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232.
Sar&artr iS^oHtst liörarg
LUCY OSQOOD KUND
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liest lo ptomole the objects
of the College."
Depo^ire.i in
Studien zur Geschichte
und
Kultur des Altertums.
Im Auftrage und mit Unterstützung der
Görresgesellschaft herausgegeben von
Dr. E. Drerup,
Universitäts-Professor in Manchen,
Dr. H. Grimme u. Dr. J. P. Kirsch,
Universit&ts- Professoren in Freiburg u Schweiz.
Erster Band.
Erstes Heft:
Das israelitische Pfingstfest
und der Plejadenkult
von
Hubert Grimme.
•«^
Paderborn.
Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh.
1907.
o
Das
israelitische Pfingstfest
und
der PIejadenkult.
Eine Studie
von
Hubert Qrimme,
Professor an der Universität Freiburg, Schweiz.
Mit drei Tafeln.
l
Paderborn.
Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh.
1907.
lILJni9
.i
Einleitung,
Um die Probleme der israelitischen Religion zu erörtern,
bedarf es des Beirats der Wissenschaft vom alten Orient Dieser
Satz ist hier nicht erst zu beweisen; mit seiner Richtigkeit
rechnen jetzt so ziemlich alle Kreise der Historiker wie Exegeten.
Zu dieser Gleichheit im Prinzip steht aber die Verschiedenheit
der damit erzielten Ergebnisse in starkem Gegensatz ; man braucht
nur an die Namen Wellhausen und Winckler zu denken, um zu
ermessen, wie weit augenblicklich die Wege der alttestament-
lichen Forscher auseinandergehen. Man baut eben schon viel-
fach das Dach aus, während die Grundmauern noch nicht trag-
fahig sind. Eine Reihe grundlegender Fragen konnte bislang
noch nicht sicher beantwortet werden, vorauf diejenigen nach
der Intensität und der Wesenheit der Kultur des Orients. Für
erstere scheint sich allerdings langsam eine Lösung anzubahnen,
und zwar eine solche im Sinne von H. Winckler, wonach der
alte Orient, wo er uns irgendwie greifbar ist, ein mit Kultur-
elementen durchsättigtes Gebiet darstellt, das in seinen zur Be-
siedelung geeigneten Teilen von einem eigentlichen Nomadentum
keine Spur mehr aufweist. Für die Lösung der anderen Frage,
der nach dem Wesen der altorientalischen Kultur, dürfte aber
die Zeit noch längst nicht gekommen sein. Bedingt die Ver-
schiedenheit der orientalischen Hauptvölker auch eine Ver-
schiedenheit von Kulturen? — oder wird man annehmen, der
VI Einleitung.
ganze Orient habe unter dem Zeichen einer einzigen Kultur
gestanden, die in unvordenklichen Zeiten zuerst in Babylonien
aufgestrahlt sei?
Meines Erachtens lassen sich solche Grundfragen erst dann
beantworten, wenn die Wissenschaft über ein ungleich größeres
Quellenmaterial verfügt, als uns jetzt vorliegt. Irgendwie deutliche
Begriffe besitzen wir jetzt überhaupt erst von zwei Gebieten des
alten Orients: Ägypten und Babel- Assur. Es wäre überkühn,
für ihre Entwicklung den gleichen Ausgangspunkt anzunehmen.
Wie ihre politische Geschichte die Tendenz gegenseitigen Ab-
stoßens zeigt, so offenbart auch das, was wir von ihrem Geistesleben
wissen, weitgehende Verschiedenheiten und läßt weder die Vor-
stellung einer ursprünglichen Gleichheit noch die einer späteren
intimeren Annäherung aufkommen. Zwischen diese beiden sich
fast ausschließenden Völker- und Kulturkreise hat sich in ver-
hältnismäßig später Zeit ein neuer Faktor eingedrängt, das
Semitentum. Stehen Ägypten und Babylonien, so weit wir sie
verfolgen können, als fertige, sich selbst genügende Welten da,
so stellt das Semitentum ein Element dar, das zu immer neuen
Umwandlungen hinneigt und sich mit den Schätzen der älteren
Kulturen zu bereichern trachtet. Dieser ausgesprochene Assi-
milationstrieb mag die Semiten als eine Rasse ohne besonders
schöpferische Anlage erscheinen lassen; jedenfalls widerlegt er
aber die Anschauung, als ob sie als Barbaren in die Welt-
geschichte eingetreten wären; denn um fremde Geistesgüter
schätzen zu können, muß man selber einen Fonds von Geist und
Kultur in sich tragen. Dann wird es auch nicht zu gewagt
sein, von einer alt- oder ursemitischen Kultur zu reden, deren
Heimat und Zentrum am ehesten dort zu suchen wäre, wo der
üblichen Meinung nach das reinste Semitentum anzutreffen ist,
in Arabien und speziell in seinem südwestlichen Winkel, in Jemen.
Wenn schon die Feststellung, was alles uns als Herd der
orientalischen Kultur zu gelten habe, noch sehr hypothetisch aus-
fallt, so gilt solches in noch höherem Grade von der Abgrenzung
Einleitung. VII
der als Dependenzen dieser Kultur anzunehmenden Gebiete. Im
allgemeinen werden sich Handels- und Kulturzonen gedeckt
haben; denn die Straßen des Kaufmanns waren von jeher auch
die der geistigen Güter. Nun führten alle Hauptwege des
Vorderorients, mochten sie von Ägypten, Babylonien oder Süd-
arabien ausgehen, zum Mittelmeere, und ihre letzte Etappe war
Kanaan, bezw. Phönizien. Damit war dieses Land wie kein
anderes der Berührung mit dem ganzen Orient ausgesetzt, wo-
durch seine Kultur mit Notwendigkeit einen stark internationalen
Zug bekam. Ähnlich wie- auf Phönizien wirkte der Gesamtorient
dann auch auf dessen Hinterland, und so mußte Israel, nachdem
es einmal auf einer weiten Strecke der Nachbar Phöniziens ge-
worden war, vielfache Berührung mit ursprünglich ihm fremden
Ideen erfahren, und selbst das, worin seine größte Eigenart be-
stand, seine Religion, konnte sich solcher Beeinflussung nicht
ganz entziehen.
Die folgenden Ausführungen bezwecken den Nachweis eines
solchen fremden Einschlags in Israels Religion. In letzter Hin-
sicht weist er auf eine babylonische Idee zurück. Von Volk zu
Volk weitergegeben, dabei mannigfaltig um- und ausgestaltet,
kam diese bis an die Mittelmeerküste und ward endlich auch
Israel zugeführt. Hier widerstrebte sie längere Zeit einer orga-
nischen Verbindung mit dem Geiste des mosaischen Kultus;
nachdem sie aber in verschiedenen Umwandlungen fast alles ab-
gestreift hatte, was an babylonische und kanaanitische Religions-
begriffe erinnerte, ward ihr ein hervorragender Ehrenplatz im
Kultus eingeräumt, der ihr auch im Christentume nach aber-
maliger Umdeutung gewahrt blieb.
Diese Entwicklung ist in verschiedener Beziehung lehr-
reich. Sie zeigt, daß keine der maßgebenden vorderasiatischen
Religionen ein bloßer Abklatsch der babylonischen gewesen ist,
daß vielmehr jede von ihnen die Kraft besaß, babylonische
Werte ihrem Wesen entsprechend umzugestalten — daß solches
aber im bedeutendsten Maße von der Religion Israels gilt. Wenn
Vm Einleitung.
es ihr gelang, einen im tiefsten Grunde polytheistischen Stoff so
zu verarbeiten, daß sich mit ihm die monotheistische Idee zu
schöner Einheit verbinden konnte, so hat sie aufs glänzendste
ihren Anspruch auf besondere Eigenart bewährt und zugleich
dem Christentume und der Weltkultur in hervorragender Weise
vorgearbeitet.
I.
Zur üblichen Auffassung von Pfingsten.
Es gilt unter den alttestamentlichen Exegeten als aus-
gemachte Tatsache, daß das israelitische Pfingstfest seinem
Wesen nach nichts anderes sei als ein Fest der Ernte. Eine
nähere Begründung dieser Annahme hat vor allem J. Well-
hausen in seinen Prolegomena versucht Nach ihm wurzeln
die großen Feste der israelitischen Religion mit Ausnahme
von Passah sämtlich in Gepflogenheiten des Ackerbaues, die
die Israeliten nach der Periode ihres Nomadentums von den
Kanaanitern übernommen hätten. Die Triade der Feste
Mazzoth, Pfingsten und Laubhütten bedeute den kultischen
Niederschlag der Hauptmomente, die das Leben des kanaani-
tischen Bauern bewegt habe, insofern Mazzoth die religiöse
Feier des Beginnes der Gerstenemte darstelle, Pfingsten mit
der Weizenemte und damit überhaupt dem Schlüsse der
ganzen Frühernte zusammenhänge, endlich Laubhüttenfest der
Öl- und Weinernte die kultische Weihe gebe. Der agrikole
Ursprung dieser Feste soll nach Wellhausen auch in ihren
Namen zu Tage treten. Der Name Mazzoth soll auf die „Not-
brote" zielen, die der Landmann im Drange der Emtearbeit
in Eile zu backen gezwungen sei. Von den zwei biblischen
Bezeichnungen für Pfingsten wäre die eine, SchabuSoth =
„Wochen" von der sieben Wochen umfassenden Zeit der Früh-
ernte hergenommen, die andere, Ka^ir, gehe auf das Schneiden
des Weizens in dieser Zeit; so wichen beide Namen nicht
wesentlich voneinander ab. Auch die zwei Namen, die für
das dritte große Fest gebräuchlich waren, entsprächen sich
einander, da Sukkoth = „Laubhütten" auf die Zeit hinweise,
da man unter improvisierten Zweigdächem, wie sie die Arbeit
Grimme, Dm isTMÜtiiohe Pflngttfett 1
2 L Kapitel.
in den Weinbergen mit sich brächte, im Freien übernachtet
habe, Asiph = „Fruchtemte" aber direkt auf das Wesen des
Festes ziele. Der Emtefestcharakter trete endlich auch
im Ritual der drei Feste deutlich in Erscheinung, da für
Mazzoth die Darbringung einer Gerstengarbe, für Pfingsten
die Abgabe von Weizenbroten, für Laubhütten solche von
Most und Wein die wesentlichste Zeremonie ausmachten.
Die bemerkenswerte Erscheinung, daß Mazzoth und
Sukkoth in Äquinoktialzeiten gefeiert wurden, führt Well-
hausen zu der Vermutung, es seien diese beiden Feste viel-
leicht nicht von allem Anfange an Erntefeste gewesen. Er
neigt sogar zur Annahme, sie seien älter als der Ackerbau
und hätten sich ihm erst nachträglich angepasst. Aber die
Israeliten hätten sie doch allem Anscheine nach schon als
Erntefeste von den Kanaanitem übernommen. Für das Pfingst-
fest wirft er eine ähnliche Frage nicht auf; er sieht anschei-
nend keinen Grund, es in eine irgendwie vorhistorische
Zeit Kanaans hinaufzurücken.
Was Israel zu den entlehnten Festen seinerseits hinzu-
getan habe, schlägt Wellhausen nicht hoch an. Mit Mazzoth
und Sukkoth habe man in spätjüdischer Zeit eine Denaturie-
rung in der Weise vorgenommen, daß man sie zu Gedenk-
tagen der israelitischen Geschichte umstempelte, indem man
auf Mazzoth die Erinnerungen an die zur Frühlingszeit erfolgte
Auswanderung aus Ägypten übertrug und in das Kampieren
unter freiem Himmel, wie es Sukkoth mit sich brachte, den
Gedanken an das Zeltleben während der vierzigjährigen
Wanderzeit hineinlegte. Pfingsten aber sei vor einem solchen
Prozesse der Vergeschichtlichung bewahrt geblieben.
Wellhausens Erklärung der Feste Mazzoth, Pfingsten und
Sukkoth besticht auf den ersten Blick durch Klarheit und
Einfachheit. Erst wenn man erwägt, wie selten es in der
Religionsgeschichte gelingt, kultische Altertümer — und Feste
zählen in der Regel zum Ältesten, was der Kultus aufweist —
rein aufzufassen und zu erklären, und wenn man sieht, wie
Wellhausens Deutung an gewissen Begleiterscheinungen der
israelitischen Feste achtlos vorübergeht, setzt der Zweifel ein,
ob nicht eine Revision dieser, nun gute 2$ Jahre unverändert
gebliebenen Ansicht am Platze wäre. Der größte Mangel
Zur übliclien Auffassung von Pfingsten. 3
von Wellhausens Prolegomena, die Nichtbeachtung der beiden
geistigen Welten, die Israel im Nordosten und Süden um-
grenzten, der babylonischen und südarabischen — sollte er
sich nicht auch in seiner Konstruktion der israelitischen
Feste bemerkbar machen?
Man kann von dem Bedürfnis einer Revision von Well-
hausens ganzer Festtheorie sprechen, ohne dadurch ver-
pflichtet zu werden, sie selber durchzuführen. So hat
wesentlich nur der Gedanke, daß neben einer jeden For-
schung — und gelte sie auch schon vielen als abschließend —
noch für andere ein Platz sei, mich die Untersuchui^ eines
der drei von Wellhausen als kultischer Zyklus hingestellten
Feste wieder aufgreifen lassen und zwar fast zufallig des-
jenigen, hinter dem scheinbar keinerlei Fragezeichen mehr
steht : des Pfingstfestes. Inwiefern es möglich, ja das Richtige
ist, dieses Fest für sich allein, losgelöst von den beiden
anderen zu behandeln, wird sich im späteren Verlaufe der
Arbeit herausstellen.
Meine Untersuchung beginnt mit der Erklärung der Bibel-
stellen, die vom Pfingstfeste handeln. Es gilt dabei Klarheit
zu bekommen, ob sie bisher in ihren Einzelheiten richtig und
erschöpfend verstanden worden sind, weiter ob sich für sie
ein vollständiges Verständnis erzielen läßt auf dem Boden
der israelitisch-kanaanitischen Verhältnisse oder ob die Pforte
des weitereij Orients geöffnet werden muss, um hier entweder
Analogien oder aber Vor- oder Urbildliches zum israelitischen
•Pfingstfeste ausfindig zu machen.
Die Stellen des Alten Testaments, die deutlich vom
Pfingstfeste handeln, sind folgende:
Lev. 23, 16-22 : DDN"*:3n DT^ r\:rDii rrinw^a Dsb öttidot (15)
mnwD na^ (16) tna-^-^nn n^^n mn:3«5 ^:ix5 nDisnrr to^-n«
:mrT^b rr^öm nna^ Gn:3'npm dt^ ü^rxn riDon n5^"^n\ön naiön
n3''''nn rbo ö-^snw '^^xo D-^ntö nnsn onb 1 iK-^an GD'«n:3^T0ö (17)
D-^bnr) Dy:xä önbM-by Gn:3'npm (18) .•nirr-'b n-^-ron na-^BKn ynn
mn-'b nby t^*» g-»:» Gb-'Ki 'in« np:3-i:3 nei rr^tö "^5:3 tnrixr
D-^ty— i-^yiö Gn-^fcyi (19) inirr^b mtr^m-'n rnö« Grr^soai Gnnawn
c)''2m (20) tG'^b« natb rr^Tö "^sa D-'iöÄD "^attj") r»ünb nn«
^np D-'ir» -«sic-by mn** •»sßb neian G'^'^Dnn Gnb by on» i imsrr
tr^rr» ^np-K'npw ntn Gi-^n 1 GX3^n GnK-ipi (21) tpsb rrur^b t^*^
1*
4 L Kapitel.
eöSTi^nnb ö5*»natöi!D-bM öbia^ npn iton «b rt'iiay n^^btt-b^ ö^b
üpbi T^xpa ^nto n«D nb5n-«b ö^at^i« ^■•xp-n» ö^'iatpai (22)
tö^-'rtb« rtirr» ■'3» ön« ata^n 'labi -»ayb tapbn «b l^r^atp
„(15) Sodann werdet ihr für euch abzählen vom Tage
nach dem Sabbath — vom Tage, da ihr die Webegarbe dar-
brachtet — sieben Sabbathe, und zwar vollständige, (16) bis
zum Tage nach dem siebenten Sabbath werdet ihr abzählen,
dem 50. Tage; alsdann werdet ihr Jahwe ein Speisopfer von
neuem [Getreide] darbringen. (17) Aus euren Wohnsitzen
werdet ihr zwei Webebrote bringen, die aus zwei Zehnteln
[Epha] Feinmehl bestehen und mit Sauerteig gebacken sind,
als Emteopfergaben für Jahwe. (18) Und ihr werdet dar-
bringen zu dem Brote sieben fehllose einjährige Lämmer,
einen jungen Stier und zwei Widder, die als Brandopfer für
Jahwe dienen sollen, nebst den zugehörigen Speisezutaten
und den zugehörigen Trankspenden, als ein Feueropfer lieb-
lichen Geruchs für Jahwe. (19) Und ihr werdet einen Ziegen-
bock herrichten zum Sündopfer und zwei einjährige Lämmer
zum Heilsopfer. (20) Und der Priester wird sie weben vor
Jahwe samt den Emteopferbroten [ ]; sie werden Jahwe ge-
heiligt sein zum Besten des Priesters. (21) Sodann werdet
ihr „Berufung des Heiligen" ausrufen, die ihr am selbigen Tage
abhalten werdet; dabei werdet ihr keinerlei Werktagsarbeit
verrichten. Das ist eine für alle Zeit geltende Satzung [, die
ihr beobachten sollt] in allen euren Wohnsitzen bei [allen]
euem Geschlechtem. — (22) Und wenn ihr euer Land ab-
erntet, so wirst du dein Feld nicht bis auf den Rain abernten
und wirst nicht Nachlese halten nach deiner Ernte: den
Armen und den Klienten wirst du beides überlassen. Ich bin
Jahwe, euer Gott."
Ob die „höhere" Kritik Recht tut, den größeren Teil
von V. 18 f. als Entlehnung aus Num. 28,27-31 abzutun, wird
bei der Besprechung des Pfingstrituals behandelt werden.
Vom Standpunkte der formalen Philologie sind jedoch Text-
fehler zu konstatieren, und zwar in V. 17, 20, 21, da in ihnen
Paseq, das Zeichen der Textverderbnis, überliefert ist. Ich
beziehe das Paseq von V. 17 auf den Ausfall von mbn ,3rot-
kuchen" (LXX ägtovg) hinter OTttj. Dasjenige von V. 20
wird kaum etwas anderes bedeuten, als daß eine der mit
Zur üblichen AalTassaxig von Pfingsten. 5
by eingeleiteten Phrasen, und zwar am wahrscheinlichsten
ö'^toiD "»rttj'by, zu streichen ist — was auch von neueren Exe-
geten, ob sie auch für Paseq noch kein Auge haben, aus
dem Satzzusammenhange geschlossen ist. Die Einsetzung
von Paseq in V. 21 hat jedenfalls auch ihren guten Grund;
beachtet man, daß die Wortfolge onN*ipn bis ODb zwei Sätze
darstellt, von denen jedenfalls einer auffallig kurz heraus-
kommt (der erste, wenn man tt3ip"«iptt Subjekt zu rr^rr^ sein
läßt, oder der zweite, wenn Tönp-«nptt als Objekt zu on«*ipi
gezogen wird), so scheint es am geratensten, eine kleine
Wortumstellung vorzunehmen und nTn ütT\ ü^iy^ hinter
Töip"N'ipw zu setzen und zu übersetzen: „Sodann werdet ihr
Berufung des Heiligen proklamieren (vgl. Lev. 25, 10 ön«*ipi
*innn), die ihr am selbigen Tage abhalten werdet." — V. 22
gehört ersichtlich nicht mehr zum Pfingstgesetze ; denn dieser
schließt in feierlicher Weise mit dem auf V. 15 — 21 bezüg-
lichen Satze : „Das ist eine für alle Zeit geltende Satzung usw."
Ein Zufall wird V. 22 aus der Sammlung moralischer Vor-
schriften von Lev. 19, wo er in etwas längerer Fassung als
V. 9 f. wiederkehrt, hierhin verschlagen haben.
Num. 28, J6-81 :
öD-nyauja mn-^b niöin rtnat} öDa*»*ipna ö-^riDan orai (26)
önanpm (27) nioa^n «b maa^ nDNbTo-bD ösb n-'n*» 'Q^i'p'tü'yp'ü
ö-^feaD nyattj nn« b*»« o-^i«) 'ipa-^aa ö-^ mrr^b nn-^D rr^^nb nb-ja^
nn«n ^cb ü'^^iihy möbttj itt«a nbiba nbo önnDWi (28) :nDttr -»Da
n^atöb nnNn toaab iTniö3> ^mtiy (29) :nn«n b-^fttb 0"»D^iD2^ -»i^
'T^ttnn rhy 'labTD (31) toa-^b^ *icDb nn« ö*»t2^ 'i^yb (30) to-^iDaan
torr^aosi öab-rrT» twrttn lioyn innaTai
„(26) Und am Tage der Emteopfergaben: wenn ihr
ein Speisopfer von neuem [Getreide] darbringt für Jahwe
. . . ., werdet ihr ,^erufung des Heiligen" abhalten; dabei
werdet ihr keine Werktagsarbeit verrichten. (27) Und ihr
werdet darbringen als Brandopfer lieblichen Geruchs für
Jahwe zwei junge Stiere, einen Widder und sieben einjährige
Lämmer [ex V. 31: fehllos sollen sie euch sein]. (28) Dazu
als Speisopfer mit Öl angemengtes Feinmehl, drei Zehntel
[Epha] zu jedem Stier, zwei Zehntel zu dem Widder, (29) je
ein Zehntel zu jedem der sieben Lämmer; (30) [auch] einen
Ziegenbock, um euch Sühne zu schaffen. (31) Außer dem
6 L Kapitel.
täglichen Brandopfer und der zugehörigen Speisezutat und
den zugehörigen Trankspenden werdet ihr [sie] herrichten [ ]."
Wir haben in V. 26 den Ausdruck oa-^ruaTöa unübersetzt
gelassen, nicht als ob ein Textverderb vorliege, sondern weil
zu seinem Verständnis nur durch eine läi^ere später an-
zustellende Untersuchung zu gelangen ist Septuaginta und
Samarit lasen zu Schlüsse von V. 27 noch DDb-T»rT» w^isn;
da diese Worte hier weit besser in den Satzzusammenhang
passen als in V. 31, so nehme ich an, daß das Original sie
nur an ersterer Stelle kannte.
Deuter. 16, 9-is, le-i?:
na^ati "^DOb bnn rr^pa Töwin bnrro ^b-^eon n^atö watö (9)
•jnn ^Tö» ^T» nms noTs '^»nb« msr^b nvati an n-^ioa^i (10) j nnyatö
•^am nn« T»nbN mn-» 1 -»Ab nnTatm (i i) : ^^nb» mn*» »pna-^ «nuSND
n^i^n (12) 5Dtt5 "ffauS püb '^"»nb« mm "nna*» 'itöä onp^a ^^"»pa
Töibtö (16) . . . tnb«n D-'pnn-n» n-^tD^i n^TtDuSi D-^-iatwa rr^'^rt 'laa^-^D
•ntöN DipT» ^•»JnbN mn-' 1 ■^SD-n« »^^nDT-bD n«^'' nsTöa f ü^iy^
mtT' •»3B-n« rjNT» «bi n-jDon anm myaujn anm msTTan ana ^ina"»
:^b-in3 'ittS» T^nb« mm nD-n» tp nan»a tö**« (17) top-'i
„(9) Sieben Wochen wirst du dir abzählen; von da ab,
wo man zuerst eine Sichel an die Halme legt, wirst du an-
fangen, sieben Wochen zu zählen. (10) Und du wirst das
Hagg Schabusoth veranstalten fiir Jahwe, deinen Gott, ent-
sprechend den freiwilligen Gaben, die deine Hand spenden
wird nach dem Maße des Segens, den dir Jahwe, dein Gott,
zukommen läßt (11) Und du wirst dich freuen vor Jahwe,
deinem Gotte, du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave
und deine Sklavin, weiter der Levit [], der Klient und die
Witwe, die bei dir weilen — an der Stätte, die Jahwe, dein
Gott, erwählen wird als Wohnsitz fiir seinen Namen. (12) Und
du wirst im Gedanken daran, daß du in Ägypten Sklave ge-
wesen, diese Vorschriften beobachten und erfiillen
(16) Dreimal wird alljährlich alles, was männlich unter dir ist,
vor Jahwe, deinem Gotte, erscheinen an der Stätte, die er
sich erwählen wird, am Hagg ham-Mazzoth und am Hagg
hasch-Schabusoth und am Hagg has-Sukkoth [ ], (17) jeder ,mit*
der Gabe seiner Hand entsprechend dem Segen, den Jahwe,
dein Gott, dir gegeben hat"
Zur üblichen Auffassung von Pfingsten. 7
Paseq von V. 1 1 führt mich dazu, das hinter "^iSn stehende
^l'^'i^ttja iü«, das LXX nicht las, zu streichen, so daß "»ibn
(hier gleich den vorhergehenden und folgenden Begriffen
Kollektivbegriff = „die Leviten") mit *ia, Dirr» und nsttb« an dem
Relativsatze ^i1pn itö» teil hat; vgl. V. 14. niDiff. von
V. 12 besagt anscheinend, welche Idee das ganze Pfingstfest
zu durchdringen habe, nicht etwa, welcher Gedanke zum
Heranziehen Bedürftiger zur Teilnahme am Festschmause ver-
anlassen solle. — Das zweimalige Paseq in V. 16 deutet
jedenfalls auf einen größeren Textschaden hin. Zu seiner
Heilung liefern die alten Versionen keinen Stoff; doch gibt
die ungelenke, fast unmögliche Weise, wie V. 17 mit V. 16
verbunden ist, einen Wink, wo der Fehler stecke. Man tilge
den Schluß von V. 16 op'^n mST» '»3B-n» n«-»'' . «bn und ver-
binde V. 17 direkt mit dem vorhergehenden Satze; dann
empfiehlt sich auch noch, nanw^ in narroa zu ändern.
Exod. 34, 22 :
nBipn vpo»n :im ö-^tan ^•»atp ■^'^Da »^b niö^n n^aiö am
„Und das I^agg Schabusoth wirst du ,mir' veranstalten
bei der Opferung der Weizenerntegaben und das liagg der
Lese bei der Wende des Jahres."
Statt ^b las LXX «»b; weshalb diese Lesart vorzuziehen
ist, wird später näher begründet — •''mDa wird gewöhnlich
als „Erstlingsgaben" genommen und als Genitiv gedeutet, der
gleich nsrattj mit in zu verbinden sei. Eine solche Verbindung
halte ich für unmöglich. Beachtet man nun, daß Gewicht
darauf gelegt ist, vom Hagg der Lese (wie auch vom Hagg
ham-Mazzoth, vgl V. 18) das Datum anzugeben, ferner daß
dieses für Asiph im Akkusativ der Zeit steht, so empfiehlt
es sich, in 'p "iiDa etwas ähnliches zu sehen, nämlich „bei
der Opferung der Emtegaben . . ." Dann wäre hier D'^^iDi ein
Infinitiv in Pluralfprm (ähnlich wie Lev. 23, 27 O*»*^??! DT» wTag
der Sühnung" oder Lam. 2, so ö'^net? '^bby „Kinder der 2ärtlich-
keit = zärtlich geliebte Kinder").
Exod. 23, 16:
njttta r)'»o»n am mte antn ^ti«f T*teyo •'hisa n^^Äpn am
8 I. Kapitel.
„Und (du wirst beobachten, vgl V. 15) das Hagg der
Ernte zur Zeit der Opferung der Gaben deiner Frucht, die du
auf das Feld säest und das Hagg der Lese gegen Ende des
Jahres, wenn du einsammelst die Frucht von dem Felde."
Wiederum fallt die Übersetzung gezwungen aus, wenn
man '^in^a als „Erstlinge" nimmt; dagegen läßt sich unter der
Annahme, daß das Wort hier wie oben Ex. 34, s» ein Infinitiv
sei, ein lesbarer und um das Datum des Festes vermehrter
Text gewinnen.
Es wäre wünschenswert, die fünf vom Pfingstfeste han-
delnden Bibelstellen, die wir zunächst nur mit Rücksicht auf
ihren Umfang angeordnet haben, in eine chronologische Reihen-
folge bringen zu können. Doch ist solches a priori nicht
möglich. Zwar wenn wir uns entschließen würden, die Er-
gebnisse der Wellhausenschen Gesetzeskritik unbesehen zu
übernehmen, dann wäre eine Reihenfolge leicht hergestellt,
wobei Ex. 34, ss an die Spitze träte , als ein Erzeugnis vor-
prophetischer Zeit, Ex. 23, 16 ihm folgte als nicht viel jüngeren
Ursprungs, weiter Deut 16, 9 ff. sich anschlösse und die Pfingst-
festauffassung der späten Königszeit repräsentierte, während
Lev. 23, 15 ff. und Num. 28, seff. die letzten, im Exil entstandenen
Verordnungen fiir das Fest wären. Damit würden wir nun zwar
den kritischen Anforderungen unserer modernen Exegese ge-
nügen, aber vielleicht nicht denen der modernen Religions-
geschichte. Wellhausens Versuch der Klassifizierung des
israelitischen Gesetzes, und zwar vornehmlich der dabei domi-
nierenden Kultusgesetze — auf die es uns hier besonders
ankommt — entstammt einer Zeit, da man genügend kritisch
zu sein glaubte, wenn man zu dem Maßstabe, den die Bibel
selbst zu ihrer Beurteilung darbietet, noch die Vergleichung
von biblischem Wesen mit arabischem Beduinentum wie
auch kanaanitischer Städtekultur treten ließ. Inzwischen ist
aber unser Wissen von altsemitischen Kultusgebräuchen außer-
ordentlich gewachsen; besonders zwei von Wellhausen noch
nicht berücksichtigte Faktoren, der des Kultus von Altsüd-
arabien sowie von Babylonien haben sich als geistige Mächte
herausgestellt, deren Wirkungen jedenfalls bis nahe an Ka-
naans Grenzen heranreichten. Will man die biblische Tradi-
tion, die die Stiftung der israelitischen Kultgemeinde in Nord-
Zur Üblichen Auffassung von Pfingsten. 9
arabien geschehen sein läßt, nicht in Bausch und Bogen ver-
werfen, und gedenkt man der Einwirkungen, die die israelitische
Gola unter allen Umständen von der sie umgebenden baby-
lonischen Kulturwelt erfahren mußte, dann wird die Forschung
mit Notwendigkeit dahin gedrängt, auch zu dem südarabischen
und babylonischen Material Stellung zu nehmen. Dann aber
scheint es mir weder Rückständigkeit noch Hyperkritik zu
sein, sondern geradezu eine Forderung der Wissenschaft,
Wellhausens Untersuchung zum alttestamentlichen Gesetze
und speziell zum Kultusgesetze so lange für unvollständig und
deshalb unzureichend zu halten, bis nicht mit dem neueren
arabisch-babylonischen Materiale die Probe auf ihre Richtig-
keit gemacht worden ist.
Wir müssen somit auf die Aufstellung eines Stammbaums
der vom Pfingstfeste handelnden Stellen hier verzichten. Ihr
Verständnis wird dann aber wesentlich von der genauen Defi-
nierung ihres Gedankeninhalts und der dabei zu Tage treten-
den Formeln abhängen, ja vorwiegend von der der letzteren.
Das Leben der Religionen bedeutet vorwiegend einen Wandel
ihrer Ideen; dem gegenüber zeigen einmal in Gebrauch ge-
kommene Formen großen Hang zur Stabilität. Das gilt vor
allem auch von den auf orientalischem Boden ausgebildeten
Religionssystemen; die Formen, in denen sich ihre Ideen dar-
stellen, entstammen meist einer viel älteren Zeit als jene
selbst und man kann behaupten, daß sie um so älter sind,
je weniger engen Zusammenhang sie mit den Ideen, deren Ver-
körperung sie sein sollen, an den Tag legen.
So wird es sich verlohnen, die Untersuchung zunächst
auf die dem israelitischen Pfingstfeste eigentümlichen Forma-
lien zu beschränken. Dann muß es sich herausstellen, ob es
angeht, das Problem des Pfingstfestes als ein rein hebräisches
bezw. auch kanaanitisches zu bezeichnen, oder ob man zu
seiner Lösung nötig hat, auf Religionsideen von weit höherem
Alter, als es die biblischen sind, zurückzugehen.
Unter den Formen, die dem hebräischen Pfingstfeste eigen
sind, treten besonders hervor i. gewisse auf die Zeit der
Feier bezüglichen Einzelheiten, 2. die offiziellen Bezeichnungen
des Festes, 3. das Kultuszeremoniell. Diese drei, die Außen-
10 I. Kapitel.
Seite des Festes betreffenden Umstände müssen zuerst näher
ms Auge gefaßt werden.
In allen fünf Berichten, die vom Pfingstfeste handeln, ist von
der Zeit seiner Feier die Rede ; aber ihre Angaben lassen doch
Zweifel aufkommen, ob das Fest an einen ganz bestimmten
Tag des Jahres geknüpft gewesen sei. Exodus setzt es in die
Zeit der „Opferung der Emtegaben"; Numeri redet vom „Tage
der Emteopfergaben" als seinem Termine, ohne aber für diesen
Tag eine nähere Datierung zu geben. Im Deuteronomium
erscheint es als Endtermin eines mit der Zeit der Ernte zu-
sammenfallenden Jahresabschnittes, dessen Beginn jedoch für
uns in der Luft schwebt Endlich begrenzt Leviticus zwar
diese Periode, aber nicht durch ein Monatsdatum, sondern die
mehr allgemein scheinende Formel „am Tage nach Sabbath".
So fehlt uns zunächst eine deutlich ins Auge fallende Fixie-
rung des Pfingstfestes nach Monat und Monatstag, und hier-
durch unterscheidet sich Pfingsten auffallig von allen anderen
Festen der Bibel, die ihr bestimmtes Datum aufweisen,
einerlei ob von jeher oder — wie Wellhausen meint — in-
folge späterer Festlegung eines vordem schwankenden Termins.
Dieser Umstand hat Wellhausen dazu geführt, Pfingsten
als ein wandelndes Fest zu bezeichnen. Er läßt es gefeiert
sein in der Zeit vom 6. — 12. des 3. Monats und begründet
solches mit dem Wechsel des eigentlichen Ostertermins, des
„Tages nach Sabbath" (Lev. 23, is), von welchem der Pfingst-
termin abhängig ist. Aber es ist sehr zu bezweifeln, ob man
die sieben Tage des Mazzothfestes als Ostertermine bezeichnen
darf, wenn auch der „Tag nach Sabbath" einen solchen bedeuten
sollte. Hauptsächlich aber gründet sich mein Widerspruch
gegen Wellhausen darauf, daß anscheinend der Begriff „Fest"
im Hebräischen von dem eines festen Jahrestermins gar nicht
zu trennen ist
Als gewöhnlichsten Ausdruck für „Fest" gebraucht die
Bibel nyitt. Dieser umfaßt nach Lev. 23, 4, 44 alle größeren
Jahresfeste; Ezechiel (46, 9), der damit die Termine bezeichnet,
da auch die Mitglieder der weiteren Gemeinde (|n«n dt) vor
Jahwe treten, dürfte ebenfalls darunter alle Feste seines Fest-
zyldus verstehen. An einigen anderen Stellen werden zwar
von ihm unterschieden teils die Neumondstage (Is. i, 14),
Zur üblichen AufTassang von Pfingsten. 11
teils diese und die Sabbathe (IChr. 23, si; IlChr. 31, s), teils
die „Hagg" (Hos. 9, s; Ez. 46, 11); aber das erklärt sich da-
durch, daß nyiw in letzter Hinsicht wohl „Termin" oder „be-
stimmter Zeitpunkt" bedeutete, so daß man es recht wohl noch
durch einen auf geistliche Festtage zielenden Ausdruck ver-
deutlichen oder ergänzen konnte. Genauer kann man ny-VD
als einen mit einer Mondphase zusammenhängenden Termin
definieren, da nach Psalm 104, 19 der Mond es ist, der die
D'^^yiW macht, und wenn es Gen. i, 14 von den Lichtem des
Himmels heißt, daß sie dienen sollten „fiir die nn« und D'»ny'W3
und Tage und Jahre", so dürften wie vom „großen Lichte",
der Sonne, die Tage und Jahre, so vom „kleinen" dem Monde,
die O'^nyiW (Festtage) und nn« (kleinere, event. Sabbath^)-
Termine) abhängen. Jedenfalls geht aus diesen beiden Stellen
hervor, daß die D-^nyiw Kalenderfeste bedeuten, die durch den
Gang der Himmelszeichen geregelt sind. Damit verträgt sich
kein Wandern durch längere Zeiträume. Dagegen duldet der
Begriff Anwendung auf Kalenderfeste von mehrtägiger Länge,
wie denn in Ex. 23, 15 die ganze siebentägige Dauer des Hagg
ham-Mazzoth ein nyto genannt wird : „Das Hagg ham-Mazzoth
wirst du wahrnehmen, sieben Tage wirst du ungesäuerte
Brote essen, wie ich dir befohlen habe, an dem nsr-m«) des
Monats Abib," d. h. am 15. — 22. Tage.
Wie das unter Umständen alle geistlichen Festtage um-
fassende nsr-fD, so lassen sich auch alle spezielleren Festkate-
gorien als solche erweisen, die ein Wandern im Jahreskreise
von vornherein ausschließen. So die Neumondsfeste (o"'tt5"in):
sie geben sich als mit Monatsanfai^ untrennbar verbunden.
Ebenfalls sind die Sabbathe, von deren Verhältnis zu Jahr
und Monat bald die Rede sein wird, stets auf bestimmte
Tage festgelegt Endlich glaube ich zu den den Begriff des
Wandems von vornherein verleugnenden Festen auch die
Hagg zählen zu müssen. Nach der jetzt allgemein üblichen
Erklärung wäre Hagg allerdings von Haus aus nur „religiöser
Tanz" — „lauter Lust und Freude", wie Wellhausen sagt —
i) Nach Ez. 20, 12 ist die Einrichtung der Sabbathe ein TIM.
2) lischt KU übersetzen „Zur Zeit (des Monats A.)", wodurch die deut-
liche Zeitangabe verwaschen wird.
12 L Kapitel.
abgeleitet von der Wurzel an „tanzen". Aber schon dieser
WurzelbegrifT ist nicht richtig erfaßt; denn wenn im jüdisch-
aramäischen an (wie hebr. ain) „Kreis ziehen" bedeutet, dann
kann nicht „Tanzen", sondern nur „Kreis machen" ihr Ur-
begriff gewesen sein. Weiter scheint mir das Verhältnis
zwischen dem Nomen an und dem Verb an noch der Auf-
klärung zu bedürfen. Im Syrischen erscheint das Nomen
(heggä) als die primäre Bildung, das Verb (hag^ als die
sekundäre; das erlaubt, auch Rir das Hebräische und andere
semitische Sprachen eine nominale Urform hagg anzunehmen,
die gelegentlich ein denominatives Verb hagg erzeugt hat.
Mit einem solchen Nomen, das „Kreis" bedeutet haben wird,
lassen sich ohne Zwang alle auf den Radikalen h-g aufgebauten
Bildungen erklären, so arab. hagägu „die (runde) Augenhöhle,
bezw. der sie bildende Knochen" und „aufgehende Sonne",
arab. haggatu, higgatu „(rundes) Ohrläppchen", arab. *ahagg^
„rund(köpfig)", arab. higgatu „Jahr" (wohl = „Sonne"); äthiop.,
tigrn, tigre haggäj „trockene (von der Sonne beherrschte)
Jahreszeit"; assyr. agö i. „Krone", 2. „Vollmond"; Saho. aga-
git(-alza) „Vollmond". Gleich dem Assyrischen und dem
Saho wird auch dem Hebräischen ein hagg zuzuschreiben
sein, das „Vollmond" bedeutet, im Hinblick auf Is. 30, s»
an-TÖnpnn b-^bD D^b rr^rr» T'ttän „Gesang werdet ihr anstimmen
wie in der Nacht, da man den Vollmond heilig preist",^)
sowie auch auf Is. 29, 1 ncp:*» o-^an naiö-bar n^ttJ ico «Fügt Jahr
zu Jahr; laßt die Vollmonde kreisen".
Vom Begriff „Vollmond" wird man zu „Vollmondfest"
weitergegangen sein, wie von „Neumond" zu „Neumondsfest".
Dann wäre als echtes Haggfest nur dasjenige zu nehmen,
welches auf den 15. Tag des Monats fiele, wie es Psalm 81, 4
zu beschreiben scheint mit den Worten:
i3an orb noDi "iditö «Jnna lypn
„Stoßt beim Neumonde in die Trompete, (und) beim Voll-
monde während des Tages unseres Hagg 1" Dazu stimmt nun
trefflich, daß das Hagg xar* tioxiiVf das Laubhüttenhagg,
seinen Anfangs- und Haupttag am 15. Tage des 7. Monats
i) Man denke an die in der Miscbna (Rosch Hasclischana, 2, 7) be-
schriebene HcUigpreisung der Neumonddchel.
Zur üblichen AnfTassung von Pfingsten. 13
hat; femer daß das Hagg ham-Mazzoth am 15. des i. Monats
beginnt, während das ihm um einen Tag vorhergehende
Passahfest nicht IJagg genannt wird — ausgenommen in
Ex. 34, 26. An dieser Stelle dürfte sich aber ein jüngerer
Sprachgebrauch geltend machen, der die Eigentümlichkeit
des Haggfestes nicht mehr in seinem Charakter als VoU-
mondstag, sondern in einem vielleicht den Mondkreis illu-
strierenden rituellen Tanze erblickte, für welchen die Sprache
die denominative Ableitung hagag „im Tanzschritt gehen"
besaß. Wie vielleicht auch das Wort Sabbath dazu bei-
getragen hat, den Begriff des Hagg als Vollmondfest etwas
beiseite zu schieben, wird sich bald ergeben.
Das Schwanken bezüglich Passah, ob es als Hagg zu
nehmen sei oder nicht, hat sein Gegenstück bei der Fixie-
rung von Pfingsten. In Lev. 23 und Num. 28 fehlt jede
Hindeutung, daß Pfingsten ein Hagg oder Vollmondfest
sei; dagegen charakterisieren Deut. 16, Ex. 34 und 23 es
durch das Wort Hagg. Soll damit gesagt sein, daß es auf
den 15. eines Monats falle? Hiergegen spricht die gesamte
Tradition des Judentums — abgesehen von der, die aus dem
Buche der Jubiläen redet, wo *) das Emteopferfest, d. i. Pfingsten
auf die Mitte des 3. Monats angesetzt ist; hiergegen kann
man auch auf die Voten aller neueren Forscher hinweisen.
Somit ist wahrscheinlich, daß Deuteronomium und Exodus
einen jüngeren, Leviticus und Numeri einen älteren Ausdruck
gebrauchen — ein Argument dafür, daß Wellhausens Theorie
für die Anordnung der Pfingststellen wohl nicht stichhält Außer
diesem kritischen Ergebnisse, das wir hier nur vorläufig kon-
statieren, haben wir somit als Resultat erhalten: Pfingsten
kann a priori nicht als wandelndes Fest angesehen werden.
Hatte aber Pfingsten seinen festen Termin, wie alle
anderen israelitischen Feste, so müßten der oder die Verfasser
des Gesetzes ein förmliches Versteckspiel getrieben haben,
wenn sie bei fünfmaligem Hinweis auf die Zeit, in welcher
Pfingsten zu feiern sei, nicht einen einzigen festen Anhalte-
punkt zu seiner genauen Datierung mitteilten. Aber es
dürfte ein solcher tatsächlich vorhanden sein, und nur sein
1) Z. B. Cap. 16, 13.
14 L Kapitel.
archaistisches Gepräge wird bewirkt haben, daß weder die
Juden der letzten Jahrhunderte vor Christi Geburt noch die
späteren Exegeten sich darin zurecht fanden.
Lev. 23, 16 f. läßt sich über die Zeit des Pfingstfestes in
den Worten aus: „Und ihr werdet lur euch abzählen vom
Tage nach dem Sabbath — vom Tage, da ihr die
Webegarbe darbrachtet — sieben Sabbathe, die voll-
zählig sind; bis zum Tage nach dem siebenten Sabbath
werdet ihr abzählen.'^ Diese Zeitberechnung zu erklären, hat
bisher große Schwierigkeiten bereitet Den befremdenden
Umstand, daß 7 Wochen als 50 Tage gerechnet zu sein
scheinen, möchte man am liebsten dahin erklären, daß der
Autor zu den 7 Wochen = 49 Tagen noch den ersten Tag
der achten hinzugenommen habe: was mir wenig wahrschein-
lich ist, da zwei Kapitel später — Lev. 25, 8 — siebenmal
sieben Jahre als 49 und nicht als 50 Jahre gerechnet werden.
Jeder Anstoß wird aber entfernt, wenn man Di"» D"'ttJ73n wieder-
gibt durch die Übersetzung „den fünfzigsten Tag", der somit
außerhalb der Reihe der gezählten Tage steht. Das Haupt-
interesse konzentriert sich jedoch um den Begriff „Tag nach
dem Sabbath", der den Anfangstermin der Festberechnung
darstellt. Hier ist nun zunächst klar, daß dieser „Tag nach
dem Sabbath" mit dem ebenso lautenden Ausdrucke von
V. II gleichbedeutend ist, was auch sein Zusatz „Tag, da
ihr die Webegarbe darbrachtet", bestätigt. Doch ist damit
noch nicht viel gewonnen ; denn beidemal hängt der Ausdruck
„Tag nach dem Sabbath" in der Luft oder ist wenigstens
nicht mit dem gerade vorherrschenden festen Osterdatum
deutlich verknüpft. Dennoch darf als sicher angenommen
werden, daß der „Tag nach dem Sabbath" in die Osterzeit
gefallen ist. Liegt doch diese jedenfcdls am Eingange der
Ernteperiode — womit nicht zugegeben werden soll, daß
Wellhausen recht habe, die Osterfeier von Gebräuchen bei
der Ernte abzuleiten — ; der Beginn der Ernte aber ist nach
Deuter. 16, » zugleich der Beginn der sieben gezählten Wochen,
die Pfingsten einleiten. Somit glaubte man bisher nur mit
zwei Möglichkeiten der Festlegung des „Tages vor dem
Sabbath" rechnen zu können: entweder nahm man ihn als
den Tag nach dem (ersten) Sabbath, der in die Ernte fiel
Zur üblichen Auffassung von Pfingsten. 15
— SO besonders Wellhausen — , oder als Tag nach dem
Sabbath, der der Ernte vorherging.^) Beide Lösungen, die
man als nur geraten bezeichnen muß, nehmen Pfingsten als
ein wandelndes Fest; denn es gilt als unzulässig, das Osterfest,
bezw. dessen ersten Tag mit einem bestimmten Sabbath*
parallel laufen zu lassen. Wir sahen oben, daß Pfingsten
unter keinen Umständen als bewegliches Fest zu gelten habe :
wie wird man solches mit Lev. 23, 15 f. in Einklang bringen?
Ich meine, durch Korrektur des Begriffes, den man hier
üblicherweise mit dem Wort „Sabbath" verbindet.
Die alttestamentliche Sabbathfrage ist in ein neues
Stadium der Möglichkeit einer Lösung getreten, seitdem die
Assyriologie dokumentarische Beweise dafür erbracht hat,
daß die Babylonier den 15. des Monats als Schabattu in
ihren Festlisten führten. Dabei ist zu vermuten — wenn
auch nicht erwiesen — , daß jeder Monat seinen Schabattu
hatte. Zimmern 2) hat sich ausgesprochen für die Annahme
eines inneren Zusammenhangs zwischen dem Begriff Schabattu
und dem Vollmondstagcharakter des 15. des babylonischen
Monats; mangels einer sicheren Etymologie von Schabattu
verzichtet er aber auf nähere Deutung. Eine solche scheint
aber möglich mit Hilfe der im Babel-Bibel-Streite viel ge-
hetzten babylonischen Gleichung „Schabattu = um nüch libbi.
Daß dieser „Tag der Herzensruhe" nicht ohne weiteres als
bürgerlicher Ruhetag zu charakterisieren sei, da der Begriff
dieser Ruhe die Beziehung auf einen Gott zu verlangen
scheine, war dabei z. B. von A. Jeremias stark hervorgehoben
worden. Setzen wir „Herzensruhe" mit „Erholung" gleich, so
ergibt sich als der Gott, der sich am Schabattu, d.h. am 15. des
Monats erholen muß, kein anderer als der des Mondes; ist
der Mond am Abend des 14. Monatstages voll geworden, so
bedarf er des Ausruhens nach der Arbeit des Aufsteigens
zu seinem Höhepunkt am Himmel. Falls nun der Schabattu
für Babylonien als Festtag galt, so wird der Anlaß dazu wohl
darin zu suchen sein, daß der Mensch, um den Mondgott zu
ehren, dessen Ruhe auch für sich maßgebend sein ließ; ein
i) Bertholet in s. Kommentare zu Leviticus.
2) ZDMG. LVm (1904), S. 20I.
16 I. Kapitel.
solcher bürgerlicher Ruhetag könnte dann mit dem jüdischen
Sabbathe wohl nach Wesen und Namen verglichen werden,
aber noch nicht bezüglich seines Termins.
Doch ist es keineswegs anzunehmen, daß in Israel der
Wochensabbath die einzig bekannte und ursprünglichste Form
des Ruhetages gewesen sei. Auch der fünfzehnte Tag des
Monats hat für Israel einmal seine Bedeutung als ein mit
Sabbathruhe verbundener Monatseinschnitt gehabt In den
Proverbien (7, »0) lockt sich das ungetreue Eheweib einen
Buhlen an mit dem Hinweise: „Erst am Vollmondstage
kehrt er (d. h. der auf Handel ausgezogene Gatte) zu seinem
Hause zurück",: woraus hervorgeht, daß in Israel einmal der
fünfzehnte des Monats die bürgerliche Ruhe im Gefolge
hatte. Das Gleiche ergibt sich aus Arnos 8, s, wo der un-
geduldige Komwucherer fragt : „Wann geht der Neumondstag
vorüber, daß wir Getreide verkaufen können, und wann der
Sabbath, daß wir Korn steigern?" sowie auch aus der ver-
wunderten Frage des Elisäus an das sunamitische Weib
(2 Kg. 4, S2 f.), weshalb sie an einem Tage, da nicht Neumond
noch Sabbath sei, seinen Rat einzuholen käme, d. h. sich
eine Sonntagsbeschäftigung mache. Wenn nämlich von diesen
beiden offenbar offiziellen Ruhetagen der eine, Neumond, mit
den Phasen des Mondes zusanmienhing und deshalb an
festen Monatsterminen gefeiert wurde, so kann der andere,
Sabbath, kein vom Mondlaufe unabhängiger Wochensabbath
gewesen sein, besonders da er als solcher oft genug mit dem
Neumondsabbath zusammengefallen wäre. Israel kannte so-
mit in älterer Zeit einen auf den 1 5. Tag des Monats fallenden
Sabbath; genauer werden wir einen solchen dem Nordreiche
für die Zeit um 800 v. Chr. zuschreiben müssen, daneben
auch noch einen Quasisabbath, den Neumondstag, der wohl
eine Weiterbildung des babylonischen Sabbaths auf israeli-
tischem Boden ist, wobei sich die israelitische Idee von der
Heiligkeit des Neumonds und die babylonische von dem
Ruhebedürfnisse des Mondes bei seiner himmlischen Wande-
rung entgegenkamen.
Wir haben oben darauf hingewiesen, wie das israelitische
Hagg von Haus aus der Vollmondstag oder ein auf einem
solchen gefeiertes Fest sei; jetzt hat sich nun auch der
Zur Üblichen Auffassung von Pfingsten. 17
Sabbath als etwas ähnliches erwiesen, da sein Termin auf
den 15. Monatstag fallt. Zwei Bezeichnungen für denselben
Tag: das kann nicht ursprünglich sein; vielmehr wird man
nur eine von ihnen altisraelitisch, die andere aber Lehnwort
aus späterer Zeit sein lassen. Das Wort Hagg als von außen
entlehnt zu nehmen, liegt nicht der geringste Grund vor, und
sein erster Radikal h bürgt geradezu dafür, daß babylonisches
agu „VoUmond" seiner Entwicklung fern gestanden habe.
Dagegen ist es sehr verlockend, Schabattu als babylonisches
Lehnwort zu nehmen. Mit seinem Eindringen in den kulti-
schen Sprachschatz Israels könnte es recht wohl zusammen-
hängen, daß das ältere Wort Hagg seine alte Beziehung
auf den Vollmond einbüßte und im wesentlichen nur noch
als „Festtag" gefühlt wurde, oder, weil man inzwischen schon
von Hagg „Kreis" ein Verbum hägag gebildet hatte, welches
speziell auch für einen S)mibolischen Reigen an Mondfesten
gebraucht wurde, nunmehr zur Bedeutung „Fest mit religiösem
Reigen" überging.
Steht nun der Halbmonatssabbath am Anfange der Ent-
wicklung des israelitischen Sabbathgedankens , so führt der
Weg von ihm zum späteren Wochensabbath über mehrere
Zwischenstationen. Ihre wichtigste sehe ich in der Einrich-
tung des „kleinen Sabbaths", womit ich das Wort 7in5^
übersetze, gestützt auf bibl. iitts'»« „kleiner Mann", innnto „kleiner
Mond" und die große Menge der im Neuhebräischen auf-
tauchenden Deminutivbildungen auf -6n. Als „kleine Sabbathe"
führt man die Bibel an: i. den i./VII., d. i. Neujahr (Lev.
23,24), 2. den iS./Vn., d. i. der erste Tag von Laubhüttenfest
(Lev. 23, 39), 3. den 22./Vn., d. i. der achte Tag von Laub-
hüttenfest (Lev. 23, sd), 4. den vom Mondjahr abgelösten
Wochensabbath (Ex. 16, ss). Hier wird zunächst ein Neumond-
taig (i./VIL) als „kleiner Sabbath" geführt; das entspricht der
Erscheinung, daß nach Amos 8, 5 und 2 Kg. 4, 22 f. im Nord-
reiche die Neumondtage bezüglich der bürgerlichen Ruhe
mit den Halbmonatsabbathen gleich rangierten, während sie
ihrer religiösen Bedeutung nach kaum damit in gleicher Linie
standen, d. h. nur als „kleine" Sabbathe galten. Als ein
anderer „kleiner Sabbath" begegnet uns sodann der 23./VII.;
daß es der achte Tag des Laubhüttenfestes war, dürfte dabei
Grimme, Das israelitische Pfingstfest. 2
18 I. Kapitel.
weniger ausschlaggebend sein als vielmehr, daß er den Beginn
des letzten Viertels des Monats markierte. Ließ man den
Mond außer am 15. des Monats auch am ersten ruhen, so
konnte man leicht dazu übergehen, ihn nach jeder seiner vier
Phasen Station machen zu lassen, und konnte davon die Einrich-
tung von vier auf jeden Monat fallenden Ruhetagen herleiten. So
wird wohl der „kleine Sabbath" des 22./Vn. nur einen
speziellen Fall des 1 u n a r e n Wochensabbaths darstellen, den wir
ohne Zwang auch aus Ex. 16, 28 herauslesen können. Störend
ist nun der Umstand, daß Lev. 23,39 auch den IS./VH. als
„kleinen Sabbath" anführt, da man für diesen Tag in einer
Quelle, die, wie gleich dargetan wird, noch den Halbmonats-
sabbath kennt, letztere Bezeichnung erwartet. So mag man
entweder annehmen, yirnxö sei hier Schreibfehler für nac,
verschuldet durch Hinblick auf das gleich darauf folgende
richtige Iin3tt3; oder aber der Autor von Leviticus konser-
viere von der Einrichtung des älteren Halbmonatssabbaths
nicht mehr den Geist, sondern nur eine Formel, den starfge-
wordenen Ausdruck n:nört mtTOtt »Tag nach Halbmonatsabbath".
Die Einrichtung „kleiner Sabbathe" hatte das bürger-
liche Jahr mit einer größeren Zahl von Ruhetagen bereichert,
die von den Hauptphasen des Monats abhingen und damit
wohl auch den Gedanken an das Ruhen des Mondes fort-
pflanzten. Der nächste Schritt in der Sabbathentwicklung
führte nun dahin, den Mond ganz unbeachtet zu lassen und
beim Sabbath alles Gewicht auf die Einhaltung der Ruhe
oder auch des damit zusammenhängenden Verweilens im
Hause (Ex. 16, 89) zu legen. Bedeutete vorher naiö „halb-
monatliche Ruhe", so blaßte seine Bedeutung jetzt ab zu der
von Ruhe schlechthin. Wenn eine solche Ruhe nun Be-
gleitmoment einer kultischen Feier war, so bezeichnete man
sie als iinauj n:auJ, d. i. „Ruhe (wie die) eines kleinen Sabbaths".
Sie begleitete z. B. den Versöhnungstag, der auf den 10. des
7. Monats fiel, also auf einen vom Mondlaufe unabhängigen
Tag; sie findet sich in Ex. 31, is, 35, 2, Lev. 23, s als wesent-
lichste Eigenschaft des Wochensabbaths und läßt uns deshalb
vermuten, daß hier der gleichmäßig durch das Sonnenjahr
rollende Sabbath gemeint sei; sie wurde endlich zur Parole
für den wohl in Anlehnung an diesen Wochensabbath ent-
Zur üblichen Auffassung von Pfingsten. 19
standenen, jedes siebente Jahr eintretenden Jahressabbath
(Lev. 25, 4) und bedeutete hier die Ruhe der Erde, die der
Mensch zu respektieren habe. Erst aus der Vereinfachung
des Ausdruckes iin^ttJ na«; dürfte dann n:iU5 als Bezeichnung
für den gewöhnlichenWochensabbath entstanden sein : der Schluß
der Entwicklungsreihe von Sabbath berührte sich wenigstens
dem Namen nach wieder mit ihrem Beginn. Wann dieser
Schlußpunkt erreicht wurde, ist wohl nicht genau auszumachen.
Ezechiel (46, 1) stellt sechs Werktagen den Sabbathtage gegen-
über, schließt diesem aber den Neumondtag in einer Weise
an, als ob auch er mit Sabbath engere Verwandtschaft hätte.
Eine solche würde sich aber am ehesten auf gemeinsame
Abhängigkeit von den Mondphasen gründen. Auch wenn er
(45, 17) zu einer Reihe, die den Gesamtnamen fi-^nyiW führt,
zusammenfaßt: Hagg (= Vollmondsfest), Hodesch (= Neu-
mondsfest) und Sabbath, so dürfte dieser Sabbath kaum
anders als lunarer Natur sein und die beiden Halbmondtage
des Monats (den 8. und 22.) bezeichnen, was das Gesetz mit
seinem „Kleinsabbath" ausdrückt.
Dieser kurze Überblick über die Geschichte des bibli-
schen Sabbaths ließ als ältesten Sabbath Israels den auf den
15. jedes Monats fallenden erkennen. Halten wir nun die
Stellen Lev. 23, 16-22 und 9-14 für verhältnismäßig alt (wozu
uns die oben gegebene Begriffsentwicklung von Hagg ein
Recht zu geben schien), so können wir anstandslos die darin
vorkommende Phrase nnttjn ninwa „Tag nach dem Sabbath"
als Ausdruck für den 16. Tag des Monats nehmen, i) genauer
für den 16. des ersten Monats, des historischen Termins für
den Anfang der Ernte. Nun folgen allerdings der Erwäh-
nung dieses alten Halbmonatsabbaths im gleichen Verse (V. 1 5)
Sabbathe, die eine andere Erklärung verlangen. Es sollen
abgezählt werden Sia'^'^Sin n^-^lDn mna^ y^Tö „sieben Sabbathe,
die voll sind": diese sind aber überhaupt keine Sabbathtage,
sondern Wochen, ausgedrückt durch einen altertümlichen Aus-
druck „Voll sabbathe". Dieser setzt zwar voraus, daß zur Zeit
i) Job. Mcinhold (Sabbath u. Woche im AT, S. 34, Anm. i), der
energisch für die Annahme eines Halbmonatsabbaths in Altisrael eintritt,
meint allerdings „der Versuchung widerstehen zu müssen, . . . Sabbath hier
noch als Vollmondtag zu verstehn".
2*
20 I. Kapitel.
der Halbmonatsabbathe schon Sabbathe nach kürzeren Werk-
tagsfristen eintraten, erlaubt aber diese als pnn^ nao. an-
zusetzen, dessen Pluralform vermutlich nicht innriti mnaiö
oder D'»:nn3ti mnn;ö, sondern einfach mnnis lautete. Wenn
unmittelbar nach der Erwähnui^ dieser sieben „Vollsabbathe"
(V. i6) die Rede ist von ry^^'äi^ nsttJn mnTDW „Tag nach
dem siebenten Sabbathe", so wird hier das Attribut „der
siebente" bewirkt haben, daß ein weiteres irn^r „der volle"
ausgelassen wurde. Eine Verwechslung mit dem Halbmonats-
sabbath war bei diesem siebenten Sabbathe von vornherein
ausgeschlossen.
Wir kommen zum Resultate unserer Untersuchung des
Datums von Pfingsten: Es ist von jeher der fünfzigste Tag
nach dem i6. des ersten Monats, d. h. der 6. des dritten
Monats gewesen.
Nun erhebt sich die Frage : Wenn das israelitische Pfii^st-
fest so gut wie alle anderen Feste, die Leviticus 23 aufführt,
an ein bestimmtes Monatsdatum geknüpft ist, weshalb ge-
schieht da seine Datierung auf eine ihm besondere Weise
unter Ausschluß der direkten Nennung von Tag und Monat
seiner Feier? Es wird durch Abzählen von sieben nach dem
16./L fallenden Wochen bestimmt. Diese sehen nun ganz
danach aus, als ob sie mehr seien als ein Objekt des Ab-
zählens, und scheinen in einem inneren Zusammenhang mit
dem Pfingstfeste zu stehen. Die Bibel läßt uns einigermaßen
im Ungewissen über das, worin dieser besteht. Nach Lev. 23
sind die Wochen einfach der Zeitraum, der Pfingsten vom
Tage der Darbringung der Erstlingsgarbe trennt. Deut. 16
legt uns nahe, sie als den Zeitraum der Kornernte zu nehmen;
denn ihr Abzählen solle beginnen mit „dem Anhieb einer
Sichel in die Saat", und an ihrem Ende steht ein Opfer von
Gaben, die jeder nach dem Maße des ihm zu teil gewordenen
Erntesegens darbringt. Hieraus könnte man den Schluß
ziehen, die sieben Wochen bildeten mit dem Pfingsttage eine
Zeiteinheit, weil sie als Zeit der Kornernte die Steuer lieferten,
die das Pfingstopfer erheischte. Dann könnte Wellhausen
Pfingsten mit Recht als Erntedankfest bezeichnet haben.
Aber wie erklärt man dann, daß für Mazzoth und Sukkoth,
die beiden anderen Feiern, denen man Erntefestcharakter
Zur üblichen AufTassung von Pfingsten. 21
beilegen möchte, eine Zeit der Vorbereitui^ oder des Hin-
weises, wie es die 49 Tage vor Pfingsten sind, nicht existiert?
Daß besonders Sukkoth, nach Wellhausen das Fest der Spät-
emte, ein Fest, das in Deut 16, 9 ff. sichtlich als das Gegen-
stück zu Pfingsten ausgemalt wird, ein im Grunde ver-
schiedenes Zeremoniell aufweist und sich auch durch seine
Dauer weit über das an einem Tage zu Ende gehende
Pfingstfest erhebt?
Läßt man die sieben gezählten Wochen nichts anderes
sein als den Zeitraum der Ernte, so bleibt endlich völlig un-
erklärt, was das talmudische Judentum mit ihnen an Gebräuchen
verbindet Hier erscheinen sie als eine geschlossene Zeit,
als die „Sephlra-Trauer", worin bis zum 33. Tage Lustbar-
keiten, wie Heiratsfeste und Tanz, verboten sind, auch das
Haar nicht geschnitten werden darf; der 33. Tag zeigt Fest-
tagscharakter zumal für die Schuljugend; die noch übrige Zeit
steht dann wieder unter dem Gesetze der Enthaltung von
Lustbarkeiten, doch in weniger strenger Weise wie vor dem
33. Tage. Was es mit dieser Auffassung der 49 Tage vor
Pfingsten auf sich hat, vermag die talmudische Tradition nicht
zu erklären. Der Hinweis, daß zwischen Ostern und Pfingsten
eine Seuche die Reihen der 24000 Schüler des Rabbi Aqiba
gelichtet habe, oder auch der auf die Hinrichtung der 10 Tan-
naiten-Märtyrer — Ansichten, gegen welche schon die karaitische
Lehre protestiert — kann unmöglich genügen, um das Vor-
handensein einer neunundvierzigtägigen geschlossenen Zeit im
Ritus sachlich zu begründen. Versagt aber die historische
Erklärung, so wird man dahin gedrängt, an eine alte Tradi-
tion bezüglich des Verhaltens der Gemeinde in den sieben
gezählten Wochen zu appellieren. Eine solche kann aber
nicht in der Auffassung wurzeln, als sei die Pentekoste im
wesentlichen nichts als die Erntezeit; denn nirgendwo schwebt
wohl über der Erntezeit eine düstere Stimmung und speziell
in Israel war der Emtejubel recht sehr zu Hause, wie man
unter anderem auch aus dem heiteren Charakter von Laub-
hüttenfest schließen mag.
Es bleibt somit vorläufig ganz ui^elöst, was die sieben
gezählten Wochen fiir sich selbst wi,e auch für das Pfingstfest
bedeuten. Da nun von ihnen aus Pfingsten datiert ist, mithin
22 I. Kapitel.
von ihnen gewissermaßen abhängt, so steigt hier zum ersten
Male in uns eine Ahnung auf, als ob alle bisherigen Er-
klärungen des Pfingstfestes nicht den Kern seines Wesens
träfen. Diese Zweifel mehren sich, wenn man den Zeremonien,
die das biblische Pfingstfest umgehen, etwas auf den Grrund
geht Läßt man sie aus einer gewissen Entfemui^ auf sich
wirken, so könnte man sie für eine Bestätigung der Ansicht
vom pfingstlichen Erntefestcharakter halten. Unter den Opfern,
die der Pfingstritus enthält, erwähnen Lev. 23 und Num. 28
an erster Stelle ein „neues" d. h. aus neuem Getreide be-
stehendes Speisopfer. Lev. 23 schärft seine Darbringung als
Pflicht ein, während Num. 28 nur die Tatsache des Opfers
erwähnt, vielleicht also darin nur einen Brauch erblickt. Auch
Deut. 16 betont dieses Opfer und legt ihm Pflichtcharakter
bei, jedoch nicht in bezug auf sein Maß; dieses soll im Be-
lieben des Einzelnen stehen, nämlich abhängen von dem,
was jeder im Hinblick auf seinen Erntesegen Jahwe schuldig
zu sein glaubt. Für Lev. 23 gibt es aber diese Freiheit nicht ;
hier besteht die Pfingstabgabe , die vermutlich jeder, der
eine „Behausung" hat, zu Jahwe bringen soll, aus zwei Broten,
gebacken aus je zwei Zehnteln Epha Feinmehl unter Zusatz
von Sauerteig. Soweit stimmt alles zur Hypothese von
Pfingsten als Erntefest. Aber nun verlangt Lev. 23 auch noch
— und zwar vermutlich wieder von jedem Hausvater — dieDar-
bringung von zwei einjährigen Lämmern als „Heilsopfer", die
der Idee nach Jahwe, tatsächlich aber den Priestern zufallen
sollen. Diesen wichtigen Zug lassen Num. 28 und Deut. 16
ganz aus; denn wenn an letzterer Stelle auch von der Vor-
schrift „sich vor Jahwe zu freuen" geredet wird, was nach
der üblichen Annahme auf einen Opferschmaus geht, so hat
der Autor jedenfalls nicht die Lammopfer von Lev. 23 vor
Augen, da diese den Priestern als Eigentum zugesprochen
werden.
Was das Lammopfer mit einem Erntefeste zu tun hat,
ist schwer zu sagen. Dasselbe gilt von den Brandopfern, die
Lev. 23 und Num. 28 für die Pfingstfeier vorschreiben, Deut. 16
aber unerwähnt läßt. Nach Lev. 23 bestehen sie aus 7 fehl-
losen einjährigen Lämmern, einem Stier und zwei Widdern,
dazu einem Ziegenbock als Sündopfer; nach Num. 28 aber
Zur üblichen Auffassung von Pfingsten. 23
aus 7 einjährigen Lämmern, zwei Stieren und einem Widder,
endlich dem Ziegenbocke. Man neigt dazu, die Abweichung,
die Lev. 23 gegenüber Num. 28 zeigt, auf inkorrekte Be-
nutzung der Angabe von Num. 28 seitens Lev. 23 zu schieben.
Wir geben ohne weiteres zu, daß die Aufzählung der Fest-
brandopfer im Texte von Lev. 23 nicht ursprünglich ist; denn
es wird uns zugemutet anzunehmen, daß entweder jeder
israelitische Hausvater die ganze Zahl der erwähnten Brand-
opfer darbringen mußte, oder aber, daß die zwei Lämmer,
die doch wohl mit den zwei Broten parallel gehen, nur ein-
mal, für die ganze Gemeinde, zu geben wären — was beides
unwahrscheinlich klingt. Aber eine nachträgliche, ungeschickte
Einfügung der Festbrandopfer in den Text von Lev. 23 kann
stattgefunden haben, ohne daß dabei bei Num. 28 eine An-
leihe gemacht worden wäre. Num. 28 kennt für alle israeli-
tischen Feste nur einen Normalopfersatz: die 7 Lämmer,
2 Stiere und i Widder kehren bei ihm ständig wieder, außer
an den sieben ersten Tagen vom Laubhüttenfest, die zahl-
reichere Opfer mit sich bringen, von dem höheren Satze aber
langsam bis zu dem am achten Tage eintretenden Normal-
opfer herabsteigen. Vielleicht daß das Normalopfer von Num. 28
etwas Altes bedeutet ; doch kann man es mit gleichem Rechte
auch als das Produkt der Uniformierung von ursprünglich
verschiedenen Opfern bezeichnen, also für jung ansehen. Mir
scheint das Letztere sogar das Näherliegende zu sein, und
zwar im Hinblick auf die Zusammensetzung des Festbrand-
opfers bei Lev. 23. Sollen wir den Ergänzer von Lev. 23 fiir
so unwissend halten, daß er sich im Normalopfersatze geirrt
hätte, falls ein solcher existierte? Nehmen wir daher zunächst
sowohl die Zahlen von Lev. 23 wie die von Num. 28 für
echt und zwar in dem Sinne, daß darin der Opferbrauch von
zwei verschiedenen Zeiten vorliege. Dann wird die Angabe
von Lev. 23 uns in die ältere Zeit versetzen, in welcher ver-
mutlich jedes Fest noch seine besondere Opferzusammen-
stellung hatte, Num. 28 aber in eine jüngere, die ein Normal-
festopfer durchführte.
Was Zahl und Qualität der fiir Pfingsten vorgeschriebenen
Festopfer bedeuten, vermag bis jetzt niemand zu sagen; man
nimmt sie als Data, die keiner Erläuterung bedürfen. Aber
24 I. Kapitel.
Selbstverständliches gibt es in alten Kulten ebenso wenig
wie Unverständiges; dagegen sehr vieles, wofür unser Blick
noch nicht geschärft ist. Zählen wir dazu vorderhand auch
die Festopfer des Pfingsttages und gestehen wir, daß zwischen
ihnen und dem Wesen eines Erntefestes kein erkennbarer
Zusammenhang existiert
Endlich gehört zum Zeremoniell des Pfingstfestes noch
die Einrichtung, die den Namen Tönp «*ipw trägt; wieder sind
es nur Lev. 23 und Num. 28, die sie erwähnen, während
Deut 16 von ihr schweigt. Das Wesen von xDip «"ipta ist
noch nicht erklärt; seiner Wiedergabe durch „Festversamm-
lung am Heiligtume" oder „heilige Festversammlung", womit
man sich gewöhnlich behilft, stehen starke granmiatische Be-
denken entgegen. Nun glaubt man bisher die Eigenart des
Pfingstfestes auch ohne weitere Erklärung des «np «np%
oder gar unter Absehung von einer solchen feststellen zu
können, besonders weil Lev. 23 und Num. 28 bei allen
größeren Jahresfesten — Passah ausgenommen — ein- oder
zweimal xoip Kipta anmerken. Aber das ®Tp Kipw von
Pfingsten dürfte doch ganz besonderer Aufmerksamkeit wert
sein, weil ttjnp «*ipw nach Lev. 23, se ein Synonymon hat,
nämlich niaty, und dieses Wort bald nach dem Ausgange der
biblischen Zeit nach Ausweis der Mischna und des Josephus
die üblichste Bezeichnung für Pfingsten geworden ist Keine
gründliche Untersuchung über das Pfingstfest wird daher
unterlassen dürfen, sich eingehend mit dem Begriff von N*ip73
lönp abzugeben. Unsere Ansicht darüber wird im letzten
Kapitel vorgetragen werden; hier sei wiederum nur auf die
Blöße hingewiesen, die sich die Erklärung von Pfingsten
als Erntefest gibt, wenn sie das xo^p NnpTD dieses Festtages
ununtersucht läßt.
Die Betrachtung von Zeit und Zeremoniell des Pfingst-
festes stellte uns vor zahlreiche Rätsel; das größte liegt im
Namen, unter welchem es uns in der Bibel entgegentritt.
Lev. 23 führt die großen Feste sämtlich mit Namen an; für
Pfingsten aber erwähnt es keinen. Das holt anscheinend
Num. 28, 26 nach; denn nach der üblichen Übersetzung besagt
dieser Vers: „Und am Tage der Frühopfergaben, wenn ihr Jahwe
ein Speisopfer von neuem Getreide darbringt, an euerm
Zur Üblichen Auffassung von Pfingsten. 25
Wochenfeste (oD'^nyattJa), wird euch önp Knpw sein." Diese
Übersetzung ist unmöglich. Falls nvn© (SchabuSöth) als
Festname zulässig wäre, so wäre so gut wie ausgeschlossen,
daß es ein Personalsuffix annehmen könnte, da keiner der
deutlich erkennbaren biblischen Festnamen noD, matwrt an,
niDon in, ö'^*iBDn üt^ je mit Suffix auftritt. Aber my^ittj ist so
wenig ein Festname wie die Worte matw oder mDO, wenn
sie außerhalb der Verbindung mit Hagg „Fest" vorkommen;
erst die Verbindung mit an macht sie dazu. So tritt es auf
in Ex. 34, 22 (m^a^ an), Deut. 16, 10 (my^Tö an), Deut 16, le
(myrjffin an) und II Chr. 8, is (ma^aün an). An allen diesen
Stellen übersetzt man anstandslos „Wochenfest" und versteht
darunter die „sieben Wochen" (Deut 16,9 n^a^ na^attj), die
ihm vorhergehen. Wellhausen (Prol.® 82) nimmt sogar als
Gewährsmann für die Richtigkeit von „Wochenfest" den Pro-
pheten Jeremias, wo dieser nach üblicher Übersetzung sagt (5,24):
„Und nicht sprechen sie in ihrem Herzen: Laßt uns
Jahwe, unseren Gott fürchten, ihn, der den Regen gibt,
den frühen und späten zu seinerzeit, die Wochen, die
festen Ordnungen der Ernte, für uns hütet (na^ao inya
lab-^Wtt;'^ 'T^atp mpn)."
Mir scheint es sehr bedenklich, dem Propheten die
Wortverbindung „Wochen . . hüten" zuzutrauen ; daß andere
dasselbe Gefühl haben, beweist der ehedem von Movers ge-
machte und nachher von vielen akzeptierte Vorschlag, nyy6 als
Dittographie des vorhergehenden nn^a «3 zu nehmen und ganz
zu streichen.
Wir sehen, schon dieser eine Fall, wo die Bibel r\yyi^
außerhalb der Phrase ma^iTö an gebraucht, macht den Exe-
geten Kopfzerbrechen ; ihre Verlegenheit wiederholt sich aber
bei allen Stellen — außer Deut 16,9 — wo im Texte
my^iTö überliefert ist, nämlich Habaq. 3,9, Ez. 21,28, 45,21,
endlich für zahlreiche Erklärer auch bei Num. 28, 26. Man
zweifelt in all diesen Fällen die Echtheit der Lesung an, in-
dem man sich besonders darauf beruft, die alten Über-
setzungen wären auch nicht imstande gewesen, sie vernünftig
wiederzugeben. Als ob der Bibeltext nicht Altertümer genug
bärge, aus denen der stumpf gewordene Sinn der Spätlinge
nichts Rechtes mehr erkennen konnte! Aber trotz allem,
26 I. Kapitel.
was gegen my:«ö im Sinne von „Wochen" einzuwenden wäre,
kann doch nicht gezweifelt werden, daß es an einer Stelle,
Deut. i6, 9, tatsächlich nichts anderes bedeutet als „Wochen";
denn hier variiert das Wort ersichtlich den von Lev. 23, is
gebrauchten Ausdruck ns'^'^nn rfn^iDT) mn:itt3 „Vollsabbathe =
Wochen". Doch stellt sich alsbald ein Bedenken granima-
tischer Art ein : als Plural von yi^'^ „Woche" findet sich sonst
nur O'^yrjti, also eine Form mit maskuliner Endung. Das
berechtigt zwar noch nicht zur Annahme, die Form sei nicht
ebenso richtig; aber es könnte sich dabei um eine Neuerung
handeln, die der Deuteronomist versuchte in der Absicht, das
in der Verbindung m^a^ in unverständlich oder gar an-
stößig gewordene myn;ö begrifflich neu zu fassen. Wie dem
auch sei, für Deuteronomium ist Pfingsten das Fest „der
Wochen", in denen wir wohl die sieben dem Feste vorher-
gehenden Wochen zu erkennen haben. Würde ein solcher
Name aber dem Wesen des Festes entsprechend sein? Zur
Not wäre es ein „Fest der Wochen", wenn es noch in diese
fiele ; das ist nicht der Fall : es wird nach Ablauf der Wochen
gefeiert. Aber läßt denn nicht der Name, unter welchem
Pfingsten in Ex. 23,16 vorkommt. Fest „der Kornernte"
(T^atp) für das Wesen des Festes die vorhergegangene Zeit
maßgebend sein? Wahrscheinlich nicht; denn so gut das
Fest „der Lese" (Laubhüttenfest) ein Tag ist, der innerhalb
der Lesezeit liegt, kann das „Fest der Kornernte" ein solcher
sein, der in die Kornemtezeit fällt. Es ist nicht zu er-
weisen, daß nach Pfingsttag alle Erntearbeiten zu Ende
waren, oder daß die „sieben Wochen" mit der Erntezeit ganz
gleichbedeutend seien.
Ob darum der Deuteronomist Pfingsten als das „Fest der
Wochen" nahm und infolgedessen alle alten und neuen Bibel-
übersetzer myniL ruhig mit „Wochen" übersetzt haben, wir
betrachten dieses Wort als ein rätselhaftes und als ein neues
Hindernis für die Annahme, Pfingsten sei durch den Begriff
Erntefest hinreichend erklärt.
Wir sind bis jetzt den Weg derjenigen gegangen, die
die Meinung vertreten, das Pfingstfest mit all seinen Bräuchen
und Begriffen lasse sich vom israelitisch-kanaanitischen Milieu
aus genügend verstehen. Wo andere ebene Straße sahen,
Die Siebengötter acaflerhalb der biblischen Welt 27
fanden wir vielfach unwegsames Gebiet Darum müssen wir
versuchen, auf anderen Wegen zu einem Ziele zu kommen.
In der Einleitung wiesen wir auf den geistigen Verkehr hin,
in welchem alle vorderorientalischen Völker zu einander
standen, und auf die Herde der Kultur, aus deren Feuer die
meisten der giltig gewordenen Ideen emporstiegen. Nutzen
wir diese Anschauung für die Erklärung des israelitischen
Pfingstfestes aus!
Wir greifen zunächst auf das Wort nvü® zurück. Sicher
steckt in ihm die Wurzel y^iü „Sieben" und ist seine Grund-
bedeutung „Siebenfaches" oder „die Siebenfachen".
Die Bezugnahme auf die Siebenzahl im Kultus war nirgendwo
mehr verbreitet als in Babylon. Die älteste für uns nachweisbare
Siebenerkombination war hier die Siebengottheit Der
kühn sein will, mag in ihr sogar den Ausgangspunkt der
heiUgen Siebenzahl sehen. Sollte die babylonische Sieben-
zahl und speziell die Siebengottheit vielleicht den Schlüssel
abgeben, mit dem sich uns das wahre Wesen des Pfingst-
festes erschließt?
IL
Die Siebengötter
außerhalb der biblischen Welt
Ein babylonischer Mythus, der in einen Rezitationstext des
i6. Teiles der Beschwörungsserie Utukki limnöti „Böse Geister"
eingeschoben ist,^) lautet folgendermaßen:
„Die losbrechenden Stürme, die bösen Götter sind sie,
Die schonungslosen Dämonen, die auf dem Damme des
Himmels erzeugten, sind sie.
Die Erreger des Unheils sind sie.
i) Text bei IV Rawl. 5a, Transskr. u. Übers, bei Fossey, La Magie
assyrienne, S. 232 — 243, Thompson, The devils and evil spirits of Bab. I, 88 flf.
28 II. Kapitel.
Die, ihr schlimmes Haupt erhebend (?), täglich auf Böses ^
die Schlinge p) zu werfen .... [trachten].
Von den Sieben ist der erste der Südwind
Der zweite ist ein Drache mit offenem Rachen : Niemand
Der dritte ist ein grimmiger Panther ....
Der vierte eine schreckliche Schlange,
Der fünfte ein wütender Abbu, vor dem es keinen Rückhalt
gibt,
Der sechste ist ein Wirbelwind (?), der gegen Gott und König . . .
Der siebente ist ein Orkan, ein arger Sturm, der in ... .
Die Sieben (sibitti) sind sie, die Boten von Anu, ihrem Könige;
Von Ort zu Ort tragen sie Finsternis.
Die Unheilswolke, die am Himmel ungestüm daherjagt,
sind sie.
Das dichte Gewölk, das am Himmel Finsternis verursacht,
sind sie;
Der Stoß der hervorbrechenden Winde, die am heiteren Tage
Düster verursachen, sind sie.
Mit dem Unwetter, dem bösen Winde, toben sie einher;
Der Wetterguß Rammans (Adads), starke Verwüstung sind sie.
Zur Rechten Rammans (Adads) gehen sie daher;
Am Grunde des Himmels zucken (?) sie wie Blitze,
Die Schlinge (?) zu werfen, rücken sie voran.
Am weiten Himmel, dem Sitze von Anu, dem Könige, stehen
sie feindlich, und keiner ist, der ihnen gewachsen wäre.
Als Bei diese Kunde vernahm, führte er das [göttliche]
Wort an sein Herz,
Mit Ea, dem hehren massü der Götter, pflog er Rat.
Sin, Schamasch und Ischtar setzten sie zur Verwaltung des
Dammes des Himmels ein.
Bei Anu teilte er [Bei] ihnen die Herrschaft über den Bereich
des Himmels zu,
Ihnen Dreien, seinen göttlichen Kindern:
Tag und Nacht ohne Unterlaß sollten sie dort Dienst ver-
richten.
Als nun die Sieben, die bösen Götter, auf dem Damme
des Himmels dahinzogen.
Legten sie sich gewaltsam vor den Lichtbringer Sin;
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 29
Sie machten den Helden Schamasch und Ramman (Adad),
den Starken, sich zu Bundesgenossen.
Ischtar aber hatte bei Anu, dem Könige, einen herrlichen
Sitz eingenommen und strebte nach der Herrschaft des
Himmels.
[Fehlen ungefähr 4 Verse.]
Als nun die Sieben
Zu Beginn des Jahresanfangs gegen Böses
Für immer sein reiner Mund
Sin . . . das Menschengeschlecht das Gebiet (?) des
Landes
Das kam in Unordnung und versank in Leid.
[Nacht und] Tag war er (der Mond) finster und saß nicht
auf seinem Herrschersitze.
Die bösen Götter, sie, die Boten von Anu, dem Könige,
Die, ihr schlimmes Haupt erhebend (?), erzittern machen . . .,
Sie, die Böses verrichten:
Aus dem Himmel heraus stürzten sie sich wie der Wind
gegen das Land.
Bei — des Helden Sin Verfinsterung
Am Himmel sah er,
Und der Herr spricht zu seinem Boten (sukkallu) Nusku:
„Nusku, mein Bote, bringe mein Wort zur Meerestiefe;
Die Kunde von meinem Sohne Sin, wie er am Himmel elend
verfinstert ist.
Melde sie Ea in der Meerestiefe!"
Nusku nahm mit Ehrfurcht das Wort seines Herrn ent-
gegen
Und ging als Eilbote zu Ea in die Meerestiefe;
An den Fürsten, den hehren massO, den Herrn Nudimmud (Ea)
Berichtete Nusku alsbald das Wort seines Herrn.
Ea vernahm in der Meerestiefe dieses Wort,
Biß sich in die Lippe und mit Klage füllte sich sein Mund.
Ea sprach zu seinem Sohne Marduk und ließ ihn auf das
Wort achten:
„Geh, mein Sohn Marduk 1
Das Fürstenkind, der Erleuchter Sin, der am Himmel elend
verfinstert ist, —
Laß, was finster an ihm (gemacht, neu) am Hinunel strahlen 1
30 U. Kapitel
Die Sieben: böse Götter, furchtlose Mordgesellen sind sie.
Die Sieben: böse Götter, die wie ein Wolkenbruch heran-
ziehen und das Land heimsuchen, sind sie;
Sie, die gegen das Land wie ein Südwind heranziehen:
Vor den Lichtbringer Sin haben sie sich gewaltsam ge-
legt,
Den Helden Schamasch und Ramman (Adad), den Starken,
haben sie sich zu Bundesgenossen gemacht.
Dieser Mythus, so fragmentarisch er auch überliefert ist,
gehört zu dem Wichtigsten, was uns aus der religiösen Lite-
ratur Altbabyloniens erhalten ist. Nicht die Phantasie hat
ihn erfunden, sondern das zu den Gestirnen erhobene Auge
der Vorzeit hat ihn geschaut. Das haben mehr oder weniger
alle diejenigen herausgefühlt, die sich mit seiner Erklärung ab-
gegeben haben. Auch an welche astronomischen Erschei-
nungen er anknüpft, ist langsam klar geworden, nachdem
Lenormant^) darin die Befreiung des Mondes aus einer Ver-
finsterung zu erkennen geglaubt, P. Jensen 2) weiter feststellte,
daß es sich dabei nicht um eine Mondfinsternis, sondern um
die Verdunklung des Mondes zur Neumondzeit handele, end-
lich H. Winckler *) die Entscheidung fällte , der verdunkelte
Mond sei der des letzten (Mond-)Monats vor Frühlingsanfang
und seine Bedränger, die „Sieben", seien die sieben Sterne
der Plejadengruppe. In der Ausführung dieser Idee kam er auch
dazu, die meisten der in Nebenrollen auftretenden Götter-
persönlichkeiten astronomisch zu verstehen. Nur für das
Wesen des eigentlichen Helden des M5^hus, des Helden,
der allerdings gleich bei seinem Eintreten in die Aktion in-
folge der fragmentarischen Erhaltung des M5^hus unseren
Augen entschwindet, scheint die richtige Erklärung noch nicht
gefunden zu sein. Dieses besonders läßt es wünschenswert
erscheinen, die einzelnen Elemente und Beziehungen des
Mythus hier noch einmal kurz durchzunehmen.
Sieben Dämonen, auch böse Gottheiten genannt, Wesen
i) Gazette ArcWologique IV (1878), S. 20 — 35.
2) Kosmologie der Babylonier, S. 39.
3) Altorientalische Forschungen III, Bd» I, S, 58 — 64.
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 31
von schreckhaftem Äußeren und verderbenbringender Tätigkeit
sind zu Ende des Jahres am Himmel des Anu aufgetreten und
treiben sich auf dem D.mme des Himmels umher, indem sie
von hier aus im Bunde mit dem Gewittergott Sturmgewölk,
Regendunkel und Gewitterschauer auf die Erde herabsenden :
Wie der Himmel Anus der Nordhimmel, der Damm des
Himmels die Ekliptik ist, so sind die „Sieben" das dem Nord-
himmel angehörige Ekliptikalgestim der Plejaden. Eine spät-
assyrische Monatstabelle^) bezeichnet sie als die Patrone des letzten
Monats des bis annähernd zum Frühlingsäquinoktium reichenden
Jahres: so können sie als Regenten des Winters und Urheber
aller ihn begleitenden Unbilde auftreten. Zu Bundesgenossen
Rammans, des Gewittergottes, eignen sie sich aber deshalb, weil
ihr Monat auf den dem Ramman zugehörigen elften folgt, in
welchem der Winter seinen Anfang nimmt.
Um dem Treiben der Sieben zu wehren, macht Bei nach
Rücksprache mit Ea seine Kinder Mond, Sonne und Ischtar
zu Aufsehern über den Himmelsdamm. Die Sieben bringen
aber Störung in diese neue Ordnung; denn sie treiben den
Mond in die Enge, gewinnen zu ihrem Bundesgenossen Ramman
auch noch den Sonnengott, währendes Ischtar höher zum
Nordhimmel steigt und sich in der Rolle einer Königin des
Himmels fühlt. — Bei ergreift Maßregeln gegen die Winter-
dämone, weil er der Herr ihres Sitzes, der Ekliptik, ist; da
diese aber auch den Südhimmel berührt, so berät er sich mit
Ea, dem Herrn der Tiefe des Himmels wie der Tiefe über-
haupt. Die von der Ekliptik aufsteigenden Himmelskörper
Mond, Sonne und Venus verlieren ihren Zusammenhang. Der
Mond nimmt, weil es dem Ende des Monats zugeht, immer
mehr ab — scheinbar unter dem Einflüsse der Regenten des
letzten Monats; Venus fühlt sich als Himmelskönigin, weil sie
um so leuchtender erscheint, je mehr der Mond an Licht ver-
liert Wenn endlich die Sonne gleich Ramman sich mit den
Sieben verbündet, so möchte ich vermuten, daß hier eine —
allerdings literarisch nicht überlieferte — Beziehung hineinspielt,
die die Sonne als Patron des auf den Plejadenmond folgenden
Monats nimmt; die Schuld am Verdunkeltsein des Mondes,
i) H. Winckler, Altorientalische Forschungen II, Bd. 2, S. 368.
32 II. Kapitel.
das noch zu Anfang des ersten Monats anhält, fiele dann
auch noch etwas auf dessen Patron. Keinesfalls wird die
Parteinahme der Sonne fiir die Plejaden, wie H. Windder meint,
darin ihren Grund haben, daß die Sonne es ist, die die Phasen
des Mondes bewirkt. Hätten die Babylonier davon auch nur
eine leise Ahnung gehabt, so hätte nie ein Kult aufkommen
und blühen können, welcher, wie z. B. in Harran, die Ober-
stellung des Mondes über der Sonne betonte.
Wie die Macht der Sieben noch zu Beginn des neuen
Jahres nicht zu Ende geht und der Mond in ihrer Haft bleibt,
schickt Bei seinen Boten Nusku an Ea. Diesen jammert das
Los des Mondes; er beauftragt daher seinen Sohn Marduk
sich aufzumachen und dem Mondgott wieder zu Glanz zu ver«
helfen. In der Ekliptik fehlt es an Kräften, die den Sieben
steuern und dem Monde helfen könnten ; die Hilfe muß aus der
Tiefe kommen. Bei schickt Nusku, einen Gott des Feuers, in die
Tiefe des Südhimmels ; wer darunter zu verstehen ist^ ob etwa
ein Meteor, bleibt unklar; anscheinend ist damit aber auf ein
schnell vorüberziehendes Himmelsphänomen angespielt. Der
Südhimmel schickt die gewünschte Hilfe in der Person von
Eas Sohn Marduk. Wer ist dieser Marduk? Man sieht in
ihm entweder die Frühlingssonne, die Sturm und Winterkälte
vertreibt, oder aber das Licht schlechthin. Aber diese Begriffe
sind gewonnen im Hinblick auf das Wesen des Marduk, Gottes
von Babel, während doch unser Marduk, Eas Sohn, in Eridu,
dem südlichsten Stadtzentrum Babyloniens, seine Heimat und
Kultstätte hatte. Als solcher wird er nicht die Sonne dar-
stellen, weil diese nach dem Mythus sich unter den Gegnern
des Mondes befand , und weil wie die Befreiung des Mondes,
der Kernpunkt des Mythus, so auch sein Befreier vom Hinter-
grunde des Nachthimmels nicht zu trennen ist. Ich wage
daher den Vorschlag, als Helden des Mythus der Sieben den
Orion zu nehmen. Ich muß mich jetzt noch auf die bloße
Behauptung beschränken. Da der Mythus nach der Berufui^
Marduks zum Rettungswerke unvermittelt abbricht und von
dem darauf folgenden Kampfe zwischen ihm und den Sieben
nichts mehr verrät, so bietet er kein Material zur näheren
Veigleichung zwischen Marduk und Orion. Später an die
Reihe kommende Ausftihrungen über die Darstellung Marduks,
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 33
als Besiegers der „Sieben" in der babylonischen Kunst, der Ver-
lauf des Kampfes, wie er sich aus dem Zeremoniell später zu
besprechender Feste ergibt, endlich die Möglichkeit, Namen und
Hauptzüge des Orions der griechischen Mythologie aus denen
unseres Marduk zu verstehen, sie mögen das entscheidende
Wort über den Wert unserer Hypothese reden.
Der Mythus von den „Sieben" hat den Wert einer astro-
nomischen Urkunde ; er berichtet auch von der Zeit seiner
Entstehung in unzweideutiger Weise. Er zeigt uns das Stern-
bild der Plejaden als Beherrscher des Hinmiels während des
letzten Monats des Jahres, d. h. ungefähr in den letzten 4 Wochen
vor Frühlingsäquinoktium. Dann aber fallt seine Entstehung
in eine Zeit, da der Frühlingspunkt noch im Stembilde der
ZwilUnge lag, um beiläufig 90® vor dem heutigen im Stfern-
bilde der Fische; da solches drei Präzessionen = ungefähr
6600 Jahre ausmacht, so haben wir Grund, die Zeit zwischen
3000 und 5000 V. Chr. als die der Entstehung des Mythus
zu bezeichnen. Vielleicht können wir das Datum noch ge-
nauer fixieren. Ist Marduk so viel wie Orion, so liegt in der
Angabe seines Auftretens gegen die in der Morgendämmerung
sichtbaren Plejaden offenbar der Hinweis, daß er in der Zeit
des Frühlingsäquinoktiums ein am Frühhimmel sichtbares
Objekt gewesen sei. Für das ganze Sternbild des Orion ist
solches nun astronomisch unwahrscheinlich; aber für seinen
nördlichen Teil, zumal für den besonders hervortretenden rot-
glühenden Achselstern (a Orionis = Beteigeuze) läßt sich dartun,
daß er um Sioo v. Chr. zugleich mit den Plejaden am Morgen-
himmel sichtbar war. Wir können somit unseren M5^hus
mit Sicherheit der Zeit vor 3000 v. Chr. zuweisen, und mit
einiger Wahrscheinlichkeit die aus ihm hervorgehende Kon-
stellation als die des Jahres 5100 v. Chr. bezeichnen.
Der Mythus der „Sieben" liegt außer in der obigen Fassung
noch in einer anderen davon wesentlich abweichenden ^) vor ;
wiederum ist es die 16. Tafel der Beschwörungsserie Utukki
limnuti, in welcher uns dieser als Rezitation im Munde des
Geisterbeschwörers dienende Text erhalten ist
i) Publiziert bei IV Rwl. 15 b, in Transskription bei Fosscy, Magie,
S. 263—69. :
Grimme, Dm isrMlitiiche Pfingstfett. 3
34 ^ II. Kapitel.
Sein Wortlaut ist:
Auf dem Nacken von Hinmiel und Erde zogen sie (die Sieben)
einher und schonten selbst ihn, den Gott, nicht;
Die Erde schonten sie nicht; böse war ihr Ende(?).
Aufwärts zum Himmel zogen sie, zum unerreichbaren Himmel
stiegen sie auf.
Unter den Sternen des Himmels wurden sie nicht gekannt
während der drei Nachtwachen.
Der Gewaltige, Einzigartige, Hehre trat zum Himmel, ohne daß
sein Vater es wußte,
Gibil, der Hohe, Erhabene, Einzigartige, Gewaltige, der hehre
Vollstrecker der Entscheidut^ des Anu,
GibU, sein geKebter Genosse, kam zu ihm (fragend):
„WiUst du mich die bösen Sieben kennen lehren?"
Er (An«) überlegte bei sich, indem er sich niedersetzte:
„Gibü, jene Sieben — wo sie geboren sind, wo sie groß
wurden?
Jene Sieben sind im Berge des Sonnenuntergangs geboren.
Jene Sieben sind im Berge des Sonnenaufgangs groß geworden.
In Spalten der Erde ließen sie sich nieder,
In Wüsten der Erde leben sie.
In Himmel und Erde sind sie nicht . ., mit Schreckensglanz
sind sie bedeckt,
Unter den weisen Göttern sind sie nicht bekannt,
Ihr Name ist nicht (bekannt) im Himmel noch auf Erden.
Jene Sieben galoppieren auf dem Berge des Sonnenuntergangs,
Jene Sieben stampfen (imallilu) auf dem Berge des Sonnenaufgangs.
In Spalten der Erde kriechen sie, in Wüsten der Erde leben sie ;
Nirgendwo sind sie bekannt, nicht im Himmel noch auf Erden
kennt man sie.
Geh nach Marduk, er wird es dir sagen.
Er wird dir vom Wesen der bösen Sieben berichten, sobald er
sich vor dir erhebt."
Er, dessen Wort willig aufgenommen wird, der hehre Richter des Anu,
Gibil ging nach Marduk und sagte ihm dieses Wort.
Marduk hörte im zirtu(?) des nächtlichen Lagers dieses Wort,
Trat ein in das Haus seines Vaters Ea und sprach:
„Mein Vater, Gibil hat sich hingewagt zum Ort des Sonnen-
aufgangs, hat die verborgenen Orte beschritten:
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 35
Lehre eiligst Wege und Orte jener Sieben."
Der Sohn von Eridu, der Weitohrige,
Ea sprach zu seinem Kinde Marduk:
„Mein Kind, jene Sieben wohnen in der Erde,
Jene Sieben sind aus der Erde hervorgekommen;
Jene Sieben sind in der Erde geboren.
Jene Sieben sind in der Erde groß geworden,
Sie sind herangekommen, um die Seiten des Ozeans zu betreten.
Geh, mein Kind Marduk!"
In dieser zweiten Fassung hat der Mythus von den Sieben
viel von seiner Ursprünglichkeit eingebüßt. Die Sieben er-
scheinen hier als Dämonen rätselhafter Herkunft. Sie steigen
von der Erde zum Himmel auf, mischen sich unter die Sterne,
ohne daß irgendjemand ihr Wesen und ihre Absichten erkennt;
sie erwecken die Neugier des Feuergottes Gibil, der darauf von
Anu etwas über ihre Herkunft erfahrt, dann ihretwegen Marduk
angeht, der von seinem weisen Vater Ea Aufschluß über ihre
gegen diesen gerichtete Tätigkeit erlangt. Die beiden Grundmotive
der älteren Fassung, die Bedrängung des Frühlingsmondes durch
die Sieben und ihre Bekämpfung durch Marduk, sind bis auf
kleine Andeutungen ausgemerzt: auf jene könnte etwa der Satz
zielen: „Sic schonten nicht den Gott", auf jene die noch vagere
Schlußbemerkung Eas : „Geh, mein Kind Marduk ! " Es ist kaum
anzunehmen, daß das, was wir an wichtigen Zügen vermissen,
jemals in dieser Fassung des Mythus vorhanden gewesen wäre;
vielmehr dürfte ihr Verfasser nichts weiter beabsichtigt haben,
als in losem Anschluß an den ihm nur fragmentarisch bekannten
alten Mythus ein phantastisches Schreckbild von den Sieben zu
entwerfen. Dabei ist sogar zweifelhaft, ob er von der Plejaden-
natur der Sieben einen deutlichen Begriff gehabt habe und ob
er im Gott Marduk noch den verkörperten Orion erblickte.
An diese für die Zwecke der Beschwörung zurechtgemachte
Redaktion des Mythus der Sieben lassen sich mehrere der
fünften Tafel der Utukki limnuti zugehörige kürzere Texte (IV Rwl.
I a— 2 a) anschließen, da sie die Sieben außerhalb jedes epischen
Zusammenhangs vorführen und nichts bezwecken, als von ihrer
verderblichen Tätigkeit ein möglichst schreckhaftes Bild zu ent-
werfen. So lautet eine derartige Deklamation:
3*
36 U. Kapitel.
Sieben — nochmals (gesagt) — sieben Krieger sind sie,
Deren Erzeugung eine einzige ist, ausgehend von Anu.
Dahinbrausende Stürme sind sie;
Sie nehmen kein Weib, sie zeugen nicht,
Sie kennen keine Einsicht,
Rosse sind sie, die im Gebirge groß geworden sind.
Feinde sind sie von Ea,
Guzzalu der Götter sind sie.
Um den „Hochweg" (sulä) in Verwirrung zu bringen, stellen sie
sich auf der Straße auf.
Vor Nergal, dem mächtigen Krieger Bels, gehen sie einher.
Zwei bezeichnende Züge teilt diese Beschreibung der Sieben
mit der älteren Redaktion des Mythus. Sie läßt die Sieben mit
Anu, dem Gotte des Nordhimmels, Zusammenhang haben; sie
legt ihnen die Absicht bei, den „Hochweg^* zu verwirren: ein
Ortsbegriff, der jedenfalls den des schupuk schäme, des „Dammes
des Himmels", d. h. der Ekliptik variiert, auf welcher sich nach
dem alten Mythus die Plejadendämonen herumtreiben. Das be-
rechtigt uns, bei dem Verfasser des Textes noch die Anschauung
von der Plejadennatur der „Sieben" vorauszusetzen. Dieses
hindert ihn aber nicht, sie auch als Gefolgsmannen des Unter-
weltsgottes Nergal hinzustellen, da alles, was der Erde Schaden
bringt, direkt oder indirekt im Dienste der Unterwelt steht. Die
gleiche Idee beherrscht in besonderem Maße die folgenden, der
Beschreibung der „Sieben" dienenden Abschnitte der fünften Tafel
der Utukki limnuti:
Verderbliche Stürme, böse Winde sind sie;
Stürme des Unheils, die bösem Wind gehorchen, sind sie;
Stürme des Unheils, die bösem Wind vorangehen, sind sie.
Vollkommene Kinder, vollkommene Söhne sind sie;
Boten des Pestgottes (namtaru) sind sie,
Guzzalu der Ereschkigal sind sie;
Gewittersturm, der durch das Land jagt, sind sie.
Sieben Götter des weiten Himmels,
Sieben Götter des weiten Landes,
Sieben raubgierige Götter,
Sieben Götter der Welt(?),
Sieben böse Götter,
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 37
Sieben böse Labartu,
Sieben Labasu, böse Plaggeister,
Am Himmel sieben und auf Erden sieben (sind sie).
Wie die Sieben hier zum Anhange der Unterweltsgötter
gerechnet werden, so wird kaum mehr zwischen ihnen und
anderen Ausgeburten der Hölle, wie den Labartu und Labasu,
geschieden. Im gleichen Tone hebt ein anderes Textstück an,
um dann die Sturmnatur der Sieben durch einen Schwall von
Kraftausdrücken zu illustrieren, die ein irgendwie konkretes Bild
ihres persönlichen Wesens nicht aufkommen lassen und kaum
mehr verraten, von welcher Abkunft eine ältere Zeit die Sieben
sein ließ:
Schauer, Frost, allem Abbruch tuend.
Ein böser Utukku, den Anu geheckt hat.
Ein Namtar, der geliebte Sohn des Bei,
Ein Sproß der Ereschkigal:
Oben zerstören, unten verwüsten sie,
Ausgeburten der Hölle sind sie;
Oben brüllen, unten pfeifen sie.
Der bittere Speichel der Götter sind sie.
Die schweren Stürme, die vom Himmel herkommen, sind sie;
Eine eschschepu (Eule?), die im Orte stöhnt, sind sie;
Die Brut des Anu, Söhne der Erde sind sie.
Über hohe Mauern, weite Mauern gehen sie hin wie eine Flut,
Von Haus zu Haus drängen sie sich;
Keine Pforte hält sie auf.
Kein Riegel macht sie weichen;
Durch die Türe gleiten sie wie Schlangen,
Durch die Türangel stürmen sie wie Winde;
Die Frau reißen sie aus der Umarmung des Mannes,
Den Sohn holen sie vom Knie des Mannes;
Den Herrn führen sie weg aus seiner Familie,
Wehruf, der hinter dem Manne hergeht, sind sie.
In einem Punkte erweisen sich alle diese Beschreibungen
der Sieben trotz ihrer subjektiven Färbung als echte Kinder des
alten Mythus : sie nehmen die Sieben als schädigende Dämonen,
ob sie ihnen auch zuweilen das Gottesprädikat beilegen. Das
38 II. Kapitel.
Gleiche gilt von der ganzen mythologisierenden Literatur; im
Uramythus toben sie staubaufwirbelnd hinter dem Unterwelts-
gotte Ischum her ^) und im Etanamythus ^ heißt es : „Die Sieben
hatten das Tor vor den Wohnplätzen verriegelt" — offenbar um
sie als Unholde zu kennzeichnen. Es blieb somit diese Literatur
dabei stehen, die Sieben für das anzusehen, was sie in der Zeit
zwischen 5000 und 3000 v. Chr. entsprechend ihrer Stellung im
Jahre waren — als Repräsentanten der Unbilden der Winterzeit
Aber als dann nach dem Jahre 3000 der Frühlingspunkt in das
Sternbild des Stieres trat, von welchem die Plejaden einen Teil
ausmachen, und als vollends nach 1000 v. Chr. die Plejaden
ihren Frühaufgang erst im zweiten Monate des Jahres hatten, da
waren die natürlichen Bedingungen hinfallig geworden, die den
Begriff der bösen Sieben geschaffen hatten. Mochten Bettel-
priester und Mythographen im Geleise der alten und darum für
sie ehrwürdigen Anschauungen weiter fahren, der offizielle auf
die Idee der Wechselwirkung von Himmelsphänomenen und
Erdenschicksalen gegründete Kult konnte keine astronomisch
unrichtigen Anschauungen vertreten und war damit vor die Wahl
gestellt, entweder die alten Plejadengötter ganz fallen zu lassen
oder sie zum Range von echten, d. h. helfenden und darum kult-
fahigen Göttern zu erheben. In Babylonien scheint man das
erstere vorgezogen zu haben, Assyrien aber ließ sich die Ge-
legenheit nicht vorübergehen, um die Zahl der das Reich
schützenden Götter um die Gruppe der starken „Sieben" zu ver-
mehren.
Schon dafür, daß die „Sieben" überhaupt eine Bedeutung
für das öffentliche Leben Babyloniens gehabt hätten, lassen sich
wenige Zeugnisse beibringen. Wie die Chronik der Könige der
ersten babylonischen Dynastie berichtet, wurde im 1 5. Regienmgs-
jahre desHammural?i ein Bild der „Sieben" angefertigt — ein Ereignis,
nach welchem das Jahr seinen Namen bekam. Um ein Kultbild kann
es sich dabei kaum gehandelt haben; denn der Name der „Sieben" ist
in dem betreffenden Texte nicht von dem Götterdeterminativ be-
gleitet. Vielleicht galt es, mit diesem Bilde etwas zu sühnen,
was mit der verderblichen Macht der sieben Dämonen in Zu-
i) Keilinschr. Bibl. VI, i, S. 66 f.
2) Keilinschr. Bibl. VI, i, S. 5 84 f.
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 39
sammenhang gebracht worden war. Personennamen, die auf die
Verehrung der ,3ieben" hinweisen, kennt man bisher nur aus der
Kassitenzeit, so Ardu-Sibi („Diener der S.") und Piqit-Sibi („Schutz-
objekt der S.");*) so waren ihre Träger vielleicht Nichtbabylonier.
Endlich zeigt ein umQOO errichteter babylonischerGrenzstein^) neben
Emblemen der Götter Schamasch, Sin und Ischtar auch das baid zu
besprechende der „Sieben". Das deutet zwar auf eine gewisse
Kultfahigkeit dieser Sieben; aber da die Beischrift assyrische
Charaktere zeigt, so wird diese nicht in der babylonischen,
sondern der assyrischen Sphäre zu suchen sein.
Für Assyrien steht es fest, daß hier mindestens von
800 V. Chr. an die „Sieben" göttliche Ehren genossen. So zeigt
das Protokoll eines im 8. Jahrhundert dem Könige Assurnirari
von Mati'il geleisteten Treuschwures die „starken Sieben" in der
Reihe von gegen 40 assyrischen und auswärtigen Schwurgöttern,
ebenfalls ein ähnliches unter Assarhaddon abgefaßtes Dokument
sie eng verbunden mit anderen assyrischen Göttergestalten. Unter
Sanherib waren sie in einer Götterschaar dargestellt, die die
Begleitung von Gott Assur bei seinem Auszuge zur Bekämpfung
der Tihämat ausmachte.^ Ja, verschiedene der Sargoniden
fügten sie dem engsten Kreise der von ihnen verehrten Götter
ein ; so Sargon selbst, dessen kyprische Stele neben den Emblemen
von sieben „großen" Göttern auch das der „Sieben" zeigt, San-
herib, der auf dem Felsen von Bavian die Sieben als die Letzten
in der Reihe der großen Götter in Bild und Schrift dargestellt
hat, Assarhaddon, der auf dem Felsrelief vom Nahr-el-Kelb und
der Stele von Sendjirli das Emblem der Sieben anbrachte, einmal
neben sieben, das andere Mal neben elf weiteren Götteremblemen.
Derselbe König erweist sich als eifriger Verehrer der Gottheit
der Sieben in seiner Bauinschrift K. 2801 , indem er in ihrer
Einleitung nach der Erwähnung von elf großen Göttern auch der
Siebengottheit gedenkt als der „tapferen Götter, die Bogen und
Pfeile halten, deren Ansturm Kampf und Streit ist". Bestand
somit in Assyrien ein von selten der Könige begünstigter Kult
der „Sieben", so muß auffallen, daß unter den uns überlieferten
i) Clay, Exped. of the Univ. of Penns., Bd. XIV, 59, XV, 55.
2) Hommel, Aufsätze und Abhandlungen, S. 254.
3) H. Zimmern, Zum bab. Neujahrsfest (Ber. d. Ges. d. Wiss. zu Leipzig LVIII,
S. 148).
40 II. Kapitel.
echt ass)rrischen Eigennamen bisher keiner als mit dem Namen
der Siebengötter komponiert nachzuweisen ist Sollte dieses
vielleicht darin seinen Grund haben, daß die Siebengottheit, um
sie von den auf dem Standpunkte von Dämonen stehen ge-
bliebenen „Sieben" zu unterscheiden, noch andere Bezeichnungen
als die der Sibitti oder Sibi bekommen hätte? Verbirgt sie
sich für uns vielleicht unter dem Namen Igigi (Igigu, Igige), dessen
Träger, so häufig sie auch genannt werden, ihrem Wesen nach
noch unerklärt sind? Die Igigi waren Götter des Himmels und
standen in naher Beziehung einesteils zu Anu, ihrem „Könige",
andrerseits zu Marduk, der ihr „Hüter" (päqid) heifit und
von dem der Prolog zu Hammurabis Gesetz rühmt, daß Anu und
Bei ihn bei den Igigi groß gemacht hätten. Alle diese Züge
vertragen sich gut mit der Rolle, die der M)^us der Sieben
den Plejaden zuweist. Andere scheinen weniger zu passen,
z. B. wenn Ninib als der Held der Igigi und Anunaki auftritt
(Obelisk des Salmanassar, Z.9f.) oder im Ischtarhymnus (K. 26, 187)
Imini-Ischtar Gebieterin der Igigi genannt wird; doch kann
daran unsere Unkenntnis der mannigfachen Verbindungsfaden
schuld sein, mit denen eine spätere Religionsentwicklung die
Geschicke der einzelnen Himmelsbewohner ineinander verflochten
hat. Von Wichtigkeit für die Gleichung Sibitti = Igigi ist
endlich, daß wie im Etanam)^hus ^) (K. 2606, 64 f) die Igigi als
Schicksalsgottheiten hingestellt sind, auch die „Sieben" in einem
Hymnus^) den Namen „Götter des Schicksals" tragen; zudem
macht der genannte M)^us zwischen den „Sieben" und den
Igigi in ihrer Tätigkeit als schädigenden Gottheiten anscheinend
keinen Unterschied. Der keilschriftliche Ausdruck für Igigi be-
steht aus einer Fünf mit folgender Zwei, woraus schon mehrfach
auf eine Siebenzahl von Igigi geschlossen worden ist Diesen
Schluß möchte ich gegen die Einwendung von P. Jensen,*) dafi
die Igigi in einem Syllabar als Gruppe von Achten erklärt sind,
aufrecht halten. Die Sieben- und Achtheit der Igigi läßt sich
dann gut vergleichen mit der Erscheinung, daß, wie die Be-
schwörungstexte ^) den Siebengöttem unter Umständen eine
i) KcUinschr. Bibl. VI, i, S. 582 f.
2) Reissner, Sumer-babyl. Hymnen, S. 92, Z. 23.
3) ZA I (1886), S. 7 ff.
4) rv Rawl. 21 a, Z. 46, 21b, Z. 25.
Die Siebengötter aofierhalb der biblischen Welt 41
„achte Person, ihre Schwester Narudi" beifügen, die Plejaden-
Sieben ja auch als Sieben- und Achtheit auftreten. Alles in allem
genommen kann man jedenfalls von einer weitgehenden Analogie
im Wesen der Igigi und der „Sieben" reden, und es erscheint
angebracht, die Behauptung der inneren Gleichheit beider
Göttergruppen zu wagen — wenn auch das letzte Wort darüber
nur von zuständiger assyrologischer Seite gesprochen werden
kann.
Der Begrifif der Siebengötter blieb nicht auf Babylonien und
Assyrien beschränkt; auch dort, wohin von altersher mit den
materiellen Werten Babylonier auch ihre geistigen zu wandern
pflegten, in Mesopotamien und in dem syrisch-kanaanitischen
Küstengebiete läßt er sich nachweisen.
Das geistige Haupt von Mesopotamien, dabei zugleich ein
treuer Spiegel babylonischer Geistesart war seit uralter Zeit die
Stadt Harrän (Karrhae). Ihre Religion wurzelte im Mondkulte;
das läßt vermuten, daß auch der ganze Kreis der Ideen, die sich
in Babylonien der Person des Mondgottes angesetzt hatten, hier
nachlebte, somit auch die der Siebengötter. Denkmäler harrani-
schen Altertums besitzen wir nur in sehr geringer Anzahl und
aus verhältnismäßig später Zeit; das Wichtigste darunter sind
die in einem keilschriftlichen Katasterbuche des 8. Jahrhunderts ^)
überlieferten harranischen Personennamen ; aus ihnen vermag man
sich einen guten Begriff von den in alter Zeit in Harrän verehrten
Gottheiten zu bilden. Nun haben allerdings die, welche bisher
diese Namen untersucht haben, darin nichts von den „Sieben"
entdeckt ; unseres Erachtens fehlen sie aber darin keineswegs.
Derjenige Gottesname, mit welchem die relativ meisten Eigen-
namen komponiert sind, wird Si-'e geschrieben. Man glaubt, hier
eine dem harranischen Dialekte eigene Verkürzung des Gottes-
namens Sin = „Mond" vor sich zu haben. Dem widerstreitet
vor allem der Name Man-ki-Si-'e „Wer ist wie Si'e", weil hier
zu Ende des Wortes der Verlust des den Namen Sin schließenden
n unbegreiflich wäre. Man wird aber in Si-*e kaum etwas
anderes zu erkennen haben als den Namen der Siebengottheit.
Babylonisches Sibe (neben Sibitti) mußte in aramäischem Munde
zu Siwe werden, weil schon dem Altaramäischen die Spirierung
i) An Assyrian Doomsday Book, hrsg. von C. K. W. Johns, 1901.
42 II. Kapitel.
der Explosivlaute hinter einem Vokale eigen war: vgl babyL
Nusku = harranisch Nuschuch, Naschuch (sprich Noschuch).^)
Zur Schreibui^ vom spirantischen w versagte die Keilschrift;
um es annähernd wiederzugeben, schrieb man Aleph statt Waw,
und so kam man zur Form Si'e (gesprochen Siwe). Demnach
geben nunmehr die altharranischen Namen Grund zur Annahme,
die babylonischen „Sieben" hätten in Harran ähnlich wie gleich-
zeitig in Assyrien die Ehren eines Gottes und zwar eines sehr
populären genossen.
Für die Folgezeit stockt die schriftliche Bezeugui^ des
harranischen Kults der Sieben, um dann aber in der letzten 2ieit,
da Harran seine alte religiöse Eigenart zur Schau trug, im
lO. Jahrhundert n. Chr. wieder reichlich einzusetzen. Die Religion
der harranischen Säbier, d. h. derer, die als Letzte das Vermächtnis
des alten Mondkultus verwalteten, weist eine große Zahl von
Veranstaltungen zu Ehren der Göttergruppe Sab8at älihat,
d. h. „Sieben Götter" auf. Nach den authentischen Mitteilungen,
die uns der Verfasser des Fihrist, en-Nedim, über den Verlauf
des Säbischen Festkalenders gibt, fand am 8. des I. Monats
(== April) ein Fest zu Ehren der Siebengötter statt; am 20.JI, er-
hielten sie ihren Anteil von Festopfern, ebenfalls am 28./I.; am
27./III. bildeten sie den Mittelpunkt von Mysterien; am 3./VI.
wurden zu Ehren von ihnen und Gott Schamäl Lämmer geschlachtet;
am 30./XII. legte man abends im Namen der Siebengötter
7 Datteln unter das Kopfkissen. Wie außer dem Namen auch
die Stellung dieser Siebengötter gegenüber den anderen Göttern
sowie Form und Inhalt ihrer Feste für ihre Identität mit den
babylonischen „Sieben" spricht, wird später ausfuhriich behandelt
werden.
Was Harran in religiöser Beziehung vertrat, kann in gewisser
Beziehung als für den ganzen aramäischen Westen geltend an-
genommen werden. So werden wir, wo uns ein mit Si oder
Si3 komponierter aramäischer Name entgegentritt, in ihm ^in
Denkmal des Plejadenkults von Aramäern erblicken dürfen. So
im Namen des kanaanitischen Königs (oder Feldhauptmanns)
l) Weitere Beispiele sind Ginchuchtai neben Ganguchtu (M. Streck,
Keilinschr. Beiträge zur Geographie Vorderasiens, S. 21, Anm. 2), Marschanai neben
Martenai (daselbst S. 29).
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 43
öno'»D (SisDrä für Siwsorä „Die Siebengottheit streitet"), der schon
für das 13. Jahrhundert v. Chr. den Kult der „Sieben" bezeugt;
in judäischem «rryo (Esdras 2, 44) und »y^o (Nehem. 7, 47) ; in
palmyrenischem «:iy"»o „Die Siebengottheit erhört" (Vog. No. 122,
Scheil 7). Sollte es da zu kühn sein, auch den Namen des
Amoriterkönigs Sihön (iin-^o = Tn*'''0) mit „Di« Plejadengottheit
erbarmt sich" zu übersetzen und damit ihn und seinen Träger der
altaramäischen Kultuszone zuzuweisen?
Die Verehrung der Siebengottheit erstreckte sich endlich
auch noch weit in die syrisch-kanaanitische Welt hinein. Das
älteste Zeugnis dafür liegt in dem Eigennamen Schabi-il (Tell-
Amarnabriefe, No. 126, 20) „Die Plejaden sind Gott" vor, dessen
Abkürzung Sa-bi-* von einem in ägyptischem Dienst stehendem
syrischen Söldner getragen wurde. ^) Gebal (Byblos) muß am
Kulte beteiligt gewesen sein, da sein von Tiglatpilesar HL über*
wundener König Sibittibi*il *) „Die Plejadengottheit ist Herr"
dafür mit seinem Namen zeugt Indem ich verschiedene Namen
der israelitisch-kanaanitischen Zone, die Hinweise auf die „Sieben"
enthalten, für das folgende Kapitel aufspare, gilt es noch einen
Blick zu werfen auf den in mehrfacher Beziehung interessanten
Eigennamen nio (2 Kg. 17, 4) = Sibe (Sargon Prunkinschr. Z. 25),
dessen Träger der Oberfeldherr des nordarabischen Königs Pir'u
von Musur war. Daß hier wieder der Name der „Sieben" vor-
Hegt, dürfte zweifellos sein; aber damit tragen wir keineswegs
den Begriff der „Sieben" in die echtarabische, bezw. südarabische
Welt hinein. Das i von «no weist auf aramäische Aussprache
des b von Sibe, also auf w hin *) : folglich war das nordarabische
Musur aramäisch beeinflußtes, oder richtiger gesagt, echt-
aramäisches Gebiet, wie es ebenfalls das benachbarte Midjan
gewesen sein muß gemäß den Eigennamen b«iy*i = arab. Radu-el
„Redu ist Gott", •twi'»« = arab. J3ta3*amar, ja wohl auch pTn
selbst, das in südarabischem Munde Midjän gelautet haben wird
(Inschr. Glaser 1155).
Südlich von Musur hören für uns die Belege für den Plejaden-
i) ZÄSp. XXXVIII, S. 15; dazu OLZ V, S. 125 ff.
2) Die von H. Winckler (Auszug aus der Vorderas. Gesch. S. 40) bevorzugte
Lesung Sipittibi'ii gibt keinen rechten Sinn.
3) S. das oben von harranischem Si'e Gesagte.
44 IL KapitcL
kult vollständig auf; auf südarabischen Inschriften fehlt seine
Bezeugung gänzlich. Der spätarabische Name sAbd Cjt-Turajjä
„Diener der Plejaden" ^) steht zu singulär und zusammenhanglos da,
um von ihm auf arabische Plejadenverehrung Schlüsse zu ziehen;
vielleicht ist es weniger ein theophorer, als ein poetischer Name,
ähnlich dem nicht seltenen arabischen Frauennamen et-Turajjä
„Plejadengestirn".
Nur durch literarische Hinweise geführt konnten wir somit
die Plejadenverehrung in dem ganzen Gebiete zwischen Baby-
lonien-Assyrien und der Mittelmeerküste nachweisen. Ehe wir
dasselbe Gebiet nochmals an der Hand der bildlichen Dar-
stellungen der Plejaden durchmessen, sei noch darauf hingewiesen,
in welcher Weise die Idee der Siebengötter als synkretistischer
Einschlag in die Mithrasreligion nahe daran war, sich Geltung
auch innerhalb der okzidentalischen Welt zu verschaffen. In
einer von A. Dieterich veröffentlichten, auf einen ägyptischen
Verfasser deutenden Mithrasliturgie heißt es (S. 13):
„Du aber blicke zu ihm (Helios) auf und ein langes Gebrüll
wie mit einem Hörne, deinen ganzen Atem drangehend, deine
Seite pressend, gib von dir und küsse die Amulette und sprich
zuerst zur Rechten: Schütze mich — prosymeri — 1 Wenn du
das gesagt hast, wirst du sehen, wie Tore sich öffnen und aus
der Tiefe sieben Jungfrauen in Byssusgewändem mit Schlangen-
gesichtern kommen. Sie werden genannt des Himmels
Schicksalswesen (rv^^i), haltend goldene Szepter. Wenn
du das siehst, dann begrüße sie also: Seid gegrüßt, ihr sieben
Schicksalswesen des Himmels, ihr ehrwürdigen und guten Jung-
frauen, ... ihr heiligsten Wächterinnen der vier Säulen l
Und es kommen hervor andere Sieben, Götter mit Gesichtern
schwarzer Stiere, mit Linnenschürzen und sieben goldenen Dia-
demen. Das sind die sogenannten Polherrscher (noXoxgdtogBg)
des Himmels, die du in ähnlicher Weise begrüßen mußt, jeden
mit seinem eigenen Namen : Seid gegrüßt, ihr Weltachsenwächter,
ihr heiligen und starken Jünglinge, die ihr umdreht auf ein
Kommando die drehbare Achse des Kreises des Himmels . • . ! "
Man wird Dieterich zustimmen müssen, wenn er in den
i) Wellhausen, Reste arab. Heidentums', S. 2, ohne näheren Hinweis auf sein
Vorkommen.
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt 45
sieben Polherrschern die sieben Sterne des kleinen Bären
erkennt. Weniger befriedigt seine Gleichsetzung der sieben
Schicksalswesen mit den Sternen des großen Bären; denn
diese treten erst in der letzten Szene des Mysteriums auf, wo
Mithras selbst erscheint ,,haltend in der rechten Hand eines
Rindes goldene Schulter, die da ist das Bärengestirn". Auch
bleibt dabei ganz unklar, warum die Sieben den Namen „Schick-
^Iswesen" tragen. Besser fahrt man, wenn man in ihnen das
personifizierte Siebengestim sieht. Als „Götter des Schicksals"
bezeichnete der oben (S. 40) erwähnte babylonische Hymnus die
Plejaden ; in der arabischen Astronomie des Mittelalters sind sie
die eigentlichen Wettermacher unter den Sternen, so daß man,
wie 8Abd-er-Rahnaan es-SOfi^) sagt, „aus ihrem Aufgange gute
Vorzeichen entnimmt, in der Meinung, daß der Regen, der bei
ihrem heliakischen Aufgange (? -nau -) fallt, gutes Wachstum
hervorbringe" — eine Anschauung, die schon 1000 Jahre früher
im Liber Jubilaeorum, cap. 12, 16 ihren Ausdruck gefunden hat
in den Worten: „(Es) saß Abraham bei Nacht, am Neumonde
des siebenten Monats, um die Sterne (d.h. das Siebengestirn)
zu beobachten vom Abend bis zum Morgen, um zu sehen, wie
es in dem Jahre mit dem Regen sein würde." Das Äußere der
Plejaden, wie sie die Liturgie beschreibt, setzt sich aus baby-
lonischen und griechischen Zügen zusammen. Babylonischen
Einfluß verraten ihre Schlangengesichter; bezeichnet doch der
Mythus der Sieben einen von ihnen geradezu als Schlange, wes-
halb die bildende Kunst, wie wir bald sehen werden, in der
Szene ihres Kampfes mit Marduk ihnen gerne Schlangengestalt
gibt. Dagegen entstammt der Zug, daß sie als Jungfrauen auf-
treten, anscheinend der griechischen Mythologie, die die vor
Orion fliehenden Plejaden als Töchter des Atlas bezeichnet.^
Die göttliche Natur der Plejaden findet in der Mithrasliturgie
nicht ihren deutlichen Ausdruck ; sie geht aber aus einem arme-
nischen Mithrastexte ^ hervor, wo von Mithras als dem mächtigen
Verbündeten der sieben Götter die Rede ist Von welchen
göttlichen Sieben könnte das zu verstehen sein, wenn man es
i) Description des ötoiles fixes, hrsg. von Schjellerup, S. 134.
2) Hesiod. Op. et Dies, y. 383, 6 19 f.
3) A. Cumont, Textes et MonumentS| Bd. II, 5.
46 IL Kapitel.
nicht auf die Plejaden bezieht, denen wir auch noch bei der
Besprechung der bildlichen Denkmäler des Mithraskultes be-
gegnen werden?
Das Bild der Plejadensieben , das wir bis hierhin an der
Hand literarischer Äußerungen verfolgt haben, läßt sich in ein
noch klareres Licht setzen durch Berücksichtigung dessen, was
die Kunst aus ihnen gemacht hat Dabei kommt vor allem
ihre Darstellung auf babylonischen Bildwerken, zumal Si^el-
Zylindern in Betracht; war es doch dem Genius des Babylonier-
tums eigen, alle Gestalten seiner Religion fiir seinen Kunsttrieb
auszunützen und in mannigfaltig wechselnden Formen greifbar
vor Augen zu führen. Um Gottheiten sowie überhaupt Über-
irdisches darzustellen, nahm die babylonische Kunst in ihrem
Kindheitsstadium zu Andeutungen unpersönlicher Art ihre Zu-
flucht. Ob Symbol, ob Abbild für sie das richtige Wort sei,
soll für ihre Gesamtheit hier nicht untersucht werden; jedenfalls
erinnert es mehr an letzteres, wenn als Darstellung der „Sieben**
eine Gruppe von sieben Kugeln in länglich-traubenförmiger
Anordnung aufkam: sah doch das Auge geradeso das Plejaden-
gestirn am Nachthimmel stehen. Die Götterdarstellungen der
primitiven Kunst gingen nicht unter, als die Künstler sich reif
fühlten, nunmehr die Götter unter den Formen von lebenden
Wesen darzustellen; wie hieroglyphische Beischriften pflegten
auch jene weiterhin gerne die neuen phantasiereicheren Bilder
zu begleiten. Jetzt begann das Schwelgen der Kunst im Kompo-
nieren von halbmenschlichen, halbtierischen Dämonen. Von vorn-
herein ist zu vermuten, daß auch die „Sieben" in ihrer Eigen-
schaft als schädigende Dämonen oft genug in dieser Weise dar-
gestellt worden seien; kam doch der alte Mythus mit seiner
Ausmalung ihres schreckhaften Äußeren diesem Hange entgegen.
Doch wie überhaupt die Dämonengestalten der babylonischen
Bildwerke bisher das dunkelste Gebiet der Glyptik ausmachen,
so wagt man bisher fast in keinem Falle mit Sicherheit zu sagen,
ob unter ihnen die sieben Dämonen des Mythus zu verstehen
seien. Und doch gibt es, wie uns scheint, gewisse sichere
Kriterien für ihre Bestimmung.
Eine größere Zahl babylonischer Bildwerke zeigt uns nichts
als das Bild von einem oder mehreren Dämonen. Es wäre zur
Zeit verwegen, sie bestimmt deuten zu wollen, es sei denn, daß.
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt 47
wie es auf einer Berliner Gemme (Taf. I, 3) der Fall ist , neben
dem Dämon das Siebenkugel-Abbild der Plejaden steht. Daß
wir in dieser Mischgestalt von Stier und Mensch, die mäch-
tige Flügel an der Schulter trägt, einen in Babylonien sehr
beliebten Typus der „Sieben" vor uns haben, lehrt der Passus
der Beschwörungsserie Utukki limnuti (IVRawl. 21 b, Z. 12), wo
von einem zur Beschwörung gebrauchten Bilde der „Sieben mit
gewaltigen Flügeln" geredet wird.
Außer in Einzeldarstellungen findet man die Dämonen häufig
in der Gesellschaft von Heroen oder Göttern abgebildet. Vor
allem bildet die Szene des Kampfes eines Gottes gegen einen
oder mehrere Dämonen den Gegenstand von verhältnismäßig
vielen kleineren und größeren Bildwerken. ^) Für sie hat man
bisher kaum eine andere Bezeichnung als „Kampf Marduks mit
Tihämat, bezw. Kingu", obwohl von einer Gleichheit oder auch
nur Ähnlichkeit dieser Darstellungen mit der auf Tafel IV des
sog. Schöpfungsepos geschilderten Szene des Kampfes zwischen
Marduk und Tihämat samt ihren Helfern meist gar nicht die
Rede sein kann. Das richtige Verständnis der Mehrzahl dieser
Bildwerke erschließt sich aber, wenn man sie unter den Titel
bringt: „Kampf zwischen Marduk und den Sieben"; schon die
folgende kurze Untersuchung kann genügend Beweismaterial für
diese Auffassung liefern.
Bei der kritischen Betrachtung alter Künstwerke hat sehr
oft das am meisten in die Augen Fallende, wie Haltung, Gewand
und Waffen, zurückzutreten vor dem szenischen Beiwerk. Der
Begriff „unnützes Beiwerk" existierte nicht für die Kunst, die
ihre Stoffe dem Gebiete des Religiösen entnahm; wohl aber
liebte sie es, ihre Darstellungen durch Zutaten zu bereichern,
die geeignet waren, den Beschauer in den Ideenkreis einzuführen,
wovon das deutlich Dargestellte meist nur ein kleiner Ausschnitt
war. Bei dem Sujet „Kampf zwischen Marduk und den Sieben"
brachte Gewohnheit wie auch der Mangel an zeichnerischer
Gewandtheit es mit sich, daß selten mehr als der Gott und
i) Vgl. bes. die an solchen Darstellungen reichhaltige Sammlung von L a j a r d ,
Introduction a Tetude du Culte et des Mystercs de Mithra, Paris, 1847, sowie
de Clercq und Menant, Collection de Clcrcq, Catalogue, Bd. I, Taf, XXIX
bis XXXIV (No. 301—383).
48 II. Kapitel.
einer oder anderer seiner Gegner figürlich dargestellt wurden;
um diese Personen aber nach ihrer Bedeutung für sich wie auch
für den ganzen Mythus der Sieben zu charakterisieren, fügte man
gewöhnlich noch mehrere archaistischer Kunstübung entsprungene
Embleme oder Symbole hinzu. Der Plejadenmythus zeigt ein
reiches Götterpersonal; maßgebend sind darunter besonders die
„Sieben", der Mondgott, Ischtar, Marduk und sein Vater Ea.
Mir scheint nun, daß es in der Absicht der Künstler, und
zwar vor allem der der altbabylonischen Periode gelegen
habe, möglichst viele dieser am Mythus Beteiligten wenigstens
andeutungsweise in ihre Darstellungen des Plejadenkampfes ein-
zufügen.
Bei einer Durchmusterung der Bilder, die sich oberflächlich
betrachtet nur als Kampf zwischen einem Gotte und Dämonen
geben, entdeckt man vielfach neben den Figuren der Streitenden
noch folgendes Beiwerk: i. eine Gruppe von sieben Kugeln,
meist hoch am Himmel stehend, 2. eine Mondsichel, seltener
einen Mondkreis , ebenfalls hoch am Himmel dargestellt, 3. einen
achtstrahligen Stern, unterhalb des Mondes oder wenigstens
tiefer als der Mond stehend, 4. einen Baum, der sich meist deut-
lich als Dattelpalme gibt, 5. eine Blume, anscheinend aus der
Gattung dei- Zwiebelpflanzen, 6. einen Fisch, in der Nähe des
unteren Bildrandes stehend, also wohl in der Tiefe zu denken,
7. eine Vulva (?), zuweilen mit eingezeichnetem Kreuz, ebenfalls sehr
tief stehend. Diese sieben Einzelheiten bedeuten nun gewisser-
maßen Leitmotive des Plejadenmythus, so daß, wo eine oder
mehrere von ihnen angewendet sind, an keinen anderen M)^us
als Vorwurf der Darstellung mehr zu denken ist. Die zwei deut-
lichsten von ihnen, zugleich die für den Sinn des Bildes aus-
schlaggebenden sind die Siebenkugelgruppe und die Mondsichel.
Jene besagt, daß was immer an Dämonen auf dem Bilde vor-
handen ist, die „Sieben", die Plejaden bedeutet; diese erinnert an
den Neumond, zu dessen Erlösung der Kampf geführt sei. Die
Mondsichel ist das weitaus häufigste der sieben Embleme, ge-
wissermaßen eine hieroglyphische Überschrift des Inhalts : „Kampf
für den Mond". Das dritte Emblem, der achtstrahlige Stern,
geht auf Ischtar; wenn er niedriger steht als die Mondsichel, so
drückt das aus, dass die Göttin ihren Anspruch, sich über den
bedrängten Mond hinaus als Gebieterin des Himmels zu erheben.
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 49
habe aufgehen müssen. In dem vierten Embleme, der Dattel-
pahne, möchte ich eine Hindeutung auf die heilige Palme (kisch-
kanü) von Eridu erblicken, von der es IV Rawl. 1 5* a gleich nach
einer Beschwörung der „Sieben" heißt: „In Eridu wächst eine dunkle
Palme, an reinem Orte ist sie entsprossen; ihr Aussehen ist glän-
zend wie Uknu-Stein, zum Ozean ist sie gerichtet" Mit der Dar-
stellung dieses Baumes könnte nun eine Symbolisierung der beiden
Götter Eridus, Ea und Marduk, bezweckt sein; doch ist mir
wahrscheinlicher, daß sie mit einer den Baum selbst betreffenden
Episode des Plejadenkampfes, die in dem uns verloren gegangenen
Stücke des Mythus vorhanden war, zusammenhänge.^) Von den
beiden genannten Göttern erhält sodann jeder für sich einen em-
blematischen Hinweis. Auf Marduk scheint mir die Blume zu
deuten, genauer genommen das Zauber- oder Lebenskraut (schammu
baläti), dessen Besitzer er ist. Vermutlich hat dann aber der Aus-
gang des Mythus eine deutliche Bezugnahme auf dieses Kraut
enthalten, sei es nun, daß Marduk hier ähnlich wie im Kampfe mit
Tihämat (Schöpfgsep.I V, 62) seinen Feinden zuerst ein Beschwörungs-
kraut vorgehalten habe, oder daß er mit dem Lebenskraute dem
schwach gewordenen Monde neue Lebenskraft einflößte. Für
beides ergeben sich aus später zu besprechenden Bildwerken
gewisse Anhaltspunkte. Mit Gott Ea, dem Herrn der Tiefe und
darum Fischleibigen , bringe ich das Emblem des nach der
Tiefe weisenden Fisches zusammen. Das siebente endlich, die
Vulva, wird mit der Unterwelt zusammenhängen, die zwar noch
nicht im Mythus, aber in sonstigen Beschreibungen der Sieben
diesen als Heimat zugewiesen wird; es bildet eine notwendige
Ergänzung des Siebenkugelemblems, weil dieses allein noch nicht
zu ihrer schädigenden Wirksamkeit Beziehung hat und deshalb
im assyrischen Kulte für die Plejaden als helfende Gottheiten an-
gewendet wird. Ist die Vulva genau genommen nur Hindeutung
auf Ereschkigal (Allat), die Göttin der Hölle, so soll die gelegent-
liche Einzeichnung eines Kreuzes, des Zeichens des Nergal,*) in
dieselbe die Abhängigkeit der sieben Dämonen speziell von dem
männlichen Beherrscher des Orkus darstellen.
i) Vgl. die in Kap. IV gegebenen Ausführungen über die Zeremonien des
babylonischen Neujahrsfestes.
2) Der Beweis hierfür dürfte besonders mit Hilfe der Zylinder der Samm-
lung de Clercq No. 253 — $8 erbracht werden können.
Grimme, Das israelitische Ffingstfest. 4
50 U. Kapitel.
Nur der Nachweis, daß auf der Darstellung eines Götterkampfes
eines oder mehrere der genannten sieben Embleme vorhanden
seien, kann dazu fuhren, sie mit Sicherheit auf Marduks Plejaden-
bezwingung zu beziehen. Erst wenn damit die Richtung festgelegt
ist, in welcher sich die Interpretation zu halten hat, kann auch
das Äußere der genauer dargestellten Personen mit Nutzen
studiert werden. So ist daraus manches für die Zeit und den
Ort der Herstellung des Bildwerkes zu lernen. Die älteren Dar-
stellungen lassen Marduk stets mit Bogen und Pfeilen in den
Kampf ziehen; man erhält beim Anschauen dieser Bilder oft
den Eindruck, als habe die Gestalt, in der sich das Sternbild
des Orion am Himmel zeigt, den Künstlern bei der Zeichnung
der Umrisse des Gottes vorgeschwebt. Einer wesentlich späteren
Kunstentwicklung gehört das Motiv an, daß Marduk mit dem
Sichelschwerte als Waffe dem Gegner entgegentritt; es mag da-
mit zusammenhängen, daß man nicht mehr den Marduk von
Eridu bezw. Orion als Dämonenbezwinger nahm, sondern den
gleichnamigen Stadtgott von Babel. Noch jünger scheinen die
Bilder zu sein, auf denen Marduk mit einem kurzen Dolch den
Dämonen zu Leibe geht. Die letzte Entwicklung führte dahin,
Marduk ohne jede Waffe gegen zwei links und rechts auf ihn
andringende Dämonen ringend ankämpfen zu lassen; sie ermög-
lichte eine genau symmetrische Anordnung der kämpfenden Per-
sonen und wird wohl besonders deshalb in der Periode des
sinkenden Kunstgeschmacks größeren Anklang gefunden haben.
Auch das Äußere der Sieben hat auf den Darstellungen ihres
Kampfes starke, für verschiedene Zeitperioden charakteristische
Veränderungen erfahren. Ohne hier näher in die Einzelheiten
einzutreten, sei nur bemerkt, daß die ältesten Bilder sie als ge-
flügelte Bestien nehmen, daß dann mehr und mehr Menschen-
ähnlichkeit bei ihnen zu Tage tritt, durch Anfügung eines mensch-
lich geformten Hauptes, durch Fortlassen der Flügel usw; endlich
schritt man zur Umwandlung des Tierleibes in den eines
Menschen, dessen Haltung zuweilen mehr auf einen Gott als einen
Dämon deutet. Diese Entwicklung schließt jedoch nicht aus, daß
auch auf späten Bildwerken an der Seite oder an Stelle von
Dämonen mit menschlichem Äußeren noch ganz tierisch geformte
Plejadendämonen zu finden sind.
Die beigegebene Tafel I vereinigt eine kleine Zahl von
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 51
besonders typischen Darstellungen des Kampfes zwisd^en Marduk
und den Sieben; zu ihrem besseren Verständiusse sei folgendes
bemerkt :
No. I (Lajard, Mithra, Taf. XXXVH, 4) : Die Mitte des Budes
zeigt Gott Marduk in schreitender Stellung; er schießt gerade
einen Pfeil einem mit den Vorderpranken nach ihm schlagenden
löwenartigen, mit Flügeln versehenen Untier (Dämon) in den
offenen Rachen. Ein anderes derselben Art liegt tot vor seinen
Füßen. Das Siebenkugelemblem hinter Marduk erklärt dem Be-
schauer die Dämonen als die sieben Plejaden. Rechts von dem-
selben und dem Gotte kniet ein Mann, der bittend seine Arme
erhebt; die über ihm stehende Mondsichel (mit ilügelartigen
Strahlen) bezeichnet ihn als den bedrängten Mond. Der die
linke Ecke ausfüllende Orant hat mit der Kampfszene nichts zu
tun; es wird der Besitzer des Siegelzylinders sein, der seinen
Gott Marduk anbetet.
No. 2 (Menant, Glyptique Orientale 11, Taf. VII, 6) : Marduk,
in ruhiger Haltung, ist im Begriff, einen Pfeil abzuschießen gegen
einen von rechts auf ihn losrennenden Dämon, der den Körper
eines Hirsches, einen gehörnten Raubvogelkopf und Flügel an
den Schultern hat Zwischen beiden Gestalten befindet sich
ein stilisierter Palmbaum: der heilige Baum von Eridu; unter
dem Dämon Eas Fischemblem. Am Himmel über beiden
Kämpfern steht die Mondsichel, d. i. der bedrängte Mondgott;
rechts davon etwas tiefer der Venusstem, d. i. die von ihrem
Herrschersitze herabgestiegene Ischtar, noch weiter rechts ein
runder Himmelskörper auf mondsichelformiger Basis, auf beiden
Seiten mit Strahlenbüscheln versehen — soU er vielleicht den
Sonnengott darstellen, der nach dem Mythus den Sieben Vor-
schub leistete?
No. 4 (Lajard, Mithra, Taf. XXV, i): Im Mittelpunkte die
Mondsichel, um welche ein Kreis gezogen ist ; in ihm der Ober-
körper eines Mannes, der die Rechte zur Bitte erhebt, in der
Linken eine Pflanze mit drei Knospen oder Früchten hält Eine
Krone bezeichnet ihn als Gott. Es ist der Mondgott, der Mar-
duks Hilfe anruft, zugleich auch wohl dessen Lebenskraut in der
Hand trägt. Links von ihm spannt Marduk den Bogen gegen
ein rechts vom Monde hochaufgerichtetes Untier mit Stierkörper,
Löwenhaupt, einem Stirnhorn und Flügeln, den Repräsentanten der
4*
52 II. Kapitel.
Sieben, auf welche vielleicht auch sieben auf dem Hörn auf-
liegende Kugeln deuten. Über dem Monde schwebt ein Stern,
von dem Strahlenbüschel nach rechts, links und unten ausgehen,
dazu zwei rankenförmige Ausläufer: vermutlich ein Emblem
Marduks, der dann seine Orionnatur hier aufgegeben hätte und
vielleicht als Jupiter gedacht ist. Dieses Emblem sowie die
Krone auf dem Haupte des Mondgottes verweisen die Dar-
stellung in späte, wahrscheinlich assyrische Zeit.
No. 5 (Collection de Clercq, No. 331 — nach unten zer-
brochen — ): Links Marduk, der einen Pfeil gegen ein löwen-
artiges Untier entsendet. Dieses scheint nach rechts vor ihm
zu fliehen, einem Manne entgegen, dessen Oberkörper von einem
Flammenringe umgeben ist; die Rechte, die einen undeutlichen
Gegenstand (Waffe?) trägt, hält er gerade ausgestreckt, mit der
Linken scheint er eine Kugel zu schleudern. Diese Angriffs-
stellung legt nahe, in ihm einen als Menschen dargestellten
Dämon zu erkennen, so daß das über ihm stehende Siebenkugel-
abbild auf ihn und den Löwendämon zugleich gehen würde.
Zwischen Marduk und seinen Gegnern steht hoch am Himmel
ein leerer Kreis: der seines Glanzes beraubte Mondgott. Nach
der menschlich gebildeten Dämonengestalt zu schließen kann
dieser Zylinder kein sehr hohes Alter beanspruchen.
No. 6 (Collection de Clercq, No. 307): Rechts Marduk, der
mit der rechten Hand eine Pranke eines vor ihm halb auf-
gerichteten Untiers mit geflügeltem Stierkörper, Pferdenacken und
Adlerkopf ergreift, während die Linke zum Stoße mit einem
kurzen Dolche ausholt. Am Himmel zu oberst die Mondsichel,
links davon etwas niedriger ein Stern mit acht Strahlen um
einen Mittelpunkt, d. i. Ischtar, rechts davon das Siebenkugel-
zeichen der Plejaden. Hinter dem Gotte eine stilisierte Palme,
das Emblem von Eridu; zwischen Marduk und dem Dämon
zeigen sich undeutliche Spuren von einem größeren Gegenstand
oder Lebewesen.
No. 7 (Lajard, Mithra, Taf. LI, 2): Links Marduk, auf dem
Haupte eine Krone; er faßt mit der linken Hand einem hoch-
aufgerichteten stierleibigen und menschenköpfigen Dämon, der
mit einer Krone geschmückt ist, in die Haare, vermutlich um
ihm den von seiner Rechten gehaltenen Dolch in den Hals
stoßen zu können. Ein anderer, ziegengestaltiger Dämon mit
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 58
langem gekrümmten Home wendet sich zur Flucht, wobei er noch
mit zurückgewandtem Kopfe nach den Blättern einer Palme — der
Palme von Eridu — zu schnappen scheint. Über der Kämpfergruppe
die Mondsichel; zwischen Marduk . und dem menschenköpfigen
Dämon die Vulva der Unterweltsgöttin als Zeichen der Herkunft
der Dämonen; unten in der rechten Ecke ein stilisiertes lilien-
artiges Gewächs, etwa Marduks Lebenskraut Nach den Zacken-
kronen und dem würdigen Ausdrucke in den Zügen des menschen-
köpfigen Dämons zu schließen, gehört der Zylinder später
(assyrischer?) Zeit an.
No. 8 (Lajard, Mithra, Taf. XLVII, 4): Ein dem vorher-
gehenden nahestehendes Bild, abweichend besonders darin, daß
Marduk den ziegengestaltigen Dämon mit dem Dolche zu treffen
sucht und dass der menschenköpfige durch einen schlangenleibigen
ersetzt ist An Beiwerk sind Mondsichel, Palme, Vulva vorhanden.
No. 9 (Collection de Clercq, Taf. XXXVD, No. 323W«): In
der Mitte Marduk, doppeltgeflügelt; rechts und links von ihm
je ein hochaufgerichteter, vierfiißiger und geflügelter Dämon mit
Vogelkopf, mit denen er ringt Am Himmel die Mondsichel;
tiefer unten der hier sechsstrahlige Ischtarstem; noch tiefer die
Vulva. In gleicher Höhe vor Marduk Eas Fischemblem. Der
Zylinder wird wie alle, die Marduk ringend zeigen, kaum sehr
alt sein.
Es scheint, daß die bab.-assyrische Kunst aus dem Mythus
der Sieben außer dem Motive des Kampfes noch andere zur
Darstellung gebracht habe. So schlägt wahrscheinlich No. 1 von
Tafel n (nach Photographie des Originals im Brit Museum) in
diesen Vorstellungskreis. Zwei symmetrisch gebildete Dämonen
mit Stierleib und menschlichem Oberkörper, dazu doppelt-
geflügelt (wie der Plejadendämon auf Zylinder No. 325 der
Sanmilung de Clercq) dringen, die Arme hochgehoben, auf
einen zwischen ihnen befindlichen Neumondkreis ein, in welchem
der Mondgott gefangen sitzt Er streckt seine Rechte aus, Hilfe
suchend; der über der Gruppe schwebende mit StrsJilenflügeln
ausgestattete Gott könnte Bei darstellen, wie er für seinen Sohn
Sin einen Retter sucht
Das Motiv des Plejadenkampfes , wie es in Babylon ange-
schlagen worden ist, scheint sich in Nachahmungen und Variationen
über ein weites Gebiet orientalischer Kunst verbreitet, ja
54 II. Kapitel.
sogar noch abseits davon nachgeklungen zu haben. So weist
nach einer fiichtbab)4onischen Zone die auf Tafel II unter No. 2
wiedecgeg^ebene Zylinderdarstellung (Lajard, Mithra, Taf. XXXm, 8).
Zwischen zwei symmetrisch gebildeten geflügelten und mit
Z^kenkrooen versehenen Wesen von menschenartigem Aussehen
steht eil» ebenso bekröntes, mit Doppelköcher ausgestatteter Gott
in SchriHstelkifig und ergreift ringend die Hände des rechts von
ihm stehefiden Wesens, während die Hände des links von ihm
stehenden ihm nach dem Rücken zu greifen scheinen. Daß auch
hier der Kampf Marduks mit den Plejaden wiedergegeben ist,
beweisen drei emblematische Zutaten: Mondsichel und Ischtar-
stem rechts luid links vom Haupte der Mittelperson, und die
lilienartige Bkime in der unteren rechten Ecke, die auf Marduks
Gottheit deuten wird; weiter eine rechts oben angebrachte Bei-
scbrift Sch-fe-r „Mottd(gott)" *) in Buchstaben, die, wie Fr. Hommel
(Aufs. t). Abhdl.» S. löofi".) zuerst gesehen, denen der lihjanischen
Inschriften besonders nahe stehen. Es ist mehr als wahrschein-
lich , da& die bildliche Darstellung derselben Zone wie die
L^ende angehört; denn die speziell babylonisch -ass)nische
Kunst weist keine Plejadendämonen auf, die an gottähnlicher
Würde denen unseres Zylinders gleichkämen. Es wird somit
das Bikl nach einer Gegend hinweisen, die die Plejaden als
Wesen reingöttlicher Natur verehrte. Ich suche sie entsprechend
der Beiscbrift in der Richtung nach Nordarabien. Dagegen wird
man för die G^;end nordwestlich vom Euphrat, vor allem Haurän
und Damasceite einen wesentlich anderen Typus des Plejaden-
kampfes anzusetzen haben, dessen Haupteigentümlichkeit die ist,
den kämpfenden Gott zu Pferde darzustellen. Diese Auffassung
weicht von der babylonisch-assyrischen, die nur einen zu Fuße
kämpfenden Marduk kennt, zu weit ab, um daraus unmittelbar
entwickelt m sein; der Übergang vom schreitenden zum reiten-
den Gotte dürfte aber durch einen Typus vermittelt worden
sein, der ihn nicht zu Pferde, sondern auf seinem heiligen Tiere,
dem JDrachen von Babel", sitzend zeigt Von ihm gibt uns
einen Beg^räT der auf Taf. 11 unter No. 3 (nach Lajard, Mithra«
Taf. XXIX, 5) abgebildete Siegelzylinder. Hier reitet der Gott
i) Sdi-ii-T;^ aus dem Katabanischen (z. B. Gl. 1906, i ; Hai. 504, 11) als
PersoneoBame Ibckannt, könnte event. auch hier einen solchen darstellen.
Die Siebengötter außerhalb der biblischen Welt. 55
auf einem pferdeleibigen Greif; die Linke führt eine Peitsche,
die Rechte hält einer Gruppe von drei seltsam gehörnten Tieren
eine dreistengelige Pflanze entgegen, offenbar ein Beschwö-
rungskraut, vor dem eines der Tiere erschreckt sich bäumt
Diese Szene wird uns dadurch zu der von Marduks Plejadenkampf,
daß am Himmel das Siebenkugelbild der Plejaden, die Sichel
des Mondgottes, Ischtars Stern und ein nach rechts, links und
unten Strahlen aussendender Himmelskörper, vermutlich das
Emblem des Sonnengottes, dargestellt sind. Der Raum zwischen
dem Gotte und einem Oranten enthält das für den babylonischen
Marduk typische Emblem der Lanze, ein gabelförmiges (vielleicht das
Blitzbündel Adads) und ein ständerartiges von undeutlicher Be-
ziehung. Besonderes Interesse verdient noch ein Detail: ein
kleines Tier, am ehesten als Hase, vielleicht auch als Hund zu
deuten, das neben Marduk einherläuft; seine Beziehung wird uns
weiter unten beschäftigen.
Von diesem auf seinem heiligen Tiere sitzenden Marduk zu
dem, der zu Pferde in den Kampf gegen die Plejadendämone
reitet, ist nur ein kleiner Schritt; er scheint in syrisch-kanaani-
tischer Zone jedenfalls mehrere Jahrhunderte vor Christi Geburt
gemacht zu sein, ja im Hinblick auf den aus dem 8. Jahrhundert
V. Chr. überlieferten altaramäischen Gottesnamen bNasn „Reiter-
gott" noch zur Zeit des assyrischen Großreiches. Der älteste
bildliche Beleg, den wir von ihm aus dem Vorderorient haben,
reicht allerdings höchstens in hellenistische Zeit zurück: es ist
die in Swedä im Haurän gefundene angebliche Gigantomachie
(Tat II, No. 4). Man sieht auf ihr einen Reiter, der seine Lanze
einem schlangenbeinigen , im übrigen menschlich geformten
Dämon in die Brust gestoßen hat Der Dämon hält anscheinend
Schleudersteine in den hochgehobenen Händen, um mit ihnen
den Angriff zu erwidern. Der Reiter ist nun sicher ein Himmels-
gott; dafür zeugt ein hinter ihm schwebender Stern. Er muß
weiter seinem Wesen nach mit Marduk gleich sein; denn im
Mittelpunkte des Kampfes zwischen dem Gott und dem Dämon
ist eine große Strahlenscheibe dargestellt, über welche ein Gott
halben Leibes hinausragt, die Hände wie ein Gefesselter unter
dem Gewände haltend. Ein Blick auf das Bild des bedrängten
Frühlingsneumondes, wie ihn Tafel I, 4 und Tafel II, i zeigen, ge-
nügt, um denselben auch in dem Mittelstücke der Swedäskulptur
56 U. Kapitel
ZU erkennen, und weiter die Hauptzüge des babylonischen Ple-
jadenmythus aus diesem Bildwerke herauszulesen. Ohne große
Kühnheit kann man dann auch ein unweit Damascus gefundenes
Relief 1) (Taf. 11, No. 5), das uns einen ähnlich gekleideten, keulen-
tragenden Reiter zeigt, auf Marduk, den Plejadenbezwinger, be-
ziehen; denn ob auch sein Gegner auf dem Bilde fehlt, seine
hochgehobene Rechte, die auf eine über ihm schwebende Mond-
sichel deutet, besagt, daß er seine Götterstärke für den Neu-
mondsgott eingesetzt habe. Ist dieser aramäische Reitergott nun
auch wesensgleich mit Marduk, so wurde er doch anscheinend
unter einem anderen Namen verehrt; Genneas nennt ihn die
Unterschrift eines an den Typus des genannten Bildwerkes sich an-
lehnenden Reliefs aus römischer Kaiserzeit.*) Ein weiterer Name
dieses Genneas war aber nach einer Inschrift von Der-el-Qalsa
im Libanon 8) Bai MagxoDd] es besteht die Möglichkeit, daß
dieser Name M a r k o d entstanden sei aus Mardok (Marduk) unter
absichtlicher Vertauschung seiner beiden letzten Konsonanten.*)
Die Spur des Reitergottes läßt sich bis in den letzten Aus-
läufer kanaanitischen Volkstums, bis nach Karthago verfolgen. Eine
aus der Nekropole von Duime bei Karthago stammende kleine
Tonscheibe altpunischen Ursprungs (s. Taf. II, No. 6) ^) bringt eine
bisher nur ungenügend erklärte Darstellung: einen mit Lanze,
Rundschild und Helm ausgerüsteten Reiter auf galoppierendem
Rosse, begleitet von einem laufenden Hunde. Auf das Wesen
dieses Reiters gestatten nun zwei beigefügte Embleme einen ge-
sicherten Schluß : eine Mondsichel mit daraufliegender Kugel,
das auf punischen Grabsteinen oft wiederkehrende Bild des
Mondgottes, und eine stilisierte lilien artige Pflanze, wie sie
uns auf babylonischen Darstellungen in Verbindung mit Marduks
Plejadenkampf begegnete. Damit stehen wir wieder ganz im
Ideenkreise des Plejadenkampfes, so daß der Reiter seinem Wesen
i) VeröfTentlicht von P. Ronzevalle (Dieu Cavalier sur un Bas-relief Syrien)
in Comptes Rendus de TAcademie des Inscr. et B.-Lettr., 1904, S. 8.
2) Bei L. Heuzey, Archeologie Orientale I (Comptes Rendus de l*Ac des
Inscr. et B.-Lettres, 1902, S. 190 fr.)
3) Vgl. Clermont-Gannean, Recueil de Archäologie Orientale I, S. 495.
4) Ich würde mit grösserer Gewissheit die Gleichung aufstellen, wenn Map-
^€0^ überliefert wäre.
5) Katalog des Musee Lavigerie, Bd. I, Taf. XX, 5.
Die Sicbengötter außerhalb der biblischen Welt. 57
nach kein anderer sein wird als ein Marduk. Diese Reliefscheibe
hat anscheinend noch zahlreiche Verwandte: die Menge der
karthagischen Münzen, die auf ihrer Rückseite das Bild eines
Pferdes zeigen, dem bald eine Mondsichel und ein zwischen zwei
Uräusschlangen schwebender Stern, bald eine Mondsichel und
ein Pahnbaum beigefugt sind (s. Taf. IE, No. 5). Mondsichel
und Palmbaum bringen uns dem Plejadenkampfe nahe ; dann wird
das Roß, oder vielleicht Roß und Stern zusammen wohl den
Gott bezeichnen, der sich im Plejadenkampfe auszeichnete. Auf
alten Stadtmünzen pflegten die über die Stadt gebietenden
Götter* abgebildet zu werden; Karthago aber stand als tyrische
Kolonie unter Mdqart: lebte somit in diesem Melqart die Seele
des babylonischen Marduk?
Es ist verlockend, nach Ausstrahlungen der Idee vom Kampfe
zwischen Marduk und den Plejaden über die semitische Zone
hinaus zu forschen; doch liegt dabei die Gefahr nahe, ins ufer-
lose Meer allgemeiner Ähnlichkeiten zu geraten. Die griechische
Mythologie hat ihre Giganten, Harpyien und Chimären, die sich
vielfach mit den Plejadendämonen berühren; dazu Götter und
Heroen, die ihre Stärke gerade im Dämonenkampfe beweisen.
Sie hat ihren Orion, der außer manchem anderen mit dem baby-
lonischen Marduk den bemerkenswerten Zug teilt, auf die Ple-
jaden Jagd zu machen, begleitet von Hund und Hase, gleich dem
vordersemitischen Reitergotte. Aber noch fehlt das rechte Binde-
glied für alle diese Einzelzüge, der Nachweis, daß die Bedrängnis
des Mondes die Ursache von Orions Jagd und den Giganto-
machien zu gelten habe. Oder sollte vielleicht vom Vorhanden-
sein auch dieser Idee auf okzidentalischem Boden ein etruskischer
Spiegel (Taf. II, No. 7) eine Kunde geben? Dieser, der aller
Wahrscheinlichkeit nach uns den Orion zeigt, begleitet von Hund
und Hasen, lässt über ihm eine Gruppe von sieben größeren
Sternen und einem kleineren und innerhalb dieser eine Mond-
sichel erkennen. Aus klassischen Quellen ist nun für diese
Zusammenstellung keine Deutung zu holen ; läßt man aber den Orient
als Interpreten zu, so bleibt weder die Achtzahl der Sterne
(s. S. 40 f.) noch der Mond in ihrer Mitte unerklärt. Es wäre ver-
geblich, zur Zeit den Weg bestimmen zu wollen, der die orienta-
lische Plejadenidee in die etruskische Kunst übergeführt hätte.
In einem anderen Falle macht es aber weniger Mühe, den Weg
58 n. Kapitel.
ZU erkennen, als die Idee scharf zu umgrenzen, nämlich bei ge-
wissen Münzen heUenistischer Zeit, die auf die kiiikisch-kyprische
Zone hinweisen, ob auch ihr Prägeort bisher noch dunkel ge-
blieben ist.i) Ihr Avers zeigt eine geflügelte weibliche Gestalt
in knieender Stellung, die in den Händen Kranz und Schlangen-
stab hält; der Revers einen spitz zulaufenden heiligen Stein,
oben meistens mit zwei halbrunden Henkeln versehen, rechts
und links davon je eine Traube, deren Gestalt zuweilen mit der
einer Taube auf eigentümliche Weise vermischt ist (Taf. IE, No. 12).
Daß dieses Doppelgebilde aus der doppelten Bezeichnung „Traube"
und „Tauben", die das Griechische für Plejaden hat, entstanden
ist, ist zweifellos.*) Dann werden aber wohl die Plejaden im
Kulte der Gegend, der die Münzen entstammen, eine Rolle ge-
spielt haben und zwar in Verbindung mit dem Gotte, der in
dem heiligen Steine verehrt wurde. Wer aber ist dieser Gott?
Beachtet man, wie ein Münztypus (Taf. III, No. 13) mitten auf
dem Steine eine Pflanze mit drei Fruchtknollen bietet, also eine
derjenigen ganz ähnliche, die auf orientalischen Darstellungen
des Plejadenkampfes bald in der Hand des Mondgottes (s. Taf. I,
No. 4), bald in der Marduks (s. Taf. II, No. 3) erscheint, so könnte
recht wohl einer dieser beiden Götter gemeint sein, am ehesten
noch Marduk, als dessen Symbol auf babylonischen Denkmälern
sich öfters ein keilförmiger Stein (oder eine Lanzenspitze) findet
Leider weiß man auch von der geflügelten Gestalt nichts Sicheres
auszusagen ; doch könnte sie, nach dem Attribute des Schlangen-
stabes zu schließen, recht wohl Selene, der weibliche Mond, sein.
Dann wären die Elemente, die für den orientalischen Plejadenmythus
Bedeutung haben, Mond, Plejaden, Marduk, alle vertreten. Kili-
kien wie auch Kypros bedeuten alte Dependenzen babylonischer,
durch Syrien vermittelter Kultur; so kann es gar nicht über-
raschen, gerade hier Anklänge an den Mythus zu finden.^)
i) Imhoof-Blumer, Kleinasiaüsche Münzen, 1902, S. 435 f.
2) lean N. Svoronos, Sur la signification des types monetaires des
anciens (Bulletin de Correspondance Hell^nique, XVIII [1894], S. loi — 128).
3) Auch andere killkische Münzen, wie die „Satrapenmünzen" unbestimmten
Prägeortes (Imhoof-Blumer, Kleinas. Münzen, S. 518), die auf dem Avers einen
knieenden Bogenschützen, auf dem Revers einen mit der Lanze kämpfenden
Reiter, hinter ihm am Himmel bald eine Mondsichel (Taf. III, No. 14), bald
Die Siebcngöiter außerhalb der biblischen Welt. 59
Man wird gut tun, die Anregung, die die griechisch«»
römische Welt vor allem in ihrer Kunst vom Plejadenmythus
empfangen hat, nicht zu hoch zu veranschlagen. Erst als um die
Wende einer neuen Zeit der Orient neue Religionen aus sich
erzeugte und dem Okzidente zuführte, da kamen auch die „sieben
Götter*' im Gefolge des bunten Ideengewimmels, das sich in der
Mithrasreligion ein SteUdichein gab , zum fernen Westen. Nicht
als geistiges Element, sondern als Dekorationsstück — deshalb
sind sie auch mehr mit den Bildwerken des Mithraskults als mit
dessen religiösen Texten verbunden. Die Hauptdarstellung der
Mithrasreligion, Mithras auf dem Welt-Stiere knieend, hängt im
Detail vielfach von dem Typus der spätorientalischen Dar-
stellungen des Plejadenkampfes ab. Auf dem flatternden Mantel
des Gottes (Taf. 11, No. 8 nach Lajard, Mithra) oder über ihm
am Himmel hat das alte Siebenkugelbild der Plejaden seinen
Platz bekommen, in ihrer Mitte findet sich nicht selten die Mond-
sichel. Das Dolchmesser, welches Mithras Hand hält, ist das
gleiche, welches Marduk gegen die Plejaden schwingt. Und
sollte es Zufall sein, daß auch der Hund, der Begleiter des
reitenden Marduk, nicht fehlt, daß der Skorpion, Marduk-Orions
gefahrlichster Gegner nach griechischer Tradition, am Boden
kriecht?
Während der Mithrasdienst sich vom Plejadenkulte das an-
eignete, was ihm poetisch oder dekorativ verwendbar schien,
tritt uns auf Münzen der Stadt Harran noch einmal der Plejaden-
mythus in seinem ganzen Umfange entgegen — allerdings nur
emblematisch ausgedrückt Die zahlreichen Münzen, welche
diese Stadt in römischer Kaiserzeit geprägt hat, zeigen sämtlich
auf ihrer Kehrseite eine Mondsichel. In seltenen Fällen trägt
der in halber Figur dargestellte Mondgott sie an den Schultern
und auf dem Kopfe (Taf III, No. 2) oder tritt sie als Bekrönung
eines mit sieben Staffeln durchsetzten ovalen Unterbaues auf
(Tat in, No. i). Zumeist aber nimmt sie, in besonders großem
Maßstabe dargestellt, die Mitte des Revers ein, hat dann aber
stets noch ein oder mehrere andere Embleme bei sich. Ihr
einen Kopf zeigen, weiter solche von Soloi-PompeiopoHs (Imhoof-Blumer, KL M.,
S. 487) mit Bogenschtttz und Traube würden wohl eine Deutung aus dem
Ideenkreise des Plejadenmythus gestatten.
60 11. Kapitel.
häufigster Begleiter ist ein über ihr schwebender Stern. Zuweilen
besteht dieser aus acht Strahlen (Taf. III, No. ii), nicht selten
aus sechs 9 die von einem mittleren Funkte ausgehend in eben-
solche Funkte auslaufen (Taf. III, No. 8); einmal ist der Stern
siebenstrahlig dargestellt (Taf. III, No. 9). Das Auffalligste aber
ist, daß öfters der Stern aus einer Gruppe von sieben Punkten
oder Kügelchen besteht (Taf. HI, No. 5, 6, 10), und diese einmal
(Taf. ni, No. 4) von einer zweiten kleineren Sichel eng zusammen-
gehalten werden. Ein zweites, selteneres Emblem ist das einer
Blume (Taf. III, No. 6), oder eines kleinen Zweiges (Taf. HI,
No. 5), die über dem Siebenkugelsterne stehen; an ihrer
Stelle kommt auch wohl ein zweiter Stern vor (Taf. HI, No. 3).
Das dritte, wieder häufiger auftretende Emblem ist eine
kleine Kugel, von der nach rechts und links je ein band- oder
schlangenartiger Streifen ausgeht; es hat seinen ständigen Flatz
unter der Mondsichel. Ich halte dafür, daß jedes dieser Embleme
auf einen in Harrän verehrten Gott hinweise. Die Mondsichel
deutet auf den Mondgott ; wie jene auf dem Münzbilde dominiert,
so beherrscht dieser seine göttliche Umgebung. Es läge nahe, in dem
Sterne eine Ischtar (bezw. die damit identische Belthis von Harrän)
zu suchen; dagegen aber sprechen seine Zusammensetzung aus
sieben Kugeln und die sie umgebende kleine Sichel, die sonst
nirgendwo bei einem Ischtarsterne zu beobachten sind. Ich ziehe
deshalb vor, ihn den „sieben Göttern'' zuzuweisen, auf deren hohe
Bedeutung für den Kult Harräns oben hingewiesen ist Blume
oder Zweig, die über dem Flejadenabbilde stehen, werden wir
analog der Blume, die sich auf den Darstellungen von Flejaden-
kämpfen finden, keinem anderen als Marduk zuteilen. Derselbe
könnte wohl auch mit dem zweiten Sterne gemeint sein, der über
dem Plejadensterne schwebt, obgleich hier auch an Ischtar zu
denken wäre. Die strahlenaussendende Kugel unterhalb der
Mondsichel bringt man am ehesten mit dem Sonnengotte zu-
sammen, der, wie z. B. aus Nabunaids Abu-Habba-Inschrift
(CoL II, Z. 40) hervorgeht, in Harrän verehrt wurde, aber, da
er als Kind des Mondes galt, hinter dem Mondgotte zurück-
treten mußte. Alle die Götter, die uns auf den harrani-
schen Münzen zur Darstellung gebracht zu sein scheinen, d. h. der
Mondgott, die „Sieben", Marduk, der Sonnengott, vielleicht auch
Ischtar-Belthis, stehen nun in einem inneren Zusammenhang mit-
Die Plejadcnsieben in der Bibel. 61
einander; denn sie stellen das Hauptpersonal desFlejadenmythusdat
und bildeten als solches, wie wir bald sehen werden^ auch in dem
Kulte, den ihnen Harrän widmete, eine gewisse Einheit In
Harräns Münzbildem findet die lange Kette von Darstellungen,
in denen der Orient die Idee der PIejaden und ihren Mythus
niedei^elegt hat, ihren eigentlichen Abschluß.
III.
Die Plejadensieben in der Bibel.
Von Südbabylonien nach Nordbabylonien und Assyrien,
dann immer weiter westwärts nach Mesopotamien, Syrien, Phö-
nizien und dessen Kolonien, vielleicht auch nach Nordarabien
und Killkien wanderte im Laufe langer Jahrtausende die Idee von
der Dämonen- oder Göttematur der PIejaden und mit ihr die
Kunde von Marduk, ihrem Überwinder. Die ganze Zone, die
Babyloniens geistiger Suprematie unterstand, hat uns Zeugnisse
dafür geliefert, daß sie in diesen Begriffen eins war mit ihrem
Mittelpunkte, ob auch lokale Einflüsse zu mannigfacher Um-
gestaltung des Details führten. Erst an den Grenzen von Ägypten
und Südarabien, zweier für sich zu nehmenden Kulturwelten, läßt
sich das Erlöschen der Plejadenidee konstatieren. Nun drängt
sich die Frage auf: Hat Israel, das seiner geographischen Lage
nach mit gleichem Rechte für die babylonische wie für die ägyp-
tische oder südarabische Kulturzone reklamiert werden könnte,
auch mit der Plejadenidee Berührung bekommen? War diese
Berührung eine rein äußerliche oder hat sie Folgen für die Denk-
weise oder gar für die religiösen Begriffe Israels nach sich ge-
zogen ?
Die Bibel, flüchtig oder ohne Kenntnis der babylonischen
Mythologie angeschaut, hat bisher noch nichts von der Idee eines
persönlich gedachten Siebengestirns eröffnet. Man hat in ihr das
Plejadengestirn konstatiert an drei Stellen, wo in Verbindung mit
anderen Sternnamen der Ausdruck rrn'^D vorkommt, nämlich
T •
Amos 5, 8 : „Er (Jahwe) ist es, der die PIejaden (srn'^D) und den
62 m. Kapitel.
Orion (b'^os) gemacht hat'*, Hiob 9, 9 : „Er (Gott) ist es, der ge-
macht hat den Bären (tf "»y), den Orion (b'^OD). die Plejaden (rnrD)
und die Tiefen (?) des Südhimmeb {yj^n '»*mn)", endlich Hiob 38, si :
„Wirst du etwa das Gebinde der Plejaden (ms^^s) knüpfen oder
die Ketten (?) des Orion (b'^OD) lösen?*' Mit dieser Beziehung
von n^'*3 auf die Plejaden scheint es seine Richtigkeit zu haben,
auch kann man zugeben, daß dort, wo dieser Name vorkommt,
seine Träger als reinnatürliche Himmelsphänomene auftreten. Das
berechtigt aber nicht zur Annahme, die Bibel wisse nichts von
der Idee einer Plejadengottheit oder zeuge gar dagegen. Ein
Begriff kann, je nachdem man ihn natürlich oder mythologisch
auffaßt, recht wohl verschiedene Namen tragen, zumal in einer
Zone, die wie die israelitische, kultureller Beeinflussung von
mehreren Seiten offen stand. Sehen wir daher zunächst zu, ob
sich von den Namen, die bei Israels Nachbaren für die Plejaden
in der Eigenschaft von beseelten, überirdischen Wesen in Gebrauch
waren, Spuren in der Bibel nachweisen lassen.
Wenn wir oben den nordphönizischen Personennamen Schabi-il
als ,J)ie Plejaden sind Gott'' erklärt haben, so kann biblisches
5^a«''bN — nach Ex. 6, as der Name von Aarons Weibe — für
uns kaum etwas anderes bedeuten als „Die Plejaden sind mein
Gott''. Dann hat auch Ehaußar, wie die Septuaginta den Namen
transskribiert und wie er dann bis zur Zeit Christi (Lua i, 7)
unter den Juden gebräuchlich blieb, von Haus aus den gleichen Sinn.
Die Verschiedenheit der Endung erklärt sich am besten durch
die Annahme, wie im Babylonischen neben dem Maskulin Sibi
auch das Feminin Sibitti als Plejadenname gebraucht wurde, sei
auch im Hebräischen solcher Wechsel bekannt gewesen. Noch ein
zweiter Frauenname enthält die Nennung der Plejaden, yntt^'na
(n Sam. II, 8 usw.); man könnte ihn wie den ersten als theophor
nehmen, im Hinblick auf biblisches ^nrrja, südarabisches Ben-
Wadd usw.; doch da die Frauen der davidischen Umgebung
vielfach reine Schmucknamen tragen (vgl. bü^'a» „Mein Vater ist
der Tau*', b"'5"»aN „Mein Vater ist die Freude*'), so könnte „Tochter
der Plejaden'* auch bedeuten „Schön wie die Plejaden", was in
kürzerer Weise wohl der nordarabische Frauenname et-Turajja
„Plejaden" besagt (s. S. 44). Von der Idee der Plejadengötter
ist aber nicht zu trennen der Name S^a^iti^ „Jahwe ist die
Siebengottheit". Dieser scheint einen Protest der Jahwereligion
Die Plejadensieben in der Bibel. 63
gegen die Verehrung der ,,Sieben" auszudrücken; jedenfalls lehrt er,
daß die 2k>nen beider sich in Israel eng berührten, unter Umständen auch
schnitten. Als Kurzform von yaiöitr^ oder auch ymorib« wird yaa5
zu gelten haben (vgl. syr. Sabi', nordarab. Sib'e); der Gebrauch
dieses Namens, dessen Inhalt seinen Trägem undurchsichtig ge-
worden sein dürfte, beschränkte sich nicht auf die davidische
Zeit (11 Sam. 20, 1 ff., I Chr. 5,13); denn auch 2u — wie nach
Joseph. Antiqu. XVII, 13, 1 der Vater des jüdischen Hohenpriester
Josue hieß — wird nichts anderes sein als Scheba in aramäisch-
griechischer Aussprache.
Diese Personennamen verbürgen, mit Ausnahme von „Mein
Gott sind die Plejaden'S noch nicht das Bestehen eines Plejadenkults
auf Israels Boden; aber durch einen Ortsnamen des südlichsten
Judäas wird uns der Beweis fiir einen solchen in hinreichender
Deutlichkeit gegeben, nämlich :?5TD"-iNa (Beerseba). In ihm hat
schon H. Winckler (Altorient. Forschungen III, S. 266) die Be-
deutung „Brunnen der Plejaden" gefunden, und führte nicht die
Analogie so mancher anderen Namen zu dieser Erklärung, so
könnte schon aus dem, was die Bibel selber über Beerseba sagt,
eine solche gewonnen werden. Gen. 21, 27 ff. bringt ihn mit einer
Siebenzahl zusammen, wenn sie erzählt : „(27) Da nahm Abraham
Schafe und Rinder und gab sie dem Abimelech, und sie schlössen
einen Vertrag mit einander. (28) Abraham aber stellte die sieben
weiblichen Lämmer besonders. (29) Da sprach Abimelech zu
Abraham: Was sollen diese sieben Lämmer, die du besonders
gestellt hast? (30) Abraham antwortete: Die sieben Lämmer
nimmst du von meiner Hand, auf daß sie mir zum Zeugnisse
seien, daß ich diesen Brunnen gegraben habe.'' Hier wird also
der Name auf eine Siebenzahl von Lämmern zurückgeführt
Kennen wir eine solche auch nicht als Symbol der Plejaden, so
treffen wir sie doch bald als die ihnen zukommende Opfergabe
in Harrän; das läßt vermuten, der Erzähler von Gen. 21, 27 ff.
habe die sieben Lämmer von Beerseba nicht ohne einen Seiten-
blick auf die Opfergebräuche von Beerseba seiner Darstellung
eingeflochten. Die in Beerseba dargebrachten Opfer galten nun
sicher nicht Jahwe, sondern einer von diesem verschiedenen Gott-
heit; das bezeugt für die Königszeit Amos 8, 14. Ihm ist der
Kult (•^'in)» oder wie H. Winckler überaus wahrscheinlich konji-
ziert, der Dämon (nin) von Beerseba ebensosehr ein Greuel, wie
64 m. Kapitel.
der von Dan; sie trifft sein Spruch: „Die da sprechen: ,So wahr
dein Gott lebt, Dan,* und ,So wahr dein Dämon lebt, Beerseba,'
— fallen sollen sie und nicht wieder aufstehen!" Auf den
gleichen Götzendienst, mit dem dann noch der Kult von Bethel
und Gilgal verbunden wird, geht die Strafrede 5, iff. : ,,So spricht
Jahwe zum Hause Israel: ,Trachtet nach mir, so werdet ihr
leben. (5) Nicht trachtet nach Bethel, nicht geht nach Gilgal hinein
noch ziehet nach Beerseba hinüber! Denn Gilgal wird gallig
vergolten werden^) und das Haus des El wird zum Haus der
Höll*.*) (6) Suchet Jahwe; dann werdet ihr leben: auf daß anders
er nicht ein Feuer gegen das Haus Joseph loslasse , das frißt,
ohne daß Bethel löschen kann.*' Man vermißt in V. 5 ein näheres
Eingehen auf die dritte der Götzenstätten, Beerseba; aber der
Spruch gegen sie oder ein Teil desselben dürfte in V. 8 zu
finden sein, der so, wie er jetzt dasteht, wie ein aus seinem Zu-
sammenhang gerissenes Fragment aussieht. Es heißt dort: „Er
(Jahwe) ist es, der die Plejaden [h^d'^'d) geschaffen hat
und den Orion und Finsternis in Morgenlicht umwandelt; der den
Tag zu dunkler Nacht werden läßt, der die Wasser des Meeres
ruft und sie auf die Erde niederschüttet: Jahwe ist sein Name."
Eine Berufung darauf, Jahwe habe die Plejaden geschaffen, in
der Nähe eines Spruches gegen Beerseba bzw. „Plejadenbrunnen"
muß mit diesem in einem gewissen Zusammenhange stehen. Ich
vermute daher, Amos habe ausdrücken wollen : Welchen Anspruch
auf Kultus kann ein Wesen erheben, das erst durch Jahwes
Schöpferkraft ins Dasein getreten ist!
Amos hat seine Abneigung gegen den Plejadenkult vielleicht
noch an einer weiteren Stelle zum Ausdruck gebracht. Zu
Schlüsse des gerade erwähnten Kapitels sagt er, indem der die
Reinheit des israelitischen Kultes zur Zeit der Wüstenwanderung
der religiösen Verderbtheit seiner 2^it gegenüberstellt: (v. 25)
„Sind es [d. h. eure gegenwärtigen Opfer] Schlacht- und
i) Eigentlich: „Wird ins Exil ziehen", was im Hebräischen ein Wortspiel
zu Gilgal ausmacht.
2) Wenn pN „Verderben" ein Wortspiel mit bNTT^n bildet, so wird wohl
im Urtext p^T'^a, d. i. Haus des (Gottes) A n u gestanden haben ; vgl. dazu Amos i, 5
•jiKT^^pa, d. i. Niederung des Anu, d. i. Gegend von Heliopolis (Baalbek).
Die Plejadensieben in der BibeL 65
Speisopfer/) wie ihr sie. mir dargebracht habt in der Steppe
während 40 Jahren, Volk Israel? (26) Habt ihr [damals] (in
Prozession) getragen^) das Zelt eures Moloch^ das Throngestell
eurer Selem, den Stern eures Gottes, die ihr euch gemacht habt?" *)
Der Ausdruck „den Stern eures Gottes" (oder vielleicht zu über-
setzen „den Stern — 3:313 — ^ euem Gott"?) könnte auf die Ple-
jaden gemünzt sein; denn außer rr»*^3 und y^xo war auch 3313
„Stern", genauer O'^Mis „Gestirn", sicher eine in Israel geläufige
Bezeichnung für das Plejadengestim , ebenso wie in Babyloniens
Astronomie „Stern" (mul) ohne weiteres auch für die Plejadei>
gebraucht werden konnte und noch für die mittelalterlichen
Araber der Ausdruck en-Nagmu „der Stern" synonym ist mit
et-Tura]jä „Plqaden". Den ältesten und wichtigsten Beleg für
biblisches 0*^3313 in der Bedeutung von „Plejaden" finde ich im
Deboraliede, wo es heifit (Ri. 5, 20 f.):
inö*«? bn3 {«lO'^o uy iTsnbs nmbo'n?3 n'^33i3n itinba ü'^iyo-p
. . • Dc-ia
Die hier erwähnten, vom Himmel her gegen Sisera an-
kämpfenden Sterne sind bisher recht rätselhafte Größen; ihre
Deutung läßt sich aber gewinnen mit Hilfe der Begriffe des Satz-
zusammenhanges. Der Dichter läßt die Sterne von ihren mbow
(m^silloth) aus kämpfen: in diesem Worte muß etwas wie ihr
Standort gesucht werden. Da nbbo (soblä) „Wall, Hochweg" und
das Verb bo „umwallen" bedeutet, so liegt nahe mbOTD mit
„Wall" zu übersetzen. Nun haben wir das entsprechende babyl.
sulü oben (S. 36) als die Gegend des Himmels kennen gelernt,
auf dem die „Sieben" Ver\virrung anrichteten; andererseits war
auch vom schupuk schäme „dem Damme des Himmels" gesagt
worden (S. 28), daß auf ihm die „Sieben" erzeugt wären und sich
herumtummelten, so daß man sulü unbedenklich für synonym mit
schupuk schäme nehmen darf. Letzteres ist aber die Ekliptik;
dann haben auch die nach dem Deboraliede am m^sillöth
1) Ich halte eine solche Übersetzung für wenigstens ebenso berechtigt, wie
die flbliche: „Habt ihr mir Schlacht- und Speisopfer dargebracht in der Steppe usw.?'<
2) Das Verbum wird gewöhnlich fiiturisch Übersetzt; doch sollte man auch
mit der Möglichkeit rechnen, daß es auf die Vergangenheit geht
3) Die Übersetzung richtet sich nach dem masor. Texte; zum Plural von
$elem kann auf die zwei Selem der großen Taima-Inschr. hingewiesen werden.
Grimme, Das israelitische Pflngstfest. 5
66 m. Kapitel.
wohnenden Sterne als ein Eldiptikalgestirn zu gelten und nicht
als Planeten, wie man üblicherweise annimmt Von allen Eklipti-
kalgestimen kann nur eines in Betracht kommen , wenn es sich
um Kämpfen handelt: das der Plejaden, der „starken Götter" der
babylonischen Mythologie, der Träger von Bogen und Köcher
nach assyrischer Anschauung, deren Kämpfen und Toben Sturm
und Gewitter erregt. Diesem entspricht nun ein weiterer Zug
im Bilde der kök^abim des Deboraliedes. Indem sie von der
Ekliptik aus am Kampfe gegen Sisera teilnehmen, schwillt der
Fluß Kischon zu einem Regenstrome an. Das Kämpfen der
Sterne muß sich in Regen und Gewitter geäußert haben: so
erscheinen die Kämpfer als die Regen- und Gewittersteme, die
persönlich gedachten Plejaden. Daraus ergibt sich als ziemlich
sichere Folgerung: die Schlacht bei Taanakh fand im Monate
des Frühaufgangs der Plejaden statt • d. h. im ersten Monat nach dem
Frühlingsäquinoktium, da im 13. Jahrhundert v. Chr. die Plejaden
während desselben aufgingen. Weniger klar ist, wie sich der
Dichter ihre Stellung im Olymp vorgestellt hat. Es wäre möglich,
daß er sie Gott Jahwe als himmlische Heerschar zur Seite stellte
in der Weise, wie dem Assyrer die Plejaden eine Art Garde
Assurs waren. Oder aber es liegt in ihrer Erwähnung ein fein-
gezielter Hieb gegen den kanaanitischen Plejadenkult Der von
den „Sternen** Bekämpfte heißt Sissrä, d. i. „Die Sieben kämpfen";
auf Jahwes Befehl • — so könnte der Dichter es sich vorgestellt
haben — mußten selbst die Plejaden gegen ihren eigenen Ver-
ehrer zu Felde ziehen.
Eine andere Stelle, in der vielleicht die Plejaden unter dem
Ausdrucke „Sterne" vorkommen, ist Isaias 14,13. Der Prophet
gibt dem Spotte über den Fall des Tyrannen (Sargon?) eine
mythologische Einkleidung : Er, der Venusstern, Sohn der Dämme-
rung, hatte gedacht: „Zum Himmel will ich heraufsteigen, über
die bN-^Mils (Sterne des El) will ich meinen Thron erhöhen, auf
dem Berge der Versammlung (der Götter) will ich sitzen im
äußersten Norden''. Das sieht ganz aus, als ob Isaias den Passus
des Plejadenmythus vor Augen gehabt hätte, wo es von Ischtar-
Venus heißt: „Ischtar hatte einen strahlenden Sitz bei Anu, dem
Könige, eingenommen und strebte nach der Herrschaft des Himmels"
(s. S« 29), und weiter den für uns nur noch aus den bildlichen
Darstellungen des .Plejadenkampfes zu entnehmenden Ausgang
Die Flejadensieben in der Bibel. 67
dieses hochmütigen Strebens, die Degradierung der Venus unter
die Mondsichel. Der ,yäufierste Norden" (y\t^ •^nD'r«) oder der
damit gleichbedeutende „Berg <ier Versammlung" ist der Nordpol
der Ekliptik, der Sitz Anus^ des Beherrschers des Nordhimmels.
Mit Anu -wurde schon zu Hammurabis Zeit Gott II (El) gleich-
gesetzt; die „Sterne Eis" sind somit unter den Fixsternen des
nördlichen Sternenhimmels zu suchen. Hat sich aber die Phantasie
des Dichters bei der Ausmalung des Sturzes des Tyrannen an
den Gedanken des Plejadenmythus genährt, so wird ihm unter
„Eis Fixsternen" wohl auch nur das Sternbild vorschweben, das
in jenem mit Anu-El in Verbindung gebracht wird, nämlich das
seiner Boten, der Plejaden.^)
Ehe ich zur Betrachtung desjenigen Plejadennamens über-
gehe, der für die weiteren Untersuchungen ausschlaggebend ist,
seien noch einige Bibelstellen berücksichtigt, die möglicherweise
Reflexe der babylonischen Plejadenidee sein können. Es ist oben
(S. 40) auf einen mehrfachen Parallelismus im Wesen der Sieben-
götter und der Igigi hingewiesen worden, der es nicht aus-
geschlossen sein läßt, daß beide Götterklassen im Grunde dasselbe
bedeuten. Ein Nebenname der Igigi ist nun Ribu ; ihn bringt
P, Jensen*) unter Vorbehalt mit hebräischem Rahab (nn^n) zu-
sammen. Lassen sich nun im biblischen Gebrauche dieses Rahab
auch Beziehungen auf die Plejadengottheit erkennen ?
Die Grundidee von Rahab dürfte die eines im Wasser
lebenden Großtieres sein. Das erklärt, weshalb in poetischer
Sprache Rahab Spottname für Ägypten wurde, für das „Tier des
Schilfes", wie Psalm 68, 31 Ägypten verächtlich nennt. Die enge
Beziehung des Rahab zum Wasser führte weiter dazu, ihm den
aus Babylons Mythologie entstammenden Begriff von Tiamat,
dem im Meere der Tiefe groß gewordenen Urwesen, beizulegen.
1) Wenn bN"*'S!3')!D „Sterne des Anu, bezw. des Nordhimmels" bedeutet, so
dürften auch die ähnHch gebildeten Ausdrücke bN-^Tin (Ps. 36, 7) und bN-^TIN
(Ps. 80, 11) ihr wahres Gesicht erst dann zeigen, wenn man den darin vor-
kommenden Gottesnamen als ursprünglich mit Anu identisch nimmt Dann sind
die „Berge Eis" soviel wie der „Berg der Versammlung, der äufsersle Norden"
(Is. 14, 18), die „Zedern Eis" aber vermutlich die Zedern im „Garten Gottes"
(Ei. 31, 87), der auch kaum anders als auf dem Berge Anus zu suchen sein wird.
2) ZAI (1886), S. 10 f.
5*
68 in. Kapitel.
und wie in Babylon Gott Marduk, so erscheint im poetischen
Stile der Bibel zuweilen Jahwe als Besieger dieses Rahab. So
heißt es Hiob 26,12: „Durch seine Kraft ward still (fest?) das
(Ur-)Meer und durch seine Dreizackpfeile ^) tötete er Rahab'^ ; den
gleichen Gedanken führt Isaias 51, 9 f. aus: „Bist du („ Arm Jaliwes**)
es nicht, der Rahab tötete, (ihn) den Seedrachen durchbohrte?
Bist du es nichts der das Meer trocken legte, das Wasser des
großen Urozeans?" Dieser Begriff von Rahab machte eine be-
merkenswerte Veränderung durch. Wenn Psalm 40,6 sagt: „Heil
dem Manne, der auf Jahwe seine Hoffnung setzt und sich nicht
hinwendet zu den Rahabs'S so erscheinen hier die Rahabs als
Dämonen, denen gewisse Kreise, gegen die der Dichter sich wendet,
kultische Verehrung zu teil werden ließen. Eine solche kann
sich aber nicht entwickelt haben aus ihrer Tiamatnatur; sie läßt
sich aber verstehen, wenn man annimmt, Rahab sei hier mit
anderen, kultfähigen Dämonen vermischt, und zwar vor alleni mit
demjenigen, den die biblische Poesie ihm mehrfach an die Seite
stellt, der Bar ich- Schlange (ma «nr). Wie Rahab zum Wasser,
so hat diese zum Himmel enge Verbindung; denn wenn es in
Hiob 26, 13 heißt : „Sein (d. h. Jahwes) Hauch machte den Himmel
klar, seine Hand durchbohrte die Barich-Schlange", so ist ersteres
gewiß als Folge des letzteren zu nehmen. An schlangenleibigen
Dämonen, die am Himmel ihr Wesen treiben, kommen im Hin-
blicke auf die babylonische Mythologie nur zwei in Betracht : Die
Plejaden und die Labbu-Schlange ; man wird aber für die Er-
klärung unserer Stelle die Plejaden bevorzugen, weil an anderem
Orte (Isaias 43, u) von einer Mehrzahl von gestürzten Barich
gesprochen wird. Der Kult dieser Plejaden, wie er sich in Israels
Nähe vielfach bemerkbar machte, könnte nun zur Folge gehabt haben,
daß man auch den ihnen am nächsten stehenden Dämon, den
Rahab, in diesen Kult mit einbezog und dann für beide Dämonen-
klassen kurzweg den Ausdruck „die Rahabs" gebrauchte.
Besteht somit eine Möglichkeit, den biblischen Rahab mit den
als Göttern verehrten Plejaden in Verbindung zu bringen, so hat
i) Ich lese inbh'in statt IPSiaD, dem Qere von iniann. Es scheint, als
bezwecke der Verfasser des Hiob damit eine Übersetzung von babyl. mulmnlln, das
einen von dem gewöhnlichen etwas abweichenden Pfeil bedeutet, vermutlich einen
solchen mit Drcieackspitze, mit welchem auf den Bildwerken öfters Gott Marduk
gegen Dämonen kämpfend dargestellt ist.
Die Plejadensieben in der Bibel. 69
^such das Bild der Plejadendämonen , wie es die babylonischen
Xeschwöningstexte vor Augen haben, anscheinend auf eine Bibel-
steUe eingewirkt In den Nachtgesichten des Propheten Za-
<:harias heißt es i, s — lo: ,Jch schaute nachts: Da war ein Mann, ein
[Reiter auf einem Rotrosse, das zwischen den ,Myrthen* stand,
<iie in der nVatTs waren, und hinter diesem standen andere rote,
iuchsfarbene und weiße Rosse. Und ich sprach: Was haben
diese zu bedeuten, o Herr? Und es sprach zu mir der Engel,
der mit mir redete : Ich werde dich schauen lassen, was das für
Wesen sind. [Und es antwortete der Mann, der zwischen den
, JÜyrthen" stand : ^)] Es sind die, welche Jahwe einhersendet, um
die Erde zu durchstreifen.*' Diese Beschreibung von Rossen, die
die Erde durchstreifen sollen, erinnert auffallig an mehrere der
oben gegebenen Beschreibungen der babylonischen Plejaden-
dämonen, besonders wo es von ihnen heißt (S. 36): „Sie sind Rosse, die
groß geworden sind im Gebirge, sie sind Guzzalu (Boten?) der
Götter," und (S. 29): „Aus dem Himmel heraus, wie der Wind,
stürzen sie sich auf das Land." Die Ähnlichkeit läßt sich aber
noch deutlicher machen. Der hebräische Text bietet in dem
Zusätze „(Roß,) das zwischen den Myrthen stand" einen Zug,
dessen Bedeutung für die Vision nicht einleuchtet, ja, der über-
haupt keine klare Vorstellung erweckt. Die Septuaginta las hier
nichts von Myrthen ; nach ihr hielt das Roß „in Mitten der Berge"
{iiva/iicov Tüuv ogiav). Diese Auffassung läßt mich vermuten,
statt D'^onnn „Myrthen" habe ursprünglich D^'Oinn im Texte ge-
standen, ein Wort, welches der Prophet in enger Anlehnung an
babylonisches chursu „Berg" statt des gut hebräischen här ge-
wählt habe.2) Sind es somit die Rosse des Gebirges, und damit
die Plejadendämonen, die der Prophet schaut, dann dürfte sich
auch die Verdeutlichung der Berge durch den Zusatz nbatTp,
d. h. „Schattengegend'' erklären. Die Berge der Schattengegend
begegneten uns ja ähnlich in der zweiten Redaktion des Ple-
jadenmythus, wo es heißt: „Jene Sieben sind im Berge des
Sonnenunterganges geboren, jene Sieben sind im Berge des
Sonnenaufganges groß geworden"; ihre Heimat ist demnach die
lichtlose Gegend unter dem Horizonte: auf Hebräisch nbat*».
1) Wahrscheinlich Glosse,
2) Zur Herttbemahme babyl. Worte in die prophetische Diktion vgl. F.E.Peiser^
Der Prophet Habakuk (MitÜgn. d. Vorderas. Ges. 1903), S. 8,
70 III. Kapitel.
Ein Naturphänomen, an welches sich mannigfache Begriffe
knüpfen, gelangt leicht zu mannigfachen Benennungen. Die Ple-
jaden, angeschaut bald als Gestimseinheit, bald als Siebenheit
von Einzelsternen, als Dämonen gefürchtet, als Götter verehrt,
konnten auf sich recht wohl eine Vielheit von Namen ver-
einigen. So kann es auch nicht verwundern, wenn der Wort-
schatz der Bibel außer den vorher besprochenen Plejadennamen
noch einen weiteren aufweist Es ist dies ni^a«, das wie eine
Fortbildung des schon erwähnten yiiö „Sieben" aussieht unter
Betonung des Siebenfachen. In Deuter. 16,9 kommt dieses
Wort als Plural von y^^iD „Woche", eigentlich „Siebenfaches (von
Tagen)", vor; mit diesem Begriffe läßt sich jedoch keine der fünf
Bibelstellen erklären, in welchen das Wort (abgesehen von der
Verbindung m:^3^ an) noch außerdem zu finden ist. Statt nun,
wie bisher geschieht, sie sämtlich für verderbt zu nehmen, be-
haupte ich, daß sie mit Ausnahme eines einzigen sich genügend
erklären lassen, wenn man unter dem „Siebenfachen" das Sieben-
gestirn, die Plejaden versteht.
Ich stelle vorauf Habakuk 3,9, einen Vers, dessen Sinn
trotz vieler auf seine Erklärung gewendeten Mühe bisher durch-
aus dunkel geblieben ist:
Abgesehen davon, daß hier ein 'rhu, welches dem Vers-
ende zukommt, in den Kontext verschlagen ist, macht mir die
Stelle den Eindruck guter Erhaltung, ob auch ich die Bedeutung
von rr'na^ nicht ermitteln kann. Habakuk, dem besonders
F. E. Peiser schon mehrere babylonische Wendungen nach-
gewiesen hat, zeigt sich auch hier wieder im Banne von Babylons
Ideen. Zunächst wenn es bei ihm heißt: m3^a^ ']n;öp„Dein (d.h.
Jahwes) Bogen sind die Plejaden", event. „Dein Bogen ist der
der Plejaden" 1); hier mag ihm das Bild der mit Bogen und Pfeilen
ausgerüsteten Plejadengötter vorschweben, das, wie wir oben
sahen, der Zeit eines Assarhaddon geläufig war, zugleich auch die
für ungefähr die gleiche Zeit bezeugte Idee von der Mitwirkung
der ,^Sieben" bei den Kämpfen Assurs. Weiter benutzt der
Prophet die in Babylonien uralte Idee von der Kraft des Wortes
Vgl. Cant.. r, 15 „Deine Augen sind (wie die von) Tauben."
Die Plejadensieben in der Bibel. 71
(amätu) der großen Götter, die sich besonders im Zerstören
äußert *); wenn er es mit Stäben oder Ruten vergleicht, so könnte
ihm das Emblem des Assur sowie auch anderer vorderorientä-
lischer Götter vor Augen gestanden haben, das aus Flammen-
büsch'eln hervorkommende, nach unten weisende stab- oder auch
rankenfbrmige Liniengebilde zeigt, .womit die Kunst vermutlich
Weg und Wesen des göttlichen Wortes illustrierte. Es ergibt
sich bei dieser Auffassung für Hab. 3, 9 die durchaus verständliche
Übersetzung: „Du erhebst dich . . . .; dein Bogen sind die Plejaden
(oder: ist der der PL); die Ruten des (göttlichen) Wortes zerspalten
das Flachland zu Tälern". Als Werkzeug des göttlichen Zornes
hat ein Habakuk die Plejadengottheiten poetisch verwendet; nüch-
terner faßt sie Jeremias auf, indem er sie als das kaum persönlich
zu nehmende Gestirn hinstellt, mit welchem Jahwes Fürsorge den
Zeitpunkt der Ernte eng verbunden habe. Die Stelle lautet (5, 24) :
nsb i'DTö'' ■T'atp mpn nrati nnya
Was alte Übersetzungen und neuere Exegeten aus der
zweiten Hälfte dieses Verses (von n:^a« an) herausgelesen haben,
leidet vor allem unter dem Mangel an Verständnis für nrn^
„Plejaden". Man hat sich zu vergegenwärtigen, daß zur Zeit des
Jerenuas der Frühaufgang des Plejadengestims in den zweiten
Monat des mit Frühlingsäquinoktium beginnenden israelitischen
Jahres fiel, d. h. in die Hauptzeit der Kornernte. Das ließ den
Aufgang der Plejaden als die „natürlichen Bedingungen der Ernte-
zeit'* ("T'Sp mpn) erscheinen. Wenn nach Hiob 38, ss bei Jahwe
die Kenntnis der „Bedingungen des Himmels" (w^l^xi mpn) ruht,
so verbindet sich mit dieser Kenntnis nach alttestamentlrcher
Vorstellung auch die Verwaltung derselben. Das „Hüten"
der Plejaden, das Jeremias Gott Jahwe beilegt, ist aber die Für-
sorge für ihr richtiges Funktionieren. Ich übersetze daher die
Stelle: „Und nicht dachten sie bei sich: Laßt uns doch Jahwe,
unseren Gott, fürchten, ihn, der den Regen spendet, den frühen
und späten zu seiner Zeit, der das Gestirn der Plejaden, die die Ernte-
zeit bestimmen, für unsere Bedürfnisse in seiner Hut hält".
i) Für das Wort Marduks s. J. Hehn, Hymnen u. Gebete an M., S. 333,
för dasjenige Nergals s. J. BöllenrQcher, Gebete u. Hymnen an Nergal, S. 361
72 HL Kapitel
Es geht wohl auf die alte Dämonennatur der Plejaden zurück,
wenn man aus ihrem Erscheinen am Himmel Vorzeichen für die
Regenperiode des Jahres entnahm. Oben ist auf die Stelle im
Liber Jubilaeorum (12, le) hingewiesen, die Abraham vorführt,
wie er beim Neumonde des siebenten Monats die Sterne be-
obachtet, um daraus den Regenvorrat des Jahres zu entnehmen;
ein Vergleich mit den Gepflogenheiten der Spätaraber ließ er-
kennen, daß Abraham seine astrologischen Untersuchungen an
den Plejaden vorgenommen habe, die dann aber nicht wie bei
Jeremias, wo sie die Erntezeit abgrenzen, am Frühlingsmorgen-
himmel stehend zu denken sind, sondern am Abend- und Nacht-
himmel des Hochsommers. Der Verfasser des Buches der
Jubiläen läßt nun während dieses von ihm als heidnisch und
abergläubisch empfundenen Observierens der Plejaden Abraham
zur Erkenntnis des Wesens Gottes gelangen und sagt: „Und ein
Wort kam in sein Herz und sagte : Alle Zeichen der Sterne und
die Zeichen der Sonne und des Mondes, alle sind in Gottes
Hand — warum forsche ich? Wenn er will, läßt er regnen,
morgens und abends; und wenn er will, läßt er (den Regen)
nicht herunterkommen." Der gleiche Gedankengang findet sich
nun schon bei Ezechiel 21,28, angeknüpft an Bescheide, die
Wahrsager seiner Zeit nach dem Stande der Plejaden erteilten.
Hatte er kurz vorher das Bild des babylonischen Königs ge-
zeichnet, wie er die Leber beschaut, die Theraphim anruft und
dann von den Loospfeilen dasjenige zieht, welches ihm den
Fall von Jerusalem zusichert, so richtet er jetzt gegen seine
Volksgenossen die Anklage:
itoDrnb
„Aber ihnen wird es sein wie ein ihren Augen vorgeführtes
Trugorakel in den Wochen der Plejaden (d. h. des Spätaufgangs
der PL); doch er (der König) wird (ihnen) Schuld in Erinnerung
bringen, wenn sie ergriffen sind." Wenn diese Stelle den
Erklärern unüberwindliche Schwierigkeiten entgegengesetzt hat,
so ist nicht der überlieferte Text daran schuld, der bis auf das
zweite unnütz wiederholte ürib ganz in Ordnung ist, sondern das
Unvermögen, sich unter den n'^:^att5 etwas anderes als „Wochen"
vorzustellen — was auch die Septuaginta bewogen haben mag,
Die Plejadensieben in der Bibel. 73
<die Phrase ünb n"»3^ati •^a^ati ganz unübersetzt zu lassen — , sodann
<der nicht gerade gewöhnliche Akkusativ der Zeit 'x6 ^9:ixäf der
«siber z.B. an dem früher (S. 17) besprochenen rj^crj neipn „um
<iie Wende des Jahres" und dem davon nicht zu trennenden •^niDa
*^ön "Y^atp „bei der Opferung der Weizenemtegaben" ,(Ex. 34, 22)
sein Gegenstück hat
Während Ez. 21, 28. dunkel geblieben ist, weil man kein Auge
liatte für die darin befindliche Zeitangabe, hat das Verständnis
einer anderen Stelle, in der sich ma^aiö findet, besonders darunter
gelitten, daß man dieses Wort mit Gewalt zu einer Zeitbestim-
mung stempeln wollte : nämlich Num. 28, 26 :
^^i'P'T^ii'P'o üyrfif^^ä:^ msr^b ntiin nn^tj DDS^^iprja D'^iiDran DT^rai
Hier legt die übliche Exegese dem Ausdrucke D0Ti5^a«a den
Sinn bei „an euerm Wochenfeste". Das solches unzulässig ist,
wurde schon früher (S. 25) mit Grriinden dargetan. Es sei noch
hinzugefugt, daß von einer Zeitbestinmiung auch deshalb hier
die Rede nicht sein kann, weil diese jedenfalls in den zwei
ersten Worten des Verses D-mDSn DT^n zu suchen ist — ent-
sprechend den übrigen Festbeschreibungen von Num. 28, die
sämtlich mit der Angabe ihres Termins beginnen. Eine Ahnung
des richtigen Sinnes hat Septuaginta dazu geführt, '•oäa tn?T^b durch
xvgtq^ täv ißdofiädufv wiederzugeben; aber der hier angedeutete
innere Zusammenhang zwischen beiden Worten muß noch ge-
nauer gefaßt werden. Das Hebräische kennt unter den zahl-
reichen Bedeutungen, die die Präposition 5 aufweist, auch die-
jenige von ,4n der Eigenschaft als"; ich erinnere nur an Isaias
40, 10 «na*» pxna •^31« n:n „Siehe, der Herr kommt (in der Eigen-
schaft) als Starker". Nimmt man diese Bedeutung von :j auch
in unserem Falle an, so ergibt sich für den Vers der Sinn : „Am
Tage der Frühopfergaben, wenn ihr ein Speisopfer von neuem Ge-
- treide Jahwe in der Eigenschaft als eurer Plejaden-
gottheit darbringt, soll euch tt:np'«ip'D sein." So übersetzt
erweist sich die Stelle als ein Protest gegen die Annahme, als
sei neben^ Jahwe noch für eine Plejadengottheit Platz, wie wir
ihn ähnlich in dem Eigennamen a^rjtinn'^ (oder P5?atinrp) nieder-
gelegt fanden; sie läßt weiter ahnen, daß der Brauch existierte,
zur Zeit der Frühernte ein Opferfest für die Plejaden zu feiern.
74 IIL Kapitel.
gegen das das israelitische Gesetz nicht nur hier, sondern auch
in Exod. 34, 22 ankämpft, wo zwar der masoret. Text zur Über-
setzung führt „Das Hagg der Schabusoth wirst du dir veran-
stalten", während aus der Septuaginta hervorgeht, daß auch eine
Lesart „. . . für mich veranstalten" existierte, die als die be-
grifflich stärkere und mit Num. 28, 26 parallel gehende den Vor-
zug verdient
Wie an diesen vier näher behandelten Stellen die über-
lieferte Lesart mys;ö einer Emendation nicht bedarf, so läßt es
sich auch zur Not noch in Ez. 45, 21 halten, wo es die gesamte
Exegese beanstandet Hier wird bezüglich der Passahfeier an-
geordnet:
D'^^'» riiyniL an nocti dtsb rr^sr^ «nnb dt» iw n^aiNra iitN-ia
:b:D«'i matt)
Hierbei fällt zunächst 5n in seiner Stellung hinter nosn auf;
da aber Septuaginta ihm dieselbe Satzstelle zuweist, so wird man
mit seiner Echtheit rechnen müssen. Für seine Erklärung ist zu
beachten, was oben (S. 12; 17) über die Entwicklung des Begriffes
an gesagt worden ist: daß die Bezeichnung an ursprünglich nur
den auf Vollmondstag, bezw. den 15. des Monats fallenden Festen
zukam, also besonders dem Sukkoth- und Mazzothfeste , sodann
aber infolge .von Abschwächung seiner Urbedeutung zu der von
„Fest mit rituellem Tanz" gelegentlich auch für Pfingsten ge-
braucht wurde. An unserer Stelle scheint nun Ezechiel den
Versuch zu machen , auch Passah zu einem Hagg zu machen,
indem er sagt: „Im ersten Monate ani 14. Tage soll euch Passah
als Hagg gelten". Darin liegt wohl die Aufhebung des Hagg-
ham-Mazzoth ausgedrückt unter Übertragung seines Wesens und
Zeremoniells auf das Passahfest. Infolgedessen wird nun auch das
Essen von ungesäuerten Broten während sieben Tagen zur Passah-^
feier gerechnet Wenn nun dabei von D'^^'» ma^SttJ gesprochen
wird, Septuaginta aber daiiir intd tifiigag hat, so liegt zwar
nahe, in m3^n;a eine Verschreibung von na^rj« zu sehen; aber es
könnte darin auch ein Abstraktplural (vgl. die Fälle bei Gesenius,
Hebr. Gramm. § 124, e) stecken, vermittelst dessen Ezechiel die
sieben Tage als eine in sich abgeschlossene „Siebenheit" be^
zeichnete. Für den Singular yirj;» ist dieses sicher als Grund-
bedeutung anzunehmen; dann wäre es auch denkbar, daß sein
Die Plejadensieben in der Bibel. 75
Hiier vorkommender Plural als Intensiv-Plural zu gelten hätte.
IVir könnten dann diese Stelle insofern für unsere Behauptung,
-daß mara^ö „Plejaden" bedeute, verwerten, als auch dieser Be-
ipiff eine Spezialisierung der Grundbedeutung „Siebenheit" dar-
stellt.
Um alle biblischen Stellen zu erschöpfen, in denen myauj
ohne die Einschränkung durch 5n vorkommt, muß noch ein-
mal auf Deuter. i6, 9 hingewiesen werden:
; nv^^ n^aiö icob bnn rropa «Soth bnirry ^b-^oon ni^aiö wati
Hier versagt die Übersetzung von nya« durch „Plejaden" wie
auch durch „Siebenheit"; zweifellos sind „Siebenheiten" und zwar von
Tagen, d. h. „Wochen" gemeint Das schließt jedoch nicht aus,
daß die deuteronomistische Zeit neben m^ü« „Wochen" auch
noch den Ausdruck ma^aiö „Plejaden" besaß. Der Begriff
„Plejaden" lag eben nur in dem weder mit Artikel noch attri-
butiver Beifügung versehenen m:^^«; trat eine Beifügung be-
sonders in der Form eines Zahlwortes hinzu, so mußte an andere
Siebenheiten als die des Plejadengestims gedacht werden, in
erster Hinsicht an die der Wochentage.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich: vier Stellen zeugen
dafür, daß m:^3«3 die Bedeutung von „Plejaden" hat ; in einer läßt
es sich als „Siebenheit" verstehen; die Bedeutung „Wochen"
kommt ihm im ganzen Bibeltexte nur an einer Stelle (Deuter. 16, 9)
zu, wo es von einem Attribut und zwar numeraler Art begleitet
auftritt Danach ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Ausdruck
mynttj an „Fest der (sieben) Wochen" bedeute, nur verschwindend
klein; mit ungleich größerem Rechte kann man aber ihm
die Bedeutung „Fest der Plejaden" beilegen. Ließe es sich
nachweisen, daß in der Zone, die in den Plejaden Wesen gött-
licher Art sah, ihnen zu Ehren ein Fest gefeiert worden sei, daß
femer die Feier dieses Festes sich in ähnlichen Formen bewegt
habe, wie das israelitische Pfingstfest, so würde damit der letzte
Zweifel an der Richtigkeit unserer Übersetzung niedergeschlagen
werden. Um den Nachweis zu bringen, daß ein solches Fest im
außerbiblischen Orient bestand, werden wir uns noch einmal in
die Heimat des Plejadenmythus begeben und den Weg, auf
welchem die Idee der Plejadengötter in den Westen gewandert
ist, nochmals durchmessen.
76 IV. Kapitel.
IV.
Der Plejadenmythus in Festgestalt
außerhalb Kanaans.
Im babylonischen Festkalender trägt der Tag, der in her-
vorragendem Sinne dem Mondgotte gilt, den Namen Bubbulum,
Von ihm heißt es in einem an den Mondgott gerichteten Be-
schwörungstexte ^) :
bubbulum um tämitika piristi iläni rabüti
um scheläsche isinnaka um taschilti ilutika.
„Bubbulum, der Tag deiner Beschwörung, der Orakelentscheidung
für die großen Götter;
Der auf den 30. fallende Tag, dein Fest, der Tag der Freude
deiner Gottheit."
In der ersten Zeile wird von Bubbulum als dem Tage der
Orakelgebung des Mondgottes geredet; für eine genauere Er-
klärung der Ausdrücke versagen uns jedoch die Quellen. Die
zweite, anscheinend besonders charakteristische Zeile gibt als
Termin des Bubbulumfestes den 30. Tag an ; außerdem bezeichnet
sie sein Wesen als ein freudiges. Bei dieser Zeitangabe für
Bubbulum bleibt zunächst dunkel, ob unter dem 30. Tage der
dreißigste jedes Monats oder nur der eines einzigen zu ver-
stehen sei. Um dieses aufzuklären, müssen andere von Bubbulum
redende Notizen zu Rate gezogen werden. Nach HI RawL 56,
No, 4, 31 f. gilt die Bezeichnung Bubbulum auch dem 28. und
29. Tage; das spricht sehr für eine innere Verbindung der in die
Zeit vom 28. — 30., d. h. die Schwarzmondzeit, fallende Verdunk-
lung des Mondes mit Bubbulum, entscheidet aber noch nicht die
Frage nach dessen Monat. Weiter sind verschiedene Synonyme
von Bubbulum überliefert; II Rawl. 32, 12 f. stellt zusammen:
um kispi = bubbulum,
um nubattim ä= Gm idirti = bubbulum.
Wie es im Wesen von Synonymen liegt, daß sich ihre
Bedeutungssphären nur teilweise decken, so werden auch diese
I) Hebraica XI (1894), S, 102, Z. 17 L
Der Plejadenmythas in Festgestalt außerhalb Kanaans. 77
Synonyme von Bubbulum dessen Begriff nur in beschranktem
IMaße wiedergeben. Aus der Gleichung öm kispi ^ bubbulum
schaut für uns nichts Neues heraus; da kispu (vgl. arab. kasafa
„sich verfinstern") im allgemeinen „Verfinsterung" bedeuten mag,
so sagt sie, daß, wenn „ein Tag der Verfinsterung" zugleich ein
Bubbulumtag ist, dabei an die Verfinsterung des Mondes zu
denken ist Die Bezeichnung um nubattim kommt einer größeren
Zahl von Tagen zu, nämlich dem 3., 7., 16. anscheinend eines
jeden Monats, und weiterhin laut der obigen Gleichung der Zeit
vom 28. — 30. Als Bedeutung von nubattu, das auch nubätu ge-
lesen werden kann, nehme ich unter Vergleichung von äthiop.
mebjat (von der Wurzel bäta „übernächtigen, ruhen") „Rastzeif?
an; da die „Rastzeit" des 3., 7. und 16. des Monats ausdrücklich
als eine solche für den Gott Marduk hingestellt wird, so wird
auch die des 28. — 30. Tages einem Gotte gelten, und zwar eine
Mondruhe bedeuten. Inuner noch fehlt jedoch die Aufklärung
darüber, innerhalb welcher Monate eine solche gefeiert wurde.
Vielleicht bringt die Gleichung um idirti = bubbulum die Ent-
scheidung. Die dem Worte idirti zugrunde liegende Wurzel
steht in mehrfacher Beziehung zum Wesen des 12. Monats.
Schon dessen Name Adaru ist von ihr abgeleitet; weiterhin
steckt sie in mehreren Ausdrücken, mit denen der Plejaden-
mythus die in den 12. Monat fallende Verfinsterung des Mondes
seitens der Plejaden beschreibt, i) Daraufhin darf man es wagen,
den Monat Adaru als den Monat der Mondverfinsterung zu deuten
und in um idirti, wo es gleich bubbulum gebraucht wird, den
Höhepunkt derselben, nämlich die Zeit vom 28. — 30./XIL zu
sehen. Zu dieser Erklärung, die bubbulum auf das Ende des
Monats Adaru verweist, stimmt nun die Etymologie von bubbu-
lum selbst. Wenn dieselbe bisher noch nicht gefunden ist, so
hängt das wohl vom Übersehen einer babylonischen Lautregel
ab, daß nämlich nicht selten anlautendes b Vertreter von arab.
w und hebräisch - syrischem j ist (vgl. babyl. babälu „bringen":
hebr. höbil; bab. biblu; „Ertrag": hebr. jabül, bül; bab. beru
„Park": arab. wa3ru „unebenes Terrain" , hebr. ja3ar „Wald, Park";
bab. bubutu „Epidemie": arab. wabä'u; bab. barü „strotzen":
arab. wariha; bab. bu änu „Band, Sehne": arab. wisänu „Streifen").
1) IVRawl. 5 b, V. 23, 33, 41, 61, 63.
78 IV. Kapitel.
Unter Berücksichtigung dieser Gleichung läßt sich bubbulum ver-
stehen als Infinitiv des Verbums, das im Arabischen unter der
Form wabula (Inf. wubulu) „ungesund, geschädigt sein" vorhanden
ist. Als Schädigung des Mondes kann nach dem, was wir
von den astrononiischen Vorstellungen der Babylonier wissen,
nur seine zu Ende des 12. Monats eintretende Verdunkelung ange-
nommen werden, die der Mythus aus dem Anstürme der Sieben-
götter entstanden sein läßt
Noch ein weiterer Umstand veranlaßt mich, das Bubbulumfest
dem Ende des letzten Monats zuzuweisen. Nach IV Rawl. 23, 3 f.
trägt der Gott Nusku den Beinamen „Sohn (mär) des 30. Tages,
des Bubbulum". Das könnte bedeuten, Nusku sei am 30. Tage
geboren ; daraufhin hat P. Jensen ^) Nusku für die Personifikation
der Neumondsichel erklärt. Aber eine andere Deutung ist eben-
sowohl möglich. Wie im Babylonischen „Sohn der Botschaft"
(mär schipri) derjenige ist, der mit der Botschaft zu tun hat, also
der Bote, so läßt sich „Sohn des 30. Tages" deuten als derjenige,
der mit dem 30. Tage in irgend einer näheren Verbindung steht.
Nun enthält der Plejadenmythus den Zug, daß Gott Nusku während
der Bedrängung des Mondes als Bote Bels vor Ea und Marduk
hintritt, um sie zum Eingreifen gegen die Plejaden zu bewegen;
als Zeitpunkt dafür kann nur der 30. Tag des 12. Monats an-
genommen werden. Diese Verbindung zwischen Nusku und dem
30./XII. scheint wohl geeignet, ersterem den Beinamen „Sohn
des Bubbulum" verschafft zu haben; dann aber wäre Bubbulum
gleichbedeutend mit dem Ende des 12. Monats.
Dasselbe geht aus einer allgemeinen Erwägung hervor. Ist
es denkbar, daß eine Religion wie die spätbabylonische, die ganz
vorwiegend den Kult Marduks pflegte, zu jeder Schwarzmond-
zeit ein größeres dem Monde geltendes Fest gefeiert habe, und
dazu in freudiger Weise, während doch eine natürliche Ent-
wickelung der Schwarzmondzeit zu einer religiösen Feierlichkeit
am ehesten dahin geführt hätte, dieser einen trüben Anstrich zu
geben? Schon der Umstand, dass einmal im Jahre, zu Ende
des 12. Monates, das Bubbulumfest freudig begangen wurde,
kann stutzig machen; doch läßt sich für diesen einen Fall eine
I) KB VI (1891), S. 413.
Der Plejadenmythus in Festg^stalt außerhalb Kanaans. 79
JErklärung gewinnen durch die Betrachtung des Wesens der un-
:mittelbar daraufTolgenden Feier von Neujahr.
Was wir vom babylonischen Neujahrsfest wissen, stellt ein
Cremisch von verschiedenen und verschieden alten Ideen dar.
Jn altbabylonischer Zeit und zwar in der ersten Hälfte des
3. Jahrtausends v. Chr. galt die Neujahrsfeier der Vermählung
des Gottes Ningirsu mit der Göttin Bau. In spätbabylonischer
Zeit zeigte das Fest ein wesentlich anderes Gesicht; nunmehr
drehte sich seine ganze Feier um Gott. Marduk. Der alte
Charakter des Festes machte sich zwar noch darin bemerkbar,
daß Marduk als ein Bräutigam hingestellt wurde, der der Sarpa-
nitu, seiner Braut, entgegeneilt. Aber dieser Zug war für das
Wesen des Festes wenig maßgebend; es wurde vielmehr wesentlich
von der Idee der Verherrlichung Marduks als des Vollbringers
glänzender Ruhmestaten getragen. Es galt das „Aufstehen" (tibü)
und den Auszug (asü) des Gottes zu feiern. Über die Bedeutung
dieser Begriffe herrscht noch Ungewißheit. Am liebsten möchte
man sie dahin erklären, daß der Licht- und Sonnengott Marduk
nach todesähnlichem Winterschlafe um Neujahr zu neuem Leben
erwache und nun eine Art Osterfest feiere. Doch scheint mir
richtiger, sie auf bestimmte Momente in Marduks Heldenleben
zu beziehen. Einen Überblick über dieses bietet ein uns erhaltenes
Stück, des spätbabylonischen Neujahrfestrituals, ') in welchem die
Taten des Gottes in einer Folge von symbolischen Handlungen
vorgeführt werden. Es handelt sich dabei ausschließlich um
kriegerische Taten, und der Gott, der sie ausführt, erscheint recht
eigentlich als das aktive Element unter Babylons Göttern. Kampf-
szenen aus Marduks frühester Jugend, Ereignisse, über die uns
Näheres bisher nicht überliefert ist, bilden das Vorspiel zu den
beiden Großtaten, auf die vor allem sich Marduks Ruhm gründet:
der Besiegung von Kingu und Tiamat und derjenige der Plejaden-
dämonen. Die symbolische Vorführung der ersteren enthält als
besonders wichtige Züge: die Verbrennung eines Schafes auf
einem Kohlenbecken, erklärt als die Verbrennung des Kingu;
das Hervorschießen von Brandpfeilen aus einem Kohlenbecken,
1) Text in Cuneif. Texts, part. XV {1902), PI 44, 43, Transskr. u. Übers,
in H. Zimmern, Zum babyl. Neujahrsfest (Ber. d. phil. bist. Klasse d. Leipz. AkacL,
Bd. LVIII [1903]), S. 130—36.
80 IV. Kapitel.
erklärt als das Hervorschießen der Pfeile (mulmuUu) aus dem
Köcher Marduks; endlich das Zerbrechen eines Topfes seitens
des Königs, das als die Niederwerfung der Tiamat durch Marduk
gedeutet ist Hieran schließt sich die symbolische Darstellung
einer anscheinend nicht weniger wichtigen WafTentat Marduks,
die in wenigstens vier Szenen vorgeführt wird. Der Name der
Gegner ist dabei nicht erhalten ; daß aber an die Plejadendämonen
zu denken ist, ergibt sich aus dem Verlaufe des Kampfes und
einer Anzahl stilistischer Wendungen. Das Mysterium beginnt
damit, daß dem Könige, während er neben dem Türpfosten
steht, ein Gegenstand, dessen Name zufallig nicht erhalten ist,
in die Hand gelegt wird, dazu bemerkt der Text: „Das ist
Marduk . . • . der mit seinen Füßen innerhalb Eas liegt, während
der Venusstem vor ihm hochsteigt (ischäru)." Hier wird anscheinend
auf Marduk als Orion ^) hingewiesen, da dieses Sternbild mit den
Füßen im Südhimmel, d. i. Ea steht, und nur mit dem Ober-
körper dem Nordhimmel angehört. Das Hochsteigen der Venus
wird mit der Rolle zusammenhängen, die der Plejadenmythus
der Ischtar zuweist, daß sie nämlich, um Himmelskönigin zu
werden, zu Anu am Nordhimmel emporgestiegen sei. Das
Mysterium findet seine Fortsetzung darin, daß man einen nicht
näher genannten Gegenstand zum Hüpfen bringt, wovon die Er-
klärung lautet: „Das ist das Herz Eas, als er überlegte . . . ."
Hierin tritt uns offenbar der Zug des Plejadenmythus entgegen,
da Ea mit Bei beratschlagte, wie die gestörte Ordnung des
Himmels wieder herzustellen sei, zumal der Ausdruck für „Über-
legen" (ischdudu), den der Mysterientext von Ea gebraucht, im
Mythus ebenso im Bezug auf Bei vorkommt. Nunmehr tritt ein
Gewaffneter auf, der vor den Gott gefuhrt, diesem und dem
Könige eine Feige entgegenhält. Die Erklärung dazu sagt : „Das
ist , der zu Bei herabstieg (ittaradu), der ihn ..... und
den Nergal bei der Hand ergriff, der in Esagil eintrat, die Waffe
seiner Hände Marduk, dem Könige der Götter, und der Sarpanitu
i) Auf die Orionnatur Marduks scheint auch der Umstand hinzuweisen, dafi
am Haupttage des Neujahrsfestes Marduk in einem Schiffe (elippu) fiber die
Prozessionsstrafie Babylons einhergefahren wurde; denn Schiff (elpä) ist im
Syrischen eine Bezeichnung f&r das Sternbild des Orion, deren Ursprung vermutlich
auf das Babylonische hinweist, da zu ihrer Erklärung die griechische Astronomie
versagt.
Der Plejadenmythus in Festgestalt außerhalb Kanaans. 81
zeigte, den sie alsdann küßten und segneten." Der hier ge-
schilderte Vorgang geht über den Rahmen des uns erhaltenen
Fragmentes vom Plejadenmythus hinaus und dürfte in einer uns
nicht mehr erhaltenen Fortsetzung behandelt worden sein. Er
bedeutet die Ausrüstung Marduks mit einer Waffe, die ursprünglich
Gott Nergal zukommt , d. h. mit dem Bogen. ^) Nunmehr treten
Marduks Gegner selber auf, dargestellt durch Kurgaru-Priester,
die auf der Schwelle scharren (imalilu)*), sich übermütig ge-
bärden (?), Brandpfeile werfen, Brände entzünden .... einander
aufheben , ringen (?) " Hiervon heißt es nun : „Das sind
die .... die gegen Bei und Ea tobten, ihren Schreckensglanz
gegen sie ausschütteten , ihre abschnitten, in
den Ozean [warfen]." Diese gewalttätigen Gesellen für die
Plejadendämonen zu nehmen liegt auf der Hand. Die Häufung
der Ausdrücke für ihr übermütiges Treiben erinnert unmittelbar
an die Weise, wie das Treiben der Plejaden in den mytholo-
gischen Texten ausgemalt wird, und der besonders bezeichnende
Zug ihres Scharrens auf der Schwelle,^) d.h. der Himmels-
schwelle oder Ekliptik, kehrt ebenso im Plejadenmythus wieder.
Auch der Schreckensglanz, den die Gegner Marduks ausschütten,
paßt zu den Plejaden als astralen Wesen. Dasjenige, was laut
dem Mysterientexte die Plejadeij abschneiden und in den Ozean
werfen, wird wohl am ehesten als Zweige oder Früchte des
heiligen Baumes von Eridu zu denken sein ; denn zahlreiche bild-
liche Darstellungen des Plejadenkampfes*) lassen den Ansturm der
der Dämonen außer gegen Marduk auch noch gegen einen
heiligen Baum, in welchem wir den von Eridu erblicken, gerichtet
sein. Das letzte noch einigermaßen erkennbare Stück des
Mysteriums redet von gewissen Holzgeräten (saranu), die wahr-
scheinUch vor das Bild der Ischtar gestellt wurden, und erklärt
i) Dafi der Bogen Nerga), dem Todesgotte, zukommt, geht aus einer Stelle
des achtseit. Prisma Tiglatpilesars (VI, 58 f.) hervor. — Auch die Feige dürfte auf
denselben Gott hinweisen und zwar dessen reinigende, sühnende Kraft darstellen,
wofür auf den griech. Zshg avTidgaiog oder xa^'ocgaio^ hinzuweisen ist, dessen
Urbild wohl der babyl. Nergal ist.
2) So übersetze ich gemäß hebr. b5W (Prov. 6, 13).
3) tnscharu, in K 4256 (vgl. Meißner, Suppl. S. 11 des Autogr.) mit sippu
4,Schwelle" zusammengestellt.
4) Vgl. Taf I, No. 2, 7, 8. .
Grimme, Das israelitische Pfingstfest.
82 IV. Kapitel.
dieses: „Das sind die (Boten?, Kinder?) Nergals " Auch
diese Charakterisierung der Gegner Marduks als zu Nergal irgend-
wie gehörig deutet auf die Plejadendämonen, von deren enger
Verbindung mit Nergal, d.h. der Unterwelt, schon früher die
Rede war.
Es ist keineswegs sicher, daß das Mysterium auch noch
von der Tötung der Plejaden gehandelt habe; eher ist daran zu
denken, daß die Schlußszene Marduk darstellte, wie er nach ihrer
Besiegung sich ihnen gegenüber gnädig zeigt. Darauf deutet
ein Text, welchen laut seiner Überschrift ein Priester am 2. Tage
des I. Monats in der ersten Stunde der Nacht zu sprechen hatte ^).
Er enthält in der Einleitung einige Verse, die anscheinend auf
den Kampf zwischen Marduk und Kingu samt dessen Helfern
abzielen, nämlich:
Bei, der durch seinen Blick die Gewaltigen niederwarf;
Herr der Könige, Licht der Menschheit, der austeilt die Besitz-
tümer.
An diese Beschreibung wird dann weiterhin wie im obigen
Mysterientexte die Erinnerung an Marduks Plejadenkampf geknüpft
mit den Versen:
Die . . . gewaltigen Stürme,
Deine (Gegner?) packst du mit den Händen;
Durch deinen Gnadenblick gewährst du ihnen Gnade,
Lassest sie das Licht schauen, so daß sie deine Kraft verkünden.
Herr der Länder, Licht der Igigi, Huldverheißer
Daß hier an die Plejaden zu denken ist, Ergibt sich sowohl
aus der Bezeichnung für die Feinde Marduks „Gewaltige Stürme",
die ähnlich im Eingange des Plejadenmythus uns begegnet ist, als
auch aus der Kampfweise, die Marduk gegen sie anwendet, in-
dem er sie mit den Händen niederzwingt. 2) Daß er ihnen
Schonung zu teil werden läßt, nimmt man am ehesten als Folge
der in spätbabylonischer Zeit längst Tatsache gewordenen Er-
hebung der Plejadendämonen zum Range von götterähnlichen
— wenn auch nicht kultfähigen — Wesen.
1) IV Rawl. 40, fibersetzt bei Hehn, Hymnen und Gebete an Marduk (Beitr.
«. semit. Sprachwiss. V), S. 380 f!l
2) Vgl. Taf. I, No. 9; Taf, II, No. 2.
Der Plejadenmythus in Fcstgestalt außerhalb Kanaans. 83
Die Feier der verschiedenen Momente aus Marduks Helden-
Jaufbahn, die nach dem Vorhergehenden den Hauptinhalt des
"fcabylonischen Neujahrsfestes ausmachte, verteilte sich auf eine
größere Zahl von Tagen. Wir hören von Festzeremonien, die
sm 2./I. und 4./L stattfanden. Zwischen dem 8./I. und ii./I.
scheint das Fest seinen Höhepunkt gehabt zu haben, indem um
diese Zeit die Götter, deren Tempelbilder man nach Babylon
überführte, unter dem Vorsitze Marduks die Lose für das neue
Jahr zu bestimmen hatten. Aber noch über den ii./I. hinaus
scheinen zum Feste gehörende Zeremonien stattgefunden zu
haben. So wird einmaP) vom i6. Tage als dem Zeitpunkte der
symbolischen Verbrennung des Kingu geredet; doch bleibt un-
klar, ob darunter der 16./L zu verstehen ist, oder aber der 16» Tag
einer Festfeier, deren Anfang möglicherweise schon vor Neujahr,
etwa in der Zeit von Bubbulum lag. Ein Hinweis, daß der 14./I.
noch zu Marduks Neujahrsfeste gehört habe, liegt vielleicht in
der Benennung des jüdischen Purimfestes, d. h. des 14./XIL, als
MaQÖoxaixi} rs/Aiga (IL Makk. 15, se), indem die Stelle Esther 3, 7
(zumal in ihrer griechischen Fassung) wahrscheinlich macht, daß
dieser „Marduktag" ursprünglich nicht dem Monat Adar, sondern
dem Nisan und damit dem Neujahrsfestkreise angehört habe. Man
kann somit annehmen, die Festlichkeiten, die in Babylon um
Neujahr zu Ehren Marduks gefeiert wurden, hätten sich über gut
zwei Wochen, d. h. bis gegen die Mitte des ersten Monats er-
streckt.
Die Ehren, die Marduk in der Neujahrszeit gezollt wurden,
waren in älterer Zeit auf mehrere Götter verteilt gewesen. Sollte
nicht auch der Mondgott zu denen gehören, denen Marduks Er-
höhung zur Schmälerung geworden war? Man erwartet bei
einem Feste, das vorwiegend dem glücklichen Ausgange des
Plejadenkampfes galt, neben Ehrungen für den Sieger auch solche
für den von ihm Befreiten, d. h. den Mond. Davon zeigt aber
das neubabylonische Neujahrsfest keine Spur. Auffallig wie diese
Vernachlässigung des Mondgottes ist weiter, daß schon am
30./XII., d. h. vor dem Zeitpunkte der Mondbefreiung, das Fest
der „Mondfreude", d. h. Bubbulum in neubabylonischer Auf-
fassung, gefeiert wurde. Das sieht wie eine Denaturierung eines
I) H. Zimmein, Z. babyl. Neujahrsfest, S. 131, Anni. i.
6*
84 IV. Kapitel.
ursprünglich nichts weniger wie freudigen Festanlasses aus
und führt zum Gedanken, sie sei durch die Zurückdatierung
eines ursprünglich nach Neujahr fallenden freudigen Mondfestes
entstanden.
Er liegt um so näher, als außerhalb Babylons eine die Ideen
des Plejadenmythus vertretende Festperiode nachweisbar ist, die
nicht nur einen dem Bubbulum zeitlich entsprechenden Tag,
sondern auch noch andere den Mond berücksichtigende spätere
Festlichkeiten enthält Harran, die Stadt, welche den Mondkult
am zähesten beibehalten hat, beging — nach Nachrichten aus
römischer Kaiserzeit — bald nach Frühlingsäquinoktium ein weit-
hin berühmtes Mondfest. Nach Spartianus^) wäre im Jahre 217
Kaiser Caracalla des Mondgottes halber nach Harran gekommen
und hier am 6. April, seinem Geburtstage, während der „Mega-
lensien", d. h. während der Feier dieses Mondfestes, ermordet
worden. Abweichend davon läßt Dio Cassius (LXXIII, 5 f.) den
Kaiser am 4. April geboren und am 8. April ermordet sein.
Die Abweichung beider Gewährsmänner bezüglich Caracallas
Todestages könnte damit zusammenhängen, daß ihnen in erster
Linie feststand, der Kaiser sei während des harranischen Mond-
festes getötet worden, und daß sie sowohl den 6. wie auch
8. April als Höhepunkte desselben kannten. Diese Meinung
empfiehlt sich besonders deshalb, weil auch bei dem großen Mond-
feste, wie es die harranischen Sabier des lO. Jahrhunderts n. Chr.
feierten, der 6. und 8. des Nisan, d. h. des ersten Frühlingsmonats,
besonders feierlich begangen wurden. Hierüber berichtet der
beste Gewährsmann für den Kult der Sabier, der Verfasser des
Kitäb al-Fihrist,2) en-Nedim, folgendes: „Am 6. dieses Monats
(Nisan) opfern sie einen Stier ihrer Gottheit, dem Monde, und
verzehren ihn zu Ende des Tages. Am achten fasten sie und
begehen Fastenschluß unter Verzehren von Lammfleisch. Am
gleichen Tage feiern sie ein Fest zu Ehren der Siebengötter,
der Satane, der Dämonen und Geister und verbrennen sieben
Lämmer für die Siebengötter und je eines für den „blinden Herrn"
und die Satansgötter." Diese beiden Feste hängen dadurch
i) Antoninus Caracallus, cap. 6.
2) Hrsg. von G. Flügel, besorgt von J. Rödiger und A. Müller, I, S. 322,
z. 3-7.
Der Plejadenmythus in Festgestalt außerhalb Kanaans. 85
miteinander eng zusammen, daß sie beide Endtermine einer
längeren Fastenperiode sind, die dreißig Tage währte und dem
Monde galt^) Nach zuverlässigen Berichten, denen des Abul-
faräg wie besonders des en-Nedim, fiel der Anfang dieser Fasten-
zeit auf den 8. Tag des 12. Monats; ihr Ende aber verlegt en-
Nedim auf den 8. Tag des folgenden Monats. Dieses scheint
nun nicht ganz mit dem Berichte von der dreißigtägigen Dauer
der Fastenperiode überein zu stimmen ; denn vom 8./XII. bis 8./I.
zählt man 31 Tage. Chwolsohn^) hat sich dafür ausgesprochen,
daß das Mondfest vom 6./L der wahre Endtermin der Fastenzeit
gewesen wäre; das widerspricht aber den klaren Worten des
en-Nedim und würde zudem die Fastenzeit auf 29 Tage redu-
zieren. Die Lösung der Schwierigkeit liegt darin, daß die
Fastenzeit zwei Schlußtage hatte, einen provisorischen, den 6./L
und einen definitiven, den 8./I. Das gibt uns ein Bericht des
el-Kindi, den en-Nedim zitiert, an die Hand. Er lautet: „Ihre
(der Sabier) Festtage sind; das Fest, welches Schluß des sieben-
tägigen Fastens genannt wird, und der Schluß des Monatsfastens
bezw. des dreißigtägigen Fastens, bestehend aus z w e i T a g e n."^)
Diese zwei Schlußtage werden nun der 6./L und 8./I. gewesen
sein, denen en-Nedim Festcharakter beilegt, während der zwischen
sie fallende 7./I. weder Fest- noch Fasttag war. So versteht
man auch, daß en-Nedim beim 8./I. von neuem hervorhebt, daß
an ihm gefastet werde. Somit setzte sich die ganze Fastenzeit
aus den 29 Tagen vom 8./XII. bis 6. /I. und dem 8./L zusammen,
dauerte also genau 30 Tage.
Fasten ist dem Orientalen gleichbedeutend mit Trauern;
ein Fasten „für den Mond" wird nichts anderes bedeuten, als
Anteibiahme an einem Mißgeschick des Mondes. Damit stehen wir
wieder im Gedankenkreise des Plejadenmythus; dann werden
auch die Persönlichkeiten, die darin aktiv auftreten, uns hier nahe
sein. Der definitive Fastenschluß war in Harran zu einem Feste für
zahlreiche Götter und Dämonen ausgestaltet worden, unter denen
namentlich hervorgehoben werden die Siebengötter und der
blinde Herr. Mit den Siebengöttem haben wir bereits oben
1) Kit. al-Fihrist I, S. 324, Z. 29.
2) Die Ssabier und der Ssabismus, Bd. I, S. 533.
3) Kit. al-Fihrist I, S. 319, Z. 14 f.
86 IV. Kapitel.
die vergöttlichten Plejaden gleichgesetzt; wer aber ist der blinde
Herr? Man möchte diese merkwürdige Bezeichnung gern auf
ein Mißverständnis des aramäischen Textes, den en-Nedim vor
Augen hatte, zurückführen, wenn nicht ein anderer anonymer
arabischer Schriftsteller von einem Gotte Marä samjä spräche
und damit die aramäische Namensform des „blinden Herrn" über-
lieferte. Derselbe berichtet vom sabischen Kulte dieser Gottheit
in folgender Weise ^): „Sie nennen den Planeten Mars (Mirrich)
Marä samjä, das bedeutet „der blinde Gott", und bezeichnen ihn
als blind wegen seiner großen Gewaltsamkeit, weil er in seinem
Zorne für nichts mehr Auge hätte. Sie haben aber ein Bild von
ihm, das ihn als Mann darstellt, der in der Rechten ein Schwert,
in der Linken eine brennende Fackel trägt, was anzeigt, daß er
die Menschen bald mit dem Schwerte vernichte, bald mit Feuer
verbrenne. Deshalb widmen sie ihm einen Kult und schlachten
ihm aus Furcht vor seiner großen Stärke Schlachtopfer, und
zwar zur Zeit, wenn die Sonne in das Zeichen des Widders,
welches das seinige ist, tritt, sodann auch, wenn sie in das des
Skorpions tritt." Diese Beschreibung bestätigt uns die Angabe
des en-Nedim über das bald nach Frühlingsäquinoktium dem
blinden Gotte dargebrachte Opfer; sie liefert uns außerdem eine
vermutlich auf Autopsie beruhende Beschreibung vom Äußeren
des Gottes. Das Attribut des Schwertes teilt die babylonische
Kunst nur Marduk zu ; außer seinem Sichelschwerte trägt er aber
nicht selten — z. B. auf dem bekannten Relief von Nimrud —
ein Blitzbündel. Daraufhin kann man wagen, den blinden Gott
von Harran, der Schwert und Brandfackel trägt, mit Marduk zu
vergleichen. Die volle Identität beider ergibt sich aber aus
einem weiteren Umstände. Unser arabischer Berichterstatter
gibt zu verstehen, daß der Name „Blinder Gott" nicht den Be-
griff körperlicher Blindheit in sich schließe. Meines Erachtens
aber ist er ursprünglich nicht einmal der Ausdruck eines Cha-
rakterzuges des Gottes, sondern repräsentiert eine babylonische
Namensform von Marduk, nämlich Amäru (vgl. Brünnow,
Classified List, No. 11566) in aramäischer Aussprache und Um-
deutung. Babylon. Amäru wurde zu Awäru (wie Tammuz zu
1) Nouveaux Documents pour T^tade de la r61igion des Harraniens, memoire
posthume de M. Dozy, acheve par J. de Goeje; Leiden 1884, S. 55.
Der Plejadenmythus in Festgestalt aufierhalb Kanaans. 87
Täwuz),') bezw. sAwara;*) dieses fiel ungefähr mit der Intensiv-
form des Adjektivs 39wir, nämlich 3awwlr(a) zusammen und ergab
so den Begriff „der Blinde (sei. Gott)".
Nicht nur auf die harranische Zone und die zu Wortspielereien
hinneigende Spätzeit der orientalischen Religion hat sich der
Gebrauch dieses Gottesnamens beschränkt; er muß vielmehr
lange vor Christi Geburt im Vorderorient populär gewesen sein,
da er schon in vorklassischer Zeit den Griechen zugetragen
worden ist Die mythologische Persönlichkeit, die für gewöhn-
lich Orion heißt, aber bei Pindar und Korinna als Oärion
i^Slagitav <^SlfaQlwv) auftritt, wird kein anderer sein als 8Awar(^,
der „blinde Gott" ; darauf deutet außer seinem Namen auch noch
der bezeichnende Zug der chiischen Orionsage, daß er geblendet
worden sei, nicht minder, daß er mit dem Skorpion in Ver-
bindung gebracht wurde, indem er von ihm den Todesstich be-
kommen haben soll. Bedenken wir dann die Marduknatur des sAwarä,
so äußert sich auch diese bei dem griechischen Orion in ver-
schiedener Weise; z. B. wenn nach der chiischen Sage sein
Vater der Meergott Poseidon ist, so erinnert das an den genea-
logischen Zusammenhang zwischen Marduk und Ea, dem Gott
des Ozeans; wenn er die Gabe hat im Meere zu schwimmen,
wobei nur sein Kopf daraus hervorragt, so entspricht das der
babylonischen Vorstellung von Marduk, der mit seinen Füßen
innerhalb Eas (d. h. des Südhimmels, Eas Wasserreich) steht;«)
endlich bietet die Verfolgung der Plejaden durch Orion ein kaum auf
Zufall beruhendes Gegenstück zu dem Plejadenkampfe Marduks.*)
Der blinde Gott *) wäre nach en-Nedim wie auch nach dem
arabischen Anonymus Repräsentant des Planeten Mars (Mirrich)
gewesen. Das kann auf den ersten Blick befremden, weil
i) Kit. al-Fihrist I,.S. 322, Z 28.
2) Den Obergang von anlautendem babyl. Aleph in aramäisches Ajin zeigt
z. B. auch Arad-Nabu: 133^19 (vgl. Lidzbarski, Handbuch d. nordsem« £pi-
graphik, S. 345).
3) S. oben S. 80.
4) Die Belege liir die den griech. Orion betreffenden Züge s. bei Röscher,
Lexikon der griech. n. röm. Mythol., Bd. III.
5) Da die Blindheit des Gottes Marduk wenigstens von den Semiten nur als
eine Art Verschleierung des Blickes im Momente der Kriegswnt betrachtet wurde,
so ergibt sich die Möglichkeit, mit ihr das Wesen eines im Vorderoriente mehrlach
88 IV. Kapitel.
nicht Mars, sondern Jupiter nach der Ansicht der meisten Assyro-
logen als Stern Marduks gilt. ^) Doch halten wir nur fest, daß
der uns beschäftigende Marduk ursprünglich gar nicht plane-
tarischer Natur war, sondern die^ Konstellation des Orion dar-
stellte ; wie dessen augenfälligster Stern der rotglühende Betegeuze
(Orionis ß) ist, so konnte eine Zeit, die alles Wirken der Götter
planetarisch umzudeuten trachtete, das Wesen von Marduk-Orion
am ehesten mit dem durch seinen roten Glanz besonders auf-
fallenden Planeten Mars verknüpfen.
Nach Konstatierung der Göttertrias Mond, Plejaden und Marduk
findet man bei den bisher besprochenen Festen Harrans leicht
das babylonische Vorbild heraus; das vom 6./I. entspricht dem
babylonischen Bubbulum vom 30./XII., das vom 8./I. aber ist das
auf Marduk zurechtgeschnittene spätbabylonische Neujahrsfest.
Wie das babylonische Neujahrsfest eine größere Reihe von
Festtagen im Gefolge hatte, die Verbindung mit der Idee des
Plejadenkampfes verraten, so folgen auch im harranischen Fest-
kalender der Feier des Fastenschlusses noch mehrere andere
Feste, die ihren inneren Zusammenhang mit jener nicht verleugnen
können. So ein auf den 15./I. fallendes Fest, von welchem en-
Nedim berichtet: „ Den IS./I. veranstalten sie ein Mysterium des
Schjamäl, bringen Opfergaben dar, halten Gottesdienst, schlachten
und verbrennen Opfer, essen und trinken." Wer dieser im Kulte
der Sabier durch zahlreiche Ehrungen ausgezeichnete Gott
Schamäl ist, konnte bisher nicht ermittelt werden. Beachtet
man aber, daß er mehrfach in enger Verbindung mit den
Siebengöttern auftritt, auch der „größte Gott" heißt, so kann
unter dem Gesichtspunkte, daß der Sabismus überall nur das
Echo von babylonischen Anschauungen darstellt, an keinen
nachzuweisenden schleiertragenden Gottes su erschlieficn« Dann wäre die in Tell-
Halaf am Chabur gefundene Herme einer verschleierten Gottheit nicht mehr der
Ischtar zuzuweisen, sondern dem „blinden*' Marduk, und H. Wincklcr — ygl.
Arabisch-Semitisch-Orientalisch (Mitteilgn. d. Vorderas. Gesellschaft VI [190 1])^
S* 303 — könnte mit Recht den. Vers des altarabischen Dichters:
„Ich bin der Sohn des aufgehenden Lichtes, einer, der ans den Tiefen auf-
steigt; wenn ich den Gesichtsschleier aufhebe, werdet ihr mich erkennen"
auf einen Marduk-Orion bezogen haben.
i) Dagegen identifiziert J. Epping nach Texten aus der Arsazidenzeit den
Merkur mit Marduk (Astronomisches aus Babylon, S. 173).
Der Plejadenmythas in Festgestalt außerhalb Kanaans. 89
anderen Gott gedacht werden, als an Anu, den Obersten in der
babylonischen Götterreihe, dem sich die Siebengötter in der
Stellung von abhängigen Boten anschließen. In seinem Namen
Schamäl, d. i. Norden, lebt die Erinnerung fort,- daß sein Sitz
der Nordpunkt der Ekliptik, sein Reich der ganze Nordhimmel
sei, *) Da das ganze Drama des Plejadenkampfes sich auf seinem
Gebiete abspielt, so konnte er nicht wohl übergangen werden,
wenn es galt, den dabei hauptsächlich Beteiligten zu huldigen.
Wir können daher mit hoher Wahrscheinlichkeit das am 15./!.
in Beziehung auf Schamäl -Anu dargestellte Mysterium als eine
Fortsetzung der Feste vom 6./X und 8./I. bezeichnen.
5 Tage später fand sodann ein Fest statt, das einen un-
gewöhnlichen Aufwand von Opfern im Gefolge hatte. En-Nedim
beschreibt es in folgender Weise 2): „Den 20./I. gehen sie hinaus
zum Tempel Kädi, der an dem Tore Harrans liegt, welches Tor des
Ollagerhäuses heißt, und schlachten drei Zebrach, d. h. Zucht-
stiere, und zwar einen für Gott Kronos, d. i. Saturn, einen für
Ares , d. i. Mars , der blinde Gott, und einen für den Mond, d. i.
der Gott Sin. Dazu schlachten sie 9 männliche Lämmer, und
zwar 7 für die Siebengötter, eins für den „Gott der Genien",
eins für den „Herrn der Stunden", und verbrennen männliche
Schafe und Hähne in großer Zahl". Dieses Fest sieht wie eine
Rekapitulation der vorhergehenden vom ersten Monate aus. Alle
mit den früheren Festen in Verbindung stehenden Grottheiten
treten hierbei wieder auf, um ihren Anteil am Opfer zu erhalten.
In erster Linie der Mondgott, der, wie an allen seinen Festen
üblich war, durch ein Stieropfer geehrt wurde. Auch für Marduk,
der am 8./I. nur ein Lammopfer erhielt, ward jetzt ein Stier ge-
schlachtet; dabei stand wohl die Absicht im Hintergrunde, den
Gott für eine in die Zwischenzeit fallende größere Manifestation ent-
sprechend zu ehren. Die Siebengötter erhielten ihre üblichen
sieben Lämmer. Das Lamm, das für den „Gott der Genien"
geschlachtet wurde, ist die Abgabe für Schamäl -Anu, welcher
von en-Nedim bei anderer Gelegenheit*) das Attribut „Oberhaupt
1) Als „gröfiter Gott" geniefit er die Ehre, daß nach seiner Richtung, d. h.
nach Norden gebetet wird, worin mit dem Kult der Sabier auch der der Mandäer,
Manichaer und Jezidis fibereinstimmt.
2) Kit al-Fihrist I, S. 322, Z. 8—12.
3) Kit. al-Fihrist I, S. 323, Z. 11.
90 IV. Kapitel.
der Genien" erhält, wodurch er wahrscheinlich als Herr aller
Sternbilder des Nordhimmels gekennzeichnet ist. Neu sind die
Götternamen Kronos = Saturn, und der „Herr der Stunden".
Da wir aber in den übrigen Göttern das Hauptpersonal des
Plejadenmythus vor uns haben, so ist damit zu rechnen, daß auch
diese beiden dazu gehören. Nun läßt ein Stieropfer, wie es für
Kronos dargebracht wurde, keine Beziehung auf einen Unter-
geordneten Gott zu. Sucht man aber nach einem Gotte höheren
Ranges, der außer den schon erwähnten im Plejadenmythus
handelnd auftritt, so bleibt nur noch Bei übrig, der das Verdienst
hat, die Rettung des Mondes zuerst ins Werk gesetzt zu haben.
Ihn mit dem sabischen Kronos = Saturn zu identifizieren, kann
man um so eher wagen, als feststeht, daß die Sabier „Bei, den
würdevollen Alten" verehrten, i) und anderseits das Götterbild,
das in ihrem Saturntempel stand, die Gestalt eines alten Mannes,
also vermutlich jenes Bei, zeigte. *) So bleibt uns vor der Hand
von allen Göttern, denen zu Ehren am 20./I. geopfert wurde,
nur „der Herr der Stunden" unklar; das hindert jedoch nicht,
sie in ihrer Allgemeinheit mit den im Plejadenmythus auftretenden
gleichzusetzen.
Man könnte dann auch Berücksichtigung der Göttin Ischtar
erwarten, deren Versuch während der Bedrängnis des Mondes
eine höhere Stelle am Himmel zu erringen, gewissermaßen ein
Entreakt des himmlischen Dramas, wie wir aus den bildlichen
Darstellungen schlössen, mit einer Demütigung für sie, nämlich
ihrer Erniedrigung unter den Mond endigte. Sollte hiermit etwa
eine Zeremonie zusammenhängen, von der en-Nedim berichtet^):
„Während der ersten drei Tage (des ersten Monats) demütigen
sie sich für ihre Göttin Balthi, d. i. Venus [Ischtar], indem sie
an diesen Tagen in gesonderten Scharen den Tempel der Göttin
besuchen, Opfer schlachten und lebendige Tiere verbrennen."
i) Kit. al-Fihrist I, S. 325, Z. 18.
2) ed-Dimischqi Cosmographie, hrsg. von M. A. F. Mehren, Petersburg 1866;
S. 40. — Für die Gleichsetzung von Saturn und Bei spricht auch die Notiz bei
Servius ad Aeneid. I, 729: „apud Assyrios Bei dicitur quadam sacrorum ratione et
Satumus et sol", was wohl trotz des Widerspruches von P. Jensen (Kosmologie,
S. 116, Anm. l) auf den altbabyl. Bei (d. h. nicht den Marduk-Bel) zu be-
ziehen ist.
3) Kit al-Fihrist I, S. 322, Z. I f.
Der Plejadenmythus in Festgestalt aufierhalb Kanaans. 91
Wie wir in dem Fasten „für den Mond" die Teilnahme an seiner
Trauer erblickt haben, so könnte die Demütigung „für Ischtar"
als Akt der Teilnahme und Genugtuung für sie angesehen
werden. Wenn somit auch diese Ischtarfeier als Teil des großen
Festkreises erscheint, der dem Plejadenkampfe sein Entstehen
verdankt, so ist solches von dem unmittelbar vorher, nämlich-
am 30./XII., gefeierten „Hochzeitsfeste der Götter und Göttinnen"
nicht anzunehmen; denn in ihm lebte anscheinend noch etwas
vom Wesen der altbabylonischen Neujahrsfeier nach. Wie diese
in Babylon selbst durch die Erhebung Marduks zum Patrone der
Neujahrszeit hinfallig geworden war, so hatte sie auch in Harran
durch eine teilweise auf die Plejaden abzielende Zeremonie eine
Einschränkung erfahren. En-Nedim beschreibt sie folgender-
weise ^) : „Man teilt an diesem Tage getrocknete Datteln aus und
bestreicht die Augen mit Stibium. Während der Nacht legt
man unter das Kopfkissen sieben Datteln im Namen der Sieben-
götter, sowie ein Stück Brot zu Ehren des Gottes, der die Leiber
anrührt." Ohne zu beanspruchen , diese seltsamen Zeremonien
zu erklären, möchte ich nur darauf hinweisen, daß sowohl die
<ien Siebengöttern geweihten Datteln, wie auch die Bezeich-
nung „Dattelmonat" für den mit dem Abende des 30./XII. be-
ginnenden Monat mit der Palme zusammenhängen könnten,
die uns auf zahlreichen Darstellungen des Plejadenkampfes ent-
gegentritt.
Die bisher besprochenen Feste erheben sich wie Gipfel über
einer längeren Periode von einheitlich-feierlicher Grundstimmung,
wobei bald Trauer über die Herrschaft der Plejaden und ihre
Vergewaltigung des Mondes, bald Freude über die Beilegung
der feindlichen Gegensätze in der Götterwelt vorherrscht. Um
diese Zeit genau zu umgrenzen, wird man nun nicht nur vom
8./Xn. bis zum 20./I. rechnen müssen, sondern weiter bis zum
28./I., da en-Nedim auf diesen Tag ein Fest ansetzt, das dem
vom 20./I. in mancher Beziehung ähnelt. Er sagt von ihm*):
„Am 28./I. gehen sie zu einem ihrer Tempel, der im Dorfe
Sabti vor dem Tore Bäb-es-sarab („Tor der Wüstenspiege-
lung") gelegen ist, schlachten einen großen Stier für Gott
1) Kit. al-Fihrist I, S. 325, Z. 1—3.
2) Kit. al.Fihrist I, S. 322, Z. 12 — 15.
92 IV. Kapitel.
Ares') und 9 männliche Lämmer für die Siebengötter, den Gott der
Genien und den Herrn der Stunden, essen und trinken, aber verbrennen
keine Tiere." Auch dieses Fest hat als Hintergrund den Plejaden-
mythus, wie die dabei berücksichtigten Götter beweisen; da aber
der Mondgott unter ihnen fehlt, so geht es nicht so sehr auf
die Mondbefreiung, als vielmehr auf die Auseinandersetzung
zwischen Marduk und den Plejaden. Diese schauen dabei viel-
leicht auch aus dem Namen Sabti heraus, worin babylonisches
Sibitti „Plejaden" stecken könnte. Bei Anschluss des Festes vom
28./I. an die Festperiode erhält man für diese eine Länge voa
51 Tagen. Diese reduzieren sich aber auf 49 Tage, wenn man
sich statt an die Festdaten des Abu Sasld an die ebenfalls bei
en-Nedim überlieferten des el-Kindi, eines bedeutend älteren
Gewährsmannes, hält. Dieser sagt 2): „Ihre [der Harranier] Fest-
tage sind folgende: Das Fest, genannt Schluß des siebentägigen
Fastens, der Schluß des Monatsfastens, bzw. des 30tägp*gen
Fastens, bestehend aus zwei Tagen; nach dessen Schlüsse ein
anderes, S Tage später gefeiertes, und weiter eines, das 18 Tage
später, d. h. am 26. des [ersten] Monats, gefeiert wird." Diese
Tabelle setzt anscheinend das von Abu SaSid dem IS./L zu-
gewiesene Fest des Schamäl auf den 13./I., und das vom 28./L
auf den 26./L Ein Irrtum seitens eines der beiden Gewährs-
männer scheint ausgeschlossen; vielmehr wird man anzunehmen
haben, daß eine ältere Zeit — die des el-Kindi — mit einer
49 tägigen Festperiode rechnete, eine spätere — die des Abu
Sasid — aber mit einer 5 1 tägigen. Die kürzere für die ältere
zu nehmen, empfiehlt sich auch deshalb, weil, je weiter man
zurückgeht, desto mehr die Periode sich verkürzt, und man wohl
mit 45 Tagen als ihrer ursprünglichen Dauer rechnen muß.
Dafür zeugt ein mit dem sabischen Kultus verbundenes Mysterium,,
das sich wie eine Reliquie aus uralter Zeit ausnimmt, da es die
Plejaden noch als Dämonen hinstellt, die besiegt zu haben als ein
Verdienst Marduks erscheint Von diesem Mysterium oder S)an-
bolischen Festakte, das am 27./III., also an einem dem Monde
i) Der Text hat Gott Hermes, worunter aber jedenfalls Ares zu verstehen
ist; vielleicht liegt sogar eine Verschreibung von Ares vor, weil nach Kit. al-
Fihrist I, S. 315, Z. 6 der 28. jedes Monats dem Ares heilig ist.
2) Kit. al-Fihnst I, S. 319, Z. 14—16.
Der Plejadenmythos in Festgestalt außerhalb Kanaans. 93
heiligen Tage^) des alten Mondmonats stattfand, gibt en-Nedim
folgende Beschreibung*): „Den 27./III. veranstaltet man die
kultische Handlung des Mysteriums von Schamäl [und] dem
Gotte, der die Pfeile abschießt Dabei stellen sie einen Tisch
hin und legen darauf sieben Zielscheiben, die den Siebengöttern
[und] Schamäl gelten. Dann bringt der Priester einen Bogen,
spannt ihn und legt darauf einen Pfeil, an dessen Spitze eine
brennende Fackel befestig^ ist Zwölf (solcher) Pfeile schießt
der Priester ab und geht dann auf allen Vieren wie ein Hund,
um diese Pfeile wieder zu holen. Das wiederholt er 15 mal
und entnimmt daraus ein Omen. Erlischt die Fackel, so glaubt
er, daß das Fest ungnädig aufgenommen sei; wenn nicht, so ist
es genehm gewesen."
Das Verständnis dieses Mysteriums läßt sich vor allem aus
der Betrachtung der dabei erwähnten Götter gewinnen. Schamäl
und die Siebengötter, d. h. Anu und die Plejaden, gegen welche
ein Angriff unternommen wird, weisen deutlich auf die Haupt-
szene des Plejadenmythus hin. Schon deshalb wird unter dem
Gotte, „der die Pfeile abschießt", Marduk zu verstehen sein ; sein
Beiname aber hänget damit zusammen, daß nach babylonischer
Anschauung keinem so sehr wie ihm das Attribut des Bogens
zukommt; wenn die assyrische Kunst diesen auch dem Gotte
Assur beilegte, so bedeutet das entweder direkte Übertragung
eines Mardukattributes auf ihn, oder dieser Assur ist in letzter
Beziehung kein anderer als Marduk — wodurch sich auch das
Fehlen Marduks in der assyrischen Götterreihe älterer Zeit am
einfachsten erklären würde. Alles, was der Priester im Mysterium
darstellt, tut er nun offenbar als Vertreter des Gottes Marduk.
Er beschießt die sieben Scheiben, die die Plejaden bedeuten,
mit 12 Brandpfeilen; das sind die Pfeile (mulmuUu) Marduks:
12 an der Zahl, weil die Tage um Frühlings äquinoktium eine
Länge von I2 Stunden haben. Dieses wiederholt er 15 mal, um
anzudeuten, daß die Periode der Bekämpfung der Plejaden 15 Tage
dauere. Er holt die Pfeile zurück , wobei er wie ein Hund auf
allen Vieren kriecht. Ein Gott, der in Hundsgestalt auftritt, ist
nun zwar eine seltsame Erscheinung; erinnert man sich aber.
1) Kit. al-Fihrist I, S. 325, Z. 4.
2) Kit. al-Fihrist I, S. 322, Z. 21—26.
94 IV. Kapitel.
daß der Syrer Jakob von Sarug*) von einem harranischen Gotte
Mär-d3kalbu(h), d. i. „Mein Herr, den man als Hund darstellt", redet,
so wird man an seiner Existenz nicht zweifeln können. Wie schon
oben (S. 87) angedeutet ist, muß man im Gebiete der vorder-
orientalischen Religionen, und besonders solcher, die Entlehnungen
aus Altbabylon aufweisen, viel mit volkstümlich oder auch ge-
lehrt umgedeuteten Namensformen rechnen; auch hier wird eine
solche vorliegen. Aus den 6 ersten Buchstaben von Mär-d3kalbu(h)
schaut der Name Marduk heraus, der unter dem Einflüsse der
syrischen Pänultimabetonung in Harran zu Märdek geworden
war. In dem dann noch übrigbleibenden Stücke albu(h) könnte
recht wohl babyl. alpu „Stier" enthalten sein, ein insofern zu
Marduk passendes Beiwort, weil sein Name schon von Haus aus
„junger Stier" (amaru-uduk) zu bedeuten scheint*). Somit spricht
alles dafür, daß die Mysterienszene sich einzig zwischen Anu, den
Plejaden und Marduk abspielte.
Dieses Mysterium bietet m. E. eine passende Handhabe, um
den altbabylonischen Plejadenmythus, dessen Text mit der Auf-
forderung Eas an Marduk, den Kampf zu wagen, abbricht, in der
Hauptsache zu ergänzen. Während 15 Tagen beschoß Marduk-
Orion mit Pfeilen, die ihm die Sonne lieh, die Plejaden, bis sie
ihre Stellung am Morgenhimmel endgültig verloren, d. h. an das
nachfolgende Gestirn der Zwillinge abgaben. Dann wird auch
wohl das babylonische Neujahrsfest, nachdem es einmal in den
Dienst des Mardukkultes gestellt war, sich über einen Zeitraum
von 15 Tagen erstreckt, somit bis zur „Rastzeit" (nubattum)
Marduks, dem 16./I., angedauert haben. Von diesen 15 Tc^en,
die hauptsächlich dem Marduk galten, ist aber das Bubbulum-
fest des Mondes nicht zu trennen, da es die Vorbedingung zum
Auftreten Marduks enthält; ja in gewissem Sinne auch der ganze
Monat Adaru nicht, auf dessen Hintergrunde sich das Treiben
der Plejadengötter abspielte, das das Einschreiten der Götter zur
Folge hatte. Es bildete in Babylon somit die Zeit vom I./XII.
bis zur Mitte des i. Monats wenigstens eine ideelle Einheit
Zur religiösen wurde sie anscheinend erst außerhalb Baby-
loniens, und zwar in der aramäischen oder genauer der
1) Assemani, Bibliotheca Orientalis I, S. 328.
2) Fr. Hommel, Aufsätze und Abhandlungen, S. 377; P. Jensen, Kosmo-
logie, S. 88.
Der Plcjadenmythus in Festgestalt außerhalb Kanaans. 95
harranischen Zone. Ohne Zweifel deckte sich das harranische
Mondfest vom 6./I. samt dem Zusatzfeste vom 8./L mit dem
babylonischen Bubbulum vom 30./XII.: dann entsprachen die
30 Fasttage ursprünglich dem Monat Adaru, der Zeit der Plejaden-
hen^chaft Damit stehen wir vor der Erscheinung, daß Harrans Fest-
rechnung von der babylonischen um acht Tage abwich. Es scheint
mir nun aussichtsvoll, den Grund dafür darin zu suchen, daß sich
der Anfangspunkt des harranischen Jahres gegenüber dem des
babylonischen um acht Tage verschoben habe, so daß es zwar
wie jenes ein gebundenes Mondjahr war, aber ein solches, das
den Frühlingsneumond auf den achten des i. Monats fallen ließ. Das
würde uns auch einigermaßen erklären, warum die Sabier das
Geburtsfest des Mondes am 24./X. feierten. In einer auf astro-
nomischer Grundlage aufgebauten Religion, wie es die harranisch-
sabische war, mußte eine solche Feier entweder auf Neumond-
oder Vollmondtag fallen. Spricht aber der Bubbulum-Charakter
der Feste vom 6./I. und 8./I. dafür, daß sie in die Neumondzeit fielen,
so bleibt uns für den 24. Monatstag nur der Begriff von Voll-
mondtag übrig. Dieses Verhältnis von Neumond zu Monats-
anfang läßt uns auch begreifen, warum Abulfeda das harra-
nische Fasten (vom 8./XII. bis 8./I.) den Monat hindurch
dauern läßt, der mit Eintritt der Sonne in das Zeichen des
Widders endet; denn er rechnete dabei als Muslim vermutlich
mit muslimischen Mondmonaten, die mit Neumond begannen,
so daß ihm , was in Harran der achte des Monats war , als der
erste erschien. Der Rückgang von Neujahr konnte wie vom Ge-
burtsfeste des Mondes, so auch vom Bubbulumtagpe der Harranier
nicht mitgemacht werden; so fiel alles, was mit diesem zu-
sammenhing, in Harran scheinbar um acht Tage später als
in Babylon. Den nunmehr am 8./XII. beginnenden alten
Hejadenmonat machte wohl die Rücksicht auf den Mond als
Hauptgott Harrans zur Fasten- bzw. Trauerzeit; die Periode
seiner Bedrängnis duldete keine freudige Stimmung. Indem nun
die Trauer der Gemeinde sich in Fasten äußerte, erhielten die
SO Tage eine religiöse Weihe und fügten sich dadurch der der
Befreiung des Mondes geltenden Festzeit eng an^ Letztere
könnte, nach dem Mysterium vom 27./III. zu schließen, auch in
1) Chwolsohn, Ssabier und Ssabismus 11, S. 75.
96 V. Kapitel.
Harran einmal 15 Tage gedauert haben — doch bleibt ganz
unsicher, zu welcher Zeit Daß später die 15 Tage zu 19 wurden
und dann der ganze Festkreis 49 Tage umfaßte, hing wohl
mit der Neigung zusammen, den ganzen ersten Monat, soweit er
noch für Feste verfügbar war, in die der Erinnerung an den
PIejadenm5^hus geweihte Zeit einzubeziehen ; damit kam man
bis zum 26./I., da der 27./I. und 28./L im Nisan wie in allen
übrigen Monaten schon mit Opfern für den Mond, bzw. Marduk
belegt waren ^), der 29., d. i. wahrscheinlich der letzte Nisan, aber
nach alter Zeitanschauung schon in den zweiten Monat hinüber-
spielte. 2) Von diesen 49 Tagen gelangte man zu 51 dadurch,
daß man sich entschloß, auch die Feiern vom 27./I. und 28./I.
als Teile des großen Festzyklus zu betrachten.
Den Hauptunterschied zwischen der babylonischen und der
harranischen Festperiode wird man kaum in ihrer verschieden
langen Ausdehnung zu sehen haben, sondern darin, daß in jener
Marduk durchaus dominierte, in dieser aber sich der Mondgott
und Marduk in die Hauptehren des Festes teilten. Der Kult
beider Städte ging sichtlich darauf hinaus , den Plejadenmythus
möglichst der Verherrlichung des obersten Stadtgottes dienen
zu lassen. So wird man sich darauf gefaßt machen müssen, an
Orten, wo nicht Marduk oder der Mondgott, sondern eine andere
mit dem Mythus in Verbindung stehende Gottheit vornehmlich
verehrt wurde, diese ebenfalls als Hauptperson des ganzen Fest-
kreises auftreten zu sehen.
4.
V.
Das israelitische Pflngstfest
Wir haben früher gesehen, daß im Namen des israelitischen
Pfingstfestes Hagg SchabuSoth eine Erinnerung an die Plejaden
lebt. Sieht man genauer zu, so haben dabei die Plejaden nicht
1) Kit. al-Fihrist I, S. 325, Z. 4-7.
2) Kit. al-Fihrist I, S. 324, Z. 12.
Das israelitische Pfingstfest. 97
Is Himmelskörper, sondern als Himmelspersönlichkeiten zu
elten; denn gleichwie der Ausdruck Hagg Jahwe „das Fest
ir Jahwe" bedeutet, muß der analog gebildete Hagg Schabusoth
xxiit „Fest für die Plejaden" übersetzt werden, und beweist
"%/^olIauf für deren Auffassung als göttliche Wesen. Ein solches
I^est kann nicht im Schöße der monotheistischen Jahwereligion
entstanden sein, sondern gibt sich ohne weiteres als Entlehnung,
"vras auch die Bibel andeutet, wenn sie vorschreibt (Ex. 34,««):
»yDas Fest der Plejaden sollst du mir (d. h. Jahwe) feiern" und
^weiter (Num. 28, «e): „Am Tage der Frühopfergaben, wenn ihr
Jahwe als eurer Plejadengottheit ein Speisopfer von
neuem Getreide darbringt, sollt ihr Versammlung des Heiligen
abhalten." Ein Fest der Plejaden kann nur dort zu Hause sein,
^o die Plejaden eine dominierende Stellung im Kultus inne
haben. Deshalb kommt Babylon als seine Heimat nicht in
Betracht: hier stand die Plejadengottheit außerhalb der Reihe
der kultfahigen Götter. In Assyrien war sie höher bewertet: doch
scheinen ihr auch hier die Ehren eines eigenen Kultus gefehlt
zu haben, da wenigstens von keinem ihr gewidmeten Tempel
etwas bekannt ist. In Mesopotamien und speziell in Harran
wurden zwar die Plejaden als vollgültige Gottheit genommen;
doch da Ihr Kultus sie immer nur im Gefolge anderer Götter,
wie des Schamäl-Anu und des Mondgottes, zeigt, so hätten
sie ein irgendwie hervorragendes Fest mit ihrem Namen kaum
decken können. Vermutlich aber waren in der kanaanitischen Zone
die Bedingungen für die Entstehung eines speziellen Plejaden-Festes
wohl vorhanden. Hier reden Eigennamen und Darstellungen
(Taf. 2, No. 2) von den Plejaden als vollgültiger Gottheit, die auf
die Ehre eines eigenen Festes wohl Anspruch machen konnte.
Von der Existenz eines solchen besitzen wir allerdings aus der
phönizischen Zone keine direkte Nachricht; doch den Wieder-
schein eines solchen nehmen wir wahr auf einem Gebiete,
das zahlreiche Einflüsse von Phönizien her erfahren hat: in
Griechenland.
Zu Delphi fand in jedem neunten Jahre ein Septerion^)
genannter Festakt statt, der in einer mimisch -symbolischen
I) Die Überlieferung des Namens schwankt zwischen Septerion und Stepterion;
ich halte letzteres für eine sekundäre Form, die den Ausdruck Septerion unter An-
lehnung an die Wurzel atiqxa begrifflich machen sollte.
Grimme, Das israelitische Pfingstfest. *
98 V. Kapitel.
Vorführung der Hauptmomente eines Kampfes zwischen Apollo
und einem Drachen bestand. Nach Notizen bei Plutarch und Strabo
hat man sich seinen Verlauf ungefähr folgenderweise zu denken.^)
Innerhalb des Heiligtums des Apollo war auf dem unweit des
Ausganges gelegenen Festplatze eine leichte Holzhütte (xaXiccg^
axrtvri) aufgebaut und auf ein tischförmiges Untergestell gesetzt.
Gegen diesen Bau richtete sich dann der Angriff einer Prozession
von Fackelträgem, denen ein Knabe voraufschritt Zur Nacht-
zeit in aller Stille kam man heran, warf Feuer in die Hütte, stieß
den Tisch um und floh dann eiligst, ohne umzuschauen, aus dem
Tempelbezirk ins Freie. Während die Begleiter des Knaben Triumph-
rufe ausstießen, wurde anscheinend noch dargestellt, wie der Knabe
als Flüchtling umherirrte, sich allerlei knechtlichen Diensten
unterzog und endlich fern von Delphi, im thessalischen Tale
Tempe entsühnt und gereinigt wurde, von wo er mit einem
Lorbeerzweig in der Hand nach Delphi zurückkehrte.
Die klassische Altertumsforschung hat schon angefangen da-
mit zu rechnen, daß diese Septeriondarstellung fiir Delphi eigent-
lich etwas Fremdes bedeute. Wie sie nicht im Normaljahre,
sondern am Ende einer neunjährigen Schaltperiode, vermutlich im
Schaltmonate selbst, stattfand, so wird sie kaum zum ursprüng-
lichen Bestände des delphischen Festkreises zu rechnen sein.
Seine Endszene weist auf Tempe hin; der von dort geholte
Lorbeer scheint zu den Requisiten des Kampfspiels gehört zu
haben: so liegt es nahe, den delphischen Festakt für einen Ab-
leger eines in Tempe ähnlich gespielten zu nehmen. Mit dieser
Zurückführung des Festes auf Nordthessalien stehen wir aber
nicht an seiner Wiege; diese stand überhaupt nicht auf griechischem
Boden. Daß vom Peneus durchflossene Tal Tempe und speziell
das Mündungsgebiet dieses Flusses bildete eine natürliche
Pforte für den Eintritt überseeischen Wesens in das nördliche
Griechenland. Auch die Phönizier werden durch dieselbe ihren
Weg genommen haben, um ihre Waren den Pelasgem zuzuführen
und werden mit ihren materiellen Werten auch ihre geistigen
zurückgelassen haben. Die Septerionfeier zeugt dafür; denn sie
verliert alles Rätselhafte, das ihr anhaftet, wenn man sie als den
Nachklang einer im phönizischen Kulte ähnlich wie in dem von
i) Martin P. Nilsson, Griech. Feste von religiöser Bedeutung, S. 150 — 59.
Das israelitische Pfingstfest. 99
Harran und Babylon heimisch gewesenen Feier des Plejaden-
mythus, als ein eigentliches Plejadenfest nimmt.
Schon der Name Septerion berechtigt zu dieser Ansicht;
ich finde darin das semitische Wort für Sieben (Sibitti, Schibsat),
d. i. in diesem Falle die Siebengottheit, wieder, dem eine bei
griechischen Festnamen häufige Endung angehängt ist. Die Weise,
wie dieses griechische „Plejadenfest" sich abspielte, trägt ganz den
Stempel des Symbolismus an sich^ der uns im babylonischen
Neujahrsfeste und im harranischen Mysterium vom 27./III. be-
gegnete. Das leichte Zelt, das als Feind ApoUons angesehen und
deshalb bekämpft und verbrannt wurde, stellte — so seltsam es
klingt — nichts anderes dar als die Plejadengottheit; denn unter
dem gleichen Symbole tritt sie auch im babylonischen Kulte uns
entgegen. Einer der spätesten Keilschrifttexte ^) kultisch-m)^ho-
logischen Inhalts sagt, indem er von Göttersymbolen redet, die
das Bett eines Kranken umgeben sollen: „Die Rohrhütten (uri-
galle), die zu Häupten des Kranken aufgestellt sind, bedeuten die
Sieben, die großen Götter, die Kinder der Ischchara." Danach
hat man in dem Zelte der delphischen Darstellung nicht etwa
nur die Behausung des Plejadendrachen zu erkennen, sondern
diesen selbst. Der Angriff gegen das Zelt erfolgte zur Nachtzeit:
der Angreifer gehört somit wie der Angegriffene unter die Phä-
nomene des Nachthimmels, war im letzten Grunde Marduk-Orion.
Dasselbe bezeugt die Weise seines Auftretens, Als ein Knabe
„dessen Eltern noch leben", kommt er von Tempe hergezogen,
um dem Drachen zu Leibe zu gehen: das paßt recht gut zu
Marduk, Eas, des Ozeangottes, und der Damkina jungem Sohn;
denn seine Heimat Tempe ist Poseidons eigenstes Reich, Poseidon
aber, der Gott „der unter der Erde fahrt" [yair^oxog) in diesem
Falle der babylonische Ea. Unsere Berichte lassen den gött-
lichen Knaben nicht selbst in den Kampf eingreifen; dennoch
muß er daran teilgenommen haben, weil sonst unverständlich
wäre, weshalb die ganze Schuld der Tötung des Drachen auf
sein Haupt fällt. Er greift den Drachen an — aber vermutlich
nicht mit Waffen, sondern mit dem Lorbeerreis, das er jedes
neunte Jahr aus Tempe nach Delphi brachte: damit würden wir
1) Veröffentlicht von Straßmaier in ZA VI (1891), S. 241 ff., übersetzt von
Zimmern: Zum bab, Neujahrsfest, S. 129.
7*
100 V. Kapitel.
bei dem von uns aus Abbildungen erschlossenen Zuge der Ple-
Jadensage stehen, daß Marduk die Siebengötter durch Vorhalten
eines Beschwörungskrautes kraftlos macht.^) Seine Begleiter
verbrennen die Hütte mit ihren Fackeln: Pfeile, die in Fackeln
auslaufen, werden auch im harranischen Plejadenmysterium vom
27./III. beim Angriff gegen die Siebengötter verwendet Nach
seinem Siege flieht der Gott nach Tempe, d. h. in seine Heimat.
Dieser Flucht liegt die astronomische Idee zu Grunde, daß, wenn
die Plejaden vom Frühmorgenhimmel verschwinden, auch Orion
wieder zum Südhimmel niedertaucht Der Flucht des Gottes
folgt seine erst nach langem Bemühen erzielte Reinigung von der
Blutschuld des Mordes, die auf ihn gefallen ist Dieser Zug kann
unmöglich sehr alt sein; er wird dort entstanden sein, wo man
i) Wenn das Original des Apollo von Belvedere — wie man jetzt annimmt
— in der Rechten ein Lorbeerreis trug, so ist auch damit wohl auf die Wirkung
angespielt, die es als Beschwörungskraut beim Drachenkampfe ausgeübt hatte. —
Auch die antike Romanliteratur kannte wohl die Geschichte von Apollo, der mit den
Plejaden — und zwar auf babylonischem Boden — zn kämpfen hatte. Das geht
aus verschiedenen mittelalterlichen, auf Byzanz zurückweisenden Erzählungen hervor,
z. B. der altrussischen „Sage vom babylonischen Reiche** (Arch. f. slav. Phil.
2, 129 fr.) und dem mittelhochd. „Apollonius von Tyrlant'* des Heinrich v. Neu-
stadt. In letzterem wird ausgeführt (v. 8073 fr.), wie König Nemrot einmal den
Apollonius aufforderte, zum „wQsten'< Babylon zu ziehen, um ihm von dort ein
„Zeichen" zu holen. Der Held macht sich auf, findet die Stadt, trifft aber nichts
Lebendes darin als zwei schachspielende Kentauren, Piramort und seine Fran
Pliades, die Tochter des Achiron. Nachdem er sie beide besiegt hat, mufi ihm
Pliades ihre zwei Ringe und einen Heftel abtreten ; auch nimmt er ihnen die Schach-
steine weg. Wie er Babylon verläßt, fällt ihn ein großer Drache an; ein Zauber-
kraut, das er bei sich fuhrt, gibt ihm Kraft, ihn zu erlegen. — S, Singer (Zeitschr.
f. d. Altert. 44, S. 337) hat hinter dieser Erzählung einen alten astronomischen
Mythus vermutet, in welchem Apollo (= Apollonius) und die Plejaden (== Pliades)
als Gegner aufgetreten wären. Ein Apollo, der in Babylon mit den Plejaden
kämpft, würde aber direkt auf den Marduk des Plejadenmythus hinweisen. Bei
dieser Annahme fanden zahlreiche Einzelheiten der genannten Erzählung ihre
Erklärung, z. B. die Kentaurennatur der Pliades, die der spätbabyl. Entwicklung des
Plejadentypus entspräche, das Zauberkraut des Apollonius, in welchem Marduks
Lebenskraut zu erkennen wäre, die Abstammung der Pliades von Achiron, der die
Unterwelt, die Heimat der Siebengötter, personifizieren könnte. Sollten dann die
Schachsteine vielleicht mit dem Siebenkugelemblem der Plejaden zusammenhängen ?
— Die russische Sage läßt Gesandte des Kaisers auf der Spur eines Hasen nach
Babylon gelangen : ein Hase begleitete aber auch sowohl Marduk wie Orion in
den Plejadenkampf (s. S. 55, 57).
Das israelitische Pfingstfest 101
die Plejadengottheit ähnlich hoch einschätzte wie Marduk, also
wohl in Kanaan. Er läßt uns auch vermuten, daß bei der
Septerionfeier eigentlich nicht der Sieger, sondern der Besiegte
Hauptperson war. Alles in allem genommen spiegelt der
delphische Septerionfestakt den altorientalischen Plejadenmythus
in phönizischer Färbung wieder; auf Delphi geht dabei wohl nur
zurück, daß das, was im Orient ein über eine Reihe von Wochen
sich erstreckendes Fest war, zu einer in einer Nacht sich ab-
spielenden Zeremonie zusammenschrumpfte.^)
Der Verlauf des Septerionfestes legt den Gedanken an ein
phönizisches „Schibat*'-Fest nahe : von diesem zum israelitischen
„Schabu8oth*'-Feste wäre an und für sich kein großer Sprung;
doch läßt sich wohl noch eine Station zwischen beiden ansetzen.
Eine Stadt des südkanaanitischen Binnenlandes trägt die Plejaden-
gottheit in ihrem Namen: es ist Beerschebas „der Brunnen der
Plejaden". Sie hatte nach Amos Zeugnisse einen eigenen Död
oder Stadtgott, dessen Kult selbst zahlreiche Israeliten zur Wall-
fahrt nach Beerschebas bewog. Wenn der Prophet seinen Namen
auch verschweigt, so kann man ihn doch mit ziemlicher Wahr-
scheinlichkeit als Schebas, d. i. Plejadengottheit, ansetzen. Die
Wallfahrt nach Beerschebas setzt die Existenz eines größeren
Festes des Stadtgottes, also ein Hagg Schebas „Plejadenfest"
voraus. Es ist verlockend, dieses Fest für das eigentliche Vor-
i) Die Zusammenfassung der verschiedenen Einzelzüge von Marduks Plejaden-
kampf, wie sie uns die babylonischen, harranischen und delphischen Mysterien
vorführen, ergibt folgendes Bild: Marduk, von seinem Vater £a zum Kampfe
ermutigt, rüstet sich; es gelingt ihm den Bogen Nergals in seine Hand zu be-
kommen. Eine nicht minder wirksame Waffe, ein Beschwörungskraut, gibt ihm
anscheinend sein Vater mit. Voll Mut geht er den Plejadendämonen entgegen,
die ihren früheren Freveln gerade noch den hinzufügen, daß sie den heiligen Baum
von Eridu zu entblättern streben. Das ihnen von Marduk vorgehaltene Be-
schwörungskraut schwächt sie, so daö ihr Gefangener, der Mond, sich frei macht,
wieder wachsend am Himmel emporsteigt und der Herrschaft der Ischtar ein Ende
macht Die Plejaden stürmen auf Marduk ein; dieser schießt 15 Tage lang den
Inhalt seines Köchers, 12 Brandpfeile, gegen sie ab und streckt sie damit zu
Boden. — Dazu als späterer babyl. Zusatz: Marduk gewährt den von ihm be-
siegten Plejadengöttem Gnade. Weiter als aramäisch -kanaanitischer Zusatz: Marduk
muß sich, weil er Blut von Göttern vergossen hat, einer längeren Reinigung und
Sühnung unterziehen.
102 V. Kapitel.
bild des israelitischen Hagg SchabuSoth zu nehmen; denn Beer-
schebas war eine der klassischen Stätten der altisraelitischen Ge-
schichte, als Aufenthaltsort der Erzväter wie als Schlüssel- der
Südgrenze Israels. Was in ihr Geltung hatte, konnte im übrigen
Israel leicht auf Nachahmung rechnen.
Hängt das israelitische Pfingstfest mit irgend einem in Kanaan
gefeierten Plejadenfest zusammen, so steht er dadurch zugleich in
mehr oder minder naher Beziehung zu den verschiedenen
aus dem Plejadenmythus entwickelten orientalischen Festen.
Das führt uns zur Frage: Wie äußert sich bei ihm dieser Zu-
sammenhang? Welche auswärtigen Einflüsse sind bei ihm noch
nachweisbar ?
Es scheint zur Zeit aussichtslos, aus dem israelitischen Pfingst-
feste Züge herauszuschälen, die ausschließlich babylonisch wären;
denn Israel knüpft in der Entwicklung seiner religiösen Satzungen,
zumal der kultischen, wohl nirgendwo unmittelbar an Babylon
an. So kann man sich darauf beschränken, nach Zügen zu
forschen, die auf Mesopotamien, speziell Harran, sowie auf
Kanaan hinweisen. Wüßten wir über die großen Feste Kanaans
näher Bescheid, so würde vielleicht die Annahme direkter Ein-
wirkung seitens Harrans auf das Pfingstfest hinfällig; aber
in Anbetracht, daß uns kanaanitische Religion noch ein recht
leerer Begriff ist, möge das, was sich nur in Harran, nicht
aber in Kanaan nachweisen läßt , vor der Hand als harranisch
gelten.
Unter dieser Reserve kann man wohl von harranischen Ein-
flüssen auf die Zeitdauer und auf den Schlachtopferritus
des israelitischen Pfingstfestes sprechen. Wie wir oben sahen,
erstreckte sich Harrans Mondfest über eine Periode von 49 bis
5 1 Tagen. Es zerfiel in zwei ungleiche Hälften : in die durch einen
Monat währende Zeit des Fastens für den Mond und eine Anzahl
daran sich schließender Freudentage. Das israelitische Pfingstfest
tritt uns in der Bibel als eine Veranstaltung entgegen, die aus
einer 49 tägigen Vorbereitungszeit und einem diese abschließenden
Festtage besteht. Die Übereinstimmung beider Feste in der Zahl
der Tage könnte ein Spiel des Zufalls genannt werden, besonders
wenn Nachdruck darauf gelegt wird, daß von der für Harrans
Fest wesentlichen Teilung in eine traurige und eine freudige
Hälfte die Bibel nichts andeutet. Aber was wir in dieser Hin-
Das israelitische Pfingstfest 103
sieht im Bibeltexte vermissen, holt die spätjüdische Tradition der
Pfingstfestfeier nach. In ihrem Lichte gesehen zeigt zunächst
die ganze 49 tägige Vorbereitungszeit gottesdienstlichen Charakter;
denn das Abzählen der sieben Wochen, das sogenannte Omern,
wird dadurch, daß es stehend geschieht, als eine Art von Gebet
gekennzeichnet. Weiter teilt diese Tradition die Omerzeit in
zwei nach Zeit und Stimmung verschiedene Hälften« Die erste,
die vom i. bis 32. Tage reicht, gilt als eine Trauerzeit, während
welcher Heiraten und Tanzen, Baden und Sichscherenlassen un-
statthaft sind. Dieser Zustand, der vorübergehend am Neumond-
tage des 2. Monats aufgehoben wird, ändert sich wesentlich
mit dem 33, Tage, dem sogenannten Lag be-Omer. Ohne
Festts^ höherer Ordnung zu sein, wird er doch freudig begangen
und zwar besonders von der heranwachsenden Jugend. In kabba-
listischen Judengemeinden, wie sie vor allem der Orient aufweist,
besteht der Brauch, am Lag be-Omer den Knaben Bogen und
Pfeile in die Hand zu geben und sie damit schießen zu lassen,
sowie auch Feuer anzuzünden. Nach dem 33. Tage setzt zwar
wieder eine geschlossene Zeit ein, die aber leichter genommen
wird als die vorhergehende. Was der Talmud zur Erklärung des
Trauercharakters der 49 Tage und der Einrichtung des Lag be-
Omer vorbringt, trägt, wie schon früher (S. 21) bemerkt ist, den
Stempel der Unwahrscheinlichkeit an der Stirne; ferner ist
unannehmbar, wenn die Kabbalisten dem Bogenschießen der
Knaben symbolische Beziehung auf den Tod des Simon ben Jochai
geben. 1) Aller Wahrscheinlichkeit ist aber das, was die Juden
an Pfingstbräuchen unverstanden ausüben, ähnlich auch schon
niit dem altisraelitischen Pfingstfeste verbunden gewesen; denn
es erinnert uns in mancher Beziehung an die Weise, wie
man in Harran die Zeit der Bedrängung und Befreiung des
Mondes beging. Die strenge Trauerzeit vom i. bis 32. Omertage
entspricht dem Monate, während dessen man in Harran für den
Mond fastete und trauerte. Das Fest Lag be-Omer deutet auf
das Erscheinen Marduks zur Rettung des Mondes, wie es Harran
am 8./I, gefeiert haben wird. Wenn die Knaben bei der Feier
von Lag be-Omer in den Vordergrund treten, so läßt sich solches
passend damit zusammenbringen, daß der jugendliche Gott Marduk,
i) S. Jewish Encyclopedia sub „Lag Beomer*'.
104 V. Kapitel.
der „Knabe" des delphischen Septerionfestes, es war, der, als die
älteren Götter sich rat- und tatlos zeigten, sich zur Rettung des
Mondes aufmachte. Dann wird aber auch das Bogenschießen der
Knaben ursprünglich dasjenige von Gott Marduk versinnbildlicht
haben, somit ein Gegenstück zu dem harranischen Mysterium vom
27./III. bilden. Die mehr und mehr zur Pfingstfreude sich steigernde
Stimmung der Zeit nach Lag be-Omer bezieht sich gleich den Festen,
die Harran bald nach dem 8./I. feierte, auf Marduks Erfolge
gegenüber den Plejaden; der Pfingsttag selbst wäre dann, wie in
Harran der 28./I., der Endpunkt des Kampfes, Marduks Siegesfest.
Daß diese Zusammenhänge von Seiten der Israeliten jemals noch
lebendig empfunden wurden, soll damit keineswegs gesagt sein;
sie werden sich vielmehr schon früh auf Gleichheit der äußeren
Formen beschränkt haben.
Daß die erste Hälfte des Festkreises bei den Juden 33 Tage
und nicht wie in Harran 3 1 zählt, bleibt unerklärt, hat aber inso-
fern wenig Befremdendes, als auch schon die Harranier sie um
einen Tag länger feierten, als ihr altbabylonisches Vorbild, der
Plejadenmonat, währte.
Mit Harran könnten ferner Zahl und Beschaffenheit der
israelitischen Pfingstopfer, wie sie Lev. 23, is vorschreibt, in Zu-
sammenhang gebracht werden. Die Opferung eines Stieres fände
sein Analogon in dem am 8./L und 20./I. dem harranischen Mond-
gotte dargebrachten Stieropfer. Die ßieben Lämmer wird man
um so eher mit der gleichen Anzahl von Lämmern zusammen-
bringen, die am S.jL, 20./I. und 28./L den Siebengöttem in Harran
fällig waren, weil dieses Opfer auch im Plejadenkulte von Beer-
schebas eine Rolle gespielt zu haben scheint (S. 63). Endlich
könnten die zwei männlichen Schafe den zwei Lämmern ent-
sprechen, die in Harran am 8./L für Marduk und die „Satans-
götter", am 20./L und 28./I. aber für Anu und den „Herrn der
Stunden" geschlachtet wurden.
Die von uns als harranisch bezeichneten Züge des Pfingst-
festes weisen Übereinstimmung mit der Idee des älteren Plejaden-
mythus auf. Neben ihnen stehen aber andere, die von ihr be-
deutend abweichen, indem statt Marduks oder des Mondgottes
die Plejaden als Hauptträger der Festidee auftreten, Sie ent-
stammen allem Anscheine nach der Entwickelung , welche das
alte Fest in kanaanitischer Zone erfahren hat. Von solchen
Das israelitische Pfingstfest 105
kanaanitischen Zügen des Pfingstfestes treten besonders zwei in
den Vordergrund: die Verschiebung des Festtermins und
die Einfügung von Erntefestgebräuchen.
Der Termin der israelitischen Pfingstfeier fällt gut 5 Wochen
später als der des harranischen oder auch babylonischen Festes.
Als Grund für diese zeitliche Verschiebung hat man eine Ver-
änderung der Festidee anzunehmen. Das altorientalische Fest
konnte wegen seiner Betonung der Errettung des Frühlingsmondes
nicht anders als gegen Frühlingsanfang gefeiert werden; wo sich
aber ein Kult der Plejaden entwickelt hatte, da lag es nahe, das
Plejadenfest erst mit der Zeit des Frühaufgangs der Plejaden
beginnen zu lassen. Dieser war um 5000 v. Chr. auf den Anfang
des letzten Wintermonats gefallen und in den folgenden Jahr-
tausenden langsam vorgerückt, bis er gegen 2000 in der Mitte
des ersten Frühlingsmonates stattfand. Da der israelitische Pfingstkreis
am 16. dieses Monates begann, so ist anzunehmen, daß er sich
nach einem Vorbilde vom Jahre 2000 richtete. Ein Bedürfnis,
diesen Termin in späterer Zeit gemäß den veränderten astronomischen
Verhältnissen noch weiter vorzurücken, scheint man in Kanaan
wie auch in Israel nicht empfunden zu haben.
Daß man ein Recht hat, den Pfingsttermin als entlehnt zu
bezeichnen, geht auch aus der Weise hervor, wie er in das israelitische
Festjahr eingefügt worden ist. Dieses gibt sich als wesentlich
vom Mondlaufe normiert; denn seine Feste fallen entweder in
Vollmond- oder Neumondzeiten. i) Einzig das Pfingstfest verleugnet
dieses Prinzip. Es stört sogar die israelitische Festreihe, indem
es während der Feier des Mazzothfestes seinen Anfang nimmt.
Solches zeigt, daß von einem alten die Feste Passah-Mazzoth,
Pfingsten und Sukkoth umfassenden Festkreise keine Rede sein
kann. Vielleicht daß Passah-Mazzoth und Sukkoth in altem Zu-
sammenhange stehen ; ihre Verbindung mit Pfingsten ist aber rein
äußerlich. Weist nun das israelitische Pfingsten, wie wir glauben,
auf Kanaan als seine Heimat hin, so ist für Passah-Mazzoth und
Sukkoth eine andere Heimat zu suchen: vermutlich Arabien,
die Geburtstätte der mosaischen Einrichtungen.
Kanaanitisch wird weiterhin die Idee von Pfingsten als einem
i) Welche Bewandtnis es mit dem scheinbar anders fallenden Versöhnungs-
tage hat, werde ich an anderer Stelle darlegen.
106 V. Kapitel.
Erntefest sein. Die Wochen, während welcher die Plejaden am
Morgenhimmel aufgingen, bedeuteten für Kanaan die Zeit der
Weizen- und Gerstenernte; die Plejaden, die in Babylon dauernd
als Patrone des schärfsten Wintermonats galten, wurden in
Kanaan als solche der Frühemtezeit angesehen: das wirkte nun
auf ihr Fest in der Weise ein, daß bei seinem Zeremoniell
auch die Darbringung von Emtegaben vorgesehen wurde. Da-
durch ward das Plejadenfest (mynti an) zugleich zum Tag der
Erstlinge (D''"nDsrr üv). Näher betrachtet bestanden die Emtefest-
zeremonien des Pfingstkreises in einer zweimaligen Darbringung
von Ernteprodukten. Sein erster Tag, der 16./L, brachte die
Einlieferung der sogenannten Reschlth der Ernte mit sich; sie
bestanden in einer Garbe, die man dem Priester brachte, damit
er sie vor Gott „webe". Am Schlußtage, dem 6./ni., erfolgte
dann die Darbringung von sogenannten Bikkurim, die die Form
von zwei richtig ausgebackenen Broten hatten; sie waren für den
Gott selbst bestimmt, ob auch die Priester davon essen durften.
Zwischen diesen beiden Gaben besteht ein prinzipieller Unter-
schied; denn die Reschith sind reine Naturprodukte, die Bikkurim
aber schon in Gebrauch genommene, zu Speisen verarbeitete
Früchte. Daß die Darbringung solcher Gaben beim Pfingstfeste
kanaanitisch ist, scheint das mosaische Gesetz selbst einzugestehen.
Da es nämlich in Num. 28, 26 den Tag der Bikkurim als den-
jenigen bezeichnet, an welchem Israel dem Jahwe als seiner Ple-
jadengottheit ein Opfer von neuer Frucht darbringe, so deutet es
damit wohl auf solche, die im Gegensatz zu Israel die Bikkurim
nicht dem Jahwe, sondern der Plejadengottheit darbrachten,
d. h. auf die Kanaaniter. Ob die Verbindung eines Lammopfers
mit der Darbringung der Reschith wie auch der Bikkurim von
Kanaan beeinflußt ist, liegt für uns im Dunkel.
Zwar nicht die Bibel, wohl aber die spätjüdische Tradition
die, wie wir oben sahen, keine zu verachtende Zeugin für alt-
israelitische Gebräuche ist, belehrt uns über einige weitere den
Plejaden geltende Züge des Pfingstfestes , die auch wohl als
kanaanitisch zu gelten haben. Es herrscht am jüdischen Pfingst-
tage der Brauch, Häuser und Synagogen mit Blumen und Grün zu
schmücken und Kränze auf dem Haupte zu tragen; weiter das
Festmahl vorwiegend aus Speisen herzurichten, die aus Mehl, Milch
und Käse bestehen. Man könnte hierin den Ausdruck der Freude über
Das israelitische PfingstfesU 107
eine glückliche Beendigung der Ernte erblicken. Eine spezielle Er-
innerung an die Emtegottheit, d. h. die Plejaden, bewahrt aber wohl
die Sitte, als Hauptgericht einen Kuchen, der in sieben Spitzen aus-
läuft, aufzutragen.^) Deuten ihn die frommen Juden als Abbild des
Berges Sinai, so werden wir in ihm lieber einen Hinweis auf die
trotz ihrer Siebenzahl doch einheitliche Plejadengottheit sehen.
Das Vorhergehende ließ uns erkennen, daß die Israeliten
das Pfingstfest nicht geschaffen, sondern übernommen haben, und
zwar ohne dabei seine Formen wesentlich zu verändern. Aber
eingestellt in den israelitischen Kult zeigte es doch sofort ein
anderes Gesicht; denn ob sein Name auch noch auf die Ple-
jaden deutete, aus seinem Inhalte waren diese verdrängt durch
den Gott Israels, Jahwe. Um die Bedeutung dieser Veränderung
richtig einzuschätzen, ist die Frage zu beantworten : In welchem
Verhältnis stand für die Israeliten Jahwe zu den Plejaden? Nach
allem, was die Bibel darüber verlauten läßt, nahm man beide
als in ihrem Wesen durchaus verschieden; dazu wurde für Jahwe
die Stellung eines über die Plejaden gebietenden Herren bean-
sprucht So stellt das mosaische Gesetz die Plejadengottheit als
von Gott Jahwe überholt dar, wenn es (Num. 28, 26) vom
Pfingsttage als einem solchen redet, „an welchem ihr (d. h. die
Israeliten) Jahwe als eurer Plejadengottheit (bezw. Jahwe, der für
euch die Plejadengottheit ist) ein Speiseopfer von neuer Frucht
darbringt*'; das Gleiche scheint der Eigenname JehoschebaS
,Jahwe ist die Plejadengottheit" zu besagen. Aufs deutlichste
sprechen es verschiedene Propheten aus, daß von den Plejaden
als Gottheit überhaupt nicht zu reden sei. So nennt Amos
(5, s) Jahwe als denjenigen, der die Plejaden geschaffen habe, Jere-
mias {5,24) läßt ihn die Plejaden, an welche die Ordnung der
Ernte gebunden sei, hüten und für Habakuk (3,9) sind die Ple-
jaden nur eine Waffe für die Hand von Israels Gott. Da nun
auch im Bereiche des ganzen Plejadenm)^us keine Götter-
persönlichkeit nachzuweisen ist, die nach Namen oder Wesen
mit Jahwe zusammengestellt werden könnte, so ist die Über-
tragung der Ehren des Pfingstfestes auf Jahwe in der Weise zu
deuten, wie wenn biblische Dichter Jahwe die Ehre der Besiegung
Rahabs, d. h. einer Heldentat Marduks beilegen. Da er der
I) S. J. Buxtorf, Synagoga Judaica' (Basel 1680), S. 444.
108 V. Kapitel.
Gott im eigentlichen Sinne ist, so gebühren ihm auch die Ehren
aller anderen Götter. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet,
bedeutet die Einsetzung Jahwes an Stelle der Plejaden eine
grundlegende Veränderung im Wesen des Pfingstfestes, die das
Absterben aller auf Jahwe nicht unbedingt passenden Zügen der
Festfeier zwar nicht sofort bewirkte, so doch einleitete.
Die Folgen dieser inneren Erneuerung des Pfingstfestes
würden wohl mehr in die Augen springen, wenn wir die volle
Tragweite eines Begriffes verständen, der mit Pfingsten unlösbar
verbunden ist, nämlich Mikra-Kodesch (tt5np-N'np73). Lev. 23, 21
schreibt vor, daß am Pfingsttage Mikra-Kodesch abgehalten
werden solle ; nach Num. 28, 26 hat es sogar für wesentlicher zu
gelten als die Darbringung des Speiseopfers. Die bisherige
Deutung von Mikra-Kodesch scheint uns sein Wesen nicht ge-
troffen zu haben. Schon aus grammatischen Gründen ist nämlich
eine Übersetzung, wie „Versammlung beim Heiligtume" oder
„gottesdienstliche Zusammenkunft" nicht zulässig. Eine wörtliche
Übersetzung führt zunächst zur Wiedergabe durch „Zusammen-
berufung des Heiligen". Was ist aber das Heilige? Wenn es
sich um heilige Personen handelt — was wegen der Verbindung
mit Zusammenberufung hier anzunehmen ist — so bedeutet es
den Gegensatz zu den Profanen. In der israelitischen Gemeinde
waren beide Elemente vertreten und zwar so, daß was nicht
heilig war, als profan galt. Das wichtigste Dokument für diese
Zweiteilung der Gemeinde bildet der Bericht über den Aufstand
von Korah und seinem Anhange (Num. 16). Sie stellen gegen
Moses und Aron die Behauptung auf: „Die ganze Gemeinde be-
steht aus Heiligen, in deren Mitte Jahwe ist." Die unbedingte
Zurückweisung dieser Behauptung durch Moses beweist, daß der
Gegensatz von Heiligen und Nichtheiligen ein Kernpunkt des
älteren Gesetzes war. In ihm werden als die Heiligen der
Gemeinde die Priester und Nasiräer^) erwähnt; alle übrigen,
auch die Leviten eingeschlossen, 2) sind nicht heilig, d. h. profan.
i) Vgl. Num. 6, 5.
2) Als heilig gelten die Leviten allerdings in jenen Schriften, wo sie als mit
den Priestern identisch auftreten. Daß aber der nichtpriesterliche Levitismus,
wie ihn Lev. und Num. vertreten, ursprünglicher^ ist als der priesterliche, werde
ich anderswo begründen. Vorläufig sei nur auf meinen Artikel „Ein Schauspiel
für Kemosch«' (ZDMG. LXI, S. Siflf.) verwiesen.
f
Das israelitische Pfingstfest. 109
Es ist hier nicht der Platz, die für die Auffassung des alten
Bundes äußerst wichtige Frage nach der Scheidung der Gemeinde
in Heilige und Nichtheilige eingehender zu erörtern; für uns
genügt es einen Anhalt dafür gefunden zu haben, daß Mikra-
Kodesch bedeute „Einberufung des Heiligen, bezw. der Heiligen
(der Gemeinde)."
Zu dieser Auffassung gelangt man auch auf einem anderen
Wege. Als ein Synonym von Mikra-Kodesch findet sich der Aus-
druck 8A§ärä (nn»y) oder sAsereth (nn»T). Er ist in Lev. 23, 86
dem Worte Mikra-Kodesch als Glosse beigefügt, und in Nehem. 8, is
tritt er als vollwertiger Ersatz desselben auf, so daß man
wohl annehmen muß, er sei ein vulgärer oder auch späterer
Ausdruck für Mikra-Kodesch. Seine Bedeutung ist — ent-
sprechend der Wurzel säsar „abschließen" — „Abschließung";
daß aber an eine Abschließung ritueller Art, nämlich die
der Heiligen der Gemeinde von den Profanen dabei zu denken
ist, lehrt der in II Könige 10, isflf. gegebene Bericht von
den Maßnahmen des Jehu gegen den Baalskult Jehu glaubte
diesem den Todesstoß zu versetzen, wenn er alle „Diener Baals"
(bya ^^l^y) umbringen ließe. Er befahl zu diesem Zwecke : „Macht
eine heilige sAsära für Baal" (by^b nnasy ittj'np), woraufhin „alle
Diener Baals", die in ganz Israel waren, in Samaria erschienen.
Als das Heiligtum Baals von ihnen ganz angefüllt war, jeder von
ihnen aus der Kleiderkammer sein für die Zeremonie des Festes
notwendiges Kleid erhalten hatte und unter Schlacht- und Brand-
opfem der Kultakt begann, schickte Jehu 80 Bewaffnete in das
Heiligtum, die mit ihren Schwertern die sämtlichen darin ver-
sammelten Baalsdiener niedermachten. Wenn hier der Raum
eines Tempels alle „Diener", die Baal in Israel hatte, fassen
konnte, wenn 80 Bewaffnete hinreichten, sie zu überwältigen, so
sind unter den Dienern Baals gewiß nicht alle Baalsgläubigen zu
verstehen, sondern ein engerer Kreis seiner Verehrer, und die
sAsära des Baal bestand somit in einem Feste für „Esoteren".
Hieß der Akt des Mikra-Kodesch in späterer Zeit sAsara, so
der daran Beteiligte sAsür (-nar^) oder Neesir (lat^:).^) Als ein
solcher tritt in I Sam. 21, 8 Doeg auf, welcher wegen seiner
i) Gegensatz ist Säznb (aiT^) „ledig", nämlich der Rechte und Pflichten
des Sä^iir.
110 V. Kapitel.
Eigenschaft als „Neesär vor Jahwe" Eintritt zum Inneren des
Heiligtums von Nob hatte; femer Schemajah (Nehem. 6, lof.),
dem es als sAsur erlaubt war, den Innenraum des Tempels von
Jerusalem zu betreten, wohin ihm selbst ein Nehemias, weil er
ein Profaner war, nicht folgen durfte. In einem gewissen Gegen-
satz dazu scheint es zu stehen, daß der Prophet Jeremias
(36, 6 f.) sich weigerte, im Hinblick auf seine Eigenschaft als 8 Asür
den Tempel zu betreten, wo das Volk sich gerade zu einem
Fasten versammelt hatte. Aber auch dieses paßt in das Bild
der zweigeteilten Gemeinde. Ging die Scheidung bis in die
Tiefe der Gemeinde, so erstreckte sie sich sicher auch auf den
Kult, und es muß kultische Akte gegeben haben, die ausschließ-
Hch nur einen von beiden Teilen angingen. Erst unter diesem
Gesichtspunkte sind die israelitischen Feste recht zu verstehen.
Wo das Gesetz bei einem von ihnen Mikra-Kodesch anmerkt,
da kam das profane Volk als Festteilnehmer nicht in Betracht.
Das ist aber der Fall beim i. und 7. Tage des Mazzothfestes,
beim i. und 8. Tage vom Sukkothfeste , beim Neujahrs- und
Versöhnungsfeste. Der letzte Tag der Pfingstfeier ging sowohl
die Profanen wie die Heiligen an; aber seine Beschreibung in
Lev. 23, 15-21 läßt durchblicken, daß der Festakt für die letzteren
erst nach Beendigung der Erntefestzeremonien einsetzte.
Es wäre vergebliche Mühe ermitteln zu wollen, unter welchen
Formen sich der Gottesdienst der israelitischen „Heiligen" ab-
gespielt habe. Könnte man für denjenigen von Pfingsten im
Hinblick auf früher besprochene babylonische und harranische
Pfingstkulte auf mimisch-symbolische Darstellungen raten, so wird
eine nüchterne Forschung doch lieber vollständiges Nichtwissen
bekennen. Nur eines darf man als sicher behaupten, daß das
religiöse Leben der Gemeinde am stärksten in dem Kreise der
Heiligen pulsiert habe, und nachdem einmal Pfingsten seinen
Charakter als israeUtisches Fest durch Einsetzung Jahwes an Stelle
der Plejadengottheit bekommen hatte, wird das Mikra-Kodesch
von Pfingsten der Boden gewesen sei, auf dem die Konse-
quenzen dieser Änderung sich zuerst bemerkbar machten.
In demjenigen, was Lev. 23, Num. 28, endlich auch Ex. 23
und 35 über die Feier von Pfingsten vorschreiben, glaube ich
die Form zu erkennen, unter welcher Israel dieses Fest bald nach
dessen Entlehnung aus dem kanaanitischen Kulte begangen habe.
Das israelitische Pfingstfest. 111
Es blieb aber bei dieser nicht stehen; schon im deuteronomi-
stischen Gesetze regte sich der Trieb, es nach anderer Richtung
hin umzugestalten. Ehe wir auf diese Fortentwicklung eingehen,
muß noch kurz eine Institution des israelitischen Gesetzes ins
Auge gefaßt werden, die einen Seitentrieb der israelitischen
Pfingstfeier darstellt, nämlich das Jobeljahr.
An die Festtabelle (Lev. 23) schließt sich, nur getrennt durch
kleinere Kultusvorschriften und einige Strafgesetzparagraphen,
als organische Folge das Sabbath- und Jobeljahrgesetz (Lev. 25)
an. Letzteres verfügt (v. 8 — 12): (8) „Du sollst dir sieben Sabbath-
jahre abzählen, nämlich 7 mal 7 Jahre, so daß die Zeit der
sieben Sabbathjahre dir 49 Jahre ausmacht. (9) Und du sollst
im 7. Monate am 10. Tage die Alarmtrompete erschallen lassen;
am Versöhnungstage sollt ihr überall in euerm Lande die Trom-
pete erschallen lassen. (10) Und ihr sollt das 50. Jahr heiligen
und im Lande Restitution (n"^^^) proklamieren für alle seine Be-
wohner; ein Jobel (b^i*^) soll es euch sein, in welchem ein jeder
von euch wieder zu seinem Besitze gelangt und zu seinem Ge-
schlechte zurückkommt. (11) Als ein Jobel soll es, d. h. das
50. Jahr, euch gelten; nicht dürft ihr säen noch den Nachwuchs
einernten, noch auch von den unbeschnittenen Weinstöcken
Trauben lesen. (12) Denn ein Jobel ist es, das euch als heilig
gelten soll; doch vom Felde weg mögt ihr essen, was es trägt"
Nach Wellhausen (Proleg.^ S. 113 f.), dessen Ansicht die jetzt
herrschende ist, wäre der israelitische Jobel, bezw. das israelitische
Jobeljahr dem israelitischen Pfingstfeste nachgebildet, ähnlich wie
das Sabbathjahr dem Sabbathtage. „Jobel", sagt er, „ist eine
künstliche Einrichtung, aufgebaut auf den Brachjahren, als Ernte-
sabbathen, nach der Analogie des Pfingstfestes." „Wie der
50. Tag nach den 7 Sabbathtagen als Schlußstein der 49tägigen
Periode gefeiert wird, so das 50. Jahr nach den 7 Sabbathjahren
als Schlußstein der 49jährigen." „Das Jobeljahr, auf alle Fälle
vom Sabbathjahre abgeleitet, ist noch jünger als dieses."
Der Gedanke eines Zusammenhangs zwischen Pfingsten und
dem Jobeljahre leuchtet ein; weniger die Behauptung, das
Jobeljahr sei vom israelitischen Pfingsfeste abgeleitet. Es ist
Wellhausen entgangen, daß hinter dem Jobeljahre sich ein
ähnlich weiter Horizont ausdehnt, wie wir ihn hinter dem israe-
litischen Pfingstfeste gefunden haben. Das lehrt besonders
112 V. Kapitel.
eine genauere Betrachtung seiner beiden Hauptbegriffe Deror
und Jöbel.
Derör (11*1^) ist ein juristischer Begriff, der die Restitutio
in integrum ausdrückt und zwar sowohl in Bezug auf Personen-
verhältnisse (vgl. Jerem. 34, sff.; Is. 61, 1) wie auch auf Verhältnisse
des Eigentums (vgl. Ez. 46, 17). Ihm entspricht nun im babylo-
nischen Rechte der An duräri , ^) d. i. „Akt der Restitution",
worunter sowohl die Restitution der persönlichen Freiheit ver-
standen wird (vgl. Gesetz Hammurabis § 117 und 280) als auch
die der früheren Besitzverhältnisse (vgl. große Prunkinschr. Sar-
gons, Z. 137 = KB II, S. 72). 2) Derselbe Ausdruck und Begriff
spielt dann auch in die babylonische Religion hinein, indem Gott
Marduk mit dem Beinamen scha an duräri „Der Restitutor"
auftritt.^) Nach dem, was wir früher über Marduks Wesen und
Taten auseinandergesetzt haben, kann es kaum zweifelhaft sein,
daß dieses Epitheton sich auf die von ihm bewirkte Wieder-
herstellung des durch die Plejaden seiner Freiheit und Herrschaft
beraubten Mondgottes bezieht. Das babyl. An duräri steht somit
in enger Beziehung zur Pfingstidee ; sollte das Gleiche nicht auch
mit dem hebr. Derör der Fall sein? Die entgültige Entscheidung
dürfte davon abhängen, was Jöbel bedeutet.
Zur Zeit sieht man Jöbel (^5"!'^) für eine Erweiterung des
Begriffes jöbel „Widder" oder „Widderhorn" an und erklärt „Jahr des
Jobeis" sowie auch Jobel allein als ein „Jahr, das mit Blasen
des Widderhoms eingeleitet wird." Diese Erklärung scheint mir
recht bedenklich; denn das Lärmblasen mit dem Widderhorn
kam nicht nur dem Anfange eines Jobeljahres zu, sondern auch
dem jedes gewöhnlichen Jahres. Auch leuchtet nicht ein, wie
„Jahr des Widderhorns" , zu „Widderhorn" abgekürzt noch eine
Zeitbestimmung darstellen könne.
•
i) Das Minäische weist einen in den Konsonanten genau damit überein-
stimmenden Ausdruck auf: IIHSfi^ (Glaser 282, 3, 5), wovon neben Schlachtopfem fur
Attar und dem Erscheinen des Vollmondes die Rede ist. Spätere Forschung
möge entscheiden, ob er auch inhaltlich mit An duräri, bezw. ITll verwandt ist.
2) Es ist die Rede davon, daß im Kriege zwischen Sargen und Merodach-
Baladan Suti-Beduinen, die im Solde des letzteren standen, sich viel Grundeigentum
südbabylonischer Städte angeeignet hatten. Daraufhin nahm Sargon nach Be-
siegung seines Gegners für „Ur*, Uruk, Eridu, Larsa, Zarilab, Kisik und Nimid-
Laguda den Akt ihrer Restitution (an durärschun)" vor.
3) K. 4349, s. Delitzsch, Handwörterbuch, S. 229^
Das israelitische Pfingstfcst. 113
Auf der Suche nach einer passenderen Erklärung des Wortes
Jöbel bietet sich uns eine bisher übersehene aus dem Babylo-
nischen dat. Da, wie wir oben (S. ^^) sahen, das b von bub-
bulum arabischem w und weiter hebräischem j entspricht, so
läßt sich Jöbel eng an bubbulum anschliessen — wenn auch
mehr in den Konsonanten als in den Vokalen. Bezüglich der
Verschiedenheit der Vokale ist aber zu beachten, daß, wenn
Jobel Lehnwort ist, es doch nicht direkt, sondern auf Umwegen
aus dem Babylonischen ins Hebräische gekommen sein wird.
Neben der immerhin auffalligen Lautübereinstimmung beider Worte
steht nun eine anscheinend große Verschiedenheit ihrer Bedeu-
tungen, insofern bubbulum auf den 30. Tag, Jöbel aber auf das
50. Jahr geht; doch läßt sich ein Weg finden, der beide ver-
bindet. In Harran hatte sich auf der Basis des babylonischen
Neujahrsfestes die Pfingstperiode von 49 — 51 Tagen ausgebildet,
von welcher das Mondfest vom 6./I., d. i. das babylonische
Bubbulumfest, den Mittelpunkt ausmachte: sollte nun etwa nach
ihm auch die ganze Periode benannt worden sein? Die spätere
Sprache Harrans, das Syrische, besitzt ein Wort jobbalä mit der Be-
deutung „Periode, längere Zeit". Da es ebenso wie hebr. Jöbel laut-
lich mit babyl. bubbulum zusammenhängen dürfte, so wird es ver-
mutlich auch einmal die Bedeutung von „Bubbulum = Pfingstperiode"
gehabt haben, die dann weiterhin zu der von „längerer Periode" ver-
blaßte. Von der so erschlossenen Sotägigen Jobel-Periode gelangt
man leicht zu einer 50 jährigen durch die Annahme, gleichwie von
der Mondruhe die bürgerliche Sabbathruhe, sei von der Mond-
restitution die Restitution der an Freiheit und Besitz Geschädigten
abgeleitet worden, wobei aus praktischen Gründen die Fünfzig-
zahl von Tagen in eine solche von Jahren umgesetzt wurde.
Diese Einrichtung kann nicht auf israelitischem Boden vorge-
nommen sein, weil im israelitischen Pfingstfeste die Idee der
Mondrestitution von derjenigen der Plejaden als Emtegottheiten
überholt worden war. Auch sieht man nicht ein, wie die hebräische
Sprache, die das Wort Jöbel als Ausdruck für die Pfingst-
periode nirgends aufweist, von sich aus zu dem Namen „Jahr
des Jobeis, bezw. der Pfingstperiode" hätte gelangen können.
Das Jobeljahr ist daher älter als das israelitische Pfingstfest und
weist vermutlich eben dahin, von wo Israel sich sein Pfingstfest
entlehnte, d. h. nach Kanaan und weiter wohl nach Harran.
Grimme, Das itraelitisohe Pfingstfest. B
114 V. Kapitel.
Abgelöst vom Ideenzusammenhang mit dem alten Pfingstfeste
bildete das Jobeljahr in Israels Gesetz eine Erscheinung, die den
Keim der Auflösung in sich trug. Wenn es ohne Bedeutung für
die spätere Entwicklung des israelitischen Lebens und Gesetzes
blieb, wie die Bibel durch ihr Schweigen über das Funktionieren
des Jobelgesetzes dartut, so war das wohl besonders die Folge
der Konkurrenz, die ihm durch zwei unabhängig von ihm ent-
standene Rechtseinrichtungen gemacht wurde. Schon im alt-
semitischen Rechte scheint die Bestimmung enthalten gewesen
zu sein, daß jeder in Knechtschaft geratene Volksgenosse nach
verhältnismäßig kurzer Zeit wieder frei sein sollte; das altisrae-
litische Gesetz legte den Termin der Befreiung auf das 7. Jahr
der Knechtschaft (Ex. 21, 2 ff.). Diese ebenso populäre wie wirk-
same Einrichtung wird es gewesen sein, die die für das Jobel-
jahr angesetzte Restitution der persönlichen Freiheit in den
Hintergrund drängte, zumal diese sie weniger ergänzte als durch-
kreuzte. Die Restitution des Eigentums aber, wie sie das Jobel-
jahr vorschrieb, war eine zu ideale Forderung, um jemals als
vollgültiger Rechtsbegriff von der Gesamtheit des Volkes an-
gesehen zu werden. Der Drang, sie zu vermindern, war natür-
lich, und ihm kam es gelegen, daß in Israel eine Bestimmung
bestand, die die Idee der Jobelrestitution in mehr praktischer
Weise wiederholte. Es war dieses der „Erlaß für Jahwe"
(!nn*»b Sita^ttS), der darin bestand, daß am Ende von je 7 Jahren
ein Schulderlaß für Volksgenossen proklamiert wurde, wobei die
Schulden gewissermaßen Jahwe geschenkt wurden. Der Ursprung
dieses Erlasses liegt im Dunklen; keinesfalls darf man ihn aus
der Jobelrestitution entstanden sein lassen, weil diese ein zivil-
rechtlicher, jener ein religiöser Akt ist. Da mit dem Schulden^
erlass wohl auch die Zurückgabe des Verpfändeten verbunden
war, so konnte leicht die Überzeugung entstehen, daß er die
Idee der Jobelrestitution, soweit diese praktisch durchführbar
wäre, zum Ausdruck bringe.
Erwies sich das Jobeljahr als einer eigentlichen Entwicklung
unfähig, so ging das Pfingstfest, nachdem es einmal in den israe-
litischen Kultus eingeführt war, einer Reihe von inneren und
äußeren Umwandlungen entgegen , die wesentlich darauf hinaus-
liefen, von ihm alles abzustoßen, was irgendwie noch an Mythus
und Kult der Plejaden erinnerte. Den ersten Ansatz dazu kann
Das israelitische Pfingstfest. 115
man vielleicht schon in der Pfingstverordnung von Num. 28 finden.
Wenn hier die von Lev. 23 vorgesehene Zusammensetzung der
Pfingstschlachtopfer dahin umgeändert erscheint, daß statt eines
Stieres zweie, statt zwei Widder einer geopfert werden sollen,
so sieht das aus, als ob man den Zusammenhang der Pfingst-
opfer mit einem älteren heidnischen Vorbilde, das, wie wir oben
sahen, in Harran zu suchen sein dürfte, noch verstanden und
um ihn unkenntlich zu machen, den Normalopfersatz der israeli-
tischen Feste auch auf Pfingsten übertragen hätte.
Klarer ist das Bestreben des Deuteronomisten, Pfingsten zu
reformieren und ihm in Namen, Ideen und Zeremonien ein aus-
schließlich jahwistisch-israelitisches Gepräge zu geben. Den
Namen Hagg-Schabusoth hatte man bis auf seine Zeit wohl immer
noch als „Plejadenfest" genommen, obwohl im Kulte selbst die
Plejaden ausgeschaltet waren; er aber will ihn als Wochenfest
verstanden wissen, wobei SchabuSoth, d. i. Siebenheit, nicht auf
eine solche von Göttern, sondern von Tagen gehen soll und zwar
auf die zu sieben Siebenheiten oder Wochen zusammengefasste
Vorbereitungszeit von Pfingsten. Da dieses Schabusoth eigentlich
die Vorsetzung des Artikels verlangte, so wurde auch die Mög-
lichkeit der Form Hagg-hasch-SchabuSoth angedeutet (16, le), die
dann in der Folgezeit ^) die übliche wurde. Weiter bemühte sich
der Verfasser von Deuteronomium die mythologische Grundlage
von Pfingsten, von der immer noch etwas durchschimmern
mochte, in eine geschichtliche zu verwandeln. Er bezeichnet
Pfingsten als das Fest der Befreiung Israels aus der ägyptischen
Sklaverei, wenn er sagt : „Du wirst (dabei) gedenken, daß du ein
Sklave in Ägypten gewesen und wirst (in diesem Gedanken)
diese Vorschriften hüten und erfüllen." Diese Vergeschichtlichung
ist weniger gewaltsam, als sie auf den ersten Blick erscheint.
Sie bewahrt eine Erinnerung daran, daß Pfingsten in älterer Zeit
das P'est der Mondbefreiung darstellte^ Die Idee der Befreiung
aus Bedrängnis wollte ihm der Deuteronomist gewahrt wissen;
doch setzte er statt des Mondes Israel in die Rolle des Befreiten
ein und gab dieser Befreiung den Hintergrund von Israels
Dienstzeit in Ägypten. Die Form des Zeremoniells, wie sie
Lev. 23 vorgeschrieben, wurde wesentlich verändert Die Pflicht-
l) Vgl. 2 Chr. 8, 13.
8*
116 V. Kapitel.
abgäbe, bestehend aus zwei Broten und zwei Lämmern, die jeder
Hausvater zum Heiligtume zu bringen hatte, wurde vermutlich
wegen ihrer Berührung mit dem kanaanitischen Kultus fallen
gelassen ; an ihre Stelle traten freiwillige Abgaben von Naturalien,
deren Höhe ein jeder nach dem Maße seines Ernteertrags selber
festsetzen konnte. Da auch für Mazzoth und Laubhüttenfest
ähnliche freiwillige Gaben Vorschrift waren, so nahmen sich
nunmehr alle drei Feste wie ein organischer Feierzyklus original-
israelitischen Ursprungs aus.
Noch fällt auf, daß Deuteronomium i6 die Pfingstfeier um
die Einrichtung der „Versammlung der Heiligen" verkürzt hat. Dieses
hängt wohl mit der durch das ganze deuteronomistische Gesetz
gehenden Tendenz der Ausgleichung und Vereinfachung zusammen.
Den Gegensatz von Heilig und Profan fortzuschaffen lag außer
der Macht des Gesetzgebers; er begnügte sich mit der Auf-
hebung einer Reihe von Feiern (Asereth), welche die „Heiligen"
getrennt von der großen Gemeinde bis dahin abgehalten hatten,
und ließ nur das eine Asereth bestehen, das auf den 7. Tag von
Mazzoth fiel.
Die genannten Reformen von Deuteronomium liefen darauf
hinaus, Pfingsten von allem zu befreien, was an seine heidnische
Herkunft erinnern konnte. Doch auch in dieser neuen Fassung
mag es für gewisse fromme Kreise noch einen heidnischen Bei-
geschmack behalten haben; so erklärt es sich, daß der Prophet
Ezechiel in seinem Entwürfe einer Neuordnung des israelitischen
Kultus das Pfingstfest unerwähnt liess, d. h. stillschweigend ver-
abschiedete (s. S. 74). Aber trotz Ezechiel blieb es der Gemeinde
erhalten; der tief konservative Geist des Exils ließ die Entfernung
eines den Vätern heilig gewesenen Festes nicht wohl zu. Nach
dem Exile stieg dann noch sein Ansehen in einer Weise, die
uns schließen läßt, ein neuer Geist sei in die alte Form einge-
zogen. Pfingsten galt jetzt als ein in besonderem Maße heiliges
Fest, als äyia inxä ißdofidSatv „Der heilige Tag der Sieben-
Wochen" (Tobias 2, 1). Woher die Idee seiner Heiligkeit stammt,
wird einigermaßen klar, wenn man beachtet, daß die letzten
Jahrhunderte vor Chr. Geb. es nur noch mit dem Namen Asereth
benennen. Danach muß der Anteil, den Lev. 23 den „Heiligen"
(oder sAsur) an der Pfingstfeier gegeben hatte, allmählich Haupt-
teil der Festveranstaltung geworden sein; und da überhaupt kein
Das israelitische Pfingstfest. 117
weiteres A§ereth als das von Pfingsten mehr namhaft gemacht
wird, so war letzteres anscheinend in den Mittelpunkt des Kultus
der Heiligen eingetreten.
Dafür liefert einen guten Beleg die Pfingstfestfeier, die um
die 2^it Christi bei den ägyptischen Therapeuten, dieser nach
höchster Vergeistigung des Lebens trachtenden Gemeinde von
Aszeten und Mysten üblich war. Ihnen war Pfingsten der Höhe-
punkt des Jahres, seine Feier das Mittel zur inneren Befreiung.
Ihr Bewunderer Philo berichtet darüber^): „Erstlich versammeln
sie sich nach (den) Sieben- Wochen [di inrcc ißSofidSwv) ^) , da
sie nicht nur die einfache Siebenzahl [d. h. den Sabbath], sondern
auch ihr Quadrat bewundern; denn sie erkennen sie als heilig
und ewig jungfräulich." Ohne in die Beschreibung dieser ersten
Versammlung einzutreten, fahrt er fort: „Das ist aber [nur] Vor-
fest des größten Festes, das der Fünfzigzahl zuteil geworden ist,
der heiligsten und natürlichsten der Zahlen, wegen des Quadrats
des rechtwinkligen Dreiecks, des Prinzips der Entstehung des
Alls". Diese Begründung geht wohl nur auf die NatürUchkeit
der Fünfzigzahl; ihre Heiligkeit führt Philo an anderen Stellen')
auf die durch sie repräsentierte Idee der „Befreiung" {äyeatg) *)
zurück. Im Geiste dieser Befreiung vollzog sich der Verlauf
der Feier. Sie wurde eingeleitet durch geistliche Instruktionen.
Durch den Vortrag von Hymnen ward dann der Moment vor-
bereitet, da die ganze Gemeinde von der „reinsten Speise" ge-
noß, d. h. gesäuertem Brote, dem Salz und etwas Ysop beige-
geben war. Dieser Akt war die Vorbereitung für den anschei-
1) Philo, About the contemplative Life, hrsg. von Conybeare, S. looff.
(Biangei, 481, 83 ff.).
2) Das hellenistische Griechisch hatte zur Bezeichnung der Zeit zwischen
Passah und Pfingsten den Eigennamen kittä ißäo^idSsg (ohne Artikel!), wie aus
Tob. 2, 1 otyla inrcc k^So^Ladtov hervorgeht. Dieses haben Lucius, Massebieau
und Schtlrer übersehen; mit der von ihnen bevorzugten Übersetzung „nach je
7 Wochen" (womit sie begründen, dafi die Therapeuten das von Philo geschilderte
Fest alle 50 Tage gefeiert hatten) fallt aber das einzige Argument, das gegen die
Identität von dem iLsylatri koQti^ der Therapeuten und dem jüdischen Pfingstfeste
bisher ins Feld geführt werden konnte.
3) De Sept 2, 294; de Congr. i, 535; andere Stellen s. bei Conybeare,
S. 101 f.
4) Man beachte, dafi in LXX &q)saig für hebr. Jobel gebraucht wird.
118 V. Kapitel
nend wichtigsten Teil des Festes, eine schwärmerische Nacht-
feier. Bei ihr teilte sich zunächst die Gemeinde in zwei Chöre,
die miteinander Wechsellieder vortrugen, dann aber zu einem
einzigen Chore vereinigt einen Reigen aufführten, wie er angeblich
von den Israeliten nach der Errettung aus der Hand der Ägypter
unter Moses und Mirjams Führung getanzt worden war, bis end-
lich die Evolutionen des Tanzes bei den Ausführenden einen
Zustand heiliger Verzückung hervorriefen, der als das Freisein
der Seele von den irdischen Banden galt. Bei dieser Feier der
Therapeuten schimmern noch die Formen durch, wie sie das
mosaische Gesetz für das Pfingstfest vorgeschrieben hatte, doch
seltsam überwuchert von der Mystik einer späteren Zeit, die
alles Sinnfällige in Übersinnliches umzudeuten bestrebt war.
Die Speise, deren Genuß bei den Therapeuten einen fast
sakramentalen Charakter trägt, ist wesentlich das Brot, welches
als Pfingstabgabe einst Jahwe dargebracht und von dessen
Priestern verzehrt wurde; es labt sich daran jetzt die ganze Ge-
meinde, weil ihr Trachten nach der Erreichung priesterlichen
Wesens geht») Die Nachtfeier steht nicht etwa an Stelle des
Mikra-Kodesch, „der Versammlung der Heiligen", wie sie Lev. 23
und Num. 28 vorschreiben, sondern ist vermutlich geradezu als
solche zu bezeichnen. Gesang und Tanz als Mittel, ekstatische
Begeisterung hervorzurufen, waren schon der altisraelitischen Zeit
wohlbekannt und könnten recht wohl von jeher bei der „Versamm-
lung der Heiligen" von Wichtigkeit gewesen sein; auch die Er-
innerung an die ägyptische Knechtschaft gehörte seit der Zeit
des Deuteronomisten ins Pfingstritual. So wird man das Neue
in der Nachtfeier der Therapeuten darauf beschränken, daß die
Befreiung aus der Gewalt Pharaos nur als Vorbild der eigenen
geistigen Befreiung genommen wurde, sowie daß die Mittel, den
Begriff einer solchen zu wecken, modernisiert und veredelt
waren.
Gründete sich bei den Therapeuten die Hochhaltung von
Pfingsten vor allem auf ein individuelles Moment, die Heiligung
der Gemeinde, so gab eine andere Richtung des Judentums ihm
den Vorrang vor den anderen Festen aus geschichtlichen Gründen.
Sie spricht sich im Buche der Jubiläen (cap. 6) dahin aus, daß
i) Philo, About the cont. Life, S. 126 (Mangei, 484, 32).
Das israelitische Pfingstfest. 119
Pfingsten das Fest der Aufrichtung des Bundes zwischen Gott
und den Menschen sei, das schon „im Himmel begangen wurde
vom Tage der Schöpfung an bis zu den Tagen Noahs", dann
von Noah und dessen Kindern, später von den Erzvätern und
ihren Kindern, endlich in den Tagen des Moses nach der Bund-
schließung am Sinai von ganz Israel gefeiert sei. Daneben er-
wähnt das Buch auch seine Bedeutung als Fest der Frühopfer-
gaben, verzichtet aber darauf, diese mit der Bundesidee in Zu-
sanmienhang zu bringen und bekennt: „Zwiefach und von
zweierlei Art ist dieses Fest" (cap. 6, 21). Dieses Bekenntnis
scheint zu besagen, daß Pfingsten in doppelter Weise gefeiert
wurde: von den einen — man mag sie als die Profanen be-
zeichnen — als Erntefest, von anderen — etwa den Heiligen —
als Tag der Erinnerung an die Stiftung des Bundes zwischen
Gott und den Menschen.
Der intime Charakter, den Pfingsten- Asereth mit der Zeit
erhalten hatte, tritt auch darin zu Tage, daß es in der letzten
vorchristlichen Periode nicht mehr einen für alle Juden maß-
gebenden Termin hatte. Die Pharisäer bewahrten den 6./in. als
Pfingsttermin. Hingegen interpretierten die Boethosäer, eine
Spielart der Sadduzäer, Lev. 23, 16 dahin, daß Pfingsten stets am
Tage nach einem Wochensabbath zu feiern sei. Vermutlich werden
sie daraus die praktische Konsequenz gezogen haben; bestand
doch auch noch eine andere von der pharisäischen abweichende
Pfingstpraxis. Das Buch der Jubiläen (cap. 15,1; 16,13; 22,1)
läßt das Fest der Emteopfergabei) — somit auch Pfingsten —
von altersher in der Mitte des dritten Monats gefeiert sein. Ob
darunter der 15. /in. oder ein nur ungefähr in die Mitte des
Monats fallender Tag, etwa der 12./III., an welchem jetzt die
abessinischen Juden oder Falaschas Pfingsten feiern, zu verstehen
ist, bleibt unentschieden; doch kann man für sicher annehmen,
daß der im Buche der Jubiläen erwähnte Pfingsttermin für irgend
eine Richtung des Spätjudentums Geltung gehabt habe.
Das große Zentrum der spätjüdischen Pfingstfeier war der
jerusalemische Tempel. Zu ihm strömten um die Pfingstzeit,
wie die Apostelgeschichte cap. 2, 5 lehrt, „fronmie Leute (ävdggg
H/laßetg) aus allen Nationen, die unter dem Hinunel sind", Ver-
treter der von Elam bis Italien, vom Schwarzen bis zum Roten
Meere reichenden jüdischen Diaspora. Was diese Leute nach
120 V. Kapitel
Jerusalem führte, könnte der Drang nach Gesetzeserfullung ge-
wesen sein; nach den früheren Ausführungen über Pfingsten-
Asereth muß man jedoch auch mit der Möglichkeit rechnen,
daß die Feier eines Mikra-Kodesch, einer Festveranstaltung für
die interne Gemeinde der Magnet war, der so viele „Fromme"^)
jährlich nach Jerusalem führte.
Mit der Zerstörung Jerusalems fiel das Pfingstfest von seiner
Höhe jäh herab : ein Beweis^ daß es mit der Zeit den Charakter
eines ausgesprochenen Tempelfestes bekommen hatte. Infolge
des Verschwindens des Zentralheiligtums war der Gemeinde der
Heiligen der feste Boden unter den Füßen fortgezogen; so hörte
sie vermutlich um diese Zeit auf eine organisierte Gemeinschaft
darzustellen. Das Fehlen eines talmudischen Traktats über
Pfingsten spricht dafür, daß dieses Fest für die jüdische Ge-
meinde längere Zeit kaum mehr offiziell war. In spättalmudischer
Periode tauchte es zwar wieder auf, doch nicht als Asereth,
sondern als Hagg SchabuSoth oder Mattan Thora (nnin ^rKi)
„Fest der Gesetzesübergabe". Man kann darin einen Nachklang
an die im Buche der Jubiläen vorgetragene Idee einer seit Noahs
Zeiten zu wiederholten Malen den Menschen von Gott ange-
tragenen Bundes erblicken; aber als Bund Gottes galt jetzt
einzig der am Sinai geschlossene, als Bundesdokument das mo-
saische Gesetzesbuch. Die Bibel selbst bietet keine hinreichende
Begründung für die Verbindung des Pfingsttages mit derThora-
übergabe; denn Exodus 19 nennt zwar den 3. Monat als den
Zeitpunkt, da Israel in die Steppe von Sinai kam, läßt aber den
genaueren Termin der Gesetzgebung unerwähnt In seiner neuen
Begründung hatte Pfingsten einen bedeutenden Konkurrenten an
dem Schlußfeste des jüdischen Kirchenjahres, dem Tage von
Simchath-Thora „Gesetzesfreude" (23./VII), der — wie ich an
anderer Stelle ausführen werde — vermutlich schon, zur Zeit
des Esdras Festcharakter hatte. Die Einfügung der Idee der
Gesetzesübergabe in die Pfingstfeier änderte an ihrem Ritual
nur wenig; sie wird aber Ursache gewesen sein, daß die Juden
die Nacht vor Pfingsten zur Lektüre des Gesetzes oder später
zu der einer Auswahl von Abschnitten des alttestamentlichen
i) Wenn nach Suidas s'bXdßBuc mit wxd'aQ&trig synonym ist, so steckt viel-
leicht in s^laßi/jg die Bedeutung „rem, heilig" (= ^adüich).
Das israelitische ^Pfingstfest. 121
Kanons, des sog. Tikkuns, benutzten. Daß daneben Gebräuche
alten und ältesten Ursprunges unverstanden weiterlebten, ist schon
früher erwähnt worden.
In mancher Beziehung kann das christliche Pfingstfest als
Erbe des jüdischen bezeichnet werden. Es hat von ihm den
Termin übernommen und gleicht ihm in seinem Namen Pentecoste
(= hasch-Schabu3oth). Da die Syrer den Pfingsttag Sdsarta (arabi-
siert al-Sansaratu) nennen, so darf man schließen, daß die christ-
lidie Pfingstfeier an das jüdische Asereth angeknüpft habe,
d. h. an Pfingsten, wie es die Juden vor dem Jahre 70 n. Chr.
feierten. Mit dem jüdischen Pfingsten verbinden das christliche
noch einige bezeichnende Zeremonien. Wie die Juden beim
Abzählen der Tage vor Pfingsten (beim sog. Omem) gehalten
sind zu stehen, so sahen die alten Christen es als ihre Pflicht an,
in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten die Gebete in stehender
Haltung zu verrichten; wie die Juden die dem Pfingsttage vor-
hergehende Nacht der Andacht oder der Gesetzeslesung widmen,
so hielt die alte Kirche auf festliche Begehung der Pfingst-
vigilie: ein Brauch, der der griechischen Kirche bis heute ver-
blieben ist. Auch könnte die TeUung der jüdischen Pentecoste
in zwei Hälften Anlaß dazu geworden sein, daß die griechische
Kirche die Vorbereitungszeit auf Pfingsten durch Einschiebung
von „Mittfasten" (24. — 31. Tag nach Ostern) halbiert hat. Wesent-
lich verschieden sind aber die jüdische und christliche Pfingst-
vorbereitung dadurch, daß jene, getreu der uralten Tradition,
Trauercharakter zeigt, diese jedoch vom Geiste der Freude
durchzogen ist, d. h. wohl die Feierstimmung von Ostern weiter
nachklingen läßt.
Im übrigen trägt auch die christliche Pfingstfeier Ver-
schiedenes an sich, das uns seinen Ursprung verbirgt So ist
dunkel, weshalb die griechische Kirche den Samstag vor Pfingsten
als einen Tag nimmt, an welchem für die Verstorbenen Kuchen
geweiht werden, nicht minder, worauf der große Byßakt der
Kniebeugung geht, den die griechische Kirche der Pfingstfeier
unmittelbar folgen läßt, oder auch das Pfingstfasten der lateini-
schen Kirche, das in alter Zeit ebenfalls mit Pfingstmontag be-
gann. Als Analogie könnte man hierzu den Bußakt stellen, der
das delphische Septerion- oder Plejadenfest beschloß. Oder sollte
es gleich diesem auf Nachwirkung uralter, vom orientalischen
122 V. Kapitel.
Plejadenfeste erzeugter Gebräuche deuten? Daß es nicht zu
verwegen ist, an ein Nachleben solcher bis in unsere Zeit zu
denken, zeigt meines Erachtens das sogenannte Johannesfest
der Mauren von Marokko und ehemals auch der von Spanien. Wenn
dabei Zelte von Rohr und Stroh^) errichtet und unter ausgelassener
Freude der Festteilnehmer angezündet werden ,2) so erinnert
solches unmittelbar an die Hauptszene des delphischen Septerion-
spieles. Und dieses maurische Fest trägt den Namen al-8ansaratu,
d.i. A§ereth oder Pfingsten I
Wir stehen am Ende unserer Untersuchung. Sie hat er-
geben, daß das israelitische Pfingstfest mit seinen Wurzeln in die
fernste jetzt oder wohl auch jemals der Forschung erreichbare
Periode der vorderorientalischen Religionsentwicklung zurück-
greift. Aus dem Anblicke des gestirnten Himmels geboren
hat es nie aufgehört, die Idee der den Himmel regierenden und
dabei Erde und Menschheit beeinflussenden Mächte zu predigen.
Es hat wesentlich zur Ausbildung des Mardukkultes, der edelsten
Blüte des orientalischen Heidentums, beigetragen; es wurde in
Harran die Hauptstütze der Mondreligion, die im Vorderorient
eine wichtige Etappe auf dem Wege zum Monotheismus bildete.
Von Israels Gesetzgeber in reinmonotheistische Form umgegossen,
hat es als Gefäß für eine Reihe der intimsten Ideen des Früh-
und Spätjudentums gedient, und endlich christlich umgestaltet
den Inhalt bekommen, daß die Weihe durch den Geist die Voll-
endung der Religion bedeute. So ist das Pfingstfest wie kein
anderes im Kreise der religiösen Feste ein Kronzeuge für die
Idee, daß die Religion in ihrer Entwicklung auf dem Wege zum
Höheren, Geistigen stetig fortschreitet.
1) Die früher (S. 99) erwähnte spätbabyl. Symbolisierong der Siebengotter
durch Rohrzelte hängt vielleicht damit zusammen, dafi guzallu „Bote", ein Haupt-
titel der Sibitti (s. S. 36, wo g. statt guzzalu zu lesen ist), mit guzullu „Rohrbündel"
(oder etwas Ähnlichem aus Rohr) in der Wortform fast übereinstimmt.
2) VgL M. de Ch^nier, Recherches historiques sur les Maures, tom. 111,
S. 224 f.
Inhalt
Seite
Einleitung V— VIII
I. Zur üblichen Auffassung von Pfingsten . . . . ^ . . 1—27
Die angebliche kanaanitisch-israelitische Emtefesttrias i. — Die
biblischen Vorschriften f&r Pfingsten 3; — Ober ihre Klassi-
fizierung 8. — Pfingsten kein wandelndes Fest 10. — Ent-
vdcklung von Sabbath 14. — Pfingsttermin = 6./III. 20. —
Bedenken gegen Pfingsten als reines Erntefest 20; — gegen
die übliche Auf&ssung der 7 Wochen 21; — gegen die der
Pfingstopfer 22; — gegen die Nichtbeachtung des TÖlp ö^^p^ 24;
— gegen die Erklärung von my^lTÖ 24 — 27.
n. Die Siebengötter aufserhalb der biblischen Welt . . . 27—61
Der altbabylonische Plejadenmythus 27. — Seine Deutung 30. —
Marduk-Orion 32. — Alter des Mythus 33. — Spätere
Fassung 33. — Mythologische Beschreibungen der „Sieben" 35. —
Entwicklung der Idee der „Sieben" in Babel- Assur 37; — im ara-
mäischen Westen 41 ; — in derkanaamtisch-nordarabischenZone43.
— Die „Sieben" im Mithraskult 44. — Marduks Plejadenkampf
in der bildenden Kunst 46. — Symbolische Leitmotive 48. —
Beschreibung typischer Plejadenkampfdarstellungen babylonisch-
assyrischen Ursprungs 50; — anderweitigen Ursprungs 54. —
Marduk als Reiter 54. — Marduk und die Plejaden aufierhalb
der semitischen Zone 57. — Marduk und Mithras 59. — Der
Plejadenmythus auf harranischen Münzen 59 — 61.
III. Die Plejadensieben in der Bibel 61—75
Plejaden bezeichnet als ?T%*^D 61 ; — als ^3123 62; — als
DD1D 65. — Plejaden und Rahab. — Plejadennachklang bei
Zacharias 69. — Plejaden als n^ilTÜ 70 — 75.
IV. Der Plejadenmythus in Pestgestalt aufserhalb Kanaans . 76—96
Bubbulum als Mondfest 76. — Das Neujahrsfest im Dienste
Marduks 79. — Verhältnis beider Feste zu einander 83. —
Das harranische Mondfest 84. — „Blinder Herr" = Marduk 86;
— = Orion 87. — Umfang des harranischen Mondfestkreises 88.
— Das harranische Mysterium vom 27./III. 92. — Verhältnis
zwischen dem harranischen und babylonischen Festkreise 94 — 96.
124 Inhalt.
Seite
V. Das israelitische Pfingstfest 96-— 122
Kanaanitisches Plejadenfest ? 96. — Delphische Septerionfeier 97.
— Plejadenfest in BeerschebaS loi. — Zusammenhang der
israelitischen Pfingstfeier mit Harran 102; — mit Kanaan 105.
— Original-Israelitisches in der Pfingstfeier 107. — „Zasammen-
berufung des Heiligen^' 108. — SAsereth 109. — Verhältnis
des Jobeljahres zu Pfingsten 11 1. — Deuteronomistische Um-
wandlung* des Pfingstfestes 115. — Die Pfingstfeier nach dem
Exil 116. — Die Pfingstfeier der Therapeuten 117. — Pfingsten
im Buche der Jubiläen 118. — Neue Pfingsttermine II9, —
Pfingsten nach der Zerstörung des Tempels 120. — Verhältnis
des christlichen Pfingstfestes zum israelitischen und vörisraeli*
tischen 121. — Rückblick 122.
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