er  teuer  war, 
da  behalf  man  sich  mit  dem  Biere;  natürhch  mufste  man  mehr  von 
diesem  Getränk  geniefsen,  ehe  die  Trunkenheit  sich  einstellte. 

Dagegen  scheint  das  Branntwein  trinken  keineswegs  allgemein 
zu  sein.  Wahrscheinhch  war  er  doch  noch  viel  zu  teuer  ^),  da  er  nur 
aus  Wein  oder  aus  Korn  hergestellt  werden  konnte,  und  so  für  den 
armen  Arbeiter  nicht  zu  erlangen.  Der  Branntwein  wird  deshalb 
auch  verhältnismäfsig  selten  erwähnt.  Doch  klagt  schon  Guarinonius, 
dafs  die  Zillertaler  u.  s.  w.  den  Branntwein  in  Flaschen  und  Fässern 
in  den  Städten  kaufen  und  ihn  wie  gewöhnüchen  Wein  trinken.') 
Aqua\ät  (aqua  \dtae)  und  Branntwein  scheint  nicht  gleichbedeutend 
gewesen  zu  sein.  ®) 

Der  Comment  beim  Trinken  spielte  eine  grofse  Rolle,  die  Art  des 
Zutrinkens,     des    Nachkommens   u.  s.  w.     Unsere    Studententrinksitten 
können   sich   zum  Teil   eines   uralten   Herkonmiens  rühmen.     Von   dem 
preufsischen  Trinkrechte  will  ich  nur  eins  der  Gesetze  anführen: 
Qui  cyathum  exhausit,  cyatho  bibat  ille  recente: 

Si  multum  exhausit,  nil  bibat  ille  novi. 
Qui  bibit  ex  Negibus,  ex  Frischibus  incipit  ille; 
Si  bona  nega  sint,  Frischibus  ille  caret.  ^) 

Sebastian  Franck  spricht  in  seinem  Weltbuch,  das  1533  ge- 
druckt wurde,  (fol.  Xliij^)  von  dem  deutschen  Volk  im  allgemeinen  und 
bemerkt  dann:  »Darczuo  saufft  es  unchristenüch  zuo  wein,  hier  unnd  was 
es  hat.«  Indessen  widerspricht  er  doch  diesem  Urteil,  indem  er  die  ein- 
zelnen  Stämme  Deutschlands    zu   schildern  versucht.     So   behauptet   er 

1)  Augenscheinliche  Seelensgefahr,  darinnen  sich  diejenigen  befinden,  welche 
(las  zu  verkauffende  Getränk  verfälschen,  insonderheit  die  Bier -Brauer  ....  o.  0. 
u.  J.  c.  1700. 

2)  Deutsches  Leben,  S.  503  ff. 

»)  Geschichtski.,  S.  84.  —  Vgl.  Guarinonius,  610. 

*)  Martin  Zeillei,  Handb.  etc.  (Ulm  1652)  I,  351  ff.  —  Vgl.  C.  A.  M.  v.  W. 
Zeitvertreiber.    (Strafsb.  1685.)    S.  185  ff. 

f)  Zeiller  a.  a.  O.  384.  —  Zeitvertreiber,  S.  185. 

«)  Maximilians  I.  von  Bayern  Mandat,  dafs  der  Branntwein  nur  aus  Wein  und 
Biergleger  gebrannt  werden  dürfe  und  dafs  der  aus  Weizen,  Obst,  Malz,  Kräutern 
heimlicherweise  hergestellte  oder  eingeschmuggelte  Branntwein  verboten  sei.  1604. 
Einblattdr. 

')  S.  663. 

8)  Zeitvertreiber,  S.  87. 

«)  rVulpius)  Kuriositäten  DI,  278. 

21* 


324  IV-  Essen  und  Trinken. 

von  den  Franken,  dafs  sie  das  Bier  verachten,  höchstens  in  der  Fastenzeit 
trink(Mi.  Das  volck  von  arnniot  wegen  banwet  wein,  trinckt  aber  ge- 
meinlich \vasserv<  (fol.  !/').  Von  den  Schwaben  bemerkt  er  allerthngs 
(fol.  Liij*):  Das  sanften  hat  dils  volck  mit  allen  Tentscheu  gemein  darzuo 
ein  scheltend  übelflnoclnuid  volck«,  nnd  über  die  Sachsen  äufsert  er  sich 
(fol.  Lviij^'):  Dei-  wem  ist  theur  und  seltzam  bey  ynen,  aber  solche  bier- 
sautter  seind  es,  das  man  yn  in  Kanten  etwau  nicht  gennog  mag  zuo- 
tragen,  setzen  zuo  Zeiten  ein  Melck  -  gelten  anft  den  tisch  voll  biers, 
darein  ein  schusseln,  wer  durst  hat  der  trinck;  ja  sie  sauften  einander 
darauls  zuo.  Difs  hier  ist  seer  gut.«  Bei  der  Bes})rechung  von  Holland 
(fol.  Ij^i")  fügt  er  hinzu:  Bier  ist  difs  volcks  tranck,  Sy  hab(>n  kein  wein- 
wach l's.  und  (hisselbe  gilt  von  Westfalen  (fol.  Lxj'').  Die  Hessen  sind 
sein  grob  biertrinckend  volck;;   (fol.  Lxij"). 

Auch  von  England  heilst  es  (fol.  Cxvij^):  »Kein  wein  hat  dise  Insel, 
sunder  darfür  ist  daz  hier  im  brauch  und  wirt  etwa  selten  wein  dahin 
gebracht.«  Spaniens  Wein  wuchs  lobt  er,  doch  das  tranck  machen  sy 
auls  honig,  des  in  yr  vatterland  reichlich  gnuog  gibt,  den  wein,  anderfswa 
zuogefuort  und  gekaufft,  trincken  sy,  doch  karglich  und  selten«  (fol.  Lxx"^). 
In  Böhmen  l)raut  man  ein  sehr  gutes  Bier,  das  bis  nach  Nürnberg  und 
Augsburg  versendet  wird  (fol.  Lxxviij^) ;  auch  die  Polen  sind  Biertrinker 
(fol  Lxxix'^). 

Besonders  schädhch  war  die  Sitte  des  Zu  trink  ens.  Wem  der 
Trunk  zugebracht  war,  mufste  nachkommen  ^),  wollte  er  nicht  Händel 
und  ^^erdrufs  aller  Art  heraufbeschwören.  Wir  sehen  deshalb  wieder- 
holt Sittenprediger  gegen  diese   Unsitte  auftreten.  2) 

Aber  nicht  allein  die  Deutschen  trinken  gern,  auch  die  Franzosen 
sind  dem  Trünke  zugetan.  Alfred  Franklin  hat  diese  Frage  ausführlich 
in  dem  Bande  seiner  Vie  privee  d'autrefois  behandelt,  der  von  den 
Repas  handelt  (Paris  1899).  In  Frankreich  trinkt  man  fast  ausschliefslich 
den  Wein,  der  im  Lande  selbst  erzeugt  wird,  mischt  ihn  gewöhnlich 
noch  mit  Wasser.  Bier  wird  sehr  wenig  verbraucht,  Branntwein  noch 
seltener,  weil  er  zu  teuer  ist. 

Die  Sitte  erforderte  es,  dafs  die  Flaschen  und  Gläser  nicht  auf  dem 
Speisetische  standen,  sondern  auf  einem  Büfett.  Wollte  einer  trinken, 
so  winkte  er  einem  der  aufwartenden  Diener,  der  füllte  am  Büfett  das 
Glas,  präsentierte  es  auf  einem  Teller  und  trug  es,  sobald  es  ausge- 
trunken war,  zurück.  Der  Versuch  des  Marquis  de  Rouillac  (f  1662), 
der  sich  Glas  und  Flasche  auf  den  Tisch  setzen  liefs,  die  Diener  fort- 
schickte und  ihnen,  wenn  er  sie  brauchte,  klingelte  (Repas  ä  la  clochette), 
wurde  für  närrisch  angesehen,  und  noch  Liselotte,  die  Herzogin  von 
Orleans,  mufste  den  Trols  der  Diener  um  sich  herum  dulden.  Erst 
gegen  1760  wurde  es  Sitte,  die  Flaschen  und  Gläser  auf  der  Tafel  auf- 
zustellen.     Im    Winter    liels    man    den  Wein    gern    etwas    wärmen,    im 


')  Dissertatio  historica  de  Supcruaculo  anglorum,  Germanis:  Von  der  Nagel- 
Probe.  *  Lips.  1746.  —  2)  geb.  Franck,  Von  dem  greulicben  Laster  der  Trunkenheit. 
—  Job.  Dan.  Geyer,  Müssiger  Reise-Stunden  guter  Gedancken  ....  Dresd.  1735. 
(Von  denen  Gesellschafts-Träncken.) 


III.  Mahlzeiten  der  Bürger.  325 

Sommer  liebte  man  ihn  kalt  zu  trinken.  Kühlgefäfse  kennt  das  ganze 
Mittelalter,  aber  Eiskeller  legt  man  erst  zu  Anfang  des  17.  Jahr- 
hunderts an,  nachdem  man  sie  bei  den  Türken  kennen  gelernt  hatte. 
Sonst  behalf  man  sich  mit  Schnee,  der  von  den  Bergen  geholt  wurde, 
oder  mit  frischem  Brunnenwasser.  Unter  Ludwig  XV.  gibt  es  grofse  Eis- 
keller in  Satory  und  Trianon. 

Wie  J.  Beckmann  bemerkt,  ist  erst  1600  Procopo  Couteaux 
auf  den  (bedanken  gekommen,  Limonaden  und  Liköre  gefroren  seinen 
Kunden  zu  servieren;  Fruchteis,  Creme  gele,  ist  aber  erst  seit  1774  be- 
kannt.    Man  bezeichnet  diese  Gelati  mit  dem  Namen  Butter.^) 

Das  Zutrinken  war  auch  in  Frankreich  ganz  gebräuchlich;  wer 
nachzukommen  (pleger)  unterliels,  beleidigte  den  Genossen  aufs  empfind- 
lichste. Man  legte  w^ohl  auch  in  den  Becher,  den  man  dem  Freunde 
zutrank  und  den  dieser  leeren  mufste,  ein  Stück  geröstetes  Brot,  toustee 
oder  tostee  (mlat.  tostea),  das  der,  der  den  Becher  ausgetrunken,  dann 
verzehrte.  An  diesen  Gebrauch  erinnert  noch  heute  der  Namen  Toast. 
Dieses  Zutrinken,  Gesundheiten  ausbringen,  bezeichnet  man  mit  dem 
Namen  carousser,  faire  carousse. 

Man  betrank  sich  nicht  selten,  ja  die  Ärzte  erklärten  solche  Ex- 
zesse für  sehr  gesund  und  ersprieishch.  Montaigne  behauptet,  dafs  man 
zu  seiner  Zeit  weniger  tränke  als  in  frülieren  Jahren;  dafür  huldigt 
man  der  Venus  um  so  mehr.  Franzi,  hatte  keine  Neigung  zum  Trunk, 
bedrohte  deshalb  die  Trunkenbolde  mit  schweren  Strafen,  Auspeitschung. 
Ludwig  XIIL  trank  nur  Wein  mit  Wasser  gemischt,  Ludwig  XIV.  nie 
reinen  Wein,  überhaupt  sonst  keinen  Alkohol.  Zur  Zeit  der  Regentschaft 
wurde  tüchtig  getrunken;  die  Tochter  des  Regenten,  die  Herzogin  von 
Berri,  vertrug  den  stärksten  Branntwein.  So  waren  auch  die  Damen 
des  Hofes  dem  Trünke  ergeben.  Ludwig  XV.  trank  gern,  vertrug  aber 
nichts,  verdarb  sich  den  Magen.  Diese  Periode  der  Trunksucht  dauert 
bis  in  die  sechziger  und  siebziger  Jahre  des  18.  Jahrhunderts.  Wie  schon 
bemerkt,  trinkt  man  ausschliefslich  die  Weine  des  Landes,  besonders 
den  Champagner.  Das  Gewächs  von  Ay  war  sehr  geschätzt,  ein  Rotwein 
der  nicht  schäumte ;  die  Flaschen  verschlofs  man  mit  Hanf  pfropfen,  die  in 
Öl  getaucht  waren.  Da  wurde  Dom  Perignon  Kellermeister  der  Abtei  Haut- 
villers  (S.  o.  S.  322).  Er  erfindet  den  moussierenden  Champagner;  er  weifs 
das  passende  Glas,  den  schlanken  Kelch  anzugeben;  vor  allem  ersetzt 
er  den  Hanfverschlufs  durch  den  Korkstöpsel.  1695  ist  der  Cham- 
pagne mousseux,  so  wie  er  noch  heute  gebraucht  wird,  gefunden^); 
er  erfreut  sich  des  allgemeinen  Beifalles ;  der  Regent,  Ludwdg  XV.,  und 
selbst  der  unglückliche  Ludwig  XVI.  wufste  ihn  zu  schätzen;  noch  im 
Temple  w^urde  ihm  zu  seinem  Mahl  täghch  eine  Flasche  serviert.  Eine 
kurze  Zeit,  um  1760,  hörte  man  auf,  den  Schaumw^ein  zu  würdigen,  jedoch 
30  Jahre   später   hatte  er  wieder  seine  alte  Bedeutung  zurückgewonnen. 

1)  Beytr.  z.  Gesch.  der  Erfind.    IV.  206,  208. 

«)  Es  ist  ein  Unsinn,  wenn  man  in  dem  Glase,  das  Rembrandt  auf  seinem 
Porträt  in  Dresden  in  der  Hand  hält,  einen  Champagnerkelch  erblicken  will;  es  ist  ein 
einfaches  Pafsglas. 


326  I^'-  Essen  und  Trinken. 

Der  Biergenufs  hat  in  Frankreich  nie  viele  Freunde  gefunden,  da- 
gegen wufste  man  den  Branntwein  (Aqua  vitae)  nicht  hoch  genug  zu 
schätzen.  Seit  im  13.  Jahrhundert  Arnaldus  de  Villanova  sein  Lob 
verkündet,  ist  sein  Ansehen  immer  gewachsen.  Zur  Zeit  der  Maria  von 
Medicis  werden  die  Rosoglio -Liköre  beliebt;  man  reichte  sie  nach  Tische 
zum  Dessert.  Die  Fabrik  von  Montpellier  erwarb  sich  den  Ruf,  die 
feinsten  Liköre  zu  erzeugen;  dann  wurden  die  Lothringer,  besonders  der 
Farfait  amour,  berühmt. 

Da  die  Leute  einen  so  grofsen  Wert  auf  ein  lockeres  Essen  legten, 
haben  sie  schon  früh  gute  erprobte  Kochrezepte  gesammelt.  Ganz  abge- 
sehen von  dem  Werke  des  Marcus  Gabius  Apicius  oder  richtiger  des  Cae- 
lius,  de  re  coquinaria,  sind  schon  seit  dem  13.  Jahrhundert  eine  Anzahl 
von  Kochbüchern  nachzuweisen.  ^) 


>)  Höf.  Leben  »I.  892.    Anni.  4. 

Dem  15.  Jahrhundert  «rehört  an :  die  Mensa  philosophica.  s.  1  c.  a. 
Im  16.  Jahrliundert  erscheint  im  Drucke: 

Piatina.     Von  allen  Speisen  vnd  Gerichten  ....  Strafsburg.  Chr.  EgenolfE.  1530. 

Coufectbüchlein  und  Hausapotheke.    Frkf.  1544. 

Koch-  und  Kellermeisterey,  von  allerhand  Speisen  und  Getränken  ....  Frkf.  1547. 

Campegius,  De  re  cibaria  libri  XXII  etc.    Lugd.  1560. 

AVillichius,  J.  Ars  magirica  hoc  est  coquinaria  ....  Figuri  1563. 

H.  G.  Ryff.     New  Kochbuch.    Frkf.  1564. 

Durante,  C.     De  bonitate  et  vitio  alimentorum.  Pisauri  1565. 

Ein  new  Kochbuch,  von  M.  Rumpolt  (Frkf.  1587). 

Pisanellus,  B.  De  esculentorum  potulentorumque  facultatibus  liber.  Herb.  1593. 
Im  17.  Jahrhundert: 

Bruyernius  Campegius,  J.  Dipnosophia  seu  sitologia.  De  re  cibaria,  ciboruni 
genera,  gentium  moribns  et  usu  probata,  complectens.    Frkf.  1606. 

New  Kochbuch,  Wie  man  krancker  Personen  in  mancherley  Fehl  und  Leibes- 
gebrechen warten  und  pflegen  soll.    Frkf.  a/M.  1608  (das  von  Ryff). 

Gualtherus  Ryff.    Confectbuch  und  Haus-Apoteck.    Frkf.  a/M.  1610. 

Das  grosse  neu-vermehrte  Kochbuch.    O.  0.  n.  J.  (c.  1650). 

Avarene.    Le  cuisinier  fran^ois.  ed.  IV.    Paris  1655. 

L'Escole  parfaite  des  officiers  de  Bouche  contenant:  Le  vray  maistre  d'Hostel. 
Le  grand  Escuyer-Tranchant.  Le  sommelier  Royal.  Le  confiturier  Royal.  Le  cuisinier 
Royal.     Le  Patissier  Royal,  Paris,  Jean  Rivon,  1662.     7.  Aufl.    Paris  1715. 

St.  Pramofsky,  Neuverfertigtes  vollständiges  Koch-Buch,  d.  i.  gründliche  Be- 
schreibung, wie  man  allerley  .  .  .  Speisen  etc.    Nürnb.  1685. 

Der  aus  dem  Parnafs  ehmals  entlauffenen  vortrefflichen  Köchin,  welche  bei 
denen  Göttinnen  Ceres,  Diana  und  Pomona  viele  Jahre  gedienet,  hinterlassenen  und 
bifshero  zerstreuet  und  in  grosser  Geheim  gehalten  gewesenen  Gemerck-Zettul,  woraus 
zu  erlernen,  wie  man  so  wohl  gemeine  als  rare  Speisen  Wohlgeschmack  und  leckerhaft 
kochen  solle.     Nürnb.  1691,  1702,  1712. 

Die  wol  unterwiesene  Köchin  d.  i.  Unterricht  etc.  von  M.  J.  L.  G.  C.  2.  Ausg. 
Braunschw.  1697. 

Im  18.  Jahrhundert : 

Kochbuch  so  wohl  für  geistliche  als  auch  weltliche  grosse  und  geringe  Haus- 
haltungen durch  einen  geistlichen  Kuchen-Meister  des  Gotteshauses  Ltitzel  beschrieben 
und  practiciert.     3.  Aufl.     Basel  1700. 

S.  Blanchardt.  Speise-  und  Tisch-Büchlein,  Wie  man  ohne  Kranckheit  leben 
könne.  Darinnen  von  jeder  Speise  und  Tranck  insonderheit  gehandelt  wird  von 
G.  V  Keyl,  genandt  Cunaeus,  Deme  noch  beygefüget  Der  allzeit  fertige  Koch  und 
perfecte  Speisemeister.    Frankf.  1705. 

Die  Curieuse  Köchin  .  .  .  Nürnb.  1706. 


III.  Mahlzeiten  der  Bürger.  327 

Das  Zubereiten  der  Speise  war  Sache  der  Hausfrau  und  ihrer 
Untergebenen;  die  Herren  dagegen  hatten  die  Fleischgerichte  kunstreich  zu 
zerschneiden,  zu  tranchieren.  Auf  diese  Kunst  wurde  ein  sehr  grofses 
Gewicht  gelegt.  So  reist  z.  B.  1595  Hans  H.  Pückler  von  Groditz  nach 
Italien,  dort  das  Fechten  und  das  Tranchieren  zu  erlernen,  i)  Es  gab 
für  diese  Vorschneidekunst  auch  besondere  Anleitungen. 2) 

Conrad  Hagger.  Neues  Saltzburgisches  KochlKich  für  Hochfürstl.  und  andre  vor- 
nehme Höfe,  Closter,  Herren-Häuser  .  .  .  Augsb.  1719. 

Schellhammer,  Die  wohlunterwiesene  Köchin.  —  Der  wohlunterwiesenen  Köchin 
Confecttafel.     Berlin  1723.  1733. 

Das  brandenburgische  Kochuch.   Mit  12  Kupfern.  Berlin  1732. 

Ed.  Kosalia,  Freywillig  aufgesprungener  Granat-Apfel  des  christlichen  Samariters 
oder  eröffnete  Geheimnisse  vieler  vortrefflichen  Artzneyen  wie  auch  eines  neuen 
Kochbuch.    Nürnb.  1733. 

Die  in  ihrer  Kunst  vortrefflich  geübte  Köchin  .  .  .  Nürnb.  1734. 

Nouvelle  Instruction  pour  les  confitures,  les  liqueurs  et  les  fruits.  Paris  1750. 

De  Orange  confiturier,  gebak-bereider  en  Keukenmeester,  onderwijzende  .  .  . 
veelerleye  vruchten,  zoo  voor  de  winter,  als  zomer  te  confyten  en  gereed  te  maken. 
t' Amsterdam  1752. 

Die  Nürnbergische  wohl  unterwiesene  Koechin  .  .  .  Nürnb.  1752. 

»)  Zeitschr.  f.  Gesch.  u.  Altert.  Schlesiens  VI.  270.     (Breslau  1864.) 

2)  G.  Procacchi,  Trincier-  oder  Vorleg -Buch,  darinnen  berichiet  wird,  wie  man 
allerhand  gebratene  und  gesottene  Speisen,  so  auff  fürstliche  und  andere  Tafeln  ge- 
tragen werden,  nach  ital.  Arth  anschneiden  und  auf  der  Gabel  zerlegen  soll.  A.  d. 
Ital.     Leipz    1620. 

Mathias  Giegher,  Trincier-Büchlein,  übers,  aus  Li  tre  Trattati  di  Messer  Mat- 
tia  Giegher,  Bavaro  di  Mosburc,  trinciante  dell'  illustrissima  Natione  Alemanna  in  Pa- 
dova.     Päd.  1639. 

Harsdörffer,       Vollständiges    und    von    neuem    vermehrtes    Trincir-Buch     .  .  . 

Nürnb.  1657. 

(Klette),  Neu  verbessertes  Trenchir  -  Büchlein ,  wie  man  ordentlich  allerhand 
Speisen  auf  die  Tafel  setzen,  zierlich  schneiden  und  vorlegen,  auch  nach  rechten  Ge- 
brauch wiederumb  abheben  soll,  von  A.  K.  V.  Z.     Wittenb.  1661. 

A.  Klette,  Neues  Trenchier-Büchlein,  wie  man  rechter  Art  und  jetzigem  Ge- 
brauch nach  allerhand  Speisen  ordentlich  auf  die  Tafel  setzen  sol.  M.  Kpfrst. 
Hannov.  1676. 

A.  Klette,  Neues  Tranchier-  und  Plicatur-Büchlein,  darin  begriffen  Wie  man 
nach  jetziger  Hof -Art  allerhand  Speisen  und  Früchte  Künstlicher  Weise  zerschnitten, 
vorgeleget  u.  s.  w.  auch  wie  das  Tafel-Zeug  nettiret,  frichiret  u.  s.  w.  werden  können. 
24Kpfst.  Nürnb.  1677. 

Hier.  Sweerts,  De  cierlicke  voorsnydinge  aller  tafelgerechten  ;  onderwijsende  hoe 
allerhande  spijzen,  zowel  op  de  vork  als  zonder,  de  zelve  aardiglis  können  voorge- 
sneden,  en  in  bequame  ordre  omgedient  worden.     Amsterd.  1670. 

Tranchirbuch,  nützl.  beigefügt  etliche  Reden,  Briefe  und  Reimen.  M.  Abb. 
Kunstb.  o.  J.  (c.  1700). 

A.  Klette,  Neuer  verbesserter  und  wohlinformirter  Tafel-Decker  und  Trenchant. 
Nürnb.  c.  1730. 

Trenchicant,  der  geschickte,  so  auf  die  leichteste  Art  weiset,  wie  man  die 
Speisen  zierlich  zerschneiden  und  vorlegen  soll.  Mit  dem  wohlabgerichteten  Hochzeit-, 
Kindtauf-  und  Leichenbitter  vermehret.     Lpz.  1751. 

Zu  diesen  Lehrbüchern  gehört  auch  : 

Jungfrau  Euphrosinen  von  Sittenbach  züchtige  Tisch-  und  Leber-Reyme,  an  ihre 
Gepillinen.     Leberstatt  1676. 


328 


IV.  Essen  und  Trinken. 


^leikwürdig  erscheint  es,  ilals  die  Männer  bei  den  Malilzeiten  den 
Hut  auf  dem  Kopfe  behalten.  Diese  Sitte  ist  im  Mittelalter  nocli  nicht 
gebräuehlieh,  sie  scheint  erst  im  16.  Jahrhundert  aufgekommen  zu  sein. 
Sie  erhielt  sich,  bis  die  Perüekentracht  sie  in  der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  verdrängte. 

Der  (Jebrauch  der  Gabel  hatte  sich  s(nt  dem  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts mehr  und  mehr  eingel)ürgert.  Friedrich  von  Logau  aber 
schreibt  (Sinngedichte  I.  2,  22): 

Dals.mit  einem  Messer  essen  viel  Frantzosen 
Ist  zwar  Brauch  u.  s.  w. 

Das  Essen  mit  dem  Messer  wird,  wie  es  i'^cheint,  dem  mit  der  Gabel 
gegenübergestellt. 

Die  folgenden  Jahrhunderte,  das  17.  wie  das  18.,  haben  weder 
neue  Speisen  noch  neue  Tafelformen  gebracht.  Der  Gebrauch  der 
Kartoffel  hat  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  in  weiteren 
Kreisen  Eingang  gefunden.  Man  kannte  sie  schon  viel  früher,  nannte 
sie  damals  Tartuffeln,  zog  sie  im  (harten  und  genofs  die  Knollen  mit 
Baumöl  machte  wohl  eine  Art  von  Salat.  Allein  ein  Volksnahrungs- 
mittel sind  sie  erst  viel  später  geworden. 

Auch  der  Kaviar  hat  nur  allmählich  sich  die  Gunst  der  Fein- 
schmecker erworben.  Das  Frauenzimmerlexikon  von  1715  erwähnt  ihn 
noch  nicht,  erst  in  der  folgenden  Auflage  von  1739  ist  ihm  ein  Artikel 
ge-oädmet;  der   Verfasser  nennt  ihn  Caviaro,  Caviar,  Ickari  (russ.    Ikra); 


Abraham  Bosso,   Li-  ciinj  seiis  ;  le  gout. 


nr.  Mahlzeiten  der  Bürger. 


329 


Der  teutsche  Tabacktrinker  1630. 


er  weifs,  dafs  er  aus  Moskau  kommt  und  aus  Störrogen  bereitet  wird. 
Seine  Farbe  ist  schwarzgrün,  und  sein  Geschmack  ähnelt  dem  des  Trans. 
Man  versendet  ihn  als  Prefskaviar  trocken,  oder  flüssig  in  Tönnchen. 
Die  Deutschen  schätzen  die  Delikatesse  weniger  als  die  Italiener,  die 
auch  den  aus  Karpfenrogen  zubereiteten  Caviaro  rosso  und  den  aus 
Hechtrogen  hergestellten  Caviaro  negro  gern  geniefsen. 

Ananas  hat  man  erst  gegen  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  in 
Deutschland  gezogen.  ^) 

Neue  Getränke  sind  der  Kaffee,  der  Tee,  die  Schokolade.  2) 

Der  Kaffee  wird  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  in  West- 
europa eingeführt,  zunächst  ist  er  als  Luxusgetränk  in  Kaffeehäusern,  bei 
Kaffeesiedern  zu  haben,  bald  aber  zu  Anfang  des  nächstfolgenden  Jahr- 
hunderts schon  ein  Lieblingstrank  der  wohlhabenden  Gesellschafts- 
klassen. Das  Frauenzimmerlexikon  von  1715  bezeichnet  den  Kaffee  als 
ein  »mit  siedendem  Wasser  oder  Milch  und  Sahne  vermischtes  Geträncke, 
so  das  Frauenzimmer  täglich  zu  trincken  pfleget«. 

Fast  gleichzeitig,  vielleicht  ein  wenig  später,  wurde  aus  Ostasien 
der  Tee  nach  Europa  gebracht  und  fand  da  schnell  den  gröfsten  Beifall, 
wenn  er  auch  nicht  so  hoch  wie  der  Kaffee  geschätzt  wurde.  Man 
glaubte,  dafs  sein  Genufs  der  Gesundheit  zuträglich  sei  (»von  den 
Frauenzimmern  zur  Gesundheit  getruncken,  bifsweilen  auch  mit  andern 
Kräutern  vermischt«.  Frz. -Lex.  1715).^) 


>)  J.  Beckmann,     Beytr.  z.  Gesch.  d.  Erf.  I.  442. 

«)  Vgl.  Afred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois :  Le  cafe,  le  the  et  le  chocolat. 
(Paris  1893.) 

»)  P.  Francius,  In  laudeni  theae  Sinensis  Anacreontica  diio.  M.  Tit.-Kpfr. 
Leipz.  Amsterd.  1665.  —  P.  Petitus,  Thea  sive  de  Sinensi  herba  Thee  Carmen.  — 
J.  N.  Pechlini,     De  eadem  herba  descriptio. 


330  IV.  Essen  und  Tiinken. 

Die  Schokolade  endlich  ist  auch  in  dem  letzten  Viertel  des 
17.  Jahrhunderts  unter  den  Genufsmitteln  eingereiht  worden.  Sie  sollte 
ebenfalls  für  die  Gesundheit  vorteilhaft  sein,  ist  jedoch  immer  nur  eine 
Leckerei  geblieben.^) 

Schon  früher  hatte  man  Geschmack  an  dem  Tabakrauchen  oder, 
wHIe  man  im  17.  Jahrhundort  sagte,  an  dem  Tabaktrinkon  gefunden.^) 
Der  Gebrauch  der  Tabakspfeife  war  1586  aus  Amerika  in  England  zu- 
nächst eingobiu'gert  worden,  ^\m  da  brachte  man  ihn  nach  Deutsch- 
land, wo  er  bald  sich  überaus  grolser  Beliebtheit  erfreute.^)  Trotz  zahl- 
loser Verdamnumgen,  Anstrengungen  von  Obrigkeiten  und  von  den 
geistlichen  Sittenwächtern  verbreitete  sich  die  Vorliebe  für  den  Tabak 
bald  über  die  ganze  zivilisierte  Welt.*)  Gewöhnlich  rauchte  man  ihn 
aus  Tonjtfeifen,  die  zumal  in  Holland  vortretfhch  angefertigt  wurden. 
Die  Erfindung  der  Tabakpfeife  mit  besonderem  Mundstück  und  Abgufs 
verdanken  wir  dem  österreichischen  Arzte  Franz  Vicarius  (1689).  Die 
Ivaucher  sind  auf  den  Gemälden  der  holländischen  Schule,  bei  Adriaen 
v^an  Ostade,  Slingeland,  Gabriel  Metzu  u.  a.  oft  abgebildet.  Es  scheint, 
dafs  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  auch  Damen  an  dem  Tabakrauchen 
Gefallen  fanden.  P.  L.  Berckenmeyer  behauptet  z.  B.  von  der  Eng- 
länderin: ^machet  auch  ein  Pfeiffgen  Tabac  mit«.^)  Auch  in  Holland 
und  Frankreich  rauchten  die  Frauen^),  doch  haben  in  Deutschland  die 
anständigen  Damen  kaum  von  diesem  Genufsmittel  Gebrauch  gemacht. '') 


')  Drey  neue  curieuse  Tractätgen  von  dem  Trancke  C'afe,  sinesischen  The  und 
C'hocolata,  nach  ihren  Eigen  schafften,  Gewächs,  Fortpflanzung,  Praeparirung,  Tugenden 
und  heiThchen  Nutzen  sehr  curieus  beschrieben.     Büd.  1688,  1701. 

Tractatus  de  potu  caphe,  de  chinensium  the  et  de  chocolata.  M.  3  Kpfrn. 
Gen.  169}>. 

Steph.  Blancard,  Haustus  Polychresti  oder  zuverlässige  Gedancken  von  Tliee, 
Caffee,  Chokolate  und  Taback.     Hamb.  1705. 

*)  J.  Paulli,  Commentarius  de  abusu  tabaci  Americanorum  veteri  et  herbae  thee 
Asiaticorum  in  Europa  novo.     Argent.  1665. 

J.  J.  W.  Beintema  van  Peima,  Tabacologia  ofte  körte  verhandelenge  over  de 
Tabak.     s'Gravenhage  1690. 

H.  E.  Kestner,  Dissertation  vom  Tabacs-Recht,  aus  dem  Lateinischen  ins 
Teutsche  übersetzt  .  .  .  Anbey  folgen  einige  auserlesene  Lobgedichte  und  Räzel  auf 
den  Tabac.     2.  Aufl.     AValdenburg  1716. 

J.  G.  H.     Toback  das  beliebte  und  gelobte  Kräutlein  .  .  .  Chemnitz  1719. 

De  Prade,  Tabackshistorie  insonderheit  vom  Schnupftaback,  nach  den  medi- 
cinischen  Lehrgründen  ausgeführet.     Aus  d.  Franz.     Schneeberg  1747. 

')  Tabacologia  (Kulturh.  Bilderbuch  IV,  N.  1712).  —  Der  teutsche  Taback-trincker. 
1630.    (Ebend.  IV,  N.  1713.) 

*)  1652  wurde  bei  Nürnberg  der  erste  Tabak  angebaut.  Der  Samen  war  au8 
Hanau  bezogen  worden.     Kurios.  V.  551. 

*)  Vermehrter  Curieuser  Antiquarius.     Haml:).  1712.     S.  166. 

«)  Alltagsleben  etc.    100. 

')  In  Joh.  Lassenii  Gespräch-Spiel  (Frankf.  1686)  sagt  S.  47  eine  Dame :  »Pfui 
des  Tobacks,  ist  doch  fast  nicht  werth,  dafs  man  davon  reden  soll,  ich  geschweige, 
dafs  ein  ehrliebender  Mensch  sich  mit  dergleichen  häfslichen  Gestanck  beladen  8oll.< 
Einer  der  Teilnehmer  zieht  den  Tabak  zur  Zier  im  Garten  (S.  46);  ein  anderer  sagt 
(S.  47) :  »Ich  gebrauche  auch  auff  Rath  eines  vornehmen  Medici  des  Morgens  nüch- 
tern eine  Pfeiffe  Toback.  c 


in.  Mahlzeiten  der  Bauern.  331 

1715  erschien  zwar  in  Meifsen  ein  Buch  »Beweiss,  dass  ein  honettes 
Frauenzimmer  bey  dem  CafEe-Schmäusgen  erscheinen  und  eine  Pfeiffe 
Toback  darzu  schmauchen  könne.  Von  Madame  Leucorande«,  indessen 
hat  es,  wie  es  scheint,  keine  bemerkenswerte  Wirkung  gehabt,  jedenfalls 
haben  sie  das  Wohlgefallen  an  dem  Pfeifenrauchen  schnell  wieder  ver- 
loren. Viel  länger  hat  sich  der  Schnupftabak  auch  bei  Damen 
gröfster  Beliebtheit  erfreut.  Die  zierhchen  Dosen  aus  Porzellan  oder 
Edelmetall,  die  die  vornehmen  Frauen  einst  gebraucht,  finden  sich  noch 
in  vielen  Museen  vor.  Die  Dosen  der  Männer  sind  gröfser,  oft  auch 
ausgezeichnet  durch  die  künstlerische  Arbeit.  Bemerkenswert  sind  die 
Dosen  mit  Doppeldeckel :  dem  Fremden  reichte  man  die  Prise,  ohne  den 
GeheimverschluTs  des  Deckels  zu  öffnen,  dem  Freunde  aber  gönnte  man 
den  Anblick  der  zwei  meist  etwas  gewagten  Darstellungen. 

IV.   Mahlzeiten  der  Bauern. 

über  die  bescheidene  Kost  der  Bauern  des  Mittelalters  ist  in  dem 
Vorstehenden  schon  gesprochen  worden  (S.  297  ^).  Dafs  sie  aber  zumal 
in  Tirol  zu  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  recht  gut,  wenigstens  recht  viel 
zu  essen  und  noch  mehr  zu  trinken  vermochten,  dafür  ist  uns  Hippolyt 
Guarinonius  Gewährsmann  (S.  oben  S.  181  ff.  310,  316,  317).  Bauern- 
zechgelage mit  den  unausbleiblichen  Schlägereien  haben  uns  die  hol- 
ländische Schule,  A.  V.  Ostade  und  seine  Schüler,  oft  dargestellt. 


J.  Cohausen,     De  pica  nasi,  s.  tabaci  sternutatorii  abusu.     Amst.  1716. 

—  —  Dissertatio  satyrica  physocomedico  morali  de  Pica  nasi  sive  tabaci  ster- 
nutatorii moderne  usu  et  noxa.     Amstel.  1716. 

—  —  Satyrische  Gedancken  von  der  Pica  Nasi  oder  der  Sehnsucht  der  lüsternen 
Nase,  d.  i.  von  dem  heutigen  Mifsbrauch  und  schädlichen  Eifect  des  Schnupf-Tabacks. 
Leipz.  1720. 

A.  G.  Plaz  et  J.  Ch.  Marcus,  De  tabaco  sternutatorio.  Vom  Schnupff-Taback. 
Lips.  1727. 

»)  Höf.  Leben  "I.  382.  433. 


V. 

Beschäftigung  und  Unterhaltung. 


Beschäftigung  und   Unterhaltung. 

I.   Aufstehen  und  Schlafengehen,  tägliche  Beschäftigung 

der  Fürsten. 

In  Spanien  ist  es  Sitte,  dafs  der  König  und  sein'>  Gemahlin  im 
Sommer  um  10,  im  Winter  um  9  Uhr  sich  zur  Ruhe  legen,  und  diese 
Gewohnheit  wird  den  Monarchen,  wenn  sie  selbst  nicht  wollen,  durch 
die  Etikette  aufgezwungen.^) 

Die  fürstlichen  Ehegatten  haben  entweder  ein  gemeinsames  oder 
getrennte  Schlafzimmer.  Will  der  König  von  Spanien  seine  Gemahlin 
aufsuchen,  so  erscheint  er  mit  niedergetretenen  Schuhen,  den  schwarzen 
Mantel  über  die  Schulter  gehängt  —  denn  Pantoffeln  und  Schlafröcke 
kennen  die  Spanier  nicht  — ,  am  linken  Arme  trägt  er  ein  Schild  (Broquet) 
und  eine  Flasche,  die  ihm  als  Urinal  dient,  in  der  linken  Hand  eine 
kleine  Nachtlaterne,  in  der  rechten  einen  grofsen  Stofsdegen.  In  der 
Nähe  des  Fürsten  schläft  ein  Leibpage  oder  der  älteste  und  getreueste 
Kammerdiener,  die,  sobald  sie  die  Nachtlichter  angezündet  haben,  selbst 
.sich  niederlegen  dürfen. 

Die  spanische  Gewohnheit,  früh  sich  niederzulegen,  ist  wohl  noch 
ein  Überbleibsel  der  während  des  ganzen  Mittelalters  allgemein  ver- 
breiteten Sitte.  Dafür  pflegte  man  jedoch  in  der  alten  Zeit  sehr  früh 
aufzustehen,  mit  Morgengrauen.  Noch  zur  Zeit  des  Philipp  Hainhofer^) 
war  man  am  pommerischen  Hofe  zu  Stettin  sehr  zeitig  an  der  Arbeit: 
die  Herzogin  stand  um  5  Uhr  auf,  sang  beim  Ankleiden  geistliche  Lieder, 
betete  dann  eine  Stunde  —  diese  Andacht  vertritt  gewdssermafsen  die 
Frühmesse  der  Katholiken  — ,  dann  begrüfste  sie  ihren  Gemahl  und 
ging  darauf  ihren  täglichen  Geschäften  nach. 

Im  18.  Jahrhundert  erhoben  sich  wohl  auch  die  Fürsten  früh, 
wenn  eine  Jagd  bevorstand  oder  im  Kriege  es  erforderlich  war,  allein 
viele  liegen  bis  9  oder  10  Uhr  im  Bette,  empfangen,  bekleidet  mit  einem 

»)  J.  B.  von  Rohr.     Einl.  z.  Zeremonial-Wissenschaft.  (Berlin  1729.)  T.  I.  Kap.  11. 

2)  ReiHetageb.  von  1617.     Balt.  Studien  II.  2.  S.  57. 


336  ^  •  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Schlafrocke,  Minister  und  Gesandte,  erteilen  Audienzen,  unterschreiben 
Reskripte,  erledigen  Staatsgeschäfte.  Nur  einzelne  Bevorzugte  dürfen 
das  Schlafzimmer  betreten,  doch  sind  auch  in  dieser  Hinsicht  die  Sitten 
verschieden. 

Bei  dem  Petit  Lever  du  Roy,  wenn  der  König  von  Frankreich  aufsteht, 
»und  sich  den  untersten  Teil  dos  Leibes  anziehen  läfst«,  dürfen  nur  Prinzen 
von  Geblüt  und  die  erforderhchen  Kammerdiener  zugegen  sein.  Der  vor- 
nehmste Prinz  reicht  dem  Könige  das  Hemd.  Bei  dem  Grand  Lever 
du  Roy,  wenn  der  König  das  Hemd  anzieht  und  sich  ankleidet,  werden 
selbst  Fremde  in  das  Schlafzimmer  eingelassen.^) 

Während  die  fürstlichen  Frauen  bis  zur  Mittagszeit  »in  ihrem  Habit 
neghgee^  bleiben,  Kaffee  trinken,  lesen,  findet  der  Herrscher  schon  im 
Vorzimmer  seine  Kavahere  versammelt ;  der  Leibmedikus  stellt  sich  ein ; 
an  katholischen  Höfen  erscheinen  die  Patres  und  Hofkapläne.  An 
einigen  Höfen  ist  es  noch  Sitte,  morgens  und  abends  eine  Betstunde 
zu  halten,  doch  scheint  diese  alte  Gewohnheit  mehr  und  mehr  in  Ver- 
gessenheit zu  kommen. 

In  dem  folgenden  Kapitel  (HI)  bespricht  der  Verfasser  die  Kleider 
der  fürsthchen  Herrschaften,  die,  wenn  sie  abgelegt  werden,  den  Leib- 
pagen und  Kammerdienern,  vielleicht  auch  einem  unbemittelten  Kavaher 
zufallen. 

Die  Erledigung  der  Regierungsgeschäfte  nimmt  einen  grofsen  Teil 
des  Tages  in  Anspruch  (a.  a.  0.  Kap.  IV);  dazu  kommen  die  Audienzen 2), 
die  an  gewssen  Tagen  der  Woche  stattfinden,  bei  denen  selbst  die 
Untertanen  freien  Zutritt  haben,  ihre  Bittschriften  überreichen  dürfen. 
Viele  Fürsten  unterhalten  nebenbei  eine  ausgedehnte  Korrespondenz 
mit  anderen  Höfen.  So  ist  dem  Herrscher  auch  eine  angemessene 
Tätigkeit  zugewiesen.  Die  Erfüllung  der  religiösen  Pflichten  erfordert 
gleichfalls  viel  Zeit  (Kap.  V.),  wenn  auch  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts 
die  Frömmigkeit  an  den  protestantischen  Höfen  nicht  mehr  so  eifrig 
gepflegt  wurde,  als  dies  früher  der  Fafl  gewesen  war.  Allein  es  gehörte 
doch  noch  immer  zu  den  Obhegenheiten  eines  frommen  Fürsten,  an 
Sonn-  und  Feiertagen  dem  Gottesdienste  am  Vor-  und  Nachmittage  mit 
seinen  Angehörigen  und  seinem  Hofstaate  beizuwohnen  u.  s.  w.  Die 
Grundsteinlegung  und  die  Einweihung  von  Bauwerken  gab  Anlafs  zu 
Festfeiern  (a.  a.  0.  VI). 

»Last  ein  grosser  Herr  seinem  Herrn  Vater  oder  Grofs-Herr  Vater 
zu  Ehren  eine  mit  sinnreichen  Inscriptionibus  und  schöner  Bildhauer- 
Arbeit  gezierte  Statue  aufrichten  und  sie  einweyhen,  so  ziehen  bey  der 
Einweihung  ein  24  Trompeter  und  einige  Heer-Paucker  vorher ;  auf  diese 
folgen  einige  Herolde  mit  ihren  besonderen  Kleidern  und  Herolds-Stäben 
und  nach  diesen  der  Hofmarschall  und  andere  Hof-Officianten  nach 
ihrem  Range.  Sie  begeben  sich  alle  zusammen  Processionsweise  an  den 
Ort,  wo  die  Statue  aufgerichtet.  Der  erste  Herold  thut  die  Proclamation : 
Demnach  Se.  Hoch-Fürstl.  Durchlauchtigkeit   Herr  N.  N.  seinem  Herrn 

1)  Jean  le  Pautre,  Le  lever  du  roy.  —  Kulturg.  Bilderb.  IV.  N.  2288. 
*)  Jean  le  Pautre,    La  salle  d'audience.  —  Kulturg.  Bilderbuch  IV.  2289. 


2.  Aufstehen  der  Bürger,  die  Beschäftigung  der  Hausfrau.  337 

Vater  oder  Grofs-Herrn  Vater  zum  stetswährenden  Nachruhm  diese 
Statue  hätten  aufrichten  lassen,  so  hätten  Sie  ihm  gnädigsten  Befehl 
ertheilet,  allenthalben  und  zu  iedermans  KundschafEt  öifenthch  auszu- 
ruffen  und  anzudeuten,  dafs  sie  dieselbe  bey  Vermeydung  ernstlicher 
Bestraffung  und  schweren  Ungnade  vor  iedermann  heilig,  unverletzt  und 
in  Ehren  gehalten  ^^•issen  wolten.  Es  wird  nachgehends  eine  schöne 
Music  dabey  gehalten ;  die  Soldatesque  mufs  die  Statue  salutiren  und 
alle  honeur  erzeigen,  und  der  March  der  Procession  gehet  auf  eben  die 
Art  wieder  zurück,  wie  er  bey  derselben  ankommen.« 

2.  Aufstehen  der  Bürger,  die  Beschäftigung  der  Hausfrau. 

Die  alte  Sitte  brachte  es  mit  sich,  dafs  man  früh  aufstand.  Das 
hing  mit  der  Gewohnheit  des  zeitigen  Schlafengehens  nahe  zusammen. 
Guarinonius  ratet,  im  Winter  spätestens  um  5  Uhr  das  Bett  zu  verlassen, 
dann  die  Messe  zu  hören  und  um  6  zur  Arbeit  bereit  zu  sein  (S.  1298). 

Mit  dem  Waschen  scheint  man  sich  nicht  gar  zu  lange  aufgehalten 
zu  haben.  Noch  das  Frauenzimmerlexikon  von  1739  kennt  sehr  wohl 
den  Gebrauch  des  Kammerbeckens,  das  seinen  Platz  unter  dem  Bette 
hatte,  aber  erwähnt  weder  einen  Waschtisch  noch  das  Waschbecken 
und  alle  die  ziir  Toilette  gehörigen  Gerätschaften,  wohl  aber  das  Giefs- 
becken  und  die  zugehörige  Giefskanne,  mit  der  man  etwas  Wasser  auf 
die  Hände  gofs  und  dann  das  Gesicht  notdürftig  benetzte.  Eher  kann 
an  unsere  Gewohnheiten  erinnern  das  Handbecken  aus  Zinn,  Porzellan, 
Ton  und  das  Handfafs.  Die  französischen  Könige  liefsen  sich  feuchte 
Handtücher  reichen  und  reinigten  sich  so  Hände  und  Angesicht. 

Die  eigentliche  gründhche  Säuberung  erzielte  man  durch  das  Baden. 
Im  Hause  begnügte  man  sich  wohl  mit  einer  Badewanne,  die  in  das 
Schlafzimmer  hineingetragen  wurde,  doch  haben  vornehme  Schlofsherren 
bereits  im  13.  Jahrhundert  eigene  Badestuben  mit  Badebassins  u.  s.  w. 
ausgerüstet.^)  In  den  späteren  Jahrhunderten  hat  man  die  Badeanlagen 
oft  nur  als  Schaustücke  angelegt,  und  es  ist  z.  B.  fraghch,  ob  das  Marmor- 
bad in  Kassel  wirklich  öfter  benutzt  worden  ist. 

Wer  nicht  im  eigenen  Hause  ein  Bad  nehmen  konnte,  ging  in  das 
öffentliche  Badehaus,  wo  man  Wannenbäder  haben  konnte,  aber  auch 
die  während  des  ganzen  Mittelalters  so  beliebten  Dampfbäder  bereit  fand. 
Da  auch  die  Handwerker  wenigstens  am  Samstag  die  Badehäuser  auf- 
suchten, so  kann  man  der  Gesellschaft,  während  des  Mittelalters  wenig- 
stens, keineswegs  den  Vorwurf  der  Unsauberkeit  machen.-) 

Der  Bader  rasierte  seine  Kunden,  liefs  ihnen  zur  Ader,  war  der 
Gesellschaft  geradezu  unentbehrlich.  Badeknechte  bedienten  die  Besucher, 
hin  und  wieder  gab  es  auch  weibliche  Bedienung,  die  natürlich  in  den 
Frauenbädern  immer  einzig  und  allein  ihres  Amtes  zu  walten  hatten. 
(Vgl.  Frauenz.-Lex.  von  1739.  s.  o.  Bademagd.) 


1)  Höf.  Leben  'I.  224  ff. 
^)  Deutsches  Leben  etc.  68  ff. 
Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  ^^ 


338  ^^-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Dafs  im  15.  Jahrhundert  in  den  Badehäusern  es  etwas  frei  zuging, 
das  scheint  ganz  unzweifelhaft,  nicht  in  allen,  aber  in  so  manchem.^) 
Dazu  kam,  dafs  die  böse  ansteckende  Krankheit  es  vielen  Leuten  ge- 
fährlich erscheinen  liefs,  die  Badestuben  zu  besuchen;  gewifs  ist,  dafs 
man  seit  dem  16.  Jahrhundert  seltener  badet  als  in  den  früheren  Zeiten, 
trotzdem  aber  für  ausgiebige  Waschungen  keine  Fürsorge  trug.  Ganz 
jedoch  sind  die  öffentüchen  Bäder  nicht  in  Vergessenheit  gekommen, 
wie  schon  die  Erwähnung  im  Frauenzimmerlexikon  beweist.^) 

Für  Dampfbäder  ist  Guarinonius  sehr  eingenommen  (S.  901),  erklärt 
sich  jedoch  gegen  das  Schröpfen  (S.  558,  906),  Aderlassen  (S.  916,  989  ff.) 
und  Purgieren  (S.  916).  Die  Aderlafstage,  die  im  Kalender  vorgeschrieben 
sind,  verwirft  er  (S.  996),  spottet  darüber,  dafs  Leute  »zur  Gesellschaft« 
sich  zur  Ader  lassen  (S.  1038),  ül)er  den  Nutzen  des  zunehmenden  oder 
abnehmenden  Mondes  (S.  1011)  und  der  sonstigen  Himmelszeichen 
(S.  1030)  und  die  närrischen  Gebräuche  der  Barbiere  (S.  1040—86). 

Gegen  das  Baden  selbst  hat  er  also  nichts  einzuwenden,  wohl  aber 
gegen  die  Habsucht  der  Bader,  die  von  Armen  wie  von  Reichen  einen 
Groschen  für  das  Bad  nehmen,  das  sind  drei  Kreuzer  (S.  946),  Männer 
und  Weiber  in  einem  Räume,  ja  in  einer  Wanne  baden  lassen,  so 
dafs  aus  dem  Badehause  ein  Schandhaus  wird  (S.  947).  Die  Bademeister 
machen,  indem  sie  die  Unzucht  befördern,  die  Bäder  zu  Stätten  des 
Lasters,  halten  Dirnen  bereit  u.  s.  w.  (S.  949).  Aber  auch  die  Besucher 
der  Bäder  geben  zu  vielem  Ärgernis  Anlafs.  Mädchen  von  10  bis  18 
Jahren  laufen  in  einem  verschlissenen  Bademantel  über  die  Gassen  zum 
Bade;  Burschen  von  10  bis  16  Jahren  gehen  ganz  nackt  mit  ihnen;  der 
Vater  wandert  in  einer  Badehose  (niderwad)  mit  seiner  nackten  Frau 
und  seinen  nackten  Kindern  ins  Bad  (S.  948). 

Die  kalten  Bäder  empfiehlt  er  sehr  (S.  902  ff.),  tadelt  aber,  dafs  in 
Flüssen  am  hellen  Tage  Männer  und  Weiber,  beide  nackt,  zusammen 
baden  (S.  551).^) 

Diese  Ausschreitungen  veranlafsten,  dafs  zunächst  die  besseren 
Gesellschaftsklassen  sich  von  den  öffenthclien  Bädern  fern  hielten"*), 
endhch  derselben  gänzlich  entwöhnten. 

Erst  im  19.  Jahrhundert  hat  man  Anstalten  getroffen,  was  man  so 
lange  Zeit  versäumt,  nachzuholen.  Wenn  auch  die  Bäder  lange  nicht 
eine  solche  hervorragende  Rolle  im  Volksleben  spielen,  wie  dies  im 
Mittelalter  der  Fall  war,  so  sorgt  man,  angeregt  von  England,  doch  für  eine 
ausgiebigere  Reinigung  des  Körpers. 


')  S.  Deutsches  Leben  etc.     S.  68  ff.  Fig.  79—85. 

2)  1591.  Jul.  17.  in  der  neuen  Badstube  das  erste  Bad  gehalten.  Nie.  Pol. 
Hemerol. 

ä)  Deutsches  Leben  etc.  Fig.  244  —  Albrecht  Dürer,  Das  Männerbad.  Kulturg. 
Bilderb.  I;  N.  393. 

*)  Frauenzimmerlexikon  1715,  Sp.  163:  Bad  st  übe  Ist  dasjenige  Bebältnifa 
unten  im  Hause,  worinnen  sich  das  Frauenzimmer  zu  baden  pfleget;  Man  findet 
auch  fast  in  allen  Städten  öffentliche  Badstuben,  worein  die  Weibes- 
bilder von  schlechten  Stande  zu  gehen  und  sich  daselbst  zu  baden 
pflegen.  —  Vgl.  Frauenzimmerlex.  1739,  Sp.  138  ganz  gleichlautend. 


2.  Aufstehen  der  Bürger,  die  Beschäftigung  der  Hausfrau.  339 

Gewöhnlich  nahm  also  die  Säuberung  nicht  zu  viel  Zeit  in  An- 
spruch.^) Dann  gehen,  wie  schon  früher  hervorgehoben  wurde,  die 
Kathohken  zur  Messe ;  die  Protestanten  beten  und  singen  fromme  Lieder. 
Mittlerweile  ist  es  Zeit  zum  Frühstück  geworden.  Die  Morgensuppe 
spielt  da  eine  grofse  Rolle.  Man  ladet  auch  Freunde  zu  ihr  ein  2),  ob- 
schon  sie  zwischen  6  und  7  Uhr  aufgetragen  wurde.=^)  Morgensuppe 
war  eigentüch  keine  ganz  zutreffende  Bezeichnung,  denn  aufser  Bier- 
oder Weinsuppe  gab  es  noch  manche  nahrhafte  Gerichte.*) 

Das  Kaffee-  und  Teetrinken  hat  erst  im  18.  Jahrhundert  und  zwar 
sehr  langsam  die  alte  Form  des  Frühmahles  ersetzt. 

Hatte  man  sich  gestärkt,  so  begann  jeder  sein  Tagewerk;  der  Mann 
ging  seinem  Berufe  nach,  die  Hausfrau  hatte  mit  ihrem  Haushalte  voll- 
auf zu  tun. 

Sie  beaufsichtigte  die  Dienerschaft  und  wies  ihr  die  Tagesarbeit  zu. 
Um  diese  und  andere  uns  heute  unwesenthch  erscheinenden  Kleinigkeiten 
haben  sich  in  der  alten  Zeit  selbst  Fürstinnen  persönhch  gekümmert. 
Und  mit  den  Dienstboten  gab  es  von  jeher  Ärger  und  Verdrufs  aller 
Art.ö)  Wie  im  13.  Jahrhundert^),  so  waren  in  den  Folgezeiten  Mägde 
und  Knechte  stets  bereit,  ihre  Herrschaft  zu  betrügen  und  ihnen  jeg- 
liche Unannehmhchkeit  zu  bereiten.  Wenn  man  den  »Gesind-TeufEel« 
von  Peter  Glaser,  Prediger  in  Dresden,  best,  wird  man  alle  die  Kla- 
gen, die  man  heut  gegen  die  Dienstboten  vorbringt,  schon  ausge- 
sprochen finden.'^) 

Und  dieselben  Klagen  hören  wir  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts.«) 
Fischart  weifs  sehr  wohl,  »wie  viel  Gesind,  so  viel  Feind«  ^),  mid  bald 
hundert  Jahre  nach  ihm  sagt  Ägidius  Henningius  in  seinem  »Misch- 
masch etc.«  (Frkf.  a.  M.  1665),  S.  46:  »Knechte  und  Mägde  reden  ihren 
Herren  und  Frauen  viel  schändhches  Dinges  mit  der  Unwarheit  nach.« 


1)  Vgl.  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  Les  soius  de  la  Toilette. 
(Paris  1887.) 

2)  Phil.  Hainhofer.     Reisetageb.  1617.  —  Balt.  Studien  11.  2.  S.  16. 
»)  Ebend.  S.  53. 

*)  Ebend.  S.  23.  —  Vgl.  Zimm.  Chron.  III.  144  und  Fischart  Gesch.-Klitt.  Kap.  24. 
—  S.  o.  S.  314. 

6)  Vgl.  Alfred  Franklin,  a.  a.  O. :  La  vie  de  Paris  sous  Louis  XIV.  Tenne  de 
Maison  et  "domesticite  (Paris  1898).  —  Neudruck  von  Phelypeaux,  La  Maison  Regime 
(Paris  1692)  und  von  Claude  Fleury,  Les  devoirs  des  maitres  et  des  Domestiques 
(Paris  1688). 

6)  Höf.  Leben  «I.  205  if.  —  Deutsches  Leben  etc.  277  ff. 

')  Frkf.  a.  ]M.  1564,  1566,  1598    und   im  Theatrum  Diabolorum  Frkf.  a.  M.  1569. 

Vgl.  das  Spottgedicht  auf  die  Dienstmägde.  Fliegendes  Blatt,  1652.  —  Kulturg. 
Bilderbuch  V.  N.  2602. 

8)  Alltagsleben  e.  deutsch.  Frau.    S.  155  ff. 

Vgl.  Philemon  Menagius,  die  sieben  Teuffei,  welche  fast  in  der  gantzen  Welt 
die  heutigen  Dienst-Mägde  beherrschen  und  verführen,  als  da  sind  der  Hoffarta-,  der 
Diebs-,  der  Huren-,  Lästerungs-,  Tollköpfige,  Schleckerhaffte  und  Heuchler-Teuffel. 
Frankfurt  a.  M.  1731. 

9)  Geschichtski.  S.  100. 

22* 


3^Q  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Auch  in  der  sogenannten  guten  alten  Zeit  hatte  man  da  viel  zu  klagen. 
Einzelne  Ausnahmen  gab  es  ja.  So  berichtet  Nikolaus  Pol  in  seinem 
Hemerologium  zum  12.  Juü:  »1567  Starb  der  Fraw  Wilhelm  Schottin 
Kindermagd,  so  bey  einer  Herrschaft  siebentzig  Jahr  gedienet  und 
neuntzig  Jahr  alt  worden.« 

Die  Fürstinnen  kümmerten  sich  selbst  um  ihre  Küche,  sorgten  mit 
ihren  Hofdamen,  dais  alles  gut  bereitet  wurde,  sammelten  bewährte 
Kochrezepte,  wie  die  Kurfürstin  Anna  von  Sachsen,  und  konnten  oft 
den  bürgerlichen  Hausfrauen  als  Muster  und  Vorbild  dienen.  Unter- 
stützt wurden  sie  von  den  Mädchen,  die  am  Hofe  erzogen,  zu  ihrer 
Bedienung  und  Begleitung  bestimmt  waren.  Diese  Hofdamen  bezeichnete 
man  in  ihrer  Gesamtheit  mit  dem  Namen  »das  Frauenzimmer«,  wie  man 
etwa  von  den  Ministern  als  von  dem  Kabinett  spricht.  Sie  waren  einer 
strengen  Zucht  unterworfen,  Avurden  erforderhchenfahs  auch  körperhch 
gezüchtigt.  Katharina  von  Medici  liebte  es,  ihre  Hofdamen  sogar  per- 
sönhch  zu  strafen.  So  wird  es  nur  als  selbstverständlich  erscheinen, 
dafs  auch    dem  niederen  Gesinde  gegenüber  mit  Schlägen  nicht  gespart 

wurde. 

Wenn  die  vornehmen  Damen  sich  nicht  scheuten,  die  Küche  zu 
überwachen,  so  haben  die  Bürgersfrauen  diesem  Zweige  ihres  Haushaltes 
ihre  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  zugewendet. 

Eine  gute  Hausfrau  sucht  neue  Kochrezepte  sich  zu  verschaffen, 
wie  z.  B.  Frau  Magdalene  Paumgartner  am  30.  Dezember  1591  ihrem 
Gemahl  nach  Lucca  schreibt:  »Wan  dir  dein  welschse  Köchin  etwas 
kocht,  das  gut  ist,  wolst  mirs  den  Hansen  lassen  aufschreiben,  das  wirs 
hie  aug  lernen.«  Besonders  hatte  die  Frau  ihre  Aufmerksamkeit  auf 
die  Kuchenbäckerei  zu  richten;  in  der  Stadt  konnte  man  Brot  und  das 
alltäghche  Gebäck  wohl  beim  Bäcker  kaufen  —  die  Frauen  der  Guts- 
besitzer mufsten  auch  diese  Bedürfnisse  sich  selbst  beschaffen  —  aber 
das  feine  Tafelgebäck,  für  das  so  zahlreiche  Rezepte  uns  überliefert  sind, 
mufste  die  Hausherrin  unter  ihrer  Leitung  selbst  hersteUen  lassen. 
Ebenso  überwachte  sie  das  Einkochen  der  Früchte,  das  Einpökeln  des 
Fleisches,  das  Räuchern  der  Speckseiten  und  Schinken.  Das  Schwein- 
schlachten wurde  im  Hause  selbst  vorgenommen;  von  den  selbst- 
gemachten Würsten  schickte  man  dann  Freunden  und  Verwandten.  2) 

Indessen  hatten  die  Hausfrauen  auch  für  so  vieles  andere  noch 
zu  sorgen,  was  in  dem  letzten  Jahrhundert  mehr  und  mehr  von  beson- 
deren Handwerkern  hergestellt  und  gekauft  zu  werden  pflegt.  Dazu 
gehört  das  Giefsen  oder  Ziehen  der  für  den  Hausbedarf  erforderhchen 
Lichte.  Schon  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  entnahm  man  die  Talg- 
oder Unschhtthchter  gern  vom  Seifensieder,  aber  sparsame  Hausfrauen 
gössen  sie  doch  heber  selbst,  sowohl  die  grofsen,  die  zur  Beleuchtung 
des  Hauses  verwendet  wurden,  als  auch  die  kleinen,  Gaugelkatzen, 
die  man  nebenher  zu  brauchen  pflegte.  Ob  auch  die  weifsen  oder  gelben 
Wachskerzen,    die    man    bei   festhchen    Gelegenheiten    statt    der    immer 

»)  Briefwechsel.   S.  152. 
")  Ebend.  S.  15. 


2.   Aufstehen  der  Bürger,  die  Beschäftigung  der  Hausfrau.  341 

des  Schneuzens  bedürftigen  Talglichter  benutzte,  von  der  Hausfrau  ge- 
gossen wurden,  das  ist  nicht  sicher  zu  ermitteln.^) 

Die  Seife  ist  in  der  älteren  Zeit  immer  im  Hause  gesotten  worden, 
und  auf  dem  Lande  hat  sich  dieser  Brauch  noch  sehr  lange  erhalten. 
Zur  weifsen  Seife  nahm  man  Unschlitt;  dagegen  machte  man  die  schwarze 
aus  Tran  oder  Ol.  Die  feineren  Sorten,  die  venezianische  und  spanische, 
kaufte  man,  ebenso  wie  die  mannigfach  parfümierten  Toilettenseifen, 
beim  Händler.  2) 

Eine  ernste  und  schwere  Arbeit  veranlafste  dann  die  Besorgung 
der  Wäsche^),  die  mit  weifser  und  schwarzer  (grüner)  Seife  sowie  mit 
Lauge  gereinigt  wurde.  Ehe  sie  getrocknet,  gerollt,  geplättet  in  dem 
Wäscheschrank  wieder  aufgestapelt  war,  hatte  auch  die  Hausfrau,  selbst 
wenn  sie  nicht  persönlich  an  der  Arbeit  teilnahm,  viel  zu  überwachen 
und  anzuordnen.^)  Das  ganze  Haus  hat  mehr  oder  minder  unter  der 
grofsen  Wäsche  zu  leiden,  und  deshalb  schlägt  auch  schon  Guarinonius 
vor^),  sie  aufser  dem  Hause  von  Wäscherinnen  besorgen  zu  lassen. 
Ihn  ärgern  auch  die  hochgeschürzten  Waschweiber.  »Ist  auch  die  noch 
öffentlicher  wasch  Unzucht  viler  bübischen  Weiber,  welche  wann  sie 
ihre  grawsame  Haufswäschen  anstellen,  sich  umb  die  Brust,  Armben 
und  Schencklen  bifs  über  die  Knie  ganz  entblössen  und  vil  unver- 
schämbter  als  die  gemeinen  Hurn  auff  offner  Gassen  und  Plätzen,  bey 
den  Brunnen  und  Bächen  sich  von  jedermann  sich  ansehen  lassen,  ja 
so  gar  keine  Hembder  anhaben.«^) 

Bis  ins  13.  Jahrhundert  hinein  und  in  manchen  Gegenden  noch 
weit  länger  wurden  die  für  den  Hausgebrauch  erforderlichen  Stoffe  im 
Hause  selbst  hergestellt.  Die  Wolle  wurde  gesponnen,  gewebt ''),  gefärbt, 
der  Lein  vorbereitet,  gesponnen  und  zu  Leinwand  verarbeitet,  Männer- 
und  Frauenkleider  in  den  Arbeitsräumen  des  Schlosses  hergestellt.  In 
den  Bürgerhäusern  wird  die  Hausfrau  nicht  auf  die  Beaufsichtigung 
sich  beschränkt  haben,  sondern  mufste  selbst  Hand  anlegen.  Später,  als 
die  Männerkleider  an  die  Geschicklichkeit  der  Verfertiger  gröfsere  An- 
sprüche stellen,  wird  die  Herstellung  dem  Schneider  überlassen.  Es  gibt 
auch  schon  im  13.  Jahrhundert  D am en|schn eider,  die  besonders 
kostbare  Roben  für  vornehme  Frauen  anfertigen;  allein  die  gewöhnlichen 
Hauskleider  werden  im  Hause  selbst,  höchstens  unter  Beihilfe  einer 
Schneiderin  genäht.  Gesellschaftsanzüge  sind  auch  in  späteren  Zeiten 
nur  von  geübten  Schneiderinnen  oder  Schneidern  hergestellt  worden. 

Die  besseren  Kleiderstoffe,  vor  allem  die  seidenen,  mufsten  aber 
seit   alter    Zeit   beim    Gewandschneider    gekauft   werden.      Die    Einfuhr 


»)  Frauenz.-Lex.  1715,  Sp.  1159.  —  Dass.  1739.  Sp.  961. 

«)  Frauenz.-Lex.  1715,  Öp.  1833.  —  Dass.  1739.  Sp.  1485. 

")  Hand-Buch  vor  Frauenzimmer,  enthaltend  ein  kurzgefafstes  Wasch-  und 
Küchen-Inventarium.  .  .  .  Leipz.  1747. 

*)  Frauenz.-Lex.  1715,  Sp.  2100  ff.;  1201;  1656 ff.;  1500 ff. 

')  S.  497. 

«)  S.  950. 

'')  Sehr  gute  Abbildung  eines  Webstuhles  auf  Bern.  Pinturicchios  Gemälde 
Penelope  u.  Odysseus  (London,  National-Gallery). 


34:2  ^-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

seidener  Gewänder,  die  wahrscheinlich  in  Byzanz  verfertigt  worden 
waren,  ist  schon  für  die  Zeit  Karls  des  Grofsen  beglaubigt.  Das  12.  und 
13.  Jahrhundert  bezog  seine  Seidenstoffe,  Brokate,  Samte  aus  sarazeni- 
schen und  sizilianischen  Fabriken.  Später  hat  die  Seidenhidustrie  Italiens 
einen  hohen  Aufschwung  genommen.  Gegen  Ende  des  IG.  Jahrhunderts 
kauft  Balthasar  Paumgartner  in  Lucca  die  Seidenstoffe  ein,  mit  denen  er 
dann  in  Deutschland  Handel  treibt:  Samt,  langhaarigen  Pelzsamt,  Damast, 
Taft,  Schillertaft,  Atlas  u.  s.  w.^)    (S.  o.  S.  478  ff.) 

Auch  die  feineren  Wollstoffwebereien  konnten  nicht  im  Hause  her- 
gestellt werden,  die  bezog  man  hauptsächlich  aus  England  und  den 
Niederlanden,  so  den  beliebten  Scharlach,   den  Barchent  u.  s.  w. 

Alle  diese  Stoffe  sind  deshalb  teuer,  vielmal  teurer  wie  z.  B.  in 
unserer  Zeit;  sie  haben  sicher  auch  besser  gehalten,  da  Fälschungen 
damals  doch  zu  den  gröfsten  Seltenheiten  gehören.  Doch  spricht  Paum- 
gartner selbst  (S.  196)  von  einem  Schamlot,  der  durch  Baumwolle  ver- 
fälscht sei;  der  Bubensamt,  ein  ordinärer  Samt,  war  unverhohlen  aus 
Wolle  hergestellt  (S.  39,  40). 

So  kostbare  Kleider  hat  man  nur  bei  besonders  festlichen  Gelegen- 
heiten getragen,  daher  konnten  sie  für  lange  Zeit  vorhalten,  ja  oft  noch 
vererbt  und  für  jüngere  Generationen  verwendet  werden.  Im  Hause  und 
alltags  kleidete  man  sich  je  nach  dem  Stande  und  Berufe  einfach  und 
prunklos.  Man  darf  nicht  annehmen,  dafs  die  Leute  der  älteren  Zeit  die 
schönen  Kleider,  in  denen  sie  sich  malen  liefsen,  immer  getragen  haben. 

Die  Frauen  der  alten  Zeit  waren  stets  beschäftigt  und  wufsten 
auch  die  Zeit,  die  ihnen  nach  Erfüllung  ihrer  nächstliegenden  Pflichten 
noch  übrigblieb ,  für  ihr  Haus  nutzbringend  zu  verwenden.  Während 
des  frühen  Mittelalters  stickten  die  Damen  nicht  allein  Paramente  aller 
Art  zum  Gebrauche  der  Kirche,  sondern  fertigten  auch  die  künstlerisch 
wertvollen  Wandbehänge  an,  deren  Überreste,  wie  z.  B.  die  Tapete  von 
Bayeux,  noch  heut  bewundert  werden.  Solche  Arbeiten  sind  viel  in  den 
Frauengemächern  der  mittelalterlichen  Burgen  ausgeführt  worden:  gestickte 
Tischdecken,  Putzhandtücher  u.  dgl.  Auch  in  der  Folgezeit  sind  die 
feinen  Handarbeiten  bei  den  Frauen  des  Adels  wie  des  Bürgerstandes 
sehr  beliebt,  und  jedes  Gewerbemuseum  enthält  Proben  von  feinen  Platt- 
stichstickereien aus  dem  16.  bis  18.  Jahrhundert.  Ganz  besondere  Ge- 
schicklichkeit erforderte  die  Stickerei  auf  Leintücher,  da  es  da  galt,  mit 
Hilfe  der  ausgezogenen  Fäden  ein  Muster  nach  Art  feinster  Spitzenarbeit 
zu  erzielen. 

AVährend  die  Näharbeit  schon  seit  langen  Jahrhunderten  den  Frauen 
geläufig  war,  brachte  das  16.  Jahrhundert  eine  neue  und  nützliche  Be- 
schäftigung: das  Stricken.  Die  Herzogin  von  Pommern  hat  vor  einer 
Jagd,  die  ihr  Gemahl  1617  veranstaltete,  mit  ihren  Jungfrauen  im  Grase 
gesessen,  »gestrickt,  gewüflet  (gestopft),  genehet«.-)  Eine  Strickerin  (tri- 
coteuse)  hat  Gerhard  Douw  gemalt  (Kulturg.  Bilderb.  V.  N.  2525).  Man 
strickt  nicht  allein  Strümpfe,  sondern  auch  Unterjacken  (Camisöler)  und 


1)  Briefw.  S.  9,  21,  53,  60,  149,  155,  202,  203,  209,  222,  223,  225. 

2)  Ph.  Hainhofer,  Reisetageb.  1617.  -  Balt.  Studien  IT.  2.  S.  57. 


2.  Aufstehen  der  Bürger,  die  Beschäftigung  der  Hausfrau.  343 

Mützen,  wahrscheinlich  Schlaf-  oder  Zipfelmützen.^)  Die  Ränder  konnten 
auch  recht  künsthch  durchbrochen  gestrickt  werden,  und  Strickbücher 
gaben  für  solche  Arbeiten  besondere  Anleitungen.-) 

Ob  die  Klöppelarbeit  je  im  Hause  allgemeiner  gepflegt  worden 
ist,  das  läfst  sich  schwerhch  feststellen.  Dafs  man  seit  dem  16.  Jahr- 
hundert vorzügHche  Klöppelspitzen  in  den  Niederlanden,  in  Deutschland, 
in  Italien  zu  verfertigen  wufste,  ist  ja  allgemein  bekannt,  und  es  dürfte 
auch  wahrscheinhch  sein,  dafs  einzelne  Damen  und  Bürgersfrauen  zu 
ihrem  Vergnügen  solche  Arbeiten  ausgeführt  haben,  doch  scheint  die 
Anfertigung  der  Spitzen  meist  von  besonders  dafür  vorgebildeten  Hand- 
werkerinnen ausgeführt  zu  sein.^) 

Dasselbe  gilt  wohl  auch  von  der  Herstellung  der  genähten  Spitzen.^) 
Von  den  deutschen  Spitzen  sind  noch  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts 
berühmt  die  Annaberger,  Schneeberger,  Marienberger.  Sonst  gebraucht 
man  französische  Arbeiten,  unter  denen  die  Points  d'AlenQon  besonders 
in  Ansehen  stehen,  Brabanter  Spitzen,  Blonden  etc.  Die  kostbaren  Vene- 
zianischen Spitzen,  die  noch  1715  in  dem  Frauenzimmerlexikon  so  hoch 
gepriesen  werden  (S.  2060),  fertigt  man  schon  um  1739  nicht  mehr  an,  da 
die  von  Alen9on  sie  übertreffen  (Frz.-Lex.  1739,  Sp.  1527)  (Vgl.  o.  S.  282). 

Die  meisten  dieser  herrhchen  Arbeiten  sind  gewerbsmäfsig  ausgeführt 
worden;  in  Frankreich  waren  z.  B.  die  Manufakturen  von  Paris,  Lyon, 
Dieppe,  Aurillac  und  Havre  de  Gräce  berühmt.  Das  schliefst  aber  durch- 
aus nicht  aus,  dafs  so  manche  geschickte  Dame  nicht  auch  in  dieser 
Kunst  sich  versucht  hat.^)  Jedenfalls  konnte  sie  auf  diese  Weise  Kunst- 
werke hervorbringen,  die  einen  dauernden  Wert  hatten,  nicht  wie  die 
schon  frühzeitig  beliebten  Dilettanten-Arbeiten  nur  ein  unnützes  und 
überdies  gar  nicht  wohlfeiles  Vertändeln  der  vielen  Damen  überreich  zu- 
gemessenen Mufse  bedeuteten.  Der  einst  so  geschätzten  Liebhaberei, 
Bilder  auszuschneiden,  einem  besonders  an  den  Höfen  behebten  Zeit- 
vertreibe, sind  so  manche  kostbare  Zeichnungen,  die  aus  den  fürsthchen 
Sammlungen  entnommen  wurden,  zum  Opfer  gefallen. 

Das  Spinnen  ist  eine  Kunst,  die  von  alters  her  bei  den  Frauen  der 
höchsten  wie  der  niedersten  Stände  hoch  in  Ansehen  stand,  ja  man  war 
stolz  darauf,  diese  Kunst  aus  dem  Grunde  zu  verstehen,  und  meinte,  eine 
gute  Spinnerin  müsse  auch  eine  brave,  tüchtige  Frau  sein.  Doch  nur 
die  Leinenspinnerei  fand  den  Beifall  der  Damen.  Das  Spinnen  der 
Wolle  überhefs  man  gern  den  dienenden  Weibern.  Mit  den  Rocken  und 
der  Spindel  hat  man  sich  bis  ins  16.  Jahrhundert  beholfen;  erst  dann 
wird  das  Spinnrad   erfunden  und  bald  allgemein  gebraucht. 

I)  Frauenz.-Lex.  1715,  Sp.  1913.    —  Dass.  1739,  Sp.  1549. 

«)  Ebend.  1715,  Sp.  1419.  —  Dass.  1739,  Sp.  869. 

ä)  Die  Spitzenklöpplerin  nach  Frans  van  Mieris,  gest.  v.  Basan.  Kunstgesch. 
Bilderb.  V.  N.  2528.  —  Über  Spitzen  und  Kanten  vgl.  J.  Beckmann.  Beytr.  z.  Gesch. 
d.  Erfindungen,     m.  225. 

*)  Ebend.  1715,  Sp.  1387  ff.,  571,  2066.  —  Dass.  1739,  Sp.  1527  ff. ;  Sp.  496  u.  1670. 

5)  Hei.  Eos.  Fürst,  Modell-Buchs,  Dritter  Teil.  Von  unterschiedlichen  Vögeln, 
Blumen  und  Früchten  wie  dieselbige  zum  Weifs-Nehen,  Ladengewebe,  Creutz-  und 
Frantzös.  Stiche  etc.  anzuwenden.     NürnV>.  1676. 


344  ^''  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Selbst  die  Fürstinnen  verschmähten  es  nicht,  am  Spinnrade  zu 
arbeiten.  Als  1617  Philipp  Hainhofer  seinen  Gönner,  den  Herzog  von 
Pommern,  in  Stettin  besuchte,  schenkte  ihm  die  Herzogin  für  seine  Frau 
>  ein  hübsches  Spinnrädlin  .  .  .  darinnen  ain  Glöglen-Werkh,  das  weil  man 
spünnet,  Psalmen  nach  des  Lobwassers  Melodoy  spület,  und  man  es  zehn 
mahl  verkehren  khan,  in  Stettin  gemacht.«^)  Die  Spinnstuben  gewährten 
den  Bauern  im  15.  Jahrhundert  viel  Unterhaltung,  mag  dieselbe  auch 
nicht  inmier  die  zarteste  gewesen  sein.  Man  hat  dies  Volksvergnügen 
in  der  Folgezeit  polizeilich  unterdrückt,  aber  die  Sitte  selbst,  mit  dem 
Spinnrade  Freundinnen  zum  Abend  zu  besuchen,  hat  sich  noch  lange 
Zeit  erhalten.  MagdalenePaumgartnerin  schreibt  ihrem  Manne  1592  6.  Sept. : 
»Hat  gleich  gester  seiner  dechter  3  zum  rocken  zu  uns  geschickt«^) 
und  1597:  >Ich  mus  gleich  abbregen,  es  kumpt  die  Pehmin  und  Remerin 
gleich  zum  rocken.  «^^)  Die  übrige  Arbeit,  das  Aufwinden  auf  Weifen, 
mrd  vielleicht  von  den  Dienerinnen  besorgt.  Der  schon  genannte  Ger- 
hard Douw  hat  in  einem  seiner  berühmten  Gemälde  ein  altes  Weib  wei- 
fend dargestellt  (La  devideuse;  im  Louvre  zu  Paris,  —  gest.  von  AVille). 

Die  Hausfrau  war  so  den  ganzen  Tag  reichlich  beschäftigt;  ihre 
Töchter  wurden  von  frühester  Jugend  an  gewöhnt,  die  Mutter  zu  unter- 
stützen, und  bildeten  sich  so  wieder  zu  tüchtigen,  umsichtigen  Wirt- 
schafterinnen. Dafs  sie  für  alle  ihre  Mühe  dann  auch  eine  kleine 
Anerkennung  des  Hausherrn  gern  sahen,  war  wohl  nur  zu  natürlich. 
Agidius  Henningius  bemerkt  in  seinem  »Mischmasch«  (Frkf.  a.  M.  1665) 
S.  492,  dafs  die  Frauen  das  Etiam,  d.  h.  noch  etwas  über  das  ihnen 
Gebührende,  lieben.  Da  sind  erstens  die  Christgeschenke,  dann  ein 
Geschenk  zum  neuen  Jahr  (wenn  die  Magd  beschenkt  wird,  warum  nicht 
die  Frau?).  Wenn  sie  ins  Kindbett  kommt,  mufs  er  ihr  schöne  Pan- 
toffel verehren,  aber  auch  ein  schönes  Kleid  für  ihren  ersten  Kirchgang. 
Sie  bekommt  gern  ein  schönes  Geldstück  in  ihre  Sparbüchse.  Zur  Zeit 
der  Messe  darf  der  Mann  nicht  geizig  sein,   das  versteht  sich  von  selbst. 

Dafs  in  den  Freistunden  die  Frauen  auch  der  Musik  huldigten,  die 
sie  schon  in  ihren  Kinderjahren  erlernt,  braucht  nicht  weiter  ausgeführt 
zu  werden.  Vor  allem  wird  die  Singkunst  gepflegt,  »eine  Kunst  und 
Wissen  schafft,  allerhand  Arien,  Cantaten  und  Lieder  auff  eine  künstliche 
und  schmeichelhaffte  Manier  ...  in  ein  darein  spielendes  Instrument 
abzusingen,  auf  welche  Kunst  das  Frauenzimmer  sich  meistenteils  zu 
legen  pflegt«.'*)  Besonders  empfohlen  werden  die  Arien  des  sachsen-weifsen- 
f eisischen  Kapellmeisters  Krüger.  Man  bedarf  eines  Singe-  oder  Arien- 
buches. Zur  Begleitung  des  Gesanges  diente  das  Spinett  und  das  Klavier 
die  Noten  waren  in  das  Klavier-  oder  Tabulaturbuch  eingeschrieben. 
Grofs  wird  das  Repertoir  dieser  Hauskünstlerinnen  wohl  kaum  gewesen 
sein.  Andere  Damen  spielten  die  Zither  oder  das  Cithrinchen,  die  Laute, 
sogar  die  Fleute  douce. 


»)  Balt.  Studien  II.  2.  8.  36. 

2)  Brief w.  S.  172. 

3)  Briefw.  S.  »0. 

*)  Frz.-Lex.  1715  Sp.  185*^.  —  Dass.  1739  Sp.  1501. 


2.  Aufstehen  der  Bürger,  die  Beschäftigung  der  Hausfrau. 


345 


Die  gräflich  Harrachsche  Gemälde -Galerie  zu  Wien  besitzt  ein  Ge- 
mälde des  sogenannten  Meisters  der  Hal1)figuren,  nach  Woermann  eines 
Schülers  von  Barend  van  Orley  (c.  1492—1541),  von  WickhofE,  aber  wohl 
irrtümhch,  dem  Fran^ois  Clouet  zugeschrieben.  Es  stellt  ein  Trio  von 
jungen  Mädchen  dar;  die  eine  bläst  die  Flöte,  die  andere  schlägt  die 
Laute  und  das  dritte  Mädchen  singt  dazu.^) 


Meister  der  llulbfigureu,    Dameu-Trio     avicii,  Gak-rie   Ilarrach 


Einige  Unterhaltung  gewährte  auch  die  Lektüre.  Schon  im  frühen 
Mittelalter  begegnen  wir  Frauen,  die  des  Schreibens  und  Lesens  kundig 
sind,  und  die  durch  Vorlesen  ihre  Umgebung  zu  unterhalten  wissen. 
Seit  jener  Zeit  hat  wohl  jedermann,  abgesehen  von  den  Bauern  und  den 
allerärmsten  Gesellschaftsschichten,  Lesen  und  Schreiben  gelernt,  und  ein 
unterhaltendes  Buch  aufzutreiben,  war  ja,  seit  man  die  Buchdruckerkunst 
erfunden  hatte,  nicht  mehr  übermäfsig  schwer.     So  haben  die  populären 

1)  Tobias  Stimmer,  Musizierende  Frauen.  —  Kulturg.  Bilderbuch  II.  N.  1079—88. 


346  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Werke,  ^ne  Hartmann  Schädels  Weltchronik  (1493),  illustriert  von  Michael 
Wolgemut  lind  Wilhelm  Pleydenwurf,  später  die  illustrierte  Münstersche 
Kosmographie,  vielen  Generationen  Belehrung  und  Unterhaltung  gewährt. 
Die  leichte  Unterhaltungslektüre,  wie  sie  in  Deutschland  durch  die 
Schwankbücher  repräsentiert  wurde,  Montanus'  Wegkürzer,  Schuhmanns 
Nachtbüchltnn,  vor  allem  Michael  Lindners  Katzipori  und  viele  andere 
derartige  Bücher  sind  wohl  für  Männer  und  allenfalls  für  ältere  Frauen, 
keineswegs  jedoch  für  junge  Mädchen  geeignet  gewesen.  Der  Haupt- 
roman des  17.  Jalirhunderts,  der  abenteuerliche  Simphcissimus,  ist  schon 
viel  sauberer,  vor  allem  wirklich  unterhaltend,  was  man  von  Lohensteins 
Romanen  nicht  behaupten  kann.  Auch  Zieglers  asiatische  Banise  (Leipzig 
1689)  oder  des  Herzogs  Anton  Ulrich  von  Braunschweig  »diu-chleuchtige 
Syrerinn  Aramena  (Nürnb.  1669 — 73)«  u.  s.  w.  werden  nur,  solange  nichts 
Besseres  vorhanden  war,  Beifall  gefunden  haben.  Dann  erfreute  der 
Professor  und  Superintendent  Andr.  Heinrich  Buchholtz  (1607  —  71) 
seine  Zeitgenossen  durch  die  Romane  Herkules  und  Valiska  (1659 — 60), 
Herkuhskus  und  Herkuladisla  (1664).  Die  Erzählungen  des  geistlichen 
Herrn  müssen  übrigens  nicht  einwandfrei  gewesen  sein,  denn  in  dem 
interessanten  Aufsatze,  den  Kretschmann  im  Taschenbuch  zum  geselligen 
Vergnügen  (15.  Jahrg.  1805),  hgg.  v.  W.  G.  Becker,  (Leipz.)  S.  119  ff. 
unter  dem  Titel  »Alte  Zeit  und  neue  Zeit«  veröffentlicht,  ward  dieser 
Roman  als  ungeeignet  für  junge  Mädchen  bezeichnet.  Der  Herausgeber 
nennt  diese  für  jeden  Sittenschilderer  sehr  interessante  Mitteilung:  »Ein 
Fragment  aus  den  nachgelassenen  Papieren  der  verwitweten  Frau  Ursula 
Margareta.v-  Die  alte  Dame  erzählt  von  ihrer  Verlobung  und  Heirat;  die 
Zeit  dürfte  etwa  mn  1740  anzusetzen  sein.  Als  sie,  schon  verlobt,  den  Quart- 
band des  Herkules  nicht  vor  der  Mutter  verstecken  kann,  wird  ihr  das 
Buch  fortgenommen  (S.  127);  später  ertappt  sie  die  Mutter  bei  der  Lektüre 
des  »im  Irrgarten  der  Liebe  herumtaumelnden  Kavaliers«  (Warnungsstadt 
1738).  Da  wurde  sie,  und  jeder,  der  den  sauberen  Kavalier  kennt,  mrd 
der  Mutter  recht  geben,  »entsetzlich  ausschändirt  auch  ....  tüchtig 
manisch ellirt«.     Der  Kavalier   wurde  ins  Feuer  geworfen.^) 

3.  Unterhaltung  an  den  Fürstenhöfen. 

Für  die  Unterhaltung  an  den  Höfen  der  Fürsten  des  Mittelalters 
war  wenig  gesorgt.-)  Abwechselung  in  das  Einerlei  des  Alltagslebens, 
das  durch  die  Besorgung  der  Geschäfte  des  Landesherrn  und  des  Grofs- 
grundbesitzers  genugsam  ausgefüllt  war,  brachten  Besuche,  Einkehr  von 
Reisenden,  von  fahrenden  Leuten.  Auch  die  Fürsten  versäumten  es 
nicht,  durch  Waffen-  und  Leibesübungen  den  Körper  kräftig  und 
geschmeidig  zu  erhalten,  der  Jagd  zu  huldigen,  mit  Musik  und  Spielen 
sich  die  Zeit  zu  vertreiben.  Sie  waren  aber  viel  eher  darauf  bedacht, 
nicht  sich  selbst,  sondern  vielmehr  ihren  Lehensträgern  und  Untertanen 


^)  Vgl.  über  die  Lektüre :  Alltagsleben  einer  deutschen  Frau  etc.  133  ff. 
*)  Joh.  Kluge,  Zur  Kunde  des  deutschen  Privatlebens  in  der  Zeit   der  salischen 
Kaiser.     Berl.  1P02.     F.   104  ff.  —  Höf.   Lehen  '■'I,  530  ff. 


3.  Unterhaltung  an  den  Fürstenhöfen.  347 

Unterhaltung  zu  verschaffen.  Bei  den  Hoftagen  im  Mai,  zur  Pfingstzeit, 
versammelten  sie  ihre  Getreuen,  mit  ihnen  das  Wohl  des  Landes  zu 
beraten,  Streitigkeiten  zu  schhchten  u.  s.  w.  Dann  aber  gab  es  Fest- 
mahle, Tanzvergnügungen  aller  Art;  die  adhge  Gesellschaft  kam  bei 
dieser  Gelegenheit  zusammen  und  entschädigte  sich  so  einigermafsen  für 
die  Langeweile,  die  gewöhnhch  in  den  abgelegenen  Burgen  zu  Hause  war. 
Die  behebteste  Unterhaltung  bot  ein  Fürst  seinem  Adel,  wenn  er 
ein  Turnier  veranstaltete.^)  In  dem  frühen  Mittelalter  vertrat  das  Turnier 
die  später  erst  eingeführte  Heerschau,  die  Revue;  zugleich  ersetzte  es 
die  Truppenübung,  indem  es  ein  Reitergefecht  mit  allen  seinen  Wechsel- 
fällen vorführte.  Der  Fürst  konnte  sich  persönhch  ein  Urteil  über  die 
Tüchtigkeit  seines  Adels  bilden,  die  Fähigkeiten  des  einzelnen  und  seine 
Brauchbarkeit  kennen  lernen.  Das  ist  der  praktische  Nutzen  der  Turniere. 
Dadurch  al:)er,  dal's  die  ganze  adhge  Menge,  nicht  allein  die  Ritter,  sondern 
auch  deren  Frauen  und  Töchter,  die  Gäste  des  Fürsten  waren,  dal's  die 
Damen  von  Tribünen  dem  Kampfe  zuschauten,  Festmahle  und  Tanz- 
vergnügungen veranstaltet  wurden,  dadurch  bekam  diese  mihtärische 
Übung  den  Charakter  eines  adhgen  Hoffestes.  Die  Bürger  und  Bauern 
durften  an  dem  Schaugepränge  sich  erfreuen  und  so  an  der  ahgemeinen 
Lustbarkeit  einen  bescheidenen  Anteil  nehmen. 

Die  Turniere  haben  seit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  jedoch  einen 
anderen  Zweck  zu  erfühen.^)  Es  handelt  sich  mehr  darum,  der  adhgen 
Jugend  Gelegenheit  zu  bieten,  ihre  Gewandtheit  in  der  Führung  der  Waffen, 
zumal  in  der  Handhabung  der  Lanze,  ihre  Reitergeschickhchkeit  vor 
einer  sachverständigen  Gesehschaft  zu  erproben.  Je  mehr  im  Kriege 
die  Bedeutung  der  Fufstruppen  wuchs,  desto  mehr  verloren  die  Turniere 
ihre  Bestimmung,  als  Reitermanöver  zu  dienen.  Sie  werden  endhch 
zu  einem  leeren  und  meist  ungefährhchen  Schaugepränge,  während  sie 
früher  oft  genug  den  Teilnehmern  selbst  das  Leben  gekostet  hatten. 
Zur  Zeit  des  Kaisers  Maximilian  L^)  war  schon  das  Turnier  eine  blofse 
Leibesübung  für  adlig  geborne  Leute.  Der  Kaiser  selbst,  der  für  diese 
Waffenspiele  eine  so  ausgesprochene  Neigung  hatte,  liefs  seine  Turniere 
und  Mummereien  in  dem  Bilderbuche  »Frey dal«  (hgg.  von  Qiürin  von 
Leitner,  Wien  1880—82)  darstellen.  Beim  Stechen  kam  es  darauf  an, 
die  Stechzangen  (Lanzen  mit  stumpfer  Spitze  —  Krönlein)  zu  brechen, 
was  in  Anbetracht,  dafs  diese  Zangen  aus  einem  mehr  als  faustdicken 
Baumstamme  bestanden,  nicht  so  leicht  war.  Beim  Stechen  im  hohen 
Zeug  bheben  die  Reiter  in  den  hohen  Sätteln  fest  sitzen,  beim  deutschen 
Stechen  handelt  es  sich  dagegen  darum,  den  Gegner  aus  dem  Sattel  zu 
heben.  Beim  Rennen  suchte  ein  jeder  die  Tartsche  des  Gegners  zu 
treffen  und  zu  zersphttern. 

Immer  mehr  wdrd  das  Turnier  zu  einer  harmlosen  Lustbarkeit,  an 
der  sich  die  Teilnehmer  wie  die  Zuschauer  gleichmäfsig  erfreuten.     Ein 


1)  Höf.  Leben  Hl,  119  ff. 

«)  Deutsches  Leben   im  14.  u.  15.  Jhdt.  8.  474  ff.,  s.  besonders    die  Abbildungen 
Fig.  493-503. 

»)  Luk.  Cranach,  Turniere  von  1509.     Kulturg.  Bilderb.  I.  N.  3G2,  368. 


348  ^-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Unglücksfall  wie   der,   welcher   dem   französischen   Könige  Heinrich   IL 
1559  das  Leben  kostete,  kam  doch  nur  überaus  selten  vor. 

Praktisch  hatte  also,  wie  gesagt,  schon  im  10.  Jhdt.  das  Turnier 
seine  Bedeutung  völlig  verloren,  doch  erhielt  es  sich  als  eine  Art  von 
Reiterfest  noch  viele  Jahrhunderte.  In  dem  »Grofsen  Schauplatz  Lust- 
und  Lehrreicher  Geschichten«  i)  lesen  wir  S.  165:  »Die  Turnier  sind 
heut  zu  Tage  abgeschafft,  weil  man  das  Schiessen  mit  Pistolen  und  Hand- 
rohren erfunden  und  der  grossen  Stärcke  des  Leibs  nicht  mehr  von- 
nöthen  hat.^ 

Zu  malerischen  Schaustellungen  aber  wird  das  Turnier  trotzdem 
noch  immer  verwendet.  Bei  Hochzeiten  2),  Taufen  2)  in  fürsthchen  Fa- 
mihen  darf  das  Turnier  niemals  fehlen.  War  der  Tag  der  ernsten 
Waffenübung  vor  den  Augen  der  von  den  Tribünen  zuschauenden  Damen 
gewidmet,  so  gab  es  am  Abend  ein  grofses  Festmahl,  an  das  sich  ein 
Tanzvergnügen  anschlofs.  Die  Zeit  vor  und  nach  dem  Turnier  hatte 
man  Gelegenheit,  Bekanntschaften  zu  erneuern  oder  anzuknüpfen,  endhch 
seinen  Bedarf  an  Luxuswaren  auf  dem  mit  dem  Turniere  verbundenen 
l^larkte  zu  besorgen.  Gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  waren  sie  kaum 
noch  mehr  als  eine  gesellige  Zusammenkunft  des  turnierfähigen  Adels. 
Unter  dem  Kaiser  Maximihan  L,  der  ja  persönhch  ein  Meister  in  allen 
Leibesübungen  war,  wurden  diese  Kampfspiele  noch  einmal  wieder 
modern.  Es  handelte  sich  jedoch  nicht  mehr  um  einen  ernsten,  unter  Um- 
ständen lebensgefährhchen  Kampf,  sondern  um  den  Beweis  körperücher 
Geschickhchkeit.  Da  wurde  ein  Preis  (Dank)  oder  mehrere  ausgesetzt, 
kleine  Summen  baren  Geldes,  was  ehedem  ganz  unerhört  erschienen 
wäre.  So  fand  1554  ein  Turnier  auf  dem  Ringe  zu  Breslau  statt;  der 
erste  Dank  betrug  50  fl.,  der  letzte  10  fl.  (Nie.  Pol.  Hemerol.  Oct.  23). 
Endlich  wurde  das  Turnier  nur  eine  Festmaskerade,  die  man  an  Fürsten- 
höfen von  Zeit  zu  Zeit  veranstaltete."*) 

Ausführhche  Mitteilungen  über  die  Unterhaltung  an  den  Höfen  zu 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  verdanken  wir  F.  Ph.  Florinus,  der  einen 
langen  Abschnitt  seines  Werkes  »Grosser  Herren-Stands-  und  Adeücher 
Haus-Vatter«  (Nürnb.  1719)  dieser  wichtigen  Angelegenheit  widmet. 
Vielfach  ergänzt  wird  die  Darstellung  des  Florinus  durch  Julius  Bernhard 
von  Rohrs  Einleitung  zur  Zeremonial- Wissenschaft  (Berhn  1729).  Florinus 
bespricht  (T.  II,  B.  I.  Kap.  VI.  §  4)  erst  den  Nutzen  der  fürstlichen 
Bibliotheken  und  rühmt  die  von  Berlin,  Wolfenbüttel,  von  Gotha  und 
Weimar.  Unter  den  Antiquitäten-Sammlungen  hebt  er  die  von  Wien 
und  Ambras  hervor.  Bei  der  Erwähnung  der  Natur alienkabinette  (§  5) 
bemerkt  er,  dafs  Kaiser  Ferdinand  III.  vortreffhch  gedrechselt,  aber  auch 
gemalt  habe  und  dafs  Kurfürst  Johann  Georg  von  Sachsen  ein  Meister 
in   der  Drechslerkunst   gewesen   sei.     Unter  den  Gemälde-Galerien  (§  6) 

1)  Frkf.  1664. 

2)  S.  o.  Seite  161. 

3)  S.  o.  Seite  174. 

*)  Ein  Bauernturnier,  Stechen  zu  Pferde,  fand  am  23.  Febr.  1585  zu  Weimar 
statt ;    die  Bauern  des  Amtes  Kapellendorf   hatten    dies  alte  Recht.    Kurios.  VII.  37  ff. 


3.  Unterhaltung  an  den  Fürstenhöfen.  349 

verdienen  besondere  Beachtung  die  von  Wien,  Prag,  Ambras,  Berlin, 
Salzdalum,  Mainz,  Düsseldorf,  Dresden;  die  Sammlung  von  Kupferstichen 
und  von  Majoliken  in  Wolfenbüttel,  die  Porzellane  in  Dresden  werden 
gebührend  gepriesen.  Dann  erwähnt  er  §  7  die  Stallgalerie  und  die 
Rüstkammer ,  §  8  die  Schatzkammer.  Mit  diesen  Sammlungen  können 
in  müfsigen  Stunden  fürsthche  Herrschaften  wohl  nutzbringend  ihre  Zeit 
verwenden.  Auch  der  Wert  von  Unterhaltungen  mit  gelehrten  Leuten  ist 
nicht  zu  unterschätzen  (§  9). 

Der  Unterricht  bei  einem  Fechtmeister  soll  nicht  vernachlässigt 
werden.  Die  Fufsturniere  haben  die  alten  Reiterkämpfe  ersetzt.^)  August 
der  Starke  hat  1708  ein  solches  WafEenfest  in  Dresden  veranstaltet.  Auch 
der  Tanz  bietet  viele  Unterhaltung;  bei  den  Bällen  tanzt  man  französisch, 
deutsch,  engüsch  und  polnisch.  Kaiser  Leopold  L  hat  nie  französisch 
getanzt,  sondern  einen  gravitätischen  Tanz  bis  in  seine  alten  Tage  vor- 
gezogen.^) Zweifelhaft  erscheint  es,  ob  fürstliche  Persönlichkeiten  sich 
an  Balletten^)  persönHch  beteihgen  sollen.  Johann  Georg  IV.  (1691 — 94) 
von  Sachsen  hat  in  seiner  Jugend,  obschon  er  bereits  Kurfürst  war,  in 
Balletten  mitgewirkt.  Auch  am  kaiserhchen  Hofe  haben  zur  Zeit  Leo- 
polds I.  Erzherzoge  und  Erzherzoginnen  an  Balletten  teilgenommen.  Viel 
Vergnügen  bereiten  die  Ball-,  Ballon-*)  und  Billard -Spiele^).  Endlich 
gewährt  das  Drillen  der  Soldaten  immer  eine  mllkommene  Unterhai- 
tung  (§  10). 

Man  übt  sich  im  Schiefsen  mit  Armbrüsten,  Pistolen,  Gewehren, 
Kanonen  (§  11).  Die  Reitkunst  gilt  sehr  viel.  Man  veranstaltet  Wett- 
rennen, setzt  Preise  aus,  weniger  in  Deutschland  wie  in  England  und 
Italien.  In  Italien  laufen  die  Pferde  ohne  Reiter;  in  England  ist  das 
Wettlaufen  so  beliebt,  dafs  sich  selbst  königliche  Prinzen  beteiligen.  In 
Venedig  und  Mantua  veranstaltet  man  Wasser -Wettrennen.  Die  Reit- 
künste  aber  kommen  am  besten  zur  Geltung  bei  dem  Ringrennen, 
dem  Quitanrennen^),  wo  es  galt,  eine  Holzfigur,  den  Faquin,  zu 
treffen,  dem  Kopfrennen. ^)  Die  Türkenköpfe  dienten  zum  Ziele  bei 
letzterem    Spiele,    was    1662    dem   türkischen    Gesandten    in    Wien    sehr 


1)  Ausführlich  handelt  über  das  Turnier  J.  B.  von  Rohr  a.  a.  0.  T.  IV.  Kap.  III. 
S.  751  ff. 

*)  Ebend.  T.  IV,  Kap.  V,  §  7,  8. 

»)  Vgl.  über  die  Ballette  ebend.  T.  IV.  Kap.  V.  §§  12—21.  —  Ein  Aufzug  und 
Ballett  wurde  in  England  1613  bei  der  Hochzeit  der  Prinzessin  Elisabeth  mit  dem  Kur- 
fürsten von  der  Pfalz,  Friedrich  V.,  veranstaltet  und  in  Paris,  als  Prinzessin  Isabella, 
die  Schwester  Ludwigs  XIII.,  nach  Spanien  zu  ihrem  Gemahl,  Philipp  IV.,  abreiste.  — 
(Vulpius)  Kuriositäten  11.  279. 

*)  Veit  Ludwig  von  Seckendorff,  Teutscher  Fürsten-Stat.  —  Frkf.  1660.  S.  105 : 
im  Ballhause  und  mit  Ballonen  spielen,  S.  117 :  als  Ballen,  Ballonen  schlagen,  mit 
Kugeln  werffen.  —  S.  436:  Ballenmeister,  Ballenschläger. 

")  Das  Billard,  im  16.  Jahrhundert  in  Italien  erfunden,  erfreute  sich  schon  unter 
Ludwig  XIV.  in  Frankreich  grofser  Beliebtheit,  wurde  aber  erst  im  18.  Jahrhundert  in 
Deutschland  bekannter. 

«)  Höf.  Leben  «II,  3  ff. 

')  Caspar  Merlan,  Abbildung  und  Beschreibung  des  Auffzugs  zu  dem  ritterlichen 
Köpfe-Kennen  in  Frankfurt  d.  30.  Juni  1658. 


350  ^'-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

wenig  gefiel.^)  Es  können  bei  diesen  Reiterspielen  sich  auch  zwei  oder 
vier  Parteien  beteihgen,  dann  spricht  man  von  Quadrillen  oder  Tur- 
nieren-); sind  die  Teilnehmer  maskiert,  so  wird  das  Spiel  Karussell 
genannt.^)  Das  Ringrennen  findet  gewöhnlich  in  den  Reithäusern  des 
Abends  bei  Fackelbeleuchtung  statt.  Endhch  sind  auch  die  Rofs- 
ballette*)  sehr  beliebt,  an  denen  auch  Damen  teilnahmen,  die  ja  auch 
die  Hetzjagden  u.  s.  w.  mitmachten.^)  Kurfürst  Johann  Georg  IV.  ver- 
anstaltete bei  seiner  Vermählung  ein  solches  Fest  in  Dresden.*^) 

Die  festhchen  Schlittenfahrten")  bringen  im  Winter  manche 
Abwechselung*^);  in  Deutschland  sitzt  der  Kavalier  hoch,  hinter  seiner 
Dame,  in  Dänemark,  Schweden,  Polen  und  Rufsland  neben  ihr.^)  Im 
Sommer  liebt  man  die  Spazierfahrten  (Tour  ä  la  mode)  in  sechs- 
spännigen Kutschen. ^°)  König  Friedrich  I.  von  Preufsen  liebte  diese 
prunkhaften  Ausfahrten  sehr ;  sie  entsprechen  den  heute  noch  am  Wiener 
Hofe  veranstalteten  Pirutschaden  (§  12).  Kostbare,  phantastisch  ge- 
staltete Schhtten  befinden  sich  noch  im  Bayerischen  National-Museum  zu 
München  sowie  in  anderen  Sammlungen. 

Florinus  vergifst  die  Aufzüge ^^)  zu  erwähnen,  die  bei  festlichen 
Gelegenheiten  so  beliebt  waren. ^^^  Eine  grofse  Rolle  spielte  dann  die 
Jagd^^)  (§  13).  Nicht  minder  wird  ein  grofses  Gewicht  auf  die  Tafel 
gelegt^'*)  (§  14).  Musikalische  Unterhaltungen  tragen  auch  dazu  bei,  die 
Langeweile    zu    verscheuchen  (§    15).^^)     Besonders   aber  war    die    Oper 


1)  J.  B.  von  Rohr  a.  a.  O.  T.  IV.  Kap.  IV,  §  4. 

«)  Ebend.  T.  IV,  Kap.  III,  §  14  ff.  Er  leitet  Esquadrille  von  Squadrilla,  Diminutiv 
von  Squadra  ab. 

=)  Ebend.  T.  IV,  Kap.  IV,  §§  1—17. 

*)  Ebend.  T.  IV,  Kap.  IV,  §  19  ff. 

6)  L.  Lemery,  An  aulicis  mulieribus  sanitas  firmior  ab  equestri  venatione.  Paris  1741. 

6)  Vgl.  Abbildung  des  Tempels  der  Ewigkeit  sambt  prächtigen  Aufzug  und  Be- 
gehung des  Rofs-Ballets  zu  Wien  innerhalb  der  Kaysserlichen  Burg  gehalten  im  Ja- 
nuar 1667. 

')  Ausführlich  besprochen  bei  Rohr.  T.  IV,  Kap.  IX,  §§  1—9.  —  Schlittenfahrt 
in  Berlin  1739  (L.  Geiger,  Berhn  [Berl.  1892]  I.  275). 

8)  J(osef)  E(manuel)  F(ischer)  d'Erl(ach).  Kaiserl.  Schlittenfahrt  auf  dem  Mehl- 
markte zu  Wien.     Kulturg.  Bilderbuch,  IV,  N.  3170. 

9)  Ein  Damen-Rennen  auf  Schlitten  im  Jan.  1727  zu  Dresden  bei  Gelegenheit 
der  Anwesenheit  des  preufsischen  Königs.     Rohr  a.  a.  O.  §  10. 

1°)  Frans  van  der  Meulen,  Spazierfahrt  Ludwigs  XIV.  —  Kulturgesch.  Bilderb.  V. 
N.  2620,  2621. 

")  Rohr,  T.  IV,  Kap.  II.  Vgl.  die  Abb.  von  J.  Callot  z.  B.  Kulturg.  Bilderb.  V. 
N.  1714. 

12)  Götteraufzug  der  von  dem  durchl.  Churfürsten  zu  Sachsen  Friedrico  Augusto 
in  dero  Residence  Dresden  den  7.  Febr.  1695  aus  dem  Churf.  Reithause  durch  das 
Müntzthor  durch  das  Schlofs  wiederumb  in  bemeltes  Reithaus  angestellet  und  gehalten. 
28  Taf.  gest.  v.  M.  Klötzel.     Dresd.  1697. 

»3)  Rohr  a.  a.  O.  T.  IV,  Kap.  XHI. 

1*)  Ebend.  T.  I,  Kap.  VIII.  —  Abbildung  des  Kaysserlichen  und  ChurfürstUchen 
Banquetz  auff  dem  Römer  in  Frankfurt  d.  22.  Juli  1658. 

16)  Hofkonzerte  im  Schlosse  Ismaning  unter  Kurfürst  Max  Joseph  HL  von  Bayern 
(1745—1777).  Gemälde  von  Peter  Jakob  Horemans  (geb.  in  Antwerpen  um  1700,  gest. 
in  München  1776)  und  de  Cloche  im  Xational-Museum  zu  München. 


3.   Uuterhaltuno;  an  den  Fürstenhöfen. 


351 


bestimmt,  zur  Belustigung  der  fürstlichen  Herrschaften  beizutragen. i) 
Man  unterscheidet  französische  und  itahenische  Opern.  In  Paris  hat 
man  bessere  Tänzer,  in  Wien  treffhchere  (itahenische)  Sänger.  Die 
Theater  in  Wien,  Düsseldorf,  Dresden  und  Hannover  gewinnen  für  sehr 
viel  Geld  ausgezeichnete  Kräfte  aus  dem  Auslande ;  in  HaUe,  Hamburg, 
Leipzig,  Braunschweig  führt  man  deutsche  Opern  auf  und  behilft  sich 
mit  deutschen  Sängern.  Das  Theater  in  Hannover  ist  das  schönste  in 
Europa. 

In  Hamburg  belaufen  sich  die  jährlichen  Unkosten  auf  etwa 
50000  Taler.  Der  König  von  Frankreich  aber,  der  nur  die  erste  Auf- 
führung einer  Oper  für  den  Hof  sich  vorbehält,  bekommt  für  die  Er- 
laubnis, die  Opern  vor  dem  Pubhkum  zu  spielen,    jährhch    100000  Tlr. 


(Hans  Sebald  Beham?)  Schlittenfahrt. 

Hingegen  kostet  dem  Wiener  Hofe  jede  Oper  10—15000  fl.  Wie  von  Rohr 
bemerkt,  hatte  Kaiser  Leopold  I.  eine  entschiedene  Vorhebe  für  die 
Oper;  er  liebte  es  auch,  einige  Passagen  in  denselben  selbst  zu  kom- 
ponieren, und  verfolgte  mit  der  Partitur  in  der  Hand  die  Aufführung  der- 
selben. Seine  Gemahlin  Maria  Theresia  hörte  kaum  auf  die  Musik,  sondern 
beschäftigte  sich  im  Theater  heber  mit  ihrem  Nährahmen. 2)  Zur  Feier 
seiner  Vermählung  hatte  Leopold  drei  Opern  aufführen  lassen:  Porno 
d'oro,  la  Monarchia  latina  und  Cybele.  Aüein  der  Pomo  d'oro  kostete 
100000  Taler.  Einzelne  Truppen  werden  ständig  unterhalten,  andere 
bekommen  nur  Präsente,  wenn  sie  den  Hof  besuchen,  noch  andere  er- 
halten aus  der  Regierungskasse  gar  nichts,  sondern  spielen  auf  eigenen 
Gewinn  und  Verlust.^)  Beruhard  von  Rohr  weifs  sehr  wohl,  dafs  die 
Opernhäuser  sehr  leicht  dem  Feuer  zum  Opfer  fallen'*);  überhaupt  ist 
der  ganze  Abschnitt,  den  er  dem  Theater  widmet  (T.  IV,  Kap.  VI)  noch 
heut  lesenswert.  Merkwürdig,  dafs  Veit  Ludwig  von  Seckendorf  in 
seinem  deutschen  Fürsten-Staat  (1660)  wohl  der  Komödien,  doch  nielit 
der  Oper  Erwähnung  tut.^) 

')   Scena   della    festa   teatrale   in    occasione    degli  sponsali  del  principe  reale  di 
Polonia  ed  elettorale  di  Sassonia  1747.     Bibiena  inv.  Pfeifet  sc. 
2)  V.  Rohr  T.  IV,  Kap.  VI,  §  2. 
=>)  T.  IV,  Kap.  VI,  §  19. 
*)  Ebend.  §  22.  —  ^)  S.  437,  105. 


352 


V.  Beschüftisuns  und  Unterhaltung. 


Gewöhnlich    finden    die  Aufführungen    in    den    Opernhäusern    des 
Abends  bei  Licht  statt,   doch  werden  sie  auch  in  den  Schlofsgärten   bei 


Fürstenloge  im  Opemhause  zu  Bayreuth. 

[Pro  Friderico  et  Sophia  Josephus  Galli  ßibiena  fecit  anno  jmCCLVni.] 

(Nach  Photographie  von  Hans  Brand  in  Bayreuth.) 

Tage,  z.  B.    in   den  Anlagen  der  Favorite  bei  Wien  veranstaltet.     Dann 
schützten  Segeltücher   gegen   Sonne   und  Regen.     Zuweilen   speisen   die 


3.  Unterhaltung  an  den  Fürstenhöfen. 


353 


Herrschaften  während  der  Aufführung  oder  lassen  die  Schauspieler  nach 
Beendigung  der  Oper  bewirten.  Die  Spiele  singender  Marionetten  sind 
in  Rom,  besonders  bei  den  Kardinälen,  beliebt.  In  Deutschland  finden 
die  französischen  und  itahenischen  Komödien  nicht  besonderen  Anklang, 
doch  gibt  es  in  Dresden  eine  französische^),  in  Wien  und  Düsseldorf 
eine  itahenische  Schauspielertruppe  (Bande.  —  §  16). 

Die  Assemblees  sind  Zusammenkünfte  der  Hofgesellschaft,  die 
am  Nachmittag  stattfinden  und  bei  denen  man  L'Hombre  und  Bassette 
spielt.  Es  werden  Getränke  serviert.  Früher  hebte  man  das  Schach- 
spiel, jetzt  zieht  man  die  Karten  vor.     Werden  sechs  bis  sieben  Zimmer 


Bayreuth,  Sanspareil,  —  Naturtheater. 

zum  Spielen  bereit  gestellt,  so  spricht  man  von  Appartements.  Beim 
Cercle  Royal,  der  in  der  Königin  oder  Fürstin  Zimmer  abgehalten 
wird,  sitzen  die  bevorrechteten  Damen  auf  Taburetts,  die  Kavahere  stehen. 
Der  Ridotto  —  später  wird  der  Name  Redoute  allgemein  ge- 
braucht —  ist  eine  italienische  Erfindung  2),  ein  Spielhaus  für  vornehme 
Leute.  Der  Kurfürst  von  Hannover,  Ernst  August  (1629—1698),  hatte 
diese  Unterhaltung  in  Itahen  kennen  gelernt  und  sie  zunächst  an  seinem 
eigenen  Hofe  eingeführt.  Auch  B.  von  Rohr  bemerkt  1729,  dafs  an  den 
deutschen  Höfen  die  Redouten  erst  seit  20  oder  30  Jahren  bekannt 
geworden  seien  (S.  819).  Von  den  Assembleen  unterscheiden  sie  sich 
durch  die  Bestimmung,  dafs  alle  Teilnehmer  maskiert  erscheinen  müssen ; 
auch  Fremden  ist  der  Zutritt  gewährt,  vorausgesetzt,  dafs  sie  in  emer 
Verkleidung  nicht  zu  erkennen  sind.  »Die  Redouten-Sähle  werden  mit 
den    schönsten    silbernen    und    crystallenen  Cronen-Leuchtern    und    viel 


>)  Auch  in  Berlin  1706.  II.    V^l.  Ludw.  Geiger,  Berlin  (Berl.  1892).     I.  39. 
2)  Cf.   P.   G.   Molmenti,  La    vie   privee    ä    Venise   (Ven.    1882)   p.    514.    - 
öffentliche  Spielhaus  auf  der  Via  San  Moise  hiefs  Ridotto. 

23 

Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


Das 


qg^  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

tausend  Aveissen  Wachs-Fackeln  gezieret,  welche  durch  die  um  und  um 
befindlichen  Spiegel,  silberne  Tische  und  ander  Silberwerck  ihren  Schein 
verdoppeln  und  alles  erleuchten.«^)  Die  fürstlichen  Herrschaften  und 
die  Noblesse  sind  durch  Schranken  von  dem  Publikum  goschieden.^)  Es 
wird  Kaffee,  Tee,  Schokolade,  Limonade,  Likör,  Rosogho,  Konfitüren 
serviert.  DazAi  wird  von  einer  Musikkapelle  konzertiert  =^),  wie  das  z.  B. 
in   Dresden  Sitte  ist.     Man  spielt  gewöhnlich  Bassette  (§17.) 

Für  die  Maskeraden  hat  man  noch  immer  die  alte  Neigung.*) 
Kaiser  Maximilian  L  liebte,  wie  bekannt,  die  Mummereien  ganz  besonders, 
wie  er  das  auch  im  M'eilskunig  erzählt.^)  An  Stelle  der  Mummereien 
ist  jetzt  die  Maskerade  getreten.  Eine  Larve  zu  tragen,  war  nicht  un- 
bedingt erforderlich.  Mit  Zuhilfenahme  von  Maschinen  konnte  man 
da  ganze  Geschichten  aufführen. ß)  »Bifsweilen  wird  niemand  von  dem 
Pöbel  eingelassen  und  die  Wachen  auf  das  schärffste  beordert,  keinen 
als  StandesPereonen  nebst  Cavalieri  und  Dames  den  Eintritt  zu  ver- 
statten. Zu  manchen  Zeiten  aber  bekommt  ein  ietweder  Erlaubnifs, 
wenn  er  nur  maskirt  ist,  einen  Mitspieler  oder  Zuschauer  dabey  abzu- 
geben.«'') 

Bei  dem  Königs  spiel  wird  einem  jeden  seine  Rolle  durch  das 
Los  zueiteilt.  In  Frankreich  feiert  man  noch  immer  zu  Neujahr  das 
Bohnen  fest. 

Viel  Freude  hatte  man  an  den  Wirtschaf ten.»)  Die  königlichen 
Herrschaften  erscheinen  in  Bauernkleidern,  speisen  von  hölzernen  Tellern, 
tanzen  nach  Bauernmusik.  Als  Peter  der  Grofse  1698  in  Wien  war, 
wurde  eine  Wirtschaft  veranstaltet:  der  Kaiser  und  die  Kaiserin  waren 
die  Wirte.9)  Auch  in  Berlin  wurde  am  7.  Jan.  1690  eine  Scheren- 
schleifer-Wirtschaft veranstaltet.^«)  In  Dresden  erfreute  man  sich  1725  an 
W^irtschaften  von  Winzern,  Schäfern,  Müllern  und  Gärtnern,  »welche  die 
Zunfft  der  Haupt-Diebe  betitelt  wurde«.  Friedrich  Wilhehn  I.  von 
Preufsen  liebte  auch  diese  Unterhaltung:  der  Herrscher  war  der  Wirt, 
die    Hofleute  hatten  in  den  entsprechenden  Masken   zu  erscheinen.     Oft 

1)  J.  B.  von  Rohr  a.  a.  0.  T.  IV,  Kap.  VII,  §  9. 

»)  Ebend.  §  10. 

s)  Ebend.  §  11. 

*)  Deutsches  Leben  im  14.  u.  15.  Jhdt.     405  fE. 

*)  S.  m.  Ausg.    S.  83. 

6)  Les  Plaisirs  de  l'Isle  enchantee  ou  les  festes  et  divertissements  du  Roy  a 
Versailles,  divisez  en  trois  journees  et  comnaancez  le  7me  Jour  de  May,  de  l'annöe 
1664.  —  Mit  9  Kupierst,  von  Silvestre. 

Les  Divertissements  de  Versailles,  donnes  par  le  roy  ä  toute  sa  cour  au  retour 
de  la  conquete  de  la  Franche  Comte  en  1674.  —  Mit  6  Stichen  von  Le  Pautre  und 
F.  Chavreau.  (1675—76).  ^     ^     ^ 

Relation    de   la   fete  de  Versailles    du  18  juiUet.  —  Mit  5  Tafeln  von  L.  Pautre 

(1678—79.) 

')  J.  B.  von  Rohr  a.  a.  O.  T.  IV,  Kap.  VII,  §  7. 

8)  Vgl.    ebend.    T.   TV,   Kap.  VIII.    —    Alltagsleben   einer    deutschen    Frau    etc. 

9)  Über  dies  Fest  vgl.  Kuriositäten  X.  219.  Die  Franzosen  ahmen  die  Feste 
nach  und  nennen  sie  Hotelleiie. 

10)  L    Geiger.     Berlin  (Berl.  1892)  I.  35. 


3.  Unterhaltung  an  den  Fürstenhöfen.  355 

war  mit  der  Wirtschaft  noch  ein  Jahrmarkt  verbunden,  eine  Mercerie. 
Noch  grofsartiger  gestaltete  sich  das  Fest,  wenn  die  Teilnehmer  mit 
Musik  die  Stadt  durchzogen,  ehe  sie  in  das  Wirtshaus  einkehrten.  Eine 
solenne  Tafel  und  ein  heiterer  Tanz  beschlossen  die  Unterhaltung. 

Bei  den  Bauernhochzeiten  fährt  die  ganze  Gesellschaft,  die 
Braut  mit  allen  Anverwandten,  entsprechend  gekleidet,  nach  der  Auberge. 
Der  Bräutigam  reitet  und  feuert  mit  seinen  Begleitern  Freudenschüsse 
ab.  Unter  die  Zuschauer  wirft  man  Zitronen,  Pomeranzen,  Pommes  de 
Sine  (Apfelsinen).  Alle  Wagen  sind  nach  Art  der  Bauern  gebaut,  aber  schön 
rot  und  grün  angestrichen,  mit  grünen  Reisern  geschmückt,  die  Pferde  mit 
Bändern  aufgeputzt.  Wenn  der  Zug  im  Wirtshaus  angelangt  ist,  werden 
sie  von  dem  Wirt  und  der  Wirtin,  den  fürsthchen  Herrschaften,  emp- 
fangen, zur  Tafel  geführt  und  bei  dem  bäurischen  Mahle  bedient.  Der 
Herr  trinkt  wohl  auch  seinem  verkleideten  Gaste  zu,  wie  Kaiser  Leopold  I. 
1678  dem  Fürsten  Johann  Georg  IL  von  Anhalt-Dessau  in  Wien;  der 
Gast  leerte  sein  Glas  Tokaier  auf  einen  Zug,  und  die  Damen  und  Kava- 
here  klopften  mit  ihren  silbernen  Messern  auf  die  Teller  und  riefen 
Vivat.  Nach  Aufhebung  der  Tafel  wird  nicht  selten,  was  übriggeblieben 
ist,  den  mit  Erlaubnis  anwesenden  Zuschauern  preisgegeben.  Man  be- 
schenkt das  Brautpaar;  zum  Schlüsse  wird  getanzt. 

In  der  Fastnachtszeit  gibt  es  Opern,  Komödien,  Bälle,  Bal- 
lette, Aufzüge,  Ridotti.  Alle  Teilnehmer  erscheinen  maskiert.  Auch 
Märkte,  Merceries,  werden  aufgeschlagen;  Komödianten,  Marionetten- 
Spieler,  Marktschreier  lassen  ihre  Kunststücke  sehen,  »und  da  hält  eine 
masquirte  Person  in  einer  Bude  ein  Banco  zu  Pharao  und  die  Spieler 
sind  gleichfalls  masquirt«.^)  In  Wien  feiert  man  am  kaiserhchen  Hofe 
die  C ammerfeste,  an  denen  nur  Mitglieder  des  Kaiserhauses  teil- 
nehmen und  bei  denen  selbst  Gesandte  keinen  Zutritt  haben. 

Feuerwerke,  die  bei  passenden  Anlässen  abgebrannt  werden, 
bereiten  auch  den  fürsthchen  Familien  viele  Freude.  J.  B.  von  Rohr 
hat  den  Feuerwerken  ein  ganzes  Kapitel  seines  Werkes  gewidmet.^)  Wir 
besitzen  einige  Abbildungen  solcher  Vorstellungen.^) 

i)  J.  B.  von  Rohr  a.  a.  0.  T.  IV,  Kap.  VII,  §  12. 

«)  T.  IV,  Kap.  IX. 

3)  Feuerwerk  in  Nürnberg  auf  der  Veste.  1570.  Holzschn.  v.  Jost  Amman.  — 
Kulturg.  Bilderb.  II,  N.  1101. 

Contrafactur  des  Feuerwercks,  so  man  nach  den  1612  zu  Frankfurt  gehaltenen 
"Wahl-  und  Crönungstagen  (des  Kaisers  Matthias)  auf  dem  Mayn  zur  Freudenfeuer 
anrichten  und  den  20.  Juni  abgehen  lassen.     Ach.   ab  Hinsberg  inv.,  H.  Kröner  sc. 

Feuerwerk  in  Stuttgart  1616,  gest.  von  Matth.  Merian.  —  Kulturg.  Bilderbuch  III, 
N.  1596. 

Feuerwerk  auf  der  Veste  zu  Nürnberg,  27.  .Juli  1635. 

Wenzel  Hollar.     Feuerwerk  in  Hemissen  1650.  —  Kulturg.  Bilderb.  IV,  N.  2256. 

Abrifs  des  Kaysserl.  Fewerwercks,  Schlosses  und  Barraquen  etc.  vor  Nürnberg 
auf  St.  Johannis  Schüfsplatz  A.  1650  (Merian). 

Schwedisches  Fewerwerck  A.  1650  (Merian). 

Kurtze  Beschreibung  des  neu  zugerichten  Feuerwerckes,  welches  A.  1659  den 
19.  Sept.  in  Nürnberg  verbrennet  worden.     Chr.  Moller  sc.  —  M.  Text. 

23* 


356  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Jünger  ist  der  Gebrauch,  zu  Ehren  der  Herrscher  Illumina- 
tionen zu  veranstalten.  Es  soll  zwar,  wie  J.  B.  von  Rohr  (T.  IV, 
Kap.  X)  bemerkt,  schon  1509  in  Neu-Ruppin  bei  Gelegenheit  eines  vom 
Kurfürsten  Joachim  I.  gegebenen  Turnierfestes  illuminiert  worden  sein, 
sicher  ist,  dafs  erst  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  die  Sitte  auf- 
kam, bei  festlichen  Gelegenheiten  die  Städte,  vor  allem  die  Residenzen 
der  Fürsten  entsprechend  zu  beleuchten.  Wachsfackeln,  Papier -Trans- 
parente, mit  Öllampen  erhellt,  Figuren  und  Pyramiden  aller  Art  finden 
da  Verwendung.  Auf  den  Plätzen  werden  Teertonnen  und  Scheiterhaufen 
entzündet,  von  begüterten  und  vornehmen  Leuten  auch  wohlriechendes 
Rauchwerk  verbrannt.  Die  Fürsten  fuhren  dann  mit  ihrem  Hofe  in 
einer  tour  ä  la  mode  durch  die  Stadt  und  nahmen  die  Beleuchtung  in 
Augenschein.  M 


Abbildung  des  Feuerwerks,  welches  d.  3.  Okt.  1661  auf  St.  Johanncs-Schiefsplatz 
von  V.  E.  Holtzschuer,  Jobst  W.  Eimer  und  Job.  F.  Ebner  verbrennet  und  von  Lor. 
Müller  erlernet  worden. 

Eigentliche  Abbildung  und  Vorstellung  dess  Feuerwercks,  welches  auf  dem 
Kaysserlichen  Beylager  zu  Wien  den  8.  Dec.  des  1666  Jahrs  angezündet  worden. 
(Theatr.  Europ.) 

Churfürstl.  Sächsisches  ....  Fewerwerck  zu  Nachts  bev  der  Vestung  Pleissenburg. 
1667  den  8.  Julii. 

Representation  de  la  decoration  du  feu  d'artifice  dresse  sur  le  Vivier  (in  Haag) 
par  ordre  de  leurs  grandes  puissances  les  Etats  de  Hollande  au  sujet  de  la  paix 
d'Vitrecht  dans  l'an  1713.     P.  Roman  et  P.  Loos  inv. ;  Picart  sc. 

Representation  du  feu  d'artifice  .  .  .  ä  l'occasion  du  mariage  de  Mme  la  princesse 
Maria  Josephe  avec  le  Dauphin  le  12.  Jan.  1747.   —  M.  Bodenehr  sc. 

Feuerwerck,  welches  bey  Gelegenheit  der  doppelten  Vermählungen  der  sächsisch- 
bajTischen  und  bayerisch-sächsischen  Häuser  den  29.  Junii  1747  in  Pillnitz  abgebrannt 
worden.     Z.  Zucchi  sc.  —  Desgl.  J.  A.  Corvinus  sc. 

Vorstellung  des  Feuerwerks,  welches  wegen  des  Aachener  Friedens  den  13.  Juni 
1749  in  Haag  abgebrannt  worden. 

Feuerwerck  auf  dem  Eibstrom  etc.     J.  A.  Corvinus  sc.  c.  1750. 

Unter  dem  Titel  Halinitropyrobolia  hat  John  Elliot  Hodgkin  die  Litteratur  der 
Feuerwerkerei  zusammengestellt  mit  interessanten  Proben  der  Abb.  in  seinen  Rariora. 
etc.     London  o.  J.  (1902).     T.  HI,  1902.  —  I— VIII  und  1—92. 

Er  gibt  S.  45  ff.  eine  Aufzählung  der  Abb.  von  Feuerwerken.  Das  älteste  beim 
Einzug  Heinrichs  II.  in  Paris.     1550. 

Dann  Abb.  von  Feuerwerken : 

1592.  Dec.  14.  Zur  Feier  der  Taufe  von  Job.  Georg,  Markgr.  v.  Brandenburg, 
vom  Schlosse  zu  Köln  zu  S.  46. 

Ca.  1650.     Franz.  Unbestimmtes  Blatt  zu  S.  50. 

Ca.  1650.     Desgl.  Wasserfeuerwerk.  —  52. 

1661.  Okt    3.     Feuerwerk  auf  dem  Schiefsplatze  zu  Nürnberg.     S.  54. 

1688.  Juli,  Paris.     Geburt  des  engl.  Prätendenten.     S.  56. 

1689.  April  11. — 21.  Feuerwerk  auf  der  Themse  zu  Ehren  der  Kronen  Wil- 
helms m.  und  Mary.     S.  58  (v.  R.  de  Hooghe.) 

Feuerwerk  Girandole  auf  der  Engelsburg.     Adr.  Manglard  Fee.     S.  66. 

•)  Über  Freudenfeuer  vgl.  Deutsches  Leben  etc.  421  ff.  —  Vue  perspective  des 
illuminations  du  Pont  Notre-Dame  en  rejouissance  du  retablissement  de  la  sante  de 
Louis  XIV,  le  30  janvier  1687.  —  Paris  chez  Basset. 

0.  Chr.  Eltester.  Beschreibung  der  Illumination,  welche  Sr.  k.  Maj.  in  Preufsen 
von  der  Kunst-Akademie  in  Berlin  alleruntertänigst  (am  9.  Mai  1701)  präsentiret 
worden.     1701.     (L.  Geiger,  Berlin  L  30.) 


3.  Unterhaltung  an  den  Fürstenhöfen, 


357 


In  den  Residenzstädten  nehmen  die  Mitglieder  der  regierenden 
Herren  wohl  auch  an  dem  Vogel  sc hiefsen  der  Bürger  teil.^) 

Florinus  gedenkt  der  Jagd  gar  nicht,  die  J.  B.  von  Rohr  aus- 
führUch  (Kap.  XIII)  schildert.  Er  erwähnt  dabei  Tierhetzen,  die  spanischen 
Stiergefechte-),  das  Fuchsprellen 3),  an  dem  sich  auch  Damen  beteiligen, 
die  Falkenbeize. 


Con.spectii8  illuminationis  qua  aedificium  publicum  in  honorem  Mariae  EHsa- 
bethae  Belg.  Austr.  Gubern.  19.  et  20.  Sept.  1725  collustratum  atque  emblematibus  et 
inscriptionibus  exomatum  est.  (Nürnberg)  G.  D.  Heumann  sc. 

Das  frohlockende  Dresden  oder  Beschreibung  der  Illuminationen  ...  bei  Rückkehr 
Friedrich  Augusts  nach  hergestellter  Ruhe  in  Fohlen.  7.-9.  Aug.  1736.  —  Dresden 
1736. 

Beschreibung  der  Illumination  zu  Dresden  bei  der  kgl.  Sizilianischen  Vermählung. 
M.  11  Kpferst.     Dresd.  1738. 

Casa  del  camps  del  Conde  del  Montijo  ä  Francfort  illuminada  la  noche  del 
18.  Sept.  1741,  vispera  de  Sta.  Isabel,  por  el  nombre  de  la  Reyna. 

Illumination,  qui  a  et6  faite  le  jou?;  de  l'Entree  de  Sa  M.  Imperiale  ä  l'hotel  de 
M.  le  baron  de  Wachtendonck, 
ambassadeur  de  S.  A.  E.  Pa- 
lati ne  ä  Francfort  le  31  Janv. 
17  42.  Le  Clerc  del;  J.  J. 
Eberspach  sc. 

Vue  perspective  des  illu- 
minations  de  la  rue  de  la  Fe- 
ronnerie  du  cote  de  la  rue  Saint 
Denis  ä  Paris  ä  l'occasion  de 
l'heureuse  convalescence  de 
Sa  Majeste  en  1745.  Paris 
cliez  Daumont. 

')  .J.  B.  V.  Rohr  a.  a.  O. 
T.  IV,  Kap.  Xn. 

2)  Sebast.  Franck,  Welt- 
buch (1533.)  Fol.  Lxxa  :  Haben 
auch  (die  Spanier)  vil  kampff, 
schawspil  und  ritterschatf  t  mit 
den  wilden  Ochsen,  mit  den 
zuo  gelegener  Zeit  die  kuon 
wollen  gesehen  sein  zwischen 
schrancken  in  ein  sundern 
kampif  tretten,  und  ist  ein 
ritterlich  that,  so  er  den  Och- 
sen von  freyer  gewörter  band 
on  würfE  und  schüfs  umbringt ; 
ofEt  aber  ligen  die  grimmigen 
wilden  ochsen  ob,  dafs  man 
ein  kaum  erret  oder  gar  umb- 
kumpt. 

ä)  Matthäus  Küssel , 
Fuchs  -  und  Hasenprellen , 
veranstaltet  1658  in  Mün- 
chen zu  Ehren  Kaiser  Leo- 
polds I.  (Kulturg.  Bilderb.  V, 
N.  2631.) 


CTL  habil  d^   CnajJi. 
nach  J.  D.  Saint-Jean. 


358  ^-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Seltener  finden  die  Fürsten  an  der  Fischerei  Vergnügen.  Kaiser 
Maximilian  I.  -wufste  auch  diese  Art  von  Sport  wohl  zu  schätzen^),  aber 
in  späterer  Zeit  hat  man  die  Fischerei  nur  selten  noch  zu  den  höfischen 
Divertissements  gerechnet.")  Dagegen  erfreuen  sich  die  Wasserfahrten 
in  prächtig  geschmückten  Schiffen  hoher  Anerkennung.  Das  Schiff  der 
Herrschaft  ist  nach  Art  des  venezianischen  Bucentoro  gebaut ;  Schaluppen 
und  Brigantinen  begleiten  dasselbe;  die  Schiffsmannschaft  trägt  das 
Kostüm  holländischer  Schiffer.^)  Auf  solchen  Schiffen  erfreuten  sich  der 
König  und  Kurfürst  Friedrich  August  der  Starke  (f  1733)  der  Enten- 
jagd. Das  Fest  fand  auf  den  Teichen  bei  Moritzburg  statt;  die  für 
die  kurfürsthche  Jagd  auserwählten  Enten  und  Gänse  waren  mit  hohen 
Federbüschen  geschmückt.  Nachts  wurden  die  Teiche  und  Kanäle  illu- 
miniert; in  Buden  sind  Speise  und  Getränke,  Liköre  und  Konfitüren  ser- 
viert. Ein  anderes  Mal  machen  die  Herren  und  ihr  Hofstaat  eine  Wein- 
lese mit :  die  Winzer  ziehen  wohlgeputzt  vorbei,  werden  dann  bewirtet. 
Oder  die  Bauernknechte  müssen  nach  einem  Ringe  rennen ;  treffen  sie 
nicht,  so  gibt  die  Figur  ihnen  einen  Klaps  mit  dem  Dreschflegel  oder 
begiefst  sie  mit  Wasser.  Ein  anderes  Mal  müssen  sie  auf  ungesatteltem 
Pferde  versuchen,  einer  Gans  den  mit  Ol  glatt  gemachten  Hals  abzu- 
reifsen.^)  Hahnenschlagen.  Die  Bauernmädchen  versuchen  einer  Figur 
den  Kranz  im  Laufen  abzureifsen ;  die  Ungeschickten  werden  durch  eine 
Fontäne  von  unten  herauf  bespritzt.  Auf  Tannenbäumen  hängt  man 
Geschenke  auf;  nun  kommt  es  darauf  an,  an  dem  abgeschälten  geölten 
Stamm  hinaufzuklettern  u.  s.  w. 

So  ist  für  Unterhaltung  immer  gesorgt.  Florinus  gedenkt  dann 
noch  (S.  19)  der  Hofnarren  und  erwähnt  Marot  in  Frankreich,  Taub- 
mann in  Sachsen,  Jonas  am  Hofe  Ferdinands  IH.  Philipp  Hainhof  er 
traf  am  pommerschen  Hofe   zu  Stettin  1617    den  Hofnarren  Mitschke.  ^) 

Die  Vorliebe  für  die  Narren  ist  bereits  im  frühen  Mittelalter  nach- 
zuweisen. ^)  Man  fand  Gefallen  an  de^  gewöhnlich  sehr  unflätigen 
Späfsen  der  Narren  —  bezeichnende  Proben  findet  man  in  der  Zimmer- 
schen    Chronik   —  wie  man  sich  an  den  Unverschämtheiten  der  Zwerge 


1)  Weifskunig.  S.  98.  —  «)  J.  B.  von  Rohr,  a.  a.  O.  T.  IV,  Kap.  XIV,  §  1. 

')  Ebend.  §  2  u.  3.  —  Ein  Gemälde  der  Wasserjagd  des  Kurfürsten  Karl  Albert, 
die  1740  auf  dem  Stamberger  See  veranstaltet  wurde,  befindet  sicli  im  National-Museum 
zu  München. 

*)  Vgl.  den  Stich  nach  Hans  Bol.  Kulturg.  Bilderb.  in,  N.  1295. 

*)  Reisetagebuch  von  1617.  —  Balt.  Stud.  U.  2,  S.  55.  —  Vgl.  Job.  Cradelii, 
Precügt  bei  der  Leich  und  Begräbnifs  des  weyland  albern  und  unweisen  Herrn  Hanfs 
Miesko,  Fürstl.  Altstettinischen  Naturalis  Philosophie  und  kurtzweiligen  Tisch- 
Rathes  den  22  Dec.  1619.  Zweite  Aufl.  1678. 

8)  Höf.  Leben  «I.  207  ff.  —  Deutsches  Leben  im  14.  u.  15.  Jhdt.  S.  519  ff.  — 
Abraham  Kaestner,  De  voluptateum  artificibus,  von  Lustigmachern.  Lips.  1735.  Zu 
ihnen  zählt  der  Autor  (Bl.  42)  auch  »die  Leyermänner,  Bergsänger,  Studiosi,  vel  quasi, 
Pragenses,  qui  tempore  solennium  nundinarum  (bei  der  Leipziger  Messe)  huc  veniunt, 
atque  ostiatim  Musicam  perplexam  offerunt,  et  non  raro,  ubi  saltem  initium  fecerunt, 
repulsam  ferunt«.  —  Vgl.  K.  F.  Flögel,  Geschichte  der  Hofnarren.  Liegn.  1789  und 
desselben  Gesch.  des  Groteskkomischen.*  Lpz.  1888.  —  Das  Werk  von  Th.  Hampe 
über  die  fahrenden  Leute  (Leipz.  1903)  konnte  ich  nicht  mehr  benützen. 


3.  Unterhaltungen  an  den  Fürstenhöfen. 


859 


Jagdfest  auf  dem  Stamberger-See,  veranstaltet  1740  vom  Kurfürsten  Karl  Albert. 
Gemalt  von  Stuber.    (Im  National-Museum_zu  München.) 


360 


V.  Beschäftigunji  und  Unterhaltung. 


erfreute.  1)  Der  oft  wiederholte  Sehorz,  Zwerge  in  einer  Pastete  zu  ver- 
stecken, fand  immer  wieder  Beifall.-)  Taubmann  war  unzweifelhaft  ein 
geistreicher  Mann,  allein  die  Streiche  des  Friedr.  Wilh.  Frhrn.  v.  Kyau 
(1654—1733)  sind  doch  oft  recht  ül)el  duftend. 

An  vielen  dieser  Unterhaltungen  nahm  auch  aufser  dem  Adel  der 
Bürger  Anteil. 

4.  Unterhaltungen  der  Bürger. 

An  Stelle  der  Turniere  treten  nun  die  bürgerlichen  Schützenfeste,  an 
denen  auch  die  Fürsten  sich  von  alters  her  gern  beteihgten.^)  (S.  o.  S.  357.) 
Mit  dem  Bogen,  mit  der  Armbrust,  mit  dem  Feuerrohr  wird  nun  nach  dem 
Ziele  geschossen;  man  verteilt  Preise  an  die  besten  Schützen.  Auch  in 
dem  Gebrauch  der  Kanonen  übten  sich  die  waffenfähigen  Bürger.  Da 
gab  es  allemal  viel  zu  sehen,  viel  Gelegenheit  zu  Schmaus,  Trunk  und  Tanz. 

Dafs  die  Zünfte  und  die  Gesellschaften  in  den  Städten  wenigstens 
einmal  im  Jahre  für  ihre  Mitgüeder  und  deren  Angehörige  Lustbarkeiten 
veranstalteten,  ist  sicher.-^) 

Nächst  dem  Essen  und  dem  nicht  minder  wichtigen  Trinken  erfreute 
die  Gesellschaft  am  meisten  der  Tanz.^)  Solange  wir  zurückschauen, 
immer  und  zu  allen  Zeiten  hat  zmual  die  Jugend  an  dem  Tanze  ein 
ganz  besonderes  Wohlgefallen  gehabt.  Man '  unterscheidet  Reigen  und 
Tänze.     Bei  dem  Reigen  fafsten  die  Teilnehmenden  mit  beiden  Händen 

ihre  Genossen  an,  immer  ein 


Mann,  dann  ein  Weib  u.  s.  w. 

1)  Höf  Leben  ^I.  —  Vgl.  über 
den  Zwerg  Hans  AVorrenberg  (1687) 
in  Kurios.  III.  39  ff.  und  über  Zwerge 
im  allgemeinen.  Ebend.  III.  40  fi". 

*)  Kurios.  I.  202.  —  Kurios. 
II.  90. 

s)  Deutsches  Leben  etc.  440  ft'. 

A.  Edelmann,  Schützenwesen 
und  Schützenfeste  der  deutschen 
Städte  vom  13.  bis  18.  Jahrhundert. 
München  1890. 

Festschiefsen  in  Zwickau  1573. 

—  Kulturg.  Bilderbuch  11.  N.  1115. 

Armbrustschiefsen  in  Nürn- 
berg 1650,  gest.  von  Lukas  Schnitzer. 

—  Ebend.  IV.  N.  2258. 

Stückschiefsen  in  Xürnl)erg 
1671,  gest.  von  Georg  Christoph  Eim- 
mart.  —  Ebend.  V.  N.  2673. 

*)  S.  o.  S.  218. 

6)  Höf  Leben  ^i.  544  ff.  ; 
Deutsches  Leben  etc.  488  ff.  — 
Böhme,  Gesch.  d.  Tanzes  in  Deutsch- 
land. Leipz.  1886.  —  Czermnski,  Die 
Tänze  des  16.  Jahrhunderts.  Danzig 
1S78.   _   Karl  Storck,  Der  Tanz.  - 


Tanz  der  Saiome  vor  Herodes,  c.  1140.    Kapitell  aus  dem  ^i^„^„r.  Q  "Rißlof  n   T  n7   1903 

Kreuzgange  von  S.  Semin  zn  Toulouse.   (Museum  in  Toulouse.)    Hlustr.  Monogr.  J.  Bielet.  U.  Lpz.  lyUd 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger. 


361 


Der  an  der  Spitze  gehende  Vortänzer 
machte  die  Pas  vor,  die  jeder  einzelne  nach 
seinem  Können  nachzmnachen  hatte.  Dafs 
es  bei  solchem  Reigen  nicht  immer  ganz 
dezent  zugegangen  ist,  ^nrd  uns  häufig  er- 
zählt^); es  kommt  eben  darauf  an,  in 
welchen  Kreisen  der  Tanz  stattfand :  die 
Bauern  haben  ihrer  Lust  wohl  freier  die 
Zügel  schiefsen  lassen  als  die  Hofgesellschaft. 
Während  der  Reigentanz  allmählich  immer 
mehr  verschwand,  endlich  blofs  als  Kinder- 
spiel fortlebte,  ist  der  eigentliche  Tanz,  d.  h. 
die  Form,  dafs  die  Paare  hintereinander 
herschreiten  und  wiederum  die  vom  Vor- 
tänzer gewiesenen  Schritte  und  Touren  be- 
folgen, mehr  und  mehr  zur  Geltung  gelangt; 
er  existiert  ja  heute  noch  in  der  Form  der 
Polonaise.  Bei  den  Tänzen  des  15.  und 
16.  Jahrhunderts  schritten,  wenn  es  sich  um 
ein  Fest  handelte,  Fackelträger  der  Reihe  der  Tanzenden  voraus.  Das 
war  aber  keineswegs  das  Privilegium  des  Hochadels;  auch  der  niedere 
Adel,  ja  die  Bürger  haben  den  Fackeltanz  gekannt,  der  im  Laufe  des 
16.  Jahrhunderts  wieder  verschwindet  und  nur  in  einzelnen  Fürsten- 
familien bis  auf  die  Gegenwart  bei  seltenen  Gelegenheiten  noch  im  Ge- 
brauch geblieben  ist.  ^^_ 

Es  würde  hier  zu  weit  führen,      ^-=— 
wollten  mr  alle  die  Tänze  anführen^). 


Hans  Schänffelein,  Hochzeitstanzer. 


')  Geiler  von  Keysersberg :  Das  war 
nicht  des  Tanzens  wie  man  hier  pflegt,  wo 
man  durch  einander  läuft  als  sey  man 
unsinnig  und  die  Männer  die  Weiber  auf- 
schwenken, das  man  sieht,  was  weifs  ich, 
wohin,  sondern  als  man  in  welschen 
Landen  tanzet,  da  nur  ihrer  zwei 
zusammen  tanzen,  wobei  es  gar  züch- 
tig zugeht  ....  Aber  mit  unserm  Tanze 
geht  man  nur  um,  wie  mit  einem  Gaukel- 
werk. Da  heifst  es :  das  ist  ein  köstliches 
Ding,  dafs  man  einer  den  Vortanz  giebt. 
Der  ihr  den  giebt,  dem  giebt  sie  ein  Kränz- 
lein; des  rühmet  er  sich  und  spricht,  es 
wäre  20  Gulden  werth.  —  Kuriositäten 
IX.  540. 

2)  Joh.  Münster,  Gottseliger  Tractat 
von  dem  ungottseligen  Tanz.  Hanaw.  1602. 

Bonnet,  Histoire  generale  de  la 
danse,  sacree  et  i)rophane  .  .  .  Paris  1723. 
De  Cahusac ,  La  danse  ancienne  et  mo- 
derne ou  traite  historique  de  la  danse. 
La  Haye  1754. 


Heinrich  Al(k>;4re\or,   Iloch/.eitstiinzei'. 


362 


V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 


deren  Namen  uns  bekannt  ist,  deren  unterscheidenden  Charakter  wir 
jedoch  nicht  festzustellen  vermögen.  Auch  in  den  Bürgerkreisen  scheint 
gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  vielfach  bei  Gelegenheit  des  Tanzes 
Unschickliches  vorgekommen  zu  sein. 

Die  Sittenprediger  tadeln  das  Emporheben  und  Schwenken  der 
Tänzerinnen,  Sitten,  die  sich  ja  hier  und  da  auch  noch  bei  den  Bauern- 
tänzen unserer  Zeit  vorfinden.  Denn  auch  in  alten  Zeiten  entlehnte  die 
vornehme  Welt  ihre  Tänze  den  Bauern,  wie  die  Landleute  ihrerseits  die 
der  oberen  Klasse  nachzuahmen  suchten. 

»0  mein  lieben  Gast,  ich  sähe  wol  den  Bettlerdantz  auch  wol 
grosse  herren  dantzen  und  den  Philippinadantz  dantz  auch  wol  ein 


Tanz  1403.     (Nach  Hartmann  Schedels  Weltchrouik.) 


Bawer«  (Fischart,  Geschichtsklitt.-Neudr.  S.  6).  Man  liebte  schon  im 
16.  Jahrhundert  allerlei  auch  von  den  fremden  Nationen  gelernte  Tänze. 
Deutsch  sind  die,  von  denen  Fischart  (Gesch. -Kl. -Neudr.  S.  122)  spricht: 
» auch  ihr  Nörnbergische  Geschlechterdäntz,  die  kein  herumb- 
spänlein  leiden  können.  Hie  ist  ein  ander  Tantzschul,  auch  ein  anderer 
Schweitzerischer  Buffe,  der  mit  einer  Elenlanghabigen  Fochtel 
und  mit  ausgestreckten  Contractem  ungebogenen  Arm  daher  vordantzet 
oder  vortritt:  Hie  gilts  den  Scharrer,  den  Zäuner,  den  Kotzen- 
dantz,  den  Moriscen,  den  schwartzen  Knaben,  der  gern  das 
braun  Meidlein  wolt  haben,  ja  haben,  wann  mans  ihm  geb.«  Dabei  aber 
fand  man  Gefallen  an  den  spanischen  Tänzen  der  Algarde  und  der 
Passionesa  (Barth.  Sastrow.  H.  85).  Die  französischen  erforderten 
grofse  Gewandtheit.    Es  kamen  da  auf  »newe  däntz,  Newe  sprüng,  newe 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger. 


363 


Passa   repassa,    newe    hoppeltäntz«  i),    die  Leute    »branlirten,   gamba- 
dirten,  Cinqpassirten,  Capricollirten«.^) 

Manche  dieser  Tänze  mochten  den  frommen  Reformierten  ein 
Greuel  sein,  wie  Fischart  spottet,  dafs  »den  Podagramischen  dörfen  die 
Genfer  das  Guilleartdantzen  (die  Gaillarde)  und  die  Fuiswizerende 
capricoHschen   Gaissprüng   nicht   verbitten«.^)     Dieser    heitere  Tanz   der 


Fackeltanz.     Ans  Rodler,  Turnierblich.     (Simmeni  1532.) 


Gaillarde  erfreute  sich  nicht  nur  in  Frankreich,  sondern  auch  in  Spanien, 
England,  Deutschland  grofser  Beliebtheit.^) 


')  Fischart,  Geschichtskl.-Neudr.  305. 

2)  Ebend.  122. 

»)  Podagr.  Trostbüchl.  —  Kloster,  X.  653. 

*)  Aus  dem  15.  Jhdt. ;  Der  Tanz  der  Tochter  der  Herodias  von  Israel  von 
Meckenen.     (Deutsches  Leben.    Fig.  509.) 

Aus  dem  16.  Jhdt. :  Der  Tanz  im  Münchener  Schlosse  1500  von  M.  Zasinger. 
(Ebend.  Fig.  510.) 

Ball  in  der  Hofburg,  1560.  —  Kulturg.  Bilderbuch  II.  1028. 


364 


V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 


Tanz,    (,'rispiii  de  Passe  sc.  —  Im  Stammbuch  der  jungen  Gesellen  (1617). 

Eine  gewisse  Grazie  gehört  natürlich  dazu,  soll  der  Tanz  hübsch 
anzusehen  sein.  »(Es)  stehet  vielen  so  trefflich  an  als  wann  ein 
Schweitzer  q  (Kuh)  ein  Wälschen  Passametzzo  tantzet.t  Von  den 
italienischen  Tänzen  erzählt  uns  austuhrhch  Guarinonius:  »Jetzt  wil 
ich  allein  von  Welschen  Tantz  etwas  mit  kurtzen  melden,  meystens 
welcher,  weil  er  allein  und  von  allen  AVeibsbildern  abgesonderter  und 
täghch  auff  den  Tanzschulen^)  geschieht,  dafs  er  der  allerbest 
und  fürtreffentlich  ist  zu  guter  Leibesübung  wie  dann  die  fürnem- 
meren  Potentaten  Teutschlands  an  ihren  Höfen  dergleichen  welsche 
Tantzmeister,  von  welchen  die  Jugend  und  edle  Knaben  unterrichtt 
werden,  halten.  Und  ist  ein  solcher  ein  behende,  zierliche  auch  züchtige 
Übung  zwar  des  gantzen  Leibs,  insonderheit  aber  der  Füfs  nach  Be- 
hendigkeit der  Music  und  doch  jederzeit  dem  Tact  nach  hin  und  wider, 
in  die  runde,  zu  ruck,  für  sich,  hinter  sich,  auf  die  Seiten,  in  Lüfften 
und  aller  massen  sich  bewegen  und  den  Leib  überaufs  wol  und  mit 
gutem  Lust  in  Anhörung  der  Music  ergetzen.  Solcher  Tantz  hafftet 
aller  in  fünf  oder  siben  Schritten,  welche  das  Fundament  des  gantzen 
Tantzs  seyn,  wirdt  alles  zier  halber  und  mit  grosser  Behendigkeit  dareyn 
gebracht,  dafs  es  allzeit  wider  auff  den  Tact  fünf  oder  siben  Schritten 
komme,  welche  besondere  Form  sie  Partidas  nennen  etc.  Und  ob  wol 
auch  der  Teutsche  Tantz,  wer  ihn  recht  tantzen  will,  nach  dem  Tact 


Tanz    am  Hofe  Heinrichs  IH.  von  Frankreich    (bei  K.  Storck,  Der  Tanz.   S.  65). 

Abraham  de  Bosse,  Der  Ball.  —  Ebend.  UI.  N.  1689. 

Darstellung  eines  Fürsten balles  im  Haag  von  Jeroom  Janssens  gen.  Le  Danseur 
(Antwerpen  1624 — 93),  Gemälde  aus  der  Sammlung  Heinr.  Lempertz",  versteigert  in 
Köln  17. /X.  1898.  Es  tanzt  nur  ein  Paar.  —  Weitere  ähnliche  Gemälde  zählt  K.  Woer- 
mann,  Gesch.  d.  Malerei  HI,  495,  auf. 

Nicolas  Laueret  (1690—1743),  Le  Bai  und  le  Moulinet  (bei  Storck  a.  a.  O.  S.  96,  97). 

')  Stammbuch  der  jungen  Gesellen  (1617). 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger. 


365 


mufs  und  gehen  soll,  jedoch  so  hat  er  kein  geschick,  wenn  man  nit 
eins  an  der  hand  tantzend  führt,  das  man  hinnach  schleppe,  und  wir 
Teutschen  bey  tisch  nicht  lange  ohne  Kandel  und  Wein  oder  Glafs  in 
Händen  sitzen  mögen,  also  auch  nit  tantzen  ohne  Weib  an  der  seiten, 
darumb  auch  solcher  Tantz  mehr  ein  gebandter  und  gezwungener  als 
ein  Feyrtantz  und  aber  der  Zeit  ein  verwürtes  lauffen  und  strieten  mehr 
als  ein  Tantz  genennet  werden  solle.«  (S.  1194.) 

Es  scheint  also  in  Italien  der  Solotanz  schon  übhch,  während  in 
Deutschland  noch  der  Tänzer  seine  Dame  an  der  Hand  führte. 

In  den  besseren  Bürgerkreisen  waren  die  Tänze  durchaus  anständig. 
1530  hatten  allerdings  Kaufleute  in  Danzig  »einen  nackenden  tantz,  so 
sie  Adams  und  Evae  genannt«  aufgeführt,  aber  das  war  in  Polen  ge- 
schehen.^) Und  die  Tänze,  von  denen  Zeiler  weiter  erzählt,  sind  doch 
nur  für  auserwählte  Kreise  zugänglich  gewesen.  Zeiler  berichtet,  /dafs 
man  zu  Venedig  und  an  vielen  andern  Orten  kein  Bedencken  trage, 
Töchter  von  15  Jahren  gantz  nackend  tantzen  zu  lassen,  welches  sie 
von  der  grossen  Dame  de  l'Isle  d'Ayty,  genannt  Anacharna,  erlernet 
hätten,  welche  damit  die  jungen  Leuth  entzündete,  einen  öffentlichen 
Tantz  von  300  jungen  Mägdlein,  so  gantz  nackend,  überaufs  schön  und 
in  dem  Alter,  dafs  sie  solten  verhey ratet  werden,  angestellct  hat«.^) 

Bei  den  Baüerntänzen  ging  es  um  so  ausgelassener  zu,  wenn  wir 
dem  Pastor  Florian  Daule  von  Fürstenberg  glauben  dürfen,  der  den 
»Tantzteufel«  verfafste.  (Frankf.  a.  M.  1567;  —  im  Theatrum  diabolorum 
—  Frkf.  1585.)  Die  Herren  Pastoren  waren  übrigens  nicht  alle  so  streng, 
und  mancher  machte  bei  festlichen  Gelegenheiten  ein  »Täntzlein«  mit. 
Einem  Geisthchen  unter  dem  Kurfürsten  von  der  Pfalz  Friedrich  III. 
(1559 — 76)  hätte  das  aber  doch  beinahe  seine  Pfarre  gekostet.^) 

»)  Zeiler,  Hdb.  437.  —  ^)  Ibid.  —  »)  Exilium  Melancholiae  das  ist  Unlust -Ver- 
treiber  (Strafsburg  1643),  R.  465,  N.  5 


Crispin  de  Passe  sc.  (1G17):  Tanz.     Im  Stammbuch  der  jungen  Gesellen  (KitT). 


366  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Im  17.  Jahrhundert  kamen  die  Quadrillentänze  auf.  Zwar  erhielten 
sich  noch  lange  Zeit  die  alten  Formen,  dafs  ein  oder  einige  wenige 
Paare,  jedes  für  sich,  die  künstlichen  Figuren  ausführte,  aber  mehr  und 
mehr  wird  es  zur  Gewohnheit,  aus  mehreren  Paaren  eine  gemeinsame 
Gruppe  zu  bilden,  die  nun  allein  und  gemeinsam  die  Tanzbewegungen 
vorführt.  Merkwürdig  erscheint  es,  dafs  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
die  Männer  mit  dem  Hute  auf  dem  Kopfe  zu  tanzen  pflegen.  Neben  der 
Gavotte  und  Sarabande  T\drd  dann  das  Menuett  mit  allen  seinen  Abarten 
in  den  Kreisen  der  Vornehmen  beliebt.  Im  18.  Jahrhundert  lernten  die 
jungen  Leute  entweder  deutsch  oder  englisch  oder  französisch  tanzen.^) 
Französische  Tänze  sind  der  Courant  (gewöhnhch  die  courante  genannt), 
simple  und  figure,  das  Menuett,  das  Passepied,  Aimable  Vainqueur, 
Charmant  Vainqueur,  Guastalla,  Menuet  d'Anjou,  Menuet  Alhde,  Le  Con- 
tretems  (ob  das  nicht  der  spätere  Contredanse  ist?)",  Menuet  figure, 
Menuet  en  quatre,  La  princesse,  die  Bourree,  Rigaudon,  Gavotte.  ^)  Das 
Frauenzimmer-Lexikon  von  1739  setzt  hinzu  noch  »Rondeau,  Sarabande, 
Allemande,  Anglaise,  Polonaise  u.  dgl.,  deren  fast  alle  Monate  in  Frank- 
reich neue  erfunden  werden«."*) 

Als  englische  (?)  Tänze  bezeichnet  der  Autor  des  Frauenzimmer- 
Lexikons  den  Schiefstanz,  Leiertanz,  Nonnentanz,  Jalousietanz,  Grofsvater- 
tanz,  Winktanz,  Lichttanz,  Hahnentanz,  Reverenztanz  u.  s.  w.  Als  Unter- 
schied der  enghschen  und  französischen  Tänze  wird  angeführt,  dafs 
erstere  »mit  vielen  Personen  getanzet  werden«. 

Die  Rundtänze  scheinen  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts aufgekommen  zu  sein.  Von  diesen  Gesellschaftstänzen  wohl 
zu  unterscheiden  sind  die  Kunsttänze,  die  in  den  Balletts  vorgeführt 
wurden.  Die  Balletts  sind  aller  Wahrscheinhchkeit  nach  in  Itahen  er- 
funden worden,  wurden  im  16.  Jahrhundert  in  Frankreich  bekannt  und 
bald  so  behebt,  dafs  selbst  Könige  wie  Ludwig  XIII.  und  Ludwig  XIV. 
in  seiner  Jugend  an  ihnen  sich  beteiligten,  s)  Später  jedoch  überliefs 
man  die  Aufführung  dieser  Schauspiele  lediglich  geschulten  Kunsttänzern.^) 
An  den  Fürstenhöfen  erfreuten  sich  diese  Schaustellungen  im  17.  und 
18.  Jahrhundert  grofser  Behebtheit.    (S.  o.  S.  349.) 

Eine  Art  von  Konzert  veranstaltete  1643  in  Nürnberg  der  Gymnasial- 
direktor Prof.  Dr.  Joh.  Michael  Dilherr.') 

Weitere  Kreise  fanden  ihre  Unterhaltung  bei  der  Aufführung  der 
Schauspiele,  die  von  Zeit  zu  Zeit  durch  Liebhaber  aufgeführt  wurden.  ^) 

1)  Frauenzimmer-Lexikon  von  1715  und  von  1739  unter  dem  Worte  Tanzen. 

')  D'Aubat  S.  Flour,  löO  contredanses  en  rond  etc.     Gand  vers  1757. 

»)  Frz.-Lex.  1715,  Sp.  1960. 

*)  Frz.-Lex.  1739,  Sp.  1597.  —  ^)  Ballets  et  Mascarades  de  cour  de  Henri  IV  ä 
Louis  Xm  (1581  —  1652)  recueillies  et  publies  .  .  .  par  M.  P.  Lacroix.  Geneve  1868. 
—  Abb.  von  Balletts  bei  K.  Storck,  Der  Tanz,  (Bielef.  u.  Leipz.  1903)  S.  74,  75,  76. 

«)  Der  Tanz  der  Camargo,  gemalt  v.  Nicolas  Lancret,  in  der  Galerie  v.  Sanssouci. 

')  Kurios.  IV.  365  fE. 

8)  Vgl.  P.  Lacroix,  Sciences  et  belles  lettres  au  moyen-äge  et  ä  l'epoque  de  la 
renaissance  (Paris  1877),  S.  533  ff.  —  Über  das  Theater  in  Venedig  vgl.  P.  G.  Molmenti, 
I,a  vie  privee  ä  Venise  (Ven.  1882)  350  fP.,  510  ff. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger. 


367 


Das  ausgehende  Mittelalter  hatte  an  den  Passionsspielen  Anteil  genommen 
und  über  die  oft  genug  mehr  als  derben  Scherze  der  Fastnachtsspiele 
gelacht.     Seit    dem    16.   Jahrhundert    werden    diese    populären    witzigen 


Gelegenheitsstücke  durch  die  von  Gelehrsamkeit  und  Tugend  erfüllten 
Schvilkomödien  abgelöst,  ^j  ßibhsche  Stoffe  oder  Motive  aus  der  alten 
Mythologie,  Geschichte  u.  s.  w.  wurden    in    lateinischer,    später  auch  in 


1)  Rache,  Die  deutsche  Schulkomödie.  Lpz.  1891. 


368  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

deutscher  Sprache  bei  festhchen  Gelegenheiten  aufgeführt.  So  spielte 
man  in  Köln  am  ll  Januar  1561  die  Komödie  Susanna^),  und  in  Breslau 
wurde  die  Einweihung  des  neuen  Elisabeth-Gymnasiums  1562  am  29.  Jan. 
mit  der  Aufführung  der  »Comoedia  von  Cain  und  Abel«  festlich  gefeiert.^) 

Viel  formvollendeter  war  die  Darstellung  der  Berufsschauspieler. 
Paumgartner  schreibt  1582  den  15.  Dez.,  dafs  er  in  Lucca  in  der  Weih- 
nachtszeit Komödien  sehe,  die  bis  »4  uhr  inn  die  nacht«,  d.  h.  bis  9  Uhr 
abends,  dauern.  Nach  Weihnachten  werden  andere  Schauspieler  erwartet. 
In  Frankfurt  a.  M.  sieht  er  dann  1592  die  englischen  Komödianten'^), 
die,  wie  bekannt,  seit  1580  in  Deutschland  ihre  Stücke  aufführten.  Er 
schreibt  seiner  Frau  am  13.  September  unter  anderm:  »Die  haben  so 
ein  herliche,  guette  musicha  unnd  sinnd  sie  so  perfect  mit  springen, 
tantzen,  deren  gleichen  ich  noch  nye  gehoertt  noch  gesehen  hab.« 
»Sind  sonst  ob  10  in  12  personen,  khostlich  und  herrlich  wol  geklayded.« 
Sehr  interessant  ist,  was  Guarinonius  über  diese  Schauspiele  sagt.  Er 
hat  schon  S.  213  »die  Comoedien,  Tragoedien  und  Schawspiol«  erwähnt 
und  fährt  dann  fort  (S.  214) :  »Dergleichen  schaw-  und  hörspiel  seyn  der 
Zeit  in  Teutschland  zu  finden  und  dern  Comoedianten,  wie  ich  selbst 
gesehen,  aufs  den  Nider-  und  Engelländischen  Stätten,  so  von  eim  ort 
zum  andern  herumbziehen  und  ire  je  lächrige  bossen  und  gauckelspiel 
(doch  ohne  ungebür)  umb  das  geld  denen,  so  es  zu  sehen  unnd  hörn 
begeren,  zimlicher  massen,  so  viel  man  in  Teutscher  Sprach  und  geberden 
zuwegen  bringen  kan.  verrichten,  jenen  bofsierlichen  Schnackenreissern 
gleich,  die  fast  in  allen  Stetten  Welschlands,  sonderhch  zu  Venedig, 
alle  abend  auff  den  platzen  ire  Seiffenkugel  und  andere  Sachen  ver- 
kauffen  und  das  Volk  mit  iren  bossen  etlich  Stund  allda  auffhalten,  zu 
Welsch  die  Ziarlatani  (ciarlatani),  von  Ziärlare,  genannt,  das  heist 
schwetzen,  allda  zwey,  drey  oder  mehr  person  als  etwan  ein  Magnificus  oder 
Venedischer  Burger,  sonsten  meister  Pantalon,  welcher  der  Herr,  und 
Zane  sein  Knecht  ire  lustige  bossen,  gesprächen,  geberden  und  der- 
gleichen fürbringen,  darob  einer  lachen  mufs,  es  sey  ihm  heb  oder  leid.« 
Dann  gedenkt  er  der  Theateraufführungen  in  den  Jesmtenschulen. 

Sehr  merkwürdig  ist  ein  Gemälde  von  Giles  Tilborgh  (Brüssel, 
1625  —  c.  1678),  das  eine  Komödie  unter  freiem  Himmel  auf  dem 
Marktplatze  darstellt.  Die  Schauspieler  haben  eine  niedere  Bühne  auf- 
geschlagen; spanische  Wände  ersetzen  die  Kulissen. 

Eine  Vorstellung  von  diesen  italienischen  Possenspielen  gibt  uns 
Jaques  Callot  in  den  Radierungen  N.  626—629;  Theaterszenen  bietet  er 
dann  in  den  Blättern  629  a  — 632.^) 

Die  EntT\icklung  der  Schauspielkunst  bei  den  verschiedenen 
Völkern  weiter  zu  verfolgen,  kann  nicht  unsere  Aufgabe  sein.  ^)    Es  mag 


»)  Buch  Weinsberg  n.  117. 

ä)  Nie.  Pol,  Hemerol. 

=>)  Vgl.  die  Literatur  bei  Karl  Goedeke  Grundrifs  *     II.  543  ff. 

*)  Ed.  Meaume,  Jacques  Callot.  Paris  1860.     S.  301  ff. 

*)  Paul  Lacroix,  XVIIme  Siecle.  Institutions,  Usages  et  Costumes  (Paris  1880). 
Chap.  XV.  S.  489  ff.  Besonders  der  Abbildungen  wegen  beachtenswert.  —  P.  Lacroix. 
XVIII  me  Siecle.     Institutions,  Usages  et  Costumes  (Paris  1875).    Chap.  XVI.  S.  405  ff . 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  369 

nur  noch  darauf  hingewiesen  werden,  dafs  die  beste  Scliilderung  der  in 
Frankreich  um  den  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  so  behebten  itahenischen 
Schäferspiele  die  Gemälde  und  Zeichnungen  des  grofsen  Antoine  Watteau 
uns  zu  geben  vermögen. 

Das  Theater  des  Königs  von  Frankreich  begann  nach  der  Ordon- 
nance vom  November  1609  um  2  Uhr  nachmittags,  unter  Ludwdg  XIII. 
um  3  Uhr,  unter  Ludwig  XIV.  um  5  Uhr.  Im  Jahre  1714  gingen  die 
Herrschaften  des  französischen  Hofes  um  7  Uhr  zur  Komödie.^) 

Die  Oper,  entstanden  in  Italien  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts, 
hatte  nach  Beendigung  des  Dreifsigjährigen  Krieges  auch  in  Frankreich 
und  Deutschland,  bald  auch  in  aUen  andern  Kulturländern  Europas 
Eingang  gefunden.  Meist  ist  indessen  die  Pflege  dieses  Kunstzweiges 
an  die  Höfe  gebunden,  denen  die  Mittel  zur  Verfügung  standen,  so  kost- 
spiehge  Genüsse  sich  zu  bereiten.  (S.o.  S.351.)  Das  erste  stehende  Theater,  das 
nicht  von  einem  Fürstenhofe  abhängt,  ist  das  1686  erbaute  zu  Ham- 
burg. An  dieser  Stätte  wurde  auch  die  Oper  mit  Erfolg  gepflegt.-)  In 
Nürnberg  wurde  am  16.  Juni  1628  »die  erste  Comödie  gehalten  im  neu- 
erbaueten  Schauspielhause  oder  Theatro  auf  der  Schutt  bei  dem  Wild- 
bad«.    Die  Erträge  kamen  dem  H.  Geist-Spitale  zugute.'') 

An  ahen  diesen  Kunstgenüssen  hatten  indessen  doch  immerhin  nur 
wenige  Anteil.  Dagegen  gab  es  viel  mehr  zu  sehen,  wenn  Seiltänzer 
und  andere  Künstler  sich  öffenthch  produzierten.  Das  ganze  Mittelalter 
hindurch  hatten  die  fahrenden  Leute  mit  ihren  ganz  anerkennenswerten 
Kunststücken  die  vornehme  und  die  geringe  Gesellschaft  erfreut  und 
erheitert.'')  Jetzt  kamen  sie  mit  Vorliebe  in  die  Städte,  um  da  mit  ihren 
Leistungen,  zumal  zur  Zeit  der  grofsen  Märkte,  Geld  zu  verdienen.  Da 
wurden  künsthch  dressierte  Pferde  vorgeführt 0),  Affen ß)  und  Bären') 
machten  ihre  Kunststücke^),  Gaukler,  Feuerfresser  und  Taschenspieler, 
Springer  und  Seiltänzer^)  hefsen  sich  sehen  und  fanden  bei  dem  keines- 
wegs übersättigten  Pubhkum  Beifall  und  Anerkennung.  ^°)  Einige  Kunst- 
stücke wurden  da  gezeigt,  die  heute  kaum  noch  irgendwo  zu  sehen  sein 
mögen;  dahin  gehören  die  Leistungen  der  Wasserspeier,  von  denen 
Abraham   a  Santa   Clara    (Etwas  für  Ahe  954)    zu   erzählen   weifs.     Die 


»)  Alfr.  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois.  —  Variöt^s  gastronomiques  (Paris 
1891).   S.  117. 

*)  Leben  einer  deutschen  Frau  etc.    165. 

»)  Kuriositäten  V,  551.  Vgl.  F.  E.  Hysel,  Das  Theater  in  Nürnberg  1612—1863. 
Nürnb.  1863.  —  Cf.  Kurios.  X.  437. 

*)  Höf.  Leben  ^l.  564  ff. 

6)  Fischart,  Praktik  7:  wie  ein  Neapolitanisch  pferd  dantzt.  —  28:  Dantzend 
pferd  zuo  Neaples.  —  Ein  Kunstreiter,  Christian  Müller  —  zu  Nürnberg  1647.  Kulturg. 
Bilderb.  IV,  N.  2228. 

«)  Affe.  1625.  —  Kulturg.  Bilderb.  III,  N.  1658. 

'')  Hans  Burckmair,  Bärenführer  —  Ebend.  II,   N.  737. 

8)  Elefant  1629.  —  Ebend.  IH,  N.  1658. 

»)  Palaestra  Noribergensis  cum  Heuducci  Funambuli  miris  spectaculis.  Das  Fecht- 
haus in  Nürnberg  mit  dem  wunderbaren  Seiltänzer  1652.  J.  A.  Graff  ad  vivum  delineavit 
et  excudit.  —  S.  Kulturg.  Bilderb.  IV,  N.  2257. 

'")  Leben  einer  deutschen  Frau.    166  ff. 


Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


24 


370  ^'-  ßt"scliät'tigun>;'  und  Unterhaltung. 

Leute  schluckten  Wasser  und  liefsen  dann  allerlei  Wein,  Branntwein, 
wohlriechende  Wasser  aus  ihrem  Munde  sprudeln.  Ein  berühmter 
Künstler  dieses  Faches  war  ?>lasio  Manfrede  von  Nobe,  ein  Malteser,  der 
sich  1650  in  Memmin.ü'on  jtroduzierte.  ^)  Eine  Ankündigung  seiner  Vor- 
stellungen und  ein  Porträt  des  Künstlers  ist  in  Ilirllis  Kulturg.  Bilder- 
buch V,  N.  2643,  2644  mitgeteilt.-)  Aber  Manfred  war  wohl  der  be- 
rühmteste, jedoch  keineswegs  der  einzige  Vertreter  dieses  Faches.  In  dem 
»grossen  Schauplatz  Lust-  und  Lehrreicher  Geschichte«,  Frkf.  1664,  T.  VI, 
S.  95,  Werden  noch  ein  Weib  in  den  Niederlanden  und  ein  Wallone  als 
Meister  gepriesen.  Ein  Künstler,  der  durch  viele  Reifen  einen  Sprung 
zu  machen  versteht  —  etwa  den  Fafsspringern  unserer  Schaubühnen  zu 
vergleichen"^)  —  zeigte  sich  den  Schaulustigen. 

Gab  es  auch  nicht  alle  Tage  etwas  Neues  zu  sehen,  so  fehlte  es 
doch  hin  und  wieder  auch  nicht  ganz  an  abwechselnden  Schaustellungen. 

Für  gewöhnlich  jedoch  w'aren  die  Leute  der  früheren  Jahrhunderte 
darauf  angewiesen,  selbst  dafür  zu  sorgen,  dafs  sie  die  Stunden  der  Ruhe, 
die  ihnen  nach  Besorgung  ihres  Tagewerkes  übrigblieben,  in  einer 
ihnen  zusagenden  Weise  verbrachten.'*)  Schon  früher  ist  darauf  hinge- 
wiesen worden,  dafs  man  von  alters  her  darauf  Gewicht  legte,  den  Kindern 
Musikunterricht  erteilen  zu  lassen.  ^)  (S.  o.  S.  204.)  Die  Hausmusik  spielt 
deshalb  eine  so  grofse  Rolle,  weil  sie  hauptsächlich  bestimmt  war, 
für  die  Unterhaltung  der  ganzen  Familie  und  im  Notfalle  auch  der 
Freunde  zu  sorgen.  Man  liebt  es  zu  singen ;  nicht  blofs  einzelne  Familien- 
glieder gaben  ihre  Lieder  zum  besten  ^),  sondern  auch  der  mehrstimmige 
und  Chorgesang  wurde  gepflegt.'^)  Zur  Begleitung,  wenn  man  ihrer  be- 
durfte, wurde  die  Laute,  die  Guitarre  geschlagen.     Oder  eine  ganze  Ge- 


1)  M.  Zeiler,  Hdb.  III.  194.  —  John  Elliot  Hodgkin  hat  in  seinen  »Rariora«  (London 
o.  J.  [1902])  I  ein  Porträt  des  Künstlers  nach  Wenzel  Hollar  gebracht  (Taf.  z.  S.  46). 
Er  nennt  ihn  Blasius  de  Manfre.  Sein  Schüler  war  Florian  Marchand  >le  Grand 
Boyeur  de  Tours«.     Um  1680   tritt   dann   in  Nürnberg   auf   Filippo  Giuhano  Do-  Scoto 

Romano. 

*)  Vgl.    Darstellung   des  Artisten  Filippo  Giulio  Scotto.     Th.  Hirschmann  fec. 

')  Kunstg.  Bilderb.  IH,  N.  1452,  aus  den  Trois  dialogues  de  l'exercice  de  sauter 
et  voltiger  en  l'air  par  Arcange  Tuccaro.     Paris  1599. 

Sonst  waren  allerlei  Mifsgeburten  zu  sehen :  H.  Burgkmair  1516.  Kulturg. 
Bilderb.  H,  N.  599.  —  Das  Wunderkind  Margarete  Weifs  (geb.  1539).  Ebend.  11, 
N.  981.  —  Der  Wundermann  Karl  Kaltenbrunn  1566.  Ebend.  II,  JST.  1099.  —  Bärtige 
Frauen,  wie  Helena  Antonia  von  Lüttich.  —  Ihr  Porträt  gest.  von  Dom.  Custodis. 
Ebend.  IH,  N.  1463.  —  Vgl.  auch  (Vulpius)  Kurios.  I.  64,  572;  IL  383.  —  Auch 
unglückliche  Krüppel  liefsen  sich  für  Geld  sehen.  —  Kurios.  HL  374 ff.;  IV.  188,  550 ff. 

*)  Belustigung  vor  das  honette  Frauenzimmer  und  Junggesellen,  zum  anmuthigen 
Zeit-Vertreib,  bey  zulassiger  Compagnie,  vor  artigen  Schertz-Fragen  und  nachdenck- 
licher  Antwort,  seltzamen  Hof-Streichen  und  klugen  auserlesenen  Lehr-Sprüchen, 
o.  0.  1715. 

')  Der  junge  Gargantua  spielt  die  Laute,  das  Spinett,  die  Harfe,  die  deutsche 
Querpfeife,  die  polnische  Sackpfeife,  »den  Braunschweiger  Hermele,  die  sie  in  die 
Ärmel  stecken«,  die  Zither,  Zinke,  Trompete,  neunlöchrige  Flöte,  Geige,  Hackebrett 
und  Sackebutte.   Fischart,  Geschichts-Klitt.  277.  —  Vgl.  Guarinonius,  S.  1226. 

*)  >Bergreyen,  Bremberger,  Vilanellen  und  Winnebergische  Reuterliedlin.« 
Fischart  a.  a.  0.  277. 

')  Vier-  und  fünfstimmig,  Motetten.  —  Ebend.  290. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  371 

Seilschaft  führt  ein  Musikstück  mit  Instrumenten  auf :  eine  Dame  spielt  das 
Clavicymbalum,  eine  andere  bläst  die  Flöte;  dazu  kommen  dann  die  Saiten- 
instrumente von  der  Violine  bis  zur  gewaltigen  Bafsgeige.  Die  Gesellschafts- 
heder  spielen  im  16.,  17.,  18.  Jahrhundert  eine  recht  bedeutende  Rolle; 


A.  van  Dyk,  Violinspielerin.  Maria  Rutlnveu.     (Mfuichen,  Alte  Pinakolliek.) 

nicht  alle  sind  unverfänghch  und  sauber,  aber   die  Mehrzahl  kann  man 
sich  doch  auch  als  von  anständigen  Frauen  gesungen  denken. i) 

»)  Jan  Vermeer,  Dame  am  Spinett  (London,  National  Gallery)  und  Dame  mit  dem 
Musiklehrer  (Windsor).  —  Gerh.  Terborch,  eine  Dame  spielt  das  Spinett,  die  andere 
das  Violoncell  (Berlin,  Gem.-Galerie).  —  <t.  Terborch,  eine  Dame  begleitet  auf  der 
Laute  den  Gesang  eines  Herrn  (London,  Nat.-GalL).  —  David  Teniers  d.  J.,  der  Meister 
spielt  das  Violoncell,  Frau  und  Kind  singen  dazu  (Berlin,  Gem.-Galerie).  Vgl.  auch 
oben  S.  270  und  345.  —  Musikalische  Unterhaltungen  der  Studenten  abgeb.  im  Spe- 
culum  Cornelianum  (Strafsb.  1618)  S.  8,  9,  22,  71,  84. 

24* 


372 


V.  Beschat'tiuun<>   und    UnterluiUung. 


Dafs  die  alten  Brett- 
spiele ^) ,  Schach  -), 
Dame«),  Puft"^)  beliebt 
blieben,  braucht  nicht 
erst  hervorgeholten  zu 
werden.^)  Das  Karten- 
!S[)iel  aber  erfreute  sich 
i  1 1  allen  Kreisen  des  aller- 
uröl'sten^)  AnseJiens.  Mit 
Karten  und  Würfeln 
konnte  man  sein  Ver- 
mengen vergeuden.  B. 
Paumgartner  schreibt 
seiner  Frau  (1594,  29. 
VIII.  —  S.  245),  dafs 
in  dem  Wildbade  bei 
Lucca  stark  gespielt 
werde  und  dafs  man  da 
leicht  500—600  Kronen 
verlieren  könne.  (Vgl. 
o.  S.  217.) 

Wie  im  15.  Jahr- 
hundert das  Karnöffel- 
spiel''),   ist  im   16.  das 

Flüssen  beliebt,  später  gegen  den  Anfang  des  18.  erfreuen  sich  die  Spiele 

Piquet,  Mariage  vor  allem  aber  L'Hombre^)  und  Bassette^)  der  weitesten 

Verbreitung. 

Harmloser  waren    die  Gesellschaftsspiele.  ^°)     Würfel    sind    für    das 

Gänsen  erforderlich.    Phil.  Hainhof  er  lernte  es  auf  seiner  pommerischen 


MVSICA  MORX-UXSRECREAXDIVOSqj^BEATOS' 


Theodor  de  Bry,  Emblemata  secularia.    (Oppenh.  1611.) 


1)  D.  Souterius,  Palamedes  sive  de  tabula  lusoria,  alea  et  variis  ludis.  Lugd. 
Batav.  1622.  —  P.  Justus,  De  Alea,  Amsterd.  1642. 

*)  Lukas  van  Leyden,  Schachpartie,  mit  zahlreichen  Zuschauern.  (Berlin,  Gemälde- 
Galerie.)  —  Th.  Actius,  De  ludo  Scacchorum.    Pisauri  1583. 

M.  H.  Vida,  Opera  (darin  Scacchia  ludu.s)  Lugd.  15-48.  —  H  giuoco  dcgli  scacchi 
di  Rui  Lopez,  Spagnuolo,  nuovamente  tradotto  in  lingua  italiana  da  G.  D.  Tarsia, 
Venez.  1584.  —  G.  Greco ,  Le  jeu  des  eschecz.  Trad.  de  l'italien.  Par.  1689,  1714.  — 
Ph.  Stamma,  Essai  sur  le  jeu  des  eschecs  —  ä  la  Haye.  1742. 

3)  Thomas  v.  der  Wilt.  (Berlin,  a.  a.  O.) 

*)  Jean  Steen,  Streit  beim  Spiel.  (Berlin,  a.  a.  0.) 

^)  Buch  Weinsberg,  I.  131.     Brettspiel,  Kartenspiel.  —  Guarinonius,  S.  1228. 

6)  Buch  Weinsberg,  H.  41 :  Den  nachmittag  spilten  wir  in  der  Karten.  —  Fischart, 
Geschichtsklitt.  —  Neudr.  258 :  Ein  hauffen  Welscher  wolgepepter  glatter  Karten,  Pra- 
gischer AVürffel  und  die  Schantzen  vom  Prettspiel. 

^)  Vgl.  über  das  Karnöffelspiel  (Vulpius)  Kuriositäten  X.  570. 

8)  Schwetscke,  Geschichte  des  L'Hombre.     Halle  1863. 

9)  S.  o.  S.  354. 

1")  La  maison  des  jeux  acad^miques,  contenant  un  recueil  general  de  tous  les 
jeux  divertissans  pour  se  rejouir  et  passer  le  temps  agreablement.  Paris  1668.  — 
Academie  universelle  des  jeux,  contenant  les  regles  des  jeux  de  quadrille,  de  quintille, 
de  l'hombre  ä  tros,  du  piquet,  du  reversis,  des  echecs  du  trictrac  et  de  tous  les  autres 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  373 

Reise  kennen  und  schildert  es  »das  man  Gänsen  haisset  und  der  ge- 
winnet, der  das  beste  gleich  würfft,  und  nit  ist  als  wie  das  rechte 
Ganfsspiel ,  das  man  in  das  Würthshaufs ,  in  Brunnen ,  in  Tod  etc. 
und  dergleichen  fähret,  als  wie  es  in  Kupfer  gestochen  und  in  Italien 
under  den  Studenten  im  Wünter  nach  dem  Essen,  ehe  sie  studieren 
oder  schlafen  gehn,  gar  gemein  ist;  sondern  dises  Spil  vergleicht  sich 
etlicher  massen  mit  dem  passadiere«.  ^)  Ein  anderes  Spiel,  ähnlicher  dem 
Gansspiel,  heifst  die  Hölle,  in  Pommern  »die  ungetreuen  Nachbarn<.< 
und  wird  mit  Karten  gespielt.^) 

Fischart  zählt  gegen  GOO  verschiedene  Gesellschaftsspiele  auf,  unter 
denen  sich  auch  das  heute  noch  bei  den  Kindern  beliebte  »der  Bauer 
schickt  den  Jockei  aufs«  findet.  ^)  Andere  waren  nur  im  Freien  zu 
treiben.  ■*) 

Des  Ringspieles  gedenkt  Hermann  von  Weinsberg.  Als  er  1553 
der  Pest  wegen  von  Köln  nach  Neufs  mit  seiner  Familie  geflohen  war, 
berichtet  er :  »Wir  hatten  auch  ein  bogel  (Ringspiel)  und  Krotz  (die  Stange 
zum  Ringspiel)  laissen  machen  und  spilten  bogel.  «^)  Das  Kegelspiel 
aber  ist  dem  sonst  für  Leibesübungen  so  sehr  eingenommenen  Arzte 
Hippolyt  Guarinonius  verhafst.^)     (S.  o.  die  Abb.  S.  260.) 

Er  gibt  uns  einen  sehr  beachtenswerten  Überbhck  ü^>er  die  Spiele 
und  Unterhaltungen  der  verschiedenen  Lebensalter.  Der  Knabe  hat  sein 
Steckenpferd,  das  Mädchen  ihre  Puppen.  Dann  werden  die  Schulbuben 
zu  Spaziergängen  geführt  und  haben  dabei  die  Ruten  zu  schneiden  und 
zu  binden,  die  bei  der  damaligen  Schuldisziplin  unbedingt  nötig  waren 
(virgatum  ire).  Die  jungen  Ritter  bereiten  sich  für  Turniere  und  Rennen 
vor,  üben  sich  im  Fechten ;  die  älteren  drechseln,  treiben  Goldschmiedarbeit, 
malen.  Für  die  kräftige  Jugendzeit,  d.  h.  zwischen  20  bis  31  oder  34  Jahren, 
gehört  sich  bei  Leuten  des  Adelstandes  neben  dem  Turniere,  Fechten, 
Ringen,  Rossetummeln,  Ballschlagen,  Eisenstangenwerfen,  die  Jagd,  das 
Bergsteigen.  Für  die  bürgerliche  Jugend  das  Fechten,  Graben-  und 
Mantelspringen,  Ringen,  Bürdentragen,  Holzhacken,  Dreschen,  Stein- 
werfen, Bergsteigen.  Für  das  abnehmende  Alter  pafst  dann  vieles  Reiten, 
lange  Spaziergänge,  niedere  Berge  zu  besteigen,  Kegeln,  Baizen,  Fischen, 
Gartenbauen,  Malen,  Drechseln,  Bildschnitzen.  ^) 


jeux.  Paris  1737.  —  La  plus  nouvelle  academie  universelle  des  jeux,  ou  divertissemens 
innocens,  contenant  les  regles  des  jeux  de  cartes  permis,  du  billard,  de  la  courte  paume, 
de  la  longue  paume,  du  trictrac,  du  toc,  des  echecs  etc.  Amsterd.  1752.  —  (Soumille 
de  Villeneuve  —  lez  —  Avignon.)  Le  grand  trictrac  .  .  .  Avignon  1756.  —  E.  Hoyle  and 
Th.  Osborne,  The  games  of  whist,  quadrille,  piquet,  chess  and  back-gammon  complete. 
London  c.  1750.  —  Anweisung  zum  Klabriasspiel  in  >Kort  en  grondig  onderwijs  van 
het  alom  vermaard  en  vermakelijk  Voltespei.  .  .  .  Amsterd.  1751. 

')  Balt.  Studien  IL  2.  S.  49. 

^)  Eisend.  S.  102.  —  Vgl.  auch  Wesenigk,  Das  Spielsüchtige  Polysigma  der 
Bösen  Spiel-Sieben,  d.  i.  Spielschande,  Spielschertze,  Spielschläge,  Spielsprüche,  Spiel- 
straffen  u.  9.  w.  .  .  .  Dresden  1702. 

'•')  Fischart,  Geschichtski.    250. 

*)  Ebend.    270. 

6)  Buch  Weinsberg  IL  41. 

«)  S.  1215.  —  ')  S.  1181. 


374  ^-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Dann  geht  er  auf  die  einzelnen  Spiele  näher  ein,  sie  ausführhch 
schildernd.  Da  ist  das  Ritterspiel,  bei  dem  es  aufs  Laufen  ankommt. 
Darauf  bespricht  er  die  Sprünge :  den  Rückensprung,  den  Achsel-  oder 
Hauptsprung,  den  Mantelsprung,  den  Graben-  oder  Bodensprung,  den 
Luftsprung,  »die  rundt  Focht-  und  Tantzs])rung«.^)  Die  Erwähnung  der 
Ringkunst  gibt  ihm  Anlals,  den  Nikolaus  Freiherrn  von  Firmian  als 
vorzüglichen  Ringer  zu  rühmen.  2)  Im  Fechten  sind  noch  immer  die 
Italiener  Meister;  auch  jener  Freiherr  von  Firmian  hatte  bei  einem 
italienischen  Fechtmeister  Sihius  Piccolomini  S(Mne  Kunst  erlernt.^)  In 
Deutschland  gab  es  zwei  Fechtschulen  von  Bedeutung,  die  der  Marx- 
brüder zu  Frankfurt  a.  M.  und  die  der  Federfechter  zu  Prag.^)  Beide 
hatten  das  Recht,  Kunstfechter  zu  Meistern  des  langen  Schwertes  zu  er- 
nennen. ^)  Nachdem  Guarinonius  noch  das  Fufsturnier  besprochen^), 
preist  er  den  Nutzen  des  Bergsteigens.  Er  selbst  mufs  ein  vortreff- 
licher Fufsgänger  gewesen  sein,  denn  er  erwälmt,  dafs  er  im  Jahre  1606 
oder  1007  im  August  von  Hall  um  5  Uhr  abends  aufgebrochen  ins 
Voldertal  bis  zum  Stift  Almen  gegangen  sei;  am  nächsten  Tage  be- 
suchte er  den  Wattensee  und  kehrte  über  Watten  in  seinen  Wohnort 
zurück. ") 

Eine  besondere  Vorliebe  hat  er  für  das  Ballspiel,  dessen  verschiedene 
Arten  er  genau  schildert.  Da  ist  zunächst  das  kleine  Ball-  oder  das 
Rakettenspiel.  Man  kann  übrigens  statt  des  Raketts  auch  einen  Pan- 
toffel oder  Schuh,  einen  Becher  oder  ein  Glas  nehmen.  Es  entspricht 
wolil  im  allgemeinen  dem  Federballspiel,  pafst  zumal  für  die  Jugend 
z'^'ischen  14  und  31  Jahren  und  wird  in  den  mit  Ziegeln  gepflasterten 
Ballhäusern  in  Italien  wie  in  Deutschland  von  Fürsten  gern  geübt.^)  Von 
den  Ballhäusern  ist  schon  oben  gesprochen  worden. 

Dann  kommt  das  Spiel  mit  dem  gröfseren  ledernen  Ball,  den  man 
mit  der  Hand  schlägt;  aber  es  pafst  in  Italien  und  auch  in  Deutschland 
mehr  für  Handwerker  als  für  vornehme  Leute,  da  es  eine  nicht  zu 
zarte  Hand  erfordert.  ^) 

In  Böhmen  und  speziell  in  Prag  ist  dann  ein  Ballspiel  beliebt,  das 
besonders  die  Polen  und  Schlesier  meisterhaft  spielen,  das  jedoch  an 
anderen  Orten  gar  nicht  bekannt  ist.  Zwei  Parteien :  eine  die  mit  vier 
Werkschuh  langen,  am  Hefte  dünneren  Stöcken  den  Ball  schlägt,  die 
andere,  die  ihn  zu  fangen  hat.  Gelingt  ihr  das,  so  gewinnt  sie  das  Recht, 
jetzt  den  Ball  zu  schlagen.  ^°) 

1)  S.  1187—89.    Vgl.  Fischart,  Geschichtski.  S.  281. 

«)  S.  1190-91. 

')  S.  1197. 

*)  S.  1253  nennt  G.  neben  diesen  beiden  Fechterschulen  noch  die  Lukasbrüder. 
Er  selbst  ist  »zu  Prag  von  einem  namhaften  Federfechter,  so  man  das  klein  Schlosserle 
nennet  in  Rappier  und  Dolch  zimblich  unterrichte  worden  (S.  1255).  —  Virgil  Solls, 
Fechtschule.  —  Kulturg.  Bilderb.  II,  N.  895. 

5)  M.  Zeiller,  Hdb.  II.  58. 

8)  S.  1195.  —  Fufsturnier  in  München  1654,  gest.  v.  Matth.  Küssel.  Kulturg. 
Bilderb.  V,  N.  2557—62. 

')  S.  1206.  —  «)  S.  1209.  Abgeb.  im  Speculum  Cornehanum  (4618)  S.  4.  — 
9)  S    1210.  —  1")  S.  o.  S.  96. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger. 


375 


3Y6  V.  Beschäftigung   und  Unterlnütung. 

Das  Spiel  mit  dem  weichen,  apfelgrofsen  BalP),  das  Grubenball 
spiel 2),  kommt  dann  an  die  Reihe,  das  Ballschlagen  mit  dem  kleinen, 
qmttengrofsen,  aufgeblasenen  Lederball,  7A1  dem  man  sich  der  Holz- 
pritsche bedient "'\  darauf  das  Schlagen  des  grofsen,  harten,  mit  Messing- 
spritzen aufgeblasenen  Ballons.  Dazu  ist  ein  hölzerner  Hand-  oder 
Armharnisch  erforderlich.  Der  Ball  kann  auch  mit  dem  Fufse  geschleudert 
werden.  ■*) 

Das  Palmey-  oder  Palemeyspiel  entspriclit  dem  französischen  Mail, 
das  bis  in  die  Zeit  Lud^-igs  XIV.  sehr^)  behebt  war.  Auf  einer  langen, 
wohl  mit  Sand  bestreuten  Bahn  wiu'de  die  Holzkugel  mit  einer  Art 
Hammer  —  der  hiefs  eigenthch  Palemey  —  fortgetrioben.  Wer  zuerst 
das  Ziel  erreichte,  den  Ball  durch  ein  kleines  Drahttor  brachte,  hatte 
o-ewonuen.  Pallmall  in  London  und  die  Palmaille  in  Altona  haben  von 
diesem  Spiele  ihren  Namen.  (Vgl.  S.  379.)  Nicht  ungefährhch  war  es, 
wenn  die  Kugel,  ungeschickt  geschlagen,  einen  Menschen  traf;  in  Trient 
wurde  so  ein  kleiner  Knabe  getötet.^) 

Für  vornehme  Damen  eignet  sich  ganz  besonders  das  Federball- 
spiel. Geschlagen  mrd  der  mit  zwei,  drei  und  mehr  Federn  gezierte 
Kegel  nicht  mit  dem  Rakett,  sondern  mit  einer  Pritsche.^) 

Dann  kommt  das  Steniwerfen  aus  der  Hand  und  mit  der  Schleuder, 
das  Werfen  mit  Messer  und  Dolch  nach  der  Scheibe.  Die  böhmischen 
Schmäräken  sind  geübt,  mit  dem  Beil  oder  spitzen  Hacken  das  kleinste 
Ziel  zu  treffen^),  und  werden  dadurch  den  Reisenden  in  den  Wäldern 
gefährlich.^) 

Man  wirft  mit  schweren  steinernen,  messingnen,  stählernen  Platten. 
Vor  50  oder  60  Jahren,  also  etwa  um  1550,  sollen,  wie  Guarinonius 
erwähnt,  die  Bergknappen  von  Schwaz  silberne  Platten  gebraucht  haben. 
Es  kommt  darauf  an,  die  in  der  Mitte  durchlöcherte  Platte  so  geschickt 
zu  werfen,    dafs   sie   auf  dem   am  Ziel   aufgestellten  Eisen  haften  bleibt. 

Der  Wurf  mit  dem  Eisenstabe  ist  gleichfalls  sehr  muskelstärkend. 
Wer  am  weitesten  ihn  zu  schleudern  vermochte,  der  war  der  Sieger. 

Das  Tafelschiefsen  wird  mit  talergrofsen,  etwa  einen  Finger  dicken 
Platten,  die  man  Steine  nennt,  gespielt.  Man  hat  dazu  eine  22  bis 
24  Fufs  lange,  einen  Fufs  breite  Tafel  und  sucht  durch  geschicktes 
SchneUen  die  Steine  der  Gegner  herabzuschiefsen.  Dazu  wird  wacker 
getrunken. ^°) 


1)  S.  1211. 
«)  S.  1212. 
»)  S.  1212. 
*)  S.  1213. 

6)  Vgl.  die  Abb.  von  Israel  Silvestre,    Jeu  de  longue  paume.  —  Kulturg.  Bilder- 
buch V,  N.  2574. 
6)  S.  1213. 
')  Ebend.  1213. 

8)  Fischart,  Geschichtski.  312 :  als  hett  er  das  Beihelschracken  von  den  Böhmischen 

Holtzbauern  gelernet. 

9)  S.  1214. 

10)  Barth.    Sastrow.    11.    89:     das    Marggrave.  Albrecht....    auff    der    Pilcken- 
taf  feien  schussen. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  377 

Im  S  Chiefs  Werder  zu  Breslau  wird,  ich  glaube  noch  heute,  dies 
Spiel,  das  hier  Belltafel  heifst,  gepflegt. 

Das  Schwimmen  empfiehlt  der  alte  Arzt  ganz  besonders  (S.  1216); 
aber  auch  das  Baizen,  die  Falkenjagd,  das  Fischen,  überhaupt  die  Freuden 
der  Jagd.  Cyriacus  Spangenberg  hat  einen  .Jagdteufel  (Theatrum  dial)ol. 
Fol.  CCLXXXVIP)  verfafst,  in  dem  er  die  Schädlichkeit  der  Jagd  zumal* 
für  den  Bauernstand  lang  und  ausführhch  schildert,  den  Wildschaden 
bespricht,  die  schnöde  Behandlung  der  Bauern  und  der  barbarischen 
Jagdgesetze  gedenkt.  »Es  ist  zwar  nicht  sehr  lang  (Anno  1557,  ist  mir 
recht),  das  der  hochwdrdige  Vatter  (Gott  verzeihe  mirs),  der  Erzbischof 
von  Saltzburg  einen  Bauwren  der  Jagt  halber  hat  in  eines  Hirschen  haut 
vermachen  und  also  hetzen  lassen.«  (Fol.  CCCIIP^.)  Dabei  versäumen 
die  Jäger  die  Kirche  oder  begnügen  sich  mit  einer  kurzen  Andacht,  »wie 
man  solches  Schnappenwerck  im  Bapstthumb  Jäger  Messen  genennet 
hat«.  (Fol.  CCXCVIIP.)  Dabei  wird  gotteslästerhch  geflucht  (Fol.  CCXCVP) 
und  Anlafs  zur  Unzucht  gefunden.  »Das  aber  auff  Jagten  offt  und  viel 
solche  schänden  begangen  werden,  zeigen  auch  zum  theil  die  unver- 
schempten  und  unzüchtigen  Lieder,  als  da  sind :  ,Es  reit  ein  Jäger 
hetzen  aufs  etc.'  Item  ,Es  wolt  ein  Jäger  jagen,  jagen  für  jenem  holtz' 
etc.  und  dergleichen  mehr,  so  eins  theils  noch  unflätiger  seind.« 
(Fol.  CCCIX^.)  ■  Und  trotz  alledem  ^man  findt  auch  wol  unter  den 
Evangelischen  Predigern,  die  hertzlich  gern  und  willig  mit  ihren  Herren 
und  Junckern  auff  die  Jagten  ziehen.«     (Fol.  CCXCIX^.2) 

Bei  den  fürstlichen  Jagden  gab  es,  wie  Hainhofer  uns  mitteilt. 
Schirme  und  Pirschbüchsen  auf  Gabeln.  An  einem  Vormittage  1617 
erlegt  der  Herzog  von  Pommern  36  Hirsche,  27  Stück  Wild,  21  Wild- 
kälber, 3  Rehe,  1  Schwein,  2  Frischlinge ;  Summa  90  Stück  Wild.^)  Das 
Wild  A\drd  gewogen;  wer  gegen  das  Jagdzeremoniell  gefrevelt,  mufs  ȟber 
den  Hirsch«  und  bekommt  Schläge.  Abends  wird  bei  Windlichtern  die 
Curee  für  die  Hunde  v^eranstaltet.^)  Die  Herzogin  mit  ihren  Jungfrauen 
hat  den  Gemahl  begleitet  und  vertreibt  sich,  im  Grase  sitzend,  bis  zum 
Beginn  der  Jagd  die  Zeit  mit  Handarbeiten.^) 


>)  Fischart,  Geschichtsklitt.  371 :  wie  wol  diTs  stücklin  auch  wol  ein  weidmän- 
nischer Bischoff  zu  Saltzburg  mit  einer  Hirschhaut  gekonnt  hat,  wan  er  mit  den  Wild- 
schützen des  Aktaeons  spilet. 

*)  Über  die  Jagd  im  ^Mittelalter  vgl.  Höf.  Leben  »I.  448  ff.  und  Deutsches  Leben 
etc.  521  ff. 

»)  Ph.  Hainhofer,  Reisetagebuch  von  1617.  —  Balt.  Studien  H.  2,  53  ff. 

*)  Ebend.  69  ff. 

6)  Ebend.  57. 

Abbildungen :    Jagdbilder  im  Weifskunig  (m.  Ausg.)  S.  91,  93,  95,  98. 

Lukas  Cranach,  Parforcejagd.  —  Kulturg.  Bilderb.  II,  N.  614. 

Jost  Amman,  Jagdbuch  (Frankf.  1582).   —  Ebend.  HI,  N.  1341—64. 

David  Vinckenboons,  Jagden  (1587).  —  Ebend.  III,  N.  1500—1503. 

Jagdbilder  von  P.  P.  Rubens  (1577—1640),  von  Franz  Snijders  (1579—1657),  von 
Karl  Borromäus  Ruthart  (c  1650  bis  c.  1680),  von  Joh.  Elias  Ridinger  (geb.  in  Ulm 
1698,  gest.  in  Augsburg  1767).  —  Als  Hundemaler  ist  berühmt  Jean  Baptiste  Oudry 
(1686—1755).  —  Die  Jagdbeute  stellen  dar  Jan  Fyt  (1611—61),  Jan  Baptist  Weenix 
1622—64)  und  sein  Sohn  Jan  (1640—1719). 


378  ^-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Mit  welcher  Leidenschaft  im  16.  und  18.  Jahrhundert  an  den  Höfen, 
nicht  allein  Deutschlands,  die  Jagd  betrieben  wurde,  das  ist  ja  bekannt. 
Auch  die  Damen  nahmen  an  diesem  Vergnügen  gern  Anteil  und  legten 
dann  einen  besonderen  Jagdanzug  an ;  den  langen  Männerrock  zogen  sie 
über  die  ISlieder  ihrer  Kleider,  und  auf  das  Haupt  setzten  sie  den  drei- 
eckigen Hut,  so  dafs  sie,  abgesehen  von  dem  bis  zu  den  Füfsen  reichenden 
Weiberrock,  von  weitem  wenigstens  wie  die  Männer  aussahen.  (S.  o.  S.  357.) 

Ein  Laster,  das  im  Mittelalter  wie  in  der  späteren  Zeit  sehr  ver- 
breitet war,  das  Schwören  und  Fluchen,  wurde  auch  vergeblich  von 
der  Kirche  wie  von  der  weltlichen  Obrigkeit  bekämpf t.  ^)  Es  ist  ja  ganz 
gleich,  ob  man  bei  Gottes  (Botz,  Potz),  Laus,  Lunge,  Darm  u.  s.  w. 
schwört,  die  Lästerung  bleibt  dieselbe.-)  Dahin  gehört  auch  Ulrich, 
Graf  von  Württemberg-Mümpelgard  (c.  1468),  »den  man  wegen  seines 
gewöhnlichen  fluches  Götz  Niefswurtz  nannte«.^)  Selbst  die  Kinder 
lernen  früh  gotteslästerlich  fluchen.  In  dem  Fluch  teuf  el  klagt  der  Ver- 
fasser'*) (Fol.  CCXLHP),  »dafs  auch  die  jungen  Kinder,  als  mit  dem  Abc 
bald  von  der  Wiegen  an  damit  auffgewachsen  und  vielfertiger  und  ge- 
leufEtiger  seyn  in  mancherley  art  und  weifs  zu  fluchen  als  in  den  Artickeln 
des  glaubens  und  Vatter  unser  oder  Gebet,  an  welches  statt  die  Gottes- 
lästerung getretten  und  kommen  ist«.  Bartholomäus  Ringwalt  läfst  einen 
Junker  sich  äufsern :  »Potz  leiden,  Herrgott  Sacrament  Creutz  Wunden 
Marter  Element  War  stets  mein  Sprichwort  und  gebet,  Alsbald  ich  nur 
den  Mund  aufffhet.«^)  Besonders  bei  den  Jagden  wurde  arg  geflucht. 
»Man  hörts  zwar  auch  wol,  wenn  sie  auff  den  Jagten  gewesen  und  ge- 
fragt werden,  wie  es  geschlaunet,  dafs  sie  mit  grosser  Gottlesterung  ant- 
worten und  (Gott  verzeihe  mir,  dal's  ichs  inen  nachrede)  etwa  sagen : 
,Hörstu,  mr  hetten,  oder  der  Teuffei  füre  mich  hinweg,  summer  Gotts 
Wunden,  schöne  Stück  für  dem  Garn  und  liefs  sich  so,  marter  leiden, 
wol  an,  wenn  die  Herrgotts  Sacrament  schand  Bauren  sich  recht  hetten 
darein  schicken  wollen,  dafs  sie  die  Hand  Gottes  rür  ( —  d.  h.  der  Schlag 
treffe  — ),  aller  Elements  Böfswicht  hinein  etc.'«^) 

Das  Fluchen  und  Schwören  ist  eine  schlechte  Angewohnheit;  die 
Leute  dachten  nichts  Böses  dabei,  sprachen  gedankenlos  die  ihnen 
geläufigen  volltönenden  Redensarten,  wie  noch  im  18.  Jahrhundert  Chri- 
stian Reuter  seinen  Schehnuffsky  bei  jeder  Gelegenheit  sein    »Hol  mich 


Franz  van  der  Meulen,  Hirschjagd  zur  Zeit  Ludwigs  XIV.  —  Ebend.  V,  N.  2616 
bis  2617. 

Vgl.  E.  Tappius,  Waidwerk  u.  Federspill.  Strafsburg  1542.  (Neudruck.)  — 
Fr.  Pomay,  Ein  sehr  artig  Büchlein  von  dem  Weydwerck  u.  der  Falcknerey.  (Franz. 
Lyon  1671)  m.  Holzschn.  v.  Jost  Amman.     (Neudruck)  s.  oben. 

1)  Z.  B.  Edikt  gegen  das  Zutrinken,  Hurerei  und  Schwören.  Frankfurt  1530. 
März  27.  (Wolfg.  Königsteins  Tagebuch.)  —  Vgl.  Joh.  Ludw.  Hartmann.  Fluch- 
Spiegel  Wider  das  abscheuliche  Gottslästern,  Verfluchen  und  üebelwünschen  .... 
Nürnb.  1672. 

2)  Deutsches  Leben  im  14.  und  15.  Jhdt.,  S.  59  u.  281. 
^)  C.  Spangenberg,  Henneb.  Chron.  160. 

*)  Andi-eas  Musculus  (1514—1581). 

8)  Trewer  Eckart.  —  Frkf.  a.  a.  O.  1592  ohne  Paginierung.     G.  ijb. 

«)  .Tagdtenfel  Fol.  CCXCVi>>. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  379 

der  Tebel«  anbringen  läfst.  Im  Grunde  genommen,  hat  es  mit  den 
Flüchen  so  wenig  etwas  auf  sich  als  mit  anderen  Gewohnheitsredens- 
arten. So  erzählt  Cyriacus  Spangenberg  in  seiner  Hennebergischen 
Chronik  (S.  168)  von  dem  Grafen  Barthold  XIX.  v.  H.  (t  1549):  »Dieser 
Gräfe  B.  hette  eine  weise  und  gewonheit,  dafs  Er  über  das  dritte  oder 
vierde  wort  inn  seinen  reden  mit  einmischet  und  immer  wieder  holete 
die  wort,  ,wie  sich  das  gebüret'.« 

Seit  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  nehmen  nun  auch  die 
Zweikämpfe  überhand.  Mit  den  gerichthchen  Zweikämpfen  der  alten 
Zeit  haben  diese  Duelle  gar  nichts  gemein.  Bei  denen  handelte  es  sich 
immer  um  eine  schwer  zu  erweisende  Rechtsfrage,  die  durch  das  gesetzhch 
anerkannte  Gottesgericht  in  Gegenwart  der  zuständigen  Pächter  ent- 
schieden werden  sollte;  bei  den  Duellen  gilt  es,  eine  Beleidigung,  eine 
Verletzung  der  persönhchen  Ehre  zu  rächen;  von  einem  Gottesgericht, 
das  den  Schuldigen  unzweifelhaft  bestrafen,  den  Gekränkten  als  Sieger 
hervorgehen  lassen  mufs,  ist  nicht  mehr  die  Rede.  Bei  den  romanischen 
Völkern  ist,  wie  es  scheint,  das  Duell  zuerst  zur  Sitte  geworden.  Durch 
die  Spanier  und  von  Franzosen  wurde  es  dann  in  Deutschland  eingeführt 
und  fand  da,  wie  aUes  Fremde,  begeisterte  Aufnahme.  Aber  erst  im 
17.  Jahrhundert,  in  Frankreich  zur  Zeit  Ludwigs  XIII.  und  XIV.,  nimmt 
die  Duellsucht  gröfsere  Dimensionen  an,  so  dafs  die  Regierungen  mit 
den  allerstrengsten  Strafen  einschreiten  mufsten.  In  Deutschland  war 
während  des  grofsen  Krieges  und  in  der  Folgezeit  das  Duell  allgemein 
üblich.  Um  der  geringfügigsten  Ursachen  '^dllen,  weil  ein  Raufbold, 
ein  Schnarcher^)  (in  Frankreich  hiefs  er  Ronfleur)  Händel  suchte,  wurden 
die  Degen  gezogen;  die  Freunde  und  Sekundanten 2)  nahmen  an  dem 
Gefechte  teil,  und  so  bheben  oft  mehrere  auf  dem  Platze.  Fechten  hatte 
ja  jedermann  gelernt;  nun,  da  diese  Art,  seine  Ehre  zu  verteidigen, 
in  den  oberen  Gesellschaftsklassen  Sitte  geworden  war,  konnte  er  auch 
den  Nutzen  einer  guten  Schule  praktisch  kennen  lernen.  Die  studie- 
rende Jugend  und  die  Leute  mit  akademischer  Bildung,  der  AdeP)  und 
der  Offiziersstand  nahmen  das  Recht  des  Zweikampfes  für  sich  aus- 
schliefslich  in  Anspruch.  Auf  diese  Kreise  beschränkt  sich  auch  das 
LTnheil,  das  die  Duelle  zur  Folge  haben.  In  zahllosen  Familienchroniken 
lesen  wir,  dafs  bei  Festmahlen,  bei  Hochzeiten  u.  dergi.  die  berauschten 
Gäste  schhefshch  zu  den  Waffen  gegriffen  haben  und  dafs  mehrere  tot 
auf  dem  Platze  geblieben  sind. 

In  dem  Anekdotenbuch,  das  1715  zu  Freiburg  unter  dem  Namen 
»Eulenspiegelischer  Mercurius«  erschien,  wird  S.  295  von  einem  Duell 
eines  jungen  Grafen  Dohna  und  eines  Herrn  von  der  Myle  berichtet. 
Dasselbe  fand  im  Gravenhaag  auf  der  »Mallie-Bahn;<  nachts  bei  Fackel- 


*)  Moscherosch  a.  a.  0.  356. 

»)  H.  M.  Moscherosch,  Ges.  des  Philanders  v.  S.,  hgg.  v.  Felix  Bobertag.  Berl 
u.  Stuttg.  o.  J.  —  S.  33.  »Deren  dieser  einer  von  einem  ehrlosen  Wälschen,  :x  ville 
Juiffe  in  einem  Kampff  als  Second  piittmann)  eines  Dänischen  von  Adel  Crahbe  in 
die  Brust  gestossen  etc.« 

")  Ein  französisches  Duell  unter  Adligen.     Ebend.  S.  71. 


380  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

beleiiehtunc;  statt;  24  Spielleiite  begleiteten  mit  Musik  den  Zweikampf. 
Jede  Partei  hatte  drei  Sekundanten;  ob  sie  an  dem  Kampfe  sich  betei- 
hgten,  ist  nicht  zu  ersehen.  V.  der  Myle,  der  Letzte  seines  Geschlechtes, 
wird  erstochen.  In  dem  genannten  Buche  werden  noch  manche  inter- 
essante Duellgeschichten  erzählt.  So  soll  ein  deutscher  Edelmann,  der  ein 
trefflicher  Fechter  war,  den  französischen  Hoffechtmeister  Ludwigs  XIII. 
absichtlich  beleidigt  und  herausgefordert  haben.  Der  Fechtmeister  erlegt, 
da  der  Deutsche  um  warten  läfst,  zmn  Zeitvertreib  zwei  andere  Kavaliere, 
die  auch  ihre  Gegner  erwarten,  und  ^nrd  dann  von  dem  Deutschen  er- 
stochen. Der  französische  König  will  ihn  zmn  Hoffechtmeister  machen, 
doch  zieht  er  es  vor,  über  die  Grenze  zu  flüchten.  »Weit  davon  ist 
gut  für  den  Schufs«     (S.  301). 

Für  den  Edelmann  war  immer  die  Waffenübung  geboten  gewesen, 
und  während  des  ganzen  Mittelalters  hatte  man  ihr  schon  aus  Rück- 
sichten der  Notwendigkeit  seine  ganze  Aufmerksamkeit  zugewendet. 
Sobald  eine  Anzahl  Ritter  freundschaftlich  zusammenkamen,  suchte 
man  in  Waffenspielen  seine  Kraft  zu  messen.  Auch  im  17.  Jahrhundert 
A\ird  dem  »Reiten,  Rossetumblen,  Ringelrenuen,  Turnieren,  Quintan- 
stechen«  noch  eine  grofse  Bedeutung  beigelegt,  wenn  auch  Guarinonius 
ausdrücklich  spricht  von  »Scharpffturnieren,  das  gleich  wol  zu  denen 
unsern  zeiten,  Gott  lob,  abgekommen  ....  dann  wer  die  darzu  gehörigen 
Rüstungen  und  sonderlich  die  Turnierstangen,  so  eines  starcken  Mannes 
Fufs  dicke  haben,  ansieht,  der  kan  leicht  spüren,  dafs  Mann  und  Rofs 
zu  Grund  gehen  und  der  grossen  Gefahren  erwarten  müssen«  (S.  1221). 
Die  Besprechung  von  ;:^  Wagen-  und  Karren-,  Sänfften-,  Sessel-,  Schlitten- 
und  Schiffahrt«  (S.  1223)  gibt  Guarinonius  Gelegenheit,  darüber  zu 
klagen,  dafs  Bürger,  ja  selbst  Bauern,  statt  zu  laufen,  im  Wagen  zu 
fahren  lieben  (S.  1247).  Auch  Fischart  weist  darauf  hin,  dafs  die  Vor- 
liebe für  die  Wagen  das  Reiten  in  den  Hintergrund  gedrängt  habe. 
»AVer  weifs,  er  möcht  drob  müd  sein  worden,  wie  heut  unsere  Gutschen-^) 
Jungherrn,  darüber  Max  Fucker  in  sein  Buch  vom  Gestud  klaget,  dafs 
seidher  man  auff  die  Gutschen  gefallen,  man  kein  rechte  Reut -Pferd 
mehr  in  Teutschland  ziehe.  ;  (Geschichtskhtt.  280.)  Diese  Vorliebe  für 
die  Wagen  erklärt  sich  aus  dem  Umstände,  dafs  man  im  16.  Jahrhundert 
gelernt  hatte,  die  Wagenkasten  in  Riemen  zu  hängen;  dadurch  war  das 
Stofsen  der  alten  Fuhrwerke  einigermafsen  gemildert  worden.  J.  Coler 
unterscheidet  in  seiner  Oecononaia  rurahs  (Frkf.  1591  ff.)  B.  VII.  c.  60, 
»behangene  Wagen,  die  gedackt  sein  und  bedackte  Wagen,  die  nicht 
angehangen  sein.  Das  sind  reisenden  leuten  wol  die  allernützlichsten, 
den  AVinter  vor  schnee  und  frost,  den  Sommer  vor  hitze  und  regen. 
Darnach  sein  Kutschen,  die  man  oben  zu  machen  kan,  oder  offene 
Kutschen,  darin  man  sich  überall  fein  umbsehen  kan«.  An  dem 
Wagen  sein  Wappen  zu  haben,    war  auch   dem   bürgerlichen  Kaufmann 


■)  Über  das  Alter  und  die  Geschichte  der  Kutschen  s.  J.  Beckmann,  Beyträge 
z.  Gesch.  d.  Erfindungen.  I.  Lpz.  1782.  S.  390  fE.  —  "Ül^er  die  Wagen  im  M.  Ä.  vgl. 
Höf.  Leben  ^I  486  ff.  und  Deutsches  Leben  etc.  245 ;  besonders  die  Abb.  sind  zu  be- 
achten. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger. 


381 


erwünscht.  Balthasar  Paumgartner  läfst  sein  und  seiner  Frau  Wappen 
von  einem  Holzbildhauer  in  Nufsbaumholz  schnitzen,  mit  Gold  höhen, 
an  den  Wagen  anschrauben.     (Briefw.  1595,  3/IV.  S.  257).^) 

Sänften  hatte  man  schon  anfangs  des  16.  Jahrhunderts  sehr  wohl 
gekannt.-)  Sie  wurden  als  Portechaisen  aber  erst  gegen  das  Ende  des 
17.  Jahrhunderts,  allgemeiner  an- 
gewendet, vertraten  lange  Zeit, 
bis  in  die  ersten  Decennien  des 
19.  Jahrhunderts,  die  Mietwagen. 
Fiaker  und  Droschken. 

Auch  der  Gebrauch  des 
Schhttens  ist  natürlich  sehr  alt, 
und  schon  zu  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts hatte  man  sich  bemüht, 
ihn  künstlerisch  zu  gestalten, 
durch  Bildwerke,  Bemalung,  Ver- 
goldung stattlich  auszuschmük- 
ken.^)  Es  sei  hier  nur  auf 
die  Schlittensammlung  im  Baye- 
rischen National-Museum  hinge- 
wiesen. Dem  braven  Guarinonius 
scheint  aber  das  Schlittenfahren 
gar  nicht  geheuer,  weil  es  da 
seltsame  und  unziemliche  Ge- 
bräuche gibt,  das  Schlittenrecht 
geübt  wird  (S.  1225).  Auch  ge- 
fällt es  ihm  nicht,  dafs  man  vor 
Augen  das  geschnitzte  und  ge- 
malte Schlittenbild,  irgend  eine 
halbnackte  Göttin  darstellend, 
habe  und  an  der  Brust  und  in 
den  Armen  ein  lebendiges  Frauen- 
zimmer hält  (1228).  Von  Schhtten- 
wetter  spricht  B.  Paumgartner. 
(Briefw.  1591  l/XII.  —  S.  140.) 

Überhaupt  schätzt  Guarino- 
nius vor  allem  die  Leibesbewegung 
und  hält  den  » faulen  Haufsschlentzern,  Ofenhütern,  Fensterg-uckern,Mucken- 
brütern,  unnutzen  Gassen-  und  Pflastertretern«  eine  tüchtige  Standrede  (1242). 

Deshalb  tritt  er  auch  für  das  Spazierengehen  ein  (S.  1230).  Das 
ist  schon  lange  ein  Zeitvertreib  der  Müfsigen.  In  der  Stadt  bei  seinen 
täglichen  Beschäftigungen  kam  man  wohl  nur  ausnahmsweise  zum  Lust- 


Portechaise  a.  d.  NatiODal-Museuai  zu  München. 


1)  Abb.  von  Wagen,  gest.  von  Gerrit  Bleecker.     Kulturg.  Bilderb.  V,  N.  2387—89. 

*)  Michael  Ostendorfer,  Fürst  in  einer  Rofssenfte  reisend.  Kulturhist.  Bilderb. 
n,  N.  998.  —  Eine  Portechaise  abg.  in  Theod.  de  Bry :  Emblemata  Secularia  (Oppen- 
heim 1611).  (Kulturg.  Bilderb.  in,  N.  1454.)  —  »)  Abb.  einer  Schlittenfahrt  (von  II. 
S.  Beham?)  im  Kulturg.  Bilderb.  I,  N.  373—78.  —  Speculum  Cornelianum  (1618),  45. 


382  V.  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

wandeln,  aber  wenn  man  auf  dem  Lande  war,  diente  es  doch  als  will- 
kommener Zeitvertreib.  Hermann  von  Weinsberg  war  1553  bei  Aus- 
bruch der  Pest  von  Köln  nach  Neufs  geflohen.  »Uns  zitverdreib  was 
meistteils :  den  morgen  frühe  gingen  wir  wandern  etc.;<^)  Von  Langen- 
schwalbach  schreibt  Balth.  Paumgartner  (1596.  23/IV.  —  S.  265),  dafs 
es  viel  und  mancherley  lustige  spazzierweg  auf  den  f eidern,  wiesen 
und  Aväldten,  bergen  und  thalen  hatt,  wer  nulm  gern  und  weitt  sj^azziern 
gehen  mag  .-) 

Von  den  zahlreichen  auf  Leibesübung  berechneten  Spielen  haben 
nur  die  wenigsten  den  grofsen  Krieg  überdauert.  So  trat  auch  in  dieser 
Hinsicht  an  ein  schwächeres  Geschlecht  die  Aufgabe  heran,  eine  Heilung 
der  durch  den  Krieg  geschlagenen  Wunden  herbeizuführen. 

Aulser  den  Festen,  die  in  der  Familie  oder  im  Kreise  der  Freunde 
und  Bekannten  aus  allerlei  Anlässen  veranstaltet  wurden,  fehlte  es  der 
bürgerlichen  Gesellschaft  auch  sonst  nicht  an  Zerstreuungen  und  Belusti- 
gungen aller  Art.  Zunächst  boten  die  zahlreichen  kirchlichen  Feiertage 
auch  zu  mannigfachen  Unterhaltungen  vielfach  Anlafs.^) 

Für  die  ältere  Zeit  bieten  unsere  Quellen  allerdings  so  gut  wie  gar 
keine  Anhaltspunkte,  aber  da  im  16.  Jahrhundert,  als  Seb.  Franck  sein 
Weltbuch'^)  abfafste,  noch  so  viele  und  eigenartige  Feste  begangen  wurden, 
können  wir  mit  ziemlicher  Gewifsheit  annehmen,  dafs  auch  die  ältere 
Zeit  sie  wohl  gekannt  und  gefeiert  hat.  Je  weiter  ein  Volk  in  seiner 
Entwicklung  fortschreitet,  desto  mehr  schwindet  die  bunte  Mannigfaltig- 
keit der  Sitten,  die  der  alten  Zeit  ein  so  eigenartiges  Gepräge  ver- 
liehen hat.^) 

Zum  Neujahr  wünscht  man  sich  Glück,  hat  im  15.  Jahrhundert 
auch  schon  Gratulationskarten,  in  Holz  geschnitten  oder  in  Kupfer  ge- 
stochen ^) ;  dazu  tauscht  man  Geschenke  aus'^)  und  findet  Anlafs  zu  ausge- 
lassenen Scherzen.  In  Nürnberg  veranstaltet  man  noch  gegen  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  Maskeraden  und  begeht  den  Beginn  des  neuen  Jahres 
mit  Tanzvergnügungen.*)  Handwerksburschen  und  sonst  arme  Teufel 
sangen  vor  den  Häusern  der  Reichen  bis  in  die  Nacht  hinein  und  er- 
warteten eine  freundliche  Gegengabe.^)  In  Frankreich  mrd  der  Narren- 
bischof gewählt,  Unfug  aller  Art  getrieben^"):  Narrenfeste,  das  Fest  des 
Esels  ^^)  u.  s.  w. 

^)  Buch  Weinsberg  II.  41. 

2)  Das  Treiben  in  einer  Gartenwirtschaft  schildert  Jan  Steen  in  dem  der  Ber- 
liner Gemälde-Galerie  angehörigen  Bilde. 

')  Vgl.  Paul  Lacroix,  Moeurs,  usages  et  costumes  au  moyen-äge  et  ä  l'epoque 
de  la  renaissance  (Paris  1872)  S.  542  ff.  —  P.  G.  Molmenti,  La  vie  privee  ä  Venise 
(Ven.  1882)  p    367  ff.;  470  ff. 

*')  Tübingen  1533,  Fol.  la  ff.  —  Seb.  Franck  benutzt  schon  des  Joh.  Bohemus 
Aubanus  Omnium  gentium  mores  (ich  habe  nur  die  Ausg.  Lyon  1535  eingesehen.) 

®)  Vgl.  über  diesen  Abschnitt  mein  Deutsches  Leben  im  14.  und  15.  Jhdt.  Wien, 
Prag,  Leipz.  1892.  S.  401  ff.  —  «)  Paul  Heitz,  Neujahrswünsche  des  15.  Jahrhunderts. 
Strafsburg  1899.  —  ')  P.  P.  Lacroix  1.  1.  S.  544.  —  »)  Balth.  Paumgartner,  Briefe-.  1588 
l/I.  —  S.  19.  —  9)  Zimm.  Chron.  14,  43.  —  '")  Paul  Lacroix,  Sciences  et  Lettres  au 
moyen-äge  et  ä  l'epoque  de  la  renaissance.  Paris  1877.  S.  265.  —  i*)  P.  Lacroix 
1.  1.   S.  266  ff.     Vgl.  Kurios.  IV.  336. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger. 


383 


In  den  zwölf  Nächten  zwischen  Weihnachten  und  hl.  drei  Könige 
räuchert  man  die  Häuser  zum  Schutze  gegen  böse  Geister  und  Zauberei, 
achtet  auf  die  Witterung  jeden  Tages,  weil  in  gleicher  Weise  das  Wetter 
der  zwölf  kommenden  Monate  sein  wird.^) 

Dann  konunt  der  Tag  der  hl.  drei  Könige  (d.  6.  Jan.).  Da  wird 
eine  Bohne  oder  ein  Pfennig  in  den  Kuchenteig  geworfen,  und  wer  in 
seinem  Kuchenstücke  die  Bohne  resp.  den  Pfennig  findet,  wird  Bolmen- 
könig.  Der  König  malt  mit  Kreide  ein  Kreuz  an  die  Zimmerdecke, 
das  als  heilbringend  gilt  und 
sehr  in  acht  genommen  wird. 
Das  Fest  ist  besonders  am 
Rhein  behebt.  Esist  übrigens 
für  denBolinenkönig  oder  f  ür 
den  Verehrer  der  Dame,  die 
das  Los  getroffen,  eine  ziem- 
hch  kostspielige  Ehre,  da 
sie  ein  Festmahl  und  einen 
Tanz  zu  veranstalten  hatten. 
In  seinem  Kreise  wurde 
1552  Hermann  von  Weins- 
berg König  und  gab  dann 
am  24.  Januar  sein  offi- 
zielles Königsessen.  -)  In 
Emmerich  feiert  Hans  von 
Schweinichen  1577  das  Fest 
mit^);  Joachim  von  Wedel 
beschreibt  in  seinem  Haus- 
buche (S.  511)  das  Bohnen- 
fest am  pommerischen  Hofe 
zu  Stettin.  Die  Hauptsache 
war  immer,  dafs  man  sang 
und  trank.  Das  Bohnenhed 
war  die  Festhymne.  Jakob 
Jordaens  hat  \l593  — 1678) 
mit  Vorhebe  das  Bohnen- 
fest gemalt  (Wien,  Kassel, 
Braunschweig,  Paris,  Lille). 

Zu  Lichtmefs  (d.  2.  Febr.)  bringt  man  brennende  Lichter  in"  die 
Kirche  mit,  weiht  die  Häuser  gegen  Gespenster,  Hagel  u.  s.  w.,  schreibt 
Segenssprüche  an.^) 

Am  Sankt  Blasientage  wählen  die  Schüler  unter  sich  einen  König, 
den,  der  das  schönste  Licht  hat. 


Neujahrskarte. 


1)  Vgl.  S.  Franck,  a.  a.  O.   (Fol.  CXXX^.) 

2)  Buch  Weinsberg  II.  1 ;  II.  123. 
")  Lebensbeschr.  138. 

*)  Seb.  Franck  a.  a.  O.  Fol.  CXXXja. 


384  V.  Beschäftigung  uud   Unterhaltung. 

Und  nun  kommt  die  Fastnacht^)  mit  ihren  Maskeraden 2),  ihren  Ge- 
lagen, ihrer  Ausgelassenheit. 3)  Ein  Turnier  zu  Fastnacht  veranstaltete 
1532  in  Weimar  Kurfürst  Johann  von  Sachsen.^)  Derselbe  Fürst  hatte 
schon  als  Prinz  1518  in  Zwickau  eine  Fastnachtsfeier  veranstaltet:  Turnier, 
Schauspiel  (der  Eunuchus  des  Terenz)  und  Possenscherze,  Maskeraden. 
Auch  die  Armen  wurden  mit  Spenden  bedacht.^)  Die  Fastnachtsfeier 
in  Nürnberg  1588,  die  durch  das  sogenannte  Schembartlaufen  maskierter 
junger  Leute,  durch  Aufzüge  u.  s.  w.  einen  besonderen  Reiz  erhielt,  hat 
uns  ausführlich  Ulrich  Wirschung  beschrieben^);  ihm  verdanken  wir  auch 
eine  lebendige  Schilderung  vom  Karneval  zu  Venedig."^)  Hundert  Jahre 
etwa  später  (lti94)  nahm  Prinz  Wilhehii  von  Nassau-Dillenburg  an  diesen 
venezianischen  Festen  teil.^)  Bei  diesen  Maskeraden  ereigneten  sich  hin 
und  wieder  schlimme  Unglücksfälle.  Es  ist  bekannt,  wie  am  Hofe  Karls  VI. 
von  Frankreich  junge  Leute,  die  sich  mit  Werg  als  wilde  Männer  ver- 
kleidet hatten,  Feuer  fingen  und  elend  verbrannten.  Derselbe  Fall  ereignete 
sich  1570,  als  die  Grafen  von  Tübingen,  Hohenlohe,  Waldeck,  Peterlingen 
etc.  zu  Fastnacht  dieselbe  Maske  wählten.  Fünf  junge  Leute  starben  an 
den  Brandwunden.^)  Besonders  am  Rhein  ist  die  Lust  am  Karneval  so 
recht  heimisch  1^),  allein  auch  in  Tirol")  wie  in  Pommern^-)  und  in 
Schlesien ^^),  also  allgemein  im  Deutschen  Reiche,  wurde  gerade  dies 
Fest  vom  ganzen  Volke,  arm  und  reich,  hochgehalten.  Im  15.  Jahr- 
hundert fanden,  zumal  in  Nürnberg,  die  oft  recht  unsauberen  Fastnachts- 
spiele vielen  Beifall.^^)  Am  Sonntag  der  Fastnacht  ist  die  Herren-Fast- 
nacht, am  nächsten  Montag  die  der  Laien. 

Am  Rosensonntag  (Lätare)  tragen  in  manchen  Städten  die  Buben 
Brezeln  an  langen  Ruten  und  zwei  Puppen,  die  den  Sommer  und  den 
Winter  darstellen.     Der    Sommer    erschlägt    den   Winter.^^) 

Dann  kommt  die  Zeit  der  Fasten.  Auch  da  gibt  es  mancherlei 
Kurzweil.  In  Ulm  ist  der  Brauch,  dafs,  wer  während  der  Fastnacht  ein 
Haus  betritt,  ohne  zu  sagen  -ich  gehe  mit  Urlaub  aufs  und  ein«,  gleich- 

1)  Joh.  Petr.  Schmidt,  Fastel-Abends  -  Sammlungen  oder  Geschieh  tsmäfsige 
Untersuchung  der  Fastel-Abends-Gebräuche  in  Mecklenburg  ....    Rostock  1742. 

*)  C.  H.  de  ßerger,  Commentatio  de    personis    vulgo   larvis   seu    mascheris,    von 

der  Carnevals-Lust.     Francof.    1723.    b Stiche    von  J.  de  Gheyn  (ebend.  HI.    N. 

1542—45 :  von  Crispin  de  Passe).  (Ebend.  III.  1432.)  —  Abb.  im  Weifskunig.  (Kulturg. 
Bilderb.)  —  Speculum  Cornelianum  (^1618)  8.  —  Stammbuch  der  jungen  Gesellen  (1617.) 

=")  Kuriositäten  IL  469.     Über  das  Schembartlaufen  in  Nürnberg.  Ebend.  III.  233. 

*)  Kuriositäten  II.  184.     Vgl.  Fastnacht  1467.     Ebend.  IL  229.^ 

*)  Kurios.  Vn.    188. 

«)  Kurios.  X.    390. 

')  Kurios.  X.    531. 

»)  Kurios.  IL    250. 

9)  A.  a.  O.  Fol.  CXXXjb. 

")  Joach.  von  Wedel,  Hausb.  235. 

")  In  Köln:  Zimm.  Chron.  m.  236,  237  S.  —  Buch  Weinsberg  U.  ÜB.  —  In 
Speier:   Zimm.  Clir.  IH.  265.  —  In  Zwickau:  1518.     Kurios.  Vn.  188  ff. 

1*)  Guarinonius,  S.  136. 

1»)  Joach.  von  Wedel,  Hausb.  382. 

")  Hans  von  Schweinichen,  S.  52,  255,  256. 

16)  Vgl.  K.  Goedeke,  Grundrifs  ^I.  325  ff. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  385 

viel  Mann  oder  AVeib  gebunden  und  mit  Paukenschall  in  der  Stadt  herumge- 
führt -wird.^)  In  Halberstadt  bringt  man  am  ersten  Tage  der  Fasten  einen  Sün- 
der, der  dafür  später  entschädigt  wird,  in  die  Kirche,  stölst  ihn  dann  als 
einen  Gebannten  aus.  Nun  mufs  er  bis  zum  grünen  Donnerstage  um  die 
Kirche  herumgehen.  Dann  wird  er  wieder  in  die  Kirchengemeinschaft 
aufgenommen,  ist  von  aller  Sünde  rein  und  heifst  jetzt  Adam.^)  Sitte 
war  es  in  Schwaben,  aber  auch  am  Rhein  und  in  Franken,  am  Ascher- 
mittwoch, dafs  die  Jungfrauen,  die  im  Winter  am  Tanze  teilgenommen 
hatten  und  ledig  geblieben  waren,  von  den  Burschen  vor  einen  Pflug 
gespannt  wurden  und  denselben  unter  Musikbegleitung  durch  die  Donau 
oder  einen  anderen  Flufs  oder  See  ziehen  mufsten.  In  Franken  zieht 
man  einen  angezündeten  Pflug,  bis  er  in  Trümmer  zerfällt.  Eine  Stroh- 
puppe, die  einen  toten  Mann  darstellt,  wird  auf  einem  Leinlaken  geprellt. 

Das  Fest  des  h.  Gregorius  (d.  12.  März)  war  besonders  für  die 
Kinder  bestimmt;  die  Schüler  wählten  einen  Bischof^),  der  zu  predigen 
hatte;  dann  trieben  sie  in  Masken  allerlei  Possen."^) 

Um  Mittfasten  wird  der  Tod  ausgetrieben.^)  Ein  Wagenrad,  mit 
Stroh  umwunden,  bringt  man  auf  einen  Berg  und  läfst  es  angezündet 
des  Abends  hinabrollen.  Am  Palmsonntag  führt  man  den  Palmesel  in 
Prozession  herum..  Drei  Tage  vor  Ostern  fängt  man  an,  in  der  Nacht 
die  Matutina  zu  singen  (die  Finstermetten,  Düstermetten);  da  wird  allerlei 
Scherz  und  Schabernack  getrieben,  der  Judas  mit  Lärm  totgeschlagen^), 
kurz,  es  ist  eine  lustige  Feier  zum  Schlüsse  der  so  traurigen  P'astenzeit.'^) 

Am  grünen  Donnerstage  wird  das  Abendmahl  gefeiert ;  die  Priester 
gehen  in  der  Kirche  umher  mit  Flaschen  voll  Wein  und  Oblaten, 
schenken  jedermann,  auch  den  schönen  Weibern,  ein.  Fuiswaschung 
bei  Mönchen  und  Nonnen. 

Der  Karfreitag  bringt  dann  die  Grablegung  mit  allerhand  Zere- 
monien.^) »Dieweil  auff  den  Karfreitag  jederman  will  Fladen  und  Eyer- 
käfs  essen. « ^) 

Die  Weihe  des  Taufsteines  findet  am  Ostersamstag  statt;  in  der 
Nacht  zum  Sonntag  wird  die  Figur  des  toten  Heilandes  aus  dem  Grabe 
genommen.  Die  Glocken  läuten,  der  Heiland  ist  erstanden,  die  Fasten 
sind  zu  Ende. 

Am  Osterfest  grofse  Kirchenfeier,  Weihung  der  Fladen  etc.  Die 
Freunde  schicken  einander  das  geweihte  Gebäck.  Festspiele,  Lustbar- 
keiten aller  Art,  Tanz  Vergnügungen.  ^°) 


1)  S.  Franck  a.  a.  0.  Fol.  CXXXja. 

«)  Ebend. 

^)  Dürr,  de  episcopo  puerorum :    vom  Schulbischoff.     Mogunt.  1755.  —  Ludovici 
Memorabilia  Episcopalia  Gymnas.  Schleusingens.     1703. 

*)  Kurios.  III.  517  ff" 

»)  Vgl.  Kuriositäten  II.  468. 

®)  Fischart,  Praktik  4 :    in    der  Finstermetten,    da   die    Pfaffenkällerin    die    liecbt 
auslöschet  und  man  den  Judas  jaget. 

')  Ebend.  U.  471. 

8)  Kurios.  U.  477.  —  »)  Fischart,  Praktik  (Neudr.  4.)  —  '")  Ostereier,  Osterfladen. 
Kurios,  n.  479.     Vgl.  ebend.  480  über  die  Feier  am  Himmelfahrtstage. 

Schultz,  Da.s  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  25 


^QQ  V.  Beschäftiii'unü'  und  Unterhaltung. 

Zu  Pfingsten  umreitet  man  die  Äcker.  Der  Priester,  das  Sakrament 
in  einer  Tasche  am  Halse  tragend,  segnet  die  Felder. 

Am  1.  Mai  pflanzten  die  jungen  Leute  ihren  Mädchen  den  Mai- 
baum vor  die  Tür,  was  zu  vielem  Scherze  Anlafs  gab.  Dann  kommt 
die  Kreuzwoche  (nach  dem  Sonntage  Vocem  jucunditatis).  Da  zieht 
man  mit  Kreuzen  aufs  Land  zu  einer  Kirche,  bittet  um  wohlfeile  Zeit, 
ifst  und  trinkt  auf  den  Kirchhöfen.  Der  Himmelfahrtstag  und  das  Fron- 
leichnamsfest mit  seiner  grofsen  Prozession  bieten  wieder  Anlal's  zu  Fest- 
lichkeiten. 

Das  Fest  der  Winzer  ist  der  S.  Urbanstag  (d.  25.  Mai).  Scheint 
die  Sonne,  sind  alle  froh;  regnet  es,  lassen  sie  ihren  Unmut  an  den 
kleinen  Statuetten  des  h.  Papstes  aus;  denn  wie  an  diesem  Tage,  wird 
das  Wetter  den  Wein  wuchs  begünstigen  oder  schaden.^) 

Am  Himmelfahrtstag  zieht  man  in  kathohschen  Kirchen  das  Bild 
des  erstandenen  Heilandes  vom  Altar  zum  Gewölbe,  wirft  eine  Satans- 
puppe herab,  die  die  Knaben  mit  Gerten  erschlagen;  jedermann  ifst  an 
dem  Tage  Geflügel. 

Pfingsten  ist  das  wahre  Frühhngsfest^);  der  Winter  mit  all  seinen 
Schrecknissen  ist  jetzt  vorbei,-  und  man  braucht  nicht  mehr  die  Zeit  im 
Hause  zu  verbringen,  zu  frieren.  Da  veranstalten  auch  die  Fürsten 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  ihre  Hoftage,  versammeln  ihre  Getreuen, 
ihre  Lehensmänner,  bewirten  sie  und  bereiten  ihnen  freigebig  einige 
schöne  Festtage. 

Am  Tage  des  h.  Veit  (d.  15.  Juni)  opfert  man  viele  Hühner,  da- 
mit der  Heilige  vor  Krämpfen  und  Vergiftung  schütze;  den  Kindern 
kauft  man  kleine  Krüge. 

Das  Fronleichnamsfest  (Donnerstag  n.  Trinitatis)  wurde  mit  einer  Pro- 
zession gefeiert.  1580  fand  eine  solche  grofsartig  angelegt  in  München 
statt;  das  Programm  derselben  ist  in  den  Kurios.  VII.  429  ff.  mitgeteih.^) 

Das  Johannisfest  bringt  die  Freudenfeuer.  Es  war  das  eine 
ehedem  weitverbreitete  Sitte,  bei  frohen  Ereignissen  seiner  Freude 
durch  Anzünden  mächtiger  Feuer,  durch  Umtanzen  derselben  Ausdruck 
zu  verleihen.  So  wollten  1518  die  Fugger  und  Höchstetter  in  Augs- 
burg vor  ihren  Häusern  Feuer  abbrennen  lassen,  doch  erklärte  der  Rat 
das  als  seine  Sache  und  liefs  in  den  Vorstädten  und  auf  dem  Perlach 
selbst  solche  anzünden.  »Es  waren  vil  verborgene  bixen  darin,  die 
schussend  ün  Feuer  ab;  es  kost  dannocht  vil  geh;  es  war  hüpsch  zu- 
gericht.«  (Wilh.  Rem.)  Die  Feuerwerkskunst ^)  hatte  im  16.  Jahrhundert 
namhafte  Fortschritte  gemacht.  Schon  1617  sah  Philipp  Hainhof  er  in 
Stettin  ein  Schauspiel    »da   ihr   vier   in   allerlei  Wehren    voUer  Ragetten 

1)  (Vulpius)  Kurios.  IV.  220. 

2)  Von  der  Decke  der  Kirche  schwebte  eine  lebende  Taube  herab.  Kurios.  II.  481. 
2)  Vgl.  Seb.  Franck  a.  a.  O.  Fol.  CXXIjb. 

*)  Het  nieuw  tooneel  der  vuer-werken  .  .  .  Amsterd.  1678.  —  G.  Starkey,  Pyro- 
technica  ofte  vuuer-stook-Kunde  ...     Uit  het  Engelsch.  door  J.  van  de  Velde.     Amst. 

1687.   —  D.   Manlijn,    Pyrotechnia   oft  konstige    vuurwerken Rotterd.    1672.    — 

D.  Manlijn,  Pyrotechnia  of  meer  dan  hondertderleyekonstvermakelijcke  vuurwerken  .... 
Amsterd.  1678.  —  Vgl.  oben  S.  355. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  387 

gefocht  aus  ihren  Schuhen  Ragetten  geflogen«  und  im  Schlofshofe  ein 
Feuerwerk  mit  Raketen,  Kanonenschlägen,  Feuerrädern  (Balt.  Stud.  II. 
2.  S.  32,  33).  Pliil.  Harsdörffer  bemerkt  in  seinen  Gesprächspielen  (Sp.  VII. 
S.  101):  »das  Kunstfeuer  hat  mancherley  Gebrauch  in  den  Sinnbildern  als 
die  Ernstkugel,  Granaten-Raquet.« 

Am  Johannistage  brachten  die  Liebhaber  in  Frankfurt  a.M.  ihren  Freun- 
dinnen ein  Ständchen,  sangen  ihnen  das  Lied  »Feil  rosenblümelein«. 

Der  Tag  Maria  Himmelfahrt  (d.  15.  Aug.)  wird  gefeiert,  indem  man 
allerlei  Obst  und  Kräuter  in  der  Kirche  weihen  läfst.  Die  Knaben 
tragen  Zweige  mit  Äpfeln,  auf  denen  Vögel  sitzen.  Der  schönste  Junge 
wird  König  und  darf  für  seine  Genossen  einen  freien  Tag  vom  Schul- 
meister erbitten. 

Bei  der  Kirchweihe  wird  tüchtig  gegessen  und  vor  allem  getrunken, 
die  Geistlichen  gehen  mit  gutem  Beispiel  allen  voran.  Auch  eine  Nach- 
kirchweih  wird  gefeiert. 

Am  Tage  des  h.  Martin  (d.  11.  Nov.)  ifst  jeder  Hausvater  mit  seinen 
Angehörigen  eine  Gans;  dazu  gibt  es  Wein  und  Met,  Essen,  Trinken, 
Singen.^)  An  manchen  Orten  wird  auch  der  S.  Michaelstag  (d.  29.  Sept.) 
gefeiert  und  die  Lichtgans  verspeist. 

Allerlei  Aberglauben  wurde  am  Tage  der  h.  Katharina  (d.  25.  Nov.) 
und  in  der  Andreasnacht  (d.  29 — 30.  Nov.)  vorgenommen.  Am  Andreas- 
abend hatte  man  einen  Blick  in  die  Zukunft,  konnte,  wenn  man  die  vor- 
geschriebenen Förmlichkeiten  recht  erfüllte,  den  einer  jeden  bestimmten 
Lebensgefährten  erblicken.  »Vor  jaren  der  geprauch  gewesen,«  so  heifst 
es  in  der  Zimmerischen  Chronik  IL  509,  »sich  uf  samt  Andreas  abendt 
in  des  selbigen  hailigen  namen  ohne  gessen  und  ohne  geredt  mit  sonder- 
reichen reimen^)  und  Worten  schlaffen  zu  legen;  als  dann  ist  im  schlaff 
dem  oder  der,  chfs  oder  jenes,  so  im  hat  sollen  verheirat  werden,  eigent- 
lichen erschinen.«  ^)  Guarinonius  (S.  371)  tadelt  diese  alte  Sitte  sehr 
streng.  »Insonderheit  aber  ist  ein  Teuflischer  Fürwitz  der  Mädgen  oder 
vielmehr  der  Angsthuren,  die  das  wunder  beist,  zu  wissen,  wer  ir  künff- 
tiger  Mann  seyn  oder  wie  viele  sie  deren  haben  sollen,  und  defswegen 
(nicht  aber  allein  sie,  sondern  auch  viele  ansehentliche  Burger-  und 
Adels-  oder  Tadelstöchter)  zu  besondern  zeiten,  weifs  nit  was  für  Teuf- 
Hsche  Abenthewr  treiben,  dadurch  sie  ihr  Seel  und  Leib  in  die  aller- 
eufserste  gefahr  wegen  eines  vergebnen  Fürwitzes  setzen,  der  ihnen 
mehrermals  nur  gar  zu  früe  zeitig  und  kundbar  wirdt.  Solches  Gottloses 
Wesen  können  unnd  sollen  alle  ehrliche  Hausvätter  zu  solhchen  zeiten 
umb  S.  Andreae,  Thomae  und  Weynächtzeiten  verhüten  unnd  auff  ihr 
Ehehalten  sonderhch  auff  ihre  Töchter,  so  durch  die  ehrlosen  Mägden 
meistens  verführt  werden,  gut  aug  und  acht  haben.«  Über  hundert 
Jahre    später    war    dieses    abergläubische  Orakel    noch   immer    beliebt.'*) 


1)  Zimm.  Chron.  III.  194. 

*)  Ebend.  in.  511:  den  reimen  gepraucht  uf  s.  Endres  abendt. 
^)  Grimm,  Deutsche  Sagen*  11.  149. 

*)  Vgl.  m.  Alltagsleben  einer  deutschen  Frau  z.  Anf.  d.  18.  Jhdts.  S.  4  und  das 
Frauenzimmerlexikon    von  1715,   Sp.  63   und   dasselbe  von  1739,   Sp.  59.     —     Das  ßc- 

25* 


388  ^-  Beschäftigung:  und  Uuterhaltung. 

Notwendig  war  es  immer,  dals  sich  das  Mädchen  nackt  auszog.  Solch 
ein  Andreas-Gebetlein  ist  in  dem  Pohtischon  und  Kurtzweiligen  Stock- 
Fisch  .  .  .  (FröHchs-Burg,  1723)  S.  106  abgedruckt.     Es  beginnt: 

Andresgen,  Mann  Bescherer, 

Du  treuer  Jungfer  (Mägde)  Lehrer : 

liier  steh  ich  sj)linter  nackt: 

Wann  wird  die  Stunde  kommen, 

Dafs  einer  mich  genommen, 

Und  mein  Braut-Bette  knackt  u.  s.  w. 

Der  S.  Niklastag  (d.  6.  Dez.)  bringt  wieder  den  Kindern  eine  Über- 
raschung. Sie  fasten  am  Vorabend;  dann,  wenn  sie  eingeschlafen  sind,  legen 
ihnen  die  Eltern  Geschenke  in  die  Schuhe.  Die  Schüler  wählen  aus  ihrer 
Zahl  einen  Bischof  und  zwei  Diakone,  führen  sie  in  die  Kirche,  wo 
der  Bischof,  die  Mitra  auf  dem  Haupte,  den  Gottesdienst  leitet.  Nach 
dessen  Beendigung  wird  Geld  eingesammelt,  die  Bischofssteuer. 

In  den  Nächten  der  drei  Donnerstage,  die  dem  Weihnachtsfeste 
vorangehen,  singen  die  Kinder  vor  den  Häusern,  künden  die  Geburt 
des  Heilandes  an  und  werden  beschenkt.^) 

Am  Tage  der  Geburt  Christi  (d.  25.  Dez.)  wird  eine  Wiege  mit  dem 
Bilde  des  Christkindes  auf  den  Altar  gesetzt.  Kinder  umtanzen  sie.-)  Wie  weit 
die  Sitte  zurückgeht,  den  Kindern  eine  Krippe  (Praesepe),  eine  Dar- 
stellung der  Geburt  Christi  und  der  Anbetung  der  Könige  aufzubauen, 
ist  bisher  noch  nicht  festgestellt  worden.  Die  schönste  Sammlung  solcher 
Krippen  i.st  dem  Nationalmuseum  in  München  durch  den  Kommerzien- 
rat  Schmederer  geschenkt  worden.^) 

Der  Tag  Johannis  des  Evangelisten  (d.  27.  Dez.)  ist  wieder  von 
Bedeutung:  man  trinkt  S.  Johannis  Minne  oder  Segen;  die  Männer 
trinken,  dafs  ihre  Stärke  zunehme,  die  Frauen,  dafs  ihre  Schönheit 
wachse."*) 

Das  Fest  der  unschuldigen  Kindlein  (d.  28.  Dez.)  ^drd  auch  in 
einigen  Landstrichen  der  Pfeffertag  genannt;  da  schlagen  die  Burschen 
die  Mädchen  mit  Ruten,  bis  sie  sich  durch  Lebkuchen  frei  kaufen.  Noch 
gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  war  der  Brauch,  dafs  die  Burschen 
die  Mädchen,  die  Hofherren  die  Hofdamen  im  Bette  zu  überraschen 
suchen,  ihnen  die  Decke  fortziehen  und  sie  mit  Rutenstreichen  necken. 
Sie  tragen  auch  kein  Bedenken,  ihnen,  wenn  sie  schon  angezogen  sind, 
die  Kleider  aufzuheben  u.  s.  w.  (Guarinonius  S.  1257).  Im  18.  Jahr- 
hundert war  diese  Sitte  noch  vielfach  im  Schwange.     Man  nannte  diesen 


fragen  der  Zukunft  heilst  »Lessei«  ;  die  Weiber  »lessehi«.  —  Joh.  Chr.  Eberhnus,  de 
Omnibus  diebus  dominicis.  Von  abergläubischen  Sonntagen.  Jenae  1730.  —  Gold- 
schmidt, Höllischer  Morpheus,  M-elcher  kund  wird  durch  die  geschehenen  Erscheinungen 
derer  Gespenster  und  Poltergeister,  so  bishero  zum  Theil  von  keinem  einzigen  Scri- 
benten  angeführet.     Darauss  erwiesen,  dafs  Gespenster  seien  etc.     Hamb.  1704. 

1)  Vgl.  Seb.  Franck  a.  a.  O.  Fol.  CXXXb. 

2)  (Vulpius)  Kuriositäten  11.  468;  der  Tanz  hiefs  der  Pomwitzel-Tanz. 

s)  Vgl.    Georg    Hager,    Die   Weihnachtskrippe.     München    (c.   1901.)     —     Georg 
Rietschel,  Weihnachten  in  Kirche,  Kunst  und  Volksleben.     (Bielef.  u.  Leipz.  1902.) 
*)  S.  Franck,  a.  a.  0.  Fol.  CXXXb. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  389 

Scherz  Kindein  und  übte  ihn  am  Aschermittwoch.  (Alltagsleben  einer 
deutschen  Frau  etc.  14.) 

In  Norddeutschland  benutzte  man  auch  die  Weilmachtszeit,  sich 
an  Maskeraden,  die  sich  so  grofser  Beliebtheit  erfreuten,  zu  ergötzen. 
Die  Maskierten  hiefsen  die  Schodüwels. 

Der  Kirchweih  wurde  schon  (S.  387)  Erwähnung  getan. ^) 

So  war  durch  die  Kirchenfeste,  die  fast  ununterbrochen  aufeinander- 
folgten und  deren  jedes  durch  eigenartige  Gebräuche  und  Maskeraden 
seinen  besonderen  Reiz  hatte,  das  ganze  Jahr  erfüllt.  Wir  dürfen  des- 
halb keineswegs  glauben,  dafs  es  den  Städtern  des  ausgehenden  Mittel- 
alters an  Unterhaltung  fehlte.  Freihch  vor  dem  14.  Jahrhundert  mag 
weder  ihnen  noch  auch  dem  auf  seinen  Burgen  lebenden  Adel  viel  Ver- 
gnügen und  Abwechslung  beschieden  gewesen  sein. 

Ein  seltenes,  aber  eben  deshalb  um  so  mehr  geschätztes  Schauspiel 
boten  die  Einzüge  der  Fürsten.  Schon  im  12.  und  13.  Jahrhundert  2) 
wurden  bei  solchen  Gelegenheiten  die  Strafsen,  die  der  Zug  zu  passieren 
hatte,  gründhch  gesäubert,  mit  Blumen  bestreut,  die  Häuser  mit  Wand- 
teppichen dekoriert  und  in  jeder  Weise  alles  würdig  für  den  festlichen 
Empfang  vorbereitet.  Die  Bürgerschaft,  jung  und  alt,  zu  Fufs  und  zu 
Pferde,  zog  dem  Herrn  entgegen;  bei  seinem  Einzüge  wird  ein  Baldachin, 
dessen  Stangen  die  Vornehmsten  tragen,  als  Sonnenschirm  über  sein 
Haupt  gehalten.  Ziemhch  ähnhch  sind  die  Einzüge  im  14.  u.  15.  Jahr- 
hundert, die  von  den  Chronisten  ausführlich  beschrieben  werden.^)  Die 
Zünfte  gehen  nun  auch  dem  Fürsten  entgegen  und  nehmen  teil  an  dem 
Einzüge;  selbst  die  Schulknaben  dürfen  an  diesem  Tage  der  allgemeinen 
Freude  nicht  von  dem  Festzuge  ausgeschlossen  werden.^) 

Künstlerischer  gestalteten  sich  die  Feierlichkeiten,  seit  die  italienische 
Renaissancebewegung  auch  diesseits  der  Alpen  nachwirkte.  Die  Itahener 
hatten  schon  seit  alter  Zeit  für  pomphafte  Aufzüge,  Trionfi,  eine  Vor- 
hebe gehabt;  es  sei  nur  an  die  vielen  Darstellungen  solcher  Festprozes- 
sionen, z.  B.  an  den  von  Andrea  Mantegna  entworfenen  Triumphzug  Cäsars, 
erinnert.^)  Als  Karl  der  Kühne  von  Burgund  1468  in  Lille  einzog,  wurde 
ihm  zu  Ehren  ein  Schauspiel,  das  Urteil  des  Paris,  aufgeführt;  die  Göt- 
tinnen und  Paris  waren  ganz  nackt.  Schon  beim  Einzüge  in  Paris  1461 
war  Ludwig  XI.  von  drei  nackten  Mädchen,  die  wohl  die  Grazien  dar- 
zusteHen  hatten,  begrüfst  worden.  In  Antwerpen  wurde  der  spätere 
Kaiser  Karl  V.  (23.  Sept.  1520)  mit  einem  gleichen  Schauspiel  empfangen. 
Jedenfalls   standen   die  Mädchen    aber   auf  einer  Art  von  Bühne '^);    dafs 


1)  Unvorgreiffliche  Gedanken  von  denen  Kirch-Weyhen,  wie  sie  heut  zu  Tage  an 
den  meisten  Evangehschen  Orten  auf  dem  Lande  mit  vielem  sündlichen,  üppigen  und 
ärgerlichen  Wesen  gehalten  werden,  sogar,  dafs  man  vor  den  vielen  schändlichen  Miss- 
bräuchen fast  nichts  mehr  von  derselben  rechten  Absicht  und  Gebrauchweifs.    Ulm  1731. 

^)  Hof.  Leben  "L  640  ff. 

')  Deutsches  Leben  S.  449  ff. 

*)  Ebend.  S.  191. 

*)  Vgl.  auch  den  Triumphzug  des  Kaisers  Maximilian  I.  —  Kulturg.  Bilderb.  L 
Nr.  144—287;  IL  N.  620. 

*)  Vgl.  den  Triumph  der  Musen.     Kulturg.  Bilderb.  IL  N.  745. 


390  ^-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

sie  nackt  vor  dem  Fürsten  durch  die  Strafsen  der  Stadt  einh ermarschiert 
sind,  wie  dies  Hans  Makart  in  seinem  bekannten  Bilde  darstellt,  davon 
kann  gar  nicht  die  Rede  sein.^)  Als  Karl  V.  (?)  1558  in  Prag  einzog, 
beteiligte  sich  die  Jndenschaft  mit  ihren  Rabbinern,  mit  der  Fahne  und 
der  Thora.-) 

Der   Einzug   Karls  V.    in  Aachen  am   22.  Okt.   1520    und    der  vom 
Jahre  1530  sind  ausführhch  beschrieben  worden.'') 

Triumphbogen  zu  errichten,  scheint  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  aufgekommen  zu  sein.  Zwar  hatte  schon  Kaiser  Maxi- 
mihan  I.  eine  »Ehrenpforte«  durch  Albrecht  Dürer  entwerfen  und  nach 
den  Zeichnungen  des  Meisters  in  Holz  schneiden  lassen'^),  allein  die  im- 
provisierten Einzugstore,  die  ja  heut  noch  bei  passenden  Gelegenheiten 
erbaut  werden,  scheint  man  in  früherer  Zeit  noch  nicht  gekannt  zu 
haben.  Das  Muster  boten  die  erhaltenen  römischen  Triumphbogen, 
zumal  die  in  Rom  noch  vorhandenen.  Aus  Holz  gezimmert,  mit  Lein- 
wand verkleidet,  hatten  sie  nur  auf  kurze  Zeit  ihren  Dienst  zu  leisten. 
Die  Hauptarbeit  fiel  dem  Maler  zu,  der  die  Architektur  und  die  Bild- 
hauerverzierungen wahrheitsgetreu  darzustellen  hatte.  Die  in  Nürnberg 
1570  bei  Gelegenheit  des  Einzuges  von  Kaiser  Maximihan  H.  errichtete 
Ehrenpforte  hat  Jost  Amman  (Andresen  N.  71)  radiert.  In  Breslau  malte 
Johann  Twenger  1577  den  Triumphbogen  für  Rudolf  IL  und  veröffent- 
hchte  auch  eine  Abbildung  desselben  im  Kupferstich  (Andresen  IL  S.  52). 
Ein  anderer  Breslauer  Maler,  Georg  Hayer  (1559—1614),  hat  1611  die 
Triumphpforte  für  Kaiser  Matthias  gemalt^)  und  gleichfalls  später  in  Kupfer 
radiert.     Jedenfalls  sind  noch  mehr  solche  Abbildungen  vorhanden.*^) 

Seit  dem  17.  Jahrhundert  stehen  die  Grundzüge  für  die  Einzugs- 
feiernfest: Ehrenpforten,  Glockenläuten,  Kanonensalven,  und  bis  auf  die 
Gegenwart  ist  nichts  Wesenthches  an  diesem  Programm  geändert  worden.') 

1)  (Vulpius),  Kuriositäten  I.     (Weimar  1811)  206. 

2)  Ebend.  S.  282. 

s)  Ebend.  X.  S.  72  und  508.  Vgh  auch  Hans  Schäuffeleins  Triumphzug  des 
Kaisers  (1537).  Kulturg.  Bilderb.  II.  N.  734,  739,  744.  —  Joh.  Nikolaus  Hogenberg, 
Einzug  des  Kaisers  Karl  V.  und  des  Papstes  Clemens  VII.  in  Bologna  1530.  (Kulturg. 
Bilderb.  I.  X.  518—556.)  —  Einzug  in  Schwäbisch-Hall.  Kurios.  II.  240.  —  Vgl.  Joa.  Bo- 
chius,  Descriptio  publicae  gratulationis,  spectaculorum  et  ludorum  in  adventu  Sereniss. 
Principis  Ernesti  Archiducis  Austriae.  Antw.  1595  m.  Kupfertafeln.  —  Joa.  Bochius, 
Historica  narratio  profectionis  et  inaugurationis  seren.  Belgii  principum  Alberti  et  Isa- 
bella, Austriae  archiducum  .  .  .  Antw.  1602  m.  Kupfrn.  —  Kurtze  Relation  ...  der 
Rom.'  Kays.  Mayest.  Leopoldi  zu  Nürnberg  gehaltenen  Einzug,  geschehen  d.  6.  Aug. 
1658.     Nürnb.    1658. 

*)  Thausing,  Dürer  II.  148.  —  Vgl.  Kulturg.   Bilderb.  IL   N.    590—96;  609—613. 

5)  A.  Schultz,  Unters,  z.  Gesch.  der  schlesischen  Maler  (Bresl.  1882)  S.  66. 

6)  Aigentlicher  AbriTs  der  Ehren-Porten  heim  Einzug  Ferdinands  III.  in  Regens- 
burg den  12.  Dec.  1652  (Theatrum  Europ.). 

N.  Chevalier,  histoire  de  Guillaume  III,  roy  d'Angleterre,  par  medailles,  inscrip- 
tions,  arcs  de  triomphe  .  .  .  avec  des  planches  gravees  par  R.  de  Hooghe.  Amster 
dam  1692. 

Triumphs-Pforte,  welche  zu  AVien  vou  denen  Hn.  Niederlegern  daselbst  zum  Em- 
zuge  und  zum  Beylager  .  .  .  Josephi  I.  Ao.  1699  erbauet  worden.     I.  Delsenbach  sc. 

')  Beschreibung  defs  freudigen  eintritts  defs  Durchl.  Fürsten  und  Herren  Friedrich 
Pfaltzgraven    etc.    in    dero    Statte    Franckenthal    geschehen    den    4.    .Tunij    Anno   1613. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  391 

Seit  der  Gebrauch  des  Kaffees  sich  auch  in  den  mittleren  Gesellschafts- 
kreisen eingebürgert  hatte  (vgl.  S.  329),  fanden  die  Frauen  an  den 
Kaffee  -  Kränzchen  Gefallen.  Die  Frauenzimmer-Lexika  von  1715  und 
1739  erklären:  »Caffee-Kräntzgen  Ist  eine  tägUche  oder  wöchenthche 
Zusammenkunft  und  Versammlung  einiger  vertrauter  Frauenzimmer, 
welche  nach  der  Reihe  herum  gehet,  wobey  sie  mit  Caffee-Trincken  und 
L'Ombre-Spiel  divertieren  und  ergötzen.«  Zu  diesen  Kränzchen  kommen 
noch  die  ;  Caffee-Schwestergen«.  »Heissen  einige  vertraute  und  gute 
Freundinnen,  so  täghch  auf  ein  Schälgen  Caffee  zusammen  kommen  und 
sich  darbey  eine  Ergcitzung  machen.« 

Die  Kränzchen  sind  schon  im  16.  Jahrhundert  nachzuweisen. 
Entweder    kamen   da  Frauen    zusammen,    afsen   und    tranken,    brachten 


22  Rad.  55  S.  Text.  Eberh.  Kieser,  Einzug  des  Kurfürsten  Friedrich  V.  von  der  Pfalz 
in  Prag  1619  (ICulturg.  Bilderb.  III.  N,  1621). 

Jan  Martsen  de  Jonghe,  Einzug  der  Maria  von  Medici  in  Amsterdam  1638. 
(Kulturg.  Bilderb.  IV.  N.  1953-1958.) 

Entröe  du  Cardinal-Infant  Ferdinand  d'Autriche  dans  la  ville  de  Gand.  1638. 
43  Grav.  —  C.  Barlaeus,  Medicea  hospes  sive  descriptio  publicae  gratulationis,  qua 
Reginam  Mariam  de  Medicis  excepit  Senatus  Populusque  Amstelodamensis:  Amstelod. 
1638.     Portr.  et  16  doubles  planches. 

Pompa  introitus  honori  Serenissimi  principis  Ferdinandi  Austriaci,  Hispaniorum 
Infantis  a.  S.  P.  Q.  Antwerpiensi  decreta  et  adornata  a.  1635.  Arcus,  pegmata 
iconesqui  a.  P.  P.  Rubenio  inventas  comm.  illustr.  C.  Gevaertius.    Antw.  1641. 

Vorbildung,  was  es  zur  Zeit  Königs  Johannes  des  IV.  in  Portugal  Beruffung  und 
Crönung  für  vier  Hanptactus  gegeben.  1641  iTheatr.  Europ.). 

Merian,   Wabre  Abbildung   der   kgl.   Salbung   Ludwigen  XIV geschehen    zu 

Rheims  d.  7.  Juni  1654. 

Einzug  Kaiser  Leopolds  I.  und  des  Erzherzogs  Leopold  Wilhelm  zu  Frankfurt  1658. 

Einzug  des  Königs  und  der  Königin  von  Frankreich  in  Paris  d.  26.  Aug.  1660 
(Theatr.  Europ.). 

Abbildung,  wie  die  Königin  zu  Portsmouth  angelangt  ist,  den  25.  Mai  1662. 

Abbildung,  wie  die  Stadt  London  den  König  und  die  Königin  in  Hampton  Court 
komendt  nacher  Withall  auf  dem  Flusse  Thames  begleitet  hat,  23.  Aug.  1662. 

Krönungs-Actus  Wilhelm  III.  und  Mariae  in  England  zu  London  21.  Apr.  1689. 
(R.  de  Hooghe.) 

Kurtzer  Bericht  von  denen  Solemnitäten,  welche  bey  der  Krönung  des  Printzen 
von  Wallis  vorgegangen,  darinnen  der  Einzug  in  Paris  etc.     Mühlhausen  1708. 

Merian,  Abbildung  der  prachtigen  Crönung  Ihro  Rom.  K.  M.  Caroli  VI.  .  .  .  zu 
Frankfurt  a.  M.  22.  Dec.  1711. 

G.  Chr.  Kriegl,  Erb.  Huldigung  Mariae  Theresiae  .  .  .  von  den  Niederösterr. 
Ständen  22.  Nov.  1740.     Tit.  u.  11  Kupferst.     Wien  1740. 

J.  H.  Ramboffsky.  Beschreibung  des  k.  Einzugs,  der  Erb-Huldigung  und  der 
Krönung  der  Kaiserin  Maria  Theresia  m  Prag.     Titelk.  9  Taf.  Imp.-Fol.  6  Taf.  Prag  1743. 

Krönungs-Geschichte  ...  der  Elisabeth  Petrowna  28.  Febr.  u.  25.  Apr.  1742. 
M,  49  Kupferst.     S.  Petersburg  1745. 

Petes  publiques  donnees  par  la  ville  de  Paris  ä  l'occasion  du  mariage  de  Msgr. 
le  Dauphin  (avec  Marie-Therese,  Infante  d'Espagne)  le  23  et  26  Fevrier  1745.  Avec  21. 
planches  Paris  1745. 

Fete  publique  donnee  par  la  ville  de  Paris  ä  l'occasion  du  mariage  du  Dauphin 
(avec  Marie-Josephe  de  Saxe)  le  13  Fevrier  1747  8  planches.     Paris  1747. 

Representation  des  Masques,  qui  etoient  ä  la  Celebration  du  Mariage  du  Dauphin. 
Suite  de  6  planches.     Nüremberg. 


392  ^-  Beschiiftiguiig  und  Unterhultuug. 

vielleicht  auch  ihre  Spinnrocken  und  Spinnräder  mit^),  oder  vertraute 
Freunde  niit  ihren  Frauen  und  Angehörigen  besuchten  sich  abwechselnd, 
um  bei  heiterer  Unterlialtung  gemeinsam  der  Tafelgenüsse  sich  zu  er- 
freuen.-) Die  erste  Gasterei  meint  Guarinonius  (S.  778):  ydie  ander 
Fresserey  der  Weiber  ist  fein  ordentlich  und  circularis  und  fürnomblich 
under  den  Edlern  bräuchig,  die  ihre  Mahlzeiten  eine  nach  der  andern 
anstellen  und  die  eine  der  andern  den  mit  verwandten  Frafs-  und  Sauff- 
schwestern  zusammen  ladet  und  nach  der  Abtheilung  von  einer  zu  der 
andern  kompt,  also  dafs,  wann  der  Schwestern  in  einer  Zech  zw^ölff 
seyn,  ein  jede  ihren  zw()lffen  zu  fressen  gibt  und  einmal  auff  jedes 
Krantzelmahl  gelangen  tliut,  darumben  auch  diso  Kraul z-l'^essereyen 
oder  Krantz-Malilen  genennt  werden.«     (Vgl.  S.  315). 

Der  Name  Kränzchen  entstand  aus  der  Sitte,  nach  Beendigung 
des  Mahles  dem  einen  Kranz  aufzusetzen,  der  an  der  Reihe  war,  das 
nächste  Fest  zu  veranstalten. 

Es  wurde  bei  diesen  Gelegenheiten  tüchtig  gegessen,  aller  Wahr- 
scheiidichkeit  nach  auch  getrunken.  Hermann  von  Weinsberg  gibt  1557 
ein  Abendmahl  mit  zwei  Gängen  von  je  fünf  Schüsseln:  1.  gebackenen 
Fisch,  Hering  und  Bückling,  Rapunzel.  —  2.  Gebratenen  Fisch,  zwei 
Schüsseln  mit  Gallert,  zwei  mit  Krebsen.  —  Dann  Nüsse,  Apfel,  Feigen, 
Rosinen.     Dies  Dessert  blieb  auf  dem  Tische  stehen.    (B.  Weinsb.  H.  90.) 

Es  fehlte  nicht  an  Gelegenheit  zu  geselligem  Verkehr.  Bald  wurden 
die  Freunde  zu  einem  Mahl  gebeten,  wenn  das  Schweinschlachten 
vorüber  war^),  bald  lud  einer  seine  nächsten  Angehörigen  zum  »kalten 
Braten«,  die  Überbleibsel  eines  Festmahls  gemeinsam  zu  verspeisen."^) 

Dafs  bei  den  vielen  Gastereien  auch  mancher  sich  den  Magen  verdarb, 
ist  sicher.  Da  mufste  nun  die  Hausfrau  eintreten,  denn  um  solche 
Kleinigkeiten  schickte  man  nicht  zum  Arzte,  besonders  wenn  man  ihn 
nicht  in  der  Nähe  hatte.  Solche  kleine  Anfälle  von  Unwohlsein  ver- 
stand man  mit  altbewährten  Hausmitteln  zu  kurieren.  Es  gab  ja  noch 
immer  genug  Krankheiten,  für  die  selbst  der  Arzt  kein  Heilmittel  wufste, 
so  die  immer  wiederkehrenden  Pestepidemien,  die  Hunderttausende 
dahinrafften,  im  15.  Jahrhundert  der  TaneweczeP),  eine  Art  Influenza, 
1529  der  englische  Schweifs^);  für  solche  und  manche  andere  Krankheiten 
reichten  die  Hausmittel  nicht  aus,  die  für  gewöhnlich  genügend  waren, 
die  ganze  Familie  und  Dienerschaft  sowie  die  Freunde  und  Angehörigen . 
wieder  gesund  zu  machen.") 


1)  In  Köln:  Buch  AVeinsberg  1550  (I.  348);  1551  (I.  356,  360);  1553  {IL.  21); 
1557  (11.  90).  —  In  Nürnl)erg  1591   (B    Paumgartn.  Briefw.  S.  143). 

«)  Buch  Weinsb.  1540  (I.  151);  1550  (I.  338). 

*)  B.  Paumg.  Briefw.  1594,  26. /VI. :  Unser  metthausvest  hat  heut  aug  ein  end, 
bin  recht  fro,  der  sackpfeifen  einmal  abkumen  bin  (S.  217). 

*)  Ib.  1594,  20./VI. :  Als  er  an  donerstag  zu  nacht  nach  seiner  gastung  uns 
wider  zum  kaltten  protten  lut  (S.  207).  —  ^)  Deutsches  Leben  etc.  618. 

*)  Kantzow,  Pomm.  Chron.  S.  176,  177.  —  A.  Sender;  die  Krankheit  dauert  in 
Augsburg  vom  1.  Nov.  bis  6.  Dec.  und  rafft  täglich  Hundert  fort.  —  Buch  Weinsberg. 

^  Colerus-Oeconomia  handelt  B.  XVIII.  u.  XIX.  von  Krankheiten  und  Haus- 
mitteln. —  Vgl.  Frauenz.-Lex.  1715,  1739  unter  Hausmittel.  —  Frau  Magdalene  Paum- 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  393 

So  waren  Pflichten  und  Arbeiten  für  die  Männer  aber  auch  für 
die  Frauen  zu  erfüllen;  es  fehlte  ihnen  aber  auch  nicht  an  Erholung 
und  Unterhaltung. 

Wenn  man  dann  nach  unsern  Begriffen  sehr  zeitig  das  Bett  auf- 
suchte, hatte  man  das  Bewufstsein,  den  Tag  durch  pflichttreue  Erfüllung 
seiner  Obhegenheiten  gut  verbracht  zu  haben.  »Abends  aber  soltu 
deine  Sachen  nach  solcher  Ordnung  richten,  dafs  du  zum  spatisten  umb 
8.  oder  9.  Uhr  zur  rhue  gehest,  so  hastu  deine  8.  oder  9.  Stund  zu 
dem  genügsamen  Schlaff.  Im  Sommer  hastu  an  6.  oder  7.  stunden 
übrig  genug,  s^) 

Sehr  wenig  erfahren  wir  über  die  Formen  des  gewöhnlichen  Ver- 
kehres. Im  12.  und  13.  Jahrhundert  ist  es  Sitte,  wenn  ein  Fremder 
das  Haus  betritt,  ihm  entgegenzugehen,  ihn  zu  begrüfsen,  den  Gleich- 
stehenden mit  einem  Kusse  willkonunen  zu  heifsen;  kommt  jemand  in 
das  Zimmer,  so  stehen  alle,  die  in  ihm  sich  aufhalten,  auch  die  Damen, 
vor  dem  Gaste  auf.  In  England  hat  die  Gewohnheit,  den  Gast  zu  küssen, 
noch  lange  sich  erhalten'-^),  wie  denn  überhaupt  die  enghschen  Damen 
der  früheren  Zeit  in  dem  Rufe  standen,  leicht  zugänghch  zu  sein. 

Im  17.  Jahrhundert^)  reicht  man  einer  französischen  Dame  nur 
die  behandschuhte  Hand;  es  ist  auch  immer  darauf  zu  sehen,  dafs  die 
Hand  des  Begrüfsten  obenauf  hegt.  Vornehme  Herren  küfst  man  die 
Hand.  Wenn  man  mit  einer  Dame,  ja  selbst  mit  einer  Magd  spricht, 
so  nimmt  man  den  Hut  ab.  Die  grofsen  Herren  in  Frankreich  haben 
die  Hände  auf  dem  Rücken;  gewöhnlich  stecken  die  Franzosen  eine 
Hand  in  die  Tasche  und  halten  mit  der  anderen  den  Hut.  Die  Tanz- 
meister schreiben  die  Stellung  der  Füfse  vor.  Trotz  ihrer  eigenen  Höf- 
hchkeit  erscheint  ihnen  das  Komphmentieren  der  Deutschen  lächerlich. 
Der  Spiegel  ist,  wie  sie  sagen,  der  treueste  Ratgeber  der  französischen 
Damen;  sie  verbringen  viel  Zeit  damit,  sich  im  Spiegel  zu  betrachten. 
Doch  sind  sie  viel  umgänghcher  und  gebildeter  wie  die  Männer.  Sie 
nehmen  sich  liebenswürdig  der  Fremden  an,  machen  sie  auf  Verstöfse 
gegen  die  Sitte  in  freundlichster  Weise  aufmerksam.  Sie  singen  sehr 
gern  und  erwarten  zum  Singen  aufgefordert  zu  werden.  Selbst  die 
Dienstmägde  besuchen,  wenn  sie  eine  Stunde  übrig  haben,  die  Tanzschule. 

Reisen  zum  blofsen  Vergnügen  hat  man  vor  dem  18.  Jahrhundert 
schwerhch  unternommen.    Junge  Leute  gingen  allerdings  schon  im  Mittel- 


gartner  kennt  viele  erprobte  Heilmittel:  Ehrenpreiswasser,  Lavendelzucker,  Rosen- 
zucker: (Briefw.  1594,  26./ VI.)  —  Sie  verordnet  ihrem  Manne  ein  Mittel  gegen  Ohren- 
schmerzen. (Ebend.  1597,  22./m.  —  S.  280.) 

1)  Guarinonius.  S.  1298. 

*)  Seb.  Franck,  Weltbuch  (1533)  fol.  LXVIjb;  Die  gest  emfahen  sy  mit  blossem 
haupt,  mit  geneigtem  knie  und  darzuo  mit  dem  kusls,  wa  es  gleich  ein  weib  ist,  doch 
on  alle  geylheit. 

')  Aus  der  Vorlesung  >Aulicarum  atque  politicarum  rerum  observationes«  von 
Johann  Christoph  Wagenseil  (1653  —  1705).  (Vulpius)  Kuriositäten  X  (Weimar  1823), 
S.  215  ff. 


394  ^  •  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

alter  nach  Italien  und  Frankreich,  an  den  berühmten  Universitäten  eine 
höhere  Bildung  zu  e^^Yerben,  als  die  Heimat  ihnen  diese  bieten  konnte; 
Künstler  suchten  Italien  auf,  um  die  Meisterwerke  ihrer  grofsen  Fach- 
genossen kennen  zu  lernen ;  Kaufleute  reisten,  wie  der  so  oft  schon  ge- 
nannte Balthasar  Paumgartner  aus  Nürnberg,  nach  Lucca  oder  Florenz, 
dort  Seidenwaren  zu  erwerben,  die  sie  dann  auf  den  deutschen  M(>ssen 
mit  Vorteil  verkauften,  und  andere  Grofshändler  kauften  andere  Luxus- 
Tvaren  und  Delikatessen  für  ihre  Geschäfte  ein;  vornehme  junge  Herren 
suchten  in  Italien  und  Frankreich  den  h(')heren  gesellschaftlichen  Schliff 
sich  anzueignen^):  allein  zu  reisen,  blofs  um  fremde  Länder  kennen  zu 
lernen,  zum  Vergnügen,  das  ist,  wie  gesagt,  kaum  einem  einzigen  ein- 
gefallen. Innner  war  die  Reise  durch  einen  gewichtigen  Zweck  ver- 
anlal'st. 

Diese  Erscheinung  läfst  sich  durch  mancherlei  Gründe  erklären. 
Die  Strafsen  waren,  wie  schon  früher  ausgeführt  w^urde,  überaus 
schlecht;  die  Verkehrsmittel  liefsen  alles  zu  wünschen  übrig;  wer  noch 
leidlich  kräftig  und  gesund  war,  reiste  zu  Pferde,  Männer  wie  Frauen, 
bei  schlechtem  Wetter  in  eine  dicke  Kappe,  später  in  den  weiten  Reiter- 
mantel gehüllt,  so  geschützt  gegen  Staub,  Regen  und  Schnee.  Kranke 
liefsen  sich  in  Rofsbahren  tragen ;  alte  und  schwache  Leute  mufsten  sich 
bequemen,  in  den  primitiven  Wagen,  die  ungefähr  unseren  Leiterwagen 
an  Komfort  gleichkamen,  die  Reise  zurückzulegen.  Den  Wagenkasten  in 
Riemen  zu  hängen,  dadurch  die  Stöfse  etwas  abzuschwächen,  ist  den 
Leuten  vor  dem  16.  Jahrhundert  kaum  eingefallen.  Seit  der  Mitte 
dieses  Jahrhunderts  hat  man  sich  mit  dem  Reisewagen  mehr  befreundet : 
noch  immer  zieht  ein  gesunder  Mann  es  vor,  zu  Rofs  seine  Reise  zurückzu- 
legen, aber  Damen  und  ältere  Herren  finden  doch  auch  an  den  Wagen- 
fahrten, so  unbequem  sie  uns  heute  auch  vorkommen  mögen,  ihr  Gefallen. 

Über  die  Reisen  der  Fürsten  gibt  J.  B.  von  Rohr  in  seiner  Ein- 
leitung zur  Zeremonial- Wissenschaft  (Berl.  1729)  uns  interessante  Aus- 
kunft. (T.  I,  Kap.  IX.)  Aufser  der  gewöhnlichen  Begleitung  gehören 
zum  Gefolge  ein  oder  mehrere  Reiseprediger,  Leib-Medicus,  Reise- 
Apotheker  und  Reise-Balbier  u.  s.  w.  Bei  den  Besuchen  der  Fürsten 
untereinander  sind  bestimmte  Etikette -Vorschriften  mafsgebend.  (Ebend. 
T.  II,  Kap.  II.) 

Das  Gepäck  wurde  auf  Saumtiere  geladen,  später  auf  Karren,  und 
so  begann  man  denn  wohlgemut  die  anstrengende  Reise.  Proviant  für 
die  nächsten  Bedürfnisse  hatte  man  vorsorglich  eingepackt,  auch  den  wohl- 
gefüllten     /Flaschenkeller:    nicht    vergessen.-)     Im    Winter   vermummte 

^)  Der  schon  S.  327  genannte  schlesische  Edelmann  Hans  11.  Pückler  von  Groditz 
reist  1595  nach  Italien,  um  »Heyten,  Fechten,  Springen,  Tantzen,  Vorschneiden  und 
die  Italienische  Sprache«  zu  lernen.  (Ztschr.  f.  Gesch.  u  Altth.  Schlesiens  VI  270.  — 
Breslau  1864.)  —  WolfE  Bernhard  von  Tschirnhaus,  getreuer  Hofmeister  auf  Academien 
und  Reisen.  Hannover  1727.  Es  sind^in  dem  Buche  auch  die  empfehlenswerten 
Gasthäuser  aufgezählt.  —  Vgl.  Gottlieb  Günther,  Diss.  acad.  de  libris  hodoeporicis. 
Lips.  1703. 

*)  »Die  Flaschen  in  dem  Kheller.«  B.  Paumgartner  Briefw.  S.  268 — 1596,  I./IX. 
—  Bei   der  Abreise    »der   Kellermeister   (des  Herzogs   von   Pommern)    füllete  mir  den 


4.   Unterhaltungen  der  Bürger.  395 

man  sich  so  gut  es  anging.  Als  Bartholomäus  Sastrow  im  Jahre  1548 
eine  solche  Reise  antreten  mufste,  hat  er  folgende  Kleider  angelegt 
(II.  97):  Auf  dem  Haupte  eine  Nachthaube,  darüber  eine  pelzgefütterte 
Hülle,  über  diese  eine  mit  Leinwand  gefütterte  Ka|)pe  mit  einem  Nasen- 
schutz, alles  festgeknöpft,  endhch  einen  dicken  Hut.  An  den  Händen 
Zwirnhandschuhe,  darüber  pelzgefütterte  Sämischleder-Handschuhe,  end- 
lich grofse  Wolfshandschuhe.  Am  Leibe  ein  leinenes  Hemd,  darüber  ein 
gestricktes  itahenisches  Hemd,  dann  eins  von  rotem  enghschen  Stoff, 
ein  wattiertes  Wams,  einen  gefütterten  kurzen  Rock,  einen  Rock  mit  AVolfs- 
pelz  gefüttert.  Über  den  Füfsen  und  Schenkeln  leinene  Socken,  Leinwand- 
hosen über  die  Knie,  Wanthosen,  Strümpfe  mit  Lammfell  gefüttert, 
darüber  endhch  die  Stiefeln. 

Es  war  gewifs  angebracht,  dafs  man  sich  mit  Lebensmitteln  wohl 
versorgte,  denn  in  den  Wirtshäusern  der  Dörfer  durfte  man  kaum  er- 
warten, etwas  Geniefsbares  vorzufinden.  In  einem  märkischen  Kruge 
da  gibt  es  nur  schlimmes  Bier,  schwarzes  Brot,  Nachtruhe  auf  der 
Streu.  Wer  etwas  Besseres  haben  will,  mufs  es  selbst  mitbringen.^) 
Auch  in  den  Städten  waren  die  Gasthäuser,  wie  Erasmus  von  Rotterdam 
in  seiner  bekannten  Darstellung  sie  schildert,  keineswegs  einladend.  In 
Jüterbog  soll  die  beste  Herberge  in  Deutschland  sein  2),  aber  in  Neustaedtl 
bei  Judenbach  ist  die  Wirtin  höchst  unmanierlich  ^) ;  andere  Wirtshäuser, 
wie  z.  B.  die  italienischen,  sind  voU  Ungeziefer.^)  Das  ist  aber  noch  zu 
ertragen.  Dagegen  findet  Hainhofer  bei  Judenbach  im  Thüringer  Walde 
ein  runbewohnet  Wirthshaufs  .  .  .  aus  welchem  vor  der  Zait  der  Wirtli 
mit  sainer  Gesellschaft,  um  willen  sie  viel  Gäste  geplündert  und  gemordet 
haben,  hingericht  worden  sein;.^) 

Bei  seinen  Reisen  in  Holland  logiert  Hermann  Weinsberg,  1569, 
zu  Gouda  >:im  Schlüssel,  im  Haag  zur  Borg.,  zu  Utrecht  »in  der 
Hullik  ,  d.  h.  in  der  Holke  (einem  Lastschiff),  zu  Xanten  »im.  Schwan«, 
zu  Neufs  in  der  »Clevischen  Herberge?..  Dann  ist  er  in  Utrecht 
in  den  »Drei  goldnen  Heringen«  ;  in  Amsterdam  wählt  er  den  »goldnen 
Stern«,  in  Deventer  den  »blauen  Engel«,  in  Emmerich  den  »Hirsch«. 
Früher,  1531,  hat  er  in  Emmerich  im  Wirtshaus  >  zum  Engel  in  der 
Steinstrafsen«  gewohnt  und  zu  Neufs  im  »Löwen;.  In  Augsburg  ist  das 
Wirtshaus  zum  »Lindenmayer«  teuer,  aber  gut^),  in  Frankfurt  a.  M.  der 
»Nörmperger  Hof« '')  und  »bey  dem  wyrtt  zum  Krachbaum ;  ^). 

Keller  auf  der  Kutschen  mit  Petersinen  (spanischem  Wein)  ein  und  der  Kuchinmeister 
richtete  die  kalte  Kuchin  zue«.  (Phil.  Hainhofer,  Reisetageb.  1617.  —  P>alt.  Studien 
IL  2.  S.  111.) 

1)  Phil.  Hainhofer,  Reisetageb.  1617.  —  Balt.  Stud.  II.  2.  S.  17. 

2)  Ebend.  S.  10. 

3)  Ebend.  S.  5:  Dise  Wirthin  führt  »sine  respectio  personarum  den  Priapum 
im  Mund.« 

*)  B.  Paumg.  Briefw.  (1584,  9./VII.  S.  43):  nun  damitt  ich  ab  den  losen  welschen 
wyrttshäusern,  inn  denen  alle  bett  voller  wantzen  seind,  khome. 
5)  A.  a.  O.  S.  5. 

•)  B.  Paumg.  Briefw.  S.  227,  243. 
')  Ebend.  S.  180. 
8)  Ebend.  S.  187. 


396  ^-  Beschäftigung  und  Unterhaltung. 

Phil.  Hainhofer  wohnt  in  Neu-Dresden  im  »goldenen  Löwen«  ^),  zu 
Saalfeld  im  -^Mondschein«-),  zu  Nürnberg  in  der  »goldenen  Gans«.^) 

Müneliens  bestes  Gasthaus  ist  der  »Straufs«.^)  In  Besan(;'on  wird 
das  'Hotel  ii  porte-enseigne  -  ^)  und  »zur  Krone«  ^)  gelobt,  in  Baden-Baden 
das  »zmn  goldenen  Engel«"),  in  Wildbad  »zum  kühlen  Brunnen«.^) 

Wenn  wir  Guarinonius,  unserm  so  oft  als  zuverlässig  befundenen 
Gewährsmann,  glauben  dürl'on,  waren  die  deutschen  Wirtshäuser  noch 
gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  in  einem  höchst  elenden  Zustande.  (Vgl. 
oben  S.  98.)  Ins  Gewicht  fällt,  dafs  er  nicht  in  einem  weltabgelogenen 
Orte  wohnt,  sondern    in  Hall   an   der  verkehrsreichen  Brennerstrafse. 

Begüterte  Reisende  konnten  sich  gegen  einige  der  ärgsten  Unbe- 
quemlichkeiten wohl  schützen,  indem  sie  Reisebetten  samt  ihren  eigenen 
Kissen  und  Bezügen  mit  sich  führten.  Solch  ein  Bett  nach  italienischer 
Art  gefertigt,  das  man,  auseinandergenommen,  in  eine  Truhe  verpacken 
konnte,  wird  S.  271  in  Paumgartners  Briefwechsel  erwähnt  (1596  Sept.). 

Schlimm  aber  war  es,  wenn  man  auf  dem  Wege  von  der  Nacht 
überrascht  in  einem  kleinen,  abgelegenen  Wirtshause  Unterkunft  suchen 
mufste.     Vielfach  wird  uns  da  von  Raub  und  Mord  berichtet. 

Die  Strafsen  selbst  waren  unsicher.  Schon  während  des  ganzen 
Mittelalters  mufste  man,  zumal  wenn  der  Weg  durch  tiefe,  dunkle  Wälder 
führte,  eines  Raubanfalles  gewärtig,  gegen  ihn  gerüstet  sein.  Verwegenes 
Gesindel  lauerte  den  Reisenden,  den  Warenzügen  auf,  plünderte  sie  aus 
und  war  zu  jeder  Mordtat  bereit,  sobald  sie  für  die  Sicherheit  der  Bande 
nötig  erschien.  Mit  diesem  Räubergesindel  konkurrieren  nun  die  adligen 
Strauchdiebe,  die  trotz  aller  Strafen,  Hinrichtungen,  Zerstörungen  der 
Burgen  doch  noch  bis  tief  in  das  16.  Jahrhundert  ihr  Gewerbe  treiben, 
raubend,  stehlend,  Gefangene  bis  nach  Erlegung  eines  ansehnlichen  Löse- 
geldes in  Gewahrsam  haltend.^)  $ 

Im  16.  Jahrhundert  und  in  der  Folgezeit  spielen  neben  den  Va- 
ganten aller  Art  besonders  die  abgedankten  Soldaten,  die  gartenden 
Knechte,  eine  grofse  und  gefährliche  Rolle.  Sie  durchziehen  allein 
oder  in  Haufen  das  Land,  betteln,  nehmen  im  Notfall  mit  Gewalt,  sind 
auch  bereit,  als  Strafsenräuber  den  Reisenden  aufzulauern.  Die  Not,  die 
diese  verwegenen  Gesellen  über  das  Land  brachten,  veranlafste  zwar 
viele  obrigkeithche  Verordnungen,  liefs  sich  aber  nicht  so  leicht  besei- 
tigen. Nach  dem  Dreirsigjährigen  Kriege  wuchs  die  Zahl  der  brotlosen 
Soldaten  ins  Ungeheure.  Wie  noch  bis  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
eine  grofse  Menge  von  Räuberbanden  ihr  Wesen  trieben,  das  ist  ja 
jedermann  bekannt. 


I 


»)  A.  a.  O.  S.  128. 

2)  A.  a.  O.  S.  152. 

»)  A.  a.  O.  S.  154. 

•*)  Guarinonius.  S.  843. 

*)  Lucas  Geizkofler.  S.  79. 

6)  Ebend.  S.  139. 

')  Ebend.  S.  104. 

8)  Ebend.  S.  106. 

9)  Höf.  Leben  "I.  512  ff.  —  Deutsches  Leben  etc.  229  S. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  397 

Mit  diesen  Strolchen,  die  bei  Gelegenheit  auch  raubten  und  mor- 
deten, sind  nahe  verwandt  die  Landstreicher  (Vaganten)  und  Bettler,  die 
schon  im  15.  Jahrhundert  eine  Landplage  waren.^)  Sie  hatten  ihre  ver- 
schiedenen Spezialitäten,  wie  das  in  dem  Liber  Vagatorum  zu  lesen  ist, 
ihren  Gaunerdialekt  u.  s.  w.  Auch  diese  Banden  sind  noch  bis  in  das 
18.  Jahrhundert  wohl  nachzuweisen,  erst  mit  dem  Erstarken  der  Sicher- 
heitspohzei  mehr  verschwunden  oder  weniger  sichtbar  geworden.  Die 
Menge  der  Vaganten  stellt  den  Räuberbanden  immer  ein  brauchbares 
Material.2) 

Die  Räuber  der  alten  Zeit  haben  ihr  Handwerk  im  grofsen  Stile 
betrieben.  Die  Bande,  die  1519  in  Stettin  gerichtet  wurde,  hatte  aufser 
zahlreichen    Kirchendiebstählen    auch    viele    Morde    auf    dem   Gewissen: 

3  Mönche,  3  Knechte,  12  Männer,  8  Weiber,   5  Jungfrauen,    3  Priester, 

4  Schüler,  27  Juden  (also  55  Menschen)  waren  ihnen  zum  Opfer  ge- 
fallen, aufserdem  hatten  7  Weiber  und  4  Kinder  bei  den  von  ihnen 
angelegten  Bränden  den  Tod  gefunden.^)  1580,  am  17.  Juni,  wurde 
gerädert  Christoph  Grippertenius,  der  aufser  seinen  6  Kindern  noch 
964  Menschen  umgebracht  haben  soll.^)  Diese  Sache  machte  ungeheures 
Aufsehen,  und  noch  viele  Jahre  später  erzählen  die  Unterhaltungsbücher 
von  seinen  Verbrechen,  seiner  qualvollen  Hinrichtung  (i:'r  soll  noch 
9  Tage  auf  dem  Rade  gelebt  haben. °)  Peter  Niers,  der  am  16.  Sept. 
hingerichtet  wurde,  hat  allerdings  nur  544  Personen  ermordet,  unter 
diesen  aber  24  schwangere  Frauen,  denen  er  ihre  Leibesfrucht  der 
Zauberei  halber  ausgeschnitten.^)  1616  fand  in  Öls  die  Exekution  des 
Mörders  Michael  Moises  aus  Zeitz  statt ;  er  wurde  mit  glühenden  Zangen 
gezwickt  und  lebendig  gevierteilt;  1643  büfste  in  Prag  ein  Mörder  mit 
dem  Leben,  der  auch  5  schwangere  Frauen  getötet  hatte;  im  Januar 
1654  ist  dann  in  Öls  der  Melchior  Hedloff,  genannt  Schütze  -  Melcher, 
der  251  Mordtaten  und  viele  schwere  Verbrechen  auf  dem  Gewissen 
hatte,    gerichtet    worden.'^)     1655    hat    man   zu  Mastricht  den  »Strassen- 


')  Ebend.  222  ff. 

*)  Ägidius  Henningius,  Mischmasch  etc.  Frkf.  a.  M.  1665.  S.  56 — 81.  —  Eulen- 
spiegelischer  Mercurius,  Freyburg  1717  S.  292:  Es  bestehet  aber  diser  (Bettler-)  Orden 
in  losen  faulen  Buben  und  Haluncken,  starken  unverschämten  Land-Fahrern,  Schwänder- 
Brüder,  Catharina-  und  Margareten-Krämmern,  Luykerwahlen ,  Savoyarden ,  Jacobs- 
Brüdern,  Eomfärthem,  fahrenden  Schülern,  abgedanckten  Soldaten,  vertriebenen,  aus- 
gemergelten Huren,  Beutelschneidem,  Schelmen  und  Dieben,  auch  wohl  vagirenden 
schwärmenden  Tfaffen  ....  (293)  Derowegen  soll  ein  Reisender  allezeit 
dahin  trachten,  wie  er  in  einer  Stadt,  einem  Marckt-Flecken  oder 
wenigstens  in  einem  grossenDorff  sein  Nacht-Lager  haben  möge  und 
immer  nach  wol-practicirten  Wir ths-Häusern  fragen. 

')  Joachim  von  Wedel,  Hausb.  S.  56. 

*)  Ebend. 

*)  Martin  Zeiller,  Hdb.  I.  509  (Ulm  1655)  nennt  ihn  Christmann  Gropperunge  von 
Kerpen.  —  Joh.  Jos.  Pock,  Alvearium  curiosarum  scientiarum  (Augsb.  1710)  S.  338 
berichtet,  dafs  die  Hinrichtung  des  Chr.  Guipperdinga  aus  Luxemburg  am  17.  Juni  1581 
in  Burgkessel  bei  Köln  stattfand. 

^)  Joach.  von  Wedel,  Hausb.  283.  —  Die  Hinrichtung  beschreibt  der  Verfasser 
des  Exilium  Melancholiae  (Strafsb.  1643)  S.  597.  Über  Räuber  um  1600  vgl.  Joach. 
V.  Wedel,  Hausb.  S.  404.  —  ')  M.  Zeiller,  Hdb.  1.  508. 


398  ^'-  l'eschaftiguiig  und   Uutcrbiiltuug. 

Räuber  und  Post- Absetzer  Andreas,  der  Antichrist  genannte,  gehängt.^) 
Den  Strafsenräubern  von  Beruf  machten  nebenher  auch  die  Gelegenheits- 
verbrecher, wie  die  liolzknechte  in  den  bölimischen  Wäldern,  Konkurrenz.-) 

Während  die  Räuberplage  ^)  in  Deutschland  bis  in  das  19.  Jahr- 
hundert fortlebte  —  Schinderhannes  und  seine  Bande  ist  erst  im  No- 
vember 1803  guillotiniert  worden  — ,  scheint  der  Unfug  der  Raubritter 
schon  im  IG.  Jahrhundert  sein  Ende  gefunden  zu  haben.  Zwar  »ward 
(1508)  einer  vom  Adel  (in  Schlesien)  wegen  Rauberey  in  Stiefel  und 
Sporn  an  hechten  Galgen  gohenckt«  •*) ,  allein  das  Unwesen  war  schon 
nicht  mehr  allgemein  verbreitet.  In  Pommern  aber  trieben  sie  es  noch 
1519  gar  arg.  »Die  vornehmsten  capitains  seind  gewesen  zwo  Put- 
kammer, die  sich  der  eine  hertzog  Lolle,  der  andere  hertzog  Boerevitli 
genannt.  Thomas  Bars  ist  ihr  pabst  gewesen,  N.  Podewils  Priester 
Johann,  denn  sie  jeder  ihre  besondere  zunahmen  und  abzeichen  gehabt. 
Mehr  seind  in  dieser  compagnie  nicht  die  geringsten  gewesen  Michael 
Kanitz,  David  und  Henning  die  Manteuffel,  drei  Loden, 
ethche  Goltzen,  Ubesken,  Manfratz  und  andere«.^)  Die  Unsicher- 
heit im  Lande  war  aufs  höchste  gestiegen,  »denn  das  gesindlein  alhie 
zu  lande  also  zugewachsen,  dafs  auch  die  Fürsten  ohn  Kriegsstaffierung 
in  ilirem  eigenen  lande  nicht  sicher  reisen  können«.^)  Erst  1531  raffte 
man  sich  zu  energischeren  Schritten  auf;  die  Schlösser  der  Manteuffel 
wurden  erstürmt  und  geschleift,  die  beiden  Häupter  Michael  und  David 
gefangen  und  hingerichtet.'^) 

Die  Plage  der  Raubritter  war  mehr  eine  lokale,  auf  bestimmte 
Handelsstrafsen  beschränkte,  das  Räuberunwesen  jedoch  grassierte  aller- 
orten. Auch  das  für  schweres  Geld  von  den  Landesherren  zum  Schutze 
der  Reisenden   erkaufte  Geleit  war  nicht  in  allen  Fällen  ausreichend. 

Die  kleinen  Unannehmlichkeiten,  die  mit  den  Reisen  in  älterer  Zeit 
nun  einmal  verbunden  waren,  von  den  Weg-  und  Brückenzöllen  an, 
den  Versteuerungen,  sobald  man  aus  einem  Landesgebiet  ins  andre  kam, 
u.  s.  w.  fielen  gegen  jene  Übelstände  gehalten,  nicht  besonders  ins  Gewicht. 

Wer  eine  Reise  unternahm,  der  wufste,  welchen  Gefahren,  welchen 
Verdriefslichkeiten  er  entgegenging.  Selbst  die  Länge  der  Dauer  mufste 
er  in  Anschlag  bringen.  Als  Philipp  Hainhof  er  1617  den  pommerschen 
Herzog  besuchte,  reiste  er  aus  Augsburg  am  3.  August  und  war  am 
24.  in  Stettin;  zur  Rückreise  brauchte  er  einen  vollen  Monat  (vom 
2.  Okt.  bis  2.  Nov.).  Höchstens  um  seine  Gesundheit  durch  eine  Bade- 
reise zu  kräftigen,  konnte  einer  es  über  sich  gewinnen,  allen  den  un- 
ausbleiblichen Strapazen  und  Ärgernissen  zu  trotzen;  zum  blofsen  Ver- 
gnügen hat  es  gewifs  keiner  getan. 

»)  Ebend.  IH.  303. 
2)  S.  oben  376. 

^)  Li])S  Tullian,   des   bekannten   Diebes,   Mörders  und  Räubers  .  .  .     Leben    und 
Übelthaten  .  .  .  (geköpft  8.  März  1715)  o.  O.  1726. 
*)  Nik.  Pol.  Hemerol.  Sept.  18, 
ö)  Joacb.  V.  Wedel,  Hausbuch.  60. 
«)  Joacb.  V.  Wedel,  Hausb.  S.  108. 
')  Ebend.  S.  109. 


4.  Unterhaltungen  der  Bürger.  399 

Die  Heilkraft  der  Bäder  von  Pfäffers  (Ragaz)  und  Gastein,  von 
Wildbad,  Baden  in  der  Schweiz,  Karlsbad  u.  s.  w.  war  schon  im  Mittel- 
alter hoch  berühmt.^)  Balth.  Paumgartner  besucht  1591  Karlsbad  (Carols- 
bad^),  1596  Langenschwalbach.^')  Lukas  Geizkofler  weifs  besonders  Wild- 
bad zu  loben.  Die  Stadt  besteht  aus  12  grofsen  Gasthäusern,  in  denen 
die  Verpflegung  gut  und  preiswert  ist,  da  der  Herzog  von  Württemberg 
und  die  Stadtobrigkeit  den  Preis  jedes  Gerichtes  bestimmt  haben.  Grofse 
Herren  brachten  einen  ansehnhchen  Hofstaat  mit  sich.  Schon  1539 
hatte  Ludwig,  Herzog  von  Ober-  und  Niederbayern,  Gastein  aufgesucht; 
doch  ist  von  seinem  Gefolge  nichts  bekannt.  Als  jedoch  der  Erzbischof 
von  Salzburg,  Wolf  Dietrich,  Graf  von  Raitenau,  1591  die  Kur  in  Gastein 
brauchte,  waren  50  Leibschützen  zu  seiner  Bewachung  bestimmt;  der 
ganze  Trofs  bestand  aus  240  Personen.*)  1705  besuchte  der  Kurfürst 
von  Sachsen  und  König  von  Polen,  Friedrich  August  L,  Karlsbad  mit 
einem  grofsen  Gefolge  von  Soldaten,  668  Mann.^) 

In  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  ist  der  Einflufs  der 
französischen  Sitten  über  ganz  Europa  verbreitet,  zumal  bei  den  deutschen 
Schriftstehern  jener  Zeit  findet  man  sehr  häufig  Klagen  über  die  fran- 
zösischen Sitten  und  Gewohnheiten,  die  auch  in  Deutschland  so  bereit- 
willig nachgeahmt  wurden.  Es  ist  dies  eine  so  bekannte  Tatsache,  dafs 
Beweise  beizubringen  kaum  noch  vonnöten  ist,  doch  mögen  einige 
Äufserungen  weniger  bekannter  Schriftsteher  angeführt  werden.  Agi- 
dius  Henningius  veröffenthchte  1655  in  Frankfurt  a.  M.  ein  Buch  »Misch- 
masch oder  Natürliche,  Geisthche,  Sitthche,  Welthche,  Ernsthche,  Kurtz- 
weihge,  Weise,  Plötzhche  Einfälle  und  Betrachtungen«.  Da  sagt  S.  230 
der  Verfasser:  »Was  ist  nicht  Frantzösisch  aller  Orten!  So  weit  haben 
wirs  gebracht,  dafs  wlt  Frantzösische  Köche,  Frantzösische  Trachten, 
Frantzösische  Barte,  Frantzösische  Täntze,  Frantzösische  Geberden,  Frant- 
zösische Huren  und  Frantzosen  gar  an  und  in  dem  Leib  haben  u.  s.  w.« 
In  den  wohl  aus  dem  Itahenischen  übersetzten  Galanten  Nacht-Gesprächen 
(Dresden  1685)  aber  wird  die  Freiheit  ün  Benehmen  der  Franzosen  der 
Würde  der  spanischen  Hofleute  gegenübergestellt  (S.  237),  anerkannt, 
dafs  die  Itahener  alles,  was  sie  ^ Gutes  haben  in  den  Kleidungen,  Gast- 
mahlen, Freudenfesten,  in  den  Waffen  und  allem  andern,  einem  Hof- 
mann zukommenden  Stücken«  den  Franzosen  verdanken  (S.  279),  allem 
der  Verfasser   meint  doch,  dafs  die  »Ernsthafftigkeit«  der  Spanier  mehr 


1)  Deutsches  Leben  im  14.  u.  15.  Jhdt.  S.  237. 

«)  Briefw.  114—116. 

')  Briefw.  216. 

*)  Kurios.  IX.  421  ff. 

Ansicht  von  Karlsbad  gest.  v.  Frater  Henricus  (Kulturg.  Bilderb.  IV.  N.  2220) ;  — 
Bäder  von  Homhausen  1646,  gest.  v.  Valentin  Wagner  (ebend.  IV.  N.  2217),  —  Bad 
Ems,  gest.  von  Caspar  Merian  (ebend.  IV.  N.  2056) ;  —  Aldert  van  Everdingen,  Mineral- 
brunnen (ebend.  V.  N.  2304—2307). 

6)  Kurios.  III.  542.  —  Vgl.  F.  Blondel,  Ausführliche  Erklärung  Vnd  augen- 
scheinliche Wunderwirckung  Deren  Heylsamen  Badt-  und  Trinckwässcren  zu  Aach 

Aachen  1688. 


400 


V.  Beschäftii;;untr  und  Unterhaituns. 


für  die  Italiener  passe,  »als  der  Frantzoseii  Springen,  Singen  und  die 
fast  in  allen  Sachen,  in  allen  Verrichtungen  und  Geberden  befindliche 
hurtige  Lebhafftigkeit«.  Versuchen  es  die  Italiener  —  tnid  auch  die 
Deutschen  —  es  ihnen  nachzumachen,  so  werden  sie  »nichts  anders 
thun,  als  im  Reden  mit  dem  KoplT  hin  und  her  fahren  und  mit  grossem 
Übelstand  eine  Reverentz  überzwerg  machen,  und  wenn  sie  in  der  Stadt 

spazieren,  so  laufen  sie  so 
geschwind,  dafs  ihnen  die  La- 
(pieyen  nicht  folgen  können« 
u.  s.  w.  (S.  280.) 

5.  Unterhaltung  der  Bauern. 

So  ganz  freudenleer  war 
auch  das  Leben  der  Bauern 
nicht.  Gewifs,  sie  hatten  hart 
zu  arbeiten,  und  wenig  ge- 
nug kam  ihnen  von  all  den 
jMühen  und  Anstrengungen 
zugute,  aber  an  Feiertagen 
erfreuten  sie  sich  auf  dem 
Dorfanger  mit  Spielen  aller 
Art.  besonders  mit  Ballspie- 
len^), ja  man  erzählte  sich,  dafs 
sie  selbst  Bauernturniere  ver- 
anstaltet haben.  (S.  o.  S.  348 
Anm.  4.)  Essen  und  Trinken 
spielt  natürlich  bei  ihnen  eine 
sehr  grofse  Rolle ;  sie  sind  bald 
geneigt,  zu  viel  des  Guten  zu 
tun. 2)  Dann  endete  ein  solches 
Bauernfest  mit  einer  regel- 
rechten Rauferei,  bei  der  es 
Verwundete,  oft  auch  Tote 
gab.  Eine  besondere  Freude 
bereitete  ihnen  der  Tanz,  bei 
dem  es  gerade  nicht  allzu  züchtig  zuging:  die  Mädchen  wurden  hoch 
geschwenkt  oder  man  stellte  ihnen  ein  Bein,  jedenfalls  war  es  auf  eine 
Entblöfsung  abgesehen,  die  aber  allen  Teilnehmern  grofse  Freude  bereitete.^) 
Anmutig  sehen  die  Tänzer  nicht  gerade  aus,  die  Albrecht  Dürer  ^),  Hans 
Sebald  Beham^),  Jost  Amman  ^)  uns  darstellen,  so  wenig  wie  die  tanzenden 
Bauern   des   älteren  Bieter  Brueghel,    des  Adrian   von  Ostade    oder    des 

»)  Höf.  Leben  ^i.  541  ff. 

2)  Daniel  Hopf  er.  —  Kulturg.  Bilderb.  I.  N.  303—304. 

')  Deutsches  Leben  etc.  492. 

*)  Kulturg    Bilderb.  I.  N.  51. 

s)  Ebend.  n.  X.  898-903;  906—914. 

«)  Ebend.  III.  N.  1287.  1288. 


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Albrecht  Dürer,  Tanzendes  Bauernpaar. 


5.  Unterhaltung  der  Bauern. 


401 


David  Teniers  d.  J.,  aber  sie  sind  ganz  von  der  Freude  über  ihre 
bescheidene  Lustbarkeit  erfüllt.  Was  beim  Tanze  sich  angeknüpft,  wurde 
dann  in  den  winterlichen  Spinnstuben  weitergesponnen.  Besonders 
züchtig  mochte  es  nicht  sein,  aber  es  hat  den  Bauern,  Burschen  wie 
Mädchen,  viel  Freude  bereitet.  Auch  an  den  Kirchenfesten  nahmen  die 
Bauern  eifrigst  Anteil  (s.  o.  S.  385);  die  Hauptsache  ist  wieder  der  Tanz.^) 
Vor  allem  der  Hahnentanz  erfreute  sich  grofser  Beliebtheit:  der  Tänzer, 
der  besonders  geschickt  beim  Tanze  ein  Glas  oder  sonst  irgend  etwas 
auf  dem  Kopfe  balanciert  hatte,  bekam  als  Preis  einen  Hahn.^) 

Auch  sonst  fehlte  es  nicht  an  Vergnügen.  Das  Topfschlagen,  das 
Hahnschlagen  ist  ge\nfs  seit  Jahrhunderten  im  Brauche  gewesen.  Hans 
Bol  hat  uns  das  Gänsefest  geschildert^):  über  einen  Flufs  ist  ein  Seil 
gespannt,  an  dem  eine  Gans  hängt.  Es  kommt  nun  darauf  an,  dafs  der 
Bursche  im  Kahn  sich  ihrer  bemächtigt,  ohne  wie  die  meisten  ins 
Wasser  zu  fallen  und  des  Preises  verlustig  zu  gehen.  Solche  Volks- 
belustigungen hat  es  zahllose  gegeben,  und  dafs  sie  nicht  alle  Tage, 
sondern  nur  selten  gefeiert  wurden,  erhöhte  ihren  Wert  noch  ganz 
erhebüch.  Die  Bilder  des  Bieter  Brueghel  d.  Ä.  (1525—1569),  des 
Bauernbrueghel,  und  des  jün-  _ 
geren  Meisters  gleichen  Na- 
mens (1564 — 1637),  desHöllen- 
brueghels,  dürften  da  für  die 
niederländischen  Verhältnisse 
besonders  in  Betracht  zu  ziehen 
sein. 


Simon    weinmon. 


^)  S.  die  Kirchweih  in  Mögel- 
dorf. Kulturg.  Bilderb.  I.  N.  321 
bis  326.  —  Pieter  Breughel  d.  Ä., 
Kirmefs  in  d.  Kais.  Galerie  zu  Wien. 

*)  Deutsches  Leben  etc.  S  495. 

*)  Kulturg.  Bilderb.  III.  1295. 
(S.  o.  S.  358.) 


Hans  Sebaldus  Beham,  Tanzende  Bauernpaare. 


Schultz,  Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter. 


26 


VI. 


Tod  und  Begräbnis. 


26* 


I 


Einleitung. 


Die  Wahrscheinlichkeit,  ein  hohes  Aker  zu  erreichen,  war  im  Mittel- 
alter überaus  gering.     Abgesehen  davon,    dafs  Zahllose    den  Epidemien, 
der  Pest  zum  Opfer  fielen^),  haben  sie  sich  auch  fast  ausnahmslos  während 
ihres  Lebens  arg  mühen  und  plagen  müssen,  und  die  Ärzte  vermochten 
es  nicht,  gegen  schwerere  Krankheiten  erfolgreich  anzukämpfen.     Noch 
im  16.  Jahrhundert  ist  das  höchste  Alter  durchschnitthch  fünfzig  Jahre. 
Guarinonius,     der   Arzt,     hebt    es    als    etwas    ganz    Besonderes    hervor, 
dafs  seine  »Patavinische  Praeceptores    beedsamb    auff    ein    hohes  Alter, 
über  die  50  hinaus,  gelebt«  (S.  577).    Die  Kindersterblichkeit  war  grofs, 
und  von  der  Unmasse  von  Kindern,  mit  denen  die  Ehen  gesegnet  waren, 
blieb   nur   ein   geringer   Teil   länger   am  Leben.     Natürhch   hat  es   Aus- 
nahmen gegeben,   aber  die  waren  sehr  selten  und  wurden  deshalb  auch 
vielfach  bemerkt.     Als  1566  Graf  Wilhelm  Werner  von  Zimmern  81  Jahre 
alt  stirbt,  bemerkt  der  Chronist  (IV.  197):    »Mag  iren  wenigen  gedeihen 
und  kan  im  der  almechtig  sein  leben  noch  lang  fristen,  also,    das  er  uf 
dizmal  der  ehest  unter  allen  graven   und   herren   deutscher  nation  wurt 
gerechnet.?-     Auch   die  Frau  von  Dalberg,    die   als   eine   uralte  Ahnfrau 
von  der  Zimmerischen  Chronik  geschildert  wird,  ist  vieüeicht  etwas  über 
85  Jahre  alt  gewesen.     »Wie  man  spricht  von  ainer  alten  Frawen,    des 
geschlechts    der  Cammerer   von  Dalburg,    die    auf    ein    sollichs    geruigs 
grofs  aher  komen,  das  sie  zu  irer  leibhchen  Dochter  nachvolgende  werte 
gesprochen:  ,Dochter,  sag  deiner  Dochter,  ir  dochter  dochter  kinde  das 
weine',  das  ist  bis  in  den  fünften  Grad  gewesen.«     Gesetzt,  die  Frau  von 
Dalberg  hat,  was  ja  damals  ganz  allgemein  bräuchhch  war,  mit  16  Jahren 
geheiratet,  mit  17  Jahren  ihre  älteste  Tochter  geboren,  und  ihre  Tochter 
wie  die  Enkelin  und  die  Ur-  und  Ururenkelin   habe    das   gleiche   getan, 
so  war  sie  etwa  85  Jahre  alt,  .als  sie    eine  Ur-Ururenkelin   noch  weinen 
hörte.    Sie  kann  aber  auch  viel  jünger  geheiratet  haben,  und  dann  würden 
sich  die  Jahre  ihres  Alters  erhebhch  reduzieren.     Die  deutschen  Kaiser 


1)  Vgl.  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois :  Les  mMecins  (Paris  1892), 
Les  medicaments  (Paris  1891),  Varietes  Chirurgieales  (Paris  1894).  —  Les  apothicaires 
et  les  medicaments  (Paris  1892),  Les  chirurgiens  (Paris  1893). 


406  ^'^-  '^^'■^  """^^  ]?egräbnis. 

werden  im  16.  Jalirliuiidert  durchschnittlich  gegen  60  Jahre  alt,  die 
französischen  Könige  39,  die  englischen  etwa  47^/2,  während  im  siebzehnten 
Jahrhundert  für  alle  57,  58,  56  Jahre  angenommen  werden  kann. 

Die  Krankheiten,  zumal  die  Pestepidemien,  rafften  Tausende  in 
kurzer  Zeit  fort,  andere  fanden  in  den  Kriegen  ihren  Tod,  allein  es 
dauerte  sehr  lange,  ehe  die  Menschen  in  Europa  sich  mit  dem  Gedanken 
befreundeten,  ihren  Leiden  und  Gebrechen  durch  den  Selbstmord  ein 
Ende  zu  machen.  Im  Mittelalter  scheint  diese  Sitte  noch  gänzlich  un- 
bekannt; sie  läfst  sich  für  Deutsehland,  soweit  ich  dies  feststellen  kann, 
erst  seit  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  nachweisen.  Man  könnte 
annehmen,  dafs  mit  dem  Humanismus  auch  die  Wertschätzung  des  von 
den  Alten  so  bewunderten  Selbstmordes  in  den  Kreisen  der  Gebildeten 
Eingang  gefunden  habe;  indessen  sind  es  meist  arme  Leute,  die,  von 
der  höheren  Schulbildung  ganz  unberührt,  aus  Not  ihrem  Leben  ein 
Ende  machen.  Aus  Augsburg  erzählt  da  der  Fortsetzer  des  Chronisten 
Hektor  Mülich,  dafs  1506  ein  Weber  sich  die  Gurgel  abschneidet  und 
1508  gleichfalls  ein  Weber  sich  ertränkt;  in  diesem  Falle  ist  eine  un- 
glückliche Ehe  der  Grund.  1506  erhängt  sich  in  Augsburg  ein  14  jähriger 
Knabe. '^)  Häufiger  sind  die  Selbstmorde  1534:  da  erhängt  sich  ein  Mann 
aus  Not;  eine  arme  Frau  springt  in  den  Lech,  weil  ihr  Mann  2  fl.  ver- 
spielt hat;  eine  Magd  erhängt  sich  aus  Kummer  über  verratene  Liebe; 
ein  Weber  erhängt  aus  Not  zwei  Kinder,  mrd  mit  Gewalt  daran  ge- 
hindert, seine  Frau  und  noch  zwei  Kinder  aufzuhängen.^)  In  Breslau 
1513  »Erhieng  sich  ein  armes  Weib  sampt  ihren  zweyen  Kindern  aus 
Armut  und  Hungersnot :  Weil  die  gewöhnliche  Müncze  verruffen  und  sie 
nur  verboten  Geld  gehabt,  darumb  sie  sich  nichts  keuffen  konte«.^)  In 
Dresden  erhing  sich  1553  am  11.  Oktober  ein  Schneider  aus  Furcht, 
weil  er  der  Frau  eines  vornehmen  Herrn  Gewalt  angetan  hatte  ^)  u.  s.  w. 
Selten  sind  es  gebildete  Leute,  die  ihrem  Leben  gewaltsam  ein  Ende  machen. 

So  erhängt  sich  aus  Furcht  vor  Strafe  1502  in  Wien  Johann 
Waldner,  Kanzler  Friedrichs  III.  und  Maximihans^),  und  in  Augsburg 
1527  »Doctor  Weysierer,  ain  gelerter,  wol  beredter  mann,  ist  vor  etlicher 
zeit  Kaiser  Maximilians  Fiskal  gewesen«,  »vor  groser  arenmut  wegen  ist 
er  verzweifelt«  und  hat  sich  in  seiner  Kammer  aufgehenkt.  ^)  In  Dresden 
ersticht  sich  1580  einer  von  der  Rentkammer. '^) 

Die  Obrigkeiten  suchten  diesem  Übel  dadurch  entgegenzuarbeiten, 
dafs  sie  dem  Selbstmörder  ein  ehrliches  Begräbnis  versagten,  seine  Leiche 
am  Rabenstein  vom  Henker  einscharren  liefsen.^)  Von  dem  oben  ge- 
nannten Dr.  Weysierer  erzählt  der  Chronist  »den  hat  der  hencker  in 
ainem  vas  in  den  Lech  geworfen«. 


^)  ClemenB  Sender. 

''')  Ebend. 

')  Nie.  Pol,  Hemerol.  Jan.  3. 

■•)  Wenck,  Dresden.  541. 

«)  Forts,  d.  Chron.  d.  Hektor  Mülich. 

*)  Clemens  Sender. 

')  Wenck,  Dresden.  542. 

8)  Ebend.  541,  54-2. 


Einleitung.  407 

Immerhin  kam  der  Selbstmord  nur  sehr  sehen  vor;  die  Chronisten 
■v\^rden  sicherhch  die  Fähe  nicht  aufgezeichnet  haben,  wenn  sie  täghch 
sich  ereigneten. 

Wer  etwas  zu  vererben  hatte,  verfügte  über  sein  Hab  und  Gut, 
traf  Bestimmungen  über  seine  Bestattung  u.  s.  w.  Diese  Testamente 
wurden  bei  dem  städtischen  Gerichte  hinterlegt,  nach  dem  Tode  des 
Testators  eröffnet  und  sodann,  wie  z.  B.  in  Breslau,  in  besondere  Libri 
Testamentorum  eingetragen.  Für  die  Sittengeschichte  haben  diese  letzt- 
willigen Verfügungen  oft  eine  grofse  Bedeutung. 

Mit  den  Tröstungen  der  Religion,  seit  dem  16.  Jahrhundert  je 
nach  den  Anforderungen  der  Konfession,  versehen,  schieden  die  Leute 
aus  dem  Leben. 

Die  Bestattung  der  Verstorbenen  ist  nun  entsprechend  ihrem 
Stande  eine  verschiedene. 


I.  Tod  und  Begräbnis  der  Fürsten. 

Sobald  ein  Kaiser,  König,  ein  Herrscher,  mit  den  Tröstungen  der 
Religion  versorgt,  gestorben  war,  bestrebte  man  sich,  den  Leichnam 
möglichst  zu  erhalten.  Konnte  man  ihn  nicht  einbalsamieren,  so  suchte 
man  durch  Salz  die  Zersetzung  zu  verhindern,  salzte  die  Körper  geradezu 
ein,  füllte  sie  mit  Asche. ^)  Bei  dem  Einbalsamieren  ging  es  bisweilen 
roh  genug  zu.  Das  Herz  des  Verstorbenen  wurde  besonders  beigesetzt. 
Bekannt  ist  die  Grazien-Gruppe  von  Germain  Pilon  (jetzt  im  Louvre- 
IMusemn),  die  eine  Urne  tragen.  In  ihr  lag  einst  das  Herz  König 
Heinrichs  II.  Die  Eingeweide  wurden  auch  an  geweihter  Stelle  bei- 
gesetzt; die  Kapellen,  in  denen  gewöhnlich  diese  Beerdigung  erfolgte, 
nannte  man  Kaldaunen-Kapellen.-)  War  nun  ein  solcher  hoher  Herr 
fern  von  seiner  Heimat,  beispielsweise  im  Heihgen  Lande,  gestorben, 
dann  löste  man  die  Knochen  durch  Sieden  von  dem  Fleische,  das  man 
an  Ort  und  Stelle  begrub,  und  nahm  die  gebleichten  Gebeine  mit  nach 
Hause,  setzte  sie  in  der  Familiengruft  bei.^) 

Die  Leiche  wurde  nach  der  Einbalsamierung  im  vollen  Ornat  auf 
eine  prächtige  Bahre  gelegt,  öffentlich  gezeigt.  Erst  nach  einiger  Zeit 
erfolgte  das  Begängnis,  das  so  feierhch  und  grofsartig  wie  mögüch  ver- 
anstaltet wurde."*) 

Zuweilen  haben  uns  die  Geschichtschreiber  ausführhche  Beschrei- 
bungen solcher  Trauer-Zeremonien  überliefert,  z.  B.  über  die  Bestattung 
des  Günther  von  Schwarzburg  und  des  Kaisers  Karl  IV. ^)  Eine  der 
grofsen  Miniatiu-en  des  Froissart-Codex  der  Breslauer  Stadtbibliothek 
(IV,  23)  stellt  das  Begräbnis  König  Richards  IL  von  England  dar.  Die 
Leiche  wird  auf  einem  Planwagen  transportiert,  zalilreiche  Leidtragende 

1)  Höf.  Leben  ^n.  463  ff.  Vgl.  auch  Kantzow,  Pommer.  Chron.  S.  190.  Nach 
dem  Tode  des  Herzogs  Georg  von  Pommern  (1531):  »Alsbalde  liet  man  Seelgerede  und 
Trurkleider  bereiden  und  den  Corper  uthnehmen  und  mit  durbarer  salse  (Druck :  salfe) 
bewaren. 

°)  S.  Heinr.  Otte,  Kunstarcbäologie  *242. 

3)  Höf.  Leben  ^n.  308,  468. 

*)  Ebend.  466  ff. 

*)  Deutsches  lieben  im  14.  u.  15.  Jhdt.  619  ff.  —  Vgl.  besonders  die  Abbildungen 
Fig.  669—672. 


VI.  Tod  und  Begräbnis.     1.  Der  Fürsten.  409 

in  Trauerkappen  folgen  dem  Zuge.  Das  Blatt  ist  in  Photographiedruck 
veröffentlicht  worden. 

Julius  Bernhard  von  Rohr  schildert  uns,  vn.e  ein  Fürst,  König  und 
Kaiser  des  18.  .Jahrhunderts  standesgemäfs  zu  sterben  hat.  ^)  Schon 
lange  vor  seinem  Ende  hat  er  sich  Lieder  und  Sprüche  ausgesucht,  die 
er  auf  seinem  Sterbebette  sich  von  seinen  Angehörigen  oder  Leuten 
vorsingen  und  vorbeten  lassen  will.  Die  Gemahlin  Augusts  des  Starken, 
Christine  Eberhardine  (f  1727),  hat  in  dieser  Hinsieht  ein  vorzügliches 
Beispiel  gegeben.  Auch  über  ihre  Beerdigung  treffen  sie  Anordnungen ; 
so  hat  die  Kaiserin  Eleonora  Magdalena  Theresia  ausdrücklich  verboten, 
ihren  Leichnam  zu  waschen  und  einzubalsamieren. 

Die  katholischen  Herrscher  liefsen  wundertätige  Reliquien  an  ihr 
Sterbebett  bringen.-)  Bisweilen  nehmen  sie  dann  von  ihren  Angehörigen, 
ihrem  Hofstaat  Abschied  u.  s.  w. 

Nach  dem  erfolgten  Tode  wachen  Tag  und  Nacht  Kavaliere  bei 
der  Leiche,  die  nicht  immer  einbalsamiert  wird.  Das  Herz  der  katho- 
lischen Fürsten  legt  man  in  ein  silbernes  Behältnis  und  setzt  es  in  ein 
Kloster,  das  dem  Verstorbenen  besonders  lieb  war,  mit  vielen  Zeremonien 
bei.  Eingeweide,  Augen,  Gehirn  werden  in  einem  vergoldeten  Kessel 
in  einer  Kapelle  feierhch  begraben.  Herz  und  Zunge  Kaiser  Leopolds  I. 
wurden  1705  in  der  Lorettokapelle,  Gehirn,  Augen  und  Eingeweide  in 
der  Hofkapelle  beigesetzt. 

Sodann  wird  der  Leichnam  angekleidet  und  auf  das  Paradebett 
gelegt,  das,  mit  Sinnbildern,  Statuen  etc.  dekoriert,  von  einem  Baldachin 
überdeckt  wird ;  die  fürstlichen  Insignien  sind  zur  Seite  des  Toten  aus- 
gestellt. Statt  der  wirküchen  Leichen  wird  zuweilen,  besonders  in  Frank- 
reich, eine  Wachsfigur  aufgebahrt.  Die  religiösen  Zeremonien  werden 
dann  vorgenommen.  Auf  hohen  silbernen  Gueridons  brennen  zahlreiche 
Wachskerzen,  mit  Flor  umwunden,  mit  Wappenschildern  geschmückt. 

Die  Särge  fertigt  man  zuweilen  aus  schlichtem  Holze  an,  beschlägt 
sie  mit  schwarzem  Tuche,  oder  man  braucht  Doppelsärge,  den  inneren 
aus  Eichen-  oder  Cypressenholz,  den  äufseren  aus  Kupfer,  Zinn  oder 
Silber.  Einer  der  schönsten  Särge  ist  der  Friedrichs  L,  Königs  von 
Preufsen ;  der  Professor  Walter  hat  die  Inschriften  und  die  Dekoration 
erfunden.  Es  gibt  über  diesen  Sarg  eine  »Eigenthche  Beschreibung  <  .  .  • 
Hin  und  wieder  legt  man  Gedächtnismünzen  in  den  Sarg;  so  wurden 
bei  der  Bestattung  des  Papstes  Innocenz'  XIII.  60  Schaumünzen,  darunter 
20  goldene,  in  den  Sarg  gelegt.  Lang  und  breit  spricht  Rohr  dann  über 
die  in  den  Kirchen  aufgebauten  Castra  Doloris  und  deren  Ausstattung 
mit  allegorischen  Statuen  u.  s.  w.  Die  Kirchen  sind  mit  schwarzem 
Tuche  ausgeschlagen,  angemessen  mit  Emblemen  dekoriert. 


*)  Einl.  zur  Zerenaonial-Wissenschaft.  Berlin  1729.  T.  I.  Kap.  XYI. 
"  ^)  Über  die  Form,  wie  das  Viatikum  während  des  18.  Jahrhunderts  in  Paris  in 
die  Sterbehäuser  gebracht  wurde,  vgl.  Alfred  Franklin,  La  vie  privee  d'autrefois. 
Varietes  Parisiennes  (Paris  1901)  p.  131  ff.  Lud-näg  XV.  traf  einmal  das  Viatikum,  als 
er  aus  dem  Parlament  zurückkehrte ;  er  stieg  aus  setner  Karosse  und  kniete  unter 
dem  Jubel  des  Volkes  im  Strafsenschmutz  nieder. 


410  VI.  Tod  und  Begräbnis. 

Zahlreiche  Kerzen  brannton  zur  Seite  des  Ivataiahces,  der  bis  ins 
17.  Jalirhundert  verhältnismäfsig  sehHcht  und  einfach  ausgestattet  war.^) 
Seit  dem  17.  Jahrhundert  wird  es  Sitte  in  den  Kirchen,  wo  man  die 
Leichen  aufbahrte,  kostbare,  mit  Statuen,  Emblemen,  Inschriften  ge- 
schmückte Trauergerüste  zu  erbauen.  Das  sind  die  Castra  Doloris, 
deren  Entwurf  von  den  Hofgelehrttni,  deren  Ausfülirung  von  den  Hof- 
künstlern herrührte.-)  Bei  dem  Ableben  besonders  angesehener  Fürsten 
wurden  auch  an  befreundeten  Höfen '^j,  vor  allem  in  den  Städten  ihres 
eigenen  Landes  Trauerfeierlichkeiten  veranstaltet.'*)  Man  legte  diesen 
Zeremonien  einen  solchen  Wert  bei,  dafs  in  der  Regel  eine  Beschreibung 
derselben,  erläutert  mit  zahlreichen  Abbildungen,  veröffenthcht    wurde. ^) 


*)  In  Weifskiinig  (m.  Ausg.)  Abbildungen  von  Katafalken ;  Karls  des  Kühnen 
S.  120,  der  Maria  von  Burgund  S.  170,  Richards  III.  von  England  S.  246,  Sigmunds  von 
Tirol  S.  272,  Albrechts  von  Sachsen  S.  314,  des  Gaston  de  Foix  S.  351,  Jakobs  von 
Schottland  S.  368,  Friedrichs  III.  S.  374.  —  Tödliche  Abcontrafactur  weyland  Herrn 
Matthiae,  Rom.  Kaisers,  welcher  den  10  Martii  1619  entachlaft'en.  —  Radierung,  den 
Kaiser  auf  dem  Paradebett  darstellend. 

-)  Castrum  Doloris  Ferdinands  III.  (1657).  —  C.  D.  für  Friedrich  August  I.  von 
Sachsen  in  der  katholischen  Hofkapelle  zu  Dresden.  April  1733.  (Kol.  Lithographie 
von  E.  Köhler.) 

')  Relation  du  service  solennel  fait  dans  l'eglise  royale  et  nationale  de  Saint- 
Louis  ä  Rome  pour  monseigneur  Louis,  Dauphin  de  France,  le  vendredi  XVIII  Sep- 
tembre  1711.     Rome  1713. 

A.  Albani,  Ragguaglio  delle  solenni  esequie  fatte  celebrare  in  Roma  nella  Basilica 
S.  demente  alla  S.  R.  M.  Frederigo  Augusto  di  Sassonia.     Roma  1733. 

*)  Mausolee  de  Louis  (XV)  le  bien  aime,  roy  de  France,  eleve  dans  l'eglise  de 
St.  Roch  ä  Nancy  le  18  juin  1774.     Cochin  sc. 

Decoration  de  la  pompe  funebre  de  deux  Services  solemnels,  que  Messieurs  les 
officiers  etc.  du  regiment  d'infanterie  du  Roi  ont  fait  celebrer  en  l'eglise  des  Domini- 
quains  de  Nancy  pour  le  repos  de  Louis  XV.  le  26  et  27  mai  1774.  Claudat  inv. ; 
Cochin  sc. 

*)  Ich  erwähne  nur  einige  dieser  Publikationen ;  eine  vollständige  Aufzählung 
zu  geben,  bin  ich  nicht  imstande. 

Ordnung  weiland  .  .  .  Herrn  Joachim  Ernsten,  Marggrafen  zu  Brandenburg,  in 
Preussen,  zu  Stettin  etc.  Leichbegängnufs,  wie  dieselbe  25.  Apr.  a.  1625  zu  Onolsbach 
.  .  .  angestellet  w-orden.     47  Kpfst.     Nürnb.  1625. 

(H.  v.  Taube)  Gründliche  Beschreibung  derer  dem  Herrn  Johann  Georgen  (1611 
bis  1656)  gehaltenen  Leichenbegängnusse. 

Leichenbegängnis  des  Landgrafen  Georg  IL  von  Hessen-Darmstadt  (1605 — 61.) 
14  Kupfertaf.  von  J.  Schweizer  und  A.  Haelwegh.     Darmst.  1661. 

Höchst-verdiente  EhrenSeul  etc.  des  durchlaucht.  Ludwig  VI.,  Landgrafen  zu 
Hessen,  auffgerichtet  von  der  Landgräfin  Elisabeth  Dorothea.     Darmst.  1682. 

Immergrünendes  Grab-Mahl  des  Fürsten  Ludwig  VI.  Landgrafen  zu  Hessen- 
Darmst.  1682  —  S.  B.  Carpzow,  letzter  und  herrlicher  Sieg,  welchen  Herr  Johann  Georg  HL, 
Hertzog  zu  Sachsen,  bei  seinem  Eintritt  in  Tübingen  12.  Sept.  1691  erhalten,  bey  den 
Exequien,  als  der  Leichnam  zu  Freyberg  beigesetzet  wurde.  4  Kupfertaf.  von  Kilian. 
—  Dresd.  1692. 

Procession  bey  angestellter  Beysetzung  ....  Herrn  Johann  Georgen  IH.  (1680 
Hs  1691)  zu  Freyberg  d.  11.  Dec.  1691.  —  Mit  Kupferst. 

Pompe  funebre  de  Polixene  de  Hesse-Rhinfels,  reine  de  Sardaigne,  en  l'eglise  de 
Notre-Dame  de  Paris  le  24  Mars  1735.  de  Bonneval  inv.     Cochin  sc. 

Marie-Th^rese  d'Espagne,  Dauphine  de  France,  Pompe  funebre,  le  24.  Nov.  1746 
en  l'eglise  de  Notre-Dame  de  Paris.     Slodtz  inv.     Cochin  sc. 


1.  Der  Fürsten.  411 

Auch  die  Leichenpredigten  hefs  man  drucken,  zuweilen  «ogar  Gedächtnis- 
münzen  prägen. 

Das  Leichenbegängnis  selbst  bespricht  von  Rohr  im  18.  Kap.  des 
ersten  Teiles  seines  Werkes.  Den  Tag  vor  der  Beisetzung  ruft  ein 
Herold  unter  Pauken-  und  Trompetenschall  auf  den  Plätzen  aus,  dafs 
die  Bestattung  bevorstehe.  Die  geladenen  Gäste  sind  erschienen  oder 
haben  Stellvertreter  geschickt;  alle  Teilnehmer  am  Leichenzuge  sind 
schwarz  gekleidet.  Ehrenpforten,  Spaherbildung,  Glockenleuten.  Erfolgt 
die  Beerdigung  des  Abends,  so  sind  die  Fenster  der  Häuser,  die  an 
der  Strafse  liegen,  zu  erleuchten.  Die  Leibgarden,  die  der  Leiche  folgen, 
»haben  nach  der  gewöhnlichen  Trauer-Manier  den  entblöfsten  Degen 
unter  dem  Arme«. 

In  Deutschland  erscheint  ein  Trauerpferd  ^)  im  Leichenzuge,  mit 
schwarzem  StofI  und  Flor  bedeckt;  es  wird  von  Kavaheren  oder 
Offizieren  geführt.  Hinter  ihm  reitet  ein  Geharnischter  in  schwarzem 
Kürafs  und  Helm  mit  blofsem  Degen,  der  mit  Flor  umwunden,  die 
Spitze  nach  unten  gerichtet,  getragen  Anrd.  Das  Freudenpferd,  das 
die  Freude  der  Untertanen  über  den  neuen  Herrschei  bedeuten  soll, 
ist  wie  sein  Reiter  aufs  kostbarste  geschmückt.  So  gibt  es  auch 
Trauer-  und  Fr.eudenf ahnen :  sie  werden  von  Obersten  getragen.  Ist 
ein  Fürst  im  Kriege  gebheben,  so  darf  die  Blutfahne  ^  von  dunckel 
rothen  oder  couleur  de  feu  Taffett  oder  Damast  und  das  Bataillen-Pferd 
nicht  fehlen. 

Bei  dem  Leichenzuge  gehen  voran  die  Geringeren,  denen  die  Vor- 
nehmeren folgen.  Ein  Bereiter  oder  ein  vornehmer  Offizier  eröffnet 
den  Zug,  dann  kommt  ein  Hoffurier  in  tiefer  Trauer,  die  Hofmarschälle, 
Trabanten  mit  verkehrten  Gewehren,  Herolde,  Trompeter,  Pauker ;  darauf 
folgen  die  Pferde;  Kavahere  tragen  das  grofse,  aus  Kupfer  oder  Silber 
getriebene  Wappen,  andere  vornehme  Offizianten  die  Insignien,  Krone, 
Scepter  u.  s.  w.  Der  Leichenwagen  wird  von  6  oder  8  Pferden  gezogen, 
die  mit  Boy  oder  Samt  schwarz  bekleidet  sind.  Die  Zipfel  des  Leichen- 
tuches trugen  vornehme  Offiziere  oder  Kavaliere;  neben  dem  Wagen 
gehen  auf  beiden  Seiten  24  Kavahere,  aufserdem  Trabanten  in  langen 
Mänteln  mit  umflorten,  abwärts  gekehrten  Partisanen. 

Nach  dem  Leichenwagen  kommen  die  Marschälle  mit  überzogenen 
Stäben  und  darauf  die  fürsthchen  Leidtragenden,  von  Kavaheren  und 
Trabanten  begleitet,  sodann  die  Minister,  Hofkavaliere,  die  Beamten- 
kollegien. Die  fürsthchen  Frauen  werden  von  hohen  Standespersonen 
geführt,  von  Kavalieren  begleitet,  ihre  Schleppen  von  Hof  kavaheren 
getragen.  Einer  Gräfin,  die  an  solchen  könighchen  oder  fürstlichen 
Leichenbegängnissen   teilnimmt,    trägt  kein  Kavalier  die  Schleppe,  noch 

P.  Post,  BegraefEenisse  van  Frederick  Hendrick,  Prince  van  Orange.  Amsterd. 
1651.  —  30  PI.  doubles.  —  J.  Punt,  Lykstaetsie  van  Willem  Carel  Hendrik  Friso. 
s'Gravenhage  1755.  —  Afbellding  van  de  zaal  en't  praalbed.  Amsterd.  1752. 

1)  Langbein  erwähnt  noch  scherzhaft  in  seiner  Novelle  »die  Untersuchungs- 
commission«   das  Trauer-  und  das  Freudenpferd.     ^linerva  1822  (T^pz.).    S.  319. 


412  ^^I-  '^'^'^  ^^^*^  Begräbnis. 

wird  sie  von  ihaen  oder  von  Trabanten  geleitet.  Nach  den  fürstlichen 
Damen  folgen  die  Hofdamen,  an  ihrer  Spitze  die  »Hoch-Fürstliche  Frau 
Hofmeisterin  - . 

Dem  Zuge  schliefsen  sieh  die  Magistrate,  die  Advokaten  an;  endlich 
folgen  einige  Regimenter  mit  verkehrten  Gewehren,  umflorten  Spiefsen. 
Bei  der  Beerdigung  werden  dann  Denkmünzen  ausgeteilt.  In  der  Kirche 
angelangt,  stimmt  man  die  Trauergesänge  an ;  darauf  hält  der  Hofprediger 
die  Leichenpredigt.  Beim  Herabsenken  des  Sarges  blasen  die  Trompeten, 
werden  die  Pauken  geschlagen,  Kanonensalven  gelöst.  In  protestan- 
tischen Landen  stimmt  man  das  Lied  an:  >;Mit  Fried  und  Freud  ich 
fahr  dahin  .  Zuweilen  löscht  man  in  der  Kirche  alle  Lichter  aus.  In 
Frankreich  zerbrechen  der  Olx^rhofmeister  und  die  Haushofmeister 
ihre  Stäbe,  werfen  sie  in  die  Gruft  und  rufen:  >  Der  König  ist  gestorben.« 
Der  Wappenkönig  wiederholt  dreimal  diese  Worte  mit  dem  Zusatz: 
-'>lafst  uns  alle  für  seine  Seele  beten.«  Und  wenn  das  Gebet  beendet 
ist,  ruft  er  dreimal  >  überlaut ; :  :^Es  lebe  König  N.  N.!«  In  diesen  Ruf 
stimmen  alle  ein.     Trompeten,  Pauken. 

Wird  der  Letzte  einer  Herrscherfamilie  begraben,  so  zerbricht  man 
den  Regimentsstab,  zerschlägt  das  Siegel,  zerreifst  den  Fürstenhut  und 
die  Trauerfahne.  »Bifsweilen  werden  die  Worte  darzu  gefügt:  , heute 
Fürst  N.  N.,  mit  Vermeldung  des  gantzen  Fürstlichen  Tituls,  und  morgen 
nimmermehr',  zum  Zeichen,  dafs  kein  eintziger  mehr  von  diesem  Stamm 
und  Nahmen  mehr  vorhanden  sey.«  Beim  Begräbnis  des  letzten  Burg- 
grafen von  Leifsnig,  1538,  wurde  Schild  und  Rüstung  dem  Toten  mit  ins 
Grab  gegeben. 

Dann  erwähnt  der  Verfasser  noch  die  Grabdenkmäler  und  einer 
alten  merkwürdigen  Inschrift: 

Hier  liegt  ein  Fürste  löbelich, 

quem  (im  Drucke :  quam)  vulgus  flebile  plangit, 

von  Meifsen  Marggraf  Friderich, 

cuius  insignia  pangit  etc. 

Der  Todesfall  wird  den  befreundeten  Höfen  mitgeteilt^)  und  die 
Herrscher  legen  auf  längere  oder  kürzere  Zeit  Trauer  an.  Die  gewöhn- 
liche Trauerfarbe  ist  schwarz,  doch  trauert  der  König  von  Frankreich 
in  Violett.  Es  fiel  auf,  dafs  Ludwig  XII.  seine  Gemalilin  Anna,  Ludwig  XIV. 
den  Lord-Protektor  Cromwell  schwarz  betrauerte.  Für  gewöhnhch,  so- 
lange ihr  Gatte  lebt,  trägt  die  Königin  von  Frankreich  kastanienbraune 
Trauerkleider;  ihren  Gemahl  betrauert  sie  bis  an  ihr  Lebensende  in 
weifsen  Kleidern  (La  Reine  blanche).  Andere  fürstliche  Witw^en,  z.  B. 
die  österreichischen  Erzherzoginnen,  tragen  beständig  schwarz.  An 
manchen  Höfen  legt  die  Witwe  nach  der  Trauerzeit  nur  bescheidene, 
nicht  zu  helle  Kleider  an. 

Die  Trauer  der  Hofkavaliere  ist  sehr  komphziert :  die  Kleider  sind 
aus    .frisirtem  Tuch:,  sehen  also  stumpf  aus,    die  Schuhe  Sämischleder, 


1)  a.  a.  O.  Kap.  XIX. 


1.  Der  Fürsten.  413 

also  gleichfalls  ohne  Glanz,  die  Perücken  ungepudert,  die  Degen  mit 
Flor  umhüllt.  Die  Damen  trauern  in  schwarzem  und  weifsem  Flor.  Die 
Karossen  werden  mit  schwarzem  Boy  überzogen,  bei  den  höchsten  Hof- 
chargen, Ministern,  auch  ein  oder  mehrere  Zimmer  schwarz  ausgeschlagen. 
Im  fürstlichen  Schlosse  sind  bei  gewöhnücher  Trauer  die  Wohn- 
gemächer und  der  Audienzsaal,  bei  tiefer  Trauer  auch  der  Speisesaal 
schwarz  ausgeschlagen,  die  Möbel  schwarz  drapiert.  Alle  Hofdiener  er- 
halten schwarze  Trauerkleider,-  auch  die  Trabanten,  Schweizer  und 
Garden;  die  Miliz  legt  Flor  um  die  Fahnen  und  Trommeln. 

Die  Landestrauer  verlangt,  dafs  in  allen  Kirchen  von  11  bis  12  Uhr 
mittags  täghch  während  sechs  Wochen  die  Glocken  geläutet  werden;  die 
Orgeln  schweigen,  alle  Musik  bei  Hochzeiten,  Taufen,  Gastereien,  Fecht- 
schulen und  Komödien  ist  unstatthaft.  Als  Rudolf  IL  1612  starb,  wurde 
die  Trauer  in  Breslau  sehr  streng  beobachtet.  »In  den  Kirchen  ^\'ird 
mit  der  Orgel  und  Figural-Gesang  still  gehalten,  in  Hochzeitlichen  Zu- 
sammenkünfften,  Gastereyen  und  andern  Versammlungen,  in  Häusern 
oder  sonsten  Täntze  zu  hegen  und  der  Gebrauch  von  Seitenspiel  unter- 
sagt und  verboten«.^) 

Über  die  Trauerkleider  der  Franzosen  und  besonders  des  franzö- 
sischen Hofes  hat  Alfred  Franklin  alle  Nachrichten  zusammengestellt.  2) 
Nach  einer  Notiz  des  Petrus  Venerabihs  legten  die  Spanier  im  12.  Jahr- 
hundert allen  Schmuck  ab  und  trauerten  schwarz.^)  Schwarz  ist  auch 
die  Trauerfarbe  in  Frankreich  während  des  14.")  und  15. 5)  Jahrhunderts, 
doch  trägt  der  König  nur  schwarze  Kleider,  bis  die  erste  Trauermesse 
vorüber  ist,  dann  trauert  er  rot  (ecarlate  vermeil).  Die  Frauen  dürfen 
der  Totenfeier  ihres  Gemahls  nicht  beiwohnen.  Wenn  die  Mutter 
stirbt,  hat  die  Frau  neun  Tage  auf  ihrem  weifsgedeckten  Bette  zu  sitzen 
und  sechs  Wochen  das  Zimmer  nicht  zu  verlassen.  Um  den  Mann, 
Vater,  Mutter,  Bruder  trägt  sie  ein  Jahr  lang  Trauer;  einige  begnügten 
sich  mit  einem  halben,  ja  einem  Vierteljahre.  Bei  tiefer  Trauer  darf 
man  weder  Ringe  noch  Handschuhe  tragen.  Die  Königin -Witwe  bleibt 
ein  Jahr  in  den  schwarz  ausgeschlagenen  Zimmern.  Ihr  Witwenkleid 
ist  weifs;  die  Frauen  tragen  sonst  in  diesem  Falle  grau. 

Im  16.  Jahrhundert^)  war  weifs  die  allgemeine  Trauerfarbe,  ob- 
gleich auch  Ausnahmen  vorkamen.  So  trauert  Anna  von  der  Bretagne, 
die  Witwe  Karls  VIII. ,  schwarz,  auch  Ludwig  XII.  legt  für  seine  Ge- 
mahhn  schwarze  Kleider  an.  Dagegen  trauert  nach  dem  Tode  Karls  IX. 
Heinrich  III.  violett.  Diese  Sitte  behauptet  sich  nun  in  der  Folgezeit. '') 
Die  Frauen  des  17.  Jahrhunderts  tragen  weifs  bei  ihrer  Trauung  und 
in  ihrer  Trauer,  im  letzteren  Falle  mit  schwarz  gemischt.  Während  der 
ersten  40  Tage  bleibt  die  vornehme  Gesellschaft  in  schwarz  ausgeschlagenen 

')  Nikolaus  Pol,  Hemerologiums,  1612  Jan.  20. 

*)  La  vie  priv^e  d'autrefois.  —  Las  magasins  de  nouveautes  ***  (Paris  1896). 

s)  Pag.  30. 

«)  Pag.  33  ff. 

»)  Pag.  41  ff. 

«)  Pag.  66  ff. 

^  Pag.  106  ff. 


414  VI.  Tod  und  Begräbnis. 

Zimmern;  auch  die  Karossen  und  das  Pferdegeschirr  sind  schwarz  ver- 
hüllt. Dieses  Recht  des  Draper  steht  nur  dem  Adel  zu.  Anna  von 
Ost  erreich  trauerte  grau. 

Im  18.  Jahrhundert^)  legte  beim  Ableben  des  Königs  das  ganze 
A^olk  auf  ein  Jahr  schwarze  Trauerkleider  an.  Der  Hof  heferte  allen 
Hofbeamten  die  Trauerkloidung.  Auch  um  fremde  Fürsten  wurde  ge- 
trauert. Die  Dauer  der  Trauer  bestimmte  ein  kgl.  Edikt  vom  28.  Juni  1716. 
Da  wurde  festgesetzt,  dals  die  Trauer  um  den  König  ein  halbes  Jahr 
zu  tragen  sei,  die  um  den  Gatten  ein  ganzes  Jahr,  für  die  Frau, 
die  Eltern,  Grolseltern  sechs  Monate,  für  Geschwister,  Schwäger  drei 
Monate.  In  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  kommen  die  ge- 
druckten Todesanzeigen  auf. 

Die  Witwen  der  Fürsten  erhalten  nach  dem  Tode  ihres  Gemahls 
ein  schon  bei  der  Vermählung  festgesetztes  Leibgedinge.  Dagegen  ist 
die  Versorgung  der  Witwen  apanagierter  Prinzen  je  nach  dem,  was  sie 
selbst  mit  in  die  Ehe  gebracht  haben,  bald   reichhcher,   bald   geringer.^) 

2.  Begräbnis  des  Adels  und  der  Bürger.') 

Bei  dem  Adel  ist  natürhch  das  Schaugepränge  der  Bestattung  seiner 
Angehörigen  weniger  prunkvoll;  einigermafsen  aber  versuchte  man  doch, 
das  höfische  Gepränge  nachzumachen.  Und  die  reicheren  Bürger  nahmen 
sich  wieder  die  Gebräuche  bei  den  adligen  Begräbnissen  zum  Muster. 

Die  Beerdigung  fand  meist  sehr  schnell  nach  dem  Tode  statt. 
Graf  Gottfried  Werner  von  Zimmern  starb  am  2.  April  1554,  einige 
Monate  über  siebzig  Jahre  ah,  und  w^urde  noch  an  demselben  Tage  be- 
graben.^) Vornehme  Personen  bestattete  man  in  ihren  besten  Anzügen, 
schmückte  sie  mit  kostbarem  Geschmeide.  In  der  bayerischen  Fürsten- 
gruft zu  Lauingen  sind  die  prachtvollen  Schmucksachen,  die  heute  noch 
im  Münchener  Nationalmusemn  unsere  Bewunderung  erregen,  ursprüng- 
hch  den  toten  Fürsten  und  Fürstinnen  mit  in  den  Sarg  gegeben  worden. 
Auch  von  einer  Gräfin  von  Zimmern  meldet  uns  die  Chronik,  dafs  sie 
in  einem  schwarzen  Kleide,  einen  Kranz  auf  dem  Haupte,  beigesetzt 
wurde.  Sonst  ist  es  übhch,  den  Toten  in  ein  weifses  Leintuch  einzu- 
nähen, das  Gesicht  besonders  zuzudecken.^) 

Die  Leidtragenden  legten  zum  Zeichen  der  Trauer  schwarze  Kleider 
an. 6)  Auffahend  war  es  immer,  wenn  einer  weifse  Kleider  in  der 
Trauerzeit  trug,  wie  z.  B.  Graf  Gottfried  Werner  von  Zimmern  seine 
Gemahlin,  eine  geborene  Gräfin  von  Henneberg  (f  1548),  ein  Jahr  hin- 
durch in  Weifs  betrauerte.'^) 

Die  Freunde,  die  nicht  am  Orte  der  Trauer  lebten,  benachrichtigte 
man  schrifthch  von   dem  Todesfalle   und   lud   sie,    wenn   die  Bestattung 

»)  Pag.  128  ff. 

2)  V.  Rohr  a.  a.  0.  T.  I.  Kap.  XIII,  §  1—3. 

')  Vgl.  P.  G.  Molmenti,  La  vie  privee  ä  Venise  (Yen.  1882).  p.  281  ff.,  456  ff. 

*)  Zimm.  Chron.  IV.    265. 

»)  Ebend.  IV.    163,  180,  218. 

«)  Ebend.  m.    369.  —  ')  Ebend.  IV.    102. 


A 


2.  Des  Adels  uud  der  Bürger. 


415 


nicht  sogleich  erfolgte,  zur  Teilnahme  am  Begräbnis  ein.  Ob  man  im 
16.,  17.,  18.  Jahrhundert  sich  schon  in  Bürgerkreisen- der  gedruckten  Todes- 
anzeigen (Partezettel)  bedient  hat,  sollte  untersucht  werden  (vgl.  o.  S.  414.) 
In  den  Städten  unter  den  Bürgern  aber  war  es  noch  im  18.  Jahrhundert 
bräuchhch,  Angehörige,  Freunde  und  Bekannte  durch  eine  Botin  von  dem 
erfolgten  Tode  in  Kenntnis  zu  setzen.  Das  ist  die  weifsgekleidete  Bitt- 
frau; häufig  besorgt  das  auch  der  Leichenbitter,  der  sonst  auch  als 
Hochzeitsbitter  verwendet  wird.  Diese  Leute  erhalten  eine  Liste  der 
Freunde,  die  sie  zum  Begräbnis  einzuladen  haben;  sie  müssen  melden, 
ob  die  Leichenfeier   in   der  Kirche   oder   im  Trauerhause  stattfindet,   ob 


Hans  Burgkmair,  Begräbnis. 

die  Witwe  oder  der  Witwer  in  einem  schwarz  ausgeschlagenen  Zimmer 
die  Kondolenzvisiten  annehmen  wolle  u.  s.  w. 

Die  Herstellung  der  Trauerkleider,  die  Austapezierung  des  Kabinetts 
mit  schwarzem  Taft,  die  Menge  der  Kerzen  und  die  Wappenbilder,  mit 
denen  der  Katafalk  geschmückt  wurde,  endlich  die  grofse  Anzahl  der 
bei  dem  Leichenzuge  erforderlichen  Lohnwagen,  alles  das  kostete  sehr 
viel,  mufste  aber  trotz  alledem,  denn  die  Sitte  erforderte  es,  besorgt 
werden.  Dazu  kommt  dann  die  Leichenrede,  die  Verlesung  vom  Lebens- 
laufe des  Verstorbenen.  ^) 

In  manchen  Städten  und  bei  manchen  Ständen  veranstaltete  man 
die  Beerdigung  statt  am  Tage  des  Abends  bei  Fackelschein. 

Nach  Florinus  finden  in  Kopenhagen  die  Leichenbegängnisse  am  Abend 
statt:  die  Fenster  der  Häuser  in  den  Gassen,  die  der  Zug  passiert,  werden 
mit  4  Lichtern  beleuchtet,    die  Leiche  mit  Stocklaternen  geleitet.  (§  18.) 

Die  Freunde  und  Bekannten,  die  der  Beerdigung  beiwohnten,  hatten 
nun  auch  in  einem  ganz   besonderen  Trauerkostüm    zu   erscheinen.     Im 

^)  Christ.  Weise,  drey  Haupt  Vorderber  In  Teutschland.    S.  43. 


416  VI.  Tod  und  Begräbnis. 

15.  Jahrhundert  trugen  die  Männer  Trauerkappen,  lange  Gewänder  wie 
die  Kutten  der  Mönche  mit  grolsen  Kapuzen.  In  zaidreichen  Miniaturen 
der  burgundischen  inuministenschule  sind  solche  Leidtragende  abgebildet^); 
an  den  Sockeln  der  Grabdenkmäler  der  burgundischen  Herzoge  zu 
Dijon.  Dann  sehen  wir  solche  Erscheinungen  zahlreich  auf  Hans  Burck- 
mairs  Holzschnitten  dargestellt -),  vor  allem  in  den  Illustrationen  zum 
Weilskunig.  ^)  Von  »Laidröcken  und  lang  kappenzipfel«  si)richt  der 
Chronist  Heinrich  Deichsler  (1500,  Nov.  3),  wie  er  (1501,  Jan.  26) 
>-'24  swartzer  rock  und  laidkappen«  Erwähnung  tut.  Der  Zuschnitt  der 
Trauerkleider  ändert  sich  auch  mit  der  Zeit:  an  Stelle  der  Kutte  tritt 
der  Trauermantel"*),  die  Kapuze  mit  dem  lang  über  den  Rücken  herab- 
hängenden Trauerzipfel  wird  durch  einen  am  Hut  befestigton,  über  den 
Mantel  niederfallenden  Trauerflor  ersetzt.^)  Mit  geringen  Modifikationen 
hat  sich  diese  Tracht  noch  bis  in  die  ersten  Jahrzehnte  des  19.  Jahr- 
hunderts erhalten.  Sehr  mannigfach  waren  die  Trauerzeichen  der  Frauen. 
Die  Witwe  trägt  ein  schwarzes  Tuchkleid  von  besonderem  Zuschnitt, 
in  der  Zeit  der  tiefen  Trauer  mit  einem  weifsen  Trauerstreifen  um  den 
Ärmel.  Dazu  eine  eigene  Stirnbinde  aus  Krepp,  die  Trauer-Schnepfe. 
Die  Leidtragenden  haben  mit  Trauerhauben  den  Kopf  bedeckt,  Trauer- 
binden um  den  Hals  geschlagen.  Eine  Form  der  Trauerkappe,  der  Sturz 
zur  Trauer,  war,  wie  es  scheint,  dem  Adel  vorbehalten.  Verschiedene 
Arten  von  Schleiern  werden  je  nach  Landessitte  getragen,  gewöhnlich 
schwarz,  an  einigen  Orten  wie  in  Leipzig  auch  weifs.  Jedenfalls  gehörte 
es  sich  für  einen  gut  geordneten  Haushalt,  dafs  neben  den  Haus-  und 
Gesellschaftskleidern  auch  die  Trauergarderobe  in  Bereitschaft  war. 

»Die  Spanier  nehmen  in  der  Trauer  das  allerschlechteste  Futter- 
tuch, werfen  es  um  sich  und  sehen  aus  wie  die  leibhaftigen  Teufel.« 
(Kurios.  X.  217.) 

Bei  dem  Begräbnis  selbst  wurde  der  mit  dem  Bahrtuch  bedeckte 
Sarg  entweder  zum  Grabe  getragen  oder  auch  auf  einem  Wagen  hin- 
gefahren. 

Der  Leichenzug  wurde  so  grofsartig  wie  möglich  angeordnet; 
mochten  die  Kosten  auch  noch  so  ansehnlich  sein,  ja  die  Mittel  der 
Bürgerfamilien  weit  übersteigen:  bei  einer  Trauerfeier  durfte  nicht  ge- 
spart werden.  Die  Begleitung  des  Priesters  und  der  Schule  wurde  all- 
gemein verlangt;  dann  kam  die  Witwe,  die  von  der  Bitt-  oder  Klagefrau 
geführt  wurde;  den  Beschlufs  der  leidtragenden  Frauen  bildeten  die  in 
Trauerkleider  gehüllten  Groschenweiber,  die  für  ihre  Beteiligung  einen 
Groschen  Entlohnung  erhielten. 

^)  Aus  dem  Breviarium  Grimani  in  der  Markusbibliothek  zu  Venedig  in  meinem 
deutschen  Leben  des  14.  und  15.  Jhdts.    Fig.  671. 

2)  Ebend.    Fig.  673. 

3)  S.  m.  Ausg.  S.  121,  170,  171,  313,  351,  368,  374. 

*)  »Als  des  Königs  in  Frankreich  Mutter  starb  (Anna  von  Österreich,  1666),  war 
sehr  tiefe  Trauer.  Dem  Prinzen  von  Conde  wurde  der  Schweif  von  5  Ellen  nach- 
getragen.«  Wagenseil  in  Kuriositäten  X.    217. 

6)  Christian  Reuter,  der  ehrl.  Frau  Schlampampe  Krankheit  und  Tod.  Sc.  XVI. 
einen  langen  Flor  auf  dem  Hute;  ein  Trauermantel.  —  Vgl.  Alltagsleben  etc.  Fig.  33. 


3.  Die  Grabdenkmäler.  417 

»Wann  das  Grab  ist  zugeworffen, 

Wird  der  Todt  erst  gar  versoffen 

In  dem  Sterb-Haus  nach  dem  Tod, 

Wo  man  Todten-Mahlzeit  haltet, 

Da  der  Leichnam  kaum  erkaltet, 

Ifst  und  trinckt  wohl  über  Noth.«^) 
Am  Abend  nach  dem  Begräbnis  be^\drten  die  Hinterbliebenen  die 
Verwandten  und  Freunde,  die  an  der  Beerdigung  teilgenommen  hatten.-) 
Das  ist  die  »Todten-Tafel«.  Schon  Guarinonius  gedenkt  der  »Todt- 
Fressen«,  bei  denen  »die  Seel  vertrunken«  wird.")  Da  in  den  katholischen 
Ländern  auch  der  siebente,  der  dreifsigste,  der  Jahrestag  des  Todes  ge- 
feiert wird ,  gab  dies,  wenigstens  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts, 
wiederum  Aniafs  zu  Gelagen.*) 

3.  Die  Grabdenkmäler. 

Die  Stätte,  wo  ein  vornehmer  Mann,  ein  geliebtes  Familienmitglied, 
seine  letzte  Ruhe  gefunden  hatte,  bezeichnete  man  gern,  wenn  nicht 
durch  ein  prunkendes  Denkmal,  so  doch  durch  eine  einfache  Grabschrift. 
Solche  Inschriften  aus  fränkischer  Zeit  sind  öfter  am  Rhein,  zumal  in 
der  Gegend  von  Worms,  gefunden  worden;  einige  besitzt  das  römische 
Museum  zu  Mainz.  Hochgestellte  Leute,  Fürsten  liefsen  wohl  auch  auf 
dem  Grabstein  ihr  Bildnis  anbringen.  So  befindet  sich  in  Saint-Denis 
die  mit  Mosaik  geschmückte  Grabplatte  der  Fredegunde.^)  In  Deutschland 
dürfte  zu  den  ältesten  Fürstengrabmälern  das  des  Königs  Rudolf  von 
Schwaben  (f  1080)  im  Dome  zu  Merseburg  gehören.^)  Aus  dem  13.  Jahr- 
hundert rührt  her  das  Doppelgrab  Heinrichs  des  Löwen  und  seiner  Ge- 
mahlin, das  erst  spät  nach  dem  Tode  des  Herzogs  errichtet  worden  ist.'^) 
Das  leider  sehr  beschädigte  und  nicht  gut  ergänzte  Denkmal  Rudolfs  von 
Habsburg  zu  Speyer  ist,  wie  uns  die  Steierische  Reimchronik  berichtet, 
noch  bei  Lebzeiten  des  Herrschers  angefertigt  worden.^)  Der  Grabstein 
des  Günther  von  Schwarzburg  (f  1349)  im  Dome  zu  Frankfurt  a.  M. 
bietet  uns  das  Beispiel  eines  Prunkmonumentes  des  14.  Jahrhunderts.^) 
Es  wirkt  viel  bedeutender  als  das  Denkmal,  das  dem  Kaiser  Heinrich  VII. 
(t  1313)  im  Campo  Santo  von  Pisa  gesetzt  wurde  und  dessen  Meister 
Tino    da  Camaino    ist.^°)      Das    Grabmal   Ludwigs   des  Bayern   ist  unter 

^)  Genealogia  Nisibitarum  (von  Callenbach).    151. 

*)  1505  gingen  bei  dem  Begräbtiifs  eines  Steinmetzen  in  Nürnberg  alle  Knaben 
in  Korröcken  mit  itnd  klingelten.     Das  war  etwas  ganz  neues.  —  H.  Deichsler. 

»)  S.  780. 

*)  Ebend.    Vgl.  über  die  Leichenmable  Kurios.  I.  71  und  11.  359  ff. 

*)  Abgeb.  in  m.  Einführung  in  die  Kunstgeschichte  (Prag,  Lpz.  1887)  Tat'.  X. 

6)  Abg.  bei  H.  J.  v.  Hefner,  Trachten  I.  58. 

')  Abg.  bei  Lübke,  Gesch.  d.  deutschen  Kunst.  (Stuttg.  1890)  245.  Fig.  219  bei 
Essen  wein,  Kunst-  und  Kulturg.  Denkmäler  des  Germ.  Museums  (Lpz.  1877.)  Taf.  XVIII. 
—  S.  o.  S.  227.) 

8)  Essenwein  a.  a.  O.  Taf.  XXT.  —  »)  v.  Hefner,  Trachten  H.   27. 
'")  Abgebildet  bei  G.  Irmer,  Die  Romfahrt  Kaiser  Heimichs  VII.  im  Bildercyklus 
des  Codex  Balduini  Trevirensis.     Berlin  1881. 

Schultz,     Das  häusliche  Leben  im  Mittelalter.  27 


418 


VI.  Tod  und  Beerräbnis. 


dem  bronzenen  Monument,  das  ihm  seine  Nachkommen  in  der  Frauen- 
kirche zu  München  errichteten,  verborgen.  Kaiser  Friedrich  III.  hat 
seine  Ruhestätte  in  der  Stephanskirche  zu  Wien  ^),  seine  Gemahhn  Leonore 
von  Portugal  in  Wiener -Neustadt^)  gefunden.  Beider  Grabmäler  sind 
von  Nikolaus  Lerch  ausgeführt  worden.  Ein  wunderbar  grofsartiges 
Denkmal  wollte  sich  Kaiser  Maximilian  I.  in  Innsbruck  erbauen.  In 
der  Hofkirche  sind  noch  28  überlebensgrofse  Bronzestatuen  der  Vor- 
fahren des  Kaisers  zu  sehen;  kleine  Figuren,  die  gleichfalls  zu  dem 
Monument  gehören,  werden  in  der  silbernen  Kapelle  gezeigt.  Es  sind 
dies  aber  nm*  geringe  Überreste,  denn  ursprünglich  sollten  40  grofse 
Statuen  gegossen  werden.  Dafs  die  Dimensionen  des  Grabmals  ganz 
aufserordentlich  grofs  gedacht  waren,  liegt  auf  der  Hand.  Wir  können 
nur  mutmafsen,  da  uns  alle  Nachrichten  über  den  Entwurf  fehlen, 
dafs  das  von  Maxiuülian  geplante  Werk  alle  Grabmonumente  damaliger 
Zeit  weit  übertreffen  sollte. 

Der  Plan  des  Kaisers  ist  so  wenig  zur  völhgen  Ausführung  gelangt, 
wie  der  grofsartige  Entwurf,  den  Michelangelo  für  das  Monument  des 
Papstes  Juhus  II.  ersonnen  hat. 

Seit  dem  16.  Jahrhundert  sind  nur  ausnahmsweise  künstlerisch 
bedeutende  Grabdenkmäler  für  die  Fürsten^)  errichtet  worden.  Es  wird 
Sitte,  die  Leichen  in  Grabgewölben  beizusetzen,  und  seit  dieser  Zeit  hat 
man  die  Herstellung  künstlerisch  gestalteter  Sarkophage  aus  Zinn,  Bronze 
u.  s.  w.  für  wichtiger  gehalten  als  die  Ausführung   prächtiger,   über    der 

Grabstätte  aufgebauter  Mo- 
jL^  ill  numente. 

'    '^  "'     ■'''"  Der  Adel   des   Mittel- 

alters hat  immer  Wert  dar- 
auf  gelegt,    wenn    es    sich 


Doppel-Grabdenkmal  iu  der  Abteikirche  von  Saint-Denis. 


*)  Abgeb.  bei  Th.  Hampe, 
Das  Germ.  Museum  (Lpz.  1902) 
S.  134. 

*)  Abg.  Deutsches  Leben 
im  14.  u.  15.  Jhdt.  (S.  392  Figur 
413.) 

')  In  Frankreich  zu  Saint- 
Denis  die  Grabdenkmäler  von 
Ludwig  Xn.  von  Jean  Juste, 
Franz'  I.  von  Pierre  Bontemps 
und  Heinrichs  11.  von  Germain 
Pilon ;  in  Spanien  im  Escorial  die 
Monumente  Karls  V.  von  Leone 
Leoni  und  Philipps  II.  von  Pom- 
peo  Leoni.  —  Das  Denkmal  Lud- 
wigs XII.  abgeb.  bei  A.  Schultz, 
Allg.  Kunstgesch.  III.  Taf.  zu  S. 
217  ;  das  Franz'  I.  ebend.  Taf.  zu 
S.  216 ;  das  Grabmal  Heinrichs  IL 
ebend.  S.  220  und  Taf.  zu  S.  218  ; 
das  Monument  Philipps  II.  ebend. 
S.  213. 


3.  Die  Grabdenkmäler.  419 

irgendwie  tun  liefs,    in   den  Kirchen   selbst   seine   Grabstätte    zu   finden. 
Die    Kirche    hefs    sich    diese    Bevorzugung    teuer    bezahlen;     dafs    bei 
Epidemien  die   Bestattung   der   Leichen   knapp   unter   dem   Pflaster   der 
Gotteshäuser   sehr    schädhche  Folgen   nach  sich  zog,    mag  nur  beiläufig 
erwähnt  werden.     Das  Grabmal   hatte  die  Form  eines   Sarkophages,  auf 
der  oberen  Platte  ruhte  die  Gestalt  des  Verstorbenen:  aus  Stein,  Stuck, 
Bronze  u.  s.  w.  gebildet,    in  Konturen    auf  Stein   oder  Metall})latten   ein- 
geschnitten, im  Flächen-  oder  kräftigeren  Reliefs  gebildet,  in  Rundfiguren 
ausgeführt  (vgl.  o.  S.  225).  Am  Rande  der  Platte  ist  die  Grabschrift  ange- 
bracht. Solche  Denkmäler  des  12.  bis  15.  Jahrhunderts  sind  noch  in  grofser 
Anzahl,  sowohl  in  Frankreich  wie  in  Spanien,  in  Itahen,  England,  Deutsch- 
land erhalten.  Man  hat  häufig,  als  die  Menge  der  Grabmonumente  den  Raum 
der  Kirchen  beengte,    die  Tumben  fortgeräumt  und  die  mit  Figuren  ge- 
schmückten Grabplatten   an  den  Innenwänden  des  Gebäudes  aufgestellt. 
Als    die  Adelsfamilien    in   den   Kirchen   auf   ihren  Gütern  schon  Grüfte 
besafsen,  haben  sie  seitdem  16.  Jahrhundert  solche  Porträtgrabsteine  noch 
vielfach  anfertigen,  an  der  AuTsenseite  der  Kirchen  einmauern  lassen.  Neben 
ganz  vorzüghchen,   oft  auch  polychrom  bemalten  Skulpturen  treffen  wir 
häufig  auch  Arbeiten,    die   augenscheinlich   von  einem  Handwerker  aus- 
geführt sind     Die  Männer  sind  in   ihren  Harnischen  dargestellt:    rechts 
vom  Haupte  sehen  wir  das  Fanülienwappen,  links  das  der  Gattin.    Unter 
jedem  dieser   beiden  Hauptwappen   sind    noch    drei  Wappenschilde    zu 
sehen,    die  der  Mutter,  Grofsmutter,  Urgrofsmutter.    So  ist  auf  den  Grab- 
steinen gewissermafsen  die  Ahnenprobe  dargelegt.     Die  Frauen  sind   in 
ihren  besten  modernsten   Festkleidern   oder  in  der  Kirchentracht  abge- 
bildet.    Auch  auf  ihren  Grabsteinen  fehlt  die  Ahnenprobe  nicht.     Dann 
finden  wir  Grabsteine   für  die   verstorbenen  Kinder;   ja  selbst  wenn  sie 
bald  nach  der  Geburt  starben,  erhielten  sie  doch  gleich  den  Erwachsenen 
ihr  Denkmal.     Seit  dem   Dreifsigjährigen  Kriege   w^erden  diese  Art  von 
Grabmonumenten  unmodern:  die  Denksteine  wird  nun  in  den   Ivirchen 
aufgestellt,  mit  allegorischen  Figuren  u.  s.  w.  überladen,  mit  schwülstigen 
lateinischen   Inschriften,    Chronostichen   und    sonstigen    Geschmacklosig- 
keiten ausgestattet. 

Die  Bürger  haben  nur  ausnahmsweise  im  Mittelalter  ihre  Toten  in 
den  Kirchen  selbst  begraben.  Die  Geisthchkeit  liefs  sich  solche  Ver- 
günstigung, wie  schon  gesagt  wairde,  teuer  bezahlen,  so  dafs  nur  die 
Angehörigen  der  regierenden  Geschlechter  von  dieser  Auszeichnung  Ge- 
brauch machen  konnten.  Im  Dome  zu  Frankfurt  a.  M.  finden  wir  die 
polychromen  Grabmonumente  des  Job.  Holzhausen  (t  1391)  und  seiner 
Frau.  (S.  o.  S.  235).  Die  Mehrzahl  der  Bürger  wurde  jedoch  auf  den 
Kirchhöfen  beerdigt,  die  ursprünglich  ja  die  Kirchen  w^ie  grofse  Höfe 
umgaben.  Die  Grabsteine  sind  zum  Teil,  als  die  Begräbnisstätten  aufser- 
halb  der  Stadt  verlegt  wurden,  in  die  Aufsenwände  der  Kirchen  einge- 
mauert worden.  Die  Mehrzahl  dieser  Denkmäler  ist  aber  unzweifelhaft, 
wenn  sich  die  Nachkommen  nicht  ihrer  annahmen,  verloren  gegangen; 
ein  grofser  Teil  mag  auch  aus  vergänghchem  Materiale  hergestellt  ge- 
wesen sein. 

27* 


420  VI.  Tod  und  Begräbnis. 

Viele  von  diesen  Grabsteinen  sind  schon  ursprüni^lich  in  die  äiifsere 
Kirchenmauer  eingelassen  worden,  so  z.  B.  das  grofsartige  Familiendenk- 
mal der  Schreyer  und  Landauer,  das,  1492  von  Adam  KrafEt  ausgeführt, 
am  Chor  der  S.  Sebalduskirche  zu  Nürnberg  angebracht  wurde.  Ge- 
wöhnhch  sehen  wir  auf  diesen  Grabsteinen  eine  Darstellung  einer  Episode 
aus  dem  Neuen  Testament:  Kreuzigung,  Auferstehung,  Jüngstes  Gericht 
oder  die  h.  Jungfrau  mit  dem  Kinde  u.  s.  w.  Zur  Rechten  dieses  Bildes 
kniet,  durch  sein  Wappen  kennthch,  das  Faiiiilienhaupt  mit  seinen 
Sühnen,  Schwiegersöhnen,  Enkeln;  jede  einzelne  Person  ist  durch  ihr 
Wappen  besonders  gekennzeichnet.  Dieser  Gruppe  der  Männer  ent- 
spricht dann  links  die  der  Frauen,  der  Gattin  und  Mutter,  ihre  Tochter, 
Schwiegertöchter,  Enkelinnen;  auch  sie  sind  durch  ihre  Familienwappen 
bezeichnet.  Die  schon  verstorbenen  Kinder  werden  durch  ein  Kreuz, 
das  sie  in  den  Händen  halten,  besonders  kennthch  gemacht.  Aus  der 
Grabschrift  ergibt  sich  allein,  wer  von  der  Familie  gestorben,  durch  dies 
Grabmal  geehrt  worden  ist. 

Seit  dem  15.  Jahrhundert  werden  solche  Erinnerungsmonumente  auch 
in  den  Kirchen  selbst,  an  den  Wänden,  Pfeilern  angebracht.  Es  dienen 
zu  ihnen  nun  nicht  allein  die  in  Stein  ausgeführten  Epitaphien,  man 
verwendet  vielmehr  mit  Vorhebe  Gemälde,  die  aber  ganz,  wie  schon 
soeben  geschildert  wurde,-  angeordnet  sind.  So  ist  das  bekannte  Werk 
des  jüngeren  Hans  Holbein,  die  Madonna  des  Bürgermeisters  Meyer 
(Darmstadt),  unzweifelhaft  ein  Epitaphiumsbild.  Reichere  Familien  be- 
sitzen eigene  Kapellen,  und  dann  finden  wir  auch  auf  der  Altartafel  den 
Stifter  mit  seinem  Wappen  dargestellt.  In  den  Zunftkapellen  haben  die 
Grabmonumente  der  Innungsgenossen  ihren  Platz  gefunden. 

Im  16.  Jahrhundert  macht  sich  in  der  Gestaltung  der  Grabdenkmäler 
der  Einfiufs  der  klassischen  Studien  geltend.  Langsam  treten  die  Dar- 
stellungen aus  der  bibhschen  Geschichte  mehr  und  mehr  gegen  die 
gelehrten  AUegorien  zurück,  die  zu  begreifen  und  zu  würdigen  doch  nur 
wenigen  vergönnt  ist.  Die  früher  so"  einfachen  Grabschriften  werden 
jetzt  mit  dem  obligaten  Schwulst  abgefafst;  lange  Zeilen  wechseln 
wirkungsvoll  mit  kürzeren  ab;  die  Jahreszahlen  sind  durch  kunstvolle 
Chronosticha  angedeutet.  Selten  finden  vdr  noch  bis  ins  17.  Jahrhundert 
Grabsteine,  auf  denen  der  Verstorbene  selbst  abgebildet  ist.  Seit  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  überwiegen  die  gelehrt  ausgesonnenen 
Monumente  bei  weitem.  Ein  Musterstück  eines  solchen  mit  AHegorien 
überladenen  Denkmales  ist  das  1756—76  von  Jean  Baptiste  Pigalle  aus- 
geführte Grabmal  des  Marschalls  von  Sachsen  in  der  Thomaskirche  zu 
Strafsburg. 

Die  Grabschriften  sind  aber  nicht  immer  so  langweilig  abgefafst, 
so  schwülstig  und  geistlos  komponiert:  es  hat  sich  auch  da  der  Humor 
des  Volkes  nicht  ganz  unterdrücken  lassen.  Ich  gedenke  nur  der  köst- 
Hchen  Inschrift  des  Grabmales  der  Famihe  von  Müller  in  der  Bülowen- 
Kapelle  der  Doberaner  Klosterkirche.^) 

*)  Lisch,  Blätter  z.  Gesch.  der  Kirchen  zu  Doberan  und  Althof  1854.     S.  69. 


3.  Die  Grabdenkmäler.  421 

Wieck  Düfel  wieck,  wieck  vnet  von  m}v 
Ick  scheer  mie  nig  een  Haar  um  die. 
Ick  bün  ein  Meckelbörgsch  Edelmann, 
Wat  geit  die  Düfel  mien  Supen  an? 
Ick  sup  mit  mienen  Herrn  Jesu  Christ, 
■  Wenn  du  Düfel  ewig  dösten  müst. 
Und  drinck  mit  öm  söet  Kolleschahl, 
Wenn  du  sitzt  in  der  Hellenquahl  u.  s.  w. 

Und  solche  Grabschriften  wie  die  des  Kalteschale  liebenden  Mecklen- 
burgers sind  nicht  zu  selten.  So  notierte  sich  Philipp  Hainliofer  1617 
auf  dem  Leipziger  Kirchhof: 

Hie  jacet  extinctus  valde  venerabilis  Saufaus, 
nie  dum  vixit,  valde  mane  at  (ad?)  brantwein  ixit. 
Vom  Brandwein  zum  Bitter-Bier    . 
Und  ist  also  entschlafen  hier. 

Hier  liegt  begraben  Hanfs  Waitzenbroth. 
Sei  mir  gnädig,  o  Herre  Gott: 
Das  ewig  Leben  weist  geben  mir, 
Gleich  wie  ichs  auch  wollt  geben  dir, 
Wann  du  werest  Hanfs  Waizenbroth, 
Und  ich  unser  lieber  Herre  Gott.^) 

Und  Callenbach  zitiert  in  seinem  »Wurmland«  142  die  Grabschrift: 

Hier  liegt  Schulmeister  Melcher, 
Die  liebe  Jugend  welcher    • 
Gelehrt  hat  die  Künsten  frey, 
Ist  das  nicht  schad?  ey!  ey! 
Requiescat  in  pace.-) 

(143):  Hier  liegt  Hans  Bodenstein  im  grünen  Grafs, 
Der  gern  Westphähschen  Schinken  afs, 
Und  tranck  gern  guten  Rheinischen  AVein : 
Gott  woll  seiner  Seelen  gnädig  sein. 

Wenn  auch  vielleicht  nur  eine  gute  Erfindung  verdient  die  im 
Exihum  Melanchohae  (Strafsb.  1643)  S.  229,  N.  193  mitgeteilte  Grabschrift 
Beachtung : 

Gott  machts  allzeit  wies  ihm  behagt: 
Hier  liegt  der  Schultheifs  bey  der  Magd. 

1)  Reisetageb.  —  Balt    Studien  11.  2.     S.  9. 

')  Eine  Variante  im  Exilium  Melancholiae  das  ist  Vnlust  Vertreiber.  Strafsburg 
1643:  —  S.  233,  N.  204: 

Hie  liegt  begraben  Herr  Melcher, 
Ist  gewesen  ein  Pfarrer,  welcher 
Hat  gelehrt  Gottes  Wort  und  Zucht, 
Starb  endlich  an  der  Wassersucht. 
So  schaw  nun  lieber  Leser  frey. 

Ist  das  nicht  schad?  Ey,  Ey,  Ey,  Ey ! 


422  VI.   Tod  und  Begräbnis. 

Nun  schaw  du  lieber  Christ  so  frey 
Wie  wunderbar  Gotts  Gericht  sey. 

Andere  merkwürdige  Grabschriften  sind  (Vulpius)  Kuriositäten  VIII 
(Weimar  1820)  S.  452  abgedruckt. 

4.  Tod  und  Begräbnis  der  Bauern. 

Es  wäre  wünschenswert,  die  Gebräuche  der  Bauern  bei  Todesfällen 
und  Bestattungen  zu  untersuchen,  festzustellen,  wie  viel,  wie  wenig 
aus  älterer  Zeit  überliefert  ist,  welche  Sitten  noch  in  jüngster  Zeit 
herrschten.  Eine  grofse  Rolle  spielt  da  der  Aberglaube,  der  zwar  von 
den  Bürgern  und  den  höheren  Ständen  geteilt  wurde,  doch  aber  im 
Bauernhause  ganz  besondere  Pflege  fand.  Zu  beachten  ist  da  besonders 
die  »Philosophia  Colus  oder  Pfy,  lose  vieh  der  Weiber«  1662,  die  von 
ihrem  Verfasser  Johann  Praetorius  (t  1680)  anonym  veröffenthcht  wurde. ^) 
Im  Jahre  1705  hat  dann  Johann  Georg  Schmidt  (1660—1722)  »Die  ge- 
striegelte Rockenphilosophie  oder  Aufrichtige  Untersuchung  derer  Von 
vielen  super  -  klugen  Weibern  hochgehaltenen  Aberglauben«  heraus- 
gegeben.-) Weitere  Angaben  über  abergläubische  Gebräuche  findet  man 
in  Job.  Christ.  Männlings  Albertäten. ^) 

Von  den  Leichen-  oder  Totenbrettern,  auf  denen  die  Toten  auf- 
gebahrt wurden,  sind  wohl  noch  einige  erhalten.  Sie  wurden,  wenn  die 
Leiche  beerdigt  war,  an  einer  schicklichen  Stelle  als  Andenken  des  Ver- 
schiedenen, versehen  mit  einer  Inschrift,  aufgestellt. 

Am  Begräbnistage  wurde  bei  den  Bauern  gleichfalls  ein  Trauer- 
essen veranstaltet,  so  reich  wie  möghch,  oft  weit  über  die  Verhältnisse 
der  Hinterbliebenen  hinaus. 

Die  Grabdenkmäler  der  Bauern,  hölzerne  oder  eiserne  Kreuze  an 
ihrem  Grabhügel,  sind  überaus  selten  aus  älterer  Zeit:  die  Holzkreuze 
sind  vermorscht,  die  Eisenkreuze,  oft  Meisterwerke  der  Schmiedekunst, 
von  den  Kirchhöfen  entfernt,  den  Antiquitätenhändlern  verkauft,  in 
Museen  aufbewahrt.  Die  Denkmäler  für  Verunglückte,  die  so  merk- 
würdigen Marteln,  reichen  auch  nur  ganz  ausnahmsweise  bis  ins  18.  Jahr- 
hundert zurück. 

Es  ist  die  höchste  Zeit,  jetzt  zu  sammeln,  was  noch  erhalten  ist; 
vor  hundert  Jahren  wäre  die  Ausbeute  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
reicher  ausgefallen. 


1)  Aufgesetzet  durch  MJciPfaM.  Regem  Numidiae,  Leipzig  in  Verlegung  Johann 
Barthel  Oehlers.  Arnstadt  Gedruckt  bey  Caspar  Feyschmieden.  MDCLXII.  —  Vgl. 
Goedeke,  Grundrifs  ^III.  238. 

ä)  Chemnitz,  Zufinden  bey  Conrad  Stösseln  1718  (die  vollst.  Ausg.  mit  Centuria 
V  u.  VI  1722).  —  Vgl.  Goedeke  a.  a.  O.  241. 

')  Denkwürdige  Curiositäten  derer  so  wohl  Inn-  als  Ausländischer  Abergläubischen 
Albertäten.     Frankf.  u.  Leipz.  1713. 


An  die  geschilderten  Erscheinungen  der  alten  Zeit  Betrachtungen 
allgemeiner  Art  anzuknüpfen,  Ausblicke  zu  eröffnen,  habe  ich  absichtlich 
unterlassen.  Das  wird  möghch  sein,  wenn  alle  die  Fragen,  die  uns 
hier  beschäftigen,  einmal  auf  Grund  erschöpfender  Untersuchungen  be- 
antwortet worden  sind.  Heut  vermögen  wir  das  jedoch  lange  nicht  zu 
tun,  denn  die  Wissenschaft  der  Sitten-  oder,  wenn  man  durchaus  will, 
der  Kulturgeschichte  ist  noch  gar  jung,  und  ihre  Ergebnisse  erscheinen 
nicht  sicher  genug,  als  dafs  man  auf  sie  geistvolle  Schlulsfolgerungen 
begründen  könnte. 


Ergänzungen  und  Verbesserungen. 


Zu  S.  44.     Die  Stelle  aus  Fischarts  Geschichtski.  steht  S.  83. 

Zu  S.  101,  Anm.  2.     liberis. 

Zu  S.  126.  Auf  einem  Gemälde  von  Pieter  de  Hoogh  (1629—77),  das  in  der 
Versteigerung  Habich  verkauft  wurde,  ist  schon  ein  Paravent,  eine  spanische  Wand, 
dargestellt. 

Zu  S.  135,  Z.  3.     Mafswerkmuster. 

Zu  8.137.  Studierstube:  Antonello  da  Messina,  J.  Hieronymus.  (London, 
National  Gallery.)  —  Vittore  Carpaccio,  S.  Hieronymus  in  der  Celle.  (Venedig,  S.  Giorgio 
de'  Schiavoni.) 

Zu  S.  155.  Aug.  Pud.  Jes.  Bünemann,  Diss.  jurid.  de  sponsae  partu  spurio. 
Götting.  1753.  —  Andr.  Pleetz,  Disp.  inaug.  jurid.  de  eo,  quod  justum  vel  injustum 
est  circa  laesionem  pudicitiae.     Jenae  1679. 

Zu  S.  157,  Z  4  V.  u.     Maitre. 

Zu  S.  159.     Statt  per  procura  ist  zu  lesen:  durch  Procuration. 

Zu  S.  166.  Der  weltliche  Jungfräuliche  Tugend-Spiegel,  für  die  gantze  werthe 
Jungfernschaft  zu  allen  Zeiten  und  Orden,  bestehet  in  einer  Verordnung  wegen  der 
bishero  unter  ihnen  fürgefallenen  grossen  Excessen  und  Faiita,  o.  0.  c.  1715. 

Zu  S.  171,  Anm.  1.  Job.  Frid.  Troppaneger,  Tractatus  jurid.  de  mitiganda  adul- 
terii  poena  ob  denegatum  debitum  conjugall.     Halae,  Magdeb.  1745. 

Zu  S.  177.  (Job.  Christoph  Ettner),  des  getreuen  Eckharts  Unvorsichtige  Heb- 
amme .  .  .     Lps.  1715. 

Zu  S.  178,  Z.  5  V.  u      Kindelbier.  —  Spedale  degli  Innocenti. 

Zu  S.  198.  Kobyläf  (spr.  Kobylahrsch)  =  Stutenknecht,  Lümmel;  Lezäk  (sprich 
Leschahk)  =  Faulenzer;  fatkäf  (spr.  fatkahrsch)  =  Schmarotzer. 

Zu  S.  209.  Zwei  Abb.  der  Deposition  im  Specukim  Cornelianum  (Strafsb. 
1618)  3,  5. 

Zu  S.  210.     H.  Fielding,  der  akademische  Stutzer.     Mannh.  1728. 

Fitudi,  der  verthädigte  Hunds- Voigt,  wie  derselbe  vor  dem  Throne  Appollinis,  in 
Gegenwart  der  Musen,  pro  und  contra  ventilket  worden  ist.  Denen  Musen-Söhnen, 
welche  als  rechtschaffene  Leute  mit  diesem  Pop-hans  der  Hundsvötterei  belästigt 
werden,  zum  besonderen  Vergnügen  und  zur  Nachricht  besclirieben  o.  0.  1735. 

Zu  S.  213.  Schlägerei  der  Studenten,  abgeb.  im  Spec.  Cornelianum  7,  —  Skandal 
auf  der  Strafse  6. 

Zu  S.  215.     Der  Geöffnete  Fecht-Boden  .  .  .     Hamb.  1715. 

Zu  S.  215,  Anm.  1.  Calnesius,  die  QuaiTC  vor  der  Pfarre.  Das  ist  kurtze  und 
deutliche  Erweisung,  dass  einem  Studio,  ehe  derselbe  zu  einem  öffentlichen  Amte 
gelanget,  nicht  nur  zu  heyrathen  gar  wol  vergönnet,  sondern  auch  dasselbe  höchst- 
löblich und  üljerall  zu  recommendiren  sey  ....     Frkf.  u.  Leipz.  1715. 

Zu  S.  234.     Camera  de'  Sposi  des  Palazzo  etc. 


AOQ  Ero-auzungen  und  Verl)esscrungen. 

Zu  S.  264.  Unter  Ludwig  XIV.  wurden  die  Absätze  der  Schuhe  höher;  es  bildete 
sich  die  Mode  der  Stöckelschuhe  heraus.  Wer  zum  Hofe  gehörte,  durfte  die  Absätze 
rot  färben:  der  Talon  rouge  galt  deshalb  als  hohe  Auszeichnung,  deren  auch  die 
Maitressen  des  Königs  teilhaftig  wurden.  A.  Franklin,  La  vie  privöe  d'autrefois.  — 
Les  magasins  de  nouveautes  *  *  *  *  (Paris  1898)  p.  222.  -  Les  mag.  de  nouv.  *  *  *  (Par. 
1896)   p.    IIL     —    Escarpins    sind    die   leichten  Tanzschuhe,   die  in  Gesellschaften 

getragen  wurden. 

Zu  S.  291.  Über  die  Bauerntrachten  des  16.  Jahrliunderts  vgl.  die  zahlreichen 
Bilder  im  Weil'skunig,  die  deshalb  so  wertvoll  sind,  weil  Kaiser  Maximilian  selbst  die 
Richtigkeit  der  Kostüme  genau  kontrollierte.  Zahlreiche  Darstellungen  von  Bauern 
findet^^man  in  dem  S.  245  Anni.  2  angeführten  Werke  >Civitates  orbis  terrarura«  Colon. 
Agripp.  1592  ff.  Ȇber  -Friesische  Volks-  und  Rittertrachten  um  1500<^  ist  in  Emden 
(bei  Schwalbe)  1890  ein  W^erk  erschienen.  Trachten  von  Sylt  und  Föhr  sind  in  J.  E. 
Wcstphalen,  Monum.  ined.  Rer.  (Jerm.  Lips.  ITög,  abgebildet 

Zu  S.  313.  H.  Amersbach,  Teutscher  Alelfrasz,  des  Teufels  Leibpferd  oder 
christliche  Betrachtung  darum  der  itzigen  Frefz-  und  Sauft'welt  treulich  gezeiget  wird  .  .  , 

Jenae  1664. 

Zu  S.  330.  David  Chalion  erhielt  1659  den  29.  Mai  das  l'rivileg  der  Schokuladen- 
fabrikation.     Revue  Illustree.     1903.     Janvier  1. 

Zu  S.  357.  Ein  interessantes  Jagdfrühstück,  gemalt  von  Jean  Franvois  de  Troy 
(1679_1752),  besitzt  das  Louvre-Museum  zu  Paris. 

Zu  S  372.  Über  das  Kartenspiel  vgl.  Deutsches  Leben  etc.  175,  515  und  die 
Abb.  Fig.  518—521.  In  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  verbreitet  es  sich  bei 
den  europäischen  Kulturvölkern.  Die  ersten  Spielkarten  sind  gemalt;  im  15.  Jahr- 
hundert werden  sie  in  Kupfer  gestochen  und  durch  Holzschnitt  hergestellt.  Die 
deutschen  Stiche  werden  als  Seltenheiten  hoch  geschätzt,  besonders  aber  gilt  dies  von 
den  italienischen  Karten,  deren  Kunstwert  nicht  unbedeutend  ist.  Ein  deutsches  Karten- 
spiel, in  Holz  geschnitten  und  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  gefertigt,  ist 
im  Kulturg.  Bilderb.  II  Nr.  756—789  abgebildet. 

Zu  S.  376.  Über  die  Bedeutung  des  AVortes  Schmäräken  habe  ich  von  Kennern 
der  czechischen  Sprache  nichts  erfahren  können.  Vielleicht  hängt  es  mit  smräk,  Abend- 
dämmerung, zusammen. 


Sachregister. 


Aberglaube  422 
Achselsprung  374 
Adelsbriefe  197 
Affen  369 
Agraffen  229 

Ahnenprobe  auf  den  Grab- 
steinen 419 
Alchymie  193 
Algar(a)de  362 
Alleniande  366 
Amme   174 
Anagramme  207 
Ananas  329 
Andachtsbild  22,  141 

S.  Andreas-Abend  166 

S.  Andreas-Nacht  387 

Anglaise  366 

Anrede  d.  Adelskinder  190 
—  —  Prinzen  187 

Anstandsiehren  194 

Anstöfsige  Darstellung.  157 

Appartements  354 

Aquavit  326 

Armbänder  229 

Armenhaus  102 

Artushof  91 

Assemblee  353 

Aufstehen  der  Bürger  337 

—  und   Schlafengehen 
der  Fürsten  335 

Aufzüge  350 

—  bei  Festmahlen  302, 
311 

Aufzüge    für  die    Speisen 

311 
Aufsereheliche  Liebe  155 
Ausstände  d.  Gesellen  218 
Aussteuer  169 

Baccalaureat  209 
Bacchanten  208 
Bad  der  Wöchnerin  181 
Baden  337  ff. 


Bader  337 
Bäder,  kalte  338 
Badereisen  399 
Baldachin  285 
Ballett  161 
Ballets  366 
Ballhaus  96 
Ballspiel  374  ff. 
Bänke  18,  133 
Bankerotierer  217 
Bären  369 
Barette  234,  241 
Bart  248  ff. 

Bartschnitte  253 

Bassette  354 

Bataillenpferd  411 

Bauchvater  156 

Bauernerziehung  218 

Bauernhäuser  146 

Bauernhochzeit  163,  355 

Bauerutanz  365 

Bauerntänze  400 

Bauernturniere  400 

Beanus  209 

Beerdigung  412 

Befestigungen  der  Dörfer 
150 

Befestigungen  der  Kirchen 
150 

Befestigung  d.  Schlösser  11 
—  der  Städte  65 

Beförderung  197 

Beghinen  102 

Begräbnis  am  Abend  415 

Begrüfsung  393 

Beilage  163 

Beischlafen  auf  Glauben 
156 

Beischlafen     auf     Gelde- 
rischen Glauben   157 
Beischläge  120 
Beleuchtung  44 


Beleuchtung  d.  Strafsen  73 
Belltafel  376 
Bergkristall  43 
Beschreibung  der  fürst- 

hchen  Taufen  174 
Beschreibung  der  Vermäh- 
lungsfestlichkeiten 161 
Besuche  vonReisenden  346 
Betpult  141 
Betrüger  216 
Bett  21,  38 
Bettlertanz  362 
Bettstatt  139 
Bettdecken  139 
Bevölkerung  der  Städte  65 
Bier  296,  323 
Bildnisse  39 
Billard  349 
Blaserohr  202 
S.  Blasientag  383 
Blumengarten  144 
Blumenliebhaberei  47 
Blumentöpfe  137 
Blutfahne  411 
Blutschande  155 
Bodensprung  374 
Bohnenfest  354,  383 
Bohnenkönig  383 
Bohnenlied  383 
Bourr^e  366 
Börse  95 

Branntwein  297,  323 
Branlieren  363 
Brautgeschenke  168 
Brautkroue  167 
Brautwerbung   und  Braut- 
stand des  österr.  Hoch- 
adels 163 
Brettspiele  137 
Briefsteller  195 
Broschen  229 
Bruch  224,  229,  230 


428 


Sachregister. 


Bucentoro  358 
Bücher  137 
Buden  121 
Bursa  209 

CacabcUa  323 
Calciata  4 
Cadenas  307 
Camuiorfostc  355 
Candidat  212 
Caroussor  325 
Caroussol  163 
Capricollieren  363 
Castruiu  Doloris  409 
Cena  297  ff. 
Ceicle  Royal  353 
Champagne  mousseux  322, 

325 
Clironosticha  207 
Chaussee  4 
Ciariataui  368 
Cinqpassiren  363 
Civilehe  159 
Closets  25 
Contretems  366 
Courante  366 

Dächer  143 
Dachfahnen  143 
Dame  372 

Damenschneider  341 
Dampfbäder  338 
Dejeuner  228 
Deposition  209 
Deutsche  Tracht  266 
Deutsche  Weine  319  ff. 
Dienstboten  339 
Diner  297  ff. 
Dirnenwesen  153 
Dockenhäuser  202 
Dorfwirtshäuser  395 
Draper  414 

Drechselei  der  Fürsten  187 
Dreikönigsfest  383 
Dressierte  Pferde  369 

Edelsteine  280 

Ehepakten  162 

Ehrenpforten  390 

Eier,  Essen  der  318 

Einbalsamieren  408 

Einsalzen  408 

Einzug  des  neuvermählten 

Fürstenpaares  163 
Einzüge  der  Fürsten  389 
Eiserner  Ofen  130 
Eiskeller  325 


Eleuden-Herberge  102 
Empfang  der  Braut  160 
Englische  Komödianten 

368 
Englischer  Schweifs  392 
Englische  Tracht  274 
Entbindung  der  Bauern- 
frauen  181 

—  an  Fürstenhöfen  173 

—  einer  Fürstin   175 
Epitaidiiumsgemälde  420 
Eremitage  63 
Erziehung  der  Kinder  183 

—  der  Kinder  des  Adels 
189 

Erziehung  eines  Bürgers- 
sohnes 204  ff. 

Erziehung  der  Fürsten- 
kinder  183 

Erziehung  eines  Prinzen 
185  ff. 

Erziehung  d.Prinzessinneu 
188 

Escarpin  426 

Eselsfest  382 

Essen  und  Trinken  295  ff. 

Fächer  284 
Fackelfestzug  163 
Fackeltanz  361 
Fahrende  Schüler  208 
Farbige  Kleider  274 
Fässer,  grofse  44 
Fastnacht  384,  355 
Fastnachtsgebräuche  384 
Fastnachtsspiele  367 
Faulbett  133 
Fayence  309 
Fechten  349 
Fechtlehrer  184 
Fechtschule  213,  374 
Fechtsprung  374 
Fechtübungen  184 
Federballspiel  376 
Federschmuck  274 
Fenster  d.  Schlösser  14,  53 
Fenstergitter  123 
Fest     der     unschuldigen 

Kindlein  388 
Festkleider  279  ff. 
Festmahl  der  Bürger  312 
Feuerspritzen  106 
Feuerversicherung  108 
Feuerwerk  163,  355 
Feuerzeug  142 
Findelhaus  101 
Finstermette  385 


Fischerei  358 
Flaschejikeller  394 
Fleischhalle  95 
Fleischmarkt  95 
Fliesen  142 
Florentzen  154 
Fluchen  und  Schwören  378 
Flüssen  372 
Fontange  262 
Formelbuclicr  195 
Französische  Mode  228,248 

—  Sitten  399 

—  Weine  322 
Frauenhäuser  153 
Frauenkleider   vor   dem 

12.  Jhdt.  224 

Freifrau  154 

Freihaus  154 

Frefssucht  313 

Freudenfahne  411 

Freudenfeuer  177 

Freudenpferd  411 

Frisur  der  Damen  255 

Fronleichnamsfest  386 

Frühmahl  314 

Fürbitte  für  die  schwangere 
Fürstin  175 

Fürstensöhne  auf  Uni- 
versitäten 186 

Gabel  300 
Galgen  69 
Gaillarde  363 
Gambadieren  363 
Gängelbänder  199 
Gänsebauch  255 
Gänsen  372 
, Gardenrobbe'  131 
Gärten  45 

Gartende  Knechte  396 
Gärten  der  Bürger  143 
Gartenhäuser  145 
Gassaten  212 
Gasthöfe  395 
Gastzimmer  36,  142 
Gavotte  366 
Geburtsstuhl  177 
Gefäfse  129 
Gefräfsigkeit    der    bäueri- 

schenWöchnerinnen  181 
Gefrorenes  325 
Geldheiraten  166 
Geldmangel  192 
Geldnot  193,  197 
Gemälde  131 

— ,  mythologische  30 
Gemäldegalerie  25,  349 


Suchreuister. 


429 


Genrebilder  131 
Gerechtigkeitsbilder  89 
Gerichte     bei     FeHtesson 

316  ff. 
Gerichte    bei    Festnuihlcai 

der  Fürsten  303  ff.,  315 
Gesang  344 
Geschenke  an  die  Ehefran 

344 
Geschlechtcrtanz  3(52 
Geschlitzte  Kleider  237 

Gesell  217 

Gesellschaf tslied<M'  371 
Gesellschaf tssi>iele  37;) 
Gewandhans  93 
Geweihe  39 
Giefskalter  129 
Gielsfafs  129 
Giftmorde  193 
Giftverratende  ( udalse  43 
Glasfenster  125 
( ilasrnalerei  125 
Crlocken  über  den  h^ervier- 

schüsselu  804 
Glühwein  29(; 
Goliardei)  208 
Gotische  (irabfnnde  222 
Grabdenkmider  417  ft'. 
Gral)ensprnng  474 
Grabschriften  420 

— ,  hainoristisi'lu-  421  11. 
Grand  Lever  336 
S.   Gregorienfest  385 
Griecliische  Weine  321 
Groliianns   194 
(imsclienweiber  411) 
(d-ollcii  3i; 
( <rnbenl»allspiel  37G 
(xrüner  Donnerstag  385 
(iiirtel  229 

Haarbeiitel  251 
Haartracht  d.  Manner  248 

-  224,  229 
Hahnenschlagen  358 
Halmentauz  401 
Halskragen  284 
TIalstiich,  weil'ses  284 
Händewascheii   300 
Handschlag  167 
Handtn(;h  129 
Hanil\V(Mk(Mfeste  218 
Handwerkerlaufbalin  217 
Lange    Ilangeärinel    229, 

235 
llarniscli  274 
Hasardspiel  217 


Hanptsprung  374 
HansOur   122 
Hausinnsik  370 
Hanstüren  120 
Hanstrop|)e  123 
Hauswasche  341 
Hebammen   173,  177 
He1)animenstuhl   177 
Heckerling-Streuen  170 
Heerstrars<Mi   3. 
Heilkunde     der     Hausfrau 

392 
Hemd  224,  229 
Heiren-Fastuacht  384 
Herrenluiuser   149 
HimmeHalirtstag  386 
Hocbzcit  159 

—  iler   Itaiiei'ii    172 

—  dei'   r>iii'ger  KKI 
Hnclizeitsbriclr    l(i9 
Ilnclizeitsgediciile   170 
lioclizcitsgeschenke    169 
Iluchzeitshaus  96 
Hochzeitsheu  id   168 
Ilochzeitsnudd   169 
Hoclizeitsscher/.c   170 
Huf   123 

llnlaint.'r    191 
Hofdamen  192,  340 
Honel)en  191 
Hofleute   r.t2 
Hofmeister   190 
Hof  innren  358 
Hoftage  347 
Hülle  373 
Holzaiien    l;!4 
Ilolzlafcluu-  33,   126 
IIuI/IcIUt  310 
Ildppel-Tauze   '.'Au'> 
Hosenliandorden  281 
Hoseidatz  230,  233,  247 
llnnde  289  ff. 
Hund. •kästen    134 
Hut,  dieiec^kiger  247 
Hüt(^  234,  241,  247,  253 
Hut  sei  in  (Ire  251 

lUuiiiinalidn  163,  175,  177 

356 
IlaJienisihc    Wciiu'.  321 
Intarsia    l.'M 
ln\alidrnhaus    102 

Ja-d   350,  357,  377 
.lentaculimi  298 
.lentaineii  298 
S.  .loliannis  d.  Ev.  Tag  388 
.bilianuisfest   386 


Jonlanwasser  176 
Julep  322 
Jungfernkranz  167 
Jungfrauengesell   169 

Kabinette    135 
Kaffee  329 

Kaldannenka pelle  408 
Kalter  ISraten  392 
Kalte  Scbale  .'515 
Kaniiu(>    15,    !!>,  38,   129 
Kanapee   133 
Kaudelbrett   129 
Kappe  285 
Karfreitag  385 
Karneval  von  Ven(Mlig  384 
Karnöft'el  372 
Kartensi.iel  372,  426 
Kartoffel  32S 
S.   Katharinenlag  387 
Karussell  350 
Kaufbaus  91 
Kaufladen   120 
Kaufmanu.dauriiahn   215 
Kaviar  328 
Kemenate   15 
Kellereien  44 
Kindb.-ttliosc    178 
Kiiidelbier   17« 
Kindelein   189 
Kindehi  389 
Kin.lerkleider  199 
Kindersegen    199 
Kinderspiel  201 
Kindert  iiriiiere   201 
Kinder     und     1  »icnstlioten 

199 
Kindesmord   155 
Kirchen  82 
Kircbgang  der  \V(icbuerin 

176 
Kirchliehe   Ehe    1.59 
Kirchwcih  3S7 
Klassische   Hildun-'  207 
Kleider,   farhiuv  229 

—   der    r>aiiern   291 
Kleider    des    fiirstl.    I'.raut- 

paares    163 
Kleider  der   allen    l>eut- 

scheu  221 
Kleider    der    l.augohardeu 

222 
Kleideiorduiiiigen  244 
Klei.lerschrank   141 
KkMderstoffe  276 
Kleid  im-  221 
Kna|ipen    189 


430 


Sacbrc"  ister. 


Kobylarz  198 
Kochbücher  327 
Köchin  315 
Kochrezepte  340 
Komnioeien   135 
Komödien  163,  175 
Königsspiel  354 
Konzerte  175,  306 
Kopfputze  235 
Kopfrennen  349 
Korkstöpsel  325 
Kornhaus  91 
Korsett  255 

Kosten  einer  Hoclizeit  169 
Kotzendantz  362 
Kragen  254 
Krankenhaus  100 
Kränzchen  391 
Kranzmahlzeiten  315 
Kravatte  284 
Kredenz  39,  131,  308 
Kredenzget'äfse  132 
Kreuzwoche  386 
Krippen  388 
Krippenreiter  198 
Ivristallgliiser  309 
Kronleuchter  136 
Küche  142 
Kuustkammer  29 
Kunstsammlungen  138 
Kunstschräuka  37 
Kufs  157 
Kutsche  380 

Lampen  135 
Lampendochte  136 
Landestrauer  413 
Lateinschulen  208 
Latinisierung  der  Familien- 
namen 207 
Lauben  121 

Laufstuhl  der  Kinder  199 
Lebensdauer  405 
Lebkuchen  141,  181 
Ledertapeten  127 
Ledige  Kinder  155 
Leibgedinge  414 
Leibstuhl  140 
Leichenbegängnis  411  ff. 
Leichenbitter  415 
Leichenwagen  411 
Leinwand  276,  278 
Leinwandhaus  94 
Lektüre  345 
Leproserie  101 
Lessei  387,  Anm.  4 
Lezak  198 


L'Hombre  372 

Licentiat  209,  212 

Lichterziehen  340 

Lichtigel  129 

Lichtmefa  383 

Lichtscheere  129,  136 

Lieder,  unzüchtige  200 

Liköre  326 

Loggien  121 

Löschanstalten  106 

Lotterbett  133 

Lüderlichkeit  der  Bürger- 
frauen 156 

I^üderlichkeit  der  Höfe  und 
der  Adelskreise  155 

Luftsprung  374 

Lusthaus  32,  63 

Mac  Adam  4 
INIagenstärkung  141 
Magezogin  188 
Magister-Kranz  209 
Mahlzeiten,  fürstliche 

299  ff. 
Mai,  der  erste  386 
Majoliken  43 
Majolica  309 
Malerei  35 
Manoir  149 
Mantel  224,  229 
Mautels])rung  374 
Maria  Himmelfahrt  387 
Marionetten,  singende  353 
S.  Martinstag  387 
Masken  252,  285 
Maskeraden   163,  354,  389 
Matratze  140 
Medaillen  163,  175,  281 
Meisterin  188 
Menuett  366 
Mercerie  355 
Merenda  298 

Merowinger-Schmuck- 
sachen  222 

Messer,  Essen  mit  dem 
328 

S.  Michaelstag  387 

Militärische  Erziehung  der 
Prinzen  187 

Mifsgeburten  177 

Mittagsmahl  314 

INIittfasten  385 

Möbel  52 

Modefarben  254 

Modenarren  195,  196 

Modepuppen  252 

Monte-plats  311 


IMoralität  153 
INIordherbergen  395 
jNIorgengabe  159,  163 
Morgensuppe  339 
ISIorisken-Tanz  362 
Mühlsteinkragen  244 
;\Iunnuerei  161 
ISIusik  344 
INlusikunterricht  204 
Mützen  234 

Nachkoiniuen  325 
Nachtkleider  141 
Nachtlampo  143 
Nachtwächter  73 
Nacktlaufen  der  Kinder 

199 
Narrenfest  382 
Nebenräume  d.  Schlösser 

31 
Nestel  229,  230 
Nestelknüpfen  170 
Neujahr  382 
S.  Niklastag  388 
Nonnenkloster  156 
Nottaufe   177 
Numerierung  d.  Häuser  75 

Obstanpflanzuug  144 
Ochsenmäuler-Schuhe  234 
Öfen  15,  20,  129 
Öffentliche  Brunnen  76 

—  Denkmäler  81 
Ohrringe  229 

Oper  161, 163, 175,  350,  369 
Orden  281 
Osterfest  385 
Ostersamstag  385 

Pagen  189 

Paiastbauten  6,  12,  47 
Palemey-Spiel  376 
Pallmall  376 
Palmey-Spiel  376 
Palmsonntag  385 
Papiertapeten  128 
Paradebett  409 
Parapluie  285 
Parasol  285 
Paravent  425 
Parfümerien  229,  253 
Parkanlage  63 
Partida  364 
Passamezzo  364 
Passa  repassa  363 
Passionesa  362 
Passionsspiele  367 
Patengeschenke  181 


Sachregister. 


431 


Pelzmützen  244 
Pelzwerk  274 
Pennalismus  211 
Perlenstickereien  239,  280 
Perücke  250 
Pesle  mesle  311 
Petit  Lever  336 
Pfeffertag  388 
Pflasterung  69  ff. 
Pfingsten  386 
Pflichten  der  Hausfrau 

339  ff. 
Philippinatanz  362 
Pietra-dura- Arbeit  134 
Platten  werfen  376 
Pleger  325 
Pluderhosen  240 
Pluniage  276 
Politur  134 
Polonaise  366 
Polster  133 
Portechaise  381 
Portraits  der  Bräute  160 
Prandium  297  ff. 
Prandium  Aristotelis  -209 
Pranger  90 
Privathäuser  104 
Prügel  in  der  Schule  200 
Prügelknaben  183 
Pudern  der  Haare  253 
Puff  372 

Puppe  201,  202,  373 
Puppenhäuser  202 
Puppenküche  202 
Puppenstube  202 

Quadrille  350 
Quintanrennen  349 

Rabbat  254 
Rabenstein  90 
Eakett  374 
Rakettenspiel  374 
Rathäuser  82 
Räuber  396,  397 
Raubritter  396,  398 
Redoute  353 
Regenkleid  286 
Regenschirm  287  ff. 
Regentuch  286 
Reifrock  261 
Reifschürze  252 
Reigen  360 
Reinigung  der  Senkgruben 

143 
Reisebetten  396 
Reisen  393  ff. 
Reiten  183 


Reitermantel  253 
Reiterstiefel  247 
Religiöse  Pflichten  336 
Rennen  161,  347 
Repas  k  la  clochette  324 
Ridotto  353 
Rigaudon  366 
Ringe  229 
Ringen  184 
Ringkunst  374 
Ringspiel  373 
Rock  229 

— ,  langschöfsiger  247 
Rolandssäulen  90 
Rondeau  366 
Rofsballette  350 
Rosensonntag  384 
Rücken  Sprung  374 
Rundtänze  366 
Ruten  201 

Samaria  244 
Sänfte  381 
Särge  409 
Sclavinia  286 
Schach  372 
Scharrer  362 
Schatzgräber  193 
Schau  94 
Schaugerichte  161 
Schauspiele  366 
Schenk  302 
Schlachthaus  95 
Schlafen,  Regeln  fürs  140 
Schlafzimmer  21,  139 
Schlafenszeit  393 
Schleier  285 
Schlittenfahren  38,  350 
Schlittenrecht  381 
Schlittschuhlaufen  202 
Schlofs  5 
Schlofsgärten  45 
Schlofskapellen  45,  61 
Schmäräken  376 
Schminke  229,  253 
Schmucksachen  243 
Schnabelschuhe  224,  229 
Schneiderei  341 
Schnupftabak  331 
Schnupfta])aksdosen  331 
Schnürbänder  224 
Schokolade  330 
Schönheitspflaster  253 
Schränke  124,  134 
Schreibschrank  138 
Schreibtische  19,  123 
Schreibzeug  137 


Schülerbischof  388 

Schulhaus  103 

Schulkomödie  367 

Schulzucht  200 

Schützen  208 

Schützenfeste  360 

Schwarze  Knabe,  der  362 

Schweine  auf  der  Strafse 
70,  72 

Schweineschlachten  392 

Schweizerische  Buft'e  362 

Schweizer  Weine  320 

Schwimmen  377 

Seide  276,  278  ff. 

Seidenstoffe  341 

Seifekochen  341 

Seiltänzer  369 

Sell^stmorde  406 

S^nöchal  300 

Sieden  der  Leichen  408 

Silbergeschirr  309 

Sittlichkeit  153 

Socken  224,  229 

Sodomie  154 

Sofa  133 

Sonnenschirm  287 

Souper  297  ff. 

Spanische  Weine  321 

Spazierengehen  381 

Spazierstock  288 

Speck  252 

Sperrketten  73 

Spiegel  19,  21,  44,  131,  393 

Spielkarten  137 

Spielsachen  der  Fürsten- 
kinder 183,  188 

Spinnen  341,  343 

Spinnrad  343 

Spitzen  282  ff.,  343 

Spoliere  128 

Sprachmengerei  207 

Sprünge  374 

Städte  65 

Stadtmauer  66 

Stadttore  68 

Stammbücher  215,  246 

Stankgemach  143 

Statue  eines  Fürsten  336 

Stechen  347 

Steckenpferd  201,  373 

Steenkerke  284 

Stickerei  280,  342 

Strickbücher  343 

Stricken  342 

Strickmaschine  231 

Stollenschränke  135 

Strohhüte  234 


432 


Saclirocister. 


Strohsack  140 
Strümpfe  230 

— ,  gestrickte  231 
Strumpfhose.  224,  229,  230 
Strafsen  3. 

—  der  Städte  09 
Straufscnfodern  234,  237 
Stu.lenton  209  ff. 
Studierzimmer  138 
Stühle  133 

Stunde  des  Essens  297 
Synajiogen  82 

Taliakrauchen  330 

Table  deconüdence  307,3 1 1 

Tafelaufsätze  39,  302,  310 

Tafelschiefsen  376 

Tafelschmuck  310 

Talon  rouge  426 

Tanaweczel  392 

Tanz  360  ff. 

— ,  deutscher  349,  364 
— ,  englischer  349,  366 
— ,  französischer349,366 
— ,  polnischer  349 

Tänze,  nackte  365 

Tanzen  349 

Tauzhaus  96 

Tanzschule  364,  393 

Tanzsprung  374 

Taschenspieler  369 

Taschenuhr  284 

Taufe  im  Bürgerhause  180 

—  an  Fürstenhöfen  173, 
176 

Taufnamen  174 
Taufzeugen  180 
Tee  329 
Testamente  407 
Theater  99,  161 
Tische  18,  36,  133,  134 
Tischbedienung  zu  Pferde 

302 
Tischmusik  308 
Tisch  Ordnung  300 
Tischplatten  18 
Tischservice  308  ff. 
Tischtücher  133,  134 
Tischzucht  311 
Titelsucht  195 
Titulaturen  195 
TJost  184 

Töchtererziehung  203 
Tod  und  Begräbnis   der 

Bauern  422 
Tod  der  Fürsten  408  ff. 


Todesanzeige  412 

Todtenmahl  417 

Todtentafel  417 

Tostee  325 

Tour  ä  la  mode  350 

Tracht  zur  Zeit  Karls  des 

Grofsen  223 
Trachtenbilder    des  12.  u. 

13.  Jahrhunderts  225  ff. 
Tranchierkunst  327 
Ti-auer  412  ff  ,  414 

—  der  Spanier  416 
Ti-auerfahne  411 
Truuerklcider  415 
Trauerpferd  411 
Trictrac  372 

Trink-Comnient  212  ff.,  323 
Trinkgeschirre  39  ff. 
Trinkstuben  97 
Triumphbogen  390 
Truchsels  300 
Trunksucht  313,  318 

—  der  Franzosen  324  ff. 
Tuchhalle  93 

Turniere  184,  347 

Überschläge  254 
ITir  130 
Ungarweine  322 
Ungetreue  Nachbarn  373 
Universitäten  208 
Universitätsgebäude  103 
Unsaul)erkeit  der  Stralsen 

69 
Untersuchung  d.Bräute  160 
Unzucht  mit  Kindern  154 

Vaganten  (Landstreicher) 

397 
Vaganten  (Studenten)  208 
S.  Veitstag  386 
Venezianische  Gläser  41 
Venezianisches  Glas  125 
Verletzung  der  Sittsamkeit 

155 
Vermählung  d.  Fürsten  159 
Vermählung  durch  Pro- 

kuration  159 
Vertugadin  261 
Verwilderung  d.  Sitten  198 
Virgatum  ire  373 
Vogelgebauer  137 
Vogelschiefsen  357 
Volksschule  215 
Vorgelege  130 
Vorhänge  vor  Gemälde  131 


Wachskerzen  136 
Wachteln,  geschuhte  153 
AVachttürme  150 
Wams  247 
Wandleuchter  136 
Wandteppiche  127 
Wapi)enweiblein  136 
Waschen  am  Morgen  337 
Waschschränkchen  19 
Waschtische  129 
Wasserleitung  75 
WasBorspeier  369 
Weben  der  Stoffe  341 
Weiherspeck  252 
Weihuachtstag  388 
Wein  296,  319  ff'. 
Weinhaus  63 
Weinkeller  124 
Weinlese  358 
Wein-Springbrunnen  175 
Weifszeug  278 
Wendeltreppe  123 
Wermutwein  322 
Westerwät  173 
Wettlaufen  349 
AVettrennen  349 

—  auf  dem  Wasser  349 
Wochenstube    der  Bürger 

frauen   177 
Wohnzimmer  125 
Wollenstoffe  276,  342 
Würfel  372 
Wurst  318 
Würzwein  296 
Windmühle  202 
AVindeluken  143 
Wirtschaften  163,  354 
Wirtshaus  97 

Zahl  der  Gänge  307 
Zahltisch  122 
Zäuner  362 
Zeit  der  Trauung  168 
Zeughaus  91 
Zinngeschirr  310 
Zölle  398 
Zopf  251 
Zuchthaus  102 
Züchtigung  der  Fürsten- 
kinder 183,  187 
Zunfthaus  96 
Zutrinken  323,  324,  325 
Zweikampf  379 
Zwerge  358 
Zwölf  Nächte  383. 


Verlagsbucühandlün^  R.  OldenboM  München  uDd  Berlin  W,  H 


Handbuch 

der 

mittelalterlichen  und  neueren  GescMchte, 

Herausgegeben 

von 

G.  V.  Below  und  F.  Meinecke 

Professor  an  der  Universität  Tübingen.  Professor  an  der  Universität  Strafsburg. 


Das  Zeitalter  der  encyklopädischen  Darstellungen  ist  in  der  Wissen- 
schaft durch  ein  Zeitalter  der  Speziahsierung  der  Arbeit  abgelöst  worden. 
Allein  gerade  die  zunehmende  Speziahsierung  hat  wiederum  das  Bedürfnis 
encyklopädischer  Zusammenfassung  hervorgerufen.  In  keiner  Disziplin 
wird  dies  Bedürfnis  augenblicklich  weniger  befriedigt  als  in  der  mittel- 
alterlichen und  neueren  Geschichte.  Während  auf  den  Nachbargebieten 
der  Rechts-  und  Kirchengeschichte,  der  Philologie  etc.  eine  Tradition 
in  der  summarischen  Zusammenfassung  des  jeweiligen  Forschungsstandes 
auch  in  dem  Zeitalter  der  induktiven  Spezialforschung  lebendig  geblieben 
ist  und  jeder  neue  Versuch  encyklopädischer  Darstellung  den  Weg  schon 
gebahnt  findet,  ist  auf  dem  Gebiete  der  allgemeinen  mittelalterlichen  und 
neueren  Geschichte  diese  Tradition  unterbrochen  worden;  die  wenigen 
Versuche,  die  gewagt  wurden,  rühren  meist  von  Autoren  her,  die  nicht 
selbst  auf  der  Höhe  der  Forschungsarbeit  standen.  Die  Gründe  für  diese 
Erscheinung  fliefsen  nicht  notwendig  aus  dem  Wesen  unserer  Wissen- 
schaft, sondern  waren  historisch  bedingt  durch  den  eigenartigen  Gang 
ihrer  Entwicklung  im  19.  Jahrhundert.  Wir  haben  sie  hier  nicht  dar- 
zulegen, sondern  nur  das  lebhafte  Bedürfnis  nach  encyklopädischen  Hilfs- 
mitteln festzustellen,  das  heute  nicht  nur  der  angehende  Jünger  unserer 
Wissenschaft,  sondern  jeder  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  mittelalter- 
hchen  und  neueren  Geschichte  empfindet,  wenn  er  den  Blick  von  seinem 
engeren  Arbeitsfelde  auf  die  weiteren  Zusammenhänge  seiner  Studien 
richtet,  wenn  er  sich  auch  nur  auf  einem  Nachbargebiete  schnell  orien- 
tieren will.  Die  besseren  populären  Darstellungen,  die  wir  von  einzelnen 
Gebieten  besitzen,  genügen  diesem  Bedürfnisse  nicht,  weil  ihnen  ent- 
weder der  wissenschaftliche  Apparat  fehlt,  oder  weil  sie  schon  übergehen 
in  das  Gebiet  der  eigentlichen  Geschichtschreibung  und  darum  den 
praktischen  Gesichtspunkt  vernachlässigen  müssen. 

Diese  Lücke  wollen  die  Herausgeber  auszufüllen  suchen.  Das  Ziel 
ihres  Unternehmens  soll  eine  streng  wissenschafthche,  aber  zusammen- 
fassende und  übersichtliche  Darstellung  sein.     Es  soll  die  Tatsachen  und 


die  Zusammenhängo  der  geschichtlichen  Entwickelung  vorführen,  zugleich 
jedoch  auch  ein  anschauUchcs  Bild  des  dermaligen  Standes  der  For- 
schung in  den  einzelnen  Zweigen  unserer  Wissenschaft  bieten,  beides  in 
knappster  Form.  Es  will  den  wissenschaftlich  ausgebildeten  Historikern, 
wie  den  Studierenden  und  überhaupt  allen  Freunden  der  mittelalterhchen 
und  neueren  Geschichte  dienen. 

Dies  Programm  ist  nicht  der  Ort,  die  Frage  zu  lösen,  wie  die  Auf- 
gabe des  Historikers  im  allgemeinen  zu  bestinnnen  sei,  die  Grenzen  der 
Geschichtswissenschaft  zu  ziehen.  Naturgemäis  können  bei  einem  Unter- 
nehmen, wie  es  die  Herausgeber  planen,  die  entscheidenden  Gesichts- 
punkte für  die  Abgrenzung  der  zu  berücksichtigenden  Gebiete  nur  die 
praktischen  sein.  Die  Herausgeber  sind  ihnen  gefolgt  mit  dem  Be- 
streben, den  Rahmen  tunlichst  weit  zu  spannen.  Sie  haben  zunächst 
und  vor  allem  Bearbeitungen  derjenigen  Wissenszweige  in  den  Plan  des 
Unternehmens  aufgenonnnen ,  die  das  berufsmäfsigo  Arbeitsfeld  des 
heutigen  Historikers  —  Historiker  im  empirischen  Sinne  —  bilden.  Den 
Bearbeitern  ist  es  zur  Pflicht  gemacht  worden,  den  grofsen  Zusammen- 
hang, in  dem  die  einzelnen  historischen  Studien  stehen,  im  Auge  zu 
behalten.  Sodann  sind  einige  Nachbargebiete  in  den  Plan  hineingezogen, 
soweit  es  an  geeigneten  Hilfsmitteln  für  dieselben  bisher  mangelt.  Das 
Nähere  ergibt  die  beigefügte  Inhaltsübersicht.  Es  führt  in  _  grofsem 
Drucke  diejenigen  Darstellungen  auf,  deren  Bearbeitung  bereits  in  festen 
Händen  liegt,  in  kleinem  Drucke  diejenigen,  für  die  die  Verhandlungen 
noch  nicht  ganz  abgeschlossen  sind.  Die  Herausgeber  haben  den  Grund- 
satz, lieber  "einstweilen  eine  Lücke  zu  lassen,  falls  sich  nicht  sogleich 
eine  geeignete  Kraft  gewinnen  läfst.  Einzelne  Erweiterungen  dos  Planes 
können  mit  der  Zeit  vielleicht  noch  erfolgen. 

Die  Herausgeber  glauben  von  vornherein  eine  Gewähr  für  das  Ge- 
lingen ihres  Unternehmens  zu  besitzen,  indem  sie  sich  in  der  ahgemeinen 
Form  der  encyklopädischen  Darstellung  einer  andern  Disziplin  an- 
schhefsen,  die  sich  bereits  bewährt  hat,  nämlich  Iwan  v.  Müllers  Hand- 
buch der  klassischen  Altertumswissenschaft,  welches  ja  ebenfalls  den 
Zweck  der  übersichtlichen  Darstellung  mit  dem  des  Nachweises  über 
die  gelehrten  Hilfsmittel  verbindet. 

Freihch  stimmen  beide  Unternehmungen  nicht  vollständig  überein 
Vor  allem  ist  ein  Unterschied  dadurch  gegeben,  dafs  I.  v.  Müllers  Hand 
buch  das  Ganze  der  Kultur  des  Altertums  zur  Anschauung  bringt,  während 
wir,  wie  schon  bemerkt,  aus  praktischen  Gründen  einen  engeren  Rahmen 
ziehen.  Damit  hängt  es  zusammen,  dafs  in  unserm  Unternehmen  die 
philologischen  und  hterarischen  Fragen  zurücktreten.  Eine  andere  Ab- 
weichung hat  ihren  Grund  in  dem  unvergleichlich  umfangreicheren 
Quellenmaterial,  das  für  die  mittelalterhche  und  neuere  Geschichte  vor- 
hegt. Dies  wird  öfters  dazu  nötigen,  die  Zitate  aus  den  Quellen  spar- 
samer zu  bemessen,  als  es  sich  in  einer  encyklopädischen  Darstellung 
der  klassischen  Altertumswissenschaft  empfiehlt. 

Unser  Unternehmen  schhefst  sich,  wenn  der  besondere  Gegenstand 
keine  Abweichungen  räthch  macht,  auch  in  der  äufseren  Einrichtung  an 
I.  V.  Müllers  Handbuch  an.  Es  übernimmt  von  ihm  also  die  durch- 
gehende Einteilung  der  einzelnen  Darstellungen  in  kurze  Paragraphen 
und  die  Unterscheidung  in  dem  Gebrauch  des  grofsen  und  kleinen  Druckes. 
In  kleinem  Druck  ward  den  Paragraphen,  bezw.  Unterabteilungen  der 
Paragraphen   der  Überbhck   über    die  betreffende  Literatur  nachgestellt. 


Hiermit  können  kurze  literarhistorische  Notizen  verbunden  werden.  Sonst 
werden  spezielle  Belege  und  Ergänzungen  zur  Darstellung  in  den  An- 
merkungen unterhalb  des  Textes  gegeben. 

Jeder  Teil  ist,  ebenso  wie  in  I.  v.  Müllers  Handbuch,  mit  einem 
alphabetischen  Sachregister  versehen. 

Auf  Grund  der  Erfahrungen,  die  die  historischen  Studien  an  die 
Hand  geben,  wird  in  den  Darstellungen  des  Zuständhchen  auf  Anführung 
und  Erklärung  (nicht  sowohl  etymologische,  als  vielmehr  sachliche)  der 
wichtigeren  technischen  Ausdrücke  besonderes  Gewicht  gelegt.  Hierdurch 
werden  die  Register  erhöhte  Bedeutung  erlangen. 

Unser  Unternehmen  soll  von  vornherein  in  der  Weise  eingerichtet 
werden,  dafs  jeder  Teil,  gleichviel  wie  stark  seine  Bogenzahl  ist,  einzeln 
ausgegeben  wird. 

Wie  uns  bei  der  Vorbereitung  unseres  Unternehmens  manch  för- 
dernder Rat  von  selten  der  Fachgenossen  zuteil  geworden  ist,  so  werden 
war  auch  in  seiner  Durchführung  dankbar  sein  für  jeden  praktischen 
Vorschlag,  der  noch  verwirklicht  werden  kann. 


Übersicht  über  den  Inhalt. 

(Die  klein  gedruckteu  Titel  bezeichnen  die  Bände,  über  die  die  Verhandlungen  noch  nicht 

abgeschlossen  sind.) 


I.  Allgemeines. 

Encyklopädie. 

Geschichte  der  deutschen  Geschichtschrei- 
bung im.  Mittelalter.  Von  Prof.  Dr.  Her- 
mann Bloch. 

Geschichte  der  neueren  Historiographie. 
Von  Prof.  Dr.  Richard  Fester. 

Politik  auf  historischer  Grundlage. 

Die  mittelalterliche  Weltanschauung.    Von 

Prof.  Dr.  Clemens  Baeumker. 
Die  Weltanschauung  der  Renaissance  und 

der     Reformation.       Von    Privatdozent 

Dr.  AValter  Goetz. 
Geschichte  der  Aufklärungsbewegung.  Von 

Prof.  Dr.  E.  Troeltsch. 
Die  geistigen  Bewegungen  des  19.  Jahrhunderts. 

II.  Politische  Geschichte. 

Allgemeine  Geschichte  der  germanischen 
Völker  bis  zum  Auftreten  Chlodwigs. 
Von  Prof.  Dr.  Ernst  Kornemann. 

Allgemeine  Geschichte  vom  Auftreten 
Chlodwigs  (mit  Rückblick  auf  die  altere 
Geschichte  der  Franken)  bis  zum  Ver 
trag  von  Verdun.  Von  Privatdozent 
Dr.  Albert  Werminghoff. 

Allgemeine  Geschichte  des  Mittelalters  von 
der  Mitte  des  9.  bis  zum  Ende  des  12.  Jahr- 
hundorts.    Von  Prof    Dr.  TT   Bresslaü. 


Allgemeine  Geschichte  des  späteren  Mittel- 
alters vom  Ende  des  12.  bis  zum  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  (1197—1492).  Von 
Prof.  Dr.  Johann  Loserth. 

Allgemeine  Geschichte  von  1492 — 1648. 
Von  Prof.  Dr.  Felix  Rachfahl. 

Geschichte  des  europäischen  Staaten- 
systems von  1648—1789.  Von  Privat- 
dozent Dr.  Max  Immich. 

Geschichte  des  Zeitalters  der  französischen 
Revolution  und  der  Befreiungskriege. 
Von  Privatdozent  Dr.  Abalbert  Wahl. 

Geschichte  des  neueren  Staatensystems 
vom  Wiener  ICongrefs  bis  zur  Gegen- 
wart. Von  Prof  Dr.  Erich  Brandenburg. 

Brandenburgisch-preufaische  Geschichte. 

III.  Verfassung,  Recht,  Wirtschaft. 

Deutsche  Verfassungsgeschichte  (bis  zur 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts).  Von  Prof. 
Dr.  Gerhard  Seeliger. 

Deutsche  Verfassungsgeschichte  von  der 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts  bis  zur  Er- 
hebung der  absoluten  Monarchie.  Von 
Prof.  Dr.  G.  v.  Below. 

Deutsche  Verfassungs-  und  V^erwaltungs- 
geschichte  seit  der  Erhebung  der  ab- 
soluten Monarchie.  Von  Prof.  Dr.  Hein- 
rich Geffcken. 


l'''raii7A')sische  Verfassnngsgeschichte  von 
der  Mitte  des  9.  Jahrhuuderts  bis  zum 
Ausbrucli  der  Revolution.  Von  Privat- 
dozent  Dr.  Kobert  Hot.tzmann. 

Englische  Yerfassun£rs>:esohiehte. 

Gnindzüge  der  Geschichte  der  katholischen  und 
evangelischen  Kirchenverfassung. 

Das  abendiändisohe  Kriegswesen  vom  6. 
bis  zum  15.  Jahrhundert.  Von  Prof. 
Dr.  Wilhelm  Erben. 

Geschiolite  der  neueren  Heeresverfassungen 
vom  Iti  Jaluhundert  ab.  Von  Privat- 
dozent Dr.  Gustav  Roloff. 

Geschichte  des  deutschen  Strafrechts.  Von 
Prof.  Dr.  R.  His. 

Geschichte  des  Straf-  und  ZiAnlprozesses. 
Von  Prof.  Dr.  jur.  Ktjut  Burciiard. 

Geschichte  des  deutschen  Privat-  und 
Lehenrechtes.  Von  Prof.  Dr.  Hans 
V.  Volte LiNi. 

Deutsche  AVirtschaftsgeschichte  bis  zum 
17.  Jahrhundert.  Von  Prof.  Dr.  G. 
V.  Below. 

Allgemeine  Wirtschaftsgeschichte  vom  17.  Jahrhun- 
dert bis  zur  Gegenwart. 


Handelsgoschichte  der  romanischen  Völker 
deslMittelmeergebiets  bis  zum  Ende  der 
Kreuzzüge.    Von  Prof.  Adolf  Schaube. 

Münzkunde  und  Geldgcschichte.  Von  Prof. 
Dr.  Arno  LT»  Luschin  v.  Ebengreutb. 

IV.  Hilfswissenschaften  und  Altertümer. 

Diplomatik.  Von  Prof.  Dr.  W.  Kkben, 
O.  Redlich  u.  M.  Tangl. 

Palaeographie.  Von  Prof.  Dr.  Michael 
Tangl. 

Chronologie  des  Mittelalters  und  der  Neu- 
zeit.   Von  Prof.  Dr.  Michael  Tangl. 

Heraldik  und  Sphragistik. 
Archiv-  und  Aktenkunde. 

Historische  Geographie.  Von  Privatdozent 
Dr.  KoNRAD  Kretschmer. 

Grundzüge  der  mittelalterlichen  Latinität. 

Peutsche  Altertumskunde. 

Das  häusliche  Leben  der  europäischen 
Kulturvölker  vom  Mittelalter  bis  zur 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts. 
Von  Prof.  Dr.  Alwin  Schultz. 


Erschienen  ist  soeben; 


Das 


häusliche  Leben  der  europäischen  Kulturvöiiier 


vom 


Mittelalter  bis  zur  zweiten  Hafte  des  18.  Jahrhunderts. 

Von 

Dh  ALWIN  SCHULTZ, 

Professor  an  der  deutschen  Universität  zu  Prag. 
Vin  u,  432  S.  gr.  8",  reich  illustriert. 
Preis  brosch.  Mk«^^.    In  Ganzleinen  geb.  Mk. 


Prof.  Dr.  A.  Schultz,  einer  der  ersten  Kenner  der  Kunstgeschichte  und  der 
GcBchichte  der  Privataltertümer,  der  diesem  Stoff  schon  mehrere  sehr  ausführliche 
Werke  gewidmet  hat,  fafst  ihn  hier  in  knappen  und  doch  auch  gerade  dem  Bedürfnis 
der  Wissenschaft  Rechnung  tragenden  Form  zusammen. 


Voraussichtlich  werden  sich  folgende  Teile  des  Handbuches  zunächst  anschliefsen ; 

Kretschwer,  Historische  Geographie. 

Tangl,  Paläographie. 

LosEETH,  Geschichte  des  späteren  Mittelalters. 

Immich,  Geschichte  des  europäischen  Staatensystems  1648 — 1789. 

Baeumker,  Die  mittelalterliche  Weltanschauung. 


"Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  München  und  Berlin. 


Seit  1859  erscheint : 

Ristorischc  Zeitschrift. 

(Begründet  Don  fieinrich  d.  Sybel.) 

Unter  Mitwirkunu   von 

Paul  Bailleu,  üouis  Grhardf,  Otto  Bin^e,  Otfo  Krauske,  Ulax  [lenz,  Sigmund  Riezier, 
nioriz  Ritter,  Konrad  Varrentrapp,  Karl  Zeumer. 

Herausgegeben  von 

Friedrich  Meinecke. 

Jährlich  2  Bände  zu  je  3  Heften  =  1152  Seiten  8°.     Preis  eines  Bandes  Mk.  11.25. 


Für  die  seit  1877  erscheinende  Xeue  Folge,  welche  eröffnet  wurde,  um  neu 
eintretenden  Abonnenten  eine  in  der  Bändereihe  vollständige  Sammlung  bieten 
zu  können,  imd  die  bis  inkl.  1902  die  Bände  1 — 53  (der  ganzen  Reihe 
Band  37—89)  umfafst,   wurde   der  Preis  von   Mk.  591.50  auf  BIk.   180.— 

ermäfsigt. 

Einzelne  Bände    (mit  Ausnahme    der    seit    1900   erschienenen),    soweit   noch    vor- 
handen, für  ä  Mk.  6.—. 


Die  »Historische  Zeitschrift«  ist  seit  ihrer  Gründung  durch  Heinrich  v.  Sybel 
im  Jahre  1859  das  führende  Organ  der  deutschen  Geschicht8chreil)ung  und  Forschung 
gewesen  und  bis  heute  geblieben.  Unter  den  grofsen  und  bedeutenden  deutschen 
Historikern  dieser  vier  Jahrzehnte  gibt  es  nicht  einen,  der  nicht  zu  den  Mitarbeitern 
der  »Historischen  Zeitschrift«  gezählt  hätte.  Nach  dem  Tode  Heinrich  v.  Sybels 
im  Jahre  1895  hat  Heinrich  v.  Treitschke  die  Stellung  des  ersten  Herausgebers 
der  Zeitschi'ift  übernommen  und  hat  das  Letzte,  was  er  schrieb,  für  sie  geschrieben. 
Nach  seinem  Tode  ist  dann  ein  Kreis  von  namhaften  älteren  und  jüngeren  Histo- 
rikern dem  bisherigen  Redakteur  und  nunmehrigen  alleinigen  Herausgeber  zur  Seite 
getreten,  um  die  Zeitschrift  auf  ihrer  Ijisherigen  Höhe  erhalten  zu  helfen. 

Geist  und  Charakter  der  Zeitschrift  dürfen  als  jedem  Historiker  bekannt  gelten. 
Sie  ist,  wie  sie  das  von  vornherein  wollte,  vor  allem  eine  wissenschaftliche  und 
kennt  keine  anderen  Mafsstäbe  als  die  der  wissenschaftlichen  Methode.  Sie  setzt 
ihren  Stolz  darin,  völlig  unabhängig  zu  sein  von  dem  Einflüsse  bestimmter  Parteien 
wie  bestimmter  Persönlichkeiten.  Sie  umfafst,  in  ihren  Aufsätzen  wie  in  ihrem 
kritischen  Teil,  das  ganze  Gebiet  der  Geschichte,  nicht  nur  politische,  sondern  auch 
Geistes-,  Wirtschafts-  und  Sozialgeschichte,  legt  aber  das  Schwergewicht  dabei 
einerseits  auf  alles,  was  den  Zusammenhang  zwischen  Staats-  und  Kulturleben  er- 
läutert, anderseits  auf  Stoffe,  wie  es  in  dem  Programm  von  1859  schon  heifst, 
»welche  mit  dem  Leben  der  Gegenwart  einen  noch  lebenden  Zusammenhang  haben«. 

Die  »Historische  Zeitschrift«  bringt  1)  Aufsätze,  2)  Miscellen  (kleinere  Exkurse 
über  Einzelfragen  oder  interessante  Aktenstücke,  zumal  zur  Geschichte  des  19.  Jahr- 
hunderts), 3)  Literaturbericht  (Rezensionen  von  gröfserem  und  kleinerem  Umfange), 
4)  Notizen  und  Nachrichten.  Diese  vierte,  1893  eingerichtete  Abteilung  ist  von  den 
Fachgenossen  besonders  dankbar  und  warm  begriifst  worden.  Sie  enthält  eine  in 
der  Hauptsache  chronologisch  geordnete  und  in  9  Abteilungen  (Allgemeines ;  alte 
Geschichte;  römisch-germanische  Zeit  und  filihes  Mittelalter;  späteres  Mittelalter; 
Reformation  und  Gegenreformation  ;  1648 — 1789 ;  neuere  Geschichte  seit  1789 ; 
deutsche  Landschaften;  Vermischtes)  gegliederte  kritische,  bezw.  referierende  Über- 
sicht über  die  wichtigeren  Aufsätze  und  Quellenverötfentlichungen  der  in-  und  aus- 
ländischen Zeitschriftenliteratur. 

S^.    Die  Abteilung  »Deutsche  Landschaften«  dient  insbesondere    den   jetzt   so  rege 
betriebenen  provinzialgeschichtlichen  Studien. 

Die  Abteilung  »Vermischtes«  bringt  Nachrichten  über  die  Arbeiten  der  Publi- 
kationsinstitute, Preisaufgaben  und  nekrologische  Notizen. 


Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  München  und  Berlin. 


Politische  Geographie 

oder  die  Geographie  der  Staaten,  des  Verkehres  und 

des  Krieges. 

Von 

Dr.  Friedrich  Ratzel, 

Professor  der  Geographie  an  der  Universltilt  zu  Leipzig, 


Zweite,  vermelirte  und  verbesserte  Auflage.    Mit  40  Kartenskizzen. 

XVII  und  8.38  Seiten  grols  8^. 

Preis  brosch.  M.  18. — ,  in  Ganzleinen  geb.  Mk.  20. — . 


Die  erste  Auflage  dieses  grundlegenden  Werkes,  das  bei  seinem  P^rscheiuen 
das  gröfste  Interesse  in  der  wissenschaftlichen  Welt  des  In-  und  Auslandes  erregte, 
ist  seit  längerer  Zeit  vergriffen.  Die  neue  Ausgabe  wird  aufser  der  selbstverständ- 
lichen Verbesserung  vieler  Angaben  durch  die  neuen  Abschnitte : 

Geographie  des  Verkehres  und  des  Krieges 

vermehrt  werden,  wodurch  der  neuen  Auflage    auch    das  Interesse  der  Besitzer  der 
ersten  Auflage  gesichert  ist. 

Dieses  bahnbrechende  Werk  ist  nicht  nur  für  Geographen  vom  Fach,  sondern 
für  alle  diejenigen  geschrieben,  die  sich  aus  Beruf  oder  Neigung  für  eine  volle 
Würdigung  der  geographischen  Grundlagen  der  moderneren  Staatswesen  interessieren. 


.  .  .  Nicht  blofs  der  Fachmann,  sondern  auch  der  Laie  und  der  Staatsmann 
wird  das  Buch  mit  Ge-^inn  lesen.        „Globus",  Illustr.  Zeitschr.  f.  Länder-  und  Völkerkunde. 

.  .  .  Hier  zuerst  sind  die  geschichtlichen  Tatsachen  aller  Zeiten  und  allei* 
Länder  zur  Ermittelung  der  geographischen  Grundfesten  der  Politik  herangezogen 
worden.  Die  Historiker  und  Staatswissenschaftler  mögen  aus  diesem  Buch  lernen, 
dafs  die  Staaten  nicht  äufserlich,  sondern  in  ihrem  innersten  Wesen  mit  ihrem 
Boden  zusammenhängen ;  und  die  Geographen  mögen  aus  ihm  eine  tiefere  Über- 
zeugung davon  schöpfen,  dafs  „politische  Geographie"  nicht  aus  geistlosem  statisti- 
schem Kram  von  Zahlen  und  ephemeren  Grenzzügen  besteht,  dafs  vielmehr  das 
staatliche  Werden  in  Abhängigkeit  wie  in  mächtiger  Beeinflussung  mit  der  physi- 
schen Eigenart  eines  jeden  bewohnten  Landes  tiefinnerlich  verknüpft  ist  .  .  . 

., Verhandlungen  der  Oesellscliaft  für  Erdkunde  Berlin." 


Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  München  und  Berlin. 


Neue  billige  Ausgabe 


des  Werkes : 


Die  Begründung  des  Deutschen  Reiches 

durch  Wilhelm  I. 


vornehmlich 
nach  den  preufsischen 

Staatsakten 


Heinrich  von 
Sybel. 


Mit  dem  Bildnis  des  Verfassers  und  ausführlichem  Sachregister. 


7  elegante  Ganzleinenbände  M.  24.50. 


Der  Preis  der  allgemeinen  Ausgabe  ist  von  Mk.  66.50  auf  M.  35. —  (Lwd.) 

herabgesetzt. 

Die  neue  Ausgabe  kann  komplett  auf  einmal  oder  in  monatlichen  Bänden 
ä,  Mk.  3.50  bezogen  werden. 


Selten  ist  ein  Werk  mit  so  grofser  Freude  begrüfst  und 
mit  solchem  Interesse  aufgenommen  worden  wie  Sybejs 
monumentale  »Begründung  des  Deutschen  Reiches«.  Die 
gesamte  Presse  aller  Richtungen  und  politischen  Anschau- 
ungen beglückwünschte  das  deutsche  Volk  zu  der  ebenso 
begeisterten  und  warm  gefühlten,  als  wissenschaftlich  kor- 
rekten Darstellung  der  machtvollen  Entwicklung  unseres 
Vaterlandes. 

Bekanntlich  sind  Sybel  seinerzeit  zur  Benutzung  für 
sein  Werk  die  Archive  des  auswärtigen  Amtes  und  des 
preufsischen  Ministeriums  in  anzuerkennender  Liberalität 
weit  geöffnet  gewesen,  was  vor  und  nach  Sybel  keinem 
Historiker  gestattet  war,  bezw.  wurde.  Aus  diesem  über- 
reichen Material  hat  Sybel  mit  staunenswertem  Fleifse 
und  meisterhaftem  Geschick  ein  authentisches  Bild  der 
Entwicklung  des  Deutschen  Reiches  und  der  seiner  Auf- 
richtung  vorhergegangenen   Kämpfe   gezeichnet   und   uns 

damit  einen  so  vielseitigen  und   tiefen  Blick   in  die  zeitgenössische  Geschichte  er- 
möglicht, wie  es  keinem  Volk  in  gleichem  Mafse  geboten  ist. 

Der  Fachmann  wird  stets  auf  dieses  grundlegende  Werk,  um  das  uns  das 
Ausland  beneidet,  zurückgreifen  müssen,  dem  Nichtf  achmann,  dessen  Interesse 
an  guter,  vaterländischer  Geschichte  nicht  geschwunden  ist,  kann  kein  Werk  mehr 
empfohlen  werden  als  das  Sybelsche,  das  Schärfe  der  Kritik,  wie  Wärme  des  Ge- 
mütes, Liebe  zur  Wahrheit,  wie  Liebe  zum  Vaterland,  Tiefe  der  Forschung  und 
wissenschaftlichen  Ernst,  verbanden  mit  einer  mustergültigen  Gestaltung  von  köst- 
licher Klarheit,  in  sich  vereinigt. 


Heinrich  von  Sybel, 

geboren  zu  Düsseldorf, 

2.  Dezember  1817. 


"Verlag  von  R.  Oldenbourg  in  München  und  Berlin. 


Ristorisdie  Bibliothek. 

Herausgegeben 
von  der  Redaktion  der  Historischen  Zeitschrift. 


Band  I:    Heinrich  pon  Treitsdiltes    üehr«   und  Wanderjalire  1834-1867.      Erzählt    von 

Theodor  Sohiemjinn.     XII  und  2iU  Seiten.    8».    2.  Aufhige.    In  Leinwand 

gebunden  Preis  ^Ik.  5. — . 
Band  II:  Briefe  Samuel  PuFendorfs  an  Christian  Thomasius  (1687—1693).   Herausgegeben 

und    erklart    von  Kmil  Gigas.    78  Seiten.   8^   In  Lein w.  geb.  Preis  Mk.2.— . 
Band  III:  Heinrich  von  Sybel,  Vorträge  und  Abhandlungen.      Mit   einer  biographischen 

Einleitung  von  Professor  Ur.  Varrentrapp.     378  Seiten.     8".     In  Leinwand 

gebunden  Preis  Mk.  7. — . 
Band  lY :  Die  Fortschritte  der  Diplomatik  seit  ITlabillon  uornehmlich  in  Deutschland-Österreich 

von  Richard  Rosenmund.     X  und  125  Seiten.    8°.   In  Leinwand  gebunden 

Preis  Mk.  3.—. 
Band  V:    ITlargareta    uon   Parma,    Statthalterin    der    fliederlande    (1559  bis  1567).    Von 

Felix  Kachfahl.      VIII  u.  276  Seiten.    In  Leinwand  geb.  Preis  Mk.  5.— . 
Band  VI:  Studien  zur  Entwid^Iung  und  theoretischen  Begründung  der  ITlonarchie  im  Altertum. 

Von  Julius  Kaerst.     109  Seiten.     8».     In  Leinwand  geb.  Preis  Mk.  3. — . 
Band  YII :  Die  Berliner  ITlärztage  uon  1848  von  Professor  Dr.   W.   Busch.     74  Seiten. 

S''.     In  Leinwand  gebunden  Preis  Mk.  2. — . 
Band  YIII:    Sokrates    und    sein    Volk.     Ein    Beitrag    zur  Geschichte  der  Lehrfreiheit. 

Von  Dr.  Robert  Pohl  mann.  VI  und  133  Seiten.    8».  In  Leinwand  gebunden 

Preis  Mk.  3.50. 
Band  IX:    Hans  Karl  uon  Winterfeldt.     Ein    General    Friedrichs    des    Grolsen.      Yon 

Ludwig    Mollow.     XI  u.  263  Seiten.    8".    In  Leinwand  geb.  Preis  Mk.  5.—. 
Band  X:  Die  Kolonialpolitik  Rapoleons  I.     Von  Gustav  Roloff.    XIV  u.  258  Seiten. 

8°.      In  Leinwand  gebunden  Pi-eis  Mk.  5. — . 
Band  XI :  Territorium  und  Stadt.     Aufsätze  zur  deutschen  Yerfassungs-,  Yerwaltungs- 

und  Wirtschaftsgeschichte.     Yon  Georg  von  Below.     XXI  und  342  Seiten. 

8°.    In  Leinwand  geb.   Preis  Mk.  7.  — . 
Band  XII:  Zauberwahn,  Inquisition   und  Hexenprozesse  im  ITlittelalter  und  die  Entstehung 

der  grossen   Bexenuerfolgung.    Yon   Joseph   Hansen.     XVI  und  538  Seiten. 
8^    In  Leinwand  geb.  Preis  Mk.  10.—. 
Band  XIII:     Die   Anfänge   des   Humanismus   in   Ingolstadt.     Eine    Uterarische    Studie 

zur   deutschen  Universitätsgeschichte.      Yon   Prof.  Gust.  Bauch.    XIII  und 

115  Seiten.     8".     In  Leinwand  gebunden  Preis  Mk.  3.50. 


In  Vorbereitung  sind  und  erscheinen  im  Juni   1903: 

Band  XIV:  Studien  zur  Vorgeschichte  der  Reformation.  Aus  schlesischen  Quellen.  Von 
Dr.  A  r  n  o  1  d  O.  M  e  v  e  r. 

Band  XY :  Die  Gapita  agendorum.  Ein  kritischer  Beitrag  zur  Geschichte  der  Reform- 
verhandlungen in  Konstanz.    Von  Privatdozent  Dr.  Kehrmann. 


K.  (Jldenbourg,  München. 


Vv 


120 
338 


Schultz,   Alwin 

Das  häusliche  leben  der 
europäischen  kulturvölker 
vom  nitt.e.l alter  bis  zur 
zweiten  hälfte  des  XVIII, 
Jahrhunderts 


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