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TA. Ha Panel 5
LP. Imerszer 6, C. ddeisse. 7
Das ,
Jahr
Zweh tauſend vier hundert
md vierzig,
Ein Traum aller Traͤume.
Die gegenwärtige Zeit iſt ſchwanger
von der Zufunft —
Reibnig.
London,
⏑—
—ãA — — —
—
1772.
Borbericht
Des Ueberſetzers.
Hirfe fonderbare Buch gehöret uns
ſtreitig unter die beften Schriften,
die wir feit einiger Zeit aus Frankreich
erhalten haben, Der VBerfaffer beſitzt
einen ungemeinen Scharffinn, cine tiefe
Känntniß des menfchlichen Herzeng, cine
große Einfiht in die Sitten der heuti⸗
gen Welt, in die Staatskunſt, und in’die
a 2
Vorbericht
übrigen Künfte und Wiſſenſchaften. Er
ift daben ein Freund der Tugend und der
Freyheit: fein Herz glühet von einer
brennenden Liebe für das Beſte feiner
Brüder, für Rechtſchaffenheit und gute
Sitten, für die Gluͤckſeligkeit aller Men:
ſchen. Als Schriftftellee Betrachter,
fehreibt er mit ungewöhnlicher Kraft und
noch ungewöhnlicherer Freymuͤthigkeit:
ſeine Bilder ſind gut gezeichnet, voller
Waͤrme, und haben eine bluͤhende und
faſt zu blendende Farbe.
Vey ſo großen Verdienſten hat er auch
ſeine Fehler. Seine Klagen gegen die
Welt find oft uͤbertrieben: feine Vor⸗
wuͤrfe gegen die Reichen und Großen,
ſind oft bitter, und ſcheinen mehr einen
des Ueberſetzers.
Unwillen gegen empfangene Kraͤnkun⸗
gen, als den Eifer gegen die Ungerechtig⸗
Feit zum Grunde zu haben: er ‚vermir
(her oft den Stand mit den Gewaltthaͤ⸗
tigfeiten, zu welchen er verleitet; er
ſcheint alle Könige für Tyrannen, und
alle, die fi) gegen fie auflehnen, für
Freunde der Tugend, der Freyheit, und
der Menſchen zu halten,
Seine Verbeſſerungen wuͤrden oft uns
moͤglich feyn: und vielleicht haͤngen vie⸗
le der Unordnungen, die er ruͤget, mit
groͤßern Vortheilen zuſammen, die er
vernichten wuͤrde, indem er jenen abzu⸗
helfen ſuchte. Da er nach feinem Ent⸗
wurfe faft alle Gegenſtaͤnde des menſchli⸗
chen Wiſſens durchgehen, alle Theile der
Vorbericht
Staatskunſt, der Kuͤnſte und der Wiſ⸗
ſenſchaften beruͤhren wollte; ſo mußte er
nothwendig auf viele Materien ſtoßen,
die ihm weniger bekannt waren. Und
da ihn doch ſein Enthuſiasmus verleite⸗
un entſcheidend zu feyn: fo bekommen
feine Irrthuͤmer ein misfälliger Anſehen.
Faſt alle, die einen folhen Plan aus:
führen wollen, muͤſſen in Irrthuͤmer
und Chimären verfallen. Alles, was
man von ihnen fodern Fann, ift, daß fie
befcheiden urtheilen, wo fie nicht genau
unterrichfet find, und daß fie ihre Vers
befferungen nicht als Geſetze, fondern als
Borfchläge, der Unterfuchung des Publi⸗
ci unterwerfen. Aber diefe Befcheiden:
| heit hat derjenige Mann nicht allezeit, der
in dem erften Feuer feiner Einbildungs⸗
un
des Ueberſetzers.
Fraft ſchreibt, mo er noch ganz don der
Schönheit feiner Idee eingenommen iſt.
Die Schreibart unfers Schriftftellers
ift auch) zuweilen geſucht: aber es iſt doch
nicht diefe affeftirse und froftige Kunſt:
es iſt eine über die Graͤnzen gehende Eins
Bildungsfraf,
Bey dem allen bleiben des Verfaflers
Traͤume immer vortrefliche philofophifche
Träume, denen’ man größtentheils ſchon
die Wirklichkeit sum Beſten des menſchli⸗
den Geſchlechts wünfchen koͤnnte. Was
Wahrheit ift, oder doch ſeyn Fönnte, läßt
ſich leicht von dem, was Traum ifl, und
es immer zu ſeyn verdicnet, unterfcheis
den, O! wie ſehr wäre nur zu wuͤnſchen
| Vorbericht
geweſen, daß der Verfaſſer unter dem
nenen Geſchlechte von Menſchen, mit
denen er ſein gluͤckliches Reich bevoͤlkert,
ſtatt der bloßen natuͤrlichen Religion, die
geoffenbarte, die chriſtliche Religion, in
aller ihrer Lauterkeit und Reinigkeit, in
aller ihrer moraliſchen Thaͤtigkeit ein:
geführet hätte. Seine Megenten wir:
den gewiß nidyt weniger großmüthig
und tugendhaft, und feine Bürger nicht
weniger edelgefinne und rechrfchaffen,
mithin glücklich gewefen ſeyn. Er wuͤr⸗
de hier noch einen leichtern und ficherern
Weg gefunden haben, die Herzen beyder
zu beffern, ihnen ihre Pflichten weit leb⸗
hafter einzuprägen, durch weit ftärfere
DBewegungsgründe fie zu allen politis
ſchen, bürgerlichen und häuslichen Tu⸗
des UÜcherfegers,
genden zu.ermuntern, und ihre Släctfes
ligfeie, in Abficht des Gegenwärtigen
und Zufünftigen, auf weit feftere Gruͤn⸗
de zu bauen, Aber traurig ift es, daß |
felbft fcharffinnige WBeltweifen, die Miw
bräuche, die in einer Religion eingeriffen,
mit der Religion felbft vermengen, und
den Aberglauben nicht verwerfen Fön:
nen, ohne in Unglauben zu verfallen!
gleich als ob nicht auch die Philofophie
ihre Schwärmer und Verfolger gehabt
hätte, Indeſſen ift es noch ein Ders
dienft des Verfaffers, (ob es gleich klaͤg⸗
lich genug ift, daß man folches in un⸗
fern Zeiten einem Schriftfteller als ein
Verdienſt anrechnen muß, ) daß er nicht
über die Wahrheiten der chriftlichen Re⸗
ligion fportet, ein Schler, deffen fi)
Vorbericht des Ueberſetzers.
fonft fo viele feiner Landsleute ſchuldig
machen. Tadelt er ja, fo trifft es im⸗
mer Misbräuche und Vorurtheile, die
felbft der eifrigfie Bekenner nicht vers
theidigen wird, und die des Verfaſſers
Kirche, in der er erzogen worden, bloß
{cheint zu verantworten zu haben,
Zueignungsfchreiben
. \ an .
da3 8 Jahr
Awenytaufend vierfunden
und vierzig, |
D EEE
—— — —— — ———
sy und verehrungswuͤrdiges Jahr!
Dis folft die Gluͤckſeligkeit wieder auf
die Erde herbeyführen: Ach! ich Babe dich
nur im Traume gefehen. Wann du ein
fiens aus dem Schooße der Ewigkeit her
vorfpringen wirſt, fo werden diejenigen,
die deine Sonne ſehen werden, meine Afche
und die Miche von dreyßig Geſchlechtern, die
⸗
Zueignungsſchreiben.
hinter: einander verloſchen md in dem fies
fen Abgrımde des Todes verſchwunden find,
mit Füßen treten. DieiRönige, die auf
bem Throne ſitzen, erben nicht mehr ſeyn:
ihre Nachkommenſchaft wird nicht mehr
ſeyn: und du, du wirſt ſowohl dieſe ver-
blichenen Monarchen, als auch die Schrift⸗
ſteller, die ihrer Macht unterworfen waren,
richten. Die Namen der Menſchenfreunde,
der Beſchuͤtzer der Menſchlichkeit werden in
Ehren glaͤnzen: ihr Ruhm wird unbefleckt
und ſtrahlenreich ſeyn. Aber dieſer niedri⸗
ge Poͤbel von Koͤnigen, die in jedem Ver⸗
ſtande das menfchliche Gefchlechte gequä«
let haben, werden, noch tiefer in ber Der:
geffenheit als im Lande der Todten verfenft,
der Schande. bloß unter der Begünftigung
des Nichts entgehen.
Zueignungsfhreiben,
. Der Gebanfe: überlebt ben Menſchen,
and dieß iſt ſein glorreichfier Antheil! ber
Gedanke erhebt fich aus feinen Grabe, unb
nimmt «inen dauerhaften, unfterblichen Leib
an: und.indeffen, daß die Donner des Dee
ſpotiſmus fallen und. verloͤſchen, machet fich
bie Seber eines Schriftſtellers in dem Zwi⸗
fchenraume der Zeit Platz, und fpricht die
Herren ber Welt los, oder beſtrafet fie.
Sch Habe mich der Herrſchaft bedient,
die ich bey meiner Geburch empfing: ich.
babe vor dem Richterſtuhle meiner einfamen _
Vernunft. die Gefeße, die Mißbraͤuche, bie
Gewohnheit des Landes gefobert, worin⸗
nen ich unbefannt und im Dunkeln lebte.
Ich Habe ben tugendhaften Haß gekannt,
den das empfindende Weſen dem Uuter⸗
druͤcker ſchuldig iſt: ich habe bie. Tyrannen
Zueignungsfbrciben,
verabſcheuet, ich habe fie gebemüthiget, ich
. babe fie nach allen meinen Kräften, die in
meiner Gewalt waren, bekaͤmpfet. Aber,
Heiliges und Ehrwuͤrdiges SZahr , ich
mag, durch dein Anfchauen begeiſtert, mei⸗
ne Gedanken noch ſo ſehr erheben und ent⸗
flammen; in deinen Augen werden ſie doch
noch vielleicht Gedanken der Kuechtſchaft
fon. Dergieb ! der Geift meines Sjahr-
hunderts drückee und umgiebt mid) : Die
Fuͤhlloſigkeit herrſchet: die Ruhe meines
Baterlands gleiche Stille in Gräbern.
Wie viel fehe ich gefärbte Leichname um
mich ber, welche reden, gehen, und bey
denen das wirkffame Principium des Les
bens niemale den Heinften Keim getrieben!
Schon hat fogar die Etimme der Welt
weisheit, matt und muthlos von ihrer Kraft
⸗
Zueignungsſchreiben.
verloren: ſie ſchreyt mitten unter den Men⸗
ſchen, wie im Schooße einer ungeheuern
Wuͤſte.
4H koͤnnte ich die Zeit meines Daſeyns
i Hälften theilen, wie ſchnell wollte
id) den Augenblick ins Grab fleigen ! wie
wollte ich mit Freuden meine traurigen,
meine unglücklichen Zeitgenoffen aus dem
Geſichte verlieren, um mitten in den hei-
tern Tagen wieder zu ertvachen, Die du un⸗
ter dem glücdlichen Himmel wirft anbre
chen laſſen, wo der Menſch ſeinen Muth,
ſeine Freyheit, ſeine Unabhaͤngigkeit und
ſeine Tugenden, wieder zuruͤcke nehmen
wird. Warum kann ich dich, ſo ſehr ver⸗
langtes Jahr, das meine Wuͤnſche rufen,
doch nicht anders als im Traume ſehen;
Eile herbey! komm und zeige uns das
Zueignungsfchreiben,
Stick der Welt! Aber was fage ich? Ze
freyt Son "dem: Blendwerke eines fchmei-
chelhaften Traumes fürchte ich, ad ı
ich fürchte - vielmehr, daß deine Sage
sicht eines Tages Über einem ungeheimt
Haufen von Afche und Ruinen traurig
eefcheinen moͤge. u
Innhalt
Innhalt
in dieſem Werke enthaltenen Kapitel,
Einleitung. J Seite 1
Erſtes Kapitel. Paris unter den Haͤnden
eines alten Engellaͤnders. 3
Zweytes Kapitel. Ich bin fieben- hundert
Jahr alt. WMW 15
Drittes Kapitel. Ich kleide mid) vom Troͤ⸗
| del. ⸗ ⸗ ⸗ 20
Viertes Kapitel: Die Laſttraͤger. 24
Fuͤnftes Kapitel. Das Fuhrwerk. 28
Sechſtes Kapitel. Eingefaßte Huͤte. 32
Siebendes Kapitel. Die umgetaufte Bruͤcke.
⸗ > 8 37
Achted Kapitel Das neue Paris. 40
Neuntes Kapitel Die Bittfchriften. 57
Zehntes Kapitel. Der Dann. mit der Mas⸗
fe. 2 ⸗ ⸗ 61
Eilftes Kapitel. Die neuen Teſtamenter. 66
Zwoͤlftes Kapitel. Das Collegium der vier
Nationen. =. 70
Dreyiehntes Kapitel. We iſt bie @orbonne?
j 83
Vienebmus Kapitel. Das Hote der Inagcu⸗
lation. ⸗ ⸗ 90
6
J Innhalt J
Funffehntes Kapitel. Theologie und Rechts⸗
gelahrheit. S.“eeite 92
© echzehntes Kapitel. Execution eines Ver⸗
brechers. ⸗ ⸗ 103
Sitbzehntes Kapitel. Richt fo entfernt, ald
man denkt. En . 123
Achtzehntes Kapitel. Die: Diener des Frie⸗
dens. a 08. 131
Neunzehntes Kapitel Der Tenmpel. 139
Zwanzigſtes Kapitel. Der Prälat. 0158
Ein und zwanzigſtes Kapitel. Vereinigung
zweyer Unendlichen. ⸗ 161
Zwey und zwanzigſtes Kapitel. Beſonderer
Augenblid. . =. ⸗ 176
Drey und zwanzigſtes Kapitel. Das Brod,
. der Bein u. ſ. w. ⸗ 184
Vier und zwanzigſtes Rapitel. Der Brinz,
ein Gaſtwirth. ⸗ ⸗ 201
| Sünf und zwanzigſtes Kapitel. Echanfpiel-
haus. ⸗ ⸗ 206
Sechs und zwanzigſtes Kapitel Die Later
nen. : = - 220
Eieben und zwanzigſtes Kapitel Das Lei⸗
chenbegaͤngniß. ⸗ 227
Die Mondenfinſterniß. Ein Selbſtge⸗
ſpraͤch in der Einſamkeit. 132
‚derer Kapitel,
Acht. und zwanzigſtes Kapitel. Königliche
Bibliothek. ESeite 241
Neun und zwanzigſtes Kapitel. Die Gelehr⸗
ten. . ⸗ ⸗ ⸗2709
Dreyßigſtes Kapitel. Die Franzoͤſiſche Aka⸗
demie. ⸗ 288
Ein und dreyßigſtes Kapitel. Das Natura⸗
lienkabinet des KGnigäs. 310
Zwey und dreyßigſtes Kapitel. Der Maler
ſaal. . . 340
Drey und dreyßigſtes Kapitel, Sinnbildli⸗
che Gemaͤlde. ⸗ » 39
Vier und dreyßigſtes Kapitel. Bildhauer
und Kupferftecherkfunft. , 358
Sünf und dreyßigſtes Kapitel. Thronen⸗
Saul, ⸗ ⸗ ⸗ 365
Sechs und dreyßigſtes Kapitel. Regierungs⸗
form. ⸗ ⸗ 372
Sieben und dreyßigſtes Kapitel. Der Thron⸗
erbe. ⸗ a ⸗ 395
Acht umd dreyßigſies Kapitel. Die Weiber.
⸗ ⸗ 414
Neun und prepfigftes Kapitel Die Aufla⸗
gen. s s ⸗ 432
Vierzigſtes Kapitel. Von der Handlung.
⸗ 5 ⸗ a, 3
Innhalt derer Kapitel.
Ein und vierzigſtes Kapitel. Die Abendge⸗
ſellſchaft. oo: Seite 461
Zwey und vierzigſtes Kap. Die Zeitungen. 477
Drep und vierzigſtes Kapitel. Leichenrede
auf einen Bauer. ⸗ 516
Vier und vierzigſtes Kapitel. Verſailles. 522
| Drudfebler.
©. 42. 3. 19. ift da mwegjuftreichen. ©. 61. 2.
27. allen ließ zu allen, 836. 6. Ein Arzney iſt lief
iſt niche mehr. 97. ıı. die fogenannten Gewuͤrz⸗
ſchachteln I, Sporteln. 100. 8. Menjchenleben I.
Menfchen Leben. 116. Note 3. 2. follen L. ſollten.
1:6. Not. 3.4. gefährlich 1. gefährlicher. 131.
ihm I. die ihm. 132. 10. fie l. fich- 148. 8. von
unten, ald 1. daß. 154. 14. verließ 1. verließen.
188. 14. ded Käufers und Verkäufers I. des Bauers
uud des Bürgers. 205. 4. von unten; deffen I.
feinen. 2:7. 17. belefen I. unwiſſend. 217. 16. if
um megzuftreichen. 251. legte 3. nach Shakeſpear
adi. Pope. 256. 20. ſchwatzten I. fchywagen. 263,
Note 3. Boileau I. Racine. 272. 15. hat I. harte.
279. 3. 3. nach, eben fo viel add. Ich Fann bier
weiter nichts mehr Davon fangen: die ꝛ⁊c. 286.
Note s. den Menſchen I, die. 37. 10. ift auf wege
inftreichen. 332. 3. Freunde l. Sreude. 339. 14: denn
nad) I. denn noch. 591. 5. waren 1. find. ib. 6.
war 1. ift. 400. 12. biefem I. dem. 459. 4. von uns
ten, der I. den. 455. 1. betrügerifche 1. Feine bes
-srögerifcheac, 465. 13. von einer Prinzeßinn I. von
Der Niderkunft einer Prinzebinn.
Das
Das Jahr
zwey taufend Hier hundert und vierzig.
Ein Traum, alg jemals einer gewefen iſt.
| Einleitung.
u winfchen, daß alles gut ſey, ift ber
> Wunſch des MWeltweifen. Ich ver-
fiebe durch diefes Wort, dag man un⸗
fireitig gemißbraucht hat, das tugendhafte
und empfindliche Wefen, welches das allgemeis
ne Gluͤck will, weiles beftimmte Begriffe von
Ordnung und Harmonie hat. Das Bofe er
muͤdet die Blicke des Weifen, er beklagt fich
dariiber; man glaubt, er fey bey übler Lau⸗
ne; man hat linrecht. Der. Weife ift über
zeugt, daß die Erde an Boͤſem einen Leber-
fluß Habe: aber er hat zu gleicher Zeit immer
die fo ſchoͤne und rührende Vollkommenheit
in feinem Geifte gegenwärtig, die das Werk
des vernünftigen Mannes felbft feyn foll.
A
3»
2a) 2 ( ne
In der That, warum follte ed ung nicht
erlaubt ſeyn, zu hoffen, daß der Menfch, warn
er diefen ausfchweifenden Zirkel von Thors
beiten, um welchen ihn feine Keidenichaften
drehen, durchlaufen bat, einmal derfelben
. müde, gu bem reinen Fichte des Verſtandes
Wwiederfehren werde? Warum foll dad ganze
menfchliche Gefchlecht nicht dem einzelnen
Menfchen gleich feyn? Ungeflüm, heftig, un.
befonnen in feiner Jugend : weife, ſanftmuͤ⸗
thig, mäßig in feinem Alter D. Der Menfch,
der fo benft, leget fich felbft die Pflicht auf,
gerecht zu feyn.
Aber miffen wir auch, was Vollkommen⸗
heit if? Kann fie auch dad Antheil eines
ſchwachen und gingefchränkten Weſens feyn?
Iſt dieſes große Geheimniß nicht unter dem .
1) Eolite die Melt nur zum Beften einer fo Flei-
nen Anzahl von Menfchen gemacht fenn, die wirk⸗
lich die Fläche der Erde bedecken? Was find alle
Weſen, die jemaid eriftiret bahen, in Vergleichung
aller derjenigen, die Gott (chaffen Kann? Andere
Gefchlechter werden die Stelle einnehmen, die wir
einnehmen: fie ggrden auf eben dem Scauplage
erfcheinen : fie werden eben die Sonne fehen, und
wir werden in ein fo tiefes Alterthum hinein gera⸗
then, daß von und keine Spur, kein Merkmal, kein
Gedaͤchtniß mehr uͤbrig ſeyn wird.
“ *
Ra) 3 (nk
Geheimniſſe des Lebeng verborgen ? und müß
fen wir nicht erſt unfer fterbliches Kleid ables
gen, um dieß erhabene Raͤthſel aufsulsfen ?
Mittlerweile wollen wir ung dod) bie
Dinge fuchen erträglicy zu machen, oder
wenn dieß noch zu viel ift, fo wollen wir we⸗
nigſtens träumen, daß fie es find. Ich, für
meine Perfon, mit dem Plato in mich ſelbſt
verfchloffen, träume mie er. D meine lich
fien Mitbürger! Ihr, die ich fo oft über die
Menge von Mifbräuchen, über die man mis
de iſt fich zu beklagen, habe feufzen hoͤren,
wann werden’ wir unfere großen Entwürfe,
warn unfere Träume erfüllet fehen! Cchlar .
fen, das ift alfo unfere Gluͤckſeligkeit.
Erfies Kapitel.
Paris unter den Händen eincs alten
Engellaͤnders.
ngelegner Freund, warum wechkſt du mich
u auf? Ach! was haſt du mir fuͤr einen
Verdruß gemacht! Du entreiſſeſt mich einem
Traume, deſſen ſuͤße Taͤuſchung ich dem uͤber⸗
laͤſiigen Tage der Wahrheit weit vorzog.
Wie entzuͤckend war mein Irrthum, und war⸗
— 42.
—
)40
um kann ich nicht meine ganze Lebenszeit
darinnen verſenkt bleiben! Aber nein; da bin
ic) nun wieder in das abfcheuliche Chang
zuruͤcke gefallen, aue dem ich mich losgewun⸗
den zu haben glaubte. Gebe dich und hoͤre
mic), indeflen daß mein Geift noch voll von
-den Gegenftänden ift, die Ihn durchdrungen
Haben. ch unterredete mich) geftern Abends
- noch) fehr fpät mit dem alten Engelländer, def
fen Ecele fo freymütbig iſt. Du weißt, daß ich
den wahrhaftigen engeländifchen Mann lic
de. Nirgends findet man beffere Freunde,
nirgendg, bey feinem Volke Menfchen von eis
nem fo frandhaften und edlen Charafter.
Diefer Geift der Freyheit, der fie befeelt,
giebt ihnen einen Grab der Stärfe und es
-fligfeit, den man bey.andern Voͤllern ſo ſel⸗
ten antrift.
Eure Nation, ſagte er mir, iſt von eben
ſo ſonderbaren als vielfaͤltigen Mißbraͤuchen
vol; man kann fie weder begreifen, noch
zählen, und der Verfiand verliert fich drin»
nen. Nichte machet mich bauptfächlich ver-
wirrter, als diefe Ruhe, dieſe anfcheinende
Stille, die über dem abfcheulichen Zwifte fo
vieler innerlichen Kriege bruͤtet. Eure
Hauptſtadt ift eine unglaubliche Zuſammen⸗
e
za )5 (in
feßung 2). Dieß Häßliche Ungeheuer ift das
Behaͤltniß des größten Reichthums und des
äußerfieir Elendes : ihr Kampf iſt ewig.
Welch ein Wunder ! daR biefer gefräßige
Körper, der fich felbft in jedem Theile aufs
zehrt, fich in feiner abfcheulichen Ungleich⸗
beit noch erhalten fann 3).
Man thut in Euerm Neiche alle für die
fe Hauptftadt; man opfert ihr Städte, ganze
Provinzen auf. Ach! was ift fie denn ans
\derd ald ein Diamant mit Mifte umgeben,
Welch unerhoͤrtes Gemiſch von Verſtand
und Dummheit, von Genie und Bloͤdigkeit,
von Groͤße und Niedrigkeit! Ich verlaſſe
Engelland, ich eile, ich fliege hieher, ich glau⸗
be in einen erleuchteten Mittelpunkt zu kom⸗
2) Das ganze Koͤnigreich iſt in Paris. Das
‚Reich gleichet einem mit der engliſchen Krankheit
behafteten Kinde. Alle Säfte fleigen ihm nach
dem Kopfe und machen ihn dicke. Diele Art Kins- _
der haben mehr Verſftand, als andre, aber der übris
ge Körper iſt durchfichtig und vertrocknet. Das
geiftreiche Kind lebet nicht, lange.
3) Noch erflaunenswürdiger if die Art, wie es
fih erhält. Es iſt nicht felten, einen Mann, der nicht
von hundert taufend Livres Einkünfte leben kann,
son einem andern Geld .borgen zu ſehen, der ges
mächlich von hundert Piſtolen lebt.
®
\
Ze) 6 ( ie
men, wo die Menfchen durch die Vereini⸗
gung ihrer gegenfeitigen Talente, alle Freu⸗
den zuſammen, und biefe Ruhe, diefe Ges
mächlichfeit, die ihren Reiz vermehren, follten
herrſchen laffen; aber Gott! mie graufam
habe ich mich in meiner Hoffnung betrogen!
Auf diefem Punkte, wo alles im Weberfluffe
iſt, fehe ich Unglückliche verhungern. Mit
ten unter fo viel weifen Gefeßen begeht man
faufend Verbrechen. Unter fo vielen Anſtal⸗
ten der Policey ift alles in Unordnung.
Durchgängig ficht man nichts als Hinder⸗
niffe, Berwirrungen und Gewohnheiten, die
den offentlichen Wohl ganz zumwider find.
Das Bolt läuft mit jedem Schritte Ge
fahr, dureh bie unzählige Dienge Wagen ger
rädert zu werden, worinnen Leute nach ihrer
Bequemlichfeit gefchleppt werben, die unend-
lich weit weniger werth find als die, Die fie
‚mit Kothe befprigen und über den Haufen zu
fahren drohen. Mich fehaudert, wenn ich
den fliegenden Trabb Bon ein paar Pferden
höre, die in vollem Nennen in einer Stadt
berbeyeilen, welche von ſchwangern Weis
bern, von Greifen und Kindern bevolfert ift.
Sin der That, nichts kann für die menfchliche
Natur beleidigender ſeyn, als die graufame
ee )7( ur
Sleichgültigfeit gegen Gefahren, bie mit je⸗
der Minute wiederfommen 4).
Eure Gefchäfte rufen euch wider euren
Willen in jenes Quartier, und es dampft
dort ein fauler Geruch ang, welcher toͤdtet.
Tauſend und aber taufend Menfchen athmen
gezwungen dieſe vergiftete Luft ein 5’.
Eure Tempel ärgern mehr, als daß fie er
banen. Man machet daraus Durchgaͤnge
4) Ihr erſten Bewohner der Erde, ſolltet ihr es
jemals geglaubt haben, daß eines Tages eine Stadt
ſeyn würde, mo man ohne Mitleiden über die un:
glücklichen Fußgaͤnger, über fo viele, die ed an Ars
men und Süßen werden, weglaufen würde.
5) Die Unfchuldigen Rindlein *) dienen 22-
Kirchfpielen von Paris zum Gottesacker. Man bes
gräbt dafelb die Todten ſeit tauſend Jahren. Mau
bitte fie in eine meite Entfernung außer den Mauern
der Stadt verlegen folen. Was hat man gethan?
Man bat fie mitten in die Stadt aefekt, und un⸗
fehlbar aus Furcht, daß fie nicht häufig genug bes.
ſucht werden möchten, hat man fie mit Buden und
Kaufläden umgeben. Dies ift ein allezeit offenes,
allegeit angefülltes, allegeit leeres Grab. Linfere
salanten Damen bolen auf den vermoderten Ges
beinen von Millionen Menfchen dad Mans zu ih⸗
rem Pure und ihren übrigen Zändeleyen.
*, Eine Kirche les SS. Innacens nebſt haben lies
gendem Kirchhofe.
-
a)! (
und oft noch weit was aͤrgers. Mean feket
ſich dariunen bloß für Geld nieder: unan⸗
ſtaͤndiges Monopolium. an einem heiligen
Drte, wo ale Menfchen vor Gott, wenig
fiend unter einander, ſich für gleich halten
ſollen.
Wenn ihr es den Griechen und Roͤmern
nachıhut, fo habet ihr nicht einmal den Der»
ftand, euch an ihre Art’ su halten: ihr. ver
derbt ihre Manier, bie fo fimpel und edel ift,
ihr verderbt fie, fage ich, und verfitliet fie
durch eure Eleinen Ubfichten und durch die
findifche Wuth, die hr alle für dag Artige
babt.. ihr habt einige Stücke fürs Theater,
die Meifterfiücke find. Wenn ich beym Lefen
Luft bekomme, fie vorftelen zu ſehen, fo fens
ne ich fie bey der Vorſtellung nicht mehr.
Ahr habt drey Kleine finfire und armfeli-
ge Schaufpielhäufer. In dem erſten fingt
man mit großen Koften: man betäubt euch
prächtig und ber lächerliche Mafchinenmeis
fter verſchwendet Wunder, damit ihr mitten
darunter gähne® In dem andern machet
man euch zu lachen, wenn man euch
Thränen außpreffen ſollte. Das 1ebliche
wird allezeit verfchlet: uAb außer euern elen>
den tragiſchen Echaufpielern, die man fich
— )9 —*
nice einmal die Mühe nimmt zu kritiſiren,
habet ihr diefe -oder jene Vertraute, deren
. platte oder riefenmäßige Nafe fchon alleine
gureichen würde, die volllommenſte Täufchung
zu vernichten. Was dag dritte anbetrifft,
fo find es Poffenreißer, die bald die Schellen
des Momus fchütteln, bald fade Liederchen
heulen. Und doch ziehe ich fie euern faden
franzsfifchen Comoͤdianten vor, weil fie mehr
Natuͤrliches, und mithin mehr Anmuth Has
ben, weil fie das Publikum ein wenig beffer
bedienen 9. Aber ich geſtehe zu gleicher
Zeit, daß man vor Langermeile- nicht wiffen
muß‘, was man machen foll, wenn man fich
an ihren Poffen vergnügen foll.
Was mir aber ein Lächeln des Mitleid
erpreßt, if, daß ſolche Leute, denen in ge
wiffermaßen jeder insbefondere Allmofen
giebt, ihre Nichter fo unſchicklich in ein en»
6, Es if ein weſentlicher Unterfchied zwiſchen
den frangöfifchen und italiänifchen Schaufpielern.
Die erften halten fich von ganzem Herzen für Leute
von großen Verdienſten: und befigen einen unleids
lihen Stolz. Die andern find eigennügig und ha⸗
ben bloß das Geld zur Abficht, Jene wollen aus
Eigenliebe den Geſchmack des Publifums beherr⸗
(hen? dieſe ſuchen Ti m aus Geitz nad) demfelben id
bequemen.
2m) 10 ( Brei
98 Narterre pfropfen, wo fie ſtehend und eis
ner an den andern gepreßt, Laufend Martern
augfiehen, und mo es ihnen nicht einmal ers
laube ift, zu fchreyen, daß fie erflichen, wenn
ihnen der Odem ſchon ausgeht. Ein Wolf,
das bis auf feine Vergnügungen eine fo
ſchwere Knechtſchaft erdultet, ift ein Beweiß,
wie weit man ed zur Sklaverey bringen kann.
So find alle in der Entfernung gerühmte
Vergnuͤgungen in der Nähe voll Unruhe, ver
dorben, und man muß über die Köpfe des
Volks hinmeglaufen, wenn man frey ath⸗
men till. |
Da ich mich feines fo barbarifchen Mus
thes fähig fühle, fo gehe ich meiner Wege:
dien. Send ſtolz auf eure fchönen Denke
mäler, die in Ruinen verfallen. Zeiget mit
Bewunderung Ener Louvre‘, deffen Anblick
Euch mehr Schande, als Ehre machet, haupt.
fächlich, da man von allen Seiten fo viel
glänzende Tändeleyen ficht, die Euch mehr
gu unterhalten foften, als Euch Eure oͤffentli⸗
chen Monumente vollends auszuführen fo,
ſten mürden.
Aber alles dieß It noch nichts. Wenn
ich mich über die gans abfchenliche Ungleich»
heit der Güter ausbreiten: wenn ich die ger
Se) I (En
heimen Urfachen, die fie veranlaffen, and
Licht bringen: wenn ich von Euren rauhen
und folgen Gitten unter dem dußerlichen
Scheine leichter und gefäliger Sitten re
den wollte 7) : wenn ich die Armuth des
Elenden und die Unmdglichkeit, worinnen er
fich befindet, fich mit Benbehaltuna feiner
Rechtſchaffenheit herauszuziehen, befchreiben :
wenn ich bie Einfinfte berechnen wollte, gu
denen eın niederträchtigee Menfch gelangen
fann, um den Grad bed Anfehng, deffen er
nach dem Maafe genieft, je ein ärgerer Ber
trüger er it 9: fo wuͤrde mich dic alleg viel
7) Doch mug man die Finanziers ausnchmen:
denn diefe find Hart und grob zugleich Die übris
sen Reichen haben nur Einen diefer Fehler: ents
weder fie laffen einen mit aller Höflichkeit verhun⸗
gern, oder ſMleiſten ihm auf eine grobe Art einige
Hülfe.
3) Vormals half man nicht dem tugendhaften
Mann, aber man fchägte ihn doch wenigſtens hoch.
Heute zu Tage ift dich nicht mehr fo. Ich erinnere
mich der Antwort einer Prinzefinn , die fie ihrem
Haushofmeifter gan. Er hatte bey ihr eine Beſol⸗
dung von 600 Libres, und er beklagte ſich, daß er
davon nicht auskommen Eörmte. Wie machte es
denn ener Vorgaͤnger, fagte fie zu ihm? Er it nicht
länger, als zehn Jahre in“meinen Dienſten gewes
fen, und iſt mit 20000 Livres jährlicher Einkünfte
a) 12 ( re
m weit führen: aufe Nacht. Ich reife mor⸗
gen, morgen reife ich, fage ich: ich Tann
nicht Länger in einer fo unglücklichen Cigbe
bleiben, Die fe viel Mittel hat, es nicht fe
fepn. -
Paris iſt mir fo ſehr zum Eckel geworben,
als London. Alle große Erädte find einander
glei: Rouſſean bat es ſehr wohl gefagt.
Es ſcheint, daß, je nicht Die Menſchey Geſetze
machen, um glücklich zu ſeyn, indem fie fich
in einem Koͤrper vereinigen: deſto mehr ar
ten fie aus, deſio mehr vermehren fie die
Summe ihred Elmdd. Dernünftiger Weife
foßte man freylich das Begentheil glauben:
aber je mehr der Menfchen find, deflo mehr
find ihrer dabey Interekiret, ſich dem allge
meinen Wohl zu widerfegen. Sch will ir⸗
gendwo ein Dorf auffichen, wlch in einer
reinem Luft und bey ftilen Sreuden, dag
Schickſal der traurigen Bewohner diefer
prächtigen Sefängniffe, die man Städte nen»
net, beweine 9).
von mir gegangen. Madam , fagte der Haushof-
meiſter, er befahl fie. Nuu wohl, verfekte fie, fo
befeble mich auch.
9) “In dieſem Strohme ven Moden, Einfallen,
Ergoͤtzlichkeiten, von denen keine dauert, und eine
2) 13 ( ne
Sch mochte ihm daB gemeine Spruͤch—⸗
wort vorhalten, fo fehr ich wollte, daß
Paris nicht in einem Tage gebauet, daß
alled in DBergleichung der vorhergehenden
Jahrhunderte fchon meitebefler geworden
wäre. Ja, fagte ich ihm, noch einige Jah⸗
re, und vielleicht bleibe Euch dann nichte
mehr zumwünfchen übrig! Zwar wenn ed moͤg⸗
lich wäre, die verfchiedene Projekte, die man
erfonnen bat, in ihrem gansen Umfange aus⸗
guführen » « » Ab! fieker mir ein: dad iſt
fo recht der Kigel Eurer Nation. Immer
Projekte! Ihr feyd ein Krangog, mein Freund:
mit allem Eurem gefunden Menfchenverftande
bat Euch doch der Landesgeſchmack angefieckt.
Aber es fen darum: ich will Euch wieder befüs
chen, wenn alle diefe Projekte werden ausge
führee feyn. Vis dahin will ich wo anders
leben. ch mag nicht unter fo vielen miß⸗
vergnuͤgten, unglücklichen Menfchen wohnen,
deren leidender Anblick mein Herz zerreißt 10).
die andere zerſtoͤrt, verliert die Seele der Großen
ſelbſt das Vermoͤgen zu genießen, und wird chen fo
unfähig das Große und Schöne zu empfinden, als
es bervorzubringen.
10) Es iſt Bein Etabliffement in Frankreich, dag
nicht zum Schaden des Nation abzielen ſollte.
7a) Uli
Ich fehe, daß es leicht feyn würde, ben.
dringendften Uebeln abzuhelfen; aber glaubet
mir, man wird ihnen nicht abhelfen: bie
Mittel find zu einfach, ale daß man fich der
felben bedienen gollte: man wird fich Davon
entfernen , ic) wette darauf. Ich win noch
eine andere Wette anftellen, daf; man näm«
lich unter Euch dag heilige Wort der Menſch⸗
lichfeie bloß darum mit fo vieler Affektation
wiederholen wird, damit man ſich frey ma»
che, die Pflichten zu erfüllen, die eg in fich
ſchließt 113. Schon lange fündiget Ihr nicht
mehr aus Unmiffenheit: mithin werdet Ihr
Euch niemals beſſern. Adieu.
11) Wehe dem Schriftſteller, der feinem Jahr⸗
hunderte fehmeichelt und es vollends einfchläfern
hilft, der es mit de Gefchichte feiner alten Hels
den und Zugenden einfingt,. die es nicht mehr
bat, und fo wie ein geſchickter Charlatan und Hoͤf⸗
ling, ihm weiß macht, daß feine Stirne von Geſund⸗
beit glänget, indeffen daß der Krebs feine Glieder
zerfrißt. Der her hafte Schriftſteller bringt keine
fo gefaͤhrliche Lügen vor: Er ſchreyt: o meine Mit⸗
buͤrger! Nein, Ihr gleichet Euren Vaͤtern nicht:
hr ſeyd hoͤflich und grauſam, Ihr habt blof den
äugerlihen Schein der Menfihlichkeit ; niederträchs
tig und betrügerifc) habt Ihr nicht einmal den Muth
großer Verbrechen; Die Enisen find Flein, mie 30
felber. _
2a) (ur
Zweytes Kapitel.
Ich bin ficben hundert Jahr alt,
8 war Mitternacht, als mich mein alter
Engelländer verließ. Ich war ein we⸗
nig mübe, ſchoß meine Thuͤre zu und legte
mich nieder. So bald mir der Schlaf die
Augen zugedruͤckt, traͤumte ich, daß ich ein⸗
geſchlafen waͤre und aufwachte m. Sch ſtund
auf und fand eine Schwere an mir, die mie
gang ungewöhnlich war. Meine Hände sit
terten, und meine Füße wankten. Als ich
mich im Spiegel befah, fannte ich mein Ges
fihte faum mehr. Ich hatte mich mit blone
den Haaren, mit einer weißen Farbe und ro»
then Wangen nicdergelent. Als ich aber
wieder aufftund, fand ich meine Stirne von
Nunzeln durchfurcht, und meine Haare eis⸗
grau. Ich Hatte zween Knochen, die über
den Augen herausſtunden, eine lange Naſe;
und eine blaffe gilblichte Farbe haste fich über
2) Die Finbildungstraft darf nur von einem Ges
genfande fehr eingenommen feyn, um fic) feiner in
der Nacht wieder zu erinnern. Es gehen in Traͤu⸗
menserfaunende Dinge vor. Der Traum hier,
wie man aus der Folge fehen wird, iſt eben niche
ſo übel erdacht.
a) 16 ( rk
meine ganze Geftalt ausgebreitet. So bald
ich gehen wollte, fügte ich meinen Korper
mafchinenmäßig auf einen Stoc ; doch hatte
ich nicht die üble Laune, die alten Leuten nur
allzugewoͤhnlich ift.
Als ich audgieng, fah aan en
chen Platz, der mir unbefantl war. Man
hatte dafelbft .eine pyramidalifche Säule er⸗
richtet, die die Augen der Nengierigen auf
509. Sch gehe darauf log und leſe ganz
deutlich: Das Fahr des Heild MMIVCXL.
Diefe Charaktere waren auf dem Marmor
mit goldnen Buchſtaben gegraben. |
. Anfänglich bildete ich mir ein, daß eg ein
| Irrthum meiner Augen, oder vielmehr ein
Fehler des Kuͤnſtlers ſey, und ich wollte
ſchon daruͤber eine Anmerkung machen, als
mein Erſtaunen noch groͤßer wurde: denn es
fielen mir zwey oder drey Verordnungen des
Regenten in die Augen, die an der Mauer
angeklebt waren. Ich bin immer ein neugie⸗
Tiger Leſer der Anſchlagezeddel in Paris gewe⸗
fen. Sich fahe eben das Datum MMIVCKL
getreulich auf allen Hffentlichen Papieren
ausgedruckt. Wie! ſagte ich bey mir felbft,
fo bin idy denn fo alt,. ohne daß ichs ſel⸗
ber weiß ? Iſts möglich 2 ich. babe ſechs
2m) 17 ( reife
hundert und zwey und fiebenzig Jahre gen
fchlafen 2).
Alles war verändert. Alle die Vierthel
der Stadt, die mir fo befannt waren, ſtell⸗
ten ſich mir unter einer verfchiedenen und
gang neuerlich verfchönerten Geftalt vor.
Sch verlor mich in großen und ſchoͤnen
Straßen, die fchnurgerade liefen. Ich fam
an weite Kreuzwege, wo eine fo ſchoͤne Ord⸗
nung berrfchte, daß ich auch nicht bie Eleinfte
Verwirrung merfte. Ich hörte Feines von
dem verwirrten und feltfamen Geſchrey durch
einander, das ‘meinem Ohr vormals fo uns
angenehm getwefen war 3. Ich traf auch
feine von den Wagen an, die mich alle Aus
genbliche niederfahren wollten. Ein Podas
grift Hätte bequiem gehen koͤnnen. Die Stadt
hatte einen lebhaften Anblick, aber ohne Uns
ruhe und ohne Verwirrung.
Ich war fo erfaunt, daß ich nicht die
Voruͤbergehenden bemerkte, melche ſtehen
blieben und mich vom Kopfe big auf die Füße
2) Dieb Werk ift im Jahre 1768 angefangen.
3) Das Geſchrey von Paris machet eine ganz
befondere Sprache aus, zu der man eine eigne Gram⸗
matiß haben muß.
B
a) rk
mit der größten Verwunderung anfahen.
Eie zuckten die Achfel und lächelten, fo wie
wir lächeln, wenn wir eine Maske antreffen.
In der That mußte ihnen mein Anzug ori⸗
ginal und grotesk vorfommen, ‚fo fehr ver-
ſchieden war er von dem ihrigen.
“ Ein Bürger (in dem ich in der Solge einen
Gelehrten erfannte,) näherte fi mir und
fagte ſehr höflich, aber mit einer ernfihaften
Miene zu mir: Guter Alter, zu was dienet
Diefe Verkleidung! Eure Abſicht ift und an
die lächerlichen Gewohnheiten eines abge
fhmackten Jahrhunderts zu erinnern? Wir
haben feine Luft fie nachzumachen. Laſſet
diefe eiteln Poffen.
Wie? antwortete ich ihm, ich habe mich
nicht verkleidet; ich trage noch eben die Kleis
ber, die ich geftern trug: eure Säulen und
eure Unfchlagezeddel find es, die unwahr res
den. Ihr fcheinet einen andern Oberberrn,
als Ludewig ben XV. zu erkennen. Sch weiß
was Euer Gedanfe daben feyn mag, aber
das fage ich Euch, daß ich ihn für fehr ge⸗
fährlich halte. Man fpielt nicht folche Mas»
feraden: man if auch nicht auf den Grad
wahnwigig: auf jeden Fall ſeyd Ihr ein Be⸗
trüger umfonft und um nichts; denn Ihr müßt
Se) 19 ( u
doch wiſſen, daß wiber den augenfcheinlichen
Beweis feiner eignen Exiſten; nichts gilt.
Es ſey nun, daß der Mann glaubte, ich
redte irre, oder, daß das hohe Alter, wel⸗
ches ich ihm zu haben fchien, mich findifch
mache, oder daß er einen andern Argwohn hate
te; genug, er fragte mich, in welchem Jahre ich
geboren wäre? 1740, antwortete ich ihm. —
Nun wohl, nach diefer Rechnung ſeyd Ahr
gerade fieben hundert Jahr alt. Man muß
ſich über nichts wundern, fagte er zu ber
Menge Volle, die ihm umringte : Henoch
und Elias find nicht geſtorben: Methufalem
und effige andere haben 900. Jahre gelebt:
Nicolaus Sfemel läuft, als irrender Jude, um»
her, und vieleicht hat der Herr das unſterb⸗
lich machende Elerier oder den Stein der
Meifen gefunden.
indem er diefe Worte fagte, lächelte er
und jedes drängte fi) um mich ber mit
viel Sefälligfeit und ganz befonderer Ehrer⸗
-Bietung. Sie brannten vor Begierde mich
zu fragen : aber die Befcheidenheit feffelte ih»
se Zunge; fie begnügten fich, einander ine
Ohr gu fagen: ein Menfch aus der Zeit Lu⸗
dewigs bed XV! o wie wunderbar!
B 2
Same) 20 (ee
Drittes Kapitel.
Ich kleide mic) vom Trödel,
Heine Perſon ſetzte mich in große Verle⸗
genheit. Mein Gelehrter ſagte zu mir:
Bewundernswuͤrdiger Alter, ich erbiete mich
gerne Euch als Fuͤhrer zu dienen: aber vor
allen Dingen laſſet uns zum erſten zum be⸗
ſten Troͤdler gehen: denn (ſetzte er freymuͤ⸗
thig hinzu) ich wuͤrde Euch nicht begleiten
koͤnnen, wenn Ihr nicht auf eine anſtaͤndige
Weiſe gekleidet waͤret.
Ihr muͤſſet mir, zum Exempel, ſelbſt ein⸗
raͤnmen, daß in einer wohl eingeuchteten
Stadt, wo die Regierung allen Streit unter⸗
ſaget und fuͤr das Leben eines jeden Men⸗
ſchen insbeſondere Gewaͤhr leiſtet, es unnuͤ⸗
tze, ich will nicht ſagen, unanſtaͤndig waͤre,
feine Füße mit einem moͤrderiſchen Gewehre
zu beunruhigen und-einen Degen an die Sei⸗
te zu ftecken, wenn man mit Gott, den Das
men und feinen Freunden reden will: es iſt
alles, was der Soldat in einer belagerten
- Stadt thun könnte, In Eurem Zahrhuns
berte hielt man noch fefte an dem alten Vor⸗
urtheile der gothifchen Nitterfchaft; e8 mar
ein Ehrenzeichen, allezeit ein feindliches Ges
ae) 21 ( u
wehr mit zu fchleppen: und ich habe in ben
Schriften Eurer Zeit gelefen, daß noch der
ſchwache Greis mit einem- unnüßen Eifen
Darade machte.
Wie gezwungen und ungefund iſt Eure
Kleidung! Eure Schultern und Arme find
eingeferfert, Euer Leib zufammen gepreßt,
Eure Bruſt eingefchloffen; Ihr koͤnnet nicht
frey atmen. Und warum feet Ihr Eure
Hüften und Schenfel der Ungemächlichfeit
der Witterung aus?
Jede Zeit bringt neue Moden mit: aber;
ich müßte; mich ſehr betrügen, wenn die un,
frige nicht eben fo angenehm als der Geſund⸗
beit gemäß wäre. Sehet einmal! — Sin der
That hatte die Art, mie er gekleidet war, ob
fie gleich für mich neu war, nichte, dag mir
mißfiel. Sein Hut hatte nicht mehr die trau⸗
rige, finflere Sarbe, noch die ungefchickten Hoͤr⸗
ner 1) 'e8 war nichts davon uͤbrig, als der
1) Wenn ich die Geſchichte von Frankreich ſchrei⸗
ben ſollte, fo wuͤrde ich mich mit einer voruͤgli⸗
hen Sorgfalt Über das Kapitel der Hüte ausbreis
ten. Diefes mit Fleiß behandelte Stück müßte fehr
merfmwärdig und intereffant feyn. Sch würde dar⸗
innen Engellend und Frankreich zuſammen kontra⸗
ſtiren laſſen: das eine wuͤrde einen kleinen Hut tra⸗
gen, wenn das ‚andere einen großen trüges vnd
a) 23 ( er
Kopf, der tief genug war, auf dent Haupte fe
ſte zu fiten, und der mit einer Krempe um⸗
geben war. Diefe mit Anftand aufgerofite
Krempe blieb über einander gefchlagen, wenn
fie unndthig war: und fonnte herunterges
ſchlagen und fo weit herabgelaffen werden,
ald es demjenigen gefiel, der fie trug, um
vor der Sonne oder der übeln Witterung zu
ſchuͤtzen. ,
Seine Haare, die ſchicklich geflochten wa⸗
ren, machten hinten auf ſeinem Kopfe einen
Knoten 2), und eine nur leichte Beſtaͤubung
son Puder ließ ihnen ihre natürliche Farbe.
Diefer fimple Aufputz ſtellte weder eine vom
Puder und Pomade aufgelleifterte Pyramide,
noch die feltfamen Flügel vor, die das Anſe⸗
ben eines Derrückten geben, noch diefe uns
beweglichen Locken, die nicht etwan ein flies
dieß würde dem großen ablegen, wenn jenes den
Heinen ablegte.
2) Wenn ich den Einfall hätte, eine Abhand⸗
Inng von der Freſirkunſt zu fchreiben, was würde ich
nicht bey den Leſern für Erflaunen erweden, wenn
ich ihnen bewieß, daß es drey⸗- bis vierhunderterley
Arten giebt, einem ehrlichen anne das Haar zu
kruͤmmen. D was haben die Künfte nicht für eine
Tiefe, und wer kann ſich ruͤhmen, fie alle Stuͤck⸗
weiſe durchſtudiret zu baden !
.
Br 2
gendes Haar bilden, fondern fein ander Vers
dienft haben, als daß fie ohne Ausdruck und
ohne Anmuth gerade vor fich binftarren.
Sein Hals wurde nicht von einer engen
neffeltuchenen Binde sufammengefchnürt 2;
fondern er hatte eine nach Befchaffenheit der
Jahrszeit mehr oder weniger warme Kraufe
nm. eine Arme genoffen ihrer völligen
Freyheit in Aermeln, die eine mittelmäßige
Weite hatten: und fein Korper, den eine Art
von Oberweſte wohl Fleidete, war mit einem
Mantel in Geſtalt eine Rocks bedecket, def
fen Gebrauch in Regen und Kälte zuträglich
war.
Eine lange Binde umguͤrtete auf eine edle
Art ſeine Lenden und ri eine glei»
che Wärme. Er trug Feine Gürtel, tel
he Die Kniekehlen zerfchneiden und den
Umlauf des Blutes Hindern. Ein langer
Strumpf gieng ihm von den Füßen an bis an
33 Ich will nicht, dag man fich wider unfre
Binden auflehnt: fie find ung zu mehr dienlich, als
man wohl glaubt. Die nächtlichen Ergöglichkeiten,
das Schwelgen und andere Ausfchweifungen mas
chen uns im Sefichte blaß. Unſere Binden, indem .
fie uns ein wenig wuͤrgen, machen diefen Zehler
wieder gut und geben und cinige Zurbe.
Be) 24 ( ie
den Dund und ein bequemer Schuß in Ge⸗
flalt eines Halbſtiefels umgab feinen Fuß.
Er fuͤhrte mich in einen Laden, wo tch
meine Kleidung ändern follte Der Stuhl,
auf den ich mich ſetzte, war nicht von_der
Art Stühlen, die mit Zeuge überladen find,
und welche mehr ermüben, ale daß man dar⸗
auf ausruhen folte. Es war eine Art von klei⸗
nen Kanape, dag mit einer Decke belegt, und
abhängig war, und fich nach der Beivegung des
Körpers auf einer Angel drehete. Sch fonn-
te faum glauben, daß ich bey einem Trodler
wäre: denn er redte weder von Chre noch
Gewiſſen, und fein Magasin war fehr helle.
Vi tes“ Kapitel.
e kaſttraͤger.
ein Fuͤhrer wurde mit jedem Augenblicke
geſpraͤchiger. Er besahlte für mich
dasjenige, was ich bey dem Troͤdler ausge,
nommen. &8 belief fich ungefähr auf einen
Louis unferer Münze, den ich aus meiner
Tafche 509. Der Kaufmann bat, daf er diefen
als ein antifes Stück: behalten dürfe. Man
bezahlte baar in jedem Maarenladen, und
dieß Volk, das auf eine gewiſſenhafte Red⸗
De) 05 (nk
lichkeit hielt, Fannte das Wort Eredit nicht,
welches von einer ober der andern Seite ef.
ner kuͤnſtlichen Schelmerey zum Borwande
diene. Die Kunft Schulden zu machen
und fie nicht zu besahlen war nicht mehr bie
iffenfchaft der Leute von ber großen
Welt 2).
1) Als Karl der VII. König von Frankreich einft
in Bourges war, beftellte er fich ein paar Stie⸗
feln. Aber da - man fie ihm anprobirte: trat
fein Haushofmeifter hinein und fagte zum Schw
fer: nehmt eure Waare wieder mit, wir Finnen
dieſe Stiefeln fo bald nicht bezahlen: Ihro Maje⸗
ſtaͤt können noch einen Monat in den alten geben.
Der König gab dem Haushofmeifter Necht, und
er verdiente einen folhen Mann in feinen Dienften
zu haben. Was wird bierbey der junge Thor den-
fen, der fich feine Füße bekleiden läßt, und in
fich felbft lachet, da .er einen armen Handwerks⸗
mann gefunden, der ſich von ihm betrügen läßt.
Er verachtet den Mann, der ihm Schuhe an ſeine
Füße giebt, die er nicht bezahlet, und Iduft, fein
«Geld in den Schlupfwinteln der Schmelgerey und
des Lafters zu verfchgegten. D daß die Nieders
trächtigfeit feiner SM nicht feiner Stirue einges
graben ift, diefer Stirne, die nicht roth wird, und
an jeder Ecke der Strage umzulenken fuchet, das.
mit er fich den Augen eines Glaͤubigers entziebe.
Wenn alle diejenigen, denen er für Kleider, die er
trägt, fchuldig if, ihm auf einer Dueergaffe anhiels
ten, und das wiedernaͤhmen, was ihnen zugehoͤret,
23mm) 26 ( un
Beym Herausgehen umringte mich wie⸗
der das Wolf: aber feine Blicke verriethen
nichts Spottifcheg, oder Beleidigendeg; es
fummte bloß von allen Seiten ber vor meis
nen Ohren; bag ift der Mann, ber fieben
hundert Jahr alt iſt. Wie unglüclich muß
er in den erſten Jahren ſeines Lebens gewe⸗
fen ſeyn 2)!
Sch mar ganz erftaunf‘, daß ich in den
Straßen fo viel Reinlichkeit nud fo wenig
Verwirrung fand: man hätt® glauben fol-
len, e8 wäre dag Fronleichnamsfeſt. Die
Stadt fchien indeffen außerordentlich volk⸗
reich.
Es war in jeder Gaffe eine Wache, die
über die ffentliche Ordnung hielt: fie leitete
was würde ihm zur Bedeckung übrig bleiben? Ich
wollte, daß jeder Menfih, der fih auf dem Vflas
fer in Paris, über feinem Stand gekleidet, fehen
läßt, unter den bärteften Strafen gezwungen wuͤr⸗
de, in feiner Taſche die Quittung feines Schneis
Ders gu tragen.
2) Derjenige, der Menegeweſen in einem
Staate vorſteht, derjenige, der die Finanzen in
Haͤnden hat, iſt in der ganzen Staͤrke des Aus⸗
diucks ein Deſpote, und wenn er ja nicht alles
ganz zu Boden drüct, fo if es unfeblbar feinem
Eigennuße nicht allegeit geäß, feiner ganzen Ge⸗
wait zu brauchen.
mm) 27 ( Be
den Gang der Wagen und der heladenen
Menfchen: hauptfächlich machte fie den Ieg-
tern, deren Laft allegeit ihren Kräften ange-
meffen war, den Weg frey.
Man fah nicht einen Unglürflichen keu⸗
chend, ganz mit Schmeiße bedeckt, mit einem
rothen Auge und niebergedrücktem Kopfe un-
ter einer Laft feufzen, die bey einem menfchen:
freundlichen Volke nur für ein Laſtvieh ge-
macht ift: der Reiche ſpottete nicht der Menfch-
lichkeit vermittelt einiger Stücfe Geld. Man
fah noch weniger ein särtliches und ſchwa⸗
ches Gefchlecht, das geboren ift, fanftere und
glücklichere Pflichten zu erfüllen, die Augen
der Voruͤbergehenden zum Mitleiden bewe⸗
gen, indem es fich in Laflträger metamor-
phofiret. Man fah e8 nicht auf den oͤffent⸗
lichen Märkten mit jedem Schritte der Sta-
tur Gewalt anthun, und die barbarifche Un-
empfindlichfeit der Männer anklagen, bie
ruhige Zufchauer feiner mühfeligen Arbeiten
waren. Die Weiber, denen Pflichten ihres
Standes wieder gegeben, erfüllten die ein-
sige Sorge, die ihnen der Schoͤpfer aufer⸗
legte, Kinder zu gebähren und denenjenigen
ihre Mühe zu verfüßen, die für Die Veduͤrf⸗
niſſe des Lebens ſorgen.
Te) 28 ( ee
Fuͤnftes Kapitel.
Das Fuhrwerf.
254 bemerfte, daß die Hingehenden auf
der rechten Seite und die Hergehenden
auf der linken giengen ’). Diefeg fo einfache
Mittel, nicht niedergefahren zu werden, war
nur erft erfunden worden; fo wahr ift eg,
daß nur erft mit der Zeit. die nüßlichen Ent⸗
deckungen gemacht werden. Alle Ausgänge
waren ficher und leichte, und bey oͤffentli⸗
chen Feyerlichkeiten, wo ſich ein großer Zu-
ſammenfluß vom Volke findet, genicht die-
ſes auch eines Schaufpield, das es natürli-
cher Weiſe gerne ſieht und das man ihm
mit Unrecht verſagen wuͤrde. Jeder kehret
davon ruhig wieder in ſein Haus zuruͤck,
ohne zermalmt oder getoͤdtet zu werden. Ich
ſahe nicht mehr den laͤcherlichen und beleidi—
genden Anblick von tauſend Karoſſen, die ſo
in einander gefahren waren, daß ſie drey
Stunden lang unbeweglich halten mußten,
1) Ein Fremder begreift nicht, was in Frank⸗
reich dieſe unaufbhoͤrliche Bewegung von Menfchen
verurſachet, die von fruͤhem Morgen an bis Abends
außer ihren Haͤuſern ſind, oft ohne alle Geſchaͤfte
und doch in einer unbegreiflichen Geſchaͤftigkeit.
2m) 29 (Ey
inbeffen, dafs der vergoldete Herr, der alber
ne Menfch, der fich fchleppen lief, vergefs
fend, daß er Füße hatte, an der Thüre
ſchrie und mehflagte, daß er nicht fort
fonnte 2).
Die großte Menge Volks machte einen
freyen und leichten Umlauf, voller Ordnung.
Ich traf hundert Karren mit Waaren und
Mobilien flatt einer einzigen Karoffe an,
und auch diefe Karoffe fuhr einen Mann,
der mir franf zu feyn ſchien. Wo find
denn, fagte ich, die glänzenden Wagen hin,
die fo allerliebft verguldet, gemalt und kadire
waren, die zu meiner Zeit die Straßen von
Paris anfüllten? Sie müffen alfo bier wes
der Seneralpachter, nod) Buhlfchweitern 3),
2) Nichts if luſtiger, als auf einer Brücke eine
Reihe von Karoſſen au fehen, die fo in einander
gefahren find, daß keine vor der andern fort kann.
Die Herren fehen ſich um und geberden ſich fehr
ungedultig. Die Kutfcher heben fih auf ihren
Sigen empor und fluchen. Diefer Anblick raͤchet
ein wenig die unglücklichen Fußgänger.
3) Man hat ſechs Pferde mit den praͤchtigſten
Geſchirre bebangen gefehen : fie waren an dem
koſtbarſten Wagen gefpannt. Man ftellte fich im:
zwo Reihen, um fie buschfähren zu ſehen. Die
Handiwerksleute zogen ihte Muͤtzen ab, und ee war
eine Theaterprinzeßinn, die fie gegrüßt hatten.
\
Er ) 30 ( Zn 2
noch Petits Maitres haben? Zu meiner Zeit
mußte dag Publifum von diefen drey elen-
ben Gattungen von Menfchen alles Moͤgli⸗
che leiden, und fie fchienen eine mit der an⸗
dern um den Vorzug zu flreiten, wer den
ehrlichen Bürger, ber mit großen Schriften
floh, aus Furcht von ihren Wagen gerädert
gu werben, das meifte Schrecken einjagen
koͤnnte. Unſere Großen ſahen das Pflaſter
von Paris fuͤr die Rennbahne der olympi⸗
ſchen Spiele an und ſetzten ihren Ruhm
darein, Pferde zu todte zu jagen. Alsdann
rettete ſich wer konnte.
Jetzt, ſagte er mir, iſt es nicht mehr erlaubt,
ſolche Rennen anzuſtellen. Gute Geſetze wider
die Verſchwendung haben dieſem barbariſchen
Aufwande, wodurch ein Volk von Bedienten
und Pferden gemaͤſtet wurde, gefteuert#). Die
Guͤnſtlinge des Gluͤcks kennen nicht mehr
dieſe ſtrafbare Weichlichkeit, die das Auge
bes Armen beleidigen mußte. Unſere Groſ⸗
fen brauchen itzt ihrer Füße: fie haben mehr
Geld und weniger Podagra.
4) Mau bat mit Net die reichen Theren, die
eine Menge Bebienten unterhalten, mit Schaben
serglichen. Sie haben viel Füge, und gehen doch
fehr langſam.
am) 31 ( En
Sie ſehen ingwifchen einige Wagen. Diefe
gehören alten Magiftratsperfonen oder Een;
ten, bie ſich durch ihre Dienſte bervorgerhan
and von der Laſt des Alters gekruͤmmt find,
Ahnen allein ift es erlaubt langfanı auf dem
Pflaſter zu fahren, two ber geringfte Bürger
in Ehren-ift. Sollten fie dag Unglück haben
einen Menfchen zu lähmen, fo wuͤrden fie
gewiß den Augenblick aus dem Wagen ftel-
gen, um ihn mit fich hinein zu nehmen, und
ibm Lebenslang auf ihre Koſten einen Wa⸗
gen halten.
Dieß Ungluͤck aber geſchieht niemals,
Die Reichen von Stande, find hochach⸗
tungswürdige Menfchen, die fich nicht für
entehrt halten, wenn fie geflarten, daß ih⸗
re Pferde dem Bürger den Vorſchritt über.
loffen.
Unſer Fürft felbft gebt oft unter und
zu Fuße umher: bisweilen beehrt er fo gar
unfere Häufer mit feiner Gegenwart, und
faft allegeit,, wenn er von vielen Gehen
muͤde ift, wählet er den Laden eines Hand⸗
merksmannes, wo er ausruht. Er ma-
chet fi) eine Freude draus, die natuͤrli⸗
che Gleichheit zu krueuern, die unter ben
Menfchen herrſchen ſoll: auch lieſt er in
we) 32 ( u
unſern Blicken nichts, als Kiebe und Dank:
barkeit: unfer Freudengefchrey koͤmmt aus
dem Herzen, und ſein Herz hoͤret es und fin⸗
det darinnen ſeine Zufriedenheit. Es iſt
ein zweiter Heinrich der IV. Er hat ſeine
große Seele, ſeine zaͤrtlichen Empfindungen,
ſeine edle Einfalt: aber er iſt gluͤcklicher.
Die oͤffentliche Straße erhalt unter feinen
Schritten gleichfam einen geheiligten Eins
druck: man wagt es niemals fich daſelbſt
zu ftreiten: man würde fid) ſchaͤmen bie ge
ringfte Unordnung bafelbft zu veranlaffen:
Wenn der König vorbey gieng, fagf man;
diefer Gedanke allein würde, wie ich glaube,
einen bürgerlichen Krieg ftillen. Wie mäch-
tig iſt das Beyſpiel, wenn es von dem
Dberhaupfe gegeben wird. Wie eg rührt!
wie e8 zu einem unverbrüchlichen Gefeße
wird! mie es allen Menfchen gebeuf!
Sechſtes Rapitel.
Eingefaßte Hüte:
Die Dinge feheinen mir ein wenig veran⸗
dert zu ſeyn, fagte ich zu meinem Fuͤh⸗
rers ich ſehe, daß alle Menfchen auf eine
fimple und beſcheidne Art gebleider find, amd
am) 33 (nn
feit wir auf der Straße find, habe ich noch
kein einziges goldneg Kleid gefehen : es find .
mir weder Treffen noch Spißenmanfchetten
in die Augen gefallen. Zu meiner Zeit hat⸗
te eine ‚Eindifche und verberbliche Verſchwen⸗
dung aller Gehirne verrückt: ein Körper oh⸗
ne Seele war mit Golde überladen und die
Mafchine fchien dann einem Menfchen ähn-
lich. — Eben dag, verfeßte er, hat ung
bewogen, diefe alte Livrey bed Stolzes zu
verachten. Unſer Auge hält fich nicht mehr
auf der Oberfläche auf. Wenn ein Menfch
fich in feiner Kunſt vorzüglich hervorgethan.
bat, fo braucht er feines prächtigen Kleideg,
einge koſtbaren Ausmöblirung, um fein
Verdienſt geltend zu machen: er braucht
weder Bewunderer, die ihn außpofaunen,
noch Mäcenaten, die ihn hervorziehen: fei-
ne Handlungen fprechen, und jeder Bürger
beeifere fich, ‚für ihn die Belohnung zu fo.
dern, bie fie verdienen. Diejenigen, die ei-
ne gleiche Laufbahn mit ihm betreten, find
die erften, die für ihn fprechen. Jeder ma-
chet eine Bittfchrift, two die Dienfte, die er
dem Staate geleiftet hat, in ihrem ganzen
Lichte gefchildert werben.
-
2) 340
Der Monarch ermangelt nicht dieſen,
dem Volke ſo werthen Mann an Hof zu zie⸗
hen. Er unterhaͤlt ſich mit ihm, um ſich zu
unterrichten; denn er glaubt nicht, daß der
Geiſt der Weisheit ihm ſelbſt angeboren ſey.
Er nuͤtzt den lichtvollen Unterricht desjenigen,
der irgend einen großen Gegenſtand zum
Hauptzwecke feines Nachdenkens genommen
hat. Er macht ihm ein Gefchenfe mit eis
nem Hute, worauf fein Name geftickt iſt:
- and biefer Vorzug ift mehr werth, als alle
die blauen, rohen und gelben Bänder, die
vormals Menſchen verbramten, die dem Va⸗
terlande durchaus unbekannt waren ».
Sie werden fich leicht vorftellen, dalkein
{händlicher Name fich nicht vor einem Pu⸗
blifum zeigen darf, deffen Blick ihn befchä-
men würde. Mer nur einen ber ehrenvol-
1) Die Alten hatten die Eitelkeit, ihren Urs
fprung von den Goͤttern herzuleiten: man gab ſich
alle erſinnliche Muͤhe, ein Neffe des Neptun, ein
Enkel der Wenns und leiblich Geſchwiſterkind des
Mars zu feyn: andere, die etwas befcheidener wa⸗
ren, bequuͤgten ſich, von einem Flußgott, einer
Nymphe, einer Nalade herzuſtammen. Unſere
neuern Thoren haben einen weit elendern Stolz:
fie wollen nicht von berühmten Vorfahren abſtqqu⸗
men, fondern von folchen, die fich ganz in dem
Alterthume verlieren.
az) 35 —8
len Huͤte trägt, koͤmmt überall durch : zu
jeder Zeit hat er einen freyen Zutritt zum
Throne, und dieß ift ein fundamental
Geſetz. Mithin, wenn ein Prinz oder ein
Herzog nichts gethan haben, um ihren Na⸗
men ſticken zu laffen, fo genießen fie ihrer
Keichthümer, aber fie haben fein Ehrenzei⸗
hen: man fieht fie mit eben dem Auge vor⸗
übergehen, , als den unbefannten Bürger,
der fich in den großen Haufen vermifcht und
darinnen verliert. “
Die Politik und die Vernunft autorifiren
zu gleicher Zeit diefen Vorzug: er ift nur für
diejenigen beleidigend, die fich unfähig füh-
Ion, fic) jemals aus dem Staube zu heben.
Der Menfch iſt niemals fo vollfommen, daß
er dag Gute bloß um der Ehre willen thut, et⸗
‚was Gutes gethan zu haben. Aber diefer
Adel, wie Sie leicht glauben werden, iſt per-
fönlih, und weder erblich noch Fäuflich.
Mit dem zwanzigſten Jahre ſtellt fich der
Sohn eines berühmten Mannes dar, und
ein Gerichte entfcheibet, ob er der Vorzüge
feines Vaters genießen fole. Nach Defchaf,
fenheit feiner vergangenen Aufführung und
bisweilen nach der Hoffnung ‚, die er fürg
Fünftige giebt, wird ihm die Ehre beſtaͤtiget,
C2
wa) 300 —
einem Bürger anzugehoͤren ‚, ber feinem Va⸗
terlande wertb if. Aber, iM der Sohn
eines Achilles ein niederträchtiger Therfi-
tes ; fo. fehren wir die Augen weg, wir er
fparen ihm die Schaam ung ins Angeficht
zu erröthen: er ſteigt defto gefchwinder im
die Vergeffenheit hinab, je mehr der Name
feines Vaters verherrlichet wird.
Zu ihrer Zeit wußte man bag Verbrechen
zu beftrafen undanan gewährte der Tugend
£eine Belohnung; dag war eine fehr unvoll«
fommne Gefeßgebung. Bey ung trägt ber
herzhafte Mann, ber einem Bürger in einer
Gefahr das Leben gerettet 2), der ein oͤf⸗
fentliches Unglück verhindert, der etwas
Großes und Nuͤtzliches gethan, ben geftick-
ten Hut und fein verehrungsmwürdiger Name
wird aller Augen ausgefeßt ; er geht dem vor,
der das größte Vermögen befigt und wär er
2) Es if unglaublich, daß man einem Manne,
der einem Bürger das Leben rettet, keine Beloh⸗
: nung befiinmt. Nach einer Verordnung ber Pos
licey if einem Schiffer sehn Thaler ausgefeget,
der einen Ertrunfenen aus dem Waffer sieht: aber
der Schiffer, der einem Wenfchen das Leben rets
tet , empfängt nichts,
2a) 37 ( erie
ein Midas oder Plurus 3). Dieß ift ſehr
wohl ausgefonnen. Zu meiner Zeit gab.
man Hüte, aber fie waren roth: man holte fie
jenfeit Des Meeres : fie bebeuteten nichtg ; man
gab fich ganz befondere Mühe darum, und
ich, weiß eigentlich nicht, unter wag für die
nem Titel ntan fie erhielt. |
Siebendes Kapitel.
Die umgetaufte Bruͤcke.
Woenn man mit Intereſſe ſchwatzet, fo
geht man ein weit Stuͤcke Weges, oh⸗
ne eg zu merfen. Ich fühlte nicht mehr bie
Schwachheit des Alters, fo fehr verjüngte
mich der Anblick fo vieler neuen Gegenftäns
de. = = Aber was fehe ich! o Himmel; welch
ein Anblick! Sch finde mid) an den Ufern
der Seine. Mein besauberter Anblick ſchwei⸗
3) Wenn die aͤußerſte Habfucht alle Herzen im
Bewegung feget, fo verichwindet der Enthuſiaſmus
der Tugend, und die Regierung kann nicht anders,
als durch ungeheure Summen diejenigen belohnen,
die e8 durch leichte Zeichen der Ehre belohnen
konnte. Eine Lehre für alle Monarchen, eine Muͤn⸗
ze zu ſchaffen, die eines Mannes Namen verherrli⸗
chet. Aber dieſe wird nur alsdann guͤltig ſeyn,
wann die Seelen dieſen edlen Sporn lebhaft fuͤh⸗
len werden.
Se ) 38 ( ende
fet frey umher, und breitet fich über den
fehönften Denkmaͤlern aus. Das Louvre
ſteht vollig da! der große Raum, der zwiſchen
dem Schloffe der Thuilleries und dem Lov⸗
pre herrfchet, machet einen ungeheuren Pla,
wo die: dffentlichen Feſte gefepert ‚werben.
Eine neue Gallerie fteht der alten gegenuber,
woran man noch die Hand des Perrault
bewundert. Dieſe beyden erhabenen Mo-
numente alfo vereiniget, formirten den präch-
tigften Palaß, der nur in der Welt war.
Alle angefehenen Künftler bewohnten denfel-
ben. Dieß war bag wuͤrdigſte Gefolge der
hoͤchſten Majeſtaͤt. Sie war nur fiolz auf
die Künfte, die den Ruhm und das Gluͤck
des Reichs ausmachten. Ad) fahe einen
prächtigen Marftplak, der cine Menge Bür-
ger in fich faffen. fonnte. Ein Tempel flund
ihm gegen über: bieß war ber Tempel der
Gerechtigfeit. Die Architektur feiner Mauern
war der Würde feiner Abſicht gemäß.
Iſt das wohl die neue Brücke (Pontnenf),
rief ich aus? D mie ift fie gefchmüdt! —
as heiffet Ihr denn Pont neuf? Wir ha-
ben diefer Brücke einen andern Namen ge:
geben. Wir haben von vielen die Namen
geändert, wir haben ihnen bedeutendere oder
ame) 29 ( ee
fchicklichere gegeben: denn nichts hat einen
fo großen: Einfluß auf den Verſtand des
Volks, ald wenn die Dinge ihre eigenthuͤm⸗
lichen und. wahren Benennungen haben.
Die ift die Brücke Heinrich des IV! ver:
ſtehet Ihr wohl? Da fie zwifchen beyden
Theilen der Stade die Gemeinfchaft ausma⸗
chet: fo fönnte fie feinen ehrwuͤrdigern Na-
men führen. In jedem ber Halbsirfel ha⸗
ben mwir die Bildniffe großer Männer auf:
geftellet, die, wie er, das Vaterland gelichtr
und bloß dag Heil des Vaterlandes zur Ab-
ficht gehabt haben. Wir haben Fein Ber
denken getragen, ihm den Kanzler &’ Hopi⸗
"tal, Suͤlly, Sjannin, Colbert an die Seite
zu ſetzen. Welch ein Sittenbuch! welche
öffentliche Belehrung ift fo flark, fo beredt,
als diefe Reihe von Helden, beren flumme,
aber gebietende Stirne allen zuruft, daß eg
nüglich und groß fey, die oͤffentliche Hoch-
achtung zu erhalten! Euer Jahrhundert hat
nicht den Ruhm gehabt, fo etwas zu unters
nehmen. — D mein Sahrhundert fand bey
der geringften Unternehmung die größten
Schwierigkeiten. Man machte die feltenften
Zubereitungen, um mit Pomp, eine unzeilige
Geburt anzufündigen. Ein Sandkorn hielt
4
Ra) 4 (En
die Bewegung der flolzeften Triebräder ‘auf.
Man erbaute die fehönften Dinge im Ges
birne, und die Zunge oder die Feder fchien
das allgemeine Werkzeug. Alles hat feine
Zeit. Die Unfrige war die Zeit unzähliger
Projekte: die Eurige ift die Zeit der And»
führung. Sch wünfche Euch Glück; dazu.
O wie glücklich Bin ich ‚, daß ich-fo lange ges
lebt babe! |
| Achtes Kapitel.
Das neue Paris.
Jndem ich mich nach der Seite der Bruͤcke
wandte, die ich vormals die Wechſel⸗
bruͤcke (le Pont au Change) nannte, ſah ich,
daß ſie nicht mehr von haͤßlichen kleinen
Haͤuſern verſchuͤttet war D. Mein Gefichte
ı) Viele taufend Menfchen, die fih anf eben
denfelben Punkte vereinigen, welche Häufer von
fieben Stocd bewohnen, fih in engen Gaffen zus
fammenp»fropfen, einen fchon erfchörften Boden
ausfaugen und austrocknen , indeflen daß ihnen die
Natur von allen Seiten ihre weiten und lädhelnden
Fluren öffnet, bieten den Augen eines Weltweifen
ein feltfames Schaufpiel an. Die Neicheu bege⸗
ben fi) dahin, um ihre Macht zu vervielfältigen,
und den Mißbrauch ihrer Macht durch) ihre Macht
felbft su vertheidigen. Die Kleinen betrügen, ſchmei⸗
BZ) 410 6
verlor ſich mit Vergnuͤgen in dem weiten
Laufe der Seine: und dieſer wahrhaftig ein:
zige Anblick war mir allegeit neu.
In Wahrheit, das find doch bewun⸗
dernswuͤrdige Veränderungen! — Es iſt
wahr: es iſt Schade, daß fie ung eine trau,
rige Begebenheit ind Gedächtniß rufen, die
durch Eure unverantiwortliche Nachlaͤßigkeit
verurſachet worden. — Ung? wie fo, wenn
es Euch beliebt? — Die Geſchichte ſagt
uns, daß Ihr beſtaͤndig davon redetet, dieſe
haͤßlichen Haͤuſer niederzureißen, und daß
Ihr ſie nicht niedergeriſſen. Eines Tages al⸗
fo, als Eure Schoͤppen (Echevins) einer praͤch⸗
tigen Mahlzeit ein armfeliges Feueriverf vor:
anfchickten, (alles, um die Jahresfeuer eines
Heiligen zu begehen, dem die Sranzofen ob»
nie Zweifel viel Verbindlichkeit fchuldig find,)
fo war das Gehrülle der Canonen, ber Moͤr
fer und Perarden hinreichend , die alten
Neſter auf diefen alten Brücken über den Hau
fen zu werfen: fieebebten und flurgten auf
ein und verkaufen ſich. Man hängt die, denen
es fehlſchlaͤgt: die andern werden wichtige Männer.
Man fühlet, dag man in dieſem befändigen und
barbarifchen: Kampfe von Eigennuß, die Pflichten
des Menfchen und des Bürgers nicht mehr erken⸗
nen kann. |
) 2 (ui
ihre Bewohner. Der Einſturz des einen, zog
das Verderben des andern nach. Tau
ſend Bürger kamen um, und die Eche⸗
ving, die die Einfünfte von den Häufern
zogen, verfluchten das Feuerwerk und die
Mahlzeit.
- Die folgenden Jahre machte man nicht
mehr fo viel Laͤrmen um nichts. Dag Geld,
das n die Luft flog, oder ſchwere Verbauun-
gen verurfachte, wurde zu Wiederherftelung
und Unterhaltung der Brücken beflimmt.
Man. bedauerte, daß man diefen Gedanken
nicht die Jahre vorher gehabt hätte: aber
dieß war das Schickſal Eures Jahrhunder⸗
tes, daß es feine abfcheulichen Thorbeiten
nicht eher erfennen wollte, als big fie gang
vollkommen reif waren.
Kommet und gehet mit mir ein wenig
auf jene Seite: Ihr werdet da fehen, daß
wir da verfchiedene Gebäude, und tie ich
‚glaube, fehr fehicklich, abgebrochen haben.
Die benden Fluͤgel der vier Nationen (College
de quatre Nations) verderben nicht mehr den
fchönen Damm (Quais), indem fie Merfmale
der Rache eines Cardinals zeigen. Wir ha⸗
ben das Rathhaus (l’Hotel de ville) dem Lou-
vre gegen über geftellet: und wenn wir einige
2a) (nk
öffentliche Sreudenfefte geben, fo find wir ſo
treuberzig, zu glauben, daß fie Des Volks we⸗
gen gefeyert werden. Der Platz iſt geraͤum⸗
lich; kein Menſch wird durch Feuerwerke
oder durch Zuſchlagen der Soldaten verſtuͤm⸗
melt, die zu Eurer Zeit, (o wie unglaublich iſt
das!) bisweilen den Zuſchauer verwundeten,
und ihn ungeſtraft verwundeten ®.
Sehet, wie wir jede Bildfanle zu Pferde
derer Könige, die dein Eurigen gefolget find,
‚mitten auf jede Brücke gefett haben. Dies
fe, ohne Pracht, mitten in der Stadt aufge
ſtellte Reihe der Könige machet einen inter
effanten Anblick. Da fie den Fluß beherr⸗
fchet, der die Citéẽ *) waͤſſert und fruchtbar
machet, fo fcheinen fie deffen Schutzgoͤtter
zu ſeyn. Da fie alle geftellet find,. wie der
gute König Heinrich IV., fo haben fie ein
3) Die habe ich ſelbſt gefehen, und ich führe eg
bier öffentlich den Nagiftratkperforien zu Gemaͤ⸗
the, die mehr über die Erhaltung eines einzigen
Menfchen, ald über die Zuruͤſtungen zu zwanzig öfs
fentlichen Feysrlichfeiten wachen füllen.
». Die Stadt Paris beſteht aus 3. Hauptthei⸗
len, la Ville gegen Mitternacht der Seine: la Cité,
welche vonder Seine ganz umgeben wird, und P’Uni-
verfitd, gegen Mittag der Seine, und aus ı2 Faux-
hourgs, oder Vorſtaͤdten. Ueberſ.
—
Ben) 4 (u
bürgerlicher Anfehen, als wenn fie in Pläße .
eingefchloffen wären 3), wo das Auge vers
fperret iſt. Diefe hier, die von einem weiten
Umfange und natürlich find, haben eben Feis
ne große Koften veranlaffet. Unſere Koͤ⸗
nige erheben nicht mehr dieſen legten Zoll,
der zu Eurer Zeit ven fchon erfchöpften Buͤr⸗
ger druͤckte.
Ich ſahe mit vielem Vergnügen, daß man
die gefeſſelten Sklaven 2) zu den Süßen der
Bildfänlen unferer Könige weggenommen
daß man jede pralerifche Auffchrift ausge⸗
Iöfcht, und obgleich diefe grobe Schmeiches
ley unter allen am wenigften gefährlich ifts
fo hatte man doch auch den geringften
Schein von Lügen und Stolz weggefchafft.
Man fagte mir, duß ein Monard), der
fich nicht für den Gott der Menfchen hielt,
fondern den Richter der Könige fürchtete, die
Baftille ganz und gar über den Haufen ge-
: 3) Die Häufer der Generaipachter umgeben groͤ⸗
Kentheils die Etatuen unferer Könige. Sie koͤn⸗
nen es felbft nicht nuch ihrem Tode vermeiden, von
Betrügern umringt gu werden.
4) Kudewig XIV. fagte, dag unter allen Regie⸗
‚ mungen in der Welt des Großtürken feine ihn am
beften gefalle. Man kann nicht au gleicher Zeit
Kolzer und unwiſſender ſeyn
az) 5 (ee
worfen: daß man auf den Trümmern die
ſes abfcheulichen Gebäudes, das man mit
echt den Palaft der Rache (und einer koͤ⸗
niglichen Rache) genannt, einen Tempel der
Gnade gemwiebmet, aufgeführet habe; daß
fein Bürger aus der Gefellfchaft verſchwaͤn-·
de, ohne daß ihm fein Proceß oͤffentlich ges
macht würde: und daß bie Lettres de ca
cher (geheime Capturbefehle) dem Volke ein
gänzlich unbefannter Name wäre: daß die,
ſes Wore nur noch die unermüdete Gelehr⸗
ſamkeit derjenigen befchäfftigte, die die Nacht
barbarifcher Zeiten zu durchdringen ſuchten:
man hatte fo gar ein Buch unter dem Titel
geſchrieben: Vergleichungen der Lettres de
cachet und der afiatifchen GStricfe.
uUnuvermerkt famen wir in bie Thuille⸗
ries, wo jedermann ber Zutritt offen fund:
fie fchienen mir deswegen nichtsweniger rei⸗
gend 5. Man foderfe nicht von mir für
das Niederſetzen im föniglichen Garten.
Wir befanden ung bald auf den Plaße Eur
dewigs des XV. Mein Führer führte mich
5) Den Zutritt in diefen_ Garten dem gemeis
nen Volke zu verfagen, ſcheint mir eine muthwilli⸗
se Beſchimpfung, die um fo viel größer iſt, da
es biefelbe nicht fuͤhlet.
=) 46 ( ee
bey der Hand und fagte Tächelnd zu mir:
ihr muͤſſet wohl nod) die Einweihung dies
fer Statue zu Pferde, gefehen haben. —
a, ich war damals noch jung !und eben fo
neugierig, tote itzt. — Aber wiſſet Ihr auch,
daß das ein Meifterflüch, würdig. unferg
, Jahrhunderts ift: mir betvundern es noch
taͤglich, und wenn wir die Perſpektiv des
Schloſſes betrachten, ſo ſcheint ſie uns haupt:
fächlich bey untergehender Sonne, mit den
ſchoͤnſten Strahlen befränst. Diefe präch-
figen Alleen formiren eine glückliche Einfaf-
fung, und dem, der den Plan dazu genracht,
fehlte e8 gewiß nicht an Geſchmack: er hat
das DVerdienft die große Wirkung vorher zu
fühlen, die e8 eines Tages machen mußte.
Ach habe inzwifchen gelefen, daß es zu Eus
rer Zeit eben fo eiferfüchtige, alg unwiſſende
Menſchen gegeben, die über diefe Statue
und diefen Platz ihre Tadelfucht ausgelafs
fen, da fie nichts häften thun follen; als Ges
wundern 6. Sollte fich heute zu Tage cin
6, Nur in Frankreich ift die Kunſt zu ſchwei⸗
gen Fein Verdienſt. Man wird weniger einen
Sraniofen an feinem Befichte und an feinem Tone,
als vielmehr an der Sefchmindigfeit erkennen, mit
der er fprıcht und über alles entſcheidet: niemals
hat er noch zu fagen willen: das verſtehe ich nicht,
27m) 47 (uk
Menſch finden, der.im Stande wäre, eine
folche Albernheit zu fagen: fo würden wir
ihm den Küchen kehren, fo bald er nur den
Mund aufthäte.
Ich feste meine neugierige Promenade
fort; aber es würde zu lang werden, wenn
ich. alleg Stück vor Stück erzählen wollte,
Ueberdieß vergißt man bey der Erinnerung
eines Traumes allezeit etwas. An jeder Ecke
einer Straße fiel mir ein ſchoͤner Brunnen
in.die Augen, der ein reines und durchſich⸗
tiges Waſſer fließen ließ: dieſes fiel wicder
aus einer Muſchel, 100 es ſich, wie ein filder-
nes Tuch ausbreitete, und fein Cryſtal reiz⸗
te, daraus zu trinken. Dieſe Mufchel bot je⸗
dem Voruͤbergehenden eine heilſame Schale.
Das Waſſer lief in einen allezeit klaren Bach
ab, und wuſch reichlich das Pflaſter. |
Dieß ift dag Projekt Eures Mr. Despars
cieux, Mitglied der Afadenie der Wiffen-
fchaften, ausgeführt und zu feiner Vollkom⸗
menheit gebracht. Sehet, wie alle diefe Haus
fer mit der, dem menfäjlichen Leben noͤthig⸗
ften und nüßlichften Sache verfehen find.
Welche Keinlichkeit! Welche Kühle erhält
dadurch die Luft ! Sehet diefe bequemen
und zierlichen Gebäude. Man führer nicht
az) 4 (ie
mehr die traurigen Camine in die Hohe, de⸗
ren Einſturz jedem Voruͤbergehenden den
“ Untergang brobt,. Die Dächer haben nicht
mehr biefen gorhifchen Abhang, der bey dem
geringften Winde die Zügel in die volkreich⸗
ſten Straßen herabfchießen läßt.
Wir fliegen auf die Hohe eines Haufes
durch eine Treppe, wo man hell fehen konn⸗
te: Welch ein Vergnügen war es für mich,
der ich eine freye Augficht und reine Luft ſo
fehr liebe, eine Terraffe zu finden, die mit
Blumenfcherben gefcehmückt, und mit einem
tohlriechenden Weingelänber bebecfet war.
Der Gipfel jedes Haufes hatte eine folche
Serraffe: fo daß die Dächer, die alle von .
einer gleichen Hohe waren, zufammen einen
großen Garten ausmachten, und die Stadf
wenn man fie von der Höhe eines Thurms
befah, mit Blumen, Srüchten und taub ge:
troͤnt war.
Ich brauche nicht zu ſagen, daß das große
Spital (Hotel de Dieu) nicht mehr im Mittel⸗
punkte der Stadt eingeſchloſſen war. Wenn
“ein Fremder ober ein Bürger, wie man mir ers
zaͤhlte, außer feinem Vaterlande oder ſeiner Fa⸗
milie krank wird: ſo kerkern wir ihn nicht, wie
zu Eurer Zeit, in ein ekelhaftes Bette zwiſchen
Sem) 9 (et
einem Leichnam und einem Sterbenben ein,
damit er den vergifteten Hauch des Todes
einathme und eine bloße Unpäßlichkeit in eis
ne graufame Krankheit verwandelt werde.
Wir haben diefes Hotel Dieu in zwanzig
befondere Haͤuſer abgetheilet und fie an ver⸗
fchiedene Enden der Stadt verleget. Hier
durch wird die boͤſe Luft, die diefer grauu⸗
volle Schlund 7). aushauchet, zerfireuet und
ift der Stade nice mehr gefährlich. Ueber⸗
bieß werden die Kranfen nicht mehr in biefe
Hoſpitaͤler aus aͤußerſter Armuth gebracht;
fie kommen bier nicht an, ſchon von den Ge⸗
7, Sechs taufend elende Menfchen find in deu
Saͤlen des Hotel de Dien zufammen gepfroptt, wo
die Luft keinen freven Umlauf hat. Der Atm des
Strohms, der vorbenfliegt, nimmt alle Unreinig⸗
Feiten auf, und diefes Waſſer, das jeden Saamen
von Faͤulniß enthält, Bienet der Hälfte der Stadt zum
Geträufe. Ju dem Arme des Strohms, der an dem
Quai Pelletier voruͤberfließt, und zwiſchen den beyden
Bruͤcken, breiten eine Menge Faͤrber ihre Faͤrbe⸗
reyen dreymal die Woche aus. Ich habe das
Waſſer davon die ſchwarze Farbe ſechs Stun⸗
den behalten ſehen. Das Joch, das den Quay-
de Gevres ausmachet, if ein peftilenzialifcher Ort.
‚Diefer ganze Theil der Stadt trinkt ein anſtecken⸗
des Wafter und athmet eine vergiftete Luft. Das
Geld das man in Schwärmern verſchwendet, würde
zureichen, - einer ſolchen Plage su wehren.
D
De ) 50 ( er
danfen bes Todes getroffen, und in ber Ab⸗
ficht, bloß ihres Begräbniffes gefichert zu -
ſeyn; fie kommen, weil fie dafelbft eine fchleus
nigere und vervielfältigtere Huͤlfe, als in ihren
eignen Hütten finden. Man fieht nichtmehr
das fihreckliche Gemiſch, dieſe beleidigende
Bermengung, die mehr einen Ort der Nas
he, als einen Zufluchtsort der Menſchenliebe
anfündiget. Sieber Kranfe hat fein Bette,
und kann den Gelft aufgeben, ohne der
menfchlichen Natur Vorwürfe zu machen.
Man hat die Rechnungen ber Auffeher ums
terfucht. O Schande! o Schmerz! v Ber
Drechen das unter dem Himmel unglaub-
Lich ift! Abfehenliche Menſchen mäfteten fich
von dem Unterhalte ber Armen; in ben
Schmerzen ihrer Mitgefchöpfe fanden fie
ihr Glück ; fie hatten einen vortheilhaften
Kauf mit dem Tode gefchloffen = » = Sch
ſchweige: die Zeit dieſer Bosheiten iſt vor⸗
bey: die Freyſtatt der Ungluͤcklichen wird
als ein Tempel verehret, auf den die Augen
der Gottheit mit Wohlgefallen herabſehen:
die ungeheuren Mißbraͤuche ſind abgeſchafft
und die armen Kranken haben bloß mit
den Uebeln zu kaͤmpfen, die ihnen die Natur
auferleget. Wenn die Leiden bloß von
m) ZI ( in
ihr fommen, fo erträgt man fie in der
Stille 8).
8 Eines Tages gieng ich allein und mit langs
famen Schritten in den Saͤlen des Hotel de Diey
von Paris umher. Welcher Ort ift geſchickter über den
Menfchen nachzudenien. Ich habe den unmenſch⸗
lihen Geiz fiy mit dem Namen der oͤffentlichen
Menſchenliebe ſchmuͤcken fehen. Sterbende, bie
weit mehr, als fie ſollten, im Grabe zu liegen wuͤnſch⸗
ten, habe ich ihren Odem mit den traurigen Ge⸗
faͤhrden ihres Elends vermiſchen und ihren Tod be⸗
ſchleunigen ſehen. Ich habe den Schmerg und die
Thraͤuen keinen Menfchen rühren, das Schwerdt
des Todes zur Rechten und zur Linken ſchlagen ſe⸗
ben, ohne den geringſten Seufzer zu hören. Man
bätte glauben follen, daß er die elendeſten Thiere
an eiriem Tage des Mordens niederftieß. Ich bar -
be Menſchen bey dieſem Anblicke fo verhärtet ges
feben, dag fie fi) teunderten, wie man darüber em⸗
sfindlich ſeyn könnte. Zween Tage darnach kam ig
in die Oper. Welch ein verfchwenderifcher Anblick!
Berzierungen, Schaufpleler, Muſikanten, nichts
mar gefparet, die Vorſtellung fo prächtig als moͤg⸗
lich zu machen. Aber was wird die Nachlommene
ſchaft fagen, wenn fie hören wird, daß einerlen
Stadt wween fo verſchiedene Derter einfchließt.
Ach! wie können fie auf eben dem Boden ſich zus
fünmen vertragen ! fchließt das eine nicht das aus
dere nothwendig aus? Seit dem Tage fchlägt” die
Tänigl. Akademie der Muſik (die Oper) allezeit meine
@eele nieder ; bey dem erſten Striche des Bogens ſe⸗
D2
az) 52 (Enke
: Gelehrte und liebreiche Aerzte ſprechen
nicht Sodesurthel, indem fie auf gerathe-
wohl allgemeine Verordnungen geben: fie
geben fich die Mühe, jeden Kranken insbe-
fondere zu prüfen; und die Geſundheit er-
mangelt nicht, unter ihrem aufmerffamen.
und Elugen Auge wieder aufzublühen. Die
fe erste Haben den Rang ber angefehenften
Bürger. Und ip ift ein ſchoͤner, ein goͤtt⸗
Jicher Werk, wo ein Werf, dag eines tu⸗
gendhaften und empfindlichen Weſens wär:
Diger wäre, als ben zarten Faden ber Ta-
ge eines Menfchen, diefen fo gebrechlichen
ſchnell vorübergehenden Faden, wieder zuſam⸗
men zu knuͤpfen, deffen Stärke aber eine er⸗
haltende Kunft hefördern und deffen Dauer
fie verlängern fann! — Und bag allgemei,
ne Hofpital, wo liegt e8 denn? — Wir har
ben fein allgemeines Hofpital mehr, fein
Bicetre mehr, feine Zuchthäufer 9, oder viels
be ich das ſchaudervolle Lager der armen Kranken
vor meinen Augen.
9ÿ Es if zu Bicetre ein Saal, deu man den
Zuchtſaal nennet : das if ein Bild der Ha
Sechs hundert ungluͤckliche Menſchen, einer Über
dem andern gepftopft, von ihrem Elende, ihrem
Jammer, ihren gegenfeitigen anſteckenden Dden,
von Würmern, die fie frefien , vom Ihrer Verzweif⸗
Ba ) 55 (Er
mehr Häufer ber Wuth. Ein gefunder Koͤr⸗
per braucht fein Sontanel. — Die Schwel-
gerey hatte bey ung wie eine beigende Arzeney
die gefundeften Theile des Staats angefrefe
Jung, und von einer noch weit graufamern Langen⸗
weile gequält, leben in der Gaͤhrung einer erſtick⸗
ten Wuth. Es ift die Strafe des Mejenz taufends
mal vervielfältiget. :Die Obrigkeit ift taub für das
Geſchrey diefer Unglüdlihen. Man hat Bepfpiele,
Daß dergleichen elende Menſchen an Kerkermeiftern,
Wundaͤrzten und Prieftern, die fie befuchten, Mords
thaten veräbt, bloß in der Abficht, ans Diefem abſcheu⸗
lichen Drte zu kommen nnd frener auf Dem Rade zu
ruhen. Mit Nechte kann man behaupten, daß der.
Tod eine weit gelindere Barbaren ſey, ald die, die
man an ihnen verübt. O graufame Obrigkei⸗
ten, eiferue Menfchen, Drenfchen, die dieſes Na⸗
mens unwuͤrdig find, Ihr beleidiget Die Unmenſch⸗
lichkeit mehr, als fie fie nimmermebr beleidiget has
ben! Niemals haben e8 Euch Räuber an Grauſam⸗
keit gleichgethan. Waget es mit einer teniger
langfamen Gerechtigfeit unmenfchlicher zu ſeyn:
Laßt diefen ungläclichen Haufen lebendig verbren⸗
wen: fo werdet Ihr Euch die Mühe erfparen, Eure
Wachſamkeit über ihre ſchreckliche Sklaverey zu
verbreiten. Ihr erfcheint blog, um fie zu verdoppeln.
Wie? Könnte man ihnen nicht eine Kugel von hun⸗
bert Pfund an den Fuß hängen und’ fie in offnem
Felde arbeiten laſſen. Aber nein: man will die
Dpfer eines willtührlihen Defpotifmus aller Au⸗
gen entziehen.⸗⸗Ich verſtehe es wohl.
HI) 54 (ne
fen und Euer politifcher Korper war ganz
nit Schwären bedeeft. Anftatt dieſe ſchaͤnd⸗
lichen Wunden fanft zu fchließen, vergiftet
ihr fie noch. Ihr dachtet, das Werbrechen
unter der Laſt ber Grauſamkeit zu erſticken.
Ihr waret unmenſchlich, weil Ihr nicht ge⸗
lernet hattet, gute Geſetze zu machen 10).
Es war Euch leichter den Schuldigen
und Ungluͤcklichen zu quaͤlen, als der Unord⸗
nung und dem Elende vorzubeugen. Eure
barbariſche Gewaltthaͤtigkeit hat zu nichts
gedienet, als ſtrafbare Herzen zu verhärs
pen: Ihr Habe fie der Verzweiflung ge
öffnet. Und mas habt ihr denn für Fruͤch⸗
te davon eingeärndter? Thränen,. Gefchrep '
der Wuth, liche und Vermaledeyungen.
Ahr fcheint sum Mufter Eurer Zuchthäufer
10 Ga ja, obrigkeitlihe Perfonen, es if Eure
Unwiſſenheit, Enre Faulheit, Eure Hebereilung, die
den Armen in Berzweiflung feget. Ibr kerkert
ihn wegen einer nichtswuͤrdigen Kleinigkeit ein, ihr
leget ihm einem fchändlichen Verbrecher an die
®eite, Ihr erbittert, vergiitet feine Seele, Ihr
vernefiet ihn unter dem Haufen der Verbrecher: aber
er vergigt Eurer Ungerechtigkeit nicht: da Ihr eis
ne Berbäliß zwiſchen dem Verbrechen und der
Strafe gemacht habt, fo wird er Euch nachahmen,
und alles wird ihm gleich ſeyn.
%
Be) 5 (nn _
den graufamen Aufenthalt genommen zu
haben, ven Ihr die Holle. nenne, wo die Die
ner der Rache die Dualen aus dem abfcheu:
lichen Bergmügen haufen, eine lange Mars
ter - empfindfame und wehklagende Wefen
fühlen zu laſſen.
Endlich, damit ich es. kurz fage, (denn
ich würde nicht aufhoren,) hatte man zu
Eurer Zeit. nicht die Kunſt gelernet, Die Bett
ler arbeiten zu laffen: Eure ganze Regie
rungsfunft war, fie eingufperren und ver
hungern zu Faffen. Indeſſen iſt diefer Ins
glücklichen Seufzen, die eines langſamen
Todes in einem Winfel des Neichg fturben,
boch bis zu ung gedrungen; Wir haben für’
ihr dunkles Gefchren nicht die Ohren vera
fiopfet: durch den Raum von fieben hundert
Jahren iſt es hindurch gebrungen und diefe
nieberträchkige Tyranney war fehon genug
um taufend mehr dergleichen ang Licht zu
bringen. -
Ich fehlug die Augen nieder und wagte
es nicht darauf zu antworten, denn ich war
von folchen fchändlichen Vorfaͤllen ein Zeuge
geweſen, und ich. hatte nichts thun, als
feufzen innen, da ie es nicht. ändern
+,
Sa) 56 (
fonnte ıD._ Sich ſchwieg eine Zeitlang flille;
endlich nahm id) bas Wort wieder, und fag-
tes Ach! reiffee nicht die Wunden meineg
Herzens wieder auf. Gott hat den Uebeln
gefteuert, bie die Menfchen begangen haben:
er hat die harten Herzen geſtrafet: Ihr wif,
ſet = » » s Aber wir wollen fortgehen. Ihr
habet doch, wie ich glaube, einen von un
fern politifchen Sehlern übrig gelaffen. Paris
ſcheint mir noch fo volfreich,ale zu meiner Zeit.
Es iſt mir lieb, verſetzte mein Führer, Euch zu
fagen, daß die Zahl der Einwohner dieſes
Reichs fich um die Hälfte vermehret hat: daß
alle Ländercyen angebauet find, und daß mit-
hin das Haupt fich igt in dem gehoͤrigen Ver:
hältniffe su feinen Gliedern befindet.
Diefe ſchoͤne Stadt bringt täglich fo viel
große Männer, Gelehrte, Männer, die auf
eine näßliche Art fleißig find, große Geifter
bervor, als alle übrige Städte Frankreichs
zuſammen vereiniget. Aber nur noch ein
Mortchen, dag indeffen doc) zu wichtig ift,
1) Ich werde meinem Herzen und der Serech⸗
‚tigkeit ein Genuͤge geleifiet haben, wenn ich dieß
Verbrechen gegen die Meufchlichkeit, ein abicheus
liches Verbrechen, das man kaum glauben wird,
Öffentlich angeklaget babe; aber, ach! es dauert
noch immer fort, ,
\
De) 57 (nk
als daß ich ed ganz übergehen follte. Has
bet Ihr denn noch Euer Pulvermagazin fafl
in dem Mittel der Stadt? — Nein, fo un-
vorſichtig find wir nicht. Es giebt genug
Vulkane, die die Hand der Natur entzän-
det, ohne daß wir noch fünftliche anzule
gen brauchen, die bunderemal gefährlicher
ſind 12).
Neuntes Kapitel.
Die Bittſchriften. |
8
3: bemerkte viele angefehene Männer, die
mit dem Kennzeichen ihrer Würde bes
gleitet, Sffentlich die Klagen des Volks an-
“hörten, und ben erfien Magiftratsperfonen
davon einen getreuen Bericht erftatteten,
Alle Dinge, die die Verwaltung der Poltcy
12) Saft alle Städte haben noch Pulvermagazine
in ihren Ringmauern. Der Donner und taufend
ungefähre, felbft unbekannte Zufälle koͤnnen foldye
in Brand ſtecken. Tauſend fchreckliche Beyſpiele,
(eine unglaublihe Sache!) haben die Menfchen
wicht eimmal Elüger machen Tönen. Zwey tau⸗
fend fünf hundert Menfchen, die noch neuerlich
unter den Ruinen von Brefeia begraben worden,
werden vieleicht Die Regierung auf ein Nebel, das
Werk ihrer Hände, aufmerkſam machen, dem fie "
leicht abhelfen Eönnte.
N
a) 5 (Bi
betrafen, wurden mit ber größten Geſchwin⸗
bigfeit:abgethan. Man verfchaffte den Un⸗
terdrückten d Gerechtigkeit, md alle: ſegne⸗
gen bie Regierung: ich brach in Lobſpruͤ⸗
chen über diefe weiſe und heilfame Einrich-
tung aus. — Meine Herren, Ihr koͤnnet
Euch die Ehre dieſer Entdeckung nicht allein
anmaßen. Schon zu meiner Zeit fing man
an die Stadt fehr wohl zu regieren. Eine
mwachfame Policey umfaßte ale Stände und
alle Vorfälle. Einer von denjenigen, der
mit ber meiften Ordnung darüber gehalten,
muß bey Euch noch in einem Ehrenvollen
Andenfen feyn. Man lieft unter feinen herr⸗
üchſten Verordnungen auch die, daß er die
ausſchweifenden und plumpen ausgehaͤng⸗
ten Bilderzeichen an den Haͤuſern verbot,
bie die Stadt verunſtalteten und den Bor-
* uͤbergehenden broheten: daß er bie Erleuch.
1) Wenn ein Staatäminifter Verraͤtherey an⸗
fsinnet, oder die Monarchie in Gefahr bringt, wenn
ein Hecrführer ohne Noth das Blut der Untertha-
nen vergießt und ſchimpflich eine Schlacht verliert: -
ſo if feine Strafe ſchon ausgemacht. Dan vere
sent ihn das Angeficht des Monarchen wieder ıu
fehen. : Auf dieſe Art werden Derbrechen, die eine
sante Nation zu Grunde. richten, wie Sleinloteiten
beſtraft. —
az) 59
tung der Strafen verbeffert,. ich mochte fafl
fagen; geſchaffen bat: daß er eine bewun
dernswuͤrdige Anftalt in der ſchleunigen Huͤl⸗
fe der Sprügen gemacht und dadurch bie
Bürger vor vielen Feuersbruͤnſten, die fonfl
fo häufig twaren, in Sicherheit gefeßt hat.
Ja, verfehte er, diefe Magiftratsperfon .
war unermübdet, geſchickt ihre Pflichten zu
erfüllen, von "einem fo großen Umfange fie
aud) waren, aber die Policey hatte noch im⸗
mer nicht ihre ganze Vollkommenheit er
reicht. Die Spionirerey war dag Hanptmit-
tel einer ſchwachen, unruhigen und mit Klei⸗
nigfeiten befchäfftigten Regierung. Sehr
oft hatte eine boshafte Neugier mehr An-
theil daran, ale ein feftbeftimmter Endzweck
der öffentlichen Wohlfahrt. Alle diefe liſtig
geftohlenen Geheimniffe warfen oft ein fal⸗
ſches Licht, das den Nichter irre machte.
Ueberdieß machte dieß Heer von Angebern,”
die man durch Geld erfaufte, cine verberbte
Maffe, die die Gefellfchaft vergiftete DIR Ak
a) Des game Haufe eitter, feltfamer Verord⸗
nungen; dieſe ganze fo weit bergeholte, Policen
iR bloß vermoͤgend diejenigen zu bienden, die nies
- male über das Herz des Menſchen nachgedacht haben,
Diefe Übel angebrachte Strenge bringt eiie ner
en ) 60 ( re
le ihre Annehmlichkeiten verſchwanden. Es
war feine Ergießung bed Herzens mehr:
man mar in bie graufame Nothiwendig-
feit verfeßt, entweder unvorſichtig zu fepm,
oder zu heucheln. Vergebens erhob fich bie
Seele zu patriotifchen Gedanten: fie fonnte
fich ihrer Empfindlichkeit nicht überlaffen; fie
entdeckte ben Fallſtrick und fiel traurig. auf
ſich felbft, in ihre Eindde und Kälte zuruͤcke;
Endlich mußte man unaufhorlich feiner
Stirne, Miene und Stimme eine fremde
Geftalt geben. Und welche Duaal muß dag
für einen edelgefinnten Mann feyn, ber bie
Ungeheuer des Vaterlands lächeln fah, in
dem fie wirgten, der fie fah und nicht nen-
nen durfte 3).
Haste Subordination hervor, deren Bande fehr uns
ſicher find.
3) Wir haben noch Beinen Juvenal gehabt.
Ach! welches Jahrhundert hätte beffer einen vers
dient? Juvenal war kein ſatyriſcher Egoiſt, wie
‚der eichler Horaz und der platte Boileau.
Er war eine ftarfe Seele; voll tiefen Unwil⸗
lens über das Laſter, er befrieste es und verfolgte es
bis auf den Thron. Wer wird es wagen, fich diefes
erhabenen und edelmüthigen Amtes zu bemächtigen ?
Ber wird Muth genug haben, um feinen Geiſt mit
Ber Wahrheit aufgeben und gu feinem Jahrhun⸗
derte su fagen: Ich laffe Dir das Teftament, dns
SO) 6 (ak
Zehntes Kapitel
Der Mann mit der Maske,
Yfse, mit Ertanönig , wer iſt denn ber
- Mann, den ıch mit einer Maske vor
dens Geſichte vorübergehen fehe? wie eilfers
tig er geht‘! er fcheint.auf der Flucht gu
ſeyn. — Es ift ein Scheiftſteller, der ein
ſchlechtes Buch gefchrieben. Wenn ich fas
ge, ein ſchlechtes, fo verſtehe ich nicht dar⸗
unter. die Fehler bes Stils oder des Witzes:
man fann ein vortrefliches Werk mit einens
rauhen, aber gutem gefunden Menſchenver⸗
fiande fchreiben ). Mir verfichen darun⸗
ter bloß, "daß er gefährliche Grundfäge, die
der gefunden Moral entgegen find, ang Licht
treten laffen, jener allgemeinen Moral, die
allen Herzen redet: dafür zu büffen, trägt
er eine Maske, damit er feine Schande fo
lange verberge, Bis er fie durch vernuͤnfti⸗
gere und weiſere Schriften wieder ausge .
tilget bat. .
mir die Tugend eingegeben: ließ und erröthe:
fo fage ich dir mein Lebewobl.
2) Michts iſt wahrer, und manche Predigt ia
ned Dorfpfarrers, ift im Grunde weit nüglicher, als
Dieb und jenes wigige Buch mit Wahrheiten und
Sophiſmen augeſuͤutt.
⸗
4
N
He) 62 ( ine
Alle Tage befüchen ihn zween tugendhaf⸗
te Bürger, bie feine falfchen Grundfäse mit .
Waffen der Sanftmuth und Beredfamfeit
beftreiten ‚-feine Einwürfe anhören, fie bes
anftorten, und ihn zu einem MWiderrufe
nöthigen, fo bald er überzeugt feyn wird.
Alsdann erhält er wieder feine vorigen Rech⸗
fe: es wird fo gar aus dem Geflänbniffe
feines. Vergehens ein größerer Ruhm auf
ihn zurückefallen: dem was ift Schoͤners,
als feinen Irrthuͤmern zu entfagen e), und
einem neuen Lichte mit einer edlen Aufrich«
tigfeit Die Augen za oͤfnen? — Aber ii denn
fein Buch die Cenſur durchgegangen! —
Welcher Menfch, ich bitte Euch, fann eg wa⸗
gen, vor dent Urtheile bes Publikums vorher
etwas zu beurtheilen? Wer fann den Einfluß-
dieſes oder jenes Gedanken umter diefem oder
jenem Umflande errathen? Jeder Schriftftels
ker ſteht für feine Perfon für das, was en
fihreibt, und verfchweiget niemals feien
Namen. Das Publitum ift ed, das ihn
mit Schande brandmarfet, wenn er den
heiligen Wahrheiten tiderfpricht, die ber
Sittlichkeit und Nechtfchaffenheit der Men⸗
2) Alles if in der Theorie demonſtrativ: der
Irrthum ſelbſt bat feine Geometrie.
ZZ) 63 ( ie
fchen zum Grunde dienen: aber zu gleicher
Zeit ift es auch eben daffelbe, das ihn unters‘
flüge, wenn er eine neue Wahrheit gefagt;
die vermoͤgend ift, gemiffen Mißbräuchen zu
ſteuern: endlich iſt die oͤffentliche Stimme
die einzige Nichterinn in diefen Sällen, und
auf fie hoͤret man allein. jeder Autor, der
ein Öffentlicher Mann ift, wird durch diefe all-
gemeine Stimme gerichtet, und nicht durch
den Eigenfinn einer einzelnen Perfon, bie fel«
tem richtige. und auggebreitete Einfichten ge=
nug haft um dasjenige zu entdecken, was vor
der Nation wahrhaftig lobens⸗ : ta
delnswuͤrdig ift. R: > 10
. Man bat eg fchon fo oft beiwiefen: bie
Freyheit ber Preffe ift dag wahre Maag der
bürgerlichen Srepheit z. Man faun nie
male die eine unterdrücken, ohne zugleich dik
andere zuzerfiören. Der Verſtand muß feis
ne volle Wirkung äußern. Ihm einen Kapp⸗
zaum anzulegen, iſt nichts andere, als ihn
in feinem Heiligehume erfticken wollen, und
dieß ift ein Verbrechen der beleidigten Menfch«
Jichfeits und was fol denn mein Eigen feyn,
wenn e8 meine Gedanken nicht feyn follen?
3) Dieß if fo ficher, als eine geometrifche Des
monſtration.
Zr) 64 ( ne
Aber, verfegte ich, zu meiner Zeit fürdp
teten Männer in Aemtern nichts fo fehr, ale
Die Feder guter Schriftfteler. Ihre folge und
firafbare Seele fchauderte in ihrem Inner⸗
ften, fo bald die Gerechtigfeit es wagte, das⸗
jenige and Licht zu bringen, mag fie fich nicht
geſchaͤmt hatten, zubegehen ©. Anſtatt die⸗
fe öffentliche Cenſur zu fchüßgen, die wohl
verwaltet, dem Verbrechen und Laſter ein
mächtiger Zaum würde geiwefen fen, vers
dammte man alle Schriften, daß fie durch ein
Sieb gehen mußten : aber dag Sieb war fo en»
ge, fa.zufammengedrängt, daß oft bie beften
Zügelserloren giengen: der Flug des Genies
war der graufamen Scheere der Mittel-
4) In einem Drama, das den Titel führet: die
Hochzeit eines Föniglichen Prinzen, fast ein
Diener der Gerechtigkeit, ein lafterbafter Höfling,
indem er zu feinen Bedienen von pbiloſophiſchen
Schriftſtellern fpricht: das find gefährliche Leute,
Man darf ſich auch nicht die mindefte Ungerechtig⸗
feit erlauben, ohne daß fie es gleich bemerken,
Umſonſt entzieht eine geſchickte Maske unfer wah⸗
res Gefichte den ſcharfſichtigſten Blicken. Diefe
Leute haben die Miene, und im Voruͤbergehen zu
fagen: Ich kenne dich. — O meine Herren Phi⸗
loſophen, ich denke, ih will euch lehren, daß es
gefährlich iſt, einen Mann von meiner Art u ken⸗
nen, ich will nicht gekaunt feyn.
A) (er
maͤßigkeit untertoorfen, bie ihm bie Zlägel
ohne Barmherzigkeit befchnitten 5).
Man fing an um mich her zu lachen.
Das müßte, fagte man mir, wohl einge lu⸗
ftige Sache feyn, Leute ernſthaft befchäfftigee
zu fehen, um einen Gedanfen von einander
zu fchneiden und Sylben abzuwaͤgen. Es
iR fehr wunderbar, daß Ihr nur etwas Gu⸗
tes bey einem ſolchen Verfahren habt her⸗
vorhringen koͤnnen. Wie kann man mit
Anmuth und Leichtigkeit unter der Laſt un⸗
geheurer Ketten tanzen? — O uniere bes
ſten Schriftſteller haben natuͤrlicher Weiſe
die Parthie genommen, ſie abzuſchuͤtteln.
Die Furcht ſchlaͤgt die Seele nieder: unh
der Menfch, den die Menfchenliebe befeelet,
muß erhaben und muthig ſeyn. — Ahr koͤn⸗
net, verfeßte man mir, itzt über alles fchrei-
ben, was Euch beleidiget: denn wir haben
weder Sieh, nad) Scheere, noch Handfef
feln: und man fchreibt fehr wenig Thorheis
ten, weil fie von felbft wieder in den Schlamm
5) Die Hälfte von den (ogenanuten königlichen
Eenforen, find Leute, die man gar nicht unter die
Gelehrten, felbfi von der geringften Claſſe zählen
kann: und man fann buchſtaͤblich von ihnen ſagen,
Daß fie nicht leſen koͤunen.
E
— ⸗7t
|
a) 6 (u
£alken, welches ihr Element if: Die Ntegie-
rung ift weit über alles was man fagenfann,
‚erhaben ; fie fürchtet nicht ſcharfe Federn: fie
würde fich felbft-anflagen, wenn ſie fie fürch-
sete. Ihre Handlungen find gerecht und
aufrichtig. Wir thun nichts, als fie loben;
und wenn es das Beſte des Vaterland for
dert, dann ift jedermann in feiner Art
Autor, ohne einen ausfchlieffenden Anſpruch
auf diefen Titel zu machen. &
JEilftes Kapitel
Die neuen Zeflamchter;
Woe alle Welt iſt Autor? O Himmel,
R was faget Ihr da! Eure Mauern
„werben fich wie der Salpeter entzuͤnden, und
alles wird in die Luft fliegen. Guͤtiger Him-
mel! ein ganzes Volk Autor! — Aa, aber
ohne Galle, ohne Stolz, ohne Eitelkeit. Se
dermann fchreibt, was er in feinen beften
Augenblicken denfet, und’ fammelt in einem
gewiffen Alter die Iauterften Gedanken, die
er in feinem Leben gehabt hat. Ehe er flirbt,
machet er, nad) feiner Art zu ſehen und
fi) auszudrücken, daraus ein mehr ober we-
niger ſtarkes Buch: dieß Buch iſt die Seele
X
2m) 67 ( Eerk
bes Verſtorbenen. Man lieft es den Tag
feines Begräbuiffes mit lauter Stimme und
diefe Ablefung ift feine ganze Lobrede. Die
Rinder fammeln mit Ehrfurcht die Betrach⸗
tungen ihrer Vorältern und denken darüber
nah. Dieß find unfere Urnen. WWielleicht
find fie mehr werth, als Eure Foftbaren Mau⸗
ſolaͤen, Eure Grabmäler mit elenden Auf
ſchriften überladen, die der Stols eingab und -
die Nieberträchtigfeit eingrub.
Huf diefe Urt machen wir e8 ung sur
Pflicht, unfern Kindern cin Ichendiges Bild
yon unferm Leben zu ſchildern. Dieß eb-
renvolle Andenfen wird das cinzige Gut
ſeyn, das ung auf der Erde übrig bleiben
"wird nr). Wir vernachläßigen es nicht. Es
find unfterbliche Lehren, die wir unferer Nach:
fommenfchaft hinterlaffen: fie wird ung des⸗
wegen umfo vielmehr lieben. Die Bildniffe
und Statuen druͤcken nichts, als die koͤr⸗
perlichen Zuͤge aus. Warum ſoll man nicht
die Seele ſelbſt und die tugendhaften Ge⸗
1) Cieero befragte ſich oft ſelbſt, was man nach
ſeinem Tode von ihm ſagen wuͤrde? Der Menſch,
der ſich nichts aus einem guten Namen macht,
wird auch die ‚Mittel vernachläßigen, ihn zu er⸗
halten. |
€ a
a
Sam) 6 (Br
finnungen vorftellen, die fie erfüllt haben?
Sie vervielfältigen fich unter unfern befeek
ten Ausdrücken durch die Liebe. Die Ge
fchichte unfrer Gedanfen und unfrer Hand⸗
ungen unterrichtet unfre Familie. Sie ler-
net durch die Wahl und Vergleichung ber
Gedanfen die Art zu empfinden und zu bes
frachten, vollfommen machen. Merket in-
- deffen, daß bie herrfchenden Schriftiteller,
bie Genies des Jahrhunderts, allezeit die
Sonnen find, die die Maffe der Ideen mit fich
fortreißen und in Umlauf feßen. Sie find
es, bie die erftien Bewegungen eindrücken,
und da bie Menfchenliebe ihr edles Herz er-
wärmet, fo antivorten alle Herzen biefer er-
habenen und fiegreichen Stimme, die den
Defpotismus und den Aberglauben zu Bo⸗
den geftürzet hat. — Meine Herren, es fey
mir erlaubet, daß ich mein Jahrhundert
wenigſtens in demjenigen vertheidige, mag
es Lobenswürdiges hatte Wir haben, .
tie ich glaube, doch auch fugendhafte Leute,
Leute von Genie gehabt? — Ihr habt fie
bald verfannt, bald verfolge. Wir haben
ihrer beleidigten Afche einen verföhnenden
Erfaß thun müfen. Wir haben ihre Biü-
fien auf dem oͤffentlichen Plage aufgefieller,
2) 69 ( En
wo wir und die Fremden -ihnen buldigen.
Mit ihrem rechten Fuße zertveten fie dag
unedle Gefichte ihres Zoilus oder ihres Ty⸗
rannen: 3. E. der Kopf des Richelieu liegt
unter dem. Kothurne des Corneille 2).
Wiſſet Ihr wohl, daß Ihr bewunderns⸗
wuͤrdige Leute gehabt habet? und wir koͤn⸗
nen: gar nicht die närrifche und tollkuͤhne
Wuth ihrer Verfolger begreifen. Sie ſchie⸗
nen den Grad ihrer Niederträchtigfeit nad)
dem Grade der Hoheit abzumeffen, den diefe
Adler in ihrem Sluge nahmen: aber fie find
der Schande überlaffen, die ihr ewiger An⸗
theil ſeyn wird.
Indem er dieſe Worte ſagte, fuͤhrte er
mich auf einen großen Platz, wo die Buͤſten
großer Maͤnner ſtunden. Ich ſahe daſelbſt
den Corneille, Moliere, Lafontaine, Mon-
tesquieu, Rouſſeau 3), Büffon,. Voltaire,
3) Sch wuͤnſchte mohl, der Verfaſſer hätte bier
die Köpfe genannt, auf die Rouſſeau und Vol⸗
taire, und diejenigen, die ihre Namen mit diefen
"großen RNamen vereinigen, treten werden. Uns
feblbar werden es Köpfe mit und ohne Biſchofs⸗
müsen ſeyn, die fih dabey nicht mohl befinden
werden: aber einen ieden trifft feine Reihe.
3) Man meynet bier den Berfaffer des Aemil,
und nicht den fchwälkigen und Gedankenleeren
RPE=) 70 in
Mirabeau ꝛc. — Alfo find Euch- doch alle
dieſe berühmten Schriftfteller befannt? —
O ia; ihr Name iſt dag Alphabet unferer .
Kinder: fo bald fie dag Alter der Vernunft
erreichet Haben, geben wir ihnen Euer bes .
rühmtes encyElopedifches Worterbuch in die
Hände, das wir aber forgfältig abgekuͤrzet
haben. — hr feßet mich in Erftaunen |
bie Encyflopebdie, ein Elementarbuch! O,
weld) einen Flug müffet Ihr nach den he,
hen Wiffenfchaften genommen haben, und
wie brenne ich vor Verlangen, mid) durch
Euch unterrichten zu laſſen. -Definet mir
alle Eure Schäße, und laffet mid) augen-
6licklich der aufgehäufien Arbeiten von ſechs
Jahrhunderten Ruhms genießen!
Zwoͤlftes Kapitel.
Das Collegium der vier Nationen.
Lehret Ihr denn auch die armen Kinder
Griechiſch und Lateiniſch, die man zu
meiner Zeit bis auf den Tod damt marter⸗
Dichter, der nichts weiter, ald das Talent hatte
Woͤrter gu ordnen, und ihnen biöweilen einen taͤu⸗
fhenden Pomp zu geben ; der aber Dadurch die Un⸗
fruchtbarkeit feiner Seele und die Kälte feines Ges
nies verbarg.
HI) yI (ie
te? Dpfert hr zehn ganzer Jahre ihres Le—
beng auf, (die fchönften, die koſtbarſten) ih⸗
nen eine kichte Kenntniß zwo fodter Spra⸗
chen beyzubringen, die fie niemalg reden
werden? — Wir wiſſen die Zeit beſſer an⸗
zuwenden. Die griechifche Sprache ift ohne
Zweifel ihres Alterthums wegen fehr vereh⸗
rungswürdig: aber wir haben vortrefliche
Veberfeßungen vom Homer, Plato und So⸗
phofles ); es moͤgen auch manche große.
Pedanten behauptet haben, daß man ihre
Schönheit niemals erreichen koͤnne. Was
die lateiniſche Sprache betrifft, die, meil fie
neuer ift, nicht fo fehon feyn kann, fo ift fie
eines fanften Todes geſtorben. — Wie! —
Die franzoͤſiſche Sprache hat alfo überall die
Dberhand behalten? Dan hat anfanglic}
fo vollkommne Ucberfeßungen gemacht, daß
1) Warum wenden denn die Mitglieder der Pd,
nigl. Akademie der Aufichriften nicht ihre Zeit auf
Ueberſetzuugen griechifcher Werke, ſtatt und Abs
bandlungen über den Kopf des Anubis, über den
Dfiris, und taufend andere unnüge Rhapfedien zu
liefern? Sie, die fich ruͤhmen, fie zu verfteben.
Demofihenes ift kaum gekannt. Dieb wäre beſſer,
als zu unterfuchen, was für eine Art Nadeln die
römifhen Weiber auf ihren Köpfen trugen, die Ges
ſtalt ihrer Halebänder, und od die Agraffen an ih⸗
rer Robe rund oder oval waren.
De ) 72 ( er
fie e8 beynahe überflüßig gemacht, bie Quel⸗
len aufzufuchen: nachgehends hat man Wer-
fe geliefert, die würdig find, der alten ihre:
zu verdrängen. Diefe neuen Gedichte find
für ung ungleich nüglicher und intereflanter,
unfern Sitten, unferer Regierungsart, un: _
form Fortgange in unfern phnfifchen und
politifchen Kenntniſſen, kurz dem morali-
fchen Zwecke angemefiner, den man niemalg
aus den Augen verlieren darf. Die beyben
alten Sprachen, von denen wir oben rede:
ten, find bloß noch für einige Gelehrten.
Man liefi-den Titus Livius ungefähr, wie .
man ben Alkoran lief. — ber gleichwohl
trägt dag Kollegium, das ich fehe, noch im⸗
mer auf feinem Srontipis die Worte mit
großen Buchſtaben gefchrieben: Schule der
vier Nationen. — Wir haben dieß Die»
nument und felbft defien Namen beybehal-
- ten, aber zu einer nüßlichern Abficht. Es
find verfchiedene Elaffen in diefer Echule,
tworinnen man das Sjtaliänifche, Englifche,
Deutfche und Spanifche lehret. Mit den
Schäßen biefer lebenden Sprachen berei-
chert, beneiden wir die Alten um nichte.
Diefe letzte Nation, die in fich felbft einen
Saamen der Größe trug, den nichts aus⸗
2a) 7 (uk
eotten koͤnnen, hat fich jähling durd) einen '
ver mächtigen Zufälle, die man weder er
warten noch vorher ſehen konnte, zum Tage
vufgeſchwungen. Die Revolution iſt ſchnell
und gluͤcklich geweſen, weil das Licht ſogleich
den Kopf eingenommen, indeſſen daß es in
den uͤbrigen Staaten allezeit in Schatten
verſunken geweſen.
Abgeſchmackte Dinge und Pedanterey
find ganz aus dieſem Collegio verbannt, und
auch Fremde werden dahin gerufen, um die
Ausſprache derjenigen Sprachen, die man
daſelbſt lehret, zu erleichtern. Man uͤber⸗
ſetzt daſelbſt die beſten Schriftſteller. Aus
dieſer gegenſeitigen Bekanntſchaft entſteht
ein großes Licht. Es koͤmmt noch ein an⸗
derer Vortheil hinzu: naͤmlich der Gedan⸗
kenhandel breitet ſich immer mehr aus, und
der Nationalhaß verliſcht allmaͤhlich. Die
Voͤlker haben geſehen, daß einige beſondere
Gewohnheiten nicht die allgemeine Vernunft
zerſtoͤren, die von einem Ende der Welt bis
ans andre redet, und daß ſie beynahe eben
daſſelbe uͤber eben dieſelben Gegenſtaͤnde
dachten, die fo lange und lebhafte Streitig⸗
keit veranlaßt haben. — Aber was thut
denn die Univerſitaͤt, dieſe aͤlteſte Tochter
Te) 74 (er
der Könige? — Es iſt eine verlaffene Prin⸗
zeßinn. Diefe alte Tochter, nachdem fie bie
legten Seufzer von einer verdrüßlichen und
außgearteten Sprache erhalten, twollte fie
noch für nen, frifch und entzuͤckend gehal⸗
ten wiffen. ‚Sie ſtahl Perioden, verftüns
melte Hemiftichen und bildete fich ein,- in
einer barbarifchen ungefchicften Sprachver⸗
- ffümmelung die Sprache der Zeit bed Aus
gufts wieder herzuftellen. Endlich entdeck⸗
te man, daß fie nichts weiter ale ein. Ges
wirre von einer rauben und mißtoͤnenden
Stimme hatte, und daß fie den Hof, bie
Stadt und hauptfächlich ihre Schuler gähr
‚nen machte. Es wurde ihr alfo durch einen
Befehl von der fransdfifchen Afademie aufs
erlegt, vor ihrem Richterſtuhle zu erfcheis
nen, um von dem Guten Nechenfcheft zu
geben, das fie ſeit vier hundert Jahren ge-
fifftet habe, während welcher Zeit fie war
unterbalten, geehret und befoldee worden.
Sie wollte ihre Sache in ihrer lächerlichen
Sprache ‚verfechten, die die Roͤmer gewiß
nicht würden verftanden haben. Was dag
Franzoͤſiſche anbetrifft, fo mußte fie davon
nicht ein Wort: fie wagte es alfo nicht, da⸗
mit vor ihren Richtern hervorzutreten.
me) 75 ( rke
> Die Akademie hatte nit ihrer Verwir⸗
sung Mitleid. Es wurde ihr alfo liebreich
- auferlegt, zu fchweigen. Man war hierauf
fo gütig, fie ihre Mutterfprache reden zu Ich»
von: und feit ber Zeit, daß man fie ihrer
antiken Coeffüre, ihres fauertöpfifchen Ge:
ſichts und ihrer Ruthe beraubt hat, fo legt
fie ſich bloß darauf, in diefer fchdnen Spra⸗
die, die die franzoͤſtſche Akademie täglich voll-
fommner machet, Unterricht zu gebeit. Dies
fe, "weniger furchtfam, meniger aͤngſtlich,
beffert fie, ohne fie zu entfräften. — ‚Und
die Soldatenfchule, was ift denn aus Die
fer geworden? — Sie hat mit den übris
gen Collegien ein gleiches Schichfal ges
habt: fie vereinigte ale Mißbräuche, oh»
ne bie privilegirten Mißbraͤuche zu red)
nen, bie ihrer befondern Stiftung eigen wa⸗
ren. Man macher nicht Menfchen, wie man
Eoldaten machet. — Dergebet mir, wenn
ich Eurer Gefalligfeit mißbrauche, aber die
fer Punkt iſt zu richtig, als daß ich fogleich
wieder davon abgehen follte: man ſchwatz⸗
te in meiner Jugend von nichts, ale Er-
ziehung. Jeder Pedante fchrieb fein Buch:
noch war es ein Glück, wenn es nichts weis
ter als langweilig war. Das befte unter
Ne) 76 ( En
allen, das fimpelfte, das vernünftigfte und
zugleich das gründlichfte war durch. bie
Hand des‘ Scharfrichters verbrannt und
von Leuten übel befchrien worden, die eben
fo wenig als der Henkersfnecht bavon ver-
ſtunden. Unterrichtet mich doc), ich Bitte
Euch von dem Wege, ben Ihr geht, Men-
ſchen zu bilden? — Die Menfchen werden
durch die. weife Zärtlichkeit unfrer Regierung
weit eher gebildet, als durd) jeden andern
Unterricht: aber um bier nur von ber Cultur
des. Geiſtes zu reden; indem man die Kin-
der mit den Buchflaben bekannt machet, fo
machen mir fie zugleich mit den Operationen .
der Algebra befannt. Diefe Kunſt ift fimpel
und von einem allgemeinen Nußen; es fo-
ftet nicht mehr fie zu verſtehen, ale leſen zu
lernen: der Schatten von Schwürigfeiten
felbft iſt verſchwunden: die algebraifchen
Sharaktere werden nicht mehr von dem Poͤ⸗
bel für Zauberfiguren gehalten 2. Wir ha-
2) Kaum mar die Druckerey in Paris erfunden, _
als es jemand unternahm , die Elemente des Eus
klides drucken su laffen: aber da, wie man weiß, dar⸗
innen Zirkel, Vierecke, Dreyede, und alle Arten von
Linien vorkommen, fo glaubte einer von den Dru⸗
dern, dab es ein Zauberbuch wäre, das leicht den
Teufel hervorrufen möchte, der ihn mitten in fels
se ITıK ——
dert bemerft, daß diefe Wiffenfchaft ben Geiſt
gewoͤhnet, die Sachen auf dag genauefte ſo
zu fehen, wie ſie wirklich find, und daß bie-
fe Senauigfeit, wenn fie auf die Kuͤnſte ans
gewandt wird, nicht genug zu fchägen ifl. :
Man lehrte die Kinder eine Menge uns
nuͤtzer Dinge, die zu dem Glücke des Lebens
nicht dag geringſte beytrugen. Wir haben
bloß dag gewählt, was ihnen wahre und
richtig überdachte Begriffe beybringen kann.
Man lehrte alle ohne Unterfchieb die todten
Sprachen, die eine allgemeine Wiffenfchaft
in fich zu fchließen fchienen, und bie ihnen
doch nicht den mindeften Begriff von den
Menſchen geben fonnten, mit denen fie le
ben follten. Wir begnügen ung, ihnen bie
Mutterſprache beyzubringen, und wir erlau
ben ihnen ſo gar, ſie nach ihrem Genie zu
bilden: denn wir wollen feine Wortfünft
ler, fondern beredte Männer haben. Der
Stil ift der Menfch, und die ftarfe Seele
ner Arbeit holen Könnte. Inzwiſchen drang fein
Herr darauf. Der unglüdliche blödfinnige Menſch
fellte fich vor, daß es auf fein Verderben und fein
Leben abgeſehen fey, und fette ſich dieſes fo ſehr in
Kopf, daß er weder Vernunft noch Beichtvater
hörte, und einige Tage Darauf ſtarb.
2 ) 75 ( ie
inuß eine Sprache haben, die ihr ganz elyen
und von der Nomentlatur, biefem einzigen
Huͤlfsmittel ſchwacher Geifter, fehr verſchie⸗
den iſt, die nichts, als ein trauriges Ge
daͤchtniß haben.
Man lehret ſie ein wenig Geſchichte.
Denn die Geſchichte iſt die Schande ſder
Menfchlichkeit, da jede Seite ein Gewebe
von Verbrechen und Thorheiten if. Da
fen aber Gott vor! daß wir ihnen bie Bey-
fpiele der Näuberey und des Ehrgeitzes vor
Augen fielen follten. Die Pedanterey der
Gefchichte hat die Könige zu Gdttern ma⸗
chen koͤnnen. Wir lehren unfern Kindern
eine ficherere Logik und gefündere Begriffe.
Die Falten Chronvlogiften, vie Namenfrd-
mer aller Sahrhunderte, alie die Romanhaf⸗
Ten oder beftocdyenen Schriftſteller, die zuerft
vor Ihren Abgotte erbkißten, find mit den
Panegyriſten der Fuͤrſten der Erde er-
Sofchen z. Wie? die Zeit iſt fo furs und
. 3) Seit dem Pharamond bis auf Heinrich den
WW. zaͤhlet man kaum zween Koͤnige, die, ich will
nicht fagen zu regieren, ſondern die in die aͤf⸗
fentlihe Verwaltung den nefunden Verſtand zu
bringen mußten, den ein Bürger im der Verwal⸗
tung feines Hauſes braucht, |
l
me ) 79 ( —
ſchaell, und wir ſollten die Zeit unſerer
Kinder darzu anwenden, in ihr Gedaͤchtniß,
Namen, Data, unzaͤhliche Facta, genealogb
ſche Stammbäume zu pflanzen und zu ordnen?
Welch armfelige, nichtswuͤrdige Kleinigkeiten,
went man das weite Seld der Sitten - und
Naturlehre sor Augen hat! Vergebens wen⸗
det man ein, daß die Gefchichte Benfpiele
giebt, die die folgenden Jahrhunderte Im:
terrichten koͤnnen: verderbliche und verkehr⸗
te Benfpiele 4), bie zu nichts dienen, ale ben
Defpotifmug zu lehren, ihn nur ffolger und
fehrecflicher zu machen, indem fle die Sterb⸗
lichen allegeit unter dem Joche, wie eine Heer.
de von Sklaven, und die ohnmächtigen Bes
firebungen der Freyheit zeiget, die unter den
Streichen, die ihr einige Menfchen verfegee
4, Es ift-wahr, die Scene dndert fich in dep
Gerichte, aber ſehr oft, um neue Unglücksfäne
berbeyzuführen: denn ben den SKönigen giebt es
immer eine unauflösliche Kette von Ungluͤck. Ein
König glaubt bey der Gelangung zum Throne, nicht
zu regieren, wenn er den alten Entwürfen folgen
foute. Die alten Spfteme, die fo viel Blut geko⸗
ftet, müffen vertilget, und neue fefigefenet werden.
Sie fiimmen nicht mit den erften überein, und
werden nicht weniger verderblich , als es dieſe
waren.
Sm) Io ( ie
. Gaben, welche auf bie alte Tyranney bie
Rechte einer neuen gründeten, den Geift aufs
gab. Niemals hat e8 einen fchäßbaren, tu⸗
gendhaften Mann gegeben, ber nicht zu⸗
gleich) ein Zeitgenoffe von Ungeheuern gewe⸗
fen wäre: von ihnen ift er unterdrückt wor-
den: und dieß Gemälde der untertretenen
Tugend ift. ohne Zweifel nur allgumahr, aber
die Schilderung deffelben ift eben fo gefaͤhr⸗
lich. Nur ein gefeßter Mann kann dieß Ge⸗
mälde betrachten, ohne zu erbleichen, und
felbft eine geheime Freude darüber fühlen,
wenn er den vorübergehenden Triumph des
Laſters ficht, und das ewige Glück, dag der
Tugend vorbehalten iſt. Aber von Kindern
muß man dieß Gemalde entfernen s ihnen
muß eine glückliche Befanntfchaft mit Begrifs
fen von Drdnung und Billigkeit beygebracht, _
und aus diefen muß, wenn ich fo fagen barf,
bie Subjtanz ihrer Scele zufammen geſetzt
werden. Ich meyne nicht Die müßige Sitten⸗
lehre, die in nichtswuͤrdigen Sragen beftebt,
bie wir fie lehren: es ift eine praftifche Mo⸗
val, die eine Beziehung auf jede ihrer Hands
fung bat, die durch Bilder redet, die ihre
Herzen. zur Sanftmuth, zur Tapferkeit, zur
YAufopferung ber Kigenliche bildet, . oder
x
2a) gr ( Berk
damit ich alles mit einem Worte fage, ze
Großmuth. |
Wir verachten mehr als zu ſehr die Meta
phyſik, diefen finftern weiten Raum, wo ein
- jeder ein chimdrifches und allezeit unnuͤtzes
Gebäude auffuͤhrete. Hier war es, mo man
unvollkommne Vorftellungen von der Gofts
heit herholte, wo man fein Wefen deſtomehr
verunftaltete, jemehr man über feine Eigen:
fehaften vernünfteln wollte; wo man bie
menfchliche Vernunft beräubte, indem man
ihr einen fchlüpfrigen und beweglichen Punkt
anwieß, den fie nicht betreten konnte, ohne
beftändig Gefahr zu laufen, in Zweifel zu
verfallen. Nur durch die Phyſik, dieſes
Schluͤſſels der Natur, diefer lebendigen und
faßlichert Wiffenfchaft, lehren wir fie, in«
dem wir den Irrgarten dieſes wunderbaren
Ganzen durchlaufen, den Verſtand und die
Weisheit des; Schöpfers fühlen. Diefe
Miffenfchaft, wenn fie von ihnen gründlich
erlernet worden, befreyet fie von einer Mens
ge Irrthuͤmer, und der ungeheure Klumpen
von Vorurtheilen weicher dem reinen Lichte,
das fie über alle Gegenftände verbreiter,
In einem gewiſſen Alter erlauben wir einem
jungen Menfchen, die Dichter zu Iefen. Die
0)
BF) te ( ik
unfrigen haben die Weisheit mit. dem En-
thuſiaſmus zu verbinden gewußt. Vie find
niche mehr von der Art Menfchen, die die
Vernunft durch ben Gefang und Wohlklang
der Worte täufchen, und die fich gleichſam wi⸗
ber ihren Willen in dag Falſche und in das Bi⸗
jarre verleitet finden, oder die fich ein Vergnuͤ⸗
gen machen, Zwerge auszuputzen, Mühlen dre-
ben zu laſſen, die Schellen oder die Narrenkap⸗
pe zu ſchuͤtteln: fiefind Sänger großer Hand⸗
lungen, die der Menſchlichkeit Ehre machen:
ſie waͤhlen ihre Helden uͤberall, wo ſich Muth
und Tugend findet. Die feile und luͤgen⸗
bafte Pofaune, die den Eoloffen der Erde
in ihrem Stolze fehmeichelte, ift auf ewig
zerbrochen. Die Poefie hat nur jene wahre
baftige Trompete beybehalten, die durch den
ganzen Kaum aller Zeiten ertönen foll, weil
fie, fo zu fagen, die Stimme ber Nachwelt
iſt. Nach ſolchen Muftern gebildet, erhal-
ten unfere Kinder richtige -Vorftelungen
von der wahren Größe. Der Rechen, das
Heberfchiff und derHammer find glängendere
Gegenftände, als dag Zepter, das Diadem,
der Fönigliche Mantel u. ſ. w.
Ram) 8 (ine |
Drepjehntes Kapitel,
Wo ift die Sorbonne?
F welcher Sprache diſputiren denn bie
Herren Doctoren der Sorbonne?- Dee
ben. fie noch immer einen Lächerlichen Stolg
lange Roͤcke und gefuͤtterte Mügen? —
Man difputiret nicht mehr in der ˖ Sorbou⸗
nes denn feit man bafelbft Franzoͤſiſch pu
reden angefangen, iſt dieſe Heerde Schluße
macher verſchwunden. Dieſe Mauern er⸗
ſchallen, dem Himmel ſey Dank! nicht mehr.
von den barbariſchen Woͤrtern wieder, dig.
body noch minder abgeſchmackt waren, alg
bie. Ihorheiten , die. fie dadurch anzeigen
wollten. Wir haben entdeckt, daß die Baͤn⸗
fe, auf. die fich diefe Ergoiftifchen Docto⸗
zen feßten, aus einem gewiſſen Holze ger
macht waren, deſſen fraurige Kraft auch
den befiorganifirten Kopf verrückte und ihn
methodiſch der Vernunft entfagen ſehrte.
— DI! daß ich doch nicht in Eurem Jahre
bunberte gebphren bin! Die elenden Sylia«
gifmenmacher find die Duaal meiner jungen
Fahre geweſen: lange Zeit hielt ich mich
für bldofi nuig, teil ich fie nicht verſtund.
Aber, was machet man denn mit dieſem Pa⸗
52
ze) 14 (ee
laſte, hen jener CEardinal d erbauet, der mit
Enthuſiaſmus elende Verſe machte, und mit
aller nur erſinnlichen Kaltbluͤtigkeit gute Koͤ—
pfe abſchlagen ließ? — Dieß große Gebaͤu⸗
de enthaͤlt viele Säle, mo man-:eine ber
—* weit nuͤtzlichere Wiſſenſchaft
treibt. Man zergliedert daſelbſt allerhand
Yeren son Cadasern. Weiſe Anatomiſten
ſuchen in dem Raube des Todes Mittel, die
phyſiſchen Uebel zu vermindern. Anſtatt al⸗
berne Saͤtze zu analyſiren, verſuchet man
den geheimen Urſprung unſerer grauſamen
Krankheiten zu entdecken, und das anatomi⸗
ſche Meſſer oͤffnet ſich in dieſen unempfindli⸗
chen Leichnamen bloß fir das Gluͤck ihrer
Nachkommenfchaft einen Weg. . Die find
die Lehrer, die der Staat ehret, abelt, befol-
det. Die Chirurgie ift mit der Arzneykunſt
ausgeföhnet, und biefe legte ift nicht mehr.
mit fich felbft uneinig.
1, O graufamer Nichelien, trauriner Urheber
aller unfrer Uebel, wie haſſe ich dich! wie ſchmerzet
dein Name meinen Dhren! Nachdem du Ludwig
den Al. vom Throne geflogen, haft du den Deſpo⸗
tiſmus in Framfreich eingeführet. Seit diefer Zeit
Bat die Nation nichts Großes gethan: und mas
kann man von einem Volke, das aus Sklaven ber
ſteht, erwarten?
Fa)y (uk
O glückliches Wunder! man forach von
Berbitterung artiger Weiber, von Eiferſucht
der. Dichter, von Galle der Maler ; dieß wa⸗
ren fanfte Leidenfchaften gegen den Haß,
der zu meiner Zeit die Nachfolger des Ae
ſculap entflammte. Man bat mehr ald che
mal, wie ein mwißiger Kopf den nicht übeln
Einfall gehabt, die Arzneykunſt auf dem
Punkte gefehen, die Chirurgie zu Hulfe zu
rufen.
— Alles Bat fi heute zu Tage geaͤn⸗
dert: fie find ißt Sreundinnen und. nicht Ne⸗
benbublerinnen und machen nur einen Körper
aus; fieleifterreinander eine gegenfeitige Hül-
fe, und ihre auf diefedlre vereinigten Dperatior
nen thun bistweilen Wunder. Der Arzt
fchämt fich nicht mehr ſelbſt die Operationen
zu vollsiehen, die er für dienlich halt: wenn
er einige Mittel verordnet, fo überläßt er
nicht einem Subalternen die Sorge, fie zu:
zubereiten, da die Nachlaͤßigkeit oder Uner-
fahrenheit ſeines Dieners fie tödtlich ma⸗
hen kann: er urtheilet mit feinen eignen
Augen von ber Befihaffenheit, der Doſis
und ber Zubereitung: wichtige Dinge, und
von deren firengen Beobachtung oͤft die Ge-
nefung abhängt! Ein kranker Menfch fieht
\
Eee) 6 ik
nicht mehr um fein Bette ber drey Aerzte,
die einander auf eine komiſche Weife unter
geordnet, fich zanken, ſich mit den Augen
meſſen, und ihren Mebenbuhlern ein Verſe⸗
Sen ablauern, damit fie nad) Herzensluſt
darüber lachen können. Eine Arzney iſt ei⸗
ne Bisarre Mifchung von ganz entgegen ges
feßten Principien. Der gefchivächte Ma⸗
gen bes Kranken wird nicht mehr der Kampfe
ylat des Kranken, wo die Gifte aus Suͤ—
den die Gifte aus Norden beftreiten muͤſſen.
Die wohlthätigen Säfte der Kräuter, bie
auf unferm Boden gewachfen und bie für
unſre Natur eigenthuͤmlich beſtimmt find,
zerſtreuen die uͤblen Feuchtigkeiten, ohne un⸗
ſtre Eingeweide zu zerreißen.
Dieſe Kunſt wird fuͤr die vornehmſte un⸗
ter allen gehalten, weil man den Geiſt des
Syſtems und der Methode daraus verban⸗
net hat, die fuͤr die Welt eben ſo traurig
ſind, als die Begehrlichkeit der Koͤnige und
die Grauſamkeit ihrer Minifter,
— Sch höre e8 gern, daß die Sachen fo
fiehen. Ich liebe Eure Aerzte: es find alfo
nicht mehr eigennüßige und graufame Char⸗
latane, die bald einer gefährlichen Methode
folgen, bald barbarifche Verſuche machen
2m) 87 (
und die Quaal des Kranfen verlängern, den
fie ohne Gemwiffensbiffe ermordeten. A pro-
pos, wie viel Stock hoch fleigen fie denn?
— Sin jedes Stock, wo fich ein Menfch bes
findet, der ihrer Huülfe bedarf. — Das ift
doc wunderbar: zu meiner Zeit fliegen bie
-Bornehmften nicht über ein Stock, und da
gewiffe artige Weiber in ihrem Haufe bloß
Epigenmanfchetten sulaffen wollten, fo woll-
ten jene aud) niemanden, als folche Leute
heilen, die Equipage hatten. — Ein Arzt,
der bey ung fich eines fo unmenfchlichen Zu-
ges fchuldig machte, würde fich mit einer
unausloͤſchlichen Schande bedecken. Jeder
Menfch hat ein Recht fie rufen zu laſſen.
Sie haben feine andere Abficyt, als der Ges
funbheit zu gebieten, daß fie auf den Wan⸗
gen eines Kranken wieder aufblühe : und
wenn der Arme, welches doch felten iſt,
nicht bie gehörige Belohnung leiften kann,
fo nimmt diefe Sorge der Etaat auf ſich.
Ueber jeden Monat wird ein Verzeichniß von
Kranken, Verfiorbenen oder Geneſeten ge=
halten. Zu dem Namen des Verftorbenen
wird allegeit ver Name des Arztes hinzuge⸗
feßt, der ihn beforge hat. Diefer muß von
feinen Verordnungen Rechenſchaft geben,
u.
2) (in
und dag Verfahren, dag er während jede
Krankheit beobachtet bat, rechtfertigen.
Diefe umftändliche Nechenfchaft ift verdruͤß
lich. Aber man bat dag Leben eines Me
fchen für zu Eoftbar gehalten, um bie Mittel
zu feiner Erhaltung zu vernachläßigen, und
bie Aerzte find felbft bey der Erfüllung bie |
fes weifen Gefeßes intereßiret.
Sie haben ihre Kunft ſimplificirt. Sie
haben fie von einer Menge Känntniffe be
freyet, die durchaus nicht zur Heilungskunſt
schören. Faͤlſchlich glaubtet hr, daß ein
Arzt in feinem Kopfe alle migliche Wiſſen⸗
ichaft Gaben follte: dag er von Grund aus
die Anatomie, bie Chymie, die Botanik, die
Mathematik wiſſen follte: und da doch fchon
iede Diefer Künfte das ganze Leben eines
einzigen Mannes crfodern wuͤrde, fo hieltet
For Eure Yerzte für nichts, wenn fie nicht, °
oben drein, wißige Köpfe, voller luſtiger
Einfälle und gefchickt waren, Bonsmote zu
machen. Die unfrigen begnuͤgen fich, wenn
fie alle Krankheiten richtig zu befchreiben, und
auf das genauefte ihre Verſchiedenheiten zu
bezeichnen wiſſen, alle Eympfomen davon
fennen, die Temperamente überhaupt und ci«
nes jeden Kranken feines insbeſondere gu uns
Fri) 399 ( re
heiben vermoͤgend find. Sie bebietien fidh
er jener heilenden Waffer und koſtbaren
ſpruͤche, noch ber geheimnißvollen Ne
tz die im Kabinete!gerhacht werden: el,
feine Anzahl von Mitteln iſt ihnen ge⸗
"Sie haben gefunden, daß die Natur
er Vegetation der Planen und in ber
rung der Thiere gleichförmig verfährt.
ift ein Gärtner, fagen fie: er ift auf
Hart, damit der Nahrungsſaft, das iſt,
allgemeine belebende Geiſt auf gleiche
durch alle Theile des Baums ſeinen Um⸗
»nehme: alle Krankheiten der pflanzen
men von Verdickung dieſes wunderba⸗
Saftes. Mithin haben alle Uebel, die
menſchliche Geſchlecht beſchweren, keine
ere Urſache, als die Verdickung des Blu⸗
und der Saͤfte: man gebe ihnen ihre
uͤrliche Fluͤßigkeit wieder: fo bald als ih
Umlauf nichts weiter hemmt, ſo wird
h die Geſundheit wieder hergeſtellet wer⸗
„ Setzt man dieſen Grundſatz als rich⸗
voraus, fo koͤmmt es weiter nicht auf
e große Anzahl von Kaͤnntniſſen an, um
Abſtcht davon zu erreichen, da fie fich
ı.felbft anbieten. Mir ſehen als ein all
neines Mittel. alle mohlricchende la
Em) 90 ( —
yen an, bie einen Ueberfluß an volatilifchen
Salzen haben und mithin unendlich geſchickt
‚find, das gu dicke Geblüte aufzuldfen: dieß
iſt das Foftbarfte Gefchenfe ber Natur zur
Erhaltung der Gefundheit: wir erftrechen es
auf alle Krankheiten, und wir haben auch
bey allen, den gluͤcklichen Erfolg davon ge⸗
ſehen.
Vierzehntes Kapitel.
Das Hotel der Inoculation.
Gier mir doch, ich bitte Euch, was iſt
denn dag für ein einzelnes Gebäude,
da8 ich in der Entfernung mitten auf dem
Felde entdecke? — Es iſt das Hotel der
Sfnoculation, die in Euren Tagen fo beftrit-
ien worden, toie. alle nüßliche Gefchenfe, die
man Eud) gegeben. Ihr mußtet harte Koͤ⸗
pfe haben, da Euch die augenfcheinlichen und
vervielfaͤltigten Erfahrungen zu Eurem eige-
nen Beſten nicht überzeugen fonnten. Oh⸗
ne einige in ihre Schönheit verliebte Wei-
ber, die wehr fürchteten, diefe, als ihr Le-
ben zu verlieren; ohne einige Fürften, die
nicht Luſt hatten, fo bald ihr Zepter den
Haͤnden des Pluto zuübergeben, würdet Ihr
Ma
a) 9 (rer
niemald'.diefe glückliche Entdeckung gewagt
habenn Der glückliche Fortgang hat ſie
nunmehr Hollig gekrönt: Die Häßlichen find
gezwungen geweſen zu ſchweigen, und auch
die, bie’ feine Kronen hatten, haben nicht
weniger das Verlangen empfunden, etwas
länger auf diefer Erde zu verweilen. -
Endlich dringt doch die Wahrheit fruͤher
oder fpäter bindurch und bemächtigee fich
der ungelebrigften Gemuͤther. Wir bebie-
nen ung baute zu Tage der Inoculation,
wie e8 zu Eurer Zeit in China, in ber Tür
fen und in Engeland geſchah. Wir finb
weit bavon ‚entfernet, heilfame Mittel des
wegen zu verbarmen, weil fie neu find. Wir
haben nicht,. wie Ahr, die Wuth, zu diſputi⸗
ren, bloß. darum; damit wir dffentlich auf
der Bühne“ erfcheinen, uͤnd bie Augen deg
Publikums auf ung ziehen.
Dank fen e8 unferer Thätigfeit, unſerm
Brüfungsgeifte! wir haben viel wunderns⸗
wuͤrdige Geheimniffe entdecket; es ift aber
noch nicht bie Zeit, fie befannt zu machen,
Ein tiefes Studium der wunderbaren Rrdu-
ter, bie Eure Unmiffenheit mit Füßen trat,
bat ung die Kunſt gelehret, die Lungenfudkt,
Schwindfucht, Wafferfacht, und andere
De) 92 (ae
Krankheiten zu heilen, die Eure wenig be-
fannten Mittel meiftens verfchlinimerten.
Hauptfächlich aber hat man ben wahren Zur .
ſtand der Geſundheit, die Kunſt fich gefund zu
erhalten, mit fo vieler Klarheit behandelt, daß
jeder von felbft im Stande ift, über feine Ge⸗
fimdheit zumachen. Man verlaͤßt fich nicht
mehr gänzlich auf den Arzt, er mag fo ge⸗
fchickt feyn, als er will: man bemühet fich,
feine Natur fennen zu lernen, an ftatt, daß
es ein Fremder gleich bey dem erfien Anblicke
errathen fol. Ueberdieß trägt die Mäfig-
$eit, dieß wahre Heilungs⸗ und Erhaltungs⸗
Elerier, viel bey, gefunde und flarfe Men⸗
fchen zu bilden, die eben fo flarfe und reine
Seelen, als ihr Blut es ift, beherbergen.
Funfzehntes Kapitel.
Theologie und Mechtsgelahrheik,
| Giaͤciche Sterbtiche! Ihr Habt alfo feine
Theologen mehr 1)? Sch fehe nicht
mehr die ungeheuren großen Bände, die die
1) Man muß die Lehrer einer praktiichen Tu⸗
gend und Frömmigkeit nicht mit einer geriffen Art
von Theologen vermifchen ; jene find Wohlthäter des
menſchlichen Geſchlechts, diefe nicht felten ihre Un:
ehre und ihr Schaden.
Si) 9 (Bu
Grundpfeiler unſrer Bibliotheken ſchienen,
die ſchweren Laſten / die der Drucker allein
wie ich glaube, konnte geleſen haben: Aber
gleichwohl‘ ift die Gottesgelahrheit eine en
habene und = - =» — Da wir nur von bem
Hoͤchſten Wefen reden, um ihm gu danken und
in der Stile anzubeten, ohne über die goͤtt
lichen , ewig unbdurchdringlichen Eigen⸗
ſchaften zu flreiten: fo iſt man einig wor⸗
den, iiber diefe erhabene Sache, die fo weis
unfern Verſtand überfleige, nicht mehr: su
ſchreiben. Die Seele iſts, die Gott fühlet;
fie brauchet Feiner fremden Huͤlfe, fich zu ihm
zu erheben 2).
2) Wir wollen in uns felbft gehen, unfere Sees
le prüfen und fie fragen, von wen fie die Empfins
dung und den Gedanken bat? Sie wird uns ihre
glückliche Abhängigkeit entdecken, das hoͤchſte vers
fländige Wefen beseugen, von dem ſie nur eim
ſchwachet Ausfuß if. Wenn fie in fich felb zus
süce kehret, fo kann fie ſich nicht dem Gotte ents
ziehen, deffen Tochter und Ebenbild fie iſt: fie
kann ihren himmliſchen Urfprung nicht verfennen.
Dies ift eine Wahrheit der Empfindung, die allen
Voͤlkern gemein if. Der empfindfame Menfch wird
von dem Anblicke der Natur gerühret werden, und
ohne Mühe einen gütigen Gott erkennen, der und
noch größte Güter aufbehält. Der unempfindliche
Menſch wird den Lobgefang feiner Bewunderung
HZ) 94 (merk
Alle, ſowohl theologifche. als jurifäifche
Bücher find in unterirdifchen Behaͤltniſſen
der Bibliothek unter großen eifernen Kies
geln verwahret: und wenn wir jemalg mit
einigen benachbarten Völkern in Krieg ges
rathen follten, fo wollen wir ihnen, flatt
Canonen zu pflanzen, diefe gefährlichen Bii-
cher ſchicken. Wir behalten .diefe Vulkane
von verbrennlicher Materie zur Rache ge
gen unfre Feinde auf: fie werden vermit-
telft dieſes fubtilen Giftes, das den Kopf
und das Herz zugleich einnimmt, nicht er
mangeln, fich felbft zu zerſtoͤren.
— Ohne Theologie zu leben; ja, dag
läßt fich noch begreifen: aber ohne Rechte:
gelahrheit, das kann ich bach nicht begrei-
fen. — Wir haben eine Rechtsgelahrheit,
die aber vonder Eurigen verfchieden ift, wel⸗
che gothifch und barbarifch war. Ihr eruges
noch den Stempel Eurer alten Snechtfchaft.
Ihr hattet Geſetze angenommen, die weder
Euren Sitten, noch Eurem Clima angemef:
fen war. Da fich dag Licht nach und nad)
beynahe in aller Köpfe herabgelafien, fo
bat man dieMißbräuche abgefchafft, die aus
nicht mit der unfrigen vermifchen. Das Her, Das
nicht liebte, war der erfie Atheiſt.
ame) 95 ( u
‚dem Heiligthume ber Gerechtigkeit eine Raus
berhoͤhle machten. Man if erftaunf, daß
das fchwarze Ungeheuer, das die Wirte
und den Wayſen verfchlinge, fo lange Zeig
einer. firafbaren und doch ungeftraften Frey⸗
‚heit genoffen. Man begreift nicht, wie ein
Anwald ruhig die Stadt durchgehen konnte
ohne von einer verzweifelnden Hand geſtei⸗
nigt zu werden. |
Der edle Arm, der das Schwerdt ber
Gerechtigkeit hielt, ‚hat diefen Haufen Kor⸗
per ohne Seele, die bloß die Naubgier des
Wolfs, die Lift des Fuchfes und dag Kraͤch⸗
zen des Rabens hatten, zu Boden gefchlagen ;
ihre eignen Schreiber, die fie vor Hunger
und Verdruß fterben ließen, find die erften
gewefen, die ihre Alngerechtigfeiten entde⸗
et und fich gegen fie bewaffnet haben,
Themis hat gerebt, und die Rotte iſt vers
fchwunden. Dies war dag tragifche und
ſchreckliche Ende diefer Räuber, die ganze
Samilien durch Schmierereyen ins Elend,
ſtuͤrzten. 3
— Zu meiner Zeit behauptete man gleich"
wohl, daß ohne ihren Dienft ein Theil ber
Bürger vor den Gerichtsftühlen müßig, und
diefe Gerichtsſtuͤhle vielleicht ein Schauplag
San) 96 ( „α
der. Ungebundenheit und der Wuth werben
würde. — Ganz gewiß war es die Dachte
rey des Stempelpapiers, die fo ſchwatzte. —
Aber wie werben denn bie Sachen gerich-
tet? Was fängt man denn ohne Anwald an?
— Ach! die Sachen. werden aufs befte von
der Welt. gerichtet. Wir haben die Orb:
zung der Advokaten beybehalten, bie ben
Adel und die Vortreflichkeit ihrer Stiftung
erkennet: ba fie noch weit uneigennüßer ift,
ſo ift fie verehrungswürdig geworden. Gie
find eg, die die Pflicht auf fich genommen,
die Sache der unterdrückten Unſchuld deut⸗
lich und hauptfächlich in einem lafonifchen
Stil, ohne Emphafen, ohne Declamation
ing Licht zu feßen. Man ficht nicht mehr
eine lange, fehr Falte und mit vielen Schmaͤ⸗
Hungen angefülte Schußrede, die nieman-
den als fie felbft erwaͤrmet, ihnen dag Le⸗
ben often. Der Boſewicht, deſſen Eache
ungerecht ift, finder in dieſen aufrichtigen
Vertheidigern nichts als unbeftechliche Men=
fchen. Sie leiften mit ihrer Ehre für die
Sachen Gewähr, die fie unternehmen:
dem Strafbaren, der fchon durch die ab-
fchlägliche Antwort, mit dem fie ihm ihren
Dienft verfagen, verdammt ift, uͤberlaſſen fie
*
He ) 17 (u
es, ſich zitternd vor den Nichtern zu ent
fehuldigen, wo er ohne Vertheidiger erfchien-
Jedem iſt daB urfprüngliche Recht wie,
ber gegeben, feine eigne Cache zu vertheidis
gen. Man läßt den Procefien niemalg Zeit
fich zu verwirren. Sie werden bey ihrer
Entfiehung unterfucht und entfchieden; und
die längfte Zeit, die man ihnen einraͤumt, iſt,
wenn die Sache weitlaͤuftig ift, ein Sjahr.
Aber aud) die Richter erhalten nicht mehr die
fogenaunten Gewürzfchachteln: fie fchämen
ſich dieſes fehimpflichen Rechtes, das in feinem
Urſprunge 3) nicht viel bedeutete: ſie aber zu
ungeheuern Summen erhoben haben. Sie ha⸗
ben erkannt, daß ſie dadurch ſelbſt das Bey⸗
ſpiel der Raubſucht gaͤben, und daß: went ir⸗
gend ein Fall iſt, mo der Eigennutz nicht Dis
Oberhand haben darf, fo ift c8 der chrenvole
le und ſchreckliche Augenblick, wo ein Menſch
in dem heiligen Namen ber Gerechtigkeit
das Urthel fpricht. — Sich fehe, daß Ihr
ganz entfeglich unfre, Geſetze verändert habt.
3) Es befund damals in etlichen Schachteln
Zuckerwerk oder trocknen Eonfekte. Heute su Tas
ge muͤſſen eben diefe Schachteln mit Goldſtuͤcken
angefüllt werden. Dieß find die Lekkerbischen dies
fer erleuchteten Rathsherren, diefer Väter des Be
terlandes.
G
az) 98 re |
— Eure Gefebe! Noch einmal, konntet ihr
diefen Namen wohl dem unordentlichen zus
fammengeraften Wufte von entgegenftehen-
den Gewohnheiten, diefen alten abgeriſſenen
Stüden geben, die nicht, als unzuſammen⸗
hängende Begriffe und groteske Nachah⸗
mungen enthielten. Konntet Ihr ein folch
Monument der Barbarey annehmen, das
weder Plan, noch Drönung, noch Dbiect :
hatte: dag eine efelbafte Compilation mar,
wo die Gedult des Genies fich in einen tie-
fen Moraft ſtuͤrzte? Es haben fich endlich
Männer gefunden, die genug Verſtand, ge
nug Menfchenliebe und Muth genug: hat-
‚ten, auf eine gängliche Imfchmelzung zu den-
fen, und aus einem ungefchicften Klumpen
eine richtige und wohl proportionirliche Sta⸗
tue zu machen.
Unſere Koͤnige haben dieſem großen Un⸗
ternehmen, das Millionen Menſchen inter⸗
eßirte, ihre ganze Aufmerkſamkeit geſchenkt.
Man hat erkannt, daß das groͤßte Studium
ohne Ausnahme, die Geſetzgebung ſey. Die
Namen der Lykurge, der Solone, und
berienigen, die ihren Fußtapfen gefolget,
find die verehrungswürdigften unter allen. -
Das Licht ift ung zuerft aus Norden gefom-
2) (re
men: und; (gleich ald ob die Natur unfern '
Stolz hätte demüthigen wollen,) eine Fran
ift eg, bie diefe wichtige Revolution ange:
fangen bat 4.
Alsdann hat die Gerechtigkeit: durch bie
Stimme der Natur diefer allgemeinen Ge
feßgeberinn, dieſer Mutter der Tugend, und
alles was ‚auf Erben Gutes ift, gefprochen:
unterflüßt von Vernunft und Menſchenliebe,
find ihre Geſetze weife, klar, deutlich und in
Eleiner Anzahl geweſen. Alle allgemeine Faͤlle
hat man voraus gefehen und gleichſam durch
das Geſetz gefeſſelt. Die befondern Fälle
fioffen natürlicher Weife daraus her, wie
Ztveige, die aus einem fruchtbaren Stam⸗
me entfpriefien : ımd die Nechtfchaffenheit,
weit gelehrter ale die Jurisprudenz felber,
hat die praftifche Nedlichfeit auf alle Vor⸗
fälle angewandt.
Diefe neuen Gefeke find hauptſaͤchlich
auf Menſchenblut geizig: die Strafe iſt dem
Verbrechen angemeſſen. Wir haben ſowohl
Eure verfaͤnglichen Fragen, als auch die ei⸗
4) Man hat in Paris heimlich eine vollſtaͤndige
Ausgabe des Codex der Kayferinn Catharine der II.
serbrannt. Durch einen Zufall habefich noch ein
Eremplar, Das den Flammen entgangen iſt.
& 2
nes Inquifitionsgerichted würdigen Quaalen
der Zortur, wie auch Eure ‚abfcheulichen
Strafen, die für ein Volk von Cannibalen
‚gemacht zu feyn fehienen, abgeſchafft. Wir
bringen den Dieb nicht mehr um, weil eg ei-
ae unmenfchliche Ungerechtigkeit ift, deñ su
toͤdten, der nicht getoͤdtet hat: die ganzen
Reichthuͤmer der Erde ſind nicht eines Men⸗
ſchenleben werth: wir beſtrafen ihn mit dem
Verluſte ſeiner Freyheit. Selten fließt Blut:
aber wenn es zum Schrecken der Laſterhaf⸗
ten fließen muß, ſo geſchieht es mit der
groͤßten Zubereitung, Zum Beyſpiele: es
iſt feine Gnade für einen Miniſter 5, der dag
Vertrauen des Monarchen mißbraucht, und
fich der ihm anverfrauten Macht gegen dag
Volk bedient. „Aber der Verbrecher fchmad)-
s, Das Gemälde unfrer Minifter, ein ſchoͤnes
Poſſenſpiel, das der Vorſtellung werth waͤre! Die:
fer koͤmmt in das Minifterium vermittelt einiger
buhlerifchen Verſe: jener, der Laternen anzünden
laſſen, erbält die Aufficht über die Schiffe, und
glaubt, daß ſich Schiffe machen laffen, wie Later
nen; ein anderer regieret Die Finanzen, indem fein
Dater noch die Elle führet, u. ſ. w. Man follte
glauben, es wäre eine Wette zu gewinnen, wenn
man das Mader der Öffentlichen Angelegenheiten
Leuten anvertraute, ‚Die nichts davon verfichen,
FO) Tr (nf
tet nicht in dem Ketker: die Strafe folget
der That: und wenn ſich ein Zweifel erhebt,
fo läßt man: ihm lieber Gnade wiederfahren,
als daß man bie:fchreckliche Gefahr laufen
follte, einen Unſchuldigen laͤnger in Dan
den zu laffen.
Der Strafbare, deffen man fich bemaͤch-
tiget, wird oͤffentlich mit Feſſeln belegt. Man
kann ihn ſehen, weil er ein ſichtbares und
in bie Augen fallendes Beyſpiel der wachſa⸗
men Gerechtigkeit feyn fol. Ueber dem Gitter,
dag ihm einfchließt, bleibe immer eine Tafel
angeheftel, worauf die Urſache feiner Eins
ferferung gefchrieben ſteht. Wir verſperren
nicht mehr lebende Menſchen in die Nacht
der Graͤber, eine unfruchtbare und haͤrtere
Strafe als der Tod ſelbſt! Am vollen Tage
muß er die Schande der Zuͤchtigung tragen.
Jeder Buͤrger weiß, warum dieſer Menſch
zum Gefaͤngniſſe und jener zu oͤffentlichen
Arbeiten verdammt iſt. Der, den drey Zuͤch⸗
tigungen nicht beſſern koͤnnen, wird nicht
auf der Schulter, ſondern auf der Stirne
gebrandmarket und auf ewig aus dem Va⸗
terlande verjagt.
— AH! ſeyd doch fo gut und ſaget mir
doch, die Lettresdecachet — wie ſtehts denn
az) 102 (u
mit diefem gefchteinden, untrüglichen Mit:
tel, das alle Schwürigfeiten zerſchnitt, und
dem Stolze, der Rache und der Verfolgung
fo bequem war? — Wenn Ihr diefe Srage
im Ernft thätet, werfeßte mein Sührer mit
einem ernfthaften Tone, fo würdet hr den
Monarchen, die Nation und mid) felbft be-
fhimpfen. Die Zortur und bie Letires de
aschet ©) find in gleichem Range: fie befle-
den bloß. noch die Seiten Eurer-Gefchichte.
"6 Ein Bürger wird ploͤtzlich feiner Familie,
feinen Zreunden, der Geſellſchaft entriſen. Ein
Blatt Papier if ein unfichtbarer Donnerfchlag.
Der Befehl des Eriliume ‚oder des Gefaͤngniſſes
wird im Namen des Roͤniges audgefertiget, mit
dem Bewegungsgrunde, weil es ihm fo beliebt (de
fon bon plaiſirſ. Er bat Feine andern Formalien,
als die tinterfchrift der Miniſter. Oberaufſeher,
Biſchoͤffe haben ganze Packete von Lettres de eachet
su ibrem freyen Gebrauche: fie dürfen bloß den
Namen detjenigen hineinruͤcken, den fie ſtuͤrzen
wollen: der Plan wird leer gelaſſen. Man bat
ungluͤckliche Perfonen in den Gefänariffen grau
werden feben, die ihre Verfolger vergehen hatten:
und niemals if der Monarch von ihrem Vergeben,
ihrem Unglück und ihrer Erifteng unterrichtet wer:
den. Es wäre zu wünfchen, daß alle Parlamenter
fich gegen diefen feltfamen Mißbrauch der hoͤchſten
Macht vereinigten: er arändet ſich auf Feines un⸗
ferer Geſetze. Wenn Diele wichtige Sache auf dieſe
RT) 109 ( ng
Sechzehntes Kapitel,
Erecution eines Verbrechers.
Hie verdoppelten Schläge einer fürchter-
lichen. Glocke erſchuͤtterten pleßlich
mein Ohr. Diefe traurigen und ſchreckens⸗
vollen Töne fehienen durch die Lüfte die Na⸗
men des Ungluͤcks und des Todes zu mur«
meln. Die Trommeln ber Stadtwache gien-
gen langfam umber und fchlugen Laͤrmen:
umd diefer ahndungsvolle Marfch, der in
den Seelen suräckhallte, trug in fie ein fies
fes Schrecken. Ich fahe jeden Bürger trau⸗
rig aus feinem Haufe kommen, mit feinen‘
Nachbar reden, die Hände gen Himmel er-
heben und ale Merkmale des lebhafteften
Schmerzens äußern. ch fragte einen un.
ter ihnen, twarum man biefe raurigen Glo⸗
cken anzdg, und was für ein Ungläd v vor
toäre? |
Fines der ſchrecklichſten, fagte er mir
feufjend. Unſer Gericht ift gezwungen, hen, -
te einem unferer Mitbürger das Leben abzu-
fprechen, deffen er fich unwuͤrdig gemacht,
Art in Bewegung geſetzt würde, fo würde fie die
Sache der Nation feyn, und man würde dem Des
fpotifemms die fuͤrchterlichſten Waffen entreiben.
HE) 104 (er
indem er ‚eine Moͤrderhand in dag Blut fei-
nes Bruders getaucht bat. Es find mehr als
dreyßig Jahr, daß die Sonne feine folche
That beſchienen: er muß fie vor Ende des
Tages nusföhnen. O! was habe ic) fehon
fuͤr Thraͤnen uͤber die Wuth vergoſſen, zu
der eine blinde Rache verleitet! Habet Ihr
ſchon von dem Verbrechen gehoͤret, das man
geſtern Abends veruͤbt? — O welch ein
Schmerz! Es war alſo nicht genug, daß wir
ſchon einen wahren Buͤrger verloren, auch
ein anderer muß ſterben? — Er ſchluchzete
⸗⸗Hoͤret, ‚hoͤret die Geſchichte der uns
gluͤcklichen Begebenheit, die ein allgemeines
Trauren verurſachet.
Einer unſerer Mitbuͤrger, der ein ſan⸗
guiniſches Temperament und einen hitzigen
Charakter, aber ſonſt viele guten Eigenſchaf⸗
ten hatte, war in ein junges Maͤdchen Auf
ferft verliebt und fait auf bem Punfte, fie
zur: Ehe zu erhalten. Ihr Charakter’ war
eben fo fanft, als der feinige heftig war.
Sie fehmeichelte fich, feine Gemuͤthsart zu
befänftigen: aber viele Husbrüche des Zors
neg, die ihm oft entmifchten, fo viel er fich
auch Mühe gab, fie zu verbergen, machten
fie über die traurigen Folgen zittern, die eine
me ) 105 ( mi
- Verbindung mit einem fo ungeflämen Man
ne nach fich giehen koͤnnte. | “
Siebe Weibsperfon ift nach unfern Sefe:
‚Gen in ihrer Wahl gänzlich frey. Sie ent⸗
ſchloß fich alfo, ans Furcht unglüdlich zu
werden, einen andern zu heurathen, der einen,
mit dem Ihrigen übereinftimmendern Cha-
rakter befiße. Die Fackeln dieſes Hymen
sündeten die Wuth in einem fo ungeftümen
Herzen an, bag von feiner zarteften Kind»
heit an niemals einige -Mäßlgung gekannt
hatte. Er ließ viele geheime Ausfoderun⸗
gen an feinen glücklichen Rival ergehen;
aber diefer verachtete fie: denn es gehoͤrt
mehr Muth dazu, eine Beleidigung zu vers
achten, eine gerechte Mache zu erfticken, als
wüsend einer Ausfoberung nachzugeben, die
überdieß ſowohl unfere Gefehe als die Ver:
nunft verbieten. Diefer heftige Menſch, ver
nichts als feine Eiferfucht hörte, fiel ihn vor⸗
geftern auf Hem Abwege eines Fußſteiges
außer der SHadt an, und auf die wieder⸗
holte Weigerung, bie biefer that, fich mit
ihm einzulaffen, riß er einen Aft von einent
Baume und ftreckte ihn todt zu feinen Fuͤſ⸗
fen. Dach diefer abfeheulichen That wagte
fich der graufame Mensch noch unter ung
sam ) 106 ( rei
Aber das Verbrechen fund fchon auf feiner
Stirne gezeichnet. So bald wir ihn nur
fahen, erfannten wir fein begangenes Unter:
nehmen, dag er verbergen wollte. Wir ur:
theilten gleich, daß er ſtrafbar feyn müßte,
ohne noch die Beichaffenheit der That zu
fennen. Bald fahen wir eine Menge Bürs
ger, die Wangen mit Thränen beneßt, welche
mit langfamen Schritten und bi an ben
Fuß des Thrones der Gerechtigkeit dieſen
blutigen Leichnam trugen, ber um. Rache
fchrie.
Sm viersehnten Jahre Lieft man ung ‚bie
Geſetze des Vaterlands vor. Jeder, If
verbunden, ſie mit eigner Hand abzu⸗
ſchreiben 1), und wir beſchwoͤren es alle, fie
zu erfuͤllen. Dieſe Geſetze legen uns auf,
Es iſt eine unbegreiſtiche Sache, daß unfre
wichtigſten, ſowohl Civil ».als Criminalgeſetze dem
groͤßten Theile der Nation unbekannt ſind. Es
waͤre ſo was leichtes, ihnen einen Charakter von
Majeſtaͤt einzudruͤcken: aber ſie einen nie, als
um den Bürger zu Boden zu ſchlafen, und niemals
Ida zur Tugend zuleiten. Das heilige Buch) der Ge⸗
ſetze if in einer trocknen und barbarifhen Sprache
geſchrieben, und fchläft in dem Staube der Ges
richesftube. * Würde ed denn etwas unfchickliches
fen, es in die Meise der Beredtſamkeit einzuflei-
den und Saburch den Belle fchänber u machen ?
Fam) 107 (ni
der Serechtigfeit alles zu entdecken, was ihr
ein Kicht über die Leberfretungen geben fann,
die die Ordnung der Gefellfehaft ftören, und
diefe Geſetze beftrafen nur dag, mag für fie
mit einem wirklichen Schaden. verfnüpft ift.
Wir ernenern alle zehn Jahre eſe geheilig.
. ten Eidſchwuͤre: und ohne Angeber zu feyn,
wachet ein jeder über das heilige Pfand der
Gefege.
Geſtern iſt der Vermahnungsbefehl er⸗
gangen, welcher eine bloß buͤrgerliche Hand⸗
lung if. Wer nur zoͤgern würde, das u.
melden, mag er. gefehen, würde fich mit einem
haͤßlichen Schandflecke bedecken. Durd) dieſes
Mittel ift der Moͤrder fo gleich entdecket twor-
den. Nur ein Verbrecher, der mit dem La⸗
ſter feit langer Zeit befannt iſt, kann mit
kaltem Blute eineThat läugnen, die er bes
gangen, und diefe Art von Ungeheuern, von
der unfer Volk gereiniget ift, erwecket in
ung bloß in der Gefchichte der letzten Jahr⸗
hunderte ein Schaudern.
Kommt, laufet mit mir nach der Stim⸗
me der Gerechtigkeit, die alles Volk zu Zeu⸗
gen ührer furchtbaren Gerichte herbeyruft.
Dieß iſt der Tag ihres Triumphs und fo
traurig er auch iſt, fo koͤnnen wir doch nicht
z.
mm) 108 ( id
anders als ihm Beyfall geben. Ihr wer⸗
det nicht einen Unglücklichen, der feit ſechs
Monaten in finftern Kerfern gefchmachtet,
die Augen vom Lichte ‚ber Sonne geblen--
det, die Scheine von einer vorläufigen und
in der Finfllnig 2 vollgogenen Marter, die
weit fehrecklicher iſt, ald die er noch erbuls .
ten ſoll, zermalmet, fcheußlich und mit dem
Toderingend, einem, auf einem kleinen Plage
errichteten Schaffote fich nähern fehen. Zu
Eurer Zeit wurde der Verbrecher, dem mar
unter dem Geheimniffe verfchloffener Thuͤ⸗
ren und Fenſter verurtheilet, in der Stil
2) Wehe dem Staate, der die Strafgeſetze zu
verfeinern ſucht. Iſt der Tod nicht genug, und
ſollte man wohl glauben, daß der Menſch noch ſei⸗
ne Schrecken zu vermehren ſuchet? Was if eine
Magiftrateperfon, die mit Folsem fragt, und nach
‚Gefallen einen Elenden unter dem langfamen und.
fiufenweifen Zortgange der ſchrecklichſten Schmers
zen zerreißt? die, ſinnreich in Duaalen, den Tod
urücke weiſt, wenn er fanft und liebreich ſich naͤ⸗
bert, das Dpfer zu befreyen? Hier empörer ſich das
menfchliche Herz. Aber wenn man noch mehr.von
der Unnuͤtzlichkeit der Marter überzeugt ſeyn will,
fo lefe man die vortrefliche Abhandlung über die
Verbrechen und Strafen. Ich biete dem Trotz,
der etwas gründliches zum Beſten dieſes berhari⸗
ſchen Geſetzes darauf antworten kaun. Die
HI ) 109 ( nk
le der Nacht, vor der Thuͤre des fchlafenden
Bürgers geräbert,.ber von bem Eläglichen
Gefchreye des Leidenden mit Schrecken ers
wachte, ungewiß, ob.der Unglücliche unter
dem Schwerdte des Henferg, oder unter dem
Eifen. eines. Morders fiel! Wir haben nicht
mehr folche Duaalen, tiber die fich die Nas
fur entfeßt: wir verehren die Menfchheit
felbft in benjenigen , die fie verlegt haben.
zu Eurer Zeit fchien e8, als ob man bloß
die. Abficht habe, einen Menfchen umzubrin⸗
gen, fo fehr hatten Eure tragifchen Auftritte,
die mit Faltem Blute vervielfältiget wurden,
ihre nachdrucksvolle Stärfe verloren, fo ab»
fcheufich fie auch waren. -
Weit gefehlt, daß der Mifeethaͤter auf
eine Art hingeſchleift wird, die der Gerech⸗
tigkeit ein niedriges und unedles Anſehen
giebt! nein, er wird nicht einmal gebunden.
Ah! warum ſollen ſeine Haͤnde mit Feſſeln
belaſtet werden, da er ſich willig dem Tode
darſtellet? Die Gerechtigkeit hat zwar das
Recht ihm das Leben abzuſprechen, aber nicht
das Recht, ihm das Zeichen der Sklaverey
aufzudruͤcken. Ihr werdet ihn frey, von
einigen Soldaten begleitet, herbeykommen
ſehen, die bloß geſetzt ſind, um das Volk in
ie) 110 ( re
Ordnung zu erhalten. Man fürchtet nicht,
daß er fich zum zweytenmale fchuldig machen
werde, indem er der fchreclichen Stimme,
die ihn ruft, follte Ju entgehen fuchen. Und .
wo wollte er binfliehen? welches Land, wel⸗
ches Volk wird einen Todtſchlaͤger in ſeinem
Schooß aufnehmen 3)? Und er, wie fann er
das ſchreckliche Zeichen, das eine göttliche
“Hand ber GStirne eines Moͤrders eindrückt,
‚ vertilgen? Der Sturm des Gewiſſens malet
fi) darauf in fichtbaren Charafteren; und
Das Auge zum Anblicke der Tugend gewoͤh⸗
net, wuͤrde ohne Mühe die Phyſionomie bes
Verbrechens unterfcheiden. Wie fol: end:
. lich der Unglückliche frey unter ber ungeheu:
ren Laſt, die fein Herz drücket, athmen?
3) Manfagt: Europa iſt gefittet; und ein Menſch,
der einen Mord in Paris begangen, oder einen bes
srügerifchen Bankerot gemacht, Rüchtet ſich nach
London, Madrit, Liſſabon, Wien, wo er rubig der
Fruͤchte feiner Miffethat genießt. Sollte man nicht
mitten unter fo viel läppifchen Traetaten, einen Vers
gleich machen, daß ein Moͤrder nirgends eine Frey⸗
ſtatt finden ſolle? Sind nicht alle Etaaten und alle
Menfchen dabey intereßiret, einen Mörder zu vers
’ folgen? Uber die Monarchen werden eher über die
Ausrostung der Jeſuiten einig.
BI) 11 ( erie
Wir famen.an einem weiten Plaß, der
die Stufen des Tempels’ der Gerechtigkeit
umgab. Sorne, dem Verhoͤrſaale gegen über
breitete fich eine lange Reihe erhabener Site
aus. Auf diefer Gattung von Amphiteater
verfammelte ſich der Rath bey sffentlichen
Angelegenheiten in Gegenwart des Volke:
man machte ſich ein Vergnügen daraus,
Dinge, die für das Vaterland von großer
Wichtigfeit waren, unter feinen Augen zu
behandeln. Die Menge der verfammelten
Bürger flößte ihnen Gedanken ein, die ber
hohen Sache, welche man ihren Händen
anvertrauet, würdig waren. Der Tod eis
nes Menfchen war ein Unglück für den Staat,
Die Richter ermangelten nicht, diefem Ges
richte die ganze Zuräftung, die ganze Wich⸗
tigkeit zu geben, Die e8 verdiente. Die Ord⸗
nung der Advocaten war auf der einen Sei⸗
te bereit für den Unfchuldigen zu fprechen,
oder für den Schuldigen zu fehtweigen. Auf
der andern rufte der Prälat, von ben Geiſt⸗
lichen begleitet, mit entblößtem Haupte, den
Gott der Barmhersigfeit im Stillen an, und
erbaute das Volk, dag fich in Menge auf dem
Plate überall umher ausgebreitet hatte ©.
| 4). Unfere Juſtij flöget nicht Schrecken, ſondern
Eckel ein. IR in der Weit ein gehäßiger und wi.
Sm) 112 ( uni
' Der Mifferhäter erfchien. Er gina mit
einem blutigen Hemde befleide. Er fchlug
driges Schaufriel, fo ik es dieß einen Menfchen
feinen eimeefakten Hut abnehmen, feinen Degen
auf das Schaffot legen, in emem fcıdenen oder
mit Golde befenten Kleide, die Leiter binaufs
feigen, md ibn dann unanſtaͤndig auf dem Uus
glüdlichen bernnihüpien zu fehen, den er crwürget.
Warum giebt man nicht einem Scharftichter den
fuͤrchterlichen Anbli, den er haben must Was
beißt dieſe fühltofe Wildheit? Die Geſetze verlies
gen ihre Würde und die Strafe ihre Schreden.
Der Richter it noch flärker gepudert, ald Der Hen⸗
fer. Soll ih bier den Eindruck anklagen, den es
auf mich gemacht bat? Ich habe gebebt, nicht über
Das Verbrechen des Miftethäters, fondern über die
ſchreckliche Kaltblütigkeit aller derer, die ihn ums
gaben. Bloß der edle Mann, der den Ungluͤckli⸗
hen mit dem hoͤchſten Wefen ausfohnte, der ihm
den Kelch des Todes trinken half, diefer war es
allein, der mir noch ein Gefuͤhl der Menfchlichfeit
beyinbehalten ‚fchien. Wollen“ wir. denn nichts
thun, als Menfchen toͤdten? Verſtehen wir denn
nicht die Kunft die Einbildungsfraft gu erſchuͤttern,
ohne der Menfchlichfeit Gemalt anzuthun? Lernet
doch endlich, Teihtfinnige und graufame Menichen,
lernet Richter feyn: lernet dem Verbrechen zuvor:
kommen: vereiniget das, mas man den Gefegen
nnd dem Menſchen fchuldig iſt. Ich babe nicht
Erärfe genug, bier von dem ausgefuchten Mars
tern zu reden, mit denen man einige Verbrecher
beleget, die man, fo zu fagen, für eine privilegirte
) 13 (ie
fich die Bruft mit allen Zeichen einer 'auf
richtigen Neue. Seine Stirne verrieth nicht
jene erfchrecfliche Niedergefchlagenheit, bie
einem Menfchen nicht ziemet, welcher müß
zu ſterben wiſſen, fo bald er flerben muß;
und hauptfächlich; wenn er den Tob verhie-
net hat. Man ließ ihn bey einer Art von
Kefich vorbeygehen, worinnen man, wie mir
gefagt wurde, den Leichnam des Ermorbes
ten ausgeftellet hatte. Man führte ihn au
die Gitter, und biefer Anblick erregte in
feinem Herzen eine fo heftige Gewiſſensangſt,
daß man ihm erlaubte, fich weg zu begeben.
Er nahte fich feinen Nichtern : aber er beug«
te ein Knie zur Erden, bloß um das heilige -
Buch des Geſetzes zu Füffen. Alsdann oͤff⸗
nete man e8, und las mit lauter Stim⸗
me den Artikel ab, der die Todefchläger bes
teifft: man legte es ihm vor die Augen, ba»
mit er es ſelbſt las. Er fiel zum zweytenmale
auf feine Knie, und befannte fich fchulbig.
Todeshrafe aufbewahret hat. O welch eine
Schande für mein Vaterland! Die Augen desjenis
gen Geſchlechts, die für das Mitleid gemacht 1m
ſeyn fchienen, waren diejenigen, die am laͤugſten
auf dieſer abfcheulihen Eeene verweilten. Wie
sollen den Vorhang niederlaffen. Was fol ich des
nen fagen, die mich nicht verſtehen?
ze) 114 (re
Der Berfiser des Raths flieg hierauf auf eine
- Eftrade, und las fein Berdammungsurthel
wit einer ftarfen und majeftätifchen Stimme
ab. Alle Rashsherren ſowohl als Advoca⸗
sen, ‚welche fiunden, feßten fich hierauf und
erklärten, daß feiner unter ihnen feine Ver⸗
theidigung übernähme.
Nachdem ber Borfiger des Raths mir
Lefen fertig war, reichte er dem Miffethäter
die Hand, und würdigte ihn zu erheben, in-
dem er zu ihm fagte: es ift Euch nun nichts
. übrig, als ftandhaft zu fterben, um Verge⸗
bung bey Gott und Menfchen zu erhalten.
Wir haffen Euch nicht: wir beflagen Euch,
und Euer Andenken wirb bey ung nicht vers
äbfcheuet werben. Gehorchet willig dem
Geſetze und verehret feine heilſame Strenge,
Sehet unfere Thränen fließen; fie find Euch
ein ficherer Beweis, daß die Liebe diejenige
Empfindung ſeyn wird, der fich unfere Her-
zen überlaffen werben, fo bald die Gerech-
tigkeit ihr trauriges Amt wird vollzogen has
ben. Der Tod -ift minder ſchrecklich, als
Bie Schande. Leidet den einen, um Euch
der andern zu entziehen. Roch ſteht Euch
die Wahl frey. Wollet Ihr leben, fü lebet;
aber in der Schande und mit Euren eignen
me ) 115 (
Vorwuͤrfen belaſtet. Ihr werdet dieſe Son⸗
ne ſehen, die Euch mit jedem Tage ankla⸗
gen wird, daß Ihr einen Eurer Mitgefchb-
pfe ihres füßen und glänzenden Lichtes be⸗
raubet habt. Aber fiefann Euch nidyr anders
als aͤußerſt verhaßt ſeyn, denn in unfer- aller
Blicken, fo viel unfer find, werdet Ihr bie
Verachtung lefen, bie wir gegen einen Moͤrder
haben. Ueberall wird Euch die Laft Eurer de
wiſſensunruhe und eine ewige Echande beglei⸗
ten, daR Ihr Euch dem gerechten Gefeße ent⸗
zogen habt, welches Euch verdammet. Sehd
billig gegen die Sefellfchaft, und richter Euch
ſelbſt 5.
5) Diejenigen, die eine Stelle bealeiten, welche
ihnen eine gewiſſe Gewalt über die Menſchen giebt,
ſollten mis Furcht und Zittern Ihren Charakter zu
behaupten (adden. Sie follten alle ſtrafbare Men⸗
(chen anfehen, als Ungluͤckliche, die mehr oder mes
niger wahnwitzig find. Der Menfch alfo, der fels
ve Gewalt über fie ausübt, follte aliegeit in ſeinem
Herzen fühlen, daß er dieſe Gewalt über feine Mit⸗
serchörfe ausübt, daß, und unbekannte Urfachen. fig
auf diefe ungluͤckliche Wege verleitet haben. Dep
ſtrenge Richter muß, wenn er das Verdammungs⸗
urtbeil mit Majeſtaͤt ausipricht, feufsen, daB er
den Verbrecher der Strafe nicht entziehen Bann.
Das Verbrechen durch die ardite Zuruͤſtung der
Gerechtigkeit. verabfcbenungsrsürdig gu machen ſu⸗
92
Be ), 116 ( are
. Det Berbrecher gab mit feinen Haupte
ein Zeichen, mit welchem er zu verſtehen gabr
daß er ſich des Todes. ſchuldig hielt ©. Er
bereitete ſich Hierauf, ihn mie Muth und ſelbſt
mit Auſtand zu erbulten, welches in dieſem
Augenblicke ..dver ſchoͤnſte Character, der.
Menſchlichkeit iſt 7). Er wurde bierauf
nicht mehr als ein Werbrecher - hebandelf-.
Die Geiftlichen kamen und fihloffen ei⸗
nen Kreis um ihn. . Der Drälat gab ihm ben
Kuß des Friedens, und bekleidete ihn mit
einem meißen Rocke, einem Sinnbilde feiner.
Ausführung mit den Menfchen, nachdem er
ihm das blutige Hemde ausgezogen. ‚Stie.
ne Verwandten und Sreunde liefen auf ihn,
zu. und. umarmten ihn. Er fchien getroͤſtet,
indem er ihre Liebfofungen erhielt, und
&en, insgeheim aber dem Thäter feine Strafe zu
exleichtern:. dad follen die beyden Pfeiler der firas
fenden Rechtöklugheit fepn.
6) Seliges Gewiſſen, ‘gerechter und ſchneller
Aichter, verlöfche nid in meiner Seele! Lehre mich,
daß ich den Menſchen nicht die geringſte Beleidis
gung. zufügen kann, ohne dafür die Wiedervergel⸗
tung ‚zu befommen, und dag man fi) feib vers
wundet, indem man einen andern verwundet.
7) Ageſtlaus, als er einen Uebelthaͤter die Stra⸗
fe fandhaft leiden ſah, fagte: Ab. der boͤſe
Menſch, die Tugend alſo 3u mißbraudyen !
. Ne ) 117 ( Eier
fich mit dieſen Gewande bekleidet ſah, eintem
Pfande ber Vergebung, das er von dem Va⸗
terlande erhielt. Die Bezeugungen ihre
Sreundfchaft entfernten von ihm bie Schwes
den ſeier Ichten Augenblicke. Ihren Um⸗
ärmungen überlaffen verlor er das Bild des
Todes aus dem Gefichte. Der Bräter ni
berte fith- Hierauf bem Volke und waͤhlte
dieſen Augenblick, um: eine ſtarke und paͤ⸗
thetiſche Rede uͤber die Gefahr der Leidens
ſchaften zu halten. Sie war ſo ſchoͤn, ſo
wahr, fb' rährend, daß ſich Bewunderung
und Schrecken aller Herzen bemeiſterten.
Jedes faßte den Entſchluß, ſorgfaͤltig bee
ſich ſelbſt zu wachen, und dieſen Saamen
der Rache zu erſticken, der wider unfer Wiſ⸗
ſen waͤchſet, und bald die unordentlichſen
Leidenſchaften veranlaſſet.
Waͤhrend dieſer Zeit uͤberbrachte ein
Rathsdeputirter dem Monarchen das Ss
desurtheil, damit er es mit feiner eignen
Hand unterfehrich. Kein Menſch ann des
Leben verlieren, ohne den Willen desjem⸗
gen, beim die Gewakt des Richtſchwerdtes
gegeben ift. Diefer gute Vater hätte gern
einem Ungluͤcklichen das Leben gerettet 9.
8) Es thut mir leid, daß unſere Könige diefer
alten und meifen Gewohnheit entlaget haken: fe
‘
mm ) 118 ( ir
aber er opferte in diefem Augenblicke,die
liebſten Wuͤnſche feines Herzens: der Noth⸗
wendigkeit einer eremplarifchen Gerechtis⸗
keit auf.
Der Deputirte kam zuruͤck. Hierauf fien
gen die Glocken der Stadt aufs neue ihr
trauriges Getoͤn an: die Trommeln wieder⸗
hoſten ihren aͤngſtlichen Marſch, und dag
Aechzen eines zaͤhlreichen Volks, dag ſich in
der Luft mit dem ſchmerzlichen Getoͤſe ver⸗
miſchte, ſchien anzukuͤndigen, daß der Stadt
ein allgemeines Ungluͤck bevorſtuͤnde. Die
Freunde und Verwandten des Ungluͤcklichen,
der das Leben verlieren ſollte, gaben ihm
die letzten Kuͤſſe. Der Praͤlat rufte mit lau⸗
fer Stimme bie Barmherzigkeit des höchften
Weſens ans und das ganze Volk fchrie mit
Einer Stimme gen Himmel: Großer Gott,
öffne ibm ‚dein värerliches Herz! Gnaͤdi⸗
ger Gott, vergieb ibm, - wie wie ibm
vergeben! Es war nur Eine laute Stimnie,
bie den Zorn: des Hoͤchſten zu bejänftigen
ſchien.
Man führte ihn mit langſamen Schrit-
ten, immer von frinen Fremden umringt,
unterzeichnen fo’ viele Papiere: warum haben fie
dem herrlichen Rechte ihrer Krone⸗entſaget?
Se) 19 (in
Bi zu bem Gitter, wovon ich geredet habe,
Sechs Füfelier, deren Stirne mit einem Flor
bedeckt war, näherten fich: der Vorſitzer bes
Senats gab das Zeichen, indem er bag Ge⸗
ſetzbuch erhob: die Gewehre brannten log,
umd feine Seele eftflob 9). -
Man bob den Körper bes ungluͤcklichen
anf. Da durch den Tod feine Schuld voͤllig
gebäftt war, fo trat er wieder.-in die Claſſe
der Fürger ein. Sein Name ber ausgeld-
fihet worden war, wurbe aufs neue in bie
öffentlichen Megifter unter die Namen ein
gefragen , bie benfelbigen Tag verfhieben
waren. Diefes Volk hatte nicht die niebens
trächtige Grauſamkeit, dag Gedaͤchtniß eines
Menfchen big ins Grab zu verfolgen, und.
das Verbrechen eines einzigen eine ganze un,
fehuldige Samilie bufen zu laſſen 10. Es fand
9) Sch habe oft über die Frage freiten Bären:
ob die Perfon des Zenters infam fey? Ich has
be allezeit gegittert, wenn man für ihn fprach, und
nie mit denen einig werden Finnen, die ihn in die
Claſſe mit andern Bürgern wollten gefent wiſſen.
Vielleicht babe ich Unrecht: aber ich denfe nun fo.
20) Niedriges und verachtungsmwürdiges Vor⸗
urtbeil, das alle Begriffe der Gerechtigkeit aufbebt,
der Vernunft zuwider, und für ein bödartiges oder
Dummes Welt gemacht if!
—) 120 (ri
keinen Gefallen daran, umſonſt und um nichts
uhhtzliche Buͤrger zu beſchimpfen und Perfonen
Angluͤcklich zu machen, um des barbariſchen
Bergnuͤgens willen, ſie zu erniedrigen. Man
trug feinen Körper mit den Leichnamen ſei⸗
ner Landsleute, die des Tages vorher die
Schuld der Natur besahlet hatten ,. zum
ESeheiterhaufen. Seine Verwandten hat
ten feinen andern. Echmerz zu. befämpfen,
als den, den ber Verluſt eines Freundes ih⸗
ieh einflößete: und. ba noch .denfelbigen
Mend eine ehrenvolle Etelle, die Zutrauen
erfoderte, ledig wurde, gab fie der Koͤnig
dem Brüder des VBerbrechers. Jedes gab
See Wahl Beyfall, die cin Beweis der
Billigkeit und Wohlthaͤtigkeit war.
Ganz geruͤhrt, ganz durchdrungen füg-
te ich zu meinem Nachbar: O! wie ſehr iſt
die Menſchlichkeit bey Cuch in Ehren! Der
Tod eines Buͤrgers iſt ein allgemeines
Trauern für das Vaterland!: — Darum
find auch, verſetzte er, unſere Geſetze weiſe
and menſchlich: fie haben alle mehr die Befe
ferung, als die Züchtiaung, zur Abficht: und
das Mittel dag Laſter abzufchrecken, if nicht,
wenn man bie Strafe gemein, fondern wenn
mans fie furchtbar machet. Wir tragen Sor-
u) 121 ( u
ge, den Verbrechen 'zuvorjufonmen.s.. wir
haben einſame Oerter, "mo die. Shäter
Leite um fich haben, ‚die ihnen Reue ein
floͤßen, nach und nach ihr perhärteteg
Herz zu erweichen, und finfenmweife den rei-
hen Vergnügungen der Tugend zu oͤffnen
füchen, deren Reize auch ber yerderbteſte
Menſch fühlet. = j
Sehen wir den Arzt bey dem erften Au»
falle eines heftigen Fiebers den Kranken dem
Tode uͤberlaſſen? Warum geht man mit
denjenigen, bie fich firafdar gemacht haben,
fich aber beffern koͤnnen, nicht chen fo um?
Es giebt wenig fo verderbte Herzen, daß fie
die Beharrlichkeit nicht follte beffern koͤnnen:
und menig, aber zur rechten Zeit vergoffe:
mes Blut gründet unfere Ruhe und uns
fr Shi. |
Eure Etrafgefeke waren ganz zum Bes
fien der Reichen gemacht, und ganz auf
die Echuktern der Armen gelegt. Das Gold
war ber Gott ber Voͤlker. Befehle und
Galgen umsingelten alle Befitungen: und
die Tyranney, mit dem Schwerdte in ber
Hand, mucherte täglich mit dem Schweiße
und Blute ded Armen : fie-machte keinen
Unterfchied unter ber Fuͤchtigung und Ar
——
ten keinen andern Schmerz zu belaͤmpfen,
ji Ar den ber Berlufß eines Freuudes ih ⸗
—J und da noch denſelbigen
ine chtenbolle Stelle, die Zutrauen
Ben wurde ⸗ gab fie- der König
Buche des Verbrechers Jedes gab
Behfal die cin. Veweisn der
Er \mb Wohfehäfigkeit Mar. mu
Yarz gerührt, ganz Pa ſag⸗
ei‘ "ir meinem Nachbar: O! wie fehr iſ
HR ‚bey Euch in, Epren! Der
€" Bürgers ÄR ‚ein allgemeines
an für das Waterland! — Darum
And ‚nich, verfeßte ex, unfere Geſetze weiſe
und menſchlich fie haben alle mehr die Beſ⸗
fing, als HieFächtigung, zur dibficht: und
has Veittel dag aſter adzufchredten, iſt nicht,
Kenn man die Strafe gemein, fondern wenn
man fie furchtbar machet. Wir tragen or⸗
\
ya) dir (ih
at, ben Verbrechen nuvotzukommen · "nf
haben: einſame Dörter, "mo die Tbaͤter
Leute um ſich haben, ‚Sie ihnen Reue ein⸗
floͤßen, nach und nach ihr perhärteegh
Herz zu. erweichen, und fi ſiuſenweiſe den rei.
nen Vergnuͤgungen der Tugend zu oͤffnen
ſuchen, deren Reize auch der gerberbtefte
Menſch fuͤhlet.
Sehen wir den Ay bey dem erften Ip
falle eines heftigen Fiebers den Kranken dem
Tode überlaffen? Warum geht man mit
denjenigen, bie fich firafdar gemacht haben,
fich aber beffern können, nicht cben fo um?
Es giebt wenig fo verderbte Herzen, daß fie
die Beharrlichkeit nicht follte beffern koͤnnen:
und wenig, aber zur rechten Zeit vergoſſe⸗
nes Blut gründet unfere Ruhe und un⸗
ſer Gluͤck.
Eure Strafgeſetze waren ganz zum Ve
ſten der Reichen gemacht, und ganz auf
die Schultern der Armen gelegt. Das Gold
war der Gott ber Voͤlker. Befehle und
Galgen umsingelten alle Befißungen: und
die Tyranney, mie dem Schwerdfe in ber
Hand, mucherte täglich mit dem Schweiße
und Blute des Armen : fie-machte feinen
Unterſchied unter ber Aöcheigung und ats
Se) 122 ( u
wohnte nach und nad) das Volk, auch Fei-
nen unter ben Verbrechen mehr zu finden:
fie firafte dag geringſte Vergehen, mie. bad
groͤbſte Kafter.
Was erfolgte daraus? Die Menge bie
fer Geſetze vervielfältigte Die Derbrechen,
und die Vebertreter wurden fo graufam, ale
ihre Richter: auf diefe Art zog der Gefeb-
geber, indem er bie Glieder ber. Gefellfchaft
vereinigen wollte, die Bande fo heftig zu-
fammen, daß convulfivifche Bewegungen
daraus entfiunden. Anſtatt es ihnen zu
erleichtern, riffen die Bande, und bie fla-
gende Menfchheit, die ein Gefchrey des
Schmerzens ausftieß, fah allzufpät, daß bie
Duaalen der Henfer niemals die Tugend
einflößen '".
11) Wenn man die Gültigkeit des Rechts ums
gerfuchet, welches ſich Die menfchlichen Gefellfchaf-
gen angemaßet haben, mit dem Tode zu firafen, ſo
ſchaudert man über den unmerflichen Punkt, der
die Gerechtigkeit von der Ungerechtigkeit fcheidet.
Altdann mag die Vernunft Schluß auf Schluß
häufen; alles Kicht Dienet zu nichts, als und irre zu
führen. Man muß einzig aufdas natürliche Geſetz
zuruͤcke kommen, welches weit mehr, als unfere
Geſetzgebungen, das Leben der Menfchen unter
einander fchonet: es lehret ung, daf das Necht der
Diebervergeltung unter allen Geſetzen der Ders
ame) 123 ( re
Siebzehntes Kapitel,
Nicht fo entfernt, als man denkt.
We beſprachen ung lange Zeit über dieſe
wichtige Materie: aber da der ernſt⸗
bafte Innhalt ung fo fehr einnahm, und un⸗
ſer erhitzter Kopf von jener außerft heftigen
uunft am gemäßeften if. Unter den erft aufwach⸗
fenden Regierungen, die noch das Gepraͤge der Nas
tur haben, ift faft kein einziges Verbrechen, dad
wit dem Tode beftcafet wird. Im Zalle des
Mords ik man nicht mehr zweifelhaft: denn die
Natur fchrent, daß man fid) gegen Mörder waffe
nen ſolle: aber im Falle des Diebftahls läßt fich die
Grauſamkeit, die zum Tode verdammt, vollkom⸗
men empfinden: es iſt eine ungeheure Beftrafung um
eine Kleinigkeit, und die Stimme von einer Million
Menſchen, die Anbeter des Goldes find, kann das
nicht gültig machen, was jeinem Wefen nach nichts
it. Man wird fagen: der Dieb hat mit mir eis
nen Vergleich gemacht, nach welchem er darein
williget, am Leben geftraft su werden. wenn er mie
mein Vermögen raudt. Aber niemand hat ein
Recht, einen ſolchen Vergleich zu fchließen, weil er
ungerecht, barbarifch und unvernünftig iſt. Uns
gerecht, weil ihm fein Leben nicht gehoͤret: barba⸗
riſch, weil Fein Verhaͤltniß dabey beobachtet if.
unvernünftig, weil es unendlich weit nüglicher ift,
dag zween Menſchen leben, als dag einer einiger
Hz) 124 ( nr
Empfindung fortgerifien teurde, wo man die
zum Nachdenken nöthige Gemuͤthsruhe ver-
Bert, ſo unterbrach ich ihn jähling auf fol-
gende Art: Ich bitte, faget mir doch, wer
Bat:die Dberhand, der Moliniſt ober ber
Janſeniſt? — Mein Gelehrter beantwor-
tete mir bie Srage mit einem großen Beläch-
ser. Ich konnte auch nichts andere von
im herausbringen, Aber, fagte ich noch-
mals, fo antwortet mir boch, ich bitte Euch,
Hier waren die Sapuciner, bert bie. Sran-
efcaner, weiter hin die Karmieliter :: me
ad: denn alle die Moͤnchskutten mit ihren
ledernen "Sohlen , ihrem Barte und ihren
Geiſeln hingekommen? — Wir mäften nicht
mehr in unſerm Staate eine Menge Auto⸗
maten, die fich felbft fo überläftig, als fie eg
ander; waren, die bag wahnſinnige Geluͤb⸗
be shitten, niemals Menfchen zu feyn, und
alle Gefellfchaft mit denen aufhuben, bie es
noch waren, Wir haben fie inzwiſchen mehr
für mitleidens - als tadelnswerth gehalten.
Da fie von ihrer zarteften Kindheit an zu
ansfchließenden oder uͤberfluͤßigen Bequemlichkeit,
mehr genieße.
Diefe Anmerkung ifi aus dem fehr guten Ro⸗
mane, der Prieſter von Wakefield, genommen.
re) 195 ( ie _
einem. Stande verpflichtet wurden, Dem ſte
nicht-fannten, fo waren es vielmehr: die Eher
ſetze, welche ſtrafbar waren, indem ſie ih«
nen erlaubten, blindlings mit einer Serge
heit zu fchalten,: deren Werth fie. nike
kannten. 5: Dre
. Die Mönche, deren prächtige Einfiebes
leyen mitten im. Tumulte ‚der. Städte lag
fühlten nach und nach) die Annehmlichkeiten
der Gefelfchaft und überließen ſich ahrn
indem fie -einträchtige Brüder, gluͤcklichn
Väter, ‚zufriedene Samilien ſahen, ſo bea
dauerten: fie eg, an dieſem Slücke: feine
Antheil- zu haben : fie feufjten insgeheim
über. den Augenblick des Irrthums, den ſte
verleitet, ein weit angenehmer Leben zu gene
ſchwoͤren; indem fie, wie die Galeereufälen
ven in den Ketten, einer ben andern Wein
fluchten, D, fo befchleunigten ſie den Augen⸗
1) Ale diefe Klöker, wo die Menſchen auf eine
ander gepfropfet find, brüten innerliche Seriege
Es find Schlangen, die sinander im Dunfeln zern
reißen. Der Mönch iſt ein. kaltes und verdruͤßli⸗
ches Thier: die Begierde, in feinem Orden immer
hoͤher zu flsigen, verzebret ibn : er hat Die game.
ze Zeit für fich , feinen Wege nachzudenken, und
fein mehr concentrirter Ebrgeis bat etwas Finſte⸗
sed, Dat er einmal das Recht au beſehlen erlangt:
RB) 126 ( —
blick, der ihnen die Pforten ihres Gefäng-
niffes öffnen follte. Er vermeilte nicht lan-
ge: bag Joch wurde ohne große Folgen
und Mühe abgefchüttelt, meil die Stunde
gekommen far. So ſieht man eine reife
Frucht fich bey der leichteften Erfchätterung
von feinem Afte Idfen 2. Sie famen hau-
fenmweife und mit allen Aeußerungen der
größten Freude heraus, und wurden wie⸗
der Menſchen aus Stlaven, bie fie vorher
Waren.
Diefe ſtarken SRönche 3), in denen die Se
ſundheit der erfien Alter der Welt wieder auf-
zuleben fchien, mit einer feurigen Stirne voll
Liebe und Freude, heurasheten die girrenden
Tauben⸗ diefe reinen Jungfrauen ·˖ die fich mehr
als einmal nach einem Stande gefehnet hat:
fo iſt er natürlicher Weile hart nad unbarms
herꝛzig.
2) In Abſicht der Öffentlichen Verwaltung taugt
Pein heftiger Stoß! nichts iR gefährlich: die Zeit
und die Vernunft wirken die größten Veraͤnde⸗
Fungen, und druͤcken ein unverletzliches Siegel dar⸗
auf.
3) Als Luther mit feiner gewaltigen Beredſam⸗
keit auf die Kloſtergeluͤbde donnerte, behauptete
vr, daß ed eben fo unmöglich fen, das Geſetz der Ent⸗
haltfamteit zu endlch, als fich ein ander Berge
38 geben. 2,
[4
Sa>-,) 127 ( En
ten,ber ein bischen meniger heilig und weit ans
genehmer ift 4. Sie erfüllten die Pflichteit
4 Welch ein graufamer Aberglaube feffelt in eis
nem beiligen Gefängniffe fo viele junge Schönheiten,
Die alled enter, das ihrem Geſchlechte erlaubt if, vers
ratben, ein Seuer, welches eine ewige Einkerferung,
bis auf den Kampf, den fie fich ſelbſt Itefern muͤſſen,
verdoppelt. Um alle die Quaalen eines Herzens, das -
ſich ſelbſt verzehret, zu fühlen, müßte man an ih⸗
rer Stelle ſeyn. Furchtſam, einbilderifhy, hinters
gangen, durch einen prächtigen Enthufiasmns bes
täubt, bat diefes junge Mägdchen lange geglaubt;
bag die Religion und ihr Gott alle ihre Gedanken
einnaͤhmen: mitten unter den Entzückungen ihres
Eifers, werdet die Natur in ihrem Herzen eine une
überwindliche Macht auf, die fie nicht kennet, und
die fie ihrem gebieterifchen Joche unterwirft. Die⸗
fe feurigen Pfeile tragen die Verwuͤſtung in ihre
Sinne: fie brennet in der:Stille der Einfamkeit ?
fie Rreitet, aber ihre Standhaftigkeit unterliegt $
fie erröthet und begehrt. Sie fieht um fich her,
und ſieht ſich alleine unter unzerbrechlichen Nie»
gein: indeflen dag fich ihr ganzes Wefen nad) einem
eingedildeten ®egenitande kehret, den ihre erhitztg
Einbildungseraft mit neuen Reiten ſchmückt. Von
Diefem Augenblicke an Peine Ruhe mehr! Sie war
zu einer glücklichen Fruchtbarkeit geboren: ein enis
ges Band hält fie gefangen, und verdammet fie, utls
glücklich und unfruchtbar su fepn. Nun entdecket 11172
daß fie von dem Gefege betrogen worden ; daß bad
Joch/das die Freyheit unterdruͤcket, nicht das Joch eis
nes guͤtigen Gottes iſt, daß die Religion, die ſie ohme
SZ) 128 ( uk
des Hymen mit einer erbaulichen Wärme;
Ihre feufchen Leiber trugen Kinder, bie eines
fb ſchoͤnen Bandes würdig waren. Ihre
glücklichen und nicht weniger ftrahlenreichen
Männer haften weniger Eifer, fich um die
Ganonifation einiger von Würmern zerfref
fenen Gebeine zu bewerben: fie begnügten
fich alle einmürhig, gute Väter, gute Buͤr⸗
ger zu feyn: und ich bin feft überzeugt, daß
fie nad) ihrem Tode nicht weniger in Him⸗
mel kommen werben, ohne daß fie. fich ihr
Eeben zur He gemacht hatten.
Es iſt wahr, diefe Verbefferung kam gu
ihrer Zeit dem Bifchoffe zu Nom ein wenig
geltfam vor; aber er hatte ſelbſt bald darauf
fo ernfthafte Dinge für feine eigne Rech—⸗
nung abzuthun = - +» — Wen neunet Ihr
den Bifhoff von Rom! — Den Pabfi,
nach Eurer Art zu reden: aber mie ich
Ruͤckfehr gefeſſelt, eine Feindinn der Natur und
ber Vernunft iſt. Aber mas hilft ihr ibe Sanımer
und ibre Wehllagen? Ihre Thranen and ıbr
Schluchzen verlieren fidy in der Nacht des Schwei-
gend. Das brennende Gift, Das in ihren Adern
gaͤhret, gerfioret ihre Schönheit, verzehrt ihr Blut
und befluͤgelt ihre Füße zum Grabe. Da es für fie ein
Gluͤck if, hinabzuſteigen, fo Öffnet fie ſelbſt den Sarg,
wo ſie von ihrem Schmerien ausruhen foll,
—
Se) 129 ( —
| um
Euch ſchon gefagt habe; wir hahen eine
Menge gothifcher Namen. abgefchafft; , Wir
wiſſen nicht mehr, was Ganonicate, Bullen;
Beneficien, Bißthümer. von unermeßlichen
Einkünften find 5). Man Füßt nicht mehr
einem Nachfolger eines Apoſtels den Pan—⸗
toffel, dem fein Meifter die größten Beyſpielz
der. Demuth gegeben; und.da eben dieſer
Apoftel, ſowohl durch fein Exempel, alg
durch feine Lehre, die Armuth predigte, fig
haben wir nicht mehr dag reinfte und dem
Staate nöthigfte Gold für Indulgenzen, mit
denen diefer ehrliche Zauberer nichtetwenigerg
als geisig war, dahin geſchickt. Alles dag
bat ihm anfänglich einigen Verdruß geg
macht: denn man verliert doch nicht gern
feine Rechte, wenn fie auch gleich nicht rechte
mäßig find: aber bald hat er empfunden,
daß fein wahres Erbtheil der Himmel ſey:
daß die irdifehen Dinge nicht für fein Reich
5) Sch kann mich nicht daran gewöhnen, geiftliche
Fuͤrſten, mit aller verſchwenderiſchen Pracht ums
ringt, vetächtlih bey öffentlichen Ungluͤcksfaͤllen
lächeln zu feben, fie von Sitten und Neligion im
platten Befehlen veden zu hoͤren, welche fie vom
Kuͤſtern fchreiben laffen, die den gefunden Mes
ſchenverſtand mit einer drgerlichen Frechheit belele
digen,
J
Sam) 130 (Een
gehören, und baß endlich bie Güter der Melt
Eitelkeit. wäsen, wie alles, was unfer ber
Sonne iſt.
Die Zeit, deren unſichtbare und leiſe
Hand die ſtolzeſten Thuͤrme zernichtet, hat
auch dieß hochmuͤthige und unglaubliche
Denkmal der menſchlichen Leichtglaͤubigkeit
untergraben 9. Es iſt ohne Getoͤſe einge⸗
ſtuͤrzt: ſeine Staͤrke beſtund in der Meynung:
die Meynung hat ſich geaͤndert, und das
Ganze iſt in einen Rauch ausgeduͤnſtet. So
fieht man nad) einer fuͤrchterlichen Feuers⸗
brunſt nichts mehr als eine unmerfliche und
leichte Duft, wo dag Feuer eine weite Ver⸗
wuͤſtung umher angerichtet hatte.
Ein Fuͤrſt, der zu regieren wuͤrdig iſt,
beherrſchet dieſen Theil Italiens: und die:
ſes alte Nom hat wieder Caͤſar geſehen.
Ich verſtehe durch dieſe Worte einen Titus,
Marc Aurele, und nicht jene Ungeheuer, die
ein menschlich Gefichte haften. Dieſes fchd-
6 Der Mupbti der Türken erſtrecket feine Un:
fehlbarfeit fo gar bis auf biftorifche Facte. Er
lieg ſich unter der Kenierung Amuraths einfallen,
alle diejenigen für Ketzer zu erklären, die nicht glau⸗
* wollten, daß der Sultan nach Ungarn gehen
wuͤrde.
Ba) 1
ne Land hat fich wieder erholet, fo bald es
von‘ biefem müßigen Gewürme gereniget
worden, bag im Schlamme lebte. Dieß Neich
behauptet ige feinen Rang, und hat eine leb⸗
bafte und redende Phyſtonomie, nachbem es
ſeit mehr ale ſiebzehnhundert Jahren in U⸗
cherliche und aberglaͤubiſche Lumpen einge -
wickelt geweſen, ihm die Sprache bemnnen
und den Obem einzwaͤngten.
Achtzehntes— Kapitel.
Die Diener des Friedens.
. . ‘fr
Fehret fort, reizender Lehrer! biefe Neuss
Intion, ſaget Ihr, ift auf bie friedfentig-
fie und glücklichfte Weiſe vor ſich gegan⸗
gen? — Gie iſt das Werk der Philoſophie
geweſen; fie geht ohne Geräufche gu Werke,
fie handelt wie die Natur, mit einer bes
ſto ficherern Stärke, je unmerklicher fe
ift. — Aber, ich babe Euch doch vielerley
Schwürigfeiten vorzutragen. Eine Religion
muß feyn. — Ohne Zweifel, verfeßte er
mit Entzäcden. Ach! mo kann ein Sterb⸗
licher fo undanfbar ſeyn, daß er mitten ums
ter den Wunbern ber Schöpfung, unter bem
glänzenden Gewölbe des Firmaments, ſtumm
J 2
az) 152 ( rk
bleiben ſvllte? Wir Beten das höchfte We⸗
fer ans aber der Dienft, den man ihm -Iei-
ftet, verurſachet Feine Unruhen, feine Zaͤn⸗
kereyen mehr. Wir Gaben menig geiftliche
Hirten: fie find weiſe, einfichtsvoll, verttäg-
lich, Fe kennen £einen Partheygeiſt mehr,
and find deſto geliebter, deſto geehrter: ihr
‚ganzer Ruhm iſt, reine Hände zu dem Thro:
ne des Vaters der Menfchen gu erheben : fie
tieben fie alle, als Nachahmer eines güti-
gen Gottese der Geiſt des Friedens und der
Eintracht beſeelt ihre Handlungen, fo fehr
als ihre Reden; auch find fie, tie ich fchon
gefagt;' burchgaͤngig geliebt. Wir. haben
einen fromnien Praͤlaten, der mit feinen Pa⸗
fioren wie mit feineß gleichen, wie mit feis
nen Brüdern, lebt.
Por’ dem viersigften jahre gelangt nie⸗
mand zu dieſen Stellen: denn um dieſe Zeit
fangen erſt die heftigſten Leidenſchaften an
ſich zu legen, und die ſo langſame Vernunft
in dem Menſchen ihren friedlichen Zepter zu
führen Ihr exemplariſches Leben zeiget
den hoͤchſten Grad der menſchlichen Tugend.
Sie ſind es, die den Niedergeſchlagenen troͤ⸗
ſten, die dem Elenden einen guͤtigen Gott
zeigen, der uͤber ſie wachet und ihren Kampf
2m) 133 (u |
bemerkt, um fie einfteng zu belohnen. ‚Sie
ſuchen die Dürftigkeit,: die fich unter. dem
Mantel der Schaan verbirgt, auf, und leis
ſten ihr Beyſtand, ohne fie roch zu machen,
Sie fühnen feindfelige Gemüther aus, ie
dem- ſie ihnen Worte der Sanftmuth und
des Friedens vorhalten. Die hartnädig«
ſten Feinde umarmen einander in ihrer Gen
genwart, und: in ihren geruͤhrten Herzen ver⸗
fehließen fih ihre Wunden. Endlich erfüh
ten fie alle Pflichten der Menfchen, .die im
Namen bes Ewigen ze reden fich wagen: .
— Wie fehr liebe ich diefe Geiftlichen,
verfeßte ich: Aber Habt Ihr denn feine folche
Leute unser Euch, die ganz befonders; be⸗
beſtimmt find, "zu: allen Stunden des
Tages Gefänge, Pfalmen und Hymnen: durch
die Naſe Herzubrummen? Keinen, der die Ca⸗
nonifation füchet ? Was ift aus dieſer gen
worden? Wo find Eure Heiligen? — Ins
fere Heiligen! hr mennet ohne Zweifel dies
jenigen, die auf einen hoͤhern Grad der Voll⸗
kommenheit Anſpruch machen, bie fich über
die menfchliche Schtwachheit erheben? Ja,
wir haben folche himmliſchgeſtunte Männer:
aber hr werdet mir. leicht glauben, daß fie
nicht ein finfteres und einfames Leben fuͤh⸗
ae) 134 ( nk
ren: daß fie fich nicht ein Verdienft daraus
machen, zu faften, ein elendes Latein herzu⸗
plerren und ſtumm und dumm ihr Lebelang
zu bleiben : fie geigen die Stärfe und Stand⸗
baftigkeit ihrer Seelen in vollem Lichte,
Wiſſet alſo, daß fie ſich freymillig allen
ſchweren Arbeiten unterziehen, vor denen
bie übrigen Menfchen zurückbeben : fie glau⸗
ben, daß gute Werke dem lieben Gott ange.
nehmer find, als Opfer.
Koͤmmt e8 zum Erempel darauf an, Fr
den fchmerften, ben unangenehmften, den ge-
faͤhrlichſten Gefchäfften zu überlaffen, als
mitten in eine Fenersbrunft auf glühender
Aſche zugehen, fich ine Waffer zu flürgen,
im einem Unglücklichen das Leben zu ret-
un, uf. w. fo erfüllen fie dieſe edelmuͤ⸗
thigen Dflichten bes allgemeinen Beften mit ei-
nem thaͤtigen Muche, durch ven großen und
erhabenen Gedanken ſich müßlich zu machen,
und bie Empfindimgen des Schmerzens ih⸗
von Mitbürgern zu erfparen. Sie machen
fich dieſe Befchäfftigungen mit fo viel mehr
Sreude und Vergnügen zur Pflicht, als ob
e8 bie füßeften, die angenehmſten, wären:
fie thun alles aus Menfchenliebe, alles fürs
Baterland, ımb niemals etwas für fich.
ame) 135 (a .
Einige fißen angebefftee an ben Betten dep
Kranken und warten fie mit ihren eignen
Händen: fie fcheinen Eflaven; bie ein Th⸗
rann in «in eifernes Joch gebeut. Aber
diefe menfchenliebenden Seelen haben bloß
zur Abſicht dem Ewigen dadurch zu gefallen
daß fie ihrem Naͤchſten dienen: von ihm er.
warten fie den Lohn: denn die Aufopferung
der Freuden dieſer Welt gründet fich auf eis’
nen mwefentlichen Nugen und nicht auf einen
bigotten Eigenſinn.
Ich brauche Euch wohl nicht zu fagen,
daß unſere Ehrerbietung ihnen ſowohl durch
ihe ganzes Leben als aud) nad) ihrem Tode
folget: und da unfere lebhaftere Erfänntlich«
feit nicht zureichen würde, fo überlaffen wir
e8 dem Urheber alles Guten, diefe unermeß⸗
ne Schuld zu bezahlen, in der gewiſſen Ue⸗
berzeugung, daß er es allein if, der dag
richtige Maag verdienter Belohnungen kennt.
Dieß find die Helligen, die wir verehren,
ohne etwas anders zu glauben, als daß fie
die menfchliche Natur, deren. Ehre fie find,
sollfommner gemachte haben. Sie thun
feine andern Wunder, als die ich Euch ge.
fagt habe. Die Märtyrer des Chriften-
thums haften ganz-gewiß ihre große Würde.
rn) 16 Cu
Es wor ohne Zweifel ſchon, Tyhrannen ‚der
Seele Tratz gu: bieten. den ſchrecklichſten Tod
eher zu erdulten, als bie Wahrheit zu verlaͤug⸗
nen, die man mit Verſtand und Herzen an⸗
genommen hats aber esliſt eben ſo groß, ein
ganzes: Kehen immer neuen beſchwerlichen
und. felbft »Enechtifchen Werfen zu widmen,
ſich zu heßaͤndigen Wohlchätern der gefränf:
tan und klagenden Menfehlichkeit zu machen;
ale Throaͤnen, die fließen 2), zu trocknen, bie
Vergießung eines einzigen. Tropfen Blutes
zu ‚hindern, ihm: zuvor. zu kommen. . Diefe
“r 3y Ohr Parlamentorath hatte im letzten Jahr⸗
hunderte fein ganzes Vermögen den Armen geges
bey. Daeg nichts mehr hatte, fo bettelte er uͤder⸗
all für fi fie. Einſt begegnet er einem Generalpach⸗
tet auf der Straße, hängt ſich an, und verfolgef
ihn; mit den Worten: Etwas für meine Armen:
Erwas für meine Armen! Der Generalpachter
widerſetzt ſich ihm, und antwortet in der gewoͤhn⸗
Uichen Formel: Ich kann nichts für fie thun,
“mein Zerr; ich kann nichts chun. Der Kath
1äft Ihm nicht fort, predigt ihm ver, dringt in ihn,
verfolgt ſhn bis im fein Hotel, ſteigt ihm nach in
fein Zimmer, fängt Immer an von neuem zu bitten,
treibt ihn bis in ſein Sabinet, immer für feine Are
men flebend. Der Millionen reiche brutale Geiz⸗
bald giebt ihm endlich, voller Ungeduld, eine Ohr⸗
feige. Nun wohl! verfent der Rath, dr babe
Ye sone für nich und meine Armin“
OD) 137 (RE
anßerordentlichen Menſchen ſtellen ihre &>
bensaͤrt nicht als Muſter dar denen Mais
folgen muͤſſe: He ruͤhmen ch nirht ihre
Heldenmuthes:s fie: erniedrigen: fidy! niit:
um die oͤffentliche Ehrerbierung auffichrye
ziehen: vornämlich tadeln fie nicht die Feh⸗
ler ihres Naͤchſten: vielmehr find’ fie auf
merffam, ihnen ein fanftes und gemaͤchliches
Leben: zu verfchaffen, eine Frucht ihrer un⸗
zählbaren Sorgen. Wenn diefe edlen Sees
Jene fich wieder mit dem ewigen Weſen verei⸗
niget haben, von dem fie ihren: Urſprung
erhalten, fo, fchließen wir ihre Leichname nicht
in ein noch fehlechter Metall ein: wir: ſchrei⸗
ben ihre Lebensgefchichte und: füchen fie
nachzuahmen, wenigſtens in einzelnen Din⸗
gen — Je weiter ich gehe, deſto unerwarteg
tere Veränderungen entdecke ich. — Ihe
werdet noch viele andere ſehen! Wenn nicht
zwanzigFedern eben dieſelbe Sache begeugten,
fo würde ich gewiß die Geſchichte Ejres Jahr⸗
hunderts in Zweifel ziehen. Wie! die Dienge
des Altars waren unruhige Köpfe, Nottie,
rer, intolerante Menfchen? Elende Würmer
verfolgten und haften einander während
dem Raum ihres kurzen Lebens, weil fie nicht
einerley, oft über eitle Spitzfuͤndigkeiten und
Som) 138 (Zur
unbegreifliche Dinge, dachten ?. ſchwache Ge⸗
ſchoͤpfe hatten Die Vermeſſenheit, die Abfich«
ten des Allmächtigen errathen zu wollen, in
dem fie diefelben mit bem Stempel ihrer fin:
difchen, ſtolzen und thorichten keidenſchaſten
bezeichneten?
Ich habe geleſen, daß diejenigen, die am
wenigſten Liebe des Naͤchſten, und mithin
am wenigſten Religion beſaßen, eben dieje⸗
nigen waren, bie fie andern predigten: daß
man ein ordentlich Handwerk daraus mach⸗
te, Gott anzurufen: daß die Zahl bererfent«
gen, bie ben einträglichen Roc, das Pfand
einer unthätigen Saulheit, trugen , fich auf
eine ganz unglaubliche Art vervielfälfiget hate
fe: kurz, daß fie in einem Äärgerlichen Coli⸗
bate lebten 2). Man febt hinzu, daß Eum
Kirchen den Marfeplägen glichen, daß Auge
and Nafe auf gleiche Weife beleidiget wur⸗
den, daß Eure Ceremonien mehr gemacht
waren, zu zerfireuen, als die Seele zu Sort
zu erheben - » - Aber ich hoͤre die heilige
Trompete; die durch ihre erbaulichen Tone
2) Was für ein Verderben für den Staat, eine
sahlreiche Geiftlichkeit, die oͤffentliche Gelübde
thut, fich mit keiner Fran, als der Grau eines an⸗
dern einzulafien.
|
3a) 139 ( eerke
bie Stunde. des: Gebets ankuͤndigt. Kom⸗
met, lernet unſere Religion: kennen, lernet
in dem benachbarten Tempel dem Schöpfer
danffagen, daf Ihr kine Sonne habt ſehen
aufgehen. 2 2
Neunzehntes Kapiiel.
Der Tempel.
Wie giengen um die E de einer. ‚Straße,
und ich fahe in der. Mitte eineg
fchönen Plages einen Tempel in der Ger
ſtalt einer Rotunde mit einem prächtigen
Dome gekrönt, Dieß Gebaͤude, dag von
einer einzigen Neihe Säulen gehalten wur⸗
de, hatte vier große Thuͤren. Auf jedem
Fronton las man die Aufſchrift: der Tempel
Gottes. Die Zeit hatte ſchon feine Mauern
mit einer ehrwuͤrdigen Farbe überzogen und
er erhielt dadurch ein noch ‚majefiätifcher
Anfehen. Wie groß war mein Erffaunen,
als wir an die Ihüre des Tempels kamen,
und ich auf einer Tafel die vier Zeilen las:
Kaßt uns nicht über diefes böchfte Yes
fen entfcheiden,
Sondern ein tiefes Stillefchweigen ber
obschten und ihn anbeten;
U
m) 140 (Eur
Seine Tatur ift unermeßlich und unfes
Geiſt verliert fich darinnen,
Am zu wiflen, was er iſt, muß man Be
LE 4 ſelbſt ſeyn.
M was das anbetrifft, ſagte ich mit lei—
fer Stimme, fo koͤnnet Ihr wohl nicht fagenr
Daß biefe Zeilen von Eurer Zeit = = = deſto we⸗
niger Ehre, erwiederte er, ift es für die Eu⸗
rige: denn Eure Gottesgelehrten follten hier
ben ftehen bleiben. Uber biefe Antwort, die
Gore felbft eingegeben zu haben fcheint, iſt
unter anbern Verſen verfteckt geblieben, von
denen man nicht viel Werks machfe. In⸗
deſſen weiß ich doch nicht, ob eg, dem Sinne
nach, den fie einfchließen, ſchoͤnere geben
koͤnne, und fie fcheinen mir bier am rech⸗
ten Drte gu flehen.
Mir folgten dem Wolfe, welches mit eis
ner geſetzten Miene, mit einem befcheidenen
und ruhigen Schritte den Tempel anfüllte.
Jedes feste fich auf Reihen von Stühlen
ohne Lehne, und die Männer waren von
Meibern abgefondert. Der Altar war im
der Mitte: er war von allem Schmucke frey,
und jedes fonnte ben Priefter fehen, der den
Weyhrauch brennen lich. In dem Augen:
Blicke, wo feine Stimme die heiligen Gefänge
t
27) UI (ek
erhob, ftimmte bag Chor mechfelgweife die
feinigen an. Ihr fanfter und ‚gemäßigter
Gefang drückte die ehrerbietige Empfindung
ihres Herzens aus: fie fihienen von der
goͤttlichen Majeftät durchdrungen. Keine
Bildfäulen, keine allegorifchen Figuren, kei⸗
ne Gemälde »).. Der heilige Name Gottes,
der taufenbmal wiederholet und in. vielen
Sprachen gegeichnet war, bedeckte alle Maus
ern. Alles Fündigte einen einigen Gott an
und man hatte forgfaltig allen fremben Zier⸗
rath verbannt: Gott allein war endlich i Ih
feinem Tempel.
Mennyman ‚die Augen zum Tempel em⸗
por hob, ſah man den freyen Himmel; denn
ber Dom war nicht durch cin ſteinern Ge
woͤlbe gefchloffen, fondern mit durchſichtigen
großen Scheiben. Bald fündigte ein. reiner
und heitrer Himmel die Güte des: Schöpferg
an: bald fchilderten finftre Wolfen, die fich
in Strohmen ergoffen, die Sinfterniß des
Lebens an, und erklärten, daß dieſe traurige
Erde bloß ein Drt des Elendg fey: dei Don⸗
ı) Die Protehanten haben Recht. Alle diefe
menſchlichen Werke machen dag Volk zur Abgöttes
ren geneigt. Um einen unfichtbaren und gegen
wärtigen Gott anzufündigen, muß ein Tempei ſeyn,
wo niemand iſt, als er.
Se) 142 ( ei
ner prebigte, wie fürchterlich" dieſer Gott
fen, wenn er beleidiget wirb: und die wieder
ruhige Luft, die den entflammten Blitzen
folgte, daß eine reuige Demuͤthigung 'fel
ne rächende Hand entwaffnet. Wann
der Hauch bes Fruͤhlings, bie 'reine Luft
des Lebens, wie einen balfamifchen Strohm
herabträufeln ieh, fo drückte dieß bie
beilfame und troftliche Wahrheit ein, daß
bie Schäße ber göttlichen Guͤte uner⸗
fhöpflih find. So fprachen: die Elemente
und die Jahrsseiten, deren Stimme für den⸗
jenigen fo beredt ift, der fie verfteht, zu bier
fen empfindlichen Menfchen, und entbechten
ihnen den Herrn ber Natur in allen feinen
Besiehungen 2).
Man hörte nicht mißflingende Tine,
Selbft Die Stimme der Kinder war zu einem .
holen majeftätifchen Geſange gebildet. Kei⸗
ne hinfende und profane Muſik. Ein blof
feg Spiel der Orgel, (das aber nicht rau.
fehend war,) bealcitete die Stimme dieſes
2), Fin Wilder, der in Wäldern irret, den Him⸗
Mel und die Natur berrachtet, und, fo zu ſagen,
den einzigen Herm,. den er kennt, fühlet, iſt der
wahren Religion ndher, als ein Tarthäufer, der im
feiner Clauſe feet, und fich mit. den Phantomen
einer erbigten Einbildungstraft unterhält.
) 143 ( rer
großen Volks, und ſchien der Gefang ber
Unſterblichen, ber ſich in die oͤffentlichen
Geluͤbde miſchte. Niemand fam: während
des Gebets herein ober lief hinaus. Ken
grober Schweizer, fein .ungeftümer Bettler
unterbrach. die Andacht der fremmen Beter
Alle Anweſende waren von einer: heiligen
und tiefen Ehrfurcht durchdrungen: : viele
fagen auf den Knien, mit dem Gefichte zur
Erde gebeugt. Mitten unter diefem Stile
fehweigen, biefee allgemeinen Aufmerkſam
feit, bemächtigte fich meiner ein heiliger:
Schauer: es fchien mir, ale ob die: Gofte |
heit in den Tempel herabgeftiegen ſey und
ihn mit ihrer Gegenwart erfülle.
E8 waren an den Thüren Büchfen file
die Armen, aber fie waren an dunkle Oerter
geſetzt. Dieß Wolf hatte Werke der. iche
ausüben gelernt, ohne daß fie mußten bes
merkt werben. Enblich wurde in den Aus
genblicken der Anbetung eine tief® Stille
fo heilig beobachtet, daß die Heiligkeit. des
Orts, mit dem Gebanfen des höchften We⸗
fens verbunden, in aller Herzen einen ges
waltigen und heilfamen Eindruck machte.
Die Ermahnung des geiftlichen Hirten
an feine Heerde war fimpel, natürlich, mehr
a En
varch die Sachen, als milch den Stil de⸗
went. Er rebete bloß von Gott, um ihn
Hebensmihbig zn machen: von den Men
fchen; um fie zur Demuth, Sanftmuch und
Gedrult zuermuntern. Er bemuͤhte ſich niche
ven Bitz reben zu laſſen, indeſſen daß er dag
Herz ruͤhren ſollte. Es mar ein Vater, der
fich mit ſeinen Kindern über die Wahl un⸗
terhieft; die ihnen am zutraͤglichſten zu thun
wäre: Dan war defiomehr davon durch
derungen, da diefe Lehre ans dem Munde
eines: volkkommen rechtfchaffenen Mannes
floß. Es wurde mir die Zeit nicht lang: denn
ſeine Rede war weder mit Declamatidnen,
weitlaͤuftigen Schilderungen. noch geſuchten
Figuren angefuͤllt, am wenigſten aber mit
abgetiſſenen Stellen aus Dichtern, die in
eine Proſe verſchmolzen waren, welche ges
meiniglich dadurch befto kaͤlter wird 5).
3) hc mir bauptfachlich an unſern Predigern
mißfaͤllt, ft daß ſie keine feſten und ſichern Grund.
fäge in Abſicht auf die Moral Haben: fie holen ihre
Vorſtellung aus ihrem Texte, nicht ans ihrem Her:
zen: beute find fie maͤßig, vernünftig: morgen find
fie unverträglich, ausſchweifend. Es find nur Wor⸗
te, die fie vorbringen: eö liegt ihnen fo gar wenig
daran, wenn fie fich auch mwiderfprechen, wenn nur
ibre drey Punkte richtig beobachtet find. <sch habe
HD) 145 ( iunide
Yuf diefe Art, fagte mir mein Führer,
pflege man alle Morgen eine Sffentliche Bet⸗
ſtunde zu halten. Sie dauert eine Stunde
‚ und den Reſt des Tages bleiben die Thuͤren
diefes Gebäudes verfchloffen. Wir haben
feine Heiligenfefte: aber wir haben Bürger
liche, an denen das Volk ausruht, ohne fich
Yusfchweifungen zu überlaffen. An feinen
Zage foll der Menſch ganz müßig bleibens
nach dem Benfpiele der Natur, die niemals
ihre Thätigkeit verläßt, fol er ſichs auch zum
Gewiſſen machen , bie feinige aufjugeben.
Die Ruhe ift nicht Muͤßiggang. Die Uns
thaͤtigkeit ift ein wahrer Verluft, ber auf bag
Vaterland zurücke falt, und der Muͤßiggang
ein Eleiner Tod. Die Zeit bes Gebers if
beftimmt:: fie ift zureichend, um das Herz zu
Gott zu erheben. Ein langer Gottesdienk
führet Laulichkeit und Efel herbey. Ale ges
heime Gebete find weniger verdienftlich, als
diejenigen, bie bie Öffentliche Ausübung mis
Innbrunſt vereiniget.
Hoͤret die Formel des unter ung gewoͤhn⸗
lichen Gebets. Jedes wiederholet fie und den⸗
ket allen Gedanken nach, die es in ſich begreift:
einen gehoͤret, der die En eyelopaͤdie pluͤnderte, und
anf die Eucyklopaͤdiſten re"
Ze ) 146 ( ge
> „Einiges, unerfchaffenes Weſen, weiſer
Schoͤpfer dieſes ungeheuren Weltgebäudes!
Da deine Guͤte daſſelbe dem Menſchen zum
Schauplatze angewieſen, ba ein ſo ſchwaches
Geſchoͤpf von .bir bie koſtbaren Gaben ent
pfangen, über biefed große und ſchoͤne Werf
nachzudenken, fo geftatte nicht, daß es nach
dem Beyfpiele unvernuͤnftiger Thiere fein Le-
ben auf der Oberfläche dieſer Kugel zubringe,
ohne deiner Allmacht und Weisheit zu huldi⸗
gen. Wir bewundern deine erhabenen Werfe.
Wir fegnen deine regierende Hand. Wir beten
dich als. unfern Herrn an: aber wir lichen
dich auch. ale. den Vater aller Wefen. Sa,
du bift eben fo gütig, als du groß bift: al-
les fagt es und, und. hauptfächlich unfer
Herz Wenn einige vorübergehende Uebel
uns. hienieden ängftigen, fo gefchieht ed ohne
Zweißel, weil fie unvermeidlich waren; mir
unterwerfen uns mit Eindlichen Vertrauen,
und hoffen .auf beine unenbliche Barmher⸗
zigkeit. Wir murren nicht: nem, wir dan⸗
fen Dir vielmehr, daß du ung gefchaffen
haft, dich zu erfennen.
D daß dich doch jeder nach feiner Art
- und nach dem was ihm ſein Herz am zdrt,
Jichfien und brünftigften eingeben kann, vers
ai) 147 ( rare
„ehren nidchte! wir wollen feinem Eifer kei⸗
ne Gränzen ſetzen. Du würdigeft ung,
mit ung d die laute Stimme der Ras
ter gu reden. Unſer ganzer Dienft ift, daß
wir. bichianbeten, bir banken, zu beinem
Throne fehreyen, daß mir ſchwache, elende,
eingefchränfte Geſchoͤpfe find, und daß wir
beiner hilfreichen Hand nöthig haben. . °
Seren wir ung in fo fern ald eine Ast
des Gottesdienſtes, fie fen alt ober nen, de
nen Augen angenehmer‘, 'ald der unſrige iſth
ach! fo oͤffne ung die Augen. Zerſtreue dit
Sinfterniffe unferg Geiſtes: du wirſt uns
gehorſam fuͤr deine Gebote finden. Aber
gefallen dir die ſchwachen Opfer, die wir
beiner Größe, deiner wahren väterlichen
Liebe ſchuldig find, fo gieb uns die Stand⸗
haftigkeit in dieſen ehrerbietigen Geſinnun⸗
gen, die uns erfuͤllen, zu beharren. Erhal⸗
ter des menſchlichen Geſchlechts! bu, ber du
es mit einem Blicke umfaſſeſt, gieb doch,
daß die Liebe ebenfalls die Herzen aller Be⸗
wohner dieſer Erde umfaſſe, daß fie einan⸗
der alle, wie Bruͤder lieben, daß ſie dir ein⸗
muͤthig eben’ ben Lobgeſang ber Liebe und
des Dankes bringen.
..
Ra
Die ) 148 ( eine
BE wagen es nicht, unſern Wuͤnſchen,
der Dauer unſers Lebens, Graͤnzen zu ſe⸗
tzen. Du magſt uns num aus dieſer Welt
Biumwegnuehmen, ober: ung noch bier laſſen,
fo werden teir beinem Blicke doch nicht ent⸗
schen. Wir bitten dich nur um Tugend, in der
gZurcht, daß wir deinen unburchbringlichen
Nathſchluͤſſen zuwiderhandein: aber gieb, daß
wir in Demuth und Unterwuͤrfigkeit uns ganz
deinem Willen ergeben; und zeuch ung zu bir,
In ewige Quelle des Glücks, es fey num, daß
wir durch einen fanften, oder burch ſchmerz⸗
haften Tod von dannen geriffen werben
Unſere Herzen ſeufzen nach beiner Gegenwart.
BD: daß dieſes fierblide Gewand fallen
ud wir ung zu deinem Schooße aufſchwin⸗
gen mochten! Was wir von deiner Größe ſe⸗
ben, erregt in ung das Berlangen ein mehrere
davon zu fehen. Du haf zum Beſten bes
Menfchen nur allzuviel gethan, als du fei-
sen Gedanken nicht Kuͤhnheit einflößen foll-
teſt! er erhebt zu dir fo brünftige Wünfche
bloß, weil dein Gefchönf für beine Wohl⸗
thaten fich geichaffen fühle. „ —
Aber, fagte ich, mein lieber Herr, Eure
Religion, wenn ich es fagen darf, ift bey-
nahe einerlen mit der alten Patriarchen ih⸗
rer, bie Gott in Geiſt und in ber Wahrheit
auf den Gipfeln der. Berge anbeteten. —
Gang recht, Ihr' habt den eigenthuͤmlb
hen Ausdruck gefunden. Unſere Religion,
iſt die Religion des Adam, Enoch und Elias:
und dieß HE doch wohl die aͤlteſte. Es ik
mit der Metigion, wie mie dem Gefeße: bie
fimpelfte ift die beſte. Gott anderen, feinen
Mächften lieben, dag Gewiſſen, dieſen Rich⸗
ter horen, der immer in uns wachet, nie
mals diefe himmlifche und geheime Stimme
erſticken; alles uͤbrige ifr Betrag, Schelme⸗
ren und Lügen. Unſere Prieſter geben nicht
Bor, daß auf ihnen ausſchlleßungsweiſe Sog
tes Geift ruhe: fie nennen ſich unfre Bruͤ
ber: fieigeflehen, daß fie wie wir im Sim
fern wandeln: fie folgen dem Lichte, das
ims Gott zu zeigen gewuͤrdiget: fie zeigen
es ihren Brübern ohne Herrfähfucht, ohnt
Prahlerey. Eme reine Moral und keine
ausſchweifende Lehren, dag iſt das Mittel,
weder gottlofe, noch fanatifche, noch aber»
glaͤubiſche Menfchen zu haben. Wir haben
dieß glückliche Mittel gefunden ,: und wik
danken dafür aufrichtiget dem Urheber alles
Guten.
on
“
ee ) 150 ( er
Ihr betet einen Gott an: aber laſſet
Ihr auch die Unſterblichkeit der Seele zu?
Was iſt Eure Meynung ͤber dieſes große
‚ind. undurchbringliche Geheimniß ? Alle
Meltweifen haben es durchdringen wollen.
Der Weife und der Thor haben ihr Wort
darzu gegeben. Die verfchiedentlichften, die
poetifchfien Syfteme. find über diefen großen
Gegenſtand verfertiger worden. Gie-fcheint
vorzüglid) die Einbildungstraft der Geſetzge⸗
ber erwärmt zu haben, Was denkt Euer Jahr-
hundert davon? — Man braucht nur Au-
gen, um anzubeten, antwortete er mir: man
Broucht nur in fich felbft zu geben, um zu
fühlen, daß etwas in ung fey, welches lebet,
welches empfindet, denfet, will, entfchließt.
. Wir ‚glauben, daß unfere Seele von ber Ma⸗
terie werfchieden, daR fie ihrer Natur nach
verſtaͤndig iſt. Wir vernünfteln wenig über
diefe Sache: wir wollen lieber alles glan-
ben, was die menfchliche Natur erhebt. Das
Syſtem, daß die Vorſtellung von ihr. ver-
groͤßert, ift ung das liebſte: denn wir glau-
ben nicht, daß Begriffe, die bie Geſchoͤpfe
eines Gottes ehren, jemals falfch ſeyn koͤn⸗
nen. Indem wir; ben erhabenften Plan an-
nehmen, fo Betrügen wir ung gewiß nicht,
Same) 51 (uk
fondern treffen dag wahre Ziel. Der Un-
glaube ift eine bloße Schtoachheit, und die
Kuͤhnheit des Gedanfen ift der Glaube eines
verftändigen Weſens. Warum follen wir dem
Nichts zufriechen, indeffen daß wir- Flügel
fühlen ung big zu Gott aufjufchtwingen und
nichts diefer edelmüthigen Verwegenheit wi⸗
derfpricht? Wäre es ja moglich, daß wir
ung betroͤgen, fo wuͤrde ber Menſch alfo eis
ne ſchoͤnere Drönung ber Dinge erdacht has
ben, als diejenige ift, die wirflich. exiſtiret;
die hoͤchſte Macht ⸗ würde alfo keine Graͤnzen
haben: ich möchte faſt lieber fagen, ihre Güre,
Wir glauben, daß die Seelen ihrem Weſen
nach gleich, ihren Eigenſchaften nach verſchie⸗
den ſind. Die Seele eines Menſchen und el⸗
nes Thieres ſind auf gleiche Weiſe immateriel:
aber die eine hat einen Schritt weiter zu dem
Vermoͤgen ſich vollkommner zu machen ge⸗
than: und das machet ihren gegenwaͤrtigen
Zuſtand aus, der ſich gleichwohl aͤndern kann
Wir glauben ferner, daß alle Geſtirne
und alle Planeten bewohnt ſind: aber daß
nichts von dem, was man in dem einen
ſieht, oder empfindet, ſich auch in dem an⸗
dern finde. Dieſe unbegraͤnzte Macht, die⸗
fe unendliche Kette ber. verſchiedenen Wel⸗
ze) er
ten dieſer längende ‚Zirfel gehörte zu dem
gt sh der Schäpfung: Run wohl!
siepe € Nein dieſt ſo fehönen, ſo großen,
ih 3 fie Freugen fi ſich, fie Haben eine Be⸗
chung auf einander und eine iſt der audern
ir seokünet, Die menfchliche Seele ſteigt
Ma Welten, wie auf einer glaͤn⸗
Header Sl der hoͤchſten Bolltommen-
HEIL HAher bringt. Auf biefer Kelſe verliert
fie nicht "das Andenfep deffen, was fie geſe⸗
He ind gelernt bat: fie behält das Maga⸗
iin ihrer‘ ideen, es ift ihr liebſter Schaß,
Me trägt ihn ÜberaN mit ſich Hin. Hat fie
ſich zu einer. erhabenen Entbeckung empor
geſchwungen, fo läßt fle die mit Einwohnern
bevoͤlkerten Welten hinter fich, welche unter
ihr geblieben find: fie ſteiget nach dem Ver⸗
haͤltniſſe der Kenntniſſe und Tugenden, die
fie erlangt hat. Die Seele des Neuton hat
ſich durch Ihre eigne Kraft zu allen diefen
Sphären aufgeſchwungen, die er gemeffen
hatte. Es wuͤrde ungerecht feyn, zu den⸗
fen, daß der Hauch des Todes diefen mäch-
Yigen Geiſt ausgeloͤſcht habe. Diefe Ver⸗
2 183
nichtung wůrde Hänriger „ Inbegr sflicher
fehn, als die Jerſtdeung der —
Ten Welt. Es Wurbe eben fo bgefchmacht
ſeyn, mehr itian ſagen Wollte, feing Seele
waͤre nicht beffer ald bie @kele‘ eines unnip
fenden ober dummen Menfchen. In der
Spät, wuͤrde es dem Menfchen unnisge ſeyn
feine Seele volllommner zu machen, wenn
fie fich nicht entweder durch daS Nachden
Ten; oder durch die Ausübung der Tugend
erheben ſollte: aber eine innere Empfine
dung, die weit ſtaͤrker iſt, als alle Einwͤ
ruft ihr zus Entwickle alle deine Beäfte,
verachte den Tod: nur die koͤmmt es zu
ihn zu aͤberwinden und dein Leben zu vor“
mehren, welches der Gedanke iſ.
Was die fricchenden Seelen anbetriſſn
die in den Schlamm des Laſters ober
dee Faulheit herabfinfen , fb kehren fe
wieder zu dem Punkte zuruͤck, von dem fie
gekommen find, "ober gehen zuruͤck. Lange
Zeit hängen fie an ben traurigen Ufern 1
Nichts, fie neigen fich der Materie zu, fle
machen eine thierifche und niebrige Gattung
aus: und indeffen daß die eblern Seelen ſich
gu dem göttlichen, ewigen Lichte aufſchwin ⸗
gen, fürzen fie ſich in die Finfernig, 0a
u) 154 (ii
kaum ein bleicher Strahl der Erifteng auf
fie faͤllt. Jener Monarch wird nach feinem
Hintritte ein Manlwurf: dieſer Minifter ei⸗
ne- giftige Schlange, der anftecfende Mo⸗
raͤſte bewohnet: inbeffen, daß ber Schrift
fieller, den er verachtete, oder nicht kennen
wolle , einen glorreichen Rang inter
ben menfchenfreundlichen Beiftern erhalten
Bat.
2. Buthagoras hatte diefe Gleichheit ber
Seele gemerkt; er hatte biefe Wanderung
von cinem Körper in den andern empfunden:
aber diefo Seelen liefen nur in einerley Zir-
kel herum und verließ ihre Kugel niemals.
Unfere Wanderung iſt vernünftiger ausge:
dacht und erhabener, als bie alte. Diefen
edeln und großmüthigen Seelen, bie das
Gluͤck ihrer Mitgefchöpfe zum Leitfaden ih⸗
res Betragens gewählt, Sffnet der Tod eine
herrliche und glänzende Bahn. Was ben-
fee Ahr von unferm Syſtem? — Es ent
gückt mich: es widerforicht meber der Macht
noch der Güte Gottes. Diefer Fortgang,
diefes Auffteigen in verfchiedene Welten, alle,
Werke feiner Hände, biefe Beichauung ber
Schöpfung der Welten, alles fcheint mir ber
Wuͤrde des Monarchen angemefien zu ſeyn,
Se) 155 ( re
ber alle Gebiete feiner Herrſchaft dem Auge
öffnet, das geſchickt iſt, ſie zu betrachten. —
Ja, mein Bruder, antwortete er mit Ent
zuͤcken, welche intereſſante Vorſtellung, alle
dieſe durchreiſeten Sonnen, alle dieſe Seelen,
die ſich in ihrem Laufe bereichern; wo fie
Millionen Neuigkeiten finden, fich unaufhoͤr⸗
lich vollkommner machen, immer erbabener
werden, je mehr fie fich dem hoͤchſten We⸗
fen nähern, ihn immer vollfommmer erken⸗
nen, ihn mit einer reinern Liebe. lieben, ſich
in den Deean - feiner Größe verſenken!“ MO
Menfch, freue dich! du mußt Wunder über
- Wunder entbecfen; ein: immer neues ımb
außerordentliches Schaufpiel wartet deiner;
beine Hoffnungen find ‚groß: du wirft den
unermeßlichen Raum der Natur durchlan.
fen, biß daß du dich in dem Gotte verlieren
wirft, von dem fie ihren hohen Urſprung
erhielt — Uber die Gottloſen, rief ich, die
dem natürlichen Gefege zuwidergehandeit,
bie ih? Herz dem Gefchreye des Mitleidens
verfchloffen , die die Unſchuld gewuͤrget,
nur für fich alleine geherrfchet haben,
was wird aus bdiefen werden? Ohne von
Haß und Rachsier zu brennen, würde ich mit
meinen eignen Händen eine Holle bauen, um
En ) 156
gewiſſe ytaufame Seelen: hinein. gu frürzen,
die beyn /dem Anblicke ber. Uebel, die fie
auf ben Schwachen und Gerechten, gehaͤuft,
mein Blut vor Unwillen in Wallen gebracht
Baden: m: El koͤmmt unſerer Schwach⸗
Seit, die ſo vielen Leidenſchaften noch unter⸗
worfſen iſt, nicht. zu, über die Art, wie fie
Bott: fidafen: wird, zu entſcheiden: aber gang
gewiß wird der Gottlofe die. ganze Gewalt
deiner Gevechtigkeit fuͤhlen. Weit entfernt
son ſeinen Augen wird jeder Treuloſe, Gran⸗
Sen; fuͤr· auderer Weh Unempfindliche, ſeyn.
Niemals. werben ſich die ‚Seelen eines So⸗
drates inden eines Marc Auprel. mit. der Seele
eis: Rosp- treffen ı- fie werden allegeit. un:
endlich weit: von einander. entfernet ſeyn.
ODas Shnnar wir gewiß glauben. ‚Aber ung
doͤmmt es nicht zu, dieſe Gewichte zu meſſen,
die in ‚die ewige Wagfchale werben gelegt
senden Wir glauben, daß die Schler, die
wicht. gänzlich -den menſchlichen Verſtand
verdunkelt haben, daß das. Herz, das ſich
acht bis zur Unempfindlichkeit erniebriget
Hat, daß die Könige felbft, die fich nicht für
Götter gehalten, fich werden reinigen koͤn⸗
am, wenn: fie:fich während einer langen
Reihe von. Jahren beſſern. Gie werben in
SED ) 157 ( ar
Welten verſetzt werben, wo daumbarwdiegen
de phyſtſcher Uebel bie heilſune⸗ OAuche ſeya
wird, die ſie ihre Abhaͤngigkritz/ und wie ſehr
feinet Gnade noͤthig haben, wird ſuͤhlen laß
fen und die Verblendang ihres Stolzes hiet
wegnehmen wird : Demuͤthigen fifichtiug
fer der zuͤchtigenden Hand: Gottts, Rlgen
fe: dem Lichte der Bernunft, am ſich zu uc
tertberfenj. erfennen fie, wie ſehr ſit von nu
Stande, zu bemifie gelangen kounten, u
ferhet touren, wenden fie: einige: Kraͤfte ing
dahin zul'gelungen, fo wird / ihre Pilgruu
ſchaft ungemein verkuͤrzet werden: fie. mai
Ben in ben Bluͤche ihrer Yahınıflenken ı man
wird fie beiveinen x indeſſen/ daß / ſto vey: dain
Abſchiede von dieſer traurigen Erde laͤcheln
aber zugleich über. das Schickfak ikferuigent
feufsen werden, bie fie auf. biefem angluͤckin
‚hen Planeten, von dem fie fich losgeriſſen
hinterlaffen müßen. Mithin weiß beri ige
den Tod fuͤrchtet, nicht, was en fuͤrchtet
Seine Schrecken find Kinder ker: Unwiſſen
heit, und diefe Unwiſſenheit iſt die erſte Stra
fe ſeiner Fehler. | ET NE
Vielleicht werden auch bie. ſtrafbarſten
die £oftbare Empfindung ber Freyheit ven
lieren. Sie werben nicht vernichtet wer⸗
Hape) 153 ( ie
ben: denn ber Gedanke der Vernichtung: ift
ung zuwidere es giebt fein-Niches unter ei⸗
nem fchaffenden, erbaltenben und erneuern-
den Gott. Der Gottloſe fchmeichle -fich
uicht, daß er ſich in daſſelbe werde ſtuͤrzen
Sinnen: ‚er wird von dem. unumſchraͤnkten
Auge, das alles durchdringt, verfolget wer⸗
den. Die Verfolger jeder Art werben
in ber letzten Claſſe der Exiſtenz auf eine finn-
Ipfe Art lehen. Sie werden unaufhoͤrlich ei⸗
ner erneuerten Verwuͤſtung uͤberlaſſen wer⸗
den, die thre,Sflaverey; und ihren Schmerz
gugleich. erneuern wird : Taber Gott allen
weiß die:gelt,. wie lange er ſie firafen, ober
pann er fe Io8fprechen. folk.
v Zwanzigſtes Kapitel |
ST Der Praͤlat.
D: ſeht den: Mann, der snräßergeht! daB
ift ein Benfpiel eines lebenden Heiligen.
Diefer Mann, der ganz‘ fimpel mit einem
violerfarbenen Rocke bekleidet ift, fich auf
einen Stab fiüßet, und deſſen Gang und
Blick weder Stolg noch eine. gezwungene
Beſcheidenheit anfündigen, das iſt unfer Prd-
at — Wie? Euer Praͤlat zu Fuße? — Ja,
Han) 19 ( —⸗a
nach der Weiſe der erſten Apoſtel. Man hat
ihm inzwiſchen ſeit kurzem eine Saͤnfte ge⸗
geben, aber er-bebiener ſich derſelben mie in
äußerfiem Nothfalle. "Sein Einfommen fließt
faſt ganz in den Schooß der Armen: ehe
er ſeine Wohlthaten ausbreitet, erfundiget
er ſich nicht erſt zuvor, ob ein Menſch ſei
nen eignen beſondern Meynungen zugethan
ſey: es iſt ihm genug, daß er ein Menſch
if. Er iſt nicht vor: ſich eingenommen,
nicht fanatiſch, nicht hartnaͤckig, nicht ver
folgerifh : er mißbrauchet nicht ein. he
liges Anfehen, um fich in feinen Gedanken
dem Throne gleich zu feßen. Sein immet
heitereg Auge, ein Bild diefer fanffen, gleich“
muͤthigen und ruhigen Seele, die bloß ihren
Eifer und ihre Thätigfeit In der Ausuͤbung
des Guten aͤußert. Er fagt oft zu denen,
die ihm begegnen : Meine Freunde, die
Liebe, wie der heilige Panlus faget, geht
vor dem Glauben ber. Seyd woblthaͤ⸗
tig, und She baber Das Geſetz erfüͤllet.
Fuͤbret Euern Naͤchſten zurechte, wenn
ee ſich verirrt, aber ohne Stolz, obne
Bitterkeit. Martert niemanden ſeines
Glaubens wegen, und huͤtet Euch, Euch
in Euerm Zerzen demjenigen vorzuzie⸗
Br ) 10 (re
ben. der Ibr einen Sebler begehen feber:
Denn morgen werdet Ihr ‚vielleicht ſchul⸗
higer feyn, als er. Lehret bloß durch
Kuer Brempel, Valtet Rep nicht für
Enern Seind, der anders denket als Jor,
Fanatiſmus bat ſchon in feiner grau
famen Vartnaͤckigkeit nur zu viel Uebels ge⸗
ſtifftet, als daß Ihr ihn nicht in ſeiner ge⸗
ringſten Aeußerung perabſcheuen and ibm
zuvorkommen ſolltet. Dieſes Ungeheuer
ſcheint anfänglich dem menſchlichen Stol⸗
ze zu, fchmeicheln und die Seele, die ihm ei⸗
nen Zutritt vergönnt, zu erweitern: aber
hald nimme er feine Suflucht zum Betruge,
zur Trenloſigkeit/ zur Grauſamkeit; er tritt
alle Tugend mit Fuͤßen und wird die grau⸗
ſamſte Geißel der Menſchlichkeit.
Aber, ſagte ich zu ihm, wer iſt denn die
ehrwuͤrdige Magiſtratsperſon, die ſich dort
mit ihm mit ſo viel Freundſchaft unterhaͤlt?
— Es iſt einer von ben Vaͤtern des Vater⸗
ber erſte des Raths, der unſern Pa-
trlacchen mit ſich zu Tiſche nimmt. Bey
ihrer nuͤchternen und kurzen Mahlzeit wird
mehr als einmal von dem Armen, Nothlei⸗
denden, der Wittwe, dem Wayſen, und des
nen Mitteln bie Rede ſeyn, wie man ihnen
Sem ) 161 ( Se
ihren Kuminer erleichtern will. Dieß iſt ba
Intereſſe, das ſie zuſammenfuͤhret und das
fie mit dem großten Eifer behandeln; nie
mals werden fie eifle Unterfuchungen über bie
Alten und belachenswerthen Vorzuͤge anſtel⸗
len, die die ernſthaften Männer Eurer Zet
auf eine fo kindiſche Urt beſchaͤfftigte.
Ein und ziwanzigftes Kapitel,
Vereinigung der beyden Unendlichen,
Hier wer ift denn ber junge Menſch, ben
id von einer neugierigen Menge Volks
umringet fehe? D wie fich bie Freude in db
Ien feinen Bewegungen dußert ! tie feine
Stirne glänze! Welches Gluͤck iſt ihm
denn wiberfahren? Woher koͤmmt er? *
Er iſt eingeweihet worden, verſetzte ernfthaft
mein Zührer. Ob mir gleich wenige Gere
monien haben, haben wir doch eine,
bie mit dem übereinfömmt, mag Ihr bey
Euch die erfie Communion nennt, Wir
beobachten fehr genau ben Gefchmack, ben
Charafter, die geheimften Handlungen eines
jungen Dienfchen. So bald man entdeckt,
daß er bie einfamen Derter aufſuchet, um
daſelbſt nachzudenken: fo bald man fein
| L
ei ) 162 ( Eee ‚
Auge gerührt). gehefftet. auf das Firma⸗
ment und in..einem- ſuͤßen Entzuͤcken
»iefen blauen Himmel betrachtenb finder,
ver fich ihm gu öffnen bereit ſcheint: als⸗
dann ift feine Zeit mehr gu verlären, es iſt
ein Zeichen, daß feine Vernunft ihre ganze
Reife hat, und daß er mit Vortheil die Ent:
wicelung der Wunder, die der Schöpfer
hervorgebracht bat, anhören koͤnne
. Mir. wählen eine. Nacht, wo das Heer
der Sterne in ihrer ganzen Pracht an ei-
nem heitern Simmel glänget. Bon feinen Nel⸗
tern und Freunden begleitet, wird der Juͤng⸗
ling auf das Obſervatorium geführet: aufein-
mal bringen wir an fein Auge ein Teleſkop 9;
wir laſſen zu feinen" Augen ben Mars,
. Saturn, Jupiter und alle die großen Körper
herabfteigen, die mit fo vieler Ordnung indem
ungeheuern Raume ſchwimmen: wir oͤffnen
ihm, ſo zu ſagen, den Abgrund des Unendlichen.
Alle dieſe flammenden Sonnen draͤngen ſich
haufenweiſe zu ſeinem erffaunsten Blicke hin⸗
1) Das Teleſkop iſt ein moraliſches Schwerdt,
Dad allen Aberglauben, alle Phautomen, die das
menſchliche Geſchlechte quälten, zu Boden flug.
Unfere Bernunft ſcheint ſich nach der Proportien
des unerniehlichen Raums erweitert zu baben, den
unfere Mugen entdeckt und durchwandert haben,
HD) 163 ( de
su. Alsdann faget en ehrwuͤrdiger Prieſtet
mit einer feyerlichen und majeftätifchen
Stimme zn ihm: „Juͤngling! hier ſiehe den
Gott der Welt, der fich bir mitten in ſeinen
Werken offenbaret: Bere ben Gott dieſer
Welten an, biefen Gott, deſſen unermeßliche
Macht alles übertrifft, was der Menſch mit
Yugen fehen, oder felbft mit feiner. Einbik
dungskraft erreichen kann. Bete dieſen
Schoͤpfer an, deſſen glaͤnzende Majeſtaͤt den
Sternen eingedruͤckt iſt, die ſeinen Geſetzen
gehorchen. Wann du die Wunder ſeiner
Hand erblickeſt, fo bedenke mit welcher Here
lichkeit 2) er das Herz belohnen wird, das
2) Montesquien faget art einem Dete, daß die
Gemälde, die man von der Hölle macht, gam ande’
gefuͤhret ſeyn: aber daß, wenn man don der: ewigen
Gluͤckſeligkeit redet, man nichts thue, ald ehrlichen
Leuten etwas ohne nähere Beftimmung verfprechen.
Diefer Gedanke it ein Mißbrauch des Witz es, den er
bisweilen unſchicklich anbringt. Jeder empfindliche
Menſch denke nur einen Augenblick der Menge von
lebhaften und feinen Freuden nach, die er feinem Geifte
verdankt. Wie weit ühertreffen fie nicht Diejenigen, die
er von Sinnen erhält. Und der Körper ſelbſt, was iſt er
ohne Seele? Wie oft verfaͤllt man nicht in eine aus⸗
nehmend füge und tiefe Lethargie, wo die augenehm
geſchmeichelte Einbildungskraft ohne SHinderniß
aufflsst und ſich mitnr und mannichtaitige
2
) 164 ( re
fich zu ihm erhebt. Vergiß nicht, daß un⸗
ter feinen erhabenen Werken der Menſch, mit
sen Vermögen begabt fie zu erblicken und
zu fühlen, den erften Rang ‚behauptet,
und daß er als ein Kind Gottes fich biefer
hohen Ehre würdig machen mäffe! „
5. Hierauf ändert fich der Auftritt: man
Bringt ein Mifrofcop : man entdeckt ihm ei-
ne neue Welt, die noch weit erſtaunenswuͤr⸗
Siger, weit wunderbarer iſt, als bie erſte.
Dieſe lebenden Punkte, die ſein Auge zum
erſtenmale erblickt, bie fich in ihrer unbe
greiflichen Kleinheit bewegen und fogar mit
allen finnlichen Werkzeugen ausgeruͤſtet find,
welche die Koloffen der Erde haben, zeigen
ihm einen neuen Beweis von ber Weis heit
des Schoͤpfers.
Der Prieſter faͤhrt in eben dem Tone fort:
pWas find wir für ſchwache Weſen, zwiſchen
Vergnuͤgungen verſchafft, die mit den materiellen
Vergnuͤgungen gar keine Aehnlichkeit haben. War⸗
am ſollte die Allmacht des Schoͤpfers dieſen glück⸗
lichen Zuſtand nicht verlaͤngern, vermehren koͤnnen?
Iſt das Entzuͤcken, das die Seele des Gerechten er⸗
fuͤlt, mann er dieſen großen Gegenſtaͤnden nach⸗
denket, nicht ein Vorſchmack der Seligkeit, die ſei⸗
ner wartet, wenn er ohne Decke den weiten
Man des Samen anſchauen wird ?
Sam) 165 ( ini
zwey Unendlichkeiten geſtellt, von. allen
Seiten durch das Gewichte der goͤttlichen
Groͤße niedergedruͤckt! Laßt uns im Stillen
eben die Hand anbeten, die ſo viele Sonnen
anzuͤndete, und das Leben und die Empfin⸗
dung unmerklichen Atomen eindrücte! Ohne
Zweifel wird das Auge, bag ben zarten Bau
des Herzens, ber Nerven, ber Fibern des
Heinen Wurmes auf unfrer-Hant gebildek« abe
ne Muͤhe in die äußerten Falten unſers Her⸗
zens einbringen. Welcher geheime. Gedan⸗
fe kann fich diefem unbegränsten Blicke: ent⸗
siehen, vor. bem ber Ruͤſſel einer Made eben
fo deutlich. als. die Milchſtraße erſcheint!
O laßt unſre Gedanken des Gottes wuͤr⸗
dig ſeyn, ber fie entſtehen ſieht, der ſte
bemerkt. Wie oft kann ſich das Herz einen
Tag über, zu ihn erheben und in feinenf
Schooße färfen. Ach} die ganze Zeit unfer®
Lebens kann nicht beffer angewandt werben,
als wenn wir ihm im Grunde unfrer Ste
den ein ewiges Lob » und Danflied Mr
fimmen. ;,
Der junge Menſch gerührt, erſtaunt, be⸗
haͤlt den doppelten Eindruck, den er faſt in
dem Augenblicke erhalten: er weinet vor
Freuden, er kann ſeine brennende Neugier
Bi) 166 ( er
nleht ſaͤttigen: fie entflammf fich mit jeden
Schritte, den er in biefen beiden Welten
khut. Seine orte find ein langer Gefang
ber Bewunderung. Sein Herz klopfet vor
Erſtaunen und ‚Ehrfurcht, und The koͤnnt
Euch leicht vorfiellen, mit welcher Kraft,
mit welcher "Wahrheit er das Mefen aller
Weſen in diefen Augenblicken anbetet! wie
er ſich Kite feiner Gegenwart erfüllt! wie
dieſes Vergroͤßerungsglas feine Begriffe aus⸗
breitet, erweitert, ſie eines Bewohners bie⸗
ſer wunderbaren Welt wuͤrdig machet! Er
geneſet von dem irdiſchen Ehrgeize und den
niedrigen Empfindungen des Haſſes, die er
erzeugte: er liebt alle Menſchen, die von ei⸗
nem gleichen Hauche des Lebens beſeelt ſind:
„er iſt der Bruder von alle dem, was ber
Schoͤpfer berührt hat 3).
Sein Ruhm wird von nun an feyn, In
dem Himmel ben Haufen von Wundern ein-
wuärndten. Er fühlet fi) weit weniger klein,
feit er das Glück gehabt, diefe großen Dinge
3) Man Hat einen Heiligen laͤcherlich machen
tollen, melcher faate: Weide, du Schaaf, die
du meine Schwefter bift: Kupfer vor Freuden,
ihr Sifhe. die ihr meine Brüder feyd. Diefer
Heilige, hatte mehr Verſtand, als feine Mitbruͤder,
1 er war ein wahrer Philoſoph.
He) 107 ( ei
zu fehen. Er fagt gu fich ſelbſt: Gott hat
> fi, mir geoffenbaret: mein Auge bat den
Saturn, den Stern Syrius und die gedräng«
ten Sonnen der Milchftraße beſucht. Ich
fühle, daß ſich meine Seele ‚erweitert hat,
feit fie Gott gewürdiget , feine Größe .mis
meinem Nichts bekankt zu machen.. O! wie
finde ich mich glücklich, daß ich Verſtand und
Leben erhalten habe! ch fehe fchon die Be⸗
ſtimmung ded Tugendhaften voraus! D
herrlichen. Gottd gieb, daß ich dich anbeien
gieb, daß id) dich ewig liebe! ”
. Mehr ale einmal fehret er al dieſen erha
benen Gedanken zuruͤck. Von dieſem Tage |
an iſt er ih die. Geſelſchaft der. denkenden
Weſen eingeweiht; ; aber er beobachtet ein
heiliges Stillſchweigen, um eben biefen € Grad
der Freude und des Erflayneus denjenigen
aufzufparen, bie noch nicht bag Alter errei«
het haben, wo man folche Wunder empfin»
den kann. An denhum Lobe des Schoͤpfers
gewiedmeten Tage iſt es ein erbauliches
Schauſpiel auf unſrer Sternwarte, die zahl⸗
reichen Anbeter Gottes alle auf die Knie
fallen zu ſehen, und, indem ſie ihrem Auge
das Teleſcop vorgelegt haben und im Geiſte
anbeten, ihre Seele mit ihren Blicken zu dem
PB ) 168 ( Eiete
VSaumeiſter biefer prächtigen Wunder auf:
ſteigen zu feben . Alsdann ˖ ſtimmen
wie gewiſſe Hymuen an, die die erſten
Schriftſteller der Nation in der gemeinen
Sprache raufgeſetzet haben: fie ſind in: aller
Munde, und fchilbern hie Weisheit und Guͤ⸗
te Gottes. Wirt begrrifen nicht, wie vor⸗
mals ein ganzes Volk Gott in einer Spra-
che anrebenn konnte, von ber es nichts ver
fund : dieß Wolf war wohl. fehr abge
fehnmdt, ober brannte bon einem ſchwaͤr⸗
meriſchen Eifer.
| 17 wenn ein Junger Menſch ſich ſei⸗
nem ganzen Entzuͤcken uͤberlaͤßt, ſo druͤckt
er vor der ganzen Verſammlung die Em⸗
pfindungen aus, von denen ſein Herz voll
) Wann moͤrgen der Finger Gottes den Wol⸗
ken dieſe Worte in feurigen Buchſtaben eindruͤckte:
Srerbliche betet einen Bott an! Wer zweifelt,
daß jeder Menſch nieder fagn und anbeten wuͤr⸗
de? And mie? Gedankenldſer und bloͤdſinniger
Sterblicher! iſt es wohl nöthig, daß Gott mit Bir
Deutsch, arabifch, chinefifh redet Was find die
ungäbligen Sterne in van Weltraume ausgeldet?
find es nicht heilige, allen Augen verſtaͤndliche Cha⸗
saftere; die fichtbar einen fich offenbarenden Gott
ankündigen ?
) 169 (u
ib: er theilet ſeinen Enthufafuustnuch
den kaͤlteſten Herzen mit :-sbie Liebe: ones
flammt und begeiſtert feinen Ausbruch. Der
Ewige fcheimt als dann ſich mitten. umter und
herabyelaffen zu haben, und feine Kinder zu
hoͤren, ‚die ſich von feiner goͤttlichen Fuͤrſot·
ge und feiner vaͤterlichen Guͤte unterhalten,
Unfere Ratur⸗ und Sternfünöiger be⸗
eiſern ſich in dieſen Tagen ber Freude und
ihre ſchoͤnſten Entdeckungen nitzutheilenn
ſie, Herolde der Gottheit, laſſen uns ind
Gegenwart in Dingen fuͤhlen, die dieraller⸗
unbeſeelteſten zu ſeyn ſcheinen: alles iſt von
Gott erfuͤllt, ſagen fr und alles offendaret
ihn 6),
5), Hat ein junger Menſch den Enthufiatmei
der Tugend, er mag gefährlich oder falfch feun: ſo
mug man ibm feinen Irrthum nicht benehmen:
laſſet ihn nur geben, er wird ihn obue euch berichs
tigen; indem ihre ihm beflern wolltest, werdet ibe
vielleicht feine Seele um eines Worte willen toͤdten.
.6) Der äuberliche Gottesdienk der Alten bes
Rund in Seften, in Längen, in Hymnen, alles mit
fehr wenig Lebrfägen. Die Gottheit war nicht
für fie ein einfames Weſen, mit Bligen bewaffnet,
Sie theilte fich ihnen mit, und machte ihre Ge⸗
genwart fichtbar. Cie gläubten ihn mehr durd
Feſte als durch Traurigkeit und Thränen zu ehren.
Der Gefengeber, der das menfchliche Herr keunch,
Se ) 170 ( ie
Wir zweifeln aber auch, daß fich im gan⸗
sen: Koönigreiche ein einziger Acheift 9 fin
den follte. . Es ii. nicht die Furcht, die ihm
den Mund verſchließt. Wir wirben ihn
nur su beklagenswuͤrdig finden, als dag wie
ihn «eine. andere Strafe auferlegen follten,
eis feine .eigne. Schande: wir wuͤrden ihn
bloß aus unfrer Mitte verbannen, wofern
en ein effentlicher Feind einer handgreifli⸗
chen, troͤſtlichen und heilſamen Wahrheit8)
ſeyn ſollte. Aber vorher würden wir ihn
die - ganze Experimentalphyſik durchhoͤren
laſſen; alsdaun wuͤrde es unmoͤglich feyn;
daß er gegen die offenbaren Beweiſe, die ihm
dieſe gruͤndlich erlernte Wiſſenſchaft darſtel⸗
den, feine Augen verſchließen ſollte. Durch
wird es allezeit auf dem Wege der Freude zur Tu⸗
gend fuͤhren.
7) Dem Atheiſten koͤmmt es zu, zu beweiſen,
daß der Begriff eines Gottes widerſprechend, und
daß es unmoͤglich ſey, daß ein ſoiches Weſen exiſtire:
es iſt allezeit die Pflicht des Laͤugnenden ſeine
Gruͤnde anzuſuͤhren.
8) Wenn man mir von atheiſtiſchen Mandarinen
in China vorſchwatzt, die die bewundernswuͤrdigſte
Moral haben, und ſich ganz dem oͤffentlichen Wohl
auſopfern, fo werde ich nicht Die Geſchichte laͤug⸗
nen: aber mir ſcheint es die unbegreiflichſte Sache
sonder Welt.
\
LT ) 1 (re
fie dat man' ſo erſtaunenswuͤrdige, fo ent⸗
fernte und zugleich, ſrit ſie bekunnt gewor⸗
den, fo ſimple Beziehungen entdeckt: durch
fie find fo viel aufgehaͤufte Wunder, die in
ihrem Schooße ſchliefen, nunmehr an: bad
Licht gebracht; endlich iſt die Natur in ih⸗
ren kleinſten Theilen fo aufgehellt wotden,
daß derjenige, der einen weiſen Schoͤpfer
laͤugnen wollte, nicht allein für einen The;
ren, ſondern auch für ein ſehr boſes Geſchoͤpfe
wuͤrde gehalten werden, und die ganze Na⸗
tion wuͤrde ſich bey dieſer Gelegenheit in
Trauer kleiden, um ihren tiefen Schmerz ui
bezeigen 9.
Da niemand, dem Himmel fey Dant!
in unſrer Stadt die elende Raſerey hat, ſich
durch ausſchweifende und dem allgemeinen
Urtheile der Menſchen ganz entgegengeſetzte
Meynungen zu unterſcheiden, ſo ſind wir alle
uͤber dieſen wichtigen Punkt einig: und liegt
dieſer zum Grunde 10), ſo wird es mir nicht
9) Die genaueſte Allgegenwart eines guͤtigen
und herrlichen Sottes, veredelt die Natur und vets
breitet durchadngig, ich weiß nicht welch einen beleb⸗
ten und befeciten Anblick, den eine ſkeptiſche und
zweifelfüchtige Lehre nicht geben kan. 7
10) Ich fürchte Gore, fagte ein gewiſſe Manım -
und nach Bott fürchte ich bloß den, det Imwide
förchter.
a) 172 (Wu
ſchwer erden, Euch begreiflich: zu machen,
Daß alle Brineipien der reinften-Moral von
ſelbſt daraus herfließen, ba fie auf dieſem
unerſchuͤtterlichen Hrunde ruhen,
Man glaubte zu Eurer Zeit, daß ed um
mädalich. wäre, ben Volke eine ganz geiſtige
Religion zu geben: dieß war ein großer
Jerthum. Diele Eurer Weltweifen beſchim⸗
pften die menfchliche Natur durch biefe fal⸗
ſche Meynung. Der Begriff eines Gotteß,
von allem unreinen Zufage frey, war inzwi⸗
(cher miche fo ſchwer zu fafien. Es wird
mehr undienlieh fenn, wenn ich e8 noch ein»
mal wieberhole : die. &eele iſt es, Durch
die Bostiempfanden wird, Warum follte
bie Lügen dem Menſchen natürlicher ale die
Wahrheit kenn? Ihr haͤttet nur die Betruͤ⸗
ger fortſchaffen duͤrfen, die mit heiligen Sa’
chen einen Handel trieben, fich zu Mittels»
werfonen zwiſchen der Gortheit und ben
Menſchen aufwarfen, und Vorurtheile, aus⸗
rheilten, die noch geringer, als das Gold wa⸗
ren, das ſie dafuͤr erhielten.
Endlich iſt die Abgoͤtterey, dieſes alte
Ungeheuer, welches die Maler, die Bild:
bauer und Dichter um die Wette zur Ber:
Sendung und zum Unglüde der Welt ver-
Te) 173 (ee
Soͤttert hatten, unferunfern ſicreichen din
den gefallen. Fa BET
Die Einheit eines Gottes ned uner⸗
fchaffnen, eines geiſtigen Weſens iſt ber
Grund unſrer Religion. Die ganze Welt
braucht nur eine Sonne: Es bedarf nur
eines lichtvollen Gedanfen, um bie menfcho
liche Vernunft zu erlenchten. Alle die
fremde und erkuͤnſtelte Sülfe, bie nem
dein menfchlichen Verftande geben wollen
erftichte ihn nur: fie gab ihm bienseileh (wir
möffen es geflehen) eine Kraft, dio micht al
lezeit der Anblick der finpeln Wahrheit her⸗
vorbringt: aber es war ein Stand Der Trun⸗
fenheit, der gefährlich wurde. Der Gef
der Srömmigfeit hat den Fanatiſmus «ir
zeugt: man hat biefe ımb jene Art: Der. An⸗
betung einführen wollen, und bie in ſeinem
fhönften Vorzuge gefränfte Freyheit des
Menſchen hat ſich mit Recht empoͤret. Wir
verabſcheuen dieſe Art der Tyrauney. Mir
verlangen nichts von einem. Herzen, das
nichts fühler: aber iſt wohl ein einsiged,
dag diefen hellen und eimdringenden Strah⸗
fen, die fich ihm zu feinem eignen Gluͤcke
zeigen, baffelbe verfchließen folte?
ee) 174 ( er
. Es iſt ein Angriff auf das unendlich voll⸗
kommenſte Weſen, wenn man hie Vernunft
laͤſtert und fie als einen ungemwiflen und be-
Srügerifchen Bübrer laͤſtert. Das göttliche
. Befeb, das von Einem Ende der Welt bie
ang andere fpricht, ift ben gemachten Reli⸗
gionen, die bie Priefter erfunden‘, weit vor⸗
zuziehen. Der Beweis, daß fie falfch find,
iſt, daß fie bloß traurige Würfungen hervor⸗
bringen: es iſt ein Gebaͤude, dag den Ein-
kurz droht und befländig muß geſtuͤtzet
werden. Das natürliche Geſetze ift ein un⸗
erfchütterlichee Thurm 11); es veranlaffet
-..17).Dab natürliche Geſetz, das fo einfach nud
rein if, redet eine einformige Sprache mit alleh
Woͤlkern? es ift jedem vernünftigen Weſen ver-
faͤndlich: es IM nit mit Schatten und Finftee
niſſen umhuͤllt: es iſt lebend: es ift mit unauss
Kihlichen Charakteren in aller Hergen gegraben:
feine Befehle trotzen allen Rerolutionen des Erd⸗
bodens, allen Verwuͤſtungen der Zeit, allen eigen⸗
ſinnigen Gewohnheiten. Jeder tugendhafte Mann
iſt davon Prieſter. Die Irrthuͤmer und Laſter
ſind ſeine Opfer. Die Welt iſt ſein Tempel, und
Bott die einzige Gottheit, die ed aubetet. Man
hat dieſes taufendmal geſagt: aber es if gut, es
immer wieder zu fagen. Ja, die Moral ift die ein-
ige dem Menſcher unentbehrlihe Religion; ek
handelt der Religion gemdE, fo bald er vernuͤnftig
handelt: ex iſt tugendhaft, fo bald er fich nuͤtzlich
—x
a) 15 (ee
feine Zwietracht, fondern fehaffet Frieden
und Gleichheit. Die Betrüger, die es ge
waget haben, Gott in dem Tone ihrer tig.
nen Leidenfchaften reden zu laffen, haben
die ſchwaͤrzeſten Handlungen für Tugenden
gelten lafien: aber diefe Boͤſewichter haben,
inbem fie. einen barbarifchen Gott gepredi⸗
get, Bierempfindlichen Herzen, welche lieber
sen Sebanfen eines graufamen Gottes ver
nichtet wifien, als ein fo fehreckliches Weſen
der Welt zeigen wollten 12), in ben Rheins
geſtuͤrzet.
macht: wenn der Menſch ins Innerſte ſetier pm
zens gebt: wenn er fein Weſen ſelbſt zu Rathe
Sieht, fo wird er auch willen, mas er fi) und aus
dern ſchuldig ift.
13) Sehr viele Geſetzgeber haben dadurch, dag
fie die Menfhen mit allen moͤglichen Schreckniſſen
niedergeichlagen, und ihsen Verſtand verwirrt ha⸗
ben, fie zu Sklaven gemacht, in dei Hoffnung, fe
ewig unter ihren Joche zu erhalten. Das Uebel
machet allezeit auf die Menfchen ſtaͤrkere Eindrüs
de ald das Bute: auf Diele Art ſetzt ein böfer Gott
die Einbildungstraft allegeit mehr in Bewegung,
ald ein guter Gott. Dieß ift die Urſache, warum
man in vielen Religionen eine ſchwarze und finfire
Sarbe herrſchen ſieht. Sie neigen die Sterblicyen
zur Melantoley. Der Name Gotted weckt in ih⸗
- nen unaufbörlich die Empfindung des Schreckens
anf. Ein Eindliches Vertrauen, eine. ehrerbistige.
Sn ) 176 (re
rn Min:biegegen erheben in. dem Vertrauen
- „Qufibie GürebesCchäpferg, bie fich allein-fo
fichtbar eingedruͤckt hatsumfere Herzen zu ihm.
Die Schatten hiernieden, bie vorübergehen-
. ben Nebel, die ung treffen, bie Schmerzen,
der Tod ſelbſt fchrecken une nicht. Alles bag
- ft ohne Zweifel nuͤtzlich, nothwendig, und
‚mE felbft zu unſrer größten Gluͤrkſeligkeit
auferlegt. Unſere Kaͤnntniſſe haben Graͤn⸗
gen: wir koͤnnen nicht wiſſen, was Gott
weiß. Es mag bie Welt in Truͤmmern zer⸗
fallen! was haben wir zu fuͤrchten? Es ge⸗
ſchehe was da wolle, fo werden wir allezeit
in Gottes Schooß fallen.
Zwey und zwanzigſtes Kapitel,
Beſonderer Augenblick.
J⸗ gieng aus dem Tempel. Man führte
mich an einen nicht weit entfernten Drt,
um mie Muße ein neu errichtete Monu-
ment zu betrachten. Es war von Marmor.
Es reiste meine Neugier und gab mir das
Berlangen ein, ben Schleyer der Einnbil-
ber, mit denen es umgeben war, zu burchbrin-
Hoffnung wuͤrde ben Urheber alles Guten gewiß
ME )
gen. Man wollte inte ihre Bedeutung nicht
erklaͤren, ſondern˖ mir die Ehre und dag
Vergnuͤgen uͤberlaſſen, fie zu errathen.
Die Hauptfigur sog alle meine Wilke
auf ſich. An der fanften Majeſtaͤt ihrer
Stirne, an der edlen Bilbung bed Koͤr⸗
pers, am den Attributen ber Eintracht
. und des Friedens erkannte ich die heilige
Menfchenliche. Andere Bildſaͤulen waren
kniend, und ſtellten Weiber in Empfindun⸗
gen des Schmerzens und der Reue vor.
Ach! das Sinnbild wat nicht ſchwer zu ent⸗
raͤzeln: es waren bie Nationen ſiguͤrlich vor⸗
geſtellet, die die Menſchlichkeit umt Verzei⸗
hung wegen der grauſamen Wunden anfleh⸗
ten, die fie ihr mehr als zwanzig Jahrhun⸗
derte durch gefchlagen hatten,
Frankreich bat auf ben Knien un Verge
bung wegen der fehrecflichen Et. Bartholo⸗
mäus Nacht, wegen des grauſamen Wies
derrufs des Ebict von Nantes, und wegen
der Verfolgung ber Weifen, die es in feinem
Schooße erzeugt hat. Wie konnte es mit
einer: fo fahften Stirne fo ſchwarze Thaten
begehen ? Engelland ſchwur feinen Fana⸗
tifmus, feine beyden Roſen ab, und reichte fei-
ne Hand ber Philofophies es verfprach Fein
M
We) 17
Blut mehr zu vergießen, als das Blut-der
Tyrannen ). Holland verabfcheufg die Par-
theyen ber Somariften und Arminianer, und
ben Tod des tugenbhaften Barnevelk.
:Deutfchland verbarg feine folge Stiene, und
ſah mit Abſcheu auf die Gefchichte feiner inner-
lichen Zwiſtigkeiten, ſeiner Schwaͤrmereyen, ſei⸗
ner theologiſchen Wuth, die mit ſeiner natuͤr⸗
lichen Kaͤlte ganz beſonders contraſtirte. Poh⸗
len blickte voller Unwillen auf ſeine verach⸗
tungswuͤrdigen Confoͤderirten, die zu mei⸗
ner Zeit ſeinen Buſen zerriſſen und die Grau⸗
‚gamfeiten der Kreuzzuͤge erneuerten. Spa⸗
nien noch ſtrafbarer als ſeine Schweſtern,
ſeufzete, eine neue Welt mit fuͤnf und dreyſ⸗
ſig Millionen Leichnamen bedeckt zu haben,
die beweinenswuͤrdigen Ueberbleibſale von
zwanzig Nationen in den tiefſten Waͤldern
und in ben Hoͤlen der Felſen verfolget, und
Thiere gewoͤhnt zu haben, bie minder wild,
als fie waren, Menfchenblut zu faufen 2) -
ss » Aber Spanien mochte feufgen und fle-
ben, e8 konnte feine Verzeihung erhalten;
der langſame Tod fo vieler zu den Bergiver-
2) Es bat fein Wort gehalten. |
2: Die Europder in der neuen Welt — was wis
ss Daraus für ein Buch su machen !
ae ) 179 (Euer
ten verbammten. inglürflichen Menfchen,
mußte gegen baffelbe auf ewig zeugen 37,
Der Bildhauer hatte noch viele verſtuͤmmel⸗
te Sklaven vorgeftellet, die mit gen Himmel
gekehrten Augen um Rache flehten: mat
prallte vor Schrecken zurücfe, man, glaubte
ihr Gefchrey zu hoͤren; aus einem blutgea⸗
derten Marmor war ihre Geſtalt gebilpek,
und diefe fchreckliche Sarbe war eben ſo ung
3) Wenn ich an die Ungluͤcklichen denke, Did
mit der Natur bleß durch ißren Schmerz nach vers
wandt, lebendig in Den Eingeweiden der Erde vers
graben, nach diefer Eonne feufzen, die fie das Un⸗
glüd gehabt haben, zu fehen, aber niemalg wieder
fehen werden ; die in dieſen ſchrecklichen Finfterniffen
mit iedem Odemzuge einenSeufzer aueſtoßen nnd nie⸗
mails aus dieſer entſetzlichen Nacht wieder herauskom⸗
men koͤnnen, als um in den ewigen Schatten det Todes
Übertunehen : fo durchlduft meine qanze Seels ein ine
erlicher Schauer. Ich glaube in denen Gräbern gu
wohnen, die fie bewohnen, mit ihnen ben Dampf det
Backein einzuatbınen, die ihre abſcheuliche Wohnung
erleuchten : ich febe das Bold , diefen Abgott
der Erde, aus feinem wahren Befichtäpunfte an,
und fühle, daß die Vorſehung mit eben dieſem
Metalle, der Quelle fo vieler Braufamleiten , Die
Btrafe unzaͤhliger Uebel, die es verurfachet, ſelbſt
ehe es noch an dad Licht gebracht wird, muge ver⸗
dunden haben.
M 2
yor.
Sa ) TE (un
ausloͤſchlich, wie das Andenlen ihrer "er
brechen 4). *
"Hau ſahe alien, von weiten, den Ur⸗
rung aller Uebel, die Duelle aller Graufam:
keiten, die zwo Welten erfüllten. Es lag nie:
bergemorfen, mit der Stine zur Erve md
Köfihee die brennende Fackel des Banns aus:
eß fehlen fich nicht näher‘ wagen ju wollen, um
fane Bereifung zu erflehen. Sch hätte ger
un feine Geſichtszuͤge in der Nähe betrach-
ten moͤgen: aber ein kuͤrzlich erſt gefallener
Donnerſtrahl hatte ihm das Geſichte ent⸗
Bei, und da ich ihm näher fam, fand’ ic
z6 unfenntlich und vom Seuer des Blitzes
ganz ſchwarz.
Die glaͤnzende Menſchlichkeit erhob ihre
veigenbe Stirne mitten unter biefen demuͤ⸗
thigen umd gebemüthigten Weibern. Sch
bemerfte, daß der Bildhauer ihrem. Gefichte
die Züge jenes freyen und muthigen Volkes
gegeben, welches die Seffeln feiner Tyrannen
zerbrochen. Der Hut des großen Tell
9 Zwanzig Millionen Renſchen find unter
dem Schmerdte einiger Spanier gefallen, und das
Spaniite Reich enthält kaum fieben Milliouen
en!
Ha) 181 (rk
ſchmuͤckte ihr Haupt⸗5): es war bag ehrwuͤr⸗
digſte Diadem, das jemals die Stirne eines
Monarchen umgeben. Sie laͤchelte ver majes
ftätifchen Weltweisheit, ihrer Sehweſter zu,
deren veine und weiße Hände gen Himmel
ausgebreitet waren, welcher fie mit einem
Auge voller Liebe anblickte. i
Ich verließ dieſen Platz, als ich auf der
rechten Seite auf einem praͤchtigen Fußges
ſtelle einen Neger mit bloßem Kopfe, aus⸗
geſtrecktem Arme, einem muthigen Auge, und
in einer edlen und gebietenden Stellung
fand. Um ihn her lagen die Truͤmmern
yon zwanzig Zeptern. Zu feinen Füßen laß
man die Wortes dem Rächer der neuen
welt! !
5) Wenn Plato aufbiey Welt zuroͤcke Home, fowärs
Ben feine “Blicke ohne Smeifel auf diefchweizexifchen
Republiken fallen, Die Echweiser haben fich in dem,
was dad Welen der Republiken ausmachet, das ift,
in der Erhaltung ihrer Freyheit, ohne etwas gegen an⸗
Derer ihre gu unternehmen, vorzüglich groß erwieſen.
Die Ehrlicgfeit, die Aufrichtigkelt, die Liebe zur
Arbeit, die Sreundfchafe mit allen Nationen, bie -
die einzige in ihrer Art if, die Stärke und der
Muth, den fie im einem tiefen Frieden uuterhäls
ten, ungeachtet der DVerfchiedenheit der Religio-
nen: dieß follte den Völkern zum Muſter dienen
amd fie ihrer Thorheit wegen beſchaͤmen.
Bine ) 182 ( dete
Sch that einen lauten Schren vor Ver⸗
wunderung und Freude. — Sa, anfiworgete
man mir mit einer Warme, die meiner Entzuͤ⸗
drang gleich) war: die Natur hat endlich ben
bewundernswuͤrdigen, unfterblichen Mann
geſchaffen, ber eine Wels von ber ſchrecklich⸗
ften, längften und fchimpflichfien SHaveren
hefreyet bat. Sein Genie, feing Kühnbeit,
feine Gebult,. feine Standhaftigkeit, feine
tugendhafte Nache find belohnt worden.
Er hat bie Zeffeln feiner Lanbeleute zerbro⸗
chen. So viele von dem gehäfigften Joche
unterdruͤckte Sklaven, fchienen bloß feine Lo⸗
fung gu erwarten, um eben fo viel Helben zu
werden. - Der Strohm, der feine Daͤmme
durchbricht, der Donner, welcher herabfällt,
thut eine weniger fchnelle, weniger gewalt⸗
fame Würfung. In eben dem Augenblicke
haben fie dag Blut ihrer Tprannen vergoffen.
Franzoſen, Epanier, Engelländer, Hollän-
ber, Portugiefen , alles ift ein Raub des
Schwerdtes, des Giftes und der Slamme
geivorden. Das Erdreich von America hät
glerig das Blut eingefogen, nach welchem es
lange Zeit bürftete, und bie Gebeine ihrer,
auf eine fchändliche Weife erwürgten Vor⸗
fahren haben ſich alsdann vom Staube zu
Sa) 133 (u
erheben und vor Freude zu beben ge
fchienen.
Die Eingebornen find wieder In ihre un⸗
verjaͤhrten Rechte getreten, denn es waren‘
der Natur ihre Rechte. Dieſer heroiſche
Raͤcher hat eine Welt in Freyheit geſot,
deren Gott er iſt, und die andre bat ihm
gehuldiget, ihm Kronen zugeſprochen. Er iſt
herzugeeilet, wie ein Wetter, das ſich uͤber
eine ſuͤndige Stadt ausbreitet, welches ſeine
Blitze verzehren tollen. Er iſt der Engel!
der Verwuͤſtung geweſen, dem der Gott der
Gerechtigkeit fein Schwerdt verliehen: er:
hat das Beyſpiel gegeben, daß die Grau⸗
ſamkeit früher ober ſpaͤter geſtrafet wird,
und das ſich die Vorſehung ſolche ſtarke See⸗
len aufbehaͤlt, die ſie auf die Erde herabſchicket,
um das Gleichgewichte wieder herzuſtellen,
welches die Ungerechtigkeit eines wuͤtenden
Ehrgelzes vernichtet hatte 6). |
6 Diefer Held wird ohne Zweifel die edelmuͤ⸗
thigen Quaker ſchonen, Die juͤngſt ihdre Negern in
Frepheit geſetzt: eine merkwuͤrdige und rührende
Epoke, die mir Freudenthraͤnen erpreßt, und mir
einen Abſcheu vor den Ehriften beybringen wird,
Die es ihnen nicht nachthun.
Een 184 L
Drey amd zwanzigſtes Kapitel.
Das Drod, der ein nf w.
Je war ſo entzüct über meinen Führer,
daß ich mit jedem Augenblicke fürchtete, -
er wuͤrde mich verlaſſen. Die Etunde ber
Mittagsmahlzeit hatte geſchlagen. Da ich
weit, von meinem Quartiere entferne war,’
und: allemmine Bekannten geſtorben waren,
fo füchte.ich. mit meinen Augen einen Gaſt⸗
wieth; nme. ihm auf eine boöfliche Weile zum
Mahlssit einzuladen und: ihm wenigſtens
auf einige. Art meine Erfänntlichkeit gu ber
- zeigen. Aber mit jedem Schritte war ich
auf meiner Eharte irre: ich Tief viele Gaffen
durch ohne einen Weinkranz zu fehen.
Mag iſt dem, rief ich enblich, aus alle
denen Speiſe⸗Gaſtwirthen und Weinfchenten
geworden, bie vereinigt und gerrenat-in ei⸗
nerley Befhäfftigung immer in Proceß wa⸗
ren »), und vormals biefe aroße Stadt be-
1) Mer den Braten wendet, kann nicht den
zii) deden, und wer den Tiſch dedet, kann
niht den Braten wenden. Die Gtatuten
der Zuͤnfte in Paris find doch eine feltfame
und prüfungsmertbe Sache. Das Parlament hält
voller Ernf viele Sigungen, um die Rechte eines
Co at, fig —_ 220
voͤlkerten? Man mefpugen. für Arteh Any:
der Gaſſe an? —.. DaB wer auch iugschon
den Misbraͤuchen, die Euer Jabrbun dert
geſtattete. Man daltete eine todtliche Wi
faͤlſchung. die. ben Sinwohnern ihre Geſund
heit. verwuͤſtete. Der Arme, das. ft‘ drey
Viertel der Stadt, die ſich nicht mit groſ⸗⸗
ſen Koſten die. natürlichen Weine konnten
fonmen laſſen, fanden nach der Arbeit, vom
Durſte · getrieben, zur Wiederherſtellung ih⸗
rer verlornen Kraͤfte, einen langſamen Tod
Garkochs unwilderſprechlich zu beñimmen. @s hat
ſich eben allererſt ein Streit, der der einzige in ſei⸗
ner. Art iß, erhoben: die Zuuft der Bachhaͤndler.
in Paris behauptet, daß dad Genie. der Rontes⸗
quien; der Corneillen, u. f. w. ihr von Kechtsiwes
gen zugehoͤre, daß alles, was aus denkenden Kos
pfou Richt, ihr Erbtheil ausmache, daß die menfdhs
lichen Kenntniſſe aufs Papier geworfen, sine Was -
ve fun mit der nur fie handeln ‚dürfe, ynd. dag -
erfaffer eines Buchs Feine andern Vortheile
—* ziehen dürfe, als die fie ihm aus gufen Wil⸗
ten gemähren wolle. Diefe feltfamen Foderungen
kann man in einem öffentlich) gedruckten Auffage
lefen. Mr. Linguet, ein gelebster, beredfer und .
geiffvoller- Man , bat diefe belachenswuͤrdigen
Kaufleute fo lächerlich, als möglich, gemacht: aber
dieſes Lächerliche fäut immer natärlicher Weiſe auf
die ummfelige Gefengebung der Handlung in öranfe
reich zuruͤck.
iD) 186 ( iur
in dem abfcheulichen Getraͤnke, deſſen täglicher
Gebrauch den verrätherifchen Gift verbarg.
Die Körper wurden gefchwächt, die Einge⸗
weibe vertrocknet «+ Wie fonnte es
anders fenn? Die Abgaben der Einfuhre was
ren fo entfeglich erhoͤhet worden, daß fie den
Preis des Einkaufs um ein großes überflie-
gen. Man hätte glauben follen, der Wein waͤ⸗
re durchs Gefeß verboten worben, oder ber
franzöfifche Boden hätte fich in den engellän«
difchen verwandelt. Aber man fragte wenig
darnach, ob eine ganze Stadt vergiftet wuͤr⸗
de oder nicht, wenn nur ber Pacht von Jah⸗
re zu Jahre dadurch flieg 2. Das Stem-
2) Ein Bauer hatte einen Sfel, der zween groſ⸗
Te Körbe im Bleichgewichte auf feinem Rüden trug.
Man füllte diefe mit Aepfeln, und die Aepfel übers
Biegen das Maas der Körbe- Das arme Thier,
sb es gleich fchon ſchwer beladen war, gieng doch
mit einem folgfamen und gelebrigen Schritte. Eis
nige Schritte weit vom Dorfe ſah ber Kerl reife
Aepfel an Bäumen: ab, fagte er, du wirft dieſe
wohl auch tragen, weil du jene trägft, und er
belud feinen Efel damit, Der Efel,eben fo gebultig als
fein Herr begehrlich war, verdoppelte feine Kräfte,
konnte aber fat nicht mehr, denn das Maas war über
voll. Der Bauer fand auf feinen Wege nody eis
nen Apfel: o, fagte er, ein Apfel mehr oder wes
niger, das wird dir nichts fchaden. Das arme
WED) 197 (are
pelpapker mußte ganze Familien. ind Elend
ſtuͤrzen, und der Wein außer dem: Preis
feyn , um ben abfchenlichen Geiz der Ge
neralpachter zu befriedigen : und da bie-
Großen nicht von dieſem heimlichen Gifte
farben, fo war- es ‚ihnen fehr gleichgültig»
dem Pobel möchte es gehen, wie es wolle:
So nannte man den arbeitfamen Theil ver
Nation. — Wie konnte man aber ſo vor«
feßlich die Augen von einem fo moͤrderiſchen,
und ber -Gefclifchaft fo verberblichen Miß⸗
brauche wegtehren ? Wie? man verkaufte:
öffentlich Gift in Eurer Stade und der Mar
giftrat war darüber außer Sorgen ?. Ad}!
barbarifihes Volk! So bald man unter ung
einige Berfälfchung merkt, fo iſt das Ver⸗
brechen Kapital, der Giftmifcher verliert bag
Leben: aber wir haben auch diefe niedertraͤch⸗
tige Gelderpreffer meggefchafft., die alles
Gute, was fie berühren, verderben. Der
Wein wird auf die öffentlichen Märkte 9%
Thier konnte nicht antworten, fiel aber vor Mate
tigkeit um, und flarb' unter feiner Laſt. \
Nun, bier if die Lehre. Der Bauer ift der -
Fuͤrſt, und das Volk ift der Eſel: aber es ik ein
friedfertiges Eſelvolk, das die Sefaͤlligkeit hat,
nicht zur Erde zu fallen: nein, es wird ſtehend ſter⸗ |
ben. - ' ’
age) 185 ( ienrie
bracht, ifo: wie ihn die Natur erzeugt, unb
der Bürgern von Paris, ve mag reich ober
‚ arm feyu, trinkt gegenwärtig ein Glas geſun⸗
den Weines anf. bie Geſundheit feines Koni⸗
ges, den er licht, und dem die Verehrung und:
Liebe feiner Unterthanen chen fo fehr am Her⸗
zen liegt, — Und das Brod, ift ed theuer? —
Es bleibt faft immer in gleichem Breife:9,
weil. man fehr: weiglich Öffentliche Getraybe⸗
Magazine errichtet, die im Salle ber Noth
immer 'nngefüllet find, und wir nicht dem
Fremben unfer Brod verfaufen, nm. es
dvey Monate darnach viel theurer wieder zu
faufen: Man hat den Vortheil des Kaͤu⸗
fers und Verkaͤufers richtig abgewogen und
alle beyde finden dabey ihre Rechnung. Die
Ausfuhre iſt nicht verboten, weil ſie aͤußerſt
vortheilhaft iſt: aber man bat ihr vernuͤnf⸗
tige Gränzen geſetzet. Ein einſichtsvoller
3) Das bee Mittel, die Menge der Verbre⸗
chen zu verringern, if, bap man einem Wolfe Ges
machlichkeit und Zufriedenheit verfchaffe. Die Noth⸗
durft umd dee Mangel erzeugen drey viertel von
Miſſethaten, und das Volk, bey dem der Ueber⸗
Aug herrſchet, wird nicht leicht Mörder und Näns
ber unter fich Haben. Die erfie Marime, die ein
König wifen fellte, if, daß gute Sitten aus
einem binlänglichen Auskommen entſtehen.
nen ) 189 ( re
und reblidier Mann hat. bie Aufſteho ůber
dieſes Gleichgewicht -und verſchließt die
Shore, fobalb ſech die eine: Wagſchale zu
tiefifenfet 4). Ueberdieß durchſchneiden Ea⸗
naͤle das Reich und verſtatten ·einen freyen
Umlauf: wir haben die Saone mit der Mo
ſel und der Loire zu vereinigen und alſo einr
"gene Vereinigung zweyer Meere zu Bewer
ſtelligen gewußt, die unendlich vortheilhafße
tor iſt, als die alte. Die Handlung. ver
. breitet ihre Schäße von Amſterdam nach
Nantes, und von. Rouen Big: Marſeille
Wir haben diefen Canal in der Provence ges‘
macht, der dieſer fo fihsnen vud mit den |
„» Wir machen die (hönfen Beftaditüngen
Melt, wir berechnen, wir führeiben, wir bel
uns mit unfern politiſchhen Gedanken; Kal:
niemals find fo viele Fehler gemacht: wyrden· Die:
Empfindung würde und weit ſicherg Mepe leiten,
Bir find mit der vorgegebenen Wagfchale in der
Hand Barbaren und Ziveiller geworden. Laßt und
Doch wieder Menfchen werden! Das Her uni:
nicht das Genie thut große und ebelmüthige- Hand⸗
Jungen. Heinrich der IV. if der heile König nom.
Der Welt gewefen, nicht durch feinen ausgebreite⸗
ten Berfiand, fondern, weil er die Menſchen auf⸗
richtig liebte. Das Herz gab ihm ein, mas er fuͤr
übe Glück thun muͤſſe. Was. für eine ungluͤckliche
Zeit, wo man big über das Gluͤck raiſennixet.
ee ) 102 (er
nen grauſamen' Hunger litte nicht das Voif
waͤhrend dieſer ſchoͤnen Streitigkeiten? —
Geſeh erklaͤret haben: fie wird dielleicht eines Ta⸗
ges Gutes ſchaffen: aber ſie haben ſich doch vor⸗
zumwerfen, daß fie auch, ohne es zu wollen, un dem
ode vieher taufend Menſchen und an dem Ejende
derjenigen Schuld gewefen, die nech dem Tode ents
zunnen find. Sie find zu vorellig geweſen: fie
"Yaben'nlies In Betrachtung gerogen, außer die Bes
'gierde der Menſchen nicht, die Durch diefe gefdhrs
liche Lockſpeiſe dugerkt aufgebracht worden. Ste
Aft ein «geber, (ſagt Mr. Linguet ſehr nachdrüds
Jich,) dem fie der Zandlung in die Hände ge-
geben, und mir dem fie den Unterhalr des Volks
ausgeſogen. Das Äffentliche Gefchrch muß mehr
gelten, als Ephemeriden. Man fiößt ein Fldaliches
Geſchrey aus: mithin ift das Geſetz vorist boͤfe.
Das Uebel mag immer von einer ertlichen Urſache
Herrüßren, daran liegt nichts; man bätte fie erra⸗
then, vor berfeben, ihr zuvorkommen und fühlen ſol⸗
Ien, daß eine Beduͤrfniß von der duferfien Us
vntbehrtichteit nicht einem ungefähren Laufe sufdRi=
ger Begebenheiten darf uͤberlaſſen werben: daß eis
ne fo unerhörte Neuigkeit in einem weiten Reiche
ihm einen Stoß geben muͤſſe, der ganz unfehibar
den ſchwaͤchſten Theil unterdrücken werde. In⸗
swifchen war es eben das Gegentheil, welches ſich
die Oekonomiker verfprachen. Sie feliten erftchen,
Dat fie fich Durch den Eifer für das allaenıeine
Wohl verfiihren laffen, daß ſie das Projekt nicht ges
nug überlegt, und es zu fehr vom Ganzen ger
trenuet baben, Da Doch in "der politifchen Ord⸗
Zr ) 193 ( re
Danfet der Vorſehung, bie noch auf biefeg
Reich herabfah.; ohne ‚fie haͤttet Ihr das
nung eines in das andere eingreift.: Es if nicht
genug, ein Calculator zu ſeyn; man muß auch
ein Mann des Staates ſeyn: man muß zu beſtim⸗
men wiſſen, was die Leidenfchaften für Schaden,
für Abfdue, für Veränderungen anrichten Finnen:
man muß abmdgen, mas das Bettagen der Reichen
anf den armen Theil für Wirkuug haben kann.
Man bat aber das Objekt nur von drey Seiten anfer
‚ben wollen; den wichtigften Theil hat Man vergefien,
‚ich meyne den Theil der Handwerker, ber für ſich allein
Drep viertel von der Nation ausmachet. Ran bat ihr
nen den Preiß des Tagelohnes nicht erhoͤhet, und
der geisige Vachter hat ibn in der ſtrengſten Abbaͤn⸗
sigteit erhalten: fie haben euch durch eine. ver⸗
Doppelte Arbeit das Geſchrey ihrer. ‚Kinder. nicht
Kilen können. Die Theurung des Brodes if das
Thermometer der Äbrioen Nahrungsmittel gewe⸗
fen, nad der Partieulier it um bie. Hälfte aͤrmer
gewefen. Dieſes Geſetz alfo mar ein bloßer beträg
gerifher Schleyer, um geſetzmaͤßig die ſchreckuich⸗
ſten Monopolien auszuuͤben: man hat fie g nem
das Vaterland gekehret, deſſen Gian; ſie vermeh⸗
ren ſollten. Seufſzet ihr Schriftſieller, und ob
ihr gleich dem edeln Trieben eines wahrhaftig pa⸗
triotiſchen Hergend gefolget ſeyd, fo fuͤhlet, wie ge:
faͤhrlich es iſt, nicht euer Jahrhundert und die
Menſchen zu kennen, uud dieſen eine Woblthat
angeboten zu haben, die fie in Gift verkehr⸗
sen. Nunmehr if ed eure Pflicht, den Kranken
in der Eur, die ihn tödtet, beyzuſtehen, ihm das Del
N
Zi) 19 ( —
Fa auf den Feldern eſſen müffen : aber
fie hat Mitleid mit Euch gehabt und Euch
vergeben: benn Ihr wußtet nicht was Ihr
thatet. Wie fruchtbar iſt nicht der Irrthum!
Wir haben eine Profeßion, die faſt allen
Bürgern gemein ift, dag iſt der Ackerbau,
in einem allgemeinen Verſtande genommen.
Die Weiber, als das ſchwaͤchſte Geſchlecht,
Bas bloß zu haͤußlichen Sorgen beſtimmt iſt,
bauet niemals die Erde. Ihre Hände ſpin⸗
nen Wolle, Flachs u. ſ. w. Die Männer
würden ſich fchämen, ihnen eine harte Arbeit
aufzulegen.
Drey Dinge find hauptſaͤchlich bey ung
in Ehren: Ein Kind zeugen, einen Acker be:
arbeiten, und ein Haus bauen. Auf dieſe
Art ift der Feldbau erträglich gemacht. Man
flieht nicht ben Landmann fich mit dem An⸗
bruche des Morgens quälen, um erſt nad)
Sonnen Untergang feine Arbeit zu perlaffen,
die Hitze des gangen Tages ertragen und
kraftlos binfallen, indem er vergebens nur
um einen Biffen von den Gütern flebt, die ſei⸗
ne Hände erzeugten. Kann wohl eine fchreck-
Jichere, brückendere Beſtimmung feyn, als
Iungemittel gu zeigen, und ihn, wo miolich zu ret⸗
ten: Hic labor, hoc opus.
Se) 195 (
der gemeinen Landleute ihre war, die nad) ihrer
ſchweren Arbeit nichts ald neue Laſten ſahen,
und mit Seufzen den engen und kurzen Raum
ihres Lebens ausfuͤllten? Welche Sklaverey
war nicht dieſem ewigen Kampfe mit den nie⸗
dertraͤchtigen Tyrannen vorzuziehen, die die
armſeligen Hütten ihrer Unterthanen pluͤn⸗
derten, indent fie die dringendſte Armuth mit
ſchweren Abgaben belegten! Dieſe äuferfte
Verachtung fehmächte in ihnen ſelbſt das
Gefühl der Verzweiflung: und ber unter
druͤckte, verachtete Bauer ließ in feinem trau⸗
rigen Zuſtande, indem er ſeine harte Furche
durchſchnitt, ſein Haupt herabſinken, und
kannte zwiſchen ſich und ſeinem Stiere kei⸗
nen Unterſchied mehr.
Unſere fruchtbar gemachten Felder vet
nen von Sreudengefängen. Jeder Hausva⸗
ter giebt das Beyſpiel. Das Tagewerk iſt
maͤßig, und ſo bald es geendiget iſt, nimmt
die Freude ihren Anfang. Kleine Zwiſchen⸗
raͤume von Ruhe machen ihren Eifer viel
thaͤtiger und er wird beſtaͤndig von laͤndli⸗
chen Spielen und Taͤnzen unterhalten.
Sonſt holte man das Vergnuͤgen in den
Staͤdten: heute zu Tage ſucht man es auf
dem Lande aufs hier ſieht man lauter lachende
2
=) 196 ( —
Gefichter. Die Arbeit bat nicht mehr den
fürchterlichen und widerlichen Anblick, weil
er nicht mehr für Sklaven gemacht zu ſeyn
ſcheint. Eine ſanfte Stimme ladet zur
Pflicht ein und alles wird leicht, gemaͤchlich⸗
ja fo gar angenehm. : Endlich, da wir nicht
mehr. eine fo ungeheure Menge Müßiggän-
ger haben, bie wie ſtehende Waffer, den Um⸗
lauf 48 politifchen Körpers hindern, und bie
Saulheis verbannet iſt, fo hat jedes Indibi⸗
denm feine ſuͤße Muße und Feine Caſſe findet
ſich zu Boden gedruͤckt, um eine andere uu
unterſtüben
Ihr werdbet alſo leicht einſehen, daß da
wir weder Moͤnche, noch Pfaffen, noch zahl⸗
reiche Bediente, noch unnuͤtze Knechte, noch
Handwerker eines kindiſchen Luxus haben,
daß, fage ich, einige Stunden an ber Arbeit
weit mehr einbringen; ale die dffentlichen
Beduͤrfniſſe erfodern: fie find reich an gu⸗
ten Produkten im alleriey Gattungen: dag
Neberfluͤßige geht zu den Sremden und ver-
fchafft und dafür andre Waaren.
Seht einmal, wie rachlich jene Märkte
mit allen ndthigen Lebenemitteln an Hülfen-
früchten, Obſt, Fiſchen, Federviehe verfehen
And. Die Reichen machen nicht, daß
Sam) 197 ( un
die Armen hungern muͤſſen. Die Furcht ek
ner Sache nicht hinlaͤnglich genießen zu koͤn.
nen, iſt weit von uns entfernt. Wan kennt
nicht die unerfättliche Begierde, dreymal
mehr aufzufaufen, als man verthun kann.
Die Verſchwendung wird verabfchenet.
Wenn bie Natıır an ung in Einem Jahr
ve ftiefmütterlich handeln follte,. fo fommen
deswegen nicht gleich viele tauſend Menfchen
am. Es than fid, die Kornboͤden auf und
die weiſe Borficht des Menfchen, hat: die une
günftige Witterung und den Zorn bed Him⸗
mels gezähmet. Der Magen ber:arbeitfams
ſten Menfchen empfängt feine magre, trockne,
übel zubereitete Nahrung und boͤſe Säfte,
Der Meiche fondert nicht mehr. dag ſchoͤnſte
Mehl ab, um den übrigen bloß bie Kleyen
zu laſſen: dieſe unbegreifliche Beleidigung
würde ein ſchaͤndliches Verbrechen ſeyn.
Sollte es uns zu Ohren kommen, daß ein
einziger die Folgen des Hungers gelitten
haͤtte, ſo wuͤrden wir uns alle fuͤr die Ur⸗
heber ſeines Ungluͤcks anſehen, und die ganze
Nation wuͤrde darüber in Thraͤnen ſeyn.
So iſt der Arme von aller Unruhe wegen
feiner Bedürfniffe frey. Der Hunger reißt
nicht, wie ein fürchterliches Gefpenfte, ihn
ee ) 198 ( Eier
von feinem Lager weg, wo er auf einige Mi⸗
nuten feiner Schmerzen vergaß. Er erwacht
ohne die erfien Strahlen der Eonne tra
rig zu fehen. Befriediget er feinen Hungen,
fo darf. er nicht fürchten, durch die Beruͤh⸗
rung der Speife ein Gift in feine Adern gu
jagen.: -
Diejenigen, die Reichthuͤmer befißen, wen⸗
den ſie dazu an, neue und nuͤtzliche Erfahrun⸗
gen anzuſtellen, welche dazu dienen, eine Wiſ⸗
ſenſchaft zu ergruͤnden und eine Kunſt zu ih⸗
rer Vollkommenheit zu bringen: ſie errich⸗
ten majeſtaͤtiſche Gebaͤude: ſie thun ſich
durch ruͤhmliche Unternehmungen vor: ihr
Vermoͤgen ſtuͤrzet ſich nicht in den unreinen
Schooß einer Beyſchlaͤferinn, oder auf ei⸗
nen ſtrafbaren Tiſch, wo ſich drey Wuͤrfel
drehen: ihr Reichthum nimmt eine Geſtalt,
eine ehrenvolle Feſtigkeit an, die den Augen
der Türger ein Entzuͤcken verurfachel. Aus
diefer Urſache treffen auch die Pfeile des Nei⸗
bes niemals ihre Beſitzungen. Man fegnet
die edeln Haͤnde, die als Verwalter der Güs
ter einer lichreichen Vorfehung, ihre Abfich-
ten durch die Errichtung folcher nüßlichen
Denkmäler erfüllt haben.
ze ) 199 ( ih
Aber, betrachten wir bie. Keichen Eures
Jahrhunderts, fo glaube ich, daß keine Ab⸗
zuͤge ſo haͤßliche Unreinigkeit bey ſich fuͤhren,
als ihre Seelen. Sie hatten, mit dem Gelde
in Haͤnden und der Riedertraͤchtigkeit im
Herzen, eine Art von Verſchwoͤrung gegen
die Armen gemacht: ſie mißbrauchten der
Arbeit, der Muͤhe, der Ermuͤdung, der Kraͤf⸗
te ſo vieler Ungluͤcklichen: ſie achteten den
Schweiß ihres Angeſichts und die abſcheuli⸗
che Furcht vor der Zukunft, wo fie ein ver⸗
laſſenes Alter vorherfahen, für nichts. Dies
fe Gewaltthaͤtigkeit war zur Gerechtigkeit
‚geroorden. Die Gefege waren nur info fern
wirkſam, als fie ihre Raͤuberey heiligten.
Sn wie eine Feuersbrunſt alles, was ihr na-
be liegt, aufzehret: fu verfehlangen fie die
Grängen, bie an ihre Laͤndereyen fließen:
und ſo bald man ihnen einen Apfel flahl, er⸗
huben fie ein entfeßlicheg Gefchrey, und nur
‘der Tod Eonnte fo eine abſcheuliche That
ausſoͤhnen. — Was follte ich darauf ant-
worten? Ich fehlug die Augen, nieder, ver-
‚fiel in ein tiefes Nachdenfen und gieng gang
in meine Gedanken verfchloffen, fort. — O
Ihr Habt nod).andre Dinge, die Euch zum
Nachdenken auffodern, fagte mein Führer zu
De: )) 200 (: ie ik
wir. Bemerker, (weil Eure Augen. einmal
auf bie Erde gehefftet find, )- daß bag Blut
der Thiere nicht mehr in den Strafen fließt,
und die Vorſtellung ber Schlachtbänfe in
Euch, erwecket. Die Luft wird nicht mehr
von diefem Gadavergeruch. angeftecht , ber
bey Euch fo viele Krankheiten veranlaßte.
Die Neinlichkeit tft ein Zeichen der Ordnung
und sffenilichen Harmonie, das am. wenige
ſten zweydeutig iſt: fie herrſchet überall
Aus einer heikſamen, und ich möchte faſt far
gen, morafifchen Vorficht, haben wir bie
Schlachthoͤſe außer der Stabt angelegk
Hat ung die Natur verdbanmit, Fleifch von
Thieren zu effen, fo wollen wir ung doch.
menigftens den Anblick des Todes erfparen.
Das Handwerk des Fleiſchers muͤſſen bey
uns Fremde verrichten, die ihr Vaterland
verlaſſen muͤſſen: fie werden von den Geſe⸗
Ben gefchüßt, aber nicht in die Elaffe der Buͤr⸗
ger aufgenommen. Keiner von ung freibt diefe
Blutige und graufame Kunft : wir würden
ung fürchten, daß fich unfre Brüder da⸗
durch nicht unvermerkt gewoͤhnten, be
natürlichen Eindruck des Mitieids zu vers
lieren s und das Mitleid, Ihr wiſſet es
wohl, ift das ſchoͤnſte, das wuͤrdigſte Ge
ma) 201 (TR
ſchenke, das wir von der Ratur erhalte
haben 6, r oo. 2: rd 3
. Bier und yoanyiged ‚Kapitel. 4
Der Prinz, ein Gaſtwirth. =
J Ay wollt effen, fagte mein Führer, denn
die Promenade hat Euch Appetit ge
macht? Gut, wir wollen in diefes Wirths⸗
Baus gehen. — Ich prallte drey Schritte
zuruͤck. Ihre bebenfet.nicht was Ihr ſaget,
berſetzte ich? Da iſt ein großer Thorweg,
Wappen und Wappenhalter. Hier muß ein
Bein; wohnen — Ja freylich! es iſt ein
zuter Prinz, denn er hält allegeit bey fich
drey offene Tafeln: eine für fich und feine
Samilie, die zweyte für die Fremden, und die
yriste für Norhdürftige — Sind viel folche
Tafeln in Eurer Stadt? — Bey allen Prin⸗
en — Aber es müffen fich da viele müßige
Schmaroger einfinden? — Nichtsweniger s
yenn fo bald jemand eine Gewohnheit dar⸗
us machet und fein Sremder ift; fo bald
wird er bemerkt, und die Cenforen der Stadt,
yie feine Neigung zu erforfchen ſuchen, weiſen
hm ein gewiſſes Gefchäffte an: fcheint er aber
6) Beifbefäneibungen
ED ) 202 ( Enirie
zu nichts gut zu feyn, als zum Effen, ſo ver⸗
meifet man. ihn aus der Stadt, fo wie man
aus der Bienenrepublif alle diejenigen zum
Stocke hinausjagt, ‚die nichts thun, als den
allgemeinen Schatz aufjehren helfen. —
Idhr habt alſo Cenſoren? — Ja, oder fie
verdienen vielmehr einen: andern Namen.
Es find gerichtliche Uuffeher, die überall Die
Fackel der Vernunft umbertragen und un⸗
gelchrige ımd aufrüßrifche Gemuͤther zu hel⸗
len ſuchen, indem fie wechſelsweiſe die Be⸗
rebfamteit des Hetzens, die Sanftmuth und
die Klugheit anwenden.
Dieſe Tiſche ſind fuͤr Greiſe, Wiederge⸗
neſene, ſchwangere Weiber, Wayſen und
Fremde errichtet. Man ſetzt ſich daſelbſt
bin, ohne fich su ſchaͤmen, oder ein Beden⸗
fen darüber zumachen, ‘und findet bier
eine geſunde, Feichte und reichliche Koſt.
Diefer Prinz, der Ehrfurcht für die Menſch⸗
lichfeie bat, kramet nicht eine eben fo be⸗
leidigende als fchmelgerifche Pracht aus:
er läßt nicht drey hundert Menfchen arbeis
ten, um zwoͤlf Perfonen zu effen zu geben:
er machet nicht aug feiner Tafel eine Vers
zierung . der Oper: er machet ſich Eeinen
Ruhm aus dem, was eine wahre Schande
ae) 203 ( Tr
ift, ich meyne, aus: einer übertriebenen, un⸗
ſinnigen D Verſchwendung: wenn er ſpei⸗
ſet, ſo denket er, daß er nur Einen Magen
habe, und daß es nichts beſſer waͤre, als
daß er ihn zum Gotte machen wolle, wenn
ee ihm, wie den Abgoͤttern des Alterthbumg,
hunderterley Gerichte anbieten wollte, von
denen er nichts zu eh nehmen fönnte. :
Rn. . Indem wir ſo mit einander. ſchwatzten,
giengen wir durch zween Hofe; die Ausgaͤn⸗
ge waren gablreich und bequem, und wir
famen in einen ausnehmend ‚tiefen, Saals
dieg war der für die Fremden. Cine ein-
jige Tafel, wo man ſchon an vielen Drteg
aufgetragen‘, nahm die ganze Länge deffel-
ben cin. Man beehrte mich, meines hohen
Alters wegen mit einem Armſtuhle: man feß-
te ung. eine Fräftige Suppe, Huͤlſenfruͤchte,
1) Wenn ein Menfch den Kupferflich des Gars
sanıtua fieht, deſſen Rund groß wie ein Backofen ift,
der aufeine Mahlzeit zwoͤlfhundert Pfund Brod, zwan⸗
sig Ochſen, hundert Schoͤpſe, ſechehundert Huͤner,
funfzehnhundert Hafen, zweytauſend Wachteln,
zwoͤlf Maaß Wein, ſechs taufend Pfirſchen ver⸗
ſchlingt, wuͤrde er nicht ſagen: dieſer große Mund
ift der Mund eines Bönigen
h
Sei) 204 (re
en wenig Wildpret umd Fruͤchte vor, al;
les auf eine einfache Art zugerichtet >).
Das ift pnvergleichlich ; rief ich aus!
D! das heißt einen. guten Gebrauch von
feinen NReichthümern machen, wenn man
die Hungrigen ſpeiſet. Sich finde diefe Art
zu denken weit edler, und eines hohen Stans
des weit wuͤrdiger — Alles gieng in der
Außerſten Ordnung: eine wohlanſtaͤndige
und lebhafte Unterhaltung gab dieſer oͤf—
fenrlichen Zafel einen neuen Reiz. Der
Prinz erſchien/ und gab bald hie bald da ſei⸗
ne Befehle auf eine edle und Teutfelige Art.
Er kam laͤchelnd zu mir: er fragte mich
nach verfchiedenen Dingen aus meinem
Jahrhunderte, und verlangte, daß id) ohne _
Zurückhaltung forechen ſollte. Ach! fagte
sch: Eure Vorfahren waren nicht fo- ebels
a, Ich babe einen König su einem Prinzen Fonts
men fehen. Als er durch einen großen Hof gieng,
hatte fich eine gewaltige Menge Menfchen auf dems
feibigen verfammelt, die mit ſchmachtender Stim⸗
me fchrien: Brod! gebt une Brod Nachdem
er diefen Hof burchgangen mar, ohne ein Wort
darauf zu ant:worten, ferte er ſich nebfl dem Prints
sen an eine Tafel su einem Feſte nieder, das bey⸗
nahe eine Million koſtete.
Be) 205 Ä 3
muͤthig als Ahr! fie brachten ihre F Tage
auf der Jagd 3). und bey der Tafel zu.
Wenn ſie Haſen toͤdteten, ſo geſchah
es aus Muͤßiggange, und nicht um ſie den⸗
jenigen zu eſſen zu geben; die von ihnen wa⸗
- 3) Die Jagd folte für ein unedlet und nieder⸗
traͤchtiges Vergnuͤgen gehalten werden. Man ſoll⸗
te die Thiere bloß aus Nothwendigkeit toͤdten: denn
unter allen Geſchaͤfften iſt dieſes gewiß das trau⸗
rigſte. Ich leſe allezeit mit einem neuen Grade
der Aufmerkſamkeit, was Montaigne, Rouffeau
und andere Philoſophen Iber die Jagd geſchrieben
haben. Ich liebe die guten Indianer, die ſogar
das Blut der Thiere ſchonen. Die Gemuͤtheart
der Menſchen verraͤth ſich durch die Art der Wera
gnuͤgungen, die fie wählen. Und meld, ein grau⸗
fames —55 — aus den Luͤften ein blutiges Reb⸗
huhu berabzufürzen, Haſen unter ſeinen Fuͤßen zu er⸗
morden: zwanzig heulenden Hunden yı folgen, und ein
armes Thier zerreißen zu ſehen! Diefes iſt ſchwach, es
iſt uuſchuldig, es iſt die Furchtſamkeit ſelbſt: e⸗
unterliegt, ein freyer Bewohner der Waͤlder, unter
den Zähnen feiner Feinde: der Menſch koͤmmt das
zu, und Rdst ihm feinen Pfeil durchs Herz: der
Barbar lächelt, indem er feine ſchoͤnen Seiten, rot
vom Blute und die fruchtloſen Thränen ficht, die
aus feinen Augen firöhmen. Ein ſolcher Zeituers
treib nimmt defien Urfprung in einer von Natur
barten Seele, und der Charakter der Jaͤger ift nichtg
anders als eine Bleichgültigkeit, die in Bereits
ſchaft ik, fich in Sraufamkeit zu verwandeln. .
Mae ) 206 (Erd
ven aufgefreſſen worden. : Sie erhoben ihre
Seele niemals zu irgend einem großen und
nuͤtzlichen Gegenftaride. Sie verſchwende⸗
ten Millionen für Hunde, Diener, Pferde
und Schmeichler: Kurz, fie trieben das Hande
werf ber Höflinge, und gaben bie Sache des
Vaterlandes auf.
Jedes hub vor Erſtaunen die Hände ge gen
Simmel: man hatte viel Mühe, meinen
orten Glauben beyzumeffen. Die Befchich-
te, fagfe man mir, hat ung doch nicht'alleg
das gefagt: im@&egentheil' - - Ach! erwies
derte ich, die Geſchichtſchreiber find ſtrafba⸗
rer, als die Fuͤrſten geweſen.
Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.
Schauſpielhaus.
ec, der Mittagsmahlzeit fchlug man mir
vor, in,die Komoͤdie zu gehen. Sch
bin allezeit ein Freund der Echaufpiele ge-
wefen, und werde fie auch noch nach tau⸗
fend Sjahren lieben, wenn ich fo lange leben
ſollte. Das Hers fchlug mir vor Sreube.
Was für ein Stuͤck wird denn heute ge
fpiele? Welch ein Stuͤck mag denn unter die
ſem Volke für ein Meifterflück gehalten wer⸗
=
Se ) 207 ( Eee
den? Werbe ic) den langen Kock der Perfer,
der Griechen, ber Roͤmer, oder die franzoͤſt⸗
ſcche Kleidung fehen? Wird man cinen elen⸗
den Syrannen vom Throne floßen, oder eis.
nen Dummkompf mit. dem Dolche durchbow
ren, ber nicht auf feiner Hut war? Werde
ich eine Verſchwoͤrung oder einen Schatten
fehen, ber aus dem Grabe unter dem Ges
murmel des Donners hervorwandelt? Habe
Ihr wenigſtens gute Schauſpieler, meine
Herren? Sie ſind zu aller Zeit eben ſo ſel⸗
ten, als die großen Dichter geweſen —
Je nun, ja, ſie geben ſich alle moͤgliche Muͤ⸗
he, ſie ſtudiren, ſie laſſen ſich von den beſten
Schriftſtellern unterrichten, um nicht in au⸗
genſcheinlichen Widerſinn zu verfallen: fie
ſind folgſam, ob ſie gleich weniger beleſen ſind,
als die, Eures Jahrhunderts waren. Es
koſtete Muͤhe, ſagt man, einen leidlichen
Schauſpieler, oder eine leidliche Schauſpiele⸗
rinn aufzutreiben: die übrigen waren werth,
in breternen Buden auf dem Boulevard zu
ſpielen. Ihr hattet in der Hauptſtadt, die
eine Nebenbuhlerinn von Rom und Athen
ſeyn wollte, ein kleines, duͤrftiges, armſeli⸗
ges Theater: und oben drein wurde dieſes
Theater ſchlecht regieret. Der Komoͤdiant,
en ) 208 ( ee
dem man weit mehr. gab, ale er verdiente,
anterftund ſich, Hochmuth sa befißen, beun⸗
ruhigte den Mann von Genie nd, der fi
gezwungen fah, ihm fein Meifterftück zu uͤher⸗
laſſen. Dieſe Menſchen ſchaͤmten ſich micht
zu Tode, daß ſie die beſten theatraliſchen
Stücen zuruͤcke gewieſen, oder wider Willen
geſpielet haben, indeſſen daß diejenizen,die
ſie mit Entzuͤcken aufnahmen, ſchon durch
dieſes einzige Zeugniß den Stempel: ihrer
Verwerfung und ihres Falls trugen. ‚Ray
fie brachten es fo weit, daß fich das Publ
kum nicht mehr um die Zänfereyen ihrer
fchmußigen . und elenden Spiclbube der
kuͤmmerte.
1) In Frankreich iſt die Regierung monarchiſch
und das Theater republikaniſch. Das ik aber
Richt das Mittel, wodurch die dramatifche Fu
ſo bald zu eininer Vollfommenheit gelangen kann:
ih bebaurte fogar, daß ledes Stuͤck, das für dag
Volk vorteeflich fenn würde, von der Regierung
derbeten wird. Ihr Herren Autoren, machet doch
Krauerfpiele tiber alte Geſchichte! man verlangt
von euch Romanen und nicht Gendide, die das
(Herz rükren und den Verſtand unterrichten; wieget
uns dech mit alten Maͤbhrchen von dem Eſel und
ber Loͤwenhant ein, und ſchildert und ja nicht Bes
Hebenheiten, am weniaſten aber die itigen Den
ſchen.
RE) 209 ( „
Wir haben vier Schaufpielhäufer, init
sen in den vier vornehmſten Duartieren ber
Stadt.” Sie werden yon der Regierung un⸗
terhalten: denn man.hat fic gu einer oͤffent⸗
lichen Schule ber Moral und des Geſchmacks
gemacht. Man bat ben ganzen Einfluß zu
Huͤlfe genommen, den bag Genie nur auf
empfindliche Seelen haben kann 2), "Dies
2) Man füpret auf den Jahrmaͤrkten und Wal⸗
len von Paris vor dem Volke grobe, uinflätige, laͤ⸗
cherliche Stücke auf, da es doch fo keicht wire, es
durch ehrbare, lehrreiche, anmuthige, und feiner
Saffung gemaͤße Stüde zu unterhalten. Aber «6
liegt Denen, die am Ruder ſitzen, wenig daran, ;ob
fie deffen Körper durch einen Weil, der das Schaͤd⸗
liche von sinnernen Gcfäßen angenommen, dus das
nen es ibm in den Wirthshaͤuſern eingefchentet
wird, vergiften, und feine Seele durch Die elendes
Ren Porfenreißereven auf dem Jahrmarkte verder⸗
ben. Folgt es den Lehren des Diebſtahls, die es
beym Nieolet als feine liſtige Streiche erhält,
dem Buchftaben nach, fo ift der Galgen gleich ers
sichtet. Es exiſtiret fo gar eine Verordnung ber
Polizey, die austrüdlich das Volk zu unartigen
Poſſenſpielen verdammt, und ſolchen herumſtreifen⸗
den Komoͤdianten verbeut, in ihren Buden nichts
Bernänftiges vorzubringen ; alled aus Hochachtung
für die ehrwuͤrdigen privileairten Hoftomddianten.
Und das ift in einem gefitteten Jabrhunderte, ins
. Sabre 1767, gefcheben, dab man eine ſolche Ver⸗
D
Se) 210 ( er
6 hat die erfiaunlichiten Dinge ohne piel
Muͤhe, ohne Gewaltthätigkeit, gethan. . Die
größten Dichser haben, wenn ich fo fagen
darf, die Herzen ihrer. Mitbürger in ihren
Händen: fie bilden fie nach ihrem Gefallen.
Wie firafbar find fie, wenn fir ihnen gefähr-
liche Kehren beybringen ! Aber wie weit find
fie auch über unfere Ichhaftefte Erkaͤnntlich⸗
feit erhaben, wenn fie das Lafter zu Boden
ſchlagen, und die Menfchlichkeit befoͤrdern.
Anfere bramatifchen Schriftfteller Haben kei⸗
nen andern Zweck als die Vollfommenheit
ber. menschlichen Natur: fie gehen alle dar⸗
auf um, bie Spele zu erheben, fie zu befefti
gen. und .fie unabhängig und tugendhaft zu
machen. Die guten Bürger find auch vol
ber Begierde und Eifer für diefe Meiſterſtuͤ⸗
ee, welche rühren, intereßiren, und in ben
Herzen biefe heilſame Bewegung unterhal,
ten, bie fie zum Mitleiden, dieſem unterſchei⸗
ordnung gegeben ? Welche eine Gerachtung gegen
Das arme Volk! o wie wird fein Unterricht ver⸗
nachläfiget ! wie fürchtet man fich, in feine Seele
einige Strahlen eines reinerm Lichtes suzulaffem.
Es ift wahr, zur Vergeltung puget man mit der
Außerſten Sorgfalt die Hemifichen auf, die auf
un Sranzöfifchen Tdeater fon bergefaget
en.
we) 2II ( ek
denden Charakter der wahren Grsße » oe
ſchickt machen: - Ä
Mir kamen auf efriem ſchoͤnen ag an,
in deſſen Mitte ein Gebaͤude von einer ma⸗
ſeſtaͤtiſchen Zufammenfegung errichtet war.
Aeber den Eingange ſtunden viele alleg orifche
Figuren. Zur Rechten entriß Thalla dem
Eafter eine Maske, hinter der es ſich ver
ſteckt hatte, und zeigte mit ihrem Finger auf
feine’ Haßlichkeit. Zur echten vffnete wel,
Hontene, mit einem Dolche bewaffnet⸗ klilemm
35. Welche Stärke, was für eine. Senat, *
„hen ſichern Triumph würde. nicht unfer Theater
erlangen, wenn unfere Regierung, 'anftatt es für
‘einen Aufenthalt von Muͤßigadnaern anzufehen, es
fuͤr eine Schule der Tugend und der dvduͤrgerl⸗
hen Pflichten hielte? Aber mas haben unſere groͤß⸗
‚ten Genies gethan? Sie haben ihre Fabeln von
den Griechen, Römern und Perfern u. ſaw. genom⸗
men: ſie haben uns fremde oder vielmehr erdich⸗
tete Sitten vorgeſtellet. Sie waren harmoniſche
‚Dichter und ungetreue Maler, und haben ung Ges
maͤlde der Einbildungskraft aufgeellets mit. ihrem
Helden, ihren fhwülkigen Werfen, ihrer eintoͤni⸗
gen Zarbe, ihren fünf Handlungen, haben fie die
dramatifche Kunſt verderht, Bie nichts weiter ald
ein fimpled, aetreues, von den gegenwärtigen Sit⸗
ten unſerer Beitgenofen beſeeltes Gemaͤlde ſeyn
ſollte. .
. D 2
Ze ) 212 ( ie
Tyrannen die Geite, und ftellte aller Au⸗
gen fein Herz von Schlangen zerfreffen dar
. Das Theater formirte einen halben vor⸗
laufendenZirkel,fo daß die Pläge derZufchauge
fehr bequem vertheilet waren. jedermann faß;
und als mir einfiel, wie ich vormals. ermuͤ⸗
det war, wann ich ein Stüd hatte foielen
fehen; fo fand. ic) dieſes Volk weit kluͤger
und auf die Bequemlichkeit ihrer Buͤrger
weit aufmerkſamer. Man hatte nicht die
unverſchaͤmte Geldgier, mehr Perſonuen hin⸗
einzulaſſen, als das Schauſpielhaus ver⸗
nuͤnftiger Weiſe faſſen konnte. Es blieben
allezeit Plaͤtze fuͤr die Fremden leer. Die
Verſammlung war glaͤnzend, und die Da⸗
men waren artig, obgleich beſcheiden, ge
kleidet.
Das Schauſpiel wurde mit einer Sym.
honie eroͤffnet, die fich zudem Stüde ſchick⸗
te, das man vorftellen wollte. — Sind wir
in der Oper? fagte.ich; dag ift ein großeg
Stüd. — Nein, wir haben ohne Verwir⸗
rung bepde Schaufpiele in Eins zu bringen
gefucht, oder vielmehr die alte Verbindung,
die bey den Alten zwifchen der Poefie und
Mufit herrfchte, wieder bergeftellet. In
den Zwiſchen⸗Akten unferer Dramen läßt
HP) 213 ( Enke
man uns lebhafte Gefänge hoͤren, die Bit
Empfindung ausdruͤcken und die Seele ges
neigt machen, dasjenige zu fühlen, tag man
ihr zeigen will, Wir haben alle weibifche,
unfchickliche, laͤrmende Muſik, oder eine fols
che, die nichts ausdruͤcket, verbannet. Eure
Oper war eine ungeſchickte, ungeheure Zu⸗
fammenfeßung: dag Belle davon haben rule
behalten. So wie fie zu Eurer Zeit wary
fonnte’fit nicht vor dem gerechten Tadel klu⸗
ger und geſchmackvoller Leute 4) geſichert
ſeyn aber heute zu Tage⸗⸗
Indem er dieß fagte, würde der Vor
bang aufgezogen: der Schauplab war zu
Toulbvuſe. Ich fahe feinen Rath, feine
Schöppen, feine Richter, feine Henker, fein
fauatiſches Boll. Die Familie des ungluͤck⸗
lichen Calas erfchien und’ preßte mir Thraͤ⸗
nen aus. Diefer Greis zeigte fich "mit fele
nen weißen Haaren, feiner ruhigen Stand⸗
baftigfeit, feiner heroiſchen Sanftmuth. Ich
ſahe das traurige Urthel auf ſein Haupt,
ſein von allem Anſcheine des Verbrechens
4 Die Oper kann nicht anders, als ſehr ges
faͤhrlich ſeyn: aber der Regierung liegt fein Schau⸗
fiel ſo ſehr am Herzen: auch ik es das eimige,
für das fie ſich intereßiret. =
) 214 ( ie
freyes Haupt, herabfallen. Was mich ruͤhe
fe; war die Wahrheit, die dieſes Stück be⸗
lebte. Dan hatte fich fehr gehuͤtet, dieſe
traurige Gefchichte durch die Unwahrſchein⸗
lichkeit und Monotonie unferer gereimten
Verſe su verftellen. Der Dichter war her Bew
gebenheit Schritt vor Schritt gefolget, und
feine Empfindung hatte fich bloß an dag ges
halten, was der. beweinenswuͤrdige Zufland
eines jeden Opfers von ſelbſt an! die Hand
gab, oder er hatte vielmehr ihre ganze Spra⸗
che gebergt: denn die ganze Kunſt beſteht
darinnen, daß man das Geſchrey, das die
Natur ausſtoͤßt, getreulich wiederholt. Zu
Ende dieſes Trauerſpiels zeigte man auf
mich mit Fingern und ſagte: das iſt ein
Zeitgenoſſe dieſes ungluͤcklichen Jahrhun⸗
derts. Er hat dag Geſchrey dieſes unge⸗
zoͤhmten Wolfes gehoͤrt, welches ſich gegen
dieſen Rechtſchaffenen empoͤrte, er iſt ein Zeuge
von der Wuth dieſes abgeſchmackten, ſchwaͤr⸗
meriſchen Eifers geweſen. Hier huͤllte ich
mich in meinen Mantel, ich verbarg mein
Geſichte und erroͤthete uͤber mein Jahr⸗
hundert. |
Man Eindigte auf Morgen dag Trauer-
fpiel: Cromwell, oder den Tod Earl des
Eng) 215 ( Enge
Erſten an 5); und die ganze Berfammlung
ſchien über. diefe Ankündigung ausnehmend
zufrieden zu ſeyn. Man fagte- mir, es fey
ein Meifterftück, und niemals fen die Sache
ber Könige und ber Völker mit fo vieler Kraft,
Berebtfamteit und Wahrheit vorgeſtellet wor⸗
den. Cromwell war. ein-Mächer, ein Held,
der des Zepterd würdig war, das er einer
treuloſen und gegen den: Staat ſtrafbaren
Hand entriffen; und die Könige, deren Herzen
zu irgend einer Ungerechtigkeit geneigt waren,
hatten niemals: diefed Drama leſen Fförinen;
ohne daß eine Todtenbläße ihre file Stite
ne überzogen hatte. - BR
" Zum Nachfpiele gab man die Jagd Zein⸗
rich des EV. Sein Name war immer noch
in größten Ehren und die folgenden gusen
Könige hatten fein Andenfen nicht verdraͤn⸗
gen koͤnnen. Man fand nicht. mehr in dieſem
Stücke, daß der Menfch den König verdun⸗
£elte, und der Sieger: der Ligue fehien mit
niemals fo groß, ale in dem Augenblicke,
5) Woran deuft ihr, tragiſche Dichter? Ihr
habt ein ſolches Suͤjet zu behandeln, und ihr ſchwa⸗
get mir von den Perſern und Griechen vor: ihr
kiefert mir gereimte Romane? ie“ fo ſchudert mir
dea den Cromwell.
, Wire ) 216: ( uiegiree-
wo: fein fiegreicher Ye; um feinen Wirther
leuten eine Muͤhe zu erfpgren , bie Teller
berbey trug. Das Volk Elatfchre mit: Ent
zuͤcken in die Hände: denn, indem es ben
Zügen ber Güte und Großmuth des Mon-
archen Beyfall gab; fü überhäufte es feinen
eignen König. mit „den lebhaſteſten kob⸗
hrädie. FO
Ich gieng febr: zufrieden heraus: aber,
ſagn ich zu meinem Fuͤhrer: das ſind vor⸗
trefl iche Schauſpieler! fie haben: Geiſt,
fie fühlen, ſie druͤcken alles aus, fie haben
nichts ‚gesiwungeneg, nichts falſches, aus⸗
ſchweifendes, übertriebenede. Selber bie
Vertrauten ſpielen ihre Rollen der Ratur ges
wäh, In der That, das erfreut mich. Ein Ver⸗
trauter feine Rolle recht zu ſpielen! — Das
koͤmmt daher, fagfe.er zu mir, weil jedes
guf dem Theater, fo wie im bürgerlichen
Leben, es fich zur Ehre macht, feine Pflicht
gu erfüllen: fo Elein er auch ift, fo iſt es ihm
rühmlich, in der Sphäre, worinnen er ſich
befindet, vortrefflich zu feyn. Die Decla,
ination ift bey ung eine wichtige Kunſt und
von der Regierung felbft geachtet. "Wir ha⸗
ben Eure Meifterftücke geerbt, aber fie auch
in einer Bollfommenheit aufgeführet , die
pe) 217 (ie
Euch in Erſtaunen ſetzen wuͤrde. Man
macht ſich eine Ehre daraus, dasſenige au
zuführen, mas das Genie gezeichnet hat. O!
100 ift eine ſchoͤnere Kunſt, als diejenige, bie
durch Blick, Stimme und Geberde alle Schat⸗
tirungen der Empfindung: malet und: aus⸗
Drücker! Welch ein: harmoniſches und rüh-
rendes Ganze und welche Kraft giebt ihm
ihre Simplicieät ! — Ihr habt alſo fehe
unſere Borurtheile verlaffen, Ohne Zweifel
‚find die Komoͤdianten nicht mehr verachter?
— Bon dem Augenblicke an, ba fie tugend
haft geworben, bat man aufgehöret, fie zu
verachten. Es giebt gefährliche, aber auch
nüßliche Vorurtheile. Zu Eurer Zeit, mußte
man ohne Zweifel; um dem verführerifchen
und gefährlichen Hange Einhalt zuthun, ben
die Jugend su einer Kunſt hatte, beren Grund
meiftentheild ein wuͤſtes Leben war: aber
alles dieß hat fich geändert. Weiſe Verord⸗
nungen, die fie aus ber Vergeſſenheit ihrer
ſelbſt herausgeriffen, haben ihnen die Ruͤck⸗
fehr zur Ehre geöffnet: man hat fie in bie
Slaffe der Bürger aufgenommen. Lnlängft
hat unfer Prälat den Koenig felbft gebeten,
einem Komsdianten, der ihn vorzüglich ges
rühret, den geftückten Hut zu geben. —
Min ) 218 ( ee
Wie! diefer gute Praͤlat geht alfo ir ba®
Schauſpiel? — Warum follte er nicht hin⸗
eingehen, da das Theater 'eine Schule ber
Fugend, guter Sitten, und edler Empfin-
dungen iſt? Man lieft, daß ber Vater der
Chriſtenheit viel Vergnügen fand, in dem
Semvel Gottes zweydeutige Stimmen ums
glücklicher Menfchen zu hören‘, die man ih“
rer Mannbeif beraubt hatte. Wir haben
niemals fülche beweinenswuͤrdige Töne ges
Höret, die zu gleicher Zeit bem Ohre und
dem Herzen weh thun. Wie haben Mens
ſchen an einer fd grauſamen Muſik einen
Gefallen finden können? Ich daͤchte immer,
es wäre eher delaubt, die ſchöne Tragoͤdie,
Mahomed, zu ſehen, wo das Herz eines ehr⸗
geizigen Boͤſewichts aufgedeckt wird, wo die
Wuth des Fanatiſmus ſo nachdruͤcklich vor⸗
geſtellt wird, daß ſie unſchuldigen ſowohl
als ſchwachen Seelen, die einige Neigung
dazu haben, ein Schaudern verurſachen
Stille! da geht der Pfarrer dieſes Vier⸗
thels nach Haufe, und unterhaͤlt ſich mit ſei⸗
nen Kindern uͤber das Trauerſpiel Calas.
Er bildet ihren Geſchmack, klaͤret ihren Ver⸗
ſtand auf, verabſcheuet den Fanatiſmus, und
He.) 219 ( —
weun er an bie ſchwarzſuͤchtige Wuth geben,
ket, die wie cine epidemiſche Krankheit zwoͤif
Sahrbunderte hindurch, halb Europa vers
wuͤſtete, fo fagt er dem Himmel Dank, daß
er ſpaͤter auf-die Welt gefommen. Zu ges .
willen Zeiten des Jahres genießen wir eines
Vergnuͤgens, das Euch gänzlich unbekannt
war: wir haben die Kunſt der Pantomime
wieder in Gang gebradjt, auf die die Alten
fo. viel hielten. . Wie viel Organe hat bie
Natur dem Menfchen, wie viel. Mittel die
ſem verftändigen Weſen gegeben, die faſt
unendliche Zahl ihrer. äußern Empfindungen
auszudruͤcken! Alles iſt bey dieſen beredten
Menſchen, Gefichtes fie reden mit den Zins
gern fo deutlich, als Ihr es durch die Spra⸗
che wuͤrdet thun können. Hypokrates ſagte
vormals, daß der einzige Daun des Mens
{chen einen gebietenden Gott offenbare,
Unfere gefchichten Pantomimen zeigen, welche
Herrlichfeit Gott in Bildung des menſchli⸗
chen Hauptes gezeiget bat! — D! ich kaun
barüber nichts mehr fagen; alles ifl vortref⸗
lich! — Es ift ung zur Vollkommenheit noch
viel uͤbrig. Wir haben uns der Barbarey
entriſſen, worein Ihr verſenket waret: einige
Köpfe waren gleich anfänglich erleuchtet,
\
Se ) 220 ( einge
aber vie Nation im Ganzen war noch un⸗
wiffend ımd Eindifh. Nach und nad) find
die Seelen aufgebelle worden. Es iſt und
noch mehr zu thun übrig, aͤls wir bereite
gethan haben: wir find noch Faum zur Haͤlſ⸗
te auf ber Leiter. Gebult und Gelaffenheit
tbun alles: aber ich fuͤrchte, daß das uns
eingefchränkte Befte nicht von dieſer Weit
ſey. Dem ungeachtet, müflen wir durch das
Beftreben darnach, die Dinge wenigſtens er ers
täglich zu machen ſuchen.
Sechs und zwanzigſtes Kapitel.
u Die $aternen.
Wir giengen aus dem Schauſpielhauſe
ohne Verdruß und Verwirrung her⸗
aus. Die Ausgaͤnge waren zahlreich und
bequem, und die Gaſſen vollkommen erleuch⸗
tet. Die Laternen waren an den Waͤnden
angehefftet, und ihr vereintes Licht ließ
keinen Schatten: eben ſo wenig verbreitete
es eine zuruͤckgeworfene Klarheit, die dem
Geſichte ſchaͤdlich iſt: die Optiker verſchaff⸗
ten den Augenaͤrzten keinen Vortheil. Ich
traf nicht mehr an den Ecken und Winkeln
der Straßen ſolche luͤderliche Weibsbilder
R
Sr ) 221 (ee
an, bie mit bem Zufe in der Goffe, dad Ge
fichte erleuchtet und mit einem Auge, bag fo
frech, ale thre Geberde mar, in einem foldas
- tifchen Tone eben fo grobe, als unſchmack⸗
hafte Vergnügungen anboten. Alle diefe
unzuͤchtigen Derter, wo der Menfch fich ete
niedriget, sum Thiere herabfeget und vor ſich
ſelbſt erröthen muß, wurden nicht mehr ges
dultet: denn jede Seftattung eines Laſters
thus: niemals einer andern-Art von Lafter
Einhalts fie bieten alle einander die Hand;
und sum Unglück ift feine Wahrheit beffer
bewiefen als diefe ©.
Ich fahe Wachen, bie zur öffentlichen
Sicherheit auggeftellet waren und nicht zus
ließen, daß man die Stunden ber Ruhe ſtoͤr⸗
te. — Dieß iſt die einzige Art von Solda⸗
1) Jede Stadt, wo ſich eine große Anzahl une
zuͤchtiger WBeibsbilder befindet, if eine ungluͤckliche
Stadt. Die Jugend verzehret fich oder verwel⸗
get in einer niedrigen oder frafbaren Wolluſt: und
Diefe jungen Wuͤſtlinge verheurathen ſich, wenn fie
entkraͤftet, und ganz unvermoͤgend ſind, mit der
jungen betrogenen Gattinn, die bey ihnen ſchmach⸗
tet, Kinder zu zeugen.
Gleich den Fackeln, gleich dem traurigen Feuer,
Das ben den Todten brennt, ohne ihre Aſche im i
smen *
Colardeau.
Ras ) 222 ( eek
tet, deren wir nöthig haben, fagte mein Fuͤh⸗
rer zu mir: wir haben nicht mehrein fref-
fendes Heer in Kriedenszeiten zu unterhal-
ten. Die großen Hunde, die wir ernährten;
damit fie fich zu gehoͤriger Zeit auf den Frem⸗
sen lösftürzen möchten, haben beynahe dep
Sohn des Haufes aufgefreffen. Uber:bie
nunmehr verzehrte Fackel des Kriege iſt end⸗
lich erloſchen. Die Monarchen haben ſich
gefallen laſſen, auf die Stimme bes Philo⸗
ſophen zu hoͤren 2). Durch die ſtaͤrtſten Ban⸗
2) Karl XxI. iſt in den Haͤnden eines unfätts
gen Aufſehers. Er befteiget den Thron: er ik’ ii
dem Alter, wo man blog noch empfindet, und Die
‚erhen aͤubern Eindrüde uns unumfiögliche Wahr⸗
beiten ſcheinen. Jeder Gedanke iſt ibm gut, weil
er nicht weiß, welchen er vorziehen ſoll. In did
fem gefährlichen Stande der Lebhaftigfeit-umd Un⸗
wiftenbeit, bat er den Q. Curtius gelefen: er bat
Barinmen den Charakter eines königlichen Erodes
vers gefunden, der mit Wärme gepriefen, und RB
ein Mufter vorgeftellet wird: er nimmt ibm, dap
an. Er fieht bloß den Krieg, Durch den er ſeinen
Samen verberrlichen kann. Er waffnet fich , er
gebt ins Feld. Einige gluͤckliche Etreiche beſeſti⸗
gen ihn im der Leidenfchaft, die ihm ſchmeichelt.
Er vermüftet die Felder, verbeeret die Dörfer, ger
Moͤret Provinzen und Staaten, ſtuͤrzet die Thrynen
um. Auf immerdar verewigt er ſeine Thorheit
und Eitelleit. Wir wollen annehmen, man babe
ae ) 223 ( ik
de, durch ihr eignes Intereffe, gefeffelt, das
fie nach fo viel Jahrhunderten. ded Irrthums
erkannt, hat fich die Vernunft in ihrer See
be Licht gemacht. Sie haben die Augen
über die Pflicht geoͤffnet, die ihnen das Heil
and bie Ruhe der Voͤlker auferlegte: fie has
ben ihren ganzen Ruhm darein gefeßt, wohl
zu berrfchen, indem fie den Ruhm, eine klei⸗
ne Anzahl glücklich gu machen, dem unſinn⸗
gen Ehrgeise vorgezogen , über verwuͤſtete
ihn fruͤtzeltia gelehret, daß ein König nichts ſuchen
ſolle, als die Ruhe und das Glück feiner Untertha⸗
wen; daß ber wahre Ruhm in ihrer Liebe beflchez
daß ein friedfertiger Heldenmuth, mit, Geſetzen und
Kuͤnſten befchäfftiget, einem kriegeriſchen Helden⸗
muthe weit vorzuziehen ſed: mir wollen endlich
annehmen, man babe ihm richtige Begriffe von
Dem ſtill ſchweigenden Vergleiche beygebracht, dem
die Voͤlker nothwendig mit den Koͤnigen gemacht
haben: man habe ihm Eroberer gezeigt, von den
Thränen ihrer Zeitgenoſſen und dem Tadel Der
Nachwelt verflucht; fo würde fih die angeborue
Rubmbegierde auf nuͤtzliche Gegenftaͤnde gekehrt
haben, er wuͤrde ſeinen Verſtand und ſeine Ein⸗
fichten augewandt haben, ſeine Staaten zu beſſern
und gluͤcklich zu machen: er wuͤrde Polen nicht
verwuͤſtet, er wuͤrde Schweden regıeret haben. Auf
biefe Art entfernt eine einzige faliche Vorſtellung die
ein Monarch gefaßt, ihn von feinem wahren Vortheile
und machet ein Theil der Welt ungluͤclich.
ra) 224 (
käuder voller ſchwuͤriger Herzen zu herrſchen,
‚denen die Macht des Sirgers allezeit ver:
haßt ſeyn muß. Die Könige haben mit ei-
ner allgemeinen Uebereinſtimmung ihren Rei-
chen Grängen.gefeget, Graͤnzen, bie ihnen
die Natur felbft angewiefen zu haben fcheint,
indem fie die Staaten in Beziehung auf an⸗
dre durch. Meere, Wälder, oder Gebuͤrge
abgefondert; fie haben begriffen, baß ein
Reich, defien Umfang weniger unermaͤßlich
if, einer befiern Regierungsform fähig wä-
se Die Weifen der Völker haben den all-
gemeinen Vergleich gemacht: man iſt daruͤ
ber durchgängig einig geivorden, und das
jenige, was ein eiſernes und irdenes Eäcu-
Ium, was ein Mann ohne Tugend, Träume
eines ehrlichen Mannes, nannte, iſt unter
verftändigen und empfindlichen Menfchen
fahr geworden. Die alten, nicht weniger
gefährlichen Vorurtheile, die die Menfchen
in Anfehung ihres Glaubens trennte, find
ebenfalls verfchwunden. Wir fihen ung
alle ald Brüder, als Freunde an. Der In⸗
dianer und der Ehinefer find unfere Lande:
leute, fo hald fie den Fuß auf unfern Boden
fegen. Wir gewöhnen unfere Kinder any
bie Welt als eine einzige und diefelbe Fami⸗
ze) 235 ( eier
lie anzufehen, die unter bem Auge des allge⸗
meinen Vaters verfammelt if. Diefe Art
zu betrachten muß unfehlbar bie beite ſeyn,
weil dieſes Licht mit einer unbegreiflichen
Geſchwindigkeit durchgebrungen. if. "Die
dortreflichen Bücher, von großen Männern
gefchrieben, haben, "gleich fo vielen Fackeln,
dazu gebienet, taufend andere anzusünden.
Die Menfchen, indem fie ihre Käntniffe ver
einiget, haben einander lieben und hoch»
achten gelerne. Die Engelländer, unfe
re nächften Nachbarn, find unſere treueften
Bundsgenoffen geworben. Zwey edelmuͤ⸗
thige Völker haften einander wicht mehr, um
auf eine thoͤrichte WWeife' an dem befondern
Haffe ihrer Beherrfcher Theil zu nehmen
Wir vereinigen unfere- Einfichten, unfere
Künfte, alles im Handel und auf einen Grab,
ber für beyde Theile auf gleiche Weiſe vortheil⸗
baft iſt, Zum Erempel, die empfindfamen
Engelländerinnen haben unfern zu leichte
finnigen Franzoſen vollfonmen angeſtan⸗
den, und unfere Franzoͤſinnen haben die mes
lankoliſche Laune der Engellänber vortreflich
su mäßigen gewußt. Go entfichf aus diefer
natürlichen Mifchung eine fruchtbare Duelle
der Freuden , ver Dequemlichkeiten , neuer
. ji Ä
Ideen, bie gern aufgenommen und als ‚eigen
angenommen werben. Die Drudferey 3), bie
den Menfchen fo viel Licht bringt, hat biefe
große Revolution veranlaffer.
Ich fprang vor Freuden in bie, Höhe,
und umarmte den, der mir fo troͤſtliche Din-
ge. erzählte. D Himmel! fchrie ich. voll
Entzuͤcken, fo-find denn endlich einmal die
Menfchen deines Anfchauens wuͤrdig; fie
baben endlich gefunden, daß ihre wahre
Stärke in ihrer Eintracht befiche. Sch fier-
be zufrieden, ba meine Augen bagjenige ge-
feben, was ich fo fehnlich gewünfcht habe.
Wie füß iſt es das Leben zu verlaffen, wenn
man um fich her nichts ale glückliche Her,
gen fieht, die zufammen wie Brüder fortge-
3) Sie bat nach einen andern Vortheil: fie
wird der fürdhterlichte Zaum des Deiyetidumd
feya, weil fie ihre geringien Eingrige im anderer
Rechte befannt machen, weil fie nichts verheeien,
weil fie die Therheiten und fear Echmachheites
der Rönige verewigen wird. Cine eimige bewerte
Aönsercchtiefeit kann in alien Winfeln ber Melt
ertönen und ale freye und empindungsseie Gars
len in Auirubr bringen. Der Itcund der Tugend
mud dieie Lund lieben: aber der Gettleſe uf
ſchaudern, men er Nic Fre atiklt, Pie tie Ger
mäb. |
Sm ) 227 ( ie
ben, welche fich nach einer langen Reiſe mis
dem Urheber ihrer Tage wieder vereinigen: '
Sieben und zwanzigſtes Kapitel.
Das Leichenbegaͤngniß.
pi fah einen, mit einem weißen Tuche bir
deckten Wagen, vor welchem Muſik Beni
gieng und ber mit Siegespalmen bekraͤnzt
twar. Leute, bimmelblau gekleidet und mit
Porbeern in Händen, begläitetenibn. — Wa:
bedeutet der Wagen, fragte ich? — Es IE.
der Triumphswagen, antwortete Man: mire:
Diejenigen, bie dieſes Leben verlaſfru, dig
über das menfchliche Elend gefiegt haben;:
die glücklichen Menfchen, die ſich wieder. mie:
dem hoͤchſten Wefen, .der Quelle alleg Gu⸗
ten, veremigen werben, fiebt man als Sie
ger dit: fie find und heilig, und man trägt
fie mit Ehrfurcht an den Drt, der ihre ewige
Wohnung feyn wird. Man fingt den Ges
fang auf die Verachtung des Todes. Ans’
ſtatt jener entfleifchten Todtentdpfe, die Eu⸗
re Srabmäler ſchmuͤckten, fiebt man hier:
Koͤpfe mit einer lächelnden Miene.: unter
diefem Anblicke betrachten mir, den. Zun..;
Kein Menfch jammert über ihre unempfinds.-
N 2
B=) 228 (er
liche Afche. Man meiner über fich und nicht «
über fie. Man beset in qllem bie Hand Got⸗
tes an, die fie aus der Welt genommen bat.
Warum, folten ‚reiy, dem uniwieberruflichen
Gefege der Rasur unterworfen, nicht mit
freudigem Herzen in den friedlichen Zuftand
‚übergeben ,. der nichts. anders, ale Ballen
Zuſtand verbeſſern muß ).
2Dieſe Körper werden drey Meilen von
her. Stadt zu.Afche verbrannt. Defen, bie
allezeit zu dieſer Abſicht brennen, verzehreu
Biefe ſterblichen Huͤllen. Zween Herzoge
und ein Prinz find in eben dieſen Wagen
mit bloßen Bürgern verfchloffen. Aller Un⸗
terſchied hoͤret mit dem Tode auf, und wie
führen wieder die Gleichheit ein, die Die Na⸗
tur unter ihren Stindern beobachtet bat.
Diefe. meife Gewohnheit verringert in den
Herzen bed Volks die Furcht vor dem Tode
zu eben der Zeit, da fie den Sroßen ihren
Stolz unterfaget. Nur burd) ihre Tugeris
den find fie groß: das übrige alles ver⸗
ſchwindet: Würden, Ehrenſtellen, Neichthüs
mer. Die vertwegliche Materie, bie ihren
7) Derjenige, der eine Übertriebene Furcht vor
dem Tode bat, if, wofern er nicht ein welniſche⸗
Herz bat, ganı gewiß ein Boͤſcwicht. |
Wa) 22 (
Körper ausmachte, gehoͤrt ihnen nicht meh
zu: fie wird fich mie der Afche derer, Bie'tin
nen glei, find, vermiſchen, und 'man ven)
Kinder mit dieſer vergänglichen Süße feinen
Gedanten von Voͤrzug.
Wir wiſſen nichts mehr von jenen Grat⸗
ſchriften, Mauſdlaͤen, praͤchtigen und’fihbts
ſchen Lügen 9. Die Könige ſelbſt ‚erpäliene
bep ihrein Abſchiede nicht ihre großen Schloͤſ⸗
fir fit einem erbichteten Echtecken! mit
ſchmeichett ihnen bey irn Tode fo wintt
als bey ihrem Lehen. Ihre Falten‘ Haͤnbe
enitreiſſen nicht mehr,” inbdem fi Inga
. NOIR, ſeb mir sefganet! zu Fr se. PR
Die Tprannen herabjchläger, der die Erde, app
befreyet, der die Grauſamkeit und den Ehrgeiz DAN
Diget: du biſt ed, der in dem Staube Wiener
vermengt, denen Die Welt ſchmeichelte, und die / auf
Die. Menfchen mit Verachtung -herakfahsu : .fis:fale
len, und wir leben wieder auf. Ohne dich, würde
unſer Elend ewig feon. D Tod! der di Die. has
ten und gluͤcktichen Menſchen noch in Furcht erh ff
der du dad Schrecken in ihre ſtrafbare Herren wirfft
Hoffnung der Unntücferligen.5- ſtrecke vollenas beie
nen Arm über die Verfolger: meines Väterlandes
ans! Und ibr, ihr gefräßigen Juſekten, die ihr die
Graͤber bevölkert, meine 'Stewnde, meine Racher,
kommt, eilet alle Haufenweife: zu biefen vom om uerel⸗
thaten gemaͤſteten Leichnamen herbey
De ) 230 ( ie
Reigen ; noch einen Theil unſers Vermoͤ⸗
ans: ſie ſterben ohne eine Stadt arm. zu
machen 3). 0
Damit man jedem Zufalle sunorfomme
eo wird Fein Todter aus feinem Haufe fort
gebracht, wofern nicht der Aufſeher das Sie⸗
gel des Todes aufgedruckt hat. Diefer Auffes
ben. ift ein gefchickter- Mann, ber zu gleicher
Felt das Gefchlecht, das Alter und bie Art
ber. Krankheit bed Verfborbenen aufzeichnet,
Mau xruͤcket es in die öffentlichen ‚Blätter
die, von welchem Arste er. beforget worden.
Fommt in dem Gedankenbuche, das jeder
Menfch, wie ich Euch fchon erzählet babe,
nach: feinen Tode hinterläßt, ein wahrhaft
üßßlicher. ober großer Gedanke vor, To hebt
man ihn aus, man machet ihn befannt, und
er hat feine andre Leichenrede. | a
Es herrſchet unter ung eine fehr heiltame
Vorſtellung, daß näntfich die vom Leibe ab⸗
geichichue Seele die Frepheit habe, biejeni.
:'3) Bey biefen Beichenbenängniffen, Die Die Re
* auf: eine prächtige Art in eine dunkle Hole
Wwidgen, bey biefen traurigen Ceremonien, Zepers
lichfeiten und Ginubilkern, Die von dem offentli⸗
chen Schmerze vervielfältigt werden, bev dieſer als
semieinen. Trauer fehlt niet, als eine einzige auf
richtige Chr.
nz) 251 ( Erare
gen Derter zu beſuchen, bie fie vorzüglich
lichte. Sie freuet ſich die Berfonen wieber
zu fehen‘, die ihr werth waren. Sie ſchwe⸗
bet über ihren Haͤuptern, und bemerfet ben
lebhaften. Jammer der Sreundfchaft. Sie
bat nicht bie Neigung, die Zärtlichkeit ver⸗
foren, die fie hiernieden mit empfindlichen
Seelen vereinigte. . Ste macht fichg zur
Freude, um fie zu ſeyn und bie Gefahren als
zuwenden, bie ihren gebrechlichen Korper
umgeben. : Diefe gelichsen Seelen find ihre
Schugengel. Diefe fo fühe, fo tröftliche
Meynung flößt eine geteiffe Zunerficht ſowohl
zu Unternehmungen, als Ausführungen eis;
bie Euch fehlten, Euch, die Ihr, weit entfernt
von dieſen rährenden Vorſtellungen, Euer
Gehirne mit traurigen und ſchwarzen Chi
mären erfülltet.
Ahr werdet fühlen, welch’ eine fiefe Chr;
furcht eine folche Borftellung einem Jünglinge
eingeben muͤſſe, der, nach dem Berlufte eines
Vaters, fich ihn noch als einen Zeigen ſei⸗
ner geheimſten Handlungen vorſtellet. Er
redet zu ihm in der Einſamkeit, und- feine
Morte werben durch bie bobe Gegenwart
befeelet, die ihm die Tugenb empfiehlt: unb.
follte er zum Boͤſen verſucht werben, fo wuͤr⸗
rn ) 232. mgughle.
tze gr zu Mich KIHR -fagen« mein, Vater ‚fiahe
mich mein. Vater hoͤret mich. -. . .
„Der Juͤngling trocknet. feine Thraͤnen
weil die ſchreckliche Vorſtellung/des Nichte
gie Seele nicht niederſchlaͤgt; es ſcheint
ihm, daß die Schatten ſeiner Voraͤltern ihn
arten; um mit ihm nach den owigen Woh⸗
gungen fortzugehen, und daß fie bloß Ihren
Hingang verzogern, am ihn zu begleiten.
so Und wer .follte ſich wohl die: Hoffnung
bee. Unſterblichkeit entreiffen laſſen! gefeßt,.
fit waͤre ein Traum ber Einbilbung‘, ſollte
uns auch dieſtr Traru nicht lie und ve
Kur ne |
. Die one |
m Selbſtgeſpraͤch in der Einf
J⸗ bewohne ein:kleines Landhaus, dag
nicht wenig zu meinem Gluͤcke beytraͤgt.
Es hat zwo verſchiedene Ausſichten: bie eis
us auf befruchtete Felder, mo das koſtbare
Saamenkorn, das den Menſchen ernaͤhret,
H Sc glaube folgendes Stuͤck, das dem Kapitel
gerhäß iſt, und es ſelbſt mehr aufklaͤret, beyfuͤgen zu
daͤrfen: es iR im Geſchmacke des Yodus: ich babe
ed aber fraugäfilch, aufgefent.
ar) 2
anfipriefit.bie more mehr geſperrt/ zeiget
Die letzte Freyſtutt des menſchlichen Ge⸗
ſehlechts, dis Graͤnze, 0 ſich der Stel; en⸗
diget, ben engen Raum, wo die Hand bei
Todes auf gleiche Weiſe. gene ſczlichen
Opfer aufhaͤufet.
Weit gefehlt, fr der Antlia * Got⸗
tesackers mir ben Widerwillen, das Kind
eines: poͤbethaften ¶ Ochreckens verurfachen
ſollter·nein, er erwecket vielmehr in: meiner
Seele weiſe und nuͤtzliche Betrachtungem
Hier hoͤre ich nicht mehr das Geraͤuſcherder
Städte, welches die Seele betaͤubt. : Gang
allein mit der erhabenen Melankoley, erfuͤl⸗
le ich mich mit großen Gegenſtaͤnden. Mein
unbewegliches und heiteres Auge hefftet ſich
auf dieſes Grab, wo der Meuſch einſchlaͤft⸗
um wieder aufzuſtehen, two er ber Natup
banken und eines Tages bie. einige Weisheit
sechtfertigen ſoll.
Der praͤchtige Stand des Tages ſcheint
mir traurig. Ich erwarte die Dämmerung
bed Abends, und dieſe fanfte Dunkelheit, bie
der Stile ber Nacht Reize leiht, beguͤnſti⸗
get ben Slug des erhabenen Gedanken. So
bald ber nächtliche Vogel ein trauriges Ge⸗
ſchrey ausftößt, ergreiffeich mein Saitenfpiel,
zu) 234 ( in
Seyd mir gegruͤßt, majeſtaͤtiſche Finſterniſſe
erhebet meine Seele, indem ihr bie wandel⸗
bare Scene der Melt verfinftert: entbdecket
mir den glänzenden Thron, auf dem Die goͤtt⸗
liche Wahrheit ſitzt.
Mein Ohr folge dem einſamen Vogel:
Bald laͤßt er fich auf Gebeinen nieder und
durch den Schlag eines Fluͤgels raͤßt er mit
einem hohlen Geraͤuſche einen Kopf rollen,
Ben vormals Ehrgeiz, Seolz und. vontäßme
Enewuͤrfe erfüllten...
Wechſelsweiſe ſetzet er Ah, halb auf ben
Balteri Stein, auf dem bie Prahleren Namen
gegraben, bie man nicht mehr Left, bald auf
bas Grab des Armen, mit Bluhmen bekraͤnzt.
Staub des Stolsen ! verſchwinde auf
eroig:auß der Welt. Du wagſt es noch mit
eingebildeten Titeln zu prahlen? Elende Eis
telkeit in dem Reiche" bed Todes! Ich babe
Gebeine in Afche in einem drenfachen Gars
ge eingefchloffen gefehen, die ihre Aſche nicht
mit der Aſche ihrer Brüder vermengen wollten:
2.' Tritt ber, hochmuͤthiger Sterblicher,
wirf einen Blick auf dieſe Graͤber. Was
Beat dem an einem Namen, ber feinen Dar
men mehr hat! Eine lägenhafte Auffchrift
enthaͤlt die traurigen Sylben, die eines Ta⸗
De ) 335 ( Enerie
ges nachtheiliger ſeyn werden ols die. Racht
ber Vergeſſenheit; Es iſt eine fliegende Winy
pel, die einen Augenblick ſchwimmt und bald
dem verſchlungenen Schiffe folgen wird.
O! wie gluͤcklich iſt derjenige, der nicht
eitle Pyramden erbaute, ſondern beſtaͤndig
ben Weg: der (Ehre und Tugend. betrag
Er hat den Himmel angeblickt, indem .er
dieſes gerbrechliche Gebäube:fallen fah, wo
der Schwarm der. Sorgen. feing-unfterbliche
Seele quäfte: erhat das Schwerdt geſegnet,
dieſes Schrecken des Gottlofen, und wenn
man fich des Andenkens des -Kerbenden Ge-
rechten erinnert fo ift es um ſterben zu ley⸗
nen wie er. | |
» Er. if geflsrben, dieſer Gerechte, und
er hat unſere Thraͤnen fließen ſehen, nicht
über ihn, ſondern über uns ſelbſt. Seine
Brüder unigabes fein. Sterbebette Wir
unterätelsen: ihn mit den. tröftenden Wahrs
heiten, .opn denen feine Seele erfüllt war;
wir zeigten ihm einen Gott, deſſen ‚Gegen
wart er beffer, «ls wir fühlten. Ein Theil
des Vorhangs ſchien fich vor feinem fie
benden Aige zu erheben — +» »'s er bob
fein ſtrahlenreiches Haupt, er reichte ung eine
ruhige: Sandy er lächelte uns zu, ehe er Hark.
Zu ) 236 ( re
NRiedertraͤchtiger! du, Ber bu ein gluͤck
licher Boͤſewicht wareſt, bein Tod wird nicht
fo ſanft ſeyn, fuͤrchterlicher Thrann! Da
liegſt du blaß, und ſterbend! Für bich iſt ber
Tod ein ſchreckliches Geſpenſt! trinke dieſen
bittorn Kelch’ ;" leere ganz ſeine Schrecken
aus. Du kanſt weder deine Augen geh
Himmel erheben, noch fie auf bie Erde heff
ten? bu fuͤhleſt, daß alle beyde dich verlaf
fen‘, vich zuruͤcke ſtohen: ſtirb in deinen
Schrecken, damit dis nicht mehr in der
Schande leben darfſt. |
Aber diefer ſchreckliche Augenblick ber
Gedanke ſchon den Gottloſen etbleichen mi
chet, bat für den Unfchuldigen nichts Schreck⸗
Tihes. Mein Herz erfenner das unmwiber.
rufliche Befeß der Zerſtoöͤrung. ch betrach⸗
Te diefe Gräber, als fo viel’ brennende Defen,
wo die Materie fchmilst und ſich anflsfer,
wo bag Bold gereiniget wird, und ich auf
ewig von dem ſchlechten Metalle trennt. : Die
irdifche Huͤlle faͤllt ab: die‘ Seele. ſchwingt
ſich in ihrer urſpruͤnglichen Schoͤnheit em⸗
por. Warum-follte le noch einen ſchau⸗
vernden Blick auf dieſe Ueberbleibſel werfen,
die ſie bewohnet hat? Sie zeigen ihr ja das
gluͤckliche Bid ihrer Befreyung: ein antl-
nee ) 237 ( Erk
fer. Tempel behält feine Rajeflät ſelbſt in fir
nen Ruinen.
.- Bon einer heiligen Ehrfurcht gegen den
Ueberreſt bes Dienfchen durchdrungen, fleige
ich. auf biefe Erbe herab, die mit der geheie
ligten Afche meiner Brüber befäet iſt. Dies
ſe Stile, dieſes Schweigen, dieſe kalte Une
heweglichkeit, alleg fagt mir s ſie zuben.!
Sch trete näher: ich huͤte mich das Grab. eis
ned Freundes niebersutreten, fein Grab, dag
nad) locker von. dem Spate iſt, der hie. Gru⸗
be ausholete. Sch fammle meine Gedan⸗
fen, fein Gebächtuiß zu ehren. Ich ſtehe
ſtille. Ich hoͤre aufmerkſam, gleich als oh
ich einige Toͤne, die aus jener hinmmliſchen
Harmonie entflohen find, beren. er im Him⸗
mel genießt, erhafchen wolle. Das Geſtirne
ber- Nacht in.feiner Fülle erleuchtete mit feie
nen filbernen Strahlen diefe traurige Scene,
Ich erhob weine Augen gegen das Firma⸗
ment.. Sie durchliefen die unzähligen Wehe
ten, bie entfiammten Sonnen, mit denen
es in einer ‚verfchtwenderifchen Pracht beſaͤet
iſt: hernach fielen fie traurig auf.den ſtum⸗
men Sarg, to bie Augen, bie Zunge, dag
Herz des Mannes, ber fi) mit mir von
diefen erhabenen Wundern unterhielt, und
Fa) 338 ( —
den Schoͤpfer · biefer prächtigen Bere bei
wundert, modern.
Plotzlich erſcheint eine Berfinfterumg des
Monden, die ich nicht vorhergeſehen hatte.
Die Wirkung wurde mir fogar nicht fichte
bar, als bie mich fchon die Finfterniffe uns
huͤllten. Ich unterſchied nichts mehr, als
äirien glaͤnzenden Punkt, ben ein ſchneller
Schatten vollends bhld verdecken ſollte.
Eine tiefe Wacht feſſelte meine Schritte:
Ich konnte keinen Gegenſtand mehr unter
feheiden. Sich tappte umher: ic) kehrte hun⸗
dertmal um: die Thuͤre floh: es ſammleten Ach
finſtre Wolken, die Luft pfiff, es ließ fich ein ent⸗
fernter Donner hoͤren, mit Geraͤuſche fam
er auf den feurigen Fluͤgeln des Blitzes her
bey. Deine Gebanfen geriethen it Verwir
rung. Sich ſchauderte: ich -fiel:;über Hau,
fen von Gcheinen: dad Schrecken befluͤgelte
meine Fuͤße. Sc kam an ein Grab, bas einen
Feichnam erwartete. Ich ſtuͤrzte hinein. Lebend
verſchlang mich das Grab. Ich fand mich
in den feuchten Eingeweiden der Erde be⸗
graben. Schon glaubte ich die Stimme al⸗
ler Todten zu hoͤren, die meine Ankunft Be,
willkommten. Ein eisvoller Schauer uͤber⸗
Def mich: ein Falter Schweiß entriß mir die
2) 239 ( et
Empfindung: ich fiel ohnmaͤchtig in: einen
letbarsifchen Schlummer.
O warum flarb ich nicht in dieſer ruhi—
gen Verfaſſung! Ich war beerdiget. Der
Vorhang, der die Ewigkeit decket, wuͤrde
itzt fuͤr mich aufgezogen ſeyn. Ich verab⸗
ſcheue nicht das Leben: ich weiß deſſen u
genießen: ich bemühe mich einen würdigen
Gebrauch davon zu machen: aber alles rufe
mir aus dem Innerſten meiner Seele zu,
daß das fünftige Lehen. dem gegenwartigen
weit vorzuziehen ſey.
Indeſſen komme ich wieder u mir uoh
Ein ſchwacher Tag begonn den geſtirnten
Himmel zu bleichen. Einige Strahlen furdhe _
ten bie Seiten ber Wolken: nach und nach
erhielten fie ein helleres und lebhafteres Licht;
fie ſenkten fich bald unter ben Horizont und;
meine Augen fahen bie Scheibe bed Mon⸗
den zur Hälfte von dem Schatten befreyet.
Endlich Teuchtete er in feinem ganzen Glan⸗
ges er erfchien wieder fo prächtig, als vora
ber. Das einfame Geſtirn verfolgte feinen
Lauf. Ich fand meinen Muth wieder. Ich.
ſchwang mich von diefem Sarge auf. Die.
Stille der Lüfte, die Heiterkeit des Himmelg,-
bie blendenden Strahlen bee Morgenroͤthe,
Ya) 29 (Eur
alles richtet mich auf, troͤſtet mich und ser.
fireuet die Schredien, die die Nacht: erzeugt
hatte.
Ich fahe nun Lächelnd dieſes Grab an,
das mid) in feinem Bufen aufgenommen.
Was hatte es fürchterliches? Es war Die
Erde, meine Mutter, bie zu feiner Zelt daB
‚ bischen Staub, das fie mir gelichen hatte,
wieber fodern wird. Ich fab nichts von den
Erfcheinungen, mit benen die Finfterniffe
meine leichtgläubige Einbildungsfraft er⸗
fuͤllt haben.
Siee iſt es, ſie iſt ed allein, die fürditen
Hche Bilder erzeuget. Freunde! Sich habe
das Bild des Todes in biefer Begebenheit
zu fehen geglaubt. Sch fiel in dag Grab
mit Schaudern, der einzigen Süße, burch
die vielleicht die Natur dag Leben wiber die
Nebel, die es belagern, aufrecht erhalten kann:
aber ich verfiel dafelbft in-einen füßen Schlaf,
der felbft feine Wolluſt hatte. War biefer
fehredflich, fo dauerte er doch nur Einen Au⸗
genblick: für mich war eg nicht einmal Ei
ner: ich erwachte zur fanften Klarheit eines
reinen und heitern Tages auf: ich habe ein
Findifches Schrecken verbannt, uud die
Freude hat ſich wieder ins Innerſte meiner
4) 24 (in
Seele berabgelaffen. So werben wir auch
nach dieſem vorübergehenden Schlummer,den
man ben Tod nennt, zum Glanze der ewi⸗
gen Sonne erwachen, die die Unermeßlich⸗
feit der Wefen erleuchten, und ung dadurch
fowohl die Thorheit unferer furchtfamen
Vorurtheile als auch die unverfiegende und
immer neue Duelle einer Glückfeligfeit ent⸗
decken wird, deren Lauf nichts unterbrechen
wird.
Aber, Sterblicher, damit bu nichts fürch"
gen darfit, fo fep fugendhaft! Indem du
den engen Pfad bee Lebens durchwanderſt,
ſo fee. dein Herz in die Verfaſſung, baf eg gu
Bir fagen kann: „Fuͤrchte nichts, gebe unter
dem allfehenden Auge Gottes, des allgemeinen
Vaters der Menſchen fort. Anſtatt ihn mie
Schrecken anzuſchauen, ſo bete ſeine Guͤte
an, hoffe auf ſeine Gnade, vertraue ihm
als ein Kind das er liebt, und fuͤrchte ihn
nicht, wie ein Sklave, welcher zittert, weil er
ſtrafbar ift.,
Acht und zwanzigſtes Kapitel.
Koͤnigliche Bibliothek.
o weit war ich in meinem Traume,
. als eine verzweifelte Thuͤre, bie hin⸗
O
De) 242 ( ine
tee: meinen Kopfkuͤſſen hirransgieng, amizw
knarren fieng, und eine -Veränberung :im
meihem Schlafe herborbrachte. Ich werlor
meinen Fuͤhrer und die Stadt aus dem Ge⸗
fichte: aber da mein Geift immer nody.nell
von den. Gemälden war; bie fich lebhaft
darinn cingebrückt hatten, fo verfiel ich um
Gluͤcke aufs neue in denfelben Traum. Ih
waͤr alsdann alleine, : mir :felbft: Äßerkaffen:
es war heller Tag. Aus Gympetbie. be
fand ich mich in der koͤniglichen Bibkiothefs
aber es koſtete Mühe, ehe icht mich :bauan
gewiß überzeugen konnte. mund 5)
nyr Anſtatt der. vier unermeßlich langen ©
be, die viele taufend Bünde einfehloffen, aß
ich nichts als ein kleines Kabinet, woꝛ vielt
Bücher waren, die mir: aber nichts wenkger
als dicke und baͤndereich su: feyn ſchienen
Erſtaunt über eine fo große: Deräudauung
wagte ichs zu fragen, ob: ein: ungluͤckli⸗
cher Brand vielleicht dieſe mächtige Summe
lung verzehrethabe. — Ja, antwortete man
mir, es war ein Brand; aber den: unſre
Hände mit Vorſatz verurſachte.
Ich habe vielleicht: vergeſſen zu ſagen,
daß dich Volk das gefprächigfie von ber Welt
war, daß es sine gan. beſondere Hochach-
ige) 243 ( wir
ung. für die Aten hatte, und bag es auf die;
an daffelbe gethanen Fragen nicht wie eirt
Franzoſe anttoortete, welcher fraget, indem
‚ge. autwortet. Der Dihtihefar, der ein
wahrer ‚Gelehrter war, kam zu mir, und
machdem er alle meine Einwuͤrfe und Born
Pe überlegt, hieit er mir ſolgende
ir —— wir me burch die frengften
Betrachtungen überzeugt. hatten, daß dee
Verſtand ſchon von fich felbft in taufend
ätembde Schwuͤrigkeiten gu verwickeln pflege,
fo haben wir entdeckt, daß eine zahlreiche
Bibliothek: ber : Sammelplat ber. groͤßten
Ausſehweifuugen -unb. ber. thoͤrichſten Ch
maͤren iſt. 1:3 Eurer Zeit fchrieb man zur
Schande ber Vernunft: nach. ber Zeit dach
se:man.; :Unfere Scheiftfteller folgten einem
gang:entgegen geſetzten Weger wir haben
alle: die Autoren aufgeopfert, bie ihre Ger
danken unter einem ungeheuren Haufen von
und angefuͤhrten Stellen vergruben.
Nichts fuͤhret den Verſtand mehr irre,
al fchlechte Buͤcher: denn. bie erften Bes
priffe, bie. man einmal ohne binlängliche
Unterſuchung ‚angenommen, werben in ber
Folge übereilte Schlüfe, und. bie Menſchen
D, 2
HE ) 242 (rk
ter meinem Kopfkuͤſſen hinausgieng, amızu
knarren fieng, und eine Veraͤnderung in
meinem Schlafe hervorbrachte. Ich werlor
meinen Fuͤhrer und die Stadt aus dem, Ge
fichte: aber da mein Geiſt immer noch⸗Voll
von den Gemälden war, die ſich lebhaft
darinn cingedrückt hatten, fo verfiel ich u
Gluͤcke aufs neue in denfelben Traum. : Ai
waͤr alsdann alleine, : wir :felbft: Äkteraffen:
es war heller Tag. : Aus Sympathie be
fand ich, mich in ber koͤniglichen Bibliothet:
aber es foftere Mühe, ehe ichn mich davon
gewiß uͤberzeugen konnter. asunt 5
un Anſtatt ber. vier unerimefftich lausın SG
fe; die viele tauſend Bände einfchloffen, "(mb
sch nichts als ein Eleines Kabinet, wor vielt
Bücher waren, bie mir: aber nichts wenhger
als dicke und baͤndereich zu: ſeyn ſchienen
Erſtaunt über eine fo große Weräuchenung
wagte ichs zu fragen, ob ein ungluͤckli⸗
cher Brand vielleicht dieſe mächtige Semne
lung verzehret habe. — Sa, antwortete man
mir, ed. war ein Brand; aber den unſre
Hände mit Vorſatz verurſachte.
Ich habe vielleicht vergeſſen zu ſagen,
daß dich Volk das geſpraͤchigſte von der Welt
war, daß es sine ganz. beſondere Hochach⸗
ze) 243 ( Re
ung für bie Aten hatte, und daß es auf-die;
an baffelbe gethanen Fragen nicht wie eitt
Srangofe antivortete, welcher fraget, ‚indem
‚er antwortet. Der Bibliothekar, der ein
Mahrer Gelehrter war, kam SU: ar, und
nachdem er alle meine Einwuͤrfe und: Vom
fe vi übern bielt er mir ſolgend⸗
27 ——ã— wir uns burch die ——
Betrachtungen überzeugt Batten, daß ber
Berfinnb- chem von fich ſelbſt in taufend
ätembe Schwuͤrigkeiten zu verwickeln pflegt
ſo haben wir entdeckt, daß eine zahlreiche
Bibliochek der: Sammelplatz ber. groͤßten
Ausſchweifungen · und ber. thoͤrichſten Chi⸗
maͤren iſt. 1:2 Eurer Zeit ſchrieb man zur
Fchande der Vernunft: nach: ber. Zeit dach⸗
se:man.:. Unſere Schriftſteller folgten einem
gang:entgegen geſetzten Wegen wir haben
alle die Autoren aufgeopfert,. bie ihre Ge⸗
danken unter einen ungeheuren Haufen von
und angefuͤhrten Stellen vergruben.
Nichts fuͤhret ben Verſtand mehr irre,
al fchlechte Buͤcher: denn. bie erfien Be⸗
griffe, die. man einmal; ohne binlängliche
Unterſuchung angenommen, werben in der
Bolge übereilte Schlͤſhe. und bie Menſchen
D 2
2m) 244 ( re
gehen fo von Boruttheile zu Vorurtheil, von
Irrthume zu Irrthum. Die Parthey, bie
ung zu nehmen übrig blieb, war, das Ge
baͤude der menfchlichen Ränntniffe aufs neue
zu errichten. Dieſes Projekt fchien unend⸗
lichen Schwuͤrigkeiten unterworfen zu feym:
aber wir Haben nichts gethan, als das
Unnüße twegsufchaffen, das uns den’ maß
ren Geſichtspunkt verbarg x’ eben fo, mie
man das Louvre zu fchaffen, nichts weiter
brauchte, als daß man die alten Gemaͤuer
uͤber ben Haufen warf, die es von allen
Seiten verbechten: Die Wiffenfchaften cha
ten in dieferh Labyrinthe von Bächern.nichtg,
als daß fie fich drehten und in einem Zirkel
umberliefen; 106 fleimmer wieder auf benfel:
ben Punft zuruͤcke famen, ohne DAR fie ſich
erhoben; und die übertrichene Vorſtellung
ihrer Neichthüner diente su weiter nichts,
als die wahre Armuth gu verſtecken ·
In ' der That, mas enthielten, biefe un⸗
zaͤhligen Baͤnde? wenigſtens waren es un⸗
aufhoͤrliche Wiederholungen von einerley
Sache. Die Philoſophie hat ſich unſern
Augen unter dem Bilde einer allezeit beruͤhm⸗
ten, allezeit kopirten, aber niemals verſchoͤ⸗
nerten Statue dargeſtellt: fie ſcheint uns in
im) 245
dem Originale weit vollfommmer ; und in al,
len goldnen und filbernen Kopien, die man
nach der Zeit von ihr gemacht bat, von ihrer
urfprünglichen Schönheit abzumweichen: ja,
fie war ohne Zmeifel weit ſchoͤner, als fie
von einer faft noch wilden Hand aus Hole
geſchnitzt tar, ald da man fie mit fremben
Verzierungen ausgepugt hatte. So bald
bie Menfchen ihrer faulen Schwachheit über:
laſſen, :bloß der Meynung anderer folgen,
fo werden..ihre Talente nachahmerifch und
knechtiſch; fie verlieren bie Erfindung und
die Driginalität. Was für große Entwuͤrft
und erhabene Speculationen ſind durch dem
Odem ber angenommenen Meynung ausge
Iöfcht worden! Die Zeit hat bloß bie leichten
und glänzenden Dinge, die den Beyfall der
Menge hatten, bis auf ung gebracht, indeß
fen daß fie die männlichen und ftarfen Ges
danken verfchlungen, bie. gu fimpel oder zu
erhaben waren, als daß fie dem Pobel haͤt⸗
ten gefallen koͤnnen.
Da unfre Lebenstage zu kurz ſind, als
daß wir ſie mit einer kindiſchen Philoſophie
ausfuͤllen ſollten: ſo haben wir den elenden
Controverſen der Schule auf einmal einen
toͤdtlichen Streich verſetzt — Was haht
HE ) 246 ( einrke
Ihr nenn gethan? Laßt rich alles wiſſen, ich
Biete Euch! — Mirhaben einnüthig auf ei⸗
ner weiten Ebene alle vie Bücher zuſammenge⸗
bracht, bie wir entweder für Täppifch, oder
für unnüße, oder für gefährlich hielten!
ir haben daraus eine Pyramide aufgrfüh-
det, die an Hoͤhe und an Stärfe einem um
sehturen Thurme glich: ganz gewiß war es
ein neiter Wurm zu Babel. Die Journak
kroͤnten dieß lächerliche Gebäude; das ven
Bifchdflichen Verordnungen der Parlamenten
Befehlen und Leichenreden behangen wari
Es beſtund aus fuͤnf bis ſechs hundert tab
ſend Baͤnden Juriſtiſcher Buͤcher, aus funß
zig tauſend Bänden Woͤrterbuͤcher, aus hun
dert tauſend von Gedichten, aus: ſechzehn
hundert tauſend Reiſebeſchreibungen und
aus tauſend Millionen Romanen. :' Wir
baben dieſen ungeheuren Haufen, ald- ein
Verſoͤhnopfer, das wir der Wahrheit, bem
gefunden. Verſtande und dem guten Ge
ſchmacke brachten, in Brand gefteckt. Die
Flammen haben die Thorheiten ber Menfchen,
alter und neuerer Zeiten ſchnell verzehret. Ei⸗
nige Schriftftellee haben fich fo gar lebendig
verbrennen ſehen, aber ihr Gefchrey hat
ung nicht zuruͤcke gehalten: indeſſen haben
RED) 247 ( Burke
wir mitten in der Aſche einige Blätter aus
BEEB*+r**, de la Hd***, und des Abht
A** Werfen gefunden, bie: wegen ihrer
ausnchmenden Kälte. niemals. Fonnten der
brannt werben.
Eben fo haben wir durch einen 1 enlende
enter: Eifer dasjenige erneuert, was ſchon
dormals ein blinder Eifer der Barbaren ge
dhen..hatte: Da wir ingmwifchen weder. un⸗
gerecht, noch den Saracenen aͤhnlich ſind
bie pre Saͤder mit Meiſterſtuͤcken des menſch;
kichen Geifteß-heigten.: fo haben wir Kein⸗
Baht gematht. Gute Köpfe haben das mg
fentliche. aus. tanfeud: Holiebänden. ‚herandr
gezogen, dag fie. ganig in ein kleines Dupdez
hämdchen: gebracht: :baben ;-. ungefähr. wie Dig
geſchickten Chymiſten, die die Hauptkraft aug
ber’ Pflanze. ziehen, es in ein Glaͤschen zu⸗
. fammenbringen,. und dag abe Zeug b dayan
wegwerfen D.
\ ı) Altes iſt Beitnderung A dieler Erdkugel:
Der Geift des Menſchen aͤndert den Nationalcha⸗
rakter ins Unendliche ab, aͤndert die Buͤcher, und
machet fie. unkenntlich. Iſt wohl ein Schriftſtel⸗
ler, der, wenn er denkt, ſich vernünftiger Weife
ſchmeicheln kann, daß er nicht von dem nachfol⸗
genden Geſchlechte werde ansaepfiffen werden?
- Syalten wir ums nicht über unfere Vorgaͤnger auf?
ae) 208 (ie
: Wir haben Auszüge von dem, was bat
innen das wichtigſte war, beforgen laffens
man hat das Beſte wieder gedruckt: alles
aber hat man nach den wahren Grundfäßen
der Moral verbeffert. Unſere Compilatoreg
find wurdige und der Nation fchäßbare Leu⸗
ge: fie hatten Geſchmack und da fie ſelbſt im
Stande waren, etwas hervorzubringen, ſo
find fie auch faͤhig geweſen, das Beſte m
waͤhlen und das Schlechte wegzuwerfen
Wir haben bemerkt, (denn man muß billig
ſeyn) daß es nur philoſophiſchen Jahrhum
derten eigen iſt, ſehr wenig Werke zu ſchrei
ben: aber daß in den Eurigen, imo bie wah⸗
ren und gründlichen Känntniffe nicht genug -
fanı defeftiget waren, man nicht genug Mates
Wiſſen wir den Tortgang, den unfere Kinder ma:
hen werden? Haben wir eine Vorfiellung vom Dee
nen Gcheimniffen, welche auf einmal aus dem
Schooße der Natur hervorbrechen. können? Ken»
nen wir. von rund aus den menſchlichen Vers
fand? Wo ift das Werk, das fich auf die wahre
Kenntniß des Menfchen, auf die Nratur der Dirk:
ge, auf die gefunde Vernunft gründet? Zeiget ung
anfre Phyſik nicht einen Dcean, deren Käften wir
kaum noch befreihen? Wie fichtbar if alfo der
Stolz, der ſich thoͤricht einbildet, die Sränzen eis
ner Funft erreicht zu haben.
Kae) 29 (Ge
rialien fanımehr konnte. Die Handarbeiter
muͤſſen vor. den Architekten herarbeiten.
.Im Anfange wird jede-Wiffenfchaft. nur
Stuͤckweiſe behandelt ; ein jeder ‚wendet fei-
ne Aufmerkſamkeit auf den Antheil, der ihm
zugefalien iſt. Durch dieſes Mittel wird
nichts verabſaͤumet: man bemerkt auch das
kleinſte Stuͤckwerk. Ihr mußtet nothwen⸗
Dig eine unzaͤhlbare Menge Bücher machen«
ung kam es gu, dieſe zerfireueten Theile zu
fommeln. Diejenigen, die einen leeren Kopf
und halbe Kaͤuntniſſe haben, find ewige
Schmwäßer : der meife, unterrichtete Manu
redt wenig, aber er redt guf.
Ihr ſehet dieß Kabinet: es enthält die
Bücher, die den Flammen entgangen finds
fie find in fleiner Zahl: aber diejenigen, die
geblieben find, find des Beyfalls unfers
Jahrhunderts werth geweſen.
Neugierig nahte ich mich zu dem erſten
Schranke. Ich ſahe, daß man von den
Griechen den Homer, Sophokles, Euripides,
Demoſthenes, Plato, XRenophon und haupt⸗
ſaͤchlich unſern Freund Plutarch, aufbehal⸗
ten: ben Herodot, die Sappho, den Ana⸗
freon und verächtlichen Ariſtophanes aber
verbrannt hatte. Ich wollte ein wenig bie
—
5) 250 ( re
Sache des Anafreon vertheibigen: aber man
firhrte die beſten Gegengründe an, bie ich
aber nicht hier erzählen will, weil fie mein
Jahrhundert nicht verſtehen wilrbe.
Im zweyten Schranfe, ber ben roͤmi⸗
ſchen Schriftftellern beſtimmt war, fand ich
den Virgil, den ganzen Plinins, wie auch
Sen Livius 2) : aber der Eufreg, außer ek
hen poetifchen Stücken war verbrame, weil
feine Naturlehre falfch und feine Moral ge
fährlic, iſt. Die langen Reben des Eicerer
der mehr ein gefchickter Nebtfünftler, als
ein beredter Dann war , hatte man auf
unterdrückt: aber feine philofophifchen Wer⸗
te, eines ber foftbarften- Stuͤcke bes Alter
ums bafteman benbehalten. Salluſt war
‚geblieben. Den Dvid und Norag 3). hatte
2) Ich habe ganz ueuerlich diefen Geſchicht⸗
ſchreiber geleſen, und gefunden, daß die roͤmiſche
Tugend darinnen beſtund, das meuſchliche Ge⸗
ſchlecht auf dem Altare des Veterlandes su erwuͤr⸗
Fr es waren gute Bürger und abfcheuliche Men⸗
3) Diefer. Schriftfeer Bat alle mögliche Feine
beit, den. ausgefuchtefien Wis, die größte Artige
Zeit: aber er iſt doch von allen Jahrhunderten gu ſehr
bewundert wurden. Seine Mufe flößt eine wol⸗
luͤſtige Ruhe, einen lethargiſchen Schlummer, eine
me ) 251 ( wer
man gereinigets die Oden des legten ſcheinen
von geringerur Werthe als ſeine Sendſchrei⸗
ben zu ſeyn. Seneca war auf ein Vierthel zuruͤ⸗
che geſetzt. Tacitus war erhalten worden; aber
da in ſeinen Schriften eine finſtre Farbe herr⸗
ſchet, die die Menſchlichkeit von einer traurigen
Seite zeiget, und man keinen uͤbeln Begriff
von ber menſchlichen Natur haben muß
weil ihre Tyrannen nicht die Natur ſind; ſo
erlaubt man das Leſen dieſes ſcharfſinnigen
Autors bloß gutgeſinnten Herzen. Catulß
ſowohl als Petron waren verſchwunden
Quintilian war ſehr duͤnne geworden. |
.. Der britte Echranf. enthielt Die engli.
ſchen Bücher. . Diefer beſtund aus den mel
ſten Bänden. Man fand bafelbft alle Wels
weifen,. bie dieſe Friegerifche, bandelnde und
politifche Inſel hervorgebracht. Milton,
Shafefpear, Young 2, Richardſon, ‚genofr
Füße and gefährliche Gleichtuͤltigkeit ein: fie mu
den Höflingen und den weibiſchen Seelen gefallen, 5e&
ven zanze Moral fi) darauf einfchränkt, nichts als
das Gegenmwärtige zu feben, und bloß den einfe>
men Genuß von Vergnuͤgungen ın lichen.
4) M. Le Tourner hat eine Ueberſetzung diefed
Dichters geliefert, die in Frankreich den entfcheiden:
ſten, groͤßten und danerbafteſten Beyfall erhalten.
Jedermann bat Diefed moraliſche Buch gelefen, und
ame) 252 ( Ener
fen: noch ihre® ganzen Ruhms. Ihr ſchoͤpfe⸗
riſches Genie, biefed Genie, das nichts feſ⸗
die erhabene Sprache darinnen bewundert, die die
Seele erhebt, ſie naͤhret und feſſelt, weil es ſich
anf große: Wahrheiten gruͤndet, lauter große Wes
geuftände darbent, und feine Würde aus ihrer eis
genen wefentlihen Ordbe sieht. Was mid) anbe⸗
trifft, ſo babe ich nichts fo originnles, neues und
felbft intereffantes gelefen. Ich liebe biefe tiefe
Einrfindung, die immer diefelbe if, und fich doch
dus Unendliche ſchattiret und abändert. Es iſt ein
Btrobin, der mich fortreißt. Ich finde einen Gee
ſchmack an dieſen ſtarken und lebhaften Bildern
deren Kuͤhnheit dem Subſekte, das er umfaßt, ger
mäß if, Man. findet methodifchere Beweiſe von
der Unſterdlichkeit Der Seele: aber nirgends wird
die Ampfindung ſo getroffen. Der Dirbter be⸗
Rürmt das Heri, unterwirft:es fich, ſetzet es außer
Stand, dagegen zu vernünftelt. Go groß iſt die
Zauberey des Ausdruds, und die Stärke der Bes
redſamkeit, die den Stachel in der Seele nurla⸗
ldßt.
Young bat nach meiner Meynung gegen bie
Anmerkung Recht, die ıder Cenſor dem Ueberſetzer
abgesteungen, wenn er hebauptet, daß ohne Aus⸗
ſicht auf die Ewigkeit und ibre Belohnungen, Die
Tugend ein bloßer Name, eine bloße Chimäre ſey⸗
aut virtus nomen inane eft aut decus et- pretium
tete petit experiens vir. Wir müffen ung fein
metapbfiiches Phantom, machen. Was if eig
Ent, aus dem nichts Gutes weder. in dieſer nor
Be) 253 (
felte, indefien, daß mir unfere Worte abe
meffen mußten, die fruchtbare Energie die⸗
in jener Welt auf und zurüde faͤlt? Was für ein
But entſtehet in diefer Welt aus der Tugend für
den gerechten Unglüdlichen? Fraget den Brutus,
den Cato, den fierbendeen Gokrates: hier iſt der
Stoiter auf der dugerfen Probe: iR er ehrlich, fe
muß er hie Eitelkeit feiner: Sekte geſteben. Ich
erinnere mich, und werde mich allezeit einiger nach⸗
drucksvollen Worte des J. I. Nouffean erin⸗
nern , die er gu einem mieiner Kreunde ſagta. J.
3. Rouſſeau redete von einem, Vorſchlage zu einem
Gluͤcke, das ihm unter einer fchimpflihen Bedin⸗
gung, ‚aber doch fo, daß fie konnte verfchwiegen
bleiben, war gemacht worden: Mein Kerr, ſagte
er, .ich. bin, Gott fey Dank, Fein Mater ialiſt
wäre ich der geweſen, fo würde ich nichts behy
fer,.als fie alle geweien fee: ich kenne nur dig
Belohnung, die mir der Tugend verbunden iſt
Ich geſtehe, daß ich nichts befier ald Rouſſean
Kin, und wollte Gott, daß ich nur ſo gut, wie er
waͤre! aber fo bald ich mich für ganz ſterblich Idelr
te, ſo würde ich mich ſelbſt gleich gu meinem Gatt
machen, ich würde alles auf meine Gottheit. beries
ben, das iſt, auf meine. eigne Perſon: ich würde,
mas mau Tugend nennt, aueuͤben, fe baid meis
Vergnuͤgen dabey gewoͤnne: jeben auch fo bad Zafter :
ich wuͤrde heute ſtehlen, um es meinem Freunde,
oder meinem Maͤgdchen su geben: haͤtte ich mich
wit ibnen gegankt,.fo würde ich fie morgen felbf zur
Befoͤrderung meiner Heinen Ergöglichleiten deſteh⸗
az) 254 ( Enge
fee freyen Zeelen war bie Bewuaderung ei
nes ſchwer zu befriedigenden Jahrhunderts
Der eitle Vorwurf, ben wir ihnen machten,
daß es ihnen an Geſchmack fehle, war bey
Leuten verdrungen, die von wahren und ſtar⸗
den Ideen eingenommen, ſich die Mühe gaben
zu leſen, und über ihre Lectuͤre nachzudenken
wußten Man hatte inzwiſchen aus der Zahl ber
Philoſophen diejenigen gefährlichen Skeptiket
weggenommen, bie bie Grundfeſte der Mond
len: in allen dieſen Dingen werde ich Tehe wife
merfſam feun, weil ich aleseit das thum mär,
was meiner Gottheit ſchmeichelte. Da bingegel,
wenn Id die Tugend der Belohnung. wegen liebe
und dieſe Belobnung nicht auf willkuͤhr liche
lungen geleget If, fo darf ich mich nicht nach
wer augenblidlichen Yhantafie richten, ſondern nich
der unveränderlichen Regel, die der emige'Bergek
ger, der auch der Befenseber iſt, vorgeſchrieben bat;
Fololich muß ich oft thun, mas ich ſoll, oh 4
mir aleich nicht wefdut s und wenn ſich mes
te Freyhelt ffir das Gute entſcheidet, nngeach⸗
get des gegenſeitigen Reitzes, fo thue ich md'Wg
win, und nicht, wad mir gefällt. Hätte und Bett
dloß durch Die Liebe für dad Schöne leiten molen,
fo daͤtte er und nur eine vernünftige Seele gehen
dürfen, obne die Empfindfamkeit des Herzens eiis
wwilchen: er bat und aber Durch den Reiz der Yes
lodnung lenken wollen, weil er uns in ewſaeo
mm Weſen gemacht hat.
BDze) 25 0
hatten erſchuͤttern wollen. Die tugend⸗
hafte Volk von der Empfindung geleitet, hat⸗
te bie eiteln Spitzfindigkeiten verworfen, und
nichts hatte es uͤberreden lonnen, daß die
Tugend eine bloße Chimaͤre ſey.
‚Der vierte Schrank zeigte gralaniſche
Sicher. Das befreyte Jeruſalem, das ſchoͤn⸗
ſte unter den bekannten Gedichten, ſtund an
der Spige: Man hatte eine ganze Biblis⸗
thef von Kritifen verbrannt, die man gegen
dieſes bezaubernde Gedichte gemacht: hatte:
‚Der. berühmte Tractat Äber die Strafen und
Belohimingen hatte die ganze Vollkommen⸗
heit erhalten, deren dieß wichtige Werf faͤ.
dig mar. Ich erfiaunte auf eine angenchs
me Art, als ich eine Menge durchdachter
und 'philofophifcher Werke fah, bie dieſes
Volk ſeit dem geliefert hatte. Es hatte den
Tallsmann zerbrochen, der Aberglauben und
Unwiſſenheit auf ewig bey ihm zu erhalten
ſchien.
»Endlich kam ich zu ben franzofſchen
Schriftſtellern. Mit begieriger Hand griff
{ch nach den drey erſten Bänden. Es wa⸗
ren Carteſius, Montaigne und Charron.
Montaigne hatte einige Abkuͤrzungen gelit⸗
ten; aber da er ber Philoſoph iſt, der die
= ) 256 (Eat
menichliche Natur am beiten gekannt ,:fo
hatte man feine Echriften aufbehalten, ob
gleich feine Gedanken nicht alle unverwerf⸗
lich find. Den Träumer Malebrauche, deu
traurigen Nicole, den unbarmherzigen Ar⸗
hold und den graufamen Bourdaloue hatte
man verbrannt. Alles, was fcholaftifeße
Gitreitigfeiten betraf, war fo vernichtet wor⸗
den, daß, alg ich von ben Lettres provincis-
les und der Ausrottung ber Jeſuiten ſprach
der gelehrte Bibliothekar einen gewaltigen
Anachroniſmus machte: ich wies ihn auf
eine beicheibene Art zurechte, und! er dankte
wir aufrichtig. Ich babe niemals biefe
Lettres provincisles, noch auch die neuefle
Gefchichte, die dad Einzelne diefer großen
Begebenheit enthielt, wieder auftreiben koͤn⸗
nen. Wie Hein war fie jekt! Man rebete
ist von Jeſuiten, wie wir heute zu Tage von
alten Druiden fchwasten. |
. Man batte den Haufen tbcologifcher
Schriften, Rirchenväter genannt, bie voller
Sophiſtereyen, Dunkelheit und Widerſpruͤ⸗
che waren, und den Loken und Clarfen ge,
rade entgegen gefeßt find, vernichtet: fie fchie-
nen, fagte der Bibliothekar zu mir, dem
) 257 ( er
menſchlichen Unſinne beynahe die Srägge
geieeet zu heben.
Ich ſchlug auf, blaͤtterte und ſuchte die
Schriftfteller von meiner Bekanntſchaft.
Himmel, welche Verwuͤſtung! wie viel große
Buͤther waren in Rauch.aufgegangen! Wo
iſt denn der deruͤhmte Voffuek, der zu mei⸗
ner Zeit in vierzehn Baͤnden in 4to abgr-
druckt worden ? Alles iſt weg, fagte man
mir — Wie? dieſer Adler, der ſich fo jehr in
den Wolfen verlor, bieß Genie - - - Sin der
That, was konnten wir von ihm erhalten?
Cr hatte Genie, ich gebe es zu, aber er hät
einen ſchlechten Gebrauch davon. gemadht.
Wir haben aber ben Grundſatz des Mon⸗
taigne angenommen: Man muß nicht fra⸗
gen, wer der gelehrteſte iſt, ſondern wer
es auf die beſte Art iſt. Die allgemeine
Befchichse des: Boſſuet war ein armfeliges
chronologiſches Gerippe 5) ohne Leben und
5) Damit man der Zeitrechnung eine Miene
der Wahrheit. geben möchte, fo Kat man Epoten
erfunden, und auf einem fo ſcheinbaren Grund das
Gebäude diefer allgemeinen Wiffenfchaft errichtet.
Sie hängt ganz von dem Eigenfinne ab.‘ Man
weiß nicht, auf welche Zeit man die Hauptrevolu⸗
tionen des Erdbodeus fehfegen fol, und mian will _
Boch das Jahrhundert befimmen, in. dem diefer
vv
RZ) 238 (En
ohne Farbe; überdieß hat er den langen Re
flerionen, bie dieſes magere Werk begleiten,
eine fo gezwungene, fo feltfame Wendung ge
geben, daß wir faum glauben, daß bie
Werk Bon irgend jemand feit funfzig Jah⸗
"sen gelefen worden. — Aber doch. feine
Leichenreden > « = — Wir find gegen ihn
ſehr aufgebracht. Dieß iſt die armſelige
Sprache der Knechtſchaft und Schmeicheleg.
Mas ift das für ein Diener Gottes, des
" Gottes des Friedens und ber. Wahrheit, der
auf bie Kanzel fleigt, um einen finſtern Bor
litikus, einen geisigen Minifter, eine Sran
von einer gemeinen Seele, einen moͤrderi
fchen Helden zu loben, der, wie ein Dichter,
ganz mit der Beſchreibung einer Schlacht
beſchaͤfftiget, nicht "einen einzigen Seufzer .
über dieſe fchrecfliche Plage, bie bie Erde
verwuͤſtet, ausſtoͤßt? In diefem Augenblicke
dachte er nicht daran, die Nechte der Menſch⸗
lichkeit zu vertheibigen, und einem ehrgeigie .
oder jener König gelebt bat. Die Summe der ers
tbümer fanmelt ſich rubig, felbft durch Hülfe ehto⸗
uologifcher Berechnungen. Sum Ereinpel, man
geht von Erbauung der Stadt Rom aus, und dies
fe Erbauung berußet auf: bloßen abefiheinlichteis
ten oder vielmehr A anf Voraueſetungen.
Sam) 29 (nk
gen Monarchen durch die heilige Stimme
der Religion wichtige und fchreckliche Wahr:
beiten vorzuhalten. ‚Er Dachte vielmehr bloß
darauf, daß bie Welt von ihm fagen mochte:
Der Mann redt gut: er erbebt die Tod»
ten mit Kobfprächen ; wann ihre Afche
noch lau ift, wie viel mebr Weybrauch
wird er nicht den Roͤnigen ſtreuen, die
noch nicht verſchieden ſind.
Wir ſind keine Freunde des Boſſuet.
Außerdem, daß er ein ſtolzer, harter Mann,
ein kriechender und ehrgeiziger Hoͤfling war;
ſo war er es auch, der dieſe Leichenreden in
Aufnahme brachte, die ſich ſeit der Zeit, wie
die Leichenkerzen vervielfaͤltiget haben, die
gleich ihnen, einen giſtigen Geruch im Vor⸗
uͤbergehen zuruͤckelaſſen. Dieſe Gattung von
Reden ſchien uns die ſchlimmſte, nichtswuͤr⸗
digſte und gefaͤhrlichſte unter allen zu ſeyn;
weil, fie zu gleicher Zeit falſch, kalt, luͤgen⸗
haft, abgeſchmackt und unverſchaͤmt war:
denn der Redner widerſprach allezeit dem
oͤffentlichen Geſchreye, das an den Mauern
wiederhallte, oder ber Redner, der mit Pomp
declamirte, lachte ganz heimlich bey ſich
ſelbſt, uͤber die luͤgenhaften Farben, mit de⸗
nen er ſeinen Abgott ausſchmacte
R2
Sm ) 260 ( er
Da ſehet feinen Rival, feinen fanften
und :befcheibenen Sieger, den liebenswuͤr⸗
bigen und empfindlichen Fenelon, ben Ver⸗
faffer des Telemachs und vieler Andere
Schriften, die'wir forgfältig aufgehoben-bas
ben, weil wir darinnen bie feltene Uebereim
fiimmung des Verflandes und bed Herzens
gefunden haben ©. Einen Telemach am Hofe
Ludewigs XIV. verfertiget ju haben, ſcheint
uns eine bewundernswuͤrdige, erſtaunende
Tugend. Ganz gewiß hat der Monarch das
Buch nicht verſtanden, und dieß iſt noch das
vortheilhafteſte, was man für ihn fagen kann.
6) Die framzoͤſi ſche Aademie bat für den nach⸗
fien Preis der Beredſamkeit feine Lobſchriſt aufge⸗
geben. Aber wenn fie ip was fie ſeyn ſoll, fo kann
fie von ‚der Atademie unmöglich gekroͤnet werden:
Barum giebt man foldje Dinge auf, die nicht in ih⸗
rem ganzen Umfange koͤnnen behandelt werden?
Uebrigens liebe ich dieſe Gattung, mo man durch
die Prüfung eines großen Genies, zugleich die
Kunft, durch die ſich daſſelbe hervor gethan, -prüs
fet und gründlich auseinander fenet. : Wit beben
in diefer Art vortrefliche Werke, worunter Die-vors
zuͤglichſten des Hrn. Thomas feine find. Es iſt das
Lehrreichſte, was man einem jungen Menſchen in
Die Hände geben kann: er wird darinnen fo wohl
nuͤtzliche Kanntniſſe finden, als auch zu einer ders
nünftigen Rubmbegierde geteint werden.
ae) 2618 ( nr
Ohne Zweifel fehlet es dieſem Werke an groͤſ⸗
fern Einfichten und tiefern Kenntniſſen; aber
wie viel hat es bey feiner Simplicität Stär-
Be, Hoheit und Wahrheit! Wir haben dieſem
Schriftfteller die Werke des ehrlichen Abbts
son St. Pierre an die Seite geftellet: feine
Geber war zwar ſchwach, aber fein Herz
edel. Sieben Jahrhunderte haben feinen.
sroßen und ſchoͤnen Gedanken bie gehoͤrige
Reife gegeben. Diejenigen, die ihn einen
Traͤumer ſchalten, waren es, die bloße Chi⸗
maͤren im Kopfe hatten. Seine Träume
ſind erfuͤllt worden
Unter den franzoͤſiſchen Dichtern fand
ich den Corneille, Racine und Moliere wie⸗
ber; ‚aber ihre Commentatoren 7) hatte man
7) Sie find das Werk entweder des Neides
oder der Unwiſſenheit. Diele Commentatoren ers
werten mich mit ihrem Eufer für die Geſetze der
Grammatik, um Witleiden. Das grauſamſte Schick⸗
fal, das eines Mannes von Genie nach feinem To⸗
de wartet 1 ik, nad feinem Tode von Pedanten
beurtheilet zu werden: dieſe ſehen und fühlen
nicht. Die elenden Kritiker, die Wort vor Wort,
vornehmen, gteihen den blöden Gefichtern, die atts.
ſtatt ein Gemälde von Le Suͤeur oder Poußin gu,
betsachten, auf eine dumme Art jeden Zug Anters
fuchen, und niemalg das Ganse feben. . Br
Sam) 202 (u
verbrannt. Ich that an ben Bibliothekar
die.Srage, bie man mwahrfcheinlicher Weife
noch nach fieben Hundert Jahren thun wirdt
Wem gebt Fhr; denn unter den dreyen ben
Vorzug? — Mir verfichen ben ‚Mollere
nicht mehr, verfeßte er: die Gitten, bie er
gefchildert hat, find vorbey. Wir glauben
inzwiſchen, daß er mehr das Lächerliche, als
dag Lafterhafte angegriffen, gleichwohl hats
ter Ihr mehr Lafterhaftesy als Lächerlicheg a),
Was die beyden tragifchen Schriftfieller atte
betrifft, veren Sarben dauerhafter waren, a _
weiß ich nicht, tie ein Mann von Euerm
Alter eine folche Srage thun fann? Der
vorteefliche Maler des Herzens, der die Seele
am meiften erhebt und ertveitert, der, ber ben
8) Es ift falfch, dag es leichter fey, wie mau
in einer Lobfchrift auf den Moliere behauptet bat,
die Menfchen vom Lächerlichen, ald vom Lafer ab⸗
zugieben: aber gefent; dem märe alfo, für welche
Krankheit des Herzend bat man zuerſt die Drittel aufs
iufichen ? Wird-nicht der Dichter ein Mitgefaͤhrte
der Allgemeinen Bosheit, wann er zuerft die elenden
Derträge annimmt, die die Gottloſen gemacht has
Ben, um deſto ‚beffer ihre Bosheit iu -verkeden?
Wehe dem, der nicht die ganze Wirkung. fuͤhlet,
Die ein vortrefliches Schaufpiel hervorbringen Tann,
und das Erhabene. diefer Kunſt einſieht, Die un
allen Herjen nur Ein Der machet.
Re) 263 ( diene
. Kampf der Leibenfchaften und die Tiefe ber
Politik am beften verfianden , ' hatte ohne
Zweifel mehr Senie 9 alg fein harmonifcher
Nebenbuhler, der mit einem reinern und rich⸗
tigern Stil, weniger flark, weniger gedrangt
ift, und weder fein durchdringendes Auge,
nod) feine Erhabenheit, noch feine Wärme,
noch feine Logit, noch die große Verſchieden⸗
heit ſeiner Charaktere hatte. Setzet noch
den allezeit merkbaren moraliſchen Endzweck
hinzu: er erhebt den Menſchen zu dem Ele⸗
mente aller Tugenden, zur Freyheit. Raci⸗
ne, nachdem er ſeine Helden zu Weibern ge⸗
macht, machet auch ſeine Zuſchauer wei⸗
biſch 10). Der Geſchmack iſt die Kunſt,
Kleinigkeiten wichtig zu machen: hierinnen
9 Corneille hat oft eine Mieneder Offenher⸗
aigleit, der Freymuͤthigkeit, der eriginalen Sim⸗
zlieität, und felbk etwas natuͤrlichers, als Boileau.
0) Racine und Boileau waren zwey demuͤthi⸗
ge Hofleute, die ſich dem Monarchen mit der Bes
wunderung jtveener Bürger ausber Straße St. De⸗
nis naͤherten. So gieng Horas nicht mit dem
Auguſt um. Nichts if Heiner, ald die Briefe diefer
beyden Dichter, die anger fich vor Entzücken waren,
am Hofe gelitten zu ſeyn. Dan Bann fich keine krie⸗
chendern Schmeichelegen vorſtellen. Endlich ſtarb Ra⸗
eine vor Verdruß, weil Ludwig der XIV. ihn einmnal
in Voruͤbergehen mit fcheelen Augen angeſehen hatte.
Ya) 2 (u
that es Racine dem Corueille zuvor. . Die
Zeit, die unumfchränkte Richterinn, Die auf
gleiche Weiſe Lob und Tadel vernichtet, bie
Zeit hat entfchieden und einen großen ln
terfchied zwiſchen diefen beyden Schriftſtel⸗
lern gemacht. Der eine iſt ein Genie vom
erſten Range: der andere, einige Züge aus⸗
genommen, bie er ben Griechen abgeborgt
Bat, ift bloß ein ſchoͤner Geiſt, wie man ihn
in feinem Jahrhunderte ſelbſt charafterifi-
rete. Zu.Eurer Zeit hatten bie Menfchen
nicht dieſelbe Stärke: fie wollten nur das
Seine; und das Große hat immer) etwas
Rauhes und Wildes : der Stil war das
Hauptverdienft gefdorben, wie es ben allen
geſchwaͤchten und verdorbenen Völkern zu
gefchehen pflegt.
Sich) fand-ben ſchrecklichen Crebillon wie⸗
der, der das Laſter mit den ſchrecklichſten
Farben, die es charakteriſiren, geſchildert
hat. Dieß Volk las ihn bisweilen, aber
ſeine Stuͤcken ließ man nicht auffuͤhren.
Man kann leicht glauben, daß ich mei⸗
nen Sreund, ben Lafontaine 15) erfannte,
11) Er if deu Vertraute-der Natur, das if,
der Dichter, der vor allen übrigen Dichter iR, und
ich kann mich nicht genug über die Kuͤbndeit ders
Ge) 265 ( re
ber ſo wie vormals geliebt und geleſen wur⸗
De: Er-tfk der erfle der moralifchen Dich⸗
ter, und Moliere, der fähigfte Richter, hatte
feine Unfterblichfeit vorausgeſehen. Es ifl
wahr, bie Fabel ift der allegorifche Ton ei
nes Sklaven, der nicht mit feinem Herrn gu
reden waget: aber da fle zu gleicher Zeit das⸗
jenige mäßiget, was die Wahrheit Hartes
haben kann, fo muß fie lange Zeit auf einer
Erdfugel fchäßbar ſeyn, die allerley Arten
von Tyrannen überlaffen if. Die Satpre
iſt vieleicht nichts, als das Gewehr der
Verzweiflung.
Jenes Seculum mag immer dieſen un⸗
nachahmlichen Fabeldichter unter dem Bot,
leau 12) geſetzet haben, der, (wie der Abbt
jenigen wundern, die nach ihm Fabeln machen, in
der ſtolzen Einbildung, ihm nachzuahmen.
24) Der Kunftrichter, der nichts thun, als ei⸗
nen Autor demuͤthigen will, anſtatt daß er ihn be⸗
lehren ſoll, entdeckt feinen Stolz, feine Unwiffens:
beit ımd feine Eiferfucht: ſeine Bosheit erlaußt
ihm nicht das Gute und Schlechte eines Werke
aufrichtig zu fehen. Die Kritik IR nur denjenigen
erlaubt, deſſen Linfichten, Beurtheilungsfraft amd
Redlichkeit Bein perfönliches Anutereffe verdunkeln
O Aritikue! prüfe" Dich wohl, und willſt du rich⸗
sig über etwas werheilen, fo urtheile, daß du, beis
Due ) 266 ( Aue
Eoftarb fagt,) ben Dictator auf dem Barnaffe
machte, und bem es doch an Erfinbung, Ge
nie, Etärfe, Brazie und Empfinbung fehlte,
und nichts als ein richtiger und Falter Vers
fificateur war. Man hat noch verfchiebene
andere Sabeln benbehalten : unter andern
einige von dem de la Motte, und bie vom
Nivernois 13). |
Der. Dichter Kouffean (dien n mir fe
verachtet: man hatte nicht® von ihm, als
einige Oden und Cantaten, übrig gelaffen:
feine traurigen Sendſchreiben aber, feine er⸗
muͤdenden und harten Allegorien, feine Man⸗
dragore, feine Sinngedichte, bad Werk ci,
nes verderbten Herzens, dieſe ſchmutzigen
Dinge hatte man, twie fich leicht vermuthen
läßt, dem Feuer übergeben, das fie fchon
laͤngſt verdienet hatten. Sch kann die heil-
ſamen Berftümmelungen nicht alle ersählen,
Die man mit vielen, fonft fehr beruͤhmten
nen bloßen Einſichten uͤberlaſſen, nichts zu beuts
theilen fähig bik.
3) Nach fiebeubuubert Jahren wird man ſi 6
ſchwerlich noch erinnern, daß dieſer velgenbe Fabel⸗
dichter ein Herzos, eig Nitter bes. Ordens vum
heil. Geiſte war; aber das wird man noch zeiffen,
daß er ein finnreicher Philoſoph war.
ae ) 267 ( are
Buͤchern vorgenommen. Ich ſahe feinen.
von den · leichtſinnigen Dichtern, die bloß
dem Geſchmacke ihres Jahrhunderts ges
ſchmeichelt, und über die ernſthaͤfteſten Ge⸗
genſtaͤnde deu betruͤgeriſchen Firniß des Wi,
tzes, der, der Vernunft 14) mißbrauchet, vera
breitet hatten: alle die witzigen Kleinigkei⸗
ten einer flatterhaften und berauſchten Eins
bildungskraft, die man auf ihren wahren
Wert beragefeget ‚ waren verfchtounden,
mie die Sterne, die bloß deſto geſchwinder
verloͤſchen, je heller fie brennen. Alle die
Romanen, fomohl Hiftorifche, als morali-
ſche und politifche, bey denen fidy bloß von
ungefähr einzelne Wahrheiten fanden, die fie
nicht zu verbinden und durch ihre Verbins
"dung ihnen einen Nachdruck zu geben wuß,
ten: ferner diejenigen, bie einen Gegenſtand
niemals von allen Seiten und in allen ſei⸗
nen Beziehungen betrachtet hatten: endlich
diejenigen, die hurch den Geift des Syſtems
verführet., Bloß ihre eigenen Gedanken
gefehen , ihnen alleine gefolget waren:
14) Alb Herkules im Tempel der Venus, die.
Bildfdule des Adonis, Ihres Lieblings erblickte,
rief er and: in Die ift nichts Göttliches. Man
kann diefe Worte auf fo viel feine, delikate, ſiun⸗
reiche, welchliche Schriften amvenden-
Sam ) 263 ( Er
alle dieſe Schriftſteller, fage- ich, durch die
Abweſenheit oder das Daſeyn des Genies
‚betrogen, waren verſchwunden, -ober der
Feile einer richtigen Kritik unterworfen
worden, die nun nicht meht emn ſmaducco⸗
Verkbzeug war. 15).
Die Weisheit und Liebe zur Bremmng
ben die Aufſicht bey dieſer nuͤtzlichen Ver⸗
uͤſtung gehabt. Wie wann in dicken Wal—
dern, wo bie in einander gewaͤchſenen Zwei⸗
ge die Wege verſtecken, wo ewige und unge⸗
ſunde Schatten berrfchen ‚ ber Sie bed.
Menſchen Feuer und Beil hineinbringe: dam
fieht man die blühenden Fußſteige und die
fanften Strahlen der Sonne: fie zerſtreuet
die Finſterniſſe und das lebhafteſte Gruͤn er⸗
göget die Augen des Wanderers, der nun oh⸗
ne Furcht und Widerwillen durchreiſen kann.
Ich bemerkto in einem Winkel ein artiges
Buch, das mir gut geſchrieben zu ſeyn ſchien:
15) Ein guter. Kopf ſollte ein. raiſonnirendes
uud gründlich unterfuchtes Verzeichniß der beſten
Bücher in jeder Art auffegen, und die Ordnung
und Weife, wie fie ju lefen find, nebß den eignen
Bemerkungen beyfügen, die er Darüber gedacht bat,
und in andern die Stuͤcken anzeigen, die vorzüglich
zum Denken anlat geben,
Zum ) 269 ( ke
es hatte den Titel: Dep uſurpirte Ruhm.
Es wurden darinnen die Gruͤnde angege⸗
ben, warum. man viele Bücher vertilgt, und
gewiſſe Schriftfieller mit Verachtung belegt
hatte, die gleichwohl ven ihrem Sahıhuns-
derte waren bewundert worden. In eben
diefem Buche wurden große Maͤnner gegen
das Unrecht ihrer Zeitgemoffen gercchtferti
get; wann ihre Widerſacher ungerecht, eifer⸗
füchtig, oder von einer. andern Leidenſchaft
waren verblendet geweſen :©).
Ich fiel auf den Voltaire. Himmel! vief
ich aus, wie ift er abgefallen! Wo find bie .
zwanzig Baͤnde in 4to, bie aus feiner gläns
genden , niemals trocknen Feder gefloſ⸗
fen ?. Sollte dieſer berühmte Schriftſtel⸗
ter wieder auf die Welt kommen, o wie
würde er ſich wundern! — Wir haben,
16) Es wäre ned) ein ſchoͤnes Buch su machen,
ob es gleich ſchon gemacht iſt: große Degebenbeis
sen aus Kleinen Urſachen. Biber mer ift der
Sana, der den wahren Faden faen wird? Ich
will noch ein anderes. anzeigen, das ſich für unfer
Jahrhundert ſchicken möchte: Leute in Iffentlis
chen Aemtern, die Verfolger wurden, un den
Niedertraͤchtigen einen Dienft zu leiſten, die fie
‚ verachteten; noch ein auders: die ; Derbreigen
der Wonarkhen. r
Emm ) 270 ( ne
fagte man mir einen großen Theil baven
verbrennen müffen. Ihr wiſſet, daß dieſes
kreffliche Genie ber menſchlichen Schwach⸗
beit einen fehr ſtarken Zoll gebracht hat. Er
war mit feinen Gedanken zu geſchwind, zus
fie ihnen nicht Zeit zur Reife. “Er sog al,
led, was nur ben Charafter ber Kuͤhnheit
hatte, einer Iangfamen Prüfung ber Wahr:
heit vor. Selten hatte ee auch Tiefe genug.
Er war eine reißende Schwalbe, die mit Ar-
ügkeit und Leichtigkeit die Flaͤche eines hreiten
Fluſſes beftrich, im Fluge trank und ſich bes
fruchtete: er wußte feinem Witz ben Schein
des Genies zugeben: Man kann ihn nicht eis
ne ber erften, ber größten und edelſten Tugen-
ben, die Menſchenliebe abfprechen. Er bat mit
Wärme für das Beſte des Menichen geſtrit
ten. Er hat die Verfolgung verabfcheuet;
‚ bie. Tyrannen jeder Art der Verachtung
blog geſtellet. Er bat eine vernünftige und
rührende Moral auf die Bühne gebracht.
Er hat den Heldenruhm in feiner wahren Ge⸗
flalt gegeichnet. Er ift endlich der größte franz.
zoͤſiſche Dichter geweſen. Wir haben ſein epi⸗
ſches Gedichte aufbehalten, obgleich der Plan
elend iſt; aber der Name Heinrich des IV.
wird es unſterblich machen. Wir bewun⸗
az) 271 (ie
dern vorzüglich feine ſchoͤnen Trauerfpiele,
in denen ein fo leichter, fo abwechſelnder
und wahrer Pinfel herrſchet. Wir haben
alle profaifche Stücken" aufbehalten, wo er
wicht Poffen reißet, und. ein plunper oder
fchlechter Zuftigmacher iſt: in benfelben iſt er.
wirflic) original 173. Aber Ihr wißt, daß
173 Ich Ichäne den. Maler der Natur hoch, der
feinen Pinfel auf der Leinwand fielen laͤßt, der ei⸗
ze gerifie edle Kuͤhnheit, die die Farben belebt,
der” Falten Genauigkeit und Regelmäßigkeit vor⸗
zieht, die und unaufhärlich an die Kunſt and ihren
Betrag erinnert. D wie glänzend wird der Schrift»
Beller ſeyn, der ganz feinem Genie überlaffen, ich
vorſetzliche Nachlaͤßigkeiten erlaubt, mit einer leich-
ren Hand glückliche und gemifchte Züge einwitft;
ſich groß genug iſt, Fehler zu haben; fih in eher
gewiſſen Unordnung gefällt, und da am intereffans
teften if, wo er ſich am unregelmäßigften zeiget.
Dies iſt der vorzäglihe Manu von. Geſchmack:
er weiß, dag eine langweilige Synumetrie nur dem
Dummtöpfen gefältt, daB alle lebhafte Geiſter ſich
gerne Fluͤgel anfegen laffen, daß man dieſer glücks
lichen Lebhaftigkeit, die die Seele ermuntert, die
meiſten Leſer verdantet: daß der Schriftfteller, wie
das elemientarifche Teuer immer in Bewegung ſeyn
muß. Aber dieß Geheimniß if nur für die Heine
Anzahl: der größte Theil arbeitet, ſchwitzet, ſtrengt
alle Kräfte an, uud firebt nach einer kaͤltenden Dolls
fommenbeit. Derjenige, der zu fchreiben geboren
war, IR lebhaft, voll Feuer, ſchuel, über alle Re⸗
Ze) 272 (are
ihm die letzten funfzehn Jahre feine Lebens
nichts ale einige Gedanken übrig blieben,
die er von hunderterley verſchiedenen Sei⸗
ten vorſtellte. Er wiederholte immer daſſel⸗
Be. Er zankte ſich mit Leuten herum, die er
‚hätte verachten ſollen. Er hat das Ungläd
gehabt, gegen 3. J. Rouſſeau platte wich
grobe Schmaͤhungen zu ſchreiben, und eine
eiferſuͤchtige Wuth verführte ihn fo ſehr, daß
er ohne Verftand fehrieb. Wir Haben nyth⸗
wendig. dieſes elende Zeug verbrennen muͤß
fen, das ihn unfehlbar bey der entfernte
ſten Nachwelt wuͤrde entehret Gaben. : Da
wir mehr Eifer für ſeinen Ruhm baben;aldr
felbft hat, fo mußten wir, um biefen font -
großen. Mann beynuhehalten, d die weite von
ihm vertilgen.
Ich bin erfreut, meine Herten, daß ich
bier den J. J. Rouſſean ganz finde: "Sein
geln weg, und wirft mit einem Federzuge feinen
Gedanken bin, und zugleich dad Dergnägen in die
@eele des Leſers. So iR Voltaire: er IR ein
Hirſch, der Das Feld Ber Literatur fchnell durch⸗
Wuft : und feine vorgegebenen Nachahmer, feine kal⸗
ten Kopiſten, fo wie La H*** und andere froſtige
Autoren, find Triechende Schildkroͤten.
a- ) 273 ( Ener
Emil, wel ein Buch 18)! Welch eine em.
pfindliche Seele leuchtet aus dem fchönen
Roman; die neue Heloiſe, hervor! Was für
flarfe, große und politifche Gedanken glän-
zen in feinen Briefen bed ka Montagne!
Welch ein Edelmuth, welche Kraft in feinen -
übrigen Werken! Wie denft er, und wie
viel giebt er zu denken! Alles fcheint mie
von ihm würdig gelefen zu werben — Mir
haben. eben fo von ihm geurtheilet, antwor⸗
tete der Bibliothefar. Der Stol; Eures
Jahrhunderts war fehr niedrig und gratis
fam, feste er hinzu. In Wahrheit, hr
müßt ihn nicht verftanden "haben. Euer
Kopf mar fo. voll von Kleinigkeiten, . daß
er fich nicht die Mühe nahm, ihm zu fol⸗
gen: er hatte einige Urfache, Euch zu vers
achten. Eure Philofophen felbft waren
Leute ... doch wir find über biefen Welke
weiſen einig: wir verfiehen einander ; und
ich brauche nichts weiter von ihm zu ſa⸗
gen.
18) Welche abgeſchmackte Widerlegungen hat
man gegen dieß unſterbliche Werk gedruckt Wie
kann es jemand wagen, zu ſchreiben, mann er nicht
einmal leſen kaun.
S
Se) 274 ( Berk
Jadem id; die Bücher des letzten Schram.
kes durchſuchte, fand ich mis Bergnügen.pielene
ley Werke wieder, die ſchon vormals vom mer
ner Nation waren hochgeicyägt worden: deg
Geiſt der Geſetze, die Naturgeſchichte, das Buch
non dem Verſtande (de leſprit) mit Erlaͤute⸗
rungen über einige Stellen 19). Man hatzz
auch nicht ben Meuſchenfreund, ben Belifan
. bie Merfe des Linguet, noch hie bevedten
Lobfehriften des Thomas 20), dad St, Gier
van, bed. Düpaty, des le Tourneur und;he
Gefpräche des Phocion vergeſſen. Ich exlaunti
hie. Menge philoſophiſcher Werke die das Ei;
culum Ludwig des XV. hervorgebracht Pbo
19) Die Spinne jieht aus derſelben WÜR’EHE
and: der. vie Biene den ſuͤßeſten Honig ſaugt:
findet oft der Boͤſewicht in eben; Dem Boch
Nahruug für feine Bosheit, worinues ein, Weilff
ſeine größte Zufriedenheit findet
20) Es finden vor A feine wa
- Rate: aber die Beredtfamfeit if deswegen
verſchmunden. Sie fpricht, ſie donnert aoch bit⸗
weilen: und wenn fie in und auch nicht zu tugend⸗
hafte Empfindungen entflammen Tann, (0 beſchaͤmt
fe uns doch wenigſtene, und font uns In See
senbeit.
: 201: Die Phikoſophie, die ſich mit der —8
des Menſchen, der Politik und den Gitten bafchdis
tiget, beeifert ſich, nuͤtliche Käuntuife zu verbcei⸗
ae) 375 (nn
Man hatte bie Encyklopebie nach einem befr
fern Plane umgearbeitet. Anflatt des elens
den: BGeſchmacks, alles in Wörterbücher zu
bringen, das iſt, die Wiſſenſchaft Stuͤckwei⸗
ſe zu zerlegen, hatte man jede Kunſt in ih⸗
rem’ ganzen Umfange vorgetragen. Matt
überfah dadurch mit einem Blicke ihre: ver⸗
fchiedenen Theile: es waren große ımd rich.
tige Gemaͤlde, die auf einander in gehoͤrl⸗
ge Ordnung folgten: fie wurden durch ben
Baden einer Intereffanten und fi mpeln Dies
thode unter einander verbunden. Alle Bi
cher;: die: man -mider: die chriftliche Religion
gefchrieben hatte; waren als ganz unnuͤtze,
vyxhragunt worden. |
cat nach dem Gefchichtfehreibern,
und der Bibliothekar fagte zu mir: dieß find
zuitn Theil unſere Maler, die dieſes Amt ber-
nommen haben. Geſchehene Dinge haben eine
phyſiſche Gewißheit, die für ihren Pinfel gehoͤ⸗
retı Was iſt die Gefchichte? 2 Im Grunde nichts
als die Wiffenfchaft gefchehener Dinge. Die
Betrachtungen und bag Raiſonnement, haͤn⸗
gen von dem Geſchichtſchreiber und ‚nicht
son. der Sache felbit ab; aber ber gefiheher
tin: ihre Läferer find’ emmeder Summtote ober
ſchechte Bünde.
2
De, 276 ( re
nen Dinge giebt es auch unzählige. Mat
für gemeine Sachen! für veraltete Mäbe-
hen! für Ersählungen fleiner Umſtaͤnde he
Ende! Die Begebenheiten jedes Jahrhn-
derts find für die Zeitgeneffen deſſelben bie in⸗
tereffanteften unter allen, und in allen Jabe-
Hunderten find dag die einzigen, die pe u
haben ergründen konnen.
Man hat forgfältig alte und mswaͤrthe
Facta beſchrieben, indeſſen daß man ben
gegenwaͤrtigen feine Aufmerkſamkeit ent
zog. Der Geiſt der Muthmaßung glaͤn⸗
zet auf Koſten ber Richtigkeit. Die Mel—
ſthen haben fo wenig ihre Schwachheit gb
kannt, daß viele es fogar gewagt haben. 3
Ban Weltgefchichten su fchreibens und
e fcheinen mir darinnen unbeſonnener, alb
die guten Indianer, die wenigſtens vler Se⸗
phanten zur Grundlage ber phnfifchen kt
annahmen. Kurz, die Gefchichte iſt ſo
verunſtaltet, fo mit Ligen und kindiſchem
Geſchwaͤtze angefüller, daß der Roman bed
jedem vernuͤnftigen Merſchen mehr als die⸗
ſe Geſchichten gelten muß, wo man gleich
fam auf einem unbegraͤnzten Meere ober |
Compaß fehiffte 9).
22) Wenn man der Beſchaffenheit bes menfſchlichen
ze) 277 ( u
‚Wir Haben einen kurzen Auszug gemacht,
per die Jahrhunderte. mit großen Zügen
fehildert, und nur die Perfonen aufftellt, die
einen wahrhaften Einfluß auf die Schickfa-
le der Neiche gehabt haben 23. Wir haben
bie Regierungen üßergangen, wo man nicht®
als Schlachten und Benfpiele der Wuth
ſieht. Man bat fie mit Fleiß mit Still.
BVerkandes nachdenft, fo. kann man die Unmoͤg⸗
lichkeit einer alten, wahrhaften Geſchichte einſehen.
Die Neuere beleidiget weniger die Wahrſcheinlich⸗
Jeit: inzwiſchen iR. von dem Wahrſcheinlichen zur
Wahrheit allezeit fo weit, als von der Wahrheit
ur Lügen. Auch lernen wir nichts in den nenern
erdichten. Jeder Geſchichtſchreiber ſchildert Die
VBegebenheiten nach feinen Begriffen .eben fo. wie
ein Koch das Fleiſch wach -feiner Art zurichtet:
an muß ſich gefallen laſſen, nach dem Geſchmacke
det Kochjuugen zu eſſen, ſo wie man nach dem Ge⸗
fallen des Schriftſtellers leſen muß. :
z23) Ich weiß nicht, warım man bey Beſchrei⸗
Bund der Befchichte fagt, die Regierung Karl des
vr, Ludwigs des XI? Es ift eine ganz feblers
hafte Art, ſich auszudrüden. Gie- verführet einen
Lefer, der nicht Philofoph if. Ein Monarch, der
keinen Einfluß auf fein Jahrhundert gehabt hat,
follte in die Claffe der unbelannten Menfchen eins
rächen, und man ſollte z. B. nach dem Tode Heinrich
des IV. fagen: wir ſchildern nunmehr das Ses
culum des Richelien, |
) 278 ( ne
ſchweigen übergangen, weil man nichts vore
ftelfen wollte, als was dem Menſchen zur:
Ehre gereichen konnte, Es iſt vielleicht ge.
faͤhrlich, ein Regiſter von allen Verbrechen
zu halten. .. Die Menge /ſtrafbarer Menfchen
fcheint eine Art von Entſchuldigung zu ſeyn;
und je weniger mau Verbrechen ſieht, deſto
weniger geraͤth man in Verſuchung, ſie zu
begehen. Wir ſind mit der menſchlichen
Natur fo wie jener ehrerbietige Sohm
fahren; der feinen Vater roth zu ma
fuͤrchtete, und bie Unorbnung der Crunten.
heit mit einem Schleyer bedeckte. zur sa
AIch näherte mich dem ‚Bibliothekar‘ un:
fragte ihn ganz heimlich nach ber Gefchichte
dee: Seculums Ludwig des XV. , zur Fortſe
tzung des Seculums Ludiwigs bed XIV. don
Voltaire. Dieſe Geſchichte iſt in dem zwan⸗
zigſten Jahrhunderte geſchrieben worhek.
Niemals habe ich eine ſeltſamere, erſtaunens⸗
wuͤrbigere und ſonderbarere geleſen. Der Ge⸗
ſchichtſchreiber hatte wegen der Bizarrerie bee
Umſtaͤnde feinen Flöinen Umſtand unterdrückt.
Meine Neugier, mein Erſtaunen verdoppelte
ſich ben jeder Zeile. Ich lernte daraus viele mei⸗
ner Borfielungen berichtigen, und ich fand,
daß das Jahrhundert, worinnen man lebt,
le | ie) TIL — *
fuͤr uns das allerentfernteſte iſt. Ich belach⸗
te, ich bewunderte viel: aber ich beweinte
wenigſtens eben ſo viel: die wirklichen Bes
gebenheiten find wie die Paſteten die nie
zu effen taugen, "lg bis fie kalt fl nd ans
Num und zwanzigftes Kapitel. em:
u * Die Gelchrten. j 5
Ifie ic die Bibliothek verließ, redate mich
‚Tem Menſch an, der dyey Stundam
lang nicht ein Wort zu mit geſprochen hatte
und wir fingen an) ung in eine Unterredungr-
miteinander einzulaſſen. Sie fiel auf die Ge⸗
Ichrsen: Ich habe ihrer wenig gu meiner Zeit:
gefnnut: aber die, bie ich gefannt babe, waren
ſaufte, ehtliche, befcheibne Leute, voller Recht
ſchaffenheit. Hatten ſie ja ihre Fehler, ſo erſetz⸗
tom fie dieſelben durch fo viel vortreſliche is,
geafchaften, daß may aller Freundſchaft haͤtte
unfähig ſeyn muͤſſen, um fie nicht zu lieben.
Der Reid, die Unwiſſenheit und. die Ver⸗
laͤumdung ſchwaͤrzten sen Charafter ber uͤbri⸗
24) Ales geſchleht In der Laͤnge der Zeit. Die
Geheimuiſſe, dik nian aufs genatieſte derſchwſſen
glaubte, kommen unter die Leute, fo wie die Fluͤſ⸗
„fe ins Deer unere Enkel werden alles wiſſen.
Sm ) 280 ( —
sen an. “Denn jeder sffentliche Hann if
ben albern Nachreden des Poͤbels ausge
feßt: je blinder dieſer ift, defto kuͤhner ent⸗
fcheidet ee n. Die Großen, bie meiſtens
eben fo wenig Talente als Zugenden hatten,
waren -eiferfüchtig, daß jene die Augen ber
Marion auf fich zogen, und thäten, alg ob fie
fie verachteten 2). Diefe Schriftfteller hatten
1) Jener Menſch, der nicht im Gtande: if,
‚eine Zeile zu fehreiben , aber ber. ein woͤrtliches
Zalent der Satyre bat, glaubt. endlich, wenn
er alle Buͤcher getadelt , aller Schriftfeller ges
ſpottet, und fo feiner Bosheit geſchmeichelt hat,
"er glaubt, füge ich, daß er ſeidſt ein Menſch von
Geſchmack und einem feinen Gefühle fey : er bes
trügt ſich ſowohl in dem Urtheile über ſich .telbR,
als über andern en
2) Nicht die mächtigfien., nicht die reichken
Fürften, nicht Die befondern Beherrſcher eines
Volks find es, denen Die Staaten ihten Glan, ihr
ve Stärke und. ihren Rubın verdanken. Es find
bloße Privatperfonen, welche in den Künften und
Wiſſenſchaften, und felbft in der Regierungskunſt
einen agkaunenden Fortgang gemacht haben. Wer
hat die Erde gemeffen ?, wer hat das Syftem des
Himmels entdeckt? wer hatdie wundernswuͤrdigen
Manufahturen in Gang gebracht, die die Natids
nen Fleiden? wer bat die Naturgefchichte aeichries
ben? wer hat die Tiefen ber Chumie, der Zerglies
derungstunft, der Kraͤuterkaͤnntniß erforfcht? Noch
einmal, c6 find bloße Privasperfonen. Sie müfs
ze) 28 (ie
überdieß den ekeln Gefchmad des Yublk
kums su beftreiten, dag defio mehr nach Loh⸗
fprüchen geigte, je mehr ed von ihren Arbeiten
war bereichert worden, und bisweilen Mei-
ſterſtuͤcke auf die Seite warf, um über abge.
ſchmackte Poffen in Entzuͤcken zu gerathen.
Endlich hatten fie des größten Muthes nd-
thig, um ſich in einer Laufbahne zu erhal-
ten, too der menfchliche Stolz ihnen taufend
Hinderniffe in Weg Ieate ; aber fie haben
ſowohl der unverfchämten Verachtung der
Großen, als auch, dem Bloͤdſinne des BE.
bels gefrogt: der gerechte Ruhm hat’ ihre
fen in den Augen des Wellen diefe bermepnten
Großen, diefe ſtolzen Zwerge verdunkeln, die fi)
bloß von ihrer eignen @itelkeit nähren. In ber
That find es nicht' diefe Koͤnige, diele Minifter,
dieſe Leute von Stand und Würden, die’ die
wahren Herren der Welt find: es find diefe er⸗
babeneen Menfchen, deren mächtige Stimme iu
ibrem Jahrhunderte geſagt: Verbanne dieß elen⸗
de Vorurtheil, benke auf eine edlere Art vers
achte, ‘was du thörichter Weife verebrer, und
verebre, was du aus Unwiffenbeir verachter
haſt, mache dir deine begangenen Thorheiten
zu Nutze, um die Rechte des Menichen deſto
beſſer kennen au lernen: nimm alle meine Be⸗
griffe an: deine Laufbahn ift dir vorgezeich⸗
ner, laufe, und du wirft Das Ziel erreichen.
Se) 232 ( ienie
Wiberſacher su Schande gemacht, und we
edlen Bemuͤhungen gefrönt. -
Ich erkenne ſie an dieſem Bilde, ſagtz
ſehr hoͤflich mein Geſellſchafter. Die Gelehr⸗
ten find die verehrungswuͤrdigſten Bürger ge
worden. Ale enfchen fühlen das Hrodrf:
niß, bewegt, gerührt zu werden: dieß iftdag
Iebhaftefte Vergnügen, das die Seele ger
nießen kann. Sie find.es, denen der. Sagt,
Die Sorge anvertrauet hat, dieſes Prise
pium von Tugend zu entwickeln. Faden:
fie erhabne, rührende, fchreckliche Gemälde
ſchildern, fo machen fie die Menfchen „zit
Zaͤrtlichkeit fähiger, und indem fie ihre Eur
pfindfamfeit volllommner machen, ſo brin⸗
gen fie ihnen cine Neigung zu allen großen
Eigenfchaften bey, deren Duelle fie iſt. Wir
finden, fuhr er fort, daß bie Schriftfieher
Eures. Jahrhunderts in Abficht auf bie Mo⸗
ral und andere tiefe und nüßliche Kaͤnnt⸗
wiffe das Säculum Ludwigs des XIV. weit
uͤbertrafen. Sie ſchilderten die Fehler der
Koͤnige, das Ungluͤck der Voͤlker, die Ver⸗
wuͤſtung der Leidenſchaften, die Anſtren⸗
gungen der Tugend, ja ſelbſt den Fortgang
des Laſters. Sie hatten, ihrem Beru⸗
ame) 283 (se
fe 31 getren, ben Muth, der blutigen Tro⸗
phaͤen su fpotten, welche Skiaverey und Irr⸗
thum der Tyranney wiedmeten. Niemals
wurde die Sache der Menſchlichkeit beſſer
vertheidiget: und ob ſie fie gleich durch ein,
unbegreifliches Schickfal verloren; fo fü nd
doc) dieſe unerfehrockenen Sachwalter nit
Ruhme gekroͤnet geblieben.
3) Nero gab der berüchtigten Lorufte, bie in
der Kunſt fubtile- Gifte zu bereiten, fo erfahren‘
war,. eine Wohnung in feinen Palaſte. Er mar:
ſe begierig, eine Grau beyzubehalten, die feine.
Abfichten fo ſehr befördern konnte, Daß er ihr eine
Wache gab. Sie var ed, die dad Getraͤuke zube⸗
seitete, das den Britannicus das Leben Eoftete.
Da die Wirkung des Gifts dad Geſicht dieſes uns
gluͤcklichen Primen ſchwarz gemacht, fe ließ es Ne⸗
ra mit einer weißen Farbe bedecken, die ibm eine
natürliche Xodesbtäffe gab. ber, ald mar ihn zue
Erde beflatrete, kam ein heftiger Regen, der die.
Schminke wegſchwemmte, und dasjenige verrieth,
was der Kaiſer verbergen wollte. -Ichfinde in dieſer
Begebenheit eine ziemlich richtige Ategorie. Die
Könige ſchmeicheln treuen Ungebeuern mit Gefäls
ligfeit: und glauben, es mag nun aus Verblen⸗
dung, oder Verachtung der Geſetze, oder aus Ver⸗
trauen anf ihre Macht geſchehen, das Auge jü bes
truͤgen, das fie beobachtet. ber bald iſt die Ger-
ſchichte der ſtarke Negen, ber die betrügerifche Jar⸗
be wegwaͤſcht, und dem Zafter feine eigenthuͤmliche
Zarbe wiedergieht.
me) 254 ( —
Ale das Licht ; das diefe ſtarken und um:
thigen Seelen von fich gaben, bat fich erhak
ten, und von Alter gu Alter fortgepflanzt #):
fo wie ein Saamenforn , das lange mit
Füßen getreten worden; endlich jähling von
einem sünftigen Winde erhoben wird; wenn
es einen bequemen Ort ber Sicherheit fin
bet, auffprieft, wächft, und ein Baum wird,
"Deffen dichte Blatter endlich eine Zierde und
Zuflucht werden.
Wenn wir mehr von der wehren Größe m
terrichtet, den Stolz und die Eitelfeit der Maͤch
tigen verachten; wenn wir unſreBlicke auf Ge
genſtaͤnde gerichtet haben, bie des Nachfore
ſchens der Menſchen würdig find, fo verban-
fen wir dieſes alleine den Wiffenfchaften 5).
4) Die gemeine Köpfe, und ſolche, die die Mates
vie über Die Regierung der Voͤlker nicht bis auf einen
gewiſſen Punkt durchdacht haben, find nicht im Stane
be, die Verbindung der Speculationen in den Wils
fenfchaften mit dem Gluͤcke und Reichthame dee
Staats. einufehen-
5) Man Eanın mit einer Art von Gewißheit ber
haupten, dag das Kicht, Das fid) von. Lage zu Tas
ge weiter ausbreitet, nad) und nach fa auf alle
Gtaaten berabfallen, unfehlbar dieſen feltfamen
Haufen von Gsfegen vernichten, und natürlichere
und vernünftigere Gewohnheiten an ihre Stelle fe
gen werde. Die allgemeine Beraunft wird einen
«
Sm) 255 ( re
Unfere Schriftficlier haben die Eurigen art
Muth noch weir übertroffen. Sollte ein Zürft
ſich von den Geſetzen entfernen, fo würden fie
gewiß das berühmte Tribunal zu China wie
der dufivecken, fie würden feinen Namen in
das fehreckliche Erst graben, worauf feine
Schande ewig bleiben würde: die Geſchich
te ift in ihren Händen: die Klippe des falfchen
Ruhms, das gegen die vornehmen Verbre⸗
cher geſprochene Urtheil, der Schmelstiegel,
wo der Held verſchwinder, wenn er kein
Menſch war. ä
Wohlan! ſo moͤgen denn die Herren, der
Welt, die ſich beklagenn daß alles, mag fi ich
ihnen nähert, Zwang und Zurückhaltung feyr
befchämt werben. Haben fie nicht immer bie
ſtunimen, unabhaͤngigen, unerfchrochnen Ned»
ner umfich, von denen fie, ohne durch fie belei⸗
biget zu werden, koͤnnen belehrt werben, und
mächtigen und heilſamen Einfluß auf den Willen
haben, der die Geſtalt der Nationen Andern mird,
Die Druckerey wird es ſeyn, die der Menſchlichkeit
dieſen wichtigen Dienſt leiſten wird. Wir. wolle
drucken laſſen: Weiber, Kinder, Kredite, u. ſ. w.
alles mag lefen! Aber wir mollen nut gu gleicher
Zeit nichts ald wahre und näglihe Dinge dru⸗
den laſſen! wir wollen erſt gut beuten; ehe wir
ſchreiben.
a.) 288 ( —
nıan feine Stelle einnehmen koͤnne? Die
Bahl der Akademiſten ift nicht beftimmt: je
des Talent findet feine Krone ; e8 giebt Ihre
ses, um alle su belohnen 8).
Dreyßigſtes Kapitel.
Die Franzoſiſche Akademie:
Br uahuen unfern Weg nach der frau:
söfifchen Afademie ; fie_hafte ihren
Namen behalten: aber fie verſchieden war
ihr Zuftand! mie fehr war der Drt, wo fie
ihre Verſammlungen hielt, verändert! fig
bewohnte niche mehr bei Palaft der Könige,
O erſtaunende Veränderungen der Zeiten!
Ein Pabſt ſetzt fich an die Stelle der Caͤſarn!
Die Unmiffenheit und der Aberglaube. haben
Athen bewohnt! Die ſchoͤnen Kuͤnſte ſind
sach Rußland geflohen! Haͤtte man zu mei⸗
8) Ein Schriftſteller, der keinen großen Ein⸗
druck machet, kann ſich leicht troͤſten, wenn er dar⸗
an denket, daß er iu einem weniger erleuchteten
Jahrhunderte ein berühmter Schriftſteller würde
geivefen feun. Laͤge ihn der Fortgang der menſch⸗
Hohen: Erfänntuig mehr nis fein eitler Kubm am
Herzen, fo wuͤrde er ſich mehr freuen, daß er fich aus
feiner: Dunkelheit nicht hervorwinden kann, a
Daß er fich darüber betruͤben ſollte.
Se) 289 ( er
ner Zeit geglaubt,. daß biefer Yerg, ben man:
ſonſt fo lächerlich gemacht. weil man auf fel-
nem Gipfel einige Efel- in Diſteln mweidenb'
gefehen, dag getrene Ehenbild des Parnaf
fe, der. Aufenthalt des Genies, ber Wohns
plaß ber berühmteften Schriftſteller gewor⸗
den? Auch hat man Ihm ben Ramen Mont—⸗.
martre, aber aus bloßer Gefelligkeit für.
eingemurzelte Borurtheile, genommen. .
Diefer erhabene Drt, von allen Eeiten
durch ein ehrwuͤrdiges Geholze beſchattet
war der Einſamkeit geweihet. Ein aus⸗
druͤckliches Geſetz verbot, daß man in ber
umliegenden Gegend fein mifltdnendes Ge⸗
räufche verurfachen durfte. Die Gynsgrıw
ben waren vertrochnet. Die Erde hafte neue
Steinlagen hervorgebracht, bie dieſem edeint
Aufenthalte zum Grunde dienten. Diefer
Berg, den die Sonne mit ihren fanfteftend
Strahlen begünftiget, ‚brachte Bäume hers
vor, deren auffchießende Wipfel fich bald im
der Luft woͤlbten, bald hin und wieder
einige Eleine Deffnungen ließen, durch bie
dag begierige Auge gen Himmel entrann.
Ich flieg mit meinem Führer hinauf:
ich fand hier und da artige Einftedeleyen,
‚eine von ber andern entfernt. Ach fragte
T
Ze ).290 ( er
wer die halb-finftern und halb⸗erleuchteten Ge⸗
hoͤlze bewohnte, deren Anblick etwas ein⸗
nehmendes hatte? — Ihr ſollt es bald erfah⸗
ren, ſagte er: eilet ein wenig, denn die Stun⸗
de nahet ſich. In der That ſah ich eine
Menge Leute, die auf allen Seiten, nicht in
Kutſchen, ſondern zu Fuße herbey kamen.
Ihr Geſpraͤche ſchien ſehr lebhaft, und
begeiſtert. Wir giengen in ein weitlaͤuſti⸗
ges, aber ganz ſimpel verziertes Gebaͤude.
Ich ſah an der Thuͤre des friedfertigen Hei⸗
ligthums der Muſen keinen Schweitzer mit
einer ſchweren Helleparde bewaffnet. Nichts
hinderte mich mit dem Haufen anderer ehrli⸗
chen Leute hinein zu gehen 1).
Der Saal war fehr fehallend , fo daß
man auch die ſchwaͤchſte akademiſche Stim⸗
me an den entfernteften Orten ſehr deutlich
bören- fonnte. Die Ordnung, die in den
Sitzen berrfchte, war nicht weniger bemer-
kungswuͤrdig : viele Neihen von Stufen
1) Ich bin allegeit neugierig gemefen, einen
großen Mann zu fehen, und ich habe immer ges
glaubt, daß feine Stellung, Bewegung, Miene,
Geberde, fein Auge, und alles ihn von den gemeis
nen Menfchen unterfcheiden muͤſſe. Wir haben noch
eine neue Wiffenfchaft zu unterſuchen übrig, ich mey⸗
ne das Studium der Phyſionomie.
2) 2901 ( En
umgaben den Saal: denn diefes Volk wuß⸗
te, daß das Ohr hey der Akademie chen die
Freyheit haben will, als dag Auge auf dem
Saale der Malerey. Sch: fonnte alled aufs
deutlichſte chen. Die Zahl der akademi⸗
ſchen Stühle fehien mir nicht auf eine laͤ⸗
cherliche. Art beſtimmt; aber das befunderfig
war eine fliegende Tahne, bie über jedem
Lehnſtuhle hieng: man las darauf ganz deut
lich den Titel der Werke des Mitglieds, deß
ſen Haupt ſie uͤberſchattete. Jeder konnte
ſich ohne weitere Umſtaͤnde auf einen Lehn—
ſtuhl unter der einzigen, Bedingung ſetzen,
daß er die Fahne enwickelte, worauf fiigg
echte geichrieben finnpen. Man kann ſich
leicht vorfiellen, daß Fein. Menſch ce wagte,
bie weiße Fahne aufsupflanzgen, wie zu meir
ner Zeit Biſchoͤffe, Herzog Marſchalle, Opf
meifter 2) zu thun pflegeen. Noch weniger
wagte man c8, den firengen Augen des Pus
ad Man hat auf dem Boulevard ein Automa⸗
son geſehen, das Zone ſammelte, und wo das
Volk banfenweife zulief. ndeed bewunderte. Wie
piel Kunſtwerke mit Menſchengeſichtern nicht ð
nicht am Hofe, in Gerichten. und Akademien, bie
ihre Tone einem unfichtbaren und verboranenr
Ddem verdanken, der ihre Zungen loͤſet: fo ba er
aufhoͤrt, bleiben fie ſtumm. | dd
ga
>>) 292 ( Eee
blikums den Titel von einem mittelmäßigen
Werke, oder einer ſtlaviſchen Nachahmung
vorsulegen ; ed mußte cin Werk ſeyn, wor⸗
innen man einen weitern Schritt in bet
Laufbahne der Künfte bemerkte, und das
Publikum nahm fein Buch an, das nicht eö
nen Vorzug vor bem lebten gehabt hatty
welches mit ihm von gleichem Innhalte
geweſen war 3).
Mein Fuͤhrer zupfte mich beym Aermel.
— Ihr ſcheint ziemlich voll Verwunderung:
aber hier iſt etwas, das ſie noch mehr erre⸗
‚gen wird. Ihr habt auf Euerm Wege viele
einfame und reisende Wohnpläge geſehen.
Kun wohl! dahin begiebt fich der MRamm,
dem eine unbekannte Macht zu fehreiben ge
beut. Unfere Akademiſten find Carthdu
fer +. In ber Einfamteit iſt es, mo ſich
das Genie erweitert, Stärfe gewinnt, fich
3: Man bat Fein Mittel mehr, ſich hervorzu⸗
tbun, fügt man! <br eitein Menſchen, habt ibe
nicht ben Weg der Tugend ? Aber von dieſem Rubs
mie welt Ihr nichts wiſſen: ich verfiche Euch, he
möchtet gerne von Euch getedet haben. Ich feufje
Über Euch und über das menfchliche Geſchlecht.
4 Wer die Stärke der Seele erlannen will,
muß durch unablägige Gefchdfte fich Durchärbeiten
der größte Müfiggänger, IR der größte Glan.
&
Sm ) 293 (me
‚dem gemeinen Wege enträißt, um fich neue
Pfade zu oͤffnen. Wann entfteht der En.
thuſiaſmus? Wann ein Schriftfteler in fich
ſelbſt kehret, und in feiner Seele, dieſer tie
fen Mine gräbt, deren Reichthum ber Ber
fißer oft felbft nicht kennt. Die Einfam-
keit und die Freundfchaft, welche begel«
ſternden Gottheiten. s) ! Was brauchen
denn Menfchen mehr , die ber Natur und
der - Wahrheit nachforfchen ?_ Wo laffen
diefe ihre erhabene Stimme hoͤren? In
dem Lärmen der Städte, unter dem, Kams
pfe niedriger. Leidenfchaften, die auch wi⸗
der unfer Wiffen unſre Herzen beftürmen?
Kein, auf dem Lande iſt es, wo fich unfte
Seele verjünger: hier ift eg, wo fie die Ma⸗
jeftät ber Welt, dieſe beredfe und friedliche
Majeſtaͤt fühlet. Der Ausdruck gehtfort und
entflammt ſich; die Empfindung befselt ihn,
giebt ihm die Farbe, und das Bild erwei⸗
tert fich, tie der Horizont, ber und umgiebt.
Zu Eurer Zeit verbreiteten fich die Ge⸗
iehrten in Geſellſchaften, um die Weiblein
59 Der Menſch hat laͤnger mit dem Verſtande
zu leben, als mit den Sinnen: mithin wird er wei⸗
fer handeln, mehr in dem einen as in dem andern
fein Vergnuͤgen zu ran,
gm ) 294 ( Ber
zu beluſtigen, und ven ihnen ein zweydeuti⸗
ges Laͤcheln gu erhalten : fie opferten bie maͤnn⸗
lichen und ftarfen Gedanken ber abergläubi-
fchen Herrichaft der Mode auf: fie entriffen
ihrer Seele die angebornen Eigenſchaften,
indem fie threr Zeit su gefallen ſuchten: ſtatt
auf die erhabene Reihe zukünftiger Jahr⸗
hunderte einen Blick zu werfen, machten fit
fich zn Eflaven eines augenblicklichen Ge
ſchmacks: fie Tiefen endlich nach witzigen
Luͤgen: fie erftichten die innere Stimme: bie
ihnen surief: fey ſtrenge wie die Zeit, wel⸗
che entflieht! fey unerbittlich, wiedie Nach⸗
Eommenfchaft 9! Ueberdieß genießen fie hier
biefer glücklichen Mittelmäßigfeit, die unter
uns das hoͤchſte Reichthum if. Wir wollen
fie nicht unterbrechen, um ung zu zerſtreuen
oder die geringften Bewegungen ihrer Seele
aussufpioniren, oder ung nur zu ruͤhmen, daß
wir ſie geſehen haben: wir haben eben ſo
viel Ehrerbietung fuͤr ihre Zeit als fuͤr das
heilige Brod der Armuth: aber wir find auf
6) Der große Mann ift befcheiden: der mittels
mäßige machet mit feinen geringften Vorzuͤgen ein
großes Geraͤuſche: fo wählen majeftaͤtiſche Stroͤh⸗
ne im Stillen ihre Fluthen fort; da ein Fleine
Bach mit Laͤrmen über die Kiefel hinwegrauſchet
ı
Ra) 295 (Ge
alle ihre Bedürfniffe aufmerkſam, und bey ber
mindeften Neußerung wird ihnen abgeholfen.
— Wenn dbem alfo ift, fo müßt Ihr viel Ue⸗
berlauf haben. Denn, ſollten fich.nicht Leu⸗
te finden, die diefen Titel annähmen, um ih-
re Faulheit oder ihre wahre Schwäche zu bes
fhönigen? — Nein: bier ift ein erleuchtes
ter Aufenthalt: bie geringften Flecken wer
den gleich ſichtbar. Der Heuchler und. ber
Betrüger flichen diefe Derter ; fie fönnen dem
Manne von Genie, beffen durchdringendes
Auge fich nicht täufchen läßt, nicht ing Ge:
fichte ſehen. Was denjenigen anbetrifft, den
ein eingebildeter Stol 7, weil er fein Um
vermögen nicht fühlet, dahin führen fönnte;
fo giebt e8 menfchenfreundliche Leute, die
fich bemühen würden, ihn davon zu heilen,
und einen Vorſatz auszureden, der zu feiner
Schande augichlagen müßte Endlich ge
beut das Gefeß = = » Unſere Unterrebung
murde durch ein allgemeines Stillichweigen
unterbrochen, dag plößlich in ber Berfamm:
7, Es ift kein Gegenfand, der nicht von hun⸗
derterlen Seiten könnte betrachtet werden: aber.
es ift nur ein Punkt, von weichem man die wahre
Geite trifft: man mag ſich halbweg davon entfer=
nen: ſo iſt alle Arbeit, ja felb das Genie fruchtlos.
ae) 26 ( —
Jung entfiund. Meine Seele gieng ganz in
mein Ohr über, als ich einen der Akademi⸗
fien fih zubereizen jah, ein Manuſcript ab
guleien, das er in der Hand und zwar mit
vielem Anjtande hielt, welches wohl bemer-
fer zu werben verdienet.
Allzu ungetreucd Gedaͤchtniß, wie ſche
verwuͤnſche ich dich! was haſt du mir fuͤr
einen Streich geſpielt! O! daß ich mich hier
nicht der beredten Rede dieſes Akademiſten
erinnern kann! die Staͤrke, die Methode, die
Einrichtung des Stils, alles iſt mir ent
wiſcht: aber der Eindruck davon iſt lebhaft
in meiner Seele geblieben... Rein: nicmalg
bin ich fo außer mir geweſen. Die Erirne
eincs jeden Zuhoͤrers verricch die Empfin-
dung, von der ich felbft Durchdrungen war:
es war eine von den ſuͤßeſten Vergnügun
gen, bie mein Herz jemals gefühler hat.
Melche Tiefe! welche Bilder ! wag für Wahr
heiten! welch ein edles Feuer! welch erha⸗
bener Ton! Der Redner redete wider ben
Neid 9), von den Quellen diefer abfchenli-
8) Wie fehr beflage ich meidifche und eiferſuͤch⸗
tige Herien! Sie wilden über dad Schöne ie
einer Schrift weg, und finden feine Pahrung days
muen: fie fuchen nichts, ald mas ihnen gleicht,
= ).297 ( ner
chen Leidenſchaft ihren ſchrecklichen Wir⸗
kungen, von der Schmaͤhſucht, mit denen ſie die
Lorbeern, welche viele große Maͤnner kroͤn⸗
ten, beſudelt hat; alles, was ſie niedertraͤch⸗
tiges, ungerechtes, verabſcheuungswuͤrdiges
hat, war ſo ſtark ausgedruͤckt, daß, indem
man die ungluͤcklichen Opfer dieſer blinden
Leidenſchaft beweinte, daß man, ſage ich, zu
gleicher Zeit ſchauderte, ein von ihrem Gifte
angeſtecktes Herz in ſich zu tragen. Der
Spiegel war fo geſchickt vor jedes Mgen⸗
thuͤmlichem Charakter geſtellt: ſeine klein⸗
ſten Abaͤnderungen zeigten ſich von ſo viel
laͤcherlichen und mannichfaltigen Seiten;
die Tiefen des menſchlichen Herzens waren
auf eine ſo neue, fo.feine, fo lebhafte Art et⸗
gründet, daf es unmöglich war, fich darbey
nicht zu erkennen, oder gu verfennen, ohne
die Entfchließung gu faffen, diefer unglückk-
chen Echtwachheit zu entfagen. Ich fahe —
welch ein lehrreicher Anblick! welch unerhoͤt⸗
das Schlechte. Der wahre Gelehrte, der durch
eine ſchon geuͤbte Fertigkeit der Vernunft und des
Geſchmacks, die eine und den. andern immer ſtaͤr⸗
fer macht, und ſich unaufbärlich neue Freuden
verfchaft, ift der glücklichfte unter den Menfchen,
wenn er fichder Eiferfucht oder einer übertriebenen
Empfindlichkeit entreißen kann.
Re ) 298 ( are
fer Augenblick in den Jahrbüchern ber Ge⸗
lehrſamkeit! Ich fahe Diejenigen, die die Ber-
fammlung augmachten, einander: mit freund»
lichen und Tliebkofenden Blicken anfehen.
ich fahe die Akademiſten gegenfeitig ihre Ar-
me öffnen, fid) £üffen, vor Freuden weinen,
und einander wechſelsweiſe an ihren klop⸗
fenden Bufen druͤcken. Ich ſahe (wird
man es wohl glauben?) die Schriftſteller in
dem Saale verbreitet in freundſchaftlichem
‚Ensgheken, es einen dem andern zuvorthun,
‚über die Fähigkeiten ihrer Mitbrüber ein
ſtimmig fenn, fich eine ewige, unveränberlis
‚che Sreundfchaft ſchwoͤren. Ich ſahe Thrä-
nen der Zärtlichfeit und de Wohlwollens
aus aller Augen fließen. Es war ein Bolt
von Brüdern, die einen eben fo rühmtlichen
Beyfall an die Stelle unfers gedanfenlofen
Haͤndeklatſchens gefeßt hatten 9).
9) Wann in dem Schaufpiele, oder in der Ale
Demie ein rührender oder erhabener Zug einen Eins
druck auf die Verfammlung machet, und, ich bin
fiatt jenes tiefen Seufzers der Gcele, anflatt jener
ſtummen Bewegung diefes wiederholte Haͤndeklat⸗
ſchen, wodurch der ganze Saal erfchüttert wird;
fo denke ich beo mir felber: diefe Leute mögen mit
ihreu Händen Elatfchen, fo viel fie wollen, fie fühlen
Doch nichts: ee find hölzerne Menfchen, Die amey
Breter Happen vſeo.
>=) 20. (En
Nachdem man biefer entzuͤckenden Au⸗
genblicke in vollem Maaße genoſſen: nach),
dem ein jeder ſich von den verſchiedenen Ein⸗
druͤcken, die er empfunden, Rechenſchaft ge⸗
geben, nachdem ein jeder die Stellen ange
führer, die eine vorzuͤgliche Wuͤrkung auf
fein Herz gemacht, nachdem man hundert
mal den Schwur erneuert, einander ewig zu
lieben, flund ein ander Mitglied aus dieſer
erhabenen Gefellfehaft mit einer heitern Mies
ne atıf. Ein fehmeichelhaftes Geraͤuſch brei-
fee fich durch den ganzen Eaal aus, denn
er wurde für einen Mann von .fofratifcher
Laune gehalten 9, Er erhob die Stimme
und ſprach:
Meine Herren! |
Vielerley Urfschen verbinden mich, Euch
heute einen kleinen Abriß von dem vorzu—
legen, was unſere Akademie in ihrer Kind⸗
heit, das iſt, um die Zeit des achtzehnten
Saͤkulums, war, welches meiner Meynung
nach Eurer Neugier wohl werth iſt. Der
Cardinal, der unſere Akademie geſtifftet, und
10) So ſehr ein beißender Spott die Frucht
der Bosheit iſt, ſo ſehr iſt ein ſinnreicher Shen
ein Sind der Weisheit: Sreude und Scherz waren
die ſiegreichſten Waren des Sokrates.
BZ) 300
den unfere Vorgänger übertrieben gelobt ha⸗
ben, indem man ihm bey diefer Stiftung, die
tiefften Abfichten zufchrieb, hat ung, (wir
wollen es nur geftehen,) bloß deswegen nie
dergeſetzet, weil er felbft fchlechte Verſe mad
te, in die er äußerft verliebt war und Die er
bewundert mwiffen wollte. Dieſer Cardinal,
fage ich, indem er bie Schriftſteller ein
Ind, nur Einen Körper auszumachen, ent
deckte feinen befpotifchen Geift und unter
warf fie Regeln, die allegeit bag Genie ver
kannt hat. Diefer Stifter hatte fo wenig Be⸗
griffe von einer folchen Gefellfchaft, daß er
glaubte, er.bürfe fie nicht höher als auf
vierzig Stellen ſetzen: mithin hätte nach Bes
fchaffenheit der Umftände,, Corneille und
Montes quieu ander Thüre ſtehen und lebens;
lang bafelöft bleiben können. Diefer Car
dinal bildete fich zu gleicher Zeit ein, daß
das Genie, als bloßes Genie, im Dum
keln bleiben wuͤrde, wofern nicht Titel und
Wuͤrden es aus feinem Nichte hervorzoͤgen.
Als er dieß ſeltſame Urtheil abfaßte, ſo hat⸗
te er gewiß ſeine Abſicht auf weiter nichts
als die elenden Reimer gerichtet, wie Colle⸗
tet und andere feines Gleichen waren, bie e
aus bloßer Eitelkeit fuͤtterte.
Rz) 301
Es wurde alfo damals zur Gewohnheit,
daß diejenigen, die Gold ſtatt des. Verdien⸗
fies, und Ehrenſtellen ſtatt des Genies hat⸗
ten, ſich denen an die Seite ſetzen follten;
deren Namen der Ruhm in. ganz Europe
verbreiten würbe. Er.gab Bavon dag Bey»
fpiel zuerfl, und man folgte ihm nur zu fehr:
Nachdem nun bie großen Männer, bie .bie -
Aufmerkſamkeit ihres Jahrhunderts auf fich
zogen, und alle feine Blicke fo, wie der Nacha
fommenfchaft ihre auf fich befteten, nacha
dem fie den Ort ihrer Verſaͤmmlung mit
Ruhm und Ehre gekrönt hatten.:. fo kam ben
vornehme. und vergoldefe Herr, belagerte
die Thüre, wagte es beynahe, ihnen zu
verſtehen zu geben, daß der Glanz feinen
eitlen Ordensbaͤnder auf fie zumicke.fiel, und
glaubte im Ernfte, ober ſchien es wenig»
ſtens su glauben, daß er fi nur ihnen an
bie Seite feßen bürfe, um ihnen zu gleichen
Man fahe Marfchälle, die ſowohl gefiegt
hatten, als folhe, die waren gefchlagen
worden, Köpfe. mit Biſchofsmuͤtzen, bie
nicht ihre Hirsenbriefe felbft gemacht hatten⸗
gerichtliche Perſonen, Hofmelfter, Finam
zenpachter, welche fich alle für ſchoͤne Geis
fier wollten gehalten wiſſen, und fich für bie
nm.) 302 ( —2
wahren Echauipieler hielten, ba fie hoͤch⸗
ſtens nichts, als die Verzierung davon wa⸗
ren. Kaum flachen acht big sehme: unter
ben vierzigen burch.ihr eignes Verdienſther⸗
por: das übrige war lauter Erborgtes., - ;
Indeſſen mußte nothwendig ein Afademifl
fterben, wenn wieder eine Stelle ſollte be
feßt werden ; und auch diefe blieb oft leer.
Was kann lächerlicher ſeyn, als dieſe
Akademie, deren Ruf von einem Ende der
Hauptſtadt bis zum andern gieng, ihre Ver
fammlungen in einem kleinen und ‚nigdrigen
Saale halten zu fehen! Hier erfegisnen von
Zeit gu Zeit viele Dienfchen, denen Zeit und
Meile fang. wurde, nachlaͤßig Hin auf rothe
Stühle gefeßt, die vormals roth gemefen
maren, wogen Sylben, und knaupelten ſehr
ernfthaft an Worten eines Stücke: in. Ber
fen, oder einer Nede in Proſa, um zuletzt
die fältefte unter allen zu kroͤnen; ‚aber dar
für, (merken Sie wohl auf, meine Herren,)
irrten fie fich niemals in der Berechnung bet
Schaumuͤnzen, die fie fich in ihrer Mitbruͤ⸗
der Abweſenheit zu Nutze machten, und ums
‚ter fich vertheilten. Sollten Ste wohl glau⸗
ben. daß fie dem Sieger eine goldne Schaw
muͤnze ſtatt eines Zweiges von einer Eiche
2i>2>=) 303 ( uk-
gaben, und daß diefe Mühze bie deutliche
Auffchrift hatte: Der UnfterblichFeit? Ach!
dieſe Unfterblichfeit reifete den Morgen dar⸗
auf in den Schmelstiegel eines Goldſchmidts,
und dag war der wahre Vortheil,. der dem
gekroͤnten Kämpfer übrig blieb.:
Solltet Ihr wohl glauben , daß diefer
fleine Steger bisweilen den Verftand dar
über verlor 11), fo närrifch und lächerlich‘
wurde fein Stolz; und daß die Richter nichte:
thaten, als diefe unnsthigen Preife austheil⸗
ten: da doch feinem Menfchen daran fg e w
was davon zu wiſſen?
11) Nach den Preiſen der Univerfität, die eis
nen duminen Stolz in Pindifchen Köpfen erjeugen,,
kenne ich nichts gefährlicher, als die Preismuͤmen
unferer gelehrten Akademien. Der. Sieger haͤlt
ſich wirklich für eine wichtige Perfon und nun ik ee
auf Lebenszeit verborben. Er ſieht alle diejenigen über.
die Achfel an, die nicht von einem fo herrlichen
Lorbeer gekroͤnet wrden. Man ſehe im Mercure
de France, den September 1769, ©. 184, Zeile
123, ein Benfpiel des lächerlichften Egoismus. Ein
fehr armfeliger Schriftiteller, erinnert das Publi⸗
kum daran, daß er noch in dem Collegio fein Exer⸗
citium befler als feine Kameraden gemacht habe,
und bildet ſich ein, eben den Rang in der gelehr⸗
ten Republik zu behaupten — zifum tenratis ami-’
ei —
am) 304 ( Eee
Ihr Saal ſtund niemanden als benr Mar
torvolke offen, und dieß Bolf fa nicht dm.
ders ais durch Bilfete hinein. Des Mem.
gens führte Die Oper eine mufitalifche Rp:
fenuf:: hernach hiele ein zitternder Prieffer.
eine Lobrede auf Ludwig ven IX. (ichwe
eigentlich nicht warımn ?) lobte Ihn langer 8
eine Stunde, ob er gleich ein Tchlechfer Mir:
war 229 5 hernach erwartete man den Rednn
bey ber Stelle über Die Kreuz juͤge; BE Treue
gar fehr die Galle des Erzbiſchofs/ der denne
neriſchen Pfarrer verwieß, daß er die Wire
genheit gehabt, geſunden Menſchenwerftaͤnt
zu zeigen. Am Abend folgte noch eine Lobrebe:
aber da dieſe profan war, ſo entſchied se Erp
biſchof zu gutem Gluͤcke nicht über die Lehre
die ſie enthilt. a a
Noch mußt ich fagen; daß ber Ort; Wo nal
mit dem Witze zu thun hate, ' son Fäfenera
und großen Schweisern beſetzt war, die Tai!
Sransofifch verfiunden: Nichte war huſtigehe
als die hagere Geſtalt eines Gelehrken nanig
rer ungeheuren und zuruͤckſtoßenden Figur,
12) Das erſte Strefheſet wider die eiginen de⸗
ſondern Empfiadungen ober Meynungen Br vv
Ludwig dem 1X, insgemein der Heilice g8
gegeben, " in
ze.) 305 ( ge
wenn: fie auf einander trafen , ae
ron. zn feben. Man nennte biefe Ta⸗
ge öffensliche Derfammlungen, Y3 ie
wahr, ‚dad Publitum begab fich. dabin,
aber um — vor der Thüre zu fichen: dad
war num ein fchlechter Dank gegen bis Gefaͤl⸗
ligkeit, daß man fam und ‚fie hoͤren wollte,
Indeſſen war das bie einzige Freyheit,
die ber Nation übrig. gehlieben war, daß
fie ohne Unterſchied über Proſe und Verſe,
dieſen Autor auspfeifen, jenen applaubiren,
und bisweilen über fie alle ſich aufbaken '
konnte.
Die afademifche Raferep bemädhtigte fich
dem ungeachtet aller Köpfe: jedermann well
se erft koͤniglicher Eenfor 13), hernach- Aa»
demiſt werden. Man zählte die Lebenstage
aller Mitglieder, aus denen bie Afadentie be-
Rund: man berechnete den Grad von Stär
fe, ben ihre Magen bey der Mahlzeit ver
rieth: Niemals flieg bie Sterblichkeit dem
Wunſche derer, die Anfpruch auf eine Stelle
13) Königlicher Genfor: Niemals habe ich dieß
Wort hören können, ohne ein lautes Gelaͤchter aufs
mfchlagen. Wir Sranzofen wiſſen gar nicht, wie laͤ⸗
Herlich wir find, und wie fehr wir der Nachwelt
Recht geben, und mis Mitleiden anıufehen-
u
J
Ha) 306 ( Euer
machten, gefchtwinde genug auf ihre Haͤnpter
herab. Sie find unfterblich! fagte man. Dee
eine murmeite zwiſchen den Zähnen, wann er
einen Erwaͤhlten ſah: Ach! wann werde ich
bir denn am Ende einer großen Tafel, bga
Hut auf dem. Kopfe, bie kobrede halten, unb
Bich nebſt eudwig dem XIV. und benz Rang:
ler Segvier für einen großen Mann erlid-
zen formen, indeffen daß bu ſchon vergeffen,
in einem Sarse mit Auffchriſt ſtlaa
u. Endlich rottirten fh die ‚Reichen in eisen
Jahrhunderte, wo das Geld mehr als, alles
war, zuſammen, und jagten die. Gelchrten
«davon, fo, daß bey. dem folgenden Ee⸗
AIchlechte die Herren. Generalpachter: bie um
umſchraͤnkten Befiger der vierzig Stähleme
ren, auf benen fie fü gut als ihre Vorgänger
nach aller Bequemlichkeit ſchnarchten: bach
waren fie in Vertheilung ber Schaumänger
noch geſchickter, als jne. en
Alsdann entſtund das Sprichworte
kann in die Akademie nicht ohne —*
hi kommen.
Die Gelehrten, bie in Verzweiflung wa⸗
ven „amd nicht mußten, wie ſie wieder zu ih
ver uſurpirten Herrſchaft gelangen follten;
(uk
sch nicht enthalten,
erzaͤhlen, der ge
Menſchen, die die
die Tyranney ver⸗
zen machen wird:
3 Abbts Sf. Pier⸗
ilten und man es,
“ allen Ehrenbescu-
* feltenen Tugend
eftellee hatte. Man
it auszuloͤſchen ge
demie fehuldig ges
eine unverseibliche
Knechtſchaft bog,
:£ unterwerfen foll-
digen und tugend⸗
schen dem Fenelon
rt. Ich Iobte diefe
‚abe nicht mehr das
noch das Portrait
Portrait des ***
“* noch das Por⸗
mu gemalt, doch
sen Stelle ftunden.
herab, indem ich
"bie bederften Ge
halt diefer ſchoͤnen
ae ) 308 ( in
Hier erhub fich in der Verſammlung «in
allgemeines Gelächter. Es fragte mich ei⸗
ner ind Ohr: ob die Erzählung richtig waͤ⸗
re? Ja, fagte ich, bepnahe. Aber wenn
man von dem Bipfel von fiebenhundert Jah⸗
ren feine Blicke in bag Vergangene ſtuͤrzet.
ſo ift e8 freylich leicht, die Todten lächerlich
zu machen. Uebrigens geftund bie Akademie
felhft zu meiner Zeit ein, daß jedes einzelne
Mitglied, aus dem fie beſtund, meit-mehe
werth wäre , als fie zufanmengenammen.
Die Geftändniß ift genug, : al& daß man:
noch etwas hinzuthun follte. Das Ungluͤck
ift, daß, ſo bald fich Menfchen verſammeln,
ihre Köpfe fich verengen, wie Montesquien '
faget, der e8 wohl wiſſen konnte.
Ach gieng in den Saal, mo ſowohl bie:
alten als neuern Bildniffe der Akademiſten
biengen. Sich betrachtete Die Portraͤte derje⸗
nigen,. bie denen noch itzt lebenden. Made:
miften folgen folten: aber, um. niemanden.
weh zu thun, werde ich mich wobl huͤten, r
zu nennen.
Ach! die. Wabrbeit ift fo oft geaufam,
Man liebt fie, und die Mienfchen. wer⸗
den durch ſie ungluͤcklich.,
Volt.
/
De ) 309 ( re
Aber ich kann mich doch nicht enthalten,
einen fleinen Umſtand zu erzählen, der ge
wiß allen rechtfchaffenen Menſchen, bie bie
Berechtigfeit lieben und die Tyrannen ver
abſcheuen, viel Vergnügen machen wird:
nämlich daß das Bild des Abbts St. Pier⸗
re feinen Drt wieder erhalten und man es,
feiner Würde gemäß, mit allen Ehrenbezeu⸗
gungen, die man feiner feltenen Tugend
ſchuldig war, wieder aufgeftellet hafte. Man
hatte die Niederträchtigfeit augzulöfchen ges
fische, deren fich die Akabemie ſchuldig ges
mächt, als fie fich auf eine unverzeihliche
Art unker das Foch einer Knechtſchaft bog,
ber fie fich durchaus nicht unterwerfen ſoll⸗
te. Man hatte dieſen würdigen und tugend⸗
haften Schriftfteller zwiſchen dem Senelon
und Montesquieu gefteller. Ich lobte dieſt
edle Gerechtigkeit. Ich ſahe nicht mehr dad
Bildniß des Richelieu, noch das Portrait
der Chriſtine, noch das Portrait des ***
noch das Portrait des *** nach das Por⸗
trait des ***, die, obgleich nur gemalt, doch
durchaus an Ihrer unrechten Stelle ſtunben.
Ich flieg diefen Berg herad, indem ich
noch oft melne Blicke auf bie bedeckten Ge
buͤſche wurf, dert Aufenthalt dieſer ſchoͤnen
Din) 310 ( miete
Geifter, bie in ber Stille unb in ‚ber Ger
trachtung ber. Natur das Herz ihrer Misbür-
‚ger zur Tugend, zur Liebe bed Schönen und
Mahren zu bilden fuchten, und ich fagte-biy
“mir ſelbſt: © daß ich mich Doch dieſer Ala⸗
demie würdig machen koͤnnte! ns
|
Ein und dreyßigſtes Kapitel.
Das Naturalienkabinet des König
Ü Mi weit von biefen nauberiſchen kufent
balte wurde ich einen fehr großen- Tempel
gewahr, der mich mit Bewundrung und
"Ehrfurcht erfuͤllte. Auf feinem Frontiſpit
ſtunden die Worte: Kurzer Innbegriffder
Welt. Ihr ſehet, ſagte man mir, das Na⸗
euralienkabinet des Koͤniges: nicht aleob
dieß Gebaͤude ihm zugehoͤre: es gehsẽKetwdem
Staate: aber wir geben ihm diefengitel
ale ein Zeichen der Hochachtung;,.-bierwir
für feine Perfon haben. Ueberdieß if umfer
Monarch, nach dem Beyfpiele beratend
nige, in der Arzneykunſt, der Ehiturgte und
- den Künften wohlerfahren. Sie iſt wieber
gekommen, bie glückliche Zeit, wo die. Großen
‚oder. Eede. weiche bie gu: Erfahrungen nechi
) 311 ( Ente
gen Mittel in Händen. haben, gefchmeichelt,
von der Ehre Entdeckungen. su machen, bie
für die Menſchen wichtig find, ſich bemuͤ⸗
hen, die Wiſſenſchaften auf den Grad der
Vollkommenheit zu bringen, die ihre Ach⸗
tung und ihren Eifer erwartete. Die. Ange⸗
fehenften der. Nation wenden ihren Reich⸗
thum dazu an, ber Natur ihre Gcheimmniffe
zu entreißen: und bad Gold, dag vormals
die Duelle des’ Laſters und das Pfand bee
Müßigganges war, dienet itzt zur Befoͤrde⸗
rung ber Menſchenliebe und veredelt iſte
Arbeiten.
Ich gieng hinein und wurde auf die ange
nehmſte Art.überrafcht! dieſer Tempel war
der leibhafte Palaft der Natur: alle Dinge,
die fie hervorbringt, maren bafelbft mit ei
ner Verſchwendung gefammelt, die deswe⸗
. gen die Ordnung nicht ausſchloß. Diefer
Zempel beſtund in vier Fluͤgeln vom einer
ungeheuern Größe: er war mit dem größe
ten Dome überbauet, den ich jemals ge
ben habe. -
Von beyden Seiten zeigten fich mir Mar
morbilder mit der Auffchrift: dem Erfin⸗
der der Säge; dem. Erfinder des Hobels,
dem Erfinder der Strumpfmaſchint, dem
az) 1 (ee
Brfisder Des 'Rades, der Winde, 0m
Biebwole, des Krans u. ſ. w...
Alle Arten der Thlete, "ber Begerabiie,
‘der Minernlien ſtunden In biefen vier großen
Slügeln und man konnte fie deynahe tirft v⸗
wen Blicke überfehen: Welch ein ungehen
ter md erftaunendmärdiger Zuſammeiit
von Dingen!
"Sr Bern erfle Fluͤgel ſab tüan von de
Cover bis auf den Dfop.
¶In dem ziöenten vom Adler bis Pr He
Fliege.
In, dem dritten , von dem, Eieohenin
bie, auf die Made, . -
In dem ‚legten, von dem Br
big auf den Gruͤndling.
. ‚Mitten in. dem Dome waren die Spiele
pre Ratur, bie Ungeheuer von jeber Geb
tung, die Mißgeburten, bie unbefannieh
Produkte, bie einzigen in ihrer Art: dena
die Natur zeiget in dem Augenblicke, maß
ihre gewoͤhnlichen Geſetze verläßt noch «ir
tiefere Einficht, als wenn fie fich nicht don
ihrer Laufbahne verlichrt. |
An ben Seiten zeigten. ganze Stuͤcken, die
man and ‚ben Bergwerken gebrochen,die
GrDie ) 313 ( einrie
geheimen Werkftätte, wo die Naturdie
Metalle arbeitet, die der Menfch ſowohl
zum Nutzen, ale Schaden angeivandt hat.
Große Sandfehichten, die man gefchicht weg⸗
‚genommen und kuͤnſtlich geleget hatte, zeig
ten die innre Geſtalt der Erbe und bie Ord
nung, die fie in den verfchiebenen Stein- m
ı) Folgendes fchreibt mir einer meiner Freun⸗
de: „Ich finde mehr als jemal® ein DVergnüg
‘an den Steinbrüchen. Ich glaube, dieſer Ges
ſchmack wird mich noch gu einem Mitbewohner der
Erze und Verfteinerumgen machen, und bereitet mit
vielleicht ein Grab in den Eingeweiden der Erbe.
Ich bin beynahe auf neun hundert Inf in ihre
Rinde ben * * * eingedrungen, und mar unwillig,
daß ich nicht noch tiefer dringen konnte. Ich hat⸗
‘te wohl meinen Fußtapfen ihrem Kerne eindruͤcken
mögen, um fie von daraus über alle die verſchiede⸗
‚nen Voͤlkerſchaften u befragen, die auf feiner Ober⸗
flächen bin gewandelt finds fie zw fragen, ob york
der unendlichen Menge ihrer Kinder eines gewe⸗
fen iR, das ihr für ihre Wohlthaten gedanket has
be: ob an dem Dite, wo ich int nachdenke, ferk
von dem Lichte des Tages, fie jemals nährende
Srüchte getragen babe: ob je ein Bolt hier ges
wohnt, oder ein Thron gekanden, und mie viel
Schichten von den Zrümmern des menſchlichen
Geſchlechts gebildet, fie von den Tiefen des Abs
grundes an bis an das Anferfie Ende ſhres Dias
meters in ſich ſchliete Ich wuͤrde in ſie dedrun⸗
ap ) 314 ( Eine
Thon⸗ und Erblagen beobachtet, - weiche be
zubereitet.
gen feyn, mic alle die Kataftropben wiſſen zu lafs
fen, die fie ausgehalten bat: und ich würde fie ıit
meinen Thränen bey dem Berichte diefer Unglüͤck⸗
ülle alle benenet haben, vor denen fie ihre yablıei
che Familie nicht in Gicherbeit ſetzen können: Uns
glädäfäle, die man auf Münzen gegraben, deren
"Wahrheit unmwiderfprechlid),, deren Audenken, ‚aber
gänzlich verlofchen if: Ungluͤcksfaͤlle, weiche wiss
DBerfommen werden, wenn fie dad gegenwärtige Ge
Schlecht Der Menſchen in ibren Schoos begraben
wird, auf welchen bald neue Gefchlechter shue
Zahl einher tresen werden, Die vielleicht mit jenem
" Beine weitere Achnlichkeit, als die Theilnehmung an
gleichen Ungluͤckefaͤlen, haben werden. Alsdan⸗
würde ich in der Bitterkeit meines Schmerzes
eben ſo gerecht ald menſchlich, grauſame und lie
- zeihe Wünfche gethan haben: ich würde gewän
ſchet haben, daß dieſe Erde alle lebeubige Weſen,
bis auf das Eleinfte Gefchöpf, das mit Empfindung
gebsren iR, verfchlingen und den Strahlen der Son⸗
"se entreißen möchte, deren Wohlthaten alle mſam⸗
men ihr nicht die Unterdrüdung der Tpranmen,
die fie unter fich theilen, aufzehren, zu vergüten
vermoͤgend find.
Dann würde diefe Kugel, die fo viel Ungläd
Jiche trägt, durch den unendlichen Raum filfchweis
send fortroflen: fie wärde den Strahlen der Som
ne feinen Unglädlichen mehr darſtellen, der ges
zwungen üft, ihr Licht zu verwuͤnſchen. Seins Stim⸗
Same ) 915 ( wer
. Welches Erftaunen: bemächtigte fich mei⸗
ner, ale ic, flaft einiger getrockneter Gebei⸗
me der Angſt würde mehr von diefem Planeten
enpor fleigen, der dann mit einer ſtillen Majeſtät
durch den Himmel fortgleiten würde. Geine, in
‚eben Demfelben Grabe zubenden Kinder, würden
Bann ihn ungefört Den Gefehen der Schöpfung ger
bdorchen laſſen, obne felbft Opfer; diefer druͤckenden
Geſetze zu werden, die den Menſchen fo, wie den
nichtswuͤrdigſten Leimhaufen, gu Boden fchlagen: —
Und der Tod, der diefe doppelte Halbkugel im ſei⸗
nen ruhigen Schatten einbüllte, würde vielleicht
ein noch ruͤhrenders Schaufpiel veranlaflen, ald dies
ſes rafttofe Neich des Lebens, das die Sklaverep
des Lafters, die Anfälle des Ungluͤcks, und felbft
Lie Furcht vor dem Ende des Ungluͤcks mit ſich
faͤhret. Y)
Ich Babe diefem Freunde geantwortet, daß ich
in Anſehung des legten Maſches wicht. mit ihm
übereinftimmte: daß die ghyfifchen Liebel die exträg-
lichſten unter allen wären, daß fie bald vorüber
giengen, und da fie Überdieß unvermeidlich wid:
sen, fo muͤſſe man fidh ihnen unterwerfen: daß
es aber in des Menfchen Barmögen Künde, ſich von
sungläcdlichen Leidenfchaften frey gu machen, bie
ihn bintergeben und erniedrigen. Ich babe ihm
einſtimmig mit. denen Gruudſaͤtzen geantwortet, Dit
- genug in diefem Werke verbreitet find : Dem unge⸗
achtet-babe ich ed für nicht unſchleklich gehalten,
dieſes Stuͤck, Das von einer ſiarklen Lwybadfan⸗ |
Seit voll iſt, u erhalten. A .
sam) 316 ( Eirarie
nt; den ungeheuren Walfifch in Lebenggräge,
Krokodil fahe u. ſ. w. Man hatte in ber
Yufftellung den flufenmweifen Abfall und die
verfchiedenen Abäuderungen beobachtet, bie
die Natur in ihren Werfen gezeiget bat.
So folget das Auge ohne Mühe bem Zore
gange ber Dinge von dem größten big zum
fleinfien. Man fahe den Loͤwen, ben Tg
ger, das Panterthier in der tregigen Gtek
längs‘, bie fie harafterifiren. Die gefraͤßi⸗
gen Thiere waren vorgeftellet, wie fie ſich
auf Ihren Raub flürzen: man hatte ſogar
pen ſtarken Ausdruck in ihren Berveguigen,
und den fehöpferifchen Hauch beyzubehalten
geſucht, der fie befeelt. Die fanfteften oder
liſtigſten There hatten nichte von ihrer Phy⸗
ſionomie verloren: Liſt, Aemſigkeit, Geduld,
alles hatte die Kunſt ausgedruͤckt. Die na
türliche, Gefchichte jedes Thieres war ihm
gur Seite eingegraben , und gewiffe Leute
erklärten mündlich, was für den fchriftlis
chen Auffat zu lang geivefen wäre.
Die Leiter der Wefen, die man in um
fern Tagen fo fehr beſtritten, und bie vide
Weltweiſen mit Scharffinn verntuthet, hats
te ist den hoͤchſten Grad der Evidenz er
Rage.) 317 ( ge
halten, Man ſah ganz beutlich, daß bie
derſchiedenen Gattungen an einander graͤn⸗
zen, fich in einander fo zu fagen verlieren;
daß durch feine und merkliche Uchergänge,
pon ben rohen Steine an big auf bie Pflan⸗
je, von der Pflanze an bis aufs Thict
vom Thiere an bis auf den Wenſchen.
nichts unterbrochen. waͤre; daß endlich einer
ley Urfachen von Wachsthume, Dauer und
Zerſtoͤrung ihnen gemein waͤren. Mat hat⸗
te bemerkt, daß die Natur in allen ihren
Mirfungen mit Gewalt dahin firebe , dei.
Menfchen zu bilden, und daß fie durch. eine.
muͤhſame und fo gar entfernte Ausarbeitung
dieſes wichtigen Werkes, es zu wiederholten⸗
malen verſuchte, zu dem ſtufenweiſen Ziele
| ihrer Vollkommenheit zu gelangen: welches
die aͤußerſte Kraft zu feyn ſchien, die ihr vor⸗
behalten war.
Dieſes Kabinet war nicht ein Ehae ein
ungsordneter Haufen, wo bie zerſtreuten oder
aufgethuͤrmten Dinge feinen deutlichen oben
beſtimmten Begriff gaben. Die Gradation
war vol Einficht beobachtet und befolgt.
Aber was bauptfächlich ber Ordnung zu fiate
ten am, war, daß "man eine Bubereisung
". In a . ri
BB) 385 (
catbecke hatte, bie die Städten vor deu Mär;
wri,: bie and ber Faͤnlniß entfichen, be "
wahre We
Ich fühlte mic; von der Saft fo vieler
—* ganz niebergedruͤckt. Mein Ange
Aberfah den ganzen verfehtuenderfichen Reich⸗
tum der Natur. O! wie bewunderte ich
in dieſem Augenblicke ihren Urheber! wie
ſehr pries ich feine Einſicht, ſeine Weisheit,
umd feine noch koſtbarere Güte! Wie *
Bär der Menſch, wenn er mitten unter
HR geſammelten Wundern feiner Haͤnbe Pi
Gungleng, die für ihn gefchaffen zu ſeyn kai
gen; da er allein den Vorzug hat, fie zu enge
pfinben und anzufchauen. Diefe Verhaͤle
nifimäßige Reihe, diefe beobachteten Schal,
tr ingen, diefe fheinbaren, aber allegelt aliße
gefüllten Luͤcken, dieſe ſtufenweiſe Oroͤnuit
dleſer Plan, der nichts Leeres zuließ; nach
dem Anblicke bes Himmels, welch ein pruͤch
tiges Schaufpiel auf dieſer Erbe, die doch
ſubſt nichts als ein Atom Et. 7"
2) Man muß gefiehen, daß die Naturgeſchteen
niqhts als eine Geſchichte unſerer Schwachheit il,
Dab wenige, was wir wiffen, entdeckt und Die Wr
Be unferer Unwiſſenheit. Dig DaHRE IR Für U,
ſo wie ed für die Alten war, ein: Scientie-Ocetit,
Same) 319 ( αα
. Durch welch‘ erfiaunenden Much hat
- man ſo große Dinge anführen lonnen.
fragte ich?
Es iſt das Werk vieler Könige, verfeßte
er. Da fie fih alle um die Wette beei-
ferten , des Namens vernünftiger Wefen
fh wilrdig zu machen : fo entflammte die
. (eine verborgene Wiſſenſchaft. Man kann ihr
nicht ſtreitig machen, daß ſie einige Theile kenne,
aber das Ganze kann man ihre ablduanen. Wel—
ches iſt ber Lehrſatz, der ihr vorzuͤglich eigen iſt
Das Projekt einer Naturgeſchichte iſt ſehr lobens⸗
werth; aber es iſt ein wenig ſtolz. Jener Menſch
bat feine ganze Lebenszeit darauf verwandt, Did
Heinfte Eigenfchaft eines Minerals ausfündig zu
machen, und er farb, ehe er feine Materie erfchöpft
hatte: Diefe unendliche Menge von Dingen, Thie⸗
sen, Bäumen, Pflanzen, muß den Verſtand eines
einzigen Menſchen qurückfchreden. Aber ſoll fie ihm
Deswegen ganz den Muth benehmen? Nein, Bier if
Kuͤhnheit Tugend, Beharrlichfeit Weisheit, Zus
trauen zu fich felbft Lob. Man muß der Natur fo
nachſpuͤren, bis ihr endlich ihr Bcheimnig entwiſcht:
dem menfchlichen Verſtande fcheint es auch nicht
unmöglich, es gu errathen, menu nur die Kette dee
Beobachtungen nicht unterbrochen wird, und jeder
Naturlehrer fich mehr um die Vollkommenheit der
Wiſſeuſchaft, ald um feinen eigenen RXRuhm beeiferts
feltnes,. aber doch noͤthiges Opfer, dad bem wahren
Denicheufreunde immer Ehre genug machen wird!
4) 320 ( Eie
Neugier, ben Schleper zu zerreiſſen, der beu
Schooß der Natur bedeckt, dieſe echabeneumb -
edle Leidenſchaft fie mit einem Feuer, das ·all
jeit mit gleicher Sorgfalt unterhalten wer
be. Anſtatt gewonnene Schlachten, eroden
te Staͤdte, ungerechte und blutiga Siege zu
zaͤblen, fagt man von unfern Koͤnigen:
bar diefe oder jene Entdedung ir indem Ga
hie dee Dinge gemacht, er Bat"
oͤder jenes fuͤr die Menſchen vorti
Proickt ausgefuͤbret. Mat ver
wicht mehr hundert Millionen, um waͤhrech
eines Feldzugs Menfchen erwuͤrgen u
fen: man toendet fie an, die waßten 9
hůmer zu vermehren, Genie und EG
befördern, ihre Kraͤfte zu serbappektr. u
eilt vollkommen zu machen. . —
Zu allen Zeiten find Geheimen
Srenfen entdeckt worben, die dein ©
pach aͤuferſt unwiſſend waren! piele bat
die nur wie ein Blig geglaͤnzt babenyfiud
verloren gegangen; aber wir haben
daß nichts von dem verloren Seht
man nicht verloren‘ wiffen till. "Auen
im Schonße,der Natur; man muß ‚es zip
auffuchen ĩ er iſt · von einen Weiten. 110777
ge, und yeiget: tauſend Wege fuͤr rinen
= )) 321 (are
Nichts wird in der Reihe der Dinge men
nichtet. Wenn. die-Maffe: der Ideen in he⸗
ſtaͤndiger Bewegung if, ſo. toͤnnen hand
dig. entfernteſten Dinge. wieder treffen · und
aufs neue hervorgebracht werben z). . Da wir
5 Z Wem man den Vunt⸗ betrachtet, von Ted
den Kin Menſchen in Ver Naturlehre autgesan ⸗
Gd aud denjenigen, wo en
ur —— nd m
apn unferm — Rare und —2 u
keinen zenug andatbrerteten
BER NE: Teint —— ei —
ie
er. wir gekemuen fiop,, —
fe unendliche, Ren; 7
E — nel “ng
: Odena:mianl- (ich beftiähiget, das
cen baden/ ſo hat mid. ed auch ‚erreiihe gie
a wann man ‚bat, ſich nicht, die Fand
iter ji, ——
Hr x tauſet Bi ff
von denen fie. ung, ‚Die Aug er —
ol, Die, Cyperimentalobuf iR
A she vielnieht ‚eine ‚Art, vom, Sue
ie. geworden. Der
„oft, Der — die.er —
Bern im nd, weft 9 I:
im ii ſeht man beute zu Tage!
Einzelne, unnüge Entdeckungen; doomatiſche Nas
susleheet, die alles einem Erſtem aufogfern: Schwaͤ⸗
der, die den Mübel bleuhen, ” 6. vum
93
von ber Moglichteit der erſtaunlichſten Ext:
deckungen aufs inmigſte uͤberzeuget finds’
haben wir auch nicht gefaumt / fe zu machen
: "Bir haben nichts bem Ungefähr aͤeriab
fen das iſt ein alted Wort ohne Sinn ub
snz.aus. unferer Sprache verbannt: Das
Angefähriift niches als ein Synonvm ok
anwiffenheit. Die Arbeit; bad Rachbeatun
Wie Wbeitſamkeit, das find die · Wertuu
HE DE Natur röingen, ihre geheimſten EhE
de: entdecken· ‘Der Menſch · has: ale
woglichen Vortheu von den Saben jirjichek
ynvaßt, Die er enipfaugen hat. Jicdem er bei
gewaht worden, mo er Hfiefkuiken
änuike, (6 hater fichd,zur Ehre gewiache fch
in die unendliche Laufbahn zu ſtrxen⸗ di
Wütteid hewhlgen / ver die gimende Shue
ha; he As ah
11
der —*2*2 em: ie;
Wnge'x ‘man ſindet datinnen erfnimenpg 1
ned mühgen · aber gue jüfarımien gleichen der
Nöichte'Defer unpefdnten Wöiter, 2 4
enſth hingetommen, und die Fein Menſch 1
Anden Farm, "yeah up Denr Ka nee
Yeaturfimdiger'nuf fei in glaußen?.
Amen fohar alaubeit, wein fie (ich Betrogen da
re’ Erjähiingen? Ölen ju nüchternen O8
iu entlegen Find, und ’ühre Naachriäht fidh wg
war ein iieeetichen ornet auwenden irt⸗
Re ) 323 (ek
ihm geöffnet war. Das Leben eines einzi⸗
‚gen Mannes iſt, fagt man zu eingefchränfe
Nun wohl! was haben wir gethan? Mir
haben. die Kräfte aller einzelnen Perfonen
yereiniget. Sie haben eine ungeheure Gewalt
gehabt. Der eine bringt zu Ende, was
der andre angefangen hat, Die Kette if
niemals unterbrochen: jeber Ring greift feft
in den benachbarten Ring: ſo ſenkt ſie fick
in. ben weiten Raum vieler Jahrhunderte;
und dieſe Kette von Ideen und. auf einander
ſolgender Arbeiten foll eines Tages dag große
Ganze umfaffen und einfchliefen. Es iſt
wicht. daS einzige Intereſſe von einem bloß
perſoͤnlichen Ruhme, es iſt das Jutereſſe des
menſchlichen Geſchlechts, das man zu Eurer
zeit. kaum gefannt bat, und, welches. die
fhmwerfisn. Unternehmungen erleichtert. , ,,,
- Wir verlieren ung nicht mehr in eiteln
Shftemen 4): wir baden gewiſſe Einfiebler,
49. Die Spkemeumacher, ed mögen nun hole
ſche oder methaphyſiſche fen. mögen mir doch fols
gendes erlläsen: Der Pater Mabillon hatte in fele
ner Jugend ‚einen ſehr eingefchränkten Werkand,
Im z6ften Jahre that er einen Ball: fein Konf
(ing au Die Ede einer Beinernen Treppe. Map
trepanizte den armen Menſchen. Er kam von Diefeg
Operati mit aAch haben Yyrkaate, einem, er⸗
SED ) 324 ( Eure
(die einzigen, die wir fennen,) bie in den
Waͤldern leben: aber bloß um Kräuter auf
zuſuchen. Sie leben daſelbſt aus eigner
Wahl, aus Liebe fuͤr eine ſolche Lebensart:
fie fommen gewiſſe beftimmte Tage bichen
bamit ſie ung. von verſchiedenen ſchaͤtbateꝛ
Entbedungen unterrichten. - -
- Wir haben auf dem Gipfel der: Berge
Ehirme errichtet;-hier machet man beftdn
dige Beobachtungen , bie fich kreuzen und
mit Vebereinfiimmung gemachkwerben.
Wir haben Ströhme und kaͤnſtliche Waſ⸗
* gemacht, damit wir eine gureichende
Kraft haͤtten, die groͤßten Wirkungen da
Bewegung hervorzubringen ). Fu.
Jaunenden Gedaͤchtniſſe, einen faſt Äberttichenes
Eifer für das Studiren zuräde. Der Trepan, dee
fein Gehirn bearbeitet batte, machte aus ibn es
nen neuen Menſchen.
. 3) Die glängendfien und Eoftbarften Dentialie
serdienen am wenigflen unfere Bewunderung, went
fie bio6 für eitte unnuͤtze Pracht erbanet find. Die
Mafibine, weiche die Waſſer, bie nach Marli ges
Trieben werden, in Bewegung ſetzt, hat in den Au⸗
gen des Weifen lange nicht den Werth, den dad
bloße Rad bat, welches ein Feines Flüßchen treibt,
HK Brod für viele Dörfer gu mahlen, oder dem ar⸗
beitfamen Handwerker feine Arbeit zu erleichtern.
Vas Beitie fan von einem weiten Umfange ſeyn,
are) 325 (ige
.- Wir haben aromatifche Bäder errichtet,
um bie von Alter ausgetrockneten Korper
wieder berzuftellen und ihnen neue Kräfte
and Subftanz zu verfchaffens denn Gott har
ſo viel heilſame Pflanzen erfchaffen und dem
Menſchen den Verſtand ſie zu kennen bloß
gegeben, damit er ſeinem Fleiße die Sor⸗
ge anvertraute, ſeine Geſundheit und den
ſchwachen und koſtbaren Faden ſeiner %
benstage zu erhalten.
Selbft . unfere Spaziergänge, bie den
Euch: bloß das Vergnügen: zur Abficht zu
haben fchienen, bringen und einen guten
Zoll ein. - Hier find fruchtbare Bäunte, bie
das Auge ergoͤtzen, einen -balfamifchen Ge⸗
:zuc) verbreitet, und bie, Linde, den. UN:
fruchtbaren Eaftanienbaum und den. verbuf-
teten Ulm erfehen. Wir: impfen und pfro⸗
pfen unfere wilden Baͤume, bamit unfere Ar-
‚beit die glücfliche Freygebigkeit der Natur
beförbere, bie nichts ald die Hand: des Her⸗
-ren erwartet, dem fie ber. Schöpfer, gleich⸗
ſam unterworfen hat.
Wir haben große Menagerien für alle At⸗
ten von Thieren. Wir haben in den tief⸗
„aber: ed Mar? alien sr, weni es dem m
ſchen nen verläfte · “
BE) 336 ( ME:
ſten Wuͤſten Gattungen angetroffen; Be
uns gänzlich unbekäunt waren. Wir Seh
miſchen die Thierarten, um bie verfehlte
nen Folgen danon zu ſehen. Wir Haben
altißerordentliche und hoͤchſtnützliche Enke
ckangen gemacht, und die Gatrung iſt um DR
Halfte ſtaͤrker und größer geworden. U
hicben endlich bemerkt, daß die Muͤhe, We
nlan ſich mit der Natur giebt; ſelten *
Rusen if. om“
Riuch haben wir vielerley Cetenmente wi⸗
dergtfunden, die für euch verloren ware
weil Ihr Euch nicht die Muͤhe gabt ſelnu⸗
‚gifüchen; Ihr thatet Euch mehr vuraiif pr
Sute, Woͤrrer in ben Buͤchern aufuthdufen
die Hand mit Nachdruck ans TER
leien und dadurch wimdernswuͤrvige Erſia
dungen zu entdecken. Wir beſitzen itzt fo
gut, als bie Alten, das Glas, das sehdnr-
mert werben kann, die Steine, .. aus ‚Denen
bie Alten Fenſter machten, den Tgerbenr
fihen Purpur, mit dem man bie ’Kiekbueruer
Kapfer färbte, den Spiegel ded Hrhimeit,
die Kunft ber ägyptifchen Einbalfamizuig,
bie Mafchinen, mit denen ‚Re ihre Obelisies
errichteten, die Beinetvand, morinnen-Kahcdie
Körper auf ven Scheiterhanfen zu URhe'uw-
Wa) 397.0 Te
zehrten, tie. Kunſt, die Steine zu ſchmelzen,
bie unansloͤſchlichen Lampen, und ſogar hie
Appifche Brühe. .. —*
Sehet in dieſen Gaͤrten umher, top bie
Kraͤuterkaͤnntniß alle Vollkommenheit erhal⸗
ten, deren ſie nur faͤhig war 6). Eure blinden
Philoſophen beklagten ſich, daß die Erde
mit Giften bedecket waͤre; wir haben ge⸗
funden, daß es die wirkſamſten Mittel ſind,
deren man ſich nur bedienen kann. Die
Vorſehung iſt gerechtfertiget, und fie wuͤr⸗
de es in:allen Dingen ſeyn, wenn uuſre
Einfichten nicht fo ſchwach und wir felbſt
fo eingeſchraͤnkt wären. Mean hört auf. dies
fer. Erde feine Klagen mehr: Feine dngftliche
Stimmefchrepet mehr: alles in bife! Man
ſagt unter: dem Auge. eines Gottes: alles iß
65 Du, der du die Felder durchſtreichſt, und
vieleicht am das Schiff denkſt, das deine Schaͤte
trigt und die Meere durchſchneidet: Theke ſtilte,
Unperfichtiger!. Du trittß..ein. unbefannsed umd
beilfunes Sraut mit Füßen, weiches .in beinem.
Busen dis Freude und bie Geſundheit wuͤrde aufs
blühen laſſen. Dieß iß ein weit größerer Schab,
als «le diejenigen find, wit denen bein Schin Tann
beladen ſeyn. Nachdem du tauſend Ehimdrot Dei
feiget haſt, ſo — wi J. JRouſſean, m
uX.: 8 J 4 Hr ... nn. PERFRE TR
we) 0
suri-Manıhabıfeigar ‚bie: Wirkumiganten,
Gifte ausfuͤndig· gemacht · und hefahrichene
und wir ſpielen damit. . o
* Wir Haben and der Hr ke"
ie det Gräche — daR, he
ebeh To flarfe als" angenehme "Waffer a 34
* haben, die in die Schneigischer €
Bringen, ſich mit den — werniifchen, DIE
dehnen Kräfte‘ toitßergeßet, und den,
ve sefeömißiger ind netter mad,
Re baben has Gebemab ——e
Stein. im menſchlichen Körper: aufzuläfen,
ahne bie Eiugeweide gs verbrenuen· ¶ Wa
heilen die Schwindſacht · bie Lurngenfacht
nud alle: die ‚Krankheiten, bie.uan-femfkshhe
deu hielt 2). «Aber.bas aanſe aufer
n& if ben, Menſchen eine wahre Be,
Mient er sorgießt, eii.für die MRenfcpen- —XRD
Schelmmiß zu befiten, das er aber für fich web Ka
megamäte. dehalten wolle. Ach was Farin bh
dhraas arwartet €? — Uneluͤeiicher r Du.
mitten uut⸗r deinen Brüdern wınber sahen, ann a
Dis elot ſagen Diefe Weſen dis:mich-imingeben;
verdanten ‚mic ofen: Thell ihrer: Soſuuo ben
and Biärkfeligbehut.Uimd da fühleh nicht det:
In Clalı, and dic cũboet nicht biefet teiuud· o⸗
Danke? Nimm Gold/ Dieberträchtiger, mb verichte⸗
EB ) 319 ( he
reenehnmugen iſt, daß wit dieabſcheull⸗
cHyder 3), bie ſchaͤndliche und grauſalne⸗
age verttiget haben, die die‘ Quelle des⸗
ns: und der Freube vergiftet: „Dad:
nſchliche Leben neigte ſich zum Untergane
wir haben dag: gluͤckliche Heilungsmit⸗
entdeckt; das: ihm das Reben: und bie noch
aͤtzbarere Freude wieder giebt. FE
Veym Hin⸗ und Hergehen, verband bieſe⸗
Hfor feiner Zeit den Bewets mit den Won
r, zeigte mir: die phnfifchen: Gegenftände,
d rhat Feine etgnen Betrachtungen hinzu
Aber was mich noch mehr Ain Erſtaunen
zte, war!ein optiſches Kabimet ios mail
le Wirkungen des ches: Hatte zu vereiim
n wiſſen. Es war eine unaufhorliche Ja
rey. Man ließ vor meinen Auten Land⸗
yaften, Uusfichten, Palaͤſte, Regenboͤgen,
fterſcheinungen, brennende · Buchſtaben⸗
Deere. die nicht da, waren, und diß bey mir
ne,gräßiere Täufchung herbonhrachten, *
deine: Srels dieſer Wolluſt · der —— O6
Gigteit widerſfahren, du ſtrafft dich ſeibee.
v) Mich ſchlagt wichte ſo ſchr nieder,
buaber dieſe ſchmeribafte Seuche ſpotten hoie
dan ſollte von: dieſer ſchrecklicher Auuchrit mil
it: Thraͤnen in den Augen: reden, und hirrinarn
It vun Bupismachen Voltaire nachubmens: i--:’
= ).2 (
bin Mahrheit ſelbſth voräbersehen:r: Deß
wer: ein zauberiſcher Aufenthalerc: Des
Schauſpiel der. Schöpfung, das in: einem
Nam entſtand, hätte mir Feine lebhaftert un
nfgefischtere Frende machen kunnen.
AMan zeigte mir Vergroͤßerungsglaͤſer,
durch welche ich neue Weſen⸗ eutheckte, big
den durchdringenden Blicken Anfenes new
Weobachter entgangen waren... Das Ang⸗
morde nicht. ermuͤdet, ſo ſimpel und ray
berker war die Kunſt. Jeder Eichrise, hm
man in Diefen Aufenthalte chat, Befriedigte
wire brennende Neugier. Ve pen:
ſchaͤyflicher fie ſchien, deſto mehhr Nahrung:
fand ſie fuͤr Ihren, Hunger, Q! wie groß
ifıhier der Meuſch, ſchrie ich zu wiedarhol⸗
ten malen · aus, und · wie klein waren; Dis
Maͤnner vergleichungsweiſe, die man Du
wer Zeit groß nonnte ). ng“
X Mat Tinte ein tngefeucht Dat ih
Aiedehen Pb wohl phyfiſchen, als rroratiſchea ui
mctanvoſ ches Fragen ſchreiden, die ſich Hacſen⸗
weiſe Dam: Verſhande darbieten, und die die ocisſ⸗
den Meiſter So. wenig, als die umwiieniisn May
ſchen -aufinidfen wiſſen: san Thnnte abes auch, alle
dieſe ↄbrſiſchen, mszalifchen und metanbufifchen
Pe wit. einen einigen Morte 'beuutiwartem
Aber dieß Wort iſt ein tiefes Logoarunb,: Dad un
wa) 331 Bee
Die Aconſtik war nicht weniger: bewun⸗
vernswuͤrdig. Man batte alle arta ulirte
Tone der menſchlichen Stimme, des.Ge
ſchreyes ber Thiere, und bed mannichfaltir
gen Geſunges der Vögel, nachzuahmen ges
mußt: man ließ gewiſſe Triebfebern gehen,
und man glaubte, auf einmal in den dick⸗
ſten Wald verſetzet zu fen. Man hoͤrtr
das Gebruͤlle ver Loͤwen, ber Tyger und pur
Baͤrr, die einander zu verfchlingen ſchieucn
Das Dhe wurde gleichfam serriffen: man
haͤtte glauben follen, daß das noch’ ſchrech⸗
lichere Echo in der Eutfernung dieſe ride
ligen und wilden Toͤne wiederholte.Abet,
ſtehe, auf einmal folgte dieſen fuͤrchterlichen
Donen der Geſang der Nachtigallen. Uns
ter ihren harmoniſchen Kehlen wurde das
kleinſte Theilchen von Luft melobifeh : "dag
Ohr hörte bis auf das fanfte Gerdufhe'i6:
rer verliebten Fluͤgel und bie. ſchmeichelhaf⸗
ten und ſuͤßen Tone, die der Menſch nie
‚umgiede, “Ich zweifle nicht, daß man ed" Eine Riayes
wicht finden ſollte: ich erwarte alles von dem menſch⸗
lichen Verſtende, neun = feine Kräfte keiuc
wird, Wenn er fie vereinigen wird, wenn er ſich pur
Pflicht mochen wird, mit feinem Scharfikne in Das
mad iM, emudrimzen, and ßo mn antenwachn,
was er berät:
En ) 332 ( che
malt; als nur aͤußerſt unvollkommen wädhs
uhmen können. -. Mit der Trunkenheit der
Sterhbe vereinigte fich das angenehme: Er
firmen: und die Wolluft, die aus biefk
gluͤcklichen Vermiſchung enttund/ enter aa
in aller Herzen.
; Dieb Volt, das allezeit einen *
Shen: Zweck ſelbſt in den Wundern einir
| neugierigen Kunft ſuchte, hatte aucham
dirfer tieffinnigen Erfindung ihren Ben
rheil zu zieben gewußt. So bald ein hun
ger Prinz von Schlachten redeteyoberg
irdrad einer friegrifchen Leidenfehaft: cin
Meigung verrieth 10), ſo fuͤhrte mun PURE
reinen Saal, den man mit Recht Die Göhk
ꝓennten alſobald ſetzte ein Maföjinenmeiße
‚ tr Ye
10) mahhtige veharche die ihr biefe Ch
* uuter euch theilet, ihr habet Kausnuen, örfer,
‚ zahlreiche Heere, die ich in ſchimmernden Reiches
von Söldaten entreideln: durch ein Wort Iafet
’ tr fie ein Reich verwuͤſten, oder eine Brain
erobern. Ich weiß nicht, warum ihr nie mitta
aguter euren fliegenden Fahnen eleud ‚und Aigle
Aeintĩ Die Roͤmer ließen in (been: Spislen Pie⸗
Meoentiupien fie. jJachten uͤber bie Streiche, We
fie Ace. bevbrachten: fie; bedachten nicht, daß ſe
lelhſt in: den Aijgen des Weiſen das wären, we
die Zwerge in ihren Augen iu FOR: 3.5
Sir) 333 ( ni
die gewöhnlichen Triebfebern .in Bewegung,
und es ertönte vor feinen Ohren alles Ab⸗
ſcheuliche einer Schlacht, das Geſchrey, der
Wuth und bes Schmerzens, dag Flägliche
Gewinſel der Sterbenben und bie Toͤne deß
Schredens und der Furcht, und das. Ge
brille des eutſetzlichen Donners, dieſes Hej⸗
chens der Verwuͤſtung, dieſer ſchaueryollen
Stimme des Toded.:: Wenn ſich die Ratıy
noch nicht in feinem Herzen empoͤrte, wentz
er nicht einen lauten Schrey des Abſcheucs
bat, wenn feine Stirne heiter and une
weglich blieb: fo verfchloß man ihn, ‚seine
ganze Lebenszeit über. in biefen Saal, und
mit jedem Morgen wiederholte man. bie
abſcheuliche Muſik, damit er fich wenigſtens
mit der Vorſtellung befriedigen fonnte, ohne
daß die Menfchlichkeit darunter list.
Der Aufſeher dieſes Kabinets ſpielt⸗
mir" einen Streich: er ließ auf einmal
feine Hönifche Oper fpielen, ohne mich vor⸗
her davon unterrichtet zu haben. Hi;
mel! Himmel! Gnade! Gnade! ſchrie ich
aus aller meinen Kräften und flepfte: mis
die Ohren zu: Schonet meiner! o ſchonet
meiner! Er ließ aufhören. — Wie? Don
er zu mir, bieß gefällt Euch, nicht? —
pe) 334 ( Eure
muß cin Teufel ſeyn, wenn einem Lichte
ſchreckliche Lärmen gefallen ſoll. — Ugb
dieß war doc) zu Eurer Zeit ein fehr gr
woͤhnliches Vergnügen, das füch bie Kaͤr⸗
de und. Fuͤrſten machten, fo wie bie agb,
bie, wie man fehe wohl gefagt ,. das ge
treue Bild des Krieges war 12)... Nach
* ty Bey dem Hegeninärtigen Suntpiagen BR
Eurera verwüßen, fcheint. mir Die Entwölleuug
Such dad voetheilhafteſte m ſeyn. Menigten
die · Menſchen fo uugluͤckich ſeyn follen,. ſo werde
doch weniger Ungluͤckliche ſeyn. Iſt dieſer Gedan
barbatiſch, ſo treffe der Vormurf die Urdeder aus
u BE er 2 7°
Ci (jay Sonderbare und beweinensinfrbigen Suefaß
ſang unferer politiihen Welt! Acht bis. gehn ge
inte Häupter halten das menfchliche Seſchlecht
An einer Kette, find mit einander im Verkäutnigg
imd leiten einander segenfeitige Huͤlſe, um ſie m
ühren koͤniglichen Händen zu behalten, umnd ſle mug
Belicben fo ſehr sufammen.siehen, daß oft eduemts
finifhe- Bewegungen daraus entſtehen. Die Bi
ſammenverſchwoͤrung gefchiebt nicht in-Dey Finfah
aid: nein, oͤffentlich, vor aller Yugen, ſie wird Gar
Botſchafter geführet. Unſere lager Tone
nicht mehr zu ihren ſtolzen Ohren. Wir. wow
uinmal einen Blick aufEuropa werfen: ae |
mehr, als ein ungeheures Zeuahauß, wo Weiten |
Puiverfäffer nur einen leichten Funken. erwarten;
um Feuer gu fangen: Oft. iR es Die Haud end
unbefonntnen Miniſtere, der die Entzänbung won)
A ) 335 (u
indks Teiten'die Dichter und wuͤnſchten ih⸗
‚wen Gluͤck, Saß fie die Voͤgel des Himmels
Alaßt.’ Sie ſteckt anf einmal 'Büden und Nor⸗
Ben,’ Acyde Enden: der Erde in Bram. Melde
eine ungebeuve Menge Kanonen; Bomben, Serch-
s0, Stüds und Slintens Kugeln, Degen, Schwerd⸗
ter, Bajonetter, u. ſ. w. wie viel moͤrderiſche "Ras
sionetten, den Prügel geborchend, erwarten den
Befehl eines Kabinett, wm. blutigen Poffeh
ſpiele amjufangen. Die Geometrie ſelbſt bat ibfe
götrikhen Eigenſchaften eutheiligt, fie beguͤnſtigtt
mechfelömwelfe, bald die ehrgeisige, dald die bhitgids
Fige Wuth der Monarchen: Wit welcher Richtige
keit weiß man ein Kriegeheer gu verderben, ein 2as
ger in Grund und Boden gu fehlagen, einen Play
da’ velägern, eine Stadt in Brand zu ſtecken: IA
babe Akademiſten mit kaltem Blute die Ladung eis
mer Kauone berechnen fehen. Je! meine Herren,
wartet doch, bis ihr nur ein Fuͤrſtenthum haßet.
Was liegt denn euch daran, weicher Name in weh
oder jenem Lande berrfchet? Euer Patriotismus I
eme falſche und für die Menſchlichkeit seribrich
Tugend. Denn, wir wollen ein wenig unter
hen, mas das Wort Parriortemne beißt. His
an einem Staat gebunden ın ſeyn, muß man eis
Mitglied des Staates ſeyn. Außer zwo oder dray
Mepubliten, giebt es gar Bein eigentlich fo genanu⸗
tes Baterland mehr. Warum follte dem der Er
'gelländer mein Feind ſeyn? Ich bin mit ihm durch
die Handlung, durch die Künfte, durch alle nur
mögliche Bande verbunden es if zwiſchen uns
Beine uatäsliche Ansinatbie... Warum weitet idr
De) 336 ( re
-yahn Meilen umher verfcheuchteumb ſa verſich ·
Sg für die. Speiſe ber Raben geſorgt haben
hauptfächlich gefren ich bie. Daten. fg,
swenn fie eine Schlacht beſchreiben konnten
— Ach! ich bie: Euch, ſagt mir niches
wehr von dieſer —— — bie
Ben, dab hab ic Ö
‚Überfepritten,) ic, meine, Ca *
übrigen Dieufchen freunen za
cine A Aa ‚von. he
as der Stanten ‚abhängen ; ar
‚ge. müßte „ich ‚ meinen Nachbar nik,
"Bäwerdt. verfolgen, uud mich mit ir
hen ich Tages, vorher würde eriwiitgef | haben.
zwäsde alfo.inÖrunde bloß die wiukühr
2 eines Ders vertheidigen, der. meitie;
‚bieten wolte, Nein: Europa, fol forthiu in
ae Augen wur, Einen weiten Staat ausmachen:
„and der Wunſch, ‚den ic Chun wit, fol fepu,
«#6 ſich nut unter Einer und, eben derfelben,
Cat vereinigen, möge, les, wehl üb,
„genau betrachte, [o,1rde,Dieh, ein Großer
‚eva; alddanıt würde ic) Dec) ach. ei ir ip!
‚Binnen. Aber beute zu. Tage, 24 ‚AR ‚denn bie
smenere (Seepbeit 2, Nichts. anders, (fagk.ein geile
quiftdelz⸗ ala das Deldenshum det Stiaven
2 3 ( re
das arme menſchliche Geſchlecht ergriff. Ach
fie hatte alle Zufaͤlle der Raſerey und
des Unſinns. Feige Koͤnige ſchickten! es
von ihrem ſtolzen Throne zum Tober
and ‚die gehorſame Heerde gieng unter ber
Aufſicht eines einzigen Hundes, freudig zur
Fleiſchbank. Wie fol man fie in dieſen Zei⸗
ten der Trunkenheit zu fich felbft bringen?
wie den sauberifchen Talismann zerbrechen?
Ein Heiner Stab, ein rothes ober blaueg
Ordensband, ein kleines emaillirtes Kreug
verbreitete überall den Geiſt des. Schwin⸗
dels und der Wuth. Andere verloren fchon
den Verſtand, wann ſie nur eine Cocarde
oder einige Groſchen fahen. -. Die Eyr. bag
lange dauern muͤſſen: ich habe es aber fa
vorher gedacht, daß, früher ober ſpaͤter, der
heilende Balſam der Weltweisheit diefe
ſchimpflichen Wunden ſchließen werde 13),
13) Welch ein Schauſpiel? Zwevmal bunden
tauſend Menſchen in weiten Ebenen perbreitet, Die
nur das Zeichen, einander todt zu fchlagen, erwar⸗
ten. Sie ermerden einander im Angefichte ‚ber
Sonne, auf den Blumen des Frühlings... Es iR
nicht der Haß, der fie erbittert; mein, es find die
Könige, die ihnen gebieten iu ſterben. Geſchaͤhe
eine fo grauſame Geſchichte sum erſtenmale: wuͤr⸗
den nicht: Diejenigen, bie ” Davon. ZEUGEN gems⸗
Sam) 340. ( —
Zwey und dreyßigſtes Kapitel.
Der Malerſaal.
N, die Künfte bey diefem Wolfe fich, mie
in derAbbildung, fo auch in Abficht des fitt-
lichen Endzwecks, bey der Hand faßten;. fo
brauchte ich nur etliche Schritte zu thun,
und ich war in ber Malerafadenie. Ich
gieng in die großen Säle, die mit Schilde
reyen ber größten Meifter angefüllt waren.
Jedes Gemaͤlde war fo gut ald ein moralifches
und Iehrreiches Buch. Man fah in biefer
Sammlung nicht mehr bie Wiederholungder
ewigen Mythologie, die taufend und aber
tauſendmal wieder abfopiret war. So ſinn⸗
reich fie im Anfange war, fo hatte fie nun
den ein Mönch in dem Galpeter ein tödtendes
Pulver fand! Arioſt fagt, der Teufel habe, als er eis
nen Carabiner erfunden, von Mitleid gerührt, ihn im
einen Fluß geworfen! Ach! nun ift fein Sicherheits⸗
ort mehr auf dem Erdboden: es brauche Feiner
Tapferkeit mehr: fie it unnuͤtze: der muthigfe
Bürger hat nichts mehr von feinem Arme zu a⸗
warten. Die Konone ift den Händen einer klei⸗
nen Anzahl won Menfchen übergeben: die Kanone
machet fie zu unumfchränkten Eigenthuͤmern unferd
Lebens, und wenn fie ſich unglüclicher Weiſe je
fammen vertünden, was ſollte aus und allem werben?
am) (en
das Necht erlangt, efelhaft zu fcheinen. Die
ſchoͤnſten Dinge werden endlich gemein: ber
Refrain ift die Sprache der Thoren. Go
verhielt e8 fich auch mit allen groben Schmei⸗
cheleyen. Die Zeit hatte, gleich der Wahr-
heit, dieſe lügenhafte Leinewand zerfreſſen; fo
wie fie.den Verſen des Boileau und Vor⸗
fpielen des Quinaut ihren wahren Plaß an⸗
getviefen hatte. Es war ben Künften ver
boten, zu lügen 1).
Es aab auch nicht mehr dicke Männer,
bie man Runftliebbaber nannte, und bie
1) Warn ich in der Gallerie von Verfailles Lu⸗
dewig den XIV. mit einen Blige in der Hand, auf
bimmelblauen Wolfen, ald einen Dounergott ges
malt. fehe: fo empfinde ic) eine mitleidige Verach⸗
tung gegen den Pinfel des Le Brün, der beynabe
auf die Kunſt zurüde fällt: aber dieſe Malerey
überlebte den donnernden Bott, fie überlebte den
Kuͤnſtler, der ihn mit dem Donner befchenkte: dies
fer Gedanke beruhiget mich, und ich laͤchle.
Das erftiemal, ald Ludwig XIv. Gemälde vom
Teniers fah, kehrte er das Geſicht mit einer efelhaften
‘Mine meg, und ließ fie aus feinen Zimmern nehmen.
Konnte diefer Monarch die Vorſtellung diefer gus
ten Leute, die voller Beranägen trinken und. tars
zen, nicht leiden: zog er ihnen die blauen. Mduner
zu Pferde vor, die durch Dampf uud Staub eines
Lagers jagten: fo ift bie Seele Ludwige des XIV.
gerichtet.
So ) 338 ( —8
"Man führte mid) in dag mathematifche
Kabinet: es fehlen mir fehr reich und aufs
treflichfie georbnnetsufeyn. Man hatte alles
aus biefer Wiffenfchaft verbannt, was einem
Kinderfpiele ähnlich- fah, alles, was nur
trockne und miüßige Speculation war,
oder bie Graͤnzen unferer Kräfte überflieg.
Ich fahe Mafchinen von allerhand Art, die
verfertiget waren, um den Armen ded Men
ſchen die Arbeit leichter zu machen, Mafchinen,
die mit weit mehr Kräften verfehen waren, ald
alle die, die wir kannten. Sie brachten al
lerband Arten von Bewegungen berbar.
Die fchmwerften Laſten zu regieren war ein
Spielwerf. — Ihr feht, fagte man zu min,
dieſe Obelisfen, diefe Triumphsboͤgen, dieft
Daläfte, diefe kuͤhnen Denkmäler, deren An
blick in Erftaunen feßt: fie find nicht das
Werk ber Etärfe, ber Menge und ber Ge
fchicklichkeit: Inftrumente, vollfonmnerge .
machte Hebel, biefe haben alles gethan.
Sc fand in der That, und dieß bie auf
die größte Kleinigkeit, die Werkzeuge, fo:
wohl in Abficht der Geometrie, als Aftrone
nie u. f. m. fo richtig, als nur moͤglich.
fen, daran zu zweifeln berechtiget ſeyn? Dieſer e⸗
danke gehoͤrt dem Air. Gaillard.
Ze) 339 ( re
"Alle diejenigen , die Verſuche von ei
ner neuen, kuͤhnen, bewundernswuͤrdigen
Art gemacht, gefett, fie waren auch fehl-
gefchlagen, (denn man unterrichtet fich doch
nicht weniger, wenn auc) eine Sache nicht
gelingt) twaren in marmornen Brufkbildern
mit den gehörigen Attributen aufgeſtellt.
Aber man fagte mir zugleich ing Ohr, daß
viele befündere, wunderbare Geheimniffe nur
den Händen einer geringen Anzahl von wei⸗
fen Männern anvertrauef wären: daß fol-
ches Dinge beträfe, die an fich ſelbſt gut
wären, aber in der Folge gemißbraucht wer⸗
den könnten 14): dennoch hatte, ihrer
Meynung nach, der menfchliche Verſtand
das Ziel nicht erreicht, das er erreichen
muß, um ohne Gefahr von den feltenften
pder wichtigften Entdeckungen Gebrauch zu
machen 19).
14) Der Koͤnig Ezechias, (ſagt die heilige
Schrift,) ließ ein Buch unterdruͤcken, das von der
Kraft der Pflanzen handelte, aus Furcht, daß man
davon einen uͤbeln Gebrauch machen, und dar⸗
aus ſo gar Krankheiten entſtehen moͤchten. Dieſer
Umſtand iſt merkwuͤrdig, und giebt viel zu denken
Anlaß.
15) Welch ein ſchrecklicher und fuͤr das menſch⸗
Jiche Geſchlecht trauriger Tag, war derjenige, an
2a) 3 (Eu
Zwey und dreyßigſtes Kapitel,
Der Malerſaal.
N, die Künfte bey diefem Wolfe fich, mie
in der Abbildung, fo auch in Abſicht des fitt
lichen Endzwecks, bey der Hand faßten; fo
brauchte ich nur etliche Schritte zu thun,
und ich war in der Malerafademie. Ich
gieng in die großen Säle, bie mit Schilde
reyen der größten Meifter angefüllt waren.
Jedes Gemälde war fo gut ald ein moralifches
und Iehrreiches Buch. Man fah in biefe
Sammlung nicht mehr die Wiederholung der
ewigen Mythologie, die taufend und aber
taufendmal wieder abfopiret war. So fim
reich fie im Anfange war, fo hatte fie nm
den ein Mönch in dem Galpeter ein tödtendd
Pulver fand! Arioft fagt, der Teufel habe, als er ay
nen Garabiner erfunden, von Mitleid gerührt, ihnis
einen Fluß geworfen! Ach! nun iſt kein Sicherheit
set mehr auf dem Erdboden: es braucht keine
Tapferkeit mehr: fie if unnüse: der mutbige
Bürger hat nichts mehr von feinem Arme u @
warten. Die Kanone ift den Händen einer He
nen Anzahl von Menfchen übergeben: die Tanım
machet fie su unumſchraͤnkten Eigenthuͤmern wnfel
Lebens, und wenn fie ſich unglüclicher Weiſe p
fammen verkünden, mad (oUte aus und allen werde
Se) 341 ( u
das Necht erlangt, efelhaft zu fcheinen. Die
ſchoͤnſten Dinge werben endlich gemein: ber
Refrain ift die Sprache der Thorn. Go
verhielt es fich auch mit allen groben Schmei⸗
cheleyen. Die Zeit hatte, gleich der Wahr-
heit, diefe lügenhafte Leinewand zerfreſſen; fo
wie fie.den Verſen bed Boileau und Vor⸗
fpielen des Duinaut ihren wahren Platz an-
gewiefen hatte. E8 war den Künften ver-
boten, zu lügen 1).
Es aab auch nicht mehr dicke Männer,
bie man ZRunftliebbaber nannte, und die
7) Wann ich ın der Gallerie von Verſailles Zus
dewig den XIV. mit einen Blige in der Hand, auf
bimmelblauen Wolken, ald einen Dounergott ges
malt. febe: fo empfinde ich eine mitleidige Verach⸗
tung gegen den Pinfel des Le Brün, der beynabe
auf die Kunſt zuruͤcke fällt: aber diefe Malerey
überlebte den donnernden Bott, fie überlebte den
Künftler, der ihn mit dem Donner befchenkte: dies
fer Gedanke beruhiget mid), und ich laͤchle.
Das erftemal, ald Ludwig XIV. Gemälde vom
Teniers fah, kehrte er das Geſicht mit einer ekelhaften
Mine mes, und ließ fie aus feinen Zimmern nehmen.
Konnte diefer Monarch die Vorſtellung diefer gu⸗
ten-Leute, die voller Vergnuͤgen trinken und. tars
zen, nicht leiden: zog er ihnen die blauen. Mduner
zu Pferde vor, die durch Dampf und Staub eines
Lagers jagten: fo it bie Seele le Ludwige des XIV.
Berichtet.
3a) 32 ( er
dem Genie des Kuͤnſtlers, mit der Goldboͤr⸗
fe in der Hand geboten. Das Genie war
frey, folgte blof feinen eignen Vorſchriften,
und ernichrigte fich nicht.
Auf diefen moralifchen Saͤlen fah man
nicht blutige Schlachten, nicht die ſchaͤndli⸗
chen Wollüfte der fabelgaften Goͤtter, noch
weniger Monarchen mit den Tugenden ums
geben, bie ihnen chen fehlten. Man hieng
bloß Bilder auf, die geſchickt waren, große
und tugendhafte Empfindungen einzuflößen.
Alle die chen fo abgeſchmackten ald ärgerl
chen heydniſchen Gottheiten befchäftigten
nicht mehr vortrefliche Binfel, denen nunmeht
die Sorge aufgetragen war, die wichtig⸗
fien Begebenheiten auf die Zufunft zu brin⸗
gen: man verftund durch dieſes Wort dieje⸗
nigen, die einen edlern Begriff von bem
Menfchen geben, als die Guͤte, Die Großmuth,
die Aufopferung ſeines Lebens für andre, bie
Zapferfeit, die Verachtung der Wolluͤſte.
Ich fahe, daß man alle ſchoͤne Handlum
gen bearbeitet hatte, die auf die Nachwelt
gebracht zu werden verdienten: hauptſaͤch⸗
lich hatte man bie Großmuth ber Monar
chen zu verewigen füchen. Ich fahe den
Saladin, der ein Leintuch fragen ließ; Hein:
2) 34 (Er
rich den IV. der eine Stadt nährte, bie er
doch felbft belagerte: den Sülly, ber eine
Summe Geldes: fehr langſam abzählete, die
fein Herr zu feinen Luftbarfeiten beſtimmt
hatte: Ludwig den XIV. auf dem Todtbette,
welcher fagte: Ich Babe den Krieg zu ſehr
geliebt; den Trajan, der feine Kleider ger
riß, um die Wunden eine Unglüclichen zu
verbinden; den Marc Aurel, der nach eines
dringenden Deife vom Pferde flieg, um das
Diftfehreiben von einer armen Frau anzu⸗
nehmen: ben Titus, der Brod und Arzney⸗
mittel austheilen ließ: ben Saint Hilaire,
ber einen Arm verloren, und feinem Sohne
den im Staub geſtreckten Türenne zeigte:
den ebelmäthigen aber, ber ſich die Feſ⸗
ſeln eines Galeerenſclaven fuͤr ſeinen Vater
anlegte u. ſ. w. Man fand nicht mehr die
finſtern oder traurigen Bilder. Es gab kel⸗
ne niederfrächtige Höflinge mehr, die mit
einer fpottifchen Miene fagten: fogar die
Maler lalſen ficb einfallen zu predigen!
Man wußte es ihnen Dank, baß fie die er-
babenften Züge der menſchlichen Natur ges
fammelt hatten: es waren große Gemälde,
aus der Gefchichte gezogen. Ge hatten
fehr weislich bedacht, daß nichts in der
HI) 34 (ue
Belt nüglicher feyn koͤnute. Alle Künfe
hatten, fo zu ſagen, eine lobenstwürbige
Verſchwoͤrung für dag Befte der Menfchlidy
keit gemacht, Dieft glückliche Nebereinftine
mung hatte ein weit helleres Licht auf dag
heilige Bild der Tugend geworfen: fie wur
de Dadurch Weit verehrungswuͤrdiger, und
ihre immer verfchdnerten Züge waren ein df
fentlicher Unterricht, der eben fo gewiß, als
rührend, war. : O! wie kann mau ber Stim⸗
nie der fchönen Kuͤnſte widerſtehen, die mit Ei⸗
ner. Stimme den: freyen und edlen Dlrge
erheben und: kroͤnen.
Alte diefe Schilderegen hefteten ſowohl des
Innhalts als der Ausfuͤhrung wegen, das
Auge auf ſich. Die Maler hatten den Ita⸗
liaͤniſchen Zug mit der Niederlaͤndiſchen Far⸗
be zu vereinigen gewußt, oder vielmehr durch
ein tiefes Nachdenken ſie uͤbertroffen. Die
Ehre, die einzige Muͤnze, die fuͤr große Maͤn⸗
ner gemacht iſt, belohyte fie im voraus, it
dem fie ihre Arbeiten befeelte. Die Natur
fchien, wie in einem Spiegel, ausgedrückt zu
feyn. Der Freund der Tugend Eonnte dick
fchönen Malereyen nicht anfeben, ohne vor
Freuden zu feufgen. Der Boͤſewicht wagte
fig nicht angufehen. Er würde gefürchtet
Se) 345 (ne
Baben, daß biefe ıinbefeelten Figuren ploͤtz⸗
lich die Etimme erhalten, um ihn anzukla⸗
gen und zu beſchaͤmen.
Man ſagte mir, daß dieſe Bilder ausge⸗
ſtellt würden. Auch bie. Fremden wurden
zugelaſſen: denn man kannte nicht die Ty⸗
ranney, alles zu verbannen, was uͤber die
Graͤnze einer Provinz gieng. Man gab
jährlich vier Gegenſtaͤnde, damit jeder Kuͤnſt⸗
ler Zeit hatte, ſein Gemaͤlde zur Vollkom⸗
menheit gu bringen. Das vollkommenſte
hatte gleich die Stinme des Volks. Mar
gab genau auf das allgemeine Gefchren Ach⸗
tung, dag gemeiniglich die Stimme- der Bil:
ligkeit felbft if. Die übrigen erhielten nichte
deſtoweniger, nach dem Grade des Verdien⸗
ſtes, die ihnen ſchuldigen Lobfprüche. Man
hatte nicht die Iingerechtigfeit, ven Schülern
innen Echel beyzubringen. Die offentlichen
Lehrer wurden nicht von dem unwuͤrdigen
und niederträchtigen Neide befeffen, der dert
Bonfin aus feinem Vaterlande verjante;
and den le Suͤeur im Fruͤhlinge feiner- Tage
umfommen ließ. Sie hatten den gefähnlis
then und traurigen Eigenduͤnkel aufgeges
ben, der ihnen zu meiner Zeit nicht erlaubte,
ibren Schülern eine andere Manier, als
Ham) 146 (
die Ihrige, vorzulegen. Sie machten nicht
aus denen, bie fich fehr Hätten empor
ſchwingen fonnen, wenn man fie ſich felbft
überlafien und bloß burch einen guten
Math unterftügt hätte, kalte Kopiften. Der
Schüler bog fich endlich nicht mehr unter
einem Zepter, der ihn furchtfam machte: e
fchleppte fich nicht zitternd den Fußtapfen
eines eigenfinnigen Herrn nach, bem er noch
oben brein fchmeicheln mußte : er lief ihm
vor, wenn er Genie hatte, und fein Zührer
war der erfte, der auf die Vollfommenheit
der Kunft ſtolz war.
Es waren viel Afabemien ber Zeichen-
kunſt, Malerey, Bildhaueren und der prafti-
fchen Geometrie. Diefe Künfte waren zu
meiner Zeit fehr gefährlich, weil fie die Ver⸗
ſchwendung, die Pracht, bie Leidenfchaften
und die Schwelgerey begünftigten, weil fie
nicht angewandt wurben ‚die Tugend einzu⸗
. flößen, und der Stadt die Majeftät, die An-
muth, diefen fimpeln und cdeln Geſchmack
zu geben, der durch geheime Beziehungen
Die Scele der Bürger erhebt.
Diefe Schulen waren für das Publikum
ganz offen. Die Schüler arbeiteten darin
nen umter feinen Augen. Es fund. jeder
Sr) 347 ( er
wann frey hineingugehen und feine Mey:
nung zu fagen. Dieß hinderte nicht, baf bie
befoldeten Lehrer umbergiengen und Prüfum
gen anfteliten : aber Fein Lehrling war der
beftinnmte Schüler diefeg oder jenes Meifterg,
fondern aller gefchickten Künftler überhaupt.
Dadurd), daß man felbft den Schatten der
Sflaverey, der der männlichen und unab»
bängigen Geſinnung ded Genies fo nachthei-
tig if, hinweggenommen, hatte man Keute
gezogen, bie fich felbft über die Meiſterſtuͤcke
des Alterthums erhoben, und ihre Gemäl-
de waren fo vollendet, fo auggearbeitet, daß
die Ucberbleibfel des Naphbael und Rubens
nur von einigen Alterthumsliebhabern, Leu—
ten von einer hartnaͤckigen und allezeit ei⸗
genſinnigen Gemuͤthsart aufgeſucht wurden
Ich brauche nicht zu ſagen, daß alle
Kuͤnſte und alle Profeßionen auf gleiche Art
frey waren. Nur in einem barbariſchen,
tyranniſchen, bloͤdſinnigen Jahrhunderte
konnte man dem Fleiße Feſſeln anlegen und
demjenigen eine Summe Geldes abfodern,
ber arbeiten. wollte, anflatt daß man ihm
eine Belohnung hätte geben follen. Alle die
kleinen Iuftigen Korper verfammelten bie
Menſchen in ein Ganzes bloß darum, da
SO) 3430
mit ihre Leidenfehaften defto heftiger gähren
möchten: eine Ihenge Streitigkeiten ‘ohne
Ende entfiunden ans ihrer Gefangenfchaft
und machte fie nothwendig zu Feinden von
ihren Nachbarn. Go theilen fich in ben
Sefängniffen die Menfchen ; die einerien
Seffeln rücken, ihre Wuth und ihre Lafter
mit. indem man Ihe Intereſſe trennen
wollte, hatte man fie unruhiger gemacht,
und es war gerabe bag Gegentheil, mel
ches eine weiſe Gefeßgebung zu verlangen
fchien. Diefer ewige Zwang, worinnen ſich
jeder Menfch befand, feinem Talente zu fol
gen, war eine Duelle von taufend Unord⸗
nungen. Es entflund daraus Müßiggang
und Betrug. Der Unglüdliche war gaͤnz,
lich unvermögend , fich einem bemeineng-
würdigen Etande zu entreißen,, weil ein
giferner Arm ihm. den Ausgang verfchloß,
und das Geld allein ben Schlagbaum auf
ziehen fonnte. Der Monarch, um eines
fleinen Zolleg zu genießen, hatte die gehei⸗
ligfte Freyheit unterdrückt, "und dadurch alle
Triebfebern des Muthes und der Aemſigkeit
zerſtoͤret.
Unter dieſem Volke, das von den erſten.
Begriffen des Voͤlkerrechts unterrichtet war,
2m) 349 ( Er
folgte jedes der Befchäfftigung, zu der ihm
fein eigenthünmlicher Geſchmack, das fichere
and eines glücklichen Fortganges, rief.
Diejenigen, die feine Neigung zu ben ſchoͤ⸗
nen Künften hatten, griffen zu einer leich«
tern Arbeit: denn das Mittelmäßige wur⸗
be in feiner Cache gebultet, die eine Des
siehung-auf das Genie hat. Der Ruhm.
der Nation fchien an biefe Talente gebuns
den zu feyn, bie den Menfchen eben fo fehr,
als Reiche, verberrlichet.
Drey und dreyßigſtes Kapitel.
Sinnbildliche Gemaͤlde.
ch kam in einen beſondern Saal, wo man
die verſchiedenen Jahrhunderte vorgeſtellet
hatte. Jedes hatte außer ſeiner eignen Ge⸗
ſichtsbildung die Züge benbehalten, die es vor
feinen Sefchwiftern fenntlich machten. Die.
Jahrhunderte der Unwiſſenheit waren mit
einens ſchwarzen und traurigen Nocke befleis
def. Die Perfon, bie fie vorfichte, hatte
ein rothes und finſteres Auge und hielt eine,
Fackel in der Hand: im Hintergrunde fah
man einen Scheäterhaufen, Prieſter mit ei»
nem Meßgewande befleivet, und ungluͤckli⸗
2) 3350 (ei
che Menſchen mit einer breiten Binde um der
Stirne, die ſich eines über das andere, ben
Flammen aufopferten.
: Meiter hin, fleckte ein fanatifcher Schwaͤr⸗
mer, ohne irgend ein ander Verdienft, ale
einer glühenden Einbildungsfraft, die nicht
weniger entsündbare Imagination feiner
Mitbürger in Flammen, und riß, inbem
er im Namen Gottes donnerte, eine Men⸗
ge Menfchen mit fich fort, die wie eine folg-
fame Heerde fich dem Gefchreye ihres Hm
ten nach ſtuͤrzet. Die Könige verliehen
ihre Shionen, verließen: ihre bevölkerten
Staaten , und liefen, indem fie eine Stim-
me des Himmels zu bören glaubten, ſich
ihre Krone und ihre Untertanen in unge
heuren Wüften zu begraben. Man fah im
Hintergrumde des Gemäldeg die Schtwärme
rey, die ihre mördrifchen Fackeln ſchuͤttelte/
auf Menfchentspfen einhergehen: eine unge⸗
heure tiefenmäßige Perfon! Ihre Füße ſtun⸗
den auf -beyden Enden der Erde, umd ihr
Arm , der die Palme des Märtyrertobes
Bielt, erhob fich big gu den Wolfen.
Diefer bier, weniger bigig, aber deſto
nachdenfender, flürste fi) dem Geheimnis
wollen und der Allegorie überlaffen, in das
Sm ) 351 ( min
Bunberbare. immer war er mit Nägeln
imgeben und forgfältig bemüht, die Fin«
terniffe, die ihn umbüllten, su verdicken.
Ran fah die Ringe der Platoniker, die
Yahlen der Pythagoraͤer, die Sibylliniſchen
Zerſe, die allmaͤchtigen Formeln der Zaube⸗
ey und die bald liſtig erdachten, bald dum⸗
ven Wunder, die der menſchliche Witz ge⸗
chaſſen hat.
Ein anderer hielt ein Aſtrolabium, zog
ufmerkſam einen Kalender zurathe und be⸗
echnete die gluͤcklichen oder ungluͤcklichen
vage. Eine kalte und ſtumme Ernſthaftig⸗
eit war in ſeinem verlaͤngerten Geſichte aus⸗
edruͤckt: er wurde uͤber die Verbindung
weyer Geſtirne todtenblaß: das Gegenwaͤr⸗
ige war gar nicht für ihn, und dag Kuͤnfti—⸗
e:war fein Henker: er hatte felbit feinen
Sottesdienft in die kächerliche Wiffenfchaft
er Aſtrologie übergetragen, und er hielt fich
n.dieß Phantom, ald an eine unerſchutter⸗
iche Saͤule.
Dieſer hier, ganz mit Eiſen bedeckt, ver⸗
rub feinen Kopf in eine eherne Sturmhau⸗
e: mit einem Panzer befleidet, und einer
angen Lanze bewaffnet, athmete er nichts,
18 Kämpfe, Mann mit Mann. Die Sees
Fe) 352 ( Er
le feiner Helden war härter, als der Stahl, ber
fie bedeckte. Das Eifen war es, das übe
Rechte, Meynungen, Gerechtigkeit -unb
Wahrheit entfchied. : Im Hintergrunde
zeigte ſich ein eingefchloffener Kampf
platz, Richter und Herolde, die ben lichen
wunbenen oder vielmehr den Schulpien
aufbalfen,
Jener fchien von einem haͤchſtſeltſame
Eigenſinne zu ſeyn. Es war ein barbariſcher
Architekt, der Säulen, ohne Verhaͤltziß wis
der Mafle, die fie trugen, und mic Jächerlir
‚chen Zierrathen überladen, errichtete: er gie
alles dich für .eine befondere Feinheit, bit
pen Griechen und Roͤmern ganz under
fannt geweſen. Eben biefe Unordnung
Berrfchte in: feiner ganzen Logik; dieſe be
fund aus ewigen Chifanen und abſtrakten
Begriffen. Im NHintergrunde hatte my
Mondenfüchtige vorgeſtellet, bie mit offencz
Augen redeten und handelten, und die in die
nen langen Traum verſenkt die Verbindung
groener Sbeen einem bloßen Zufalle dankten
.: Sp mufterte ich alle Jahrhunderte durch
aber bie einzelne Erzählung davon würd
viel zu lang werben. Ich hielt ˖mich ein wer
nig länger vor dem 18ten Jahrhunderte aufı
) 353 (u
mit dem ich vormals in Befanntfchaft geftan«
den. Der Maler hatte e8 unter der Geſtalt
einer Frau vorgeftellt. Die aller-geflschkeften
Zierrathen beſchwerten ihr hoffärtiges und
zaͤrtliches Haupt. Ihr Hals, ihre Arme waren
ganz mit Perlen und Diamanten bedeckt: fie
hattelebhafte und glänzende Augen; aber ein
etwas gezwungenes Lächeln verzerrete ihr den
Mund: ihre Wangen tvaren gemalf. Das
Gekuͤnſtelte fchien aus ihren Worten eben ſo
ivie aus ihren Blicken hervorzuſchimmern:
es war verführerifch, aber-nicht wahr. Gie
hatte in feber Hand zwey lange rofenfarbene
Bänder, die eine Zierrath zu ſeyn fchienen:
aber diefe Bänder verbargen zwo eiferne
Ketten, mit denen fie felt gebunden war.
pre Bewegungen waren inzwiſchen frey ges
mug, um die Hände umher zu werfen, und zu
hüpfen und gu fpringen. Gie trieb dieß aufs
äußerfte, damit fie, wie es mir fchien,ibre Skla⸗
verey verbergen, oder ſie wenigſtens leicht
und angenehm machen wollte. Ich unter⸗
fuchte dieſe Figur bis auf Kleinigkeiten. Da
mein Auge ſehr genau auf die Falten ihrer
Kleidung Acht gab, ſo wurde ich gewahr,
daß dieſes ſo praͤchtige Gewand unten ganz
az) 354 (
gerriffen und mit Kothe bebeeft war. Ihre
nacketen Küffe ſtacken in einer Art von Mo⸗
raſte: und fie war von unten. eben fo ab
fcheulich, als fie von oben glänzend war:
fie glich in diefem Aufzuge nicht übel einer
gemeinen Buhlerinn, die. Abends in ben
Straßen berumläuft. Sch entdeckte hinter
ihr viele Kinder mit einer bleichen und gel»
bei Sefichtsfarbe, Die ihrer Mutter zuſchrieen,
und ein Stuͤck ſchwarzes Brod gierig eins
ſchluckten: ſie wollte ſie unter ihrem Rocke
verbergen, aber man ſah dieſe kleinen Elen⸗
den durch die Loͤcher deſſelben. Im Hinter⸗
grunde des Gemaͤldes ſah man prächtige
Schloͤſſer, marmorne Palaͤſte, kuͤnſtlich ge⸗
zeichnete Parterre, große Waͤlder mit Hir⸗
ſchen und Rehen bevoͤlkert, wo das Yagb-
born von weiten erklang. Aber bag nur
balb bebaute Feld war voll ungläckliche
Landleute, bie tobtenmatt von vieler Arbeit,
auf ein kleines Häufchen Aehren barnicher
fanfen: hernach famen Leute, bie einige mit
Gewalt anwurben, und dag Bette und bie
chen Speife den übrigen mifnahmen ».
1) Die Tyranney iſt ein gefaͤhrlicher Bam,
den man geſchwind in feiner Geburt aus rotten mul.
Der Anſchein dieles Baumes ift fehr bettuͤgeriſch
Zr) 35 ( —
.. Der Charakter der Nationen war uhan
freu ausgedrückt.
An den mannichfaltigen Sarben von tau⸗
fenderley Schattirungen, an ber unmerkli⸗
chen Verſchmelzung berfelbigen, an bent
traurigen, melancholifchen Gefichte, erkann⸗
te.man das eiferfüchtige, rachgierige Ita⸗
fin. Auf eben: dem Gemälde verfchwand
fein ernſthaftes Geſichte mitten in einem
Anfänglich ift es ein junger Baum wit Blüe
then und Eorbeern befränit, der aber insgeheim
das Blut, das ihn begieht, am fich zieht. Bald
wachſt er, ſchießt in Die Hoͤhe, und erhebt fein hof⸗
faͤrtiges Haupt. Seine Aeſte breiten fich Rolz aus. Er
bededet alles, was er umgiebt, mit einem prablerie
ſchen uud traurigen Schatten, Die benachhartg
Blüthe und Frucht fallen ab, da fie der wohlthär
tigen Gmablen der Sonne beraubt werden, Die ep
auffängt.. Er zwingt die Erde nur ihn zu nähren.
Endlich wird er wie der gäftige Baum, deſſen ſuͤſe⸗
fe Zrüchte ein Gift find, der Die Tropfen, Die auf
feinen Blättern träufeln, in ein beizendes Waſſetz
verwandelt, die, in Ermangelung der Qunalen,
dem ermüdeten Wanderer den Schlaf ımd den Top
bringen. Außerdem iſt fein Stamm knoticht: der
Kern iR mit einer harten: Rinde hedeckt: feine
Wurzeln breiten ſich aus: und das Beil der Be
beit mird Rumpf und greift nicht an.
az) 356
Eoncerse und ber Maler hatte deſſen Leich⸗
tigfeit , biesfam und faft in einem. Au
genwinke eine andere Geſtalt anzuneh⸗
men vortreflich ausgedruͤckt. Der Hinter⸗
grund ſtellte Pantomimen vor, die mat«
cherley Grimaſſen und andere Eomifche Ge⸗
berden machten.
Der Engelländer, der , mehr in einer ſtol⸗
zen als majeftätifchen Stellung auf der Spr
Be eines Felfen faß, beberrfchete das Welt⸗
meer und gab einem Schiffe das Zeichen,
nach der neuen Welt zu fliegen und ihm ih⸗
re Schäße zu holen. Man las in ſeinen
tühnen Blicken, daß ibm die bürgerliche
Freyheit fo viel als die politifche galt. Die
entgegen ftchenden Wellen, die unter ben
Schlägen des Ungewitters brüllten, waren
feinen Ohren eine fanfte Harmonie. . Geis
‚Arm war immer aufgehoben, das Schwerdt
des bürgerlichen Krieges zu ergreifen; 14
chelnd fah er auf ein Schaffot, von dem ein
Kopf und ein Arm herabfiel.
Der Deutfche, unter einem von Blitzen
ſchimmernden Himmel, hörte nicht auf den
Tumult der Elemente. Man wußte nicht,
ob er dem Ungewitter Troß bot, oder un
empfindlich dagegen war. Adler zerfleiſchten
a) 57 (ie
einander an feinen Seiten: für ihn war
es ein bloßes Schaufpiel: eingefchloffen
in fich ſelbſt, warf er auf fein eigneg Schick
ſal ein gleichgültiges oder philoſophiſches
Auge.
Der FSranzofe, voll edler Anmuth und
Groͤße, hatte fehr ausgcarkeitete Züge:
Seine Seftalt war nicht original, aber fei-
ne Manier war groß. Die Einbildungs«
kraft und der Wis fchimmerte aus feinen
Yugen: er lächelte mit einer Seinheit, bie
der Lift nahe Fanı. In dem Ganzen feinen
Geſtalt herrſchte viel Einfoͤrmigkeit. Seine
Karben waren ſanft; aber man vermißte
darinnen das kraͤftige Colorit und die ſchoͤ⸗
nen Wirkungen des Lichts, die man in den
uͤbrigen Gemaͤlden bemerkte. Das Geſich⸗
te wurde durch die zu große Menge ausge
führter Kleinigkeiten ermuͤdet, bie fich, eine
der andern fihabefen. Ein unzaͤhliger Hau⸗
fen hatte Eleine Trommeln und. arbeitete
gewaltig, um viel Lärmen zu machen: er
glaubte das Donnern der Kanonen nachzu⸗
ahmen: es war aber eine eben fo muth⸗
willige, fo gefchäftige, als ſchwache und
voruͤbergehende Hitze.
De) 358 ( —6
WVier und dreyßigſtes Kapitel.
Bildhauer⸗ und Kupferſtecherkunſt.
N Bildhauerey, nicht minder ſchoͤn als ih⸗
te ditefte Schröefter, ftellte ebenfallg, ihr zur
Seite die Wunder ihres Meifeld aus. Sie
war nicht mehr an die unverfchämten Er&
ſuße verfauft, die die Kunſt erniebrigten, in
bem fie ſich mit Berfertigung ihrer feilen Ge
ſtalt oder doch eben fo verachtungswuͤrdigen
Gegenſtaͤnden befchäftigten, als fie ſelbſt wa
ren: Die von der Regierung befolberen
Kuͤnſtler wiedmeten ihre Talente ben Bers
dienften und der Tugend. Man fahe nicht
mehr, wie auf unfern Sälen, einer Buͤſte un⸗
ferer Könige zur Seite und in einer und ber
felben Reihe, den niederträchtigen Zoͤllner, wel·
her fie beſtiehlt und betrligt,ohne Schaam ſei⸗
ne niedrige Geſichtsbildung barftellen. War
ein Mann, ber dad Anfchauens der Nach
fommenfchaft würdig tat, in einer m
merfwärbigen Thaten befäten Lanfbahne,
weit gefommen; hatte ein andrer eine große
and muthige Handlung gethan; fo nahm
der erhitzte Künftler die Öffentliche Danb
barkeit auf ich: er mabellirte insgeheim &
Re) 359 ( ei
nen ber fchönften Züge feines Lebens, (ohne
das Bildniß des Urhebers binzusuthun).
Ploͤtzlich ftellte er fein Werf aus, und er-
hielt "die Erlaubniß, fi) mit dem großen
"Manne zugleich zu verewigen. Diefe Arz
beit ſetzte jedermann in Bewegung und man
brauchte feinen falten Commentar. ;
Es mar ausbrüdlich verboten, Dinge
auszubauen, bieder Seele gar nichts fagten:
mithin verdarb man nicht den ſchoͤnen Mar;
mor ober andre eben fo foftbare Materialien,
Alle die ungefitteten Figuren, die uns
fere Camine einfaffen, waren aufs fchärffte
verboten. Die rechtfchaffenen Leute konn⸗
ten fich gar Feinen Begriff von unferer Ge:
feßgebung machen, wann fie in unferer
Gefchichte laſen, daß in einem Jahrhun⸗
Derte, wo man fo oft die Namen der Reli⸗
gion und guten Sitten im Munbe führte,
Hausvaͤter vor den Augen ihrer Kinder, Sce⸗
nen ber Ausfchweifungen aufftellten, unter
dem Borwande, daß dieſes Meifterftücke waͤ⸗
ren: Werke, die vermögend waren, bie ruhigſte
Einbildungsfraff zu entzunden,und unſchuldi⸗
ge Seelen, die alle Eindrücke annehmen, ing
Lafter zu ſtuͤrzen. Siefeufjten über dieſen df
fentlichen und ſchaͤndlichen Mißbrauch, die Her⸗
ae) 360 ( =Emte
sen zu verderben, ehe fie noch gehilder
waren 1).
1) Zu andern oͤffentlichen Mißbraͤuchen, die
aan bier gerne ahnden möchte, Bann man die uns
züchtigen Poſſenſpiele hinzuthun, die alle eve
Sitten, und allen gefunden Menfchenverfkand, ber
fo verehrungsmürdig if, als es jene find, beleidis
gen. Man bat unter dem Artikel der Schauſpie⸗
I, von den Springern und Seiltaͤnzern zu reden,
vergefien. Uber ed liegt in einem Werke nichts
an der Ordnung, wenn nur der Verfafler alle feine
Gedanken hineinbringt. sch werde es wie Mens
taigne machen, und mich am alles anhängen, was
mir vorkommt. Ich lache Über dem Tadel der
Runftrichter: und denke wenigdens, fo gut wie fie,
jemanden gähnen zu machen. Damit ich alſo mies
der auf diefe Springer und Seiltaͤnzer komme, die
ſo gemein und fo ärgerlich find: follte fie wohl eine
menfchenliebende Obrigkeit leiden? Nachdem fie
ihre ganze Lebenszeit auf!eben fo erfiaunende ald
unnüge Uebungen verwandt, fo geben fie ihr Les
ben öffentlich in Gefahr, und lehren dadurch tau⸗
fend Zufchaner, daß der Tod eined Dienfchen wer
nig odermichts fen. Die Stellung dieſer Springer
Tind Höchft uuanſtaͤndig, and beleidigen Augen und
Herz: fie gewöhnen vieHeicht unfre noch wicht ges
dildeten Seelen nichts mit Vergnuͤgen zu feben,
was nicht mit Gefahr verbunden iſt, und ſich vor⸗
zuſtellen, dag das menfchlihe Gefchlecht mit wu
nuferm Spielwerken gehöre. Man wird fagens
das heißt auch über wenig oder nichts vernüinftelm:
Aber ich babe veraexkt; dau Dfefe traurigen Gchaws
BE) 361 ( in
. Ein Künftler, mit dem ich mich unterre
defe, gab mir von allen diefen großen Ver⸗
anderungen Unterricht. Er fagte mir, daß
ſich im 19ten Jahrhunderte ein Mangel ar
Marmor fand, fo, daß man zu diefer un⸗
edlen Menge von Bruftbildern der Finange
pachter, Zolleinnehmer und Dberauffcher
feine Zuflucht nehmen müßte. Hier fand man
ben Block ſchon ganz subereitet s man bildete
fie weitnortheilhafter aus, und wußte gluͤck⸗
lichere Köpfe daraus zu ziehen. ;
Ich gieng indie letzte Gallerie, die tue“
gen ber Menge von Werfen, bie fie enthielt,
eben. fo merfwürdig war als die übrigen!
Hier war eine volfftändige Sommlung von
allen moͤglichen Zeichnungen und Kupferſti⸗
chen. Ungeachtet der Vollkommenheit dies
fer legteu Kunft, hatte man doch bie ers
ke der vorhergehenden Jahrhunderte beybe⸗
halten: denn es iſt mit einem Kupferftiche
nicht, "tvie mit einem Bude: ein Buch,
dag nicht gut iſt, iſt eben dadurch ſchiehe
da hingegen ein Kupfer, das man mit einem
ſpiele einen weit groͤßern Einfiuß auf das Well
haben, als alle Künfte, die einigen Schein bee
Vernunft haben. u
am) 362 ( Ererte
Blicke überficht, allegeit zu einem Gegen
ſtande der Vergleichung dienet.
Dieſe Gallerie die ihren Urfprung benr
Jahrhunderte Ludwig des XV. verbanfte,
war in eine gang. andere Drdnung ges
bracht worden. Es warnicht mehr ein en⸗
ges Kabinet, mo in ber Mitte eine Eleine
Tafel faum ein Dutzend Liebhaber faffen
fonnte, und wo man zehnmal vergeben!
fam, um einen Platz su finden: überbieß
wurde dieß £leine Kabinet nur getoiffe Tage
geoͤffnet, das iſt, hoͤchſtens den zehnten
Theil von einem Jahre, den man noch de
zu unter dem geringften Borwande und nad
Belieben des Directors befchnitt. Dieſe
Galerien fiunden täglich offen, und waren
gefprächigen und leutfeligen Auffehern an
vertrauet, bie richtig begahlet wurben, bar
mit das Publifum auf gleiche Weife bedie
net würde. In diefem geräumlichen Saale
fand man ohne Ausnahme die Kopie jedes
Gemäldes oder Stuͤckes von Bildhaueran
beit, die in den übrigen Gallerieen aufbe
halten wurden: er enthielt zugleich ben Ab
riß der Meifterflücke der Kunſt, Die man gu
verewigen oder fo fehr zu verbreiten geſuch
hatte, als 28 wur möglich mer.
gt wm une bnm nn
Se ) 367 ( ne
- Die Kupferftecherfunft ift eben fo frucht⸗
bar und vortheilhaft ale die Buchbrucker⸗
kunſt. Sie Bat, wie fene, den Vortheil ih»
re Abdruͤcke zu vervielfaͤltigen; und hier⸗
durch kann jede Privatperſon, jeder Frem⸗
de fich eine getrene Kopie don dem Origina⸗
fe verfchaffen. Alle Buͤrger ſchmuͤckten ohne
Eyferſucht ihre Waͤnde mit den intereſſanten
Gegenſtaͤnden, welche Beyſpiele der Tugend
und des Heldbenmuthes vorſtellten. Man
fah nicht mehr die vorgegebenen, eben fo
findifchen als unmwiffenden Liebhaber eine
eingebildete Vollkommenheit auf Koſten ih⸗
rer Ruhe und ihres Beutels verfolgen, die
allezeit betrogen wurden, und recht gemacht
ſchienen, betrogen zu ſeyn. |
Ich Tief mit der lebhafteſten Begierde die
großen Bände durch, 100 der Grabftichel mit
fo viel Leichtigkeit und Nichtigkeit die Umrifft
und fo gar die Barben der Natur befchrieb,
Alle Gemälde waren vollkommen getroffent
man battenod) mehe Sorgfalt auf diejend
gen Gegenftände gewandt, bie eine gemiffe
Beziehung auf die Künfte und Wiffenfchafe
ten hatten. Die Platten von der Encyklo⸗
päbie toaren ganz umgearbeitet worden, und
man hatte mit noch mehr Aufmerffamfeit-file
RE) 364 ( are
eine firenge Nichtigkeit geſorgt, die nm»
mehr das hoͤchſte Verdienſt mar, weil der
Hleinfte Irrthum oft von ber größten Zolge
if. Sch fand einen prächtigen Curſus der
Phyſik, der in dieſem Geſchmacke behandelt
mar: und da diefe Wiffenfchaft hauptſaͤch⸗
lich für die Sinne gemacht iff, fo iſt viel⸗
leicht von ben Abbildungen bag vornehmſte
Merdienft, daß man fie in allen ihren Theis
Ien faßlih mache. Man wußte. die Kunfl
zu fchäßen, die fo nüßliche Bilder hervor⸗
bringt, und man gab ihr neue Beweiſe ber
Bichtung.
Sich bemerkte, daß man alles in wahrem
Geſchmacke verfertigte und der Manier be#
Gerhard Audran folgte : dag fo gar dieſe
ansftudierter und vollfommner war gemacht
worden. Die Vignetten zu Büchern wur
den itzt nicht andere, als Eochins genammf.
Died war dag Wort, dag man ber den
den Benennung der Culs de lampes u. f. w.
untergefehoben hatte 2).
Die Rupferftecher hatten endlich dag un
glückliche Vergrößerungsglag weggelegt, das
2) Der Her von Voltaire muß im Boreus
Darüber ſehr zufrieden ſeyn, er, der fo lange für die
fe fo wichtige Berbeiierung geeifert bat.
2m) 365 ( nk
hen auf alle Arc die Yugen verderbte. Die
iebhaber dieſes Jahrhunderts waren feine
Sreunde mehr von den Fleinen Puͤnktchen,
vie dag ganze Verbienft der neuern Kupfer«
techer- ausmachen : fie sogen eine große,
ichtige und leichte Arbeit vor, die alles mit
inigen genauen und edelgegeichneten Zügen
aget. Die Kupferftecher zogen folgfam die
Maler zu rathe, und dieſe huͤteten fich im
Segentheile ven Eigenfinn eines Meifters der
Runft zu affektiren. Sie fchäßten einander
och, fie fahen einander als Freunde an,
yie einander gleich wären, und fchoben nicht
iner auf den andern bie Sehler des Werks.
Neberdieß war die Kupferftccherkunft dem
Staate durch die Handlung. mit Kupferflis
then, die man in fremde Länder trieb, hoͤchſt
nüßlich. geivorden, und man fonnte von die,
fen Künftleen mie Recht ſagen: unter ihren
gläcdlichen Anden wird das Kupfer zu
Bold;
Fünf und dreyßigſtes Kapitel.
Thronen⸗ Saal,
Jo verließ dieſe reichen Gallerien mit ei⸗
nem lebhaften Widerwillen, und bey
az) 366 0
meiner unerfättlichen Begierde alles zu ſehen,
gieng ich roieder in ben Mittelpunft der Stadt.
Ich fah eine enge Menfchen von jebem Ge⸗
fchlechte und Ylter mit größter Eil nach ei⸗
nem prächtigen verzierten Shore fliehen:
Don jeder Seite hoͤrte ich die Worte: Aauft
zu! unfer guter Bönig fitzt vielleicht ſchon
suf dem Throne: und wir follten ibn base
ge nicht feben? Ich folgte dem Kaufen:
aber was mich in große Verwunderung ſetz⸗
te, war, daß ungeflüme Wachten der Zubrisg:
lichkeit des Volks fich nicht entgegen ſetzten.
Ich kam in einen ‚ungeheuer großen Saal,
der von vielen Säulen unterſtuͤtzt war. Ich
näherte mich und ſah den Thron bed Moni
archen. Nein; man kann ſich nichts Schd
ners, Edlere, Erhabneres, Troͤſtlicheres vom
der koͤniglichen Majeftät vorfiellen. Ich
wurde bis gu den Thränen gerührt. Ich
fahe weder einen donnernden Jupiter, noch
fonft einen fchrecflichen Aufpuß, noch eis
Werkzeug der Rache. Vier Bildfäulen von
weißem Marmor, die die Stärke, die Mif
figfeit, die Gerechtigkeit und die Güte vor⸗
ftellten, trugen einen fimpeln elfenbeinernen
Stuhl, ber bloß erbaben war, um bie
Stimme weiser baren zu laſſen. Dieſer
Sam) 367 ( ner
Stuhl war mit einem Thronhimmel gefr&
net, den eine Hand hielt, die aus dem Ge⸗
woͤlbe vorzureichen fehien. Auf jeder Seite
des Throns waren zwo Tafeln : auf der
einem waren die Geſetze des Staated und
die Gränzen der koͤniglichen Macht ge
fchrieben, und auf dee andern bie Pflichten
der Könige und feiner Unterthanen. Ihm
gegen Aber ſtund eine Frau, die ein Kind
fäugete, ein getreues Sinnbild der koͤnigli⸗
hen Würde. Die erfie- Stufe, worauf man
zum Throne ftieg, war In Geſtalt eines Grab»
ſteines, worauf mit großen Buchftaben ger
fchrieben fund: DIE EWIGKEIT;
Unser dieſem ruhte der. einbaffamirte Körper
des vorhergehenden Monarchen, indeffen Bid
fein Sohn wieder deffen Stelleeinnahm. Vox
daraus rief er feinen Erben zu, daß fie alle
fierblich twären, daß der Traum der koͤnig⸗
lichen Würde bald vorüber feyn werde, daf
fie alddann mit ihrem Nuhme allein übrig
feyn würden! Diefer große Ort war fchon
ganz mit Menſchen angefüllet, als ich den
Aronarchen, mit einem blauen Mantel bes
£leidet, der mit Anmuth herabfloß, erſchei⸗
wen fah.: . Seine Stirne war mit einem Oli⸗
venzweige umfeänzt.s dieß war fein Diabenn:
Sm) 308 ( in
Niemals seigte er fich oͤffentlich, ohne dieſen ed⸗
len Schmuck, der ihn ſowohl andern als ſich
ſelbſt verehrungswuͤrdig machte. Er ſchien bey
dem Freudengeſchreye, das ſich erhob, als er
den Thron beſtieg, nichts weniger, als gleich:
gültig. Aber kaum hatte er ſich geſetzt, fo ver⸗
breitete fich ein ehrerbietiges Stillſchweigen
uͤber dieſe zahlreiche Verſammlung. Ich war
ſehr aufmerkſam. Seine Miniſter lafen ihm
mit lauter Stimme alles ab, was ſeit der letzten
Sitzung merkwuͤrdiges vorgegangen Mar.
Wofern man die Wahrheit wuͤrde verſtellet
Haben, fo war das Volk da, um den Verldum⸗
der su beſchaͤmen. Man vergaß auch ticht ſei⸗
ne Foderungen. Man gab Rechenschaft von.
der Vollführımg ſeiner sorhergegebenen Be⸗
fehle, und die Vorleſung endigte ſich mit den
täglichen Preifen ber Lebensmittel ud bei
Waaren. Der Monarch hoͤrte zu und gab
mit einem Zeichen des Hauptes Beyſall
oder behielt ſich die Sachen zu einer weitern
Unterſuchung vor. Aber, wenn ſich irgen
wo in dem Saale eine Flägliche Stimme er⸗
hob, die einige Artikel verwarf, unb wenn
es ein Menfch von der niebrigften Elaffe ge
wefen wäre, fo wurde er in einem. Kleinen
Zirkel herbeygerufen, der unten. anm Fuße
Re) 369 ( Eee
des Thrones war. Hier brachte er ſein⸗
Gedanken vor i), und fand man, baf er
Recht hatte, fo ward er gehört, und erhielt
Beyfall und Dank : felbfi der König gab
ihm einen liebreichen Blick: ſagte er hinge⸗
gen etwas abgeſchmacktes, oder etwas, dag
augenſcheinlich auf ein Privatintereſſe ge
gründet war, fo tonrbe er fchimpflich zuruͤcke
gemiefen und big an die Thüre von den Um⸗
ſtehenden ausgeziſcht. Jedes konnte fick
ohne irgend einige Furcht, als die, zum oͤf⸗
fentlichen Gelaͤchter zu werden, darſtellen,
woferen ſeine Gedanken falſch oder eingen
fchränfet waren. |
Zwey vornehme. Kronbebienten begleite-
ten den Monarchen bey allen öffentlichen
1» Das größte Unglüc in Frankreich if, daß
die Policey und die Verwaltung der Ungelegens
beiten, in Händen der Magifratsperfonen, odeh
foldyer Leutk find, die eine gewiſſe Bedienung oder
Würde haben, ohne daß man jemals, (wenigſtens
son Seiten des Publikums) dielenigen Privatperfos
nen zu Mathe sicht, die die Wiffenfhaft und dei
Verſtand davon in einem hoben Grade beſitzen.
Der beſte, der einſichtsvolleſte Bürger kann feine
Talente oder die Groͤße feiner Seele niemals entwis
ckein. Traͤgt er keinen Amtsrock: fo muß er feine
Heften Abſichten verloren geben, ein Zeuge der Arge
fien Disbrduche ſeyn, und ſchweigen.
Na
Same ) 370 ( re
Geremonien, und giengen ihm zur Eeite.
Der eine trug auf einem Epiefe eine Gar-
be :), und der andre eine Weinrebe: bieß
gefchah darum, damit man niemals vergef
fen möchte, daß biefes die beyden Etügen
des Staates und ber Krone wären. Hinter
ihm gieng ber Kronbecker mit einem Korbe
soll Brode, wovon er jebem Armen, .ber
ihn darum bat, eines gab. Diefer Korb war
das fichere Thermometer des öffentlichen
Elends, und wurde er leer, fo wurden bie
Miniſter verjagt und gefiraft s aber der
Korb blieb immer voll und zeugte von den
Sffentlichen Ueberfluffe.
Diefe majeltätifche Sikung war alle We
chen einmal und dauerte drey Stunden lang.
Ich verlieh diefen Eaal, und mein Ken
mar fo ven Liebe und Ehrfurcht für diefen
König durchdrungen, als ob er ein Gott
2) Der Kaifer Taifung gieng ginf mit dem
Prinzen, feinem Sohne, fragieren. Hier zeigte er
ihm die Landleute an ihrer Arbeit: Siehſt du,
fügte er zu ihm, wie viel es diefen armen Lew
ten das ganze lange Jahr durch, Muͤhe Poker,
uns zu ernaͤhren: ohne ihre Arbeir, ohne ihren
Schweiß, würden weder du noch ich, ein Ach
haben.
=) 371 ( ri
wäre. SJa,\ich liebte ihn ale einen Vater
und ehrte ihn als einen Schußgoft.
Ich unterhielt mic mit vielerley Menſchen
über das, was ich gefehen und gehöret hat—
te: fie wunderten fich über meine Verwun—
derung: denn alle diefe Dinge fehienen ih⸗
nen finpel und natürlich. „Warum, fagte
einer von ihnen zu mir, habt Ihr Euch in
Kopf gefeßt, die gegenwärtige Zeit mit ehr
nem alten wunderlichen, ausſchweifenden
Jahrhunderte gu vergleichen, two man fal
ſche Begriffe von ben einfachfien :Dingen
hatte, wo der Hochmuth ſich die Miene der
Hoheit gab, wo die Pracht und der aͤußerli⸗
che Schein alleg, und. dag. übrige nichts war;
wo endlich-die Tugend für. ein bloßes Phan-
tom und für ein Hirngefpinnfte einiger träw
merifchen Philsfophen gehalten wurde 3).
3). Man muß die gemeinen Vorurtheile ſcho⸗
nen! dieß ift die Sprache diefer niedrigen Meile
muͤthigen Seelen, für die es ſchon genug if, dab
ein Geſetz da if, um heilig zu fcheinen Wird aber
der fugendhafte Mann, dem es alleine inkoͤmmt,
zu lieben oder zu haſſen, dieſe firafbare Mäigung
auch für recht halten? Gewiß nicht. Er nimmt die
Öffentliche Rache auf fih: feine Nechte gründen
fi) auf feinen Verſtand, und die Gerechtigkeit fei-
ner Sache auf die Dankbarkeit der Nachkommen⸗
ſchaft.
Aa 2
ze) 7 (u
Sechs und dreyßigſtes Kapitel.
Regierungsform.
Dir ich Euch mobl fragen, was Ihr ge:
genmörtig für eine Negierungeform habt?
Sit fie monarchiſch, demokratiſch, arifie
kratiſch 1)? — Sie if weder monarchifh,
nch demokratiſch, noch ariſtokratiſch; fe
iſt vernünfiin und für Menichen gemacht
Die Menarchie iſt nicht mehr. Die monar
chiſchen Staaten, mie Ihr wohl wiſſet, ob
es gleich nichts geholſen, verlieren ſich in
den Deſpotismus, fo wie die Fluͤße im Iiee-
re: und ber Deſpotismus füirze bald über
fich felbit her 2:. Alles dich iſt buchftaͤblich
1‘ Der Se:t eined Velks bingt nicht von de
Atmeſphaͤre ab, die es umgiebt; Dad Clime if
nicht die rhoſiſche Urſache ihrer Größe oder Klein⸗
heit. Die Staͤrke und der Muth find der Antheil
aller Völker auf dem Erdboden: aber die Urjachen,
die ũe in Handlung bringen und ſie unterküneg,
flieien aus gewiſſen Umfidnden, die bald gefhmin)
kommen, dald fich auch laugſam entwickeln; aber
fie kommen gewiß fruͤher, eder ſpaͤter. Sluͤckich
it das Volk, das aus Einſicht, oder aus IZnknk
den Augenblick zu nüsen weiß:
2: Wollet ihr die allgemeinen Grundfäge wih
fen, die in dem Conſeil eined Monarchen berrfchen?
Hier il ungerähr das Reſultat von dem, was mas
Re) 373 (nf
erfüllt, und feine Prophezeihung iſt je ge—
wiſſer geweſen.
daſelbſt ſaget, ober vielmehr thut. „Man mug
bie Auflagen jeder Art vermehren, weil der Zürg
niemals reich genug feyn kann, da er Kriegsheere
und Hofbedienten zu unterhalten geswungen if:
fein Hof aber muß durchaus fehr prächtig ſeyn. Klagt
das gebrũckte Walk: das Volk hat unrecht, und man
muß es zum Schweigen bringen. Dan kann gegen
Dafielbe nicht ungerecht ſeyn, weil ihm im Grunde
nichts gehoͤret, ald was der Fuͤrſt will, der ihm⸗
nach Beſchaffeuheit der Zeit und des Orts, wieder
abfodern kann, mas er die Gnade gehabt, ihm zu
laffen, zumal, wenn es das Intereſſe und der Glaug
feiner Krone erfodert. Ucherdieß iſt es eine bekann⸗
te Sache, dag ein Volk, dem man fein gemächliches
Auskommer laͤßt, wenig arbeitfam if, und trotzig wer⸗
den Eann. Manmuf fein Stück befchneiden, um fei-
ne Untermwürfigfeit zu vermehren. Die Armuth
der Untertbanen wird allegeit die ſtaͤrkſte Schutz⸗
webr des Monarchen feyn: und je weniger Pris
vatperionen reich find, deſto geherfamer wird Das
Volk ſeyn. Dat es fih einmal unter den Gehor⸗
fam gebeuset, fo folgt ed aus Gewohnheit: dieß
iſt aber die jicherfie Urt, befoiget zu werden. Es
it mit der Hntermürfiefeit nicht genug: es muß
auch glauben, dab bier die Weisheit leihbaftig zu
Hauſe fen, und ſich mithin unterwerfen, ohne über
Die Befehle, die von unfser Weisheit kommen,
vernuͤnfteln gu wollen.
Wenn ein Vbilofoph, der bey dem Fuͤrſten
ben Zutritt hätte, mitten in das Conſeil träte, und
nm , 20
64-7. far wire Get
ten: (Hirt! erecie ou, mem mr De
Eutlerze: der Erde sn dr Ser gennf
pr. a: re Referer abıcmegem hätten,
ne 2:2 aımal Bir nanirlchen mb reichbab
fiarı "her bauen ertdecken fdanem, bi
eerrunftize Pen recteren mie 6
ik mas, tat ber Erels, bie Habſucht, ber
Eiznzug taniend Hinderniſſe in Meg le
gen: aber welch em herrlicher Trinmph,
gu dem Venaechen feste: Säte dich, dieſcn boſes
Nathgebern ya elzuben; tu biſt von Feinden and
Leiser eiseuen Zamilie umgeben. Deine Groe,
Leine Sicherheit, grunden fich Keniser auf deine uns
umierdafte Macht, als aut tie Liebe Deines Vollt
“ieh analädii, fo wird es beio heftiger ehe
Aenterung wuͤnſchen, es nid Beinen oder deine
Kinder Thron erfhüttern. Das Velk ik außer
lich, und du vereehi. Die Majeflät des Ihre
nes befieht mehr im einer wahren vaͤterlichen Zärts
lichkeit, als in einer unumſchraͤukten Macht. Dies
fe Macht iR gemaltfam und der Natur Der Dinge
entgegen. “je mafiger du bift, defis mächtiger wirk
Du fenn. Bey ein Beyſpiel der Gerechtigkeit, und
alaube, daB je fugendhafter die Fuͤrſten find, Deis
ſtaͤrker, deſto geehrter, find fie duch... Ganz gewiß
würde man diefen Philoſophen für cinen Traͤnmer
halten, und man würde ihm vieleicht kaum für
wuͤrdig achten, ihn feiner Tugend wegen zu ſtrafen.
) 375 (re
das Band zu finden, durch welches dieſe bes
fonbern Leidenfchaften zum allgemeinen Be
ſten muͤſſen gelenket werden! Ein Schiff, das
das Meer durchſchneidet, gebeut den Elemen⸗
ten ſelbſt in dem Augenblicke, da es ihrer Herr⸗
ſchaft gehorchet: Einem doppelten Stoße
unterworfen, ſtrebt es unaufhoͤrlich gegen
dieſelben wieder zuruͤcke. Dieß iſt ungefähr
das getreue Bild eines Staats. Auf wuͤten⸗
den Leidenſchaften getragen, empfaͤngt er von
ihnen die Bewegung, und muß den Unger
wittern mwiberftehen. Die Kunſt des Steu⸗
ermanns ift alles. Eure politifchen Ein
fichten waren eine bloße Dämmerung: und
Ihr klagtet auf eine thoͤrichte Weife den Ur-
heber der Natur an, indeſſen daß er Euch
Verſtand ımd Much gegeben, Euch gu re
sieren. Es brauchte nur einer flarfen
Stimme, das Volk von einem beräubenden
Schlafe aufzuwecken. Wenn die Unterdrü-
dung auf Eure Häupter herabbonnerte, fo
durftet Ahr nur Eurer eignen: Schwachheit
die Echuld beymeffen. Die Freyheit und
das Gluͤck iſt für die, die fich ihrer zu bes
mächtigen wiſſen. . Alles in der Welt iſt Re⸗
volution: die glücklichfte unter allen hat ih:
pe) 376 ( ige
cen Pankı der Acife achebt, umb wir den
ten ı87 daven dic Ituchte cin 3).
So beld wir uns rom ber Unterbrücdum
beirenet „ haben wir uns wobl gehauͤter
unicte ganze Racht und alle Zriebfedern der
Regierung, ale Aechte und Vorzuge ber
Mad:r, deu Hoͤnden eines Einzigen zu über
lafn 4. Ran; io umveriichtig jind wir
3. Ferien Sezsten Echt eine Tnefe vor, die m⸗
eustleitiih femrz:a mus: eine ſchreckliche bintige
Epeke Die aber die Leſcanz ber Srerbeit ii. Ich mens
Sen bürgerlichen Erica: dann erheben ich alle areße
Männer: einige greijen die Sregbeiten, ambere vet
theidigen ne. Der bürgerliche Krieg entwidelt ie
serborgenfen Zaleute. Es fichen außerordentliche
Menſchen auf, und ſcheinen wuͤrdia, Renſchen zu ge⸗
bieten. Es iſt ein abſchenlichet, aber ein ao thwendi⸗
ges Mittel, wann ein Staat iu einer gedenfieies
Schlafſucht, und die Seelen in einer dummen Ber
täubung verſenkt liegen.
4) Die defpotifche Regierung ift nichts, “u es
ne Berihworung des Monarchen mit einer Fleinen
Anzahl begünfister Unterthauen, um bie übriges
alte zu betrügen und ;u berauben. Alsdann new
finfiert der Monarch, oder der, der ibn vorſtent,
die Geſellſchaft, trennet fie, wird ein einziges, cen⸗
traliſches Weſen, dad alle Leidenfchaften nad
Sefallen entzündet , und fie nach Wefchaffens
beit feines perfönlichen Intereffe in Bewegung fo
net: eu ſchaffet Recht und Unrecht: fein Eigen
Farz-) 97 (merk
nicht: geweſen. Das: Ungluͤck ber vorigen
Jahrhunderte hatte uns kluͤger gemacht
Und waͤren Sofrated und Marc Aurel felbſt
wieder auf die Welt gekommen; fo wuͤrden
wir ihnen doch nicht eine willfüßrliche Diacht
anvertrauet haben: nicht aus Mißtrauen,
fondern aus Furcht, den heiligen Charakter
des freyen Menfchen zu erniedrigen. Iſt
nicht das Geſetz der Ausdruck des allgemeir
nen Willens? und wie kann man einem ein⸗
sigen Menſchen cin fo wichtiges Pfand am
vertrauen? Wird er niemals feine ſchwachen
Augenblicke haben, und wenn er ja davon
frey waͤre, werden die Menſchen dieſer Frey⸗
heit entſagen, die ihr ſchoͤnſtes Erbthei
iſt 5)7 *
finn wird fein Geſetz, und keine Bunft ift das Sand
. der öffentlichen Achtung. Dieſes Gyſtem iſt qzů
gemwaltfam, ald dag es lange danern kann. Aber
die Gerechtigkeit Ift eine Schutzwehr, fo gut für
den Monarchen als für den Lintertban. Die Frey⸗
beit alleine kann edeimüthige Bürger machen: die
Wahrheit macher vernünftige Weſen darand. Ein
König iR nur am der Spitze einer großmäthigen
umd infriedenen Nation mächtig. IA diefe einmal
in Stanb gzedtuͤcket fo fängt der Thron an
ni 5) Die Freyheit erjeugt Wunder: fie erhebt
ſich über die Natur, fie bringt Wasndren auf Gehen
ame) 378 ( dinsle
Wir haben e8 erfahren, wie nachtheilig
die unumfchränfte Macht dem wahren ns
tereffe einer Nation iſt. Die Kunft recht
fisfündig ausgebachte Auflagen zu erhe
ben, die Gewalt der fchrecflichen Erpreſſun⸗
gen, die immer mehr vervielfältiget wurden,
bie vertsirrten Geſetze, wo eines dem an
dern toiberfprach , die Chikane, die bie
Beſitzungen des Bürgers fraß, bie mit pri
dilegirten Tyrannen angefüllte Stadt, bie
Seilheit der Aemter, der Minifter und Ober
auffeher, bie die verſchiedenen Schelle des
Reichs als eroberte Länder behandelten, er
ne fubtile Härte bed Herzens, die bie Un⸗
menfchlichfeit fogar aus Gründen zu ver
theidigen ſuchte, koͤnigliche Begmte, die
hervor, ie giebt den traurigſten Gegenden ein la⸗
chelndes Aufeben, fie erleuchtet Hirten, und wes
het fie.fcharffichtiger, ale die prächtigen Slawen
Der witzigſten Höfe. Andere Gegenden, Die bie
Ehre und das Wunder der Schöpfung find, fo bald fe
Der Sklaverey unterworfen werden, zeigen nichts, a
wuͤſte Kändereyen, bleiche Geſichter, furchtfame Au
gen, die es nicht magen, fich gen Himmel zu erhe⸗
den. Menſch! Kannſt du noch wählen, fo wähle
Doch, glücklich oder unglüdlich zu ſeyn! Fuͤrchte
bie Tyranney, verabfchene Die Sklaverey, bewaffee
deinen Arm, ſtirb oder lebe frey- Ä
Se ) 379 (mer
dem Volke von nichts Rechenſchafft gaben,
und die ihrer Klagen mehr fpottesen, ald
ihnen abhalfen: bas war die Wirkung die⸗
ſes wachfamen Deſpotismus, der allg
Licht fammelte, um befjeiben eben fo zu
mißbrauchen, mie ungefähr die brennenden
Släfer, die bloß warm werden, um gu vera
brennen. Man lief durch Sranfreich, dich
fchöne Reich, das die Natur mit ihren ger
fegneten Blicken begünfliget hatte: und was
fah man daſelbſt? Gegenden, von Zoͤllnern
ausgeſogen, Städte, die zu Slecken, Fler
en die zu Dörfern, Dorfer, die gu zer⸗
fireusen Hütten geworden; - Ihre Einwoh⸗
ner bleich und verhungert; kurz, Bettler,
ſtatt Einwohner. Wan Fannte alle biefe
Uebel: man wollte die augenfcyeinlichften
Srundwahrheiten nicht fehen, um das Sy.
fiem der Gewinnſucht zu ergreifen 6), und die
6) Ein Intendant, welcher ber * * * *, diedurch
Soiſſons gieng, eine Vorktellung von dem Ueber⸗
fluffe geben wollte, Der in Frankreich herrſchte, lieh
in der Gegend umher die fruchtbaren Bäume ande
reißen, und die Saffen der Stadt, wo man das
Pflaſter aufriß, Damit bepflanzen: die Baͤume wa⸗
ren mit Suirlanden von verguldetem Papiere durchs
flochten. Diefer Intendant war, ohne es zu wile
fen, ein ſehr großer Maler. |
me) 268 ( re
Niemals seigte er fich Sffentlich,ohne dieſen ed⸗
len Schmuck, der ihn fomohl andern alsfih
ſelbſt verehrungswuͤrdig machte. Er fchien bey
dem Freudengeſchreye, das fich erhob, als er
den Thron beftieg, nichts weniger, als gleich»
gültig. Aber kaum hatte er fich gefetse, fü ven
breitete fich ein ehrerbietiges Stillſchweigen
uͤber diefe zahlreiche Berfammlung. Ich war
fehr aufmerffam. Seine Minifter Iafen ihm
mit lauter Stimme alle ab, was feit der letzten
Sitzung merkwuͤrdiges vorgegangen war.
Mofern man die Wahrheit würde verſtellet
Haben, fo war das Volk da, um den Verldum⸗
der zu befchämen. Man vergaß auch nicht ſei⸗
ne Soderungen. Man gab Rechenfchaft von.
der Bollführımg feiner Vorbergegebenen Be-
fehle, und die Vorleſung endigte fich mit ben
täglichen Preifen der Lebensmittel und ber
Waaren. Der Monarch hörte su und gab
mit einem Zeichen des Hauptes Beyfall,
ober behielt fich die Sachen zu einer weitern
Unterfuchung vor. Aber, wenn fich irgen-
wo in dem Saale eine Hägliche Stimme er⸗
hob, die einige Artikel vermarf, unb wenn
es ein Menfch von ber niebrigften Claſſe ge
wefen wäre, fo wurde er in einem. Heinen
Zirkel: herbengerufen, der unten. am Fuße
Re ) 369 ( ri
bes Thrones war. Hier brachte er ſein⸗
Gedanken vor i), und fand man, baf. er
Recht hatte, fo ward er gehört, und erhielt
Bepfall und Dank : felbft der Koͤnig gab
ihm einen liebreichtn Blick; ſagte er hinge⸗
gen.ettvas. abgefchmadited, ober etwas, bag
augenſcheinlich auf ein Mrivatlırterefie ge
gründet war, fo wurdt er ſchimpflich zuruͤcke
gewieſen und big an die Thüre von den Um⸗
fiehenben ausgeziſcht. Jedes Fonnte fick
ohne irgend einige Furcht, ald die, zum. oͤf⸗
fentlichen Gelächter zu werden, darftellen,
wofern ſeine Gedanken falfch pder eingen |
fchränfet waren.
Zwey vornehme. Kronbebienten begleite—
ten den Monarchen bey allen öffentlichen
ı) ‚Das größte Ungkid in. Grankreich if, dab -
die Policey und die Verwaltung der Angelegenz
beiten, in Händen der Magifratsperfonen, ode
folcher Leutk find, die eine'gewiffe Bedienung oder
Würde haben, ohne dag man jemals, (wenigſtens
sort Seiten des Publitums) diejenigen Privatperſo⸗
nen zu Rathe zieht, die die Wiſſenſchaft und dei
Verſtand davon in einem hoben Grade befiken,
Der befte, der einſichtsvolleſte Bürger kann feine
Talente oder die Groͤße feiner Seele niemals entwis
dein. Traͤgt er keinen Amtsrach: fo muß er feine
Geften Abfichten verloren geben, ein Zeuge der drge
Ben Drisbrduche ſeyn, und ſchweigen.
Aa
⸗
Ra) 370 (ee
Geremonien, und giengen ihm zur Eeite.
Der eine trug auf einem Spiefe eine Gar
be 2), und ber andre eine Weinrebe: bieß
geſchah darum, damit man niemals vergef
fen möchte, daß dieſes die beyben Stuͤtzen
des Staates und der Krone wären. Hinter
ihm gieng ber Kronbecker mit einem Korbe
sol Brode, wovon er jedem YUrmen, .ber
ihn darıım bat, eines gab. Diefer Korb war
DaB fichere Thermometer des oͤffentlichen
Elends, und wurde er Teer, fo wurben bie
Minifter verjagt und geftraft : aber der
Korb.blieb immer voll und zeugte von dem
öffentlichen Ueberfluſſe.
Dieſe majeſtaͤtiſche Sikung war alle Wo⸗
chen einmal und dauerte drey Stunden lang.
Ich verlich diefen Saal, und mein Her
war fo von Liebe und Ehrfurcht für diefen
Koͤnig durchdrungen, als ob er ein Gott
2) Der Kaifer Taifung gieng gink mit den
‚Prinzen, feinem Sobne, fpagieren. Hier zeigte
ihm die Landleute an ihrer Arbeit: Siehſt du,
ſagte er zu ihm, wie viel es diefen armen dw
ten das ganze lange Jahr durdy, Muͤhe koſtet,
uns zu ernähren: ohne ihre Arbeit, ohne ihres
Schweiß, würden weder du noch ich, ein Reich
Daben.
»
SI= ) 971 ( =
waͤre. Ja, hich liebte ihn als einen Vater
und ehrte ihn als einen Schußgoft.
. ch unterhielt mic) mit vielerley Menfchen
über das, was ich gefehen und gehoͤret hat⸗
te: fie wunderten ſich über meine Verwun⸗
derung: denn alle dieſe Dinge fehienen ih⸗
nen ſimpel und natuͤrlich. „Warum, ſagte
einer von ihnen zu mir, habt Ihr Euch in
Kopf geſetzt, die gegenwaͤrtige Zeit mit ei
nem alten wunderlichen, ausſchweifenden
Jahrhunderte zu vergleichen, wo man fal⸗
ſche Begriffe von den einfachſten Dingen
hatte, wo der Hochmuth ſich die Miene der
Hoheit gab, wo die Pracht und der aͤußerli⸗
che Schein alles, und das uͤbrige nichts war;
wo endlich die Tugend fuͤr ein bloßes Phan⸗
tom und fuͤr ein Hirngeſpinnſte einiger tra
merifchen Philoſophen gehalten wurde 3),
3) Man muß die gemeinen Vorurtheile —*
nen! dieß iſt die Sprache dieſer niedrigen klein⸗
muͤthigen Seelen, fuͤr die es ſchon genug iſt, daß
ein Geſetz da iſt, um heilig zu ſcheinen. Wird aber
der tugendhafte Mann, dem es alleine ınkönmme,
zu lieben oder zu baſſen, diefe firafbare Maßigung
auch fuͤr recht halten? Gewiß nicht. Er nimmt die
oͤffentliche Rache auf ſich: ſeine Rechte gruͤnden
ſich auf feinen Verſtand, und die Gerechtigkeit fei-
ner Sache auf die Dankbarkeit der Nachkommen⸗
(haft.
Yaz
Sm) 372 (er
Sechs und dreyßigſtes Kapitel.
Regierungsform.
Mar ich Euch wohl fragen, mas hr ge
genmwärtig für eine Regierungsform habt?
Iſt fie monarchifch, - bemofratifch, arifie
fratifch 1)? — Eie ift weder monarchiſch,
noch demokratiſch, noch ariſtokratiſch; fe
iſt vernünftig und für Menſchen gemacht
Die Monarchie iſt nicht mehr. Die monar
chifchen Staaten, wie Ihr wohl wiffet, ob
es gleich nichts geholfen, verlieren fich in
den Defpotisnng, fo wie die Slüße im Mee⸗
re: und der Deſpotismus ftürst bald über
fich felbft her 2). Alles Dich iſt buchftaͤblich
ı1 Der Geiſt eines Volks hängt nicht von der
Atmoſphaͤre ab, die es umgiebt; Das Clima if
nicht die vbufifche Urſache ihrer Größe oder Klein⸗
beit. Die Stärfe und der Muth find der Antheil
aller Völker auf dem Erdboden: aber Die Urfachen,
die fie in Handlung bringen und fie unserkünen,
fliegen aus gewiſſen Umfiänden, die bald geſchwind
isınmen, wald fich auch langfam entwideln; aber
fie kommen gewig früher, oder ſpaͤter. Sluͤcklich
iſt das Volk, das aus Einficht, oder aus Inkiu
den Augenblic zu nügen weiß!
2) Wollet ihr die allgemeinen Grundfäge wih
fen, die in dem Genfeil eines Monarchen berrfchen?
Hier il ungefähr das Refultat von dem, road man
az) 375 (Ei
erfüllg, und Feine Prophezeihung iſt je ge
wiffer geweſon.
Dafelb& ſaget, oder vielmehr thut. „Man muß
die Auflagen jeder Art vermehren, weil der Fuͤrß
niemals reich, genug feyn kann, da er Kriegsheere
und Hofbebienten zu unterhalten geswungen if:
fein Hofaber muß durchaus fehr prächtig ſeyn. Klagt
Das gedrücte Volke Das Volk hat untecht, und man
muß ed zum Schweigen bringen. Man kann gegen
daſſelbe nicht ungerecht feyn, ‚weil ihm im Grunde
nichts gehoͤret, ais was der Fuͤrſt will, der ihuy
nach Beſchaffenheit der Zeit und des Orts, wieder
abfodern kann, mas er die Gnade gehabt, ihm zu
laſſen, sumal, wenn es das. Intereſſe und der Glare
feiner Krone erfedert. Ueberdieß ik es eine bekann⸗
te Sache, dag ein Volk, dem man fein gemächliches
Anskommer laͤßt, wenig arbeitfam iß, und trogig wer⸗
den kann. Dan muß fein Glück befchneiden, um fei-
ne lntermürfigfeit: zu vermehren. Die Armuth
der Untertbanen wird allegeit die ſtaͤrkſte Schutz⸗
wehr des Monarchen ſeyn: und je weniger Pris
vatperfonen reich find, deſto gehorſamer wird das
Volk ſeyn. Hat es fich einmal unter den Gehor⸗
fam gebeuset, ſo folgt ed aus Gewohnheit: dieß
if abder die ficherfle Art, beſolget zu werden. Es
iB mit der linterwuͤrſigkeit nicht genug: es muß
auch glauben, dab bier die Weisheit leibhaftig gu
Hauſe fen, und fich. mithin unterwerfen, ohne über
Die Befehle, die von unfser Weisheit kommen,
vernuͤnfteln zu wollen.
Wenn ein. Pbiloſoph, ber bey dem Fuͤrſten
den Zutxitt hätte, mitten in das Conſeil traͤte, und
Man) 314 ( —
Nach dem Verhältniffe der erlangten Ein
fihten, wuͤrde e8 unftreitig für unfre Gar
zung ſchaͤndlich geweſen ſeyn, wenn wir die
Entfernung ber Erde von der Sonne gemeß
fen, alle die Weltfugeln abgewogen hätten,
und nichteinmal die natuͤrlichen und reichhal⸗
tigen Gefeße ‚hatten entdecken koͤnnen, bie
vernünftige Wefen regieren muͤſſen. Es
iſt wahr, dag der Stolz, bie Habſucht, der
Kigennuß tanfend Hinderniffe in Weg le
sen: aber welch ein herrlicher Triumph,
gu dem Monarchen fagte: Hüte dich, Diefen boͤſea
Matbgebern gu glauben; du bift ven Zeinden ans
Deiner eigenen Samilie umgeben. Deine. Größe,
Beine Sicherheit, gründen fich weniger auf deine uns
umfchränfte Macht, als auf die Liebe deines Volks
Iſt es unglücklich, fo wird es deſto heftiger eine
Aenderung wuͤnſchen, es wird deinen oder deiner
Kinder Thron erſchuͤttern. Das Volk iſt unſten⸗
lich, und du vergehſt. Die Majeſtaͤt des Thre⸗
nes beſteht mehr in einer wahren vaͤterlichen Zaͤrt⸗
lichkeit, als in einer unumſchraͤnkten Macht. Dies
fe Macht iſt gewaltſam und der Natur der Dinge
entgegen. Sie mäfiger du bift, deſto mächtiger wirt
Du ſeyn. Sep ein Benfpiel der Gerochtigkeit, und
alaube, daß je tugendbafter die Zürften find, deſto
Adrker, defto geehrter, find fie duch. Ban gewiß
würde man diefen Philoſophen für einen Träumer
Balten, und man würde ihn vielleicht kaum für
würdig achten, ihn feiner Tugend wegen zu Rrafen-
SFEn) 375 ( wu
das Band zu finden, durch welches diefe bes
fonbern Leidenfchaften zum allgemeinen Be
en muͤſſen gelenfee werden! Ein Schiff,. das
das Meer burchfchneidet,. gebeut ben Elemen⸗
ten felbft in dem Augenblicke, da es ihrer Herr⸗
fchaft gehorchet: Einem doppelten Stofie
unterworfen, ſtrebt es unaufhorlich gegen
diefelben wieder zuruͤcke. Dieß ift ungefähr
dag getreue Bild eines Staats. Auf wüten
den keidenfchaften getragen, empfängt er von
ihnen die Bewegung, und muß den Unger
wittern widerftehen. Die Kunff des Steu⸗
ermanns iſt alles. Eure politifchen Ein
fihten waren eine bloße Dämmerung: und
Ihr klagtet auf eine thoͤrichte Weife ben Ur⸗
heber der Natur an, indefien daß er Euch
Berftand und Much gegeben, Euch zu re
stern. Es brauchte nur einer flarken
Stimme, das Volk von einem betäubenden
Schlafe aufzuwecken. Wenn die Unferdrü-
dung auf Eure Häupter herabdonnerte, fü
durfter Ihr nur Eurer eignen. Schwachheit
die Schuld beymeffen. Die Sreyheit und
das Gluͤck ift für die, die ſich ihrer zu bes
mächtigen wiffen. Alles in der Welt iſt Re⸗
volution: bie gläcklichfte unter allen hat ih⸗
Zen ) 376 ( re
‚een Punkt der Reife gehabt, und wir aͤrnd⸗
ten itzt davon die Früchte cin 3).
So bald wir uns von der Unterbrücfung
befreyet , haben wir uns wohl gehuͤtet,
unfere ganze Macht und alle Triebfedern ber
Megierung, alle Rechte und Vorzüge: ber
Macht, ben Händen eines Einzigen zu über
laſſen +, Mein; fo unvorfichtig find wir
3) Gewiſſen Staaten ſteht eine Epofe vor, die uns
ausbleiblich kommen muß: eine fchreckliche biutige
Epofe, die aber die Leſung der Freyheit iR: Ich megne
ven bärgerlichen:Kricg: dann erheben lich alle zroße
Männer: einige greifen die Frepheit an, andere vers
tbeidigen fie. Der bürgerliche Krieg entwicelt die
serborgenften Talente. Es ſtehen außerordentliche
Menſchen auf, und fcheinen würdig, Menſchen zu ge⸗
bieten. Es iftein abfcheuliches, aber ein nothwendi⸗
ges Mittel, wann ein Staat in einer gedenflofen
Schlafſucht, und die Seelen in einer dummen Ber
taͤubung verfenft liegen.
4) Die defpotifche Regierung ift nichts, al eis
ne Verſchwoͤrung des Monarchen mit einer Kleinen
Anzahl begünfigter Unterthanen, um die Übrigen
alle zu betrügen und zu berauben. Alsdann ver⸗
finfiert der Monard), oder der, der ibn vorfieht,
die Geſellſchaft, trennet fie, wird ein einziges, cen⸗
tralifches Weſen, das alle Leidenichaften nad
Gefallen entzündet , und fie nach Beſchaffen⸗
beit feines perfönlichen Intereſſe in Bewegung fe
net; er ſchaffet Recht und Unrecht: fein Eigen
Emm ) 177 (‚eier
nicht geweſen. Das Ungluͤck der ‘vorigen
Jahrhunderte hatte uns kluͤger gemacht;
Und. waͤren Sokrates und Marc Aurel felbf
wieder auf die Welt gefommen; fo wuͤrden
wir ihnen boch nicht eine willkuͤhrliche Macht
anvertranet haben: nicht aus Mißtrauen,
ſondern aus Furcht, den heiligen Charakter
des freyen Menfchen zu erniedrigen. Iſt
nicht das Geſetz der Ausdruck des allgemei,
nen Willens? und wie kann man einem ein⸗
zigen Menſchen cin fo wichtiges Pfand am
vertrauen? Wird er niemals feine ſchwachen
Augenblicke haben, und wenn er ja davon
frey wäre, werden die Menfchen diefer Frey⸗
heit entfagen,. die ihr ſchoͤnſtes Erbtheil
iſt $ )$ ? " ur
finn wird fein Gefeg, und keine Bun iſt das Mond
. der öffentlichen Achtung. Dieſes Syſtem ik’
gewaltfam, ale daß es lange dauern kann. Aber
die Gerechtigkeit iſt eine Schuhmehr, fo gut. für
den Monarchen als für den Untertdan. Die Frey⸗
beit alleine Tann edelmüthige Bürger machen: bie
Wahrheit machet vernünftige Weſen daraus. Ein
König iſt nur an der Spige einer großmäthigen
und sufriedenen Nation mächtig. IA diefe einmel
in Staub gedtuͤcket, ſo faͤngt der Thron an "
u 5) Die ‚Eüeybeit erieugt Bunder: fie erbeht
ſich über die Natur, ſie bringt Hesndsen auf. Sell
ame) 375 ( este
Wir haben es erfahren, wie nachtheilig
die unumſchraͤnkte Macht dem wahren In⸗
tereſſe einer Nation iſt. Die Kunſt recht
ſpitzfuͤndig ausgedachte Auflagen zu’ erhe
ben, die Gewalt der fchredlichen Erpreffun
gen, die immer mehr vervielfältiget wurden,
bie verwirrten Geſetze, wo eines dem am
bern widerſprach, bie Chikane, die bie
Beſitzungen des Buͤrgers fraß, die mit pri⸗
vilegirten Tyrannen angefuͤllte Stadt, die
Feilheit der Aemter, der Miniſter und Ober⸗
aufſeher, die die verſchiedenen Theile des
Reichs als eroberte Laͤnder behandelten, ei⸗
ne ſubtile Haͤrte des Herzens, die die Un⸗
menſchlichkeit ſogar aus Gruͤnden zu ver⸗
theidigen ſuchte, koͤnigliche Beamte, di
hervor, fie giebt dem tranrigſten Gegenden ein Ib
chelndes Aufeben, fie erleuchtet Hirten, und mes
bet fie. fcharffichtiger, ale die prächtigen EC Haven
Der witzigſten Hofe. Andere Gegenden, die bie
Ehre und das Wunder der Schöpfung find, fo bald ie
Der Stlaveren unterworfen werden, zeigen nichtd, ad
wuͤſte Känderenen, bleiche Geſichter, furchtſame Aus
gen, die ed nicht tungen, fich gen Himmel zu erbe⸗
den. Menſch! Kann du noch wählen, fo wähle
Doch, glücklich oder unglüdlidy zu ſeyn! Fuͤrchte
bie Tyrannen, verabfchene die Sklaverey, bewaffze
deinen Arın, ich oder lebe frey-
Sam) 379 ( en
den Wolfe von nichts NRechenfchafft gaben,
und bie ihrer Klagen mehr fpottesen, ale
ihnen abhalfen: das mar die Wirkung die⸗
ſes wachſamen Defpotismus , der alles
Licht fammelte, um befjeiben eben fo zu
mißbrauchen, wie ungefähr die brennenden
Släfer, die bloß warm werben, um zu vers
brennen. Man lief durch Sranfreich, dic
fchöne Reich, das die Natur mit ihren ges
fegneten Blicken begünftiget hatte: und was
fah man daſelbſt? Gegenden, von Zölinern
ausgeſogen, Städte, die gu Stecken, Sle
den die zu Doͤrfern, Dorfer, die zu zer⸗
fireuten Hütten geworden; ihre Einmwohs
ner bleich und verhungert; kurz, Bettler,
ſtatt Einwohner. Wan fannte alle biefe
Uebel: man wollte die augenfcheinlichften
Srundwahrheiten nicht fehen, um das Sy.
fien der Gewinnſucht zu ergreifen 6), und die
6) Ein Intendant, welcher der * * * *, die durch
Soiſſons gieny, eine Vorkellung von dem Lebere
fluffe geben wollte, Der in Frankreich herrſchte, lieh
in der Gegend umher die fruchtbaren Bäume aus⸗
reißen, und die Gaffen der Stadt, mo man das
Vflaſter aufriß, Damit bepflanzgen: die Bäume mar
ren mit Guirlanden von verguideten: Papiere durchs
flochten. Dieſer Intendant war, ohne ee zu wiß
ſen, ein ſehr großer Maler.
ae) 380 (
Dunfelheit, die diefe über die Wahrheit aus
breitere , autorifirte die allgemeine Plüns
derung.
Solltet Ihr es wohl glauben? die Revo⸗
lution ijt ohne heftige Bewegungen und durch
den Heldenmuth eines großen. Mannes be
wirket worden. Ein philofophifcher Koͤnig,
ber des Thrones würdig war, weil er ihn
verachtete, der mehr auf dag Glück ber Men⸗
ſchen, als auf dag Phantom der Macht eifer
füchtig war, der feine Nachkommenſchaft fo
wohl als fich felbft fürchtere, erhot fich, feine
Staaten in Befiß ihrer alten Vorzüge zu fe
sen: er fühlte, daß ein weites Neich der
Vereinigung verfchieberer Provinzen vol
nothen habe, un mit Weisheit regierer p
werden. Denn wie indem menfchlichen Kor:
‚per, außer dem allgemeinen Umlaufe des Di
tes, auch jeder Theil feinen befondern Umlauf
hat: fo ändert auch jede Provinz, indem
fir allgemeinen Gefegen gchorchet, ihre be
fondern Gefege nad) ihrem Boden, ihrer
Lage, ihrer Handlung, ihren Beziehungen
aufein eigenthümliches Intereſſe, ab. Hier
durch lebt alle , alles ift im Flor. Di
Provinzen fieht man nicht mehr als Diene
rinnen der Pracht des Hofeg, oder ald Mit
Se) 381 ( Er
an, bie Hauptſtadt 7) zu verſchoͤnern. Ein
ıder Befehl, vom Throne ergangen, ſetzet
7) Irrthum und Untoifienheit find die Quellen
r.Hebel, die die Menſchheit gu Boden drücken.
Menſch ift nur in fo fern boͤſe, als er fich über
wahres Intereſſe betruͤgt. Zwar Fan man
In der ſpekulativen Phyſik, in ber Aſtronomie,
yer Mathematik, phne einen fehr weſentlichen
deu irren: aber Die Politik leider nicht den
deſten Irrthum. Es giebt Fehler in der Ders
tung eined Reichs, die weit mehr verwuͤſten,
Antärliche Landplagen. Ein Zebler diefer Art
Wert ein Land, und machet ein Reich arm.
ut ‚die firengfte, Die .tieffte. Specnlation irgend
mygaͤnglich nöthig ift, fo iſt ed gewiß in den oͤf⸗
lichen und problematifchen Faͤllen, wo gleich ſtarke
inde den Geif wie im Bleichgewichte erhalten.
hts iſt alsdann gefährlicher ald der gewöhnliche
Res er bringt unbeareifliche Uebel hervor, und
Staat wird erfi in dem Augenblicke feines Unter⸗
jet erleuchtet. Man kann alſo die Einfichten
die verwickelte Regierungskunſt nicht genug
neßren, meil die mindefte Abweichung eine Kinie
die im Fortlaufen ſich verlängert, und eimen
rmeglihen Irrthum veranlaffet: Die Gefene
„bißher bloße Echeinmittel gewelen, die man
allgemeinen Mitteln erhoben: fie find, vie
: fehr wohl gefagt hat) von dem Bedürfniffe
nicht. von der Philofophie ergeugt worden: Dies
gtere muß das Fehlerhafte daran beſſern. Aber
ben Muth, welchen Eifer, was für eine Men:
liebe muß derjenige haben, der aus dieſem uns
2m) 382 ( Erf
nicht mehr Derter in Unruhe, wo das Au—
ge des Monarchen niemals binreichen fann.
Jeder Provinz ift ihre eigne Sicherheit ,. ihr
eigned Gluͤck, anvertraut: das Principium
ihres Leben ift nicht weit von ihr entfernt:
fie trägt e8 in ihrem eignen Schooße, to
alleseit das Ganze befruchtet und ben Uebeln,
die gefchehen koönnten, abgeholfen wird.
Die gegenwärtige Hülfe iſt fichern Hd
den anvertrauet, die die Eur nicht bemaͤn
rein, am allerwenigften fich über die Ch
ge freuen werden, dic das Vaterland tref
fen können.
Die unumfchräntte Herrfchaft wurde al:
fo abgefchafft. Der König behielt biefen
Namen : aber er war nicht ſo thoͤricht,
die ganze Laſt auf fih zu nehmen, bie
feine Vorfahren drückte. Die geſamm⸗
ten Stände des Meich hatten. allein die
gefeßgebende Macht. Die Verwaltung ſo⸗
wohl der politiſchen als bürgerlichen An
geftniten Chart ein regelmaͤßiges Gedaͤude errich⸗
ten will? Aber welcher Geiſt wird auch dem
menfchlichen Geſchlechte theurer fen! Er vente
nur daran, daß es der wichtigſte Gegeuftand if,
Daß er ganz befonders das Gluͤck des Menfchen be
trifft, und daß er durch eine nothwendige Folge auf
feine Tugenden einen großen Einfluß haben nuf:
yaiuze ) 383 ( m
gelegenheiten, ift dem Senate anvertrauet:
und der Monard), mit. dem Schwerdte bes
waffnet, wachet über bie Volsichung der
Gefege. Er ſchlaͤgt alle heilſame Einrich⸗
tungen vor. Der Senat muß dem Konige
Kechenfchaft geben, und der Senat und ber
König den Ständen, bie fich ale zwey Jahr
verfammeln. Alles wird dafelbft nach der
Mehrheit der Stimmen entfchicden. Neue
Geſetze, erledigte Stellen, Klagen, denen
muß abgeholfen werden, das gehoͤrt in ihr
Gebiete. Die beſondern oder unvermuthe⸗
ten Faͤlle werden der Klugheit des Monar⸗
chen uͤberlaſſen.
Er iſt gluͤcklich 9, und ſein Thron iſt
auf einem deſto feſtern Grund gebauet, da
8) Nr. d’ Alembert ſagt; dag ein König, der
feine Pflicht thaͤte, der elendeſte Menſch auf. Ers
den, und der fie nicht thaͤte, der Beklagungss
wuͤrdigſte ſey. Warum follte aber der König,. det
feine Pflicht thut, der elendefte unter den Men⸗
ſchen fern? Etwa wegen der Menge feiner Arbeit?
ber eine Arbeit, die glücklich von flatten gebt,
ieine wahre Freude. Wird er die innere Zufries
denheit für nichts halten, die aus der Vorfiellung
entReht, Menfchen glücklich gemacht zu haben?
Wird er nicht glauben Finnen, daß die Tugend
ihre Belohnung mit fid) führe? Warum folite fein
Herr, das durchgängig von allen geliebt, und nur
ze) 384 ( re
die Freyheit der Nation ihm feine Krone ges
währet 9. Bloß gemeine Seelen verdan⸗
ten ‚ihre Tugenden der Sriebfeber großer
Begebenheiten.- Der Bürger fl nicht vom
Staate getrennet: er machet mit ihm einen
Körper 10): auch muß man ſehen, mit wel
son Böfewichtern gehabt wird, dem Vergnügen vers
ſchloſſen ſeyn? Wer hat nicht die Zufriedenheit ges
fuͤhlet, das Gute gethan zu haben? Der Koͤnig,
der- feine Pflichten nicht erfüut, iR am meiſten m
deflagen: nichts if gewiſſer, wofern er anders Rene
and Schande füblet: fühlet er fie nicht, fo ik er
noch mehr zu belagen. Nichts iſt fo richtig, als
diefer Gap.
99 Es iſt für jeden Staat, felbft einen Reyubli⸗
Sanifchen, gut, einen Anführer zu haben, menn nur
feine Macht eingefchränkt iſt. Es iR ein Bild,
das den Chrgeisigen, Der jedes Projekt in feinem
Herzen erſtickt, Schweigen auferlegt. Alsdenn iſt die
Königliche Würde der Popanz, den man in einem
Barten auffiellet, um die Sperlinge iu verſcher⸗
chen, die die Fruͤchte abfreffen.
ı0) Diejenigen, die gefagt haben, daß in des
Monarchien den Königen der Wille der ganz
‚Nation anvertrauet worden, haben etwas Abges
ſchmacktes gefagt. Kamm in der That etwas Ik
cherlicher ſeyn, als daß vernünftige Wefen, wie die
Menſchen zu einem oder mehrerern fagen follen:
Wolter fie uns. Dein; die Voͤlker baben alle
zeit zu den Monarchen gefagt: handele für ume
Ze) 295 ( Er
hen Eifer er nach allem-firebet, was feinen
Slanz vermehren kann.
Jedem NRathfchluffe des Senats werden
feine Gründe beygefuͤgt, und er erklaͤret ſte in
wenig Worten fowohl ale feine Abſicht.
Wir begreifen nicht, wie in Euerm fpge
nannten erleuchteten Jahrhunderte Ener Mas»
viſtrat in feinem ſteifen Hochmuthe Euch dog⸗
matiſche Befehle, gleich den Lehrſaͤtzen der
&:beologen vorlegen konnte: gerade als ob
das Geſetz nicht die oͤffentliche Vernunft wäre,
und das Volk nicht davon unterrichtet. wem
ben müßte, um deſto gefchwinder zu gehor⸗
ſamen. Diefe Herren mit der dreyfachen
Muͤtze, die ſich Vaͤter des Vaterlands naun⸗
ten, wußten alſo nichts von ber großen Kunſt
der Ueberredung, dieſer Kunſt, die ohne Ge⸗
walt ſo große Dinge bewerkſtelliget: oder
vielmehr, da fie weder einen gewiſſen Ge,
fihtspunft , noch einen feſten Gang hat⸗
sen, und wechſelsweiſe Zänfer, Aufrübrer,
kriechende Sflaven waren : fo fchmeicheltenfie
bem. Throne, und ermüdeten ihn, indem fit
bald. Lärmen über Kleinigfeiten machten,
bald das Volk um gut baar Geld verfauften.
fo bald Ihr von unferm Willen deutlich unters
richtet feyd.
Bb
SO) 186 ( Zeh
Ihr werdet leicht glauben, daß wir biefe
Obrigkeiten abgefchafft haben, dic von In⸗
gend auf fich zu jeder Unempfindlichkeit ge-
wohnt hatten, welche fo noͤthig ifl, um mit
$altem Blute mit dem Leben, dem Bermögen
und der Ehre feiner Bürger nach Belieben zu
ſchalten und zu walten: Dbrigfeiten, bie für
ihre geringften Privilegien mit Ungeftünx
tämpften, und nicberträchtig feig toaren, fü
bald es das Öffentliche Wohl betraf. In ben
letzten Zeiten erfparte man ſich fogar ber Muͤ⸗
He, ſie beſtechen zu wollen : denn fie waren in ei-
ne beſtaͤndige Inthätigfeie verfallen. Untere
Dbrigkeiten find ganz anbersbefchaffen. Der
Name der Väter des Volks, mit denen wir fie
beehren, iſt ein Titel, ben fie nach, dem gan
jen Umfange feiner Bedeutung verdienen.
Heute zu Tage find die Zügel der Re
gierung fichern und meifen Händen ander
trauet, die einem gewiffen Plane folgen.
Die Geſetze herrſchen und fein Menfch If
‘über fie erhaben. Dieß war aber in Euren
Gothiſchen Negierungsformen ein abfchew-
‚licher Mißbrauch. Das allgemeine Gluͤck
des Vaterlands ift auf die Eicherheit eines
jeben Unterthans insbefondere gegründet:
er fürchtet nicht die Menſchen, ſondern die
Re ) 37 (re
Gehege: und der Monarch felbit ſieht fie
über feinem Haupte 11). Seine Wachfamas
11) Jede Megierangsform, wo ein eitiiger
Menſch Über das Geſetz erhaben if, und es unge⸗
Kraft Übertreten kann, iſt eine ungluͤckliche und
angerechte Negierungsform. Vergebens bat ein
gewiſſer großer Geiſt alle feine Talente verfchmens
det, um und einen Geſchmack an den aflatifchen
Mesierungsarten bevzubringen: fie find für die
menſchliche Natur zu ſchimpflich. Sehet das ols
ze Schiff, das den Eleinenten gebent: es braucht
nur einer Heinen Spalte, um bas bittere Waſſer
‚hineinzulaffen: und fein Untergang if da. So
wird ein einiger Menſch, der Über die Geſetze weg
iR, in den politifchen Körper alle Ungerechtigkels
sen und Gottiofigkeiten zulaflen, die fein Verder⸗
sen unvermeidlich befchleunigen twerden. Was
Megt daran, .pd mon dutch viele, oder durch eis
nen einzigen umkoͤmmt? Das Ungläc if einer⸗
dJey. Was liegt daran, ob die Toranney hundert
Arme dat, oder ob ein einziger mit feinem Arme
on einem Ende des Reichs bis ans andere reis
‚&et, und alle einzelne Glieder druͤckt, und ob
er in dem Angenblide , da er ihm abgebauen
wird, wieder aufs neue waͤchſt? Ueberdieß if
'es nicht der Detpotiemus, welcher Schrecken und
Furcht verurſachet: es iſt feine Fortpflanzung. Die
Beriers, die Pachas n. f. w. ahmen ihren Herren
nach, und märgen, indem fie gewuͤrget erben.
In den euröpdifchen Negierungsformen, wird da⸗
Durch, daß alle Glieder der Regierung zu gleicher Zeit
gegen einander wirken, daß Io Sbeilder Macht. ges
N
SE) 388 ( re
keit machet die Senatoren in ihren Aemtern
und Pflichten deſto aufmerffamer : ihr Ber
rauen auf fie erleichtert ihnen ihre Ar
beit , und ihr Anfehen giebt ihren Aus
forüchen die nothige Kraft und Staͤrke.
Auf diefe Are ift der Zepter, deffen Laſt Eure
Könige niederdrückte, in den Händen unſers
Monarchen leichte. Er ift nicht mehr ein
prächtig geſchmuͤcktes Opfer, das unaufhoͤr⸗
lich den Bedürfniffen des Staats aufgeo-
pfert wird: er trägt nur Die Laſt, fo weit es
die ihm von der Natur gegebenen einges
ſchraͤnkten Kräfte erlauben.
Wir haben einen gottesfürchtigen, from
men und gerechten Sürften, der in feinem
Herzen den Emigen und das Vaterland
trägt, der die goͤttliche Rache und bie Vor,
würfe der Nachfommenfchaft fürchtet, der
ein gutes Gewiſſen und einen unbeflechten
Ruhm als den hoͤchſten Grad ber Gluͤckſelig—
keit betrachtet. Es ſind weniger die großen
Talente des Verſtandes, oder weit ausge⸗
gen den andern ſtoͤßt, in gewiſſen Augenblicken ein
‚Gleichgewicht erhalten, während welchen das Velk
Ddem holt, die beſtaͤndig verrückten Graͤnzen ihrer ges
senfeitigen Macht, erfeßen bie &telle der Frepheit,
and der Schatten tröfter wenigſtens dafür, daß
man die Wirklichkeit nicht erhalten kann.
2m) 389-( init
breitete Kenntniſſe, die das Gute bewirken,
als das aufrichtige Verlangen eines rechts
fchaffenen Herzens, das es licht, und eg zu
befördern ſucht. Es iſt oft weit gefehlet,
daß dag gerühmte Genie eines Monarchen
das Glück eines Reichs befsrdern follte:
nein; es fehret ſich nur allzu oft gegen bie
Freyheit des Landes.
Wir haben dag Wohl des Staates, mit
dem Wohl der Bürger zu vereinigen gefücht,
fo unmoͤglich auch dieſe Vereinigung beyna⸗
he fchien. Man behauptete fogar, daß das
öffentliche Gluͤck eines Staates nothwendig
von dem Gluͤcke einiger feiner Glieder muͤß⸗
fe gefrennet toerden. Wir haben biefe bar
bariſche Politik nicht angenonımen, die auf
die Unwiſſenheit richtiger Geſetze, oder auf
die Verachfung der ärmflen und doch nuͤtz⸗
lichſten Menſchen gegruͤndet iſt. Es gab
abſcheuliche und grauſame Geſetze, die die
Menſchen ſogar als boͤſe vorausſetzten: aber
wir glauben, daß ſie es erſt durch Ein⸗
fuͤhrung dieſer Geſetze geworden ſind. Der
Deſpotismus hat das menſchliche Herz ab⸗
gemattet und durch ſeine Verbicterung ver⸗
trocknet und verderbt.
Be) 390 ( er -
Unſer König hat alte Gewalt, alles Anfehen;
bie noͤthig ind, um Gutes zu shun: aber zum
Boͤſen gebundene Hände. Man zeiget ihm
die Ration allezeit aus einem vortheilhaften
Lichte: man ſtellt ihm feine Tapferkeit, feine
Treue für feinen Sürften, feinen Abſchen
für jedes fremde Joch vor,
Es giebt Eenforen, bie das Necht haben,
von dem Fürfien alle diejenigen wegzujagen,
bie zur Irreligion, gu einer wüften Lebens⸗
art, zur Lügen, zu der fo fraurigen Kunfl,
die Tugend lächerlich zu machen geneigt
find 12). Die Elaffe von Menfchen kennt
man bey und garnicht, die unter dem Th
tel des Adeld, (der was das lächerlichfte
iſt, noch dazu feil war,) um den Thron
umhberfrochen, nichts als Soldaten ober.
Hofleute werden wollten, im Wüßiggange
lebten, ihren Stolz mit altem Pergamen
näbrten, und dag armfelige Schaufpiel el
ner Eitelfeit gaben, die fo groß als ihr
Elend war. Eure Grenadiere vergoffen ihr
Blut mit fo viel Unerfchrockenbeit, als der
12) Ich bin allegeit zu glauben geneigt, daß Die
Sürften an ihren Höfen beynahe allezeit noch Die
rechtſchaffenſten find. Narciß batte noch eine
ſchwaͤrzere Seele ale Nero.
pP -
an) an
Bhfte unted ihnen, Ted fekten: uicht acen
hehen Preit darauf. Ueberbieß reaͤrde
Bifsiche vorzuͤgliche Benennung in mefen
"Wepublit bie übrigen Ordnungen Del
autes · beleibigef Haben; ' Die Buͤrger wa⸗
geich: der einzige Uxterfehieb war bder,
die Natur in Anſehnng der Menfchen
ve. Tugend, Bene und amweit gemacht
ad j wine a
y Warum ſollte der sicht
DE u ie np Ä
wohl in dieſam Köngrache ne
—* die —
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et find? —* bald unter
jean der Burgerſtand ich dus Pe he
— nahm er bey den Berſarniussen
* fer ne en 55
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rg von der 8, Policey unh
—* le fit wehren. 5%
bieſes imner Marige Peine
li bes 02 weife Einrichtungen hine
bet, Fönute ja mobl eined Tages his Seele
Acyvnbiik werden, bauptfächlid, wenn Der @e«
aß. der Philoopbie/ die Eqnagnis der anlifie.
Helene, bie Exfabtuug fe vielar llulhceſul⸗
au Leichtfinn, und Die Unbefomsenäpit: agtilget
4, die die fon glänzenden Eigenföhaften us :
) 397 ( rt
Ungeachtet fo vieler Verſchanzungen, Eins
ſchraͤnkungen, und Klugheitsregeln, die man
gemacht, damit der Monarch, bey oͤffentlichen
Angluͤcksfaͤllen nicht vergeſſen moͤchte, was
er den Armen ſchuldig iſt; feyert er jaͤhr⸗
lich ein dreytaͤgiges Faſten. Dieſe ganje
Zeit uͤber erduldet er Hunger und Durſt,
und liegt auf einem elenden Lager : und die⸗
fe8 fchreckliche und heilfame Saften vrüdt
feinen Herzen ein zärtliches Mitleid für bie
Nothleidenden ein. Es iſt wahr, unfer Mon⸗
arch bedarf nicht erſt durch dieſes phyfifche
Gefuͤhl erinnert zu werben: aber es ift ein
Geſetz des Staates, ein heiliges Geſetz, das
Bis itzt Immer befolgt und in Ehren gehal-
ten worden. Mach dem Beyſpiele bes Mon.
archen machet ſichs jeder Minifter, jeder
Mann, ber bie Zügel der Regierung be
rührt; gu einer Pflicht, auch am ſich felbſt ze
empfinden, was Beduͤrfniß und Schmerz
find, die daraus entfliehen; in der Zolge. ift
er deſto geneigfer, benjenigen. benzufprit-
Dunkeln, weiche ans den Franzoſen das erfe Belkin
Der Welt machen koͤnnten, wenn fie.ibre Projekte
. absumeffen wüßten, fie reif werden heben, u de⸗
bey ſen behartien.
me) 393
gen, die unter dem gebietrifchen und harten
Geſetze des außerfien Mangele 14) ſeuften.
* 14) Der Hütte eines Philofophen gegenüber,
ſtund ein hoher und fruchtbarer Berg, von den fanfs
teften Strahlen der Sonne begünkiget. Er war mit
der ſchoͤnſten Weide, mit golduen Nehren, mit Ges
dern und aromatifchen Pflanzen bedeckt. Voͤgel, die
eben fo reigend für dns Geficht, als, lieblich für der
Seſchmack waren, firichen Haufenweiſe durch die
Luft, und erfüllten fie mit ihren barmonifchen Ges
fängen. Dannhirſche und büpfende Rehe bepäls
terten den Wald. Einige Seen naͤhrten in ih⸗
ren filbernen Fluthen Forellen, Schellfiſche und
Hechte. Dreyhundert Familien, die auf den Ruͤ⸗
dien dieſes Berges verbreitet waren, tbeilten ihr,
und lebten dafelbg glücklich, in Frieden und Ue⸗
berfiuß, und im Schooße ibrer eiguen Tugenden:
fie dankten dem Himmel mit Aufgange der Sonne
and ihrem Untergange. Aber fiehe, kaum war der
träge, wolluͤſtige, verſchwenderiſche Osmann auf
den Thron geſtiegen, und die dreyhundert Fami⸗
lien. waren bald zu Grunde gerichtet und verjaget,
and flreiften in der Irre umber. Der ſchoͤne
Berg fiel ganz in die Hände feines Veziers, eines
vornehmen Ränbers, der die Deute der Ungluͤckli⸗
chen anısandte,. feine Hunde, feine Benfchläferins
nen und Schmeidhler prächtig zu bewirchen. Eis
ned. Tages verirrte fih Osmann 'auf der Jagd:
er traf den Phileſophen an, deſſen abgelegene Hütte
dem Strehme entgangen war, der alles verſchlun⸗
gen batte. Der Philoſoph erkannte isn, ohne daß
es der Monarch vermutbete- Der Philoſeph that.
—) 394 ( Meter
— Aber, fagte ich zu ihm; folche Ver⸗
änderungen muͤſſen viel Zeit, Arbeit ımb
Muͤhe gekoſtet haben. Was hat es Euch
mohl gefoftet? — Der Weife antwortete mit
einem fanften Lächeln: das Gute ift nicht
ſchwerer, als das Boͤſe. Die menfchlichen
Reidenfchaften find fchredliche Hinderniſſe.
ber fo bald der Verſtand der Menfchen von
ihrem wahren Intereſſe unterrichtet ift, fo
werben fie auch gerecht und billig. Mich
bünft, die ganze Welt koͤnnte von einem
einzigen Menfchen regieret werden, wenn
bie Herzen zur Duldung und zur Billigkeit
geneigt wären. Ungeachtet der wenigen
Aufmertfamfeit, bie den Menfchen Eured
Jahrhunderts fo gewoͤhnlich war, fo hatte
man doch vorbergefehen, daß die Vernunft
auf eine edle Art feine Pflicht. Man ſprach von
der gegenwärtigen Zeit. U! ſagte ber wei
Greis: „Bor zwanzig Jahren wußte man ned;
was Freude war: aber heute zu Tage zehret die
arößte Nothdurft den Armen auf, ſchlaͤgt feine
Seele nieder, und Das Außerfte Elend, mit dem
jeden Tag zu ringen bat, führer ihm Lanofem
ins Grab.,, Alles leidet - = s Der Munarch
fiel ihm ins Wert: „Sage mir, ich bitte dich, was
iR Elend?, Der Philoſoph ſeufzete, ſchwieg, und
fuͤhrte ihn wieder auf den Weg nach (eimen
Yalafe.
pe) 395 (er
eines Tages einen großen Fortgang gewin⸗
nen würbes die Wirkungen davon fallen in
die Augen, und .die glüdlichen Grundfäge
einer weifen Regierung find bie erſte Frucht
der Hfientlichen Beſſerung geweſen.
Sieben und dreyßigſtes Kapitel.
Der Thronerbe,
it fragfüchtiger als jemals der Amt⸗
mann des Huron 1), fuhr ich fort, die Ge⸗
dult meiner Nachbarn zu uͤben. — Ich ha⸗
be wohl den Monarchen auf den Thron ſitzen
ſehen: aber ich habe Euch vergeſſen zu
fragen, wo der Sohn des Koͤniges waͤre,
den man zu meiner Zeit den Dauphin nann⸗
te! — Der gefaͤlligſte von ihnen nahm das
Wort und ſagte zu mir: |
Da wir überzeuget find, daß von Erzie⸗
bung der Großen dag Glück der Voͤlker ab⸗
hängt, und daß fich die Tugend eben fo,
wie das Laſter mittheilet, fo wachen wir
‚ı) Der Huron oder der Menſch der Natur (l’In-
gem) sin Roman des Voltaͤre, iſt eines der bes
ſten Stuͤcke, das aus feiner Feder, gefloffen if. Der
Huron, der mit einen Janſeniſten in die Baftille
verichloffen wird, ift der finnreichite Einfall, der ſich
nur erdenten läßt.
FD) 396 ( Ernie
mit ber größten. Sorgfalt über Die jungen
Sabre. bes Fürften. : . Der Erbe bed. Theo
nes iſt nicht am. Hofe, wo einige Schmeich.
ler ihn überreden könnten, daß er mehr ſey,
als andere Menſchen, und daß biefe meni⸗
ger ſeyn, als Inſekten: man verbirgt ihm
ſeine hohen Beſtimmungen ſorgfaͤltig. So
bald er geboren iſt, druͤckt man ihm ein ge
wiſſes Eönigliches Zeichen auf die Schulter,
‚wodurch. man ihn allegeit: erfennen fans;
Man uͤbergiebt ihn den Hänben folcher Leute,
deren kluge Treue eben ſo gepruͤft als ihre
Rechtſchaffenheit iſt. Sie ſchwoͤren vor
Gott dem Allerhoͤchſten, daß fie niemals bem
Prinzen entdecken wollen, daß er einſt 8%
nig werben folles ein furchtbarer Schwur,
den fie niemals zu brechen wagen.
- Sp bald er die Hande der Weiber verläßt,
wird er ſpazieren geführet, man laͤßt ihn
reifen, man-forgt für feine phnfifalifche Er-
ziehung, die alleseit vor der moralifchen
hergeben muß. Er ift twie ein Bauersſohn
gekleidet. Man gewoͤhnt ihn zu den. ge⸗
meinften Speifen: man lehrt ihn bey gu
fer Zeit die Mäßigfeit: eines Tages wird er
es erfahren, daß feine eigne Oekonomie dad
Beyſpiel ſeyn muͤſſe, und eine falfche Pracht
me‘) 399
einen Staat ind Verderben flürset, und den
ſchwelgeriſchen Verſchwender fchänden "Er
beſuchet nach und. nach alle Provinzen. Man
Jehrt ihn alle Ländliche Arbeiten, alle Wer
Se ver Manufalturen, und die Probufte ber
serfchiedenen Gegenden fennen. Er fiehe
alles mit feinen eignen Augen: er geht im
die Huͤtte des Landmanns, ißt an feineng
Tiſche, geſellet ſich gu feinen Arbeiten, ilernet
ihr hochachten. Kr gebt vertraut mit je
dem um, ben er trifft. Mean erlaubt ihnt,
frey feinen Charakter: zu zeigen und er glaubt,
eben. fo entfernt von Throne zu ſeyn, es
er ihm nahe ift. '
Diele Könige find- Tyrannen aeworden, |
nicht. weil fie ein boͤſes Herz hatten, fondern
weil. der Zufland der Armen ihres Landes
niemals bis zu ihren gelangt iſt 2). Ueber⸗
a) Das Vorurtheil ſtehet allegeit zur Rechten
des Thrones in Bereitfchaft, feine Irrthuͤmer dem
HOhren der Fuͤrſten einzuftößen. Die furchtſame
Wahrheit zweifelt an dem Siege, die ſie über jene
davon tragen könnte, und wartet, bis man ibt zut
Annaͤherung das Zeichen giebt: aber ihr Mund re⸗
det eiue fo fremde Sprache, daß man zu der betrü⸗
gerilchen Erſcheinung Immer wieder zuruͤckekehret,
da fie von Grund ans die Landesſprache verficht.
Könige! lernet die ernſte philoſophiſche Sprache der
2a) (Et
,Ueß man biefen jungen Prinzen ben ſchmeſ
chelhaften Borftellungen einer gewiß zu er⸗
haltenden Macht, fo wuͤrde er vieleicht,
felbft bey einer rechffchaffenen Seele, ( denn
man kennt fchon den Hang bed menfchlichen
Herzens,) in der Folge: die Graͤnzen feiner
Macht zu erweitern fuchen 3). Hierinnen ſuch⸗
ten ungluͤcklicher Weife viele Monarchen bie
koͤnigl. Hoheit und mithin war ihr Intereſſe al⸗
lezeit dem Intereſſe der Nation entgegengeſetzt
So bald der. Prinz ein Alter von zwan
zig Jahren erreicht, und auch hoch chen,
wenn feine Seele fruͤhzeitiger gebildet ift, f
führet man ihn in Thronenfaal. Er fickt
mier "dern Haufen, tie ein gemeiner Zr⸗
fihauer. Ale Stände des Reiche find die
fen Tag verſammlet und Davon unterricht
Ploͤtzlich erhebt fi) der Monarch, und ruft
Mahrbeit! Vergebens liebt ihr fie, wenn ibe fie
nicht verfieht
3) Die Menſchen haben einen natürlichen Hay
zum Deſpotismus, weil nichts bequemer if, als Die
Spitze der Zunge gu beivenen, um Gehorfam iu et
halten. Dan kennt den Eultan, welcher verlang
te, dag man ihm angenehme Befchichtchen end
len wollte, font würde man erdreſſelt werden.
Andere reden benmahe eben die Eprache, und fr
gen zu ihrem Molke: Machet mis das Wergulgte
und fterbt Hungers
Me) 399 ( ir
Ken jungen Menfchen breymal. : Die Fluth
648 Volks. oͤſſnet fich.. Erſtaunt naht er
fih mit einem: furchtfamen: Schritte dem
Zhrone ı er ſteigt zitternd darauf. Der
König umarmt ihn, und erklaͤret vor den
Augen aller Bürger, daß er fein Sohn ſey.
Der Himmel, fagt er mit ziner ruͤhrenden
und majeftätifchen Stimme, dee Zimmel bat
Dich beffimmt, Die Laſt den königlichen
Wuͤrde zu tragen: man hat zwanzig Jab⸗
re daran gearbeitet, dich derſelben wuͤr⸗
Dig zu machen: bintergebe nicht Die Hoff
wung diefes großen Volks; Das Dich ſieht.
ein Sobn, ich erwarte von: dir. eben
Den Eifer, den ich fhr den Staat gebabe
babe. Welch ein Augenblick! welcher Hau⸗
fen von Ideen drängt fich in feine Seele!
Der Monarch) zeigt ihm Hierauf bad Grab,
wo fein eigener Borgänger darinnen liege,
dieſes Grab, two mit großen Buchſtaben:
DIE EWIGKEFT, darauf gefchries
ben fteht. Er fährt in einem chen fo ma⸗
jeftärifchen Tone fort: Mein Sohn! man
bat alles für diefen Augenblid gethan.
Du fiebft auf der Afche deines Großva⸗
ters: in die foll fie wieder aufleben: thus
den Schwur, fo gerecht wie Er, zu ſeyn.
Ha ) 400 ( Ei
Bald werde ich hinabſteigen, feinenPlag
einzunehmen: bedenke, daß ich aus dies
fem Grabe dich anklagen werde, wenn
Du deine Macht mißbraucheſt. Ach! mein
liebſter Sohn, dns böchfte Weſen und
Das Reich Öffnen ibre Augen über dir,
feiner deiner Gedanken wird ihnen ent
geben. Wenn irgend ein Trieb des Chr
geizes oder des Stolzes in dieſem Augen
blicke im Grunde deines Herzens herrſchen
follte, fo ift es noch Zeit ibn zu unterdrk
«een: entfage diefem Diadem, fieige von
dieſem Throne berab, mifche Dich wieder
unser den Haufen: du’ wirft als ein un
befannter rechtfchaffener Bürger größer,
verebrungswürdiger, als ein eitler oder
mutblofer Wonarch feyn. Nicht die Chi⸗
mere der Hoheit müffe deinem jungen He
sen ſchmeicheln, fondern die füge und große
Vorſtellung, den Menſchen ein wahres
Gluͤck zu verfihaffen. Ich gewäbre dir
zur Belohnung die Liebe diefes Volke,
das uns böret, meine Zaͤrtlichkeit, die
"Bochachtung der Welt, und den Bey
ſtand Des Beberrfchers der Welt. Er iſt
es, mein Sohn, der König iſt: wir jind
nichts, als Ebenbilder von ibm ; wir
Rz) ga (ur
‚geben auf der Erde vorüber, um feine
erhabenen Rashfcbläffe auszufhibren. 2,
. Der junge Prinz bewegt, gerührt, die
Stirn mit einer fittfamen Echaam bedeckt,
wagt es nicht die Augen auf. diefe große
Verſammlung zu erheben, deren Blicke ihn
umgeben und ſich zu ihm drangen. Er ven
gießt Thraͤnen, er weinet, indem er den wei—⸗
en Umfang feiner Pflichten überfieht: aber
Hald handelt er als ein Held: man hat- ihn
gelehrt, daß der große Mann - fich für feine
Brüder aufopfern fol, und daß, wenn die Ras
‚tue nicht für die Menſchen ein ungemiſchtes
Gluͤck zubereitet hat, es einer glücklichen -
acht, die die Nation feinen Haͤnden ver⸗
‚trauet, zufomme, mehr gu thun, als Die Na⸗
sur gu ihrem Beften hun konnte. Diefer ch«-
de Gedanke durchdringt ihn, entflammt ihn;
er leiſtet den Eid in die Hände feines Va⸗
‘4, Garnier laͤßt den Nabuchodonoſor, den feine
Macht und feine Siege aufblähten, fagen: Wer ik
Der Gott, der den Regen, den Winden, und den
Stürmen gebiethet ? Ueber wen herrſchet er? Leber
Meere, über Felſen u. f. w.
Empfindungslofe Dinge; Id, ich gebiete
Menichen.
Ich bin der einige Bott der Erde, die wit
.. ron.
c
Te) 402 ( re
ters: er ruft die geheiligte Aſche feineg.Groß-
vaters zum Zeugen an: er kuͤßt den Zepter,
den er zu allererſt verehren ſoll: er betet das
hoͤchſte Weſen an: man kroͤnet ihn. Die
Staͤnde wuͤnſchen ihm Gluͤck, und das
Volk ſchreyt ihm in Entzuͤckungen ber Freu⸗
de zu: O du! der du mitten aus uns ber
ausgehſt, der du uns fo lange, fo in der
Naͤhe gefeben haft, möchten doch die
Blendwerke der Größe dich nie vergeß
fen laffen, wer du biff, und wer wir
find 5).
Er kann den Thron niemald vor bem
zwey und ziwanzigften Jahre: befteigen, weil
es wider den gefunden Verſtand iſt, einem
föniglichen Kinde unterworfen zu feyn. So
leget auch der Monarch in feinem ſiebzigſten
fahre den Zepter nieder, weil die Kunf ze
5) Die Griechen und Römer haben weit lebhafte⸗
se dußere Empfindungen gehabt, ald wir. Eine
ganz finnliche Religion, häufige Angelegenheiten,
die mit dem großen Intereſſe der Republik verbuns
den waren, eine gewiſſe dußere Groͤßfe ohne Stolt,
der laute Zuruf des Dolls, die Verſammlungen
des Volks, die öffentlichen Reden, weich eine ums
verfienende Quelle der Freuden! Es fcheint, daß
wir in Vergleichung dieſes Volks nichts thun, ald
fchmachten, und beynabe nicht leben.
RFZ=) 403 ( mi
regieren eine Gefchmeidigfeit: der Drganf
und ich weiß felbft nicht, welche Empfind»
ſamkeit erfodert, die unglücklicher Weife in
ber Seele mit den Jahren verldfcht ©. Ue⸗
berdieß fürchtet man, daß die Gewohn⸗
heit der Macht in feiner Seele nicht die con⸗
centrirte Ehrfucht, Geiz genannt, ergengen
möge, welches bie niedrigfte und fraurigfie
Leidenfchaft ift, die der Menſch zu befämpfen
bat 7. Die Erbfcehaft bleibe in der gera-
den Linie; und der fiebzigjährige Monarch
dienet noch dem Staate durd) feinen Rath
oder durch das Beyſpiel feiner vergangenen
Tugenden. Die Zeit, bie zwifchen diefer oͤf⸗
6, Wie füh wird es feyn, wenn die Jahre uns
fere Haare bleihen, und wir und zur Ruhe nieder
laſſen koͤnnen, indem wir uns der Handlungen. der
Menfchenliche und Woblthätigkeit erinnern, womit
wir den Lauf unfers Lebens befdet baben! Allen
son und, fo viel unfer find, wird alsdann nichts
mehr übrig ſeyn, als das Gefühl unferer Tugen⸗
Den, oder die Schande und Quaal unferer Xafter,
7, Die Verſchwendung if eben fo fehr zu fuͤrch⸗
ten. Ein junger Prinz verfaget bisweilen etwas,
weil er in fich das Vermögen fühlet, feine abfchldglie
che Antwort auf eine andere Art wieder gut zu Mas
chen: aber der Greis vermilliget aflegeit, denn er
hat nichts, womit er den Mangel feine Wohltha⸗
ten erſetzen Tan:
eca2
R2F=) 44 eek
fentlichen Dankbarkeit und dem Tage feiner
Mündigfeit ift noch einigen neuen Probm
unterworfen. Man redet zu ihm beftändig
durch ſtarke und finnliche Bilder. Will man
ihm bemeifen, daß die Könige nicht auf eine
andere Art, ald die übrigen Menfchen ges
macht find, daß fie nicht ein Haar mehr als
anbere auf ihrem Haupte haben,“ baf fie ih⸗
nen, mit dem Eintrikte in die Welt, gleich
find, gleich in Augen Goftes; daß die Wahl
des Volks die einzige Grundfeſte ift, auf der
. ihre Größe ruht: fo führet man unter dem
Scheine eines Vergnuͤgens einen jungen
Laftträger von feiner Groͤße und feinem Alter
berbey und läßt fie mit einander ringen.
Der Eohn des Königed mag nod) fo flarf
ſeyn, fo wird er gemeiniglich zu Boden gewor⸗
fen : der Eaftträger druͤcket ihn fo lange nie
der, bis er feine Niederlage geſteht. Als
dann läßt man den jungen Prinzen auffie
hen. Man fagt ihm: Ihr feht, daf fein
Menfch nad) dem Gefeße der Natur einem
andern Menfchen unterworfen ift, daß Feiner
als Sklav geboren wird, daß die Koͤnige
Menſchen ſind, und nicht Koͤnige, kurz, daß
das ˖menſchliche Geſchlecht nicht gefchaffen
worden, um das Vergnuͤgen einiger Fami⸗
) 405 ( Ei
lien auszumachen. Der Allmächtige, will
nad) dem natürlichen Gefege, nicht mit Ge⸗
waltthätigkeit berrfchen, fondern über Wefen
die einen freyen Millenhaben. Die Menfchen
zu Sklaven machen wollen, ifteine Verwegen⸗
heit gegen das höchfte Weſen, und eine Tyran⸗
ney gegen die Menfchen. „ Hierauf verbeuger
fich der Raftträger, der ihn übertwunden hat, in
feiner Gegenwart und fagt zu ihm: „ch kann
ſtaͤrker feyn, als du, und es liegt hierinnen we⸗
der Borrecht, noch Ehre; die wahre Stärke ift
die Billigkeit, die wahre Ehre die Groͤße der
Seele. Ich huldige dir als meinem Monar»
chen, dem jedes insbeſondre feine ganze Macht
anvertrauet hat. So bald jemand mic) tyran⸗
niſtren wid, fo wirft du mir zu Hülfe eilen : ich
werde dir zurufen und du wirft mich vor eis
nem ungerechten und mächtigen Menfchen in
Schuß nchmen.,„ — —
Begeht der junge Prinz einen Sehler, ei⸗
ne vorsügliche Unvorſichtigkeit: den Tag
darauf findet er diefen Zehler in den oͤffent⸗
lichen Blättern für ewig aufgezeichnet 9.
8) Ich wuͤnſchte, daß ein Fuͤrſt bismeilen die
Neugier haͤtte, zu wiſſen, was die Welt von ihm
denket: er wuͤrde in einer viertel Stunde Ma⸗
terie genug finden, fein ganzes Leben darüber nahe
zudenken.
Ba) 406 ( er
Er wundert fich bisweilen darüber, er wird
unwillig. Man antwortet ihm gang kalt:
„es ift ein unbeftocheneg und wachſames
Gerichte, welches täglich ale Handlungen
der Fürften auffchreibt. Die Nachkommen⸗
ſchaft wird fie erfahren und alles beurthei⸗
Ion, was du wirft gefagt oder gethan he
ben: es koͤmmt nur auf dich an, daß fie
auf eine ehrenvolle Art von bir fprichk. „
Geht der junge Prinz in fich felbft und me
chet feinen Schler wieder gut, alsdann kin
digen die öffentlichen Blätter diefen Beweis
eines glücklichen Charafterd an, und geben
biefer edlen Handlung ale nur verdiente Lob»
forüche 9),
Aber was man ihm am allernachdruͤcklich
ſten empfiehlt, was man ihm unter man⸗
cherley Bildern einzudruͤcken pflegt, iſt die⸗
fer Abfchen vor der Pracht, die zu nichts
dienet, fo viel Staaten unglücklich gemacht
9) Du ſprichſt: „ich fürchte nicht den Degen
irgend eines Menfchen, ich habe Her. Du be
truͤgſt dich. Um es in der That zu haben, mußt du
auch meder ihre Zunge, noch ihre Feder fürchten,
Aber bierinnen find die größten Könige der Erben
allegeit die größten Poltrons geweſen. Der Zei
tungsfchreiber in Amfierdam machte, daß Ludıris
der NIV. nicht ſchlafen konnte,
De ) 407 ( Ererte.
hat und fo diel Monarchen entehret 10%
Diefe vergüldeten Pallaͤſte, ſagt man ihm.
find den theatralifchen Verzierungen gleich,
wo vergoldete Pappe gediegenes Gold zu
feyn fcheint. Das Kind glaubt einen wirf-
Iichen Palaft zu fehen. Seyd doch nicht:
auch ein Kind. Der Pomp und dag Aeußer⸗
liche find Mißbräuche, die der Hochmuth und
die Politik eingeführer hat. Man kramte diefe
Dracht aus, um mehr Ehrerbietung und
Zurcht einzuprägen. Hierdurch nahmen bie
Untertbanen einen fflavifchen Geiſt an und
gewoͤhnten fid; nach und nach ins och.
Hat ſich aber jemals ein König verächtlich
gemacht, warn er fich feinen Unterthanen
gleich geftelle hat? Was find alle eitle und.
alltägliche Vorftellungen gegen jene offne und
leutfelige Miene , die fie su feiner Perfon
hinzieht! die Bedürfniffe des Monarchen
find nicht größer, als des geringfien Unter
thang feine. „Er hat nur Einen Magen,.
fo gut, als der Kuhhirte, fagte J. J.
ı0) Der Luxus, der den Untergang ber Stans
ten befördert, und macht, daß alle Tugenden mit
Süßen getreten werden, nimmt feinen Urfprung an
den verdorbenen Höfen, von denen jedes den Ton
annimmt.
NDS ) 408 ( care
Ronßean: „ Will er dag reinfte unter allen
Veranuͤgungen amichen, fo fühle er das
Gluͤck aclicht zu ſeyn, und mache fid) deſſen
würdig IT.
Endlich geht nicht ein einziger Tag vom
über. da man ibn nicht an das Daſeyn &
nes Ascher Weiens, an fein immer offnes
Auge über Die Welt, an die Furcht dieſes
nes, an bie Ehrerbietung für feine Vor⸗
Kung, an das Vertrauen auf feine unend⸗
Ihe Macht erinnern ſollte. Das abfcheu-
uchze unser allen Weſen it unjtreitig cim
erheiftiicher Ronia. Sich wollte licher auf
anzu Schiffe fenn, das nom Sturme hin» und
ir Der Herjeg “ * von Wärtenberg, erfter dies
fa Namens war einftene ben einem ſouveraiuen
Hertn ſeinem Nachbar, nebſt etlichen andern klei⸗
nen Potentaten gar Tafel, “jeder pries feine Ges
mist und Macht. Nachdem er fie alle reden lais
fen. jagte Der Herzeg: „Ich beneide feinen von
Idnen um Die Macht, Die Ihnen Gott gegeben
Bat: aber ıh kann mich dech aud) einer Sache
ruͤhmen, naͤmlich, daß ih in meinem Fleinen Gtass
te zu jeder Stunde Des Zuges alleine und ficher
aehen kann. Bismeilen voriere ich mich im tief⸗
Ren Holzes ich ſchlafe unter eincm Baume ein:
und eanz rubig fürchte ich mitten unter meinen
Deife werer den Dolch eined Mörbers, noch Dad
Schwerdt eines Raͤchers.
RD) 409 ( ie
hergetrieben würde, und mit einem trunfnen,
Steuermanne zu thun haben : wenigſtens
fönnte mid) doch hier noch ein. Zufall retten.
Kur erft mit dem zwey und zwanzigſten
Jahre erlaube man ihm, fich zu verheura⸗
then... Er,erhebt eine Bürgerinn auf ben
Thron. Er holt fic nicht eine fremde Frau,
die oft dem Baterlande einen Charakter mit
bringt, ber zu entfernt von den Sitten des
Landes, die Natur des fransöfifchen Blutes
verändert, und veranlaft, daß die Nation
mehr von Spaniern ‚und Staliänern, als.
von Abkoͤmmlingen unferer braven Vorfah⸗
ren regieret. twird. |
Der König beſchimpft nicht ein ganzes
Volk durch den Gedanken, daß die Schoͤn⸗
heit und Tugend nur auf einem fremden Bor
den twachfen. Diejenige, die dag Herz des
Prinzen auf feinen Neifen gerührt, bie ihr
ohne Zepter und Krone geliebt bat, ſteigt mit
ihrem Geliebten auf den Thron, und wird,
wohl ihrer Zärtlichkeit wegen, als auch,
veil fle einem Helden zu gefallen gewußt, der,
Nation liebeng -und verehrungsmerth. Auſ⸗
er dem. Vortheile, allen jungen Mädchen
sie Liebe für Weisheit und Tugend einzu
loͤßen, indem man ihnen die Ausſicht auf
) 410 (u
“eine ihres DBeftrebens wuͤrdige Belohnung
öffnet, vermeiden wir alle die Familienkrie⸗
ge, bie bem Staaf durchaus nichts ange
ben, und doch fo oft Europa verwuͤſtet has
‚den 12),
Den Tag feiner Vermaͤhlung läßt ber
Prinz, ſtatt auf eine thoͤrichte Weife das
Bold in prächtig langweiligen Zeften, in
unbefonnenen und glänzenden Seperlichker
ten, in Seuermwerfen und andern. eben fo
augfchweifenden, als entfeßlichen Verſchwen⸗
dungen wegzuwerfen, ein Sffentliches Denf-
mal errichten, 5. B. eine Wafferleitung, eis
ne oͤffentliche Straße, einen Kanal, ein
Schauſpielhaus u. few. Die Denkmal
trägt den Namen des Fuͤrſten. Man erin
niert fich der Wohlthat, indeffen, daß man
die unvernünftigen Verſchwendungen ver
gißt, die nichts als Merkmale des Ungluͤcks
und der ſchrecklichſten Vorfälle Binterlief
12) Die meiften unferer Kriege Fommen, wie
man wohl weiß, bloß von diefen vorgegebenen peli⸗
tifhen Vermählungen her. Wenn nur wenigſtens $
noch einmal Europa und Afrika, ſich mit Afien und
Amerika verheurathen Fönnte, fü möchte es noch
gut ſeyn.
ze IL (ine
fen 13). Das Volk, vergnuͤgt über die
Großmuth des Fürften, braucht nicht fich
heimlich der altert Fabel zu erinnern, in der
ein armer Frofch in feinem Morafte jammer⸗
te, daß er die Hochzeit der Sonne fah 14).
13) Soll ich hier ber fihredlihen Nacht det
30 März 1770 Erwähnung thun? Enig wird fie
ein Vorwurf für unfere Policey ſeyn, die einzig die
Reichen begänftiget, und den:barbarifhen Luxus
der Wagen in Schus nimmt. Gie find es, die
das ſchreckliche Unglück verurfachten. Aber, wenn
nicht einmal diefer graufame Zufall einen fcharfen
Befehl herauspreffen kann, vermöge welchem dem -
Bürger der freye Gebrauch des Pflaſters ohne den
Schutt eingefallener alter Gemaͤuer verfchafft,
was foll man von andern weit eingewurzelten Uebeln,
und noch unheilbarern Schäden hoffen? Beynahe
goo Perfouen find an den Folgen dieſes abfchens
lichen Gedränges geftorben: und ſechs Wochen date
nach bat kein Menſch mehr Davon geredet!
14) Ich habe in einem Gedichte folgenden Zei⸗
len gelefen:
- Diefe Könige vol Stolz auf ihre hoͤchſte Macht,
Sind Bettler, die ein Diadem bedeckt.
In der That fodern fie ohne Aufhören, und das
Volk muß das Kleid der hohen Vermählten, dad
Hochzeitfeſt, das Feuerwerk, und die GSticeren
des Brantbettes bezahlen: und fo bald das koͤnl⸗
gliche Kind geboren wird, fo verwandelt fich jeder
laute Schren defielbigen in neue Ausfchreiben.
ame) 412 (Eee
Acht und dreyßigſtes Kapitel,
Die Weiber,
$ Yer leutfelige und gefällige Mann, ber
fich die Mühe nahm, mich zu unter
richten, fuhr in eben dem freymüthigenTo -
ne fort. — Ihr wiſſet, daß die Weiber
feine andere Mitgifft ald ihre Tugenden
und Keisungen haben. Within ift «8 ih
Mortheil gewefen, ihre moralifchen Eigen
fchaften vollftommner zu machen. Wir he
ben aljo auch durch diefen Zug der Geſetzge⸗
bung die Hyder der Buhlerey, die fo fruche
bar an Unruhen, Laſtern und lächerlichen
Hoffen war, getödter. — Wie? feine Mit
gifft! Die Weiber haben nichts Eigenthüm
liches? und wer heurathet fie denn? — Die
Weiber erhalten feine Mitgifft, weil fie der
Natur nach von demjenigen Gefchylechte ab
hängen, dag ihre Ctürfe und ihren Ruhe |
ausmachet, und nichts fie der rechtmäßigen
Herrfchaft entziehen foll, die allezeit weniger
ſchrecklicher, als das Joch ift, dag fie fih
ſelbſt in ihrer traurigen Freyheit auflegen
Ueberdieß koͤmmt es auf Eins hinaus. Ein
Mann, ber nichts mit der Frau erhält,
brauchet auch wieder nicht für feiner. Tode
) 413 (m
ter Ausſtattung zu forgen. Kein Mädchen
darf mehr auf ihre Mitgabe ftol; feyn, und
es für eine Gnade anfehen, die fie durch fich
ihrem Bräutigam eriveifet 2). Jeder Mann
ernähret die Srau, die er befruchtet, und
> da diefe alles von der Hand ihred Mannes
erhält, fo wird fie ihm deſto mehr. Treue
und Gehorfam leiften. Da das Gefeß all
gemein ift, fo fühlee niemand die Laft. Die
Meiber haben feinen andern Vorzug, als
denjenigen, der von ihren Männern auf fie
zuruͤcke fälle. Ale find den Pflichten unter
worfen, die ihnen ihr Gefchlecht auflegt,
und ihre ganze Ehre ifl, deffen firengen Ges
ſetzen zu folgen: aber diefe gewähren ihnen
audy einzig ihr Slüf. j
Jeder Bürger, der fich nicht einen
Schandflecken zugezogen hat, und wenn er
von der niedrigfien Claſſe wäre, fann auf
ein Mädchen vom hoͤchſten Range Anfpruch
machen. enn er nur die Einwilligung
derjenigen erhält, um die er wirbt, und. daß
nicht eine Verführung oder eine Ungleich—
heit des Alters dabey vorkoͤmmt. Alle Bürs
1) Eine Frau von Athen fragte eine Lacedemb⸗
nierinn, was fie ihrem Manne zugebracht babe? -
Die Keuſchheit, verfente fe
Ra) 4
ger, ohne hinter einander in einer geraden
Linie einherzugehen, nehmen wieber bie uw
fprüngliche Gleichheit ber Natur an, wenn
es darauf ankoͤmmt, einen fo reinen, fa
freyen, fo zum Gluͤcke des Lebens noͤthigen
Eontraft zu ſchließen, ald ein Ehevergleich
iſt. Hier endiget fich die Gränge der vaͤ
terlihen Gewalt 2), und des bürgerlichen
Anſehens. Unſere Ehen find glücklich, denn
der Eigennuß , ber alles verberbt, be
flecket nicht ihre liebenswuͤrdigen Bande
Ahr koͤnnet nicht glauben, wie viel Laſter
and Thorheiten ein fo fimpel Gefeg verbau-
2) Welch eine Unanfländigkeit, welch eine Schats
de, einen Vater zwanzig Gerichtshoͤſe ermüden I8
ſehen, den ein barbariicher Hochmuth antreibt, feb
ne Zochter nicht den oder jenem Manne zu
überlaffen, meil er fie einem andern insgehein
zugedacht hatte: zu feben, wie er. ſich auf bis
gerlihe Verordnungen berufet , indeffen dab er
die heiligſten Gefege der Natur vergigt, die ihn
verbieten, ein ungluͤckliches Mägdchen ins Ele
gu ſtuͤrzen, über die er Eeine rechtmaͤßige Gewalt
bat, als die, fie mit Wohlthaten zu überbdas
fen. Es ift doch eine in dieſem ungluͤcklichen
Jahrhunderte bemerkenswuͤrdige, aber traurige Se⸗
che, dag die boͤſen Vaͤter die Anzahl der audgearteten
Kinder noch übertroffen haben, Wo liegt aber die
Auelle diefes Uebels? Leider: In unferg Geſetzen
am) 45 ( Enre
net bat; dergleichen find die Schmähfucht,
die Eiferfucht, der Stolz, es einer Nebenbuh⸗
lerinn zuvorzuthun, ber Müßiggang, bie
kleinen Betrügereyen, die eleudeflen Unge⸗
reimtheiten jeder Art 3). Die Weiber, an⸗
ſtatt ihre „Eitelkeit noch hoͤher zu treiben,
haben ihren Verſtand bearbeitet ; und
flatt des Reichthums, ſich bemühet, reich
en Sanftmuth, DBefcheidenheit und Ges
dult zu werden. Die Mufif und der Tang
machen nicht mehr ihr Hauptverbienft aus:
fie haben bie Defonomie, die Kunft, ih
ren Männern zu gefallen, und ihre Kinder
zu erziehen gelernet. Die übertriebene Un-
gleichheit der Stände und der Gluͤcksguͤter
(der verderblichfte Fehler aller politifchen Ge⸗
fellfchaften) verſchwindet hier gänzlich. Dee -
niebrigfte Bürger darf fich in feinem Vaters
lande nicht fchämen: er verbindet fich mit
dem Hoͤchſten, ohne daß fich dieſer feiner ſchaͤ⸗
3) Die Natur bat die Weiber für die innern
Geſchaͤfte des Haufes, und für Sorgen, die durch⸗
gängig von einerley Gattung find, befimmt. Sie
bat ihrem Charakter weit weniger Dannichfaltigs
Zeit als den Männern ihrem gegeben. Saft alle
Meiber gleichen einander: fie haben nur einen
Zweck, und er offenbaret ſich in allen Ländern Durch
gleiche Wirkungen.
DET Jurſten aupjujreior. Bie ca
ſchaft wird fie erfahren und alles
len, was du wirſt gefagt oder gei
ben: es koͤmmt nur auf dich an,
auf eine ehrenvolle Art von bir |
Geht der junge Prinz in fich ſelbſt
het feinen Schler wieder gut, alsd
digen die öffentlichen Blätter dieſen
eines glücklichen Charafters an, ui
dieſer edlen Handlung alle nur verdi
ſprůche 9.
Aber war man ihm am allernachi
fien empfichlt, was man ihm unı
cherley Bildern einzudrücken pflegt
fer Abfcheu vor der Pracht, die z
dienet, fo viel Staaten unglüdlich
Am. man, 1 Hakan ıtmaa
RI) 407 ( Exerie:
hat und fo diel Monarchen entehret 10%
Diefe vergüldeten Pallaͤſte, ſagt man ihm,.
find den theatralifchen Verzierungen gleich,
wo vergoldete Pappe gediegenes Gold zw
feyn fcheint. Das Kind glaubt einen wirk⸗
lichen Palaft zu fehen. _ Send doch nicht
auch cin Kind. Der Pomp und das Aeußer⸗
liche find Mißbräuche, die der Hochmuth und
die Politik eingeführet hat. Man Eramte diefe
Pracht aus, um mehr Ehrerbietung unb
Furcht einzuprägen. Hierdurd) nahmen die
Unterthanen einen fElavifchen Geift an und
gewoͤhnten ſich nach und nach ins Joch.
Hat ſich aber jemals ein König veraͤchtlich
gemacht, wann er fich feinen Unterthanen
gleich geitelt hat? Was find alle eitle und.
alltägliche Vorſtellungen gegen jene offne und
leutfelige Miene , die fie zu feiner Perfon
hinzieht! die Bebürfniffe des Monarchen
find nicht größer, als des geringften Unter
thang feine. „Er hat nur Einen Magen,.
fo gut, ale der Kuhhirte, fagte 3. J.
ı0) Der Luxus, der den Untergang der Stan
ten befördert, und macht, daß alle Tugenden mit
Fuͤßen getreten werden, nimmt feinen Urfprung au
den verdorbenen Höfen, von denen jedes den Ton
annimmt.
⸗
HD) 46(
Er wundert ſich bisweilen daruͤber, er wird
unwillig. Man antwortet ihm ganz kalt:
„es iſt ein unbeſtochenes und wachſames
Gerichte, welches taͤglich alle Handlungen
der Fuͤrſten auffchreibt. Die Nachkommen
ſchaft wird fie erfahren und alles beurthei⸗
len, was du wirft gefagt oder gethan he
ben: es koͤmmt nur auf dich an, daß fie
auf eine ehrenvolle Art von dir fprichk. „
Geht der junge Prinz in fich felbft und me
chet feinen Schler wieder gut, alsdann kuͤn⸗
digen die offentlichen Blätter diefen Beweis
eines glücklichen Charafterd an, und geben
dieſer edlen Handlung ale nur verdiente Lob⸗
ſpruͤche 9).
Aber was man ihm am allernachdruͤcklich
ſten empfiehlt, was man ihm untere man⸗
cherley Bildern einzudruͤcken pflegt, iſt die⸗
ſer Abſcheu vor der Pracht, die zu nichts
dienet, ſo viel Staaten ungluͤcklich gemacht
9) Du ſprichſt: „ich fürchte nicht den Degen
irgend eines Menſchen, ich habe Herz., Du be
trügft dich. Um es in der That zu haben, mußt du
auch weder ihre Zunge, noch ihre Feder fürchten.
Aber bierinnen find die größten Könige der Erden
allegeit die größten Poltrond gewefen. Der Zei⸗
tungsfchreiber in Amferdam machte, daß Zudmis
der XIV. nicht ſchlafen konnte.
Re ) 407 ( re.
hat und fo diel Monarchen entehret 10%.
Diefe vergüldeten Pallaͤſte, ſagt man ihm,
ſind den theatraliſchen Verzierungen gleich,
wo vergoldete Pappe gediegenes Gold zu
ſeyn ſcheint. Das Kind glaubt einen wirk⸗
lichen Palaſt zu ſehen. Seyd doch nicht
auch ein Kind. Der Pomp und das Aeußer⸗
liche ſind Mißbraͤuche, die der Hochmuth und
die Politik eingefuͤhret hat. Man kramte dieſe
Pracht aus, um mehr Ehrerbietung und
Furcht einzupraͤgen. Hierdurch nahmen die
Unterthanen einen ſklaviſchen Geiſt an und
gewoͤhnten ſich nach und nach ins Joch.
Hat ſich aber jemals ein Koͤnig veraͤchtlich
gemacht, wann er ſich ſeinen Unterthanen
gleich geſtellt hat? Was ſind alle eitle und
alltaͤgliche Vorſtellungen gegen jene offne und
leutſelige Miene, die ſie zu ſeiner Perſon
hinzieht! die Beduͤrfniſſe des Monarchen
ſind nicht groͤßer, als des geringſten Unter⸗
thans ſeine. „Er hat nur Einen Magen,
ſo gut, als der Kuhhirte, ſagte J. J.
ı0) Der Luxus, der dem Untergang der Stans
ten befördert, und macht, daß alle Tugenden mit
Süßen getreten werden, nimmt feinen Urfprung au
den verdorbenen Höfen, von denen jedes den Ton
annimmt. '
INT ) 408 ( Genie
Koufean: „ Will er dag reinfte unter allen
Vergnuͤgungen genießen, fo fühle er das
Glück geliebt zu feyn, und mache ſich deſſen
würdig IT),
Endlich geht nicht. ein einziger Tag vor
über, da man ihn nicht an dag Daſeyn ei⸗
nes hoͤchſten Weſens, an fein immer offnes
Auge uͤber die Welt, an die Furcht dieſes
Gottes, an die Ehrerbietung für feine Vor
fehung, an das Vertrauen auf feine unend-
liche Macht erinnern folte. Das abſcheu⸗
lichſte unter allen Weſen ift unftreitig ein
atheiftifcher König. Ich wollte lieber auf
einem Echiffe feyn, das vom Sturme hin- und
ın Der Heriog * * von Würtenberg,.erfter bies
ſes Namens, war einftens ben einem fouverainen
Herrn, feinem Nachbar, nebft etlichen andern Hei
sen Potentaten zur Tafel. “jeder pries feine Ge
malt und Macht. Nachdem er fie alle reden laf
fen, fagte der Herzog: „Ich beneide keinen von
Ihnen um die Macht, die Ihnen Gott gegeben
bat: aber ich kann mich doch auch einer Sache
rühmen, nämlich, daß ich in meinem Tleinen Gtess
te zu jeder Stunde des Tages alleine und ficher
schen kann. Bisweilen verirre ich mich. im tief⸗
ken Holzes: ih fchlafe unter einem Baume ein:
und ganz rubig fürchte ich mitten unter meinem
Volke weder den Dolch eines Moͤrders, ud daB
Schwerdt eines Raͤchers.
RI.) 409 ( ——
bergetrieben wuͤrde, und mit einem trunfnen,
Steuermanne zu thun haben : wenigſtens
koͤnnte mic) doch hier noch ein. Zufall retten.
Nur erft mit dem zwey und zwanzigſten
Jahre erlaubt man ihm, fich zu verheura⸗
then... Er,erhebt eine Bürgerinn auf den.
Thron. Er holt fich nicht eine fremde Frau,
die oft bem Vaterlande einen Charaftermite
bringt, der zu entfernt von den Sitten des
Landes, die Natur des franzoͤſiſchen Blutes
verändert, und veranlaft, daß die Nation
mehr von Spaniern und Italiaͤnern, als
von Abkoͤmmlingen unferer braven Vorfah⸗
ren regieret wird. |
Der König befchimpft nicht ein ganzes
Volk durch den Gedanken, daß die Schoͤn⸗
heit und Tugend nur auf einem fremden Bor
den wachfen. Diejenige, die dag Herz bed’
Prinzen auf feinen Neifen gerührt, bie ihn
ohne Zepter und Krone geliebt bat, ſteigt mit
ihrem-Seliebten auf den Thron, und wird, .
ſowohl ihrer Zärtlichkeit wegen, alg aud),
- weil fie einem Helden zu gefallen gewußt, des,
Nation liebens⸗ und verehrungswerth. Auf
fer" dem, Vortheile, allen jungen Mädchen
die Liebe für Weisheit und Tugend einzu
flaͤßen, indem man ihnen die Augficht auf
Ne ) 408 ( Eier
Roußeau: „ Will er das reinfte unter allen
Vergnuͤgungen genießen, fo fühle ex das
Glück geliebt zu feyn, und mache ſich deſſen
würdig IT), |
Endlich geht nicht ein einziger Tag vom
über, da man ihn nicht an dag Dafeyn
nes hoͤchſten Weſens, an fein immer offnes
Auge uͤber die Welt, an die Furcht dieſes
Gottes, an die Ehrerbietung fuͤr ſeine Vor⸗
ſehung, an das Vertrauen auf feine unend⸗
liche Macht eriunern ſollte. Das abſcheu⸗
lichſte unter allen Weſen iſt unſtreitig ein
atheiſtiſcher Koͤnig. Ich wollte lieber auf
einem Schiffe ſeyn, das vom Sturme hin⸗ und.
ın) Der Herzog **von Wuͤrtenberg, erſter dies
ſes Namens, war einſtens bey einem fouverainen
Herrn, feinem Nachbar, nebfl etlichen andern klei⸗
nen Potentaten zur Tafel. jeder pries feine Ge
walt und Macht. Nadıdem er fie alle reden lag
fen, fagte der Herzog: „Ich beneide keinen von
Ihnen um die Macht, die Ihnen Gott gegeben
hat: aber ich kann mich doch auch einer Sache
ruͤhmen, nämlich, daß ich in meinem kleinen Staa⸗
te zu jeder Stunde des Tages alleine und ficher
sehen kann. Bisweilen verisre ich mich. im tief⸗
Ren Holze: ich fchlafe unter einem Baume ein?
und ganz rubig fürchte ich mitten unter meinem
Volke weder den Dolch eines Wörders, oh das
Schwerdt eines Raͤchers.
FD.) 409 ( ——α
hergetrieben würde, und mit einem trunfnen,
©teuermanne zu thun. haben : wenigſtens
fönnte mic, doch hier noch ein. Zufall retten.
Nur erft mit dem zwey und zwanzigſten
Sjahre erlaubt man ihm, fich zu verheuras,.
then... Er erhebt eine Bürgerinn auf den
Thron.. Er holt ſich nicht eine fremde Frau,
bie oft dem Vaterlande einen Charakter mit-
bringt, der zu entfernt von den Gitten des
Landes, die Natur des franzififchen Blutes
verändert, und veranlaft, daß die Nation
mehr von Spaniern und Italiaͤnern, als
von Abkoͤmmlingen unferer braven Vorfah⸗
ren regieret. wird.
Der König beſchimpft nicht ein ganzes
Volk durch den Gedanken, daß die Schön .
heit und Tugend nur auf einem fremden Bo⸗
den wachfen. Diejenige, die dag Herz des
Prinzen auf feinen Neifen gerührt, bie ihr
ohne Zepter und Krone geliebt bat, ſteigt mie
ihrem Geliebten auf den Thron, und wird, _
ſowohl ihrer Zärtlichkeit wegen, als auch,
weil fie einem Helden zu gefallen gewußt, des,
Nation liebens⸗ und verehrungswerth. Auf
fer dem, Vortheile, allen jungen Mädchert
die Liebe für Weisheit und Tugend einzu⸗
floͤßen, indem man ihnen die Ausſicht auf
Se ) 410 ( ee
“eine ihres Beſtrebens wuͤrdige Belohnung
öffnet, vermeiden wir alle die Familienkrie⸗
ge, die dem Staat durchaus nichts ange
ben, und doch fo oft Europa verwuͤſtet has
hen 12),
Den Tag feiner Vermählung läßt ber
Prinz, ſtatt auf eine thoͤrichte Weiſe das
Bold in prächtig langweiligen Zeften, in
unbefonnenen und glänzenden Seyerlichker
ten, in Seuerwerfen und andern. eben fo
ausſchweifenden, als entfeßlichen Verſchwen⸗
dungen wegzuwerfen, ein oͤffentliches Denk⸗
mal errichten, z. B. eine Waſſerleitung, ei⸗
ne oͤffentliche Straße, einen Kanal, ein
Schauſpielhaus u. ſ. w. Dieß Denkmal
traͤgt den Namen des Fuͤrſten. Man erin⸗
nert ſich der Wohlthat, indeſſen, daß man
die unvernuͤnftigen Verſchwendungen ver⸗
gißt, die nichts als Merkmale des Ungluͤcks
und der ſchrecklichſten Vorfälle hinterlieſ⸗
12) Die meiften unferer Kriege kommen, wie
man wohl weiß, bloß von diefen vorgegebenen peli⸗
tifhen Vermäblungen ber. Wenn nur wenigfent
noch einmal Europa und Afrika, ſich mit Afien and
Amerika verheuratben könate, ſo moͤchte es nech
gut ſeyn.
2 ) 4 ( Ererfe
fen 13). Das Volk, vergnuͤgt üßer die
Großmuth des Fürften, braucht nicht fich
heimlich der alten Zabel zu erinnern, in der
ein armer Srofch in feinem Morafte jammer⸗
te, daß er die Hochzeit der Sonne fah 14).
13) Coll id) bier der ſchredlichen Nacht dub
30 Mär 1770 Ermähnung thun? Emig wird fie
ein Vorwurf für unfere Policey fenn, die einzig die
Reichen begänftiget,, und den: barbarifchen Luxus
der Wagen in Schus nimmt. Gie find es, die
das fchreckliche Unglück verurfachten. Aber, wenn
nicht einmal diefer graufame Zufall einen ſcharfen
Befehl herauspreffen kann, vermöge welchem dem
Bürger der freye Gebraud) des Pflafters ohne den
Schutt eingefallener alter Gemäuer verfchafft;
was foll man von andern weit eingewurzelten Uebeln,
und noch unheilbarern Schäden hoffen? Beynahe
goo Verfonen find an den Folgen dieſes abfcheus
lichen Sedränges geftorben: und ſechs Wochen date
nach bat kein Menſch mehr davon geredt!
14) Sch habe in einem Gedichte folgenden Zei⸗
len gelefen:
. Diefe Könige voll Stolz auf ihre höchfte Rad
Sind Bettler, die ein Diadem bedeckt.
In der That fodern fie ohne Aufhören, und das
Volk muß das Kleid der hohen Vermählten, dad
Hochzeitfeſt, das Feuerwerk, und. die Stickerey
des Brantbettes bezahlen: und fo bald das koͤnl⸗
gliche Kind geboren wird, fo verwandelt ſich jeder
laute Schren deffelbigen in neue Ausfchreiben.
2a) 412 ( Ber
Acht und dreyßigſtes Kapitel,
Die Weiber,
He leutſelige und gefaͤllige Mann, der
ſich die Muͤhe nahm, mich zu unter⸗
richten, fuhr in eben dem freymuͤthigen To⸗
ne fort. — hr wiffee, daß die Weiber
feine andere Mitgifft ald ihre Tugenden
und Meisungen haben. Mithin ift «8 ihr
Vortheil gewefen, ihre moralifchen Eigen
fchaften vollfonmner zu machen. Wir he
ben alfo auch durch diefen Zug der Geſetzge⸗
bung die Hyder der Buhlerey, die fo frucht⸗
bar an Unruhen, Laftern und Lächerlichen
Hoffen war, getödter. — Wic? feine Mit
gifft! Die Weiber haben nichts Eigenthuͤm⸗
liches? und wer heurathet fie denn? — Die
Weiber erhalten Feine Mitgifft, teil fie ber
Natur nad) von demjenigen Sefchlechte ab
hängen, das ihre Ctärfe und ihren Ruhm
ausmachet, und nichts fie der rechtmäßigen
Herrfchaft entziehen foll, die alezeit weniger
fchrecflicher, als das Joch ift, dag fie fid
ſelbſt in ihrer traurigen Freyheit auflegen.
Ueberdieß koͤmmt ed auf Eins hinaus, Ein
Mann, der nichts mit der Frau erhält,
brauchet auch wieder nicht für feiner. Toͤch⸗
SF) 413 (er
ter Ausſtattung zu forgen. Kein Mädchen
darf mehr auf ihre Mitgabe flolz feyn, und
es für eine Gnade anfehen, die fie durch fich
ihrem Bräutigam eriveifet 2), Jeder Mann
ernähret die Frau, die er befruchtee, umd
‘ da diefe alles von der Hand ihres Mannes
erhält, fo wird fie ihm deſto mehr Treue
und Gehorfam leiften. Da das Geſetz all
gemein ift, fo fühlet niemand die Laſt. “Die
Weiber haben feinen andern Vorzug, als
denjenigen, der von ihren Männern auf fie
zuruͤcke fälle. Ale find den Pflichten. unter
worfen, die ihnen ihr Gefchlecht auflegt,
und ihre ganze Ehre if, deffen ſtrengen Ge
fegen zu folgen: aber diefe gewähren ihnen
auch einzig ihr Glück. u
Jeder Bürger, der fich nicht einen
Schandflecken zugezogen hat, und wenn er
von der niedrigften Claſſe wäre, kann auf
ein Mädchen vom höchften Range Anfpruch
machen. Menn er nur die Einwilligung
derjenigen erhält, um die er wirbt, und. daß
nicht eine Verführung oder eine Ungleichs
heit des Alters dabey vorkoͤmmt. Alle Bürs
1) Eine Frau von Athen fragte eine Lacedemb⸗
nierinn, was fie ihrem Manne sugebracht babe? -
Die Keuſchheit, verfekte fie-
re) 414 (u
ger, ohne hinter einander in einer geraden
Linie einherzugehen, nehmen wieder die un
fprüngliche Gleichheit der Natur an, wenn
es darauf ankommt, einen fo reinen, fo
freyen, fo zum Glide des Lebens noͤthigen
Contrakt zu ſchließen, als ein Ehevergleich
iſt. Hier endiget ſich die Graͤnze der vaͤ⸗
terlichen Gewalt 2), und des buͤrgerlichen
Anſehens. Unſere Ehen ſind gluͤcklich, denn
der Eigennutz, der alles verderbt, be
flecket nicht ihre liebenswuͤrdigen Bande
Ahr koͤnnet nicht ginuben, wie viel Lafter
and Thorheiten ein fo fimpel Geſetz verban⸗
2) Welch eine Unanſtaͤndigkeit, welch eine Schw
de, einen Vater zwanzig Gerichtshoͤſe erinuͤden je
fehen, den ein barbarifcher Hochmuth antreibt, ſei⸗
ne Zochter niche dent oder jenem Manne zu
überlaffen, weil er fie einem andern insgebein
zugedacht hatte: au feben, mie er. fi) auf bit
gerlihe Verordnungen berufet , indeffen dat er
die heiligften Gefege der Natur vergist, die ihm
Yerbieten, ein unglückliches Mägdchen ins Elend
zu ſtuͤrzen, über die er keine rechtmaͤßige Gewalt
bat, als die, fie mit Wohlthaten zu überbdus
fen. Es ift doch eine im Ddiefem unglücklichen
Jahrhunderte bemerfenswürdiae, aber traurige Se⸗
ehe, daß die boͤſen Väter die Anzahl der ausgearteten
Kinder noch übertroffen haben, Wo liegt aber dit
Quelle dieſes Uebels? Leider: in unferg Geſetzen
am) 45 (Berk
net hat; dergleichen find die Schmähfucht,
die Eiferfucht, der Stolz, e8 einer Nebenbuh⸗
lerinn zuvorzuchun, der Müßiggang, bie
fleinen Betrügereyen, bie elendeften Unge⸗
reimtheiten jeder Art 3). Die Weiber, ans
ſtatt ihre ‚Eitelkeit noch höher gu treiben,
haben ihren Verſtand bearbeitet ; und
ftatt des Reichthums, ſich bemühet, reich
en Sanftmuth , Befcheidenheit und Ges
dule zu werden. Die Mufif und der Tan
machen nicht mehr ihr Haupgverbienft aus:
fie haben die Defonomie, bie Kunft, ih⸗
ren Männern zu gefallen, und ihre Kinder
zu erziehen gelernet. Die übertriebene Un-
gleichheit dee Stände und der Glücsgüter
(ber verderblichfte Fehler aller politifchen Ge⸗
felfchaften) verſchwindet hier gänzlich. Der -
niedrigfte Bürger darf fich in feinem Vaters
Sande nicht fehämen: er verbindet fich mit
dem Hoͤchſten, ohne daß fich dieſer feiner ſchaͤ⸗
3) Die Natur hat die Weiber für die innen
Geſchaͤfte des Haufes, und für Sorgen, die durch⸗
sängig von einerley Gattung find, beftimmt. Sie
bat ihrem Charakter weit weniger Wannichfaltigs
Zeit als den Männern ihrem gegeben. Faft alle
Weiber gleichen einander: fie baben nur einem.
Zweck, und er offenbaret fich in allen Ländern durch
gleiche Wirkungen.
SD) 416 ( uni |
met. Das Befeh hat die Menfchen vereint:
get, fo fehr es ihm nur meglich geweſen.
Anſtatt die beleibigenden Unterfchiede zu ma⸗
chen, die bloß, auf der einem Geite ber
Stolz und auf. der andern ber Haf <=
zeuget, hat lieber alled aufheben wollen,
was bie Kinder einer und berfelben Mutter
trennen konnte.
Unfere Weiber find bag, was fe ben den
- sälten Galliern waren, liebenswürdige und un·
-verfälfchte Gegenftände, die wir verehren, die
wir bey allen unfern Gelegenheiten zu Ne
‘the siehen. Sie affeftiren nicht dag elende
Gerväfche, wodurch fie den Schein witziger
Köpfe +) haben wollen, das fo fehr ige un
ter und Mode iſt. Sie nehmen fich nid
Heraus, den verſchiedenen großen Geiſtern
4) Eine Frau handelt fehr unbeſonnen, we
Men aller Gelegenheit wigig feyn will. Sie ſopilte m
Gegentheil ihre ganze Kun anwenden, ihren Wit
gu verbergen. In der That, wir Maͤnner, mas fe
Ken wir? Unfhuld, Oftenbersigkeit, eine ume⸗
‚fette, einfache, frepmüthige Seele, eine intereffum
te Zurchtfamteit.. Eine rau, die ihre Geld
ſamkeit glänzen läßt, ſcheint euch Dadurch fagen pe
wollen: „Meine Herren, machet euch dach u
mid): ich babe Verſtand: ich werde treulofer, fe
ſcher, verfhlagener ſeyn, ald irgend eine audere..
—
Sa) 417 (u
ihren Nang anmeifen zu wollen. Sie find
mit ihrem gefunden Verſtande zufrieden, ei⸗
ne Eigenfchaft, die allen: den. Eünftlichen.
Blitzen, den eiteln Zeitverfürungen des.
Müßigganges vorziehen iſt. . Die Eiche,
dieſe fruchtbare Duelle der feltenften Tugen⸗
den, wachet über die Vortheile des Vaterlan⸗
des, und-ftcht ihnen vor. Ze mehr. man
Gluͤck in feinem Buſen fühlet, defto theue⸗
rer wird das Vaterland. Urtheilet von un-
ferer Wärme für daffelbe. Ohne Zweifel
haben die Weiber daben gewonnen. Statt
der lächerlichen und efelhaften Vergnuͤgun⸗
gen, bie fie aus bloßen Eitelkeit verfolgen,
haben fie unſre. ganze Zärtlichfeit; fie genieſ⸗
fen unferer Hochachkung, fie empfinden in dem,
Beſitze unferer Herzen eine weit gegründetere
und reinere Stückfeligfeit, als in den vorüber»
gehenden" Wolläften, deren ängftliche Ver⸗
folgung fie ermüdere. Sie übernehmen die
Sorge der Erziehung unferer Kinder in den.
erften Jahren: diefe haben feine andern
gehrmeifter, als fie; denn da fie wachfa-
mer und unterrichfeter find als fie zu Eurer
Zeit waren, fo fennen fie das reigende Ver-
gnügen beffer, Mutter im ganzen Umfange
der Beheutung dieſes Worts zu feyn.
Dd
Sa ) 418 (u
Aber (rief ich aus, ) ungeachtet, aller der
Bolltommenheit, deren Ihr Euch) rühmen
fönnet, fo bleibt der Menfch doch immer
Menfch: er hat feine Schwachheiten, feine
Bhantafien, feinen Ekel. Wenn die Fadıl
der Zwietracht die Stelle der Fackel des Hy
men einnimmt, wie machet Ihr es alsdann?
St bie Ehefcheidung erlaubt 3? — Ohne
. 5) Nicolaus 1., der ſich zum Reformator der
“göttlichen, natürlichen und bürgerlichen Gefege
aufwarf, fchaffte die Ehefcheidung im neunten Jahr⸗
Dunderte ab. Sie was fonft bey allen Voͤlkern des
Erdbodens gewöhnlich, und von Juden und Chris
fien angenommen. Wie unglücklich iſt das menſch⸗
liche Geſchlecht! Ein einziger Menich raubt ihnen
- ihre koſtbare Freyheit: er machet aus einem bür
gerlichen Bande, eine unauflögliche, heilige Kette,
und nähret auf immerdar die haͤußliche Zwietracht.
Viele Jahrhunderte geben diefem abgeſchmackten Ges
feße eine unverbruͤchliche Heiligkeit: und die innerli⸗
chen Kriege, die das Innere der Haͤuſer in Aufruhr ſe⸗
tzen, und die Entvoͤlkerung der Staaten, ſind die
Fruͤchte von dem Eigenſinne eines Pabſtes. S
iſt augenſcheinlich, daß, wenn die Eheſcheidung er⸗
laubt wär, die Ehen gluͤcklicher ſeyn würden. Man
würde ſich weniger fuͤrchten, ein Band zu knuͤpfen,
das uns nicht auf ewig an das Ungluͤck feſſelte. Die
Frau würde aufmerkſamer, unterwuͤrfiger ſeyn. De
dieſes Band nur mit Einwilligung beyder NYartbeven
dauerhaft wäre, fo würde es auch feſter gefnäpfet
27) 419 ( Zurk
Zweifel: fo bald fie ſich auf rechtmäßige Urſa⸗
chen gründet: z. B. wann beyde Theile zu⸗
gleich drauf dringen, ſo iſt die ganz wider⸗
ſprechende Gemuͤthsart zureichend, diefes
Band aufzuloͤſen. Man verheurathet ſich
bloß um gluͤcklich zu ſeyn: es iſt ein Ver⸗
gleich, deſſen Zweck Eintracht und gemein⸗
ſchaftliche Sorgen ſeyn ſollen. Wir ſind
nicht ſo unbeſonnen, zwey Herzen, die ſich
von einander entfernen, mit Gewalt zuſam⸗
men zu zwingen und die Strafe des graufer
men Mezentz zu erneuern, der einen lebens
den Körper an einen Reichnam band. Die
feyn. Da überdieß die Bevoͤlkerung weit geringer if,
als fie feyn follte, fo kann man der Unaufloͤßlichkeit
der Ehe die geheime Urfache zuſchreiben, die uns
vermerkt die Fatholifhen Monarchien untergraͤbt.
Wenn fie no) eine Zeitlang fo wohl den ehelofen
Stand, der unter und herrſchet Keine Folge der traue
rigen Negierung,) als auch den geiftlichen eheloſen
Stand, der fic) ein goͤttliches Necht anmafer, dulten :
fo werden fie nichts als nervenlofe Truppen den zahl⸗
zeichen, gefunden und ftarken Heeren derjenigen Voͤl⸗
Eer entgegen zu feßen haben, ben denen die Ehefcheis
dungen erlaubt find. Je weniger der Ehelofen ſeyn
werden, deſto keuſcher, glücklicher und fruchtbarer
rierden die Ehen ſeyn. Die Verringerung der Men:
x
ſchen führet nothwendig ein Reich zu feinem adngtf":
chen Untergange.
| Dd2
han}
De) 420 ( u
Ehefcheidung iſt das einzige vernünftige Mit⸗
tel, weil es der Gefelfchaft wenigſtens zwey
Menſchen wieder giebt, die, einer für den
andern verloren waren. Aber werdet hr
es wohl glauben? Je leichter es bey ung
ift, deſto mehr sittert man davor, weil es
eine Art von Schanbeift, nicht gemeinfchafts
lich die Trübfale eines fo kurzen Lebens er
tragen su Finnen. Unſere Weiber, die aus
Grundfägen tugendhaft find, finden ihe
Glück in häuslichen Vergnügungen : fie find
fees heiter, wann fich die Pflicht mit der
Empfindung vermifcht: nichts ift alsdann
ſchwer und alles nimmt eine rührende Ge
ftalt an.
— HD! wie fränft ed mich, daß ich ſchon
fo alt bin! unverzüglich würde ich eine die
fer liebenstoürdigen Weiber heurathen. Die
Sitten der Unfrigen waren fo ftolz, fo umer-
träglich! Groͤßtentheils waren fie aud) fofal
fche Geſchoͤpfe, fo fchlecht erzogen, daß eg für
eine große Thorheit gehalten wurde, fish zu
verheurathen. Die Coquetterie und der un
mäßige Geſchmack an Ergoͤtzlichkeiten nebſt ei
ner tiefen Gleichguͤltigkeit fuͤr alles, was nicht
fie ſelbſt waren, dieß machte den ganzen Cha⸗
rakter vnſerer Weiber aus. Sie ſuchten die
Re) 421 (ei
Miene einer großen Empfindfamfeit anzu⸗
nehmen: im Grunde aber waren ſie gegen
niemand menſchlich, als gegen ihre Liebha⸗
ber. Jeder andre Geſchmack als der Ge⸗
ſchmack der Wolluſt war ihrer Seele beyna⸗
he ganz fremd. Von der Schamhaftigkeit
will ich hier nichts ſagen: ſie war ihnen et⸗
was Laͤcherliches. Daher zog auch jeder:
weiſe Mann, der aus zwey Uebeln eines zu
waͤhlen hatte, den eheloſen Stand, als das
kleinſte, vor. Die Schwuͤrigkeit, bie Kins
der zu erziehen, war eine nicht weniger groſ⸗
ſe Urſache: man vermied es, Kinder einem
Staate zu geben, von dem ſie nichts als
Unterdruͤckung zu fuͤrchten hatten. So
bezwinget der edelmuͤthige Elephant, wann
er einmal gefangen iſt, ſich ſelbſt, und
uͤberlaͤßt ſich nicht dem ſuͤßeſten Triebe, da⸗
it er nicht ſeine Nachkommenſchaft zu
Sklaven mache. Selbſt die Ehemaͤnner wa⸗
ren in ihrem Entzuͤcken ſo aufmerkſam, ein
Kind aus ihrem Hauſe zu entfernen, als
man einen Vielfraß zu entfernen ſuchet.
Der Menſch floh den Menſchen, weil ihre
Einigkeit ihr Elend nur verdoppelte! Arme
Mädchen, die an den Boden, two fie ge
boren wurden, geheftet blichen, ſchmachte⸗
One ) 422 ( Ein
ten, wie bie Bhmen, bie von der Sonne
verbrannt, erbleichen und auf ihren Stan
geln vermwelfen. Der größte Theil fehleppte
die Begierbe verhenrathet zu werden mit ſich
bis in dag Grab: Langeweile und Verdruß
fponnen die Augenblicke von ihrem Kebengfa-
den: fie Eonnten fich auch diefe Beraubung
nicht anders als mit Gefahr ibrer Ehre und
dem Verluſte ihrer Gefumdheiterfegen. End
lich war die Zahl der Ehelofen big aufs hoch⸗
fie geftiegen, und was das groͤßte Unglüd
war, fo ſchien die Vernunft diefe Werlegung
der Menſchlichkeit 6) gu rechtfertigen. Fuͤh⸗
ret mir Doch zu ineinem Troſte das ruͤhrende
6, Der Geſchmack an einen ehelofen Stande
reißt gemeiniglic) alsdann ein, wann die Regierung
fü (dicht als möglich wird: Der Bürger, ſo bald et
dem ſuͤßeſten Bande entriffen it, machet ſich under⸗
merkt auch von der Liebe zum Leben los. Der Seibſt⸗
mord wird häufiger. Die Kun gu leben iſt eine
ſo ſchwere Kunſt, daß die Exiſtenz eine Laſt wird.
Man wuͤrde alle phyſiſche Uebel zuſammen ertra⸗
gen haben: aber die politiſchen Uebel ſind hundert⸗
mal fuͤrchterlicher, weil ſie nicht nothwendig da
feun mußten. Der Menſch verwuͤnſcht die Geſell⸗
ſchaft, die ihm feine Kuͤmmerniſſe erleichtern ſollte,
. und gerbrigt feine Feſſeln. Man zählete it Paris
in Sabre 1769. hundert fieben und viersig Perſo⸗
nen, die ſich ielhk entleibt hatten.
) 423 (En
Gemälde Eurer Sitten vollende aus. Mie
habt ihr die Plagen wegſchaffen fönnen, die
das menfihliche Gefchleche gänzlich zu bei»
tilgen fchienen.
Mein Führer nahm einen erhabenern Ton
der Stimme an, und ſagte mit einer Be⸗
geiſterung von Adel und Wuͤrde, indem er
die Augen gen Himmel erhob: „O Gott!
iſt der Menſch ungluͤcklich, ſo iſt es ſeine
Schuld; es koͤmmt daher, weil er ſich von
den Menſchen entfernt, weil er ſich in ſich
ſelbſt verſchließt. Unſere Thaͤtigkeit verzeh⸗
ret fi) in nichtswuͤrdigen Gegenſtaͤnden,
und vernachlaͤßiget diejenigen, die uns be⸗
reichern koͤnnten. Indem die Fuͤrſehung
den Menſchen zur Geſellſchaft beſtimmte,
gab fie ung nebſt unfern Uebeln auch bie
Mittel, fie ung zu erleichtern. Wo fann eine
firengere Verbindlichkeit fegn, als die, ung
unter einander liebreich zu unterftügen !- Iſt
e8 nicht der allgemeine Wunfch des menſch⸗
lichen Sefchlcchtes? Warum iſte er ſo oft hin⸗
tergangen worden!
Ich wiederhole es nochmals: unſere Wei
ber find Chegattinnen und Mütter, ‚und
aus diefen beyden Tugenden fließen alle die
übrigen. Unſere Weiber wuͤrden ſich be
Grin) 024 (re
ſchimpfen, wenn fie ihr Gefichte mit rother
Sarbe befchmierten, Zobafnähmen,gebrannte
Waſſer traͤnken, auf ber Leyer fpielten, li
derliche Gefänge anftiimmten, und fich mit
den Männern auf eine verdächtige Art ge
meint machten. Eie haben ficherere Waffen:
die Sanftmuth, die Befcheidenheit, uner
Tünftelte Grazien und dieſen edlen Anftand,
der ihr Erbeheil und ihr wahrer Ruhm
iſt 7).
Sie fillen ihre Kinder, ohne daß fie glan-
ben etwas außerordentlicheg zu thun, und da
es nicht eine bloße Grimaſſe ift, fo haben fit
auch an Milch einen Ueberfluß und fie ift rein.
Man machet bey guter Zeit den Körper des
Kindes feft: man lehret es ſchwimmen, Laſten
heben, in der Entfernung richtig werfen.
Die phnfifche Erziehung fcheint ung wich⸗
tig. Mir bilden feinen Korper, che wir
noch etwas feinem Gedächtniffe einfchärfen:
7) So lange die Weiber in Frankreich bar
ſchen, den Ton angeben, über das Verdienſt und
das Genie der Männer urtheilen: fo lange mer
den auch die Franzoſen nicht die Standhaftigkeit
der Seele, die meife Oekonomie, die anftändige
Ernſthaitigkeit, und den männlichen Charakter be
ben, der freyen Meuichen zukoͤmmt.
*— ) 45 (ee
es muß nicht einen Papageyen - fondern eb
nen Menfchenkopf haben.
Die Mutter machet fich die Morgenrdthe
feiner jungen Gedanken zu Nutze. Sobald
feine finnlichen Werkzeuge ihrem Willen ges '
horchen innen, denft fie nach, auf welche
Are fie feine Seele zur Tugend bilden muͤſſe.
Da fie feinen empfindlichen Charakter in
Menfcylichkeit, feinen Stolz in Hoheit der
Seele, feine Neugierde in Kaͤnntniß erhab⸗
ner Wahrheiten verwandeln fol; fo denkt
fie den rührenden Fabelu nad), deren ſie ſich
bedienen will, nicht um die Wahrheit zu
verbergen, fondern um fie liebenswuͤrdiger
zu machen, damit nicht ihr blendender Glanz
die Schwachheit feiner noch unerfahrnen
"Seele verwunde. Sie mache über alle feine
Geberden fowohl, ale über alle die Worte, Die
man in feiner Gegenwart ausſpricht, damit
fein einsigeg einen nachtheiligen Eindruck auf
fein Herz mache. So verwahret fie e8 vor
dem anftecfenden Hauche des Laſters, bet
: fo gefchwind die Blume der Unſchuld ver
ſenkt. | j
Die Erziehung ift bey ung nad) dem Ge
ſchaͤfte verfchieden , zu den einftend dag
Kind in der Sefellfchaft beſtimmt wird ; denn
2m) 426 ( rk
ob wir gleich von dem Sjoche der Pedante⸗
ren befrenet find, fo würde es doch laͤcher⸗
Jich ſeyn, daſſelbe etwas lernen zu laffen,
was es eined Tages wieder vergeffen fol
Jede Kunft bat ihre Tiefe, und man muß
fidy ihr ganz wiedmen, wein man darin⸗
nen. vortrefflich feyn will. Der Geift dei
Menſchen, (bis auf die außerordentglichen
Bentes, 10 die Natur Wunder getban,)
Fann ungeachtet der neuerlich entdeckten
Hülfsmittel nur Einen Gegenftand ganz um⸗
faſſen. Es iſt genug, wenn man fich nur
daran feſthaͤlt, man braucht ibm nicht am
dere Ausfälle vorzufchreiben, die eg leicht
Son feinem eigentlichen Zwecke abführen.
Es war zu Eurer Zeit etwas fehr Lächerle
ches, daß man ein allgemeiner Gelehrter
ſeyn wollte: bey ung hält man es für eime
Thorheit.
Bey mehrern Jahren, warn fein. Has
bie Verhaͤltniſſe fuͤhlet, die ihn mit an
dern Menfchen| vereinigen, wird ihn die Mut⸗
ter, fiatt der nichtswuͤrdigen Kenntniſſe, die
man ohne Wahl in den Kopf eines jungen
Menfchen bineinpfropfte, wird fie, fage id
mit der fanften und natürlichen Beredtfamteit,
bie den. Weibern eigen ift, ihn Ichren, was
a) 407 (En
te Sitten, Befcheidenheit und Tugend find,
sie wird ben Augenblick ertwarten, wo bie
atur, in ihrer ganzen Pracht gekleidet, su den
rempfindlichſten Herzen fpricht, und wann
r fruchtbare Hauch des Fruͤhlings den
haͤlern, den Wäldern und Feldern ihren
ichmuck wird wieder gegeben haben: fo wird
zu ihm fagen, indem fie ihn an ihren mütterr
hen Bufen drückt zy: „MeinSohn, fiehe dies
grünen Wiefen, diefe, mit dem prächtigften
ube gefrönten- Bäume: vor kurzem waren
noch wie tobt, ihres prächtigen Haupt⸗
mucks beraubt, von dem Froſte erſtarrt, Der
e Eingeweide der Erde verfchloß: aber es
ein gütiges Weſen, das unfer aller Vater
Niemals verläßt er feine Kinder, er
ohnet im Himmel und wirft von daraus
ıen väterlichen Blick auf alle feine Gew
oͤpfe. So bald er lächelt, ſchießt die Son.
ihre Strahlen ab, die Bäume blühen, die
de kroͤnet fich mit feinen Geſchenken, das
·as waͤchſt zur Nahrung der Thiere, deren
3) Cebes ſtellt und den Betrug vor, wie er am
Thuͤre fit, die zum Leben führet, und allen,
fih. daſelbſt einftellen, die Schale des Irrthums
het. Diele Schale ift der Aberglaube. Glück
wer, fobald er davon gefoftet, das Gefäße gleich
zgeworfen hat. |
Sm (425 ( ke
Ri wir trinken. Und warum lichen wir
Bei Gett jo ſehr, mein Kind! Merke es!
weil ee almächtig und allgütig iſt. Allee,
was ir chſt, in das Verf feiner Hände,
wu ler, mas du fichit, iſt noch nichts ges
sen did, mas dir verbergen iſt. Die Ewig—
keit, für die er beine mmiterbliche Eeele er:
ſchaffen kur, wird für dich eine unendlich
Folge nen Erftannen und Freude ſeyn. Sei⸗
we Eün, feine Grote babe feine Grän
zen. Er liebt uns, meil er unfer Vater if.
Mor Tage zu Tage mird er ung mehr Gu⸗
tes than, wenn wir tugendhaft find, d. i.
wenn mir fernen Geboten folgen. Ach! mein
Sohn— mir wäre es moͤglich, daß wir ihn
nicht anderen, ihm nicht danfen follten!,
Mir diesen Worten werfen fi) Mutter und
Kind zur Erden, und ihre vereinten Gelübbe -
fieigen zugleich zun Throne dee Ewigen auf.
Auf dieſe Art umgiebt fie es gleichfam mit
den Gedanken eines Gottes; fo nähret ſie ſei⸗
ne Seele mit der Milch der Wahrheit, und
fagt zu fich felbit: „ch will dte Abſichten ded
Schoͤpfers erfüllen,der mir dieſes Kind anver⸗
trauet hat. Ich werde mich der traurigen kei⸗
denſchaft firenge widerfegen,die feinem Glüdt
ſchaden koͤnnen. Mit der Zärtlichkeit einer
RD) 429 (er.
Mutter will ich die nie eingufchläfernde Wach«
famfeit einer. Freundinn verbinden. ,
Ihr habe vermuthlich gehoͤret, in wel—⸗
chem Alter er zur Gemeinſchaft der beyden
Unendlichen eingeweihet wird. Die ift un
fere Erziehung; fie beruht ganz auf Empfins
dungen, wie Ihr wohl ſeht. Wir verab«
ſcheuen den immer lauf lachenden twigigen
Kopf, der die entfeglichfte Plage Eures Jahr
hunderts war: er vertrocknete und verfengte
alles, was er berührte: aus feinen Artigkei⸗
ten keimten alle Lafter hervor. Wenn aber
der wißelnde Ton gefährlich ift, was ift die
Vernunft felbft ohne Empfindung? Ein ent
fleifchter Korper ohne Farbe, ohne Grazie
und beynahe ohne Leben. Was find neue
und felbft tiefe ideen, wenn fie feine Ems
pfindung, Fein Leben haben? Was nuͤtzt mir.
eine kalte Wahrheit, von der ich erftarre?
Eie verliert ihre ganze Kraft. Aus dent
Herzen muß die Wahrheit ihre Meize und
ihren Donner holen. Wir lieben diefe Bes
redfamfeit, die reich an lebhaften und tref-
fenden Gemälden if. Sie iſt es, bie
dem Gedanfen feurige Flügel giebt. Sie
bat den Gegenftand gefehen , fie hat ihn
getroffen; fie haͤlt ihn feft, weil dad. Ver⸗
\: R
>=) 430 (ee
gnuͤgen bewegt zu feyn, zu dem Vergnügen
erleuchtet zu werden, hinzukoͤmmt 9).
Unfere Philofophie ift folchergeftalt nidt
firenge, und warum follte fie eg feyn? Wars
‚um follten wie fie nicht mit Blumen be
kränzen? Würden munderliche oder traurige
Borftelungen der Tugend mehr Ehre ma
hen, als lächelnde umd nutzbare Ideen?
Wir glauben, daß das Vergnügen, dag aus
9) Wir. rechnen mehr auf die dugern Gitten,
das iſt, auf die Gewohnheit, ald auf irgend eine at,
dere Sache: daher koͤmmt es auch, daß mir die Er:
ziehung verabfädmen. Die Alten behandelten dis
Sachen auf eine weit finnlichere Art, und wußten
auf die Erlernung ver Wiſſenſchaften, ich weiß
nicht, welche Anmuth zu fireuen, von der man dad.
Geheimniß ganz verioren bat. Der Geik der
Neuern fündiget allezeit aus Mangel, der Empfin⸗
dung: fie haben unter der Ruthe der Pebdanterey
die gluͤcklichſten Talente verdrängt. Iſt wohl in
der Welt eine lächerlichere Anftalt, als die Stif⸗
sung unferer Collegien, wenn man unfere trocknen
und todten Lehren mit der oͤffentlichen Erziehung
dergleicht, die Griechenland den jungen Leuten gab,
mdem ed die Weisheit mit nalen den Reizen
chmuͤckte, die uur diefes zarte Alter entzuͤcken fännen?
Unfere Stifter [deinen nichts als wilde Schulmeis
fter gemwefen zu ſeyn, und man darf fich nicht wun⸗
dern, wenn ihre Schüler die erſten m, die he
verlaſſen und fliehen.
en) 431.( are.
einer wohlthätigen Hand gefloffen, nicht her⸗
ab auf die Erde gefommen ift, damit man,
vor ihrem Anblicke zurückfchaudere. Das
Vergnuͤgen ift fein Ungeheuer: das Vergnuͤ⸗
gen, wie Young gefagt hat, ift die Tugend
unfer einem freudigern Namen. Weit ent
fernt , die Leidenfchaften, die unfichtbaren
Triebfedern unſers Weſens vernichten zu
wollen, fehen wir fie, vielmehr als ein koſt⸗
bares Gefchenfe an, mit dem man forgfältig
haushalten muß. Glücklich ift die Seele,
die flarfe Leidenfchaften befißt! fie machen
ihren Ruhm, ihre Größe, ihren Reichthum
aus. Ein Weifer unter uns beffert feinen
Verſtand, verwirft die Vorurtheile, ftrebet
nach dem Befiße nüßlicher und angenehmer
MWiffenfchaften. Ale Künfte, die feiner
Derfiand eriveitern und berichtigen koͤnnen,
haben feine Seele vollfommmer gemacht.
Iſt diefe Arbeit gethan ; fo hoͤret er bloß die
Natur, die fich den Gefegen der Vernunft
unferwirft, und die Vernunft zeichnet ihm
das Gluͤcke vor 10).
10) Das Feuer der Leidenſchaften if nicht die
Urfache unferer Unordnungen: diefes unbändige,
ungesähmte Roß, das unter der Hand eines ſchlech⸗
ten. Reuters durchgeht, ihn berabkürzes und mit
Rz) 432 ( nk
Neun und dreyßigſtes Kapitel,
Die Auflagen »,
aget mir, ich Bitte Euch, wie erhebet
Ihr denn bie öffentlichen Abgaben:
Füßen tritt, würde dem Zaume, unter der Syeb
gürte eines verſtaͤndigen Reuters gehorchen: mau
würde es den Preis eines ruͤhmlichen Wettrennen
gewinnen ſehen. Schwache Leidenfchaften verms
then unfere Armuth. “In der That, was ik ime
ſchwerfaͤllige, ſtumme Bürger, deſſen gefchmadiek
Seele an nichts ein Vergnuͤgen findet, der friedlie⸗
bend iſt, weil er uuthätig iſt, der wie eine Pflame
lebt, und ſich leicht von feiner Obrigkeit lenken laͤßt,
weil er kein Verlangen fühlt. Iſt er cin Menſch,
sder eine Bildſaͤule? Setzet neben ihm einer
Menfchen, der voller Ichhafter Entpfindungen ik. €
wird ſich dem Ungeſtuͤme feiner Leidenfchaften übers
laſſen, er wird die Decke der Wilfenfchaften ger⸗
reißen: er wird Fehler begehen, er wird Genie bes
ben. Ein Feind der Rube, begierig nach Kaͤnnt⸗
niſſen, wird er in dem Kampfe der Welt den eu
habenen und erleuchteten Geift gewinnen, Der dem
Vaterlande dienen wird." Er wird vielleicht BI
fen aeben, aber er wird die ganze Kraft feiner Eee
le gegeiget haben: die Flecken, die ihn deckten, wer
den verſchwinden, weil er groß und nuͤtzlich gewe⸗
fen feyn wird.
1, Meine Freunde, hoͤret einmal folgende Fe
bel. „Kurz nach dem Lrfprunge der Weit, mm
a ) 433. ( rare
denn Eure Gefebgebung, mag fo vollkom⸗
men geworden feyn, als fie nur will, fo
ein großer Wald von Citronenbdumen, die Pie
ſchoͤnſten, reichen, gluͤhendſten Zrüchte trugen, bie
man feit dem nur geſehen bat. Die Aeſte bogen
ſich unter ihrer Laft, und die Luft war ſchon in
der Entfernung von dem füßen Geruche, dem fie
Ansdufteten, balfamiret. Indeſſen fchlugen einige
nugeſtuͤme Winde viele Eitronen ab, und zerbra⸗
chen ſo gar viele Zweige. Einige durfige Wande⸗
rer riſſen Fruͤchte ab, um ihren Durſt iu ſtillen⸗
und traten fie mit güßen, nachdem‘ fie den Saft
beraus gedruͤckt hatten.’ Dieſe Zufälle bewogen
das Citronenvolk, ſich Hüter zu verſchaffen, die
die Voruͤbergehenden abhalten, und den Wald mit
hohen Mauern umgeben ſollten, um auch der Wutb
der Winde Trotz zu bieten. Diefe Hüter waren an⸗
fangs treu und uneigennüsig: aber es waͤhrte
nicht lange, fo thaten fie die Erklaͤrung, dag fo
barte Arbeiten ibnen einen unerträglichen Durk
verurfachet hätten: fie baten alfo die Citronen fols
gendermagen: Ihr Herren, wis flerben vor Durſt,
Indem wir Euch dienen: erlaubet doch, daß wir
Jeder von Euch nur einen Heinen Schnitt geben:
wir verlangen nicht, als nur einen en Saft,
um unfere verdörrten Gaumen abzufüblen, Sur
werdet dadurch nichts magerer werden, und wie
und unfere Kinder werden dadurd) neue Kräfte iu
der Ehre befommen, Euch zu dienen.,
Die' leichtgidubigen Citronen fanden die Bitte
nicht unbiltig: fie eriaubten ihnen einen unmerklis
en Aderlaß. Aber was et So bald der
e
v
ze ) 434 ( er
müßt Ihr doch, wie ich glaube, Abgaben er⸗
Segen? Statt aller Antwort, nahm mich ver
ehrliche Mann, der mich begleitete, bey der
Hand, und führte mich auf einen großenund
weisen Kreuzweg. Hier fah ich einen Geldka⸗
fen von zwoͤlf Zuß hoch. Diefer fund uf
vier Rädern: die Thüre hatte oben eine Def
Schnitt einmal geſchehen war, fo drückte die hand
ber Herrn Veſchuͤtzer erft ganz höflich, aber von Ta⸗
se zu Tage immer kraͤftiger. Es gieng fo weil,
daß fie Beinen Saft mehr geben konnten: fie weis
gen welchen zu allen ihren Mablieiten und an al⸗
le ihre Bruͤhen haben. Die Herren Aufſeher nb
deckten, daß die Citronen deſto mehr gaben, je des
ger man fie druͤckte. Als ſich dleſe fo haͤuftg Mer
laſſen ſahen, wollten fie ſich auf ihre erfien Bere
gleiche berufen: aber jene, da fie die ſtaͤrkern ges
morden waren, warfen fie in Die Preffe, und druͤd⸗
te fie ohne Raaße, fie niochten ſchreyen, wie fi
wollten. Es blieb ihnen endlich nichts mehr Wbrig,
als die Haut, und auch Lie unterwarf' man dei
beweglichen Kräiten des ſchrecklichen Preßſtads:
kurz, es emdigte ſich damit, daß fie ſich in dem Blu⸗
te der Citſ en badeten. Diefer fhöne Bald wur
de bald lichte Das Gefchlecht der Citronen gien
ein: und ihre Tyrannen an. diefen erquickenden
Trank gewöhnt, fanden fich, wegen ihrer allzu gref
fen Berfhwendung bald deffen beraubet: fie mur
ben und fiurben alle an einem faulen Zieher.
men;
SsDem ) 435. ir >
I
nung in Geftalt eines Stocks, den ein Dach}
das in einer Fleinen Entfernung davon errich«
tet war, wider ben Regen deckte. Auf dieſem
Stock fund gefchrieben : Soll für den Koͤ⸗
nig, in fofern erpen Stant.fürftelle. Gleich
darneben war ein anderer Stock, von einer
mäfigern Größe, mit den Worten: Sreys
williges Befchente, Ich ſah viele Perſy⸗
nen, die mit einer freyen, heitern und zufrie⸗
denen Miene in den Stock viel verfiegelte
Packete warfen: ſo wie man in Paris heute
zu Tage die Briefe auf die Hauptpoſt hineitts
ſteckt. Da ich diefe Jeichte Art die Steuerh
ju bezahlen bewunderte, und darüber tau⸗
ſenderley Fächerliche Fragen that: fo ſah
man mich für einen armen Greis an, ber
aus fehr fernen Landen koͤmmt: und die ge
Tprächige Nachſicht diefes guten Volks ließ
mich niemals eine Antwort vergebens er-
warten. Ich geftehe ee, man muß kraͤn⸗
men, um fo gefällige Leute zu finden. O!
das gute Volk! |
Diefer große Kaften, ben Ihr fehet, fagte
man mir, ift unfer Generalzolleinnehmer.
Hier leget jeder Bürger das Geld nieder,
Dad er zur Unterhaltung bed Staats zu ge
ben ſchuldig ift. In den einen find wir ver
Era
ae) 436. (rei
Bimbden jährlich den: funfzigften Theil unſerer
Einfünfte zu legen. Der Lohnarbeiter, ber
fein eigened Vermögen hat, oder ber, ber
bloß fo viel hat, als er zu feinem Unterhalte
bebarf, iſt ganz Stenerfigy 2); denn wie
. 2) Golgended fönnte ungefähe der Arbelto,
der Landmann, kurz das Volk zu deg Monarchen
Tagen. „Wir baden Euch Aber unſere Hua
‚erhoben: wir haben dem Blake Eures Throne
und der. Sicherheit Enrer Verſonen unfere Gürke
und unfer Leben verpflichtet. Ihr habt und ‚im
‚Gegentbeil verfprochen, ung den Ueberfluß zu ver⸗
ſchaffen, und daß uns uuſere Tage ohne Unrube
verflicken folen. Wer hätte glauben follen, dag
‚unter Eurer Regierung’ dle Freude aus unfak
Fluren verſchwinden, unſere Feſte ſich in Trauer
2age. verwandeln, dad Furcht und Schrecken den
ſuͤßen Vertrauen folgen fölten ! Vormals Idchels
ten unfere blühenden Sluren unfern Augen; unfers
“Gelder verfprachen und; unfere Arbeiten zu vera
ten. ent geht die Frucht unſers &Schweißes ik
fremde Hände über: unfere Hütten, die, wir mit
‚fo vielem Vergnügen aufputzten, fallen über den
Haufe: unfere Öreife und unfere Kinder wigen
nicht mehr, wo fie ihre Häupter Binlegen follen:
anfere Klagen verlieren fih in den Lüften, und
mit jedem Morgen folget dem Elende, unter dem
wir geſtern feufjeten, ein neues, noch fchrecklichere.
‚Kaum iR und noch ein Zug von der menschlichen
Geſtalt übrig geblieben, und Die Thiere, die dad
27) 437 (er.
koͤnnte man das Brod des Ungluͤcklichen bea
nagen, der einen ganzen Tag braucht, um
Gras abmaͤhen, find ohne Bwnifel weniger unglüde
lich als wir.
Noch empfindlichere Streiche Kürten auf unfes
se Hdupter daher. Der Mädhtige verachtet und,
und geſteht und fein Gefuͤhl von Ehre in: er bes
unruhiget und unter unſerm Strobdarhe, er raubt
unfern Zochtern ihre Unfchuld, ex entführet fies
fie werden eine Beute der Unverſchaͤntheit. Vers
gebens Ichrepen wir den Arne, der. bad Schwerdt
der Belege trägt, um Hülfe an: er wendet ſich
wes, er verfaget ſich unfern. Sthmerzen, er hoͤret
nur auf die, Die und unterdruͤcken.
Der Anblid Des Stolzes, der unſers Elendes
fpottet, machet unfern Zuſtand noch unerträglis-
her. Man trinkt unfer Blut, und man verbeut
uns die Klage! Der harte Mann, von. einer ſtol⸗
zen Verſchwendung umgeben, trotzet auf Werke,
Die unfere Hände gearbeitet haben: er vergißt unſern
eigenen Fleiß, indeſſen, daß er nur feinen nieder»
traͤchtigen Durſt nad) Golde u befriedigen ſuchet:
ex haͤlt ung für feine Sklaven, weil wir weder wäs-
tende, noch blutgierige Menſchen find,
Die inımer neuem VBedürfniffe, die und quälen,
haben uufre fanften Sitten geändert: Untreue
und Raubfucht haben fi) unter uns eingefchlichen,
weil die Nothwendigkeit, zu leben, gemeiniglidh
über die Tugend fiegt. Aber wer hat und denn
Das Beyſpiel des Raubes gegeben? Wer bat in
unfern Herzen diefen Grund von Redlichkeit ver⸗
drängt, die und alte in eine vollkommene Eintracht
He) 8 (ee
e8 zu verdienen? In jenem anbern Kaſten
find die freymilligen Gaben, beſtimmt m
band? Wer dat das Umglüd, die Mutter unfſret
Lafer, über uns gebracht? Viele unferer Mithuͤr⸗
ger babem fich geweigert, Kinder zu erzeugen, dis
der Hunger in den Wiege verschren würde. Ar⸗
dere ‚haben im ihrer Verzweiſtung Die Worfehung
gelaͤſtert. Wer find ve wahren Urheber dieſer
Deteehen!
D möchten doch unfere gerechten Klagen bie
Atmofpbäre durchdringen, Die die Thronen ums
giebt! Möchten die Könige ermachen, und fi es
innern, daf fie am unferer Stelle hätten innen
geboren werden, und ibre Kinder in dieſelbe berab>
fleigen koͤmten. Wir find an den Boden des Bes
teriaudes gefefielt, oder machen vielmehr das wah⸗
re Vaterland aus: mithin Finnen wir und nicht
Der Pflicht entziehen, für feine Bebürfniffe zu fürs
gen. Wir verlangen nur einem billigen Mann, der
ſich Mühe giebt, das Mans unferer Serdfte kennen
zu lernen, und der uns nicht unter der Lak erdruͤ⸗
cken möge, die wir in einem gerechtern Berbdltnif
fe mit Freuden würden getragen haben. Niödenn
mürden wir zufrieden und reich von unfrer Haufs
haltung, vergnügt über unfer Schickſal, das Glüd
anderer ohne irgend einige Unruhe über unfer eiges
nes betrachten.
Die Hälfte unfrer Tage iſt mehr als zur Hälf
te zuruͤcke gelegt. Zur Hälfte ik unfer Hen
dem Schmerze überlafien. Wir Gaben nur weni⸗
ge Augenblicke noch zu leben. Die Wuͤnſche, di⸗e
wir (hun, ergehen mehr für Das Vaterland, ald ſat
Fa)
nuͤtzlichen Stiftungen, : ald z. B. zur Aus⸗
führung vorgefchlagener Projekte, die dem
Öffentlichen Beyfall haben. Bisweilen ift
er reicher ald der andere: denn mir haben
gern in unfern Sefchenfen unſre Freyheit,
und unſere Großmuth verlangt keinen an⸗
dern Bewmegungsgrund, als die Vernunft
und die Liebe des Staats. So bald unſer
Koͤnig einen heilſamen Befehl gegeben, der
den öffentlichen Beyfall bat; ſobald kommen
wir haufenweiſe und bringen in dieſen Stock
einen Beweiß unſerer Erkaͤnntlichkeit. Wir
belohnen auf eben dieſe Art alle wachſame
Handlungen bes Monarchen: er braucht
und felber. Wir r nd. feine Stägen. Aber wenn |
Die Unterdrädung von Tage zu Tage zunimmt, Yo*
muͤſſen wir finten, und das Vaterland muß über
den Haufen fallens is feinem Einſturze wird es
unfere Tyrannen zugleich zerſchmettern. Wir vers:
langen nicht diefe eitle und traurige Rache. Was.
würde uns im Grabe dad Ungluͤck eines.andern hel⸗
fen? Wir reden dey Monarchen zu, ob fie noch
Menfchen find: aber wenn fich ihr Herz gaͤmlich
verbärtet bat, fo werden fie bald erfahren, daß wie
3 Berhen willen, und daß der Tod, der und bald
alle treffen wird, eines Tages denen weit fchredlis.
cher ſeyn wird, als er es für ung war.
: Diele Anmerkung if zum heil aus einem Bus’
che eutlehnet, das den Titel führet ; "Die Menſchen⸗
Oz) 40 (Ee
nur vorzutragen, und wit verfchaffen ihm
die Mittel, feine großen Entwürfe aus
führen. In jedem Viertel der Stadt ift fo
ein Stod. Jede Stabt in der Provinz het
einen folchen Kaften, worinnen bie Stenern
vom Landvolke gefammelt werben, das if,
Yon dem Butsbefiger, der fein gutes Aus
fommen bat: benn ber Handarbeiter bat
nichts als feine Arme zum Eigenthume
‚und fein Kopf ift niemanden etwas ſchul⸗
dig. Die DOchfen und die Schweine find
fogar von ber -verhaßten: Abgabe frey, bie
man das erfiemal auf den Kopf ber Yuben
legte und Die Ihr bezahlet habet, ohne ba
Echimpfliche davon zu fühlen.
e — ber, verfeßte ich; iſt es mögli!
Man überläßt dem Volke die Steuer, bie
es bezahlen muß, auf Treue und Glauben?
Wird es nicht viele geben, hie nicht® bezah⸗
len, ohne daß man bavon etwas weiß?! —
Keinesweges: Eure Beforgniß.ift vergebene.
Fürs erfte geben wir bag, was wir geben,
aus gutem Herzen: unfer Zoll iſt nicht er⸗
zwungen: er gründet fich eben fo ſehr auf
bie Billigfeit, als auf die gefunde Vernunft.
Es ift nicht ein eingiger unter ung, der ſichs
nicht zur Ehre machte, aufs genauefte die
Ze) 441 ( iur
heiligſte und rechtmäßigfte Schuld zu bezah⸗
len. Zweytens, woferne ein Menſch, dee
bezahlen kann, fich derfelben entzoͤge: ſo ſeht
einmal diefe Tafel! — Auf biefer fichen bie
Namen aller Hansodter gefchrieben. Man
würde bald denjenigen entdecken, der nicht
fein verficgeltes Packet hHineingeworfen, das
fein Petſchaft und feine Unterfchrift haben
muß: alsdann würde er fich mit einer wir -
gen Schande bedecken, man wuͤrde ihn mit
eben den Augen, wie einen Raͤuber anſe⸗
ben: der Name eines ſchlechten Bürgers
würde ihm bis ind Grab folgen,
Diefe Benfpiele find hoͤchſt felten, meil die
freytilligen Gaben ſich ordentlich Höher al6
bie Steuer belaufen. Der Bürger weiß, da,
wenn er einen Theil feiner Einfüufte dem
Staate giebt, er fich felbft nüßer; und baf,
wenn er geweiffer Bequemlichkeiten genießen
will, er felbft bie erften Schritte dazu thun
muͤſſe. Aber was find Worte, warn ich
Euch das Beyſpiel vor Augen legen kann?
Ihr werdet beffer fehen, ale ich eg Euch ſa⸗
gen kann. Heute iſt der Tag, da von als
len Seiten der gerechte Zoll eines getreuem
Volks für einen mwohlthätigen König ein«
läuft s- er erfennet es, baß ihm die Gaben,
Sm) 442 ( ent
die man ihm bargebracht, bloß als ein
Pfand anvertrauet werben. ur
Kommt mit: mir in den Edniglichen Pa⸗
laſt. Die Deputirten jeder Provinz fommen
heute an. — In der That; kaum hatte ich
einige Schritte gethan, fo fabe ich Men⸗
fchen die Eleine Wagen fuhren, auf ben
Käftchen mit Lorbeern gefrönt fiunden. Man
- brach die Eiegel von ihnen.ab, bob fie auf
eine fehr genau berichtigte Wage, und bieft
zeigte gleich durch das Gewichte die Sun
me, bie c8 enthalten mußte, indem mar
die Schwere des Kaſtens, die ſchon befannt
war, davon abzog. Alle Summen wurden
bloß in Gelde besahlt, und man wußte aufd
genaucfte das allgemeine Produkt: es wur⸗
de Sffentlich unter Pfeifen und Trompeten.
ſchall angefündiget. Nach dieſer allgemeir
nen Anzeige, gab man das Ganze an, und
man wußte die Einkünfte des Staates; fit
‚ wurden in ben Eöniglichen Schaß unter ber
Aufſicht bee Kronſchatzmeiſters niederg⸗
legt.
Dieſer Tag war ein Tag der Freude.
Han bekraͤnzte ſich nie Blumen: man
fchrie: Es lebe der Bönig! Man sgieng
jeber anfommenden Kaffe auf den Stroßen
an) 443 ( ne
entgegen.- Dieſe waren mit Tifchen voll laͤnb⸗
licher Erfrifchungen befebt. Die. Deputir«
ten der. verſchiedenen Provinzen bewillkomm⸗
ten ſich und machten einander Geſchenke.
Man trank auf die Geſundheit dee Monar-
chen unter dem Donner der Kanonen, und.
der in ber Hauptfiadt antwortete als ber
Dollmetſcher der Dankffagungen des Mon⸗
archen. Itzt ſchien das Volk nur ein Ein⸗
ziges, ja nur Eine- Familie auszumachen.
Der Koͤnig kam mitten unter dieſes freudige
* Er beantwortete die Zurufungen ſei⸗
rthanen durch den zaͤrtlichen Blick,
den Vertrauen einflößt und Liebe für
Liebe zuruͤcke giebt! er kannte nicht die Kunſt
mit einem Volke politiſch; zu handeln, für
defien Vater er.fich hielt.
. Seine Befuche flürzten die Stadt um o
viel weniger in einenverberblichen Aufwand,
da es dem Volke nichts, als Freudengeſchrey
koſtete 3): eine weis glängendere, weit
3) Ich fah eines‘ Tages einen Fürken feinen:
Einzug in eine fremde Stadt halten. Die Kano⸗
sien fiengen an zu donnern. Der Prinz war praͤch⸗
tig gekleidet, und wurde in einem goldnen Wagen,
der mit Edelfnaben und Bedienten überladen war,
gesogen. Wiehernd -forangen die Pferde, als ob
fie das Shid einherführten. Die Dächer waren
HDD) 444 (tie
fchmeichelhaftere Aufnahme! Man verlief
nicht die Iffentlichen Arbeiten: im. Gegen
mit Menfchen bededt, alle Feuſter waren ayögehes
ben, jeder Pflaferfiein trug feinen Wann: bie
Reuter ließen ihre Saͤbel bligen, die Soldaten ide
ze Gewehre. Die Luft zitterte von dem Wieder⸗
halle der Trompeten. Der Dichter ſtimmte feine
Leyer, und der Reduer wartete, bis er den Fuß
auf die Erde feen würde. Der Prim kam an, er
wurde in den Pallaft geführt, und fein Anblick Aöbs
te eine chrerbietige Srende ein. Ich war an dis
nem Fenſter, und ſah dieß alles mit an, indem ich
meine befordern Betrachtungen daruͤber anftelite
Einige Enge darnad) gieng ich auf ber Straße, und
erflaunte, als ich eben dieſem Fürften ohne
ge, zu Fuße, und verkleidet begegnete. J
nicht recht, warum Fein Menfch ihn zu: bemetten
ſchien: im Gegentheil erhißlt er mit jedem Schrit⸗
te einen Stoß. Zu gleicher Seit kam ein Charla⸗
tan, der auf einer Art von Eleinen Wagen ſaß—
welcher mit vielen großen Hunden befpaunt Wat,
und einen Affen zum Bokillion hatte. Den Aus,
genblick giengen alle Fenſter auf, es erhob fick ein
lautes Geſchrey, aller Augen gieng nach dent Char⸗
latan. Der Fürft felb von dem Haufen mit forte
gerifien, murde einer feiner DBewundsser. Ich fab
ibn au, und es kam mir vor, als hörte ich ihn ſa⸗
gen: eitlev Weibraudyedampf eines laut zurus.
fenden Volkes, verfinftere nie meinen Verſtand
durch einen thörichten Stolz. Nicht diefer
Hann ifte , dem das Volt zuläuft, ſonders
fein ſeltſauer Yufzug. Nicht ich war es, der
5 rk
eheile machte fich jeder Bürger eine Ehre .
daraus, fich feinem Könige in der Art von
Gefchäfte zu zeigen, wovon er fich nährte.
Ein Aufſeher durchreifet, mit allen Zeichen
der Macht befleidet, die Provinzen, nimmit
DBittfchreiben an, bringe ie Klagen der Unter:
thanen gerade vor dem Thron, unterfüchet
in eigner Perfon bie Mißbraͤuche. Er begicht
fich ohne Unterfchled in jede Stay, und
bey jedem abgefchaften Mißbrauch errichtet
man eine Pyramide, bie das Andenken ber
Bekaͤmpften Hnder erhält. Welche Geſchich⸗
te kann lehrreicher ſeyn/ als dieſe morali⸗
ſchen Denkmaͤler, welche bezeugen, daß der
Monarch ſich wirklich mit der Kunſt zu re⸗
gieren befchäftiget ! Diefe Uuffeher reifen
ab, kommen incognito an, siehen geheime
Nachrichten ein, und gehen befländig ver-
Fleidet: es find Spione; aber fie arbeiten
zum Beſten des Vaterlandes +). '
die Augen der Stade auf mic) 308: eo waren
"meine Bedienten, meine Pferde, meine ſchim⸗
mernden Zleider, und meine vergulderen
Wegen.
4, In der Türkey ſowohl, als in Frankreich
if ein Gouverneur fo fehr Herr, als der uns.
amſchtaͤnkteſte König; dieß iſt eben Das Ungluͤck
Same) 446 ( Br
— Aber Euer Schatmeifter.5), iſt denn
dag ein ehrlicher Mann? Ihr wiſſet doc
bie Sabel:. der ſo getreue Hund, trug unter
dem Geleite der Maͤßigkeit, die Mahlzeit
ſeines Herrn herbey, ohne es jemals zu b⸗
ruͤhren: er endigte aber damit, daß er auch
ſeinen Theil davon aß. ſobald er durch dad
Benfpicl. darzu eingeladen wurde. Sollte
Euer % wohl die doppelte Tugend be
fitzen, 88 unaufhoͤrlich gu vertheidigen, und
es auch nicht anzurühren? — Gans gewiß,
er läßt weder Paläfte noch Schlößer bauen.
Er hat nicht die Wuth feiner Geſchwiſter⸗
Schwaͤger⸗Neffen, oder feine alten Bedien⸗
ten zu ben hoͤchſten Stellen zu erheben. Er
verfchtwendet nicht das Gold, als ob ale
Einkünfte des Reichs fein eigen wären 6%
des Volks, und dieß if auch Die ungtüclichfegerm
der bürgerlichen Negierung.
5) Kougvet fagte: „ich habe das Gelb des am⸗
zen Koͤnigreichs, die Taxordnung aller Tugenden
6, Nachdem die Monopolen , Adminiſtrais⸗
ven und Einnehmerder öffentlichen Renten, den Ruf
der Nechtfchaffenbeit, der Begierde, fich gu bereis
dern, aufgeopfert haben: nachdem fie einaemilligek
haben, verhaßt zu fenn, fo bekuͤmmern fie fih auf
nicht darum, was fie für einen Gebrauch ven Ih
ven Reichthuͤmern machen: unter dem Gepränge
ae) 47 (u
Ueberdieß Eönnen alle diejenigen, deren Haͤn⸗
den man bie Sffentlichen Gelder anvertrauen,
unter feinem Vorwande in der Welt Davon
einen Gebrauch machen... Es würde ein
Verbrechen des Hochverraths ſeyn, von ih⸗
nen ein einziges gemuͤnztes Stuͤcke Geld zu
nehmen. Sie bezahlen einige beſondere
Ausgaben mit Scheinen, die von der eignen
Hand des Monarchen unterzeichnet ſind.
Der Staat giebt zu allen ihren Ausgaben
Das Nöthige her: aber fie haben nicht einen
Heer, ber ihnen eigen waͤre 7). . Sk, tin»
gerbergen fie ibre Herkunft und ihre Blickaunts
fände; fie betäuben ſich ſelbſt durch Luſtbarkeiten,
um zu vergeffen, was fie gethan haben, und mer
fie gemwefen find. Aber das.ift noch nicht das größe
te Unglüd: ‚ihre großen Reichthuͤmer verderben
noch mehr die, die fie beneiden !
7, Die - innen Fehler, die. das Verderben
des Staats befoͤrdern, find die ungeheure Vers
ſchwendung der Öffentlichen Gelder, die unmaͤſ⸗
figen Geſchenke, womit Lente ohne alle Verdien⸗
ſte uͤberſchuͤttet werden, die prächtieen Verfchwen⸗
Bungen, die felbft die unverfchämteren Ufurpatoren
nicht gekannt baben. ch babe irgendwo gelefen,
daß Auguſtug, Per Herr der Welt, 40 Legionen in
Waffen hatte, und fie jährlich von ı2 Millionen
unterhielt. Dieß follte doch einiges Nachdenken
serurfachen. - nd
u) 445 (ee
nen weder verkaufen, noch Faufen, noch
hauen. Es iſt Ihnen ihre Nahrung, ike
Unterhalt, ihr Vergnügen angemiefen, umb
alle Stände vereinigen fi) einmuͤthig, ihnen
alles unentgeltlich zu verſchaffen. Giefom
men zu einem Zuchhändler, nehmen Waare
aus, und geht. Der Kaufınann ſetzt in
fein Bud): Diefen Tag an den Rinnebmer
der Stadt» inkänfte abgelieferr fo und
fo viel — — Der Staat bezahle So ih
es auch mit andern Sacher. Ihr werdet
leicht einfehen, daß, wenn ein folcher Ein
nehmer nur einige Schaam befißet, er fih
dieſes Rechts mäßig bedienen tverde: und
- Sollte er deffen mißbrauchen, ‘fo würden wir
in Betrachtung der Koften, die Euch die Her
ren machten, nody dabey gewinnen. Man
bat ‚die Rechnungen abgefchaffe , bie m
nichts dienen wuͤrden, als bie "Diebftähle,
bie bie Nation erlitten, zu bemänteln, und
fie, ſo zu fagen, zu rechtfertigen.
— Und wer ift denn Euer erfier Wins
ſter? Könnt hr dag wohl fragen? Der
nig ſelbſt. Kann fich die koͤnigliche Würde
mittheilen 9? Der Soldat, der Kichter, der
8) Die allgemeine Gefchichte der Kriege Eins
te den Titel führen: Geſchichte der beſondern
BF) 49 ( —
Kaufmann müffen bloß durch ihre Abgeord⸗
neten handeln. Im Falle einer Krankheit
oder Reiſe, oder in einigen befondern Geſchaͤff⸗
ten, kann es bloß ein Freund feyn, wenn der
Monard) jemanden die Vollziehung feiner
Befehle auftraͤgt. Bloß die Empfindung
ber Sreundfihaft kann einen Menfchen ver-
binden, freywillig eine folche Laſt zu über-
nehmen: und unfre Achtung giebt ihn als
fein eine folche augenblickliche Macht. Bes
lohnt durch die Sreundichaft, von ihr beſeelt
weiß er, wie die Sülly und d' Amboiſe, die
Wahrheit feinen Herren zu fagen, und ihn
fo gar bisweilen, um ihm defto beffer. zu Dies
nen, böfe zu machen. Er bekämpft feine
Leidenfchaften. Er licht in ihm den Men⸗
ſchen fo fehr, als ihm die Ehre des Mon»
archen am Herzen liegt 9). Indem er feine
Leidenfchaften der Minifter. Ein folder, der bloß
handelt, um fich wegen einer leicht heleidigten Selöf-
liebe gu rächen, bringt ein entferntes und ruhiges
Meich durch feine liſtigen Staatöunterbandlungen
in Aufeubr.
9, Die Trene if nicht die knechtiſche Abhaͤn⸗
gigkeit von dem Willen eines andern. Man giebt
ihr zum Sinnbilde einen Hund, der überall folge,
beftändig fchmeichelt, und blindlings alle Befehle
eines ungerechten oder barbarifchen Deren vollzieht.
öf
ze) 40 ( —
Arbeit mit ihm theilt, fo theilt er auch die
Verehrung des Vaterlands, welches ohne
Zweifel das ruhmwuͤrdigſte Erbehell ift, das
er feinen Nachkommen laſſen Faun, und das
einzige, auf dag cr eiferfüchtig iſt.
— Da ich mit Euch von den Auflagen gere⸗
det, ſo habe ich Euch zu fragen vergeſſen, obIht
allezeit bey Euch ſolche peripbifche Lotterien
habt, wo zu meiner Zeit das arme Voltk alle
fein Geld einlegte? — Nein, gewiß nicht:
Wir mißbrauchen ber leichtglaͤubigen Hof
nung der Menfchen nicht auf dieſe Are. Wir
nehmen von dem armfien Theile der Buͤr⸗
ger nicht cine fo graufam liſtige Abgabe.
Der Unglückliche , der von dem Gegenwaͤr.
figen ermüdet, bloß von der Zukunft leben
konnte, trug ben Lohn feines Schweißes
und feiner Mühe in dag ungläckliche Rad,
wo er täglich wartete, Daß fein Glück heraus:
kommen würde, Die Hand birfer graufa-
men Gottinn betrog täglich fein Elend. Das
lebhafte Verlangen nach einem beffern 28
Ich glaube, die wahre Treue ift mehr eine ge⸗
naue Benbachtung der Geſetze der Vernunft und
ber Gerechtigteit, ala eine knechtiſche S’Haveren.
le treu ſcheint Sülp, wenn er das Heurathbea⸗
verfprechen zerreißt, Das Heinrich he. gemacht basic.
He) 45T (ne
ſtande hinderte ihn nachzudenken, und ob»
gleich die Betruͤgerey bandgreiflich war... fp
:bildete.fich doch ein jeder:cin, da man feine
Hoffnung immer nicht-eher, als mit dem La
ben, aufzugeben pflegt, er werde endlich uoch
von dem Gluͤcke beguͤnſtiget werden. Die
Erſparniß des armen Volks hatte jene praͤch⸗
tigen Palaͤſte erbauet, wo ſie nun / ihr Leben
erbettelte. Die verſchwenderiſche Pracht der
Altaͤre war ihr. Werk: und kaum wurde fie
daſelbſt hinzugelaſſen. Immer fremd, im⸗
mer zuruͤckgeſtoffen, konnte der Arme ſich
kaum auf den Stein ſſetzen, der von dem Sch
nigen war gebrochen worden. Reichlich
beſoldete Prieſter bewohnten den Ort, der
ihm wenigſtens der Billigkeit nach gehoͤren
und ihm zur Srepftäbte dienen follte,
Vierzigſtes Kapitel.
Von der Handlung,
Mus dem; was Ihr mir geſagt habt, ſcheint
es mir, als ob die Franzoſen Feine Ko:
lonien mehr ın der neuen Welt haben‘, und
daß jeder Theil von Amerika ein befonderce
Reich, obgleich unter Einem Geifte der Geſetz-
gebung- bereiniget, ausmache? — Wir wuͤr⸗
Sf2
Sram.) 252 ( ie
den nicht Flug feyn, wenn wir unfere gelieb⸗
ten Landsleute zwey Laufend Dreilen ‚vom
ung entfernen wollten. Warum follten wi
ung ſo von unfern Brübern trennen? Unſere
Himmelsgegend iſt fo viel werth, alg bie von
Amerifa. Alle nöthige Probufte find hier ge:
meitt und von vortreflicher Ark. Die Kolonien
waren für Sranfreich bag, was ein Land
haus für eine Privatperfon iſt: das Land⸗
haus brachte dag Haus in der Stadt frihe
oder ſpaͤter in Verfal.—
Wir haben einen Handel: aber er be⸗
ſteht nicht in dem Tauſche uͤberfluͤßiger Din
ge. Wir haben drey. phpfifche Gifte, von
denen Ihr einen beftändigen Gebrauch mad-
set, fehr weislich von und verbannek : ben
Tabak, den Kaffe, und den Thee. Ihr
ftopftet einen häßlichen Staub in Eure Nu
fen, der Euch das Gedaͤchtniß benahm, Euch
Franzoſen, die Ihr beynahe feines hattet.
Ihr verbranntet Euren Magen durch ab
. gezogene Waffer, bie‘ ihn zerſtoͤrten, indem
fie feine Thätigfeit befchleunigen. Eure fo
gemeinen Nervenfrankheiten kamen von dem
häufigen Gewaſche, welches den nährenden
Saft des thierifchen: Lebens wegnahm. Mir
betreiben it nur den. innern Handel, und
Se 4
wir befinden ung wohl babey: er gründet
fich hauptſaͤchlich auf den Ackerbau, und vers
theilet die noͤthigſten Lebensmittel: er be⸗
friediget die Veduͤrfniſſe des Menſchen, und
nicht feinen Stolz.
Kein Menfch ſchaͤmet ſich fein Feld durch
ſich ſelbſt geltend zu machen, und den Feld⸗
hau zur hoͤchſten Stufe.der Boltommenheit
zit-treiben. Der Monarch felbft hat vide
Acker Landes, die er unter feinen Augen ber
arbeiten läßt: und man fennt nicht die Gat-
fung vornchmer Leute mehr, deren einzige
Befchäfftigung der Muͤßiggang war.
"Der fremde Handel war ber wahre Ur⸗
ſprung dieſes verberblichen Luxus, der auf ſei⸗
ner Seite die ſchreckliche Ungleichheit der
Gluͤcksguͤter hervorbrachte und einer kleinen
Anzahl von Menſchen das ganze Gold der Na⸗
tion in die Haͤnde lieferte. Und dieß dar⸗
um, weil eine Frau in ihren Ohren das Erb⸗
theil von zehn Familien tragen mußte, weil
der unterdruͤckte Bauer aufhoͤrte Eigenthuͤ⸗
mer zu ſeyn, ſein vaͤterliches Feld verkaufte,
und mit Thraͤnen den Boden floh, wo er.
nichts ale Elend und Schande fand: benn
die unerfättlichen Ungeheuer, bie dag Gold
aufbäuften, giengen fo weit, daß fie die Un⸗
Die Vedoiterung erigeinen jede, inden
als jemals die ungeheuerfien Abgaben t
Belohnung feiner Mühe entreiken, un:
de darch das Monorolium derjenige
Gold des Reihe in Händen haben,
Braut man noch dieſen boffdrtigeı
teten Dhren jujzuſchreyen: volfom:
fo wohl in Handel ald in der Echiffi
gerung der Abgaben ; das find die cin
Die Das Wolf erhalten, und cine fehler
kerung verhindern fünnen, ven der ı
Anfang’feherr. Aber, ber Patriotiem
eine conterbande Tugend. Der Reı
für ſich lebt, der nur für fid denkt, n
get, und bie Augen wegkehrt, aus Zu
Zähnen zu knirſchen, das iſt der aute!
lebt fogar feine Klugheit und Mägi
juͤt meine Verſen gun micht ſchweige
fagen, was id gefeben babe, Man
meiſten Provinzen von Frankreich Fomi
Volk auf dem Gipfel des Elendes zu
Jahr 177°. iſt nun fehen der dr
Se) 455 (ek
baß wir Die großen Companien zerſtoͤret, die
das ganze. Vermoͤgen der Brivatperfonen an
fich riffen, die edle Kuͤhnheit einer Nation vers
nichteten, und den guten Gitten fowohl, ale
dem. Staate, den traurigſten Streich ver⸗
‚festen.
Es fonnte fehr angenehm feyn, Cioco-
"Jade zu trinken, Gewürze zu fauen, Zucfer
und Ananas zu verſchlucken, Creme von
Barbados zu trinken, fich in ‚glänzende
Stoffe aus Indien zu kleiden: aber in der
That; waren denn diefe Empfindungen fo
wolluftreich, um ung die Augem über den,
großen Zufammenfluß unerhoͤrter Uebel zu
verſchließen, welche unfere Weichlichkeit in
beyden Halbkugeln der Erbe aufmeckten? -
Ihr zerriffet die heiligen Bande bed Blu⸗
tes und ber Natur an der Küfte von Guis
nca. Ihr bewaffuetet den Water wider
den Sohn, und wollte Ehriften, Ihr wolls
tet Menfchen heißen? Blinde und barbari⸗
ſche Seelen! Ihr habt es durch eine trau⸗
rige Erfahrung nur allzuſehr gelernet. Der
Durſt nach Golde, der ſich aller Herzen unum⸗
mehr zu leben haben. Das arme Volk hat eine
Gedult, die mich die Gewalt der Geſetze und der
Erziehung bewundern laßt.
Se) 456 ( irre
fchränft bemächtigte : die Raubgier, welche die
lichenswürbige Mäßigung verbrängte: die
Gercchtigfeit und das Mitleid, die man in die
Meihe der Chimären feßte: der blaffe, unru⸗
bige Geis, der die Wüften des Oceans durch⸗
ftrich, mit Eeichnamen die Tiefen der Meere
ausfüllte : ein ganzes Menfchengefchlecht,
das man Faufte, verkaufte, und wie die This,
re von ber nicdrisften Gattung behandelte:
Könige, die Kaufleute wurden, und bie Erbe;
um der Sahne einer Tregatte willen, mit
Flut begoſſen: das Gold endlich, dag auf
den Minen von Peru, wie ein brennende
Strohm, bervorbrad), nach Europa flof, um
in feinem Laufe die Wurgeln ber Glückfelig
feit zu verfengen, und der, nachdem er daß
menfchliche Gefchlecht gequält und erſchoͤpft
hatte, fich auf ewig wieder nad) Indien ers
goß, mo der Aberglaube von einer Exite in
die Eingemeide ber Erbe vergrub, was ber
Geis von einer andern ihr mit Gewalt ent⸗
riffen hatte; dieß iſt das gefreue Bild der
Vortheile, die der fremde Handel der Welt
verfchafft hat.
Unfere Schiffe gehen nicht mehr um die
Melt, Cochenile und Indigo gu belen.
Wiſſet Ihr, was unfere Goldgruben find?
RI) 457 ( Bere
was unfer Peru iſt? Es ift die Arbeit:und
der Fluß. Alles was zur Bequemlichkeit,
su einem gemächlichen Leben, zu den geras
den Abfichten der Natur, dienet, wird mit
der größten Sorgfalt betrieben. Alles, was
zur Hoffart, zur Pracht, zur Eitelkeit, zu der
Eindifchen Begierde, etwas ausſchließungs⸗
meife, aus bloßer Phantafie, zu befigen,
gehoͤret, ift aufs firengfie verbannt. Man
wirft diefe treulofen , dieſe gefährlichen
Perlen und alle bie feltenen bunten Stei«
ne ins Meer, bie bie Herzen fo hart madı-
ten, als fie eg felbft waren. Ihr glaub
tet, fehr finnreich in den Verfeinerungen
Eurer Weichlichfeit zu ſeyn: aber. willet,
daß Ahr bloß den Ueberfluß ſuchtet, bloß
den Schatten der Groͤße verfolgter; daß Ihr
nicht einmal wolluͤſtig waret. Eure nichts⸗
würdigen und elenden Erfindungen fchranfe
ten ſich auf den Genuß eines einzigen Ta⸗
ges ein. Ihr warct nur Kinder, die fid) in
alänzende Epielmerfe verliebt hatten, uns
vermoͤgend Eure wahren Beduͤrfniſſe zu bes
friedigen, unmwiffend in der Kımft glücklich
su feyn. Ihr qualtet Euch, weit vom Ziele
entfernt, und bieltet, mit jedem Schritte, ein
Schatten ſpiel für Wahrheit.
mp) 458 ( En
Gehen ja Schiffe aus unfern Häfen,
fo tragen fie nicht den Donner, um af
der weiten Fläche der. Wellen einen fluͤchti⸗
gen Raub, der dem Gefichte faum einen be»
merflichen Punkt geiget, gu erbafchen. Das
Echo der Meere trägt nicht: dag Elägliche
Geſchrey finnlofer, rafender Menfchen gen
Himmel, die fi) daB Leben und den Weg
auf unermeßlichen und wuͤſten Ebenen ſtrei⸗
fig machen. Wir befuchen entfernte dk
fer: aber ſtatt der Produkte ihrer Länder,
unterrichten wir ung von ihren nuͤtzlichſten
Entdeckungen, von ihrer Gefeßgebung, von
ihrer phnfifchen Lebensart, von ihren Sitten.
Unfere Echiffe verbelfen uns, unfere aſtro⸗
nomiſchen Känntniffe su verbinden. Mehr
als deeyhundert Obſervatorien, die man
‘auf unjerer Erdfugel errichtet, bienen dazu,
und von der aeringften Veränderung, Die
am Himmel vorgeht, Nachricht zu gebe.
Die Erde ift die Warte, wo die Wache des
Himmels fehildere und niemals einfchläft.
Die Aftronomie ift eine wichtige und nuͤtzli⸗
che Wiſſenſchaft germorden, weil fie mit ci
ner mächtigen Stimme die Herrlichkeit bee
Schoͤpfers ud die Würde eines denfenden
Weſens, Das aus feiner Haud fam, ver
Se ) 459 (ee
Yünbigek ».. "Aber da wir von ber Hands
Iung reben, fo wollen wir doch nicht das
Sonberbarfte, bag fich jemals sugetragen,
vergeffen. Ihr müffee wohl fehr reich feyn,
fagte man zu mir ; denn ohnfehlbar habt Ihr
in Eurer Jugend Euer Geld auf Leibrenten
gegeben, und hauptſaͤchlich in eine Tontine
gelegt , wie dazumal bie Hälfte von Paris
that. Diefe Art von Lotterie war ‘doch eine
finnreich erbachte Sache, wo man um fe
ben und Tod fpielte, und diefer Zuwachs
auf kahle Köpfe fiel! Ihr muͤſſet anfehnliche
Menten haben. Man entfagte Bater, Mut
ter, Brüdern, Schweftern, Verwandten
amd Freunden, um feine Einkünfte zu ver⸗
doppeln. Man ernannte den Konig zum
Erben , und fchlief dann in einem ticfen
Müßiggange ein, indem man fiir nientand,
als fich ſelbſt, lebte. — Ach! von was redet
Ahr mir? Die traurigen Verordnungen,
die ung vollends ganz ing Verderben fürs.
ten, und bie die bisher noch heilig gehalt«-
nen Bande gänzlich zerriſſen: diefe barbari-
ſche Spikfündigfeit, die der Egoismus df-
feirtlich heiligte, die Bürger vereinzelte, und
aus jedem von ihnen ein todtes und cinfa-
mes Weſen machte, bat mir mehr als zu
m ) 460 ( ie
oft Thränen über das Fünftige Schickſal 6
Staats ausgepreflet. Ich ſah das Ber:
mögen der Privatperfonen gerfchmelgen, ver -
flieben: und die Maſſe bed. ungeheuren
Reichthums von ihren Truͤmmern anſchwel⸗
len. Aber mein Herz litte noch mehr von dem
toͤdtlichen Streiche, der dadurch der Recht⸗
ſchaffenheit und Tugend verſetzt wurde, Keine
Bande mehr unter den Herzen, die einander
lieben ſollten! Man hatte den Eigennutz mit
einem noch ſchaͤrfern Schwerdte bewaffnet,
der ſchon an ſich ſelbſt fürchterlich genug war!
Die hoͤchſte Macht aͤffnete ihm vollends die
Schranken, die er felbft niemals eigenhaͤndig
niebersureißen würde gewagt haben. — Gw
ter Alter, verſetzte mein Führer, Ihr habt wohl
gethan, daß Ihr gefchlafen habt, denn Ihr
mürbet die Nentirer fo wohl als den Staat
- . für ihre gegenfeitige Unvorfichfigteit haben
beftraft gefehen. Die Polttif, die feitdem
flüger geworden, hat nicht. mehr foldhe
Sehltritte begangen: fle vereiniget und
bereichert die Bürger, anftatt fie zu Grunde
zu richten. |
B) 46er
Ein und vierzigſtes Kapitel.
- Die Abendgefelfhaft..
Hie Sonne · neigte fich zum Untergange:
mein Führer bat mich, ihn in das
"Haus eines Freundes zu begleiten, wo er
"des Abends fpeifen follte: ch ließ mich
‚nicht lange Bitten: = Ich hatte noch nicht
dag Innere der Hänfer gefehen, und dad ift,
"meinem Beduͤnken nad), das Sintereffantefte
in einer Stadt. Wenn ich die Gefchichte les
fe, fo uͤberhuͤpfe ich viele Seiten: und fü:
che voller Begierde die Heinen Umſtaͤnde des
heuslichen Lebens auf: habe ich biefe ein:
mal, fo frage ich nach dem Uebrigen we⸗
nig oder nichts: ich errathe es.
Gleich anfaͤnglich fand ich nicht mehr die
kleinen Zimmerchen, welche Narrenhaͤuschen
aͤhnlich ſehen, deren Mauern kaum ſechs Zoll
dicke ſind, wo man den Winter durch erfriert
und den Sommer über verbrennt. Es ia
ren große, meite, lautfchallende Säle, wo
man fpazieren gehen fonnte: und die Därs
cher, die mit gutem Holzwerk verwahrt wa⸗
ren, troßten der Kälte des Winterd und den
Strahlen der Eonne: endlich wurden ‚die
— — — u
Sm) 462 ( Ener
Häufer nicht mit denen, bie fie errichtet hat⸗
ten, alt und baufällig.
Ach trat in die Etube und ich unterfchich
gleich den Herrn des Haufe. Er fam auf
mich zu, ohne Grimaffe, ohne abgeſchmackte
Gomplimente 2), Eeine Frau und feine Kin⸗
der hatten in feiner Gegenwart ein freymuͤthi⸗
ges, aber ehrerbietiges Bezeigen, und ber Mon-
fieur, d. i. der Eohn-vom Haufe, fieng nich
mit Eleinen Spoͤttereyen auf den Herrn Be
fer an, um mir eine Probe feined Witzes zu
geben: weder feine Mutter, noch fogar fer
ne Großmutter würben ſolchen artigen Un⸗
gesogenheiten 2) Beyfall gegeben haben.
Seine Schweſtern waren weder gezieret,
noch ſtumm: fic gruͤßten auf eine anſtaͤndi⸗
10 Wie falſch und kindiſch if unfere Hafichkeit:
wie nerhuft und beleidigend diejenige, mit der ſich
die GSroßen ſchmuͤcken! Dies ik eine Hiflichefe
Maske, aid das ungeitalteite Befichte. Alle dieſe Res
verenze, diefe afrectisten Demmütbigungen, dicie über
triebenen Geberden find Dem wahren Tenſchen uns
erträelih. "Die alänzenbe Kalfchkeit unfrer Re
nieren iſt weit abfheulicher, als Liz Eredhbeit der
baͤuriſchſten Menſchen beleidigend fean kann.
2. Es giebt eine Schwelgeren Dei Geißes, Me
ned) aetährluher ik, ale die ſiunliche; ſie it: heut
zu Tase der Hauptiebler, der die Jugend der Haurt⸗
ſtadt auſteckt.
Zn) 463 ( erde
ge Art und fetten fid) wieder an ihre Arbeit,
aufmerffam auf dag, was vorgieng. Giegas
ben nicht von der Seite auf alle Mienen
Achtung, die ich machte: mein hohes Alter
und gebrochene Stimme locte ihnen Fein
ſpoͤttiſches Lächelnab. Man machte mir feine
eiteln Verzerrungen des Geſichts, bie der
wahren Politeffe ganz zuwider find. . |
Das Beſuchzimmer glaͤnzte nicht von
zwanzigerley zerbrechlichen Taͤndeleyen 3),
oder von uͤbelm Geſchmacke. Nichts Lakirtes,
kein Porcellan, keine Puͤppchen, keine trau⸗
rige Verguldungen. Im Gegentheil ſchmuͤck⸗
ten eine reizende Tapete, die dem Auge
ſchmeichelte, eine außerordentliche Reinlich⸗
keit, einige vortrefliche Kupferſtiche, einen
Saal, deſſen Farbe ſehr munter war.
Man fieng die Unterredung an, aber
man thar Feine Ausfaͤlle mit Gedanken 4).
3) Welch ein eleuder Lupus if der Aufpur vom
Porkelan. Eine Katze kann Faum mitdem Stoße ih⸗
ter Pfote einen ärgern Verluf anrichten, als die
Verwuͤſtung von zwanzig Morgen Laudes beträgt,
4) Die Unterhaltung befeelt den Stoß des
Ideen, giebt ihnen ein neues Spiel, entwickelt die
Schaͤtze des Verfiandes, und dieß ift eines. der große
ten Vergnügen des Lebens: es iſt auch dasjenige,
woran ich den meiſten Gefhmad finde. Aber ich
Rz ) 44 (ir
Der verzweifelte Wis, diefe Plage meine
Jahrhunderts, gab demjenigen, maß feiner
habe in der Welt bemerkt, daß der Umgang, anſtatt
daß er die Seele ſtark machen, nähren, erbeben fol;
te, fie vielmehr fchiwächet, uud entnervet. Man
hat alles in Aufgaben verwandelt. Der Wig, def
fen man misbrauchet, machet beynahe den Augen:
fein felbft ungewig. Man trifft Lobredner für
die entfeglichften Misbräudhe an. Man rechtier
tiget alled. Man nimmt, ohne ed zu wiſſen, taus
ſeuderley Eindifche und fremde Begriffe an. Das
befändige Reiben mwiderfprechender Mennungen
entſtellt die natürliche -Gefalt der Seele. E⸗
giebt, ich weiß ſelbſt nicht was für ein Gift, wer
ches ſich einfihleichet , den Kopf einnimmt, um
Eure erſten urfprünglichen Ideen verdunkelt, die
gemeiniglih die gefündeften find. Der Geis
ge, der Ehrgeisige, der Wolluͤſtige, alle haben eine
To finnreiche Logik, daß man fie bisweilen meniger
haſſet, wann man fie gchöret hat: jeder bemeifet,
ſo zu fagen, daß er Recht bat. Man muß fi se
ſchwind in die Einſamkeit verfchliefen, um einen
muthigen Haß gegen das Laiter zu faſſen. Die
Welt machet uns mit Fehlern ‚vertraut, die Ne
lobt: ihr täufchender Geift bemeiftert fidy unfe
fehr gefchwind. Indem man mit Menſchen zu viel
umgeht, wird man meniger Menſch, man nimmt
von ihnen ein falfhes Licht an, das irre führet.
Man findet fih wieder, wenn man feine Thür
hinter ſich verfchließt: nur dann fieht man erk
den reinen Tag der Wahrheit wieder, der nicht uw
ter dem großen Haufen und der Menge leuchtet-
Se ) 465 ( Eee
Natur nach, ſo ſimpel war, betruͤgeriſche
Farben. Der eine behauptete nicht etwan
gerade das Gegentheil von dem, was der
andre behauptete, und dieß alles um zu
glaͤnzen und eine geſchwaͤtzige Eigenliebe zu
befriedigen 5). Diejenigen, die redeten,
hatten Grundſaͤtze und widerſprachen ſich
nicht zwanzigmal in einer Viertelſtunde.
Der Verſtand dieſer Geſellſchaft huͤpfte nicht
wie ein Vogel auf dem Aſte, umher: und
gieng, ohne weitſchweifig und ſchwerfaͤllig
zu ſeyn, nicht, ohne irgend einen Uebergang
und in einem Odem von einer Prinzeßinn
gur Geſchichte eines Ertrunkenen über,
Die jungen Leute affektirten nicht kindi⸗
ſche Manieren, einen ſchleppenden oder
faſelnden Ton der Sprache, und eine aͤußerſt
kalte Miene. Sie warfen ſich nicht auf Stuͤh⸗
le, ſtreckten ſich rückwärts hin, den Kopf in
die Hohe gebeugt und mit einem verächtlis
. then und ſpoͤtaſchen Blicke 6).
59 Die Urtheile der Faulheit find ſo unbillig,
als der Eitelkeit ihre.
6) Ein artiger Kerl In Frankreich muß zart,
ſchmaͤchtig ſehn, und nicht über eilf Unzen Fleiſch
auf den Beinen haben: er muß eine ſchwaͤche Bruſt
und eine zweydeutige Gefündheit haben. Ein Far:
ker und gefunder Ru ſiebt ihnen abſcheulich
| 5
me) 466 ( mn
Ach hörte feine ungegogenen Reden: mari
beflamirte nicht mit einer traurigen, langſa⸗
men, fchweren Stimme gegen die troftlichen
Wahrheiten, die die Beruhigung und den Reis
empfindlicher Seelen ausmachen 7). Die
Weiber hatten nicht mehr diefen, bald gebie
trifchen, bald fchmachtenden, Ton. Anſtaͤn⸗
dig, zurüchaltend, befcheiden, mit einer
leichten und bequemen Arbeit befchäftiget,
hielten fie den Muͤßiggang unter fich nicht
für eine Empfehlung: fie ſchnitten nicht den
Sag halb von einander, um den Abend gar
nichts zumachen. Sch war außerordentlich
mit ihnen sufrieben; Denn fie boten mir fein
Kartenfpiel an: diefer gefehmacklofe Zeitver:
treib, den man erfunden hatte, einen bloͤd⸗
finnigen Monarchen zu befchäftigen, und
der dem sahlreichen Haufen ber Thoren im⸗
mer werth bleibt, weil fie, vermittelft deffen,
ihre aͤußerſte Ungulänglichfeit verbergen,
war bey einem Volke ganz verſchwunden,
das die Augenblicke des Lebens nur zu [chen
aus. Nur die Schweizer und Kutfcher müffen eis
ne auſehnliche Größe und eine glänzende Gefunds
beit haben.
7) Der natürliche Hang, fi mit dem Ede
ne der Wahrheit zu befriedigen, fegt mehr Vorm⸗
heile voraus, als hie allgemeine Zweifelfucht.
TI) 467 ( er
auszufüllen wußte, ald daf eg die Zeit auf
eine fo traurige, fo langweilige Art hätte
toͤdten follen. Sch fahe nicht mehr dieſe gruͤ⸗
nen Tiſche, die ein Schlachtfelb find, wo
man fich unhgrmherzig erwürge. Der
Geiz ermüdete nicht mehr die ehrlichen Bür-
ger, fogar in den Augenblicken, die der Erhos
lung gewiedniet find. Sie machten fich dad»
jenige nicht zur Duaal, was eine bloße Rus
he von der Arbeit 8) ſeyn ſollte. Spiele
ten ſie ja, ſo war es dag Damen- und
Schachſpiel, oder die alten und tieffinnigen
Epiele, die dem Gedanken eine Menge uns
endlicher und mannichfaltiger Verbindun⸗
gen darbieten ; fie hatten noch andre Epje-
le, die man mathematifche Erholungen nen:
8) Ich fürchte die Annäherung des Winters;
nicht wegen der-rauben Jahreszeit, fondern weil
er Die traurige Wuth des Spiels wieder herbepfuͤh⸗
ret. Diefe Tahrsgeit if für die Eitten die aller:
nachtheiligſte und für den Philoſophen die uner⸗
traͤglichſte. Alsdann entflehen wieder die braufen-
den und gefchmaclofen Geſellſchaften, wo alle
nichtswuͤrdige Leidenſchaften ihre laͤcherliche Herr⸗
ſchaft ausuͤben. Der Geſchmack der Eitelkeit thei⸗
let die Befehle der Mode aus. Alle Maͤnner, in
weibiſche Sklaven verwandelt, ſind den eigenſinni⸗
gen Einfaͤllen der Weiber unterworfen, ohne fuͤr ſie
Liebe und Hochachtung zu haben.
G 92
De) 469 ( er
nen koͤnnte, mit denen ſogar die Kinder be
kannt waren.
ch fah, dag jedes feinem Geſchmade
folgte, ohne daß jemand ſich ſehr darum bes
fümmerte. Cs waren hier fine weiblichen
Spione, die fidy durch die Tadelfucht der
übeln Laune, die fie naget, rächen, und bie
fie eben ſo ſehr ihrer Häßlichkeit, als ihrer
eignen Thotheit, verdanken. . Der eine
ſchwatzte, ein andrer befah Kupfer oder Ge
maͤlde, wieder ein andrer lag in einem Wins
fl. Man machte nicht einen Zirkel, um
fih ein Gähnen mitzutheilen , das die Run⸗
de herum giena. Sin dem benachbarten
Saale hörte man ein Concert. : E8- beflund
in füßen Flöten, mit der Stimme begleitet,
Der harte Flügel, die eintänige Geige muß⸗
te der zauberiſchen Stimme einer ſchoͤuen
Frau weichen. Welch Inftrument hat wohl
mehr Gewalt über die Herzen! Indeſſen
fehlen ihr die vollkommner gemachte Harmo-
nica den Rang fireitig zu machen. Sie gab
die vollſtaͤndigſten, reineften, und melodiſch
fien Toͤne von fi), die nur das Ohr ſchmei⸗
chen fönnen.. E8 war eine entzuͤckende, ei⸗
ne himmliſche Muſik, die in keinem Städe
dem Charivari unferer Opern glich, wo ein
“
Ze) 469 ( er
Menſch von Geſchmack und Empfindung ein
einziges übereinftimmendes Ganzes fücht,
und niemals findet.
Ich war entzuͤckt. Man blieb nicht beftän-
dig in einerley Lage auf Lehnſtuͤhle genagelt
fißen, unter der Verbindlichkeit, ein ewigeg
Geſchwaͤtz ber Nichts anzuhoͤren, über wel
ches man fich in einen fehr ernfihaften Streit
einließ 9). Die finnlichften Dienfchen in der -
Welt, die Weiber, machten nicht über alles,
was ihnen vorkam, metapbufifche Betrach⸗
kungen: und redeten fie von Verſen, von
Trauerfptelen, von Schriftftellern, fo geſchah
e8 unter dem Geftändniffe, daß die Kuͤnſte, die
sum Genie gehören, (fie mechten fo viel Ver-
fand haben als fie wollten,) weit über ihre
Einfichten erhaben waren 10).
Man bat mich in den benachbarten Saal
zu fommen, und dafelbft dag Abendeffen eins
zunehmen. ch fah ganz erſtaunt an ber
Uhr, daß es erſt um ficben war. „Kommt,
9) In den gewoͤhnlichen Gefellfchaften ift man
zwo Arten von gleich verdruͤßlichen Vorfaͤllen aus⸗
geſetzt: nichts zu fayen zu haben, und reden zu
müffen; oder etwas fagen gu baten, wenn das Ge⸗
ſpraͤche geendiget ift.
ıo, Die Weiber denken niemals ſtatk, als nach
den Lehren eines beguͤnſtigten/ Liebhabers: und wie
viele Mannsperſonen find nicht Weiber!
'
Ri) 470 ( er
fagte der Herr des Hauſes zu mir, indem er
mich bey der Hand nahm, wir bringen nicht
die Nächte bey dem erhißenden Glanze der
Machslichter zu. Wir finden die "Sonne
fo ſchoͤn, daß jeder von ung fich ein Ber
gnügen daraus mache, ihre erſten Etraf
len über den Herizont herauffteigen zu fe
ben, Wir legen ung nicht mit beladenen
; + Mageıt nieder, um einen ſchweren und von
wunderlihen Träumen unterbrochenen
Schlaf su haben. Wir machen über unfere
Gefundheit, da die Heiterkeit der Seele da
von abhängt 32n1). Um früh aufsufichen,
muß manfid) bey guter Zeit zu Bette legen:.
und außerdem lieben mir leichte und ange
nehme Träume 12).
11) Die Gefundheit it für Die Gluͤckſeligkeit
der Menfchen, das, was der Thau dem Srüchten
der Erde iſt.
12) Glücklich ift der, der dad Glück der Gefunds
beit, diefen rubigen Zuftand des Körpers, diefet
Gleichgewichte, dieſe vollkommne Mifchung det
Saͤfte, dieſe gluͤckliche Verfaſſung der ſinnlichen
Werkzeuge, die ihre Kräfte und ihre Biegſamkeit
unterhält, zu empfinden weiß. Diefe ganze, vollkomm⸗
ne Gefundheit, if eine große Wolluſt. Sie Hl
nicht finnlich, ich gebe es zu: aber wie weit über:
trifft fie alle ſinnliche Bergnügungen! Eie giebt
der Geele dieſe Bufriedenbeit, dieſe immere um
ID) I (nk
Man ſchwieg einen Augenblick ftile. Der
Hausvater erbat den göttlichen Segen zu
den Speifen, bie auf dem Tifche ftunden.
Man batte diefe feyerliche und heilige Ge
wohnheit wieder eingeführet, und ich halte
fie für fehr wichtig, weil fie ung unaufbdr-
lich an den Danf erinnert, den wir bem
Gott fehuldig find, der für ung die Früchte
der Erde wachfen läßt. Ich dachte mehr
daran, zu ſehen, mag auf dem Tifche ſtund,
als an das Effen felbfl. Ich werde von
bem Glanze und ber Neinlichfeit nichts fa-
gen. Das Gefinde fund unten am Tifche
‚und aß mit ihrer Herrfchaft: diefe wurde
defto mehr von ihnen geliebt: fie erhielten
in ihrer Gefellfchaft Lehren der Rechtſchaf⸗
fenbeit, Die fie in ihren Herzen befruchtes
ten: fie unferrichteten fich von vielen guten
Dingen, die bafelbft vorfamen; auch wa⸗
ſchmackhafte Ruhe, welche machet, daß uns unfere
Eriftenz lieb ift, daß wir dad Schaufpiel der Natur
bewundern, und dem Urheber des Lebens danfen!
Nicht frank fenn, dieß einzige iſt ein füßes Ver⸗
gnägen. Ich würde den gern einen Weltweifen
nennen, welcher, da er die Gefahren des Uebermaßes
und die Vortheile der Maͤßigkeit Bennet, feine Eßbe⸗
gierde zu bändigen und ohne Schmerzen zu genießen:
wüßte: O weld ein Gebeimniß!
SP ) 472 (Enke
ren fie nicht unverſchaͤmt und grob, weil fe
nicht geringe geachtet wurden. Die Steg
beit,. die Heiterfeit, eine anſtaͤndige Ver⸗
fraulichfeit, erweiterte die Herzen und klaͤrte
die Stimme jedes Tifchgenoffen auf. Man
kegte feinem Nachbar feinen Zwang aufı
man hatte nicht vergebene nach einer ent
fernten Schüffel Appeti. Der würde für
einen gefraßigen Menfchen ſeyn gehalten
worden, ber über feine Portion gegeffen
hätte: und biefe war zureichend. Viele Per-
fonen effen außerordentlich, mehr aus bisf
fer Gewohnheit, ald aus einem wahren Ber
duͤrfniſſe 133). Man hatte dieſem Fehler von
ı3) Die Zergliederungskunſt zeiget, daß bie
finnlihen Werkzeuge unferer Vergnügungen ganz
it Beinen pyramidalifchen Erhöhungen befdet find»
je weniger fie durch den häufigen Genuß der finas
lichen Empfindungen abgenußt werden, deſto fühl
barer und elaftifcher find fie, deſto gefchwinder werden
fie wieder bergeftellet. Sie, die Natur, diefe auf
merkfame und zärtlide Mutter, bat fie fo gebauet;
daß fie auch ihre Springfeder in einem hoͤbern Alten
beybehalten, menu man nicht Die erforderliche Zeins
heit, diefe faufte Weichheit, zerſtoͤret, die fie begleis
tet. Es wird alſo bloß auf den Menfchen ankom⸗
men, fi) Vergnügungen für alle Zeitalter auſir⸗
hewahren. Aber was thut der Inmäßige? Er ents
zeißt der Natur Diele kohbare Otganiſatieu? e
Ne) 473 ( nie
zufommen gewußt, ohne zu einem Gefege
des Aufwands feine Zuflucht zu nehmen.
Alle Gerichte, die ich koſtete, hatten we⸗
nig oder gar feine Würze, und ich war dar⸗
uͤber nicht boͤſe: ich fand fie fo faftig, ein
Salz, das dasjenige war, welches ihnen
"die Natur gab und mir ausnehmend ſchmack⸗
haft fchien. Ich fand richt die verfeinerten
Epeifen, die durch die Hände vieler Faͤrber
tödtet dieſes aͤußerſt Füße Gefühl, er machet es
ſtumpf und harte: von dem Range eines faſt himm⸗
liſchen Weſens, das ganz eigener Wolluͤſte und Ver⸗
gnuͤgen fähig ik, ſetzet er ſich in die Claſſe ſchmerz⸗ -
bafter Maſchinen berab. Denn, welches Thier
ift im Abficht des Genuffed der Freuden des Le⸗
bens fo fehr begünftiget, als der Menſch? Wer ſonſt,
als er, bewundert dad Firmament und das ganze
große Schaufpiel der Welt, unterſcheidet die Far⸗
ben und die augenehme Geſtalt der Koͤrper, riechet
die Blumen, athmet den Balfam, kennet die vers
ſchiedenen Biegungen der Stimme, wird von dem
Klange der Mufit in Bewegung gefent, von den
geringften Schaftirungen der Dichttunf, der SE
redſamkeit, der Malerey aufs innigfte gerührt,, fols
get den Berechnungen der Algebra, und fürzer ſich,
poll einer ſuͤßen Trunkenheit, in die Tiefe der Gegs
metrie u. ſ. w.? Derjenige, der gefagt hat, der
Menſch fey eine Welt im Klonen, bat etwas Grofs
ſes und Schönes gefagt-- Der Menfih fcheint met
allem, was exiſtiret, in einer Verbindung ;u ſeyn
.
SD) 474 (er
gegangen waren, biefe Raguts, diefe Kraft:
brühen, diefe aus mancherley Ingredienzien
zufammengefeßten Effen, dieſe hitzigen Eäfte,
‚ein Ertract aus Speifen in kleinen fehr koſtba⸗
ren Schüffeln, die ſowohl die Vernichtung der
animalifchen Gattung beförderten,»als au
die mienfchlichen Eingeweide verbrannten.
Dieſes Volk war nicht fleifchgierig, es ſtuͤrzte
ſich durch ſeine Schwelgerey nicht in Armuth
und verfraß mehr, als die ſelbſt verſchwen⸗
driſche Natur mit allen ihren Zeugungsver⸗
moͤgen hervorbringen konnte. Iſt aller
Luxus ſchon verhaßt, fo ſcheint die Schwel⸗
gerey der Tafel ein abſcheuliches Verbrechen
zu ſeyn: denn, wenn ein Reicher ſeines le
berflußes 149 fo mißbrauchet, daß er die
nährenden Wohlthaten der Erde lüderlich
verpraffet, fo muß fie nothwendig der Arme
theuer Faufen, und mithin ſich eine Mahl,
zeit abbrechen.
oe Die Sülfen - und Gartenfrüchte waren
fo, wie fie die Jahregzeit bervorbrachte, und
man hatte dag Geheimnif verloren, mitten
im Winter unfcdymackhafte Kirfchen heraus
14) Der niedertkAchtige Mann ift ganz gewiß
der, den die gioße Welt den rechtſchaffenen Ram
nem.
Ze) 475 ( —
su treiben. Man war nicht eiferfüchtig bag
Neueſte von dem jahre zu haben, fondern
man ließ die Natur ihren Gang gehen : der
Gaumen wurde dadurch mehr gefchmeichelt,
und der Magen befand fich daben befto befs
fer. Man trug bey dem Nachtifche vor⸗
treffliche Früchte auf, und trank von eis
nem alten Weine: aber nidyt von den
bunten Liqueurd auf Weingeift abgesos
gen, die zu meiner Zeit fo febr gewöhnlich '
waren. Sie waren aud) fo-fcharf, als dag
Arfenik, verboten. Man hatte entdecket, daß
es nicht zum finnlichen Vergnügen gehöre
fich einen langfamen und ſchmerzhaften Tob
zuzuziehen.
Der Herr des Hauſes ſagte laͤchelnd zu
mir: „Nicht wahr, dag iſt ein elendes Def
fert. Ihr feht weder Bäume, noch Echlch .
fer, noch Windmählen, noch Bilder von
Zucker 15). Dieſe verfchmwenderifche Thore
15) O Frankreich: o mein Vaterland! willſt
du wiſſen, wie hoch heute zu Tage dein wahrer
Ruhm geftiegen, willſt du den weſentlichen Vorzug,
den du vor andern Voͤlkern voraus haſt, kennen?
Hoͤre! du biſt deiner Geſchicklichkeit wegen in Ab⸗
ſicht auf die Moden vorzuͤglich groß: an den aͤnſ⸗
feren Graͤnzen von Norden, an allen Höfen von .
Deutſchland, ſo gar in dem Innerfien des Serail,
>=) 106 (E
heit, die nicht einmal eine Art bon Ber
onügen machen konnte, war vormals bie
Beluſtigung großer Kinder, die ihren Ver:
ſtand verloren hatten. Eure obrigfeitlichen
Derfonen, die wenigſtens das Benfpiel der
Mäßigfeit geben, und nichE durch ihre Ein
fimmung einen fo unleidlichen und nichrigen
Luxus rechtfertigeh follten: Eure obrigfeit-
lichen Perfonen follen, wie man erzählt hat,
bey dem Eintritte emes jeden Parlamente, :
als wahre Väter des Volks, über Fleine unge
ſtalte Figuren von Zucker, Borftellungen der:
jenigen, bie an den Schranfen der großen
Parlamentskammer fichen , gang entzuͤckt
geweſen ſeyn, womit fie eine Tafel befebt
Yefehen: nun fann man leicht "fchließen, wie
fehr fich die übrigen Stände mäffen beeifert
haben, e8 den Masiflrafsperfonen zuvor su
thun. „ — hr wiffet noch das wenigſte,
verfeßfe ich: bewundert ünfern klugen Fleiß:
man hat zu meiner Zeit auf einer Tafel, bie
sehn Fuß breit war, eine Oper mit allen ib
ven Mafihinen, Verzierungen, Schauſpie⸗
fern, Taͤnzern und Tonfünftlern auf, geſetzet:
kurz in allen Theilen der Melt folge man ibnen:
deine Köche, deine Zuckerbecker find die größten
auf Erden: und deine Taͤnzer geben in ganz Eures
pa den Ton an.
2a) 4977 (er
alles war von Zuder, und die Veraͤnderum⸗
gen wurden ſo, wie auf dem Opertheater im
Palais Royal, aufgefuͤhret. Die ganze Zeit
uͤber belagerte ein ganzes Volk die Thuͤre,
um das ſeltne Gluͤck zu haben, einen ſchnel⸗
len Blick auf dieſes prächtige Deſſert zu wer,
fen, ‚von dem es die Koſten ganz gewiß
theuer genug besahlen mußte. Das Volk bes
wunderte die Pracht der Fuͤrſten, und hielt
ſich gegen fie für ganz klein⸗-⸗-Jedes
fieng an zu lachen. Man ftund vergnägt.:
vom Tifche auf: man.danfte Gott und nies
maud Flagte über Kopfweh oder eine üble
. Verdauung.
Zwey und vierzigſtes Kapitel.
Die Zeitungen.
Ifw ich zurück in den erften Saal fam, ſah
id) auf dem Tiſche große Blätter von
Papier liegen, die zweymal fo lang ale die
englifchen Zeitungen waren. Ich warf mich
geſchwind auf diefe gedruckten Blätter. Ich
fand auf dem Titels Geffentliche und bes
fondere Nachrichten. Da ich mitsjeder
Seite in ein ſolches Erſtaunen, in cine fol.
che Verwunderung gericth, bie mit nichts
zu vergleichen ift, fo entfchloffen ich auch
ED) 47 (ek
var, mich über nichts mehr zu derwundern:
fo will ich die Artikel herfegen, die mir am
meiften aufgefallen, fo gut als ich mich der-
felben werde erinnern koͤnnen:
0 ' 6% o
Defin, den x = =
„Wurde vor den, Kayfer zum erfienmale
der Cinna, ein franzoͤſiſches Trauerſpiel, auf:
gffuͤhret. Die Gnade des Auguſt, bie
Schönheit undsder edle Stolz der Charafte:
"re machte auf die ganze Verfamntlung einm
außerordentlichen Eindruck.,
O! ſagte ich zu meinem Nachbar. Der
Zeitungsſchreiber muß auch ein Änverfchäm-
ter Luͤgner ſeyn. Leſet einmal - » = Nun,
verfeßte er, ich fehe da nichts Eonderbaree?
Habe ich doch wohl in Pekin den at
von Ebina aufführen fehen. Wiſſet Praf
{ch ein Mandarin bin, und daf ich die Wiſ⸗
fenfchaften fo fehr, als die Gerechtigkeit, fie
be. Sch bin über den koͤniglichen Kanal ge:
gangen 1). ch bin. hier ungefähr im vier
ı) Der Eöniglihe Kanal durchfchneidet Chine
vom Mittag gegen Mitternacht in einem Raume
von fehshundert Stunden. Er vereiniget fich mil
een, Fluͤſſen, u. ſ. w. Dieſes Reich if von fels
Gen nüglichen Kandlen voll, von deuen viele sche
Sa) 19 (En
Monaten angelanget : und nody habe ich
mic) unterwegens aufgehalten. Ad) war
boch neugierig, das berühmte Paris, von
dem man fo viel redet, zu fehen, um mich
von faufenderley Dingen zu unterrichten, die
man nothwendig an Dre und Stelle felber.
fehen muß, um fie richtig zu beurtheilen, -
Die frangsfifche Sprache iſt feit zwey hun.
bert Sjahren in Pefin gemein, umd bey mei⸗
ner Rückkehr werde ic) viel gute Bücher mit⸗
nehmen, bie ic) überfegen teil. — Mein
Herr Mandarin! hr habt alfo nicht mehr
Eure bierogiyphifche Sprache und dag fon«
berbare Gefeß abgefchafft, das jedem unter
Euch verbot, nicht den Fuß aus dem Reiche
zu ſetzen? — Wir haben freylich unfre
Sprache aͤndern und einfachere Charaftere
Stunden in einer geraden Linie lang ſind: ſie
dienen zur Verſorgung der meiſten Städte und
Dörfer. Die Brütten haben eine Kuͤhnheit und
Pracht, die alles übertrift, mas Europa in dieſer
Art wunderbares bat. Uud wir, Hein, ſchwach
und elend in allen unſern oͤffentlichen Denkmaͤlern,
wir wenden unſern ganzen Fleiß, unſere kuͤnſtli⸗
chen Werkzeuge, unſere ſeltnen Kaͤnntniſſe an, lau⸗
ter eitle Dinge auszuſchmuͤcken, und praͤchtige Klei⸗
nigkeiten aufzufuͤhren. Faſt alle Meiſterſtuͤcke un⸗
ſexer Kuͤnſte find bloße Kinderſpiele.
,
ze) 480 ( —
annehmen müffen,, fo bald wir Bekannt⸗
Schaft niit Euch haben machen wollen. Dieß
war nichts fehwerer, als die Algebra und
Mathematik zu lernen. . Unfer Kayfer bat
dieſes alte Gefeß aufgehoben, weil er fehr
vernünftig geurtheilet hat, daß hr nicht
‚alle den Prieftern aͤhnlich waͤret, bie wit
balbe Teufel nannten, weil fie fogar auch un.
ter,ung die Sackel ihres Zwietrachts anzün-
den wollten. Wenn ich mich anders ber
Zeit recht erinnere, fo hat fich eine genauere
und verfraufere Sreundfchaft, bey Gelegen·
heit vieler Kupferplatten, angefangen, dit
Ihr geftochen habet. Diefe Kunft war für
uns neu und wurde ausnehmend bewun⸗
dert. Seit der Zeit haben wir es Euch bey:
nahe gleich gethan. — Ach! es fällt mir
ein. Die Zeichnungen zu diefen Platten
ſtellten Schlachten vor, Nicht wahr? ind _
fie wurden ung von dem dichteriſchen Kay⸗
ſer geſchickt, an den Voltaire ein artiges
poetiſches Sendſchreiben richtete: und nach⸗
dem unfer König ſeinen beſten Kuͤnſtlern die
Ausführung derfelßigen aufgetragen, made
te er dem liebenswärdigen Kayſer aus
China ein Gefchenke damit! — Kichtig.
Nun wohl: feit dieſer Zeit hat man ange
- * —
>=) 481 ( u
fangen,. fi) einander mitzutheilen und die
Wiffenfchaften find aus eier Nachbarfchaft
in die andere, aus einem Lande ins andre,
wie die Wechfelbriefe, gegangen. Die Mey:
nungen eines einzigen Mannes find es auch
‚von der. ganzen Welt geworden. Die Dru⸗
ckerey ifi es, dieſe erhabene Erfindung, die
dag Licht fortgepflanzet hat. Die Tyrannen
des menfchlichen Verftandes haben mit ih»
ren hundert Armen nicht ihren unuͤberwind⸗
lichen Lauf surücke halten Finnen, Nichts
ift reißender gemwefen, als diefe beilfame Bes
wegung, die der meralifchen Welt durch die
Sonne der Künfte gegeben worden: fic bat
alles mit einem lebhaften, reinen und dauern⸗
den Glanze überftröhmt.
Der Stock berrfchet nicht mehr in China,
und die Mandarinen find nicht mehr Arten
von Aufiehern der Collegien. Das gemeine
Volk iſt nicht mehr niederrrächtig und betruͤ⸗
geriſch, weil man alles gethan, ſeine Seele zu
erheben: ſchimpftiche Züchtlgungen druͤcken
es nicht mehr zu Boden: man hat ihm Be—
zriffe von Ehre beygebracht. Mir verehren
mmer noch den Confucius, ber beynahe cin‘
Zeitgenoſſe Eures Sofrates war, und, wie er,
ticht über die Geundurſahe be Weſen wir:
2
RT) 482 ( —
nünftelte,fondern mit dem Bekenntniſſe zufrie⸗
. den war, baß dieſem Wefen aller Weſen nichts
verborgen twäre, und daß es dag Laſter beſtra⸗
fen und die Tugend belohnen werde. Unfe
Confucius hatte fogar noch einen Vorzug vor
dem Weifen Griechenlandes. Er fuchte nicht
‚vertvegen bie religidfen Borurtheile auszu⸗
rotten, bie, in Ermangelung ebdlerer Bewe⸗
-gungsgründe, ber GSittenlehre des Volke
zur Grundlage dienen. Er wartete gebul:
"dig, ohne Geräufche, ohne Gewaltthaͤtigkeit,
bis die Wahrheit fich durch fich felbft Licht
'verfchaffen würde. Endlich war er eg, der
bewiefen hat, daß ein Monarch nothwendig
ein Philoſoph feyn müffe, wenn er feine
Staaten. gut regieren wolle. . Unfer Kayſer
geht immer noch hinfer dem Pfluge ber:
aber es ift nicht eine eitle Ceremonie oder
eine Handlung einer lindiſchen Prah⸗
lerey — —
Von der Begierde, zugleich zu leſen und
zu hoͤren, bekaͤmpft, hoͤrte ich von einer Sei⸗
te, und mein nicht minder gieriges Auge
lief von der andern bie Seiten Diefer be
wundernswürdigen Zeitung durch. Meint
Seele war gleichfam in zwo einander nt
|
|
SF) 433 ( nr
gegen.gefeßte Gefchäffte getbeiler. . Diet
iſt, was ich las:
2 4 %
Jedo, die Hauptſtadt von Japan, |
den:
„Der Nachfolger beB sroßen Taico, der
aus dem Dairi einen ohnmaͤchtigen und
verehrten Abgott gemacht, hat den Geiſt
der Geſetze und den Traktat uͤber die
Verbrechen und Beſtrafungen Überfegen
laffen. '
Man hat den ehrwuͤrdigen Amida in al-
len Straßen herumgefahren, aber niemand
hat ſich von den Rädern feines Wagens
zermalmen laffen.
Man gebt in Japan frey aus und ein,
und jedes macht fi ch begierig die fremben
Künfte zu Nutzen. Der Selbftmord iſt un-
ter diefem Volke keine Tugend mehr: es
hat wahrgenommen, daß er das Werk ber
Verzweiflung, oder einer tollen und ſtrafba⸗
ren Unempfindlichkeit, ſey. |
‘4 6 %
Derfien, den = + +
„Der König von Perfien bat mit feinen
Brüdern Mittags gefpeifet, die fehr ſchoͤne
2b 2
SO) 44 (
Augen haben. Sie fliehen ihm in der Re
gierung bey. Ihr Hauptgefchäffte ift, ihm
die Depefchen vorzulefen. Die heiligen Bü:
cher des Zoroafter und Sadder werden ims
mer noch gelefen und verehret: aber weder
Dmar noch Ali fommen mehr in Betrach—
tung.
% % %
Merico ’
Stadt Merico, den ⸗⸗
Diefe Etadt erhält unter der vortrefili-
hen Regierung der Fürften aus dem Haufe
des berühmte Montezuma vollends ihren
alten Glanz wieder. Unfer Kayfer hat bey
feiner Selangung sum Throne den Palaft fo
wieder erbauen laffen, wie er zur Zeit feiner
Däter war. Die Indianer gehen nicht mehr
ohne Hemden und mit nackten Füffen. Man
hat in der Mitte des Hauptplatzes eine Bilde
fäule von dem Gatimogin errichtet, wie er
auf glühenden Kohlen lieget: drunter ftehen
die Worte: Auch ich liege auf einem Bette
von Roſen!
„Erfläret mir doch dag, fagte ich zum
Mandarın. Wie? ift e8 verboten , die
Reich Neu « Spanien zu nennen? — Der
Mandarin verſetzte:
2) 485 ( En
Als der Kächer der neuen Welt die Typ
rannen verjagt hatte; (Mahomed und Caͤ⸗
far sufammengefchinolgen würden diefen wun⸗
derbaren Mann nicht erreichet haben;) To
begnügte fich diefer fürchterfiche Rächer bloß
Gefeßgeber zu feyn.. Er Icgte das Schwerdt
nieder, um den Voͤlkern den geheiligten Co»
der der Geſetze vorzulegen. Ihr koͤnnet Euch
ein folches Genie gar nicht vorftellen. Seine
beredte Stimme fihten die Stimme eined
Gottes zu feyn, der vom Himmel herabges
fommen. America wurde in zwey Reiche ger
heile. Das mitternächfige America vers
einigte Mexico, Canada, die Antilifchen Ins
feln, Jamaica, Sf. Dominge. Der Kayfer
des mittäglichen America. befaß Peru, Para⸗
guay; Chili, dasMagellaniſche Gebiete, dag
Land der Amazonen. Aber jedes diefer Kö⸗
nigreiche hatte einen eignen Fuͤrſten, dag eis
nem allgemeinen Gefeße unteftworfen war;
ungefähr fo, wie man das blühende deutſche
Neich in viele Fuͤrſtenthuͤmer getheilet ſah,
die gleichwohl nur einen Körper. unter einem
einsigen Oberhaupte ausmachten.
So iſt das Blut des Montezuma, das
lange Zeit unbekannt und in der Dunkelheit
verborgen geweſn wieder auf den Thron
— — —
Re ) 486.C re
aeftiegen. Alte diefe Monarchen ſind pa⸗
triotifche Könige, die bloß die Erhaltung der
Öffentlichen Freyheit zum Endzwecke haben.
Diefer große Mann und berühmte Gefebge
ber, biefer Neger, in bem die Natur ihren
ganzen Geiſt erfchöpfe hatte, bat ihnen all
auch feine große und tugendhafte Geele ein
gefloͤßet. Diefe weiltläuftigen Staaten rus
ben und befruchten fich in einer vollkomm⸗
nen Eintracht; ein langfameg, aber untrüg:
liches Werk der Vernunft. Die Maferenen
der alten. Welt, die Eindifchen und grauſa⸗
min Kriege, fo viel unnüß vergoffenes Blut,
bie Schaam e8 vergoffen zu haben, endlich
bie vollfommen erwiefenen Thorheiten ber
Ehrgeisigen haben Die neue Welt überzeugend
genug belehret, den Friedch sum Schußgott
“ihrer Länder zumachen. Heute zu Tage wür-
be der Krieg einen Staat eben fo befchin-
pfen, wie der Diebftahl eingn Menfchen be
fehimpft. — Ich fuhr fort ſowohl zu hoͤ⸗
ven, als zu lcfen: . . . '
*. 3 %
Paraguay.
Aus der Stade Affımtion, den =‘; :
Man hat hier ein großes Feſt zum An:
benken ver abarkhoktlrhändlichen Skla—
Same) 497 { Er
verey gegeben. in bie bie Nation unter ber
defpotifchen Regierung ber Jeſuiten mar ges
bracht worden. Und feit fechshundert Jah⸗
ren fieht man es als eine Wohlthat der Vor⸗
fehung an, daß diefe Fuchswoͤlfe in ihrem
legten Aufenthalte vertilget worden. , ZU.
gleicher Zeit gefteht die, nicht undanfbare
Nation, daß fie durch eben die Jefuiten dem
Elende entriffen worden, indem fie von ih»
nen den Ackerbau und die Künfte erlernet.
Wie glücklich, wenn fie fich darauf einges
fchränfet Hätten, ung zuunterrichten und und
die heiligen Gefeße der Moral zu lehren!
Philadelphia,
Hauptſtadt in Penſilvanien.
Dieſer Winkel der Erde, wo die Menſch⸗
lichkeit, die Treue, die Freyheit, die Ein⸗
tracht, die Gleichmuͤthigkeit ſich ſeit acht⸗
hundert Jahren hingefluͤchtet haben, iſt mit
den ſchoͤnſten, den bluͤhendſten Staͤdten be⸗
deckt. Die Tugend hat hier mehr, als bey
andern Voͤlkern der Muth, gethan; und die
großmuͤthigen Quaker 1), die tugendhafte⸗ |
1) Wie koͤnnen ſich die nordiſchen Fuͤrſten wohl
einen ſo unßerblichen Ruhm verfagen, daß fie in
BF) 48 ( re
fien Menfchen , indem fie der Welt das
Echaufpiel eine brüderlichen Volkes gege
ben, haben denen Herzen, die fie gerührt,
zum Mufier gedient. Man weiß, daß
fie feit ihrer Entfichung im Beſitze find
der Welt taufend Beyſpiele von Großmuth
and Wohlthaͤtigkeit zu chen. Man weil,
daß ſie die erſten waren, Die fich weigerte,
Merichenblut zu vergießen „ und bie bet
Krieg als die unfinniafte und barbarifchiie
Ausſchweifung angefehen halın. Sie ſind
es, die den Voͤlkern, dieſen ungluͤcklichen
Sofern der Zwietracht der Könige, den Irr⸗
thum benommien haben. Man wird unver:
züglid) die jaͤhrliche Sammlung befannt ma
ihren Gesenden die Skladerey abſchaffen, und dem
Ackersmann meniaftene feine perſoͤnliche Freyheit
zuruͤcke geben? Wie? boͤren fie nicht das Geſchrey
der Menſchlichkeit, welches fie zu dieſer glorreichen
Handlung von Weklthätigkeit einladet? Und mit
melden Rechte cihalten fi den arbeitfanften Theil
ihrer Unterthanen in einer verhaßten Knechtfcaft,
bie ihren wahren Vortheilen fo fenr zuwider ig, da
fie das Genfpiel diefer Quaker, Die allen ihren
ſchwarzen Sflaven die Freyheit gegeben, vor Aus
gen haben? Empfinden fie nicpt, daß ihnen ihre
Unterthanen deſto getreuer fern werden, je freyer
fie find, und daß fie aufhören muͤſſen, Sklaven zu
feyn, um Menfchen su werden.
De): 489 ( Bere
hen, worinnen bie praftifchen Tugenden
angegeben find, die ihren Gefeßen das Sie:
gel der Vollkommenheit aufdruͤcken.
2 & J—
Marocco ‚den:
Man hat einen Kometen entdechet ber
fich der Sonne nähert. Dieß ift der drey:
hundert ein und funfsigfte, den man bemerkt
hat, feit diefes Obſervatorium errichtet iſt.
Die Beobachtungen, die man in dem Inner-
ſten von Africa gemachet, ſtimmen mit den
unfrigen volis 8 überein. u
Man hat ginen Einwohner, der einen
Sranzofen gefchlagen, mit dem Tode beftraft,
dem Befehle des Monarchen zufolge, tel
her jeden Fremden als einen Bruder mil.
betrashtet wiſſen, der feine beften Freun⸗
de beſucht. |
% 2 *
Siam den⸗
Wir machen einen erftantneiben Fortgang
in der Schiffarth. Man hat ſechs Schiffe
von drey Boͤden ins Meer gelaſſen: ſie ſind
zu entfernten Farthen beſtimmt.
—
u)
40 (Eh
Unfer König läßt fich allen denjenigen ſe⸗
ben, die feine erhabene Gefichtsbildung pa
fehen wünfchen:. fein Monarch kann fo ge
fprächig feyn, als Er, zumal wenn’er fich
in die Pagode des großen Sommona- codom
begiebt. -
Der weiße Elephante ift in dem Thier⸗
hauſe nun nichts mehr als ein Gegenftand
der Neugier, weil er fehr, guf zum Reu⸗
ten abgerichtet iſt.
o + |
Kiüfte von Malabar, den > -
Die Witwe des ***, die ſchoͤn, jung
und in dem größten Blanse ihres Alters ift,
bat den Tod ihres Mannes, ben man ganz
alleine verbrannt hat, aufrichtig bemweinet:
"und nachdem fie die Trauer noch mehr in
ihrem Herzen, als in ihrer Kleidung, getra⸗
gen, hat fie ſich wieder an einen jungen
Mann verheurathet, den fie.eben fo zärtlich
licht. - Dieſes neue Band machet fie ihren
Mitbuͤrgern nur defto lieber umd verchrung®
wuͤrdie ger. |
.. # # %
Terra Magellanica, den > #
Die zwanzig glücklichen Inſeln, die in
aller Unichuld ab Stüskinteit des erſten
Ba) 41 — 4*
Zeltalters lebten, ohne einander: zu kennen,
haben fich nunmehr vereiniget. Sie machen
ist eine wahre Brudergefellfehaft aus, die
einander gegenfeitig nüglich find.
% % #»
Zerra dos Papos, den > 7 >
. Se weiter man in dieſem fünften Theile
der Welt koͤmmt, defto großer, deſto inter:
effanter, werden bie Entdeckungen von Tage
zu Tages man erftaunet bey jedem Schrit-
te über feinen Reichthum, feine Sruchtbar-
feit, und die zahlreichen Volker, die dafelbft
it Friede leben. Sie fünnen unfre. Kuͤnſte
verachten. Die Moral ift dafelöft nod) ber
mwundersrürdiger, als die Natur. Die
Sonne, indem fie dieſe unermeßliche Länder
befcheint, fieht dafelbit nicht einen einzigen
Unglüdlichen ; indeffen, daß unfer fo klei⸗
nes, fo armſeliges und immer in Krieg ver-
wickeltes Europay feinen Boden mit Men⸗
fchenbeinen gehärtet hat.
>,
Die Inſel Taiti, in dem füdlichen Meere,
den 2 >
Als Nr. de Bongaknsilie diefe glückliche
Inſel entdeckte, wo die Sitten des güldnen
\
Se ( 492 ( rei
Zeitalters heerfchten,‘ ermangelte er nihf,
dieſe Inſel im Namen feines Herrn. in Bet
zu nehmen. Er fchiffte hierauf wieder ein,
und brachte einen Taiter mit, ber im Jah⸗
re 1770 acht Tage lang die Neugier von Pa:
ris auf fich 509. Man wußte dazumal nicht,
daß ein Franzoſe von der Schönheit der Him:
melsgegend, von der Medlichkeit feiner Ein
wohner und noch mehr von dem Unglüde,
Bas dieſes unfchuldigen Bolfes wartete, ges
ruͤhret, fich verfteckee hatte, als feine RE
meraden fich einfchifften. "Raum waren die
Schiffe ensfernt, als er ſich der Nation vor⸗
ſtellte: er verſammelte ſie in einer weiten
Ebene und ſprach folgendermaßen zu ihnen:
„Ich will zu meinem und zu Eurem Gluͤ⸗
„cke unter Euch bleiben. Nehmet mich als
„einen Eurer Bruͤder aufge hr werdet es
„tehen, daß ich es bin: denn ich gedenke
„Euch von dem fehredlichften Ungluͤcke zu
„retten. O glückliches Volk, die Ihr in der
Einfalt der Natur lebe! Wiffer Ihr, mel
„che Srübfale Euch drohen? diefe fo hoͤfli⸗
„chen Fremdlinge, die Ihr aufgenommen,
„die Ihr mie Gefchenfen und Liebfofungen
„überhäuft babe, die ich in dieſem Augen
„blicfe verraihe, wenn das anders fie vers
27) 493 —
„rathen heißt, dem Untergange eines’ tu⸗
„gendhaften Volks zuvorzukommen: dieſe
„Sremden, meine Landsleute, werden bald
„toiederfommen und alle die Plagen mitbrin«
„sen, bie andere Länder verwüften. Gie
„werden Euch Gifte und Uebel fennen ler-
„nen, von denen hr nichts wiſſet. Sie wer-
„den Euch 5 — bringen, und Euch noch
„durch grauſame Schluͤſſe beweiſen wollen,
„daß es zu Eurem aͤußerſten Beſten geſchaͤ⸗
„be. Sehet dieſe errichtete Ppramide: ſchon
nfie bezeuget, daß dieſes Land in ihrer Ab⸗
„haͤngigkeit und gleichfam in die Neiche eines
„Monarchen ausgezeichnet ift, den ihr niche
„einmal dem Namen nach fennet. Ihr feyd
„ale beftimmt, neue Gefeße anzunehmen,
„Man wird Euern Boden durchwühlen ;
„man wird Eure fruchtbaren Bäume berau⸗
„ben, man wird fich Eurer Perfonen bemäch-
‚tigen. Diefe Toftbare Gleichheit, die un⸗
„ter Euch herrfchet, wird gerfidree werben,
„Vielleicht wird dag menfchliche Blut diefe
„Blumen begießen , die fich unter. Euren
„unfchuldigen Liebfofungen beugen. Die
„Liebe ift der Gott diefer Sinfel. Sie iſt, ſo
„zu fagen, feinem Dienſte gewiedmet. Der
„Haß und die Rache werden ihre Stelle
2 ) 496 (ek
baff es Freunde und nicht mehr Sklaven fir
det; daß endlich feine Vaſallen nad) Bey
(wichen cdler und wahrer Tugenden und nicht
ayıh nicbern Neichthümern trachten u. ſ.w.
“ . % +
rsburg, ben = = s
Der fie Titel unter allen iſt dei No
me eines Geſetßgebers. Ein Monard) iitfür
ein Volk beynahe ein Gott, wenn er ihm
weiſe und dauerhafte Gefeße giebt. Man
nennt nech mit Entzuͤcken den Namen derer
habenen Katbarine I. Man redet nicht meht
ven ihren Eroberungen und Siegen, man
redet von ihren Gejegen. Ihr Ehrgeiz warı
dic Finſterniſſe der Unwiſſenheit gu zerſtreuen,
md an die Stelle berbarifcher Gewohnheiten,
Geige, die die Menſchlichkeit gegeben, zu
fegen. Gluͤcklicher und größer als Peter
der Große bemühte fie ſich, trotz fo viele
widerinechendtur Beyſeiele, cin Volk glück
lich und tugendhaft zu niachen. Es wurde
es. ungeachrer der äußerlichen und innerlichen
Ungewitter, die ihren Thron beſtuͤrmten und
erſchuͤtterten. Ahr Mut) wußte eine Krone
zu befelligen, Die die Welt mit Vergnügen
auf ihrem Haupte erblidte. Man muß in
das Auferfie Alterthum zurücke gehen, um
k
Rz) 497 (re
einen Gefeßgeber zu finden, der fo viel Wuͤr⸗
de und fo viel Tiefe hatte. — Die Seffeln,
die den Landmann drückten, find gerbrochen
worden: er hat fein Haupt erhoben und fich
mit Entzücken zu dem’ Range der Menfchen
erhoben gefehen. Der Künftler des Luxus
fiebe feine Arbeit nich mehr einträglicher
und geehrter. Der Geift der Menfchlich-
feit bat dem gangen Norden zugerufen:
Menſchen! feyd feey, und Ibr, kuͤnftige
Geſchlechter, wiflee, Daß es eine Frau
war, der Ihr verdantet, was Ihr feyd.
Nach der legten Zählung der Einwohner
aller Ruffen , flieg die Summe auf fünf
und vierzig Millionen Menfchen. Im. Jah⸗
re 1769 zählte man ihrer nur viergehen.
Aber die Weigheit der Gefeggebering, ihe
menſchliches Gefeßbuch, der Thron ihrer
Nachfolger, der feft gebauet worden, weil
fie großmüthig und menfchenlicbend waren,
bat die Bevoölkerung dem großen Umfange
dieſes Reiches, welches weiter als der Roͤmer
ihres, weiter als des Alexanders ſeines, gleich
gemacht. Die Regierungsform iſt indeſſen
nicht mehr militariſch. Der Monarch nennt
ſich nicht mehr Selbſthalter: und die Welt
et
S
ia) 49 (rk
überhaupt ift zu aufgeheitert, als daß fie
eine folche verhaßte Form dulten follte ©).
® En E;
Warſchau, den : = :
Die abgeſchmackteſte Anarchie, die den
Nechten eines freygebornen Menfchen fo
ſchimpflich und für ein Volk fo druͤckend ill,
beunruhiger Pohlen nicht mehr. Die große
Catharina II. bat. vormals einen bemun
bernewürdigen Einfluß auf die Angelegen
beiten dieſes Reichs gehabt: und- man erin⸗
niert fich) mie Danf, daß fie eg war, bie
den Bauer feine perfönliche Freyheit und
das Eigenthum feiner Güter twicdergegeben.
Der König von Pohlen ift Abende um
ſechs Uhr geftorben, und fein Prinz hat den
Thron noch felbigen Tages ruhig beftiegen,
und von allen Großen des Reichs die Hul⸗
digung erhalten.
1) Wer vor achtiig Jahren geglaubt hätte, das
unfere Moden , unfere Perücken , unfere flie
genden Papiere, unfere Fomifchen Opern nad Pe
tereburg fommen folten, würde sang gemiß für
unfinnig ſeyn gehalten worden. Man muß es fi
gefallen lafıen, für einen Thoren gehalten gu wers
den, wann man einen Gedanken bat, der den Hs
rijont gemeiner Ideen uͤberſteigt. Ganz Europa
zielet auf eine jaͤhlinge Revolution.
Re ) 49
o % &
Sonftantinopel, den = : x
Es war für die Welt ein großes Glücke,
ils im 1%ten Jahrhunderte der Türke aus
Furopa verjagt wurde. Jeder Freund des
nenfchlichen GefchlechtS hat fich über den
Intergang dieſes Reichs gefreuet, mo bag
Ingehener des Deſpotiſmus von fchandli*
hen Baffen gepflegt wurde, die ſich Eloß vor
hm niederwarfen, um es noc) in feinen
chrecklichen Beaͤngſtigungen zu übertreffen;
der, lange Zeit ins Elend verwieſene Sohn
am endlich in bag Erbtheil feiner Väter zu:
üch, nicht gedemüthiget, fondern fiegreich,
tark und fähig, e8 zu bauen. Die Ufurpa-
oren des Throns der Konftantine ver:
handen in dem Schlamme ihrer alten
Noraͤſte: und diefe Schranfen, die der Aber:
laube und die Tyranney, ihr ungertrennli.
yer und abfcheulicher Gefährde, den Kuͤnſten
nd der Vernunft, von den Ufern der Say |
nd der Donau bie an die Ufer des alten
‚anaig gefeßt hatte, wurden von einem Vol:
eaus Norden mit ber eifernen Hand, die
e unterftüßte, niebergeriffen. Die Philo-
phie erfchien wieder in ihrem erfien NHei-
gthume: und dad Vaterland eines Themi-
Ji 2
\
mm ) 500 ( in
ſtokles und Miltiades umfaßte aufs neue die
Bildfäule der Freyheit. Sie erhob fich eben
fo edel und groß, als in den ſchoͤnen Tagen,
wo fie in allem ihrem Glanze ſtrahlte. Eie
verbreitete fich in ihrem alten Gebiete : und
man fah feinen Sardanapel mehr, der
den Schlaf der Barbaren zroifchen einem
Vezier und einem Strange fihlief, indeſſen
daß feine weiten, fchmachtenden und geplin-
berten Staaten im Schlaf des Todes ver⸗
ſenkt waren.
Der belebende Hauch der Freyheit beſeelt
ſie itzt wieder. Es iſt ein ſchoͤpferiſcher Geiſt,
der in den ſklaviſchen Volkern unbekannte
Wunder wirkt. Die Staaten bes Grof-
herrn wurden anfaͤnglich ein Raub ſeiner
Nachbarn: aber zwey Jahrhunderte dar⸗
nach haben ſie eine Republik errichtet, die
der Handel bluͤhend und furchtbar macht.
Man hat da einen maskirten Bal gegeben,
wo vormals das Serail ſtund. Es wurden
Dafelbft die ausgefuchteften Weine und alle
Arten von Erfrifcehungen, mit einer Bears
ſchwendung, aufgetragen, die der äußerften
Delifateffe nicht benahmen. - Den Mor
gen darauf wurde im Schaufpielfaale, der
auf den Ruinen ber alten Mofchee, Et. Eos
ame ) 501 ( ie 4%
hie genannt, erbauet worden, das Trauer⸗
piel, Mahomed, aufgefuͤhret.
* 2 9
Nom, D den⸗2⸗
Der Kayfer von Stalien hat auf dem
Rapitol von dem Bifchoffe von Nom einen
ı) Wie abſcheulich klingt meinen Ohren der
Name Rom! Wie traurig ift diefe Stadt für die
Belt geweſen! Wie ſehr iſt fie, feit ihrer Stiftung,
‚ie fie einer Hand vol Raͤuber verdankte, dem Cha⸗
after ihrer Stifter getreu gewefen! Wo findet man
inen breimmendern, tiefern und unmenſchlichern Ehrs
ſeiz? Sie hat die Feffeln der Unterdrädung über
‚ie ganze Welt ansgebreitet.: Weder die Stärke,
och die Tapferkeit, noch die heldenmuͤthigſten
Tugenden haben die Völker vor ihrer Sklaverey
chuͤtzen können. Welcher boͤſe Geift führte ihre
Siege und beflügelte die Schwingen ihrer Adler!
D unglädliche Nepublit! Welch ungeheurer Des⸗
sotismus bat folche abfcheuliche Wirkungen gehabt!
D Rom, wie haffe ich dich! Welch ein Volk, das durch
yie Welt gieng, und die Freyheit des Menichen
jerfiörete, und mit Verwuͤſtung feiner eignen endigs
te! Welches Volk, das von allen Künften umringt,
am den Bladiatoren ein Vergnuͤgen fand, und ein nette
gleriges Auge auf einen Unglüclichen warf, deffen
Blut in Ströhmen aus feinen Wunden quoll: dag
noch verlangte, daß diefes Opfer die Schrecken des
Todes zuruͤckſtoßen, der Natur ihren legten Augen⸗
blick ablügen, und von dem Beyfalle geſchmeichelt
5
SD ) 502 (
Beſuch erhalten, der ihm ſehr ehrerbictig die
Wuͤnſche vortrug, die er für die Erhaltung
ſeyn follte, den ihm eine Million harbarifcher Haus
De zuklatſchten: Welcher Volk, Dat, nachdem ed die
Melt ungerecht beherrfchet, ohne Murren gefatte:
ge, dag 10 viele Kaifer Das Schwerdt in feine cigne
Seiten ficken, und eine eben fo niedertraͤchtige
Eklaverey duferte, als es auf feine Tyranney fc);
gemefen war! Dieß war noch menig: der abae⸗
ſchmackteſte, laͤcherlichſe Aberglaube mußte fih
hernach auf den Thron dieſer Deſpoten ſetzen: €
ſollte die Unwiſſenheit und Barbarey zu feinen Ar
niſtern haben. Nachdem er im Namen des Be
rerlandes gewuͤrget hatte, wuͤrgte mau im Namen
Sottes. Das erfemal floß das Blut für das br
maͤriſche Intereſſe des Himmels ; eine unerbörte Se
che, ven der man in der Welt noch kein Bepfsid
geienen hatte. Rom wurde cin vergitteter Schlund,
aus welchen Die ungiüdlichen Meynungen beraut
Danıpiten, die Die Menjchen entzweyten, und einen
gegen den andern, um bloßer Phautomen milch,
bemaffneten. Bald erzeugte ed unter dem Namen
ber Paͤbſte die verhaßteſten Ungeheuer, die ich Etatts
halter Wertes nannten. Die Caligulas, Die Neronen,
und die Domitianen, verglichen mit Diefen Togern,
die die Schlüffel und den Kronenhut erugen, find
nichts mehr , als bloge gemeine Boͤſcwichter.
Das Volk, wie von einer verſteinernden Keule se
troffen, lebte taufend Jahr unter einer deſpetiſchen
Theofratie. Die prieiterliche Herrfchaft bedide
altes, und verlefcht alles in feinen Sinfernifien.
Der menihliche Geiſt zeiget bloß feine Exiſten, um
Fe) 503 ( En
und bas Glück feined Reichs 2) zum Him⸗
mel ſchickte. Hierauf hat der Bifchoff
den Befehlen eines vergötterten Menfchen zu ges
borchen. Er Mridt: und feine Stimme if ein
verzehrender Donner. Man fiebt die Kreunuͤge,
ein Inquiſitionsgerichte, Aechtuugen, Anathema⸗
ta, Verbannungen, unſichtbare Wetterſtrahle, die
bis ans Ende der Welt ſchlagen. Der vorgegebene,
Chriſt, mit Glauben und Wuth in dem Herzen, wird
Der Mordthaten nicht fatt. Eine neue Welt, eine
ganze Welt, ift nöthig, um feinen Blutdurſt zu ſaͤt⸗
tigen.; mit Gewalt will er dem andern feinen Glau⸗
ben aufdringen. Das Bild Chrifti muß das Lofungss
zeichen dieſer fchrecklichen Vermüftungen feyn. Wo
es erfcheint, fließt das Blut ſtrohmweiſe: und noch
ist kann die! Kirche die Sklaverey derer Unglüclis
hen vechtiprechen, die dem Eingeweide der Erde
dieſes Gold entreißen, dad Rom mit einer fo uns
verfhämten Abgoͤtterey anbetete! D du Stadt
Der fieben Hügel! Was für ein Schwarri von Plas
gen find aus deinem hoͤlliſchen Schooße heraus
gegangen! Wer bit du? Warum haft du auf dies
fe ungluͤckliche Kugel einen fo gewaltigen Einflufi ?
Hat der Übelthätige Arimanes feinen Sig in dei⸗
nen Mauern? Graͤnzen fie an die Gewölbe der Hals
le? Biſt du die Thüre, durch die das Ungluͤck
eingeht? Wann wird dieſer ungluͤckliche Talieman
gerbrochen werden? Es iſt wahr, er hat von feiner
Kraft verloren, aber bat er nicht noch Gewalt ge:
nug übrig, der Welt zu fchaden? O Rom, wie hafs
fe ich dich! Moͤchte doch wenigſtens das Schächte
niß deiner Wosheiten bleiben und dich mit Schan⸗
J
Sm) 504 ( er
mit aller Demurh einestwahren Dieners Got⸗
tes zu Fuße feine Kückreife angetreten.
Alle herrliche antife Denfmäler, die man
aus ber Tiber hervorgezogen, mo fie feit fo
vielen Jahren begraben gelegen, find in den
perfchiedenen Dierteln der Stadt Rom wie
ber aufgefiellet worden. Man bat fie ber
vorzuziehen gewußt, ohne eine gefährliche
Ausduͤnſtung in der Luft dadurch zu ver:
fachen.
Der Biſchoff von Nom befchäfftiget fid
beftandig , einen Codex einer vernünftigen
and rührenden Gittenlehre zu liefern. Er
hat einen Catechiſmus der mienfchlichen Ber
uunft befanng gemacht. Er bemüht fi
hauptfüchlich einen neuen Grad der Eviden;
denen Wahrheiten zu verfchaffen , die den
Menſchen zu wiſſen hoͤchſt wichtig ſind. Er
hält ein Verzeichniß von allen großmürhigen,
ruhmwuͤrdigen und nienfchenlichenden Hand»
de bedecken! Niemals muͤſſe fie verachen, und o
daß alle Herzen von einem gerechten Haſſe verzehrt,
eben den Abfchen fühlen möchten, den ich vor Leis
nem Namen habe.
2) Der Thron ded Despotiämng ſtuͤtzet fich auf
dem Altar, der ihn nur haͤit, um ihn au dcr
fchlingen.
are N
kungen: er machet ſie bekannt, indem er ſe⸗
de Gattung von Tugend charakteriſiret. Er
regieret, als Richter der Koͤnige und der
Voͤlker, vermoͤge feiner brennenden Liebe für
die Menſchlichkeit, durch die unuͤberwindli⸗
che Gewalt, die der Geiſt der Weisheit, der
Gerechtigkeit und Wahrheit giebt. Er ſchlich⸗
tet die Streitigkeiten‘ der Voͤlker: cr beſaͤnf⸗
tiget fie. Geine Bullen, in jeder Art von .
Sprache gefchrieben, Eimdigen nicht mehr
zweifelhafte, unnüße Echren und Ausſpruͤche
an, die zu ewigen Zwiſtigkeiten Anlaß ge
ben: fondern fie reden von einem Gott, von
feiner Allgenwart, von einem zukünftigen Les
ben, von den hohen Werthe der Tugend.
Der Chineſer, Japoneſer, der Einwohner
von Eurinam und von Kamtſchatka leſen ſie
mit Nutzen.
% *
Neapolis, den: zz
x Die Akademie der ſchoͤnen Wiſſenſchaf⸗
ten hat den Preis dem benannten * * * mit
getheilet. Die Frage war, richtig zu beftim-
U men, wer die Cardinaͤle im 18ten Saͤculo
waren: bie Sitten und Begriffe diefer felt-
famen Perſonen: was fie in dem Gefaͤng⸗
Fe) 506 ( —
niffe des Conclavo fagten und thaten; vnd
der eigentliche Augenblick, wo fie wieder
fourden, was fie im Anfange des Chriften-
thums waren. Der gefrönte Verfaffer hat
den Abfichten der Akademie eine vollige&ni-
ge geleiftee. Er bat :fogar eine Befchrei-
bung des Barets und rothen Huthes ge:
geben. Diefe Abhandlung ift eben fo lu⸗
fig als tiefgelehrt.
Man hat auf Sea Jahrmarktseheater das
Poſſenſpiel des heil. Januarius aufgefuͤh⸗
ret, das man vormals fuͤr ſo ernſthaft hielt.
Man weiß, daß das Wunder der Fluͤßigkeit
feines Bluts ſich alle Jahre erneuerte. Man
hat dieſe laͤcherliche Thorheit mit einem
Salze parodiret, worüber die ganze Na—
tion gelacht hat.
Die Schaͤtze unſrer fieben Frauen u!
retto m), die dazu gedienet haben, daf Arme
1) Ceit funfiehn Zahrbunderten fehen wir in
ganz Europa Feine andern Denkmäler, als Kirchen
von einem ſchlechten Geſchmacke mit hohen, fpigen
Thuͤrmen. Die Gemaͤlde, die man daſelbſt fieht,
fetten bäflihe und -efle Figuren vor. Wie viel
giebt es reiche Klöfter: Wie viele reiche Collegien!
Wie viel Stifter und Kapitel! Wie viel dem Muͤſ⸗
fisgange und fholaftifch « thenlogifhem Geſchwaͤtze
geriedimete Freyſtaͤtte! Und doch geſchah es in Zeis
az) 507 ( un
davon genaͤhret und gefleider worden, mer:
den zur Erbauung einer Wafferleitung ver °
wandt, fo lange feine Dürftigen mehr da
find. Man wird eben diefen Gebrauch. von
den Neichthüimern der alten Cathebralfirchk
zu Toledd machen, die im Jahre 1867. zer⸗
fisret worden... Man fche hierüber die ge-
lehrten Abhandlungen von * * *, gedruckt
im Jahre 1999.
8 %
Maͤdrit, den ⸗2⸗
Es iſt einBefehl ergangen, daß fich niemand
Dominicus nennen fol, weil der Barbar dies
ſes Namens die Inquiſition geflifftet hat 1ꝛ
ten, mo die Völker duferft arm waren, daß man
Das Geheimniß fand, Cathedralkirchen nnd aͤußerſt
toftbare Tempel zu errichten. Wie weit bluͤhen⸗
der würden die Nationen fenn, wenn man diefe
unermeßlichen Summen, die man vergebend -ver-
wandt, Pfaffen und Moͤnche zu bereichern, auf
Wafletleitungeh, Candle u. ſ m. gewandt hätte.
1) jede Geele, in der der Kanatifmus der Mes
ligion nicht die Empfindungen der Menfchlichkeit
erfticket bat, derzehret fich vor Unmillen und blutet
von Mitleiden, bey dem Anblicte der Grauſamkei⸗
ten, der audgefuchteften Dunalen, die diefe ſchwaͤr⸗
meriſche Wuth den Menſchen eingegeben. Die
Geſchichte der Eannibalen und Menſchenfreſſer iR
Sa ) 506 ( ek
niffe des Conclavo fagten und thaten; wd
der eigentliche Augenblicf, wo fie wieder
fourden, was fie im Anfange des Chriften:
thums waren. Der gefrönte Verfaſſer hat
den Abfichten der Akademie eine völlige Gnuͤ⸗
ge gelsiftet. Er bat :fogar eine Befchrei-
bung des Barets und rothen Huthes ge
geben. Diefe Abhandlung: ift eben fo lu⸗
ſtig als tiefgelehrt.
Man hat auf dem Jahrmarktseheater das
Poſſenſpiel des heil. Januarius aufgefuͤh⸗
set, das man vormals für fo ernſthaft hielt.
Man weiß, daß das Wunder der Flüßigfeit
feines Bluts fich alle Jahre ernenerte. Man
hat dieſe läggerliche Thorheit mit einem
Ealse parodiret., worüber die ganze Na
tion gelacht hat.
Die Schäße unfrer lieben Frauen zu 06
retto D), die bazu gedienet haben, daf Arme
ı) Eeit funßzehn Jahrhunderten feßen wir In
ganz Europa Feine andern Denkmäler, als Kirchen
von einem ſchlechten Geſchmacke mit hoben, fpisen
Thuͤrmen. Die Gemaͤlde, die man daſelbſt fieht,
fetten bäflihe und ekle Figuren vor. Wie viel
giebt es reiche Kloͤſter! Wie viele reiche Collegien! »
Wie viel Stifter und Kapitel! Wie viel dem Muͤſ⸗
ſiggange und ſcholaſtiſch⸗ theologiſchem Geſchwaͤtze
gewiedmete Freyſtaͤtte! Und doch geſchah es in Zei⸗
L
>) 307 ( un
davon genaͤhret und gekleidet worden, mers
den zur Erbauung einer Wafferleitung ver
wandt, fo lange feine Dürftigen mehr ba
find. Man wird eben diefen Gebrauch. von
den Reichthuͤmern der alten Cathedralkirche
zu Toledo machen, bie im Jahre 1867. zer
ſtoͤret worden. Man fehe hierüber die ge⸗
lehrten Abhandlungen von “.*, gedruckt
im Sjahre 1999. ’
# % %
Maͤdrit, den ⸗2⸗
Es iſt ein Befehl ergangen, daß ſich niemand
Dominicus nennen ſoll, weil der Barbar die⸗
ſes Namens die Inquiſition geſtifftet hat 1).
ten, mo die Voͤlker aͤuſterſt arm waren, daß man
Das Geheimniß fand, Catbedralfirchen und äußerft
koſtbare Tempel zu errichten. Wie weit blüben-
der würden die Nationen fenn, wenn man diefe
unermeßlichen Summen, die man vergebens ver⸗
wandt, Pfaffen und Mörche zu bereichern, auf
Wafferleitungeh, Candle u. f- m. gewandt hätte.
1) Jede Seele, in der der Fanatifmus der Mes
ligion nicht die Empfindungen der Menfchlichkeit
erfticket bat, derzehret fich vor Unmillen und blutet
von Mitleiden, bey den Anblicke der Brauſamkei⸗
ten, der andgefuchteften Quaalen, die diefe ſchwaͤr⸗
“merifhe Wuth den Menſchen eingegeben. Die
Geſchichte der Eannibalen und Menfchenfrefler iñ
I
Same) 505 ( Ei
Ingleichen ein anderer Befehl, daß ber Na—⸗
me Philipp II. aus der Weihe ber Koͤnige
son Spanien foll ausgelöfchet werben.
Der arbeitfame Seift der Nation offen
baret fi) von Tage zu Tage durch nügliche
Entdeckungen in den Künften, und die Lka⸗
Demie der Wiffenfchaften hat ein neues Ey
fiem der Elcetricität herausgegeben, das ſich
auf mehr als taufend befondere Erfahrun
gen gründet.
% .# %
$ondon, den x < >
Diefe Stadt ift dreymal größer, als ſie
im 18ten Seculo war, und da die ganze
Macht von Engelland ohne Gefahr in ihrer
Hauptfiadt feyn kann, weil die Handlung
davon die Seele ift, und der Handel eines
Mepublifanifchen Volks nicht die fraurigen
Bolgen, wie bey den Monarchien, bat, fo iſt
weit minder fchreclich, als die unfrige. Torque⸗
mada, ein fpanifcher Inauifitor, rühmte fich, daß
er mehr, als funfzig taufend Ketzer, durch Fenet
und Schwerdt bingerichtet habe: und überall fins
den wir die blutigen Spuren diefer religiöfen Grau⸗
ſamkeit. Iſt dieſes das aöttliche Geſetz, welches
ſich die Stuͤtze der politiſchen und moraliſchen
Drdnung nennet?
2a) 509 (le.
Engelland immer bey feinem alten Syfiem
geblieben. Es ift gut, weil c8 nicht deu
Monarch ift, der fich bereichert, fondern bie
Unterthanen.: hieraus entſteht die Gleich»
beit, melche ven außerfien Reichthum und.
das aͤußerſte Elend verhindert.
- Die Engelländer find noch immer das
erſte Volk von Europa: ſie genießen noch
des alten Ruhmes, ihren Nachbarn die Ne,
gierungsart gegeiget zu haben, welche Men⸗
ſchen anſtaͤndig if, die auf ihre Rechte und
ihr Glück eiferfüchtig find.
Man hält dem Andenken Karl deg iſten.
zu Ehren feine Proceßionen mehr ; man
fieht in ber Politik weiter.
Man hat die neue.Bildfäule des Pros
tector Cromwells errichtet. Es iſt unges
wiß, 0b der Marmor dazu ſchwarz oder
weiß iſt, fo fehr ifter gemifcht. Die Vers _
fammlungen des Wolfe werden künftig vor
diefer Statue gehalten, weil diefer große
Mann, den fie vorftellet, ver wahre Urheber
der glücklichen und unveranderlichen Con
ftitution iſt 1).
1) J. J. Rouſſeau ſchreibt die Stärke, den
Glanz und die Frevheit Brittanniens der Ausrots
tung der Wölfe zu, die es vormals verwiüßeten,
275m) 510 (ni
Die Schoteländer und Irrlaͤnder haben
dem Parlamente eine Bittfchrift überreicht,
damit man den Namen Schottland und
Irrland abfchaffen, und nur einen Staat,
ſowohl dem Geifte, ald dem Namen nad, mit
Engelland ausmachen möchte, fo mie- fie
nur Einen nach dem Patriotismus ausma-
chen, der fie befeelr.
EZ % %
Wien, den + + >
Deſterreich, dag zu aller Zeit im Befike
gewefen, ganz Europa reisende Pringekin-
nen zu geben, Fündiget an, daß eg fieben
mannbare Schönheiten habe. Cie merden
fid) nur an Fuͤrſten der Erde verheurathen,
die das fchönfte Zeugniß von ber Liebe für
ihre Voͤlker beybringen werden.
= > %
Haag, dın =;
Dieß arbeitfame Volk, dag, aus dem un-
banfbarften und finmpfigften Erbreiche, einen
Garten gemacht, und alle auf der Erde zer
freute Schäße an einen Orte Jufammenges
Gluͤckliches Volk! ed hat Wölfe verjaget, die taus
fendmal gefährlicher waren, und die andere Gegen
den noch ist verwuͤſten.
Bi ) SIT (Ei
bracht hat, wo fein Kieſel wächft: ſetzt feinen
erftannenden Fleiß immer noch ftandhaft fort,
und zeiget der Welt, was Muth,. Gedult
und der Gebrauch der Zeit vermögen. Die
unmäßige Liebe des Goldes ift nicht mehr fo
heftig. Diefe Nepublick ift dadurch mächtie
ger getvorden, daß fie die Schlingen ent
deckt, die unvermerkt zu ihrem Untergange
gelegt waren. Sie hat erfannt, daß es
feichter fen, dem wuͤtenden Oceane Damme
zu.fegen, als einem verberblichen Metalle
zu toiderftehen: und heute zu Tage verthei⸗
diget fie fich eben fo bershaft gegen die Ans
fälle der Verfchwendung, als gegen die
Wuth der Meereswellen.
“ % %
Paris, den = = :
Zwoͤlf Schiffe mit fechs hundert Tonnen
find in diefer Hauptſtadt angelanget, und
haben ben Weberfluß dafeldit erhalten. Man
St dafelbft Fifche, bie man nicht zehnmal
theurer kauft, als fie wereh find. Das neue
Bette der Seine, bag von Rouen nach dies
fer Stadt gegraben worden, braucht einiger
Ausbefferungen. Man hat zu diefen Koſten
anderthalb Millionen beſtimmt, die aug dem
) 5 I2
re man an bie Stelle des Seinigen ſetzen
Könnte.
Der Yarifer bat beutliche Begriffe über
das nathrliche, politiſche and bürgerliche
Recht. Er glaubt nicht mehr. auf-einedume-
me Art, daß er. einem andern Menfchen feine
Derfon und feine Guͤther zum Eigenthume
übergeben habe. Er hatimmer wißige Ein
fälle auf dev Zunge, und verfiche die Kunſt
kicderchen und Vaudevils zu. machen: ‚aber
er weiß auch zu gleicher Zeit feinen Sa
gen einen feften Korper zu geben.
u FE ig
- Ich ſchlug mein fliegenbes Blatt bald vor,
bald hinter. Ich wollte gerne noch einige
ſeltne Artikel finden. Sch fuchte.Berfailtes:
aber meine nengicrigen Ungen konnten bie
fen Artikel nicht finden. Der Hausherr be
merkte meine Unruhe und fragte, was ich
füchte? Das, was das Intereſſanteſte in der
Welt iſt, anttvortete ich ihm: die Neuig
feiten des Orts, wo fich gewoͤhnlich der Hof
. aufhält, kurz, den Artikel von Derfailles, der
in der Gazette de France immer fo umftänd-
lich, fo.mannichfaltig , fo unterhaltend
SF ) 515 ( Ede
war 2%. Erifiong.au zu lächeln und fagte
zu mir: „ich weiß nicht, was aus ber G«
zerte da France geworben iſt. Die unjrige iſt
nicht die Zeitung von Frankreich, ſondern
die Zeitung der Wahrheit, und man begehf
darinnen niemals eine Unterlaffungsfiinde.
Der Monarch reſidiret mitten in der Haupt⸗
ſtadt. Hier iſt er in den Augen des ganzen
Volks, und: ſein Ohr iſt immer bereit deſſen
Geſchrey zu hoͤren. Er verbirgt ſich nicht
in einer Art von Wuͤſte, mit einer Menge
sergoldeter Sklaven umgeben. Er wohnet
im Mitttelpuntte feiner Staaten, fo wie die
Sonne mitten in der Welt ſteht. Dieß ift
‘ein Zaum mehr ,. der fierin den Graͤnzen dee
Pflicht haͤlt. Ei bar kein anderes Mittel,
. dag zu erfahren, was er wiſſen foll, alg die
allgemeine Stimme, -bie gerade bis zu feis
nem Ihrene dringt. Diefer Stimme Ein«
1) Welch eine grauiame Plage it die Drudes
rey, wenn fie dazu dienet, siner ganzen Nation ans
zutündigen, daß diefer Menfch den oder jenen Tag
die Rolle eines Sklapen am Hofe geſoitlet: Daß jes -
ner andre fi H mit aller erſinnlichen Pracht erniez
driget: daß endlich diefer die Frucht feitter Nieder⸗
trächtigkeiten. erhalten hat! Welche Sammiung
von eſendem Zeuge! welche kleine und lriechende
Sprache! |
fa
Some) 516 ( iiueske
halt zu thun, würde eben fo viel feyn, als
unfern Gefesen zuwider handeln: denn ber
Monarch ift der Mann des Boifs und das
Volk nicht feine. u
Drey und vierzigſtes Kapitel.
Leichenrede auf einen Bauer.
MNeusierig⸗ zu ſehen, was aus Verſailles
geworden waͤre, wo ich auf einer Sei⸗
te die Koͤnige in ihrem Glanze die aͤußerſte
Pracht hatte auskramen, auf der andern
Seite aber eine Brut von Einnehmern und
groben Schreibern die unverſchaͤmteſte Faul⸗
heit ſo weit treiben geſehen, als fie nur zu
treiben war, traͤumte ich, daß ich, wie Jo⸗
ſua, der Sonne koͤnnte file zu ſtehen gebie⸗
ten: ſie neigte ſich zu ihrem Untergange:
auf meine Bitte ſtund ſie ſtille, wie zur Zeit
dieſes juͤdiſchen Feldherrn und meine Abſicht
war, wie ich glaube, nicht ſchlimm.
Ich befand mich auf dem Felde in einem
Wagen, der aber doch kein Pot de cham-
bre I) war. Ich mußte einen Umweg neh⸗
1) So heißen gewiffe Carroffen, die nah Der:
failles gehen. Sie find meiftens für das Bedien⸗
tenvolk beftimmt, von bem diefer Ort uͤberſchwemmt
SD) 517 ( er
men, weil die gewoͤhnliche Landſtraße ver⸗
ändert war.
Indem ich bey einem Dorfe vorbeyfuhr,
ſah ich eine Heerde Bauern, mit niederge⸗
ſchlagenen und thraͤnenden Augen, die in
einen Tempel giengen. Dieſer Anblick ruͤhrte
mich. Ich ließ meinen Wagen halten und
folgte ihnen. Ich ſah in der Mitte der
Kirche den Leichnam eines Greifes in Ban⸗
ernkleidung, deffen weiße Haare big zur Erde
herabhiengen. Der Pfarrer des Orts flieg
auf eine Heine Erhöhung und ſprach folgen:
dermaßen zu feiner Verſammlung:
Meine Sreunde,
„Der Mann, den Ihr ſehet, iſt ſeit neun⸗
„zig Jahren ein Wohlthaͤter der Menſchen
„geweſen. Er iſt der Sohn eines Ader-
„manng und von Kindheit an find feine
„Hände befchäftiget gemefen, den Pflug»
„‚fchar zu heben. Er folgte feinem Bas
„ter in ben Furchen, als faum fein Fuß
„noch durchfommen konnte. Sobald dag
„Alter ihm die Kräfte gab, nach denen er
„feufste, fagte er zu feinem Vater: ruhet
iſt: und in dem Verſtande fahren fie in der That das
Schlechteſte, was in Fraufreich iR. .
en) TI ee
„nun aus; und feit der Zeit hat ihn jeder
„Sohn, pflügen, ſaͤen, pflanger, einfam-
„meln geſehen. Er’hat mehr als zwey tau⸗
‚fend Acker urbar gemacht. Er bat den
„Weinſtock in allen dieſen Gegenden gepflan⸗
zzet; und ihr danket ihm die fruchtbaren
Baͤume, die dieſes Dorf naͤhren und den
„Schatten, der es kroͤnet. Nicht der Geis
„war es, der ihm unermuͤdet machte: es
„war die Liebe zur Arbeit, fuͤr die, wie er
„ſagte, der Menſch geboren waͤre, und der
jjfromme und große Gedanke, daß Gott
„ihn ſaͤhe, wann er die Erbe bauete, um
„feine Kinder zu nahren.
„Er hat ſich verheurathet und fünf ımd
„wanzig Kinder gezeuget. (Er hat fie alle
„zur Arbeit und zur Tugend erzogen und
„alle feine Kinder find vechtfchafne Leute.
„Er har ihnen junge Weiber gegeben, bie
„er felbft laͤchelnd an den Altar des Gluͤcks
„gefähret hat. Alle feine Fleine Kinder find
„in feinem Haufe ergogen worden : und Shr
„wiſſet, twelch eine reine, unveraͤnderte Freu⸗
„de anf ihren Stirnen wohnte. Alle dieſe
„Brüder lieben ſich unter einander, weil er
„ſie liebte und ihnen zu fuhlen gab, daß es
„füße fen, einander zu lieben.
De) 19 ( re
„An den Feſttagen war er ber erfte, ber
„die ländliche Muſik anftinmen lich: und
„fein Blick, feine Stimme, fein Gefichte,
„Ihr wiſſet es felbft, waren bie Loſung ber
„algemeinen Freude. Ihr habe feine Hei
„terkeit, den Ichhaften Ausfluß einer. reinen
„Seele, und feine Worte voller Verſtand
„und Salz nicht vergeffens ob cr gleich die
„&abe hatte, einen Elugen. Scherz zu mar
„chen, fo hat er body niemals beleidiget.
„em has er wohl irgend einen Dien ab
„gefchlagen? Ben welcher Gelegenheit hat er
„rich wohl, gegen ein Öffentliches oder ber
„ſondres Ungluͤck unempfindlich bezeiget ?
„Wann iſt er gleichgültig geweſen, fobald
„es das Vaterland betraf? Sein Herz ger
„hoͤrt dieſem ganz zu: fein Bild mar die
„Seele feiner Gefpräches er redete bloß für
„deffen Beſtes: er liebte die Drdnung aus
„der inmern Empfindung, bie er von ber
„zugend hatte.
„Ihr habt Ihn gefehen, ale dag Alter fer
„nen Körper niedergedruͤckt hatte und feine
„Fuͤße ſchon ſchwankten. Ihr habt ihn
„auf die Gipfel der Berge ſteigen und Lehren
„der Erfahrung den jungen Ackersleuten ge⸗
„ben ſehen. Sein Gedaͤchtuiß war ein treues
Ze) 520 ( re
„chälmif berienigen Beobachtungen, bie
„während achtzig Fahren hinter cinander über
„bee Itsechfeiung der verichichenen Jahres⸗
„jeiren gemacht hattt. Dieier oder jener
„Baum, dem er in dem ober jenem Jahre
„arrflaust hatte, erinnerte ihn an die gün-
ſiae eder nachtheilige Witterung. Er wuß⸗
„se aufwendig, was die Menſchen vergef
„sn: Die Verſterbenen, bie reichlichen
Acrndten. die Bermächiniffe an die Armen.
„Er mar, wie mit einem prophetiſchen Ger
„ie Begahtr, und mann er dem Mondenlichte
„nachdachte, jo wußte cr, welcher Saamen
„den Süchengarten bereichern wuͤrde. Den
„bene vor feinem Tode fügte er: Reine
„Kinder, ich nahe mid) dem Weſen aller We⸗
„en, Dem Urheber alles Guten, den ich alleseit
„angebetet habe, und aufdenich hoffe: putzet
„mergen früh Eure Birnenbäume, und bey
„Untergange der Sonne begrabe man mid)
„eerne an meinem Felde.
„ihr meine Kinder, die Ihr ihn nachah-
„men fellet, werdet ihn itzt dahin bringen:
„ehe wir aber dieſe weißen Haare verjen-
„fen, die von weiten Ehrfurcht einfloßten,
„und die Jugend berbeplockten, fo beichauet
„ine ehrwurdigen und abgehärtcten Jan:
e ) 521 (En
„de: dieſes Horn iſt das edle Siegel feiner
„langen Arbeiten. „
Hier nahm der Redner eine feiner kalten
Hände, und bob fie empor. Sie war unter
der täglichen Arbeit des Grabſcheits dop⸗
pelt ſtark und dicke geworden, und dem
Scheine nach hatte ſie weder die Spitze der
Dornen, noch die Schärfe ber Kiefel vers
wunden koͤnnen. |
Der Redner füßte diefe cble Hand mie
Ehrerbietung und jedes folgte feinem Vey⸗
ſpiele.
Seine Kinder trugen ihn auf drey Haͤuf.
chen Getrayde, begruben ihn, wie er ver⸗
langt hatte, und legten ſeine Sichel, ſein
Grabſcheit und einen Pflugſchar auf ſein
Grab.
Ach! ſchrie ich, wenn die Maͤnner, bie
ein Boſſuet, Slechier, Mascaron, Neupille
erhoben, den hundertſten Theil der. Tugens
ben dieſes Ackermannes gehabt hätten, ſo
wuͤrde ich ihnen ihre prächtige, und. eitle
Beredtfamfeit vergeben haben.
ae) 522 ( En
Bier und vierzigſtes Kapitel.
Verſailles.
Jo komme an, ich ſuche mit meinen An⸗
7 gen den praͤchtigen Palaſt, wo die
Schickfale vieler Nationen beſtimmt wurden.
Welches Erſtaunen! ch entdeckte nichts,
als Trümmern, halb eingefallene Mauern,
verſtuͤmmelte Bildfäulen; aus einigen ge⸗
woͤlbten Gängen, die halb über den Kaufen
geſtuͤrzt lagen, konnte man fich eine verwirr⸗
te Borftellung von ihrer alten Pracht ma
chen. Ich gieng auf diefen Ruinen, als ich
einen Greis antraf, der auf den Kapital ci-
ner Säule ſaß. „O! ſagte ich zu ihm, was
„ift denn aus dieſem großen Palaſte gewor:
„den? — Erift eingefallen! — Wie? —
„Er iſt auf fich ſeibſt eingeſtuͤrzt. Ein Mann
sin feinem unbaͤndigen Stolze bat hier die
„Natur zwingen wollen: cr, er hat geſchwind
„Gebaͤude über Gebaͤude hingeſetzt; begierig,
„nach feiner eigenſinnigen Willkuͤhr ſeiner
- „Hoheit zu genießen, zog er fine Umterihas
„nen aus. Hier dieſer Schland hat alles Geld
„des Koͤnigreichs eingeſchluckt. Hier iſt cin
„Strohm vron Thraͤnen hergefleſſen, um dieſe
„Baßins zu fuͤllen, von denen Feine Spur mehr
„ubrigit. Dieß Roes was noch von dem Co⸗
Be) 523 (
„loß übrig iſt, den: eine Million Hände mit fo
„vieler ſchmerzhafter Arbeit errichtet haben.
„Diefer Palaft Fatie feinen feften Grund;
„er war dag Bild von der Größe besjeni-
„gen, ber ihn erbauet hatte D. Die Könige,
„feine Nachfolger haben ihn verlaffen- müfe
„fen, uns nicht erfehlagen zu werden. Moͤch⸗
„ten diefe Steinhaufen doch allen Monarchen
„zurufen, daß diejenigen, die einer augenblich-
„lichen Macht mißbrauchen, nichts thun, als
„ihre Schwachheit dem folgenden Geſchlechte
„aufdecken ..., Bey diefen Worten vergoß
ı) Man Inbt die prächtigen Schaufpiele, die dem
rönifchen Volke gegeben worden. Man machet
Daraus eiten Schluß auf die Größe des Volks.
Es war ungluͤcklich, fo bald es anfieng, fich bey
diefen prächtigen Feſten iu verfammeln, wo die
Frucht feiner Siege verfägendet wurde. Mer
bauete die Circus, die Theater, die Bäder? Wer
grub bie kuͤnſtlichen Seen, mo eine ganze Flotte,
wie auf vollen Meere ihre tfebungen machte? Es
waren die aefrönten Ungeheuer, deren tyrannifcher
Stolz die. Hälfte des Volks zertruͤmmerte, um bie
Augen der andern zu beluſtigen. Die ungeheuern
Poramiden, deren fich Aegypten ruͤhmet, find nichts
anders als Denkmäler des Despotismnd. Die
Republikaner bauen Wafferleitiingen, Kanäle, Lands
ſtraßen, öffenfliche Plaͤtze, Märkte: aber jeder Pas
laſt, den ein Monarch erbauet, ift der Keim eines
naben Ungemachs.
\
% :
) 524 (ne
er einen Sttohm von Thränen, und fah den
Himmel mit einer reuigen Miene an. —
„Warum weinet hr, fagte ich? Ale Wele ift
„glücklich, und diefe Trümmern Eündigen
„nichts weniger, ale das öffentliche Elend
„an?, = «= Er erhob feine Stimme und ſag⸗
te: „Ach! Unglücklicher! wiſſet, daß ich Eub-
„wig ber XIV. bin, der dieſes traurige Schloß
„gebauet hat. Die göttlicye Gerechtigkeit hat
„die Fackel meiner Tage wieder angezündet,
„damit ich in der Nähe mein beweinenswuͤr⸗
„diges Werf betrachten möchte . . . Wie zer⸗
„brechlich find die Denkmäler des Stolge8! = +
„Ich weine und werde immer weinen ===:
„Ach! daß ich nicht gewußt habe - =» - 2),
Sich wollte an ihn felbfi nun Fragen thun, ale
eine von den Schlangen, mit denen diefer Ort
angefülle war, voh dem Sturz einer Saͤule
hervorſchoß, um den fie fich gefchlungen hatte,
und mich in Hals flach, wovon ich erwachte.
2) In die Mitte von Europa geftellet, und
durch den laug audgebreiteten Umfang und die Um:
wege feiner Kiften über die Meere von Flandern,
Spanien und Deutichland berrfchend: an das mit:
telländifche Mieer grängend u. ſ. w. Welches Reich
ift Frankreich, und welches Volk fchien mehr gerech⸗
te Aniprüche auf das Gluͤck zu haben !
„‘
VEIT