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Full text of "Das Jahr Zwey tausend vier hundert und vierzig Ein Traum aller Träume"

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TA. Ha Panel 5 
LP. Imerszer 6, C. ddeisse. 7 


Das , 
Jahr 
Zweh tauſend vier hundert 

md vierzig, 





Ein Traum aller Traͤume. 


Die gegenwärtige Zeit iſt ſchwanger 
von der Zufunft — 


Reibnig. 


London, 





⏑— 
—ãA — — — 


— 











1772. 


Borbericht 
Des Ueberſetzers. 


Hirfe fonderbare Buch gehöret uns 

ſtreitig unter die beften Schriften, 
die wir feit einiger Zeit aus Frankreich 
erhalten haben, Der VBerfaffer beſitzt 
einen ungemeinen Scharffinn, cine tiefe 
Känntniß des menfchlichen Herzeng, cine 
große Einfiht in die Sitten der heuti⸗ 
gen Welt, in die Staatskunſt, und in’die 

a 2 


Vorbericht 


übrigen Künfte und Wiſſenſchaften. Er 
ift daben ein Freund der Tugend und der 
Freyheit: fein Herz glühet von einer 
brennenden Liebe für das Beſte feiner 
Brüder, für Rechtſchaffenheit und gute 
Sitten, für die Gluͤckſeligkeit aller Men: 
ſchen. Als Schriftftellee Betrachter, 
fehreibt er mit ungewöhnlicher Kraft und 
noch ungewöhnlicherer Freymuͤthigkeit: 
ſeine Bilder ſind gut gezeichnet, voller 
Waͤrme, und haben eine bluͤhende und 
faſt zu blendende Farbe. 


Vey ſo großen Verdienſten hat er auch 
ſeine Fehler. Seine Klagen gegen die 
Welt find oft uͤbertrieben: feine Vor⸗ 
wuͤrfe gegen die Reichen und Großen, 
ſind oft bitter, und ſcheinen mehr einen 


des Ueberſetzers. 


Unwillen gegen empfangene Kraͤnkun⸗ 
gen, als den Eifer gegen die Ungerechtig⸗ 
Feit zum Grunde zu haben: er ‚vermir 
(her oft den Stand mit den Gewaltthaͤ⸗ 
tigfeiten, zu welchen er verleitet; er 
ſcheint alle Könige für Tyrannen, und 
alle, die fi) gegen fie auflehnen, für 
Freunde der Tugend, der Freyheit, und 
der Menſchen zu halten, 


Seine Verbeſſerungen wuͤrden oft uns 
moͤglich feyn: und vielleicht haͤngen vie⸗ 
le der Unordnungen, die er ruͤget, mit 
groͤßern Vortheilen zuſammen, die er 
vernichten wuͤrde, indem er jenen abzu⸗ 
helfen ſuchte. Da er nach feinem Ent⸗ 


wurfe faft alle Gegenſtaͤnde des menſchli⸗ 


chen Wiſſens durchgehen, alle Theile der 


Vorbericht 


Staatskunſt, der Kuͤnſte und der Wiſ⸗ 
ſenſchaften beruͤhren wollte; ſo mußte er 
nothwendig auf viele Materien ſtoßen, 
die ihm weniger bekannt waren. Und 
da ihn doch ſein Enthuſiasmus verleite⸗ 
un entſcheidend zu feyn: fo bekommen 
feine Irrthuͤmer ein misfälliger Anſehen. 
Faſt alle, die einen folhen Plan aus: 
führen wollen, muͤſſen in Irrthuͤmer 
und Chimären verfallen. Alles, was 
man von ihnen fodern Fann, ift, daß fie 
befcheiden urtheilen, wo fie nicht genau 
unterrichfet find, und daß fie ihre Vers 
befferungen nicht als Geſetze, fondern als 
Borfchläge, der Unterfuchung des Publi⸗ 
ci unterwerfen. Aber diefe Befcheiden: 
| heit hat derjenige Mann nicht allezeit, der 
in dem erften Feuer feiner Einbildungs⸗ 


un 


des Ueberſetzers. 


Fraft ſchreibt, mo er noch ganz don der 
Schönheit feiner Idee eingenommen iſt. 


Die Schreibart unfers Schriftftellers 
ift auch) zuweilen geſucht: aber es iſt doch 
nicht diefe affeftirse und froftige Kunſt: 
es iſt eine über die Graͤnzen gehende Eins 
Bildungsfraf, 


Bey dem allen bleiben des Verfaflers 
Traͤume immer vortrefliche philofophifche 
Träume, denen’ man größtentheils ſchon 
die Wirklichkeit sum Beſten des menſchli⸗ 
den Geſchlechts wünfchen koͤnnte. Was 
Wahrheit ift, oder doch ſeyn Fönnte, läßt 
ſich leicht von dem, was Traum ifl, und 
es immer zu ſeyn verdicnet, unterfcheis 
den, O! wie ſehr wäre nur zu wuͤnſchen 


| Vorbericht 

geweſen, daß der Verfaſſer unter dem 
nenen Geſchlechte von Menſchen, mit 
denen er ſein gluͤckliches Reich bevoͤlkert, 
ſtatt der bloßen natuͤrlichen Religion, die 
geoffenbarte, die chriſtliche Religion, in 
aller ihrer Lauterkeit und Reinigkeit, in 
aller ihrer moraliſchen Thaͤtigkeit ein: 
geführet hätte. Seine Megenten wir: 
den gewiß nidyt weniger großmüthig 
und tugendhaft, und feine Bürger nicht 
weniger edelgefinne und rechrfchaffen, 
mithin glücklich gewefen ſeyn. Er wuͤr⸗ 
de hier noch einen leichtern und ficherern 
Weg gefunden haben, die Herzen beyder 
zu beffern, ihnen ihre Pflichten weit leb⸗ 
hafter einzuprägen, durch weit ftärfere 
DBewegungsgründe fie zu allen politis 
ſchen, bürgerlichen und häuslichen Tu⸗ 


des UÜcherfegers, 


genden zu.ermuntern, und ihre Släctfes 
ligfeie, in Abficht des Gegenwärtigen 
und Zufünftigen, auf weit feftere Gruͤn⸗ 
de zu bauen, Aber traurig ift es, daß | 
felbft fcharffinnige WBeltweifen, die Miw 
bräuche, die in einer Religion eingeriffen, 
mit der Religion felbft vermengen, und 
den Aberglauben nicht verwerfen Fön: 
nen, ohne in Unglauben zu verfallen! 
gleich als ob nicht auch die Philofophie 
ihre Schwärmer und Verfolger gehabt 
hätte, Indeſſen ift es noch ein Ders 
dienft des Verfaffers, (ob es gleich klaͤg⸗ 
lich genug ift, daß man folches in un⸗ 
fern Zeiten einem Schriftfteller als ein 
Verdienſt anrechnen muß, ) daß er nicht 
über die Wahrheiten der chriftlichen Re⸗ 
ligion fportet, ein Schler, deffen fi) 


Vorbericht des Ueberſetzers. 


fonft fo viele feiner Landsleute ſchuldig 
machen. Tadelt er ja, fo trifft es im⸗ 
mer Misbräuche und Vorurtheile, die 
felbft der eifrigfie Bekenner nicht vers 
theidigen wird, und die des Verfaſſers 
Kirche, in der er erzogen worden, bloß 
{cheint zu verantworten zu haben, 


Zueignungsfchreiben 
. \ an . 


da3 8 Jahr 


Awenytaufend vierfunden 
und vierzig, | 


D EEE 
—— — —— — ——— 


sy und verehrungswuͤrdiges Jahr! 

Dis folft die Gluͤckſeligkeit wieder auf 
die Erde herbeyführen: Ach! ich Babe dich 
nur im Traume gefehen. Wann du ein 
fiens aus dem Schooße der Ewigkeit her 
vorfpringen wirſt, fo werden diejenigen, 
die deine Sonne ſehen werden, meine Afche 


und die Miche von dreyßig Geſchlechtern, die 


⸗ 


Zueignungsſchreiben. 
hinter: einander verloſchen md in dem fies 
fen Abgrımde des Todes verſchwunden find, 
mit Füßen treten. DieiRönige, die auf 
bem Throne ſitzen, erben nicht mehr ſeyn: 
ihre Nachkommenſchaft wird nicht mehr 
ſeyn: und du, du wirſt ſowohl dieſe ver- 
blichenen Monarchen, als auch die Schrift⸗ 
ſteller, die ihrer Macht unterworfen waren, 
richten. Die Namen der Menſchenfreunde, 
der Beſchuͤtzer der Menſchlichkeit werden in 
Ehren glaͤnzen: ihr Ruhm wird unbefleckt 
und ſtrahlenreich ſeyn. Aber dieſer niedri⸗ 
ge Poͤbel von Koͤnigen, die in jedem Ver⸗ 
ſtande das menfchliche Gefchlechte gequä« 
let haben, werden, noch tiefer in ber Der: 
geffenheit als im Lande der Todten verfenft, 
der Schande. bloß unter der Begünftigung 
des Nichts entgehen. 


Zueignungsfhreiben, 

. Der Gebanfe: überlebt ben Menſchen, 
and dieß iſt ſein glorreichfier Antheil! ber 
Gedanke erhebt fich aus feinen Grabe, unb 
nimmt «inen dauerhaften, unfterblichen Leib 
an: und.indeffen, daß die Donner des Dee 
ſpotiſmus fallen und. verloͤſchen, machet fich 
bie Seber eines Schriftſtellers in dem Zwi⸗ 
fchenraume der Zeit Platz, und fpricht die 
Herren ber Welt los, oder beſtrafet fie. 

Sch Habe mich der Herrſchaft bedient, 
die ich bey meiner Geburch empfing: ich. 
babe vor dem Richterſtuhle meiner einfamen _ 
Vernunft. die Gefeße, die Mißbraͤuche, bie 
Gewohnheit des Landes gefobert, worin⸗ 
nen ich unbefannt und im Dunkeln lebte. 
Ich Habe ben tugendhaften Haß gekannt, 
den das empfindende Weſen dem Uuter⸗ 
druͤcker ſchuldig iſt: ich habe bie. Tyrannen 


Zueignungsfbrciben, 
verabſcheuet, ich habe fie gebemüthiget, ich 
. babe fie nach allen meinen Kräften, die in 
meiner Gewalt waren, bekaͤmpfet. Aber, 
Heiliges und Ehrwuͤrdiges SZahr , ich 
mag, durch dein Anfchauen begeiſtert, mei⸗ 
ne Gedanken noch ſo ſehr erheben und ent⸗ 
flammen; in deinen Augen werden ſie doch 
noch vielleicht Gedanken der Kuechtſchaft 
fon. Dergieb ! der Geift meines Sjahr- 
hunderts drückee und umgiebt mid) : Die 
Fuͤhlloſigkeit herrſchet: die Ruhe meines 
Baterlands gleiche Stille in Gräbern. 
Wie viel fehe ich gefärbte Leichname um 
mich ber, welche reden, gehen, und bey 
denen das wirkffame Principium des Les 
bens niemale den Heinften Keim getrieben! 
Schon hat fogar die Etimme der Welt 
weisheit, matt und muthlos von ihrer Kraft 


⸗ 


Zueignungsſchreiben. 
verloren: ſie ſchreyt mitten unter den Men⸗ 
ſchen, wie im Schooße einer ungeheuern 
Wuͤſte. 
4H koͤnnte ich die Zeit meines Daſeyns 
i Hälften theilen, wie ſchnell wollte 
id) den Augenblick ins Grab fleigen ! wie 
wollte ich mit Freuden meine traurigen, 
meine unglücklichen Zeitgenoffen aus dem 
Geſichte verlieren, um mitten in den hei- 
tern Tagen wieder zu ertvachen, Die du un⸗ 
ter dem glücdlichen Himmel wirft anbre 
chen laſſen, wo der Menſch ſeinen Muth, 
ſeine Freyheit, ſeine Unabhaͤngigkeit und 
ſeine Tugenden, wieder zuruͤcke nehmen 
wird. Warum kann ich dich, ſo ſehr ver⸗ 
langtes Jahr, das meine Wuͤnſche rufen, 
doch nicht anders als im Traume ſehen; 
Eile herbey! komm und zeige uns das 


Zueignungsfchreiben, 
Stick der Welt! Aber was fage ich? Ze 
freyt Son "dem: Blendwerke eines fchmei- 
chelhaften Traumes fürchte ich, ad ı 
ich fürchte - vielmehr, daß deine Sage 
sicht eines Tages Über einem ungeheimt 





Haufen von Afche und Ruinen traurig 
eefcheinen moͤge. u 


Innhalt 


Innhalt 
in dieſem Werke enthaltenen Kapitel, 








Einleitung. J Seite 1 
Erſtes Kapitel. Paris unter den Haͤnden 
eines alten Engellaͤnders. 3 
Zweytes Kapitel. Ich bin fieben- hundert 
Jahr alt. WMW 15 
Drittes Kapitel. Ich kleide mid) vom Troͤ⸗ 
| del. ⸗ ⸗ ⸗ 20 
Viertes Kapitel: Die Laſttraͤger. 24 
Fuͤnftes Kapitel. Das Fuhrwerk. 28 
Sechſtes Kapitel. Eingefaßte Huͤte. 32 
Siebendes Kapitel. Die umgetaufte Bruͤcke. 
⸗ > 8 37 
Achted Kapitel Das neue Paris. 40 
Neuntes Kapitel Die Bittfchriften. 57 
Zehntes Kapitel. Der Dann. mit der Mas⸗ 
fe. 2 ⸗ ⸗ 61 
Eilftes Kapitel. Die neuen Teſtamenter. 66 
Zwoͤlftes Kapitel. Das Collegium der vier 
Nationen. =. 70 
Dreyiehntes Kapitel. We iſt bie @orbonne? 
j 83 
Vienebmus Kapitel. Das Hote der Inagcu⸗ 
lation. ⸗ ⸗ 90 
6 


J Innhalt J 


Funffehntes Kapitel. Theologie und Rechts⸗ 


gelahrheit. S.“eeite 92 
© echzehntes Kapitel. Execution eines Ver⸗ 

brechers. ⸗ ⸗ 103 
Sitbzehntes Kapitel. Richt fo entfernt, ald 
man denkt. En . 123 
Achtzehntes Kapitel. Die: Diener des Frie⸗ 
dens. a 08. 131 


Neunzehntes Kapitel Der Tenmpel. 139 
Zwanzigſtes Kapitel. Der Prälat. 0158 
Ein und zwanzigſtes Kapitel. Vereinigung 


zweyer Unendlichen. ⸗ 161 
Zwey und zwanzigſtes Kapitel. Beſonderer 
Augenblid. . =. ⸗ 176 

Drey und zwanzigſtes Kapitel. Das Brod, 

. der Bein u. ſ. w. ⸗ 184 

Vier und zwanzigſtes Rapitel. Der Brinz, 
ein Gaſtwirth. ⸗ ⸗ 201 

| Sünf und zwanzigſtes Kapitel. Echanfpiel- 
haus. ⸗ ⸗ 206 
Sechs und zwanzigſtes Kapitel Die Later 
nen. : = - 220 
Eieben und zwanzigſtes Kapitel Das Lei⸗ 
chenbegaͤngniß. ⸗ 227 


Die Mondenfinſterniß. Ein Selbſtge⸗ 
ſpraͤch in der Einſamkeit. 132 


‚derer Kapitel, 


Acht. und zwanzigſtes Kapitel. Königliche 
Bibliothek. ESeite 241 
Neun und zwanzigſtes Kapitel. Die Gelehr⸗ 
ten. . ⸗ ⸗ ⸗2709 
Dreyßigſtes Kapitel. Die Franzoͤſiſche Aka⸗ 
demie. ⸗ 288 
Ein und dreyßigſtes Kapitel. Das Natura⸗ 
lienkabinet des KGnigäs. 310 
Zwey und dreyßigſtes Kapitel. Der Maler 
ſaal. . . 340 
Drey und dreyßigſtes Kapitel, Sinnbildli⸗ 
che Gemaͤlde. ⸗ » 39 
Vier und dreyßigſtes Kapitel. Bildhauer 
und Kupferftecherkfunft. , 358 
Sünf und dreyßigſtes Kapitel. Thronen⸗ 
Saul, ⸗ ⸗ ⸗ 365 
Sechs und dreyßigſtes Kapitel. Regierungs⸗ 


form. ⸗ ⸗ 372 
Sieben und dreyßigſtes Kapitel. Der Thron⸗ 
erbe. ⸗ a ⸗ 395 

Acht umd dreyßigſies Kapitel. Die Weiber. 
⸗ ⸗ 414 

Neun und prepfigftes Kapitel Die Aufla⸗ 
gen. s s ⸗ 432 


Vierzigſtes Kapitel. Von der Handlung. 
⸗ 5 ⸗ a, 3 


Innhalt derer Kapitel. 


Ein und vierzigſtes Kapitel. Die Abendge⸗ 

ſellſchaft. oo: Seite 461 
Zwey und vierzigſtes Kap. Die Zeitungen. 477 
Drep und vierzigſtes Kapitel. Leichenrede 


auf einen Bauer. ⸗ 516 
Vier und vierzigſtes Kapitel. Verſailles. 522 
| Drudfebler. 


©. 42. 3. 19. ift da mwegjuftreichen. ©. 61. 2. 
27. allen ließ zu allen, 836. 6. Ein Arzney iſt lief 
iſt niche mehr. 97. ıı. die fogenannten Gewuͤrz⸗ 
ſchachteln I, Sporteln. 100. 8. Menjchenleben I. 
Menfchen Leben. 116. Note 3. 2. follen L. ſollten. 
1:6. Not. 3.4. gefährlich 1. gefährlicher. 131. 
ihm I. die ihm. 132. 10. fie l. fich- 148. 8. von 
unten, ald 1. daß. 154. 14. verließ 1. verließen. 
188. 14. ded Käufers und Verkäufers I. des Bauers 
uud des Bürgers. 205. 4. von unten; deffen I. 
feinen. 2:7. 17. belefen I. unwiſſend. 217. 16. if 
um megzuftreichen. 251. legte 3. nach Shakeſpear 
adi. Pope. 256. 20. ſchwatzten I. fchywagen. 263, 
Note 3. Boileau I. Racine. 272. 15. hat I. harte. 
279. 3. 3. nach, eben fo viel add. Ich Fann bier 
weiter nichts mehr Davon fangen: die ꝛ⁊c. 286. 
Note s. den Menſchen I, die. 37. 10. ift auf wege 
inftreichen. 332. 3. Freunde l. Sreude. 339. 14: denn 
nad) I. denn noch. 591. 5. waren 1. find. ib. 6. 
war 1. ift. 400. 12. biefem I. dem. 459. 4. von uns 
ten, der I. den. 455. 1. betrügerifche 1. Feine bes 
-srögerifcheac, 465. 13. von einer Prinzeßinn I. von 
Der Niderkunft einer Prinzebinn. 

Das 


Das Jahr 
zwey taufend Hier hundert und vierzig. 


Ein Traum, alg jemals einer gewefen iſt. 





| Einleitung. 


u winfchen, daß alles gut ſey, ift ber 
> Wunſch des MWeltweifen. Ich ver- 
fiebe durch diefes Wort, dag man un⸗ 
fireitig gemißbraucht hat, das tugendhafte 
und empfindliche Wefen, welches das allgemeis 
ne Gluͤck will, weiles beftimmte Begriffe von 
Ordnung und Harmonie hat. Das Bofe er 
muͤdet die Blicke des Weifen, er beklagt fich 
dariiber; man glaubt, er fey bey übler Lau⸗ 
ne; man hat linrecht. Der. Weife ift über 
zeugt, daß die Erde an Boͤſem einen Leber- 
fluß Habe: aber er hat zu gleicher Zeit immer 
die fo ſchoͤne und rührende Vollkommenheit 
in feinem Geifte gegenwärtig, die das Werk 
des vernünftigen Mannes felbft feyn foll. 


A 


3» 
2a) 2 ( ne 


In der That, warum follte ed ung nicht 
erlaubt ſeyn, zu hoffen, daß der Menfch, warn 
er diefen ausfchweifenden Zirkel von Thors 
beiten, um welchen ihn feine Keidenichaften 
drehen, durchlaufen bat, einmal derfelben 
. müde, gu bem reinen Fichte des Verſtandes 
Wwiederfehren werde? Warum foll dad ganze 
menfchliche Gefchlecht nicht dem einzelnen 
Menfchen gleich feyn? Ungeflüm, heftig, un. 
befonnen in feiner Jugend : weife, ſanftmuͤ⸗ 
thig, mäßig in feinem Alter D. Der Menfch, 
der fo benft, leget fich felbft die Pflicht auf, 
gerecht zu feyn. 


Aber miffen wir auch, was Vollkommen⸗ 
heit if? Kann fie auch dad Antheil eines 
ſchwachen und gingefchränkten Weſens feyn? 
Iſt dieſes große Geheimniß nicht unter dem . 


1) Eolite die Melt nur zum Beften einer fo Flei- 
nen Anzahl von Menfchen gemacht fenn, die wirk⸗ 
lich die Fläche der Erde bedecken? Was find alle 
Weſen, die jemaid eriftiret bahen, in Vergleichung 
aller derjenigen, die Gott (chaffen Kann? Andere 
Gefchlechter werden die Stelle einnehmen, die wir 
einnehmen: fie ggrden auf eben dem Scauplage 
erfcheinen : fie werden eben die Sonne fehen, und 
wir werden in ein fo tiefes Alterthum hinein gera⸗ 
then, daß von und keine Spur, kein Merkmal, kein 
Gedaͤchtniß mehr uͤbrig ſeyn wird. 


“ * 


Ra) 3 (nk 
Geheimniſſe des Lebeng verborgen ? und müß 
fen wir nicht erſt unfer fterbliches Kleid ables 
gen, um dieß erhabene Raͤthſel aufsulsfen ? 

Mittlerweile wollen wir ung dod) bie 
Dinge fuchen erträglicy zu machen, oder 
wenn dieß noch zu viel ift, fo wollen wir we⸗ 
nigſtens träumen, daß fie es find. Ich, für 
meine Perfon, mit dem Plato in mich ſelbſt 
verfchloffen, träume mie er. D meine lich 
fien Mitbürger! Ihr, die ich fo oft über die 
Menge von Mifbräuchen, über die man mis 
de iſt fich zu beklagen, habe feufzen hoͤren, 
wann werden’ wir unfere großen Entwürfe, 
warn unfere Träume erfüllet fehen! Cchlar . 
fen, das ift alfo unfere Gluͤckſeligkeit. 


Erfies Kapitel. 
Paris unter den Händen eincs alten 
Engellaͤnders. 


ngelegner Freund, warum wechkſt du mich 

u auf? Ach! was haſt du mir fuͤr einen 

Verdruß gemacht! Du entreiſſeſt mich einem 

Traume, deſſen ſuͤße Taͤuſchung ich dem uͤber⸗ 

laͤſiigen Tage der Wahrheit weit vorzog. 

Wie entzuͤckend war mein Irrthum, und war⸗ 
— 42. 


— 


)40 


um kann ich nicht meine ganze Lebenszeit 
darinnen verſenkt bleiben! Aber nein; da bin 
ic) nun wieder in das abfcheuliche Chang 
zuruͤcke gefallen, aue dem ich mich losgewun⸗ 
den zu haben glaubte. Gebe dich und hoͤre 
mic), indeflen daß mein Geift noch voll von 
-den Gegenftänden ift, die Ihn durchdrungen 
Haben. ch unterredete mich) geftern Abends 

- noch) fehr fpät mit dem alten Engelländer, def 
fen Ecele fo freymütbig iſt. Du weißt, daß ich 
den wahrhaftigen engeländifchen Mann lic 
de. Nirgends findet man beffere Freunde, 
nirgendg, bey feinem Volke Menfchen von eis 
nem fo frandhaften und edlen Charafter. 
Diefer Geift der Freyheit, der fie befeelt, 
giebt ihnen einen Grab der Stärfe und es 
-fligfeit, den man bey.andern Voͤllern ſo ſel⸗ 
ten antrift. 

Eure Nation, ſagte er mir, iſt von eben 
ſo ſonderbaren als vielfaͤltigen Mißbraͤuchen 
vol; man kann fie weder begreifen, noch 
zählen, und der Verfiand verliert fich drin» 
nen. Nichte machet mich bauptfächlich ver- 
wirrter, als diefe Ruhe, dieſe anfcheinende 
Stille, die über dem abfcheulichen Zwifte fo 
vieler innerlichen Kriege bruͤtet. Eure 
Hauptſtadt ift eine unglaubliche Zuſammen⸗ 


e 


za )5 (in 


feßung 2). Dieß Häßliche Ungeheuer ift das 
Behaͤltniß des größten Reichthums und des 
äußerfieir Elendes : ihr Kampf iſt ewig. 
Welch ein Wunder ! daR biefer gefräßige 
Körper, der fich felbft in jedem Theile aufs 
zehrt, fich in feiner abfcheulichen Ungleich⸗ 
beit noch erhalten fann 3). 

Man thut in Euerm Neiche alle für die 
fe Hauptftadt; man opfert ihr Städte, ganze 
Provinzen auf. Ach! was ift fie denn ans 

\derd ald ein Diamant mit Mifte umgeben, 
Welch unerhoͤrtes Gemiſch von Verſtand 
und Dummheit, von Genie und Bloͤdigkeit, 
von Groͤße und Niedrigkeit! Ich verlaſſe 
Engelland, ich eile, ich fliege hieher, ich glau⸗ 
be in einen erleuchteten Mittelpunkt zu kom⸗ 


2) Das ganze Koͤnigreich iſt in Paris. Das 
‚Reich gleichet einem mit der engliſchen Krankheit 
behafteten Kinde. Alle Säfte fleigen ihm nach 
dem Kopfe und machen ihn dicke. Diele Art Kins- _ 
der haben mehr Verſftand, als andre, aber der übris 
ge Körper iſt durchfichtig und vertrocknet. Das 
geiftreiche Kind lebet nicht, lange. 
3) Noch erflaunenswürdiger if die Art, wie es 
fih erhält. Es iſt nicht felten, einen Mann, der nicht 
von hundert taufend Livres Einkünfte leben kann, 
son einem andern Geld .borgen zu ſehen, der ges 
mächlich von hundert Piſtolen lebt. 


® 
\ 


Ze) 6 ( ie 


men, wo die Menfchen durch die Vereini⸗ 
gung ihrer gegenfeitigen Talente, alle Freu⸗ 
den zuſammen, und biefe Ruhe, diefe Ges 
mächlichfeit, die ihren Reiz vermehren, follten 
herrſchen laffen; aber Gott! mie graufam 
habe ich mich in meiner Hoffnung betrogen! 
Auf diefem Punkte, wo alles im Weberfluffe 
iſt, fehe ich Unglückliche verhungern. Mit 
ten unter fo viel weifen Gefeßen begeht man 
faufend Verbrechen. Unter fo vielen Anſtal⸗ 
ten der Policey ift alles in Unordnung. 
Durchgängig ficht man nichts als Hinder⸗ 
niffe, Berwirrungen und Gewohnheiten, die 
den offentlichen Wohl ganz zumwider find. 
Das Bolt läuft mit jedem Schritte Ge 
fahr, dureh bie unzählige Dienge Wagen ger 
rädert zu werden, worinnen Leute nach ihrer 
Bequemlichfeit gefchleppt werben, die unend- 
lich weit weniger werth find als die, Die fie 
‚mit Kothe befprigen und über den Haufen zu 
fahren drohen. Mich fehaudert, wenn ich 
den fliegenden Trabb Bon ein paar Pferden 
höre, die in vollem Nennen in einer Stadt 
berbeyeilen, welche von ſchwangern Weis 
bern, von Greifen und Kindern bevolfert ift. 
Sin der That, nichts kann für die menfchliche 
Natur beleidigender ſeyn, als die graufame 


ee )7( ur 
Sleichgültigfeit gegen Gefahren, bie mit je⸗ 
der Minute wiederfommen 4). 


Eure Gefchäfte rufen euch wider euren 
Willen in jenes Quartier, und es dampft 
dort ein fauler Geruch ang, welcher toͤdtet. 
Tauſend und aber taufend Menfchen athmen 
gezwungen dieſe vergiftete Luft ein 5’. 

Eure Tempel ärgern mehr, als daß fie er 
banen. Man machet daraus Durchgaͤnge 


4) Ihr erſten Bewohner der Erde, ſolltet ihr es 
jemals geglaubt haben, daß eines Tages eine Stadt 
ſeyn würde, mo man ohne Mitleiden über die un: 
glücklichen Fußgaͤnger, über fo viele, die ed an Ars 
men und Süßen werden, weglaufen würde. 


5) Die Unfchuldigen Rindlein *) dienen 22- 
Kirchfpielen von Paris zum Gottesacker. Man bes 
gräbt dafelb die Todten ſeit tauſend Jahren. Mau 
bitte fie in eine meite Entfernung außer den Mauern 
der Stadt verlegen folen. Was hat man gethan? 
Man bat fie mitten in die Stadt aefekt, und un⸗ 
fehlbar aus Furcht, daß fie nicht häufig genug bes. 
ſucht werden möchten, hat man fie mit Buden und 
Kaufläden umgeben. Dies ift ein allezeit offenes, 
allegeit angefülltes, allegeit leeres Grab. Linfere 
salanten Damen bolen auf den vermoderten Ges 
beinen von Millionen Menfchen dad Mans zu ih⸗ 
rem Pure und ihren übrigen Zändeleyen. 


*, Eine Kirche les SS. Innacens nebſt haben lies 
gendem Kirchhofe. 


- 


a)! ( 

und oft noch weit was aͤrgers. Mean feket 
ſich dariunen bloß für Geld nieder: unan⸗ 
ſtaͤndiges Monopolium. an einem heiligen 
Drte, wo ale Menfchen vor Gott, wenig 
fiend unter einander, ſich für gleich halten 
ſollen. 
Wenn ihr es den Griechen und Roͤmern 
nachıhut, fo habet ihr nicht einmal den Der» 
ftand, euch an ihre Art’ su halten: ihr. ver 
derbt ihre Manier, bie fo fimpel und edel ift, 
ihr verderbt fie, fage ich, und verfitliet fie 
durch eure Eleinen Ubfichten und durch die 
findifche Wuth, die hr alle für dag Artige 
babt.. ihr habt einige Stücke fürs Theater, 
die Meifterfiücke find. Wenn ich beym Lefen 
Luft bekomme, fie vorftelen zu ſehen, fo fens 
ne ich fie bey der Vorſtellung nicht mehr. 

Ahr habt drey Kleine finfire und armfeli- 
ge Schaufpielhäufer. In dem erſten fingt 
man mit großen Koften: man betäubt euch 
prächtig und ber lächerliche Mafchinenmeis 
fter verſchwendet Wunder, damit ihr mitten 
darunter gähne® In dem andern machet 
man euch zu lachen, wenn man euch 
Thränen außpreffen ſollte. Das 1ebliche 
wird allezeit verfchlet: uAb außer euern elen> 
den tragiſchen Echaufpielern, die man fich 


— )9 —* 

nice einmal die Mühe nimmt zu kritiſiren, 
habet ihr diefe -oder jene Vertraute, deren 
. platte oder riefenmäßige Nafe fchon alleine 
gureichen würde, die volllommenſte Täufchung 
zu vernichten. Was dag dritte anbetrifft, 
fo find es Poffenreißer, die bald die Schellen 
des Momus fchütteln, bald fade Liederchen 
heulen. Und doch ziehe ich fie euern faden 
franzsfifchen Comoͤdianten vor, weil fie mehr 
Natuͤrliches, und mithin mehr Anmuth Has 
ben, weil fie das Publikum ein wenig beffer 
bedienen 9. Aber ich geſtehe zu gleicher 
Zeit, daß man vor Langermeile- nicht wiffen 
muß‘, was man machen foll, wenn man fich 
an ihren Poffen vergnügen foll. 

Was mir aber ein Lächeln des Mitleid 
erpreßt, if, daß ſolche Leute, denen in ge 
wiffermaßen jeder insbefondere Allmofen 
giebt, ihre Nichter fo unſchicklich in ein en» 


6, Es if ein weſentlicher Unterfchied zwiſchen 
den frangöfifchen und italiänifchen Schaufpielern. 
Die erften halten fich von ganzem Herzen für Leute 
von großen Verdienſten: und befigen einen unleids 
lihen Stolz. Die andern find eigennügig und ha⸗ 
ben bloß das Geld zur Abficht, Jene wollen aus 
Eigenliebe den Geſchmack des Publifums beherr⸗ 
(hen? dieſe ſuchen Ti m aus Geitz nad) demfelben id 
bequemen. 


2m) 10 ( Brei 


98 Narterre pfropfen, wo fie ſtehend und eis 
ner an den andern gepreßt, Laufend Martern 
augfiehen, und mo es ihnen nicht einmal ers 
laube ift, zu fchreyen, daß fie erflichen, wenn 
ihnen der Odem ſchon ausgeht. Ein Wolf, 
das bis auf feine Vergnügungen eine fo 
ſchwere Knechtſchaft erdultet, ift ein Beweiß, 
wie weit man ed zur Sklaverey bringen kann. 
So find alle in der Entfernung gerühmte 
Vergnuͤgungen in der Nähe voll Unruhe, ver 
dorben, und man muß über die Köpfe des 
Volks hinmeglaufen, wenn man frey ath⸗ 
men till. | 

Da ich mich feines fo barbarifchen Mus 
thes fähig fühle, fo gehe ich meiner Wege: 
dien. Send ſtolz auf eure fchönen Denke 
mäler, die in Ruinen verfallen. Zeiget mit 
Bewunderung Ener Louvre‘, deffen Anblick 
Euch mehr Schande, als Ehre machet, haupt. 
fächlich, da man von allen Seiten fo viel 
glänzende Tändeleyen ficht, die Euch mehr 
gu unterhalten foften, als Euch Eure oͤffentli⸗ 
chen Monumente vollends auszuführen fo, 
ſten mürden. 

Aber alles dieß It noch nichts. Wenn 
ich mich über die gans abfchenliche Ungleich» 
heit der Güter ausbreiten: wenn ich die ger 


Se) I (En 


heimen Urfachen, die fie veranlaffen, and 
Licht bringen: wenn ich von Euren rauhen 
und folgen Gitten unter dem dußerlichen 
Scheine leichter und gefäliger Sitten re 
den wollte 7) : wenn ich die Armuth des 
Elenden und die Unmdglichkeit, worinnen er 
fich befindet, fich mit Benbehaltuna feiner 
Rechtſchaffenheit herauszuziehen, befchreiben : 
wenn ich bie Einfinfte berechnen wollte, gu 
denen eın niederträchtigee Menfch gelangen 
fann, um den Grad bed Anfehng, deffen er 
nach dem Maafe genieft, je ein ärgerer Ber 
trüger er it 9: fo wuͤrde mich dic alleg viel 


7) Doch mug man die Finanziers ausnchmen: 
denn diefe find Hart und grob zugleich Die übris 
sen Reichen haben nur Einen diefer Fehler: ents 
weder fie laffen einen mit aller Höflichkeit verhun⸗ 
gern, oder ſMleiſten ihm auf eine grobe Art einige 
Hülfe. 


3) Vormals half man nicht dem tugendhaften 
Mann, aber man fchägte ihn doch wenigſtens hoch. 
Heute zu Tage ift dich nicht mehr fo. Ich erinnere 
mich der Antwort einer Prinzefinn , die fie ihrem 
Haushofmeifter gan. Er hatte bey ihr eine Beſol⸗ 
dung von 600 Libres, und er beklagte ſich, daß er 
davon nicht auskommen Eörmte. Wie machte es 
denn ener Vorgaͤnger, fagte fie zu ihm? Er it nicht 
länger, als zehn Jahre in“meinen Dienſten gewes 
fen, und iſt mit 20000 Livres jährlicher Einkünfte 


a) 12 ( re 


m weit führen: aufe Nacht. Ich reife mor⸗ 
gen, morgen reife ich, fage ich: ich Tann 
nicht Länger in einer fo unglücklichen Cigbe 
bleiben, Die fe viel Mittel hat, es nicht fe 
fepn. - 

Paris iſt mir fo ſehr zum Eckel geworben, 
als London. Alle große Erädte find einander 
glei: Rouſſean bat es ſehr wohl gefagt. 
Es ſcheint, daß, je nicht Die Menſchey Geſetze 
machen, um glücklich zu ſeyn, indem fie fich 
in einem Koͤrper vereinigen: deſto mehr ar 
ten fie aus, deſio mehr vermehren fie die 
Summe ihred Elmdd. Dernünftiger Weife 
foßte man freylich das Begentheil glauben: 
aber je mehr der Menfchen find, deflo mehr 
find ihrer dabey Interekiret, ſich dem allge 
meinen Wohl zu widerfegen. Sch will ir⸗ 
gendwo ein Dorf auffichen, wlch in einer 
reinem Luft und bey ftilen Sreuden, dag 
Schickſal der traurigen Bewohner diefer 
prächtigen Sefängniffe, die man Städte nen» 
net, beweine 9). 


von mir gegangen. Madam , fagte der Haushof- 
meiſter, er befahl fie. Nuu wohl, verfekte fie, fo 
befeble mich auch. 

9) “In dieſem Strohme ven Moden, Einfallen, 
Ergoͤtzlichkeiten, von denen keine dauert, und eine 


2) 13 ( ne 


Sch mochte ihm daB gemeine Spruͤch—⸗ 
wort vorhalten, fo fehr ich wollte, daß 
Paris nicht in einem Tage gebauet, daß 
alled in DBergleichung der vorhergehenden 
Jahrhunderte fchon meitebefler geworden 
wäre. Ja, fagte ich ihm, noch einige Jah⸗ 
re, und vielleicht bleibe Euch dann nichte 
mehr zumwünfchen übrig! Zwar wenn ed moͤg⸗ 
lich wäre, die verfchiedene Projekte, die man 
erfonnen bat, in ihrem gansen Umfange aus⸗ 
guführen » « » Ab! fieker mir ein: dad iſt 
fo recht der Kigel Eurer Nation. Immer 
Projekte! Ihr feyd ein Krangog, mein Freund: 
mit allem Eurem gefunden Menfchenverftande 
bat Euch doch der Landesgeſchmack angefieckt. 
Aber es fen darum: ich will Euch wieder befüs 
chen, wenn alle diefe Projekte werden ausge 
führee feyn. Vis dahin will ich wo anders 
leben. ch mag nicht unter fo vielen miß⸗ 
vergnuͤgten, unglücklichen Menfchen wohnen, 
deren leidender Anblick mein Herz zerreißt 10). 


die andere zerſtoͤrt, verliert die Seele der Großen 
ſelbſt das Vermoͤgen zu genießen, und wird chen fo 
unfähig das Große und Schöne zu empfinden, als 
es bervorzubringen. 


10) Es iſt Bein Etabliffement in Frankreich, dag 
nicht zum Schaden des Nation abzielen ſollte. 


7a) Uli 


Ich fehe, daß es leicht feyn würde, ben. 
dringendften Uebeln abzuhelfen; aber glaubet 
mir, man wird ihnen nicht abhelfen: bie 
Mittel find zu einfach, ale daß man fich der 
felben bedienen gollte: man wird fich Davon 
entfernen , ic) wette darauf. Ich win noch 
eine andere Wette anftellen, daf; man näm« 
lich unter Euch dag heilige Wort der Menſch⸗ 
lichfeie bloß darum mit fo vieler Affektation 
wiederholen wird, damit man ſich frey ma» 
che, die Pflichten zu erfüllen, die eg in fich 
ſchließt 113. Schon lange fündiget Ihr nicht 
mehr aus Unmiffenheit: mithin werdet Ihr 
Euch niemals beſſern. Adieu. 


11) Wehe dem Schriftſteller, der feinem Jahr⸗ 
hunderte fehmeichelt und es vollends einfchläfern 
hilft, der es mit de Gefchichte feiner alten Hels 
den und Zugenden einfingt,. die es nicht mehr 
bat, und fo wie ein geſchickter Charlatan und Hoͤf⸗ 
ling, ihm weiß macht, daß feine Stirne von Geſund⸗ 
beit glänget, indeffen daß der Krebs feine Glieder 
zerfrißt. Der her hafte Schriftſteller bringt keine 
fo gefaͤhrliche Lügen vor: Er ſchreyt: o meine Mit⸗ 
buͤrger! Nein, Ihr gleichet Euren Vaͤtern nicht: 
hr ſeyd hoͤflich und grauſam, Ihr habt blof den 
äugerlihen Schein der Menfihlichkeit ; niederträchs 
tig und betrügerifc) habt Ihr nicht einmal den Muth 
großer Verbrechen; Die Enisen find Flein, mie 30 

felber. _ 


2a) (ur 
Zweytes Kapitel. 
Ich bin ficben hundert Jahr alt, 


8 war Mitternacht, als mich mein alter 

Engelländer verließ. Ich war ein we⸗ 
nig mübe, ſchoß meine Thuͤre zu und legte 
mich nieder. So bald mir der Schlaf die 
Augen zugedruͤckt, traͤumte ich, daß ich ein⸗ 
geſchlafen waͤre und aufwachte m. Sch ſtund 
auf und fand eine Schwere an mir, die mie 
gang ungewöhnlich war. Meine Hände sit 
terten, und meine Füße wankten. Als ich 
mich im Spiegel befah, fannte ich mein Ges 
fihte faum mehr. Ich hatte mich mit blone 
den Haaren, mit einer weißen Farbe und ro» 
then Wangen nicdergelent. Als ich aber 
wieder aufftund, fand ich meine Stirne von 
Nunzeln durchfurcht, und meine Haare eis⸗ 
grau. Ich Hatte zween Knochen, die über 
den Augen herausſtunden, eine lange Naſe; 
und eine blaffe gilblichte Farbe haste fich über 


2) Die Finbildungstraft darf nur von einem Ges 
genfande fehr eingenommen feyn, um fic) feiner in 
der Nacht wieder zu erinnern. Es gehen in Traͤu⸗ 
menserfaunende Dinge vor. Der Traum hier, 
wie man aus der Folge fehen wird, iſt eben niche 
ſo übel erdacht. 


a) 16 ( rk 


meine ganze Geftalt ausgebreitet. So bald 
ich gehen wollte, fügte ich meinen Korper 
mafchinenmäßig auf einen Stoc ; doch hatte 
ich nicht die üble Laune, die alten Leuten nur 
allzugewoͤhnlich ift. 
Als ich audgieng, fah aan en 
chen Platz, der mir unbefantl war. Man 
hatte dafelbft .eine pyramidalifche Säule er⸗ 
richtet, die die Augen der Nengierigen auf 
509. Sch gehe darauf log und leſe ganz 
deutlich: Das Fahr des Heild MMIVCXL. 
Diefe Charaktere waren auf dem Marmor 
mit goldnen Buchſtaben gegraben. | 
. Anfänglich bildete ich mir ein, daß eg ein 
| Irrthum meiner Augen, oder vielmehr ein 
Fehler des Kuͤnſtlers ſey, und ich wollte 
ſchon daruͤber eine Anmerkung machen, als 
mein Erſtaunen noch groͤßer wurde: denn es 
fielen mir zwey oder drey Verordnungen des 
Regenten in die Augen, die an der Mauer 
angeklebt waren. Ich bin immer ein neugie⸗ 
Tiger Leſer der Anſchlagezeddel in Paris gewe⸗ 
fen. Sich fahe eben das Datum MMIVCKL 
getreulich auf allen Hffentlichen Papieren 
ausgedruckt. Wie! ſagte ich bey mir felbft, 
fo bin idy denn fo alt,. ohne daß ichs ſel⸗ 
ber weiß ? Iſts möglich 2 ich. babe ſechs 


2m) 17 ( reife 


hundert und zwey und fiebenzig Jahre gen 
fchlafen 2). 

Alles war verändert. Alle die Vierthel 
der Stadt, die mir fo befannt waren, ſtell⸗ 
ten ſich mir unter einer verfchiedenen und 
gang neuerlich verfchönerten Geftalt vor. 
Sch verlor mich in großen und ſchoͤnen 
Straßen, die fchnurgerade liefen. Ich fam 
an weite Kreuzwege, wo eine fo ſchoͤne Ord⸗ 
nung berrfchte, daß ich auch nicht bie Eleinfte 
Verwirrung merfte. Ich hörte Feines von 
dem verwirrten und feltfamen Geſchrey durch 
einander, das ‘meinem Ohr vormals fo uns 
angenehm getwefen war 3. Ich traf auch 
feine von den Wagen an, die mich alle Aus 
genbliche niederfahren wollten. Ein Podas 
grift Hätte bequiem gehen koͤnnen. Die Stadt 
hatte einen lebhaften Anblick, aber ohne Uns 
ruhe und ohne Verwirrung. 


Ich war fo erfaunt, daß ich nicht die 
Voruͤbergehenden bemerkte, melche ſtehen 
blieben und mich vom Kopfe big auf die Füße 


2) Dieb Werk ift im Jahre 1768 angefangen. 
3) Das Geſchrey von Paris machet eine ganz 
befondere Sprache aus, zu der man eine eigne Gram⸗ 
matiß haben muß. 
B 


a) rk 


mit der größten Verwunderung anfahen. 
Eie zuckten die Achfel und lächelten, fo wie 
wir lächeln, wenn wir eine Maske antreffen. 
In der That mußte ihnen mein Anzug ori⸗ 
ginal und grotesk vorfommen, ‚fo fehr ver- 
ſchieden war er von dem ihrigen. 

“ Ein Bürger (in dem ich in der Solge einen 
Gelehrten erfannte,) näherte fi mir und 
fagte ſehr höflich, aber mit einer ernfihaften 
Miene zu mir: Guter Alter, zu was dienet 
Diefe Verkleidung! Eure Abſicht ift und an 
die lächerlichen Gewohnheiten eines abge 
fhmackten Jahrhunderts zu erinnern? Wir 
haben feine Luft fie nachzumachen. Laſſet 
diefe eiteln Poffen. 

Wie? antwortete ich ihm, ich habe mich 
nicht verkleidet; ich trage noch eben die Kleis 
ber, die ich geftern trug: eure Säulen und 
eure Unfchlagezeddel find es, die unwahr res 
den. Ihr fcheinet einen andern Oberberrn, 
als Ludewig ben XV. zu erkennen. Sch weiß 
was Euer Gedanfe daben feyn mag, aber 
das fage ich Euch, daß ich ihn für fehr ge⸗ 
fährlich halte. Man fpielt nicht folche Mas» 
feraden: man if auch nicht auf den Grad 
wahnwigig: auf jeden Fall ſeyd Ihr ein Be⸗ 
trüger umfonft und um nichts; denn Ihr müßt 


Se) 19 ( u 


doch wiſſen, daß wiber den augenfcheinlichen 
Beweis feiner eignen Exiſten; nichts gilt. 


Es ſey nun, daß der Mann glaubte, ich 
redte irre, oder, daß das hohe Alter, wel⸗ 
ches ich ihm zu haben fchien, mich findifch 
mache, oder daß er einen andern Argwohn hate 
te; genug, er fragte mich, in welchem Jahre ich 
geboren wäre? 1740, antwortete ich ihm. — 
Nun wohl, nach diefer Rechnung ſeyd Ahr 
gerade fieben hundert Jahr alt. Man muß 
ſich über nichts wundern, fagte er zu ber 
Menge Volle, die ihm umringte : Henoch 
und Elias find nicht geſtorben: Methufalem 
und effige andere haben 900. Jahre gelebt: 
Nicolaus Sfemel läuft, als irrender Jude, um» 
her, und vieleicht hat der Herr das unſterb⸗ 
lich machende Elerier oder den Stein der 
Meifen gefunden. 


indem er diefe Worte fagte, lächelte er 
und jedes drängte fi) um mich ber mit 
viel Sefälligfeit und ganz befonderer Ehrer⸗ 
-Bietung. Sie brannten vor Begierde mich 
zu fragen : aber die Befcheidenheit feffelte ih» 
se Zunge; fie begnügten fich, einander ine 
Ohr gu fagen: ein Menfch aus der Zeit Lu⸗ 
dewigs bed XV! o wie wunderbar! 

B 2 


Same) 20 (ee 


Drittes Kapitel. 
Ich kleide mic) vom Trödel, 


Heine Perſon ſetzte mich in große Verle⸗ 

genheit. Mein Gelehrter ſagte zu mir: 
Bewundernswuͤrdiger Alter, ich erbiete mich 
gerne Euch als Fuͤhrer zu dienen: aber vor 
allen Dingen laſſet uns zum erſten zum be⸗ 
ſten Troͤdler gehen: denn (ſetzte er freymuͤ⸗ 
thig hinzu) ich wuͤrde Euch nicht begleiten 
koͤnnen, wenn Ihr nicht auf eine anſtaͤndige 
Weiſe gekleidet waͤret. 

Ihr muͤſſet mir, zum Exempel, ſelbſt ein⸗ 
raͤnmen, daß in einer wohl eingeuchteten 
Stadt, wo die Regierung allen Streit unter⸗ 
ſaget und fuͤr das Leben eines jeden Men⸗ 
ſchen insbeſondere Gewaͤhr leiſtet, es unnuͤ⸗ 
tze, ich will nicht ſagen, unanſtaͤndig waͤre, 
feine Füße mit einem moͤrderiſchen Gewehre 
zu beunruhigen und-einen Degen an die Sei⸗ 
te zu ftecken, wenn man mit Gott, den Das 
men und feinen Freunden reden will: es iſt 
alles, was der Soldat in einer belagerten 
- Stadt thun könnte, In Eurem Zahrhuns 
berte hielt man noch fefte an dem alten Vor⸗ 
urtheile der gothifchen Nitterfchaft; e8 mar 
ein Ehrenzeichen, allezeit ein feindliches Ges 


ae) 21 ( u 


wehr mit zu fchleppen: und ich habe in ben 
Schriften Eurer Zeit gelefen, daß noch der 
ſchwache Greis mit einem- unnüßen Eifen 
Darade machte. 

Wie gezwungen und ungefund iſt Eure 
Kleidung! Eure Schultern und Arme find 
eingeferfert, Euer Leib zufammen gepreßt, 
Eure Bruſt eingefchloffen; Ihr koͤnnet nicht 
frey atmen. Und warum feet Ihr Eure 
Hüften und Schenfel der Ungemächlichfeit 
der Witterung aus? 

Jede Zeit bringt neue Moden mit: aber; 
ich müßte; mich ſehr betrügen, wenn die un, 
frige nicht eben fo angenehm als der Geſund⸗ 
beit gemäß wäre. Sehet einmal! — Sin der 
That hatte die Art, mie er gekleidet war, ob 
fie gleich für mich neu war, nichte, dag mir 
mißfiel. Sein Hut hatte nicht mehr die trau⸗ 
rige, finflere Sarbe, noch die ungefchickten Hoͤr⸗ 
ner 1) 'e8 war nichts davon uͤbrig, als der 


1) Wenn ich die Geſchichte von Frankreich ſchrei⸗ 
ben ſollte, fo wuͤrde ich mich mit einer voruͤgli⸗ 
hen Sorgfalt Über das Kapitel der Hüte ausbreis 
ten. Diefes mit Fleiß behandelte Stück müßte fehr 
merfmwärdig und intereffant feyn. Sch würde dar⸗ 
innen Engellend und Frankreich zuſammen kontra⸗ 
ſtiren laſſen: das eine wuͤrde einen kleinen Hut tra⸗ 
gen, wenn das ‚andere einen großen trüges vnd 


a) 23 ( er 

Kopf, der tief genug war, auf dent Haupte fe 
ſte zu fiten, und der mit einer Krempe um⸗ 
geben war. Diefe mit Anftand aufgerofite 
Krempe blieb über einander gefchlagen, wenn 
fie unndthig war: und fonnte herunterges 
ſchlagen und fo weit herabgelaffen werden, 
ald es demjenigen gefiel, der fie trug, um 
vor der Sonne oder der übeln Witterung zu 

ſchuͤtzen. , 
Seine Haare, die ſchicklich geflochten wa⸗ 
ren, machten hinten auf ſeinem Kopfe einen 
Knoten 2), und eine nur leichte Beſtaͤubung 
son Puder ließ ihnen ihre natürliche Farbe. 
Diefer fimple Aufputz ſtellte weder eine vom 
Puder und Pomade aufgelleifterte Pyramide, 
noch die feltfamen Flügel vor, die das Anſe⸗ 
ben eines Derrückten geben, noch diefe uns 
beweglichen Locken, die nicht etwan ein flies 


dieß würde dem großen ablegen, wenn jenes den 
Heinen ablegte. 


2) Wenn ich den Einfall hätte, eine Abhand⸗ 
Inng von der Freſirkunſt zu fchreiben, was würde ich 
nicht bey den Leſern für Erflaunen erweden, wenn 
ich ihnen bewieß, daß es drey⸗- bis vierhunderterley 
Arten giebt, einem ehrlichen anne das Haar zu 
kruͤmmen. D was haben die Künfte nicht für eine 
Tiefe, und wer kann ſich ruͤhmen, fie alle Stuͤck⸗ 
weiſe durchſtudiret zu baden ! 


. 


Br 2 


gendes Haar bilden, fondern fein ander Vers 
dienft haben, als daß fie ohne Ausdruck und 
ohne Anmuth gerade vor fich binftarren. 


Sein Hals wurde nicht von einer engen 
neffeltuchenen Binde sufammengefchnürt 2; 
fondern er hatte eine nach Befchaffenheit der 
Jahrszeit mehr oder weniger warme Kraufe 
nm. eine Arme genoffen ihrer völligen 
Freyheit in Aermeln, die eine mittelmäßige 
Weite hatten: und fein Korper, den eine Art 
von Oberweſte wohl Fleidete, war mit einem 
Mantel in Geſtalt eine Rocks bedecket, def 
fen Gebrauch in Regen und Kälte zuträglich 
war. 


Eine lange Binde umguͤrtete auf eine edle 
Art ſeine Lenden und ri eine glei» 
che Wärme. Er trug Feine Gürtel, tel 
he Die Kniekehlen zerfchneiden und den 
Umlauf des Blutes Hindern. Ein langer 
Strumpf gieng ihm von den Füßen an bis an 





33 Ich will nicht, dag man fich wider unfre 
Binden auflehnt: fie find ung zu mehr dienlich, als 
man wohl glaubt. Die nächtlichen Ergöglichkeiten, 
das Schwelgen und andere Ausfchweifungen mas 


chen uns im Sefichte blaß. Unſere Binden, indem . 


fie uns ein wenig wuͤrgen, machen diefen Zehler 
wieder gut und geben und cinige Zurbe. 


Be) 24 ( ie 


den Dund und ein bequemer Schuß in Ge⸗ 
flalt eines Halbſtiefels umgab feinen Fuß. 
Er fuͤhrte mich in einen Laden, wo tch 
meine Kleidung ändern follte Der Stuhl, 
auf den ich mich ſetzte, war nicht von_der 
Art Stühlen, die mit Zeuge überladen find, 
und welche mehr ermüben, ale daß man dar⸗ 
auf ausruhen folte. Es war eine Art von klei⸗ 
nen Kanape, dag mit einer Decke belegt, und 
abhängig war, und fich nach der Beivegung des 
Körpers auf einer Angel drehete. Sch fonn- 
te faum glauben, daß ich bey einem Trodler 
wäre: denn er redte weder von Chre noch 
Gewiſſen, und fein Magasin war fehr helle. 


Vi tes“ Kapitel. 
e kaſttraͤger. 


ein Fuͤhrer wurde mit jedem Augenblicke 
geſpraͤchiger. Er besahlte für mich 
dasjenige, was ich bey dem Troͤdler ausge, 
nommen. &8 belief fich ungefähr auf einen 
Louis unferer Münze, den ich aus meiner 
Tafche 509. Der Kaufmann bat, daf er diefen 
als ein antifes Stück: behalten dürfe. Man 
bezahlte baar in jedem Maarenladen, und 
dieß Volk, das auf eine gewiſſenhafte Red⸗ 


De) 05 (nk 


lichkeit hielt, Fannte das Wort Eredit nicht, 
welches von einer ober der andern Seite ef. 
ner kuͤnſtlichen Schelmerey zum Borwande 
diene. Die Kunft Schulden zu machen 
und fie nicht zu besahlen war nicht mehr bie 
iffenfchaft der Leute von ber großen 
Welt 2). 


1) Als Karl der VII. König von Frankreich einft 
in Bourges war, beftellte er fich ein paar Stie⸗ 
feln. Aber da - man fie ihm anprobirte: trat 
fein Haushofmeifter hinein und fagte zum Schw 
fer: nehmt eure Waare wieder mit, wir Finnen 
dieſe Stiefeln fo bald nicht bezahlen: Ihro Maje⸗ 
ſtaͤt können noch einen Monat in den alten geben. 
Der König gab dem Haushofmeifter Necht, und 
er verdiente einen folhen Mann in feinen Dienften 
zu haben. Was wird bierbey der junge Thor den- 
fen, der fich feine Füße bekleiden läßt, und in 
fich felbft lachet, da .er einen armen Handwerks⸗ 
mann gefunden, der ſich von ihm betrügen läßt. 
Er verachtet den Mann, der ihm Schuhe an ſeine 
Füße giebt, die er nicht bezahlet, und Iduft, fein 
«Geld in den Schlupfwinteln der Schmelgerey und 
des Lafters zu verfchgegten. D daß die Nieders 
trächtigfeit feiner SM nicht feiner Stirue einges 
graben ift, diefer Stirne, die nicht roth wird, und 
an jeder Ecke der Strage umzulenken fuchet, das. 
mit er fich den Augen eines Glaͤubigers entziebe. 
Wenn alle diejenigen, denen er für Kleider, die er 
trägt, fchuldig if, ihm auf einer Dueergaffe anhiels 
ten, und das wiedernaͤhmen, was ihnen zugehoͤret, 


23mm) 26 ( un 


Beym Herausgehen umringte mich wie⸗ 
der das Wolf: aber feine Blicke verriethen 
nichts Spottifcheg, oder Beleidigendeg; es 
fummte bloß von allen Seiten ber vor meis 
nen Ohren; bag ift der Mann, ber fieben 
hundert Jahr alt iſt. Wie unglüclich muß 
er in den erſten Jahren ſeines Lebens gewe⸗ 
fen ſeyn 2)! 

Sch mar ganz erftaunf‘, daß ich in den 
Straßen fo viel Reinlichkeit nud fo wenig 
Verwirrung fand: man hätt® glauben fol- 
len, e8 wäre dag Fronleichnamsfeſt. Die 
Stadt fchien indeffen außerordentlich volk⸗ 
reich. 

Es war in jeder Gaffe eine Wache, die 
über die ffentliche Ordnung hielt: fie leitete 
was würde ihm zur Bedeckung übrig bleiben? Ich 
wollte, daß jeder Menfih, der fih auf dem Vflas 
fer in Paris, über feinem Stand gekleidet, fehen 
läßt, unter den bärteften Strafen gezwungen wuͤr⸗ 
de, in feiner Taſche die Quittung feines Schneis 
Ders gu tragen. 

2) Derjenige, der Menegeweſen in einem 
Staate vorſteht, derjenige, der die Finanzen in 
Haͤnden hat, iſt in der ganzen Staͤrke des Aus⸗ 
diucks ein Deſpote, und wenn er ja nicht alles 
ganz zu Boden drüct, fo if es unfeblbar feinem 
Eigennuße nicht allegeit geäß, feiner ganzen Ge⸗ 
wait zu brauchen. 


mm) 27 ( Be 
den Gang der Wagen und der heladenen 
Menfchen: hauptfächlich machte fie den Ieg- 
tern, deren Laft allegeit ihren Kräften ange- 
meffen war, den Weg frey. 

Man fah nicht einen Unglürflichen keu⸗ 
chend, ganz mit Schmeiße bedeckt, mit einem 
rothen Auge und niebergedrücktem Kopfe un- 
ter einer Laft feufzen, die bey einem menfchen: 
freundlichen Volke nur für ein Laſtvieh ge- 
macht ift: der Reiche ſpottete nicht der Menfch- 
lichkeit vermittelt einiger Stücfe Geld. Man 
fah noch weniger ein särtliches und ſchwa⸗ 
ches Gefchlecht, das geboren ift, fanftere und 
glücklichere Pflichten zu erfüllen, die Augen 
der Voruͤbergehenden zum Mitleiden bewe⸗ 
gen, indem es fich in Laflträger metamor- 
phofiret. Man fah e8 nicht auf den oͤffent⸗ 
lichen Märkten mit jedem Schritte der Sta- 
tur Gewalt anthun, und die barbarifche Un- 
empfindlichfeit der Männer anklagen, bie 
ruhige Zufchauer feiner mühfeligen Arbeiten 
waren. Die Weiber, denen Pflichten ihres 
Standes wieder gegeben, erfüllten die ein- 
sige Sorge, die ihnen der Schoͤpfer aufer⸗ 
legte, Kinder zu gebähren und denenjenigen 
ihre Mühe zu verfüßen, die für Die Veduͤrf⸗ 
niſſe des Lebens ſorgen. 


Te) 28 ( ee 
Fuͤnftes Kapitel. 
Das Fuhrwerf. 


254 bemerfte, daß die Hingehenden auf 
der rechten Seite und die Hergehenden 
auf der linken giengen ’). Diefeg fo einfache 
Mittel, nicht niedergefahren zu werden, war 
nur erft erfunden worden; fo wahr ift eg, 
daß nur erft mit der Zeit. die nüßlichen Ent⸗ 
deckungen gemacht werden. Alle Ausgänge 
waren ficher und leichte, und bey oͤffentli⸗ 
chen Feyerlichkeiten, wo ſich ein großer Zu- 
ſammenfluß vom Volke findet, genicht die- 
ſes auch eines Schaufpield, das es natürli- 
cher Weiſe gerne ſieht und das man ihm 
mit Unrecht verſagen wuͤrde. Jeder kehret 
davon ruhig wieder in ſein Haus zuruͤck, 
ohne zermalmt oder getoͤdtet zu werden. Ich 
ſahe nicht mehr den laͤcherlichen und beleidi— 
genden Anblick von tauſend Karoſſen, die ſo 
in einander gefahren waren, daß ſie drey 
Stunden lang unbeweglich halten mußten, 


1) Ein Fremder begreift nicht, was in Frank⸗ 
reich dieſe unaufbhoͤrliche Bewegung von Menfchen 
verurſachet, die von fruͤhem Morgen an bis Abends 
außer ihren Haͤuſern ſind, oft ohne alle Geſchaͤfte 
und doch in einer unbegreiflichen Geſchaͤftigkeit. 


2m) 29 (Ey 


inbeffen, dafs der vergoldete Herr, der alber 
ne Menfch, der fich fchleppen lief, vergefs 
fend, daß er Füße hatte, an der Thüre 
ſchrie und mehflagte, daß er nicht fort 
fonnte 2). 

Die großte Menge Volks machte einen 
freyen und leichten Umlauf, voller Ordnung. 
Ich traf hundert Karren mit Waaren und 
Mobilien flatt einer einzigen Karoffe an, 
und auch diefe Karoffe fuhr einen Mann, 
der mir franf zu feyn ſchien. Wo find 
denn, fagte ich, die glänzenden Wagen hin, 
die fo allerliebft verguldet, gemalt und kadire 
waren, die zu meiner Zeit die Straßen von 
Paris anfüllten? Sie müffen alfo bier wes 
der Seneralpachter, nod) Buhlfchweitern 3), 

2) Nichts if luſtiger, als auf einer Brücke eine 
Reihe von Karoſſen au fehen, die fo in einander 
gefahren find, daß keine vor der andern fort kann. 
Die Herren fehen ſich um und geberden ſich fehr 
ungedultig. Die Kutfcher heben fih auf ihren 
Sigen empor und fluchen. Diefer Anblick raͤchet 
ein wenig die unglücklichen Fußgänger. 

3) Man hat ſechs Pferde mit den praͤchtigſten 
Geſchirre bebangen gefehen : fie waren an dem 
koſtbarſten Wagen gefpannt. Man ftellte fich im: 
zwo Reihen, um fie buschfähren zu ſehen. Die 
Handiwerksleute zogen ihte Muͤtzen ab, und ee war 
eine Theaterprinzeßinn, die fie gegrüßt hatten. 


\ 


Er ) 30 ( Zn 2 


noch Petits Maitres haben? Zu meiner Zeit 
mußte dag Publifum von diefen drey elen- 
ben Gattungen von Menfchen alles Moͤgli⸗ 
che leiden, und fie fchienen eine mit der an⸗ 
dern um den Vorzug zu flreiten, wer den 
ehrlichen Bürger, ber mit großen Schriften 


floh, aus Furcht von ihren Wagen gerädert 


gu werben, das meifte Schrecken einjagen 


koͤnnte. Unſere Großen ſahen das Pflaſter 


von Paris fuͤr die Rennbahne der olympi⸗ 
ſchen Spiele an und ſetzten ihren Ruhm 
darein, Pferde zu todte zu jagen. Alsdann 
rettete ſich wer konnte. 


Jetzt, ſagte er mir, iſt es nicht mehr erlaubt, 


ſolche Rennen anzuſtellen. Gute Geſetze wider 
die Verſchwendung haben dieſem barbariſchen 
Aufwande, wodurch ein Volk von Bedienten 
und Pferden gemaͤſtet wurde, gefteuert#). Die 
Guͤnſtlinge des Gluͤcks kennen nicht mehr 
dieſe ſtrafbare Weichlichkeit, die das Auge 
bes Armen beleidigen mußte. Unſere Groſ⸗ 
fen brauchen itzt ihrer Füße: fie haben mehr 
Geld und weniger Podagra. 


4) Mau bat mit Net die reichen Theren, die 
eine Menge Bebienten unterhalten, mit Schaben 
serglichen. Sie haben viel Füge, und gehen doch 
fehr langſam. 


am) 31 ( En 


Sie ſehen ingwifchen einige Wagen. Diefe 
gehören alten Magiftratsperfonen oder Een; 
ten, bie ſich durch ihre Dienſte bervorgerhan 
and von der Laſt des Alters gekruͤmmt find, 
Ahnen allein ift es erlaubt langfanı auf dem 
Pflaſter zu fahren, two ber geringfte Bürger 
in Ehren-ift. Sollten fie dag Unglück haben 
einen Menfchen zu lähmen, fo wuͤrden fie 
gewiß den Augenblick aus dem Wagen ftel- 
gen, um ihn mit fich hinein zu nehmen, und 
ibm Lebenslang auf ihre Koſten einen Wa⸗ 
gen halten. 

Dieß Ungluͤck aber geſchieht niemals, 
Die Reichen von Stande, find hochach⸗ 
tungswürdige Menfchen, die fich nicht für 
entehrt halten, wenn fie geflarten, daß ih⸗ 
re Pferde dem Bürger den Vorſchritt über. 
loffen. 

Unſer Fürft felbft gebt oft unter und 
zu Fuße umher: bisweilen beehrt er fo gar 
unfere Häufer mit feiner Gegenwart, und 
faft allegeit,, wenn er von vielen Gehen 
muͤde ift, wählet er den Laden eines Hand⸗ 
merksmannes, wo er ausruht. Er ma- 
chet fi) eine Freude draus, die natuͤrli⸗ 
che Gleichheit zu krueuern, die unter ben 
Menfchen herrſchen ſoll: auch lieſt er in 


we) 32 ( u 


unſern Blicken nichts, als Kiebe und Dank: 
barkeit: unfer Freudengefchrey koͤmmt aus 
dem Herzen, und ſein Herz hoͤret es und fin⸗ 
det darinnen ſeine Zufriedenheit. Es iſt 
ein zweiter Heinrich der IV. Er hat ſeine 
große Seele, ſeine zaͤrtlichen Empfindungen, 
ſeine edle Einfalt: aber er iſt gluͤcklicher. 
Die oͤffentliche Straße erhalt unter feinen 
Schritten gleichfam einen geheiligten Eins 
druck: man wagt es niemals fich daſelbſt 
zu ftreiten: man würde fid) ſchaͤmen bie ge 
ringfte Unordnung bafelbft zu veranlaffen: 
Wenn der König vorbey gieng, fagf man; 
diefer Gedanke allein würde, wie ich glaube, 
einen bürgerlichen Krieg ftillen. Wie mäch- 
tig iſt das Beyſpiel, wenn es von dem 
Dberhaupfe gegeben wird. Wie eg rührt! 
wie e8 zu einem unverbrüchlichen Gefeße 
wird! mie es allen Menfchen gebeuf! 


Sechſtes Rapitel. 
Eingefaßte Hüte: 


Die Dinge feheinen mir ein wenig veran⸗ 

dert zu ſeyn, fagte ich zu meinem Fuͤh⸗ 
rers ich ſehe, daß alle Menfchen auf eine 
fimple und beſcheidne Art gebleider find, amd 


am) 33 (nn 


feit wir auf der Straße find, habe ich noch 
kein einziges goldneg Kleid gefehen : es find . 
mir weder Treffen noch Spißenmanfchetten 
in die Augen gefallen. Zu meiner Zeit hat⸗ 
te eine ‚Eindifche und verberbliche Verſchwen⸗ 
dung aller Gehirne verrückt: ein Körper oh⸗ 
ne Seele war mit Golde überladen und die 
Mafchine fchien dann einem Menfchen ähn- 
lich. — Eben dag, verfeßte er, hat ung 
bewogen, diefe alte Livrey bed Stolzes zu 
verachten. Unſer Auge hält fich nicht mehr 
auf der Oberfläche auf. Wenn ein Menfch 
fich in feiner Kunſt vorzüglich hervorgethan. 
bat, fo braucht er feines prächtigen Kleideg, 
einge koſtbaren Ausmöblirung, um fein 
Verdienſt geltend zu machen: er braucht 
weder Bewunderer, die ihn außpofaunen, 
noch Mäcenaten, die ihn hervorziehen: fei- 
ne Handlungen fprechen, und jeder Bürger 
beeifere fich, ‚für ihn die Belohnung zu fo. 
dern, bie fie verdienen. Diejenigen, die ei- 
ne gleiche Laufbahn mit ihm betreten, find 
die erften, die für ihn fprechen. Jeder ma- 
chet eine Bittfchrift, two die Dienfte, die er 
dem Staate geleiftet hat, in ihrem ganzen 
Lichte gefchildert werben. 


- 


2) 340 


Der Monarch ermangelt nicht dieſen, 
dem Volke ſo werthen Mann an Hof zu zie⸗ 
hen. Er unterhaͤlt ſich mit ihm, um ſich zu 
unterrichten; denn er glaubt nicht, daß der 
Geiſt der Weisheit ihm ſelbſt angeboren ſey. 
Er nuͤtzt den lichtvollen Unterricht desjenigen, 
der irgend einen großen Gegenſtand zum 
Hauptzwecke feines Nachdenkens genommen 
hat. Er macht ihm ein Gefchenfe mit eis 
nem Hute, worauf fein Name geftickt iſt: 
- and biefer Vorzug ift mehr werth, als alle 
die blauen, rohen und gelben Bänder, die 
vormals Menſchen verbramten, die dem Va⸗ 
terlande durchaus unbekannt waren ». 

Sie werden fich leicht vorftellen, dalkein 
{händlicher Name fich nicht vor einem Pu⸗ 
blifum zeigen darf, deffen Blick ihn befchä- 
men würde. Mer nur einen ber ehrenvol- 

1) Die Alten hatten die Eitelkeit, ihren Urs 
fprung von den Goͤttern herzuleiten: man gab ſich 
alle erſinnliche Muͤhe, ein Neffe des Neptun, ein 
Enkel der Wenns und leiblich Geſchwiſterkind des 
Mars zu feyn: andere, die etwas befcheidener wa⸗ 
ren, bequuͤgten ſich, von einem Flußgott, einer 
Nymphe, einer Nalade herzuſtammen. Unſere 
neuern Thoren haben einen weit elendern Stolz: 
fie wollen nicht von berühmten Vorfahren abſtqqu⸗ 


men, fondern von folchen, die fich ganz in dem 
Alterthume verlieren. 


az) 35 —8 


len Huͤte trägt, koͤmmt überall durch : zu 
jeder Zeit hat er einen freyen Zutritt zum 
Throne, und dieß ift ein fundamental 
Geſetz. Mithin, wenn ein Prinz oder ein 
Herzog nichts gethan haben, um ihren Na⸗ 
men ſticken zu laffen, fo genießen fie ihrer 
Keichthümer, aber fie haben fein Ehrenzei⸗ 
hen: man fieht fie mit eben dem Auge vor⸗ 
übergehen, , als den unbefannten Bürger, 
der fich in den großen Haufen vermifcht und 
darinnen verliert. “ 

Die Politik und die Vernunft autorifiren 
zu gleicher Zeit diefen Vorzug: er ift nur für 
diejenigen beleidigend, die fich unfähig füh- 
Ion, fic) jemals aus dem Staube zu heben. 
Der Menfch iſt niemals fo vollfommen, daß 
er dag Gute bloß um der Ehre willen thut, et⸗ 
‚was Gutes gethan zu haben. Aber diefer 
Adel, wie Sie leicht glauben werden, iſt per- 
fönlih, und weder erblich noch Fäuflich. 
Mit dem zwanzigſten Jahre ſtellt fich der 
Sohn eines berühmten Mannes dar, und 
ein Gerichte entfcheibet, ob er der Vorzüge 
feines Vaters genießen fole. Nach Defchaf, 
fenheit feiner vergangenen Aufführung und 
bisweilen nach der Hoffnung ‚, die er fürg 
Fünftige giebt, wird ihm die Ehre beſtaͤtiget, 

C2 


wa) 300 — 


einem Bürger anzugehoͤren ‚, ber feinem Va⸗ 


terlande wertb if. Aber, iM der Sohn 


eines Achilles ein niederträchtiger Therfi- 
tes ; fo. fehren wir die Augen weg, wir er 
fparen ihm die Schaam ung ins Angeficht 
zu erröthen: er ſteigt defto gefchwinder im 
die Vergeffenheit hinab, je mehr der Name 
feines Vaters verherrlichet wird. 


Zu ihrer Zeit wußte man bag Verbrechen 
zu beftrafen undanan gewährte der Tugend 
£eine Belohnung; dag war eine fehr unvoll« 
fommne Gefeßgebung. Bey ung trägt ber 
herzhafte Mann, ber einem Bürger in einer 
Gefahr das Leben gerettet 2), der ein oͤf⸗ 
fentliches Unglück verhindert, der etwas 
Großes und Nuͤtzliches gethan, ben geftick- 
ten Hut und fein verehrungsmwürdiger Name 
wird aller Augen ausgefeßt ; er geht dem vor, 
der das größte Vermögen befigt und wär er 


2) Es if unglaublich, daß man einem Manne, 
der einem Bürger das Leben rettet, keine Beloh⸗ 
: nung befiinmt. Nach einer Verordnung ber Pos 
licey if einem Schiffer sehn Thaler ausgefeget, 
der einen Ertrunfenen aus dem Waffer sieht: aber 
der Schiffer, der einem Wenfchen das Leben rets 
tet , empfängt nichts, 


2a) 37 ( erie 


ein Midas oder Plurus 3). Dieß ift ſehr 
wohl ausgefonnen. Zu meiner Zeit gab. 
man Hüte, aber fie waren roth: man holte fie 
jenfeit Des Meeres : fie bebeuteten nichtg ; man 
gab fich ganz befondere Mühe darum, und 
ich, weiß eigentlich nicht, unter wag für die 
nem Titel ntan fie erhielt. | 


Siebendes Kapitel. 
Die umgetaufte Bruͤcke. 


Woenn man mit Intereſſe ſchwatzet, fo 
geht man ein weit Stuͤcke Weges, oh⸗ 
ne eg zu merfen. Ich fühlte nicht mehr bie 
Schwachheit des Alters, fo fehr verjüngte 
mich der Anblick fo vieler neuen Gegenftäns 
de. = = Aber was fehe ich! o Himmel; welch 
ein Anblick! Sch finde mid) an den Ufern 
der Seine. Mein besauberter Anblick ſchwei⸗ 
3) Wenn die aͤußerſte Habfucht alle Herzen im 
Bewegung feget, fo verichwindet der Enthuſiaſmus 
der Tugend, und die Regierung kann nicht anders, 
als durch ungeheure Summen diejenigen belohnen, 
die e8 durch leichte Zeichen der Ehre belohnen 
konnte. Eine Lehre für alle Monarchen, eine Muͤn⸗ 
ze zu ſchaffen, die eines Mannes Namen verherrli⸗ 
chet. Aber dieſe wird nur alsdann guͤltig ſeyn, 
wann die Seelen dieſen edlen Sporn lebhaft fuͤh⸗ 
len werden. 


Se ) 38 ( ende 


fet frey umher, und breitet fich über den 
fehönften Denkmaͤlern aus. Das Louvre 
ſteht vollig da! der große Raum, der zwiſchen 
dem Schloffe der Thuilleries und dem Lov⸗ 
pre herrfchet, machet einen ungeheuren Pla, 
wo die: dffentlichen Feſte gefepert ‚werben. 
Eine neue Gallerie fteht der alten gegenuber, 
woran man noch die Hand des Perrault 
bewundert. Dieſe beyden erhabenen Mo- 
numente alfo vereiniget, formirten den präch- 
tigften Palaß, der nur in der Welt war. 
Alle angefehenen Künftler bewohnten denfel- 
ben. Dieß war bag wuͤrdigſte Gefolge der 
hoͤchſten Majeſtaͤt. Sie war nur fiolz auf 
die Künfte, die den Ruhm und das Gluͤck 
des Reichs ausmachten. Ad) fahe einen 
prächtigen Marftplak, der cine Menge Bür- 
ger in fich faffen. fonnte. Ein Tempel flund 
ihm gegen über: bieß war ber Tempel der 
Gerechtigfeit. Die Architektur feiner Mauern 
war der Würde feiner Abſicht gemäß. 

Iſt das wohl die neue Brücke (Pontnenf), 
rief ich aus? D mie ift fie gefchmüdt! — 
as heiffet Ihr denn Pont neuf? Wir ha- 
ben diefer Brücke einen andern Namen ge: 
geben. Wir haben von vielen die Namen 
geändert, wir haben ihnen bedeutendere oder 


ame) 29 ( ee 
fchicklichere gegeben: denn nichts hat einen 
fo großen: Einfluß auf den Verſtand des 
Volks, ald wenn die Dinge ihre eigenthuͤm⸗ 
lichen und. wahren Benennungen haben. 
Die ift die Brücke Heinrich des IV! ver: 
ſtehet Ihr wohl? Da fie zwifchen beyden 
Theilen der Stade die Gemeinfchaft ausma⸗ 
chet: fo fönnte fie feinen ehrwuͤrdigern Na- 
men führen. In jedem ber Halbsirfel ha⸗ 
ben mwir die Bildniffe großer Männer auf: 
geftellet, die, wie er, das Vaterland gelichtr 
und bloß dag Heil des Vaterlandes zur Ab- 
ficht gehabt haben. Wir haben Fein Ber 
denken getragen, ihm den Kanzler &’ Hopi⸗ 
"tal, Suͤlly, Sjannin, Colbert an die Seite 
zu ſetzen. Welch ein Sittenbuch! welche 
öffentliche Belehrung ift fo flark, fo beredt, 
als diefe Reihe von Helden, beren flumme, 
aber gebietende Stirne allen zuruft, daß eg 
nüglich und groß fey, die oͤffentliche Hoch- 
achtung zu erhalten! Euer Jahrhundert hat 
nicht den Ruhm gehabt, fo etwas zu unters 
nehmen. — D mein Sahrhundert fand bey 
der geringften Unternehmung die größten 
Schwierigkeiten. Man machte die feltenften 
Zubereitungen, um mit Pomp, eine unzeilige 
Geburt anzufündigen. Ein Sandkorn hielt 


4 


Ra) 4 (En 

die Bewegung der flolzeften Triebräder ‘auf. 
Man erbaute die fehönften Dinge im Ges 
birne, und die Zunge oder die Feder fchien 
das allgemeine Werkzeug. Alles hat feine 
Zeit. Die Unfrige war die Zeit unzähliger 
Projekte: die Eurige ift die Zeit der And» 
führung. Sch wünfche Euch Glück; dazu. 
O wie glücklich Bin ich ‚, daß ich-fo lange ges 
lebt babe! | 


| Achtes Kapitel. 
Das neue Paris. 


Jndem ich mich nach der Seite der Bruͤcke 
wandte, die ich vormals die Wechſel⸗ 
bruͤcke (le Pont au Change) nannte, ſah ich, 
daß ſie nicht mehr von haͤßlichen kleinen 
Haͤuſern verſchuͤttet war D. Mein Gefichte 

ı) Viele taufend Menfchen, die fih anf eben 
denfelben Punkte vereinigen, welche Häufer von 
fieben Stocd bewohnen, fih in engen Gaffen zus 
fammenp»fropfen, einen fchon erfchörften Boden 
ausfaugen und austrocknen , indeflen daß ihnen die 
Natur von allen Seiten ihre weiten und lädhelnden 
Fluren öffnet, bieten den Augen eines Weltweifen 
ein feltfames Schaufpiel an. Die Neicheu bege⸗ 
ben fi) dahin, um ihre Macht zu vervielfältigen, 
und den Mißbrauch ihrer Macht durch) ihre Macht 
felbft su vertheidigen. Die Kleinen betrügen, ſchmei⸗ 


BZ) 410 6 


verlor ſich mit Vergnuͤgen in dem weiten 
Laufe der Seine: und dieſer wahrhaftig ein: 
zige Anblick war mir allegeit neu. 

In Wahrheit, das find doch bewun⸗ 
dernswuͤrdige Veränderungen! — Es iſt 
wahr: es iſt Schade, daß fie ung eine trau, 
rige Begebenheit ind Gedächtniß rufen, die 
durch Eure unverantiwortliche Nachlaͤßigkeit 
verurſachet worden. — Ung? wie fo, wenn 
es Euch beliebt? — Die Geſchichte ſagt 
uns, daß Ihr beſtaͤndig davon redetet, dieſe 
haͤßlichen Haͤuſer niederzureißen, und daß 
Ihr ſie nicht niedergeriſſen. Eines Tages al⸗ 
fo, als Eure Schoͤppen (Echevins) einer praͤch⸗ 
tigen Mahlzeit ein armfeliges Feueriverf vor: 
anfchickten, (alles, um die Jahresfeuer eines 
Heiligen zu begehen, dem die Sranzofen ob» 
nie Zweifel viel Verbindlichkeit fchuldig find,) 
fo war das Gehrülle der Canonen, ber Moͤr 
fer und Perarden hinreichend , die alten 
Neſter auf diefen alten Brücken über den Hau 
fen zu werfen: fieebebten und flurgten auf 
ein und verkaufen ſich. Man hängt die, denen 
es fehlſchlaͤgt: die andern werden wichtige Männer. 
Man fühlet, dag man in dieſem befändigen und 
barbarifchen: Kampfe von Eigennuß, die Pflichten 


des Menfchen und des Bürgers nicht mehr erken⸗ 
nen kann. | 


) 2 (ui 
ihre Bewohner. Der Einſturz des einen, zog 
das Verderben des andern nach. Tau 
ſend Bürger kamen um, und die Eche⸗ 
ving, die die Einfünfte von den Häufern 
zogen, verfluchten das Feuerwerk und die 
Mahlzeit. 
- Die folgenden Jahre machte man nicht 
mehr fo viel Laͤrmen um nichts. Dag Geld, 
das n die Luft flog, oder ſchwere Verbauun- 
gen verurfachte, wurde zu Wiederherftelung 
und Unterhaltung der Brücken beflimmt. 
Man. bedauerte, daß man diefen Gedanken 
nicht die Jahre vorher gehabt hätte: aber 
dieß war das Schickſal Eures Jahrhunder⸗ 
tes, daß es feine abfcheulichen Thorbeiten 
nicht eher erfennen wollte, als big fie gang 
vollkommen reif waren. 
Kommet und gehet mit mir ein wenig 
auf jene Seite: Ihr werdet da fehen, daß 
wir da verfchiedene Gebäude, und tie ich 
‚glaube, fehr fehicklich, abgebrochen haben. 
Die benden Fluͤgel der vier Nationen (College 
de quatre Nations) verderben nicht mehr den 
fchönen Damm (Quais), indem fie Merfmale 
der Rache eines Cardinals zeigen. Wir ha⸗ 
ben das Rathhaus (l’Hotel de ville) dem Lou- 
vre gegen über geftellet: und wenn wir einige 


2a) (nk 


öffentliche Sreudenfefte geben, fo find wir ſo 
treuberzig, zu glauben, daß fie Des Volks we⸗ 
gen gefeyert werden. Der Platz iſt geraͤum⸗ 
lich; kein Menſch wird durch Feuerwerke 
oder durch Zuſchlagen der Soldaten verſtuͤm⸗ 
melt, die zu Eurer Zeit, (o wie unglaublich iſt 
das!) bisweilen den Zuſchauer verwundeten, 
und ihn ungeſtraft verwundeten ®. 

Sehet, wie wir jede Bildfanle zu Pferde 
derer Könige, die dein Eurigen gefolget find, 
‚mitten auf jede Brücke gefett haben. Dies 
fe, ohne Pracht, mitten in der Stadt aufge 
ſtellte Reihe der Könige machet einen inter 
effanten Anblick. Da fie den Fluß beherr⸗ 
fchet, der die Citéẽ *) waͤſſert und fruchtbar 
machet, fo fcheinen fie deffen Schutzgoͤtter 
zu ſeyn. Da fie alle geftellet find,. wie der 
gute König Heinrich IV., fo haben fie ein 

3) Die habe ich ſelbſt gefehen, und ich führe eg 
bier öffentlich den Nagiftratkperforien zu Gemaͤ⸗ 
the, die mehr über die Erhaltung eines einzigen 


Menfchen, ald über die Zuruͤſtungen zu zwanzig öfs 
fentlichen Feysrlichfeiten wachen füllen. 

». Die Stadt Paris beſteht aus 3. Hauptthei⸗ 
len, la Ville gegen Mitternacht der Seine: la Cité, 
welche vonder Seine ganz umgeben wird, und P’Uni- 
verfitd, gegen Mittag der Seine, und aus ı2 Faux- 
hourgs, oder Vorſtaͤdten. Ueberſ. 


— 


Ben) 4 (u 
bürgerlicher Anfehen, als wenn fie in Pläße . 
eingefchloffen wären 3), wo das Auge vers 
fperret iſt. Diefe hier, die von einem weiten 
Umfange und natürlich find, haben eben Feis 
ne große Koften veranlaffet. Unſere Koͤ⸗ 
nige erheben nicht mehr dieſen legten Zoll, 
der zu Eurer Zeit ven fchon erfchöpften Buͤr⸗ 
ger druͤckte. 

Ich ſahe mit vielem Vergnügen, daß man 
die gefeſſelten Sklaven 2) zu den Süßen der 
Bildfänlen unferer Könige weggenommen 
daß man jede pralerifche Auffchrift ausge⸗ 
Iöfcht, und obgleich diefe grobe Schmeiches 
ley unter allen am wenigften gefährlich ifts 
fo hatte man doch auch den geringften 
Schein von Lügen und Stolz weggefchafft. 

Man fagte mir, duß ein Monard), der 
fich nicht für den Gott der Menfchen hielt, 
fondern den Richter der Könige fürchtete, die 
Baftille ganz und gar über den Haufen ge- 
: 3) Die Häufer der Generaipachter umgeben groͤ⸗ 
Kentheils die Etatuen unferer Könige. Sie koͤn⸗ 
nen es felbft nicht nuch ihrem Tode vermeiden, von 


Betrügern umringt gu werden. 
4) Kudewig XIV. fagte, dag unter allen Regie⸗ 


‚ mungen in der Welt des Großtürken feine ihn am 


beften gefalle. Man kann nicht au gleicher Zeit 
Kolzer und unwiſſender ſeyn 


az) 5 (ee 


worfen: daß man auf den Trümmern die 
ſes abfcheulichen Gebäudes, das man mit 
echt den Palaft der Rache (und einer koͤ⸗ 
niglichen Rache) genannt, einen Tempel der 
Gnade gemwiebmet, aufgeführet habe; daß 
fein Bürger aus der Gefellfchaft verſchwaͤn-· 
de, ohne daß ihm fein Proceß oͤffentlich ges 
macht würde: und daß bie Lettres de ca 
cher (geheime Capturbefehle) dem Volke ein 
gänzlich unbefannter Name wäre: daß die, 
ſes Wore nur noch die unermüdete Gelehr⸗ 
ſamkeit derjenigen befchäfftigte, die die Nacht 
barbarifcher Zeiten zu durchdringen ſuchten: 
man hatte fo gar ein Buch unter dem Titel 
geſchrieben: Vergleichungen der Lettres de 
cachet und der afiatifchen GStricfe. 
uUnuvermerkt famen wir in bie Thuille⸗ 
ries, wo jedermann ber Zutritt offen fund: 
fie fchienen mir deswegen nichtsweniger rei⸗ 
gend 5. Man foderfe nicht von mir für 
das Niederſetzen im föniglichen Garten. 
Wir befanden ung bald auf den Plaße Eur 
dewigs des XV. Mein Führer führte mich 
5) Den Zutritt in diefen_ Garten dem gemeis 
nen Volke zu verfagen, ſcheint mir eine muthwilli⸗ 
se Beſchimpfung, die um fo viel größer iſt, da 
es biefelbe nicht fuͤhlet. 


=) 46 ( ee 


bey der Hand und fagte Tächelnd zu mir: 
ihr muͤſſet wohl nod) die Einweihung dies 
fer Statue zu Pferde, gefehen haben. — 
a, ich war damals noch jung !und eben fo 
neugierig, tote itzt. — Aber wiſſet Ihr auch, 
daß das ein Meifterflüch, würdig. unferg 
, Jahrhunderts ift: mir betvundern es noch 
taͤglich, und wenn wir die Perſpektiv des 
Schloſſes betrachten, ſo ſcheint ſie uns haupt: 
fächlich bey untergehender Sonne, mit den 
ſchoͤnſten Strahlen befränst. Diefe präch- 
figen Alleen formiren eine glückliche Einfaf- 
fung, und dem, der den Plan dazu genracht, 
fehlte e8 gewiß nicht an Geſchmack: er hat 
das DVerdienft die große Wirkung vorher zu 
fühlen, die e8 eines Tages machen mußte. 
Ach habe inzwifchen gelefen, daß es zu Eus 
rer Zeit eben fo eiferfüchtige, alg unwiſſende 
Menſchen gegeben, die über diefe Statue 
und diefen Platz ihre Tadelfucht ausgelafs 
fen, da fie nichts häften thun follen; als Ges 
wundern 6. Sollte fich heute zu Tage cin 
6, Nur in Frankreich ift die Kunſt zu ſchwei⸗ 
gen Fein Verdienſt. Man wird weniger einen 
Sraniofen an feinem Befichte und an feinem Tone, 
als vielmehr an der Sefchmindigfeit erkennen, mit 
der er fprıcht und über alles entſcheidet: niemals 
hat er noch zu fagen willen: das verſtehe ich nicht, 


27m) 47 (uk 
Menſch finden, der.im Stande wäre, eine 
folche Albernheit zu fagen: fo würden wir 
ihm den Küchen kehren, fo bald er nur den 
Mund aufthäte. 

Ich feste meine neugierige Promenade 
fort; aber es würde zu lang werden, wenn 
ich. alleg Stück vor Stück erzählen wollte, 
Ueberdieß vergißt man bey der Erinnerung 
eines Traumes allezeit etwas. An jeder Ecke 
einer Straße fiel mir ein ſchoͤner Brunnen 
in.die Augen, der ein reines und durchſich⸗ 
tiges Waſſer fließen ließ: dieſes fiel wicder 
aus einer Muſchel, 100 es ſich, wie ein filder- 
nes Tuch ausbreitete, und fein Cryſtal reiz⸗ 
te, daraus zu trinken. Dieſe Mufchel bot je⸗ 
dem Voruͤbergehenden eine heilſame Schale. 
Das Waſſer lief in einen allezeit klaren Bach 
ab, und wuſch reichlich das Pflaſter. | 

Dieß ift dag Projekt Eures Mr. Despars 
cieux, Mitglied der Afadenie der Wiffen- 
fchaften, ausgeführt und zu feiner Vollkom⸗ 
menheit gebracht. Sehet, wie alle diefe Haus 
fer mit der, dem menfäjlichen Leben noͤthig⸗ 
ften und nüßlichften Sache verfehen find. 
Welche Keinlichkeit! Welche Kühle erhält 
dadurch die Luft ! Sehet diefe bequemen 
und zierlichen Gebäude. Man führer nicht 


az) 4 (ie 


mehr die traurigen Camine in die Hohe, de⸗ 
ren Einſturz jedem Voruͤbergehenden den 
“ Untergang brobt,. Die Dächer haben nicht 
mehr biefen gorhifchen Abhang, der bey dem 
geringften Winde die Zügel in die volkreich⸗ 
ſten Straßen herabfchießen läßt. 

Wir fliegen auf die Hohe eines Haufes 
durch eine Treppe, wo man hell fehen konn⸗ 
te: Welch ein Vergnügen war es für mich, 
der ich eine freye Augficht und reine Luft ſo 
fehr liebe, eine Terraffe zu finden, die mit 
Blumenfcherben gefcehmückt, und mit einem 
tohlriechenden Weingelänber bebecfet war. 
Der Gipfel jedes Haufes hatte eine folche 
Serraffe: fo daß die Dächer, die alle von . 
einer gleichen Hohe waren, zufammen einen 
großen Garten ausmachten, und die Stadf 
wenn man fie von der Höhe eines Thurms 
befah, mit Blumen, Srüchten und taub ge: 
troͤnt war. 

Ich brauche nicht zu ſagen, daß das große 
Spital (Hotel de Dieu) nicht mehr im Mittel⸗ 
punkte der Stadt eingeſchloſſen war. Wenn 
“ein Fremder ober ein Bürger, wie man mir ers 
zaͤhlte, außer feinem Vaterlande oder ſeiner Fa⸗ 
milie krank wird: ſo kerkern wir ihn nicht, wie 
zu Eurer Zeit, in ein ekelhaftes Bette zwiſchen 


Sem) 9 (et 

einem Leichnam und einem Sterbenben ein, 
damit er den vergifteten Hauch des Todes 
einathme und eine bloße Unpäßlichkeit in eis 
ne graufame Krankheit verwandelt werde. 

Wir haben diefes Hotel Dieu in zwanzig 
befondere Haͤuſer abgetheilet und fie an ver⸗ 
fchiedene Enden der Stadt verleget. Hier 
durch wird die boͤſe Luft, die diefer grauu⸗ 
volle Schlund 7). aushauchet, zerfireuet und 
ift der Stade nice mehr gefährlich. Ueber⸗ 
bieß werden die Kranfen nicht mehr in biefe 
Hoſpitaͤler aus aͤußerſter Armuth gebracht; 
fie kommen bier nicht an, ſchon von den Ge⸗ 

7, Sechs taufend elende Menfchen find in deu 
Saͤlen des Hotel de Dien zufammen gepfroptt, wo 
die Luft keinen freven Umlauf hat. Der Atm des 
Strohms, der vorbenfliegt, nimmt alle Unreinig⸗ 
Feiten auf, und diefes Waſſer, das jeden Saamen 
von Faͤulniß enthält, Bienet der Hälfte der Stadt zum 
Geträufe. Ju dem Arme des Strohms, der an dem 
Quai Pelletier voruͤberfließt, und zwiſchen den beyden 
Bruͤcken, breiten eine Menge Faͤrber ihre Faͤrbe⸗ 
reyen dreymal die Woche aus. Ich habe das 
Waſſer davon die ſchwarze Farbe ſechs Stun⸗ 
den behalten ſehen. Das Joch, das den Quay- 
de Gevres ausmachet, if ein peftilenzialifcher Ort. 
‚Diefer ganze Theil der Stadt trinkt ein anſtecken⸗ 
des Wafter und athmet eine vergiftete Luft. Das 
Geld das man in Schwärmern verſchwendet, würde 
zureichen, - einer ſolchen Plage su wehren. 

D 


De ) 50 ( er 


danfen bes Todes getroffen, und in ber Ab⸗ 
ficht, bloß ihres Begräbniffes gefichert zu - 
ſeyn; fie kommen, weil fie dafelbft eine fchleus 
nigere und vervielfältigtere Huͤlfe, als in ihren 
eignen Hütten finden. Man fieht nichtmehr 
das fihreckliche Gemiſch, dieſe beleidigende 
Bermengung, die mehr einen Ort der Nas 
he, als einen Zufluchtsort der Menſchenliebe 
anfündiget. Sieber Kranfe hat fein Bette, 
und kann den Gelft aufgeben, ohne der 
menfchlichen Natur Vorwürfe zu machen. 
Man hat die Rechnungen ber Auffeher ums 
terfucht. O Schande! o Schmerz! v Ber 
Drechen das unter dem Himmel unglaub- 
Lich ift! Abfehenliche Menſchen mäfteten fich 
von dem Unterhalte ber Armen; in ben 
Schmerzen ihrer Mitgefchöpfe fanden fie 
ihr Glück ; fie hatten einen vortheilhaften 
Kauf mit dem Tode gefchloffen = » = Sch 
ſchweige: die Zeit dieſer Bosheiten iſt vor⸗ 
bey: die Freyſtatt der Ungluͤcklichen wird 
als ein Tempel verehret, auf den die Augen 
der Gottheit mit Wohlgefallen herabſehen: 
die ungeheuren Mißbraͤuche ſind abgeſchafft 
und die armen Kranken haben bloß mit 
den Uebeln zu kaͤmpfen, die ihnen die Natur 
auferleget. Wenn die Leiden bloß von 


m) ZI ( in 


ihr fommen, fo erträgt man fie in der 
Stille 8). 


8 Eines Tages gieng ich allein und mit langs 
famen Schritten in den Saͤlen des Hotel de Diey 
von Paris umher. Welcher Ort ift geſchickter über den 
Menfchen nachzudenien. Ich habe den unmenſch⸗ 
lihen Geiz fiy mit dem Namen der oͤffentlichen 
Menſchenliebe ſchmuͤcken fehen. Sterbende, bie 
weit mehr, als fie ſollten, im Grabe zu liegen wuͤnſch⸗ 
ten, habe ich ihren Odem mit den traurigen Ge⸗ 
faͤhrden ihres Elends vermiſchen und ihren Tod be⸗ 
ſchleunigen ſehen. Ich habe den Schmerg und die 
Thraͤuen keinen Menfchen rühren, das Schwerdt 
des Todes zur Rechten und zur Linken ſchlagen ſe⸗ 

ben, ohne den geringſten Seufzer zu hören. Man 
bätte glauben follen, daß er die elendeſten Thiere 
an eiriem Tage des Mordens niederftieß. Ich bar - 
be Menſchen bey dieſem Anblicke fo verhärtet ges 
feben, dag fie fi) teunderten, wie man darüber em⸗ 
sfindlich ſeyn könnte. Zween Tage darnach kam ig 
in die Oper. Welch ein verfchwenderifcher Anblick! 
Berzierungen, Schaufpleler, Muſikanten, nichts 
mar gefparet, die Vorſtellung fo prächtig als moͤg⸗ 
lich zu machen. Aber was wird die Nachlommene 
ſchaft fagen, wenn fie hören wird, daß einerlen 
Stadt wween fo verſchiedene Derter einfchließt. 
Ach! wie können fie auf eben dem Boden ſich zus 
fünmen vertragen ! fchließt das eine nicht das aus 
dere nothwendig aus? Seit dem Tage fchlägt” die 
Tänigl. Akademie der Muſik (die Oper) allezeit meine 
@eele nieder ; bey dem erſten Striche des Bogens ſe⸗ 


D2 


az) 52 (Enke 


: Gelehrte und liebreiche Aerzte ſprechen 
nicht Sodesurthel, indem fie auf gerathe- 
wohl allgemeine Verordnungen geben: fie 
geben fich die Mühe, jeden Kranken insbe- 
fondere zu prüfen; und die Geſundheit er- 
mangelt nicht, unter ihrem aufmerffamen. 
und Elugen Auge wieder aufzublühen. Die 
fe erste Haben den Rang ber angefehenften 
Bürger. Und ip ift ein ſchoͤner, ein goͤtt⸗ 
Jicher Werk, wo ein Werf, dag eines tu⸗ 
gendhaften und empfindlichen Weſens wär: 
Diger wäre, als ben zarten Faden ber Ta- 
ge eines Menfchen, diefen fo gebrechlichen 
ſchnell vorübergehenden Faden, wieder zuſam⸗ 
men zu knuͤpfen, deffen Stärke aber eine er⸗ 
haltende Kunft hefördern und deffen Dauer 
fie verlängern fann! — Und bag allgemei, 
ne Hofpital, wo liegt e8 denn? — Wir har 
ben fein allgemeines Hofpital mehr, fein 
Bicetre mehr, feine Zuchthäufer 9, oder viels 
be ich das ſchaudervolle Lager der armen Kranken 
vor meinen Augen. 
9ÿ Es if zu Bicetre ein Saal, deu man den 
Zuchtſaal nennet : das if ein Bild der Ha 
Sechs hundert ungluͤckliche Menſchen, einer Über 
dem andern gepftopft, von ihrem Elende, ihrem 
Jammer, ihren gegenfeitigen anſteckenden Dden, 
von Würmern, die fie frefien , vom Ihrer Verzweif⸗ 


Ba ) 55 (Er 


mehr Häufer ber Wuth. Ein gefunder Koͤr⸗ 
per braucht fein Sontanel. — Die Schwel- 
gerey hatte bey ung wie eine beigende Arzeney 
die gefundeften Theile des Staats angefrefe 


Jung, und von einer noch weit graufamern Langen⸗ 
weile gequält, leben in der Gaͤhrung einer erſtick⸗ 
ten Wuth. Es ift die Strafe des Mejenz taufends 
mal vervielfältiget. :Die Obrigkeit ift taub für das 
Geſchrey diefer Unglüdlihen. Man hat Bepfpiele, 
Daß dergleichen elende Menſchen an Kerkermeiftern, 
Wundaͤrzten und Prieftern, die fie befuchten, Mords 
thaten veräbt, bloß in der Abficht, ans Diefem abſcheu⸗ 


lichen Drte zu kommen nnd frener auf Dem Rade zu 


ruhen. Mit Nechte kann man behaupten, daß der. 
Tod eine weit gelindere Barbaren ſey, ald die, die 
man an ihnen verübt. O graufame Obrigkei⸗ 
ten, eiferue Menfchen, Drenfchen, die dieſes Na⸗ 
mens unwuͤrdig find, Ihr beleidiget Die Unmenſch⸗ 
lichkeit mehr, als fie fie nimmermebr beleidiget has 
ben! Niemals haben e8 Euch Räuber an Grauſam⸗ 
keit gleichgethan. Waget es mit einer teniger 
langfamen Gerechtigfeit unmenfchlicher zu ſeyn: 
Laßt diefen ungläclichen Haufen lebendig verbren⸗ 
wen: fo werdet Ihr Euch die Mühe erfparen, Eure 
Wachſamkeit über ihre ſchreckliche Sklaverey zu 
verbreiten. Ihr erfcheint blog, um fie zu verdoppeln. 
Wie? Könnte man ihnen nicht eine Kugel von hun⸗ 
bert Pfund an den Fuß hängen und’ fie in offnem 
Felde arbeiten laſſen. Aber nein: man will die 
Dpfer eines willtührlihen Defpotifmus aller Au⸗ 
gen entziehen.⸗⸗Ich verſtehe es wohl. 


HI) 54 (ne 

fen und Euer politifcher Korper war ganz 
nit Schwären bedeeft. Anftatt dieſe ſchaͤnd⸗ 
lichen Wunden fanft zu fchließen, vergiftet 
ihr fie noch. Ihr dachtet, das Werbrechen 
unter der Laſt ber Grauſamkeit zu erſticken. 
Ihr waret unmenſchlich, weil Ihr nicht ge⸗ 
lernet hattet, gute Geſetze zu machen 10). 


Es war Euch leichter den Schuldigen 
und Ungluͤcklichen zu quaͤlen, als der Unord⸗ 
nung und dem Elende vorzubeugen. Eure 
barbariſche Gewaltthaͤtigkeit hat zu nichts 
gedienet, als ſtrafbare Herzen zu verhärs 
pen: Ihr Habe fie der Verzweiflung ge 
öffnet. Und mas habt ihr denn für Fruͤch⸗ 
te davon eingeärndter? Thränen,. Gefchrep ' 
der Wuth, liche und Vermaledeyungen. 
Ahr fcheint sum Mufter Eurer Zuchthäufer 


10 Ga ja, obrigkeitlihe Perfonen, es if Eure 
Unwiſſenheit, Enre Faulheit, Eure Hebereilung, die 
den Armen in Berzweiflung feget. Ibr kerkert 
ihn wegen einer nichtswuͤrdigen Kleinigkeit ein, ihr 
leget ihm einem fchändlichen Verbrecher an die 
®eite, Ihr erbittert, vergiitet feine Seele, Ihr 
vernefiet ihn unter dem Haufen der Verbrecher: aber 
er vergigt Eurer Ungerechtigkeit nicht: da Ihr eis 
ne Berbäliß zwiſchen dem Verbrechen und der 
Strafe gemacht habt, fo wird er Euch nachahmen, 
und alles wird ihm gleich ſeyn. 


% 


Be) 5 (nn _ 
den graufamen Aufenthalt genommen zu 
haben, ven Ihr die Holle. nenne, wo die Die 
ner der Rache die Dualen aus dem abfcheu: 
lichen Bergmügen haufen, eine lange Mars 
ter - empfindfame und wehklagende Wefen 
fühlen zu laſſen. 


Endlich, damit ich es. kurz fage, (denn 
ich würde nicht aufhoren,) hatte man zu 
Eurer Zeit. nicht die Kunſt gelernet, Die Bett 
ler arbeiten zu laffen: Eure ganze Regie 
rungsfunft war, fie eingufperren und ver 
hungern zu Faffen. Indeſſen iſt diefer Ins 
glücklichen Seufzen, die eines langſamen 
Todes in einem Winfel des Neichg fturben, 
boch bis zu ung gedrungen; Wir haben für’ 
ihr dunkles Gefchren nicht die Ohren vera 
fiopfet: durch den Raum von fieben hundert 
Jahren iſt es hindurch gebrungen und diefe 
nieberträchkige Tyranney war fehon genug 
um taufend mehr dergleichen ang Licht zu 
bringen. - 


Ich fehlug die Augen nieder und wagte 
es nicht darauf zu antworten, denn ich war 
von folchen fchändlichen Vorfaͤllen ein Zeuge 
geweſen, und ich. hatte nichts thun, als 
feufzen innen, da ie es nicht. ändern 


+, 


Sa) 56 ( 


fonnte ıD._ Sich ſchwieg eine Zeitlang flille; 
endlich nahm id) bas Wort wieder, und fag- 
tes Ach! reiffee nicht die Wunden meineg 
Herzens wieder auf. Gott hat den Uebeln 
gefteuert, bie die Menfchen begangen haben: 
er hat die harten Herzen geſtrafet: Ihr wif, 
ſet = » » s Aber wir wollen fortgehen. Ihr 
habet doch, wie ich glaube, einen von un 
fern politifchen Sehlern übrig gelaffen. Paris 
ſcheint mir noch fo volfreich,ale zu meiner Zeit. 
Es iſt mir lieb, verſetzte mein Führer, Euch zu 
fagen, daß die Zahl der Einwohner dieſes 
Reichs fich um die Hälfte vermehret hat: daß 
alle Ländercyen angebauet find, und daß mit- 
hin das Haupt fich igt in dem gehoͤrigen Ver: 
hältniffe su feinen Gliedern befindet. 
Diefe ſchoͤne Stadt bringt täglich fo viel 
große Männer, Gelehrte, Männer, die auf 
eine näßliche Art fleißig find, große Geifter 
bervor, als alle übrige Städte Frankreichs 
zuſammen vereiniget. Aber nur noch ein 
Mortchen, dag indeffen doc) zu wichtig ift, 
1) Ich werde meinem Herzen und der Serech⸗ 
‚tigkeit ein Genuͤge geleifiet haben, wenn ich dieß 
Verbrechen gegen die Meufchlichkeit, ein abicheus 
liches Verbrechen, das man kaum glauben wird, 


Öffentlich angeklaget babe; aber, ach! es dauert 
noch immer fort, , 


\ 


De) 57 (nk 

als daß ich ed ganz übergehen follte. Has 
bet Ihr denn noch Euer Pulvermagazin fafl 
in dem Mittel der Stadt? — Nein, fo un- 
vorſichtig find wir nicht. Es giebt genug 
Vulkane, die die Hand der Natur entzän- 
det, ohne daß wir noch fünftliche anzule 
gen brauchen, die bunderemal gefährlicher 
ſind 12). 


Neuntes Kapitel. 
Die Bittſchriften. | 
8 


3: bemerkte viele angefehene Männer, die 

mit dem Kennzeichen ihrer Würde bes 
gleitet, Sffentlich die Klagen des Volks an- 
“hörten, und ben erfien Magiftratsperfonen 
davon einen getreuen Bericht erftatteten, 
Alle Dinge, die die Verwaltung der Poltcy 


12) Saft alle Städte haben noch Pulvermagazine 
in ihren Ringmauern. Der Donner und taufend 
ungefähre, felbft unbekannte Zufälle koͤnnen foldye 
in Brand ſtecken. Tauſend fchreckliche Beyſpiele, 
(eine unglaublihe Sache!) haben die Menfchen 
wicht eimmal Elüger machen Tönen. Zwey tau⸗ 
fend fünf hundert Menfchen, die noch neuerlich 
unter den Ruinen von Brefeia begraben worden, 
werden vieleicht Die Regierung auf ein Nebel, das 
Werk ihrer Hände, aufmerkſam machen, dem fie " 
leicht abhelfen Eönnte. 


N 


a) 5 (Bi 


betrafen, wurden mit ber größten Geſchwin⸗ 
bigfeit:abgethan. Man verfchaffte den Un⸗ 
terdrückten d Gerechtigkeit, md alle: ſegne⸗ 
gen bie Regierung: ich brach in Lobſpruͤ⸗ 
chen über diefe weiſe und heilfame Einrich- 
tung aus. — Meine Herren, Ihr koͤnnet 
Euch die Ehre dieſer Entdeckung nicht allein 
anmaßen. Schon zu meiner Zeit fing man 
an die Stadt fehr wohl zu regieren. Eine 
mwachfame Policey umfaßte ale Stände und 
alle Vorfälle. Einer von denjenigen, der 
mit ber meiften Ordnung darüber gehalten, 
muß bey Euch noch in einem Ehrenvollen 
Andenfen feyn. Man lieft unter feinen herr⸗ 
üchſten Verordnungen auch die, daß er die 
ausſchweifenden und plumpen ausgehaͤng⸗ 
ten Bilderzeichen an den Haͤuſern verbot, 
bie die Stadt verunſtalteten und den Bor- 
* uͤbergehenden broheten: daß er bie Erleuch. 


1) Wenn ein Staatäminifter Verraͤtherey an⸗ 
fsinnet, oder die Monarchie in Gefahr bringt, wenn 
ein Hecrführer ohne Noth das Blut der Untertha- 
nen vergießt und ſchimpflich eine Schlacht verliert: - 
ſo if feine Strafe ſchon ausgemacht. Dan vere 
sent ihn das Angeficht des Monarchen wieder ıu 
fehen. : Auf dieſe Art werden Derbrechen, die eine 
sante Nation zu Grunde. richten, wie Sleinloteiten 
beſtraft. — 


az) 59 


tung der Strafen verbeffert,. ich mochte fafl 
fagen; geſchaffen bat: daß er eine bewun 
dernswuͤrdige Anftalt in der ſchleunigen Huͤl⸗ 
fe der Sprügen gemacht und dadurch bie 
Bürger vor vielen Feuersbruͤnſten, die fonfl 
fo häufig twaren, in Sicherheit gefeßt hat. 


Ja, verfehte er, diefe Magiftratsperfon . 
war unermübdet, geſchickt ihre Pflichten zu 
erfüllen, von "einem fo großen Umfange fie 
aud) waren, aber die Policey hatte noch im⸗ 
mer nicht ihre ganze Vollkommenheit er 
reicht. Die Spionirerey war dag Hanptmit- 
tel einer ſchwachen, unruhigen und mit Klei⸗ 
nigfeiten befchäfftigten Regierung. Sehr 
oft hatte eine boshafte Neugier mehr An- 
theil daran, ale ein feftbeftimmter Endzweck 
der öffentlichen Wohlfahrt. Alle diefe liſtig 
geftohlenen Geheimniffe warfen oft ein fal⸗ 
ſches Licht, das den Nichter irre machte. 
Ueberdieß machte dieß Heer von Angebern,” 
die man durch Geld erfaufte, cine verberbte 
Maffe, die die Gefellfchaft vergiftete DIR Ak 


a) Des game Haufe eitter, feltfamer Verord⸗ 
nungen; dieſe ganze fo weit bergeholte, Policen 
iR bloß vermoͤgend diejenigen zu bienden, die nies 
- male über das Herz des Menſchen nachgedacht haben, 
Diefe Übel angebrachte Strenge bringt eiie ner 


en ) 60 ( re 

le ihre Annehmlichkeiten verſchwanden. Es 
war feine Ergießung bed Herzens mehr: 
man mar in bie graufame Nothiwendig- 
feit verfeßt, entweder unvorſichtig zu fepm, 
oder zu heucheln. Vergebens erhob fich bie 
Seele zu patriotifchen Gedanten: fie fonnte 
fich ihrer Empfindlichkeit nicht überlaffen; fie 
entdeckte ben Fallſtrick und fiel traurig. auf 
ſich felbft, in ihre Eindde und Kälte zuruͤcke; 
Endlich mußte man unaufhorlich feiner 
Stirne, Miene und Stimme eine fremde 
Geftalt geben. Und welche Duaal muß dag 
für einen edelgefinnten Mann feyn, ber bie 
Ungeheuer des Vaterlands lächeln fah, in 
dem fie wirgten, der fie fah und nicht nen- 
nen durfte 3). 


Haste Subordination hervor, deren Bande fehr uns 
ſicher find. 

3) Wir haben noch Beinen Juvenal gehabt. 
Ach! welches Jahrhundert hätte beffer einen vers 
dient? Juvenal war kein ſatyriſcher Egoiſt, wie 
‚der eichler Horaz und der platte Boileau. 
Er war eine ftarfe Seele; voll tiefen Unwil⸗ 
lens über das Laſter, er befrieste es und verfolgte es 
bis auf den Thron. Wer wird es wagen, fich diefes 
erhabenen und edelmüthigen Amtes zu bemächtigen ? 
Ber wird Muth genug haben, um feinen Geiſt mit 
Ber Wahrheit aufgeben und gu feinem Jahrhun⸗ 
derte su fagen: Ich laffe Dir das Teftament, dns 


SO) 6 (ak 
Zehntes Kapitel 
Der Mann mit der Maske, 


Yfse, mit Ertanönig , wer iſt denn ber 
- Mann, den ıch mit einer Maske vor 


dens Geſichte vorübergehen fehe? wie eilfers 


tig er geht‘! er fcheint.auf der Flucht gu 
ſeyn. — Es ift ein Scheiftſteller, der ein 
ſchlechtes Buch gefchrieben. Wenn ich fas 
ge, ein ſchlechtes, fo verſtehe ich nicht dar⸗ 
unter. die Fehler bes Stils oder des Witzes: 
man fann ein vortrefliches Werk mit einens 
rauhen, aber gutem gefunden Menſchenver⸗ 
fiande fchreiben ). Mir verfichen darun⸗ 
ter bloß, "daß er gefährliche Grundfäge, die 
der gefunden Moral entgegen find, ang Licht 
treten laffen, jener allgemeinen Moral, die 
allen Herzen redet: dafür zu büffen, trägt 
er eine Maske, damit er feine Schande fo 
lange verberge, Bis er fie durch vernuͤnfti⸗ 


gere und weiſere Schriften wieder ausge . 


tilget bat. . 
mir die Tugend eingegeben: ließ und erröthe: 
fo fage ich dir mein Lebewobl. 

2) Michts iſt wahrer, und manche Predigt ia 
ned Dorfpfarrers, ift im Grunde weit nüglicher, als 


Dieb und jenes wigige Buch mit Wahrheiten und 


Sophiſmen augeſuͤutt. 


⸗ 


4 


N 


He) 62 ( ine 


Alle Tage befüchen ihn zween tugendhaf⸗ 
te Bürger, bie feine falfchen Grundfäse mit . 
Waffen der Sanftmuth und Beredfamfeit 
beftreiten ‚-feine Einwürfe anhören, fie bes 
anftorten, und ihn zu einem MWiderrufe 
nöthigen, fo bald er überzeugt feyn wird. 
Alsdann erhält er wieder feine vorigen Rech⸗ 
fe: es wird fo gar aus dem Geflänbniffe 
feines. Vergehens ein größerer Ruhm auf 
ihn zurückefallen: dem was ift Schoͤners, 
als feinen Irrthuͤmern zu entfagen e), und 
einem neuen Lichte mit einer edlen Aufrich« 
tigfeit Die Augen za oͤfnen? — Aber ii denn 
fein Buch die Cenſur durchgegangen! — 
Welcher Menfch, ich bitte Euch, fann eg wa⸗ 
gen, vor dent Urtheile bes Publikums vorher 
etwas zu beurtheilen? Wer fann den Einfluß- 
dieſes oder jenes Gedanken umter diefem oder 
jenem Umflande errathen? Jeder Schriftftels 
ker ſteht für feine Perfon für das, was en 
fihreibt, und verfchweiget niemals feien 
Namen. Das Publitum ift ed, das ihn 
mit Schande brandmarfet, wenn er den 
heiligen Wahrheiten tiderfpricht, die ber 
Sittlichkeit und Nechtfchaffenheit der Men⸗ 


2) Alles if in der Theorie demonſtrativ: der 
Irrthum ſelbſt bat feine Geometrie. 


ZZ) 63 ( ie 

fchen zum Grunde dienen: aber zu gleicher 
Zeit ift es auch eben daffelbe, das ihn unters‘ 
flüge, wenn er eine neue Wahrheit gefagt; 
die vermoͤgend ift, gemiffen Mißbräuchen zu 
ſteuern: endlich iſt die oͤffentliche Stimme 
die einzige Nichterinn in diefen Sällen, und 
auf fie hoͤret man allein. jeder Autor, der 
ein Öffentlicher Mann ift, wird durch diefe all- 
gemeine Stimme gerichtet, und nicht durch 
den Eigenfinn einer einzelnen Perfon, bie fel« 
tem richtige. und auggebreitete Einfichten ge= 
nug haft um dasjenige zu entdecken, was vor 
der Nation wahrhaftig lobens⸗ : ta 
delnswuͤrdig ift. R: > 10 

. Man bat eg fchon fo oft beiwiefen: bie 
Freyheit ber Preffe ift dag wahre Maag der 
bürgerlichen Srepheit z. Man faun nie 
male die eine unterdrücken, ohne zugleich dik 
andere zuzerfiören. Der Verſtand muß feis 
ne volle Wirkung äußern. Ihm einen Kapp⸗ 
zaum anzulegen, iſt nichts andere, als ihn 
in feinem Heiligehume erfticken wollen, und 
dieß ift ein Verbrechen der beleidigten Menfch« 
Jichfeits und was fol denn mein Eigen feyn, 
wenn e8 meine Gedanken nicht feyn follen? 


3) Dieß if fo ficher, als eine geometrifche Des 
monſtration. 


Zr) 64 ( ne 


Aber, verfegte ich, zu meiner Zeit fürdp 
teten Männer in Aemtern nichts fo fehr, ale 
Die Feder guter Schriftfteler. Ihre folge und 
firafbare Seele fchauderte in ihrem Inner⸗ 
ften, fo bald die Gerechtigfeit es wagte, das⸗ 
jenige and Licht zu bringen, mag fie fich nicht 
geſchaͤmt hatten, zubegehen ©. Anſtatt die⸗ 
fe öffentliche Cenſur zu fchüßgen, die wohl 
verwaltet, dem Verbrechen und Laſter ein 
mächtiger Zaum würde geiwefen fen, vers 
dammte man alle Schriften, daß fie durch ein 
Sieb gehen mußten : aber dag Sieb war fo en» 
ge, fa.zufammengedrängt, daß oft bie beften 
Zügelserloren giengen: der Flug des Genies 
war der graufamen Scheere der Mittel- 


4) In einem Drama, das den Titel führet: die 
Hochzeit eines Föniglichen Prinzen, fast ein 
Diener der Gerechtigkeit, ein lafterbafter Höfling, 
indem er zu feinen Bedienen von pbiloſophiſchen 
Schriftſtellern fpricht: das find gefährliche Leute, 
Man darf ſich auch nicht die mindefte Ungerechtig⸗ 
feit erlauben, ohne daß fie es gleich bemerken, 
Umſonſt entzieht eine geſchickte Maske unfer wah⸗ 
res Gefichte den ſcharfſichtigſten Blicken. Diefe 
Leute haben die Miene, und im Voruͤbergehen zu 
fagen: Ich kenne dich. — O meine Herren Phi⸗ 
loſophen, ich denke, ih will euch lehren, daß es 
gefährlich iſt, einen Mann von meiner Art u ken⸗ 
nen, ich will nicht gekaunt feyn. 


A) (er 


maͤßigkeit untertoorfen, bie ihm bie Zlägel 
ohne Barmherzigkeit befchnitten 5). 
Man fing an um mich her zu lachen. 
Das müßte, fagte man mir, wohl einge lu⸗ 
ftige Sache feyn, Leute ernſthaft befchäfftigee 
zu fehen, um einen Gedanfen von einander 
zu fchneiden und Sylben abzuwaͤgen. Es 
iR fehr wunderbar, daß Ihr nur etwas Gu⸗ 
tes bey einem ſolchen Verfahren habt her⸗ 
vorhringen koͤnnen. Wie kann man mit 
Anmuth und Leichtigkeit unter der Laſt un⸗ 
geheurer Ketten tanzen? — O uniere bes 


ſten Schriftſteller haben natuͤrlicher Weiſe 


die Parthie genommen, ſie abzuſchuͤtteln. 
Die Furcht ſchlaͤgt die Seele nieder: unh 
der Menfch, den die Menfchenliebe befeelet, 
muß erhaben und muthig ſeyn. — Ahr koͤn⸗ 
net, verfeßte man mir, itzt über alles fchrei- 
ben, was Euch beleidiget: denn wir haben 
weder Sieh, nad) Scheere, noch Handfef 
feln: und man fchreibt fehr wenig Thorheis 
ten, weil fie von felbft wieder in den Schlamm 


5) Die Hälfte von den (ogenanuten königlichen 
Eenforen, find Leute, die man gar nicht unter die 
Gelehrten, felbfi von der geringften Claſſe zählen 
kann: und man fann buchſtaͤblich von ihnen ſagen, 
Daß fie nicht leſen koͤunen. 

E 


— ⸗7t 


| 


a) 6 (u 


£alken, welches ihr Element if: Die Ntegie- 
rung ift weit über alles was man fagenfann, 
‚erhaben ; fie fürchtet nicht ſcharfe Federn: fie 
würde fich felbft-anflagen, wenn ſie fie fürch- 
sete. Ihre Handlungen find gerecht und 
aufrichtig. Wir thun nichts, als fie loben; 
und wenn es das Beſte des Vaterland for 


dert, dann ift jedermann in feiner Art 


Autor, ohne einen ausfchlieffenden Anſpruch 
auf diefen Titel zu machen. & 
JEilftes Kapitel 

Die neuen Zeflamchter; 


Woe alle Welt iſt Autor? O Himmel, 
R was faget Ihr da! Eure Mauern 


„werben fich wie der Salpeter entzuͤnden, und 


alles wird in die Luft fliegen. Guͤtiger Him- 
mel! ein ganzes Volk Autor! — Aa, aber 
ohne Galle, ohne Stolz, ohne Eitelkeit. Se 
dermann fchreibt, was er in feinen beften 
Augenblicken denfet, und’ fammelt in einem 
gewiffen Alter die Iauterften Gedanken, die 
er in feinem Leben gehabt hat. Ehe er flirbt, 
machet er, nad) feiner Art zu ſehen und 
fi) auszudrücken, daraus ein mehr ober we- 
niger ſtarkes Buch: dieß Buch iſt die Seele 


X 


2m) 67 ( Eerk 


bes Verſtorbenen. Man lieft es den Tag 
feines Begräbuiffes mit lauter Stimme und 
diefe Ablefung ift feine ganze Lobrede. Die 
Rinder fammeln mit Ehrfurcht die Betrach⸗ 
tungen ihrer Vorältern und denken darüber 
nah. Dieß find unfere Urnen. WWielleicht 
find fie mehr werth, als Eure Foftbaren Mau⸗ 
ſolaͤen, Eure Grabmäler mit elenden Auf 
ſchriften überladen, die der Stols eingab und - 
die Nieberträchtigfeit eingrub. 

Huf diefe Urt machen wir e8 ung sur 
Pflicht, unfern Kindern cin Ichendiges Bild 
yon unferm Leben zu ſchildern. Dieß eb- 
renvolle Andenfen wird das cinzige Gut 
ſeyn, das ung auf der Erde übrig bleiben 
"wird nr). Wir vernachläßigen es nicht. Es 
find unfterbliche Lehren, die wir unferer Nach: 
fommenfchaft hinterlaffen: fie wird ung des⸗ 
wegen umfo vielmehr lieben. Die Bildniffe 
und Statuen druͤcken nichts, als die koͤr⸗ 
perlichen Zuͤge aus. Warum ſoll man nicht 
die Seele ſelbſt und die tugendhaften Ge⸗ 


1) Cieero befragte ſich oft ſelbſt, was man nach 
ſeinem Tode von ihm ſagen wuͤrde? Der Menſch, 
der ſich nichts aus einem guten Namen macht, 
wird auch die ‚Mittel vernachläßigen, ihn zu er⸗ 
halten. | 

€ a 


a 


Sam) 6 (Br 
finnungen vorftellen, die fie erfüllt haben? 
Sie vervielfältigen fich unter unfern befeek 
ten Ausdrücken durch die Liebe. Die Ge 
fchichte unfrer Gedanfen und unfrer Hand⸗ 
ungen unterrichtet unfre Familie. Sie ler- 
net durch die Wahl und Vergleichung ber 
Gedanfen die Art zu empfinden und zu bes 
frachten, vollfommen machen. Merket in- 


- deffen, daß bie herrfchenden Schriftiteller, 


bie Genies des Jahrhunderts, allezeit die 
Sonnen find, die die Maffe der Ideen mit fich 
fortreißen und in Umlauf feßen. Sie find 


es, bie die erftien Bewegungen eindrücken, 


und da bie Menfchenliebe ihr edles Herz er- 
wärmet, fo antivorten alle Herzen biefer er- 
habenen und fiegreichen Stimme, die den 
Defpotismus und den Aberglauben zu Bo⸗ 
den geftürzet hat. — Meine Herren, es fey 
mir erlaubet, daß ich mein Jahrhundert 
wenigſtens in demjenigen vertheidige, mag 
es Lobenswürdiges hatte Wir haben, . 
tie ich glaube, doch auch fugendhafte Leute, 
Leute von Genie gehabt? — Ihr habt fie 
bald verfannt, bald verfolge. Wir haben 
ihrer beleidigten Afche einen verföhnenden 
Erfaß thun müfen. Wir haben ihre Biü- 
fien auf dem oͤffentlichen Plage aufgefieller, 


2) 69 ( En 


wo wir und die Fremden -ihnen buldigen. 
Mit ihrem rechten Fuße zertveten fie dag 
unedle Gefichte ihres Zoilus oder ihres Ty⸗ 
rannen: 3. E. der Kopf des Richelieu liegt 
unter dem. Kothurne des Corneille 2). 
Wiſſet Ihr wohl, daß Ihr bewunderns⸗ 
wuͤrdige Leute gehabt habet? und wir koͤn⸗ 
nen: gar nicht die närrifche und tollkuͤhne 
Wuth ihrer Verfolger begreifen. Sie ſchie⸗ 
nen den Grad ihrer Niederträchtigfeit nad) 
dem Grade der Hoheit abzumeffen, den diefe 
Adler in ihrem Sluge nahmen: aber fie find 
der Schande überlaffen, die ihr ewiger An⸗ 
theil ſeyn wird. 

Indem er dieſe Worte ſagte, fuͤhrte er 
mich auf einen großen Platz, wo die Buͤſten 
großer Maͤnner ſtunden. Ich ſahe daſelbſt 
den Corneille, Moliere, Lafontaine, Mon- 
tesquieu, Rouſſeau 3), Büffon,. Voltaire, 


3) Sch wuͤnſchte mohl, der Verfaſſer hätte bier 
die Köpfe genannt, auf die Rouſſeau und Vol⸗ 
taire, und diejenigen, die ihre Namen mit diefen 
"großen RNamen vereinigen, treten werden. Uns 
feblbar werden es Köpfe mit und ohne Biſchofs⸗ 
müsen ſeyn, die fih dabey nicht mohl befinden 
werden: aber einen ieden trifft feine Reihe. 

3) Man meynet bier den Berfaffer des Aemil, 
und nicht den fchwälkigen und Gedankenleeren 


RPE=) 70 in 
Mirabeau ꝛc. — Alfo find Euch- doch alle 
dieſe berühmten Schriftfteller befannt? — 
O ia; ihr Name iſt dag Alphabet unferer . 
Kinder: fo bald fie dag Alter der Vernunft 
erreichet Haben, geben wir ihnen Euer bes . 
rühmtes encyElopedifches Worterbuch in die 
Hände, das wir aber forgfältig abgekuͤrzet 
haben. — hr feßet mich in Erftaunen | 
bie Encyflopebdie, ein Elementarbuch! O, 
weld) einen Flug müffet Ihr nach den he, 
hen Wiffenfchaften genommen haben, und 
wie brenne ich vor Verlangen, mid) durch 
Euch unterrichten zu laſſen. -Definet mir 
alle Eure Schäße, und laffet mid) augen- 
6licklich der aufgehäufien Arbeiten von ſechs 
Jahrhunderten Ruhms genießen! 


Zwoͤlftes Kapitel. 
Das Collegium der vier Nationen. 


Lehret Ihr denn auch die armen Kinder 

Griechiſch und Lateiniſch, die man zu 
meiner Zeit bis auf den Tod damt marter⸗ 
Dichter, der nichts weiter, ald das Talent hatte 
Woͤrter gu ordnen, und ihnen biöweilen einen taͤu⸗ 
fhenden Pomp zu geben ; der aber Dadurch die Un⸗ 
fruchtbarkeit feiner Seele und die Kälte feines Ges 
nies verbarg. 


HI) yI (ie 


te? Dpfert hr zehn ganzer Jahre ihres Le— 
beng auf, (die fchönften, die koſtbarſten) ih⸗ 
nen eine kichte Kenntniß zwo fodter Spra⸗ 
chen beyzubringen, die fie niemalg reden 
werden? — Wir wiſſen die Zeit beſſer an⸗ 
zuwenden. Die griechifche Sprache ift ohne 
Zweifel ihres Alterthums wegen fehr vereh⸗ 
rungswürdig: aber wir haben vortrefliche 
Veberfeßungen vom Homer, Plato und So⸗ 
phofles ); es moͤgen auch manche große. 
Pedanten behauptet haben, daß man ihre 
Schönheit niemals erreichen koͤnne. Was 
die lateiniſche Sprache betrifft, die, meil fie 
neuer ift, nicht fo fehon feyn kann, fo ift fie 
eines fanften Todes geſtorben. — Wie! — 
Die franzoͤſiſche Sprache hat alfo überall die 
Dberhand behalten? Dan hat anfanglic} 
fo vollkommne Ucberfeßungen gemacht, daß 

1) Warum wenden denn die Mitglieder der Pd, 
nigl. Akademie der Aufichriften nicht ihre Zeit auf 
Ueberſetzuugen griechifcher Werke, ſtatt und Abs 
bandlungen über den Kopf des Anubis, über den 
Dfiris, und taufend andere unnüge Rhapfedien zu 
liefern? Sie, die fich ruͤhmen, fie zu verfteben. 
Demofihenes ift kaum gekannt. Dieb wäre beſſer, 
als zu unterfuchen, was für eine Art Nadeln die 
römifhen Weiber auf ihren Köpfen trugen, die Ges 
ſtalt ihrer Halebänder, und od die Agraffen an ih⸗ 
rer Robe rund oder oval waren. 


De ) 72 ( er 


fie e8 beynahe überflüßig gemacht, bie Quel⸗ 
len aufzufuchen: nachgehends hat man Wer- 
fe geliefert, die würdig find, der alten ihre: 
zu verdrängen. Diefe neuen Gedichte find 
für ung ungleich nüglicher und intereflanter, 
unfern Sitten, unferer Regierungsart, un: _ 
form Fortgange in unfern phnfifchen und 
politifchen Kenntniſſen, kurz dem morali- 
fchen Zwecke angemefiner, den man niemalg 
aus den Augen verlieren darf. Die beyben 
alten Sprachen, von denen wir oben rede: 
ten, find bloß noch für einige Gelehrten. 
Man liefi-den Titus Livius ungefähr, wie . 
man ben Alkoran lief. — ber gleichwohl 
trägt dag Kollegium, das ich fehe, noch im⸗ 
mer auf feinem Srontipis die Worte mit 
großen Buchſtaben gefchrieben: Schule der 
vier Nationen. — Wir haben dieß Die» 
nument und felbft defien Namen beybehal- 
- ten, aber zu einer nüßlichern Abficht. Es 
find verfchiedene Elaffen in diefer Echule, 
tworinnen man das Sjtaliänifche, Englifche, 
Deutfche und Spanifche lehret. Mit den 
Schäßen biefer lebenden Sprachen berei- 
chert, beneiden wir die Alten um nichte. 
Diefe letzte Nation, die in fich felbft einen 
Saamen der Größe trug, den nichts aus⸗ 


2a) 7 (uk 
eotten koͤnnen, hat fich jähling durd) einen ' 
ver mächtigen Zufälle, die man weder er 
warten noch vorher ſehen konnte, zum Tage 
vufgeſchwungen. Die Revolution iſt ſchnell 
und gluͤcklich geweſen, weil das Licht ſogleich 
den Kopf eingenommen, indeſſen daß es in 
den uͤbrigen Staaten allezeit in Schatten 
verſunken geweſen. 
Abgeſchmackte Dinge und Pedanterey 
find ganz aus dieſem Collegio verbannt, und 
auch Fremde werden dahin gerufen, um die 
Ausſprache derjenigen Sprachen, die man 
daſelbſt lehret, zu erleichtern. Man uͤber⸗ 
ſetzt daſelbſt die beſten Schriftſteller. Aus 
dieſer gegenſeitigen Bekanntſchaft entſteht 
ein großes Licht. Es koͤmmt noch ein an⸗ 
derer Vortheil hinzu: naͤmlich der Gedan⸗ 
kenhandel breitet ſich immer mehr aus, und 
der Nationalhaß verliſcht allmaͤhlich. Die 
Voͤlker haben geſehen, daß einige beſondere 
Gewohnheiten nicht die allgemeine Vernunft 
zerſtoͤren, die von einem Ende der Welt bis 
ans andre redet, und daß ſie beynahe eben 
daſſelbe uͤber eben dieſelben Gegenſtaͤnde 
dachten, die fo lange und lebhafte Streitig⸗ 
keit veranlaßt haben. — Aber was thut 
denn die Univerſitaͤt, dieſe aͤlteſte Tochter 


Te) 74 (er 

der Könige? — Es iſt eine verlaffene Prin⸗ 
zeßinn. Diefe alte Tochter, nachdem fie bie 
legten Seufzer von einer verdrüßlichen und 
außgearteten Sprache erhalten, twollte fie 
noch für nen, frifch und entzuͤckend gehal⸗ 
ten wiffen. ‚Sie ſtahl Perioden, verftüns 
melte Hemiftichen und bildete fich ein,- in 
einer barbarifchen ungefchicften Sprachver⸗ 
- ffümmelung die Sprache der Zeit bed Aus 
gufts wieder herzuftellen. Endlich entdeck⸗ 
te man, daß fie nichts weiter ale ein. Ges 
wirre von einer rauben und mißtoͤnenden 
Stimme hatte, und daß fie den Hof, bie 
Stadt und hauptfächlich ihre Schuler gähr 
‚nen machte. Es wurde ihr alfo durch einen 
Befehl von der fransdfifchen Afademie aufs 
erlegt, vor ihrem Richterſtuhle zu erfcheis 
nen, um von dem Guten Nechenfcheft zu 
geben, das fie ſeit vier hundert Jahren ge- 
fifftet habe, während welcher Zeit fie war 
unterbalten, geehret und befoldee worden. 
Sie wollte ihre Sache in ihrer lächerlichen 
Sprache ‚verfechten, die die Roͤmer gewiß 
nicht würden verftanden haben. Was dag 
Franzoͤſiſche anbetrifft, fo mußte fie davon 
nicht ein Wort: fie wagte es alfo nicht, da⸗ 
mit vor ihren Richtern hervorzutreten. 


me) 75 ( rke 


> Die Akademie hatte nit ihrer Verwir⸗ 
sung Mitleid. Es wurde ihr alfo liebreich 
- auferlegt, zu fchweigen. Man war hierauf 
fo gütig, fie ihre Mutterfprache reden zu Ich» 
von: und feit ber Zeit, daß man fie ihrer 
antiken Coeffüre, ihres fauertöpfifchen Ge: 
ſichts und ihrer Ruthe beraubt hat, fo legt 
fie ſich bloß darauf, in diefer fchdnen Spra⸗ 
die, die die franzoͤſtſche Akademie täglich voll- 
fommner machet, Unterricht zu gebeit. Dies 
fe, "weniger furchtfam, meniger aͤngſtlich, 
beffert fie, ohne fie zu entfräften. — ‚Und 
die Soldatenfchule, was ift denn aus Die 
fer geworden? — Sie hat mit den übris 
gen Collegien ein gleiches Schichfal ges 
habt: fie vereinigte ale Mißbräuche, oh» 
ne bie privilegirten Mißbraͤuche zu red) 
nen, bie ihrer befondern Stiftung eigen wa⸗ 
ren. Man macher nicht Menfchen, wie man 
Eoldaten machet. — Dergebet mir, wenn 
ich Eurer Gefalligfeit mißbrauche, aber die 
fer Punkt iſt zu richtig, als daß ich fogleich 
wieder davon abgehen follte: man ſchwatz⸗ 
te in meiner Jugend von nichts, ale Er- 
ziehung. Jeder Pedante fchrieb fein Buch: 
noch war es ein Glück, wenn es nichts weis 
ter als langweilig war. Das befte unter 


Ne) 76 ( En 


allen, das fimpelfte, das vernünftigfte und 
zugleich das gründlichfte war durch. bie 
Hand des‘ Scharfrichters verbrannt und 
von Leuten übel befchrien worden, die eben 
fo wenig als der Henkersfnecht bavon ver- 
ſtunden. Unterrichtet mich doc), ich Bitte 
Euch von dem Wege, ben Ihr geht, Men- 
ſchen zu bilden? — Die Menfchen werden 
durch die. weife Zärtlichkeit unfrer Regierung 
weit eher gebildet, als durd) jeden andern 
Unterricht: aber um bier nur von ber Cultur 
des. Geiſtes zu reden; indem man die Kin- 
der mit den Buchflaben bekannt machet, fo 
machen mir fie zugleich mit den Operationen . 
der Algebra befannt. Diefe Kunſt ift fimpel 
und von einem allgemeinen Nußen; es fo- 
ftet nicht mehr fie zu verſtehen, ale leſen zu 
lernen: der Schatten von Schwürigfeiten 
felbft iſt verſchwunden: die algebraifchen 
Sharaktere werden nicht mehr von dem Poͤ⸗ 
bel für Zauberfiguren gehalten 2. Wir ha- 
2) Kaum mar die Druckerey in Paris erfunden, _ 
als es jemand unternahm , die Elemente des Eus 
klides drucken su laffen: aber da, wie man weiß, dar⸗ 
innen Zirkel, Vierecke, Dreyede, und alle Arten von 
Linien vorkommen, fo glaubte einer von den Dru⸗ 
dern, dab es ein Zauberbuch wäre, das leicht den 
Teufel hervorrufen möchte, der ihn mitten in fels 


se ITıK —— 


dert bemerft, daß diefe Wiffenfchaft ben Geiſt 
gewoͤhnet, die Sachen auf dag genauefte ſo 
zu fehen, wie ſie wirklich find, und daß bie- 
fe Senauigfeit, wenn fie auf die Kuͤnſte ans 
gewandt wird, nicht genug zu fchägen ifl. : 

Man lehrte die Kinder eine Menge uns 
nuͤtzer Dinge, die zu dem Glücke des Lebens 
nicht dag geringſte beytrugen. Wir haben 
bloß dag gewählt, was ihnen wahre und 
richtig überdachte Begriffe beybringen kann. 
Man lehrte alle ohne Unterfchieb die todten 
Sprachen, die eine allgemeine Wiffenfchaft 
in fich zu fchließen fchienen, und bie ihnen 
doch nicht den mindeften Begriff von den 
Menſchen geben fonnten, mit denen fie le 
ben follten. Wir begnügen ung, ihnen bie 
Mutterſprache beyzubringen, und wir erlau 
ben ihnen ſo gar, ſie nach ihrem Genie zu 
bilden: denn wir wollen feine Wortfünft 
ler, fondern beredte Männer haben. Der 
Stil ift der Menfch, und die ftarfe Seele 


ner Arbeit holen Könnte. Inzwiſchen drang fein 
Herr darauf. Der unglüdliche blödfinnige Menſch 
fellte fich vor, daß es auf fein Verderben und fein 
Leben abgeſehen fey, und fette ſich dieſes fo ſehr in 
Kopf, daß er weder Vernunft noch Beichtvater 
hörte, und einige Tage Darauf ſtarb. 


2 ) 75 ( ie 


inuß eine Sprache haben, die ihr ganz elyen 
und von der Nomentlatur, biefem einzigen 
Huͤlfsmittel ſchwacher Geifter, fehr verſchie⸗ 
den iſt, die nichts, als ein trauriges Ge 
daͤchtniß haben. 

Man lehret ſie ein wenig Geſchichte. 
Denn die Geſchichte iſt die Schande ſder 
Menfchlichkeit, da jede Seite ein Gewebe 
von Verbrechen und Thorheiten if. Da 
fen aber Gott vor! daß wir ihnen bie Bey- 
fpiele der Näuberey und des Ehrgeitzes vor 
Augen fielen follten. Die Pedanterey der 
Gefchichte hat die Könige zu Gdttern ma⸗ 
chen koͤnnen. Wir lehren unfern Kindern 
eine ficherere Logik und gefündere Begriffe. 
Die Falten Chronvlogiften, vie Namenfrd- 
mer aller Sahrhunderte, alie die Romanhaf⸗ 
Ten oder beftocdyenen Schriftſteller, die zuerft 
vor Ihren Abgotte erbkißten, find mit den 
Panegyriſten der Fuͤrſten der Erde er- 
Sofchen z. Wie? die Zeit iſt fo furs und 


. 3) Seit dem Pharamond bis auf Heinrich den 
WW. zaͤhlet man kaum zween Koͤnige, die, ich will 
nicht fagen zu regieren, ſondern die in die aͤf⸗ 
fentlihe Verwaltung den nefunden Verſtand zu 
bringen mußten, den ein Bürger im der Verwal⸗ 
tung feines Hauſes braucht, | 


l 


me ) 79 ( — 


ſchaell, und wir ſollten die Zeit unſerer 
Kinder darzu anwenden, in ihr Gedaͤchtniß, 
Namen, Data, unzaͤhliche Facta, genealogb 
ſche Stammbäume zu pflanzen und zu ordnen? 
Welch armfelige, nichtswuͤrdige Kleinigkeiten, 
went man das weite Seld der Sitten - und 
Naturlehre sor Augen hat! Vergebens wen⸗ 
det man ein, daß die Gefchichte Benfpiele 
giebt, die die folgenden Jahrhunderte Im: 
terrichten koͤnnen: verderbliche und verkehr⸗ 
te Benfpiele 4), bie zu nichts dienen, ale ben 
Defpotifmug zu lehren, ihn nur ffolger und 
fehrecflicher zu machen, indem fle die Sterb⸗ 
lichen allegeit unter dem Joche, wie eine Heer. 
de von Sklaven, und die ohnmächtigen Bes 
firebungen der Freyheit zeiget, die unter den 
Streichen, die ihr einige Menfchen verfegee 


4, Es ift-wahr, die Scene dndert fich in dep 
Gerichte, aber ſehr oft, um neue Unglücksfäne 
berbeyzuführen: denn ben den SKönigen giebt es 
immer eine unauflösliche Kette von Ungluͤck. Ein 
König glaubt bey der Gelangung zum Throne, nicht 
zu regieren, wenn er den alten Entwürfen folgen 
foute. Die alten Spfteme, die fo viel Blut geko⸗ 
ftet, müffen vertilget, und neue fefigefenet werden. 
Sie fiimmen nicht mit den erften überein, und 
werden nicht weniger verderblich , als es dieſe 
waren. 


Sm) Io ( ie 

. Gaben, welche auf bie alte Tyranney bie 
Rechte einer neuen gründeten, den Geift aufs 
gab. Niemals hat e8 einen fchäßbaren, tu⸗ 
gendhaften Mann gegeben, ber nicht zu⸗ 
gleich) ein Zeitgenoffe von Ungeheuern gewe⸗ 
fen wäre: von ihnen ift er unterdrückt wor- 
den: und dieß Gemälde der untertretenen 
Tugend ift. ohne Zweifel nur allgumahr, aber 
die Schilderung deffelben ift eben fo gefaͤhr⸗ 
lich. Nur ein gefeßter Mann kann dieß Ge⸗ 
mälde betrachten, ohne zu erbleichen, und 
felbft eine geheime Freude darüber fühlen, 
wenn er den vorübergehenden Triumph des 
Laſters ficht, und das ewige Glück, dag der 
Tugend vorbehalten iſt. Aber von Kindern 
muß man dieß Gemalde entfernen s ihnen 
muß eine glückliche Befanntfchaft mit Begrifs 
fen von Drdnung und Billigkeit beygebracht, _ 
und aus diefen muß, wenn ich fo fagen barf, 
bie Subjtanz ihrer Scele zufammen geſetzt 
werden. Ich meyne nicht Die müßige Sitten⸗ 
lehre, die in nichtswuͤrdigen Sragen beftebt, 
bie wir fie lehren: es ift eine praftifche Mo⸗ 
val, die eine Beziehung auf jede ihrer Hands 
fung bat, die durch Bilder redet, die ihre 
Herzen. zur Sanftmuth, zur Tapferkeit, zur 
YAufopferung ber Kigenliche bildet, . oder 


x 


2a) gr ( Berk 

damit ich alles mit einem Worte fage, ze 
Großmuth. | 

Wir verachten mehr als zu ſehr die Meta 
phyſik, diefen finftern weiten Raum, wo ein 
- jeder ein chimdrifches und allezeit unnuͤtzes 
Gebäude auffuͤhrete. Hier war es, mo man 
unvollkommne Vorftellungen von der Gofts 
heit herholte, wo man fein Wefen deſtomehr 
verunftaltete, jemehr man über feine Eigen: 
fehaften vernünfteln wollte; wo man bie 
menfchliche Vernunft beräubte, indem man 
ihr einen fchlüpfrigen und beweglichen Punkt 
anwieß, den fie nicht betreten konnte, ohne 
beftändig Gefahr zu laufen, in Zweifel zu 
verfallen. Nur durch die Phyſik, dieſes 
Schluͤſſels der Natur, diefer lebendigen und 
faßlichert Wiffenfchaft, lehren wir fie, in« 
dem wir den Irrgarten dieſes wunderbaren 
Ganzen durchlaufen, den Verſtand und die 
Weisheit des; Schöpfers fühlen. Diefe 
Miffenfchaft, wenn fie von ihnen gründlich 
erlernet worden, befreyet fie von einer Mens 
ge Irrthuͤmer, und der ungeheure Klumpen 
von Vorurtheilen weicher dem reinen Lichte, 
das fie über alle Gegenftände verbreiter, 
In einem gewiſſen Alter erlauben wir einem 
jungen Menfchen, die Dichter zu Iefen. Die 

0) 


BF) te ( ik 
unfrigen haben die Weisheit mit. dem En- 
thuſiaſmus zu verbinden gewußt. Vie find 
niche mehr von der Art Menfchen, die die 
Vernunft durch ben Gefang und Wohlklang 
der Worte täufchen, und die fich gleichſam wi⸗ 
ber ihren Willen in dag Falſche und in das Bi⸗ 
jarre verleitet finden, oder die fich ein Vergnuͤ⸗ 
gen machen, Zwerge auszuputzen, Mühlen dre- 
ben zu laſſen, die Schellen oder die Narrenkap⸗ 
pe zu ſchuͤtteln: fiefind Sänger großer Hand⸗ 
lungen, die der Menſchlichkeit Ehre machen: 
ſie waͤhlen ihre Helden uͤberall, wo ſich Muth 
und Tugend findet. Die feile und luͤgen⸗ 
bafte Pofaune, die den Eoloffen der Erde 
in ihrem Stolze fehmeichelte, ift auf ewig 
zerbrochen. Die Poefie hat nur jene wahre 
baftige Trompete beybehalten, die durch den 
ganzen Kaum aller Zeiten ertönen foll, weil 
fie, fo zu fagen, die Stimme ber Nachwelt 
iſt. Nach ſolchen Muftern gebildet, erhal- 
ten unfere Kinder richtige -Vorftelungen 
von der wahren Größe. Der Rechen, das 
Heberfchiff und derHammer find glängendere 
Gegenftände, als dag Zepter, das Diadem, 
der Fönigliche Mantel u. ſ. w. 


Ram) 8 (ine | 
Drepjehntes Kapitel, 
Wo ift die Sorbonne? 


F welcher Sprache diſputiren denn bie 
Herren Doctoren der Sorbonne?- Dee 
ben. fie noch immer einen Lächerlichen Stolg 
lange Roͤcke und gefuͤtterte Mügen? — 
Man difputiret nicht mehr in der ˖ Sorbou⸗ 
nes denn feit man bafelbft Franzoͤſiſch pu 
reden angefangen, iſt dieſe Heerde Schluße 
macher verſchwunden. Dieſe Mauern er⸗ 
ſchallen, dem Himmel ſey Dank! nicht mehr. 
von den barbariſchen Woͤrtern wieder, dig. 
body noch minder abgeſchmackt waren, alg 
bie. Ihorheiten , die. fie dadurch anzeigen 
wollten. Wir haben entdeckt, daß die Baͤn⸗ 
fe, auf. die fich diefe Ergoiftifchen Docto⸗ 
zen feßten, aus einem gewiſſen Holze ger 
macht waren, deſſen fraurige Kraft auch 
den befiorganifirten Kopf verrückte und ihn 
methodiſch der Vernunft entfagen ſehrte. 
— DI! daß ich doch nicht in Eurem Jahre 
bunberte gebphren bin! Die elenden Sylia« 
gifmenmacher find die Duaal meiner jungen 
Fahre geweſen: lange Zeit hielt ich mich 
für bldofi nuig, teil ich fie nicht verſtund. 
Aber, was machet man denn mit dieſem Pa⸗ 
52 


ze) 14 (ee 


laſte, hen jener CEardinal d erbauet, der mit 
Enthuſiaſmus elende Verſe machte, und mit 
aller nur erſinnlichen Kaltbluͤtigkeit gute Koͤ— 
pfe abſchlagen ließ? — Dieß große Gebaͤu⸗ 
de enthaͤlt viele Säle, mo man-:eine ber 
—* weit nuͤtzlichere Wiſſenſchaft 
treibt. Man zergliedert daſelbſt allerhand 
Yeren son Cadasern. Weiſe Anatomiſten 
ſuchen in dem Raube des Todes Mittel, die 
phyſiſchen Uebel zu vermindern. Anſtatt al⸗ 
berne Saͤtze zu analyſiren, verſuchet man 
den geheimen Urſprung unſerer grauſamen 
Krankheiten zu entdecken, und das anatomi⸗ 
ſche Meſſer oͤffnet ſich in dieſen unempfindli⸗ 
chen Leichnamen bloß fir das Gluͤck ihrer 
Nachkommenfchaft einen Weg. . Die find 
die Lehrer, die der Staat ehret, abelt, befol- 
det. Die Chirurgie ift mit der Arzneykunſt 
ausgeföhnet, und biefe legte ift nicht mehr. 
mit fich felbft uneinig. 
1, O graufamer Nichelien, trauriner Urheber 
aller unfrer Uebel, wie haſſe ich dich! wie ſchmerzet 
dein Name meinen Dhren! Nachdem du Ludwig 
den Al. vom Throne geflogen, haft du den Deſpo⸗ 
tiſmus in Framfreich eingeführet. Seit diefer Zeit 
Bat die Nation nichts Großes gethan: und mas 


kann man von einem Volke, das aus Sklaven ber 
ſteht, erwarten? 


Fa)y (uk 
O glückliches Wunder! man forach von 


Berbitterung artiger Weiber, von Eiferſucht 


der. Dichter, von Galle der Maler ; dieß wa⸗ 
ren fanfte Leidenfchaften gegen den Haß, 
der zu meiner Zeit die Nachfolger des Ae 
ſculap entflammte. Man bat mehr ald che 
mal, wie ein mwißiger Kopf den nicht übeln 
Einfall gehabt, die Arzneykunſt auf dem 
Punkte gefehen, die Chirurgie zu Hulfe zu 
rufen. 

— Alles Bat fi heute zu Tage geaͤn⸗ 
dert: fie find ißt Sreundinnen und. nicht Ne⸗ 
benbublerinnen und machen nur einen Körper 
aus; fieleifterreinander eine gegenfeitige Hül- 


fe, und ihre auf diefedlre vereinigten Dperatior 


nen thun bistweilen Wunder. Der Arzt 
fchämt fich nicht mehr ſelbſt die Operationen 
zu vollsiehen, die er für dienlich halt: wenn 
er einige Mittel verordnet, fo überläßt er 
nicht einem Subalternen die Sorge, fie zu: 
zubereiten, da die Nachlaͤßigkeit oder Uner- 
fahrenheit ſeines Dieners fie tödtlich ma⸗ 
hen kann: er urtheilet mit feinen eignen 
Augen von ber Befihaffenheit, der Doſis 
und ber Zubereitung: wichtige Dinge, und 
von deren firengen Beobachtung oͤft die Ge- 
nefung abhängt! Ein kranker Menfch fieht 


\ 


Eee) 6 ik 

nicht mehr um fein Bette ber drey Aerzte, 
die einander auf eine komiſche Weife unter 
geordnet, fich zanken, ſich mit den Augen 
meſſen, und ihren Mebenbuhlern ein Verſe⸗ 
Sen ablauern, damit fie nad) Herzensluſt 
darüber lachen können. Eine Arzney iſt ei⸗ 
ne Bisarre Mifchung von ganz entgegen ges 
feßten Principien. Der gefchivächte Ma⸗ 
gen bes Kranken wird nicht mehr der Kampfe 
ylat des Kranken, wo die Gifte aus Suͤ— 
den die Gifte aus Norden beftreiten muͤſſen. 
Die wohlthätigen Säfte der Kräuter, bie 
auf unferm Boden gewachfen und bie für 
unſre Natur eigenthuͤmlich beſtimmt find, 
zerſtreuen die uͤblen Feuchtigkeiten, ohne un⸗ 
ſtre Eingeweide zu zerreißen. 

Dieſe Kunſt wird fuͤr die vornehmſte un⸗ 
ter allen gehalten, weil man den Geiſt des 
Syſtems und der Methode daraus verban⸗ 
net hat, die fuͤr die Welt eben ſo traurig 
ſind, als die Begehrlichkeit der Koͤnige und 
die Grauſamkeit ihrer Minifter, 

— Sch höre e8 gern, daß die Sachen fo 
fiehen. Ich liebe Eure Aerzte: es find alfo 
nicht mehr eigennüßige und graufame Char⸗ 
latane, die bald einer gefährlichen Methode 
folgen, bald barbarifche Verſuche machen 


2m) 87 ( 


und die Quaal des Kranfen verlängern, den 
fie ohne Gemwiffensbiffe ermordeten. A pro- 
pos, wie viel Stock hoch fleigen fie denn? 
— Sin jedes Stock, wo fich ein Menfch bes 
findet, der ihrer Huülfe bedarf. — Das ift 
doc wunderbar: zu meiner Zeit fliegen bie 
-Bornehmften nicht über ein Stock, und da 
gewiffe artige Weiber in ihrem Haufe bloß 
Epigenmanfchetten sulaffen wollten, fo woll- 
ten jene aud) niemanden, als folche Leute 
heilen, die Equipage hatten. — Ein Arzt, 
der bey ung fich eines fo unmenfchlichen Zu- 
ges fchuldig machte, würde fich mit einer 
unausloͤſchlichen Schande bedecken. Jeder 
Menfch hat ein Recht fie rufen zu laſſen. 
Sie haben feine andere Abficyt, als der Ges 
funbheit zu gebieten, daß fie auf den Wan⸗ 
gen eines Kranken wieder aufblühe : und 
wenn der Arme, welches doch felten iſt, 
nicht bie gehörige Belohnung leiften kann, 
fo nimmt diefe Sorge der Etaat auf ſich. 
Ueber jeden Monat wird ein Verzeichniß von 
Kranken, Verfiorbenen oder Geneſeten ge= 
halten. Zu dem Namen des Verftorbenen 
wird allegeit ver Name des Arztes hinzuge⸗ 
feßt, der ihn beforge hat. Diefer muß von 
feinen Verordnungen Rechenſchaft geben, 


u. 


2) (in 

und dag Verfahren, dag er während jede 
Krankheit beobachtet bat, rechtfertigen. 
Diefe umftändliche Nechenfchaft ift verdruͤß 
lich. Aber man bat dag Leben eines Me 
fchen für zu Eoftbar gehalten, um bie Mittel 
zu feiner Erhaltung zu vernachläßigen, und 
bie Aerzte find felbft bey der Erfüllung bie | 
fes weifen Gefeßes intereßiret. 

Sie haben ihre Kunft ſimplificirt. Sie 
haben fie von einer Menge Känntniffe be 
freyet, die durchaus nicht zur Heilungskunſt 
schören. Faͤlſchlich glaubtet hr, daß ein 
Arzt in feinem Kopfe alle migliche Wiſſen⸗ 
ichaft Gaben follte: dag er von Grund aus 
die Anatomie, bie Chymie, die Botanik, die 
Mathematik wiſſen follte: und da doch fchon 
iede Diefer Künfte das ganze Leben eines 
einzigen Mannes crfodern wuͤrde, fo hieltet 
For Eure Yerzte für nichts, wenn fie nicht, ° 
oben drein, wißige Köpfe, voller luſtiger 
Einfälle und gefchickt waren, Bonsmote zu 
machen. Die unfrigen begnuͤgen fich, wenn 
fie alle Krankheiten richtig zu befchreiben, und 
auf das genauefte ihre Verſchiedenheiten zu 
bezeichnen wiſſen, alle Eympfomen davon 
fennen, die Temperamente überhaupt und ci« 
nes jeden Kranken feines insbeſondere gu uns 


Fri) 399 ( re 


heiben vermoͤgend find. Sie bebietien fidh 
er jener heilenden Waffer und koſtbaren 
ſpruͤche, noch ber geheimnißvollen Ne 
tz die im Kabinete!gerhacht werden: el, 
feine Anzahl von Mitteln iſt ihnen ge⸗ 
"Sie haben gefunden, daß die Natur 
er Vegetation der Planen und in ber 
rung der Thiere gleichförmig verfährt. 
ift ein Gärtner, fagen fie: er ift auf 
Hart, damit der Nahrungsſaft, das iſt, 
allgemeine belebende Geiſt auf gleiche 
durch alle Theile des Baums ſeinen Um⸗ 
»nehme: alle Krankheiten der pflanzen 
men von Verdickung dieſes wunderba⸗ 
Saftes. Mithin haben alle Uebel, die 
menſchliche Geſchlecht beſchweren, keine 
ere Urſache, als die Verdickung des Blu⸗ 
und der Saͤfte: man gebe ihnen ihre 
uͤrliche Fluͤßigkeit wieder: fo bald als ih 
Umlauf nichts weiter hemmt, ſo wird 
h die Geſundheit wieder hergeſtellet wer⸗ 
„ Setzt man dieſen Grundſatz als rich⸗ 
voraus, fo koͤmmt es weiter nicht auf 
e große Anzahl von Kaͤnntniſſen an, um 
Abſtcht davon zu erreichen, da fie fich 
ı.felbft anbieten. Mir ſehen als ein all 
neines Mittel. alle mohlricchende la 


Em) 90 ( — 


yen an, bie einen Ueberfluß an volatilifchen 
Salzen haben und mithin unendlich geſchickt 
‚find, das gu dicke Geblüte aufzuldfen: dieß 
iſt das Foftbarfte Gefchenfe ber Natur zur 
Erhaltung der Gefundheit: wir erftrechen es 
auf alle Krankheiten, und wir haben auch 
bey allen, den gluͤcklichen Erfolg davon ge⸗ 
ſehen. 


Vierzehntes Kapitel. 
Das Hotel der Inoculation. 


Gier mir doch, ich bitte Euch, was iſt 

denn dag für ein einzelnes Gebäude, 
da8 ich in der Entfernung mitten auf dem 
Felde entdecke? — Es iſt das Hotel der 
Sfnoculation, die in Euren Tagen fo beftrit- 
ien worden, toie. alle nüßliche Gefchenfe, die 
man Eud) gegeben. Ihr mußtet harte Koͤ⸗ 
pfe haben, da Euch die augenfcheinlichen und 
vervielfaͤltigten Erfahrungen zu Eurem eige- 
nen Beſten nicht überzeugen fonnten. Oh⸗ 
ne einige in ihre Schönheit verliebte Wei- 
ber, die wehr fürchteten, diefe, als ihr Le- 
ben zu verlieren; ohne einige Fürften, die 
nicht Luſt hatten, fo bald ihr Zepter den 
Haͤnden des Pluto zuübergeben, würdet Ihr 


Ma 


a) 9 (rer 


niemald'.diefe glückliche Entdeckung gewagt 


habenn Der glückliche Fortgang hat ſie 


nunmehr Hollig gekrönt: Die Häßlichen find 
gezwungen geweſen zu ſchweigen, und auch 
die, bie’ feine Kronen hatten, haben nicht 


weniger das Verlangen empfunden, etwas 


länger auf diefer Erde zu verweilen. - 


Endlich dringt doch die Wahrheit fruͤher 
oder fpäter bindurch und bemächtigee fich 
der ungelebrigften Gemuͤther. Wir bebie- 


nen ung baute zu Tage der Inoculation, 


wie e8 zu Eurer Zeit in China, in ber Tür 
fen und in Engeland geſchah. Wir finb 
weit bavon ‚entfernet, heilfame Mittel des 
wegen zu verbarmen, weil fie neu find. Wir 
haben nicht,. wie Ahr, die Wuth, zu diſputi⸗ 
ren, bloß. darum; damit wir dffentlich auf 
der Bühne“ erfcheinen, uͤnd bie Augen deg 
Publikums auf ung ziehen. 

Dank fen e8 unferer Thätigfeit, unſerm 
Brüfungsgeifte! wir haben viel wunderns⸗ 
wuͤrdige Geheimniffe entdecket; es ift aber 
noch nicht bie Zeit, fie befannt zu machen, 
Ein tiefes Studium der wunderbaren Rrdu- 
ter, bie Eure Unmiffenheit mit Füßen trat, 
bat ung die Kunſt gelehret, die Lungenfudkt, 
Schwindfucht, Wafferfacht, und andere 


De) 92 (ae 


Krankheiten zu heilen, die Eure wenig be- 
fannten Mittel meiftens verfchlinimerten. 
Hauptfächlich aber hat man ben wahren Zur . 
ſtand der Geſundheit, die Kunſt fich gefund zu 
erhalten, mit fo vieler Klarheit behandelt, daß 
jeder von felbft im Stande ift, über feine Ge⸗ 
fimdheit zumachen. Man verlaͤßt fich nicht 
mehr gänzlich auf den Arzt, er mag fo ge⸗ 
fchickt feyn, als er will: man bemühet fich, 
feine Natur fennen zu lernen, an ftatt, daß 
es ein Fremder gleich bey dem erfien Anblicke 
errathen fol. Ueberdieß trägt die Mäfig- 
$eit, dieß wahre Heilungs⸗ und Erhaltungs⸗ 
Elerier, viel bey, gefunde und flarfe Men⸗ 
fchen zu bilden, die eben fo flarfe und reine 
Seelen, als ihr Blut es ift, beherbergen. 


Funfzehntes Kapitel. 
Theologie und Mechtsgelahrheik, 


| Giaͤciche Sterbtiche! Ihr Habt alfo feine 
Theologen mehr 1)? Sch fehe nicht 
mehr die ungeheuren großen Bände, die die 
1) Man muß die Lehrer einer praktiichen Tu⸗ 
gend und Frömmigkeit nicht mit einer geriffen Art 
von Theologen vermifchen ; jene find Wohlthäter des 
menſchlichen Geſchlechts, diefe nicht felten ihre Un: 
ehre und ihr Schaden. 


Si) 9 (Bu 


Grundpfeiler unſrer Bibliotheken ſchienen, 
die ſchweren Laſten / die der Drucker allein 
wie ich glaube, konnte geleſen haben: Aber 
gleichwohl‘ ift die Gottesgelahrheit eine en 
habene und = - =» — Da wir nur von bem 
Hoͤchſten Wefen reden, um ihm gu danken und 
in der Stile anzubeten, ohne über die goͤtt 
lichen , ewig unbdurchdringlichen Eigen⸗ 
ſchaften zu flreiten: fo iſt man einig wor⸗ 
den, iiber diefe erhabene Sache, die fo weis 
unfern Verſtand überfleige, nicht mehr: su 
ſchreiben. Die Seele iſts, die Gott fühlet; 
fie brauchet Feiner fremden Huͤlfe, fich zu ihm 
zu erheben 2). 


2) Wir wollen in uns felbft gehen, unfere Sees 
le prüfen und fie fragen, von wen fie die Empfins 
dung und den Gedanken bat? Sie wird uns ihre 
glückliche Abhängigkeit entdecken, das hoͤchſte vers 
fländige Wefen beseugen, von dem ſie nur eim 
ſchwachet Ausfuß if. Wenn fie in fich felb zus 
süce kehret, fo kann fie ſich nicht dem Gotte ents 
ziehen, deffen Tochter und Ebenbild fie iſt: fie 
kann ihren himmliſchen Urfprung nicht verfennen. 
Dies ift eine Wahrheit der Empfindung, die allen 
Voͤlkern gemein if. Der empfindfame Menfch wird 
von dem Anblicke der Natur gerühret werden, und 
ohne Mühe einen gütigen Gott erkennen, der und 
noch größte Güter aufbehält. Der unempfindliche 
Menſch wird den Lobgefang feiner Bewunderung 


HZ) 94 (merk 


Alle, ſowohl theologifche. als jurifäifche 
Bücher find in unterirdifchen Behaͤltniſſen 
der Bibliothek unter großen eifernen Kies 
geln verwahret: und wenn wir jemalg mit 
einigen benachbarten Völkern in Krieg ges 
rathen follten, fo wollen wir ihnen, flatt 
Canonen zu pflanzen, diefe gefährlichen Bii- 
cher ſchicken. Wir behalten .diefe Vulkane 
von verbrennlicher Materie zur Rache ge 
gen unfre Feinde auf: fie werden vermit- 
telft dieſes fubtilen Giftes, das den Kopf 
und das Herz zugleich einnimmt, nicht er 
mangeln, fich felbft zu zerſtoͤren. 

— Ohne Theologie zu leben; ja, dag 
läßt fich noch begreifen: aber ohne Rechte: 
gelahrheit, das kann ich bach nicht begrei- 
fen. — Wir haben eine Rechtsgelahrheit, 
die aber vonder Eurigen verfchieden ift, wel⸗ 
che gothifch und barbarifch war. Ihr eruges 
noch den Stempel Eurer alten Snechtfchaft. 
Ihr hattet Geſetze angenommen, die weder 
Euren Sitten, noch Eurem Clima angemef: 
fen war. Da fich dag Licht nach und nad) 
beynahe in aller Köpfe herabgelafien, fo 
bat man dieMißbräuche abgefchafft, die aus 
nicht mit der unfrigen vermifchen. Das Her, Das 
nicht liebte, war der erfie Atheiſt. 


ame) 95 ( u 


‚dem Heiligthume ber Gerechtigkeit eine Raus 
berhoͤhle machten. Man if erftaunf, daß 
das fchwarze Ungeheuer, das die Wirte 
und den Wayſen verfchlinge, fo lange Zeig 
einer. firafbaren und doch ungeftraften Frey⸗ 
‚heit genoffen. Man begreift nicht, wie ein 
Anwald ruhig die Stadt durchgehen konnte 
ohne von einer verzweifelnden Hand geſtei⸗ 
nigt zu werden. | 

Der edle Arm, der das Schwerdt ber 
Gerechtigkeit hielt, ‚hat diefen Haufen Kor⸗ 
per ohne Seele, die bloß die Naubgier des 
Wolfs, die Lift des Fuchfes und dag Kraͤch⸗ 
zen des Rabens hatten, zu Boden gefchlagen ; 
ihre eignen Schreiber, die fie vor Hunger 
und Verdruß fterben ließen, find die erften 
gewefen, die ihre Alngerechtigfeiten entde⸗ 
et und fich gegen fie bewaffnet haben, 
Themis hat gerebt, und die Rotte iſt vers 
fchwunden. Dies war dag tragifche und 
ſchreckliche Ende diefer Räuber, die ganze 
Samilien durch Schmierereyen ins Elend, 
ſtuͤrzten. 3 

— Zu meiner Zeit behauptete man gleich" 
wohl, daß ohne ihren Dienft ein Theil ber 
Bürger vor den Gerichtsftühlen müßig, und 
diefe Gerichtsſtuͤhle vielleicht ein Schauplag 


San) 96 ( „α 


der. Ungebundenheit und der Wuth werben 
würde. — Ganz gewiß war es die Dachte 
rey des Stempelpapiers, die fo ſchwatzte. — 
Aber wie werben denn bie Sachen gerich- 
tet? Was fängt man denn ohne Anwald an? 
— Ach! die Sachen. werden aufs befte von 
der Welt. gerichtet. Wir haben die Orb: 
zung der Advokaten beybehalten, bie ben 
Adel und die Vortreflichkeit ihrer Stiftung 
erkennet: ba fie noch weit uneigennüßer ift, 
ſo ift fie verehrungswürdig geworden. Gie 
find eg, die die Pflicht auf fich genommen, 
die Sache der unterdrückten Unſchuld deut⸗ 
lich und hauptfächlich in einem lafonifchen 
Stil, ohne Emphafen, ohne Declamation 
ing Licht zu feßen. Man ficht nicht mehr 
eine lange, fehr Falte und mit vielen Schmaͤ⸗ 
Hungen angefülte Schußrede, die nieman- 
den als fie felbft erwaͤrmet, ihnen dag Le⸗ 
ben often. Der Boſewicht, deſſen Eache 
ungerecht ift, finder in dieſen aufrichtigen 
Vertheidigern nichts als unbeftechliche Men= 
fchen. Sie leiften mit ihrer Ehre für die 
Sachen Gewähr, die fie unternehmen: 
dem Strafbaren, der fchon durch die ab- 
fchlägliche Antwort, mit dem fie ihm ihren 
Dienft verfagen, verdammt ift, uͤberlaſſen fie 


* 


He ) 17 (u 


es, ſich zitternd vor den Nichtern zu ent 
fehuldigen, wo er ohne Vertheidiger erfchien- 

Jedem iſt daB urfprüngliche Recht wie, 
ber gegeben, feine eigne Cache zu vertheidis 
gen. Man läßt den Procefien niemalg Zeit 
fich zu verwirren. Sie werden bey ihrer 
Entfiehung unterfucht und entfchieden; und 
die längfte Zeit, die man ihnen einraͤumt, iſt, 
wenn die Sache weitlaͤuftig ift, ein Sjahr. 
Aber aud) die Richter erhalten nicht mehr die 
fogenaunten Gewürzfchachteln: fie fchämen 
ſich dieſes fehimpflichen Rechtes, das in feinem 
Urſprunge 3) nicht viel bedeutete: ſie aber zu 
ungeheuern Summen erhoben haben. Sie ha⸗ 
ben erkannt, daß ſie dadurch ſelbſt das Bey⸗ 
ſpiel der Raubſucht gaͤben, und daß: went ir⸗ 
gend ein Fall iſt, mo der Eigennutz nicht Dis 
Oberhand haben darf, fo ift c8 der chrenvole 
le und ſchreckliche Augenblick, wo ein Menſch 
in dem heiligen Namen ber Gerechtigkeit 
das Urthel fpricht. — Sich fehe, daß Ihr 
ganz entfeglich unfre, Geſetze verändert habt. 

3) Es befund damals in etlichen Schachteln 
Zuckerwerk oder trocknen Eonfekte. Heute su Tas 
ge muͤſſen eben diefe Schachteln mit Goldſtuͤcken 
angefüllt werden. Dieß find die Lekkerbischen dies 
fer erleuchteten Rathsherren, diefer Väter des Be 
terlandes. 

G 


az) 98 re | 
— Eure Gefebe! Noch einmal, konntet ihr 
diefen Namen wohl dem unordentlichen zus 
fammengeraften Wufte von entgegenftehen- 
den Gewohnheiten, diefen alten abgeriſſenen 
Stüden geben, die nicht, als unzuſammen⸗ 
hängende Begriffe und groteske Nachah⸗ 
mungen enthielten. Konntet Ihr ein folch 
Monument der Barbarey annehmen, das 
weder Plan, noch Drönung, noch Dbiect : 
hatte: dag eine efelbafte Compilation mar, 
wo die Gedult des Genies fich in einen tie- 
fen Moraft ſtuͤrzte? Es haben fich endlich 
Männer gefunden, die genug Verſtand, ge 
nug Menfchenliebe und Muth genug: hat- 
‚ten, auf eine gängliche Imfchmelzung zu den- 
fen, und aus einem ungefchicften Klumpen 
eine richtige und wohl proportionirliche Sta⸗ 
tue zu machen. 

Unſere Koͤnige haben dieſem großen Un⸗ 
ternehmen, das Millionen Menſchen inter⸗ 
eßirte, ihre ganze Aufmerkſamkeit geſchenkt. 
Man hat erkannt, daß das groͤßte Studium 
ohne Ausnahme, die Geſetzgebung ſey. Die 
Namen der Lykurge, der Solone, und 
berienigen, die ihren Fußtapfen gefolget, 
find die verehrungswürdigften unter allen. - 
Das Licht ift ung zuerft aus Norden gefom- 


2) (re 


men: und; (gleich ald ob die Natur unfern ' 
Stolz hätte demüthigen wollen,) eine Fran 
ift eg, bie diefe wichtige Revolution ange: 
fangen bat 4. 

Alsdann hat die Gerechtigkeit: durch bie 
Stimme der Natur diefer allgemeinen Ge 
feßgeberinn, dieſer Mutter der Tugend, und 
alles was ‚auf Erben Gutes ift, gefprochen: 
unterflüßt von Vernunft und Menſchenliebe, 
find ihre Geſetze weife, klar, deutlich und in 
Eleiner Anzahl geweſen. Alle allgemeine Faͤlle 
hat man voraus gefehen und gleichſam durch 
das Geſetz gefeſſelt. Die befondern Fälle 
fioffen natürlicher Weife daraus her, wie 
Ztveige, die aus einem fruchtbaren Stam⸗ 
me entfpriefien : ımd die Nechtfchaffenheit, 
weit gelehrter ale die Jurisprudenz felber, 
hat die praftifche Nedlichfeit auf alle Vor⸗ 
fälle angewandt. 

Diefe neuen Gefeke find hauptſaͤchlich 
auf Menſchenblut geizig: die Strafe iſt dem 
Verbrechen angemeſſen. Wir haben ſowohl 
Eure verfaͤnglichen Fragen, als auch die ei⸗ 


4) Man hat in Paris heimlich eine vollſtaͤndige 
Ausgabe des Codex der Kayferinn Catharine der II. 
serbrannt. Durch einen Zufall habefich noch ein 
Eremplar, Das den Flammen entgangen iſt. 

& 2 


nes Inquifitionsgerichted würdigen Quaalen 
der Zortur, wie auch Eure ‚abfcheulichen 
Strafen, die für ein Volk von Cannibalen 
‚gemacht zu feyn fehienen, abgeſchafft. Wir 
bringen den Dieb nicht mehr um, weil eg ei- 
ae unmenfchliche Ungerechtigkeit ift, deñ su 
toͤdten, der nicht getoͤdtet hat: die ganzen 
Reichthuͤmer der Erde ſind nicht eines Men⸗ 
ſchenleben werth: wir beſtrafen ihn mit dem 
Verluſte ſeiner Freyheit. Selten fließt Blut: 
aber wenn es zum Schrecken der Laſterhaf⸗ 
ten fließen muß, ſo geſchieht es mit der 
groͤßten Zubereitung, Zum Beyſpiele: es 
iſt feine Gnade für einen Miniſter 5, der dag 
Vertrauen des Monarchen mißbraucht, und 
fich der ihm anverfrauten Macht gegen dag 
Volk bedient. „Aber der Verbrecher fchmad)- 


s, Das Gemälde unfrer Minifter, ein ſchoͤnes 
Poſſenſpiel, das der Vorſtellung werth waͤre! Die: 
fer koͤmmt in das Minifterium vermittelt einiger 
buhlerifchen Verſe: jener, der Laternen anzünden 
laſſen, erbält die Aufficht über die Schiffe, und 
glaubt, daß ſich Schiffe machen laffen, wie Later 
nen; ein anderer regieret Die Finanzen, indem fein 
Dater noch die Elle führet, u. ſ. w. Man follte 
glauben, es wäre eine Wette zu gewinnen, wenn 
man das Mader der Öffentlichen Angelegenheiten 
Leuten anvertraute, ‚Die nichts davon verfichen, 


FO) Tr (nf 
tet nicht in dem Ketker: die Strafe folget 
der That: und wenn ſich ein Zweifel erhebt, 
fo läßt man: ihm lieber Gnade wiederfahren, 
als daß man bie:fchreckliche Gefahr laufen 
follte, einen Unſchuldigen laͤnger in Dan 
den zu laffen. 

Der Strafbare, deffen man fich bemaͤch- 
tiget, wird oͤffentlich mit Feſſeln belegt. Man 
kann ihn ſehen, weil er ein ſichtbares und 
in bie Augen fallendes Beyſpiel der wachſa⸗ 
men Gerechtigkeit feyn fol. Ueber dem Gitter, 
dag ihm einfchließt, bleibe immer eine Tafel 
angeheftel, worauf die Urſache feiner Eins 
ferferung gefchrieben ſteht. Wir verſperren 
nicht mehr lebende Menſchen in die Nacht 
der Graͤber, eine unfruchtbare und haͤrtere 
Strafe als der Tod ſelbſt! Am vollen Tage 
muß er die Schande der Zuͤchtigung tragen. 
Jeder Buͤrger weiß, warum dieſer Menſch 
zum Gefaͤngniſſe und jener zu oͤffentlichen 
Arbeiten verdammt iſt. Der, den drey Zuͤch⸗ 
tigungen nicht beſſern koͤnnen, wird nicht 
auf der Schulter, ſondern auf der Stirne 
gebrandmarket und auf ewig aus dem Va⸗ 
terlande verjagt. 

— AH! ſeyd doch fo gut und ſaget mir 
doch, die Lettresdecachet — wie ſtehts denn 


az) 102 (u 

mit diefem gefchteinden, untrüglichen Mit: 
tel, das alle Schwürigfeiten zerſchnitt, und 
dem Stolze, der Rache und der Verfolgung 
fo bequem war? — Wenn Ihr diefe Srage 
im Ernft thätet, werfeßte mein Sührer mit 
einem ernfthaften Tone, fo würdet hr den 
Monarchen, die Nation und mid) felbft be- 
fhimpfen. Die Zortur und bie Letires de 
aschet ©) find in gleichem Range: fie befle- 
den bloß. noch die Seiten Eurer-Gefchichte. 


"6 Ein Bürger wird ploͤtzlich feiner Familie, 
feinen Zreunden, der Geſellſchaft entriſen. Ein 
Blatt Papier if ein unfichtbarer Donnerfchlag. 
Der Befehl des Eriliume ‚oder des Gefaͤngniſſes 
wird im Namen des Roͤniges audgefertiget, mit 
dem Bewegungsgrunde, weil es ihm fo beliebt (de 
fon bon plaiſirſ. Er bat Feine andern Formalien, 
als die tinterfchrift der Miniſter. Oberaufſeher, 
Biſchoͤffe haben ganze Packete von Lettres de eachet 
su ibrem freyen Gebrauche: fie dürfen bloß den 
Namen detjenigen hineinruͤcken, den fie ſtuͤrzen 
wollen: der Plan wird leer gelaſſen. Man bat 
ungluͤckliche Perfonen in den Gefänariffen grau 
werden feben, die ihre Verfolger vergehen hatten: 
und niemals if der Monarch von ihrem Vergeben, 
ihrem Unglück und ihrer Erifteng unterrichtet wer: 
den. Es wäre zu wünfchen, daß alle Parlamenter 
fich gegen diefen feltfamen Mißbrauch der hoͤchſten 
Macht vereinigten: er arändet ſich auf Feines un⸗ 
ferer Geſetze. Wenn Diele wichtige Sache auf dieſe 


RT) 109 ( ng 
Sechzehntes Kapitel, 


Erecution eines Verbrechers. 


Hie verdoppelten Schläge einer fürchter- 
lichen. Glocke erſchuͤtterten pleßlich 
mein Ohr. Diefe traurigen und ſchreckens⸗ 
vollen Töne fehienen durch die Lüfte die Na⸗ 
men des Ungluͤcks und des Todes zu mur« 
meln. Die Trommeln ber Stadtwache gien- 
gen langfam umber und fchlugen Laͤrmen: 
umd diefer ahndungsvolle Marfch, der in 
den Seelen suräckhallte, trug in fie ein fies 
fes Schrecken. Ich fahe jeden Bürger trau⸗ 
rig aus feinem Haufe kommen, mit feinen‘ 
Nachbar reden, die Hände gen Himmel er- 
heben und ale Merkmale des lebhafteften 
Schmerzens äußern. ch fragte einen un. 
ter ihnen, twarum man biefe raurigen Glo⸗ 
cken anzdg, und was für ein Ungläd v vor 


toäre? | 

Fines der ſchrecklichſten, fagte er mir 
feufjend. Unſer Gericht ift gezwungen, hen, - 
te einem unferer Mitbürger das Leben abzu- 
fprechen, deffen er fich unwuͤrdig gemacht, 
Art in Bewegung geſetzt würde, fo würde fie die 
Sache der Nation feyn, und man würde dem Des 
fpotifemms die fuͤrchterlichſten Waffen entreiben. 


HE) 104 (er 


indem er ‚eine Moͤrderhand in dag Blut fei- 
nes Bruders getaucht bat. Es find mehr als 
dreyßig Jahr, daß die Sonne feine folche 

That beſchienen: er muß fie vor Ende des 
Tages nusföhnen. O! was habe ic) fehon 
fuͤr Thraͤnen uͤber die Wuth vergoſſen, zu 
der eine blinde Rache verleitet! Habet Ihr 
ſchon von dem Verbrechen gehoͤret, das man 
geſtern Abends veruͤbt? — O welch ein 
Schmerz! Es war alſo nicht genug, daß wir 
ſchon einen wahren Buͤrger verloren, auch 
ein anderer muß ſterben? — Er ſchluchzete 

⸗⸗Hoͤret, ‚hoͤret die Geſchichte der uns 
gluͤcklichen Begebenheit, die ein allgemeines 
Trauren verurſachet. 

Einer unſerer Mitbuͤrger, der ein ſan⸗ 
guiniſches Temperament und einen hitzigen 
Charakter, aber ſonſt viele guten Eigenſchaf⸗ 
ten hatte, war in ein junges Maͤdchen Auf 
ferft verliebt und fait auf bem Punfte, fie 
zur: Ehe zu erhalten. Ihr Charakter’ war 
eben fo fanft, als der feinige heftig war. 
Sie fehmeichelte fich, feine Gemuͤthsart zu 
befänftigen: aber viele Husbrüche des Zors 
neg, die ihm oft entmifchten, fo viel er fich 
auch Mühe gab, fie zu verbergen, machten 
fie über die traurigen Folgen zittern, die eine 


me ) 105 ( mi 
- Verbindung mit einem fo ungeflämen Man 
ne nach fich giehen koͤnnte. | “ 


Siebe Weibsperfon ift nach unfern Sefe: 


‚Gen in ihrer Wahl gänzlich frey. Sie ent⸗ 


ſchloß fich alfo, ans Furcht unglüdlich zu 


werden, einen andern zu heurathen, der einen, 
mit dem Ihrigen übereinftimmendern Cha- 
rakter befiße. Die Fackeln dieſes Hymen 
sündeten die Wuth in einem fo ungeftümen 
Herzen an, bag von feiner zarteften Kind» 
heit an niemals einige -Mäßlgung gekannt 
hatte. Er ließ viele geheime Ausfoderun⸗ 
gen an feinen glücklichen Rival ergehen; 
aber diefer verachtete fie: denn es gehoͤrt 
mehr Muth dazu, eine Beleidigung zu vers 
achten, eine gerechte Mache zu erfticken, als 
wüsend einer Ausfoberung nachzugeben, die 
überdieß ſowohl unfere Gefehe als die Ver: 
nunft verbieten. Diefer heftige Menſch, ver 
nichts als feine Eiferfucht hörte, fiel ihn vor⸗ 
geftern auf Hem Abwege eines Fußſteiges 
außer der SHadt an, und auf die wieder⸗ 
holte Weigerung, bie biefer that, fich mit 
ihm einzulaffen, riß er einen Aft von einent 
Baume und ftreckte ihn todt zu feinen Fuͤſ⸗ 
fen. Dach diefer abfeheulichen That wagte 
fich der graufame Mensch noch unter ung 






sam ) 106 ( rei 


Aber das Verbrechen fund fchon auf feiner 
Stirne gezeichnet. So bald wir ihn nur 
fahen, erfannten wir fein begangenes Unter: 
nehmen, dag er verbergen wollte. Wir ur: 
theilten gleich, daß er ſtrafbar feyn müßte, 
ohne noch die Beichaffenheit der That zu 
fennen. Bald fahen wir eine Menge Bürs 
ger, die Wangen mit Thränen beneßt, welche 
mit langfamen Schritten und bi an ben 
Fuß des Thrones der Gerechtigkeit dieſen 
blutigen Leichnam trugen, ber um. Rache 
fchrie. 

Sm viersehnten Jahre Lieft man ung ‚bie 
Geſetze des Vaterlands vor. Jeder, If 
verbunden, ſie mit eigner Hand abzu⸗ 
ſchreiben 1), und wir beſchwoͤren es alle, fie 
zu erfuͤllen. Dieſe Geſetze legen uns auf, 
Es iſt eine unbegreiſtiche Sache, daß unfre 
wichtigſten, ſowohl Civil ».als Criminalgeſetze dem 
groͤßten Theile der Nation unbekannt ſind. Es 
waͤre ſo was leichtes, ihnen einen Charakter von 
Majeſtaͤt einzudruͤcken: aber ſie einen nie, als 
um den Bürger zu Boden zu ſchlafen, und niemals 
Ida zur Tugend zuleiten. Das heilige Buch) der Ge⸗ 
ſetze if in einer trocknen und barbarifhen Sprache 
geſchrieben, und fchläft in dem Staube der Ges 
richesftube. * Würde ed denn etwas unfchickliches 
fen, es in die Meise der Beredtſamkeit einzuflei- 
den und Saburch den Belle fchänber u machen ? 


Fam) 107 (ni 


der Serechtigfeit alles zu entdecken, was ihr 
ein Kicht über die Leberfretungen geben fann, 
die die Ordnung der Gefellfehaft ftören, und 
diefe Geſetze beftrafen nur dag, mag für fie 
mit einem wirklichen Schaden. verfnüpft ift. 
Wir ernenern alle zehn Jahre eſe geheilig. 
. ten Eidſchwuͤre: und ohne Angeber zu feyn, 
wachet ein jeder über das heilige Pfand der 
Gefege. 

Geſtern iſt der Vermahnungsbefehl er⸗ 
gangen, welcher eine bloß buͤrgerliche Hand⸗ 


lung if. Wer nur zoͤgern würde, das u. 


melden, mag er. gefehen, würde fich mit einem 
haͤßlichen Schandflecke bedecken. Durd) dieſes 
Mittel ift der Moͤrder fo gleich entdecket twor- 
den. Nur ein Verbrecher, der mit dem La⸗ 
ſter feit langer Zeit befannt iſt, kann mit 
kaltem Blute eineThat läugnen, die er bes 
gangen, und diefe Art von Ungeheuern, von 
der unfer Volk gereiniget ift, erwecket in 
ung bloß in der Gefchichte der letzten Jahr⸗ 
hunderte ein Schaudern. 
Kommt, laufet mit mir nach der Stim⸗ 
me der Gerechtigkeit, die alles Volk zu Zeu⸗ 
gen ührer furchtbaren Gerichte herbeyruft. 
Dieß iſt der Tag ihres Triumphs und fo 
traurig er auch iſt, fo koͤnnen wir doch nicht 


z. 


mm) 108 ( id 
anders als ihm Beyfall geben. Ihr wer⸗ 
det nicht einen Unglücklichen, der feit ſechs 
Monaten in finftern Kerfern gefchmachtet, 
die Augen vom Lichte ‚ber Sonne geblen-- 
det, die Scheine von einer vorläufigen und 
in der Finfllnig 2 vollgogenen Marter, die 
weit fehrecklicher iſt, ald die er noch erbuls . 
ten ſoll, zermalmet, fcheußlich und mit dem 
Toderingend, einem, auf einem kleinen Plage 
errichteten Schaffote fich nähern fehen. Zu 
Eurer Zeit wurde der Verbrecher, dem mar 
unter dem Geheimniffe verfchloffener Thuͤ⸗ 
ren und Fenſter verurtheilet, in der Stil 


2) Wehe dem Staate, der die Strafgeſetze zu 
verfeinern ſucht. Iſt der Tod nicht genug, und 
ſollte man wohl glauben, daß der Menſch noch ſei⸗ 
ne Schrecken zu vermehren ſuchet? Was if eine 
Magiftrateperfon, die mit Folsem fragt, und nach 


‚Gefallen einen Elenden unter dem langfamen und. 


fiufenweifen Zortgange der ſchrecklichſten Schmers 
zen zerreißt? die, ſinnreich in Duaalen, den Tod 
urücke weiſt, wenn er fanft und liebreich ſich naͤ⸗ 
bert, das Dpfer zu befreyen? Hier empörer ſich das 
menfchliche Herz. Aber wenn man noch mehr.von 
der Unnuͤtzlichkeit der Marter überzeugt ſeyn will, 
fo lefe man die vortrefliche Abhandlung über die 
Verbrechen und Strafen. Ich biete dem Trotz, 
der etwas gründliches zum Beſten dieſes berhari⸗ 

ſchen Geſetzes darauf antworten kaun. Die 


HI ) 109 ( nk 


le der Nacht, vor der Thuͤre des fchlafenden 
Bürgers geräbert,.ber von bem Eläglichen 
Gefchreye des Leidenden mit Schrecken ers 
wachte, ungewiß, ob.der Unglücliche unter 
dem Schwerdte des Henferg, oder unter dem 
Eifen. eines. Morders fiel! Wir haben nicht 
mehr folche Duaalen, tiber die fich die Nas 
fur entfeßt: wir verehren die Menfchheit 
felbft in benjenigen , die fie verlegt haben. 
zu Eurer Zeit fchien e8, als ob man bloß 
die. Abficht habe, einen Menfchen umzubrin⸗ 
gen, fo fehr hatten Eure tragifchen Auftritte, 
die mit Faltem Blute vervielfältiget wurden, 
ihre nachdrucksvolle Stärfe verloren, fo ab» 
fcheufich fie auch waren. - 

Weit gefehlt, daß der Mifeethaͤter auf 
eine Art hingeſchleift wird, die der Gerech⸗ 
tigkeit ein niedriges und unedles Anſehen 
giebt! nein, er wird nicht einmal gebunden. 
Ah! warum ſollen ſeine Haͤnde mit Feſſeln 
belaſtet werden, da er ſich willig dem Tode 
darſtellet? Die Gerechtigkeit hat zwar das 
Recht ihm das Leben abzuſprechen, aber nicht 
das Recht, ihm das Zeichen der Sklaverey 
aufzudruͤcken. Ihr werdet ihn frey, von 
einigen Soldaten begleitet, herbeykommen 
ſehen, die bloß geſetzt ſind, um das Volk in 


ie) 110 ( re 


Ordnung zu erhalten. Man fürchtet nicht, 
daß er fich zum zweytenmale fchuldig machen 
werde, indem er der fchreclichen Stimme, 
die ihn ruft, follte Ju entgehen fuchen. Und . 
wo wollte er binfliehen? welches Land, wel⸗ 
ches Volk wird einen Todtſchlaͤger in ſeinem 
Schooß aufnehmen 3)? Und er, wie fann er 
das ſchreckliche Zeichen, das eine göttliche 
“Hand ber GStirne eines Moͤrders eindrückt, 
‚ vertilgen? Der Sturm des Gewiſſens malet 
fi) darauf in fichtbaren Charafteren; und 
Das Auge zum Anblicke der Tugend gewoͤh⸗ 
net, wuͤrde ohne Mühe die Phyſionomie bes 
Verbrechens unterfcheiden. Wie fol: end: 
. lich der Unglückliche frey unter ber ungeheu: 
ren Laſt, die fein Herz drücket, athmen? 


3) Manfagt: Europa iſt gefittet; und ein Menſch, 
der einen Mord in Paris begangen, oder einen bes 
srügerifchen Bankerot gemacht, Rüchtet ſich nach 
London, Madrit, Liſſabon, Wien, wo er rubig der 
Fruͤchte feiner Miffethat genießt. Sollte man nicht 
mitten unter fo viel läppifchen Traetaten, einen Vers 
gleich machen, daß ein Moͤrder nirgends eine Frey⸗ 
ſtatt finden ſolle? Sind nicht alle Etaaten und alle 
Menfchen dabey intereßiret, einen Mörder zu vers 
’ folgen? Uber die Monarchen werden eher über die 
Ausrostung der Jeſuiten einig. 


BI) 11 ( erie 

Wir famen.an einem weiten Plaß, der 
die Stufen des Tempels’ der Gerechtigkeit 
umgab. Sorne, dem Verhoͤrſaale gegen über 
breitete fich eine lange Reihe erhabener Site 
aus. Auf diefer Gattung von Amphiteater 
verfammelte ſich der Rath bey sffentlichen 
Angelegenheiten in Gegenwart des Volke: 
man machte ſich ein Vergnügen daraus, 
Dinge, die für das Vaterland von großer 
Wichtigfeit waren, unter feinen Augen zu 
behandeln. Die Menge der verfammelten 
Bürger flößte ihnen Gedanken ein, die ber 
hohen Sache, welche man ihren Händen 
anvertrauet, würdig waren. Der Tod eis 
nes Menfchen war ein Unglück für den Staat, 
Die Richter ermangelten nicht, diefem Ges 
richte die ganze Zuräftung, die ganze Wich⸗ 
tigkeit zu geben, Die e8 verdiente. Die Ord⸗ 
nung der Advocaten war auf der einen Sei⸗ 
te bereit für den Unfchuldigen zu fprechen, 
oder für den Schuldigen zu fehtweigen. Auf 
der andern rufte der Prälat, von ben Geiſt⸗ 
lichen begleitet, mit entblößtem Haupte, den 
Gott der Barmhersigfeit im Stillen an, und 
erbaute das Volk, dag fich in Menge auf dem 
Plate überall umher ausgebreitet hatte ©. 


| 4). Unfere Juſtij flöget nicht Schrecken, ſondern 
Eckel ein. IR in der Weit ein gehäßiger und wi. 


Sm) 112 ( uni 


' Der Mifferhäter erfchien. Er gina mit 
einem blutigen Hemde befleide. Er fchlug 


driges Schaufriel, fo ik es dieß einen Menfchen 
feinen eimeefakten Hut abnehmen, feinen Degen 
auf das Schaffot legen, in emem fcıdenen oder 
mit Golde befenten Kleide, die Leiter binaufs 
feigen, md ibn dann unanſtaͤndig auf dem Uus 
glüdlichen bernnihüpien zu fehen, den er crwürget. 
Warum giebt man nicht einem Scharftichter den 
fuͤrchterlichen Anbli, den er haben must Was 
beißt dieſe fühltofe Wildheit? Die Geſetze verlies 
gen ihre Würde und die Strafe ihre Schreden. 
Der Richter it noch flärker gepudert, ald Der Hen⸗ 
fer. Soll ih bier den Eindruck anklagen, den es 
auf mich gemacht bat? Ich habe gebebt, nicht über 
Das Verbrechen des Miftethäters, fondern über die 
ſchreckliche Kaltblütigkeit aller derer, die ihn ums 
gaben. Bloß der edle Mann, der den Ungluͤckli⸗ 
hen mit dem hoͤchſten Wefen ausfohnte, der ihm 
den Kelch des Todes trinken half, diefer war es 
allein, der mir noch ein Gefuͤhl der Menfchlichfeit 
beyinbehalten ‚fchien. Wollen“ wir. denn nichts 
thun, als Menfchen toͤdten? Verſtehen wir denn 
nicht die Kunft die Einbildungsfraft gu erſchuͤttern, 
ohne der Menfchlichfeit Gemalt anzuthun? Lernet 
doch endlich, Teihtfinnige und graufame Menichen, 
lernet Richter feyn: lernet dem Verbrechen zuvor: 
kommen: vereiniget das, mas man den Gefegen 
nnd dem Menſchen fchuldig iſt. Ich babe nicht 
Erärfe genug, bier von dem ausgefuchten Mars 
tern zu reden, mit denen man einige Verbrecher 
beleget, die man, fo zu fagen, für eine privilegirte 


) 13 (ie 


fich die Bruft mit allen Zeichen einer 'auf 
richtigen Neue. Seine Stirne verrieth nicht 
jene erfchrecfliche Niedergefchlagenheit, bie 
einem Menfchen nicht ziemet, welcher müß 
zu ſterben wiſſen, fo bald er flerben muß; 
und hauptfächlich; wenn er den Tob verhie- 
net hat. Man ließ ihn bey einer Art von 
Kefich vorbeygehen, worinnen man, wie mir 
gefagt wurde, den Leichnam des Ermorbes 
ten ausgeftellet hatte. Man führte ihn au 
die Gitter, und biefer Anblick erregte in 
feinem Herzen eine fo heftige Gewiſſensangſt, 
daß man ihm erlaubte, fich weg zu begeben. 
Er nahte fich feinen Nichtern : aber er beug« 
te ein Knie zur Erden, bloß um das heilige - 
Buch des Geſetzes zu Füffen. Alsdann oͤff⸗ 
nete man e8, und las mit lauter Stim⸗ 
me den Artikel ab, der die Todefchläger bes 
teifft: man legte es ihm vor die Augen, ba» 
mit er es ſelbſt las. Er fiel zum zweytenmale 
auf feine Knie, und befannte fich fchulbig. 
Todeshrafe aufbewahret hat. O welch eine 
Schande für mein Vaterland! Die Augen desjenis 
gen Geſchlechts, die für das Mitleid gemacht 1m 
ſeyn fchienen, waren diejenigen, die am laͤugſten 
auf dieſer abfcheulihen Eeene verweilten. Wie 
sollen den Vorhang niederlaffen. Was fol ich des 
nen fagen, die mich nicht verſtehen? 


ze) 114 (re 


Der Berfiser des Raths flieg hierauf auf eine 

- Eftrade, und las fein Berdammungsurthel 
wit einer ftarfen und majeftätifchen Stimme 
ab. Alle Rashsherren ſowohl als Advoca⸗ 
sen, ‚welche fiunden, feßten fich hierauf und 
erklärten, daß feiner unter ihnen feine Ver⸗ 
theidigung übernähme. 

Nachdem ber Borfiger des Raths mir 
Lefen fertig war, reichte er dem Miffethäter 
die Hand, und würdigte ihn zu erheben, in- 
dem er zu ihm fagte: es ift Euch nun nichts 

. übrig, als ftandhaft zu fterben, um Verge⸗ 
bung bey Gott und Menfchen zu erhalten. 
Wir haffen Euch nicht: wir beflagen Euch, 

und Euer Andenken wirb bey ung nicht vers 
äbfcheuet werben. Gehorchet willig dem 
Geſetze und verehret feine heilſame Strenge, 
Sehet unfere Thränen fließen; fie find Euch 
ein ficherer Beweis, daß die Liebe diejenige 
Empfindung ſeyn wird, der fich unfere Her- 
zen überlaffen werben, fo bald die Gerech- 
tigkeit ihr trauriges Amt wird vollzogen has 
ben. Der Tod -ift minder ſchrecklich, als 
Bie Schande. Leidet den einen, um Euch 
der andern zu entziehen. Roch ſteht Euch 
die Wahl frey. Wollet Ihr leben, fü lebet; 
aber in der Schande und mit Euren eignen 


me ) 115 ( 


Vorwuͤrfen belaſtet. Ihr werdet dieſe Son⸗ 
ne ſehen, die Euch mit jedem Tage ankla⸗ 
gen wird, daß Ihr einen Eurer Mitgefchb- 
pfe ihres füßen und glänzenden Lichtes be⸗ 
raubet habt. Aber fiefann Euch nidyr anders 
als aͤußerſt verhaßt ſeyn, denn in unfer- aller 
Blicken, fo viel unfer find, werdet Ihr bie 
Verachtung lefen, bie wir gegen einen Moͤrder 
haben. Ueberall wird Euch die Laft Eurer de 
wiſſensunruhe und eine ewige Echande beglei⸗ 
ten, daR Ihr Euch dem gerechten Gefeße ent⸗ 
zogen habt, welches Euch verdammet. Sehd 
billig gegen die Sefellfchaft, und richter Euch 
ſelbſt 5. 


5) Diejenigen, die eine Stelle bealeiten, welche 
ihnen eine gewiſſe Gewalt über die Menſchen giebt, 
ſollten mis Furcht und Zittern Ihren Charakter zu 
behaupten (adden. Sie follten alle ſtrafbare Men⸗ 
(chen anfehen, als Ungluͤckliche, die mehr oder mes 
niger wahnwitzig find. Der Menfch alfo, der fels 
ve Gewalt über fie ausübt, follte aliegeit in ſeinem 
Herzen fühlen, daß er dieſe Gewalt über feine Mit⸗ 
serchörfe ausübt, daß, und unbekannte Urfachen. fig 
auf diefe ungluͤckliche Wege verleitet haben. Dep 
ſtrenge Richter muß, wenn er das Verdammungs⸗ 
urtbeil mit Majeſtaͤt ausipricht, feufsen, daB er 
den Verbrecher der Strafe nicht entziehen Bann. 
Das Verbrechen durch die ardite Zuruͤſtung der 
Gerechtigkeit. verabfcbenungsrsürdig gu machen ſu⸗ 


92 


Be ), 116 ( are 


. Det Berbrecher gab mit feinen Haupte 
ein Zeichen, mit welchem er zu verſtehen gabr 
daß er ſich des Todes. ſchuldig hielt ©. Er 
bereitete ſich Hierauf, ihn mie Muth und ſelbſt 
mit Auſtand zu erbulten, welches in dieſem 
Augenblicke ..dver ſchoͤnſte Character, der. 
Menſchlichkeit iſt 7). Er wurde bierauf 
nicht mehr als ein Werbrecher - hebandelf-. 
Die Geiftlichen kamen und fihloffen ei⸗ 
nen Kreis um ihn. . Der Drälat gab ihm ben 
Kuß des Friedens, und bekleidete ihn mit 
einem meißen Rocke, einem Sinnbilde feiner. 
Ausführung mit den Menfchen, nachdem er 
ihm das blutige Hemde ausgezogen. ‚Stie. 
ne Verwandten und Sreunde liefen auf ihn, 
zu. und. umarmten ihn. Er fchien getroͤſtet, 
indem er ihre Liebfofungen erhielt, und 
&en, insgeheim aber dem Thäter feine Strafe zu 
exleichtern:. dad follen die beyden Pfeiler der firas 
fenden Rechtöklugheit fepn. 

6) Seliges Gewiſſen, ‘gerechter und ſchneller 
Aichter, verlöfche nid in meiner Seele! Lehre mich, 
daß ich den Menſchen nicht die geringſte Beleidis 
gung. zufügen kann, ohne dafür die Wiedervergel⸗ 
tung ‚zu befommen, und dag man fi) feib vers 
wundet, indem man einen andern verwundet. 

7) Ageſtlaus, als er einen Uebelthaͤter die Stra⸗ 
fe fandhaft leiden ſah, fagte: Ab. der boͤſe 
Menſch, die Tugend alſo 3u mißbraudyen ! 


. Ne ) 117 ( Eier 
fich mit dieſen Gewande bekleidet ſah, eintem 
Pfande ber Vergebung, das er von dem Va⸗ 
terlande erhielt. Die Bezeugungen ihre 
Sreundfchaft entfernten von ihm bie Schwes 
den ſeier Ichten Augenblicke. Ihren Um⸗ 
ärmungen überlaffen verlor er das Bild des 
Todes aus dem Gefichte. Der Bräter ni 
berte fith- Hierauf bem Volke und waͤhlte 
dieſen Augenblick, um: eine ſtarke und paͤ⸗ 
thetiſche Rede uͤber die Gefahr der Leidens 
ſchaften zu halten. Sie war ſo ſchoͤn, ſo 
wahr, fb' rährend, daß ſich Bewunderung 
und Schrecken aller Herzen bemeiſterten. 
Jedes faßte den Entſchluß, ſorgfaͤltig bee 
ſich ſelbſt zu wachen, und dieſen Saamen 
der Rache zu erſticken, der wider unfer Wiſ⸗ 
ſen waͤchſet, und bald die unordentlichſen 
Leidenſchaften veranlaſſet. 
Waͤhrend dieſer Zeit uͤberbrachte ein 
Rathsdeputirter dem Monarchen das Ss 
desurtheil, damit er es mit feiner eignen 
Hand unterfehrich. Kein Menſch ann des 
Leben verlieren, ohne den Willen desjem⸗ 
gen, beim die Gewakt des Richtſchwerdtes 
gegeben ift. Diefer gute Vater hätte gern 
einem Ungluͤcklichen das Leben gerettet 9. 
8) Es thut mir leid, daß unſere Könige diefer 
alten und meifen Gewohnheit entlaget haken: fe 


‘ 


mm ) 118 ( ir 


aber er opferte in diefem Augenblicke,die 
liebſten Wuͤnſche feines Herzens: der Noth⸗ 
wendigkeit einer eremplarifchen Gerechtis⸗ 
keit auf. 

Der Deputirte kam zuruͤck. Hierauf fien 
gen die Glocken der Stadt aufs neue ihr 
trauriges Getoͤn an: die Trommeln wieder⸗ 
hoſten ihren aͤngſtlichen Marſch, und dag 
Aechzen eines zaͤhlreichen Volks, dag ſich in 
der Luft mit dem ſchmerzlichen Getoͤſe ver⸗ 
miſchte, ſchien anzukuͤndigen, daß der Stadt 
ein allgemeines Ungluͤck bevorſtuͤnde. Die 
Freunde und Verwandten des Ungluͤcklichen, 
der das Leben verlieren ſollte, gaben ihm 
die letzten Kuͤſſe. Der Praͤlat rufte mit lau⸗ 
fer Stimme bie Barmherzigkeit des höchften 
Weſens ans und das ganze Volk fchrie mit 
Einer Stimme gen Himmel: Großer Gott, 
öffne ibm ‚dein värerliches Herz! Gnaͤdi⸗ 
ger Gott, vergieb ibm, - wie wie ibm 
vergeben! Es war nur Eine laute Stimnie, 
bie den Zorn: des Hoͤchſten zu bejänftigen 
ſchien. 

Man führte ihn mit langſamen Schrit- 
ten, immer von frinen Fremden umringt, 


unterzeichnen fo’ viele Papiere: warum haben fie 
dem herrlichen Rechte ihrer Krone⸗entſaget? 


Se) 19 (in 


Bi zu bem Gitter, wovon ich geredet habe, 
Sechs Füfelier, deren Stirne mit einem Flor 
bedeckt war, näherten fich: der Vorſitzer bes 

Senats gab das Zeichen, indem er bag Ge⸗ 
ſetzbuch erhob: die Gewehre brannten log, 
umd feine Seele eftflob 9). - 

Man bob den Körper bes ungluͤcklichen 
anf. Da durch den Tod feine Schuld voͤllig 
gebäftt war, fo trat er wieder.-in die Claſſe 
der Fürger ein. Sein Name ber ausgeld- 
fihet worden war, wurbe aufs neue in bie 
öffentlichen Megifter unter die Namen ein 
gefragen , bie benfelbigen Tag verfhieben 
waren. Diefes Volk hatte nicht die niebens 
trächtige Grauſamkeit, dag Gedaͤchtniß eines 
Menfchen big ins Grab zu verfolgen, und. 
das Verbrechen eines einzigen eine ganze un, 
fehuldige Samilie bufen zu laſſen 10. Es fand 


9) Sch habe oft über die Frage freiten Bären: 
ob die Perfon des Zenters infam fey? Ich has 
be allezeit gegittert, wenn man für ihn fprach, und 
nie mit denen einig werden Finnen, die ihn in die 
Claſſe mit andern Bürgern wollten gefent wiſſen. 
Vielleicht babe ich Unrecht: aber ich denfe nun fo. 

20) Niedriges und verachtungsmwürdiges Vor⸗ 
urtbeil, das alle Begriffe der Gerechtigkeit aufbebt, 
der Vernunft zuwider, und für ein bödartiges oder 
Dummes Welt gemacht if! 


—) 120 (ri 


keinen Gefallen daran, umſonſt und um nichts 
uhhtzliche Buͤrger zu beſchimpfen und Perfonen 
Angluͤcklich zu machen, um des barbariſchen 
Bergnuͤgens willen, ſie zu erniedrigen. Man 
trug feinen Körper mit den Leichnamen ſei⸗ 
ner Landsleute, die des Tages vorher die 
Schuld der Natur besahlet hatten ,. zum 
ESeheiterhaufen. Seine Verwandten hat 
ten feinen andern. Echmerz zu. befämpfen, 
als den, den ber Verluſt eines Freundes ih⸗ 
ieh einflößete: und. ba noch .denfelbigen 
Mend eine ehrenvolle Etelle, die Zutrauen 
erfoderte, ledig wurde, gab fie der Koͤnig 
dem Brüder des VBerbrechers. Jedes gab 
See Wahl Beyfall, die cin Beweis der 
Billigkeit und Wohlthaͤtigkeit war. 

Ganz geruͤhrt, ganz durchdrungen füg- 
te ich zu meinem Nachbar: O! wie ſehr iſt 
die Menſchlichkeit bey Cuch in Ehren! Der 
Tod eines Buͤrgers iſt ein allgemeines 
Trauern für das Vaterland!: — Darum 
find auch, verſetzte er, unſere Geſetze weiſe 
and menſchlich: fie haben alle mehr die Befe 
ferung, als die Züchtiaung, zur Abficht: und 
das Mittel dag Laſter abzufchrecken, if nicht, 
wenn man bie Strafe gemein, fondern wenn 
mans fie furchtbar machet. Wir tragen Sor- 


u) 121 ( u 

ge, den Verbrechen 'zuvorjufonmen.s.. wir 
haben einſame Oerter, "mo die. Shäter 
Leite um fich haben, ‚die ihnen Reue ein 
floͤßen, nach und nach ihr perhärteteg 
Herz zu erweichen, und finfenmweife den rei- 
hen Vergnügungen der Tugend zu oͤffnen 
füchen, deren Reize auch ber yerderbteſte 
Menſch fühlet. = j 

Sehen wir den Arzt bey dem erften Au» 
falle eines heftigen Fiebers den Kranken dem 
Tode uͤberlaſſen? Warum geht man mit 
denjenigen, bie fich firafdar gemacht haben, 
fich aber beffern koͤnnen, nicht chen fo um? 
Es giebt wenig fo verderbte Herzen, daß fie 
die Beharrlichkeit nicht follte beffern koͤnnen: 
und menig, aber zur rechten Zeit vergoffe: 
mes Blut gründet unfere Ruhe und uns 
fr Shi. | 

Eure Etrafgefeke waren ganz zum Bes 

fien der Reichen gemacht, und ganz auf 
die Echuktern der Armen gelegt. Das Gold 
war ber Gott ber Voͤlker. Befehle und 
Galgen umsingelten alle Befitungen: und 
die Tyranney, mit dem Schwerdte in ber 
Hand, mucherte täglich mit dem Schweiße 
und Blute ded Armen : fie-machte keinen 
Unterfchied unter ber Fuͤchtigung und Ar 


—— 





ten keinen andern Schmerz zu belaͤmpfen, 
ji Ar den ber Berlufß eines Freuudes ih ⸗ 
—J und da noch denſelbigen 
ine chtenbolle Stelle, die Zutrauen 
Ben wurde ⸗ gab fie- der König 
Buche des Verbrechers Jedes gab 
Behfal die cin. Veweisn der 
Er \mb Wohfehäfigkeit Mar. mu 
Yarz gerührt, ganz Pa ſag⸗ 
ei‘ "ir meinem Nachbar: O! wie fehr iſ 
HR ‚bey Euch in, Epren! Der 
€" Bürgers ÄR ‚ein allgemeines 
an für das Waterland! — Darum 
And ‚nich, verfeßte ex, unfere Geſetze weiſe 
und menſchlich fie haben alle mehr die Beſ⸗ 
fing, als HieFächtigung, zur dibficht: und 
has Veittel dag aſter adzufchredten, iſt nicht, 
Kenn man die Strafe gemein, fondern wenn 
man fie furchtbar machet. Wir tragen or⸗ 





\ 


ya) dir (ih 


at, ben Verbrechen nuvotzukommen · "nf 
haben: einſame Dörter, "mo die Tbaͤter 
Leute um ſich haben, ‚Sie ihnen Reue ein⸗ 
floͤßen, nach und nach ihr perhärteegh 
Herz zu. erweichen, und fi ſiuſenweiſe den rei. 
nen Vergnuͤgungen der Tugend zu oͤffnen 
ſuchen, deren Reize auch der gerberbtefte 
Menſch fuͤhlet. 

Sehen wir den Ay bey dem erften Ip 
falle eines heftigen Fiebers den Kranken dem 
Tode überlaffen? Warum geht man mit 
denjenigen, bie fich firafdar gemacht haben, 
fich aber beffern können, nicht cben fo um? 
Es giebt wenig fo verderbte Herzen, daß fie 
die Beharrlichkeit nicht follte beffern koͤnnen: 
und wenig, aber zur rechten Zeit vergoſſe⸗ 
nes Blut gründet unfere Ruhe und un⸗ 
ſer Gluͤck. 

Eure Strafgeſetze waren ganz zum Ve 
ſten der Reichen gemacht, und ganz auf 
die Schultern der Armen gelegt. Das Gold 
war der Gott ber Voͤlker. Befehle und 
Galgen umsingelten alle Befißungen: und 
die Tyranney, mie dem Schwerdfe in ber 
Hand, mucherte täglich mit dem Schweiße 
und Blute des Armen : fie-machte feinen 
Unterſchied unter ber Aöcheigung und ats 


Se) 122 ( u 


wohnte nach und nad) das Volk, auch Fei- 
nen unter ben Verbrechen mehr zu finden: 
fie firafte dag geringſte Vergehen, mie. bad 
groͤbſte Kafter. 

Was erfolgte daraus? Die Menge bie 
fer Geſetze vervielfältigte Die Derbrechen, 
und die Vebertreter wurden fo graufam, ale 
ihre Richter: auf diefe Art zog der Gefeb- 
geber, indem er bie Glieder ber. Gefellfchaft 
vereinigen wollte, die Bande fo heftig zu- 
fammen, daß convulfivifche Bewegungen 
daraus entfiunden. Anſtatt es ihnen zu 
erleichtern, riffen die Bande, und bie fla- 
gende Menfchheit, die ein Gefchrey des 
Schmerzens ausftieß, fah allzufpät, daß bie 
Duaalen der Henfer niemals die Tugend 
einflößen '". 

11) Wenn man die Gültigkeit des Rechts ums 
gerfuchet, welches ſich Die menfchlichen Gefellfchaf- 
gen angemaßet haben, mit dem Tode zu firafen, ſo 
ſchaudert man über den unmerflichen Punkt, der 
die Gerechtigkeit von der Ungerechtigkeit fcheidet. 
Altdann mag die Vernunft Schluß auf Schluß 
häufen; alles Kicht Dienet zu nichts, als und irre zu 
führen. Man muß einzig aufdas natürliche Geſetz 
zuruͤcke kommen, welches weit mehr, als unfere 
Geſetzgebungen, das Leben der Menfchen unter 
einander fchonet: es lehret ung, daf das Necht der 
Diebervergeltung unter allen Geſetzen der Ders 


ame) 123 ( re 
Siebzehntes Kapitel, 
Nicht fo entfernt, als man denkt. 


We beſprachen ung lange Zeit über dieſe 

wichtige Materie: aber da der ernſt⸗ 
bafte Innhalt ung fo fehr einnahm, und un⸗ 
ſer erhitzter Kopf von jener außerft heftigen 


uunft am gemäßeften if. Unter den erft aufwach⸗ 
fenden Regierungen, die noch das Gepraͤge der Nas 
tur haben, ift faft kein einziges Verbrechen, dad 
wit dem Tode beftcafet wird. Im Zalle des 
Mords ik man nicht mehr zweifelhaft: denn die 
Natur fchrent, daß man fid) gegen Mörder waffe 
nen ſolle: aber im Falle des Diebftahls läßt fich die 
Grauſamkeit, die zum Tode verdammt, vollkom⸗ 
men empfinden: es iſt eine ungeheure Beftrafung um 
eine Kleinigkeit, und die Stimme von einer Million 
Menſchen, die Anbeter des Goldes find, kann das 
nicht gültig machen, was jeinem Wefen nach nichts 
it. Man wird fagen: der Dieb hat mit mir eis 
nen Vergleich gemacht, nach welchem er darein 
williget, am Leben geftraft su werden. wenn er mie 
mein Vermögen raudt. Aber niemand hat ein 
Recht, einen ſolchen Vergleich zu fchließen, weil er 
ungerecht, barbarifch und unvernünftig iſt. Uns 
gerecht, weil ihm fein Leben nicht gehoͤret: barba⸗ 
riſch, weil Fein Verhaͤltniß dabey beobachtet if. 
unvernünftig, weil es unendlich weit nüglicher ift, 
dag zween Menſchen leben, als dag einer einiger 


Hz) 124 ( nr 


Empfindung fortgerifien teurde, wo man die 
zum Nachdenken nöthige Gemuͤthsruhe ver- 
Bert, ſo unterbrach ich ihn jähling auf fol- 
gende Art: Ich bitte, faget mir doch, wer 
Bat:die Dberhand, der Moliniſt ober ber 
Janſeniſt? — Mein Gelehrter beantwor- 
tete mir bie Srage mit einem großen Beläch- 
ser. Ich konnte auch nichts andere von 
im herausbringen, Aber, fagte ich noch- 
mals, fo antwortet mir boch, ich bitte Euch, 
Hier waren die Sapuciner, bert bie. Sran- 
efcaner, weiter hin die Karmieliter :: me 
ad: denn alle die Moͤnchskutten mit ihren 
ledernen "Sohlen , ihrem Barte und ihren 
Geiſeln hingekommen? — Wir mäften nicht 
mehr in unſerm Staate eine Menge Auto⸗ 
maten, die fich felbft fo überläftig, als fie eg 
ander; waren, die bag wahnſinnige Geluͤb⸗ 
be shitten, niemals Menfchen zu feyn, und 
alle Gefellfchaft mit denen aufhuben, bie es 
noch waren, Wir haben fie inzwiſchen mehr 
für mitleidens - als tadelnswerth gehalten. 
Da fie von ihrer zarteften Kindheit an zu 


ansfchließenden oder uͤberfluͤßigen Bequemlichkeit, 
mehr genieße. 

Diefe Anmerkung ifi aus dem fehr guten Ro⸗ 
mane, der Prieſter von Wakefield, genommen. 


re) 195 ( ie _ 


einem. Stande verpflichtet wurden, Dem ſte 
nicht-fannten, fo waren es vielmehr: die Eher 
ſetze, welche ſtrafbar waren, indem ſie ih« 
nen erlaubten, blindlings mit einer Serge 
heit zu fchalten,: deren Werth fie. nike 
kannten. 5: Dre 
. Die Mönche, deren prächtige Einfiebes 
leyen mitten im. Tumulte ‚der. Städte lag 
fühlten nach und nach) die Annehmlichkeiten 
der Gefelfchaft und überließen ſich ahrn 
indem fie -einträchtige Brüder, gluͤcklichn 
Väter, ‚zufriedene Samilien ſahen, ſo bea 
dauerten: fie eg, an dieſem Slücke: feine 
Antheil- zu haben : fie feufjten insgeheim 
über. den Augenblick des Irrthums, den ſte 
verleitet, ein weit angenehmer Leben zu gene 
ſchwoͤren; indem fie, wie die Galeereufälen 
ven in den Ketten, einer ben andern Wein 
fluchten, D, fo befchleunigten ſie den Augen⸗ 


1) Ale diefe Klöker, wo die Menſchen auf eine 
ander gepfropfet find, brüten innerliche Seriege 
Es find Schlangen, die sinander im Dunfeln zern 
reißen. Der Mönch iſt ein. kaltes und verdruͤßli⸗ 
ches Thier: die Begierde, in feinem Orden immer 
hoͤher zu flsigen, verzebret ibn : er hat Die game. 
ze Zeit für fich , feinen Wege nachzudenken, und 
fein mehr concentrirter Ebrgeis bat etwas Finſte⸗ 
sed, Dat er einmal das Recht au beſehlen erlangt: 


RB) 126 ( — 

blick, der ihnen die Pforten ihres Gefäng- 
niffes öffnen follte. Er vermeilte nicht lan- 
ge: bag Joch wurde ohne große Folgen 
und Mühe abgefchüttelt, meil die Stunde 
gekommen far. So ſieht man eine reife 
Frucht fich bey der leichteften Erfchätterung 
von feinem Afte Idfen 2. Sie famen hau- 
fenmweife und mit allen Aeußerungen der 
größten Freude heraus, und wurden wie⸗ 
der Menſchen aus Stlaven, bie fie vorher 
Waren. 

Diefe ſtarken SRönche 3), in denen die Se 
ſundheit der erfien Alter der Welt wieder auf- 
zuleben fchien, mit einer feurigen Stirne voll 
Liebe und Freude, heurasheten die girrenden 
Tauben⸗ diefe reinen Jungfrauen ·˖ die fich mehr 
als einmal nach einem Stande gefehnet hat: 
fo iſt er natürlicher Weile hart nad unbarms 
herꝛzig. 

2) In Abſicht der Öffentlichen Verwaltung taugt 
Pein heftiger Stoß! nichts iR gefährlich: die Zeit 
und die Vernunft wirken die größten Veraͤnde⸗ 
Fungen, und druͤcken ein unverletzliches Siegel dar⸗ 


auf. 

3) Als Luther mit feiner gewaltigen Beredſam⸗ 
keit auf die Kloſtergeluͤbde donnerte, behauptete 
vr, daß ed eben fo unmöglich fen, das Geſetz der Ent⸗ 
haltfamteit zu endlch, als fich ein ander Berge 
38 geben. 2, 


[4 


Sa>-,) 127 ( En 


ten,ber ein bischen meniger heilig und weit ans 
genehmer ift 4. Sie erfüllten die Pflichteit 


4 Welch ein graufamer Aberglaube feffelt in eis 
nem beiligen Gefängniffe fo viele junge Schönheiten, 
Die alled enter, das ihrem Geſchlechte erlaubt if, vers 
ratben, ein Seuer, welches eine ewige Einkerferung, 
bis auf den Kampf, den fie fich ſelbſt Itefern muͤſſen, 
verdoppelt. Um alle die Quaalen eines Herzens, das - 
ſich ſelbſt verzehret, zu fühlen, müßte man an ih⸗ 
rer Stelle ſeyn. Furchtſam, einbilderifhy, hinters 
gangen, durch einen prächtigen Enthufiasmns bes 
täubt, bat diefes junge Mägdchen lange geglaubt; 
bag die Religion und ihr Gott alle ihre Gedanken 
einnaͤhmen: mitten unter den Entzückungen ihres 
Eifers, werdet die Natur in ihrem Herzen eine une 
überwindliche Macht auf, die fie nicht kennet, und 
die fie ihrem gebieterifchen Joche unterwirft. Die⸗ 
fe feurigen Pfeile tragen die Verwuͤſtung in ihre 
Sinne: fie brennet in der:Stille der Einfamkeit ? 
fie Rreitet, aber ihre Standhaftigkeit unterliegt $ 
fie erröthet und begehrt. Sie fieht um fich her, 
und ſieht ſich alleine unter unzerbrechlichen Nie» 
gein: indeflen dag fich ihr ganzes Wefen nad) einem 
eingedildeten ®egenitande kehret, den ihre erhitztg 
Einbildungseraft mit neuen Reiten ſchmückt. Von 
Diefem Augenblicke an Peine Ruhe mehr! Sie war 
zu einer glücklichen Fruchtbarkeit geboren: ein enis 
ges Band hält fie gefangen, und verdammet fie, utls 
glücklich und unfruchtbar su fepn. Nun entdecket 11172 
daß fie von dem Gefege betrogen worden ; daß bad 
Joch/das die Freyheit unterdruͤcket, nicht das Joch eis 
nes guͤtigen Gottes iſt, daß die Religion, die ſie ohme 


SZ) 128 ( uk 


des Hymen mit einer erbaulichen Wärme; 
Ihre feufchen Leiber trugen Kinder, bie eines 
fb ſchoͤnen Bandes würdig waren. Ihre 
glücklichen und nicht weniger ftrahlenreichen 
Männer haften weniger Eifer, fich um die 
Ganonifation einiger von Würmern zerfref 
fenen Gebeine zu bewerben: fie begnügten 
fich alle einmürhig, gute Väter, gute Buͤr⸗ 
ger zu feyn: und ich bin feft überzeugt, daß 
fie nad) ihrem Tode nicht weniger in Him⸗ 
mel kommen werben, ohne daß fie. fich ihr 
Eeben zur He gemacht hatten. 

Es iſt wahr, diefe Verbefferung kam gu 
ihrer Zeit dem Bifchoffe zu Nom ein wenig 
geltfam vor; aber er hatte ſelbſt bald darauf 
fo ernfthafte Dinge für feine eigne Rech—⸗ 
nung abzuthun = - +» — Wen neunet Ihr 
den Bifhoff von Rom! — Den Pabfi, 
nach Eurer Art zu reden: aber mie ich 


Ruͤckfehr gefeſſelt, eine Feindinn der Natur und 
ber Vernunft iſt. Aber mas hilft ihr ibe Sanımer 
und ibre Wehllagen? Ihre Thranen and ıbr 
Schluchzen verlieren fidy in der Nacht des Schwei- 
gend. Das brennende Gift, Das in ihren Adern 
gaͤhret, gerfioret ihre Schönheit, verzehrt ihr Blut 
und befluͤgelt ihre Füße zum Grabe. Da es für fie ein 
Gluͤck if, hinabzuſteigen, fo Öffnet fie ſelbſt den Sarg, 
wo ſie von ihrem Schmerien ausruhen foll, 


— 


Se) 129 ( — 

| um 
Euch ſchon gefagt habe; wir hahen eine 
Menge gothifcher Namen. abgefchafft; , Wir 
wiſſen nicht mehr, was Ganonicate, Bullen; 
Beneficien, Bißthümer. von unermeßlichen 
Einkünften find 5). Man Füßt nicht mehr 
einem Nachfolger eines Apoſtels den Pan—⸗ 
toffel, dem fein Meifter die größten Beyſpielz 
der. Demuth gegeben; und.da eben dieſer 
Apoftel, ſowohl durch fein Exempel, alg 
durch feine Lehre, die Armuth predigte, fig 
haben wir nicht mehr dag reinfte und dem 
Staate nöthigfte Gold für Indulgenzen, mit 
denen diefer ehrliche Zauberer nichtetwenigerg 
als geisig war, dahin geſchickt. Alles dag 
bat ihm anfänglich einigen Verdruß geg 
macht: denn man verliert doch nicht gern 
feine Rechte, wenn fie auch gleich nicht rechte 
mäßig find: aber bald hat er empfunden, 
daß fein wahres Erbtheil der Himmel ſey: 
daß die irdifehen Dinge nicht für fein Reich 


5) Sch kann mich nicht daran gewöhnen, geiftliche 
Fuͤrſten, mit aller verſchwenderiſchen Pracht ums 
ringt, vetächtlih bey öffentlichen Ungluͤcksfaͤllen 
lächeln zu feben, fie von Sitten und Neligion im 
platten Befehlen veden zu hoͤren, welche fie vom 
Kuͤſtern fchreiben laffen, die den gefunden Mes 
ſchenverſtand mit einer drgerlichen Frechheit belele 
digen, 

J 


Sam) 130 (Een 


gehören, und baß endlich bie Güter der Melt 
Eitelkeit. wäsen, wie alles, was unfer ber 
Sonne iſt. 

Die Zeit, deren unſichtbare und leiſe 
Hand die ſtolzeſten Thuͤrme zernichtet, hat 
auch dieß hochmuͤthige und unglaubliche 
Denkmal der menſchlichen Leichtglaͤubigkeit 
untergraben 9. Es iſt ohne Getoͤſe einge⸗ 
ſtuͤrzt: ſeine Staͤrke beſtund in der Meynung: 
die Meynung hat ſich geaͤndert, und das 
Ganze iſt in einen Rauch ausgeduͤnſtet. So 
fieht man nad) einer fuͤrchterlichen Feuers⸗ 
brunſt nichts mehr als eine unmerfliche und 
leichte Duft, wo dag Feuer eine weite Ver⸗ 
wuͤſtung umher angerichtet hatte. 

Ein Fuͤrſt, der zu regieren wuͤrdig iſt, 
beherrſchet dieſen Theil Italiens: und die: 
ſes alte Nom hat wieder Caͤſar geſehen. 
Ich verſtehe durch dieſe Worte einen Titus, 
Marc Aurele, und nicht jene Ungeheuer, die 
ein menschlich Gefichte haften. Dieſes fchd- 


6 Der Mupbti der Türken erſtrecket feine Un: 
fehlbarfeit fo gar bis auf biftorifche Facte. Er 
lieg ſich unter der Kenierung Amuraths einfallen, 
alle diejenigen für Ketzer zu erklären, die nicht glau⸗ 
* wollten, daß der Sultan nach Ungarn gehen 
wuͤrde. 


Ba) 1 


ne Land hat fich wieder erholet, fo bald es 
von‘ biefem müßigen Gewürme gereniget 
worden, bag im Schlamme lebte. Dieß Neich 
behauptet ige feinen Rang, und hat eine leb⸗ 
bafte und redende Phyſtonomie, nachbem es 
ſeit mehr ale ſiebzehnhundert Jahren in U⸗ 
cherliche und aberglaͤubiſche Lumpen einge - 
wickelt geweſen, ihm die Sprache bemnnen 
und den Obem einzwaͤngten. 


Achtzehntes— Kapitel. 
Die Diener des Friedens. 


. . ‘fr 

Fehret fort, reizender Lehrer! biefe Neuss 
 Intion, ſaget Ihr, ift auf bie friedfentig- 
fie und glücklichfte Weiſe vor ſich gegan⸗ 
gen? — Gie iſt das Werk der Philoſophie 
geweſen; fie geht ohne Geräufche gu Werke, 
fie handelt wie die Natur, mit einer bes 
ſto ficherern Stärke, je unmerklicher fe 
ift. — Aber, ich babe Euch doch vielerley 
Schwürigfeiten vorzutragen. Eine Religion 
muß feyn. — Ohne Zweifel, verfeßte er 
mit Entzäcden. Ach! mo kann ein Sterb⸗ 
licher fo undanfbar ſeyn, daß er mitten ums 
ter den Wunbern ber Schöpfung, unter bem 
glänzenden Gewölbe des Firmaments, ſtumm 

J 2 


az) 152 ( rk 

bleiben ſvllte? Wir Beten das höchfte We⸗ 
fer ans aber der Dienft, den man ihm -Iei- 
ftet, verurſachet Feine Unruhen, feine Zaͤn⸗ 
kereyen mehr. Wir Gaben menig geiftliche 
Hirten: fie find weiſe, einfichtsvoll, verttäg- 
lich, Fe kennen £einen Partheygeiſt mehr, 
and find deſto geliebter, deſto geehrter: ihr 
‚ganzer Ruhm iſt, reine Hände zu dem Thro: 
ne des Vaters der Menfchen gu erheben : fie 
tieben fie alle, als Nachahmer eines güti- 
gen Gottese der Geiſt des Friedens und der 
Eintracht beſeelt ihre Handlungen, fo fehr 
als ihre Reden; auch find fie, tie ich fchon 
gefagt;' burchgaͤngig geliebt. Wir. haben 
einen fromnien Praͤlaten, der mit feinen Pa⸗ 
fioren wie mit feineß gleichen, wie mit feis 
nen Brüdern, lebt. 

Por’ dem viersigften jahre gelangt nie⸗ 
mand zu dieſen Stellen: denn um dieſe Zeit 
fangen erſt die heftigſten Leidenſchaften an 
ſich zu legen, und die ſo langſame Vernunft 
in dem Menſchen ihren friedlichen Zepter zu 
führen Ihr exemplariſches Leben zeiget 
den hoͤchſten Grad der menſchlichen Tugend. 
Sie ſind es, die den Niedergeſchlagenen troͤ⸗ 
ſten, die dem Elenden einen guͤtigen Gott 
zeigen, der uͤber ſie wachet und ihren Kampf 


2m) 133 (u | 


bemerkt, um fie einfteng zu belohnen. ‚Sie 
ſuchen die Dürftigkeit,: die fich unter. dem 
Mantel der Schaan verbirgt, auf, und leis 
ſten ihr Beyſtand, ohne fie roch zu machen, 
Sie fühnen feindfelige Gemüther aus, ie 
dem- ſie ihnen Worte der Sanftmuth und 
des Friedens vorhalten. Die hartnädig« 
ſten Feinde umarmen einander in ihrer Gen 
genwart, und: in ihren geruͤhrten Herzen ver⸗ 
fehließen fih ihre Wunden. Endlich erfüh 
ten fie alle Pflichten der Menfchen, .die im 
Namen bes Ewigen ze reden fich wagen: . 
— Wie fehr liebe ich diefe Geiftlichen, 
verfeßte ich: Aber Habt Ihr denn feine folche 
Leute unser Euch, die ganz befonders; be⸗ 
beſtimmt find, "zu: allen Stunden des 
Tages Gefänge, Pfalmen und Hymnen: durch 
die Naſe Herzubrummen? Keinen, der die Ca⸗ 
nonifation füchet ? Was ift aus dieſer gen 
worden? Wo find Eure Heiligen? — Ins 
fere Heiligen! hr mennet ohne Zweifel dies 
jenigen, die auf einen hoͤhern Grad der Voll⸗ 
kommenheit Anſpruch machen, bie fich über 
die menfchliche Schtwachheit erheben? Ja, 
wir haben folche himmliſchgeſtunte Männer: 
aber hr werdet mir. leicht glauben, daß fie 
nicht ein finfteres und einfames Leben fuͤh⸗ 


ae) 134 ( nk 


ren: daß fie fich nicht ein Verdienft daraus 
machen, zu faften, ein elendes Latein herzu⸗ 
plerren und ſtumm und dumm ihr Lebelang 
zu bleiben : fie geigen die Stärfe und Stand⸗ 
baftigkeit ihrer Seelen in vollem Lichte, 
Wiſſet alſo, daß fie ſich freymillig allen 
ſchweren Arbeiten unterziehen, vor denen 
bie übrigen Menfchen zurückbeben : fie glau⸗ 
ben, daß gute Werke dem lieben Gott ange. 
nehmer find, als Opfer. 

Koͤmmt e8 zum Erempel darauf an, Fr 
den fchmerften, ben unangenehmften, den ge- 
faͤhrlichſten Gefchäfften zu überlaffen, als 
mitten in eine Fenersbrunft auf glühender 
Aſche zugehen, fich ine Waffer zu flürgen, 
im einem Unglücklichen das Leben zu ret- 
un, uf. w. fo erfüllen fie dieſe edelmuͤ⸗ 
thigen Dflichten bes allgemeinen Beften mit ei- 
nem thaͤtigen Muche, durch ven großen und 
erhabenen Gedanken ſich müßlich zu machen, 
und bie Empfindimgen des Schmerzens ih⸗ 
von Mitbürgern zu erfparen. Sie machen 
fich dieſe Befchäfftigungen mit fo viel mehr 
Sreude und Vergnügen zur Pflicht, als ob 
e8 bie füßeften, die angenehmſten, wären: 
fie thun alles aus Menfchenliebe, alles fürs 
Baterland, ımb niemals etwas für fich. 


ame) 135 (a . 


Einige fißen angebefftee an ben Betten dep 
Kranken und warten fie mit ihren eignen 
Händen: fie fcheinen Eflaven; bie ein Th⸗ 
rann in «in eifernes Joch gebeut. Aber 
diefe menfchenliebenden Seelen haben bloß 
zur Abſicht dem Ewigen dadurch zu gefallen 
daß fie ihrem Naͤchſten dienen: von ihm er. 
warten fie den Lohn: denn die Aufopferung 
der Freuden dieſer Welt gründet fich auf eis’ 
nen mwefentlichen Nugen und nicht auf einen 
bigotten Eigenſinn. 

Ich brauche Euch wohl nicht zu fagen, 
daß unſere Ehrerbietung ihnen ſowohl durch 
ihe ganzes Leben als aud) nad) ihrem Tode 
folget: und da unfere lebhaftere Erfänntlich« 
feit nicht zureichen würde, fo überlaffen wir 
e8 dem Urheber alles Guten, diefe unermeß⸗ 
ne Schuld zu bezahlen, in der gewiſſen Ue⸗ 
berzeugung, daß er es allein if, der dag 
richtige Maag verdienter Belohnungen kennt. 

Dieß find die Helligen, die wir verehren, 
ohne etwas anders zu glauben, als daß fie 
die menfchliche Natur, deren. Ehre fie find, 
sollfommner gemachte haben. Sie thun 
feine andern Wunder, als die ich Euch ge. 
fagt habe. Die Märtyrer des Chriften- 
thums haften ganz-gewiß ihre große Würde. 


rn) 16 Cu 


Es wor ohne Zweifel ſchon, Tyhrannen ‚der 
Seele Tratz gu: bieten. den ſchrecklichſten Tod 
eher zu erdulten, als bie Wahrheit zu verlaͤug⸗ 
nen, die man mit Verſtand und Herzen an⸗ 
genommen hats aber esliſt eben ſo groß, ein 
ganzes: Kehen immer neuen beſchwerlichen 
und. felbft »Enechtifchen Werfen zu widmen, 
ſich zu heßaͤndigen Wohlchätern der gefränf: 
tan und klagenden Menfehlichkeit zu machen; 
ale Throaͤnen, die fließen 2), zu trocknen, bie 
Vergießung eines einzigen. Tropfen Blutes 
zu ‚hindern, ihm: zuvor. zu kommen. . Diefe 


“r 3y Ohr Parlamentorath hatte im letzten Jahr⸗ 
hunderte fein ganzes Vermögen den Armen geges 
bey. Daeg nichts mehr hatte, fo bettelte er uͤder⸗ 
all für fi fie. Einſt begegnet er einem Generalpach⸗ 

tet auf der Straße, hängt ſich an, und verfolgef 
ihn; mit den Worten: Etwas für meine Armen: 
Erwas für meine Armen! Der Generalpachter 
widerſetzt ſich ihm, und antwortet in der gewoͤhn⸗ 
Uichen Formel: Ich kann nichts für fie thun, 
“mein Zerr; ich kann nichts chun. Der Kath 
1äft Ihm nicht fort, predigt ihm ver, dringt in ihn, 
verfolgt ſhn bis im fein Hotel, ſteigt ihm nach in 
fein Zimmer, fängt Immer an von neuem zu bitten, 
treibt ihn bis in ſein Sabinet, immer für feine Are 
men flebend. Der Millionen reiche brutale Geiz⸗ 
bald giebt ihm endlich, voller Ungeduld, eine Ohr⸗ 
feige. Nun wohl! verfent der Rath, dr babe 
Ye sone für nich und meine Armin“ 


OD) 137 (RE 


anßerordentlichen Menſchen ſtellen ihre &> 
bensaͤrt nicht als Muſter dar denen Mais 
folgen muͤſſe: He ruͤhmen ch nirht ihre 
Heldenmuthes:s fie: erniedrigen: fidy! niit: 
um die oͤffentliche Ehrerbierung auffichrye 
ziehen: vornämlich tadeln fie nicht die Feh⸗ 
ler ihres Naͤchſten: vielmehr find’ fie auf 
merffam, ihnen ein fanftes und gemaͤchliches 
Leben: zu verfchaffen, eine Frucht ihrer un⸗ 
zählbaren Sorgen. Wenn diefe edlen Sees 
Jene fich wieder mit dem ewigen Weſen verei⸗ 
niget haben, von dem fie ihren: Urſprung 
erhalten, fo, fchließen wir ihre Leichname nicht 
in ein noch fehlechter Metall ein: wir: ſchrei⸗ 
ben ihre Lebensgefchichte und: füchen fie 
nachzuahmen, wenigſtens in einzelnen Din⸗ 
gen — Je weiter ich gehe, deſto unerwarteg 
tere Veränderungen entdecke ich. — Ihe 
werdet noch viele andere ſehen! Wenn nicht 
zwanzigFedern eben dieſelbe Sache begeugten, 
fo würde ich gewiß die Geſchichte Ejres Jahr⸗ 
hunderts in Zweifel ziehen. Wie! die Dienge 
des Altars waren unruhige Köpfe, Nottie, 
rer, intolerante Menfchen? Elende Würmer 
verfolgten und haften einander während 
dem Raum ihres kurzen Lebens, weil fie nicht 
einerley, oft über eitle Spitzfuͤndigkeiten und 


Som) 138 (Zur 


unbegreifliche Dinge, dachten ?. ſchwache Ge⸗ 
ſchoͤpfe hatten Die Vermeſſenheit, die Abfich« 
ten des Allmächtigen errathen zu wollen, in 
dem fie diefelben mit bem Stempel ihrer fin: 
difchen, ſtolzen und thorichten keidenſchaſten 
bezeichneten? 

Ich habe geleſen, daß diejenigen, die am 
wenigſten Liebe des Naͤchſten, und mithin 
am wenigſten Religion beſaßen, eben dieje⸗ 
nigen waren, bie fie andern predigten: daß 
man ein ordentlich Handwerk daraus mach⸗ 
te, Gott anzurufen: daß die Zahl bererfent« 
gen, bie ben einträglichen Roc, das Pfand 
einer unthätigen Saulheit, trugen , fich auf 
eine ganz unglaubliche Art vervielfälfiget hate 
fe: kurz, daß fie in einem Äärgerlichen Coli⸗ 
bate lebten 2). Man febt hinzu, daß Eum 
Kirchen den Marfeplägen glichen, daß Auge 
and Nafe auf gleiche Weife beleidiget wur⸗ 
den, daß Eure Ceremonien mehr gemacht 
waren, zu zerfireuen, als die Seele zu Sort 
zu erheben - » - Aber ich hoͤre die heilige 
Trompete; die durch ihre erbaulichen Tone 


2) Was für ein Verderben für den Staat, eine 
sahlreiche Geiftlichkeit, die oͤffentliche Gelübde 
thut, fich mit keiner Fran, als der Grau eines an⸗ 
dern einzulafien. 


| 
3a) 139 ( eerke 


bie Stunde. des: Gebets ankuͤndigt. Kom⸗ 
met, lernet unſere Religion: kennen, lernet 
in dem benachbarten Tempel dem Schöpfer 
danffagen, daf Ihr kine Sonne habt ſehen 
aufgehen. 2 2 

Neunzehntes Kapiiel. 
Der Tempel. 


Wie giengen um die E de einer. ‚Straße, 
und ich fahe in der. Mitte eineg 
fchönen Plages einen Tempel in der Ger 
ſtalt einer Rotunde mit einem prächtigen 
Dome gekrönt, Dieß Gebaͤude, dag von 
einer einzigen Neihe Säulen gehalten wur⸗ 
de, hatte vier große Thuͤren. Auf jedem 
Fronton las man die Aufſchrift: der Tempel 
Gottes. Die Zeit hatte ſchon feine Mauern 
mit einer ehrwuͤrdigen Farbe überzogen und 
er erhielt dadurch ein noch ‚majefiätifcher 
Anfehen. Wie groß war mein Erffaunen, 
als wir an die Ihüre des Tempels kamen, 
und ich auf einer Tafel die vier Zeilen las: 
Kaßt uns nicht über diefes böchfte Yes 
fen entfcheiden, 
Sondern ein tiefes Stillefchweigen ber 
obschten und ihn anbeten; 


U 
m) 140 (Eur 
Seine Tatur ift unermeßlich und unfes 


Geiſt verliert fich darinnen, 
Am zu wiflen, was er iſt, muß man Be 
LE 4 ſelbſt ſeyn. 


M was das anbetrifft, ſagte ich mit lei— 
fer Stimme, fo koͤnnet Ihr wohl nicht fagenr 
Daß biefe Zeilen von Eurer Zeit = = = deſto we⸗ 
niger Ehre, erwiederte er, ift es für die Eu⸗ 
rige: denn Eure Gottesgelehrten follten hier 
ben ftehen bleiben. Uber biefe Antwort, die 
Gore felbft eingegeben zu haben fcheint, iſt 
unter anbern Verſen verfteckt geblieben, von 
denen man nicht viel Werks machfe. In⸗ 
deſſen weiß ich doch nicht, ob eg, dem Sinne 
nach, den fie einfchließen, ſchoͤnere geben 
koͤnne, und fie fcheinen mir bier am rech⸗ 
ten Drte gu flehen. 

Mir folgten dem Wolfe, welches mit eis 
ner geſetzten Miene, mit einem befcheidenen 
und ruhigen Schritte den Tempel anfüllte. 
Jedes feste fich auf Reihen von Stühlen 
ohne Lehne, und die Männer waren von 
Meibern abgefondert. Der Altar war im 
der Mitte: er war von allem Schmucke frey, 
und jedes fonnte ben Priefter fehen, der den 
Weyhrauch brennen lich. In dem Augen: 
Blicke, wo feine Stimme die heiligen Gefänge 


t 


27) UI (ek 

erhob, ftimmte bag Chor mechfelgweife die 
feinigen an. Ihr fanfter und ‚gemäßigter 
Gefang drückte die ehrerbietige Empfindung 
ihres Herzens aus: fie fihienen von der 
goͤttlichen Majeftät durchdrungen. Keine 
Bildfäulen, keine allegorifchen Figuren, kei⸗ 
ne Gemälde »).. Der heilige Name Gottes, 
der taufenbmal wiederholet und in. vielen 
Sprachen gegeichnet war, bedeckte alle Maus 
ern. Alles Fündigte einen einigen Gott an 
und man hatte forgfaltig allen fremben Zier⸗ 
rath verbannt: Gott allein war endlich i Ih 
feinem Tempel. 

Mennyman ‚die Augen zum Tempel em⸗ 
por hob, ſah man den freyen Himmel; denn 
ber Dom war nicht durch cin ſteinern Ge 
woͤlbe gefchloffen, fondern mit durchſichtigen 
großen Scheiben. Bald fündigte ein. reiner 
und heitrer Himmel die Güte des: Schöpferg 
an: bald fchilderten finftre Wolfen, die fich 
in Strohmen ergoffen, die Sinfterniß des 
Lebens an, und erklärten, daß dieſe traurige 
Erde bloß ein Drt des Elendg fey: dei Don⸗ 

ı) Die Protehanten haben Recht. Alle diefe 
menſchlichen Werke machen dag Volk zur Abgöttes 
ren geneigt. Um einen unfichtbaren und gegen 
wärtigen Gott anzufündigen, muß ein Tempei ſeyn, 
wo niemand iſt, als er. 


Se) 142 ( ei 


ner prebigte, wie fürchterlich" dieſer Gott 
fen, wenn er beleidiget wirb: und die wieder 
ruhige Luft, die den entflammten Blitzen 
folgte, daß eine reuige Demuͤthigung 'fel 
ne rächende Hand entwaffnet. Wann 
der Hauch bes Fruͤhlings, bie 'reine Luft 
des Lebens, wie einen balfamifchen Strohm 
herabträufeln ieh, fo drückte dieß bie 
beilfame und troftliche Wahrheit ein, daß 
bie Schäße ber göttlichen Guͤte uner⸗ 
fhöpflih find. So fprachen: die Elemente 
und die Jahrsseiten, deren Stimme für den⸗ 
jenigen fo beredt ift, der fie verfteht, zu bier 
fen empfindlichen Menfchen, und entbechten 
ihnen den Herrn ber Natur in allen feinen 
Besiehungen 2). 

Man hörte nicht mißflingende Tine, 
Selbft Die Stimme der Kinder war zu einem . 
holen majeftätifchen Geſange gebildet. Kei⸗ 
ne hinfende und profane Muſik. Ein blof 
feg Spiel der Orgel, (das aber nicht rau. 
fehend war,) bealcitete die Stimme dieſes 

2), Fin Wilder, der in Wäldern irret, den Him⸗ 
Mel und die Natur berrachtet, und, fo zu ſagen, 
den einzigen Herm,. den er kennt, fühlet, iſt der 
wahren Religion ndher, als ein Tarthäufer, der im 
feiner Clauſe feet, und fich mit. den Phantomen 
einer erbigten Einbildungstraft unterhält. 


) 143 ( rer 


großen Volks, und ſchien der Gefang ber 
Unſterblichen, ber ſich in die oͤffentlichen 
Geluͤbde miſchte. Niemand fam: während 
des Gebets herein ober lief hinaus. Ken 
grober Schweizer, fein .ungeftümer Bettler 
unterbrach. die Andacht der fremmen Beter 
Alle Anweſende waren von einer: heiligen 
und tiefen Ehrfurcht durchdrungen: : viele 
fagen auf den Knien, mit dem Gefichte zur 
Erde gebeugt. Mitten unter diefem Stile 
fehweigen, biefee allgemeinen Aufmerkſam 
feit, bemächtigte fich meiner ein heiliger: 
Schauer: es fchien mir, ale ob die: Gofte | 
heit in den Tempel herabgeftiegen ſey und 
ihn mit ihrer Gegenwart erfülle. 

E8 waren an den Thüren Büchfen file 
die Armen, aber fie waren an dunkle Oerter 
geſetzt. Dieß Wolf hatte Werke der. iche 
ausüben gelernt, ohne daß fie mußten bes 
merkt werben. Enblich wurde in den Aus 
genblicken der Anbetung eine tief® Stille 
fo heilig beobachtet, daß die Heiligkeit. des 
Orts, mit dem Gebanfen des höchften We⸗ 
fens verbunden, in aller Herzen einen ges 
waltigen und heilfamen Eindruck machte. 

Die Ermahnung des geiftlichen Hirten 
an feine Heerde war fimpel, natürlich, mehr 


a En 


varch die Sachen, als milch den Stil de⸗ 
went. Er rebete bloß von Gott, um ihn 
Hebensmihbig zn machen: von den Men 
fchen; um fie zur Demuth, Sanftmuch und 
Gedrult zuermuntern. Er bemuͤhte ſich niche 
ven Bitz reben zu laſſen, indeſſen daß er dag 
Herz ruͤhren ſollte. Es mar ein Vater, der 
fich mit ſeinen Kindern über die Wahl un⸗ 
terhieft; die ihnen am zutraͤglichſten zu thun 
wäre: Dan war defiomehr davon durch 
derungen, da diefe Lehre ans dem Munde 
eines: volkkommen rechtfchaffenen Mannes 
floß. Es wurde mir die Zeit nicht lang: denn 
ſeine Rede war weder mit Declamatidnen, 
weitlaͤuftigen Schilderungen. noch geſuchten 
Figuren angefuͤllt, am wenigſten aber mit 
abgetiſſenen Stellen aus Dichtern, die in 
eine Proſe verſchmolzen waren, welche ges 
meiniglich dadurch befto kaͤlter wird 5). 

3) hc mir bauptfachlich an unſern Predigern 
mißfaͤllt, ft daß ſie keine feſten und ſichern Grund. 
fäge in Abſicht auf die Moral Haben: fie holen ihre 
Vorſtellung aus ihrem Texte, nicht ans ihrem Her: 
zen: beute find fie maͤßig, vernünftig: morgen find 
fie unverträglich, ausſchweifend. Es find nur Wor⸗ 
te, die fie vorbringen: eö liegt ihnen fo gar wenig 
daran, wenn fie fich auch mwiderfprechen, wenn nur 
ibre drey Punkte richtig beobachtet find. <sch habe 


HD) 145 ( iunide 


Yuf diefe Art, fagte mir mein Führer, 
pflege man alle Morgen eine Sffentliche Bet⸗ 
ſtunde zu halten. Sie dauert eine Stunde 
‚ und den Reſt des Tages bleiben die Thuͤren 

diefes Gebäudes verfchloffen. Wir haben 
feine Heiligenfefte: aber wir haben Bürger 
liche, an denen das Volk ausruht, ohne fich 
Yusfchweifungen zu überlaffen. An feinen 
Zage foll der Menſch ganz müßig bleibens 
nach dem Benfpiele der Natur, die niemals 
ihre Thätigkeit verläßt, fol er ſichs auch zum 
Gewiſſen machen , bie feinige aufjugeben. 
Die Ruhe ift nicht Muͤßiggang. Die Uns 
thaͤtigkeit ift ein wahrer Verluft, ber auf bag 
Vaterland zurücke falt, und der Muͤßiggang 
ein Eleiner Tod. Die Zeit bes Gebers if 
beftimmt:: fie ift zureichend, um das Herz zu 
Gott zu erheben. Ein langer Gottesdienk 
führet Laulichkeit und Efel herbey. Ale ges 
heime Gebete find weniger verdienftlich, als 
diejenigen, bie bie Öffentliche Ausübung mis 
Innbrunſt vereiniget. 
Hoͤret die Formel des unter ung gewoͤhn⸗ 
lichen Gebets. Jedes wiederholet fie und den⸗ 
ket allen Gedanken nach, die es in ſich begreift: 
einen gehoͤret, der die En eyelopaͤdie pluͤnderte, und 
anf die Eucyklopaͤdiſten re" 


Ze ) 146 ( ge 
> „Einiges, unerfchaffenes Weſen, weiſer 
Schoͤpfer dieſes ungeheuren Weltgebäudes! 
Da deine Guͤte daſſelbe dem Menſchen zum 
Schauplatze angewieſen, ba ein ſo ſchwaches 
Geſchoͤpf von .bir bie koſtbaren Gaben ent 
pfangen, über biefed große und ſchoͤne Werf 
nachzudenken, fo geftatte nicht, daß es nach 
dem Beyfpiele unvernuͤnftiger Thiere fein Le- 
ben auf der Oberfläche dieſer Kugel zubringe, 
ohne deiner Allmacht und Weisheit zu huldi⸗ 
gen. Wir bewundern deine erhabenen Werfe. 
Wir fegnen deine regierende Hand. Wir beten 
dich als. unfern Herrn an: aber wir lichen 
dich auch. ale. den Vater aller Wefen. Sa, 
du bift eben fo gütig, als du groß bift: al- 
les fagt es und, und. hauptfächlich unfer 
Herz Wenn einige vorübergehende Uebel 
uns. hienieden ängftigen, fo gefchieht ed ohne 
Zweißel, weil fie unvermeidlich waren; mir 
unterwerfen uns mit Eindlichen Vertrauen, 
und hoffen .auf beine unenbliche Barmher⸗ 
zigkeit. Wir murren nicht: nem, wir dan⸗ 
fen Dir vielmehr, daß du ung gefchaffen 
haft, dich zu erfennen. 
D daß dich doch jeder nach feiner Art 
- und nach dem was ihm ſein Herz am zdrt, 
Jichfien und brünftigften eingeben kann, vers 


ai) 147 ( rare 

„ehren nidchte! wir wollen feinem Eifer kei⸗ 
ne Gränzen ſetzen. Du würdigeft ung, 
mit ung d die laute Stimme der Ras 
ter gu reden. Unſer ganzer Dienft ift, daß 
wir. bichianbeten, bir banken, zu beinem 
Throne fehreyen, daß mir ſchwache, elende, 
eingefchränfte Geſchoͤpfe find, und daß wir 
beiner hilfreichen Hand nöthig haben. . ° 

Seren wir ung in fo fern ald eine Ast 
des Gottesdienſtes, fie fen alt ober nen, de 
nen Augen angenehmer‘, 'ald der unſrige iſth 
ach! fo oͤffne ung die Augen. Zerſtreue dit 
Sinfterniffe unferg Geiſtes: du wirſt uns 
gehorſam fuͤr deine Gebote finden. Aber 
gefallen dir die ſchwachen Opfer, die wir 
beiner Größe, deiner wahren väterlichen 
Liebe ſchuldig find, fo gieb uns die Stand⸗ 
haftigkeit in dieſen ehrerbietigen Geſinnun⸗ 
gen, die uns erfuͤllen, zu beharren. Erhal⸗ 
ter des menſchlichen Geſchlechts! bu, ber du 
es mit einem Blicke umfaſſeſt, gieb doch, 
daß die Liebe ebenfalls die Herzen aller Be⸗ 
wohner dieſer Erde umfaſſe, daß fie einan⸗ 
der alle, wie Bruͤder lieben, daß ſie dir ein⸗ 
muͤthig eben’ ben Lobgeſang ber Liebe und 
des Dankes bringen. 


.. 


Ra 


Die ) 148 ( eine 
BE wagen es nicht, unſern Wuͤnſchen, 
der Dauer unſers Lebens, Graͤnzen zu ſe⸗ 
tzen. Du magſt uns num aus dieſer Welt 
Biumwegnuehmen, ober: ung noch bier laſſen, 
fo werden teir beinem Blicke doch nicht ent⸗ 
schen. Wir bitten dich nur um Tugend, in der 
gZurcht, daß wir deinen unburchbringlichen 
Nathſchluͤſſen zuwiderhandein: aber gieb, daß 
wir in Demuth und Unterwuͤrfigkeit uns ganz 
deinem Willen ergeben; und zeuch ung zu bir, 
In ewige Quelle des Glücks, es fey num, daß 
wir durch einen fanften, oder burch ſchmerz⸗ 
haften Tod von dannen geriffen werben 
Unſere Herzen ſeufzen nach beiner Gegenwart. 
BD: daß dieſes fierblide Gewand fallen 
ud wir ung zu deinem Schooße aufſchwin⸗ 
gen mochten! Was wir von deiner Größe ſe⸗ 
ben, erregt in ung das Berlangen ein mehrere 
davon zu fehen. Du haf zum Beſten bes 
Menfchen nur allzuviel gethan, als du fei- 
sen Gedanken nicht Kuͤhnheit einflößen foll- 
teſt! er erhebt zu dir fo brünftige Wünfche 
bloß, weil dein Gefchönf für beine Wohl⸗ 
thaten fich geichaffen fühle. „ — 

Aber, fagte ich, mein lieber Herr, Eure 
Religion, wenn ich es fagen darf, ift bey- 
nahe einerlen mit der alten Patriarchen ih⸗ 


rer, bie Gott in Geiſt und in ber Wahrheit 
auf den Gipfeln der. Berge anbeteten. — 
Gang recht, Ihr' habt den eigenthuͤmlb 


hen Ausdruck gefunden. Unſere Religion, 


iſt die Religion des Adam, Enoch und Elias: 
und dieß HE doch wohl die aͤlteſte. Es ik 
mit der Metigion, wie mie dem Gefeße: bie 
fimpelfte ift die beſte. Gott anderen, feinen 
Mächften lieben, dag Gewiſſen, dieſen Rich⸗ 
ter horen, der immer in uns wachet, nie 
mals diefe himmlifche und geheime Stimme 
erſticken; alles uͤbrige ifr Betrag, Schelme⸗ 
ren und Lügen. Unſere Prieſter geben nicht 
Bor, daß auf ihnen ausſchlleßungsweiſe Sog 
tes Geift ruhe: fie nennen ſich unfre Bruͤ 
ber: fieigeflehen, daß fie wie wir im Sim 
fern wandeln: fie folgen dem Lichte, das 
ims Gott zu zeigen gewuͤrdiget: fie zeigen 
es ihren Brübern ohne Herrfähfucht, ohnt 
Prahlerey. Eme reine Moral und keine 
ausſchweifende Lehren, dag iſt das Mittel, 
weder gottlofe, noch fanatifche, noch aber» 
glaͤubiſche Menfchen zu haben. Wir haben 
dieß glückliche Mittel gefunden ,: und wik 
danken dafür aufrichtiget dem Urheber alles 
Guten. 


on 
“ 


ee ) 150 ( er 


Ihr betet einen Gott an: aber laſſet 
Ihr auch die Unſterblichkeit der Seele zu? 
Was iſt Eure Meynung ͤber dieſes große 
‚ind. undurchbringliche Geheimniß ? Alle 
Meltweifen haben es durchdringen wollen. 
Der Weife und der Thor haben ihr Wort 
darzu gegeben. Die verfchiedentlichften, die 
poetifchfien Syfteme. find über diefen großen 
Gegenſtand verfertiger worden. Gie-fcheint 
vorzüglid) die Einbildungstraft der Geſetzge⸗ 
ber erwärmt zu haben, Was denkt Euer Jahr- 
hundert davon? — Man braucht nur Au- 
gen, um anzubeten, antwortete er mir: man 
Broucht nur in fich felbft zu geben, um zu 
fühlen, daß etwas in ung fey, welches lebet, 
welches empfindet, denfet, will, entfchließt. 
. Wir ‚glauben, daß unfere Seele von ber Ma⸗ 
terie werfchieden, daR fie ihrer Natur nach 
verſtaͤndig iſt. Wir vernünfteln wenig über 
diefe Sache: wir wollen lieber alles glan- 
ben, was die menfchliche Natur erhebt. Das 
Syſtem, daß die Vorſtellung von ihr. ver- 
groͤßert, ift ung das liebſte: denn wir glau- 
ben nicht, daß Begriffe, die bie Geſchoͤpfe 
eines Gottes ehren, jemals falfch ſeyn koͤn⸗ 
nen. Indem wir; ben erhabenften Plan an- 
nehmen, fo Betrügen wir ung gewiß nicht, 


Same) 51 (uk 


fondern treffen dag wahre Ziel. Der Un- 
glaube ift eine bloße Schtoachheit, und die 
Kuͤhnheit des Gedanfen ift der Glaube eines 
verftändigen Weſens. Warum follen wir dem 
Nichts zufriechen, indeffen daß wir- Flügel 
fühlen ung big zu Gott aufjufchtwingen und 
nichts diefer edelmüthigen Verwegenheit wi⸗ 
derfpricht? Wäre es ja moglich, daß wir 
ung betroͤgen, fo wuͤrde ber Menſch alfo eis 
ne ſchoͤnere Drönung ber Dinge erdacht has 
ben, als diejenige ift, die wirflich. exiſtiret; 
die hoͤchſte Macht ⸗ würde alfo keine Graͤnzen 
haben: ich möchte faſt lieber fagen, ihre Güre, 
Wir glauben, daß die Seelen ihrem Weſen 
nach gleich, ihren Eigenſchaften nach verſchie⸗ 
den ſind. Die Seele eines Menſchen und el⸗ 
nes Thieres ſind auf gleiche Weiſe immateriel: 
aber die eine hat einen Schritt weiter zu dem 
Vermoͤgen ſich vollkommner zu machen ge⸗ 
than: und das machet ihren gegenwaͤrtigen 
Zuſtand aus, der ſich gleichwohl aͤndern kann 
Wir glauben ferner, daß alle Geſtirne 
und alle Planeten bewohnt ſind: aber daß 
nichts von dem, was man in dem einen 
ſieht, oder empfindet, ſich auch in dem an⸗ 
dern finde. Dieſe unbegraͤnzte Macht, die⸗ 
fe unendliche Kette ber. verſchiedenen Wel⸗ 


ze) er 

ten dieſer längende ‚Zirfel gehörte zu dem 
gt sh der Schäpfung: Run wohl! 
siepe € Nein dieſt ſo fehönen, ſo großen, 













ih 3 fie Freugen fi ſich, fie Haben eine Be⸗ 
chung auf einander und eine iſt der audern 
ir seokünet, Die menfchliche Seele ſteigt 
Ma Welten, wie auf einer glaͤn⸗ 






Header Sl der hoͤchſten Bolltommen- 
HEIL HAher bringt. Auf biefer Kelſe verliert 
fie nicht "das Andenfep deffen, was fie geſe⸗ 
He ind gelernt bat: fie behält das Maga⸗ 
iin ihrer‘ ideen, es ift ihr liebſter Schaß, 
Me trägt ihn ÜberaN mit ſich Hin. Hat fie 
ſich zu einer. erhabenen Entbeckung empor 
geſchwungen, fo läßt fle die mit Einwohnern 
bevoͤlkerten Welten hinter fich, welche unter 
ihr geblieben find: fie ſteiget nach dem Ver⸗ 
haͤltniſſe der Kenntniſſe und Tugenden, die 
fie erlangt hat. Die Seele des Neuton hat 
ſich durch Ihre eigne Kraft zu allen diefen 
Sphären aufgeſchwungen, die er gemeffen 
hatte. Es wuͤrde ungerecht feyn, zu den⸗ 
fen, daß der Hauch des Todes diefen mäch- 
Yigen Geiſt ausgeloͤſcht habe. Diefe Ver⸗ 


2 183 
nichtung wůrde Hänriger „ Inbegr sflicher 
fehn, als die Jerſtdeung der — 
Ten Welt. Es Wurbe eben fo bgefchmacht 
ſeyn, mehr itian ſagen Wollte, feing Seele 
waͤre nicht beffer ald bie @kele‘ eines unnip 
fenden ober dummen Menfchen. In der 
Spät, wuͤrde es dem Menfchen unnisge ſeyn 
feine Seele volllommner zu machen, wenn 
fie fich nicht entweder durch daS Nachden 
Ten; oder durch die Ausübung der Tugend 
erheben ſollte: aber eine innere Empfine 
dung, die weit ſtaͤrker iſt, als alle Einwͤ 
ruft ihr zus Entwickle alle deine Beäfte, 
verachte den Tod: nur die koͤmmt es zu 
ihn zu aͤberwinden und dein Leben zu vor“ 
mehren, welches der Gedanke iſ. 

Was die fricchenden Seelen anbetriſſn 
die in den Schlamm des Laſters ober 
dee Faulheit herabfinfen , fb kehren fe 
wieder zu dem Punkte zuruͤck, von dem fie 
gekommen find, "ober gehen zuruͤck. Lange 
Zeit hängen fie an ben traurigen Ufern 1 
Nichts, fie neigen fich der Materie zu, fle 
machen eine thierifche und niebrige Gattung 
aus: und indeffen daß die eblern Seelen ſich 
gu dem göttlichen, ewigen Lichte aufſchwin ⸗ 
gen, fürzen fie ſich in die Finfernig, 0a 





u) 154 (ii 


kaum ein bleicher Strahl der Erifteng auf 
fie faͤllt. Jener Monarch wird nach feinem 
Hintritte ein Manlwurf: dieſer Minifter ei⸗ 
ne- giftige Schlange, der anftecfende Mo⸗ 
raͤſte bewohnet: inbeffen, daß ber Schrift 
fieller, den er verachtete, oder nicht kennen 
wolle , einen glorreichen Rang inter 
ben menfchenfreundlichen Beiftern erhalten 
Bat. 

2. Buthagoras hatte diefe Gleichheit ber 
Seele gemerkt; er hatte biefe Wanderung 
von cinem Körper in den andern empfunden: 
aber diefo Seelen liefen nur in einerley Zir- 
kel herum und verließ ihre Kugel niemals. 
Unfere Wanderung iſt vernünftiger ausge: 
dacht und erhabener, als bie alte. Diefen 
edeln und großmüthigen Seelen, bie das 
Gluͤck ihrer Mitgefchöpfe zum Leitfaden ih⸗ 
res Betragens gewählt, Sffnet der Tod eine 
herrliche und glänzende Bahn. Was ben- 
fee Ahr von unferm Syſtem? — Es ent 
gückt mich: es widerforicht meber der Macht 
noch der Güte Gottes. Diefer Fortgang, 
diefes Auffteigen in verfchiedene Welten, alle, 
Werke feiner Hände, biefe Beichauung ber 
Schöpfung der Welten, alles fcheint mir ber 
Wuͤrde des Monarchen angemefien zu ſeyn, 


Se) 155 ( re 
ber alle Gebiete feiner Herrſchaft dem Auge 
öffnet, das geſchickt iſt, ſie zu betrachten. — 
Ja, mein Bruder, antwortete er mit Ent 
zuͤcken, welche intereſſante Vorſtellung, alle 
dieſe durchreiſeten Sonnen, alle dieſe Seelen, 
die ſich in ihrem Laufe bereichern; wo fie 
Millionen Neuigkeiten finden, fich unaufhoͤr⸗ 
lich vollkommner machen, immer erbabener 
werden, je mehr fie fich dem hoͤchſten We⸗ 
fen nähern, ihn immer vollfommmer erken⸗ 
nen, ihn mit einer reinern Liebe. lieben, ſich 
in den Deean - feiner Größe verſenken!“ MO 
Menfch, freue dich! du mußt Wunder über 


- Wunder entbecfen; ein: immer neues ımb 


außerordentliches Schaufpiel wartet deiner; 
beine Hoffnungen find ‚groß: du wirft den 
unermeßlichen Raum der Natur durchlan. 
fen, biß daß du dich in dem Gotte verlieren 
wirft, von dem fie ihren hohen Urſprung 
erhielt — Uber die Gottloſen, rief ich, die 
dem natürlichen Gefege zuwidergehandeit, 
bie ih? Herz dem Gefchreye des Mitleidens 
verfchloffen , die die Unſchuld gewuͤrget, 
nur für fich alleine geherrfchet haben, 
was wird aus bdiefen werden? Ohne von 
Haß und Rachsier zu brennen, würde ich mit 
meinen eignen Händen eine Holle bauen, um 


En ) 156 


gewiſſe ytaufame Seelen: hinein. gu frürzen, 
die beyn /dem Anblicke ber. Uebel, die fie 
auf ben Schwachen und Gerechten, gehaͤuft, 
mein Blut vor Unwillen in Wallen gebracht 
Baden: m: El koͤmmt unſerer Schwach⸗ 
Seit, die ſo vielen Leidenſchaften noch unter⸗ 
worfſen iſt, nicht. zu, über die Art, wie fie 
Bott: fidafen: wird, zu entſcheiden: aber gang 
gewiß wird der Gottlofe die. ganze Gewalt 
deiner Gevechtigkeit fuͤhlen. Weit entfernt 
son ſeinen Augen wird jeder Treuloſe, Gran⸗ 
Sen; fuͤr· auderer Weh Unempfindliche, ſeyn. 
Niemals. werben ſich die ‚Seelen eines So⸗ 
drates inden eines Marc Auprel. mit. der Seele 
eis: Rosp- treffen ı- fie werden allegeit. un: 
endlich weit: von einander. entfernet ſeyn. 
ODas Shnnar wir gewiß glauben. ‚Aber ung 
doͤmmt es nicht zu, dieſe Gewichte zu meſſen, 
die in ‚die ewige Wagfchale werben gelegt 
senden Wir glauben, daß die Schler, die 
wicht. gänzlich -den menſchlichen Verſtand 
verdunkelt haben, daß das. Herz, das ſich 
acht bis zur Unempfindlichkeit erniebriget 
Hat, daß die Könige felbft, die fich nicht für 
Götter gehalten, fich werden reinigen koͤn⸗ 
am, wenn: fie:fich während einer langen 
Reihe von. Jahren beſſern. Gie werben in 


SED ) 157 ( ar 


Welten verſetzt werben, wo daumbarwdiegen 
de phyſtſcher Uebel bie heilſune⸗ OAuche ſeya 
wird, die ſie ihre Abhaͤngigkritz/ und wie ſehr 
feinet Gnade noͤthig haben, wird ſuͤhlen laß 
fen und die Verblendang ihres Stolzes hiet 
wegnehmen wird : Demuͤthigen fifichtiug 
fer der zuͤchtigenden Hand: Gottts, Rlgen 
fe: dem Lichte der Bernunft, am ſich zu uc 
tertberfenj. erfennen fie, wie ſehr ſit von nu 
Stande, zu bemifie gelangen kounten, u 
ferhet touren, wenden fie: einige: Kraͤfte ing 
dahin zul'gelungen, fo wird / ihre Pilgruu 
ſchaft ungemein verkuͤrzet werden: fie. mai 
Ben in ben Bluͤche ihrer Yahınıflenken ı man 
wird fie beiveinen x indeſſen/ daß / ſto vey: dain 
Abſchiede von dieſer traurigen Erde laͤcheln 
aber zugleich über. das Schickfak ikferuigent 
feufsen werden, bie fie auf. biefem angluͤckin 
‚hen Planeten, von dem fie fich losgeriſſen 
hinterlaffen müßen. Mithin weiß beri ige 
den Tod fuͤrchtet, nicht, was en fuͤrchtet 
Seine Schrecken find Kinder ker: Unwiſſen 
heit, und diefe Unwiſſenheit iſt die erſte Stra 
fe ſeiner Fehler. | ET NE 

Vielleicht werden auch bie. ſtrafbarſten 
die £oftbare Empfindung ber Freyheit ven 
lieren. Sie werben nicht vernichtet wer⸗ 


Hape) 153 ( ie 

ben: denn ber Gedanke der Vernichtung: ift 
ung zuwidere es giebt fein-Niches unter ei⸗ 
nem fchaffenden, erbaltenben und erneuern- 
den Gott. Der Gottloſe fchmeichle -fich 
uicht, daß er ſich in daſſelbe werde ſtuͤrzen 
Sinnen: ‚er wird von dem. unumſchraͤnkten 
Auge, das alles durchdringt, verfolget wer⸗ 
den. Die Verfolger jeder Art werben 
in ber letzten Claſſe der Exiſtenz auf eine finn- 
Ipfe Art lehen. Sie werden unaufhoͤrlich ei⸗ 
ner erneuerten Verwuͤſtung uͤberlaſſen wer⸗ 
den, die thre,Sflaverey; und ihren Schmerz 
gugleich. erneuern wird : Taber Gott allen 
weiß die:gelt,. wie lange er ſie firafen, ober 
pann er fe Io8fprechen. folk. 


v Zwanzigſtes Kapitel | 
ST Der Praͤlat. 


D: ſeht den: Mann, der snräßergeht! daB 

ift ein Benfpiel eines lebenden Heiligen. 
Diefer Mann, der ganz‘ fimpel mit einem 
violerfarbenen Rocke bekleidet ift, fich auf 
einen Stab fiüßet, und deſſen Gang und 
Blick weder Stolg noch eine. gezwungene 
Beſcheidenheit anfündigen, das iſt unfer Prd- 
at — Wie? Euer Praͤlat zu Fuße? — Ja, 


Han) 19 ( —⸗a 


nach der Weiſe der erſten Apoſtel. Man hat 
ihm inzwiſchen ſeit kurzem eine Saͤnfte ge⸗ 
geben, aber er-bebiener ſich derſelben mie in 
äußerfiem Nothfalle. "Sein Einfommen fließt 
faſt ganz in den Schooß der Armen: ehe 
er ſeine Wohlthaten ausbreitet, erfundiget 
er ſich nicht erſt zuvor, ob ein Menſch ſei 
nen eignen beſondern Meynungen zugethan 
ſey: es iſt ihm genug, daß er ein Menſch 
if. Er iſt nicht vor: ſich eingenommen, 
nicht fanatiſch, nicht hartnaͤckig, nicht ver 
folgerifh : er mißbrauchet nicht ein. he 
liges Anfehen, um fich in feinen Gedanken 
dem Throne gleich zu feßen. Sein immet 
heitereg Auge, ein Bild diefer fanffen, gleich“ 
muͤthigen und ruhigen Seele, die bloß ihren 
Eifer und ihre Thätigfeit In der Ausuͤbung 
des Guten aͤußert. Er fagt oft zu denen, 
die ihm begegnen : Meine Freunde, die 
Liebe, wie der heilige Panlus faget, geht 
vor dem Glauben ber. Seyd woblthaͤ⸗ 
tig, und She baber Das Geſetz erfüͤllet. 
Fuͤbret Euern Naͤchſten zurechte, wenn 
ee ſich verirrt, aber ohne Stolz, obne 
Bitterkeit. Martert niemanden ſeines 
Glaubens wegen, und huͤtet Euch, Euch 
in Euerm Zerzen demjenigen vorzuzie⸗ 


Br ) 10 (re 


ben. der Ibr einen Sebler begehen feber: 
Denn morgen werdet Ihr ‚vielleicht ſchul⸗ 
higer feyn, als er. Lehret bloß durch 
Kuer Brempel, Valtet Rep nicht für 
Enern Seind, der anders denket als Jor, 
Fanatiſmus bat ſchon in feiner grau 
famen Vartnaͤckigkeit nur zu viel Uebels ge⸗ 
ſtifftet, als daß Ihr ihn nicht in ſeiner ge⸗ 
ringſten Aeußerung perabſcheuen and ibm 
zuvorkommen ſolltet. Dieſes Ungeheuer 
ſcheint anfänglich dem menſchlichen Stol⸗ 
ze zu, fchmeicheln und die Seele, die ihm ei⸗ 
nen Zutritt vergönnt, zu erweitern: aber 
hald nimme er feine Suflucht zum Betruge, 
zur Trenloſigkeit/ zur Grauſamkeit; er tritt 
alle Tugend mit Fuͤßen und wird die grau⸗ 
ſamſte Geißel der Menſchlichkeit. 

Aber, ſagte ich zu ihm, wer iſt denn die 
ehrwuͤrdige Magiſtratsperſon, die ſich dort 
mit ihm mit ſo viel Freundſchaft unterhaͤlt? 
— Es iſt einer von ben Vaͤtern des Vater⸗ 
ber erſte des Raths, der unſern Pa- 
trlacchen mit ſich zu Tiſche nimmt. Bey 
ihrer nuͤchternen und kurzen Mahlzeit wird 
mehr als einmal von dem Armen, Nothlei⸗ 
denden, der Wittwe, dem Wayſen, und des 
nen Mitteln bie Rede ſeyn, wie man ihnen 


Sem ) 161 ( Se 

ihren Kuminer erleichtern will. Dieß iſt ba 
Intereſſe, das ſie zuſammenfuͤhret und das 
fie mit dem großten Eifer behandeln; nie 
mals werden fie eifle Unterfuchungen über bie 
Alten und belachenswerthen Vorzuͤge anſtel⸗ 
len, die die ernſthaften Männer Eurer Zet 
auf eine fo kindiſche Urt beſchaͤfftigte. 


Ein und ziwanzigftes Kapitel, 
Vereinigung der beyden Unendlichen, 


Hier wer ift denn ber junge Menſch, ben 
id von einer neugierigen Menge Volks 
umringet fehe? D wie fich bie Freude in db 
Ien feinen Bewegungen dußert ! tie feine 
Stirne glänze! Welches Gluͤck iſt ihm 
denn wiberfahren? Woher koͤmmt er? * 
Er iſt eingeweihet worden, verſetzte ernfthaft 
mein Zührer. Ob mir gleich wenige Gere 
monien haben, haben wir doch eine, 
bie mit dem übereinfömmt, mag Ihr bey 
Euch die erfie Communion nennt, Wir 
beobachten fehr genau ben Gefchmack, ben 
Charafter, die geheimften Handlungen eines 
jungen Dienfchen. So bald man entdeckt, 
daß er bie einfamen Derter aufſuchet, um 
daſelbſt nachzudenken: fo bald man fein 
| L 


ei ) 162 ( Eee ‚ 


Auge gerührt). gehefftet. auf das Firma⸗ 
ment und in..einem- ſuͤßen Entzuͤcken 
»iefen blauen Himmel betrachtenb finder, 
ver fich ihm gu öffnen bereit ſcheint: als⸗ 
dann ift feine Zeit mehr gu verlären, es iſt 
ein Zeichen, daß feine Vernunft ihre ganze 
Reife hat, und daß er mit Vortheil die Ent: 
wicelung der Wunder, die der Schöpfer 
hervorgebracht bat, anhören koͤnne 
. Mir. wählen eine. Nacht, wo das Heer 
der Sterne in ihrer ganzen Pracht an ei- 
nem heitern Simmel glänget. Bon feinen Nel⸗ 
tern und Freunden begleitet, wird der Juͤng⸗ 
ling auf das Obſervatorium geführet: aufein- 
mal bringen wir an fein Auge ein Teleſkop 9; 
wir laſſen zu feinen" Augen ben Mars, 
. Saturn, Jupiter und alle die großen Körper 
herabfteigen, die mit fo vieler Ordnung indem 
ungeheuern Raume ſchwimmen: wir oͤffnen 
ihm, ſo zu ſagen, den Abgrund des Unendlichen. 
Alle dieſe flammenden Sonnen draͤngen ſich 
haufenweiſe zu ſeinem erffaunsten Blicke hin⸗ 
1) Das Teleſkop iſt ein moraliſches Schwerdt, 
Dad allen Aberglauben, alle Phautomen, die das 
menſchliche Geſchlechte quälten, zu Boden flug. 
Unfere Bernunft ſcheint ſich nach der Proportien 
des unerniehlichen Raums erweitert zu baben, den 
unfere Mugen entdeckt und durchwandert haben, 


HD) 163 ( de 


su. Alsdann faget en ehrwuͤrdiger Prieſtet 
mit einer feyerlichen und  majeftätifchen 
Stimme zn ihm: „Juͤngling! hier ſiehe den 
Gott der Welt, der fich bir mitten in ſeinen 
Werken offenbaret: Bere ben Gott dieſer 
Welten an, biefen Gott, deſſen unermeßliche 
Macht alles übertrifft, was der Menſch mit 
Yugen fehen, oder felbft mit feiner. Einbik 
dungskraft erreichen kann. Bete dieſen 
Schoͤpfer an, deſſen glaͤnzende Majeſtaͤt den 
Sternen eingedruͤckt iſt, die ſeinen Geſetzen 
gehorchen. Wann du die Wunder ſeiner 
Hand erblickeſt, fo bedenke mit welcher Here 
lichkeit 2) er das Herz belohnen wird, das 


2) Montesquien faget art einem Dete, daß die 
Gemälde, die man von der Hölle macht, gam ande’ 
gefuͤhret ſeyn: aber daß, wenn man don der: ewigen 
Gluͤckſeligkeit redet, man nichts thue, ald ehrlichen 
Leuten etwas ohne nähere Beftimmung verfprechen. 
Diefer Gedanke it ein Mißbrauch des Witz es, den er 
bisweilen unſchicklich anbringt. Jeder empfindliche 
Menſch denke nur einen Augenblick der Menge von 
lebhaften und feinen Freuden nach, die er feinem Geifte 
verdankt. Wie weit ühertreffen fie nicht Diejenigen, die 
er von Sinnen erhält. Und der Körper ſelbſt, was iſt er 
ohne Seele? Wie oft verfaͤllt man nicht in eine aus⸗ 
nehmend füge und tiefe Lethargie, wo die augenehm 
geſchmeichelte Einbildungskraft ohne SHinderniß 
aufflsst und ſich mitnr und mannichtaitige 

2 


) 164 ( re 


fich zu ihm erhebt. Vergiß nicht, daß un⸗ 
ter feinen erhabenen Werken der Menſch, mit 
sen Vermögen begabt fie zu erblicken und 
zu fühlen, den erften Rang ‚behauptet, 
und daß er als ein Kind Gottes fich biefer 
hohen Ehre würdig machen mäffe! „ 
5. Hierauf ändert fich der Auftritt: man 
Bringt ein Mifrofcop : man entdeckt ihm ei- 
ne neue Welt, die noch weit erſtaunenswuͤr⸗ 
Siger, weit wunderbarer iſt, als bie erſte. 
Dieſe lebenden Punkte, die ſein Auge zum 
erſtenmale erblickt, bie fich in ihrer unbe 
greiflichen Kleinheit bewegen und fogar mit 
allen finnlichen Werkzeugen ausgeruͤſtet find, 
welche die Koloffen der Erde haben, zeigen 
ihm einen neuen Beweis von ber Weis heit 
des Schoͤpfers. 
Der Prieſter faͤhrt in eben dem Tone fort: 

pWas find wir für ſchwache Weſen, zwiſchen 


Vergnuͤgungen verſchafft, die mit den materiellen 
Vergnuͤgungen gar keine Aehnlichkeit haben. War⸗ 
am ſollte die Allmacht des Schoͤpfers dieſen glück⸗ 
lichen Zuſtand nicht verlaͤngern, vermehren koͤnnen? 
Iſt das Entzuͤcken, das die Seele des Gerechten er⸗ 
fuͤlt, mann er dieſen großen Gegenſtaͤnden nach⸗ 
denket, nicht ein Vorſchmack der Seligkeit, die ſei⸗ 
ner wartet, wenn er ohne Decke den weiten 
Man des Samen anſchauen wird ? 


Sam) 165 ( ini 


zwey Unendlichkeiten geſtellt, von. allen 
Seiten durch das Gewichte der goͤttlichen 
Groͤße niedergedruͤckt! Laßt uns im Stillen 
eben die Hand anbeten, die ſo viele Sonnen 
anzuͤndete, und das Leben und die Empfin⸗ 
dung unmerklichen Atomen eindrücte! Ohne 
Zweifel wird das Auge, bag ben zarten Bau 
des Herzens, ber Nerven, ber Fibern des 
Heinen Wurmes auf unfrer-Hant gebildek« abe 
ne Muͤhe in die äußerten Falten unſers Her⸗ 
zens einbringen. Welcher geheime. Gedan⸗ 
fe kann fich diefem unbegränsten Blicke: ent⸗ 
siehen, vor. bem ber Ruͤſſel einer Made eben 
fo deutlich. als. die Milchſtraße erſcheint! 
O laßt unſre Gedanken des Gottes wuͤr⸗ 
dig ſeyn, ber fie entſtehen ſieht, der ſte 
bemerkt. Wie oft kann ſich das Herz einen 
Tag über, zu ihn erheben und in feinenf 
Schooße färfen. Ach} die ganze Zeit unfer® 
Lebens kann nicht beffer angewandt werben, 
als wenn wir ihm im Grunde unfrer Ste 
den ein ewiges Lob » und Danflied Mr 
fimmen. ;, 

Der junge Menſch gerührt, erſtaunt, be⸗ 
haͤlt den doppelten Eindruck, den er faſt in 
dem Augenblicke erhalten: er weinet vor 
Freuden, er kann ſeine brennende Neugier 


Bi) 166 ( er 
nleht ſaͤttigen: fie entflammf fich mit jeden 
Schritte, den er in biefen beiden Welten 
khut. Seine orte find ein langer Gefang 
ber Bewunderung. Sein Herz klopfet vor 
Erſtaunen und ‚Ehrfurcht, und The koͤnnt 
Euch leicht vorfiellen, mit welcher Kraft, 
mit welcher "Wahrheit er das Mefen aller 
Weſen in diefen Augenblicken anbetet! wie 
er ſich Kite feiner Gegenwart erfüllt! wie 
dieſes Vergroͤßerungsglas feine Begriffe aus⸗ 
breitet, erweitert, ſie eines Bewohners bie⸗ 
ſer wunderbaren Welt wuͤrdig machet! Er 
geneſet von dem irdiſchen Ehrgeize und den 
niedrigen Empfindungen des Haſſes, die er 
erzeugte: er liebt alle Menſchen, die von ei⸗ 
nem gleichen Hauche des Lebens beſeelt ſind: 
„er iſt der Bruder von alle dem, was ber 
Schoͤpfer berührt hat 3). 

Sein Ruhm wird von nun an feyn, In 
dem Himmel ben Haufen von Wundern ein- 
wuärndten. Er fühlet fi) weit weniger klein, 
feit er das Glück gehabt, diefe großen Dinge 

3) Man Hat einen Heiligen laͤcherlich machen 
tollen, melcher faate: Weide, du Schaaf, die 
du meine Schwefter bift: Kupfer vor Freuden, 
ihr Sifhe. die ihr meine Brüder feyd. Diefer 

Heilige, hatte mehr Verſtand, als feine Mitbruͤder, 
1 er war ein wahrer Philoſoph. 


He) 107 ( ei 
zu fehen. Er fagt gu fich ſelbſt: Gott hat 
> fi, mir geoffenbaret: mein Auge bat den 
Saturn, den Stern Syrius und die gedräng« 
ten Sonnen der Milchftraße beſucht. Ich 
fühle, daß ſich meine Seele ‚erweitert hat, 
feit fie Gott gewürdiget , feine Größe .mis 
meinem Nichts bekankt zu machen.. O! wie 
finde ich mich glücklich, daß ich Verſtand und 
Leben erhalten habe! ch fehe fchon die Be⸗ 
ſtimmung ded Tugendhaften voraus! D 
herrlichen. Gottd gieb, daß ich dich anbeien 
gieb, daß id) dich ewig liebe! ” 
. Mehr ale einmal fehret er al dieſen erha 
benen Gedanken zuruͤck. Von dieſem Tage | 
an iſt er ih die. Geſelſchaft der. denkenden 
Weſen eingeweiht; ; aber er beobachtet ein 
heiliges Stillſchweigen, um eben biefen € Grad 
der Freude und des Erflayneus denjenigen 
aufzufparen, bie noch nicht bag Alter errei« 
het haben, wo man folche Wunder empfin» 
den kann. An denhum Lobe des Schoͤpfers 
gewiedmeten Tage iſt es ein erbauliches 
Schauſpiel auf unſrer Sternwarte, die zahl⸗ 
reichen Anbeter Gottes alle auf die Knie 
fallen zu ſehen, und, indem ſie ihrem Auge 
das Teleſcop vorgelegt haben und im Geiſte 
anbeten, ihre Seele mit ihren Blicken zu dem 


PB ) 168 ( Eiete 


VSaumeiſter biefer prächtigen Wunder auf: 
ſteigen zu feben . Alsdann ˖ ſtimmen 
wie gewiſſe Hymuen an, die die erſten 
Schriftſteller der Nation in der gemeinen 
Sprache raufgeſetzet haben: fie ſind in: aller 
Munde, und fchilbern hie Weisheit und Guͤ⸗ 
te Gottes. Wirt begrrifen nicht, wie vor⸗ 
mals ein ganzes Volk Gott in einer Spra- 
che anrebenn konnte, von ber es nichts ver 
fund : dieß Wolf war wohl. fehr abge 
fehnmdt, ober brannte bon einem ſchwaͤr⸗ 
meriſchen Eifer. 
| 17 wenn ein Junger Menſch ſich ſei⸗ 

nem ganzen Entzuͤcken uͤberlaͤßt, ſo druͤckt 
er vor der ganzen Verſammlung die Em⸗ 
pfindungen aus, von denen ſein Herz voll 


) Wann moͤrgen der Finger Gottes den Wol⸗ 
ken dieſe Worte in feurigen Buchſtaben eindruͤckte: 
Srerbliche betet einen Bott an! Wer zweifelt, 
daß jeder Menſch nieder fagn und anbeten wuͤr⸗ 
de? And mie? Gedankenldſer und bloͤdſinniger 
Sterblicher! iſt es wohl nöthig, daß Gott mit Bir 
Deutsch, arabifch, chinefifh redet Was find die 
ungäbligen Sterne in van Weltraume ausgeldet? 
find es nicht heilige, allen Augen verſtaͤndliche Cha⸗ 
saftere; die fichtbar einen fich offenbarenden Gott 
ankündigen ? 






) 169 (u 
ib: er theilet ſeinen Enthufafuustnuch 
den kaͤlteſten Herzen mit :-sbie Liebe: ones 
flammt und begeiſtert feinen Ausbruch. Der 
Ewige fcheimt als dann ſich mitten. umter und 
herabyelaffen zu haben, und feine Kinder zu 
hoͤren, ‚die ſich von feiner goͤttlichen Fuͤrſot· 
ge und feiner vaͤterlichen Guͤte unterhalten, 
Unfere Ratur⸗ und Sternfünöiger be⸗ 
eiſern ſich in dieſen Tagen ber Freude und 
ihre ſchoͤnſten Entdeckungen nitzutheilenn 
ſie, Herolde der Gottheit, laſſen uns ind 
Gegenwart in Dingen fuͤhlen, die dieraller⸗ 
unbeſeelteſten zu ſeyn ſcheinen: alles iſt von 
Gott erfuͤllt, ſagen fr und alles offendaret 
ihn 6), 


5), Hat ein junger Menſch den Enthufiatmei 
der Tugend, er mag gefährlich oder falfch feun: ſo 
mug man ibm feinen Irrthum nicht benehmen: 
laſſet ihn nur geben, er wird ihn obue euch berichs 
tigen; indem ihre ihm beflern wolltest, werdet ibe 
vielleicht feine Seele um eines Worte willen toͤdten. 

.6) Der äuberliche Gottesdienk der Alten bes 
Rund in Seften, in Längen, in Hymnen, alles mit 
fehr wenig Lebrfägen. Die Gottheit war nicht 
für fie ein einfames Weſen, mit Bligen bewaffnet, 
Sie theilte fich ihnen mit, und machte ihre Ge⸗ 
genwart fichtbar. Cie gläubten ihn mehr durd 
Feſte als durch Traurigkeit und Thränen zu ehren. 
Der Gefengeber, der das menfchliche Herr keunch, 


Se ) 170 ( ie 


Wir zweifeln aber auch, daß fich im gan⸗ 
sen: Koönigreiche ein einziger Acheift 9 fin 
den follte. . Es ii. nicht die Furcht, die ihm 
den Mund verſchließt. Wir wirben ihn 
nur su beklagenswuͤrdig finden, als dag wie 
ihn «eine. andere Strafe auferlegen follten, 
eis feine .eigne. Schande: wir wuͤrden ihn 
bloß aus unfrer Mitte verbannen, wofern 
en ein effentlicher Feind einer handgreifli⸗ 
chen, troͤſtlichen und heilſamen Wahrheit8) 
ſeyn ſollte. Aber vorher würden wir ihn 
die - ganze Experimentalphyſik durchhoͤren 
laſſen; alsdaun wuͤrde es unmoͤglich feyn; 
daß er gegen die offenbaren Beweiſe, die ihm 
dieſe gruͤndlich erlernte Wiſſenſchaft darſtel⸗ 
den, feine Augen verſchließen ſollte. Durch 
wird es allezeit auf dem Wege der Freude zur Tu⸗ 
gend fuͤhren. 

7) Dem Atheiſten koͤmmt es zu, zu beweiſen, 
daß der Begriff eines Gottes widerſprechend, und 
daß es unmoͤglich ſey, daß ein ſoiches Weſen exiſtire: 
es iſt allezeit die Pflicht des Laͤugnenden ſeine 
Gruͤnde anzuſuͤhren. 

8) Wenn man mir von atheiſtiſchen Mandarinen 
in China vorſchwatzt, die die bewundernswuͤrdigſte 
Moral haben, und ſich ganz dem oͤffentlichen Wohl 
auſopfern, fo werde ich nicht Die Geſchichte laͤug⸗ 


nen: aber mir ſcheint es die unbegreiflichſte Sache 
sonder Welt. 


\ 


LT  ) 1 (re 

fie dat man' ſo erſtaunenswuͤrdige, fo ent⸗ 
fernte und zugleich, ſrit ſie bekunnt gewor⸗ 
den, fo ſimple Beziehungen entdeckt: durch 
fie find fo viel aufgehaͤufte Wunder, die in 
ihrem Schooße ſchliefen, nunmehr an: bad 
Licht gebracht; endlich iſt die Natur in ih⸗ 
ren kleinſten Theilen fo aufgehellt wotden, 
daß derjenige, der einen weiſen Schoͤpfer 
laͤugnen wollte, nicht allein für einen The; 
ren, ſondern auch für ein ſehr boſes Geſchoͤpfe 
wuͤrde gehalten werden, und die ganze Na⸗ 
tion wuͤrde ſich bey dieſer Gelegenheit in 
Trauer kleiden, um ihren tiefen Schmerz ui 
bezeigen 9. 

Da niemand, dem Himmel fey Dant! 
in unſrer Stadt die elende Raſerey hat, ſich 
durch ausſchweifende und dem allgemeinen 
Urtheile der Menſchen ganz entgegengeſetzte 
Meynungen zu unterſcheiden, ſo ſind wir alle 
uͤber dieſen wichtigen Punkt einig: und liegt 
dieſer zum Grunde 10), ſo wird es mir nicht 

9) Die genaueſte Allgegenwart eines guͤtigen 
und herrlichen Sottes, veredelt die Natur und vets 
breitet durchadngig, ich weiß nicht welch einen beleb⸗ 
ten und befeciten Anblick, den eine ſkeptiſche und 
zweifelfüchtige Lehre nicht geben kan. 7 

10) Ich fürchte Gore, fagte ein gewiſſe Manım - 


und nach Bott fürchte ich bloß den, det Imwide 
förchter. 


a) 172 (Wu 

ſchwer erden, Euch begreiflich: zu machen, 
Daß alle Brineipien der reinften-Moral von 
ſelbſt daraus herfließen, ba fie auf dieſem 
unerſchuͤtterlichen Hrunde ruhen, 
Man glaubte zu Eurer Zeit, daß ed um 
mädalich. wäre, ben Volke eine ganz geiſtige 
Religion zu geben: dieß war ein großer 
Jerthum. Diele Eurer Weltweifen beſchim⸗ 
pften die menfchliche Natur durch biefe fal⸗ 
ſche Meynung. Der Begriff eines Gotteß, 
von allem unreinen Zufage frey, war inzwi⸗ 
(cher miche fo ſchwer zu fafien. Es wird 
mehr undienlieh fenn, wenn ich e8 noch ein» 
mal wieberhole : die. &eele iſt es, Durch 
die Bostiempfanden wird, Warum follte 
bie Lügen dem Menſchen natürlicher ale die 
Wahrheit kenn? Ihr haͤttet nur die Betruͤ⸗ 
ger fortſchaffen duͤrfen, die mit heiligen Sa’ 
chen einen Handel trieben, fich zu Mittels» 
werfonen zwiſchen der Gortheit und ben 
Menſchen aufwarfen, und Vorurtheile, aus⸗ 
rheilten, die noch geringer, als das Gold wa⸗ 
ren, das ſie dafuͤr erhielten. 

Endlich iſt die Abgoͤtterey, dieſes alte 
Ungeheuer, welches die Maler, die Bild: 
bauer und Dichter um die Wette zur Ber: 
Sendung und zum Unglüde der Welt ver- 


Te) 173 (ee 


Soͤttert hatten, unferunfern ſicreichen din 
den gefallen. Fa BET 

Die Einheit eines Gottes ned uner⸗ 
fchaffnen, eines geiſtigen Weſens iſt ber 
Grund unſrer Religion. Die ganze Welt 
braucht nur eine Sonne: Es bedarf nur 
eines lichtvollen Gedanfen, um bie menfcho 
liche Vernunft zu erlenchten. Alle die 
fremde und erkuͤnſtelte Sülfe, bie nem 
dein menfchlichen Verftande geben wollen 
erftichte ihn nur: fie gab ihm bienseileh (wir 
möffen es geflehen) eine Kraft, dio micht al 
lezeit der Anblick der finpeln Wahrheit her⸗ 
vorbringt: aber es war ein Stand Der Trun⸗ 
fenheit, der gefährlich wurde. Der Gef 
der Srömmigfeit hat den Fanatiſmus «ir 
zeugt: man hat biefe ımb jene Art: Der. An⸗ 
betung einführen wollen, und bie in ſeinem 
fhönften Vorzuge gefränfte Freyheit des 
Menſchen hat ſich mit Recht empoͤret. Wir 
verabſcheuen dieſe Art der Tyrauney. Mir 
verlangen nichts von einem. Herzen, das 
nichts fühler: aber iſt wohl ein einsiged, 
dag diefen hellen und eimdringenden Strah⸗ 
fen, die fich ihm zu feinem eignen Gluͤcke 
zeigen, baffelbe verfchließen folte? 


ee) 174 ( er 


. Es iſt ein Angriff auf das unendlich voll⸗ 
kommenſte Weſen, wenn man hie Vernunft 
laͤſtert und fie als einen ungemwiflen und be- 
Srügerifchen Bübrer laͤſtert. Das göttliche 
. Befeb, das von Einem Ende der Welt bie 
ang andere fpricht, ift ben gemachten Reli⸗ 
gionen, die bie Priefter erfunden‘, weit vor⸗ 
zuziehen. Der Beweis, daß fie falfch find, 
iſt, daß fie bloß traurige Würfungen hervor⸗ 
bringen: es iſt ein Gebaͤude, dag den Ein- 
kurz droht und befländig muß geſtuͤtzet 
werden. Das natürliche Geſetze ift ein un⸗ 
erfchütterlichee Thurm 11); es veranlaffet 
-..17).Dab natürliche Geſetz, das fo einfach nud 
rein if, redet eine einformige Sprache mit alleh 
Woͤlkern? es ift jedem vernünftigen Weſen ver- 
faͤndlich: es IM nit mit Schatten und Finftee 
niſſen umhuͤllt: es iſt lebend: es ift mit unauss 
Kihlichen Charakteren in aller Hergen gegraben: 
feine Befehle trotzen allen Rerolutionen des Erd⸗ 
bodens, allen Verwuͤſtungen der Zeit, allen eigen⸗ 
ſinnigen Gewohnheiten. Jeder tugendhafte Mann 
iſt davon Prieſter. Die Irrthuͤmer und Laſter 
ſind ſeine Opfer. Die Welt iſt ſein Tempel, und 
Bott die einzige Gottheit, die ed aubetet. Man 
hat dieſes taufendmal geſagt: aber es if gut, es 
immer wieder zu fagen. Ja, die Moral ift die ein- 
ige dem Menſcher unentbehrlihe Religion; ek 
handelt der Religion gemdE, fo bald er vernuͤnftig 
handelt: ex iſt tugendhaft, fo bald er fich nuͤtzlich 


—x 


a) 15 (ee 


feine Zwietracht, fondern fehaffet Frieden 
und Gleichheit. Die Betrüger, die es ge 
waget haben, Gott in dem Tone ihrer tig. 
nen Leidenfchaften reden zu laffen, haben 
die ſchwaͤrzeſten Handlungen für Tugenden 
gelten lafien: aber diefe Boͤſewichter haben, 
inbem fie. einen barbarifchen Gott gepredi⸗ 
get, Bierempfindlichen Herzen, welche lieber 
sen Sebanfen eines graufamen Gottes ver 
nichtet wifien, als ein fo fehreckliches Weſen 
der Welt zeigen wollten 12), in ben Rheins 
geſtuͤrzet. 
macht: wenn der Menſch ins Innerſte ſetier pm 
zens gebt: wenn er fein Weſen ſelbſt zu Rathe 
Sieht, fo wird er auch willen, mas er fi) und aus 
dern ſchuldig ift. 

13) Sehr viele Geſetzgeber haben dadurch, dag 
fie die Menfhen mit allen moͤglichen Schreckniſſen 
niedergeichlagen, und ihsen Verſtand verwirrt ha⸗ 


ben, fie zu Sklaven gemacht, in dei Hoffnung, fe 


ewig unter ihren Joche zu erhalten. Das Uebel 
machet allezeit auf die Menfchen ſtaͤrkere Eindrüs 
de ald das Bute: auf Diele Art ſetzt ein böfer Gott 
die Einbildungstraft allegeit mehr in Bewegung, 
ald ein guter Gott. Dieß ift die Urſache, warum 
man in vielen Religionen eine ſchwarze und finfire 
Sarbe herrſchen ſieht. Sie neigen die Sterblicyen 
zur Melantoley. Der Name Gotted weckt in ih⸗ 
- nen unaufbörlich die Empfindung des Schreckens 
anf. Ein Eindliches Vertrauen, eine. ehrerbistige. 


Sn ) 176 (re 


rn Min:biegegen erheben in. dem Vertrauen 

- „Qufibie GürebesCchäpferg, bie fich allein-fo 
fichtbar eingedruͤckt hatsumfere Herzen zu ihm. 
Die Schatten hiernieden, bie vorübergehen- 
. ben Nebel, die ung treffen, bie Schmerzen, 
der Tod ſelbſt fchrecken une nicht. Alles bag 
- ft ohne Zweifel nuͤtzlich, nothwendig, und 
‚mE felbft zu unſrer größten Gluͤrkſeligkeit 
auferlegt. Unſere Kaͤnntniſſe haben Graͤn⸗ 
gen: wir koͤnnen nicht wiſſen, was Gott 
weiß. Es mag bie Welt in Truͤmmern zer⸗ 
fallen! was haben wir zu fuͤrchten? Es ge⸗ 
ſchehe was da wolle, fo werden wir allezeit 
in Gottes Schooß fallen. 


Zwey und zwanzigſtes Kapitel, 
Beſonderer Augenblick. 


J⸗ gieng aus dem Tempel. Man führte 
mich an einen nicht weit entfernten Drt, 
um mie Muße ein neu errichtete Monu- 
ment zu betrachten. Es war von Marmor. 
Es reiste meine Neugier und gab mir das 
Berlangen ein, ben Schleyer der Einnbil- 
ber, mit denen es umgeben war, zu burchbrin- 
Hoffnung wuͤrde ben Urheber alles Guten gewiß 


ME ) 

gen. Man wollte inte ihre Bedeutung nicht 
erklaͤren, ſondern˖ mir die Ehre und dag 
Vergnuͤgen uͤberlaſſen, fie zu errathen. 
Die Hauptfigur sog alle meine Wilke 
auf ſich. An der fanften Majeſtaͤt ihrer 
Stirne, an der edlen Bilbung bed Koͤr⸗ 
pers, am den Attributen ber Eintracht 
. und des Friedens erkannte ich die heilige 
Menfchenliche. Andere Bildſaͤulen waren 
kniend, und ſtellten Weiber in Empfindun⸗ 
gen des Schmerzens und der Reue vor. 
Ach! das Sinnbild wat nicht ſchwer zu ent⸗ 
raͤzeln: es waren bie Nationen ſiguͤrlich vor⸗ 
geſtellet, die die Menſchlichkeit umt Verzei⸗ 
hung wegen der grauſamen Wunden anfleh⸗ 
ten, die fie ihr mehr als zwanzig Jahrhun⸗ 
derte durch gefchlagen hatten, 

Frankreich bat auf ben Knien un Verge 
bung wegen der fehrecflichen Et. Bartholo⸗ 
mäus Nacht, wegen des grauſamen Wies 
derrufs des Ebict von Nantes, und wegen 
der Verfolgung ber Weifen, die es in feinem 
Schooße erzeugt hat. Wie konnte es mit 
einer: fo fahften Stirne fo ſchwarze Thaten 
begehen ? Engelland ſchwur feinen Fana⸗ 
tifmus, feine beyden Roſen ab, und reichte fei- 
ne Hand ber Philofophies es verfprach Fein 

M 


We) 17 


Blut mehr zu vergießen, als das Blut-der 
Tyrannen ). Holland verabfcheufg die Par- 
theyen ber Somariften und Arminianer, und 
ben Tod des tugenbhaften Barnevelk. 
:Deutfchland verbarg feine folge Stiene, und 
ſah mit Abſcheu auf die Gefchichte feiner inner- 
lichen Zwiſtigkeiten, ſeiner Schwaͤrmereyen, ſei⸗ 
ner theologiſchen Wuth, die mit ſeiner natuͤr⸗ 
lichen Kaͤlte ganz beſonders contraſtirte. Poh⸗ 
len blickte voller Unwillen auf ſeine verach⸗ 
tungswuͤrdigen Confoͤderirten, die zu mei⸗ 
ner Zeit ſeinen Buſen zerriſſen und die Grau⸗ 
‚gamfeiten der Kreuzzuͤge erneuerten. Spa⸗ 
nien noch ſtrafbarer als ſeine Schweſtern, 
ſeufzete, eine neue Welt mit fuͤnf und dreyſ⸗ 
ſig Millionen Leichnamen bedeckt zu haben, 
die beweinenswuͤrdigen Ueberbleibſale von 
zwanzig Nationen in den tiefſten Waͤldern 
und in ben Hoͤlen der Felſen verfolget, und 
Thiere gewoͤhnt zu haben, bie minder wild, 
als fie waren, Menfchenblut zu faufen 2) - 
ss » Aber Spanien mochte feufgen und fle- 
ben, e8 konnte feine Verzeihung erhalten; 
der langſame Tod fo vieler zu den Bergiver- 
2) Es bat fein Wort gehalten. | 


2: Die Europder in der neuen Welt — was wis 
ss Daraus für ein Buch su machen ! 


ae ) 179 (Euer 
ten verbammten. inglürflichen Menfchen, 
mußte gegen baffelbe auf ewig zeugen 37, 
Der Bildhauer hatte noch viele verſtuͤmmel⸗ 
te Sklaven vorgeftellet, die mit gen Himmel 
gekehrten Augen um Rache flehten: mat 
prallte vor Schrecken zurücfe, man, glaubte 
ihr Gefchrey zu hoͤren; aus einem blutgea⸗ 
derten Marmor war ihre Geſtalt gebilpek, 
und diefe fchreckliche Sarbe war eben ſo ung 


3) Wenn ich an die Ungluͤcklichen denke, Did 
mit der Natur bleß durch ißren Schmerz nach vers 
wandt, lebendig in Den Eingeweiden der Erde vers 
graben, nach diefer Eonne feufzen, die fie das Un⸗ 
glüd gehabt haben, zu fehen, aber niemalg wieder 
fehen werden ; die in dieſen ſchrecklichen Finfterniffen 
mit iedem Odemzuge einenSeufzer aueſtoßen nnd nie⸗ 
mails aus dieſer entſetzlichen Nacht wieder herauskom⸗ 
men koͤnnen, als um in den ewigen Schatten det Todes 
Übertunehen : fo durchlduft meine qanze Seels ein ine 
erlicher Schauer. Ich glaube in denen Gräbern gu 
wohnen, die fie bewohnen, mit ihnen ben Dampf det 
Backein einzuatbınen, die ihre abſcheuliche Wohnung 
erleuchten : ich febe das Bold , diefen Abgott 
der Erde, aus feinem wahren Befichtäpunfte an, 
und fühle, daß die Vorſehung mit eben dieſem 
Metalle, der Quelle fo vieler Braufamleiten , Die 
Btrafe unzaͤhliger Uebel, die es verurfachet, ſelbſt 
ehe es noch an dad Licht gebracht wird, muge ver⸗ 
dunden haben. 


M 2 


yor. 


Sa ) TE (un 
ausloͤſchlich, wie das Andenlen ihrer "er 
brechen 4). * 

"Hau ſahe alien, von weiten, den Ur⸗ 
rung aller Uebel, die Duelle aller Graufam: 
keiten, die zwo Welten erfüllten. Es lag nie: 
bergemorfen, mit der Stine zur Erve md 
Köfihee die brennende Fackel des Banns aus: 
eß fehlen fich nicht näher‘ wagen ju wollen, um 
fane Bereifung zu erflehen. Sch hätte ger 
un feine Geſichtszuͤge in der Nähe betrach- 
ten moͤgen: aber ein kuͤrzlich erſt gefallener 
Donnerſtrahl hatte ihm das Geſichte ent⸗ 
Bei, und da ich ihm näher fam, fand’ ic 
z6 unfenntlich und vom Seuer des Blitzes 
ganz ſchwarz. 

Die glaͤnzende Menſchlichkeit erhob ihre 
veigenbe Stirne mitten unter biefen demuͤ⸗ 
thigen umd gebemüthigten Weibern. Sch 
bemerfte, daß der Bildhauer ihrem. Gefichte 
die Züge jenes freyen und muthigen Volkes 
gegeben, welches die Seffeln feiner Tyrannen 
zerbrochen. Der Hut des großen Tell 


9 Zwanzig Millionen Renſchen find unter 

dem Schmerdte einiger Spanier gefallen, und das 

Spaniite Reich enthält kaum fieben Milliouen 
en! 


Ha) 181 (rk 


ſchmuͤckte ihr Haupt⸗5): es war bag ehrwuͤr⸗ 
digſte Diadem, das jemals die Stirne eines 
Monarchen umgeben. Sie laͤchelte ver majes 
ftätifchen Weltweisheit, ihrer Sehweſter zu, 
deren veine und weiße Hände gen Himmel 
ausgebreitet waren, welcher fie mit einem 
Auge voller Liebe anblickte. i 
Ich verließ dieſen Platz, als ich auf der 
rechten Seite auf einem praͤchtigen Fußges 
ſtelle einen Neger mit bloßem Kopfe, aus⸗ 
geſtrecktem Arme, einem muthigen Auge, und 
in einer edlen und gebietenden Stellung 
fand. Um ihn her lagen die Truͤmmern 
yon zwanzig Zeptern. Zu feinen Füßen laß 
man die Wortes dem Rächer der neuen 


welt! ! 


5) Wenn Plato aufbiey Welt zuroͤcke Home, fowärs 
Ben feine “Blicke ohne Smeifel auf diefchweizexifchen 
Republiken fallen, Die Echweiser haben fich in dem, 
was dad Welen der Republiken ausmachet, das ift, 
in der Erhaltung ihrer Freyheit, ohne etwas gegen an⸗ 
Derer ihre gu unternehmen, vorzüglich groß erwieſen. 
Die Ehrlicgfeit, die Aufrichtigkelt, die Liebe zur 
Arbeit, die Sreundfchafe mit allen Nationen, bie - 
die einzige in ihrer Art if, die Stärke und der 
Muth, den fie im einem tiefen Frieden uuterhäls 
ten, ungeachtet der DVerfchiedenheit der Religio- 
nen: dieß follte den Völkern zum Muſter dienen 
amd fie ihrer Thorheit wegen beſchaͤmen. 


Bine ) 182 ( dete 

Sch that einen lauten Schren vor Ver⸗ 
wunderung und Freude. — Sa, anfiworgete 
man mir mit einer Warme, die meiner Entzuͤ⸗ 
drang gleich) war: die Natur hat endlich ben 
bewundernswuͤrdigen, unfterblichen Mann 
geſchaffen, ber eine Wels von ber ſchrecklich⸗ 
ften, längften und fchimpflichfien SHaveren 
hefreyet bat. Sein Genie, feing Kühnbeit, 
feine Gebult,. feine Standhaftigkeit, feine 
tugendhafte Nache find belohnt worden. 
Er hat bie Zeffeln feiner Lanbeleute zerbro⸗ 
chen. So viele von dem gehäfigften Joche 
unterdruͤckte Sklaven, fchienen bloß feine Lo⸗ 
fung gu erwarten, um eben fo viel Helben zu 
werden. - Der Strohm, der feine Daͤmme 
durchbricht, der Donner, welcher herabfällt, 
thut eine weniger fchnelle, weniger gewalt⸗ 
fame Würfung. In eben dem Augenblicke 
haben fie dag Blut ihrer Tprannen vergoffen. 
Franzoſen, Epanier, Engelländer, Hollän- 
ber, Portugiefen , alles ift ein Raub des 
Schwerdtes, des Giftes und der Slamme 
geivorden. Das Erdreich von America hät 
glerig das Blut eingefogen, nach welchem es 
lange Zeit bürftete, und bie Gebeine ihrer, 
auf eine fchändliche Weife erwürgten Vor⸗ 
fahren haben ſich alsdann vom Staube zu 


Sa) 133 (u 
erheben und vor Freude zu beben ge 
fchienen. 


Die Eingebornen find wieder In ihre un⸗ 
verjaͤhrten Rechte getreten, denn es waren‘ 
der Natur ihre Rechte. Dieſer heroiſche 
Raͤcher hat eine Welt in Freyheit geſot, 
deren Gott er iſt, und die andre bat ihm 
gehuldiget, ihm Kronen zugeſprochen. Er iſt 
herzugeeilet, wie ein Wetter, das ſich uͤber 
eine ſuͤndige Stadt ausbreitet, welches ſeine 
Blitze verzehren tollen. Er iſt der Engel! 
der Verwuͤſtung geweſen, dem der Gott der 
Gerechtigkeit fein Schwerdt verliehen: er: 
hat das Beyſpiel gegeben, daß die Grau⸗ 
ſamkeit früher ober ſpaͤter geſtrafet wird, 
und das ſich die Vorſehung ſolche ſtarke See⸗ 
len aufbehaͤlt, die ſie auf die Erde herabſchicket, 
um das Gleichgewichte wieder herzuſtellen, 
welches die Ungerechtigkeit eines wuͤtenden 
Ehrgelzes vernichtet hatte 6). | 


6 Diefer Held wird ohne Zweifel die edelmuͤ⸗ 
thigen Quaker ſchonen, Die juͤngſt ihdre Negern in 
Frepheit geſetzt: eine merkwuͤrdige und rührende 
Epoke, die mir Freudenthraͤnen erpreßt, und mir 
einen Abſcheu vor den Ehriften beybringen wird, 
Die es ihnen nicht nachthun. 


Een 184 L 


Drey amd zwanzigſtes Kapitel. 
Das Drod, der ein nf w. 


Je war ſo entzüct über meinen Führer, 
daß ich mit jedem Augenblicke fürchtete, - 
er wuͤrde mich verlaſſen. Die Etunde ber 
Mittagsmahlzeit hatte geſchlagen. Da ich 
weit, von meinem Quartiere entferne war,’ 
und: allemmine Bekannten geſtorben waren, 
fo füchte.ich. mit meinen Augen einen Gaſt⸗ 
wieth; nme. ihm auf eine boöfliche Weile zum 
Mahlssit einzuladen und: ihm wenigſtens 
auf einige. Art meine Erfänntlichkeit gu ber 
- zeigen. Aber mit jedem Schritte war ich 
auf meiner Eharte irre: ich Tief viele Gaffen 
durch ohne einen Weinkranz zu fehen. 

Mag iſt dem, rief ich enblich, aus alle 
denen Speiſe⸗Gaſtwirthen und Weinfchenten 
geworden, bie vereinigt und gerrenat-in ei⸗ 
nerley Befhäfftigung immer in Proceß wa⸗ 
ren »), und vormals biefe aroße Stadt be- 


1) Mer den Braten wendet, kann nicht den 
zii) deden, und wer den Tiſch dedet, kann 
niht den Braten wenden. Die Gtatuten 
der Zuͤnfte in Paris find doch eine feltfame 
und prüfungsmertbe Sache. Das Parlament hält 
voller Ernf viele Sigungen, um die Rechte eines 


Co at, fig —_ 220 
voͤlkerten? Man mefpugen. für Arteh Any: 
der Gaſſe an? —.. DaB wer auch iugschon 
den Misbraͤuchen, die Euer Jabrbun dert 
geſtattete. Man daltete eine todtliche Wi 
faͤlſchung. die. ben Sinwohnern ihre Geſund 
heit. verwuͤſtete. Der Arme, das. ft‘ drey 
Viertel der Stadt, die ſich nicht mit groſ⸗⸗ 
ſen Koſten die. natürlichen Weine konnten 
fonmen laſſen, fanden nach der Arbeit, vom 
Durſte · getrieben, zur Wiederherſtellung ih⸗ 
rer verlornen Kraͤfte, einen langſamen Tod 


Garkochs unwilderſprechlich zu beñimmen. @s hat 
ſich eben allererſt ein Streit, der der einzige in ſei⸗ 
ner. Art iß, erhoben: die Zuuft der Bachhaͤndler. 
in Paris behauptet, daß dad Genie. der Rontes⸗ 
quien; der Corneillen, u. f. w. ihr von Kechtsiwes 
gen zugehoͤre, daß alles, was aus denkenden Kos 
pfou Richt, ihr Erbtheil ausmache, daß die menfdhs 
lichen Kenntniſſe aufs Papier geworfen, sine Was - 

ve fun mit der nur fie handeln ‚dürfe, ynd. dag - 

erfaffer eines Buchs Feine andern Vortheile 

—* ziehen dürfe, als die fie ihm aus gufen Wil⸗ 
ten gemähren wolle. Diefe feltfamen Foderungen 
kann man in einem öffentlich) gedruckten Auffage 
lefen. Mr. Linguet, ein gelebster, beredfer und . 
geiffvoller- Man , bat diefe belachenswuͤrdigen 
Kaufleute fo lächerlich, als möglich, gemacht: aber 
dieſes Lächerliche fäut immer natärlicher Weiſe auf 
die ummfelige Gefengebung der Handlung in öranfe 
reich zuruͤck. 


iD) 186 ( iur 


in dem abfcheulichen Getraͤnke, deſſen täglicher 
Gebrauch den verrätherifchen Gift verbarg. 
Die Körper wurden gefchwächt, die Einge⸗ 
weibe vertrocknet «+ Wie fonnte es 
anders fenn? Die Abgaben der Einfuhre was 
ren fo entfeglich erhoͤhet worden, daß fie den 
Preis des Einkaufs um ein großes überflie- 
gen. Man hätte glauben follen, der Wein waͤ⸗ 
re durchs Gefeß verboten worben, oder ber 
franzöfifche Boden hätte fich in den engellän« 
difchen verwandelt. Aber man fragte wenig 
darnach, ob eine ganze Stadt vergiftet wuͤr⸗ 
de oder nicht, wenn nur ber Pacht von Jah⸗ 
re zu Jahre dadurch flieg 2. Das Stem- 


2) Ein Bauer hatte einen Sfel, der zween groſ⸗ 
Te Körbe im Bleichgewichte auf feinem Rüden trug. 
Man füllte diefe mit Aepfeln, und die Aepfel übers 
Biegen das Maas der Körbe- Das arme Thier, 
sb es gleich fchon ſchwer beladen war, gieng doch 
mit einem folgfamen und gelebrigen Schritte. Eis 
nige Schritte weit vom Dorfe ſah ber Kerl reife 
Aepfel an Bäumen: ab, fagte er, du wirft dieſe 
wohl auch tragen, weil du jene trägft, und er 
belud feinen Efel damit, Der Efel,eben fo gebultig als 
fein Herr begehrlich war, verdoppelte feine Kräfte, 
konnte aber fat nicht mehr, denn das Maas war über 
voll. Der Bauer fand auf feinen Wege nody eis 
nen Apfel: o, fagte er, ein Apfel mehr oder wes 
niger, das wird dir nichts fchaden. Das arme 


WED) 197 (are 


pelpapker mußte ganze Familien. ind Elend 
ſtuͤrzen, und der Wein außer dem: Preis 
feyn , um ben abfchenlichen Geiz der Ge 
neralpachter zu befriedigen : und da bie- 
Großen nicht von dieſem heimlichen Gifte 
farben, fo war- es ‚ihnen fehr gleichgültig» 
dem Pobel möchte es gehen, wie es wolle: 
So nannte man den arbeitfamen Theil ver 
Nation. — Wie konnte man aber ſo vor« 
feßlich die Augen von einem fo moͤrderiſchen, 
und ber -Gefclifchaft fo verberblichen Miß⸗ 
brauche wegtehren ? Wie? man verkaufte: 
öffentlich Gift in Eurer Stade und der Mar 
giftrat war darüber außer Sorgen ?. Ad}! 
barbarifihes Volk! So bald man unter ung 
einige Berfälfchung merkt, fo iſt das Ver⸗ 
brechen Kapital, der Giftmifcher verliert bag 
Leben: aber wir haben auch diefe niedertraͤch⸗ 
tige Gelderpreffer meggefchafft., die alles 
Gute, was fie berühren, verderben. Der 
Wein wird auf die öffentlichen Märkte 9% 
Thier konnte nicht antworten, fiel aber vor Mate 
tigkeit um, und flarb' unter feiner Laſt. \ 
Nun, bier if die Lehre. Der Bauer ift der - 
Fuͤrſt, und das Volk ift der Eſel: aber es ik ein 
friedfertiges Eſelvolk, das die Sefaͤlligkeit hat, 


nicht zur Erde zu fallen: nein, es wird ſtehend ſter⸗ | 
ben. - ' ’ 


age) 185 ( ienrie 


bracht, ifo: wie ihn die Natur erzeugt, unb 
der Bürgern von Paris, ve mag reich ober 
‚ arm feyu, trinkt gegenwärtig ein Glas geſun⸗ 
den Weines anf. bie Geſundheit feines Koni⸗ 
ges, den er licht, und dem die Verehrung und: 
Liebe feiner Unterthanen chen fo fehr am Her⸗ 
zen liegt, — Und das Brod, ift ed theuer? — 
Es bleibt faft immer in gleichem Breife:9, 
weil. man fehr: weiglich Öffentliche Getraybe⸗ 
Magazine errichtet, die im Salle ber Noth 
immer 'nngefüllet find, und wir nicht dem 
Fremben unfer Brod verfaufen, nm. es 
dvey Monate darnach viel theurer wieder zu 
faufen: Man hat den Vortheil des Kaͤu⸗ 
fers und Verkaͤufers richtig abgewogen und 
alle beyde finden dabey ihre Rechnung. Die 
Ausfuhre iſt nicht verboten, weil ſie aͤußerſt 
vortheilhaft iſt: aber man bat ihr vernuͤnf⸗ 
tige Gränzen geſetzet. Ein einſichtsvoller 


3) Das bee Mittel, die Menge der Verbre⸗ 
chen zu verringern, if, bap man einem Wolfe Ges 
machlichkeit und Zufriedenheit verfchaffe. Die Noth⸗ 
durft umd dee Mangel erzeugen drey viertel von 
Miſſethaten, und das Volk, bey dem der Ueber⸗ 
Aug herrſchet, wird nicht leicht Mörder und Näns 
ber unter fich Haben. Die erfie Marime, die ein 
König wifen fellte, if, daß gute Sitten aus 
einem binlänglichen Auskommen entſtehen. 


nen ) 189 ( re 
und reblidier Mann hat. bie Aufſteho ůber 
dieſes Gleichgewicht -und verſchließt die 
Shore, fobalb ſech die eine: Wagſchale zu 
tiefifenfet 4). Ueberdieß durchſchneiden Ea⸗ 
naͤle das Reich und verſtatten ·einen freyen 
Umlauf: wir haben die Saone mit der Mo 
ſel und der Loire zu vereinigen und alſo einr 
"gene Vereinigung zweyer Meere zu Bewer 
ſtelligen gewußt, die unendlich vortheilhafße 
tor iſt, als die alte. Die Handlung. ver 
. breitet ihre Schäße von Amſterdam nach 
Nantes, und von. Rouen Big: Marſeille 
Wir haben diefen Canal in der Provence ges‘ 
macht, der dieſer fo fihsnen vud mit den | 


„» Wir machen die (hönfen Beftaditüngen 
Melt, wir berechnen, wir führeiben, wir bel 
uns mit unfern politiſchhen Gedanken; Kal: 
niemals find fo viele Fehler gemacht: wyrden· Die: 
Empfindung würde und weit ſicherg Mepe leiten, 
Bir find mit der vorgegebenen Wagfchale in der 
Hand Barbaren und Ziveiller geworden. Laßt und 
Doch wieder Menfchen werden! Das Her uni: 
nicht das Genie thut große und ebelmüthige- Hand⸗ 
Jungen. Heinrich der IV. if der heile König nom. 
Der Welt gewefen, nicht durch feinen ausgebreite⸗ 
ten Berfiand, fondern, weil er die Menſchen auf⸗ 
richtig liebte. Das Herz gab ihm ein, mas er fuͤr 
übe Glück thun muͤſſe. Was. für eine ungluͤckliche 
Zeit, wo man big über das Gluͤck raiſennixet. 


ee ) 102 (er 
nen grauſamen' Hunger litte nicht das Voif 
waͤhrend dieſer ſchoͤnen Streitigkeiten? — 
Geſeh erklaͤret haben: fie wird dielleicht eines Ta⸗ 
ges Gutes ſchaffen: aber ſie haben ſich doch vor⸗ 
zumwerfen, daß fie auch, ohne es zu wollen, un dem 
ode vieher taufend Menſchen und an dem Ejende 
derjenigen Schuld gewefen, die nech dem Tode ents 
zunnen find. Sie find zu vorellig geweſen: fie 
"Yaben'nlies In Betrachtung gerogen, außer die Bes 
'gierde der Menſchen nicht, die Durch diefe gefdhrs 
liche Lockſpeiſe dugerkt aufgebracht worden. Ste 
Aft ein «geber, (ſagt Mr. Linguet ſehr nachdrüds 
Jich,) dem fie der Zandlung in die Hände ge- 
geben, und mir dem fie den Unterhalr des Volks 
ausgeſogen. Das Äffentliche Gefchrch muß mehr 
gelten, als Ephemeriden. Man fiößt ein Fldaliches 
Geſchrey aus: mithin ift das Geſetz vorist boͤfe. 
Das Uebel mag immer von einer ertlichen Urſache 
Herrüßren, daran liegt nichts; man bätte fie erra⸗ 
then, vor berfeben, ihr zuvorkommen und fühlen ſol⸗ 
Ien, daß eine Beduͤrfniß von der duferfien Us 
vntbehrtichteit nicht einem ungefähren Laufe sufdRi= 
ger Begebenheiten darf uͤberlaſſen werben: daß eis 
ne fo unerhörte Neuigkeit in einem weiten Reiche 
ihm einen Stoß geben muͤſſe, der ganz unfehibar 
den ſchwaͤchſten Theil unterdrücken werde. In⸗ 
swifchen war es eben das Gegentheil, welches ſich 
die Oekonomiker verfprachen. Sie feliten erftchen, 
Dat fie fich Durch den Eifer für das allaenıeine 
Wohl verfiihren laffen, daß ſie das Projekt nicht ges 
nug überlegt, und es zu fehr vom Ganzen ger 
trenuet baben, Da Doch in "der politifchen Ord⸗ 


Zr ) 193 ( re 


Danfet der Vorſehung, bie noch auf biefeg 
Reich herabfah.; ohne ‚fie haͤttet Ihr das 
nung eines in das andere eingreift.: Es if nicht 
genug, ein Calculator zu ſeyn; man muß auch 
ein Mann des Staates ſeyn: man muß zu beſtim⸗ 
men wiſſen, was die Leidenfchaften für Schaden, 
für Abfdue, für Veränderungen anrichten Finnen: 
man muß abmdgen, mas das Bettagen der Reichen 
anf den armen Theil für Wirkuug haben kann. 
Man bat aber das Objekt nur von drey Seiten anfer 
‚ben wollen; den wichtigften Theil hat Man vergefien, 
‚ich meyne den Theil der Handwerker, ber für ſich allein 
Drep viertel von der Nation ausmachet. Ran bat ihr 
nen den Preiß des Tagelohnes nicht erhoͤhet, und 
der geisige Vachter hat ibn in der ſtrengſten Abbaͤn⸗ 
sigteit erhalten: fie haben euch durch eine. ver⸗ 
Doppelte Arbeit das Geſchrey ihrer. ‚Kinder. nicht 
Kilen können. Die Theurung des Brodes if das 
Thermometer der Äbrioen Nahrungsmittel gewe⸗ 
fen, nad der Partieulier it um bie. Hälfte aͤrmer 
gewefen. Dieſes Geſetz alfo mar ein bloßer beträg 
gerifher Schleyer, um geſetzmaͤßig die ſchreckuich⸗ 
ſten Monopolien auszuuͤben: man hat fie g nem 
das Vaterland gekehret, deſſen Gian; ſie vermeh⸗ 
ren ſollten. Seufſzet ihr Schriftſieller, und ob 
ihr gleich dem edeln Trieben eines wahrhaftig pa⸗ 
triotiſchen Hergend gefolget ſeyd, fo fuͤhlet, wie ge: 
faͤhrlich es iſt, nicht euer Jahrhundert und die 
Menſchen zu kennen, uud dieſen eine Woblthat 
angeboten zu haben, die fie in Gift verkehr⸗ 
sen. Nunmehr if ed eure Pflicht, den Kranken 
in der Eur, die ihn tödtet, beyzuſtehen, ihm das Del 
N 


Zi) 19 ( — 


Fa auf den Feldern eſſen müffen : aber 

fie hat Mitleid mit Euch gehabt und Euch 
vergeben: benn Ihr wußtet nicht was Ihr 
thatet. Wie fruchtbar iſt nicht der Irrthum! 
Wir haben eine Profeßion, die faſt allen 
Bürgern gemein ift, dag iſt der Ackerbau, 
in einem allgemeinen Verſtande genommen. 
Die Weiber, als das ſchwaͤchſte Geſchlecht, 
Bas bloß zu haͤußlichen Sorgen beſtimmt iſt, 
bauet niemals die Erde. Ihre Hände ſpin⸗ 
nen Wolle, Flachs u. ſ. w. Die Männer 
würden ſich fchämen, ihnen eine harte Arbeit 
aufzulegen. 

Drey Dinge find hauptſaͤchlich bey ung 
in Ehren: Ein Kind zeugen, einen Acker be: 
arbeiten, und ein Haus bauen. Auf dieſe 
Art ift der Feldbau erträglich gemacht. Man 
flieht nicht ben Landmann fich mit dem An⸗ 
bruche des Morgens quälen, um erſt nad) 
Sonnen Untergang feine Arbeit zu perlaffen, 
die Hitze des gangen Tages ertragen und 
kraftlos binfallen, indem er vergebens nur 
um einen Biffen von den Gütern flebt, die ſei⸗ 
ne Hände erzeugten. Kann wohl eine fchreck- 
Jichere, brückendere Beſtimmung feyn, als 


Iungemittel gu zeigen, und ihn, wo miolich zu ret⸗ 
ten: Hic labor, hoc opus. 


Se) 195 ( 

der gemeinen Landleute ihre war, die nad) ihrer 
ſchweren Arbeit nichts ald neue Laſten ſahen, 
und mit Seufzen den engen und kurzen Raum 
ihres Lebens ausfuͤllten? Welche Sklaverey 
war nicht dieſem ewigen Kampfe mit den nie⸗ 
dertraͤchtigen Tyrannen vorzuziehen, die die 
armſeligen Hütten ihrer Unterthanen pluͤn⸗ 
derten, indent fie die dringendſte Armuth mit 
ſchweren Abgaben belegten! Dieſe äuferfte 
Verachtung fehmächte in ihnen ſelbſt das 
Gefühl der Verzweiflung: und ber unter 
druͤckte, verachtete Bauer ließ in feinem trau⸗ 
rigen Zuſtande, indem er ſeine harte Furche 
durchſchnitt, ſein Haupt herabſinken, und 
kannte zwiſchen ſich und ſeinem Stiere kei⸗ 
nen Unterſchied mehr. 

Unſere fruchtbar gemachten Felder vet 
nen von Sreudengefängen. Jeder Hausva⸗ 
ter giebt das Beyſpiel. Das Tagewerk iſt 
maͤßig, und ſo bald es geendiget iſt, nimmt 
die Freude ihren Anfang. Kleine Zwiſchen⸗ 
raͤume von Ruhe machen ihren Eifer viel 
thaͤtiger und er wird beſtaͤndig von laͤndli⸗ 
chen Spielen und Taͤnzen unterhalten. 
Sonſt holte man das Vergnuͤgen in den 
Staͤdten: heute zu Tage ſucht man es auf 
dem Lande aufs hier ſieht man lauter lachende 

2 


=) 196 ( — 

Gefichter. Die Arbeit bat nicht mehr den 
fürchterlichen und widerlichen Anblick, weil 
er nicht mehr für Sklaven gemacht zu ſeyn 
ſcheint. Eine ſanfte Stimme ladet zur 
Pflicht ein und alles wird leicht, gemaͤchlich⸗ 
ja fo gar angenehm. : Endlich, da wir nicht 
mehr. eine fo ungeheure Menge Müßiggän- 
ger haben, bie wie ſtehende Waffer, den Um⸗ 
lauf 48 politifchen Körpers hindern, und bie 
Saulheis verbannet iſt, fo hat jedes Indibi⸗ 
denm feine ſuͤße Muße und Feine Caſſe findet 
ſich zu Boden gedruͤckt, um eine andere uu 
unterſtüben 

Ihr werdbet alſo leicht einſehen, daß da 
wir weder Moͤnche, noch Pfaffen, noch zahl⸗ 
reiche Bediente, noch unnuͤtze Knechte, noch 
Handwerker eines kindiſchen Luxus haben, 
daß, fage ich, einige Stunden an ber Arbeit 
weit mehr einbringen; ale die dffentlichen 
Beduͤrfniſſe erfodern: fie find reich an gu⸗ 
ten Produkten im alleriey Gattungen: dag 
Neberfluͤßige geht zu den Sremden und ver- 
fchafft und dafür andre Waaren. 
Seht einmal, wie rachlich jene Märkte 
mit allen ndthigen Lebenemitteln an Hülfen- 
früchten, Obſt, Fiſchen, Federviehe verfehen 
And. Die Reichen machen nicht, daß 


Sam) 197 ( un 


die Armen hungern muͤſſen. Die Furcht ek 


ner Sache nicht hinlaͤnglich genießen zu koͤn. 
nen, iſt weit von uns entfernt. Wan kennt 
nicht die unerfättliche Begierde, dreymal 
mehr aufzufaufen, als man verthun kann. 
Die Verſchwendung wird verabfchenet. 
Wenn bie Natıır an ung in Einem Jahr 
ve ftiefmütterlich handeln follte,. fo fommen 
deswegen nicht gleich viele tauſend Menfchen 
am. Es than fid, die Kornboͤden auf und 
die weiſe Borficht des Menfchen, hat: die une 
günftige Witterung und den Zorn bed Him⸗ 
mels gezähmet. Der Magen ber:arbeitfams 
ſten Menfchen empfängt feine magre, trockne, 
übel zubereitete Nahrung und boͤſe Säfte, 
Der Meiche fondert nicht mehr. dag ſchoͤnſte 


Mehl ab, um den übrigen bloß bie Kleyen 


zu laſſen: dieſe unbegreifliche Beleidigung 
würde ein ſchaͤndliches Verbrechen ſeyn. 
Sollte es uns zu Ohren kommen, daß ein 
einziger die Folgen des Hungers gelitten 
haͤtte, ſo wuͤrden wir uns alle fuͤr die Ur⸗ 
heber ſeines Ungluͤcks anſehen, und die ganze 
Nation wuͤrde darüber in Thraͤnen ſeyn. 
So iſt der Arme von aller Unruhe wegen 
feiner Bedürfniffe frey. Der Hunger reißt 
nicht, wie ein fürchterliches Gefpenfte, ihn 


ee ) 198 ( Eier 


von feinem Lager weg, wo er auf einige Mi⸗ 
nuten feiner Schmerzen vergaß. Er erwacht 
ohne die erfien Strahlen der Eonne tra 
rig zu fehen. Befriediget er feinen Hungen, 
fo darf. er nicht fürchten, durch die Beruͤh⸗ 
rung der Speife ein Gift in feine Adern gu 
jagen.: - 


Diejenigen, die Reichthuͤmer befißen, wen⸗ 
den ſie dazu an, neue und nuͤtzliche Erfahrun⸗ 
gen anzuſtellen, welche dazu dienen, eine Wiſ⸗ 
ſenſchaft zu ergruͤnden und eine Kunſt zu ih⸗ 
rer Vollkommenheit zu bringen: ſie errich⸗ 
ten majeſtaͤtiſche Gebaͤude: ſie thun ſich 
durch ruͤhmliche Unternehmungen vor: ihr 
Vermoͤgen ſtuͤrzet ſich nicht in den unreinen 
Schooß einer Beyſchlaͤferinn, oder auf ei⸗ 
nen ſtrafbaren Tiſch, wo ſich drey Wuͤrfel 
drehen: ihr Reichthum nimmt eine Geſtalt, 
eine ehrenvolle Feſtigkeit an, die den Augen 
der Türger ein Entzuͤcken verurfachel. Aus 
diefer Urſache treffen auch die Pfeile des Nei⸗ 
bes niemals ihre Beſitzungen. Man fegnet 
die edeln Haͤnde, die als Verwalter der Güs 
ter einer lichreichen Vorfehung, ihre Abfich- 
ten durch die Errichtung folcher nüßlichen 
Denkmäler erfüllt haben. 


ze ) 199 ( ih 


Aber, betrachten wir bie. Keichen Eures 
Jahrhunderts, fo glaube ich, daß keine Ab⸗ 
zuͤge ſo haͤßliche Unreinigkeit bey ſich fuͤhren, 
als ihre Seelen. Sie hatten, mit dem Gelde 
in Haͤnden und der Riedertraͤchtigkeit im 
Herzen, eine Art von Verſchwoͤrung gegen 
die Armen gemacht: ſie mißbrauchten der 
Arbeit, der Muͤhe, der Ermuͤdung, der Kraͤf⸗ 
te ſo vieler Ungluͤcklichen: ſie achteten den 
Schweiß ihres Angeſichts und die abſcheuli⸗ 
che Furcht vor der Zukunft, wo fie ein ver⸗ 
laſſenes Alter vorherfahen, für nichts. Dies 
fe Gewaltthaͤtigkeit war zur Gerechtigkeit 
‚geroorden. Die Gefege waren nur info fern 
wirkſam, als fie ihre Raͤuberey heiligten. 
Sn wie eine Feuersbrunſt alles, was ihr na- 
be liegt, aufzehret: fu verfehlangen fie die 
Grängen, bie an ihre Laͤndereyen fließen: 
und ſo bald man ihnen einen Apfel flahl, er⸗ 
huben fie ein entfeßlicheg Gefchrey, und nur 
‘der Tod Eonnte fo eine abſcheuliche That 
ausſoͤhnen. — Was follte ich darauf ant- 
worten? Ich fehlug die Augen, nieder, ver- 
‚fiel in ein tiefes Nachdenfen und gieng gang 
in meine Gedanken verfchloffen, fort. — O 
Ihr Habt nod).andre Dinge, die Euch zum 
Nachdenken auffodern, fagte mein Führer zu 


De: )) 200 (: ie ik 

wir. Bemerker, (weil Eure Augen. einmal 
auf bie Erde gehefftet find, )- daß bag Blut 
der Thiere nicht mehr in den Strafen fließt, 
und die Vorſtellung ber Schlachtbänfe in 
Euch, erwecket. Die Luft wird nicht mehr 
von diefem Gadavergeruch. angeftecht , ber 
bey Euch fo viele Krankheiten veranlaßte. 
Die Neinlichkeit tft ein Zeichen der Ordnung 
und sffenilichen Harmonie, das am. wenige 
ſten zweydeutig iſt: fie herrſchet überall 
Aus einer heikſamen, und ich möchte faſt far 
gen, morafifchen Vorficht, haben wir bie 
Schlachthoͤſe außer der Stabt angelegk 
Hat ung die Natur verdbanmit, Fleifch von 
Thieren zu effen, fo wollen wir ung doch. 
menigftens den Anblick des Todes erfparen. 
Das Handwerk des Fleiſchers muͤſſen bey 
uns Fremde verrichten, die ihr Vaterland 
verlaſſen muͤſſen: fie werden von den Geſe⸗ 
Ben gefchüßt, aber nicht in die Elaffe der Buͤr⸗ 
ger aufgenommen. Keiner von ung freibt diefe 
Blutige und graufame Kunft : wir würden 
ung fürchten, daß fich unfre Brüder da⸗ 
durch nicht unvermerkt gewoͤhnten, be 

natürlichen Eindruck des Mitieids zu vers 
lieren s und das Mitleid, Ihr wiſſet es 
wohl, ift das ſchoͤnſte, das wuͤrdigſte Ge 


ma) 201 (TR 
ſchenke, das wir von der Ratur erhalte 
haben 6, r oo. 2: rd 3 


. Bier und yoanyiged ‚Kapitel. 4 
Der Prinz, ein Gaſtwirth. = 


J Ay wollt effen, fagte mein Führer, denn 
die Promenade hat Euch Appetit ge 
macht? Gut, wir wollen in diefes Wirths⸗ 
Baus gehen. — Ich prallte drey Schritte 
zuruͤck. Ihre bebenfet.nicht was Ihr ſaget, 
berſetzte ich? Da iſt ein großer Thorweg, 
Wappen und Wappenhalter. Hier muß ein 
Bein; wohnen — Ja freylich! es iſt ein 
zuter Prinz, denn er hält allegeit bey fich 
drey offene Tafeln: eine für fich und feine 
Samilie, die zweyte für die Fremden, und die 
yriste für Norhdürftige — Sind viel folche 
Tafeln in Eurer Stadt? — Bey allen Prin⸗ 
en — Aber es müffen fich da viele müßige 
Schmaroger einfinden? — Nichtsweniger s 
yenn fo bald jemand eine Gewohnheit dar⸗ 
us machet und fein Sremder ift; fo bald 
wird er bemerkt, und die Cenforen der Stadt, 
yie feine Neigung zu erforfchen ſuchen, weiſen 
hm ein gewiſſes Gefchäffte an: fcheint er aber 


6) Beifbefäneibungen 


ED ) 202 ( Enirie 


zu nichts gut zu feyn, als zum Effen, ſo ver⸗ 
meifet man. ihn aus der Stadt, fo wie man 
aus der Bienenrepublif alle diejenigen zum 
Stocke hinausjagt, ‚die nichts thun, als den 
allgemeinen Schatz aufjehren helfen. — 
Idhr habt alſo Cenſoren? — Ja, oder fie 
verdienen vielmehr einen: andern Namen. 
Es find gerichtliche Uuffeher, die überall Die 
Fackel der Vernunft umbertragen und un⸗ 
gelchrige ımd aufrüßrifche Gemuͤther zu hel⸗ 
len ſuchen, indem fie wechſelsweiſe die Be⸗ 
rebfamteit des Hetzens, die Sanftmuth und 
die Klugheit anwenden. 

Dieſe Tiſche ſind fuͤr Greiſe, Wiederge⸗ 
neſene, ſchwangere Weiber, Wayſen und 
Fremde errichtet. Man ſetzt ſich daſelbſt 
bin, ohne fich su ſchaͤmen, oder ein Beden⸗ 
fen darüber zumachen, ‘und findet bier 
eine geſunde, Feichte und reichliche Koſt. 
Diefer Prinz, der Ehrfurcht für die Menſch⸗ 
lichfeie bat, kramet nicht eine eben fo be⸗ 
leidigende als fchmelgerifche Pracht aus: 
er läßt nicht drey hundert Menfchen arbeis 
ten, um zwoͤlf Perfonen zu effen zu geben: 
er machet nicht aug feiner Tafel eine Vers 
zierung . der Oper: er machet ſich Eeinen 
Ruhm aus dem, was eine wahre Schande 


ae) 203 ( Tr 

ift, ich meyne, aus: einer übertriebenen, un⸗ 
ſinnigen D Verſchwendung: wenn er ſpei⸗ 
ſet, ſo denket er, daß er nur Einen Magen 
habe, und daß es nichts beſſer waͤre, als 
daß er ihn zum Gotte machen wolle, wenn 
ee ihm, wie den Abgoͤttern des Alterthbumg, 
hunderterley Gerichte anbieten wollte, von 
denen er nichts zu eh nehmen fönnte. : 


Rn. . Indem wir ſo mit einander. ſchwatzten, 
giengen wir durch zween Hofe; die Ausgaͤn⸗ 
ge waren gablreich und bequem, und wir 
famen in einen ausnehmend ‚tiefen, Saals 
dieg war der für die Fremden. Cine ein- 
jige Tafel, wo man ſchon an vielen Drteg 
aufgetragen‘, nahm die ganze Länge deffel- 
ben cin. Man beehrte mich, meines hohen 
Alters wegen mit einem Armſtuhle: man feß- 
te ung. eine Fräftige Suppe, Huͤlſenfruͤchte, 


1) Wenn ein Menfch den Kupferflich des Gars 
sanıtua fieht, deſſen Rund groß wie ein Backofen ift, 
der aufeine Mahlzeit zwoͤlfhundert Pfund Brod, zwan⸗ 
sig Ochſen, hundert Schoͤpſe, ſechehundert Huͤner, 
funfzehnhundert Hafen, zweytauſend Wachteln, 
zwoͤlf Maaß Wein, ſechs taufend Pfirſchen ver⸗ 
ſchlingt, wuͤrde er nicht ſagen: dieſer große Mund 
ift der Mund eines Bönigen 


h 


Sei) 204 (re 
en wenig Wildpret umd Fruͤchte vor, al; 
les auf eine einfache Art zugerichtet >). 

Das ift pnvergleichlich ; rief ich aus! 
D! das heißt einen. guten Gebrauch von 
feinen NReichthümern machen, wenn man 
die Hungrigen ſpeiſet. Sich finde diefe Art 
zu denken weit edler, und eines hohen Stans 
des weit wuͤrdiger — Alles gieng in der 
Außerſten Ordnung: eine wohlanſtaͤndige 
und lebhafte Unterhaltung gab dieſer oͤf— 
fenrlichen Zafel einen neuen Reiz. Der 
Prinz erſchien/ und gab bald hie bald da ſei⸗ 
ne Befehle auf eine edle und Teutfelige Art. 
Er kam laͤchelnd zu mir: er fragte mich 
nach verfchiedenen Dingen aus meinem 
Jahrhunderte, und verlangte, daß id) ohne _ 
Zurückhaltung forechen ſollte. Ach! fagte 
sch: Eure Vorfahren waren nicht fo- ebels 


a, Ich babe einen König su einem Prinzen Fonts 
men fehen. Als er durch einen großen Hof gieng, 
hatte fich eine gewaltige Menge Menfchen auf dems 
feibigen verfammelt, die mit ſchmachtender Stim⸗ 
me fchrien: Brod! gebt une Brod Nachdem 
er diefen Hof burchgangen mar, ohne ein Wort 
darauf zu ant:worten, ferte er ſich nebfl dem Prints 
sen an eine Tafel su einem Feſte nieder, das bey⸗ 
nahe eine Million koſtete. 


Be) 205 Ä 3 


muͤthig als Ahr! fie brachten ihre F Tage 
auf der Jagd 3). und bey der Tafel zu. 
Wenn ſie Haſen toͤdteten, ſo geſchah 
es aus Muͤßiggange, und nicht um ſie den⸗ 
jenigen zu eſſen zu geben; die von ihnen wa⸗ 


- 3) Die Jagd folte für ein unedlet und nieder⸗ 
traͤchtiges Vergnuͤgen gehalten werden. Man ſoll⸗ 
te die Thiere bloß aus Nothwendigkeit toͤdten: denn 
unter allen Geſchaͤfften iſt dieſes gewiß das trau⸗ 
rigſte. Ich leſe allezeit mit einem neuen Grade 
der Aufmerkſamkeit, was Montaigne, Rouffeau 
und andere Philoſophen Iber die Jagd geſchrieben 
haben. Ich liebe die guten Indianer, die ſogar 
das Blut der Thiere ſchonen. Die Gemuͤtheart 
der Menſchen verraͤth ſich durch die Art der Wera 
gnuͤgungen, die fie wählen. Und meld, ein grau⸗ 
fames —55 — aus den Luͤften ein blutiges Reb⸗ 
huhu berabzufürzen, Haſen unter ſeinen Fuͤßen zu er⸗ 
morden: zwanzig heulenden Hunden yı folgen, und ein 
armes Thier zerreißen zu ſehen! Diefes iſt ſchwach, es 
iſt uuſchuldig, es iſt die Furchtſamkeit ſelbſt: e⸗ 
unterliegt, ein freyer Bewohner der Waͤlder, unter 
den Zähnen feiner Feinde: der Menſch koͤmmt das 
zu, und Rdst ihm feinen Pfeil durchs Herz: der 
Barbar lächelt, indem er feine ſchoͤnen Seiten, rot 
vom Blute und die fruchtloſen Thränen ficht, die 
aus feinen Augen firöhmen. Ein ſolcher Zeituers 
treib nimmt defien Urfprung in einer von Natur 
barten Seele, und der Charakter der Jaͤger ift nichtg 
anders als eine Bleichgültigkeit, die in Bereits 
ſchaft ik, fich in Sraufamkeit zu verwandeln. . 


Mae ) 206 (Erd 
ven aufgefreſſen worden. : Sie erhoben ihre 
Seele niemals zu irgend einem großen und 
nuͤtzlichen Gegenftaride. Sie verſchwende⸗ 
ten Millionen für Hunde, Diener, Pferde 
und Schmeichler: Kurz, fie trieben das Hande 
werf ber Höflinge, und gaben bie Sache des 
Vaterlandes auf. 

Jedes hub vor Erſtaunen die Hände ge gen 
Simmel: man hatte viel Mühe, meinen 
orten Glauben beyzumeffen. Die Befchich- 
te, fagfe man mir, hat ung doch nicht'alleg 
das gefagt: im@&egentheil' - - Ach! erwies 
derte ich, die Geſchichtſchreiber find ſtrafba⸗ 
rer, als die Fuͤrſten geweſen. 


Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel. 
Schauſpielhaus. 


ec, der Mittagsmahlzeit fchlug man mir 

vor, in,die Komoͤdie zu gehen. Sch 
bin allezeit ein Freund der Echaufpiele ge- 
wefen, und werde fie auch noch nach tau⸗ 
fend Sjahren lieben, wenn ich fo lange leben 
ſollte. Das Hers fchlug mir vor Sreube. 
Was für ein Stuͤck wird denn heute ge 
fpiele? Welch ein Stuͤck mag denn unter die 
ſem Volke für ein Meifterflück gehalten wer⸗ 


= 


Se ) 207 ( Eee 


den? Werbe ic) den langen Kock der Perfer, 
der Griechen, ber Roͤmer, oder die franzoͤſt⸗ 
ſcche Kleidung fehen? Wird man cinen elen⸗ 
den Syrannen vom Throne floßen, oder eis. 
nen Dummkompf mit. dem Dolche durchbow 
ren, ber nicht auf feiner Hut war? Werde 
ich eine Verſchwoͤrung oder einen Schatten 
fehen, ber aus dem Grabe unter dem Ges 
murmel des Donners hervorwandelt? Habe 
Ihr wenigſtens gute Schauſpieler, meine 
Herren? Sie ſind zu aller Zeit eben ſo ſel⸗ 
ten, als die großen Dichter geweſen — 
Je nun, ja, ſie geben ſich alle moͤgliche Muͤ⸗ 
he, ſie ſtudiren, ſie laſſen ſich von den beſten 
Schriftſtellern unterrichten, um nicht in au⸗ 
genſcheinlichen Widerſinn zu verfallen: fie 
ſind folgſam, ob ſie gleich weniger beleſen ſind, 
als die, Eures Jahrhunderts waren. Es 
koſtete Muͤhe, ſagt man, einen leidlichen 
Schauſpieler, oder eine leidliche Schauſpiele⸗ 
rinn aufzutreiben: die übrigen waren werth, 
in breternen Buden auf dem Boulevard zu 
ſpielen. Ihr hattet in der Hauptſtadt, die 
eine Nebenbuhlerinn von Rom und Athen 
ſeyn wollte, ein kleines, duͤrftiges, armſeli⸗ 
ges Theater: und oben drein wurde dieſes 
Theater ſchlecht regieret. Der Komoͤdiant, 


en ) 208 ( ee 

dem man weit mehr. gab, ale er verdiente, 
anterftund ſich, Hochmuth sa befißen, beun⸗ 
ruhigte den Mann von Genie nd, der fi 
gezwungen fah, ihm fein Meifterftück zu uͤher⸗ 
laſſen. Dieſe Menſchen ſchaͤmten ſich micht 
zu Tode, daß ſie die beſten theatraliſchen 
Stücen zuruͤcke gewieſen, oder wider Willen 
geſpielet haben, indeſſen daß diejenizen,die 
ſie mit Entzuͤcken aufnahmen, ſchon durch 
dieſes einzige Zeugniß den Stempel: ihrer 
Verwerfung und ihres Falls trugen. ‚Ray 
fie brachten es fo weit, daß fich das Publ 
kum nicht mehr um die Zänfereyen ihrer 
fchmußigen . und elenden Spiclbube der 
kuͤmmerte. 


1) In Frankreich iſt die Regierung monarchiſch 
und das Theater republikaniſch. Das ik aber 
Richt das Mittel, wodurch die dramatifche Fu 
ſo bald zu eininer Vollfommenheit gelangen kann: 
ih bebaurte fogar, daß ledes Stuͤck, das für dag 
Volk vorteeflich fenn würde, von der Regierung 
derbeten wird. Ihr Herren Autoren, machet doch 
Krauerfpiele tiber alte Geſchichte! man verlangt 
von euch Romanen und nicht Gendide, die das 
(Herz rükren und den Verſtand unterrichten; wieget 
uns dech mit alten Maͤbhrchen von dem Eſel und 
ber Loͤwenhant ein, und ſchildert und ja nicht Bes 
Hebenheiten, am weniaſten aber die itigen Den 


ſchen. 


RE) 209 ( „ 


Wir haben vier Schaufpielhäufer, init 
sen in den vier vornehmſten Duartieren ber 
Stadt.” Sie werden yon der Regierung un⸗ 
terhalten: denn man.hat fic gu einer oͤffent⸗ 
lichen Schule ber Moral und des Geſchmacks 
gemacht. Man bat ben ganzen Einfluß zu 
Huͤlfe genommen, den bag Genie nur auf 
empfindliche Seelen haben kann 2), "Dies 


2) Man füpret auf den Jahrmaͤrkten und Wal⸗ 
len von Paris vor dem Volke grobe, uinflätige, laͤ⸗ 
cherliche Stücke auf, da es doch fo keicht wire, es 
durch ehrbare, lehrreiche, anmuthige, und feiner 
Saffung gemaͤße Stüde zu unterhalten. Aber «6 
liegt Denen, die am Ruder ſitzen, wenig daran, ;ob 
fie deffen Körper durch einen Weil, der das Schaͤd⸗ 
liche von sinnernen Gcfäßen angenommen, dus das 
nen es ibm in den Wirthshaͤuſern eingefchentet 
wird, vergiften, und feine Seele durch Die elendes 
Ren Porfenreißereven auf dem Jahrmarkte verder⸗ 
ben. Folgt es den Lehren des Diebſtahls, die es 
beym Nieolet als feine liſtige Streiche erhält, 
dem Buchftaben nach, fo ift der Galgen gleich ers 
sichtet. Es exiſtiret fo gar eine Verordnung ber 
Polizey, die austrüdlich das Volk zu unartigen 
Poſſenſpielen verdammt, und ſolchen herumſtreifen⸗ 
den Komoͤdianten verbeut, in ihren Buden nichts 
Bernänftiges vorzubringen ; alled aus Hochachtung 
für die ehrwuͤrdigen privileairten Hoftomddianten. 
Und das ift in einem gefitteten Jabrhunderte, ins 
. Sabre 1767, gefcheben, dab man eine ſolche Ver⸗ 

D 


Se) 210 ( er 


6 hat die erfiaunlichiten Dinge ohne piel 
Muͤhe, ohne Gewaltthätigkeit, gethan. . Die 
größten Dichser haben, wenn ich fo fagen 
darf, die Herzen ihrer. Mitbürger in ihren 
Händen: fie bilden fie nach ihrem Gefallen. 
Wie firafbar find fie, wenn fir ihnen gefähr- 
liche Kehren beybringen ! Aber wie weit find 
fie auch über unfere Ichhaftefte Erkaͤnntlich⸗ 
feit erhaben, wenn fie das Lafter zu Boden 
ſchlagen, und die Menfchlichkeit befoͤrdern. 
Anfere bramatifchen Schriftfteller Haben kei⸗ 
nen andern Zweck als die Vollfommenheit 
ber. menschlichen Natur: fie gehen alle dar⸗ 
auf um, bie Spele zu erheben, fie zu befefti 
gen. und .fie unabhängig und tugendhaft zu 
machen. Die guten Bürger find auch vol 
ber Begierde und Eifer für diefe Meiſterſtuͤ⸗ 
ee, welche rühren, intereßiren, und in ben 
Herzen biefe heilſame Bewegung unterhal, 
ten, bie fie zum Mitleiden, dieſem unterſchei⸗ 
ordnung gegeben ? Welche eine Gerachtung gegen 
Das arme Volk! o wie wird fein Unterricht ver⸗ 
nachläfiget ! wie fürchtet man fich, in feine Seele 
einige Strahlen eines reinerm Lichtes suzulaffem. 
Es ift wahr, zur Vergeltung puget man mit der 
Außerſten Sorgfalt die Hemifichen auf, die auf 
un Sranzöfifchen Tdeater fon bergefaget 
en. 


we) 2II ( ek 
denden Charakter der wahren Grsße » oe 
ſchickt machen: - Ä 


Mir kamen auf efriem ſchoͤnen ag an, 
in deſſen Mitte ein Gebaͤude von einer ma⸗ 
ſeſtaͤtiſchen Zufammenfegung errichtet war. 
Aeber den Eingange ſtunden viele alleg orifche 
Figuren. Zur Rechten entriß Thalla dem 
Eafter eine Maske, hinter der es ſich ver 
ſteckt hatte, und zeigte mit ihrem Finger auf 
feine’ Haßlichkeit. Zur echten vffnete wel, 
Hontene, mit einem Dolche bewaffnet⸗ klilemm 


35. Welche Stärke, was für eine. Senat, * 
„hen ſichern Triumph würde. nicht unfer Theater 
erlangen, wenn unfere Regierung, 'anftatt es für 
‘einen Aufenthalt von Muͤßigadnaern anzufehen, es 

fuͤr eine Schule der Tugend und der dvduͤrgerl⸗ 
hen Pflichten hielte? Aber mas haben unſere groͤß⸗ 
‚ten Genies gethan? Sie haben ihre Fabeln von 
den Griechen, Römern und Perfern u. ſaw. genom⸗ 
men: ſie haben uns fremde oder vielmehr erdich⸗ 
tete Sitten vorgeſtellet. Sie waren harmoniſche 
‚Dichter und ungetreue Maler, und haben ung Ges 
maͤlde der Einbildungskraft aufgeellets mit. ihrem 
Helden, ihren fhwülkigen Werfen, ihrer eintoͤni⸗ 
gen Zarbe, ihren fünf Handlungen, haben fie die 
dramatifche Kunſt verderht, Bie nichts weiter ald 
ein fimpled, aetreues, von den gegenwärtigen Sit⸗ 
ten unſerer Beitgenofen beſeeltes Gemaͤlde ſeyn 
ſollte. . 

. D 2 


Ze ) 212 ( ie 


Tyrannen die Geite, und ftellte aller Au⸗ 
gen fein Herz von Schlangen zerfreffen dar 
. Das Theater formirte einen halben vor⸗ 
laufendenZirkel,fo daß die Pläge derZufchauge 
fehr bequem vertheilet waren. jedermann faß; 
und als mir einfiel, wie ich vormals. ermuͤ⸗ 
det war, wann ich ein Stüd hatte foielen 
fehen; fo fand. ic) dieſes Volk weit kluͤger 
und auf die Bequemlichkeit ihrer Buͤrger 
weit aufmerkſamer. Man hatte nicht die 
unverſchaͤmte Geldgier, mehr Perſonuen hin⸗ 
einzulaſſen, als das Schauſpielhaus ver⸗ 
nuͤnftiger Weiſe faſſen konnte. Es blieben 
allezeit Plaͤtze fuͤr die Fremden leer. Die 
Verſammlung war glaͤnzend, und die Da⸗ 
men waren artig, obgleich beſcheiden, ge 
kleidet. 
Das Schauſpiel wurde mit einer Sym. 
honie eroͤffnet, die fich zudem Stüde ſchick⸗ 
te, das man vorftellen wollte. — Sind wir 
in der Oper? fagte.ich; dag ift ein großeg 
Stüd. — Nein, wir haben ohne Verwir⸗ 
rung bepde Schaufpiele in Eins zu bringen 
gefucht, oder vielmehr die alte Verbindung, 
die bey den Alten zwifchen der Poefie und 
Mufit herrfchte, wieder bergeftellet. In 
den Zwiſchen⸗Akten unferer Dramen läßt 


HP) 213 ( Enke 
man uns lebhafte Gefänge hoͤren, die Bit 
Empfindung ausdruͤcken und die Seele ges 
neigt machen, dasjenige zu fühlen, tag man 
ihr zeigen will, Wir haben alle weibifche, 
unfchickliche, laͤrmende Muſik, oder eine fols 
che, die nichts ausdruͤcket, verbannet. Eure 
Oper war eine ungeſchickte, ungeheure Zu⸗ 
fammenfeßung: dag Belle davon haben rule 
behalten. So wie fie zu Eurer Zeit wary 
fonnte’fit nicht vor dem gerechten Tadel klu⸗ 
ger und geſchmackvoller Leute 4) geſichert 
ſeyn aber heute zu Tage⸗⸗ 

Indem er dieß fagte, würde der Vor 
bang aufgezogen: der Schauplab war zu 
Toulbvuſe. Ich fahe feinen Rath, feine 
Schöppen, feine Richter, feine Henker, fein 
fauatiſches Boll. Die Familie des ungluͤck⸗ 
lichen Calas erfchien und’ preßte mir Thraͤ⸗ 
nen aus. Diefer Greis zeigte fich "mit fele 
nen weißen Haaren, feiner ruhigen Stand⸗ 
baftigfeit, feiner heroiſchen Sanftmuth. Ich 
ſahe das traurige Urthel auf ſein Haupt, 
ſein von allem Anſcheine des Verbrechens 


4 Die Oper kann nicht anders, als ſehr ges 
faͤhrlich ſeyn: aber der Regierung liegt fein Schau⸗ 
fiel ſo ſehr am Herzen: auch ik es das eimige, 
für das fie ſich intereßiret. = 


) 214 ( ie 


freyes Haupt, herabfallen. Was mich ruͤhe 
fe; war die Wahrheit, die dieſes Stück be⸗ 
lebte. Dan hatte fich fehr gehuͤtet, dieſe 
traurige Gefchichte durch die Unwahrſchein⸗ 
lichkeit und Monotonie unferer gereimten 
Verſe su verftellen. Der Dichter war her Bew 
gebenheit Schritt vor Schritt gefolget, und 
feine Empfindung hatte fich bloß an dag ges 
halten, was der. beweinenswuͤrdige Zufland 
eines jeden Opfers von ſelbſt an! die Hand 
gab, oder er hatte vielmehr ihre ganze Spra⸗ 
che gebergt: denn die ganze Kunſt beſteht 
darinnen, daß man das Geſchrey, das die 
Natur ausſtoͤßt, getreulich wiederholt. Zu 
Ende dieſes Trauerſpiels zeigte man auf 
mich mit Fingern und ſagte: das iſt ein 
Zeitgenoſſe dieſes ungluͤcklichen Jahrhun⸗ 
derts. Er hat dag Geſchrey dieſes unge⸗ 
zoͤhmten Wolfes gehoͤrt, welches ſich gegen 
dieſen Rechtſchaffenen empoͤrte, er iſt ein Zeuge 
von der Wuth dieſes abgeſchmackten, ſchwaͤr⸗ 
meriſchen Eifers geweſen. Hier huͤllte ich 
mich in meinen Mantel, ich verbarg mein 
Geſichte und erroͤthete uͤber mein Jahr⸗ 
hundert. | 

Man Eindigte auf Morgen dag Trauer- 
fpiel: Cromwell, oder den Tod Earl des 


Eng) 215 ( Enge 
Erſten an 5); und die ganze Berfammlung 
ſchien über. diefe Ankündigung ausnehmend 
zufrieden zu ſeyn. Man fagte- mir, es fey 
ein Meifterftück, und niemals fen die Sache 
ber Könige und ber Völker mit fo vieler Kraft, 
Berebtfamteit und Wahrheit vorgeſtellet wor⸗ 
den. Cromwell war. ein-Mächer, ein Held, 
der des Zepterd würdig war, das er einer 
treuloſen und gegen den: Staat ſtrafbaren 
Hand entriffen; und die Könige, deren Herzen 
zu irgend einer Ungerechtigkeit geneigt waren, 
hatten niemals: diefed Drama leſen Fförinen; 
ohne daß eine Todtenbläße ihre file Stite 
ne überzogen hatte. - BR 

" Zum Nachfpiele gab man die Jagd Zein⸗ 
rich des EV. Sein Name war immer noch 
in größten Ehren und die folgenden gusen 
Könige hatten fein Andenfen nicht verdraͤn⸗ 
gen koͤnnen. Man fand nicht. mehr in dieſem 
Stücke, daß der Menfch den König verdun⸗ 
£elte, und der Sieger: der Ligue fehien mit 
niemals fo groß, ale in dem Augenblicke, 


5) Woran deuft ihr, tragiſche Dichter? Ihr 
habt ein ſolches Suͤjet zu behandeln, und ihr ſchwa⸗ 
get mir von den Perſern und Griechen vor: ihr 
kiefert mir gereimte Romane? ie“ fo ſchudert mir 
dea den Cromwell. 


, Wire ) 216: ( uiegiree- 


wo: fein fiegreicher Ye; um feinen Wirther 
leuten eine Muͤhe zu erfpgren , bie Teller 
berbey trug. Das Volk Elatfchre mit: Ent 
zuͤcken in die Hände: denn, indem es ben 
Zügen ber Güte und Großmuth des Mon- 
archen Beyfall gab; fü überhäufte es feinen 
eignen König. mit „den lebhaſteſten kob⸗ 
hrädie. FO 

Ich gieng febr: zufrieden heraus: aber, 
ſagn ich zu meinem Fuͤhrer: das ſind vor⸗ 
trefl iche Schauſpieler! fie haben: Geiſt, 
fie fühlen, ſie druͤcken alles aus, fie haben 
nichts ‚gesiwungeneg, nichts falſches, aus⸗ 
ſchweifendes, übertriebenede. Selber bie 
Vertrauten ſpielen ihre Rollen der Ratur ges 
wäh, In der That, das erfreut mich. Ein Ver⸗ 
trauter feine Rolle recht zu ſpielen! — Das 
koͤmmt daher, fagfe.er zu mir, weil jedes 
guf dem Theater, fo wie im bürgerlichen 
Leben, es fich zur Ehre macht, feine Pflicht 
gu erfüllen: fo Elein er auch ift, fo iſt es ihm 
rühmlich, in der Sphäre, worinnen er ſich 
befindet, vortrefflich zu feyn. Die Decla, 
ination ift bey ung eine wichtige Kunſt und 
von der Regierung felbft geachtet. "Wir ha⸗ 
ben Eure Meifterftücke geerbt, aber fie auch 
in einer Bollfommenheit aufgeführet , die 


pe) 217 (ie 
Euch in Erſtaunen ſetzen wuͤrde. Man 
macht ſich eine Ehre daraus, dasſenige au 
zuführen, mas das Genie gezeichnet hat. O! 
100 ift eine ſchoͤnere Kunſt, als diejenige, bie 
durch Blick, Stimme und Geberde alle Schat⸗ 
tirungen der Empfindung: malet und: aus⸗ 
Drücker! Welch ein: harmoniſches und rüh- 
rendes Ganze und welche Kraft giebt ihm 
ihre Simplicieät ! — Ihr habt alſo fehe 
unſere Borurtheile verlaffen, Ohne Zweifel 
‚find die Komoͤdianten nicht mehr verachter? 
— Bon dem Augenblicke an, ba fie tugend 
haft geworben, bat man aufgehöret, fie zu 
verachten. Es giebt gefährliche, aber auch 
nüßliche Vorurtheile. Zu Eurer Zeit, mußte 
man ohne Zweifel; um dem verführerifchen 
und gefährlichen Hange Einhalt zuthun, ben 
die Jugend su einer Kunſt hatte, beren Grund 
meiftentheild ein wuͤſtes Leben war: aber 
alles dieß hat fich geändert. Weiſe Verord⸗ 
nungen, die fie aus ber Vergeſſenheit ihrer 
ſelbſt herausgeriffen, haben ihnen die Ruͤck⸗ 
fehr zur Ehre geöffnet: man hat fie in bie 
Slaffe der Bürger aufgenommen. Lnlängft 
hat unfer Prälat den Koenig felbft gebeten, 
einem Komsdianten, der ihn vorzüglich ges 
rühret, den geftückten Hut zu geben. — 


Min ) 218 ( ee 


Wie! diefer gute Praͤlat geht alfo ir ba® 
Schauſpiel? — Warum follte er nicht hin⸗ 
eingehen, da das Theater 'eine Schule ber 
Fugend, guter Sitten, und edler Empfin- 
dungen iſt? Man lieft, daß ber Vater der 
Chriſtenheit viel Vergnügen fand, in dem 
Semvel Gottes zweydeutige Stimmen ums 
glücklicher Menfchen zu hören‘, die man ih“ 
rer Mannbeif beraubt hatte. Wir haben 
niemals fülche beweinenswuͤrdige Töne ges 
Höret, die zu gleicher Zeit bem Ohre und 
dem Herzen weh thun. Wie haben Mens 
ſchen an einer fd grauſamen Muſik einen 
Gefallen finden können? Ich daͤchte immer, 
es wäre eher delaubt, die ſchöne Tragoͤdie, 
Mahomed, zu ſehen, wo das Herz eines ehr⸗ 
geizigen Boͤſewichts aufgedeckt wird, wo die 
Wuth des Fanatiſmus ſo nachdruͤcklich vor⸗ 
geſtellt wird, daß ſie unſchuldigen ſowohl 
als ſchwachen Seelen, die einige Neigung 
dazu haben, ein Schaudern verurſachen 

Stille! da geht der Pfarrer dieſes Vier⸗ 
thels nach Haufe, und unterhaͤlt ſich mit ſei⸗ 
nen Kindern uͤber das Trauerſpiel Calas. 
Er bildet ihren Geſchmack, klaͤret ihren Ver⸗ 
ſtand auf, verabſcheuet den Fanatiſmus, und 


He.) 219 ( — 
weun er an bie ſchwarzſuͤchtige Wuth geben, 
ket, die wie cine epidemiſche Krankheit zwoͤif 
Sahrbunderte hindurch, halb Europa vers 
wuͤſtete, fo fagt er dem Himmel Dank, daß 
er ſpaͤter auf-die Welt gefommen. Zu ges . 
willen Zeiten des Jahres genießen wir eines 
Vergnuͤgens, das Euch gänzlich unbekannt 
war: wir haben die Kunſt der Pantomime 
wieder in Gang gebradjt, auf die die Alten 
fo. viel hielten. . Wie viel Organe hat bie 
Natur dem Menfchen, wie viel. Mittel die 
ſem verftändigen Weſen gegeben, die faſt 
unendliche Zahl ihrer. äußern Empfindungen 
auszudruͤcken! Alles iſt bey dieſen beredten 
Menſchen, Gefichtes fie reden mit den Zins 
gern fo deutlich, als Ihr es durch die Spra⸗ 
che wuͤrdet thun können. Hypokrates ſagte 
vormals, daß der einzige Daun des Mens 
{chen einen gebietenden Gott offenbare, 
Unfere gefchichten Pantomimen zeigen, welche 
Herrlichfeit Gott in Bildung des menſchli⸗ 
chen Hauptes gezeiget bat! — D! ich kaun 
barüber nichts mehr fagen; alles ifl vortref⸗ 
lich! — Es ift ung zur Vollkommenheit noch 
viel uͤbrig. Wir haben uns der Barbarey 
entriſſen, worein Ihr verſenket waret: einige 
Köpfe waren gleich anfänglich erleuchtet, 


\ 


Se ) 220 ( einge 


aber vie Nation im Ganzen war noch un⸗ 
wiffend ımd Eindifh. Nach und nad) find 
die Seelen aufgebelle worden. Es iſt und 
noch mehr zu thun übrig, aͤls wir bereite 
gethan haben: wir find noch Faum zur Haͤlſ⸗ 
te auf ber Leiter. Gebult und Gelaffenheit 
tbun alles: aber ich fuͤrchte, daß das uns 
eingefchränkte Befte nicht von dieſer Weit 
ſey. Dem ungeachtet, müflen wir durch das 
Beftreben darnach, die Dinge wenigſtens er ers 
täglich zu machen ſuchen. 


Sechs und zwanzigſtes Kapitel. 


u Die $aternen. 


Wir giengen aus dem Schauſpielhauſe 

ohne Verdruß und Verwirrung her⸗ 
aus. Die Ausgaͤnge waren zahlreich und 
bequem, und die Gaſſen vollkommen erleuch⸗ 
tet. Die Laternen waren an den Waͤnden 
angehefftet, und ihr vereintes Licht ließ 
keinen Schatten: eben ſo wenig verbreitete 
es eine zuruͤckgeworfene Klarheit, die dem 
Geſichte ſchaͤdlich iſt: die Optiker verſchaff⸗ 
ten den Augenaͤrzten keinen Vortheil. Ich 
traf nicht mehr an den Ecken und Winkeln 
der Straßen ſolche luͤderliche Weibsbilder 


R 


Sr ) 221 (ee 


an, bie mit bem Zufe in der Goffe, dad Ge 
fichte erleuchtet und mit einem Auge, bag fo 
frech, ale thre Geberde mar, in einem foldas 
- tifchen Tone eben fo grobe, als unſchmack⸗ 
hafte Vergnügungen anboten. Alle diefe 
unzuͤchtigen Derter, wo der Menfch fich ete 
niedriget, sum Thiere herabfeget und vor ſich 
ſelbſt erröthen muß, wurden nicht mehr ges 
dultet: denn jede Seftattung eines Laſters 
thus: niemals einer andern-Art von Lafter 
Einhalts fie bieten alle einander die Hand; 
und sum Unglück ift feine Wahrheit beffer 
bewiefen als diefe ©. 
Ich fahe Wachen, bie zur öffentlichen 
Sicherheit auggeftellet waren und nicht zus 
ließen, daß man die Stunden ber Ruhe ſtoͤr⸗ 
te. — Dieß iſt die einzige Art von Solda⸗ 
1) Jede Stadt, wo ſich eine große Anzahl une 
zuͤchtiger WBeibsbilder befindet, if eine ungluͤckliche 
Stadt. Die Jugend verzehret fich oder verwel⸗ 
get in einer niedrigen oder frafbaren Wolluſt: und 
Diefe jungen Wuͤſtlinge verheurathen ſich, wenn fie 
entkraͤftet, und ganz unvermoͤgend ſind, mit der 
jungen betrogenen Gattinn, die bey ihnen ſchmach⸗ 
tet, Kinder zu zeugen. 
Gleich den Fackeln, gleich dem traurigen Feuer, 
Das ben den Todten brennt, ohne ihre Aſche im i 


smen * 
Colardeau. 


Ras ) 222 ( eek 


tet, deren wir nöthig haben, fagte mein Fuͤh⸗ 
rer zu mir: wir haben nicht mehrein fref- 
fendes Heer in Kriedenszeiten zu unterhal- 
ten. Die großen Hunde, die wir ernährten; 
damit fie fich zu gehoͤriger Zeit auf den Frem⸗ 
sen lösftürzen möchten, haben beynahe dep 
Sohn des Haufes aufgefreffen. Uber:bie 
nunmehr verzehrte Fackel des Kriege iſt end⸗ 
lich erloſchen. Die Monarchen haben ſich 
gefallen laſſen, auf die Stimme bes Philo⸗ 
ſophen zu hoͤren 2). Durch die ſtaͤrtſten Ban⸗ 


2) Karl XxI. iſt in den Haͤnden eines unfätts 
gen Aufſehers. Er befteiget den Thron: er ik’ ii 
dem Alter, wo man blog noch empfindet, und Die 
‚erhen aͤubern Eindrüde uns unumfiögliche Wahr⸗ 
beiten ſcheinen. Jeder Gedanke iſt ibm gut, weil 
er nicht weiß, welchen er vorziehen ſoll. In did 
fem gefährlichen Stande der Lebhaftigfeit-umd Un⸗ 
wiftenbeit, bat er den Q. Curtius gelefen: er bat 
Barinmen den Charakter eines königlichen Erodes 
vers gefunden, der mit Wärme gepriefen, und RB 
ein Mufter vorgeftellet wird: er nimmt ibm, dap 
an. Er fieht bloß den Krieg, Durch den er ſeinen 
Samen verberrlichen kann. Er waffnet fich , er 
gebt ins Feld. Einige gluͤckliche Etreiche beſeſti⸗ 
gen ihn im der Leidenfchaft, die ihm ſchmeichelt. 
Er vermüftet die Felder, verbeeret die Dörfer, ger 
Moͤret Provinzen und Staaten, ſtuͤrzet die Thrynen 
um. Auf immerdar verewigt er ſeine Thorheit 

und Eitelleit. Wir wollen annehmen, man babe 


ae ) 223 ( ik 


de, durch ihr eignes Intereffe, gefeffelt, das 
fie nach fo viel Jahrhunderten. ded Irrthums 
erkannt, hat fich die Vernunft in ihrer See 
be Licht gemacht. Sie haben die Augen 
über die Pflicht geoͤffnet, die ihnen das Heil 
and bie Ruhe der Voͤlker auferlegte: fie has 
ben ihren ganzen Ruhm darein gefeßt, wohl 

zu berrfchen, indem fie den Ruhm, eine klei⸗ 
ne Anzahl glücklich gu machen, dem unſinn⸗ 
gen Ehrgeise vorgezogen , über verwuͤſtete 


ihn fruͤtzeltia gelehret, daß ein König nichts ſuchen 
ſolle, als die Ruhe und das Glück feiner Untertha⸗ 
wen; daß ber wahre Ruhm in ihrer Liebe beflchez 
daß ein friedfertiger Heldenmuth, mit, Geſetzen und 
Kuͤnſten befchäfftiget, einem kriegeriſchen Helden⸗ 
muthe weit vorzuziehen ſed: mir wollen endlich 
annehmen, man babe ihm richtige Begriffe von 
Dem ſtill ſchweigenden Vergleiche beygebracht, dem 
die Voͤlker nothwendig mit den Koͤnigen gemacht 
haben: man habe ihm Eroberer gezeigt, von den 
Thränen ihrer Zeitgenoſſen und dem Tadel Der 
Nachwelt verflucht; fo würde fih die angeborue 
Rubmbegierde auf nuͤtzliche Gegenftaͤnde gekehrt 
haben, er wuͤrde ſeinen Verſtand und ſeine Ein⸗ 
fichten augewandt haben, ſeine Staaten zu beſſern 
und gluͤcklich zu machen: er wuͤrde Polen nicht 
verwuͤſtet, er wuͤrde Schweden regıeret haben. Auf 
biefe Art entfernt eine einzige faliche Vorſtellung die 
ein Monarch gefaßt, ihn von feinem wahren Vortheile 
und machet ein Theil der Welt ungluͤclich. 


ra) 224 ( 


käuder voller ſchwuͤriger Herzen zu herrſchen, 
‚denen die Macht des Sirgers allezeit ver: 
haßt ſeyn muß. Die Könige haben mit ei- 
ner allgemeinen Uebereinſtimmung ihren Rei- 
chen Grängen.gefeget, Graͤnzen, bie ihnen 
die Natur felbft angewiefen zu haben fcheint, 
indem fie die Staaten in Beziehung auf an⸗ 
dre durch. Meere, Wälder, oder Gebuͤrge 
abgefondert; fie haben begriffen, baß ein 
Reich, defien Umfang weniger unermaͤßlich 
if, einer befiern Regierungsform fähig wä- 
se Die Weifen der Völker haben den all- 
gemeinen Vergleich gemacht: man iſt daruͤ 
ber durchgängig einig geivorden, und das 
jenige, was ein eiſernes und irdenes Eäcu- 
Ium, was ein Mann ohne Tugend, Träume 
eines ehrlichen Mannes, nannte, iſt unter 
verftändigen und empfindlichen Menfchen 
fahr geworden. Die alten, nicht weniger 
gefährlichen Vorurtheile, die die Menfchen 
in Anfehung ihres Glaubens trennte, find 
ebenfalls verfchwunden. Wir fihen ung 
alle ald Brüder, als Freunde an. Der In⸗ 
dianer und der Ehinefer find unfere Lande: 
leute, fo hald fie den Fuß auf unfern Boden 
fegen. Wir gewöhnen unfere Kinder any 
bie Welt als eine einzige und diefelbe Fami⸗ 


ze) 235 ( eier 
lie anzufehen, die unter bem Auge des allge⸗ 
meinen Vaters verfammelt if. Diefe Art 
zu betrachten muß unfehlbar bie beite ſeyn, 
weil dieſes Licht mit einer unbegreiflichen 
Geſchwindigkeit durchgebrungen. if. "Die 
dortreflichen Bücher, von großen Männern 
gefchrieben, haben, "gleich fo vielen Fackeln, 
dazu gebienet, taufend andere anzusünden. 
Die Menfchen, indem fie ihre Käntniffe ver 
einiget, haben einander lieben und hoch» 
achten gelerne. Die Engelländer, unfe 
re nächften Nachbarn, find unſere treueften 
Bundsgenoffen geworben. Zwey edelmuͤ⸗ 
thige Völker haften einander wicht mehr, um 
auf eine thoͤrichte WWeife' an dem befondern 
Haffe ihrer Beherrfcher Theil zu nehmen 
Wir vereinigen unfere- Einfichten, unfere 
Künfte, alles im Handel und auf einen Grab, 
ber für beyde Theile auf gleiche Weiſe vortheil⸗ 
baft iſt, Zum Erempel, die empfindfamen 
Engelländerinnen haben unfern zu leichte 
finnigen Franzoſen vollfonmen angeſtan⸗ 
den, und unfere Franzoͤſinnen haben die mes 
lankoliſche Laune der Engellänber vortreflich 
su mäßigen gewußt. Go entfichf aus diefer 
natürlichen Mifchung eine fruchtbare Duelle 
der Freuden , ver Dequemlichkeiten , neuer 
. ji Ä 


Ideen, bie gern aufgenommen und als ‚eigen 
angenommen werben. Die Drudferey 3), bie 
den Menfchen fo viel Licht bringt, hat biefe 
große Revolution veranlaffer. 

Ich fprang vor Freuden in bie, Höhe, 
und umarmte den, der mir fo troͤſtliche Din- 
ge. erzählte. D Himmel! fchrie ich. voll 
Entzuͤcken, fo-find denn endlich einmal die 
Menfchen deines Anfchauens wuͤrdig; fie 
baben endlich gefunden, daß ihre wahre 
Stärke in ihrer Eintracht befiche. Sch fier- 
be zufrieden, ba meine Augen bagjenige ge- 
feben, was ich fo fehnlich gewünfcht habe. 
Wie füß iſt es das Leben zu verlaffen, wenn 
man um fich her nichts ale glückliche Her, 
gen fieht, die zufammen wie Brüder fortge- 

3) Sie bat nach einen andern Vortheil: fie 
wird der fürdhterlichte Zaum des Deiyetidumd 
feya, weil fie ihre geringien Eingrige im anderer 
Rechte befannt machen, weil fie nichts verheeien, 
weil fie die Therheiten und fear Echmachheites 
der Rönige verewigen wird. Cine eimige bewerte 
Aönsercchtiefeit kann in alien Winfeln ber Melt 
ertönen und ale freye und empindungsseie Gars 
len in Auirubr bringen. Der Itcund der Tugend 
mud dieie Lund lieben: aber der Gettleſe uf 
ſchaudern, men er Nic Fre atiklt, Pie tie Ger 
mäb. | 


Sm ) 227 ( ie 
ben, welche fich nach einer langen Reiſe mis 
dem Urheber ihrer Tage wieder vereinigen: ' 


Sieben und zwanzigſtes Kapitel. 
Das Leichenbegaͤngniß. 


pi fah einen, mit einem weißen Tuche bir 
deckten Wagen, vor welchem Muſik Beni 
gieng und ber mit Siegespalmen bekraͤnzt 
twar. Leute, bimmelblau gekleidet und mit 
Porbeern in Händen, begläitetenibn. — Wa: 
bedeutet der Wagen, fragte ich? — Es IE. 
der Triumphswagen, antwortete Man: mire: 
Diejenigen, bie dieſes Leben verlaſfru, dig 
über das menfchliche Elend gefiegt haben;: 
die glücklichen Menfchen, die ſich wieder. mie: 
dem hoͤchſten Wefen, .der Quelle alleg Gu⸗ 
ten, veremigen werben, fiebt man als Sie 
ger dit: fie find und heilig, und man trägt 
fie mit Ehrfurcht an den Drt, der ihre ewige 
Wohnung feyn wird. Man fingt den Ges 
fang auf die Verachtung des Todes. Ans’ 
ſtatt jener entfleifchten Todtentdpfe, die Eu⸗ 
re Srabmäler ſchmuͤckten, fiebt man hier: 
Koͤpfe mit einer lächelnden Miene.: unter 
diefem Anblicke betrachten mir, den. Zun..; 
Kein Menfch jammert über ihre unempfinds.- 
N 2 


B=) 228 (er 


liche Afche. Man meiner über fich und nicht « 


über fie. Man beset in qllem bie Hand Got⸗ 
tes an, die fie aus der Welt genommen bat. 
Warum, folten ‚reiy, dem uniwieberruflichen 
Gefege der Rasur unterworfen, nicht mit 
freudigem Herzen in den friedlichen Zuftand 
‚übergeben ,. der nichts. anders, ale Ballen 
Zuſtand verbeſſern muß ). 
2Dieſe Körper werden drey Meilen von 
her. Stadt zu.Afche verbrannt. Defen, bie 
allezeit zu dieſer Abſicht brennen, verzehreu 
Biefe ſterblichen Huͤllen. Zween Herzoge 
und ein Prinz find in eben dieſen Wagen 
mit bloßen Bürgern verfchloffen. Aller Un⸗ 
terſchied hoͤret mit dem Tode auf, und wie 
führen wieder die Gleichheit ein, die Die Na⸗ 
tur unter ihren Stindern beobachtet bat. 
Diefe. meife Gewohnheit verringert in den 
Herzen bed Volks die Furcht vor dem Tode 
zu eben der Zeit, da fie den Sroßen ihren 
Stolz unterfaget. Nur burd) ihre Tugeris 
den find fie groß: das übrige alles ver⸗ 
ſchwindet: Würden, Ehrenſtellen, Neichthüs 
mer. Die vertwegliche Materie, bie ihren 
7) Derjenige, der eine Übertriebene Furcht vor 
dem Tode bat, if, wofern er nicht ein welniſche⸗ 
Herz bat, ganı gewiß ein Boͤſcwicht. | 


Wa) 22 ( 
Körper ausmachte, gehoͤrt ihnen nicht meh 
zu: fie wird fich mie der Afche derer, Bie'tin 
nen glei, find, vermiſchen, und 'man ven) 
Kinder mit dieſer vergänglichen Süße feinen 
Gedanten von Voͤrzug. 

Wir wiſſen nichts mehr von jenen Grat⸗ 
ſchriften, Mauſdlaͤen, praͤchtigen und’fihbts 
ſchen Lügen 9. Die Könige ſelbſt ‚erpäliene 
bep ihrein Abſchiede nicht ihre großen Schloͤſ⸗ 
fir fit einem erbichteten Echtecken! mit 
ſchmeichett ihnen bey irn Tode fo wintt 
als bey ihrem Lehen. Ihre Falten‘ Haͤnbe 
enitreiſſen nicht mehr,” inbdem fi Inga 


. NOIR, ſeb mir sefganet! zu Fr se. PR 
Die Tprannen herabjchläger, der die Erde, app 
befreyet, der die Grauſamkeit und den Ehrgeiz DAN 
Diget: du biſt ed, der in dem Staube Wiener 
vermengt, denen Die Welt ſchmeichelte, und die / auf 
Die. Menfchen mit Verachtung -herakfahsu : .fis:fale 
len, und wir leben wieder auf. Ohne dich, würde 
unſer Elend ewig feon. D Tod! der di Die. has 
ten und gluͤcktichen Menſchen noch in Furcht erh ff 
der du dad Schrecken in ihre ſtrafbare Herren wirfft 
Hoffnung der Unntücferligen.5- ſtrecke vollenas beie 
nen Arm über die Verfolger: meines Väterlandes 
ans! Und ibr, ihr gefräßigen Juſekten, die ihr die 
Graͤber bevölkert, meine 'Stewnde, meine Racher, 
kommt, eilet alle Haufenweife: zu biefen vom om uerel⸗ 
thaten gemaͤſteten Leichnamen herbey 


De ) 230 ( ie 


Reigen ; noch einen Theil unſers Vermoͤ⸗ 
ans: ſie ſterben ohne eine Stadt arm. zu 
machen 3). 0 
Damit man jedem Zufalle sunorfomme 

eo wird Fein Todter aus feinem Haufe fort 
gebracht, wofern nicht der Aufſeher das Sie⸗ 
gel des Todes aufgedruckt hat. Diefer Auffes 
ben. ift ein gefchickter- Mann, ber zu gleicher 
Felt das Gefchlecht, das Alter und bie Art 
ber. Krankheit bed Verfborbenen aufzeichnet, 
Mau xruͤcket es in die öffentlichen ‚Blätter 
die, von welchem Arste er. beforget worden. 
Fommt in dem Gedankenbuche, das jeder 
Menfch, wie ich Euch fchon erzählet babe, 
nach: feinen Tode hinterläßt, ein wahrhaft 
üßßlicher. ober großer Gedanke vor, To hebt 
man ihn aus, man machet ihn befannt, und 
er hat feine andre Leichenrede. | a 

Es herrſchet unter ung eine fehr heiltame 
Vorſtellung, daß näntfich die vom Leibe ab⸗ 
geichichue Seele die Frepheit habe, biejeni. 

:'3) Bey biefen Beichenbenängniffen, Die Die Re 
* auf: eine prächtige Art in eine dunkle Hole 
Wwidgen, bey biefen traurigen Ceremonien, Zepers 
lichfeiten und Ginubilkern, Die von dem offentli⸗ 
chen Schmerze vervielfältigt werden, bev dieſer als 
semieinen. Trauer fehlt niet, als eine einzige auf 
richtige Chr. 


nz) 251 ( Erare 


gen Derter zu beſuchen, bie fie vorzüglich 
lichte. Sie freuet ſich die Berfonen wieber 
zu fehen‘, die ihr werth waren. Sie ſchwe⸗ 
bet über ihren Haͤuptern, und bemerfet ben 
lebhaften. Jammer der Sreundfchaft. Sie 
bat nicht bie Neigung, die Zärtlichkeit ver⸗ 
foren, die fie hiernieden mit empfindlichen 
Seelen vereinigte. . Ste macht fichg zur 
Freude, um fie zu ſeyn und bie Gefahren als 
zuwenden, bie ihren gebrechlichen Korper 
umgeben. : Diefe gelichsen Seelen find ihre 
Schugengel. Diefe fo fühe, fo tröftliche 
Meynung flößt eine geteiffe Zunerficht ſowohl 
zu Unternehmungen, als Ausführungen eis; 
bie Euch fehlten, Euch, die Ihr, weit entfernt 
von dieſen rährenden Vorſtellungen, Euer 
Gehirne mit traurigen und ſchwarzen Chi 
mären erfülltet. 

Ahr werdet fühlen, welch’ eine fiefe Chr; 
furcht eine folche Borftellung einem Jünglinge 
eingeben muͤſſe, der, nach dem Berlufte eines 
Vaters, fich ihn noch als einen Zeigen ſei⸗ 
ner geheimſten Handlungen vorſtellet. Er 
redet zu ihm in der Einſamkeit, und- feine 
Morte werben durch bie bobe Gegenwart 
befeelet, die ihm die Tugenb empfiehlt: unb. 
follte er zum Boͤſen verſucht werben, fo wuͤr⸗ 


rn ) 232. mgughle. 


tze gr zu Mich KIHR -fagen« mein, Vater ‚fiahe 
mich mein. Vater hoͤret mich. -. . . 

„Der Juͤngling trocknet. feine Thraͤnen 
weil die ſchreckliche Vorſtellung/des Nichte 
gie Seele nicht niederſchlaͤgt; es ſcheint 
ihm, daß die Schatten ſeiner Voraͤltern ihn 
arten; um mit ihm nach den owigen Woh⸗ 
gungen fortzugehen, und daß fie bloß Ihren 
Hingang verzogern, am ihn zu begleiten. 
so Und wer .follte ſich wohl die: Hoffnung 
bee. Unſterblichkeit entreiffen laſſen! gefeßt,. 
fit waͤre ein Traum ber Einbilbung‘, ſollte 
uns auch dieſtr Traru nicht lie und ve 
Kur ne | 


. Die one | 
m Selbſtgeſpraͤch in der Einf 


J⸗ bewohne ein:kleines Landhaus, dag 

nicht wenig zu meinem Gluͤcke beytraͤgt. 
Es hat zwo verſchiedene Ausſichten: bie eis 
us auf befruchtete Felder, mo das koſtbare 
Saamenkorn, das den Menſchen ernaͤhret, 


H Sc glaube folgendes Stuͤck, das dem Kapitel 
gerhäß iſt, und es ſelbſt mehr aufklaͤret, beyfuͤgen zu 
daͤrfen: es iR im Geſchmacke des Yodus: ich babe 
ed aber fraugäfilch, aufgefent. 


ar) 2 


anfipriefit.bie more mehr geſperrt/ zeiget 
Die letzte Freyſtutt des menſchlichen Ge⸗ 
ſehlechts, dis Graͤnze, 0 ſich der Stel; en⸗ 
diget, ben engen Raum, wo die Hand bei 
Todes auf gleiche Weiſe. gene ſczlichen 
Opfer aufhaͤufet. 

Weit gefehlt, fr der Antlia * Got⸗ 
tesackers mir ben Widerwillen, das Kind 
eines: poͤbethaften ¶ Ochreckens verurfachen 
ſollter·nein, er erwecket vielmehr in: meiner 
Seele weiſe und nuͤtzliche Betrachtungem 
Hier hoͤre ich nicht mehr das Geraͤuſcherder 
Städte, welches die Seele betaͤubt. : Gang 
allein mit der erhabenen Melankoley, erfuͤl⸗ 
le ich mich mit großen Gegenſtaͤnden. Mein 
unbewegliches und heiteres Auge hefftet ſich 
auf dieſes Grab, wo der Meuſch einſchlaͤft⸗ 
um wieder aufzuſtehen, two er ber Natup 
banken und eines Tages bie. einige Weisheit 
sechtfertigen ſoll. 

Der praͤchtige Stand des Tages ſcheint 
mir traurig. Ich erwarte die Dämmerung 
bed Abends, und dieſe fanfte Dunkelheit, bie 
der Stile ber Nacht Reize leiht, beguͤnſti⸗ 
get ben Slug des erhabenen Gedanken. So 
bald ber nächtliche Vogel ein trauriges Ge⸗ 
ſchrey ausftößt, ergreiffeich mein Saitenfpiel, 


zu) 234 ( in 


Seyd mir gegruͤßt, majeſtaͤtiſche Finſterniſſe 
erhebet meine Seele, indem ihr bie wandel⸗ 
bare Scene der Melt verfinftert: entbdecket 
mir den glänzenden Thron, auf dem Die goͤtt⸗ 
liche Wahrheit ſitzt. 

Mein Ohr folge dem einſamen Vogel: 
Bald laͤßt er fich auf Gebeinen nieder und 
durch den Schlag eines Fluͤgels raͤßt er mit 
einem hohlen Geraͤuſche einen Kopf rollen, 
Ben vormals Ehrgeiz, Seolz und. vontäßme 
Enewuͤrfe erfüllten... 
Wechſelsweiſe ſetzet er Ah, halb auf ben 
Balteri Stein, auf dem bie Prahleren Namen 
gegraben, bie man nicht mehr Left, bald auf 
bas Grab des Armen, mit Bluhmen bekraͤnzt. 
Staub des Stolsen ! verſchwinde auf 
eroig:auß der Welt. Du wagſt es noch mit 
eingebildeten Titeln zu prahlen? Elende Eis 
telkeit in dem Reiche" bed Todes! Ich babe 
Gebeine in Afche in einem drenfachen Gars 
ge eingefchloffen gefehen, die ihre Aſche nicht 
mit der Aſche ihrer Brüder vermengen wollten: 
2.' Tritt ber, hochmuͤthiger Sterblicher, 
wirf einen Blick auf dieſe Graͤber. Was 
Beat dem an einem Namen, ber feinen Dar 
men mehr hat! Eine lägenhafte Auffchrift 
enthaͤlt die traurigen Sylben, die eines Ta⸗ 


De ) 335 ( Enerie 


ges nachtheiliger ſeyn werden ols die. Racht 
ber Vergeſſenheit; Es iſt eine fliegende Winy 
pel, die einen Augenblick ſchwimmt und bald 
dem verſchlungenen Schiffe folgen wird. 
O! wie gluͤcklich iſt derjenige, der nicht 
eitle Pyramden erbaute, ſondern beſtaͤndig 
ben Weg: der (Ehre und Tugend. betrag 
Er hat den Himmel angeblickt, indem .er 
dieſes gerbrechliche Gebäube:fallen fah, wo 
der Schwarm der. Sorgen. feing-unfterbliche 
Seele quäfte: erhat das Schwerdt geſegnet, 
dieſes Schrecken des Gottlofen, und wenn 
man fich des Andenkens des -Kerbenden Ge- 
rechten erinnert fo ift es um ſterben zu ley⸗ 
nen wie er. | | 
» Er. if geflsrben, dieſer Gerechte, und 
er hat unſere Thraͤnen fließen ſehen, nicht 
über ihn, ſondern über uns ſelbſt. Seine 
Brüder unigabes fein. Sterbebette Wir 
unterätelsen: ihn mit den. tröftenden Wahrs 
heiten, .opn denen feine Seele erfüllt war; 
wir zeigten ihm einen Gott, deſſen ‚Gegen 
wart er beffer, «ls wir fühlten. Ein Theil 
des Vorhangs ſchien fich vor feinem fie 
benden Aige zu erheben — +» »'s er bob 
fein ſtrahlenreiches Haupt, er reichte ung eine 
ruhige: Sandy er lächelte uns zu, ehe er Hark. 


Zu ) 236 ( re 
NRiedertraͤchtiger! du, Ber bu ein gluͤck 
licher Boͤſewicht wareſt, bein Tod wird nicht 
fo ſanft ſeyn, fuͤrchterlicher Thrann! Da 
liegſt du blaß, und ſterbend! Für bich iſt ber 
Tod ein ſchreckliches Geſpenſt! trinke dieſen 
bittorn Kelch’ ;" leere ganz ſeine Schrecken 
aus. Du kanſt weder deine Augen geh 
Himmel erheben, noch fie auf bie Erde heff 
ten? bu fuͤhleſt, daß alle beyde dich verlaf 
fen‘, vich zuruͤcke ſtohen: ſtirb in deinen 
Schrecken, damit dis nicht mehr in der 
Schande leben darfſt. | 

Aber diefer ſchreckliche Augenblick ber 
Gedanke ſchon den Gottloſen etbleichen mi 
chet, bat für den Unfchuldigen nichts Schreck⸗ 
Tihes. Mein Herz erfenner das unmwiber. 
rufliche Befeß der Zerſtoöͤrung. ch betrach⸗ 
Te diefe Gräber, als fo viel’ brennende Defen, 
wo die Materie fchmilst und ſich anflsfer, 
wo bag Bold gereiniget wird, und ich auf 
ewig von dem ſchlechten Metalle trennt. : Die 
irdifche Huͤlle faͤllt ab: die‘ Seele. ſchwingt 
ſich in ihrer urſpruͤnglichen Schoͤnheit em⸗ 
por. Warum-follte le noch einen ſchau⸗ 
vernden Blick auf dieſe Ueberbleibſel werfen, 
die ſie bewohnet hat? Sie zeigen ihr ja das 
gluͤckliche Bid ihrer Befreyung: ein antl- 


nee ) 237 ( Erk 


fer. Tempel behält feine Rajeflät ſelbſt in fir 
nen Ruinen. 

.- Bon einer heiligen Ehrfurcht gegen den 
Ueberreſt bes Dienfchen durchdrungen, fleige 

ich. auf biefe Erbe herab, die mit der geheie 
ligten Afche meiner Brüber befäet iſt. Dies 
ſe Stile, dieſes Schweigen, dieſe kalte Une 
heweglichkeit, alleg fagt mir s ſie zuben.! 
Sch trete näher: ich huͤte mich das Grab. eis 
ned Freundes niebersutreten, fein Grab, dag 
nad) locker von. dem Spate iſt, der hie. Gru⸗ 
be ausholete. Sch fammle meine Gedan⸗ 
fen, fein Gebächtuiß zu ehren. Ich ſtehe 
ſtille. Ich hoͤre aufmerkſam, gleich als oh 
ich einige Toͤne, die aus jener hinmmliſchen 
Harmonie entflohen find, beren. er im Him⸗ 
mel genießt, erhafchen wolle. Das Geſtirne 
ber- Nacht in.feiner Fülle erleuchtete mit feie 
nen filbernen Strahlen diefe traurige Scene, 
Ich erhob weine Augen gegen das Firma⸗ 
ment.. Sie durchliefen die unzähligen Wehe 
ten, bie entfiammten Sonnen, mit denen 
es in einer ‚verfchtwenderifchen Pracht beſaͤet 
iſt: hernach fielen fie traurig auf.den ſtum⸗ 
men Sarg, to bie Augen, bie Zunge, dag 
Herz des Mannes, ber fi) mit mir von 
diefen erhabenen Wundern unterhielt, und 





Fa) 338 ( — 

den Schoͤpfer · biefer prächtigen Bere bei 
wundert, modern. 

Plotzlich erſcheint eine Berfinfterumg des 
Monden, die ich nicht vorhergeſehen hatte. 
Die Wirkung wurde mir fogar nicht fichte 
bar, als bie mich fchon die Finfterniffe uns 
huͤllten. Ich unterſchied nichts mehr, als 
äirien glaͤnzenden Punkt, ben ein ſchneller 

Schatten vollends bhld verdecken ſollte. 

Eine tiefe Wacht feſſelte meine Schritte: 
Ich konnte keinen Gegenſtand mehr unter 
feheiden. Sich tappte umher: ic) kehrte hun⸗ 
dertmal um: die Thuͤre floh: es ſammleten Ach 
finſtre Wolken, die Luft pfiff, es ließ fich ein ent⸗ 
fernter Donner hoͤren, mit Geraͤuſche fam 
er auf den feurigen Fluͤgeln des Blitzes her 
bey. Deine Gebanfen geriethen it Verwir 
rung. Sich ſchauderte: ich -fiel:;über Hau, 
fen von Gcheinen: dad Schrecken befluͤgelte 
meine Fuͤße. Sc kam an ein Grab, bas einen 
Feichnam erwartete. Ich ſtuͤrzte hinein. Lebend 
verſchlang mich das Grab. Ich fand mich 
in den feuchten Eingeweiden der Erde be⸗ 
graben. Schon glaubte ich die Stimme al⸗ 
ler Todten zu hoͤren, die meine Ankunft Be, 
willkommten. Ein eisvoller Schauer uͤber⸗ 
Def mich: ein Falter Schweiß entriß mir die 


2) 239 ( et 


Empfindung: ich fiel ohnmaͤchtig in: einen 
letbarsifchen Schlummer. 

O warum flarb ich nicht in dieſer ruhi— 
gen Verfaſſung! Ich war beerdiget. Der 
Vorhang, der die Ewigkeit decket, wuͤrde 
itzt fuͤr mich aufgezogen ſeyn. Ich verab⸗ 
ſcheue nicht das Leben: ich weiß deſſen u 
genießen: ich bemühe mich einen würdigen 
Gebrauch davon zu machen: aber alles rufe 
mir aus dem Innerſten meiner Seele zu, 
daß das fünftige Lehen. dem gegenwartigen 
weit vorzuziehen ſey. 

Indeſſen komme ich wieder u mir uoh 
Ein ſchwacher Tag begonn den geſtirnten 
Himmel zu bleichen. Einige Strahlen furdhe _ 
ten bie Seiten ber Wolken: nach und nach 
erhielten fie ein helleres und lebhafteres Licht; 
fie ſenkten fich bald unter ben Horizont und; 
meine Augen fahen bie Scheibe bed Mon⸗ 
den zur Hälfte von dem Schatten befreyet. 
Endlich Teuchtete er in feinem ganzen Glan⸗ 
ges er erfchien wieder fo prächtig, als vora 
ber. Das einfame Geſtirn verfolgte feinen 
Lauf. Ich fand meinen Muth wieder. Ich. 
ſchwang mich von diefem Sarge auf. Die. 
Stille der Lüfte, die Heiterkeit des Himmelg,- 
bie blendenden Strahlen bee Morgenroͤthe, 


Ya) 29 (Eur 

alles richtet mich auf, troͤſtet mich und ser. 
fireuet die Schredien, die die Nacht: erzeugt 
hatte. 

Ich fahe nun Lächelnd dieſes Grab an, 
das mid) in feinem Bufen aufgenommen. 
Was hatte es fürchterliches? Es war Die 
Erde, meine Mutter, bie zu feiner Zelt daB 
‚ bischen Staub, das fie mir gelichen hatte, 
wieber fodern wird. Ich fab nichts von den 
Erfcheinungen, mit benen die Finfterniffe 
meine leichtgläubige Einbildungsfraft er⸗ 
fuͤllt haben. 

Siee iſt es, ſie iſt ed allein, die fürditen 
Hche Bilder erzeuget. Freunde! Sich habe 
das Bild des Todes in biefer Begebenheit 
zu fehen geglaubt. Sch fiel in dag Grab 
mit Schaudern, der einzigen Süße, burch 
die vielleicht die Natur dag Leben wiber die 
Nebel, die es belagern, aufrecht erhalten kann: 
aber ich verfiel dafelbft in-einen füßen Schlaf, 
der felbft feine Wolluſt hatte. War biefer 
fehredflich, fo dauerte er doch nur Einen Au⸗ 
genblick: für mich war eg nicht einmal Ei 
ner: ich erwachte zur fanften Klarheit eines 
reinen und heitern Tages auf: ich habe ein 
Findifches Schrecken verbannt, uud die 
Freude hat ſich wieder ins Innerſte meiner 


4) 24 (in 


Seele berabgelaffen. So werben wir auch 
nach dieſem vorübergehenden Schlummer,den 
man ben Tod nennt, zum Glanze der ewi⸗ 
gen Sonne erwachen, die die Unermeßlich⸗ 
feit der Wefen erleuchten, und ung dadurch 
fowohl die Thorheit unferer furchtfamen 
Vorurtheile als auch die unverfiegende und 
immer neue Duelle einer Glückfeligfeit ent⸗ 
decken wird, deren Lauf nichts unterbrechen 
wird. 

Aber, Sterblicher, damit bu nichts fürch" 
gen darfit, fo fep fugendhaft! Indem du 
den engen Pfad bee Lebens durchwanderſt, 
ſo fee. dein Herz in die Verfaſſung, baf eg gu 
Bir fagen kann: „Fuͤrchte nichts, gebe unter 
dem allfehenden Auge Gottes, des allgemeinen 
Vaters der Menſchen fort. Anſtatt ihn mie 
Schrecken anzuſchauen, ſo bete ſeine Guͤte 
an, hoffe auf ſeine Gnade, vertraue ihm 
als ein Kind das er liebt, und fuͤrchte ihn 
nicht, wie ein Sklave, welcher zittert, weil er 
ſtrafbar ift., 


Acht und zwanzigſtes Kapitel. 
Koͤnigliche Bibliothek. 
o weit war ich in meinem Traume, 
. als eine verzweifelte Thuͤre, bie hin⸗ 
O 


De) 242 ( ine 


tee: meinen Kopfkuͤſſen hirransgieng,  amizw 
knarren fieng, und eine -Veränberung :im 
meihem Schlafe herborbrachte. Ich werlor 
meinen Fuͤhrer und die Stadt aus dem Ge⸗ 
fichte: aber da mein Geift immer nody.nell 
von den. Gemälden war; bie fich lebhaft 
darinn cingebrückt hatten, fo verfiel ich um 
Gluͤcke aufs neue in denfelben Traum. Ih 
waͤr alsdann alleine, : mir :felbft: Äßerkaffen: 
es war heller Tag. Aus Gympetbie. be 
fand ich mich in der koͤniglichen Bibkiothefs 
aber es koſtete Mühe, ehe icht mich :bauan 
gewiß überzeugen konnte. mund 5) 
nyr Anſtatt der. vier unermeßlich langen © 
be, die viele taufend Bünde einfehloffen, aß 
ich nichts als ein kleines Kabinet, woꝛ vielt 
Bücher waren, die mir: aber nichts wenkger 
als dicke und baͤndereich su: feyn ſchienen 
Erſtaunt über eine fo große: Deräudauung 
wagte ichs zu fragen, ob: ein: ungluͤckli⸗ 
cher Brand vielleicht dieſe mächtige Summe 
lung verzehrethabe. — Ja, antwortete man 
mir, es war ein Brand; aber den: unſre 
Hände mit Vorſatz verurſachte. 
Ich habe vielleicht: vergeſſen zu ſagen, 
daß dich Volk das gefprächigfie von ber Welt 
war, daß es sine gan. beſondere Hochach- 


ige) 243 ( wir 


ung. für die Aten hatte, und bag es auf die; 
an daffelbe gethanen Fragen nicht wie eirt 
Franzoſe anttoortete, welcher fraget, indem 
‚ge. autwortet. Der Dihtihefar, der ein 
wahrer ‚Gelehrter war, kam zu mir, und 
machdem er alle meine Einwuͤrfe und Born 
Pe überlegt, hieit er mir ſolgende 


ir —— wir me burch die frengften 


Betrachtungen überzeugt. hatten, daß dee 


Verſtand ſchon von fich felbft in taufend 
ätembde Schwuͤrigkeiten gu verwickeln pflege, 
fo haben wir entdeckt, daß eine zahlreiche 
Bibliothek: ber : Sammelplat ber. groͤßten 
Ausſehweifuugen -unb. ber. thoͤrichſten Ch 
maͤren iſt. 1:3 Eurer Zeit fchrieb man zur 
Schande ber Vernunft: nach. ber Zeit dach 
se:man.; :Unfere Scheiftfteller folgten einem 
gang:entgegen geſetzten Weger wir haben 
alle: die Autoren aufgeopfert, bie ihre Ger 
danken unter einem ungeheuren Haufen von 
und angefuͤhrten Stellen vergruben. 

Nichts fuͤhret den Verſtand mehr irre, 
al fchlechte Buͤcher: denn. bie erften Bes 
priffe, bie. man einmal ohne binlängliche 
Unterſuchung ‚angenommen, werben in ber 
Folge übereilte Schlüfe, und. bie Menſchen 

D, 2 


HE ) 242 (rk 


ter meinem Kopfkuͤſſen hinausgieng, amızu 
knarren fieng, und eine Veraͤnderung in 
meinem Schlafe hervorbrachte. Ich werlor 
meinen Fuͤhrer und die Stadt aus dem, Ge 
fichte: aber da mein Geiſt immer noch⸗Voll 
von den Gemälden war, die ſich lebhaft 
darinn cingedrückt hatten, fo verfiel ich u 
Gluͤcke aufs neue in denfelben Traum. : Ai 
waͤr alsdann alleine, : wir :felbft: Äkteraffen: 
es war heller Tag. : Aus Sympathie be 
fand ich, mich in ber koͤniglichen Bibliothet: 
aber es foftere Mühe, ehe ichn mich davon 
gewiß uͤberzeugen konnter. asunt 5 
un Anſtatt ber. vier unerimefftich lausın SG 
fe; die viele tauſend Bände einfchloffen, "(mb 
sch nichts als ein Eleines Kabinet, wor vielt 
Bücher waren, bie mir: aber nichts wenhger 
als dicke und baͤndereich zu: ſeyn ſchienen 
Erſtaunt über eine fo große Weräuchenung 
wagte ichs zu fragen, ob ein ungluͤckli⸗ 
cher Brand vielleicht dieſe mächtige Semne 
lung verzehret habe. — Sa, antwortete man 
mir, ed. war ein Brand; aber den unſre 
Hände mit Vorſatz verurſachte. 

Ich habe vielleicht vergeſſen zu ſagen, 
daß dich Volk das geſpraͤchigſte von der Welt 
war, daß es sine ganz. beſondere Hochach⸗ 


ze) 243 ( Re 
ung für bie Aten hatte, und daß es auf-die; 
an baffelbe gethanen Fragen nicht wie eitt 
Srangofe antivortete, welcher fraget, ‚indem 
‚er antwortet. Der Bibliothekar, der ein 
Mahrer Gelehrter war, kam SU: ar, und 
nachdem er alle meine Einwuͤrfe und: Vom 
fe vi übern bielt er mir ſolgend⸗ 


27 ——ã— wir uns burch die —— 


Betrachtungen überzeugt Batten, daß ber 


Berfinnb- chem von fich ſelbſt in taufend 
ätembe Schwuͤrigkeiten zu verwickeln pflegt 
ſo haben wir entdeckt, daß eine zahlreiche 
Bibliochek der: Sammelplatz ber. groͤßten 
Ausſchweifungen · und ber. thoͤrichſten Chi⸗ 
maͤren iſt. 1:2 Eurer Zeit ſchrieb man zur 
Fchande der Vernunft: nach: ber. Zeit dach⸗ 
se:man.:. Unſere Schriftſteller folgten einem 
gang:entgegen geſetzten Wegen wir haben 
alle die Autoren aufgeopfert,. bie ihre Ge⸗ 
danken unter einen ungeheuren Haufen von 
und angefuͤhrten Stellen vergruben. 

Nichts fuͤhret ben Verſtand mehr irre, 
al fchlechte Buͤcher: denn. bie erfien Be⸗ 
griffe, die. man einmal; ohne binlängliche 
Unterſuchung angenommen, werben in der 
Bolge übereilte Schlͤſhe. und bie Menſchen 

D 2 


2m) 244 ( re 


gehen fo von Boruttheile zu Vorurtheil, von 
Irrthume zu Irrthum. Die Parthey, bie 
ung zu nehmen übrig blieb, war, das Ge 
baͤude der menfchlichen Ränntniffe aufs neue 
zu errichten. Dieſes Projekt fchien unend⸗ 
lichen Schwuͤrigkeiten unterworfen zu feym: 
aber wir Haben nichts gethan, als das 
Unnüße twegsufchaffen, das uns den’ maß 
ren Geſichtspunkt verbarg x’ eben fo, mie 
man das Louvre zu fchaffen, nichts weiter 
brauchte, als daß man die alten Gemaͤuer 
uͤber ben Haufen warf, die es von allen 
Seiten verbechten: Die Wiffenfchaften cha 
ten in dieferh Labyrinthe von Bächern.nichtg, 
als daß fie fich drehten und in einem Zirkel 
umberliefen; 106 fleimmer wieder auf benfel: 
ben Punft zuruͤcke famen, ohne DAR fie ſich 
erhoben; und die übertrichene Vorſtellung 
ihrer Neichthüner diente su weiter nichts, 
als die wahre Armuth gu verſtecken · 
In ' der That, mas enthielten, biefe un⸗ 
zaͤhligen Baͤnde? wenigſtens waren es un⸗ 
aufhoͤrliche Wiederholungen von einerley 
Sache. Die Philoſophie hat ſich unſern 
Augen unter dem Bilde einer allezeit beruͤhm⸗ 
ten, allezeit kopirten, aber niemals verſchoͤ⸗ 
nerten Statue dargeſtellt: fie ſcheint uns in 


im) 245 


dem Originale weit vollfommmer ; und in al, 
len goldnen und filbernen Kopien, die man 
nach der Zeit von ihr gemacht bat, von ihrer 
urfprünglichen Schönheit abzumweichen: ja, 
fie war ohne Zmeifel weit ſchoͤner, als fie 
von einer faft noch wilden Hand aus Hole 
geſchnitzt tar, ald da man fie mit fremben 
Verzierungen ausgepugt hatte. So bald 
bie Menfchen ihrer faulen Schwachheit über: 
laſſen, :bloß der Meynung anderer folgen, 
fo werden..ihre Talente nachahmerifch und 
knechtiſch; fie verlieren bie Erfindung und 
die Driginalität. Was für große Entwuͤrft 
und erhabene Speculationen ſind durch dem 
Odem ber angenommenen Meynung ausge 
Iöfcht worden! Die Zeit hat bloß bie leichten 
und glänzenden Dinge, die den Beyfall der 
Menge hatten, bis auf ung gebracht, indeß 
fen daß fie die männlichen und ftarfen Ges 
danken verfchlungen, bie. gu fimpel oder zu 
erhaben waren, als daß fie dem Pobel haͤt⸗ 
ten gefallen koͤnnen. 

Da unfre Lebenstage zu kurz ſind, als 
daß wir ſie mit einer kindiſchen Philoſophie 
ausfuͤllen ſollten: ſo haben wir den elenden 
Controverſen der Schule auf einmal einen 
toͤdtlichen Streich verſetzt — Was haht 


HE ) 246 ( einrke 
Ihr nenn gethan? Laßt rich alles wiſſen, ich 
Biete Euch! — Mirhaben einnüthig auf ei⸗ 
ner weiten Ebene alle vie Bücher zuſammenge⸗ 
bracht, bie wir entweder für Täppifch, oder 
für unnüße, oder für gefährlich hielten! 
ir haben daraus eine Pyramide aufgrfüh- 
det, die an Hoͤhe und an Stärfe einem um 
sehturen Thurme glich: ganz gewiß war es 
ein neiter Wurm zu Babel. Die Journak 
kroͤnten dieß lächerliche Gebäude; das ven 
Bifchdflichen Verordnungen der Parlamenten 
Befehlen und Leichenreden behangen wari 
Es beſtund aus fuͤnf bis ſechs hundert tab 
ſend Baͤnden Juriſtiſcher Buͤcher, aus funß 
zig tauſend Bänden Woͤrterbuͤcher, aus hun 
dert tauſend von Gedichten, aus: ſechzehn 
hundert tauſend Reiſebeſchreibungen und 
aus tauſend Millionen Romanen. :' Wir 
baben dieſen ungeheuren Haufen, ald- ein 
Verſoͤhnopfer, das wir der Wahrheit, bem 
gefunden. Verſtande und dem guten Ge 
ſchmacke brachten, in Brand gefteckt. Die 
Flammen haben die Thorheiten ber Menfchen, 
alter und neuerer Zeiten ſchnell verzehret. Ei⸗ 
nige Schriftftellee haben fich fo gar lebendig 
verbrennen ſehen, aber ihr Gefchrey hat 
ung nicht zuruͤcke gehalten: indeſſen haben 


RED) 247 ( Burke 


wir mitten in der Aſche einige Blätter aus 
BEEB*+r**, de la Hd***, und des Abht 
A** Werfen gefunden, bie: wegen ihrer 
ausnchmenden Kälte. niemals. Fonnten der 
brannt werben. 

Eben fo haben wir durch einen 1 enlende 
enter: Eifer dasjenige erneuert, was ſchon 
dormals ein blinder Eifer der Barbaren ge 
dhen..hatte: Da wir ingmwifchen weder. un⸗ 
gerecht, noch den Saracenen aͤhnlich ſind 
bie pre Saͤder mit Meiſterſtuͤcken des menſch; 
kichen Geifteß-heigten.: fo haben wir Kein⸗ 
Baht gematht. Gute Köpfe haben das mg 
fentliche. aus. tanfeud: Holiebänden. ‚herandr 
gezogen, dag fie. ganig in ein kleines Dupdez 
hämdchen: gebracht: :baben ;-. ungefähr. wie Dig 

geſchickten Chymiſten, die die Hauptkraft aug 
ber’ Pflanze. ziehen, es in ein Glaͤschen zu⸗ 
. fammenbringen,. und dag abe Zeug b dayan 
wegwerfen D. 
\ ı) Altes iſt Beitnderung A dieler Erdkugel: 
Der Geift des Menſchen aͤndert den Nationalcha⸗ 
rakter ins Unendliche ab, aͤndert die Buͤcher, und 
machet fie. unkenntlich. Iſt wohl ein Schriftſtel⸗ 
ler, der, wenn er denkt, ſich vernünftiger Weife 
ſchmeicheln kann, daß er nicht von dem nachfol⸗ 
genden Geſchlechte werde ansaepfiffen werden? 
- Syalten wir ums nicht über unfere Vorgaͤnger auf? 


ae) 208 (ie 


: Wir haben Auszüge von dem, was bat 
innen das wichtigſte war, beforgen laffens 
man hat das Beſte wieder gedruckt: alles 
aber hat man nach den wahren Grundfäßen 
der Moral verbeffert. Unſere Compilatoreg 
find wurdige und der Nation fchäßbare Leu⸗ 
ge: fie hatten Geſchmack und da fie ſelbſt im 
Stande waren, etwas hervorzubringen, ſo 
find fie auch faͤhig geweſen, das Beſte m 
waͤhlen und das Schlechte wegzuwerfen 
Wir haben bemerkt, (denn man muß billig 
ſeyn) daß es nur philoſophiſchen Jahrhum 
derten eigen iſt, ſehr wenig Werke zu ſchrei 
ben: aber daß in den Eurigen, imo bie wah⸗ 
ren und gründlichen Känntniffe nicht genug - 
fanı defeftiget waren, man nicht genug Mates 


Wiſſen wir den Tortgang, den unfere Kinder ma: 
hen werden? Haben wir eine Vorfiellung vom Dee 
nen Gcheimniffen, welche auf einmal aus dem 
Schooße der Natur hervorbrechen. können? Ken» 
nen wir. von rund aus den menſchlichen Vers 
fand? Wo ift das Werk, das fich auf die wahre 
Kenntniß des Menfchen, auf die Nratur der Dirk: 
ge, auf die gefunde Vernunft gründet? Zeiget ung 
anfre Phyſik nicht einen Dcean, deren Käften wir 
kaum noch befreihen? Wie fichtbar if alfo der 
Stolz, der ſich thoͤricht einbildet, die Sränzen eis 
ner Funft erreicht zu haben. 


Kae) 29 (Ge 


rialien fanımehr konnte. Die Handarbeiter 
muͤſſen vor. den Architekten herarbeiten. 
.Im Anfange wird jede-Wiffenfchaft. nur 
Stuͤckweiſe behandelt ; ein jeder ‚wendet fei- 
ne Aufmerkſamkeit auf den Antheil, der ihm 
zugefalien iſt. Durch dieſes Mittel wird 
nichts verabſaͤumet: man bemerkt auch das 
kleinſte Stuͤckwerk. Ihr mußtet nothwen⸗ 
Dig eine unzaͤhlbare Menge Bücher machen« 
ung kam es gu, dieſe zerfireueten Theile zu 
fommeln. Diejenigen, die einen leeren Kopf 
und halbe Kaͤuntniſſe haben, find ewige 
Schmwäßer : der meife, unterrichtete Manu 
redt wenig, aber er redt guf. 

Ihr ſehet dieß Kabinet: es enthält die 
Bücher, die den Flammen entgangen finds 
fie find in fleiner Zahl: aber diejenigen, die 
geblieben find, find des Beyfalls unfers 
Jahrhunderts werth geweſen. 

Neugierig nahte ich mich zu dem erſten 
Schranke. Ich ſahe, daß man von den 
Griechen den Homer, Sophokles, Euripides, 
Demoſthenes, Plato, XRenophon und haupt⸗ 
ſaͤchlich unſern Freund Plutarch, aufbehal⸗ 
ten: ben Herodot, die Sappho, den Ana⸗ 
freon und verächtlichen Ariſtophanes aber 
verbrannt hatte. Ich wollte ein wenig bie 


— 


5) 250 ( re 


Sache des Anafreon vertheibigen: aber man 
firhrte die beſten Gegengründe an, bie ich 
aber nicht hier erzählen will, weil fie mein 
Jahrhundert nicht verſtehen wilrbe. 
Im zweyten Schranfe, ber ben roͤmi⸗ 
ſchen Schriftftellern beſtimmt war, fand ich 
den Virgil, den ganzen Plinins, wie auch 
Sen Livius 2) : aber der Eufreg, außer ek 
hen poetifchen Stücken war verbrame, weil 
feine Naturlehre falfch und feine Moral ge 
fährlic, iſt. Die langen Reben des Eicerer 


der mehr ein gefchickter Nebtfünftler, als 


ein beredter Dann war , hatte man auf 
unterdrückt: aber feine philofophifchen Wer⸗ 
te, eines ber foftbarften- Stuͤcke bes Alter 
ums bafteman benbehalten. Salluſt war 
‚geblieben. Den Dvid und Norag 3). hatte 

2) Ich habe ganz ueuerlich diefen Geſchicht⸗ 
ſchreiber geleſen, und gefunden, daß die roͤmiſche 
Tugend darinnen beſtund, das meuſchliche Ge⸗ 
ſchlecht auf dem Altare des Veterlandes su erwuͤr⸗ 
Fr es waren gute Bürger und abfcheuliche Men⸗ 


3) Diefer. Schriftfeer Bat alle mögliche Feine 
beit, den. ausgefuchtefien Wis, die größte Artige 


Zeit: aber er iſt doch von allen Jahrhunderten gu ſehr 


bewundert wurden. Seine Mufe flößt eine wol⸗ 


luͤſtige Ruhe, einen lethargiſchen Schlummer, eine 


me ) 251 ( wer 


man gereinigets die Oden des legten ſcheinen 
von geringerur Werthe als ſeine Sendſchrei⸗ 
ben zu ſeyn. Seneca war auf ein Vierthel zuruͤ⸗ 
che geſetzt. Tacitus war erhalten worden; aber 
da in ſeinen Schriften eine finſtre Farbe herr⸗ 
ſchet, die die Menſchlichkeit von einer traurigen 
Seite zeiget, und man keinen uͤbeln Begriff 
von ber menſchlichen Natur haben muß 
weil ihre Tyrannen nicht die Natur ſind; ſo 
erlaubt man das Leſen dieſes ſcharfſinnigen 
Autors bloß gutgeſinnten Herzen. Catulß 
ſowohl als Petron waren verſchwunden 
Quintilian war ſehr duͤnne geworden. | 

.. Der britte Echranf. enthielt Die engli. 
ſchen Bücher. . Diefer beſtund aus den mel 
ſten Bänden. Man fand bafelbft alle Wels 
weifen,. bie dieſe Friegerifche, bandelnde und 
politifche Inſel hervorgebracht. Milton, 
Shafefpear, Young 2, Richardſon, ‚genofr 
Füße and gefährliche Gleichtuͤltigkeit ein: fie mu 
den Höflingen und den weibiſchen Seelen gefallen, 5e& 
ven zanze Moral fi) darauf einfchränkt, nichts als 
das Gegenmwärtige zu feben, und bloß den einfe> 
men Genuß von Vergnuͤgungen ın lichen. 

4) M. Le Tourner hat eine Ueberſetzung diefed 
Dichters geliefert, die in Frankreich den entfcheiden: 
ſten, groͤßten und danerbafteſten Beyfall erhalten. 
Jedermann bat Diefed moraliſche Buch gelefen, und 


ame) 252 ( Ener 


fen: noch ihre® ganzen Ruhms. Ihr ſchoͤpfe⸗ 
riſches Genie, biefed Genie, das nichts feſ⸗ 


die erhabene Sprache darinnen bewundert, die die 
Seele erhebt, ſie naͤhret und feſſelt, weil es ſich 
anf große: Wahrheiten gruͤndet, lauter große Wes 
geuftände darbent, und feine Würde aus ihrer eis 
genen wefentlihen Ordbe sieht. Was mid) anbe⸗ 
trifft, ſo babe ich nichts fo originnles, neues und 
felbft intereffantes gelefen. Ich liebe biefe tiefe 
Einrfindung, die immer diefelbe if, und fich doch 
dus Unendliche ſchattiret und abändert. Es iſt ein 
Btrobin, der mich fortreißt. Ich finde einen Gee 
ſchmack an dieſen ſtarken und lebhaften Bildern 
deren Kuͤhnheit dem Subſekte, das er umfaßt, ger 
mäß if, Man. findet methodifchere Beweiſe von 

der Unſterdlichkeit Der Seele: aber nirgends wird 

die Ampfindung ſo getroffen. Der Dirbter be⸗ 
Rürmt das Heri, unterwirft:es fich, ſetzet es außer 
Stand, dagegen zu vernünftelt. Go groß iſt die 
Zauberey des Ausdruds, und die Stärke der Bes 
redſamkeit, die den Stachel in der Seele nurla⸗ 
ldßt. 

Young bat nach meiner Meynung gegen bie 
Anmerkung Recht, die ıder Cenſor dem Ueberſetzer 
abgesteungen, wenn er hebauptet, daß ohne Aus⸗ 
ſicht auf die Ewigkeit und ibre Belohnungen, Die 
Tugend ein bloßer Name, eine bloße Chimäre ſey⸗ 
aut virtus nomen inane eft aut decus et- pretium 
tete petit experiens vir. Wir müffen ung fein 
metapbfiiches Phantom, machen. Was if eig 
Ent, aus dem nichts Gutes weder. in dieſer nor 


Be) 253 ( 


felte, indefien, daß mir unfere Worte abe 
meffen mußten, die fruchtbare Energie die⸗ 


in jener Welt auf und zurüde faͤlt? Was für ein 
But entſtehet in diefer Welt aus der Tugend für 
den gerechten Unglüdlichen? Fraget den Brutus, 
den Cato, den fierbendeen Gokrates: hier iſt der 
Stoiter auf der dugerfen Probe: iR er ehrlich, fe 
muß er hie Eitelkeit feiner: Sekte geſteben. Ich 
erinnere mich, und werde mich allezeit einiger nach⸗ 
drucksvollen Worte des J. I. Nouffean erin⸗ 
nern , die er gu einem mieiner Kreunde ſagta. J. 
3. Rouſſeau redete von einem, Vorſchlage zu einem 
Gluͤcke, das ihm unter einer fchimpflihen Bedin⸗ 
gung, ‚aber doch fo, daß fie konnte verfchwiegen 
bleiben, war gemacht worden: Mein Kerr, ſagte 
er, .ich. bin, Gott fey Dank, Fein Mater ialiſt 
wäre ich der geweſen, fo würde ich nichts behy 
fer,.als fie alle geweien fee: ich kenne nur dig 
Belohnung, die mir der Tugend verbunden iſt 
Ich geſtehe, daß ich nichts befier ald Rouſſean 
Kin, und wollte Gott, daß ich nur ſo gut, wie er 
waͤre! aber fo bald ich mich für ganz ſterblich Idelr 
te, ſo würde ich mich ſelbſt gleich gu meinem Gatt 
machen, ich würde alles auf meine Gottheit. beries 
ben, das iſt, auf meine. eigne Perſon: ich würde, 
mas mau Tugend nennt, aueuͤben, fe baid meis 
Vergnuͤgen dabey gewoͤnne: jeben auch fo bad Zafter : 
ich wuͤrde heute ſtehlen, um es meinem Freunde, 
oder meinem Maͤgdchen su geben: haͤtte ich mich 
wit ibnen gegankt,.fo würde ich fie morgen felbf zur 
Befoͤrderung meiner Heinen Ergöglichleiten deſteh⸗ 


az) 254 ( Enge 


fee freyen Zeelen war bie Bewuaderung ei 
nes ſchwer zu befriedigenden Jahrhunderts 
Der eitle Vorwurf, ben wir ihnen machten, 
daß es ihnen an Geſchmack fehle, war bey 
Leuten verdrungen, die von wahren und ſtar⸗ 
den Ideen eingenommen, ſich die Mühe gaben 
zu leſen, und über ihre Lectuͤre nachzudenken 
wußten Man hatte inzwiſchen aus der Zahl ber 
Philoſophen diejenigen gefährlichen Skeptiket 
weggenommen, bie bie Grundfeſte der Mond 


len: in allen dieſen Dingen werde ich Tehe wife 
merfſam feun, weil ich aleseit das thum mär, 
was meiner Gottheit ſchmeichelte. Da bingegel, 
wenn Id die Tugend der Belohnung. wegen liebe 
und dieſe Belobnung nicht auf willkuͤhr liche 
lungen geleget If, fo darf ich mich nicht nach 
wer augenblidlichen Yhantafie richten, ſondern nich 
der unveränderlichen Regel, die der emige'Bergek 
ger, der auch der Befenseber iſt, vorgeſchrieben bat; 
Fololich muß ich oft thun, mas ich ſoll, oh 4 
mir aleich nicht wefdut s und wenn ſich mes 
te Freyhelt ffir das Gute entſcheidet, nngeach⸗ 
get des gegenſeitigen Reitzes, fo thue ich md'Wg 
win, und nicht, wad mir gefällt. Hätte und Bett 
dloß durch Die Liebe für dad Schöne leiten molen, 
fo daͤtte er und nur eine vernünftige Seele gehen 
dürfen, obne die Empfindfamkeit des Herzens eiis 
wwilchen: er bat und aber Durch den Reiz der Yes 
lodnung lenken wollen, weil er uns in ewſaeo 
mm Weſen gemacht hat. 


BDze) 25 0 


hatten erſchuͤttern wollen. Die tugend⸗ 
hafte Volk von der Empfindung geleitet, hat⸗ 
te bie eiteln Spitzfindigkeiten verworfen, und 
nichts hatte es uͤberreden lonnen, daß die 
Tugend eine bloße Chimaͤre ſey. 

‚Der vierte Schrank zeigte gralaniſche 

Sicher. Das befreyte Jeruſalem, das ſchoͤn⸗ 
ſte unter den bekannten Gedichten, ſtund an 
der Spige: Man hatte eine ganze Biblis⸗ 
thef von Kritifen verbrannt, die man gegen 
dieſes bezaubernde Gedichte gemacht: hatte: 
‚Der. berühmte Tractat Äber die Strafen und 
Belohimingen hatte die ganze Vollkommen⸗ 
heit erhalten, deren dieß wichtige Werf faͤ. 
dig mar. Ich erfiaunte auf eine angenchs 
me Art, als ich eine Menge durchdachter 
und 'philofophifcher Werke fah, bie dieſes 
Volk ſeit dem geliefert hatte. Es hatte den 
Tallsmann zerbrochen, der Aberglauben und 

Unwiſſenheit auf ewig bey ihm zu erhalten 
ſchien. 

»Endlich kam ich zu ben franzofſchen 
Schriftſtellern. Mit begieriger Hand griff 
{ch nach den drey erſten Bänden. Es wa⸗ 
ren Carteſius, Montaigne und Charron. 
Montaigne hatte einige Abkuͤrzungen gelit⸗ 
ten; aber da er ber Philoſoph iſt, der die 


= ) 256 (Eat 


menichliche Natur am beiten gekannt ,:fo 
hatte man feine Echriften aufbehalten, ob 
gleich feine Gedanken nicht alle unverwerf⸗ 
lich find. Den Träumer Malebrauche, deu 
traurigen Nicole, den unbarmherzigen Ar⸗ 
hold und den graufamen Bourdaloue hatte 
man verbrannt. Alles, was fcholaftifeße 
Gitreitigfeiten betraf, war fo vernichtet wor⸗ 
den, daß, alg ich von ben Lettres provincis- 
les und der Ausrottung ber Jeſuiten ſprach 
der gelehrte Bibliothekar einen gewaltigen 
Anachroniſmus machte: ich wies ihn auf 
eine beicheibene Art zurechte, und! er dankte 
wir aufrichtig. Ich babe niemals biefe 
Lettres provincisles, noch auch die neuefle 
Gefchichte, die dad Einzelne diefer großen 
Begebenheit enthielt, wieder auftreiben koͤn⸗ 
nen. Wie Hein war fie jekt! Man rebete 
ist von Jeſuiten, wie wir heute zu Tage von 
alten Druiden fchwasten. | 


. Man batte den Haufen tbcologifcher 
Schriften, Rirchenväter genannt, bie voller 
Sophiſtereyen, Dunkelheit und Widerſpruͤ⸗ 
che waren, und den Loken und Clarfen ge, 
rade entgegen gefeßt find, vernichtet: fie fchie- 
nen, fagte der Bibliothekar zu mir, dem 


) 257 ( er 
menſchlichen Unſinne beynahe die Srägge 
geieeet zu heben. 

Ich ſchlug auf, blaͤtterte und ſuchte die 
Schriftfteller von meiner Bekanntſchaft. 
Himmel, welche Verwuͤſtung! wie viel große 
Buͤther waren in Rauch.aufgegangen! Wo 
iſt denn der deruͤhmte Voffuek, der zu mei⸗ 
ner Zeit in vierzehn Baͤnden in 4to abgr- 
druckt worden ? Alles iſt weg, fagte man 
mir — Wie? dieſer Adler, der ſich fo jehr in 
den Wolfen verlor, bieß Genie - - - Sin der 
That, was konnten wir von ihm erhalten? 
Cr hatte Genie, ich gebe es zu, aber er hät 
einen ſchlechten Gebrauch davon. gemadht. 
Wir haben aber ben Grundſatz des Mon⸗ 
taigne angenommen: Man muß nicht fra⸗ 
gen, wer der gelehrteſte iſt, ſondern wer 

es auf die beſte Art iſt. Die allgemeine 
Befchichse des: Boſſuet war ein armfeliges 
chronologiſches Gerippe 5) ohne Leben und 

5) Damit man der Zeitrechnung eine Miene 
der Wahrheit. geben möchte, fo Kat man Epoten 
erfunden, und auf einem fo ſcheinbaren Grund das 
Gebäude diefer allgemeinen Wiffenfchaft errichtet. 
Sie hängt ganz von dem Eigenfinne ab.‘ Man 
weiß nicht, auf welche Zeit man die Hauptrevolu⸗ 
tionen des Erdbodeus fehfegen fol, und mian will _ 
Boch das Jahrhundert befimmen, in. dem diefer 


vv 


RZ) 238 (En 

ohne Farbe; überdieß hat er den langen Re 
flerionen, bie dieſes magere Werk begleiten, 
eine fo gezwungene, fo feltfame Wendung ge 
geben, daß wir faum glauben, daß bie 
Werk Bon irgend jemand feit funfzig Jah⸗ 
"sen gelefen worden. — Aber doch. feine 
Leichenreden > « = — Wir find gegen ihn 
ſehr aufgebracht. Dieß iſt die armſelige 
Sprache der Knechtſchaft und Schmeicheleg. 
Mas ift das für ein Diener Gottes, des 

" Gottes des Friedens und ber. Wahrheit, der 
auf bie Kanzel fleigt, um einen finſtern Bor 
litikus, einen geisigen Minifter, eine Sran 
von einer gemeinen Seele, einen moͤrderi 
fchen Helden zu loben, der, wie ein Dichter, 
ganz mit der Beſchreibung einer Schlacht 
beſchaͤfftiget, nicht "einen einzigen Seufzer . 
über dieſe fchrecfliche Plage, bie bie Erde 
verwuͤſtet, ausſtoͤßt? In diefem Augenblicke 
dachte er nicht daran, die Nechte der Menſch⸗ 
lichkeit zu vertheibigen, und einem ehrgeigie . 


oder jener König gelebt bat. Die Summe der ers 
tbümer fanmelt ſich rubig, felbft durch Hülfe ehto⸗ 
uologifcher Berechnungen. Sum Ereinpel, man 
geht von Erbauung der Stadt Rom aus, und dies 
fe Erbauung berußet auf: bloßen abefiheinlichteis 
ten oder vielmehr A anf Voraueſetungen. 


Sam) 29 (nk 


gen Monarchen durch die heilige Stimme 
der Religion wichtige und fchreckliche Wahr: 
beiten vorzuhalten. ‚Er Dachte vielmehr bloß 
darauf, daß bie Welt von ihm fagen mochte: 
Der Mann redt gut: er erbebt die Tod» 
ten mit Kobfprächen ; wann ihre Afche 
noch lau ift, wie viel mebr Weybrauch 
wird er nicht den Roͤnigen ſtreuen, die 
noch nicht verſchieden ſind. 

Wir ſind keine Freunde des Boſſuet. 
Außerdem, daß er ein ſtolzer, harter Mann, 
ein kriechender und ehrgeiziger Hoͤfling war; 
ſo war er es auch, der dieſe Leichenreden in 
Aufnahme brachte, die ſich ſeit der Zeit, wie 
die Leichenkerzen vervielfaͤltiget haben, die 
gleich ihnen, einen giſtigen Geruch im Vor⸗ 
uͤbergehen zuruͤckelaſſen. Dieſe Gattung von 
Reden ſchien uns die ſchlimmſte, nichtswuͤr⸗ 
digſte und gefaͤhrlichſte unter allen zu ſeyn; 
weil, fie zu gleicher Zeit falſch, kalt, luͤgen⸗ 
haft, abgeſchmackt und unverſchaͤmt war: 
denn der Redner widerſprach allezeit dem 
oͤffentlichen Geſchreye, das an den Mauern 
wiederhallte, oder ber Redner, der mit Pomp 
declamirte, lachte ganz heimlich bey ſich 
ſelbſt, uͤber die luͤgenhaften Farben, mit de⸗ 
nen er ſeinen Abgott ausſchmacte 

R2 


Sm ) 260 ( er 


Da ſehet feinen Rival, feinen fanften 
und :befcheibenen Sieger, den liebenswuͤr⸗ 
bigen und empfindlichen Fenelon, ben Ver⸗ 
faffer des Telemachs und vieler Andere 
Schriften, die'wir forgfältig aufgehoben-bas 
ben, weil wir darinnen bie feltene Uebereim 
fiimmung des Verflandes und bed Herzens 
gefunden haben ©. Einen Telemach am Hofe 
Ludewigs XIV. verfertiget ju haben, ſcheint 
uns eine bewundernswuͤrdige, erſtaunende 
Tugend. Ganz gewiß hat der Monarch das 


Buch nicht verſtanden, und dieß iſt noch das 


vortheilhafteſte, was man für ihn fagen kann. 


6) Die framzoͤſi ſche Aademie bat für den nach⸗ 
fien Preis der Beredſamkeit feine Lobſchriſt aufge⸗ 
geben. Aber wenn fie ip was fie ſeyn ſoll, fo kann 
fie von ‚der Atademie unmöglich gekroͤnet werden: 
Barum giebt man foldje Dinge auf, die nicht in ih⸗ 
rem ganzen Umfange koͤnnen behandelt werden? 

Uebrigens liebe ich dieſe Gattung, mo man durch 
die Prüfung eines großen Genies, zugleich die 
Kunft, durch die ſich daſſelbe hervor gethan, -prüs 
fet und gründlich auseinander fenet. : Wit beben 
in diefer Art vortrefliche Werke, worunter Die-vors 
zuͤglichſten des Hrn. Thomas feine find. Es iſt das 
Lehrreichſte, was man einem jungen Menſchen in 
Die Hände geben kann: er wird darinnen fo wohl 
nuͤtzliche Kanntniſſe finden, als auch zu einer ders 
nünftigen Rubmbegierde geteint werden. 


ae) 2618 ( nr 

Ohne Zweifel fehlet es dieſem Werke an groͤſ⸗ 
fern Einfichten und tiefern Kenntniſſen; aber 
wie viel hat es bey feiner Simplicität Stär- 
Be, Hoheit und Wahrheit! Wir haben dieſem 
Schriftfteller die Werke des ehrlichen Abbts 
son St. Pierre an die Seite geftellet: feine 
Geber war zwar ſchwach, aber fein Herz 
edel. Sieben Jahrhunderte haben feinen. 
sroßen und ſchoͤnen Gedanken bie gehoͤrige 
Reife gegeben. Diejenigen, die ihn einen 
Traͤumer ſchalten, waren es, die bloße Chi⸗ 
maͤren im Kopfe hatten. Seine Träume 
ſind erfuͤllt worden 


Unter den franzoͤſiſchen Dichtern fand 
ich den Corneille, Racine und Moliere wie⸗ 
ber; ‚aber ihre Commentatoren 7) hatte man 


7) Sie find das Werk entweder des Neides 
oder der Unwiſſenheit. Diele Commentatoren ers 
werten mich mit ihrem Eufer für die Geſetze der 
Grammatik, um Witleiden. Das grauſamſte Schick⸗ 
fal, das eines Mannes von Genie nach feinem To⸗ 
de wartet 1 ik, nad feinem Tode von Pedanten 
beurtheilet zu werden: dieſe ſehen und fühlen 
nicht. Die elenden Kritiker, die Wort vor Wort, 
vornehmen, gteihen den blöden Gefichtern, die atts. 
ſtatt ein Gemälde von Le Suͤeur oder Poußin gu, 
betsachten, auf eine dumme Art jeden Zug Anters 
fuchen, und niemalg das Ganse feben. . Br 


Sam) 202 (u 
verbrannt. Ich that an ben Bibliothekar 
die.Srage, bie man mwahrfcheinlicher Weife 
noch nach fieben Hundert Jahren thun wirdt 
Wem gebt Fhr; denn unter den dreyen ben 
Vorzug? — Mir verfichen ben ‚Mollere 
nicht mehr, verfeßte er: die Gitten, bie er 
gefchildert hat, find vorbey. Wir glauben 
inzwiſchen, daß er mehr das Lächerliche, als 
dag Lafterhafte angegriffen, gleichwohl hats 
ter Ihr mehr Lafterhaftesy als Lächerlicheg a), 
Was die beyden tragifchen Schriftfieller atte 
betrifft, veren Sarben dauerhafter waren, a _ 
weiß ich nicht, tie ein Mann von Euerm 
Alter eine folche Srage thun fann? Der 
vorteefliche Maler des Herzens, der die Seele 
am meiften erhebt und ertveitert, der, ber ben 

8) Es ift falfch, dag es leichter fey, wie mau 
in einer Lobfchrift auf den Moliere behauptet bat, 
die Menfchen vom Lächerlichen, ald vom Lafer ab⸗ 
zugieben: aber gefent; dem märe alfo, für welche 
Krankheit des Herzend bat man zuerſt die Drittel aufs 
iufichen ? Wird-nicht der Dichter ein Mitgefaͤhrte 
der Allgemeinen Bosheit, wann er zuerft die elenden 
Derträge annimmt, die die Gottloſen gemacht has 
Ben, um deſto ‚beffer ihre Bosheit iu -verkeden? 
Wehe dem, der nicht die ganze Wirkung. fuͤhlet, 
Die ein vortrefliches Schaufpiel hervorbringen Tann, 
und das Erhabene. diefer Kunſt einſieht, Die un 
allen Herjen nur Ein Der machet. 


Re) 263 ( diene 

. Kampf der Leibenfchaften und die Tiefe ber 
Politik am beften verfianden , ' hatte ohne 
Zweifel mehr Senie 9 alg fein harmonifcher 
Nebenbuhler, der mit einem reinern und rich⸗ 
tigern Stil, weniger flark, weniger gedrangt 
ift, und weder fein durchdringendes Auge, 
nod) feine Erhabenheit, noch feine Wärme, 
noch feine Logit, noch die große Verſchieden⸗ 
heit ſeiner Charaktere hatte. Setzet noch 
den allezeit merkbaren moraliſchen Endzweck 
hinzu: er erhebt den Menſchen zu dem Ele⸗ 
mente aller Tugenden, zur Freyheit. Raci⸗ 
ne, nachdem er ſeine Helden zu Weibern ge⸗ 
macht, machet auch ſeine Zuſchauer wei⸗ 
biſch 10). Der Geſchmack iſt die Kunſt, 
Kleinigkeiten wichtig zu machen: hierinnen 
9 Corneille hat oft eine Mieneder Offenher⸗ 
aigleit, der Freymuͤthigkeit, der eriginalen Sim⸗ 
zlieität, und felbk etwas natuͤrlichers, als Boileau. 
0) Racine und Boileau waren zwey demuͤthi⸗ 
ge Hofleute, die ſich dem Monarchen mit der Bes 
wunderung jtveener Bürger ausber Straße St. De⸗ 
nis naͤherten. So gieng Horas nicht mit dem 
Auguſt um. Nichts if Heiner, ald die Briefe diefer 
beyden Dichter, die anger fich vor Entzücken waren, 
am Hofe gelitten zu ſeyn. Dan Bann fich keine krie⸗ 
chendern Schmeichelegen vorſtellen. Endlich ſtarb Ra⸗ 
eine vor Verdruß, weil Ludwig der XIV. ihn einmnal 
in Voruͤbergehen mit fcheelen Augen angeſehen hatte. 


Ya) 2 (u 

that es Racine dem Corueille zuvor. . Die 
Zeit, die unumfchränkte Richterinn, Die auf 
gleiche Weiſe Lob und Tadel vernichtet, bie 
Zeit hat entfchieden und einen großen ln 
terfchied zwiſchen diefen beyden Schriftſtel⸗ 
lern gemacht. Der eine iſt ein Genie vom 
erſten Range: der andere, einige Züge aus⸗ 
genommen, bie er ben Griechen abgeborgt 
Bat, ift bloß ein ſchoͤner Geiſt, wie man ihn 
in feinem Jahrhunderte ſelbſt charafterifi- 
rete. Zu.Eurer Zeit hatten bie Menfchen 
nicht dieſelbe Stärke: fie wollten nur das 
Seine; und das Große hat immer) etwas 
Rauhes und Wildes : der Stil war das 
Hauptverdienft gefdorben, wie es ben allen 
geſchwaͤchten und verdorbenen Völkern zu 
gefchehen pflegt. 

Sich) fand-ben ſchrecklichen Crebillon wie⸗ 
der, der das Laſter mit den ſchrecklichſten 
Farben, die es charakteriſiren, geſchildert 
hat. Dieß Volk las ihn bisweilen, aber 
ſeine Stuͤcken ließ man nicht auffuͤhren. 

Man kann leicht glauben, daß ich mei⸗ 
nen Sreund, ben Lafontaine 15) erfannte, 


11) Er if deu Vertraute-der Natur, das if, 
der Dichter, der vor allen übrigen Dichter iR, und 
ich kann mich nicht genug über die Kuͤbndeit ders 


Ge) 265 ( re 

ber ſo wie vormals geliebt und geleſen wur⸗ 
De: Er-tfk der erfle der moralifchen Dich⸗ 
ter, und Moliere, der fähigfte Richter, hatte 
feine Unfterblichfeit vorausgeſehen. Es ifl 
wahr, bie Fabel ift der allegorifche Ton ei 
nes Sklaven, der nicht mit feinem Herrn gu 
reden waget: aber da fle zu gleicher Zeit das⸗ 
jenige mäßiget, was die Wahrheit Hartes 
haben kann, fo muß fie lange Zeit auf einer 
Erdfugel fchäßbar ſeyn, die allerley Arten 
von Tyrannen überlaffen if. Die Satpre 
iſt vieleicht nichts, als das Gewehr der 
Verzweiflung. 

Jenes Seculum mag immer dieſen un⸗ 
nachahmlichen Fabeldichter unter dem Bot, 
leau 12) geſetzet haben, der, (wie der Abbt 


jenigen wundern, die nach ihm Fabeln machen, in 
der ſtolzen Einbildung, ihm nachzuahmen. 

24) Der Kunftrichter, der nichts thun, als ei⸗ 
nen Autor demuͤthigen will, anſtatt daß er ihn be⸗ 
lehren ſoll, entdeckt feinen Stolz, feine Unwiffens: 
beit ımd feine Eiferfucht: ſeine Bosheit erlaußt 
ihm nicht das Gute und Schlechte eines Werke 
aufrichtig zu fehen. Die Kritik IR nur denjenigen 
erlaubt, deſſen Linfichten, Beurtheilungsfraft amd 
Redlichkeit Bein perfönliches Anutereffe verdunkeln 
O Aritikue! prüfe" Dich wohl, und willſt du rich⸗ 
sig über etwas werheilen, fo urtheile, daß du, beis 


Due ) 266 ( Aue 


Eoftarb fagt,) ben Dictator auf dem Barnaffe 
machte, und bem es doch an Erfinbung, Ge 
nie, Etärfe, Brazie und Empfinbung fehlte, 
und nichts als ein richtiger und Falter Vers 
fificateur war. Man hat noch verfchiebene 
andere Sabeln benbehalten : unter andern 
einige von dem de la Motte, und bie vom 
Nivernois 13). | 


Der. Dichter Kouffean (dien n mir fe 
verachtet: man hatte nicht® von ihm, als 
einige Oden und Cantaten, übrig gelaffen: 
feine traurigen Sendſchreiben aber, feine er⸗ 
muͤdenden und harten Allegorien, feine Man⸗ 
dragore, feine Sinngedichte, bad Werk ci, 
nes verderbten Herzens, dieſe ſchmutzigen 
Dinge hatte man, twie fich leicht vermuthen 
läßt, dem Feuer übergeben, das fie fchon 
laͤngſt verdienet hatten. Sch kann die heil- 
ſamen Berftümmelungen nicht alle ersählen, 
Die man mit vielen, fonft fehr beruͤhmten 


nen bloßen Einſichten uͤberlaſſen, nichts zu beuts 
theilen fähig bik. 

3) Nach fiebeubuubert Jahren wird man ſi 6 
ſchwerlich noch erinnern, daß dieſer velgenbe Fabel⸗ 
dichter ein Herzos, eig Nitter bes. Ordens vum 
heil. Geiſte war; aber das wird man noch zeiffen, 
daß er ein finnreicher Philoſoph war. 


ae ) 267 ( are 


Buͤchern vorgenommen. Ich ſahe feinen. 
von den · leichtſinnigen Dichtern, die bloß 
dem Geſchmacke ihres Jahrhunderts ges 
ſchmeichelt, und über die ernſthaͤfteſten Ge⸗ 
genſtaͤnde deu betruͤgeriſchen Firniß des Wi, 
tzes, der, der Vernunft 14) mißbrauchet, vera 
breitet hatten: alle die witzigen Kleinigkei⸗ 
ten einer flatterhaften und berauſchten Eins 
bildungskraft, die man auf ihren wahren 
Wert beragefeget ‚ waren verfchtounden, 
mie die Sterne, die bloß deſto geſchwinder 
verloͤſchen, je heller fie brennen. Alle die 
Romanen, fomohl Hiftorifche, als morali- 
ſche und politifche, bey denen fidy bloß von 
ungefähr einzelne Wahrheiten fanden, die fie 
nicht zu verbinden und durch ihre Verbins 
"dung ihnen einen Nachdruck zu geben wuß, 
ten: ferner diejenigen, bie einen Gegenſtand 
niemals von allen Seiten und in allen ſei⸗ 
nen Beziehungen betrachtet hatten: endlich 
diejenigen, die hurch den Geift des Syſtems 
verführet., Bloß ihre eigenen Gedanken 
gefehen , ihnen alleine gefolget waren: 

14) Alb Herkules im Tempel der Venus, die. 
Bildfdule des Adonis, Ihres Lieblings erblickte, 
rief er and: in Die ift nichts Göttliches. Man 
kann diefe Worte auf fo viel feine, delikate, ſiun⸗ 
reiche, welchliche Schriften amvenden- 


Sam ) 263 ( Er 
alle dieſe Schriftſteller, fage- ich, durch die 
Abweſenheit oder das Daſeyn des Genies 
‚betrogen, waren verſchwunden, -ober der 
Feile einer richtigen Kritik unterworfen 
worden, die nun nicht meht emn ſmaducco⸗ 
Verkbzeug war. 15). 

Die Weisheit und Liebe zur Bremmng 
ben die Aufſicht bey dieſer nuͤtzlichen Ver⸗ 
uͤſtung gehabt. Wie wann in dicken Wal— 
dern, wo bie in einander gewaͤchſenen Zwei⸗ 
ge die Wege verſtecken, wo ewige und unge⸗ 
ſunde Schatten berrfchen ‚ ber Sie bed. 
Menſchen Feuer und Beil hineinbringe: dam 
fieht man die blühenden Fußſteige und die 
fanften Strahlen der Sonne: fie zerſtreuet 
die Finſterniſſe und das lebhafteſte Gruͤn er⸗ 
göget die Augen des Wanderers, der nun oh⸗ 
ne Furcht und Widerwillen durchreiſen kann. 
Ich bemerkto in einem Winkel ein artiges 
Buch, das mir gut geſchrieben zu ſeyn ſchien: 
15) Ein guter. Kopf ſollte ein. raiſonnirendes 
uud gründlich unterfuchtes Verzeichniß der beſten 
Bücher in jeder Art auffegen, und die Ordnung 
und Weife, wie fie ju lefen find, nebß den eignen 
Bemerkungen beyfügen, die er Darüber gedacht bat, 
und in andern die Stuͤcken anzeigen, die vorzüglich 
zum Denken anlat geben, 


Zum ) 269 ( ke 


es hatte den Titel: Dep uſurpirte Ruhm. 
Es wurden darinnen die Gruͤnde angege⸗ 
ben, warum. man viele Bücher vertilgt, und 
gewiſſe Schriftfieller mit Verachtung belegt 
hatte, die gleichwohl ven ihrem Sahıhuns- 
derte waren bewundert worden. In eben 
diefem Buche wurden große Maͤnner gegen 
das Unrecht ihrer Zeitgemoffen gercchtferti 
get; wann ihre Widerſacher ungerecht, eifer⸗ 
füchtig, oder von einer. andern Leidenſchaft 
waren verblendet geweſen :©). 

Ich fiel auf den Voltaire. Himmel! vief 
ich aus, wie ift er abgefallen! Wo find bie . 
zwanzig Baͤnde in 4to, bie aus feiner gläns 
genden , niemals trocknen Feder gefloſ⸗ 
fen ?. Sollte dieſer berühmte Schriftſtel⸗ 
ter wieder auf die Welt kommen, o wie 
würde er ſich wundern! — Wir haben, 


16) Es wäre ned) ein ſchoͤnes Buch su machen, 
ob es gleich ſchon gemacht iſt: große Degebenbeis 
sen aus Kleinen Urſachen. Biber mer ift der 
Sana, der den wahren Faden faen wird? Ich 
will noch ein anderes. anzeigen, das ſich für unfer 
Jahrhundert ſchicken möchte: Leute in Iffentlis 
chen Aemtern, die Verfolger wurden, un den 
Niedertraͤchtigen einen Dienft zu leiſten, die fie 


‚ verachteten; noch ein auders: die ; Derbreigen 


der Wonarkhen. r 


Emm ) 270 ( ne 


fagte man mir einen großen Theil baven 
verbrennen müffen. Ihr wiſſet, daß dieſes 
kreffliche Genie ber menſchlichen Schwach⸗ 
beit einen fehr ſtarken Zoll gebracht hat. Er 
war mit feinen Gedanken zu geſchwind, zus 
fie ihnen nicht Zeit zur Reife. “Er sog al, 
led, was nur ben Charafter ber Kuͤhnheit 
hatte, einer Iangfamen Prüfung ber Wahr: 
heit vor. Selten hatte ee auch Tiefe genug. 
Er war eine reißende Schwalbe, die mit Ar- 
ügkeit und Leichtigkeit die Flaͤche eines hreiten 
Fluſſes beftrich, im Fluge trank und ſich bes 
fruchtete: er wußte feinem Witz ben Schein 
des Genies zugeben: Man kann ihn nicht eis 
ne ber erften, ber größten und edelſten Tugen- 
ben, die Menſchenliebe abfprechen. Er bat mit 
Wärme für das Beſte des Menichen geſtrit 
ten. Er hat die Verfolgung verabfcheuet; 
‚ bie. Tyrannen jeder Art der Verachtung 
blog geſtellet. Er bat eine vernünftige und 
rührende Moral auf die Bühne gebracht. 
Er hat den Heldenruhm in feiner wahren Ge⸗ 
flalt gegeichnet. Er ift endlich der größte franz. 
zoͤſiſche Dichter geweſen. Wir haben ſein epi⸗ 
ſches Gedichte aufbehalten, obgleich der Plan 
elend iſt; aber der Name Heinrich des IV. 
wird es unſterblich machen. Wir bewun⸗ 


az) 271 (ie 


dern vorzüglich feine ſchoͤnen Trauerfpiele, 
in denen ein fo leichter, fo abwechſelnder 
und wahrer Pinfel herrſchet. Wir haben 
alle profaifche Stücken" aufbehalten, wo er 
wicht Poffen reißet, und. ein plunper oder 
fchlechter Zuftigmacher iſt: in benfelben iſt er. 
wirflic) original 173. Aber Ihr wißt, daß 


173 Ich Ichäne den. Maler der Natur hoch, der 
feinen Pinfel auf der Leinwand fielen laͤßt, der ei⸗ 
ze gerifie edle Kuͤhnheit, die die Farben belebt, 
der” Falten Genauigkeit und Regelmäßigkeit vor⸗ 
zieht, die und unaufhärlich an die Kunſt and ihren 
Betrag erinnert. D wie glänzend wird der Schrift» 
Beller ſeyn, der ganz feinem Genie überlaffen, ich 
vorſetzliche Nachlaͤßigkeiten erlaubt, mit einer leich- 
ren Hand glückliche und gemifchte Züge einwitft; 
ſich groß genug iſt, Fehler zu haben; fih in eher 
gewiſſen Unordnung gefällt, und da am intereffans 
teften if, wo er ſich am unregelmäßigften zeiget. 
Dies iſt der vorzäglihe Manu von. Geſchmack: 
er weiß, dag eine langweilige Synumetrie nur dem 
Dummtöpfen gefältt, daB alle lebhafte Geiſter ſich 
gerne Fluͤgel anfegen laffen, daß man dieſer glücks 
lichen Lebhaftigkeit, die die Seele ermuntert, die 
meiſten Leſer verdantet: daß der Schriftfteller, wie 
das elemientarifche Teuer immer in Bewegung ſeyn 
muß. Aber dieß Geheimniß if nur für die Heine 
Anzahl: der größte Theil arbeitet, ſchwitzet, ſtrengt 
alle Kräfte an, uud firebt nach einer kaͤltenden Dolls 
fommenbeit. Derjenige, der zu fchreiben geboren 
war, IR lebhaft, voll Feuer, ſchuel, über alle Re⸗ 


Ze) 272 (are 

ihm die letzten funfzehn Jahre feine Lebens 
nichts ale einige Gedanken übrig blieben, 
die er von hunderterley verſchiedenen Sei⸗ 
ten vorſtellte. Er wiederholte immer daſſel⸗ 
Be. Er zankte ſich mit Leuten herum, die er 
‚hätte verachten ſollen. Er hat das Ungläd 
gehabt, gegen 3. J. Rouſſeau platte wich 
grobe Schmaͤhungen zu ſchreiben, und eine 
eiferſuͤchtige Wuth verführte ihn fo ſehr, daß 
er ohne Verftand fehrieb. Wir Haben nyth⸗ 
wendig. dieſes elende Zeug verbrennen muͤß 

fen, das ihn unfehlbar bey der entfernte 
ſten Nachwelt wuͤrde entehret Gaben. : Da 
wir mehr Eifer für ſeinen Ruhm baben;aldr 
felbft hat, fo mußten wir, um biefen font - 
großen. Mann beynuhehalten, d die weite von 
ihm vertilgen. 
Ich bin erfreut, meine Herten, daß ich 
bier den J. J. Rouſſean ganz finde: "Sein 


geln weg, und wirft mit einem Federzuge feinen 
Gedanken bin, und zugleich dad Dergnägen in die 
@eele des Leſers. So iR Voltaire: er IR ein 
Hirſch, der Das Feld Ber Literatur fchnell durch⸗ 
Wuft : und feine vorgegebenen Nachahmer, feine kal⸗ 
ten Kopiſten, fo wie La H*** und andere froſtige 
Autoren, find Triechende Schildkroͤten. 


a- ) 273 ( Ener 


Emil, wel ein Buch 18)! Welch eine em. 
pfindliche Seele leuchtet aus dem fchönen 
Roman; die neue Heloiſe, hervor! Was für 
flarfe, große und politifche Gedanken glän- 
zen in feinen Briefen bed ka Montagne! 
Welch ein Edelmuth, welche Kraft in feinen - 
übrigen Werken! Wie denft er, und wie 
viel giebt er zu denken! Alles fcheint mie 
von ihm würdig gelefen zu werben — Mir 
haben. eben fo von ihm geurtheilet, antwor⸗ 
tete der Bibliothefar. Der Stol; Eures 
Jahrhunderts war fehr niedrig und gratis 
fam, feste er hinzu. In Wahrheit, hr 
müßt ihn nicht verftanden "haben. Euer 
Kopf mar fo. voll von Kleinigkeiten, . daß 
er fich nicht die Mühe nahm, ihm zu fol⸗ 
gen: er hatte einige Urfache, Euch zu vers 
achten. Eure Philofophen felbft waren 
Leute ... doch wir find über biefen Welke 
weiſen einig: wir verfiehen einander ; und 
ich brauche nichts weiter von ihm zu ſa⸗ 
gen. 


18) Welche abgeſchmackte Widerlegungen hat 


man gegen dieß unſterbliche Werk gedruckt Wie 


kann es jemand wagen, zu ſchreiben, mann er nicht 
einmal leſen kaun. 


S 


Se) 274 ( Berk 
Jadem id; die Bücher des letzten Schram. 
kes durchſuchte, fand ich mis Bergnügen.pielene 
ley Werke wieder, die ſchon vormals vom mer 
ner Nation waren hochgeicyägt worden: deg 
Geiſt der Geſetze, die Naturgeſchichte, das Buch 
non dem Verſtande (de leſprit) mit Erlaͤute⸗ 
rungen über einige Stellen 19). Man hatzz 
auch nicht ben Meuſchenfreund, ben Belifan 


. bie Merfe des Linguet, noch hie bevedten 


Lobfehriften des Thomas 20), dad St, Gier 
van, bed. Düpaty, des le Tourneur und;he 
Gefpräche des Phocion vergeſſen. Ich exlaunti 
hie. Menge philoſophiſcher Werke die das Ei; 
culum Ludwig des XV. hervorgebracht Pbo 


19) Die Spinne jieht aus derſelben WÜR’EHE 
and: der. vie Biene den ſuͤßeſten Honig ſaugt: 
findet oft der Boͤſewicht in eben; Dem Boch 
Nahruug für feine Bosheit, worinues ein, Weilff 


ſeine größte Zufriedenheit findet 


20) Es finden vor A feine wa 


- Rate: aber die Beredtfamfeit if deswegen 


verſchmunden. Sie fpricht, ſie donnert aoch bit⸗ 
weilen: und wenn fie in und auch nicht zu tugend⸗ 
hafte Empfindungen entflammen Tann, (0 beſchaͤmt 
fe uns doch wenigſtene, und font uns In See 
senbeit. 

: 201: Die Phikoſophie, die ſich mit der —8 
des Menſchen, der Politik und den Gitten bafchdis 


tiget, beeifert ſich, nuͤtliche Käuntuife zu verbcei⸗ 


ae) 375 (nn 


Man hatte bie Encyklopebie nach einem befr 
fern Plane umgearbeitet. Anflatt des elens 
den: BGeſchmacks, alles in Wörterbücher zu 
bringen, das iſt, die Wiſſenſchaft Stuͤckwei⸗ 
ſe zu zerlegen, hatte man jede Kunſt in ih⸗ 
rem’ ganzen Umfange vorgetragen. Matt 
überfah dadurch mit einem Blicke ihre: ver⸗ 
fchiedenen Theile: es waren große ımd rich. 
tige Gemaͤlde, die auf einander in gehoͤrl⸗ 
ge Ordnung folgten: fie wurden durch ben 
Baden einer Intereffanten und fi mpeln Dies 
thode unter einander verbunden. Alle Bi 
cher;: die: man -mider: die chriftliche Religion 
gefchrieben hatte; waren als ganz unnuͤtze, 
vyxhragunt worden. | 
cat nach dem Gefchichtfehreibern, 
und der Bibliothekar fagte zu mir: dieß find 
zuitn Theil unſere Maler, die dieſes Amt ber- 
nommen haben. Geſchehene Dinge haben eine 
phyſiſche Gewißheit, die für ihren Pinfel gehoͤ⸗ 
retı Was iſt die Gefchichte? 2 Im Grunde nichts 
als die Wiffenfchaft gefchehener Dinge. Die 
Betrachtungen und bag Raiſonnement, haͤn⸗ 
gen von dem Geſchichtſchreiber und ‚nicht 
son. der Sache felbit ab; aber ber gefiheher 
tin: ihre Läferer find’ emmeder Summtote ober 
ſchechte Bünde. 
2 


De, 276 ( re 


nen Dinge giebt es auch unzählige. Mat 
für gemeine Sachen! für veraltete Mäbe- 
hen! für Ersählungen fleiner Umſtaͤnde he 
Ende! Die Begebenheiten jedes Jahrhn- 
derts find für die Zeitgeneffen deſſelben bie in⸗ 
tereffanteften unter allen, und in allen Jabe- 
Hunderten find dag die einzigen, die pe u 
haben ergründen konnen. 

Man hat forgfältig alte und mswaͤrthe 
Facta beſchrieben, indeſſen daß man ben 
gegenwaͤrtigen feine Aufmerkſamkeit ent 
zog. Der Geiſt der Muthmaßung glaͤn⸗ 
zet auf Koſten ber Richtigkeit. Die Mel— 
ſthen haben fo wenig ihre Schwachheit gb 
kannt, daß viele es fogar gewagt haben. 3 
Ban Weltgefchichten su fchreibens und 

e fcheinen mir darinnen unbeſonnener, alb 
die guten Indianer, die wenigſtens vler Se⸗ 
phanten zur Grundlage ber phnfifchen kt 
annahmen. Kurz, die Gefchichte iſt ſo 
verunſtaltet, fo mit Ligen und kindiſchem 
Geſchwaͤtze angefüller, daß der Roman bed 
jedem vernuͤnftigen Merſchen mehr als die⸗ 
ſe Geſchichten gelten muß, wo man gleich 
fam auf einem unbegraͤnzten Meere ober | 
Compaß fehiffte 9). 

22) Wenn man der Beſchaffenheit bes menfſchlichen 


ze) 277 ( u 


‚Wir Haben einen kurzen Auszug gemacht, 
per die Jahrhunderte. mit großen Zügen 
fehildert, und nur die Perfonen aufftellt, die 
einen wahrhaften Einfluß auf die Schickfa- 
le der Neiche gehabt haben 23. Wir haben 
bie Regierungen üßergangen, wo man nicht® 
als Schlachten und Benfpiele der Wuth 
ſieht. Man bat fie mit Fleiß mit Still. 


BVerkandes nachdenft, fo. kann man die Unmoͤg⸗ 
lichkeit einer alten, wahrhaften Geſchichte einſehen. 
Die Neuere beleidiget weniger die Wahrſcheinlich⸗ 
Jeit: inzwiſchen iR. von dem Wahrſcheinlichen zur 
Wahrheit allezeit fo weit, als von der Wahrheit 
ur Lügen. Auch lernen wir nichts in den nenern 
erdichten. Jeder Geſchichtſchreiber ſchildert Die 
VBegebenheiten nach feinen Begriffen .eben fo. wie 
ein Koch das Fleiſch wach -feiner Art zurichtet: 
an muß ſich gefallen laſſen, nach dem Geſchmacke 
det Kochjuugen zu eſſen, ſo wie man nach dem Ge⸗ 
fallen des Schriftſtellers leſen muß. : 
z23) Ich weiß nicht, warım man bey Beſchrei⸗ 
Bund der Befchichte fagt, die Regierung Karl des 
vr, Ludwigs des XI? Es ift eine ganz feblers 
hafte Art, ſich auszudrüden. Gie- verführet einen 
Lefer, der nicht Philofoph if. Ein Monarch, der 
keinen Einfluß auf fein Jahrhundert gehabt hat, 
follte in die Claffe der unbelannten Menfchen eins 
rächen, und man ſollte z. B. nach dem Tode Heinrich 
des IV. fagen: wir ſchildern nunmehr das Ses 
culum des Richelien, | 


) 278 ( ne 


ſchweigen übergangen, weil man nichts vore 
ftelfen wollte, als was dem Menſchen zur: 
Ehre gereichen konnte, Es iſt vielleicht ge. 
faͤhrlich, ein Regiſter von allen Verbrechen 
zu halten. .. Die Menge /ſtrafbarer Menfchen 
fcheint eine Art von Entſchuldigung zu ſeyn; 
und je weniger mau Verbrechen ſieht, deſto 
weniger geraͤth man in Verſuchung, ſie zu 
begehen. Wir ſind mit der menſchlichen 
Natur fo wie jener ehrerbietige Sohm 
fahren; der feinen Vater roth zu ma 
fuͤrchtete, und bie Unorbnung der Crunten. 
heit mit einem Schleyer bedeckte. zur sa 
AIch näherte mich dem ‚Bibliothekar‘ un: 
fragte ihn ganz heimlich nach ber Gefchichte 
dee: Seculums Ludwig des XV. , zur Fortſe 
tzung des Seculums Ludiwigs bed XIV. don 
Voltaire. Dieſe Geſchichte iſt in dem zwan⸗ 
zigſten Jahrhunderte geſchrieben worhek. 
Niemals habe ich eine ſeltſamere, erſtaunens⸗ 
wuͤrbigere und ſonderbarere geleſen. Der Ge⸗ 
ſchichtſchreiber hatte wegen der Bizarrerie bee 
Umſtaͤnde feinen Flöinen Umſtand unterdrückt. 
Meine Neugier, mein Erſtaunen verdoppelte 
ſich ben jeder Zeile. Ich lernte daraus viele mei⸗ 
ner Borfielungen berichtigen, und ich fand, 
daß das Jahrhundert, worinnen man lebt, 


le | ie) TIL — * 
fuͤr uns das allerentfernteſte iſt. Ich belach⸗ 
te, ich bewunderte viel: aber ich beweinte 
wenigſtens eben ſo viel: die wirklichen Bes 
gebenheiten find wie die Paſteten die nie 
zu effen taugen, "lg bis fie kalt fl nd ans 


Num und zwanzigftes Kapitel. em: 
u * Die Gelchrten. j 5 
Ifie ic die Bibliothek verließ, redate mich 

‚Tem Menſch an, der dyey Stundam 
lang nicht ein Wort zu mit geſprochen hatte 
und wir fingen an) ung in eine Unterredungr- 
miteinander einzulaſſen. Sie fiel auf die Ge⸗ 
Ichrsen: Ich habe ihrer wenig gu meiner Zeit: 
gefnnut: aber die, bie ich gefannt babe, waren 
ſaufte, ehtliche, befcheibne Leute, voller Recht 
ſchaffenheit. Hatten ſie ja ihre Fehler, ſo erſetz⸗ 
tom fie dieſelben durch fo viel vortreſliche is, 
geafchaften, daß may aller Freundſchaft haͤtte 
unfähig ſeyn muͤſſen, um fie nicht zu lieben. 
Der Reid, die Unwiſſenheit und. die Ver⸗ 
laͤumdung ſchwaͤrzten sen Charafter ber uͤbri⸗ 


24) Ales geſchleht In der Laͤnge der Zeit. Die 
Geheimuiſſe, dik nian aufs genatieſte derſchwſſen 
glaubte, kommen unter die Leute, fo wie die Fluͤſ⸗ 
„fe ins Deer unere Enkel werden alles wiſſen. 


Sm ) 280 ( — 


sen an. “Denn jeder sffentliche Hann if 
ben albern Nachreden des Poͤbels ausge 
feßt: je blinder dieſer ift, defto kuͤhner ent⸗ 
fcheidet ee n. Die Großen, bie meiſtens 
eben fo wenig Talente als Zugenden hatten, 
waren -eiferfüchtig, daß jene die Augen ber 
Marion auf fich zogen, und thäten, alg ob fie 
fie verachteten 2). Diefe Schriftfteller hatten 
1) Jener Menſch, der nicht im Gtande: if, 
‚eine Zeile zu fehreiben , aber ber. ein woͤrtliches 
Zalent der Satyre bat, glaubt. endlich, wenn 
er alle Buͤcher getadelt , aller Schriftfeller ges 
ſpottet, und fo feiner Bosheit geſchmeichelt hat, 
"er glaubt, füge ich, daß er ſeidſt ein Menſch von 
Geſchmack und einem feinen Gefühle fey : er bes 
trügt ſich ſowohl in dem Urtheile über ſich .telbR, 
als über andern en 
2) Nicht die mächtigfien., nicht die reichken 
Fürften, nicht Die befondern Beherrſcher eines 
Volks find es, denen Die Staaten ihten Glan, ihr 
ve Stärke und. ihren Rubın verdanken. Es find 
bloße Privatperfonen, welche in den Künften und 
Wiſſenſchaften, und felbft in der Regierungskunſt 
einen agkaunenden Fortgang gemacht haben. Wer 
hat die Erde gemeffen ?, wer hat das Syftem des 
Himmels entdeckt? wer hatdie wundernswuͤrdigen 
Manufahturen in Gang gebracht, die die Natids 
nen Fleiden? wer bat die Naturgefchichte aeichries 
ben? wer hat die Tiefen ber Chumie, der Zerglies 
derungstunft, der Kraͤuterkaͤnntniß erforfcht? Noch 
einmal, c6 find bloße Privasperfonen. Sie müfs 


ze) 28 (ie 


überdieß den ekeln Gefchmad des Yublk 
kums su beftreiten, dag defio mehr nach Loh⸗ 
fprüchen geigte, je mehr ed von ihren Arbeiten 
war bereichert worden, und bisweilen Mei- 
ſterſtuͤcke auf die Seite warf, um über abge. 
ſchmackte Poffen in Entzuͤcken zu gerathen. 
Endlich hatten fie des größten Muthes nd- 
thig, um ſich in einer Laufbahne zu erhal- 
ten, too der menfchliche Stolz ihnen taufend 
Hinderniffe in Weg Ieate ; aber fie haben 
ſowohl der unverfchämten Verachtung der 
Großen, als auch, dem Bloͤdſinne des BE. 
bels gefrogt: der gerechte Ruhm hat’ ihre 


fen in den Augen des Wellen diefe bermepnten 
Großen, diefe ſtolzen Zwerge verdunkeln, die fi) 
bloß von ihrer eignen @itelkeit nähren. In ber 
That find es nicht' diefe Koͤnige, diele Minifter, 
dieſe Leute von Stand und Würden, die’ die 
wahren Herren der Welt find: es find diefe er⸗ 
babeneen Menfchen, deren mächtige Stimme iu 
ibrem Jahrhunderte geſagt: Verbanne dieß elen⸗ 
de Vorurtheil, benke auf eine edlere Art vers 
achte, ‘was du thörichter Weife verebrer, und 
verebre, was du aus Unwiffenbeir verachter 
haſt, mache dir deine begangenen Thorheiten 
zu Nutze, um die Rechte des Menichen deſto 
beſſer kennen au lernen: nimm alle meine Be⸗ 
griffe an: deine Laufbahn ift dir vorgezeich⸗ 
ner, laufe, und du wirft Das Ziel erreichen. 


Se) 232 ( ienie 


Wiberſacher su Schande gemacht, und we 
edlen Bemuͤhungen gefrönt. - 


Ich erkenne ſie an dieſem Bilde, ſagtz 
ſehr hoͤflich mein Geſellſchafter. Die Gelehr⸗ 
ten find die verehrungswuͤrdigſten Bürger ge 
worden. Ale enfchen fühlen das Hrodrf: 
niß, bewegt, gerührt zu werden: dieß iftdag 
Iebhaftefte Vergnügen, das die Seele ger 
nießen kann. Sie find.es, denen der. Sagt, 
Die Sorge anvertrauet hat, dieſes Prise 
pium von Tugend zu entwickeln. Faden: 
fie erhabne, rührende, fchreckliche Gemälde 
ſchildern, fo machen fie die Menfchen „zit 
Zaͤrtlichkeit fähiger, und indem fie ihre Eur 
pfindfamfeit volllommner machen, ſo brin⸗ 
gen fie ihnen cine Neigung zu allen großen 
Eigenfchaften bey, deren Duelle fie iſt. Wir 
finden, fuhr er fort, daß bie Schriftfieher 
Eures. Jahrhunderts in Abficht auf bie Mo⸗ 
ral und andere tiefe und nüßliche Kaͤnnt⸗ 
wiffe das Säculum Ludwigs des XIV. weit 
uͤbertrafen. Sie ſchilderten die Fehler der 
Koͤnige, das Ungluͤck der Voͤlker, die Ver⸗ 
wuͤſtung der Leidenſchaften, die Anſtren⸗ 
gungen der Tugend, ja ſelbſt den Fortgang 
des Laſters. Sie hatten, ihrem Beru⸗ 


ame) 283 (se 


fe 31 getren, ben Muth, der blutigen Tro⸗ 
phaͤen su fpotten, welche Skiaverey und Irr⸗ 
thum der Tyranney wiedmeten. Niemals 

wurde die Sache der Menſchlichkeit beſſer 
vertheidiget: und ob ſie fie gleich durch ein, 
unbegreifliches Schickfal verloren; fo fü nd 
doc) dieſe unerfehrockenen Sachwalter nit 
Ruhme gekroͤnet geblieben. 

3) Nero gab der berüchtigten Lorufte, bie in 
der Kunſt fubtile- Gifte zu bereiten, fo erfahren‘ 
war,. eine Wohnung in feinen Palaſte. Er mar: 
ſe begierig, eine Grau beyzubehalten, die feine. 
Abfichten fo ſehr befördern konnte, Daß er ihr eine 
Wache gab. Sie var ed, die dad Getraͤuke zube⸗ 
seitete, das den Britannicus das Leben Eoftete. 
Da die Wirkung des Gifts dad Geſicht dieſes uns 
gluͤcklichen Primen ſchwarz gemacht, fe ließ es Ne⸗ 
ra mit einer weißen Farbe bedecken, die ibm eine 
natürliche Xodesbtäffe gab. ber, ald mar ihn zue 
Erde beflatrete, kam ein heftiger Regen, der die. 
Schminke wegſchwemmte, und dasjenige verrieth, 
was der Kaiſer verbergen wollte. -Ichfinde in dieſer 
Begebenheit eine ziemlich richtige Ategorie. Die 
Könige ſchmeicheln treuen Ungebeuern mit Gefäls 
ligfeit: und glauben, es mag nun aus Verblen⸗ 
dung, oder Verachtung der Geſetze, oder aus Ver⸗ 
trauen anf ihre Macht geſchehen, das Auge jü bes 
truͤgen, das fie beobachtet. ber bald iſt die Ger- 
ſchichte der ſtarke Negen, ber die betrügerifche Jar⸗ 
be wegwaͤſcht, und dem Zafter feine eigenthuͤmliche 
Zarbe wiedergieht. 


me) 254 ( — 


Ale das Licht ; das diefe ſtarken und um: 
thigen Seelen von fich gaben, bat fich erhak 
ten, und von Alter gu Alter fortgepflanzt #): 
fo wie ein Saamenforn , das lange mit 
Füßen getreten worden; endlich jähling von 
einem sünftigen Winde erhoben wird; wenn 
es einen bequemen Ort ber Sicherheit fin 
bet, auffprieft, wächft, und ein Baum wird, 
"Deffen dichte Blatter endlich eine Zierde und 
Zuflucht werden. 

Wenn wir mehr von der wehren Größe m 
terrichtet, den Stolz und die Eitelfeit der Maͤch 
tigen verachten; wenn wir unſreBlicke auf Ge 
genſtaͤnde gerichtet haben, bie des Nachfore 
ſchens der Menſchen würdig find, fo verban- 
fen wir dieſes alleine den Wiffenfchaften 5). 

4) Die gemeine Köpfe, und ſolche, die die Mates 
vie über Die Regierung der Voͤlker nicht bis auf einen 
gewiſſen Punkt durchdacht haben, find nicht im Stane 
be, die Verbindung der Speculationen in den Wils 
fenfchaften mit dem Gluͤcke und Reichthame dee 
Staats. einufehen- 

5) Man Eanın mit einer Art von Gewißheit ber 
haupten, dag das Kicht, Das fid) von. Lage zu Tas 
ge weiter ausbreitet, nad) und nach fa auf alle 
Gtaaten berabfallen, unfehlbar dieſen feltfamen 
Haufen von Gsfegen vernichten, und natürlichere 
und vernünftigere Gewohnheiten an ihre Stelle fe 
gen werde. Die allgemeine Beraunft wird einen 


« 


Sm) 255 ( re 


Unfere Schriftficlier haben die Eurigen art 
Muth noch weir übertroffen. Sollte ein Zürft 
ſich von den Geſetzen entfernen, fo würden fie 
gewiß das berühmte Tribunal zu China wie 
der dufivecken, fie würden feinen Namen in 
das fehreckliche Erst graben, worauf feine 
Schande ewig bleiben würde: die Geſchich 
te ift in ihren Händen: die Klippe des falfchen 
Ruhms, das gegen die vornehmen Verbre⸗ 
cher geſprochene Urtheil, der Schmelstiegel, 
wo der Held verſchwinder, wenn er kein 
Menſch war. ä 

Wohlan! ſo moͤgen denn die Herren, der 
Welt, die ſich beklagenn daß alles, mag fi ich 
ihnen nähert, Zwang und Zurückhaltung feyr 
befchämt werben. Haben fie nicht immer bie 
ſtunimen, unabhaͤngigen, unerfchrochnen Ned» 
ner umfich, von denen fie, ohne durch fie belei⸗ 
biget zu werden, koͤnnen belehrt werben, und 
mächtigen und heilſamen Einfluß auf den Willen 
haben, der die Geſtalt der Nationen Andern mird, 
Die Druckerey wird es ſeyn, die der Menſchlichkeit 
dieſen wichtigen Dienſt leiſten wird. Wir. wolle 
drucken laſſen: Weiber, Kinder, Kredite, u. ſ. w. 
alles mag lefen! Aber wir mollen nut gu gleicher 
Zeit nichts ald wahre und näglihe Dinge dru⸗ 
den laſſen! wir wollen erſt gut beuten; ehe wir 
ſchreiben. 


a.) 288 ( — 


nıan feine Stelle einnehmen koͤnne? Die 
Bahl der Akademiſten ift nicht beftimmt: je 
des Talent findet feine Krone ; e8 giebt Ihre 
ses, um alle su belohnen 8). 


Dreyßigſtes Kapitel. 
Die Franzoſiſche Akademie: 


Br uahuen unfern Weg nach der frau: 

söfifchen Afademie ; fie_hafte ihren 
Namen behalten: aber fie verſchieden war 
ihr Zuftand! mie fehr war der Drt, wo fie 
ihre Verſammlungen hielt, verändert! fig 
bewohnte niche mehr bei Palaft der Könige, 
O erſtaunende Veränderungen der Zeiten! 
Ein Pabſt ſetzt fich an die Stelle der Caͤſarn! 
Die Unmiffenheit und der Aberglaube. haben 
Athen bewohnt! Die ſchoͤnen Kuͤnſte ſind 
sach Rußland geflohen! Haͤtte man zu mei⸗ 


8) Ein Schriftſteller, der keinen großen Ein⸗ 
druck machet, kann ſich leicht troͤſten, wenn er dar⸗ 
an denket, daß er iu einem weniger erleuchteten 
Jahrhunderte ein berühmter Schriftſteller würde 
geivefen feun. Laͤge ihn der Fortgang der menſch⸗ 
Hohen: Erfänntuig mehr nis fein eitler Kubm am 
Herzen, fo wuͤrde er ſich mehr freuen, daß er fich aus 
feiner: Dunkelheit nicht hervorwinden kann, a 
Daß er fich darüber betruͤben ſollte. 


Se) 289 ( er 


ner Zeit geglaubt,. daß biefer Yerg, ben man: 
ſonſt fo lächerlich gemacht. weil man auf fel- 
nem Gipfel einige Efel- in Diſteln mweidenb' 
gefehen, dag getrene Ehenbild des Parnaf 
fe, der. Aufenthalt des Genies, ber Wohns 
plaß ber berühmteften Schriftſteller gewor⸗ 
den? Auch hat man Ihm ben Ramen Mont—⸗. 
martre, aber aus bloßer Gefelligkeit für. 
eingemurzelte Borurtheile, genommen. . 

Diefer erhabene Drt, von allen Eeiten 
durch ein ehrwuͤrdiges Geholze beſchattet 
war der Einſamkeit geweihet. Ein aus⸗ 
druͤckliches Geſetz verbot, daß man in ber 
umliegenden Gegend fein mifltdnendes Ge⸗ 
räufche verurfachen durfte. Die Gynsgrıw 
ben waren vertrochnet. Die Erde hafte neue 
Steinlagen hervorgebracht, bie dieſem edeint 
Aufenthalte zum Grunde dienten. Diefer 
Berg, den die Sonne mit ihren fanfteftend 
Strahlen begünftiget, ‚brachte Bäume hers 
vor, deren auffchießende Wipfel fich bald im 
der Luft woͤlbten, bald hin und wieder 
einige Eleine Deffnungen ließen, durch bie 
dag begierige Auge gen Himmel entrann. 

Ich flieg mit meinem Führer hinauf: 
ich fand hier und da artige Einftedeleyen, 
‚eine von ber andern entfernt. Ach fragte 

T 


Ze ).290 ( er 


wer die halb-finftern und halb⸗erleuchteten Ge⸗ 
hoͤlze bewohnte, deren Anblick etwas ein⸗ 
nehmendes hatte? — Ihr ſollt es bald erfah⸗ 
ren, ſagte er: eilet ein wenig, denn die Stun⸗ 
de nahet ſich. In der That ſah ich eine 
Menge Leute, die auf allen Seiten, nicht in 
Kutſchen, ſondern zu Fuße herbey kamen. 
Ihr Geſpraͤche ſchien ſehr lebhaft, und 
begeiſtert. Wir giengen in ein weitlaͤuſti⸗ 
ges, aber ganz ſimpel verziertes Gebaͤude. 
Ich ſah an der Thuͤre des friedfertigen Hei⸗ 
ligthums der Muſen keinen Schweitzer mit 
einer ſchweren Helleparde bewaffnet. Nichts 
hinderte mich mit dem Haufen anderer ehrli⸗ 
chen Leute hinein zu gehen 1). 

Der Saal war fehr fehallend , fo daß 
man auch die ſchwaͤchſte akademiſche Stim⸗ 
me an den entfernteften Orten ſehr deutlich 
bören- fonnte. Die Ordnung, die in den 
Sitzen berrfchte, war nicht weniger bemer- 
kungswuͤrdig : viele Neihen von Stufen 

1) Ich bin allegeit neugierig gemefen, einen 
großen Mann zu fehen, und ich habe immer ges 
glaubt, daß feine Stellung, Bewegung, Miene, 
Geberde, fein Auge, und alles ihn von den gemeis 
nen Menfchen unterfcheiden muͤſſe. Wir haben noch 


eine neue Wiffenfchaft zu unterſuchen übrig, ich mey⸗ 
ne das Studium der Phyſionomie. 


2) 2901 ( En 


umgaben den Saal: denn diefes Volk wuß⸗ 
te, daß das Ohr hey der Akademie chen die 
Freyheit haben will, als dag Auge auf dem 
Saale der Malerey. Sch: fonnte alled aufs 
deutlichſte chen. Die Zahl der akademi⸗ 
ſchen Stühle fehien mir nicht auf eine laͤ⸗ 
cherliche. Art beſtimmt; aber das befunderfig 
war eine fliegende Tahne, bie über jedem 
Lehnſtuhle hieng: man las darauf ganz deut 
lich den Titel der Werke des Mitglieds, deß 
ſen Haupt ſie uͤberſchattete. Jeder konnte 
ſich ohne weitere Umſtaͤnde auf einen Lehn— 
ſtuhl unter der einzigen, Bedingung ſetzen, 
daß er die Fahne enwickelte, worauf fiigg 
echte geichrieben finnpen. Man kann ſich 
leicht vorfiellen, daß Fein. Menſch ce wagte, 
bie weiße Fahne aufsupflanzgen, wie zu meir 
ner Zeit Biſchoͤffe, Herzog Marſchalle, Opf 
meifter 2) zu thun pflegeen. Noch weniger 
wagte man c8, den firengen Augen des Pus 

ad Man hat auf dem Boulevard ein Automa⸗ 
son geſehen, das Zone ſammelte, und wo das 
Volk banfenweife zulief. ndeed bewunderte. Wie 
piel Kunſtwerke mit Menſchengeſichtern nicht ð 
nicht am Hofe, in Gerichten. und Akademien, bie 
ihre Tone einem unfichtbaren und verboranenr 


Ddem verdanken, der ihre Zungen loͤſet: fo ba er 
aufhoͤrt, bleiben fie ſtumm. | dd 


ga 


>>) 292 ( Eee 

blikums den Titel von einem mittelmäßigen 
Werke, oder einer ſtlaviſchen Nachahmung 
vorsulegen ; ed mußte cin Werk ſeyn, wor⸗ 
innen man einen weitern Schritt in bet 
Laufbahne der Künfte bemerkte, und das 
Publikum nahm fein Buch an, das nicht eö 
nen Vorzug vor bem lebten gehabt hatty 
welches mit ihm von gleichem Innhalte 
geweſen war 3). 

Mein Fuͤhrer zupfte mich beym Aermel. 
— Ihr ſcheint ziemlich voll Verwunderung: 
aber hier iſt etwas, das ſie noch mehr erre⸗ 
‚gen wird. Ihr habt auf Euerm Wege viele 
einfame und reisende Wohnpläge geſehen. 
Kun wohl! dahin begiebt fich der MRamm, 
dem eine unbekannte Macht zu fehreiben ge 
beut. Unfere Akademiſten find Carthdu 
fer +. In ber Einfamteit iſt es, mo ſich 
das Genie erweitert, Stärfe gewinnt, fich 

3: Man bat Fein Mittel mehr, ſich hervorzu⸗ 
tbun, fügt man! <br eitein Menſchen, habt ibe 
nicht ben Weg der Tugend ? Aber von dieſem Rubs 
mie welt Ihr nichts wiſſen: ich verfiche Euch, he 
möchtet gerne von Euch getedet haben. Ich feufje 
Über Euch und über das menfchliche Geſchlecht. 

4 Wer die Stärke der Seele erlannen will, 
muß durch unablägige Gefchdfte fich Durchärbeiten 
der größte Müfiggänger, IR der größte Glan. 


& 


Sm ) 293 (me 


‚dem gemeinen Wege enträißt, um fich neue 
Pfade zu oͤffnen. Wann entfteht der En. 
thuſiaſmus? Wann ein Schriftfteler in fich 
ſelbſt kehret, und in feiner Seele, dieſer tie 
fen Mine gräbt, deren Reichthum ber Ber 
fißer oft felbft nicht kennt. Die Einfam- 
keit und die Freundfchaft, welche begel« 
ſternden Gottheiten. s) ! Was brauchen 
denn Menfchen mehr , die ber Natur und 
der - Wahrheit nachforfchen ?_ Wo laffen 
diefe ihre erhabene Stimme hoͤren? In 
dem Lärmen der Städte, unter dem, Kams 
pfe niedriger. Leidenfchaften, die auch wi⸗ 
der unfer Wiffen unſre Herzen beftürmen? 
Kein, auf dem Lande iſt es, wo fich unfte 
Seele verjünger: hier ift eg, wo fie die Ma⸗ 
jeftät ber Welt, dieſe beredfe und friedliche 
Majeſtaͤt fühlet. Der Ausdruck gehtfort und 
entflammt ſich; die Empfindung befselt ihn, 
giebt ihm die Farbe, und das Bild erwei⸗ 
tert fich, tie der Horizont, ber und umgiebt. 

Zu Eurer Zeit verbreiteten fich die Ge⸗ 
iehrten in Geſellſchaften, um die Weiblein 


59 Der Menſch hat laͤnger mit dem Verſtande 
zu leben, als mit den Sinnen: mithin wird er wei⸗ 
fer handeln, mehr in dem einen as in dem andern 
fein Vergnuͤgen zu ran, 


gm ) 294 ( Ber 


zu beluſtigen, und ven ihnen ein zweydeuti⸗ 
ges Laͤcheln gu erhalten : fie opferten bie maͤnn⸗ 
lichen und ftarfen Gedanken ber abergläubi- 
fchen Herrichaft der Mode auf: fie entriffen 
ihrer Seele die angebornen Eigenſchaften, 
indem fie threr Zeit su gefallen ſuchten: ſtatt 
auf die erhabene Reihe zukünftiger Jahr⸗ 
hunderte einen Blick zu werfen, machten fit 
fich zn Eflaven eines augenblicklichen Ge 
ſchmacks: fie Tiefen endlich nach witzigen 
Luͤgen: fie erftichten die innere Stimme: bie 
ihnen surief: fey ſtrenge wie die Zeit, wel⸗ 
che entflieht! fey unerbittlich, wiedie Nach⸗ 
Eommenfchaft 9! Ueberdieß genießen fie hier 
biefer glücklichen Mittelmäßigfeit, die unter 
uns das hoͤchſte Reichthum if. Wir wollen 
fie nicht unterbrechen, um ung zu zerſtreuen 
oder die geringften Bewegungen ihrer Seele 
aussufpioniren, oder ung nur zu ruͤhmen, daß 
wir ſie geſehen haben: wir haben eben ſo 
viel Ehrerbietung fuͤr ihre Zeit als fuͤr das 
heilige Brod der Armuth: aber wir find auf 


6) Der große Mann ift befcheiden: der mittels 
mäßige machet mit feinen geringften Vorzuͤgen ein 
großes Geraͤuſche: fo wählen majeftaͤtiſche Stroͤh⸗ 
ne im Stillen ihre Fluthen fort; da ein Fleine 
Bach mit Laͤrmen über die Kiefel hinwegrauſchet 


ı 


Ra) 295 (Ge 


alle ihre Bedürfniffe aufmerkſam, und bey ber 
mindeften Neußerung wird ihnen abgeholfen. 
— Wenn dbem alfo ift, fo müßt Ihr viel Ue⸗ 
berlauf haben. Denn, ſollten fich.nicht Leu⸗ 
te finden, die diefen Titel annähmen, um ih- 
re Faulheit oder ihre wahre Schwäche zu bes 
fhönigen? — Nein: bier ift ein erleuchtes 
ter Aufenthalt: bie geringften Flecken wer 
den gleich ſichtbar. Der Heuchler und. ber 
Betrüger flichen diefe Derter ; fie fönnen dem 
Manne von Genie, beffen durchdringendes 
Auge fich nicht täufchen läßt, nicht ing Ge: 
fichte ſehen. Was denjenigen anbetrifft, den 
ein eingebildeter Stol 7, weil er fein Um 


vermögen nicht fühlet, dahin führen fönnte; 


fo giebt e8 menfchenfreundliche Leute, die 
fich bemühen würden, ihn davon zu heilen, 
und einen Vorſatz auszureden, der zu feiner 
Schande augichlagen müßte Endlich ge 
beut das Gefeß = = » Unſere Unterrebung 
murde durch ein allgemeines Stillichweigen 
unterbrochen, dag plößlich in ber Berfamm: 


7, Es ift kein Gegenfand, der nicht von hun⸗ 
derterlen Seiten könnte betrachtet werden: aber. 
es ift nur ein Punkt, von weichem man die wahre 
Geite trifft: man mag ſich halbweg davon entfer= 
nen: ſo iſt alle Arbeit, ja felb das Genie fruchtlos. 


ae) 26 ( — 


Jung entfiund. Meine Seele gieng ganz in 
mein Ohr über, als ich einen der Akademi⸗ 
fien fih zubereizen jah, ein Manuſcript ab 
guleien, das er in der Hand und zwar mit 
vielem Anjtande hielt, welches wohl bemer- 
fer zu werben verdienet. 

Allzu ungetreucd Gedaͤchtniß, wie ſche 
verwuͤnſche ich dich! was haſt du mir fuͤr 
einen Streich geſpielt! O! daß ich mich hier 
nicht der beredten Rede dieſes Akademiſten 
erinnern kann! die Staͤrke, die Methode, die 
Einrichtung des Stils, alles iſt mir ent 
wiſcht: aber der Eindruck davon iſt lebhaft 
in meiner Seele geblieben... Rein: nicmalg 
bin ich fo außer mir geweſen. Die Erirne 
eincs jeden Zuhoͤrers verricch die Empfin- 
dung, von der ich felbft Durchdrungen war: 
es war eine von den ſuͤßeſten Vergnügun 
gen, bie mein Herz jemals gefühler hat. 
Melche Tiefe! welche Bilder ! wag für Wahr 
heiten! welch ein edles Feuer! welch erha⸗ 
bener Ton! Der Redner redete wider ben 
Neid 9), von den Quellen diefer abfchenli- 


8) Wie fehr beflage ich meidifche und eiferſuͤch⸗ 
tige Herien! Sie wilden über dad Schöne ie 
einer Schrift weg, und finden feine Pahrung days 
muen: fie fuchen nichts, ald mas ihnen gleicht, 


= ).297 ( ner 


chen Leidenſchaft ihren ſchrecklichen Wir⸗ 
kungen, von der Schmaͤhſucht, mit denen ſie die 
Lorbeern, welche viele große Maͤnner kroͤn⸗ 
ten, beſudelt hat; alles, was ſie niedertraͤch⸗ 
tiges, ungerechtes, verabſcheuungswuͤrdiges 
hat, war ſo ſtark ausgedruͤckt, daß, indem 
man die ungluͤcklichen Opfer dieſer blinden 
Leidenſchaft beweinte, daß man, ſage ich, zu 
gleicher Zeit ſchauderte, ein von ihrem Gifte 
angeſtecktes Herz in ſich zu tragen. Der 
Spiegel war fo geſchickt vor jedes Mgen⸗ 
thuͤmlichem Charakter geſtellt: ſeine klein⸗ 
ſten Abaͤnderungen zeigten ſich von ſo viel 
laͤcherlichen und mannichfaltigen Seiten; 
die Tiefen des menſchlichen Herzens waren 
auf eine ſo neue, fo.feine, fo lebhafte Art et⸗ 
gründet, daf es unmöglich war, fich darbey 
nicht zu erkennen, oder gu verfennen, ohne 
die Entfchließung gu faffen, diefer unglückk- 
chen Echtwachheit zu entfagen. Ich fahe — 
welch ein lehrreicher Anblick! welch unerhoͤt⸗ 
das Schlechte. Der wahre Gelehrte, der durch 
eine ſchon geuͤbte Fertigkeit der Vernunft und des 
Geſchmacks, die eine und den. andern immer ſtaͤr⸗ 
fer macht, und ſich unaufbärlich neue Freuden 
verfchaft, ift der glücklichfte unter den Menfchen, 


wenn er fichder Eiferfucht oder einer übertriebenen 
Empfindlichkeit entreißen kann. 


Re ) 298 ( are 


fer Augenblick in den Jahrbüchern ber Ge⸗ 
lehrſamkeit! Ich fahe Diejenigen, die die Ber- 
fammlung augmachten, einander: mit freund» 
lichen und Tliebkofenden Blicken anfehen. 
ich fahe die Akademiſten gegenfeitig ihre Ar- 
me öffnen, fid) £üffen, vor Freuden weinen, 
und einander wechſelsweiſe an ihren klop⸗ 
fenden Bufen druͤcken. Ich ſahe (wird 
man es wohl glauben?) die Schriftſteller in 
dem Saale verbreitet in freundſchaftlichem 
‚Ensgheken, es einen dem andern zuvorthun, 
‚über die Fähigkeiten ihrer Mitbrüber ein 
ſtimmig fenn, fich eine ewige, unveränberlis 
‚che Sreundfchaft ſchwoͤren. Ich ſahe Thrä- 
nen der Zärtlichfeit und de Wohlwollens 
aus aller Augen fließen. Es war ein Bolt 
von Brüdern, die einen eben fo rühmtlichen 
Beyfall an die Stelle unfers gedanfenlofen 
Haͤndeklatſchens gefeßt hatten 9). 

9) Wann in dem Schaufpiele, oder in der Ale 
Demie ein rührender oder erhabener Zug einen Eins 
druck auf die Verfammlung machet, und, ich bin 
fiatt jenes tiefen Seufzers der Gcele, anflatt jener 
ſtummen Bewegung diefes wiederholte Haͤndeklat⸗ 
ſchen, wodurch der ganze Saal erfchüttert wird; 
fo denke ich beo mir felber: diefe Leute mögen mit 
ihreu Händen Elatfchen, fo viel fie wollen, fie fühlen 
Doch nichts: ee find hölzerne Menfchen, Die amey 
Breter Happen vſeo. 


>=) 20. (En 


Nachdem man biefer entzuͤckenden Au⸗ 
genblicke in vollem Maaße genoſſen: nach), 
dem ein jeder ſich von den verſchiedenen Ein⸗ 
druͤcken, die er empfunden, Rechenſchaft ge⸗ 
geben, nachdem ein jeder die Stellen ange 
führer, die eine vorzuͤgliche Wuͤrkung auf 
fein Herz gemacht, nachdem man hundert 
mal den Schwur erneuert, einander ewig zu 
lieben, flund ein ander Mitglied aus dieſer 
erhabenen Gefellfehaft mit einer heitern Mies 
ne atıf. Ein fehmeichelhaftes Geraͤuſch brei- 
fee fich durch den ganzen Eaal aus, denn 
er wurde für einen Mann von .fofratifcher 
Laune gehalten 9, Er erhob die Stimme 
und ſprach: 


Meine Herren! | 

Vielerley Urfschen verbinden mich, Euch 
heute einen kleinen Abriß von dem vorzu— 
legen, was unſere Akademie in ihrer Kind⸗ 
heit, das iſt, um die Zeit des achtzehnten 
Saͤkulums, war, welches meiner Meynung 
nach Eurer Neugier wohl werth iſt. Der 
Cardinal, der unſere Akademie geſtifftet, und 

10) So ſehr ein beißender Spott die Frucht 
der Bosheit iſt, ſo ſehr iſt ein ſinnreicher Shen 
ein Sind der Weisheit: Sreude und Scherz waren 
die ſiegreichſten Waren des Sokrates. 


BZ) 300 


den unfere Vorgänger übertrieben gelobt ha⸗ 
ben, indem man ihm bey diefer Stiftung, die 
tiefften Abfichten zufchrieb, hat ung, (wir 
wollen es nur geftehen,) bloß deswegen nie 
dergeſetzet, weil er felbft fchlechte Verſe mad 
te, in die er äußerft verliebt war und Die er 
bewundert mwiffen wollte. Dieſer Cardinal, 
fage ich, indem er bie Schriftſteller ein 
Ind, nur Einen Körper auszumachen, ent 
deckte feinen befpotifchen Geift und unter 
warf fie Regeln, die allegeit bag Genie ver 
kannt hat. Diefer Stifter hatte fo wenig Be⸗ 
griffe von einer folchen Gefellfchaft, daß er 
glaubte, er.bürfe fie nicht höher als auf 
vierzig Stellen ſetzen: mithin hätte nach Bes 
fchaffenheit der Umftände,, Corneille und 
Montes quieu ander Thüre ſtehen und lebens; 
lang bafelöft bleiben können. Diefer Car 
dinal bildete fich zu gleicher Zeit ein, daß 
das Genie, als bloßes Genie, im Dum 
keln bleiben wuͤrde, wofern nicht Titel und 
Wuͤrden es aus feinem Nichte hervorzoͤgen. 
Als er dieß ſeltſame Urtheil abfaßte, ſo hat⸗ 
te er gewiß ſeine Abſicht auf weiter nichts 
als die elenden Reimer gerichtet, wie Colle⸗ 
tet und andere feines Gleichen waren, bie e 
aus bloßer Eitelkeit fuͤtterte. 


Rz) 301 

Es wurde alfo damals zur Gewohnheit, 
daß diejenigen, die Gold ſtatt des. Verdien⸗ 
fies, und Ehrenſtellen ſtatt des Genies hat⸗ 
ten, ſich denen an die Seite ſetzen follten; 
deren Namen der Ruhm in. ganz Europe 
verbreiten würbe. Er.gab Bavon dag Bey» 
fpiel zuerfl, und man folgte ihm nur zu fehr: 
Nachdem nun bie großen Männer, bie .bie - 
Aufmerkſamkeit ihres Jahrhunderts auf fich 
zogen, und alle feine Blicke fo, wie der Nacha 
fommenfchaft ihre auf fich befteten, nacha 
dem fie den Ort ihrer Verſaͤmmlung mit 
Ruhm und Ehre gekrönt hatten.:. fo kam ben 
vornehme. und vergoldefe Herr, belagerte 
die Thüre, wagte es beynahe, ihnen zu 
verſtehen zu geben, daß der Glanz feinen 
eitlen Ordensbaͤnder auf fie zumicke.fiel, und 
glaubte im Ernfte, ober ſchien es wenig» 
ſtens su glauben, daß er fi nur ihnen an 
bie Seite feßen bürfe, um ihnen zu gleichen 

Man fahe Marfchälle, die ſowohl gefiegt 
hatten, als folhe, die waren gefchlagen 
worden, Köpfe. mit Biſchofsmuͤtzen, bie 
nicht ihre Hirsenbriefe felbft gemacht hatten⸗ 
gerichtliche Perſonen, Hofmelfter, Finam 
zenpachter, welche fich alle für ſchoͤne Geis 
fier wollten gehalten wiſſen, und fich für bie 


nm.) 302 ( —2 


wahren Echauipieler hielten, ba fie hoͤch⸗ 
ſtens nichts, als die Verzierung davon wa⸗ 
ren. Kaum flachen acht big sehme: unter 
ben vierzigen burch.ihr eignes Verdienſther⸗ 
por: das übrige war lauter Erborgtes., - ; 

Indeſſen mußte nothwendig ein Afademifl 
fterben, wenn wieder eine Stelle ſollte be 
feßt werden ; und auch diefe blieb oft leer. 
Was kann lächerlicher ſeyn, als dieſe 
Akademie, deren Ruf von einem Ende der 
Hauptſtadt bis zum andern gieng, ihre Ver 
fammlungen in einem kleinen und ‚nigdrigen 
Saale halten zu fehen! Hier erfegisnen von 
Zeit gu Zeit viele Dienfchen, denen Zeit und 
Meile fang. wurde, nachlaͤßig Hin auf rothe 
Stühle gefeßt, die vormals roth gemefen 
maren, wogen Sylben, und knaupelten ſehr 
ernfthaft an Worten eines Stücke: in. Ber 
fen, oder einer Nede in Proſa, um zuletzt 
die fältefte unter allen zu kroͤnen; ‚aber dar 
für, (merken Sie wohl auf, meine Herren,) 
irrten fie fich niemals in der Berechnung bet 
Schaumuͤnzen, die fie fich in ihrer Mitbruͤ⸗ 
der Abweſenheit zu Nutze machten, und ums 
‚ter fich vertheilten. Sollten Ste wohl glau⸗ 
ben. daß fie dem Sieger eine goldne Schaw 
muͤnze ſtatt eines Zweiges von einer Eiche 


2i>2>=) 303 ( uk- 


gaben, und daß diefe Mühze bie deutliche 
Auffchrift hatte: Der UnfterblichFeit? Ach! 
dieſe Unfterblichfeit reifete den Morgen dar⸗ 
auf in den Schmelstiegel eines Goldſchmidts, 
und dag war der wahre Vortheil,. der dem 
gekroͤnten Kämpfer übrig blieb.: 

Solltet Ihr wohl glauben , daß diefer 
fleine Steger bisweilen den Verftand dar 
über verlor 11), fo närrifch und lächerlich‘ 
wurde fein Stolz; und daß die Richter nichte: 
thaten, als diefe unnsthigen Preife austheil⸗ 
ten: da doch feinem Menfchen daran fg e w 
was davon zu wiſſen? 


11) Nach den Preiſen der Univerfität, die eis 
nen duminen Stolz in Pindifchen Köpfen erjeugen,, 
kenne ich nichts gefährlicher, als die Preismuͤmen 
unferer gelehrten Akademien. Der. Sieger haͤlt 
ſich wirklich für eine wichtige Perfon und nun ik ee 
auf Lebenszeit verborben. Er ſieht alle diejenigen über. 
die Achfel an, die nicht von einem fo herrlichen 
Lorbeer gekroͤnet wrden. Man ſehe im Mercure 
de France, den September 1769, ©. 184, Zeile 
123, ein Benfpiel des lächerlichften Egoismus. Ein 
fehr armfeliger Schriftiteller, erinnert das Publi⸗ 
kum daran, daß er noch in dem Collegio fein Exer⸗ 
citium befler als feine Kameraden gemacht habe, 
und bildet ſich ein, eben den Rang in der gelehr⸗ 
ten Republik zu behaupten — zifum tenratis ami-’ 


ei — 


am) 304 ( Eee 


Ihr Saal ſtund niemanden als benr Mar 
torvolke offen, und dieß Bolf fa nicht dm. 
ders ais durch Bilfete hinein. Des Mem. 
gens führte Die Oper eine mufitalifche Rp: 
fenuf:: hernach hiele ein zitternder Prieffer. 
eine Lobrede auf Ludwig ven IX. (ichwe 
eigentlich nicht warımn ?) lobte Ihn langer 8 
eine Stunde, ob er gleich ein Tchlechfer Mir: 
war 229 5 hernach erwartete man den Rednn 
bey ber Stelle über Die Kreuz juͤge; BE Treue 
gar fehr die Galle des Erzbiſchofs/ der denne 
neriſchen Pfarrer verwieß, daß er die Wire 
genheit gehabt, geſunden Menſchenwerftaͤnt 
zu zeigen. Am Abend folgte noch eine Lobrebe: 
aber da dieſe profan war, ſo entſchied se Erp 
biſchof zu gutem Gluͤcke nicht über die Lehre 
die ſie enthilt. a a 

Noch mußt ich fagen; daß ber Ort; Wo nal 
mit dem Witze zu thun hate, ' son Fäfenera 
und großen Schweisern beſetzt war, die Tai! 
Sransofifch verfiunden: Nichte war huſtigehe 
als die hagere Geſtalt eines Gelehrken nanig 
rer ungeheuren und zuruͤckſtoßenden Figur, 


12) Das erſte Strefheſet wider die eiginen de⸗ 

ſondern Empfiadungen ober Meynungen Br vv 

Ludwig dem 1X, insgemein der Heilice g8 
gegeben, " in 


ze.) 305 ( ge 


wenn: fie auf einander trafen , ae 
ron. zn feben. Man nennte biefe Ta⸗ 

ge öffensliche Derfammlungen, Y3 ie 
wahr, ‚dad Publitum begab fich. dabin, 
aber um — vor der Thüre zu fichen: dad 
war num ein fchlechter Dank gegen bis Gefaͤl⸗ 
ligkeit, daß man fam und ‚fie hoͤren wollte, 

Indeſſen war das bie einzige Freyheit, 
die ber Nation übrig. gehlieben war, daß 
fie ohne Unterſchied über Proſe und Verſe, 
dieſen Autor auspfeifen, jenen applaubiren, 
und bisweilen über fie alle ſich aufbaken ' 
konnte. 

Die afademifche Raferep bemädhtigte fich 
dem ungeachtet aller Köpfe: jedermann well 
se erft koͤniglicher Eenfor 13), hernach- Aa» 
demiſt werden. Man zählte die Lebenstage 
aller Mitglieder, aus denen bie Afadentie be- 
Rund: man berechnete den Grad von Stär 
fe, ben ihre Magen bey der Mahlzeit ver 
rieth: Niemals flieg bie Sterblichkeit dem 
Wunſche derer, die Anfpruch auf eine Stelle 


13) Königlicher Genfor: Niemals habe ich dieß 
Wort hören können, ohne ein lautes Gelaͤchter aufs 
mfchlagen. Wir Sranzofen wiſſen gar nicht, wie laͤ⸗ 
Herlich wir find, und wie fehr wir der Nachwelt 
Recht geben, und mis Mitleiden anıufehen- 

u 


J 


Ha) 306 ( Euer 
machten, gefchtwinde genug auf ihre Haͤnpter 
herab. Sie find unfterblich! fagte man. Dee 
eine murmeite zwiſchen den Zähnen, wann er 
einen Erwaͤhlten ſah: Ach! wann werde ich 
bir denn am Ende einer großen Tafel, bga 
Hut auf dem. Kopfe, bie kobrede halten, unb 
Bich nebſt eudwig dem XIV. und benz Rang: 
ler Segvier für einen großen Mann erlid- 


zen formen, indeffen daß bu ſchon vergeffen, 


in einem Sarse mit Auffchriſt ſtlaa 


u. Endlich rottirten fh die ‚Reichen in eisen 


Jahrhunderte, wo das Geld mehr als, alles 
war, zuſammen, und jagten die. Gelchrten 
«davon, fo, daß bey. dem folgenden Ee⸗ 


AIchlechte die Herren. Generalpachter: bie um 
umſchraͤnkten Befiger der vierzig Stähleme 


ren, auf benen fie fü gut als ihre Vorgänger 


nach aller Bequemlichkeit ſchnarchten: bach 


waren fie in Vertheilung ber Schaumänger 
noch geſchickter, als jne. en 


Alsdann entſtund das Sprichworte 


kann in die Akademie nicht ohne —* 
hi kommen. 

Die Gelehrten, bie in Verzweiflung wa⸗ 
ven „amd nicht mußten, wie ſie wieder zu ih 
ver uſurpirten Herrſchaft gelangen follten; 





(uk 


sch nicht enthalten, 
erzaͤhlen, der ge 
Menſchen, die die 
die Tyranney ver⸗ 
zen machen wird: 
3 Abbts Sf. Pier⸗ 
ilten und man es, 
“ allen Ehrenbescu- 
* feltenen Tugend 
eftellee hatte. Man 
it auszuloͤſchen ge 
demie fehuldig ges 
eine unverseibliche 
Knechtſchaft bog, 
:£ unterwerfen foll- 
digen und tugend⸗ 
schen dem Fenelon 
rt. Ich Iobte diefe 
‚abe nicht mehr das 
noch das Portrait 
Portrait des *** 
“* noch das Por⸗ 
mu gemalt, doch 
sen Stelle ftunden. 
herab, indem ich 
"bie bederften Ge 
halt diefer ſchoͤnen 


ae ) 308 ( in 


Hier erhub fich in der Verſammlung «in 
allgemeines Gelächter. Es fragte mich ei⸗ 
ner ind Ohr: ob die Erzählung richtig waͤ⸗ 
re? Ja, fagte ich, bepnahe. Aber wenn 
man von dem Bipfel von fiebenhundert Jah⸗ 
ren feine Blicke in bag Vergangene ſtuͤrzet. 
ſo ift e8 freylich leicht, die Todten lächerlich 
zu machen. Uebrigens geftund bie Akademie 
felhft zu meiner Zeit ein, daß jedes einzelne 
Mitglied, aus dem fie beſtund, meit-mehe 
werth wäre , als fie zufanmengenammen. 
Die Geftändniß ift genug, : al& daß man: 
noch etwas hinzuthun follte. Das Ungluͤck 
ift, daß, ſo bald fich Menfchen verſammeln, 
ihre Köpfe fich verengen, wie Montesquien ' 
faget, der e8 wohl wiſſen konnte. 

Ach gieng in den Saal, mo ſowohl bie: 
alten als neuern Bildniffe der Akademiſten 
biengen. Sich betrachtete Die Portraͤte derje⸗ 
nigen,. bie denen noch itzt lebenden. Made: 
miften folgen folten: aber, um. niemanden. 
weh zu thun, werde ich mich wobl huͤten, r 
zu nennen. 

Ach! die. Wabrbeit ift fo oft geaufam, 

Man liebt fie, und die Mienfchen. wer⸗ 

den durch ſie ungluͤcklich., 
Volt. 


/ 


De ) 309 ( re 


Aber ich kann mich doch nicht enthalten, 
einen fleinen Umſtand zu erzählen, der ge 
wiß allen rechtfchaffenen Menſchen, bie bie 
Berechtigfeit lieben und die Tyrannen ver 
abſcheuen, viel Vergnügen machen wird: 
nämlich daß das Bild des Abbts St. Pier⸗ 
re feinen Drt wieder erhalten und man es, 
feiner Würde gemäß, mit allen Ehrenbezeu⸗ 
gungen, die man feiner feltenen Tugend 
ſchuldig war, wieder aufgeftellet hafte. Man 
hatte die Niederträchtigfeit augzulöfchen ges 
fische, deren fich die Akabemie ſchuldig ges 
mächt, als fie fich auf eine unverzeihliche 
Art unker das Foch einer Knechtſchaft bog, 
ber fie fich durchaus nicht unterwerfen ſoll⸗ 
te. Man hatte dieſen würdigen und tugend⸗ 
haften Schriftfteller zwiſchen dem Senelon 
und Montesquieu gefteller. Ich lobte dieſt 
edle Gerechtigkeit. Ich ſahe nicht mehr dad 
Bildniß des Richelieu, noch das Portrait 
der Chriſtine, noch das Portrait des *** 
noch das Portrait des *** nach das Por⸗ 
trait des ***, die, obgleich nur gemalt, doch 
durchaus an Ihrer unrechten Stelle ſtunben. 
Ich flieg diefen Berg herad, indem ich 
noch oft melne Blicke auf bie bedeckten Ge 
buͤſche wurf, dert Aufenthalt dieſer ſchoͤnen 


Din) 310 ( miete 
Geifter, bie in ber Stille unb in ‚ber Ger 
trachtung ber. Natur das Herz ihrer Misbür- 
‚ger zur Tugend, zur Liebe bed Schönen und 
Mahren zu bilden fuchten, und ich fagte-biy 
“mir ſelbſt: © daß ich mich Doch dieſer Ala⸗ 
demie würdig machen koͤnnte! ns 
| 


Ein und dreyßigſtes Kapitel. 
Das Naturalienkabinet des König 


Ü Mi weit von biefen nauberiſchen kufent 
balte wurde ich einen fehr großen- Tempel 
gewahr, der mich mit Bewundrung und 
"Ehrfurcht erfuͤllte. Auf feinem Frontiſpit 
ſtunden die Worte: Kurzer Innbegriffder 
Welt. Ihr ſehet, ſagte man mir, das Na⸗ 
euralienkabinet des Koͤniges: nicht aleob 
dieß Gebaͤude ihm zugehoͤre: es gehsẽKetwdem 
Staate: aber wir geben ihm diefengitel 
ale ein Zeichen der Hochachtung;,.-bierwir 
für feine Perfon haben. Ueberdieß if umfer 
Monarch, nach dem Beyfpiele beratend 
nige, in der Arzneykunſt, der Ehiturgte und 
- den Künften wohlerfahren. Sie iſt wieber 
gekommen, bie glückliche Zeit, wo die. Großen 
‚oder. Eede. weiche bie gu: Erfahrungen nechi 


) 311 ( Ente 


gen Mittel in Händen. haben, gefchmeichelt, 
von der Ehre Entdeckungen. su machen, bie 
für die Menſchen wichtig find, ſich bemuͤ⸗ 
hen, die Wiſſenſchaften auf den Grad der 
Vollkommenheit zu bringen, die ihre Ach⸗ 
tung und ihren Eifer erwartete. Die. Ange⸗ 
fehenften der. Nation wenden ihren Reich⸗ 
thum dazu an, ber Natur ihre Gcheimmniffe 
zu entreißen: und bad Gold, dag vormals 
die Duelle des’ Laſters und das Pfand bee 
Müßigganges war, dienet itzt zur Befoͤrde⸗ 
rung ber Menſchenliebe und veredelt iſte 
Arbeiten. 

Ich gieng hinein und wurde auf die ange 
nehmſte Art.überrafcht! dieſer Tempel war 
der leibhafte Palaft der Natur: alle Dinge, 
die fie hervorbringt, maren bafelbft mit ei 
ner Verſchwendung gefammelt, die deswe⸗ 
. gen die Ordnung nicht ausſchloß. Diefer 
Zempel beſtund in vier Fluͤgeln vom einer 
ungeheuern Größe: er war mit dem größe 
ten Dome überbauet, den ich jemals ge 
ben habe. - 

Von beyden Seiten zeigten fich mir Mar 
morbilder mit der Auffchrift: dem Erfin⸗ 
der der Säge; dem. Erfinder des Hobels, 
dem Erfinder der Strumpfmaſchint, dem 


az) 1 (ee 


Brfisder Des 'Rades, der Winde, 0m 
Biebwole, des Krans u. ſ. w... 

Alle Arten der Thlete, "ber Begerabiie, 
‘der Minernlien ſtunden In biefen vier großen 
Slügeln und man konnte fie deynahe tirft v⸗ 
wen Blicke überfehen: Welch ein ungehen 
ter md erftaunendmärdiger Zuſammeiit 
von Dingen! 

"Sr Bern erfle Fluͤgel ſab tüan von de 
Cover bis auf den Dfop. 
¶In dem ziöenten vom Adler bis Pr He 
Fliege. 

In, dem dritten , von dem, Eieohenin 
bie, auf die Made, . - 

In dem ‚legten, von dem Br 
big auf den Gruͤndling. 

. ‚Mitten in. dem Dome waren die Spiele 
pre Ratur, bie Ungeheuer von jeber Geb 
tung, die Mißgeburten, bie unbefannieh 
Produkte, bie einzigen in ihrer Art: dena 
die Natur zeiget in dem Augenblicke, maß 
ihre gewoͤhnlichen Geſetze verläßt noch «ir 
tiefere Einficht, als wenn fie fich nicht don 
ihrer Laufbahne verlichrt. | 

An ben Seiten zeigten. ganze Stuͤcken, die 
man and ‚ben Bergwerken gebrochen,die 


GrDie ) 313 ( einrie 


geheimen Werkftätte, wo die Naturdie 
Metalle arbeitet, die der Menfch ſowohl 
zum Nutzen, ale Schaden angeivandt hat. 
Große Sandfehichten, die man gefchicht weg⸗ 
‚genommen und kuͤnſtlich geleget hatte, zeig 
ten die innre Geſtalt der Erbe und bie Ord 
nung, die fie in den verfchiebenen Stein- m 


ı) Folgendes fchreibt mir einer meiner Freun⸗ 
de: „Ich finde mehr als jemal® ein DVergnüg 
‘an den Steinbrüchen. Ich glaube, dieſer Ges 
ſchmack wird mich noch gu einem Mitbewohner der 
Erze und Verfteinerumgen machen, und bereitet mit 
vielleicht ein Grab in den Eingeweiden der Erbe. 
Ich bin beynahe auf neun hundert Inf in ihre 
Rinde ben * * * eingedrungen, und mar unwillig, 
daß ich nicht noch tiefer dringen konnte. Ich hat⸗ 
‘te wohl meinen Fußtapfen ihrem Kerne eindruͤcken 
mögen, um fie von daraus über alle die verſchiede⸗ 
‚nen Voͤlkerſchaften u befragen, die auf feiner Ober⸗ 
flächen bin gewandelt finds fie zw fragen, ob york 
der unendlichen Menge ihrer Kinder eines gewe⸗ 
fen iR, das ihr für ihre Wohlthaten gedanket has 
be: ob an dem Dite, wo ich int nachdenke, ferk 
von dem Lichte des Tages, fie jemals nährende 
Srüchte getragen babe: ob je ein Bolt hier ges 
wohnt, oder ein Thron gekanden, und mie viel 
Schichten von den Zrümmern des menſchlichen 
Geſchlechts gebildet, fie von den Tiefen des Abs 
grundes an bis an das Anferfie Ende ſhres Dias 
meters in ſich ſchliete Ich wuͤrde in ſie dedrun⸗ 


ap ) 314 ( Eine 


Thon⸗ und Erblagen beobachtet, - weiche be 
zubereitet. 


gen feyn, mic alle die Kataftropben wiſſen zu lafs 
fen, die fie ausgehalten bat: und ich würde fie ıit 
meinen Thränen bey dem Berichte diefer Unglüͤck⸗ 
ülle alle benenet haben, vor denen fie ihre yablıei 
che Familie nicht in Gicherbeit ſetzen können: Uns 
glädäfäle, die man auf Münzen gegraben, deren 
"Wahrheit unmwiderfprechlid),, deren Audenken, ‚aber 
gänzlich verlofchen if: Ungluͤcksfaͤlle, weiche wiss 
DBerfommen werden, wenn fie dad gegenwärtige Ge 
Schlecht Der Menſchen in ibren Schoos begraben 
wird, auf welchen bald neue Gefchlechter shue 
Zahl einher tresen werden, Die vielleicht mit jenem 
" Beine weitere Achnlichkeit, als die Theilnehmung an 
gleichen Ungluͤckefaͤlen, haben werden. Alsdan⸗ 
würde ich in der Bitterkeit meines Schmerzes 
eben ſo gerecht ald menſchlich, grauſame und lie 
- zeihe Wünfche gethan haben: ich würde gewän 
ſchet haben, daß dieſe Erde alle lebeubige Weſen, 
bis auf das Eleinfte Gefchöpf, das mit Empfindung 
gebsren iR, verfchlingen und den Strahlen der Son⸗ 
"se entreißen möchte, deren Wohlthaten alle mſam⸗ 
men ihr nicht die Unterdrüdung der Tpranmen, 
die fie unter fich theilen, aufzehren, zu vergüten 
vermoͤgend find. 

Dann würde diefe Kugel, die fo viel Ungläd 
Jiche trägt, durch den unendlichen Raum filfchweis 
send fortroflen: fie wärde den Strahlen der Som 
ne feinen Unglädlichen mehr darſtellen, der ges 
zwungen üft, ihr Licht zu verwuͤnſchen. Seins Stim⸗ 


Same ) 915 ( wer 


. Welches Erftaunen: bemächtigte fich mei⸗ 
ner, ale ic, flaft einiger getrockneter Gebei⸗ 


me der Angſt würde mehr von diefem Planeten 
enpor fleigen, der dann mit einer ſtillen Majeſtät 
durch den Himmel fortgleiten würde. Geine, in 
‚eben Demfelben Grabe zubenden Kinder, würden 
Bann ihn ungefört Den Gefehen der Schöpfung ger 
bdorchen laſſen, obne felbft Opfer; diefer druͤckenden 
Geſetze zu werden, die den Menſchen fo, wie den 
nichtswuͤrdigſten Leimhaufen, gu Boden fchlagen: — 
Und der Tod, der diefe doppelte Halbkugel im ſei⸗ 
nen ruhigen Schatten einbüllte, würde vielleicht 
ein noch ruͤhrenders Schaufpiel veranlaflen, ald dies 
ſes rafttofe Neich des Lebens, das die Sklaverep 
des Lafters, die Anfälle des Ungluͤcks, und felbft 
Lie Furcht vor dem Ende des Ungluͤcks mit ſich 
faͤhret. Y) 

Ich Babe diefem Freunde geantwortet, daß ich 
in Anſehung des legten Maſches wicht. mit ihm 
übereinftimmte: daß die ghyfifchen Liebel die exträg- 
lichſten unter allen wären, daß fie bald vorüber 
giengen, und da fie Überdieß unvermeidlich wid: 
sen, fo muͤſſe man fidh ihnen unterwerfen: daß 
es aber in des Menfchen Barmögen Künde, ſich von 
sungläcdlichen Leidenfchaften frey gu machen, bie 
ihn bintergeben und erniedrigen. Ich babe ihm 
einſtimmig mit. denen Gruudſaͤtzen geantwortet, Dit 
- genug in diefem Werke verbreitet find : Dem unge⸗ 
achtet-babe ich ed für nicht unſchleklich gehalten, 
dieſes Stuͤck, Das von einer ſiarklen Lwybadfan⸗ | 
Seit voll iſt, u erhalten. A . 


sam) 316 ( Eirarie 


nt; den ungeheuren Walfifch in Lebenggräge, 
Krokodil fahe u. ſ. w. Man hatte in ber 
Yufftellung den flufenmweifen Abfall und die 
verfchiedenen Abäuderungen beobachtet, bie 
die Natur in ihren Werfen gezeiget bat. 
So folget das Auge ohne Mühe bem Zore 
gange ber Dinge von dem größten big zum 
fleinfien. Man fahe den Loͤwen, ben Tg 
ger, das Panterthier in der tregigen Gtek 
längs‘, bie fie harafterifiren. Die gefraͤßi⸗ 
gen Thiere waren vorgeftellet, wie fie ſich 
auf Ihren Raub flürzen: man hatte ſogar 
pen ſtarken Ausdruck in ihren Berveguigen, 
und den fehöpferifchen Hauch beyzubehalten 
geſucht, der fie befeelt. Die fanfteften oder 
liſtigſten There hatten nichte von ihrer Phy⸗ 
ſionomie verloren: Liſt, Aemſigkeit, Geduld, 
alles hatte die Kunſt ausgedruͤckt. Die na 
türliche, Gefchichte jedes Thieres war ihm 
gur Seite eingegraben , und gewiffe Leute 
erklärten mündlich, was für den fchriftlis 
chen Auffat zu lang geivefen wäre. 

Die Leiter der Wefen, die man in um 
fern Tagen fo fehr beſtritten, und bie vide 
Weltweiſen mit Scharffinn verntuthet, hats 
te ist den hoͤchſten Grad der Evidenz er 


Rage.) 317 ( ge 


halten, Man ſah ganz beutlich, daß bie 
derſchiedenen Gattungen an einander graͤn⸗ 
zen, fich in einander fo zu fagen verlieren; 
daß durch feine und merkliche Uchergänge, 
pon ben rohen Steine an big auf bie Pflan⸗ 
je, von der Pflanze an bis aufs Thict 
vom Thiere an bis auf den Wenſchen. 
nichts unterbrochen. waͤre; daß endlich einer 
ley Urfachen von Wachsthume, Dauer und 
Zerſtoͤrung ihnen gemein waͤren. Mat hat⸗ 
te bemerkt, daß die Natur in allen ihren 
Mirfungen mit Gewalt dahin firebe , dei. 
Menfchen zu bilden, und daß fie durch. eine. 
muͤhſame und fo gar entfernte Ausarbeitung 
dieſes wichtigen Werkes, es zu wiederholten⸗ 
malen verſuchte, zu dem ſtufenweiſen Ziele 
| ihrer Vollkommenheit zu gelangen: welches 
die aͤußerſte Kraft zu feyn ſchien, die ihr vor⸗ 
behalten war. 


Dieſes Kabinet war nicht ein Ehae ein 
ungsordneter Haufen, wo bie zerſtreuten oder 
aufgethuͤrmten Dinge feinen deutlichen oben 
beſtimmten Begriff gaben. Die Gradation 
war vol Einficht beobachtet und befolgt. 
Aber was bauptfächlich ber Ordnung zu fiate 
ten am, war, daß "man eine Bubereisung 


". In a . ri 


BB) 385 ( 
catbecke hatte, bie die Städten vor deu Mär; 
wri,: bie and ber Faͤnlniß entfichen, be " 
wahre We 

Ich fühlte mic; von der Saft fo vieler 
—* ganz niebergedruͤckt. Mein Ange 
Aberfah den ganzen verfehtuenderfichen Reich⸗ 
tum der Natur. O! wie bewunderte ich 
in dieſem Augenblicke ihren Urheber! wie 
ſehr pries ich feine Einſicht, ſeine Weisheit, 
umd feine noch koſtbarere Güte! Wie * 
Bär der Menſch, wenn er mitten unter 
HR geſammelten Wundern feiner Haͤnbe Pi 
Gungleng, die für ihn gefchaffen zu ſeyn kai 
gen; da er allein den Vorzug hat, fie zu enge 
pfinben und anzufchauen. Diefe Verhaͤle 
nifimäßige Reihe, diefe beobachteten Schal, 
tr ingen, diefe fheinbaren, aber allegelt aliße 
gefüllten Luͤcken, dieſe ſtufenweiſe Oroͤnuit 
dleſer Plan, der nichts Leeres zuließ; nach 
dem Anblicke bes Himmels, welch ein pruͤch 
tiges Schaufpiel auf dieſer Erbe, die doch 
ſubſt nichts als ein Atom Et. 7" 


2) Man muß gefiehen, daß die Naturgeſchteen 
niqhts als eine Geſchichte unſerer Schwachheit il, 
Dab wenige, was wir wiffen, entdeckt und Die Wr 
Be unferer Unwiſſenheit. Dig DaHRE IR Für U, 
ſo wie ed für die Alten war, ein: Scientie-Ocetit, 


Same) 319 ( αα 


. Durch welch‘ erfiaunenden Much hat 
- man ſo große Dinge anführen lonnen. 
fragte ich? 

Es iſt das Werk vieler Könige, verfeßte 
er. Da fie fih alle um die Wette beei- 
ferten , des Namens vernünftiger Wefen 
fh wilrdig zu machen : fo entflammte die 


. (eine verborgene Wiſſenſchaft. Man kann ihr 
nicht ſtreitig machen, daß ſie einige Theile kenne, 
aber das Ganze kann man ihre ablduanen. Wel— 
ches iſt ber Lehrſatz, der ihr vorzuͤglich eigen iſt 
Das Projekt einer Naturgeſchichte iſt ſehr lobens⸗ 
werth; aber es iſt ein wenig ſtolz. Jener Menſch 
bat feine ganze Lebenszeit darauf verwandt, Did 
Heinfte Eigenfchaft eines Minerals ausfündig zu 
machen, und er farb, ehe er feine Materie erfchöpft 
hatte: Diefe unendliche Menge von Dingen, Thie⸗ 
sen, Bäumen, Pflanzen, muß den Verſtand eines 
einzigen Menſchen qurückfchreden. Aber ſoll fie ihm 
Deswegen ganz den Muth benehmen? Nein, Bier if 
Kuͤhnheit Tugend, Beharrlichfeit Weisheit, Zus 
trauen zu fich felbft Lob. Man muß der Natur fo 
nachſpuͤren, bis ihr endlich ihr Bcheimnig entwiſcht: 
dem menfchlichen Verſtande fcheint es auch nicht 
unmöglich, es gu errathen, menu nur die Kette dee 
Beobachtungen nicht unterbrochen wird, und jeder 
Naturlehrer fich mehr um die Vollkommenheit der 
Wiſſeuſchaft, ald um feinen eigenen RXRuhm beeiferts 
feltnes,. aber doch noͤthiges Opfer, dad bem wahren 
Denicheufreunde immer Ehre genug machen wird! 


4) 320 ( Eie 
Neugier, ben Schleper zu zerreiſſen, der beu 
Schooß der Natur bedeckt, dieſe echabeneumb - 
edle Leidenſchaft fie mit einem Feuer, das ·all 
jeit mit gleicher Sorgfalt unterhalten wer 
be. Anſtatt gewonnene Schlachten, eroden 
te Staͤdte, ungerechte und blutiga Siege zu 
zaͤblen, fagt man von unfern Koͤnigen: 
bar diefe oder jene Entdedung ir indem Ga 
hie dee Dinge gemacht, er Bat" 
oͤder jenes fuͤr die Menſchen vorti 
Proickt ausgefuͤbret. Mat ver 
wicht mehr hundert Millionen, um waͤhrech 
eines Feldzugs Menfchen erwuͤrgen u 
fen: man toendet fie an, die waßten 9 
hůmer zu vermehren, Genie und EG 
befördern, ihre Kraͤfte zu serbappektr. u 
eilt vollkommen zu machen. . — 

Zu allen Zeiten find Geheimen 
Srenfen entdeckt worben, die dein © 
pach aͤuferſt unwiſſend waren! piele bat 
die nur wie ein Blig geglaͤnzt babenyfiud 
verloren gegangen; aber wir haben 
daß nichts von dem verloren Seht 
man nicht verloren‘ wiffen till. "Auen 
im Schonße,der Natur; man muß ‚es zip 
auffuchen ĩ er iſt · von einen Weiten. 110777 
ge, und yeiget: tauſend Wege fuͤr rinen 


= )) 321 (are 


Nichts wird in der Reihe der Dinge men 
nichtet. Wenn. die-Maffe: der Ideen in he⸗ 
ſtaͤndiger Bewegung if, ſo. toͤnnen hand 
dig. entfernteſten Dinge. wieder treffen · und 
aufs neue hervorgebracht werben z). . Da wir 
5 Z Wem man den Vunt⸗ betrachtet, von Ted 
den Kin Menſchen in Ver Naturlehre autgesan ⸗ 
Gd aud denjenigen, wo en 
ur —— nd m 
apn unferm — Rare und —2 u 
keinen zenug andatbrerteten 
BER NE: Teint —— ei — 
ie 
er. wir gekemuen fiop,, — 
fe unendliche, Ren; 7 
E — nel “ng 
: Odena:mianl- (ich beftiähiget, das 
cen baden/ ſo hat mid. ed auch ‚erreiihe gie 
a wann man ‚bat, ſich nicht, die Fand 


iter ji, —— 
Hr x tauſet Bi ff 
von denen fie. ung, ‚Die Aug er — 

ol, Die, Cyperimentalobuf iR 
A she vielnieht ‚eine ‚Art, vom, Sue 

ie. geworden. Der 

„oft, Der — die.er — 
Bern im nd, weft 9 I: 
im ii ſeht man beute zu Tage! 
Einzelne, unnüge Entdeckungen; doomatiſche Nas 
susleheet, die alles einem Erſtem aufogfern: Schwaͤ⸗ 
der, die den Mübel bleuhen, ” 6. vum 








93 
von ber Moglichteit der erſtaunlichſten Ext: 
deckungen aufs inmigſte uͤberzeuget finds’ 
haben wir auch nicht gefaumt / fe zu machen 
: "Bir haben nichts bem Ungefähr aͤeriab 
fen das iſt ein alted Wort ohne Sinn ub 
snz.aus. unferer Sprache verbannt: Das 
Angefähriift niches als ein Synonvm ok 
anwiffenheit. Die Arbeit; bad Rachbeatun 
Wie Wbeitſamkeit, das find die · Wertuu 
HE DE Natur röingen, ihre geheimſten EhE 
de: entdecken· ‘Der Menſch · has: ale 
woglichen Vortheu von den Saben jirjichek 
ynvaßt, Die er enipfaugen hat. Jicdem er bei 
gewaht worden, mo er Hfiefkuiken 
änuike, (6 hater fichd,zur Ehre gewiache fch 
in die unendliche Laufbahn zu ſtrxen⸗ di 

Wütteid hewhlgen / ver die gimende Shue 
ha; he As ah 


11 
der —*2*2 em: ie; 
Wnge'x ‘man ſindet datinnen erfnimenpg 1 
ned mühgen · aber gue jüfarımien gleichen der 
Nöichte'Defer unpefdnten Wöiter, 2 4 

enſth hingetommen, und die Fein Menſch 1 
Anden Farm, "yeah up Denr Ka nee 
Yeaturfimdiger'nuf fei in glaußen?. 
Amen fohar alaubeit, wein fie (ich Betrogen da 
re’ Erjähiingen? Ölen ju nüchternen O8 
iu entlegen Find, und ’ühre Naachriäht fidh wg 
war ein iieeetichen ornet auwenden irt⸗ 












Re ) 323 (ek 


ihm geöffnet war. Das Leben eines einzi⸗ 
‚gen Mannes iſt, fagt man zu eingefchränfe 
Nun wohl! was haben wir gethan? Mir 
haben. die Kräfte aller einzelnen Perfonen 
yereiniget. Sie haben eine ungeheure Gewalt 
gehabt. Der eine bringt zu Ende, was 
der andre angefangen hat, Die Kette if 
niemals unterbrochen: jeber Ring greift feft 
in den benachbarten Ring: ſo ſenkt ſie fick 
in. ben weiten Raum vieler Jahrhunderte; 
und dieſe Kette von Ideen und. auf einander 
ſolgender Arbeiten foll eines Tages dag große 
Ganze umfaffen und einfchliefen. Es iſt 
wicht. daS einzige Intereſſe von einem bloß 
perſoͤnlichen Ruhme, es iſt das Jutereſſe des 
menſchlichen Geſchlechts, das man zu Eurer 
zeit. kaum gefannt bat, und, welches. die 
fhmwerfisn. Unternehmungen erleichtert. , ,,, 

- Wir verlieren ung nicht mehr in eiteln 
Shftemen 4): wir baden gewiſſe Einfiebler, 
49. Die Spkemeumacher, ed mögen nun hole 
ſche oder methaphyſiſche fen. mögen mir doch fols 
gendes erlläsen: Der Pater Mabillon hatte in fele 
ner Jugend ‚einen ſehr eingefchränkten Werkand, 
Im z6ften Jahre that er einen Ball: fein Konf 
(ing au Die Ede einer Beinernen Treppe. Map 
trepanizte den armen Menſchen. Er kam von Diefeg 


Operati mit aAch haben Yyrkaate, einem, er⸗ 


SED ) 324 ( Eure 


(die einzigen, die wir fennen,) bie in den 
Waͤldern leben: aber bloß um Kräuter auf 
zuſuchen. Sie leben daſelbſt aus eigner 
Wahl, aus Liebe fuͤr eine ſolche Lebensart: 
fie fommen gewiſſe beftimmte Tage bichen 
bamit ſie ung. von verſchiedenen ſchaͤtbateꝛ 
Entbedungen unterrichten. - - 

- Wir haben auf dem Gipfel der: Berge 
Ehirme errichtet;-hier machet man beftdn 
dige Beobachtungen , bie fich kreuzen und 
mit Vebereinfiimmung gemachkwerben. 

Wir haben Ströhme und kaͤnſtliche Waſ⸗ 
* gemacht, damit wir eine gureichende 
Kraft haͤtten, die groͤßten Wirkungen da 
Bewegung hervorzubringen ). Fu. 
Jaunenden Gedaͤchtniſſe, einen faſt Äberttichenes 
Eifer für das Studiren zuräde. Der Trepan, dee 
fein Gehirn bearbeitet batte, machte aus ibn es 
nen neuen Menſchen. 

. 3) Die glängendfien und Eoftbarften Dentialie 
serdienen am wenigflen unfere Bewunderung, went 

fie bio6 für eitte unnuͤtze Pracht erbanet find. Die 
Mafibine, weiche die Waſſer, bie nach Marli ges 
Trieben werden, in Bewegung ſetzt, hat in den Au⸗ 
gen des Weifen lange nicht den Werth, den dad 
bloße Rad bat, welches ein Feines Flüßchen treibt, 
HK Brod für viele Dörfer gu mahlen, oder dem ar⸗ 
beitfamen Handwerker feine Arbeit zu erleichtern. 
Vas Beitie fan von einem weiten Umfange ſeyn, 


are) 325 (ige 


.- Wir haben aromatifche Bäder errichtet, 
um bie von Alter ausgetrockneten Korper 
wieder berzuftellen und ihnen neue Kräfte 
and Subftanz zu verfchaffens denn Gott har 
ſo viel heilſame Pflanzen erfchaffen und dem 
Menſchen den Verſtand ſie zu kennen bloß 
gegeben, damit er ſeinem Fleiße die Sor⸗ 
ge anvertraute, ſeine Geſundheit und den 
ſchwachen und koſtbaren Faden ſeiner % 
benstage zu erhalten. 
Selbft . unfere Spaziergänge, bie den 
Euch: bloß das Vergnügen: zur Abficht zu 
haben fchienen, bringen und einen guten 
Zoll ein. - Hier find fruchtbare Bäunte, bie 
das Auge ergoͤtzen, einen -balfamifchen Ge⸗ 
:zuc) verbreitet, und bie, Linde, den. UN: 
fruchtbaren Eaftanienbaum und den. verbuf- 
teten Ulm erfehen. Wir: impfen und pfro⸗ 
pfen unfere wilden Baͤume, bamit unfere Ar- 
‚beit die glücfliche Freygebigkeit der Natur 
beförbere, bie nichts ald die Hand: des Her⸗ 
-ren erwartet, dem fie ber. Schöpfer, gleich⸗ 
ſam unterworfen hat. 
Wir haben große Menagerien für alle At⸗ 

ten von Thieren. Wir haben in den tief⸗ 
„aber: ed Mar? alien sr, weni es dem m 
ſchen nen verläfte · “ 


BE) 336 ( ME: 
ſten Wuͤſten Gattungen angetroffen; Be 
uns gänzlich unbekäunt waren. Wir Seh 
miſchen die Thierarten, um bie verfehlte 
nen Folgen danon zu ſehen. Wir Haben 
altißerordentliche und hoͤchſtnützliche Enke 
ckangen gemacht, und die Gatrung iſt um DR 
Halfte ſtaͤrker und größer geworden. U 
hicben endlich bemerkt, daß die Muͤhe, We 
nlan ſich mit der Natur giebt; ſelten * 
Rusen if. om“ 

Riuch haben wir vielerley Cetenmente wi⸗ 
dergtfunden, die für euch verloren ware 
weil Ihr Euch nicht die Muͤhe gabt ſelnu⸗ 
‚gifüchen; Ihr thatet Euch mehr vuraiif pr 
Sute, Woͤrrer in ben Buͤchern aufuthdufen 
die Hand mit Nachdruck ans TER 
leien und dadurch wimdernswuͤrvige Erſia 
dungen zu entdecken. Wir beſitzen itzt fo 
gut, als bie Alten, das Glas, das sehdnr- 
mert werben kann, die Steine, .. aus ‚Denen 
bie Alten Fenſter machten, den Tgerbenr 
fihen Purpur, mit dem man bie ’Kiekbueruer 
Kapfer färbte, den Spiegel ded Hrhimeit, 
die Kunft ber ägyptifchen Einbalfamizuig, 
bie Mafchinen, mit denen ‚Re ihre Obelisies 
errichteten, die Beinetvand, morinnen-Kahcdie 
Körper auf ven Scheiterhanfen zu URhe'uw- 






Wa) 397.0 Te 


zehrten, tie. Kunſt, die Steine zu ſchmelzen, 
bie unansloͤſchlichen Lampen, und ſogar hie 
Appifche Brühe. .. —* 

Sehet in dieſen Gaͤrten umher, top bie 
Kraͤuterkaͤnntniß alle Vollkommenheit erhal⸗ 
ten, deren ſie nur faͤhig war 6). Eure blinden 
Philoſophen beklagten ſich, daß die Erde 
mit Giften bedecket waͤre; wir haben ge⸗ 
funden, daß es die wirkſamſten Mittel ſind, 
deren man ſich nur bedienen kann. Die 
Vorſehung iſt gerechtfertiget, und fie wuͤr⸗ 
de es in:allen Dingen ſeyn, wenn uuſre 
Einfichten nicht fo ſchwach und wir felbſt 
fo eingeſchraͤnkt wären. Mean hört auf. dies 
fer. Erde feine Klagen mehr: Feine dngftliche 
Stimmefchrepet mehr: alles in bife! Man 
ſagt unter: dem Auge. eines Gottes: alles iß 


65 Du, der du die Felder durchſtreichſt, und 
vieleicht am das Schiff denkſt, das deine Schaͤte 
trigt und die Meere durchſchneidet: Theke ſtilte, 
Unperfichtiger!. Du trittß..ein. unbefannsed umd 
beilfunes Sraut mit Füßen, weiches .in beinem. 
Busen dis Freude und bie Geſundheit wuͤrde aufs 
blühen laſſen. Dieß iß ein weit größerer Schab, 
als «le diejenigen find, wit denen bein Schin Tann 
beladen ſeyn. Nachdem du tauſend Ehimdrot Dei 
feiget haſt, ſo — wi J. JRouſſean, m 


uX.: 8 J 4 Hr ... nn. PERFRE TR 


we) 0 
suri-Manıhabıfeigar ‚bie: Wirkumiganten, 
Gifte ausfuͤndig· gemacht · und hefahrichene 














und wir ſpielen damit. . o 

* Wir Haben and der Hr ke" 

ie det Gräche — daR, he 
ebeh To flarfe als" angenehme "Waffer a 34 


* haben, die in die Schneigischer € 
Bringen, ſich mit den — werniifchen, DIE 
dehnen Kräfte‘ toitßergeßet, und den, 
ve sefeömißiger ind netter mad, 


Re baben has Gebemab ——e 
Stein. im menſchlichen Körper: aufzuläfen, 
ahne bie Eiugeweide gs verbrenuen· ¶ Wa 
heilen die Schwindſacht · bie Lurngenfacht 
nud alle: die ‚Krankheiten, bie.uan-femfkshhe 
deu hielt 2). «Aber.bas aanſe aufer 


n& if ben, Menſchen eine wahre Be, 
Mient er sorgießt, eii.für die MRenfcpen- —XRD 
Schelmmiß zu befiten, das er aber für fich web Ka 
megamäte. dehalten wolle. Ach was Farin bh 
dhraas arwartet €? — Uneluͤeiicher r Du. 
mitten uut⸗r deinen Brüdern wınber sahen, ann a 
Dis elot ſagen Diefe Weſen dis:mich-imingeben; 
verdanten ‚mic ofen: Thell ihrer: Soſuuo ben 
and Biärkfeligbehut.Uimd da fühleh nicht det: 
In Clalı, and dic cũboet nicht biefet teiuud· o⸗ 
Danke? Nimm Gold/ Dieberträchtiger, mb verichte⸗ 





EB ) 319 ( he 


reenehnmugen iſt, daß wit dieabſcheull⸗ 
cHyder 3), bie ſchaͤndliche und grauſalne⸗ 
age verttiget haben, die die‘ Quelle des⸗ 
ns: und der Freube vergiftet: „Dad: 
nſchliche Leben neigte ſich zum Untergane 
wir haben dag: gluͤckliche Heilungsmit⸗ 
entdeckt; das: ihm das Reben: und bie noch 
aͤtzbarere Freude wieder giebt. FE 
Veym Hin⸗ und Hergehen, verband bieſe⸗ 
Hfor feiner Zeit den Bewets mit den Won 
r, zeigte mir: die phnfifchen: Gegenftände, 
d rhat Feine etgnen Betrachtungen hinzu 
Aber was mich noch mehr Ain Erſtaunen 
zte, war!ein optiſches Kabimet ios mail 
le Wirkungen des ches: Hatte zu vereiim 
n wiſſen. Es war eine unaufhorliche Ja 
rey. Man ließ vor meinen Auten Land⸗ 
yaften, Uusfichten, Palaͤſte, Regenboͤgen, 
fterſcheinungen, brennende · Buchſtaben⸗ 
Deere. die nicht da, waren, und diß bey mir 
ne,gräßiere Täufchung herbonhrachten, * 
deine: Srels dieſer Wolluſt · der —— O6 
Gigteit widerſfahren, du ſtrafft dich ſeibee. 

v) Mich ſchlagt wichte ſo ſchr nieder, 
buaber dieſe ſchmeribafte Seuche ſpotten hoie 
dan ſollte von: dieſer ſchrecklicher Auuchrit mil 
it: Thraͤnen in den Augen: reden, und hirrinarn 
It vun Bupismachen Voltaire nachubmens: i--:’ 


= ).2 ( 

bin Mahrheit ſelbſth voräbersehen:r: Deß 
wer: ein zauberiſcher Aufenthalerc: Des 
Schauſpiel der. Schöpfung, das in: einem 
Nam entſtand, hätte mir Feine lebhaftert un 
nfgefischtere Frende machen kunnen. 
AMan zeigte mir Vergroͤßerungsglaͤſer, 
durch welche ich neue Weſen⸗ eutheckte, big 
den durchdringenden Blicken Anfenes new 
Weobachter entgangen waren... Das Ang⸗ 
morde nicht. ermuͤdet, ſo ſimpel und ray 
berker war die Kunſt. Jeder Eichrise, hm 
man in Diefen Aufenthalte chat, Befriedigte 
wire brennende Neugier. Ve pen: 
ſchaͤyflicher fie ſchien, deſto mehhr Nahrung: 
fand ſie fuͤr Ihren, Hunger, Q! wie groß 
ifıhier der Meuſch, ſchrie ich zu wiedarhol⸗ 
ten malen · aus, und · wie klein waren; Dis 
Maͤnner vergleichungsweiſe, die man Du 
wer Zeit groß nonnte ). ng“ 


X Mat Tinte ein tngefeucht Dat ih 
Aiedehen Pb wohl phyfiſchen, als rroratiſchea ui 
mctanvoſ ches Fragen ſchreiden, die ſich Hacſen⸗ 
weiſe Dam: Verſhande darbieten, und die die ocisſ⸗ 
den Meiſter So. wenig, als die umwiieniisn May 
ſchen -aufinidfen wiſſen: san Thnnte abes auch, alle 

dieſe ↄbrſiſchen, mszalifchen und metanbufifchen 
Pe wit. einen einigen Morte 'beuutiwartem 
Aber dieß Wort iſt ein tiefes Logoarunb,: Dad un 


wa) 331 Bee 


Die Aconſtik war nicht weniger: bewun⸗ 
vernswuͤrdig. Man batte alle arta ulirte 
Tone der menſchlichen Stimme, des.Ge 
ſchreyes ber Thiere, und bed mannichfaltir 
gen Geſunges der Vögel, nachzuahmen ges 
mußt: man ließ gewiſſe Triebfebern gehen, 
und man glaubte, auf einmal in den dick⸗ 
ſten Wald verſetzet zu fen. Man hoͤrtr 
das Gebruͤlle ver Loͤwen, ber Tyger und pur 
Baͤrr, die einander zu verfchlingen ſchieucn 
Das Dhe wurde gleichfam serriffen: man 
haͤtte glauben follen, daß das noch’ ſchrech⸗ 
lichere Echo in der Eutfernung dieſe ride 
ligen und wilden Toͤne wiederholte.Abet, 
ſtehe, auf einmal folgte dieſen fuͤrchterlichen 
Donen der Geſang der Nachtigallen. Uns 
ter ihren harmoniſchen Kehlen wurde das 
kleinſte Theilchen von Luft melobifeh : "dag 
Ohr hörte bis auf das fanfte Gerdufhe'i6: 
rer verliebten Fluͤgel und bie. ſchmeichelhaf⸗ 
ten und ſuͤßen Tone, die der Menſch nie 
‚umgiede, “Ich zweifle nicht, daß man ed" Eine Riayes 
wicht finden ſollte: ich erwarte alles von dem menſch⸗ 
lichen Verſtende, neun = feine Kräfte keiuc 
wird, Wenn er fie vereinigen wird, wenn er ſich pur 
Pflicht mochen wird, mit feinem Scharfikne in Das 


mad iM, emudrimzen, and ßo mn antenwachn, 
was er berät: 


En ) 332 ( che 
malt; als nur aͤußerſt unvollkommen wädhs 
uhmen können. -. Mit der Trunkenheit der 
Sterhbe vereinigte fich das angenehme: Er 
firmen: und die Wolluft, die aus biefk 
gluͤcklichen Vermiſchung enttund/ enter aa 
in aller Herzen. 

; Dieb Volt, das allezeit einen * 
Shen: Zweck ſelbſt in den Wundern einir 
| neugierigen Kunft ſuchte, hatte aucham 
dirfer tieffinnigen Erfindung ihren Ben 
rheil zu zieben gewußt. So bald ein hun 
ger Prinz von Schlachten redeteyoberg 
irdrad einer friegrifchen Leidenfehaft: cin 
Meigung verrieth 10), ſo fuͤhrte mun PURE 
reinen Saal, den man mit Recht Die Göhk 
ꝓennten alſobald ſetzte ein Maföjinenmeiße 

‚ tr Ye 

10) mahhtige veharche die ihr biefe Ch 
* uuter euch theilet, ihr habet Kausnuen, örfer, 

‚ zahlreiche Heere, die ich in ſchimmernden Reiches 
von Söldaten entreideln: durch ein Wort Iafet 
’ tr fie ein Reich verwuͤſten, oder eine Brain 
erobern. Ich weiß nicht, warum ihr nie mitta 
aguter euren fliegenden Fahnen eleud ‚und Aigle 
Aeintĩ Die Roͤmer ließen in (been: Spislen Pie⸗ 
Meoentiupien fie. jJachten uͤber bie Streiche, We 
fie Ace. bevbrachten: fie; bedachten nicht, daß ſe 
lelhſt in: den Aijgen des Weiſen das wären, we 
die Zwerge in ihren Augen iu FOR: 3.5 


Sir) 333 ( ni 


die gewöhnlichen Triebfebern .in Bewegung, 
und es ertönte vor feinen Ohren alles Ab⸗ 
ſcheuliche einer Schlacht, das Geſchrey, der 
Wuth und bes Schmerzens, dag Flägliche 
Gewinſel der Sterbenben und bie Toͤne deß 
Schredens und der Furcht, und das. Ge 
brille des eutſetzlichen Donners, dieſes Hej⸗ 
chens der Verwuͤſtung, dieſer ſchaueryollen 
Stimme des Toded.:: Wenn ſich die Ratıy 
noch nicht in feinem Herzen empoͤrte, wentz 
er nicht einen lauten Schrey des Abſcheucs 
bat, wenn feine Stirne heiter and une 
weglich blieb: fo verfchloß man ihn, ‚seine 
ganze Lebenszeit über. in biefen Saal, und 
mit jedem Morgen wiederholte man. bie 
abſcheuliche Muſik, damit er fich wenigſtens 
mit der Vorſtellung befriedigen fonnte, ohne 
daß die Menfchlichkeit darunter list. 
Der Aufſeher dieſes Kabinets ſpielt⸗ 
mir" einen Streich: er ließ auf einmal 
feine Hönifche Oper fpielen, ohne mich vor⸗ 
her davon unterrichtet zu haben. Hi; 
mel! Himmel! Gnade! Gnade! ſchrie ich 
aus aller meinen Kräften und flepfte: mis 
die Ohren zu: Schonet meiner! o ſchonet 
meiner! Er ließ aufhören. — Wie? Don 
er zu mir, bieß gefällt Euch, nicht? — 


pe) 334 ( Eure 


muß cin Teufel ſeyn, wenn einem Lichte 
ſchreckliche Lärmen gefallen ſoll. — Ugb 
dieß war doc) zu Eurer Zeit ein fehr gr 
woͤhnliches Vergnügen, das füch bie Kaͤr⸗ 
de und. Fuͤrſten machten, fo wie bie agb, 
bie, wie man fehe wohl gefagt ,. das ge 
treue Bild des Krieges war 12)... Nach 
* ty Bey dem Hegeninärtigen Suntpiagen BR 
Eurera verwüßen, fcheint. mir Die Entwölleuug 
Such dad voetheilhafteſte m ſeyn. Menigten 
die · Menſchen fo uugluͤckich ſeyn follen,. ſo werde 
doch weniger Ungluͤckliche ſeyn. Iſt dieſer Gedan 
barbatiſch, ſo treffe der Vormurf die Urdeder aus 

u BE er 2 7° 
Ci (jay Sonderbare und beweinensinfrbigen Suefaß 
ſang unferer politiihen Welt! Acht bis. gehn ge 
inte Häupter halten das menfchliche Seſchlecht 
An einer Kette, find mit einander im Verkäutnigg 
imd leiten einander segenfeitige Huͤlſe, um ſie m 
ühren koͤniglichen Händen zu behalten, umnd ſle mug 
Belicben fo ſehr sufammen.siehen, daß oft eduemts 
finifhe- Bewegungen daraus entſtehen. Die Bi 
ſammenverſchwoͤrung gefchiebt nicht in-Dey Finfah 
aid: nein, oͤffentlich, vor aller Yugen, ſie wird Gar 
Botſchafter geführet. Unſere lager Tone 
nicht mehr zu ihren ſtolzen Ohren. Wir. wow 
uinmal einen Blick aufEuropa werfen: ae | 
mehr, als ein ungeheures Zeuahauß, wo Weiten | 
Puiverfäffer nur einen leichten Funken. erwarten; 
um Feuer gu fangen: Oft. iR es Die Haud end 
unbefonntnen Miniſtere, der die Entzänbung won) 






A ) 335 (u 


indks Teiten'die Dichter und wuͤnſchten ih⸗ 
‚wen Gluͤck, Saß fie die Voͤgel des Himmels 
Alaßt.’ Sie ſteckt anf einmal 'Büden und Nor⸗ 
Ben,’ Acyde Enden: der Erde in Bram. Melde 
eine ungebeuve Menge Kanonen; Bomben, Serch- 
s0, Stüds und Slintens Kugeln, Degen, Schwerd⸗ 
ter, Bajonetter, u. ſ. w. wie viel moͤrderiſche "Ras 
sionetten, den Prügel geborchend, erwarten den 
Befehl eines Kabinett, wm. blutigen Poffeh 
ſpiele amjufangen. Die Geometrie ſelbſt bat ibfe 
götrikhen Eigenſchaften eutheiligt, fie beguͤnſtigtt 
mechfelömwelfe, bald die ehrgeisige, dald die bhitgids 
Fige Wuth der Monarchen: Wit welcher Richtige 
keit weiß man ein Kriegeheer gu verderben, ein 2as 
ger in Grund und Boden gu fehlagen, einen Play 
da’ velägern, eine Stadt in Brand zu ſtecken: IA 
babe Akademiſten mit kaltem Blute die Ladung eis 
mer Kauone berechnen fehen. Je! meine Herren, 
wartet doch, bis ihr nur ein Fuͤrſtenthum haßet. 
Was liegt denn euch daran, weicher Name in weh 
oder jenem Lande berrfchet? Euer Patriotismus I 
eme falſche und für die Menſchlichkeit seribrich 
Tugend. Denn, wir wollen ein wenig unter 

hen, mas das Wort Parriortemne beißt. His 
an einem Staat gebunden ın ſeyn, muß man eis 
Mitglied des Staates ſeyn. Außer zwo oder dray 
Mepubliten, giebt es gar Bein eigentlich fo genanu⸗ 
tes Baterland mehr. Warum follte dem der Er 
'gelländer mein Feind ſeyn? Ich bin mit ihm durch 
die Handlung, durch die Künfte, durch alle nur 
mögliche Bande verbunden es if zwiſchen uns 
Beine uatäsliche Ansinatbie... Warum weitet idr 


De) 336 ( re 
-yahn Meilen umher verfcheuchteumb ſa verſich · 
Sg für die. Speiſe ber Raben geſorgt haben 
hauptfächlich gefren ich bie. Daten. fg, 
swenn fie eine Schlacht beſchreiben konnten 
— Ach! ich bie: Euch, ſagt mir niches 
wehr von dieſer —— — bie 


Ben, dab hab ic Ö 
‚Überfepritten,) ic, meine, Ca * 
übrigen Dieufchen freunen za 














cine A Aa ‚von. he 
as der Stanten ‚abhängen ; ar 
‚ge. müßte „ich ‚ meinen Nachbar nik, 
"Bäwerdt. verfolgen, uud mich mit ir 
hen ich Tages, vorher würde eriwiitgef | haben. 

zwäsde alfo.inÖrunde bloß die wiukühr 
2 eines Ders vertheidigen, der. meitie; 
‚bieten wolte, Nein: Europa, fol forthiu in 
ae Augen wur, Einen weiten Staat ausmachen: 
„and der Wunſch, ‚den ic Chun wit, fol fepu, 
«#6 ſich nut unter Einer und, eben derfelben, 
Cat vereinigen, möge, les, wehl üb, 
„genau betrachte, [o,1rde,Dieh, ein Großer 
‚eva; alddanıt würde ic) Dec) ach. ei ir ip! 
‚Binnen. Aber beute zu. Tage, 24 ‚AR ‚denn bie 
smenere (Seepbeit 2, Nichts. anders, (fagk.ein geile 
quiftdelz⸗ ala das Deldenshum det Stiaven 


2 3 ( re 


das arme menſchliche Geſchlecht ergriff. Ach 
fie hatte alle Zufaͤlle der Raſerey und 
des Unſinns. Feige Koͤnige ſchickten! es 
von ihrem ſtolzen Throne zum Tober 
and ‚die gehorſame Heerde gieng unter ber 
Aufſicht eines einzigen Hundes, freudig zur 
Fleiſchbank. Wie fol man fie in dieſen Zei⸗ 
ten der Trunkenheit zu fich felbft bringen? 
wie den sauberifchen Talismann zerbrechen? 
Ein Heiner Stab, ein rothes ober blaueg 
Ordensband, ein kleines emaillirtes Kreug 
verbreitete überall den Geiſt des. Schwin⸗ 
dels und der Wuth. Andere verloren fchon 
den Verſtand, wann ſie nur eine Cocarde 
oder einige Groſchen fahen. -. Die Eyr. bag 
lange dauern muͤſſen: ich habe es aber fa 
vorher gedacht, daß, früher ober ſpaͤter, der 
heilende Balſam der Weltweisheit diefe 
ſchimpflichen Wunden ſchließen werde 13), 
13) Welch ein Schauſpiel? Zwevmal bunden 
tauſend Menſchen in weiten Ebenen perbreitet, Die 
nur das Zeichen, einander todt zu fchlagen, erwar⸗ 
ten. Sie ermerden einander im Angefichte ‚ber 
Sonne, auf den Blumen des Frühlings... Es iR 
nicht der Haß, der fie erbittert; mein, es find die 
Könige, die ihnen gebieten iu ſterben. Geſchaͤhe 
eine fo grauſame Geſchichte sum erſtenmale: wuͤr⸗ 
den nicht: Diejenigen, bie ” Davon. ZEUGEN gems⸗ 


Sam) 340. ( — 
Zwey und dreyßigſtes Kapitel. 
Der Malerſaal. 


N, die Künfte bey diefem Wolfe fich, mie 
in derAbbildung, fo auch in Abficht des fitt- 
lichen Endzwecks, bey der Hand faßten;. fo 
brauchte ich nur etliche Schritte zu thun, 
und ich war in ber Malerafadenie. Ich 
gieng in die großen Säle, die mit Schilde 
reyen ber größten Meifter angefüllt waren. 
Jedes Gemaͤlde war fo gut ald ein moralifches 
und Iehrreiches Buch. Man fah in biefer 
Sammlung nicht mehr bie Wiederholungder 
ewigen Mythologie, die taufend und aber 
tauſendmal wieder abfopiret war. So ſinn⸗ 
reich fie im Anfange war, fo hatte fie nun 


den ein Mönch in dem Galpeter ein tödtendes 
Pulver fand! Arioſt fagt, der Teufel habe, als er eis 
nen Carabiner erfunden, von Mitleid gerührt, ihn im 
einen Fluß geworfen! Ach! nun ift fein Sicherheits⸗ 
ort mehr auf dem Erdboden: es brauche Feiner 
Tapferkeit mehr: fie it unnuͤtze: der muthigfe 
Bürger hat nichts mehr von feinem Arme zu a⸗ 
warten. Die Konone ift den Händen einer klei⸗ 
nen Anzahl won Menfchen übergeben: die Kanone 
machet fie zu unumfchränkten Eigenthuͤmern unferd 
Lebens, und wenn fie ſich unglüclicher Weiſe je 
fammen vertünden, was ſollte aus und allem werben? 


am) (en 


das Necht erlangt, efelhaft zu fcheinen. Die 
ſchoͤnſten Dinge werden endlich gemein: ber 
Refrain ift die Sprache der Thoren. Go 
verhielt e8 fich auch mit allen groben Schmei⸗ 
cheleyen. Die Zeit hatte, gleich der Wahr- 
heit, dieſe lügenhafte Leinewand zerfreſſen; fo 
wie fie.den Verſen des Boileau und Vor⸗ 
fpielen des Quinaut ihren wahren Plaß an⸗ 
getviefen hatte. Es war ben Künften ver 
boten, zu lügen 1). 

Es aab auch nicht mehr dicke Männer, 
bie man Runftliebbaber nannte, und bie 


1) Warn ich in der Gallerie von Verfailles Lu⸗ 
dewig den XIV. mit einen Blige in der Hand, auf 
bimmelblauen Wolfen, ald einen Dounergott ges 
malt. fehe: fo empfinde ic) eine mitleidige Verach⸗ 
tung gegen den Pinfel des Le Brün, der beynabe 
auf die Kunſt zurüde fällt: aber dieſe Malerey 
überlebte den donnernden Bott, fie überlebte den 
Kuͤnſtler, der ihn mit dem Donner befchenkte: dies 
fer Gedanke beruhiget mich, und ich laͤchle. 

Das erftiemal, ald Ludwig XIv. Gemälde vom 
Teniers fah, kehrte er das Geſicht mit einer efelhaften 
‘Mine meg, und ließ fie aus feinen Zimmern nehmen. 
Konnte diefer Monarch die Vorſtellung diefer gus 
ten Leute, die voller Beranägen trinken und. tars 
zen, nicht leiden: zog er ihnen die blauen. Mduner 
zu Pferde vor, die durch Dampf uud Staub eines 
Lagers jagten: fo ift bie Seele Ludwige des XIV. 
gerichtet. 


So ) 338 ( —8 


"Man führte mid) in dag mathematifche 
Kabinet: es fehlen mir fehr reich und aufs 
treflichfie georbnnetsufeyn. Man hatte alles 
aus biefer Wiffenfchaft verbannt, was einem 
Kinderfpiele ähnlich- fah, alles, was nur 
trockne und miüßige Speculation war, 
oder bie Graͤnzen unferer Kräfte überflieg. 
Ich fahe Mafchinen von allerhand Art, die 
verfertiget waren, um den Armen ded Men 
ſchen die Arbeit leichter zu machen, Mafchinen, 
die mit weit mehr Kräften verfehen waren, ald 
alle die, die wir kannten. Sie brachten al 
lerband Arten von Bewegungen berbar. 
Die fchmwerften Laſten zu regieren war ein 
Spielwerf. — Ihr feht, fagte man zu min, 
dieſe Obelisfen, diefe Triumphsboͤgen, dieft 
Daläfte, diefe kuͤhnen Denkmäler, deren An 
blick in Erftaunen feßt: fie find nicht das 
Werk ber Etärfe, ber Menge und ber Ge 


fchicklichkeit: Inftrumente, vollfonmnerge . 


machte Hebel, biefe haben alles gethan. 


Sc fand in der That, und dieß bie auf 
die größte Kleinigkeit, die Werkzeuge, fo: 
wohl in Abficht der Geometrie, als Aftrone 
nie u. f. m. fo richtig, als nur moͤglich. 


fen, daran zu zweifeln berechtiget ſeyn? Dieſer e⸗ 
danke gehoͤrt dem Air. Gaillard. 


Ze) 339 ( re 


"Alle diejenigen , die Verſuche von ei 
ner neuen, kuͤhnen, bewundernswuͤrdigen 
Art gemacht, gefett, fie waren auch fehl- 
gefchlagen, (denn man unterrichtet fich doch 
nicht weniger, wenn auc) eine Sache nicht 
gelingt) twaren in marmornen Brufkbildern 
mit den gehörigen Attributen aufgeſtellt. 

Aber man fagte mir zugleich ing Ohr, daß 
viele befündere, wunderbare Geheimniffe nur 
den Händen einer geringen Anzahl von wei⸗ 
fen Männern anvertrauef wären: daß fol- 
ches Dinge beträfe, die an fich ſelbſt gut 
wären, aber in der Folge gemißbraucht wer⸗ 
den könnten 14): dennoch hatte, ihrer 
Meynung nach, der menfchliche Verſtand 
das Ziel nicht erreicht, das er erreichen 
muß, um ohne Gefahr von den feltenften 
pder wichtigften Entdeckungen Gebrauch zu 
machen 19). 

14) Der Koͤnig Ezechias, (ſagt die heilige 
Schrift,) ließ ein Buch unterdruͤcken, das von der 
Kraft der Pflanzen handelte, aus Furcht, daß man 
davon einen uͤbeln Gebrauch machen, und dar⸗ 
aus ſo gar Krankheiten entſtehen moͤchten. Dieſer 
Umſtand iſt merkwuͤrdig, und giebt viel zu denken 
Anlaß. 

15) Welch ein ſchrecklicher und fuͤr das menſch⸗ 
Jiche Geſchlecht trauriger Tag, war derjenige, an 


2a) 3 (Eu 
Zwey und dreyßigſtes Kapitel, 
Der Malerſaal. 


N, die Künfte bey diefem Wolfe fich, mie 
in der Abbildung, fo auch in Abſicht des fitt 
lichen Endzwecks, bey der Hand faßten; fo 
brauchte ich nur etliche Schritte zu thun, 
und ich war in der Malerafademie. Ich 
gieng in die großen Säle, bie mit Schilde 
reyen der größten Meifter angefüllt waren. 
Jedes Gemälde war fo gut ald ein moralifches 
und Iehrreiches Buch. Man fah in biefe 
Sammlung nicht mehr die Wiederholung der 
ewigen Mythologie, die taufend und aber 
taufendmal wieder abfopiret war. So fim 
reich fie im Anfange war, fo hatte fie nm 





















den ein Mönch in dem Galpeter ein tödtendd 
Pulver fand! Arioft fagt, der Teufel habe, als er ay 
nen Garabiner erfunden, von Mitleid gerührt, ihnis 
einen Fluß geworfen! Ach! nun iſt kein Sicherheit 
set mehr auf dem Erdboden: es braucht keine 
Tapferkeit mehr: fie if unnüse: der mutbige 
Bürger hat nichts mehr von feinem Arme u @ 
warten. Die Kanone ift den Händen einer He 
nen Anzahl von Menfchen übergeben: die Tanım 
machet fie su unumſchraͤnkten Eigenthuͤmern wnfel 
Lebens, und wenn fie ſich unglüclicher Weiſe p 
fammen verkünden, mad (oUte aus und allen werde 


Se) 341 ( u 


das Necht erlangt, efelhaft zu fcheinen. Die 
ſchoͤnſten Dinge werben endlich gemein: ber 
Refrain ift die Sprache der Thorn. Go 
verhielt es fich auch mit allen groben Schmei⸗ 
cheleyen. Die Zeit hatte, gleich der Wahr- 
heit, diefe lügenhafte Leinewand zerfreſſen; fo 
wie fie.den Verſen bed Boileau und Vor⸗ 
fpielen des Duinaut ihren wahren Platz an- 
gewiefen hatte. E8 war den Künften ver- 
boten, zu lügen 1). 

Es aab auch nicht mehr dicke Männer, 
bie man ZRunftliebbaber nannte, und die 


7) Wann ich ın der Gallerie von Verſailles Zus 
dewig den XIV. mit einen Blige in der Hand, auf 
bimmelblauen Wolken, ald einen Dounergott ges 
malt. febe: fo empfinde ich eine mitleidige Verach⸗ 
tung gegen den Pinfel des Le Brün, der beynabe 
auf die Kunſt zuruͤcke fällt: aber diefe Malerey 
überlebte den donnernden Bott, fie überlebte den 
Künftler, der ihn mit dem Donner befchenkte: dies 
fer Gedanke beruhiget mid), und ich laͤchle. 

Das erftemal, ald Ludwig XIV. Gemälde vom 
Teniers fah, kehrte er das Geſicht mit einer ekelhaften 
Mine mes, und ließ fie aus feinen Zimmern nehmen. 
Konnte diefer Monarch die Vorſtellung diefer gu⸗ 
ten-Leute, die voller Vergnuͤgen trinken und. tars 
zen, nicht leiden: zog er ihnen die blauen. Mduner 
zu Pferde vor, die durch Dampf und Staub eines 
Lagers jagten: fo it bie Seele le Ludwige des XIV. 
Berichtet. 


3a) 32 ( er 
dem Genie des Kuͤnſtlers, mit der Goldboͤr⸗ 
fe in der Hand geboten. Das Genie war 
frey, folgte blof feinen eignen Vorſchriften, 
und ernichrigte fich nicht. 

Auf diefen moralifchen Saͤlen fah man 
nicht blutige Schlachten, nicht die ſchaͤndli⸗ 
chen Wollüfte der fabelgaften Goͤtter, noch 
weniger Monarchen mit den Tugenden ums 
geben, bie ihnen chen fehlten. Man hieng 
bloß Bilder auf, die geſchickt waren, große 
und tugendhafte Empfindungen einzuflößen. 
Alle die chen fo abgeſchmackten ald ärgerl 
chen heydniſchen Gottheiten befchäftigten 
nicht mehr vortrefliche Binfel, denen nunmeht 
die Sorge aufgetragen war, die wichtig⸗ 
fien Begebenheiten auf die Zufunft zu brin⸗ 
gen: man verftund durch dieſes Wort dieje⸗ 
nigen, die einen edlern Begriff von bem 
Menfchen geben, als die Guͤte, Die Großmuth, 
die Aufopferung ſeines Lebens für andre, bie 
Zapferfeit, die Verachtung der Wolluͤſte. 

Ich fahe, daß man alle ſchoͤne Handlum 
gen bearbeitet hatte, die auf die Nachwelt 
gebracht zu werden verdienten: hauptſaͤch⸗ 
lich hatte man bie Großmuth ber Monar 
chen zu verewigen füchen. Ich fahe den 
Saladin, der ein Leintuch fragen ließ; Hein: 


2) 34 (Er 


rich den IV. der eine Stadt nährte, bie er 
doch felbft belagerte: den Sülly, ber eine 
Summe Geldes: fehr langſam abzählete, die 
fein Herr zu feinen Luftbarfeiten beſtimmt 
hatte: Ludwig den XIV. auf dem Todtbette, 
welcher fagte: Ich Babe den Krieg zu ſehr 
geliebt; den Trajan, der feine Kleider ger 
riß, um die Wunden eine Unglüclichen zu 
verbinden; den Marc Aurel, der nach eines 
dringenden Deife vom Pferde flieg, um das 
Diftfehreiben von einer armen Frau anzu⸗ 
nehmen: ben Titus, der Brod und Arzney⸗ 
mittel austheilen ließ: ben Saint Hilaire, 
ber einen Arm verloren, und feinem Sohne 
den im Staub geſtreckten Türenne zeigte: 
den ebelmäthigen aber, ber ſich die Feſ⸗ 
ſeln eines Galeerenſclaven fuͤr ſeinen Vater 
anlegte u. ſ. w. Man fand nicht mehr die 
finſtern oder traurigen Bilder. Es gab kel⸗ 
ne niederfrächtige Höflinge mehr, die mit 
einer fpottifchen Miene fagten: fogar die 
Maler lalſen ficb einfallen zu predigen! 
Man wußte es ihnen Dank, baß fie die er- 
babenften Züge der menſchlichen Natur ges 
fammelt hatten: es waren große Gemälde, 
aus der Gefchichte gezogen. Ge hatten 
fehr weislich bedacht, daß nichts in der 


HI) 34 (ue 

Belt nüglicher feyn koͤnute. Alle Künfe 
hatten, fo zu ſagen, eine lobenstwürbige 
Verſchwoͤrung für dag Befte der Menfchlidy 
keit gemacht, Dieft glückliche Nebereinftine 
mung hatte ein weit helleres Licht auf dag 
heilige Bild der Tugend geworfen: fie wur 
de Dadurch Weit verehrungswuͤrdiger, und 
ihre immer verfchdnerten Züge waren ein df 
fentlicher Unterricht, der eben fo gewiß, als 
rührend, war. : O! wie kann mau ber Stim⸗ 
nie der fchönen Kuͤnſte widerſtehen, die mit Ei⸗ 
ner. Stimme den: freyen und edlen Dlrge 
erheben und: kroͤnen. 

Alte diefe Schilderegen hefteten ſowohl des 
Innhalts als der Ausfuͤhrung wegen, das 
Auge auf ſich. Die Maler hatten den Ita⸗ 
liaͤniſchen Zug mit der Niederlaͤndiſchen Far⸗ 
be zu vereinigen gewußt, oder vielmehr durch 
ein tiefes Nachdenken ſie uͤbertroffen. Die 
Ehre, die einzige Muͤnze, die fuͤr große Maͤn⸗ 
ner gemacht iſt, belohyte fie im voraus, it 
dem fie ihre Arbeiten befeelte. Die Natur 
fchien, wie in einem Spiegel, ausgedrückt zu 
feyn. Der Freund der Tugend Eonnte dick 
fchönen Malereyen nicht anfeben, ohne vor 
Freuden zu feufgen. Der Boͤſewicht wagte 
fig nicht angufehen. Er würde gefürchtet 


Se) 345 (ne 
Baben, daß biefe ıinbefeelten Figuren ploͤtz⸗ 
lich die Etimme erhalten, um ihn anzukla⸗ 
gen und zu beſchaͤmen. 

Man ſagte mir, daß dieſe Bilder ausge⸗ 
ſtellt würden. Auch bie. Fremden wurden 
zugelaſſen: denn man kannte nicht die Ty⸗ 
ranney, alles zu verbannen, was uͤber die 
Graͤnze einer Provinz gieng. Man gab 
jährlich vier Gegenſtaͤnde, damit jeder Kuͤnſt⸗ 
ler Zeit hatte, ſein Gemaͤlde zur Vollkom⸗ 
menheit gu bringen. Das vollkommenſte 
hatte gleich die Stinme des Volks. Mar 
gab genau auf das allgemeine Gefchren Ach⸗ 
tung, dag gemeiniglich die Stimme- der Bil: 
ligkeit felbft if. Die übrigen erhielten nichte 
deſtoweniger, nach dem Grade des Verdien⸗ 
ſtes, die ihnen ſchuldigen Lobfprüche. Man 
hatte nicht die Iingerechtigfeit, ven Schülern 
innen Echel beyzubringen. Die offentlichen 
Lehrer wurden nicht von dem unwuͤrdigen 
und niederträchtigen Neide befeffen, der dert 
Bonfin aus feinem Vaterlande verjante; 
and den le Suͤeur im Fruͤhlinge feiner- Tage 
umfommen ließ. Sie hatten den gefähnlis 
then und traurigen Eigenduͤnkel aufgeges 
ben, der ihnen zu meiner Zeit nicht erlaubte, 
ibren Schülern eine andere Manier, als 


Ham) 146 ( 


die Ihrige, vorzulegen. Sie machten nicht 
aus denen, bie fich fehr Hätten empor 
ſchwingen fonnen, wenn man fie ſich felbft 
überlafien und bloß burch einen guten 
Math unterftügt hätte, kalte Kopiften. Der 
Schüler bog fich endlich nicht mehr unter 
einem Zepter, der ihn furchtfam machte: e 
fchleppte fich nicht zitternd den Fußtapfen 
eines eigenfinnigen Herrn nach, bem er noch 
oben brein fchmeicheln mußte : er lief ihm 
vor, wenn er Genie hatte, und fein Zührer 
war der erfte, der auf die Vollfommenheit 
der Kunft ſtolz war. 

Es waren viel Afabemien ber Zeichen- 
kunſt, Malerey, Bildhaueren und der prafti- 
fchen Geometrie. Diefe Künfte waren zu 
meiner Zeit fehr gefährlich, weil fie die Ver⸗ 
ſchwendung, die Pracht, bie Leidenfchaften 
und die Schwelgerey begünftigten, weil fie 
nicht angewandt wurben ‚die Tugend einzu⸗ 
. flößen, und der Stadt die Majeftät, die An- 
muth, diefen fimpeln und cdeln Geſchmack 
zu geben, der durch geheime Beziehungen 
Die Scele der Bürger erhebt. 

Diefe Schulen waren für das Publikum 
ganz offen. Die Schüler arbeiteten darin 
nen umter feinen Augen. Es fund. jeder 


Sr) 347 ( er 


wann frey hineingugehen und feine Mey: 
nung zu fagen. Dieß hinderte nicht, baf bie 
befoldeten Lehrer umbergiengen und Prüfum 
gen anfteliten : aber Fein Lehrling war der 
beftinnmte Schüler diefeg oder jenes Meifterg, 
fondern aller gefchickten Künftler überhaupt. 
Dadurd), daß man felbft den Schatten der 
Sflaverey, der der männlichen und unab» 
bängigen Geſinnung ded Genies fo nachthei- 
tig if, hinweggenommen, hatte man Keute 
gezogen, bie fich felbft über die Meiſterſtuͤcke 
des Alterthums erhoben, und ihre Gemäl- 
de waren fo vollendet, fo auggearbeitet, daß 
die Ucberbleibfel des Naphbael und Rubens 
nur von einigen Alterthumsliebhabern, Leu— 
ten von einer hartnaͤckigen und allezeit ei⸗ 
genſinnigen Gemuͤthsart aufgeſucht wurden 

Ich brauche nicht zu ſagen, daß alle 
Kuͤnſte und alle Profeßionen auf gleiche Art 
frey waren. Nur in einem barbariſchen, 
tyranniſchen, bloͤdſinnigen Jahrhunderte 
konnte man dem Fleiße Feſſeln anlegen und 
demjenigen eine Summe Geldes abfodern, 
ber arbeiten. wollte, anflatt daß man ihm 
eine Belohnung hätte geben follen. Alle die 
kleinen Iuftigen Korper verfammelten bie 
Menſchen in ein Ganzes bloß darum, da 


SO) 3430 


mit ihre Leidenfehaften defto heftiger gähren 
möchten: eine Ihenge Streitigkeiten ‘ohne 
Ende entfiunden ans ihrer Gefangenfchaft 
und machte fie nothwendig zu Feinden von 
ihren Nachbarn. Go theilen fich in ben 
Sefängniffen die Menfchen ; die einerien 
Seffeln rücken, ihre Wuth und ihre Lafter 
mit. indem man Ihe Intereſſe trennen 
wollte, hatte man fie unruhiger gemacht, 
und es war gerabe bag Gegentheil, mel 
ches eine weiſe Gefeßgebung zu verlangen 
fchien. Diefer ewige Zwang, worinnen ſich 
jeder Menfch befand, feinem Talente zu fol 
gen, war eine Duelle von taufend Unord⸗ 
nungen. Es entflund daraus Müßiggang 
und Betrug. Der Unglüdliche war gaͤnz, 
lich unvermögend , fich einem bemeineng- 
würdigen Etande zu entreißen,, weil ein 
giferner Arm ihm. den Ausgang verfchloß, 
und das Geld allein ben Schlagbaum auf 
ziehen fonnte. Der Monarch, um eines 
fleinen Zolleg zu genießen, hatte die gehei⸗ 
ligfte Freyheit unterdrückt, "und dadurch alle 
Triebfebern des Muthes und der Aemſigkeit 
zerſtoͤret. 

Unter dieſem Volke, das von den erſten. 
Begriffen des Voͤlkerrechts unterrichtet war, 


2m) 349 ( Er 


folgte jedes der Befchäfftigung, zu der ihm 
fein eigenthünmlicher Geſchmack, das fichere 
and eines glücklichen Fortganges, rief. 
Diejenigen, die feine Neigung zu ben ſchoͤ⸗ 
nen Künften hatten, griffen zu einer leich« 
tern Arbeit: denn das Mittelmäßige wur⸗ 
be in feiner Cache gebultet, die eine Des 
siehung-auf das Genie hat. Der Ruhm. 
der Nation fchien an biefe Talente gebuns 
den zu feyn, bie den Menfchen eben fo fehr, 
als Reiche, verberrlichet. 


Drey und dreyßigſtes Kapitel. 
Sinnbildliche Gemaͤlde. 


ch kam in einen beſondern Saal, wo man 
die verſchiedenen Jahrhunderte vorgeſtellet 
hatte. Jedes hatte außer ſeiner eignen Ge⸗ 
ſichtsbildung die Züge benbehalten, die es vor 
feinen Sefchwiftern fenntlich machten. Die. 
Jahrhunderte der Unwiſſenheit waren mit 
einens ſchwarzen und traurigen Nocke befleis 
def. Die Perfon, bie fie vorfichte, hatte 
ein rothes und finſteres Auge und hielt eine, 
Fackel in der Hand: im Hintergrunde fah 
man einen Scheäterhaufen, Prieſter mit ei» 
nem Meßgewande befleivet, und ungluͤckli⸗ 


2) 3350 (ei 


che Menſchen mit einer breiten Binde um der 
Stirne, die ſich eines über das andere, ben 
Flammen aufopferten. 
: Meiter hin, fleckte ein fanatifcher Schwaͤr⸗ 
mer, ohne irgend ein ander Verdienft, ale 
einer glühenden Einbildungsfraft, die nicht 
weniger entsündbare Imagination feiner 
Mitbürger in Flammen, und riß, inbem 
er im Namen Gottes donnerte, eine Men⸗ 
ge Menfchen mit fich fort, die wie eine folg- 
fame Heerde fich dem Gefchreye ihres Hm 
ten nach ſtuͤrzet. Die Könige verliehen 
ihre Shionen, verließen: ihre bevölkerten 
Staaten , und liefen, indem fie eine Stim- 
me des Himmels zu bören glaubten, ſich 
ihre Krone und ihre Untertanen in unge 
heuren Wüften zu begraben. Man fah im 
Hintergrumde des Gemäldeg die Schtwärme 
rey, die ihre mördrifchen Fackeln ſchuͤttelte/ 
auf Menfchentspfen einhergehen: eine unge⸗ 
heure tiefenmäßige Perfon! Ihre Füße ſtun⸗ 
den auf -beyden Enden der Erde, umd ihr 
Arm , der die Palme des Märtyrertobes 
Bielt, erhob fich big gu den Wolfen. 
Diefer bier, weniger bigig, aber deſto 
nachdenfender, flürste fi) dem Geheimnis 
wollen und der Allegorie überlaffen, in das 


Sm ) 351 ( min 


Bunberbare. immer war er mit Nägeln 
imgeben und forgfältig bemüht, die Fin« 
terniffe, die ihn umbüllten, su verdicken. 
Ran fah die Ringe der Platoniker, die 
Yahlen der Pythagoraͤer, die Sibylliniſchen 
Zerſe, die allmaͤchtigen Formeln der Zaube⸗ 
ey und die bald liſtig erdachten, bald dum⸗ 
ven Wunder, die der menſchliche Witz ge⸗ 
chaſſen hat. 

Ein anderer hielt ein Aſtrolabium, zog 
ufmerkſam einen Kalender zurathe und be⸗ 
echnete die gluͤcklichen oder ungluͤcklichen 
vage. Eine kalte und ſtumme Ernſthaftig⸗ 
eit war in ſeinem verlaͤngerten Geſichte aus⸗ 
edruͤckt: er wurde uͤber die Verbindung 
weyer Geſtirne todtenblaß: das Gegenwaͤr⸗ 
ige war gar nicht für ihn, und dag Kuͤnfti—⸗ 
e:war fein Henker: er hatte felbit feinen 
Sottesdienft in die kächerliche Wiffenfchaft 
er Aſtrologie übergetragen, und er hielt fich 
n.dieß Phantom, ald an eine unerſchutter⸗ 
iche Saͤule. 

Dieſer hier, ganz mit Eiſen bedeckt, ver⸗ 
rub feinen Kopf in eine eherne Sturmhau⸗ 
e: mit einem Panzer befleidet, und einer 
angen Lanze bewaffnet, athmete er nichts, 
18 Kämpfe, Mann mit Mann. Die Sees 


Fe) 352 ( Er 


le feiner Helden war härter, als der Stahl, ber 
fie bedeckte. Das Eifen war es, das übe 
Rechte, Meynungen, Gerechtigkeit -unb 
Wahrheit entfchied. : Im Hintergrunde 
zeigte ſich ein eingefchloffener Kampf 
platz, Richter und Herolde, die ben lichen 
wunbenen oder vielmehr den Schulpien 
aufbalfen, 

Jener fchien von einem haͤchſtſeltſame 
Eigenſinne zu ſeyn. Es war ein barbariſcher 
Architekt, der Säulen, ohne Verhaͤltziß wis 
der Mafle, die fie trugen, und mic Jächerlir 
‚chen Zierrathen überladen, errichtete: er gie 
alles dich für .eine befondere Feinheit, bit 
pen Griechen und Roͤmern ganz under 
fannt geweſen. Eben biefe Unordnung 
Berrfchte in: feiner ganzen Logik; dieſe be 
fund aus ewigen Chifanen und abſtrakten 
Begriffen. Im NHintergrunde hatte my 
Mondenfüchtige vorgeſtellet, bie mit offencz 
Augen redeten und handelten, und die in die 
nen langen Traum verſenkt die Verbindung 
groener Sbeen einem bloßen Zufalle dankten 
.: Sp mufterte ich alle Jahrhunderte durch 
aber bie einzelne Erzählung davon würd 
viel zu lang werben. Ich hielt ˖mich ein wer 
nig länger vor dem 18ten Jahrhunderte aufı 


) 353 (u 
mit dem ich vormals in Befanntfchaft geftan« 
den. Der Maler hatte e8 unter der Geſtalt 
einer Frau vorgeftellt. Die aller-geflschkeften 
Zierrathen beſchwerten ihr hoffärtiges und 
zaͤrtliches Haupt. Ihr Hals, ihre Arme waren 
ganz mit Perlen und Diamanten bedeckt: fie 
hattelebhafte und glänzende Augen; aber ein 
etwas gezwungenes Lächeln verzerrete ihr den 
Mund: ihre Wangen tvaren gemalf. Das 
Gekuͤnſtelte fchien aus ihren Worten eben ſo 
ivie aus ihren Blicken hervorzuſchimmern: 
es war verführerifch, aber-nicht wahr. Gie 
hatte in feber Hand zwey lange rofenfarbene 
Bänder, die eine Zierrath zu ſeyn fchienen: 
aber diefe Bänder verbargen zwo eiferne 
Ketten, mit denen fie felt gebunden war. 
pre Bewegungen waren inzwiſchen frey ges 
mug, um die Hände umher zu werfen, und zu 
hüpfen und gu fpringen. Gie trieb dieß aufs 
äußerfte, damit fie, wie es mir fchien,ibre Skla⸗ 
verey verbergen, oder ſie wenigſtens leicht 
und angenehm machen wollte. Ich unter⸗ 
fuchte dieſe Figur bis auf Kleinigkeiten. Da 
mein Auge ſehr genau auf die Falten ihrer 
Kleidung Acht gab, ſo wurde ich gewahr, 
daß dieſes ſo praͤchtige Gewand unten ganz 


az) 354 ( 


gerriffen und mit Kothe bebeeft war. Ihre 
nacketen Küffe ſtacken in einer Art von Mo⸗ 
raſte: und fie war von unten. eben fo ab 
fcheulich, als fie von oben glänzend war: 
fie glich in diefem Aufzuge nicht übel einer 
gemeinen Buhlerinn, die. Abends in ben 
Straßen berumläuft. Sch entdeckte hinter 
ihr viele Kinder mit einer bleichen und gel» 
bei Sefichtsfarbe, Die ihrer Mutter zuſchrieen, 
und ein Stuͤck ſchwarzes Brod gierig eins 
ſchluckten: ſie wollte ſie unter ihrem Rocke 
verbergen, aber man ſah dieſe kleinen Elen⸗ 
den durch die Loͤcher deſſelben. Im Hinter⸗ 
grunde des Gemaͤldes ſah man prächtige 
Schloͤſſer, marmorne Palaͤſte, kuͤnſtlich ge⸗ 
zeichnete Parterre, große Waͤlder mit Hir⸗ 
ſchen und Rehen bevoͤlkert, wo das Yagb- 
born von weiten erklang. Aber bag nur 
balb bebaute Feld war voll ungläckliche 
Landleute, bie tobtenmatt von vieler Arbeit, 
auf ein kleines Häufchen Aehren barnicher 
fanfen: hernach famen Leute, bie einige mit 
Gewalt anwurben, und dag Bette und bie 
chen Speife den übrigen mifnahmen ». 


1) Die Tyranney iſt ein gefaͤhrlicher Bam, 
den man geſchwind in feiner Geburt aus rotten mul. 
Der Anſchein dieles Baumes ift fehr bettuͤgeriſch 


Zr) 35 ( — 


.. Der Charakter der Nationen war uhan 
freu ausgedrückt. 


An den mannichfaltigen Sarben von tau⸗ 
fenderley Schattirungen, an ber unmerkli⸗ 
chen Verſchmelzung berfelbigen, an bent 
traurigen, melancholifchen Gefichte, erkann⸗ 
te.man das eiferfüchtige, rachgierige Ita⸗ 
fin. Auf eben: dem Gemälde verfchwand 
fein ernſthaftes Geſichte mitten in einem 


Anfänglich ift es ein junger Baum wit Blüe 
then und Eorbeern befränit, der aber insgeheim 
das Blut, das ihn begieht, am fich zieht. Bald 
wachſt er, ſchießt in Die Hoͤhe, und erhebt fein hof⸗ 
faͤrtiges Haupt. Seine Aeſte breiten fich Rolz aus. Er 
bededet alles, was er umgiebt, mit einem prablerie 
ſchen uud traurigen Schatten, Die benachhartg 
Blüthe und Frucht fallen ab, da fie der wohlthär 
tigen Gmablen der Sonne beraubt werden, Die ep 
auffängt.. Er zwingt die Erde nur ihn zu nähren. 
Endlich wird er wie der gäftige Baum, deſſen ſuͤſe⸗ 
fe Zrüchte ein Gift find, der Die Tropfen, Die auf 
feinen Blättern träufeln, in ein beizendes Waſſetz 
verwandelt, die, in Ermangelung der Qunalen, 
dem ermüdeten Wanderer den Schlaf ımd den Top 
bringen. Außerdem iſt fein Stamm knoticht: der 
Kern iR mit einer harten: Rinde hedeckt: feine 
Wurzeln breiten ſich aus: und das Beil der Be 
beit mird Rumpf und greift nicht an. 


az) 356 


Eoncerse und ber Maler hatte deſſen Leich⸗ 
tigfeit , biesfam und faft in einem. Au 
genwinke eine andere Geſtalt anzuneh⸗ 
men vortreflich ausgedruͤckt. Der Hinter⸗ 
grund ſtellte Pantomimen vor, die mat« 
cherley Grimaſſen und andere Eomifche Ge⸗ 
berden machten. 

Der Engelländer, der , mehr in einer ſtol⸗ 
zen als majeftätifchen Stellung auf der Spr 
Be eines Felfen faß, beberrfchete das Welt⸗ 
meer und gab einem Schiffe das Zeichen, 
nach der neuen Welt zu fliegen und ihm ih⸗ 
re Schäße zu holen. Man las in ſeinen 
tühnen Blicken, daß ibm die bürgerliche 
Freyheit fo viel als die politifche galt. Die 
entgegen ftchenden Wellen, die unter ben 
Schlägen des Ungewitters brüllten, waren 
feinen Ohren eine fanfte Harmonie. . Geis 
‚Arm war immer aufgehoben, das Schwerdt 
des bürgerlichen Krieges zu ergreifen; 14 
chelnd fah er auf ein Schaffot, von dem ein 
Kopf und ein Arm herabfiel. 

Der Deutfche, unter einem von Blitzen 
ſchimmernden Himmel, hörte nicht auf den 
Tumult der Elemente. Man wußte nicht, 
ob er dem Ungewitter Troß bot, oder un 
empfindlich dagegen war. Adler zerfleiſchten 


a) 57 (ie 


einander an feinen Seiten: für ihn war 
es ein bloßes Schaufpiel: eingefchloffen 
in fich ſelbſt, warf er auf fein eigneg Schick 
ſal ein gleichgültiges oder philoſophiſches 
Auge. 

Der FSranzofe, voll edler Anmuth und 
Groͤße, hatte fehr ausgcarkeitete Züge: 
Seine Seftalt war nicht original, aber fei- 
ne Manier war groß. Die Einbildungs« 
kraft und der Wis fchimmerte aus feinen 
Yugen: er lächelte mit einer Seinheit, bie 
der Lift nahe Fanı. In dem Ganzen feinen 
Geſtalt herrſchte viel Einfoͤrmigkeit. Seine 
Karben waren ſanft; aber man vermißte 
darinnen das kraͤftige Colorit und die ſchoͤ⸗ 
nen Wirkungen des Lichts, die man in den 
uͤbrigen Gemaͤlden bemerkte. Das Geſich⸗ 
te wurde durch die zu große Menge ausge 
führter Kleinigkeiten ermuͤdet, bie fich, eine 
der andern fihabefen. Ein unzaͤhliger Hau⸗ 
fen hatte Eleine Trommeln und. arbeitete 
gewaltig, um viel Lärmen zu machen: er 
glaubte das Donnern der Kanonen nachzu⸗ 
ahmen: es war aber eine eben fo muth⸗ 
willige, fo gefchäftige, als ſchwache und 
voruͤbergehende Hitze. 


De) 358 ( —6 
WVier und dreyßigſtes Kapitel. 
Bildhauer⸗ und Kupferſtecherkunſt. 


N Bildhauerey, nicht minder ſchoͤn als ih⸗ 
te ditefte Schröefter, ftellte ebenfallg, ihr zur 
Seite die Wunder ihres Meifeld aus. Sie 
war nicht mehr an die unverfchämten Er& 
ſuße verfauft, die die Kunſt erniebrigten, in 
bem fie ſich mit Berfertigung ihrer feilen Ge 
ſtalt oder doch eben fo verachtungswuͤrdigen 
Gegenſtaͤnden befchäftigten, als fie ſelbſt wa 
ren: Die von der Regierung befolberen 
Kuͤnſtler wiedmeten ihre Talente ben Bers 
dienften und der Tugend. Man fahe nicht 
mehr, wie auf unfern Sälen, einer Buͤſte un⸗ 
ferer Könige zur Seite und in einer und ber 
felben Reihe, den niederträchtigen Zoͤllner, wel· 
her fie beſtiehlt und betrligt,ohne Schaam ſei⸗ 
ne niedrige Geſichtsbildung barftellen. War 
ein Mann, ber dad Anfchauens der Nach 
fommenfchaft würdig tat, in einer m 
merfwärbigen Thaten befäten Lanfbahne, 
weit gefommen; hatte ein andrer eine große 
and muthige Handlung gethan; fo nahm 
der erhitzte Künftler die Öffentliche Danb 
barkeit auf ich: er mabellirte insgeheim & 


Re) 359 ( ei 

nen ber fchönften Züge feines Lebens, (ohne 
das Bildniß des Urhebers binzusuthun). 
Ploͤtzlich ftellte er fein Werf aus, und er- 
hielt "die Erlaubniß, fi) mit dem großen 
"Manne zugleich zu verewigen. Diefe Arz 
beit ſetzte jedermann in Bewegung und man 
brauchte feinen falten Commentar. ; 
Es mar ausbrüdlich verboten, Dinge 
auszubauen, bieder Seele gar nichts fagten: 
mithin verdarb man nicht den ſchoͤnen Mar; 
mor ober andre eben fo foftbare Materialien, 
Alle die ungefitteten Figuren, die uns 
fere Camine einfaffen, waren aufs fchärffte 
verboten. Die rechtfchaffenen Leute konn⸗ 
ten fich gar Feinen Begriff von unferer Ge: 
feßgebung machen, wann fie in unferer 
Gefchichte laſen, daß in einem Jahrhun⸗ 
Derte, wo man fo oft die Namen der Reli⸗ 
gion und guten Sitten im Munbe führte, 
Hausvaͤter vor den Augen ihrer Kinder, Sce⸗ 
nen ber Ausfchweifungen aufftellten, unter 
dem Borwande, daß dieſes Meifterftücke waͤ⸗ 
ren: Werke, die vermögend waren, bie ruhigſte 
Einbildungsfraff zu entzunden,und unſchuldi⸗ 
ge Seelen, die alle Eindrücke annehmen, ing 
Lafter zu ſtuͤrzen. Siefeufjten über dieſen df 

fentlichen und ſchaͤndlichen Mißbrauch, die Her⸗ 


ae) 360 ( =Emte 


sen zu verderben, ehe fie noch gehilder 
waren 1). 


1) Zu andern oͤffentlichen Mißbraͤuchen, die 
aan bier gerne ahnden möchte, Bann man die uns 
züchtigen Poſſenſpiele hinzuthun, die alle eve 
Sitten, und allen gefunden Menfchenverfkand, ber 
fo verehrungsmürdig if, als es jene find, beleidis 
gen. Man bat unter dem Artikel der Schauſpie⸗ 
I, von den Springern und Seiltaͤnzern zu reden, 
vergefien. Uber ed liegt in einem Werke nichts 
an der Ordnung, wenn nur der Verfafler alle feine 
Gedanken hineinbringt. sch werde es wie Mens 
taigne machen, und mich am alles anhängen, was 
mir vorkommt. Ich lache Über dem Tadel der 
Runftrichter: und denke wenigdens, fo gut wie fie, 
jemanden gähnen zu machen. Damit ich alſo mies 
der auf diefe Springer und Seiltaͤnzer komme, die 
ſo gemein und fo ärgerlich find: follte fie wohl eine 
menfchenliebende Obrigkeit leiden? Nachdem fie 
ihre ganze Lebenszeit auf!eben fo erfiaunende ald 
unnüge Uebungen verwandt, fo geben fie ihr Les 
ben öffentlich in Gefahr, und lehren dadurch tau⸗ 
fend Zufchaner, daß der Tod eined Dienfchen wer 
nig odermichts fen. Die Stellung dieſer Springer 
Tind Höchft uuanſtaͤndig, and beleidigen Augen und 
Herz: fie gewöhnen vieHeicht unfre noch wicht ges 
dildeten Seelen nichts mit Vergnuͤgen zu feben, 
was nicht mit Gefahr verbunden iſt, und ſich vor⸗ 
zuſtellen, dag das menfchlihe Gefchlecht mit wu 
nuferm Spielwerken gehöre. Man wird fagens 
das heißt auch über wenig oder nichts vernüinftelm: 
Aber ich babe veraexkt; dau Dfefe traurigen Gchaws 


BE) 361 ( in 


. Ein Künftler, mit dem ich mich unterre 
defe, gab mir von allen diefen großen Ver⸗ 
anderungen Unterricht. Er fagte mir, daß 
ſich im 19ten Jahrhunderte ein Mangel ar 
Marmor fand, fo, daß man zu diefer un⸗ 
edlen Menge von Bruftbildern der Finange 
pachter, Zolleinnehmer und Dberauffcher 
feine Zuflucht nehmen müßte. Hier fand man 
ben Block ſchon ganz subereitet s man bildete 
fie weitnortheilhafter aus, und wußte gluͤck⸗ 
lichere Köpfe daraus zu ziehen. ; 


Ich gieng indie letzte Gallerie, die tue“ 
gen ber Menge von Werfen, bie fie enthielt, 
eben. fo merfwürdig war als die übrigen! 
Hier war eine volfftändige Sommlung von 
allen moͤglichen Zeichnungen und Kupferſti⸗ 
chen. Ungeachtet der Vollkommenheit dies 
fer legteu Kunft, hatte man doch bie ers 
ke der vorhergehenden Jahrhunderte beybe⸗ 
halten: denn es iſt mit einem Kupferftiche 
nicht, "tvie mit einem Bude: ein Buch, 
dag nicht gut iſt, iſt eben dadurch ſchiehe 
da hingegen ein Kupfer, das man mit einem 


ſpiele einen weit groͤßern Einfiuß auf das Well 


haben, als alle Künfte, die einigen Schein bee 
Vernunft haben. u 


am) 362 ( Ererte 


Blicke überficht, allegeit zu einem Gegen 
ſtande der Vergleichung dienet. 

Dieſe Gallerie die ihren Urfprung benr 
Jahrhunderte Ludwig des XV. verbanfte, 
war in eine gang. andere Drdnung ges 
bracht worden. Es warnicht mehr ein en⸗ 
ges Kabinet, mo in ber Mitte eine Eleine 
Tafel faum ein Dutzend Liebhaber faffen 
fonnte, und wo man zehnmal vergeben! 
fam, um einen Platz su finden: überbieß 
wurde dieß £leine Kabinet nur getoiffe Tage 
geoͤffnet, das iſt, hoͤchſtens den zehnten 
Theil von einem Jahre, den man noch de 
zu unter dem geringften Borwande und nad 
Belieben des Directors befchnitt. Dieſe 
Galerien fiunden täglich offen, und waren 
gefprächigen und leutfeligen Auffehern an 
vertrauet, bie richtig begahlet wurben, bar 
mit das Publifum auf gleiche Weife bedie 
net würde. In diefem geräumlichen Saale 
fand man ohne Ausnahme die Kopie jedes 
Gemäldes oder Stuͤckes von Bildhaueran 
beit, die in den übrigen Gallerieen aufbe 
halten wurden: er enthielt zugleich ben Ab 
riß der Meifterflücke der Kunſt, Die man gu 
verewigen oder fo fehr zu verbreiten geſuch 
hatte, als 28 wur möglich mer. 








gt wm une bnm nn 


Se ) 367 ( ne 


- Die Kupferftecherfunft ift eben fo frucht⸗ 
bar und vortheilhaft ale die Buchbrucker⸗ 
kunſt. Sie Bat, wie fene, den Vortheil ih» 
re Abdruͤcke zu vervielfaͤltigen; und hier⸗ 
durch kann jede Privatperſon, jeder Frem⸗ 
de fich eine getrene Kopie don dem Origina⸗ 
fe verfchaffen. Alle Buͤrger ſchmuͤckten ohne 
Eyferſucht ihre Waͤnde mit den intereſſanten 
Gegenſtaͤnden, welche Beyſpiele der Tugend 
und des Heldbenmuthes vorſtellten. Man 
fah nicht mehr die vorgegebenen, eben fo 
findifchen als unmwiffenden Liebhaber eine 
eingebildete Vollkommenheit auf Koſten ih⸗ 
rer Ruhe und ihres Beutels verfolgen, die 
allezeit betrogen wurden, und recht gemacht 
ſchienen, betrogen zu ſeyn. | 

Ich Tief mit der lebhafteſten Begierde die 
großen Bände durch, 100 der Grabftichel mit 
fo viel Leichtigkeit und Nichtigkeit die Umrifft 
und fo gar die Barben der Natur befchrieb, 
Alle Gemälde waren vollkommen getroffent 
man battenod) mehe Sorgfalt auf diejend 
gen Gegenftände gewandt, bie eine gemiffe 
Beziehung auf die Künfte und Wiffenfchafe 
ten hatten. Die Platten von der Encyklo⸗ 
päbie toaren ganz umgearbeitet worden, und 
man hatte mit noch mehr Aufmerffamfeit-file 


RE) 364 ( are 

eine firenge Nichtigkeit geſorgt, die nm» 
mehr das hoͤchſte Verdienſt mar, weil der 
Hleinfte Irrthum oft von ber größten Zolge 
if. Sch fand einen prächtigen Curſus der 
Phyſik, der in dieſem Geſchmacke behandelt 
mar: und da diefe Wiffenfchaft hauptſaͤch⸗ 
lich für die Sinne gemacht iff, fo iſt viel⸗ 
leicht von ben Abbildungen bag vornehmſte 
Merdienft, daß man fie in allen ihren Theis 
Ien faßlih mache. Man wußte. die Kunfl 
zu fchäßen, die fo nüßliche Bilder hervor⸗ 
bringt, und man gab ihr neue Beweiſe ber 
Bichtung. 

Sich bemerkte, daß man alles in wahrem 
Geſchmacke verfertigte und der Manier be# 
Gerhard Audran folgte : dag fo gar dieſe 
ansftudierter und vollfommner war gemacht 
worden. Die Vignetten zu Büchern wur 
den itzt nicht andere, als Eochins genammf. 
Died war dag Wort, dag man ber den 
den Benennung der Culs de lampes u. f. w. 
untergefehoben hatte 2). 

Die Rupferftecher hatten endlich dag un 
glückliche Vergrößerungsglag weggelegt, das 

2) Der Her von Voltaire muß im Boreus 
Darüber ſehr zufrieden ſeyn, er, der fo lange für die 
fe fo wichtige Berbeiierung geeifert bat. 


2m) 365 ( nk 


hen auf alle Arc die Yugen verderbte. Die 
iebhaber dieſes Jahrhunderts waren feine 
Sreunde mehr von den Fleinen Puͤnktchen, 
vie dag ganze Verbienft der neuern Kupfer« 
techer- ausmachen : fie sogen eine große, 
ichtige und leichte Arbeit vor, die alles mit 
inigen genauen und edelgegeichneten Zügen 
aget. Die Kupferftecher zogen folgfam die 
Maler zu rathe, und dieſe huͤteten fich im 
Segentheile ven Eigenfinn eines Meifters der 
Runft zu affektiren. Sie fchäßten einander 
och, fie fahen einander als Freunde an, 
yie einander gleich wären, und fchoben nicht 
iner auf den andern bie Sehler des Werks. 
Neberdieß war die Kupferftccherkunft dem 
Staate durch die Handlung. mit Kupferflis 
then, die man in fremde Länder trieb, hoͤchſt 
nüßlich. geivorden, und man fonnte von die, 
fen Künftleen mie Recht ſagen: unter ihren 
gläcdlichen Anden wird das Kupfer zu 
Bold; 


Fünf und dreyßigſtes Kapitel. 
Thronen⸗ Saal, 


Jo verließ dieſe reichen Gallerien mit ei⸗ 
nem lebhaften Widerwillen, und bey 


az) 366 0 


meiner unerfättlichen Begierde alles zu ſehen, 
gieng ich roieder in ben Mittelpunft der Stadt. 
Ich fah eine enge Menfchen von jebem Ge⸗ 
fchlechte und Ylter mit größter Eil nach ei⸗ 
nem prächtigen verzierten Shore fliehen: 
Don jeder Seite hoͤrte ich die Worte: Aauft 
zu! unfer guter Bönig fitzt vielleicht ſchon 
suf dem Throne: und wir follten ibn base 
ge nicht feben? Ich folgte dem Kaufen: 
aber was mich in große Verwunderung ſetz⸗ 
te, war, daß ungeflüme Wachten der Zubrisg: 
lichkeit des Volks fich nicht entgegen ſetzten. 
Ich kam in einen ‚ungeheuer großen Saal, 
der von vielen Säulen unterſtuͤtzt war. Ich 
näherte mich und ſah den Thron bed Moni 
archen. Nein; man kann ſich nichts Schd 
ners, Edlere, Erhabneres, Troͤſtlicheres vom 
der koͤniglichen Majeftät vorfiellen. Ich 
wurde bis gu den Thränen gerührt. Ich 
fahe weder einen donnernden Jupiter, noch 
fonft einen fchrecflichen Aufpuß, noch eis 
Werkzeug der Rache. Vier Bildfäulen von 
weißem Marmor, die die Stärke, die Mif 
figfeit, die Gerechtigkeit und die Güte vor⸗ 
ftellten, trugen einen fimpeln elfenbeinernen 
Stuhl, ber bloß erbaben war, um bie 
Stimme weiser baren zu laſſen. Dieſer 


Sam) 367 ( ner 


Stuhl war mit einem Thronhimmel gefr& 
net, den eine Hand hielt, die aus dem Ge⸗ 
woͤlbe vorzureichen fehien. Auf jeder Seite 
des Throns waren zwo Tafeln : auf der 
einem waren die Geſetze des Staated und 
die Gränzen der koͤniglichen Macht ge 
fchrieben, und auf dee andern bie Pflichten 
der Könige und feiner Unterthanen. Ihm 
gegen Aber ſtund eine Frau, die ein Kind 
fäugete, ein getreues Sinnbild der koͤnigli⸗ 
hen Würde. Die erfie- Stufe, worauf man 
zum Throne ftieg, war In Geſtalt eines Grab» 
ſteines, worauf mit großen Buchftaben ger 
fchrieben fund: DIE EWIGKEIT; 
Unser dieſem ruhte der. einbaffamirte Körper 
des vorhergehenden Monarchen, indeffen Bid 

fein Sohn wieder deffen Stelleeinnahm. Vox 
daraus rief er feinen Erben zu, daß fie alle 
fierblich twären, daß der Traum der koͤnig⸗ 
lichen Würde bald vorüber feyn werde, daf 
fie alddann mit ihrem Nuhme allein übrig 
feyn würden! Diefer große Ort war fchon 
ganz mit Menſchen angefüllet, als ich den 
Aronarchen, mit einem blauen Mantel bes 
£leidet, der mit Anmuth herabfloß, erſchei⸗ 
wen fah.: . Seine Stirne war mit einem Oli⸗ 
venzweige umfeänzt.s dieß war fein Diabenn: 


Sm) 308 ( in 


Niemals seigte er fich oͤffentlich, ohne dieſen ed⸗ 
len Schmuck, der ihn ſowohl andern als ſich 
ſelbſt verehrungswuͤrdig machte. Er ſchien bey 
dem Freudengeſchreye, das ſich erhob, als er 
den Thron beſtieg, nichts weniger, als gleich: 
gültig. Aber kaum hatte er ſich geſetzt, fo ver⸗ 
breitete fich ein ehrerbietiges Stillſchweigen 
uͤber dieſe zahlreiche Verſammlung. Ich war 
ſehr aufmerkſam. Seine Miniſter lafen ihm 
mit lauter Stimme alles ab, was ſeit der letzten 
Sitzung merkwuͤrdiges vorgegangen Mar. 
Wofern man die Wahrheit wuͤrde verſtellet 
Haben, fo war das Volk da, um den Verldum⸗ 
der su beſchaͤmen. Man vergaß auch ticht ſei⸗ 
ne Foderungen. Man gab Rechenschaft von. 
der Vollführımg ſeiner sorhergegebenen Be⸗ 
fehle, und die Vorleſung endigte ſich mit den 
täglichen Preifen ber Lebensmittel ud bei 
Waaren. Der Monarch hoͤrte zu und gab 
mit einem Zeichen des Hauptes Beyſall 
oder behielt ſich die Sachen zu einer weitern 
Unterſuchung vor. Aber, wenn ſich irgen 
wo in dem Saale eine Flägliche Stimme er⸗ 
hob, die einige Artikel verwarf, unb wenn 
es ein Menfch von der niebrigften Elaffe ge 
wefen wäre, fo wurde er in einem. Kleinen 
Zirkel herbeygerufen, der unten. anm Fuße 


Re) 369 ( Eee 


des Thrones war. Hier brachte er ſein⸗ 
Gedanken vor i), und fand man, baf er 
Recht hatte, fo ward er gehört, und erhielt 
Beyfall und Dank : felbfi der König gab 
ihm einen liebreichen Blick: ſagte er hinge⸗ 
gen etwas abgeſchmacktes, oder etwas, dag 
augenſcheinlich auf ein Privatintereſſe ge 
gründet war, fo tonrbe er fchimpflich zuruͤcke 
gemiefen und big an die Thüre von den Um⸗ 
ſtehenden ausgeziſcht. Jedes konnte fick 
ohne irgend einige Furcht, als die, zum oͤf⸗ 
fentlichen Gelaͤchter zu werden, darſtellen, 
woferen ſeine Gedanken falſch oder eingen 
fchränfet waren. | 
Zwey vornehme. Kronbebienten begleite- 
ten den Monarchen bey allen öffentlichen 
1» Das größte Unglüc in Frankreich if, daß 
die Policey und die Verwaltung der Ungelegens 
beiten, in Händen der Magifratsperfonen, odeh 
foldyer Leutk find, die eine gewiſſe Bedienung oder 
Würde haben, ohne daß man jemals, (wenigſtens 
son Seiten des Publikums) dielenigen Privatperfos 
nen zu Mathe sicht, die die Wiffenfhaft und dei 
Verſtand davon in einem hoben Grade beſitzen. 
Der beſte, der einſichtsvolleſte Bürger kann feine 
Talente oder die Groͤße feiner Seele niemals entwis 
ckein. Traͤgt er keinen Amtsrock: fo muß er feine 
Heften Abſichten verloren geben, ein Zeuge der Arge 


fien Disbrduche ſeyn, und ſchweigen. 
Na 


Same ) 370 ( re 


Geremonien, und giengen ihm zur Eeite. 
Der eine trug auf einem Epiefe eine Gar- 
be :), und der andre eine Weinrebe: bieß 
gefchah darum, damit man niemals vergef 
fen möchte, daß biefes die beyden Etügen 
des Staates und ber Krone wären. Hinter 
ihm gieng ber Kronbecker mit einem Korbe 
soll Brode, wovon er jebem Armen, .ber 
ihn darum bat, eines gab. Diefer Korb war 
das fichere Thermometer des öffentlichen 
Elends, und wurde er leer, fo wurden bie 
Miniſter verjagt und gefiraft s aber der 
Korb blieb immer voll und zeugte von den 
Sffentlichen Ueberfluffe. 


Diefe majeltätifche Sikung war alle We 
chen einmal und dauerte drey Stunden lang. 
Ich verlieh diefen Eaal, und mein Ken 
mar fo ven Liebe und Ehrfurcht für diefen 
König durchdrungen, als ob er ein Gott 


2) Der Kaifer Taifung gieng ginf mit dem 
Prinzen, feinem Sohne, fragieren. Hier zeigte er 
ihm die Landleute an ihrer Arbeit: Siehſt du, 
fügte er zu ihm, wie viel es diefen armen Lew 
ten das ganze lange Jahr durch, Muͤhe Poker, 
uns zu ernaͤhren: ohne ihre Arbeir, ohne ihren 
Schweiß, würden weder du noch ich, ein Ach 
haben. 


=) 371 ( ri 


wäre. SJa,\ich liebte ihn ale einen Vater 
und ehrte ihn als einen Schußgoft. 

Ich unterhielt mic mit vielerley Menſchen 
über das, was ich gefehen und gehöret hat— 
te: fie wunderten fich über meine Verwun— 
derung: denn alle diefe Dinge fehienen ih⸗ 
nen finpel und natürlich. „Warum, fagte 
einer von ihnen zu mir, habt Ihr Euch in 
Kopf gefeßt, die gegenwärtige Zeit mit ehr 
nem alten wunderlichen, ausſchweifenden 
Jahrhunderte gu vergleichen, two man fal 
ſche Begriffe von ben einfachfien :Dingen 
hatte, wo der Hochmuth ſich die Miene der 
Hoheit gab, wo die Pracht und der aͤußerli⸗ 
che Schein alleg, und. dag. übrige nichts war; 
wo endlich-die Tugend für. ein bloßes Phan- 
tom und für ein Hirngefpinnfte einiger träw 
merifchen Philsfophen gehalten wurde 3). 

3). Man muß die gemeinen Vorurtheile ſcho⸗ 
nen! dieß ift die Sprache diefer niedrigen Meile 
muͤthigen Seelen, für die es ſchon genug if, dab 
ein Geſetz da if, um heilig zu fcheinen Wird aber 
der fugendhafte Mann, dem es alleine inkoͤmmt, 
zu lieben oder zu haſſen, dieſe firafbare Mäigung 
auch für recht halten? Gewiß nicht. Er nimmt die 
Öffentliche Rache auf fih: feine Nechte gründen 
fi) auf feinen Verſtand, und die Gerechtigkeit fei- 
ner Sache auf die Dankbarkeit der Nachkommen⸗ 
ſchaft. 

Aa 2 


ze) 7 (u 
Sechs und dreyßigſtes Kapitel. 


Regierungsform. 


Dir ich Euch mobl fragen, was Ihr ge: 
genmörtig für eine Negierungeform habt? 
Sit fie monarchiſch, demokratiſch, arifie 
kratiſch 1)? — Sie if weder monarchifh, 
nch demokratiſch, noch ariſtokratiſch; fe 
iſt vernünfiin und für Menichen gemacht 
Die Menarchie iſt nicht mehr. Die monar 
chiſchen Staaten, mie Ihr wohl wiſſet, ob 
es gleich nichts geholſen, verlieren ſich in 
den Deſpotismus, fo wie die Fluͤße im Iiee- 
re: und ber Deſpotismus füirze bald über 
fich felbit her 2:. Alles dich iſt buchftaͤblich 

1‘ Der Se:t eined Velks bingt nicht von de 
Atmeſphaͤre ab, die es umgiebt; Dad Clime if 
nicht die rhoſiſche Urſache ihrer Größe oder Klein⸗ 
heit. Die Staͤrke und der Muth find der Antheil 
aller Völker auf dem Erdboden: aber die Urjachen, 
die ũe in Handlung bringen und ſie unterküneg, 
flieien aus gewiſſen Umfidnden, die bald gefhmin) 
kommen, dald fich auch laugſam entwickeln; aber 
fie kommen gewiß fruͤher, eder ſpaͤter. Sluͤckich 
it das Volk, das aus Einſicht, oder aus IZnknk 
den Augenblick zu nüsen weiß: 

2: Wollet ihr die allgemeinen Grundfäge wih 
fen, die in dem Conſeil eined Monarchen berrfchen? 
Hier il ungerähr das Reſultat von dem, was mas 


Re) 373 (nf 


erfüllt, und feine Prophezeihung iſt je ge— 
wiſſer geweſen. 
daſelbſt ſaget, ober vielmehr thut. „Man mug 
bie Auflagen jeder Art vermehren, weil der Zürg 
niemals reich genug feyn kann, da er Kriegsheere 
und Hofbedienten zu unterhalten geswungen if: 
fein Hof aber muß durchaus fehr prächtig ſeyn. Klagt 
das gebrũckte Walk: das Volk hat unrecht, und man 
muß es zum Schweigen bringen. Dan kann gegen 
Dafielbe nicht ungerecht ſeyn, weil ihm im Grunde 
nichts gehoͤret, ald was der Fuͤrſt will, der ihm⸗ 
nach Beſchaffeuheit der Zeit und des Orts, wieder 
abfodern kann, mas er die Gnade gehabt, ihm zu 
laffen, zumal, wenn es das Intereſſe und der Glaug 
feiner Krone erfodert. Ucherdieß iſt es eine bekann⸗ 
te Sache, dag ein Volk, dem man fein gemächliches 
Auskommer laͤßt, wenig arbeitfam if, und trotzig wer⸗ 
den Eann. Manmuf fein Stück befchneiden, um fei- 
ne Untermwürfigfeit zu vermehren. Die Armuth 
der Untertbanen wird allegeit die ſtaͤrkſte Schutz⸗ 
webr des Monarchen feyn: und je weniger Pris 
vatperionen reich find, deſto geherfamer wird Das 
Volk ſeyn. Dat es fih einmal unter den Gehor⸗ 
fam gebeuset, fo folgt ed aus Gewohnheit: dieß 
iſt aber die jicherfie Urt, befoiget zu werden. Es 
it mit der Hntermürfiefeit nicht genug: es muß 
auch glauben, dab bier die Weisheit leihbaftig zu 
Hauſe fen, und ſich mithin unterwerfen, ohne über 
Die Befehle, die von unfser Weisheit kommen, 
vernuͤnfteln gu wollen. 

Wenn ein Vbilofoph, der bey dem Fuͤrſten 
ben Zutritt hätte, mitten in das Conſeil träte, und 


nm , 20 


64-7. far wire Get 
ten: (Hirt! erecie ou, mem mr De 
Eutlerze: der Erde sn dr Ser gennf 
pr. a: re Referer abıcmegem hätten, 
ne 2:2 aımal Bir nanirlchen mb reichbab 
fiarı "her bauen ertdecken fdanem, bi 
eerrunftize Pen recteren mie 6 
ik mas, tat ber Erels, bie Habſucht, ber 
Eiznzug taniend Hinderniſſe in Meg le 
gen: aber welch em herrlicher Trinmph, 
gu dem Venaechen feste: Säte dich, dieſcn boſes 
Nathgebern ya elzuben; tu biſt von Feinden and 
Leiser eiseuen Zamilie umgeben. Deine Groe, 
Leine Sicherheit, grunden fich Keniser auf deine uns 
umierdafte Macht, als aut tie Liebe Deines Vollt 
“ieh analädii, fo wird es beio heftiger ehe 
Aenterung wuͤnſchen, es nid Beinen oder deine 
Kinder Thron erfhüttern. Das Velk ik außer 
lich, und du vereehi. Die Majeflät des Ihre 
nes befieht mehr im einer wahren vaͤterlichen Zärts 
lichkeit, als in einer unumſchraͤukten Macht. Dies 
fe Macht iR gemaltfam und der Natur Der Dinge 
entgegen. “je mafiger du bift, defis mächtiger wirk 
Du fenn. Bey ein Beyſpiel der Gerechtigkeit, und 
alaube, daB je fugendhafter die Fuͤrſten find, Deis 
ſtaͤrker, deſto geehrter, find fie duch... Ganz gewiß 
würde man diefen Philoſophen für cinen Traͤnmer 
halten, und man würde ihm vieleicht kaum für 
wuͤrdig achten, ihn feiner Tugend wegen zu ſtrafen. 


) 375 (re 


das Band zu finden, durch welches dieſe bes 
fonbern Leidenfchaften zum allgemeinen Be 
ſten muͤſſen gelenket werden! Ein Schiff, das 
das Meer durchſchneidet, gebeut den Elemen⸗ 
ten ſelbſt in dem Augenblicke, da es ihrer Herr⸗ 
ſchaft gehorchet: Einem doppelten Stoße 
unterworfen, ſtrebt es unaufhoͤrlich gegen 
dieſelben wieder zuruͤcke. Dieß iſt ungefähr 
das getreue Bild eines Staats. Auf wuͤten⸗ 
den Leidenſchaften getragen, empfaͤngt er von 
ihnen die Bewegung, und muß den Unger 
wittern mwiberftehen. Die Kunſt des Steu⸗ 
ermanns ift alles. Eure politifchen Ein 

fichten waren eine bloße Dämmerung: und 
Ihr klagtet auf eine thoͤrichte Weife den Ur- 
heber der Natur an, indeſſen daß er Euch 
Verſtand ımd Much gegeben, Euch gu re 
sieren. Es brauchte nur einer flarfen 
Stimme, das Volk von einem beräubenden 
Schlafe aufzuwecken. Wenn die Unterdrü- 
dung auf Eure Häupter herabbonnerte, fo 
durftet Ahr nur Eurer eignen: Schwachheit 
die Echuld beymeffen. Die Freyheit und 
das Gluͤck iſt für die, die fich ihrer zu bes 
mächtigen wiſſen. . Alles in der Welt iſt Re⸗ 
volution: die glücklichfte unter allen hat ih: 


pe) 376 ( ige 


cen Pankı der Acife achebt, umb wir den 
ten ı87 daven dic Ituchte cin 3). 

So beld wir uns rom ber Unterbrücdum 
beirenet „ haben wir uns wobl gehauͤter 
unicte ganze Racht und alle Zriebfedern der 
Regierung, ale Aechte und Vorzuge ber 
Mad:r, deu Hoͤnden eines Einzigen zu über 
lafn 4. Ran; io umveriichtig jind wir 


3. Ferien Sezsten Echt eine Tnefe vor, die m⸗ 
eustleitiih femrz:a mus: eine ſchreckliche bintige 
Epeke Die aber die Leſcanz ber Srerbeit ii. Ich mens 
Sen bürgerlichen Erica: dann erheben ich alle areße 
Männer: einige greijen die Sregbeiten, ambere vet 
theidigen ne. Der bürgerliche Krieg entwidelt ie 
serborgenfen Zaleute. Es fichen außerordentliche 
Menſchen auf, und ſcheinen wuͤrdia, Renſchen zu ge⸗ 
bieten. Es iſt ein abſchenlichet, aber ein ao thwendi⸗ 
ges Mittel, wann ein Staat iu einer gedenfieies 
Schlafſucht, und die Seelen in einer dummen Ber 
täubung verſenkt liegen. 

4) Die defpotifche Regierung ift nichts, “u es 
ne Berihworung des Monarchen mit einer Fleinen 
Anzahl begünfister Unterthauen, um bie übriges 
alte zu betrügen und ;u berauben. Alsdann new 
finfiert der Monarch, oder der, der ibn vorſtent, 
die Geſellſchaft, trennet fie, wird ein einziges, cen⸗ 
traliſches Weſen, dad alle Leidenfchaften nad 
Sefallen entzündet , und fie nach Wefchaffens 
beit feines perfönlichen Intereffe in Bewegung fo 
net: eu ſchaffet Recht und Unrecht: fein Eigen 


Farz-) 97 (merk 


nicht: geweſen. Das: Ungluͤck ber vorigen 
Jahrhunderte hatte uns kluͤger gemacht 
Und waͤren Sofrated und Marc Aurel felbſt 
wieder auf die Welt gekommen; fo wuͤrden 
wir ihnen doch nicht eine willfüßrliche Diacht 
anvertrauet haben: nicht aus Mißtrauen, 
fondern aus Furcht, den heiligen Charakter 
des freyen Menfchen zu erniedrigen. Iſt 
nicht das Geſetz der Ausdruck des allgemeir 
nen Willens? und wie kann man einem ein⸗ 
sigen Menſchen cin fo wichtiges Pfand am 
vertrauen? Wird er niemals feine ſchwachen 
Augenblicke haben, und wenn er ja davon 
frey waͤre, werden die Menſchen dieſer Frey⸗ 
heit entſagen, die ihr ſchoͤnſtes Erbthei 
iſt 5)7 * 
finn wird fein Geſetz, und keine Bunft ift das Sand 
. der öffentlichen Achtung. Dieſes Gyſtem iſt qzů 
gemwaltfam, ald dag es lange danern kann. Aber 
die Gerechtigkeit Ift eine Schutzwehr, fo gut für 
den Monarchen als für den Lintertban. Die Frey⸗ 
beit alleine kann edeimüthige Bürger machen: die 
Wahrheit macher vernünftige Weſen darand. Ein 
König iR nur am der Spitze einer großmäthigen 
umd infriedenen Nation mächtig. IA diefe einmal 
in Stanb gzedtuͤcket fo fängt der Thron an 


ni 5) Die Freyheit erjeugt Wunder: fie erhebt 
ſich über die Natur, fie bringt Wasndren auf Gehen 


ame) 378 ( dinsle 
Wir haben e8 erfahren, wie nachtheilig 
die unumfchränfte Macht dem wahren ns 
tereffe einer Nation iſt. Die Kunft recht 
fisfündig ausgebachte Auflagen zu erhe 
ben, die Gewalt der fchrecflichen Erpreſſun⸗ 
gen, die immer mehr vervielfältiget wurden, 
bie vertsirrten Geſetze, wo eines dem an 
dern toiberfprach , die Chikane, die bie 
Beſitzungen des Bürgers fraß, bie mit pri 
dilegirten Tyrannen angefüllte Stadt, bie 
Seilheit der Aemter, der Minifter und Ober 
auffeher, bie die verſchiedenen Schelle des 
Reichs als eroberte Länder behandelten, er 
ne fubtile Härte bed Herzens, die bie Un⸗ 
menfchlichfeit fogar aus Gründen zu ver 
theidigen ſuchte, koͤnigliche Begmte, die 


hervor, ie giebt den traurigſten Gegenden ein la⸗ 
chelndes Aufeben, fie erleuchtet Hirten, und wes 
het fie.fcharffichtiger, ale die prächtigen Slawen 
Der witzigſten Höfe. Andere Gegenden, Die bie 
Ehre und das Wunder der Schöpfung find, fo bald fe 
Der Sklaverey unterworfen werden, zeigen nichts, a 
wuͤſte Kändereyen, bleiche Geſichter, furchtfame Au 
gen, die es nicht magen, fich gen Himmel zu erhe⸗ 
den. Menſch! Kannſt du noch wählen, fo wähle 
Doch, glücklich oder unglüdlich zu ſeyn! Fuͤrchte 
bie Tyranney, verabfchene Die Sklaverey, bewaffee 
deinen Arm, ſtirb oder lebe frey- Ä 


Se ) 379 (mer 


dem Volke von nichts Rechenſchafft gaben, 
und die ihrer Klagen mehr fpottesen, ald 
ihnen abhalfen: bas war die Wirkung die⸗ 
ſes wachfamen Deſpotismus, der allg 
Licht fammelte, um befjeiben eben fo zu 
mißbrauchen, mie ungefähr die brennenden 
Släfer, die bloß warm werden, um gu vera 
brennen. Man lief durch Sranfreich, dich 
fchöne Reich, das die Natur mit ihren ger 
fegneten Blicken begünfliget hatte: und was 
fah man daſelbſt? Gegenden, von Zoͤllnern 
ausgeſogen, Städte, die zu Slecken, Fler 
en die zu Dörfern, Dorfer, die gu zer⸗ 
fireusen Hütten geworden; - Ihre Einwoh⸗ 
ner bleich und verhungert; kurz, Bettler, 
ſtatt Einwohner. Wan Fannte alle biefe 
Uebel: man wollte die augenfcyeinlichften 
Srundwahrheiten nicht fehen, um das Sy. 
fiem der Gewinnſucht zu ergreifen 6), und die 


6) Ein Intendant, welcher ber * * * *, diedurch 
Soiſſons gieng, eine Vorktellung von dem Ueber⸗ 
fluffe geben wollte, Der in Frankreich herrſchte, lieh 
in der Gegend umher die fruchtbaren Bäume ande 
reißen, und die Saffen der Stadt, wo man das 
Pflaſter aufriß, Damit bepflanzen: die Baͤume wa⸗ 
ren mit Suirlanden von verguldetem Papiere durchs 
flochten. Diefer Intendant war, ohne es zu wile 
fen, ein ſehr großer Maler. | 


me) 268 ( re 


Niemals seigte er fich Sffentlich,ohne dieſen ed⸗ 
len Schmuck, der ihn fomohl andern alsfih 
ſelbſt verehrungswuͤrdig machte. Er fchien bey 
dem Freudengeſchreye, das fich erhob, als er 
den Thron beftieg, nichts weniger, als gleich» 
gültig. Aber kaum hatte er fich gefetse, fü ven 
breitete fich ein ehrerbietiges Stillſchweigen 
uͤber diefe zahlreiche Berfammlung. Ich war 
fehr aufmerffam. Seine Minifter Iafen ihm 
mit lauter Stimme alle ab, was feit der letzten 
Sitzung merkwuͤrdiges vorgegangen war. 
Mofern man die Wahrheit würde verſtellet 
Haben, fo war das Volk da, um den Verldum⸗ 
der zu befchämen. Man vergaß auch nicht ſei⸗ 
ne Soderungen. Man gab Rechenfchaft von. 
der Bollführımg feiner Vorbergegebenen Be- 
fehle, und die Vorleſung endigte fich mit ben 
täglichen Preifen der Lebensmittel und ber 
Waaren. Der Monarch hörte su und gab 
mit einem Zeichen des Hauptes Beyfall, 
ober behielt fich die Sachen zu einer weitern 
Unterfuchung vor. Aber, wenn fich irgen- 
wo in dem Saale eine Hägliche Stimme er⸗ 
hob, die einige Artikel vermarf, unb wenn 
es ein Menfch von ber niebrigften Claſſe ge 
wefen wäre, fo wurde er in einem. Heinen 
Zirkel: herbengerufen, der unten. am Fuße 


Re ) 369 ( ri 


bes Thrones war. Hier brachte er ſein⸗ 
Gedanken vor i), und fand man, baf. er 
Recht hatte, fo ward er gehört, und erhielt 
Bepfall und Dank : felbft der Koͤnig gab 
ihm einen liebreichtn Blick; ſagte er hinge⸗ 
gen.ettvas. abgefchmadited, ober etwas, bag 
augenſcheinlich auf ein Mrivatlırterefie ge 
gründet war, fo wurdt er ſchimpflich zuruͤcke 
gewieſen und big an die Thüre von den Um⸗ 
fiehenben ausgeziſcht. Jedes Fonnte fick 
ohne irgend einige Furcht, ald die, zum. oͤf⸗ 
fentlichen Gelächter zu werden, darftellen, 


wofern ſeine Gedanken falfch pder eingen | 


fchränfet waren. 
Zwey vornehme. Kronbebienten begleite— 
ten den Monarchen bey allen öffentlichen 


ı) ‚Das größte Ungkid in. Grankreich if, dab - 


die Policey und die Verwaltung der Angelegenz 
beiten, in Händen der Magifratsperfonen, ode 
folcher Leutk find, die eine'gewiffe Bedienung oder 
Würde haben, ohne dag man jemals, (wenigſtens 
sort Seiten des Publitums) diejenigen Privatperſo⸗ 
nen zu Rathe zieht, die die Wiſſenſchaft und dei 
Verſtand davon in einem hoben Grade befiken, 
Der befte, der einſichtsvolleſte Bürger kann feine 
Talente oder die Groͤße feiner Seele niemals entwis 
dein. Traͤgt er keinen Amtsrach: fo muß er feine 
Geften Abfichten verloren geben, ein Zeuge der drge 
Ben Drisbrduche ſeyn, und ſchweigen. 
Aa 


⸗ 


Ra) 370 (ee 


Geremonien, und giengen ihm zur Eeite. 
Der eine trug auf einem Spiefe eine Gar 
be 2), und ber andre eine Weinrebe: bieß 
geſchah darum, damit man niemals vergef 
fen möchte, daß dieſes die beyben Stuͤtzen 
des Staates und der Krone wären. Hinter 
ihm gieng ber Kronbecker mit einem Korbe 
sol Brode, wovon er jedem YUrmen, .ber 
ihn darıım bat, eines gab. Diefer Korb war 
DaB fichere Thermometer des oͤffentlichen 
Elends, und wurde er Teer, fo wurben bie 
Minifter verjagt und geftraft : aber der 
Korb.blieb immer voll und zeugte von dem 
öffentlichen Ueberfluſſe. 


Dieſe majeſtaͤtiſche Sikung war alle Wo⸗ 
chen einmal und dauerte drey Stunden lang. 
Ich verlich diefen Saal, und mein Her 
war fo von Liebe und Ehrfurcht für diefen 
Koͤnig durchdrungen, als ob er ein Gott 


2) Der Kaifer Taifung gieng gink mit den 
‚Prinzen, feinem Sobne, fpagieren. Hier zeigte 
ihm die Landleute an ihrer Arbeit: Siehſt du, 
ſagte er zu ihm, wie viel es diefen armen dw 
ten das ganze lange Jahr durdy, Muͤhe koſtet, 
uns zu ernähren: ohne ihre Arbeit, ohne ihres 
Schweiß, würden weder du noch ich, ein Reich 
Daben. 


» 


SI= ) 971 ( = 


waͤre. Ja, hich liebte ihn als einen Vater 
und ehrte ihn als einen Schußgoft. 

. ch unterhielt mic) mit vielerley Menfchen 
über das, was ich gefehen und gehoͤret hat⸗ 
te: fie wunderten ſich über meine Verwun⸗ 
derung: denn alle dieſe Dinge fehienen ih⸗ 
nen ſimpel und natuͤrlich. „Warum, ſagte 
einer von ihnen zu mir, habt Ihr Euch in 
Kopf geſetzt, die gegenwaͤrtige Zeit mit ei 
nem alten wunderlichen, ausſchweifenden 
Jahrhunderte zu vergleichen, wo man fal⸗ 
ſche Begriffe von den einfachſten Dingen 
hatte, wo der Hochmuth ſich die Miene der 
Hoheit gab, wo die Pracht und der aͤußerli⸗ 
che Schein alles, und das uͤbrige nichts war; 
wo endlich die Tugend fuͤr ein bloßes Phan⸗ 
tom und fuͤr ein Hirngeſpinnſte einiger tra 
merifchen Philoſophen gehalten wurde 3), 

3) Man muß die gemeinen Vorurtheile —* 
nen! dieß iſt die Sprache dieſer niedrigen klein⸗ 
muͤthigen Seelen, fuͤr die es ſchon genug iſt, daß 
ein Geſetz da iſt, um heilig zu ſcheinen. Wird aber 
der tugendhafte Mann, dem es alleine ınkönmme, 
zu lieben oder zu baſſen, diefe firafbare Maßigung 
auch fuͤr recht halten? Gewiß nicht. Er nimmt die 
oͤffentliche Rache auf ſich: ſeine Rechte gruͤnden 
ſich auf feinen Verſtand, und die Gerechtigkeit fei- 
ner Sache auf die Dankbarkeit der Nachkommen⸗ 


(haft. 
Yaz 


Sm) 372 (er 
Sechs und dreyßigſtes Kapitel. 
Regierungsform. 
Mar ich Euch wohl fragen, mas hr ge 


genmwärtig für eine Regierungsform habt? 
Iſt fie monarchifch, - bemofratifch, arifie 
fratifch 1)? — Eie ift weder monarchiſch, 
noch demokratiſch, noch ariſtokratiſch; fe 
iſt vernünftig und für Menſchen gemacht 
Die Monarchie iſt nicht mehr. Die monar 
chifchen Staaten, wie Ihr wohl wiffet, ob 
es gleich nichts geholfen, verlieren fich in 
den Defpotisnng, fo wie die Slüße im Mee⸗ 
re: und der Deſpotismus ftürst bald über 
fich felbft her 2). Alles Dich iſt buchftaͤblich 

ı1 Der Geiſt eines Volks hängt nicht von der 
Atmoſphaͤre ab, die es umgiebt; Das Clima if 
nicht die vbufifche Urſache ihrer Größe oder Klein⸗ 
beit. Die Stärfe und der Muth find der Antheil 
aller Völker auf dem Erdboden: aber Die Urfachen, 
die fie in Handlung bringen und fie unserkünen, 
fliegen aus gewiſſen Umfiänden, die bald geſchwind 
isınmen, wald fich auch langfam entwideln; aber 
fie kommen gewig früher, oder ſpaͤter. Sluͤcklich 
iſt das Volk, das aus Einficht, oder aus Inkiu 
den Augenblic zu nügen weiß! 

2) Wollet ihr die allgemeinen Grundfäge wih 
fen, die in dem Genfeil eines Monarchen berrfchen? 
Hier il ungefähr das Refultat von dem, road man 


az) 375 (Ei 


erfüllg, und Feine Prophezeihung iſt je ge 
wiffer geweſon. 
Dafelb& ſaget, oder vielmehr thut. „Man muß 
die Auflagen jeder Art vermehren, weil der Fuͤrß 
niemals reich, genug feyn kann, da er Kriegsheere 
und Hofbebienten zu unterhalten geswungen if: 
fein Hofaber muß durchaus fehr prächtig ſeyn. Klagt 
Das gedrücte Volke Das Volk hat untecht, und man 
muß ed zum Schweigen bringen. Man kann gegen 
daſſelbe nicht ungerecht feyn, ‚weil ihm im Grunde 
nichts gehoͤret, ais was der Fuͤrſt will, der ihuy 
nach Beſchaffenheit der Zeit und des Orts, wieder 
abfodern kann, mas er die Gnade gehabt, ihm zu 
laſſen, sumal, wenn es das. Intereſſe und der Glare 
feiner Krone erfedert. Ueberdieß ik es eine bekann⸗ 
te Sache, dag ein Volk, dem man fein gemächliches 
Anskommer laͤßt, wenig arbeitfam iß, und trogig wer⸗ 
den kann. Dan muß fein Glück befchneiden, um fei- 
ne lntermürfigfeit: zu vermehren. Die Armuth 
der Untertbanen wird allegeit die ſtaͤrkſte Schutz⸗ 
wehr des Monarchen ſeyn: und je weniger Pris 
vatperfonen reich find, deſto gehorſamer wird das 
Volk ſeyn. Hat es fich einmal unter den Gehor⸗ 
fam gebeuset, ſo folgt ed aus Gewohnheit: dieß 
if abder die ficherfle Art, beſolget zu werden. Es 
iB mit der linterwuͤrſigkeit nicht genug: es muß 
auch glauben, dab bier die Weisheit leibhaftig gu 
Hauſe fen, und fich. mithin unterwerfen, ohne über 
Die Befehle, die von unfser Weisheit kommen, 
vernuͤnfteln zu wollen. 

Wenn ein. Pbiloſoph, ber bey dem Fuͤrſten 
den Zutxitt hätte, mitten in das Conſeil traͤte, und 


Man) 314 ( — 


Nach dem Verhältniffe der erlangten Ein 
fihten, wuͤrde e8 unftreitig für unfre Gar 
zung ſchaͤndlich geweſen ſeyn, wenn wir die 
Entfernung ber Erde von der Sonne gemeß 
fen, alle die Weltfugeln abgewogen hätten, 
und nichteinmal die natuͤrlichen und reichhal⸗ 
tigen Gefeße ‚hatten entdecken koͤnnen, bie 
vernünftige Wefen regieren muͤſſen. Es 
iſt wahr, dag der Stolz, bie Habſucht, der 
Kigennuß tanfend Hinderniffe in Weg le 
sen: aber welch ein herrlicher Triumph, 


gu dem Monarchen fagte: Hüte dich, Diefen boͤſea 
Matbgebern gu glauben; du bift ven Zeinden ans 
Deiner eigenen Samilie umgeben. Deine. Größe, 
Beine Sicherheit, gründen fich weniger auf deine uns 
umfchränfte Macht, als auf die Liebe deines Volks 
Iſt es unglücklich, fo wird es deſto heftiger eine 
Aenderung wuͤnſchen, es wird deinen oder deiner 
Kinder Thron erſchuͤttern. Das Volk iſt unſten⸗ 
lich, und du vergehſt. Die Majeſtaͤt des Thre⸗ 
nes beſteht mehr in einer wahren vaͤterlichen Zaͤrt⸗ 
lichkeit, als in einer unumſchraͤnkten Macht. Dies 
fe Macht iſt gewaltſam und der Natur der Dinge 
entgegen. Sie mäfiger du bift, deſto mächtiger wirt 
Du ſeyn. Sep ein Benfpiel der Gerochtigkeit, und 
alaube, daß je tugendbafter die Zürften find, deſto 
Adrker, defto geehrter, find fie duch. Ban gewiß 
würde man diefen Philoſophen für einen Träumer 
Balten, und man würde ihn vielleicht kaum für 
würdig achten, ihn feiner Tugend wegen zu Rrafen- 


SFEn) 375 ( wu 


das Band zu finden, durch welches diefe bes 
fonbern Leidenfchaften zum allgemeinen Be 
en muͤſſen gelenfee werden! Ein Schiff,. das 
das Meer burchfchneidet,. gebeut ben Elemen⸗ 
ten felbft in dem Augenblicke, da es ihrer Herr⸗ 
fchaft gehorchet: Einem doppelten Stofie 
unterworfen, ſtrebt es unaufhorlich gegen 
diefelben wieder zuruͤcke. Dieß ift ungefähr 
dag getreue Bild eines Staats. Auf wüten 
den keidenfchaften getragen, empfängt er von 
ihnen die Bewegung, und muß den Unger 
wittern widerftehen. Die Kunff des Steu⸗ 
ermanns iſt alles. Eure politifchen Ein 

fihten waren eine bloße Dämmerung: und 
Ihr klagtet auf eine thoͤrichte Weife ben Ur⸗ 
heber der Natur an, indefien daß er Euch 
Berftand und Much gegeben, Euch zu re 
stern. Es brauchte nur einer flarken 
Stimme, das Volk von einem betäubenden 
Schlafe aufzuwecken. Wenn die Unferdrü- 
dung auf Eure Häupter herabdonnerte, fü 
durfter Ihr nur Eurer eignen. Schwachheit 
die Schuld beymeffen. Die Sreyheit und 
das Gluͤck ift für die, die ſich ihrer zu bes 
mächtigen wiffen. Alles in der Welt iſt Re⸗ 
volution: bie gläcklichfte unter allen hat ih⸗ 


Zen ) 376 ( re 


‚een Punkt der Reife gehabt, und wir aͤrnd⸗ 
ten itzt davon die Früchte cin 3). 

So bald wir uns von der Unterbrücfung 
befreyet , haben wir uns wohl gehuͤtet, 
unfere ganze Macht und alle Triebfedern ber 
Megierung, alle Rechte und Vorzüge: ber 
Macht, ben Händen eines Einzigen zu über 
laſſen +, Mein; fo unvorfichtig find wir 


3) Gewiſſen Staaten ſteht eine Epofe vor, die uns 
ausbleiblich kommen muß: eine fchreckliche biutige 
Epofe, die aber die Leſung der Freyheit iR: Ich megne 
ven bärgerlichen:Kricg: dann erheben lich alle zroße 
Männer: einige greifen die Frepheit an, andere vers 
tbeidigen fie. Der bürgerliche Krieg entwicelt die 
serborgenften Talente. Es ſtehen außerordentliche 
Menſchen auf, und fcheinen würdig, Menſchen zu ge⸗ 
bieten. Es iftein abfcheuliches, aber ein nothwendi⸗ 
ges Mittel, wann ein Staat in einer gedenflofen 
Schlafſucht, und die Seelen in einer dummen Ber 
taͤubung verfenft liegen. 

4) Die defpotifche Regierung ift nichts, al eis 
ne Verſchwoͤrung des Monarchen mit einer Kleinen 
Anzahl begünfigter Unterthanen, um die Übrigen 
alle zu betrügen und zu berauben. Alsdann ver⸗ 
finfiert der Monard), oder der, der ibn vorfieht, 
die Geſellſchaft, trennet fie, wird ein einziges, cen⸗ 
tralifches Weſen, das alle Leidenichaften nad 
Gefallen entzündet , und fie nach Beſchaffen⸗ 
beit feines perfönlichen Intereſſe in Bewegung fe 
net; er ſchaffet Recht und Unrecht: fein Eigen 


Emm ) 177 (‚eier 


nicht geweſen. Das Ungluͤck der ‘vorigen 
Jahrhunderte hatte uns kluͤger gemacht; 
Und. waͤren Sokrates und Marc Aurel felbf 
wieder auf die Welt gefommen; fo wuͤrden 
wir ihnen boch nicht eine willkuͤhrliche Macht 
anvertranet haben: nicht aus Mißtrauen, 
ſondern aus Furcht, den heiligen Charakter 
des freyen Menfchen zu erniedrigen. Iſt 
nicht das Geſetz der Ausdruck des allgemei, 
nen Willens? und wie kann man einem ein⸗ 
zigen Menſchen cin fo wichtiges Pfand am 
vertrauen? Wird er niemals feine ſchwachen 
Augenblicke haben, und wenn er ja davon 
frey wäre, werden die Menfchen diefer Frey⸗ 
heit entfagen,. die ihr ſchoͤnſtes Erbtheil 
iſt $ )$ ? " ur 
finn wird fein Gefeg, und keine Bun iſt das Mond 
. der öffentlichen Achtung. Dieſes Syſtem ik’ 
gewaltfam, ale daß es lange dauern kann. Aber 
die Gerechtigkeit iſt eine Schuhmehr, fo gut. für 
den Monarchen als für den Untertdan. Die Frey⸗ 
beit alleine Tann edelmüthige Bürger machen: bie 
Wahrheit machet vernünftige Weſen daraus. Ein 
König iſt nur an der Spige einer großmäthigen 
und sufriedenen Nation mächtig. IA diefe einmel 
in Staub gedtuͤcket, ſo faͤngt der Thron an " 


u 5) Die ‚Eüeybeit erieugt Bunder: fie erbeht 
ſich über die Natur, ſie bringt Hesndsen auf. Sell 


ame) 375 ( este 


Wir haben es erfahren, wie nachtheilig 
die unumſchraͤnkte Macht dem wahren In⸗ 
tereſſe einer Nation iſt. Die Kunſt recht 
ſpitzfuͤndig ausgedachte Auflagen zu’ erhe 
ben, die Gewalt der fchredlichen Erpreffun 
gen, die immer mehr vervielfältiget wurden, 
bie verwirrten Geſetze, wo eines dem am 
bern widerſprach, bie Chikane, die bie 
Beſitzungen des Buͤrgers fraß, die mit pri⸗ 
vilegirten Tyrannen angefuͤllte Stadt, die 
Feilheit der Aemter, der Miniſter und Ober⸗ 
aufſeher, die die verſchiedenen Theile des 
Reichs als eroberte Laͤnder behandelten, ei⸗ 
ne ſubtile Haͤrte des Herzens, die die Un⸗ 
menſchlichkeit ſogar aus Gruͤnden zu ver⸗ 
theidigen ſuchte, koͤnigliche Beamte, di 


hervor, fie giebt dem tranrigſten Gegenden ein Ib 
chelndes Aufeben, fie erleuchtet Hirten, und mes 
bet fie. fcharffichtiger, ale die prächtigen EC Haven 
Der witzigſten Hofe. Andere Gegenden, die bie 
Ehre und das Wunder der Schöpfung find, fo bald ie 
Der Stlaveren unterworfen werden, zeigen nichtd, ad 
wuͤſte Känderenen, bleiche Geſichter, furchtſame Aus 
gen, die ed nicht tungen, fich gen Himmel zu erbe⸗ 
den. Menſch! Kann du noch wählen, fo wähle 
Doch, glücklich oder unglüdlidy zu ſeyn! Fuͤrchte 
bie Tyrannen, verabfchene die Sklaverey, bewaffze 
deinen Arın, ich oder lebe frey- 


Sam) 379 ( en 


den Wolfe von nichts NRechenfchafft gaben, 
und bie ihrer Klagen mehr fpottesen, ale 
ihnen abhalfen: das mar die Wirkung die⸗ 
ſes wachſamen Defpotismus , der alles 
Licht fammelte, um befjeiben eben fo zu 
mißbrauchen, wie ungefähr die brennenden 
Släfer, die bloß warm werben, um zu vers 
brennen. Man lief durch Sranfreich, dic 
fchöne Reich, das die Natur mit ihren ges 
fegneten Blicken begünftiget hatte: und was 
fah man daſelbſt? Gegenden, von Zölinern 
ausgeſogen, Städte, die gu Stecken, Sle 
den die zu Doͤrfern, Dorfer, die zu zer⸗ 
fireuten Hütten geworden; ihre Einmwohs 
ner bleich und verhungert; kurz, Bettler, 
ſtatt Einwohner. Wan fannte alle biefe 
Uebel: man wollte die augenfcheinlichften 
Srundwahrheiten nicht fehen, um das Sy. 
fien der Gewinnſucht zu ergreifen 6), und die 


6) Ein Intendant, welcher der * * * *, die durch 
Soiſſons gieny, eine Vorkellung von dem Lebere 
fluffe geben wollte, Der in Frankreich herrſchte, lieh 
in der Gegend umher die fruchtbaren Bäume aus⸗ 
reißen, und die Gaffen der Stadt, mo man das 
Vflaſter aufriß, Damit bepflanzgen: die Bäume mar 
ren mit Guirlanden von verguideten: Papiere durchs 
flochten. Dieſer Intendant war, ohne ee zu wiß 
ſen, ein ſehr großer Maler. 


ae) 380 ( 


Dunfelheit, die diefe über die Wahrheit aus 
breitere , autorifirte die allgemeine Plüns 
derung. 

Solltet Ihr es wohl glauben? die Revo⸗ 
lution ijt ohne heftige Bewegungen und durch 
den Heldenmuth eines großen. Mannes be 
wirket worden. Ein philofophifcher Koͤnig, 
ber des Thrones würdig war, weil er ihn 
verachtete, der mehr auf dag Glück ber Men⸗ 
ſchen, als auf dag Phantom der Macht eifer 
füchtig war, der feine Nachkommenſchaft fo 
wohl als fich felbft fürchtere, erhot fich, feine 
Staaten in Befiß ihrer alten Vorzüge zu fe 
sen: er fühlte, daß ein weites Neich der 
Vereinigung verfchieberer Provinzen vol 
nothen habe, un mit Weisheit regierer p 
werden. Denn wie indem menfchlichen Kor: 
‚per, außer dem allgemeinen Umlaufe des Di 
tes, auch jeder Theil feinen befondern Umlauf 
hat: fo ändert auch jede Provinz, indem 
fir allgemeinen Gefegen gchorchet, ihre be 
fondern Gefege nad) ihrem Boden, ihrer 
Lage, ihrer Handlung, ihren Beziehungen 
aufein eigenthümliches Intereſſe, ab. Hier 
durch lebt alle , alles ift im Flor. Di 
Provinzen fieht man nicht mehr als Diene 
rinnen der Pracht des Hofeg, oder ald Mit 


Se) 381 ( Er 


an, bie Hauptſtadt 7) zu verſchoͤnern. Ein 
ıder Befehl, vom Throne ergangen, ſetzet 


7) Irrthum und Untoifienheit find die Quellen 
r.Hebel, die die Menſchheit gu Boden drücken. 
Menſch ift nur in fo fern boͤſe, als er fich über 
wahres Intereſſe betruͤgt. Zwar Fan man 
In der ſpekulativen Phyſik, in ber Aſtronomie, 
yer Mathematik, phne einen fehr weſentlichen 
deu irren: aber Die Politik leider nicht den 
deſten Irrthum. Es giebt Fehler in der Ders 
tung eined Reichs, die weit mehr verwuͤſten, 
Antärliche Landplagen. Ein Zebler diefer Art 
Wert ein Land, und machet ein Reich arm. 
ut ‚die firengfte, Die .tieffte. Specnlation irgend 
mygaͤnglich nöthig ift, fo iſt ed gewiß in den oͤf⸗ 
lichen und problematifchen Faͤllen, wo gleich ſtarke 
inde den Geif wie im Bleichgewichte erhalten. 
hts iſt alsdann gefährlicher ald der gewöhnliche 
Res er bringt unbeareifliche Uebel hervor, und 
Staat wird erfi in dem Augenblicke feines Unter⸗ 
jet erleuchtet. Man kann alſo die Einfichten 

die verwickelte Regierungskunſt nicht genug 
neßren, meil die mindefte Abweichung eine Kinie 
die im Fortlaufen ſich verlängert, und eimen 
rmeglihen Irrthum veranlaffet: Die Gefene 
„bißher bloße Echeinmittel gewelen, die man 
allgemeinen Mitteln erhoben: fie find, vie 
: fehr wohl gefagt hat) von dem Bedürfniffe 
nicht. von der Philofophie ergeugt worden: Dies 
gtere muß das Fehlerhafte daran beſſern. Aber 
ben Muth, welchen Eifer, was für eine Men: 
liebe muß derjenige haben, der aus dieſem uns 


2m) 382 ( Erf 


nicht mehr Derter in Unruhe, wo das Au— 
ge des Monarchen niemals binreichen fann. 
Jeder Provinz ift ihre eigne Sicherheit ,. ihr 
eigned Gluͤck, anvertraut: das Principium 
ihres Leben ift nicht weit von ihr entfernt: 
fie trägt e8 in ihrem eignen Schooße, to 
alleseit das Ganze befruchtet und ben Uebeln, 
die gefchehen koönnten, abgeholfen wird. 
Die gegenwärtige Hülfe iſt fichern Hd 
den anvertrauet, die die Eur nicht bemaͤn 
rein, am allerwenigften fich über die Ch 
ge freuen werden, dic das Vaterland tref 
fen können. 

Die unumfchräntte Herrfchaft wurde al: 
fo abgefchafft. Der König behielt biefen 
Namen : aber er war nicht ſo thoͤricht, 
die ganze Laſt auf fih zu nehmen, bie 
feine Vorfahren drückte. Die geſamm⸗ 
ten Stände des Meich hatten. allein die 
gefeßgebende Macht. Die Verwaltung ſo⸗ 
wohl der politiſchen als bürgerlichen An 
geftniten Chart ein regelmaͤßiges Gedaͤude errich⸗ 
ten will? Aber welcher Geiſt wird auch dem 
menfchlichen Geſchlechte theurer fen! Er vente 
nur daran, daß es der wichtigſte Gegeuftand if, 
Daß er ganz befonders das Gluͤck des Menfchen be 
trifft, und daß er durch eine nothwendige Folge auf 
feine Tugenden einen großen Einfluß haben nuf: 


yaiuze ) 383 ( m 


gelegenheiten, ift dem Senate anvertrauet: 
und der Monard), mit. dem Schwerdte bes 
waffnet, wachet über bie Volsichung der 
Gefege. Er ſchlaͤgt alle heilſame Einrich⸗ 
tungen vor. Der Senat muß dem Konige 
Kechenfchaft geben, und der Senat und ber 
König den Ständen, bie fich ale zwey Jahr 
verfammeln. Alles wird dafelbft nach der 
Mehrheit der Stimmen entfchicden. Neue 
Geſetze, erledigte Stellen, Klagen, denen 
muß abgeholfen werden, das gehoͤrt in ihr 
Gebiete. Die beſondern oder unvermuthe⸗ 
ten Faͤlle werden der Klugheit des Monar⸗ 
chen uͤberlaſſen. 

Er iſt gluͤcklich 9, und ſein Thron iſt 
auf einem deſto feſtern Grund gebauet, da 


8) Nr. d’ Alembert ſagt; dag ein König, der 
feine Pflicht thaͤte, der elendeſte Menſch auf. Ers 
den, und der fie nicht thaͤte, der Beklagungss 
wuͤrdigſte ſey. Warum follte aber der König,. det 
feine Pflicht thut, der elendefte unter den Men⸗ 
ſchen fern? Etwa wegen der Menge feiner Arbeit? 
ber eine Arbeit, die glücklich von flatten gebt, 
ieine wahre Freude. Wird er die innere Zufries 
denheit für nichts halten, die aus der Vorfiellung 
entReht, Menfchen glücklich gemacht zu haben? 
Wird er nicht glauben Finnen, daß die Tugend 
ihre Belohnung mit fid) führe? Warum folite fein 
Herr, das durchgängig von allen geliebt, und nur 


ze) 384 ( re 


die Freyheit der Nation ihm feine Krone ges 
währet 9. Bloß gemeine Seelen verdan⸗ 
ten ‚ihre Tugenden der Sriebfeber großer 
Begebenheiten.- Der Bürger fl nicht vom 
Staate getrennet: er machet mit ihm einen 
Körper 10): auch muß man ſehen, mit wel 


son Böfewichtern gehabt wird, dem Vergnügen vers 
ſchloſſen ſeyn? Wer hat nicht die Zufriedenheit ges 
fuͤhlet, das Gute gethan zu haben? Der Koͤnig, 
der- feine Pflichten nicht erfüut, iR am meiſten m 
deflagen: nichts if gewiſſer, wofern er anders Rene 
and Schande füblet: fühlet er fie nicht, fo ik er 
noch mehr zu belagen. Nichts iſt fo richtig, als 
diefer Gap. 
99 Es iſt für jeden Staat, felbft einen Reyubli⸗ 
Sanifchen, gut, einen Anführer zu haben, menn nur 
feine Macht eingefchränkt iſt. Es iR ein Bild, 
das den Chrgeisigen, Der jedes Projekt in feinem 
Herzen erſtickt, Schweigen auferlegt. Alsdenn iſt die 
Königliche Würde der Popanz, den man in einem 
Barten auffiellet, um die Sperlinge iu verſcher⸗ 
chen, die die Fruͤchte abfreffen. 

ı0) Diejenigen, die gefagt haben, daß in des 
Monarchien den Königen der Wille der ganz 
‚Nation anvertrauet worden, haben etwas Abges 
ſchmacktes gefagt. Kamm in der That etwas Ik 
cherlicher ſeyn, als daß vernünftige Wefen, wie die 
Menſchen zu einem oder mehrerern fagen follen: 
Wolter fie uns. Dein; die Voͤlker baben alle 
zeit zu den Monarchen gefagt: handele für ume 


Ze) 295 ( Er 


hen Eifer er nach allem-firebet, was feinen 
Slanz vermehren kann. 

Jedem NRathfchluffe des Senats werden 
feine Gründe beygefuͤgt, und er erklaͤret ſte in 
wenig Worten fowohl ale feine Abſicht. 
Wir begreifen nicht, wie in Euerm fpge 
nannten erleuchteten Jahrhunderte Ener Mas» 
viſtrat in feinem ſteifen Hochmuthe Euch dog⸗ 
matiſche Befehle, gleich den Lehrſaͤtzen der 
&:beologen vorlegen konnte: gerade als ob 
das Geſetz nicht die oͤffentliche Vernunft wäre, 
und das Volk nicht davon unterrichtet. wem 
ben müßte, um deſto gefchwinder zu gehor⸗ 
ſamen. Diefe Herren mit der dreyfachen 
Muͤtze, die ſich Vaͤter des Vaterlands naun⸗ 
ten, wußten alſo nichts von ber großen Kunſt 
der Ueberredung, dieſer Kunſt, die ohne Ge⸗ 
walt ſo große Dinge bewerkſtelliget: oder 
vielmehr, da fie weder einen gewiſſen Ge, 
fihtspunft , noch einen feſten Gang hat⸗ 
sen, und wechſelsweiſe Zänfer, Aufrübrer, 
kriechende Sflaven waren : fo fchmeicheltenfie 
bem. Throne, und ermüdeten ihn, indem fit 
bald. Lärmen über Kleinigfeiten machten, 
bald das Volk um gut baar Geld verfauften. 
fo bald Ihr von unferm Willen deutlich unters 
richtet feyd. 

Bb 


SO) 186 ( Zeh 


Ihr werdet leicht glauben, daß wir biefe 
Obrigkeiten abgefchafft haben, dic von In⸗ 
gend auf fich zu jeder Unempfindlichkeit ge- 
wohnt hatten, welche fo noͤthig ifl, um mit 
$altem Blute mit dem Leben, dem Bermögen 
und der Ehre feiner Bürger nach Belieben zu 
ſchalten und zu walten: Dbrigfeiten, bie für 
ihre geringften Privilegien mit Ungeftünx 
tämpften, und nicberträchtig feig toaren, fü 
bald es das Öffentliche Wohl betraf. In ben 
letzten Zeiten erfparte man ſich fogar ber Muͤ⸗ 
He, ſie beſtechen zu wollen : denn fie waren in ei- 
ne beſtaͤndige Inthätigfeie verfallen. Untere 
Dbrigkeiten find ganz anbersbefchaffen. Der 
Name der Väter des Volks, mit denen wir fie 
beehren, iſt ein Titel, ben fie nach, dem gan 
jen Umfange feiner Bedeutung verdienen. 

Heute zu Tage find die Zügel der Re 
gierung fichern und meifen Händen ander 
trauet, die einem gewiffen Plane folgen. 
Die Geſetze herrſchen und fein Menfch If 
‘über fie erhaben. Dieß war aber in Euren 
Gothiſchen Negierungsformen ein abfchew- 
‚licher Mißbrauch. Das allgemeine Gluͤck 
des Vaterlands ift auf die Eicherheit eines 
jeben Unterthans insbefondere gegründet: 
er fürchtet nicht die Menſchen, ſondern die 


Re ) 37 (re 


Gehege: und der Monarch felbit ſieht fie 
über feinem Haupte 11). Seine Wachfamas 


11) Jede Megierangsform, wo ein eitiiger 
Menſch Über das Geſetz erhaben if, und es unge⸗ 
Kraft Übertreten kann, iſt eine ungluͤckliche und 
angerechte Negierungsform. Vergebens bat ein 
gewiſſer großer Geiſt alle feine Talente verfchmens 
det, um und einen Geſchmack an den aflatifchen 
Mesierungsarten bevzubringen: fie find für die 
menſchliche Natur zu ſchimpflich. Sehet das ols 
ze Schiff, das den Eleinenten gebent: es braucht 
nur einer Heinen Spalte, um bas bittere Waſſer 
‚hineinzulaffen: und fein Untergang if da. So 
wird ein einiger Menſch, der Über die Geſetze weg 
iR, in den politifchen Körper alle Ungerechtigkels 
sen und Gottiofigkeiten zulaflen, die fein Verder⸗ 
sen unvermeidlich befchleunigen twerden. Was 
Megt daran, .pd mon dutch viele, oder durch eis 
nen einzigen umkoͤmmt? Das Ungläc if einer⸗ 
dJey. Was liegt daran, ob die Toranney hundert 
Arme dat, oder ob ein einziger mit feinem Arme 
on einem Ende des Reichs bis ans andere reis 
‚&et, und alle einzelne Glieder druͤckt, und ob 
er in dem Angenblide , da er ihm abgebauen 
wird, wieder aufs neue waͤchſt? Ueberdieß if 
'es nicht der Detpotiemus, welcher Schrecken und 
Furcht verurſachet: es iſt feine Fortpflanzung. Die 
Beriers, die Pachas n. f. w. ahmen ihren Herren 
nach, und märgen, indem fie gewuͤrget erben. 
In den euröpdifchen Negierungsformen, wird da⸗ 
Durch, daß alle Glieder der Regierung zu gleicher Zeit 
gegen einander wirken, daß Io Sbeilder Macht. ges 


N 


SE) 388 ( re 

keit machet die Senatoren in ihren Aemtern 
und Pflichten deſto aufmerffamer : ihr Ber 
rauen auf fie erleichtert ihnen ihre Ar 
beit , und ihr Anfehen giebt ihren Aus 
forüchen die nothige Kraft und Staͤrke. 
Auf diefe Are ift der Zepter, deffen Laſt Eure 
Könige niederdrückte, in den Händen unſers 
Monarchen leichte. Er ift nicht mehr ein 
prächtig geſchmuͤcktes Opfer, das unaufhoͤr⸗ 
lich den Bedürfniffen des Staats aufgeo- 
pfert wird: er trägt nur Die Laſt, fo weit es 
die ihm von der Natur gegebenen einges 
ſchraͤnkten Kräfte erlauben. 

Wir haben einen gottesfürchtigen, from 
men und gerechten Sürften, der in feinem 
Herzen den Emigen und das Vaterland 
trägt, der die goͤttliche Rache und bie Vor, 
würfe der Nachfommenfchaft fürchtet, der 
ein gutes Gewiſſen und einen unbeflechten 
Ruhm als den hoͤchſten Grad ber Gluͤckſelig— 
keit betrachtet. Es ſind weniger die großen 
Talente des Verſtandes, oder weit ausge⸗ 
gen den andern ſtoͤßt, in gewiſſen Augenblicken ein 
‚Gleichgewicht erhalten, während welchen das Velk 
Ddem holt, die beſtaͤndig verrückten Graͤnzen ihrer ges 
senfeitigen Macht, erfeßen bie &telle der Frepheit, 
and der Schatten tröfter wenigſtens dafür, daß 
man die Wirklichkeit nicht erhalten kann. 


2m) 389-( init 

breitete Kenntniſſe, die das Gute bewirken, 
als das aufrichtige Verlangen eines rechts 
fchaffenen Herzens, das es licht, und eg zu 
befördern ſucht. Es iſt oft weit gefehlet, 
daß dag gerühmte Genie eines Monarchen 
das Glück eines Reichs befsrdern follte: 
nein; es fehret ſich nur allzu oft gegen bie 
Freyheit des Landes. 


Wir haben dag Wohl des Staates, mit 
dem Wohl der Bürger zu vereinigen gefücht, 
fo unmoͤglich auch dieſe Vereinigung beyna⸗ 
he fchien. Man behauptete fogar, daß das 
öffentliche Gluͤck eines Staates nothwendig 
von dem Gluͤcke einiger feiner Glieder muͤß⸗ 
fe gefrennet toerden. Wir haben biefe bar 
bariſche Politik nicht angenonımen, die auf 
die Unwiſſenheit richtiger Geſetze, oder auf 
die Verachfung der ärmflen und doch nuͤtz⸗ 
lichſten Menſchen gegruͤndet iſt. Es gab 
abſcheuliche und grauſame Geſetze, die die 
Menſchen ſogar als boͤſe vorausſetzten: aber 
wir glauben, daß ſie es erſt durch Ein⸗ 
fuͤhrung dieſer Geſetze geworden ſind. Der 
Deſpotismus hat das menſchliche Herz ab⸗ 
gemattet und durch ſeine Verbicterung ver⸗ 
trocknet und verderbt. 


Be) 390 ( er - 


Unſer König hat alte Gewalt, alles Anfehen; 
bie noͤthig ind, um Gutes zu shun: aber zum 
Boͤſen gebundene Hände. Man zeiget ihm 
die Ration allezeit aus einem vortheilhaften 
Lichte: man ſtellt ihm feine Tapferkeit, feine 
Treue für feinen Sürften, feinen Abſchen 
für jedes fremde Joch vor, 

Es giebt Eenforen, bie das Necht haben, 
von dem Fürfien alle diejenigen wegzujagen, 
bie zur Irreligion, gu einer wüften Lebens⸗ 
art, zur Lügen, zu der fo fraurigen Kunfl, 
die Tugend lächerlich zu machen geneigt 
find 12). Die Elaffe von Menfchen kennt 
man bey und garnicht, die unter dem Th 
tel des Adeld, (der was das lächerlichfte 
iſt, noch dazu feil war,) um den Thron 
umhberfrochen, nichts als Soldaten ober. 
Hofleute werden wollten, im Wüßiggange 
lebten, ihren Stolz mit altem Pergamen 
näbrten, und dag armfelige Schaufpiel el 
ner Eitelfeit gaben, die fo groß als ihr 
Elend war. Eure Grenadiere vergoffen ihr 
Blut mit fo viel Unerfchrockenbeit, als der 






12) Ich bin allegeit zu glauben geneigt, daß Die 
Sürften an ihren Höfen beynahe allezeit noch Die 
rechtſchaffenſten find. Narciß batte noch eine 
ſchwaͤrzere Seele ale Nero. 


pP - 


an) an 


Bhfte unted ihnen, Ted fekten: uicht acen 
hehen Preit darauf. Ueberbieß reaͤrde 
Bifsiche vorzuͤgliche Benennung in mefen 
"Wepublit bie übrigen Ordnungen Del 
autes · beleibigef Haben; ' Die Buͤrger wa⸗ 
geich: der einzige Uxterfehieb war bder, 
die Natur in Anſehnng der Menfchen 
ve. Tugend, Bene und amweit gemacht 
ad j wine a 


y Warum ſollte der sicht 

DE u ie np Ä 

wohl in dieſam Köngrache ne 

—* die — 

u dur die ne 
et find? —* bald unter 

jean der Burgerſtand ich dus Pe he 


— nahm er bey den Berſarniussen 


* fer ne en 55 
ie 
rg von der 8, Policey unh 
—* le fit wehren. 5% 
bieſes imner Marige Peine 
li bes 02 weife Einrichtungen hine 
bet, Fönute ja mobl eined Tages his Seele 
Acyvnbiik werden, bauptfächlid, wenn Der @e« 
aß. der Philoopbie/ die Eqnagnis der anlifie. 
Helene, bie Exfabtuug fe vielar llulhceſul⸗ 
au Leichtfinn, und Die Unbefomsenäpit: agtilget 
4, die die fon glänzenden Eigenföhaften us : 


) 397 ( rt 
Ungeachtet fo vieler Verſchanzungen, Eins 
ſchraͤnkungen, und Klugheitsregeln, die man 
gemacht, damit der Monarch, bey oͤffentlichen 
Angluͤcksfaͤllen nicht vergeſſen moͤchte, was 
er den Armen ſchuldig iſt; feyert er jaͤhr⸗ 
lich ein dreytaͤgiges Faſten. Dieſe ganje 
Zeit uͤber erduldet er Hunger und Durſt, 
und liegt auf einem elenden Lager : und die⸗ 
fe8 fchreckliche und heilfame Saften vrüdt 
feinen Herzen ein zärtliches Mitleid für bie 
Nothleidenden ein. Es iſt wahr, unfer Mon⸗ 
arch bedarf nicht erſt durch dieſes phyfifche 
Gefuͤhl erinnert zu werben: aber es ift ein 
Geſetz des Staates, ein heiliges Geſetz, das 

Bis itzt Immer befolgt und in Ehren gehal- 
ten worden. Mach dem Beyſpiele bes Mon. 
archen machet ſichs jeder Minifter, jeder 
Mann, ber bie Zügel der Regierung be 
rührt; gu einer Pflicht, auch am ſich felbſt ze 
empfinden, was Beduͤrfniß und Schmerz 
find, die daraus entfliehen; in der Zolge. ift 
er deſto geneigfer, benjenigen. benzufprit- 


Dunkeln, weiche ans den Franzoſen das erfe Belkin 

Der Welt machen koͤnnten, wenn fie.ibre Projekte 

. absumeffen wüßten, fie reif werden heben, u de⸗ 
bey ſen behartien. 


me) 393 


gen, die unter dem gebietrifchen und harten 
Geſetze des außerfien Mangele 14) ſeuften. 


* 14) Der Hütte eines Philofophen gegenüber, 
ſtund ein hoher und fruchtbarer Berg, von den fanfs 
teften Strahlen der Sonne begünkiget. Er war mit 
der ſchoͤnſten Weide, mit golduen Nehren, mit Ges 
dern und aromatifchen Pflanzen bedeckt. Voͤgel, die 
eben fo reigend für dns Geficht, als, lieblich für der 
Seſchmack waren, firichen Haufenweiſe durch die 
Luft, und erfüllten fie mit ihren barmonifchen Ges 
fängen. Dannhirſche und büpfende Rehe bepäls 
terten den Wald. Einige Seen naͤhrten in ih⸗ 
ren filbernen Fluthen Forellen, Schellfiſche und 
Hechte. Dreyhundert Familien, die auf den Ruͤ⸗ 
dien dieſes Berges verbreitet waren, tbeilten ihr, 
und lebten dafelbg glücklich, in Frieden und Ue⸗ 
berfiuß, und im Schooße ibrer eiguen Tugenden: 
fie dankten dem Himmel mit Aufgange der Sonne 
and ihrem Untergange. Aber fiehe, kaum war der 
träge, wolluͤſtige, verſchwenderiſche Osmann auf 
den Thron geſtiegen, und die dreyhundert Fami⸗ 
lien. waren bald zu Grunde gerichtet und verjaget, 
and flreiften in der Irre umber. Der ſchoͤne 
Berg fiel ganz in die Hände feines Veziers, eines 
vornehmen Ränbers, der die Deute der Ungluͤckli⸗ 
chen anısandte,. feine Hunde, feine Benfchläferins 
nen und Schmeidhler prächtig zu bewirchen. Eis 
ned. Tages verirrte fih Osmann 'auf der Jagd: 
er traf den Phileſophen an, deſſen abgelegene Hütte 
dem Strehme entgangen war, der alles verſchlun⸗ 
gen batte. Der Philoſoph erkannte isn, ohne daß 
es der Monarch vermutbete- Der Philoſeph that. 


—) 394 ( Meter 


— Aber, fagte ich zu ihm; folche Ver⸗ 
änderungen muͤſſen viel Zeit, Arbeit ımb 
Muͤhe gekoſtet haben. Was hat es Euch 
mohl gefoftet? — Der Weife antwortete mit 
einem fanften Lächeln: das Gute ift nicht 
ſchwerer, als das Boͤſe. Die menfchlichen 
Reidenfchaften find fchredliche Hinderniſſe. 
ber fo bald der Verſtand der Menfchen von 
ihrem wahren Intereſſe unterrichtet ift, fo 
werben fie auch gerecht und billig. Mich 
bünft, die ganze Welt koͤnnte von einem 
einzigen Menfchen regieret werden, wenn 
bie Herzen zur Duldung und zur Billigkeit 
geneigt wären. Ungeachtet der wenigen 
Aufmertfamfeit, bie den Menfchen Eured 
Jahrhunderts fo gewoͤhnlich war, fo hatte 
man doch vorbergefehen, daß die Vernunft 
auf eine edle Art feine Pflicht. Man ſprach von 
der gegenwärtigen Zeit. U! ſagte ber wei 
Greis: „Bor zwanzig Jahren wußte man ned; 
was Freude war: aber heute zu Tage zehret die 
arößte Nothdurft den Armen auf, ſchlaͤgt feine 
Seele nieder, und Das Außerfte Elend, mit dem 
jeden Tag zu ringen bat, führer ihm Lanofem 
ins Grab.,, Alles leidet - = s Der Munarch 
fiel ihm ins Wert: „Sage mir, ich bitte dich, was 
iR Elend?, Der Philoſoph ſeufzete, ſchwieg, und 
fuͤhrte ihn wieder auf den Weg nach (eimen 
Yalafe. 


pe) 395 (er 
eines Tages einen großen Fortgang gewin⸗ 
nen würbes die Wirkungen davon fallen in 
die Augen, und .die glüdlichen Grundfäge 
einer weifen Regierung find bie erſte Frucht 
der Hfientlichen Beſſerung geweſen. 


Sieben und dreyßigſtes Kapitel. 
Der Thronerbe, 


it fragfüchtiger als jemals der Amt⸗ 
mann des Huron 1), fuhr ich fort, die Ge⸗ 
dult meiner Nachbarn zu uͤben. — Ich ha⸗ 
be wohl den Monarchen auf den Thron ſitzen 
ſehen: aber ich habe Euch vergeſſen zu 
fragen, wo der Sohn des Koͤniges waͤre, 
den man zu meiner Zeit den Dauphin nann⸗ 
te! — Der gefaͤlligſte von ihnen nahm das 
Wort und ſagte zu mir: | 
Da wir überzeuget find, daß von Erzie⸗ 
bung der Großen dag Glück der Voͤlker ab⸗ 
hängt, und daß fich die Tugend eben fo, 
wie das Laſter mittheilet, fo wachen wir 
‚ı) Der Huron oder der Menſch der Natur (l’In- 
gem) sin Roman des Voltaͤre, iſt eines der bes 
ſten Stuͤcke, das aus feiner Feder, gefloffen if. Der 
Huron, der mit einen Janſeniſten in die Baftille 
verichloffen wird, ift der finnreichite Einfall, der ſich 
nur erdenten läßt. 


FD) 396 ( Ernie 


mit ber größten. Sorgfalt über Die jungen 
Sabre. bes Fürften. : . Der Erbe bed. Theo 
nes iſt nicht am. Hofe, wo einige Schmeich. 
ler ihn überreden könnten, daß er mehr ſey, 
als andere Menſchen, und daß biefe meni⸗ 
ger ſeyn, als Inſekten: man verbirgt ihm 
ſeine hohen Beſtimmungen ſorgfaͤltig. So 
bald er geboren iſt, druͤckt man ihm ein ge 
wiſſes Eönigliches Zeichen auf die Schulter, 
‚wodurch. man ihn allegeit: erfennen fans; 
Man uͤbergiebt ihn den Hänben folcher Leute, 
deren kluge Treue eben ſo gepruͤft als ihre 
Rechtſchaffenheit iſt. Sie ſchwoͤren vor 
Gott dem Allerhoͤchſten, daß fie niemals bem 
Prinzen entdecken wollen, daß er einſt 8% 
nig werben folles ein furchtbarer Schwur, 
den fie niemals zu brechen wagen. 

- Sp bald er die Hande der Weiber verläßt, 
wird er ſpazieren geführet, man laͤßt ihn 
reifen, man-forgt für feine phnfifalifche Er- 
ziehung, die alleseit vor der moralifchen 
hergeben muß. Er ift twie ein Bauersſohn 
gekleidet. Man gewoͤhnt ihn zu den. ge⸗ 
meinften Speifen: man lehrt ihn bey gu 
fer Zeit die Mäßigfeit: eines Tages wird er 
es erfahren, daß feine eigne Oekonomie dad 
Beyſpiel ſeyn muͤſſe, und eine falfche Pracht 


me‘) 399 


einen Staat ind Verderben flürset, und den 
ſchwelgeriſchen Verſchwender fchänden "Er 
beſuchet nach und. nach alle Provinzen. Man 
Jehrt ihn alle Ländliche Arbeiten, alle Wer 
Se ver Manufalturen, und die Probufte ber 
serfchiedenen Gegenden fennen. Er fiehe 
alles mit feinen eignen Augen: er geht im 
die Huͤtte des Landmanns, ißt an feineng 
Tiſche, geſellet ſich gu feinen Arbeiten, ilernet 
ihr hochachten. Kr gebt vertraut mit je 
dem um, ben er trifft. Mean erlaubt ihnt, 
frey feinen Charakter: zu zeigen und er glaubt, 
eben. fo entfernt von Throne zu ſeyn, es 
er ihm nahe ift. ' 

Diele Könige find- Tyrannen aeworden, | 
nicht. weil fie ein boͤſes Herz hatten, fondern 
weil. der Zufland der Armen ihres Landes 
niemals bis zu ihren gelangt iſt 2). Ueber⸗ 


a) Das Vorurtheil ſtehet allegeit zur Rechten 
des Thrones in Bereitfchaft, feine Irrthuͤmer dem 
HOhren der Fuͤrſten einzuftößen. Die furchtſame 
Wahrheit zweifelt an dem Siege, die ſie über jene 
davon tragen könnte, und wartet, bis man ibt zut 
Annaͤherung das Zeichen giebt: aber ihr Mund re⸗ 
det eiue fo fremde Sprache, daß man zu der betrü⸗ 
gerilchen Erſcheinung Immer wieder zuruͤckekehret, 
da fie von Grund ans die Landesſprache verficht. 
Könige! lernet die ernſte philoſophiſche Sprache der 


2a) (Et 
,Ueß man biefen jungen Prinzen ben ſchmeſ 
chelhaften Borftellungen einer gewiß zu er⸗ 
haltenden Macht, fo wuͤrde er vieleicht, 
felbft bey einer rechffchaffenen Seele, ( denn 
man kennt fchon den Hang bed menfchlichen 
Herzens,) in der Folge: die Graͤnzen feiner 
Macht zu erweitern fuchen 3). Hierinnen ſuch⸗ 
ten ungluͤcklicher Weife viele Monarchen bie 
koͤnigl. Hoheit und mithin war ihr Intereſſe al⸗ 
lezeit dem Intereſſe der Nation entgegengeſetzt 
So bald der. Prinz ein Alter von zwan 
zig Jahren erreicht, und auch hoch chen, 
wenn feine Seele fruͤhzeitiger gebildet ift, f 
führet man ihn in Thronenfaal. Er fickt 
mier "dern Haufen, tie ein gemeiner Zr⸗ 
fihauer. Ale Stände des Reiche find die 
fen Tag verſammlet und Davon unterricht 
Ploͤtzlich erhebt fi) der Monarch, und ruft 
Mahrbeit! Vergebens liebt ihr fie, wenn ibe fie 
nicht verfieht 
3) Die Menſchen haben einen natürlichen Hay 
zum Deſpotismus, weil nichts bequemer if, als Die 
Spitze der Zunge gu beivenen, um Gehorfam iu et 
halten. Dan kennt den Eultan, welcher verlang 
te, dag man ihm angenehme Befchichtchen end 
len wollte, font würde man erdreſſelt werden. 
Andere reden benmahe eben die Eprache, und fr 
gen zu ihrem Molke: Machet mis das Wergulgte 
und fterbt Hungers 


Me) 399 ( ir 


Ken jungen Menfchen breymal. : Die Fluth 
648 Volks. oͤſſnet fich.. Erſtaunt naht er 
fih mit einem: furchtfamen: Schritte dem 
Zhrone ı er ſteigt zitternd darauf. Der 
König umarmt ihn, und erklaͤret vor den 
Augen aller Bürger, daß er fein Sohn ſey. 
Der Himmel, fagt er mit ziner ruͤhrenden 
und majeftätifchen Stimme, dee Zimmel bat 
Dich beffimmt, Die Laſt den königlichen 
Wuͤrde zu tragen: man hat zwanzig Jab⸗ 
re daran gearbeitet, dich derſelben wuͤr⸗ 
Dig zu machen: bintergebe nicht Die Hoff 
wung diefes großen Volks; Das Dich ſieht. 
ein Sobn, ich erwarte von: dir. eben 
Den Eifer, den ich fhr den Staat gebabe 
babe. Welch ein Augenblick! welcher Hau⸗ 
fen von Ideen drängt fich in feine Seele! 
Der Monarch) zeigt ihm Hierauf bad Grab, 
wo fein eigener Borgänger darinnen liege, 
dieſes Grab, two mit großen Buchſtaben: 
DIE EWIGKEFT, darauf gefchries 
ben fteht. Er fährt in einem chen fo ma⸗ 
jeftärifchen Tone fort: Mein Sohn! man 
bat alles für diefen Augenblid gethan. 
Du fiebft auf der Afche deines Großva⸗ 
ters: in die foll fie wieder aufleben: thus 
den Schwur, fo gerecht wie Er, zu ſeyn. 


Ha ) 400 ( Ei 


Bald werde ich hinabſteigen, feinenPlag 


einzunehmen: bedenke, daß ich aus dies 
fem Grabe dich anklagen werde, wenn 
Du deine Macht mißbraucheſt. Ach! mein 
liebſter Sohn, dns böchfte Weſen und 
Das Reich Öffnen ibre Augen über dir, 
feiner deiner Gedanken wird ihnen ent 
geben. Wenn irgend ein Trieb des Chr 
geizes oder des Stolzes in dieſem Augen 
blicke im Grunde deines Herzens herrſchen 
follte, fo ift es noch Zeit ibn zu unterdrk 
«een: entfage diefem Diadem, fieige von 
dieſem Throne berab, mifche Dich wieder 
unser den Haufen: du’ wirft als ein un 
befannter rechtfchaffener Bürger größer, 
verebrungswürdiger, als ein eitler oder 
mutblofer Wonarch feyn. Nicht die Chi⸗ 
mere der Hoheit müffe deinem jungen He 
sen ſchmeicheln, fondern die füge und große 
Vorſtellung, den Menſchen ein wahres 
Gluͤck zu verfihaffen. Ich gewäbre dir 
zur Belohnung die Liebe diefes Volke, 
das uns böret, meine Zaͤrtlichkeit, die 
"Bochachtung der Welt, und den Bey 
ſtand Des Beberrfchers der Welt. Er iſt 
es, mein Sohn, der König iſt: wir jind 
nichts, als Ebenbilder von ibm ; wir 


Rz) ga (ur 

‚geben auf der Erde vorüber, um feine 
erhabenen Rashfcbläffe auszufhibren. 2, 

. Der junge Prinz bewegt, gerührt, die 
Stirn mit einer fittfamen Echaam bedeckt, 
wagt es nicht die Augen auf. diefe große 
Verſammlung zu erheben, deren Blicke ihn 
umgeben und ſich zu ihm drangen. Er ven 
gießt Thraͤnen, er weinet, indem er den wei—⸗ 
en Umfang feiner Pflichten überfieht: aber 
Hald handelt er als ein Held: man hat- ihn 
gelehrt, daß der große Mann - fich für feine 
Brüder aufopfern fol, und daß, wenn die Ras 
‚tue nicht für die Menſchen ein ungemiſchtes 
Gluͤck zubereitet hat, es einer glücklichen - 
acht, die die Nation feinen Haͤnden ver⸗ 
‚trauet, zufomme, mehr gu thun, als Die Na⸗ 
sur gu ihrem Beften hun konnte. Diefer ch«- 
de Gedanke durchdringt ihn, entflammt ihn; 
er leiſtet den Eid in die Hände feines Va⸗ 


‘4, Garnier laͤßt den Nabuchodonoſor, den feine 
Macht und feine Siege aufblähten, fagen: Wer ik 
Der Gott, der den Regen, den Winden, und den 
Stürmen gebiethet ? Ueber wen herrſchet er? Leber 
Meere, über Felſen u. f. w. 

Empfindungslofe Dinge; Id, ich gebiete 
Menichen. 
Ich bin der einige Bott der Erde, die wit 
.. ron. 
c 


Te) 402 ( re 


ters: er ruft die geheiligte Aſche feineg.Groß- 
vaters zum Zeugen an: er kuͤßt den Zepter, 
den er zu allererſt verehren ſoll: er betet das 
hoͤchſte Weſen an: man kroͤnet ihn. Die 
Staͤnde wuͤnſchen ihm Gluͤck, und das 
Volk ſchreyt ihm in Entzuͤckungen ber Freu⸗ 
de zu: O du! der du mitten aus uns ber 
ausgehſt, der du uns fo lange, fo in der 
Naͤhe gefeben haft, möchten doch die 
Blendwerke der Größe dich nie vergeß 
fen laffen, wer du biff, und wer wir 
find 5). 

Er kann den Thron niemald vor bem 
zwey und ziwanzigften Jahre: befteigen, weil 
es wider den gefunden Verſtand iſt, einem 
föniglichen Kinde unterworfen zu feyn. So 
leget auch der Monarch in feinem ſiebzigſten 
fahre den Zepter nieder, weil die Kunf ze 


5) Die Griechen und Römer haben weit lebhafte⸗ 
se dußere Empfindungen gehabt, ald wir. Eine 
ganz finnliche Religion, häufige Angelegenheiten, 
die mit dem großen Intereſſe der Republik verbuns 
den waren, eine gewiſſe dußere Groͤßfe ohne Stolt, 
der laute Zuruf des Dolls, die Verſammlungen 
des Volks, die öffentlichen Reden, weich eine ums 
verfienende Quelle der Freuden! Es fcheint, daß 
wir in Vergleichung dieſes Volks nichts thun, ald 
fchmachten, und beynabe nicht leben. 


RFZ=) 403 ( mi 


regieren eine Gefchmeidigfeit: der Drganf 
und ich weiß felbft nicht, welche Empfind» 
ſamkeit erfodert, die unglücklicher Weife in 
ber Seele mit den Jahren verldfcht ©. Ue⸗ 
berdieß fürchtet man, daß die Gewohn⸗ 
heit der Macht in feiner Seele nicht die con⸗ 
centrirte Ehrfucht, Geiz genannt, ergengen 
möge, welches bie niedrigfte und fraurigfie 
Leidenfchaft ift, die der Menſch zu befämpfen 
bat 7. Die Erbfcehaft bleibe in der gera- 
den Linie; und der fiebzigjährige Monarch 
dienet noch dem Staate durd) feinen Rath 
oder durch das Beyſpiel feiner vergangenen 
Tugenden. Die Zeit, bie zwifchen diefer oͤf⸗ 


6, Wie füh wird es feyn, wenn die Jahre uns 
fere Haare bleihen, und wir und zur Ruhe nieder 
laſſen koͤnnen, indem wir uns der Handlungen. der 
Menfchenliche und Woblthätigkeit erinnern, womit 
wir den Lauf unfers Lebens befdet baben! Allen 
son und, fo viel unfer find, wird alsdann nichts 
mehr übrig ſeyn, als das Gefühl unferer Tugen⸗ 
Den, oder die Schande und Quaal unferer Xafter, 

7, Die Verſchwendung if eben fo fehr zu fuͤrch⸗ 
ten. Ein junger Prinz verfaget bisweilen etwas, 


weil er in fich das Vermögen fühlet, feine abfchldglie 


che Antwort auf eine andere Art wieder gut zu Mas 
chen: aber der Greis vermilliget aflegeit, denn er 
hat nichts, womit er den Mangel feine Wohltha⸗ 
ten erſetzen Tan: 

eca2 


R2F=) 44 eek 
fentlichen Dankbarkeit und dem Tage feiner 
Mündigfeit ift noch einigen neuen Probm 
unterworfen. Man redet zu ihm beftändig 
durch ſtarke und finnliche Bilder. Will man 
ihm bemeifen, daß die Könige nicht auf eine 
andere Art, ald die übrigen Menfchen ges 
macht find, daß fie nicht ein Haar mehr als 
anbere auf ihrem Haupte haben,“ baf fie ih⸗ 
nen, mit dem Eintrikte in die Welt, gleich 
find, gleich in Augen Goftes; daß die Wahl 
des Volks die einzige Grundfeſte ift, auf der 
. ihre Größe ruht: fo führet man unter dem 

Scheine eines Vergnuͤgens einen jungen 
Laftträger von feiner Groͤße und feinem Alter 
berbey und läßt fie mit einander ringen. 
Der Eohn des Königed mag nod) fo flarf 
ſeyn, fo wird er gemeiniglich zu Boden gewor⸗ 
fen : der Eaftträger druͤcket ihn fo lange nie 
der, bis er feine Niederlage geſteht. Als 
dann läßt man den jungen Prinzen auffie 
hen. Man fagt ihm: Ihr feht, daf fein 
Menfch nad) dem Gefeße der Natur einem 
andern Menfchen unterworfen ift, daß Feiner 
als Sklav geboren wird, daß die Koͤnige 
Menſchen ſind, und nicht Koͤnige, kurz, daß 
das ˖menſchliche Geſchlecht nicht gefchaffen 
worden, um das Vergnuͤgen einiger Fami⸗ 


) 405 ( Ei 
lien auszumachen. Der Allmächtige, will 
nad) dem natürlichen Gefege, nicht mit Ge⸗ 
waltthätigkeit berrfchen, fondern über Wefen 
die einen freyen Millenhaben. Die Menfchen 
zu Sklaven machen wollen, ifteine Verwegen⸗ 
heit gegen das höchfte Weſen, und eine Tyran⸗ 
ney gegen die Menfchen. „ Hierauf verbeuger 
fich der Raftträger, der ihn übertwunden hat, in 
feiner Gegenwart und fagt zu ihm: „ch kann 
ſtaͤrker feyn, als du, und es liegt hierinnen we⸗ 
der Borrecht, noch Ehre; die wahre Stärke ift 
die Billigkeit, die wahre Ehre die Groͤße der 
Seele. Ich huldige dir als meinem Monar» 
chen, dem jedes insbeſondre feine ganze Macht 
anvertrauet hat. So bald jemand mic) tyran⸗ 
niſtren wid, fo wirft du mir zu Hülfe eilen : ich 
werde dir zurufen und du wirft mich vor eis 


nem ungerechten und mächtigen Menfchen in 


Schuß nchmen.,„ — — 


Begeht der junge Prinz einen Sehler, ei⸗ 


ne vorsügliche Unvorſichtigkeit: den Tag 
darauf findet er diefen Zehler in den oͤffent⸗ 
lichen Blättern für ewig aufgezeichnet 9. 

8) Ich wuͤnſchte, daß ein Fuͤrſt bismeilen die 


Neugier haͤtte, zu wiſſen, was die Welt von ihm 
denket: er wuͤrde in einer viertel Stunde Ma⸗ 


terie genug finden, fein ganzes Leben darüber nahe 


zudenken. 


Ba) 406 ( er 

Er wundert fich bisweilen darüber, er wird 
unwillig. Man antwortet ihm gang kalt: 
„es ift ein unbeftocheneg und wachſames 
Gerichte, welches täglich ale Handlungen 
der Fürften auffchreibt. Die Nachkommen⸗ 
ſchaft wird fie erfahren und alles beurthei⸗ 
Ion, was du wirft gefagt oder gethan he 
ben: es koͤmmt nur auf dich an, daß fie 
auf eine ehrenvolle Art von bir fprichk. „ 
Geht der junge Prinz in fich felbft und me 
chet feinen Schler wieder gut, alsdann kin 
digen die öffentlichen Blätter diefen Beweis 
eines glücklichen Charafterd an, und geben 
biefer edlen Handlung ale nur verdiente Lob» 
forüche 9), 

Aber was man ihm am allernachdruͤcklich 
ſten empfiehlt, was man ihm unter man⸗ 
cherley Bildern einzudruͤcken pflegt, iſt die⸗ 
fer Abfchen vor der Pracht, die zu nichts 
dienet, fo viel Staaten unglücklich gemacht 


9) Du ſprichſt: „ich fürchte nicht den Degen 
irgend eines Menfchen, ich habe Her. Du be 
truͤgſt dich. Um es in der That zu haben, mußt du 
auch meder ihre Zunge, noch ihre Feder fürchten, 
Aber bierinnen find die größten Könige der Erben 
allegeit die größten Poltrons geweſen. Der Zei 
tungsfchreiber in Amfierdam machte, daß Ludıris 
der NIV. nicht ſchlafen konnte, 


De ) 407 ( Ererte. 


hat und fo diel Monarchen entehret 10% 
Diefe vergüldeten Pallaͤſte, ſagt man ihm. 
find den theatralifchen Verzierungen gleich, 
wo vergoldete Pappe gediegenes Gold zu 
feyn fcheint. Das Kind glaubt einen wirf- 
Iichen Palaft zu fehen. Seyd doch nicht: 
auch ein Kind. Der Pomp und dag Aeußer⸗ 
liche find Mißbräuche, die der Hochmuth und 
die Politik eingeführer hat. Man kramte diefe 
Dracht aus, um mehr Ehrerbietung und 
Zurcht einzuprägen. Hierdurch nahmen bie 
Untertbanen einen fflavifchen Geiſt an und 
gewoͤhnten fid; nach und nach ins och. 
Hat ſich aber jemals ein König verächtlich 
gemacht, warn er fich feinen Unterthanen 
gleich geftelle hat? Was find alle eitle und. 
alltägliche Vorftellungen gegen jene offne und 
leutfelige Miene , die fie su feiner Perfon 
hinzieht! die Bedürfniffe des Monarchen 
find nicht größer, als des geringfien Unter 
thang feine. „Er hat nur Einen Magen,. 
fo gut, als der Kuhhirte, fagte J. J. 


ı0) Der Luxus, der den Untergang ber Stans 
ten befördert, und macht, daß alle Tugenden mit 
Süßen getreten werden, nimmt feinen Urfprung an 
den verdorbenen Höfen, von denen jedes den Ton 
annimmt. 


NDS ) 408 ( care 
Ronßean: „ Will er dag reinfte unter allen 
Veranuͤgungen amichen, fo fühle er das 
Gluͤck aclicht zu ſeyn, und mache fid) deſſen 
würdig IT. 

Endlich geht nicht ein einziger Tag vom 
über. da man ibn nicht an das Daſeyn & 
nes Ascher Weiens, an fein immer offnes 
Auge über Die Welt, an die Furcht dieſes 
nes, an bie Ehrerbietung für feine Vor⸗ 
Kung, an das Vertrauen auf feine unend⸗ 
Ihe Macht erinnern ſollte. Das abfcheu- 
uchze unser allen Weſen it unjtreitig cim 
erheiftiicher Ronia. Sich wollte licher auf 
anzu Schiffe fenn, das nom Sturme hin» und 


ir Der Herjeg “ * von Wärtenberg, erfter dies 
fa Namens war einftene ben einem ſouveraiuen 
Hertn ſeinem Nachbar, nebſt etlichen andern klei⸗ 
nen Potentaten gar Tafel, “jeder pries feine Ges 
mist und Macht. Nachdem er fie alle reden lais 
fen. jagte Der Herzeg: „Ich beneide feinen von 
Idnen um Die Macht, Die Ihnen Gott gegeben 
Bat: aber ıh kann mich dech aud) einer Sache 
ruͤhmen, naͤmlich, daß ih in meinem Fleinen Gtass 
te zu jeder Stunde Des Zuges alleine und ficher 
aehen kann. Bismeilen voriere ich mich im tief⸗ 
Ren Holzes ich ſchlafe unter eincm Baume ein: 
und eanz rubig fürchte ich mitten unter meinen 
Deife werer den Dolch eined Mörbers, noch Dad 
Schwerdt eines Raͤchers. 


RD) 409 ( ie 


hergetrieben würde, und mit einem trunfnen, 
Steuermanne zu thun haben : wenigſtens 
fönnte mid) doch hier noch ein. Zufall retten. 
Kur erft mit dem zwey und zwanzigſten 
Jahre erlaube man ihm, fich zu verheura⸗ 
then... Er,erhebt eine Bürgerinn auf ben 
Thron. Er holt fic nicht eine fremde Frau, 
die oft dem Baterlande einen Charakter mit 
bringt, ber zu entfernt von den Sitten des 
Landes, die Natur des fransöfifchen Blutes 
verändert, und veranlaft, daß die Nation 
mehr von Spaniern ‚und Staliänern, als. 
von Abkoͤmmlingen unferer braven Vorfah⸗ 
ren regieret. twird. | 
Der König beſchimpft nicht ein ganzes 
Volk durch den Gedanken, daß die Schoͤn⸗ 
heit und Tugend nur auf einem fremden Bor 
den twachfen. Diejenige, die dag Herz des 
Prinzen auf feinen Neifen gerührt, bie ihr 
ohne Zepter und Krone geliebt bat, ſteigt mit 
ihrem Geliebten auf den Thron, und wird, 
wohl ihrer Zärtlichkeit wegen, als auch, 
veil fle einem Helden zu gefallen gewußt, der, 
Nation liebeng -und verehrungsmerth. Auſ⸗ 
er dem. Vortheile, allen jungen Mädchen 
sie Liebe für Weisheit und Tugend einzu 
loͤßen, indem man ihnen die Ausſicht auf 


) 410 (u 
“eine ihres DBeftrebens wuͤrdige Belohnung 
öffnet, vermeiden wir alle die Familienkrie⸗ 
ge, bie bem Staaf durchaus nichts ange 
ben, und doch fo oft Europa verwuͤſtet has 
‚den 12), 


Den Tag feiner Vermaͤhlung läßt ber 
Prinz, ſtatt auf eine thoͤrichte Weife das 
Bold in prächtig langweiligen Zeften, in 
unbefonnenen und glänzenden Seperlichker 
ten, in Seuermwerfen und andern. eben fo 
augfchweifenden, als entfeßlichen Verſchwen⸗ 
dungen wegzuwerfen, ein Sffentliches Denf- 
mal errichten, 5. B. eine Wafferleitung, eis 
ne oͤffentliche Straße, einen Kanal, ein 
Schauſpielhaus u. few. Die Denkmal 
trägt den Namen des Fuͤrſten. Man erin 
niert fich der Wohlthat, indeffen, daß man 
die unvernünftigen Verſchwendungen ver 
gißt, die nichts als Merkmale des Ungluͤcks 
und der ſchrecklichſten Vorfälle Binterlief 


12) Die meiften unferer Kriege Fommen, wie 
man wohl weiß, bloß von diefen vorgegebenen peli⸗ 
tifhen Vermählungen her. Wenn nur wenigſtens $ 
noch einmal Europa und Afrika, ſich mit Afien und 
Amerika verheurathen Fönnte, fü möchte es noch 
gut ſeyn. 


ze IL (ine 


fen 13). Das Volk, vergnuͤgt über die 
Großmuth des Fürften, braucht nicht fich 
heimlich der altert Fabel zu erinnern, in der 
ein armer Frofch in feinem Morafte jammer⸗ 
te, daß er die Hochzeit der Sonne fah 14). 

13) Soll ich hier ber fihredlihen Nacht det 
30 März 1770 Erwähnung thun? Enig wird fie 
ein Vorwurf für unfere Policey ſeyn, die einzig die 
Reichen begänftiget, und den:barbarifhen Luxus 
der Wagen in Schus nimmt. Gie find es, die 
das ſchreckliche Unglück verurfachten. Aber, wenn 
nicht einmal diefer graufame Zufall einen fcharfen 
Befehl herauspreffen kann, vermöge welchem dem - 
Bürger der freye Gebrauch des Pflaſters ohne den 
Schutt eingefallener alter Gemaͤuer verfchafft, 
was foll man von andern weit eingewurzelten Uebeln, 
und noch unheilbarern Schäden hoffen? Beynahe 
goo Perfouen find an den Folgen dieſes abfchens 
lichen Gedränges geftorben: und ſechs Wochen date 
nach bat kein Menſch mehr Davon geredet! 


14) Ich habe in einem Gedichte folgenden Zei⸗ 

len gelefen: 

- Diefe Könige vol Stolz auf ihre hoͤchſte Macht, 
Sind Bettler, die ein Diadem bedeckt. 

In der That fodern fie ohne Aufhören, und das 

Volk muß das Kleid der hohen Vermählten, dad 

Hochzeitfeſt, das Feuerwerk, und die GSticeren 

des Brantbettes bezahlen: und fo bald das koͤnl⸗ 

gliche Kind geboren wird, fo verwandelt fich jeder 

laute Schren defielbigen in neue Ausfchreiben. 


ame) 412 (Eee 


Acht und dreyßigſtes Kapitel, 
Die Weiber, 


$ Yer leutfelige und gefällige Mann, ber 

fich die Mühe nahm, mich zu unter 
richten, fuhr in eben dem freymüthigenTo - 
ne fort. — Ihr wiſſet, daß die Weiber 
feine andere Mitgifft ald ihre Tugenden 
und Keisungen haben. Within ift «8 ih 
Mortheil gewefen, ihre moralifchen Eigen 
fchaften vollftommner zu machen. Wir he 
ben aljo auch durch diefen Zug der Geſetzge⸗ 
bung die Hyder der Buhlerey, die fo fruche 
bar an Unruhen, Laſtern und lächerlichen 
Hoffen war, getödter. — Wie? feine Mit 
gifft! Die Weiber haben nichts Eigenthüm 
liches? und wer heurathet fie denn? — Die 
Weiber erhalten feine Mitgifft, weil fie der 
Natur nach von demjenigen Gefchylechte ab 
hängen, dag ihre Ctürfe und ihren Ruhe | 
ausmachet, und nichts fie der rechtmäßigen 
Herrfchaft entziehen foll, die allezeit weniger 
ſchrecklicher, als das Joch ift, dag fie fih 
ſelbſt in ihrer traurigen Freyheit auflegen 
Ueberdieß koͤmmt es auf Eins hinaus. Ein 
Mann, ber nichts mit der Frau erhält, 
brauchet auch wieder nicht für feiner. Tode 


) 413 (m 


ter Ausſtattung zu forgen. Kein Mädchen 
darf mehr auf ihre Mitgabe ftol; feyn, und 
es für eine Gnade anfehen, die fie durch fich 
ihrem Bräutigam eriveifet 2). Jeder Mann 
ernähret die Srau, die er befruchtet, und 
> da diefe alles von der Hand ihred Mannes 
erhält, fo wird fie ihm deſto mehr. Treue 
und Gehorfam leiften. Da das Gefeß all 
gemein ift, fo fühlee niemand die Laft. Die 
Meiber haben feinen andern Vorzug, als 
denjenigen, der von ihren Männern auf fie 
zuruͤcke fälle. Ale find den Pflichten unter 
worfen, die ihnen ihr Gefchlecht auflegt, 
und ihre ganze Ehre ifl, deffen firengen Ges 
ſetzen zu folgen: aber diefe gewähren ihnen 
audy einzig ihr Slüf. j 
Jeder Bürger, der fich nicht einen 
Schandflecken zugezogen hat, und wenn er 
von der niedrigfien Claſſe wäre, fann auf 
ein Mädchen vom hoͤchſten Range Anfpruch 
machen. enn er nur die Einwilligung 
derjenigen erhält, um die er wirbt, und. daß 
nicht eine Verführung oder eine Ungleich— 
heit des Alters dabey vorkoͤmmt. Alle Bürs 
1) Eine Frau von Athen fragte eine Lacedemb⸗ 


nierinn, was fie ihrem Manne zugebracht babe? - 
Die Keuſchheit, verfente fe 


Ra) 4 
ger, ohne hinter einander in einer geraden 
Linie einherzugehen, nehmen wieber bie uw 
fprüngliche Gleichheit ber Natur an, wenn 
es darauf ankoͤmmt, einen fo reinen, fa 
freyen, fo zum Gluͤcke des Lebens noͤthigen 
Eontraft zu ſchließen, ald ein Ehevergleich 
iſt. Hier endiget fich die Gränge der vaͤ 
terlihen Gewalt 2), und des bürgerlichen 
Anſehens. Unſere Ehen find glücklich, denn 
der Eigennuß , ber alles verberbt, be 
flecket nicht ihre liebenswuͤrdigen Bande 
Ahr koͤnnet nicht glauben, wie viel Laſter 
and Thorheiten ein fo fimpel Gefeg verbau- 


2) Welch eine Unanfländigkeit, welch eine Schats 
de, einen Vater zwanzig Gerichtshoͤſe ermüden I8 
ſehen, den ein barbariicher Hochmuth antreibt, feb 
ne Zochter nicht den oder jenem Manne zu 
überlaffen, meil er fie einem andern insgehein 
zugedacht hatte: zu feben, wie er. ſich auf bis 
gerlihe Verordnungen berufet , indeffen dab er 
die heiligſten Gefege der Natur vergigt, die ihn 
verbieten, ein ungluͤckliches Mägdchen ins Ele 
gu ſtuͤrzen, über die er Eeine rechtmaͤßige Gewalt 
bat, als die, fie mit Wohlthaten zu überbdas 
fen. Es ift doch eine in dieſem ungluͤcklichen 
Jahrhunderte bemerkenswuͤrdige, aber traurige Se⸗ 
che, dag die boͤſen Vaͤter die Anzahl der audgearteten 
Kinder noch übertroffen haben, Wo liegt aber die 
Auelle diefes Uebels? Leider: In unferg Geſetzen 


am) 45 ( Enre 


net bat; dergleichen find die Schmähfucht, 
die Eiferfucht, der Stolz, es einer Nebenbuh⸗ 
lerinn zuvorzuthun, ber Müßiggang, bie 
kleinen Betrügereyen, die eleudeflen Unge⸗ 
reimtheiten jeder Art 3). Die Weiber, an⸗ 
ſtatt ihre „Eitelkeit noch hoͤher zu treiben, 
haben ihren Verſtand bearbeitet ; und 
flatt des Reichthums, ſich bemühet, reich 
en Sanftmuth, DBefcheidenheit und Ges 
dult zu werden. Die Mufif und der Tang 
machen nicht mehr ihr Hauptverbienft aus: 
fie haben bie Defonomie, die Kunft, ih 
ren Männern zu gefallen, und ihre Kinder 
zu erziehen gelernet. Die übertriebene Un- 
gleichheit der Stände und der Gluͤcksguͤter 
(der verderblichfte Fehler aller politifchen Ge⸗ 
fellfchaften) verſchwindet hier gänzlich. Dee - 
niebrigfte Bürger darf fich in feinem Vaters 
lande nicht fchämen: er verbindet fich mit 
dem Hoͤchſten, ohne daß fich dieſer feiner ſchaͤ⸗ 

3) Die Natur bat die Weiber für die innern 
Geſchaͤfte des Haufes, und für Sorgen, die durch⸗ 
gängig von einerley Gattung find, befimmt. Sie 
bat ihrem Charakter weit weniger Dannichfaltigs 
Zeit als den Männern ihrem gegeben. Saft alle 
Meiber gleichen einander: fie haben nur einen 
Zweck, und er offenbaret ſich in allen Ländern Durch 
gleiche Wirkungen. 


DET Jurſten aupjujreior. Bie ca 
ſchaft wird fie erfahren und alles 
len, was du wirſt gefagt oder gei 
ben: es koͤmmt nur auf dich an, 
auf eine ehrenvolle Art von bir | 
Geht der junge Prinz in fich ſelbſt 
het feinen Schler wieder gut, alsd 
digen die öffentlichen Blätter dieſen 
eines glücklichen Charafters an, ui 
dieſer edlen Handlung alle nur verdi 
ſprůche 9. 

Aber war man ihm am allernachi 
fien empfichlt, was man ihm unı 
cherley Bildern einzudrücken pflegt 
fer Abfcheu vor der Pracht, die z 
dienet, fo viel Staaten unglüdlich 


Am. man, 1 Hakan ıtmaa 


RI) 407 ( Exerie: 


hat und fo diel Monarchen entehret 10% 
Diefe vergüldeten Pallaͤſte, ſagt man ihm,. 
find den theatralifchen Verzierungen gleich, 
wo vergoldete Pappe gediegenes Gold zw 
feyn fcheint. Das Kind glaubt einen wirk⸗ 
lichen Palaft zu fehen. _ Send doch nicht 
auch cin Kind. Der Pomp und das Aeußer⸗ 
liche find Mißbräuche, die der Hochmuth und 
die Politik eingeführet hat. Man Eramte diefe 
Pracht aus, um mehr Ehrerbietung unb 
Furcht einzuprägen. Hierdurd) nahmen die 
Unterthanen einen fElavifchen Geift an und 
gewoͤhnten ſich nach und nach ins Joch. 
Hat ſich aber jemals ein König veraͤchtlich 
gemacht, wann er fich feinen Unterthanen 
gleich geitelt hat? Was find alle eitle und. 
alltägliche Vorſtellungen gegen jene offne und 
leutfelige Miene , die fie zu feiner Perfon 
hinzieht! die Bebürfniffe des Monarchen 
find nicht größer, als des geringften Unter 
thang feine. „Er hat nur Einen Magen,. 
fo gut, ale der Kuhhirte, fagte 3. J. 


ı0) Der Luxus, der den Untergang der Stan 
ten befördert, und macht, daß alle Tugenden mit 
Fuͤßen getreten werden, nimmt feinen Urfprung au 
den verdorbenen Höfen, von denen jedes den Ton 
annimmt. 


⸗ 


HD) 46( 
Er wundert ſich bisweilen daruͤber, er wird 
unwillig. Man antwortet ihm ganz kalt: 
„es iſt ein unbeſtochenes und wachſames 
Gerichte, welches taͤglich alle Handlungen 
der Fuͤrſten auffchreibt. Die Nachkommen 
ſchaft wird fie erfahren und alles beurthei⸗ 
len, was du wirft gefagt oder gethan he 
ben: es koͤmmt nur auf dich an, daß fie 
auf eine ehrenvolle Art von dir fprichk. „ 
Geht der junge Prinz in fich felbft und me 
chet feinen Schler wieder gut, alsdann kuͤn⸗ 
digen die offentlichen Blätter diefen Beweis 
eines glücklichen Charafterd an, und geben 
dieſer edlen Handlung ale nur verdiente Lob⸗ 


ſpruͤche 9). 


Aber was man ihm am allernachdruͤcklich 
ſten empfiehlt, was man ihm untere man⸗ 
cherley Bildern einzudruͤcken pflegt, iſt die⸗ 
ſer Abſcheu vor der Pracht, die zu nichts 


dienet, ſo viel Staaten ungluͤcklich gemacht 


9) Du ſprichſt: „ich fürchte nicht den Degen 
irgend eines Menſchen, ich habe Herz., Du be 
trügft dich. Um es in der That zu haben, mußt du 
auch weder ihre Zunge, noch ihre Feder fürchten. 
Aber bierinnen find die größten Könige der Erden 
allegeit die größten Poltrond gewefen. Der Zei⸗ 
tungsfchreiber in Amferdam machte, daß Zudmis 
der XIV. nicht ſchlafen konnte. 


Re ) 407 ( re. 


hat und fo diel Monarchen entehret 10%. 
Diefe vergüldeten Pallaͤſte, ſagt man ihm, 
ſind den theatraliſchen Verzierungen gleich, 
wo vergoldete Pappe gediegenes Gold zu 
ſeyn ſcheint. Das Kind glaubt einen wirk⸗ 
lichen Palaſt zu ſehen. Seyd doch nicht 
auch ein Kind. Der Pomp und das Aeußer⸗ 
liche ſind Mißbraͤuche, die der Hochmuth und 
die Politik eingefuͤhret hat. Man kramte dieſe 
Pracht aus, um mehr Ehrerbietung und 
Furcht einzupraͤgen. Hierdurch nahmen die 
Unterthanen einen ſklaviſchen Geiſt an und 
gewoͤhnten ſich nach und nach ins Joch. 
Hat ſich aber jemals ein Koͤnig veraͤchtlich 
gemacht, wann er ſich ſeinen Unterthanen 
gleich geſtellt hat? Was ſind alle eitle und 
alltaͤgliche Vorſtellungen gegen jene offne und 
leutſelige Miene, die ſie zu ſeiner Perſon 
hinzieht! die Beduͤrfniſſe des Monarchen 
ſind nicht groͤßer, als des geringſten Unter⸗ 
thans ſeine. „Er hat nur Einen Magen, 
ſo gut, als der Kuhhirte, ſagte J. J. 


ı0) Der Luxus, der dem Untergang der Stans 
ten befördert, und macht, daß alle Tugenden mit 
Süßen getreten werden, nimmt feinen Urfprung au 
den verdorbenen Höfen, von denen jedes den Ton 
annimmt. ' 


INT ) 408 ( Genie 


Koufean: „ Will er dag reinfte unter allen 
Vergnuͤgungen genießen, fo fühle er das 
Glück geliebt zu feyn, und mache ſich deſſen 
würdig IT), 

Endlich geht nicht. ein einziger Tag vor 
über, da man ihn nicht an dag Daſeyn ei⸗ 
nes hoͤchſten Weſens, an fein immer offnes 
Auge uͤber die Welt, an die Furcht dieſes 
Gottes, an die Ehrerbietung für feine Vor 
fehung, an das Vertrauen auf feine unend- 
liche Macht erinnern folte. Das abſcheu⸗ 
lichſte unter allen Weſen ift unftreitig ein 
atheiftifcher König. Ich wollte lieber auf 
einem Echiffe feyn, das vom Sturme hin- und 


ın Der Heriog * * von Würtenberg,.erfter bies 
ſes Namens, war einftens ben einem fouverainen 
Herrn, feinem Nachbar, nebft etlichen andern Hei 
sen Potentaten zur Tafel. “jeder pries feine Ge 
malt und Macht. Nachdem er fie alle reden laf 
fen, fagte der Herzog: „Ich beneide keinen von 
Ihnen um die Macht, die Ihnen Gott gegeben 
bat: aber ich kann mich doch auch einer Sache 
rühmen, nämlich, daß ich in meinem Tleinen Gtess 
te zu jeder Stunde des Tages alleine und ficher 
schen kann. Bisweilen verirre ich mich. im tief⸗ 
ken Holzes: ih fchlafe unter einem Baume ein: 
und ganz rubig fürchte ich mitten unter meinem 
Volke weder den Dolch eines Moͤrders, ud daB 
Schwerdt eines Raͤchers. 


RI.) 409 ( —— 
bergetrieben wuͤrde, und mit einem trunfnen, 
Steuermanne zu thun haben : wenigſtens 
koͤnnte mic) doch hier noch ein. Zufall retten. 

Nur erft mit dem zwey und zwanzigſten 
Jahre erlaubt man ihm, fich zu verheura⸗ 
then... Er,erhebt eine Bürgerinn auf den. 
Thron. Er holt fich nicht eine fremde Frau, 


die oft bem Vaterlande einen Charaftermite 


bringt, der zu entfernt von den Sitten des 
Landes, die Natur des franzoͤſiſchen Blutes 
verändert, und veranlaft, daß die Nation 
mehr von Spaniern und Italiaͤnern, als 
von Abkoͤmmlingen unferer braven Vorfah⸗ 
ren regieret wird. | 

Der König befchimpft nicht ein ganzes 
Volk durch den Gedanken, daß die Schoͤn⸗ 
heit und Tugend nur auf einem fremden Bor 
den wachfen. Diejenige, die dag Herz bed’ 
Prinzen auf feinen Neifen gerührt, bie ihn 
ohne Zepter und Krone geliebt bat, ſteigt mit 
ihrem-Seliebten auf den Thron, und wird, . 
ſowohl ihrer Zärtlichkeit wegen, alg aud), 


- weil fie einem Helden zu gefallen gewußt, des, 


Nation liebens⸗ und verehrungswerth. Auf 
fer" dem, Vortheile, allen jungen Mädchen 
die Liebe für Weisheit und Tugend einzu 
flaͤßen, indem man ihnen die Augficht auf 


Ne ) 408 ( Eier 


Roußeau: „ Will er das reinfte unter allen 
Vergnuͤgungen genießen, fo fühle ex das 
Glück geliebt zu feyn, und mache ſich deſſen 
würdig IT), | 

Endlich geht nicht ein einziger Tag vom 
über, da man ihn nicht an dag Dafeyn 
nes hoͤchſten Weſens, an fein immer offnes 
Auge uͤber die Welt, an die Furcht dieſes 
Gottes, an die Ehrerbietung fuͤr ſeine Vor⸗ 
ſehung, an das Vertrauen auf feine unend⸗ 
liche Macht eriunern ſollte. Das abſcheu⸗ 
lichſte unter allen Weſen iſt unſtreitig ein 
atheiſtiſcher Koͤnig. Ich wollte lieber auf 
einem Schiffe ſeyn, das vom Sturme hin⸗ und. 


ın) Der Herzog **von Wuͤrtenberg, erſter dies 
ſes Namens, war einſtens bey einem fouverainen 
Herrn, feinem Nachbar, nebfl etlichen andern klei⸗ 
nen Potentaten zur Tafel. jeder pries feine Ge 
walt und Macht. Nadıdem er fie alle reden lag 
fen, fagte der Herzog: „Ich beneide keinen von 
Ihnen um die Macht, die Ihnen Gott gegeben 
hat: aber ich kann mich doch auch einer Sache 
ruͤhmen, nämlich, daß ich in meinem kleinen Staa⸗ 
te zu jeder Stunde des Tages alleine und ficher 
sehen kann. Bisweilen verisre ich mich. im tief⸗ 
Ren Holze: ich fchlafe unter einem Baume ein? 
und ganz rubig fürchte ich mitten unter meinem 
Volke weder den Dolch eines Wörders, oh das 
Schwerdt eines Raͤchers. 


FD.) 409 ( ——α 
hergetrieben würde, und mit einem trunfnen, 
©teuermanne zu thun. haben : wenigſtens 
fönnte mic, doch hier noch ein. Zufall retten. 

Nur erft mit dem zwey und zwanzigſten 
Sjahre erlaubt man ihm, fich zu verheuras,. 
then... Er erhebt eine Bürgerinn auf den 
Thron.. Er holt ſich nicht eine fremde Frau, 
bie oft dem Vaterlande einen Charakter mit- 
bringt, der zu entfernt von den Gitten des 
Landes, die Natur des franzififchen Blutes 
verändert, und veranlaft, daß die Nation 
mehr von Spaniern und Italiaͤnern, als 
von Abkoͤmmlingen unferer braven Vorfah⸗ 
ren regieret. wird. 

Der König beſchimpft nicht ein ganzes 
Volk durch den Gedanken, daß die Schön . 
heit und Tugend nur auf einem fremden Bo⸗ 
den wachfen. Diejenige, die dag Herz des 
Prinzen auf feinen Neifen gerührt, bie ihr 
ohne Zepter und Krone geliebt bat, ſteigt mie 
ihrem Geliebten auf den Thron, und wird, _ 
ſowohl ihrer Zärtlichkeit wegen, als auch, 
weil fie einem Helden zu gefallen gewußt, des, 
Nation liebens⸗ und verehrungswerth. Auf 
fer dem, Vortheile, allen jungen Mädchert 
die Liebe für Weisheit und Tugend einzu⸗ 
floͤßen, indem man ihnen die Ausſicht auf 


Se ) 410 ( ee 


“eine ihres Beſtrebens wuͤrdige Belohnung 
öffnet, vermeiden wir alle die Familienkrie⸗ 
ge, die dem Staat durchaus nichts ange 
ben, und doch fo oft Europa verwuͤſtet has 
hen 12), 


Den Tag feiner Vermählung läßt ber 
Prinz, ſtatt auf eine thoͤrichte Weiſe das 
Bold in prächtig langweiligen Zeften, in 
unbefonnenen und glänzenden Seyerlichker 
ten, in Seuerwerfen und andern. eben fo 
ausſchweifenden, als entfeßlichen Verſchwen⸗ 
dungen wegzuwerfen, ein oͤffentliches Denk⸗ 
mal errichten, z. B. eine Waſſerleitung, ei⸗ 
ne oͤffentliche Straße, einen Kanal, ein 
Schauſpielhaus u. ſ. w. Dieß Denkmal 
traͤgt den Namen des Fuͤrſten. Man erin⸗ 
nert ſich der Wohlthat, indeſſen, daß man 
die unvernuͤnftigen Verſchwendungen ver⸗ 
gißt, die nichts als Merkmale des Ungluͤcks 
und der ſchrecklichſten Vorfälle hinterlieſ⸗ 


12) Die meiften unferer Kriege kommen, wie 
man wohl weiß, bloß von diefen vorgegebenen peli⸗ 
tifhen Vermäblungen ber. Wenn nur wenigfent 
noch einmal Europa und Afrika, ſich mit Afien and 
Amerika verheuratben könate, ſo moͤchte es nech 
gut ſeyn. 


2 ) 4 ( Ererfe 


fen 13). Das Volk, vergnuͤgt üßer die 
Großmuth des Fürften, braucht nicht fich 
heimlich der alten Zabel zu erinnern, in der 
ein armer Srofch in feinem Morafte jammer⸗ 
te, daß er die Hochzeit der Sonne fah 14). 


13) Coll id) bier der ſchredlichen Nacht dub 

30 Mär 1770 Ermähnung thun? Emig wird fie 
ein Vorwurf für unfere Policey fenn, die einzig die 
Reichen begänftiget,, und den: barbarifchen Luxus 
der Wagen in Schus nimmt. Gie find es, die 
das fchreckliche Unglück verurfachten. Aber, wenn 
nicht einmal diefer graufame Zufall einen ſcharfen 


Befehl herauspreffen kann, vermöge welchem dem 


Bürger der freye Gebraud) des Pflafters ohne den 
Schutt eingefallener alter Gemäuer verfchafft; 
was foll man von andern weit eingewurzelten Uebeln, 
und noch unheilbarern Schäden hoffen? Beynahe 
goo Verfonen find an den Folgen dieſes abfcheus 
lichen Sedränges geftorben: und ſechs Wochen date 
nach bat kein Menſch mehr davon geredt! 


14) Sch habe in einem Gedichte folgenden Zei⸗ 
len gelefen: 

. Diefe Könige voll Stolz auf ihre höchfte Rad 
Sind Bettler, die ein Diadem bedeckt. 


In der That fodern fie ohne Aufhören, und das 
Volk muß das Kleid der hohen Vermählten, dad 
Hochzeitfeſt, das Feuerwerk, und. die Stickerey 
des Brantbettes bezahlen: und fo bald das koͤnl⸗ 
gliche Kind geboren wird, fo verwandelt ſich jeder 
laute Schren deffelbigen in neue Ausfchreiben. 


2a) 412 ( Ber 


Acht und dreyßigſtes Kapitel, 
Die Weiber, 


He leutſelige und gefaͤllige Mann, der 

ſich die Muͤhe nahm, mich zu unter⸗ 
richten, fuhr in eben dem freymuͤthigen To⸗ 
ne fort. — hr wiffee, daß die Weiber 
feine andere Mitgifft ald ihre Tugenden 
und Meisungen haben. Mithin ift «8 ihr 
Vortheil gewefen, ihre moralifchen Eigen 
fchaften vollfonmner zu machen. Wir he 
ben alfo auch durch diefen Zug der Geſetzge⸗ 
bung die Hyder der Buhlerey, die fo frucht⸗ 
bar an Unruhen, Laftern und Lächerlichen 
Hoffen war, getödter. — Wic? feine Mit 
gifft! Die Weiber haben nichts Eigenthuͤm⸗ 
liches? und wer heurathet fie denn? — Die 
Weiber erhalten Feine Mitgifft, teil fie ber 
Natur nad) von demjenigen Sefchlechte ab 
hängen, das ihre Ctärfe und ihren Ruhm 
ausmachet, und nichts fie der rechtmäßigen 
Herrfchaft entziehen foll, die alezeit weniger 
fchrecflicher, als das Joch ift, dag fie fid 
ſelbſt in ihrer traurigen Freyheit auflegen. 
Ueberdieß koͤmmt ed auf Eins hinaus, Ein 
Mann, der nichts mit der Frau erhält, 
brauchet auch wieder nicht für feiner. Toͤch⸗ 


SF) 413 (er 


ter Ausſtattung zu forgen. Kein Mädchen 
darf mehr auf ihre Mitgabe flolz feyn, und 
es für eine Gnade anfehen, die fie durch fich 
ihrem Bräutigam eriveifet 2), Jeder Mann 
ernähret die Frau, die er befruchtee, umd 
‘ da diefe alles von der Hand ihres Mannes 
erhält, fo wird fie ihm deſto mehr Treue 
und Gehorfam leiften. Da das Geſetz all 
gemein ift, fo fühlet niemand die Laſt. “Die 
Weiber haben feinen andern Vorzug, als 
denjenigen, der von ihren Männern auf fie 
zuruͤcke fälle. Ale find den Pflichten. unter 
worfen, die ihnen ihr Gefchlecht auflegt, 
und ihre ganze Ehre if, deffen ſtrengen Ge 
fegen zu folgen: aber diefe gewähren ihnen 
auch einzig ihr Glück. u 

Jeder Bürger, der fich nicht einen 
Schandflecken zugezogen hat, und wenn er 
von der niedrigften Claſſe wäre, kann auf 
ein Mädchen vom höchften Range Anfpruch 
machen. Menn er nur die Einwilligung 
derjenigen erhält, um die er wirbt, und. daß 
nicht eine Verführung oder eine Ungleichs 
heit des Alters dabey vorkoͤmmt. Alle Bürs 

1) Eine Frau von Athen fragte eine Lacedemb⸗ 


nierinn, was fie ihrem Manne sugebracht babe? - 
Die Keuſchheit, verfekte fie- 


re) 414 (u 
ger, ohne hinter einander in einer geraden 
Linie einherzugehen, nehmen wieder die un 
fprüngliche Gleichheit der Natur an, wenn 
es darauf ankommt, einen fo reinen, fo 
freyen, fo zum Glide des Lebens noͤthigen 
Contrakt zu ſchließen, als ein Ehevergleich 
iſt. Hier endiget ſich die Graͤnze der vaͤ⸗ 
terlichen Gewalt 2), und des buͤrgerlichen 
Anſehens. Unſere Ehen ſind gluͤcklich, denn 
der Eigennutz, der alles verderbt, be 
flecket nicht ihre liebenswuͤrdigen Bande 
Ahr koͤnnet nicht ginuben, wie viel Lafter 
and Thorheiten ein fo fimpel Geſetz verban⸗ 


2) Welch eine Unanſtaͤndigkeit, welch eine Schw 
de, einen Vater zwanzig Gerichtshoͤſe erinuͤden je 
fehen, den ein barbarifcher Hochmuth antreibt, ſei⸗ 
ne Zochter niche dent oder jenem Manne zu 
überlaffen, weil er fie einem andern insgebein 
zugedacht hatte: au feben, mie er. fi) auf bit 
gerlihe Verordnungen berufet , indeffen dat er 
die heiligften Gefege der Natur vergist, die ihm 
Yerbieten, ein unglückliches Mägdchen ins Elend 
zu ſtuͤrzen, über die er keine rechtmaͤßige Gewalt 
bat, als die, fie mit Wohlthaten zu überbdus 
fen. Es ift doch eine im Ddiefem unglücklichen 
Jahrhunderte bemerfenswürdiae, aber traurige Se⸗ 
ehe, daß die boͤſen Väter die Anzahl der ausgearteten 
Kinder noch übertroffen haben, Wo liegt aber dit 
Quelle dieſes Uebels? Leider: in unferg Geſetzen 


am) 45 (Berk 


net hat; dergleichen find die Schmähfucht, 
die Eiferfucht, der Stolz, e8 einer Nebenbuh⸗ 
lerinn zuvorzuchun, der Müßiggang, bie 
fleinen Betrügereyen, bie elendeften Unge⸗ 
reimtheiten jeder Art 3). Die Weiber, ans 
ſtatt ihre ‚Eitelkeit noch höher gu treiben, 
haben ihren Verſtand bearbeitet ; und 
ftatt des Reichthums, ſich bemühet, reich 
en Sanftmuth , Befcheidenheit und Ges 
dule zu werden. Die Mufif und der Tan 
machen nicht mehr ihr Haupgverbienft aus: 
fie haben die Defonomie, bie Kunft, ih⸗ 
ren Männern zu gefallen, und ihre Kinder 
zu erziehen gelernet. Die übertriebene Un- 
gleichheit dee Stände und der Glücsgüter 
(ber verderblichfte Fehler aller politifchen Ge⸗ 
felfchaften) verſchwindet hier gänzlich. Der - 
niedrigfte Bürger darf fich in feinem Vaters 
Sande nicht fehämen: er verbindet fich mit 
dem Hoͤchſten, ohne daß fich dieſer feiner ſchaͤ⸗ 

3) Die Natur hat die Weiber für die innen 
Geſchaͤfte des Haufes, und für Sorgen, die durch⸗ 
sängig von einerley Gattung find, beftimmt. Sie 
bat ihrem Charakter weit weniger Wannichfaltigs 
Zeit als den Männern ihrem gegeben. Faft alle 
Weiber gleichen einander: fie baben nur einem. 
Zweck, und er offenbaret fich in allen Ländern durch 
gleiche Wirkungen. 


SD) 416 ( uni | 


met. Das Befeh hat die Menfchen vereint: 
get, fo fehr es ihm nur meglich geweſen. 
Anſtatt die beleibigenden Unterfchiede zu ma⸗ 
chen, die bloß, auf der einem Geite ber 
Stolz und auf. der andern ber Haf <= 
zeuget, hat lieber alled aufheben wollen, 
was bie Kinder einer und berfelben Mutter 
trennen konnte. 

Unfere Weiber find bag, was fe ben den 
- sälten Galliern waren, liebenswürdige und un· 
-verfälfchte Gegenftände, die wir verehren, die 
wir bey allen unfern Gelegenheiten zu Ne 
‘the siehen. Sie affeftiren nicht dag elende 
Gerväfche, wodurch fie den Schein witziger 
Köpfe +) haben wollen, das fo fehr ige un 
ter und Mode iſt. Sie nehmen fich nid 
Heraus, den verſchiedenen großen Geiſtern 















4) Eine Frau handelt fehr unbeſonnen, we 
Men aller Gelegenheit wigig feyn will. Sie ſopilte m 
Gegentheil ihre ganze Kun anwenden, ihren Wit 
gu verbergen. In der That, wir Maͤnner, mas fe 
Ken wir? Unfhuld, Oftenbersigkeit, eine ume⸗ 
‚fette, einfache, frepmüthige Seele, eine intereffum 
te Zurchtfamteit.. Eine rau, die ihre Geld 
ſamkeit glänzen läßt, ſcheint euch Dadurch fagen pe 
wollen: „Meine Herren, machet euch dach u 
mid): ich babe Verſtand: ich werde treulofer, fe 
ſcher, verfhlagener ſeyn, ald irgend eine audere.. 


— 


Sa) 417 (u 


ihren Nang anmeifen zu wollen. Sie find 
mit ihrem gefunden Verſtande zufrieden, ei⸗ 
ne Eigenfchaft, die allen: den. Eünftlichen. 
Blitzen, den eiteln Zeitverfürungen des. 
Müßigganges vorziehen iſt. . Die Eiche, 
dieſe fruchtbare Duelle der feltenften Tugen⸗ 
den, wachet über die Vortheile des Vaterlan⸗ 
des, und-ftcht ihnen vor. Ze mehr. man 
Gluͤck in feinem Buſen fühlet, defto theue⸗ 
rer wird das Vaterland. Urtheilet von un- 
ferer Wärme für daffelbe. Ohne Zweifel 
haben die Weiber daben gewonnen. Statt 
der lächerlichen und efelhaften Vergnuͤgun⸗ 
gen, bie fie aus bloßen Eitelkeit verfolgen, 
haben fie unſre. ganze Zärtlichfeit; fie genieſ⸗ 
fen unferer Hochachkung, fie empfinden in dem, 


Beſitze unferer Herzen eine weit gegründetere 


und reinere Stückfeligfeit, als in den vorüber» 
gehenden" Wolläften, deren ängftliche Ver⸗ 
folgung fie ermüdere. Sie übernehmen die 
Sorge der Erziehung unferer Kinder in den. 
erften Jahren: diefe haben feine andern 
gehrmeifter, als fie; denn da fie wachfa- 
mer und unterrichfeter find als fie zu Eurer 
Zeit waren, fo fennen fie das reigende Ver- 
gnügen beffer, Mutter im ganzen Umfange 
der Beheutung dieſes Worts zu feyn. 
Dd 


Sa ) 418 (u 


Aber (rief ich aus, ) ungeachtet, aller der 
Bolltommenheit, deren Ihr Euch) rühmen 
fönnet, fo bleibt der Menfch doch immer 
Menfch: er hat feine Schwachheiten, feine 
Bhantafien, feinen Ekel. Wenn die Fadıl 
der Zwietracht die Stelle der Fackel des Hy 
men einnimmt, wie machet Ihr es alsdann? 
St bie Ehefcheidung erlaubt 3? — Ohne 


. 5) Nicolaus 1., der ſich zum Reformator der 
“göttlichen, natürlichen und bürgerlichen Gefege 
aufwarf, fchaffte die Ehefcheidung im neunten Jahr⸗ 
Dunderte ab. Sie was fonft bey allen Voͤlkern des 
Erdbodens gewöhnlich, und von Juden und Chris 
fien angenommen. Wie unglücklich iſt das menſch⸗ 
liche Geſchlecht! Ein einziger Menich raubt ihnen 
- ihre koſtbare Freyheit: er machet aus einem bür 
gerlichen Bande, eine unauflögliche, heilige Kette, 
und nähret auf immerdar die haͤußliche Zwietracht. 
Viele Jahrhunderte geben diefem abgeſchmackten Ges 
feße eine unverbruͤchliche Heiligkeit: und die innerli⸗ 
chen Kriege, die das Innere der Haͤuſer in Aufruhr ſe⸗ 
tzen, und die Entvoͤlkerung der Staaten, ſind die 
Fruͤchte von dem Eigenſinne eines Pabſtes. S 
iſt augenſcheinlich, daß, wenn die Eheſcheidung er⸗ 
laubt wär, die Ehen gluͤcklicher ſeyn würden. Man 
würde ſich weniger fuͤrchten, ein Band zu knuͤpfen, 
das uns nicht auf ewig an das Ungluͤck feſſelte. Die 
Frau würde aufmerkſamer, unterwuͤrfiger ſeyn. De 
dieſes Band nur mit Einwilligung beyder NYartbeven 
dauerhaft wäre, fo würde es auch feſter gefnäpfet 


27) 419 ( Zurk 


Zweifel: fo bald fie ſich auf rechtmäßige Urſa⸗ 
chen gründet: z. B. wann beyde Theile zu⸗ 
gleich drauf dringen, ſo iſt die ganz wider⸗ 
ſprechende Gemuͤthsart zureichend, diefes 
Band aufzuloͤſen. Man verheurathet ſich 
bloß um gluͤcklich zu ſeyn: es iſt ein Ver⸗ 
gleich, deſſen Zweck Eintracht und gemein⸗ 
ſchaftliche Sorgen ſeyn ſollen. Wir ſind 
nicht ſo unbeſonnen, zwey Herzen, die ſich 
von einander entfernen, mit Gewalt zuſam⸗ 
men zu zwingen und die Strafe des graufer 
men Mezentz zu erneuern, der einen lebens 
den Körper an einen Reichnam band. Die 


feyn. Da überdieß die Bevoͤlkerung weit geringer if, 
als fie feyn follte, fo kann man der Unaufloͤßlichkeit 
der Ehe die geheime Urfache zuſchreiben, die uns 
vermerkt die Fatholifhen Monarchien untergraͤbt. 
Wenn fie no) eine Zeitlang fo wohl den ehelofen 
Stand, der unter und herrſchet Keine Folge der traue 
rigen Negierung,) als auch den geiftlichen eheloſen 
Stand, der fic) ein goͤttliches Necht anmafer, dulten : 
fo werden fie nichts als nervenlofe Truppen den zahl⸗ 
zeichen, gefunden und ftarken Heeren derjenigen Voͤl⸗ 
Eer entgegen zu feßen haben, ben denen die Ehefcheis 
dungen erlaubt find. Je weniger der Ehelofen ſeyn 
werden, deſto keuſcher, glücklicher und fruchtbarer 
rierden die Ehen ſeyn. Die Verringerung der Men: 


x 


ſchen führet nothwendig ein Reich zu feinem adngtf": 


chen Untergange. 
| Dd2 


han} 


De) 420 ( u 


Ehefcheidung iſt das einzige vernünftige Mit⸗ 
tel, weil es der Gefelfchaft wenigſtens zwey 
Menſchen wieder giebt, die, einer für den 
andern verloren waren. Aber werdet hr 
es wohl glauben? Je leichter es bey ung 
ift, deſto mehr sittert man davor, weil es 
eine Art von Schanbeift, nicht gemeinfchafts 
lich die Trübfale eines fo kurzen Lebens er 
tragen su Finnen. Unſere Weiber, die aus 
Grundfägen tugendhaft find, finden ihe 
Glück in häuslichen Vergnügungen : fie find 
fees heiter, wann fich die Pflicht mit der 
Empfindung vermifcht: nichts ift alsdann 
ſchwer und alles nimmt eine rührende Ge 
ftalt an. 

— HD! wie fränft ed mich, daß ich ſchon 
fo alt bin! unverzüglich würde ich eine die 
fer liebenstoürdigen Weiber heurathen. Die 
Sitten der Unfrigen waren fo ftolz, fo umer- 
träglich! Groͤßtentheils waren fie aud) fofal 
fche Geſchoͤpfe, fo fchlecht erzogen, daß eg für 
eine große Thorheit gehalten wurde, fish zu 
verheurathen. Die Coquetterie und der un 
mäßige Geſchmack an Ergoͤtzlichkeiten nebſt ei 
ner tiefen Gleichguͤltigkeit fuͤr alles, was nicht 
fie ſelbſt waren, dieß machte den ganzen Cha⸗ 
rakter vnſerer Weiber aus. Sie ſuchten die 


Re) 421 (ei 


Miene einer großen Empfindfamfeit anzu⸗ 
nehmen: im Grunde aber waren ſie gegen 
niemand menſchlich, als gegen ihre Liebha⸗ 
ber. Jeder andre Geſchmack als der Ge⸗ 
ſchmack der Wolluſt war ihrer Seele beyna⸗ 
he ganz fremd. Von der Schamhaftigkeit 
will ich hier nichts ſagen: ſie war ihnen et⸗ 
was Laͤcherliches. Daher zog auch jeder: 
weiſe Mann, der aus zwey Uebeln eines zu 
waͤhlen hatte, den eheloſen Stand, als das 
kleinſte, vor. Die Schwuͤrigkeit, bie Kins 
der zu erziehen, war eine nicht weniger groſ⸗ 
ſe Urſache: man vermied es, Kinder einem 
Staate zu geben, von dem ſie nichts als 
Unterdruͤckung zu fuͤrchten hatten. So 
bezwinget der edelmuͤthige Elephant, wann 
er einmal gefangen iſt, ſich ſelbſt, und 
uͤberlaͤßt ſich nicht dem ſuͤßeſten Triebe, da⸗ 

it er nicht ſeine Nachkommenſchaft zu 
Sklaven mache. Selbſt die Ehemaͤnner wa⸗ 
ren in ihrem Entzuͤcken ſo aufmerkſam, ein 
Kind aus ihrem Hauſe zu entfernen, als 
man einen Vielfraß zu entfernen ſuchet. 
Der Menſch floh den Menſchen, weil ihre 
Einigkeit ihr Elend nur verdoppelte! Arme 
Mädchen, die an den Boden, two fie ge 
boren wurden, geheftet blichen, ſchmachte⸗ 


One ) 422 ( Ein 
ten, wie bie Bhmen, bie von der Sonne 
verbrannt, erbleichen und auf ihren Stan 
geln vermwelfen. Der größte Theil fehleppte 
die Begierbe verhenrathet zu werden mit ſich 
bis in dag Grab: Langeweile und Verdruß 
fponnen die Augenblicke von ihrem Kebengfa- 
den: fie Eonnten fich auch diefe Beraubung 
nicht anders als mit Gefahr ibrer Ehre und 
dem Verluſte ihrer Gefumdheiterfegen. End 
lich war die Zahl der Ehelofen big aufs hoch⸗ 
fie geftiegen, und was das groͤßte Unglüd 
war, fo ſchien die Vernunft diefe Werlegung 
der Menſchlichkeit 6) gu rechtfertigen. Fuͤh⸗ 
ret mir Doch zu ineinem Troſte das ruͤhrende 


6, Der Geſchmack an einen ehelofen Stande 
reißt gemeiniglic) alsdann ein, wann die Regierung 
fü (dicht als möglich wird: Der Bürger, ſo bald et 
dem ſuͤßeſten Bande entriffen it, machet ſich under⸗ 


merkt auch von der Liebe zum Leben los. Der Seibſt⸗ 


mord wird häufiger. Die Kun gu leben iſt eine 
ſo ſchwere Kunſt, daß die Exiſtenz eine Laſt wird. 
Man wuͤrde alle phyſiſche Uebel zuſammen ertra⸗ 
gen haben: aber die politiſchen Uebel ſind hundert⸗ 
mal fuͤrchterlicher, weil ſie nicht nothwendig da 
feun mußten. Der Menſch verwuͤnſcht die Geſell⸗ 
ſchaft, die ihm feine Kuͤmmerniſſe erleichtern ſollte, 
. und gerbrigt feine Feſſeln. Man zählete it Paris 
in Sabre 1769. hundert fieben und viersig Perſo⸗ 
nen, die ſich ielhk entleibt hatten. 


) 423 (En 
Gemälde Eurer Sitten vollende aus. Mie 
habt ihr die Plagen wegſchaffen fönnen, die 
das menfihliche Gefchleche gänzlich zu bei» 
tilgen fchienen. 

Mein Führer nahm einen erhabenern Ton 
der Stimme an, und ſagte mit einer Be⸗ 
geiſterung von Adel und Wuͤrde, indem er 
die Augen gen Himmel erhob: „O Gott! 
iſt der Menſch ungluͤcklich, ſo iſt es ſeine 
Schuld; es koͤmmt daher, weil er ſich von 
den Menſchen entfernt, weil er ſich in ſich 
ſelbſt verſchließt. Unſere Thaͤtigkeit verzeh⸗ 
ret fi) in nichtswuͤrdigen Gegenſtaͤnden, 
und vernachlaͤßiget diejenigen, die uns be⸗ 
reichern koͤnnten. Indem die Fuͤrſehung 
den Menſchen zur Geſellſchaft beſtimmte, 
gab fie ung nebſt unfern Uebeln auch bie 
Mittel, fie ung zu erleichtern. Wo fann eine 
firengere Verbindlichkeit fegn, als die, ung 
unter einander liebreich zu unterftügen !- Iſt 
e8 nicht der allgemeine Wunfch des menſch⸗ 
lichen Sefchlcchtes? Warum iſte er ſo oft hin⸗ 
tergangen worden! 

Ich wiederhole es nochmals: unſere Wei 
ber find Chegattinnen und Mütter, ‚und 
aus diefen beyden Tugenden fließen alle die 
übrigen. Unſere Weiber wuͤrden ſich be 


Grin) 024 (re 


ſchimpfen, wenn fie ihr Gefichte mit rother 
Sarbe befchmierten, Zobafnähmen,gebrannte 
Waſſer traͤnken, auf ber Leyer fpielten, li 
derliche Gefänge anftiimmten, und fich mit 
den Männern auf eine verdächtige Art ge 
meint machten. Eie haben ficherere Waffen: 
die Sanftmuth, die Befcheidenheit, uner 
Tünftelte Grazien und dieſen edlen Anftand, 
der ihr Erbeheil und ihr wahrer Ruhm 
iſt 7). 

Sie fillen ihre Kinder, ohne daß fie glan- 
ben etwas außerordentlicheg zu thun, und da 
es nicht eine bloße Grimaſſe ift, fo haben fit 
auch an Milch einen Ueberfluß und fie ift rein. 
Man machet bey guter Zeit den Körper des 
Kindes feft: man lehret es ſchwimmen, Laſten 
heben, in der Entfernung richtig werfen. 
Die phnfifche Erziehung fcheint ung wich⸗ 
tig. Mir bilden feinen Korper, che wir 
noch etwas feinem Gedächtniffe einfchärfen: 


7) So lange die Weiber in Frankreich bar 
ſchen, den Ton angeben, über das Verdienſt und 
das Genie der Männer urtheilen: fo lange mer 
den auch die Franzoſen nicht die Standhaftigkeit 
der Seele, die meife Oekonomie, die anftändige 
Ernſthaitigkeit, und den männlichen Charakter be 
ben, der freyen Meuichen zukoͤmmt. 


*— ) 45 (ee 
es muß nicht einen Papageyen - fondern eb 
nen Menfchenkopf haben. 

Die Mutter machet fich die Morgenrdthe 
feiner jungen Gedanken zu Nutze. Sobald 
feine finnlichen Werkzeuge ihrem Willen ges ' 
horchen innen, denft fie nach, auf welche 
Are fie feine Seele zur Tugend bilden muͤſſe. 
Da fie feinen empfindlichen Charakter in 
Menfcylichkeit, feinen Stolz in Hoheit der 
Seele, feine Neugierde in Kaͤnntniß erhab⸗ 
ner Wahrheiten verwandeln fol; fo denkt 
fie den rührenden Fabelu nad), deren ſie ſich 
bedienen will, nicht um die Wahrheit zu 
verbergen, fondern um fie liebenswuͤrdiger 
zu machen, damit nicht ihr blendender Glanz 
die Schwachheit feiner noch unerfahrnen 

"Seele verwunde. Sie mache über alle feine 
Geberden fowohl, ale über alle die Worte, Die 
man in feiner Gegenwart ausſpricht, damit 
fein einsigeg einen nachtheiligen Eindruck auf 
fein Herz mache. So verwahret fie e8 vor 
dem anftecfenden Hauche des Laſters, bet 

: fo gefchwind die Blume der Unſchuld ver 
ſenkt. | j 

Die Erziehung ift bey ung nad) dem Ge 
ſchaͤfte verfchieden , zu den einftend dag 
Kind in der Sefellfchaft beſtimmt wird ; denn 


2m) 426 ( rk 


ob wir gleich von dem Sjoche der Pedante⸗ 
ren befrenet find, fo würde es doch laͤcher⸗ 
Jich ſeyn, daſſelbe etwas lernen zu laffen, 
was es eined Tages wieder vergeffen fol 
Jede Kunft bat ihre Tiefe, und man muß 
fidy ihr ganz wiedmen, wein man darin⸗ 
nen. vortrefflich feyn will. Der Geift dei 
Menſchen, (bis auf die außerordentglichen 
Bentes, 10 die Natur Wunder getban,) 
Fann ungeachtet der neuerlich entdeckten 
Hülfsmittel nur Einen Gegenftand ganz um⸗ 
faſſen. Es iſt genug, wenn man fich nur 
daran feſthaͤlt, man braucht ibm nicht am 
dere Ausfälle vorzufchreiben, die eg leicht 
Son feinem eigentlichen Zwecke abführen. 
Es war zu Eurer Zeit etwas fehr Lächerle 
ches, daß man ein allgemeiner Gelehrter 
ſeyn wollte: bey ung hält man es für eime 
Thorheit. 

Bey mehrern Jahren, warn fein. Has 
bie Verhaͤltniſſe fuͤhlet, die ihn mit an 
dern Menfchen| vereinigen, wird ihn die Mut⸗ 
ter, fiatt der nichtswuͤrdigen Kenntniſſe, die 
man ohne Wahl in den Kopf eines jungen 
Menfchen bineinpfropfte, wird fie, fage id 
mit der fanften und natürlichen Beredtfamteit, 
bie den. Weibern eigen ift, ihn Ichren, was 


a) 407 (En 


te Sitten, Befcheidenheit und Tugend find, 
sie wird ben Augenblick ertwarten, wo bie 
atur, in ihrer ganzen Pracht gekleidet, su den 
rempfindlichſten Herzen fpricht, und wann 
r fruchtbare Hauch des Fruͤhlings den 
haͤlern, den Wäldern und Feldern ihren 
ichmuck wird wieder gegeben haben: fo wird 
zu ihm fagen, indem fie ihn an ihren mütterr 
hen Bufen drückt zy: „MeinSohn, fiehe dies 
grünen Wiefen, diefe, mit dem prächtigften 
ube gefrönten- Bäume: vor kurzem waren 
noch wie tobt, ihres prächtigen Haupt⸗ 
mucks beraubt, von dem Froſte erſtarrt, Der 
e Eingeweide der Erde verfchloß: aber es 
ein gütiges Weſen, das unfer aller Vater 
Niemals verläßt er feine Kinder, er 
ohnet im Himmel und wirft von daraus 
ıen väterlichen Blick auf alle feine Gew 
oͤpfe. So bald er lächelt, ſchießt die Son. 
ihre Strahlen ab, die Bäume blühen, die 
de kroͤnet fich mit feinen Geſchenken, das 
·as waͤchſt zur Nahrung der Thiere, deren 
3) Cebes ſtellt und den Betrug vor, wie er am 
Thuͤre fit, die zum Leben führet, und allen, 
fih. daſelbſt einftellen, die Schale des Irrthums 
het. Diele Schale ift der Aberglaube. Glück 
wer, fobald er davon gefoftet, das Gefäße gleich 
zgeworfen hat. | 


Sm (425 ( ke 


Ri wir trinken. Und warum lichen wir 
Bei Gett jo ſehr, mein Kind! Merke es! 
weil ee almächtig und allgütig iſt. Allee, 
was ir chſt, in das Verf feiner Hände, 
wu ler, mas du fichit, iſt noch nichts ges 
sen did, mas dir verbergen iſt. Die Ewig— 
keit, für die er beine mmiterbliche Eeele er: 
ſchaffen kur, wird für dich eine unendlich 
Folge nen Erftannen und Freude ſeyn. Sei⸗ 
we Eün, feine Grote babe feine Grän 
zen. Er liebt uns, meil er unfer Vater if. 
Mor Tage zu Tage mird er ung mehr Gu⸗ 
tes than, wenn wir tugendhaft find, d. i. 
wenn mir fernen Geboten folgen. Ach! mein 
Sohn— mir wäre es moͤglich, daß wir ihn 
nicht anderen, ihm nicht danfen follten!, 
Mir diesen Worten werfen fi) Mutter und 
Kind zur Erden, und ihre vereinten Gelübbe - 
fieigen zugleich zun Throne dee Ewigen auf. 

Auf dieſe Art umgiebt fie es gleichfam mit 
den Gedanken eines Gottes; fo nähret ſie ſei⸗ 
ne Seele mit der Milch der Wahrheit, und 
fagt zu fich felbit: „ch will dte Abſichten ded 
Schoͤpfers erfüllen,der mir dieſes Kind anver⸗ 
trauet hat. Ich werde mich der traurigen kei⸗ 
denſchaft firenge widerfegen,die feinem Glüdt 
ſchaden koͤnnen. Mit der Zärtlichkeit einer 


RD) 429 (er. 


Mutter will ich die nie eingufchläfernde Wach« 
famfeit einer. Freundinn verbinden. , 

Ihr habe vermuthlich gehoͤret, in wel—⸗ 
chem Alter er zur Gemeinſchaft der beyden 
Unendlichen eingeweihet wird. Die ift un 
fere Erziehung; fie beruht ganz auf Empfins 
dungen, wie Ihr wohl ſeht. Wir verab« 
ſcheuen den immer lauf lachenden twigigen 
Kopf, der die entfeglichfte Plage Eures Jahr 
hunderts war: er vertrocknete und verfengte 
alles, was er berührte: aus feinen Artigkei⸗ 
ten keimten alle Lafter hervor. Wenn aber 
der wißelnde Ton gefährlich ift, was ift die 
Vernunft felbft ohne Empfindung? Ein ent 
fleifchter Korper ohne Farbe, ohne Grazie 
und beynahe ohne Leben. Was find neue 
und felbft tiefe ideen, wenn fie feine Ems 
pfindung, Fein Leben haben? Was nuͤtzt mir. 
eine kalte Wahrheit, von der ich erftarre? 
Eie verliert ihre ganze Kraft. Aus dent 
Herzen muß die Wahrheit ihre Meize und 
ihren Donner holen. Wir lieben diefe Bes 
redfamfeit, die reich an lebhaften und tref- 
fenden Gemälden if. Sie iſt es, bie 
dem Gedanfen feurige Flügel giebt. Sie 
bat den Gegenftand gefehen , fie hat ihn 
getroffen; fie haͤlt ihn feft, weil dad. Ver⸗ 


\: R 


>=) 430 (ee 


gnuͤgen bewegt zu feyn, zu dem Vergnügen 
erleuchtet zu werden, hinzukoͤmmt 9). 
Unfere Philofophie ift folchergeftalt nidt 
firenge, und warum follte fie eg feyn? Wars 
‚um follten wie fie nicht mit Blumen be 
kränzen? Würden munderliche oder traurige 
Borftelungen der Tugend mehr Ehre ma 
hen, als lächelnde umd nutzbare Ideen? 
Wir glauben, daß das Vergnügen, dag aus 


9) Wir. rechnen mehr auf die dugern Gitten, 
das iſt, auf die Gewohnheit, ald auf irgend eine at, 
dere Sache: daher koͤmmt es auch, daß mir die Er: 
ziehung verabfädmen. Die Alten behandelten dis 
Sachen auf eine weit finnlichere Art, und wußten 
auf die Erlernung ver Wiſſenſchaften, ich weiß 
nicht, welche Anmuth zu fireuen, von der man dad. 
Geheimniß ganz verioren bat. Der Geik der 
Neuern fündiget allezeit aus Mangel, der Empfin⸗ 
dung: fie haben unter der Ruthe der Pebdanterey 
die gluͤcklichſten Talente verdrängt. Iſt wohl in 
der Welt eine lächerlichere Anftalt, als die Stif⸗ 
sung unferer Collegien, wenn man unfere trocknen 
und todten Lehren mit der oͤffentlichen Erziehung 
dergleicht, die Griechenland den jungen Leuten gab, 
mdem ed die Weisheit mit nalen den Reizen 
chmuͤckte, die uur diefes zarte Alter entzuͤcken fännen? 
Unfere Stifter [deinen nichts als wilde Schulmeis 
fter gemwefen zu ſeyn, und man darf fich nicht wun⸗ 
dern, wenn ihre Schüler die erſten m, die he 
verlaſſen und fliehen. 


en) 431.( are. 


einer wohlthätigen Hand gefloffen, nicht her⸗ 
ab auf die Erde gefommen ift, damit man, 
vor ihrem Anblicke zurückfchaudere. Das 
Vergnuͤgen ift fein Ungeheuer: das Vergnuͤ⸗ 
gen, wie Young gefagt hat, ift die Tugend 
unfer einem freudigern Namen. Weit ent 
fernt , die Leidenfchaften, die unfichtbaren 
Triebfedern unſers Weſens vernichten zu 
wollen, fehen wir fie, vielmehr als ein koſt⸗ 
bares Gefchenfe an, mit dem man forgfältig 
haushalten muß. Glücklich ift die Seele, 
die flarfe Leidenfchaften befißt! fie machen 
ihren Ruhm, ihre Größe, ihren Reichthum 
aus. Ein Weifer unter uns beffert feinen 
Verſtand, verwirft die Vorurtheile, ftrebet 
nach dem Befiße nüßlicher und angenehmer 
MWiffenfchaften. Ale Künfte, die feiner 
Derfiand eriveitern und berichtigen koͤnnen, 
haben feine Seele vollfommmer gemacht. 
Iſt diefe Arbeit gethan ; fo hoͤret er bloß die 
Natur, die fich den Gefegen der Vernunft 
unferwirft, und die Vernunft zeichnet ihm 
das Gluͤcke vor 10). 


10) Das Feuer der Leidenſchaften if nicht die 
Urfache unferer Unordnungen: diefes unbändige, 
ungesähmte Roß, das unter der Hand eines ſchlech⸗ 
ten. Reuters durchgeht, ihn berabkürzes und mit 


Rz) 432 ( nk 


Neun und dreyßigſtes Kapitel, 
Die Auflagen », 


aget mir, ich Bitte Euch, wie erhebet 
Ihr denn bie öffentlichen Abgaben: 


Füßen tritt, würde dem Zaume, unter der Syeb 
gürte eines verſtaͤndigen Reuters gehorchen: mau 
würde es den Preis eines ruͤhmlichen Wettrennen 
gewinnen ſehen. Schwache Leidenfchaften verms 
then unfere Armuth. “In der That, was ik ime 
ſchwerfaͤllige, ſtumme Bürger, deſſen gefchmadiek 
Seele an nichts ein Vergnuͤgen findet, der friedlie⸗ 
bend iſt, weil er uuthätig iſt, der wie eine Pflame 
lebt, und ſich leicht von feiner Obrigkeit lenken laͤßt, 
weil er kein Verlangen fühlt. Iſt er cin Menſch, 
sder eine Bildſaͤule? Setzet neben ihm einer 
Menfchen, der voller Ichhafter Entpfindungen ik. € 
wird ſich dem Ungeſtuͤme feiner Leidenfchaften übers 
laſſen, er wird die Decke der Wilfenfchaften ger⸗ 
reißen: er wird Fehler begehen, er wird Genie bes 
ben. Ein Feind der Rube, begierig nach Kaͤnnt⸗ 
niſſen, wird er in dem Kampfe der Welt den eu 
habenen und erleuchteten Geift gewinnen, Der dem 
Vaterlande dienen wird." Er wird vielleicht BI 
fen aeben, aber er wird die ganze Kraft feiner Eee 
le gegeiget haben: die Flecken, die ihn deckten, wer 
den verſchwinden, weil er groß und nuͤtzlich gewe⸗ 
fen feyn wird. 

1, Meine Freunde, hoͤret einmal folgende Fe 
bel. „Kurz nach dem Lrfprunge der Weit, mm 


a ) 433. ( rare 


denn Eure Gefebgebung, mag fo vollkom⸗ 
men geworden feyn, als fie nur will, fo 


ein großer Wald von Citronenbdumen, die Pie 
ſchoͤnſten, reichen, gluͤhendſten Zrüchte trugen, bie 
man feit dem nur geſehen bat. Die Aeſte bogen 
ſich unter ihrer Laft, und die Luft war ſchon in 
der Entfernung von dem füßen Geruche, dem fie 
Ansdufteten, balfamiret. Indeſſen fchlugen einige 
nugeſtuͤme Winde viele Eitronen ab, und zerbra⸗ 
chen ſo gar viele Zweige. Einige durfige Wande⸗ 
rer riſſen Fruͤchte ab, um ihren Durſt iu ſtillen⸗ 
und traten fie mit güßen, nachdem‘ fie den Saft 
beraus gedruͤckt hatten.’ Dieſe Zufälle bewogen 
das Citronenvolk, ſich Hüter zu verſchaffen, die 
die Voruͤbergehenden abhalten, und den Wald mit 
hohen Mauern umgeben ſollten, um auch der Wutb 
der Winde Trotz zu bieten. Diefe Hüter waren an⸗ 
fangs treu und uneigennüsig: aber es waͤhrte 
nicht lange, fo thaten fie die Erklaͤrung, dag fo 
barte Arbeiten ibnen einen unerträglichen Durk 
verurfachet hätten: fie baten alfo die Citronen fols 
gendermagen: Ihr Herren, wis flerben vor Durſt, 
Indem wir Euch dienen: erlaubet doch, daß wir 
Jeder von Euch nur einen Heinen Schnitt geben: 
wir verlangen nicht, als nur einen en Saft, 
um unfere verdörrten Gaumen abzufüblen, Sur 
werdet dadurch nichts magerer werden, und wie 
und unfere Kinder werden dadurd) neue Kräfte iu 
der Ehre befommen, Euch zu dienen., 

Die' leichtgidubigen Citronen fanden die Bitte 
nicht unbiltig: fie eriaubten ihnen einen unmerklis 
en Aderlaß. Aber was et So bald der 

e 


v 







ze ) 434 ( er 


müßt Ihr doch, wie ich glaube, Abgaben er⸗ 
Segen? Statt aller Antwort, nahm mich ver 
ehrliche Mann, der mich begleitete, bey der 
Hand, und führte mich auf einen großenund 
weisen Kreuzweg. Hier fah ich einen Geldka⸗ 
fen von zwoͤlf Zuß hoch. Diefer fund uf 
vier Rädern: die Thüre hatte oben eine Def 


Schnitt einmal geſchehen war, fo drückte die hand 
ber Herrn Veſchuͤtzer erft ganz höflich, aber von Ta⸗ 
se zu Tage immer kraͤftiger. Es gieng fo weil, 
daß fie Beinen Saft mehr geben konnten: fie weis 
gen welchen zu allen ihren Mablieiten und an al⸗ 
le ihre Bruͤhen haben. Die Herren Aufſeher nb 
deckten, daß die Citronen deſto mehr gaben, je des 
ger man fie druͤckte. Als ſich dleſe fo haͤuftg Mer 
laſſen ſahen, wollten fie ſich auf ihre erfien Bere 
gleiche berufen: aber jene, da fie die ſtaͤrkern ges 
morden waren, warfen fie in Die Preffe, und druͤd⸗ 
te fie ohne Raaße, fie niochten ſchreyen, wie fi 
wollten. Es blieb ihnen endlich nichts mehr Wbrig, 
als die Haut, und auch Lie unterwarf' man dei 
beweglichen Kräiten des ſchrecklichen Preßſtads: 
kurz, es emdigte ſich damit, daß fie ſich in dem Blu⸗ 
te der Citſ en badeten. Diefer fhöne Bald wur 
de bald lichte Das Gefchlecht der Citronen gien 
ein: und ihre Tyrannen an. diefen erquickenden 
Trank gewöhnt, fanden fich, wegen ihrer allzu gref 
fen Berfhwendung bald deffen beraubet: fie mur 
ben und fiurben alle an einem faulen Zieher. 
men; 


SsDem ) 435. ir > 


I 
nung in Geftalt eines Stocks, den ein Dach} 
das in einer Fleinen Entfernung davon errich« 
tet war, wider ben Regen deckte. Auf dieſem 
Stock fund gefchrieben : Soll für den Koͤ⸗ 
nig, in fofern erpen Stant.fürftelle. Gleich 
darneben war ein anderer Stock, von einer 
mäfigern Größe, mit den Worten: Sreys 
williges Befchente, Ich ſah viele Perſy⸗ 
nen, die mit einer freyen, heitern und zufrie⸗ 
denen Miene in den Stock viel verfiegelte 
Packete warfen: ſo wie man in Paris heute 
zu Tage die Briefe auf die Hauptpoſt hineitts 
ſteckt. Da ich diefe Jeichte Art die Steuerh 
ju bezahlen bewunderte, und darüber tau⸗ 
ſenderley Fächerliche Fragen that: fo ſah 
man mich für einen armen Greis an, ber 
aus fehr fernen Landen koͤmmt: und die ge 
Tprächige Nachſicht diefes guten Volks ließ 
mich niemals eine Antwort vergebens er- 
warten. Ich geftehe ee, man muß kraͤn⸗ 
men, um fo gefällige Leute zu finden. O! 
das gute Volk! | 
Diefer große Kaften, ben Ihr fehet, fagte 
man mir, ift unfer Generalzolleinnehmer. 
Hier leget jeder Bürger das Geld nieder, 
Dad er zur Unterhaltung bed Staats zu ge 
ben ſchuldig ift. In den einen find wir ver 
Era 


ae) 436. (rei 
Bimbden jährlich den: funfzigften Theil unſerer 
Einfünfte zu legen. Der Lohnarbeiter, ber 
fein eigened Vermögen hat, oder ber, ber 
bloß fo viel hat, als er zu feinem Unterhalte 
bebarf, iſt ganz Stenerfigy 2); denn wie 


. 2) Golgended fönnte ungefähe der Arbelto, 
der Landmann, kurz das Volk zu deg Monarchen 
Tagen. „Wir baden Euch Aber unſere Hua 
‚erhoben: wir haben dem Blake Eures Throne 
und der. Sicherheit Enrer Verſonen unfere Gürke 
und unfer Leben verpflichtet. Ihr habt und ‚im 
‚Gegentbeil verfprochen, ung den Ueberfluß zu ver⸗ 
ſchaffen, und daß uns uuſere Tage ohne Unrube 
verflicken folen. Wer hätte glauben follen, dag 
‚unter Eurer Regierung’ dle Freude aus unfak 
Fluren verſchwinden, unſere Feſte ſich in Trauer 
2age. verwandeln, dad Furcht und Schrecken den 
ſuͤßen Vertrauen folgen fölten ! Vormals Idchels 
ten unfere blühenden Sluren unfern Augen; unfers 
“Gelder verfprachen und; unfere Arbeiten zu vera 
ten. ent geht die Frucht unſers &Schweißes ik 
fremde Hände über: unfere Hütten, die, wir mit 
‚fo vielem Vergnügen aufputzten, fallen über den 
Haufe: unfere Öreife und unfere Kinder wigen 
nicht mehr, wo fie ihre Häupter Binlegen follen: 
anfere Klagen verlieren fih in den Lüften, und 
mit jedem Morgen folget dem Elende, unter dem 
wir geſtern feufjeten, ein neues, noch fchrecklichere. 
‚Kaum iR und noch ein Zug von der menschlichen 
Geſtalt übrig geblieben, und Die Thiere, die dad 


27) 437 (er. 


koͤnnte man das Brod des Ungluͤcklichen bea 
nagen, der einen ganzen Tag braucht, um 


Gras abmaͤhen, find ohne Bwnifel weniger unglüde 
lich als wir. 

Noch empfindlichere Streiche Kürten auf unfes 
se Hdupter daher. Der Mädhtige verachtet und, 
und geſteht und fein Gefuͤhl von Ehre in: er bes 
unruhiget und unter unſerm Strobdarhe, er raubt 
unfern Zochtern ihre Unfchuld, ex entführet fies 
fie werden eine Beute der Unverſchaͤntheit. Vers 
gebens Ichrepen wir den Arne, der. bad Schwerdt 
der Belege trägt, um Hülfe an: er wendet ſich 
wes, er verfaget ſich unfern. Sthmerzen, er hoͤret 
nur auf die, Die und unterdruͤcken. 

Der Anblid Des Stolzes, der unſers Elendes 
fpottet, machet unfern Zuſtand noch unerträglis- 
her. Man trinkt unfer Blut, und man verbeut 
uns die Klage! Der harte Mann, von. einer ſtol⸗ 
zen Verſchwendung umgeben, trotzet auf Werke, 
Die unfere Hände gearbeitet haben: er vergißt unſern 
eigenen Fleiß, indeſſen, daß er nur feinen nieder» 
traͤchtigen Durſt nad) Golde u befriedigen ſuchet: 
ex haͤlt ung für feine Sklaven, weil wir weder wäs- 
tende, noch blutgierige Menſchen find, 

Die inımer neuem VBedürfniffe, die und quälen, 
haben uufre fanften Sitten geändert: Untreue 
und Raubfucht haben fi) unter uns eingefchlichen, 
weil die Nothwendigkeit, zu leben, gemeiniglidh 
über die Tugend fiegt. Aber wer hat und denn 
Das Beyſpiel des Raubes gegeben? Wer bat in 
unfern Herzen diefen Grund von Redlichkeit ver⸗ 
drängt, die und alte in eine vollkommene Eintracht 


He) 8 (ee 


e8 zu verdienen? In jenem anbern Kaſten 
find die freymilligen Gaben, beſtimmt m 


band? Wer dat das Umglüd, die Mutter unfſret 
Lafer, über uns gebracht? Viele unferer Mithuͤr⸗ 
ger babem fich geweigert, Kinder zu erzeugen, dis 
der Hunger in den Wiege verschren würde. Ar⸗ 
dere ‚haben im ihrer Verzweiſtung Die Worfehung 
gelaͤſtert. Wer find ve wahren Urheber dieſer 
Deteehen! 

D möchten doch unfere gerechten Klagen bie 
Atmofpbäre durchdringen, Die die Thronen ums 
giebt! Möchten die Könige ermachen, und fi es 
innern, daf fie am unferer Stelle hätten innen 
geboren werden, und ibre Kinder in dieſelbe berab> 
fleigen koͤmten. Wir find an den Boden des Bes 
teriaudes gefefielt, oder machen vielmehr das wah⸗ 
re Vaterland aus: mithin Finnen wir und nicht 
Der Pflicht entziehen, für feine Bebürfniffe zu fürs 
gen. Wir verlangen nur einem billigen Mann, der 
ſich Mühe giebt, das Mans unferer Serdfte kennen 
zu lernen, und der uns nicht unter der Lak erdruͤ⸗ 
cken möge, die wir in einem gerechtern Berbdltnif 
fe mit Freuden würden getragen haben. Niödenn 
mürden wir zufrieden und reich von unfrer Haufs 
haltung, vergnügt über unfer Schickſal, das Glüd 
anderer ohne irgend einige Unruhe über unfer eiges 
nes betrachten. 

Die Hälfte unfrer Tage iſt mehr als zur Hälf 
te zuruͤcke gelegt. Zur Hälfte ik unfer Hen 
dem Schmerze überlafien. Wir Gaben nur weni⸗ 
ge Augenblicke noch zu leben. Die Wuͤnſche, di⸗e 
wir (hun, ergehen mehr für Das Vaterland, ald ſat 


Fa) 
nuͤtzlichen Stiftungen, : ald z. B. zur Aus⸗ 
führung vorgefchlagener Projekte, die dem 
Öffentlichen Beyfall haben. Bisweilen ift 
er reicher ald der andere: denn mir haben 
gern in unfern Sefchenfen unſre Freyheit, 
und unſere Großmuth verlangt keinen an⸗ 
dern Bewmegungsgrund, als die Vernunft 
und die Liebe des Staats. So bald unſer 
Koͤnig einen heilſamen Befehl gegeben, der 
den öffentlichen Beyfall bat; ſobald kommen 
wir haufenweiſe und bringen in dieſen Stock 
einen Beweiß unſerer Erkaͤnntlichkeit. Wir 
belohnen auf eben dieſe Art alle wachſame 
Handlungen bes Monarchen: er braucht 


und felber. Wir r nd. feine Stägen. Aber wenn | 
Die Unterdrädung von Tage zu Tage zunimmt, Yo* 
muͤſſen wir finten, und das Vaterland muß über 
den Haufen fallens is feinem Einſturze wird es 
unfere Tyrannen zugleich zerſchmettern. Wir vers: 
langen nicht diefe eitle und traurige Rache. Was. 
würde uns im Grabe dad Ungluͤck eines.andern hel⸗ 
fen? Wir reden dey Monarchen zu, ob fie noch 
Menfchen find: aber wenn fich ihr Herz gaͤmlich 
verbärtet bat, fo werden fie bald erfahren, daß wie 
3 Berhen willen, und daß der Tod, der und bald 
alle treffen wird, eines Tages denen weit fchredlis. 
cher ſeyn wird, als er es für ung war. 
: Diele Anmerkung if zum heil aus einem Bus’ 
che eutlehnet, das den Titel führet ; "Die Menſchen⸗ 


Oz) 40 (Ee 

nur vorzutragen, und wit verfchaffen ihm 
die Mittel, feine großen Entwürfe aus 
führen. In jedem Viertel der Stadt ift fo 
ein Stod. Jede Stabt in der Provinz het 
einen folchen Kaften, worinnen bie Stenern 
vom Landvolke gefammelt werben, das if, 
Yon dem Butsbefiger, der fein gutes Aus 
fommen bat: benn ber Handarbeiter bat 
nichts als feine Arme zum Eigenthume 
‚und fein Kopf ift niemanden etwas ſchul⸗ 
dig. Die DOchfen und die Schweine find 
fogar von ber -verhaßten: Abgabe frey, bie 
man das erfiemal auf den Kopf ber Yuben 
legte und Die Ihr bezahlet habet, ohne ba 
Echimpfliche davon zu fühlen. 

e — ber, verfeßte ich; iſt es mögli! 
Man überläßt dem Volke die Steuer, bie 

es bezahlen muß, auf Treue und Glauben? 
Wird es nicht viele geben, hie nicht® bezah⸗ 
len, ohne daß man bavon etwas weiß?! — 
Keinesweges: Eure Beforgniß.ift vergebene. 
Fürs erfte geben wir bag, was wir geben, 
aus gutem Herzen: unfer Zoll iſt nicht er⸗ 
zwungen: er gründet fich eben fo ſehr auf 
bie Billigfeit, als auf die gefunde Vernunft. 
Es ift nicht ein eingiger unter ung, der ſichs 
nicht zur Ehre machte, aufs genauefte die 


Ze) 441 ( iur 


heiligſte und rechtmäßigfte Schuld zu bezah⸗ 
len. Zweytens, woferne ein Menſch, dee 
bezahlen kann, fich derfelben entzoͤge: ſo ſeht 
einmal diefe Tafel! — Auf biefer fichen bie 
Namen aller Hansodter gefchrieben. Man 
würde bald denjenigen entdecken, der nicht 
fein verficgeltes Packet hHineingeworfen, das 
fein Petſchaft und feine Unterfchrift haben 
muß: alsdann würde er fich mit einer wir - 
gen Schande bedecken, man wuͤrde ihn mit 
eben den Augen, wie einen Raͤuber anſe⸗ 
ben: der Name eines ſchlechten Bürgers 
würde ihm bis ind Grab folgen, 
Diefe Benfpiele find hoͤchſt felten, meil die 
freytilligen Gaben ſich ordentlich Höher al6 
bie Steuer belaufen. Der Bürger weiß, da, 
wenn er einen Theil feiner Einfüufte dem 
Staate giebt, er fich felbft nüßer; und baf, 
wenn er geweiffer Bequemlichkeiten genießen 
will, er felbft bie erften Schritte dazu thun 
muͤſſe. Aber was find Worte, warn ich 
Euch das Beyſpiel vor Augen legen kann? 
Ihr werdet beffer fehen, ale ich eg Euch ſa⸗ 
gen kann. Heute iſt der Tag, da von als 
len Seiten der gerechte Zoll eines getreuem 
Volks für einen mwohlthätigen König ein« 
läuft s- er erfennet es, baß ihm die Gaben, 


Sm) 442 ( ent 


die man ihm bargebracht, bloß als ein 
Pfand anvertrauet werben. ur 

Kommt mit: mir in den Edniglichen Pa⸗ 
laſt. Die Deputirten jeder Provinz fommen 
heute an. — In der That; kaum hatte ich 
einige Schritte gethan, fo fabe ich Men⸗ 
fchen die Eleine Wagen fuhren, auf ben 
Käftchen mit Lorbeern gefrönt fiunden. Man 
- brach die Eiegel von ihnen.ab, bob fie auf 
eine fehr genau berichtigte Wage, und bieft 
zeigte gleich durch das Gewichte die Sun 
me, bie c8 enthalten mußte, indem mar 
die Schwere des Kaſtens, die ſchon befannt 
war, davon abzog. Alle Summen wurden 
bloß in Gelde besahlt, und man wußte aufd 
genaucfte das allgemeine Produkt: es wur⸗ 
de Sffentlich unter Pfeifen und Trompeten. 
ſchall angefündiget. Nach dieſer allgemeir 
nen Anzeige, gab man das Ganze an, und 
man wußte die Einkünfte des Staates; fit 
‚ wurden in ben Eöniglichen Schaß unter ber 
Aufſicht bee Kronſchatzmeiſters niederg⸗ 
legt. 
Dieſer Tag war ein Tag der Freude. 
Han bekraͤnzte ſich nie Blumen: man 
fchrie: Es lebe der Bönig! Man sgieng 
jeber anfommenden Kaffe auf den Stroßen 


an) 443 ( ne 
entgegen.- Dieſe waren mit Tifchen voll laͤnb⸗ 
licher Erfrifchungen befebt. Die. Deputir« 
ten der. verſchiedenen Provinzen bewillkomm⸗ 
ten ſich und machten einander Geſchenke. 
Man trank auf die Geſundheit dee Monar- 
chen unter dem Donner der Kanonen, und. 
der in ber Hauptfiadt antwortete als ber 
Dollmetſcher der Dankffagungen des Mon⸗ 
archen. Itzt ſchien das Volk nur ein Ein⸗ 
ziges, ja nur Eine- Familie auszumachen. 
Der Koͤnig kam mitten unter dieſes freudige 
* Er beantwortete die Zurufungen ſei⸗ 
rthanen durch den zaͤrtlichen Blick, 
den Vertrauen einflößt und Liebe für 
Liebe zuruͤcke giebt! er kannte nicht die Kunſt 
mit einem Volke politiſch; zu handeln, für 
defien Vater er.fich hielt. 
. Seine Befuche flürzten die Stadt um o 
viel weniger in einenverberblichen Aufwand, 
da es dem Volke nichts, als Freudengeſchrey 
koſtete 3): eine weis glängendere, weit 
3) Ich fah eines‘ Tages einen Fürken feinen: 
Einzug in eine fremde Stadt halten. Die Kano⸗ 
sien fiengen an zu donnern. Der Prinz war praͤch⸗ 
tig gekleidet, und wurde in einem goldnen Wagen, 
der mit Edelfnaben und Bedienten überladen war, 
gesogen. Wiehernd -forangen die Pferde, als ob 
fie das Shid einherführten. Die Dächer waren 


HDD) 444 (tie 


fchmeichelhaftere Aufnahme! Man verlief 
nicht die Iffentlichen Arbeiten: im. Gegen 
mit Menfchen bededt, alle Feuſter waren ayögehes 
ben, jeder Pflaferfiein trug feinen Wann: bie 
Reuter ließen ihre Saͤbel bligen, die Soldaten ide 
ze Gewehre. Die Luft zitterte von dem Wieder⸗ 
halle der Trompeten. Der Dichter ſtimmte feine 
Leyer, und der Reduer wartete, bis er den Fuß 
auf die Erde feen würde. Der Prim kam an, er 

wurde in den Pallaft geführt, und fein Anblick Aöbs 
te eine chrerbietige Srende ein. Ich war an dis 
nem Fenſter, und ſah dieß alles mit an, indem ich 
meine befordern Betrachtungen daruͤber anftelite 
Einige Enge darnad) gieng ich auf ber Straße, und 
erflaunte, als ich eben dieſem Fürften ohne 
ge, zu Fuße, und verkleidet begegnete. J 
nicht recht, warum Fein Menfch ihn zu: bemetten 
ſchien: im Gegentheil erhißlt er mit jedem Schrit⸗ 
te einen Stoß. Zu gleicher Seit kam ein Charla⸗ 
tan, der auf einer Art von Eleinen Wagen ſaß— 
welcher mit vielen großen Hunden befpaunt Wat, 
und einen Affen zum Bokillion hatte. Den Aus, 
genblick giengen alle Fenſter auf, es erhob fick ein 
lautes Geſchrey, aller Augen gieng nach dent Char⸗ 
latan. Der Fürft felb von dem Haufen mit forte 
gerifien, murde einer feiner DBewundsser. Ich fab 
ibn au, und es kam mir vor, als hörte ich ihn ſa⸗ 
gen: eitlev Weibraudyedampf eines laut zurus. 
fenden Volkes, verfinftere nie meinen Verſtand 
durch einen thörichten Stolz. Nicht diefer 
Hann ifte , dem das Volt zuläuft, ſonders 
fein ſeltſauer Yufzug. Nicht ich war es, der 







5 rk 


eheile machte fich jeder Bürger eine Ehre . 
daraus, fich feinem Könige in der Art von 
Gefchäfte zu zeigen, wovon er fich nährte. 

Ein Aufſeher durchreifet, mit allen Zeichen 
der Macht befleidet, die Provinzen, nimmit 
DBittfchreiben an, bringe ie Klagen der Unter: 
thanen gerade vor dem Thron, unterfüchet 
in eigner Perfon bie Mißbraͤuche. Er begicht 
fich ohne Unterfchled in jede Stay, und 
bey jedem abgefchaften Mißbrauch errichtet 
man eine Pyramide, bie das Andenken ber 
Bekaͤmpften Hnder erhält. Welche Geſchich⸗ 
te kann lehrreicher ſeyn/ als dieſe morali⸗ 
ſchen Denkmaͤler, welche bezeugen, daß der 
Monarch ſich wirklich mit der Kunſt zu re⸗ 
gieren befchäftiget ! Diefe Uuffeher reifen 
ab, kommen incognito an, siehen geheime 
Nachrichten ein, und gehen befländig ver- 
Fleidet: es find Spione; aber fie arbeiten 
zum Beſten des Vaterlandes +).  ' 


die Augen der Stade auf mic) 308: eo waren 
"meine Bedienten, meine Pferde, meine ſchim⸗ 
mernden Zleider, und meine vergulderen 
Wegen. 

4, In der Türkey ſowohl, als in Frankreich 
if ein Gouverneur fo fehr Herr, als der uns. 
amſchtaͤnkteſte König; dieß iſt eben Das Ungluͤck 


Same) 446 ( Br 
— Aber Euer Schatmeifter.5), iſt denn 
dag ein ehrlicher Mann? Ihr wiſſet doc 
bie Sabel:. der ſo getreue Hund, trug unter 
dem Geleite der Maͤßigkeit, die Mahlzeit 
ſeines Herrn herbey, ohne es jemals zu b⸗ 
ruͤhren: er endigte aber damit, daß er auch 
ſeinen Theil davon aß. ſobald er durch dad 
Benfpicl. darzu eingeladen wurde. Sollte 
Euer % wohl die doppelte Tugend be 
fitzen, 88 unaufhoͤrlich gu vertheidigen, und 
es auch nicht anzurühren? — Gans gewiß, 
er läßt weder Paläfte noch Schlößer bauen. 
Er hat nicht die Wuth feiner Geſchwiſter⸗ 
Schwaͤger⸗Neffen, oder feine alten Bedien⸗ 
ten zu ben hoͤchſten Stellen zu erheben. Er 
verfchtwendet nicht das Gold, als ob ale 
Einkünfte des Reichs fein eigen wären 6% 


des Volks, und dieß if auch Die ungtüclichfegerm 
der bürgerlichen Negierung. 

5) Kougvet fagte: „ich habe das Gelb des am⸗ 
zen Koͤnigreichs, die Taxordnung aller Tugenden 

6, Nachdem die Monopolen , Adminiſtrais⸗ 
ven und Einnehmerder öffentlichen Renten, den Ruf 
der Nechtfchaffenbeit, der Begierde, fich gu bereis 
dern, aufgeopfert haben: nachdem fie einaemilligek 
haben, verhaßt zu fenn, fo bekuͤmmern fie fih auf 
nicht darum, was fie für einen Gebrauch ven Ih 
ven Reichthuͤmern machen: unter dem Gepränge 


ae) 47 (u 


Ueberdieß Eönnen alle diejenigen, deren Haͤn⸗ 
den man bie Sffentlichen Gelder anvertrauen, 
unter feinem Vorwande in der Welt Davon 
einen Gebrauch machen... Es würde ein 
Verbrechen des Hochverraths ſeyn, von ih⸗ 
nen ein einziges gemuͤnztes Stuͤcke Geld zu 
nehmen. Sie bezahlen einige beſondere 
Ausgaben mit Scheinen, die von der eignen 
Hand des Monarchen unterzeichnet ſind. 
Der Staat giebt zu allen ihren Ausgaben 
Das Nöthige her: aber fie haben nicht einen 
Heer, ber ihnen eigen waͤre 7). . Sk, tin» 


gerbergen fie ibre Herkunft und ihre Blickaunts 
fände; fie betäuben ſich ſelbſt durch Luſtbarkeiten, 
um zu vergeffen, was fie gethan haben, und mer 
fie gemwefen find. Aber das.ift noch nicht das größe 
te Unglüd: ‚ihre großen Reichthuͤmer verderben 
noch mehr die, die fie beneiden ! 
7, Die - innen Fehler, die. das Verderben 
des Staats befoͤrdern, find die ungeheure Vers 
ſchwendung der Öffentlichen Gelder, die unmaͤſ⸗ 
figen Geſchenke, womit Lente ohne alle Verdien⸗ 
ſte uͤberſchuͤttet werden, die prächtieen Verfchwen⸗ 
Bungen, die felbft die unverfchämteren Ufurpatoren 
nicht gekannt baben. ch babe irgendwo gelefen, 
daß Auguſtug, Per Herr der Welt, 40 Legionen in 
Waffen hatte, und fie jährlich von ı2 Millionen 
unterhielt. Dieß follte doch einiges Nachdenken 
serurfachen. - nd 


u) 445 (ee 

nen weder verkaufen, noch Faufen, noch 
hauen. Es iſt Ihnen ihre Nahrung, ike 
Unterhalt, ihr Vergnügen angemiefen, umb 
alle Stände vereinigen fi) einmuͤthig, ihnen 
alles unentgeltlich zu verſchaffen. Giefom 
men zu einem Zuchhändler, nehmen Waare 
aus, und geht. Der Kaufınann ſetzt in 
fein Bud): Diefen Tag an den Rinnebmer 
der Stadt» inkänfte abgelieferr fo und 
fo viel — — Der Staat bezahle So ih 
es auch mit andern Sacher. Ihr werdet 
leicht einfehen, daß, wenn ein folcher Ein 
nehmer nur einige Schaam befißet, er fih 
dieſes Rechts mäßig bedienen tverde: und 
- Sollte er deffen mißbrauchen, ‘fo würden wir 
in Betrachtung der Koften, die Euch die Her 
ren machten, nody dabey gewinnen. Man 
bat ‚die Rechnungen abgefchaffe , bie m 
nichts dienen wuͤrden, als bie "Diebftähle, 
bie bie Nation erlitten, zu bemänteln, und 
fie, ſo zu fagen, zu rechtfertigen. 

— Und wer ift denn Euer erfier Wins 
ſter? Könnt hr dag wohl fragen? Der 
nig ſelbſt. Kann fich die koͤnigliche Würde 
mittheilen 9? Der Soldat, der Kichter, der 


8) Die allgemeine Gefchichte der Kriege Eins 
te den Titel führen: Geſchichte der beſondern 


BF) 49 ( — 


Kaufmann müffen bloß durch ihre Abgeord⸗ 
neten handeln. Im Falle einer Krankheit 
oder Reiſe, oder in einigen befondern Geſchaͤff⸗ 
ten, kann es bloß ein Freund feyn, wenn der 
Monard) jemanden die Vollziehung feiner 
Befehle auftraͤgt. Bloß die Empfindung 
ber Sreundfihaft kann einen Menfchen ver- 
binden, freywillig eine folche Laſt zu über- 
nehmen: und unfre Achtung giebt ihn als 
fein eine folche augenblickliche Macht. Bes 
lohnt durch die Sreundichaft, von ihr beſeelt 
weiß er, wie die Sülly und d' Amboiſe, die 
Wahrheit feinen Herren zu fagen, und ihn 
fo gar bisweilen, um ihm defto beffer. zu Dies 
nen, böfe zu machen. Er bekämpft feine 
Leidenfchaften. Er licht in ihm den Men⸗ 
ſchen fo fehr, als ihm die Ehre des Mon» 
archen am Herzen liegt 9). Indem er feine 


Leidenfchaften der Minifter. Ein folder, der bloß 
handelt, um fich wegen einer leicht heleidigten Selöf- 
liebe gu rächen, bringt ein entferntes und ruhiges 
Meich durch feine liſtigen Staatöunterbandlungen 
in Aufeubr. 

9, Die Trene if nicht die knechtiſche Abhaͤn⸗ 
gigkeit von dem Willen eines andern. Man giebt 
ihr zum Sinnbilde einen Hund, der überall folge, 
beftändig fchmeichelt, und blindlings alle Befehle 
eines ungerechten oder barbarifchen Deren vollzieht. 


öf 


ze) 40 ( — 

Arbeit mit ihm theilt, fo theilt er auch die 
Verehrung des Vaterlands, welches ohne 
Zweifel das ruhmwuͤrdigſte Erbehell ift, das 
er feinen Nachkommen laſſen Faun, und das 
einzige, auf dag cr eiferfüchtig iſt. 

— Da ich mit Euch von den Auflagen gere⸗ 
det, ſo habe ich Euch zu fragen vergeſſen, obIht 
allezeit bey Euch ſolche peripbifche Lotterien 
habt, wo zu meiner Zeit das arme Voltk alle 
fein Geld einlegte? — Nein, gewiß nicht: 
Wir mißbrauchen ber leichtglaͤubigen Hof 
nung der Menfchen nicht auf dieſe Are. Wir 
nehmen von dem armfien Theile der Buͤr⸗ 
ger nicht cine fo graufam liſtige Abgabe. 
Der Unglückliche , der von dem Gegenwaͤr. 
figen ermüdet, bloß von der Zukunft leben 
konnte, trug ben Lohn feines Schweißes 
und feiner Mühe in dag ungläckliche Rad, 
wo er täglich wartete, Daß fein Glück heraus: 
kommen würde, Die Hand birfer graufa- 
men Gottinn betrog täglich fein Elend. Das 
lebhafte Verlangen nach einem beffern 28 


Ich glaube, die wahre Treue ift mehr eine ge⸗ 
naue Benbachtung der Geſetze der Vernunft und 
ber Gerechtigteit, ala eine knechtiſche S’Haveren. 
le treu ſcheint Sülp, wenn er das Heurathbea⸗ 
verfprechen zerreißt, Das Heinrich he. gemacht basic. 


He) 45T (ne 


ſtande hinderte ihn nachzudenken, und ob» 
gleich die Betruͤgerey bandgreiflich war... fp 
:bildete.fich doch ein jeder:cin, da man feine 
Hoffnung immer nicht-eher, als mit dem La 
ben, aufzugeben pflegt, er werde endlich uoch 
von dem Gluͤcke beguͤnſtiget werden. Die 
Erſparniß des armen Volks hatte jene praͤch⸗ 
tigen Palaͤſte erbauet, wo ſie nun / ihr Leben 
erbettelte. Die verſchwenderiſche Pracht der 
Altaͤre war ihr. Werk: und kaum wurde fie 
daſelbſt hinzugelaſſen. Immer fremd, im⸗ 
mer zuruͤckgeſtoffen, konnte der Arme ſich 
kaum auf den Stein ſſetzen, der von dem Sch 
nigen war gebrochen worden. Reichlich 
beſoldete Prieſter bewohnten den Ort, der 
ihm wenigſtens der Billigkeit nach gehoͤren 
und ihm zur Srepftäbte dienen follte, 


Vierzigſtes Kapitel. 
Von der Handlung, 


Mus dem; was Ihr mir geſagt habt, ſcheint 

es mir, als ob die Franzoſen Feine Ko: 

lonien mehr ın der neuen Welt haben‘, und 

daß jeder Theil von Amerika ein befonderce 

Reich, obgleich unter Einem Geifte der Geſetz- 

gebung- bereiniget, ausmache? — Wir wuͤr⸗ 
Sf2 


Sram.) 252 ( ie 

den nicht Flug feyn, wenn wir unfere gelieb⸗ 
ten Landsleute zwey  Laufend Dreilen ‚vom 
ung entfernen wollten. Warum follten wi 
ung ſo von unfern Brübern trennen? Unſere 
Himmelsgegend iſt fo viel werth, alg bie von 
Amerifa. Alle nöthige Probufte find hier ge: 
meitt und von vortreflicher Ark. Die Kolonien 
waren für Sranfreich bag, was ein Land 
haus für eine Privatperfon iſt: das Land⸗ 
haus brachte dag Haus in der Stadt frihe 
oder ſpaͤter in Verfal.— 

Wir haben einen Handel: aber er be⸗ 
ſteht nicht in dem Tauſche uͤberfluͤßiger Din 
ge. Wir haben drey. phpfifche Gifte, von 
denen Ihr einen beftändigen Gebrauch mad- 
set, fehr weislich von und verbannek : ben 
Tabak, den Kaffe, und den Thee. Ihr 
ftopftet einen häßlichen Staub in Eure Nu 
fen, der Euch das Gedaͤchtniß benahm, Euch 

Franzoſen, die Ihr beynahe feines hattet. 
Ihr verbranntet Euren Magen durch ab 
. gezogene Waffer, bie‘ ihn zerſtoͤrten, indem 
fie feine Thätigfeit befchleunigen. Eure fo 
gemeinen Nervenfrankheiten kamen von dem 
häufigen Gewaſche, welches den nährenden 
Saft des thierifchen: Lebens wegnahm. Mir 
betreiben it nur den. innern Handel, und 


Se 4 
wir befinden ung wohl babey: er gründet 
fich hauptſaͤchlich auf den Ackerbau, und vers 
theilet die noͤthigſten Lebensmittel: er be⸗ 
friediget die Veduͤrfniſſe des Menſchen, und 
nicht feinen Stolz. 

Kein Menfch ſchaͤmet ſich fein Feld durch 
ſich ſelbſt geltend zu machen, und den Feld⸗ 
hau zur hoͤchſten Stufe.der Boltommenheit 
zit-treiben. Der Monarch felbft hat vide 
Acker Landes, die er unter feinen Augen ber 
arbeiten läßt: und man fennt nicht die Gat- 
fung vornchmer Leute mehr, deren einzige 
Befchäfftigung der Muͤßiggang war. 

"Der fremde Handel war ber wahre Ur⸗ 
ſprung dieſes verberblichen Luxus, der auf ſei⸗ 
ner Seite die ſchreckliche Ungleichheit der 
Gluͤcksguͤter hervorbrachte und einer kleinen 
Anzahl von Menſchen das ganze Gold der Na⸗ 
tion in die Haͤnde lieferte. Und dieß dar⸗ 
um, weil eine Frau in ihren Ohren das Erb⸗ 
theil von zehn Familien tragen mußte, weil 
der unterdruͤckte Bauer aufhoͤrte Eigenthuͤ⸗ 
mer zu ſeyn, ſein vaͤterliches Feld verkaufte, 
und mit Thraͤnen den Boden floh, wo er. 
nichts ale Elend und Schande fand: benn 
die unerfättlichen Ungeheuer, bie dag Gold 
aufbäuften, giengen fo weit, daß fie die Un⸗ 


Die Vedoiterung erigeinen jede, inden 
als jemals die ungeheuerfien Abgaben t 
Belohnung feiner Mühe entreiken, un: 
de darch das Monorolium derjenige 
Gold des Reihe in Händen haben, 
Braut man noch dieſen boffdrtigeı 
teten Dhren jujzuſchreyen: volfom: 
fo wohl in Handel ald in der Echiffi 
gerung der Abgaben ; das find die cin 
Die Das Wolf erhalten, und cine fehler 
kerung verhindern fünnen, ven der ı 
Anfang’feherr. Aber, ber Patriotiem 
eine conterbande Tugend. Der Reı 
für ſich lebt, der nur für fid denkt, n 
get, und bie Augen wegkehrt, aus Zu 
Zähnen zu knirſchen, das iſt der aute! 
lebt fogar feine Klugheit und Mägi 
juͤt meine Verſen gun micht ſchweige 
fagen, was id gefeben babe, Man 
meiſten Provinzen von Frankreich Fomi 
Volk auf dem Gipfel des Elendes zu 
Jahr 177°. iſt nun fehen der dr 


Se) 455 (ek 


baß wir Die großen Companien zerſtoͤret, die 


das ganze. Vermoͤgen der Brivatperfonen an 
fich riffen, die edle Kuͤhnheit einer Nation vers 


nichteten, und den guten Gitten fowohl, ale 


dem. Staate, den traurigſten Streich ver⸗ 


‚festen. 


Es fonnte fehr angenehm feyn, Cioco- 


"Jade zu trinken, Gewürze zu fauen, Zucfer 


und Ananas zu verſchlucken, Creme von 
Barbados zu trinken, fich in ‚glänzende 
Stoffe aus Indien zu kleiden: aber in der 
That; waren denn diefe Empfindungen fo 
wolluftreich, um ung die Augem über den, 
großen Zufammenfluß unerhoͤrter Uebel zu 
verſchließen, welche unfere Weichlichkeit in 
beyden Halbkugeln der Erbe aufmeckten? - 
Ihr zerriffet die heiligen Bande bed Blu⸗ 
tes und ber Natur an der Küfte von Guis 


nca. Ihr bewaffuetet den Water wider 
den Sohn, und wollte Ehriften, Ihr wolls 


tet Menfchen heißen? Blinde und barbari⸗ 
ſche Seelen! Ihr habt es durch eine trau⸗ 
rige Erfahrung nur allzuſehr gelernet. Der 
Durſt nach Golde, der ſich aller Herzen unum⸗ 
mehr zu leben haben. Das arme Volk hat eine 


Gedult, die mich die Gewalt der Geſetze und der 
Erziehung bewundern laßt. 


Se) 456 ( irre 


fchränft bemächtigte : die Raubgier, welche die 
lichenswürbige Mäßigung verbrängte: die 
Gercchtigfeit und das Mitleid, die man in die 
Meihe der Chimären feßte: der blaffe, unru⸗ 
bige Geis, der die Wüften des Oceans durch⸗ 
ftrich, mit Eeichnamen die Tiefen der Meere 
ausfüllte : ein ganzes Menfchengefchlecht, 
das man Faufte, verkaufte, und wie die This, 
re von ber nicdrisften Gattung behandelte: 
Könige, die Kaufleute wurden, und bie Erbe; 
um der Sahne einer Tregatte willen, mit 
Flut begoſſen: das Gold endlich, dag auf 
den Minen von Peru, wie ein brennende 
Strohm, bervorbrad), nach Europa flof, um 
in feinem Laufe die Wurgeln ber Glückfelig 
feit zu verfengen, und der, nachdem er daß 
menfchliche Gefchlecht gequält und erſchoͤpft 
hatte, fich auf ewig wieder nad) Indien ers 
goß, mo der Aberglaube von einer Exite in 
die Eingemeide ber Erbe vergrub, was ber 
Geis von einer andern ihr mit Gewalt ent⸗ 
riffen hatte; dieß iſt das gefreue Bild der 
Vortheile, die der fremde Handel der Welt 
verfchafft hat. 

Unfere Schiffe gehen nicht mehr um die 
Melt, Cochenile und Indigo gu belen. 
Wiſſet Ihr, was unfere Goldgruben find? 


RI) 457 ( Bere 


was unfer Peru iſt? Es ift die Arbeit:und 
der Fluß. Alles was zur Bequemlichkeit, 
su einem gemächlichen Leben, zu den geras 
den Abfichten der Natur, dienet, wird mit 
der größten Sorgfalt betrieben. Alles, was 
zur Hoffart, zur Pracht, zur Eitelkeit, zu der 
Eindifchen Begierde, etwas ausſchließungs⸗ 
meife, aus bloßer Phantafie, zu befigen, 
gehoͤret, ift aufs firengfie verbannt. Man 
wirft diefe treulofen , dieſe gefährlichen 
Perlen und alle bie feltenen bunten Stei« 
ne ins Meer, bie bie Herzen fo hart madı- 
ten, als fie eg felbft waren. Ihr glaub 
tet, fehr finnreich in den Verfeinerungen 
Eurer Weichlichfeit zu ſeyn: aber. willet, 
daß Ahr bloß den Ueberfluß ſuchtet, bloß 
den Schatten der Groͤße verfolgter; daß Ihr 
nicht einmal wolluͤſtig waret. Eure nichts⸗ 
würdigen und elenden Erfindungen fchranfe 
ten ſich auf den Genuß eines einzigen Ta⸗ 
ges ein. Ihr warct nur Kinder, die fid) in 
alänzende Epielmerfe verliebt hatten, uns 
vermoͤgend Eure wahren Beduͤrfniſſe zu bes 
friedigen, unmwiffend in der Kımft glücklich 
su feyn. Ihr qualtet Euch, weit vom Ziele 
entfernt, und bieltet, mit jedem Schritte, ein 
Schatten ſpiel für Wahrheit. 





mp) 458 ( En 


Gehen ja Schiffe aus unfern Häfen, 
fo tragen fie nicht den Donner, um af 
der weiten Fläche der. Wellen einen fluͤchti⸗ 
gen Raub, der dem Gefichte faum einen be» 
merflichen Punkt geiget, gu erbafchen. Das 
Echo der Meere trägt nicht: dag Elägliche 
Geſchrey finnlofer, rafender Menfchen gen 
Himmel, die fi) daB Leben und den Weg 
auf unermeßlichen und wuͤſten Ebenen ſtrei⸗ 
fig machen. Wir befuchen entfernte dk 
fer: aber ſtatt der Produkte ihrer Länder, 
unterrichten wir ung von ihren nuͤtzlichſten 
Entdeckungen, von ihrer Gefeßgebung, von 
ihrer phnfifchen Lebensart, von ihren Sitten. 
Unfere Echiffe verbelfen uns, unfere aſtro⸗ 
nomiſchen Känntniffe su verbinden. Mehr 
als deeyhundert Obſervatorien, die man 
‘auf unjerer Erdfugel errichtet, bienen dazu, 
und von der aeringften Veränderung, Die 
am Himmel vorgeht, Nachricht zu gebe. 
Die Erde ift die Warte, wo die Wache des 
Himmels fehildere und niemals einfchläft. 
Die Aftronomie ift eine wichtige und nuͤtzli⸗ 
che Wiſſenſchaft germorden, weil fie mit ci 
ner mächtigen Stimme die Herrlichkeit bee 
Schoͤpfers ud die Würde eines denfenden 
Weſens, Das aus feiner Haud fam, ver 


Se ) 459 (ee 
Yünbigek ».. "Aber da wir von ber Hands 

Iung reben, fo wollen wir doch nicht das 
Sonberbarfte, bag fich jemals sugetragen, 
vergeffen. Ihr müffee wohl fehr reich feyn, 
fagte man zu mir ; denn ohnfehlbar habt Ihr 
in Eurer Jugend Euer Geld auf Leibrenten 
gegeben, und hauptſaͤchlich in eine Tontine 
gelegt , wie dazumal bie Hälfte von Paris 
that. Diefe Art von Lotterie war ‘doch eine 
finnreich erbachte Sache, wo man um fe 
ben und Tod fpielte, und diefer Zuwachs 
auf kahle Köpfe fiel! Ihr muͤſſet anfehnliche 
Menten haben. Man entfagte Bater, Mut 
ter, Brüdern, Schweftern, Verwandten 
amd Freunden, um feine Einkünfte zu ver⸗ 
doppeln. Man ernannte den Konig zum 
Erben , und fchlief dann in einem ticfen 
Müßiggange ein, indem man fiir nientand, 
als fich ſelbſt, lebte. — Ach! von was redet 
Ahr mir? Die traurigen Verordnungen, 
die ung vollends ganz ing Verderben fürs. 
ten, und bie die bisher noch heilig gehalt«- 
nen Bande gänzlich zerriſſen: diefe barbari- 
ſche Spikfündigfeit, die der Egoismus df- 
feirtlich heiligte, die Bürger vereinzelte, und 
aus jedem von ihnen ein todtes und cinfa- 
mes Weſen machte, bat mir mehr als zu 


m ) 460 ( ie 


oft Thränen über das Fünftige Schickſal 6 
Staats ausgepreflet. Ich ſah das Ber: 
mögen der Privatperfonen gerfchmelgen, ver - 
flieben: und die Maſſe bed. ungeheuren 
Reichthums von ihren Truͤmmern anſchwel⸗ 
len. Aber mein Herz litte noch mehr von dem 
toͤdtlichen Streiche, der dadurch der Recht⸗ 
ſchaffenheit und Tugend verſetzt wurde, Keine 
Bande mehr unter den Herzen, die einander 
lieben ſollten! Man hatte den Eigennutz mit 
einem noch ſchaͤrfern Schwerdte bewaffnet, 
der ſchon an ſich ſelbſt fürchterlich genug war! 
Die hoͤchſte Macht aͤffnete ihm vollends die 
Schranken, die er felbft niemals eigenhaͤndig 
niebersureißen würde gewagt haben. — Gw 
ter Alter, verſetzte mein Führer, Ihr habt wohl 
gethan, daß Ihr gefchlafen habt, denn Ihr 
mürbet die Nentirer fo wohl als den Staat 


- . für ihre gegenfeitige Unvorfichfigteit haben 


beftraft gefehen. Die Polttif, die feitdem 
flüger geworden, hat nicht. mehr foldhe 
Sehltritte begangen: fle vereiniget und 
bereichert die Bürger, anftatt fie zu Grunde 
zu richten. | 


B) 46er 
Ein und vierzigſtes Kapitel. 
- Die Abendgefelfhaft.. 


Hie Sonne · neigte fich zum Untergange: 

mein Führer bat mich, ihn in das 
"Haus eines Freundes zu begleiten, wo er 
"des Abends fpeifen follte: ch ließ mich 
‚nicht lange Bitten: = Ich hatte noch nicht 
dag Innere der Hänfer gefehen, und dad ift, 
"meinem Beduͤnken nad), das Sintereffantefte 
in einer Stadt. Wenn ich die Gefchichte les 
fe, fo uͤberhuͤpfe ich viele Seiten: und fü: 
che voller Begierde die Heinen Umſtaͤnde des 
heuslichen Lebens auf: habe ich biefe ein: 
mal, fo frage ich nach dem Uebrigen we⸗ 
nig oder nichts: ich errathe es. 


Gleich anfaͤnglich fand ich nicht mehr die 
kleinen Zimmerchen, welche Narrenhaͤuschen 
aͤhnlich ſehen, deren Mauern kaum ſechs Zoll 
dicke ſind, wo man den Winter durch erfriert 
und den Sommer über verbrennt. Es ia 
ren große, meite, lautfchallende Säle, wo 
man fpazieren gehen fonnte: und die Därs 
cher, die mit gutem Holzwerk verwahrt wa⸗ 
ren, troßten der Kälte des Winterd und den 
Strahlen der Eonne: endlich wurden ‚die 


— — — u 


Sm) 462 ( Ener 


Häufer nicht mit denen, bie fie errichtet hat⸗ 
ten, alt und baufällig. 

Ach trat in die Etube und ich unterfchich 
gleich den Herrn des Haufe. Er fam auf 
mich zu, ohne Grimaffe, ohne abgeſchmackte 
Gomplimente 2), Eeine Frau und feine Kin⸗ 
der hatten in feiner Gegenwart ein freymuͤthi⸗ 
ges, aber ehrerbietiges Bezeigen, und ber Mon- 
fieur, d. i. der Eohn-vom Haufe, fieng nich 
mit Eleinen Spoͤttereyen auf den Herrn Be 
fer an, um mir eine Probe feined Witzes zu 
geben: weder feine Mutter, noch fogar fer 
ne Großmutter würben ſolchen artigen Un⸗ 
gesogenheiten 2) Beyfall gegeben haben. 

Seine Schweſtern waren weder gezieret, 
noch ſtumm: fic gruͤßten auf eine anſtaͤndi⸗ 

10 Wie falſch und kindiſch if unfere Hafichkeit: 
wie nerhuft und beleidigend diejenige, mit der ſich 
die GSroßen ſchmuͤcken! Dies ik eine Hiflichefe 
Maske, aid das ungeitalteite Befichte. Alle dieſe Res 
verenze, diefe afrectisten Demmütbigungen, dicie über 
triebenen Geberden find Dem wahren Tenſchen uns 
erträelih. "Die alänzenbe Kalfchkeit unfrer Re 
nieren iſt weit abfheulicher, als Liz Eredhbeit der 
baͤuriſchſten Menſchen beleidigend fean kann. 

2. Es giebt eine Schwelgeren Dei Geißes, Me 
ned) aetährluher ik, ale die ſiunliche; ſie it: heut 
zu Tase der Hauptiebler, der die Jugend der Haurt⸗ 
ſtadt auſteckt. 


Zn) 463 ( erde 


ge Art und fetten fid) wieder an ihre Arbeit, 
aufmerffam auf dag, was vorgieng. Giegas 
ben nicht von der Seite auf alle Mienen 
Achtung, die ich machte: mein hohes Alter 
und gebrochene Stimme locte ihnen Fein 
ſpoͤttiſches Lächelnab. Man machte mir feine 
eiteln Verzerrungen des Geſichts, bie der 
wahren Politeffe ganz zuwider find. . | 

Das Beſuchzimmer glaͤnzte nicht von 
zwanzigerley zerbrechlichen Taͤndeleyen 3), 
oder von uͤbelm Geſchmacke. Nichts Lakirtes, 
kein Porcellan, keine Puͤppchen, keine trau⸗ 
rige Verguldungen. Im Gegentheil ſchmuͤck⸗ 
ten eine reizende Tapete, die dem Auge 
ſchmeichelte, eine außerordentliche Reinlich⸗ 
keit, einige vortrefliche Kupferſtiche, einen 
Saal, deſſen Farbe ſehr munter war. 

Man fieng die Unterredung an, aber 
man thar Feine Ausfaͤlle mit Gedanken 4). 


3) Welch ein eleuder Lupus if der Aufpur vom 
Porkelan. Eine Katze kann Faum mitdem Stoße ih⸗ 
ter Pfote einen ärgern Verluf anrichten, als die 
Verwuͤſtung von zwanzig Morgen Laudes beträgt, 

4) Die Unterhaltung befeelt den Stoß des 
Ideen, giebt ihnen ein neues Spiel, entwickelt die 
Schaͤtze des Verfiandes, und dieß ift eines. der große 
ten Vergnügen des Lebens: es iſt auch dasjenige, 
woran ich den meiſten Gefhmad finde. Aber ich 


Rz ) 44 (ir 
Der verzweifelte Wis, diefe Plage meine 
Jahrhunderts, gab demjenigen, maß feiner 


habe in der Welt bemerkt, daß der Umgang, anſtatt 
daß er die Seele ſtark machen, nähren, erbeben fol; 
te, fie vielmehr fchiwächet, uud entnervet. Man 
hat alles in Aufgaben verwandelt. Der Wig, def 
fen man misbrauchet, machet beynahe den Augen: 
fein felbft ungewig. Man trifft Lobredner für 
die entfeglichften Misbräudhe an. Man rechtier 
tiget alled. Man nimmt, ohne ed zu wiſſen, taus 
ſeuderley Eindifche und fremde Begriffe an. Das 
befändige Reiben mwiderfprechender Mennungen 
entſtellt die natürliche -Gefalt der Seele. E⸗ 
giebt, ich weiß ſelbſt nicht was für ein Gift, wer 
ches ſich einfihleichet , den Kopf einnimmt, um 
Eure erſten urfprünglichen Ideen verdunkelt, die 
gemeiniglih die gefündeften find. Der Geis 
ge, der Ehrgeisige, der Wolluͤſtige, alle haben eine 
To finnreiche Logik, daß man fie bisweilen meniger 
haſſet, wann man fie gchöret hat: jeder bemeifet, 
ſo zu fagen, daß er Recht bat. Man muß fi se 
ſchwind in die Einſamkeit verfchliefen, um einen 
muthigen Haß gegen das Laiter zu faſſen. Die 
Welt machet uns mit Fehlern ‚vertraut, die Ne 
lobt: ihr täufchender Geift bemeiftert fidy unfe 
fehr gefchwind. Indem man mit Menſchen zu viel 
umgeht, wird man meniger Menſch, man nimmt 
von ihnen ein falfhes Licht an, das irre führet. 
Man findet fih wieder, wenn man feine Thür 
hinter ſich verfchließt: nur dann fieht man erk 
den reinen Tag der Wahrheit wieder, der nicht uw 
ter dem großen Haufen und der Menge leuchtet- 


Se ) 465 ( Eee 
Natur nach, ſo ſimpel war, betruͤgeriſche 
Farben. Der eine behauptete nicht etwan 
gerade das Gegentheil von dem, was der 
andre behauptete, und dieß alles um zu 
glaͤnzen und eine geſchwaͤtzige Eigenliebe zu 
befriedigen 5). Diejenigen, die redeten, 
hatten Grundſaͤtze und widerſprachen ſich 
nicht zwanzigmal in einer Viertelſtunde. 
Der Verſtand dieſer Geſellſchaft huͤpfte nicht 
wie ein Vogel auf dem Aſte, umher: und 
gieng, ohne weitſchweifig und ſchwerfaͤllig 
zu ſeyn, nicht, ohne irgend einen Uebergang 
und in einem Odem von einer Prinzeßinn 
gur Geſchichte eines Ertrunkenen über, 

Die jungen Leute affektirten nicht kindi⸗ 
ſche Manieren, einen ſchleppenden oder 
faſelnden Ton der Sprache, und eine aͤußerſt 
kalte Miene. Sie warfen ſich nicht auf Stuͤh⸗ 
le, ſtreckten ſich rückwärts hin, den Kopf in 

die Hohe gebeugt und mit einem verächtlis 
. then und ſpoͤtaſchen Blicke 6). 

59 Die Urtheile der Faulheit find ſo unbillig, 
als der Eitelkeit ihre. 

6) Ein artiger Kerl In Frankreich muß zart, 
ſchmaͤchtig ſehn, und nicht über eilf Unzen Fleiſch 
auf den Beinen haben: er muß eine ſchwaͤche Bruſt 
und eine zweydeutige Gefündheit haben. Ein Far: 
ker und gefunder Ru ſiebt ihnen abſcheulich 

| 5 





me) 466 ( mn 


Ach hörte feine ungegogenen Reden: mari 
beflamirte nicht mit einer traurigen, langſa⸗ 
men, fchweren Stimme gegen die troftlichen 
Wahrheiten, die die Beruhigung und den Reis 
empfindlicher Seelen ausmachen 7). Die 
Weiber hatten nicht mehr diefen, bald gebie 
trifchen, bald fchmachtenden, Ton. Anſtaͤn⸗ 
dig, zurüchaltend, befcheiden, mit einer 
leichten und bequemen Arbeit befchäftiget, 
hielten fie den Muͤßiggang unter fich nicht 
für eine Empfehlung: fie ſchnitten nicht den 
Sag halb von einander, um den Abend gar 
nichts zumachen. Sch war außerordentlich 
mit ihnen sufrieben; Denn fie boten mir fein 
Kartenfpiel an: diefer gefehmacklofe Zeitver: 
treib, den man erfunden hatte, einen bloͤd⸗ 
finnigen Monarchen zu befchäftigen, und 
der dem sahlreichen Haufen ber Thoren im⸗ 
mer werth bleibt, weil fie, vermittelft deffen, 
ihre aͤußerſte Ungulänglichfeit verbergen, 
war bey einem Volke ganz verſchwunden, 
das die Augenblicke des Lebens nur zu [chen 
aus. Nur die Schweizer und Kutfcher müffen eis 
ne auſehnliche Größe und eine glänzende Gefunds 
beit haben. 

7) Der natürliche Hang, fi mit dem Ede 
ne der Wahrheit zu befriedigen, fegt mehr Vorm⸗ 
heile voraus, als hie allgemeine Zweifelfucht. 


TI) 467 ( er 


auszufüllen wußte, ald daf eg die Zeit auf 
eine fo traurige, fo langweilige Art hätte 
toͤdten follen. Sch fahe nicht mehr dieſe gruͤ⸗ 
nen Tiſche, die ein Schlachtfelb find, wo 
man fich unhgrmherzig erwürge. Der 
Geiz ermüdete nicht mehr die ehrlichen Bür- 
ger, fogar in den Augenblicken, die der Erhos 
lung gewiedniet find. Sie machten fich dad» 
jenige nicht zur Duaal, was eine bloße Rus 
he von der Arbeit 8) ſeyn ſollte. Spiele 
ten ſie ja, ſo war es dag Damen- und 
Schachſpiel, oder die alten und tieffinnigen 
Epiele, die dem Gedanken eine Menge uns 
endlicher und mannichfaltiger Verbindun⸗ 
gen darbieten ; fie hatten noch andre Epje- 
le, die man mathematifche Erholungen nen: 

8) Ich fürchte die Annäherung des Winters; 
nicht wegen der-rauben Jahreszeit, fondern weil 
er Die traurige Wuth des Spiels wieder herbepfuͤh⸗ 
ret. Diefe Tahrsgeit if für die Eitten die aller: 
nachtheiligſte und für den Philoſophen die uner⸗ 
traͤglichſte. Alsdann entflehen wieder die braufen- 
den und gefchmaclofen Geſellſchaften, wo alle 
nichtswuͤrdige Leidenſchaften ihre laͤcherliche Herr⸗ 
ſchaft ausuͤben. Der Geſchmack der Eitelkeit thei⸗ 
let die Befehle der Mode aus. Alle Maͤnner, in 
weibiſche Sklaven verwandelt, ſind den eigenſinni⸗ 
gen Einfaͤllen der Weiber unterworfen, ohne fuͤr ſie 
Liebe und Hochachtung zu haben. 

G 92 


De) 469 ( er 


nen koͤnnte, mit denen ſogar die Kinder be 
kannt waren. 

ch fah, dag jedes feinem Geſchmade 
folgte, ohne daß jemand ſich ſehr darum bes 
fümmerte. Cs waren hier fine weiblichen 
Spione, die fidy durch die Tadelfucht der 
übeln Laune, die fie naget, rächen, und bie 
fie eben ſo ſehr ihrer Häßlichkeit, als ihrer 
eignen Thotheit, verdanken. . Der eine 
ſchwatzte, ein andrer befah Kupfer oder Ge 
maͤlde, wieder ein andrer lag in einem Wins 
fl. Man machte nicht einen Zirkel, um 
fih ein Gähnen mitzutheilen , das die Run⸗ 
de herum giena. Sin dem benachbarten 
Saale hörte man ein Concert. : E8- beflund 
in füßen Flöten, mit der Stimme begleitet, 
Der harte Flügel, die eintänige Geige muß⸗ 
te der zauberiſchen Stimme einer ſchoͤuen 
Frau weichen. Welch Inftrument hat wohl 
mehr Gewalt über die Herzen! Indeſſen 
fehlen ihr die vollkommner gemachte Harmo- 
nica den Rang fireitig zu machen. Sie gab 
die vollſtaͤndigſten, reineften, und melodiſch 
fien Toͤne von fi), die nur das Ohr ſchmei⸗ 
chen fönnen.. E8 war eine entzuͤckende, ei⸗ 
ne himmliſche Muſik, die in keinem Städe 
dem Charivari unferer Opern glich, wo ein 


“ 


Ze) 469 ( er 


Menſch von Geſchmack und Empfindung ein 
einziges übereinftimmendes Ganzes fücht, 
und niemals findet. 

Ich war entzuͤckt. Man blieb nicht beftän- 
dig in einerley Lage auf Lehnſtuͤhle genagelt 
fißen, unter der Verbindlichkeit, ein ewigeg 
Geſchwaͤtz ber Nichts anzuhoͤren, über wel 
ches man fich in einen fehr ernfihaften Streit 
einließ 9). Die finnlichften Dienfchen in der - 


Welt, die Weiber, machten nicht über alles, 


was ihnen vorkam, metapbufifche Betrach⸗ 
kungen: und redeten fie von Verſen, von 
Trauerfptelen, von Schriftftellern, fo geſchah 
e8 unter dem Geftändniffe, daß die Kuͤnſte, die 
sum Genie gehören, (fie mechten fo viel Ver- 
fand haben als fie wollten,) weit über ihre 
Einfichten erhaben waren 10). 

Man bat mich in den benachbarten Saal 
zu fommen, und dafelbft dag Abendeffen eins 
zunehmen. ch fah ganz erſtaunt an ber 
Uhr, daß es erſt um ficben war. „Kommt, 

9) In den gewoͤhnlichen Gefellfchaften ift man 
zwo Arten von gleich verdruͤßlichen Vorfaͤllen aus⸗ 
geſetzt: nichts zu fayen zu haben, und reden zu 
müffen; oder etwas fagen gu baten, wenn das Ge⸗ 
ſpraͤche geendiget ift. 

ıo, Die Weiber denken niemals ſtatk, als nach 
den Lehren eines beguͤnſtigten/ Liebhabers: und wie 


viele Mannsperſonen find nicht Weiber! 


' 


Ri) 470 ( er 


fagte der Herr des Hauſes zu mir, indem er 
mich bey der Hand nahm, wir bringen nicht 
die Nächte bey dem erhißenden Glanze der 
Machslichter zu. Wir finden die "Sonne 
fo ſchoͤn, daß jeder von ung fich ein Ber 
gnügen daraus mache, ihre erſten Etraf 
len über den Herizont herauffteigen zu fe 
ben, Wir legen ung nicht mit beladenen 

; + Mageıt nieder, um einen ſchweren und von 
wunderlihen Träumen unterbrochenen 
Schlaf su haben. Wir machen über unfere 
Gefundheit, da die Heiterkeit der Seele da 
von abhängt 32n1). Um früh aufsufichen, 
muß manfid) bey guter Zeit zu Bette legen:. 
und außerdem lieben mir leichte und ange 
nehme Träume 12). 

11) Die Gefundheit it für Die Gluͤckſeligkeit 
der Menfchen, das, was der Thau dem Srüchten 
der Erde iſt. 

12) Glücklich ift der, der dad Glück der Gefunds 
beit, diefen rubigen Zuftand des Körpers, diefet 
Gleichgewichte, dieſe vollkommne Mifchung det 
Saͤfte, dieſe gluͤckliche Verfaſſung der ſinnlichen 
Werkzeuge, die ihre Kräfte und ihre Biegſamkeit 
unterhält, zu empfinden weiß. Diefe ganze, vollkomm⸗ 
ne Gefundheit, if eine große Wolluſt. Sie Hl 
nicht finnlich, ich gebe es zu: aber wie weit über: 
trifft fie alle ſinnliche Bergnügungen! Eie giebt 
der Geele dieſe Bufriedenbeit, dieſe immere um 


ID) I (nk 


Man ſchwieg einen Augenblick ftile. Der 
Hausvater erbat den göttlichen Segen zu 
den Speifen, bie auf dem Tifche ftunden. 
Man batte diefe feyerliche und heilige Ge 
wohnheit wieder eingeführet, und ich halte 
fie für fehr wichtig, weil fie ung unaufbdr- 
lich an den Danf erinnert, den wir bem 
Gott fehuldig find, der für ung die Früchte 
der Erde wachfen läßt. Ich dachte mehr 
daran, zu ſehen, mag auf dem Tifche ſtund, 
als an das Effen felbfl. Ich werde von 
bem Glanze und ber Neinlichfeit nichts fa- 
gen. Das Gefinde fund unten am Tifche 
‚und aß mit ihrer Herrfchaft: diefe wurde 
defto mehr von ihnen geliebt: fie erhielten 
in ihrer Gefellfchaft Lehren der Rechtſchaf⸗ 
fenbeit, Die fie in ihren Herzen befruchtes 
ten: fie unferrichteten fich von vielen guten 
Dingen, die bafelbft vorfamen; auch wa⸗ 


ſchmackhafte Ruhe, welche machet, daß uns unfere 
Eriftenz lieb ift, daß wir dad Schaufpiel der Natur 
bewundern, und dem Urheber des Lebens danfen! 
Nicht frank fenn, dieß einzige iſt ein füßes Ver⸗ 
gnägen. Ich würde den gern einen Weltweifen 
nennen, welcher, da er die Gefahren des Uebermaßes 
und die Vortheile der Maͤßigkeit Bennet, feine Eßbe⸗ 
gierde zu bändigen und ohne Schmerzen zu genießen: 
wüßte: O weld ein Gebeimniß! 


SP ) 472 (Enke 


ren fie nicht unverſchaͤmt und grob, weil fe 
nicht geringe geachtet wurden. Die Steg 
beit,. die Heiterfeit, eine anſtaͤndige Ver⸗ 
fraulichfeit, erweiterte die Herzen und klaͤrte 
die Stimme jedes Tifchgenoffen auf. Man 
kegte feinem Nachbar feinen Zwang aufı 


man hatte nicht vergebene nach einer ent 


fernten Schüffel Appeti. Der würde für 
einen gefraßigen Menfchen ſeyn gehalten 
worden, ber über feine Portion gegeffen 
hätte: und biefe war zureichend. Viele Per- 
fonen effen außerordentlich, mehr aus bisf 
fer Gewohnheit, ald aus einem wahren Ber 
duͤrfniſſe 133). Man hatte dieſem Fehler von 


ı3) Die Zergliederungskunſt zeiget, daß bie 
finnlihen Werkzeuge unferer Vergnügungen ganz 
it Beinen pyramidalifchen Erhöhungen befdet find» 
je weniger fie durch den häufigen Genuß der finas 
lichen Empfindungen abgenußt werden, deſto fühl 
barer und elaftifcher find fie, deſto gefchwinder werden 
fie wieder bergeftellet. Sie, die Natur, diefe auf 
merkfame und zärtlide Mutter, bat fie fo gebauet; 
daß fie auch ihre Springfeder in einem hoͤbern Alten 
beybehalten, menu man nicht Die erforderliche Zeins 
heit, diefe faufte Weichheit, zerſtoͤret, die fie begleis 
tet. Es wird alſo bloß auf den Menfchen ankom⸗ 


men, fi) Vergnügungen für alle Zeitalter auſir⸗ 


hewahren. Aber was thut der Inmäßige? Er ents 


zeißt der Natur Diele kohbare Otganiſatieu? e 


Ne) 473 ( nie 
zufommen gewußt, ohne zu einem Gefege 
des Aufwands feine Zuflucht zu nehmen. 

Alle Gerichte, die ich koſtete, hatten we⸗ 
nig oder gar feine Würze, und ich war dar⸗ 
uͤber nicht boͤſe: ich fand fie fo faftig, ein 
Salz, das dasjenige war, welches ihnen 
"die Natur gab und mir ausnehmend ſchmack⸗ 
haft fchien. Ich fand richt die verfeinerten 
Epeifen, die durch die Hände vieler Faͤrber 


tödtet dieſes aͤußerſt Füße Gefühl, er machet es 
ſtumpf und harte: von dem Range eines faſt himm⸗ 
liſchen Weſens, das ganz eigener Wolluͤſte und Ver⸗ 
gnuͤgen fähig ik, ſetzet er ſich in die Claſſe ſchmerz⸗ - 
bafter Maſchinen berab. Denn, welches Thier 
ift im Abficht des Genuffed der Freuden des Le⸗ 
bens fo fehr begünftiget, als der Menſch? Wer ſonſt, 
als er, bewundert dad Firmament und das ganze 
große Schaufpiel der Welt, unterſcheidet die Far⸗ 
ben und die augenehme Geſtalt der Koͤrper, riechet 
die Blumen, athmet den Balfam, kennet die vers 
ſchiedenen Biegungen der Stimme, wird von dem 
Klange der Mufit in Bewegung gefent, von den 
geringften Schaftirungen der Dichttunf, der SE 
redſamkeit, der Malerey aufs innigfte gerührt,, fols 
get den Berechnungen der Algebra, und fürzer ſich, 
poll einer ſuͤßen Trunkenheit, in die Tiefe der Gegs 
metrie u. ſ. w.? Derjenige, der gefagt hat, der 
Menſch fey eine Welt im Klonen, bat etwas Grofs 
ſes und Schönes gefagt-- Der Menfih fcheint met 
allem, was exiſtiret, in einer Verbindung ;u ſeyn 


. 
SD) 474 (er 

gegangen waren, biefe Raguts, diefe Kraft: 
brühen, diefe aus mancherley Ingredienzien 
zufammengefeßten Effen, dieſe hitzigen Eäfte, 
‚ein Ertract aus Speifen in kleinen fehr koſtba⸗ 
ren Schüffeln, die ſowohl die Vernichtung der 
animalifchen Gattung beförderten,»als au 
die mienfchlichen Eingeweide verbrannten. 
Dieſes Volk war nicht fleifchgierig, es ſtuͤrzte 
ſich durch ſeine Schwelgerey nicht in Armuth 
und verfraß mehr, als die ſelbſt verſchwen⸗ 
driſche Natur mit allen ihren Zeugungsver⸗ 
moͤgen hervorbringen konnte. Iſt aller 
Luxus ſchon verhaßt, fo ſcheint die Schwel⸗ 
gerey der Tafel ein abſcheuliches Verbrechen 
zu ſeyn: denn, wenn ein Reicher ſeines le 
berflußes 149 fo mißbrauchet, daß er die 
nährenden Wohlthaten der Erde lüderlich 
verpraffet, fo muß fie nothwendig der Arme 
theuer Faufen, und mithin ſich eine Mahl, 
zeit abbrechen. 

oe Die Sülfen - und Gartenfrüchte waren 
fo, wie fie die Jahregzeit bervorbrachte, und 
man hatte dag Geheimnif verloren, mitten 
im Winter unfcdymackhafte Kirfchen heraus 


14) Der niedertkAchtige Mann ift ganz gewiß 
der, den die gioße Welt den rechtſchaffenen Ram 
nem. 


Ze) 475 ( — 


su treiben. Man war nicht eiferfüchtig bag 
Neueſte von dem jahre zu haben, fondern 
man ließ die Natur ihren Gang gehen : der 
Gaumen wurde dadurch mehr gefchmeichelt, 
und der Magen befand fich daben befto befs 
fer. Man trug bey dem Nachtifche vor⸗ 
treffliche Früchte auf, und trank von eis 
nem alten Weine: aber nidyt von den 
bunten Liqueurd auf Weingeift abgesos 
gen, die zu meiner Zeit fo febr gewöhnlich ' 
waren. Sie waren aud) fo-fcharf, als dag 
Arfenik, verboten. Man hatte entdecket, daß 
es nicht zum finnlichen Vergnügen gehöre 
fich einen langfamen und ſchmerzhaften Tob 
zuzuziehen. 

Der Herr des Hauſes ſagte laͤchelnd zu 
mir: „Nicht wahr, dag iſt ein elendes Def 
fert. Ihr feht weder Bäume, noch Echlch . 
fer, noch Windmählen, noch Bilder von 
Zucker 15). Dieſe verfchmwenderifche Thore 

15) O Frankreich: o mein Vaterland! willſt 
du wiſſen, wie hoch heute zu Tage dein wahrer 
Ruhm geftiegen, willſt du den weſentlichen Vorzug, 
den du vor andern Voͤlkern voraus haſt, kennen? 
Hoͤre! du biſt deiner Geſchicklichkeit wegen in Ab⸗ 
ſicht auf die Moden vorzuͤglich groß: an den aͤnſ⸗ 
feren Graͤnzen von Norden, an allen Höfen von . 
Deutſchland, ſo gar in dem Innerfien des Serail, 


>=) 106 (E 

heit, die nicht einmal eine Art bon Ber 
onügen machen konnte, war vormals bie 
Beluſtigung großer Kinder, die ihren Ver: 
ſtand verloren hatten. Eure obrigfeitlichen 
Derfonen, die wenigſtens das Benfpiel der 
Mäßigfeit geben, und nichE durch ihre Ein 
fimmung einen fo unleidlichen und nichrigen 
Luxus rechtfertigeh follten: Eure obrigfeit- 
lichen Perfonen follen, wie man erzählt hat, 
bey dem Eintritte emes jeden Parlamente, : 
als wahre Väter des Volks, über Fleine unge 
ſtalte Figuren von Zucker, Borftellungen der: 
jenigen, bie an den Schranfen der großen 
Parlamentskammer fichen , gang entzuͤckt 
geweſen ſeyn, womit fie eine Tafel befebt 
Yefehen: nun fann man leicht "fchließen, wie 
fehr fich die übrigen Stände mäffen beeifert 
haben, e8 den Masiflrafsperfonen zuvor su 
thun. „ — hr wiffet noch das wenigſte, 
verfeßfe ich: bewundert ünfern klugen Fleiß: 
man hat zu meiner Zeit auf einer Tafel, bie 
sehn Fuß breit war, eine Oper mit allen ib 
ven Mafihinen, Verzierungen, Schauſpie⸗ 
fern, Taͤnzern und Tonfünftlern auf, geſetzet: 
kurz in allen Theilen der Melt folge man ibnen: 
deine Köche, deine Zuckerbecker find die größten 
auf Erden: und deine Taͤnzer geben in ganz Eures 
pa den Ton an. 


2a) 4977 (er 


alles war von Zuder, und die Veraͤnderum⸗ 
gen wurden ſo, wie auf dem Opertheater im 


Palais Royal, aufgefuͤhret. Die ganze Zeit 
uͤber belagerte ein ganzes Volk die Thuͤre, 
um das ſeltne Gluͤck zu haben, einen ſchnel⸗ 
len Blick auf dieſes prächtige Deſſert zu wer, 
fen, ‚von dem es die Koſten ganz gewiß 
theuer genug besahlen mußte. Das Volk bes 
wunderte die Pracht der Fuͤrſten, und hielt 
ſich gegen fie für ganz klein⸗-⸗-Jedes 


fieng an zu lachen. Man ftund vergnägt.: 


vom Tifche auf: man.danfte Gott und nies 

maud Flagte über Kopfweh oder eine üble 

. Verdauung. 

Zwey und vierzigſtes Kapitel. 
Die Zeitungen. 


Ifw ich zurück in den erften Saal fam, ſah 


id) auf dem Tiſche große Blätter von 
Papier liegen, die zweymal fo lang ale die 
englifchen Zeitungen waren. Ich warf mich 
geſchwind auf diefe gedruckten Blätter. Ich 
fand auf dem Titels Geffentliche und bes 
fondere Nachrichten. Da ich mitsjeder 
Seite in ein ſolches Erſtaunen, in cine fol. 


che Verwunderung gericth, bie mit nichts 


zu vergleichen ift, fo entfchloffen ich auch 


ED) 47 (ek 
var, mich über nichts mehr zu derwundern: 
fo will ich die Artikel herfegen, die mir am 
meiften aufgefallen, fo gut als ich mich der- 
felben werde erinnern koͤnnen: 
0 ' 6% o 
Defin, den x = = 

„Wurde vor den, Kayfer zum erfienmale 
der Cinna, ein franzoͤſiſches Trauerſpiel, auf: 
gffuͤhret. Die Gnade des Auguſt, bie 
Schönheit undsder edle Stolz der Charafte: 
"re machte auf die ganze Verfamntlung einm 
außerordentlichen Eindruck., 
O! ſagte ich zu meinem Nachbar. Der 
Zeitungsſchreiber muß auch ein Änverfchäm- 
ter Luͤgner ſeyn. Leſet einmal - » = Nun, 
verfeßte er, ich fehe da nichts Eonderbaree? 
Habe ich doch wohl in Pekin den at 

von Ebina aufführen fehen. Wiſſet Praf 
{ch ein Mandarin bin, und daf ich die Wiſ⸗ 
fenfchaften fo fehr, als die Gerechtigkeit, fie 
be. Sch bin über den koͤniglichen Kanal ge: 
gangen 1). ch bin. hier ungefähr im vier 
ı) Der Eöniglihe Kanal durchfchneidet Chine 
vom Mittag gegen Mitternacht in einem Raume 
von fehshundert Stunden. Er vereiniget fich mil 
een, Fluͤſſen, u. ſ. w. Dieſes Reich if von fels 
Gen nüglichen Kandlen voll, von deuen viele sche 


Sa) 19 (En 


Monaten angelanget : und nody habe ich 
mic) unterwegens aufgehalten. Ad) war 
boch neugierig, das berühmte Paris, von 
dem man fo viel redet, zu fehen, um mich 
von faufenderley Dingen zu unterrichten, die 
man nothwendig an Dre und Stelle felber. 
fehen muß, um fie richtig zu beurtheilen, - 
Die frangsfifche Sprache iſt feit zwey hun. 
bert Sjahren in Pefin gemein, umd bey mei⸗ 
ner Rückkehr werde ic) viel gute Bücher mit⸗ 
nehmen, bie ic) überfegen teil. — Mein 
Herr Mandarin! hr habt alfo nicht mehr 
Eure bierogiyphifche Sprache und dag fon« 
berbare Gefeß abgefchafft, das jedem unter 
Euch verbot, nicht den Fuß aus dem Reiche 
zu ſetzen? — Wir haben freylich unfre 
Sprache aͤndern und einfachere Charaftere 


Stunden in einer geraden Linie lang ſind: ſie 
dienen zur Verſorgung der meiſten Städte und 
Dörfer. Die Brütten haben eine Kuͤhnheit und 
Pracht, die alles übertrift, mas Europa in dieſer 
Art wunderbares bat. Uud wir, Hein, ſchwach 
und elend in allen unſern oͤffentlichen Denkmaͤlern, 
wir wenden unſern ganzen Fleiß, unſere kuͤnſtli⸗ 
chen Werkzeuge, unſere ſeltnen Kaͤnntniſſe an, lau⸗ 
ter eitle Dinge auszuſchmuͤcken, und praͤchtige Klei⸗ 
nigkeiten aufzufuͤhren. Faſt alle Meiſterſtuͤcke un⸗ 
ſexer Kuͤnſte find bloße Kinderſpiele. 


, 
ze) 480 ( — 
annehmen müffen,, fo bald wir Bekannt⸗ 
Schaft niit Euch haben machen wollen. Dieß 
war nichts fehwerer, als die Algebra und 
Mathematik zu lernen. . Unfer Kayfer bat 
dieſes alte Gefeß aufgehoben, weil er fehr 
vernünftig geurtheilet hat, daß hr nicht 
‚alle den Prieftern aͤhnlich waͤret, bie wit 
balbe Teufel nannten, weil fie fogar auch un. 
ter,ung die Sackel ihres Zwietrachts anzün- 
den wollten. Wenn ich mich anders ber 
Zeit recht erinnere, fo hat fich eine genauere 


und verfraufere Sreundfchaft, bey Gelegen· 


heit vieler Kupferplatten, angefangen, dit 
Ihr geftochen habet. Diefe Kunft war für 
uns neu und wurde ausnehmend bewun⸗ 
dert. Seit der Zeit haben wir es Euch bey: 
nahe gleich gethan. — Ach! es fällt mir 
ein. Die Zeichnungen zu diefen Platten 


ſtellten Schlachten vor, Nicht wahr? ind _ 


fie wurden ung von dem dichteriſchen Kay⸗ 
ſer geſchickt, an den Voltaire ein artiges 
poetiſches Sendſchreiben richtete: und nach⸗ 


dem unfer König ſeinen beſten Kuͤnſtlern die 
Ausführung derfelßigen aufgetragen, made 


te er dem liebenswärdigen Kayſer aus 
China ein Gefchenke damit! — Kichtig. 
Nun wohl: feit dieſer Zeit hat man ange 


- * — 


>=) 481 ( u 


fangen,. fi) einander mitzutheilen und die 
Wiffenfchaften find aus eier Nachbarfchaft 
in die andere, aus einem Lande ins andre, 
wie die Wechfelbriefe, gegangen. Die Mey: 
nungen eines einzigen Mannes find es auch 
‚von der. ganzen Welt geworden. Die Dru⸗ 
ckerey ifi es, dieſe erhabene Erfindung, die 
dag Licht fortgepflanzet hat. Die Tyrannen 
des menfchlichen Verftandes haben mit ih» 
ren hundert Armen nicht ihren unuͤberwind⸗ 
lichen Lauf surücke halten Finnen, Nichts 
ift reißender gemwefen, als diefe beilfame Bes 
wegung, die der meralifchen Welt durch die 
Sonne der Künfte gegeben worden: fic bat 
alles mit einem lebhaften, reinen und dauern⸗ 
den Glanze überftröhmt. 

Der Stock berrfchet nicht mehr in China, 
und die Mandarinen find nicht mehr Arten 
von Aufiehern der Collegien. Das gemeine 
Volk iſt nicht mehr niederrrächtig und betruͤ⸗ 
geriſch, weil man alles gethan, ſeine Seele zu 
erheben: ſchimpftiche Züchtlgungen druͤcken 
es nicht mehr zu Boden: man hat ihm Be— 
zriffe von Ehre beygebracht. Mir verehren 
mmer noch den Confucius, ber beynahe cin‘ 
Zeitgenoſſe Eures Sofrates war, und, wie er, 
ticht über die Geundurſahe be Weſen wir: 

2 


RT) 482 ( — 
nünftelte,fondern mit dem Bekenntniſſe zufrie⸗ 
. den war, baß dieſem Wefen aller Weſen nichts 
verborgen twäre, und daß es dag Laſter beſtra⸗ 
fen und die Tugend belohnen werde. Unfe 
Confucius hatte fogar noch einen Vorzug vor 
dem Weifen Griechenlandes. Er fuchte nicht 
‚vertvegen bie religidfen Borurtheile auszu⸗ 
rotten, bie, in Ermangelung ebdlerer Bewe⸗ 
-gungsgründe, ber GSittenlehre des Volke 
zur Grundlage dienen. Er wartete gebul: 
"dig, ohne Geräufche, ohne Gewaltthaͤtigkeit, 
bis die Wahrheit fich durch fich felbft Licht 
'verfchaffen würde. Endlich war er eg, der 
bewiefen hat, daß ein Monarch nothwendig 
ein Philoſoph feyn müffe, wenn er feine 
Staaten. gut regieren wolle. . Unfer Kayſer 
geht immer noch hinfer dem Pfluge ber: 
aber es ift nicht eine eitle Ceremonie oder 
eine Handlung einer lindiſchen Prah⸗ 
lerey — — 


Von der Begierde, zugleich zu leſen und 
zu hoͤren, bekaͤmpft, hoͤrte ich von einer Sei⸗ 
te, und mein nicht minder gieriges Auge 
lief von der andern bie Seiten Diefer be 
wundernswürdigen Zeitung durch. Meint 
Seele war gleichfam in zwo einander nt 


| 


| 


SF) 433 ( nr 


gegen.gefeßte Gefchäffte getbeiler. . Diet 
iſt, was ich las: 
2 4 % 

Jedo, die Hauptſtadt von Japan, | 

den: 

„Der Nachfolger beB sroßen Taico, der 
aus dem Dairi einen ohnmaͤchtigen und 
verehrten Abgott gemacht, hat den Geiſt 
der Geſetze und den Traktat uͤber die 
Verbrechen und Beſtrafungen Überfegen 
laffen. ' 

Man hat den ehrwuͤrdigen Amida in al- 
len Straßen herumgefahren, aber niemand 
hat ſich von den Rädern feines Wagens 
zermalmen laffen. 

Man gebt in Japan frey aus und ein, 
und jedes macht fi ch begierig die fremben 
Künfte zu Nutzen. Der Selbftmord iſt un- 
ter diefem Volke keine Tugend mehr: es 
hat wahrgenommen, daß er das Werk ber 
Verzweiflung, oder einer tollen und ſtrafba⸗ 
ren Unempfindlichkeit, ſey. | 

‘4 6 % 
Derfien, den = + + 
„Der König von Perfien bat mit feinen 


Brüdern Mittags gefpeifet, die fehr ſchoͤne 
2b 2 


SO) 44 ( 


Augen haben. Sie fliehen ihm in der Re 
gierung bey. Ihr Hauptgefchäffte ift, ihm 
die Depefchen vorzulefen. Die heiligen Bü: 
cher des Zoroafter und Sadder werden ims 
mer noch gelefen und verehret: aber weder 
Dmar noch Ali fommen mehr in Betrach— 
tung. 
% % % 
Merico ’ 
Stadt Merico, den ⸗⸗ 

Diefe Etadt erhält unter der vortrefili- 
hen Regierung der Fürften aus dem Haufe 
des berühmte Montezuma vollends ihren 
alten Glanz wieder. Unfer Kayfer hat bey 
feiner Selangung sum Throne den Palaft fo 
wieder erbauen laffen, wie er zur Zeit feiner 
Däter war. Die Indianer gehen nicht mehr 
ohne Hemden und mit nackten Füffen. Man 
hat in der Mitte des Hauptplatzes eine Bilde 
fäule von dem Gatimogin errichtet, wie er 
auf glühenden Kohlen lieget: drunter ftehen 
die Worte: Auch ich liege auf einem Bette 
von Roſen! 

„Erfläret mir doch dag, fagte ich zum 
Mandarın. Wie? ift e8 verboten , die 
Reich Neu « Spanien zu nennen? — Der 
Mandarin verſetzte: 


2) 485 ( En 

Als der Kächer der neuen Welt die Typ 
rannen verjagt hatte; (Mahomed und Caͤ⸗ 
far sufammengefchinolgen würden diefen wun⸗ 
derbaren Mann nicht erreichet haben;) To 
begnügte fich diefer fürchterfiche Rächer bloß 
Gefeßgeber zu feyn.. Er Icgte das Schwerdt 
nieder, um den Voͤlkern den geheiligten Co» 
der der Geſetze vorzulegen. Ihr koͤnnet Euch 
ein folches Genie gar nicht vorftellen. Seine 
beredte Stimme fihten die Stimme eined 
Gottes zu feyn, der vom Himmel herabges 
fommen. America wurde in zwey Reiche ger 
heile. Das mitternächfige America vers 
einigte Mexico, Canada, die Antilifchen Ins 
feln, Jamaica, Sf. Dominge. Der Kayfer 
des mittäglichen America. befaß Peru, Para⸗ 
guay; Chili, dasMagellaniſche Gebiete, dag 
Land der Amazonen. Aber jedes diefer Kö⸗ 
nigreiche hatte einen eignen Fuͤrſten, dag eis 
nem allgemeinen Gefeße unteftworfen war; 
ungefähr fo, wie man das blühende deutſche 
Neich in viele Fuͤrſtenthuͤmer getheilet ſah, 
die gleichwohl nur einen Körper. unter einem 
einsigen Oberhaupte ausmachten. 

So iſt das Blut des Montezuma, das 
lange Zeit unbekannt und in der Dunkelheit 
verborgen geweſn wieder auf den Thron 


— — — 


Re ) 486.C re 


aeftiegen. Alte diefe Monarchen ſind pa⸗ 
triotifche Könige, die bloß die Erhaltung der 
Öffentlichen Freyheit zum Endzwecke haben. 
Diefer große Mann und berühmte Gefebge 
ber, biefer Neger, in bem die Natur ihren 
ganzen Geiſt erfchöpfe hatte, bat ihnen all 
auch feine große und tugendhafte Geele ein 
gefloͤßet. Diefe weiltläuftigen Staaten rus 
ben und befruchten fich in einer vollkomm⸗ 
nen Eintracht; ein langfameg, aber untrüg: 
liches Werk der Vernunft. Die Maferenen 
der alten. Welt, die Eindifchen und grauſa⸗ 
min Kriege, fo viel unnüß vergoffenes Blut, 
bie Schaam e8 vergoffen zu haben, endlich 
bie vollfommen erwiefenen Thorheiten ber 
Ehrgeisigen haben Die neue Welt überzeugend 
genug belehret, den Friedch sum Schußgott 
“ihrer Länder zumachen. Heute zu Tage wür- 
be der Krieg einen Staat eben fo befchin- 
pfen, wie der Diebftahl eingn Menfchen be 
fehimpft. — Ich fuhr fort ſowohl zu hoͤ⸗ 
ven, als zu lcfen: . . . ' 
*. 3 % 
Paraguay. 

Aus der Stade Affımtion, den =‘; : 

Man hat hier ein großes Feſt zum An: 
benken ver abarkhoktlrhändlichen Skla— 


Same) 497 { Er 
verey gegeben. in bie bie Nation unter ber 
defpotifchen Regierung ber Jeſuiten mar ges 
bracht worden. Und feit fechshundert Jah⸗ 
ren fieht man es als eine Wohlthat der Vor⸗ 
fehung an, daß diefe Fuchswoͤlfe in ihrem 
legten Aufenthalte vertilget worden. , ZU. 
gleicher Zeit gefteht die, nicht undanfbare 
Nation, daß fie durch eben die Jefuiten dem 
Elende entriffen worden, indem fie von ih» 
nen den Ackerbau und die Künfte erlernet. 
Wie glücklich, wenn fie fich darauf einges 
fchränfet Hätten, ung zuunterrichten und und 
die heiligen Gefeße der Moral zu lehren! 
Philadelphia, 
Hauptſtadt in Penſilvanien. 


Dieſer Winkel der Erde, wo die Menſch⸗ 
lichkeit, die Treue, die Freyheit, die Ein⸗ 
tracht, die Gleichmuͤthigkeit ſich ſeit acht⸗ 
hundert Jahren hingefluͤchtet haben, iſt mit 
den ſchoͤnſten, den bluͤhendſten Staͤdten be⸗ 
deckt. Die Tugend hat hier mehr, als bey 
andern Voͤlkern der Muth, gethan; und die 
großmuͤthigen Quaker 1), die tugendhafte⸗ | 

1) Wie koͤnnen ſich die nordiſchen Fuͤrſten wohl 
einen ſo unßerblichen Ruhm verfagen, daß fie in 


BF) 48 ( re 
fien Menfchen , indem fie der Welt das 
Echaufpiel eine brüderlichen Volkes gege 
ben, haben denen Herzen, die fie gerührt, 
zum Mufier gedient. Man weiß, daß 
fie feit ihrer Entfichung im Beſitze find 
der Welt taufend Beyſpiele von Großmuth 
and Wohlthaͤtigkeit zu chen. Man weil, 
daß ſie die erſten waren, Die fich weigerte, 
Merichenblut zu vergießen „ und bie bet 
Krieg als die unfinniafte und barbarifchiie 
Ausſchweifung angefehen halın. Sie ſind 
es, die den Voͤlkern, dieſen ungluͤcklichen 
Sofern der Zwietracht der Könige, den Irr⸗ 
thum benommien haben. Man wird unver: 
züglid) die jaͤhrliche Sammlung befannt ma 


ihren Gesenden die Skladerey abſchaffen, und dem 
Ackersmann meniaftene feine perſoͤnliche Freyheit 
zuruͤcke geben? Wie? boͤren fie nicht das Geſchrey 
der Menſchlichkeit, welches fie zu dieſer glorreichen 
Handlung von Weklthätigkeit einladet? Und mit 
melden Rechte cihalten fi den arbeitfanften Theil 
ihrer Unterthanen in einer verhaßten Knechtfcaft, 
bie ihren wahren Vortheilen fo fenr zuwider ig, da 
fie das Genfpiel diefer Quaker, Die allen ihren 
ſchwarzen Sflaven die Freyheit gegeben, vor Aus 
gen haben? Empfinden fie nicpt, daß ihnen ihre 
Unterthanen deſto getreuer fern werden, je freyer 
fie find, und daß fie aufhören muͤſſen, Sklaven zu 
feyn, um Menfchen su werden. 


De): 489 ( Bere 
hen, worinnen bie praftifchen Tugenden 
angegeben find, die ihren Gefeßen das Sie: 
gel der Vollkommenheit aufdruͤcken. 


2 & J— 


Marocco ‚den: 


Man hat einen Kometen entdechet ber 
fich der Sonne nähert. Dieß ift der drey: 
hundert ein und funfsigfte, den man bemerkt 
hat, feit diefes Obſervatorium errichtet iſt. 
Die Beobachtungen, die man in dem Inner- 
ſten von Africa gemachet, ſtimmen mit den 
unfrigen volis 8 überein. u 

Man hat ginen Einwohner, der einen 
Sranzofen gefchlagen, mit dem Tode beftraft, 
dem Befehle des Monarchen zufolge, tel 
her jeden Fremden als einen Bruder mil. 
betrashtet wiſſen, der feine beften Freun⸗ 
de beſucht. | 


% 2 * 
Siam den⸗ 


Wir machen einen erftantneiben Fortgang 
in der Schiffarth. Man hat ſechs Schiffe 
von drey Boͤden ins Meer gelaſſen: ſie ſind 
zu entfernten Farthen beſtimmt. 


— 


u) 


40 (Eh 


Unfer König läßt fich allen denjenigen ſe⸗ 
ben, die feine erhabene Gefichtsbildung pa 
fehen wünfchen:. fein Monarch kann fo ge 
fprächig feyn, als Er, zumal wenn’er fich 
in die Pagode des großen Sommona- codom 
begiebt. - 

Der weiße Elephante ift in dem Thier⸗ 
hauſe nun nichts mehr als ein Gegenftand 
der Neugier, weil er fehr, guf zum Reu⸗ 
ten abgerichtet iſt. 

o + | 
Kiüfte von Malabar, den > - 

Die Witwe des ***, die ſchoͤn, jung 
und in dem größten Blanse ihres Alters ift, 
bat den Tod ihres Mannes, ben man ganz 
alleine verbrannt hat, aufrichtig bemweinet: 
"und nachdem fie die Trauer noch mehr in 
ihrem Herzen, als in ihrer Kleidung, getra⸗ 
gen, hat fie ſich wieder an einen jungen 
Mann verheurathet, den fie.eben fo zärtlich 
licht. - Dieſes neue Band machet fie ihren 
Mitbuͤrgern nur defto lieber umd verchrung® 
wuͤrdie ger. | 
.. # # % 
Terra Magellanica, den > # 

Die zwanzig glücklichen Inſeln, die in 
aller Unichuld ab Stüskinteit des erſten 


Ba) 41 — 4* 
Zeltalters lebten, ohne einander: zu kennen, 
haben fich nunmehr vereiniget. Sie machen 
ist eine wahre Brudergefellfehaft aus, die 
einander gegenfeitig nüglich find. 

% % #» 
Zerra dos Papos, den > 7 > 

. Se weiter man in dieſem fünften Theile 
der Welt koͤmmt, defto großer, deſto inter: 
effanter, werden bie Entdeckungen von Tage 
zu Tages man erftaunet bey jedem Schrit- 
te über feinen Reichthum, feine Sruchtbar- 
feit, und die zahlreichen Volker, die dafelbft 
it Friede leben. Sie fünnen unfre. Kuͤnſte 
verachten. Die Moral ift dafelöft nod) ber 
mwundersrürdiger, als die Natur. Die 
Sonne, indem fie dieſe unermeßliche Länder 
befcheint, fieht dafelbit nicht einen einzigen 
Unglüdlichen ; indeffen, daß unfer fo klei⸗ 
nes, fo armſeliges und immer in Krieg ver- 
wickeltes Europay feinen Boden mit Men⸗ 
fchenbeinen gehärtet hat. 

>, 
Die Inſel Taiti, in dem füdlichen Meere, 
den 2 > 

Als Nr. de Bongaknsilie diefe glückliche 

Inſel entdeckte, wo die Sitten des güldnen 


\ 


Se ( 492 ( rei 


Zeitalters heerfchten,‘ ermangelte er nihf, 
dieſe Inſel im Namen feines Herrn. in Bet 
zu nehmen. Er fchiffte hierauf wieder ein, 
und brachte einen Taiter mit, ber im Jah⸗ 
re 1770 acht Tage lang die Neugier von Pa: 
ris auf fich 509. Man wußte dazumal nicht, 
daß ein Franzoſe von der Schönheit der Him: 
melsgegend, von der Medlichkeit feiner Ein 
wohner und noch mehr von dem Unglüde, 
Bas dieſes unfchuldigen Bolfes wartete, ges 
ruͤhret, fich verfteckee hatte, als feine RE 
meraden fich einfchifften. "Raum waren die 
Schiffe ensfernt, als er ſich der Nation vor⸗ 
ſtellte: er verſammelte ſie in einer weiten 
Ebene und ſprach folgendermaßen zu ihnen: 

„Ich will zu meinem und zu Eurem Gluͤ⸗ 
„cke unter Euch bleiben. Nehmet mich als 
„einen Eurer Bruͤder aufge hr werdet es 
„tehen, daß ich es bin: denn ich gedenke 
„Euch von dem fehredlichften Ungluͤcke zu 
„retten. O glückliches Volk, die Ihr in der 
Einfalt der Natur lebe! Wiffer Ihr, mel 
„che Srübfale Euch drohen? diefe fo hoͤfli⸗ 
„chen Fremdlinge, die Ihr aufgenommen, 
„die Ihr mie Gefchenfen und Liebfofungen 
„überhäuft babe, die ich in dieſem Augen 
„blicfe verraihe, wenn das anders fie vers 


27) 493 — 
„rathen heißt, dem Untergange eines’ tu⸗ 
„gendhaften Volks zuvorzukommen: dieſe 
„Sremden, meine Landsleute, werden bald 
„toiederfommen und alle die Plagen mitbrin« 
„sen, bie andere Länder verwüften. Gie 
„werden Euch Gifte und Uebel fennen ler- 
„nen, von denen hr nichts wiſſet. Sie wer- 
„den Euch 5 — bringen, und Euch noch 
„durch grauſame Schluͤſſe beweiſen wollen, 
„daß es zu Eurem aͤußerſten Beſten geſchaͤ⸗ 

„be. Sehet dieſe errichtete Ppramide: ſchon 
nfie bezeuget, daß dieſes Land in ihrer Ab⸗ 
„haͤngigkeit und gleichfam in die Neiche eines 
„Monarchen ausgezeichnet ift, den ihr niche 
„einmal dem Namen nach fennet. Ihr feyd 
„ale beftimmt, neue Gefeße anzunehmen, 
„Man wird Euern Boden durchwühlen ; 
„man wird Eure fruchtbaren Bäume berau⸗ 
„ben, man wird fich Eurer Perfonen bemäch- 
‚tigen. Diefe Toftbare Gleichheit, die un⸗ 
„ter Euch herrfchet, wird gerfidree werben, 
„Vielleicht wird dag menfchliche Blut diefe 
„Blumen begießen , die fich unter. Euren 
„unfchuldigen Liebfofungen beugen. Die 
„Liebe ift der Gott diefer Sinfel. Sie iſt, ſo 
„zu fagen, feinem Dienſte gewiedmet. Der 
„Haß und die Rache werden ihre Stelle 


2 ) 496 (ek 


baff es Freunde und nicht mehr Sklaven fir 
det; daß endlich feine Vaſallen nad) Bey 
(wichen cdler und wahrer Tugenden und nicht 
ayıh nicbern Neichthümern trachten u. ſ.w. 
“ . % + 

rsburg, ben = = s 

Der fie Titel unter allen iſt dei No 
me eines Geſetßgebers. Ein Monard) iitfür 
ein Volk beynahe ein Gott, wenn er ihm 
weiſe und dauerhafte Gefeße giebt. Man 
nennt nech mit Entzuͤcken den Namen derer 
habenen Katbarine I. Man redet nicht meht 
ven ihren Eroberungen und Siegen, man 
redet von ihren Gejegen. Ihr Ehrgeiz warı 
dic Finſterniſſe der Unwiſſenheit gu zerſtreuen, 
md an die Stelle berbarifcher Gewohnheiten, 
Geige, die die Menſchlichkeit gegeben, zu 
fegen. Gluͤcklicher und größer als Peter 
der Große bemühte fie ſich, trotz fo viele 
widerinechendtur Beyſeiele, cin Volk glück 
lich und tugendhaft zu niachen. Es wurde 
es. ungeachrer der äußerlichen und innerlichen 
Ungewitter, die ihren Thron beſtuͤrmten und 
erſchuͤtterten. Ahr Mut) wußte eine Krone 
zu befelligen, Die die Welt mit Vergnügen 
auf ihrem Haupte erblidte. Man muß in 
das Auferfie Alterthum zurücke gehen, um 





k 


Rz) 497 (re 
einen Gefeßgeber zu finden, der fo viel Wuͤr⸗ 
de und fo viel Tiefe hatte. — Die Seffeln, 
die den Landmann drückten, find gerbrochen 
worden: er hat fein Haupt erhoben und fich 
mit Entzücken zu dem’ Range der Menfchen 
erhoben gefehen. Der Künftler des Luxus 
fiebe feine Arbeit nich mehr einträglicher 
und geehrter. Der Geift der Menfchlich- 
feit bat dem gangen Norden zugerufen: 


Menſchen! feyd feey, und Ibr, kuͤnftige 


Geſchlechter, wiflee, Daß es eine Frau 
war, der Ihr verdantet, was Ihr feyd. 


Nach der legten Zählung der Einwohner 
aller Ruffen , flieg die Summe auf fünf 
und vierzig Millionen Menfchen. Im. Jah⸗ 
re 1769 zählte man ihrer nur viergehen. 
Aber die Weigheit der Gefeggebering, ihe 
menſchliches Gefeßbuch, der Thron ihrer 
Nachfolger, der feft gebauet worden, weil 


fie großmüthig und menfchenlicbend waren, 


bat die Bevoölkerung dem großen Umfange 

dieſes Reiches, welches weiter als der Roͤmer 

ihres, weiter als des Alexanders ſeines, gleich 

gemacht. Die Regierungsform iſt indeſſen 

nicht mehr militariſch. Der Monarch nennt 

ſich nicht mehr Selbſthalter: und die Welt 
et 


S 


ia) 49 (rk 


überhaupt ift zu aufgeheitert, als daß fie 
eine folche verhaßte Form dulten follte ©). 
® En E; 
Warſchau, den : = : 

Die abgeſchmackteſte Anarchie, die den 
Nechten eines freygebornen Menfchen fo 
ſchimpflich und für ein Volk fo druͤckend ill, 
beunruhiger Pohlen nicht mehr. Die große 
Catharina II. bat. vormals einen bemun 
bernewürdigen Einfluß auf die Angelegen 
beiten dieſes Reichs gehabt: und- man erin⸗ 
niert fich) mie Danf, daß fie eg war, bie 
den Bauer feine perfönliche Freyheit und 
das Eigenthum feiner Güter twicdergegeben. 

Der König von Pohlen ift Abende um 

ſechs Uhr geftorben, und fein Prinz hat den 
Thron noch felbigen Tages ruhig beftiegen, 
und von allen Großen des Reichs die Hul⸗ 
digung erhalten. 
1) Wer vor achtiig Jahren geglaubt hätte, das 
unfere Moden , unfere Perücken , unfere flie 
genden Papiere, unfere Fomifchen Opern nad Pe 
tereburg fommen folten, würde sang gemiß für 
unfinnig ſeyn gehalten worden. Man muß es fi 
gefallen lafıen, für einen Thoren gehalten gu wers 
den, wann man einen Gedanken bat, der den Hs 
rijont gemeiner Ideen uͤberſteigt. Ganz Europa 
zielet auf eine jaͤhlinge Revolution. 


Re ) 49 


o % & 
Sonftantinopel, den = : x 

Es war für die Welt ein großes Glücke, 
ils im 1%ten Jahrhunderte der Türke aus 
Furopa verjagt wurde. Jeder Freund des 
nenfchlichen GefchlechtS hat fich über den 
Intergang dieſes Reichs gefreuet, mo bag 
Ingehener des Deſpotiſmus von fchandli* 
hen Baffen gepflegt wurde, die ſich Eloß vor 
hm niederwarfen, um es noc) in feinen 
chrecklichen Beaͤngſtigungen zu übertreffen; 
der, lange Zeit ins Elend verwieſene Sohn 
am endlich in bag Erbtheil feiner Väter zu: 
üch, nicht gedemüthiget, fondern fiegreich, 
tark und fähig, e8 zu bauen. Die Ufurpa- 
oren des Throns der Konftantine ver: 
handen in dem Schlamme ihrer alten 
Noraͤſte: und diefe Schranfen, die der Aber: 
laube und die Tyranney, ihr ungertrennli. 
yer und abfcheulicher Gefährde, den Kuͤnſten 
nd der Vernunft, von den Ufern der Say | 
nd der Donau bie an die Ufer des alten 
‚anaig gefeßt hatte, wurden von einem Vol: 
eaus Norden mit ber eifernen Hand, die 
e unterftüßte, niebergeriffen. Die Philo- 
phie erfchien wieder in ihrem erfien NHei- 
gthume: und dad Vaterland eines Themi- 


Ji 2 


\ 


mm ) 500 ( in 


ſtokles und Miltiades umfaßte aufs neue die 
Bildfäule der Freyheit. Sie erhob fich eben 
fo edel und groß, als in den ſchoͤnen Tagen, 
wo fie in allem ihrem Glanze ſtrahlte. Eie 
verbreitete fich in ihrem alten Gebiete : und 
man fah feinen Sardanapel mehr, der 
den Schlaf der Barbaren zroifchen einem 
Vezier und einem Strange fihlief, indeſſen 
daß feine weiten, fchmachtenden und geplin- 

berten Staaten im Schlaf des Todes ver⸗ 
ſenkt waren. 

Der belebende Hauch der Freyheit beſeelt 
ſie itzt wieder. Es iſt ein ſchoͤpferiſcher Geiſt, 
der in den ſklaviſchen Volkern unbekannte 
Wunder wirkt. Die Staaten bes Grof- 
herrn wurden anfaͤnglich ein Raub ſeiner 
Nachbarn: aber zwey Jahrhunderte dar⸗ 
nach haben ſie eine Republik errichtet, die 
der Handel bluͤhend und furchtbar macht. 

Man hat da einen maskirten Bal gegeben, 
wo vormals das Serail ſtund. Es wurden 
Dafelbft die ausgefuchteften Weine und alle 
Arten von Erfrifcehungen, mit einer Bears 
ſchwendung, aufgetragen, die der äußerften 
Delifateffe nicht benahmen. - Den Mor 
gen darauf wurde im Schaufpielfaale, der 
auf den Ruinen ber alten Mofchee, Et. Eos 


ame ) 501 ( ie 4% 


hie genannt, erbauet worden, das Trauer⸗ 
piel, Mahomed, aufgefuͤhret. 


* 2 9 
Nom, D den⸗2⸗ 
Der Kayfer von Stalien hat auf dem 
Rapitol von dem Bifchoffe von Nom einen 


ı) Wie abſcheulich klingt meinen Ohren der 
Name Rom! Wie traurig ift diefe Stadt für die 
Belt geweſen! Wie ſehr iſt fie, feit ihrer Stiftung, 
‚ie fie einer Hand vol Raͤuber verdankte, dem Cha⸗ 
after ihrer Stifter getreu gewefen! Wo findet man 
inen breimmendern, tiefern und unmenſchlichern Ehrs 
ſeiz? Sie hat die Feffeln der Unterdrädung über 
‚ie ganze Welt ansgebreitet.: Weder die Stärke, 
och die Tapferkeit, noch die heldenmuͤthigſten 
Tugenden haben die Völker vor ihrer Sklaverey 
chuͤtzen können. Welcher boͤſe Geift führte ihre 
Siege und beflügelte die Schwingen ihrer Adler! 
D unglädliche Nepublit! Welch ungeheurer Des⸗ 
sotismus bat folche abfcheuliche Wirkungen gehabt! 
D Rom, wie haffe ich dich! Welch ein Volk, das durch 
yie Welt gieng, und die Freyheit des Menichen 
jerfiörete, und mit Verwuͤſtung feiner eignen endigs 
te! Welches Volk, das von allen Künften umringt, 
am den Bladiatoren ein Vergnuͤgen fand, und ein nette 
gleriges Auge auf einen Unglüclichen warf, deffen 
Blut in Ströhmen aus feinen Wunden quoll: dag 
noch verlangte, daß diefes Opfer die Schrecken des 
Todes zuruͤckſtoßen, der Natur ihren legten Augen⸗ 
blick ablügen, und von dem Beyfalle geſchmeichelt 


5 


SD ) 502 ( 


Beſuch erhalten, der ihm ſehr ehrerbictig die 
Wuͤnſche vortrug, die er für die Erhaltung 


ſeyn follte, den ihm eine Million harbarifcher Haus 
De zuklatſchten: Welcher Volk, Dat, nachdem ed die 
Melt ungerecht beherrfchet, ohne Murren gefatte: 
ge, dag 10 viele Kaifer Das Schwerdt in feine cigne 
Seiten ficken, und eine eben fo niedertraͤchtige 
Eklaverey duferte, als es auf feine Tyranney fc); 
gemefen war! Dieß war noch menig: der abae⸗ 
ſchmackteſte, laͤcherlichſe Aberglaube mußte fih 
hernach auf den Thron dieſer Deſpoten ſetzen: € 
ſollte die Unwiſſenheit und Barbarey zu feinen Ar 
niſtern haben. Nachdem er im Namen des Be 
rerlandes gewuͤrget hatte, wuͤrgte mau im Namen 
Sottes. Das erfemal floß das Blut für das br 
maͤriſche Intereſſe des Himmels ; eine unerbörte Se 
che, ven der man in der Welt noch kein Bepfsid 
geienen hatte. Rom wurde cin vergitteter Schlund, 
aus welchen Die ungiüdlichen Meynungen beraut 
Danıpiten, die Die Menjchen entzweyten, und einen 
gegen den andern, um bloßer Phautomen milch, 
bemaffneten. Bald erzeugte ed unter dem Namen 
ber Paͤbſte die verhaßteſten Ungeheuer, die ich Etatts 
halter Wertes nannten. Die Caligulas, Die Neronen, 
und die Domitianen, verglichen mit Diefen Togern, 
die die Schlüffel und den Kronenhut erugen, find 


nichts mehr , als bloge gemeine Boͤſcwichter. 
Das Volk, wie von einer verſteinernden Keule se 
troffen, lebte taufend Jahr unter einer deſpetiſchen 


Theofratie. Die prieiterliche Herrfchaft bedide 
altes, und verlefcht alles in feinen Sinfernifien. 
Der menihliche Geiſt zeiget bloß feine Exiſten, um 


Fe) 503 ( En 


und bas Glück feined Reichs 2) zum Him⸗ 
mel ſchickte. Hierauf hat der Bifchoff 


den Befehlen eines vergötterten Menfchen zu ges 
borchen. Er Mridt: und feine Stimme if ein 
verzehrender Donner. Man fiebt die Kreunuͤge, 
ein Inquiſitionsgerichte, Aechtuugen, Anathema⸗ 
ta, Verbannungen, unſichtbare Wetterſtrahle, die 
bis ans Ende der Welt ſchlagen. Der vorgegebene, 
Chriſt, mit Glauben und Wuth in dem Herzen, wird 
Der Mordthaten nicht fatt. Eine neue Welt, eine 
ganze Welt, ift nöthig, um feinen Blutdurſt zu ſaͤt⸗ 
tigen.; mit Gewalt will er dem andern feinen Glau⸗ 
ben aufdringen. Das Bild Chrifti muß das Lofungss 
zeichen dieſer fchrecklichen Vermüftungen feyn. Wo 
es erfcheint, fließt das Blut ſtrohmweiſe: und noch 
ist kann die! Kirche die Sklaverey derer Unglüclis 
hen vechtiprechen, die dem Eingeweide der Erde 
dieſes Gold entreißen, dad Rom mit einer fo uns 
verfhämten Abgoͤtterey anbetete! D du Stadt 
Der fieben Hügel! Was für ein Schwarri von Plas 
gen find aus deinem hoͤlliſchen Schooße heraus 
gegangen! Wer bit du? Warum haft du auf dies 
fe ungluͤckliche Kugel einen fo gewaltigen Einflufi ? 
Hat der Übelthätige Arimanes feinen Sig in dei⸗ 
nen Mauern? Graͤnzen fie an die Gewölbe der Hals 
le? Biſt du die Thüre, durch die das Ungluͤck 
eingeht? Wann wird dieſer ungluͤckliche Talieman 
gerbrochen werden? Es iſt wahr, er hat von feiner 
Kraft verloren, aber bat er nicht noch Gewalt ge: 
nug übrig, der Welt zu fchaden? O Rom, wie hafs 
fe ich dich! Moͤchte doch wenigſtens das Schächte 
niß deiner Wosheiten bleiben und dich mit Schan⸗ 


J 
Sm) 504 ( er 


mit aller Demurh einestwahren Dieners Got⸗ 
tes zu Fuße feine Kückreife angetreten. 

Alle herrliche antife Denfmäler, die man 
aus ber Tiber hervorgezogen, mo fie feit fo 
vielen Jahren begraben gelegen, find in den 
perfchiedenen Dierteln der Stadt Rom wie 
ber aufgefiellet worden. Man bat fie ber 
vorzuziehen gewußt, ohne eine gefährliche 
Ausduͤnſtung in der Luft dadurch zu ver: 
fachen. 

Der Biſchoff von Nom befchäfftiget fid 
beftandig , einen Codex einer vernünftigen 
and rührenden Gittenlehre zu liefern. Er 
hat einen Catechiſmus der mienfchlichen Ber 
uunft befanng gemacht. Er bemüht fi 
hauptfüchlich einen neuen Grad der Eviden; 
denen Wahrheiten zu verfchaffen , die den 
Menſchen zu wiſſen hoͤchſt wichtig ſind. Er 
hält ein Verzeichniß von allen großmürhigen, 
ruhmwuͤrdigen und nienfchenlichenden Hand» 


de bedecken! Niemals muͤſſe fie verachen, und o 
daß alle Herzen von einem gerechten Haſſe verzehrt, 
eben den Abfchen fühlen möchten, den ich vor Leis 
nem Namen habe. 

2) Der Thron ded Despotiämng ſtuͤtzet fich auf 
dem Altar, der ihn nur haͤit, um ihn au dcr 
fchlingen. 


are N 


kungen: er machet ſie bekannt, indem er ſe⸗ 
de Gattung von Tugend charakteriſiret. Er 
regieret, als Richter der Koͤnige und der 
Voͤlker, vermoͤge feiner brennenden Liebe für 
die Menſchlichkeit, durch die unuͤberwindli⸗ 
che Gewalt, die der Geiſt der Weisheit, der 
Gerechtigkeit und Wahrheit giebt. Er ſchlich⸗ 
tet die Streitigkeiten‘ der Voͤlker: cr beſaͤnf⸗ 
tiget fie. Geine Bullen, in jeder Art von . 
Sprache gefchrieben, Eimdigen nicht mehr 
zweifelhafte, unnüße Echren und Ausſpruͤche 
an, die zu ewigen Zwiſtigkeiten Anlaß ge 
ben: fondern fie reden von einem Gott, von 
feiner Allgenwart, von einem zukünftigen Les 
ben, von den hohen Werthe der Tugend. 
Der Chineſer, Japoneſer, der Einwohner 
von Eurinam und von Kamtſchatka leſen ſie 
mit Nutzen. 
% * 
Neapolis, den: zz 
x Die Akademie der ſchoͤnen Wiſſenſchaf⸗ 
ten hat den Preis dem benannten * * * mit 
getheilet. Die Frage war, richtig zu beftim- 
U men, wer die Cardinaͤle im 18ten Saͤculo 
waren: bie Sitten und Begriffe diefer felt- 
famen Perſonen: was fie in dem Gefaͤng⸗ 


Fe) 506 ( — 


niffe des Conclavo fagten und thaten; vnd 
der eigentliche Augenblick, wo fie wieder 
fourden, was fie im Anfange des Chriften- 
thums waren. Der gefrönte Verfaffer hat 
den Abfichten der Akademie eine vollige&ni- 
ge geleiftee. Er bat :fogar eine Befchrei- 
bung des Barets und rothen Huthes ge: 
geben. Diefe Abhandlung ift eben fo lu⸗ 
fig als tiefgelehrt. 
Man hat auf Sea Jahrmarktseheater das 
Poſſenſpiel des heil. Januarius aufgefuͤh⸗ 
ret, das man vormals fuͤr ſo ernſthaft hielt. 
Man weiß, daß das Wunder der Fluͤßigkeit 
feines Bluts ſich alle Jahre erneuerte. Man 
hat dieſe laͤcherliche Thorheit mit einem 
Salze parodiret, worüber die ganze Na— 
tion gelacht hat. 

Die Schaͤtze unſrer fieben Frauen u! 
 retto m), die dazu gedienet haben, daf Arme 


1) Ceit funfiehn Zahrbunderten fehen wir in 
ganz Europa Feine andern Denkmäler, als Kirchen 
von einem ſchlechten Geſchmacke mit hohen, fpigen 
Thuͤrmen. Die Gemaͤlde, die man daſelbſt fieht, 
fetten bäflihe und -efle Figuren vor. Wie viel 
giebt es reiche Klöfter: Wie viele reiche Collegien! 
Wie viel Stifter und Kapitel! Wie viel dem Muͤſ⸗ 
fisgange und fholaftifch « thenlogifhem Geſchwaͤtze 
geriedimete Freyſtaͤtte! Und doch geſchah es in Zeis 


az) 507 ( un 


davon genaͤhret und gefleider worden, mer: 
den zur Erbauung einer Wafferleitung ver ° 
wandt, fo lange feine Dürftigen mehr da 
find. Man wird eben diefen Gebrauch. von 


den Neichthüimern der alten Cathebralfirchk 


zu Toledd machen, die im Jahre 1867. zer⸗ 
fisret worden... Man fche hierüber die ge- 
lehrten Abhandlungen von * * *, gedruckt 
im Jahre 1999. 
8 % 
Maͤdrit, den ⸗2⸗ 
Es iſt einBefehl ergangen, daß fich niemand 


Dominicus nennen fol, weil der Barbar dies 
ſes Namens die Inquiſition geflifftet hat 1ꝛ 


ten, mo die Völker duferft arm waren, daß man 
Das Geheimniß fand, Cathedralkirchen nnd aͤußerſt 
toftbare Tempel zu errichten. Wie weit bluͤhen⸗ 
der würden die Nationen fenn, wenn man diefe 
unermeßlichen Summen, die man vergebend -ver- 
wandt, Pfaffen und Moͤnche zu bereichern, auf 
Wafletleitungeh, Candle u. ſ m. gewandt hätte. 
1) jede Geele, in der der Kanatifmus der Mes 


ligion nicht die Empfindungen der Menfchlichkeit 


erfticket bat, derzehret fich vor Unmillen und blutet 
von Mitleiden, bey dem Anblicte der Grauſamkei⸗ 
ten, der audgefuchteften Dunalen, die diefe ſchwaͤr⸗ 


meriſche Wuth den Menſchen eingegeben. Die 


Geſchichte der Eannibalen und Menſchenfreſſer iR 


Sa ) 506 ( ek 


niffe des Conclavo fagten und thaten; wd 
der eigentliche Augenblicf, wo fie wieder 
fourden, was fie im Anfange des Chriften: 
thums waren. Der gefrönte Verfaſſer hat 
den Abfichten der Akademie eine völlige Gnuͤ⸗ 
ge gelsiftet. Er bat :fogar eine Befchrei- 
bung des Barets und rothen Huthes ge 
geben. Diefe Abhandlung: ift eben fo lu⸗ 
ſtig als tiefgelehrt. 
Man hat auf dem Jahrmarktseheater das 
Poſſenſpiel des heil. Januarius aufgefuͤh⸗ 
set, das man vormals für fo ernſthaft hielt. 
Man weiß, daß das Wunder der Flüßigfeit 
feines Bluts fich alle Jahre ernenerte. Man 
hat dieſe läggerliche Thorheit mit einem 
Ealse parodiret., worüber die ganze Na 
tion gelacht hat. 

Die Schäße unfrer lieben Frauen zu 06 
 retto D), die bazu gedienet haben, daf Arme 


ı) Eeit funßzehn Jahrhunderten feßen wir In 
ganz Europa Feine andern Denkmäler, als Kirchen 
von einem ſchlechten Geſchmacke mit hoben, fpisen 
Thuͤrmen. Die Gemaͤlde, die man daſelbſt fieht, 
fetten bäflihe und ekle Figuren vor. Wie viel 
giebt es reiche Kloͤſter! Wie viele reiche Collegien! » 
Wie viel Stifter und Kapitel! Wie viel dem Muͤſ⸗ 
ſiggange und ſcholaſtiſch⸗ theologiſchem Geſchwaͤtze 
gewiedmete Freyſtaͤtte! Und doch geſchah es in Zei⸗ 


L 


>) 307 ( un 


davon genaͤhret und gekleidet worden, mers 
den zur Erbauung einer Wafferleitung ver 
wandt, fo lange feine Dürftigen mehr ba 
find. Man wird eben diefen Gebrauch. von 


den Reichthuͤmern der alten Cathedralkirche 


zu Toledo machen, bie im Jahre 1867. zer 
ſtoͤret worden. Man fehe hierüber die ge⸗ 
lehrten Abhandlungen von “.*, gedruckt 
im Sjahre 1999. ’ 
# % % 
Maͤdrit, den ⸗2⸗ 
Es iſt ein Befehl ergangen, daß ſich niemand 


Dominicus nennen ſoll, weil der Barbar die⸗ 


ſes Namens die Inquiſition geſtifftet hat 1). 


ten, mo die Voͤlker aͤuſterſt arm waren, daß man 
Das Geheimniß fand, Catbedralfirchen und äußerft 
koſtbare Tempel zu errichten. Wie weit blüben- 
der würden die Nationen fenn, wenn man diefe 
unermeßlichen Summen, die man vergebens ver⸗ 
wandt, Pfaffen und Mörche zu bereichern, auf 
Wafferleitungeh, Candle u. f- m. gewandt hätte. 
1) Jede Seele, in der der Fanatifmus der Mes 


ligion nicht die Empfindungen der Menfchlichkeit 


erfticket bat, derzehret fich vor Unmillen und blutet 
von Mitleiden, bey den Anblicke der Brauſamkei⸗ 
ten, der andgefuchteften Quaalen, die diefe ſchwaͤr⸗ 


“merifhe Wuth den Menſchen eingegeben. Die 


Geſchichte der Eannibalen und Menfchenfrefler iñ 


I 


Same) 505 ( Ei 


Ingleichen ein anderer Befehl, daß ber Na—⸗ 
me Philipp II. aus der Weihe ber Koͤnige 
son Spanien foll ausgelöfchet werben. 

Der arbeitfame Seift der Nation offen 
baret fi) von Tage zu Tage durch nügliche 
Entdeckungen in den Künften, und die Lka⸗ 
Demie der Wiffenfchaften hat ein neues Ey 
fiem der Elcetricität herausgegeben, das ſich 
auf mehr als taufend befondere Erfahrun 
gen gründet. 

% .# % 
$ondon, den x < > 

Diefe Stadt ift dreymal größer, als ſie 
im 18ten Seculo war, und da die ganze 
Macht von Engelland ohne Gefahr in ihrer 
Hauptfiadt feyn kann, weil die Handlung 
davon die Seele ift, und der Handel eines 
Mepublifanifchen Volks nicht die fraurigen 
Bolgen, wie bey den Monarchien, bat, fo iſt 


weit minder fchreclich, als die unfrige. Torque⸗ 
mada, ein fpanifcher Inauifitor, rühmte fich, daß 
er mehr, als funfzig taufend Ketzer, durch Fenet 
und Schwerdt bingerichtet habe: und überall fins 
den wir die blutigen Spuren diefer religiöfen Grau⸗ 
ſamkeit. Iſt dieſes das aöttliche Geſetz, welches 
ſich die Stuͤtze der politiſchen und moraliſchen 
Drdnung nennet? 


2a) 509 (le. 
Engelland immer bey feinem alten Syfiem 
geblieben. Es ift gut, weil c8 nicht deu 
Monarch ift, der fich bereichert, fondern bie 
Unterthanen.: hieraus entſteht die Gleich» 
beit, melche ven außerfien Reichthum und. 
das aͤußerſte Elend verhindert. 

- Die Engelländer find noch immer das 

erſte Volk von Europa: ſie genießen noch 
des alten Ruhmes, ihren Nachbarn die Ne, 
gierungsart gegeiget zu haben, welche Men⸗ 
ſchen anſtaͤndig if, die auf ihre Rechte und 
ihr Glück eiferfüchtig find. 

Man hält dem Andenken Karl deg iſten. 
zu Ehren feine Proceßionen mehr ; man 
fieht in ber Politik weiter. 

Man hat die neue.Bildfäule des Pros 
tector Cromwells errichtet. Es iſt unges 
wiß, 0b der Marmor dazu ſchwarz oder 
weiß iſt, fo fehr ifter gemifcht. Die Vers _ 
fammlungen des Wolfe werden künftig vor 
diefer Statue gehalten, weil diefer große 
Mann, den fie vorftellet, ver wahre Urheber 
der glücklichen und unveranderlichen Con 
ftitution iſt 1). 


1) J. J. Rouſſeau ſchreibt die Stärke, den 
Glanz und die Frevheit Brittanniens der Ausrots 
tung der Wölfe zu, die es vormals verwiüßeten, 


275m) 510 (ni 


Die Schoteländer und Irrlaͤnder haben 
dem Parlamente eine Bittfchrift überreicht, 
damit man den Namen Schottland und 
Irrland abfchaffen, und nur einen Staat, 
ſowohl dem Geifte, ald dem Namen nad, mit 
Engelland ausmachen möchte, fo mie- fie 
nur Einen nach dem Patriotismus ausma- 
chen, der fie befeelr. 
EZ % % 
Wien, den + + > 
Deſterreich, dag zu aller Zeit im Befike 
gewefen, ganz Europa reisende Pringekin- 
nen zu geben, Fündiget an, daß eg fieben 
mannbare Schönheiten habe. Cie merden 
fid) nur an Fuͤrſten der Erde verheurathen, 
die das fchönfte Zeugniß von ber Liebe für 
ihre Voͤlker beybringen werden. 

= > % 

Haag, dın =; 

Dieß arbeitfame Volk, dag, aus dem un- 
banfbarften und finmpfigften Erbreiche, einen 
Garten gemacht, und alle auf der Erde zer 
freute Schäße an einen Orte Jufammenges 
Gluͤckliches Volk! ed hat Wölfe verjaget, die taus 


fendmal gefährlicher waren, und die andere Gegen 
den noch ist verwuͤſten. 


Bi ) SIT (Ei 
bracht hat, wo fein Kieſel wächft: ſetzt feinen 
erftannenden Fleiß immer noch ftandhaft fort, 
und zeiget der Welt, was Muth,. Gedult 
und der Gebrauch der Zeit vermögen. Die 
unmäßige Liebe des Goldes ift nicht mehr fo 
heftig. Diefe Nepublick ift dadurch mächtie 
ger getvorden, daß fie die Schlingen ent 
deckt, die unvermerkt zu ihrem Untergange 
gelegt waren. Sie hat erfannt, daß es 

feichter fen, dem wuͤtenden Oceane Damme 
zu.fegen, als einem verberblichen Metalle 
zu toiderftehen: und heute zu Tage verthei⸗ 
diget fie fich eben fo bershaft gegen die Ans 
fälle der Verfchwendung, als gegen die 
Wuth der Meereswellen. 

“ % % 
Paris, den = = : 

Zwoͤlf Schiffe mit fechs hundert Tonnen 
find in diefer Hauptſtadt angelanget, und 
haben ben Weberfluß dafeldit erhalten. Man 
St dafelbft Fifche, bie man nicht zehnmal 
theurer kauft, als fie wereh find. Das neue 
Bette der Seine, bag von Rouen nach dies 
fer Stadt gegraben worden, braucht einiger 
Ausbefferungen. Man hat zu diefen Koſten 
anderthalb Millionen beſtimmt, die aug dem 


) 5 I2 


re man an bie Stelle des Seinigen ſetzen 
Könnte. 

Der Yarifer bat beutliche Begriffe über 
das nathrliche, politiſche and bürgerliche 
Recht. Er glaubt nicht mehr. auf-einedume- 
me Art, daß er. einem andern Menfchen feine 
Derfon und feine Guͤther zum Eigenthume 
übergeben habe. Er hatimmer wißige Ein 
fälle auf dev Zunge, und verfiche die Kunſt 
kicderchen und Vaudevils zu. machen: ‚aber 
er weiß auch zu gleicher Zeit feinen Sa 
gen einen feften Korper zu geben. 

u FE ig 

- Ich ſchlug mein fliegenbes Blatt bald vor, 
bald hinter. Ich wollte gerne noch einige 
ſeltne Artikel finden. Sch fuchte.Berfailtes: 
aber meine nengicrigen Ungen konnten bie 
fen Artikel nicht finden. Der Hausherr be 
merkte meine Unruhe und fragte, was ich 
füchte? Das, was das Intereſſanteſte in der 
Welt iſt, anttvortete ich ihm: die Neuig 
feiten des Orts, wo fich gewoͤhnlich der Hof 
. aufhält, kurz, den Artikel von Derfailles, der 
in der Gazette de France immer fo umftänd- 
lich, fo.mannichfaltig , fo unterhaltend 


SF ) 515 ( Ede 


war 2%. Erifiong.au zu lächeln und fagte 
zu mir: „ich weiß nicht, was aus ber G« 
zerte da France geworben iſt. Die unjrige iſt 
nicht die Zeitung von Frankreich, ſondern 
die Zeitung der Wahrheit, und man begehf 
darinnen niemals eine Unterlaffungsfiinde. 
Der Monarch reſidiret mitten in der Haupt⸗ 
ſtadt. Hier iſt er in den Augen des ganzen 
Volks, und: ſein Ohr iſt immer bereit deſſen 
Geſchrey zu hoͤren. Er verbirgt ſich nicht 
in einer Art von Wuͤſte, mit einer Menge 
sergoldeter Sklaven umgeben. Er wohnet 
im Mitttelpuntte feiner Staaten, fo wie die 
Sonne mitten in der Welt ſteht. Dieß ift 
‘ein Zaum mehr ,. der fierin den Graͤnzen dee 
Pflicht haͤlt. Ei bar kein anderes Mittel, 
. dag zu erfahren, was er wiſſen foll, alg die 
allgemeine Stimme, -bie gerade bis zu feis 
nem Ihrene dringt. Diefer Stimme Ein« 

1) Welch eine grauiame Plage it die Drudes 
rey, wenn fie dazu dienet, siner ganzen Nation ans 
zutündigen, daß diefer Menfch den oder jenen Tag 
die Rolle eines Sklapen am Hofe geſoitlet: Daß jes - 
ner andre fi H mit aller erſinnlichen Pracht erniez 
driget: daß endlich diefer die Frucht feitter Nieder⸗ 
trächtigkeiten. erhalten hat! Welche Sammiung 
von eſendem Zeuge! welche kleine und lriechende 
Sprache! | 

fa 


Some) 516 ( iiueske 


halt zu thun, würde eben fo viel feyn, als 
unfern Gefesen zuwider handeln: denn ber 
Monarch ift der Mann des Boifs und das 
Volk nicht feine. u 


Drey und vierzigſtes Kapitel. 
Leichenrede auf einen Bauer. 


MNeusierig⸗ zu ſehen, was aus Verſailles 
geworden waͤre, wo ich auf einer Sei⸗ 
te die Koͤnige in ihrem Glanze die aͤußerſte 
Pracht hatte auskramen, auf der andern 
Seite aber eine Brut von Einnehmern und 
groben Schreibern die unverſchaͤmteſte Faul⸗ 
heit ſo weit treiben geſehen, als fie nur zu 
treiben war, traͤumte ich, daß ich, wie Jo⸗ 
ſua, der Sonne koͤnnte file zu ſtehen gebie⸗ 
ten: ſie neigte ſich zu ihrem Untergange: 
auf meine Bitte ſtund ſie ſtille, wie zur Zeit 
dieſes juͤdiſchen Feldherrn und meine Abſicht 
war, wie ich glaube, nicht ſchlimm. 
Ich befand mich auf dem Felde in einem 
Wagen, der aber doch kein Pot de cham- 
bre I) war. Ich mußte einen Umweg neh⸗ 


1) So heißen gewiffe Carroffen, die nah Der: 
failles gehen. Sie find meiftens für das Bedien⸗ 
tenvolk beftimmt, von bem diefer Ort uͤberſchwemmt 


SD) 517 ( er 


men, weil die gewoͤhnliche Landſtraße ver⸗ 
ändert war. 

Indem ich bey einem Dorfe vorbeyfuhr, 
ſah ich eine Heerde Bauern, mit niederge⸗ 
ſchlagenen und thraͤnenden Augen, die in 
einen Tempel giengen. Dieſer Anblick ruͤhrte 
mich. Ich ließ meinen Wagen halten und 
folgte ihnen. Ich ſah in der Mitte der 
Kirche den Leichnam eines Greifes in Ban⸗ 
ernkleidung, deffen weiße Haare big zur Erde 
herabhiengen. Der Pfarrer des Orts flieg 
auf eine Heine Erhöhung und ſprach folgen: 
dermaßen zu feiner Verſammlung: 

Meine Sreunde, 

„Der Mann, den Ihr ſehet, iſt ſeit neun⸗ 
„zig Jahren ein Wohlthaͤter der Menſchen 
„geweſen. Er iſt der Sohn eines Ader- 
„manng und von Kindheit an find feine 
„Hände befchäftiget gemefen, den Pflug» 
„‚fchar zu heben. Er folgte feinem Bas 
„ter in ben Furchen, als faum fein Fuß 
„noch durchfommen konnte. Sobald dag 
„Alter ihm die Kräfte gab, nach denen er 
„feufste, fagte er zu feinem Vater: ruhet 


iſt: und in dem Verſtande fahren fie in der That das 
Schlechteſte, was in Fraufreich iR. . 


en) TI ee 

„nun aus; und feit der Zeit hat ihn jeder 
„Sohn, pflügen, ſaͤen, pflanger, einfam- 
„meln geſehen. Er’hat mehr als zwey tau⸗ 
‚fend Acker urbar gemacht. Er bat den 
„Weinſtock in allen dieſen Gegenden gepflan⸗ 
zzet; und ihr danket ihm die fruchtbaren 
Baͤume, die dieſes Dorf naͤhren und den 
„Schatten, der es kroͤnet. Nicht der Geis 
„war es, der ihm unermuͤdet machte: es 
„war die Liebe zur Arbeit, fuͤr die, wie er 
„ſagte, der Menſch geboren waͤre, und der 
jjfromme und große Gedanke, daß Gott 
„ihn ſaͤhe, wann er die Erbe bauete, um 
„feine Kinder zu nahren. 

„Er hat ſich verheurathet und fünf ımd 
„wanzig Kinder gezeuget. (Er hat fie alle 
„zur Arbeit und zur Tugend erzogen und 
„alle feine Kinder find vechtfchafne Leute. 
„Er har ihnen junge Weiber gegeben, bie 
„er felbft laͤchelnd an den Altar des Gluͤcks 
„gefähret hat. Alle feine Fleine Kinder find 
„in feinem Haufe ergogen worden : und Shr 
„wiſſet, twelch eine reine, unveraͤnderte Freu⸗ 
„de anf ihren Stirnen wohnte. Alle dieſe 
„Brüder lieben ſich unter einander, weil er 
„ſie liebte und ihnen zu fuhlen gab, daß es 
„füße fen, einander zu lieben. 


De) 19 ( re 

„An den Feſttagen war er ber erfte, ber 
„die ländliche Muſik anftinmen lich: und 
„fein Blick, feine Stimme, fein Gefichte, 
„Ihr wiſſet es felbft, waren bie Loſung ber 
„algemeinen Freude. Ihr habe feine Hei 
„terkeit, den Ichhaften Ausfluß einer. reinen 
„Seele, und feine Worte voller Verſtand 
„und Salz nicht vergeffens ob cr gleich die 
„&abe hatte, einen Elugen. Scherz zu mar 
„chen, fo hat er body niemals beleidiget. 
„em has er wohl irgend einen Dien ab 
„gefchlagen? Ben welcher Gelegenheit hat er 
„rich wohl, gegen ein Öffentliches oder ber 
„ſondres Ungluͤck unempfindlich bezeiget ? 
„Wann iſt er gleichgültig geweſen, fobald 
„es das Vaterland betraf? Sein Herz ger 
„hoͤrt dieſem ganz zu: fein Bild mar die 
„Seele feiner Gefpräches er redete bloß für 
„deffen Beſtes: er liebte die Drdnung aus 
„der inmern Empfindung, bie er von ber 
„zugend hatte. 

„Ihr habt Ihn gefehen, ale dag Alter fer 
„nen Körper niedergedruͤckt hatte und feine 
„Fuͤße ſchon ſchwankten. Ihr habt ihn 
„auf die Gipfel der Berge ſteigen und Lehren 
„der Erfahrung den jungen Ackersleuten ge⸗ 
„ben ſehen. Sein Gedaͤchtuiß war ein treues 





Ze) 520 ( re 
„chälmif berienigen Beobachtungen, bie 
„während achtzig Fahren hinter cinander über 
„bee Itsechfeiung der verichichenen Jahres⸗ 
„jeiren gemacht hattt. Dieier oder jener 
„Baum, dem er in dem ober jenem Jahre 
„arrflaust hatte, erinnerte ihn an die gün- 
ſiae eder nachtheilige Witterung. Er wuß⸗ 
„se aufwendig, was die Menſchen vergef 
„sn: Die Verſterbenen, bie reichlichen 
Acrndten. die Bermächiniffe an die Armen. 
„Er mar, wie mit einem prophetiſchen Ger 
„ie Begahtr, und mann er dem Mondenlichte 
„nachdachte, jo wußte cr, welcher Saamen 
„den Süchengarten bereichern wuͤrde. Den 
„bene vor feinem Tode fügte er: Reine 
„Kinder, ich nahe mid) dem Weſen aller We⸗ 
„en, Dem Urheber alles Guten, den ich alleseit 
„angebetet habe, und aufdenich hoffe: putzet 
„mergen früh Eure Birnenbäume, und bey 
„Untergange der Sonne begrabe man mid) 
„eerne an meinem Felde. 

„ihr meine Kinder, die Ihr ihn nachah- 
„men fellet, werdet ihn itzt dahin bringen: 
„ehe wir aber dieſe weißen Haare verjen- 
„fen, die von weiten Ehrfurcht einfloßten, 
„und die Jugend berbeplockten, fo beichauet 
„ine ehrwurdigen und abgehärtcten Jan: 


e ) 521 (En 


„de: dieſes Horn iſt das edle Siegel feiner 
„langen Arbeiten. „ 
Hier nahm der Redner eine feiner kalten 
Hände, und bob fie empor. Sie war unter 
der täglichen Arbeit des Grabſcheits dop⸗ 
pelt ſtark und dicke geworden, und dem 
Scheine nach hatte ſie weder die Spitze der 
Dornen, noch die Schärfe ber Kiefel vers 
wunden koͤnnen. | 


Der Redner füßte diefe cble Hand mie 
Ehrerbietung und jedes folgte feinem Vey⸗ 
ſpiele. 

Seine Kinder trugen ihn auf drey Haͤuf. 
chen Getrayde, begruben ihn, wie er ver⸗ 
langt hatte, und legten ſeine Sichel, ſein 
Grabſcheit und einen Pflugſchar auf ſein 
Grab. 


Ach! ſchrie ich, wenn die Maͤnner, bie 
ein Boſſuet, Slechier, Mascaron, Neupille 
erhoben, den hundertſten Theil der. Tugens 
ben dieſes Ackermannes gehabt hätten, ſo 
wuͤrde ich ihnen ihre prächtige, und. eitle 
Beredtfamfeit vergeben haben. 


ae) 522 ( En 


Bier und vierzigſtes Kapitel. 
Verſailles. 

Jo komme an, ich ſuche mit meinen An⸗ 

7 gen den praͤchtigen Palaſt, wo die 
Schickfale vieler Nationen beſtimmt wurden. 
Welches Erſtaunen! ch entdeckte nichts, 
als Trümmern, halb eingefallene Mauern, 
verſtuͤmmelte Bildfäulen; aus einigen ge⸗ 
woͤlbten Gängen, die halb über den Kaufen 
geſtuͤrzt lagen, konnte man fich eine verwirr⸗ 
te Borftellung von ihrer alten Pracht ma 
chen. Ich gieng auf diefen Ruinen, als ich 
einen Greis antraf, der auf den Kapital ci- 
ner Säule ſaß. „O! ſagte ich zu ihm, was 
„ift denn aus dieſem großen Palaſte gewor: 
„den? — Erift eingefallen! — Wie? — 
„Er iſt auf fich ſeibſt eingeſtuͤrzt. Ein Mann 
sin feinem unbaͤndigen Stolze bat hier die 
„Natur zwingen wollen: cr, er hat geſchwind 
„Gebaͤude über Gebaͤude hingeſetzt; begierig, 
„nach feiner eigenſinnigen Willkuͤhr ſeiner 
- „Hoheit zu genießen, zog er fine Umterihas 
„nen aus. Hier dieſer Schland hat alles Geld 
„des Koͤnigreichs eingeſchluckt. Hier iſt cin 
„Strohm vron Thraͤnen hergefleſſen, um dieſe 
„Baßins zu fuͤllen, von denen Feine Spur mehr 
„ubrigit. Dieß Roes was noch von dem Co⸗ 


Be) 523 ( 
„loß übrig iſt, den: eine Million Hände mit fo 
„vieler ſchmerzhafter Arbeit errichtet haben. 
„Diefer Palaft Fatie feinen feften Grund; 
„er war dag Bild von der Größe besjeni- 
„gen, ber ihn erbauet hatte D. Die Könige, 


„feine Nachfolger haben ihn verlaffen- müfe 


„fen, uns nicht erfehlagen zu werden. Moͤch⸗ 
„ten diefe Steinhaufen doch allen Monarchen 
„zurufen, daß diejenigen, die einer augenblich- 
„lichen Macht mißbrauchen, nichts thun, als 
„ihre Schwachheit dem folgenden Geſchlechte 
„aufdecken ..., Bey diefen Worten vergoß 


ı) Man Inbt die prächtigen Schaufpiele, die dem 
rönifchen Volke gegeben worden. Man machet 
Daraus eiten Schluß auf die Größe des Volks. 
Es war ungluͤcklich, fo bald es anfieng, fich bey 
diefen prächtigen Feſten iu verfammeln, wo die 
Frucht feiner Siege verfägendet wurde. Mer 
bauete die Circus, die Theater, die Bäder? Wer 
grub bie kuͤnſtlichen Seen, mo eine ganze Flotte, 
wie auf vollen Meere ihre tfebungen machte? Es 
waren die aefrönten Ungeheuer, deren tyrannifcher 
Stolz die. Hälfte des Volks zertruͤmmerte, um bie 
Augen der andern zu beluſtigen. Die ungeheuern 
Poramiden, deren fich Aegypten ruͤhmet, find nichts 
anders als Denkmäler des Despotismnd. Die 
Republikaner bauen Wafferleitiingen, Kanäle, Lands 
ſtraßen, öffenfliche Plaͤtze, Märkte: aber jeder Pas 
laſt, den ein Monarch erbauet, ift der Keim eines 
naben Ungemachs. 


\ 


% : 
) 524 (ne 
er einen Sttohm von Thränen, und fah den 
Himmel mit einer reuigen Miene an. — 
„Warum weinet hr, fagte ich? Ale Wele ift 
„glücklich, und diefe Trümmern Eündigen 
„nichts weniger, ale das öffentliche Elend 
„an?, = «= Er erhob feine Stimme und ſag⸗ 
te: „Ach! Unglücklicher! wiſſet, daß ich Eub- 
„wig ber XIV. bin, der dieſes traurige Schloß 
„gebauet hat. Die göttlicye Gerechtigkeit hat 
„die Fackel meiner Tage wieder angezündet, 
„damit ich in der Nähe mein beweinenswuͤr⸗ 
„diges Werf betrachten möchte . . . Wie zer⸗ 
„brechlich find die Denkmäler des Stolge8! = + 
„Ich weine und werde immer weinen ===: 
„Ach! daß ich nicht gewußt habe - =» - 2), 
Sich wollte an ihn felbfi nun Fragen thun, ale 
eine von den Schlangen, mit denen diefer Ort 
angefülle war, voh dem Sturz einer Saͤule 
hervorſchoß, um den fie fich gefchlungen hatte, 
und mich in Hals flach, wovon ich erwachte. 
2) In die Mitte von Europa geftellet, und 
durch den laug audgebreiteten Umfang und die Um: 
wege feiner Kiften über die Meere von Flandern, 
Spanien und Deutichland berrfchend: an das mit: 
telländifche Mieer grängend u. ſ. w. Welches Reich 
ift Frankreich, und welches Volk fchien mehr gerech⸗ 
te Aniprüche auf das Gluͤck zu haben ! 














„‘ 


VEIT