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\
r
I'
t
Das
Leb
e n Jesu,
kritisch bearbeitet
von
Ihr* David Friedrich Stroms,
Erster Band.
Dritte
mit RHektieh* auf die Gegenschriften «erdesserte Auflage.
Tübingen,
Verlag vonC. F. Oslander.
1 S 38.
\
\
cl.
j t
\
>
» I
Druck der C. F. Ost an de reichen Buchdruckerei.
\
Vorrede
mar dritten Auflag«.
In der Ausarbeitung meiner Streitschriften, de-
ren zweiter Band die Einwürfe der ausführlicheren
Gegenschriften gegen einzelne Paukte meiner kriti-
schen Ansicht von der evangelischen Geschichte nach
der Sachordnung vornehmen sollte, durch die Not-
wendigkeit einer dritten Auflage des L. J. unterbro-
chen, habe ich nun die Verhandlung mit den bedeu-
tenderen Gegnern in das Hauptwerk selbst verar-
beitet, und dadurch die weitere Fortsetzung der
Streitschriften überflüssig gemacht.
Man wird finden , dafs ich es mit den Einwen-
dungen meiner Gegner nicht leicht genommen, son-
dern midi von ihrer ganzen Kraft und Bedeutung
habe durchdringen lassen, um sofort rücksichtslos
da abzuändern , wo sie mir Recht zu haben schienen
wo ich aber meine frühere Ansicht durch sie nicht
erschüttert fand , da zu beharren. Ich habe von al-
len so viel möglich zu lernen gesucht Wie viel ich
in dieser Hinsicht de Wetten verdanke, habe ich
«chon an einem andern Orte ausgesprochen. Nicht
minder war mir Neander's tiefer Gemüthsblick oft
behülflich, die Einheit aufzufinden, die sich mir un-
ter Gegensätzen versteckt hatte; obwohl ich urthei-
ten mufs, dafs bei ihm noch häufig umgekehrt die
IV Vorrede cur dritten Auflage.
Gegensätze vor der Einheit nicht zu ihrem Rechte
kommen. Aber wie beschämt er mit seiner Behut-
samkeit in Festhaltung des Alten, mit seiner Auf-
richtigkeit im Bekenntnis des Zweifelhaften, mit sei-
ner selbstverläugnenden Wahrheitsliebe, den unlau-
tem Eäfer derjenigen, die, wie Hoffmann, überall
weniger darum sich bemüht zeigen, dafs die Wahr-
heit ausgemittelt , als dafs ihr prahlerisch gegebenes
Wort, dem Gegner keinen Fufs breit weichen zu
wollen , zur Wahrheit werde. Dessenungeachtet bin
ich diesem kenntnisreichen und scharfsinnigen Geg-
ner manche Belehrung , besonders in der Kindheits-
geschichte, schuldig geworden. Ebenso habe ich aus
Kern's aufgeblasenem Kathederton doch mehrere
Treffende herausgehört, und von dem hohen Pferde
T h o \ u c k "scher Vielseitigkeit herab , trotz seines bis-
weilen unsichern Trittes, für diefs und jenes einen
richtigeren Gesichtspunkt gewonnen. Auch T h ei-
le ' s formlose und zum Theil leidenschaftliche Schrift
blieb nicht unbenutzt. Nur in dem O s i a n d e r sehen
Buche konnte ich vor Qualm und Rauch kein Licht
entdecken; wenigstens keines, das er nicht bei bes-
seren Vorgängern angezündet. Weifse's Werk
Aber die evangelische Geschichte, das ich als eine in
mehrfacher Beziehung erfreuliche Erscheinung be-
grübe, konnte für diesen ersten Band nicht mehr
benutzt werden.
Die Veränderungen, welche diese neue Auflage
darbietet, hängen mehr oder weniger alle damit zu-
sammen, dafs ein erneuertes Studium des vierten
Vorrede zur dritten Auflage« V
Evangeliums an der Hand von de Wette's Com-
mealar und Neänder's Leben Jesu Christi mir die
früheren Zweifel an der Aechtheit und Glaubwürdig-
keit dieses Evangeliums selbst wieder zweifelhaft ge-
nacht hat Nicht als ob ich von semer Aechtheh
überzeugt werden wäre: nur auch von seiner Un~
ächtheit hin ich es nicht mehr. Unter dm so eigen*
thümfich sich stolsenden und durchkreuzenden Merk-»
malen der Glaubwürdigkeit und des Unglaubhaften,
der N8he und Ferne von der Wahrheit, in diesem
merkwürdigsten Evangelium, hatte ich bei der er-
sten Ausarbeitung meines Werkes mit einseitig . po-
lemischem Eifer einzig die, wie mir schien, vernach-
Ift&agte, ungünstige Seite hervorgehoben: unterdes-
sen ist auch die andere Seite allmählig in mir zu ih-
rem Rechte gekommen; nur dafs ich nicht im Stande
bin, ihr, wie die jetzigen Theologen bis auf de
Wette fast alle thun, die entgegengesetzten Beob-
achtungen ohne Weiteres zum Opfer zu bringen«
Durch diese Stellung hat mein Werk, wie es jetzt
erscheint, sowohl in Vergleichung mit seiner frühe-
ren Gestalt, als mit den von entgegengesetztem Ge-
sichtspunkte ausgehenden Werken Anderer, an Ein-
heit verloren: aber hoffentlich an Wahrheit gegen
beide gewonnen.
In Betreff der Form meiner Schrift hatte ich in
grober fleischlicher Sicherheit dahingelebt, weil die-
selbe auch von übrigens ungünstigen Beurtheilern
gelobt worden war: bis neuesten« Ewald, unter
vielen andern harten Beschuldigungen, auch die der
VI Vorrede cur dritten Auflage.
Sprachenmengerei gegen mein Werk erhob. Ich gab
nun bei der Ueberarbeitung auch hierauf Acht, und
fand wirklich, data ich nach in dieser Hinsicht zu
sehr hatte gehen lassen; wefswegen ich jetzt viele
hundert Stück solchen Unkrautes ausgejätet, und das-
selbe nur da habe stehen lassen, wo es der Kürze
und Bestimmtheit des Ausdrucks förderlich, oder
auch zur Abwechslung dienlich schien. Ich spreche
von Fremdwörtern, welche in den deutschen Aus-
druck zur Ungebühr sich eingeschlichen haben ; denn
darauf, dafc ich meiner Schrift häufig neutestamerit-
liche Wörter und Sätze in der Ursprache eingefloch-
ten, konnte ich jene Rüge nicht beziehen, da diese
Art von Sprachenmischung Jedem, der über ein in
fremder Sprache verfafstes Werk schreibt, erlaubt
sein mute.
Schliesslich fohle ich midi gedrungen, dem mir
unbekannten Verfasser der Apologie meiner Person
und meines Werkes für das Wohlwollen zu dan-
ken, mit welchem er sich in meine Ansichten und
Absichteil, unerachtet sie nicht die seinigen sind,
zu versetzen gesucht, und für die Unbefangenheit
und Liberalität, mit welcher er manche Bfifsver-
ständnisse in Betreff derselben zu lösen, manche
Mißdeutungen abzuweisen gewufst hat.
Stuttgart, den 8. April 1838.
Der Verfasser.
Vorrede
r ersten A i f I i g e.
Dem Verfasser des Werkes, dessen erste
H&lfte hiemit in die Hände des Publicum* gelangt,
schien es Zeit zu sein, an die Stelle der veralteten
supranaturalen und natürlichen Betrachtungsweise
der Geschichte Jesu eine neue zu setzen. Dafs sie
veraltet sei, wird in unsern Tagen von der zwei-
ten eher als von der enteren Ansicht zugegeben
werden. Denn wahrend das Interesse an den Wun-
dererklärungen und dem Pragmatismus der Rationa-
listen Ifingst erkaltet ist, sind die gelesensten Evan-
geliencommentare jetzt diejenigen, welche die supra-
naturalistische Auffassung der heiligen Geschichte
fiir den neueren Geschmack zuzubereiten wissen.
Dennoch hat sich die orthodoxe Ansicht von dieser
Geschichte in der That schon früher als die ratio-
nalistische fiberlebt gehabt, da nur, weil die erstere
der fortschreitenden Bildung nicht mehr genfigte,
die letztere ausgebildet wurde; die neueren Versu-
che aber, mit Hülfe einer mystischen Philosophie
sich wieder in die supranaturale Anschauungsweise
unserer Vorfahren zurückzuversetzen, verrathen
schon durch die gesteigerte Stimmung, in welcher
«e sich halten, dafs sie letzte, verzweifelte Unter-
VIII Vorrede zur ersten Auflage.
nehmungen sind, das Vergangene gegenwärtig, das
Undenkbare denkbar zu machen.
Der neue Standpunkt, der an die Stelle der
bezeichneten treten soll, ist der mythische. Er tritt
in gegenwärtigem Buche nicht zum erstenmal in
Berührung mit der evangelischen Geschichte* Längst
hat man ihn auf einzelne Theile derselben ange-
wendet, und er soll jetzt nur an ihrem ganzen Ver-
laufe durchgeführt werden. Das heifst keineswegs,
da£s die ganze Geschichte Jesu für mythisch aus-
gegeben werden soll, sondern nur Alles in ihr kri-
tisch darauf angesehen, ob es nicht Mythisches an
sich habe* Wenn die altkirchliche Exegese von
der doppelten Voraussetzung ausging, dafs in den
Evangelien erstlich Geschichte, und zwar zweitens
eine übernatürliche, enthalten sei; wenn hierauf der
Rationalismus die zweite dieser Voraussetzungen
wegwarf, doch nur um desto fester an der ersten
zu halten, dafs in jenen Büchern lautere, wenngleich
natürliche, Geschichte sich finde: so kann auf die-
sem halben Wege die Wissenschaft nicht stehen
bleiben, sondern es mufs auch die andere Voraus-
setzung fidlen gelassen, und erst untersucht werden,
ob und wie weit wir überhaupt in den Evangelien
auf historischem Grund und Boden stehen. Dieb
ist der natürliche Gang der Sache, und insofern
die Erscheinung eines Werkes wie das gegenwärtige
nicht bloft gerechtfertigt, sondern selbst nothwendig.
Damit ist freilich noch nicht erwiesen, dafs
gerade der Verfasser desselben Beruf hatte, in die-
r
Vorrede lur ersten Auflage. IX
ier Stellung hervorzutreten. Dessen ist er sich
Wttsft bewölkt, dafis Tide Andere ein solches Werk
«gleich gelehrter auszustatten im Stande gewesen
viral, ab er. Doch glaubt er andrerseits wenig-
en» Eme Eigenschaft zu besitzen, welche ihn Zar
Uebonahme dieses Geschäftes vor Andorn befähigte.
Den gelehrtesten und scharfsinnigsten Theologen
Wut in unsrer Zeit meistens noch das Grunder-
ftidernib -einer solchen Arbeit, ohne welches mit
JÜer Gelehrsamkeit auf kritischem Gebiete nichts
anaoriehteii ist: die innere Befreiung des Gemüths
nnd Denkens von gewissen religiösen und dogma-
tischen Voraussetzungen, und diese ist dem Ver-
ftsser durch philosophische Studien frühe zu Theil
geworden. Mögen die Theologen diese Voraus-
setznngalosigkeit seines Werkes unchristlich finden:
er findet tlie gläubigen Voraussetzung«! der ihrigen
unwissenschaftlich. So sehr in dieser Hinsicht der
Ton dieser Arbeit gegen den andächtig - erbauliche«
oder mystisch - begeisterten neuerer Bücher über
ihnliche Gegenstände absticht: so wird man doch
nirgends den Ernst der Wissenschaft vermisse»,
oder Frivolität finden können; dafs ebenso die Be-
nrtbeilungen im wissenschaftlichen Gebiete sich hal-
te, und nicht Ketzereifer und Fanatismus einmi-
schen mögen, scheint eine billige Forderung zu sein.
Den inneren Kern des christlichen Glaubens
*efls der Verfasser von seinen kritischen Unter-
wchangen völlig unabhängig. Christi übernatürliche
Geburt, seine Wunder, seine Auferstehung und
*
X Vorrede zur ersten Auflage.
Himmel&hrt, bleiben ewige Wahrheiten, so sehr
ihre Wirklichkeit als historischer Facta angezweifelt
werden mag. Nur die Gewifsheit davon kann, unse-
rer Kritik Ruhe und Würde geben, und sie von
der naturalistischen voriger Jahrhunderte unterschei-
den, welche mit dem geschichtlichen Factum auch
die religiöse Wahrheit umzustürzen meinte, und da-
her nothwendig frivol sich verhalten inufste. Den
dogmatischen Gehalt des Lebens Jesu wird eine
Abhandlung am Schlüsse des Werkes als unversehrt
aufzeigen: inzwischen möge die Ruhe und Kaltblü-
tigkeit, Ynit welcher im Verlaufe desselben die Kri-
tik scheinbar gefährliche Operationen vornimmt, eben
nur aus der Sicherheit der Ueberzeugung erklärt
werden, dafs alles das den christlichen Glauben
nicht verletzt Defswegen könnten übrigens doch*
durch Untersuchungen dieser Art Individuen in ih-
rem Glauben sich verletzt finden. Sollte diefe bei
Theologen der Fall sein, so haben diese in ihrer
Wissenschaft das Heilmittel für dergleichen Ver-
wundungen, welche ihnen, sofern sie hinter der
Entwicklung unsrerZeit nicht zurückbleiben wollen,
unmöglich zu ersparen sind; für Nichttheologen al-
lerdings ist die Sache noch nicht gehörig vorberei-
tet, und defswegen die gegenwärtige Schrift so ein-
gerichtet worden, dafs wenigstens die Ungelehrten
unter denselben bald und oft zu merken bekommen,
die Schrift sei nicht für sie bestimmt, und, lassen
sie aus Fürwitz oder Verketzerungssucht sich des-
senungeachtet mit derselben ein, so tragen sie dann
Vorrede tur ersten Auflage. XI
doch, wie Schleiermacher bei ähnlicher Gele-
genheit sagt, die Strafe in ihrem Gewissen mit sieb)
iadon sich ihnen das Gefühl recht aufdringt, dafil
m das nicht verstehen, worüber sie doch reden
Einer neuen Ansicht, die sich an die Stelle
reo Älteren setzen will, gebührt es, sich mit die-
sen vollständig auseinanderzusetzen. Daher ist hier
der Weg zur mythischen Ansicht für jeden einzel-
nen Punkt durch die supranaturalistische und ratio-
nalistische und deren beziehungsweise Widerlegung
genommen worden; so jedoch, dafs, wie es der äch-
ten Widerlegung geziemt, aus den bekämpften An-
sichten ihr Wahres anerkennend herausgezogen,
und dem neuen Standpunkt einverleibt wurde«
Hiedurch ist zugleich der äufsere Vortheil erreicht
worden, dafs das Werk nun als Repertorium der
vornehmsten Ansichten und Verhandlungen über
alle Theile der evangelischen Geschichte dienen
kann. Dabei ist jedoch keineswegs Vollständigkeit
der Literatur angestrebt, sondern, wo es sich thun
lieb, an den Hauptwerken der verschiedenen Rich-
tungen festgehalten worden. Für die rationalisti-
sche Richtung bleiben die Paulus'schen Schriften
cUssisch, und sind daher vorzugsweise berücksich-
tigt; für die orthodoxe war der Commentar von
Olshausen besonders wichtig, als der neueste und
beliebteste Versuch, die wundergläubige Auslegung
philosophisch und modern zu machen; für eine kri-
tische Bearbeitung des Lebens Jesu aber sind die
XII
Vorrede zur ersten Auflage.
Commentare von Fritzsche die trefflichste Vor-
arbeit, indem sie neben der ungemeinen philologi-
schen Gelehrsamkeit zugleich diejenige Unbefangen-
heit und wissenschaftliche Gleichgültigkeit gegen
Resultate und Consequenzen zeigen, welche die
erste Bedingung eines Fortschritts auf diesem (Ge-
biete ist«
Der zweite Band, welcher mit einer ausfuhr-
lichen Untersuchung über die Wunder Jesu sich
eröffnen, . und das ganze Werk schliefen wird,, ist
bereits ausgearbeitet, und kommt mit der Vollen-
dieses ersten unter die Presse.
Tubingen, den 24. Mai 1835.
Vorrede
cur «weiten A af läge,
»i
«
Dieses Werk hat in der kurzen Zeit, welche
von dem Erscheinen der ersten Auflage bis zur Voll-
endung der zweiten verflossen ist, bereits alle Haupt-
epochen der Aufnahme und der Stellung des Publi-
cum» zu demselben erfahren, welche ein Werk von
sauer Art und Natur erfahren kann.
Abweichend von den Ansichten der Mehrheit
des theologischen, und ohnehin des übrigen Publi-
cum, und zwar in einer Sache, in welcher anderer
Meinung zu sein für Gottlosigkeit zu gelten pflegt,
konnte es bei seinem ersten Bekanntwerden in den
unvorbereiteten Gemüthern nur ein unbestimmtes, in
Abscheu übergehendes Erstaunen hervorbringen ; ein
Eindruck, welcher, durch eine Schrift hervorgeru-
fen, nicht verfehlen konnte, bei Manchen alsbald
wieder in schriftliche AeuCserungen überzugehen.
Daher jene Schmähartikel in den pietistischen Zeit-
schriften , wie z. B. die Neujahrs - Capuzinade der
sogenannten evangelischen Kirchenzeitung; daher* die
zahlreichen Broschüren von der Farbe derjenigen,
welche ich in der Vorrede zum zweiten Bande der
eisten Auflage [und im ersten Bapde meiner Streit-
schriften], gezeichnet habe: deren ganzen Inhalt, ne-
I
XIV Vorrede zur zweiten Auflagt.
ben einigen wenigen allgemeinen Bemerkungen ge-
gen meine Auffassungsweise der evangelischen Ge-
schichte, und etwa noch, wie bei Harless, einer
Aufzählung der befremdlichsten Resultate, einzig der
mehr oder minder heftige Abscheu ihrer Verfasser
gegen meine Ansichten, und wohl auch gegen meinen
Charakter und meine Person, ausmacht. Diese Art
von Entgegnungen ist nicht höher anzuschlagen , als
jenes Schreien, welches bei dem plötzlichen Fallen
eines nahen Schusses oft von Weibern zu vernehmen
ist: ein solcher Schrei gilt nicht dem Umstände, dafs
der Schufs etwa gefehlt, oder ein falsches Ziel ge-
troffen hat, sondern nur dem, dafs überhaupt ein
Schufs gefallen ist Wenn auf solches Zeterschreien
wohl auch eine sorgsame Obrigkeit sich einen Augen-
blick bewogen finden kann, gegen die Gefahr jenes
Schiefsens Vorkehr treffen zu wollen: so tritt sofort
etwa ein verständiger und wohldenkender Mann da-
zwischen mit der Belehrung , dafs hier ein blinder
Lärm obwalte, und keine wirkliche Gefahr vorhan-
den sei» In der letzteren Weise verhält sich, auf
demselben Standpunkte vorerst blofs allgemeiner
BeurtheSung, das Gutachten Aber mein Werk von
Neander, welchem ich dafür, dafs er in meiner
Sache seine vielgeltende Stimme auf so würdige Weise
hat wollen vernehmen lassen, meinen Dank und meine
Hochachtung hiemit auszudrücken nicht .umhin kann.
Allmählig jedoch, wie das Unmittelbare des er-
sten Eindrucks nach und nach zurücktritt, kommt es
dazu, dafs man von dem Einzelnen eines derartigen
Vorrede zur tweiten Auflage. XV
Werkes sich Rechenschaft zu geben, dessen einzelne
Ergebnisse sammt den Bew^pn zu untersuchen be-
ginnt: und hier erst, scheint es, kann sowohl das
Publicum eine richtige Würdigung, als der Verfas-
ser wirkliche Belehrung sich versprechen. In der
Thai waren einige, auf dem Uebergange von der er-
sten Klasse in diese zweite gelegene Abhandlungen
Aber meine Schrift, wie die Recension, zu welcher
rieh nachher Herr Prof. Weisse in Leipzig bekann-
te, und eine andere in den Pflanzschen Blattern
fikr katholische Theologie, fdr mich erfreulich; auch
den späteren, entschieden zu dieser Klasse zu zäh-
lenden Schriften, gestehe ich gerne, manchfache Be-
lehrung zu verdanken« Allein die hieher gehörigen
Verfasser wenden sich vorerst nur nach dem zu prü-
fenden Buche, nicht aber ebenso nach der Sache
selbst hin, welche dessen Gegenstand ist; sie fragen
nur, wie ich die evangelische Geschichte im Ganzen
und im Einzelnen behandle, und ob sich nicht noch
immer Manches gegen meine Ansicht und für die
kirchliche sagen lasse: keineswegs aber schicken sie
sich an, von dem Standpunkt aus, welchen sie gegen
mich verthridigen, nun auch selbstständig das Ganze
der evangelischen Geschichte zu bearbeiten, und zu
versuchen, ob eine solche Bearbeitung, folgerecht
durchgeführt, mit den Forderungen der Wissenschaft
unserer Zeit in Einklang gesetzt werden könne. Nun
ist es aber natürlich, dafs sowohl im Allgemeinen,
wenn man auf die einzelnen Fälle der Anwendung
sieht eingeht, als auch auf jedem einzelnen Punkte,
XVI
Vorrede zur zweiten Auflage.
so lange man auf sein Verhältnis zum Ganzen keine
Rücksicht nimmt, fast igptaer, bald mit Wahrheit, bald
mit Schein, etwas auch gegen die mythische und für
die kirchliche Ansicht sich geltend machen lifst : da-
her denn in den Benrtheilern, welche sich auf die-
sen Standpunkt stellen, die Täuschung eines unend-
lichen Besserwissens und durchgängigen Rechthabens
sich bildet. Hieraus entsteht leicht die eitle Sucht,
dem Gegner überall gar nichts gelten zu lassen;
diese Sucht nimmt ein unredliches, chicanirendes Ver-
fahren zu Hülfe, und verbindet sich, sofern man über-
diels, auf der breiten Basis des Hergebrachten und
unter dem siehern Schirme der Kirchen- und Staats-
gewalt einem scheinbar Vereinzelten gegenüberzuste-
hen, sich wohl bewufst ist, mit einem hochmüthigen
und selbst höhnischen Tone : wie alles diefs vornehm-
lich in den Schriften der Herren Diaconus Hoff-
mann und Prof. Dr. Kern auch wohl noch Andere
aufser mir widrig angesprochen hat. So viel Reiz
hierin für mich lag, mit diesen Gegnern sogleich an
Ortend Stelle, bei einzelnen Punkten dieser zweiten
Auflage, mich zu messen: so habe ich demselben
doch widerstehen müssen, um nicht mein Werk theils
zu sehr aufzutreiben, theils in polemische Beziehun-
gen auseinanderzureifsen ; ich hoffe aber, demnächst
mir Zeit verschaffen zu können, um ihnen in einer
Reihe besonderer Schriften entgegenzutreten.
Erst wenn man von der Richtung auf mein Werk
sich wieder zu der Sache selbst umwendet, wenn
man versucht, wie weit auf der jetzigen Stufe der
i
i
i
I
Torrede t or «weiten Auflage» XVI |
Wissenschaft and des allgemeinen Bewußtseins^ das
Leben Jesu sich bearbeiten, oder auch nur ein ein- ,
vhm Evangelium sich behandeln lasse, ohne von
kä Ergebnissen meiner Forschungen Gebrauch zu
lachen: erst dann kann ich — aber dann auch mit
Gevri&heit — hoffen, dafs keineswegs Alles, was
ich geleistet, auch fernerhin übennüthig weggewor-
fen, sondern gar mancher bisher verworfene Stein,
den ich zu Tage gefördert oder gereinigt, dem
neuen Bau theologischer Wissenschaft werde ein-
verleibt werden. Dann auch erst, wenn ich zu
sehen bekomme, wie Andere ohne diese oder jene
von mir gebrauchte Annahme, oder mittelst ande-
rer, die sie an die Stelle der meinigen setzen, sich
ein Ganzes der Ansicht über die evangelische Ge-
schichte zu bilden wissen, werde ich auf thatsäch-
tiche Weise mich belehrt finden, da und dort zu
weit gegangen zu sein, oder nach dem Unrechten
gegriffen zu haben. Auch aus dieser Klasse von
Schiften ist zu meiner besonderen Freude in der
letzten Zeh noch eine erschienen, in de Wcttes
Erklärung des Evangeliums Matthfii; ein Werk,
n welchem ich auf vielen Punkten meine Bemü-
hungen von einem alten Meister biblischer Kritik
wf eine Weise gewürdigt sehe, die mich über die
Sprechenden Urtheile so mancher Andern trösten
Una, welche, wie z« B. bei meinem Herrn Recen-
»orten in den Berliner Jahrbüchern am Tage liegt,
von Kritik entweder erst durch mein Buch, oder
doch nicht lange vorher, etwas vernommen zu ha-
lt
XVJII Vorrede zur zweiten Auflage.
heu scheinen. Von Seiten eines Werkes, wie das
de Wettesche, war mir auch Abweichung und
Widerspruch im höchsten Grade beachtenswerth 9
und ich habe, so weit es sich noch thun liefs, und
ich einstimmen konnte, meine Arbeit bereits in ei-
nigen Stücken nach seinen Fingerzeigen berichtigt»
Ueberhaupt habe ich, so wenig bei der kur-
zen Zwischenzeit und meiner jetzigen, för zusam-
menhängende wissenschaftliche Studien ungünstigen,
äufseren Stellung von dieser zweiten Auflage eine
eigentliche Umarbeitung erwartet werden darf, doch
das ganze Werk einer wiederholten genauen Durch-
sicht unterworfen, und auf allen Punkten mich be-
strebt, was theils Einwürfe der Gegner, theils Mit-
theilungen der Freunde, theils eigene weitere For-
schung mich gelehrt, für dessen Verbesserung zu
benützen; bemerklich gewordene Lücken auszufal-
len, für unhaltbar Erkanntes zurückzunehmen, be-
wahrt Gefundenes dagegen desto stärker zu bele-
gen: und ich hoffe, dafs man diesen guten Willen
nicht durchaus verkennen werde.
■»
Ludwigsborg, den 23. Sept. 1836.
I
Inhalt des ersten Bandes«,
Seite
Einleitung. Die. Ausbildung des mythischen
Standpunktes für die evangelische Ge-
schichte • - - - - - 1— IM
$. 1. Nothwendlge Entstehung verschiedener ErklKrungs-
weisen heiliger Geschichten .... f
f. 2. Verschiedene Deutungen der Gattersägen hei den
Griechen ......-- $
|. 5. Allegorische Auslegung hei den Hebräern. Philo 5
J. 4. Die ai/cgorische Auslegung unter den Christen.
Origenes 7
$. 5* Uebergang zur neueren Zeit. Die Deisten und Na-
turalisten des 17ten und igten Jahrhunderts;
der Wolfenhuttelscfae Fragmentist 12
V 6. Die natürliche Erklärungsart der Rationalisten*. Eich-
Hoair. Paulus .«••«••19
<j. 7. Kaut's moralische Interpretation «.«.-• 29
$. 8. Entstehung der mythischen Auffassungsweise der heil.
Geschichte, zunächst in Bezug auf das A. T. - 32
tj. 9. Die mythische Erklärung s weise in ihrer Anwendung
auf das N. T. 45
I
\
t
XX Inhalt.
/ Seit«
£. 10. Der Begriff des Mythus in seiner Anwendung auf
die beil. Geschichte von den Theologen nicfit
rein gefasst ....... 4g
$. 11. Der Begriff det Mythus nicht umfassend genug an-
gewendet --.... M
$. 12L Bestreitung der mythischen Ansicht yon der evange
tischen Geschickte r - T $4
$• 13. Möglichkeit von Mythen im N. T. nach äusseret*
Gründen - . - - - - . * \\
$. 14. Die Möglichkeit von Mythen im N. T. nach inneren
Gründen - - • - - - - • • ? 86
$. $5. Begriff und. Arten des evangelischen Mythus • . 113
f. 16. Kriterien des Unhistorischen in der evangelischen
Erzählung ........ \\$
Erster Abschnitt. Die Geschichte der Ge-
bart und Kindheit Jean - - 125— S6ß
Erstes Kapitel. VerkUndigung und Ge-
burt des Täufers - ... 127— 155
J. 17. Die Erzählung des Lukas und deren unmittelbare,
\ supranaturalistische Auffassung .... 127
$. 18. Difj natürliche Deutung dpr Erzählung
139
§. 19. Die mythische Ansicht yon der Erzählung auf ver-
schiedenen Stufen ...... |47
Zweites Kapitel. Jesu Davidische Abkunft
nach zwei Stammbäumen - - 156~18Q
«
|* 20. Die beiden Genealogien Jesu ohne Bezug auf einan-
der betrachtet . . . - - • - - Jafij
Inhalt. XXI
Seite
V> 2t. Vergletfouug beider Genealogien. Versuche,- Ihren
Widerstreit su töten • 167
V A Die Genealogien unhistorisclj - ? - - - 177
Drittes Kapitel. Verkündigung der Km-
pfängniqs Jesu; 4?Men ttbernatttrli-
che Erzeugung} Qeiuch d^r Maria
bei Elisabet - T . - -181- $53
$. 23. Abr]as der verschiedenen , kanonischen und apqkry-
phiechen Berichte ...... 18t
§. 24. Abweichung der beiden kanonischen Evangelien in
Bezug auf das Formelle der Verkündigung 186
y 25. Inhalt der Engelsbotschdft. Erfüllung der Weissa-
gung des Jesaias x - * ' * *97
$. 26. Jesus durch den heiligen Qeist erzeugt. Kritik der
orthodoxen Ansicht - - - - . - 106
$. 27. Rückblick auf die Qenealogien - IM
%. 28. Die natürliche Erklärung der Empfingnissgeschichte 122
$. 29. Die Geschichte der Erzeugung Jesu als Mythus
y. 30; Verkaltniss Josephs tu Maria. Brüder Jesu •
V 31- Besuch Maria's bei £lisa>et * ***
Viertes Kapitel. Geburt und erste Schick-
sale Jesu - i - - - 254-341
f. 32. Die Schätzung ^ - - 254
»
f. 33. Nähere Umstände der Geburt Jesu, sammt der Be-
schneidung - - • - - - - 266
f. $4. pie Magier und ihr Stern , die Flucht nach Aegyp-
ten und der bethlehenritische Kindermord. Kri-
tik der supranaturalistischen Ansicht ' « - J79
> XXIV Inhalt.
Seite
f. 57« Der Wohnsitz Jesu in Hapernaum « * * • 507
% $.58. Abweichung der Evangelisten in Bezug auf die Chro-
nologie des Lebens Jesu« Dauer seiner öffentli-
chen Wirksamkeit 615
$. 59. Die Versuche einer chronologischen Anordnung der
einzelnen^Begebenheiten des öffentliche^ Lebens
Jesu - - ' - • * • - • - 520
Viertes KapiteL Jesus als Messias 526-584
$. 60. Jesus, o vto* Ts orfywr« - 526
$. 61. Jesus als o tiog rS toS - 553
$. 62. Jesu Sendung und Vollmacht y seine Präexistena 537
$. 63« Wie bald Jesus sich als Messias dargestellt, und alt
solcher Anerkennung gefunden habe • - 542
f. 64«, Der messianische Plan Jesu, Schein einer politi-
schen Seite - , - - • - - - 549
$• 65. Data für einen rein geistigen Bfessiasplan Jesu - 652
$. 66. Das Verhaltniss Jesu zum mosaischen Gesetz ' • 556
* . * ' • •
$• 67. Umfang des messianischen Plans Jesu. Verhaltniss
'zu den Heiden -"-"-. - . . 567
S* 68« Verhaltniss des messianischen Plans Jesu zu den Sa-
maritanern. Sein Zusammentreffen mit der sa- *
maiischen Frau - - - ....... 573
fünftes Kapitel.. Die Jünger Jesu . 585—633
$. 69* Die Berufung der ersten Begleiter. Differenz zwi-
schen den beiden ersten Evangelien und dem
vierten - -- . -.- - - 565
%. 70. Der Fischzug des Petrus - , - - 596
1
I n b * I t. XXV
Seite
$. 71 Berufung des Matthäus. . Gemeinschaft Jesu mit den
Zöllnern ••*»«••» 506
$. TS. Die swttf Apostel ..,♦*.. 614
i. 73. Die Zwölfe einsein betrachtet. Die drei oder vier
▼ertrautesten Jünger Jesu • • ... 619
(. 74. Die übrigen von den Ztrttlfen und die siebeniig
Jünger ' • • - * * • « •» •• 638
Sechste* WonlteL Reden Jesu in dm drei
-ersten Evan-gellen ♦ • - - ♦ • 631 ■ 608
t> 75. Die Bergrede • * > • • • '• • • 634
f 76. Instruction -der Zwölfe. Klage über die galilflschen
Städte. Freude über die Berufung der Einfältigen 653
J. 77. Pie Parabeln 659
f. 78. Vermischt* Lehr • und Streitreden Jesu • ' • 679
\
Siebentes Kapitel. Reden Jesu Im vierten
Evangelium •••♦-•• 699—741
$. 79. «Pie Unterredung Jesu mit Nikodemus » • • 699
$. 8a Die Reden Jesu Job. 5-18. * 710
$. 81. Einzelne dem vierten Evangelium mit den Übrigen
gemeinsame Aussprüche Jesu * - • * 723
f. 88. Die neueren Verhandlungen über die Glaubwürdig»
keil der johanneischen Reden. Resultat « 730
Achtes Kapitel. Begebenheiten aus dem
öffentlichen Leben Jesu (mit Ausschluss
der Wundergeschichten) - 748—767
$» 83. Vcrgleichung der Erzählungsweise der verschiede-
nen Evangelisten im Allgemeinen - 74?
XXVI
Inhalt.
$• 84* Einsehe Anekdotengruppen. Beschuldigung einet
bandet mit Beelzebul und Zeichenforderung
V SS« Bettich der Mutter and der Brüder Jesu und die
teligpreisendf Friu - - - -. ;.
■
§. 86* Die Errihlungen von Rangstreitigkeiten unter den
Jüngern und von Jetu Liebe *u den Hindern
, - • •
$. 87. Die Tempelreinigung - * - - • ,-
Seite
751
757
761
767
f. |8t Die Erzählungen ron der Salbung. Jesu durch ein
. Weib --- r - r - r -775
wm
N0WMVMW
Einleitung«
He Ausbildung des mythischen &tandpvnk-
tes für die evangelische Geschichte*
§. i.
liomwendige Entstehung verschiedener ErklMrungsweisen
heiliger Geschichten.
We immer eine auf schriftliche Denkmale sich stützende
Bdipou in weiteren Hanoi* und Zeitgebieten sich geltend
■nebt, and ihre Bekenner durch mannigfaltige und immer
hober steigende Entwickelungs- und Bildungsstufen beglei-
tet: da tbut sich früher oder später eine Differenz hervor
«wischen demjenigen, was jene alten Urkunden bieten,
and der neuen Bildung derer, welche an dieselben als an
heilige B&eher gewiesen sind. Diese Differenz kann bald
mehr nur das Unwesentliche und Formelle betreffen, dafs
Ausdruck und Darstellung in jenen Schriften der Sache
unangemessen gefunden werden; bald aber tritt sie selbst
an den wesentlichen Inhalt heran, und es wollen auch die
Ideen and Grundansichten solcher Bücher der fortgesehnt»
Bildung nicht mehr genügen. So lange diese Diffe-
entweder nicht so bedeutend sind, oder nicht so
illpmnin «um Bewufstsein kommen , um eine völlige Los«
mgUBg von jenen Urkunden, als heiligen, herbeizufahren :
solange mnXs unter denen, welohe sich derselben heller
oder dunkler bewufst geworden sind, ein Vermittlungs-
preeeis entstehen und sich erhalten , welcher in der Aas-
legung jener Bücher vor sich gehen wird.
Das Lehn Jesu ZteAuß. I.Band. 1
2 Einleitung. §.' 1.
Ein Hauptbestandteil aller Religionsurkunden ist bel-
üge Geschichte; ein Geschehen, in welchem das Göttliche
unvermittelt in das Menschliche hereintritt , die Ideen un-
mittelbar sich verkörpert «eigen ')• Wie aber Bildung über*
haupt Vermittlung ist: so wird die fortschreitende Bildung
der Völker auch der Vermittlungen immer deutlicher sich
Jbewufst, welche die Idee so ihrer Verwirklichung bedarf;
und so erscheint jene Differenz der neuen Bildung und der
alten Religionsurkunden in Bezog auf deren geschichtarti-
gen Theil namentlich sc*, dafs jenes unmittelbare Eingrei-
fen des Göttlichen in das Menschliche seine Wahrschein-
lichkeit verliert. Wozu, da das Menschliche jener Urkun-
den ein Menschliches der Vorzeit, also ein relativ unent-
wickeltes, nach Umständen selbst rohes ist, auch ein un-
behagliches Sichabwenden von diesem insbesondere sich
gesellen kann. Das Göttliche kann nicht so (theils
überhaupt unmittelbar, theils noch dazu roh) geschehen
sein; oder das so Geschehene kann nicht Gött-
liches gewesen, sein — so wird die Differenz sich
aussprechen, und wenn die Auslegung dieselbe zu vermit-
teln sucht, so wird sie dahin streben, entweder das Gött-
liche als nicht so Geschehenes darzustellen, also den alten
Urkunden die historische Geltung abzusprechen, oder das
Geschehene als so nicht Göttliches aufzuweisen, also aus
jenen Böchern den absoluten Inhalt hinwegzuerklären* In
beiden Fällen kann die Auslegung befangen oder unbefan-
gen zu Werke gehen: befangen, wenn sie gegen das Be-
wußtsein der Differenz zwischen der neuen Bildung und
der alten Urkunde sich verblendet, und nur den Ursprung-
1) Ich nehme diese Unmittelbarkeit und Vermittlung in dem
Sinne , in welchem Geor&b 9 über Mythus und Sage , S. 78«,
vom Wunder sagt, es sei das Eintreten einer einzelnen Idee
in die Fr scheinung, ohne Berücksichtigung des To-
talzusacMnen hangt.
Einleitung« §. % 3
Beben Sinn der letzteren su ermitteln f ich einbildet ; un-
befangen, wenn sie klar erkennt und offen eingesteht, dafs
tkiaa, was jene alten Schriftsteller eraähien, anders an-
rieht, als diese selbst es angesehen haben. Dieser letztere
Standpunkt ist jedoch keineswegs schon ein Siehlossagen
na den alten Religionsschriften, sondern es kann anch
Mer noeh bei Festhaltang des Wesentlichen das Unwesent»
Gehe ongescheut preisgegeben werden«
$. a.
Verschiedene Deutungen der Göttersagen bei den Griechen.
Man kann nicht sagen , dafs die hellenische Religion
anf schriftlichen Urkunden beruht habe ; aber sie hatte doch
dergleichen ä. B. in Homer und Hesiod, und wie diese, so
hat mach ihre mündliche Göttersage bei fortschreitender
Bildung des griechischen Volkes jene verschiedenen Deu-
tungen erfahren müssen. Der ernsten griechischen Philo-
sophie, und durch sie selbst einzelnen Dichtern, ging früh«
zeitig das Bewnfstsein auf, dafs das Göttliche sieh nicht
in solcher menschlichen Unmittelbarkeit und Roheit ver-
wirklichen könne, wie die wilden Kämpfe; der hesiodischen
Theogonie und das behagliche Treiben der homerischen
Götter es darstellten : daher Plato's , und schon Pindar's,
Zwist mit Homer1)? daher, dafs Anaxagoras, dem man
wohl anch die Erfindung der allegorischen Auslegung zu«
sahrieb, die homerischen Gedichte auf die <xq€tt} una
iuuuoavvT] bezog *) ; daß die Stoiker die hesiodisehe Theo-
gonie von dem Processe der Naturprincipien verstanden,
oberste Einheit ihnen das Göttliche war *) ; womit
1) PUto de repuhl. 2. p. 577 1 Steph. Findar Nem. 7, 31. Vgl.
über diese und das Folgende Baur , 6vmbolik und Mythol. 1,
S. 343 ff. und O. Mülls*, Frolegojntna zu einer wissenschaft-
lichen Mythologie, S. 86 ff. 99 f.
I) Diog. Laert. L. 2. c. 3. No. 7.
9 Cic. de nat. Dcor. f , 10. 15. Vgl. Clement, hom. 6, 1 ff.
4 Einleitung. $. %
diese Denker twar einen absolutes Inhalt, jeder nach «ei-
ner Weite, der eine einen physischen, der andere einen
ethischen, in jenen Darstellungen fanden, aber die Form
derselben, als einer eigentlichen Geschichte, aufhoben *)•
Umgekehrt war der mehr populären, sophistisch» rai-
sonnirenden Bildung Anderer, wie ihnen jeder göttliche
Inhalt überhaupt sich verflüchtigt hatte, so auch in Besag
auf die Göttergeschichten sum Bewufstsein gekommen, dafs
ein solches Treiben, wie es hier den Göttern zugeschrie-
ben wurde , kein göttliches sei : sie liefsen also jene Er-
■Xhlungen ewut als wirkliche Geschichte gelten ; nur mach-
ten sie mit Euhemerus *) die Subjecte derselben aus Göt-
tern su Menschen, an Helden und Weisen der Voreeit,
nu alten Königen und Tyrannen, welche durch Tha-
ten der Kraft und Gewalt sich göttliche Ehre su Wege
gebracht haben 6) ; wenn man nicht gar mit Poly-
4) An dieser Hereinzichung der griechischen Allegorie haben
sich mehrere Gegenschriftsteller , wie Hpmumr (dss Leben
. Jesu von Dn jStrauss , geprüft, S. 58 )> Lakgb (über den ge-
schichtlichen Charakter der kanonischen Evangelien , insbe-
sondere der Kindheitsgeschichte Jesu , mit Beziehung auf das
L. J. von D. F. Strauss , S. 1) , und Osiakder ( Apologie des
L* J« 6cgen den neuesten Versuch , es in Mythen aufzulösen,
S. 10) gestossen, und die wesentliche Verschiedenheit theils
der heidnischen Religionen von der hebräisch - christlichen,
theils der Gründe, welche auf der einen und der andern Seite
tu dem Auswege der Allegorie führten, entgegengehalten. Al-
lein auf beiden Seiten ist doch eine Religion und eine mit
ihr gespannte Bildung, die sich durch eine eigentümliche
Auslegung mit jener in Einigkeit zu halten bemüht ist; dsss
die Spannung das einemal mehr auf der sittlichen, dastände*
remal mehr auf der versündigen Seite sich äussert, kann
ebensowenig die Vergleichbarkeit aufheben.
5) Diodor. Sic. Bibl. Fragm. L. 6. Cic. de nat. Deor. 1, 42.
<5) „Diese Pragmatiker (sagt O. Muu.br a. V O. S. 97) schieden
aas den Mythen das Wunderbare, das Unmögliche, das Ffean«
Einleitung. $. $. §
*) n. A. die ganae (idtterlehre als eine von den Grün-
der Staaten stur Bändigung des Volks ersonnene Fä-
kal totmehtete.
Allegorische Auslegung bei den Hebräern. Philo.
Die Abgeschlossenheit und Stabilität des hebrttscbea
TJkmm uanfste nwar bei ihm die Entstehung ähnlicher Er-
aeeimmgctn einerseits beschränken ; andrerseits aber male»
las diese, wo sie einmal sieb neigten , nnr um so markir-
tor berrortreten , je entschiedener die Geltang der schrift-
Religionsurkunden war, je behutsamer und knnst-
aman also bei ihrer Deutung verfahren mubte.
Daher entwickelten sich selbst in Palistina , in der nach-
erlhWfctn, und noch mehr in der nachmakkabiischen Zeit,
atfaelhlig manche Kunstgriffe in der Auslegung des alten
Testeanemts, durch welche es möglich wurde, Anstöße, die
in demselben fand, au beseitigen, Locken au ergln-
, nnd neuere Ideen hineinsntragen ; eine Auslegungs-
1 welcher die Beispiele in den rabbinischen, nnd
einige selbst in den nentestamentlichen Schriften sich fin-
den*); aber sasAmmenhängend , namentlich in Bezug auf
den historischen Inhalt des A. T. , wurde eine solche In-
terpretationsmethode erst an demjenigen Orte ausgebildet,
entschiedensten die jüdische Bildung, durch Beruh-
tausche ; das Uebrige, so sehr es mit jenem verflochten war,
blieb ihnen als geschichtlicher Grund zurück} und diesen
lageblichen Ereignissen legten sie nun, um sie zu verknüpfen,
Motive anter, wie sie für ihre Zeit passten." Genau das
Vorbild für die Behandlung der biblischen Geschichte , von
welcher unten, §. 6., die Rede werden wird.
f)BUt. 6, 56.
j)t.D8nm, die Hermeneutik der aeutestamentlichen
tUüer, S. 1*3 ff.
6 Einleitung. §. 3»
rang namentlich mit der griechischen, Ober sich selbst
hinausgegangen war: in Alexe ndrien. Nach mehreren Vor»
gängern war es besonders Philo, welcher die Ansicht von
einem gemeinen nnd einem tieferen Sinne der heiligen
Schriften ausbildete, von welchen er den ersteren zwar
keineswegs Oberhaupt verworfen wissen wollte, sondern
grofsentheils beide nebeneinander hergehen lief«, und sich
sogar gegen diejenigen erklärte, welche allenthalben, auch
ohne Noth, den Wortsinn einem höheren aufopferten: in
manchen Fällen jedoch setzte er den buchstäblichen Sinn
und die geschichtliche Auffassung vöjilig bei Seite, and
lieft das Erzählte nur als bildliche Darstellung von Ideen
gelten ; so oft nämlich in der heiligen Geschichte sich Zöge
fanden, weiche tiottes unwürdig zu sein, auf Materialis-
mus nnd Anthropomorphismus in Bezug auf das göttliche
Wesen so führen , oder sonstige Widersprüche zu enthal-
ten seidenen 2>
2) s. Gfrörer, Philo und die alexandrinische Theosophie, 1. Tbl»
S. 84 ff. 95 ff. DXhkx, geschichtliche Darstellung der jüdisch*
alexandrinischen Religionsphilosophie, I. S. 52 ff. 63 ff. Ueber
die mosaischen Erzählungen, z. B. von dem Sechstagewerke, von
der Erschaffung des Weibes aus der Ribbe des Mannes, äus-
sert sich Philo in diesem Sinne. To farov ln\ T#r« juvÖäSts t$h
sagt er von der letzteren Erzählung. Diess will zwar Hon-
hunn (S. 39) so deuten, dass es nur heissen toll: blos wört-
lich aufgefasst, hätte die Geschichte Aehnlichkeit mit
heidnischen Mythen; man müsse daher zu dieser Auffassung
noch eine höhere hinzuthun. Allein dass vielmehr der ge-
schichtliche Sinn hier durchaus verworfen wird, sieht jeder,
der sich die Mühe nimmt, weiter zu lesen, indem nun folgt:
«*5f yaQ av Tta^aSiimro rt?, or* yiywtv ix nXevQag av$(K>s yovqi tf
«uvokos ur&Q<anot; (Leg. alle£. 1. Opp. ed. Mang. 1, 8. 70).
Dieselbe Stellung ist in den Worten nicht zu verkennen:
Ea/j$e; 7rdru to ouo&at> V$ tjfitfQat;, $ tta&ole XQ°y{?> xoo/jov ytyovivat
(-Ebenda s. S. 44). — Vollends ohne alle Einsicht predigt
Osuhdbr (S. 10) über diesen Punkt.
fiinleitung. $.4. 7
Dmtk eich neben dieser ErkUrungsweise des A, T.,
welehe, um die Reinheit des absoluten Inhalts, ku rettQfy
ucbt selten die Form des historischen Gesehehenseias.auf*
gas, siebt auch die entgegengesetzte (enhemeristiselft) aas?.
Ufos, die Geschichte zwar stehen an lassen, aber qjte'jm
«er geauein-menschlichen au entgdttern , erkjfirt sieh ajU£)
4a snpranatnralistuchen Standpunkte, welchen die Jadeit)
festgehalten haben. Erst von den Christen ist aneh
Art der Auslegung über die Bücher des A. T. Ter-,
küigt worden *).
s: 4.
t
Die allegorische Auslegung unter den Christen. Origenes.
Des Christen der ersten Zeit, welche vor der Fest-
stellung den christlichen Kanon sich vorwiegend noch des
A T. nie heiliger Urkunde bedienten , war eine allegori-
sche Auslegung desselben noch weit mehr fiedfirinifs, da
sie entschiedener als selbst die gebildetsten Juden über
den A. T. liehen Standpunkt hinansgeschritten waren*
Kein Wunder, dafs man fast allgemein in der ersten
christlichen Kirche diese , schon unter den Juden II bliebe,.
Auslegungsweise sich aneignete. Am meisten aber bildete
sie sich auch unter den Christen wieder in Alexandrien
aus, wo %i» vornehmlich an den Namen des Origenes ge-
knüpft erscheint. Wenn Origenes überhaupt nach seiner
anthropologischen Trichotomie der Schrift einen dreifachen
Sinn anschrieb, einen buchstäblichen als den leiblichen.
S) Eine ähnliche allegorische Auslegungsweise auch bei andern
Völkern , hei Fersern , Türken , weist Dorm nach, S. 126 f. ;
vgL auch Kamt, Religion innerhalb der Gränzen der hlosen
Vernunft. Drittes Stück, No. VI. üeber eine euhemeristisch
denkende Secte bei den Indiern s. Baur a. a. O. S. &22. Bei-
derlei Richtungen unter den Muhammedaaern erwähnt Tho-
uks, die Glaubwürdigkeit der evangeL Geschichte, S. 4 ff.
8 Einleitung. §. 4.
einen moralischen als den psychischen, und einen mysti-
sfthta als den pneumatischen *) : so Ilfst er in der Regel
«war alle drei Arten des Sinnes, wiewohl mit verschiede-
nem Werthe, nebeneinander stattfinden; in einseinen
Ffttlefn aber soll die buchstäbliche Auffassung auch gar
keinen , oder nur einen verkehrten Sinn geben, am
desto entschiedener den Leser zur Entdeckung des mysti-
schen Gehaltes hinzutreiben. Von blofser Herabsetzung
des Wortsinns neben dem tieferen mag es verstanden wer-
den, wenn Origenes Öfters erinnert, der Zweck der bibii«
sehen Erzählungen sei nicht, tms alte Mähren zu berich-
ten , sondern Lebensregeln uns zu ertheilen *) ; wenn, er
behauptet, bei manchen Geschichten würde die (blofs)
buchstäbliche Auffassung zum Ruin der christlichen Reli-
gion gereichen 3) ; und wenn er auf das Verhältnifs der*
buchstäblichen und allegorischen Schriftauslegung den
Spruch bezieht, dafs der Buchstabe tödte, der Geist aber
lebendig mache ')• Aber entschieden aufgegeben ist der
Wortsinn, wenn es heifst, dfen geistigen Bestandteil habe
jeder Abschnitt der Schrift, den leibliehen aber nicht je»
der*); es liege oft eine pneumatische Wahrheit einer so-
matischen Lüge zum Grunde *) ; die Schrift habe manches
1) Homil. 5. in Levit. $.5.
2) Homil. 2. in Exod. 3: Nolite putare, ut saepe jam diximus,
veterum vobis fabulas recttari, sed docert vos per haeo, ut
agnoscatis ardinem vitae.
3) Homil. 5. in Levit* 1 : Haec omnia, nist aÜo sensu acdpta~
mus quam Uterae textus ostendit, ebstaeuhtm magis et su6-
nerttonem ckristianae religtont, quam hortationem aedifica-
ticnemque praestabunt.
4) contra Ceis. 6, 70.
5) De principp. L. 4* $. 20 : naoa fäv (y^wpi) §x* to nvev/inrrutor9
« näaa 3b ro otüpanxov.
6) Comm. in Joann. Tom. *10. {. 4 1 — - awtoptvn noliaxu; t» «Zy-
&5$ nvtvfiaTtxZ hr t«J wafitzxtxM, «$ 5v «&ra» rtp, y«v&t' (Die fiinf letz-
ten Worte iiberietst Horaux*> S. 42: er lügt so zu sagen).
Einleitung, % 4. V
der Geschichte eingewebt, und derjenige
sfre stumpfsinnig sein , der nicht tob selbst bemerkte,
tis Vieles in der Schrift als geschehen dargestellt siel*
isk, was nieht wirklieh sc sich ereignet habe *)• Zu sei»
sk, nur allegorisch au verstehenden Ersihlnngen rechnete
tagsses aniser denjenigen , welche Gott so sehr an ver-
«whliohen schienen *) , namentlich auch solche, ' in wel-
sjsj ton Personen , die sonst in ein genaues Verhältnil*
n 6ott gesetzt waren , anstdfsige Handinngen berichtet
fwfen*).
Dseh nicht allein vom A. T. wich die christliche Bii-
smgsss Origenes so weit ab, dals er, nm die Achtung
fw denselben nicht aufgeben au mflssen , gentithige war,
satttht einer allegorischen Erklärung den dadurch in sei*
■en Bewufstsein gesetsten Widerspruch au lösen : sondern
tan im neuen Testamente fand; er manches , seiner philo«
nphisshen Bildong so wenig Zusagende, dals er su einem
Inaliehen Verfahren auch mit dem N. T. sich yeranlafst
fad. Ist doch, dachte er, das N. T« Werk desselben
7) De prineipp. 4, 15 • evrwyip'tr 7 YVfi T5 *5°lfa ** M f*™f**w,
nq fth faj dvrmroy y*r{o9cn, ntj 9h öwarror fthr yw&tai, m pojp y*y*-
ryuror. De prineipp. 4, 16: xai rt J«* nltto UfW\ rar /oj narv
außlütr faqta oca rotovra Spraptrw awayayttrf ytyfttfifaiva jAr c5?
ytyaroroy « yeytrrjpdra 8k xara Ttpr 2d&v,
8) De prineipp. 4, 16«
9) Homil. 6. in Genes. 5 : Quae nobis aedifwmtio erü, UgentU
hu, Abraham, tantum patriarchamt, nou solum mentttum esse
Atonelech regt, sed et pudidtiam conjugis prodtditse ? Quid
«et aedificut tanti patriarchae uwor, $i putetur contaminatto-
riku expoHta per comtiventiam maritalemf Haec Judaeipu-
fast (offenbar — wie sehen aus der Beziehung des putent auf
das vorangegangene putetur erhellt — data tie to der Be-
fleckung autgesetzt worden; nicht, wie Homumr, S. 41., es
dreht, datt dergleichen erbaulich sei) , et sf qut <mm eis flmt
ferse amici, mm ipirttus.
A
^
10 Einleitung, f. 4.
Geistes, wie das mite, und dieser wird bei der Einrichtung
von jenem nicht anders als bei der von diesem verfahren-
sein : dem buchstäblich Geschehenen Niohtgesohebenes ein-
anwehen , nm anf den geistigen Sinn hinzuweisen 10). Ja'
selbst mit theilweise fabelhaften Ers&hlungen ans der pro-
fanen Geschichte and Mythologie stellt Origenes die evan-
gelischen Berichte nicht undeutlich susammen In der merk-
würdigen Stelle, contra Celsum 1, 42., wo er sich folgen-
dermaff en fiufsert : „Fast bei jeder Geschichte , so wahr
sie auch sein mag, ist es eine schwere, ja nicht selten un-
lösbare Aufgabe, sie als wirklieh geschehen en erweisen.
Gesetst nämlich, es läognete Einer, dafs es einen troisehen
Krieg gegeben habe, namentlich wegen der in seine Ge-
schichte verwebten Unmöglichkeiten, wie die Geburt des
Achillens von einer Meergöttin u. dgl. : wie wollten wir
die Wirklichkeit desselben beweisen, besonders, gedrängt,
wie .wir wären, dorch die offenbaren Erdichtungen, wel-
che sich auf unbekannte Weise mit der allgemein ange-
nommenen Kunde von dem Kampfe «wischen Hellenen und
Troern verwoben haben? Nor diefs bleibt übrig: wer mit
Verstand die Geschichte studlren, und sich von Täuschun-
gen in derselben frei erhalten will, der wird Überlegen,
welchem Theile derselben er ohne Weiteres glauben dürfe,
welchen er dagegen blos bildlich aufzufassen habe ttiva
de TQonoloyijoeO, mit Rücksicht auf die Absicht der Refe-
renten, und welchem er endlich, als aus Menschengefällig-
keit geschrieben, gans mifstrauen müsse. Diese Vorbe-
merkung wollte ich, schliefst Origenes, in Bezug auf die
ganse in den Evangelien gegebene Geschichte Jesu machen,
10) De prineipp. 4, 16 : « pwor 3h nt(* rwv noo rj* naqmCa^ Tai r et,
to nrevfta yxoro/optr , &U\ er« to ovto rvyx**oy *<** "*<> *"• &'<>«
<9rf, to Spotor neu htl rtoy töayyelfoty ntnoiiptt xcu hii rä>v anosokw^
m8k rirwv TFarrq ax^aerov rqv tgo^Cav rar napqvyaofuvw teara to wapa—
rmor ijorrw, /qf yayev^/tfVwy. Vgl. Homü. 6. in Esaiam, No. 4.
Einleitung, f. 4. ' 11
steht am am blindem and grandiosem Glauben die Ein-
uchtsvolleren aufzufordern, sondern am zu zeigen, dafit
m Stadium dieser Geschichte Verstand and fleifsig*
Prlfang nöthig ist, and so zu sagen ein Eindringen in
in Sinn der Schriftsteller, um ausfindig zu machen, In
■sfcher Absicht ein Jedes von ihnen geschrieben seLw —
Im sieht, hier Ist Origenes beinahe über seinen sonstigen
slegerinehen Standpunkt hinaus auf den neueren mythi-
«uen übergegangen n). Hielt nun aber schon in Besag
ssf des A. T. den Origenes theils die eigene Befangenheit
in supranaturajietiscben Standpunkte, theils die Furcht
tur Anetola in der orthodoxen Kirche, von weiterer Aus-
eebnnng dieser Auffassongsweise zurück: so mufsten beide
Grinde noch mehr beim N. T. wirken, and die Proben
fallen daher äufserst kürglich aus, wenn man nun fragt,
Ton welchen Erzählungen des N. T. Origenes die ge-
sehichtliche Wirklichkeit geläugnet habe, um die gottes-
vrfirdige Wahrheit festzuhalten. Denn was er im Verlaufe
der angefahrten Stelle beispielsweise anführt : buchstäblich
<«sse sich unter Andrem das nicht verstehen, dafe der
Satan dem Herrn auf einem Berge alle Reiche der Welt
gezeigt habe, da diefs für ein leibliches Auge unmöglich
sei ; Abb gibt eigentlich keine allegorische Erklärung, son-
dern nnr eine andere Wendung des buchstäblichen Sinnes,
welcher, statt von einer äufseren, von der inneren Tbat-
sache einer Vision handeln soll. Auch sonst, selbst wo
eine lockende Veranlassung war, den buchstäblichen Sinn
gegen einen geistigen aufzuopfern, wie a. B. bei der Ver-
keilung des Feigenbaums 12), geht Origenes rieht frei mit
der Sprache heraus ; am meisten noch bei der Geschichte
ven der Tempelreinigung, wo er das Verfahren Jesu, buch-
11) Diess hat such Mos asm bemerkt in seiner Uebertetsung der
Schrift des Origenes gegen CeUus, S. 94« Anmerk.
12) Comrn. in Äfattb, Tom« 16, 36*.
IS Einleitung. $. 5»
ttlbttch gefafst, als anmalsend and tumultuarisch bezeich-
net13). Ausdrücklich bemerkt er flberdiefs, dafs des hi-
atoritob Wahren in der Schrift immer noch weit mehr aei9
als des biofs geistig su Verstehenden ")•
$. 5.
Uebergang tur neueren Zeit. Die DeUten und Naturalisten des
17tcn und 18tcn Jahrhunderts; der Wolfenbiittersche
Fragmentist.
Hatte sich in der beschriebenen Welse die eine der
Auslegungsarten entwickelt, welche, wie alle Reiigions-
nrkunden überhaupt, so auch die hebräischen nnd christ-
lichen , in Bezug auf ihren geschichtlichen Theil erfahren
mufsten , diejenige nämlich , welche das Göttliche in den-
selben anerkennt, aber das Ifiugnet, dafs es sich in dieser
unmittelbaren Weise geschichtlich verwirklicht habe: so
bildete sieh die andere Hauptform der Auslegung, welche
eher geneigt ist , den geschichtlichen Hergang zuzogeben,
nur aber denselben nicht ab einen göttlichen, sondern als
einen menschlichen fafst, zunächst bei den Gegnern des
Christen thams, einem Celsus,Porphyrius, Julianus, ans, wel-
che zwar viele Erzählungen der heiligen Geschichte als blo&e
Mährchen verwarfen , Manches jedoch , was von Moses,
Jesus n. A. erzählt ist, als geschichtlich stehen liefsen,
nur dafs sie es meistens ab entsprungen aus gemeinen
13) Comm. in Joann. Tom« 10, 17.
14) De principp. 4, 19: nolly ya<> nhlora fc ra «m» r*K e'rofer
abf»9v6ffra r»v n^ofvfav^^rrtay yvpyär nrtv^arixwy. — Nach Ori-
genct dauerte in der Kirche die Allegorie nur in der Art fort,
dass sie den historischen Sinn unversehrt lies«, und wo später
von einem Aufgeben des Wortsinnt die Rede ist, da ist nur
ein Tropus oder Gleichniss gemeint. So, wenn noch Nicolaus
von Lyra sagt (Prolog. S) : AHcuH vero nm hob* ($. $cr.) It-
ieraiem $m$mm preprie loqmemdo, v. e. Jmdic. 9, 8. (Fabel voj»
Dornbusch), MaUh. fc 30. (Mrgert dich deine Band).
Einleitung. LI. t*
Buweggi luden , und bewerkstelligt durch groben Betrag
gottlose Zauberei, erklärten»
Es ist übrigens hier auf einen Unterschied tu aeb-
welcher zwischen dem Eintritte dieser Auslegungs-
in die heidnische nnd Jidische Religion auf der
und in die ehristüebe enf der andern Seite statt-
Bei Hebräern nnd Griechen, deren Religion und
tauige Literatur rieb gleichmäßig mit der Entwicklung
der Nation gebildet hatte, trat die Differenz, welche die
Quelle Jener Auslegungsweisen Ist, erst dann hervor,
ab die geistige Bildung des Volks dessen väterliche Re-
figion m Überwachsen anfing, diese mitbin ihrem Ver-
lalle entgegenging. Das Christenthum hingegen trat in
eine Welt von bereits fertiger Bildung, welche ausser-
halb Palästinas die jadisch -hellenistische und die grie-
chische war, herein: und so mufste hier gleich Anfangs
eine Differen«, nicht wie dort «wischen neuer Bildung
alter Religion, sondern umgekehrt «wischen der
Religion und der alten Bildung, sich hervorthun*
Wie also im Heiden- und Judenthum das Aufkommen
der allegorischen Auslegung ein Zeichen war, dab diese
Religionen bereits im Ableben begriffen waren : so zeigte
in Benag auf das Christenthum die Allegorie eines Ori-
genes, wie der Widerspruch eines Celsus, vielmehr diefs,
dafs die Welt in die neue Religion sich damals noch
nicht gehörig eingelebt hatte. Als mit der Christlani-
annig des römischen Reichs nnd der Ueberwindung der
grofsen Häresen das christliche Prindp immer qpehr ai-
ksnherrschend wurde; als die Schulen heidnischer Weis-
heit «ich schlofsen, und ungebildete Germanenvöiker sieh
dar Kirche in die Lehre gaben f da war die langen Jahr»
hunderte der mittleren Zeit hinduroh die Welt mit dem
Christenthum nach Form und Inhalt befriedigt , und ds£
her uueh Jene Auffassungsweisen fast spurlos verschwun-
den, welche einen Zwiespalt der Volks« oder Weltbtf-
14 Einleitung. §. 5.
dang mit der Religion cor Voraussetzung haben ')• In
die Gediegenheit des Kirohengianbens brachte die Refor-
mation den ersteil Brach; sie war das erste Lebeusicei-
1) HovnuNif (S. 47) hat sich sehr über den Sprung aufgehalten,
welchen meine Genesis der mythischen Auslegung von dem
dritten in das siebzehnte Jahrhundert mache, da doch, um als
ein Ergebnis» der bisherigen Entwickelung des Christenthunis
gerechtfertigt zu sein, jene Auslegung eine ununterbrochene
Reihe von Vertretern durch alle Jahrhunderte der christlichen
Kirche nachzuweisen im Stande sein müsste. Allein diese
Forderung ist eine wahre Absurdität, und die Bereitwilligkeit,
mit welcher sie von Andern, wie z. B. von Osurdbe (S. 11 f.),
ihrem Urheber nachgeredet worden ist , zeugt nur von der
Gedankenlosigkeit, mit welcher der Eifer auch die schlechte-
sten Waffen ungeprüft sich anzueignen eilt. Meine historische
Einleitung will von vorne herein nachweisen, wie im Heiden -
thum, Judenthum und Christenthum unter gewissen Um-
ständen jedesmal gewisse Auslegungsweisen der heiligen
Geschichten hervorgetreten seien* Nun wirft man mir vor,
es sei eine unverzeihliche Lücke in diesem Nachweise, dass
ich keine derartige Auslegung beizubringen wisse aus einem
so grossen Zeiträume — ja wohl! aber in welchem eingestan
denermassen jene Umstände fehlen, durch die, meiner
ausdrücklichen Erklärung zufolge, die Entstehung jener Aus-
legungsweisen bedingt ist. Diese Umstände sind: eine merk-
liche Differenz zwischen der Geistesbildung der Bekenner
einer Religion und demjenigen Standpunkte, auf welchem ihre
heil. Urkunden verfasst sind; über die urchristliche Weltan-
schauung waren aber die christlichen Volker im Mittelalter
nicht hinausgeschritten: mithin konnte nach meinem eigenen
Kanon während dieses Zeitraums von jener Differenz und der
aus ihr hervorgehenden Auslegung nicht die Rede sein; und
mir vorwerfen, dass ich dieselbe hier nicht nachzuweisen
wisse, ist ebenso klug, wie wenn man den Naturforscher, der
etwa behauptet hätte, im 50ten, 60ten Lebensjahre des Men-
schen müssen gewisse Erscheinungen an seinem Organismus
eintreten, durch die Bemerkung geschlagen zu haben meinte,
f
Einleitung. $. & 15
Bildung, die, wie Verden im Heiden* and Jn-
, so Duuniur innerhalb des Cbristenthums weit
gmmg erstarkt und bot Selbstständigkeit berangedieben
war, am eine Reactien gegen ihren mütterlichen Boden,
est geltende Religion, sn unternehmen. Sofern dieae
tmriion nur erat gegen die herraebende Kirehe ging, war
alt des erhabene, aber aohnell abgelaufene, Schauspiel der
lefemation; in ihrer späteren Riehtang anf die bibli-
schen Urhonden hingegen trat sie ennffchst in der Form
aar wüsten ReTotutionsversuche des Deismus auf, geht
aber in mannigfaltigem Formenwechsel bis auf die neueste
Zeit herunter.
Bei den englischen Deuten und Naturalisten im sieb*
Bahnten und aehtcehnten Jahrhundert , Welche die Pole-
mik der alten heidnischen Gegner des Christenthums nun-
mafir im Schoofse der Kirehe erneuerten, ging Bestreitung
der Aechtheit und Glaubwürdigkeit der Bibel und Herab-
würdigung der darin ersählten Thatsaeben zum Gemeinen
bunt durcheinander. Während Toland *) , Bolingbrokb *)
a. A. die Bibel für eine Sammlung unäehter und fabel-
hafter Bücher erklärten: gaben sich Andere alle Mühe,
das» doch vom 20ten bis zum SOten Jahre von dergleichen
Erscheinungen nichts zu bemerken sei. — Dass Übrigens,
von einem höheren Standpunkte angesehen , die in jene mitt-
lere Zeit fallende Entwicklung de9 christlichen Dogma mit der
später hervorgetretenen Kritik Eine und ebendieselbe Reihe
der Vermittlung des Glaubensinhaltes mit dem Selbstbewusst*
sein bildet, ein Frocess, der nur, wie früher die positive« so
hernach die s negative Seite hervorkehrte, — darauf hat der
Rec. dieser Schrift in den Jahrbüchern für wissenschaftliche
Kritik treffend aufmerksam gemacht (In der Rec. der Schrif-
ten über mein L. J., 1837. Mir*. No. 42., S. 331 f.)«
2) In seinem Amyntor, v. J. 1698, s. in Leujib's Abriss asiati-
scher Schriften, übersetzt von Schmidt, 1, JhL S. 83 ff»
3) Bei Lhjuu», 2. Tbl 1. Abth. S. 198 ff
MF Einleitung. $. 5.
die Mbttiehen Personen und Geschichten Jede» Schlau
von höherem göttlichem Lichte so berauben. So Ist nach 4
Morgan ') das Gesets des Moses ein elendes System des «•
Aberglaubens 9 der Blindheit und Sclaverei; die jfldisehen n
Priester Betrüger; die Propheten Urheber der Zerrüttung ■
und der Bürgerkriege in den beiden Königreichen« Die m
jüdische Religion kann, nach Chubb *) unmöglich eine von pk
Gott geoffenbarte sein, dessen moralischer Charakter in n
ihr nur entstellt ist durch die willkürlichen Gebräuche, «
die sie ihn vorschreiben iüfst, durch seine vorgegebene t
Parteilichkeit für das jüdische Volk , und vor Allem durch „
den- blutigen Befehl nur Ausrottung der kanaanitiseben i
Völkerschaften* Auch gegen das N. T. wurden von diesen «
und andern Deisten Streifsüge unternommen: die Denkart <
der Apostel als eigennützig und gewinnsüchtig verdüeb- ■
tigt6); selbst der Charakter Jesu nicht geschont7), und
namentlich die Auferstehung desselben gellugnet8). Das
unmittelbarste Einschlagen des Göttlichen in -das Mensch-
liche im Leben Jesu , seine Wunder, machte besonders
-Thomas Woolston sum Gegenstand seiner Angriffe *) , der
auch durch die eigentbümllche Stellung noch besonders
bemerkenswert!) ist, welche er sich zwischen der alten
allegorischen und der neuen naturalistischen Schrifterklä-
rung gibt» Seine ganze Darstellung nämlich bewegt sich
in der Alternative: wolle man die Wunderersählungen als
4) In seiner Schrift : fhe moral philosopher, 1737-, s. Lblaxd
1. Tbl. S. 247 ff.
5) Posthumous Works, 2 Voll. 1748, bei Lblard 1, 412 f.
6) Chubb, Posth. W. 1, 102 ff. Bei Lblakd 1, 481.
7) Ebend. %, 369. Bei Lklahd 1, 425.
8) Tfie resurr&tion of Jesus considered — by a moral pbiloso.
phev. 174£XLituti> 1, 330.
9) Six discourset on the mirscles of out Saviour. Einicln her-
ausgegeben von *1727 — 1729. Nebst xwei Verthcidigungs-
schriftea von den JJ. 1729 u. 30.
Einleitung. §. 5. 17
virkliehe Geschichte festhalten, so verlieren sie allen gtitt-
mhen Gehalt, und sinken zu ungereimten Streichen , eieo-
tee Possen , oder gemeinen Betrügereien herunter : wolle
MS daher das Göttliche in diesen Ersählungen nicht verlie»
nu, so müsse* man mit Aufopferung ihres geschichtlichen
Charakters sie nur als geschichtartige Darstellungen ge-
säter geistliehen Wahrheiten fassen; wofür sofort die
meteritäten der gröfsten Allegoristen unter den Kirchen-
vitern, eines Origenes, Augustinus u. A. angeführt Wer-
ts: so jedoch, dafs ihnen Woolston die Meinung unter-
teilt, als wollten sie, wie er, durch die allegorische Er-
klärung die buchstäbliche verdrängen; während sie doch,
wenige Beispiele bei Origenes abgerechnet, beide Erklä-
rungen nebeneinander bestehen su lassen geneigt sind.
Die Darstellungen Woolston' s können Zweifel übrig las-
sen, auf weiche der zwei von ihm einander gegenüberge-
stellten Seiten er mit seiner eignen Ansicht gehöre; be-
denkt man die Thatsache, dafs er, ehe er als Gegner des
gewöhnlichen Christen thums hervortrat, sich mit allegori-
scher Sebrifterklärung beschäftigte10): so könnte man diese
für seine eigentliche Meinung ansehen; wogegen aber die
Ansfftkrangen ober die* Ungereimtheit des buchstäblichen
Sinnes der Wundergeschichten mit solcher Vorliebe von
ihm gegeben sind, und das Gänse mit ihrem frivolen Tone
io sehr färben, dafs doch vermuthet werden mufs, der
Deist welle sich durch sein Dringen auf allegorische Den-
taug nur den Röcken sichern j um desto ungescheuter ge-
gen den buchstäblichen Sinn losziehen su können.
Auf deutsohen Boden wurden diese Deistiscben Ein-
wurfe gegen die Bibel Und die Göttlichkeit ihrer Geschichte
hauptsächlich durch den Ungenannten (Reimarüs) verpflanst,
dessen in der Wolfenböttelschen Bibliothek aufgefundene
Fragmente Lsssiko seit dem Jahr 1774 herauszugeben an«
10) ScmöCKH, Kirchengesch. seit der Reform. 6. TM. S. 191.
Dom Lehen Jesu 3t* Aufl. L Band* 2
18 Einleitung. §. 5.
fing. Sie betrafen , aofser Mehreren , was gegen eine ge*
offenbarte Religion Oberhaupt gesagt war"), theil* Abb
alte ,2), theils das neue Testament 13). In Besag auf jenes
fand dieser Verfasser die Männer, welchen dasselbe einen
unmittelbaren Umgang mit Gott raschreibt, so schlecht,
dafs Gett durch ein solches Verhältnifs, seine Wirklieh«
keit angenommen, aufs Aeufserste compromittirt würde;
die Ergebnisse dieses Umgangs aber, die vorgeblich göttli-
chen Lehren und Gesetze, so crafs und verderblich, dafs
sie unmöglich Gott zugeschrieben werden können; die be-
gleitenden Wunder endlich so ungereimt und unglaublich,
dafs aus Allem zusammengenommen erhelle, der Umgang
mit Gott sei nur vorgegeben, die Wunder Blendwerke ge-
wesen, um gewisse, den Herrschern und Priestern vor-
teilhafte Gesetze in Vollzug zu setzen. So findet der
Verf. an den Patriarchen und den ihnen angeblich zu
Theil gewordenen göttlichen Mittheilungen , wie der an
Abraham ergangenen Aufforderung zur Opferung seines
Sohnes, Vieles auszusetzen ; ganz besonders aber sucht er
in einem langen Abschnitte den Moses mit aller Schmach
eines Betrügers zu beladen, der die schändlichsten Mittel
nicht gescheut habe , um sich zum despotischen Beherr>
scher eines freien Volkes zu machen. Zur Einleitung die-
ses Plans habe er Gotteserscheinungen erdichtet, und gött-
11) In Lsssrae's Beiträgen zur Geschichte und Literatur, das
Fragment im dritten Beitrage, S. 195 ff. , und im vierten Bei-
trage das erste Fragment S. 265 und das zweite S. 289.
12) In Lsssnrc'g viertem Beitrag das dritte und vierte Fragment,
S. 366 u. 384, und die von Schmidt 1787 herausgegebenen
übrigen noch ungedrucjiten Werke des Wolfenbütteischen
Fragmentuten.
13) In Lbssino'8 viertem Bettrag das fünfte Fragment, über die
Auferstehungsgeschichte , und das Fragment über den Zweck
Jesu und seiner Jünger, von Lksbinc besonders herausgege-
ben 1778.
Einleitung. (.0. 19
Iahe Befehle eh Maßregeln vorgegeben, welche, wie die
Entwendung der Ger&the aus Aegypten und die Ausrottung
tW Bewohner Kanaans , sonst als Betrag , Straßenraub^
ii nur Mifihn firaitnnmknitj gebrandmarkt werden würden;
aaa aber durch das Hinzukommen der paar Worte: Gent
h* es geengt — plötslich an gotteswfirdigen Handlongen
gutempelt werden sollen. Ebensowenig vermag der Frag»
nentist in der nentestamentlieben Geschichte eine göttliche
m C«^*"- Der Plan Jesu ist ihm ein politischer; sein
Ferhiltnil* nnm TSufer ein abgeredeter Handel, dafs der
Eine den Andern dem Volk empfehlen solle ; Jesu Tod ist
eine van ihm keineswegs vorausgesehene Vereitelang sei-
ner Abeichten, ein Schlag, den seine J Anger nur durch
das betrügerische Vorgeben seiner Aaferstehnng und eine
schiene Aendemng ihres Lehrsystems wieder gat cu me*
eben wufsten.
S. 6.
Die natürliche Krktärungsart der Rationalisten. Eichhorn. Faümjs.
Während gegen die englischen Oeisten von den dorti-
gen nehlrekhen Apologeten , und gegen den Wolfonbttttel*
schon Cngenaniiten von der grofsen Mehrheit deutscher
Theologen die Realität der biblischen Offenbarung und
aas Göttliche in der israelitischen und urchristlichen Ge*
•eMchte im supranatoralistischen Sinne festgehalten wur-
de: ergriff eine andere Klasse von Theologen in Deutsch*
fand einen neuen Ausweg« .Wie nftmlieh bei der eoheme*
ristischen Auffassung der alten Götterlehre der ewiefache
Weg offen stand und auch eingeschlagen wurde, dafs man
die Götter der Volksreligion entweder als gute und wohl-
thluge Menschen der Vorzeit, als weise Gesetzgeber und
gerechte Forsten nahm, welche eine dankbare Mit- und
Nachwelt mit dem Glenne göttlicher Würde umgeben ha«
bau sollte; oder aber in ihnen sohlaue Betrüger und grau-
j an* Tyrannen fand, welche sich, um das Volk sieh un-
i
20 Einleitung. §. 6.
terthJinig zu machen , in den Nimbus der Göttlichkeit ge-
ballt haben : so war auch bei der rein menschlichen Auf.
fassang der biblischen Geschichte neben dem von den Dei-
eten betretenen Wege, die Subjecte derselben fflp schlechte
und betrügerische Menschen anzusehen, immer noch der
andre übrig , jene Subjecte zwar der anmittelbaren Gött-
lichkeit entkleidet zu lassen , ihnen aber dafür die reine
Menschheit ungeschmälert zuzugestehen ; ihre Thaten zwar
nicht als Wunder anzustaunen, ebensowenig aber als
Blendwerke zu verschreien , sondern sie für natürliche
zwar, ab$r sittlich un tadelhafte Handlungen zu erklären.
Während der dem kirchlichen Christentum überhaupt
feindliche Naturalismus zu jener ersteren Auffassungsweise
geneigt sein mufste, so war auf die zweite der Rationalismus
angewiesen, weloher innerhalb der Kirche verharren wollte.
Unmittelbar gegen jenen Naturalismus ist diese An-
sicht von Eichhorn gekehrt worden in einer ßenrthei-
lung des Wolfenbüttler Fragmentisten *)• Gioe unmittel-
bare göttliche Einwirkung, wenigstens in der A. T. liehen
Urgeschichte, nicht anzuerkennen, darin ist Eichhorn mit
dem Fragmentisten einverstanden. Die mythologischen
Forschungen eines Heyns hatten seinen Gesichtskreis be-
reits so erweitert, dafs er einsah, wie eine solche Einwir-
kung entweder bei allen Völkern in ihrer Urzeit angenom*
men, oder bei allen geläugnet werden müsse2). Bei allen
Völkern, bemerkte er, in Griechenland wie im Orient,
ward alles Unerwartete und Unbegriffene auf die Gottheit
•
1) Recension der übrigen, noch ungedruckten, Werke des Wol-
fenbüttler Fragmentisten, in Eichhorn9« allgemeiner Biblio-
thek, erster Band ites u. 2tes Stück.
2) Gegen diesen Satz und meine Billigung desselben baben u. A.
Lang* S. 8 ff. und die evangel. KZtg. 1836. Jul. S. 444 f. sich
erklärt. Vergl. meine Gegenbemerkungen in den Streitschrif-
ten, iter Bd. 3tcs Heft. S. 48 ff.
Einleitung. $. 6. 21
■arflekgeffthrt ; die «reisen Männer dieser Völker lebton
in» Ungange mit höheren Wesen. Während man
Darstellung (so gibt Eichhorn den Stand der Sache
an) in Beeng auf die hebräische Geschichte immer
■«rtüeb und buchstäblich verstand, pflegte man bei Nicht*
haVacrn solche Erscheinungen bisher insgemein durah die %
fmuaeetsung eines Betrugs und grober Lügen , oder ent-°
und verdorbener Sagen, su erklären« Offenbar
int Eichhorn, fordere die Gerechtigkeit, Hebräer'
Nichtfaebräer auf gleiche Weises su behandein, so dafs
entweder alle Nationen während ihres Kindheitssu*
it den Hebräern unter gleichem Einflüsse höherer
Wesen stehen lassen, oder einen solchen Einflnfs auf bei-
den Seiten in Abrede sieben müsse« Denselben allgemein
ansonaiimen, sei bedenklich wegen des nicht selten irrigen
Inhaltes der unter jenem Einflpfs angeblich geoffenbarten
fteligioneo ; wegen der Schwierigkeit, aus jenem Zustande
der Bevormundung heraus das Erstarken der Menschheit
«er Selbstständigkeit su erklären; endlich weil, Je heller
die Zeiten und suverlässiger die Nachrichten werden, jene
unmittelbaren Einflösse der Gottheit immer mehr ver-
sehwinden. Wenn somit die Einwirkung höherer Wesen
bei Hebräern wie bei andern Völkern geläugnet werden
auf«: so seheint sich, nach Eichhorn, suerst die Ansieht,
welche man bisher auf das heidnische Alterthum anwen-
dete, aueh Ar die Urgeschichte des hebräischen Volkes
darzubieten, dafs nämlich dem Vorgeben jener Offenbaron-
gen Betrog und Löge, oder den Berichten davon entstellte
and verdorbene Sagen zum Grunde liegen ; eine Ansicht,
welche wirklich der Fragmentist gegen die A. T. liehe Ge-
schiente gewendet hat. Allein näher betrachtet, sagt Eich*
hoxx, mala man vor einer solchen Vorstellung erschrecken.
Die grauten Männer der früheren Welt , die auf die Bil-
dang ibret Zeitgenossen so mächtig nnd wohlthätig ge-
wirkt haben, sollten alle Betrüger gewesen sein, und
•M^ Einleitung, §. 6.
zwar ohne dafs es von den Mitlebenden bemerkt wor- *
den wfcre? u
Zu einer solchen Mifsdeutung wird man naeh Eich- jü
H*aw nur dadurch verleitet, dafs man es versäumt, jene xi
alten Urkunden im Geiste ihrer Zeit aufzufassen. Frei* ■
lieh, wenn sie mit der philosophischen Präcision unserer la
Jetzigen Schriftsteller redeten, so könnten wir nnr entwe- n
der wirkliche göttliche Einwirkung , oder ein bezügliches
Vorgeben einer solchen in Ihnen finden« So aber, als
Schriften aus einer unphilosophischen, kindlichen Zeit,
reden sie unbefangen von göttlicher Einwirkung nach at-
terthüWlieher Vorstellungs- und Ausdrucksweise: und so
haben wir »war keine Wunder anzustaunen, aber aucb
keinen Betrug zu entlarven, sondern nur die Sprache der
Vorzeit in unsere heutige zu übersetzen« So lange das
Menschengeschlecht, erinnert Eichhorn, dem wahren Ur-
sprung der Dinge noch nicht auf den Grund gekommen
war, leitete es Alles von übernatürlichen Kräften oder der
Dazwischenkunft höherer Wesen ab; erhabene Gedanken,
grofse Entschließungen , nützliche Erfindungen und Ein-
richtungen, vorzüglich auch lebhafte Träume, waren Ein-
wirkungen der Gottheit, unter deren unmittelbarem Ein-
flüsse man zu stehen glaubte. Die Proben ausgezeichne-
ter Kenntnisse und Geschicklichkeiten, mit welchen Einer
das Volk in Erstaunen setzte, galten für Wunder, für
Beweise übernatürlicher Kräfte und des besondern Um-
gangs mit höheren Wesen; und nicht nur das Volk war
dieser Meinung, sondern auch jene ausgezeichneten Män-
ner selbst liefsen sich keinen Zweifel dagegen beifallen,
und rühmten sieh mit voller Ueberzeugung eines geheimen
Umgangs mit der Gottheit. Gegen den Versuch, alle Er-
zählungen der mosaischen Geschichte in natürliche Ereig-
nisse aufzulösen, kann Niemand etwas haben, bemerkt
EieuRoaN, nnd gibt damit die Vordersätze des Wolfenbtttt-
ler Fragmentlsten zu: aber daraus zu folgern, dafs Moses
Einleitung. §.6. 23
an Betrüger gewesen , diesen Schiefssat« des Fragmen-
tirten erklärt er fBr eine Uebereilung und Ungerechtigkeit.
St Mbn Eichhorn, wie die Naturalisten, der bibliseben
Gtohiehte ihren unmittelbar göttlichen Inhalt, nur dafs er
des ibernattfrlichen Sehein, welcher dieselbe 'umkleidet, I
liefe mit jenen ans absichtlich trägerischer Färbung , son-
dern als von selbst entstanden durch die alterthümüche
kleuehtung erklärte. t
Nach diesen Grundsätzen suchte nun Eichhobh die Ge-
«tuehten eines Noah, Abraham, Moses, natürlich au er» '
Ulfen» Im Liebte ihrer Zeit betrachtet, sei die Berufung
tm Letzteren nichts Anderes gewesen, als dafs dieser Pa-
trist den lange gehegten Gedanken, sein Volk nu befreien,
alt er ihm im Traume mit erneuter Lebendigkeit wieder-
Uiite, für eine göttliche Eingebung hielt; das Rauchen
tat Brennen des Sinai bei seiner Gesetzgebung war weiter
nehu als ein Feuer, welches er, nm der Einbildungskraft
•uass Volkes so Hälfe zu kommen, auf dem Berge anzün-
Aste, woarit sraftllig noch ein starkes Gewitter uusammeu-
fcrf; das Leuchten seines Angesichts endlieh war eine na-
türliche Folge grofser Erhitzung, was mit dem Volke auch
Moses selbst , weil er dessen wahre Ursache nicht kannte,
far etwas Göttliches hielt. — Sparsamer war Eichhorn
in Anwendung dieser Erklfirungsweise auf das N. T., und
« waren hauptsächlich nur einige Erzählungen aus der
Apostelgeschichte, welche er derselben zu unterwerfen sich
«Wrte, wie das Pfingstwunder 3) , die Bekehrung des
Aprtd* Paulus*) und die «ahlreichen Engelerseheinun-
P» % Auch hier fahrt er Alles auf die bildliche Sprache
fe Bibel zarffck, in welcher, was z. B. den letzten Punkt
tauft, bald ein glückliches Ungefähr ein rettender, bald
*) Eicmiow'g allgem. Bibliothek. i.B. 1,91 ff. 2, 757 ff. 3,225 ff.
*)Ebend. 6. Bd. S. Iff.
5)Ü)ond. 3. Bd. S. 981 ff.
24 Einleitung. §. 6.
eine geistige Freudigkeit ein grflfaender, bald eine innere i
Beruhigung ein tröstender Engel genannt worden sei. In I
Besag auf die Evangelien werden wir unten das Aoffal- i
lende sehen , dafs Eichhorn theils die richtige Einsicht in i
die Unzulässigkeit der natürlichen Erklärung hatte', theils
bei manchen Erzählungen selbst zu einer höheren fortge-
schritten war.
Viele Schriften in ähnlichem Geiste* erschienen, welche
cum Theil auch das neue Testament in den Kreis ihrer
Erklärungen sogen ®) ; aber den vollen Ruhm eines christ-
lichen Euhemerus sollte sich erst Dr. Paulus erwerben in
seinem von 1800 an erschienenen Evangelien - Commentare.
Gleich In der Einleitung dieses Werkes *) stellt er als die
erste Anforderung an den Forscher der biblischen Ge-
schichte hin , su unterscheiden , was in derselben Factum
und was Urtheil sei ? Factum ist ihm dasjenige , was den
bei einer Begebenheit betheiligten Personen als äufsere oder
innere Erfahrung gegeben war; Urtheil die Art, wie sie
oder die Erzähler jene Erfahrung deuteten und auf ihre
vermeintlichen Ursachen zurückführten. Diese beiden Be-
standteile mischen und verschlingen sich nun aber nach
Paulus sowohl in den ursprünglich Betheiligten als in den
Nacherzähle™ und Gesohichtsohreibern leicht so, dafs das
Urtheil vom Factum nicht mehr unterschieden, und mit
eben der historischen Sicherheit wie dieses geglaubt und
weiter erzählt wird; eine Vermengung, welche sich be-
sonders auch in den geschichtlichen Büchern des N. T.
seigt, da zur Zeit Jesu noch immer die Neigung herr-
6) Z. B. Eck, Versuch über die Wundergeschichten des N. T.
1795. (Vbntüriki) die Wunder des N. T. in ihrer wahren
Gestalt fdr achte Christusverehrer, 1799. *
7) I. Bd. S. 5 ff. Vgl. das exegetische Handbuch über die drei
ersten Evangelien (eine neue, verbesserte, Auflage des Com-
mentars) 1830—33. 1. Bd. 1. Abthl. S. 4 ff.
Einleitung. $. 6.
nsead f«, J*»» auffallende Erlebnifs sofort von
y äbenaensehUchen Ursache almdeiten. Die
lufgabe des uragsaafisehen Historikers, namentlich In
Beug auf daa H. T., ist daher, diese beiden to eng Ter-
mstenen, oiid doch so verschiedenartigen Bestandtheiie
a Modern, und ans der Hfllle von persönlichen und Zelt-
stangen den reinen Rem des Factnms herauszuschälen.
Im Verfahren, welehes er hiebe! zu Hülfe cu nehmen
kt, ist, wo ihm keine reiner gehaltene Relation als berich-
tigende Parallele zu Gebote steht, diefs, dafs er sich auf
Jen Sehauplatu der Begebenheiten ond in den Standpunkt
tsr Zeit möglichst lebhaft versetze, und von diesem aus
ifc bcählung durch Voraussetzung erklärender Nebenum-
stiooera ergffnzen suche, welche der Erzähler selbst, in
«inen supranaturalistischen Urtheil befangen, oft nicht
bjuuI angedeutet hat In welcher Weise diesen Grund-
tätuen zufolge Paulus in seinem Commentar und neuer-
lich auch in seiner Schrift über das Leben Jesu *) die
sentettamentliche Geschichte behandelt hat, ist bekannt.
Indem er die historische Wahrheit der Ersählungen durch-
aus festhält, und einen engen chronologischen und präg«
mstitchen Zusammenhang in die evangelische Geschichte
so Magen strebt, entflieht er derselben jeden unmittelbar
gättliehen Geaalt, und läugnet jedes Übernatürliche Ein-
wirken häherer Kräfte. Nicht der Sohn Gottes im Sinne
fcr kirchlichen Ansicht ist ihm Jesus, sondern ein weiser
ud tugendhafter Mensch, und nicht Wunder sind es, die
» vollbringt , sondern Thaten bald der Freundlichkeit und
Menschenliebe, bald der ärztlichen Geschicklichkeit, bald
weh des Zufalls und guten Glückes °),
8) Heidelberg 1828. 2 Bde. *
9) Wie sich unter den Vorläufern von Paulus besonders Bahrdt
bemerklich machte ( durch seine Briefe über die Bibel im
Volkstone, seit 1782), so fand er einen Nacharbeit» ähnlicher
h
i
tt Einleitung. $. 6.
Eine notwendige Voraussetzung bei dieser Eich« i
gozifisch - PAULUs'schen Auffassung der biblischen (je- i
schichte ist, dafs die Urkunden derselben, die A. und i
N. T. liehen Schriften , sehr genau und treu , also auch il
sehr bald nach den erzählten Begebenheiten, wo möglich 1
von Augenzeugen, verfällst sein müssen« Denn soll sich in i
einer Erzählung das ursprfingliehe Factum von dem beige- n
mischten Urtheil sieher unterscheiden lassen x so mufs der \
Bericht noch sehr rein und ursprfinglich sein ; bei einem spfi- 4
4er entstandenen, minder urkundlichen, hätte ich ja keine 1
Bürgschaft, ob nicht, auch das, was ich für den thatsächli- v
ehen Kern halte, nur der Meinung und Sage angehörte? ,|
Daher suchte Eichhorn die Abfassung, namentlich auch |
der A. T. liehen Schriften, so nahe als möglich Ea der 4
Zeit der Begebenheiten hinanzurücken ; wobei ihm und ,
den mit ihm gleichdenkenden Theologen selbst das Wider- i
natürlichste, wie z. B. die Voraussetzung der Abfassung ,
des Pentateuchs auf dem Zug durch die Wüste 10) , nicht
zu hart war. Doch erlaubte sich der genannte Kritiker,
wenigstens bei einigen Theilen des A. T. , wie z. ß. bei
Art in ViwTUJum, dem Verfasser der natürlichen Geschichte
des grossen Propheten von Nazaret (seit 1800), ein Werk,
dessen spätere Theile auch im Einzelnen nach dem PAULOs'schen
Commentar gearbeitet sind. Es ist schief, wenn man diese
beiden Schriften ohne Weiteres mit dem Wolfenbüttler Frag-
mentisten zusammenstellt : sie gehören wesentlich zu der Pau-
urs'schen Richtung ; denn ihre Tendenz geht gleicherweise da-
hin, im Lehen Jesu Alles als natürlich darzustellen, ohne doch
seiner Würde als weisen und edeln Mannes etwas zu verge-
ben; ihr Romanhaftes aber verhält sich zu der Darstellung
von Paulus nur als eine noch grössere Willkür in Einschic*
bling selbsterdachter Mittelursachen. Namentlich Bahadt er-
klärt sich ausdrücklich gegen den Fragmentisten, Briefe u. s.
w. ltes Bändchen, I4ter Brief.
10) AUgtm Biblioth. Bd. 1. S. 64.
Einleitung, f. 6. »
im Boefae der Richter, die Bemerkung, die in denselben
athaiteaen Berichte seien nicht gleich Anfangs, auf gezeich«
■c worden , sondern der Geschichtsohreiber habe seine
laien Im Mebel der verflossenen Zeit gesehen, In welohem
sie Weht so Riesengestalten sich haben vergröfsern kön-
an. Einer von Ihm selbst wahrgenommenen, oder ihm
«■gl fem nahe gelegenen Begebenheit freilich würde nur
avjeaige flesehiohtschreiber einen glänaendern Anstrich
ahm, welcher geflissentlich auf Kosten der Wahrheit nn~
erUten wollte. Gana anders, wenn eine Beschichte
sagst vergangen sei« Da linde sich die Einbildungskraft
nebt «ehr durch den Widerstand der festen Gestalt hi-
ttarecher Wirklichkeit gehemmt , sondern durch die Vor*
itdhmg, dafs in froheren Zeiten Alles besser und gröfser
gewesen, ihren Sehwnng verstärkt, nnd der Schriftsteller
werde zu hSberen Ausdrucken und einer verherrlichenden
Sprache hingerissen. Am wenigsten sei diefs dann na
remeiden, wenn der spätere Concipient seine Erefihlung
am dem Munde der Vorwelt niederschreibe, nnd die
abenteuerlichen Thaten und Schicksale der Vorfahren,
weiche der Vater dem Sohne, dieser dem Enkel, in begei-
sterter Sprache überliefert, nnd Dichter mit poetischem
Sehasaeke umgeben hatten, in eben dieser erhöhten Aus-
aruefceweieo schriftlich verzeichne "). Uebrigens auch bei
tjissoi1 Auslebt von einem Theile der A. T. lieben Bücher
gbebt* fiicnnoRH den historischen Boden noch nicht an
vertieren , sondern getraute sich noch immer , Über Abzog
aar mehr oder minder starken traditionellen Zuthaten den
aatfirüehen Geschicbtsverlauf herausbekommen su können.
Doch bei Einer A. T. liehen Ernählung wenigstens ist
dw Meister der natürlichen Erkiffrungsweise für das A. T.
iVer diene an einer höhern , hinausgesehrittaa : nämlieh
li) a. a. O. S. 294. Vcrgl. Einleitung in das A. T. 3ter Band.
S. 23 ff. der vierten Ausg.
ii
fß Einleitung. $. 6.
bei dar Gesohiehte der Schöpfung ^d des SöndenfaJU.
Hatte er in «einer so einflebreich gewordenen Urge-
schichte «) die entere Krnfihlnng gleich Anfragt Ar Poe-
sie erkl£rt: so hotte er von der letsteren damals noeh
behauptet, wir haben an ihr keine Mythologie, keine Al-
legorie, sondern wahre Geschichte, und diese geschicht-
liche Grundlage bestimmte er nach Absug alles Ueberna-
tfirliehen dahin, dafs die menschliche Natur in ihren ersten
Anfkngen durch den Gennfs einer giftigen Frucht «errflttet
worden sei 13). Er fand es »war an sich wolü möglich,
und durch zahlreiche Beispiele aus der Profangeschichte
bestätigt, dab an der Spitee rein historischer Ersählungen
eine mythische stehen könnte: aber durch eine supranatu-
ralistische Vorstellung schijag er in Bezug auf die Bibel
diese Möglichkeit wieder nieder , indem er es der Gottheit
unwürdig fand, in ein Buch, das so unläugbare Spuren
x des Ursprungs von ihr enthalte , ein mythologisches Frag-
ment einrücken eu lassen* Später indessen u) erklärte
Eichhorn selbst , dafs er nun über Genes* 2. und 3. in vie-
len Stücken anders denke , indem et jetzt in jenem Ab-
schnitte, statt historischer Machrichten von einer Vergif-
tung, vielmehr das mythisch eingekleidete Philosophem
finde, wie die Sehnsucht nach einem besseren Zustande,
als der, in welchem man sich befinde, die Quelle alles
UebeU in der Welt sei« So cog -Eichhorn wenigstens an
diesem Punkte vor , lieber die Geschichte aufzugeben , um
die Idee festzuhalten, als mit Aufopferung jedes höheren
12) Zuerst erschienen im vierten Theil des Rcpertoriums für'
biblische und morgcnländische Literatur, später mit Anmer-
kungen herausgegeben von Gablir, von 1790 an.
13) Eichhoeji's Urgeschichte, herausgegeben von Gabler, 3. Tbl.
S. 98 ff.
14) Allgem. Biblioth. l.Bd. S.989., und Einleitung in das A.T.
3. Thl. S. 82.
.Einleitung, S» »• 29
Gedankeninhalts an der Geschichte festzukleben. Im
Uebrigen blieb er jedoch mit Paulus u. A. dabei, das
Wunderbafte in der heiligen Geschichte fttr ein Gewand
su nehmen, das man nur absieben dürfe, um die reine
historische Gestalt hervortreten zu sehen.
J. 7.
Kakt's moralische Interpretation,
Unter diesen natürlichen Auslegungen , welche das
Eade des ISten Jahrhunderts in reicher Falle hervor-
brachte, war es ein merkwürdiges Zwischenspiel, mit Ei-
nem Male die alte allegorische Erklärung der Kirehenrfi-
ter heraufbeschworen su sehen in Kants moralischer
Schriftauslegung. Ihm, als Philosophen, war es nicht,
wie den rationalistischen Theologen , um eine Geschichte,
sondern, wie den Alten, in der geschichtlichen Hülle um
eine Idee su thun, wenn er gleich diese Idee nicht wie
jene als absolute, sowohl theoretische als praktische , -son-
dern einseitig als praktische, als moralisches Sollen, und
dadurch mit der Endlichkeit behaftet, auffaßte, auch als
das diese Ideen in den biblischen Text hineinlegende Sub-
jeet nicht den göttlichen Geist, sondern den des philoso-
phischen Schriftauslegers, oder in einer tieferen Andeu-
tung die moralische Anlage in den Verfassern jener Bü-
cher selbst, bestimmte. Kant beruft sich darauf1), dafs es
mit allen alten und neuen, cum Theil in heiligen Büchern
abgefaßten, Glaubensarten jederzeit so sei gehalten wor-
den, dafs verständige und wohldenkende Volkslehrer sie
so lange gedeutet haben , bis sie dieselben ihrem wesentli-
chen Inhalte nach mit den allgemeinen moralischen Glau-
\
1) Religion innerhalb der Grämen der blossen Vernunft, drit-
tes Stück. No. VI : Der Kirchenglaube hat zu seinem höch-
sten Ansleger den reinrn Religionsglauben.
30 Einleitung, $. 7.
benssätsen in Upbereinstimmung brachten. So haben es !
die Moralphilosophen anter den Griechen und Römern mit !
Ihrer fabelhaften Götterlehre gemacht , daft sie den grob- '
sten Polytheismus doch zuletzi als blofse symbolische Vor- J
Stellung der Eigenschaften des Einen göttlichen Wesens 1
umzudeuten , nnd den mancherlei lasterhaften Handinngen
ihrer Götter, den wildesten Träumereien ihrer Diehter, •
einen mystischen Sinn unterzulegen wußten, um den '
Volksglauben, welchen zu vertilgen nicht ersprießlich '
war, einer moralischen Lehre nahe zu bringen» Anoh
das spätere Jndenthum , und selbst das Christenthuufc, be-
stehe ans solohen «um Theil sehr gezwungenen Deutun-
gen, äbrigens zu unzweifelhaft guten und für alle Men-
sohen nothwendigen Zwecken. Nicht minder wissen die
Mnhammedaner den üppigen Beschreibungen ihres Para-
dieses einen geistigen Sinn unterzulegen, und dasselbe
than die Inder mit ihren Veda's , wenigstens für den auf-
geklärteren Theil ihres Volkes. Ebenso müssen nun nach
Kant die christliehen Religionsurkunden des A. n. N. T«
durchgängig zu einem Sinne gedeutet werden, welcher
mit den allgemeinen praktischen Gesetzen einer reinen
Vernunftreligion zusammenstimmt, und es mufs diese Deu-
tung, sollte sie auch, scheinbar oder wirklieb, dem Texte
Gewalt anthnn, einer solchen buchstäblichen vorgezogen
werden, welche, wie namentlich auch bei manchen bibli-
schen Geschienten der Fall ist, entweder schlechterdings
nichts für die Moralität in sich enthält, oder den morali-
schen Triebfedern wohl gar entgegenwirkt. So werden
m. B» die racheschnaubenden Ausdrücke maneher Psalmen
gegen Feinde auf die Begierden nnd Leidenschaften um-
gedeutet, welche wir allerdings streben müssen , nachge-
rade alle unter den Fufs zu bringen, und das Wunder-
rolle, was im N. T. von Jesu Herabkunft vom Himmel,
seinem Verhältnifs zu Gott u. 6. f. , gesagt ist , wird als
bildliche Bezeichnung des Ideals der gottwohlgeftlligen
Einleitung. $.7. M
Keuschheit genommen *> Dafs eine solche Deutung mög-
lich ist, ohne eben immer wider den buchstäblichen Sinn
Urkunden des Volksglaubens allzusehr au verstofsen,
nach Kaut's tiefer gebender Bemerkung daher,
wen lange vor diesem letaleren die Anlage mir morali-
ahsn Religion in der menschlichen Vernunft verborgen
hg, wovon zwar die ersten rohen Aeufsemngen hlofs auf
pttesdienstlichen Gebrauch ausgegangen seien, und au
isseaa Behufe selbst jene angeblichen Offenbarungen ver-
adslet, hiedurch aber auch etwas von dem übersinnlichen
Charakter ihres Ursprungs selbst in jene Dichtungen, ob-
wohl uuvorsfitslicb , gelegt haben. Auch gegen den Vor-
wurf der Unredlichkeit glaubt Kamt diese Auslegungsweise
durch die Bemerkung schatten su können, dafs sie ja kei-
neswegs behaupte, der Sinn, welchen sie den heiligen
Biedern jetzt gebe, sei von ihren Verfassern auch durchr-
as» so beabsichtigt worden, sondern dieses lasse sie dahin«
gestellt, und spreche für sich nur die Möglichkeit an, die-
selben auch auf ihre Art su deuten«
Wenn Kant auf diese Weise aus den biblischen
Schriften auch ihrem, geschichtlichen Theile nach mora-
lische Gedanken herausaudeuten suchte, ja diese Gedanv
ken seihst als die objective Grundlage jener Geschichten
anzuerkennen geneigt war: so nahm er doch einestheila
diese Gedanken nur aus sich und der Bildung seiner Zeit,
wefswegen er nur in seltenen Fällen annehmen konnte,
sie haben wirklich schon bei den Verfassern jener Sehrifc
ten cum Grunde gelegen ; anderntheils unterliefs er eben
delswegen nachzuweisen , wie sich jene Gedanken au die-
sen symbolischen Darstellungen verhalten , wie es komme,
dafs jene in diesen sieh ausgeprägt haben.
2) Zweites Stück, erster Abschnitt, « und h.
32 Einleitung. §. 3.
§. 6. .
Entstehung der mythischen Auffassung! weite der heiligen Ge-
schichte, zunächst in Bezug anf das A. T.
Bei einem so unhistorfechen Verfahren anf der einen
Seite und einem so anphilosophischen auf der andern
konnte am1 so weniger stehen geblieben werden, je mehr
das immer allgemeiner and erfolgreicher betriebene my-
thologische Studium auch auf die Ansicht von der bibli-
schen Geschichte einen Einfluft Sufserte. Wenn schon
Eichhorn för hebräische und nichthebräisbhe Urgeschichte
gleiche Behandlung verlangt hatte: so verschwand diese
Gleichheit immer mehr, je mehr man fttr die profane Ur-
geschichte den mythischen Gesichtspunkt ausbildete, för
die hebräische aber bei der natürlichen Erklärung* weise
stehen blieb. Und Paulus konnten es doch nicht Alle
nachthun, welcher die Consequens der Behandlung da-
durch herstellte, dafs er, wie die biblischen, so auch die
eur Vergleichung sich bietenden griechischen Sagen natür-
lich eu erklären sich geneigt zeigte: sondern man half
lieber auf der andern Seite, und fing an, auch manche
biblische Erzählungen als Mythen zu betrachten. Nach-
dem schon Semler von einer Art von jüdischer Mytholo-
gie gesprochen, und die Erzählungen von Simson und der
Esther geradezu Mythen genannt hatte1); nachdem Eich-
born in darangegebenen Weise vorangegangen war: wurde
sofort durch Gabler "), Schelling *) u. A. der Begriff des
Mythus als ein ganz allgemein, für alle älteste Geschichte,
heilige wie profane, gültiger aufgestellt, nach dem Heyhe'-
1) Ausführliche Erklärung über theol. Gensuren, Vorrede. Von
freier Untersuchung des Kanon, 2, S. 282. Nachgewiesen von
Tboluck, S. 14 f.
2) In der Einleitung zu EichroriTs Urgesch. 2, S. 481 ff. (1792).
5) Ueber Mythen, historische Sagen und Fhilosopheme der älte-
sten Welt. In Paulus Memorabilien 5. Stück S. 1 ff. (1795).
Einleitung. §. 8.
33
sehen Grudaatee: a mgtkü omms priscomm komimm
cm* historia Um pkilosophia procedit'), und Bauer
wagte es sogar, mit einer „bebr&ischen Mythologie des
und neuen Testaments" aufzutreten (1820). Die II-
Gesehichte aller Völker , meint Bausr , sei mythisch :
sollte die hebräische allein eine Ausnahme machen?
k vielmehr der Augenschein der heiligen Bücher neige,
Mb auch sie mythische Bestandtheile enthalten. Eine
frifhln^g nämlich ist, wie Bauer nach Gabler und Schkl-
im a«aÄhrt, ab Mythos erkennbar, wenn sie aus einer
Zeit ttrmmt) in der es noch keine schriftlich verzeichnete
Geschichte gab; sondern die Thatsachen nur durch münd-
liche Voberiieferung fortgepflanst wurden 5) ; wenn darin
sr eehleehthin unerfakrbare Gegenstände, wie Ber-
aten aus einer übersinnlichen Welt, oder doch be-
niebnngsweise unerfahrbare , bei welchen der Umstände
wegen Niemand Zeuge sein konnte, in geschichtartiger
Weise berichtet werden; oder endlich, wenn die Erzäh-
lungen ins Wunderbare verarbeitet und in einer symboli-
schen Sprache vorgetragen sind. Solche Ersahlungen nun
finden sieh auch in der Bibel nicht wenige vor, und dsfs
mmn auf dieselben den Begriff des Mythischen nicht an-
wenden wolle, habe seinen Grund nur in falschen Vor-
•teüungen einerseits von dem Wesen des Mythus, andrer-
4) Ad Apollod. Athen. Bibüoth. notae, p. 5 f.
5) Sofern mündliche Ueberlieferuag durch nur wenige Mittel-
gUeder mehr hi«tori«che Sicherheit gewähre, beruft «ich für
die Glaubwürdigkeit der A. T. liehen Urgeschichte neuesten«
wieder Homuim auf da« hohe Lebensalter der frühsten Men-
schen, Yermöge de«sen Adam noch 156 Jahre «ugleich mit La-
mech, dem Vater Noah'«, gelebt habe, Noah noch 60 Jahre
-mit Abraham, die 300 Jahre aber swi«chen Jakob und Mo«e«
durch nur 3—4 Generationen aufgefüllt gewesen seien (S. 54).
Man wei«« in der That nicht recht , wie man eine »olehe Be- *"
rufung eigentlich zu nehmen hat.
Dom Leben Jetm Sie Aufl. f. Band. 3
34 Einleitung. $. 6.
seit« von dem Charakter der biblisdien Bacher. In er-
sterer Hinsicht verwechsle man Mythen mit Fabeln, vor-
sätzlichen Lügen and willkürlichen Erdichtungen , statt
dieselben als die notwendigen Träger der ersten Regun-
gen des menschlichen Geistes erkennen au lernen; in der
andern Rücksicht sei' es freilich, den Inspirationsbegriff
vorausgesetst, unwahrscheinlich, dafs Gott von Thatsachen
oder Ideen mythische statt der eigentlichen Darstellungen
eingegeben haben sollte: allein die genauere Betrachtung
der biblischen Schriften zeige , dafs der Begriff ihrer In*
spiration, weit entfernt, ihre mythische Auffassung bu hin-
dern, vielmehr selbst nur ein mythischer sei *).
Dals man in den ältesten Denkmalen der*jfidischen
und christlichen Religion nicht ebenso, wie in den heidni-
schen Religionen, Mythen anerkennen wolle, erklärte Wbo-
scheider geradezu theils aus der Unbekanntschaft so Vie-
ler mit den Fortschritten der historischen und philosophi-
schen Wissenschaften, theils aus einer gewissen Aengst-
liohkeit, welche Dinge, die offenbar dieselben seien, doch
nicht mit dem gleichen Namen zu nennen wage. Zugleich
erklärte er es für unmöglich, ohne Anerkennung vom My-
then in der heiligen Schrift und Unterscheidung ihres
wahren Gehalts von der unhistorischen Form das göttliche
Ansehen der Bibel gegen die Einwürfe und Spöttereien
ihrer Gegner mit Erfolg zu vertheidigen 7).
Bestimmte man hienaoh von Seiten der genannten
Forscher den Mythus im Allgemeinen als Darstellung ei*
ner Begebenheit oder eines Gedankens in geschichtlicher,
aber durch die sinnliche, phantasiereiche Denk- nnd
Sprechweise des Altertbums bestimmter Form: so unter«
schied man zugleich verschiedene Arten von Mythen,8).
6) Bauer'« hebr. Mythol. 1. Bind. Einleitung.
7) Institutionen theol. ehr. dogm. §. 42.
8) Vgl. ausser den (wt nannten noch Ammow, Progr, quo inquiri-
Einleitung. $. 8. 3$
Die einen seien historische Mythen, d. h. Erafthlun-
gm wirklicher Begebenheiten, nur gefärbt durch die al*
tarthumiiche , Göttliches mit Menschlichem , Natürliches
■tit Uebernatflriichem vermengende Denkart; es gebe aber
philosophische Mythen, oder solche, welche ei*
blofsenl Gedanken, ein Philosophen! oder eine Zeit»
, in Geschichte einkleiden ; überdiel* aber kennen beide
Arten theils sieh mischen, theils durch dichterische Ueber«
arbeitong au poetischen Mythen werden, bei welchen
Unter der phantasiereichen Umhüllung so ursprüngliches
Factum wie Idee beinahe verschwinden. Zwischen diesen
verschiedenen Arten von Mythen ist die Unterscheidung
defswegen schwierig, weil auch diejenigen, welchen blo-
ises Raisonnement au Grunde liegt, mit gleichem histori-
schem Ansprüche, wie die auf geschichtlichem Grunde
ruhenden, auftreten ; doch geben die genannten Gelehrten
auch für diese Unterscheidung einige Regeln an. Vor AI«
lern müsse man darauf sehen , ob und was für ein Zweck
der Emlhlung sich entdecken lasse. Wo gar kein Zweck
sichtbar sei, um dessen willen die Sage erdichtet sein
könnte: da werde Jedermann den historischen Mythus
finden. Entsprechen aber alle Hauptamstände einer Er»
nfhlnng der Versinnlichung einer bestimmten Wahrheit:
so sei der Zweck der Erzählung sicher nur eben dieser,
und dar Mythus somit ein philosophischer. Die Mischung
des historischen und philosophischen Mythus sei besonders
daran kenntlich, wenn sich das Bestreben zeige, gewisse
Thatsachen aus ihren Ursachen abzuleiten. Dafs Ge-
seMehtliehes sum Grunde liege, lasse sich in manchen
Fallen auch durch anderweitige Nachrichten erweisen:
bisweilen stehen gewisse Angaben eines Mythus mit einer
tur in narratiomim de vitae Jesu Christi primordiis fontesetc.
in Pott's und Rpfbrti's Sylloge Comm. theoi. No. 5. , und
Cablm>'s n. theol, Journal 5. Bd. S. S5 und 397.
3*
36 Einleitung. §. 8. \
bekannten wahren Geschichte in genauer Verbindung;
oder trage er in sich selbst unverkennbare Spuren der
Wahrscheinlichkeit: so dafs der Kritiker zwar die Ein-
kleidung verwerfen, doch aber die Grandlage als ge-
schichtlich festhalten könne. Am schwersten fiel es , den
sogenannten poetischen Mythus zu unterscheiden, und
Bauer weifs nur das negative Kriterium anzugeben: wenn
einerseits die Erzählung so wunderbar klinge, dafs die
Begebenheit sich unmöglich so habe zutragen können, an-
dererseits aber doch kein Zweck erkennbar sei, einen be-
stimmten Gedanken su versinnlichen : so sei zu vermuthen,
dal* die ganze Erzählung der Phantasie eines Dichters ih-
ren Ursprung zu danken habe. In Bezug auf sämmtliche
Mythen macht besonders die ScHELLiNo'sche Abhandlung
auf das Kunstlose und Unbefangene in ihrer Entstehung
aufmerksam, indem sie theils von den historischen Mythen
bemerkt , dafs das Ungeschichtliche in denselben nicht
künstliches Erzeugnifs absichtlicher Erdichtung sei, son-
dern sich \A Laufe der Zeit und Ueberüeferung von «elbst
eingeschlichen habe; theils in Bezug auf die philosophi-
schen erinnert, dafs nicht allein zum Behuf eines sinnli-
chen Volks, sondern «lieh zu ihrem eigenen Behufe die
ältesten Weisen das Gewand der Geschichte för ihre Ideen
gewählt haben, um in Ermangelung abstraeter Begriffe
und Ausdrücke das Dunkle ihrer Vorstellung durch eine
sinnliche Darstellung aufzuhellen.
Da dem früher Bemerkten zufolge die natürliche
Deutung] namentlich der A. T. liehen Geschichte nur so
lange sich halten konnte, als die Urkunden derselben für
£anz oder nahezu gleichzeitig mit den Begebenheiten gal-
ten: so sind die Männer, welche die letztere Meinung um-
gertofeen haben, Vater und de Wettb, zugleich diejeni-
gen gewesen, durch welche die mythische Ansicht jener
Geschichte fester begründet worden ist. So wird nach
/
Einleitung. §, S. 37
ihr Bemerkung des Ersteren») der eigentümliche Cha-
rakter der Nachrichten im Pentateach erst dann begreif-
lieh, wenn man annimmt, dafs dieselben nicht von Augen«
«engen herröhren, sondern durch die Hand der Tradition
kindnrehgegangen seien. Dann nur fallen uns nicht mehr
& deutlichen Spuren einer späteren Zeit, nicht mehr die
*a grofsen Zahlangaben, nebst andern Unrichtigkeiten und
Widersprachen , nicht mehr das Helldunkel auf , welches
iber manchen Begebenheiten schwebt, nicht mehr Vor»
Stellungen, wie die, dafs die Kleider der Israeliten wäh-
rend des Zugs durch die Wüste nicht veraltet sein sollen.
Namentlich kann, nach Vater, das Wunderbare nnr danii
ans dem Pentateuch ohne Gewalt gegen den ursprüngli-
chen Sinn der Schriftsteller wegerklärt werden, wenn
man der Tradition einen greisen Antheil an der Darstel-
lung jener Begebenheiten susohreibk
Roch entschiedener als Vater hat sich de Wette
gegen die natürliche und für die mythische Auffassungs-
weise gewisser Theile des A« T. erklärt. Um die Glaub-
würdigkeit eines Berichtes sn prüfen, sagt er10), mofs
man meierst die Tendens des Erzählers untersuchen. Will
er nicht reine Geschichte ersählen, auf etwas Anderes
wirken, als auf die historische Wifsbegierde , will er er-,
geinen, rühren, eine philosophische oder religiöse Wahr-
heit anschaulich machen : so hat sein Bericht keinen hi-
storischen Werth. Selbst wenn sich der Ersähler nur
einer geschichtlichen Tendenz bewufrt ist, kann er doch
vielleicht nicht auf dem historischen Standpunkte stehen,
sondern ein poetischer Ersähler sein ; nicht snbjeetiv ,
ils Dichter, wohl aber objeetlr, als begriffen in und ab-
hängig von der Poesie. Kennseiehen davon ist, wenn er
9) s. die Abhandlung übet Moses und die Verfasser des PenU
teuohs im Sten Bande des Comm. über den Pent. S.'ötiOV
10) Kritik der mosaischen Geschichte} S. Uff.
39 Einleitung. §• 8.
bona fide Dinge erzählt, welche durchaas unmöglich und
undenkbar sind, welche nicht allein die Erfahrung, son-
dern auch die natürlichen Gesetze fiberschreiten. Erzäh-
langen dieser Art entstehen namentlich durch die Tradi-
tion. Die Tradition, sagt de Wette, ist unkritisch und
parteiisch, nicht von historischer, sondern von patriotisch«
poetischer Tendenz; die patriotische Wißbegierde aber
begnügt sich mit Allem, was ihrem Interesse schmeichelt r
je schöner, ehrenvoller, wunderbarer, desto annehmlicher,
und wo die Deberlieferung Lücken gelassen hat, da tritt
sogleich die Phantasie mit ihren Ergänzungen ein. Indem
nun, fahr de Wette fort, ein guter Theil der A. T. li-
ehen Geschichtsbücher dieses Gepräge trägt, so hat man
(von Seiten der natürlichen Erklärer) bisher geglaubt, die
Ausschmückungen und Umbildungen des geschichtlichen
Stoffs von diesem trennen, und so doch noch jene Erzäh-
lungen als historische Quelle benützen zu können. Diefs
liefse sich thun, wenn wir über dieselbe Geschichte neben
der wunderhaften noch eine andre, reingeschichtliche Re-
lation besäfsen. Das ist aber in Bezug auf die A. T. liehe
Geschichte nicht der Fall, sondern wir finden uns ganz
an jene Berichte gewiesen , welche wir nicht für reinhi-
storische erkennen können. In diesen aber ist ans kein
Kriterium zur Unterscheidung des Wahren und Falschen
gegeben, weil sie Beides in bunter Vermischung und mit
gleicher Dignität enthalten. Die ganze natürliche Erklä-
rungsweise ist nach de Wette im Allgemeinen schon
durch den Satz widerlegt, daüs die einzige Erkenntnifo-
quelle einer Geschichte die Relation ist, die wir über die-
selbe besitzen , und über die Relation der Historiker nicht
hinausgehen darf. Diese berichtet uns aber im gegenwär-
tigen Falle nur den übernatürlichen Hergang der Sache,
welchen wir nur entweder annehmen oder verwerfen kön-
nen; im letzteren Falle aber müssen wir uns bescheiden,
von dem Hergange gar nichts zu wissen , und dürfen ans
Einleitung. $. 8. 39
■Mit erlauberi, einen natürlichen su erdichten , von wel-
chen die Relation nicht das Mindeste sagt. Es ist also ")
ieeonsequent und willkürlich, der Poesie nur die £inklei-
A. T. lieher Thatsachen ansaschreiben , die Facta
der Geschichte retten su wollen; da vielmehr mit
Einseinen auch das Gänse dem poetischen und my-
nisehen Gebiete verfallt» So , wenn der Bund Gottes mit
Abraham **) in dieser Gestalt als Faetnm aufgegeben, aber
dseh eine geschichtliche Grundlage der Ersfthlung festge-
halten wird , nämlich die , es habe swar nicht ein objecti«
ver Verkehr Gottes mit Abraham stattgefunden, wohl aber
snbjectiv im Gemftthe des Mannes seien in der Vision oder
im natürlichen Wachen Gedanken aufgestiegen, welche er
im Geiste der alten Welt auf Gott surückgeführt habe : se
riehtet ds Wette an so verfahrende Ausleger die Frage,
'wober sie denn wissen, dafs Abraham aus sich selber diese
Gedanken gehabt habe? Dnsre Relation, bemerkt er, lei-
tet dieselben von Gott ab} nehmen wir dieft nicht an, so
wiesen wir von solchen Gedanken Abrahams gar nichts
mehr, auch davon nicht, dafs sie ihm natürlich aufgestie-
gen. Qeberhaopt haben solche Hoffnungen, wie sie den
Inhalt jenes Bundes bilden, Stammvater eines Volks sn
werden, weiches das Land Kanaan besitsen seilte, na-
türlicherweise gar nicht in Abraham entstehen kennen;
wohl aber sei das natürlich , dafs die sum Volke gewor*
denen und in den Besits des Landes gekommenen Israeli-
ten jenen Bund ihrem Stammvater cur Verherrlichung an-
gedichtet haben: so dafc die natürliche Erklärnngsweise
durch ihre eigne Unnatttrliehkeit immer wieder nur my-
thischen hinfahre.
Eichbork selbst hat die UnsulaTsigkeit der natürli-
chen Erkl&rungsweise , welche er in Besag auf das A. T.
11) S. die Vorrede; S. Ulf
1«) S. 59 ff.
40 Einleitung. §. 8.
ausgebildet hatte, in Betreff der evangelischen Geschichte
eingesehen. Was in diesen Erzählungen einen übernatflp-
lichen Anstrich hat, bemerkt er 1S), das dürfen wir nicht ver-
langen, in ein natürliches Ereignifs umzubilden, weil diefs
ohne Zwang nicht möglich sei« Wenn nämlich einmal in
einer Erzählung durch Zusammenfliefsen der Volksdeu-
tung mit dem Factum etwas als übernatürlich dargestellt
sei, so könne die natürliche Thatsache nur dann noch ent-
räthselt werden , wenn über denselben Gegenstand ein
zweiter Bericht vorhanden sei, der jene Vermengung nicht
enthalte, wie über das Ende des Herodes Agrlppa neben
A. G. 12, 23. die Erzählung des Josephns")« Da solche
controürende Berichte über die Geschichte Jesu fehlen:
so würde der Erklärer nur unerweisliche Hypothesen
spinnen, wenn er bei den wunderhaft lautendem Erzäh-
lungen die natürliche Ursache noch entdecken wollte, wo
sie nicht deutlich in der Erzählung liegt; eine ßemeiv
kung, durch welche, wie Eichhorn erklärt, viele soge-
nannte psychologische Erklärungen der Evangelien in ihre
Nichtigkeit hinfallen.
DerselbeUnterschied der natürlichen und mythischen
Erkiäruagsart ist es , welchen mit besondrer Beziehung
auf die Wundergeschichten Krug 1S) bezeichnen wollte,
wenn er eine physicalische oder materiale, und eine gene-
tische oder formelle Art der Wundererklärung unter-
schied. Jene untersucht nach Käüo: wie mag das wun-
dervolle Ereignifs, welches hier erzählt ist, nach allen
seinen Umständen durch Naturkräfte und nach Naturge-
setzen möglich gewesen sein? wogegen diese fragt: wie
mag die Erz-ählung von diesem Wunderereigniis nach
1
13) Einleit. in da* N, T. I, S. 408 ff.
14) Antiquit. 19, 8, 2.
15) Versuch über die genetische oder formelle ErklSrungStrt
der Wunder. In Hsnn's Museum, I, 3, S. 395 ff. (1803).
Einleitung. $. 8. 41
od nach entstanden «ein! Jene erklärt die natürliche
Möglichkeit der erzählten Sache (des Stoffs der Eraäh«
log), diese spürt dem Ursprange des vorliegenden Be-
richts (der Form der Ersafhlnng) nach« Die Versuche
mä der enteren Erklären gsart hält Krug ffir fruchtlos,
wrii sie Erklärungen ran Vorschein bringen, welche noch
vuderbarer als das ra erklärende Faotara seien ; viel he-
Iseneotler sei der andere Weg, indem man auf demselben
m Rncaltaten gelange, weiche ein Licht iber säuuntlicbe
Wanderersählungen verbreiten* Namentlich gewähre er
dam Exegeten den Vortheil, dafs er bei Erklärung seines
Textes demselben nicht die mindeste Gewalt ansuthun
brauche , sondern alles buchstäblich so auslegen könne,
wie es der alteErsähler gemeint habe, auch wenn das Er-
sähke unmöglich sein sollte: wogegen derjenige, welcher
auf materielle oder physicaüsehe Erklärung ausgehe, cu
hermenentischen Kunstgriffen verleitet werde, welche ihm
den ursprünglichen Sinn der Erzähler aus dem Gesichte
rücken, and diesen etwas ganz Andres unterschieben , als
sie sagen konnten oder wollten*
Ebenso empfahl Gabler *•) die mythische Ansicht als
das beste Mittel, um den sur Mode gewordenen gekün-
stelten , angeblich natürliohen , Erklärungen der biblischen
Geschichte anssuweichen lT). Der natürliche Erklärer,
16) In der Abhandlung: Ist es erlaubt, in der Bibel, und sogar
im N. T., Mythen anzunehmen? (aus Gelegenheit einer Recens.
von Baux&'s hebr. Mythol. ) im Journal für auserlesene theol.
Literatur, 2ten Bandes ltes Heft. S. 43 ff.
17) Lächerlich ist, wie Boifmakh (S. 51 f. 58.) die Abkunft des
mythischen Standpunkts durch die Nachweisung au ▼eruneh-
ren sucht, dass die ersten Schritte zu demselben den Exege-
ten durch Noth und Verlegenheit abgedrungen gewesen seien.
Was ist denn überhaupt das Fortbewegende im Leben wie in
der Wissenschaft, als Noth, Verlegenheit, Widerspruch, dass
auf einer niedrigeren Stufe kein Verbleiben ist, und daher su
einer höheren aufgestiegen werden matt? -
i% Einleitung. §. 8*
bemerkt er, will gewöhnlich die gause Ersählung natür-
lich machen, and weil diefs nur selten gelingen kann , so
erlaubt er sieh die gewaltsamsten Operationen , durch
welche die neuere Exegese selbst bei Laien in Übeln Ruf
gekommen .ist. Auf dem mythischen Standpunkte hinge-
gen braucht man dergleichen nicht, weil der größere
Theil einer Eraählung oft blofs zur mythischen Darstel-
lung gehört, der factische Kern aber nicht selten gann
klein ist , wenn man die später dazu gefügten wundersa-
men Hüllen weggenommen hat.
Auch Horst konnte sich mit dem atomistischen Ver-
fahren nicht vereinigen, welches aus wunderhaften Er-
sählungen der Bibel nur eineeine Züge als unhistorische
herausnahm, und andere, natürliche, an ibre Stelle setzte,
statt das Ganze solcher Erzählungen als religiös - morali-
schen Mythus, in welchem irgend eine Idee sieh darstelle,
zu erkennen 18).
Besonders entschieden hat ein Ungenannter in Beb*
tholdt's kritischem Journal sich gegen die natürliche Er-
klärungsweise der heiligen Geschichte und Ar die mythi-
sche ausgesprochen. Wesentliche Gebrechen der natürli-
chen Auslegung, wie sie im PAULüs'schen Commentar cul-
minire, sind nach diesem Verfasser vor Allem das durch*
aus unhistorische Verfahren, welches sie eich erlaubt, Ur-
kunden durch Vermuthungen zu ergänzen, eigne Specu-
lationen Jftr gegebenen Buchstaben zu halten; das höchst
gezwungene und immer undankbare Bemühen, natürlich
darzustellen, was doch die Urkunde als etwas Wanderba-
res geben will; endlich die Entleerung der biblischen Ge-
schichte von allem Heiligen und Göttlichen, die Herab-
würdigung derselben zur eiteln Unterhaltungslectflre , die
selbst den Namen der Geschichte nicht mehr verdient.
18) Ueber die beiden ersten Kapitel des Lukas, in Hamcs's Mu
seum I, 4, S. .695*1..
)
Einleitung. §. 9. 43
«
Diese Mängel der natürlichen Erkltfrungsweise, wenn man
skh doch bei der supranaturalistischen auch nieht beru-
higen kann, Ähren nach dem Verfasser an dem mythi-
schen Gesichtspunkte, welcher das Material der Ersah-
Jaag unangefochten läfst, und es nieht wagt, daran im
su deuteln, dafür, aber das Gänse nieht fftr
Geschichte, sondern für heilige Sage nimmt. Für
Auflassung spricht die Analogie mit dem gansen po-
finschen und religiösen Alterthum, da 90 manche Ers&h-
des A. und M. T. den Mythen des profanen Alter-
aufs Genaueste fthnlieh sehen; hauptsächlich aber
emfs, dafs die nahtlosen , sonst nie su lösenden Schwierig-
keiten der heiligen 6esehichte, in Bezug auf die Harmonie
der Evangelien and die Chronologie, bei der mythischen
Ansieht wie mit Einem Schlage verschwinden 19).
5. 9.
Die mythische Erklärungsweise in ihrer Anwendung auf
da» N. T.
80 war die mythische Auslegungsweise nicht allein
in das alte Testament, sondern aueh in das neue aufge-
nommen: doeh nicht ohne dafs man diesen Schritt beson-
ders so rechtfertigen sich veranlafst gesehen hfitte* Schon
Gable* hat an dem PAÜLUS'schen Commentar das ausge-
ästet, dafs er su Weniges Ober den mythischen Gesichts-
punkt gebe, der bei gewissen N. T. liehen ErsKhlungun. an-
genommen werden müsse. In manchen von diesen Ersfth-
Jsmgen nftmiieb finden sieh nicht blofs unrichtige Urtheile,
wie sie auch von Augenneugen gefällt werden können,
so data sieh durch deren Berichtigung ein natürlicher Her-
gang gewinnen liefse: sondern nicht selten finden sich
19) Die verschiedenen Rücksichten, in welchen und für welche
der Biograph Jesu arbeiten kann. In .Bsbtholdt's krit» Jour-
nal, 5. Bd. S. 235 ff.
1
/
44 Einleitung. §. 9.
auch falsche Thatsachen and unmögliche Erfolge angege-
ben , welche von keinem Augenzeugen so ersählf; , sondern
nur In der Ueberlieferurig haben fingirt werden können,
also mythisch aafgefafst werden müssen *)•
Die Hauptscbwierigkeit, welche bei Uebertragnng des
mythischen Gesichtspunktes ans dem A» T. in das neue
cu beseitigen war, ist diese, dafs man Mythen nur in der,
fabelhaften Urseit nnsres Geschlechtes ca suehen pflegte,
in welcher überhaupt noch keine Begebenheiten schriftlich
verzeichnet wurden: wogegen cur Zeit Jesu das mythische
Zeitalter lange vorüber , und namentlich die jüdische Na-
tion längst eine schriftstellerische geworden war. Indeb
schon Schellimg (in der angeführten Abhandlung) hatte
wenigstens in einer Anmerkung eingeräumt , im weiteren
Sinne könne auch diejenige Geschichte mythisch genannt
werden, welche noch au einer Zeit, da Alles längst schrift-
lich verzeichnet zu werden pflegte , im Munde des Volks
sich fortgepflanzt habe. Demgemäfs ist nach Bauer2) im
N. T. zwar nicht eine Reihe von Mythen, eine total mythi-
sche Geschichte zo suchen: doch aber können einzelne
Mythen in demselben vorkommen ; sei es, data sie ans dem
A. T. in das nene übergetragen , oder dafs sie ursprüng-
lich in diesem entstanden seien. So findet sich nach Baue*
namentlich in der Jugendgeschichte Jean Manches, was
vom mythischen Gesichtspunkte betrachtet sein will. Wie
Ton einem berühmten Manne bald allerlei Anekdoten sich
bilden, welohe unter einem wundersüchtigen Volke die
Sage mit Wunderdingen aller Art vergröbert: so wurde
Jesu in Dunkelheit verlebte Jngend, da er später so be-
rühmt, und endlich durch seinen Tod noch mehr verherr-
licht war, mit den wunderhaftesten ESrsählungen ausge-
1) Recent. von Paulus Goaunentar , im neuesten theol. Journal.
7, 4, 395 ff. (1801).
2) Hebräische Mythologie, i. Tbl. Einl. §. 5.
Einleitung. $-9. 46
ukmleki. Wenn in dieser Jagendgeschichte himmlische
Wesen mit Namen and in Menschengestalt erscheinen, die
Zukunft verkündigen n. dgl. : so hsben wir, meint Bauer,
ose* wohl ein Recht, hier einen Mythus anzunehmen, and
ab ans Grnnd seiner Entstehung den zu rermuthen , dals
nm die groben Wirkungen Jesu aus Übersinnlichen Crm-
eVm erklJirt, und diese Erklärung mit de* Geschichte rer-
nweht habe. — In gleicher Beniehung bemerkte Gabler*),
vis der Begriff von alter Zeit ein relativer sei: gegen die
nssainche Religion gehalten , sei die christliche allerdings
jsag; doch aber an sich selber alt genug, nm die Urge-
schichte ihres Stifters nn den alten Eeiten rechnen su dür-
fen. Dals es aber damals ober andere Gegenstände bereits
sehrifntehe Urkunden gegeben habe, beweise hier nichts,
sobald es sich neigen Uä9e9 dals man eben über Jesnm,
beiosacrn über seine ersten Lebensumstäode , längere Zeit
nichts Schriftliches, sondern nur mtedliche Ersähiongen
gehsht habe , welche leicht allmählig ins Wunderbare ge- >
malt, mit jüdischen Zeitideen versetst, and so so histori-
schen Mythen werden konnten. Ueber manches Andre
hatte sann nach Gabler gar keine Ueberlieferung; man war
also der eigenen MnthmaCsnng fiberlassen ; man machte um
so mehr Schlosse, je weniger Geschichte man hatte: und
diese historischen Conjecturen und Raisonnements im jü-
disch-christlichen Gesohmacke kann man die philosophi-
schen, besser: dogmatischen, Mythen der christlichen Ur-
geschichte nennen. Wenn auf diese Weise, schliefst Gas-
ua, der Begriff des Mythus bei mehreren Erzählungen
des N. T. Anwendung findet: warum sollte man die Sache
nicht bei*m rechten Namen nennen dfirfen? warum, — im
wissenschaftlichen Verkehre, versteht sich, — einen Ans«
3) Ist es erlaubt , in der Bibel , und sogar im N. T. , Mythen
aasoaeluaen ? Im Journal für auserlesene theol. Literatur, 3,
1, 49 ff.
46 Einleitung. §. 9.
druck vermeiden, der nur bei Befangenen oder Falschbe-1'
richteten Anstofs erregen kann? (l
Wie im Gebiete des A. T. Eichhorn an der Geschichte *
des Sündenfallea von seiner früheren natürlichen Erklärung *:
durch die Macht der Sache selbst zur mythischen Auffas* »■
sung herübergedrÄngt wurde: so im N. T. liehen Gebiete^
Ü8TBRI in Besag auf die Versuchungsgeschichte. Er hatte *
sie in einer froheren Arbeit nach Schleiermachkr als eine <i
von Jesu vorgetragene , von den Jüngern aber mifsverstan- k
dene, Parabel eufgefafst*); sah jedoch bald die Schwierig- b
keiten dieser Auffassung ein, und indem er die supranato- t
ralistische wie die natürliche Ansicht der Erzählung nach e!
ihren verschiedenen Schattirungen noch weit melir hinter t
sich hatte: so blieb ihm nichts übrig, als den mythischen «
Standpunkt zu betreten ; was er denn auch in einer spfi- i|
teren Abhandlung auf sehr kräftige Weise that6). Wen» jj
einmal eine Aufregung der Gemüther gegeben sei, bemerkte I
er hier, zumal eine religiöse, und unter einem nick unpoe- n
tischen Volke: so sei nur kurze Zeit dazu nöthig, dafs, -i
nicht etwa blofs verborgene und geheime, sondern selbst \
öffentliche und bekannte Thatsachen einen Schein des \
Wunderbaren bekommen. So sei denn in keiner Weise i
abzusehen, wie die ersten Christen aus den Juden, geist- k
begabt, d. h. religiös begeistert, wie sie waren, und mit >
dem A. T. vertraut, nioht sollten im Stande gewesen sein, \,
symbolische Seenen, wie die Versuehungsgeschichte und „
andre N. T. liehe Mythen, zu erdichten. Hur müsse man t
sich die Entstehung derselben nicht so denken, als hätte
sieh Einer zu seinem Tische gesetzt, und aus seinem Kopfe
4) Ueber den Täufer Johannes, die Taufe und Versuchung «
Christi, in üllmahh's u. Umbreit's theol» Studien u. Kritiken, i
2f 3, S. 456 ff.
»
5) Beitrag zur Erklärung der Versuehungsgeschichte , in ders. ,
Zeitschrift, 1832, 4. Heft.
Einleitung. $ 9. 47
eergleielten , wie Dichtungen, verfertigt und niederge-
schrieben: sondern jene Erzählungen hüben, wie alle Sa-
ge», aüanlhlig anf eine nicht mehr nachweisbare Weiee
neb gebildet, allmählig Coneistena gewonnen, und sieh
cuslch in unaern schriftliehen Evangelien fixirt
Wie aber anf Seiten dea A. T. die mythische Auf-
lösung nur von denjenigen festgehalten werden konnte,
«wiche sogleich die Abfaaaang der A.T. liehen Geschieh ts-
aAnaden doreh Angensengen and Zeitgenossen bezweifel-
tes : so noch anf Seiten dea N. T. Nor mittelst dar An-
aahme , daiä durch die drei ersten Evangelien sieh bloft
ei» dinner Faden des apostolisch beglaubigten Urevange-
fiamu hindarcheiehe, welcher selbst im Matthfiasevange-
Unm von einer Maase anapostolischer ZosStse umwanden
aei, freiste Eichhorn viele ihm anetöfsige Erzählungen aas
allen Theilen dea Lebens Jesu als unhistorische Sagen
aas dem Wege na rftamen; wie anfser dem Evangelium
mfaxtiae m. B. das Nähere der Versachongsgeschtehte,
mehrere von Jesu verrichtete Wander, die Auferstehung
der Beiligen bei seinem Tode, die Wache an seinem
Grabe n. a. f. *). Besonders aber seit sich die Ansicht
von dem Ursprünge der drei ersten Evangelien aas münd-
licher Tradition festgestellt hat9), sind in denselben im-
mer aaehr theils mythische Ausschmückungen, theils ganee
Mythen gefunden worden *). Dagegen halten jetat die
lÜeten daa Johanneische Evangelium als authentisch und
damit nach als historisch saveriftfsig fest; nar wer mit
6) Einleitung in das N. T. 1, S. 422 ff. 455 ff
7) Besonders durch Gissslsr, Aber die Entstehung und die
frühsten Schicktale der schriftlichen Evangelien.
8) S. den Anhang der ScHULz'schen Schrift über das Abendmahl,
and die Schriften von Smffbrt und Schkeckhwbuhobr Über den
Ursprung Jes ersten kanonischen Evangeliums.
4B Einleitung. $. 10.
Bketschneider •) seine apostolische Abfassung bezweifelt, '
kann aaeh in diesem Evangelium dem mythisehen file- ■
mente eine bedeutende Stelle eioriumea. ■
$. 10. ]
Der Begriff des Mythus in seiner Anwendung auf die heilige Ge- ;i
schichte von den Theologen nicht rein gefasst.
Dar . hiemit auch für die Ansiebt von der biblischen \
Geschichte gewonnene Begriff des Mythus wurde indessen i
noch geraume Zeit weder selbst rein gefafst, noch in ge» i
hörigem Umfang angewendet.
Nicht rein gefafst. Mit der Unterscheidung histori- <
scher Mythen nämlich von den philosophischen hatte der
Begriff des Mythus ein Merkmal in sich aufgenommen,
welches ihn, so richtig an sich jene Unterscheidung war,
doch 'leicht wieder zu der kaum verlassenen natürlichen
Erklärangsweise hinuntemiehen konnte. Auch bei' m hi-
storischen Mythus entstand ja für den Kritiker die Auf-
gabe, ans der unhistorischen, wunderhaften Ausschmü-
ckung einen natürlichen und als geschichtlich festzuhal-
tenden Kern herauszuschälen: und durch den allerdings
wesentlichen Unterschied, dafs bei der Annahme eines hi-
storischen Mythus jene Ausschmückung nicht, wie bei der
natürlichen Erklärungsart , aus dem Urtheil der Betheilig*
ten und der Erzähler selbst, sondern aus der Tradition
hergeleitet wurde, liefs man das Verfahren nur wenig be-
stimmt werden. Konnte dar Rationalist , ohne seine t Me-
thode wesentlich zu verändern, historische Mythen in der
Bibel aufzeigen: so war auch dem Supranaturalisten die
Annahme historischer Mythen, durch welche doch die ge-
schichtliche Auffassung der heiligen Erzählungen nicht
ganz aufgehoben wird, weniger anstöbig, als die Voraus-
setzung sogenannter philosophischer, bei welchen auch die
9) In den Probabilien.
Binleltuag. f, lt. 49
Istafte historische Grandlage au fallen scheint Keift Wun-
der daker, «Ufa die Aasleger, wo sie den mythischen Ge-
aeatopanht in Anwendung brachten, fest durchaus nor
fse historischen Mythen sprachen ; dafs Bauer unter ei-
aar sianalichen Annahl von Mythen, die er ans dem N. T.
assaaft macht, nnr einen einaigen philosophischen hat;
md dala ein Gemische von mythischer und natürlicher
Uüning entstand, welches noch widersprechender ab
4k rein natürliche Auslegung war, deren Schwierigkeiten
nan hatte entgehen wollen. So glaubte Bauh1) die Er-
tdtUng yon der Verheißung Jehora's an Abraham histo«
rneh - mythisch an erklären, wenn er als die cum Grande
fegende Thatsacbe die annahm, dafs Abraham bei Be-
ll schlang des sternbesäten Himmels seine Hoffnung auf
sahlrsiehe Nachkommenschaft neubelebt gefunden habe; ein
Andrer meinte den mythischen Gesichtspunkt ancuwen-
dsn, wenn er von der Verkündigung der Geburt des Täu-
fers Ewar alles Wanderbare hinwegräumte, doch aber das
VmsUinmen des Zacbarias als historische Grundlage ste-
hen lieb*); ebenso legt Krug8), nachdem er kaum rarst»
ehert hatte , nicht die Materie der Geschichte (natürlich),
sondern die Entstehung der Erzählung (mythisch) erklä-
ren an wollen, der Erzählung von den Weisen aus Mor*
fBtümnd eine anfällige Durchreise orientalischer Kaufleute
sum Grande; am schreiendsten aber ist der Widerspruch,
wenn naan in einer Mythologie des N. T., wie die Bauer'«
sehe, ein solches Nichtverstehen dessen, was ein Mythas
fct, findet, daft s. B. bei den Eltern des Täufers wirklich
eine lange , unfruchtbare Ehe angenommen , die Engeler-
ctheiaaiig bei Jesu Geburt durch ein feuriges Phänomen
1) Geschichte der hebräischen Nation, Thl. 1. S. 123.
2) E. F. über die zwei ersten Kapitel des Matthäus und Lukas.
In Hskkb's Magazin, 5ten Bdes. ltes Stück. S. 163.
3) In der angef. Abhandlung.
Da» Lebtn Jesu hte Aufl. I.Band. 4
vO Einleitung. $. 10.
erklärt, . bei seiner Taufe ein Blitz and Donnerschlag, ,
sammt .einer anfällig übertun fliegenden Tanbe , vorausge- ,
setzt, bei der Verklärung ein Gewitier eum Grande ge* ,
legt, und die Engel im Grabe des Auferstandenen au weis- ,
aen Leintüchern gemacht werden. 'Auch Kaiser, weicher,
über das Unnatürliche so mancher natürlichen Erklärnn» ,
gen Klage- führt, läfs/t doch mit der, an sich nicht anrieh« •
tigeo, Bemerkung, es wäre einseitig, alles Wunderbare im
.N. T. auf Eine und dieselbe Weise zu erklären , die na*
.türliche Auslegung neben der mythischen in einem be- (
denkliohen Umfange stehen. Erkenne man nur an, dafs
der alte Autor ein Wunder habe erzählen wollen, so sei
die natürliche Erklärung oft gar wohl sulfifsig. Sie «ei
bald eine physicalisch-historische : wie bei der Erzählung
vom Aussätsigen, welchem Jesus ohne Zweifel die nahe
Genesung angesehen habe; bald eine psychologische: in-
dem bei manchen Kranken der Ruf Jesu und das Ver-
trauen auf ihn das Meiste gewirkt habe; bald sei. auch
.der Zufall in Rechnung eu bringen: indem, wenn in Jesu
Gegenwart Scheintodte von selbst wieder cum Leben ka-
men, er als Ursache davon angesehen worden sei. Bei
andern Wundergeschichten übrigens ist nach Kaiser die
jnythiscbe Erklärung anzuwenden; nur dafs er auch hier
dem historischen Mythus viel mehr einräumt, als dem phi-
losophischen. Die meisten Wunder des A. u. N. T. sind
nach Kaiser wirkliche Vorfälle, mythisch ausgeschmückt,
wie die Ereählung vom Stater im Fischmaul, von der
Verwandlung des Wassers in Wein, welcher letzteren
nach ihm ursprünglich wohl ein humaner Sehers Jean
cum Grunde lag; Weniges nur ist rein nach jüdischen
Ideen erdichtet, wie Jesu wundervolle Geburt, der Betbie-
heinitische Kindermord u. dgi. '). .
Gabler besonders machte auf den Mifsgriff aufmerk*
4) Kamir's biblische Theologie. 1. Thl. S. 194 ff. (ISIS).
Einleitung. J. 10. *J
data man bisher manchen philosophischen Mythus als
lustsrischen behandelt, ond so Thatsaehen angenommen
habe, welche niemals vorgefallen seien *). Zwar will er
nfc Recht ebensowenig lauter philosophisehe Mythen im
IL T. annehmen , als lauter historische ; sondern , einen
Mittelweg einschlagend, je nach Beschaffenheit des Inhalts,
Uli die eine« bald die andre Art. Man müsse sieh eben-
«sehr ror der Willkurlichkeit hüten, welche da blofs
FlilMopheme annehme, wo wirkliche Faeta durchschim*
■srn, als vor der entgegengesetzten Neigung, Manches
aaturJieh und geschichtlich au erklären, was doch nur
cur mythischen Einkleidung gehöre. Namentlich, wenn
iie Ableitung eines Mythus aus einem Gedanken sehr
laicht und natürlich ist. hingegen jeder Versuch, die reine
Thatsaehe aus demselben hervorsusuchen, und dadurch die
wunderbare Geschichte natürlich au erklären , entweder
sehr gekünstelt ist, oder gar ins Lächerliche fällt, so ist
die(s9 nach Gablsr, ein sicherer Beweis, dafs man hier
philosophischen, nicht einen historischen Mythus su
hat. Die philosophisch- mythische Deutung, schliefst
er, aal üherdiefs in manchen Fällen weit weniger anstös-
eig, als die Behandlung aus dem historisch-mythischen Ge-
sichtspunkte '). — Bei dieser Neigung Gabler's sum phi-
losophischen Mythus in Besng auf die biblische Gesohichte
aufs man sich wundern, wenn man sielet, wie er selbst
£s concreto nicht su wissen scheint, weder was ein histo-
rischer, noch was ein philosophischer Mythus ist. Wenn
er n&ndich von den bisherigen mythologischen Erklärern
das N. T. sagt, einige von ihnen sehen in der Geschichte
Jesu nur historische Mythen , wie Dr. Paulus , andre lau-
ter philosophisehe , Wie der ungenannte E. F. in Henkb's
5) Gablbr's Journal für auserlesene theol. Literatur. 2, 1, S. 46.
6) Gabler's neuestes theolog, Journal, 7. Bd. S. 83« vgl. 597
und 409.
53 Einleitung. S« 10.
Magazin: so ist klar, dato er natürliche Erklärungen mit n
historisch-mythischer Auffassung verwechselt, denn in Paü- ;
mjs Commentar sind nur die ersteren eu finden; ebenso ii
wiederum historische Mythen mit philosophischen , denn i
jene Abhandlung steht nach der oben mitgetheilten Probe \i
bo sehr nur auf dem historisch -mythischen Standpunkte, 11
iah man ihre Erklärungen sogar für natürliche halten $
könnte. ii
In Besag auf die mosaische Geschichte sind de Wbt- a
tb's schlagende Ausfflhrungen ebenso gegen die Willkür a
der historisch -mythischen, als der natürlichen Auffassung 4
der Erzählungen gerichtet; in Bezug auf das N. T. er- ^
klärte sich gegen jeden Versuch, in den Mythen desselben l
noch eine historische Grundlage zu suchen, am entschie- j
densten der Ungenannte in Bbrtholdt's kritischem Joui> \
nal 7). Ihm schien auch der von Gabler vorgeschlagene ,
Mittelweg zwischen ausschliefsender Annahme von histo- ,
rlschen und von philosophischen Mythen nicht anwendbar
zu sein, da zwar den meisten Nachrichten des N. T. et-
was wirklich Geschehenes zum Grunde liegen möge, ohne
dafs es jedoch jetzt noch möglich wäre, es von der mythii
sehen Beimischung zu sondern, und zu entscheiden, wie
viel zu diesem, wie viel zu jenem Bestandtheile gehöre.
Ebenso sprach Usteri die Ansicht aus, wie viel an den
evangelischen Mythen geschichtliche Grundlage auf der
einen, und poetische Symbolik auf der andern Seite sei,
lasse sich nicht mehr unterscheiden ; durch kein noch so
scharfes kritisches Messer lassen sich diese beiden Ele«
mente jetzt noch von einander sondern ; höchstens könne
es zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit gebracht werden,
daCs bei der einen Sage mehr Historisches zum Grunde liege.
7) Ueber die verschiedenen Rücksichten , in welchen und für
welche der Biograph Jcsa arbeiten kann. In Bbrtholdt's
krit. Journal, 5, S. 235 ff.
Einleitung. §. l(k M
mehr das Poetische «ad Symbolische vor-
Nun hiebe es eher der Einseitigkeit derjenigen,
mit der Aussiehang des geschichtlichen Gehsites
ses den mythischen Erzählungen der Schrift es allzu
locht nehmen , offenbar nur die entgegengesetzte Elnsei*
ugkeit gegenübergestellt, wenn um der erkannten Schwie-
rigkeit der Operation willen an der Möglichkeit ihres Ge-
legene sm Jfaraus verzweifelt, mitbin sammtiicbe in der
evangelischen Geschichte gefundene Mythen wenigstens
jnseferu wie philosophische behandelt würden , als jeder
Versneh, einen historischen Rest ans ihnen an gewinnen,
unterbliebe. Eben diese Einseitigkeit aber glaubte man in
Kritik des Lebens Jesu zu finden : wefswegen denn
Benrtheiler dieses Werkes sich veranlaßt fanden,
wiederholt auf die verschiedenen Stufen und Mischlings»
rerhfiltnisee zwischen dem Historischen und ideellen auf»
zu machen, in welchen der Mythus innerhalb
eigenthümlichen Gebietes, der heidnischen Religion
und Urgeschichte , auf und absteige ; eine Versetzung mit
Gencbichtuehem , welche auf dem Gebiete der christlichen
Urgeschichte, den Zutritt des Mythusbegriffs in dasselbe
ab mdä&ig vorausgesetzt , Jedenfalls in noch weit stärke-
rem Grade stattfinden müsse. So unterscheidet Ullmann
zieht nnr 1) philosophischen und 2) historischen
Mytiins; sondern von diesem selbst wieder, als in wel-
chem immer noch die freie Bildung überwiege, S) dje my-
thische Gesebiehte, bei der nun das historische Mo-
ment, wiewohl immer noch in das Ideale hineingebildet,
das Uebergewicht erhatte; während wir 4) bei der Ge-
schichte mit sagenhaften Bestandteilen das
eigentlich historische Gebiet in der Art betreten, dafs sich
nur noch einzelne Nachklange aus dem mythischen darin
vorfinden. Aach abgesehen nun von dem Anstoß und der
Verwirrung, welche der für ein ganz anderes Religkms-
54 Einleitung. §10.
gebiet ursprünglich gestempelte Ausdruck : Mythus, in sei-
ner Anwendung anf das christliche unausbleiblich mit sieh
fahre, wäre es nach Ullmann, dem hierin unter Andern
auch Br£T6chneider beistimmt, sugleich saohgemäfser, nur rfc
von evangelischer Sage und von sagenhaften Bestand thei* -p
len der christlichen Urgeschichte zu reden 8). wtk
Im Gegensatae hiesu hat neuestens George nicht nur <W
die Begriffe von Mythus und Sage strenger zu scheiden, a
sondern auch den Evangelien, statt des letztern, vielmehr ins
den ersteren anzueignen gesucht. Im Allgemeinen, kann
man sagen, nennt er Mythus nur den bisher sogenannten
philosophischen , Sage aber das , was bis jetzt historischer
Mythus hiefs; dabei aber hat er, indem er beide Begriffe)
als Antipodcfh behandelt, sie mit einer SchÄrfe gefafst, bei
welcher wenigstens der Begriff des Mythus unstreitig ge-
wonnen hat. Mythus ist ihm die Bildung einer Thatsache
aus einer Idee heraus: Sage umgekehrt die Anschauung
der Idee in und aus der Thatsache. Ein Volk, eine Reli-
gionsgemeinschaft, befindet sich in einem gewissen Zu-
stande, in einem Kreise von Einrichtungen, deren Geiat
und Idee in ihm lebendig ist. Es findet sieb getrieben,
das Bewtifatsein seiner Zustände durch die Vorstellung
von ihrem Ursprünge zu vervollständigen. Aber dieser
Ursprung liegt im Dunkel der Vergangenheit, oder genügt
durch seine Unscheinbarkeit der Fülle der gegenwärtigen
Empfindung und Idee nicht. Daher wirft sich nun von.
dem Lichte dieser Idee aus auf die dunkle Wand der
Vergangenheit ein farbiges Bild jener Ursachen hinan*,
welches jedoch nur ein vergröfserter Reflex der gegenwäiv
8) Ullmawn, Recens. meines L. J., in den theol. Studien u. Kri-
tiken, 1836, 3, S. 783 ff. Vergl. Müllir's Recension, ebenda«
selbst, S. 839 ff.; Tholuck, Glaubwürdigkeit, S. 54 ff.; Brkt-
schkbidir, Erklärung über die mythische Auffassung des hi-
storischen Christus, Allg. HZtg. Juli 18$7, S« 860 f.
Einleitung. $. 10. *5
tigea Wirkungen ist. Ist diefs die Entstehung des My-
thos: so sind umgekehrt der Sage die Thatsaeben —
ssr etwa in hie ond da lückenhafter und verkarste*, oder
«seh susr Verherrlichung der Helden in vergrößerter 6e*
stak — gegeben ; aber die Gesichtspunkte , aus welchen
ee Thatsachen auf anfassen sind, die Ideen, die ursprflng-
I» in deusetben lagen, sind in der Ueberlieferang vei-
«awsmden. Daher werden nnn neue Ideen, ans dem je»
»alligen Geiste der Zeiten, durch welche die Sage bin-
asrehgeht , untergelegt ; wie s. B. die nachmosalsohe Pe-
nsdef das jüdischen Volks, deren Idee in der Thal das
sMasahlige siehHinanheben sunt reinen Monotheismus nad sor
Taeekratie war, in der späteren Sege anter den entgegen*
geseesten Gesichtspunkt eines Abfalls von der mosaisebea
Reugioesrerfassung gestellt worden ist. Sofern es nicht
fehJea kann, dafs von einer so unhistorischen Idee aus
sieht sofort auch die überlieferten Thatsachen hie und da
—gestaltet, Lücken ausgefällt, bedeutsame Züge hinsuge-
seist werden sollten : so tritt hiemit an der Sage der My-
thos wieder hervor; sowie, indem andrerseits der Mythus
sich in dar Ueberlieferang fortpflanzt, und dadurch theils
unbestimmt and lückenhaft, theils in einseinen Zügen, wie
b* ß. Zahlen, abertrieben wird, der Mythus dem Einflüsse
der Sage verfällt, — nnd so beide, in ihrem Ursprünge
wesentlich verschiedene Bildungen sich krausen und mi-
schen« Sofern nan aber, wenn aus dem lebendigen Ein-
snicke, der ursprünglichen Idee heraus , welche die erste
fesselnde von ihrem Stifter hatte, dessen Lebensgeschichte
siythisch sich gebildet bat, diese, obwohl in unhistorischer
Form, doch den wahren Inhalt der Idee von Christo dar-
stellt; wenn hingegen die aufserlich wahren Thatsachen
sagenhaft nicht nur verwaschen und hie und da vergrös-
sert, sondern auch in ein falsches Licht gestellt, mit einer
bischen Idee erfällt wären , dann umgekehrt der wahre
Gehalt des Lebens Jesu für uns verloren sein wirde : so ist es
96 Einleitung, ft. IL
nach George für den christlichen Glauben weit unver-
fänglicher, in den Evangelien mythische, als sagenhafte
Bestandtheile anzuerkennen *).
Wir unsererseits, am die dogmatische Beziehung hier
noch unbekümmert , bleiben für jetst , in der Einleitung
einfach darauf gefafst, in der evangelischen Geschichte
möglicherweise sowohl mythische als sagenhafte Bestand-
theile anzutreffen, und nehmen uns gleicherweise Beides
vor, in der Ausziehung des etwanigen gescbichtlkben Ge-
haltes aus den für mythisch erkannten Erzählungen weder
durch rohes und mechanisches Abtheilen uns auf gleichen
Boden mit den natürlichen Erklärern zu begeben, noch
durch Verkennung jenes Gehaltes, wo er sich neigt, die
Geschichte hyperkritisch aufzulösen.
$. 11.
Der Begriff des Mythus nicht umfassend genug angewendet.
Aber nicht nur unrichtig gefafst wurde der Begriff
des Mythus bei seinem ersten Aufkommen unter den Theo-
logen, 'sondern auch auf die biblische Geschichte nicht
umfassend genug angewendet.
Wie Eichhorn nur an der allerersten Schwelle der
A. T. liehen Urgeschichte einen wirklichen Mythus aner-
kannte, alles Folgende aber als historisch auf natürliche
Weise erklären zu müssen glaubte; wie man hierauf eine
Zeit lang zwar im A. T. mythische Bestandteile zugab,
aber im N. T. an nichts dergleichen denken mochte: so
mußte, einmal in das N. T. zugelassen, der Mythus auch
hier wieder lange an dessen erster Schwelle, der Kind*
heitsgeschiohte Jesu, stehen bleiben, und jeder weitere
Schritt wurde ihm streitig gemacht. Ammon , der unge-
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9) Gxorcjs, Mythus und Sage; Versuch einer wissenschaftlichen
Entwicklung dieser Begriffe und ihres Verhältnisses zum christ-
lichen Glauben. S. 11 ff. 108 ff.
Einleitung. $. 11. 91
B. F. in Henkb's Magazin , Ustbri und Andere *)>
hten einen bedeutenden Unterschied geltend zwischen
historischen Werthe der Nachrichten von Jean öffent-
lichem Leben and von seiner Kindheit. Die Geschiente
dar lästeren könne . unmöglich gleichseitig geschrieben
nie, da damals noch Niemand so sehr auf Jesum gesch»
tat habe ; ebensowenig in seinen drei letzten Lebensjahren,
«eil sie nicht den kämpfenden und leidenden, sondern den
fernen liebten Jesus im Sinne habe : also könne ihre Abfassung
in die Tage nach seiner Auferstehung fallen. Damals
liefsen sieh keine sichern Nachrichten mehr über die
Kindhnit Jesu einsiehen: denn die Apostel waren nicht
selbst Genossen derselben gewesen; Joseph lebte wahr-
scheinlich nicht mehr;* der Maria, wenn sie nm die Zeit
der Abfassung unseres ersten und dritten Evangeliums
•och am Leben war, hatten sich doch indessen manche
Osjstinde in der Erinnerung herrlicher ausgemalt, und
wwrden noch mehr von denen, welche ihre Er&ftbiungen
vernahmen, nach ihren Messiasbegriffen verherrlicht ; Man«
eben bildete sieh auch ohne historische Nachrichten ■ nach
Zeltbegriffen und A. T. liehen Orakeln (wie von der
eehwanger werdenden Jungfrau) aus« Durch alles dieses
aber §oü nach jenen Verfassern die Glaubwürdigkeit der
Evangelisten bei der folgenden Geschichte des Lebens Jesu
nicht das Mindeste verlieren« Ihr Zweck und ihre Auf-
gabe war blofs, eine sichere Geschichte der drei letnten
Lebensjahre Jesu su geben, und in dieser verdienen sie
allen Glauben , weil sie theils selbst gegenwärtig gewesen
waren, theils, was sie schrieben, aus dem Munde anderer
1) S. Ahmon's, §. 8. Anm. 8. angeführtes Programm. Aehnlicfr
Hass, Leben Jesu, §. 32. (2te Aufl.)? Tuoujcx, S. 208ff.u,
Kumt, die Ha uptthat Sachen der evangelischen Geschichte, er-
ster Artikel , Tübinger Zeitschrift für Theologie > 1836 , 2,
S.39.
58 Einleitung. §. IL
2),S. bei Küihöl, Frolegom. in Matthaeum, §.3. in Lucam §. 6.
3) z. B. Ahmon, in der Diss. : Ascensus J. C. in coeluui histo-
ria biblica, in seinen Opuac. nov.
4) In Bxrthoidt's krit. Journ. 5. Bd. S. 248.
5) Gablbr's neuestes theol. Journal, Bd. 7. S. 395.
6) Encyclopädie der theol. Wissenschaften, S. 161.
bi
i i
glaubwürdiger Zeagen wissen konnten. — Diese. Gränzii-
nie «wischen der Glaubwürdigkeit der evangelischen (Je- •*
schichte des öffentlichen Lebens Jesu und der Fabelhaf- f*
tigkeit seiner Jugendgeschichte wurde dadurch noch schär- *?
fer gesogen , dafs manche Theologen geneigt waren , die
beiden ersten Kapitel des Matthäus und Lukas, welche die
Jugendgeschichte enthalten , als unächt und spätere Zu- ■!
sfitze eu verwerfen 2). !'
Wie den ersten Anfang, so fafsten aber bald einige k
Theologen auch das letzte Ende der Lebensgeschichte Jesu, ?
seine Himmelfahrt , mythisch auf s) : so dafs dieselbe nuti 11
an ihren beiden äufsersten Rändern von kritischen Zwei- |
fein angefressen wurde, während ihr eigentlicher Kern, i
die Periode von der Taufe bis cur Auferstehung , immer
noch unangetastet bleiben sollte; oder dafs man, wie ein
Recensent von Greiling's Leben Jesu sich ausdrückt,
durch das Prachttbor der Mythe in die evangelische Ge-
schichte hinein, und durch ein ähnliches wieder hinaus-
fuhr4), für das Dazwischenliegende aber mit den krum-
men und mühseligen Pfaden der natürlichen Erklärung
sich begnügte*
Etwas mehr erweitert findet sich die Anwendung des
mythischen Gesichtspunktes bei Gabler *), mit dem neuer-
lich wieder Rosbhkranz6) übereinstimmt, wenn er den
Unterschied zwischen Wundern, die Jesus that, und sol-
chen, die an ihm vorgingen,, in der Art geltend macht,
dafs zwar die letzteren mythisch, die ersteren aber natür-
lich erklärt werden sollen. Gleich nachher übrigens
Einleitung. §. 11. M
spricht Gabler wieder so, ak ob er mit den oben er-
wähnten Theologen bloß die Wnnder aus der Kindheit
Jen mythisch au Assen gesonnen wäre; was eine Be-
schränkung des vorigen Gesichtspunktes ist, da zwar alle
Eiedheitswunder in nnsern Evangelien an ihm vorgegan-
gene Glicht von ihm gethane) sind, dergleichen aber auch
■ seinem folgenden Leben manche vorkommen. Ungefähr
steh der GABLsa'sohen Unterscheidung von Wundern Jesu
md an Jean scheint auch Bauer in seiner hebräischen
Mythologie die Auswahl dessen eingerichtet au haben, was
er im H. T. mythisch fassen «u dürfen glaubte, indem er
nur die übernatürliche Empffcngnifs Jesu nebst den aus-
serordentlichen Umständen bei seiner Geburt, die Scene bei
der Taufe, die Verklärung, den Engel in Gethsemane und
die am Grabe mythisch behandelte; was «war Wunderge-
schiehten aus allen Theilen des Lebens Jesu, aber nur
selche sind, die an Jesu vorgingen, nicht von ihm verrich-
tet wurden, obgleich auch jene nicht vollständig.
Kine in solcher Weise sich beschränkende Anwendung
des Mythusbegriffs auf die Lebensgeschichte Jesu hat der
schon mehrmals angeführte Verfasser der Abhandlung über
die verschiedenen Rücksichten, in welchen der Biograph
Jesu arbeiten kann , als unzulänglich und folgewidrig dar-
msateifen sich bemüht. Der gemischte Gesichtspunkt, auf
welchem die evangelische Erzählung «um Theil als reine
Gesehiehte, zum Theil als mythisch betrachtet wird, ver-
dankt nach ihm seinen Ursprung solchen Theologen,
welche die Geschichte nicht aufgeben, und doch auch bei
ihren klaren Resultaten sich nicht beruhigen mögen, und
auf diesem Mittelwege beide Partelen vereinigen zu können
meinen : ein eitles Bemühen, welches der strenge Suprana«
tumlist verketzern, der Rationalist verlachen wird. Indem
diene Vermittler, bemerkt der Verf., gerne begreiflich ma-
chen möchten, was nur irgend möglich ist, so sieben sie
steh alle die Vorwürfe «u, die man der natürlichen Erklä-
4
M Einleitung. $. 11.
rang mit Recht macht; indem sie aber auch noch der
Mythe Raum geben, so trifft sie die Klage über Inconse-
quens mit aller ihrer Schwere, der schlimmste Vorwurf,
der einem Gelehrten gemacht werden kann* Ueberdiefs
sei das Verfahren dieser Eklektiker das allerwillkürlichste,
da sie .meist nach subjectiven Gründen entscheiden , was
der Geschichte, und was der Mythe angehören solle; we-
nigstens wissen die Evangelisten, die Logik und die ihr
angehörige historische Kritik nichts von solchen Unter*
Scheidungen 7). Demzufolge wendet diese Abhandlung den
Begriff des Mythus auf den gansen Umfang der Lebens«
geschiente Jesu an , weist in allen Theilen derselben my-
thische Ersählungen oder wenigstens Ausschmückungen
nach, und stellt nicht blofs die Wunderersählungen aas
der Kindheit Jesu , sondern auch die aus seinem öffentli-
chen Leben , und nicht blofs die an ihm vorgegangenen,
sondern auch die von ihm verrichteten Wunder unter die
Kategorie des Mythischen.
Die ausgedehnteste Anwendung des Begriffs von phi-
losophischem oder dogmatischem Mythus auf das Leben
Jesu war sohon 1799 in der anonymen Schrift über Offen-
barung und Mythologie gemacht worden. Das ganse Le-
ben Christi, heilst es hier, was er im Allgemeinen thon
sollte und wollte, war lange vorher in der Idee und An«*
sohauung der Juden abgezeichnet. Jesus als Individuuni
war nicht so da, lebte nicht wirklich so, wie er nach den
Erwartungen jenes Volkes gelebt haben sollte. Nicht ein-
mal das, worin alle Annalen, die seine Thaten berichten»
Übereinstimmen, ist durchaus wirkliche Thatsache» Aus
verschiedenen Volksbeiträgen bildete sich eine Volksstimme
von seinem Leben, und nach dieser erst sind die Evange-
lien gemacht '). Freilich bemerkte dagegen ein Recensent,
7) t. t. O. S. 243 f.
8) S. 103 f.
Binlettttvg. f. 11. 61
Verfasser scheine doch weniger Historisches ejRumtoh*
■es, als den Erzählungen wirklich mm Grande liege;
er hätte besser gethan , sieh durch nüchterne Kritik des
Kaselnen, ab dnrch einen allgemeinen Skepticismus, leiten
sa lasaen 9).
In der That begegnen wir hier einem ähnliche« De>
Wrmaise in der Anwendung des Mythosbegriffs, wie wir
eben bei der Fassung dieses Begriffs mietet ein solches fanden«
Wie es dort an viel war, in den Mythen des N. T. durch«
ans aerf jede geschichtliche Grundlage au Vorsichten: so
wird hier an weit gegangen, wenn awischen der Kind*
beüsgeschichte Jesu und der seines öffentlichen Lebens
jeder Unterschied in Beaug anf die Denkbarkeit von My«
tbem in denselben geliugnet wird. Siebt man auf die ttnst
eere Möglichkeit, so haben swar diejenigen , weiche die
Entstehung dar Evangelien so nahe als möglich anm Tode
Jesu hinaufrfickeiL, und die Verfasser derselben in mögt
liehst unmittelbare Berührung mit den Hauptpersonen die*
ter Geschichte, auch mit der Familie Jesu, setsen — diese
swar haben an einer solchen Unterscheidung, streng ge-
nommen, kein Recht. Man sehe nur, wie Thomtck. sich
verwirrt, indem er ausfährt, von den Havptaengen der
Kindheit Jesu sei, als Lukas mit Paulus in Jerusalem und
Cftsarea sieh aufgehalten und sein Evangelium geschrieben
habe > Joseph aller Wahrscheinlichkeit nach längst todi
gewesen, und mildsten wir dasselbe auch von Maria an«
nehmen, setat er hinzu, so blieben nur mittelbare Quellen
übrig ,0). Nun hat aber derselbe Verfasser weiter oben
rielmehr wahrscheinlich au machen gesucht, daft Maria
damals noch am Leben , und für Lukas — noch ' mehr
ohnehin ffir Matthäus — au sprechen gewesen "> 9 mitbin
9) In Gabler' s neuestem theolog. Journal, Bd. 6. 4tea Stück«
S. 550.
10) Tholuck, S. 208 f.
11) Ebendas. S. 1521
64 Einleitung. J. IS.
feestrettung der mythischen Ansicht von der evangelischen ib '
Geschichte. :$ir !
Durch den im Bisherigen dargelegten mythischen '
Gesichtspunkt für die biblische Geschichte hatte man sich lm '
der alten allegorischen Auslegung wieder genähert Denn **
während die natürliche Erklfirungsweise der Rationalisten **
sammt der schmähenden der Naturalisten der Richtung *toi
angehört, welche mit Aufopferung des göttlichen Gehaltes ■■'
der heiligen Geschichte die leere historische Form dersel- ■^
ben festhält: so geht die mythische wie die allegorische *■!
darauf aus, lieber umgekehrt mit Aufopferung der histo- p'i
rischen Wirklichkeit des Erzählten eine absolute Wahr- *l
heit festzuhalten. Mach der den beiden letzteren Erkiä- **
rungsarten (wie auch der moralischen) zum Grunde lie- tu
genden Ansicht gibt der Geschichtschreiber «war etwas *
scheinbar Geschichtliches: aber ihm bewufst oder anbe- Wi
wufst *) hat ein höherer Geist dieses Historische als blofse *j
Hülle eines Ideellen, einer religiösen Vorstellung, suberei- ^i
tet, und nur der wesentliche Unterschied findet zwischen
den euletzt angeführten Erklärungsweisen statt, dafs nach
der allegorischen dieser höhere Geist unmittelbar der gött-
liche selbst, nach der mythischen der Geist eines Volks
oder einer Gemeinde (nach der moralischen in der Regel -i
der des auslegenden Subjectes) ist, und somit die Erzfih- i
ii
1) Nach Philo hat Moses seihst den tieferen Sinn seiner Schrif-
ten beabsichtigt, s. GfäÖrer, 1, S. 94.; auch nach Ori&znks
Comm. in Joann. Tom. 6, §. 2. Tom. 10, f. 4. , hat der Pro- ii
phet und Evangelist ein gewisses Bewusttsein des "tieferen ,,
Sinns seiner Worte und Erzählungen : der mythischen An-
sicht zufolge wird sich der Berichterstatter der in seiner Er-
zählung verkörperten Idee nicht rein als solcher, sondern
nur in der Form jener Erzählung bewusst. Das Nähere
hierüber unten, §. 14.
Einleitung. 5. 12. ftft
long nach dar enteren Ansieht an« übernatürlicher Ringe-
bang »ich herschreibt , nach der andern auf dem natürli-
Wege der Sagenbildung eich entwickelt hat; womit
diefs uusammenhängt, dafs die allegorische Auslegung
(und die moralische) mit der ungebundensten Willkür je-
den Gedanken , den sie för gotteswürdig (moralisch) hält,
esr Geschichte als Inhalt unterschieben kann: wogegen die
nyddsche durch die Rücksicht auf die Angemessenheit an
im Geint and die Vorstellungsweise eines Volks und einer
2att in Aufsuchung der den Erzählungen cum Grunde lie-
genden Ideen gebunden ist.
Gegen diese neue Ansicht von der heiligen Geschichte
sprachen sich übrigens beide Parteien, Orthodoxe, wie
Rationalisten, ans. Gleich Anfangs, so lange die mythische
Asffusang noch innerhalb der Grinsen der A. T.Üehen
Urgeschichte stand, hat sich von ersterer Seite nament-
lich Hess gegen dieselbe geäufsert *)• So unglaublich man
es linden mag, so läuft doch der ganne Inhalt seiner mein*
lieh umfangreichen Abhandlung auf die drei Schlüsse hin-
aus , welche jede weitere Bemerkung überflüssig machen ,
anfaer der, dafs Hess keineswegs der letste Orthodoxe
war, welcher die mythische Brklärungsart durch solche
Waffen bekämpfen nu können meinte. 1) Mythen sind
uneigentlich nu verstehen; nun wollen aber die biblischen
Geschicbtschreiber eigentlich verstanden sein: folglich er-
nihlen sie keine Mythen« 2) Mythologie ist etwas Heid-
nisches ; die Bibel ist ein christliches Buch : also enthalt
sie keine Mythologie. Der dritte Schlufs ist verwickelter,
und, wie sich unten Beigen wird, auch mehrsagend: Wenn
Usus in den ältesten biblischen Büchern, die weniger bi-
stariseh verbürgt sind, Wunderbares vorkäme, in den
2) Gränzbestimmong dessen, was in der Bibel Mythus u. s. f.,
und was wirkliche Geschichte ist. In seiner Bibliothek der
heiligen Geschichte, 2. Bd. S. 155 ff.
Das Leben Jesu tfe Au ff. L Band- 5
-ü~
66 Einleitung. 9. 1*.
späteren aber nickt mehr, so könnte man das Wunde»*
bare fittr ein Kennzeichen des Mythischen halten; nun aber
kommt daa Wunderbare in den späteren, unleugbar histo-
rischen Büchern noch ebenso vor, wie in den frohsten:
folglich kann es nicht als ein Kriterium des Mythischen
gelten« Selbst die scheelste natürliche Erklärung, wenn
sie nur qoch etwas von Geschichte stehen liefe , mochte sie
euch jeden höheren Inhalt derselben vernichten * war die-
sen Orthodoxen noch lieber, als die mythische Auslegung.
Das Schlechteste von natürlicher Deutung ist doch gewifs
jene EiCHHORN'sche Ansicht von dem Baume der Erkennt-
nifs als einem Giftbaume, indem hier die Erzählung vom
Sundenfall in dem Stande der tiefsten Erniedrigung und
Entäufserung von ihrem absoluten Gehalte erscheint ; wo-
gegen desselben Gelehrten spätere mythische Erklärung der
Erzählung einen immerhin würdigen Gedankeninhalt in
derselben findet *)• Dennoch erklärte sich Hess mit der
ersteren Deutung weit mehr zufrieden, und nahm sie ge-
gen die spätere, mythische, in Schurz*): — so gewifs ist
es, daüa einem solchen Supranaturaliemus nach der Weiss
der Kinder die farbige historische Hülse, auch ausgeleiert
von jedem göttlichen Gehalte , doch immer noch weit lie-
ber ist, als der reichste Inhalt, welchem man jenen bun-
ten Rock ausgezogen«
Später war e« namentlich dz W&ttz's kühne Durch*
führung des mythischen Standpunkts durch die mosaischen'
Bücher, sein entschiedenes Siehlossagen von der Halbheit
der sogenannten historisch -mythischen, in der That aber
natürlichen, Auffassung, sein strenges Verzichtleisten auf
jeden sichern geschichtlichen Rest in diesen Erzählungen-*
was vielfachen Widerspruch hervorrief 6> Während die
5) s. e. §. 6.
4) Bibl. d. h. G. 2, S. 251 f.
5) Namentlich in den Schriften : Mificii, Apologie der geschieht-
Einleitung. $. lt. K7
9
Buna, wie Snumu, die mythiach* Auffassong biblischer
Erzählungen überhaupt verwarfen, und auf Fetthaltung der
strenggeechiehtlichen , und zwar im aupranaturalistischen
Sinne, drangen •): wollten Andere, wie Meter, ven DK
Wim nor wenigstens wieder bis au Vater eingelenkt
tisn, dar doch noch den Versuch offen gelassen habe,
sanier mythischen Einkleidung eineeine, wenn gleich nur
vaenuheinliehe, historische Data eu gewionen. Wenn dae
Saniarbare, Irrationale mancher Geschichten , auf deren
Mtehtang wohl Niemand verfallen sein würde; die Un-
gKenanaTeigheit and LflckeohafMgfceit der Enfihlung und
•ädere Gründe, eine geschichtliche Grundlage des Penta-
tenehs nieht verkennen lassen : so müssen aueb bescheidene
und behutsame Versuche erlaubt sein , diese Grundlage für
den emselnen Fall wenigstens annähernd auscumitteln.
Für dem Rückfalle in die Ungereimtheit natärlioher ErklfcV
rar werdm hiebei, wie Meyer hofft, den historischen My-
thiknr folgende Vorsichtsmafsregeln bewahren; die aber
vielmehr anfs Heue zeigen, wie schwer dieser Rückfall au
vermeiden ist. 1) Man sondere ab, wasN sich als Charakter
mythischer Darstellung im Gegensätze von historischer zum
Vornan neigt: das Außerordentliche, Wunderbare, die
nunitteioare göttliche Einwirkung, auch die religiöse Te*
lesiogie des Emaille». 2) Man gehe vom Einfacheren cum
Verwinkelteren fort : man lege einen Fall «um Grunde, wo
liehen Auffassung der historischen Bücher des AT., beson-
der« des Pentateachs, im Gegensatz gegen die Mos mythische
Deutung des letztem; Fsitzschs, Prüfung der Gründe, mit
welchen neuerlich die Aechtheit der Bücher Mosis bestritten
«erden ist; Ksels, vorurtheilsfreie Würdigung der mosai-
schem Schriften ; vergl. die Recensionen von Stzudbl, in Bau«
«CL'fl Archiv, *, i, S. 113 ff. 228 ff. 244 ff.
6) Mit Gründen und Auskünften, von weichen ich in ^neinen
Streitschriften, 1, I, S. 4 f. 30 f. 70. 77. 83-87., auch 102 —
114., Frohen gegeben Bähe»
09 Einleitung, f. 11.
dieselbe Thatsaehe doppelt erzählt, und «wer in dem ei-
nen Berichte wunderhaft, im andern natürlich dargestellt
ist; wie die Auswahl der Aeltesten dnrch Moses 4. Mos.
11, 16 f. als Eingebung Jehova's, 2. Mos. 18, 14 ff. als
Rath des Jethro gegeben wird. Nach diesem Maßstäbe
ziehe man sofort von den bekannten Entschlüssen des
Noah, Abraham, Moses u. A. , gleichfalls die göttliche
Anregung ab (ein Verfahren, welches der oben angeführte
Tadel de Wette's in vollem Mafse 'trifft). 3) Die Bona
Grunde liegende Thatsaehe werde möglichst einfach uad
allgemein, ohne Bestimmung der Nebenumstände, gefafst
(auch das ist sehen zu viel, wo gar keine Thatsaehe sum
Grunde liegt). Z, B. die Erzählung von der Sflndfluth re-
ducire man so: „Bei einer grofsen Ueberschwemmung io
Vorderasien kamen viele, der Sage nach böse (hiebei schon
die Teleologie nicht abgezogen), Menschen um; Noah, der
Vater Sem'*, ein gottseliger Mann (wie oben!) rettete sieh
schwimmend". Die • näheren Umstände dieser Rettang
aber, die Beschaffenheit des etwaigen Fahrzeugs u. s. f.
unterlasse man au bestimmen, um nicht in WillkärÜcb-
keiten au verfallen« Ebenso in Bezug auf die Gebart
Isaak's begnüge man sich, zu sagen: »Der Wunsch und
die Hoffnung des begüterten und religiösen Emir's, Abra-
ham, von seiner Ehefrau, Sara, noch einen 'Leibeserben
zu sehen , ging ungewöhnlich und för Andere unerwaxv
tet spät in Erfüllung" (wogegen wiederum de WETTn'a
Einwendungen vollkommen gelten).
In ähnlicher Weise, nur noch ausschließender, er-
klärte sich auch Eichhorn in seiner Einleitung in das A. T.
gegen den Standpunkt von de Wette. So unangenehm
es nämlich den Orthodoxen war, durch die aufkommende
mythische Erklärungsweise in ihrem historischen Glauben
gestört zu werden: so waren doch die Rationalisten nicht
minder ungehalten, dafs das verschlungene Gewebe ihres
Pragmatismus durch dieselbe zerrissen, und die Kunst-
Einleitung. §. 12. 69
süsse ihrer natürlichen Auslegung nun mit Einemmale
fiv verlorene Mähe erklärt werden tollten. Nor nngern
lint Dr. Paulus die Ahnung an sich kommen, data mau
»Besag auf seinen Commentar vielleicht ausrufen werde:
Wese alle die Mühe, dergleichen Legenden historisch su
erklären? wie sonderbar, dals man Mythen wie Geschichte
bekaadetii, wunderbare Dichtungen nach dem Causaige«
um eich begreiflich machen will 7) ! Der (lullerei sei-
sa? natürlichen Erklärungen gegenflber erscheint dem
genannten Theologen die mythische Auffassungsweise nur
»Js eine Geistesträgheit, welche mit der evangelischen Ge-
schichte auf dem leichtesten Wege fertig su werden wün-
sche, delshalb alles Wondersame und Schwerverständliche
durch das dunkle Wort: Mythus, auf die Seite schiebe ,
and, um sich der Mfihe der Sonderung des Wunderbaren
rem Natürlichen, des Factums vom Urtheil, su überhe-
ben, die ganze Erzählung in die camera obscura alter
heiliger Sage atirücksteüe »).
Mit noch stärkerer Mifsbilligung hatte sich Grsiliko
gegen Kaue's Empfehlung der genetischen , d, h. mythi-
schen, Wundererklärung ausgesprochen; aber es war ihm
begegnet, fast mit jedem Streiche, den er auf diese fthren
wollte, vielmehr seine eigene, natürliche Auslegungsweise
so treffen. Unter allen Versuchen, meinte er, dunkle
Stellen des N. T. aufsuklären, könne schwerlich einer
4er iehthistorischen Auslegung , der Ausmittelung der ei-
gentfieheii Thatsacben und ihrer verständigen Absicht,
aaehtheiliger sein ( d. h. dem FOrwits natürlicher Erklä-
rer mehr Abbruch thun), als der Versuch, mit Hülfe einer
dichtenden Phantasie (so verhält sich die des natürlichen
JSrhmre», wenn er Nebenumstände einschiebt, von wel-
7) Exegetisches Handbuch, 1, *, S. 1. 71.
D i. i. O. S. 4. Vergl. gegen diesen Torwurf mtlae Streit-
Schriften, I, 1> S. 70 f.
L* ♦
\^
7« Einleitung. §. 1%
eben in Text keine Spar ist; der mythische Erklärer ver-
hält sich nicht dichtend, sondern nar Dichtung erkennend
nnd aufdeckend) der Geschichtserzählung aufzuhelfen.
Eine solche unnöthige, willkürliche Dichtung der Phantsw
sie ist nach Grkiling die genetische oder formelle Erklfi-
rungsart der Wunder (setzt man noch einen grübelnden
Verstand dazu , so ist genau die natürliche Erklärung ge-
schildert). Viele Thatsachen, die sioh als solche wohl
noch retten lassen, heilst es weiter, werden dadurch ent-
weder in das Fabelland gespielt, oder an deren Stelle
selbsterfundene Dichtungen gesetzt (mit Unterschiebung
solcher Dichtungen gibt sich nur etwa die historisch - my-
thische Erklärungsweise ab, aber auch sie nicht als solche,
sondern sofern sie mit der natürlichen sich vermischt).
Namentlich eine Erklärung der Wunder, meint Greilino,
dürfe das Factum selbst nicht verändern, und durch die
Auflegung taschenspielerisoh ein anderes unterschieben
(was nur die natürliche Erklärung thut) : sonst würde ja
das dem Verstand anstöfsige Object nicht erklärt, sondern
das vorausgesetzte Factum geläugnet ; womit die Aufgabe
nicht gelöst wäre (es ist falsch, zu behaupten, dafs ein
Factum nur Erklärung vorliege; was unmittelbar vorliegt,
ist nur ein Bericht, von welchem erst ausgemacht werden
mufs, ob ihm ein Factum zum Grunde liegt, oder nicht).
Statt dessen müssen nach dem angeführten Gelehrten na*
mentlioh die von Jesu verrichteten Wunder natürlich, n&V
her psychologisch, erklärt werden; wobei man dann
wenigsten Ursache habe, die erzählten Thatsachen zu
ändern* zu beschneiden, «dt Dichtungen so lange zu v<
setzen , bis sie selbst zur Dichtung werden ( mit welchem
Rechte diefs der natürlichen Erklärungsweise nachge-
rühmt wird, geht sqhon aus dem Bisherigen hervor) 9).
. Ein eigenes Werk über die Unzuläfsigkeit der
V) GnmiK* ia Hknhb's Museum, 1, 4, S. 621 ff.
Einleitung, f. 13. 71
mythischen Auffassung des Historischen im N. T. bat
neucstens Hstdbnriich geschrieben» Er geht theUs die
tafrerem Zeugnisse ober den Ursprung 4er Evangelien
durch 9 nnd findet mit ihrer hiedareh belegten Ab-
halft von Aposteln «od Apostelsehttlem die Annehme my«
ihMeher Kiessente in denselben an verträglich; theils anter»
•seht er die Beschaffenheit ihrer Darstellungen, nnd findet
diese dar Form nach so sehlieht nnd einfach , and doch
•o tnefthrlieh nnd genau, wie man es nar von Augensea«
gen oder solchen, die diesen nahe standen, erwarten kön-
ne; dem Inhalt nach aber aneh diejenigen Ersählangen,
welche einen wanderhaften Charakter haben, so gottes«
wtrdig, dafs nur Wonderscheoe veranlassen könne, an
ihrer historischen Wahrheit so sweifeln. Ob nämlich
gleich Gott Ar gewöhnlich aar mittelbar auf die Welt
einwirke 9 so werde doch, meint Heydknreich, hiednrch
nicht aasgeschlossen, dafs er nicht bisweilen ausnahms-
weise aneh anmittelbar auf dieselbe sollte wirken können,
sobald er es aar Erreichung eines besondern Zweckes nö-
rhig finde, and es wird sofort an den einseinen göttlichen
Eigenschaften der Reihe nach gezeigt, wie ihnen ein sol-
che* Einwirken nicht widerspreche, und an den einseinen
Wundergesehichcen, wie bei ihnen gerade ein göttliches
Kingreifen jedesmal gann besonders schicklich gewesen sei.
Doch diese nnd Ähnliche Einwendungen gegen die
mythische Auffassung evangelischer Ersihlnngen , wie sie
samenttteh in den neueren Evangoliencommentaren, und
jetst in den «ahlreichen Schriften gegen meine Bearbei-
tung des Lebens Jesu , vorliegen , werden im Folgenden
von selbst ihre Stelle nnd ihre Erledigung finden.
§. 13.
Möglichkeit von Mythen im N. T. nach äusseren Gründen.
Die Behauptung, dafs in den biblischen Büchern My-
taea sich finden , Hüft freÜioh dem Bewnfstsein des gtiu-
71
Einleitung. §. 13.
bigen Christen geradezu entgegen. Dieser , sofern sein
Blick auf die christliche Gemeinschaft eingeschränkt ist,
in welcher er lebt, weife gar nicht anders, als dafr, was
deren heilige Bücher ihm erzählen, buchstäblich ao ge-
schehen sei ; es kommt ihm kein Zweifel , stört ihn keine
Reflexion. Ist sein Horizont bis dahin erweitert, daüs er
seine Religion neben andern erblickt, und sie mit diesen
▼ergleicht, so gestaltet sich sein Urtheil dahin fort: was
die Heiden von ihren Göttern, die Muhammedaner von ih-
rem Propheten erzählen, sei freilich erdichtet; was dage-
gen die biblischen Bücher von den Thaten Gottes, Christi
und der übrigen Gottesmänner, das sei wahr. Diefs ist
der zur allgemeinen Vorstellung auch in der Theologie
gewordene Satz, das Christenthum unterscheide sich von
den heidnischen Religionen dadurch, dafs es nicht, wie
diese , eine mythische , sondern eine historische Reli-
gion sei«
So jedoch , ohne nähere Bestimmung und Begrün-
dung, ist dieser Satz blofses Erzeugnifs der Befangenheit
des Individuums in der ihm anerzogenen Glaubensform,
der Unfähigkeit, sich zu dieser in ein anderes als affirma-
tives, zu den übrigen in ein anderes als negatives Verhält-
nifs zu setzen; .ein Vorurtheil ohne allen wissenschaftli-
chen Werth, das sich bei der ersten Erweiterung des ge-
schichtlichen Blickes von selbst auflöst. Denn versetzen
wir uns nun in eine andere Religionsgemeinschaft: ao
meint der gläubige Muhammedaner, nur in seinem Koran
Wahres anzutreffen , in unserer Bibel aber grofsentheila
Fabelhaftes; der heutige Jude sieht nur im A. T. eine
wirkliche, göttliche, Geschichte, im N. T. aber nicht, und
eine ähnliche Bewandtnifs hat es mit den Bekennern der
meisten heidnischen Religionen vor der Periode des Syn-
kretismus gehabt Wer soll nun Recht haben ? Alle zu-
sammen unmöglich, da ihre Behauptungen einander aus-
•chliefsen. Aber welcher Einzelne! Jeder behauptet es
Einleitung. $. 13. TS
tw sieh ; dl« Ansprache sind gleich : wm toll nun ent*
«beiden? Der Ursprung der einseiften Religionen? Jede
stbreibt sieh einen göttlichen su : nicht nur die christliche
will ron Sohne Gottes, and die jüdische von Gott durch
Metes; sondern such die mohammedanische von einem
Propheten ans unmittelbarer göttlicher Offenbarung gestif-
tet sein , und ebenso führten die Griechen ihre Colte auf
alt SinsetEong durch Götter zurück.
„Aber dieser göttBche Ursprung ist bei keiner so ur*
ländlich belegt als bei der hebräischen und christlichen
Religion; während die Mythenkreise bei Griechen und
Romern aus Sammlungen unverbürgter Sagen bestehen:
ist die biblische Geschichte von Augenseugen , oder doch
von solchen geschrieben , weiche einerseits durch ihr Ver-
hältnüs *u Augenseugen in den Stand gesetzt waren, die
Wahrheit zu berichten, und deren offenkundige Recht-
sebanenheit andrerseits an dem Vorhandensein des guten
Willens hiesu nicht zweifeln läfst" ~ Allerdings würde
es ffir die Glaubwürdigkeit der biblischen Geschichte von
entscheidendem Gewichte sein , wenn es bewiesen wäre,
daCs sie von Augenseugen , oder doch nahen Zeitgenossen
der Begebenheiten , beschrieben ist; denn, obwohl auch
bei Augenseugen Irrthümer und also falsche Berichte sieh
einschleichen können: so hat doch die Möglichkeit ab»
• sichtslosen Irrthums ( der absichtliche Betrug macht sich
ohnehin leicht bemerklich) hier ungleich engere Grannen,
sb wo der Erzähler durch einen längeren Zeitraum von
den Begebenheiten getrennt ist, und seine Nachrichten aus
dem Munde Anderer schöpfen mufs.
Doch diese angebliche Augenseugensehaft oder Zeit-
nähe der biblischen Schriftsteller in Bezug auf die von
ihnen erzählten Begebenheiten ist vorerst gleichfalls nur
Vorurtheil, das seine nächste Veranlassung in den Ueber-
schriften hat, welche die biblischen Bücher in unserem
Kanon führen. Da ist jenen Büchern , welche den Ans*
74 Einleitung. J. 13.
Mag der Israeliten aus Aegypten und ihre Wundern ng
durch die Wüste beschreiben, der Name des Moses vorge-
«etat, welcher hiebei ihr Führer war, also freilieh, wenn
er nicht absichtlich lügen wollte, eine wahre Gescniehte
dieser Begebenheiten liefern mufste, und wenn sein Ver-
hältaifs am? Gottheit, wie es in diesen Büchern beschrie-
ben wird, historisch ist, wohl auch vermöge desselben die
frühere Geschichte glaubhaft wiederzugeben im Stande
war« - Ebenso bei den Berichten über das Leben und die
Scbiokaale Jesu lauten swei Ueberschriften auf Matthäus
tnd Johannes, *wei Männer, welche die öffentliche Wirk-
samkeit Jesu, deren Augenzeugen sie nähern vom Anfange
bis zum Ende gewesen waren, aufs Glaubwürdigste be*
schreiben , und theils vermöge ihres vertrauten Umgangs
mit Jesu und dessen Mutter, theils vermöge des höheren,
belehrenden und erinnernden Beistandes, welchen, dem
Einen von ihnen sufolge, Jesus seinen Jüngern verhelften
haben soll, auch über die Begebenheiten seiner Jugend,
vea welchen dec. Andere einige berichtet, Kunde erhalten
konnten, • \
Allein wie wenig auf die Ueberschriften au gehen ist,
welche alte, namentlich heilige, Schriften auf der Stirne
tragen, ist theils an sich leicht einzusehen, theils in Be-
sag auf die biblischen Bücher längst erwiesen. In den
angeblichen Büchern Mosis ist auch dessen Tod und Be-
gräbnils gemeldet: wer glaubt heut au Tage noch, dafs
diefs Moses selbst auf prophetische Weise im Voraus ge-
sehrieben habe? Unter den Psalmen tragen manche den
Namen Davids, welche das Unglück des Exils vorausse-
tzen, und Daniel, einem Juden des babylonischen Exils,
werden Weissagungen in den Mund gelegt, die nicht vor
Antiochds Eptpbanes geschrieben sein können. Es ist ein
inumstö&liclier Säte der Kritik , dal* die Ueberschriften
der biblischen Büoher an sich vorerst nichts, als bald das
Vorgebe* das Verfassers, bald aber auch nur die Meinung
Einleitung. $.13. t5
des jüdischen oder christlichen Alterthums, über den Ür*
sprang derselben enthalten-: Punkte, von welchen der erste
nichts beweisen kann; bei dem «weiten aber Alles anf fol-
gende Stücke ankommt: 1) wie alt diese Meinung sei,
und von was Ar Gewährsmännern sie aasgehet und 2)
wiefern die Beschaffenheit der in Frage stehenden ' Schiff»
ten mit derselben Abereinstimme? jenes die sogenannten
anfroren, dieses die inneren Gründe f&r die Aechtheit de*
biblischen Bücher. In Beeng auf die Evangelien nun,
mit welchen wir es hier allein su thnn haben, hat die
ganse folgende Arbeit keinen andern Zweck, als im Ein-
zelnen die Glaubwürdigkeit ihrer Ernählungen, und damit
auch die Wahrscheinlichkeit oder Onwahrscheinltehkeif
ihres Ursprungs von Augenzeugen, oder überhaupt genau*
Unterrichteten, aus inneren Gründen su untersuchen; die
leiseren Zeugnisse hingegen mögen hier in der Einleitung,
doch nur insoweit, geprüft werden, als ndthig ist, um
einsusehen , ob sie Ar sieh ein bestimmtes Ergebnils lie-
fern, welches mit dem der inneren Gründe möglicherweise
in Streit gerathen kdnnte ; oder ob sie, für sich ünnuläng-
lieh, die Entscheidung der Untersuchung nach inneren
Gründen ÜbeeJassen.
Am Ende des nweiten Jahrhunderts n. CiL waren,
wie wir aus den Schriften der drei Kirehenlehrer, lf enäus,
Riemens voa Alexandrian und Teitullian ersehen , unsere
vier Evangelien als Schriften von Aposteln und Apostel-
schalem in der rechtgläubigen Kirche anerkannt, und aus
der Mehrsahl anderer ahnlichen Prodncte als die ächten
Nachrichten über Jesum ausgeschieden. Das erste nach
der Ordnung unseres Kanon sollte von Matthäus, der in
sämmtlicben Katalogen als einer der awölf Apostel tor-
kommt ; das vierte von Johannes, dem Lieblingsjünger des
Herrn ; das «weite von Markus, dem Dolmetscher de» Pe-
trus ; das dritte von Lukas , dem Begleiter des PanJtts,
76 Einleitung. $. 13.
verfaXat sein ')• Doch auch von älteren Schriftstellern
sind uns, theils in deren eigenen Werken, theils in An-
führungen anderer, Zeugnisse hiefflr erhalten.
Auf das erste Evangelium wird gewöhnlieh das Zeug«
nib besogeu, welches wir von Papias, Bischof von Hiera-
polis, haben, der "hocavs (wahrscheinlich des Presbyters)
axH^rjg gewesen, nnd unter Marc Aurel (161 — 180) Mär-
tyrer geworden sein soll *) , dafs der Apostel Matthäus ra
Xoyia (ra xvqic&cc) aufgeschrieben habe *). Auf die Wort-
bedeutung von kr/icx dringend, hat neuestens Schleier-
macher hierunter nur eine Sammlung der Reden Jesu ver-
stehen wollen *} ; allein , wo Papias von Markus spricht,
gebraucht er, wie es scheint, avvta^iv vwv xvquouov loyuav
TZOuZu&ai und ra vtio tCs Xotgs ij kex&ivtct rj nQax&hta ypcr-
ifetv als Wechselbegriffe: woraus hervorgehen wände, dafs
auch jenes eine die Thaten und Schicksale Jesu mitumfas-
sende Schrift bezeichnete *) , und die Kirchenväter Recht
hätten, das Zeugnifs des Papias von einer vollständigen
Evangelienschrift eu verstehen 6). Dieselben beeogen nun
«war dieses Zeugnifs bestimmt auf unser erstes Evange-
lium ; allein auf dieses findet sich in den Worten des apo-
stolischen Vaters nicht nur keine Hinweisung, sondern
unmittelbar identisch mit demselben kann die Apostel-
schrift, von welcher er spricht, sehon defswegen nicht
sein , weil nach der Angabe des Papias Matthäus ißQatdt
duxXixicp sohrieb: und dafs unser griechischer Mat-
1) S. die Stellen bei di Witts, Einleitung in d. N. T. $. 76.
2) S. Gusslsr, K.G. 1, S. 115 f.
3) Euseb. H. E. 3, 39.
4) Ueber Papias Zeugnisse von unsern beiden ersten Evangelien,
in UllmWs Studien, 1832, 4, S- 736 ff. Ihm stimmt Cridri*
bei, Einleitung in das N. T. 1, S. 91.
5) Wie LBckb nachgewiesen hat, Studien, 1833, 2, S. 499 f.
I) S. bei di Warn, a. t. O. %. 97.
Einleitung. $. IS. T7
tbaos eine Ueberfeteong dieser hebW&isenen Urschrift »ei,
wird von den Kirchenvätern bk>» vornusgesetst '). Aus-
sprüche Jesu nun und Erzählungen aber denselben , weK
efae mehr oder minder genan Abschnitten in unserem
Matthias entsprechen , finden wir in den , freilieh nicht
darehaas lebten, Werken der übrigen apostolischen Väter
mehrere angefahrt : aber theils so, dafs sie auch ans münd-
licher Ueberiiefernng geschöpft sein können; theils so,
data die Verfasser, wo sie sich auf schriftliche Quellen
berufen , diese nieht gerade als apostolisch bezeichnen •).
Jnetine des Märtyrers (f 166) Anfahrenden kommen nieht
selten anch mit Stellen unseres Matthias aberein; doch
hat er «ngleieh Elemente, die sieh überhaupt In unsern
Evangelien nicht so finden, und er beseichnet die Schrif-
ten, asm welchen er schöpft, nnr allgemein als anotarjio-
ytupccrc %£& anosoXw, oder evctyyefoa, ohne näher die ein-
seJnen Verfasser namhaft au maehen *). Anch der Be-
atreiter des Christenthums, Celsns (nach 150) , spricht da-
von, dafs die Schüler Jesu dessen Geschichte beschrieben
haben "), und deutet auf unsre jetaigen Evangelien bin,
wenn er von der Abweichung der Nachrichten Ober die
Zahl der Engel bei der Auferstehung Jesu spricht11):
aJbear eine bestimmtere Angabe einselner Verfasser findet
aieb auch bei ihm', so viel wir aus Owgenes entnehmen
können, nicht l2).
7) Hieron. de vir. illnstr. 5.
8) ds Wim, Einl. in die Bibel A. o. N. T., 1. Tbl., (Ein!, in*
<L A. T.) §. 18.
9) »* Wettk a. a. O. §. 19, und Einl. in d. N. T. $. 66f.
10) Bei Origenes, c. Cels. 2, 16.
11) a. a. O. 5, 56.
12) Die Aechtheit des Matthäusevangeliums ist durch die neue-
ren Angriffe von Schul«, Sibiyirt und Schhkckucbuiissii so
sehr erschüttert, und durch die Verteidigungen von Kirn
und Olsmausrk so wenig wieder sicher gestellt worden, dass
7« Einleitung, &. 1&
Von demselben Eipias ,• welcher die Notiz über Mal-
thAns gibt, tot an» ein Zeugatfs darfiber erhalten ,. nod
nvrar an» dem Munde des 7t QeußvteQog Johannes, da£i
Marko*» der nach 1ha eqprpeviijg JUtqh war, aas der
Jjannnerang an dessen LehrvortrÄge die Aeden und Thaten
Jesu, ^nfgeeeiohnet habe **). Daß dieft anf unser zweites
üvangeJium gehe, setzen die Kirehensehriftsteller «war
ebenfalls voraus ; aber nicht nnr sagt davon die Stelle des
fanias nichts, sondern sie pa&t aueh anf dieses Eräuge»
linm gar nicht ")< Denn aus Erinnerungen an die Vor-
trüge des Petrus, also aus einer eigenen, ursprünglichen
Quelle, kann unser aweites Evangelium schon defswegen
nicht geflossen sein, da es nachweislieh aus dem ersten
und dritten, sei es auch nur in der Erinnerung, zusam-
mengeschrieben ist 15). Ebensowenig will auf das in Rede
stehende Evangelium das passen , was Papias weiter sagt ,
dafis Maxkua a ra$u gesehrieben habe. Denn eine fatoche
Troluck in seiner Glaubwürdigkeit der evang. Geschichte, wo
er die Aechtheit aller übrigen Evangelien darzuthun sucht,
doch in Bezug auf den Matthäus diesen Beweis, alt zu weit*
läuft ig, nicht unternehmen .mag (S. 240).
13) Euseb. H. K. 3, 39.
14) Darauf bat Schlbibrmachbr aufmerksam gemacht in der schon,
angeführten Abhandlung, welchem Crbdhbr beistimmt, Einl. 1,
S. 123 f.
15) Diess ist zur Evidenz erhoben durch Gmksback in der Com-
mentatio, qua Mord Evangelium tetum e Matthaei et Lucae
commentariis decerptum esse demonstratur. In dessen opus-
cula acad. ed. Gabler, Vol. 2. No. XXII. Vgl. Sauhiek, über
die Quellen des Evangeliums des Markus, 1825; Thbilb, zur
Biographie Jesu, S. 34 f. Tkolück widerspricht, weil „ein
Apostelschüler (dast der Verf. des zweiten Evangeliums ein
solcher war , diess soll ja vielmehr erst bewiesen werden ! )
von derselben Berechtigung wie Lukas nicht so 'ängstlich aus
der Schrift dieses seines Mitgenossen und der des Matthäus
Excerpte gemacht haben würde" u. s. w. (S. 250).
Einleitung. }• 1% V»
chronologische Anordnung kann er hiemit nicht meinen,
da er dem Markus die strengste Wahrheitsliebe Beschreibt,
welche, verbunden mit dem Bewufstseln , keine Mittel
dann na haben , ihn von Jedem* Versuch , eine Zeltordnung
b« Stande au bringen, abhalten mvfste; völliges Verstell«
ten aber auf chronologischen Zusammenhang, was Paplaa
allein Ihm kann Beschreiben wollen, findet sieh im zwei*
tan Evangelium gans und gar nicht. — Was kann es bei
so bewandten Dntstlnden beweisen, wenn in ähnlicher
Art, wie an das erste, auch an unser b weites Evange-
lium Anklinge bei den ältesten Kirehenschriftstellern sich
finden ?
Dafs Lukas, des Paulus Gefthrte, ein Evangelium
geschrieben, dafür fehlt ein Beleg von dem Alter und
Gewichte des Paplanisehen Zeugnisses für Matth&ns und *
Markus. Ein Zeugnifs eigentümlicher Art aber, Bwar
auch nicht gerade dafür, von Lukas, aber doch von einem
Beitweisen Begleiter des Apostels Paulus herzurühren, hat
das dritte Evangelium in der Apostelgeschichte, welche laut
des Proentiums beider Schriften, womit die übrige Eigentüm-
lichkeit derselben nicht im Widerspruche steht, von demael«
ben Verfasser oder Sammler, wie das Evangelium , her-
rührt In der Apostelgeschichte nämlich fafst in einigen
Abschnitten der «weiten Hfilfte (16, 10 — 17, 20, 5 — 15.
21, 1 — 17. 27, 1 — 28, 16.) der Verfasser den Apostel
Paulas und sich selbst in der ersten Person des Plural
(.i±rp;rjOafA& — nQogHhXrjTai rfftas u. s. f.) zusammen , wo-
durch er sich mithin als dessen Begleiter snv erkennen
gibt Freilich ist hiemit der bald schwankende, bald
wunderhafte, oder gar ächten panlinischen Briefen wider*
sprechende Inhalt mancher anderweitigen Berichte des
Buchs über den Apostel so schwer au vereinigen, apch
bleibt es so auffallend , warum der Verfasser sieh weder
im Eingänge der A. G. noch in dem des Evangeliums auf
dieses Verhültnifs zu einem der angesehensten Apostel be-
80 Einleitung* §. 13.
ruft, de& schon die Vermuthuog aufgestellt worden ist,
es mögen vielleicht jene Stellen, wo der Ersähler von sieh
als Theilnehmer an den Begebenheiten spricht, einer frem-
den, von ihm nnr eingeschalteten, Denkschrift angehö-
ren 16> Doch auch d|ase Auskunft bei Seite gelassen , so
könnte ja der Begleiter des Paulus seine beiden Schriften
möglicherweise zu einer Zeit und in Verhältnissen verfaüst
haben, wo ihn kein. apostolischer EinfLub mehr gegen die
Zuflösse der Tradition sicherte, deren Erzählungen darum,
weil er sie froher von Paulus nicht gehört hatte, zu ver-
werfen, er sich, waren sie nur erbaulich und auf seinem,
die Wunder keineswegs scheuenden, Standpunkte glaub*
lieh, unmöglich bewogen finden konnte. Nun aber meint
man, da die Apostelgeschichte mit der zweijährigen römi-
schen Gefangenschaft Pauli abbricht, so müsse diese zweite
Arbeit des Apostelschftlers eben während jener Zeit, 63 — 65
n. Ch. , vor der Entscheidung der Sache des Apostels, und
könne somit die erste, das Evangelium, gleichfalls nicht
später geschrieben sein. 17> Allein jenes Abbrechen der
Apostelgeschichte kann noch manche andere Gründe ha-
16) ds Warn, a. a. O., §. 114.
17) db Witts, §. 116. Tholuck weiss sogar, dass Lukas sein
Evangelium in Jerusalem oder Cä'sarea während der Haft de»
Paulus geschrieben habe ; Beweis : weil er dort am meisten
Zeit und die beste Gelegenheit hatte. Demselben Theologen
ist es wahrscheinlich , dass Lukas während jenes Aufenthalts
noch mit der Mutter Jesu zusanunengewesen ; denn altershal-
her konnte diese noch leben , und wahrscheinlich lebte sie
wirklich noch, da Johannes Jerusalem schwerlich verlassen
haben wird , so lange die ihm Anbefohlene noch übrig war :
damals aber war Johannes noch in Jerusalem. S. 141 (F.. (Als
ob er nicht auch nach ihrem Tode noch in Jerusalem geblie-
ben sein könnte!) % Ueber diese Beweisart vergl. man die
Reo. des TaoLucx'sshen Buchs von Schulz, im Literaturblatt
aar allg. KZtg. 1837, No. 69. S. 549.
Einleitung, f, IS» Sl
*•), und reicht ffir «Ich allein fa keinem Falle bin,
Iber den historischen Werth des Evangeliums nu ent*
Heber Johanne« möchte atan ein ähnliches Zeegnifs,
wie das dee Pepiae iber Matthias ist, von Puijkarsma
wfineehen, welcher (t 167) den genannten Apostel noch
gesehen nnd gehört hat 20> Zwar dafe wir nnn in dem
Einen, kurzen Briefe, den wir noch von ihm haben, ein
■eichen nicht finden, kann nichts dagegen bevueisen; so
wenig als die mehr oder' minder deutlichen Anklftege an
die jobanneisehen Briefe bei mehreren apostolischen Vi*
**) daftlr; wohl aber arafs es Wunder nehmen, da(s
Folykarpus Sebftler, Irenius, welcher die johanneisohe
Abfassung des Evangeliums bereits wider Gegner ata vor*
theidigen hatte , weder bei dieser Gelegenheit , nooh sonst
irgendwo in seinem weltlffuftigen Werke auf die in dieser
Sache gewichtigste Ancteritlt des apostolischen Mannes
sieh beruft **)• Ungewiis, ob schon von Anfang unter des
Apeataie Johannes Namen , begegnet uns das vierte Evan-
gelium suerst bei den Valentlnianern und Montanisten, um
die Mitte des aweiten Jahrhunderts ; woran sich aber so-
gleich der Widerspruch der sogenannten Aloger knüpft,
weiche das Jobanneische Evangelium verwarfen und dem
Cerrath anschrieben , theils weil die Montanisten aus dem*
salben die Idee ihres Paraklet entlehnten , theils aber auch
weil ee mit den drei übrigen Evangelien nicht nnsammen-
ans! 1 in mein schien ,s). Die erste Anführung einer Stelle
desselben unter dem Namen des Johannes findet sieh bei Theo-
18) bei os Warn, a. «. O. und Cribnbr, $. 66. e. 108.
19) Vgl. Creiuieh, 1, S. 154 ff.
20) Euseb. H. E. 5, 20. 24.
21) bei ob Wbttb, $. 100.
22) ob Witts, a. s. O.
23) ob Warn, a. a. O. und Giltst»* K. G. 1, S. 154.
Bas Leben Jem He Aufl. h Band. 6
M Einleitung. & 13.
pbttus veto Antlachien (ums Jahr 172) "). Wie wenig
auf die aufseien Zeugnisse für das vierte Evangelium die
grofse Zahl derjenigen anter den jetzigen Theologen pochen
kann* welche die uin nichts schlechter beceugte Apoka-
lypse dem Apostel absprechen, darauf hat auch Tholuck
aufmerksam* gemacht 2S). Endlich ist das Zusammensein
aweier. Johannes , des Apostels und des Presbyters , in
Ephesns ein Umstand , der mit den ältesten Zeugnissen
fttr die jobenneisehe Abkunft der Apokalypse einerseits
und des Evangeliums und der Briefe andrerseits noch lange
nicht soharf genug unsammengehalten ist.
So sagen uns die ältesten Zeugnisse bald awar^ dafis
ein Apostel oder apostolischer Mann ein Evangelium ge-
sehrieben, aber nicht, ob es dasjenige war, welches spä-
ter in der Kirche unter seinem Namen in Umlauf kam;
bald, dafs ähnliche Schriften vorhanden waren, aber nicht,
dafs de mit Bestimmtheit einem gewissen Apostel oder Be-
gleiter eines Apostels zugeschrieben wurden: und doch»
mit aller ihrer Unbestimmtheit, reichen diese Nachrichten
nicht Aber den Anfang des zweiten Dritttheils vom «weiten
Jahrhundert hinauf, während die bestimmten Anftahriw*
gen erst nach der Mitte des Jahrhunderts ihren Anfang
nehmen. Die Apostel aber waren aller Wahrscheinlich«
keitsberechnung nach, selbst den Johannes nicht ausge*
nommen, (er soll um's Jahr 100 n. Ch. gestorben sein) **)»
über dessen Alter und Ende fibrigens frühzeitig gefabelt
worden ist 27) , noch im ersten Jahrhundert heimgegangen«
Welcher weite Spielraum, ihnen Schriften beizulegen,
welche sie nicht geschrieben hatten! Die Apostel, Ber-
streut , sterben in der «weiten Hälfte des ersten Jahrhan*
24) Ad Autol. 2.
25) Glaubwürdigkeit, S. 283 ff.
26) b. Giisitiit, S. 110.
27) Dm. tbdt. o. »e Wim, a. a. O. §. 108.
— •»■*
Einleitung* §. 15. 86
Bteb und nach ab; die evangelische Yerkümiigaüg
Weitet «ich im römischen Reiche alimähiig aue und fixirt
■eh mehr und nehr naeh einem bestimmten Typus: da-
her eo mancher mit Stellen unserer jeteigen Evangelien
gleichlautende Spruch, welchen wir bei den ältesten, Ktvr
ebenmebrifbteUera ohne Angabe einer Quelle angefthft fiav
den, ebne Zweifel ans der mündlichen Ueberlieferung get
schupft ist« Bald aber wurde diese Tradition in versebie»
denen Schriften, eo deren einer oder der andern vielleicht
saeh ein Apostel die Grundlinien lieferte , aufgefeilt}
Schriften, welche Anfangs noch keine feste Gestalt, und
daher manche Umgestaltungen an erleiden hatten » wie 4**
Beispiel des Hebräerevangeliums nnd die Anführungen
Justins neigen. Diese Schriften waren zuerst, wie et
seheint, nieht nach den Verfassern, sondern hold, wie
das Hflbrierevangdimn , naeh dem Kreise der Loses he*
nennt, hei welchen jede derselben zuerst im Gebrauche
war, bald vom dem Apostel oder Evangelisten, naeh dessen
mlndeichen Vorträgen oder Gedenkblätsern Einer sofort
eine msammen hängende Evangelienschrift verfafst hatte-**
eine Bedeutung, weiche das xard m. B. in der Ueberaebrift
den ersten Evangeliums ursprünglich gehabt su haben
seheint ™y, Natürlich übrigens ergab sieh sofort die Vor-
auasetenng, dafs die in Umlauf nnd kirchlichen Gehranch
gekommenen Nachrichten aber Jesum unmittelbar von sei«
neu Schülern werden aufgezeichnet worden nein; daher
bei Justin und Celsus die Ableitung der eveogeüseben
8ehriften von den Aposteln überhaupt, und bald auch ein«
scher von einseiften Aposteln und Apottelschüiern», Je
nachdem etwas Mündliches oder Schriftliches von einein;
•sieben Manne einer Evangeliensehrift anm Gtomde lag,
oder vielleicht auch nur, je nachdem ein solcher in einer
Gegend oder bei einer Partei in besonderem Ansehen stand.
28) s. ScjrLSiBMKJLcnER, ». a. O.
6
84 Einleitung, f. 15.
*
Alle drei Arten von Benennungen hat des Hebrfierevange-
Ihnn erfahren, indem es nach seinem Leserkreise evayyiXiov
xa& 'EßQalsg, später hierauf bald evangeliwm juxta duo-
dectm apostolos, bald bestimmt seamdum Maühaeum ge-
nannt wurde **).
Indefs aneh «»gegeben, dafs wir in keinem unserer
Evangelien den unmittelbaren Berieht eines Augenseugen
haben , seheint doeh sehon das undenkbar au sein , dab in
einer Zeit, wo so manehe Augenzeugen noeh lebten, in
Palästina selbst sieh unhistorisehe Sagen Ober Jesum , und
Sammlungen Ton solchen, gebildet haben sollen. Dafa
nun erstlieh eu Lebaeiten der Apostel bereits Sammlungen
Tön Erzählungen aus dem Leben Jesu in allgemeinen Um.
lauf gekommen, und dafs namentlich eines von nnser»
Evangelien einem Apostel bekennt und von ihm anerkannt
werden sei, wird niemals bewiesen werden können. Was
aber das Entstehen einaelner Anekdoten betrifft: so darf
man sieh nur «Be Verstellungen von Palfistina und tob
Augenaeugen näher entwickeln , nm au sehen, dafis sie
die Entstehung von Sagen in so frflher Zeit keineswegs
undenkbar machen. Wer sagt uns denn, daß sie gerade
an denjenigen Orten Palistina's sich gebildet haben mfftv-
sen , wo Jesus sieh am Iftngsten aufgehalten hatte , wo
also seine wahren Schicksale bekannt waren ? Was aber
die Augenaeugen betrifft , so mfifste , sofern die Apostel
darunter verstanden sein seilen, diesen eine wahre Alige-
genwart angeschrieben werden, wenn sie an allen Orten
und Enden, wo unhistorisehe Sagen Ober Jesum aufkeim*
t«?n und fortwucherten , au deren Ausffitung sollten äuge-
gen gewesen sein ; Augensengen im weiteren Sinne da-
gegen, welche Jesum nicht ununterbrochen begleitet, son-
dern ihn nur das eine oder andere Mal gesehen hatten,
mu&tea wohl sehr geneigt sein , die Lficken ihrer Kennt-
29) es Witts, a. a. O.
Einleitung. J. 11 85
«IIb tob «eine« Lebensgang durch mythische Vorstellun-
gen MUsnfUlen *°).
Ueberhanpt aber soll in einer bereits • historischen
Zeit, wie die Periode der ersten römischen Imperatoren
war, die Entstehung einer solchen Mythenmasse undenk-
bar sein. Allein durch den weitsebichtigen Begriff eines
inatorieeheo Zeitalters darf man sich nicht ünponiren las-
ten. Sa wenig allen unter gleichem -Meridiane gelegenen
Orten in der gleichen Jahreszeit die Sonne in demselben
Augenblicke sichtbar wird, sondern denen, die auf einer
Bergspkee oder Hochebene liegen, früher als denen, wel-
che in tieigelegenen Thälern und Schluchten stecken: so
wenig ist auch allen Völkern so gleicher Zeit das histo-
rische Zeitalter angebrochen. In dem hochgebildeten Grie-
chenland) in der Welthauptstadt Rom, konnte man damals
jumf einer Stufe stehen, welche das Volk in Galiläa und
Jodln daran noch nicht auch erreicht haben mufste. Viel-
mehr herrschte aber selbst an den Mittelpunkten der Bil-
dung in jener Zeit , nach einer in den Gesehichtscompen-
dien langst abgedroschenen Phrase, die man jetzt anf ein-
mal ▼ergessen au wollen scheint, neben dem Unglauben
4er Aberglaube, neben dem Zweifel die Schwärmerei ").
Hoch auch das jüdische Volk, sagt man, war damals
längst ein schriftstellerisches geworden; ja die blähende
Periode seiner Literatur war bereits vorbei : es war Jieine
werdende und damit produetive , sondern eine vergehende
Kation. Allein ein rein historisches Bewufstsein ist dem
hebräischen Volke während der ganzen Zelt seines politi-
30) Gegen Müller1! (Studien, 1836, 3, S. 868.) und Tholucx's
(S. 75 f.) Einwendungen vergl. meine Streitschriften, 1, 3,
S. 174, und Georgs, über Mythus u. Sage, S. 125.
51) Vergl. hierüber die Bemerkungen von Bauer, in der Res.
der Schriften über mein L. J. , Jahrbücher für Wissenschaft,
liehe Kritik, 1837, März, No. 43, S. 337 ff.
'N
86 Einleitung» $. 14.
«eben Bestehens eigentlich niemals aufgegangen, da selbst
«eine spätesten Geschichtswerke, wie die Bücher der Mak-
kabfier, nnd sogar die Schriften des Josephns, nicht frei
von wnnderhaften and abenteuerlichen Ersählungen sind.
Es gibt überhaupt kein rein historisches Bewußtsein ohne
die Einsicht in die Dnserreifsbarkeit der Kette endlicher
Ursachen und in die Unmöglichkeit des Wunders; diese
Einsicht aber, welche so Vielen in unsrer Zeit noch fehlt,
war noch weniger «u jener Zeit in Palästina oder Ober-
haupt im römischen Reiche In gröfseren Kreisen Vorhan-
den. * Wird ein solches Bewufstsein, in welchem die Pforte
fttr das Wunderhafte noch nicht verschlossen ist, vollends
In religiöse Begeisterung hineingezogen ; so kann es Alles
glaublich finden, und ergreift diese Begeisterung einen
gröfseren Kreis: so wird selbst in dem ausgelebtestm
Volke neue Productivität erwachen. Eine solche Begeiste-
rung su erregen, waren aber keineswegs die Wunder der
evangelischen Geschichte als vorausgehende Ursache erfor-
derlich : sondern es genügte auf der einen Seite die be-
kannte religiöse Verarmung jener Zeit, welche die Reli-
gionsbedfirftigen selbst an den abenteuerlichsten Cultne-
formen Geschmack linden liefs : auf der andern die kräftige
religiöse Befriedigung, welche der Glaube an die Auferste-
hung des gestorbenen Messias nebst dem wesentlichen In-
halte der Lehre Jesu darboten*
$. 14.
Die Möglichkeit von Mythen im N. T. iucIj inneren Gründen.
Da es sich nach dem Bisherigen mit den fiufteren
Zeugnissen für die Abfassung unsrer Evangelien von Au-
genseugen oder sonst genau Unterrichteten so verhfilt,
dafs sie, weit entfernt, uns eu dieser Annahme su swin-
gen, die Entscheidung gans auf das Ergebnils der innern
Gründe, d. h* der Beschaffenheit der evangelischen Er-
zählungen selbst, ausgesetzt sein lassen: so könnte, inso«
Einleitung, f. 14. 9t
fern eine Prüfung dieser EraihJungen im EbmeJnen der
Zweck gegenwärtiger Arbeit ist , sogleich aus der Einkl-
ang nur eigentlichen Abhandlung gesehritten werden.
lndnssnn mag es dienlich scheinen, dieser speciellen Un-
tenaehung die allgemeine Frage voranansebickeu, wiefern
ea mit dam Charakter der christlichen Religion Aber-
kenn* vereinbar sei, dal* auch in ihr sich Mythen finden,
and vermöge der allgemeinen Beschaffenheit der evangeli*-
eehen Erzählungen zulässig, gerade sie als Mythen nn be-
trachten; obwohl eigentlich, wenn es in der folgenden
Specialfcritik gelingt, die Wirklichkeit von Mythen im
N. T. naehsnweisen, die vorläufige ^kufseigung ihrer Mög-
lichkeit na etwas Ueberflüssigem herabsinkt
Vergleichen wir in dieser Hinsieht die sogenannten
mythischen Religionen des Alterthnma mit der. israeliti-
schen nnd christlichen: so fallen allerdings swisehen den
heiligen Geschichten, wie sie in jenen Religionsformen,
nnd wie sie in diesen sich finden, afenche Unterschiede in
die Augen* Vor Allem wird gewöhnlich herrerjgeheben,
dafa die heilige Geschichte der Bibel sich von den Götter-
sagen der Inder, Griechen, Römer n. s. f. in Besag anf
den sittlichen Charakter und Werth wesentlich unter-
scheide. „Dort, in den Eraählungen von den'Gö&erkäm-
pfen, von den Liebeshändeln des Krischna, Zeus n. A., so
Manches, was das sittliche Gefühl schon gebildeter Heiden
beleidigte, nnd des nnsrige empört: hier im ganzen Ver-
laufe der Erzählung nur Gotteswürdiges, Belehrendes,
Veredelndes. " Zwar läfst sich hiegegen theils auf
Seiten des Heiden thums Einsprache thun , sofern der un-
sittliche Schein mancher Eraählungen nur Folge späteren
MiTsverstands ihrer ursprünglichen Bedeutung ist; theils
ist auf Seiten des A. T. die durchgängige sittliche Rein-
heit acuter Geschichte bestritten worden, — freilieh nicht
selten anf «»gegründete Weise , indem man , was- mensch«
liehen Individuen , welche keineswegs als fleckenlose Mn-
,v
BS Einleitung. $. 14.
stet» hingestellt werden, und was Gott zugeschrieben and
Ton ihm gebilligt wird , nicht gehörig nntersehied f) ; wo-
bei jedoch gtittliohe Befehle, wie dafa die Israeliten bei'm
Aassag aas Aegypten goldene Gefitfse entwenden sollten*
Ar ein gebildetes sittliches Gefühl kaum minder ansttffaig
bleiben, als die Diebstähle des griechischen Herme« — c
übrigens diesen Unterschied auch in der grötsten Schärfe
sagegeben, wie er denn in Besag auf das H. T. jedenfalls
■agegeben werden mafs, so hat derselbe Ar den histori-
schen Charakter der biblischen Geschichte darchaos keim
beweisendes Moment ; da , wenn «war eine unsittliche Gfft»
tergeschichte erdichtet sein mofs, doch auch die sittlichste
erdichtet sein kann.
„Aber des Unglaublichen, Undenkbaren, ist anf Sei-
ten der heidnischen Fabeln gar eo Vieles: während auf
Seiten der biblischen Geschichte, wenn man nur die un-
mittelbare Einwirkung Gottes roraossetat, sich nichts der-
gleichen findet. " Allerdings , wenn man diese voraue~
setst. Denn sonst könnte man die Wander im Leben jni-
nes Moses, Elias, Jesus, die Theophanien and Angelophe-
nien des A. n. N. T., leicht ebenso anglaublich finden 9
als was die Griechen von ihrem Zeus, Herakles und Die-
nysos fabeln; setst man hingegen die Göttlichkeit oder
göttliche Abkunft dieser Individuen voraus, so werden anoh
ihre Thaten nnd Schicksale, wie bei der gleichen Voraus-
setanng die der biblischen Männer, glaublich. — Doch
nicht gans ebenso, kann man einwenden« Dab Wiscbna
I) Diese Nichtunterscheidung war et gleicherweise, weiche die
Alexandriner zu mancher Allegorie, die Deisten zu Einwürfen
und Schmähungen, und die Supranaturalisten zu Verdrehun-
gen de« Wortsinns veranlasste, wie noch neuestens Hormura
(Christoterpe auf 1838, S. 184.) in Bezug auf Davids Verfah-
ren mit den besiegten AmmonHern eine in Anwendung ge-
bracht hat.
JKInJeltung. J. 14. 8»
te Abo drei ««tan Ayetars als Fisch, Schildkröte und Eher
erschienen tain, dals Kronos seine Kinder verschlungen,
Zone sieh in einen Stier, Sektran n. s. £ verwandelt ha-
be» sali, das aind noch gana andere UngiAubliebkeiten,
ab wenn Jokern In Mensekengeatalt uu Abraham unter
dfe Terebinthe kommt, oder dem Moses im feurigen Busch
erscheint. Diefs ist der abenteuerliche Charakter der
heidnischen Mythologie, an welchen swar in manchen
Partkien der biblischen Geschichte, wie in den Krafth-
langen von Bileam, Josaa, Simson, sich gleichfalls An-
klinge finden: doch allerdings minder grelle, und so, dafs
sie nickt, wie s. B. in der indischen Religion und auch in
gewiseen Tkeilen der griechischen, den vorherrschenden
Charakter derselben bilden. Deck wie soll auch died
kier entscheidend sein? Aoeh diefs beweist nur, da£s die
fcjfch'eihe Geschichte eher wahr sein könne, als die indi-
sche, griechische Fabel; aber keineswegs, da£s die bibli-
eehe Geeekiekte de&balb mehr sein misse, nichts Erdich-
tetes enthalten könne.
„Aber die Sabjeete der heidnischen Mythologie sind
gröfstentheils seiche, von welchen num Voraus gewifr
ist, dab sie nur erdichtet sind: die der biblischen Ge-
eehiekte solche, deren Wirklichkeit ausgemacht ist £{n
Umkam, Ormusd, Zeus, haben ja niemals existirt: Iber
einen Gott, einen Christus gibt es doch, und einen Adam,
Meah, Abraham, Moses, hat es gleichfalls gegeben. "
Allein ob ein Adam, ein Noah, als diese Individuen ge-
lebt haben, ist ja schon bezweifelt worden, und lilst sich
beaweifein ; sowie andrerseits an Herakles, Theseus, Acbil-
kus und andern Helden der griechischen Sage gar wohl
etwas Historisches gewesen sein mag* Debrigens, wenn
nun sieh nur cum Voraus bescheidet, weiter als diefs
daraus zu folgern, dafs auch hienach die biblische Ge-
schichte eher als die heidnische Mythe wahr sein könnte,
keineswegs es sein misse : — so lädt sich allerdings an
M Einleitung. ft. 14.
diese Unterscheidung eine folgenreiche Betrachtung knü-
pfen, in weicher auch die beiden früher gemachten Unter-
schiede sn ' ihrer Wahrheit kommen werden* Wodurch
geben sieh die griechischen Götter ans sogleich als nicht*
existirende Wesen kund, wenn nicht dadurch, dafs ihnen
Dinge zugeschrieben werden, welche wir mit dem Begriffe
des Göttlichen nicht au reimen wiesen ? wogegen der bibli-
sche Gott eben insofern für uns der* wirkliche ist, als in
-dem jenigen , was die Bibel voulhm aussagt, niehts her-
vorsticht , das sieh mit unserer Gottesidee nicht vereinigen
Hefte. Abgesehen von dem Widersprach, in welchem die
Vielheit der 'heidnischen Götterwesen und der nähere Ia-
halt ihres Wollen« und Thuns mit unsern Begriffen vom
Göttlichen steht, so ist es schon das, woran wir Anstoß
nehmen, dafs hier die Götter selbst eine Geschichte haben,
dafs sie geboren werden , aufwachsen , sieh vermählen ,
Kinder zeugen , Thaten vollbringen , Kämpfe und Müh-
seligkeiten bestehen, siegen und besiegt werden. Da es
mit unsrer Idee vom Absoluten unvereinbar ist, dasselbe
als ein der Zeit und dem Wechsel unterworfenes, von
Gegenwirkung und Leiden afficirtes zu denken : so erken-
nen wir eine Erzählung, in welcher dergleichen von gött-
lichen Wesen ausgesagt wird, eben hieran als unhistori-
sch^, mythische.
Diesen Sinn hat es nun in letzter Beziehung, wenn
man behauptet, die Bibel, namentlich auch schon das
A. T. , enthalte keine Mythen. Die Schöpfungsgeschichte
freilich, mit ihrer Aufeinanderfolge von Tagewerken and
dem endlichen Ruhen nach vollbrachter Arbeit; der im
weiteren Verlaufe der Erzählung öfter wiederkehrende
Ausdruck , es habe Gott gereut , etwas gethan zu haben ;
diese und ähnliche Darstellungen sind nicht ganz von dem
Vorwurf einer Verzeitlichung Gottes freizusprechen , und
eben hieran knöpft sich die Behauptung derer, welche
jene Urgeschichte mythisch gefafst wissen wollen; auch
Einleitung« §. 14. 91
lifst sieh, so oft Gott ausschliefalich an einem bestimmten
Ort oder in einem bestimmten Zeitpunkt erscheint oder
thitig ist, wie jenes bei Theophanien, dieses bei Wundern,
die unmittelbar von ihm abgeleitet sind, vorausgesetzt
werden mtifrte, behaupten, dafs Gott dadurch in die Zeit
und sur mensehliehen Wirkungsweise herabgesogen sei :
dennoch ober kann man im Allgemeinen vom A. T. sagen,
dafs Gott in demselben von dem seitlichen Charakter sei-
ner Wirksamkeit nicht wesentlich affioirffe erseheine , dafs
sich daher das Zeitliche leichter als blofse Form neige, als
ein unvermeidlicher Schein, entstanden aus der notwen-
digen Sehranke des menschliehen , zumal unwissenschaftl-
ichen, VorstellnngsvermÖgens. Jeder bemerkt, dafs es et-
was gans Anderes ist, wenn es im A. T. heifst: Gott
machte einen Bund mit Noah, Abraham, führte später sein
Volk ans Aegypten, gab ihm Gesetze, krachte es in das
gelobte Land, erweckte ihm Richter, Könige, Propheten,
and strafte es am Ende für seinen Ungehorsam dutch das
Exil , — als wenn von Zeus erzählt wird , er sei von der
Rhea auf Kreta geboren , daselbst vor seinem Vater Kro-
ne« in einer Kluft verborgen worden, habe hierauf den
Vater bekriegt, die Draniden befreit, mit ihrer, und des
ihm von denselben gewährten Blitzes Hülfe die widerstre-
benden Titanen fiberwältigt, und endlich die Welt unter
seine Geschwister und Kinder vertheilt. Der wesentliche
Unterschied zwischen beiden Darstellungen ist nämlich der,
dafs in letzterer der Gott selbst ein werdender, am Ende
des- Processes ein anderer als am Anfang ist, dafc an ihm
und f&r ihn selbst etwas wird und zu Stande kommt:
wogegen in jener ersteren nur auf Seiten der Welt sich
etwas ändert, während Gott in seiner Identität mit sich,
*ls 7T7TH "fflftt nrut) beharrt, und das Zeitliche nur ein
oberflächlicher Widerschein ist, welchen der von ihm
theils hervorgebrachte theils gelenkte Verlauf des weltli-
ehen Geschehens auf seine Thätigkeit zurückwirft. In
M
Einleitung« 9. 14.
der heidnischen Mythologie haben die Gatter eine Ge-
schichte: im A. T. hat nicht Gott eine solche» sondern
nur sein Volk , and wenn man unter Mythologie wesent-
lich Göttergeschichte versteht , 90 hat die hebräische Reli-
gion keine Mythologie.
Aus der hebräischen Religion hat die christliche die
Krkenntnifs wie der Einheit so der Unveräriderlichkeit
Gottes in sich aufgenommen. Dafs Christus geboren wird,
aufwächst, Wunritfr thut, leidet, stirbt und aufersteht, sind
Thaten und Schicksale des Messias, Aber welchen Gott in
unveränderlicher Sichselbstgleichheit beharrt. Insofern
weifs, Mythologie in obigem Sinne genommen, auch das
N. T. nichts von Mythologie. Indefs, etwas verändert ist
dem A. T. gegenüber die Stellung doch: Jesus helfet der
Sohn Gottes nicht blofe in dem Sinne, wie auch theokra-
tische Könige so genannt wurden, sondern als wirklich
erzeugt durch den göttlichen Gebt, oder weil der göttliche
Xdyog in ihm incarnirt ist; sofern er Eins ist mit dem Va-
ter, und die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig in ihm
wohnt, so ist hier mehr als Moses; sein Tbun und Leiden
Ist kein der Gottheit äußerliches Geschehen, und wenn
man sich ihr Verhäitnifs an ihm gleich nicht theopaschi-
tisch vorstellen darf, so ist es doch immerhin auch jsehon
nach dem N. T. , noch mehr nach der späteren Kirchen-
lehre, ein göttliches Wesen, das hier lebt und leidet; was
mit ihm geschieht, hat absoluten Werth und Bedeutung.
Nach dem oben angenommenen Begriffe des Mythus also
hätte das N. T. wieder mehr als das alte am Mythischen
Theil; wenn aber insofern die Geschichte Jesu eine my-
thische genannt werden wollte, so wäre diefs zunächst
eine ebenso unverfängliche, als in Betreff der historischen
Frage nichtsbedeutende Benennung , da der Begriff Gottes
einem solchen Eingehen in das Werden, wobei seine Un-
veränderüchke it bewahrt bleibt, auf keine Weise wider-
strebt, mithin in dieser Rficksioht die evangelische Ge-
1
I
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1
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n
1
1
Einleitung, f. 14. tt
«hiebt», «Mitteiltet ihrer Beaeiehnung als mythischer,
doch ««gleich durchaus historisch wahr sein kannte»
Wenn auf diese Weiae die biblische Geschichte «war
■lebt ebenso wie die heidnische Mythologie unser Gottes-
bewufetseia verietat, also hieran nicht auf die gleiche
Weise wie diese ein Kennzeichen des anhistorischen, wie-
wohl aneh bei Weitem noch keine Bürgschaft des histeri»
sehen Charakters hat: so ist die andere Frage, welche
hier noch in Betracht kommt, die, ob sie nicht minder
euch mit nasrem Weltbewuüstsein susammenstimme, and
nicht vielleicht an der Unvereinbarkeit mit diesem ein
Merkmal des Ungeschichtlichen trage f
Der alten, namentlich orientalischen Welt war, ver-
m5ge ihrer vorwiegend religiösen Richtung und ihrer ge»
ringen Kenntnifs der Naturgeaetae, der Znsammenhang
dea weltlichen, endliehen Seins etwas so Loses, dafs sie
von /edem Punkte desselben auf das Unendliche flberan»
springen , von jeder einaelnen Veränderung in der Nator
und Menschenwelt Gott als die unmittelbare Ursache au
betrachten fthig war. Von diesem Standpunkte des ße-
wufstseins aus ist auch die biblische Geschichte geschrie-
ben. Zwar nicht Alles und Jedes wirkt hier Gott selbst
(was wegen der Unmittelbarkeit, mit welcher sich in man»
eben Kreisen der ursächliche Zusammenhang der endlichen
Dinge aufdringt, niemals Bewufstsein eines Vernünftigen
hat nein können): wohl aber ist eine absolute Leichtigkeit
verbanden, Alles, auch das Einaelste, sobald es besonders
bedeutsam erscheint, unsüttelbar von Gott abzuleiten. Er
ist's, der Regen und Sonnenschein gibt; er sendet den
Ostwind, das Ungewttter; er schickt Krieg, Theurung,
Fest; er verhärtet die Hermen und erweicht sie, gibt Ge-
dsnken und EnteehHefsungen ein« Besonders aber sind es
seine erkorenen Werkaeuge und Lieblinge, auf und durch
welche er unmittelbar wirksam" ist: die Geschichte des
israelitischen Volks trägt auf jedem Schritte die Spuren
04 Einleitung- $. 14»
seines unmittelbaren Eingreifens; durch Moses* Elias, Je*» f
sus, wirkte er Dinge, «reiche der ordentliche Lauf der ä\
Natur niemals herbeigeführt haben würde, c i
Die neuere Zeit hingegen hat einer durch Jahrhun« 1 i
derte fortgesetzten Reihe der mühsamsten Forschungen II \
die Einsicht eu danken, dafs Alles in der Welt dnrch eine i i
Kette von Ursachen und Wirkungen ausammenhängt, wet« i
ehe keine Unterbrechung duldet« Zwar die einseinen Oe- i
genstände und Sphären der Weit mit dem Verlauf ihre* 1 1
Zustände und Veränderungen sind keineswegs so jedes in %
sich abgeschlossen, dafs sie einer Einwirkung und Unter- s
brechung von aufsen unzugänglich wären; sondern die \
Thätigkeiten des einen Naturwesens oder Naturreichs *
greifen in die des andern über, die menschliche Freiheit
bricht die Entwicklung manches Naturgegenstandes ab,
und natürliche Ursachen wirken auf die menschliche Frei- ,
heit turück: aber immer bildet doeh die Gesammtheit {
endlicher Dinge einen gröfsten Kreis, in welchen, abgese» ,,
ben dayon, dafs er sein Dasein und Sosein einem Höheren ,
verdankt, nichts Einseines mehr von aufsen hereinkommen ,
kann. Diese Ueberseugung Ist so sehr Bewufstsein der
neuen Welt geworden, dafs im wirklichen Leben dieMei* ,
nung oder Behauptung, eine übernatürliche Ursache, eine
göttliche Wirksamkeit, habe irgendwo unmittelbar einge- ,
griffen, geradesu als Unwissenheit oder Betrug betrachtet
wird; und sie hat sich bis «um Extreme fortgetrieben in
der Ansicht der neueren Aufklärung, welche, der bibli-
schen gerade entgegengesetat, die göttliche Ursächlichkeit
entweder gana entfernte, oder sie doch so weit aorüok-
sehob, dafs sie nur im Acte der Schöpfung eine unmittel-
bare, von hier an abwärts aber eine blofr mittelbare sein, '
d. h. Gott nur insofern auf die Welt wirken sollte, als er
ihr in der Schöpfung diese bestimmte Einrichtung gegeben
habe. Von diesem Standpunkte aus, welcher in Natur
und Geschichte ein festes Gewebe endlicher Ursachen und
Einleitung J. 14.
Wlriemgeu erblftekt, konnten die biblischen Erzählungen,
in welchen diese» Gewebe auf unzähligen Punkten doreh
Einschreitung dar gastlichen Ursächlichkeit durchlöchert
ist, unmöglich alt Geschichte erscheinen.
Näher owvogcn neigte sieh freilieb, dal*, wie jene
akerthfimliehe Ansteht den Begriff der Welt, so diese
moderne, selbst soweit sie des Dasein Gottes nicht gera-
dem Jängnete, den Begriff Gottes aufhob. Denn das ist,
wie oft nnd mit Recht bemerkt worden , kein Gott und
Schöpfer mehr, sondern ein endlieber Künstler, weleher
aaf eein Werk nnr während dessen Hervorbringung un-
suttelbai» wirkt, bernaeh aber es sieh selbst äberiäfst;
weleher äberhaupt ans irgend einem Kreise des Daseine
mit seiner Tollen Wirksamkeit ausgeschlossen ist. Daher
bat man denn darauf gedacht, beide Ansichten zu vereJ*
nigen, um sowohl der Welt Ihren Zusammenhang,* ' als Gott
seine unbeschränkte Wirksamkeit zu erhalten, und dadurch
«■gleich die Wahrheit der bibliseben Geschichte an retten*
Hienaeh soll nun die Welt in der Regel «war im Znsasa*
menhange der in ihr verbundenen Crsaohen und Wirkun-
gen sieh bewegen, nnd Gott nnr mittelbar auf sie wirken :
in einzelnen Fällen aber, wenn er es zu besondern Zwe-
eben nötbig finde, sei es ihm doch unbenommen, auch un-
mittelbar in den Verlauf der weltlichen Veränderungen
einzugreifen. Diefs ist nun der Standpunkt des neueren
Supranaturalisunis ^ , welcher sioh sogleich dadurch bIb
falschen Vermittlungsversuch kennhar macht, dafs. er die
Fehler tler zwei sich entgegenstehenden Ansichten, statt
sie zu vermeiden, verbindet, und noch einen neuen, den
Widerspruch der beiden, schlechtverbundenen, Ansichten
gegen einander, hinzufügt. Hier bleibt nämlich sowohl
der Natur« nnd Geschichtszusammenhang durchlöchert,
2) Z. B. bei Hkydenmich, über die Unzulässigkeit u. s. f. 1. Stück*
Vgl. Stobb, doctr. christ. §. 35 ff.
9§ EinleUaog, 9. 14.
wie bei der alterthOmÜeh-bibüsobetf Ansieht, als anch dfr
Wirhsaaskeit Gottes besehrlnkt , wie bei der entgegenge*
setsten ; woso nun noch kommt, dafs durch die Aonahsse,
Gott wirke bald mittelbar, bald unmittelbar auf die Welt,
ein Wechsel, mitbin ein seitliches Element, In dessen
TbXtigkeit hereingebracht wird, was freilich auch sehen
der biblischen Ansicht bot Last ftlit, sofern sie eineelne
Acte der göttlichen Tbütigkeit, und der entgegengesetateo,
sofern sie dae Wirken Gottes im Schopf nngsacte- von dem
erhaltenden unterscheidet 3).
Wenn hienach der Begriff Gottes eine unmittelbare,
der der Welt aber eine blofs mittelbare Einwirkung Got-
tes erheischt j Beides aber sich nicht durch Annahme eines
Wechsels, «wischen beiden Wirkungsweisen vereinigen
Ufst: so bleibt nichts Anderes übrig, aU beide sieh stetig
und bleibend vereinigt an denken, so dais also die Wirk-
samkeit Gottes auf die Welt immer und überall beides,
sowohl eine unmittelbare wäre als eine mittelbare; was
freilich anch wieder so viel heilst, dais sie keines v«oa bei*
den ist, oder diese Unterscheidung ihre Gültigkeit verliert*
Fragt es sieh, wie diefs der Vorstellung näher su bringen
3) Leidet diese supranaturalistische Ansicht an einem theologi-
schen Widerspruche : so enthält die der sog. gläubigen Theo-
logie, welche sich so hoch über den alten Supranaturalismus
erhaben glaubt, sogar schon einen logischen Widerspruch.
Gott wirkt zwar in der Regel nur mittelbar auf die Welt,
bisweilen jedoch, ausnahmsweise, auch unmittelbar — das ist
doch Etwas? wenn auch nichts Kluges; nun aber: Gott wirkt
schon immer unmittelbar auf die Welt, in gewissen Fallen
aber noch besonders unmittelbar — das ist der baare Wider-
spruch in sich selbst. Vom Standpunkte der Immanent' Got-
tes in der Welt, wie ihn diese neuevangelische Theologie aus-
drücklich für sich in Anspruch nimmt, ist der Begriff des
Wunders ein unmöglicher. Vergl« meine Streitschriften, I,
3, S. 46 f.
Einleitung. {, 14. <>7
sei, so ist, wenn man ?oa Begriffe. Gottes ausgeht, von
welchem ans die Forderung eines unmittelbaren Wirkens auf
die Welt entstand, für Gott die Welt jederzeit als Ganzes da ;
umgekehrt, vom Standpunkte des Endlichen, der Welt,
ausgegangen, ist diese wesentlich ein Getheiltes, Verein-
seltes , und von hier aus ist uns die Forderung eines blofs
mittelbaren Eingreifens Gottes entstanden; so dafs man.
also sagen muh: auf die Welt als Ganzes wirkt Gott un-
mittelbar , auf jedes Einzelne in ihr aber nur durch Ver-
mittlung seiner Wirksamkeit auf alles andere Einzelne,
d. h. vermittelst der Naturgesetze ').
Heber den historischen Werfb der biblischen Ge-
schichte füllt bei dieser Ansicht das Urtheil nicht anders
ans als bei der oben betrachteten. Die Wunder, welche
Gott für Moses, Jesus, und durch sie, wirkt, sind keine
Abflüsse seiner unmittelbaren Wirksamkeit auf das Ganze,
sondern setzen eine unmittelbare Einwirkung auf das Ein-
zelne voraus, und widersprechen insofern dem sonstigen
Typus des göttlichen Wirkens auf die Welt. Die supra-
aataralistisehe Ansicht nun setzt eben für den Kreis der
Biblischen Geschichte eine Ausnahme von diesem Typus
voraus: eine Voraussetzung, welche unser Standpunkt
tbeilen kann6), sondern dieselben, obwohl nach der
4) In dieser Ansicht stimmen im Wesentlichen zusammen Ws*-
schkiskk, instit. theol. dogm. t}. 12. j db Witts, bibL Dogm.,
Vorbereitung; Schlburmachkr , Glaubensl. §. 46 f. Marhbi-
kbsb, Dogm. $. 369 ff. ' Vergl. Gborck, S. 78 f.
5) Diess ist die Voraussetzungslosigkeit, welche die vorliegende
Untersuchung für sich in Anspruch nimmt ; in ähnlichem Sinne,
wie man den Staat einen voraussetzungslosen nennen könnte,
in welchem Standes- u. a. Privilegien nichts gelten. Freilich
kann gesagt werden, ein solcher Staat mache doch die Vor*
anssetznng der gleichen menschlichen Natur in allen seinen
Bürgern, wie unsre Ansicht die der gleichen Gesetzmässigkeit
in allem Geschehen: aber nur so, wie man jeden negativen
Da* Leben Jesu Ite Aufl. f. Band. 7
tt Einleitung. {. 14.
Yaraehiedenheit der Gebiete verschieden beatimnaten , Ge-
setze dureh alle Kreise des Seins und Gesehebens herr-
sehen iäfst, und daher, wo eine Erzählung gegen dies«
Gesetze veratöfst, sie insoweit für nn historisch erkennt
Dieses scheinbar auffallende Ergebnifs einer allgemei-
nen Ansioht der biblischen Geschichte, dafs hienach auch
die hebräische und christliche Religion , wie alle andern,
Ihre Mythen habe 6) , wird bestätigt , wenn man vom Be-
griffe der Religion aasgeht, nnd fragt, was eu deren We-
sen gehört und also Bestandteil aller Religionen sein mufs,
und worin hingegen die eineeinen Religionen sich noch
unterscheiden können? Wenn man, die Religion im Ver-
hältnis sur Philosophie bestimmt als das Bewnfstsein des-
selben absoluten Inhalts, aber nicht in Form des Begriff«,
sondern der Vorstellung: so ist leicht zu sehen, dafs nur
«nter und ober dem eigentlichen Standpunkte der Religion
das Mythische fehlen kann, innerhalb der eigentlich reii-
Satz auch wieder in einen affirmativen verwandeln kann. An
sich hingegen, «einem Gehalte nach, ist der Anspruch, dass
für die biblische Geschichte besondere Gesetze gelten sollen,
eine Affirmation, die Nichtanerkennung dieses Anspruchs eine
Negation; nach der bekannten Regel aber muss der affirma-
tive Satz, nicht ebenso der negative ,x bewiesen werden: so
dass also nur jener, nicht dieser, falls er nicht bewiesen,
oder der Beweis nicht genügend gefunden wird, als Voraus-
setzung bezeichnet werden kann. — Näheres Merüber habe
ich in meinen Streitschriften gegeben, 1, 3, S. 36 ff.
6) Dagegen beweist z. B. Hoffmahn (S. 70 ff.) durch eine, vom
ersten Menschen und dessen geträumtem Urzustände ausge-
hende Deduction , dass in der A. und N. T. liehen Religion
keine Mythen sein können; eine Beweisführung, die, nach
dem eigenen Ausdruck ihres Urhebers, ab ovo anfängt, d. h.
▼om an sich Unbestimmten, dem man am bequemsten dieje-
nigen Bestimmungen ertheilen kann, deren man als Voraus-
setzungen zu dem, was man beweisen will, bedarf.
Einleitung. $. 14. 91
giosen Sphäre aber dasselbe wesentlich und nothwendig
vorhanden Ist.
Mar bei den wildesten and elendesten Völkern, bei
Eskimo's n. dgl. , finden wir es, dafs ihre Religion noeii
■lebt sor objectiven Form der Vorstellung herausgebildet,
sasMlern im aubjeetiven Gefühle beschlossen ist; dafs sie
■ach nichts von Göttern , höheren 'Geistern und Mächten
wiesen, sondern ihre gante Frömmigkeit in der dampfen
Empfindung besteht, welche sie dem Orkan, der Sonnenfin-
sternUs, oder dem Zaoberer gegenüber haben. Weiterhin
aber löst sich immer mehr der absolute Inhalt der Religion
ven der trüben Vermischung mit der Snbjectivitit, und
tritt dieser in objectiver Form gegenüber: es werden in
den Gegenständen der sinnlich vorhandenen Welt, in
Sonne, Mond, Gebirgen, Thieren, höhere Milchte des Da«
■eins angeschaut and verehrt ; damit aber , je mehr die
Bedeutung, welche man diesen Gegenständen beilegt, von
ihrer Wirklichkeit verschieden ist, zugleich eine neue
Weit der blofsen Vorstellung, ein Kreis von Götterwesen,
erschaffen, deren Verhältnils nn einander, ihr Thun und
Wirken, nur nach Analogie dea menschlichen, also seit-
lich und geschichtlich, vorgestellt werden kann« Auch
wenn sieh das Bewußtsein zum Gedanken der Einheit
des Göttlichen erhoben hat, wird dennooh Gottes Leben-
digkeit und Wirksamkeit nur unter der Form einer Reihe
göttlicher Thaten betrachtet, und andrerseits das natür-
liche Geschehen und das menschliche Thun nur durch
Annahme göttlicher Wirkungen und Wunder in demsel-
ben so religiöser Bedeutung erhoben werden können, Erat
auf dem Standpunkte der Philosophie ist es, dafs die Welt
der religiösen Vorstellung mit der wirklichen wieder eu-
sammengeht, indem der Gedanke Gottes als dessen Sein
gefafst, und eben in dem gesetsmäfsigen Verlaufe des an*
tätlichen and geschichtlichen Lebens die Selbstoffeuberauf
dar göttlichen Idee erkennt wird.
7»
101) Einleitung. §. 14.
Wie nun dergleichen Erzählungen, welche Nfohtge«
scheheiies als geschehen berichten, ohne absichtlichen Be-
trug gebildet, und ohne beispiellose Leichtgläubigkeit für
wahr gehalten werden konnten, ist zunächst befremdend,
und man bat es der mythischen Ansicht von manchen Er*-
z&hlungen des A. u. W. T. als unüberwindlichen Anetofa
entgegengehalten. Wlire er diefs, so würde dadurch, wie
für die hebräische und christliche, so auch für die heid-
nische Sage die mythische Auffassung unmöglich gemacht;
wogegen , wenn die profane Mythologie diese Schwierig-
keit überwunden hat, auch die biblische nicht an dersel-
ben -scheitern wird, loh setze hierüber die Worte eineis
auf dem Felde der griechischen Mythologie und Urge-
schichte bewährten Forschers, Otfried Müllkr's, ausführ-
lich hieher, weil es sich zeigt, dafs diese Vorbegriffe, wel-
che zum Verständnisse der nachfolgenden Untersuchungen
über] den evangelischen Mythus aus der allgemeinen My-
thologie vorausgesetzt werden, noch nicht allen Theologen
geläufig sind. Wie vereinigen wir, fragt Müller *) , das,
data im Mythus mit dem Factischen Nichtfaotisohes, Ideel-
les, wesentlich verbunden ist, mit der Thatsaobe , dafs die
Mythen geglaubt, für wahr gehalten worden sind? „Jenes
Ideelle, könnte Jemand sagen, ist doch nichts Anderes,
als in die Form von Erzählung eingekleidete Dichtung nnd
Erfindung; eine Erfindung der Art aber kann ohne ein
Wunder nicht zugleich von Vielen gemacht werdon, weil
ein eigenes Zusammentreffen von Absicht, Darsteltungs-
vermögen und Darstellungsweise dazu erforderlieh wlire.
Also hat sie doch Einer gemacht, — und wie hat dann
7) Frolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie, S. 110 ff.
fiiemit sind, was die heidnischen Mythen betrifft, auch Uu-
manu u. j. Müller in ihren Recc. des vorliegenden Werks,
Hoftmakw, S. 113 f., u. A. einverstanden. Besonders zu ver-
gleichen ist aber Giorsi, Mythus u. Sage, S. IS ff. 10*.
Einleitung. $, 14. 101
dieser Eise alle Uebrigen von der Wirklichkeit seiner
Erfindung überzeugt? Sollen wir etwa annehmen, dieser
Eine sei ein Schlank opf gewesen , der durch allerlei Täu-
schung und Blendwerk die Andern su überreden gewufe
habe, etwa dadurch , dafs er sich mit gleiohgesinnten Be-
trügern in Verbindung setzte, die dem Volke dann das
von ihm Ersonnene als auch von ihnen beobachtet beeeu-
gen mausten? Oder tollen wir nns den Einen als einen
hoher begabten Mensehen, als ein. erhabeneres Wesen den-
ken, dem die übrigen aufs Wort glaubten, and von dem
sie jene Mythen, unter deren Hülle er ihnen heilsame
Wahrheiten mitzutheiien suchte, als heilige Offenbarung
annahmen? Aber es kann anmöglich bewiesen werden,
dafs eine solche Carte von Sehlauköpfen im alten Grie-
chenland [oder Palästina] exlstirt habe; auch ist diefs
künstliche System des Betrags, es sei nun ein grober oder
feiner , eigennütziger oder menschenfreundlicher gewesen,
wenn nicht der ganze Eindruck trügt, den die frühesten
Prodncte des griechischen [und christlichen] Geistes auf
uns machen, der edeln Einfalt jener Zeiten sehr wenig
angemessen. Wir kommen also dahin, dafs anch Ein Er-
finder -des Mythus im eigentlichen Sinne des Wortes nnge-
denk'bar sei. Wozu führt aber diefs Raisonnement ? Zu
nichts Anderem offenbar, als dafs der ganze Begriff der
Erfindung, d. h. einer freien und absichtlichen Handlung,
•durch welche etwas von dem Handelnden als unwahr Er-
kanntes mit dem Scheine der Wahrheit umkleidet werden
soll, als anpassend für die Entstehung des Mythus von
nnsrer Betrachtung zu entfernen ist. Oder mit andern
Worten, dafs bei der Verbindung des Ideellen und Reel-
len, welche im Mythus vereinigt liegen, eine gewisse
Notwendigkeit obwaltet, dafs die Bildner des Mythus
durch Antriebe , die auf Alle gleich wirkten , darauf hin-
geführt worden , nnd dafs im Mythus jene verschiedenen
Elemente zusammenwuchsen, ohne dafs diejenigen, durch
Itl Einleitung. $.14.
welche es geschah , selbst ihre Verschiedenheit erkannt,
•um Bewufetsein gebracht hfttten. Es ist der Begriff ei-
ner gewissen Notwendigkeit und Unbewufstheit im Bit«
den der alten Mythen, auf welchen wir dringen. Haben
wir diesen gefaßt, so sehen wir auch ein, dafe der Streit,
ob der Mythus von Einem oder Vielen, von dem Dichter
oder dem Volke ausgehe, auch wo er sonst Statt bat,
nicht die Hauptsache trifft. Denn wenn der Eine, Erzäh-
lende, bei der Dichtung des Mythus nur den Antrieben
gehorcht, welche auch auf die Qemfither der Anderen,
Hörenden , wirken : so ist er nur der Mund , durch den
Alle reden, der gewandte Darsteller, der dem, was Alle
aussprechen möchten, feuerst Gestalt und Ausdruck zu ge-
ben das Geschick hat. Es ist indessen wohl möglich, dafs
dar Begriff dieser Notwendigkeit; und Unbewufstheit man«
chem unsrer Alterthomsforscher [und Theologen] dunkel,
ja mystisch, vorkomme; aus keinem andern Grunde, als
weil diese mythenbildende Thätigkeit in unserem heutigen
Denken keine Analogie hat: aber soll die Geschichte nicht
auch das Fremdartige, wo sie unbefangene Forschung dar-
auf hinfahrt, anerkennen ?" Sofort gibt Müller ein Bei-
spiel, wie selbst sehr zusammengesetzte Mythen, zn deren
Bildung mehrere, scheinbar entlegene Umstände sieh ver-
einigen mufsten , auf diese bewußtlose Weise entstehen
konnten, an dem griechischen Mythus von Apollon und
Marsyas. „Bei Apollinischen Festen, sagt er, warKithar-
•piel gewöhnlich, und es war dem frommen Gemfithe noth-
wendig, den Gott selbst als Urheber und Erfinder dessel-
ben anzusehen. In Phrygien dagegen war Flötenmusik
einheimisch , die auf dieselbe Weise auf einen einheimi-
sehen Dümon, Marsyas, zurfickbezogen wurde. Die alten
Hellenen fühlten , dafs diese jener im innern Charakter
entgegengesetzt war: Apollon mußte den dumpfen oder
pfeifenden Flötenlaot verabscheuen, und den Marsyas dasu.
Nicht genug: er mufste, damit der kitharspielende Grieche
Einleitung. $. 14. 10$
neb des Gottes Erfindung ah das vortrefflichste Instru-
ment ansehen konnte, den Marsyas überwinden. Aber
warum mußte der unglückliche Phryger auch gerade ge-
Sekunden werden? Die Sache ist einfach die. In der
Felsengrotte an der Burg von Kelfinfi in Phrygien , aus
Weher ein Flufs Marsyas oder Katarrhaktes hervorbricht,
king ein Schlauch, der Schlauch des Marsyas bei den
Pbrygern genannt, sofern Marsyas, wie der griechische
Buenos, ein Dämon der saftstrotzenden Natur war. Wenn
aon ein Hellene oder ein hellenisch gebildeter Phryger den
Schlauch sah , so raubte ihm klar werden , wie Marsyas
««endet ; hier hing ja noch seine abgezogene, schlauohalin-
liehe Haut: Apollon hat ihn schinden lassen. In allem
■iiesem ist kein* willkürliche Dichtung; es konnten Viele
daraufkommen, und wenn es Einer xuerst aussprach, so
wufste er, dafs die Andern, von denselben Vorstellungen
geoihrt, keinen Augenblick an der Riohtigkeit der Sache
zweifeln würden. — Der Hauptgrund, warum die Mythen
in der Regel in ihrer Entstehung so wenig einfach sind,
liegt darin, dafs sie grofsentheils gar nicht auf Einen
Schlag entstanden sind, sondern sich allgemach und suc-
cessiv, unter der Einwirkung gar verschiedenartiger, aufse-
rer und innerer Zustünde und Ereignisse, deren Ein-
drucke die im Munde des Volks fortlebende, durch keine
Schrift befestigte nnd erstarrte , immer bewegliche Tradi-
tion simmtlich aufnahm , im Laufe langer Jahrhunderte
[in wiefern diefs auch bei einem grofsen Theile der N. T. li-
ehen Mythen zutreffe, wird unten gezeigt werden] zu der
Gestak, in welcher wir sie nun erhalten, ausgebildet ha-
hei». Diefs ist eine ebenso wichtige wie einleuchtende
Thatsache, die jedoch bei der MythenerklKrung noch im-
mer häufig übersehen wird ; indem man den Mythus wie
eine Allegorie betrachtet, welche von reinem auf einmal
mit der bestimmten Absieht ersonnen wird, einen Gedan-
ken in die Form einer Erzählung zu verstecken." —- Die
^- .^_- ^%k_
104 Einleitung. §. 14.
Ansicht, welche hier Müller aasspricht, „dafs dem My-
thus kein individuelles Bewufstsein , sondern ein höheres
allgemeines Volksbewufstsein [Bewufstsein einer religiösen
Gemeinde] zum Grunde liege," nennt ein competenter Be-
urtheiler des MüLLfiR'sehen Werks „die nothwendigste
Bedingung eines richtigen Verständnisses des alten My-
thus, dessen Anerkennung oder Verwerfung alle Ansich-
ten ober Mythologie sogleich von vorne herein in zwei
durchaus entgegengesetzte scheide." *).
Allerdings indessen ist die Gränzlinie zwischen Ab-
sichtslosem und Absichtlichem hier nicht leicht zu ziehen«
Wo eine Thatsache zum Grunde lag, die im Munde des
Volks viel besprochen und gepriesen, im Laufe der Zeiten
zum Mythus sich gestaltete, da lfifst sich wenigstens für
die erste Zeit der Begriff der Dichtung und Absichtlich-
keit leicht entfernt halten, indem ein solcher Mythus vor-
erst gar nicht das Werk eines Einzelnen, sondern ganzer
Gemeinschaften und auf einander folgender Geschlechter
ist, in weichen die Erzfihiung von Mund zu Munde ging,
und durch unwillkürliches Hinzufügen eines verherrlichen-
den Zugs durch diesen, eines andern durch jenen Erzäh-
ler schneeballartig sich vergröberte. Mit der Zeit aber
finden sich nun allerdings durch solche Sagen begabtere
Köpfe zur eigenen poetischen oder religiös - pragmatischen
Bearbeitung derselben angeregt, und die meisten mythi-
schen Erzählungen, welche uns aus dem Altertum auf-
behalten sind, wie der troisohe, der mosaische, Sagen-
kreis, liegen in dieser überarbeiteten Gestalt uns vor. Hier
nun scheint absichtliche Erdichtung sogleich sich einmi-
schen zu müssen : doch auch nur von unrichtigen Voraus-
setzungen aus. Es ist nämlich unsrer verständigen und
kritischen Zeitbildung fast unmöglich, sich in eine Zelt
8) Worte Baua's in seiner Recens. von Müller'* Prolegomenen,
in Jahk's Jahrbüchern f. Phiiol. u. Pädag. 1828, 1. Heft, S. 7.
Einleitung. §. 14. 105
and Bildung surilcksuversetnen , in welcher die Phantasie
so kräftig wirkte, da£s ihre Gebilde in dem Geiste dessen
sribet, der sie schuf, sieh an Wirklichkeiten yerfesten
kennten. Allein die nämlichen Wunder, welche in min-
ier gebildeten Kreisen die Phantasie, thut ja in gebildeten
4er Verstand« Nehmen wir den nächsten besten pragma-
tmreaden Historiker der alten oder neuen Zeit, z. B. Li-
nas. Numa, sagt dieser, habe den Römern eine Menge
religiöser Gebräuche gegeben, ne luxuriarentur otio animi,
aad weil er die Religion für das. geeignetste Mittel gehal-
ten habe, multitudhiem imperitam et Ulis seculis rudern
im Zaume an halten. Idem, sagt der Geschichtsbhreiber
weiter, nefastos dies fastosque fecit, quia aliquando nihil
cum populo agl utile futurum erat *)• Woher wufste Li-
nas, dafs diefs die Beweggründe des Mama waren? Sie
waren es in der Wirklichkeit gewifs nicht. Aber Livius
glaubte es. Es ist eine Combination seines reflectirenden
Verstandes, die ihm aber so notb wendig schien, dafs er
sie mit Toller Deberseugung als Wirklichkeit vorträgt.
Die Volkssage oder ein alter Dichter hatte sich die Pro-
dnctivität des JNuma in Beaug auf religiöse Einrichtungen
anders erklärt, nämlich aus Zusammenkünften desselben
mit der Göttin Egeria, welche ihm geoffenbart fcabe, was
für Dienste den Göttern die willkommensten seien. Man
siebt, das Verhältnifs ist auf beiden Seiten ziemlich gleich :
wenn die letztere Erzählung Einen Urheber hat, so meinte
dieser, das geschichtlich Gegebene nur durch die Voraus-
setzung einer Zusammenkunft mit einem höheren Wesen,
wie Livius nur durch die Unterlegung politischer Absich-
ten, erklären zu können; jener hielt das Prodnct seiner
Phantasie, wie dieser die Combination seines Verstandes,
Ar Realität 10).
9) I, 10.
SO) Auf ähnliche Weise zeigt Gsoiies, S. 26f , wie jeder Ge
106 Einleitung. §. 14.
Man wird die Möglichkeit bewußtloser Erdichtung,
seihet wenn bestimmt ein Einzelner aU Urheber hervor«
tritt, vielleicht zugeben, wo das Mythische nor in der
Ergfinsung and Ausschmückung eines gegebenen Geschicht-
lichen durch einzelne unhistorische Züge besteht; wo hin-
gegen die ganze Ercählung erdichtet, und ein geschichtli-
cher Kern gar nicht su finden ist, wird man fortfahrea
su behaupten, dafs hier die Annahme bewufstloser Dich-
tung u) unmöglich sei. Mag es sich in dieser Hinsicht
mit der auswärtigen Mythenbildung verhalten wie es will:
bei der N. T. liehen wenigstens läfst sich anschaulich ma-
chen, wie gerade diese Art von Dichtungen Über Jesum
am leichtesten ohne Bewufstsein entstehen konnte. Die
messianische Erwartung war schon lange vor Jesu Zeit
im israelitischen Volk erwachsen, und eben damals sur
gröTsten Reife und Ausbildung gediehen. Nun war sie
schon von Anfang an keine ganz unbestimmte gewesen,
sondern durch mehrere Momente bestimmt und umschrie-
ben. Einen Propheten , wie er gewesen , hatte angeblich
Moses seinem Volke verheifsen (5. Mos. 18, 15: 7pnj?ö ITC)
(TJVJS» rfjrr 7|S D*j£ %p% 7JTJWD , und diese Steile wurde
su jener Zeit vom Messias verstanden (A. G. 3, 22» 7, 37).
Daher der rabbinisohe Grundsatz: Stfä D ftlftn StfUD
fnriK ; was dann auch in einseinen Zügen ausgeführt wurde,
die man vom Messias nach dem Vorbilde des Moses er-
wartete12). Der Messias sollte ferner aus dem Geschlechts
lehrte, der eine nicht mehr nach allen Beziehungen bekannte
Vergangenheit darzustellen unternehme, unbewusst Mythen
Lüde.
11) Das Vergnügen , an dem Ausdruck : hcwusstlosc Dichtung,
als einem „Widerspruche in termtnts", sich zu stossen (Mach,
Bericht über D. Strauss kritische Bearbeitung des L. J., S.S.),
' will ich dem Berichterstatter auch in dieser Auflage lassen.
12) Midrasch Hoheleth f. 73, 3. (bei Schott«*, Aar«* Aeeroseoe
Einleitung. $. 14. 10T
Davids kommen, als ein «weiter David dessen Thron in
Besitz nehmen (Matth. 22, 42; Luc. 1, 32; A.G. 2, SO):
daher erwartete man snr Zeit Jesu, dafs er, wie David,
in dem kleinen Bethlehem geboren werden würde (Job*
7, 42 ; Match. 2, 5 f.)« In jener mosaischen Stelle war der
vermeintliche Messias als Prophet bezeichnet ; wie er denn
saeh seinem Begriffe nach die Spitze und der Schlafs des
Propbetenthams war. Nun aber waren die Propheten in
der alten Nationalsage durch die wunderbarsten Thaten
aad Schicksale verherrlicht. Wie konnte man von dem
Messias Geringeres erwarten? Mnfste nicht sein Leben
schon cum Voraus mit dem Herrlichsten und Bedeutend-
sten ans dem Leben der Propheten geschmückt werden?
Mußte ihm nicht die Volkserwartung ebenso an der Licht-
seite des Lebens der Propheten Anthefil geben, wje später
der erschienene Messias, Jesus, seine und seiner Anhänger
Leiden als Antheil an der Nachtseite des Schicksals der
Propheten auffafste (Matth. 23, 29 ff. Luc. 13, 33 ff. , vgl.
Matth. 5, 12*? Hatten Moses und die Propheten alle vom
Messias geweissagt (Joh. 5, 46b Luc. 4, 21. 24, 27): so
lag es, bei der typoiogi sehen Richtung des jüdischen Vol-
kes, nahe genug, wie ihre Aussprüche als Weissagungen,
et tahnudicae, 2, S. 251 f.) Ä Berechias nomine ß. Isaad
dixit: Quemadmodum Goet primus (Moses), sie etiam postre-
mus (Messias) comparatus est. De Go&e primo autonom
seriptwra dicitf Kxod. 4, 20.: et sumsit Moses uworem et /&-
tios, eosque asino fmposutt. Sic Go& postremus, Zaxhar. 9, 9*:
pauper et insidens asino. Quidnam de Goeie primo nostif Is
descendere fecit Man, g. d. Exod. 16, 14.: ecce ego piuere
faciam vobi* panem de coelo. Sie etiam Goal postremus
Manna descendere faciet, g. d\ Ps. 72, 16.: erit muttitudo
frumentt in terra. Quomodo Goel primus comparatus fuit t
Is ascendere fecit puteum : sie qnogue Go& postremus ascen-
dere faciet aguas , g. d. Joel 4, 18. * et fons e domo Domint
egrodtetur, et torrentem Sttttm irrigaHt
i
108 Einleitung. §,. 14.
so ihre Thaten und Schicksale als Vorbilder für den Mes-
sias ku betraohten. Endlich aber wurde die messianische
Zeit überhaupt als eine Zeit der Zeichen und Wunder er*
wartet. Die Augen der Blinden sollten anfgethan , die
Ohren der Tauben eröffnet werden, der Lahme sollte
hupfen, und die Zunge des Schwerredenden Gott preisen
(Jes. 35, 5 f. 42, 7. vgl. 32, 3. 4.)« Dieb,, zunächst snm
Theil blofs bildlich gemeint, wurde bald eigentlich ver-
standen (Matth. 11, 5. Luc. 7, 21 f.), und auch hiedurch
das Messiasbild schon vor dem Erscheinen Jesu immer
mehr in das Einzeln e gezeichnet 13). So waren manche
Sagen über Jesum nicht erst neu zu erfinden, sondern
nur von dem in der Volkshoffnung lebenden Messiasbilde,
in welches selost *ie, vielfach umgeformt "), gröfstentheils
13) Tanchuma f. 54, 4. (bei Schöttgkk a a. O. S. 74.) : B. Acha
nomine R, Samuelis bar Nachmani dixit: Quaecumque Dens
8. B. facturus est JOS TTw? (tempore messiano) ea jam
ante fecit per tnanus justorum HTH .oSlJO (seculo ante Mes-
Harn elapso). Dens 8, B, suscitabit mortuos, id quod jam
ante fedt per Eliam, Eltsam et Ezechtelem. Mure eaesicca-
bit9 prout per Mosen factum est Oculos caecorum apertet,
id quod per Elisam fecit, Dens 8. B. futuro tempore visita-
bit steriles, guemadmodum in Abrahamo et Sara fecit. Wenn
allerdings diese Stelle unmittelbar etwas über die A. T. liehen
Gottesmänner aussagt, dass nämlich die Wunder der messia-
nischen Zeit schon in der ihrigen sich finden ( Ho*fmanh , S.
112.): *o ist diess doch nur eine Zurückwendung zu der
Quelle, aus welcher jene Züge des Messiasbildes grössern -
theils ursprünglich geflossen waren. Die Erwartung der all-
gemeinen Todtenerweckung hatte allerdings ihre eigene Quelle ;
dass die Augen der Blinden sollten geöffnet werden, mag
durch Jes. 35, 5. 42, 7. veranlasst sein : aber dass dieser Zug
sofort eigentlich genommen, und dass namentlich Austrock-
nung des Meeres erwartet wurde, ltfsst sich doch nur als
Nachbildung der A. T. liehen Mythe erklären.
14) Dass die A. T. liehe Sage , auch ohne Beziehung auf den
V
Einleitung. §. 14. 10»
aus dem A. T. gekommen waren, auf Jesum Obersutra«
gen 1S) und naeh dem Geiste seiner Persönlichkeit nnd
Lehre so bestimmen: und hiebe! konnte e§ nun leichter
ab irgend sonst geschehen, dafs derjenige, welcher etwa
saerst einen solchen Zog in die Verkündigung von Jesu
hineintrug, selbst glaubte, dafs sich diefs wirklich mit ihm
zugetragen habe, nach folgendem Schlüsse: Mit dem Mes-
sias mofs sich das und das begeben ; Jesus war der Mes-
sias : folglich wird sich jenes eben mit ihm begeben ha«
ben ")•
Freilich eben von dem Untersatze, kann man sagen,
dafs Jesus der Messias gewesen, würden seine Zeitgenos-
sen sieh um so weniger haben Überzeugen können, je be-
Messias, in der späteren Zeit manche Um- und Weiterbildung,
erfuhr, und folglich aus der theilweisen Unähnlichkeit der
Erzählungen von Jesu mit denen von Moses und den Prophe-
ten um so weniger geschlossen werden darf, dass >ene sich
nicht aus diesen haben entwickeln können , erhellt x. B. aus
der Yergleichung von Stellen wie A. G. 7 , 22. 53* und der
entsprechenden Abschnitte bei Josephus, Antiq. 2. u. 3., mit
der Erzählung des Exodus über den Moses. Ferner vergl.
mit der biblischen Erzählung über Abraham Antiq. 1, 8, 2.;
über Jakob 1, 19, 6. ; über Joseph 2, 5, 4.
15) Gborsb, S. 125. : „Denke man sich die feste Ueberzeughng,
die unter den Jüngern bestand, dass Alles, was von dem Mes-
sias im A. T. geweissagt worden wäre, nothwendig in der
Person ihres Meisters erfüllt sein müsse ; denke man sich da-
bei, dass Vieles in dem Leben Christi schon leerer Raum ge-
worden war: so sieht man gar keine andere Möglichkeit ein,
als dass jene Vorstellungen sich verkörpern mussten, und dass
so die Mythen entstanden , die wir finden. Ja , wäre selbst
durch die Ucbcrlieferung noch eine wahrere Vorstellung von
dem Leben Jesu möglich gewesen: diese Ueberzengung hatte
in Ihrer Stärke sie Überwinden müssen.u
16) Vergl. über einen ähnlichen Schluss griechischer Dichter
O. Müiabk, Prolegomena, S. 87.
110 Einleitung. §. 14.
stimmte? die Erwartung wunderbarer Thaten und Schick«
sale des Messias in der allgemeinen Vorstellung gegeben
war, wenn er dieser Erwartung nicht wirklich genfigt
hätte. Allein aller derjenigen Züge, welche für Wunder
angesehen zu werden sich eigneten, wird auch die fol-
gende Kritik das Leben Jesu nicht entkleiden: was aber
noch fehlte, das ersetzte, so lange er lebendig gegenwärtig
war, der übermächtige Eindruck seiner Persönlichkeit and
Rede, welcher ein ängstliches Reflectiren auf alle Seiten
jenes messianischen Mafsstabes nicht aufkommen lief«;
aueh wurde er theils nur sehr allmählig in gröTseren Krei-
sen als der Messias anerkannt, theils mag sich das Volk
schon zu seinen Lebzeiten manches Abenteuerliche von
ihm erzählt haben (vgl. Matth. 14, 2) ; nach seinem Tode
aber lag in dem, wodurch auch immer entstandenen, Glau-
ben an seine Auferstehung mehr als hinreichende Ueber-
zeugungskraft für seine Messianität: so dal* das übrige
Wunderbare in seinem Leben nicht als Grund des Glau-
bens an dieselbe vorausgesetzt zu werden brauoht, sondern
als Erzeugnis aus diesem Glauben hergeleitet werden
kann«
Keineswegs soll jedoch jene Unbewufsthelt und AH-
aichtslosigkeit auf alle und jede A. u. N. T.liohe Erzäh-
lungen ausgedehnt werden, welche wir als unhistotisch
betrachten müssen» Bei allen Sagenkreben, zumal wenn
■ich ein patriotisches oder religiöses Parteiinteresse damit
verknüpft, und wenn sie Gegenstände freier dichterischer
oder sonstiger schriftstellerischer Behandlung werden,
mischt sich auch bewufste und absichtliche Dichtung ein.
So wenig die Urheber der homerischen Gesänge gerade
alles und jedes Einzelne, was sie von Göttern und Heroen
erzählten, für wirklich so vorgefallen halten konnten; so
wenig der Verfasser der Chroniken ganz ohne Bewufstsein
darüber gewesen sein kann, dafs er in der Abweichung
von den Büchern Samuels und der Könige manche spfitere
Einleitung. §. 14. 111
Verhältnisse in die frühere Zeit übertrug ; oder der Ver-
fasser des Bachs Daniel l7) , dafs er dessen Geschichte der
des Joseph, seine Weissagungen aber dem Erfolge nach-
bildete : ebenso wenig möchte sich diefs von allen unhisto-
riftehen Erzählungen der Evangelien, wie z. B. vom ersten
Kapitel des dritten, und manchen Barstellungen im vierten
Evangelium, behaupten lassen. Aber eine Dichtung, wenn
sie auch nicht absichtslos ist, kann darum doch immer
noch arglos sein. Gans dasselbe VerhUtnifs «war, wie
bei eigentlichen Gedichten, findet hier niebt statt, da der
eigentliche Dichter nicht, wie die voraussettüichen Urheber
17) Die Vergleichung der ersten Kapitel dieses Buchs mit der
Geschichte des Joseph in der Genesis gibt eine belehrende
Anschauung yon der Tendenz der späteren hebräischen Sage
und Poesie, neuere Verbältnisse nach dem Vorbilde von älte-
ren zu gestalten. Wie Joseph nach* Aegypten : so wird Da-
niel nach Babylon gefangen abgeführt (1, 2); er muss seinen
Namen ändern (V. 7.)> wie Joseph; Gott gibt ihm, dass ihm
der jyO'Hign "tftfj wie jenem der DTQI^n "tfP DHD > günstig
wird (V. 9. ) j er enthält sich der Verunreinigung durch den
Genuss von des Königs Speisen und Getränken , welche ihm
aufgedrungen werden (V. 8 ff.): zur Zeit des Antiochus Epi.
phanes eine ebenso verdienstliche Entsagung, wie die des Jo-
seph gegenüber der Frau des Fotiphar ; er macht sich hierauf,
wie Joseph, durch Deutung eines Traums, den der König ge-
habt hat, und über welchen ihm seine D^ÜHn keine Aus-
kunft zu geben wissen, diesem bemerklich (H. 2.) 5 wobei die
Darstellung, dass Daniel nicht nur die Bedeutung, sondern
den Traum selbst, der dem Könige entfallen war, anzugeben
im Stande ist , als abenteuerliche Uebertrcibung dessen , was
Joseph leistete, erscheint. Merkwürdigerweise hat sofort hei
Josephus die Geschichte Daniels wieder auf die des Joseph
zurückgewirkt; wie Nebukadnezar den Traum, und die nach
Josephus ihm zugleich geoffenbarte Deutung : so hat nach
demselben such Pharao die ihm mit dem Traume gezeigte
Deutung vergessen. Antiq. 2, 5, 4.
112 Einleitung. §. 14.
mancher biblischen Dichtungen, voraussieht und beabsich-
tigt, dafs sein Gedicht als Geschichte werde genommen
werden: aber eben das ist sra erwögen, dafs im Altertbmn,
namentlich im hebräischen, and besonders in religiös auf-
geregten Kreisen dieses Volkes, Geschichte und Dichtung,
wie Poesie und Prosa überhaupt, noch nicht so bestimmt,
wie jetzt unter uns, geschieden waren. Es hat hiemit eine
ähnliche Bewandtnifs, wie mit der Tbatsache, dafs na-
mentlich unter den Juden und ältesten Christen die ach-
tungswerthesten Schriftsteller ihre Werke angesehenen
Namen unterschoben, ohne hiebet einer Unwahrheit und
Täuschung sich bewufst zu sein« — Nur die Frage ksnn
hier noch entstehen, oh dergleichen Erdichtungen eines
Einzelnen auch noch Mythen eu nennen seien? An sich
wohl nicht mit Recht, sondern nur in dem Falle, wenn
sie Glauben finden , und in die Sage eines Volks oder ei-
ner Religionspartei fibergehen; was dann immer zugleich
beweist , dafs sie vom Verfasser nicht blofs nach eigenen
Gedanken, sondern im Zusammenhange mit dem Bewufst«
sein einer Mehrheit, abgefafst waren 18).
Was oben über die Entstehungszeit mancher evange-
lischen Mythen bemerkt ist , hat nun aber sein Hauptge-
wicht in der Hinsicht, als so häufig eingewendet wird, die
Zeit von etlich und N dreifsig Jahren vom Tode Jesu bis
cur Zerstörung Jerusalems, innerhalb welcher der gröbere
Theil der evangelischen Erzählungen sich gebildet haben
müsse, und selbst bis in den Anfang des zweiten Jahr-
hunderts hinein, den längsten Termin für den Ursprung auch
der jüngsten evangelischen Erzählungen , und zugleich ftr
die schriftliche Abfassung unsrer Evangelien, sei viel zu
kurz, um die Entstehung eines so reichen Mythenkreises
innerhalb derselben denkbar zu finden ft9)* Er ist nämlich
18) So auch J. Muller, theol. Studien u. Kritiken, 1856, 3, S. 839 ff. •
19) So fast alle Beurtheiler der ersten Auflage.
Einleitung, f. Ift. 11t
grtffrten Tfaeile nach nicht erst Ib dieser Zeit
— i feienden, sondern seine erste Grundlage, die A. T. liehe
Mythe, sehen vor and nach den babylonischen Exil; die
Uebertngang anf den erwarteten Messias and dengenäfso
Gnkildnng ging in den Jahrhunderten von da bis auf
Jesuse tot sieh: so dafs för die Zeit Ten den Znsannen*
feilte der ersten Gemeinde bis cor Entstehung der Evan-
gelien nur noch die Uebertragung der grtffstentheils sehen
gebildeten nessianischen Sagen auf Jesom, sannt der Mo-
attention derselben in christlichen Sinne und nach den
individuellen Verhältnissen Jesu und seiner Umgebung,
ihrig blieb; während nnr verhältnUsmäfsig wenige erst
völlig neu zu bilden waren*
1 15.
Begriff und Arten des evangelischen Mythus.
Ans allen Bisherigen ergibt sieh nun der bestimmte
Sinn, in welchem wir den Ausdruck : Mythus, fttr gewisse
Theile der evangelischen Geschichte gebrauehen; sogleich
nagen die verschiedenen Arten und Abstufungen des My-
lutschen, welchen wir in dieser Geschichte begegnen dürf*
tnij liier vorausnahnsweise aufgeführt werden«
Evangelischen Mythos nennen wir eine solche,
aof Jesus unmittelbar oder mittelbar sieh bestehende
ErsähJung, welche und so weit wir sie nicht als Ab-
druck einer Thatsache, sondern als Miederschlag einer
Idee seiner frühesten Anhänger betrachten dürfen. — Der
Mythne in diesem Sinne wird uns auch hier, wie auf an-
deren Gebieten, theils rein fftr sich, als Substans der Er»
sählnng, theils als Accidens an wirklicher Geschichte, he*
Der reine Mythus in Evangelium wird swei
Quellen haben, die aber in den neisten Fällen nur mit
abwechselndem Uebergewiehte des einen oder des andern
Zuflusses nur Mythenbildung sosannenwirken werden.
Dom Lebern Jesu Ue Aufl. 1. Bernd S
114 Einleitung. $. 15.
Die eine dieser Quellen ist , wie bereits erwähnt , die
schon* vor and unabhängig von Jesu anter dem jüdischen
Volke vorhandene Messiaserwartung nach ihren einzelnen
Zügen; die andere der eigentümliche Eindruck, welchen
Jesus, vermüge seiner Persönlichkeit, seines Wirkens and
Schicksals* hinterlief*, und durch welchen er die Meeslaa-
idee seines Volkes modificirte. Fast gana aas der ersteren
Quelle — r aas der andern nur mit dem Zuge vermehrt»
dafs die Erscheinenden .mit Jesu von seinem Aasgange sich
unterredet haben — ist u. B. die Verklärungsgesehiehte
geflossen; wogegen an der Erzählung vom Zerreifsen des-
Vorhangs beim Tode Jesu die Stellung den Hauptanstofa
geliefert au haben scheint, welohe sieh Jesus selbst, and
nach ihm seine Gemeinde, cum jüdischen Tempeldienste
gegeben hatte. Ist schon hier etwas Historisches, nur aber
ein blofs allgemeiner Zug des Charakters, der Verhältnisse
u. dgL, die Quelle der mythenbildenden Idee: se werden,
wir ebensobald auf den Boden des
Mythus an der Geschichte versetzt, als ein be-
stimmter eineeiner Vorfall die Grandlage ist, deren sich
die Begeisterung bemächtigt, and sie aas der Idee von
Christus heraus mit mythischen Bildungen umschlangen
hat. Eine solche Thatsaehe ist bald eine Rede Jesu: wie
die von den Menschenfischern, dem unfruchtbaren Feigen«
bäume* welche jetzt in Wundergeschichten verwandelt vor
uns liegen ; bald eine wirkliche Handlang oder Begeben«
h ei t aas seinem Leben: wie s. B. die mythischen Züge in der
Taafgeschichte auf eine solche aufgetragen sind , oder wie
einseinen Wandergeschichten natürliche Begebenheiten cum
Grunde liegen mögen, welche sofort die Erzählung theile
in eine fibernatürliche Beleuchtung gestellt, theib auf
wunderhaften Zügen ausgestattet hat.
Während die bisher aufgeführte* Bildungen stamt*
Heb, euch nach der neuen, schärferen Begriffsbestimmung
von Ghoros, mit Recht als Mythen beaeiohnet werdet* se»
Einleitung. $. 16. 11»
ron dem Uahisterlsohen an ihnen, sei et nun all*
mlbJig in der Ueberlieferung, eder bestimmt doreh Eines
{Meter gebildet worden, jedesmal die Idee der Ausgange«
yeukt Ist: so mag nun allerdings filr solche Partien > in
welchen Unbestimmtheit nnd Lückenhaftigkeit, flfifsrmv
ftnmd und Ümdentang, Vermischung nnd Verwirrung, wie
sie beim Hindurehgange durch längere aeflhdUche Uebei*»
Merung steh einnafinden pflegen, oder umgekehrt eine
AntcbartlieMteft und Ausmalung sieh bemerken lassen, die
amf ebrndü gleichen Ursprung hlnsudeuten scheine» — - flu?
Stiche Partien nmg allerdings die Benenamng des Sagen«
haften angemessener sein.
Ven beidem, dem Mythischen wie dem Sagenhaften,
ist endBeb dasjenige sn unterscheiden, was einerseits ohne
tfaer bestimmten Idee m dienen , und andrerseits ohne
auf der Uefcerlieleraeg sieh berEusehreibatiy rein ak indi»
riduefte* nur Yeransebauliehung, Verbnffpftjug, Steigerung
e. dgf. dienende, Zntfcatt des- Schriftstellers- erscheint^
Bier war es nur am AufniMang der Tcrschiedenea
Formen des Uifhieterischenr an der evangelischen Geschichte
es «Iran: dem Historischen, welche» sie daneben, in- M-
tfaeiri Hafte noch enthalt, ist UeaaÜ nichts «evjjeben»
$. 16.
• »
Kriterien des Uahlstoritchen in der evangelischen Erzählung,
let bisher nach tfsfteVM wie Inneren Gründen die
Möglichkeit des Mythfechcrv und Sagenhaften in den Evan-
gelien dargethan, und dessen Begriff und Arte« bestimmt :
se fragt sich sehliefslfeh noch , wie sein wirkliches Vor-
handensein fm einzelnen Falle sich erkennen lasse?
Der Mythos , wie er selbst» die ewei Seiten an eich
hat, erstlich nicht Geschichte, sondern zweitens eine aus
der Geisteariehtung einer gewissen Gemeinschaft hervor-
gegangene Dichtung sn sein; se wird er eben auch an
diesen swei Seiten, mitbin einerseits an negativen, andrer-
116 Einleitung- §• 16.
sehe an positiven Kriterien , als solcher sieh erkennen
lasse» ')•
I. Dafs ein Bericht nicht historisch , etwas Ersäht-
tes nicht so geschehen sein ktfnne, wird sieh vor Allem
daran erkennen lassen, wenn es
1) mit den bekannten und sonst fiberall geltenden
Gesetzen des Geschehens unvereinbar ist.
Zn diesen Gesetzen gehört esx nun vor Allem, dafs.
ebensowohl richtigen philosophischen Begriffen, als alter
beglaubigten Erfahrung zufolge, in die. Kette der beding-
ten Ursachen niemals die absolute Causalitit mit eincelnea
Acten eingreift, indem sie vielmehr eben nur in der Her-
vorbringung der Gesammtheit endlicher Ursächlichkeiten
und ihrer Wechselwirkung sich offenbart. Wo uns denn
nach ein Bericht eine Erscheinung *>der Begebenheit mel-r
det, mit der ausdrücklichen oder au verstehen gegebenen
Behauptung, dafs sie unmittelbar durch Gott selbst (Theo-
phanien, Himmeisstimmen u» dgl.) oder durch menschliche
Individuen in Folge übernatürlicher Ausrüstung durch ihn
(Wunder, Weissagungen) herbeigeführt worden seien.: da
haben wir insoweit keine historische Relation annuer-
•
kennen. Und sofern überhaupt die Einmischung von We-
sen einer höheren Geisterwelt in die menschliche sieh
theils nur in unverbürgten Berichten findet, theils mit
richtigen Begriffen unvereinbar ist : so kann auch was von
Engel« und Teufels- Erscheinungen und Einwirkungen be-
richtet wird, unmöglich geschichtlich genommen werden«
Ein weiteres Gesete, das wir bei allem Geschehen
beobachten können, ist das der Suecession, wornach auch
Jbei den gewaltsamsten Epochen und schnellsten Verände-
rungen dennoch Alles in einer gewissen Ordnung und
. >
1) Vergl., «asser den-1}. $: angeführten älteren Schriften, nock
von Boam, die Genesis, S.XVII, und besonders Gaoaes,
Mythos und Sage, S. 91 ff.
Einleitung. & 1& HT
Folge» 1a ailmahligem Waehsthum und Abnehmen vor sieh
geht« Wird ans demnach von einem grofsen Individuum
gesagt, dasselbe habe das Aufsehen, das es Im Mannesalter
hervorbrachte, bereits bei seiner Geburt nnd in den ersten
Kinderjahren gemacht; wird von seinen Anhingern er-
zihk, sie haben ihn beim ersten Anblick schon ak denje-
aigeu, der er war, erkannt ; wird nach seinem Tode demn
Aufsah wung von tiefster Niedergeschlagenheit aar höchsten
Begeisterung als Werk einer einsigen Stande gefaßt : so
missen wir mehr als zweifelhaft werden, ob wir hier Ge-
schichte vor uns haben.
.Endlich kommen hier alle psychologischen Gesetze In
Betraeht, welche es unwahrscheinlich machen, dafs ein
Meoseh gegen alle menschliche, oder doch gegen seine
sonatige Art und Weise empfunden , gedacht und .gehan-
delt haben sollte; wie s. B. wenn die jüdischen Synedri-
sten der Aussage der an Jesu Grab gestellten Wfichter,
dals er auferstanden sei, Glauben geschenkt, und, statt sie
zu beschuldigen, sie werden wohl im Schlafe sich seinen
Leichnam haben stehlen lassen, sie bestochen haben sollen,
eben died auszusprengen. Auch das gehört bisher, dafs,
allen Gesetzen des menschlichen Erinnerungsvermögens
■nah, Reden, wie die Jesu im vierten Evangelium, nicht
treu behalten und wiedergegeben sein können.
Allerdings geht oft Manches, besonders in und durch
geniale Persönlichkeiten, plötzlicher vor sich, als man er-
warten sollte, und wie oft handeln die Menschen ineonse-
quent und charakterlos: deswegen werden die zwei leta-
leren Punkte mit Vorsicht und nur in Verbindung mit
andern als Kriterien des Mythischen zu gebrauchen sein.-
1) Doch nicht allein mit den Gesetzen des Gesche-
hens, auch mit sich selbst und mit anderen Berichten darf
eine Relation nicht im Widerspruch stehen, wenn sie ge-
schichtliche Geltung ansprechen will*
Am entsefciedensten is{ der Widerspruch als contra-
HS Einleitung. $, 1*.
dfctorieehcr , wenn die eine Relation sagt, was die andre
Uogoet: wie; wenn die eine Ersfthlung Jesum ausdrttok-
lieh erst nach der Verhaftung des Täufers in GalilÄa auf-
treten ttftt> die andre aber, nachdem Jesus schon Ilagera
Zeit in Galiläa sowohl als in Judäa gewirkt hatte, be-
merkt, Johannes sei noch nicht in das Gefltagaifs gewer«
fon gewesen*
Stellt hingegen der «weite Bericht statt dessen, waa
der erste gibt, schlechtweg etwas Anderes hin : so betrifft
der Widerspruch entweder mehr formelle Punkte, wte
Zeit (Tempelreinigung) , Ort (früherer Aufenthalt der El-
tern Jesu), Zahl (Gadarener, Engel am Grabe), Namea
(Matthäus und Levi) ; oder aber die Materie der Begeben*
halten selbst. In dieser Hinsieht erscheinen bald Charak-
tere und Verhältnisse in der einen Erzählung gans anders,
als in der andern : wie wenn s. B. nach dem einen Refe~
ranten der Ttafer Jeeujn als den *um Leiden bestimmten
Messias erkannt, nach dem andern an seinem leidenden
Verhalten Anttoft genommen haben soll; bald wird ein
Vorfall auf »wei oder mehrerlei Weisen dargestellt , wo-
von doch nur die eine der Wirklichkeit gemftl* sein kann :
wie wenn nach dem einen Berichte Jesus seine ersten
Junger am galiläisehen See von den Netten weg berufen,
nach dem andern in Judffa und auf dem Wege nach Ga-
liläa gewonnen haben soll. Auoh das UUst sieh hieher
sieben, wenn Begebenheiten oder Beden als sweimal vor-
gekommen nebeneinandergestellt werdet , welche einander
so ähnlich sind, dal* man nicht annehme* kann, sie seien
öfter als nur Einmal gesprochen worden oder vorgefallen«
Es fragt sich, wiefern su den Widerspräche* der
Berichte auch das su sibleq ist, wenn den eine von et-
was schweigt, was der andere meldet? Au sieh und
ohne Weiteres gilt ein solches argunffltfvm ex eikmtfo ge-
wifs nicht; wohl aber dann, wenn sich beweisen laUst,
dafs der andre Referent, wenn er von der Sache gewußt,
Einleitung. §. J«. }10
ala hftite berühren, and wenn sie vorgefallen* von ihr wie*
tan anüseen*
11. Positiv ala Sage and Dichtung ist eine £i»«h-
lang theila an der Farm, theila an Inhalte tu erkennen.
1) kt die Form poetisch, wechseln die Handelnden
hymnische Reden , länger und bqgeieterter , nie aich von
ihrer Bildung and Sitnatien erwarten iäfetr ao sind we-*
nigetena dieae Reden nicht al« historisch anauseben. .l)fo
Abwesenheit dieses formellen Merkmals übrigens beweist
neeh keineawega den biatoriaehen Charakter einer Sraäb-
laag, da der Mythita die einfachste, scheinbar galus. bl-
etorieehe, Ferm liebt. Hier kommt dann Aüea ,Mgf ;djBj|
Inhalt an.
2) Stimmt der Inhalt einer Rraählnng auffallend ag-
eaaeemen mit gewiesen, innerhalb dea Kreises ihrer Entste-
hnag geltenden Vorstellungen, welche aelbet eher d+rnaob
aaseehen, aaa vorgefaßten Meinungen, ala nach der JSrfah«
rang gebildet «u sein: ao wird ein mythischer Ursprung
dar Eraäblung je nach Umständen mehr oder weniger
wahrscheinlich. Schon daa, dafa wir wiesen: die Jaden
machten grobe Männer gerne an Kindern lange unfrußht<-
bar gewesener Mütter, mufe uns mifatraniaob machen ge*
gen die geschichtliche Wahrheit der Angabe , dafs diefti
bei Jehannea dem Täufer der Fall gewesen; dafa uns be-
kannt ist: die Joden aaben in den Sobriften ihrer Prophe-
ten nad Dichter überall Wciaeaguagen, and im Leben der
früheren Gotteemäcuier überall Vorbilder auf den Messias,
gibt ans die Vermutbung au die Hand, waa im Leben Jean
mmlHßh naob aolehen Anaaprfiehen und Vorgängen abge-
schattet ist, möchte wohl eher Mythe als öeschiohte sein.
Die einfacheren Kriterien dea Sagenhaften und dea
rem Schriftsteller Hiuaogethanen bedürfen nach dem, waa
im verigen 5- darüber bemerkt worden ist, keiner be-
sondern Ausführung mehr«
Doch, jeden dieaer (iründe einerseits« und jede
140 Einleitung, f. 16.
evangelische Ersählang andrerseits, einzeln für sieb ge-
nommen, würden wir in den wenigsten Fällen weiter «1»
bis zu blöder Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit eines
anhistorischen Charakters der Berichte kommen. Dm
greisere Sicherheit des Resultates herbeizuführen, mösaen
erstlieh mehrere jener Grinde zusammentreffen. Die Ge-
schichte mit den Magiern und dem Kindermorde zu Beth«
lebem stimmt zwar auffallend mit der jüdischen Vorstel-
lung ron dem durch Bileam geweissagten Messiasstern
und mit dem Vorbifde des pharaonischen Blutbefehls flber-
ein: doch darum allein könnte sie noch nicht sicher flir
mythisch ausgegeben werden. Nun kommt aber dazu, dal*
das vom Stern Erzählte den Naturgesetzen, die angebliohe
Handlungsweise des Herodes den psychologischen wider-
spricht; dais von dem Blutbad in Bethlehem der sonst
über Herodes so ausführliche Josephus mit allen andern
Geschichtsquellen schweigt, und dafc der Magierbesueh
sammt der Flucht nach Aegypten in dem einen , und die
Darstellung im Tempel in dem andern Berichte sich gegen**
seitig aueschliefsen. Wo auf diese Weise alle Arten von
Kriterien des Mythischen zusammentreffen, da ist das Re-
sultat gewifs ; sonst um so sicherer , je mehrere und stär-
kere sich zusammenfinden.
Zweitens aber hätte vielleicht eine Erzählung, für
•Ich genommen , nur schwache oder gar keine Merkmals
des Ungeschichtlichen: sie hängt aber mit andern zusasn-
men, oder ist doch von demselben Referenten, berichtet
wie andere, welche durch entscheidende Grunde in des
mythische oder sagenhafte Gebiet verwiesen werden, und
einen verdächtigenden Widerschein auch auf sie zurück-
werfen« So kommen auch in jeder, noch so wunderhaf-
ten, Erzählung Zöge vor, die an sieh wohl historisch sein
könnten, aber ihrer Verbindung mit dem Uebrigen wegen
gleichfalls zweifelhaft werden müssen.
Doch diefs greift gewissermafsen der Frage vor, wel-
Einleitung. «. 1* MI
hier MhfafilMfa noch sieh steik, ob uamlinh die Kri-
terien de« UngesehiohtUeuen eben Mir diejenigen Zöge ei-
ner ErsJhlung, an welchen sie sieh unmittelbar finden,
«kr euch die übrigen , nnd ob der Widersprach nweier
■Weihte nar den einen, oder beide zugleich, ak unhisto-
luth keanbar mache ? Diefs ist die Frage nach der Grins«
Kais den Historischen nnd Unhistorisehen, — die schwie-
rigste auf dem ganaea Gebiete der Kritik *)•
Für 's Erste, wenn nwei Erafihlungen sich aussehlio»
neu, so ist hiednreh allerdings nuniohst nnr die eine als
■auisteriach erwiesen ; denn nnr sofern die eine Platn
laden seil , muf* die andre weichen , weicht aber jene ,
ss kann diese Plats finden. So ist es in Bezog aof den
fiisjsren Wohnort der Eltern Jen nicht unrichtig , mit
iaisehiiefsnng des Matthäus, der deutlich Bethlehem als
sskhen ▼oranssetnt, nach Lukas Naaaret'dafftr anauaeh-
■ea, and überhaupt von nwei unvereinbaren Berichten
denjenigen, welcher weniger als der andere den natirUp
ebm u. a. Gesetsen widerstreitet, oder gewissen Volks-
■nd Parteimeinnngen entspricht, als den historischen vor-
nsiehen. Näher betrachtet jedoch: so gut die eine Er*
nahlung erdichtet sein kann, ist diels auch bei der andern
■äjgtieb; das Vorhandensein Einer mythischen Bildung
aber einen gewissen Punkt neigt, dafs die Dichtung in
Beeng auf denselben tbitig war (man denke nur an die
Genealogien), nnd es wird,, dafs der eine von nwei sot-
eben Berichten geschichtlich sei, in letzter Beaiehung doch
nur durch den Zusammenhang oder die Zusammenstimmung
unesiben mit anderweitig verbürgten Stucken sicher no
entscheiden sein.
Die Theüe Einer und derselben Erufthlung anlan-
3) Hiezn ▼ergl. Tholvch : Ueber das VerhältniH der Differenten
im Detail tnr Wahrheit im Ganzen ; Glaubwürdigkeit a. s. f.,
S. 457 ff.
IM Einleitung. $. 16.
geud, kannte man an «lob glauben, unbistoriacb «ei zwar
%. B. das, dafs der Maria ein Engel angekündigt haben
seil, sie werde den Meaaiaa gebären: defawegen könnte
Aber doch so viel wahr sein, dafa Maria ver der Gebort
Jesu diese Hoffnung hatte« Allein was sollte alsdann diese i
Erwartung in ihr rege gemaebt haben? Wir sehen: trage«
sehichtlich ist aneh das, was, für sieh wohl denkbar, mit
etwas Undenkbarem so Eusammenhängt, dafs sieh ohne
dieses kein Grand von jenem denken ifi&t* Oder, wenn
eine Handlang Jesu als Wunder erzählt ist, so könnte,
das Wunderhafte abgesogen, das Uebiige sich doch so,
als gans natürliches Ereignifs, angetragen haben« ülefs
mag bei einigen Wundergeschichten , wie namentlich den
Diimooenaustreibangen , mit einiger Einschränkung denk«
bar sein. Aber bei diesen nur defswegen, weil hier eine
so schnelle und nur durch ein paar Worte vermittelte,
Kur, wie sie der Evangelist beschreibt, psychologisch
nicht undenkbar ist, also dessen Ereählung im Wesentlk
eben unangetastet bleibt Anders «. ß. bei der Heilung
des Blindgeborenen. Wer hier eine natürliche Heilnng
annimmt, mufs diese sogleich so sueeessiv sich denken,
dafs dadurch die evangelische Ersählong, welcher sufolge
die Sache plötzlich erfolgt ist, als wesentlich unrichtig
hingestellt wird, wodurch dann die Bürgschaft auch fir
den et wenigen natürlichen Rest wegfällt, der Überdiefs
nicht ohne willkürliche Vermuthungen herausgefunden
werden kann.
Was in solchen Fällen das Entscheidende ist, wird
aus folgenden Beispielen hervorgehen. Dafs, ab Maria
eu der schwangeren Elisabet eintrat, dieser das Kind im
Leibe sich bewegt, der Geist sie ergriffen, und sie die
Maria als Messiasmutter begrüfst haben soll, hat sichere
Kriterien des Unhistorischen gegen sich: defswegen aber
könnte, scheint es, Maria wähl einen Besuch bei Elisa-
bet gemacht haben, wobei nur Alles natürlich angegangen
KUiLeltaag. t », m
wäre. Ja der Taot. jedoch stehen sjgeh {eeJion> der Heise
4er Verlobten psychologische Schwierigkeiten entgegen,
und der gante Besuch sammt der Verwandtschaft beide»
Frauen seift sieh mi dem Bestreben entstanden, die
Mutter des Messias mit der das Vorläufers zesammenzu-r
(Haren. Oder wenn es heilst, die Männer, welche Jesu
saf des« Verklfirungsberge erschienen, seien Moses and
Elias, der Glanz, der ihn daselbst snoflofs, ein übernn.^
tffrlieher gewesen : so. könnte man . aneh hjer nach Abzug,
des Wanderbaren nach awel Männer and eine Morgen-
befevehtang Übrig behalten« Ailein nicht blofs zwei gegen
bene Männer Cderea Person, Absieht and Benehmen über?
diefs höchst räthselbaft bleibt, wenn sie nicht waren, wo-,
flfar die . Erzählung sie nimmt) aa Moses und £Uas au
machen, sondern die ganae Zusammenkunft an erdichten,
war die Sage doreh die umlaufenden Vorstellungen Qber
4as Verhältnifs des Meesias av Janen beiden veranlafst;
and ebenso nicht hjol* eine gegebene Beleuchtung (weiche
äberdiefs, wenn sie eine natürliche war, sehr übertrei-
bend and .anrichtig »beschrieben wäre) als eine wander-
rolle au fassen, sondern sje frei an schaffen, durch
Erzählung vom leuchtenden Antlitz des Moses«
Hieraus ergibt sieh der Kaaon: wo nicht blofs
albere Art and Weise eines Vorgangs kritisch yerdäob-
dg, sein äofseres Beiwerk in*s Wunderbare geaeiehnet ist
a. dgL, sondern auch der innere Kern und Grundstock
desselben theils andenkbar , theils einer messianischen
Verstellung der damaligen Juden auffallend ähnlich sieh
adgt, da mufs nicht nur der bestimmte angebliche Her-
gang der Sache, sondern der ganae Vorfall als solcher
für ongeschicbtlich gehalten werden. Wo hingegen nur
Einzelnes an der Form einer erzählten Begebenheit Kri-
terien des Unhistorischen gegen sich hat, der allgemeine
Inhalt derselben aber nicht, da bleibt wenigstens die Mög-
lichkeit, noch einen geschichtliehen Kern vorauszusetzen ;
124 Einleitung, f. M,
wtewobl, ob ein ioloher wirklich yorfaanden »ei, und
warin er bestehe, sofern es nieht durch anderweitige Com-
binatlonen gefunden werden kann, niemals mit Sicherheit
ftu bestimmen ist. Leichter läfct sich bei sagenhaften, oder
von dem Schriftsteller ausgesch'mfickten Ersählongen durch
Abzog dessen, was sich als falsche Anschaulichkeit, Ue-
bertreibnng n. dgi. verrith, dnrch Versuche, das Ver-
mischte zu scheiden and die Locken' so ergänzen, die
geschichtliche Grundlage wenigstens annähernd aussondern«
Immer aber wird die Grlnelinie zwischen dem Ge-
schichtlichen und Ungeschichtlfehen in Berichten, welche,
wie die evangelischen, dieses letztere Element in sich auf-
genommen haben, eine schwankende und fließende blei-
ben; am wenigsten kann man von dem ersten umfassen-
deren Versuche, die Berichte von kritischem Standpunkte
su bearbeiten , bereits eine scharfgezogene Grfinze verlan-
gen ; in dem Dunkel, welches die Kritik durch Auslösellen
aller bisher dafür gehaltenen historischen Lichter ange-
richtet, mufs das Auge erst durch allmfihlige Gewöhnung
wieder Einzelnes unterscheiden lernen: und Wenigstens
der Verfasser dieses Werkes verwahrt sich hiemit aus-
drflcklich dagegen, dafs, wo er erklärt, nicht au wissen,
was geschehen sei, ihm die Behauptung untergelegt werde,
tu wissen, es sei nichts geschehen.
Erster Abschnitt.
Die Geschichte der Gebort und
Kindheit Jesu.
•
i*+mmm
!
Eritti Kapitel.
Verkündigimg mnd Gebvrt des Täufers.
f» 17.
Dit Erzählung det Lukas*) und deren unmittelbare , •npranatu-
raUstitche Auffassung.
»
Dem öffentlichen Auftritte Jesu schicken alle nnsre
Evangelisten den des Täufers Johannes voraus: seinem
ersten Eintritt in das Leben den Lebensanfang des Täu-
fers voranzustellen , ist dem eineigen Lukas eigen* Diese
Erzählung kann auch von einer, eigentlich nur dem Le-
ben Jesu gewidmeten Betrachtung nicht übergangen wer-
den: theils wegen des engen Zusammenhangs, in welchen
schon von vorne herein das Leben des Täufers mit dem
Leben Jesu gesetzt wird ; theils wegen des Beitrags, wel-
chen der bezeichnete* Abschnitt zur Charakteristik der
evangelischen Berichte liefert. Denn dafs derselbe, sammt
dem Debrigen der beiden ersten Kapitel des Lukas, un-
ieht und spätere Zuthat sei, war eine unkritische Ver-
nthung Soloher, welche den damals noch neuen mythi-
schen Standpunkt, den diese Kindheitsgeschichte zu for-
*) Ein» für allemal mag hier erinnert werden, dass, wo in den
folgenden Untersuchungen kurzweg von Lukas, Matthäus u.
s. f. gesprochen wird, immer nur der Verf. des dritten, er-
sten u. s. w. Evangeliums gemeint ist ; unentschieden , ob Je-
der von ihnen der apostolische Mann dieses Namens, oder ein
späterer Unbekannter war.
1S0 Erster Abschnitt»
dem schien , auf das übrige Evangelium Mwuwewien sieb
scheuten *)•
Ein frommes priesterliches Ehepaar Ist In vergebli-
cher Sehnsucht nach Kindern gealtert: als eines Tages
dem Priester beim Räuchern im Heiligühom der Enger
Gabriel erscheint, nnd ihnen in ihren alten Tagen eineir
Sohn verhelfst, der als Gottgeweihter leben, und der weg-
bereitende Vorläufer des in der messianisoben Zeit sein
Volk heimsuchenden Gottes sein werde* Als Zachariaa
wegen seines und der Elisabet hohen Alters die Verheis-
sung bezweifelt, wird ihm vom Engel als Zeichen und
Strafe zugleich bis zur Erfüllung Stummbeit auferlegt,
welche wirklich andauert, bis bei der Beschneidung des
nunmehr geborenen Sohnes der Vater ihm den vom Engel
vorgeschriebenen Namen beilegen soll, worauf er mit wie-
dererlangtem Sprachvermögen in einen Hymnus ausbricht
(Luk. 1, 5 — 25. 57 — 800.
Dafs hiemit der evangelische Bericht wirklich eine
Reihe äufserer, und zwar wunderbarer, Vorgänge: efpe
von Gott veranstaltete, durch die Erscheinung eines der
höchsten Geister vermittelte Vorherverkündigung des mea-
sianischen Vorläufers, eine nicht ohne besondern göttli-
eben Segen bewirkte Schwangerschaft, und eine auf aus-
serordentliche Weise sowohl eingetretene als gehobene
Stummheit, erzählen wolle, scheint sich zunächst von
selbst bu verstehen. Eine ancfere Frage ist, ob auch wir
dieser Ansicht des Berichterstatters beitreten, und uns
überzeugen können, dafs wirklich der Geburt des Täufers
eine solche Reihe von wunderbaren Ereignissen vorange-
gangen sei?
Den ersten Anstofs, welchen die neuere Bildung an
der vorgelegten Erzählung nahm, bildet die Engetersehei-
1) S. das Verzciclmiss bei Huwfc, Com«, in Luc«, Proleg.
p. 247 ff. /
Erstes Kapitel« $. 17. IM
g, theils eis solche überhaupt, tbeils diese lo Ihrer be-
nderen Beschaffenheit» Was das Letalere betrifft, so
gibt sieh der Engel selbst su erkennen als raßQtyly 6
luxf&zipaog twmiov t5 &t5 (1, l°0» an^ hier fand man es
nan ondenkbar, dafs der göttliche Geisterstaat wirklich
gerade so beschaffen sein sollte, wie sich die nachexilt-
aehen Jaden denselben dachten , and dafs sogar die Na-
nsen der Engel in der Sprache dieses Volkes gegeben sein
sollten z). In der That kommt hier selbst der Sopranata-
raJist aaf seinem Boden in einiges Gedränge« Wären
nSmlich Namen and Rangordnung der Engel , -wie sie ia
mosrer Erzählung vorausgesetzt werden , orsprflnglich auf
Boden der geoffenbarten hebräischen Religion erwacht*
n; hätte Moses oder einer der älteren Propheten diese!«
ben festgesetzt: so könnten and mfifsten sie auf suprana«
toralistischem Standpunkt als richtig angenommen werden.
fiun aber linden sich jene näheren Bestimmungen der
KsgeUehre erst in dem makkabäischen Daniel *) and dem
Apokryphum Tobia *) ; offenbar in Folge des Einflusses
der Zendreiigion; wie denn die Juden selbst beneugen,
"eWs die Engelnamen mit ihnen aus Babylon gekommen
*)• Hieraus ergibt sieh eine Reihe fär den Suprana-
2) Paulus, exeget. Handbuch, 1, t, S. 78 f. 96. Bauer, hehr.
Mythol. 2. Bd. S. 218 f.
3) Hier Michael all ITfltWnn D^jteH "IHK bezeichnet, 10, 15.
Gabriel, 8, 16. 9, 21.
4) Hier Raphael als hs J* wr htra ayUar ayyiltoi', ot — ekxo?evor'-
rm frumov rq; S%& t5 iyU (12, 15), fast wie Gabriel bei Li*-
Xas, die Zahlbestimmung ausgenommen. Diese ist der Zahl
der persischen Amschaspands nachgebildet, vergl. um Warrs,
bibl. Dogmatik, §. 171 b).
5) Hieros. rosch haschanah f. 56, *. (bei LtwmrooT, horae hebr.
et talmud. in IV Evangg., p. 723): R. Simeon ben LacMsch
dielt: nomina angelorum aicenderunt in manu Israelis ex
Babylone. Nam antea dUtum esU mdvolmoit md ms uaui rö?
Det Üben Jesu Vt Aufl. I. Bsmd. •
\
I
130 Erster Abschnitt.
tnralisten Infserst bedenklicher Fragen. Sind diese Vor«
Stellungen, eo lange sie noch blofs bei auswärtigen Völ-
kern waren, falsch gewesen, nnd erst, als sie zu den Ja«
den abergingen, wahr geworden? oder sind sie von jeher
wahr gewesen, nnd. haben also abgöttische Völker eine so ,»
hohe Wahrheit früher entdeckt, als das Volk Gottes? 1
Waren Jene Völker von besondrer göttlicher Offenbarung fc
ausgeschlossen , kamen sie also durch ihre eigne Vernunft i
früher auf jene Entdeckung , als die Juden mittelst ihrer c
Offenbarung: eo scheint ja die Offenbarung fiberflüssig, i
oder nur negativ, d» h. cur Verhinderung eines au frühen j
Bekanntwerdens, wirksam zu sein; nimmt man aber, um t
dieser Conseqnens ausauwelchen , lieber auch bei jenen v
nichtisraelitischen Völkern einen offenbarenden Einflufe
Gottes an: so löst sich der supranaturalistische Stand«»
trankt auf, und wir dürfen, da in den sich gegenseitig
widerstreitenden Religionen doch nicht Alles geoffenbart
sein kann, kritisch auswählend verfahren. Da werden
wir es nnn einem geläuterten Begriffe von Gott keines-
wegs angemessen finden, ihn, wie einen menschlichen Kö-
nig, von einem Hofstaat umgeben au denken; und wenn
man sich fttr das wirkliche Dasein solcher Thronengel so
gerne anf die vernünftigerweise anzunehmende Stufenlei-
ter der Wesen beruft 6) : so wird hiemit nicht die hebräi-
sche Vorstellung gerechtfertigt, sondern ihr eine moderne
untergeschoben. Man wäre also auf den Ausweg hinge*
wiesen, eine Anbequemung von Seiten Gottes anzunehmen,
cL h. daft er einen höheren Geist abgesendet habe mit der
Weisung, sich, um bei dem Vater des Täufers Glauben
zu finden , der jüdischen Vorstellung gemäfs , einen Rang
Seraphim, Seraphim steterunt ante eum9 Jet* 6; at post: tfr
Gabriel, Dan. 9, 2J, Michael princeps vester, Dan. 10, 2J.
6) Z. B. Olshauskn, biblischer Commentar zum N. T. 1. Tbl
S. 95. (3tc Auflage). VgL HonvAiuf, S. 124 f.
Erstes Kapital. J. 17. 131
■nd Titel beinlegen, die er eigentlich nicht hatte. Da
aber , wie sogleich sieh seigte , Zaeharias auch so
dem Engel nicht glaubte , sondern erst dem Erfolg : so
war Jene ganse Herablassung «nntltc , ond kann . daher
aieht von Gott veranstaltet worden sein. Waa im Beson-
dern noeh den Namen des erscheinenden Engels betrifft,
and die Unwahrscheinlichkeit , dafs die Engel gerade he-
brfiiaehe Namen haben sollen : se macht man swar dataof
anfnierksam, dafs der Name Gabriel appellativisofa in der
Bedeutung : Mann Gottes, genommen, gans richtig die Na-
tur eines solchen Wesens bezeichne, nnd indem er sieh in
dieser Bedeutung in allen Sprachen wiedergeben lasse,
keineswegs an die hebräische gebunden sei 0 : aber damit
umgeht man eben das eigentlich Anstöfaige, was an lösen
wäre, indem man das offenbar als Eigennamen sich ge-
bende Wort als blofses Appellativum fafst. Es müßte
also auch hier eine Accommodation angenommen werden,
dafs nämlich der Engel, um sich nach seinem Wesen fcu
bezeichnen, einen Namen sich beigelegt hätte, welchen er
nicht wirklich führte; eine Anbequemung, welche mit der
verigen beartbetlt ist.
Aber nicht allein Namen und angebliche Stellung des
Engels, sondern auch sein Reden und Benehmen hat man
anetöJsig gefunden. Zwar wenn Paulus sich dahin Aus«
sert, nur ein ievitischer Priester, nicht aber ein Engel
Jehova's, habe für nothwendig erachten können, dafs der
Knabe in nasiritischär Enthaltsamkeit leben sollte 8): so
Übt sich dagegen geltend machen , dafs auch der Engel
wissen konnte, unter dieser Form werde Johannes am
Meisten auf seine Nation bu wirken im Stande sein. Be-
denklicher aber ist das Andere. Als nämlich Zaeharias
in einem aus Ueberraschung und einer nahe liegenden
7) Ouiuvsnv, a. a. O. Homumi, S. 135-
8) a. a. O. S. 77.
9
13t Erster Abschnitt.
Ueberlegung hervorgegangenen Zweifel »ich ein
erbittet: so wird ihm .das vem Kngel ttlsbsld zun Verbre-
eben gerechnet, und er mit der Strafe des Verstummens
belegt. Wenn man nun auch nicht mit Paulus behaupten
mag^ ein wirklicher Engel würde den Untersuchungsgeist
des Prieaters vielmehr gelobt haben: so wird man ihm
doch in der Bemerkung beistimmen können, dafs ein so
gebieierisohes Verfahren weniger einem wirkliehen himm-
lischen Wesen, als der damaligen jüdischen Meinung Ton
einem solchen , angemessen sei. Auch auf supranaturaü-
stisehem Boden bat man keine rechte Parallele su diesem
harten Verfahren. Denn gegen die PAULCs'sche Berufung
auf das ungleich mildere Verfahren Jehova's mit Abra-
ham, welchem die gans gleiche Frage selbst ohne Tadel
hingeht, gilt es nur in Bezog auf die Stelle 1. Hos. 15, 8.,
was Olshavsen erinnert, Abraham habe diefs, nach V« 6,
ans- einer gläubigen Gesinnung herausgesproehen ; wogegen
nicht allein nach Kap. 18, 12. der weit entschiedenere
Unglaube der Sara in gleichem Falle ungestraft bleibt,
sondern auch nach 17, 17. Abraham selbst die göttliche
Verheifsung bis zum Lachen unglaublich findet, ohne auch
nut* getadelt su werden 9). Noch näher liegt das
9) Diese Parallele lässt Homuinv nicht gelten , weil Abraham
und Sara älter, mithin die Verheissung von Nachkommenschaft
bei ihnen weniger glaublich gewesen sei, als bei den Eltern
des Täufers (S. 137). Hier sieht man nun, was es mit der
HoFFMiNw'schen Verweisung auf das hohe Alter der Erzväter
( s. oben S. 33) Anm. 5* ) für ein Ernst gewesen ist. Dieses
Alter als geschichtlich Torausgesetzt) so war ja in einer Zeit.
wo das gewöhnliche Lebensziel der Männer auf 170 180
Jahren stand (Tharah 205, 1. Mos. 11, 32; Abraham 175, l.Mot.
25, 7; Isaak 180, 1. Mos. 35, 28), der hundertjährige Abra-
ham, von seinem Vater in dessen siebzigstem Jahre gezeugt
(l.Mos. 11, 26), verhältnisamäasig noch nicht einmal so weit
gegen das Lebensende vorgerückt, als in einer Zeit, in wel-
Erstes Kapitel. & 17. 139
der Maria, welehe Lue. 1, S4., «war einer noch gröfaerem
Un Wahrscheinlichkeit gegenüber, die aber gleichfalls durah
eine ausdrückliche göttliche Botschaft für nichtig erklärt
war, eigentlich ganz dieselbe Frage wie Zacharias macht ;
so dafs man immer mit Paulus wird sagen müssen, gewifs
sieht das Verfahren Gottes oder eines höheren Wesens,
*
sondern nur die Vorstellung der Joden von demselben
werde so folgewidrig gewesen sein. — Eben weil es ihnen
m der Art, wie es vorlag, selbst ein Anstefs war, haben
die orthodoxen Theologen für dieses Verstummen lassen al-
lerhand Gründe ausgesonnen. Hess glaubte das Verfahren
des Kugele gegen den Vorwurf der Willkürlichkeit da-
durch rechtfertigen su können, dafs er die Stommheit des
Zacharias als das einsige Mittel betrachtete, eine Sache
such wider seinen Willen geheim su halten, deren früh-
zeitiges Bekanntwerden für das Kind Johannes ähnliche
gefährliche Folgen hätte haben können, wie das Bekannt-
werden der Geburt Jesu durch die Magier sie für das
Jesuskind hatte "). Allein erstlich sagt von einem solchen
Zwecke der Engel nichts, sondern oinsig als Strafe und
Zeichen zugleich verhängt er die Stummheit (V. 20.);
dann aber mufs Zacharias den Hauptinhalt der gehabten
Erscheinung doch auch während seiner Stummheit wenig-
stens seiner Gattin schriftlich mitgetheilt haben, wie wir
eher das Lebensziel längst auf den Termin Ps. 90, 10. her-
untergesunken war, der, vermöge des Gesetzes (4. Mos. 8, 25.,
wie Hoffmawh anführt; richtiger) 4. Mos. 4, 3. *7., höchstens
funfzigjäHrige Zacharias. Das Alter der Elisabet lässt sich
nicht ebenso bestimmen ; war sie aber gleichfalls gegen 50,
so stand sie , ihre natürliche Lebensgränze zu 70 Jahren ge-
nommen, der 90jährigen Sara, welche 127 Jahre alt wurde,
(i. Mos. 23, I.) «0 ziemlich gleich.
10) Geschichte der drei letzten Lebensjahre Jesu, sammt dessen
Jagendgeschichte. Tübingen 1779. 1. Bd. S. 12.
134 Erster Abschnitt.
daran« sehen , dafs diese , noch ehe man ihren Mann be-
fragt, den dem Kinde bestimmten Namen kennt (V. 60.) ;
endlich, was half es, das ungeborne Kind swar durch er-
schwerte Mi« heilang seiner wundervollen Ankündigung si-
cher sn stellen, wenn das kanm geborene sogleich aller
Gefahr dadurch preisgegeben wurde, dafs durch die ge-
löste Zunge des Vaters und das Aufsehen der Scene bei
seiner Beschneidung die ganee Umgegend des Redens von
der Begebenheit voll ward ( V. 65.) ? Annehmlicher wäre,
wie Olshaüsbn die Sache ansieht , indem er den ganzen
wundervollen Hergang, also namentlich auch das Verstum-
men, als ein sittliches Erziehungsmittel für Zachariafe be-
trachtet , durch welches er seinen Unglauben kennen and
überwinden lernen sollte n); allein auch hievon steht theils
nichts im Texte, theils würde das unverhoffte Eintreten
des für unmöglich gehaltenen Erfolgs gewMs auch, wenn
der Engel statt des Verstummens nur etwa einen Verweis
angebracht hatte, seinen Unglauben gehörig beschämt be-
ben. Im Gefühle der Unzulänglichkeit dieses moralischen
Grundes für die Verhängung der Stummheit, verschmähen
es jetet manche Theologen nicht, der durch diese Schi-
ckung gesteigerten Stimmung des Zacharias an seiner phy-
sischen Befähigung cur Zeugung eines Sohnes Antheil ta
geben 12) : ein bedenklicher Seitenschritt der supranata-
ralistischen Ansicht gegen den rationalistischen Stand-
punkt hin.
Möchte übrigens das Benehmen des Engels noch so
begründet und gotteswürdig gewesen sein : schon die En-
gelerscheinung als solche würden Viele in unsern Tagen
unglaublich finden« Der Verfasser der hebräischen My-
thologie hat geradezu den Säte aufgestellt: wo Angelo-
phanien sind, da ist ein Mythus, wie im A. T. , so im
11) Bibl. Comm, 1, S. 115.
12) Lauge, S. 51 ; Hoffmanw, S. 138.
Erstes Kapitel. $. 17* 135
neuen IJ). * Vorausgesetzt auch, dafs es Engel gebe, so
können sie doch, urtheilt man, den Menschen nicht er-
scheinen ; denn sie gehören 4er Übersinnlichen Welt an,
welche auf nnsre Sinnorgane nieht einwirken kann: so
dafs es immer gerathen bleibt, ihre angeblichen Erschei-
nungen auf die blofse Einbildungskraft surficksuführen ").
Es sei nicht wahrscheinlich, sagt man ferner, dafs Gott
sie der gewöhnlichen Vorstellung gemftTs gebrauche ; denn
es lasse sieh kein rechter Zweck ihrer Sendungen erken-
nen, indem sie gewöhnlich nur der Neugier dienen, oder
defNeigung des Menschen, seine Angelegenheiton unthfftig
in höhere Hände zu legen , Vorschub thun lö). Auch das
müsse auffallen, dafs diese Wesen in der alten Welt zwar
bei den geringsten Veranlassungen sich geschäftig zeigen,
in der neuen aber selbst bei den wichtigsten Begebenhei-
ten mössig bleiben "). Wenn aber ihr Erscheinen und
Einwirken in die Menschenwelt, so ist ebendamit auch ihr
Dasein überhaupt bezweifelt, weil eben in fenen Verrich-
tungen ein Hauptsweck ihrer Existenz liegen soll (Hebr.
1, 14). Zwar lasse sich, meint Schlkikrmacurr "), das
Dasein von Engeln nicht als unmöglich nachweisen; doch
sei die ganze Vorstellung eine solche, welche in unserer
Zeit nicht mehr entstehen wflrde , sondern ganz nur der
alterthfimlichen Weltanschauung angehöre. Denn wenn
der Engelglaube eine gedoppelte Quelle und Wurzel habe,
die eine in dem natürlichen Verlangen unseres Geistes,
■ehr Geist in der Welt vorauszusetzen, als in der meosch-
13) Hebr. Mythol. 2, S. 218.
14) Bader, a. a. O. 1, S. 129. Pauli*, exeget. Handbuch, l,
a, 74.
15) Paulus, Commentar 1, S. 12.
16) Bausb, a. a. O.
17) Glaubenslehre, 1. TU. §. 42 und 45 (2tu Ausgabe).
156 firster Abschnitt.
liehen Gattung verwirklicht ist 18) : so ist nach Schleier-
macher dieses Verlangen für uns jetzt Lebende durch die
Vorstellung befriedigt, dafs auch andre Weitkörper aufser
dem unsrigen auf entsprechende Weise bevölkert seien 19),
womit diese erste Quelle des Engelglaubens abgeleitet ist;
die andre aber, die Vorstellung Gottes als eines von sei-
nem Hofstaat umgebenen Königs , ist ohnehin nicht mehr
die unsere, auch die Veränderungen in Natur und Men-
gchen weit, welche man sich sonst als von Gott selbst
durch dienende Engel bewirkt dachte, wissen wir jetst
aus Naturursachen cu erklären, oder stellen uns doch
diese Aufgabe: so dafs der Engelglaube jedes wahren Ad*
knöpfungtfpunktes an einen in der Bildung der neueren
Zeit wahrhaft Begriffenen entbehrt, und nur noch auf
todte, traditionelle Weise vorhanden ist. Das Ergebnifs
18) Diess ist der richtige und vorsichtig gewählte Ausdruck fdr
dasjenige, was gewöhnlich als die Forderung einer Stufenlei-
ter von Wesen vom Menschen zu Gott hin ausgedrückt
wird; „ein unchristlicher Mangel an Logik: als oh, Endlich-
keit und Unendlichkeit als feste Gegensätze genommen , der
Abstand zwischen der Creatur und Gott nicht immer ein un-
endlicher bliebe ; vielmehr aber, als ob nicht durch Christum
Gott und Mensch in Einheit gebracht wären " (Binder , Be-
merkungen über die Lehre von den Engeln und Dämonen, in
den Studien der evangel. Geistlichkeit Würtemhergs, 9, 2,
S. 18 f.). Sagt man aber mit Hoffmawn Mos : Wie der Mensck
mit fortschreitender Bildung immer weniger ghbae adscrip-
ftwwird: so m us s (jawohl!) noch eine höhere Bildung
möglich sein, vermöge deren die Wesen auch nicht mehr
globo adscrtptt sind (S. 125) - so fällt die willkürliche
Spielerei von selbst in die Augen.
19) Diese Bevölkerung lässt jetzt Linea (S. 45) durch die Ana-
logie unserer Luftballons und mit Hülfe der geringeren Schwere
mancher andern Planeten von diesen wegfliegen: und das sol-
len dann Engel sein.
Erstes Kapitel. $. 17. 1S7
verändert sieh nicht, auch wenn wir mit einem der neue-
sten Bearbeiter der Engeltehre 20) als den Ursprang die-
ser Vorstellung uns das ßedörfnifs des Menschen denken,
die beiden Seiten seiner sittlichen Doppelnatnr auseinan-
der so legen, and als anfser ihm befindliehe Wesen, En-
gel nnd Teufel, sich cur Anschauung zu bringen. Denn
•och «o bleibt der Ursprung beider Vorstellungen lediglich
ein subjeetiver, die Engel blofse Ideale creatüriicher Voll-
kommenheit, welche, wie auf dem untergeordneten Stand-
punkte des vorstellenden Bewußtseins entworfen, so auf
dem höheren des begreifenden Denkens zurückgenommen
werden*
Diesem ftr die Annahme von Engeln verneinenden
Ergebnisse der Zeitbiidong gegenüber sucht Olshausbn
ebenderselben, nach ihrer specolativen Seite, bejahende
GrSnde für die Wirklichkeit der vorliegenden Ersehet-
jiang abzugewinnen. Die evangelische Erzählung, meint
er, widerspreche einer richtigen Weltansicht keineswegs,
da ja Gott der Welt immanent, sie von seinem Hauche
bewegt sei 21)- Allein, eben wenn Gott der Welt imroa-
nirt, so braucht er am wenigsten durch Dazwischenkunft
von Engeln auf sie zu wirken; nur wenn er ferne, oben
im Himmel, thront, mag er Engel herabsenden, um
auf der Erde etwas vorzunehmen. Man würde sich wun-
dern müssen, wie Olshausbn auf jene. Weise folgern könne;
wenn nicht aus der Art, wie dieser Ausleger die Angelo-
logie and Dämonologie durchweg behandelt, erhellte, dafs
ihm die Engel nicht sowohl individuelle, persönlich für
sich bestehende Weaen sind, als vielmehr nur göttliche
Kräfte, vorübergehende Ausflusse und Fulgnrarionen des
göttlichen Wesens: so dafs die Vorstellung Olshauskns
von den Engeln in ihrem Verhältnifs zu Gott der sabellia-
20) Binder, a. au O., S. 11 ff.
21) Bibl. Cesua. 1. TkL. S. 115.
138 Erster Absohnitt.
nischen von der Trinkfit zu entsprechen scheint; dafs
aber diefs nicht die biblische Vorstellung sei, folglich
auch, was für jene yorgebraoht wird, für diese nichts
beweise , ist hier nicht weiter auseinander zu setzen.
Auch was der genannte Theologe ferner "sagt 9 man dürfe
die Gemeinheit des Alltagslebens nicht auch fftr die reich-
sten Lebensmomente ansres Geschlechtes fordern; in der
Zeit, als das ewige Wort sich in das Fleisch versenkte,
seien Erscheinungen der geistigen Welt in die unsrige ein-
getreten, die in minder reich bewegten Zeiten kein Be-
dürfnis waren S2) — beruht auf einem Mifsverständnifa.
Denn die Alltäglichkeit wird in solchen Momenten eben
dadurch unterbrochen , dafs Geister wie der des Täufers
in die Menschheit eintreten, und es würde kindisch sein,
die Zeiten und Umstände, unter welchen ein Johannes
entstand und sich heranbildete, defswegen alltäglich zu
nennen, weil es ihnen an Verzierung durch Engelerschei«
nungen gefehlt hätte; ebenso, was in solchen Zeitpunkten
die intelligibie Welt für die unsrige thut, ist eben, dafs
sie aufserordentliche Menschengeister sendet, nicht dafs
sie Engel auf- und niedersteigen läfst.
Wenn zur Vertheidigung der buchstäblichen Auffas-
sung dieser Abschnitte endlich angedeutet wird, eine sel-
che Vorzeichnung des Erziehungsplans für das zu gebä-
rende Kind durch den Engel sei nöthig gewesen, um es za
dem Manne cu machen, der es werden sollte 23) : so würde das
entweder zu viel voraussetzen, nämlich, dafs alle grofsen Män-
ner, um zu solchen erzogen zu werden, auf ähnliche Weise
in die Weit eingeführt werden müfsten; oder man mufste
sich anheischig machen, nachzuweisen, warum, was bei
den gröfsten Männern anderer Völker und Zeiten entbehr-
22) a. a. O. S. 89.
23) Hess, Geschichte der drei letzten Lebensjahre Jesu u. s. w.
1. Thl. S. 13. 35.
Erstes Kapitel, fi. IS. 139
Reh war, bei'm Täufer nothwendig gewesen sei: über-
haupt würde hiednrch zu viel Gewicht auf die Erziehung,
Eon Nachtheil der Entfaltung des Geistes von innen her*
ans, gelegt; endlich aber ist umgekehrt gegen die Auf-
fassang der Ersählang als einer wirklichen Wunderge»
schichte mit Recht dal geltend gemacht worden, dafs viel«
mehr Vieles in dem folgenden Leben des Täufers ganz
unerklfirlich werde bei der Voraussetzung, dafs sich wirk-
lieh so viele wandervolle Begebenheiten vor and bei sei-
ner Gebart ereignet haben. Denn allerdings, wenn Jo-
hannes schon von Anfang an so wunderbar auf Jesus, als
den, dessen Vorläufer er sein sollte, hingewiesen war:
so ist es nicht zu begreifen , wie er ihn vor seiner Taufe
nicht gekannt haben J und selbst später noch an seiner
Messianität irre geworden sein kann (Job. 1, $0. Matth.
Man wird somit der rationalistischen Kritik und Po«
lemik in dem negativen Ergebnisse Recht geben müssen,
dafs es vor und bei der Gebart des Täufers nicht so über-
natürlich sagegangen sein könne ; nur fragt es sich jetzt,
welche positive Ansicht von der Sache an die Stelle der
mmgestoftenen su setzen ist?
f. 18.
Die natürliche Deutung der Erzählung.
Die leichteste Aendernng, welche mit der vorliegen«
den Erzählung durch Unterscheidung des reinen Factum*
von dem Urtheil der betheiligten Personen im Sinne der
rationalistischen Auslegung vorgenommen werden könnte,
wäre nun diese, die Thatsache nach ihren beiden Haupt-
theilen: der Erscheinung des Engels, und dem Verstum-
14) Horst, in Hnna's Muse am , 1 , 4. S. 733 f. Gmaa, in sei-
nem neuest, theol. Journal, 7, I, S. 403.
14) Erster Abschnitt.
ton Zunge sieb selbst auf einige Zeit untersagt habe9)»
Neu belebt übrigens durch den außerordentlichen Vorfall
kehrt diesen Deutungen zufolge der Priester su seiner
Gattin aurüok, und sie wird eine zweite Sara.
Was nun die PAULDS'sehe Erklärung der Engeleiv
seheinung betrifft, auf welche alle andern entweder im
Wesentlichen hinauslaufen, oder durch ihre offenbare Un-
nahbarkeit hingetrieben werden: so kann man geradeso,
sagen, dafs sie das Wunderbare, an dessen Entfernung
sie so viele Mühe anwendet, nicht einmal vermeide. Denn
ihr Urheber gesteht selbst su , dafs von einer solchen Vi-
sion, wie er sie hier voraussetzt, die meisten Menschen
keine Erfahrung haben 6): sollen nun dennoch in einzelnen
Fällen dergleichen Zustände vorkommen, so mufs doch
theils eine besondre Anlage dazu vorhanden sein, von
welcher bei Zacharias nicht nur übrigens keine Spur sn
finden, sondern die auch in seinem vorgerückten Alter
nicht mehr su vermuthen ist; theils mufs eine bestimmte
Veranlassung hinsutreten , welche hier durchaus fehlt *),
denn ein so lange gehegter Wunsch äufsert sich nicht
mehr in ekstatischer Heftigkeit, und daa Räuchern im
Tempel konnte einen alten , gedienten Priester nicht wohl
aufser sich bringen« So hat Paulus hier nur ein göttli-
ches Wunder in ein Wunder des Zufalls umgewandelt;
ob aber gesagt wird: bei Gott ist kein Ding unmöglich;
oder: dem Zufall ist kein Ding unmöglich, ist beides
gleich precär und unwissenschaftlich.
Aber auch das Verstummen des Zacharias wird auf
diesem Standpunkte nur sehr unbefriedigend erklärt. Denn
war dasselbe nach der einen Erklärung durch einen
Schiagflufs herbeigeführt, so wird man,« wenn auch das
5) Exeget. Handb. 1, a, S. 77. 80.
6) a. a. O. S. 73.
7) Vgl. Schleikrrucher über die Schriften des Lukas S. 25.
Erstes Kapitel. §. 18. 143
PjjJLUS'flehe Bedenken ans 3. Mos. 21, 16 ff. durch die Ge-
genbemerkung von Lightfoqt 8) sieh hebt, doch mit
Schleiermacber. darüber sich verwundern müssen, wie
Zaeharias oneraehtet jenes Sehlagflosses frisch und übri-
gens gestund nach Hause gebt9)! ** a^> er gerade mit
dieser theilweisen Lähmung anderntheils die Kraft erhal-
ten haben mfifste, seinem langgehegten Wunsehe Erfüllung
m schaffen. Aueh das mu£» als ein senderbarer Zufall
bezeichnet werden, dafs gerade am Besehneidungstage die
Lähmung der Zunge gewichen sein soll , da , wenn diels
der Gewalt der Vaterfreude «geschrieben ^vird 10) , diese
gewifs am Tage der Geburt des Sohnes gröTser gedacht
werden muls, als an dem späteren der Beschneidung, wo
lieb dar Vater an den Besite des Kindes bereits gewöhnt
hatte. — Die andre Erklärung aber, dafii das Njehtreden*
kennen des Zaeharias nicht eine physische Unmöglichkeit,
seadern nur ein psychologisch an erklärendes Meinen,
lieht reden bu dürfen, gewesen sei, ist dem Wortsinn bei
Lukas anwider. Denn was beweisen alle die Stellen,
welche Paulus cum Beweis dafür aufhäuft, dais a dwapa*
akht allein ein wirkliches non posse 9 sondern aueh ein
blofaes non susünere bedeuten könne ")> gegen den klaren
Zusammenhang nnsrer Stelle? Wenn nämlich etwa auch
das eraäblende sx ydvvccto XaMjoai cevrcig (V. 22«) mit
Noth in jenem Sinne genommen werden könnte : so würde
doeh V. 20. der Engel in der visionären Vorstellung des
Zaeharias, wenn er diesem das Reden nur verbieten, nicht
unmöglich machen wollte, nicht gesagt haben : xal eot] ouo-
näv9 faj dvpdftevog XaXrjocu, sondern: toöi ouumäv, /07c)
8) Horae hebt, et talmud. ed. Carpzov. p. 722.
9) a. a. O. S. 26.
10) Wofür man sich auf Beispiele aus A. OcUius 5, 9 , und Va-
lerius Maximus 1, 8. beruft.
11) a. a. O. S> 97 f.
144 • Erster Abschnitt.
i
i
i i
I !
1
I !
GrtiJpypfiflS totfaai) wie auch das SiF/ueve xaxfog V.21-
natürlichsten von wirklicher Stummheit verstanden wird.
Soll also der Bericht, was auf diesem Standpunkte durch-
aus vorausgesetzt wird und werden mufs, genau das wie-
dergeben, was Zachariaa selbst Ober das ihm Begegnete
erzählte: so müfste, wenn man eine wirklich eingetretene i i
Stummheit läugnet, da er doch durch den Engel sich wirk- i i
lieh eine solche ankündigen läfst, angenommen werden, er i
habe, nnerachtet er hätte reden können, sich doch fttr
stumm gebalten; was auf Verrücktheit führen würde, die
man doch dem Vater des Johannes, ohne Nöthigung durch
den Text nicht wird aufbürden wollen« s
Auch das berücksichtigt die.se natürliche Erklärung i
su wenig, dafs ihr sufolge einer aus so abnormem See« i
leneustande entsprungenen Vorherverkündigung der Erfolg
mit unbegreiflicher Genauigkeit entsprochen haben mutete.
Ein solches Eintreffen einer visionären Voraussagnng
würde der Rationalist in keinem andern Gebiete glaublich
finden. Wie, wenn etwa Dr. Paulus von einer Somnam-
bule su lesen bekäme, sie habe in einer Ekstase die dea t
Umständen nach im höchsten Grade unwahrscheinliche Er-
zeugung eines Kindes, und nicht nur eines Kindes über- \
haupt, sondern bestimmt eines Knaben , und swar mit ge-
nauer Angabe sogar seiner künftigen Geistesentwickelung j
und geschichtlichen Stellung, vorausgesagt, und Alles sei i
aufs Genauste eingetroffen: würde er ein solches Zusam» t
mentreffen annehmlich finden? Gewifs, er würde einen j
solchen Blick in die geheimste Werkstfitte der Beugenden
Natur keinem Menschen in keinem Zustande sugestehen ;
namentlich würde er über Frevel an der menschlichen
Freiheit Klage erheben, welche durch die Annahme auf-
gehoben werde, dafs sich der ganze geistige und sittliche
Entwicklungsweg eines Mensohen wie der Ablauf eines
Uhrwerks vorherbestimmen lasse, und er würde ebendes-
wegen über Ungenauigkeit der Beobachtung und Unn-
-I .
i
I
Erstes Kapitel, f. 19. 145
verllfefgkeit eines Berichtes sich beschweret) , welcher so
«mögliche Dinge als geschehene erzähle. War am thut
er dieis nicht aach in Besag auf onsern N. T. liehen Be-
richt? warum findet er hier annehmlich, was er dort
verwirft? Herrschen denn in der biblischen Geschichte
andere Gesetze als in der übrigen? Diefs mnfs der Ra-
tionalist voraussetzen , wenn er das sonst Unglaubliche in
4er evangelischen Geschichte glaublich findet: damit aber
kehrt er zum sapranatnraiistischen Standpunkte zurück;
denn eben die Annahme, dafs die sonst gewöhnlichen Na«
targesetze für jene Geschichte nicht^ unverbrüchlich geinln,
ist das Eigentümliche des Supranaturaliamos»
Vor dieser Selbstvernichtung sich zu retten , bleibt
der dem Wunder ausweichenden Erklär ungsart nichts
Anderes übrig, als die buchstäbliche Richtigkeit der Er»
Zahlung zu bezweifeln. Dafs dieses die einfachste Aus«
kauft wäre, bemerkt auch Paulus, wenn er selbst veram-
thet, man werde sein Bemühen mit natürlicher Erklärung
eines Berichtes überflüssig finden , welcher nichts Andres
als eine von den lobpreisenden Jugendgesehichten sei, wie
sie von jedem grofsen Manne nach seinem Tode, oder
selbst noch zu seinen Lebzeiten, gedichtet werden* Den-
noch glaubt Paulus nach unparteiischer Erwägung diese
Analogie hier nicht anwenden zu dürfen. Sein vornehm«
ster Grund ist die allzukurze Zwischenzeit zwischen der
Gebart des Täufers und der Abfassung des Lukas- Evan-
gelinnas12); was wir nach dem in der Einleitung Bemerk-
ten geradezu umkehren, und den Ausleger fragen können,
wie er begreiflich machen wolle, dafs von einem so ge-
feierten Manne wie Johannes, in einer so aufgeregten
Zeit, seine Geburtsgeschichte nach mindestens tiO Jahren
noch mit urkundlicher Genauigkeit habe überliefert werden
tonnen? Hier hat Paulos die auch von Andern (wie üsy-
a. a. O. S. 72 f.
Das Leben Jesu Sic Aufl. LBanü. 10
140 Erster Abschnitt«
dbnrkich, Olshagsen) gebilligte Antwort bereit, vermnth-
lieb sei -der von Lukas 1, 5 — 2, 39. eingerückte Aafsats
eine unter der Verwandtschaft des Tfiufers und Jesu um-
laufende, wahrscheinlich von Zacharias verfafste, Familien-
naehrioht gewesen13); eine Hypothese, welcher schon K»
Ch.L* Schmidt entgegengehalten hat, eine so entstellte
(wir würden blofs sagen: ausgescbmfiokte > Erzählung
könne unmöglich ein Familienaufsata sein, sondern, wenn
sie nicht gans in die Klasse der Legenden gehöre, so sei
doch ihre etwaige geschichtliche Grundlage nicht mehr na
unterscheiden ")• Weiter wird angeführt , in der firstth-
lung selbst finden sieh Züge, welche kein Dichter hJftte
ersinnen können, welche somit darauf hinweisen, dafs der
Bericht ein unmittelbarer Abdruck der Thatsaehe sei. Ein
solcher Zog soll vor allen der sein, dafs die messianischen
Erwartungen der verschiedenen, Luc. 1. u. % redend ein-
geführten Personen so richtig nach ihren Umständen nnd
Verhältnissen gezeichnet seien 13) : allein diese Unterschiede
sind gar nicht so scharf vorhanden, wie sie Paulus dafür
ausgibt, sondern sie verhalten sich mehr nur als Fort-
schritt vom Allgemeinen cum Bestimmteren, der auch ei-
nem Dichter oder einer Volkssage natfirlioh ist; insbeson-
dere aber die judaisirende Fassung der ausgesprochenen
Messiashoffnungen, aus welcher man auf die Aufzeichnung
oder doch Fixirung dieser Ercihlungen vor dem Tode Jesu
achliefsen will, dauerte auch nach demselben noch fort
(A. G. 1, 6) l6j. Ueberhaupt wird man ScnLEiSRMAcnsn'a
beistimmen müssen, wenn er sagt, diese Reden lassen sieh
gerade am wenigsten als historisch genau im engsten Sinne
nehmen, und behaupten , Zacharias habe wirklich in dem
15) a. a. O. S. 69.
14) In Sciimidt's Bibliothek für Kritik und Exegese, 3, 1, S. 119.
15) Paulus a. a. O.
16) Vgl." de Wjstti, exeg. Handbuch, 1," 2, S. 9.
Erstes Kapitel. §. 19. 147
Augenblick, als er die Sprache wieder erhielt, sie auch
so jenem Lobgesang benutzt, ohne dnrch die Freude und
Verwunderung der Versammlung gestört an werden, durch
welche doch der Ersfihler selbst sich unterbrechen iäfst,
— sondern es müsse auf jeden Fall angenommen werden,
dafs der Verfasser von dem Seinigen hiosugefflgt, and die
Gesehichtserzihlang durch die lyrischen Ausbräche seiner
Hose bereichert habe17); denn was Küinöl vermnthet,
Zeeharias habe den Lobgesang erst nachher verfertigt und
niedergeschrieben, ist doch, neben dem Wunderlichen, dem
Texte eu sehr zuwider. Wenn aber die Erklärer sich
weiter darauf berufen, am allerwenigsten würde ein Er-
Inder gewisse andere Züge so richtig getroffen haben, wie
das Zuwinken, den Streit des Familienraths, und dafs der
Engel gerade cur rechten Hand des Altars gestanden l8) :
m zeigen sie nur, dafs sie von Poesie und Volkssage ent-
weder durchaus keinen Begriff haben, oder hier keinen
haben wollen ; da ja Sehte Dichtung und Mythe ' gerade
durch Anschaulichkeit und Natürlichkeit der einzelnen
Züge sich auszeichnet 19).
5. 19.
Die mythische Ansicht von der Erzählung auf verschie-
denen Stufen.
Die oben nachgewiesene Notwendigkeit und die an-
leimt dargelegte Möglichkeit, die historische Trene des
vorliegenden Berichts sn bezweifeln , hat mehrere Theolo-
gen veranlagt, die gance Erzählung von der Geburt des
17) Ueher die Schriften des Lukas, S. 23.
18) Paulus und Olskausm z. d. St., Heydburbxch a, a. O. 1;
S. 87.
19) Vgl. Horst, in Hexkr's Museum, 1, 4, S. 705; Vatäp, Com-
mentar zum Pcntatcuch, 3, S. 597 ff. J Hask L. J., §• 35 ; auch
Georgs, S. 5 • f 91.
10*
US Erster Abschnitt.
Täufers für eine Dichtung zvl erklären, entstanden ans
der Wichtigkeit, welche Johannes als Vorläufer Jesu für
die Christen hatte, und aus der Erinnerung an einige
A« T. liehe Ereählungen, in welchen lsmaels, Isaaks, Sa«
muels und namentlich Simsons Geburt auf ähnliehe Weifte
angekündigt wird. Doch nicht rein erdichtet sollte die
Sache sein: sondern als geschichtliche Wahrheit möge
cum Grunde liegen, dafs Zaeharias mit Elisabet lange in
einer unfruchtbaren Ehe gelebt; dats ihm einmal im Tem-
pel eine Stockung des Bluts seine alte Zunge gelahmt;
bald darauf aber seine bejahrte Frau ihm einen Sohn ge-
boren, und er in der Freude hierüber das Sprachvermögen
'wieder bekommen habe. Schon damals, noch mehr aber
als Johannes ein merkwürdiger Mann wurde, machte die
Geschichte Aufsehen, und es bildete sich die vorliegende
Erzählung *)•
Man mufs verwundert sein, unter anderem Titel hier
beinahe wieder dieselbe Erklärung sich vorgeführt eu se-
hen, welche bisher als natürliche beurtheilt worden ist; so
dafs die aufgenommene Voraussetzung möglicher Einmi-
schung späterer Sagen in die Erzählung fast keinen Ein-
fluß auf die Ansicht von der Sache selbst gehabt hat. Da
die Erklärungsweise, auf deren Boden wir jetzt getreten
sind, das Vertrauen sn den Berichten, als ächthistorischen,
einmal aufgegeben hat: so müssen ihr alle Züge derselben
an sich gleich problematisch sein; und ob sie einige doch
als geschichtlich festhalten soll, kann sich nur darnach
bestimmen, ob ein oder der andere Zug theils für sich
nicht so schwierig, theils nicht so im .Geist, Interesse und
Zusammenhang der dichtenden Sage ist, dafs sein Ur-
jsprong aus dieser wahrscheinlich würde. Als solche Züge
werden hier festgehalten die lange Unfruchtbarkeit der
I) E. F. über die zwei ersten Kapitel u. s. w. in Hbkkk's Ma-
gazin 5> 1, S. 16 ff., und Bauia, hebr. Mvthol. 2, 220 f.
Erstes Kapitel. §. 19. 149
Eiisabet und das plötzliche Verstummen des Zacharias : so
dafs nur die Erscheinung und Vorbersagung des Engels
preisgegeben wird. Da aber eben durch die Wegschaffung
der Angelophanie die Stommheit des Zaeharias in ihrem
plötzlichen Eintreten und Wied eraufhören ihre einsig ge-
aflgende übernatürliche Ursache verliert: so kehren hier
alle die Schwierigkeiten eurtick, welche an der natürli«
eben Dentnng in's Licht gestellt worden sind; wozu noch
die Felgewidrigkeit kommt, dafs man bei einmal betrete-
nem mythischen Standpunkte sich ohne alle Noth in diese
Verlegenheit begibt, da man ja nicht mehr dorch die Vor-»
anssetsung historischer Treoe der Berichte an Festhaltung
derselben gebenden ist. Das Andre aber, was als ge-
schichtlich beibehalten wird, die lange Kinderlosigkeit der
Eltern des Täufers, ist so gans im Geist ond Interesse
der hebräischen Sagenpoesie , dafs von diesem Znge am
wenigsten der mythische Ursprung verkannt werden sollte.
Wie verworren hat dieses« Verkennen s. ß. das Raisonne-
ment von Bauer gemacht! Man habe, sagt er, im jüdi-
schen freiste so geschlossen : Alle nach langer Unfruchtbar-
keit im yrorgerOckten Alter der Eltern geborenen Kinder
werden grofse Männer; Johannes war von alten Eltern
da und wurde ein angesehener Lehrer der Bufso : folglich
glaubte /man berechtigt zu sein , seine Geburt dorch einen
Engel ankündigen zu lassen. Weloh ein unförmlicher
SehloGi ! und das aus keinem andern Grunde , als weil er
das SpXtgeberensein des Johannes als gegeben voraussetzt.
Mao mache es zu etwas erst Erschlossenem: so gestaltet
sich der Schlufs ohne alle Schwierigkeit. Von bedeuten-
den Männern, lautet er nun, nahm man gerne an, dafs sie
Spatgeborene seien *) , und ihre , menschlich erweise nicht
2) Warum man diess annahm, erklärt am besten eine, für diese
Materie elastische, Stelle im Evangelium de nativitate Mariac,
bei Fabmcius, Codex apoeryphus N. T. J, p. 22 f, bei Thilo,
150 Krater Abschnitt.
mehr su erwartende Gebort durch himnilische Boten ver-
kündigt werde ; Johanne*' war ein grofser Mann nnd Pro •
phet: also machte die Sage auch ihn zu einem Sptftgebo-
renen, nnd liefs seine Geburt durch einen Engel verkün-
digt werden *). '
Weil auf diese Weise die Deutung der vorliegenden
Ers&bfung als eines halben (sogenannten historischen) My-
thus von allen Schwierigkeiten einer halben Mafsregel ge-
drückt ist : so hat sich schon Gabler lieber der* Annahme
eines reinen, philosophischen oder dogmatischen, Mythus an-
gewendet*), und Horst hielt, wie die ganzen ewei ersten
Kapitel des Lukas, so auch diesen Theil derselben, für eine
sinnreiche Dichtung, in welche mit der Geburtsgeschiohte*
I , p. 322 : Dens — heisst es hier — cum aHcujus uterum
claudit , ad hoc facit, ut mtrabiHus denuo apertat, et non
libidinis esse, quod nascitur, sed divini mune-
ris cognoscatur. Prima enim gentis vestrae Bora mater
norme usque ad octogesimum annum infecunda fuitt et ta-
rnen in ultima senectutis aetate genuit Isaac, cui repromissa
erat benedtctio omnium gentium, Rachel quogue, tantum
Domino grata tantumque a sancto Jacob amata, diu steriUs
fuit> et tarnen Joseph genuit, non solum dominum Aegypti,
sed plurimarum gentium fame periturarum liberatorenu Quis
in ducibus vel fortior Sampsone, vel sanctior Samuele? et ta-
rnen ht ambo steriles matres habuere, — ergo — crede — dt-
latos diu conceptus et steriles partus mfrabtltores esse solere*
Die christlich- ascetische Farbuug dieser Stelle hindert nicht
(Hoffmann, S. 141 f. ), in derselben den richtigen Ausdruck
der A. T. liehen Vorstellung zu finden. Man setze nur zu
Anfange an die Stelle des Ausdruckes : libidinis, etwa : natu-
rae, und sage dann, welche Bedeutung die Juden in jenen
Erzählungen von der Geburt des Isaak u. s. f., ihre geschicht-
liche Wahrheit auch vorausgesetzt, finden konnten, wenn
nicht die von unterem Apokryphum ausgesprochene.
3) Vgl. dk Wette, Kritik der mosaischen Geschichte, S. 67.
4) Neuestes thcol. Journal, 7, 1, S. 402 f.
Erstes Kapitel. $. 19. 151
des Messias auch die «eines Vorläufen aufgenommen, und
die Vorhersagen Ober dessen Charakter ond Wirksamkeit
nach dem Erfeige gebildet seien ; wobei gerade «neb die
redselige Umständlichkeit der Ersfthlung den Dichter ver-
rathe *). Ebenso hat Schleiermachbr wenigstens das erste
Kapitel des Lukas für ein kleines poetisches Kunstwerk
erkürt, in der Art mehrerer jüdischer Dichtungen , die
wir noch unter den Apokryphen finden* Er will «war
nicht das Ganne für durchaus ersonnen erklären K sondern
es mögen Thatsachen und weitverbreitete Tradition sum
.Grunde liegen ; wobei jedoch der Dichter sich die Freiheit
genommen , das Entfernte BusammensurOcken , und das
Schwankende der Ueberiieferung in festen Bildern zu be-
stimmen; wefswegen das Bestreben, die geschichtliche und
natürliche Grundlage, noch herauszufinden, leer und ver-
geblich sei °). Als Verfasser des Stocks hat schon Horst
einen jadaisirenden Christen vermuthet, und auch Schleier-
HACHE& nimmt an, dafs e*. von einem Christen ans der
veredelten jüdischen Schule au einer Zeit verfabt sei, in
welcher es noch reine JohannisjQnger gab, welche es cum
Christon thum herüberlocken sollte, indem es die Beziehung
des Johannes auf Christus als seine eigentliche höchste
Bestimmung angab, selbst aber von der Wiederkunft
Christi noch zugleich eine Xufterliche Verherrlichung des
Volkes erwartete.
Dafs eine solche Ansicht des Abschnitts die einzig
richtige sei , wird vollends gans klar werden , wenn wir
die A. T.lichen Erefihlungen genauer betrachten, welchen,
wie die meisten Erklärer erinnern, diese Verkündigung-
und Geburtsgeschiehte des Täufers auffallend ähnlich ist.
Hiebei darf man sich aber nicht vorstellen , wodurch man
•5) In Hsxkk's Muscum; I, 4, S. 702 ff.
6) a.a.O. S. 24 f. Dasselbe erkennt auch Hais an, Leben Jesu,
§. 52. vgl mit §. 32.
152 Erster Abschnitt«
jetct so gerne die mythische Ansieht von dem Abschnitte
widerlegt 7), der Urheber unsrer Ereählung habe die Zöge
derselben erst einsein aus dem A. T. susammengeblättert;
vielmehr waren die zerstreuten Züge, wie sie bei der spä-
ten Gebort verschiedener merkwürdiger Männer im A. T.
sich finden, dem Leser desselben schon vorher in ein Ge-
sammtbild zusammengeflossen, ans welchem er nun für den
vorliegenden Fall die geeignetsten hervorlangte. — Das
älteste Urbild aller Spätgeborenen ist Isaak. Wie Zacha-
rias und Elisa bet (V. 5.) TtQoßtßrpcoreg iv Talg rj(.tiqaig av-
tiov heifsen: so waren Abraham und Sara D^3 0^9
(1. Mos. 18, 11; LXX: 7tQoßeßrpc6reg rj/ueQtov*) y als ihnen
ein Sohn verheifsen wurde. Besonders aber ist aas dieser
Geschiebte in unsere Ereählung der auf das hohe Alter
der beiden Eltern gegründete Unglaube des Vaters und
seine Frage nach einem Zeichen herfibergenommen. Wie
nämlich Abraham, als ihm Jehova von einem Leibeserben
eine Nachkommenschaft verheifsen hatte, welche das Land
Kanaan besitzen werde, zweifelnd fragte: xard tl yvviao-
fiat, ort Hk^QOVOfx^ato awqv; (sc. rrjv yjjv. 1. Mos. 15, 8.
LXX): so hier Zacharias : xotra xl yvciooftai töto; (V. 18.)
Der Unglaube der Sara ist für Elisabet nicht benfitzt ; die-
ser Marne der Ovyar^o *Accqwv aber könnte an den gleichen
Namen von Aarons Gattin (2. Mos. 6, 23. LXX.) erinnern. —
Aus der Geschichte eines andern Spätgebornen , des Sim-
;on, ist der Engel genommen, welcher die Geburt des
Sohnes verkündigt. Dafs er in nnsrer Erzählung dem
Vater im Tempel erscheint, während er dort (Richter 13.)
zuerst der Mutter, dann dem Vater auf dem Felde sich
zeigt, ist eine Umänderung, welche sich von selbst aus der
Standesverschiedenheit der beiderseitigen Eltern ergab, in-
dem die Priester nach jüdischer Volksvorstellung eben
bei'm Räuchern im Tempel nicht selten Angelo • und
7) Z. B. Howmam«; S. H2 ff.
Erstes KapiteL S. 19.
15*
Tbeepbanien hatten *). Ebendaher ist die Vorschrift ent-
lehnt, welche den Johannes , dessen spSteres ascetisches
Leben bekannt war, schon vor seiner Geburt zum Nasir&at
bestimmt; wie bei Simson schon seiner Matter während
der Schwangerschaft Wein, starke Getränke und unreine
Speisen verboten, dann aber anch dem Sohne die gleiche
Diät vom Engel vorgeschrieben worden war *), »od zwar,
ähnlich wie bei Johannes, mit dem Beisätze, dafs der
Knabe schon von Mutterleib an Gott geheiligt sein wür-
de **)• Auch die Verbeifsung der fttr ihr Volk segensrei-
chen Wirksamkeit beider Männer ist analog (vgl. Luc. 1,
16. 17. mit Richter IS, 5.)> »o wie die Schlußformel Aber
das hoffnungsvolle Heranwachsen der beiden Knaben 11).
— Ans der Geburtsgeschichte eines dritten Spätgebornen,
des Samuel, möchte es zwar zu kfihn sein, die levitische
8) Wktsteiw zu *Luc. 1, 11. S. 647 f. führt Stellen aus Josephus
und den Rahhinen an, in welchen von Hohenpriestern solche
Erscheinungen erzählt werden; dass man aber auch hei ge-
wöhnlichen Priestern dergleichen vorauszusetzen leicht geneigt
war, liegt in unserer Stelle selbst, V. 22.
9) Rieht. 13, 14 (LXX.) : Luc. 1, 15 :
xa\ olror xai m'xfQa (al. iu- xat owov xat olxtqa « fiq nCg.
&voua, hebr. "Oö7) /uq ntirto.
10) Rieht. 13, 5 :
Sri rfliaflphYOY Zgai Ty #«3 (*L
Na±i(t 9ti* ?$ai) ro naiSd^tor
Jx t?5 yasqps (aL ano rrjg xtx-
l'a;).
11) Rieht. 13, 24 f. :
xai qvldyrfttr avror Kvoux; , xa\
*pirtfy (*!• yäqvyfy) ro ncuSa-
qtor' xat rfo%ftro nvevpa Kv^fn
avi/7f0^tvf<f9cu avrtp ir naQtju-
ßoljj dar, avajitöov JZafu xai
nvauf.Gov g&i&ao)..
Yergl. l.Mos. 21, 20.
Luc. 1, 15:
xai 7TV€vfiaro$ ayis nhjoSfjöezai
frt Ix xoJUag jurj^of avr*.
Luc. 1, 80:
to Se natS^oy qu$ave xai «*(xr-
Taittro nrfvjuan, xai, rtr *v raig
tqiyiioit , «fc*j fjiitftai avadtC&t»$
aurS n^og xov ^laaaqL
* v
I
154 Erster Abschnitt. ,
Abstammung des Johannes als blofse Nachbildung abzu-
leiten ( vgl. mit 1. Sara. 1,1. 1. Chron. 7, 27. ) ; aber die
lyrischen Ergüsse sind dieser Geschichte abgesehen, welche
sich im ersten Kapitel des Lukas finden. Wie nffmlieh
Samuels Mutter bei der Debergabe ihres Sohnes an den
Hohenpriester in einen Hymnus ausbricht (l.Sam. 2, Iflf.):
so hier der Vater des Täufers bei der Beschneidung sei-
nes Sohns ; nur dafs im Einzelnen dem Lobliede der Hanna
weniger das des Zacharias, als das der Maria nachgebildet
erscheint, auf welches wir später kommen werden. Dafs
der bedeutsame Name Johannes Q3n'W = Qeodcooog^ von
dem Engel zum Voraus angegeben wird, hat in der An-
kündigung des Ismael und Isask seinen Vorgang l2) ; sei-
nen Grund aber darin , dafs das Zusammentreffen der
Wortbedeutung des Namens mit der geschichtlichen Be.
deutung des Mannes providentiell erschien. Die Bemer-
kung, dafs der Name Johannes in der Familie des Zacha-
rias sonst nicht herkömmlich gewesen (V. 61.), soll nur
seine unmittelbar himmlische Herkunft um so mehr her-
vorheben; das Tciraxldtov aber, worauf der Vater den Na-
men schreibt (V, 63.), war theils durch seine Stummheit
gefordert, theils hatte auch Jesaias bedeutsame Namen ei-
nes Kindes auf eine Tafel sehreiben müssen (Jos. 8, 1 ff.)
Der einzige ungewöhnliche Zug , für welchen eine Analo-
gie im A. T. zu fehlen scheinen kann, ist das Verstummen
des Zacharias; worauf man sich denn auch gegen die my-
thische Ansicht von unsrer Erzählung beruft ,5). Allein
bedenkt man nur, dafs das Fordern und Bekommen von
Zeichen zur Versicherung einer Voraussagung bei den
12) l.Mos. 16, Jl> LXX: Luc. 1, 13:
jcüt xatJUan; ro ovoua avcn xai uaie'of ig ro ovoua. avr*
lauayl. Itaatvfpf.
17, 19: Vom.-.
J3) Olmiauskk, bibl. Commenlar , 1, S. 116. Hoffmahn. S. 146.
Erstes Kapitel* §. 19. 155
Hebräern gewöhnlich war (vgl. Jes. 7, 11 ff.) 5 data als
außerordentliche Strafe nach einer himmlischen Erschei-
nung auch sonst der Verlast eines Sinnes bis auf eine ge-
wisse Zeit verhängt wird (A. 6. 9, 8. 17 f.) ; dafs Daniel,
als der Engel mit ihm redet, verstummt, und erst wieder
sprechen kann, nachdem der Engel dnrch Berührung sei-
ner Lippen ihm den Mnnd geöffnet hat (Dan. 10, 15 f.)«
so kann man sieh die Entstehung dieses Zages in der
Sage auch ohne geschichtliche Veranlassung gar wohl er-
klären. — Von zwei wunderlosen Nebensögen ist der
eine, die gesetzliche Gerechtigkeit der Eltern des Johan-
nes C V* 60 9 1° jedem Falle blofs auf den Schluß gegrün-
det, dafs nur ein so gottseliges Ehepaar mit einem solchen
Sohne habe begnadigt werden können, und hat also kei-
nen geschichtlichen Werth; wogegen die Angabe (V. 5»),
dafs Johannes unter dem König Herodes ( dem Grofsen )
geboren sei, eine ohne Zweifel richtige Berechnung ist.
So stehen wir also hier ganz an f mythisch-poetischem
Grande, und was wir als sichere historische Thatsache fest-
halten können, ist nur diefs: der Täufer Johannes bat
dnrch seine spätere Wirksamkeit und deren Beziehung auf
Jesus so bedeutenden Eindruck gemacht, dafs sich die
christliche Sage zu einer solchen Verherrlichung seiner
Geburt in Verbindung mit der Geburt Jesu getrieben
fand **).
14) Mit dieser Ansicht des Abschnitts vcrgV db Wette, exeg.
Handbuch zum N. T., 1, 2, S. 12.
•mmmm
Zweites Kapitel.
Jesu 'Davidische Abkunft nach zwei Stamm-
bäumen.
§. 20.
Die beiden Genealogien Jesu ') ohne Bezug auf einander
betrachtet.
Hatten wir Air die Geburtsgeschichte des Täufers
nur den einzigen Bericht des Lukas: so fallt bei dem
(Jebergang auf die Abstammung Jesu auch Matthäus ein;
so dafs nun durch die gegenseitige Controle zweier Er«
Zähler unser kritisches Geschäft theils vervielfältigt,
theils aber doch erleichtert wird. Auch die zwei ersten
Kapitel des Matthäus übrigens , welche die Geburt«- und
Kindheitsgeschichte Jesu enthalten, sind, wie die paral-
lelen Abschnitte des Lukas, in Bezug auf ihre Aechtheit
angezweifelt worden: doch nur von demselben befan-
genen Standpunkt aus wie jene; wefswegen auch hier
durch gründliche Widerlegungen die Zweifel zum Schwei-
gen gebracht sind 2).
1) Eine gründliche, aber in künstlichen Vcreinigungs versuchen
sich verwirrende Untersuchung über diese Genealogien findet
man hei Hoffmaniv, S. 148 ff ; nichtssagende Declamationen
hei Osiander, S. 84ff. J wer an Grobheit und Aberwitz Gefal-
len findet, muss auch hier Lange zur Hand nehmen, S. 55 ff.
2) S. das Verzeichniss hei Huik'öl, Conun. in Matth. Prolcg.
p. XXVII ff.
p— ■"-
Zweite« Kapitel. $# 20. 157
Der Geschichte der Verkündigung and Gebart Jesu
ist bei beiden Evangelisten eine Stammtafel — bei M«t<-
thiss voran- (1, 1 — 17.) , bei Lukas nachgeschickt (3,
23-38.), welche die Davidische Abkunft Jesu als des
Messias doenmentiren soll ; und sowohl jede für sich , als
beide in Vergleichung miteinander betrachtet, geben so
tüchtige Aufschlüsse über den Charakter der evangeli-
schen Nachriohten in diesem Abschnitte, dafc eine genaue
Prüfung derselben nicht umgangen werden kann. Neh»
neo wir zuerst jede ohne Rücksicht auf die andere, so
ist wiederum jede, und zwar soll es zuvörderst die des
Matthäus sein, theils für sich, theils in Beziehung auf
die A* T.iichen Stellen an betrachten, mit welchen sie
parallel läuft.
Bei der Genealogie, welche der Verfasser des ersten
Evangeliums mittheilt, ist eine Vergleichung derselben'
■it sich selber defswegen von Erfolg , weil sie an ihrem
Schlosse (V. 17.) ein Resultat, eine Summe, siebt, und
bob durch Vergleichung des Vorangeschickten unterw
sieht werden kann, wiefern demselben jenes Resultat
wirklich entspricht. Es sagt nämlich die Zusammenfas-
sung am Schlüsse aus, von Abraham bis auf Christus
seien es dreimal . 14 Glieder : einmal von Abraham auf
David, dann wieder von diesem zum babylonischen Exil,
isd endlich von da bis auf Christus herab. Zählen wir
aas nach , so treffen von Abraham bis auf David , beide
miteingeschlossen, die Vierzehn zu (V. 2 — 5.); ebenso von
Salomo bis auf denjenigen, nach welchem des babylo-
nischen Exils gedacht ist, den Jechonias (6 — 11. ) ; aber
Ton diesem bis auf Jesus bringt man, den letzteren
*lb*t noch mitgezählt, bloft 13 Glieder heraus (V. 12 —
1&). Wie ist diese Differenz zwischen der vom Verfasser
gesogenen Summe und den vorausgeschickten Zahlen zu
^klaren? Die Vermnthung, dafs von den Gliedern, der
dritten Tessareskaidekade eines durch Versehen der Ab-
160 Erster Abschnitt
Richtige hat hier wohl de Wette gesehen, wenn er be-
merklieh macht , in der Zusammenzählung V. 17. werde
allerdings bei beiden Ue bergfingen etwas zweimal genannt,
aber nur das erstemal eine, demgemäfs doppelt an rech-
nende, Person, nämlich David;' das anderemal sei es die
f.ttTöix£0icc Baßvhjivog , einfallend awischen Josia und Je-
chonia, welcher letztere, da er nur drei Monate in Jeru-
salem regiert hatte, die langete Zeit seines Leben* aber
nach der Wegffibrung in Babel zubrachte, zwar nm des
Zusammenhangs zwischen der z weitet) und dritten Reihe
willen auch sohon am Schlüsse von jener genannt, erst
aber am Anfange der dritten zu zählen sei 9>
Halten wir hierauf die Genealogie des Matthäus —
immer noch ohne Rücksicht auf die des Lukas — mit den
entsprechenden Stellen des A. T. zusammen: so stimmt
sie mit diesen nicht durchaus tiberein, und es zeigt sich
das dem eben gewonnenen äufserlich entgegengesetzte
Ergebnifs, dafs, wenn für sich betrachtet die Geschlechts-,
tafel ein Glied verdoppeln mufste, um ihr Schema zu fallen :
sie in Vergleichung mit dem A. T. von den in diesem an
die Hand gegebenen Gliedern mehrere ausläfst, um ihre
14Zahl nicht zu- überschreiten. Mit A. T.lichen Angaben
nämlich läfst sich diese Genealogie, als die berühmte
Stammtafel des Davidischen Königsgeschlechts, verglei-
chen von Abraham bis auf Serubabel und seine Söhne,
von wo an das Davidische Haus in die Dunkelheit zurück-
zutreten anfängt, und bei dem Schweigen des A. T. von
demselben die Controle für die Matthäische Genealogie
aufhört. Und zwar ist das Geschlechtsregister von Abraham
bis auf Juda, Perez und Esron hinlänglich aus der
Genesis bekannt; das ron Perez bis David finden wir am
Schlüsse des Buchs Ruth und im zweiten Kapitel des er-
sten Buchs der Chronik ; das von David bis auf Serubabel
9) Exegct Handbuch, 1, 1, S. 12 f.
Zweites Kapitel. §. 20. 161
dritten Kap. desselben Buchs ; Parallelen für Einzeln*
noch ungerechnet.
Vollziehen wir non die Vergieichung: so finden wir
die Linie von Abraham bis David, also die ganze erste
Tessareskaidekade unserer Genealogie, in den Männerna-
md den A. T.licben Angaben gleichlautend; nur flögt sie
einige Frauen ein, von welchen Eine Schwierigkeit macht«
Dafs nämlich (nach V. 4 ) Rahab des Boas Mutter gewesen,
ist nicht nur ohne Bestätigung im A. T., sondern es sind
ameh, wenn sie cur Urgrofsmutter Isafs, des Vaters von
David, gemacht wird , zwischen ihrer Zeit und dem Davi-
dischen Zeitalter, beiläufig von 1450 — 1050 v. Chr., zu
wenige Generationen gesetzt, nämlich, die Rahab oder
den David mitgezählt, 4 für 400 Jahre. Dooh dieser Fehler
fällt insofern auf die A. T.lichen Genealogien selbst zu-
rätek , als Isai's Crgrofsvater Salmon , welchen Mat-
thäus zum Gatten der Rahab macht, auch Ruth 4, 20,
wie bei Matthäus, Sohn eines Nabasson ist, welcher nach
4- Mos. 1, 7. noch der Zeit des Zugs durch die Wüste an-
gehörte 10); von wo aus es denn nahe lag, seinen Sohn
mit jener Rahab, weiche die israelitischen Kundschafter
gerettet hatte (Jos. 2. )> in Verbindung zu bringen, um
diese Frau, auf welche der patriotische lsraelite einen be-
sondern Werth legte (vgl. Jak. 2, 25. Hebr. 11, 31.) > in
das Geschlecht Davids und des Messias hereinzuziehen»
Mehrere Abweichungen finden sich in dem Abschnitte
von David bis zu Serubabel und dessen Sohn, oder der
zweiten Dekatetras, sammt den ersten Gliedern der drit-
ten* — Erstlich, während es hier V. 8. heilst: ^IwQaft
iyemjae tov Ö£/cw: so wissen wir aus l.Chron. S, 11« 12.,
10) Hiedurch wird die Auskunft Kuiköl's , Comment in Malth.
p. 3. , die hier genannte Rahab von der berühmten su un-
terscheiden, ausser dem Willkürlichen auch vollends Über«
flüssig.
Das Leben Jesu Ite Aufl. 1. Band 11
16t Erster Abschnitt.
dafs Usia nicht der Sohn , sondern der Eokel de* Sehne
von Joram war, und drei Könige «wischen beide fallen,
nämlich Ahasja, Jobs nnd Amasia, ~ hierauf erst Uaia
(2* Chron. 26, vl; oder, wie er 1. Chrom 3, 12. und 2. Kon«
14, 21« heilst, Asaria). — Zweitens sagt unser Genealo-
gUt V# 11 : *£woiag de iyiwijae rov "lexoviav xal rsg dddLq&g
oinaSL Aber aus 1. Chron. S9 16 ersehen wir einestheila,
dafs der Sohn und Nachfolger des Josias Jojakim hieb,
lind erst dessen Sohn und Nachfolger Jeehonia oder Joja-
ohin (2. Köm 24, 6. 2. Chron. 36, 8.) ; antferntheils werden
von Jeehonia, dem hier adelqm zugeschrieben sind, in
jener Stelle keine Brüder namhaft gemacht, wohl aber
hatte Jojakim Brüder: so dafe die Erwähnung der dddL-
tpoi jfc#»'*8 bei Matthäus aus einer Verwechslung der ge-
nannten beiden Männer hervorgegangen eu sein scheinen
kann. — Eine dritte Abweichung findet in Bezng auf
Serubabel statt. Während dieser hier V. 12. ein Sohn
Salathiels heilst, wird er 1. Chron. 3, 19. nicht durch
Schealthiel, sondern durch dessen Bruder Pedaja von Je-
ehonia abgeleitet; wogegen jedoch Esra 5,2. und Haggai
1, 1. Serubabel wie hier als Sohn Schealthiels bezeichnet
ist. Endlich der hier als Sernbabels Sohn genannte Abiad
ist 1. Chron. 3, 19 f. unter den Kindern Sernbabels nicht
su finden; vielleicht weil Abind nur der vom Sohne ge-
nommene Beiname eines der dort Genannten war ")•
Von diesen Abweiehungen sind die «weite und dritte
unverfänglich, und können sich ohne Absicht und aueh
ohne eu grofse Nachläfsigkeit eingeschlichen haben; denn
die Auslassung des Jojakim kann durch den Gleichklang
der Namen (tTJ^BT und p^iT) veranlaßt sein, und durch
eben diese Verwechslung auch die Erwähnung von Brü-
dern des Jeehonia; während das von Serubabel Gesagte
die A. T. liehen Nachrichten nur cum Theil gegen sjch,
11) Hoffmato, S. 154, nach Hut, Einl. 2, S. 271.
l i.
Zweites Kapitel. {. 20. 163
Theil aber ftr sieh bat. Nicht ebenso leichten Kauft
lifst sich die Eiterst aufgeführte Abweichung , das Ueber-
tpriogen von drei wohlbekannten Königen , anf die Seite
schaffen. Zwar hat man auch hier den Gleichklang der
Naaea geltend gemacht, und gemeint, gana anabsichtlich
ssi der Verf. von Joram statt auf Ahasja (bei den LXX
ty(£uxg) auf den Ähnlich lautenden O^lag gesprungen. AI-
kis ailsu geschickt trifft doch diese Auslassung , war ein-
mal David doppelt gezählt, mit dem Augenmerk des Ver-
fassers auf die dreifache Vieraehn eusammen, als dafs man
tnhin kannte ß mit Hieronymus eine besondere Absicht
darin m erkennen 12> Da er von Abraham bis David, wo
12) Vgl. FftrmcKK, Comm. in Matth. p. 19; Paulus, exegct.
Handbach, S. 289; bi Witts, exeg. Handb. z. d. St. Wenn
Olshausbh S. 44 f. sagt, es könne nicht die Absicht des Mat-
thäus gewesen sein , auf die 14Zahl zu dringen , da er ja
mehrere Glieder auslasse : so heisst diess die Sache auf den
Hopf gestellt. Denn hier ist doch -gerade umgekehrt zu
schliessen, dem Verf. müsse besonders viel an der l4Zahl
gelegen gewesen sein, sonst würde er nicht, um sie nicht zu
Überschreiten, wohlbekannte Glieder ausgemerzt haben. —
Ebendamit widerlegt sieb auch die Ansicht, welche vor den
Lucken bei Joram und Josias (V. 8« u. 11.) das eytyyqoe nicht
im engern wörtlichen, sondern nur im weiteren Sinne von:
e posterts ejus erat, genommen wissen will, als hätte der Ge-
nealogist die weggelassenen Glieder nicht ausschliessen , viel-
mehr hinzugedacht wissen wollen (KuirrÖL z. d. St.): unmög-
lich bätte er dann so zusammenzählen können, wie er thut.
Von gleichem Schlage ist die Ausflucht HorfMAinr's, ytyta hier
nicht für Glied, sondern für Generation zu nehmen, so dass
V. 17« ano daßt& $tos rijs jurroaeeouxs B. ytvsch. Sexar^aaa^q , nur
sagen soll, von David bis zum Exil, oder, wie Hoffhluto rech-
net T zum Wiederaufbau des Tempels, seien es 14 Menschen«
alter, d. h. 500 Jahre, gewesen, womit nicht gesagt sein solle,
dass das in Rede stehende Geschlecht während dieses Zeit-
raums nicht weiter als 14 Sprossen getrieben habe (S. 156.)*
Und doch sind eben nur so viele aufgezahlt !
11*
$
164 Erster Abschnitt.
der erste Abtäte sieh ergab, 14 Glieder vorfand: so seheint
er gewünscht zn haben, apch die übrigen Abtheilungen
dieser ersten gleichzShlig eu finden;* es boten sich aber
von selbst noch zwei dar, indem in die ganze noch übrige
Reihe das babylonische Exil als Scheideponkt eintrat. Da
nun jenem Wunsche die zweite Reibe in der Art nicht
entsprach, dafe die Stammtafel der Davididen bis znm Exil
vier Glieder über 14 darbot: so lief* er hier vier Namen
weg; warum gerade diese, möchte wenigstens beiden drei
zuletzt erwähnten schwer zu entscheiden sein 13).
Dafs dem Verfertiger dieser Genealogie so viel an
der dreimal gleichen Zahl lag, davon könnte zwar der
Grund , wie einige annehmen , ein lediglich mnemonischer
gewesen sein, leichterer Behaltbarkeit wegen die Genealo-
gie nach orientalischer Sitte in gleiche Abschnitte zu
theilen*4); doch möchte sich wohl mit diesem zugleich ein
mystischer Grund verbunden haben. Es fragt sich, ob
dieser in der bestimmten Zahl, welche sich dreimal wie-
derholt, oder überhaupt nur darin, dafs dieselbe Zahl
dreimal wiederkehrt, zu suchen sei ? Dafs es dem Geiiea-
logisten um die Wiederholung gerade des Vierzehn, als
der doppelten heiligen Sieben, zu thun gewesen15), igt
unwahrscheinlich, weil er sonst schwerlich die 7 so ganz
in die 14 versteckt haben würde; noch weniger latat sich
mit Olshausen zul&fsig finden , data die 14 als der Zahl*
werth des Namens David besonders hervorgehoben sei16);
denn solche Künsteleien der rabbinischen Gematria linden
sich sonst in den Evangelien nicht. Mithin möchte es
13) Doch vgl. Fritzscbs i. d. St.
14) Fritzsche in Matth. S. 11.
15) Paulus S. 292. Dass übrigens auf die Sieben auch in Ge-
nealogien Gewicht gelegt wurde, erhellt z. B. aus dem tßSo-
juo$ ano \dSaju ^ßyto^ JuO. V# 14.
16) Bibl. Comment. S. 44. Anm.
Zweites Kapitel. §. 20. 165
sehr nur om die Wiederholung der gleichen Zahl, nach-
dem sieh srafällig zuerst die 14 ergeben hatte, bei Festhal«
tng von dieser zu tbon gewesen sein, indem die Joden
aafserordentliche göttliche Heimsuchungen, erfreuliche wie
traurige, in bestimmten Zwischenseiten wiederkehrend sich
dachten ; so dafg , wie auf den Gründer des heiligen Vol-
kes in 14 Generationen der König nach dem Herzen Got-
tes gefolgt war : ebenso 14 Generationen nach der Wieder-
herstellung des Volkes der Sohn Davids, der Messias, ge-
konnten sein mufste17). Gans dieselbe Gleichmfifsigkeit
faden wir schon in den ältesten Genealogien der Genesis.
Wie nach dem ßißlog ysv&aeiog apd-Qumw Cap. 5., von dem
ersten Stammvater der Menschen an der andere, Noah : so
ist von diesem oder vielmehr dessen Sohne an der Vater
der Gläubigen, Abraham, der Zehnte x8).
Diese apriorische Behandlungsweise seines Stoffes,
das Prokrustesbette, auf welches er, fast wie ein construi-
render Philosoph, denselben bald dehnend, bald verkürzend
legt, kann für den Verfasser unserer Genealogie kein gfln-
stiges Vorurtheil erwecken. Zwar beruft man sich auf
die Sitte orientalischer Genealogisten , sich auch sonst
seiche Auslassungen an erlauben; allein wer mit der aus-
drücklichen Erklärung, naaai al yeveal während eines
17) S. ScHwiCKKKBURttBR , Beiträge zur Einleitung in das N. T.,
S. 41 f. 9 und die daselbst angeführte Stelle aus Joseph. B. j.
€, 4, 8. Ausserdem kann verglichen werden die. von Schott -
tsir, borac hebr. et talm. zu Matth. 1. angeführte Stelle aus
Synopsis Sohar p. 152. n. 18: Ab Abrahame usque ad Salo-
monen XV sunt gener ationcs ; atque tunc htna futt in pleni-
htnto. A SaJomane usque ad Zedekiam iterum sunt XV gc^
nerationes, et tunc iuna defecit, et Z^dekiae effoiH sunt ocuH
18) Auf die Analogie dieser A. T. liehen Geschlechtstafcln mit
den evangelischen in Rücksicht auf die absichtsvolle Gleich-
heit der Zahlen hat dz Wkttb hingewiesen , Kritik der mos.
Geschichte, S. 69. Vgl. S. 48.
160 Erster Abschnitt.
Zeitraums seien 14, eine Geschlechtstafel gibt, in welcher
dorch Zufall oder Absicht mehrere Glieder fehlen, der
zeigt eine Willkör oder Unkritik, welche das Vertreuen
anf die Sicherheit seiner Geschlechtsableitnng überhaupt
erschüttern nanfs.
Der Genealogie bei Lukas für sich genommen sieht
man nicht so viele Fehler, wie der des Matthias an.
Denn einmal ihre Vergleichnng mit sich selbst liefert gar
kein Ergebnifs, da sie nicht wie jene dorch Ziehung einer
Summe Ober sich selbst die Probe macht19); dann aber
auch von Seiten des A.' T. fehlt ihr die Controle grofsen«
theils, weil sie von David und Nathan an fast durch lau-
ter unbekannte Geschlechter herabläuft, von welchen sich
im A. T. kein Stammbaum findet. Nur in zwei Gliedern
berührt sie von da an eine im A. T. erwähnte Linie 3 in
Salathiel nnd Serubabel; kommt aber eben hiedurcfa in
Widerspruch mit 1. Chron. 3, 17. 19 f., indem sie dem Sa-
lathiel einen Sohn von Neri nennt, da doch nach der an-
geführten Stelle Jechonia sein Vater war; als Sohn Sern-
babels aber einen Resa namhaft macht, welcher in der
Chronik unter Serubabels Kindern fehlt. Auch in der
vorabrahamischen Geschlechterreibe findet sich die Abwei-
chung, dafs zwischen Arphachsad und Sela Lukas einen
Kaivav einschiebt, welcher im hebräischen Texte 1. Mos.
10, 24. 11, 12 ff. sich nicht findet, übrigens schon von
den LXX eingeschaltet war. Nämlich im dritten
Gliede der »ersten Reihe , von Adam an , hat auch der
Grundtext diesen Namen, und von da' scheint ihn die
Uebersetzung an die gleiche Stelle der zweiten Reihe, von
Noah an gezählt, verpflanzt zu haben.
19) Dass übrigens auch sie in Siebenzahlen aufgeht (yon Adam
bis Abraham 3; von Abraham bis David 2; von Nathan Bis
Salathiel 3; von Serubabel bis Jesus 3; zusammen 11 — wo-
bei Abraham doppelt gezählt werden muss, darauf hat Tnmiut
aufmerksam gemacht, zur Biographie Jesu, S. 43.
Zweites Kapitel $. 21. 167
$. 21.
Fergteichung beider Geaetlogien. Versuche, ihren Widerstreit
su lösen*
Noch weit auffallendere Ergebnisse bekommt man
aber, wenn man die beiden Genealogien bei Matthäus und
Lukas mit einander vergleicht, and ihrer Abweichung von
einander sieh bewnfst wird. Einige der stattfindenden
Diffisrensen zwar sind unverfänglich und selbst niehtsbe*
deutend, wie die Verschiedenheit der Richtung, dafs die
Gesehleehtstafel bei Matthäus abwärts geht, von Abraham
auf Jesus, die bei Lukas aber aufwärts, von Jesus auf
seine Vorfahren zuröck ; ebenso die Verschiedenheit des
Umfang», welchen Lukas weiter absteckt, als Matthäus,
indem dieser das Geschlecht Jesu nur bis auf Abraham,
jener dagegen, vielleicht in paulinisch - universalistischem
Sinne ein ihm vorliegendes Doeument verlängernd *)^ auf
Adam and Gott selbst zurückführt. Bedenklicher schon
ist der nicht geringe Unterschied in der Zahl der Genera**
üonen für gleiche Perioden, indem uwisehen David und
Jesus Lukas 41 , Matthäus dagegen nur 26 Geschlechter
bat. Die Hauptschwierigkeit jedoch liegt darin, dafs Lu-
kas £QS Theil ganz andre Individuen au Vorfahren Jesu
macht, als Matthäus Zwar stimmen sie in der Angabe
derselben nicht allein darin fiberein, dafs 'beide das Ge-
schlecht Jesu durch Joseph auf David und Abraham «u-
rAckftthren ; sondern auch in Bezug auf die Mittelglieder,
durch welche sie diefs thun, treffen sie in den Generatio*
nen van Abraham bis David, und später in den beiden
Namen Salathiel und Serubabel, zusammen. Der eigent-
lich verzweifelte Punkt ist nun aber der, dafs von David
auf den Pflegevater Jesu, mit Ausnahme von zweien
1) S. CLrysostomus und Luther, bei Cridker, Einleitung in d.
N. T , |, S. U3t. Wxkbr, bibi. Realwörterbuch, 1, S. 659.
)68 Erster Abschnitt,
ongeffchr in der Mitte, lauter verschiedene Namen bei Lu-
kas und Matthäus sich finden. Nach Matthäus nämlich
biefs der Vater Josephs Jakob, nach Lukas Eli; nach
Matthäus ist der Sohn Davids, durch welchen Joseph von
diesem König abstammte, Salomo, nach Lukas Nathan r
und so läuft dann das Geschlechtsregister des Matthäus
durch den bekannten Königsstamm herunter, das bei Lu-
kas durch eine unbekannte Nebenlinie ; nur in Salathiel
und Serubabel treffen beide zusammen , doch so , dafs sie
sogleich wieder Salathiels Vater und den Sohn Serubabeis
verschieden haben» Da diese Differena ein vollkommener
Widerspruch eu sein scheint, so ist man von jeher mit
Lösungsversuchen äufserst geschäftig gewesen. Um von
offenbar ungenügenden Auswegen, wie mystischer Den«
tung *) oder willkürlicher Aenderung der Namen *), nichts
su sagen, so haben sich besonders zwei Hypothesenpaare
ausgebildet, von welohen je ein Paar sich gegenseitig stützt
pder doch verwandt ist.
Das erste Paar bilden die Voraussetzung des Augu-
stinus, dafs bei Joseph ein Adoptionsverhältnifs stattge-
funden, und nun der eine Evangelist seinen wirklichen,
der andere seinen Adoptiv- Vater nebst dessen Stammbaum
gebe *), — und die Annahme des alten Chronologen Ja«
lins Africanus, dafs bei Josephs Eltern eine Levirats-Ehe
eingetreten sei, und nun der Stammbaum des einen Evan-
gelisten dem natürlichen, der andere dem gesetzlichen
Vater Josephs angehöre; durch den einen habe er voa
der Salomonischen, durch den andern von der Nathan!-
sehen Linie des Davidischen Geschlechtes abgestammt 5).
2) Orig. homil. in Luc am 28.
S) Luther, Werke, Bd. 14. Walcb. Ausg. S. 8 ff.
4) De corisensu Evangelistarum , 2, 3, und unter den Neueren
z. B. E. F. in Hinke'* Magazin 5, 1, 180 f.
5) Bei Eusefaius, H. E. 1, 7. und neuerlich z, B. Schleikrma-
cuurj über den Lukas, S, 53,
Zweites Kapitel. §• 21. 169
Die nähere Frage, welche von beiden Genealogien den
natürlichen , und wekhe den gesetzlichen Vater rak sei-
nem Stammbaum angebe, bann nach zweierlei Kriterien
entschieden werden, deren eines mehr dem Buchstaben,
das andere mehr dem Geist und Charakter der beiden
Evangelisten angehört, und welche eine entgegengesetzte
Entscheidung herbeigeführt haben« Augustinas und auch
schon Africanus' haben daraufgesehen, welcher von beiden
Evangelisten zur Bezeichnung des Verhältnisses «wischen
Joseph und demjenigen , den er als dessen Vater nam-
haft macht, eich eines Ausdrucks bediene, welcher be-
stimmter als der des andern auf ein natürliches Sohnes*
Terhältnifs hinweise. Einen solchen gebraucht nun Mat-
thäus; indem er nämlich sagt: 'laxojß tyiwr^ae xov jToi-
CYpi *o scheint das yewqtv nur das natürliche Verhält-
nifs bezeichnen zu können, während das 'lo)arjq> %h *WX
bei Lukas ebensowohl das Verhältnifs eines Adoptivsohns,
oder eines solchen, der vermöge des Leviratsverhältnia-
ses als Sohn angesehen wird, anzeigen zu können scheint.
Allein da die Verordnung der Leviratsehe gerade den
Zweck hatte, Namen nnd Geschlecht eines kinderlos Ver-
storbenen zu erhalten: so war es jüdische Sitte, den ans
solcher Ehe zuert entsprossenen Sohn nicht in das Ge-
schiechtsregister des natürlichen Vaters einzutragen, wie
hier Matthäus thun soll, sondern in das des gesetzlichen
Vaters, wie diefs Lukas nach der obigen Voraussetzung
beobachtet. Dafs nun aber gerade der so ganz jüdisch
gebildete Verfasser des ersten Evangeliums, oder der
Genealogie insbesondere, einen solchen Verstofs begangen
haben sollte, kann man nicht wahrscheinlich finden:
weswegen z. ß. Schleibrma.cher dem Geiste der beiden
Evangelisten gemäfs annehmen zu müssen glaubt, daiä
Matthäus, uneraohtet seines iyewijae9 doch nach jüdischem
Brauche den Stammbaum des gesetzlichen Vaters gebe;
Lukas aber, vielleicht kein geborner Jude und der jüdi-
170 Erster Abschnitt.
sehen Gewohnheiten minder kundig , habe die Stammtafel
der jüngeren JJrüder Josephs zur Hand bekommen, welche
nicht, wie der Erstgeborene , anf das Geschlecht des ver-
storbenen gesetzlichen, sondern des natürlichen Vaters
geschrieben wurden, und diese habe er non auch ftr die
Stammtafel des Erstgeborenen, Joseph, gehalten, was sie
Dar nach dem natürlichen Momente war, anf welches aber
die jüdische Genealogistik keine Rücksicht nahm *). Al-
lein abgesehen von dem erst unten zu Erweisenden, dafs
die Genealogie bei*Luka8 schwerlich vom Verf. des Evan-
geliums herrührt, also aus dessen minder jüdischer Bil-
dung kein Schlafs auf die Deutung des von ihm aufge-
nommenen Geschlechtsregisters gilt: so würde der Ge-
neaiogist im ersten Evangelium sein zyhvrpe nicht so
ohne allen Beisatz "hingeschrieben haben, wenn er an ein
blofs gesetzliches Vaterverhältnifs gedacht hätte; wefs-
wegen die beiden Ansichten von dem Verhältnifs der Ge-
nealogien in dieser Beziehung gleich sohwierig sind«
lndefs, wir müssen uns diese, bis jetzt nur im All-
gemeinen bezeichnete Hypothese erst näher vor die Vor-
stellung bringen, um über ihre Zulässigkeit urtheilen zu
können. Da in Bezug auf die Voraussetzung der Levirats-
ehe Verfahren und Krgebnifs im Ganzen dasselbe bleibt,
ob wir mit Aogustin und Africanus dem Matthäus, /oder mit
Schleiermacher dem Lukas die Angabe des natürlichen
Vaters zuschreiben: so wollen wir das Verhältnifs bei-
spielsweise in der ersten Form betrachten; um so mehr,
da uns Eusebius nach Africanus eine sehr genaue Ausfüh-
rung hierüber hinterlassen hat. Nach dieser Vorstellungs-
weise war also Josephs Mutter zuerst mit demjenigen
Manne verheirathet , welchen Lukas als Josephs Vater
nennt, mit Eli; da aber dieser ohne Kinder starb, so
6) a. a. O. S. 53. Vgl. Winer, bibl. Rcalwörterbuch, 1. Band.
S. 660.
■*■-
Zweites Kapitel. $. 21. 171
ehelichte vermöge des Leviratsgesetzes sein Bruder, der
von Matthäus als Vater Josephs genannte Jakob, die
Wittwe, und ersengte mit ihr den Joseph , welcher nun
gesetslich als Sohn des verstorbenen Eli angesehen wurde,
wie dieb Lukas angibt, während er natürlich der Sohn
•eines Bruders Jakob war, eine Betrachtungsweise, wel-
cher Matthäus gefolgt Ist.
Allein, blofs so weit geführt, würde die Hypothese
keineswegs ausreichen. Denn wenn die beiden Väter Jo-
sephs wirkliehe Brüder, Söhne desselben Vaters, waren:
so hatten sie Einen und denselben Stammbaum, und es
mttfsten in diesem Falle die beiden Genealogien nur den
Vater des Joseph verschieden haben, ober demselben aber
sogleich wieder zusammenlaufen. Um zu erklären , wie
sie bis auf David hinauf abweichen können, mufs man die
zweite Voraussetzung hinzufügen, welche auch Africanus
gemacht hat, dafs die beiden Väter des Joseph nur Halb-
brüder gewesen, nämlich nur einerlei Mutter, nicht aber
denselben Vater, gehabt haben. Man mflfste also annehmen,
die Mutter der beiden Väter Josephs habe nach einander
in zwei Ehen gelebt: einmal mit dem Matthan des Matthäus,
welcher durch Salomo und die königliche Linie von Da«
vid descendirte, und diesem habe sie den Jakob geboren;
aufserdem aber sei sie vor- oder nachher mit dem Mat-
that des Lukas verehelicht gewesen, welcher durch Nathan
Davids Nachkomme war, und dieser habe den Eli mit ihr
erzeugt; nach dessen Verheirathung und kinderlosem Ab-
leben sein Halbbruder Jakob seine Wittwe geheiratbet,
und gesetzlich för den Verstorbenen den Joseph erzeugt'
habe.
Müssen wir schon bis hieher die Hypothese einer ge-
rade in zwei aufeinanderfolgenden Gliedern so verwickel-
ten Ehe, zu welcher die Abweichung der beiden Genealo-
gien uns trieb , zwar keineswegs unmöglich , aber doch
unwahrscheinlich finden; so wird die Schwierigkeit durch
172 Erster Abschnitt.
■
1
die unwillkommene Uebereinstim&ung noch verdoppelt,
welche sich, wie schon erwähnt, mitten unter den abwei-
chenden Reihen , in den beiden Gliedern Salathiel and B
Serubabel, findet. Um nämlich zu erklären, wie sowohl i
JNeri bei Lukas als Jechonia Jbei Matthäus Vater des Sala- B
thiel, des Vaters von Serubabel, heifsen könne; mttfcte
nicht nur die Annahme einer Leviratsehe wiederholt wer- "
den, sondern auch die, dafs die beiden nacheinander mit B
derselben Frau vermählten Brüder diefe nur mütterlicher *
Seits gewesen seien. Wesentlich gemindert wird diese *
Schwierigkeit auch nioht durch die Bemerkung, data niebt >
blofs der Bruder, sondern überhaupt der nächste Bluts- ■
verwandte dem andern in einer Leviratsehe folgen — *
wenn nicht gemufst, so doch gekonnt habe (Ruth 3, 12 f. *
4, 4. f.) 7). Denn da auch über zwei Vettern der 4
Stammbaum weit früher zusammenlaufen mufs, als er *
hier über Jakob und Eli und über Jechonia und Neri i
zusammengeht: so müfste man doch beidemale die Hypo- '
these von Halbbrüdern zu Hülfe nehmen; nur dafs dann t
die beiden so eigenthümlichen Ehen nioht in zwei unmit- i
telbar auf einander folgende Geschlechter fallen würden».
Dafs nun dieser seltsame Doppelfall sich nicht allein
zweimal wiederholt, sondern dafs auch beidemale die
Genealogisten sich in die Angabe des natürlichen und des
gesetzlichen Vaters auf die gleiche Weise, und beidemale
stillschweigend, getheilt haben sollten, das ist so unwahr-
scheinlich, dafs auch die Hypothese einer Adoption, wel-
che nur von der Hälfte dieser Schwierigkeiten gedrückt
ist, schon daran mehr als genug hat. Da nämlich zur
Adoption kein brüderliches, oder sonstiges Verwandt-
schaftsverhältnifs des natürlichen und des adoptirenden
Vaters erfordert wird: so fallt zwar die zweimalige Zu-
7) Vgl. Michaelis, Mos. Recht. 2, S, 200. Wiskr, bibL Real-
w'örterb. 2, S. 22 f.
Zweites Kapitel. §. 21. 178
flocht so einer Helbbrnderschaft weg, and es bleibt nor
die Notwendigkeit $ zweimal ein Adoptions-Verhältnifs
anzunehmen and zweimal das Eigene , dafs die eine Ge-
nealogie es anjtidisch jgnorirte, die andere aber nur stiii-
•ekweigend berücksichtigte.
Auf weit bequemere Weise glaubte man daher in
■euerer Zeit den Knoten durch die Annahme lösen zu
können, dafs wir nur bei dem einen Evangelisten die Ge-
nealogie des Joseph, bei dem andern aber die der Maria •
haben, deren Verschiedenheit also kein Widerspruch wa%
re8); wozu man gerne noch die Voraussetzung fugt, dafs
Marin eine Erbtochter gewesen sei 9). Die Ansicht, dafs auch
Maria ans Davidischem Geschlechte stamme, ist schon alt.
Zwar der Idee zulieb, dafs in dem Messias, als zweitem
Melchisedek , die königliehe Würde mit der priesterlichen f
vereinigt sein sollte 10), und verleitet durch die Verwandt- i
schaft der Maria mit der Aaronstochter Elisabet, wie sie
von Lukas 1, 36« an die Hand gegeben ist u), liefsen nicht
nur schon frühzeitig Manche den Joseph von einer aus ,
den Stämmen Juda und Levi gemischten Familie abstam-
8) So z. B. Sfaxhkim, dubia evang. F. 1. S. 13 ff. Ligkitoot,
MicbasuBj Paulus, Kuntbi,, Olshauskn, jetzt HovimATHf u. A.
9) Schon Epipuamus , Grotivs , stellten diese Vermuthung auf.
Olshaüskt» nimmt sie an (S. 41.) > weil es zum Entwicklungs-
gange des Davidischen Geschlechts zu passen scheine (siehe
über ein ähnliches Passen §. 20. Anmerk. 9.) , dass diejenige
Linie desselben, aus welcher 4er Messias hervorgehen sollte,
sich mit einer Erhtochtcr beschloss, die den verheissenen
ewigen Erben des Davidischen Throns gebärend, dieselbe en-
digte !
10) Testament. XII Patriarch., Test. Simeon c. 71. In Fabric.
Codex pseudepigr. V. T. p. 542 : Ig avray (den Stämmen Levi
und Juda) avartitT vjuiv to atarr^or t« &ts. *Avagfp fi yaq Kvqiog
ix rS yftvt 10$ aQ%t*Qfa, xcii wr th yIsSa u>$ fiaOiAttx x. r. 2.
11) Vgl. jedoch Paulus a. a. O. S. 119.
\
174 Erster Abschnitt.
men 1S) , sondern auch die Ansicht war nicht selten , dafa
Jesns durch Joseph zwar ans königlichem, durch Maria
aber ans priesterlicbem Geschlechte gewesen sei J3). Ge-
wöhnlicher jedoch wurde bald die Ansicht von einer Da-
vidischen Abstammung Maria's. Mehrere Apokryphen
sprechen sich dabm aus 14); ebenso Justin der Märtyrer,
bei weichem man den Ausdruck, dafs die Jungfrau aus
dem Geschlechte Davids, Jakobs, Isaaks und Abrahams
gewesen, selbst als eine Andeutung auslegen könnte, dafa
er eines unsrer Geschlechtsregister, welche ja ebenso Ober
David auf Abraham »urflckgehen, auf die Maria beaogea
bitte ")•
Fragt man nun aber, welcher der beiden Stammbäume
als der der Maria gefafst werden solle, so scheint diels
eigentlich bei keinem von beiden möglich au sein, indem
beide gar eu bestimmt sich als Genealogien des Joseph,
ankündigen ; der eine in den Worten : *Iaxaiß iyewqoe tov
ii&MTiyy, der andere durch die Worte: viog Itoo^q) %5 *HÄL
Dennoch aber lautet auch hier das iyhvrjae des Mattbfiua
bestimmter als das ?& des Lukas, welches nach jenen Aus-
legern wohl auch einen Schwiegersohn oder Enkel anzei-
gen könnte, so dafs die Genealogie bei Lukas in den
Worten 3, 23. entweder sagen wollte: Jesns war nach
der gewöhnlichen Ansicht ein Sohn Josephs, welcher
selbst ein Schwiegersohn des Eli, Vaters der Maria war1*/;
12) Vgl. Thilo, cod. apocr. N. T. 1, S. 374 ff.
13) So z. B. der Manichäer Faustus bei Augustin. contra Fautt.
L. 23, 4.
14) Protevangel. Jacobi c. lf. u. 10« und evangel. de nativi«
täte Mariae c. 1. werden als die Eltern der Maria Joa-
chim und Anna, aus Davidischem Geschlechte, genannt. Fau-
stus hingegen , in f der angeführten Stelle , bezeichnet eben
diesen Joachim als sacerdos. #fi '»
15) Dial. c. Tryph. 43. 100. der Mauriner Aiisg. Paris 1742.
16) So namentlich Paulus zvd. St.' Auch diCT Juden, indem sie
Zweites Kapitel. $. 21. 175
oder: Jesu» war, wie man glaubte, ein Sohn Josephs,
and dnroh Maria ein JSnkel des Eli ")• Indem man hie«
gegen einwenden kann, daft die Jnden bei ihren Genealo*
gien auf die weibliehe Linie keine Rückeicht an nehmen
pflegten 18): so kommt hier die weitere Hypothese an
Hülfe, dafs Maria eine JBrhtoehter, d. h. die Tochter eines
sofanelosen Vaters, gewesen, in welchem Falle es nach
4. Mos. 36 , 6. nnd Nehem. 7 , 63. die jüdische Sitte mit
skh gebracht habe, dafs der Mann, der eine solche Toch-
ter ehlichte, nicht nur ans demselben Stamme mit ihr sein
mnfste, sondern sich auch in ihr Geschlecht anfnehmen
lief s, nnd somit ihre Vorfahren au den seinigen machte.
Allein nur das £rstere ist aus der mosaischen Stelle er-
weislich j wogegen ans der andern , in Vergleichnng mit
mehreren ähnlichen (Esra 2, 61. 4. Mos* 32, 41. vergl. mit
1. Chron« 2, 21 f.), nur so viel erhellt, dafs ausnahmsweise
bisweilen Einer nach den mütterlichen Vorfahren benannt
wurde. Doch die Schwierigkeit wegen der jüdischen Sitte
tritt ganz zurück hinter einer ungleich bedeutenderen»
Wenn es nämlich gleich nicht geleugnet werden kann,
da£t der Genitiv bei Lukas, als Casus der Abhängigkeit
überhaupt, an sich jedes Verwandtschaftsverhältnifs , mit«
hin auch das des Schwiegersohns oder Enkels, bedeuten
könnte: so dürfte doch der Zusammenhang nicht so ent-
schieden dagegen sein, wie hier. In den 34 oberen Glie*
dern, die uns aus dem A. T. bekannt sind, bezeichnet
Genitiv nachweislich durchweg das eigentliche Seh-
eine Maria, TochteV Eli'«, als gequält in der Unterwelt vor-
stellen (s. Lxghtvoot a. a. 0.) , scheinen den von Eli ausge-
henden Stammbaum hei Lukas für den der Maria genommen
zu haben.
17) So z« B. Lightfoot horae p. 750; Osiarder, S. 86«
18) Juchasin f. 55, 2. bei Liorttoöt S. 183. und Bava bathra
f. 110, 2. bei WiTtTEU! S. 230 f. Vgl. indess Joseph« Vita, 1.
176 Erster Abschnitt.
neeverh<nifs ; ebenso wieder* in der Mitte, swisehen 8a*
lathiel und Serababel,: wie könnte er das Einemai bei Jo*
seph den Schwiegersohn anzeigen? oder wie gar Dach
Andern das durchaus im Nominativ hinzuzudenkende viog
in fortwährender Aufsteigung: Sohn, Enkel, Urenkel , bis
cum entferntesten Abkömmling hin? Beruft man sich auf
das Idda/j, rö &eö, wo der Genitiv aueh nicht Sohn im ei-
gentlichen Sinne bedeuten könne: so zeigt er doch auch
hier auf den unmittelbaren Daseinsurheber hin, ein Begriff,
unter weichen weder Schwiegervater noch Grofsvater ge-
stellt werden können. — Eine weitere Schwierigkeit hat
diese Auffassung der beiden Stammbäume mit der ersteren
gemein, nämlich, das Zusammentreffen beider in den Na-
men Salathiel und Serubabel eu erklären. Man könnte
auoh hier wie dort eine Leviratsehe Voraussetzen: doch
die hiehergehörigen Erklärer ziehen meistens die Annahme
vor, dafs diese gleichen Namen in den beiden Genealogien
gar nicht dieselben Personen bezeichnen. Allein, wenn
Lukas an der 21ten und 22ten Stelle nach David, wie
Matthäus — die vier übergangenen Glieder eingerechnet
— an der 19ten und 20ten 19) dieselben Namen, worunter
ein sehr berühmter, hat: so ist gewifs auch an dieselben
Personen zu denken»
Ueberhaupt findet sich sonst im N. T. nicht nur keine
Spur von einer Davidischen Abstammung der Maria 20),
19) Nach Osiandkr (S. 86) sind dies» „ungleiche Zeitstellen".
20) Wie Nbander mit Hoffmann in Luc. 1, 52. eine solche Spur
finden will, ist nicht einzusehen. Uebrigens erlaubt Nrjw-
dkr'it sein Wahrheitsgefühl nicht, den Stammbaum bei Lukas,
80 wie er dasteht, als den der Maria anzusprechen; er er
greift d all er den Ausweg, derselbe habe vielleicht ursprüng-
lich zwar sich auf Maria bezogen , im Evangelium aber eine
unrichtige Stellung erhalten; doch fühlt er sich auch hiemit
nicht sicher, und lä'sst das Verhältnis s heider Genealogien
dahingestellt (L. J. Chr. S. 17. Anm.).
Zweitea Kapitel. * HL ITT
einige Stellen anwehen ooger dagegen. Ldcl
1, 27. besieht sieh dae e£ oft» Jtyf}<J nur aaf dae mnlefaet
<mfyi q> orojuc jfcrttyqp , nicht aber aaf das ent-
naQ&ho* laimj&vtiknp ; hauptsächlich aber die
Weadtuig Lue. ff, 4: afl^fy d£ xcd *fuioqip - du» tro elxu
mute* eg e&a «cd nm^tag Jaßid, dnoyQcxfwff&at awMagtf
& x. i- , wo «o leicht statt erirrov ovrag gosetat werden
kannte, wenn der Verfasser einen Gedanken an eine Ha*
viateebe Abkunft aneh der Maria hatte, — Ycrstirkt ans*
Cebarflnfr die nachgewiesene Unmöglichkeit, die Davidi»
•ehe Genealogie gerade dea dritten Evangelisten anf die
1 SS.
Dia Geneaiagien nahistsrisch.
Bedenkt man die nnllberwindlichen Schwierigkeiten,
ia weiche sich alle diese Vereinignngsrersuehe nnvermeid-
lich rerwiekeln: ao wird man wohl mit freier denken-
den Exegeten an der Möglichkeit einer Friedensstiftnng
zwischen beiden Geschlechtstafeln verzweifeln , und ihren
gegenseitigen Widersprach anerkennen müssen *>. In«
dem ao wenigstens nicht beide richtig sein können: so
scheint, wenn gewXhlt werden sollte, snnflohst Manches
ftr die des Lnkas an sprechen. Fttr's Erste aeigt sie doch
nicht dieselbe Willkür im Zählen nnd Gleichmachen der
Perioden , und, während für den Zeitraum von David bis
Jechonia oder Neri die* SO Geschlechter des Lukas der
Wahrscheinlichkeit wenigstens nicht ferner stehen, als
1) Se EianosH, Eirf. in das lt. T. 1. Bd. S. 425. Kaiies,
hihi. Theol. 1, S. 232. WatscaBioaii, Institut. $. 123, not. d.
■
»s Warn 9 bihL Dogm. $. 279. und exeget. Handbuch 1, 2,
S. 32. Wnian, bibl. Resiw'drterb. l, S. 660 f, Hais, Leben
Jesu, f. 33. FuTztcn, Comm. in Mstth. p. 35. Ahm©»,
Fortbildung des Chrittenthmns sur Weltreligisn, 1 , S. 196 Ä.
Ais Lehm Jem Sie jtufl. 1. Band. 12
178 . Erster Abschnitt. .
Matthias alt keiner Waglassung von 4 Gliedern 4er ge-
schichtlichen Wahrheit : so sind für die Periode von Je»
eben!» (geb. 617 v. C.) bis auf Jesus , d. b. beiläufig Mi
Jahre, 23 Generationen, jede au 27% Jahr, wie sie Lukas
gibt , der Natur der Sache , and namentlich des Orient^
angemessener, als die IS des Matthias, jede na 46 Jahren»
Aufserdem macht sieh die Gesehieehtstafel des Lukas da-
durch weniger eines verherrlichenden Bestrebens vardfieh-
dg, als die des Matthias, dafs ab, out der Davidischen
Abkunft Oberhaupt sufrieden, das Geschlecht Jesu nicht
wie jene gerade durch die königliche Linie herouierftthrt.
Indefs llfst sich hier ebenso umgekehrt unwahrschein-
licher finden, dad von der minder bedeutenden Nathan!»
sehen, als dafs von der königlichen Linie ein Stammbaum
vorhanden gewesen sei; auch scheint die öftere Wieder-
holung derselben Namen, auf welche flormam mit Recht
aufmerksam macht, die Genealogie des Lukas als eine ge-
machte au beseichnen. '
So hat in der That keine vor der andern etwas
voraus: sondern, wenn «die eine als unhistorisch an-
Busprecben ist, so auch die andere, cumal es sehr we-
nig Wahrscheinlichkeit hat, dafs nach den Zerrfittungen
des Exils und der folgenden Zeiten in der obscnren Fa-
milie des Joseph noch so weit hinaufreichende Genealogien
vorhanden gewesen *)• Erkennen wir somit in beiden , so
weit sie nicht sqs dem A. T. geschöpft sind, freie Bil-
dungen, oder doch willkürliche Anwendungen vorhandener
fremder Genealogien auf Jesum: so könnten wir dabei
immer noch das als historische Grundlage festhalten, dafs
Jesus von David abgestammt habe, und nur die Mittelglie-
der dieser Abstammung von Verschiedenen verschieden
ergingt worden seien *). Allein das * Eine , worauf man
2) 8. Wissa, a. s. O.
3) Wie FniTztCMi s. d. St., der übrigens nach der Beobachtung,
welche tr Frolcgg. in Matthaeum p. XV. autgesprochen ;
Zw+ltes'Kapitel f» 23. IT»
■fall hieft» beruft, dfo durch 4m Ciftm «eranlabte Rebe
4er Btteru Jen nach BetbbheM, steht selbst nicht» wen!«
gär als fest, wie wir bald genug sehen werden,* und würde
ttbardiefs noeh lange, aleht hinreichen , Ihre Abknnft ge-
rede Ten David wahrscheinlich an machen« (fowbhtiger
ist der andere Grund, dab Jesos überall im JH. T. , nnd
ebne bemerkbaren Widerspruch der Gegner, ab Abkdain*»
lag Davids gilt Doch ktnnte vielleicht auch das üog
Javid ein Prüdioat sein, welches Jesa nicht ade histori-
schen, sondern .aas dogmatischen Gründen beigelegt werde.
Der Messias kennte , den Weissagungen gemfifs , nnr reu
David stammen: wb denkbar daher, wenn ein Gal4Uerf
Abstimmung weiter hinauf gar nicht bekannt war,
snitbia anch Niemand beweisen kennte, dab er nicht
reo David stamme — wie denkbar, wenn ein sebher sich
den Ruf des Messias erworben hatte , dab sich bald in
verschiedenen Formen die Sage von der Davidischen Ab-
kunft desselben bildete , und dafs nun nach diesen Sagen
Genealogien von ihm verfafst wurden, welche aber, weil
es an urkundlichen Nachrichten fehlte, nothwendig so ab-
weichend und widersprechend ausfalbn mufsten, wb nun
die Gesehbchteregbter bei Matthäus und Lukas sich au
einander verhalten *>
Studium — es cmUuHt seriptor (der Verf, des ersten Evange-
liums) ut nihil Jesu ad Messias eaemplar fingi posset em-
presstus, in der Ueberschrift des ersten Kapitels, Comm. p.6.,
einen weitergehenden Zweifel anzudeuten scheint: Jesus, ui
de futuro Met sia canunt V* T. or acuta, est e gente Davidica
per Josephum titricum ertundus.
4) s. na Wrrra, bihl. Dogm., a. a. O. und exeg. Handb., f, I,
S. 14 ; HasB , L. J. , a. a. O. Eine nicht unwahrscheinliche
Veranlassung zu dieser Abweichung gibt Eusebius an (ad
Steph. quaest. 3, nachgewiesen von Casmon, 1, S. 68 f.) , dass
nämlich unter den Juden neben der Ansicht, der Messias
müsse durch die königliche Linie von David abstammen , eine
12*
!40 Erster Abt erholt*.
Fragt man daher nach dar sichern geschichtlichen
Ausbeute , welche diese Genealogien gewähren , so besteht
sie doeh nur in dem aach sonsther Gewissen : Jesus bat,
persönlich und durch seine Junger, anch anf streng jfcV
disob Resinate einen so entschiedenen Eindruck der Mes-
sianitftt gemacht, dafs diese nicht nweifelten, aneh das
prophetische Merkmal Davidischer Abstammung müsse bei
ihm zugetroffen haben, und mehr ab Eine Feder sich in
Bewegung setste, am durch genealogische Nachweisnng
dieses Merkmals seine Anerkennung als Messias au recht-
fertigen *)•
andere hergegangen «ei, welche dieser vielfach verunreinigten1
und in ihrem letzten regierenden GMede der ferneren Nach-
folge auf dem Throne Davids unwürdig erklärten ( Jerem. 22r
gO) Linie eine minder befleckte, wenn auch minder berühmte!
. vorgezogen habe.
5) Die weiteren Betrachtungen über Ursprung und Bedeutung
dieser Genealogien, welche sich aus der Zusammenhaitung
derselben mit der Nachricht von Jesu übernatürlicher Erzeu-
gung ergehen, können erst nach der Untersuchung über diese
lett tere Angabe folgen.
Drittes Kapitel.
Vcrkttadigong der Empftiigiiiss Jem; des-
sen übernatürliche Erzeugung; Besuch der
Maria bei Blteabei.
s. ts.
Abriet der Tertdnedenea , kanonischen und apekryphiacbea,
Berichte.
In Besug auf die nächste Herkunft Jesu findet in Me-
tern kanonischen and apokryphischen Evangelien eine bc~
deutende Abstufung statt, indem In verschiedenen Graden
mehr «der weniger weit in die Anfange EUrllekgegangen,
und diese kflrser oder ausführlicher, natürlicher oder ge-
künstelter, dargestellt werden. Markus and Johannes
netzen die Gebart Jesu als gegeben voraus, and befcutfgen
sieh, gefegentlieh im Verlauf ihrer Erzählungen Maria1 als
die Matter (Marc. 6, 3.) ftnd Joseph als den Vater1 Jesu
(Job. 1, 46.) namhaft na machen. Weiter gehen Matthäus
und Lukas nurfck, indem sie die Entstehung der messia-
nisehen Person Jesu genetisch darstellen, seine Gebart
summt den dieselbe vorbereitenden Umständen berichten.
Unter den genannten Beiden selbst steigt Lukas noch et«
was höher hinauf als Matthäus. Dieser nämlich läfst
Maria, als Verlobte Josephs, schwanger befunden werden,
und als nun hieran ihr Bräutigam Anstofs nimmt, and
damit umgeht, sie na entlassen, wird er im Traume durch
den Engel des Herrn von dem göttlichen Ursprang and
der hohen Bestimmung der Leibesfrucht Maria s vergewis-
16S Erster Abschnitt.
Sert ; was die Folge hat, data er die Maria heirathet, doch
bis cor Gebort Jesu nicht ehlich berfihrt (Matth. 1, 18 —
25.)« L*t so mit bei Matthäus die Schwangerschaft der
Maria eine vorgefundene and erst naohtrlgiich durch den
Engel gerechtfertigte: so wird dieselbe bei Lokas durch
fiioe himmlische Erscbeinong bevorwortet und angekündigt
Derselbe Gabriel , welcher dem Zacharias die Gebort des
Johannes angesagt hatte, kündigt nun auch der mit Joseph
verlobten Maria ihre durch göttliohe Kraft so bewirkende
Schwangerschaft an ; worauf die künftige Mutter des Mes-
sias mit der schwangeren Mutter des Vorläufers auf be-
deutungsvolle Weise Eusammen trifft, ond ihre Empfindun-
gen in hymnischer Form mit derselben tauscht (Luc 1, 26
— 50.)' Nahmen Matthäus und Lokas wenigstens das Ver-
hältnils «wischen Maria ond Joseph als gegebenes: so su-
chen apokryphische Evangelien, namentlich das ProtevaMr
geliim Jacobi ond das Evangelium de nativitate Mariae %
mit. deren Inhalte auch Kirchenväter thetl weise auaamneit»
stimmen, seihst jenes Verhältnifs in seiner Entstehung dar-
anstellen; ja, sie gehen sogar bis cur Geburt der Maria
anrdck, welcher sie eine ähnliche Vorausverkfindiguog,
wieij&iüias der Gebort des Täufers ond Jesu, voraoaohi-
eken,nr>Wie die Geburtsgescbichte des Johannes bei Lokas
vorzugsweise der des Samoel ond Simson im A. T. : so
ist nun die Geburtsgeschichte der Maria in den genannten
Apokryphen der des Täufers, sammt jenen A. T. liehen,
nachgebildet»
Joachim, so lautet die apokryphische Erzählung, ond
Anna (wie Samuels Motter hiefs2)) fühlen sich ungldok-
1) Fabucius, Codex apocryphus N. T. 1, p. 19 ff. 66 ff. ; Thilo,
1, p. 161 ff. 319 ff.
2) An diese fand sich schon Gregor von Nyssa oder sein Inter-
polator durch die apokryphitche Anna erinnert, wenn er von
ihr Mgt: Mifmrat rolrur *A evrq xd n$£ rtji ftiftQOf tS ZapmjJt.
Jurmtora n, r. L bei FlBiucnJf, 1, p. 6.
.1
Drittes Kapitel. fc/IS. 18t
lieh in lenger kinderloser Ehe (wie die Utero des Joban*
see): de erseheint ihnen beiden (wie Simsens filtern) an
varsebiedenen Orten ein Engel, nnd verhelfst ihnen ein
Kind , die tioftesgebirerin , Welche (wie der Täufer) von
dem Engel einer naeirüschen Lebensweise bestimmt wird,
b firffher Kindheit wird nun Maria (wie Semnel) ron ih-
ren Bitern in den Tempel gebrannt, wo sie ron Engeln
besucht nnd gespeiet, auch göttlicher Anschauungen ge-
wirdigt, bis mm awtlften Jahre verwelk. Mit den Jah-
ren der Mannbarkeit soll sie ans dem Tempel entfernt
werden, nnd Aber ihre weitere Versorgung nnd Bestim-
mung wird dem Hohenpriester das Orakel an Theil, dafs
— zufolge der Weissagung Jes. 11, lf«: effredietur virga
de radice Jesse, et fios de radice ejus ascendet, et re»
quiescet super eum Spiritus Domini — alle der Familie
Davids ungehörige, heirathf fthige , nnverehliebte Männer
nach der einen *) , oder alle Wittwer im Volke nach der
andern Eraählung *) , ihre Stäbe herbeibringen sollten,
and an wessen Stabe sich (wie am Stabe Aarons 4. Mos»
17.) ein Zeichen ereigne, nämlich das in der angeführten
Prophetenstelle, rerheifsene, der solle die Maria an sieh
nehmen. Dieses Zeichen ereignete sieh an <dem Stabe Jo-
sephs, indem ans demselben, gans naeh dem Orakel, eine
Blume hervorspro&te und eine Taube sich auf die Spitae
desselben setste'). Joseph war naeh den Apokryphen
und Kirchenvätern schon alt6); doch findet der Unterschied
X) Evang. de nativ. Mar. c. 7 : cuncto* de dem* et famttim Dm-
vtd nuptid KaHlei, nen amjugatos.
4) Protev. Jac. C. 8 5 r«; j^fttvorraf r« lan.
$) So im Evang. de nativ. Marias c. 7 11. 8 > etwa» anders im
Protev. Jac. c. 9.
6) Protev. c. 9 : n^Mßvn^. Evang. de nativ1. Mar. 8 : grandaems.
Epiphan. adv. haeres. 78, 8: lafißuvti rqy Mqtfap £740; , mazayw
194 Erster Abschnitt
statt, dsft nach dem Ewuuj. de nativ. Maria*) unertfchtet
des von Maria vorgewendeten Keusohheitsgelttbdes und
der Weigerung dee Joseph wegen seines Alters, dennoch
anf priesterliches Gebells eine wirkliche Verlobung und
spftter eine fleirath eintritt (welche freilieh im Sinne des
Verfassers ohne Zweifel eine keusche blieb) ; wogegen es
dem Protevang. Jacobi eufolge gleich von Anfang an gar
nicht auf Verlobung und Ehe, sondern nur auf Behütang
der Jungfrau durch den Joseph abgesehen scheint 7)9 und
dieser noch bei der Reise nach Bethlehem zweifelt, ob er
sie als seine Toohter oder Frau einschreiben lassen solle,
weil er durch das letztere, des AJtersverhältnisses wegen,
lächerlich su werden furchtet6); wie auch, wo bei Mat-
thäus Maria rj yvrrj des Joseph heifst, das Apokryphum sie
versichtig nur als 77 nalg bezeichnet, und selbst das Tiaga-
Xaßelv gerne vermeidet, oder mit diccqtvkal-ai vertauscht,
womit auch manche Kirchenväter zusammenstimmen *)• In
Josephs Haus aufgenommen, erhält nun nach dem Prot-
evangeUum Maria mit mehreren Jungfrauen den Auftrag,
Zeug zum Tempelvorhang su verfertigen, wobei ihr durch
das Loos die Bearbeitung des Purpurs zu Theil wird.
Während indefs Joseph in Geschäften abwesend ist, be-
kommt Maria den Besuch des Engels; Joseph, bei seiner
Rückkehr, findet sie schwanger, und stellt sie, nicht als
Bräutigam, sondern als verantwortlicher Ehrenwächter,
nur Bede; sie aber hat die Worte des Engels vergessen,
und betheuert, die Ursache ihrer Schwangerschaft nicht
zn wissen« Indem nun* Joseph damit umgeht, Maria «ei-
ner Obhut heimlich zu entlassen, wird ihm im Traume
7) Traptiaß* atmpr «2; nj^jar «caurj. a 9* Vergi dagegen Kvang.
de nativ. Mar. c. 8 u. 10.
8) Frotev. Jic. c. 17.
9) C. 14. f. die Varianten bei Thilo, p. 227. Die Stellen der
Kirchenvater bei detns. S. 365. not.
t
I
Drittes Kapitel. . $* Ä IM
durah den Engel der ^beruhigende Aufrchlafa an Theil.
Als die Sache vor die Priester kequat, müssen beide we-
gen das Verdachts der Onkeuachheit des vdwq zfjg iteygmg
trinken; werden aber, da sie durch dasselbe unbeschädigt
hhüben, firei gesprochen;} worauf die Sehataung und Jesu
Geburt folgt ")•
Wie diese apekryphioehen Ernähtungeu längere Zeit
in der Kirche für historisch gehalten, and gleich den Be-
liebten der kanonischen Evangelien vom eupranaturalisti»
sehen Standpunkt ans anf wanderhafte Weise erklärt wur-
den: so haben sie in neuerer Zeit auch das Loos der na«
tirlieben Erklärung mit den N. T.lichea Erzählungen thet*
ien aussen« War nämlich in der älteren Kirche der Wun-
derglaube so überschwänglich stark , dafii er auch noch
Aber das N. T. hinaus für apokryphische Ersählungen
■■reichte, und über deren offenbar unhistoriaehen Charak-
ter rerblendete: so war in einzelnen Herolden der neue*
ven Aufklärung der rationalistische Pragmatismus so tiber-
kräftig, dafs sie, wie a. B. der Verfasser der natürlichen
Geschichte des greisen Propheten ven Nasaret , denselben
sogar den apekryphischen Mirakeln gewachsen glaubten;
we&wegea der genannte Verf. getrost auch die Erzählun-
gen von der Abkunft und Jugend der Maria, natürlich
gedeutet, in den Kreis seiner Darstellung aufgenommen
hat lr). Wenn man in unsern Tagen mit der Einsicht in
den fabelhaften .Charakter solcher Ernählnngen sowohl anf
jene Kirchenväter,^ *1* ftöf diese natürlichen Erklärer her-
shbliekt: so hat man hiesu insofern «war ein Recht, als
an den appkryphischen Berichten auch hier jener Charak-
ter nur bei grober Unkunde sn verkennen ist; näher an-
gesehen jedoch neigt sieh ihr Unterschied ron den kanoni-
10) So im Proiev. Jac. e. 10 — 16. Weniger chartkteristuch im
Evaog, de nativ. Mar. c. 8— 10.
il) lter Band, S. 119 ff.
168 Erster Abschnitt.
ROekkehr nimmt Joseph an der . entdeckten Schwanger-
schaft Anstoß (Mattbfio*) ; worauf 4) aneh ihm eine Bn-
gelerscheinang an TheU Wird (dert .) *)•
Allein diese Stellnag der Begebenheiten hat, wie schon
von Schlbimmachm bemerkt worden ist *)> *W Bedenk*
liebes, und es scheint, was der eine Evangelist ernfihlt, da«
Tom 'andern Berichtete nicht nnr nicht voranasaaetnoa,
sondern sogar auscoschliefsen. Denn fürs Erste ist da»
Benehmen des dem Joseph erscheinenden Engels eehwnr
erklärlich , wenn er oder ein anderer sehen früher der
Maria .erschienen' war. Jener nämlich (bei Matthftna)
spricht gans so , wie wenn sein -Erscheinen das erste in
dieser Sache wire 4) : er weist nicht auf eine der Maria
früher an Theil gewordene Botschaft nnrück; er macht
dem Joseph keinen Vorwurf, dafs er dieser nicht geglaubt
habe; besonders aber, dafs er den Namen des an erwar-
tenden Kindes, mit ausführlicher Begründung dieser Be-
nennung, dem Joseph an die Hand gibt (Mattb. 1, 21.),
wäre gans überflüssig gewesen, bitte (nach Luc. 1, 31.)
der Engel bereits der Maria diesen Namen angezeigt ge-
habt.
Doch noch unbegreiflicher wird bei dieser Stellung
der Sache das Benehmen der beiden Verlobten. Hatte
2) So Paulus, exeget. Handb. 1, a. S. 145 ff. Olshauskiv, Gomm.
1, 142 ff. Fritzschb, Comm. in Matth. p. 56.
3) lieber die Schriften des Lukas, S. 42f* Vergl. ds Wbttb,
exeg. Handbuch, 1, 1, S. 18.
4) Durch Keckheit den Mangel an Evidenz ersetzend, sagt
hier Homsuni: „Das* — die einzelnen Berichte — Keine
Einschiebung dulden, ist geradezu falsch. Denn Matthäus
referirt so, dass man recht deutlich die Zusammenziehung
weitläufigerer Nachrichten wahrnimmt. Die erste Engelsver-
kündigung Hess er weg, weil ihm die zweite genügte, und er
sich, an Juden schreibend, durchweg mehr mit dem beschäf-
tigen musste, was den Joseph betraf" u. s. f. S. 174.
Dritten Kapit ei. f. 94. IS»
lhrh eine EngderscbeSnung , welche ihr efafte berorste-
hoswlo Schwangerschaft ohne Zuthun des Joseph ankün-
digte: wu hatte eine aartffcUende Braut Eiligeres sn
das, als die erhaltene himmlische Botschaft dem Brintf-
pn mitentheÜen, um einer beschämenden Entdeckung
ihres Znstandes dnreh Andere nnd einem schlimmen Vor-
daahte des Bräutigams smvorsokommenf Aber gerade
saf Jene Entdeckung* deroh Andere läftt es Maria ankom^
mse, nnd fährt dadnreh diesen Ifardaeht herbei; denn
dale das svQÜhf h yaggl t%Böa (Matthw 1, 18. ) eine Ent-
deekung ganu ebne Zuthun der Maria bedeutet, ist klar,
nnd ebenso, da» aneh Joseph nur anf diese Weise ihren
Znstand in Erfahrung bringt, da Ja sein Benehmen air
Felge jenes evghnmadm durgestelit wird« Das Rithsel
einee solchen Benehmens von Seiten der Maria hat schon'
das apekryphiscbe Protetxmffelkm Jaeobi gefühlt, and anf
die ftr den supranaturalistischen Standpunkt vielleicht fol-
gerechteste Weise sn lösen versucht Erinnerte sieh Ma-
ria noch — anf diesem Schlosse beruht die sinnreiche
Darstellung des Apokryphums — an den Inhalt der himm-
lischen Betschall: so mnfste sie denselben auch dem
Joseph mittbeilen ; da sie diefs, nach Josephs Benehmen
ms schlief sen, nicht gethan an haben scheint: so bleibt
nar die Annahme übrig, dals jene , in erhöhtem Gemfiths-
anstände ihr sn Theil gewordene, gebeimnifsvolle Erftff»
naag nachher wieder ans ihrem Gedächtnisse verschwand,
nad sie selbst die wahre Ursache ihrer Schwangerschaft
nmht kannte *). In der That bleibt anf diesem Standpunkte
ftr den gegenwärtigen Fall kaum etwas Andres übrig, als
sich in das Wonderbare und Unbegreifliche sn flüchten ;
$) Frotev. Jac. C. 12 : Maqtvp #t hrtZd^rro x&r puetrfurj Zy rfvr«
*to« avrijr raßqujl. Als sie daher von Joseph zur Rede gestellt
wird, versichert sie ihn mit Thränen : } ymoomt, noStr J?l riro
ro hr r§ jo?Qt /**. c« 15.
1*0 Erster Abschnitt'
denn die Verwiche, welch* neuere Theologen deaeelban
Staudpunktes gemacht haben , da« Schweigen der Mar»
gegen Joseph au erklären , und sogar noch einen rortreffi»
lieben Charakteraug darin an finden , sind ebenso kacke
als mifsratbene Bemahttngen , ans der Notb eine Tagend
se machen. Nach Hess *) mnfs es die Maria sieht wen££
Selbstverleugnung gekostet haben, dem Joseph die Mkthei-
long des Engels an verschweigen, und nun muls diese
Zurückhaltung für ein Zeichen ihres starken Vertrauen*
auf Gott in dieser nur dir und ihm bekannten Angelegen*
beit halten. Nicht umsonst nämlich, dachte sie ohne Zwei-
fel, ist diese Erscheinung nur mir allein m Theii gewe»>
den; sollte auch Joseph schon fetet davon erfahren, se
würde der Engel auch ihm erschienen sein (wellte Jeder,
dem eine höhere Offenbarung nu Theii wird , so denken,
wie vieler besonderen Offenbarungen bedttrfte es dann?);
ferner: es ist die Sache Gottes , ihm habe ich es also nu
fiberlassen, auch den Joseph nu fiberseogen (Grundsata
der Trägheit). Dem stimmt auch Olshjujsb» bei, und setnt
nur noch seine allgemeine Lieblingsbemerkung binnu, daft
auf so au&erordentliohe Ereignisse der Mafsstab der ge*
meinen Weltverhältnisse keine Anwendung finde : eine Ka-
tegorie , unter welche hier sehr wesentliche Rücksichten
der Zartheit und Sebkkliehkeit geworfen sind.
Mehr vom Standpunkte der natürlichen Erklärung
aus sucht das Evangelium de natwüate Marias ') , und
nach ihm unter den Neueren e« B. der Verfasser der na-
türlichen Geschichte des grofsen Propheten von Nanaret,
6) Geschichte der drei letzten Lebensjahre Jesu u. s. w. 1. Tbl.
S. 36 f. Vergl, Homuunf, S. 176 f., der auch hier nicht bei
der Defensive stehen bleibt, sondern et geradezn vorschnell
ond gegen alle bräutliche Sittsam^eit findet, wenn Maria
ihrem Verlobten von der Engeltbotschaft getagt hätte!
7) C. 8 - 10.
Drittel K«pit«l. fil 1§1
das Stillschweigen dar Mari* durch Voraussetzung einer
Entfernung des Joseph von dem Wohnorte seiner Brant
Zeit der himmlli eben Botschaft an erklären. Ihnen
ifelge ist nämlich Maria ans Nazaret, Joseph aber «us
Bethlehem, wehin er naeh eingegangenem Verlöbnisse sieh
Doeh eiiMaal begab, nnd erst naeh drei Monaten zurfiek*
kam , wo er dann die in der Zwischenzeit eingetretene
Schwangerschaft der Maria entdeckte. Allein die ange-
nomzeene Verschiedenheit des Wohnorts von Maria nnd
Jeeeph ist, wie wir unten sehen, werden, ohne allen Grund
in den kanonischen Evangelien, und damit wird diese
ganze Auskunft na nichte* Ohne eine solche Vor-
aussetzung könnte man Tön demselben Standpunkte natflr«
lieber Erklärung aus das Stillschweigen der Maria gegen
Joseph vielleicht dadurch begreiflich machen wollen, dafe
man sie durch Verschämtheit abgehalten dichte, einen so
leicht dem Verdacht ausgesetzten Zustand einzugestehen.
Allein wer von dem Göttlichen in der Sache so fest Aber*
sengt war, und sich in die geheimnisvolle Bestimmung
bereits so verständig gefunden hatte, wie Maria (Luc* 1,38.),
dem kennte durch kleinlichte Rücksichten falscher Scham
die Zunge unmöglich gebunden sein.
Daher haben die Erklärer , um den Charakter der
Maria au retten, ohne jedoch dem des Joseph au nahe au
treten, sich bewogen gefunden, eine von Maria dem Joseph
gemachte Mittheilung, wiewohl verspätet, um seinen Un-
glauben erklärlich au finden, vorauszusetzen« Aehnlich
wie das suietst genannte Apokryph um aogen sie eine Reise,
aber nicht des Joseph, sondern die von Lukas gemeldete
der Maria au Slisabet, herein, um die Verzögerung der
Mittheilung au erklären* Vor dieser Reise, meint Paulus,
entdeckte sich Maria dem Joseph nicht: wahrscheinlich
wollte sie sich erst mit der älteren Freundin besprechen,
wie sie sieh demselben eröffnen solle, und ob sie, als Mut-
ter dea Messias, sich Oberhaupt verheirathen dürfet Erst
19* Erster Aj>&ehnitt
ab sie BwrÄckkomint, Ififat sie, yermnthlfeh dareh Andern, a«
dem Joseph bedeuten , wie es ort sie stehe, und was ftr m
Verheifsungen sie empfangen habe* Den Joseph aber fand ^
dieser erste Eindrnek nicht gehörig gestimmt «nd Torbe- m
reitet; er ging mit allerlei Gedanken tun, sehwankte awi- fc
sehen Verdacht und Hoffnung, bie endlieh ein Tmnm ent» a
seheidend wurde *). Allein hier ist erstlich der Reise Ma- f
ria's eine Bedeutung untergelegt, welche derselben in der
Ernfibiung des Lukas fremd ist. Nicht um steh bei ihr .
Raths su erholen, sondern um sieh des vom Engel gege-
benen Zeichens su versichern, wandert Maria bu EHsabef,
und keine durch die Freundin bu beschwichtigende Unruhe,
sondern stolce, durch keinerlei Hfteksieht yerkflmaMrto
Freude spricht aus ihren Heden bu der künftigen Mutter
des Verlffufers. Ueberdiefs aber kann ein so verspätete»
Qeständnils die Maria nicht einmal rechtfertigen* Weicht»
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8) Paulus, ezeg. Handb. f, a, S. 121« 145. Auch Hoffmauh fasst *
jene Reise so: „Die freiwillige dreimonatliche Entfernung der *
Maria versteht sich einfach aus den Wunsche, sich der Mite- t
ren Freundin mitzufheilen, in der Stille die nothige Ruhe \
und Klarheit wieder su gewinnen , welche ihr der Anblick
Josephs nur hätte rauhen können. In seiner Gegenwart hätte '
ein Streit der Empfindungen umso starker, je mehr sie ihn- l
liebte und achtete, sie Beunruhigt. Nachher konnte sie ge. *
fasst und gestärkt ihm Alles entdecken, was vielleicht bis da-
hin der Ruf ihm schon gesagt haben mochte« " S. 178. Wie j
modern ! man glaubt in der natürlichen Geschichte des gros?- (
sen Propheten zu lesen. Eigentlich ist die Bewegung, Ver-
wirrung, Rathlosigkeit, in welche man die Maria auf die En-
gelsbotschaft hin versetzt, nur die Wirkung des versteckten
Unglaubens der Theologen, Wäre ihr Glauhe stark genug,
um sich fest und lebhaft die Maria als überzeugt von dem
Uebernatürlichen der Empfängniss denken zu können: so
müssten sie ihr auch eine Über jede Unruhe und Verlegenheit
erhabene Sicherheit anfühlen; nur weil sie ihren Zweifel auf
Maria übertragen, leihen sie derselben auch ihre Verlegenheit.
Drittes Kapitel. $. 24. IM
Betragen' einer Verlobton, nach einer den Bräutigam so
nahe angehenden höheren Mittheilnng in einer ao zarten
Angelegenheit — Tiefe Meilen weit wegzureisen, drei Mo-
nate auszubleiben, and hierauf erst durch dritte Personen
dem Bräutigam das nicht mehr zu Verheimlichende anste-
cken bu lassen !
Wer daher die Maria nieht auf eine Weise handeln
lassen will, wie unsre Evangelisten gewifs nicht voraus-
setzen, dafo sie gehandelt habe, der mufs geradezu anneh-
men, sie habe die Engelbotschaft sogleioh nach Erhalt der-
selben ihrem JBräutigam mitgetheilt, dieser aber habe ihr
keinen Glauben geschenkt 9). — Allein nun sehe man an,
wie man mit dem Charakter des Joseph zurechtkommen
möge! Auch Hess ist der Meinung, so wie Joseph die
Maria kennen mufste, hätte er keine Ursache gehabt, ei-
nen Zweifel in ihre Aussage eu setzen , wenn« sie ihm die
gehabte Erscheinung mittheilte. That er es doch, so
seheint diefs ein Mifstrauen gegen seine Verlobte voraus*
susetzen, das mit seinem Charakter als avrjq dixaiog
(Matth. 1, 19.)) und einen Unglauben an das Wunderbare,
der mit seiner sonstigen Geneigtheit, auf Engelersoheinun-
gen einzugehen, schwer vereinbar ist, und ihm auf keinen
Fall bei der später ihm selbst zu Theil gewordenen Er-
scheinung so ganz ungeahndet hingegangen wäre.
Da somit unvermeidlich etwas dem Sinne unserer
Evangelisten, sofern sie offenbar den Joseph wie die Ma-
fia als reine Charaktere halten wollen, Unangemessenes
sich ergibt, wenn ihan ihre Erzählungen einander gegen-
seitig voraussetzen und ergänzen läfst : so darf eben diefs
nicht angenommen werden, sondern ihre Berichte sehlies-
sen einander aus. Nieht ist sowohl der Maria suerst,
als auch dem Joseph hernach ein Engel erschienen;
sondern nur entweder dem einen, oder defe andern
9) Dabin neigt sich Njuhdm, L» J. Gh. S. 18.
Das Leben Jesu Me Aufl. L Ba$d. 1 3
li)4 Erster Abschnitt.
Theiie kann er erschienen sein : hiemit aber auch
nur die eine oder die andre Relation für historisch ange-
sehen werden« Hier könnte man sich nun nach versehe
denen Rücksichten für die* eine oder die andere Ersählang
entscheiden wollen: man könnte von rationalistischem
Standpunkte aus die Erzählung des Matthäus wahrschein-'
lieber finden , weil sich die Engelerscheinung im, Traume,
wie er sie gibt, leichter natürlich erklären lasse ; vom su-
pranaturalistischen aber die des Lukas, weil die Art , wie
hier dem Verdachte gegen die heilige Jungfrau zuvorge-
kommen wird, gotteswürdiger sei, u. dgL: bei genauerer
Einsicht jedoch ergibt sich, dats keine von beiden etwas
Wesentliches vor der andern voraus hat. > Beide enthalten
eine Engelerscheinung t sind also von allen den Schwierig-
keiten gedrückt, welche, laut dessen, waa oben, bei Gele-
genheit der Verkündigung des Täufers, auseinandergesetzt
wurde, der Annahme von. Engeln und Erscheinungen der-
^selben überhaupt entgegenstehen ; der Inhalt der Engel-
botschaften aber ist, wie wir bald sehen werden, auf bei-
den Seiten eine Unmöglichkeit: so da£s jedes unterschei-
dende Kriterium verschwindet, um die eine Erzählung zu
verwerfen, die andre aber festzuhalten, und wir uns für
beide mit Notwendigkeit auf den mythischen Standpunkt
versetzt sehen.
Auf diesem fallen dann auch von selbst .die verschie-
denen Deutungen weg, welche man, namentlich von Seiten
natürlicher Erklärer, von den beiden Eagelerseheinungen
zu geben versnobt hat. Wenn Paulus die Erscheinung
bei Matthäus für einen natürlichen Traum erklärt, bewirkt
durch die vorangegangene Mittheilung der Maria über die
ihr zu Theil gewordene Verkündigung , von welcher Jo-
seph gewufst haben müsse , weil sich nur daraus erkläre,
wie er sieh im Traume ganz ähnliohe Worte könne sagen
lassen , als früher der Engel der Maria gesagt hatte : so
beweist vielmehr gerade diese Aehnlichkeit der Worte den
Diittes Kapitel. }. 24. 195
Toraosaetsdich «weiten Engels mit denen des ersten, ohne
dab doch in jenen auf diese Rücksicht genommen würde,
dab fliese froheren dabei nicht rorausgesetat werden, nnd
äberhaopt fällt die natürliche Erklärung dadurch weg, dafa
die Berichte sich als mythische gezeigt haben« Eben die-
ses Letztere gilt auch von der Art, wie Paulus versteckt,
der Verf. der natürlichen Geschichte aber offen , den eu
Maria eingetretenen Engel (bei Lnkas) für einen Menschen
erklären; wovon in der Folge noch wird die Rede sein müssen.
Nach allem Bisherigen können wir über den JJr-
sprang der beiden Ersählungen von erschienenen Engeln
nur folgendermafsen urtheilen. Dafs Jesus durch göttliche
Thätigkeit in Maria erseugt sei, diefs durfte nicht blofs
durch schwankende Vermuthnng gefunden, es mufste klar
und surerläüsig ausgesprochen werden, und dann bedurfte
man eines himmlischen Boten, welchen ohnehin, wie für
die Gebort eines Simson und Jobannes, so noch mehr für
die Geburt des Messias, das theokratische Decorum eu er-
fordern schien« Auch die Worte, deren sich hiebe! die
Engel bedienen, sind «um Theil mit A. T. liehen Ankün-
digungen merkwürdiger Kinder gleichlautend 10). Dafs den
10) 1. Mos. 17, 19. LXX. (An- Matth, 1, 21 :
Kündigung Isasks) : (pq atoßtj&qg naqalaßtXv Ma-
la» ZdoQCt rj ywri am riTpral (tot (xaju rtjy yuvaixa er« — ) rfierat
tnor, xal xal&sns ro orojua avrti Se vlov , xal xalfaeis ro ovoua
*Foaax. >wra *Iqo5y ' aurof yaQ otaoet ror
Richter 13, $• (Ankündigung 2aoy avrS &16 rar apaorwov
Simsons) : «vr«y.
xal auroq antrat outan tot
'loQoajZ ix £*{<* 'Pvh^d'fu
1. Mos« 16 , 11 ff, ( Ankündi- Luc. 1, 30 ff. :
gung Isttaels) : xai einer o ayyelos avr'ß — «T«
xai tiney avrjj o ayyslos Kvtfa ovlbfoy rr yagQi, xal rt$n vioyy
l&tt ou er yag^l ?£***> xal re^n xal xaMoetg ro ovofta avrti *fy-
Viov xal xaliötti ro wofia avrS o»v. Ourog fem — — .
ylauar4l. Ovrot feai — — •
13
196 Erster Abschnitt.
Engel die ein? Ers&hlung schon vorläufig der Maria , die
andere erst nachträglieh dem Joseph erscheinen läfst, ist
als eine Variation der Sage oder der Bearbeitung sn be-
trachten, welche ein erläuterndes Seitenstack in der Ge-
schichte der Verkündigung Isaaks hat, l.Mos. 17, 15 ff.
verhelfst Jehova dem Abraham einen Sohn von der Sara,
worüber jener sieh des Lachens nicht enthalten kann,
aber wiederholt dieselbe Versicherung bekommt; 18, Iff.
gibt Jehova diese Verheifsung unter der Terebinthe au
Mamre, und Sara lacht, wie über etwas Neues und Uner-
hörtes ; endlich 21, 5 ff. spricht Sara erst nach Isaaks Geburt
von dem Lachen der Leute, das der Anlafs des Namens Isaak
sein soll; wobei also jene beiden andern Erafihlnngen von
der Vorherverkfindigung der Geburt Isaaks nicht voraus-
gesetst sind ")• Wie in Beeng auf Isaaks Geburt verschie-
dene Sagen oder Dichtungen ohne Rficksioht auf einander
sich bildeten, einfachere und ausgeschmficktere: so auch
Über die Geburt Jesu zwei abweichende Erzählungen, von
denen die bei Matthäus 12) einfacher und in gröberem
Style gearbeitet ist, indem sie es nicht vermeidet, wena
11) Vgl. de Wxttb, Kritik der mos. Geschichte, 8. 86 ff.
12) Das nach Matthäus dem Joseph zu Theil gewordene Trauinge-
sicht hat noch insbesondere eine Art von Vorbild an demjenigen,
welches nach jüdischer Tradition, wie sie sich schon bei Jo-
sephus findet, dem Vater des Moses in ähnlicher Lage, als er
wegen der Schwangerschaft seiner Frau, obwohl aas anderem
Grunde, bekümmert war, su Theil geworden sein soll. Jo-
seph. Antiq. 2, 9, 3 5 IdjuaQajutjg, täy €v yBywarww naqa rotg €J£fl$atotfi
SeSuog vneQ rS ncevrog ^drsg, fa} OTiavei rljt vncTQCuprpopiYtjs v&JrijTOt
hrdeCnijj xa\ ^altrtSg ht9 cevrio tpifttar^ hevft yasq avnp ro yvrcHoy, hr
a/ufjxdrotf rtv. Kai itqos txsretav th &sh TQtTterai — . o S* &eos eltq-
aag cri/ror, ■— }(pC^arai xara r»q vnvtig avrS^ xal fOfre anoyowoxttr
avrov Tre^\ rar /jtHovrwv na(#xaXtt •— — — . 6 reale y«£ ouroc — ro
fthr ^Rß^alutv y*vo$ rt}$ tioq* Aiyimrloig avdyxtfi anohbaei , pyqjtofi &
y }<p* oaav jutvfi /noyov ra aujimrrvza, revfyxou, 7Xa(f av&(nm<kf.
Drittes Kapitel. §. 25. 197
aach nur in einem vorübergehenden Verdachte des Joseph,
einen Schatten anf die Maria su werfen, der erst hinten«
nach wieder entfernt wird: wogegen die Darstellung bei
Lukas, schon feiner und kunstreicher , gleich von vorne
herein die Maria in dem reinen Lichte einer Braut des
Hhnmels zeigt13).
lahalt der Engelsbotschaft. Erfüllung der Weissagung des
Jesaias.
*
Der Engel, welcher nach Lukas der Maria erscheint,
spricht zunächst nur davon, daC| Maria, noch unbestimmt,
anf welche Weise , schwanger werden , und einen Sohn
gebären werde, den sie Jesus nennen solle ; er werde grofs
sein, nnd vlog vtplcs genannt werden ; Gott werde ihm den
Thron seines Ahnherrn David geben, und er das Haus
Jakob ohne Ende beherrschen. Hier ist ganz in den ge-
wöhnlichen jüdischen Formeln vom Messias die Rede, und
selbst das viog vipigs würde, wenn nichts Weiteres nach*
kirne, nur in demselben Sinne zu nehmen sein, wie nach
% Sam. 7, 14. Ps. 2, 7. ein gewöhnlicher israelitischer
König, also noch mehr der höchste dieser Könige, der
Messias, auch als blofser Mensch betrachtet, so genannt,
werden konnte. Dieses jüdische Reden wirft nachträglich,
noch ein weiteres Licht auf den historischen Werth die*
ser Engelerscheinung zurück, indem man mit Schleier»:
hacher sagen muja, dafs schwerlich der wirkliche Engel
Gabriel in so strengjüdischen Formeln die Ankunft des
Messias verkündigt haben würde *) ; ebendefswegen wird
»an geneigt sein, mit diesem Theologen auch das gegen-
wärtige Ereählungsstüek, wie das vorige, den Täufer be-
13) Hiezii vcrgl. Amhoii, Fortbildung des Christcnthums , i,
S. 308 f.
1) üeber die Schriften des Lukas, S. 23.
199 Erster Abschnitt.
treffende, einem und demselben jadenchristlichen Verfasser
anzuschreiben. — Erst als gegen die Verheifsnng eines
Sohnes Maria von ihrer Jnngfranschaft aas Einwendungen
machF, bestimmt der Engel die Art der Empfängnifs näher
dahin, dafs sie durch den heiligen Geist, durch die Kraft
der Gottheit, bewirkt werden werde; wornach nun anch
die Benennung vlog $e& einen bestimmteren metaphysischen
Sinn erhält. Zum bestätigenden Zeichen, dafs etwas der
Art Gott keineswegs unmöglich sei, wird Maria auf den
Vorgang mit ihrer Verwandtin Elisabet verwiesen ; worauf
sie sieh glaubig in den göttlichen Rathschlafs mit ihr
ergibt ,
Bei Matthäus, wo die Beschwichtigung der Bedenk-
lichkeiten Josephs die Hauptsache ist, beginnt der Engel
sogleich mit der Eröffnung, dafs, wie der Evangelist schon
V* 16, für sich berichtet hatte, das in Maria erzeugte Kind
vom rtvevpa ayiov sei, nnd hierauf erst wird Jesu meseia*
niscjie Bestimmung durch den Ausdrucke bezeichnet, dafs
er sein Volk von dessen Sonden erlösen werde. Klingt
diefs auch anscheinend weniger jüdisch, als das, wodoreh
bei Lukas die messianische Stellung des au gebärenden
Kindes ausgedrückt war: so sind doch in den dfxa(nlaig
auch die Strafen derselben, namentlich die Unterjochung
des Volks durch Fremde, mitbegriffen, so dafs auch hier
das jüdische Element nicht fehlt; so wie andrerseits in
dem ßaoiXevetv bei Lukas das Herrschen über ein folgsja»
mes, gebessertes Volk enthalten, also hier das Höhere nicht
ganz an vermissen ist. Hierauf fügt, sei es der Engel,
oder wahrscheinlicher der Erzähler, durch die besonders
bei ihm so oft wiederkehrende Formel: tsto de olov yiyo-
vev, %va TtlqQw&fj to (nphr x. t. X. CV. 220 e*n A.» T. liehe»
Orakel bei, welches durch diese Art der Empfängnifs Jesu
sich erfülle; dafs nämlich nach Jes. 7, 14. eine Jungfrau
schwanger werden und einen Sohn gebären solle, welchen
man Gottmituns nennen werde.
Drittes Kapitel. $. 25. 199
Der ursprüngliche Sinn der jesaiättlsehen Stolle ist
neueren Forschungen eufolge2) dieser. Den König
Alias, welcher aus Fureht vor den Königen Syriens and
Israels sich za einem Bande mit Assyrien neigte, will der
Prophet von dem bald bevorstehenden Untergang jener
jetst eo geffirehteten Feinde lebhaft versiehern, und sagt
daher: setze, dab eine jetnt noch Unverheirathete, die eich
■an erst in ein geschlechtliches Verhältnis einlief se 3), ein
Kind empfinge; oder kategorisch: eine bestimmte jange
Fraa (vielleicht die eigene des Propheten) ist schon oder
wird schwanger werden : jedenfalls werden bis na der
ttebarC ihres Kindes die politischen Umstände sieh so weit
gebessert haben, dafs man demselben einen Namen von
guter Vorbedentang wird geben können, and ehe dann
das Kind in die Untersoheidungsjahre getreten sein wird,
werden die feindlichen Mächte gan« vernichtet sein. D. b.
prosaisch ausgedruckt : ehe neun Monate vergehen , wird
es sich mit der Lage des Reiehs schon besser an-
lassen, und binnen dreier Jahre etwa wird die Gefrthr
versehwanden sein. So viel ist in jedem Falle durch die
neuere Auslegung einleuchtend gemacht, dals nur ein Zei-
chen aus der Gegenwart und nächsten Zukunft in den
Verhältnissen, wie sie die Einleitung uu dem Orakel des
Jesaias angibt, einen Sinn haben konnte. Wie unpassend
2) Vgl- Gssmxus u. Hm» in ihren Commentaren nun Jesaia;
Umbrbit, über die Gebart des Immanuel durch eine Jungfrau,
in den tbeoL Studien u. Krit., 18 SO, 3. Heft. S. 541 ff.
3) Bei dieser Erklärung verliert der Streit Über die Bedeutung
des TKhv «ein Gewicht. Er dürfte übrigens dahin entschie-
den sein, dass das Wort nicht die unbefleckte, sondern die
mannbare Jungfrau bedeute (s. Gksikius a. a. 0. 2, a, S. 297 f.)*
Schon *u Justins Zeiten behaupteten die Juden, das Wort sei
nicht durch na?&evosy sondern durch reavn *« übersetzen.
Diai. c. Tryph. no. 4$. p. 139 E. der fceieichaetcn Ausgabe.
200 Erster Abschnitt.
ist die prophetische Rede nach der Deutung Bbnosten-
bbrg's *) : so gewifs dereinst noch der Messias unter dem
Bundesvolke von einer Jungfrau geboren werden wird, so
unmöglich ist es, dafs das Volk, anter welchem er gebo-
ren werden, und die Familie, von welcher er abstammen
soll, zu Grunde gehe. Wie übel berechnet von* dem Pro-
pheten, die Unwahrscheinliehkeit der nahen Rettung dnreh
eine gröfsere Unwahrscheinliehkeit aus der fernen Zukunft
wahrscheinlich machen su wollen! Und dann vollends der
gegebene Termin. von wenigen Jahren! Der Sture der
beiden Königreiche, deutet Hengstbnbkro, soll erfolgen —
nicht in der Zeit bis nun demnächst der bezeichnete Knabe
wirklich in die Unterscheidungsjahre treten wird, sondern
— in so viel Zeit von jetat an, als in fernster Zukunft
einst zwischen der Geburt i des Messias und seiner ersten
Entwicklung vergehen wird,« also ungefähr in drei Jahren«
Welche abenteuerliche Vermengung der Zeiten! Ein Kind
soll geboren werden in ferner Zukunft , und was nun ge-
schehen soll, ehe dieses Kind in die Unterscheidungsjahre
treten wird, das soll in die nächste Gegenwart fallen«
So entschieden aber Paulus und seine Partei gegen
Hengstenberg und die Seinigen darin Recht hat, dafs sei«
nem ursprünglichen Localsinne nach das Orakel des Jesaias
auf gegebene Zeitverhältnisse, nnd nicht auf den künftigen
Messias, oder gar auf Jesus, sich beziehe: ebenso entschie-
den hat Henostenberg gegen Paulus Recht, wenn er dar-
auf beharrt, dafs hier bei Matthäus die jesaianische Stelle
als Weissagung auf Jesu jungfräuliche Geburt genommen
werde. Während nämlich die orthodoxen Ausleger in der
häufigen Formel %va TtXqQiodij und ähnlichen von jeher den
Sinn fanden : diefs geschah nach göttlicher Veranstaltung,
damit die A. T. liehe Weissagung einträfe, mit welcher es
schon ursprünglich auf das N. T.liche Ereignifs abgesehen
4) Christologic des A. T. 1. b, S. 47.
Dritte« Kapitel» $.25. 201
«rar, — so finden die rationalistischen Erklärer nur so
fiel darin : diels geschah auf eine Weite , war so beschaf-
fen, dafs die A. T. liehen Worte, die sich ursprünglich
swar auf etwas Anderes benogen, sich doch darauf anwen-
den lassen , nnd dadurch erst gleichsam ihre volle Wahr«
hsit bekommen. Bei der enteren Dentang ist das Ver-
hlltnif» zwischen der A. T. liehen Stelle nnd dem N. T.lt»
eben Ereigniis ein objeetires, von Gott selbst veranstalte«
tat 5> : nach der letzteren nur ein subjeetires , von den»
späteren Schriftsteller gefundenes ; nach jener ein genaues,
wesentliches: nach dieser ein ungefähres, zufälliges. AI«
lein gegen diese letztere Auffassung der N. T.licben Stei-
len , welche eine A. T. liehe Weissagung als erfüllt nach-
weisen, ist ebensowohl die Sprache als der Geist der N. T.-
licben Schriftsteller. Die Sprach?; denn weder kann
rüijQHO&at in solcher Verbindung etwas Anderes heifsen,
sls ratum fieriy eventu comprobari , noch iW, omog, et»
was Anderes, als eo consüio vi, indem die verbreitete An^
nähme eines wa ixßcctixw nur aus dogmatischer Verlegen«
heit entstanden ist *).. Gans besonders aber ist eine solche
Auslegung dem jadischen Geiste der evangelischen Schrift-*
steller zuwider. Wenn nämlich Paulus behauptet, der
Orientale denke nicht im Ernst, das Aeltere sei in der;
Absiebt gesagt, oder von Gott defswegen nur Wirklichkeit
gebracht, damit das Neuere dadurch vorgebildet würde,
und umgekehrt: so ist diefs ein Hinübertragen unserer
occidentalischen Nüchternheit in das Phantasieleben des
5) Die Sache auf diese Formel gebracht, fällt auch HsaesTsx-
Bime hieher, ob er gleich die orthodoxe Ansicht (1, a, S. 338 ff.)
weit mehr mildert, als auf seinem Standpunkte folgerichtig
gefunden werden kann.
6) s. Winke, Grammatik des neutest. Sprachidioms, 3te Aufl.
S. 382 ff. Fritzsghi, Comm. in Matth. p. *9. 317. und Ex-
curs. 1, p. 836 ff.
204 Erster Abschnitt.
ohne Weitere» zugeben können, dafs sie hier nicht selten
gans anders gedeutet ond angewendet werden, als sie ur-
sprünglich gemeint waren»
Wir haben- hier in der That eine vollständige Tafel
aller Tier über diesen Punkt möglichen Ansichten, worun-
ter awei Extreme und ewei Vermittlungen, eine falsche
und eine, hoffentlich, richtige.
1. Orthodoxe Ansicht ( Hengstenbrrg u. A. )•
Dergleichen A. T.liche Stellen hatten schon ursprünglich nur
die prophetische Beziehung auf Christus ; denn die N. TJichen
Schriftsteller deuten sie so, und diese müssen Recht haben,
wenn auch der Menschenverstand dabei au Grunde geht.
2. Rationalistische Ansicht (von Paulus
u. A.) : Auch die N» T.lichen Schriftsteller geben den A.
T.lichen Orakeln jene streng- messianfsche Deutung nicht;
denn diese Beziehung ist den Orakeln, verständig angese-
hen, ursprünglich fremd; mit dem Verstände aber müssen
die N. T.lichen Schriftsteller susammenstimmen, was auch
die Altgläubigen* dagegen sagen mögen.
3. Mystisch vermittelnde Ansicht (vonOLS-
hausen u. A.) : In den A. T.lichen Stellen liegt ursprüng-
lich sowohl der von den N. T.lichen Schriftstellern an-
gegebene tiefere, als auch der durch verständige Ansicht
derselben uns aufgenöthigte nähere Sinn : so kann sich
gesunder Menschenverstand und Altgläubigkeit vertragen.
4. Entscheidung der Kritik: Die A. TJicheiL
Weissagungen hatten ursprünglich sehr häufig nur jene
nähere Beziehung auf Zeitverhältnisse: wurden aber von
den N. T.lichen Männern als wirkliche Propbeeeihungen
anf Jesus als den Messias angesehen , weil der Verstand
in jenen Männern durch die Denkart ihres Volks be-
schränkt war, was sowohl der Rationalismus als die Alt«
gläubigkeit verkennt 9).
9) Die ganze rationalistische Schriflauslcgung beruht auf einem
Dritte« Kapitel, J. 26. 205
Det&gem&h werden wir auch in Bezog auf das in
Rede stehende Orakel keinen Augenblick anstehen, ein-
zuräumen, dafs die Beaiehnng anf Jesus ihn vom Evan-
gelisten aafgedrungen ist; ab so, daft die wirkliche Ge-
hart Jesu von einer Jungfrau mu dieser Anwendung des
Orakele, oder dafs das sehon vorher anf den Messias ge-
deutete Orakel an der Annahme einer jungfräulichen Ge-
bart Jesu Veranlassung gab, kann erst ans dem Folgen-
den entschieden werden*
$. 26.
Jesus durch den heiligen Geist erzeugt. Kritik der orthodoxen
Ansicht.
Was die beiden Evangelisten , Matthäus und Lukas,
über die Art der Erzeugung Jesu melden, ist von den
kirchlichen Auslegern jederzeit dahin gedeutet worden,
dafs Jesus durch eine, an die Stelle der männlichen Mit-
wirkung getretene göttliche Thätigkeit in Maria eraeugt
worden sei. Und wirklich hat diese Auslegung den Au-
ziemlich handgreiflichen Paralogismus , mit welchem sie steht
und fallt :
Die N. T. liehen Schriftsteller dürfen nicht so ausgelegt
werden, als ob sie etwas Unvernünftiges sagten (allerdings
nichts ihrer Vernunftbildung Widersprechendes).
Nun wären aber ihre Aussprüche bei einer gewissen Deu-
tung unvernünftig (nämlich gegen unsre Vernunftbildung).
Folglich können sie es nicht so gemeint haben, und müs-
sen anders ausgelegt werden, \
Wer sieht hier nicht die quaternio terminorum und die
dem Rationalismus tbdtliche Inconsequeni eines mit dem Su
pranaturalismu8 gemeinschaftlichen Bodens, dass nämlich,
während man bei jedem Andern erst zusieht, ob er nur Rich-
tiges und Wahres rede und schreibe, den N. T. liehen Män-
nern das Vorrecht eingeräumt wird , bei ihnen dieses schon
vorauszusetzen ?
206 Erster Abschnitt.
genschein der Stellen ffir sich, indem dureh das nqiv ij
owel&eiv avtäg (Matth. 1, 18.) ond das insi ävdqa s yi-
vciöxcj (Luc* 1, 34.) der Antheil des Joseph und jedes
Mannes überhaupt an der Erzeugung des in Frage stehen*
den Kindes ausgeschlossen; dureh das nvffyta clyiw aber
und die dvvccjtug vipi^s «war nicht der heilige Gebt im
kirchlichen Sinne, als dritte Person in der Gottheit, wohl
aber, nach dem A. TJichen Sprachgebrauehe von DTISkTPH,
Gott in seiner Einwirkung auf die Welt , und namentlich
auf den Menschen, bezeichnet; endlich durch die Aus-
drücke iv yccgQi t%Baa ** mf£v/uarog ayl& bei Matthäus, und
iwev^a ayiov iTielsvaerat tTtl ah x. t. L bei Lukas deut-
lich genug gesagt ist, dafs die fehlende männliche Mit«
Wirkung durch die göttliche Schöpferkraft — obwohl nicht
in physischer Art, nach heidnischer Vorstellung — ersetzt
werden würde.
Erscheint diefs als die Vorstellung, welche die be-
zeichneten evangelischen Abschnitte über den Ursprung
des Lebens Jesu geben wollen: so läfst sich dieselbe doch
nicht ohne bedeutende Schwierigkeiten vollziehen. Wir
können die, so zu sagen, physico - theologischen von den
exegetisch-historischen Schwierigkeiten unterscheiden.
Die physiologischen Schwierigkeiten laufen darin
zusammen, dafs eine solche Erzeugung die auffallendste
Abweichung von allem Naturgesetze wäre. So wenig näm-
lich die Physiologie über das nähere Wie des Hergangs
im Klaren ist : so fest steht durch eine ausnahmlose Erfah-
rung die Thatsache, dafs nur durch Zusammenwirken
zweier geschlechtlich verschiedenen menschliehen Organis«
men ein neues Menschenleben sich erzeugt *) ; weftwegen
1 ) In seiner rabulistischen Weise sucht Homunr (S. 1 87) durch
die Unklarheit jenes Wie das von demselben ganz unabhän-
gige Das s unsicher zu machen.
Drittes Kapitel. $.26. W7
es auf den Grand des Plntarohischen : nauUo» söt/ula frort
yvrrj Uyezai noirjaai dl%u xomaiiag dvdqog *) , bei dem Ce-
rinthiseben impossibile *) sein Bewenden haben wird. Nor
bei des niedrigsten Thiergattungen ist eine Fortpflanzung
ohne Geschlechtsvermischung bekannt *), und so wftre es,
die Sache Mols physiologisch betrachtet , mit einem ohne
Gesehlechtsreraiischung entstandenen Menschen in der That
ss dem, wasOrigenes, freilich im Sinne des höchsten Supra-
saturalismus, sagt, daft die Worte Ps. 22, 7. : ich bin ein
Warm and kein Mensch , — eine Weissagung anf Jesnm
iasofern seien, als aneh er, wie diefs bei Würmern sich
lade (ohne jene Vermischung) entstanden sei *)• Doch
sa der blofs physiologischen Betrachtungsweise bringt
schon der Engel bei Lukas die theologische hinan,
indem er sich (1, 37.) anf die göttliche Allmacht beruft,
welcher kein Ding unmöglich sei. Allein da die göttliche
Allmacht vermöge ihrer Einheit mit der göttlichen Weis-
heit nie ohne zureichende Gründe wirkt: so möfste sich
auch hier ein solcher nachweisen lassen. Ein genügender
Grund aber aur Suspension eines selbstgegebenen Natur-
gesetzes könnte für Gott nur darin liegen, dafs «ur Er-
reichung gottes würdiger Zwecke jene Abweichung vom Na*
turgesetse nothwendig wäre« Nun sagt man hier : der Zweck
der Erlösung forderte Jesu Unsündlichkeit; um aber un-
sftndlich tein au können , mnfste Jesus durch Entfernung
des Antheil* eines sündhaften Vaters und einen göttlichen
2) Conjugial« praecept. Opp. ed. Hütten, Vol. 7. S. 428.
3) Irenaeus adr. haer. 1 , 26 : Cerinthus Jesum subjedt tum ex
vtrgine natum, Unposstöile entm hoc ei Visum est.
4) Worauf sich wirklich eine Abhandlung in Hsirafs neuem
Magazin, 3, 3, S. 369. beruft.
5) Homil. in Lucam 14. Gegen die Berufung auf die, gleichfalls
ohne Geschlechtsverkehr entstandenen, ersten Menschen vergl.
meine Streitschriften, 1, 2, S. 72 f.
206 Erster Abschnitt.
JSinflnfs auf seine Erzeugung ans dem Zusammenhang der
Erbsünde herausgenommen «ein- 6). Allein, wie auch sonst
schon bemerkt 7)> neuesfcens aber von Schlkiermacher auf
eine die Sache von dieser Seite absehliefsende Weise ge-
zeigt worden ist 8), so war hieen die Ausschliefamg blofs
des väterlichen Antheils nicht hinreichend, wenn nicht
auch der, gleichfalls Sonde fortpflanzende, mütterliche,
etwa durch die Valentinische • Behauptung eines blofeen
•Durchgangs Christi durch Maria, entfernt wird. Bleibt
nun aber der mütterliche Antheii nach den evangelischen
Berichten offenbar stehen: so müssen wir, am doch die
voranssetelieh nothwendige Dnsfindlichkeit herraustrobe»
kommen, eine göttliche Thätigkeit annehmen, welche den
Antheii der sündhaften menschlichen Matter bei der Er*
Beugung Jesu heiligte. Nahm aber Gott mit dem stehen*
bleibenden mütterlichen Antheii eine solche Reinigung vor,
so lag es näher, dasselbe auch mit dem männlichen cu
than, als durch gänzliche Ausschließung desselben das Ma-
turgesetz auf so anerhörte Weise zu durchbrechen : and
es iäfst sich somit die vaterlose Erzeugung Jesu nicht als
notwendiges Mittel zum Zwecke seiner Unsündliehkeit
behaupten.
Doch wer auch über die bisher vorgetragenen Schwie*
rigkeiten sich hinüberhelfen zu können glaubt, indem er
sich in einen für Vernunftgründe und Maturgesetze nnzu*
gänglichen Supranaturalismus hüllt, dem müssen doch
die auf seinem eigenen N. T.liohen Boden gelegenen,
6) t. Olshaüskn a. a. 0. S. 48. Niawdir , L. J. Gh. , S. 16 f.
Dem Versuche Bauer'», Jahrbücher f. wiss. Krit., 1835, Dec,
No. 111 f., dieses Argument höher und speculativer zu fassen,
habe ich in meinen Streitschriften, 1, 3, S. 104 ff., seine Ver-
wirrung nachgewiesen.
7) z. B. von Eichhorn, Einleitung in das N. T. 1. Bd. S. 407.
8) Glaubenslehre, 2. Thl. $. 97. S. 73 f. der zweiten Auflage.
Drittes Kapitel« S. M. 900
exegetisch - historischen Schwierigkeiten bedenk*
Heb «ein, welche gleichfalls die Ansteht von eine* Ober»
natürlichen Enengung Jesu drflekcn. In keiner andern
Stelle des N. T. nimlioh, auber den beiden Kindbeits*
ersagelien bei Blatthlas nnd Lukas, wird von einem sei«
dm ürspmnge Jesu gesproehen 9 oder anch nur deutlich
anf denselben hingewiesen *)• Nicht allein Markus lifst
im Emeugungsgeschichte weg> sondern auch der veraus*
sttsliche Verfasser des vierten Evangeliums, Johannes» der,
ab angeblicher Hausgenosse der Mutter Jesu nach dessen
Tode, am genauesten ober diese Verhältnisse unterrichtet
«ein aufirte. Man sagt: er wollte mehr die himmlische
tis die irdische Herkunft Jesu berichten; aber es fragt
sich eben, ob mit seiner im Prologe ausgesprochenen Lehre
ron einer, wirklich in Je%a .fleischgewordenen und ihm
immanent gebliebenen, göttlichen Hypostase die in unsevn
8teüen liegende Ansicht Ton einer bto&en , seine Erneu*
gang bedingenden, göttlichen Einwirkung yertr&glieh sei,
eb er also die Erzeugungsgeschichte des Matthäus und
Lukas habe voraussetzen können? Da jedoch dieser Ein-
wand so lange keine entscheidende Kraft hat, bis sich ans
im Verfolg unsrer Untersuchung der apostolische Ursprung
ie$ vierten Evangeliums bewährt haben. wird: so kommt
hauptsächlich diefs in Betracht, dafs auch im weiteren
Verlaufe nicht biofs des Markus- und Johannes- Evange-
Hums, sondern auch des Matthäus und Lukas selbst, keine
räekweieende Hindeutung auf diese Art der Erzeugung
9) Diese Seite findet sich besonders hervorgekehrt in der Skia-,
graphie des Dogma's von Jesu übernatürlicher Geburt, in
Schmidt'* Bibliothek 1 , 3 , S. 400 ff. ; in den Bemerkungen
über den Glaubenspunkt : Christus ist empfangen vom heil.
Geist, in HebUe'* neuem Magazin, 3, 5, 365 ffV; in Kjisbr's
bibl. Theol. 1, S, 231 f. J »* Witte' t bibl. Dogmatik, §. 281 ',
Sciilbiba&uciibr'» Glaubenslehre, 2. Tbl. $. 07.
Das Leben Jesu Ite Aufl. /. Band 14
210 Erster Abschnitt.
Jesu vorkommt. Nicht nur bezeichnet Maria den Joseph
ohne Weiteres als den Vater Jesu (Lue, 2, 46.), und spricht
der Evangelist von beiden geradeso als von seinen yovu$
(Luc. 2, 41.) , was der so eben von der Erzählung der.
übernatürlichen Erzeugung herkommende Berichterstat-
ter nnr im weiteren Sinne genommen haben kann: son-
dern alle seine Zeitgenossen überhaupt hieltdh ihn nach
nnsem Evangelien für einen Sohn des Joseph, und nioht
selten wurde es verächtlich and vorwarfsweise in seiner
Gegenwart geüufsert (Matth. 13, 55. Lac- 4, 22. Joh. 6,
42.) 5 ihm also entschiedene Veranlassung gegeben , sich
auf seine wunderbare Erzeugung zu berufen, was er je-
doch mit keinem Worte thut Könnte man hier sagen,
dafs er auf diese fiufserliche Weise nicht von oer Gott«
lichkeit seiner Person Überzeugen wollte, auch bei inner«
lieh Abgeneigten keine Wirkung davon sieh versprechen
konnte: so ist hinzuzunehmen, dafe nach der Angabe des
vierten Evangeliums auch seine eigenen Jünger neben sei-
ner Gottessohnschaft ihn doch für den wirklichen Sohn
Josephs hielten; denn Philippus stellt ihn dem Nathana£l
als fyväv tov vlov *Iwoj}q> vor (Job. 1, 46.), offenbar in
demselben Sinne eigentlicher Vaterschaft, wie ihn sonst
die Juden ebenso bezeichnen, ohne dafs diefs irgendwo
als eine irrige oder unvollkommene Ansicht dargestellt
würde, welche diese Apostel nachher hfftten ablegen müs-
sen: vielmehr hat die Erzfihlung unverkennbar den Sinn,
dafs hier der rechte Glaube in denselben zum Dasein ge-
kommen sei. Die räthselhafte Voraussetzung, mit welcher
bei der Hochzeit zu Kana Maria sich an Jesum wendet 10),
ist viel zu unbestimmt, um eine Erinnerung der Mutter
an seine übernatürliche Erzeugung zu beweisen; jedenfalls
wird dieser Zug von dem entgegengesetzten aufgewogen,
dafs die Familie Jesu, und wie es aus Matth« 12, 46. ff«
10) Geltend gemacht von Nbandsii, L. J. CIi,, S. t£.
Drittes Kapitel, f. 27. 211
vergL mit Marc 3, 21. ff. den Anschein gewinnt , tauch
•eine Mutter, an aeioen Bestrebungen aplter irre wurde,
was bei aelcben Erinnerungen aalbat von den Brüdern
kau* erklärlieh wäre.
Ebensowenig als in den Evangelien findet sieb in
den ihrigen N. T.lichen Schriften etwas nur Bestätigung
aar Ansieht von einer übernatürlichen Eraengnng Jesu.
Dann wenn der Apostel Paulus Jeeuai yevojLievov ix ywat-
gog nennt (GaL 4, 4.) * *o wird man in diesem Ausdruoke
daeh niebt eine Ausschließung des männlichen Antheils
finden wollen , da ja daa beigesetzte : y&ofierw vno vofzov,
deutlich neigt, dafs er, wie ao htafig im A. n. W. T. (u.
B. Hiob 14, 1. Matth. 11, 11.), Oberhaupt die menschliche
Katar mit allen ihren Bedingungen beeeiehnet. Wenn
Paulos ferner ( Rom. 1 , 3. f. vergl. 9,9.) Christum xard
oaima von David und den Ersvlttern abstammen, xard TtveSfta
GfuoovvTfi aber ale Gottes Sohn aieh bewähren läftt: ao
wird man doch hier den Gegeneats von <rap£ und mevpa
nicht dem von menschlichem mütterlichen, und durch gött-
liche Thätigkeit ersetztem väterlichen Antheil an seiner
Erzeugung glelcheetcen wollen. Endlieh, wenn im flebräer-
brief (7, 3.) Melehisedek als ccTtdrcjQ mit dem vtog rädtS
▼erglichen wird: so verbietet sich eine Beziehung des
wörtlich gefafeten äjtotxwQ auf die menschliche Erschei-
nung Jesu schon durch das danebenstehende dfiijmQ, wei-
ches bei ihm so wenig als das weiter beigesetzte dyewala-
yqtog antreffen wurde.
f. »•
Rückblick auf die Genealogien.
Doch die entscheidendste exegetische Instana gegen
die Wirklichkeit einer übernatürlichen Erzeugung Jesu
liegt nns näher als alle bisher aufgeführten Stellen, näm-
lich in den beiden Genealogien, die wir nur so eben erst
betrachtet haben. Schon der Manichäer Fanstus machte
14»
21t Erster Abschnitt.
geltend, wer, wie nnsre ewei Genealogisten, Jesum dnreh
Joseph von David abstammen lasse, der könne ohne Wi<*
darsprach nicht roraussetaen , dafs Joseph gar nicht Jesm
Vater gewesen sei: und Augustinas wufste ihm nichts
Triftiges su erwiedern, wenn er bemerkte, dafs wegen des
Vorrangs des männlichen Geschlechts die Genealogie Jesu
durch Joseph habe geführt werden müssen, welcher, wenn
auch nicht durch leibliche, doch durch geistige Verbin-
dung Maria's Gatte gewesen sei ')• Auch in neuerer Zeit
haben manche Theologen die Bemerkung gemacht, aus der Be-
schaffenheit unserer Geschlechtsregister bei Matthäus und
Lukas erhelle, dafs die Verfasser derselben Jesum als
wirklichen Sohn Josephs sich gedacht haben *)• Sie seilen
nämlich beweisen, dafs Jesus durch Joseph von Davids
Geschlecht abstamme; was beweisen sie aber, wenn Jo*
sepb Jesn Vater gar nicht war? Die als Zweck der gm**
neu Genealogie (bei Matthäus 1,1») vorausgeschickte Behaup*
tung, dafs Jesus vlog Jaßld gewesen* wird durch die darauf
folgende Läugnung seiner Erzeugung durch den Davididen
Joseph geradeso, wieder aufgehoben» Unmöglich kann
man es defswegen wahrscheinlich finden, dafs die Genea-
logie und die Geburtsgeschichte von demselben Verfasser
herrühre *% sondern man wird mit den envor angefahrten
Theologen annehmen müssen, dals die Genealogien ander»*
woher genommen seien. Schwerlich mächte man hlegegen
mit der Bemerkung ausreichen , da Joseph ohne Zweifel
1) Augustinus contra Faustum Manichaeum L. 25, 3. 4* 8.
2() Skiagraphie de» Dogma u. s. f. in Schmidt'* Bibl. a. a. O.
S. 403 f.; K. Ch. L. Schmidt, ebend. 3, 1, S. 132 f. VergL
ScHLKiiRBucHin, Glaubenslehre, % §• 97. 9. 71 ; Wioschbidb*,
Instit. §. 123. not. d).
3) Wie diess z. B. Eichhorn, Ernl. in das N. T. 1, S.425, aus-
drücklich für wahrscheinlich , db Wim , ezeg. Hcndb. 1, i,
S.7f., wenigstens für attf glich erklärt.
Drittes Kapitel, f* 27. 21*
Jesam adoptirt habe, eo habe sein Stanunbawn auch für
diesen rolle Billigkeit hekoraen. Denn die Adeption
»echte wohl hinreichen, nm dem angenommenen Sohne
die Anwartschaft anf gewisse Itafsere, Erbsehafts- and an-
dere Rechte ans der Familie des Adoptirenden zu ver-
schaffen *); keineswegs aber konnte ein solches Verhält«
mb Ansprach anf die messianisehe Würde verleihen, wel-
che an wirkliches Davidiaches Blnt und Geschlecht gehnn*
den war. Schwerlieh würde daher, wer den Joseph blofs
ftr den Adoptir- Vater Jesn gehalten hätte, sieh die Mühe
genommen haben , der Davidigchen Abstammung des Jo-
leph nachmspüren ; sondern , wenn anders neben der ein«
mal gewonnenen Ansicht von Jesn als Gottessohn noch
ein Interesse, ihn als Davidssohn darzustellen, fortdanerte,
so würde man nn diesem Behuf eher die Genealogie der
Maria gegeben haben, indem, wenn auch gegen die Ge-
wohnheit, der Stammbaum der Mutter su Hülfe genom-
men werden inniste , wo kein menschlicher Vater rorhan*
den war. Am wenigsten würden mit der Zusammen-
setzung eines durch Joseph vermittelten Stammbaums Jesu
Mehrere sieh befafst haben, so dafs uns noch uwei ver-
schiedene Genealogien dieser Art übrig bleiben konnten,
wenn man nicht nur Zeit ihrer Abfassung noch ein nühe»
res Verhältnis Jesu eu Joseph angenommen hätte.
Kaum wird man daher dem Ortheil jener Gelehrten
abstellen können, es seien diese Genealogien vota der An-
sieht aus verfertigt , dafs Jesus der wirkliche Sohn Jo-
4) Das« et auch Jbei Jesu um eine Erbschaft , nämlich die der
Verheissung, sich gehandelt habe, diese Bemerkung HoFnumi's
(S. 200) ist eine Spielerei , welche er seihst unzulänglich fin-
det, indem er die Adoption in Davids Geschlecht von väterli-
cher Seite nur zureichend findet in Verbindung mit wirkli-
cher Davidischer Abstammung von Seiten der Mutter, wie er
sie falschlich in der Genealogie des Liüfas gegeben glaubt.
114 Erster Abschnitt.
aftphrf «od der Maria gewesen eei; die Verfasser eder
Sammle* unterer Evangelien aber, obwohl ihrerseits von
den höheren Ursprung Jesu überzeugt, haben dieselben
doch in ihre Sammlongen aufgenommen; nur dafs Mat-
thäus (1, 1&) das ursprüngliche: "ltoat}q) de eyewTjae rot
*1ths£p ix trjg Mctqlag (vgl. V« 3. 5. 6.) nach seiner abwei-
chenden Ansieht abgeändert, nnd ebenso Lukas (S, 2£.)
seine Genealogie statt einfach mit: r[ipj§g-vl6g ^wörjf, durch
<Sv, log ivofd£eco x* r. X. eingeleitet habe. Man wende hie«
gegen nieht ein, wenn naeh nnsrer Bemerkung von der An«
sioht aus , daft Joseph nioht Vater Jesn gewesen , nnsre
Genealogien nicht verfertigt werden konnten , so lasse bei
dieser Ansicht auch nicht einmal dafür ein Interesse sieh
denken» sie den Evangelien einzuverleiben. Denn das ur-
sprüngliche Verfertigen einer Genealogie Jesn, und wenn
es in unserem Falle auch nur darin bestanden hätte, da(s
gegebene fremde Stammbäume in Beziehung auf Jesnm
gesetzt wurden, erforderte ein starkes nnd ganzes In-
teresse, welches, in der Voraussetzung einer leiblichen
Abkunft Jesn von Joseph, durch jene Operation eine Haupt-
stütze für den messianischen Glauben an ihn zu gewin-
nen hoffte; wogegen zur Aofnahme der schon vorbände»
neu auch das schwächere Interesse anregen konnte, dafa
sie, auch ohne ein zwischen Jesu und Joseph statt gehab-
tes natürliches Verhältnifs, dennoch zur Anknüpfung Jesn
tm David nicht nndienlioh scheinen mochten« Ebenso
wird ja in den beiden Geburtsgeschichten bei Matthäus
und Lukas, welche den Joseph entschieden von der Er-
zeugung Jesu ausschliefsen , doch noch immer auf die
Davidische Abstammung Josephs Gewicht gelegt (Mattb,
1, 20. Luc. 1, 27« 2, 4.), indem man das zwar nur bei der
früheren Ansicht recht Bedeutsame doch auch nach geän-
dertem Standpunkte beibehielt.
■ Indem wir auf diese Weise in den. beiden Genealo-
gien Denkmale aus einer Zeit und einem Kreise der äl-
Drittes Kapitel. $• 27. 215
legten Kirebe »eben, in welchen Jesus noch für einen na-
türlich erseugten Menschen galt: so müssen uns htebeidie
Kbioniten einfallen, da nns eben von diesen aus jener
ersten Zeit geartldet wird, dafs sie die bezeichnete An-
rieht von der Person Christi gehabt haben *). Sollten
wir hienach erwarten , in den alten ebionitisehen Evange
Ben, von welchen wir noch Kunde haben, vor Allem diese
fiesehleehtsregister noch annntreffen: so müssen wir nns
niebt wenig überrascht finden , wenn wir erfahren , dafs
gerade jene Evangelien ohne die Genealogien waren.
Zwar, da nach Epiphanius das Evangelium der Ebioniten
erst mit dem Auftritte des Täufers anfing, so könnte man
antar 4m yeveaXoyiatg , welche sie weggeschnitten haben
aellen, die Gebort*- and Kindheitsgesobichte der beide«
ersten Kapitel unseres Matthins verstehen, welche sie,
weil dieselben die von ihnen verworfene vaterlose Zeogung
Jesu enthalten, wenigstens nicht in ihrer fetsigen Form
annehmen konnten; und man könnte nun vermuthen, dafs
in ihrem Evangelium vielleicht nur diese ihrem System
zuwiderlaufenden Abschnitte gefehlt haben, die ihrer An-
eicht ansagenden Geschleehtsregister aber dennoch irgend-
wo eingefftgt gewesen seien. Aber diese Aussieht ver-
schwindet alsbald , wenn wir sehen , wie Epiphanius in
Beaug auf 4\e Naaarener die Genealogien , von welchen
er nicht weifs, ob sie auch ihnen gefehlt oder nicht, ai*
rag and zs ^ßgaa/u kog XQt$s bestimmt *)? wonaeh er
unter den Genealogien, weiche einigen Häretikern fehlten,
offenbar aun&chst die Gesehleehtstafeln versteht, wenn er
auch in Beaiehung auf die Ebioniten augleich die Geburts-
geschiohte unter jenem Ausdruck mitbegreift«
5) Justin. Mart. Dial. cum Tryplone, 49; Origenes cojilra
Celtum L. 5, 61. Eusch. H. E. 3, 27.
6) tipiphan. haercs. 30, 14-
7) Hscir». 29, 9,
216 . Erster Abschnitt.
Wie sollen wir ans nun diese befremdende Erschei-
nung erklären, da£s gerade bei derjenigen Christenpartei,
in welcher sich die den Genealogien zum Grande liegende
Ansicht forterhielt, dieselben nicht zu finden sind? £in
neuerer Forscher stellt die Vermnthuog auf, die Juden»
Christen haben die Gesehlechtsregister aus Klugheit weg-
gelassen, not nicht durch dieselben die unter Domitian
und vielleicht auch schon früher über .die Davidische Fa-
milie verhängten Verfolgungen au erleichtern und zu ver-
mehren *)• Allein zu solchen äußerlichen Erklärungen
aus zufälligen Umständen, die selbst nooh dem Zweifel
der historischen Kritik unterliegen, sollte* man nur dann
> seine Zuflucht nehmen , wenn jede Erklärung der fragli-
chen Erscheinung aus der Sache selbst, also hier ans dem
Innern des ebionitischen Systems, unmöglich ist
So mifslich aber steht es in unserem Falle noch lange
nicht. Bekanntlich sprechen die Kirchenväter von dop-
pelten Ebioniten} von welchen die einen, neben Strengen
Grundsätzen in Beeng auf die Verbindlichkeit des mosai-
schen Gesetzes, Jesum für den auf natürliche Weise er-
zeugten Sohn Josephs und der Maria gehalten, die andern,
sofort auch Nazarener genannt, mit der orthodoxen Kirche
eine Erzeugung durch den heiligen Geist angenommen
haben •)• Neben diesem Unterschiede aber geht noch ein
anderer her« Die ältesten Kirchenschriftsteller, wieJustinus
Martyr, Irenäus, wissen nur von solchen Ebioniten, wel-
che ganz einfach Jesum ffir einen natürlich erzeugten und
erst bei der Taufe mit höheren Kräften ausgerüsteten
Menschen hielten 10>: wogegen wir bei Epiphanius und
in den Klementinischen Homilien Ebioniten begegnen.
S) Cftsamta, in den BeiirXgen zur Einleitung in dss !f. T. U
S. 443. Anm.
9) Orig. a. a. O.
SO) Vergl, Neakpik, K.G. 1, 2, S. 615 f.
Drittes Kapitel, f. 27. 217
welche ein gnosüsch - speenlatives Element in steh aufge-
■iBBifin haben* Man hat diese Rieht eng, welche nach
jBpiphanins von einem £lzai sieh herschreiben soll, vom
Einflüsse des Essenismns abgeleitet M) , und schon in den
Irrlehren des Colosserbriefs Spuren derselben bemerkt **) ;
wahrend die ersten Klasse der Ebioniten offenbar vom ge-
wöhnlichen Jndenthnm. ansgegsngen war. Welche von
diesen Richtungen die frohere nnd welche die spätere ge-
- Spesen, ist nicht so leicht auszumachen; in Benag auf den
nnletst ausgeffihrten Unterschied könnte man, da dieser
.epeealirenden Ebioniten, erst die Klementinen <tnd Epipha-
nias, jener einfachen aber schon Jnstin und Irenlns Mel-
dnng thon, diese för die früheren ansehen: allein da auch
schon Tertnllian von einer gnostisirenden Christologie der
Ebioniten weifs **), nnd im Essenismns der Keim en sol-
chen Ansichten schon nm die Zeit Jesu gegeben war: so
• scheint die Annahme sicherer zu sein, beide Richtungen
ftr gleichseitig neben einander hergehende zu halten ")•
Ebensowenig iifet sich in ßesug anf die andere Differenz
beweisen, deü die nazaräische Ansicht von Christo sich
11) Camrsft, über Essener und Ebioniten und einen theilweisen
Zusammenhang beider, in Wikba's Zeitschrift L wissenschaft-
liche Theologie, 1. Bd.~2tes und 3tes Heft; vgl. Baue, Progr.
de Ebionitarum origine et doctriua ab Essenis repetenda, und
christl. Gnosis, S. 403.
12) NiAjroiR, a. a. O. S. 620.
15) De came Christi, c. 14: Potertt haee optnto HeHotd com*
venfre, qiä nudum hominem, et tantum ew semine David, f. e.
mom et Bei fiHum, canstttuit Jesum, ut in tüo angetum fuiiie
edieat.
14) Mit Nkahdia a. a. O. u. ScmmcxBmumeBft, über einen häufig
übersehenen Funkt in der Lehre der Ebioniten v. <L Person
Christi, Tübinger Zeitschrift f. Theol. 1830, i, 114 ff. — Bas
Erstere ist die Ansicht von Gmsxum, tiberftasaraer und Ebio-
niten, in StXudub's und Tsscanusa's Archiv für H* G. 4» Bd.
und Caaniuui's a. a. O.
218 Erster Abschnitt«
«rat spfiter *ur ebionitisehen herabgestinunt habe IS); da
die tbeils verworrenen 16) tbeilfl spaten Nachrichten kirch-
lieber Schriftsteller sich natürlich aas der gleichsam opti-
schen Täuschung der Kirche erklären lassen t welcher,
während sie in der Verherrlichung Christi vorwärts schritt,
ein Tbeil der Jadenchristen aber stehen blieb, es vorkam,
als bliebe sie stehen, die andern aber gingen ketaerisch
aorttok.
Durch diese Unterscheidung einfaoher und speenliren*
der Ebioniten ist so viel gewonnen, dafs das Fehlen dar
Genealogien bei den letzteren, von welchen Epiphanfos
spricht, nicht beweist, dafs sie auch den enteren gefehlt
haben. Um so weniger, wenn wir im Stande sein Sollten,
wahrscheinlich an machen, dafs die Gründe ihrer Abnei-
gung gegen die Geschlechtsregister in demjenigen lagen,
was ihnen im Unterschiede von den gewöhnlichen Ebioni-
ten eigen war. Einer dieser Gründe nun war offenbar die
angünstige Ansieht, welche die Ebioniten des Epiphanius
nnd der Klementinisoben Homilien über David hatten* von
welchem die Genealogie das Geschlecht Jesu ableitet. Sie
unterschieden bekanntlich im A. T. eine doppelte Prophe-
tie, eine männliche und eine weibliche, reine und unrei-
ne, von weichen jene nur Himmlisches und Wahres, die-
se Irdisches und Trfigliches verhelfte; jene von Adam und
Abel, diese von Eva und Kain ausgehend, und beide durch
die ganze Geschichte der Offenbarung herunterlaufend 17).
Ais wahre Propheten werden im A. T, nur die frommen
15) Wie Homumi eu beweisen sucht, S. 198 ff.
16) Hiemit meine ich die Nachricht des Hegcsippus bei Euse-
bius, H. E. 4, 22, Dass Epiphanius, bser. 30, 1 , die Ebioniten als
die jüngere Secte den NazarScrn gegenüberstelle, wie Honr-
manh behauptet, ist falsch ; haer. 29, 7. 30, 2. lasst er beide
Sectcn gleichzeitig entstehen.
17) Homll. 3, 23 - 27.
Drittes Kapitel, J. 27. 219
Hffuner von Adam bis Josse anerkannt : die späteren Pro*
pheten and Gottesm&nner, unter welchen aueh David nnd
Saiomo namhaft gemacht sind, werden niebt nur nfeht an*
erkannt 5 sondern verabscheut **). Wir finden aber sogar
bestimmte Sparen, dafs den David ihre Abneigung ganu
besonders getroffen hat. Mehrere Punkte waren es, wel-
che sie von David (and anoh von Safomo) abstiefsen. Da*
vld war ein blutiger Krieger: Blutvergießen aber nach
der Lehre dieser Ebioniten eine der vornehmsten Sünden ;
von David ist ein Ehebruch (von Salomo seine Wellast)
bekannt: den Ehebrach aber verabscheute die genannte
Partei noch mehr als selbst den Mord ; David war ein Sai-
tenspieler: das Saitenspiel aber galt jener Seote, als Er*
undung der Kainiten (1. Mos. 4, 21.), Ar ein Zeichen der
mischen Prophetie; endlich gingen sowohl die von David
herrührenden, als die an ihn (nnd Salomo) geknüpften,
Weissagungen auf ein irdisches Reich, von welchem die
gnostisirenden Ebioniten nichts wissen wollten19). Diesen
Grund eut Abneigung gegen die Genealogien nun konnten
die vom gewöhnlichen Judenthnm ausgegangenen Ebioni-
ten nicht theilen, da für den rechtgläubigen Juden David
Gegenstand der höchsten Verehrung war« — (Jeher einen
«weiten Punkt sind die Nachrichten nicht gehörig klar
und einstimmig; ob nämlich diese Ebioniten auch durch
* ■
18) Epiphan. haeree. 30, 18. vgl. 15.
19) S. die Belegstellen bei Crsdnbr, in der angef. Abhandlung,
Das« es diese Züge gewesen seien, welche der . genannten
Christenpartei an David inissnelen, wird wenigstens in Einer
Stelle der Hlemcmtlnischen Homilien auch ohne Nennung des
Namens klar genug, nämlich HomiL 9, 25 : in w *» <* ano
rrjs rtrrs (rs XäIv) 3t*&oxSfc nqöthjht&OTte jc^ßrot /ut*%ol tyfromro, xal
tyalryna, *(ü xt^dpn, «t& %aUiTit enlmr nbbftaw* fyfrovro* d? o
tetn rj t£*v tyyoviav nQotptirata, t**X** *** ^oln^ituß ytpao<*, Icn&woy-
r«? dpa TiZv ijdvnalhttov atf rng nok'{i*s tytt&i.
B20 . Erster Abschnitt
eine Steigerung der gemeinebienitischen Lehre von der P<
eon Christi cor Verwerfung der Genealogie veranlaßt wa-
ren. Nach Epiphanias unterschieden sie ganz gnoetisch
Jesus, den Sohn Josephs and der Maria, ren dem anf ihn
herabgekommenen Christus20), und insofern mochte «ie
von einer Beziehung der Genealogie auf jenen nur etwa
ihre Abneigung gegen David eurtf ckhalten : aus der Grtmd-
ansieht und einer Stelle dar Klementinen dagegen 21) ist
neuerlich nicht ohne Schein gefolgert worden , dafs vom
Verfasser derselben die Ansicht von einer natürlichen Er-
Beugung und selbst Geburt Jesu aufgegeben war22;; wo-
bei dann noch offenbarer der Grund, warum diese .Seele
die Genealogien verwarf, ihr eigentümlich uud nicht mit
den andern Ebioniten gemeinsam wäre.
Doch auch positive Spuren fehlen, nicht gan«e, dafs die
yom gewöhnlichen Judenthum ausgegangenen £bioniten die
Genealogien gehabt haben. Während die Ebioniten des
J£piphanius und der Klementinen Jesum nur, Sohn Gottes
nannten, die Benennung Sohn Davids aber, als der ge-
meinen jüdischen Ansicht zugehörig, verwarfen28): werden
andere Ebioniten von den Kirchenvätern verklagt, Jesum
nur als den Sohn Davids , auf welchen die Gesehieohtsre-
gister hinführen, nicht ebenso als Sohn Gottes aneuer-
kennen *')• Ferner erzählt Epiphanias von den uralten
20) Epiphan. Hier. 30, 14. 16. 34.
21) Hom. 3, 17.
22) ScaifBCKBiisuaeia, Über das Eräug, der Aegypter, S.7; Bau»,
christl. Gnoaia, S. 760 ff. VergL dagegen Cudhbr, a. a. 0.
S. 253 f. und Honauim, S. 208 ff.
23) Orig. Comm. in Matth. T. 16, 12. Tertnllian. De carne Christi,
14, a, Aam* 13 (eine Stelle, in welcher freilich die speculativea
Ebioniten und die gewöhnlichen vermischt sind).
24) Clement, homil. 18, 13. Sie bezogen hienach den Spruch
Matth*. 11, 27i sSeig fywo rov nartya, d ftq o vlog x. r. 2. auf r««
nariqa rofil^ovxai X^tgS xw da/bd, xai avrov 3k rix Xqtgor vlov orra,
Drittes Kapitel, f. 27. 221
jodaisirenden Onosttkera, Ceriath und Carpokrates, dafb
rie im Uebrigen zwar desselben Evangeliums , wie die
Ebioniten, sieh bedient, aber die Genealogien , welche sie
demnach in demselben lasen , «am Beweise der menschli-
chen Erzeugung Jesu durch Joseph gebraucht haben 88).
Aach die ans jndenehristliehem tiebiete stammenden cwro-
pnftionvtiaza Justins scheinen eine ähnliche Genealogie wie
anser Matthäus gehabt an haben, da Justin wie Matthias
in Beeng auf Jesum von einem yhog rä Jaßld xci ^Aß^aa^
reo einem an&Qfta i£ *faxtaß, dia jfcida xcel Oa^g xal Ja-
ßld xccreQxo/uevov , spricht 26); nur dafs aar Zeit and in
•»* «u* 4c? /<? hr**vr*s> imd beklagten sieh, dass Mi T* *tS
r«r AxßtS narret Meyor.
25) Heeres. 30r 14* o ph ya$ XforS-of *ai Ka^Ttox^Sg t» mrf X&*~
ptrt* itttQ* mrdtg {reif *Eß*ovcUtks) evayyel&a, ano Trji aqxi* T"- ■**•
Mar9dwr evccyytlta Sta Trjs ytrtaloy(a$ ßslortca naqu;av itc onfyfurroq
*IwBft *cA Maltas tlrat tov X^goy. Wie CaSDHBR (Beiträge a. a*
O.) dazu kommt, hier unter yerealoyta nicht das Geschlechts-
register, sondern die Geburtsgeschichte zu verstehen, ist nicht
einzusehen* Wie hätte denn die MatthXitche Gebertsge-
schichte zu einem Beweis für die reinmenschliche Abkunft
Jesu dienen können? Wenn sich Guonan darauf berufen
kann, dass ja dem von Cerinth und Carpokrates gebrauchten
Ehionitenerangelium die Geschlechtsregister gefehlt haben,
also jene beiden Häretiker nicht aus diesem, ihrer Urkunde
gerade fehlenden, Theile haben argumentiren können: so er-
hellt aus der Wendung, mit welcher Epiphanius nach jener
Aeusserung über Cerinths und Carpokrates Benützung der
Genealogien zu den Ebioniten übergebt : &-<* <ft aXXa *W Sux-
voürrat. na^mxoxpcemg yaq rag na^a rto JtftaT&a&o ytrsctloyütf x. t. iL
aus dieser Wendung erhellt deutlich genug, dass das Evange-
lium der Ebioniten sich von dem, übrigens mit ihm identi-
schen, des Cerinth und Carpocrates durch den Mangel der
Genealogien unterschied.
26) Dial. c. Tryph. 100. 120. Auch hier kann ich nicht mit
Crbbhxr übereinstimmen, welcher dem Justin die Genealogie
abspricht (*l a. 0. S. til. 44&)
9&g firster Abschnitt.
dem Kreise Justins bereits die Ansieht Ton einer Überna-
türlichen Erzeugung Jesu Veranlassung gegeben hatte, die
Genealogie statt auf Joseph , vielmehr anf Mama zu be-
zieben.
Hienaoh haben wir in den Genealogien ein mit an*
derweitigen Spuren zusammenstimmendes Denkmal dafSr»
dafs in der allerersten christlichen Zeit in Palästina
eine Anzahl von Christen , grofs genug, um von verschie-
denen Grundansicbten aas zweierlei messianisehe Stamm»
bäume anzulegen, Jesum für einen natürlich emeugten
Menschen gehalten hat; eine Ansicht, von der uns in den
apostolischen Schriften kein Beweis dafür vorliegt, dab die
Apostel sie für unohristlich erklärt haben würden; erst
vom Standpunkte der Geburtsgesohiohten des ersten und
dritten Evangeliums aus erschien sie so: obwohl auch
noch Kirchenväter dieselbe auffallend milde behandeln S7).
§. 28.
Die natürliche Erklärung der EmpfangnlssgescLicIite.
Hat nach dem zuletzt Ausgeführten die supranatura-
listisohe Erklärung der Empfängnifsgeschichte so bedeu-
tende, sowohl philosophische als exegetische, Schwierig-
keiten : so verlohnt es sich wohl, die evangelische Erzäh-
lung noch einmal darauf anzusehen, ob nicht vielleicht
eine andere Auslegung derselben möglich sei, durch welche
diese Anstöfse vermieden würden. Eine solche hat man
wirklich von verschiedenen Seiten in der Art versucht,
dafs man bald nur mit dem einen oder andern, bald aber
auch mit allen beiden Berichten auf dem Wege natürlicher
Erklärung fertig werden zu können glaubte.
Zunächst schien sich die Erzählung des Matthäus ei-
ner solchen Deutung darzubieten. In Bezug auf sie wurde
durch zahlreiche rabbinische Stellen nachgewiesen, dafs
27) S. Nkakdbr, K.G. a. a. 0. S. 616.
Drittes Kapitel. $-28. 31»
o*eh jadischer Ansteht ein Sohn frommer Eltern anter
Mitwirkung des heiligen Geistes erzeugt sei und ein Sohn
desselben genannt werde, ohne dafs hiebe! an Anssehlie»
fsmg des mfinniiehen Aatheils an seiner Ersengnng ge-
dacht würde. Der betreffende 'Abschnitt des Bf atthfaa
naa, meinte man, enthake weiter nichts, als diese Vorstel-
lung ; der Engel wolle hier dem Joseph nicht sagen , dafs
Marin ohne Znthnn eines Mannes schwanger geworden,
sondern nur, dafs sie, ihrer Schwangerschaft ungeachtet,
sk rein, nicht als eine Gefallene, ansnsehen sei. Erst bei
Lukas sei, vermöge einer Steigerung der nrsprfingliehen
Vorsteilnng, durch das avdqa s yinooxw jede yAterfiche
Mitwirkung ausgeschlossen ')• Wurde von der andern
Seite hiegegen richtig bemerkt, dafs ja bei MatthAus der
sinnige, hier in Frage kommende Mann, nSmlieh Joseph,
durch das n^h rj owelfruv avrug (1, 18. ) au entschieden
susgeschlossen sei: so glaubte man nnn von dieser Seite
jene Ausschliefsung im Lukasevangelium weniger entschie-
den au finden; freilich nur, indem man entweder unexe-
getisch den klaren Wortsinn auf den Kopf stellte, oder
unkritisch einen Theil der so wohl eusammenhXngenden
Krsfihlung verdächtigte. Bei dem ersteren Verfahren sollte
die Frage der Maria : tbSq igai töro, inel (xvdqa s ymioxta;
(1, 34.) *° riftl heifsen : wie kann ich, die schon Verlobte
and Vermählte, den Messias gebaren, als dessen Mutter
ish keinen Mann haben milfste? worauf der Engel er-
wiedere, dafs aneh aus ihrem mit Joseph erzeugten Kinde
Gett durch seine Kraft etwas Besonderes maohen könne 8).
1) Br . . . , die Nachricht, das» Jesus durch den hei). Geist und
Ton einer Jungfrau geboren sei, aus ZeitbegriÖen erläutert, in
Schmidt'* Bibl. 1, 1. S. 101 ff. ; Horst, in Hbkkb's Museum,
1, 4, 497 ff. > über die beiden ersten Kapitel im Evang* Lukas«
2) Bemerk. üBer den Glaubenapunkt u. s. f., Hsxkb's n. Maga-
zin, 3, 3, S. 399.
2*4 : Erster Abschnitt.
Ebenso wlllkflrlieh ist 4m andere Verfahren, die ange-
führte Zwischenfrage der Maria für eine unnatürliche
Unterbrechung der Rede des Engels so erklären, jene ab-
gerechnet aber in der Stelle keine bestimmte Hmdeatnaaj
auf die anfsernatttrttehe Empffeagnifs an finden *).
Ist somit die Schwierigkeit der natfirKehen Erklärung
för beide Berichte gleieh groß: se meiste entweder auf
beiden Seiten auf eine solche versiebtet, oder sie beide»
male gewagt werden, and der conseeuente RationaUsmnSy
n» B. eines Paulus, konnte sieb nur fdr das Letztere ent-
scheiden. Den Antheil Josephs «war hält der genaust*
Aasleger durch Matth« 1, 18. för ausgeschlossen, keines-
wegs aber Jede andere männliche Wirksamkeit; se wenig
als er in rtvsvfia ayiw and dvvafug viplgs (Lac. 1, 35.)
eine wundervolle göttliche Thätigkeit finden kann. Das-
Ttvevfta ayiov ist ihm nichts Objectives, von aufsen aaf
Maria Einwirkendes, sondern ihre eigene Iremme Ge-
sinnung; die dvvapug vtpigs aber ist ihm nicht anmittel-
bar die göttliche Allmacht, sondern jede gottgefällig an-
gewandte Naturkraft kann nach ihm so genannt werden»
Demeufolge ist nach Paulus der Sinn der Verkündigung
des Engels nur dieser: vor der Verehlichnng mit Joseph
werde Maria mit reiner Begeisterung für das Heilige ihrer-
seits, and durch gottgefällige Wirksamkeit (versteht sich,
eines Mannes) auf der andern Seite , Matter eines Kindes
werden, das, wegen dieses heiligen Ursprungs, ein Gottes-
sohn an nennen sein werde.
Sehe« wir aber noch näher nach, wie sich der Re-
präsentant rationalistischer Auslegung die Umstände der
Erzeugung Jesu vorstellt. Von Elisabet, der patriotischen,
klugen Aaronstochter, wie er sie nennt, geht er ans«
Hatte diese die Hoffnung gefaßt, einen Gottespropheten eu
gebären: so mufste sie wünschen, dafo er der höchste
3) Schlbibrmacrir, über den Lukas, S. 26 f.
Dritte* Kapitel. $.28. »5
Prophet, der Vorläufer des Messias, sein, daft also auch
dieser bald geboren werden möchte. Und eine cor Matter
des Messias gan* taugliche Person hatte sie in ihrer Ver-
wandtschaft: die jungfräuliche Davidische Descendentin
Maria; es kam nor darauf an, sie an besonderen Hoffnun-
gen sn veranlassen. Während man nach diesen Andeu-
tangen bereits einen schlauen Plan der Elisabet mit Ihrer
jaagen Verwandtin ahnt, und in denselben eingeweiht ra
werden hoffit i ififct Paulus hier auf einmal den Vorhang
fidlen, und bemerkt, die Art, wie Maria nu der Ueberaeu-
gung gekommen, Motter des Messias an werden, müsse
man historisch pnentsebieden lassen; nur an fiel sei ge-
wits, dafs Maria dabei rein geblieben sei, indem sie un-
möglich , wie später geschah , mit gutem Gewissen unter
das Kraus ihres Sohnes hätte treten können, wenn sie sich
eines Vorwurfs über den Ursprung ihrer Hoffnungen von
ihm beweist gewesen wäre. Nur folgender Wink über
die eigentliche Ansicht von Paulus kommt weiterhin noch
vor: der verkündigende Engel sei vielleicht Abends, oder
gar bei Nacht, au Maria gekommen; ja der richtigeren
Lesart aufolge, welche Luc. 1, 28. nur: xcci elgsl+kav Tioog
avT7p> üue, ohne 6 ayyelog, habe, sei hier nur von einem
Hereingekommenen überhaupt die Rede (als ob das dgsk-
&wv in diesem Falle nicht nothwendig %\g bei sich haben,
oder ohne dieses auf das Subjeot: 6 äyyelog IVr/fytj^l,
V. 26., bezogen werden mülste!): daft es der Engel Ga-
briel gewesen , habe sich Maria erst nachher, als sie von
der Vision des Zaoharias hörte, ergänst.
Was in dieser Erklärung des Vorgangs stecke, hat
scheu Gabler in einer Reeenslon des PAuios'sohen Com-
mentars*) mit angemessener Derbheit- ans Licht gesogen,
indem er geradeso sagt, bei der Ansicht von Baulvs bleibe*
4) Im neuesten theol. Journal, 7. Bd. 4. Stück. S. 407 f. Vgl.
Bauea, hebr. Mythol. 1, S. 192, c, ff.
Das Leben Jesu 5f* Aufl. I. Band. 15
'tu
9M Erster Abschnitt.
nlebti Anderes so denken übrig, ab dafr «leb Jemand für
den Engel Gabriel ausgegeben, und als angeblicher Gottee-
bote selbst die Maria besehlafen habe, um den Messias mit
ihr an eraengen. Und das, fragt Gablbr, wenn Maria «t
einer Zeit, da sie schon verlobt ist, von einem Andern
schwanger wird, soll eine unsündliohe, gottgefällige Weise,
eine vorwarflose, heilige Wirksamkeit heifsen? Maria er*
schiene hier als eine fromme Schwärmerin , und der all-.
getyiohe Gottesbote entweder als ein Betrüger, oder aaeh
als ein grober Sehwärmer« Mit Recht findet der genannte
Theologe vom christlichen Standpunkte aus eine solche
Behauptung empörend; vom wissenschaftlichen angesehen
aber widerspricht sie gleichsehr den Gesetzen der Ausle-
gung wie der Kritik.
Als der würdigste Dolmetscher von Paulus ist hier
der Verfasser der natürlichen Geschichte des grefsen Pro-
pheten vonNaaaret au betrachten, welcher, wenn er auch
bei Abfassung dieses Thcils von seinem Werke den Paik
Lus'schen Commentar noch nicht benutsen konnte, doch
gana in dessen Geiste, was dieser noch behutsam mit ei-
nem Schleier verhüllt, ohne Scheue aufdeckt. Er ver-
gleicht eine Eraihlung bei Joseph us % nach welcher eben
im Zeitalter Jesu ein römischer Ritter die keusche Gattin
eines edeln Römers dadurch für seine Wünsche gewarnt,
dftfs er sie durch einen Isispriester in den Tempel dieser
Göttin unter dem Vorwande laden lief«, der Gott Anubis
hegehre sie au umarmen; worein die Frau unschuldsvoll
und glaubig sich ergab, und spfiter vielleicht auch ein
Götterkind su gebären geglaubt haben würde, wenn nicht
der Buhle bald darauf mit bitterem Hohn ihr den wahren
Stand der Sache entdeckt hätte. Auf Ähnliche Weise
meint der Verfasser, sei Maria als Verlobte des Ält-
lichen Joseph durch einen verliebten und schwfirmerisehea
5) Antiq. 18, 3, 4.
> •
Drittes Kapitel. (. 2S. S27
(er lÄfst ihn In der folgenden Geschichte als
Joseph von ArimathJta auftreten ! ) get&uscht worden t
und habe sofort, in alier Unschuld, wieder Andere ge-
tloseht*). Hier wird es non klar, dafs diese Erklfirungs-
art nicht verschieden ist von jener nralten jtldiscben Blas-
phemie, welche wir bei Celsns und im Talmud finden,
dafs Jesus seine Geburt von einer reinen Jungfrau f&lsch-
lieh vorgegeben habe, in der That aber von Maria im
Ehebruch mit einem gewissen Panthera erzeugt gewesen
•ei 0
Treffender kann man ober diese ganse, in der Läste-
rung der Juden culmintrende Ansicht nicht urtheilen, als
schon Origenes gethan hat, indem er sagt; wenn sie der
Geschichte von Jesu Übernatürlicher Erzeugung etwas An«
deres hätten unterschieben wollen, so hfitten sie diefs we-
nigstens auf wahrscheinlichere Weise thun sollen ; sie
kitten nicht, gleichsam wider Willen, zugeben dürfen,
dafs Maria von Joseph unberührt gewesen sei, sondern
schon diesen Zug hfitten sie Ifiugnen, und Jesum aus einer
gewöhnlichen menschlichen Ehe jener beiden entstehen
laaoen müssen; wogegen nun das Gezwungene und Aben-
teuerliche ihrer Hypothese jedem Kenner die Lüge ver-
reibe6). Was heifit diefs anders, als: wenn einmal an
einigen Zügen einer wunderhaften Erzählung gezweifelt
wird, so ist es folgewidrig, andre unbezweifelt stehen zu
lassen ; vielmehr mufs dann ein solcher Berieht nach allen
6) iter Theil, S. 140 ff.
7) Die Sage hat verschiedene Formationen erlebt, durch welche
aber immer der Name Fanthera oder Pandira hindurchgeht.
S. Origenes c. Cels. 1, 28. 32; Schott**!«, Horae, 2, 693 ff.
aus Tract. Sanhedrin u. A. ; EisamnuneBa , entdecktes Juden,
thnm , 1, S. 105 ff. aus der Schmähschrift : Toledoth Jeschu ;
Thilo, Cod. apoer., 1, S. 528 f.
8) c. Gels. J, 32.
15*
228 Erster Abschnitt.
seinen Theilen mit kritischem. Auge angesehen werde»-
Die richtige Ansicht von der vorliegenden Erzählung lag,
wenigstens mittelbar, in Origenes, Denn wenn er das elnemal
mit der übernatürlichen Empfängnifs Jesu die Erzählung von
Plato's Erzeugung durch Apollo als gleichartig znsammen-
stellt (aber hier freilich der Meinung ist, nur Böswillige
können dergleichen bezweifeln) *); das andremal aber von
der Erzählung über Piato» sagt, sie gehöre zu den Mythen,
dureh welche man die ausgezeichnete Weisheit und Kraft
grober Männer habe erklären wollen (aber hier dio Er-
zählung von Jesu Erzeugung aus dem Spiele läfst) 10> : so
hatte er ja die beiden Prämissen (Gleichartigkeit der bei-
den Erzählungen und mythischen Charakter der einen),
aus welchen sich ajs Schlufssatz der blofs mythische Werth
der Erzählung von der Empfängnifs Jesu ergab; ein
Schlafs, den er aber freilich nicht einmal vor seinem ei-
genen Bewußtsein gezogen haben kann.
§. 29.
Die Geschiebte der Erzeugung Jesu als Mythus.
Wenn man dem fibernatürlichen Ursprünge Jesu aus«
weichen wiU, sagt -Gabler in seiner Recension von Paulus
Commentar, um nicht in nnsern Tagen zum Gespfftte zu
werden : wenn aber andrerseits die natürlichen Erklären-
gen desselben auf sonderbare nicht nur, sondern selbst
empörende Behauptungen fähren: so wähle man doch lie-
ber die Annahme eines Mythus , durch welche alle Jene
Schwierigkeiten vermieden werden. Viele grofse Man per
hatten in der alten mythischen Welt eine aufserordentliche
Geburt und waren Göttersöhne. Jesus selbst sprach von
seinem himmlischen Ursprung, nannte Gott seinen Vater,
9) Ebend. 6, 8«
10) Ebend. 1, 37.
Drittes Kapitel. J. 29. 229
«ad hiefi ohnehin als Messias Gottes Sohn.' Aos Matth.
1, 22 fl sieht man ferner, dafs die Stelle Jes. 7,14. in der
ersten christlichen Kirche auf Jesum bezogen wurde.
Jesus, dächte man, mnfs als Messias, dieser Stelle zu-
folge, von einer Jnngfran durch Gotteskraft geboren sein;
was sein mufste, schloß man, ist auch wirklich geschehen,
and ae entstand ein philosophischer (dogmatischer) My-
thus über die Geburt Jesu. Seiner wirklichen Geschichte
aach wäre dann Jesus aus einer ordentlichen Ehe Josephs
und der Maria entsprossen; womit, wie mit Recht be-
merkt wird, ebensowohl die Würde Jesu als die schuldige
Achtung gegen seine Mutter besteht ')•
Man hat also, um sich die Entstehung eines solchen
Mythos eu erklären, an die Neigung der alten Welt erin-
nert, grofse Mfinner und Wohlthflter ihres Geschlechts als
Göttersöhne darzustellen. Die Beispiele sind von den
Theologen reichlich beigebracht. Namentlich aus der
griechisch-römischen Mythologie und Geschichte hat man
an Hercules und die Dioskuren erinnert, an Romulus und
Alexander, vor Allen aber an Pythagoras2) und Plato,
von deren Letzterem Hieronymus, ganz auch auf Jesum
anwendbar , sagt : sapientiae principem tum aliter arbi-
frantVTy nisi de partu virginis editum *).
1) Gablsr, in seiopm neuesten theol. Journal, 7, 4. S. 4ü8f>;
Eichhorw, Einleitung in das N. T. 1, S. 428 f.; Bauer, nebr.
Mythol. 1, 192 e ff. ; Kaiser, bibl. Theologie, 1 , S. 231 f.;
WtesciuiDSR, Instit. $. 123; de Witts, bibl. Dogmat. §. 281.
und exeg. Handb. 1, 1, S. 18 f. ; Arno«, Fortbildung des Chri-
atenth. S. 201 ff. ; Hase, L. J. §, 33; Fextescbi, Comment. in
Matth. S. 56. Der Letztere schon in der Ueberschrift de«
ersten Kapitels, S. 6, richtig : non minus iüe (Jesus) ut fe-
rvnt dodorum Judatcorum de Messia sententiae, patrem ha-
bet spiritum divinum, matrem virginenu
2) Jamblich, vita Pythagorae, cap. 2. ed. Kiissliä*.
3) adr. Jevin. 1, 26. Diog. Laert. 3, 1, 2.
£S0 Erster Abschnitt
Wenn man aas diesen Beispielen schliefen möchte,
dafc wojil auch die Erzählung von der übernatürlichen
Erzeugung Jesu, ohne historischen Grund, aus einer ähn-
lichen Neigung hervorgegangen sein dürfte: so vereinigen
sich Orthodoxe und Rationalisten, fene Analogie nicht gel«
ten «u lassen; wiewohl aus sehr verschiedenen Gründen*
Wenn bei Origenes nicht viel fehlt, dafs er um der Gleich-
artigkeit der beiderseitigen Ersählungen willen auch die
heidnischen Sagen von Göttersöhnen für wahre Wunder-
geschichten hielte: so ist Paulus auf seinem Standpunkte
mit mehr Entschiedenheit so consequent , beiderlei Ersäh-
lungen als natürliche) aber wahre, Geschichten zu erklä-
ren. Wenigstens von der den Plato betreffenden Erzäh-
lung sagt er, man könne nicht behaupten, dafs sie der
Hauptsache naeh erst später entstanden sei ; vielmehr habe
Periktione leicht glauben können, von einem ihrer Götter
schwanger zu sein: dafs ihr Sohn hierauf wirklich ein
Plato wurde, könne zur Bestätigung ihres Glaubens ge-
dient haben, ohne doch dessen Ursache gewesen zu sein»
Tholuck macht auf den bedeutenden Unterschied auf-
merksam, dafs jene Mythen von Romulus u. A. erst Jahr-
hunderte nach den Lebzeiten dieser Männer sich gebildet
haben: die über Jesuin dagegen ganz kurz nach seinem
Tode entstanden sein müßten *> Der Erzählung von Pla-
to's Geburt zu gedenken, vermeidet er klüglich, weil er
wohl weifs, dafs diese eben in jener Hinsicht ein gefähr-
licher Punkt ist Dagegen fährt nun Osia^der mit grofsem
Pathos eben auf diesen Punkt zu, und behauptet, Plato*«
Apotheose zum Sohne Apollos sei erst mehrere Jahrhun-
derte nach ihm ausgeboren worden5): da vielmehr schon
Plato*s Schwestersohn davon, als von einer in Athen ver-
4) Glaubwürdigkeit, S. 64.
5) Apologie des L. J., S. 92.
Drittes Kapitel, ff, ». SSI
breiteten Sage, sprach*). Auf noch andere Weife will
Olubao&u, dem rieh Neander ansehtieftt, die Analogie der
mjfthieehen Göttersahne unsehfidlich auchen, indem er
darauf aufmerksam macht, wie diese Erzählungen , wenn
gleich «»historisch , doch flr die allgemeine Ahnung und
Sehnsucht naeh einer solchen Thateache, and damit Ar
die Wirklichkeit derselben wenigstens in Einer geschieht-
liehen Erscheinung, bargen» Allerdings nun mufs einer
eJJgenseinen Ahnung und Vorstellung Wahrheit sum Grunde
liegen j nur dafs diese nicht in einer einseinen, jener Vor-
stellung genau entsprechenden Thatsaehe bestehen wird,
aendern in einer Idee, welche sieh in einer Reihe, jener
Verstellung oft sehr unähnlicher, Thatsaehen verwirklicht,
— und wie die ▼erbreitete Vorstellung eines goldenen
Zeitalters nicht beweist, dafs wirklich einmal eine solche
Zeit gewesen: so hat aueh die Vorstellung von göttlichen
Erzeugungen in etwas gans Anderem ihre Wahrheit, als
darin, dafs irgendeinmal ein Individuum auf diesem Wen
«tun Dasein gekommen ist ').
Eine wesentlichere Einwendung gegen die dargelegte
Ajudogte ist, daü die Vorstellungen der Ueidenwelt nichts
für die abgeschlossenen Juden beweisen, udd dafs nament-
lich die dem Polytheismus angehörige Idee von tiöttersöh-
nen auf ihre streogmonetheiatisehen Messiasbegriffe nicht
wohl einen Einflufs habe ausüben können 6). Allerdings
darf asan hier nicht au schnell aus dem Ausdruck: Sohn
Vottes, der sich auch bei ihnen findet, schliefen, welcher,
6) Diog. Laert. a. a. O. : Snriatnnos (Sororis Piatonis fittut,
tfieron. ) &* fy r«3 irnyocupo/itvin niarmot 7i*QideinvM xat KXeaoj(o;
Iv r«3 Jlidrtoyo; h/xtafibp xat \4va$J.id/jt tv n» dtvrtQtü nt'yi <f*looo<f*ay\
yaakr* A$i)vrfHV tjv JLayo; x. r. X,
.7) UebereinstiauncAd Ha«*, L. J. §.33> de Weite, exeg. Haadb.
1, 1, S. 19.
S) Neamhc», L* J. C1l S. 10«
232 Erster Abschnitt.
wo er im A. T. von Obrigkeiten ( Ps. 82, 0. ) oder theo*
kretischen Königen (2. Sam. 7, 14. Ps. 2,7.) gebraucht
wird, eben nnr dieses theokratisehe, kein physisches oder
metaphysisches Verhlltnifs anzeigt; noch weniger darf
man darauf Gewieht legen , dafs bei Josephus ein Römer
schöne jüdische Fürstenkinder schmeichelnd Götterkinder
nennt9). Doch aber hatten, wie im vorigen §. bemerkt,
die Juden die Vorstellung, deis bei Erzeugung der From-
men der heilige Geist mitwirke ; ferner , * dafs die auser-
wfibltpsten Rüstzeuge Gottes durch göttlichen Beistand
von solchen filtern erzeugt werden, welche nach dem na*
türlichen Laufe der Dinge kein Kind mehr bekommen ha-
ben worden : und wenn bei diesen nach glaubiger Vorstel-
lung die göttliche Wirksamkeit die erstorbene Fähigkeit
beider Theile erneuerte (Rom. 4, 19.), so war es nur noch
ein Schritt bis zu der Annahme, dats sie bei" Erzeugung
des höchsten jener Rüstseuge , des Messias , die fehlende
Wirksamkeit des einen Theils, bei vollkommener Fähig-
keit des andern, ersetzen werde; dieses verhilt sich mm.
jenem kaum als ein höherer Grad des Wunderbaren» So
mub es der Verfasser von Luc. 1. selbst angesehen haben,
indem er die Zweifel der Maria durch denselben Spruch
niedergeschlagen werden läCst, mit welchem im A. T. Je-
hova den Zweifel der Sara zurückgewiesen hatte10). Dafs
es zu dieser Steigerung vollends kam, daran konnte we-
der die jüdische Achtung vor der Ehe hindern, welcher
eine aseetische Schätzung des ehelosen Lebens; noch die
herrschende Vorstellung vom Messias als einem gewöhnli-
chen Menschen u) , der von Daniel aus die Idee von ihm
9) Antiq. 15, 2, 6.
10) 1. Mos. 18, 14. LXX: Luc. 1, 37:
firj a&vvarqaci naqa rw &€to ort ax aduvar/jaet normet tw #**5
U) Auf Beides beruft sich Nbahdbh, L. J. Ch., S» 10.
Dritt** Ka»ltel. 5-29. 23S
als einem näheren Wesen bot Seile ging. Eine bestimmte
Veranlassung aber, die aasern deburtsgesehiehten znm
Grantle liegende Vorstellung auscubilden, lag aum Theil
etjion in dem , einmal ftr den Messias fibiieh gewordenen
Titel : vtog #«* '*)• Denn es ist die Natur solcher zunächst
fcildliohen Ausdrücke, dafs sie mit der Zeit immer mehr
eigentlich und im strengen Sinne genommen werden , und
besonders tinter den späteren Jaden war .eine sinnliche
Auflassung des früher geistig and biidlieh Gemeinten an
dar Tagesordnung. Dieser natfirliehen Neigung, das viog
9t£ vom Messiaa in immer wörtlicherem Verstände eu
nehmen, kam dann einerseits der Zusate entgegen, wei»
eben Es. 2, 7. das messianiseh gedeatete HPK ^ in dem
t[TT1?* DVn hat, welches fast unausbleiblich verleiten
mauste, hier an ein physisches Verhältnifs /zu denken;
andererseits das jesaianische Orakel von der gebarenden
Jungfrau, welches, wie so viele , deren nlchste Beziehung
sieh verdunkelt hatte, auf den Messias scheint bezogen
worden zu sein : eine Beziehung, welche man in der Wahl
des Wortes TiaQ&lvog, d. h. reine, unbefleckte Jungfrau,
bei den LXX, statt des veäng bei Aquila u. au griechi-
schen Cebersetzern, finden kann 13J. Hierauf wurden dann
die Begriffe vom Gottessohn und Jungfrauensobn in der
Art durch einander ergänzt, dafs man die göttliche Wirk-
samkeit an die Stelle der menschlich - vÄterlichen setzte.
Freilich versichert Wbtstein, dafs nie ein Jude die jesaia-
aieehe Stelle auf den Messias bezogen habe, und auch
Schöttgen weifs Spuren der Ansicht vom Messias als
Jungfrauensohn aus den Rabbinen nur äufserst mühselig
zusammenzulesen ") : allein bei der Mangelhaftigkeit der
12) Vgl. Eich»»»*, Einl. in das N. T. a. s. O.
13) »a Warn, exeg. Handb., 1,1, S. 17.
14) Jüngere Bahbincn haben sie allerdings , s. Matthaii , Reli-
l. der Apostel, 2, a, S. 555 ff.
SM Ereter Abschnitt.
Nachrichten aber die seeesianisehen Ideen Jener Zeit be-
weist diefii nichts gegen die VorauMetnung einer Zeitvor>
Stellung, von welcher die vollständigen Grundlagen im
A. T. nnd eine kaum verkennbare Folge im neuen sieh
findet.
Noch ist eine Einwendong zorlek, die ich jetzt nicht
mehr eine Olshausen eigentümliche nennen kann, eeit
aneh andere Theologen sieh beeifern, an dem Rahme der*
selben Antheil su bekommen. Nämlich, die mythische Auf-
fassung der vorliegenden Ersfthlung sei besonders defe-
wegen gefährlich, weil sie nur so geeignet sei, profanen
nnd gotteslästerlichen Vorstellungen ober den Ursprung
Jesu, wenn auch nur dunkel, Eingang zu verschaffen.
Denn sie könne nur die, den Begriff eines Erlösers ver-
nichten4e, Ansicht begünstigen, dafs Jesus auf unheilige
Weise in's Leben gerufen worden, da Ja Maria unver*
mahlt gewesen sei, als sie ihn unter dem Herzen getra-
gen habe iS). Wenn Olshausen in der ersten Auflage
15) Bibf. Comm. 1, S. 47. Auch Theilb, dessen hiehergehori-
ger §. 14. (und überhaupt seine Behandlung der Jugendge-
schichte) ein merkwürdiges Stück von Geben mit der einen
Hand und Nehmen mit der andern ist, findet, obwohl er ein-
sieht, dass bei der mythischen Ansicht mit der übernatürli-
chen auch die voreheliche Zeugung wegfiele, doch möglich,
dass Einem die Aufklärung verböte, mit der ersteren auch die
letztere in Abrede zu ziehen; wogegen ich auf den, §. 16. auf-
gestellten und im Obigen angewendeten, kritischen Kanon ver-
weise. Etwas glimpflicher stellt Neakdcr (S. 9) das Dilemma,
die mythische Ansicht müsse hier entweder eine reine Dich-
tung, oder eine solche annehmen, der etwas Geschichtliches
zum Grunde liege, was dann nur jenes Unheilige- sein könnte.
Darauf aber werde der Mythiker nothwendig hingetrieben;
denn jener ersteren Annahme „widerstrebe durchaus die ein-
fache, prosaische Erzählung de« Matthäus4'. Es kann nur
bedauert werden, dass auch Nea*»hv- die Einsicht in die my-
Drittel Kapitel. $. SO. £35
Mnsusetste , er wolle übrigen« gerne zugestehen, da&
tolehe Erklürer nieht wissen, was sie thun: so ist es
billig, das gleiche ZogestftndniTs auch ihm au Goto kom-
laen su lassen, da er hier gar nieht an wissen scheint,
waa mythische Erklärung ist. Denn wie konnte er sonst
sagen, dafs diese Erklärangsweise nur jene blasphemi»
sehe Ansiebt begünstigen könne; dafs also Alle, welche
die vorliegende Erzählung mythisch fassen, das Unsinnige
au begeben geneigt seien , waa sehen Origenes den jüdi-
schen Lästerern nnm Vorwurf machte ; nämlich von eine^
ErsfiUung, welche sie im Uebrjgen für onhistoriseh er-
kenne«, doch den Einen Zng festzuhalten, dafs Maria
noch nieht verheirathet gewesen sei; ein Zog, welcher
offenbar nur aar Stfttse des andern , dafs Jesns von kei-
nem Manne erzeugt gewesen, dienen soll, also mit diesem
steht and ftilt? So verblendet and inconseqnent ist kein
einsiger der Erklärer gewesen , welche hier einen Mythus
im vollen Sinne finden, sondern alle haben eine legitime
Ehe nwisehen Joseph und Maria vorausgesetzt, und nur
Olshausen malt die mythische Anffassnngswelse in das
Fratzenhafte, um desto eher mit derselben fertig au wer«
den, weil sie, wie er eingesteht , in diesem Abschnitte be»
eonders viel Blendendes hat.
S. *0. l
Verhältniss Josephs zu Maria. Brüder Jesu.
Gans im Geiste der aJten Sage finden ee untre Evan«
geilen anatitndig, die Mutter Jesu, so lange aie diese
thisebe Natur wenigsten» einzelner evangelischer Erzählungen
schon von vorne herein durch die verkehrte Vorstellung sich
verbaut hat, als könnte der Mythus nicht (und zwar schon in
«einem Ursprung ) einfach , prosaisch , sein. Wer im Wald
Keine Bäume finden will, der darf nur bei sich feststellen,
was ein Baum sei, müsse roth aussehen: dann findet er ge-
wiss keinen, ausser etwa hie und da jm Herbst.
236 Erster Abschnitt-
himmlische Fracht unter dem Herzen trag, von keinem
irdischen Manne berührt und verunreinigt werden zu las-
sen. Daher läßt Lukas vor Jesu Geburt den Joseph mit
Maria nur im Verhftltnits der VeHobung stehen (2, 5.),
nnd wie es von Plato's Vater heifst, nachdem seine Gattin
von Apollo empfangen hatte: o&ev xa&aQav yd/its gwlex^ai
i'tog rfjg dnoKvrjaetag 0 , so wird bei Matthfius von Joseph
bemerkt (1, 25.) 2 xcA &x iyivwaxev avrjjv {.rrpr ywatxa
avrS) iwg ö txexe rov vtoP ccvrijg rov nqonovüxov. Offen«
bar muff in beiden verwandten Stellen das l'tog auf glei-
che Weise genommen werden ; nun aber bezeichnet es in
der enteren unstreitig nur dieft, dafs zwar bis za Plato's
Gebart sein Vater sich der Gemeinschaft mit der Gattin
enthalten habe, nachher aber in seine ehelichen Rechte
eingetreten sei, zumal wir ja von Brüdern Plato's wissen.
Nicht anders wird daher das &)$ in Bezog auf die Eltern
Jesu su nehmen sein: dafs es nur bis su der angegebenen
Grinse hin die eheliche Gemeinschaft lfiugnet, nach der-
selben aber sie stillschweigend voraussetzt. Ebenso
scheint das nQcoToroxog , wie Jesus in beiden Evangelien
bezeichnet wird (Matth.l, 25. Luc. 2, 7.), eine Folge an-
derer Kinder der Maria vorauszusetzen, nach dem Lucia-
nisehen: et nkv nQwtoQ, ö fiovog' el de fitovog, ö 7ZQcurog *)>
zumal in denselben Evangelien (Matth. 13,55. Luc. 8, 19.)
von ddelcpdis *LrßH die Rede ist. Wenn also nach Fritz-
sche's Worten Ivbentissime post Jesu natales Mariam conr
cessit Mattliaeus (ebenso auch Lukas) uxorem Josepko, in
hoc uno occupatus, ne quis ante Jesu primordia mutua Ve-
nire usos suspicaretur: so genügte diefs doch den Or-
thodoxen um so Weniger in die Länge, je höher bald die
Verehrung der Maria stieg, deren Leib, einmal durch
göttliche Thfitigkeit befruchtet, nicht mehr durch gemein-
i) Diog. Lftert. t. a. O. Vgl. Origenea c. Geh. I, 37.
2) Demonax, 29*
Drittes KapiteL 8. 30, i57
menschlichen Geschlechtsverkehr entheiligt werden soll«
te *> Frühzeitig trat daher die Ansicht, dals Maria nach
dar Gebart Jesu mit Joseph ehelichen Umgang gehabt,
in die Kreise der Ketaer snrflek *), und die rechtgläubigen
Viter sachten auf Jede Weise derselben auswweichen and
sie sa bekfimpfem Exegetisch erdachte man sich für das
Sag « die Auslegung, dafs es nnweilen nicht Mols bis sa
der angegebenen Zeitgrftnae hin, sondern auch Aber die-
selbe hinaus, fftr immer , etwas behaupte oder Ufiogne, so
dsfs hier das ax iytmoxsv avnjy i'iog & eiexe x. %9 L die
eheliche Gemeinschaft swischen Joseph und Maria für
alle Zeiten ausschließe 5). Ebenso machte man in Besag
aaf das TtQonotoxog geltend, es schließe nicht nothweadig
in sich, dafc nachher noch andere Kinder geboren seien,
sondern nur, dafs andere vorher, schiiefse es aas ')• Um
aber nicht blofs grammatisch, sondern auch physiologisch
den Gedanken an ein eheliches Verhfiknifs swischen Ma-
ria und Joseph sa entfernen, machte man den Letsteren
sam abgelebten Greise, welchem Maria mehr nar sar
Aufsicht und Beschütsung übergeben worden sei, and
sah demnach die im W. T. vorkommenden adefopog *Lt/sh
Iftr Kinder Josephs aas einer früheren Ehe an 7)- Bald
3) S. Origenes in Matthaeum, Opp. ed. de la Rue Vol. 3.
S.. 463.
4) Der Arianer Eunomius lehrte nach Fhotius , tw yJaxnjtp /um
xrpr mp^agay xwxpoQurr avyanrea9ai tJ iu%94rty» Ebenso n*Cn Epi*
phanius die tob ihm sogenannten Dimoriten und Antidikoma-
rianiten, und na/h Augustin die Hei vidi aner. Vergl. hierüber
die Sammlung von Suicia, im Thesaurus 2, s. ▼. Matfa,
fei. 305 f.
5) Vergl. Theephylakt und Suidas hei Suicsm I, s. ▼. ?«•>*, fol.
1294 ^
6) Hieron. z. d. St.
7) S. Orig~ in Matth. Tont. 10, 17; Epiphan, haeres. 78, 7; HU
storia Josephi c. 2; Proter. Jac. 9. 18.
236 Erster Abschnitt.
• • •
aber sollte Maria nicht allein von Joseph niemals berfthrt, -
sondern auch durch die Gebart Jesu ihrer Jangfrauschaft
nicht verlustig geworden sein *)• Ja selbst die unver-
letste Jungfräulichkeit der Maria genügte in die Länge
nicht? auch Ten Joseph wurde beständige Virginitlt ver-
langt; man war nieht zufrieden, dafs er mit Maria keinen
ehelichen Umgang gehabt, er sollte überhaupt niemals in
ehelichen Verhältnissen gestanden haben. Daher warde,
was selbst Epiphanias eugibt, von Hieronymus als gott-
lose apokryphische Träumerei verworfen, dafe nämlich
Joseph von einer froheren Gattin Söhne gehabt habe, und
es worden von jetzt an die adelqxA 7>;<78 ra blofsen Vet-
tern desselben degradirt *)•
Auch neuere orthodoxe Theologen halten mit den Kir-
ehenrätern daran fest , dafs niemals ein ehelicher Umgang
«wischen Joseph und Maria eingetreten sei, und glauben
demgemäfs auch die evangelischen Ausdrücke, welche fiir
das Gegen theÜ an sprechen scheinen, erklären zu können.
Wenn in Besiehung auf TtQanoioxog Olshausen behauptet,
dafs es ebensowohl den eineigen Sohn, als den ersten
neben andern bedeuten könne: so wird ihm hierin auch
Ton Paulus Recht gegeben, und Clbmkn la) und Fritz-
schb suchen vergebens die Unmöglichkeit dieser Aus-
legung darzuthun; denn wenn es 2. Mos. 13, 2. heifst:
DIJ3 ^5 ICQiTtQcmoioxovnQiüToyevegLXX^ 1133"73 *h U/;lj)
so war doch keineswegs allein ein solches Erstgeborene, auf % s
welches noch andere, später Geborene folgten, Jehora heilig,
sondern jede Leibesfrucht, vor welcher keine andere von
8) Chrysostomu«, hom. 142, bei Suiesu, s. v. Alatfa, — beson-
dert widerlich aasgeführt im Protev. Jac. c. 19. u. 20.
9) Hieron. ad Matth. 12, und advers. Helvid. )>ei Suicsn, 1,
5. 85.
10) Die Brüder Jesu. In Wnntn's Zeitschrift für Wissenschaft-
liehe Theologie« t, 5, S. 364 f.
Drittes Kapitel. g. SO. 2S9
derselben Blatter geboren wer; was also der Ausdruck :
rrpft/ror ofcrx; 5 noth wendig auch mafs beseichnen können.
Freilich mufs man andererseits mit Wihbr n. A. u) sa-
gen, dafs, wenn der Erafihier, vor welchem die Ge-
sehMhte abgeschlossen daliegt, jenen Ansdrack gebraucht,
man denselben in seinem ursprünglichen Sinne au neh*
aen versucht ist, da der Schriftsteller, wenn er wei-
tere Kinder ausschliefen wollte , wohl eher den Aus-t
druck paroyevijg gebraucht, oder mit TZQorrcrroxog verbun-
den haben würde. Doch, wenn auch dieses nichts ent-
scheiden mag, so ist um so schlagender die Aosftihrung
Fritzscbb's in Bezug auf das l'cog 5 x. t. L, in welcher er
die angeblichen Belegsteilen der kirchenvÄterüchen Aus-
legung jener Formel' aurfiek weist, und aeigt, daft sie, ihrem
nJteheten Sinne nach nur bis au einer angegebenen Grinse»
hin etwas aassagend, und von dieser an das Eintreten dea
logischen Gegentheils voranssetsend ,' nur in dem Falle
diesee Letztere nicht thue, wenn aus dem Zusammenhang
daa Eintreten dieses Gegentheils als unmöglich- von selbst
erhelle **)• Dann s. B«, wenn es hiefse: sx tylvoxjxev
cnrtrpi twg ö aTti&cnrev, verstünde es sich von selbst, dafs
Am* von der Zeit bis sum Tode Geleugnete auch nachher
nicht eingetreten sei: heilst es aber, wie bei Matthäus,
ex «. er. i'iog & iT€xevy so liegt in dem AusgebSren der
göttlichen Frucht keine Unmöglichkeit, sondern umgekehrt
die Wiederherstellung der Möglichkeit , d. h. Schicklich-
keit, das eheliche Verhtltnifs in Wirklichkeit treten au
lassen ts).
11) Biblisches Realwörterbuch, i. Bd. S. 664, Anm. di Witt«,
s. d. St. Niakdsr, L. J. Ch., S. 34.
12) Comment. in Mattb. S. 53 ff., vgl. auch S. 835.
13) Das von Olshausbh cur Unterstützung seiner Auslegung des
ftoi » ersonnene Beispiel ist besonders unglücklich gewählt.
Denn wenn gesagt wird : -wir warteten bis Mitternacht , aber
es kam Niemand; so liegt darin allerdings nicht nothwendig,
MO Erster Abschnitt«.
Aach Ol8haü8En übrigens widerspricht hier dar kbh
ren Grammatik and Logik *nur , wfiü ihn ähnliche dogma-
tische Gründe« wie die Kirchenväter, d**P treiben; ohne
nämlich die Heiligkeit der Ehe beeinträchtigen eu wollen,
meint er, Joseph habe nach solchen Erf abrangen (?) wohl
denken müssen, seine Ehe mit Maria habe einen andern
Zweck, als den, Kinder so erneiagen; auch seheine es pa-
tur(?)gemäfs zu sein "), dafsdie letnte Davididin des Zwei-
ges, ans welchem der .Messlas geboren ward , mit diesem
letzten, ewigen Spröfsling ihr Geschlecht beschlossen
habe. Es lä&t sich hienach eipe hübsche Leiter des Glau-
bens and beziehungsweise Aberglaubens in Bezug auf das
Verbältnils zwischen Maria and Joseph entwerfen«
1. Zeitgenossen Jesu and Verfasser der Genealogien:
Joseph and Maria Eheleute , und -aas ihrer Ehe Jusos er-
zeugt«
2* Zeitalter und Verfasser unerer Geburtsgeschiohten;
Maria und Joseph nur verlobt; Joseph ohne Antbeil an
dem Kinde, und vor dessen Geburt in keiner eheliche»
Berührung mit Maria.
3. Olshaü8Bn u. A. : Auch nach der Geburt Jesu, wie-
wohl nun Maria's Gatte, wollte doch Joseph keinen Cfo-
brauch von seinem ehelichen Rechte machen«
4. Epiphanius, Protevangelium Jacobi u. A. : Als ab-
gelebter Greis konnte er diefs auch nicht wohl mehr;
seine angeblichen Kinder sind aus einer früheren Ehe, und
überhaupt bekommt Joseph die Maria nicht sowohl zur
Braut und Frau, als vielmehr Mols in Obhut»
dass nun nach Mitternacht Jemand gekommen sei: wohl aber,
wenn dies« nicht, das Andere, dass wir nach Mitternacht
nicht mehr gewartet haben ; so dass hiedurch dem „bis" seine
exclusive Bedeutung nicht geschmälert wird.
14) Abermals ein ähnliches „passend", wie §§. 20« u. 21.
Drittes Kapitel« §. 30* 241
5. Protevang. , Chrysostomus u. A. : Nicht nur nicht
durch spfitere, Tun Joseph erzeugte Kinder , sondern Aoch
nieht durch die Geburt Jesu, wurde die Jungfreusebaft
der Maria im Mindesten verietst.
6. Hieronymus: Nicht allein Maria, sondern auch Jo-
seph beobachtete bestfindige Virginität, und die angeblichen
Brüder Jesu sind nicht seine Söhne , sondern Jesu Vetterju
Auch gegen die Ansicht, dafs die im N. . T. vorkom-
menden adeJUpol und dSebfcu tyaä blofse Stiefgeschwister,
oder gar blofse Geschwisterkinder Jesu gewesen, mufs
aus der vorgelegten Genesis dieser Meinung das schlimm-
ste Vorurtheil entstehen, indem sie hienach, sammt der
Meinung, daft zwischen Joseph und Maria nie ein ehli-
eher Verkehr stattgefunden , als eine blofse Erdichtung
des Aberglaubens erscheint In der That aber verhält es
sich hiemit nicht so , sondern . es sind rein exegetische
GrGnde vorhanden, vermöge welcher auch vorurteilsfreie
Theologen geglaubt haben , die Ansicht, dafr Jesus wirk-
liche Brfider gehabt, aufgeben su müssen ,5). — Zwar,
wenn wir blofs die Stellen Matth. 13, 55. Marc. 6, & hät-
ten, wo die Nasaretaner, sich über die Weisheit ihres
Landsmannes verwundernd, um seine ihnen wohlbekannte
Herkunft su bezeichnen, unmittelbar hinter dem zixnov
seinem Vater, und seiner Motter Maria seine ddeXpäg, Na-
mens Jakobus, Joses, Simon und Judas, nebst seinen un-
genannten Schwestern 16J, auffahren ; ferner Matth« 12, 46.
Luc« 6, J9. , wo die Brüder mit der Mutter Jesu ihn be-
15) Vgl. über diesen Gegenstand besonders Climek, die Brüder
Jesu, in WikerV Zeitschrift für wiss. Theol. 1, 3, S. 329 ff. ;
Paulus, exeg. Handbuch 1. Bd. S. 557 ff. J Fritzschs, a. a. O.
S. 480 ff.; WncxR, bibl. Realwörtcrb., in den A.A.: Jesus, Jaco-
bus, Apostel, wo auch die weitere Literatur nachgewiesen ist.
16) Wie sie die Legende verschiedentlich benannt hat, s. bei
Tano, Codex apoeryphus N.. T., 1, S. 363« not.
Dat Leben Jesu Zte Aufl. t. Band. U
242 Erster Abschnitt.
suchen ; Joh. 2, 12. , wo Jesus mit ihnen und seiner Mut«
ter nach Kapernaum feist ; A. G. 1, 14., wo sie gleichfalls
mit Maria zusammen genannt werden: so würden wir
keinen Augenblick anstehen, an leibliehe Geschwister Jesu
wenigstens von mütterlicher Seite, an Rinder Josephs und
der Maria 9 zu denken; nicht nur wegen der nächsten
Wortbedeutung von ddekfog, sondern namentlich auch we-
gen der stehenden Verbindung, in welcher sie mit Joseph
und Maria erscheinen. Auch Stellen, wie Joh. 7, 5., wo
bemerkt wird, auch seine ddf-Xcpoi haben nicht an Jeatim
geglaubt, und Marc. 3, 21. vergl. mit 31., wo der wahr-
scheinlichsten Erklärung zufolge die Brüder Jesu mit sei-
ner Mutter ausgehen, um seiner, als eines von Sinnen Ge-
kommenen, sich zu bemücRtigen , enthalten keinen hinrei-
chenden Grund, die unmittelbarste Wortbedeutung von
ditelyog zu verlassen. Denn dafs wirkliche Söhne der
Maria sogleich an Jesura geglaubt haben müfsten, weswe-
gen manche Theologen auch schon mit Rücksicht auf die
r.uletzt angeführten Stellen die ddelcpttg %Iija5 für seine
Stiefbrüder, und Sohne des Joseph aus einer früheren
Khe, erklärt haben, läfst sich nur aus Vorurtheilen bewei-
sen. Schwieriger scheint sich die Sache zu stellen, wenn
man Joh. 19, 26 f. liest, dafs Jesus am Kreuze seine Mut-
ter dem Johannes , Sohnesstelle an ihr zu vertreten , em-
pfohlen habe; was man nicht schicklich finden zu können
glaubt, wenn Maria noch mehrere leibliche Kinder hatte,
sondern nur wenn die überlebenden Geschwister filtere,
ihm abgeneigte, Stiefbrüder waren. Allein immerhin
konnten theils in Äufaeren, theils in inneren gemüthlichen
Verhältnissen Gründe lieget*, warum Jesus seine Mutter
lieber dein Johannes übergeben mochte, als den Brüdern;
von welchen dadurch , dafs sie nach der Himmelfahrt
(AG. 1, 14.) in der Gesellschaft der Apostel erscheinen,
noch keineswegs bewiesen ist, dafs sie auch bei Jesu Tode
schon geglaubt haben müssen.
Drittes Kapitel. §• 80. 243
Das eigentlich Mißliche in dieser Sache fängt erst
damit an, dafs anfser dem Jakobas und Joses, welche als
Brüder Jesu aufgeführt werden , noch zwei Männer glei-
ches Namens als Söhne einer andern Maria vorkommen
(Marc. 15, 40. 47. 16, 1. Matth. 27, 56.) > ohne Zweifel
derselben, welche Job. 19, 25. als Schwester der Mutter
Jesu nnd Gattin eines Klopas bezeichnet ist; so dafs wir
sowohl unter den Söhnen der Maria, Mutter Jesu, als
rach unter ihrer Schwester Kindern beidemale einen Ja*
kobas und Joses hätten. Diese Gleichnamigkeit in dem
nächsten Kreise Jesu vermehrt sieh, wenn wir erwägen,
da(s wir in den Apostelverzeichnissen (Matth. 10, 2 ff.
Lue. 6, 14 ff.) noch zwei Jakobus, also mit dem Bruder
■od Vetter Jesu 4; ferner 2 Jndas, also mit dem Bruder
Jesu 3 ; ebenso 2 Simon, also mit Jesu Bruder gleichfalls
S, haben: wobei sich der Gedanke aufdringt, ob nicht mit«
rater dieselben Personen hier als verschiedene genommen
seien? Dieser Verdacht scheint zunächst bei dem Namen
Jakobus entstehen zu müssen. Nämlich, wie der Jakobus
Aiphäi Sohn im Apostelkatalog als der zweite, vielleicht
jüngere, nach dem Zebedaiden aufgeführt ist, so beidt auch
der Jakobus, Jesu Vetter, Marc. 15,40. 6 (uxQog, und wenn
dieser Letztere bei Vergleiehung von Joh. <0, 25« als Sohu
eines Klopas erscheint, so könnten die Namen KXamag,
wie der Mann von Maria'» Schwester, und ^Aktpdios, wie
der Vater des Apostels genannt wird , gar leicht nur ver-
schiedene Formen für das hebräische IPn **iu. So wäre also
der Apostel Jakobus der zweite mit dem Vetter Jesu glei-
ches Namens identisch , und es blieben aufser ihm nur
noch der Zebedaide und der Bruder Jesu. Nun tritt in
der Apostelgeschichte (15, 13.) ein Jakobus mit entschei-
dender Stimme bei dem sogenannten Aposteleoneil auf,
nnd da nach A.G. 12, 2. der Zebedaide schon getestet,
sonst aber in der A.G. bis dahin von keinem weiteren
Jakobas, als dem Sohne des Alpbäus (1, IS ) die Rede
16*
\
244 Erster Abschnitt.
gewesen war: so kann unter jenem nicht nfiher bezeich-
neten Jakobus A.G. 15, 13. nicht wohl ein anderer als
dieser verstanden sein. Paulus non aber (Gal. 1, 19.)
spricht von einem Jakobus, döeXcpog th Kvqis, welchen
er zu Jerusalem gesehen ; und da er ohne Zweifel densel«
ben Gal. 2, 0. mit Petrus und Johannes zu den gidoi der
Gemeinde rechnet — ganz wie jener (Apostel) Jakobus
bei dem apostolischen Concil erscheint — : so wäre also
dieser mit dem Bruder des Herrn identisch, um so mehr,
da in dem Ausdruck: l'reQov dt ziov cctio^oXmv öx eldov, n
jui} lavuoßov %6v ddthpov tS Kvqis (Gal. 1, 19.) der Bruder
des Herrn zu den Aposteln gerechnet zu sein scheint;
womit auch die alte Nachricht stimmt, welche Jakobus
den Gerechten , einen Bruder Jesu , zum ersten- Vorsteher
der jerusalemisehen Gemeinde maeht 17). Der Jakobus in
der A.G. aber ist, seine Identität mit dem bezeichneten
Apostel vorausgesetzt, ein Sohn des Alphfius, nicht des
Joseph ; folglieh könnte, wenn er zugleich ddekcpog rS Kv-
yis sein sollte, ddelcpog nicht einen Bruder bedeuten.
Nimmt man nun den Alphaus gleich dem Klopas, Gemahl
der Mutterschwester Jesu: so lüge es nahe, ddtlyoz, von
dem Verhältnifs seitfes Sohnes zu Jesu gebraucht, in der
Bedeutsag von Geschwisterkind, Vetter, zu nehmen. Ist
auf diese Weise einmal der Apostel Jakobus Alphli mit
dem Vetter, und dieser mit dem Bruder Jesu gleichet Na*
mens identificirt: §o liegt es dann nahe, das [sdag *Iaxcißs
in den Apostelkatalogen des Lukas (Luc. 6, 16. A.G. 1, 13.)
durch Bruder des Jakobus (Alphfii) zu übersetzen, and
diesen Apostel Judas nun mit dem Judas ddelq>6$ *hjoä als
Vetter des Herrn und Sohn der Maria Klopa (uneraohtet
er bei dem Namen dieser Frau nirgends genannt ist) für
identisch zu halten; womit, wenn der Brief des Judas in
unserem Kanon acht ist, das ganz zusammenstimmen würde,
17) Euseb. H. E. 2, i.
Dritte« Kapitel. §. 30. 245
dafs der Verfasser desselben «ich V. 1. als ddaktpog %£axoiß9s
besetchneL Walter könnte dann nach Einigen der Apo-
stel Simon 6 ^tjlorrrjg oder Kavecvirr^g mit dem unter den
cdelqHHg Irjüs aufgeführten Simon zusammengeworfen wer«
den, weloher der kirchlichen Sage zufolge nach Jakobus
Vorsteher der jerusalemischen Gemeinde geworden sein
soll 1S) ; so dafs nur Joses allein leer ausginge.
Seilen demnach die ddekqm Ti^a blofse Vettern von
ihn, und drei derselben Apostel gewesen sein: so mub
es doch, befremden, wie sowohl A.G. 1, 14. nach Aufzäh*
lang aller Apostel die Brüder Jesu noch besonders er-
wähnt werden, als auch 1. Kor. 9, 5. von den Aposteln
als eine eigene Klasse unterschieden au sein scheinen; wie
denn anch.Gal. 1, 19. vielleicht so gedeutet werden mufr,
dafs Jakobus der Bruder des Herrn* ab Nichtapostel be-
zeichnet ist 19). Scheinen auf diese Weise die ddehfcb
lqo5 aus der Zahl der Apostel herausgerissen zu werden:
$o widerstreben sie noch entschiedener dem, für blofse
Geschwisterkinder Jesu sich ansehen ztk lassen, da sie Li
so vielen Stellen in unmittelbarer Verbindung mit der
Motter Jesu, und nur in zwei bis drei Stellen zwei ihnen
Gleichnamige in Verbindung mit derjenigen Maria vorkom-
men, welche hienach ihre wirkliche Mutter wäre. Auch
das Wort ddefopd<;, ob es gleich in ungenauer Redeweise,
wie das hebräische ntt* auch einen entfernteren Verwand
ton bedeuten kann , machte doch , da es für das Verhält
nifs der bezeichneten Personen au Jesus so oft sich wie
derholt, ohne jemals mit dveiptog vertauscht au sein, wel
ehes, wo ein Vetter beacichnet werden soll , dem N. T. li
ehen Sprachschatze keineswegs fehlt (KoL 4, 10«), nicht
wohl anders, als in seiner eigentlichen Bedeutung, genom-
aaen werden dürfen« Dafs ferner 4*e Identität der Namen
18) Euscb. H. E. 3, 11.
19) tturcscHM, Comm. in Matth. p. 482«
24A Erster Abschnitt*
Alphfius and Klopft« , auf welcher die des Jakobus , Vet-
ters von Jesus, und des Apostels Jakobus minor beruht,
ebenso die Uebersetzung von Yadag 'laxwßs durch Bruder
des Jakobas, und nicht minder die angenommene Identität
des Verfassers des loteten katholischen Briefs mit dem
Apostel Judas höchst unsicher ist, braucht nur angedeutet
zu werden. — Weicht so das Gewebe dieser Identifica-
tionen auf allen Punkten auseinander, und werden wir
hiemit auf den Anfang unsrer Untersuchung zurückgewor-
fen , so dafs wir wieder eigentliche Brüder Jesu , ferner
zwei von diesen verschiedene Vettern gleichen Namens mit
zweien von jenen, außerdem einige mit beiden gleichna-
mige Apostel hätten: so ist «war die gleiche Benennung
zweier Paare von Söhnen in einer Familie nichts so Un-
gewöhnliches , dafs man sich daran stofsen dürfte; wohl
aber ist es bedenklieb, dafs derselbe Jakobus, welcher im
Galaterbrief als ade)*q>6g Kvqiö bezeichnet wird , nach der
A.C. ohne Zweifei als Sohn des Alphlus zu denken ist,
was er, wenn doch jenes einen Bruder bedeutet, nicht ge-
wesen sein kann. — So bleibt auf alle Fälle eine ziem-
liche Verwirrung , und sie scheint nur dadurch , wiewohl
blofs negativ und ohne ein geschichtliches Resultat, gelöst
werden zu können, dafs man bei den N. T. liehen Schrift-
stellern und in der urchristlichen Sage selbst einige Un-
klarheit und Irrung über diesen Punkt annimmt, welohe
bei etwas verwickelten Verwandtschafts- und Namens-Ver-
hfiltnissen eher eintreten kann als ausbleiben 20).
Wir babeu also keinen Grund, zu läugnen, dafs Jesu
Mutter ihrem Gatten aufser Jesu noch mehrere Kinder ge»
boren habe, jüngere und vielleicht auch filtere 5 Letzteres*
weil die Angabe, dafs Jesus der erstgeborene Sohn gewe»
sen sei, so gut zur Mythe als N. TU icher geboren könnte,
wie, dafs er der einzige gewesen, zu ihr als patristischer«
20) Aehnlich Turn*, zur Biographie Jt!<m? §, 18,
Dritte« Kapitel. $. 31* 247
f. 31.
Besuch Maria'» bei ElUabct.
Der Engel, welcher der Maria ihre bevorstehende
Schwangerschaft verkündete , hatte ihr zugleich von der
ihrer Verwandten, Elisabet, Kunde gegeben (Luc. 1, 36),
«reiche damals bereits im sechsten Monate stand. Unmit-
telbar darauf unternimmt Maria eine Reise zu ihr, wobei
«ich das Aufserorden tlioho ereignet, dafs auf den Grafs
der Maria das Kind im Leibe der Elisabet sich freudig
bewegt, und auch diese selbst in Begeisterung Maria als
künftige Mutter des Messias anredet, worauf die Letztere
hymnisch erwiedert (Luc. 1, 39 — 5G ).
Mit dieser Erzählung des Lukasevangelioms glaubt
die rationalistische Exegese leicht durch eine ganz natür-
liche Erklärung fertig au werden, Der Unbekannte, meint
man ')> welcher die Maria zu so eigcnthttmliclien Hoffnun-
gen veranlagte, hatte sie zugleich mit demjenigen bekannt
gemacht, was der Elisabet Aehnliches begegnet war. Um
so mehr treibt es jetzt die Maria, sich mit ihrer filteren
Verwandten über ihre Angelegenheiten zu besprechen.
Bei derselben angekommen, erzählte sie vorerst, was ihr
begegnet war, was aber unser Referent verschweigt, weil
er es, als schon berichtet, nicht wiederholen wollte* Nicht
allein vor dem Anfang der Rede der Elisabet, sondern auch
zwischen diese hinein glaubt man daher Worte der Maria
suppliren zu dürfen, welche stückweise, und 8o9 dafs da-
zwischen hinein Elisabet zum Worte kam, dieser ihre
Geschichte vorgetragen habe. Die Geniüthsbewegung der
Mutter theilte sich, — so wird weiter erklärt, — nach
natürlichen Gesetzen dem Kinde mit, welches, wie Fötus
von ff Monaten schon zu thun pflegen, eine Bewegung
machte, was die Mutter erst nach den weiteren MittheU
1) ?4i>M>»> exeg. Handji. 1, a, S. iJOff.
M8 Erster Abschnitt
langen der Maria bedeutsam, fand and aaf den Grad de»
Messiasmatter bezog. Ebenso natürlich findet man es
dann, dafs Maria ihre durch Elisabet bestätigten messiani-
schen Erwartungen in einem psalmartigen Reoitativ aus-
spricht, das aus allerlei A. T.lichen Reminiseenzen zusam-
mengesetzt ist«
Aber in dieser Erklärungsart ist Manches dem Texte
durchaus zuwider. Dahin gehört schon das, dafs Elisa-
bet durch Maria selbst die dieser zu Theil gewordene Him>
melsbotschaft erfahren haben soll; da doch nirgends eine
Spur vorangegangener Mittheilung ist, noch weniger
eine Unterbrechung der Rede Elisabet's durch weitere Auf-
schlösse der Maria: vielmehr, wie es eine übernatürliche
Offenbarung war, durch welche Maria von der Schwanger-
schaft ihrer Base in Kenntnifs gesetzt wurde, so ist auch
das einer Offenbarung zuzuschreiben , dafs Elisabet die
Maria alsbald für die zur Messiasgebärerin Erkorene er-
kennt 2). Ebensowenig verträgt der andere Zug der Erzäh-
lung, dafs sich der eintretenden Messiasroutter der Vor-
läufer in Mutterleibe entgegenbewegt, eine natürliche
Auslegung; obwohl selbst orthodoxe Ausleger neuerer Zeit
sich zu derselben neigen, wenn sie der Sache die Wen-
dung geben, zuerst sei der Elisabet eine Offenbarung ge-
worden, und erst an der dadurch erregten Entzückung
der Mutter habe das Kind, physiologisch erklärbar, gleich-
sam Antheil genommen *). So aber stellt der Bericht
die Sache nicht dar, als ob die Gemüthsbewegung der
Mutter die vorausgehende Ursache der Bewegung des
Kindes gewesen wäre : vielmehr wird die Begeiste-
rung der Muttor sowohl vom Evangelisten , V, 41. ,
erst nach der Bewegung des Kindes erwähnt, als auch
S) S. Olshauskn und dk Wetti z. d. StP
5) Hess, Geschichte Jesu, 1, S. 26 ; Olshaubin, bjlbi, Conun. k.
4. St. J UgwauKK, S, 226} Lau**, S. 76 ff»
Dritte« Kapitel«. 5- 31. 249
mi Elisabet seibat V. 44. die Saobe so gestellt , dafs Uta*
rims Grofs, niefat etwa durch einen besonders bedeut-
sftoeo Inhalt, -sondern als blofse cfojvrj der Messiasmutter,
ssuicbst das Kind in ihrem Leibe in Bewegung geeist
hmbe; was unverkennbar etwas Uebernatürlicues voraus-
notsL Und «war ein solches, das selbst anf supranaturali~
ertlichem Boden nicht frei von Änstofs ist ; woher es eben
kommt, dafe auch jene orthodoxen Ausleger bemüht waren,
demselben auszuweichen« Wenn wir uns nämlich «war
wohl denken können, wie der göttliche Gebt auf den ihm
verwandten menschliehen in anmittelbarer Weise anregend
wirke : so läfat sich doch die Vorstellung , wie er an ein
Unbegeiatetes, was. ein Embryo noch ist, unmittelbar sich
aaiuheilen möge, nur schwer vollziehen. Und fragt man
mach dem Zweck eines so abenteuerlichen Wunders:
so will sieh auch kein rechter zeigen. Denn sollte es
sieh auf den Täufer beziehen, also diesem mögliehst
frühe ein Eindruck von demjenigen gegeben werden , für
weichen zu wirken er bestimmt war: so wetts man gar
nicht, wie. ein solcher Eindruck auf einen Embryo müfste
beschaffen gewesen sein; sollte aber der Zweck in den
übrigen Personen, in Maria oder Elisabet,. liegen: so war
ja diesen das erforderliche Mafs von Einsicht und Glauben
bereits in Folge höherer Offenbarungen zu Theii geworden*
Nicht geringere Schwierigkeiten setzt zunächst der
natürlichen,* dann aber ebenso der supranaturaliatisohen
Deutung der Hymnus der • Maria entgegen. Denn dafs
gerade vor den Worten Maria's die Formel: infofo&i]
nrtvftcaos dyitt, nicht steht, welche sowohl den Hym-
nus des Zacharias (V. 67.), als auch die Anrede der
Elisabet (V. 41.) einleitet, kann bei der Gleichartigkeit
der drei Reden nicht als Beweis dafür angeführt werden,
dafs der Verfasser nicht auch diese, wie die beiden an-
4ern, als Wirkung des nvevfta betrachtet wissen wolle.
Aber auch abgesehen von 4er Meinung des Verfasser«,
250 Erster Abschnitt*
kann es überhaupt auf rein natürlichem Wege nicht au
Bugehen, dafs sieb besuchende Freundinnen auch bei noch
so außerordentlichen Ereignissen in solche Hymnen aus-
brechen , und ihre Unterhaitang die Farbe eines Dialogs
so gans verliert, wie er unter dergleichen Umstanden na-
tOrlich ist Nur durch höheren Einflufs konnte ffie Stirn*
mung der beiden Freundinnen auf eine, dem wirklichen
Leben so durchaus fremde Weise erhöht werden* Ist nun
aber der Hymnus der Maria als Wirkung des nvevjua aytop
sn fassen: so mufs es auffallend gefunden werden, dafs
eine, unmittelbar aus der göttlichen Quelle der Begei?
Störung geflossene Rede nicht origineller ausgefallen ist,
sondern so stark mit fUminlseeneen aus dem A. T., na-
mentlich aus dem, unter verwandten Umstünden gespro-
chenen Lobgesange der Matter Samuels (l.Sam. *.), be*
seiet sich seigt *) Hienaoh müssen wir freilich eihe auf
natürlichem Wege vor sich gegangene Zusammensetzung
dieser Rede aus A. T.lichen Erinnerungen annehmen; nur,
wenn dieselbe wirklich natürlich Ter sieh gegangen sein
soll, dürfen wir sie nicht der einfachen Maria zuschreiben,
sondern demjenigen, Welcher die über die vorliegende
Soene umlaufende Sage poetisch bearbeitete*
Da somit alle Haupfvorfäiie dieses Besuchs wedtr
bei der wunderhaften Auslegung denkbar sind, noch eins
natürliche vertragen t so sind wir auch für dieses Stück,
wie für die bisherigen, auf eine mythische Auffassung
hingewiesen. Dieser Weg ist auch schon von Andern
eingeschlagen. Der ungenannte E. F. in Qenke's Maga*
4) Vergi. betender» Luc. 1, 47. mit 1. Sam. 8, 1 > Luc. V. 49,
mit Sam. V. 2; Luc. V. 51. mit Sam. V. 3 f.; Luc. V. 52.
mit Sam. V. 8; und Luc. V. 55* mit Sam. V. 5. Ausserdem
ist Luc. V. 48. mit 1. Sam. 1, 11 (aus dem Gebete der Hanna
um Leibesfrucht) ; V. 50. mit 5. Mos. 7, 9 ; V. 52* mit Sir»
10, 14; V. 54. mit Ps, 98» 3. zu vergleichen,
Drilles Kapitel. $. 31. 251
ein s> sprach euch über diese Kraählong die Einsieht
ans, sie berichte niebt genau Alles, wie es vorgefallen
sei, sondern wie es wohl vorgefallen sein möchte» Dem«
nach sei namentlich in die Reden der beiden Frauen Man*
ehee von dem surückgetragen, was Über die Bestimmung
ihrer Söhne erst der spätere Erfolg lehrte, und auch sonst
sei mancher Zng ans der Sage hincogekommen. Dennoch
Hage ein wahres Factum nnm Grande, nämlich ein wirk-
licher Besuch der Maria bei Elisabet, ihre vergnügte Un»
torhaltnng and ihr Dank gegen Gott; was Alles habe stall»
finden können, anoh ohne dafs die beiden Franen von der
aufeerordentliehen Bestimmung ihrer Kinder damals schon
etwas wußten, lediglieh vermöge des hohen Werthes, wel»
eben die Orientalinnen auf Matterfreuden legten« Von
dieser vergnügten Zusammenkunft und den Aeulserungen
ihres Dankes gegen Gott mochte nun nach diesem Verfas*
ser Maria oft erfühlt haben, wenn sie über das fol-
gende, merkwürdige Leben ihres Sohnes nachdachte: und
so kam diese Erzählung pi Umlauf« — Auch Borst, der
sonst einen richtigen Blick in die dichterische Natur die»
uer Abschnitte hat, und die natürliche Erklirungsweise
derselben gut widerlegt, gleitet hier unversehens nur
Hälfte in diese nnrüek, indem er gar nichts Unwahr-
scheinliches darin findet, dafs Maria ihre filtere und an
Erfahrung reichere Verwandte während ihrer, in manchem
Betracht leidensvollen, Schwangerschaft besucht, und dab
Elisabet bei diesem Besuche das erste Leben an ihrem
Kinde gespürt habe: ein Zug, welcher, weil er später für
ominös gehalten wurde, sich durch die mündliche Sage
wehl habe erhalten können *).
Aneh hier wieder dasselbe unkritische Verfahren,
welches das Mythische und Poetische einer Ersählung aus-
5) 5. Band. 1. Stück. S. 161 f.
t>) In H*kks's Museum, 1, 4, S. 729«
S52 firster Abschnitt.
geschieden nu haben glaubt, wenn es etliehe Zweige und
Blfithen dieses Triebes abpflückt, die eigentliche mythi-
sche Wurzel aber unangetastet beim Reinhistorischen lie-
gen läfct. Dieser mythische Grundzug, auf welohen die
übrigen nur aufgetragen sind, ist in unserer Erzählung ge-
rade der , wnlolmu die angeführten vorgeblich mythologi-
schen Erklärer als historisch durchlassen: nämlich der
Besuch Bfaria's bei der schwangeren Elisabet. Denn da
wir als flaupttendenx des ersten Kapitels im Lukas bereits
die kennen, Jeeum dadurch su verherrlichen, dafs dem
Täufer scheu so frühe wie möglich eine Beziehung auf
ihn, aber im Verhältnifs der Unterordnung, gegeben wird ;
so konnte dieser Zweck nicht besser erreicht werden, als
wenn nicht erst die Söhne, sondern schon die Mütter,
dooh bereits mit Besiehung auf die Söhne, also während
ihrer Schwangerschaft, ausammengefQhrt wurden, und sich
hiehei etwas ereignete, was das einstige Verhältnifs der
beiden Männer bedeutungsvoll vorzubilden geeignet war«.
Je mehr somit als der Kern dieses Besuches ein dog-
matisches Interesse hervortritt: desto unwahrscheinlicher
wird es, da(s er eine geschichtliche Grundlage gehabt
habe. An diesen Grundzug reihen sioh sofort die übri-
gen Züge folgendermafsen an* .Der Besuch der beiden
Frauen mufste überhaupt .als möglieh und wahrschein-
lich dargestellt werden durch den Zug, dafs Elisabet
eine ovyysinrg der Maria gewesen (V. 36.) ; was zugleich
auch dem späteren Verhältnifs der Söhne angemessen
scheinen mochte. Ferner, dafs der bedeutsame Besuch ge-
rade in diesem Zeitpunkte gemacht wurde, mufste eine be-
sondere, höhere, Veranlassung haben: daher wird Maria
durch den Engel auf ihre Verwandte verwiesen. Bei dem
Besuche selbst sollte sich das dienende Verhältnifs des
Täufers su Jesu vorbedeutend aussprechen : — diefs konnte
durch die Mutter desselben geschehen, wie es in ihrer
Anrede an Maria wirklich geschieht, — * doch spUte wo
Drittes Kapitel. $.31. 253
möglich auch der kfinftige Tfiufer selbst schon ein Zeichen
geben, wie das Verhfiltnifs von Jakob und Esau zn einen«
der sich gleichfalls schon durch ihre Bewegung und Stel-
lung im Matterleibe vorgebildet hatte (1. Mos. 25, 22. ff.);
eine ominöse Bewegung aber konnte dem Rind im Leibe
der Elisabet, wenn nicht zu pebr gegen die Gesetze der
Wahrscheinlichkeit verstofsen werden sollte, nicht eher
cit geschrieben werden, als bis die Schwangerschaft seiner
Matter eu einem Zeitpunkte vorgeschritten war, wo die
Leibesfrucht sich su bewegen auffingt: daher der Zug,
dafs Elisabet schon sechs Monate schwanger ist, als Maria
durch den Engel sie zu besuchen veranlaßt wird (V, 36.).
So hingt, wie Schlbisrmacbkr bemerkt hat7), diese ganze
Zeitbestimmung von dem Umstände ab, den der Verfasser
gerne anbringen wollte, dab das Kind unter dem Herzen
der Elisabet sich der eintretenden Maria freudig entgegen-
bewegt habe ; denn nur defswegen mufs diese ihren Besuch
aufschieben bis nach dem fünften Monat, und kommt auch
der Engel nicht bälder zu ihr.
Jiicht nur also der Besuch Maria's bei Elisabet und
was dabei vorgefallen sein soll, fällt als unhistorisch hin;
sondern auch, dafs Johannes nur ein halbes Jahr alter ge-
wesen, als Jesus, dafs beider Matter sich verwandt und
ihre Familien befreundet gewesen, können wir auf den
blofsen Bericht des Lukas hin nicht mit historischer Si-
cherheit behaupten, wenn es nicht noch von andern Seiten
her bestätigt wird: wovon wir aber im weiteren Verfolge
unserer Kritik vielmehr das Gegentheil finden werden«
7) Ueber den Lukas, S. 25 f.
VM
Viertes Kapitel.
Geburt und erste Schicksale Jesu*
§• 32.
Die Schätzung *).
In Besag auf die Gebart Jesu stimmen die Berichte
Ton Matthias and Lukas darin fiberein, dafa beide dieselbe
1) Ueher die Schätzung hat neuesten 8 Tholuch (zuerst im liter.
Anzeiger, jetzt in der Glaubwürdigkeit u. 8. f., S. 158 — 198)
eine weitläufige Abhandlung geschrieben, welche Olibauikji
(S. 127) eine meisterhafte Arbeit nennt. Ihm imponirte noch
der Pfau: seitdem hat Scmnx, in der Rec. des TaoLücn'schen
Buchs (Lit. Blatt der a. K. Ztg., 1837, No. 69 f.), durch Aus*
raufung der fremden Federn — d. h. durch die Nachweiiung,
dass fast alle mit so grossem Prunke zur Schau getragenen
Gitate aus allen möglichen Schriftstellern, fremdes, nament.
lieh aus Lardnir entwendetes Gut sind — die Krähe herge-
stellt. Auch Übrigens ist diese Abhandlung ein merkwürdiges
Stück Arbeit. Zuerst wird die Richtigkeit vieler andern,
dnreh die Profangeschichte controlirten Angaben des Lukas
gezeigt: als ob, wer neunmal das Rechte trifft, nicht doch
das zehntemal irren könnte ; als ob nicht die meisten von T*o-
kjck beigebrachten Stellen auf weit spätere Zeit sich bezögen,
über welche also Lukas leichter das Richtige wissen konnte;
und als ob er nicht in Betreff des Lyaanias und des Theudas
ebenso wahrscheinlich , wie in Betreff der Schätzung , geirrt
hätte. — Hierauf an die Stelle selbst herantretend, findet
Th. nicht bloss eine, sondern — alle schon vorgeschlagenen
Auskünfte denkbar: die Stelle kann ein Glossem sein; man
Viertes Kapitel, $. 32. 255
in Bethlehem erfolgen lassen; w&hrend aber der Letalere
die näheren Umstände ansfithrlieh eraihlt, gedenkt der
Erstere der'Thatsache nur gelegentlich, einmal anhangs«
weise auf dieselbe als etwas Nachfolgendes verweisend
(1,35.)> das andremal voraussetsungsweise darauf zurück-
deutend (2, l.> Dabei seheint der Eine die Eltern Jesu als
rorher schon in Bethlehem wohnhaft voranssusotaent da sie
doch nach dem Andern erst dnrch ganz besondere Umstände
dahin geführt werden. Sehen wir fibrigens von 'diesem
Differenspunkte «wischen beiden Evangelisten für jetnt
noch ab, da er erst später, wenn wir noch mehrere Data
beisammen haben, seine Erledigung finden kann, und wen-
den ans bu einem Verstofse, welcher dem Lukas, wenn
man ihn mit sieh selbst und mit sonst bekannten Daten
vergleicht, begegnet zu sein scheint Miefe ist 4fc Angabe,
dafs Jesu Eltern, welche sich sonst eu Nasaret aufgehal-
ten, sn der Reise nach Bethlehem, wo Jesus geboren wurde,
durch einen Census veranlagt worden seien, denAugustus
am die Zeit, als Quirinus Statthalter von Syrien war, habe
vornehmen lassen (Luc. 2, lff.)*
Hier ist schon das schwierig, dafs die von Augustus
befohlene anoyQaqij (d. h» Einschreibung der Namen und
Vermögensanschlag zum Behuf der Besteuerung) auf näaccv
ttjv oixöftttip' beeogen wird (V. 1.). Dieser Ausdruck in
seinem damals gewöhnlichen Sinne würde den orbis Ro-
manus bezeichnen. Nun aber meldet kein älterer Schrift-
steller etwas von einem solchen von August ausgeschriebe-
kann aber such Tr^arrj für nqoript nehmen; »der fasse man et
ts nqwTor, und dieses s= demum} such avnj statt avnj *u le-
sen, hindert nichts. Wie schlecht versteckt sich hier das
Misstrauen gegen jeden einzelnen dieser Auswege hinter den
Schein de* Vertrauens auf alle ! — Einzelne Unrichtigkeiten
und' selbst Leichtfertigkeiten werden im Folgenden cur Spra-
che kommen.
256 Erster Abschnitt.
neit Generälcensos , sondern ' nur von eineeinen , ra reF-
schiedenen Zeiten engeordneten , Provincialsohatenngen ist
die Rede. Daher, soll nun anch Lukas — durch das oi-
xxub>T] nicht nach seinem gewöhnlichen Sinne die römische
Welt9 sondern nur das jüdische Land haben bezeichnen
wollen» Für die Möglichkeit hieron werden sofort Bei-
spiele angeführt *) * welche aber stimm tlkh nichts bewei-
sen; denn wenn sieh anch nicht darthuu Uefse, dafs in
allen diesen Steilen, aus den LXX., dem «losephus und dem
N. T. , der Ausdruck in dem übertreibenden Sinne der
Schriftsteller wirklich auf die gange bekannte Erde sich
besieht: so wäre doch hier, wo von einem ßefehle des
römischen Imperator die Rede ist, naoa rj oUs/jevrj not-
wendig vom Gebiete desselben, dem orbis Rantanus, eu
verstehen« — • Daher hat man sich neuerlich nach der
entgegengesetsten Seite gewendet, und mit Berufung auf
Savigny behauptet, es sei wirklich su Augustus Zeit ein
allgemeiner Census im Reiche vorgenommen worden3).
Diefs sagen zwar späte, christliche Schriftsteller gerade«
zu4): ihre Angaben werden aber nicht allein durch das
Fehlen aller älteren Zeugnisse verdächtig ö) ; sondern auch
durch die Thatsache, dafs noch geraume Zeit nachher eine
2) Von Olshauskn, Paulus, Kuntfz. z. d. St.
3) Tsolucx, S. 594 ff. Nkakder, S. 19.
4) Cassiodor. Variarum 3, 52. Isidor. Orig. 5, 36»
5) Von äusserster Nachlässigkeit zeugt es, sich hier auf das
Ancyranische Monument zu berufen, welches für das Jahr d.
St. 746 einen Census des ganzen Reichs enthalten soll (Osiaji-
nER, S. 95). Denn wer diese Inschrift nachsieht, findet auf
ihrer zweiten Tafel nur drei census civtum Romanorum,
welche auch Sueton (Octav. 27.) als census populi, und roa
welchen Dio Cassius 55, 13. wenigstens den einen 'ausdrück-
lich als anoyQctipq rw l-v r7j 7r<r2ta varourtfroor bezeichnet* Vgl*
auch Ldilsa, Chronol. 2, 8. 339.
Viertes Kapitel. §• SS. »7
gfeiehsnlTsige tfcenerverfasaaag im Reiche fehlte*), wider*
legt; endlich ian Theil durch ihre eigenen Werte eis
abhängig tob Lukas erwiesen '). — 80 seil denn Augu-
stes wenigstens das Bestreben, das ganae Reich mittelst
eines allgemeinen Census gleichmäßig an besteuern, ge-
habt, and die Durchführung mit EineehXtaang einaelner
Prorinaen begonnen, die Fortsetzung und Vollendung aber
seinen Nachfolgern fiberlassen haben *). Allein gesetat
such, das dvypa des Evangelisten lasse sieh von einem
tieften Plane verstehen , eder der unbestimmte Plan habe
«oh, wie Uoffmajcn meint, in einen! Reichsdecrete ausge-
«prochen : so kann derselbe eben an Jadäa an. die Zeit
der Gebart Jesa nnmKglich durchgeführt werden sein.
Nicht allein nach Matt bans nämlich Ist Jeans noch
einige Zeit vor dem Tode Herodes dee Groben geboren,
welcher nach Mattb. 2, 19« erst während des Aufenthalts
Jesa in Aegypten starb ; sondern auch Lukas sagt dasselbe
awar nicht ausdrücklich, doch geht er, wo Ton der Aav
kündigung der Geburt dea Täufers die Rede iat (1, 5.),
von den rjf.äQaig *HqwIb r« ßaaiUtag aas, und sechs Mo-
nate später lälst er die Geburt Jesu rerkftudigt werden:
so dafs nach ihm Jesus, wie Johannes, wenn nicht gleich-
falls noch vor, so doch kura nach dem Tode Herodes I.
geboren ist. . Mach dessen Tode aber fiel (Matth. 2, 22.)
die Landschaft Judfia seinem Sohn Archelaus au, welcher
nach nicht gana aehnjflhriger Regierung von Augustus ab«
gesetat nnd verbannt wurde *) ; worauf erst Judäa nur rö-
mischen Provinz gemacht, von römischen Beamten verwal-
6) Nachgewiesen von Sxvt+icr selbst, Zeitschrift f. geschichtliche
Rechtswissenschaft, 6. Bd., S. SSO f.
7) In der sein sollenden Beweisstelle aus Suidas finden sich die
aus Lukas genommenen Worte: aurtj £ anofoaw nqarrj Jy/rrro.
8) HoFFMAlflf, S. 231.
9) Joseph. Antiq. 17, 13, 2. B. j. 2, 7, 3.
Da* Leben Jesu lie Aufl. 1. Bund 17
258 Erster Abschnitt.
tH tu werden anfing 10). Nnn müfste also der römische
ffensfcS) tod weichem hier die Rede ist, entweder neeh
unter Herodes d. Gr. selbst, oder in der ersten Zeit des
Archelaus gehalten worden sein. Diefs ist fiofserst ««-
wahrseheiiitieh.; denn in solchen Ländern, welche noch
nicht in formam pracmcfae redigirt waren, sondern von
re<fii>wt sortis Terwaltet worden, erheben diese Fürsten
die Steuern selbst, und beseelten den Hörnern einen Ab«
trag11); so auch in JudXa vor der Absetzung des Arche-
Inas» 'Mäh hat «war Mehrtres aufgesucht, an wahrschein-
lich zu machen, dafs Augustus aasnahmsweise schon unter
Herodes einen Census in Palästina angeordnet habe. Man
macht darauf aufmerksam , dafs in den breviurtnm ivipe-
vity welches Augustus hkUerliefa, auch die finanziellen
Verhältnisse des gansen Reichs enthalten waren ; und oa
diese für Palastina genau zu ermitteln , habe er vielleicht
durah Herodes eine Aufzeichnung veranstalten lassen ,2).
Weiter beruft man sich auf die Nachricht des Josephas,
dafs ans Anlafs einer in dem Verhältnisse des Herodes an
Augustus einmal eingetretenen Störung dieser dem Erste«
ren gedroht habe, ihn von jetst an den Untergebenen füh-
len an lassen Ia) ;• anf den Huldigungseid, welchen nach
10) Antiq. 17, 13, 5. 18, 1, 1- B. j. 2, 8, I.
11> Vgl. Paulus, exeg. Handb. i, a, S. 171. Wj*br, bihl. Real-
Wörterbuch d. A. Abgaben.
(.J2) Tacit. Annal. 1, 11. Suetpn. Octav. 101, Allein wenn in
jener Schrift opes puöficae continebantur : quantum ctvium
sociorumque in armis ; guot das sex, regna, provinciae, tributm
out veettgaita, et necessitates ac largtttones: so konnte die
Truppe nzahl und die Summen , welche die jüdischen Fürsten
zu prästiren hatten , auch ohne eine römische Schataung in
ihrem Lande angegeben werden j für Judäa insbesondere aber
hatte Augustus den späteren Quirinischen Census vor sich.
*3) ©rt, naUai ;jf*w«fvo; aurw <pfi<y. vvv vnqxotp j^orjatrai, Joseph, Aa>
Viertes Kapttefc $. 32. 250
Joseßhus noch wm Lebzeiten des Herodes die Jaden dam
Angnstas haben leisten mfissen ") , und darauf, dafs An-
gusfos, weil er im Sinne hatte, nach Herodes Tode seinen
Löhnen die Gewalt so beschränken, gar wehi in dessen
letzten Jahren eine Sehatsung könne angeordnet haben lö).
Au der ersten Zeit naeh dem Tode des Herodes aber
kann eich der Umstand darcubieten scheinen, dafs, wfth-
read Arehelans in Angelegenheiten der Reiehsnaehfolge
naeh Rom gereist war, der romische Proearator JSabinus
Jemaalem besetzt, nnd die Jaden auf Jede Weise bedrängt
hatte ")•
Einer ausfflbrlichern Prflfung dieser, mehr oder we-
niger «historischen ' nnd willkfirliehen Combinationen
•berhebt uns unser Evangelist dnreh den Zusatn, welohen
er su seiner anoyQayr} macht , dafs sie nämlich vorgenom-
men worden sei, rjyenwtvotoos tijg 2v(Hag Kvgrrls] denn
ren der Quirinisehen Sehatsong ist es nun urkundlich,
dafs sie nicht schon unter Herodes oder in der ersten Zeit
des Arcbelaus stattfand , wohin auch nach Lukas die' tft-
bort Jesu fällt. Quirinus nämlich war damals noch nieht
tiq. 16, 9, 3* Aber die Miss hei ügkeit war lange vor dem Ende
des Herode« wieder beigelegt, Joseph. Ant. 16, 10, 9.
14) Ebenda«. 17, 2, 4. nayzOi th 7«<TorYx« /teßauooarrog St* oqxtav y q
* ftrjr tvvorpai KaloafM. xai rong ßaoJU'to; TCQaypaoi. Das« dieser Eid
nicht mit einer demtitnigenden Massregel gegen Herodes ver-
banden , vielmehr in «einem Interesse veranstaltet war , be-
weist die Leidenschaft, mit welcher er die Pharisäer, die den-
selben nicht mitsohwuren, bestrafte«
15) Tholuck, S. 192 f. Allein «-was gegen alle diese Annahmen
gilt — der Aufstand, den die anoypxw nach de9 Archelaus Ab-
setzung erregte, beweist, das« dies« die erste römische Mass-
regel dieser Art in Judäa war. .
16) Antiq. 17, 9, 3. 10, 1 ff. B. j. 2,3,2. Es war ihm aber
nur um die festen Plätze und den Senats des Herode« iu
thun.
17*
260 Erster Abschnitt«
Präses von Syrien, sondern diese Stelle bekleideten in den
letzten Jahren des Herodes Sentins Saturninus und nach ihaa
Quintilius Vares ; erst längere Zeit nach des Herodes Tode
trat (tuirinus die- Verwaltung Syriens an« Uafs dieser ei-
nen Census in Judfta vorgenommen, ist ans Josephus ge-
wifs17)? welcher. aber »gleich bemerkt, er sei zu dessen
Vornahme geschickt worden, %?jg Idqx&uH %iiqag dg «afep-
%im <ne$iy()a<pew7]s, oder iwoizXös ^f,(^%< rfj 2v-
(xovx8), also beilänfig zehn Jahre. nach der Zeit, in wel-
cher nach Lukas und Matthäus Jesus geboren sein mußte.
Doch auch diesen bo unläugbar scheinenden Wider*
sprach des Lukas gegen die Geschichte beben die Erklä-
rer auf verschiedene Weise lösen au können geglaubt.
Die Beherztesten dadurch, dafs sie den ganzen zweiten
Vers für eine schon frühzeitig in den Text gekommene
filosse : erklärten 19>. Andere durch Aenderung der Lesart,
und zwar die Einen am nomen proprium, indem sie ent-
weder nach Tertullians Vorgang, welcher den Census ge»
ra^eau dem Saturninus zuschreibt **), den Namen von die*
sem, oder den von Quintilius, in den Text setzen **)• Dfo
Andern nehmen bei den übrigen Worten Aenderungen und
Zusätze vor: am leichtesten noch Paulus, welcher statt
avtrj cwrij liest, und annimmt, schon unter Herodes L habe
Augustus aus den oben angegebenen Gründen die Anord-
nungen zu einem Census getroffen, und diese seien bereits
so weit gediehen gewesen, um Jesu Eltern zu der Reise
nach Bethlehem zu veranlassen ; doch sei Augustus wieder
begütigt worden, und so die Sache damals noch nicht
durchgeführt, vielmehr avcrj rj <x7toyQaq>ij erst geraume Zeit
17) Antiq. 18, 1, 1.
18) Bell. jud. 2, 8, f. 9, 1. Antiq. 17, IS, 5.
19) So 2. B. Kunttft, Comm. in Luc. p. 320.
20) Adv. Marcion. 4, 19.
21) S. bei Was* Rcalwörtsrbuch u. d. A. Quirinas.
Viertes Kapitel. & 32. 261
spiter, unter Quirinus, gehalten worden. So unbedenklich
diese Aenderung der Lesart, sofern sie die Buchstaben an-
Terindert llfst, erscheint: so mAfste sie doch, am nulifsig
au sein, im Zusammenhang der Stelle eine Stfltae haben.
Davon ist aber das Gegentheil der Fad. Denn wenn von
einem Forsten in dem einen Satae eine Anordnung berich-
tet wird, nnd im folgenden Satae die Ausführung: so ist
doeh an sieh nicht wahrscheinlich, dafs «wischen beide ein
Zeitraum von sehn Jahren falle. Hauptsächlich aber bitte
bei dieser Annahme der Krangelist V. 1. von der Anord-
nung, V. % von der sehn Jahre späteren Durchführung
des Census, Y. 3. aber, ohne diefs bemerklich au machen,
wieder Ten einer Reise sur Zeit der Anordnung desselben
gesprochen: was gegen alle Möglichkeit einer vernünftigen
KnihJung ist.
Selchen willkürlichen Conjecturen gegenüber sind im*
merhin diejenigen Versuche höher au stellen, welche ohne
dergleichen, auf dem reinen Wege der Auslegung, surecht-
ankommen unternehmen. Freilich mit Einigen itfn'm;
in diesem Zusammenhange für nQoveQa, •q/tfioveimrog K.
aber nicht als absoluten, sondern als einen vom Com-
parstiv regierten Genitiv au nehmen, und so eine Scha-
sung vor der (hunnischen berausuudeuten **) , ist gram-
matisch nicht weniger gewaltsam, als nach nQuinj -— tiqo
ttjs einzuschieben**), unkritisch ist Ebensowenig Ufst
sieh annehmen, da(s ein schon unter Herodes gegebenes
Verspiel des spätem Quirinisehen Census, wobei aber Qui-
rinua noch gar nicht thfitig gewesen , etwa der schon er*
wihnte Huldigungseid , nachmals mit jenem unter Einem
Namen ausammengefafst worden sei. Cm diese Benennung
einigermaßen au erklären, 'lädt man daher den Quirinu*
22) Storr , opusc. acad, 5, S. 126 f. Sösraro , vermischte Auf-
sätze, S. 63. Neuesten» Tmolvck, S. 182 f.
23) Miciusus, Ann. x. d. St. und Einl. ia d. N. T. 1, 71.
162 Erster Abschnitt.
schon unter Herodes als aofrerordenflteben Stenercommi*-
Bär nach Judäa gesendet werden 2*) : altein diese Deutung des
?}yef4W€vovios wird durch den Zusatz : 2vQictg , unmöglich
gemacht, mit welchem verbunden jener Ausdruck nur den
Proeses Syriae bezeichnen kann.
Also au der Zelt, in welcher Jesus nach Matth. % 1.
und Lue. 1, 5. 2tf. geboren ist, kann, unmöglich der*Cen-
sus stattgefunden habfen, von . welchem Lukas 2, 1. f.
spricht, und wenn Jena Angaben richtig sind, so mufs
diese nothwendig falsch sein. Aber könnte es sich nicht
umgekehrt verhalten, und Jesus erst nach des Archelaus
Verbannung, cur Zeit des ttuirinischen Census, geboren
sein? Abgesehen auch von den Schwierigkeiten, in wel-
che uns diese Annahme röcksichtlich der Chronologie
des späteren Lebens Jesu verwickeln würde: so konnte
ein römischer Census nach des Archelaus Verbannung
unmöglich Jesu Eltern von dem galilftisehen Nasaret b>
das jüdische Bethlehem rufen. Denn nur Jodäa und was
sonst cum Antheil des Archelaus gebort hatte, wurde
römische Provinz und dem Census unterworfen; in Gali-
läa blieb Herodes Antipas als ■ verblödeter Forst, und
diesem konnte kein in Nasaret Angesessener sur Schä-
tzung nach Bethlehem gesogen werden 25). Da hienach an-
24) Munter, Stern der Weisen, S. 88. Vgl. HomtAffii, S. 255.
25) Die Stelle Joseph. B. j. 2, 8, |., wo ron Judas dem GalilSer
gesagt wird, er habe nach der Absetzung des Archelaus <i-r
Schätzung wegen r«« bricht aufgewiegelt , beweist nickt so
schnell, ah Hornu»* (S. 234) meint, dass der Census sich
auch über Galiläa erstreckt habe. Denn wenn Josephus in
dem spateren, genaueren Werke, Antiq. 18, 1, *., sagt: na^jr
St xui. Kv(>tnoc nt rqv 7«(Wcry, 7rgoQ.9fxt/y Tijq 2.u(nae yhouivtp . ano-
Ttpr/ooptvo; if auruy ra* «a«r« xat anoSutaoufyoQ rd *jd(ix*l<*» Z^f.uaTa*
so ist der Census (der sich übrigens nach 17, 15, 5. auf ganz
Syrien, so weit es römische Provinz war, erstreckte) unter
den palästinensischen Landesthcilen unverkennbar bloss auf
Viertes Kapital. §.52. SM
Schriftsteller, om eine Sebateang am behemmen, die
Verhältnisse sieh so denkt, wie sie nach de« A*ebeteua Ab*
setsang waren; ungleich aber, nm den Centn* aaoh fit
Galiläa gültige ao machen , das ungetheilte Reieh , wie es
aater Heredes d. Cr. war, reraassetetc so setst er offen*
l»ar Widersprechendes rnrana; eder y sei mehr, er' hei tthets
haupt nar eioe Xnfserst trabe Vorstettnag fsen «Jen Zeit*
ferbfiitnissen, indem er ja iherdiefs, wie wir luas eramera
anlasen, die Sehatsung nicht blefs auf gans Palästina, ees*
dem selbst anf die gaaae römische Welt, sieh eratreehen
utts*.
Indefs, out diesen Chronologie eben Aottöiaen lind
die Sehwierigkeiten der Angabe des Lukas noch ntejbc
ersehepft, sondern es liegen dergleichen auch noch in de»
Art, wie nach ihm die Sehataung vorgenommen werde*
sein soll« Es heilst nämlich erstens, der Sehatsung we-
gen sei Joseph nach Bethlehem geraist, dta xo slvat o*?Var
i£ on» um TtaiQtag Jaßid, nnd so Jeder eis rrv idiv¥
jioJUy, d. h. nach dem eben Erwähnten an den Ort, wo
sein Geschlecht ursprftnglieh herstammte. Diefs nun, data
Jeder in seinem Stammorte sich einschreiben lassen uiufsle,
fand allerdings statt bei jüdischen Aufzeichnungen, weil
bei den Jaden die Familien- und Stamm - Verfassung die
Grundlage des Staates bildete: die Römer hingegen pfleg-
Judaa bezogen. Vergleicht man nun überdies» die Darstel
hing des Aufstandet, Antiq. 18, 1, I. 2, 1, wo Galiläa, gar
nicht mehr erwähnt wird , sondern Judas der GauUnjt heisst,
und der nachgiebige Hohepriester in Jerusalem als xaTa&<*«t~
«iNk9 vno riJQ nb,&*><; bezeichnet ist: so muss man als den
Schauplatz der Empörung offenbar Judäa denken, und entwe-
der jene» «m/o^ui; des Bell. jud. im weiteren Sinne nehmen,
oder voraussetzen , Judas habe zunächst die ohnehin unruhi-
gen Galiläer durah die Aussicht auf einen auch ihnen vielleicht
in Kurzem drohenden Census in Bewegung gebracht, von hier
aber den Aufstand nach Judäa binobergespieit.
SM Erster Abschnitt.
ten den Oennis in den Wohnorten and Besirkshauptstld*
ten vorzunehmen **), und sehlo&en sich an die Gebräuche
der eroberten Länder nur insoweit an, als diese nicht
ihren Zwecken entgegen liefen; was eben hier im höch-
sten Grade der Fall war, wenn nnm Behnfe des Censns
der Kintfelne ram Theii, wie Joseph, in gans entlegene
Orte abgemfen wurde, wo seine Vermögensverhiltnisse
gar nicht bekannt, mithin seine Angaben nicht su contra*
iiren waren **)• Eher ließe sich daher mit Schleibrm achkr
annehmen,' die wahre Veranlassung, weiche die Eltern
Jesu nach Bethlehem fährte , .sei eine priesterliche Auf«
seichnnng gewesen, welche aber der Evangelist mit. der
Ihm vorcngsweise bekannten römischen unter Goirinus ver-
wechselt habe98)- Allein, selbst diefs angegeben 9 weicht
der Widerspruch von dieser mlfslichen Atigabe' des Lukas
nicht. Er läfst mit Joseph auch die Maria eingeschrieben
werden (V. 5.); da doch die Aufzeichnung nach jüdischer
Sitte nnr auf die Mfinner sich bezog 29j. Es bliebe also
wenigstens das unrichtig, dafs Lukas anch der Maria cum
Reisezwecke gibt, sich am Stammort ihres Verlobten ein-
26) s. die Stellen hei Wetstkik und Paulus z, d« St.
27) Diese weist Cridnkr nach, a. a, O. S. 254. .
28) Veber den Lukas, S. 35 f.
29) Vgl. Paulus a.a.O. S.179. Wenn aber nicht nach jüdischer,
so war, sagt Tmolück, nach römischer Form des Census das Mit«
reisen der Maria unerla'sslich ; wofür er sich auf die von Lajls-
ksk an die Hand gegebene Stelle aus Dionys. Halicarnass.
Antiq. Rom. 4, 14. beruft ( S. 191 ). Für Leute wie Olshau-
8in ist eine solche Angabe unbesehen richtig, und sie schrei*
ben sie wörtlich nach ( S. 127 ). Wer nun aber die Stelle
nachschlagt, der findet nichts, als die Verordnung des Servias
Tullius, die Römer sollen sich einschreiben lassen, yuraixds r«
*ori natSag — nicht etwa ayorrag, sondern, bloss oroptiCorras.
Der mildeste Name für eine solche Art, auf Belegstellen sich
su berufen, ist Leichtfertigkeit
i
Viertes Kapitel. $. 32. 2ffi
schreiben au lassen; «dar wenn m dieb mit Paulus
durah eine genwungene Ceustrneticn entfernt, so sieht
man nicht, was Maria bewegen konnte, in ihren damaligen
Umstanden eine solche Reiee an nntaniahmen , da sie,
will nsan nioht mit Olshagssn u. A. die Hypothese ans
dar Luft greifen, sie sei eine in Bethlehem uegflterfa
firbtoehter gewesen, dort iedigHeh nithta an schauen
hatte.
Unser Verfasser freilich wnCrtegar wohl, was sie dort
an tonn hatte: nämlich, der Weissagung Micha 5, 1. ge
mftTs, in der Davidsstsdt den Messias an gebXrea. Da er
nnn von der Voraussetanng aasging, defs Jesa Eltern eigent-
Üeh sn Nasaret ihre Wohnung gehabt hajken, so sachte
er nach einem Hebel, nm sie fbr die Zeit der Gebart Jesn
nach Bethlehem in Bewegung an setzen. Da bot sich weit
and breit nichts als die berühmte Schatsnng dar; nach
dieser griff er um so unbedenklicher, je mehr ihm bei
seiner dunkein Vorstellung von den Verhältnissen jener
Zeit die vielen Schwierigkeiten verborgen waren, welche
in dieser Combioation liegen* Steht es so mit seiner
Notiz: so wird man K. Ch. L. Schmidt Recht geben müs-
sen, wenn er sagt, durch die Versache, die Angebe des
Lukas von der afioyQaytj mit der Chronologie in Einklang
an bringen, werde dem Berichterstatter viel au viel Ehre
sngethan ; er habe die Maria nach Bethlehem hinfiberse«
tzen wollen, und da habe sich die Zeit nach seinem Wil-
len fügen müssen **)•
20) In Schmidt7» Bibliothek für Kritik und Exegese, 5, 1. S. 124.
Vergl. Kaisir, bibl. Theol. 1, S. 230; Akmoh, Fortbildung, 1,
S. 196 ; Cridkea, Einleitung in d. N. T., 1, S. 155 ; pb Witte,
exeget. Handbuch z. d. St. Auffallend ist, wie noch Sixxxkut
(über den Ursprung des ersten Ev., S.68& 158 ff.) dem Mat-
thäus zum Vorwurfe machen mag , von den besondern Um-
ständen nichts xu wissen, welche die Eltern Jesu von Na*arct
nach Bethlehem führten (vergl. dagegen Ksav, Über den Ur-
2ÜÖ Erster Abschnitt*
Also weder einen festen Anhaltspunkt für die Chre*
nologie der Gebart Jesu bekommen wir hier, noeh nneh
einen AufschluCs Aber die Veranlassung, weiche seine Ge-
burt gerade in Bethlehem herbeifährte. Labt sieh — kön*
nen wir jetst sohon sagen — kein anderer Grund beibrin-
gen, warum Jesus in Bethlehem soll geboren worden sein,
als der von Lukas angegebene: se haben wir gar keine
Bürgschaft, dafs Bethlehem sein Geburtsort sei.
$. 33.
jähere. Umstünde der Geburt Jesu sammt der Beichn&dun^.
Auf die einmal gewählte Grundlage, dafs Maria und
Joseph als fremde Reisende der Schätzung wegen nach
Bethlehem gekommen seien, trügt die Erzählung des Lu-
kas die weiteren Zöge folgerecht auf. Wegen des durch
die Schätzung verursachten Zusammenflusses vieler Frem-
den in Bethlehem haben jene beiden in der Herberge
keinen Raum, und müssen sich bequemen, in einem Stalle
sich einzurichten, wo Maria sofort ihres Erstgeborenen
entbunden wird ')• Aber das auf Erden unter so un-
sprung 4es Evang. Matthäi, Tab. Zeitschrift, 1834, 2, S.U5);
nicht minder seltsam, dass Wixbr (b. Rw. , 2, S. 350) gegen
die Annahme eines parachronistischen Zurückdatircns der
Quirinischen Schätzung von Seiten des Lukas sich darauf be-
rufen mag, dass dieser nach A. G. 5, 37. diese Schätzung
wohl gekannt habe : da doch eben diese Stelle durch die fal-
sche Stellung dos Theudas im Verhältniss zu Judas deutlich
zeigt, dass der Verf. in der Chronologie dieser Zeiten keines-
wegs fest war.
1) Die dem Zusammenhang zuwiderlaufende Behauptung Horr-
minw's im vorigen Stücke, Joseph habe nach Bethlehem nicht
als in sein Stammort, sondern als seine Geburtsstadt reisen
müssen, rücht sich jetzt schwer dadurch, dass er (sofern, sei-
nem eigenen Geständnisse nach, S. 241., diese Annahme mit
dem gänzlichen Mangel an Baum in der Stadt sieh nicht ver«
Viertes KapiteL $♦ 33. 267
scheinbaren Uautinden int Dasein getreten* Kind ist im
Himmel hoch angesehen: ein Bote von da verbandet Hir*
ten, welche nächtlich auf dem Feld ihre Heerden bewa*
eben» die Gebart des Messias, nnd weist sie auf das Kind
in der Krippe hin, welches sie, nachdem noch ein ühor
himmtiseher Heerschaaren mit einem Lobgesang eingefallen^
anfauchen und finden (2, 6-2Q.)-
Koch weiter haben die apokryphiscben Erangaiien
and die Ueberliefemng bei den Kirehenvfitern die Gebart
Jesu ansgeschmfickt. Als nach dem ProteoangeUum Ja*
eobi *) Joseph die Maria anf einem Esel nach Bethlehem
rar Schätzung fahrt, beginnt sie in der Nähe der Stadt
bald traurig bald freudig sich an gebärden, nnd gibt,
hier Aber befragt, die Auskunft , dafs sie (wie einst in Re-
bekkas Leibe sichawei feindliche Nationen stiefsen, l.Mos.
35, 23.) «wei Völker, das eine weinend das andere la-
chend, Tor sich sehe; iL h. nach der einen Erklärung *)
die »wei Theile von Israel, deren einem die Erscheinung
Jesu (nach Luc 2, 34.) **£ nvuiGpr, dem andern elg dvd-
caow gereichen sollte; nach der andern Deutung aber das
Volk der Joden, welche Jesuin hernach verwarfen, nnd
das dar Beiden, welche ihn annahmen *)• Ais bald darauf
Maria — wie es nach dem Zusammenhang and mehreren
Lesarten scheint, noch außerhalb Bethlehems — von Ge-
burtswehen befallen wird, bringt sie Joseph in eine am
trägt) jetzt im offensten "Widerspruche gegen den Text den
Grund der Niederkunft im Stalle nicht in Mangel an Raum,
sondern in der unerwartet schnell eingetretenen Noth der
Entbindung suchen suis 8, Gerade wie wenn es statt: Ston «x
t,y aurotg to7to; ir riß xara/ivjuaTi^ hißSSC 2 Siori «x tjy avroTg XQ?y°S
T« 17.9 tiv flq t. x.
2) Cap. 17 ff. Vgl. Historia de nativ. Mariae et de infantia Ser-
vatoris c. 13.
3) Kabmcius, im Codex Apocryph. N. T. 1, S. 105. not. y.
4) Das zuletzt angeführte Apocrypbum a. a. O.
t>OS E*ater Abschnitt.
Wege liegende Höhle, wo sie, wXhrend die ganze Natur
feiernd stillsteht, von einer Lichtwolke verborgen, dm
Kind eor Welt bringt, und von herbeigerufenen Frauen
•ach nach der Entbindung noch als Jungfrau befunden
wird. — Die Sage von der Geburt Jean In einer Höhl«
kennen schon Justin und Origenees) und bringen aie mit
der Nachricht des Lukas, dafa Jesus in einer <pazrtj nie*
dergelegt worden sei, so in Einklang, dafa aie in der Höhl«
eine Krippe sieh denken, worin ihnen auoh manche Neuere
beistjmmen; während' Andere lieber die Höhle selbst alt
q)drv7]> in der Bedeutung von Futteretall, betrachten').
Für die Gebort Jesu in der Höhle beruft sich Justin auf
die Weissagung Jeg. 33, 16.: sxog (der Gerechte) olxr/ou
iv vifältii (t7irfi.aL(> Tttcqag iaxvQag 7) ; wie die Historia de
nativitate Marias etc. für die Angabe, dafa das am drittea
Tage aus der Höhle in den Stall gebrachte Jesuskind vesi
Ochsen und Esel angebetet worden sei, anuf Jes. 1, 3.:
cognovit hos possessorem suum, et asi&um praesepe do-
mini sui *). In mehreren namhaften Apokryphen fallen
zwischen den gebnrtshelfenden Frauen und den Magiern
die flirten aus; doch finden sie sich z. B. in dem Evan-
gelium infantiae arabicum, wo ihnen, als aie, cur Höhle
gekommen, Freudenfeuer anzündeten, daa himmlische Heer
erscheint 9).
Nehmen wir nun die von Lukas erzahlten Umstände
der Geburt Jesu in supranaturalem Sinne, so ergeben sieb
mehrere Schwierigkeiten. Zuerst Ififet sich billig frage*,
5) Jener Dial. c. Tryph. 78 ; dieser c. Cels. 1, 51.
6) Ersteres Hess, Geschichte Jesu, 1, S. 45; Olshausi*, i. d. Stj
Letzteres Paulus, z d. St.
7) a. a. O. No. 70 und 78.
8) Cap. 14.
9) Gap. 4, hei Thilo, S. Od«
Viertes Kapitel f. 33. 269
welchem Zwecke die Engelersebeinung dienen sollte10)?
Die näohste Antwort ist: die Gebort Jesn bekannt nn
machen. Aber sie wird ja dorob dieselbe so wenig be-
kannt, dafs in das so nebe gelegene Jerusalem eivt später
die Magier die erste Kunde von dem neugeborenen Juden-
könig bringen , und überhaupt in der weiteren Geschiebte
keine Spar eines solchen Vorfalls bei der Gebort Jesn sieh
findet. Kann demnach der Z^weck jener aufserordentlichen
Erseheinufjg nicht ihr Bekanntwerden in weiteren Kreisen
gewesen sein, weil sonst Gott seinen Zweck verfehlt haben
würde: so müfste man mit Schlkikrmacher annehmen, sie
habe nur in der unmittelbaren Wirkung auf die Hirten
selber ihr Ziel gehabt 1S> Dabei müfste mau dann aber
mit ebendemselben voraussetzen , diese Hirten seien ,. wie
jener Simeon, von messianischen Erwartungen besonders
erfkllt gewesen., und diesen ihren frommen Glauben habe
Gott durch jene Erscheinung belohnen ond befestigen wol-
len«' Aber weder von einer solchen Stimmung der Hirten
berichtet die Ersanlnng irgend etwas , noch wird eine
bleibende Wirkong auf dieselben bemerkten gemacht;
hauptsächlich aber erscheint der ganaen Darstellung zu*
folge nichts die Hirten Betreffendes als Zweck der Erschei-
nung, sondern lediglich die Verherrlichung und Bekannt«
maehung der Geburt Jesu als des Messias. Da aber das
Letztere, wie schon bemerkt, nicht erreicht wurde, das
Erster« eher rein für sich, wie jedes leere Gepränge, kein
gotteswtirdiger Zweck ist: so stellt dieser Umstand auch
ftr sieh schon der supranaturalistischen Auffassung dieser
Geschichte ein nicht unbedeotendes Hindernis entgegen.
Nimmt man nun hiezo die früher ausgeführten Bedenken
gegen Erscheinungen und Dasein von Engeln Oberhaupt:
so ist es sehr begreiflich , dafs auch bei dieser Erzählung
10) S. Gabler im neuest, theol. Journal, 7, 4, S. 41 (K
i!) Ucbcr den Lukas, S. 33. Vgl. Njukd«r, L. J. Chr., S.22.
270 Elfter Abschnitt
der Ausweg einer natürlichen Erklärung betreten wor*
den Ist.
Dic/te ist denn freilieh in ihren ersten Versuches
grob genug ««gefallen. So nahm Eck den ayyelog f Ar ei-
nen Boten ans Bethlehem, welcher Liebt bei sieh hatte,
das den Hirten in die Angen fiel, und den Lobgesang der
Ileerschaaren als ein Freudengeschrei mehrerer Begleiter
dieses Boten **). Feiner und pragmatischer hat Paulus die
Sache ausgesponnen. Maria, welche in einer Hirtenfasri-
tie eu Bethlehem gastfreundliche Aufnahme gefunden bitte,
erefihlte, roll Hoffnung, wie sie war, den Messias an g*
baren, auch den Gliedern dieser Familie davon, welche all
Bewohner der Davidsstadt nicht unempfänglich dafür seio
konnten. Als daher in der Nacht diese Hirten auf den
Felde sieh befinden, und eine feurige Lufterscheinung er-
blieben, wie sie nach Berichten von Reisenden in jener
Gegend nicht ungewöhnlich aind : ao deuten sie diefs als
eine Gottcfebotscbaft , dafs die fremde Frau In ihrem Fat*
terstalle wirklich von dem Messias entbunden worden sei;
und als die Lichterscheinung sich ausbreitet und hin and
her bewegt, do sehen sie hierin lobpreisende Engelseh**-
ren. Heimgekehrt, finden sie ihre Erwartung durch den
Erfolg bestätigt , und stellen nun das , was nur sie selbst
als Sinn und Bedeutung jener Erscheinung vorausgesetst
hatten, morgenlfindisch als wirkliehe Worte derselben
dar ")-
12) Ia seinem Versuch über die Wuadergeschichten des N. T.,
vergl. Gablba's neuestes theolog» Journal, 7, 4, S. 411* D*
Verf. der natürlichen Geschichte des Propheten voa Nauret
hat auch hier an den Wundern der N. T. liehen Erzählung
nicht genug Stoff für seine Lust zu natürlicher Erklärung,
sondern er unternimmt es, auch die Fabeln der Apokryphes
auf seine Weise zurechtzulegen.
13) Ejteg. Handb., i, a, S. 18011. Wie Paulus eine äussere Ns-
Vierte« Kapitel. $. 33. 271
Bei dieser Erklärung hingt Alle« «1 der Vorausse-
teung, dafs «lie Hirten schon vorher etwas von den Er-
wartungen der Maria, den Messlas au gebären, gewufst
haben; denn ohne diefs, wie hätten sie dann kommen sol-
len, die Naturerscheinung als ein Zeichen gerade ron der
Gebort des Messias in ihrem Stalle oi betrachten f eben
jene : Voraussetzung ' aber ist der vollkommenste Wider*
»prach gegen den evangelischen Bericht. DeYin erstlieh,
dafs ihnen der Stall zuguhdrt habe, setat dieser offenbar
siehe voraus, weanr er, nachdem er die Entbindung der
Maria in dem Stalle erzählt hat, zu den Hirten als au
etwas ganz Neuem und Fremdem, das mit jenem Stalle
gar nicht zusammenhängt, in den Worten übergeht: xal
7totf4tveg yoav ip tf\ xwqy rf[ avtfj, statt deren bei jener
Erklärung doch wenigstens ot dt noinhsg x. t. L stehen
mlifate ; so wie dann auch das nicht ohne alle Andeutung
hätte bleiben därfen, dafs die Hirten den Tag über in dem
Stalle ab- und angegangen, und erst mit Anbruch der
Naebt zum Hüten ausgezogen seien. Dach, auch diese
Umstände vorausgesetzt, ist es von Paulus folgewidrig, die
Maria früher so schweigsam über ihre messianische Schwan-
garnfchaft vorzustellen, dafs sie Anfangs selbst dein Joseph
dieselbe nicht entdecken will: nun aber mit Einem Male
so geschwätzig, dafs sie, kaum angekommen, vor fremden
Lernten die ganze Geschichte ihrer Erwartungen auskramt*
Uebrigeas widerspricht die Annahme, dafs die Hirten
Horch Maria selbst schon vor ihrer Niederkunft von der
Sache unterrichtet gewesen, auch dem weiteren Verfeig
der Erzählung. Denn wie diese lautet, so bekommen die
Hirten durch den erscheinenden Engel die erste Kunde
von der Geburt des aom^Q, und zum Zeichen der Wahr«
heit dieser Kunde soll ihnen das neugeborne Kind in der
turerscheinung , so nimmt Matthaki , Synopee der vier £van<
gelien, S. 3», eine innere EngeUnschatiung sa.
2T2 Erster Abschnitt.
Krippe dienen ; kitten sie bereits durch Meine etwas ron
den nächstens so. gebarenden Messias gewulst: so wlre
ihnen schon die LiohterseheinuHg ein <rr{fteiov für jene Aus-
sage der Maria, und nicht erst das Finden des Kindes ein
Zeichen, für die Wahrhaftigkeit der Erscheinung gewesen*
Endlich dürfen wir nnsern bisherigen Untersuchungen
wohl so viel vertrauen, um hier zu fragen, woher denn
der. Ataria, wenn doch weder eine 'wundervolle Vcrkflndt-
gung, nooh eine öbernatttriiohe.£nip|ängnlfs stattgefunden
hatte, die feste Hoffnung.? den Meaaias au gebären, hätte
kommen sollen?
Dieser nach allen Seiten so schwierigen natürlichen
Erklärung gegenüber kündigte Bauer eine mythische Auf-
fassung an ") ; kam aber in der That keinen Schritt über
die natürliche Deutung hinaus, sondern, wiederholte Zug
für Zug die PAULUs'sche Auslegung. Mit Recht setzte
GABLia an dieser gemischt* mythischen Erklärung ans, dafs
sie, wie die natürliche, au viel Unwahrscheinliches häufe:
einfacher erscheine Alles bei Annahme eines reinen, dog-
matischen. Mythus; wodurch zugleich mehr Harmonie in
diese christliche Urgeschichte komme, deren bisherige
Stücke ja ebenfalls als reine Mythen haben ausgelegt wer-
den müssen 16> Demgemäfs erklärt nun Gabler die Er-
zählang aus der Zeitvorstellung, bei der Geburt des Mes-
sias müssen wohl Engel geschäftig sein. Nun habe man
gewulst,, daCs Maria in einer Hirtenwohnung entbunden
werden war: diesen gu^en Hirten, habe man also gesehles-
sen, müssen die Engel sogleich die Botschaft gebracht ha«
ben, dafe der Messias in ihrem Stalle geboren sei, und
die Engel, die ja immer Gott preisen, messen auoh hier
einen Lobgesang angestimmt haben. Anders, meint Gab-
14) Hebräische Mythologie, 2. Tbl. S. 223 ff.
15) Recension von Baujcr's hebr. Mythologie in GaSuji's Journal
für auserlesene theol. Literatur, 2, 1, S. 58 f.
Viertes Kapitel. $. SS. 273
lsb, keimte sich ein Judenohrist die Gebart Jesu, wenn
er einige Data Ton derselben wulste, unmöglich denken,
ab sie hier gemalt ist ")•
Auf merkwürdige Weise zeigt diese GABLBa'sche Er-
klarang, wie schwer es hält, sieh von der naturlichen
Erklärnngsweise völlig ioszuwinden, und ganz an der my-
thischen an erheben ; denn während der genannte Theologe
gern? schon anf mythischen Boden getreten an sein meint,
steht er doch mit einem Fufre noch anf dem der natttrli-
ehen Auslegung. Einen Zug nämlich aus dem Berichte
des Lukas nimmt er als geschichtlich hin, welchen sein
Zusammenhang mit ungeschichtlichen Angaben und seine
Angemessenheit an den Geist der urchristlichen Sage au
deutlich als blofs mythischen bezeichnet: nämlich, da&
Jesus wirklich in einer Hirtenwohnung geboren sei; und
eine Voraussetzung nimmt er aus der natürlichen Erklä-
rnngsweise auf, welche die -mythische gar nicht dem Texte
aufzudringen braucht: dafs die flirten, welchen angeblich
die Engel erschienen, EigenthOmer des Stalles gewesen sein
sollen, in welchem Maria entbunden wurde* Was das
Erste betrifft, mit weichem das Andere von selbst hinfüllt,
so beruht es auf derselben Maschinerie, durch welche Lu-
kas mittelst der Schätzung die Eltern Jesu von Nazaret
nach Bethlehem in Bewegung setzt« Nun wissen wir aber,
wie es mit dieser Schätzung steht: sie fällt ohne Rettung
vor der Kritik dahin , und mit ihr das lediglich auf sie
gebaute Datum, dafs Jesus in einem Hirtenstalle geboren
worden. Denn waren Jesu Eltern zu Bethlehem nicht
fremd, und kamen sie nicht gerade bei einem grofsen
Zusammenflusse von Fremden, wie er aus Gelegenheit ei-
nes Census stattfinden konnte, dahin: so ist kein Anlafs
mehr dazu vorhanden, dafs Maria einen Stau zum Urte
ihrer Entbindung nehmen mufste. Aber ebenso stimmt
16) Neuestes theol. Journal, 7, 4, S, 412 f»
Das Leben Jesu M<* Aufl. /. Hand. 1$
•274 Erster Abschnitt.
andererseits der Zog, dafs Jesus in einem Stalle gebore»,
und »«erst Von Hirten begrüfst worden sein soll, mit dem
Geist der alten Sage so gane tiberein, dafs es klar ist, wie
sie veranlafst sein konnte, ihn rein zu erdichten* Schon
Theophylakt dentet diefs richtig an, wenn er sagt, nicht
su Jerusalem den Pharisäern und Schriftgelehrten, weiche
aller Bosheit voll waren, sei der Engel erschienen, sondern
auf dem Felde den Hirten , wegen ihres einfachen , argto-
sen Wesens, und weil sie durch ihre Lebensweise Nach-
folger der alten Patriarchen gewesen seien 17)* Auf dem
Felde bei den Heerden hatte auch Moses die himmlische
Erscheinung (2. Mos. 3, lff), nnd den Ahnherrn des
Messias, Darid, hatte Gott, nach Ps. 78, 70 f. (vgl. 1. Sam.
16, 11. )> a0s den Bürden (bei Bethlehem) genommen, um
sein Volk su weiden. Deberhaupt Ififst der Mythus der
alten Welt Landleuten ie) und Hirten 19) am liebsten Got-
teserscheinungen zu Theil werden; die Göttersöhne und
grofsen Mfinner werden häufig unter Hirten erzogen **)•
In demselben Geiste der alten Sage ist auch die apokry-
phische Nachricht gedichtet, dafs Jesus In einer Hoble ge-
boren sei; wodurch man an die Geburtshöhle des Zeus und
anderer Götter erinnert wird21), wenn auch gleich die
mißverstandene Stelle Jes. 33, 16. die nächste Veranlas-
sung dieses Zuges gewesen sein mag22). Die Naeht fer-
ner, in welche die Scene verlegt wird — wenn man nicht
an rabbinisohe Vorstellungen denken will, naeh welchen,
wie die Erlösung aus Aegypten , so auch die durch den
17) In Luc. 2. Bei Suicer, 2, p, 789 f-
IS) Servius ad Virg. Ecl. 10, 26.
19) Liban. progymn. p. 138, bei Wbtstbi*, S« 662-
20) So Cyrut, nach Herod. 1, HO ff. Romuhit, nach Liv. f, 4.
21) S. die Stellen bei Wktstein, p. 660 f.
22J Diess ist die Ansicht Tmilo's, Codex Apocr. N.T. |, S. 385, not.
Viertes Kapitel. $• 33. 275
Messias bei Naebt vor sioh gehen sollte29) — bildet den
dunkeln Hintergrand, auf dem sieh die erscheinende doSa
Kvqis dd so glänzender ausnimmt, welche, wie sie de
Gebort des Moses verherrlicht haben sollte24), so aush
bei der seines heileren Nachbildes, des Messias, nicht feh-
len konnte*
Einen Gegner hat die mythische Auffassung dfcses
Abschnitts namentlich in Schleier* ach br gefunden 2*>
Zwar , wenn er es unwahrscheinlich findet , dafs Üeeer
Anfang von Lue* 2. eine Fortsetsong des Voriger, und
von demselben Verfasser mit diesem sei, weil dir mehr«
fache Veranlassung, sich in lyrischen Ergüssen attrabrei*
ten , wie «. B. bei der lobpreisenden Umkehr de Hirten^
V. 20., hier gar nicht sd> Wie im ersten Kapitel benotet
werde: 90 kann man ihm hierin wohl etwa bestimmen (
wenn er aber daraus weiter folgert, dafs dieserErxählung
auch nicht ein vorwiegend dichterisches Geirtge enge«
sehrieben werden dürfe, indem dieses notn«endig mehg
Lyrisches herbeigeführt haben wurde : so eweist diefs
nur, dafs Schleibrvachsr den Begriff derjnigen Poesiej
von welcher es sich hier handelt, nämlich'*** Poesie des
Mythus, nieht gehörig erfafst hak Die rfthbcha Poesie
ist mit Einem Worte eine objeetive: sie igt das Dichte,
risehe in den Stoff der Erzählung, nnr kann daher in
gans schlichter Form* ohne allen Anfand lyrischer £r-
giedungen, erseheinen ; welche letztere vielmehr nnr die
spltere Zinnat einer subjeetiven, mehr Jewufst und künst-
lerisch ausgefibten Poesie sind 26> Allerg* also haben wir,
23) S. Schöttgsw, a. a. Ot Ö, S. 551*
24) Sota, 1,48: Saptente* nostti perh&ü, dtca horam nativt-
tatis Mosts totam domum reylettarfutsse face (Witstkin).
25) Ueber den Lukas, S* 291 ihr schliesst sich jettt u. A.
Nbakvbr an, L. J. Ch., S. Jl f.
26) Vgl. dk Witts, Kritik ier modischen Geschichte, S. 116;
Gkorck, Mythfts u* Sage, S* 33 f.
i5
s
*76 Erster Abschnitt
wie es seheint , diese jetct folgenden Abschnitte mehr In
der ursprünglichen Form der Sage: während die Erzfifr-
loogen des ersten Kapitels bei Lukas mehr das Gepräge
der Umarbeitung durch ein dichtendes Individuum tragen-;
abtr von geschichtlicher Wahrheit ist defrwegen dennoch
hie» ebensowenig als dort etwas zu suchen. Daher kann
es Jach nur als Spielerei des Scharfsinns angesehen wer-
den , wenn Schleiermacher weiterhin sogar die Quelle
auseunittefai sich anheischig macht, aus welcher diese Er-
Bählunf in das Lukasevangelium gekommen sein möge.
Dutts e\ als diese Quelle nicht die Maria annehmen will»
abgleichen der Bemerkung V. 19., sie habe alle diese Re-
den im feroen bewahrt, eine Berufung auf sie gefunden
werden bunte, daran bat er «war um so mehr Recht, als
jene BemeJiung (worauf Schlkierhacher keine Rficksicht
nimmt) no eine aus der Geschichte Jakobs und Josephs
herübergenfemene Phrase ist. Wie nämlich die Erefih-
lnng der G^esis Ten Jakob, als Vater jenes Wunderkin-
des, berichte^ dafs er , wenn Joseph von seinen vorbedeu-
tenden Trüunbri erzählte, und die Brüder ihn defswegen
beneideten, de*en Reden nachdenklich im Herzen bewahrt
habe: so gibt ^ an die Erzählung bei Lukas der Maria
au dem Aufserodentlichen, was sich mit ihrem Kinde zu-
trug, hier und n,ten 2, 51. die schickliche Stellung, dafs
f sie, während die,[Jebrigen in laute Bewunderung ausbra-
chen, was sie Bahnrad hörte, nachdenklich in sich aufge-
nommen und bei sifc Oberdacht habe 27> Wenn nun aber
\
27) Man vergleiche :
i. Mos. 37, 11 (Mf.) : Luc. 2, 18 f. :
*JGyy&war fft auror ol\$€Z<fxt xai nayres ot axwrccyrtg e&av/imtar,
ovth o Sh narw avr« "Vt^'- — — jy Ss Mapa/t ncarva ovre-
qqos ro Qijfia. Und^azu Ttjqct to Qtjjuaza rav-ror, avftßal-
die Rabbinen, bei ScjVrr- j^ }v Tjj xa^(a aurq;. 2, 51:
GKKf noraej i, 262. ^ xal g /qfnpg aurS JteTtJQtt navra
Viertes Kapitel 5**3. 277
der genannte Theologe statt der Maria die Hirten als
Quelle unserer £rs&hlung beseichnet , weil Alles ans dem
Standpunkte nicht von jener, sondern von diesen erzählt
sei: so ist es vielmehr ans dem Gesichtspunkte der Sage
emählt, welche gleicherweise Aber beiden steht. Wenn
Schlbibrm acher es anmöglich findet, dafs diese Ersfihlung
eine aus Nichts zusammengeballte Luftblase sei: so mu(s
er anter dem Nichts die jüdischen nnd urchristlichen Ideen
von Bethlehem als dem nothwendigen Geburtsorte des
Messias, von dem Hirtenstande als dem des Verkehrs mit
dem Himmel besonders gewürdigten, und von den Engeln
als den Vermittlern dieses Verkehrs , verstehen; Vorstel-
lungen , welche wir unsererseits unmöglich so gering an*
schlagen, sondern uns wohl denken können , wie sich aus
denselben etwas, wie unsere Erzählung hier, gestalten
mochte. Endlich, wenn er eine sufKllige oder absichtliche
Dichtung hier defswegen undenkbar findet, weil die Chri-
sten jener Gegend so leicht die Maria oder die Jünger
über die Sache haben befragen können: so ist diefc doch
an sehr im Style der alten Apologetik geredet, und setst
die in der Einleitung besprochene Ubiquititt jener Perso-
nen voraus, welche doch unmöglich an allen Orten berich-
tigend zugegen sein konnten, wo eine Neigung au christli-
cher Sagenbildung sich regte.
Die Notiz von der Beschneidung Jesu, Lug. 9, 21«,
rührt offenbar von einem solchen her, welcher, ohne von
dieser 9eene wirkliehe Nachricht au haben, nur in Ge-
mifsheit der jadischen Sitte für gewifs annahm , dafs die-
selbe am achten Tage nach der Geburt in gewöhnlicher
Weise stattgefunden, und nun, wie Paulus PhiL S, 5.
durch das neQuofifj oxtafyeQog für sich thnt, auch diesen
Moment im Leben eines israelitischen Knaben an Jesu be-
merklich machen wollte88). Dabei ist derContrast auffal-
28) Etwa „möglichen Einwürfen der Juden vorsichtig begeg-
nend4'? (AmMOK, Fortbildung, 1, S. 217.)
378 Erster Abschnitt
lend »wischen der ausführlichen Benutzung und Ausma*
hing desselben Punktes im Leben des Johannes (1, 59 ff),
nnd der Trockenheit nnd Kurse, mit welcher derselbe hier
in Bezug auf Jesom behandelt ist; worin man mit Schleier«
M4CHB& ein Zeichen finden kann, dafs wenigstens hier der
Verfasser ron Kap. 1. nicht mehr der Coocipient ist. Bei
diesem Stande der Sache erfahren auch wir ftr unsern
Zweck aus dieser' Angabe nichts, als was wir schon wie-
sen konnten, nur noch nicht ausdrücklich zu bemerken
Gelegenheit hatten: dafs nämlich die angebliche Bestim-
mung des Namens Jesu schon vor seiner Geburt auch nur
m der mythischen Einkleidung der Ere&blung gehöre.
Wenn nämlich in unserem Verse gesagt wird, der Marne
Jesus sei xItjO-Iv vtzo ts dyyika ,hqo %ö avlXrff&ip'ai aueov
$v xfi xodla: so ist das hierauf gelegte Gewicht ein deut-
liches Zeichen, dafs diesem Zuge der Erzählung ein dog*
matisches Interesse zum Grunde liegt; welches denn kein
anderes sein wird, als dasjenige, um dessenwillen im A. T.
die Namen einet Isaak nnd Ismael, im neuen der des Jo-
hannes, vor der Geburt der betreffenden Kinder den Eltern
geoffenbart werden, und wefswegen die Rabbinen insbe-
sondere auch vom Namen des Messias ein Gleiches erwar-
teten 20)« Gewifs waren es also vielmehr ganz natürliche
Gründe, welche die Eltern Jesu bewogen, ihm diesen, un-
ter ihren Volksgenossen sehr gewöhnlichen Namen (JfiB^
abgekürzt aus JTttfYT, 4. h, © KvQiog aanyjQia') zu geben;
29) ?irk* R,. Elieser, 33 : Sex hominum notnina dlcta smt,
tequtm fuucerentitr: Isaaci nempe* IsmaHlU* Mosis, Salonun
ftfs, Jortae et nomen regte Messiae (Vergl. Beresch. rabba 1,
3, 3, bei Schott«*, 2, S. 436). War hierunter ursprünglich
auch nur der Amtsname , [T^P > verstanden : so musste man
/doch, sobald eine wirkliche Person als Messias anerkannt
war, an deren Eigennamen denken (gegen Hoim^NW, S. 247,
£em ÜS14RPKH nachspricht, §. JQ?)..
Viertes Kapitel. §. 34» 279
weil aber dieser Name mit seinem später gewühlten Berufe
als Messias and oYi/n/p auf bedeutsame Weise sueammea-
xraf, ein Zusammentreffen , das man unmöglich als Werk
des Zufalls betrachten au können glaubte, und weil es
überhaupt schieklioher schien , den Maaren des Messias
durch göttlichen Rathsehlufs, als durah mensebliehe Will-
hur, bestimmt werden au lassen: se wurde die Festsetzung
desselben dem Engel übertragen, der abnabln die Empfang-
jnfr Jesu anzukündigen hatte/
5. 84.
Die Magirr und ihr Stern, die Flucht nach Aegypten und der
bethlchemitische Kindermord. Kritik der supranaturalisLischen '
Ansicht.
Mit der bisher betrachteten Eraahlung des Lukas
über den Eintritt des neugeborenen Messias in die Well
lauft bei Matthäus eine aiemlich verschiedene doch pa-
rallel i% 1. ff.)* Auch sie nämlich hat cum Zwecke , die
feierliche Einführung des messiaoisehen Kindes, die er-
ste, vom Himmel selbst übernommene, Bekanntmachung
seiner Geburt, und seine erste Aufnahme bei den Met*»
eoben au beschreiben *)• Mach beiden Erzählungen macht
eine himmlische Erscheinung auf den neugeborenen Mes-
sias aufmerksam, welche nach Lukas ein Engel im Lioht-
glanse, nach Matthäus ein Stern ist Gemlfs der Versohle*
denheit des Zeichens sind auch die Subjecte, welchen es
erseheint, verschieden : dort einfache Hirten , au welchen
dea Engel spricht; hier morgenl&ndische Magier, welche
das stumme Zeichen sich selbst au deuten wissen« Beide
Theile werden nach Bethlehem gewiesen : die Hirten durch
die Worte des Engels selbst; die Magier nach eingesogc»
Erkundigung in Jerusalem , und beide huldigen dem
4) Vgl. äcuKKCHEUBBAfriR , über den Ursprung des ersten k*4<v
nistfcea Evangelium, S. b9ff.
280 Erster Abschnitt.
Kinde: die armen Hirten durch Lobgesänge, die sie anstim-
men, die Magier durch kostbare Geschenke aas ihrer Hei-
math. Aber von hier an beginnen die beiden Erzählun-
gen sich bedeutender von einander zn entfernen. Bei
Lukas geht Alles heiter aas: die Hirten kehren freudig
wieder am, and dem Kinde geschieht kein Leid, sondern
es kanji zur gehörigen Zeit im Tempel dargestellt wer-
den, and wächst sofort im Frieden auf; bei Matthias
hingegen nimmt die Sache eine tragische Wendung: da
veranlagt die Nachfrage der Magier in Jerusalem nach
dem neugeborenen Judenkönig einen Mordbefehl des He-
rodes gegen die Kinder so Bethlehem, welchem das Je*
suskind nur durch schleunige Flucht in das benachbarte
Aegypten entzogen wird, von wo es mit den Eltern erst
nach des Herodes Tode wieder in das heilige Land zu-
rückkehrt.
Wir haben also hier eine doppelte Einführung des
messianischen Kindes, welche wir so stellen könnten, dafs
die eine, durch den Engel, bei Lukas, die Geburt des Mes-
sias der nächsten Nähe, die andre, durch den Stern, bei
Matthäus, dieselbe der weiten Ferne habe ankündigen sol-
len. Allein, da nach Matthäus die Geburt Jesu erst durch
den Stern auch in der nächsten Nähe, in Jerusalem, be-
kannt wird : so kann, wenn diese Erzählung historisch ist,
jene andre bei Lnkas, nach welcher die Hirten, was ihnen
als Sache des ganzen Volks verkündigt war (V. 10.) > mit
Preis gegen Gott weiter erzählten (V. 17. 20 ), unmöglich
richtig sein; so wie umgekehrt, wenn wirklich nach Lu-
kas die Geburt Jesu durch einen Engel mittelst der Hirten
der Gegend von Bethlehem bekannt gemacht worden war,
es irrig sein mufs , dafs Matthäus erst später durch die
Magier die erste Kunde davon in das nur 2 — S Stunden
von Bethlehem entfernte Jerusalem gelangen läfst. Da
wir nun aber die Ercählpng des Lukas von der den Hir-
ten geschehenen Verkündigung an mehreren Merkmalen als
Vierte« Kapitel. -§. 34. SSI
geschichtlich erkannt haben : so bliebe Insofern für die
«las Matthäus nn verkümmerter Raum, und es ist sonach
ihre Glaubwürdigkeit aas inneren Gründen su unter-
smehon
Unsere EnXnlung beginnt ganu so, wie wenn es sich
von selbst verstünde, dafs Astrologen einen die Gebart
des Messias ankündigenden Stern als solchen sa erken-
nen vermögen. Könnten wir hiebet zunächst ans darüber
wundern | wie heidnische Magier ans dem Orient etwas
von einem jüdischen J£önig wissen konnten, dem sie eine
religiöse Verehrung darzubringen hätten: so wollen wir
uns hierüber mit der Notiz, dafs 70 Jahre später im
Oriente die Erwartung eines Weltherrschers aas dem jü-
dischen Volke verbreitet war *), beruhigen, um auf das
Bedenklichere 20 kommen, dafs es ja nach dieser Erzäh-
lung seheint, als hätte die Astrologie Recht mit der Be-
hauptung, daß die Gebart grober Männer nnd bedeutende
Veränderungen der menschlichen Verhältnisse durch side
tische Erscheinungen angezeigt werden; eine Meinung,
welche längst in das Gebiet des Aberglaubens verwiesen
ist. Man müfste also zu erklären soeben, wie jene trÜ-
gerische Kunst in diesem einzelnen Falle Recht haben
konnte: ohne dafs jedoch auf andere Fälle daraus geschlos-
sen werden dürfte* Das Nächste für den orthodoxen Stand-
punkt wäre, dafs man sich auf eine außerordentliche Ver-
anstaltung Gottes beriefe, welcher sich diefsmal, um die
fernen Magier zu Jesu herbeizuziehen, ihren astrologischen
2) Joseph. B. j. 6, 6, 4. (Olshausix citirt hier, aus Missverstand
eines gleichfalls irrigen KuixbVschen Citats, Kapitel, in denen
nicht nur von dem Obigen nichts steht, sondern die selbst
gar nicht existiren) $ Tacit. histor. 5, 13 ; Sueton. Vespas. 4.
Was uns aus der Zeit der Geburt Christi aufbehalten ist,
bezieht sich nur unbestimmt auf einen Welthcrrscher über-
haupt« Vgl. Virgil. Eclog. 4 ; Sueton* OctaT. 94.
*84 Erster Abschnitt.
welche, wie ans seinem gewaltigen Zorn ober dieselbe
(V. 16.) erhellt, Herodes keineswegs vorausberechnet hatte.
Vorher war nach V. 8* seine Absicht, sieh durch die wie-
derkehrenden Magier das Kind, dessen Wohnung und
übrige Verhältnisse, so genau beschreiben zu lassen , dab
er es nachher nicht verfehlen, und ohne andere mitsumor-
den, aus dem Wege räumen lassen könnte. Erst als die
Magier ausblieben, war er zu jener andern Mafsregel ver-
anlagst, «u deren Behuf er die Zeit , wann der Stern er«
schienen war, wissen mufote6). Wie glücklich daher
Ar ihn, dafs er, auch ohne noch jenen Plan su haben,
doch gleich Anfangs nach dieser Zeit sich erkundigte;
aber auch wie unbegreiflich, dafs er dieses,- was ihm bei
seinem ersten Plane Nebensache war, gleich eu seiner
ersten Frage (xaUoag — TJXQißmoe x. u L V. 7.) und cur
Hauptangelegenheit machte*
Das Zweite, was Herodes mit den Magiern verhan-
delt, ist, dafs er ihnen aufträgt, alles das königliche
Kind Betreffende genau su erkunden und ihm bei ihrer
Rückkehr su melden, damit auch er hingehen und dedk
Kinde seine Verehrung bezeigen, d. h. nach dem wahren
Sinn , es > sicher ermorden lassen könnte ( V« 8. ). X>a£a
eine solche Einleitung der Sache von dem schlauen He-
rodes schwer su begreifen sei, ist längst bemerkt wor-
den ')• Konnte er auch durch die freundliche Maske , die
er vornahm, die Magier für sich etwa su täuschen hoffen :
so mufste er doch nothwendig voraussehen, daüs Andere
8^e auf seine wahrscheinlich Übeln Absichten mit dem
Rinde aufmerksam machen, und von der Rückkehr au
6) Treffend Fritzscct i. d. St*: — comperto, quasi tnagos
uon ad se redtturo* stattm sctvitset, orti stderU
tempore etc%
7) K. Cfa. L. Schmidt, exeg. Beiträge, l, S. 150 f. Vgl. F&rrz-
8chb u. ds Weite z. d. St.
VLertet Kapitel, f. 34. 285
ihn abhalten würden. Von dea Eltern de« Kindes konnte
er reraothen, dafs sie, wenn sie von seinem gefährlichen
Interesse an demselben hörten, es darch Flocht in Sicher-
heit bringen würden; so wie endlieh von denjenigen, wel-
che in Bethlehem and der Umgegend messianische Erwar-
tungen hegten, dafs sie durch die Ankunft der Magier
nicht wenig in denselben bestärkt werden mülsten* Aus
allen diesen Gründen mufste Herodes entweder die Ma-
gier in Jerusalem aufhalten *), und indessen durch geheime
Abgesandte das in dem kleinen Bethlehem leicht au erfra-
gende Kind, an welches sich so besondre Hoffnungen knflpf-
tten, ans dem Wege räumen lassen; oder er jnufste den
Magiern Begleiter mitgeben, welche das Kind, sobald es
von jenen aufgefunden wäre, auf die sicherste Weise um
das Leben brächten. Auch Olshadsbn findet diese Bemer-
kungen nicht gaps grundlos, und weifs sich gegen diesel-
ben in letater Instanz nur darauf au berufen , dafs in der
Geschichte aller Zeiten unbegreifliche Vergefslichkeitenjror-
kommen, welche, eben nur aeigen, dafs eine höhere Hand
die Geschichte lenke. Auf diese höhere Hand mufs sieh
allerdings der Supranaturalist hier in der Art bertifei»,
dafs er annimmt, Gott selber habe den sonst so klugen
Herodes über die sicherste Maßregel au seinem Zwecke
verblendet, um das messianische Kind vom frühzeitigen
Untergange au retten. Aber die andre Seite dieser gött-
lichen Veranstaltung ist, dafs nun statt des Einen viele
andere Kinder sterben mufsten. Hiegegen wäre für den
Fall nichts einzuwenden , wenn es erweislich auf andere
8) Eine solche Verletzung des Gastrechts, meint Hoffmark,
werde Herodes wohl vermieden haben : Herodes, den er doch
selbst als ein Ungeheuer von Grausamkeit mit Recht darstellt ;
denn nicht seinem Herzen , wogegen Nbatsder (S. 30 ?•) «rß"-
mentirt, sondern seinem Verstände finden wir das Verfahren
des Herodes hier unangemessen.
286 > Erster Abschnitt«
Art nicht möglich gewesen wfirej Jesnm einem, mit dem*
Krlösungszwe<*ke unvereinbaren, Schicksal zu entziehen*
Aber wenn Gott einmal so flbernatfirlich eingriff, dafs er
das Gemüth des Herddes verblendete, und den Magiern
später eingab, nicht mehr nach Jerusalem zurück zu keh~
ren: warum gab er diesen nicht gleich Anfangs ein, Bit
Umgehung Jerusalems geradezu nach Bethlehem zu rei-
sen, wo dann die Aufmerksamkeit des Herodes nicht so
nn mittelbar erregt, nnd so Welleicht das ganze Unheil ver*
mieden worden wäre *)? Biegegen Weiht auf diesem Stand-
punkte nichts übrig, als im ganz alten Style so sagen,
den Kindern sei es gut gewesen, so frohe umzokommenji
weil sie so durch ein kurzes Leiden vielem Elende und
namentlich der Gefahr entzogen wurden, sioh mit den nn-
gläubigen Juden an Jesu zu versündigen } weil sie nun di«J
Khre hatten, um Christi willen ihr Leben zu lassen nnd
Märtyrer zu werden u. s. w. Iö).
Die Magier ziehen jetzt von Jerusalem ab; bei Nacht,
in welcher die Orientalen gerne reisen; der Stern, den
sie seit der Abreise aus ihrer Heimath nicht mehr gese«
hen zn haben scheinen, zeigt sich wieder, und zieht ihnen
auf der Strafse nach Bethlehem voran, bis er endlich über
dem Wohnhause des Kindes nnd seiner Eltern stehen
bleibt* Von Jerusalem nach Bethlehem geht der Weg
südlich i nun ist aber die wahre Bahn den* bewegliehen
Sterne entweder von West nach Ost, wie die der Pia«
neten und eines Theils der Kometen, oder von Ost
nach West , wie bei einem anderri Theile der Ko«
meten ; nnd wenn auch von manchen Kometen die wahr«
Bahn nahezu von Norden nach Süden geht, so kommt
doch bei allen diesen Sternen ihre eigene wahre
Bewegung gar nicht in Betracht über der durch die täg-
liche Drehung der Erde hervorgebrachten scheinbaren,
9) Schmidt, -a. a. 0. S. 155 f>
10) Stark, Synops. bibl. cXcg. In N. T. p. 62.
/
Viertes Kapitel. §. 34. 287
*elehe von Osten nach Westen geht Doch auch diese
Ortsverlndernng der Sterne ftlJt bei einer kurzen
Wanderung nicht so in die Augen, als die optische,
welche dnrch die Ürtsverfinderung des Beobachters ent-
steht, vermöge weicher ein vor nns stehender Stern,
wenn wir nns vorwärts bewegen , in's Endlose vor-
anzugehen scheint, also auch nicht über einem bestimmten
Hause stille halten, nnd dadurch einen Wanderer veran-
lassen kann,, gleichfalls Unit eu machen : da vielmehr um-
gekehrt, erst wenn der Wanderer Halt macht, anch der
Stern «am Stehen kommt* Hienach kannte es kein ge-
wöhnlicher, natfirlicher, sondern mflfste nach der Annahme
einiger Kirchenväter ") ein von Gott besonders su diesem
ßehofe geschaffener Stern gewesen sein, welcher von dem
Schöpfer nach eigener Regel bewegt und sinn Stillstand
gebracht wurde« AHein ein wirklicher Stern in der ei-
gentlichen Höhe und Sphäre der Sterne kannte er auch
so nicht gewesen sein, da ein solcher, er mag bewegt nnd
festgehalten werden wie er will, doch nach optischen Ge-
aeteen niemals scheinen kann, Über einem einseinen Hanse
unverrückbar stille zu stehen. Es mfifste daher etwas nie-»
driger über der Erde sich Hinbewegendes gewesen sein:
und cht haben etliche Kirchenväter und Apokryphen12) ei-
nen Engel angenommen, der nun freilich den Magiern aof
ihrem Wege in Gestalt eines Sternes vorausfliegen, und zu
Bethlehem in mäfstger Höhe ober üem Hause der Maria
Halt machen konnte; Neuere haben ein Meteor vermu*
thet13); Beides gegen den Text des Matthäus i Ersteres,
weil es nicht die Art unserer Evangelien ist, etwas rein
Uebernatfirliehes, wie eine Engelerscheinutig, durch einen
11) z. B. Euseb. Demonstr.evang.9, angei bei Suicsa, 1,S. 559.
12) Chrysostomus u. A. bei Suicbr a. au 0», und das cvang. in.
fant. arab. c. 7.
13) S. bei Kuik'öl, Comm. in Matth. S. 23.
388 Erster Abschnitt,
natfirltchklingenden Ausdruck, wie agr)q, au bezeichnen;
Letzteres, weil ein blofces Meteor für eine so lange Zeil,
wie von dem Aufbräche der Magier aus ihrer fernen Hei-
math bis zu ihrer Ankunft in Bethlehem verging, nicht
zureicht , wenn man nicht annehmen will , Gott habe för
die Reise der Magier von Jerusalem nach Bethlehem ein
ganz neues und anderes Meteor geschaffen, ab er ihnen
in ihrer Heimath gezeigt hatte.
Von diesen Schwierigkeiten in Beziehung anf den
Stern haben sich selbst manche orthodoxe Erklärer der-
mafsen gedrückt gefundep, dafs sie seinem Voranlaofen
nach Bethlehem und seinem Stillstehen aber einem Hanse
um jeden Preis zu entgehen versnobten« So hat nament-
lich die SüSKiND'sche Erklärung vielen Beifall gefunden*
nach welcher das TtQorjyev V. 9« nicht als Imperfectm eis
sichtbares Vorangehen, sondern, gleich dem Plusquamper-
fectum, ein unsichtbares Vorangegangeneein bedeutet, so
dafs der Evangelist sagen wolle: der Stern, den die Ma-
gier im Morgenlande erblickt, and seitdem nicht mehr ge-
sehen hatten, kam plötzlich in Bethlehem über dem Hause
des Kindes wieder zum Vorsehein ; er war ihnen also da-
hin vorangegangen '*)• Allein das heifst rationalistische
Kunstgriffe- auf das Gebiet der orthodoxen Exegese ver-
pflanzen; denn dafs hier nicht blofs das irzQor/yev, sondern
auch das ecos il&tov x. z. L das Vorangehen des Sterns
als eine nicht schon vorher abgeschlossene , sondern erst
noch vor den Augen der Magier sich verlaufende Bege-
benheit bezeichnet, das kann nur eine exegetische Willkür
verkennen , welche dann folgerecht auch noch weiter ge-
hen, und die ganze Erzählung auf das Gebiet des Natür-
lichen herüberziehen mufs. Ebenso, wenn Olshausen zwar
einräumt, dafs ein Stern durch seinen Stand unmöglich
ein einzelnes Haus bezeichnen könne, dafs daher die Ma-
14) Vermischte Aufsitze, S. 8.
Viertes Kapitel. §. 34. 289
gier das Hau* des Kindes wohl haben erfragen müssen,
und nur in kindlich naiver Weise auch den Ausgang wie
den Anfang ihrer Reise auf den himmlischen Führer be-
sagen haben 15) : so ist er damit auf den rationalistischen
Standpunkt hiuübergetreten , und liest natürliche Erklä-
rungsgründe «wischen den Zeilen des biblischen Textes,
was er selbst an andern Stellen einem Paulus u. A. mit
Recht übel nimmt.
Die Magier treten nun in das Haus, beeeigen dem
Kinde ihre Verehrung, und überreichen ihm Erzeugnisse
ihrer Heimath als Geschenke (V. 11.). Man könnte sich
hiebei wundern, dafe der Ueberrasohung nicht gedacht ist,
welche es für diese Männer sein mufste, statt des erwar-
teten Prinsen ein Kind in gane gewöhnlichen, vielleicht
dürftigen, Umständen su finden 16) : nur so weit darf man
den Contrast nicht treiben, dafs. man, wie gewöhnlich ge-
schieht, die Magier das Kind im Stall und in der Krippe
finden läfst; denn von diesen, dem Lukas eigenthümlichen,
Angaben weifs Matthäus nichts, sondern spricht schlecht-
weg von einer oixia, in welcher das Kind sich befunden
habe. — Sofort erfolgt die Warnung der Magier im
Traume (V* 12.), von welcher man, wie gesagt, nur wün-
schen möchte, dafs sie früher gekommen wäre, um durch
Ablenkung der Magier von Jerusalem vielleicht das ganfee
folgende Blutbad su ersparen.
Während nun Herodes noch auf die Rückkehr der
Astrologen wartet, wird Joseph im Traume durch eine
Engelerscheinung angewiesen, das messianische Kind sammt
dessen Mutter nach dem benachbarten Aegypten in Sicher-
heit su bringen (V. 13 — 15. ). Diefs hat auf dem ange-
nommenen Standpunkte keine Schwierigkeit; wohl aber
die Weissagung , welche dadurch in Erfüllung gegangen
15) Bibl. Comm. z. d. St Ebenso Homuinf, S. 261*
16) Schmidt, exeg. Beitrage, 1, 152 ff.
Das Leben Jesu Ite Aufl* h Band. 19
292
Erster Abschnitt«
Erinnerung *n die geringe Zahl von Knaben des bezeich-
neten Alters, weiche in dein kleinen Bethlehem sich vor-
finden mochten , das Auffallende jenes Stillschweigens s«
vermindern suchen , und ferner bemerken , dafs unter den
vielen Grüuelthaten des Herodes diese That wie ein Tropfen
im Meere verschwunden sei22): so ist hiebet das spezifisch
Abscheuliche des Hinwürgens wenn auch nur weniger un-
schuldigen Kinder übersehen, um dessen willen diese That,
wenn sie wirklich vorgefallen war, schwerlich so gan»
würde vergessen worden sein23), — Auchhiewi wird wie-
der eine Proptetenstelle (Jerem. 31, 15. ), als eine durch
diesen Kindernord erfüllte Weissagung, angeführt (V. 17.
18.)) welche sich ursprünglich auf etwas gnne Anderes ,
nämlich die Wsgführung der Juda'er nach Babylon, be-
sog , uni in wdcher an etwas in ferner Zukunft Liegen*
des auf feine Weise gedacht war.
Wählend sieh nun das Jesuskind mit seinen Eltern in
Aegypten tufhält, stirbt Herodes L, und Joseph wird
durch einei Engel, der ihm im Traum erscheint, zur
Rückkehr i% die Beimath eingeladen; welche Rückkehr
jedoch , wei auch Archelaus , des Herodes Nachfolger in
Judüa, «u fürchten war, durch ein »weites Traumorakel
näher dahin hstimmt wird, dafs Joseph nach Nasaret in
Galiläa, in das Gebiet des milderen Herodes Antipas, sie-
ben solle (V. lt — 23) Wir hätten somit in diesem Ab-
schnitte fünf auTserord*ntliche göttliche Veranstaltungen :
nämlich einen wgewöhtlichen Stern und vier Traumge»
sichte. Schon der Stern und das erste Traumgesicht hüt-
pueros, quos in Syria Hernes rew Judaeorttm inira bimatum
jussit interfici, plium guoq*. ejus occisum, att: melius est,
Herodis parcum ($y) esse quat filium (wör).
22) S. Wetstsik, KütaÖL, Olsuai,™ z. d. St. j Wiwsr, d. A. He-
rodes.
25) Kritzs giib, Comm, in Mallh, * 95 f.
•S.
*\.
Viertes Kapitel. $. 34. 293
ten, wie oben bemerkt, nicht nur ohne Sehaden, sondern
selbst mit Nutzen in Eins susammeBgethan werden kön-
nen: so dafs entweder der Stern oder die Traumerschei-
nung gleich Anfangs die Magier von Jerusalem ab nach
Bethlehem gewiesen hfitte; wodurch das von Herodes ver-
hängte Blutbad vielleicht wäre su verboten gewesen. Ein
ganz entschiedener Ueberflufc ist es nun aber, dafs die.
beiden lotsten Weisungen im Traume nicht vereinigt sind ;
denn was dem Joseph bei der letzten gesagt wurde, dafs
er wegen des Archelaus nicht nach Bethlehem, sondern
nach Nasaret siehen solle, das konnte doch wohl einfa-
cher schon bei der vorangegangenen hinsugesetst werdon.
Eine solche, bis sur Verschwendung gehende Nichtach-
tung der lex parsimoniae in Beeng auf das Wunderbare
mufs man versucht sein, eher der menschlichen Meinung,
als der göttlichen Vorsehung zuzuschreiben.
Den falschen Auslegungen A. T. lieber Stellen in die«
sess Abschnitte setst sofort die Bemerkung im lotsten Verse
die Krone auf, durch die Ansiedelung der Eltern Jesu in
Hasaret sei die Weissagung der Propheten erfüllt worden:
o$i Na'^(oQa7(^ xhjhpstiai. Denn will man sich nicht muth-
los in das Dunkel flüchten durch die Annahme, dafs die-
ses Orakel, welches sich mit denselben Worten im A. T.
nicht findet, aus einem verloren gegangenen kanonischen2*)
oder apokryphischen S5) Buche sei: so mufs man den Evan-
gelisten entweder einer höchst willkürlichen Bezeichnung
seihen, wenn er nach den Einen die A. T.Iichen Vorher-
sagungen, dafs der Messiaa verachtet sein werde, so aus-
gedrückt haben soll, er werde ein Nasaretaner, d. h. Bür-
ger eines verachteten Städtchens, heifsen *); oder man
mufs ihn der gröbsten Entstellung des Sinnes uud der ge-
£4) So Chrysostomus u. A.
25) S. Gm atz, Comm. zum Ev. Malth, 1, S. 115.
2ö) KuiftöL, ad Matth. p. 44 f.
294 Erster Abschnitt
waltsamsten Umformung der Worte beschuldigen, wenn er
das Wort Ttt gemeint haben soll, durch welches, wenn
es anders im A. T. vom Messias vorkäme, dieser nnr ent-
weder als Nasiräer 27)f was übrigens Jesus nie war, oder
als Gekrönter a8), wie Joseph 1. Mos. 49, 26., keineswegs
aber als ein in dem Städtchen Nazaret Aufwachsender,
bezeichnet wäre. Endlich auch bei der wahrscheinlichsten
Deutung dieser {Stelle, welche die Auctorität der von Hie-
ronymus befragten Judenchristen für sich hat — dafs nlm«
lieh der Evangelist hier auf Jes. 11, 1. anspiele, wo der
Messias *ltfs 1X3 (surculus Jesse) wie sonst TOS heifst 29)i
— bleibt immer die gleiche Gewaltsamkeit, welche dem
Tom Messias gebrauchten appellativurn eine ihm ganz fremde
Beziehung auf das nomen proprium der Stadt Nazaret gibt.
Versuche natürlicher Erklärungen für die Geschichte von den
s Magiern. Uebergang zur mythischen Auffassung.
Die vielen Anstöfse zu vermeiden, welche der supra-
paturnlistischen firklärungs weise dieses Abschnittes bei je-
dem Schritte hemmend in den Weg treten , verlohnte es
sieh wohl, eine andere Auslegung zu versuchen, welche,
ohne Einmischung von etwas (lebernatQrlichem, Alles nach
physischen und psychologischen Gesetzen zu erklären ver-
möchte; wie sie am besten Paulus gegeben hat«
Gleich der erste Anstofs: wie heidnische Magier aus
dem fernen Orient etwas von einem zu gebärenden jüdi-
schen König haben wissen können? wird dadurch wegge-
räumt, dafs man jene Männer zu auswärtigen Jaden
maoht. Allein, wie es scheint, ganz gegen den jSinn des
»T
97) S. Wststbik s. d. S*.
28) ScHKgcKEHijüfiGKR, Beiträge zur Einleit. in das N. T. S. 42.
£9) Gib8blm, in den Studien u. Kritiken, 1831, 3, Heft, S. 588 f.
und Fmtzsphs, S. 104. Vgl, Hieron. afi Jcsai. ji, j.
Vierte« Kapitel. $. 35. 295
J£rangellsten. Denn indem dieser den Magiern die Frage
in den Mund legt : nä tgiv 6 t€x&H£ ßaodeua %iiv "hidaUitv;
CV. %) so läfst er sie von den Juden sich unterscheiden;
sind was die Tendenz der ganzen Erzählung betrifft, so
«cheint die kirohliche Ansiebt nicht so Unrecht zu haben,
wie Paulus meint, wenn sie den Besuch der Magier als
«las erste Bekanntwerden Christi unter den Heiden betrach-
tet. Jiidessen , wie sehon bemerkt , ist dieser Anstofs auch
ohne jene , Annahme zu beseitigen, -r- Ferner ist nun der
natfirlicben Erklärung zufolge der eigentliche Reisesweck
jener Minner nicht, den neugeborenen König zu sehen,
und die Veranlassung ihres Zuges nicht der ven ihnen be-
obachtete Stern; sondern sie reisen vielleicht in kaufmän-
nischer Absieht naeh Jerusalem, und nur weil sie da und
dort im Lande von einem neugeborenen König sprechen
boren, fällt ihnen eine, kürzlich bemerkte, himmlische
Krscheinung ein, nnd sie wünschen, gelegentlich das be-
sprochene Kind selbst zu sehen. Dadurch wird freilich
das Anstöfsige der Bedeutsamkeit, welche bei der gewöhn*
liehen Deutung der Erzählung die Astrologie bekommt,
gemindert; doch nur auf Kosten der ungezwungenen Aus-
legung. Denn, wenn es auch anginge, aus pdyoig ohne
Weiteres Kaufleute zu machen 9 so kann doch bei dieser
Reise ihr Zweck kein mercantilischer gewesen sein, da
bei ihrer Ankunft in Jerusalem ihre erste Frage naeh dem
neugeborenen Judenkönig ist, und sie sofort als- Grund
dieser Frage den im Morgenlande gesehenen Stern, aU
veranlagt durch diesen ihre jetzige Reise, und als Zweck
derselben die dem Neugeborenen darzubringende Huldigung
angeben (V. % : nö igiv — tiSofiev yaQ — xal ijl&onw uqos
xuvrfiai — .
Der dgjjQ wird ?on dieser Erklärungsweise entweder
zum natürlichen Meteor gemacht; oder zum Kometen ');
1) Beides i. bei KuijtiM. z. d. Steile.
296 Erster Abschnitt.
oder su einer Constellation, d. h. einer Conjanction mek
rerer Planeten, welcher, von Kepler aufgestellten, Ansicht
neuerlich mehrere Astronomen und Theologen beigetreten
sind 2). Die Hauptfrage ist hiebei, ob das im Text angege-
bene Voranlaufen des agtJQ , nebst seinem Stillestehen Ober
einem Hause*, bei dieser Ansicht von demselben leichter er-
klärlich werde? [Von den beiden ersteren Auffassungswei«
sen ist schon oben in dieser Besiehung die Rede gewesen.
Bei der Fassung des ecgjJQ als Constellation wird das tcqc-
ayeiv (V. 9 ) entweder von dem Auseinandertreten der bis
dahin beisammen gestandenen Planeten gedeutet *): allein
im Texte ist von keinem Auseinandergehen der Theile der
Erschein nng , sondern von einem Vorwärtsgehen der gan-
zen Erscheinung die Rede; oder man nimmt das Süskind-
sche Plusqnawperfectum eu Hülfe* und stellt sich vor, die
Constellation, welche die Magier in dem Thale «wischen
Jerusalem und Bethlehem nicht haben sehen können, habe
sich ihnen bei der Annäherung ku Bethleh em mit Einem-
.male wieder gezeigt, und zwar Ober dem Wohnorte des
Kindes stehend4). Denn das Inavto 5 rp to nctidiw (V *§>)
soll nur Oberhaupt den Wohnort, nicht das Wohnhaus
des Rindes und seiner Eltern bedeuten» Wir geben
diefs eu ; aber indem der Evangelist gleich folgen lÄfot:
xal elgtX&ovteg eig xrpt oixtav, so wird eben hiednrch der
Wohnort näher als das Wohnhaus bestimmt ; so dafs dieie
Erklärung nnr aus dem vergebliehen Bestreben entstanden
sich fceigt, das Wunderbare in der evangelischen Krsäh-
lung su mindern. — Das Merkwürdigste bei der Deutung
des agrJQ auf eine Constellation ist nun aber, dafs man
2) Kepler, in mehreren Abhandlungen; MBkzir, der Stern der
Weisen ; Ipki.br , Handbuch der mathemat. und techn. Chro-
nologie, 2. Bd. S. 399 ff.
3) S. bei Olshauskn, S. 67.
4) Paulus a. a. O, S. 202. 221.
Viertes Kapitel. §. 35. 297
durch dieselbe einen festen Punkt in der beglaubigten Ge-
schichte gefanden zu haben meint, an welchen man die
Erzählung des Matthins anknOpfen könne. Nach Keplke's,
von Ideler berichtigter Berechnung nämlich fand drei
Jahre ?or Berodes Tode, a. 17. 747, eine Confunction des
Jupiter und Saturn im Zeichen der Fische statt, und diese,
wie sie in jenem von den Astrologen auf Palfistina bezo-
genen Zeichen auf dieselbe Weise beiläufig alle 800 Jahre
wiederkehrt, hatte nach des Juden Abarbanel (um 1403)
Berechnung auch drei Jahre vor der Geburt des Moses
stattgefunden : so daft sich gar wohl an diese Constelia»
tion bu Herodes Zeit Erwartungen des «weiten grofsen
Retters der Nation anknüpfen, und babylonische Juden
mvr Nachfrage veranlassen konnten. Dafs nun aber der
von Matthlus erwlhnte Stern eben jene Planetencon-
junctiou gewesen sei, wird durch die gleiche Unsicher-
heit sowohl des Geburtsjahrs Jesu, als des Alters jener
astrologischen Berechnung nächst precär; und da fiber-
dieCs Zöge der evangelischen Erzählung, wie das nQofjev
und igt], nicht dazu passen: so sind wir, sobald sich ir-
gend ein anderes Datum zeigt, welches unsrer Erzählung
bei Matthlus ähnlicher sieht, als diese Constellation , eben
damit berechtigt, jenes und nicht diese als die Grundlage
derselben vorauszusetzen.
Die Anstöfse wegen der falsch gedeuteten A. T. liehen
Stellen werden auf diesem Standpunkte dadurch entfernt,
dafe eine falsche Auslegung von Seiten der N. T.lichen
Schriftsteller geradezu in Abrede gezogen wird. Die Weis-
sagung des Micha soll eben nur das Synedrium auf den
Messias und sein Geborenwerden in Bethlehem gedeutet,
Matthäus aber diese Deutung mit keinem Worte gebilligt
haben. Allein, da Matthäus weiter erzählt, wie der Er-
folg der Auslegung des Synedriums entsprochen habe: so
ist darin eine thatsächJiche Billigung dieser Auslegung ent-
halten, in Betreff der Stelle aus Hosea stimmen Paulus
}
298 Erster Abschnitt.
und Stkudkl. *) in einer seltsamen Auskunft, cusaaunen.
Nur abwehren wolle Matthfius durch Anführung derselben
den Anstoß, welchen palästinische Jaden daran nehmen
konnten, dafs der Messias das beilige Land einst verlasset!
habe; indem er darauf aufmerksam mache, dafs auch jener
Erstgeborene Gottes in anderem Sinne (das jüdische Volk)
aus Aegypten geholt worden sei, wefs wegen sich Niemand
daran stofsen dörfe, dafs auch bei diesem Sohne Gottes
(dem Messias) eine solche Reise in das anheilige Ausland
stattgefunden* Allein von einem solchen blofs negativen,
abwehrenden Zwecke der angeführten A. T.lichen Weis-
sagung ist in der ganzen Stelle keine Spar 6); vieiraehr
haben diese Anführungen durchaus die positive. Absicht,
die Messianität Jesu dadurch zu begründen, dafs fneseis-
nische Weissagungen als an ihm in Erfüllung gegangen
nachgewiesen werden. — Dafs ebenso vergeblich in Besug
auf die beiden andern in unserem Abschnitte citirteri Weis-
sagungen das nfaßü&^vui cur blofsen Analogie und An-
wendbarkeit en verflüchtigen gesucht werde, bedarf keiner
weitern Ausführung,
Die mehrfachen Weisungen endlieh , welche die Per-
sonen unserer Ensäiüung durch Traumerscheinungen be-
kommen, werden auf dem gegenwärtigen Standpunkte
sfimmtlich psychologisch aus vorangegangenen Erkundi-
gungen und Gedanken der Wachenden erklärt. IMefi
scheint zwar bfei der letzten Erscheinung dieser Art,
V, 22., durch den Text selbst an die Hand gegeben, in-
dem es hier heifst, Joseph habe gebort, dafs Arcbelant
Herr von Judfia geworden sei, and habe sich daher ge-
fürchtet, dortbin zn gehen ; hierauf erst sei ihm eine bö-
5) Bkuskl's Archiv, 7, 2, S. 424.
6) Später knüpften sich zwar an diese ägyptische Reise Jesu
jüdische Lästerungen , aber ganz anderer Art , von welchen
im folgenden Kapitel die Rede werden wird. N
Viertes KapiteL §. 35. 299
bere Weisung im Traume zugekommen. Dennoch ist auch
hier, wenn man genauer zusieht, das im Traame Mitge-
theilte etwas Neues osd nicht ans dem Wachen herti her-
genommen; h Amiich nur das Negative, dafs wegen des
Archelans eine Niederlassang in Bethlehem nicht woM
rathsam sei , war dem Joseph im Wachen gegeben : das
Positive, dafs er nach Naaaret ziehen solle , wird erst im
Traum hinzugefügt. Bei den übrigen TrAttmerschein fin-
gen unseres Abschnittes aber ist es geradezu Interpolation
de* Textes, wenn man sie auf die bezeichnete Weise er-
klären will. Denn sowohl dafs Herorfes dem Kinde nacj)
dem Leben trachte, als, dafs -er nun gestorben sei, läfst
der Text dem Joseph erst durch den Traum bekannt wer-
den ; so wie auch die Magier kein Mifstrauen gegen He-
mdes haben, bis der Traum sie vor ihm warnt.
Wenn bienaoh die Auffassung der Matth. 2. erzählten
Vorgänge als natürlicher dem Sinne des Berichts ent-
schieden zuwider ist; in ihrem ursprünglichen Sinne ge-
nommen aber die evangelische Erzählung bis zum Aben-
teuerlichen Uebernatfirliohes, und Unwahrscheinliches bis
com Unmöglichen enthält : so mufs man zum Zweifel an
dem historischen Charakter der Erzählung, und zu der
Vermuthang gefohlt werden, dafs wir hier etwas Mythi-
sches vor uns haben. Von dieser Auffassungsweise sind
aber auch hier die ersten Versuche so ungeschickt ausge-
fallen, dafs sie über die Sphäre der natürlichen Erklä,
rang, welche sie überfliegen wollten, in der That nicht
hinausgekommen sind. Arabische Kaufleute — meint z. B.
Krug — welche zufällig nach Bethlehem kamen, lernten
Jesu Eltern als bedürftige Fremde kennen (nach Matthäus
sind Jesu Eltern in Bethlehem nicht fremd), beschenkten
sie, wünschten ihnen viel Gutes für ihr Kind, und reisten
weiter. Wie Jesus später als Messias sich geltend machte,
erinnerte man sich jener Begebenheit, und schmückte sie
mit Stern, Traumersclieinung und glaubiger Huldigung
300 Erster Abschnitt
aus. Auch die Erzählungen von der Flucht nach Aegyp-
ten und dem Bethlehemitischen Kindermorde schlofsen sich
an, weil man eine Wirkung jenes Vorfalls auf den Hero-
des voraussetzte, der vielleicht um jene Zeit aus anders
Ursachen in Bethlehem einige Familien umbringen lieft,
wie auch Jesus vielleicht später ra andern Zwecken i*
Aegypten war 7).
Bei dieser, wie bei der reinnatflrliehen Erklärungsart,
bleiben also die Thatsaohen der Ankunft einiger Morgen-
länder, der Flucht nach Aegypten und der Biutscene io
Bethlehem stehen ; entkleidet jedoch von dem wunderhafte*
Schmucke, welcher sie in der evangelischen Erefihlnng
umgibt. So sollen nun diese Ereignisse begreiflich sei«,
und gar wohl sich haben eutragen können. In der T hat
aber werden sie dadurch unbegreiflicher, als selbst bei der
orthodoxen Erklfirungsart. Denn mit dem übernatürli-
chen Schmucke ist jenen Thatsachen sogleich alles Mo-
tivirende genommen, und sie schweben völlig in der Lafc
Wie die Orientalen in ein Verhältnifs zu Jean Eltern und
dem Kinde kommen , ist in der Erzählung des Matthias
vollständig motivirt: bei der zuletzt ausgeführten Erklfi-
rungsweise aber bleibt es ein wunderlicher Zufall. D»*
Blutbad zu Bethlehem hat in der evangelischen Geschichte
«eine bestimmte Veranlassung: hier aber begreift «an
nicht, wie Herodes dazu gekommen sein soll, es zu ver-
anstalten, und ebenso steht die Reise Jesu nach Aegypten,
so dringend begründet bei Matthäus, bei dieser Ansicht
ganz unerklärlich da. Man kann zwar sagen: diese ßa*
.gehenkelten werden in der Wirklichkeit ihre hinreichen*
7) Ueber formelle oder genetische Erklärungsart der Wunder.
In Hinke's Museum, 1, 3, 399 ff. Aehnliche Ausführungen *•
in der Abh. über die beiden ersten Hipitel des Matthäus u.
Lukas, in Henkk's Magazin, 5, 1 , 171 ff. , und bei Mattuü1;
llcligionsgl. der Apostel, 2, S.* 422ff.
Vierte* Kapitel« |. 39. SOI
«P den Veranlassungen gehabt hftben; nnr dafs Matthäus die-
ne teo natürlichen Zusammenhang verschwiegen , nnd einen
fle endern , wenderhaften , an die Stelle gesetet bat* Allein
m> der Schriftsteller oder die Sage, wenn sie Begebenheiten
In mit ganz falschen Motiven nnd Nebenumständen zu um«
a. geben im Stande sind: so vermögen sie euch die Begeben*
heiten selbst zu erdichten; und diefs wird um so wahr»
m seheinlicher, je klarer sich nachweisen läfst, wie die Sage,
m auch ohne da£t irgend etwas dergleichen wirklich vorge-
k: fallen war, ein Interesse haben konnte, es als so vorgefal-
ä Jeo daranstellen,
k Das Letatere gilt auch gegen den Versnob, welchen
m neoestens selbst die supranaturalistische Ansicht gemacht
T; bat, sich mit unserer Erzählung auf einen ähnlichen Fufs
[i zu stellen. Bei einem Berichte wie dieser, meint Neander,
t müsse man den Kern der Thatsache aon den einzelnen
\ Umständen wohl unterscheiden, und nicht für Alles den«
i selben Grad von Gewifsheit verlangen. Dafs die Magier
r vermittelst ihrer astrologischen Forschungen zur Ahnung
• des in Judfia geborenen Erlösers gelangten , und debhalb
i nach Jerusalem reisten, um demselben zn huldigen, das
\ ist nach ihm das einzig Wesentliche und Sichere an der
Sache; wie sie nun aber, in Jerusalem angelangt, erfuhren,
data das Kind in Bethlehem geboren worden, ob durch flero-
dee selbst, oder auf anderem Wege : darüber will Neander
die Wahrheit der Machrichten des Matthäus nicht mit
gleicher Sicherheit verbürgen; auch mache es für die
Hauptsache nichts aus. In dem kleinen Bethlehem konn-
ten sie dann durch manche Fügungen der Vorsehung im
gewöhnlichen Gange der Dinge, z. B. dnreh Zusammen«
treffen mit jenen Hirten, oder andern Frommen, die an dem
grofsen Ereignifs Theii genommen hatten, der Geburts-
stätte des Kindes zugeführt werden; im Hause angekom-
men aber die Sache so darstellen, wie sie ihnen von ihrem
subjeetiven Gesichtspunkte aus beim Aufblick an den ge-
302 Erster Abschnitt
stirnten« Himmel erschien. IMe Flucht nach Aegypten und
den herodisehen Kindermord läfst Nrander als historisch
stehen 8). Diese Ansieht von der Erzählung hat von den
Anstöfsen in derselben eigentlich nur das schwerste Stttck,
das Vorangehen and Stehenbleiben des Sternes, über Bord
geworfen: die übrigen Schwierigkeiten bleiben. Dennoch
hat sie aneh so schon das unbedingte Vertrauen auf die
Treue des Evangelisten aufgegeben, und Unhistorisches in sei-
nem Berichte anerkannt. Fragt sich nun, wie weit diese«
Unhistorische gehe, und von welcher Art es sei: ob um
einen geschichtlichen, oder einen blofs in Gedanken beste-
henden'Kern angeschossen? so seigt sich leicht, dafs das
wenige und unbestimmte Geschichtliche, welches eine min«
der nachsichtsvolle Kritik als die NEANDER'scbe Qbrig lassen
kann, sich weit weniger eignete, unsere Erzählung hervor-
zubringen, als der sehr bestimmte Kreis von Vorstellun-
gen und Vorbildern, weicher sofort entwickelt werden soll.
§. 36.
Die Erzählung von den Magiern und was damit zusammenhängt,
rein mythisch.
In naiver Weise haben mehrere Kirchenväter auf den
wahren Schlüssel der Erzählung von den Magiern und
ihrem Sterne hingewiesen, indem sie, um zu erklären,
woher jene heidnischen Astrologen von einem Stern des
Messias haben wissen können, die Vermuthung aufstell-
ten, sie mögen wohl ans den Weissagungen des heidni-
schen Propheten Bileam, dessen Orakel von dem aus Ja-
kob aufgehenden Sterne auch bei Moses sich finde, ge-
schöpft haben 1). Mit richtiger Einsicht hat daher K.
8) L. J. Ch., S. 29 ff.
i) Orig. c. Cels. 1, 60. Ebenso Auetor op. imperf. in Mattb.
hei Fabmc. Cod. Pscudepigr. V. T. p. 807 ff.
Viertes Kapitel. §. 36. SOS
m
Ch* L. Schmidt an der PAüum'sehen Auslegung diese«
Abschnittes besonders diefs getadelt, dafs sie keine Rfick-
siebt auf den Stern nehme , welcher sich , nach jfldischer
Erwartung, bei der Erscheinung des Messias neigen sollte.
Und doch, setct er hinan, ist in keinem Andern Heil,
ist auch kein andrer Name da, wodoreh dieser Erzählung
könnte geholfen werden *)• NXmiich die Weisagong Bi-
laams 4. Mos* 24, 17. von einem Stern ans Jakob war
allerdings die Veranlassung — freilich nicht, wie die
Kirchenväter glaubten, dafs wirklich damals Magier einen
erschienenen Stern für den des Messias, erkannten, und
defshalb nach Jerusalem reisten: wohl aber, dafs die
Sage bei Jesu Gebort einen Stern erscheinen und von
Astrologen als den des Messias erkannt werden liefs»
Die dem fiileam in den Mund gelegte Weissagung beaog
sich ursprünglich auf irgend einen glücklichen und sieg-
reichen israelitischen Regenten; sie scheint aber früheet*
tig eine messianische Deutung erhalten au haben« Sollte
auch die Ueberseteung des Targam Onkelos: surget rex
ex Jacobo, et Messias (unctus) vngetur ex Israele, nichts
beweisen, da hier das unctus als Parallele des rex viel*
leicht auch einen gewöhnlichen König bedeuten könnte:
ss haben doch naeh Aben Esra's Zeugnifs *) und den von
Wktstein und Schöttgsn angeführten Stellen manche Rah«
binen die Weissagung auf den Messias beaogen. Auch
der Marne Bar Cochba, welchen der bekannte Pseodomes-
siaa unter Hadrian führte, war mit Rücksicht auf die
measianisch gedeutete Weissagung des Bileam gewählt.
Ihrem ursprüglichen Sinne nach spricht swar die be-
zeichnete Stelle von keinem wirklichen Sterne, sondern
vergleicht nur den an erwartenden Forsten Israels mit ei-
2) Schmidts Bibliothek, 3V1, S. 130.
3) In loc^ Num. (bei ScnorrGi$N, Iiorae, 2, S. 152) : Mullt inter-
pvetuti sunt huec de Mes.sia.
304 Erster Abschnitt. '
nem solchen, and so wird sie auch noch von dem ange-
fahrten Targum ausgelegt; bald aber machte der stei-
gende Glaube an Astrologie, vermöge dessen man jede
merkwürdige Begebenheit durch siderische Veränderungen
angezeigt sich dachte, data man den Sprach des ßileam
nieht mehr bildlich, sondern eigentlich von einem Stern
verstand, der aar Zeit des Messias am Himmel erschei-
nen sollte. Was die Verbreitung des astrologischen Glau-
bens am die Zeit Jesu betrifft, so glaubte man e. B. die
künftige Größe des Mitbridates durch einen , in den Jah-
ren seiner Geburt und seines Regierungsantritts erschie-
nenen Kometen vorbedeutet *), und ein bald nach J. Cä-
eäre Tode beobachteter Komet wurde in genaue Beziehung
zu diesem Ereignifs gesetzt 6). Dafs diese Vorstellungs-
weise auch auf die Juden von Einflufs war, erhellt daraas,
dafs wenigstens spätere jüdische Schriften cur Zeit von
Abrahams Geburt einen ausgezeichneten Stern erscheinen
lassen 6). Von hier aus ergab es sieh leicht, auch die Ge-
burt des Messias durch einen Stern verkündet sich an
denken; snmal ein solcher in dem messianisch gedeute-
ten Bileamsorakel bereit lag. Wirklich machten die Ja-
den diese Combination ; denn rabbinische Vorstellung ist
es wenigstens, dafs zur Zeit der Geburt des Messias ein
Stern im Osten erscheinen und längere Zeit sichtbar sein
werde 7> Wie mit dieser einfacheren jüdischen Vorstel-
4) Justin. Hist. 37, 2*
5) Sueton. Jul. Caes. 88*
6) Jalkut Rubeni, f. 32 , 3 (bei Wststkui) :* qua hora natu* ed
AbrahamuS) pater notier, super quem sit paas, stettt guodda*
Mus in Oriente et deglutivit quatuor astra , quae traut in
quatuor codi plagis. Nach einer arabischen Schrift, Maallem
betitelt, wird dieser die Geburt Abrahams vorbedeutende
Stern von Nimrod im Traum gesehen. Fabmc. Cod. psead-
epigr, V. T. 1, S. 345.
7) Testamentum XII Patriarcharum, test. Levi, 18 (Fabmc. Cod.
Viertes Kapitel. $• 36. 305
hing, daff snr Zeit des Messias Oberhaupt ein Stern er-
seheinen werde, unsere Erzählung im Matthins verwandt
Ist: so mit jenen ff bertreibenden Schilderungen des sa
.Abrahams Zeiten erschienenen Gestirns die apokryphi-
mchen Beschreibungen desv Sternes, der Jesu Geburt ver-
sündigt haben sollte •)• Offenbar also verhalt es sieh mit
dem bei Jesu Geburt nach Matthäus erschienenen Sterne
so, wie schon K. Cb. L. Schmidt 9j, mit welchem neuestens
mach Fritzscbe und de Wette flbereinstimmen, es dargestellt
Jiat. Wie Sterne Oberhaupt immer die Vorläufer grdfser
Gegebenheiten sind : *o, dachten die Juden sur Zeit Jesu,
müsse nach 4. Mos. 24, 17. auch des Messias Geburt durch
einen Stern voraus verkündigt werden. Die neuen Chri-
sten aus den Juden aber konnten ihren Glauben an Je-
aom als den Messias vor sich und Andern nur dadurch
rechtfertigen und begründen , dafs sie alle Attribute, wel-
che die jfidische Zeitvorstellung dem Messias lieh, an
ihrem Jesus . als verwirklicht nachsoweisen sich benauh-
ten; was um so argloser und unwidersprochener gesche-
hen konnte, je weiter man sich von dem Zeitalter Jesu
entfernte, und je mehr namentlich die Geschichte seiner
pseud. V. T. p. 584 f. ) : *<w worein Sgoor avr* (des meisiani-
tcfaen U(#vs xcuvoq) tr s^artpy — (fxorC^ov tpoig yvtaatto; x. r. X. Pe-
•ikta Sotarta f. 48, 1 (bei Sch<Jtt«n 2, 8. 551) : Et prodibit
steüa ab Oriente, guae est Stella Messiae, et in griente t>ersa~
bitur dies XV. Yergl. Sohar Genes, f. 74. bei SchÖttmn 2,
524 f und einige andere Stellen, welche Idelrr nachweist im
Handbuch der Chronologie, 2. Bd. S. 409, Anm. 1; und Ber-
tholdt, Christologia Jüdaeor. $. 14.
8) Vergl. mit den Anm. 7. angeführten Stellen Protevang. Jac.
cap. 21: eldoficv a^qa na/i/ufyförjy Xauyjavra Iv rotg a?Qoig Tttroig
*<u apßtivorra aurs9 th tpa&ttv* Noch . mehr übertrieben in .
Ignat. ep. ad Ephes. 19. S. die Sammlung hiehergeh'öriger
Stellen bei Thilo , cod. apocr. 1, S. 390 f.
9) Exeg. Beiträge 1, S. 159 ff.
Das Leben Jesu Ue Aufl. 1. Band. 20
30(i Erster Abschnitt
\
Kindheit im Dunkel lag. Daher zweifelte man bald ge-
nug nicht mehr, dafs nicht auch die erwartete Erschei-
nung eines Sterns bei Jesu Gebart wirklich angetroffen
sei 10). Dafs aber diese Erscheinung von orientalischen
Magiern gesehen worden, dieser Zug ergab sich, den
Stern einmal vorausgesetzt, von selbst; denn theils konnte
die Bedeutung desselben Niemand besser verstehen als
Astrologen , und für des Vaterland dieser Kenntnisse galt
der Orient: tbeils mufste es angemessen scheinen, den
messianisehen Stern , welchen der alte Magier Bileam im
(ieiste geschaut hatte, nunmehr leiblich gleichfalls von
Magiern gesehen werden au lassen.
Indessen hiingt diefs , so wie ohnehin das , dafs die
Magier eine Reise nach Judfta unternehmen, und dem mes-
sianisehen Kinde köstliche Geschenke bringen, noch mit
andern A. T.lichen Stellen eusammen. In der Schilde-
rung der besseren Zukunft, welche Jesaiaa Kap. 60. gibt,
wird namentlich auch diefs hervorgehoben , dafs in jener
Zeit die entferntesten Völker und Könige gur Verehrung
tlehova's nach Jerusalem kommen, und Gold und Weib-
rauch und allerlei angenehme Gaben darbringen werden ")•
Wenn in dieser Stelle nur von der messianisehen Zeit die
Rede ist, ein messianisches Subject aber fehlt: so wird
Ps. 72. von einem Könige, von dem es helfet, man werde
ihn fürchten so lange Mond und Sonne währen, sa «ei-
ner Zeit werde Gerechtigkeit blöhen, und alle Voller
ihn preisen , also von einem leicht messianisch au fassen-
10) FnrrzscnB, in der Ueberschrift von Xap. 2: Etiam Stella,
quam judatca dtsctpUna sub Messias natafes Visum iri df-
cit 9 quo Jesus nateebatur tempore exorta est.
11) Wie es Matth. 2, ij. von den Magiern heisst: np>ppf*Y*ar
qvt(Z — xe^or rat Zißarovi so Jes. 60, 6 (LXX): $*», v-
e*»T*<? Xiwtor* *<** Uflaror dawh. Das dritte Geschenk, welche«
bei Matth. in o/uv^a besteht, ist bei Jes. ZtSot rtyioc.
Viertes Kapitel. $. 36. 307
den Sobjecte, gerade wie Je*. 60* gesagt, dafs ihm fremde
Könige Gold und andere Geschenke bringen werden (V.
10. 15.)* Daau kommt, dafs in jener Prophetenstelle das
Wallfahrten fremder Völker nach Jerusalem mit einem
fiber dieser Stadt aufgegangenen Liebte in Verbindung
gesetzt ist 12), welches an den Stern des ßileam erinnern
konnte. Was war daher natürlicher, da man auf der
einen Seite Bileams messianischen Stern ans Jakob , - na
dessen Beobachtung sternkundige Magier am geeignetsten
waren, auf der andern ein Über Jerusalem aufgegangenes
Liebt hatte , so welchem ferne Völker , Geschenke brin-
gend, wandeln sollten, — als Beides au eombiniren und
au sagen: des Aber Jerusalem aufgegangenen Sterns we-
gen kamen fernher Astrologen mit Geschenken fttr den
durch den Stern angedeuteten Messias? Hatte man aber
einmal einen Stern und um deinetwillen fernher ziehende
Reisende: so liefe man lieber auch vollends diesen Stern
den unmittelbaren Führer ihrer Reise sein, ihnen auf
ihrem Zuge voranleuchten. Diese Vorstellung war im
Altert h um sehr gewöhnlich: dem Aeneas bezeichnete
nach Virgil eine Stella facem ducens vorbedeutend den
Weg von Troja in das Abendland i3); den Thrasybul
und Timoleon fahrten himmlische Feuer, und auch dem
Abraham sollte ein Stern den Weg 10m Moria gezeigt
haben ")• Zudem schien in der Prophetenstelle selbst
das Himmelslicht mit der Wanderung der Geschenkebrin-
genden als Leiter ihres Zugs in Verbindung gesetzt zu
sein; wenigstens konnte der zunächst bildliche Ausdruck,
Völker und Könige werden in dem, ober Jerusalem auf»
±2) V. l. und 3: ^pfot 1*3 *3 (LXX: 7*<«*frf) n1)» TWp
o^S»3! tt*h ufa «Srn - .ttjj ä nyv -foDi
*TO ruft
*3) Acneid. 2, 693 ff
1*) Nachgewiesen bei Wetitii» t. d. St.
20*
308 Erster Abschnitt«
gegangenen Lichte wandeln , später leicht in rabbiniscbeai
(ieiste eigentlich verstanden werden. Dafs der Stern die
Magier nicht geradezu nach Bethlehem führt, wo Jesus
sich befand , sondern sie erst nach Jerusalem sich wenden,
könnte einestheils in der Prophetenstelle seinen Grund ha-
ben, welche das aufgehende Licht und die Geschenkebrin-
genden auf Jerusalem besieht; der Hauptgrund ist jedoch,
dafs bu Jerusalem Herodes su finden war. Was eignete
sich nämliob mehr zur Veranlassung des herodischen Mord-*
befehls, als die Aufsehen erregende Nachricht der Magier,
den Stern des grofsen Jadenkönigs gesehen eu haben?
Einen Mordbefehl von Herodes gegen Jesum ergehen
au lassen, lag aber im Interesse der urchristlichen Sage.
Durch Mordanschläge und Ausseteungen hat von jeher
die Sage die Kindheit grofser Männer verherrlicht: je
gröTser die Gefahr, welche über ihnen schwebte, desto
höher scheint ihr Werth zu steigen ; je unerwarteter ihre
Rettung erfolgt, desto deutlicher zeigt sich , wie viel de»
Himmel an ihnen gelegen war. Daher finden wir in den
Kindheitsgeschichten des Cyrus bei Herodot, des Roma-
ins bei Livius 1S), selbst noch später in der des Aogustus
bei Sueton 16), diesen Zug, und auch die hebräische Sage
hat ihn bei Moses nicht vergessen. Die Erzählung 2. Mos«
1. 2. ") ist der unsrigen besonders darin genau verwandt,
15) Herod. 1, 108 ff. Lir. 1, 4.
16) Octav. 94 : — ante paucos quam nasceretur menses prodi-
gium Romae factum publice , quo denunttabatur , regem po-
puli Romant naturam parturire ; Senatum exterrttum, cen-
suisse t ve quis Wo anno genitu$ educaretur; eos, qui gra-
vid as uxores haberent, quod ad se quisque spetn traheret,
curasse, ne Senatusconsultum ad aerarium deferretur,
17) Mit der wunderbaren Errettung des Moses hatte schon Bauer
(über das Mythische in der früheren Lebensper. des Moses,
im n. theol. Journal, 13, 3) die des Cyrus und Romulus
▼erglichen; die Vergleichung des bethlehemitischen Kinder-
Viertes Kapitel. $* 36. 300
da(s der Mordbefehl beidemale nicht blof* special! auf
Moses oder Jesus , sondern allgemein auf eine gewisse
Klasse von Kindern: dort alle männlichen, neugeborenen,
hier aaf alle von nnd unter uwei Jahren, sich besieht
Freilich nach der Erslhlung des Exodus ist der Mordbe*
fehl gans ohne Rücksicht auf den Moses gegeben , von
dessen Geburt Pharao nichts ahnt, und der also nur an-
fällig durch jenen Befehl mit gefährdet wird ; aber diese
Darstellqug war der Tradition im hebräischen Volke nicht
absichtsvoll genug, und sie hat daher schon bei Jo^phus
eine Wendung erhalten, dureh welche sie den Sagen von
Cyrus und Augustus , aber auch der Erzählung des Mat-
thias, bedeutend ähnlicher wurde: die nämlich, daCs eine
£röffnung seiner Schriftdeuter (wie bei Berodot der Traum-
deuter und bei Matthäus der Sterndeuter), es werde ein
Kind geboren werden, das den Israeliten aufhelfen, die
Aegypter aber demüthigen würde, den Pharao eu jenem
Mordbefehl veranlafst habe iö). Wie den Gesetageber,
so lieb die Sage bald auch den Stammvater der Nation,
kaum geboren, durch den Mordanscblag eines argwöhni-
schen Tyrannen in Lebensgefahr gerathen« Wie dem
Moses Pharao als Feind und Unterdrücker entgegenstand,
so wurde dem Abraham Nimrod in der gleichen Rolle
gegenübergestellt. Diesem sagten seine Weisen, durch
einen ausgezeichneten Stern aufmerksam gemacht, data
dem Tharah ein Sohn geboren sei , von welohem ein ge-
mordet fügte vm Witts hinzu, Kritik der mos. Geschichte,
S. 176.
18) Joseph. Antiq. 2, 9, 2 : wr Uqoy&PP*1**** r* «yy/Ua r/5
ßaodtTy rex&iJMO&at rtva xtrr extTror rov xatQor rdif 'laqaqUcats , o»-
Tancaxaöti /uir rrp Alyunrüay rff9/uovlav, mfypti Se t«j laqaijliTtti
rprytcf, apTfl de ndrraq wrtfßaXei, xai So^af aeC/irr^w xrtjotvai.
Jttoas Se 6 flaadevgy xara yyoi^r tiJk extiv* xtUwt nav ro ytyvj-
div aqoev vno vmv 'IoQaijktiav f«; xov nout/wr fanirivt 8ict<f9kC*tu
HO Erster Abschnitt.
waltiges Volk abstammen werde ; worauf er ebenfalls ei-
nen Mordbefehl ergeben Ififst, welchem jedoch Abraham
glficklieh entgebt l9). Was Wander , dafs man nan , wie
dem Stammvater and dem Gesetzgeber, so aaoh dem Wie-
derhersteller der Nation, dem Messias, einen andern Nim-.
rod nnd Pharao in der Person des Herodes entgegenstellte,
diesem durch Weise seine Gebart verkündigen, ihn dem
Neugebornen nach dem Leben trachten, diesen aber «ei-
nen Nachstellungen glücklich entkommen liefs? Hat ja
dochßdie apokryphiscbe Legende sieh bewogen gefunden,
auch in der Geschichte des Vorläufers diesen Zug in ihrer
Weise nachzubilden: auch er soll durch den herodisehen
Mordbefehi in Gefahr gekommen, aus dieser durch das
Wunder eines für ihn und seine Matter sieh öffnenden
Berges gerettet, sein Vater aber, weil er den Aufenthalts-
ort des Knaben nicht anseigen wollte, ermordet worden
sein so).
Die Art, wie Jesus den Nachstellungen des Herode«
entgeht, ist eine andere, als wie nach der mosaischen
Geschichte Moses und nach der jüdischen Sage Abra-
ham den gegen sie ergangenen Mordbefeblen ; nämlich
durch eine Flucht aus dem Lande, nach Aegypten. Eine
Flucht aufser Landes kommt «war auch im Leben des
Moses vor, aber nicht in der7 Geschichte seiner Kindheit,
sondern nachdem er als Mann den Aegypter erschlagen,
als Pharao ihm defshalb nach dem Leben trachtet, flttch-
19) Jalkut JRubeni (Fortsetzung der Anro. 6. angeführten Stelle) :
dixerunt sapientes Nimrodi; natu* est Tharae fiüus kac ip-
sa hora, ex quo egressurus est populus, gut haereditabit
praesens et futurum seculum; st tibi placuerit , detur patri
ipstus domus argento auroque plena, et occidat ipsum,
Vergl. auch die Stelle des arabischen Buchs*, hei Fa*bic.
Cod. pseudepigr. a. a. 0.
20) Frotev. Jacohi c. 22 f.
Viertes Kapitel. $.36. Sil
. tet er sich nach Midian (2. Mos« 2, !!>.)• Dafs auf diese
Flocht des ersten GoSi bei der des «weiten Rücksicht ge-
nommen ist, eeigt unser Text selbst ausdrücklich an, in«
dem er dem Engel, welcher den Joseph unr Rückkehr
uns Aegypten nach Palästina ermuntert, dieselben Worte
in den Mund legt, mit welchen dort die Rückkehr aus
Midian nach Aegypten motivirt ist ")• Dafs nun aber
Jesus gerade nach Aegypten geflüchtet wird, diefs erklärt
sich wohl am einfachsten so. Da der junge Messias nicht,
wie Moses, aus Aegypten cu fliehen hatte, so kehrte man,
um doch die bedeutsame O ertlichkeit Aegyptens, dieser
alten Zufluchtsstätte der Kraräter, nicht so verlieren , das
Verhältnifs um, und liefs Ihn nach Aegypten sich bege-
ben, welches fiberdiefs der Nachbarschaft wegen das geeig-
netste Asyl fflr einen aus Judäa Fliehenden war« Weni-
ger brauchbar cur Erklärung dieses Zuges ist die Prophe-
tenstelle, welche unser Evangelist aus Hosea 11, 1. an-
führt: e£ Alyvmq exdleaa tov vlov /*«. Denn dafs diese
Stelle von den Juden auf den Messias beeogen worden
wäre, dafür sind die unmittelbaren Belege sehr unsicher M);
ob es schon bei Vergleiehung von Stellen wie Ps. 2, 7.,
wo das pihk wj auf den Messias bezogen wurde , nicht
undenkbar erscheinen kann« dafs man auch dem *3ib bei
9 ...
Hosea eine messianische Beaiehung gegeben hätte.
21) 2. Mos. 4, 19 LXX: Matth. 2, 20:
refhnpuMH yaq ttwrvtg oi £9- (FW TffrnjxafH yaq et ttjrirr«;
Wobei zu bemerken ist, dass nur aus der Berücksichti-
gung der A. T. liehen Stelle der in die evangelische eigent-
lich nicht passende Plural sieh erklärt. S. Witwer, N. T.
Gramm. S. 149. — Ferner vcrgl. 2. Mos. a. a. 0. V. 20. mit
Matth. V. 14 u. 21.
22) S. z. B. ScuörrsB*, horac, 2, p. 209.
Sit Erster Abschnitt.
Diese mythische Ableitung der Erzählung hat man
neuesten* besonders von zwei Seiten beanstandet. Fflr's
Erste , wenn es das Orakel des Biieam ist, aus welchem
die Geschichte von dem. Sterne erwuchs : warum — fragt
man — weist Matthäus, der so gerne im Leben Jesu die
Erfüllung A. T.licher Weissagungen .zeigt, mit keinem
Worte darauf zurück?.23) Darum nicht, weil er salbet
es nicht ist, der aus vder A. T.lichen Stelle diese Ge-
schichte herausgesponnen hat; er bekam die bereits gebil-
dete von Andern, welche ihm jene Wurzel derselben nicht
mitöberliefert hatten. Daher, weil ihm manche Erzählung
ohne den zu ihr gehörigen Schlüssel fibergeben war,
kommt es, dafs er bisweilen sogar falsche Schlüssel ver-
sucht, wie in unserer Erzählung an dem Kindermorde die
ganz falschgegriffene Stelle von dem Weinen der Ra-
hel 2*)- — Der andere Einwand ist: wie doch die Gemein-
den der Judenchristen, aus welchen der angebliche Mythus
hervorgegangen sein mufste, den Heiden eine so grofse Be-
deutung haben beilegen können, wie ihnen in den Personen
der Magier beigelegt werde25)? Als ob nicht schon die
Propheten in den angeführten Stellen den Heiden diese
Bedeutung ertheilt hätten; eine .Bedeutung, welche aber
näher ein Huldigen, sich unterwürfig Bezeigen derselben
gegen den Messias war, wie es, so ganz abgesehen noch
von den näheren Bedingungen ihres Eintritts in sein Reich,
selbst dem judenchristlichen Sinne zusagen mufste«
Es bleibt demnach bei der mythischen Auffassung
unsrer Erzählung, und wir müssen uns auch hier beschei-
den, keine einzelne Thatsache aus dem Leben Jesu zu er-
fahren, sondern nur eine neue Probe davon zu bekommen,
wie bestimmt der messianisohe Eindruck' war, den Jesus
23) T heile, zur Biographie Jesu §. 15 , Anm. 9. Hoffmank, S. 269.
24) Vergl. meine Streitschriften , 1, f, S. 42 f. ; George, S. 59.
25) Neam)ek, L. J. Ch. S. 27.
Viertes KapiteL §.36. 313
Unterlief*, da selbst der Geschichte feiner Kindheit die
messianische Form gegeben wurde '*).
Blieben wir von hier noch einmal auf die Erzählung
des Lukas, Kap. %, nurfick, so weit sie mit der unsrigen
gleich ifiuft: so haben wir schon gesehen, dals die ons-
rige das von Lukas firsählte nieht als früher Vorgefalle-
nes yoraussetst; noch weniger kann das Umgekehrte statt-
finden, dals die Magier vor den Hirten gekommen wftren:
es fragt sieh also, ob nieht vielleicht beide Berichte das-
selbe darstellen wollen, nur dafs sie diefe auf verschiedene
Weise tbun? Auf dem älteren orthodoxen Standpunkte,
welcher den Stern bei Mattbaas als einen Engel zu fassen
geneigt war, lag es nahe, denselben mit dem Engel bei Lukas
in der Art bu vereinigen, dals der in der Geburtsnacht Jesu
den bethlehemitischen Hirten erschienene Engel von den
Magiern in der Ferne für einen über Jadäa stehenden
Stern gehalten worden sein sollte 27) : wobei dann beide
Berichte im Wesentlichen richtig wären. Neuerlich hat
man nur Einen , und zwar den des Lukas , als den rich-
tigen vorausgesetzt; den des Matthäus aber als ausge-
achmökte Umbildung von jenem dargestellt. Aus dem En-
gel im himmlischen Glänze bei Lukas soll in der umbilden-
den Erzählung der Matthäustradition ein Stern geworden
sein, wie die Begriffe von_Engeln und Sternen in der hö-
heren jüdischen Theologie ensammenflofsen ; die Hirten
aber sollen zu königlichen Weisen umgebildet worden sein,
wie ja die Könige im Alterthum Hirten der Völker hei-
26) Auch Schleiermacher, über den Lukas, S. 47, erklärt die
Erzählung von den Magiern u. s. w. für eine symbolische ;
da er es aber verschmäht , auf die hiehergehongen A. T. li-
ehen u. a. Stellen Rücksicht zu nehmen , so rächt sich diess
dadurch, das« er in der Deutung der Erzählung theils im
Allgemeinen stehen bleibt, theils in's Schiefe geräth.
27) So Lightfoot , horau p. 202*
314 . Krater Abschnitt.
fsen M). Diese Ableitung wäre selbst dann durch ihre
Könstlichkeit unwahrscheinlich, wenn es richtig wäre,
was dabei vorausgesetzt wird > dafs die hieher gehörigen
Erzählungen des Lukas den Stempel der historischen
Wahrheit tragen. Da wir aber hievon das Gegen theil
nachgewiesen za haben hoffen, mithin zwei gleich unhisto-
rische Erzählungen vor uns liegen: so fehlt jeder Grund,
die gequälte Herausdeutung des Matthäischen Berichts aus
dem des Lukas der so einfachen Ableitung desselben aus
A. Teichen Stellen und jüdischen Meinungen vorzuziehen.
Es sind also diese beiden Beschreibungen7 der ersten Ein*
führung Jesu zwar Variationen über dasselbe Thema, aber
ohne unmittelbaren Einflufs der einen auf die andere.
$. 37.
Chronologisches VerhKltniss des Besuchs der Magier samnit der
Flucht nach Aegypten bei Matthäus zu der Darstellung
im Tempel bei Lukas.
Es ist oben bemerkt worden, dafs die im Anfang
ziemlich parallel laufenden Erzählungen des Matthäus und
Lukas in der Folge ganz auseinandergehen , indem, statt
der tragischen Katastrophe mit Kindermord und Flucht,
uns Lukas die friedliche Scene der Darstellung des Jesus-
kindes im Tempel aufbehalten hat. Setzen wir für jetzt
das Ergebnifs unsrer letzten Untersuchung, den blofs my-
thischen Charakter der Erzählung bei Matthäus, bei Seite,
und fragen : in welchem Zeitverhältnisse soll diese Dar-
stellung im Tempel zu dem Magierbesuch und der Flucht
nach Aegypten stehen?
Eine ausdrückliche chronologische Bestimmung hat
von beiden Begebenheiten nur die Darstellung im Tempel,
28) SciiNBCKENBURGBR , über den Ursprung des ersten kanoni-
sche» Evangcliums; S. 69 IT.
Viertes Kapitel. §. S7. S15t
von welcher ee heißt , dafs sie nach der gesetzlichen Zeit
der Reinigung einer Matter, <i. h. aho, nach S. Mob. 12,
S — 4., 40 Tage nach der Gehurt des Kindes, vorgenom-
men worden sei (Lac. 2, 22.). Die Zeit der andern Be-
gebenheit ist nicht ebenso festgesetzt: es heilst nur, die
Magier seien angekommen %& *£ijoä yswqdivroQ iv Br^lMtfji
(Mattb. 2, 1.)» unbestimmt wie lange hernach. Da aber
durch dieses Partieip der Besuch der Magier unmittelbar,
wenigstens wie wenn nichts Bedeutendes dazwischen vor-
gefallen wäre, an die Geburt des Kindes «angeknüpft su
werden scheint: so hat diefs einige Ausleger auf die An«
sieht geführt, dafs jener Besuch vor die Darstellung im
Tempel zu setzen sei 0- Dabei bleibt noch die doppelte
Möglichkeit offen: entweder auch noch die Flocht nach
Aegypten der Darstellung im Tempel vorzusetzen; oder
den Besuch der Magier zwar dieser voranzustellen, die
Flucht aber erst auf die Darstellung folgen zu lassen«
Nimmt man das Letztere an, und klemmt die Darstellung
im Tempel zwischen den Magierbesuoh und die Flucht ein :
so verwickelt man sich in einen schlimmen Zwiespalt so*
wohl mit den Worten des Matthäus als mit dem Zusam-
menhange der Sachen. Da nämlich mit derselben Parti-
eipialconstruction der Evangelist hier an die Umkehr der
Magier die Aufforderung zur Flacht knüpft (^avaxtaqrjaav-
%iav avtdfv tds äyyelog k. t. L V. 13.)> mit weicher er V. 1.
die Ankunft der Morgenländer an die Geburt Jesu ange-
schlossen hatte: so mufs doch gewifs derjenige, welchen
diese Construction oben bewogen hatte, die durch sie ver-
bundenen Begebenheiten ohne Dazwiachenkunft eines an-
dern bedeutenden Vorfalls aufeinander folgen zu lassen,
auch hier sich durch dieselbe abgehalten finden, zwischen
die durch sie verknüpften Ereignisse des Besuchs und der
f) S. z. B. Augustin de consens. cvangelist. 2, 5. Storr, opusc.
acadL 5, S. 96 ff. Süsjwd, in Bskgkl's Archiv, j, 1. S. 216 ff.
316 Erster Abschnitt.
Flocht ein drittes einzuschieben. Was aber die Sache
betrifft , so wird man. doch nicht wahrscheinlich finden
wollen, dafs in einem Zeitpunkt , in, welchem Gott dem
Joseph anaeigen lütt, er sei zu Bethlehem nicht mehr vor
Herodes sicher, demselben eine Reise nach Jerusalem, also
eigentlich in den Rachen des Löwen hinein, zugelassen
worden wäre. Jedenfalls hätte allen Betheiligten die
strengste Vorsicht eingeschärft werden müssen, das Ruoht-
.barwerden der Anwesenheit des messianischen Kindes in
Jerusalem su verhüten» Solches ängstliche Incognito ist
aber in der Erzählung des Lukas nirgends zu spüren:
vielmehr macht nicht nur Simeon im Tempel auf Jesus*
aufmerksam., ohne vom Geist oder von den filtern ' daran
verbindert zu werden; sondern auch Hanna glaubt der
guten Sache einen Dienst zu tbun, wenn sie die Kunde
von dem neugeborenen Messias so sehr wie möglich ver-
breite (Luc. 2, 28 ff. SS.)* Dal» *ie diefs nur unter Gleich-
gesinnten that Cilulsc tibqI avzs tvccoi tcHs TCQogdE%of.ie-
voig IvTQtoGiv iv %QüOab}in'), konnte nicht verhindern,
dafs es nicht auch der herodischen Partei bekannt wurde;
da eben, je gröTser die Aufregung jener rtQogdexQftevoi
durch solche Kunde wurde, desto mehr auch die Aufmerk-
samkeit der. Regierung erregt werden, und so Jesus in die
Hände des lauernden Herodes fallen mufste.
In jedem Falle müfste sich also, wer die Darstellung
im Tempel nach dem Besuche der Magier setzt, auch da-
zu vollends entsohliefsen , sie selbst bis nach der Rück-
kehr aus Aegypten eu verschieben. Allein auch dabei geht
es nicht ohne Verstofs gegen die Berichte ab. Es müfste
sich nämlich dieser A°nanme sufolge zwischen der Ge-
burt Jesu und seiner Darstellung im Tempel ereignet ha-
ben : die Ankunft der Magier ; die Flucht nach Aegypten ;
der bethlehemitische Kindermord; der Tod des Herodes;
die Rückkehr der filtern Jesu aus Aegypten. Das ist aber
für 40 Tage offenbar zu viel; man niüfrte daher anneh-
Viertes Kapitel. §. 37. 317
neu, die Darstellung des Rindes and der erste Tem-
pelbesuch der Wöchnerin sei über die .'gesetzliche Zeit
hinaus verschoben worden. Diefs lauft aber der Er-
Zählung des Lukas zuwider , welcher durch sein ore
£tt?jqo%hjoav ai rjfutQai tö xad-aQto/js avtwv xard rov yo-
ftov M<aai(og (V. 22.) ausdrücklich sagt, dafs der Tempel-
besuch zur gesetzlichen Zeit stattgefunden. Doch gleich-
viel, ob früher oder später: die filtern Jesu konnten dem
Matthäus zufolge nach ihrer Rückkehr aus Aegypten so
wenig als unmittelbar vor ihrem Abgang dahin an eine
Reise nach Jerusalem denken. Denn da bei der Rückkehr
von der Flucht Joseph wegen des Archelaus vor Judäa
gewarnt wird, das unter seiner Herrschaft stand, so konnte
er es am wenigsten wagen,1 in dessen Residenz, Jerusalem,
selbst sieh zu begeben.
Da also auf keine dieser beiden Weisen die Darstel-
lung im Tempel es ertragen will, dem Magierbesuche nach-
gesetzt zu werden: so bleibt nur das Andre Übrig, mit
der Mehrheit der Ausleger *) jene von Lukas erzählte
Begebenheit den beiden von Matthäus berichteten voran-
zustellen. Diefs ist auoh insofern das natürlichste, als
wenigstens mittelbar bei Matthäus ein längerer Zeitraum
zwischen der Geburt Jesu und der Ankunft der Magier
angedeutet ist. Denn dafs Herodes die Kinder in Beth-
lehem bis zum Alter von zwei Jabren morden läfst, diefs
setzt, wenn er auch , um sicher zu gehen , die Zeitangabe
der Magier überschritt, doch voraus, dafs diesen der Stern
schon vor mehr als einem Jahre sichtbar geworden war;
das Erscheinen des Sterns aber scheint der Erzähler als
gleichzeitig mit der Geburt Jesu sich zu denken. — Nach
dieser Stellung der Erzählungen wären also die Eltern
Jesu zuerst von Bethlehem, wo das Kind geboren war,
2) Unter den Neuem z. B. Hgss , Geschichte Jesu , 1 , S. 51 ff
Paulus , Olshausbh , x. d. St.
318 Erster Abschnitt«.
nach Jerusalem gereist, am die gesetzlichen Gaben dann»
bringen; sodann wären aie wieder nach Bethlehem zurück«
gekehrt» wo (nach Mattb. 2, 1. und 5.) die Magier aie
fanden ; hierauf w&re die Flacht nach Aegypten, und nach
der Rückkehr von derselben die Ansiedelung in Nasaret
erfolgt« Die hiebei vor Allem sich aufdringende Frage:
was hatten denn die Eltern Jesa nach der Darstellung im
Tempel noch einmal in Bethlehem so thun, das ja gar
nicht ihre Heimath war, and wo sie binnen der 40 Tage
ihre Geschäfte wegen der Schatcung gewifs hatten abma-
chen können? mufs «war auf später verwiesen werden;
indessen wird dieser in der Sache liegende Entscheidung*
grund vollständig ersetzt durch einen, der in den Worten
liegt. Lukas nämlich sagt (V. 39.) gar zu bestimmt, nach
Vollendung der gesetzlichen Opfer u» s. f. aeien Jesa fil-
tern wieder nach Nasaret zurückgekehrt , als in ihre ei-
gentliche Heimath , and nicht nach dem blofs vorüberge-
henden Aufenthaltsorte Bethlehem 3). Kamen also die
Magier nach der Darstellung im Tempel: so mofsten aie
die Eltern Jesa schon wieder in Nasaret treffen, nnd nicht
in Bethlehem, wie Matthäus sagt. Dazu kommt noch,
dafs, wenn wirklich der Ankunft der Magier die Darstel-
lung im Tempel mit dem Aufsehen, welches die Reden
3) Süikind, a. a. 0. S. 222: „Lukas drückt sich, indem er
Sagt: xat wf ir&crav anotvra xara roy vouoy RvqIh, vnfgpipar eh
Nataqtr, so aus, wie nur der sich ausdrücken kann, der sa-
gen, cL h. bei den Lesern die Vorstellung erwecken will,
von Jerusalem aus sei die Reise unmittelbar, ohne Dazwi
schenkunft einer andern Reise, nach Nasaret gegangen."
Diess war eben mit ein Grund, warum Susxwd u. A. Magier
und Flucht lieber vor der Darstellung einschieben wollten*
— Nach Michaelis (Anm. zu seiner Uebersetzung, S. 379.)
soll der Weg von Jerusalem nachNazaret über (das in ent-
gegengesetzter Richtung gelegene!) Bethlehem ge-
führt haben.
Viertes Kapitel. $. 37. 319
Simeon's and de* Hanna machen mnfsten, sehen vorange-
gangen war: unmöglich dann bei der Ankunft der Magier
die Gebart des messianiscben Kindes an Jerusalem noch
so anbekannt sein konnte, dafs, wie Matthäus meldet, die
Ankündigung derselben durch die Magier allgemeine Be-
stürzung erregte (2, 3.) *).
Wenn somit die Darstellung Jesu im Tempel weder
frfiher noch auch später stattgefunden haben kann, als der
Besuch der Magier and die Flacht nach Aegypten, und
ebensowenig diese letztere Begebenheit früher oder später
als jene erste: so ist es also unmöglich, dafs die eine so«
wohl als die andere sollte vorgefallen sein, sondern höch-
stens kann die eine oder die andere sich ereignet haben ö).
Diesem gefährlichen Dilemma au entgehen, hat auch
hier die supranaturalistische Ansicht neuesten* sich bewo«
gen gefanden, einen freieren Standpunkt au betreten, am
durch Preisgeben dessen, was nieht mehr zu halten ist,
das Uebrige au retten. Dafs weder Lukas you dem, waa
Matthäus, noch der (vom Apostel verschiedene) Verfasser
des griechischen Matthäus von demjenigen etwas gewn&t
haben könne, was Lukas hier ans der Kindheitsgeschiohte
Jesu mittboilt, das findet Nbander sich gedrangen zu zu«
gesteben. Aber daraus folge nicht, dafs nicht dennoch
Beides sich ereignet haben könne 6). — Dureh diese Wen«
dang entgeht man allerdings den Schwierigkeiten, welche
4) Dieselbe Differenz in Feststellung des chronologischen Ver-
. Vältnisses der beiden Begebenheiten findet sich auch zwi-
schen zwei verschiedenen Texten des Apokryph um s : historia
de nativ. Mariae et de inf. Serv. , s. bei Thilo, S. 385. not.
5) Diese Unverträglichkeit der beiden Erzählungen ist schon
frühe einigen Gegnern des Christentums (Epiphanius, hae-
res. 51 j 8. nennt neben Gelsus und Porphyrius noch einen
Philosabbatius) zum Bewusstsein gekommen.
6) Nbakdir , L. J. Chr. , S. 33* Anmerkung.
320 Erster Abschnitt.
in den Werten der Evangelisten liegen: aber denen in der
Sache nicht. Daß der erste Evangelist die Gebart Jesu,
den Besuch der Magier nnd die Flucht aneinanderreiht,
wie wenn keine Orteveränderung dazwischen wäre; dafs
der Verfasser des dritten Evangeliums die Eltern mit dem
Kinde von der Darstellung im Tempel nnmittelbar nach
Nazaret zurückkehren lfi(st, wird unverfänglich , weil ans
dem Nichtwissen ferne stehender Berichterstatter kein
Schlufs auf Nichtgeschehensein gilt. Dagegen nun aber
die Unwahrscheinlichkeit, dafs nach der Scene im Tempel
die Gebart des messianischen Kindes in Jerusalem noch so
ganz anbekannt sollte gewesen sein, wie das Benehmen des
Herodes bei der Ankunft der Magier es voraussetzt; die
Undenkbarkeit (bei der umgekehrten Stellang der Bege-
benheiten), dafs es dem Joseph sollte angelassen worden
sein, mit dem Kinde, das Herodes so eben zu morden
sachte, nach Jerusalem zu reisen ; das Unbegreifliche end-
lich, dafs die Eltern Jesu nach der Darstellung im Tem-
pel nach Bethlehem sollten zurückgekehrt sein (wovon
später) : alle diese in der Sache liegenden Schwierigkeiten,
die nicht geringer sind, als die in den Worten, bleiben
bei dieser Auskunft stehen, nnd beweisen ihre Unznläng*
lichkeit.
Es bleibt sonach bei dem Dilemma; und wenn wir
in demselben wählen sollten , so dürften wir nns , se weit
wir jetzt in der Untersuchung sind, in keinem Fall fttr
die Erzählung des Matthäus und gegen die des Lukas
entscheiden; sondern, da wir jene als mythisch erkannt
haben, so bliebe ans nar übrig, mit neuern Kritikern 7)
an der Erzählung des Lukas festzuhalten, und die des
Matthäus preiszugeben. Indefs, ob nicht auch jene von
gleicher Beschaffenheit mit dieser sei, mitbin statt des
7) ScHLSiKRMACrtXR , über den Lufcas, S. 47. Schab ckbäbürgi*,
a. a. O.
Vierte» Kapitel, f.. 38. Sil
i
Entweder, Oder, vielmehr weder die eine noch die andere
sJs aisterisefc festgehalten werden dürfe? wird die nächst»
feigende Untersuchung lehren.
t $. 38.
Die Darstellung Jesu im Tempel.
Die Kraählung von der Darstellung, Jesu in* Tempel
(Lac. 2, 12— SS.) scheint auf den ersten Anblick ein gans
geschichtliches Gepräge eo fragen.. Ein doppeltes Gesetn,
das eine der Mutter ein Reinige ngsopfer vorschreibend ,
das andern die Loskaufung des erstgeborenen Sohnes bei«
lebend | fahrt die filtern Jesu mit dejn.Hiode nach Jero~
salem in den Tempel. Hier treffen sie . einen frommen ,
aessianiseber Erwartung hingegebenen Mann, mit Namen
Simeon, nn. Manche Erklärer halten diesen Simeon für
deoselben mit dem Rabban Simeon (Hillels Sohn und IfaelH
folger als Präsident des Synedriwns, Vater Gamaliels);
welchen selbst einige mit dem Samens- des Josephue ^>
identiiieiren , nnd auf seine angeblich Dafidiseh* Abknnfis
detswegen Gewicht legen, weil diese ihn cum Verwand*
teo Jesu mache, nnd die folgende Seen* natürlich erklären
helfe. . Doch auchohne diese Annahme, welch* achoq 4uenk
die, fttr einen so bekannten Mann nn kahle* BeaelcbnsMigi
w&Qwnos rifo bei Lukas, unwahrscheinlich *inJ^, ecfceJnfe
sich immerhin die Scene, welche sich sofort nwfrükfen' den
Eltern Jesu nnd diesem Simeon sntrug., . wie auch [die
Rolle, welche die Prophetin Hanna dabei spielte, auf sehr
natürliche . Weise erklären su lassen. Nickt , einmal das
1) Antiq. 14, 9. 4. 15, i, i 'und 10, 4.
2) Das Evang. Nicodemi freilich nennt ihn c. 16. o p(ya< BJua-
xah* , und das P^otev. Jasobi c. 24» macht ahn cum Priester
oder gar xum Hohenpriester, s. die Varr,, hei Thu.0 Cod.
Apocr. N. T. 1, S. 271. Tgl. 203.
Das Ltbtn Jesu tfe Aufl. f. Band 21
ttt Erster Abschnitt
bracht man mit dem Verf. der natürlichen Geschieht* *)
rorausjEUsetaen , dafs Simeon schon vorher mm die Hoff*
nang der Maria, den Messiaa s*n gebaren, gewufst habe:
man denke «ich nur mit Paulus u. A. die Sache so. Be-
seelt, wie Manche in Jener Zeit, von der Erwartung der
nahe bevorstehenden Ankonft des Messias, bekommt St-
meon, wahrscheinlich im Traume, die Gewifsheit, ibn vor
seinem Ende* noch sehen «u dürfen. Als er daher eines
Tags dem- Drange nicht widerstehen kann, den Tempel eil
besuchen, und nun eben* an diesem Tage Maria ihr Kind
dahin brachte, dessen Schönheit ihn schon ansog: so
wurde, als 'sie ihm vollends die üavidische Abkunft des
Kjndes eröffnete,' die Aufmerksamkeit und Theilnahme des
Mannes in einem Grade rege, welcher die' Maria bewog,
ihm die Hoffnungen, welche auf diesem SpröTsling des al-
ten Königshauses ruhten, und die an fser ordentlichen Er-
eignisse, welche dieselben veranlagst hatten, eu entdecken.
Diese Hoffnungen ergreift Simeon mit Zuversicht, und
Spricht nun seine messianischen Erwartungen and Befürch-
tungen, kl de* Ueberaeugung , dafs sie an diesem Kinde
i*< Erfüllung» gehen werden , in begeisterter Rede aus.
Noeh weniger braucht man fttr die Hanna, die Annahme
de» f erfs. *der nntffrlictien Geschichte, dafs sie, als eine
jener bei der Entbindung Maria's thltfig gewesenen f rauen,
mit den auf dem Kinde ruhenden Hoffnungen schon \or«
her- bekannt gettresen : sie hatte ja Simeon« Reden gehört,
und gleichgestimmt, wie sie war, gab sie denselben ihren
Beifall; r'
So efnfab'h diese natürliche Erklärung scheint : so isS
sie doch auch hier nicht minder gewaltsam, als wir sie
sonst gefunden haben. Denn dafs dem Simeon, ehe er
3) f. ThL'S. 205 ff. Auch nach Horr&mr» (8. 276 f.') sollen die
Reden- der beiden Alten sich nur au* ihrer* Bekanntschaft
mit der Geburtsgeschichte erklären. ' • •* •
Viertes Kapitel, f. SS. *23
In seine begeisterte Rede tiob «rgofs, Ae Eltern Jesa
etwas von ihren auieerordentliohen Erwartungen mitge-
theilt hätten, sagt der Evangelist nicht nar nirgend»; son-
dern die Sjrftee seiner ganaen Ersfihlang besteht gerade
«Urin, dafs der fromme Greis in Kraft des Ihn erfüllenden
Geistes Jesum sogleich als das messianisohe Kind erbannt
habe: and ebendefswegen wird aveh sein Verhiltnifs «na
vmvfia ayiov so hervorgehoben, nn erklärbar an nachen,
wie er auch ohne vorangegangene Bfittheiinng doeh Jesum
als den ihm Verheifsenen aa erkennen, und Begleich den
Gang seines Schicksals vorherausagen vermochte« Wie
unser kanonisches Evangelium dasjenige, was Jesnnt dem
Simeon kenntlich machte, in den Simeon selbst, aber als
Übernatürliches Princip, versetat: so legt es das Evtvnge-
hwm itfcmtiae arabicum als etwas Ohjeotives in die Ei*,
aeheinang Jesa *); immer noch mehr im Geiste der ur-
sprünglichen Ernihlung, als die natürliche Erklfirungsweise,
wall es doch das Wonderbare an der Saehe festhält. Ein
Wnnder anaonehmen, ftillt ans aber, anfser den allge-
meinen Gründen ge^en die Zulfifsigkeit des Wunders fiber-
hanpt, hier noch insbesondere deswegen schwer, weil
sich kein würdiger Zweck desselben erkennen liftt Denn
dafs dieser Vorfall ans Jesa Kindheit mit ein Hebel ge-
worden wäre, nn den Glauben' an ihn als den Messias in
weiteren Kreisen begründen aa helfen, davon ist nirgends
eine Spar; wir müfsten also den Zweck, wie es aoch der
Evangelist wendet (V. 26. 29.), nur in Simeon und Sanna
suchen, deren treuem Hoffen dieser individuelle Lohn au
Tbeil geworden wäre, dafs ihnen aur Erkenntnis des
measianlsehen Kindes der Blick geöffnet wurde-.- Allein,
4) Cap. €: vtditque iitum Simeon jene* instar columnat tnds
refulgmtem, tum Domina Maria vtrgo, «tafer ejus, ulnis
suis eum aetfaret, — et ctrcumdakant eum angeU instar
etrcutt, eeiebrante$ ittitm etc. Bei Thilo, S. 71.
21*
324 Erster Abschnitt*
data um solcher vereinzelter Zwecke willen die Vorsehung
Wunder gesehehen lasse , ist mit richtigen Begriffen von
derselben niobt so vereinigen.
Man wird sich daher auch hier zu einem Zweifel an
dem historischen Charakter der Erzählung veranlagst fin-
den; am so mehr, als sie sieh nach dem Bisherigen am
lauter mythische Erzählungen anschließt* Nor mnfs mam
dann nicht dabei stehen bleiben, zu sagen, die wahren
Aasdrücke Simeons mögen wohl gewesen sein: möchte ich
doch so, wie 'ich diefs Kind hier trage, auch den neuge-
borenen Messias noch erblicken! was dann ex eventu in
der Sage dahin umgedeutet worden sei, wie wir es jetzt
bei Lnkas lesen *); sondern man mufs in der Anlage die-
ses Theils der evangelischen Geschichte und in dem Intern
esse der urchristlichen Sage die Veranlassung nachweisen,
warum dergleichen von Jesu in Umlaof kam« Was nun
das Erstere betrifft , so wird man die Parallele nicht ver-
kennen, welche zwischen dieser Seene bei der Darstellung
Jesu im Tempel, und der bei der Beschneidung des Tau*
fers nach der Erzählung desselben Evangelisten stattfindet:
indem beidemale, dort durch den Vater, hier durch einen
andern frommen Mann, auf Antrieb des heiligen Geistes
Gott fflr die Geburt dieser Retter gedankt, und ihr künf-
tiger Beruf prophetisch vorausverkttndigt wird. Dafs diese
Scene das eiaemal an die Beschneidang , das andremal an
die Darstellung im Tempel sich geknöpft hat, scheint- zu-
fölligj >ha.tte aber einmal in Bezug auf Jesum die Sage
seine Darstellung im Tempel so verherrlicht: so mubte
din Besehneidung, wie wir es oben gefunden haben, leer
ausgehen. -*- Da£s aber eine solche Erzählung im Interesse
,£) <8o E. F. in der Abhandlung über die beiden ersten Hspp.
/> des Matth. und Lukas. In Hikxb's Magazin 5. Bd. S. 169 f.
s Eine ähnliche Halbheit bei Matthaii, Synopse der vier Evaa-
gel. S. 3. 5 f.
Vierte« Kapitel. $. 38. 3S.V
der Sage leg, Ut ebenfalls leicht einzusehen. Wer gieli
eilt Mann ao augenscheinlich ale Messias so erkennen g*bf
der mofs, dachte man, auch schon als Kind für ein durcltf
den göttlichen (»eist geschärftes Aoge als solcher an eiM
kennen gewesen sein; derjenige, welcher in splterer ^fcst*
durch mächtige Reden und Thaten sich* als den Sehfrttblb
tes erwies, gewKs, er hat auch schon, ehe er ' sftfeflhfce
und sich frei bewegen konnte, den göttlichen Stempel' gi£
tragen. Ferner, wenn Mensehen, vom Geiste fiüttes'gel*
trieben, Jesnm so frfihe schon liebend und ehrftirobCsWH
in die Arme schlolsen: dann war auch der Geist;* eW» ÜsW
beseelte, nicht, wie man ihm vorwarf, ein ongätfttcher;
sind wenn ein frommer Seher ihm im Gefolge seiner boheir
Bestirnmong sogleich die Kämpfe, welche er so besteÜen
haben, und v seiner Motter den Schmers, dert ihr sesof
Schicksal machen würde*), voraosgesagt hatte? dann war
es gewifs kein Ungefähr, sondern ein göttlicher Pktty darf
ihn anf dem Wege so seiner Erhdhong in diese Tief« der
Erniedrigung fthrte.
Gegen eine solche $ positiv aas der Sache selbst and
negativ aus den Schwierigkeiten anderer Auffassungswei-
sen sich ergebende Ansicht von der verliegenden Ersah-»;
lang, mufs man sich gleicherweise wundern, wie Schumi*-
sacher die Bemerkung kehren mag , die ihn doch oben •
von einer ähnlich«* Auffassung der Geburtsgeschichte des
Täufers nicht abgehalten hat: die Ersählung sei zu uattir-
lieh , am gedichtet su sein ») ; als wie Nbanobr dagegen
ß) Mit den von Süneon an Maria gerichteten Worten : *<ü oi St
Au*5s rjr yn,jpr *«Wsna» iowia (V. 35. ) vergl. die Worte
des mesftianiichen Unglückspijlms 22, V. 21 : fro<u ano frfi-
«pauxg ripr yvzqv /***
7) Sckliimräachm, über den Lukas , S. 37. Vergl. dagegen die
Bemerkungen oben, $• 1S9 und dis dort, Anm.19., angeführ-
ten Schriftsteller.
$M Erster Abschnitt.
aas überspannten Vorstellungen von den herrlicheren Zfl»
g«n argumentiren nag , welche der Mythos an dje Stelle
M%e*er ttrzählung gesetzt haben würde. Weit entfernt
nftmlieh, meint Neandkk, fiör die Mutter Jeaa eine Rein*,
gutfg, nnd ftr ihn selbst eine Losung vorgenommen wer-
den :za lassen, würde der Mythus eine Engelerscheinung
*4*ir<g0ttli*be Mahnung eingeschoben haben, durch welche
Maria, oder die Priester von einer solchen, mit der Würde
Jesu , streitenden > Handlang abgehalten worden frSren *)•
Als. ob Jiieht selbst das panlinische9 am wie viel mehr mit«
bfafcjUl Jndenchristenthum, ans welchem diese Krzfihlua~
gen stammen, die Anschauung von Christo als yjbvv^ieyos
vrm vAfiW CGaL 4, 4.) festgehalten, und Jesus selbst «ich
nicht ebenso der Taufe, and zwar gerade bei Lukas ohne
vorgfingige Weigerung des Johanne* , unterworfen bfitte»
Mehr Gewicht bat die andere Bemerkung Schlki&emachbr's,
weis diese Erzählung gedichtet hfitte, der würde schwer-
lieh neben dem Simeon auch noch die, nicht einmal dich*
terisch benatzte, Ilanna aufgestellt haben, nnd noch du«
nak dieser Genauigkeit in ihren Personalien, wogegen die
Hauptperson weit nachläfsiger bezeichnet sei. Allein ans
zweier Zeugen Mund die Würde des Kindes Jesu band
werden zu lassen, nnd namentlich neben den Propheten
auch noch eine Prophetin zu stellen, das ist doch gewifs
ganz die symmetrische Gruppirung,. wie sie die Sage liebt.
Die ausführliche Personalbezeichnung mag von einer wirk*
liehen Person , die aar Zeit des Ursprungs unserer, Erzäh-
lung noch im Rufe ausgezeichneter Frömmigkeit fortlebte,
genommen sein; was aber die Reden betrifft, so ist, wie
Simeon zur Bewillkominung im Tempel, so die Frau haupt-
sächlich zur weiteren Verbreitung der Kunde benutzt: wo-
6) Wie oben das Poetische , so macht Nsjndb* hier ( S. 24 f. )
das Apokryphisehe zum Charakter des Mythischen; Eines ao
verkehrt wie das Andere.
Viertes KaplteL $. J9. egf
bei, weil dlafs Mater der 8mm vorgeht, «Ich* ebeaso
Ihr» eigenen Worte angefihrt werden konnten. — Wie
oben aas dem Blande der Bfcriea, ee coli hier aach£cuLii*a-
macure der Eraagelist die Geschichte anmltteibar oder mit*
feiner ans dem Munde der ee genau beaehriebenen Henna
beben; NsANnm stimm* bei t eicht der einntge Schleier-
tttmiBR'scbe Strohhalm, na welchen dlaaer Theologe 4n der
kritischen Bedrangnifs dleear Zeiten sieh anklammert.
Aach hie*, wo die Brnihlnng dea Lnkaa Jesam enf
eine Reibe von Jahren vertatst, wird, nie an dem ent*
sprechenden Pnnkt im Lebe» dea Täufers, eine Schlafe»
farmei über dea gesegnete Aufwachsen des Kindes beige*
fügt (V. 4009 welche, 'wie die den Tlnfer brtreftsade, an
die ähnliche Formel in der Geschichte Sisuena (Rieht IS,
14 f.) erinnert*
f. SS.
Ittkkhlkk. Diferea* twiscben Mttth'Mts end Lukas m Bettig
auf dea ursprünglichen Wohnort der Eltern Jesu.
Es ist bis bisher die geschichtliche Gianbwördlgkeit
der evangelischen Ersfthldngen Aber die Abkunft, Geburt
«od Kindheit Jesu aus dem doppelten Gesichtspunkte in
Ansprach genommen werden, weil theiht die eiaaeinen JJr-
Zahlungen Manches enthalten, was der geschichtlichen Auf»
fisseaag widerstrebe; theils die parallelen Berichte dea
Matthäus and Lukas sieh gegenseitig aussehliefsen, so dafs
aaatfglieh beide Recht haben kennen, sondern nethwendig
müsse Einer (diefs aber könne der eine so gut aU der
andere, also vielleicht auch beide sein) Unrecht haben.
Einer von diesen Widersprochen der beiden Berichte ge-
gen einander ist es besonders, weicher sich vom Anfang
unserer Kindheitsgeschichte bis su dem hier erreichten
Abschnitt hindurehaieht, auf den wir daher auch schon
früher gestofsen sind , ohne data wir ans jedoch bis jejtet
langer bei demselben hätten verweilen können, weil wir
Hg Eitter Abschafft. '
■
erst jstst, wo er seine Rolle ausgespielt hat, Materiajlea
genug zu grttadUolier Wflrdignag desselben in 4er Heod
haben* Et ist diefs eine Abweichung, welch* awiscfcea
Matthias and Lukas in Betdg auf den anpringUehea
Wohnort der Bitern Jesu stettindet.
Lakas nämlich gibt gletdh . fön. Anfang Nasacst als
den Wohnort der Eltemt Jean an: hier sacht der Engel
die Maria anf (1, Si); hier ist Marias oLce? (1, «L> sn
denken; von da reisen Jesu Eltern nach Bethlehem aur
Schataung (2, 4.); kehren aber, sobald es die- Oimatändo
erlauben, wieder nach Nasaret, als die nofag ttvzwv y so-
rfiok (V. SO.)* Bei Lakas ist also angenscheinHoh Näsarct
der eigentliche Wohnort der Eltern Jesu, and nach ßetb*
khem kommen sie nnr durch znftillge Veraniassnng anf
knrze Zeit
Bei Matthias wird von vorne herein nicht gesagt ,
wo Joseph und Maria sich aufgehalten haben. Nach 2, 1«
ist Jesus in Bethlehem geboren, und indem von aofteror-
dentlichen Umständen, welche Cnach Lakas) seine Eltern
dahin gefBhrt haben sollen, nichts erwähnt ist, so seheint
es, Matthäus setse dieselben als ursprünglich schon -an
Bethlehem wohnhaft voraus. liier läfst er sofort die El«
tern mit dem Kinde den Besuch der Magier erhalten, hier-
auf sich nach Aegypten flöchten , und von der Flacht sa«
rfickkehrend wollen sie wieder nach Judäa sich tuenden,
wenn nicht eine aufserordentliche Warnung sie in das
galiläische Nasaret wiese (2, 22.)* Darob diesen Zug wird
der vorhin entstandene Schein nur GewUsbeit, dafs Mat»
thäus nicht wie Lukas Nasaret, sondern Bethlehem als
ursprünglichen Wohnort der Eltern Jean voraussetae, und
den Zug nach Nasaret nur. durch unvorhergesehene Dan
stände herbeigeführt sich denke.
Dafs man Ober diesen Widerspruch gewdhalieh so
arglos hinfibergleitet , davon liegt der ttrund in dem Cha-
rakter der Ersählung des Matthäus, auf welchen ein nene»
Viertes Kapital <f^39. Sti
ftrWfirer Joga* die 0*haiiB*mg gabeat hat, dieeer £***>
gcKst , sage ober den . pw prflnglf eh« Aufenthaltsort de*
JUtarn Jesu nicht etwas von der ftnesage das Lukas Vor-
smj^cd****, sondern, gar nichts au*» indem. es ihm u*
topeiogische .wie chuonelegiscbe Genauigkeit gar.njab* «h
tbun aoL Den spätere* Aufejtfhultae/rt de* £lte?a . Jesu
«ad.^eUe^ Ge^Uort luche 4sr w deswegen iMufthaft,
weil eich, daran A, TMfche Weissagungen knüpfen Helfen:
eU de* Wohnort dar Eltern Jean »er seiner $ehurt *u
keinem ihnjfcheu Citate Anlaf* gegeben, so hebe ihn
Mattblau ganfc yerscbftjegen ; was aber, bei seiner Darr
atellungsart, keineswegs besreise» d*(s er von diesem^
Aufenthalte nichts gewufst, oder .gar Bethlehem els^arv
aprfiugliehen Wohnort der .filtern Jesu f orausgesetat . h*\^
he1)« Allein, auch angegeben 3 da/s^dae Stillschweigen
des Matthias über den früheren Aufenthalt , van Jesu^
Eltern , in JNasaret uard .aber d^e besondern Umstände»
durch welche seine Gebart su Bethlehem veranlaßt war,
noch nichts beweise : se mfllste dann doch das spätere Ver-
tauscheu Bethlehems mit Naaaret so dargestellt sein, dafs
«in Wink gegeben wäre, oder nnr wenigstens die Mög-
lichkeit übrig bliebe, den enteren Ort als Mofa vorüber*
gehenden Aufenthalt, die Reise iq den letzteren aber afc[
Rückreise in die eigentliche Heimath an fassen* Ein foL
eher Wink wäre gegeben, wenn Matthias nach der ügyp?
tischen Reise die Ansiedelung Josephs in Nasaret dadurch
begründete, dafs er ihm durch die Trpninerschaiuang ga«
gen liefse: kehret jetst in das Land Israel aurfiek, und
swar in euren ursprünglichen Wohnort, Daaaret; denn in,
Bethlehem habt Ihr nichts mehr an schaffen, da ja die
Weissagung, dafs euer messianisches Kind an diesem Ortc^
geboren werden sollte, bereits erfüllt ist« Doch weil es ja,
dem Matthäus überhaupt um Oertlichkeiten nicht ssvthiW
1) Ousnv»s*f~.bibl. Csnun. 1, S. 142 f.
UO Erster Abschnitt, '
■
teil fort, so WoÜtfn wir MMg sein i und keinen • positiven
Wink, sondern nur das Negative tob {hm verlangen, dal*
er HB« die Vorstellung, Biasaret sei der ursprüngliche
Aufenthalt der Kitern Jesu gewesen, niebt gerade«!
etfglioh mache. Diese Forderung wäre dann erfüllt,
die Reise der Eltern Jesu aas Aegrpten nach Naearet
geradezu gar tiieht motivirt, sondern matt gesagt wftr*,
Sie seien auf hänfene Weisung in das Land Israel fturftea>
gekehrt, und hallen sieh nach Nasaret begeben. Freilieh
Wäre es dann auffallend genug), ofcne alle ftevorwertung
Btätt des bisherigen Bethlehem auf einmal Nazaret ge-
nannt zu finden ; was auch unser' EnElhler gefühlt, und
eben defcwegen die Veranlassung der Reise nach dem
letztgenannten Orte ausführlich angegeben hat (2, 22. f.)*
Statt nun aber diefs so au thun, wie er es nach dem OH*
gen thun mußte, wenn' er mit Lukas Nasaref als den ur-
sprünglichen Wohnort von Jesu Eltern kannte, thut er
es gerade *uf die entgegengesetzte Art, welche unwtder-
Sprechlich beweist, dafs seine Voraussetzung die ua^e*
kehrte von der des Lukas war* Denn wenn er den aus
Aegypteti zurückkehrenden Joseph nur aus Furcht vor
Archelaus nicht naoh Jndäa gehen laTst: so schreibt er
Ihm fa eine Geneigtheit zu, sich' wieder dahin an be-
geben; eine Geneigtheit, welche unbegreiflich bleibt,
wenn ihn nach Bethlehem nur der Sehatzungtbefehl ge-
führt hatte, und einzig unter der Voranssetaung sich er*
klärt, dafs er schon vorher dort wohnhaft gewesen«
Andrerseits, indem Mattnäus Ar die Ansiedelung in Na*
saret nur Jene Gefahr ( nebst dem Zwecke der Erfüllung
einer Weissagung) angibt: so kann er ein ursprüngliches
Zuhausesein In Nazaret nicht voraussetzen; da dieses ja
ein für sloh entscheidender Grund gewesen wäre, neben
welchem es Jenes andern nicht bedurft4 liltte*
Da hienach die Schwierigkeit einer Vereinigung des
Matthäus mit Lukas in diesem Stacke darauf beruht, .dafs
Vieri** Kapitel. % *0. ttt
es eiefi nicht will denken lusaAn, wie Jesu Ekaro, aus
Aegyptan awöckhdounejid, im Sinne haben könnten, sich
noch einmal nach Bethlehem au begebet, wenn diese«
nicht ihre uvepNingliehe lleimath war: eo haben aleh <tte
Bemühungen de* Erkltter hauptsächlich auf den Pankt
hinwenden mfiaeen, noch anderweitige firtede ausfindig
an aiachen , dnwsb welehe In Joseph nnd Maate Jene Heb
gnng veranlagst «ein kennte. < Solche Versuche finden fleh
schon sehr frohe. An Lukas anknöpfend, welcher, se be-
stimmt er Kaaarat als den Wohnort der Eltern Jesu vor-
unstete* 9 doch auch Bethlehem dem Joseph nicht gann
fremd sein,, sondern als Stammest mit ihm in Besiehnng
stehen Ifilst, scheint Justin der Märtyrer Naaaret nwar
ah Wohnort, Bethlehem aber als Geburtsort Josephs vor*
nnsansotten *) , und Cseöner glaubt in dieser Justiniseheu
Nachricht die Quelle und die Ausgleichung der abwei-
chenden Berichte unserer beiden Evangelisten su finden8)»
Allein, ffir's Erste, ausgeglichen sind sie hiedurch fcoinee*
wegs. Denn' wenn doch als der Ort, wo sich Joseph
häuslich niedergelassen hatte, auch hier Naaaret stehe*
bleibt, so aeigt sieh immer kein Grund ftr ihn, nach sei*
ner Rfiefckebr von der ägyptischen Flucht auf Einmal aei-
aen bisherigen Wohnort mit seinem Gebortsorte nu ver-
tauschen; Bumal er auch nu der früheren Reise dahin
nach Justin selbst nicht etwa durch einen Plan, sieh -dort
anzusiedeln, sondern lediglich durch die Schatamng vet>
3) DiaL C. Tryph. 78: ayO^lü&n (7«*>w) eno Ncfr^x, Ir&a
fxtiy elf Bq&üh/u, o&9v ijv, e7ioyQafao9cu. Indc88 könnte man
das o&ty qv möglicherweise als Bezeichnung des blossen
Stammorts fassen; rnmal wenn man den Zusatz Justins er-
wägt: ano yaq rq; maTouttiotft rjr y£r fefe-yr tf>vlfr*I*&a ro yi-
3) Beitrage sur Einheit in das N. T. l, S. 217. Vergl. Uonr-
maii«, S. 238 f. 277 ff.
3Sf Ars ter Abschnitt. •'
aniafst werten war: ei* Anlafs| weloher nach der Flacht
jedenfalls fehlte» So steht eile Darstellung Jnstin's mehr
auf -der Seite de« Lukas, und reicht nicht hin, um den
Matthftas mit ihn su vereinigen. - Da£s aber die Justinl~
sehe N anbricht auch die «Quelle der - beide» tmsrigeu sein
sollt*, ist hoch weniger so glauben* -Denn wie aus der
Angabe bei Justin, welche doch sbhon Nasaret als Wohn-
ort» und die * Schätzung ale Veranlassung der Reise
nach Bethlehem hat , die Krafthlong des Matthias ha-
be entstehen kSiraen, welche von heidem nichts weifs,
begreift man nicht; und Oberhaupt, wo sich ektostheile
awei divergirende Belichte, anderntheils eine nngenö-
gende Verbindung denselben findet, da ist gewifs nicht
diese das ursprüngliche und jene abgeleitet, sondern
umgekehrt: und eben- in dieser Reite, Aasgleichungen
su versuchen, haben wir den Justin oder seine Quellen
schon oben, bei Gelegenheit der Genealogien, kennen'
gedornt»
Ein nachhaltigerer Ausgleiehongstersuch ist in dem
apoJrrjrphischen Evangelium de natMtate Mariae gemacht
worden, und hat anoh bei neueren Theologen vielen Bei»
fall gefunden. Nach diesem Apokryphem ist das elter-
liche 'Haue der Maria in Nasaret , und obwohl im Tempel
so Jerusalem ersogen, und dort mit Joseph verlobt, kehrt
sie doch, nachdem diefs geschehen , zu : ihren Bitern nach
Galilfta sariftefc« Joseph hingegen war nicht blofs gebürtig
von Bethlehem, wie Justin sagen su wollen scheint, son-
dern er hatte auch sein Haus daselbst, und holte die
Maria dahin heim *)• Allein diese Ausgleichung ist nun
su sehr su Gunsten des Matthäus, gegen den {jukas.
Denn die Schätzung nebst Zubehör ist weggelassen und
muftte weggelassen werden , weil , wenn Joseph in Beth-
lehem su Hause, und nur um seine Braut heimsuholen
4) C. 1. 8 10. '
Vierte* Kapitel. J. 39. 333
»ach Nazaret gereist war, . sieht erst der Ceusue ihn
wieder dorthin gerufen haben wurde, sondern er wfire
Dach wenigen Tagen Abwesenheit von selbst tweüokg&>
kehrt;- hauptsächlich aber, wenn er in Bethlehem sein
Heknwesen (eine domus radisponiren) hatte: so braucht*
er bei seiner Dahin* unft nieht ein xaxakvfja aufzusacken,
«m auch in diesen keinen Raum an finden, sondern er
wfirde die Mark unter sein eigenes Dach gefthrt haben.
Daher nehmen neuere Ausleger, welefae die Auskunft des
Apokryphums sieh au Nutae machen, aber aueh die Sehn»
tsung des Lukas nicht fallen lasseh wollen , an , Joseph
habe ewar froher in Bethlehem gewohnt und gearbeitet)
doch keine eigene Wohnung daselbst besessen, und aueh
als ihn die Sehatsung, ehe er's dachte, dahin sttrfiokriet\
noeh sieht f Ar eine solche gesorgt gehabt *). Allein nieht
■nr nieht als Ansässige, sondern nicht einmal als Fremde
die sich ansiedeln wollen, vielmehr nur als solche, die
«ach möglichst kurzem Aufenthalte wieder abzureisen ge-
denken, erscheinen nach Lukas Jesu Kitern in Bethlehem«
Setzt diese Annahme die Eltern Jesu als sehr arm voraus:
so will Olsbaüskn mm Behuf der Ausgleichung der vc*.
liegenden Differenz sie lieber bereichern, indem er an*
nimmt, sie haben sowohl in Bethlehem als in Nasaret Be-
sitzungen gehabt, hätten also an dem einen oder andern
Orte sieh niederlassen können : aber unbekannte Umstän-
de heben nach der Rückkehr aus Aegypten sie geneigt
gemacht, fär Bethlehem sieh au entscheiden, bis die
himmlische Warnung dazwischen getreten sei. Jenen
▼ob Olshausbn unbestimmt gelassenen Grund, der den
filtern Jeau eine Niederlassung in Bethlehem wffitscheas»
werth machte, geben andere Ausleger, wie Heyderäxich *),
5) So Paulus, exeg. Handh. 1, a, S. 178«
6) Ueber die Unzulässigkeit der mythischen Auffassung u. s. t
i, S. 101.
SM Erster Abschnitt» -
4UM0 sn# es habe ihnen am sehiekliohsten scheinen mfisaen,
dafs de» ihnen geschenkte Davidssobn in der Davidsstadt
«mögen werde.
Hiebet sollten sieh aber die Theologen doch so weit
*n Nkandbr's Redlichkeit spiegeln , um mit ihm einenge»
stehen, da£» von dieser Absiebt der Eltern Jesn, sieb in
Bethlehem niedersulassen, und von den Ursachen, welche
sie bewogen, diesen Plan hernach aufzugeben, Lohne
nichts weift, sondern nur Matthäus« Aber was weifs denn;
Matthäus fUr Ursachen dieser angebliehen Aendernng
des Planes ansugeben! Den Magier besuch, den Kinder»
jnord, Traumgesichte auf der ägyptischen Flucht: Ersah«
langen , deren naehweislioh unhistorischer Charakter sie
durchaus ungeeignet macht, der Angabe einer Aende-
rnng des Wohnsitses von Seiten der Eltern. Jesn rar
Gewähr nu dienen« Andrerseits, gesteht Neamdkk bo,
möge der Verfasser des ersten Evangeliums von der beson-
dern Ursache, durch welche dem Lukas sufolge die Reise
nah Bethlehem herbeigeführt war, nichts gewefst, und
daher Bethlehem für den ursprünglichen Wohnort der
Kitern Jesn genommen haben: und dennoch könne, ob-
gleich nicht in. dem Bewufstsein beider Schriftsteller eu-
aammen vorhanden,, in der Wirklichkeit der Inhalt beider
Berichte ineinandergegriffen haben *)• Allein, wie oben,
wodurch begründet denn nun Lukas die Rebe nach Beth-
lehem? Durch die Schatsung; welche nach unserer fr&V
beren Untersuchung eine ebenso morsche Stfttae für diene
Angabe ist, als der Kindermord und seine Folgen für die
des Matthäus. Auch hier demnaoh geht es nicht an,
durch Einräaunungvder (Jnbekanntscbaft des einen Bericht-
erstatter« mit dem, was der andere berichtet, die von bei-
den eraählten Tbatsachen nu retten: da jeder nicht bloCs
das Nichtwissen des Andern, sondern aufserdem noch
7) L. & Gh. 9. 33.
Viertes Kapitel fr3& S9i
die Unwebreeiieinlichkeit seines ejgemn Berichtes gegen
sieh hat.
.Doch wir mttoen dl» eineeinen Seilen and Bestand-
theile der beiderseitigen Angeben erst noch genauer anter*
seheidem Da de« eben Bemerkten anfblge die Wohnerts-
verändemng der- Kitern Jesa bei Matthäns mit den um»
historische* Denmvde* bethlehemitischen Kindermovds and
der Flacht neeh Aegypten so ansammenhängt, dafs ohne
dieee jede Veranlassung einer späteren Verlegung des Wohnsi*
tnes hinwegfällt: so werden wir in diesem Stücke auf die
Seite des Lnkas treten , welcher die Eltern Jesu nach tvie,
vor dessen Gebart en .demselben Orte wohnen lifit. De~
Ar hingt denn eher bei Lukvs die Angabe, Jeans sei an
einem endern Orte geboren als wo, seine Eltern wohnhaft
waren, mit einem eben so wenig historischen Datum, näm-
lich der Schätzung, Basammen, und mit dieser fällt jeder
Aniafs für die Eltern Jesu weg, bei herannahender Ent-
bindung der Maria eine so weite Reise an unternehmen:
so dafs wir in diesem Stücke aas auf die Seite des Mat«
tkäus neigen werden, wenn er Jesus nicht auswärts, son»
dem an dem Wohnorte seiner Eltern geboren sein läfat*
Doch nur diefe FormeHe und Negative haben wir bis jetet,
dafe die' Angaben der Evangelisten unverbürgt sind, nach
welche* Jesu Eltern an einem andern Orte früher gewohnt
haben sollen als später, and Jesus anderswo geboren wäre,
als wo seine Eltern wohnten: über das Positive und Mar
Serielle, weiches dehn dieser Ort gewesen, ist die Unter»
smshung'erafr anzustellen.
In dieeer Hinsieht werden wir nnn in entgegengeseta»
ter Riehtang anseinandergenogen , indem wir als Geborte«
ort Jesn, wo wir neeh unserem eben gewonnenen Ergeh»
nifa keinen Grand haben, seine Eltern nioht auch wohn«»
halt an denken, in beiden Evangelien Bethlehem angegeben
finden ; als späteren Wohnort dagegen , welchen nach dem
en nor eine unverbürgte Angabe uns verbieten will
tU Rrslrer ^bschnltf. '
aneh als de* UYspHtt^Jtibett and soinjt aW Geburtsort Jesu
ansusehen, gleichfalls in beiden Nasaret. Dieser Wider*
sprach ist unauflöslich, wenn beide Richtungen wirklich
gleich stark aneiehenj; er itist sich eher, sobald auf der
einen Seite das Band reifst, und ans der andern Richtung
ungehindert folgen iifst Prüfen: wir suerst das ' Band,
weicht* uns an die Annahme Ab9 gaUfäisehen. Nasaret als
des späteren Wohnaitses der Eitern Jesu kuipft, se he*
steht es nicht allein in der trockenen Angabe der vorlie-
genden Stellen im sweiten Kapitel des Matthäus und Lukas,
dafs die Eitern Jesu nach - dessen Geburt sieh in Nasaret
aufgehalten: sondern in einer1 fortlaufenden Reihe von Da«
ten aus der evangelischen «und der Ältesten Kirchenge«
schichte. ' Der GalUäer, der Nasarener, war der stehende
Beiname Jesu : als Jesus von Nasaret stellte ihn Pfailippus
dem Nathanael vor, welcher ihm die Frage suräehgabr
was kann aus Nasaret Gutes kommen? (Job* 1, 46 f.)
Nasaret wird nicht biofs als der Out, h tp Te&Qaptdvog
(Luc. 4, 16 >, sondern geradesu auch* als seme ^or^ he*
neichnet (Matth. 13, 64. Marc. 6, 1.); ak Jeans der Na-
säretaner wird er von den Leuten kenntikh gemacht (Lue»
18, 37.) und von den Dämonen angerufen (Marc; 1« M-);
noch am Kreuse beseiohnet ihn die * Uebentohrift als Nasa*
reifer < (Jon. 19, 19.) , * und nach seiner Auferstehung ver-
kündigen die Apostel allenthalben Jesum voa Nasaret CA* 6*
% 12J) und thun in seinem Namen als des Nasareuers
Wunder (A. G. 3, 6.)« Auch seine Anhänger wurden noch
längere Zeit Nasarener genannt, und. erat in späteren Zct»
ten ging diefter Name auf eine ketserieahe Sehte über 8).
Diese Benennung seist, we*u<4ueh nicht diefr, dafs Jesus
von Nasnret gebti rtigt ist*, so doch einen längeren Aufent»
halt desselben an dem gedachten Orte voraus ; ein Aufent-
halt, weicher, da eich Jesus* glaubwürdigen Nachrichten
» *
* 8) TcrtuB. tdV.^llllrciön. 4, 8. Epipban. hacr. 29, 'f.
«»folge (Luc. 4, 16 f. und die Parall.), wahrend seines
öffentlichen Lebens nur vorabergehend daselbst verweilt
hat, einzig in »eini>t frühere Lebensperiode fallen kann,
welche er im Schoofse seiner Familie verlebte. Diese also,
und namentlich seine Eltern, müssen während der Kind-
heit Jesu in Nazaret gewohnt haben, nnd wenn einmal,
dann ohne Zweifel von jeher, da wir keinen geschichtli-
chen Grund haben, eine Wohnor tsver ändern ng anzuneh-
men: so dafs dieser eine der beiden widersprechenden
Sätze alle die Festigkeit hat, die man von Thatsachen aus
■o alter nnd dunkler Zeit erwarten kann.'
Anch der andere Safts jedoch, dafs Jesus In Bethle-
hem geboren sei, ruht keineswegs nnr anf der Angabe un-
serer ersten Kapitel, sondern zugleich anf der durch eine
Prophetenstelle veranlagten Erwartung, dafs der Mes-
siaa in Bethlehem werde geboren werden (vergl. mit
Matth. 2, 5 f. Joh. 7, 42.)- Aber eben diefs Ist eine ge-
fährliche Stütze, und derjenige sollte sie gerne missen,
welcher Jesu Gebart in Bethlehem als historisch festhalten
will. Denn wo der Nachricht von einem Erfolge eine
lange Erwartung desselben vorangeht, da mnfs schon ein
starker Verdacht entstehen, ob nicht die Firzlhlong, dafs
das Erwartete eingetroffen sei, nur der Voraussetzung,
dafs es habe eintreffen mässen, Ihre Entstehung verdanken
möge. Zumal wenn jene Erwartung nngegrnndet war;
wie- hier der Erfolg eine falsche Auslegung eines prophe-
tischen Orakels bestätigt haben mdfste. Also diese pro-
phetische Grundlage der Geburt Jesu in Bethlehem be-
nimmt der historischen, welche In der Erzählung von
Matth. and Lac 2. liegt, Ihre Kraft, indem die letztere nur
auf die erstare gebaut erseheint, und folglich mit ihr hinfällt.
Außer diesen aber sacht man einen anderweitigen Beleg
für jene Annahme vergeblich. Nirgends sonst im N. T.
wird Jesu bethlehemitischer Geburt erwähnt; nirgends
tritt er mit diesem seinem angeblichen Geburtsort in irgend
DaiLe&mJem Ut Aufl. I.Bund. , 32
33S
Erster Abschnitt.
'ein* Begleitung, oder erweist ihm die Ehre eines Besuchs,
die er doch dem unwürdigen Nasaret nicht versagt; nir-
gends beruft er sich auf jene Thatsache als einen Mitbe-
weis seiner Messianität, unerachtet er daen die bestimm*
teste Veranlassung hatte, da sich Manche an seiner gali-
läischen Abkunft stiefsen, und sich darauf beriefen, dafs
der Messias aas der Daridsstadt Bethlehem kommen
müsse (Joh. 7, 42.) 9,. Zwar sagt hier Johannes nicht,
dafs diese Bedenklichkeiten in Gegenwart Jdsu geäussert
worden seien **); aber wie er unmittelbar vorher (V. 39.)
eine Rede Jesu mit der eigenen Bemerkung begleitet hat,
es habe damals noch kein mtvfi* ayiov gegeben : so würde
auch hier die Erläuterung an der Stelle gewesen "" sein,
das Volk habe nämlich noch nicht gewufst, dafs Jesus von
Bethlehem gebürtig gewesen. Alan wird eine solche Notis
für einen Johannes zu äufserlich und unbedeutend finden;
allein so viel ist gewifs: wenn er mehrmals von der
Meinung der Leute, dafs Jesus ein geborener Masavener
sei, und ihrem Anstofs daran su erzählen hatte, so mußte
er, wenn er es anders wufote, eine berichtigende Bemer-
kung hinsufügen, oder er erregte den falschen Schein,
als stimme auch er jener Meinung bei. Nun aber findet
sich nicht blofs an jener Stelle, sondern auch Joh. 1, 46 ff.
ein solcher Anstofs, welchen hier, wie schon oben erwähnt,
Mathanael an der nazaretanischen Abkunft Jesu nimmt,
ohne dafs diese Meinung unmittelbar oder mittelbar be-
richtigt würde; denn nirgends erfahrt er nachher, dafs
dieser Gute wirklich nicht aus Nazaret gewesen, sondern
erimufs lernen, dafs auch aus Nasaret etwas Gutes kom~
men könne. Ueberhaupt, wäre Jesus, wenn auch noch
9) Vgl. K.Cb,. L. Schmidt in Schmidt** Bibliothek, 5, i,S. 123 f.;
Kjuskr, bibl. Theol. l, S. 250.
1(V) Worauf »ich t. B. Hbyi)b*rkich beruft , übor die Unzuläs-
sigkeit u. s. f, i, $.. 99. * .
* Vierte« Kapitel, $• 39. 339
so suftllig, in Bethlehm geboren gewesen: so wäre es,
bei der Bedeutung, welche diefs für den Glauben an seine
Messianität gehabt hätte, nicht su begreifen, wie ihn auch
die Seinigen immer nur den Nasarener nennen konnten,
ohne diesem, von den Gegnern mit polemischem Acoent
ausgesprochenen Beinamen den apologetischen Ehrennamen
des BethlehemUen entgegensustellen. — Ist die Angabe
Ton Jesu Geburt in Bethlehem auf diese Weise von allen
gültigen historischen Zengnissen verlassen; ja hat sie be-
stimmte geschichtliche Thatsachen gegen sich, und läfst
sie sich namentlich -mit dem, was uns nun feststeht, dafs
die Eltern Jesu später, und, wie wir nicht anders wissen,
auch von jeher, in Na rare t gewohnt haben , und dafs Je-
sus, sofern uns keine glaubwürdige Nachricht vom Gegen-
theil versichert, an keinem, von dem Wohusitse seiner
Eltern verschiedenen Orte geboren sei, nicht vereinigen:
so. kann es uns keine Ueberwindueg mehr kosten, uns da«
hin su entscheiden, dats Jesus nicht in Bethlehem, sondern,
da wir keine andere sichere Spur haben, am wahrschein-
lichsten in Nasaret geboren «ei.
Demnach würde sich in diesem Punkte das Verhält-
nifs der beiden Evangelisten folgen^ermafsen stellen.
Was das Formelle betrifft, hätte jeder zur Hälfte Recht
und zur Hälfte Unrecht: Lukas Recht in der Behauptung
der Identität des früheren Wohnortes der Eltern Jesu mit
dem späteren, und hierin hätte Matthäus Unrecht; Mat-
thäus Recht in der Festhaltang der Identität des Geburts-
ortes Jesu mit dem Wohnorte seiner Eltern, und hierin
wäre der Irrthum auf Seiten des Lukas. In Hinsicht auf
das Materielle aber hat Lukas darin das völlig Richtige,
dafs er vor wie nach der Geburt Jesu dessen Eltern in
Nasaret wohnen läfst, wo Matthäus nur die halbe Wahr-
heit hat, dafr sie nämlich nach Jesu Geburt daselbst an*
eässig gewesen; in der Angabe aber, dafs Jesus in Beth-
lehem geboren worden, haben beide entschieden Unrecht.
340 Erster Abschnitt.
Woher nun alles Falsche hei beiden kommt, da» ist die
jüdische Meinung, der sie nachgaben, der Messias müsse
zu Bethlehem geboren sein; woher aber alles Richtige,
das ist die Thatsache, welche sie Vorfanden, da& Jesus
immer als Nazaretaner gegolten hat; woher endlieh das
verschiedene Verhältnifs des Wahren und Falschen in bei-
den, und das Uebergewicht des letzteren bei Matthäus, dra
ist die verschiedene Weise, wie sich beide eu jenen Prä-
missen verhielten. Galt es nlmlich eine Vereinigung der
beideft Punkte: des historischen Datums, dafs Jesus als
Nazaretaner bekannt war , und des prophetischen Paste»
lats , dafs er , als Messias , zu Bethlehem geboren sein
müsse: so vollzog Matthäus, oder die Sage, welcher er
folgte, nach der vorwiegenden Richtung dieses Evangelium«
auf prophetischen Pragmatismus, die Vereinigung so, dafs
das Uebergewicht auf das vom Propheten an die Hand ge-
gebene Bethlehem gelegt, dieses schon als die ursprüng-
liche Heimath der filtern Jesu angenommen, und Naza-
ret als der, nur durch eine spätere Wendung der Dinge
herbeigeführte Zufluchtsort dargestellt wurde; wogegen
der mehr historisoh - pragmatische Lukas diejenige Gestal-
tung der Sage aufnahm oder selbst bildete, nach welcher
auf das von der Geschichte an die Hand gegebene Naza-
ret der Hanptnachdruck gelegt, es als der ursprüngliche
Wohnort der Eltern Jesu gefafst, und der Aufenthalt in
Bethlehem nur als ein in Folge eines zufälligen Ereignis-
ses zwischeneingetretener betrachtet wurde.
Bei diesem Stande der Sache wird es wohl Niemand
vorziehen wollen, weder mit Schleiermacher'11) die Frage
über das Verhältnifs der beiden Berichte zum Thatbe-
11) UiJber den Lukas, S. 49. Ein ähnliches Schwanken bei
Ttisif.it, zur Biographie Jesu, §. 15.
Vierte« Kapitel. §. 39. 541
stand unentschieden na lassen, noch mit Sikpfbrt lt) einsei-
tig för den Lukas sich na entscheiden '*)•
12) Ueber den Ursprung u. s. w., S. 68 f. u. S. 138.
13) VergL Ajuaon, Fortbildung, 1, S. 194 ff.; d* Witts, exegct.
Handb., 1, 2, S. 24 f. $ George, S. 84 ff. — Diese Erscheinung,
da** von einer Autgabe verschiedene Erzähler verschiedene
Lösungen versuchen, und. diese hernach, oft sogar in Einem
Boche, zusammengestellt werden, lasst sich durch eine Masse
A. T. lieber Beispiele belegen. So gibt die Genesis von dem
Namen des Isaak eine dreifache Ableitung (wie oben, S. 106)
bemerkt worden ist); von dem des Jakob eine doppelte (25,
26. 27, 16) ; ebenso von den Namen Edom (25, 25. 25, 30) und
Bersafra (21, 31. 26, 33). Vergl. ds Witts , Kritik der mos.
Gesch., 8. 110. 118 ff., und meine Streitschriften, 1, 1,
S. 83 ff. '
Fünftes Kapitel.
r
Der erste Tempelbesuch und die
Bildung Jesu.
5. 40.
Der zwölfjährige Jesus im Tempel.
Heber die ganze Periode von der Rückkehr der El-
tern Jesu mit ihrem Kinde aus Aegypten bis zu der Taufe
Jesu durch Johannes geht das Matthäus «Evangelium still-
schweigend hinweg, und auch Lukas weif» uns aus der
langen Zeit von der ersten Kindheit Jesu bis zu seinem
Mannesalter nur Einen Vorfall noch zu berichten : die Art
und Weise nämlich, wie er fm zwölften Lebensjahre im
Tempel zu Jerusalem auftrat (2, 41— 52.). Diese Erzäh-
lung aus der beginnenden Jugend Jesu unterscheidet sich
von den bisher betrachteten aus seiner Kindheit nach der
richtigen Beobachtung von Hess1) dadurch, dafs sich in
derselben Jesus nicht mehr, wie in jenen, blofs leidend
verhält, sondern eine thätige Probe von seiner hohen Be-
stimmung ablegt; und zwar bat man dieselbe von jeher
als eine solche besonders geschätzt, die uns den Moment
zeige, in welchem das höhere Bewufstsein in Jesu hervor-
getreten sei 2).
Im zwölften Jahre, wo nach jüdischer Sitte der Knabe
1) Geschichte Jesu, 1, S. HO.
2) Olsiuvskiv, bibl. Gomm, 1, S, 145 f.
Fünftes Kapitel. $. 40. 343
cum setbststandigen Antheil an den heiligen Gebräuchen
gelangte, nahmen dieser Erzählung zufolge die Eltern, wie
es scheint can orstenmale, Jesum cum Paschafeste nach
Jerusalem mit. Nach Ablauf der Festzeit traten die, Kl*
fern den Rückweg an; dafs der Sohn ihnen fehlte, bot
kümmerte sie zunächst nicht, weil sie ihn irgendwo bei
der Reisegeseilschaft vermutheten. Erst nachdem sie eine
Tagreise ohne ihn zurückgelegt, und ihn bei Verwandten
und Bekannten vergeblieh gesucht, kehren sie nach Jeru«
salem zurück, um dort dach ihm an sehen. — Dieses Be-
nehmen der Kitern Jesu kann befremden. Es kann mit
der Sorgfalt, die man von denselben voraussetzen zu dar»
fen glaubt, unvereinbar scheinen, dafs sie das ihnen an-
vertraute HimmeJskind so lange aus den Augen gelassen
haben sollen, und man hat ihnen daher von manchen Sei-
ten in Besug hierauf geradesu Naehläfsigkeit und PfKcht-
versfiumnifs vorgeworfen *). Aliein dafs einen zwölfj&hri«
gen Knaben — d. i. im Orient so viel als bei uns ein 13«
fahriger — von der Gediegenheit des Charakters, wie sie
Jesus schon damals gezeigt haben mufs : dafs einen solchen
seine Eltern nicht immer ängstlich unter ihren Augen hiel-
ten, mufs wohl sehr natürlich und billig gefunden wer-
den *). War er aber einmal, als der Augenblick der Ab-
reise herankam, nicht bei ihnen : so wäre es zweckwidrig
gewesen , ihn in der Verwirrung der überfüllten Haupt-
stadt beharrlich zu suchen, und indefs die Landsleute nach
Hause reisen su lassen ; es war vielmehr ganz das Rechte,
was die Eltern Jesu ergriffen: nach einigem Warten der
galiläischen Karawane nachzureisen, bei welcher sie allen
Grund hatten, den Sohn zu vermuthen , da sich aiyyeyeic;
xui yrtogdi in derselben befanden fi).
3) Derselbe a. a. O. S. 146.
4) Hase, Leben Jesu, §. 37 ; Heydikrkicii, über die Unsulassig-
keit u. s. f., 1, S. 103; Täoluck, Glaubwürdigkeit, S, 216 f.
5) S. die Ausführung von Tholuck, a, a. O. S. 214 ff.
t
i •
*
344 Erster Abschnitt.
Nach Jerusalem umgekehrt, finden sie am dritten
Tage den Sohn im Tempel; ohne Zweifel in einer der
gufseren Hallen, unter einem consessus von Lehrern, in
einer Unterredung mit ihnen begriffen, und .als Gegenstand
allgemeiner Bewunderung (V. 45 f.)* Hier könnte es nach
einigen Spuren scheinen, als wäre Jesu den Lehrern ge-
genftber ein höheres Verhältnis gegeben, als es einem
swölfjährigen Knaben ankommen konnte. Schon das xa-
&£±6{tevov (V. 46.) bat Anstofs erregt; da nach jfidiscben
Nachrichten erst nach dem weit späteren Tode des Rab-
ban Gamaliel die Sitte aufgekommen ist, dafs die Rabbi-
nenschäler safsen, während sie bis dahin in der Schule
hatten stehen müssen 6) : allein diese jüdische Ueberliefe-
rung ist aweifelhaft 7). Auch das hat man anstöfgig ge-
funden, dafs Jesus sich nicht blofs receptiv als dxscw, son-
dern anch activ als insQonwv au den Lehrern verhalte,
und so gleichsam als ihren Lehrer au benehmen scheine*
So fassen es freilich die apokryphisehen Evangelien, nach
welchen Jesus schon vor seinem zwölften Jahre alle Leh-
rer durch seine Fragen verlegen macht, und seinem Infor-
mator im Alphabet die mystische Bedeutung desselben auf«
schliefst; bei jenem Tempelbesnch aber Streitfragen wie
die über den Messias als augleioh Davids Sohn und Herrn
(Matth. 22, 41 f.) auf die Bahn bringt, und sofort gleichsam
in allen Facultäten Unterricht ertheilt8). Wäre freilich
das eQwr^v und anoxQivso&ai von einem solchen belehren-
den Verhältnisse au verstehen: so mausten wir eines so
unnatürlichen Zuges wegen 9) die evangelische Ersählung
nach dieser Seite verdächtig finden. Allein au einer sol-
6) Megillah f. 21, bei Lightfoot z. <L St.
7) s. bei Küin'öl, in Luc. p. 553.
8) Evangel. Thomae c. 6 ff. Bei Thilo, S. 288 ff. und Evangel,
Infant, arab. c. 48 ff. p. 123 ff. bei Thilo.
9) Dafür erkennt diese Vorstellung auch Olshaussk an.
Fünfte* Kapitel. §.40. *45
ehen Auffassung der Worte nöthigt uns nichts; da Dach
jadischer Sitte der rabbinisohe Unterricht von der Art
war, dafs nicht bJofs die Lehrer den Schillern, sondern
auch diese den Lehrern Fragen vorlegten, wenn sie Ober
etwas Auf schlafs wünschten *•). So dürfen wir daher
noch hier an solche, einem Knaben geziemende Fragen* am
so wahrscheinlicher denken , als unser Text , nicht ohne
Absieht, wie es scheint, die Verwunderung der Lehrer
nicht an die Fragen, sondern an die anoxQiaEtg Jesu knCpft,
also an dasjenige, worin sich Jesns an meisten als verstän-
digen Schaler zeigen konnte. Indefs, auch die Fragen be-
treffend, bemerkt Tholück mit Recht, es wäre diefo nicht
das einsige Beispiel, dafs ein ewölf-, beziehungsweise
fünfzehn -jähriger genialer Schaler seinem Lehrer etwas
au rathen aufgegeben hätte , und bei der Verschrobenheit
und dem Aberwitne mancher rabbiniscben Vorstellungen
lasse sich , woraof auch Hsss aufmerksam macht , um so
leichter denken, dafs der gesunde Wahrheitssinu des Kna-
ben durch unbefangenes Fragen und Erklärungfordern die
Lehrer in verlegenes Erstaunen versetzen konnte. — Be-
denklicher könnte der Ausdruck scheinen, dafs der Knabe
Jesus iv ftia<p %<av didccüxaXajv gesessen habe. Denn was
einem Schaler siemte, das sagt uns Paulus A. G. 22, S.,
nämlich sich su bilden TtccQa rag nodag der Rabbinen , in*
dem diese auf Kathedern, die Schaler aber auf dem Boden
safsen11); nicht aber, mitten unter den Lehrern Platz zu
nehmen. Freilich glaubt man das iv /tteay bald so erklä-
ren zu können, dafs es nur ein Sitzen zwischen den. Leh-
rern bedeute, indem mehrere Lehrer auf ihren Snggesten,
and zwischen diesen Jesus mit andern Schülern auf der
10) t. die Belege (z. B. Hierot. Taanith 67, 4.) bei Wststkis
und.Li«nTrooT z. d, St.
11) LifrirrropT, horae, S. 742.
•*.*»■
346 Erster Abschnitt
Erde sitzend vorgestellt werde ,2) ; bald toll es überhaupt
nur in Gesellschaft von Lehrern, d. h.'iii der Synagoge,
bedeuten 15): allein dem Wortsinne nach scheint doch
xa&eZeafrai iv fdaq* %tvviv^ wenn auch nicht, wie Schott-
gkn in majorem Jesu gloriam glaubt **), einen Ehrenplatz,
so doch ein Sitzen in gleichem Verhältnils mit Anderen
zu bezeichnen 15). Mag man es nun aber mit Tholugk
wahrscheinlich finden, oder nicht, dab die jüdischen Leb-
rer den ausgezeichneten Knaben neben sich haben sitzen
heifsen: im schlimmsten Falle hätte man hier einen tot*
herrlichenden Ausdruck des Berichterstatters, der gegen
YÜe wesentliche Wahrheit seines Berichtes nichts beweisen
könnte.
Es läfst hierauf die Erzählung die vorwurfsvolle Frage
der Mutter Jesu an den wiedergefundenen Sohn iblgen,
warum er den Eitern das Herzeleid dieses kummervollen
Suohens nicht erspart habe * worauf er die Antwort gibt,
welche eigentlich die Spitze der ganzen Geschichte bildet:
ob sie nicht hätten wissen können, dafs er nirgends an-
ders, als im Hanse seines Vaters, im Tempel, zu suchen
•ei? (V. 48 f.) Diese Bezeichnung Gottes als t« narqoq
könnte man unbestimmt davon nehmen wollen', dafs er
dadurch Gott als den Vater aller Menschen, und nur so
auch als den seinigen, darstellen wolle. Allein, es nur so
zu verstehen, wird nicht allein durch das hinzugesetzte
jus widerratben, da bei jenem Sinne (wie Matth. 0,9.)
eher r^oh zu erwarten wäre: sondern hauptsächlich da-
durch, dafs Jesu Eltern diese Rede nicht verstehen (V. 50.);
was bestimmt darauf hindeutet, dafs der Ausdruck etwas
Besonderes bedeuten muß : welches hier nur das Geheim*
12) Paülü«, exeg. Hdb., 1, a, S. 279.
15) Kuiköl, a. a. 0. S. 553 f.
14) Horac, 2, S. 886.
15) HK Wettk, exeg. Handb., 1, 2, S. 20
Fünftes Kapitel. §. 40.
347
nffs der Messianität Jesu sein kann, der, als Messias, vlog
&&i ins besondern Sinne war. Dafs nnn aber in dem 12-
jährigen Jesus schon das Bewnfstsein seiner Messianität
aufgegangen gewesen* diefs könnte zweifelhaft scheinen
aaf unserem Standpunkte, der durch die Nach Weisung des
blofs mythischen Charakters der Gebart»- and Kindheitoge*
schichte sich alier natürlichen wie über natürlichen fiufse*
reo Anlässe beraubt hat, welche jenes Bewnfstsein in dem
Kinde Jesu wecken konnten. Wenn zwar das Bewnfst-
sein einer mehr snbjectiven Bestimmung, könnte man sa-
gen, wie zum Dichter, Künstler u. dgl. , wobei Alles auf
die, schon frühzeitig empfindbare , innere Begabung des
Individuums ankommt, möglicherweise sehr frühe aufgehen
kann : so ist doch eine objective Bestimmung , in welcher
die Verhältnisse der gegenständlichen Wirklichkeit einen
Hauptfactor ausmachen , wie die Bestimmung zum Staats-
mann , tum Feldherrn , zum Reformator einer Religion,
unter welche Rubrik die messianische Bestimmung gehört
— eine solche ist doch schwerlich auch dem begabtesten
Individuum jemals so frühe klar geworden ; weil dazu eine
Kenntnifs der gegebenen Verhältnisse erforderlich ist, wie
sie nur eine längere Beobachtung und reifere Erfahrung
gewähren kann. Allein auch hier ist wohl zu unterschei-
den zwischen einem Bewnfstsein der Bestimmung, welcher
alle Beziehungen derselben in deutlicher Reflexion über-
schaut; was freilieh erst Sache reiferer Jahre ist: und
dem einfachen, unmittelbaren Vorgefühl, welches den. we-
sentlichen Kern des künftigen IJerufs, den es als Trieb in
sieh trägt, oft sehr frühzeitig in bedeutungsvollen Aeufse-
rungen enthüllt. Und mehr als das Letztere ist es doch
nicht, was der Knabe Jesus uns hier zu hören gibt : noch
fern von aller bestimmteren Beziehung auf die mosaische
Religion, auf Propheten, Hierarchie, Sectenwesen , Heiden
u. dgl. , ist das Bewnfstsein Gottes als seines Vaters , mit
dem er in besonders innigem Geistes- und Gemüthsvevkelir
3*8 Erster Abschnitt.
stehe, der natürlichst* Keim, ans welchem das spätere ent-
wickeltere ßewufstsein Jesu von seiner messianiscben Stel-
lang hervorwachsen mufste 16).
Dafs sofort (V. 50.) von Jesu Eltern gesagt wird, sie haben
diese Aenfsernng von ihm nicht verstanden : das mnfs bei jeder
andern Ansicht von der früheren Geschichte, als bei der unsri«
gen, sehr auffallend gefanden werden« Denn dafs ihr Sohn in
specifischem Sinne ein viog &eä genannt werden würde, diefs
war der Maria schon durch den verkündigenden Engel
na wissen gethan (Lac. 1, 32. 35.); dafs er aber eine be-
sondere Beziehung aum Tempel haben würde, diefs konn-
ten sie theils eben hieraas, theils aas .dem gläneenden
Empfange abnehmen, welchen er noch als Kind bei seiner
ersten Darstellung im Tempel, erfahren hatte. Die Eltern
Jesu, oder wenigstens Maria, von welcher wiederholt ge-
rühmt wird, dafs sie die außerordentlichen Eröffnungen
Ober ihren Sohn sorgfältig im Herzen bewahrt habe, soll-
ten also über seine damalige Rede keinen Augenblick im
Dankein geblieben sein. Aber auch schon bei jener Dar*
stellang im Tempel hiefs es, dafs sieh die Eltern Jesu
über die Reden Simeons gewandert (V. 33«), sie also wohl
nicht recht verstanden haben. Und swar war diefe nicht
von jenem Aussprache Simeons bemerkt , dafs ihr Knabe
^ioht allein elg avdgaow, sondern auch sl$ Tttwatv gerei-
chen, and das Herz seiner Matter eine (fofttpaia durch-!
dringen werde; von welcher Seite seines Berufs and
Schicksals allerdings den Eltern Jesu noch nichts mitge-
tbeilt war, worüber sie sich also wohl hätten verwandern
können; sondern diese Eröffnungen macht Simeon erat
nach der Verwunderang der Eltern, welche ihrerseits nur
durch die Aeafserangen seiner Freude über den Anblick
des Retters, .der zur Verherrlichung Israels und rar
Leuchte für die ed-vrj dienen werde, verursacht ist. Und
16) Vgl. Nhakdir, L, J. Chr., S. 37f.
ie Verwöt».
Beaiehqng
i sie -Über.
re Beatim-
Ei bleibt
'inen aber
Maria h
nbegreif-
»- Stell«,
'oraaige-
wttre so
•rgegan-
»de vor»
• nicht:
iar also
ehende
Sheren
Elteni
lieben
i oder
« int,
wnn-
Or-
vio
lie
kl
350 Erster Abschnitt.
pelten Schlufsanmerkang — dafs Jesu Matter alle diese
Worte in ihrem Herzen bewahrt (V. 51.), und dafs der
Knabe forthin an Alter and Weisheit u. s. f. angenommen
habe (V. 52«) — ob sie dem Evangelisten aus historischer
Erkundigung und Reflexion, oder vielmehr nnr ans der
Röcksicht auf den Typus der hebräischen Heldensage ge-
flossen sind, au welchem, wie wir schon oben sahen, diese
Schlufs - und Uebergängsformeln gehörten 17).
Dem Bisherigen aufolge ist in der Erafihlong von
dem ersten Auftreten Jesu im Tempel kein historisch un-
wahrscheinlicher Zug, höchstens vielleicht einige unwesent-
liche Pinselstriche vom Ersähler aus dem Seinigen hinan*
gethan; überdiefs steht die Erzählung nicht, wie einige
der bisherigen }. mit einer andern hn Verhalt nifs gegensei-
tiger Ausschließung : steht sie daher nicht etwa mit einer
späteren geschichtlich eaverläfsigen Nachricht im Wider.
Spruch, was wir hier noeh nicht absehen können, 90 hat
sie kein Merkmal des Unhistorischen gegen sich, «ober
etwa dem, dafs sie nur bei Einem Evangelisten, and swir
in einem Abschnitt uns begegnet, in welchem das Ein-
schleichen von Ungeschichtlichem leichter möglieh, and
dessen bisher betrachtete Theile wirklich lauter mythische
waren. Doch diefs ist viel zu anbestimmt, am unsere
Erzählung au gefährden ; welche nun überdiefs, da sie von
entscheidenden negativen Kriterien des Unhistorischen frei
ist, auch dadurch nicht erschüttert werden kann, wenn
17) S. oben, S. 153. 327« Diessmal vergl. noch besonders:
l.Sam. 2, 26 (LXX): Lac. 2, 52:
xai to natddfkov ^a/j»fjl cto- xai 9IqoSs n^oixcnzf aotpCa xtu *2i-
Qevero fttyaXuvo/utyov , xai ciya- xt'a, xai X^P*1 na$* $*? **** *?*
&ov xai fiiTd Kuqfo xai fitra &(X>mou;.
av&otontov.
Vergl. hiezu noch, was Josephus Antiq. 2, 9, 6. von der
Xücqis naitiixrj des Moses zu sagen weiss.
Fünftes Kapitel. §. 40.
351
sieb etwa positiv ein starkes dogmatisch - poetisches In-
teresse zeigen sollte, welches möglicherweise eur Erdich-
tung einer solchen Seene hätte veranlassen können.
In dieser Hinsicht ist nun freilich bekannt genug,
dafs von grofsen Männern , welche sich im reifen Alter
durch geistige üeberlegenheit ausgezeichnet haben , gerne
auch schon die ersten, vorbedeutenden Regungen ihres
Geistes aufgefaist, und wenn sie nicht historisch eu er mit-
teln sind, nach der Wahrscheinlichkeit erdichtet werden ,8).
Insbesondere aber auch in der hebräischen Geschichte und
Sage finden wir diese Neigung mehrfach bethftigt. So
wird Von Samuel im A. T. seihst berichtet , dafs er schon
als Knabe eine göttliche Offenbarung und die Gabe der
Weissagung erhalten habe (1. Sam. 3.), und von Moses,
über dessen Knabenjahre die A. T.liche Erzählung schweigt,
wnfste die spätere Tradition, welcher Josephus und Philo
folgen, auffallende Proben seiner frühen Entwickelang zu
erzählen. Wie in dem vorliegenden Berichte der Knabe
Jesus sich über sein Alter verständig zeigt : so soll dasselbe
auch bei Moses der Fall gewesen sein 19); wie Jesus, von dem
eiteln Geräusche der festlich bewegten Stadt sich abwen-
dend, im Tempel, bei den Lehrern seine liebste Unterhal-
tung findet: so sog auch den Knaben Moses nicht kindi-
sche« Spiel, sondern nur ernste ßesehäfcigung an, und
frühzeitig mufsten ihm Lehrer bestellt werden , welchen
er jedoch, wie dei zwölfjährige Jesus, sich bald überlegen
zeigte20)-
18) Vgl. Tholucx, S. 209.
19) Joseph. Ankiq. 2, 9, 6 5 avnaig Sh » xcrra r^v ykxCav etpvero av-
TW, X. f. X.
20) Philo, de vita Mosis , Opp. cd. Mangey , Vol. 2. S. 83 f. hX
tka xofJiA?] vqmag jjSero Ttfifraaudii xal yfin)Ot xal 7rai3tai$ — alX alow N
' xvt aeuvörrjTa na(ia(paiy«tv, axmiuaoi xal &ea/iartiv, a tfjv ^v^v fueUtv
uHffXi-afLV. jiigüstTxt. Sidäoxa/iot <P eufh)?, aUaxd&*y aUo$y natfjoay —
'\_
352 Erster Abschnitt.
Namentlich aber bildete nach der Eigenthämlichkeit
morgenländiecher Natur und jüdischer Sitte das zwölfte
Jahr einen solchen fiutwicklungspnnkt, an welchen man
gerne besondere Proben des erwachenden Genius knöpfte;
da von dem genannten Jahr an, wie etwa bei uns vom
14ten, der Knabe als den kindischen Verhältnissen ent-
wachsen angesehen wurde 2l). Demzufolge wurde von
Moses angenommen, da(s er im zwölften Jahre aus dem
Hause seines Vaters getreten sei, um unabhängiges Organ
der göttlichen Offenbarungen zu werden 22J ; Samuel , von
welchem-, im A. T. unbestimmt gelassen war, wie frohe
ihm die Gabe der Prophetie mitgetheilt worden sei, sollte
nach der späteren Tradition vom zwölften Jahr an geweis-
sagt haben 23) , und ebenso sollten von Salomo und von
Daniel die weisen Urteilsspruche (1. Kön. 3, 23 ff. Susann.
45 ff.) schon im 12ten Jahre gefällt worden sein 2*). Nun
wäre es zwar an sich wohl möglich, dafs man in der er-
Tag vrpr;yijOfi$.
21) Chagiga, bei Wetstbin i. d. St. : A XII anno filtus ccnsetvr
maturus. Ebenso Joma f. 82, i. Berachotb f. 24, 1; woge-
gen Rereschith Rabba 63 , ebenfalls bei Wststxdt , da» drei«
sehnte Jahr als jenes Entscheidungsjahr bezeichnet.
22) Schemoth R. bei Wststiih : Dixtt R. Chama: Moses duo-
denarius aoulsus est a domo patrts svt etc.
23) Joseph. Antiq. 5, 10, 4: Za^lo; <fe umh^um* frog 9*7 <W/-
XOTOT) 7t^Oi<pjT€ve.
24) Ignat. ep. (Interpol.) ad Magnes. c. 3 : ZoXop&v <ft — J«J«-
xaerrjq ßaodevoaq, njv tpoftsqar (xtiytjv Xal SugeQ/uip'evTov hil ralg f>-
vai£t xQtotv tyexa tw naiSüxty hzoajoato. -— davajl o eotpog 6>»&f*ß*m
rqg yfyove xaro^og tS teüp nrevpari, xal rag fiamp npr nokar ftf**
rag n^üßurag ovxoqmrtag xal hri&v/utjrag alloT^üt xtUleg amjitfo»
Zwar Darstellung einer christlichen Schrift, aber in Vergiei-
chung mit den obigen Daten vielleicht nach alterer jüdischer
Sage.
Fünftes KapiteL $.40. HS
•
sten Christengemeinde gedaoht bitte : ist bei diesen A. T.-
lieben Heroen der Geist , weleher sie trieb , im 12ten Le-
bensjahre zuerst in selbsttätigen Aeufserungen hervorge-
treten : so kann er bei Jesu aoch niebt länger verborgen
gewesen sein, und wenn Samuel und Daniel in jenem Al-
ter schon in ihrer späteren Eigenschaft als gottbegeisterte
Seher, Salomo in der eines weisen Regenten sich geneigt hat :
so mufs sich Jesus ebenso schon damals in der Rolle ge-
zeigt haben, welche ihm spfiter eigentümlich war, als
Sohn Gottes und Lehrer der Menschheit. Wenn nament»
lieh in dem Berichte des Lukas bis daher das Bestreben
sichtbar war, keinen Knotenpunkt in der erstell Lebens-
■eit Jesu su übergeben, ohne ihn mit göttlichem Glänze,
mit bedeutsamen Voraeichen des Künftigen au umkleiden;
wie er seine Geburt in diesem Style behandelt, die Be-
schneidung wenigstens auf bedeutungsvolle Weise genannt,
ganz besonders aber die Darstellung im Tempel in diesem
Sinne benütst hatte: so, könnte man sagen, wollte er auch ,
den letzten Entwicklungsknoten, den ihm das Jugendleben
Jesa nach jüdischer Sitte noch bot, mit dem gebührenden
Schmuck umgeben 25>
t Andererseits jedoch, so oft es auch die Sage oder
Dichtung gewesen sein mag, welche die Jugend grofser
Minner mit solchen Proben ihres frühreifen Geistes ver-
herrlichte: so sind doch in vielen Fällen dergleichen Pro-
ben wirklich abgelegt worden; da der Natur der, Sache
nach das Genie früher, als gewöhnliche Geister9 su reifen
pflegt. Die Beispiele aus der Jugendgeschichte unsrer
groben Geister ' — Dichter, Feldherren, Gelehrten — sind
bekannt26), und gana nahe der Zeit und Oertlichkeit nach
liegt der evangelischen Erzählung ein Zug aus dem Leben
25) So Kaisir , tibi. Theol. , 1 , 234. Mehr Historische* lässt
Gabler stehen, im neuesten theo]. Journal, 3, 1, S. 39. \
26) Mehrere werden nachgewiesen von Tholück , S. 221 f. 227 f.
Dom Leben Jesu Ue Aufl. /. Band. 23
N.»
S54 Erster Abschnitt
eines ziemlich untergeordneten Talentes, von welchen ans
auf Jesum ein Schiufa a minori ad majns gilt, des Jose«
phus 27)- Läfst sich nun Überdiefs von derjenigen öe-
mOthsverfassung und Geistessrellung , die wir bei Jesu io
seinem Mannesalter finden , mit Recht behaupten , dafs sie
nicht Ergebnifa eines späten, plötzlichen Durchbruchs, son-
dern nur allmähliger, stetiger Entwicklung sein konnte : so
fügt aich in den Gang eines solchen Lebens unsere Erzäh-
lung so passend ein, dafs die Kritik kein Recht hat, ihr
die geschichtliche Geltung abzusprechen.
$. 41.
Ucber die äussere Existenz Jesu bis zu seinem 'öffentlichen
Auftritt.
In welchen äufseren Verhältnissen Jesus von der zu-
letzt beaproehenen Seene an bis zu der Zeit seines öffent-
lichen Auftritts gelebt habe, darüber findet «ich in unaern
kanonischen Evangelien kaum eine Andeutung.
Zuerst von seinem Aufenthaltsorte erfahren wir aus«
drticklioh nur aiefs, dafs er sowohl am Anfang, als am
Ende dieser dunkeln Periode in Nazaret gewesen sei.
Nämlich nach Luc. 2, 51. kehrte der 12jährige Jesus mit
seinen Eltern dahin zurück, und nach Matth*3, 13. Marc/
1, 9. kam der dreißigjährige (vgl. Luc« 3,23 ) yron da zur
Taufe des Johannes. Es scheinen also unsere Evangeli-
sten vorauszusetzen, Jesus habe auch in der Zwischenzeit
in Galiläa, und näher in Nazaret, sich aufgehalten; wo«
mit jedoch Reisen, wie zu den Festen in Jerusalem, nicht
ausgeschlossen sind.
Die Art der Beschäftigung Jesu in seinen Knaben-
27) Vita, 2. "Eti <J' aqa nctls wy 7%t$ TCöoaQfigxmStxaToy eroc 8tm ro
<fi\oyQttfituaiov vtto rtavrwy litrpHftrp , avyiorrutr at\ rtov ^if^Mi
Fünftes Kapitel. $. 41. x
und Jfinglingsjahren scheint sich, einer" Andeutung unserer
Evangelien eufolge, nach dem Gewerbe seines Vaters be-
stimmt eu haben, welchen sie als xixztov bezeichnen
(Matth. 13, 55.)« Dieser von dem Gewerbe des Joseph ge-
brauchte Ausdruck wird gewöhnlich in der Bedeutung von
faber Iwpiarius gefafst '); nur Einzelne haben aus mysti-
schen Gründen einen faber ferrarius, aurarius, oder ei-
nen caementarius darin gefunden 2). Die Holsarbeiten,
weiche er verfertigt, finden sieh bald als gröfsere, bald als
kleinere bestimmt: nach Justin und dem Evangelium Tko-
mae *) waren es aQoiQa xal £vyd9 also was wir als Wag-
nerarbeit bezeichnen würden ; nach dem Evangelium in- s
fantiae arabicum *) Thfiren, MelkgefäTse , Siebe und Kä-
sten; einmal macht er auch dem Konig einen Thronses-
sel: also theils Tischler- theils Bötticherarbeit ; das
T*rotecangelivM Jacobi dagegen Ififst ihn an oucodofjalg
arbeiten *), ohne Zweifel als Zimmermann« An dieser
Beschäftigung des Vaters scheint nun Jesus nach einem
Ausdrucke des Markus Theil genommen so haben , . wel-
cher die Nasaretaner von Jesu nicht blofs, wie Matthäus
in der Parallelstelle, fragen Ififst : s% mog igtv 6 %5 rix-
rovog wog; sondern geradezu: b% ötoq igw 6 rextw; (6, 3.)
Zwar auf den Spott des Celsus, dafs der Lehrer der ChtU
Bten Ttxziav rjv rr4v tixPi^ erwiederteOrigenes, er müsse
fibersehen haben, ort sdctfiö rcov ev %aTg ixxX)piccig yejo-
1) Daher die tfeberschrift eines arabischen 'Apokryphums ( nach
der lat. Uebersetzung bei Thilo, 1, S. 3.): historia Josephi,
fabri lignarii.
2) s. Thilo, Cod. Apocr. N. T. S. 368 f. not.
3) Justin. Dial. c. Trypb. 88. Diese Stücke Iässt er Jesum fer-
tigen, ohne Zweifel angeleitet von Joseph. Im E van gel. Tho-
mae c. 15. ist Joseph der Verfertiger.
4) cap. 38 f., S. 112 ffM bei Thilo.
5) c. 9 and 13.
356 Erster Abschnitt.
fiivüw evayyüMßJV t&ctcw ccvtoq 6 'frso5$ avaykyQccmm •>
Wirklich hat nun jene Stelle des Markus die Variante:
6 %5 T&awos vlog ; wie auch Origenes , wenn er
* die Stelle nicht ganz übersehen haben soll, gelesen
haben mufs , und was einige neuere Kritiker vorziehen *).
Alfeih mit Recht hat schon Beza hiesu bemerkt: fortasse
mutavit aliquis, existimaiis, hanc artem Christi majestati
parum convenire: wogegen schwerlich Jemand ein Interesse
haben konnte, die umgekehrte Aenderang vorzunehmen 8).
Auch Kirchenväter und Apokryphen lassen nach dieser
Andeutung des Markus Jesum seinem Vater in dessen Ge-
schäft an die Hand gehen« Justin legt besondern Werth
darauf, dafa Jesus Pflöge und Joche oder Wagschalen,
als Sinnbilder des thfitigen Lebens und der Gerechtigkeit,
verfertigt habe ^); nach dem arabischen Kindbeitsevange-
lium geht tjeftus mit Joseph an den Orten , we dieser Ar-
beit hatte, umher, um ihm in der Art su helfen, daß er,
wenn Joseph etwas zu lang oder zu kurz gemacht hatte,
durch Berührung ' oder blofses Ausstrecken der Hand der
Sache die rechte Gröfse gab; eine Nachhülfe, welche dem
Pflegevater Jesu zu Statten kam, weil er, wie das Apokry-
phum, als wäre auch für ihn jenes Handwerk zu gemein
gewesen, naiv bemerkt: nee admodum peritus erat artis
fabtifis 10). — Abgesehen von diesen apokryphischen Aus-
malungen hat jene Nachricht über die Jugendbescb&ftigiing
Je» Manches fiör sich. Einmal die Zusammenstimmung
mit der jüdischen Sitte, nach welcher auch der zu einer
6) c Gels. 6,\6.
7) Fritmchb in Marc, p, 200.
8) S. Wststbin u. Paulus z. d. St. ; Wikbr, Realw'drterbiich, J>
S. 665« Anm. ; Niajvdbr, L. J. Chr., S. 46 f. Anm.
• 9) a. S» O. I ravra yaq rd Ttxrovtxd fyya «ipycrfero tr av&QtaTroi; «w»
aqoTQa ttcä ft/ya" <&a t&tiov xai rd rfjq Üixcnoovrqt av/jßoZa StSdaxaTf
, «tri b'ffjyy ßlov •
g£l0) cap 38: '
Fünftes Kapitel- §. 41.
W7
gelehrten oder überhaupt geistigen Laufbahn Bestimmte
nebenher ein Gewerbe zu lernen pflegte; wie der Rabbi-
nenzögling Paulus zugleich ein oxipmoidg zrpf xiyyrp war
(&• 6. 18, 3.)« Da wir tiberdiefs nach unsern bisherigen
Untersuchungen von außerordentlichen Erwartungen und
Planen, welche die Eltern Jesu in Beeng auf ihren Sohn
gehabt hätten, nichts geschichtlich wissen: so ist nichts
natürlicher, als die Annahme, dafs Jesus fr abseitig zu
dem Geschäfte des Vaters angehalten worden sei. Ferner
mochten die Christen eher ein Interesse haben, sich gegen
diese Ansicht von der früheren Beschäftigung ihres Mes-
sias zu wehren," als sie zu erdichten; da sie Ihnen nicht
selten den Spott ihrer Gegner zuzog. So konnte sich,
wie schon erwähnt, Celans einer Anmerkung darüber
nicht enthalten; wefswegen Origenes von einer Bezeich-
nung Jesu als ztxxuw Im N. T. gar nichts wissen* will:
und bekannt ist die spöttische Frage des Libanius nach dem
Zimmermannssohne, welche nur ex eventu mit einer so
schlagenden Antwort versehen scheint ")• Freilich liefse
sich dagegen sagen, dafs die Nachricht von den rex-
'rwtxdis tQyoig Jesu auf einem blofsen Schlüsse von dem
Bandwerk seines Vaters auf das Treiben des' Sohns zu
beruhen scheine, welchen doch ebenso gut auch eine an-
dere Kunstfertigkeit sich habe aneignen können; ja dafs
vielleicht gar die ganze Sage vom Zimmermannshandwerk
Jesu und Josephs jener von Justin herausgehobenen sym-
bolischen Bedeutsamkeit desselben ihre Entstehung möge
zu verdanken haben» Da indessen die Angabe unserer
Evangelien von Joseph als zaxvtbv so kurz und trocken ist
und nirgends in* N. T. allegorisch benutzt, noch auch nur
näher ausgeführt wird: so ist diesem das genannte Hand-
werk nicht streitig zu machen ; von Jesus aber unaus-
gemacht zu lassen, ob er daran Theil genommen, oder nicht.
11) Theodore«. H. E. 3, 23.
358 Erster Abschnitt,
■
In welchen Vermögensumständen Jeans und «eine
Eltern sich befunden haben, ist Gegenstand mancher Ver-
handinngen gewesen. Dafs die Behauptung einer drücken-
den Armuth Jesu von Seiten orthodoxer Theologen auf
dogmatisch - ästhetischen Gründen beruhte > indem man
theils den Status exinanitionis auch in diesem^ Stücke
durchführen, theils den Contrast zwischen der /uoQffrj &eü
und noQfp*} <fc*Aa recht grell ausmalen wollte, erhellt von
selbst Dafs ferner der angeführte paulinische Gegensats
(Phil. 2, ö flF.) , so wie desselben Apostels Ausdruck , dafs
Christus tTviw^evae (%. Kor. 8, 9.)> nur das glanalose, mühe-
rolle Lehen bezeichne, welchem er sich nach seiner
himmlischen Präexistens und statt der in der jüdischen
Vorstellung gegebenen messianischen Königsrolle' unter-
sog, ist gleicherweise als anerkannt zu betrachten 12).
In dem eigenen Ausspruch Jesu, er habe nicht u5 ztpr xe-
ifalyv xUvrj (Matth. 8, 20. )i kann möglicherweise auch
nur die freiwillige Vereichtleistung auf ruhigen Gütergenufs
cum Behufe seines messianischen Wanderlebens liegen:
so dafs nur noch die Eine Nachricht (Luc. 2,24.) übrig
bleibt, dafs Maria als Reinigungsopfer Tauben, also nach
3. Mos. 12, 8. das Opfer der Armen, dargebracht habe»
welche allerdings beweist , dafs der Verfasser Jenes Ab*
Schnittes sich die Eltern Jesu in keineswegs glänzenden
Verhältnissen vorstellte **); allein wer bürgt uns dafür,
dafs nicht auch ihn schon unhistorische Gründe nu dieser
Darstellung bewogen haben? Indessen haben- wir eben-
sowenig von dem Umgekehrten, dafs Jesus Vermögen be-
sessen habe, haltbare Spuren; wenigstens auf den unge-
nauen Leibrock Joh. 19, 23. dürfe» wir uns nicht beru*
fen "), ehe wir unten genauer untersucht haben werden,
was es mit demselben für eine Bewandtnifs hat.
12) s. Hasc, Leben Jesu, §. 70; Wink«, bibl. Realw., 1, S. 665«
13) Winer a. a. O. ,
14) Wie dicss die genannten beiden Theologen a. d. a, 00, thun.
raufte» Kapitel. $. 42.
359
$. 4«.
Jesu geistige Ausbildung.
Waren Über die fufsere Existens Jean wfihrend sei-
ner Jugend die Nachrichten im höchsten Grade, dürftig:
so fehlen sie Ober seine geistige Entwicklung beinahe gans.
Denn die in der Kindheitsgeschichte bei Lukas sich wie-
derholende unbestimmte Phrase von seinem geistigen Er-
starken and Zunehmen an Weisheit sagt uns nichts, was
wir nicht auch ohne sie voraussehen müfsten ; auf die Er-
wartungen aber, welche seine Eltern schon vor seiner Ge-
burt von ihm gehabt, und aof die Gesinnungen, welche
unmentlich seine Mutter dabei an den Tag gelegt haben
soll, ist kein Schlafs su gründen, da eben diese angebli-
chen Erwartungen und Aeufserungen unhistorisch sind.
Die so eben betrachtete Ersählung von dem Auftritte des
swölrjfihrigen Jesus im Tempel liefert uns mehr nur ein
Ergebnib — die frühe und eigentümliche Entwicklung
seines religiösen ßewufstseins — als dafs sie uns ober die
Ursachen und Verhältnisse Aufsohlufs gfibe, durch welche
diese Entwicklung begünstigt war. Doch wenigstens so
viel lernen wir aus der Angabe Lue. S, 41., was sich frei-
lich von frommen Iraeliten von selbst versteht, dafs Jesu
Eltern alle Jahre nach Jerusalem sum Paschafeste au rei-
sen pflegten; wobei su vermuthen ist, dafs auch Jesus vom
zwölften Jahr an gewöhnlich mitgereist sein, und die treff-
liche Gelegenheit benotet haben wird, sich unter dem Zu-
sammenflusse von Juden und Judengenossen aus allen Lin-
dern, und von allen Gesinnungen- und Ansichten, auszubil-
den; den Zustand seines Volkes und die falschen Grund-
sätze der pharisäischen Leiter desselben kennen su ler-
nen, und seinen Blick über die engen Gränsen Palästina'*
hinaus su erweitern ')•
Ob und in wie weit Jesus die gelehrte Bildung eines
1) Paulus, exeg. Haodb.; 1, «, S. 273 fF.
0
MO Erster Abschnitt
RabUoen \erhalten habe, i*>t gleichfalls in uusern kanorf-
achen Evangelien nicht gesagt Ana Stellen wie Matth.
7, 29 t Jesus habe gelehrt h% ojq ol yQafijuaTetg , ist nur m
schliefen, dafs er die Methode der Schriftgelehrten nickt
mu der seinigen gemacht, nicht aber , dafs er die Bildung
eines yQafi/uccvevg nicht genossen habe. Freilieh laTst sieh
andrerseits ans dem Umstände, dafs Jesus nicht bJofs van
seinen Schalern (Mätth. 26, 25. 49. Marc 9, 5. 11, 21.
14,45. Joh. 4, 31. 9, 2. 11, 6. 20, 16. vgl. 1, 38. 40. SO.)
und von flehenden Hfilfsbedürftigen (Marc. 10, 51.) (taßiti
und fyaßßwl genannt wurde, sondern dafs ihm auch der
pharisäische Sqxcov Nikodemus (Job. 3, 2.) diesen Titel
nicht versagte, ebensowenig folgern, dafs er die schuimä-
fsige Bildung eines Rabbinen erhalten hatte *) ; da die Be-
grtifeung als Rabbi, wie auch das Recht des Vortrags in
der Synagoge (Lue. 4, 16 ff.) , worauf man sich ebenfalls
beruft, gewifs nicht blofs gradutrten Rabbinen, sondern
jedem thatsfichlieh erprobten Lehrer zukam *). Gegen die
bestimmte und von Jesu nicht widersprochene Aussage sei-
ner Feinde, dafs er ein yod/uptczcc ,««y fiejuafhptog sei (Job.
7, 15.), und gegen die Verwunderung der Nasaretaner,
solche Weisheit bei ihm su finden (Matth. 13, 54 ff.), von
welohem ihnen also kein gelehrtes Studium bekannt gewe-
sen sein mufs, kann man wohl schwerlich das anfahren,
dafs Jesus* sich selbst einmal als Muster eines für das
Gottesreich ausgebildeten yQajUjuarevg darstelle (Matth. 13,
52.) *) ; da dieses Wort hier einen Schriftlehrer überhaupt,
nicht gerade nur einen schulmäfsig gebildeten, bedeutet«
Endlieh auch die genaue KenntniXs der rabbinischen Lehr-
traditionen und Mifsbrfiuche , wie er sie besonders in der
Bergrede, Matth. 5. ff., und in der antipharisäischen,
2) Darauf beruft sich Paulus, a. a. O. 275 ff.
5) Vergl. Hasb, Leben Jesu, §, 38 j Nkakdir, L. J. Chiv, S. 45 f.
4) Paulus, a. a. O.
Fünftes Kapitel $. 42*
S61
Matth, 23«, an den Tag legt9), konnte er durch die zahl-
reichen Vorträge der Pharisäer an das Volk, ohne tfnen
gelehrten Cursus bei ihnen zu machen, sich erwerben.
Wenn so die evangelischen Data zusammengenommen das
Ergebnifs liefern, dafs Jesus nicht förmlich durch eine
rabbinische Schule gegangen war : so könnte dagegen an-
dererseits die Erwägung, dafs es Im Interesse der christli-
eben Sage liegen mußte, Jesuin als unabhängig von mensch-
liehen Lehrern darzustellen, sn einem Zweifel an jenen
N. T. liehen Angaben, and su der Vermuthung veranlas-
sen, dafs Jesu die gelehrte Bildung seines Volkes nicht so
gans fremd gewesen, sein möge. Doch kann aus Mangel an
urkundlichen Nachrichten hierüber nicht entschieden werden.
Indessen hat man mehr oder minder unabhängig von
den Angaben des N. T. in alter wie in neuer Zeit ver-
schiedene Hypothesen Aber die geistige Entwickelung Jesu
aufgestellt, welche nach dem Gegensätze der natürlichen
and der übernatürlichen Ansieht in zwei Hauptklassen
■erf allen. Indem es nämlich der übernatürlichen Ansicht
von Jesu Person darum sn thun sein mufs, ihn als völlig
einsig in seiner Art, als unabhängigem* allen äufseren,
menschlichen Einflüssen , als Auto - und näher Theodidak-
ten hinzustellen : so mufs sie nicht allein jede Vermuthung,
als hätte er etwas von Andern entlehnt und gelernt, ent-
schieden surüekweisen , und daher die Schwierigkeiten,
welche der natürlichen Ausbildung Jesn sich in den Weg
stellten, in möglichst grellem Lichte malen 6) ; sondern, um
desto sicherer jedes Empfangen auszuschließen, mufste man
auf diesem Standpunkte geneigt sein , Jesu eigene Sponta-
neität in der Art, wie. wir sie bei gereiftem Alter in ihm
finden, so frühe wie möglich hervortreten sn lassen« Diese
Selbsttätigkeit ist eine doppelte : eine .theoretische und
5) Darauf beruft sich Scböttciv: Christus rabbinorum tummus,
in s. horae, 2, S. 890 f.
6) Wie dicss s. B. Reinhard thut, in seinem Plan Jesu.
St>2 Erster Abschnitt.
eine praktische« Wag jene Seite, die Einsicht and Erkennt-
nis, betrifft : so findet sich das Bestreben ? diese so frohe
wie möglich auf selbstständige Weise in Jesu hervortreten
eu lassen, in den zum Theil schon oben angefahrten Schil-
derungen der Apokryphen von der Art, wie Jesus bereits
lange vor dem zwölften Jahre seine Lehrer übersehen
habe ; da er ja nach einem derselben bereits in der Wiege
gesprochen, and sich für den Sohn Gottes erklärt haben
soll 0* Aber auch die praktische Seite der höheren Selbst-
tätigkeit, welche Jesu in späteren Jahren eigen gewesen
sein soll, nämlich das Wunderthun, versetzen die apokry-
phischfen Evangelien schon in seine erste Kindheit und
Jugend« Mit dem fünften Jahre Jesu eröffnet das Evan-
gelium Thomae seine Erzählung von dessen Wundertha-
ten *) ; nnd das arabische Evangelium infantiae fallt schon
die ägyptische Reise mit einer Masse von Mirakeln, welche
die Mutter Jesu mittelst der Windeln oder des Wasch-
wassers ihres Kindes verrichtet *)• Oie Wander, welche
nach diesen Apokryphen das Kind and der Knabe Jesus
thut, sind theils den N. T. liehen analog: Heilungen and
Todtenerweckungen; theils, ganz abweichend von dem in
den kanonischen Evangelien herrschenden Typus, höchst
widrige Strafwunder, vermöge deren Jeder, der dem Kna-
ben Jesus in irgend etwas entgegen ist, erlahmen oder
gar sterben mufs 10) ; oder völlig abenteuerliche Stücke,
wie die Belebung aus Koth geformter Sperlinge ") u. dgL
Das entgegengesetzte Interesse der natürlichen An«
sieht von Jesu: seine Erscheinung dem Causalitätsgesetee
7) Evangel. Infant arab. c. 1. S. 60 f. bei Thilo, und die §. 40.
angeführten Stellen aus demselben Evangelium und dem Evang«
Thomae.
8) cap. 2, 9. 278. Thilo.
9) cap, 10 ff.
10) ». B. Evang. Thomae, c. 3 — 5. Evang. infant. arab. c. 46 f.
11) Evang. Thomae, c. 2. Evang. iof. arah. c. 56.
F Haftet Kapitel. §«42. 366
geuUtfs aus verwandten früheren und gleichseitigen an er-
klären, ood daher «eine Abhängigkeit und Receptivitftt
hervorauheben , hat sieh gleichfalls, schon frohe, bei jüdi-
schen 'und heidnischen Gegnern de« Christenthums r her*
Torgethan. Freilich , indem in den ersten) Jahrhunderten
der christlichen Zeit der ganze geistige Boden bei Heiden
wie bei Juden noch ein supranataralistiaoher war: ao
konnte damals der Vorwurf, dafa Jeaua seine Einsichten
and wunderähnlichen Geschicklichkeiten nicht aich selbst
oder Gott, sondern einer Mitt heilang Ton aufsen verdanke,
noch nicht die Gestalt annehmen, er habe auf dem gewöhn-
lichen Wege des Unterrichts natürliche Kunstfertigkeiten
nnd Einsichten von Andern empfangen ; sondern es wurde
dem Göttlichen und Cebernatfirlichen statt des Natürlichen
«Ad Menschlichen «ein Unnatürliches und Dämonisches ent-
gegengestellt, und Jesu vorgeworfen, dafa er zum Behuf
•einer Wunder in aeiner Jugend die Zauberei erlernt habe.
Diese Beschuldigung iiefs sich am ehesten an die Reise
aeiner Eltern mit ihm nach Aegypteu, in dieses uralte
Land der Magie und geheimen Weisheit, knüpfen: und so
gewendet finden wir sie wirklich sowohl bei Celans als im
Talmud. Jener läfst einen Juden unter Anderem auch
das gegen. Jesum vorbringen , er habe sich nach Aegypten
um Lohn verdungen, dort habe er sioh einige Zauber«
kflnste ansueignen gewufst, und nach seiner Rückkehr um
derselben willen sich prahlerisch für einen Gott ausgege-
ben **)• Der Talmud gibt ihm einen jfidischen Synedristen
«um Lahrer, läfst ihn mit diesen* nach Aegypten reisen,
nnd von da Zauberfetmäln nach Palästina surückbrin-
±2) Orig. 6. Cels. 1 , 28 : *ac (läytd Sri Iroq (o '/jpi«) Sti n*vt*y tk
Afyvnxw pto&cqvqaof, xaxtl &woft*w f»w me*Mft *V* «*& Aiyu-
13) Sanhedr. f. 107, 2 : — E. Josua f. Perachja et ^ Alexm-
«4 firster AJbmAmitt.
Der rein natttrliefc fiealchtapunkt för die geistig«
Entwiekeiung Jesu keimte erst aaf dem Boden der neuem
Bildung gefafst werden, und hier begründet den Haupt-
untersebied der Ansichten diefs, ob ans den in jener
Zeit gegebenen Bildungsmomenten einseitig nur Eines
herausgegriffen, oder mit umfassenderem Sinne von ihrer
Gesammtheit ausgegangen wird; ob ferner dieser äufseren
Einwirkung gegenüber die innere Begabung uiid freie
Selbstbestimmung Jesu gehörig berücksichtigt wird oder nicht.
Die Grundlage seiner Bildung waren jedenfalls die
heiligen Bücher seines Volkes, deren eifriges und tiefein-
dringendes Studium die in den Evangelien uns aufbehalte-
nen Reden Jesu beurkunden. Sein messianisebes Bewufst«
sein scheint eich an der Hand namentlich von Jesaia und
Daniel entwickelt zu haben ; auf geistige Religiosität , auf
Erhebung über den gemein -jüdischen Partioularlsmub ,
wiesen überhaupt die prophetischen Schriften, sammt den
Psalmen, bedeutsam hin»
Zunächst liegen sofort untörden damals in der Hei-
math Jesu gegebenen Bildungsmomenten die drei Secten,
in welche das geistige Leben seiner Volksgenossen getheilt
war. Scheinen unter diesen die von Jesu später so sehr
bestrittenen Pharisäer nur als negatives Bildungsmittel für
ihn in Betracht kommen zu können : so ist doch neben ih-
rem Ueberlieferungswesen und gesetzlichen Pedantismus,
ihrer Werkheiligkeit und Heuchelei, wodurch sich Jesus
driam Aegyptt profeett sunt — — IUP ex Wo tempore fha-
giam exercutt, et IsraäÜtas ad pesstma guaevts perduxtt
(Ein .bedeutender Anachronismus ; da dieser Josua Ben P6-
rachja um ein Jahrhundert früher lebte. S. Jost, Geschichte
der Isr., 2, S. SO ff. u. 142 der Anhänge.) Schabbath f. 104,
2 : Traditip est, R. Elteserem dtxtsse ad vfro* doctos : amwn
/. Satdae (t e+ Jesus) magiam ex Aegypto adduxtt per tncU
sionem in came sua faetam t s. Schöttgen, horae, 2, S. 697 ff*
EisiKMjMfSBii, entdecktes Judenthumj 1, S. 149 f.
Ffinftes Kapitel, fr 4*. MS
Ton ihnen abgestofsen fühlte, auf $w andern Seite nicht
aniser Acht ^u lassen , dafs ihr {Haube an £ngel and Un-
sterblichkeit, Oberhaupt ihre gleiehmfifsige Anerkennung
auch der nachmosaischen Fortentwickelang der jüdischen
Religion, ebenso viele Ansehliefsangspnnkte für Jesuin
waren. Da jedoch diese Stöcke den Pharisäern nnr im
Gegensätze gegen die Sadduc&er eigentümlich, übrigens aber
allen rechtgläubigen Juden mit ihnen gemein waren : so wird
es doch bei dem wesentlich negativen Einflüsse der pharisäi-
schen Secte anf die Bildung Jesu sein Verbleiben haben. —
Da in den. Reden Jesu der Gegensat» gegen den Sadducäis-
mus weniger hervortritt; da er vielmehr mit demselben in
der Verwerfung der pharisäischen Tradition und Heuchelei
zusammentraf: so haben einzelne. Gelehrte -in dieser Secte
eine Schule für ihn finden wollen "). Allein die blofs ne-
gative Uehereinstimmung gegen die Verirrungen der Pha-
risäer, eine Uehereinstimmung, welche flberdiefs bei Jesu
aus ganz anderem Princip, als bei den Sadducflern, kam,
wird durch den Gegensatz weit fiberwogen, welchen ihre
religiöse Kälte, ihr Unglaube an Fortdauer und Geister-
welt, mit der Stimmung und Weltanschauung Jesu bildet;
dafs aber in , den Evangelien die Polemik gegen die Sad-
ducäer zurücktritt, erklärt sich einfach daraus, dafs die
Secte selbst anJEinflufs auf diejenigen Kreise, mit welchen
es Jesus zunächst zu thun hatte, sehr zurückstand, indem
sie nur in den höheren Ständen ihre Anhänger hatte 15).
Nur von Einer der damaligen jüdischen Secten kann
ernstlich die Frage entstehen, ob ihr nicht ein bestimmen«
der Einflufs auf die Bildung und das Auftreten Jesu zuzu-
schreiben sei: von der Secte der Essener *16)» Die Ablei-
tung des Christenthums aus dem Essenismus war im vori-
14) z» B. Dia CoTEt, Schutzschrift für Jesus von Nazaret, S. 128 ff.
15) Neandkb, L. J. Chr., S. 39 £.
16) s. Joseph.* B. j. 2, 8, 2 — 13. Antiq. 18 , 1 , 5. Vgi Philo,
quod omnis probus lihcr u. de Tita contcmplafciva.
368 Erster Abschnitt.
ger StoflF gegeben sein, dessenungeachtet der Funke, durch
Welchen der Genius denselben entstindet, und seine ver-
schiedenen Bestandteile in Einen, in sich gleichartigen,
Guts verschmelzt, weder an Erklärlichkeit gewinnt, noch
an Verdienst verliert? So auch bei Jesu« Mag er die
Bildungsmittel seiner Zeit aufs Gründlichste ausgebeutet
haben : umfassende Receptivität ist bei grofsen Männern
immer die Kehrseite ihrer gewaltigen Selbstfli&tigkeit;
möchte er dem Essenismus nnd Alexandrinismus, und wel-
chen Schulen und Richtungen sonst noch, weit mehr ver-
danken, als wii* — noch daau so unsicher — nachzuweisen
im Stande sind : zur Umbildung einer Welt reichte keines
dieser Elemente auch nur von ferne hin: den hiesu erfor-
derlichen Gährungsstoff konnte er nur aus der Tiefe sei-
nes eigenen Geistes nehmen 21)«
Doch von, Einer Erscheinung ist noch nicht die Rede
gewesen, welche unsre Evangelien in die Entwickelung
der ThÄtigkeit Jesu am bedeutendsten eingreifen lassen:
von der des Täufers Johannes. Da nämlich der Wirk-
samkeit dieses Mannes von den Evangelien erst in Ver-
bindung mit der Taufe und dem öffentlichen Auftreten Jesu
gedacht wird: so ist das ihn und sein Vegh&Itnifs zu Jesu
Betreffende nicht mehr hier abzuhandeln, sondern mit der
Untersuchung darüber der «weite Abschnitt eu eröffnen«
21) Vergl. Paulus a. 9. O. 1, a, 273 ff«; Flakcx, Geschichte des
Christenthuma in der Periode seiner ersten Einführung, 1,
S. 84; »s Wetts, bü>l. Dogmat,, §. 212; Hask, L» J. §. 38;
WiKSJt, bibl. Realw., S. 677 f.; Nkawdsr, L. J. Chr., S. 38 ff,
Zweiter Abschnitt. ,
Die Geschichte des öffentlichen
Lebens Jesu.
Dtp Ltktm /m» ile Aufl. 1. Bmnd.
24
"^—
Erstes Kapitel.
Das Verhältnis Jesu zun Täufcy Johannes.
$. 43.
Chronologisches Verhältnis 8 zwischen Johannes und Jesus.
Von dem Auftritte des Täufers Johannes, dessen
sämmtlicbe Evangelien gedenken, geben nns das zweite
and vierte keine Zeitbestimmung; das erste eine angenaue;
das dritte eine, wie es seheint, sehr präoise.
Nach Matth. 3, 1. tritt Johannes als Bufsprediger
aof ev raTg fydQaig exelvaig, das hiefse, wenn man es mit
dieser Ruckweisung auf das zoletat Erefihlte(2,23.) streng
nehmen wollte: um die Zeit, als Jesu Eltern sich in. Na-
saret ansiedelten; wo Jesus noch ein Kind war. Wenn
nun im Folgenden berichtet wird, wie Jesus, um sich
tanfen au lassen, su Johannes gekommen sei: so moTste
man hienaoh zwischen dem ersten Auftritte des Täufers,
der in die Kindheit Jesu fiele , und dem Zeitpunkt , in
welchem er Jesum taufte, eine Reibe von Jahren einschie-
ben , während welcher Jesus so weit herangereift sein
müfste, am an der johanneischen Taufe Tbeil nehmen eu
können. Aber die Schilderung der Person und Wirksam-
keit des Täufers bei Matthäus ist so kurz, es wird ihm so
wenig eine selbstständige, so gana nur eine auf Jesum
hinsielende Wirksamkeit angeschrieben: dafs es gewifs
nicht im Sinne des Evangelisten ist , denselben eine lange
Reihe von Jahren für' sieh wirken an lassen ; sondern
04*
372 Zweiter Abschnitt
seine Meinung geht unstreitig dahin , die knrae
keit des Titufers habe frfihaeitig ihr Ziel darin gefunden,
dafs Jesus sieh von ihm taufen liefs. Haben wir anf diese
Weise nicht «wischen den Auftritt des Täufers und die
Taufe Jesu, also «wischen V. 12* und 13. des dritten Kap.
bei Matthäus , die lange Zwischenzeit hineinzudenken,
welche wir hier in jedem Falle nttthig haben : so bleibt
nichts übrig, als sie «wischen dem Schlüsse des zweiten
und dem Anfänge des dritten Kapitels, d. h. «wischen der
Ansiedelung der Eltern Jesu in Nazaret und dem Auftritte
des Täufers einzuschalten« Mag man nun «u diesem Ende
mit Paulus voraussetzen , Matthäus rücke hier ein St tick
aus einer Dlegese über den Täufer ein, in welcher von
dessen, seinem öffentlichen Auftritt unmittelbar vorange-
gangenem Leben Manches berichtet, und dann mit. vollem
Rechte durch iv ralg rjfxkQaig ixstvaig fortgefahren war,
welohe Verbindungsformel nun Matthäus, ob er gleich das,
worauf sie sich bezog, weggelassen, dennoch' beibehalten
habe *) ; oder mag man mit Süskind die Worte als Hinweisung
auf die Zeit nicht der Ansiedelung, sondern des fortgesetzten
Aufenthalts Jesu zu Nasaret fassen2); oder besser das
iv Tccig rjfdQcug ixslvaig, wie das entsprechende hebräische
Dnn DTDJ3 «» B. 2. Mos. 2, 11. wahrscheinlich su erklären
ist , zwar auf den Zeitpunkt der Ansiedelung in Nazaret,
aber in der Art beziehen, dafs etwas gegen dreifsig Jahre
nachher Eingetretenes immer noch im weiteren Sinne ge-
schehen in jenen Tagen heifsen kann3): in keinem Falle-
erfahren wir aus Matthäus über die Zeit des Auftritts von
Johannes mehr, als das ganz Unbestimmte, dafs derselbe
1) Exeget. Handb., 1, a, S. 46* Ihm stimmt auch Schukcrbit-
BuaasA hei, über den Ursprung des ersten kanon. Evang., S. 30.
2) Vermischte Aufsätze, 8. 76 ff. Vgl« dagegen ScmBcnnBURMSy
a. a. O.
5) d« Wim tu Fmtzscbs je. d. St;
/
in cier renooe cwiscnen oer rununeK am oem msnnes-
«lter Jesu erfolgt sei.
Lakai gibt eine vielfache Zeitbestimmung für den
Auftritt der Täufers, indem -er denselben in die Verwal-
tungsaeit des Pilatni in Jadia ; in die Regierung des He*
rodes CAntipas), des Pbillppus nnd des Lysanias in den
Sbrigen Theilen Palästina'«; in die Hohepriestersehaft de*
Annas undKaiphas; bestimmt aber in das lata Regierung^
js.hr des Tjberins verlegt, welches, vom Tods des Augu-
stos an gerechnet, dem Jahr ÄS— 29 nnsrer aera ent-
spricht *} (5, 1. 2.). - Mit dieser letzteren, genauesten Zelt*
angäbe stimmen alle die vorhergegangenen minder genauen
(«neb die, defs neben Kaiphas noch Annas als Hoheprie-
ster genannt wird, sobald man den eigenthflmliohen Ein-
flufs erwägt, welchen nach Jon. 18, IS., A. G. 4, 6. Jener
gewesene Hobepriester aneh nach seiner Absetzung, beson-
ders seit dem Amtsantritte seines Schwiegersohns Kaiphas,
beibehielt) zusammen: mit Ausnahme der Angabe Aber den
Lysanias, welcher dem Antipas und Philippus eis gleich-
■eiliger Tetrarch von Abllene nur Seite gesetst ist. Zwar
spricht auch Josephns von einer 'AßHa rt Avoavla und
fahrt einen Lysaaias als Herrscher von Chalcls am Liba-
non, in dessen Nabe auch das Gebiet von Abila s» suchen
ist , auf, der also ohne Zweifel auch der Beherrscher des
lauteren war: aber dieser Lysanias war bereits 84 Jahre
tot Christi Geburt auf Anstiften der Kleopatra ermordet
worden, nnd eines andern Lysanias erwähnt weder Jose-
phns, noch sonst ein Schriftsteller über jene Zeit ■). Die
4) i. P»ni.u« s. i. 0. S. 336.
5) Ich stelle alle von Lysanias und (einem Gebiete handelnden
Stellen des Josephus lammt den Parallelen aus Dio Cataius
hier zaiammen. Antiq. Iß, 16, 3. 14, 3, 2. 7, 8. — AnUq.
15, 4, i. B. j. 1, 13, I (Dio Ca». 49, 62). — Anliq. 15, 1»,
1—3- B. j. 1, 20, 4 (Dio Ca». 54, 9). - Aatiq. 17, 11, 4.
/
974 Zweiter Abschnitt.
i
Herrschaft jene« Lysanias fiele also nicht nur mehr als 60
Jahre früher als das 15te Jahr des Tiberins, sondern auch
Aber die andern von Lukas mit diesem zusammengestellten
weiteren Perioden um Vieles/ hinaus. Alan hat daher an-
genommen, Lukas spreche hier von einem Nachkommen
jenes früheren, einem jüngeren Lysaniaa, weicher anter
Tiberius jene Landschaft besessen habe, von Josephcia
aber, seiner minderen Berühmtheit wegen, nicht erwähnt
werde *)• Nqn Ifi&t sich «war. freilieh nicht beweisen, was
Süskind Jtur Widerlegung dieser Deutung verlangt, daf*
Josephus des jüngeren Lysanias nothwendig hätte erwäh-
nen müssen, wenn ein solcher existirt hätte; aber doch,
dafs er mehr als Eine Veranlassung dazu hatte, hat Pau-
lus genügend aufgezeigt. Namentlich da er noch in Be-
zug auf die .Zeiten des ersten und zweiten Agrippa Abila
als rj Avouvfa bezeichnet, so mnfste er doch hiedurch dar-
an erinnert werden, dafs er des zweiten Lysanias, von
welchem , als dem späteren Regenten , das Land um Jena
Zeit zunächst diesen Beinamen gehabt haben müfste, gar
nicht erwähnt, sondern nur von dem ersten erzählt hatte *)•
B. j. 2, 6, 3. — Antiq. 18, 6, 10. B. j. 2, 9, 6 (Dio Gass.
59, 8). — Antiq. 19, 5, 1. B. j. 2, 11, 5. — Antiq. 20, 5, 2.
7, 1. B. j. 2, 12, 8. .
6) Süsbind, vermischte Aufsätze, S. 15 ff. 93 ff.
7) Thomjck meint „ ein vollkommen entsprechendes Exempel u
bei Tacitus gefunden zu haben. Da dieser Anna!. 2, 42 (im
Jahr Chr. 17) einen Gappadocierk'dnig Archelaus sterben lasse,
und doch Annal. 6, 4t (36 n. Chr.) wieder eines Gappadociers
Archelaus als Herrschers der Cliten gedenke : so müsse auch
hier „dieselbe historische Conjectur" gemacht werden , näm-
lich dass es zwei Gappadocier Archelaus gegeben habe (S.203f.).
Allein das ist gar keine Gonjectur, sondern ein klares histori-
sches Datum, wenn derselbe Geschichtschreiber, nachdem er
den Tod eines Mannes gemeldet, später einen ihm gleichna-
migen , noch dazu in anderer Stellung, auftreten läsat, dass
i
i
Erstes Kapitel f. 4S. 375
Ist demnaeh der* nweite Lysanias niohts anderes als eine
historische Fietion: se ist freilich das, was man statt den-
selben in Vorschlag gebracht hat *) , auch nicht weiter als
eine philologische. Denn wenn vorhergegangen war:. Q>i-
üimt* — TSTQaQxönos vtjs ^HQcdctg x. *. iL,, und es folgt
no: xal Avaavin Tijg *AßiXrpnjg TW(xx(tx8¥T0$: sokanndiefs
nnmöglich so verstanden werden, als hfftte eben jener Phi-
lippas aneii über das Abilene des Lysanias geherrscht«
Denn in diesem Falle durfte das TerQaQxävtog nicht wie-
derholt 9), und mutete rrjg <ver Avaaris gestellt werden,
wenn der Verfasser nicht niCsverstanden sein wollte. Gs
bleibt daher nichts übrig, als die Annahaie, der Verfasser
selbst habe sich geirrt, und aus dem Umstände, dals anch
in späteren Zeiten noch Abilene von dem letnten Herrscher
der friheren «Dynastie 37 Avaavls subenattnt war, den
Schlafs gesogen, dafs es anch damals noch einen Herr-
scher dieses Namens gehabt habe; während es dooh ent-
weder unter Philippus, oder unmittelbar unter den Römern
stand ")*
es folglich zwei solche Pertonen gegeben hat; gani anders,
wenn , wie bei'm Lysanias , zwei verschiedene Schriftsteller,
jeder nur Einen , aber in verschiedener Zeit , haben : wobei
die Verdoppelung der Person dann allerdings eine Con-
jeetur, aber eine um so weniger historische, ist, je unwahr«
scheinlicher es sich zeigt , dass der eine von beiden Schrift-
stellern von dem zweiten Manee gleichen Namens , wenn es
einen solchen gab, geschwiegen haben würde.
8) Micnasut, Itafevs v. d. St.; SciotxcxxffvüJtftBa, in Uuaumi's
und Ukb&sit's Studien, 1835, 4, lieft, S. 1056 ff.; Tholücm,
S. 201 ff.
9) Denn auf die Auctorltät eines einzigen Codex hin mit
ScwiKCK*nBUR6XR u. A. das zweite rrrprf/Hirof xu streichen,
ist doch eine zu offenbare Gewaltsamkeit.
10) VergL mit dieser Ansicht AUgem. Lit. Ztg., 1805, No, $44.
S. 552; oft Wätii, exeg. Handb. z. d. St.
376 Zweiter Abschnitt.
Die chronologische Angebe unserer Stelle betrifft
nächst nur den Täufer Johannes; wo Lukas später (V.
21. iL) auf Jesum so reden kommt, vermiist man eine ahn*
liehe» Von ihm wird hlofs das ungefähre Alter iiogel
ziwv TQUxxoyia) bei seinem Auftritt (aQXO/ueyog) angege-
ben, der Zeitpunkt aber versehwiegen; so wie nmgekehit
flr Johannes die Altersangabe fehlt. Ist also gleich Jo-
hannes im fünfzehnten Jahre des Tiborius aufgetreten,
so können wir, seheint es, daraus doch nichts ffir die
Zeit des Auftritts Jesu abnehpeo , da Ja nirgends geiagt •
ist, wie kuru oder lange nachdem Johannes au teufen
angefangen , Jesus bu ihm an den Jordan gekommea sei ;
ebenso , wenn wir gleich wissen , dab Jesus bei seiner
Taufe ungefähr 30 Jahre zählte, so erfahren wir dadurch
nicht, wie alt Johannes war, da er seine Wirksamkeit als
Täufer begann. Freilich, wenn wir uns an Luc. 1, 26.
erinnern, wonach Johannes gerade ein halbes Jahr älter
als Jesus war, und wenn wir das Datum au Hälfe neh-
men, dafs vor dem dreißigsten Jahre die jüdische Sitte
ein öffentliches Auftreten nicht wohl erlaubt habe: so
könnte der Täufer nur ein halbes Jahr vor Jesu Ankunft
am Jordan aufgetreten sein, da er nur so lange vor ihm
das hiesu notwendige Alter erreicht hätte. Allein vor
dem angegebenen Lebensjahre öffentlich aufzutreten, verbot
wenigstens kein ausdrückliches Gesetu, und ob von den
Priestern nnd Leviten, welchen jenes Jahr als Anfang des
ordentlichen Dienstes bestimmt war (4. Mos. 4, &• 47«,
vergl. übrigens 2. Chron. 31, 17., wo das nwanaigste ge-
nannt Ist), ein Schlafs auf die freiere Wirksamkeit eines
Propheten gelte , hat man mit Recht in Frage gestellt u>
Diefs also würde nicht hindern, auch das angegebene
Altersverhältnifs vorausgesetzt, doch den Auftritt des Täu-
fers dem von Jesu um ein Ziemliches vorangehen au las-
II) • Pauli», S. 294.
Er*i#s Kapital, $. 43. 977
ladefr schwerlich ja fiiaaa des Evunff ahn fiten
dal« dieser den Abtritt des Veriaafars twar m iber*
eargfftltig bestimmt fcaben sollte, dm des Messias selbst
«bar wmkmümmt aulasaaa, das wire doch gar au ange»
anhiebt **), and wir ataaea fcaam andern, als ihm die-
Abriebt unterlegen, durah aaiae Aagabea ftr den Auftritt
das Täufer« aaeb *e Zeit des Auftritts Jesa mitaubestim«
om)b. Diefs trifft aber nur dann an, wenn er annahm,
dafs sehr bald naoh dem Auftreten des Jehanaes Jesus ca
{hm an den Jordan gekommen sei, and sofort selbst auch
au lehren angefangen babe la). Denn dafs jene Zeitbe»
Stimmung ursprünglich nur den Anfang eines von Lukas
eingerückten Aufsatzes über den Taufer susgemacht haben
sollte, ist defswegen wenig wahrscheinlich, weil solche
chronologische Akribie eher dem nccQTpcoXsdrpoTi avco&ev
mcüiv axQißwg und demjenigen annlich sieht, der auch
die Zeit ven Jesu Geburt auf entsprechende Weise au be-
stsauaen gesucht hatte«
Eine so kurze Dauer der Wirksamkeit des Titufers
aber hat man neuerlieh unwahrscheinlich gefunden; da er
dock eine beträchtliche Anzahl Jünger (Job. 4,1.), und
zwar nicht hlofs solche, die sich nur von ihm taufen'
liefsen, sondern auch von ihm besonders gebildete Schil-
ler (Luc* 11, 1*)? hatte, und eine eigene Partei von An-
hangern hinterließt ( A. 6. IS, 25. 19, 3.): was schwerlich
das Werk von wenigen Monaten habe sein können. Es
raubte doch, wurde bemerkt, erst einige Zeit hingehen,
bis der Taufer so bekannt wurde, dafs die Leute die Reise
au ihm in die Wüste unternahmen; es bedurfte Zeit, seine
Lehre au fassen, und Zeit, dafs sich dieselbe, aumal sie
gegen die gangbaren jüdischen Begriffe verstiefe, erst Ein-
12) 8. Schlsxbrmachxr, über den Lukas, S. 62.
13) Dieser Ansicht war such Bsxski., Ordo temporum, S. 204 f.
ed. 2.
37$ Zweiter Abschnitt,
gang verschaffen and sieh festsetzen konnte; tiberhaupt,
das hohe und dauernde Ansehen, in weiches sich Jobannes
nach Josephus ")» wie nach den Evangelien (Matth. 14, 2.
21, 26.) , bei seiner Nation gesetzt hatte, liefit sieh nicht
wohl in so kurzer Zeit erwerben '*)•
Wir lassen das Recht oder Unrecht dieser Forderung
einer längeren Zeit für die Wirksamkeit des Täufers noch
einen Augenbliek unentschieden, und sehen erst nach, ob
unsere Evangelien dieselbe nicht vielleicht dadurch befrie-
digen, dafs sie, was vorne fehlt, hinten ansetzen, und den
Täufer nach dem Auftritt Jesu desto länger noch fortwir-
ken lassen? Allein auch eine Verlängerung der Wirk*
samkeit des Täufers nach dieser Seite ist wenigstens
in den zwei ersten Evangelien nieht zu finden. Denn
nicht nur berichten diese nach Jesu Taufe über Jo-
bannes nichts mehr, aufser jener Sendung zweier Jün-
ger (Matth. ll.)> dl« schon aus dem tiefängnifs erfolgt;
sondern es lautet Matth. 4, 12. Marc. 1, 14. ganz so, als
ob während oder kurz nachN dem vierzigtägigen Aufent-
halte Jesu in der Wüste der Täufer gefangen genommen
worden, und in Folge dessen Jesus, nach Galiläa gegan-
gen wäre,, um daselbst öffentlich aufzutreten. Lukas frei-
lich (4, 14.) erwähnt der Gefangennehmung des Täufers
nicht als der Veranlassung von Jesu Auftreten in Galiläa,
und von der Sendung der zwei Johannis jünger scheint er
sich vorzustellen, sie sei noch während der freien Wirk-
samkeit des Täufers erfolgt (7, 18. ff.); noch bestimmter
spricht sich das vierte Evangelium gegen die Vorstellung
aus, als wäre Johannes so bald nach Jesu Taufe gefangen
gesetzt worden, indem es 3, 24. ausdrücklich bemerkt,
dafs noch nach dem ersten von Jesu während seine«
öffentlichen Lebens besuchten Pascha Johannes in
14) Antiq. 18, 5, 2.
15) So Clüdius, über die Zeit und Lebensdauer Johannis und
Jesu. In Haaxi's Museum, 2, 5, 502 ff.
Erste« Kapitel. §. 43. 379
Wirksamkeit gestanden habe» Allein tbeils kann dieses
Fortwirken des Täufers nach Jesu Auftritt doch nicht sehr
lange mehr gedauert haben, da er geraume Zelt vor Jesu
hingerichtet worden zu sein scheint (Lac. 9, 9. Matth. 14,
1. ff. Marc. 14, 16.); theüs kann, wenn man den Einflafs
des Tlafers und die Fortdauer seiner Schule nur aus
einer länger dauernden Wirksamkeit begreifen zu können
glaubt, die Verlängerung nicht viel helfen, die man der-
selben nach dem Auftritte Jesu zugesteht, durch welchen
Johannes so sehr verdunkelt wurde (Job. 3, 26. ff. 4, 1.).
So bliebe nur noch der Ausweg flbrig, zwischen der
Taufe Jesu und seinem öffentlichen Auftritt su unter-
scheiden , und' su sagen : er ist zwar schon nach dem er-
sten Halbjahre der Wirksamkeit des Johannes von dessen
Rufe so angezogen worden, dafs er sich seiner Taufe
unterwarf; aber von da an hat er sich noch lungere Zeit
entweder im ttefolge desselben, oder wieder zu Hause
in der Zurfickgesogenheit aufgehalten, und ist erst ge-
raume Zeit später selbstständig hervorgetreten. So wür-
den wir einerseits den gröberen Zeitraum, welchen Jo-
bannes vor dem Auftritt Jesu und unverdunkelt von die-
sem gewirkt haben soll, gewinnen, und doch hätten un-
sere Evangelien Recht, wenn sie die Taufe Jesu schein-
bar so bald nach dem Auftritte des Täufers erfolgen his-
sen. Allein die Annahme einer solchen längeren Zwi-
schenzeit zwischen der Taufe Jesu und seinem öffentli-
chen Auftritt ist den N. T. liehen Schriftstellern am aller-
meisten fremd. Denn seine Taufe betrachten sie, wie aus
dem Herabkommen des Geistes und der Himmelsstiinme
erhellt, als Einweihung Jesu zu seinem messianischen Be-
rufe; die einzige Pause, welche sie nach derselben noch
«intreten lassen, Ist das sechswöchige Fasten in der Wüste;
nach diesem aber tritt Jesus, dem Lukas zufolge unmit-
telbar (4, 14.)» dem Matthäus und Markus zufolge, nach-
dem der Täufer, wahrscheinlich übrigens in der Zwischen-
J60 Kar nilw AJwalifiitt.
■ett, In Am GeTÄngnif« geästet war, in 4)alttäa auf. Be*
sonders aber kutan Lokas 3, SS. 4Ü» Taufe Jean (der wahr-
«ehejnliriwteni Juadegnug infolge) ah ein aQ%w&at, sein«
Amtsantritt^ bezeichnet , and A. 6. 1, 22. Jesum von dem
(immßpa ^Iwxm* an mit seinen Jüngern Ferkehren läfst:
so hat er augenscheinlich Jesu Taofe dnrch Johannes nnd
seinen öffentlichen Auftritt als Eines und dasselbe,, nnd
durch keine Zwischenzeit (anfser jenen 6 Wochen) ge*
trennt, sich vorgestellt.
Wenn somit den beiden Annahmen, zu welchen wir$
um ffir die bedeutende Wirksamkeit des Täufers Raum zu
gewinnen, geneigt sein müssen, dafs Jesus entweder später
zu seiner Taufe sich begeben, oder^afs er. noch längere
Zeit, nachdem er getauft war, seinen öffentlichen Auftritt
verzögert habe, die evangelische Darstellung entschieden in
den Weg tritt : so zeigt sich freilich auf der andern Seite
leicht, wie die N. T. liehen Schriftsteller auch ,o5ne» histo-
rische Gründe zu einer solchen Darstellung veranla&t sein
gönnten. War einmal , wie es in der ersten Christenge*
meinde geschah (A.G. 19, 4.)> der Täufer nicht mehr als
eine Erscheinung ffir sich, sondern als eine, nur zur Vor-
bereitung auf Christum dienende,. gefafst: so verweilte die
Vorstellung nicht mehr bei der Wirksamkeit des blofsen
Vorläufers', sondern eilte zu derjenigen Erscheinung fort,
welche er vorbereiten sollte. Noch offenbarer ist das In-
teresse, welches auch ohne geschichtlichen Grund die ur-
christliche Tradition dafür haben muftte, zwischen der
Taufe Jesu und seinem öffentlichen Auftritt jede Zwischen-
zeit auszuschliefsen. Denn dals durch Ale Taufe Jesus
sich an Johannes angeschlossen und sofort noch längere
Zeit in diesem Verhältnisse gelebt habe, diefs anzunehmen,
widersprach -dem religiösen Interesse der neuen Gemeinde,
welches einen, nicht von Mensehen, sondern von Gott be-
lehrten Stifter derselben verlangte; wefswegen, auch wenn
es sich wirklich auf jene Weise verbalten hätte , dennoch
Erstes Kapitel. $.43. 881
gewifs frühzeitig der Sache diese andre Wendung gegeben
worden wäre , weleber zufolge die Tanfe Jesu durch Jo-
hannes nicht seinen Eintritt in die um diesen fj#h bildende
Gesellschaft, sondern nur seine Einweihung «um selbststän-
dlgen Auftritt bezeichnete.
Allein einen Ton diesen Auswegen einzuschlagen, sind
wir nnr dann genöthigt, wenn es wirklieh an dem ist, dafs
die eingreifende Bedeutung, welche der Täufer für Mit«
und Nachwelt gewann, sich schlechterdings nur dann er-
klären lädt, wenn er% länger, als nur etwa ein halbes Jahr,
in öffentlicher Wirksamkeit gestanden hat. Diets läfst sich
nun aber nicht beweisen. Der Geist hält sich in seinen
Wirkungen nicht immer an das Zeitmafs, und namentlich
wo durch die ganze Entwickelung eines Volks und seiner
Zustände viel brennbarer Stoff sich angehäuft hat, da kann
der hineingeworfene Funke schnell einen weitumgreifenden
Brand entzünden **). Bleibt es somit zwar immer möglich,
dafs Johannes auch in kfirzester Zelt das gewirkt habea
könnte, was er gewirkt hat: so reicht doch hier wie-
derum die evangelische Darstellung nicht hin, diese Mög-
lichkeit zur geschichtlichen Gewißheit zu erheben, da von
dieser Darstellung selbst eine unhistorisehe Entstehung sieh
alz möglieh gezeigt hat; so dafs mithin die Kritik sich für
keine Seite entscheiden darf, zufrieden, die Unsicherheit
dieses Punktes zum Bewußtsein gekracht zu haben.
Nicht anders steht es aueh mit einem andern Punkte,
der uns hier wieder in Erinnerung kommen mufc: dem
Altersverhältnll* zwischen Johannes nnd Jesus. Von der
so eben besprochenen Voraussetzung ausf dafo der Täufer
mehrere Jahre vor Jesus öffentlich aufgetreten sei, hat
man es unwahrscheinlich gefunden, dafs er nur um ein
halbes Jahr älter gewesen , mithin , wenn Jesus beiläufig
im dreifsigsten Jahre auftrat, noch in den Zwanzigen
16) Vgl. HornuHH, S. 284; Neahds*, S. 83. Anm.
*
\
381 Zweiter Abschnitt
sollte hervorgetreten sein. Allein, auch abgesehen vor
demjenigen) was vorhin gegen die Sicherheit der Voran*
seteung eines viel früheren Auftritts des Täufers bemerkt
worden ist: so lfifst sich weder beweisen, dafs ein so ju-
gendlicher Bnfsprediger nicht bfttte Eindruck machen and
för einen Propheten ans der alten Zeit, einen Elias, gehal-
ten werden können 17) ; noch darf der um ein Ziemliches
früher su öffentlicher Wirksamkeit Gelangte schon deb-
halb als nm ebensoviel älter vorausgesetzt werden , da er
oft sogar der Jüngere ist. Aber wieder wie oben ; da die
Angabe Lnc. 1, 20. , der Tänfer sei nm sechs Monate äl-
ter als Jesus gewesen, sich als blofs mythisch gezeigt bat:
so bleibt es cwar immer möglich, dafs er, vielleicht gerade
so alt , aber ebenso möglich , dafs er älter oder auch jöa-
ger war.
S- 44.
Auftritt und Absicht des Täufers. Sein persönliches. Verhältnis!
su Jesu.
Johannes, wie unsere Quellen andeuten, ein Nasirfer
(Matth. 3, 4. 9, 14. 11, J8. Lue. 1, 15.), wie manche
Theologen vermuthet haben ') , auch mit Essenern im Zu-
sammenhang, wurde nach der Angabe des Lukas (3, 1)
durch ein an ihn in der Wüste ergangenes (ifjpa Sts auf-
gefordert, öffentlich hervorzutreten. Da wir hier in kei-
nem Falle mehr die eigne Erklärung des Täufers vor uns
haben, so ist das Dilemma, wie es Paulus stellt, man
könne nicht wissen, ob sich Johannes selbst eine äußere
oder innere Thatsache als Aufforderung Gottes gedeutet^
oder ob ein Anderer ihn so aufgerufen habe , nicht voll*
17) Gludius, a. a. O.
1) Stabcdlct, Geschichte der Sittenlehre Jesu , 1, S. 580. Pa*-'
mjs, ezeg. Handb., i, a, S. 136. Vgl. auch CaauuR, Symbo-
lik, 4, S. 413 ff.
Erstes Kapitel. §. 44. 383
ständig, and es mufs als dritte Möglichkeit bineugesetet
werden, dafs vielleicht seine Anbänger die Berufung ihres
-Lehrers durch jenen an die alten Propheten erinnernden
Ausdruck verherrlicht haben.
Während es nach der Darstellung des Lukas scheint,
als wäre nur der göttliche Ruf an den Täufer iv rfj iqr^uf
ergangen, warn Behufe des Lehrens und Taafens aber habe
er sich von da in die TtfglxtoQog t« \oqoovh begeben (V. 3»):
macht Matthäus (3, 1 ff.) die jüdische Wägte selbst cum
Schauplätze der Predigt und Taufe des Johannes; wie
wenn der Jordan, in welchem er taufte, 'durch jene Wüste
geflossen 'wäre. Nun flofs dieser ewar nach Josephus vor
seinem Einfall in das todte Meer allerdings durch 7tö3Üi?;p
iqqiilav 2), was aber nicht die eigentliche Wüste Juda war,
welche weiter südlich lag. Detswegen hat man hier einen
Fehler des ersten Evangelisten finden wollen, welcher,
verführt durch die Besiehung der Weissagung : qwvrj ßo-
wyvoq h zfj iQrjpup, auf den, aus der sq^ioq rijg ^Isdaiag
stammenden Johannes, auch seine Thätigkeit als Bufspre-
diger und Täufer dorthin verlegt habe, deren Schauplatz
doch das blühende Jordanthal gewesen sei *). Sieht man*
indefs im Lukasevangeliom weiter vorwärts : so verschwin-
det der Schein, als liefse dasselbe den Johannes nach er*
haltenem Rufe die Wüste verlassen; da unten, bei der
Gesandtschaft de» Täufers, auch Lukas Jesum in Besug
auf denselben fragen läfst: %i igdLqXv&art dg %ijv l'tjrtftw
fhaocco&ai; (7, 24.) Da nun die Jordanaue in der Mähe
des todten Meeres, wohin die Wirksamkeit des Täufers eu
setsen ist, den schmalen Uferrand ausgenommen, wirklich
eine dürre Ebene war*): so bliebe nur das etwa ein dem
2) Bell. jud. 3, 10, 7.
3) ScHxacumumeaa, über den Ursprang u. s. f., S. 58 f.
4) t. ausser der angef. Stelle des Josephus, Witaw, bib). Real*
Wörterbuch, I, S. 708.
384 Zweiter Abschnitt
Matthias elgenthamlieber Irrthum , dafs er diese Wäste
als die eQt^ftog tjjq "fsdalag beseiohnet; wenn man nicht
anders entweder annehmen will, Johannes habe sieh , als
er von der Bufspredigt nur Taufe sehritt, ans der jüdischen
Wüste an das Jordanufer hinaufgesogen 8) , oder, der öde
Strich am Jordan sei als Fortsetzung der jüdischen« Wüste
gleichfalls noch mit diesem Namen beseichnet worden *)•
Die Taufe des Johannes, schwerlich aus der, ohne
Zweifel erst nachchristlichen, Proselytentaufe 7), eher in
Analogie mit den religiösen Lustrationen entstanden, wie
sie auch unter den Juden r vorzüglich bei den Essenern,
eingeführt waren, gründete sich, wie es seheint, haupt-
sächlich auf die bildlichen Aeufserungen mehrerer Prophe-
ten, die in der Folge eigentlich verstanden wurden: nach
welchen Gott von dem israelitischen Volke, wenn es wie-
der su Gnaden angenommen werden wolle, ein Baden und
Abwaschen seiner Unreinigkeit verlangt, und es selbst mit
Wasser au reinigen verspricht (Jes. 1, 16» Ecech. 36, 25.
vergL Jerem« 2, 220- Nimmt mäh dasu die jüdische Vor-
stellung, dafs der Messias mit seinem Reiche nieht eher
erseheinen werde, als wenn die Israeliten Bube thun *):
eo sieht man, wie leicht die Combination gemacht werden
konnte, dafs also eine, die Besserung und Sünden Verge-
bung symbolisch darstellende Abwaschung der Ankunft
des Messlas vorangehen müsse.
Deber die Bedeutung der Taufe des Johannes sehet*
neu die Berichte vorerst nicht gann einstimmig. Alle swar
5) WikiiL, a. a. O., S. 691 ; Nbakp**, I- J. Chr., S. 52.
6) Paulus, a. a. O., S. 301.
7) ». die Schrift von Sckkeckukburgir, über das Alter der jüdi-
schen Proselytentaufe.
8) Sanhedr. f. 97, 2 : J?. Elteser dixit : si IsraSÜtae poeniten-
tiam agunt, tunc per Go£lem liberanturt sin vero, mm Hbe-
rantur. Bei Scuottobw, horac, 2, S. 780 ff.
I>
Erstes Kapitel. $.44. 385
kommen darin fiberein , dafs die fiecavota ein wesentliches
Erfordernifs bei derselben gewesen sei; denn auch was
Josepbus vom Täufer sagt, er habe die Juden er-
mahnt, aQenjv inaaxSnag, xal %r\ ttgog dtäqlog dixaioavpjj
xal Tigog rov &ew evaeßela xjQm^hng ßamtantp owibai *)>
ist doch, mir grfioisirt, das Nämliche. Nun aber verbin-
den Lukas (3, 3.) und Markus (1, 4.) mit der Beaeichnung
der Johannistaufe als ßamiOfia ftsravoiag den Zusatz:
et£ ag&oiv afiaQTUxßVj diesen hat Matthäus hier cwar
nicht, doch beceichnet auch er, wie Markus, diejenigen,
welche sich taufen liefsen, sogleich als igojuolvysjuevoi Tag
KfuxQziag ovkLy (3, 6); Josepbus dagegen scheint gerade-
au au widersprechen, wenn er als die Meinung des Täufers
die angibt: svw yap xal %rp ßamusw dnodsxnjv amy (jip
&€($') qtayelo&ai, pq inl tivwv dfiaQvddcw Ttaqavirflu
XQ(Ofiivtav9 dU,* i<p* dyveiq i5 ow/uarog, Ste drj xal %rjg
*pvXfl$ dixaioavvfj nQoexxexad-aQphqg. Und hier könnte man
nnn das auffassen, dafs das eig acpeoiv dfta^vuSv nach
A-G. 2, 3S. u. a. St. eine gewöhnliche Beaeichnung der
christlichen Taufe war, und daher vielleicht auch auf die
johanneische unhistorisch fibergetragen sein möchte 10).
Indessen, da schon in der angeführten Stelle aus Eeechiel
die Abwaschung nicht blofs Besserung, sondern auoh Sün-
denvergebung versinnlichte s so steht die Angabe der Evan-
gelisten auf gutem Grunde. Ueberdiefs stimmen die Worte
des Josepbus, genauer angesehen, mit dem evangelischen
Berichte wohl ausammen. Die Verfehlungen, um deren
Abwaschung es sich hier nicht handeln sollte, sind die levitt»
sehen Verunreinigungen, welche dem Gesetze gemäfs durch
Waschungen au tilgen waren (3. Mos» 14, 8 f. 15, 5. 13.
9) Antiq. 18, 5» 2. — Osiakdi* gibt dem Täufer das gefährliche
Lob, er habe „die Axt an die sittliche Wurzel des Lehens ge-
legt" (S. 132).
10) Vergl. db Witts, exeg. Handln, l, 2, S. 30*
Das Leben Jesu Me Aufl. L Bind. 25
366 Zweiter Abschnitt.
• *
18. 21. 27. 17, 16. 23, ©\ u. a. 8t): diesen Waschungen,
denen man eine von der Gesinnung unabhängige Reini-
gungskraft anzuschreiben gewohnt war, wollte Johannes
seine Taufe als ein sittlich -religiöses Institut entgegen-
setzen ")•
Ein weiterer Unterschied tritt In Besag auf das Ver-
hältnifs hervor, in welches die verschiedenen Nachrichtea
Ober Johannes seine Taufe au der ßaoikela %wv ö(ktw*
stellen. Nach Matthäus war '* ar kurze Inhalt der Auf-
forderung, welche er mit der Taufe verband, der: //era-
voücv ijyytxs yccQ rj ßaoileia twv öQav&v (3, 2.); nach
Lukas spricht der Täufer anfänglich nur von ftsravoia und
aifioii; afiaQTiunL, aber von keinem Himmel refoh, und erst
die Vermuthung des Volkes, .er möchte vielleicht selbst der
Messias sein, veranlagst ihn, auf diesen, als nach ihm kom-
menden, hinsuweisen (3, 15 ff.); bei Josephus aber findet
sieh von einer Beziehung der Thätigkeit des Täufers auf
die messianische Idee gar nichts. Auch hier Jedoch «Jarf
man aus der Abweichung der Berichte nicht schliefsen,
der Täufer selbst habe sich in kein Verhältnis cum raes-
sianischen Reiche gestellt, und erst die christliche Sage
habe ihm diefs zugeschrieben. Denn seine Taufe selbst
ist , sofern man die Ableitung aus der ProseJyteotanfe vea
der Hand weist , nicht recht erklärlich , wenn man nicht
an die oben erwähnte sühnende Lustration des Volkes
denken darf, welche in der messlanisehen Zeit erwartet
Wurde. Dafs aber Josephus die messianische Besiehung
der Sache surflckstellt , stimmt gana mit seiner sonstigen
Praxis ö berein, welche sich namentlich aus «1er Rücksicht
auf das Verbältnifs meines Volks zu den Römern erklärt;
überdiefs liegt in dem Ausdrucke : ßcmztony owihai, wel-
chen er gebraucht, in dem ovgQtyeo&cu der Leute nnd der
11) So Paulus, a. a. O. S. 314 und 361. Anm.; Nbakdib, L. J*
Chr., S. 50 f. Anm.
s
Erstes Kapitel. $.44.
387
. Furcht de* Antrat vor einer durch Johannes su bewir-
Menden dnogaoig, wovon Joeephna weiterhin spricht, gans
die Andeutung einer solchen religiös - politischen Vereint«
gung, wie sie dnrch massianische Hoffnungen gebildet wer-
den mochte.
Wie der Täufer so bestimmt erklären konnte, dafs
wirklieh das Messiasreieh nun vor der ThÖre sei, darüber
könnte man sich verwundern, and, nicht beruhigt dnrch
die Verweisung des Lukas auf eine göttliche Aufforderung
und Offenbarung, der Vermnthung nachgeben, daA viel-
leicht der christliche Ersähler aus dem späteren Erfolg
heraus, da ja sofort wirklich derjenige auftrat, welchen
er fu> den Messias hielt, der Rede des Täufers eine Be-
stimmtheit gegeben habe, welche ursprünglich nicht in der-
selben lag ; * indem dieser nämlich , gana angemessen der
oben angeführten jüdischen Vorstellung, nur gesagt haben
könnte: fietavoeiTe, Iva ei #17 tj ßaailela %vh &(xxvwv, und
erst die spätere Darstellung hätte statt des fva yaQ gesetat.
Doch dieser Annahme bedarf es nicht; leieht konnte ja
das erregbare Gemüth des Johannes in den damaligen be-
wegten Zeiten Merkmale an entdecken glauben, welche ihm
die Nlhe des messianischen Reichs au verbürgen schienen:
and wie nahe es sei , das liefe er ja vorerst noch unbe-
stimmt
Den Eintritt der ßccodela twy äfwvuv knüpfte Johan-
nes unsern Evangelien aufolge an ein messianisches Indi-
viduum, welchem er, sunt Unterschiede von seiner Was-
aertaufe, ein ßetml&w Ttvev/uceti aylq) xal twqI anschrieb
(Hatth. 3, 11. parallel.) : da ja die Ausgielsung des heili-
gen Geistes für einen Hauptang der messianischen Zeiten
galt (Jo£l 3^ 1 — 5. A. G. 2, 16 ff.); von welchem er fer-
ner eine, mit dem Worfeln des Getreides vergleichbare
Sichtung des Volkes erwartete (vielleicht gehört auch das
Feuer, als veraehrendes,* auf diese Seite): was schon die
Propheten, wenn gleich unter andern Bildern, für die mee-
25*
ft*9 Zweiter Abschnitt.
slanieche Zeil vorbergesagt hatten ( Zachar. 13, 9« Malach.
3, 2. 3.)* Hier stellen nun die Synoptiker die Sache so,
als ob der Täufer unter diesem messianischen Individuum
bestimmt schon Jesum von Nasaret verstanden hätte. Nach
Lukas waren ja die Mütter der beiden Männer verwandt
und von dem künftigen Verbältnifs ihrer Söhne unterrich-
tet; *cbon in Mutterleibe hatte sich der Täufer Jesu ent-
gegenbewegt: und es ist daher, wie hier die Sache einge-
leitet ist, vorauszusetzen, dafs beide schon frühzeitig sich
in ihrem, durch himmlische MittheHung vorherbestimmten,
Verhältnisse kennen gelernt und anerkannt haben. Mat-
thäus zwar berichtet über solche Familienverbindungen
zwischen Johannes und Jesus nichts; doch legt er, wie
sich Jesus taufen lassen will, dem Johannes Ausdrücke la
den 'Mund, welche eine frühere Bekanntschaft beider vor-
auszusetzen scheinen. Denn sein Befremden äufsern, dtft
Jesus zu ihm komme, da doch er vielmehr nöthig bitte,
von ihm getauft zu werden, diefs konnte Johannes nicht,
wenn ihm Jesus nicht entweder früher schon bebannt ge-
wesen, oder im Augenblicke durch eine Offenbarung be-
kannt gemacht worden war: wovon das Letztere durch
nichts angedeutet ist; das sichtbare und hörbare Zeichen
der Messianität Jesu wenigstens erfolgt erst nschber.
Stimmen so das erste und dritte Evangelium (das zweite
behandelt die Sache zu epitomirend, als dafis seine Ansicht
in dieser Beziehung klar , werden könnte ) darin überein,
dafs Johannes und Jesus einander schon vor der Tavfe
nicht fremd gewesen : so behauptet dagegen im vierten der
Täufer ausdrücklich, Jesum vor der himmlischen Erschei-
nung, welche den Synoptikern zufolge bei seiner Taofe
sich ereignete, nicht gekannt zu haben (1, 31. 33.)- ^h>
fach aufgefafst, klingt diefs wie Widerspruch: und weil
die frühere Bekanntschaft beider Männer bei Lukas als
der objective Thatbestand, und bei Matthäus als unwill-
kürliches Eingeständnifs des überraschten Johannes; das
Erstes Kapitel. §. 44« 38*
frühere Nichtgekannthaben dagegen im vierten Evangelium
ata snbjective, und zwar wohlbedachte , Versieherang des
Tinfers erscheint : so lag es nahe, mit dem Wolfenbflttler
Fragmentisten den Widersprach auf Rechnung des Johan-
nes nnd Jesu in der Art an sehreiben , dafc sie in der
Thnt «war sich längst gekannt nnd verabredet gehabt, vor
den Leuten aber, um einander desto besser in die Hände
arbeiten zu können , sieh das Ansehen gegeben haben , als
wären sie einander bisher fremd gewesen, und legten nun
gans unbefangen der eine von des andern Trefflichkeit
Zeognifs ab ").
Da, man diesen Widerspruch nicht als absichtliche
Verstellung auf Johannes und mittelbar auch auf Jesus
liegen lassen wollte, versuchte man auf exegetischem Wege
das Vorhandensein desselben- an läugnen* Sofern dasje-
nige, was dem Johannes durch das himmlische Zeichen
bekannt werden sollte, der Messias ist (Joh. 1, 33 f.) : so
soll das xayw sx rjdetv atkov nicht heifsen: die Person,
sondern die Messianität Jesu war mir unbekannt '*)• Die
Möglichkeit dieser Deutung auch angegeben — obwohl
weder die Worte ftr sich nocb ihr Zusammenhang im
vierten Evangelium uns aof dieselbe führen würden — :
so fragt sich doch, ob bei der Art, wie, den Bericht des
Matthäus und Lukas vorausgesetzt, Johannes Jesum ge-
kannt haben mfifste, die Bekanntschaft mit seiner Messia»
nität von der mit seiner Person getrennt werden kann?
Soll nämlich Johannes Jesum persönlich gekannt haben in
der Weise, wie uns Lukas die Familienverhältnisse uwi-
12) Fragment von dem Zwecke Jesu und seiner 'Jünger, heraus-
gegeben ron Lsssiao, S. 135 ff.
13) So Sbmlsr, in der Beantwortung des angeführten Fragments
z. d. St. ; ebenso die meisten Neueren : Planck, Geschichte dos
Christenthums in der Periode seiner Einführung, 1, K. 7.;
Wuiss, bibi. Realwörterbuch, 1, S. 691.
w
S90 Zweiler Absohnitt
sehen beiden angibt : so ist unmöglich, dafs er nicht auch
frühe genug davon Künde bekommen haben sollte, wie
feierlich Jeans schon tot und bei seiner Geburt als Mes-
sias angekündigt worden war; er hätte also spfiter nicht
sagen können, er habe davon nichts gewußt, bis er ein
himmlisches Zeichen bekommen habe : sondern er hätte
sich so anadrücken müssen , er habe der Erzählung von
den früheren Zeichen, deren eines ja gar an ihm selbst
vorgegangen war, nicht geglaubt "). Zwar sucht man mit
diesem Nichtwissen das erste Kapitel des Lukas durch
Berufung auf die weite Entfernung der Wohnorte beider
Familien au vereinigen, welche dieselben verhindert habe,
in weitere Berührung su kommen 15). Allein , war der
Maria als Verlobten der Weg von Nasaret in das jüdische
Gebirge nicht eu weit gewesen: wie sollte er es den bei*
den Söhnen, als. sie su Jünglingen heranreiften, gewesen
sein? Welche sträfliche Gleichgültigkeit der beiden Fami-
lien gegen die empfangenen höheren Mittbeilungen wird
hiebet vorausgesetzt , und endlich weichen Zweck sollen
die letzteren gehabt haben, wenn ihnen in Bezug auf
das Verhältnifs der beiden Söhne gar - nicht nachgelebt
wurde ? ")
14) Man urtheile selbst, ob es nicht gekünstelt ist, was Neaw-
dsr sagt: „Wenn der TMufer auch nach dem, was er von je-
nen Umstanden bei der Gebart Jesu vernommen, schon hätte
erwarten können [ nothwendig wissen musste ! J , dass er
der Messias sei : so galt ihm doch weit mehr als jedes andere
fremde das ihm selbst gewordene göttliche Zeugniss in seinem
Innern, und gegen das, was er nun im göttlichen Lichte er*
kannte, erschien ihm alles Frühere als ein Nichtwissen "
(S. 68).
15) Blhk, Bemerkungen zum Evang. Joh., in den theolog. Stu-
dien und Kritiken, 1855, 2, S. 435; LUcki, Commentar zum
Evangelium Johannis, 1, S. 362.
16) In der Verzweiflung gibt Osxahdbk die Antwort , jene gött-
Kniet Kapitel 'S. 44. - S91
Wollte man indofs auch Eugeben, da& das vierte
Evangelium nichts weiter , altf die Bekanntschaft dea Täu-
fers mit Jean Menianitit ausschliefe ; ' daa dritte aber
nichts weiter, als die Bekanntschaft desselben mit seiner
Person voraussetze: so ist damit der Widerspruch der
Evangelien doch nicht gelöst Denn bei Matthäus spricht
Johannes , als er Jesum taufen soll, so, als ob ihm dieser
nicht blofs überhaupt von Person, sondern bestimmt als
der Messias, bereits bekannt wäre. Wenn er ihn nämlich
nicht taufen will, indem er sagt: eyoj xQeucv £#/> vno as
ßarvriOxhjvaij tccd av fyxü KQOS /**> (3, 14.) so hat man
diefs «war im Sinne der Harmonistik so su erklären ge-
sucht, dafs Jobannes dadurch nur die höhere Vortrefflich»
keit Jesu, nicht aber seine Messianität, habe aussprechen
wollen "). Allein für so sittlich trefflich der Täufer aueh
Jesum erkennen mochte: so lange er ihn ffir einen sünd-
haften Menschen hielt, konnte er ihn von der Pflicht, sei-
ner Taufe sich su unterziehen , nicht entbunden achten ;
gar aber das. Recht, die cum messianischen Reiche vorbe-
reitende Lustration vorzunehmen, konnte nicht durch hohe
Vortrefflichkeit Oberhaupt ertheilt werden, sondern es ge-
hörte ein besonderer Beruf dasu, wie Ihn auch Johannes
erbalten hatte, und wie er nach jüdischer Vorstellung nur
an einen Propheten, oder den Messias und dessen Vorläu-
fer, ergehen konnte (Job. 1, 111 ff.)* Schrieb also Johan-
nes Jesu die ßefugnifs en taufen bu, so mufs er ihn nicht
blofs fflr vortrefflich Oberhaupt, sondern bestimmt ffir ei-
nen Propheten, gehalten haben, und «war, da er ihn für
wardig hielt , ihn selbst eu taufen , ffir einen höheren als
aich selbst : was, da er sich als den Vorläufer des Messias
liehen Mittheilungen selbst mögen wohl Winke enthalten ha-
ben, die beiden Knaben — getrennt zu halten ! (S. 127).
17) Hess, Geschichte Jesu, 1, S. 117 f., Paulus, a» a, O. S. 3too ;
N&AMJKK, S. 64 ff.
\
S93 Zweiter Abschnitt
gefafst hatte, nur der Messias selbst sein konnte. Dan
kommt, dafs Matthäus so eben (3, 11.) eine Rede des Tfis-
fers mitgetheilt hatte, in welcher dieser dem nach ihm
kommenden Messias eine Taufe zusohreibt , welche krftfti«
ger als die seinige sein werde: wie könnten wir also seios
darauf folgende Aeufserung gegen Jesum anders verstehen)
als so: was soll dir meine Wassertaufe, o Messias? weit
eher wflre mir deine Geistestaufe noth 18) !
Lftfst sich somit der Widerspruch nicht wegräumen:
so mufs man ihn, wenn er nicht den betheiligten Personen
als absichtliche Täuschung cur Last fallen soll , auf die
Berichterstatter überweisen ; was um so ungehinderter an-
geht, je anschaulicher sich machen lttfst, wie der eine oder
der andere sra einer unrichtigen Darstellung kommen
konnte. Nun steht bei Matthflus seiner Uebereinstimmung
mit Johannes in dem bezeichneten-Punkte nur die Stellung
der Rede des Tfiufers entgegen, durch welche er Jesu*
von seiner Taufe zurückhalten will: nur weil jener, ehe
irgend etwas Außerordentliches erfolgt ist, so spricht,
scheint eine vorangegangene Kenntnifs Jesu in seiner Met«
sianität vorausgesetzt zu werden. Wirklich stellt nun dal
Hebräerevangelium bei Epiphanius die Bitte des Johanne«,
dafs Jesus vielmehr ihn taufen möchte, als Folge der himm-
lischen Erscheinung dar ") : und diese Darstellung hat man
neuerlich für die ursprüngliche angesehen, welche der
Verfasser unseres ersten Evangeliums abgekürzt haben soll,
18) Vergl. die Ausführung des Fragmentisten u. B&ssk, a. d. «*
00.; Homunii, S. 287.
19) Haeres. 30, 13 : K<ä £; ZvJjZ&tv £k» r« v<for<*, $vtyffiav * »P*
rbl, xa\ il3* ro nyev/ta rS &*S ro ayior Iv cl&n flrtpgpprc *. r. 1 *»&
qxorq sy/rero x. t. L xcti evfrue ire(*£2a/£ip§ ror ronor <pof piya' «*
ZS<or> qajoty, 6 YuaWy$ jfcyft ervr$ ' au r£t *7, Kvqi* ; jutl ndiat- «wy *>
r. 1. vor» Tort , ftjoir , 6 'l(oarvqs napxnt<tt*v ovnjo ffe/t ' dtoftal »
Kvpt, au jui flannaov. x
Erstes Kapitel, f. 44.
indem er zugleich , am die Sache effektvoller so machen,
schon bei dem ersten Nahen Je*u den Täufer sieh weigern
nnd jenen Aossprueb thnn lasse *•)• Allein , dafs wir an
dem Berichte des HebrKerevangaliams nicht die ursprüng-
liche Form dieser Ersählang besitzen , konnte schon die
ffafserst schleppende Wiederholung der Himmelsstimme
sammt dem Auseinandergesogenen der ganzen Darstellung
seigen« Vielmehr ist sie ein sehr abgeleiteter Bericht, und
die Stellung der Weigerung des Johannes nach der Er-
scheinung nnd Stimme swar - keineswegs sn dem Ende
vorgenommen», um den Widerspruch gegen das vierte
Evangelium sn vermeiden, welches in dem Kreise jener
ebionitlschen Christen nicht als anerkannt vorausgesetzt
werden darf; sondern in eben der Absicht, welche man
Irrig bei der angeblich umgekehrten Aenderung dem Mat-
thias susehreibt: nämlich, die Scene effectvoller zu ma-
chen* Eine einfache Weigerung von Seiten des Täufers
schien zu matt: es mutete wenigstens ein Fu&fall CnaQcc-
neacjv) vor dem Messias stattgefunden haben; dieser konnte
aber nicht besser motivirt werden, als durch die himm-
lische Erscheinung; welche somit vorangestellt werden
mufste. Auf diese Weise zeigt sich also nicht , wie Mat-
thäus zu seinem Widerspruche gegen Johannes gekommen
ist; so wie ohnehin für die Darstellung des Lukas diese
Ableitung nicht ausreicht.
Alles erklärt sich ungezwungen, wenn man nur be-
denkt, dafs das wichtige Verhältnifs zwischen Johannes
nnd Jesus als ein von jeher bestandenes erscheinen mufste
vermöge der Eigentümlichkeit populärer Vorstellungs-
weise, das Wesentliche sich als von jeher Gewesenes zu
20) Blkbk, •. «* O. ; Schheckbhbürgbr , über den Ursprung des
ersten kanonischen Evangeliums, S. 121 f. ; Luciti, Comm. z.
Er. Joha) 1, S. 361. Vgl. Ustsri, über den Täufer Johsnncs
u. s. w,, Studien, 2, 3. 8, 446.
SM Zweiter Abschnitt
denken. Wie demgemäfs die Seele , sobald sie als wesen*
haft anerkannt Ist, auch klarer oder dankler als pr&epi-
stirende gedacht wird : so hat auch jedes folgenreiche Ver«
hältnifs in populärer Denkweise eine solche Präexistenz.
So innfs nun Johannes, welcher dnreh die Taufe, die er
dem Messias Jesus ertheiite, in eine so bedeutungsvolle
Beziehung zu diesem trat, ihn schon vorher als solchen
gekannt haben: wie es kons nnd unbestimmt bei Matthäus
dargestellt ist; oder, wie es Lukas weiter aasspinnt: schon
ihre Mütter kannten sich, nnd noch in Mutterleibe wur-
den beide zusammengeführt **).
Dieses Alles fehlt im vierten Evangelium, welches den
Täufer vielmehr die entgegengesetzte Versicherung geben
Ififst; wir wagen nicht zu entscheiden, ob ans historischen
Gründen , oder weil bei ihm ein anderes Interesse das so
eben bezeichnete Überwog. Je weniger nämlich der Täu-
fer Jesum -schon vorher gekannt hatte, den er nachher so
hoch erhob : desto mehr fiel alles Gewicht auf die wunderbare
Seene, welche ihn auf Jesum hinwies ; desto mehr erschien
aein ganzes Verhältnis zu diesem nicht als ein natürlich ent-
standenes, sondern als ein unmittelbar von Gott gewirktes.
»
S* 45.
War Jesus von Johannes als Messias anerkannt? und in
\ welchem Sinne?
Mit der bisher besprochenen Frage, ob Jesus dem
Johannes schon vor der Taufe bekannt gewesen sei, hängt
die andere zusammen, was überhaupt der Täufer von Jesu
und seiner Messianität gehalten habe ? — Nach sämmtli-
chen evangelischen Berichten erklärt Johannes vor Jean
Ankunft bei ihm aufs Bestimmteste, dafs demnächst Einer
kommen werde, zu welchem er in untergeordnetem Ver-
21) Vgl. ob Wkttb, cxe^. Handb., l, a, S. 33«
Erstes Kapital, f. 4S. M5
hlltnisse stehe; durch die Seene bei dar Taafe Jesu war
ihm Jesus unverkennbar als derjenige beaelchnet worden,
als dessen Vorläufer er gekommen war; dafe er diesem
Zeichen Glauben geschenkt habe, müssen wir nach Mar»
kus nnd Lokas voraussetzen; nach dem vierten Evangelium
beaeugt er es ausdrücklich (1, S4.)j «ad tbut fiberdiefs
Aussprüche, welche die tiefste Einsicht tn Jesu höhere
Natur und Bestimmung beurkunden (1, 29 ff. 36V S, 27 ff.);
nach dem ersten war er bereits vor der Taufe Jesu davon
überzeugt. Dagegen berichten nun aber Matthias (11,2 ff.)
nnd Lukas (7, 18 ff.) , dafs späterhin der Täufer auf die
Kunde von der Wirksamkeit Jesu einige seiner Schüler
an ihn abgeordnet habe, mit der Anfrage, ob er der ver*
heilsene Messias sei, oder ob man eines andern warten
müsse ?
Dem ersten Eindrucke nach scheint diese Frage eine
Ungewißheit des T&ufers ausaudrflcken, ob Jesus wirk*
lieh der Messias sei; und. so ist sie schon frühzeitig ver«
standen worden *)• Aber ein solcher Zweifel steht mit
allen übrigen Umstünden, welche uns die Evangelien mal«
Ven,l im vollkommensten Widerspruche. Mit Recht findet
man* es psychologisch undenkbar, dafs derjenige, welcher,
durch das Zeichen bei Jesu Taufe, das er für eine gött-
liche Erklärung hielt, überzeugt oder bestärkt, seitdem so
bestimmt über den messianischen Beruf und die höhere
Natnr Jesu sich ausgesprochen hatte , auf einmal sollte in
seiner Ueberaeugung wankend geworden sein: er müfste
denn einem vom Wind hin- und hergewehten Rohre ge-
glichen haben, was Jesus eben hier rühmend von dem
Täufer in Abrede stellt (Matth. 11, 7.); man sucht ver-
1) s. B. Tertull. sdv. Marcion. 4, 18. Vergl. das Genauere über
die verschiedenen Deutungen der Stelle bei Bkncel, historisch-
exegetische Bemerkungen über Matth* 11, 2—19 i in seinem
Archiv, 1, 3, S, 754 ff.
Zwei*** AfeMlmitt.
jfaHiah mmA rifaem Aslafi in dem Benehmen oder dem
damaligen Schicksale Jesu : denn eben auf die Nachricht
Ton 'den eqya %5 XqtgS, weiche nach Lukas Wunderthaien
waren, die doch am wenigsten Zweifel in ihm erst erwe-
cken konnten , sandte er Jene Botschaft ab ; endlich wfire
es so verwundern, wie Jesus später (Job. 5, 33 f£) so »u-
versichtlfch auf des Täufers Zeugnifs von ihm sich beru- «
fen mochte , wenn man doch wußte, dafs Johannes am
Ende selbst an seiner Mdssianität irre geworden war*).
Man hat def* wegen den Versuch gemacht, der Sache
die Wendung sn geben, dafs Johannes nicht für sich
selbst, um seine eigene, schwankende Ueberseugung bu
befestigen, habe fragen lassen; sondern für seine J&iiger,
nm deren Zweifel niederzuschlagen, von welchen er selber
unberührt gewesen sei *)• Damit erledigen sich allerdings
die erwähnten Schwierigkeiten; namentlich scheint klar
eu werden, wie der Täufer gerade auf die Nachricht von
Jesu Wundern hin jene Sendung habe veranstalten kön-
nen: indem er nämlich hoffte, seine Janger, welche sei-
nen Worten Aber Jesuin nicht glanbten, werden durch
die Anschauung von dessen außerordentlichen Thaten sich
fibereeugen, dafs er Recht habe, sie auf ihn al; den Mes-
sias hinzuweisen. Allein wie konnte Johannes hoffen,
dafs seine Abgesandten Jesuin anfällig im Wunderthun be-
griffen antreffen würden? Auch trafen sie ihn nicht so,
nach Matthäus; sondern Jesus berief sich nach V. 4. f.
nur auf das, was sie von ihm oft sehen, und wovon sie
fiberall in seiner Nähe hären kannten: und nur die augen-
scheinlich secundäre Erzählung des Lukas9} mifsversteht
2) s. Paulus, Kuxhöl z. d. St.; Bkksbl, a. 8. O. S. 763 ff.
3) So s. B. Calvin , Comm. in härm, ex Matth. , Marc, et Luc.
z. d. St. F. l, S. 258, ed. Tholuck.
4) So nennen wir, mit Schlbimrmachkr (über den Lukas, S. 106 f.)»
die Erzählung* des dritten Evangeliums, 1) wegen der massigen
ab* te>v Kauftet J. 4». SSV
die Worte Jesu dahin, ai* hfitte er sie nicht gebrauchen
können, wein die JohannisjJInger ihn nioht mitten im
Wunderthun angetroffen hätten« Und denn, wenn es die-
Absieht des Tfiufere wer, seine Jünger dareh den An-
biiek der-Thaten Jesu sn überfuhren, durfte er Ihnen
keine Frage an Jesnm aufgeben, mit welcher es nnr auf
Worte, auf eine authentische Erklärung Jesn, abgesehen
schien. Denn durch eine Erklärung desjenigen, an de*
een Messianität sie eben sweifelten, konnte er seine Scha-
ler nicht eu fiberseugen hoffen, welche durch seine eignen
Erklärungen, die ihnen sonqt Alles galten, nicht ttbersengt
worden waren. Ueberhaupt wäre es ein seltsames Beneh-
men vom Täufer gewesen, fremden Zweifeln seine eigenen
Worte bu leihen, und dadurch, wie SchlbIbrmachbr mit
Recht bemerkt, sein früheres wiederholtes Zeugnifs för
Jesnm bu compromittiren« Wie denn auch Jesus die von
den Boten ihm vorgetragene Frage als von Johannes sel-
ber ausgegangen fafst (jujtayyEÜüCecs %)dwrjf Matth. 11, 4.),
und sich ober dessen Ungewifsheit indirect durch Seilgprei-
enntj derer, die keinen Anstofs an ihm nehmen, beschwert
(V. i.) J>
Bleibt es somit dabei, dafs Johannes nicht /blofe für
seine Schaler, sondern für sich selbst h<ft fragen lassen;
und kann man ihm doch auch nioht nach der froheren
Entschiedenheit jetzt auf Einmal Zweifel an der Messia-
nität Jesu Buschreiben: so bleibt nichts übrig, als, statt
dieser negativen die positive Seite an seiner Frage hervor»
nnkehren, und das Skeptische in ihr als blofce Einklei*
Wiederholung der Worte des Täufers V« 20; 2) wegen des
Mißverstandet V. 18 u* 21, von welchem bald weiter die Rede
sein wird, und dergleichen sich auch V, 29. 30. einer zu ver-
rathcn scheint. «.
5) Vcrgl. Calviji z, cL St. und BsvesL, a, a. O. S. 753 9.
400 Zweiter Absebnitc
fiberfallen habe ; and wenn er dafür sich auf das Beispid
von Männern beruft, welche, um des christlichen Glanbens
oder anderer Oeberzeugungen willen verfolgt* nachdem
sie lange ohne Todesfurcht für die Wahrheit gezeugt hat-
ten, doch endlich im Kerker der menschlichen Schwäche un-
terlagen und zum Widerrufe sich fortreifsen Heften : sq fin-
det hier 9 genau betrachtet, gar keine Aehnlichkeit statt.
Verfolgte Christen der ersten Jahrhunderte, später ein Be»
rengar, Galilei, wurden eben denjenigen Ueberzeugungen
untreu, um derentwillen sie eingekerket waren, und durch
deren Verläugnung sie sioh zu retten hofften: der Täufer,
um mit ihnen verglichen werden zu können , möfste seine
flöge gqgen Herodes zurückgenommen haben, nicht seine
Zeugnisse von Christo wankend gemacht, die mit seiner
Verhaftung in keinem Beznge standen«
N Es bleibt also bei der Unverträglichkeit dieser Sen-
dung des Täufers aus dem Kerker — zunächst könnte
man gar glauben , mit seiner früheren Anerkennung Jesu
als des Messias überhaupt. Denn es ist doch höchst seit*
sam, was auch ßfiNGEi/n aufgefallen ist 8), dafs unsere
Evangelisten in den Worten: 6 ^laxxwrjg axsoag — %a egya
TÖ X(M,gS9 Tiifiipag — elTtev x« r. L (Matth. 11, 2 ; ähnlich
Lukas, 7, 18. f.) die Sache so darstellen, als sei der Täu-
fer durch die ihm zugekommenen Nachrichten von dem
Wunderthaten Jesu an seiner Messianität irre geworden;
statt, wie man erwarten sollte, dadurch im Glauben an die*
selbe bestärkt zu werden. Nicht weil er von diesen Tha-
ten hörte, sondern weil er von denselben in seinem Ge-
fängnifs nichts hörte, könnte man vermutben, seien in ihm
Zweifel aufgestiegen ; oder, wenn er von den Thaten Jesu
Nachricht hatte, dann müsse, was in ihm aufstieg, nicht
der Argwohn gewesen sein, Jesus sei wohl nicht wirklieh
der Messias, sondern die Vermuthung, der Mann von eol-
8) a. a. O., S. 769 f.
Erstes Kapitel. $.45. 401
eben Thaten möchte vielleicht der Messias sein. Doch so,
von einem entstehenden, nicht einem verschwindenden
Glauben die Worte des Täufers su verstehen, wird nicht
allein dorch die Antwort Jesu unmöglich, der in densel-
ben ein oxavdali&od-aiy d. h. ein Irrewerden, findet; son-
dern auch in der Frage des Johannes selbit drückt das
so dem av el 6 «p%o/f«>o& gesetste: jj Izsqov TtQogdoxw/tiev;
deutlich ein Unsicherwerden des bisherigen Glaubens ans ")•
Wirklich sind wir auch au jener andern Vorstellung von
dem Sinn der Frage nur durch die Darstellung des Lukas
genöthigt, die\wir bereits als eine abgeleitete erkannt ha-
ben. Denn freilich , wenn dieser Evangelist , nachdem er
die Erweckung des Jünglings zu Nain und die Heilung
des Knechts au Kapernanm eraählt hatte, nun- fortführt:
JKal aitiffyBiXav üoawr] ol /uadr/ral avrö tcbqI navziw t&vwv.
JCal TVQogxcdeodfisvog — i'ne/nipe x. %. X. : so sind es die
.Wnnderthaten, auf deren Kunde hin der Täufer an Jesuin
schickt; wogegen unter den e'fyyotg tö XQic;ä, die nach Mat-
thäus den Johannes zu seiner Anfrage veranlassen, mögli-
cherweise die ganae Art des Wirkens und Verfahrens Jesu
▼erstanden sein kann. '
' Hindern aber die Worte der Evangelisten nicht mehr,
so ist in der Thatsaohe dieser Sendung gleichfalls nichts,
wodurch es entschieden undenkbar würde, dafs der Täu-
fer Jesum früher in irgend einem Sinne für den Messias
gehalten habe* Ausgiefsqng der Geistesfalle über seine
Anhänger, Sichtung des Volks und Ausrottung seiner un-
würdigen Mitglieder, konnte, wie die Synoptiker berich-
ten, Johannes von Jesus als dem Messias erwartet haben;
aber schleunig ausgeführt und nicht ohne äufsere Gewalt-
samkeit : und weil darauf Jesus immer und immer nicht
einging, so konnte er am Ende wohl zweifelhaft werden,
9) VgL db Wrrri z, d. St. des Matth. und Niakdir, L. J. Co.,
S. $7£
Das Leben Jesu Sie Aufl. I.Band. 26
40t Zweiler Abschnitt.
ob er Ihn auch mit Recht für den Messias gehalten habe.
Aber er konnte diefs nicht, wenn er von den Wandern
der Erzeugung und Kindheit Jesu Glaubhaftes wnfste: wo-
von schon früher; er konnte es nicht, wenn ihm bei der
Taufe Jesus durch eine himmlische Erscheinung und Stirn«
ine als Messias bezeichnet worden war: wovon , spä ter ; er
konnte es auch nicht, wenn er in Jesu, nach dem vierten
Evangelium, ein vom Himnteb herangekommenes höheres
Wesen und den zum versöhnenden Leiden für die Mensch-
heit bestimmten Messias sah: wovon sogleich. Kann dem-
nach der Täufer, wenn er diese Vorstellungen von Jean
hatte, ihn nicht auf die besprochene Weise haben fragen
lassen und umgekehrt : so ist sofort jedes der beiden un-
verträglichen Stücke für sich zu untersuchen , nnd eu se-
hen, welches aufzugeben, welches festzuhalten ist. Neh-
men wir zuerst die Aussprüche des Täufers über Jean
Messianitüt im vierten Evangelium, so müssen wir hiebe!
zwei Fragen unterscheiden: einmal, ob es denkbar sei,
dafs Johannes überhaupt einen solchen Begriff vom Mes-
sias gehabt, nnd zweitens, ob es wahrscheinlich sei, dats
er denselben in der Person Jesu verwirklicht geglaubt
habe.
Den ersten Punkt betreffend, so ist das eine Merk-
mal in dem Messiasbegriff des Täufers nach dem vierten
Evangelium, dafs er ein höheres Wesen,. ein ix r5 sqovh
ZQXWWOS, der demnach dndvo) ndvzcov igt (3, 31.), sei. In
dem nQuhoQ fis rp 1 , 15. 27. 30. wollen jetzt auch Nean-
dsr nnd na Wette nur die Priorität des Wesens finden;
allein wenn auch die Präexistenz des Messias darin liegt :
so brancht man höchstens mit Lücke anzunehmen, dafs
der Täufer nicht wie der Evangelist den Begriff des koyog
mit jenen Worten verbunden , sondern mehr auf popuifir
jüdische Weise an die Prfiexistenz des Messias, als Suh-
jects der A. T. liehen Theophanien u» s. w., gedacht habe.
Von dieser jüdischen Ansicht finden sich ja auch aufeer
Erstes Kapitel, f. 45. 408
den Schriften des vierte« Evangelium noch Sporen bei
Paulas O B. l.Kor. 10, 4. Kol. 1, 15 f.) und den Rab-
binen10); und wenn sie auch ursprünglich alexandrinisch
gewesen wäre, was Brktschmkider gegen unsre Stelle gel-
tend machte11): so fragt sich, ob nicht auch schon vor
Christi Zeit die alexandrinisch - jüdische Theologie auf die
Ansichten des Mutterlandes von Einflofs war ? 12) Dafs
also der Messiasbegriff de» Täufers dieses Merkmal gehabt
habe, ist für sieh nicht undenkbar«
Das andere Merkmal wäre das eines sühnenden Lei-
dens. — Zwar hat man versucht, die Ausdrücke, mit wei-
chen der Tänfer 1 , 29 und 36. seine Schüler auf Jesum
hinweist, so au deuten, dafs jener Begriff wegfiele: Jesus
mit einem Lamme nur seiner Sanftmath und Duldsamkeit
wegen verglichon ; cuquv rtjv afiaqulccv tS xoOfts entweder
▼on einem geduldigen Ertragen der Bosheit der Welt, oder
▼on einem Versuche, die Sünde der Weit bessernd hin-
wegauräumen , verstanden, und in dem Ausspruche des
Täufers der Sinn gefunden würde , wie rührend es sei,
daft dieser sanfte und weiche Jesus sich einem so harten
und seüweren Geschäfte untersogen habe 1S). Allein die
besten Exegeten haben gezeigt, dafs, wenn awar cuqsiv
für sich in der bezeichneten Weise gefatst werden könnte,
doch apvog, nicht blofs mit dem Artikel, sondern überdieüs
noch mit dem Beisatse: rä &e5, nicht ein Lamm über-
haupt, sondern ein bestimmtes, heiliges Lamm beseichnen
10) s. Bsrtboidt, Christologia Judieorum Jesu apostolorumque
aetate, $§. 23—25.
11) Probabilia, S. 41.
12) t. Gmtfaia, Philo und die alexandr, Theotophie, 2. Thl. von
S. 280 an.
13) Gabler, meletem. in loc Job. 1, 29 , in seine» Opusc. acad.
S. 514 ff. Paulus, Leben Jesu, 2, a, die Uebersetzung d. St.,
und Comm. zum Er. Job. s. d. St.
20*
404 Zweiter Abschnitt.
mufft; wobei dann, wenn es der wahrscheinlichsten Erklä-
rung zufolge auf da« Lamm Je*. 53, 7. sich besieht, auch
das utQhiv ttjv dua(triav nur aus demjenigen erklärt wer-
den kann, was dort von dem mit, einem Lamm vergliche-
nen Knecht Gottes gesagt ist, dafs er rag d/ua(niag r^nh
'(fFQety xal mql yfioh dawaren (V. 4. LXX. ); wonach es
also ein stellvertretendes Leiden bezeichnet '*). Dafs nun
der Täufer diese Prophetenstelle auf den Messias bezogen,
diesen mithin als einen leidenden sich gedacht habe, diefs
eben hat man neuerlich zweifelhaft gefunden 16). Denn
der gangbaren Meinung wenigstens war eine solche An-
sicht vom Messias so fremd, dafs die Jünger Jesu wfihrend
der ganzen Zeit ihres Umgangs mit ihm sich in dieselbe
nicht finden konnten, und nach seinem wirklich erfolgten
Tode völlig an ihm , als Messias , irre wurden ( Luc 24,
20 (f.). Wie sollte nun der Tffufer, welcher der eigenen
ErklXrung Jesu (Matth. 11, 11.) zufolge tief unter den
Bürgern des Himmelreichs stand, za denen doch auch da-
mals schon die Jünger gehörten , — wie sollte dieser ent-
fernter Stehende lange vor dem Leiden Jesu zu einer Ein-
sicht in dessen Notwendigkeit für den Messias gekom-
men sein, zii Welcher den zunächst Stehenden nur der Er*
folg verholfen hat? oder wie sollte, wenn Johannes wirk-
lich diese Einsicht hatte und gegen seine Jünger aussprach,
dieselbe nicht durch diejenigen , welche aus seiner Schale
in die Gesellschaft Jesu übergingen , auch in der letzteren
Eingang gefunden, und1 Überhaupt durch das Ansehen,
welches der Täufer genofs, auch im gröfseren Publicum
den Anstofs, den man am Tode Jesu nahm, gemildert ha-
14) d» Witts, de morte Christi expiatoria, in s. Opusc. thcol.
S. 7 7 fT. Lücke, Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 347 ff. Wim»,
bibl. Realwörterb-, 1, S. 693, Am».
15) Gabi.br und Paulus a. d. a. 00. Auch dk Wsttb, a. a. CK,
S 75 ff. 80ff
Erstes Kapitel. $. 45. 405
ben ? Zudem, sehen wir die aufserjobanneischen Nachrieh?
teo vom Täufer «He darch: nirgends finden wir, dafs er
dergleichen Ansichten über das Schicksal des Messias ge-
Sufsert hatte; sondern, am von Josephus nichts au sagen,
sprach er den Synoptikern zufolge «war von einem jn*ch
ihm kommenden Messias, als dessen Geschäft er jedoch le-
diglich die Geistestanfe und Sichtung des Volkes heraus«
hob* Doch die Möglichkeit bleibt immer offen, dafs auch
schon vor dem Tode Jesu ein tiefer blickender Geist, wie
der Täufer, aus A. T. liehen Stellen und Vorbildern einen
leidenden Messias herausgelesen, ohne dafs doch seine
Schüler und Zeitgenossen seine dunkeln Andeutungen hier-:
Aber verstanden bitten '*) ; ob es gleich bedenklich zu
werden anfängt, dem Täufer, der sonst nur dafür bekannt
ist, die praktische Seite an der Idee des Messiasreichs her*
vorgekehrt su haben, von dem einzigen vierten Evangeli-
sten swei Begriffe, welche in jener Zeit ohne Zweifel nur
der tiefsten messianischen Spekulation angehörten, zuge-
schrieben su sehen, und zwar in solcher Weise, dafs je-
denfalls die Form, in welcher er sie ausdrfiokt, zu johan-
neisch ist, um nicht auf Rechnung dieses Evangelisten ge-
schrieben werden su müssen.
Dafs es aber bisweilen auch mehr ist als die blolse
Form, was der Verfasset* des vierten Evangeliums bei Ue-
berlieferung fremder Worte aus dem Seinigen hlnzuthut,
das erhellt aus der Rede , die er 3, 27 — 36. dem Täufer
als Antwort auf die Klage seiner Jünger über den wach-
senden Anhang Jesu in den Mund legt« Nachdem der
Täufer sich darüber erklärt hatte, wie es in ihrer beider-
seitigen Bestimmung, über welche er nicht binaussuschrei-
16) db Wbtt* z. d. St. des Joh. ; Nhakder, S. 78; Letzterer mit
der Einschränkung, dass vielleicht der Täufer nur von den
Sünden des Volhs gesprochen, der Evangelist aber von sei-
nem Standpunkt aus statt des Volks die Welt gehcUt fiabo.
405 Zweiter Abschnitt.
teil verlange, begründet sei, dafs er abnehmen, Jesus aber
Benehmen müsse: führt er von V. 31. an in Formeln fort,
welche gana dieselben sind mit denjenigen, in weichen
sonst der vierte Evangelist Jesnm selbst von sich reden
l&Tst, oder seine eigenen Gedanken über Jesnm ausdrückt;
namentlich, wie auch Lücke zugesteht, erscheint diese Rede
des Johannes als Nachhall der vorausgegangenen Unterre-
dung Jesu mit Nikodemus iT). Die Ausdrücke dieser dem
T&ufer geliehenen Rede sind specifisch johanneisoh, wie
G<pQayl£io, ftarrvvQia , der Gegensatz von uvtofrev und ix rijg
yijg> die Phrasis: t%eiv £i07jv aiwrtov, und es fragt sich: ist
es wahrscheinlicher , dafs sowohl der Evangelist als auch
Jesus, dem er sie so oft in den Mund legt, sie von dem
Täufer geborgt haben, oder umgekehrt, dafs sie der Evan-
gelist, ich will für je tat nur sagen dem Tänfer, geliehen
habe? Diefs wird sich mit dem Andern entscheiden, dafii
nämlich auch die Ideen, welche hier der Täufer ausspricht,
ganz dem Boden des Christenthums , und zwar wieder
spfeciell des johanneischen, angehören. Eben jener Gegen-
satz von am und ix zijg yrjg, die Bezeichnung Jesu als des
avu&ev iQXOfi&og, als dessen, ov drtigedsv 6 &€og9 welcher
17) Man vergleiche besonders :
Joh. 3, 11 (Jesus zu Niko- Joh. 3, 32 (der Täufer) :
demus) : a/Ap, a/z^p, It'yto oot) xeu o tvi^axe xae tjxna^ thto pa(*Tu-
oxi o olSa/utVy ZalSjuev, xai o £«, xat rqr fta^rv^iav avrS *Sti$
tw^axajuer, /ua^TVQHuer, xai rtjv lajußareu
fia^ru^Cav fj/uov « laußavret.
▼ •182 o mgtvwv *i$ avror V« 36 t o mgevatv *U top vlar
h x(xysrat.' 6 Sh faj nt&wav, tj&rj f%et £(orjr aumav ' 6 St anet9üir xtf
xixqtrai) ort firt nenCgeuxer el$ vuo «x oxftreu £019? , «22* tj og/tj ri
ro ovo/ia r5 /lovoyevSe vlü th &e» /utrei in* auroy.
Vgl. aus der Rede des Täufers noch V. 31. mit Joh. 3, 6.
12 f. 8, 23; V. 32. mit 8, 26; V. 33. mit 6, 27; V. 34. mit
12, 49. 50 ; V. 35. mit 5, 22. 27. 10, 28 f. 17, 2.
1
Erstet Kapitel. $. 45. - 407
daher rd föfiova t5 9*5 lalet, das Verhäknifs Jesu zu
Gott als des vlog, weichen 6 nartjo dyanq, — diese Be-
griffe, die bei Jesu und dem vierten Evangelisten so oft.
wiederkehren, miltsten demnach gleichfalls vom Täufer aof
Jesus, und von diesem auf den Apostel, fi hergegangen sein:
wogegen auch hier, wie oben, eine Uebertragnng vom
Evangelisten auf den Täufer wahrscheinlicher ist, für wel-
chen sich uberdiefs, nach Olshacskn's richtiger Bemerkung,
auch das njcht schicken will, dafs er, der doch fortan von
Jesus geschieden blieb, hier von dem Segen eines gläubigen
Anschlielsens an Jesum redet (V. 33. und 36.)*
Soviel demnach ist gewifs und auch von der Mehrsahl
neuerer Ausleger anerkannt: die Worte V. 31 — 36. kann
der Täufer nicht gesprochen haben. Folglich, schlofsen
nun aber die Theologen, kann auch der Evangelist sie ihm
nicht in den Mund gelegt haben, sondern von dem bezeich-
• ■
neten Verse an nimmt dieser selbst das Wort 18). Diefs
klingt annehmlich, wenn man uns nur die Fuge nachweist,
durch welche der Evangelist seinen eignen Zusatz von der
Rede des Täufers gesondert hat Allein eine solche sucht
man vergeblich* Zwar spricht der von V. 31. an Redende,
wo er den Täufer bezeichnen will, .nicht mehr, wie noch
V. 30., in der ersten Person , sondern in der dritten ; al-
lein der Täufer wird hier nicht mehr geradezu und indi-
viduell, sondern nur mit einer ganzen Klasse zusammen
bezeichnet, wo er demnach, auch wenn er selbst der Re-
dende war, die dritte Person wählen mußte. Nirgends
also findet sich eine Gränzschelde , und ganz unmerklich
gleitet die Rede aus denjenigen Sätzen, welche der Täufer
etwa noch gesprochen haben könnte, in diejenigen hinüber?
welche Ihm schlechthin unangemessen sind; namentlich
wird auch nach V« 30. von Jesu im Präsens zu reden fort-
gefahren, wie der Evangelist nur den Täufer zu Jesu
18) PAUtu», Olsmaussn, z. d. St.
408 Zweiter Abschnitt
Lebzeiten sprechen lassen konnte, nicht aber selbst in eig-
ner Person nach Jesu Tode so schreiben; wie er denn,
wo er eigne Reflexionen über die irdische Erscheinung
Jesu vorbringt, sich des Präteritums su bedienen pflegt 19).
Grammatisch betrachtet also spricht von V. 31. an der
Täufer fort: nnd doch kann er, historisch erwogen, du
Folgende nicht gesprochen haben; ein Widerspruch, wel-
cher freilich dann unauflöslich werden mufs, wenn mal
hinzusetzt: dogmatisch beurtheilt aber kann der Evangelist
dem Täufer nichts in den Hund gelegt haben, was dieser
nicht wirklich gesprochen hat. Wollen wir nun nicht den
klaren Regeln der Grammatik und den feststehenden Daten
der Historie um des eingebildeten Dogma' s von der Inspi-
ration willen widersprechen : so werden wir aus den ge-
gebenen Prämissen vielmehr mit Lücke den Schlafs wehen,
dafs sich hier mit der Rede des Täufers auf eine nicht
mehr genau zu unterscheidende Weise, aber überwiegend,
die Reflexion des Evangelisten mische, — Haben wir nnn
aber hieran einen Beweis, dafs es dem vierten Evangeli-
sten nicht darauf ankam, dem Täufer Johannes nicht nur
Worte, sondern auch Begriffe zu leihen, welche, dieser
nicht hatte : so werden wir uns gestehen müssen, dafs wir
keine Sicherheit mehr haben , ob die früher besprochenen
beiden Merkmale des Messiasbegriffs, welche, *war nicht
geradezu undenkbar in jener Zeit, doch sonst nirgends
dem Täufer zugeschrieben werden, ihm nieht gleichfalls
nur vom Evangelisten geliehen seien ?
Diese messianischen Attribute nun hat überdiefs, wenn
wir das vierte Evangelium boren, der Täufer auf Jesmn
fibergetragen. That er diel« so begeistert, so öffentlich
and so wiederholt, wie' Wir es bei Johannes lesen: to
V
0
19) z. B. während hier, V. 32, gesagt wird: ry> pctqwtfar wr*
«Jfis Xafifiam , heisst es im Prolog V. 1 1 : xal ol tSa* avror «
na^Xaßov, Vergr- Lücwt, a. a, 0. S. 501,
Erstes Kapitel. §-45, 409
>•' ■
konnte er unmögKebH von Jeso (Matth. 11, 11.) ans der
ßaaiXda roh SQaywv ausgeschlossen, und der Kleinste in.
derselben ihm vorgesogen werden. Denn solche Bekennt-
nisse, wie dieser Täufer, wenn er Jesum den vlog tö &€&,
welcher vor ihm gewesen sei, nennt; solche geläuterte
Einsichten in die messianische Oekonomie, wie wenn er
Jesum als o a/wog rS %hs, 6 ccIqojv %rp aftaqrlav %h xoOpt!
beneichnet: hatte selbst Petras nicht aufzuweisen, wel-
chen Jesus doch för sein Bekenntnifs Matth. 16, 16. nicht
nur in das Gottesreich aufnimmt, sondern selbst zum
Felsen macht, auf den es gegründet werden sollte. Indefs,
das Dnbegreifliche liegt noch weiter zurück. Als Zweck
«einer Taufe gibt Johannes im vierten Evangelium an, ivatpa-
rtQio&fj (Jesus als Messias) xy IöqcctJI (1, 31.), und erkennt es
als göttliebe Ordnung, dafs dem annehmenden Jesus gegen-
über er abnehmen müsse (3,30.): dennoch, während bereits
Jesus durch seine. Jünger taufen Ififst, setzt auch er seine
Taufe fort (3, 23 )• Warum nun aber, wenn er doch mit
der Einführung Jesu die Bestimmung seiner Taufe erfüllt
wufste, und nun seine Anh&nger auf Jesum als den Mes-
sias verwies (1, 36 f.), schliefst er sich nicht selbst an Je-
sum an? Johannes hatte, erwiedert Nk ander, seinen be-
stimmten Standpunkt: als der letzte der Propheten ^ auf
den Messias hinzuweisen; über diesen, mehr noch alttesta-
mentlichen, Standpunkt konnte er nicht hinaus; der schon
eelbstständig entwickelte, gereifte Prophet konnte sich
nicht mehr in eine Schule begeben, welche unentwickelte,
bildsame Jönglinge verlangte *°). Wohl; wenn also ein
Befangensein auf einem tieferen Standpunkte bei dem Täu-
fer anerkannt wird, so fragt sich weiter: wird ihn diese
Beschränktheit nur von der fiufseren, und mnfs sie ihn
nicht vielmehr auch von der innern Anschliefsung an Je-
sum, von der Anerkennung seiner als des Messias, zurück-
20) Njuhpi», L, J. Chr., S, 74 f,
416 ' Zweiter Abschnitt.
i
gehalten haben ? Mußte der strenge Ascet, der sich cid
den Seinigen harte Fasten auflegte, der drohende, von
Geiste des ' Elias beseelte Bufspredigefc , nicht ebensosehr
wie seine Jünger (Matth. 9, 14«) an der liberalen Weite
Jesu sich stofsen, der über alle Vornrtheile und Hirten
des johanneisohen Standpunkts hinausgesohritten, dem Le-
ben die gans entgegengesetzte Farbe gab? Doch es sei}
dafs er schon ans dem A. T, sich belehrt hatte, das Leben
in dem neuen , messianisehen Bunde als ein , vermöge des
ausgegossenen Geistes, freieres und froheres sich vors*
stellen 81), und somit in die> Art und Weise Jesu sich ei
finden : so wird ebendamit wieder unbegreifllich, was ihn
abgehalten heben soll , sich auch fiufserlich mit ihm so
verbinden. Oder , fühlte er sich cum Schaler au alt, sa
eigen gebildet: no mufste er wenigstens von dem öffentli-
chen Schauplatse sich surttckaiehen. Aber auch das nicht:
er setst bin wie her seine Taufe fort. Diefs war, wenn
er Jesum als den Messias anerkannt hatte, swecklos.
Einer Ueberganganstait, wie Neander meint, bedurfte ei
nicht mehr nach dem Auftritt Jesu, dessen Wirken Alles mit-
enthielt, was an dem des Johannes sittlich vorbereitend
war; noch weniger. l&fst sich das Fortwirken des Tiefe»
aus dem Bedflrfnifs solcher Orte, in deren Nfibe Jesu
nicht kam, erklären82), da Job. S, 22. ff. beide unfern
von einander taufend erscheinen. Aber selbst aweckwi-
drig erscheint die Fortsetzung der Taufe von Seiten des
Johannes, wenn blols Hinweisung auf Jesus als den Mes-
sias sein Zweck war. Er hielt dadurch noch immer eines
Kreis von Menschen in den Vorhallen des Messiasreiches
hin, und verzögerte oder hinderte selbst gans ihren Uebef-
tritt au Jesu (und zwar durch eigene, nicht allein
21) Hnur, die Hauptthatsachen der evang. Geschichte, Tab. Zeit-
schrift, 1836, 2, S. 53 f. ; Neawdbr, a. a. O. S. 59 f.
22) Lücke, Comm. s. Evang. Joh., 1, S. 488.
Erste* Kapitel fr 45. 411
durch ihre Schuld **), da er ja «eine sn Jesu weisenden
Worte durch den Widerspruch «eines Beispiels selbst un-
wirksam machte) ; wie wir denn die Partei der Johann!*-
Jünger noch *u des Apostels Paulus Zeit (A. 6. 18, 24 f.
19, 1 ff.)* und wenn es wahr ist, was die sogenannten
Zabier von sich behaupten **), bis auf die neuesten Zeiten
fortdauern i sehen. Gewifc , jene Uebereeogung des Tlu-
fers in Besag auf Jesum vorausgesetat , wäre es für ihn
das Natürliche gewesen, sich an diesen ^ansuschliefsert, oder
wenigstens sich curflckEuziehen : 4iun keines von beiden
geschah, folgern wir, so kann er auch jene Ueberaeugung
nicht gehabe haben **)•
Während also durch die Botschaß aus dem Kerker nur
das undenkbar wurde > dafs Johannes Jesum als den Mes-
sias in dem gesteigerten und geläuterten Sinn erkannt ha-
ben sollte, welchen das vierte Evangelium ihm unterlegt:
bo begründet das Fortwirken des Täufers nach dem öffent-
lichen Auftritt Jesu den Schlafs, dafs er ihn ftberhaupt
23) Nbakbba , S. 75. Mit Unrecht will derselbe ( S. 61 ) eine *
Spur, dass der Täufer seine Jünger wirklich auf Jesum hin-
gewiesen habe, A. G. 18, 24. finden, wo es von Apollos heisst : '
iStöaaxcv axfxßw; ra ntql r* JTi^At, hru;d/u*rof porw ro ßanriff/ua
'ItoayrH. Denn aus der Vergleichung des folgenden Kapitel«,
wo Paulus die Johannis jünger belehren muss, dass unter dem
eQX°.ueyo$y au* welchen Johannes taufte, Jesus zu verstehen ge-
wesen sei, erhellt deutlich, dass die Lehre vom Kupos, welche
Apollos schon als Johannis jünger genau vorzutragen wusste^
nur der johanneische geläuterte Messianismus als Erwartung-,
eines Kommenden war: die genauere Belehrung aber, die er
sofort von den Christen Aquila und Priscilla empfing, in der
Ausfüllung jener Erwartung durch die Person Jesu, bestand.
24) s. Gisenius , Probeheft der Ersch und Gavnsji'schen Ency-
clopädie, d. A. Zabier.
25) BRKTsennuDSR, Frobab. S. 46 f. Vgl. Lvckb, a. a. Q. S. 493 f.;
ns Witte, de morte Chr. expiatoria, Opusc theol. p, 81 >
bibi. Do gm., $. 209; exeg. Handb., 1, 1, S. 107. 1, 3, S. 29.
412 Zweiter Abschnitt.
nicht für den Messias gehalten haben kann. Wenigstem
vor seiner Verhaftung nicht. Denn nach dieser konnte er,
wenn aueh wir Anerkennung Jesu gelangt, sich doch nicht
mehr an ihn anschliefsen« Eine solche Anerkennung aber
scheint, wie wir gesehen haben, seine Sendung aus dem
Gefängnisse und die Art, wie. Jesus sie aufnimmt, voraussa-
setzen. So wäre denn dem gefangenen Johannes mancherlei
von Jesu bu Ohren gekommen ; diefs hätte Anfangs auf iha
den Eindruck des Messianischen, und die Erwartung in ihm
rege gemacht, dafs Jesus nun demnächst" entschieden als
Messias hervortreten werde: wie diefs immer und immer
nicht geschah, wären ihm wieder Zweifel aufgestiegen, und
er hätte jene Anfrage gemacht.
Indessen, ist denn eine solche Sendung aus dem Ker-
ker an sich denkbar, und dürfen wir also diese «weite
der oben sich gegenübergestellten unverträglichen Nach-
richten nach Hinwegräumung der ersten ruhig Platz
greifen lassen? Ganz unbedenklich «war ist sie nicht.
Nach Josephus 26) war Furcht vor Unruhen die Ursache,
warum Herodes den Täufer verhaften liefe; sollte diefs
aber auch blofe Mitursache gewesen sein neben dem, was
die Evangelien angeben : so bleibt es doch immer auffallend,
dafs eu einem Manne, der mit defswegen gefangen gesetst
war, um durch Entfernung desselben von seinem Anhang
Unruhen unter diesem zu verhüten, seine Schüler freien
Zutritt behalten haben sollen 2T). Nun findet sich die
Angabe, dafs die Sendung aus dem deOftanrjQiaP erfolgt
sei, nur bei Matthäus: Lukas, der sie aucb ersählt, er-
wähnt von einem Gefängnisse nichts. Man könnte daher
mit Schleiermacher' die Darstellung des Lukas in diesem
Stöcke für die wahre , und das deO[.wvn)()tov bei Matthäus
für einen unhistorischen Zusate halten. Allein derselbe
26) Antiq. 18, 5, 2.
27) ScHLKifiRAuciutH, üb er den Lukas, S. 100.
*
Erstet Kapitel* $. 4S. 413
Kritiker hat überzeugend nachgewiesen, dafs Matthäus
dieae Erzählung in der ursprünglichen , Lnkaa in uberar*
beiteter Formt gibt; wobei ea sonderbar wäre, wenn sieh
an jenem Einen Punkte das Verhältnis umgekehrt hätte:
weit natürlicher ist es, anzunehmen, dafs Lukas, der im
gansen Abschnitt als Ueberarbeiter erseheint, die ursprüng-
lich angemerkte Oertlicbkeit verwischt habe. Bleibt es
aleo bei einer Sendung aus dem Kerker: so ist ewar die
Berufung auf die Haft des Paulus in Rom und der Chri-
sten während der Christenverfolgungen M) insofern nicht
ganz treffend, als hier nicht, wie bei dem Täufer, Furcht
vor Aufruhr unter den Granden der Verhaftung war; indes-
sen läfst sich immer denken, dafc der Besuch eineeiner An*
hfinger bei dem Wohlverwahrten ffir unbedenklich gehalten
werden mochte*
Doch da uns oben die Annahme, dafs Jesus von Jo-
hannes vor dessen Gefangennehmung Oberhaupt als Mes-
sias anerkannt gewesen , nur durch die Angabe des vier-
ten Evangeliums unmöglich gemacht wurde, dafs der Täu-
fer auch nach dem Auftritt Jesu seine Taufe fortgesetzt
habe : so fährt uns diefs auf die Erwägung der verschie-
denen Zeitpunkte, in welche die verschiedenen Evangelien
die Verhaftung des Täufers versetzen. Matthäus, dem
sich Markus anschliefst, setat sie vor den öffentlichen Auf-
tritt Jesu in Galiläa, indem er durch dieselbe Jesu Rück-
kehr in diese Provina motivirt (Mattb. 4, 12. Marc. 1, 14.)«
Lukas weist der Gefangennehmung des Täufers keine be-
stimmte chronologische Stelle an (s. 3, 19 f.) ; doch scheint
sie nach ihm, da er ja bei der Sendung der beiden Jünger
nichts vom Geftngnifs bemerkt, erst später eingetreten au
sein. Johannes aber erklärt noch nach dem ersten von
Jesu nach seinem öffentlichen Auftritt besuchten Pa-
scha ausdrücklich: imio yaq Jjv ßeßlrjf4tvo$ dg irjv (fvlaxqv
28) Letztere bei Nbakdir, L. J. Chr., S. 8*.
414 Zweiter Abschnitt.
o ^aHWtjs (3, M»> Fragt et sieb: wer hat hier Recht?
00 befindet eich in der Darstellung des ersten Evangelisten
etwas, das manche Erklärer geneigt gemacht hat, sie ohne
Weiteres gegen die der beiden letzten aufzugeben. Dali
nämlich Jesus , anf die Kunde von des Täufers Gefangen-
nehmung durch Herodes Antipas, nach Galiläa, also gerade
in das Gebiet dieses Fürsten, sich seiner Sicherheit wegen
surückgezogen haben sollte: ist, wie Scbneckenboroer mit
Recht behauptet 29) , undenkbar ; da er ja gerade hier am
wenigsten vor einem Ähnlichen Schicksale sicher war.
Allein selbst wenn man für das avextio^oev nicht ohne den
Nebenbegriff der gesuchten Sicherheit abkommen au kön-
nen glaubt: so fragt sich doch imiaer noch, ob nicht, an*
erachtet der irrigen Motivirung, doch das Datum selbst
sich festhalten lasse? Matthäus und Markus knüpfen an
diese nach des Täufers Verhaftung erfolgte Reise Jesu
nach Galiläa die Anfänge seiner öffentlichen Wirksamkeit:
und dafs diese erst nach des Täufer« Wegnahme und aus
Veranlassung derselben begonnen habe, wäre an sich nicht
unwahrscheinlich. Leichter indessen konnte, da mit dem
Auftreten Jesu das Interesse des christlichen Erst hier* und
Hörers an dem Vorläufer erlosch , diefs den Irrthum her-
beiführen, als sei er wirklich schon damals vom Schauplata
abgetreten ; leichter ist diefs zu begreifen, als wie die ent-
gegengesetzte Darstellung auf ungescbichtliohem Wege
hfftte entstehen sollen : zumal die fortdauernde Freiheit des
Täufers im vierten Evangelium nicht dazu benutzt ist« ihn
thatsäehlich au Jesu übergehen su lassen, sondern nur au
anerkennenden Erklärungen, wie sie ebensogut aus dem
Kerker abgegeben werden konnten«
Bleibt es demnach dabei, dafs während seiner öffent-
lichen Wirksamkeit der Täufer Jesum nicht für den Mos-
29) Uebcr den Ursprung u,s.w., S. 79. Vgl. Frxtxschb, Comm.
in Matth., S. 178* »
Erstes Kapitel« J. 45. 415
•las gebalten nnd erklärt haben bann : so Ißt dagegen leiebt
nachzuweisen , wie jene -Vorstellung sich auf ungeschieht-
liehe Weise bilden konnte. Nach A. G. 19, 4. erklärt der
Apostel Paulus, was jedenfalls zuni geschichtlichen Reste
der N. T. liehen Nachrichten ober Johannes gehört, da(s
derselbe elg rov €Qx6fievov getauft habe: nnd dieser kom-
mende Messias , auf .welchen er hingewiesen, setzt Paulus
hinzu, sei eben Jesus gewesen irmlgiv eig Xqi$6v fyoövl*
JDiefs war eine Deutung der Worte des Täufers aus dem
Kr folge; da als den durch Johannes voransverkttndigten
Messias sich bei einer groben Zahl seiner Volksgenossen
Jesus bewährt hätte. Wie nahe aber lag von hier aus die
Meinung, als ob der Täufer selbst schon unter dem iQ%6-
fievog die Person Jesu verstanden, selbst schon jenes T®tv
x. r. L gedacht hätte; eine Ansicht, welche, so unge-
schichtlich sie ist, doch Air die ältesten Christen um so
einladender sein mufste, je erwünschter es war, dureh die
in der damaligen jadischen Welt vielgeltende Auctorität
des Täufers das Ansehen Jesu zu stützen50). Dazu kam
30) Auch darüber, warum gerade der vierte Evangelist so beson-
ders geschäftig ist, den Täufer zu Jesu in ein günstigeres
Verhältniss zu setzen, als sich geschichtlich denken lässt, bie-
tet uns die angeführte Stelle aus der Apostelgeschichte viel-
leicht einigen Aufschluss. Derselben zufolge (V. 1 ff.) fanden
sich nämlich in Ephesus Leute, die nur von der j oh anneischen
Taufe wussten , und daher vom Apostel Paulus noch einmal,
auf Jesum, getauft wurden. Wim ist aber einer alten Ueberlie-
ferung zufolge das vierte Evangelium in Ephesus geschrieben
(Irenaeus adv. haer. 3, f.). Nehmen wir diese an, wie sie denn
in dem Allgemeinen, dass sie eine griechische Localität für die
Abfassung dieses Evangeliums angibt, in jedem Falle Recht
hat, und setzen wir jener Andeutung der Apostelgeschichte zu-
folge Ephesus als den Sitz einer Anzahl von Anhängern des
Täufers , welche dann Paulus schwerlich alle bekehrt haben
wird, vorans : so würde sich aus dem Bestreben, diese zu Jesu
416
Zweiter Abschnitt
V.- 4'
noch ein im A. T. gelegener Grand. Der Ahnherr de*
Messias, David, hatte in der althebräischen Sage gleichfalls
eine Art von Vorläufer, in der Person des Samuel, der
ihn im Auftrage Jehova'a Eum Könige über Israel salbte
(l.Sam. 16.)) u°d »och in der Folge im Verhältnis der
Anerkennung na ihm blieb. Mußte demnach auch dar
Messias selbst einen Vorläufer haben, welcher übrigens
ans der Weissagung des Malachia näher als *tn eweiter
Elias bestimmt wurde; und war geschichtlich im Zeitalter
Jesu Jobannes gegeben, dessen Taufe leicht als Weihe an
die Stelle der Salbung gesetzt werden konnte : so lag es
doch wohl nahe genug, das Verhältnis des Täufers bu
Jesu insbesondere nach der Analogie des Verhältnisses
zwischen Samuel und David auszubilden.
$. 46.
Urtheü der Evangelisten und Jesu über den Täufer, nebst dessen
Selbstbeurtheilung. Resultat über das Verbältniss beider
Männer.
Auf den Johannes, als Vorbereiter des durch Jesum
gestifteten Messiasreichs, wenden die Evangelien mehrere
A. T. liehe Stellen an«
Der Aufenthalt des Bufspredigers in der Wüste, seine
wegbereitende Thätigkeit für den Messias, mufste an die
jesaianische Stelle erinnern (40, 3 ff. LXX) : (pum) ßowtTog
iv tQtyup ' hoifidoare xrjfv odov KvQiy x. r. iL Diese Stelle,
die sich in ihrem ursprünglichen Zusammenhange nicht
auf den Messias und dessen Vorläufer, sondern auf Jehoya
herüberzuziehen, das auffallende Gewicht erklären, welches
das vierte Evangelium auf die paqTVQCa *luayvs legt. Diess hat
schon Stork bemerkt und ausgeführt, über den Zweck der
evangelischen Geschichte und der Briefe Johannis , S. 5 ff.
24 f. Vergl. auch Hut, Einleitung in das N. T., 2, S. 190 L
3tc Ausg.
)
Erstes KapiteL $.48. 417
Aesiog, dem ftr die Rückkehr mit seinem Volke aus dem
Exil durch die Wüste nach Judas Bahn gemacht werden
soll, führen die drei ersten -Evangelisten als eine dnreh
den Auftritt des Täufers erfüllte Weissagring an ( Matth.
3, 3. Marc. 1, 3. Lac* 3, 4ff. ). Es liefse sieh denken,
dais diefs erst spätere, christliche Anwendung wäre: doch
stobt auch dem nichts entgegen, dafs dem vierten Evange-
lium zufolge der Täufer selbst seine Bestimmung durch
jene prophetischen Worte bezeichnet hätte (1, 23.)*
Wie diese Stelle sämmtliehe Synoptiker vom Täufer
selbst, so bat Markus eine andre Prophetenstelle Aber den
Täufer von Jesus entlehnt. Wie nämlich Jesus Matth«
11, 10. Lac. 7 , 27. gesagt hatte : tnog yaq igt naqt e yi-
yQanxai* ids dnog&ka zov ayyekov fia nqo nQooojTis ob, og
xaraaxevaoei xrp odov oh e/uTtQoa&iv üb ' so wendet im Ein*
gange seines Evangeliums Markus diese Stelle des Malachia
(3, 1.)} neben der eben besprochenen jesaianischen, Irriger»
weise beide dem Jesaias anschreibend, anf den Vorläufer
Jobannes an« Die Stelle ist eine messianisohe: nur will in
derselben Jehova nicht vor einem andern, dem Messias,
einen Engel oder Boten herschicken, sondern vor sieh
selbst: nnd erst in der N.T. liehen Anwendung ist, über-
einstimmend in allen drei Stellen , statt der ersten Person
i?3Db) die s weite (a&)gesetot.
Namentlich aber ist es eine Steile desselben Prophe-
ten C 3> 23* LXX. 4, 4 : xal lös iyw aTtogeld v/täv *HXiav
tw OeoßlzTjv, n(HV tl&6ii> rrp rjfdqav Kvqih x. t. L), wei-
cher zufolge dem Täufer in den Evangelien eine Beziehung
an Elias gegeben wird. Dafs' Johannes, iv mev/uau xal
öwdpei "HUh anf Besserung des Volks hinwirkend, dem in
der messianischen Zeit sein Volk heimsuchenden KvQiog
rorangehen werde, war nach Luc. 1, 17. schon vor seiner
Geburt vorhergesagt. Im vierten Evangelium (1, 21.) lehnt
der Täufer auf die Frage der Abgesandten des Synedrinmrf
ob er Elias sei? diese Würde ab; ohne Zweifel nur in
Das Leben Jesu Ite Aufl. 1. Band. 27
* *
41S Zweiter Abschnitt.
dam Sinne, dafs er nicht der rohen Volksvorstellung ge*
miifs der leibhaftig wiedergekommene alte Seher sei; wo-
gegen er dag, waa die Synoptiker von ihm sagen, ein Mann
im Geiste des Elias eu sein, wohl selbst auch eingerannt
haben würde. Auf Ähnliche Weise setut ja auch Jesaa
/ (Matth. 11, 14.)? wo er den Johannes als den verheifsenen
Elias bezeichnet, wie snr Ab wehrang jenes . fleischlichen
' Verständnisses, hinsu : ei &&Xtts digetoüatr1).
Jene dem vierten Evangelium eigenthflmlicbe Seen«,
wo Johannes den Eliastitel nebet mehreren andern aue-
sehllgt, verlangt noch eine genauere Betrachtung, und
wtar mufs sie mit einer Erzählung des Lukas ( 3 , 15 ff. )
verglichen werden, mit welcher sie auAiUende Aebnlich-
keit hat. Wie bei Lukas das um den Täufer versammelte.
Volk auf den Gedanken kommt, ftynore avtog euj 6 Xqi-
cos»; so fragen ihn bei Johannes Uepnthrte des Syne-
drrams*)** avrlg ei; was, nach der Antwort des Täufers*
eu schliefen, den Sinn haben mufs: Wofür gibst du dich'
aus? etwa, wie deine auf das Messiasreich bestfgliebe
Taufe vermuthen lädt , und Manche von dir glauben , för
den Messias s)? Mach Lukas antwortet Johannes: *yw ftfv
vöatt ßamlCo) vfivg* $Q%eicu <$& 6 loxvQ&zeQog /uö, h «x ftpl
txavog iJooai rov l/uavra tcjv vnodijfidrünr amS — ; nach Jo-
hannes erwiedert er gleichfalls: iyto ßccmlfy) iv vda%f
pioos da vfiwv tgipctv, ov v/usig ax Mate — s iyto aar ei/ui
äSiog ha hvam avvs tov iftdvra tS vnodrjfuaiog^ womit bei
Johannes noch die ihm eigentümlichen Ausspruche aber
Jesu Präexistenz oder höhere Natur verbunden sind, statt
deren Lukas eine Erwähnung der messianiaehen Geistee-
taufe hat, welche Johannes erst bei einer späteren Gele«
1) de Witts, exeget. Handb., 1, 3, S. 25.
2) Ucbor diesen Sinn von ,« VwTwut in unserer Stelle vergl. die
Ausleger.
3) S. LUC KB U. HB WSTTB Z. d. SU
Erste« Kapitel, f. 46. 419
4
\
genheit (V. SS.) nachholt. Wie aber Lukas diese ganre
Seene in der Absicht und mit der Bedeutung einrückt,, die
Messianitft Jesu auch dadurch so begründen, dafs der'
Tfiufer sie von sieh abgelehnt nnd anf einen nach ihm
Kommenden übergetragen habe: so hat sie, nur mit noch
stärkerem Gewichte, dieselbe Bedeutung Auch bei Johan-
nes. Liegt nun den beiden so verwandten firzfihiungen
schwerlich mehr als Ein Vorfall com Grunde *): so fragt
sich, welche ihn getreuer wiedergibt? Hier ist fürs Erste
in der Darstellung des Lukas keine innere Unwahrschein«
liohkeit ; vielmehr läTst sich leicht denken, wie das um den
Täufer geschaarte Volk den Mann, der die Annäherung
des Messiasreichs verkündigte, und mit Beziehung auf das-
selbe taufte, in begeisterten Augenblicken für den Messias
selber halten mochte. Nicht minder aber ist es dem Auf-
sicbtsrechte des Synedriums ober öffentliche Lehrer, wie
da ein solches auch gegen Jesum geltend machte (Matth.
21, 2S.), angemessen, dafs es, nach der Darstellung im
vierten Evangelium, den Johannes um seine Befugnifs fra-
gen läfst. Dafs bei Lukas diese Scene vor, bei Johannes
ohne Zweifel nach der Taufe Jesu vorgeht, gibt gleichfalls
keinen Grund, uns für die eine oder andere Darstellung
sta entscheiden. Denn auf den Messias als einen eu er*
wartenden und ihnV überlegenen — und mehr hat Lukas
ifcteht — mufs Johannes , ancb schon ehe er Jesum taufte,
hingewiesen haben : wogegen ebenso im vierten Evangelium,
vtö Ate Scene bei der Taufe vorausgesttst wird , die be-
rftfihartäre Hinweisung auf den schon mitten unter die Fra-
4) Bi.uk, a. a. 0. S. 426; ob Wette, a. a. 0. S. 26 f. Auch
Lücke gesteht (S. 339 seines Comm.) zu, die Ansiebt von der
Identität beider Relationen habe vielen Schein füt sich; dass
er seihst (S. 342) sich für die Verschiedenheit erklärt, hat
seinen Grund nur in dem eingestandenen Wunsche, beide
evangelische Erzählungen in ihre» Werthe zu erhalten.
27*
V
4M ' Zweiter Abschnitt
ger getretenen Messias gan* in der Ordnung ist. Endlieh
seihst durch die Frage, welche von den beiden Darstellun-
gen denn ejier auf au historischem Wege habe entstehen
Mnnen, kommt die Wage nicht aus dem Gleichgewicht.
Denn wie sich die Ersählung bei Lukas als der unbe-
stimmte Nachball dessen betrachten läfst, was der. vierte
Evangelist genauer su berichten weifs : ebenso liebe sieh
umgekehrt die Darstellung des letsteren aus dem Bestreben
erklären , dem Zeugnils des Täufers ober Jesum dadurch
mehr Gewioht su geben, dafs es su einem offiziellen, nicht
{dofs vor Volkshaufen, sondern vor der Staatsbehörde ab-
gelegten, gemacht. wurde; wie sich denn «loh. 5,33. Jesus
auf dieses Zengnifs mit gans anderem Gewichte beruft, als
er sich auf das bei Lukas hätte berufen können. Es ist
also pin Dilemma, das nur aus der allgemeinen Ansieht
Qber das Verhältnifs des vierten Evangeliums su den Syn-
optikern in Hinsicht ihrer historischen Glaubwürdigkeit
entschieden werden kann.
Was Jesus seinerseits über den Jobannes urtheilte,
findet sich bei den Synoptikern an sweiOrte vertheilt, in-
dem hier Jesus theils nach dem Abgang der Boten des
Johannes sich su einer Erklärung über diesen veranlagst
sieht (Matth. 11, 7 ff. paralL), theils nach der Erscheinung
des Elias bei der Verklärung durch« eine Frage der Junger
auf ihn su sprechen kommt (Matth. 17, 12 f. paralL) ; im
vierten Evangelium, spricht Jesus den fedaloig gegenüber,
nachdem er sich, wie bemerkt, auf ihre Sendung su Jo-
hannes berufen, ein ehrendes Urtheil über diesen aus
(5, 35.)« In der johanneiechen Stelle nennt er den Täufer
-ein hellscheinendes Licht, in dessen Strahle das Volk, statt
tiefe und bleibende Eindrücke von ihm ^u empfangen, sich
eine Zeit lang habe ergetsen mögen ; in der s weiten syn-
optischen Stelle (bei Matthäus auch schon in der ersten,
V. 14.) versichert er, dafs Johannes der als messianischer
Vorläufer verheifsene Elias sei; in der ernten Stelle sind
Erstes Kapitel. $. 40.
421
drei Punkte so unterscheiden. Erstlich das Wesen und
die Wirksamkeit des Johannes betreffend, wird sein stren-
ger und fester Sinn und die Erhabenheit gerühmt, welche
er als der von Malachia geweissagte messianlsche Vorläu-
fer, der mit gewaltiger Hand das Himmelreich eröffnet
habe 9 selbst Aber die Propheten behaupte (V. 7 — 14.);
sweiten* im Verhältnifs so Jeso und den Borgern der
ßaoileta xotv üoavwv wird der Tlufer eurflckgestellt als
derjenige, welcher, obwohl über alle Mitglieder der A.T.-
liehen Oekonomie erhaben, doch dem Geringsten von de-
nen, die an dem Leben des nenen Bundes Theil haben,
nachstehe (V. 11.)* Was drittens das VerhXitnifs der
Wirksamkeit sowohl des Johannes als Jesu su den
Zeitgenossen "betrifft, so wird V. 16 ff. Ober deren gleiche
Uoempfanglichkeit für beide geklagt; wiewohl V. 12. be-
merkt war, dafs seit dem Auftreten des Täufers ein ge-
waltiger Eifer für das Messiasreich angeregt sei, und man»
che ernst Strebende ißivgal) sich den Zugang in dasselbe
erzwingen *).
Hier mufs man, was den «weiten, wichtigsten der
aufgezählten Punkte betrifft, allerdings mit Nkander sagen:
hfitte nicht Johannes die Idee vom Messias und seinem
Reiche auf eine klarere und geistigere Weise als die Pro-
pheten ausgebildet, nicht unmittelbarer als sie auf den
Messias hingewiesen : so würde ihn Jesus nicht grftfser als
alle Propheten genannt haben 6). Aber ebenso wird man
auf der andern Seite sagen müssen : hätte der Tfiufer Je-
su m selbst fest und entschieden als den Messias, und «war
gan* im N. T. liehen Sinne, anerkannt: so würde ihn Je«
sua nicht aus seinem Reiche ausgeschlossen, dem loteten
5) Eine abweichende Erklärung «. bei Scsäsckikbuaw, Beitrage,
S. 48 ff.
4) NsAjtps*} L, J. Chr., S. 91*
\
422 Zweiter Absehpitt
Bürger desgelben nachgestellt hab^n. Diefs gibt Nbands«
selbst cum. Tbeil su , wenn er das Zurückbleiben des Jo-
bannes hinter dem christliehen Standpunkte darauf besieht,
dafs er noch nicht mit klarem Bewußtsein erkannt habe9
wie der Messias nicht durch eine allen Widerstand besie-
gende Wun^ermachty sondern durch Leiden sein Reich in
der Menschheit gründen, und dieses nicht zuerst als ein
(ulserliches In 4er Erscheinung sich darstellen , sondern
von innen heraas als ein geistige? steh entwickeln werde.
Davon hatte aber cW Täufer da» Erstere dem vierten
Evangelium zufolge bestimmt erkannt und wiederholt aus-
gesprochen: und NfiAtiDER'n bleibt nicfits übrig , als den
Evangelisten Johannes der Vermischung des Subjectiven
und Objectiven, der flineintraguqg eines bestimmteren und
höheren $innes in die Worte des Täufers su beschuldi«
gen 7) ; wobei wir dann nicht wissen können, was von
dessen Beden im vierten Evangelium als sicherer geschieht«*
lieber Rest übrig bleibt. — Ein weiterer Punkt, in "Betreff
dessen Jesus den Johannes den Mitgliedern des messisni-
sefeen Reiches nachsetzt r ist, wie aus V. 18. in Verglei-
ehung mit Matth. 9, Iß f. erhellt, sein ascetisches Wesen,
der Aeufserlichkeitsgeist Überhaupt, der noch an Fasten
u. dergl. Werken hingt welche Jesus dort als die zu dem
(leiste des neuen Bundes nicht passenden alten, Schläuche
und Gewänder bezeichnet.
Zum Schlüsse ist noch eine Uebersicht des Stufen-
gangs su geben, in welchem an die einfachen historischen
Grundsüge des Verhältnisses zwischen Johannes und Jesus
ailmähÜg immer mehr Traditionelles sieh angesetzt hat.
Historisch ist, dafs Jesus, erfüllt, wie er war, von der ei-
gentümlich gefafsten Messiasidee, durch den Ruf der
vorbereitenden Taufe des Johannes abgezogen wurde, und
sieh derselben unterwarf; bald aber selbstständig als Mos*
7) a. ji. ü., S. 78.
Erstes Kapital. $. 46. 42S
•In« unter seinen Volksgenossen auftrat. Von dieser Wirk-
samkeit Jesu seheint der Täufer noch von seinem Kerker
aus Notis genommen au haben ; ohne jedoch mit sieh in s
Reine au kommen , ob er den , der so langsam su Werke
fing und so leidend sieh verhielt , für den von ibm ange-
kündigten Messlas halten dlrfe: wie sieh diefs in der
frage ausspricht, mit welcher er die ewei Schüler aus
dem Gefängnifs an Jesum sendet.
Nun konnte man aber in der ersten Christengemeinde
nicht anders denken, als dafs der Vorläufer Jesum ent-
schieden als den Messias anerkannt habe: und so genügte
das halbe und überdem späte Zeugnifs nicht, welches in
jener Sendung aus dem Kerber lag*
Es wer höchstens ein halbes Zeugnifs; sofern es iu
der Frage die (Jngewifsheit , und in dem V> iQ/ofternc; eine
Unbestimmtheit enthielt. Daher im vierten Evangelium
keine Frage nach der Messianität Jesu mehr, sondern die
heiligste Versicherung derselben ; daher die bestimmtesten
Ausspräche über Jesu ewige, göttliche Natur und seinen
Charakter als des leidenden Messias.
Doch auch ein spätes war jenes Zeugnifs ; denn vor
demselben blieb fa immer noch die Taufe, welche Jesus
voo Johannes angenommen, und dadurch sich ihm schein-
bar untergeordnet hatte. Daher mufste der Taufe Jesu
die entgegengesetzte Wendung gegeben werden (wovon
unten) S daher ferner jene Scenen bei Lukas, durch welche
der Täufer ver seiner Geburt tubon in ein dienendes Ver-
häitnifs ou Jesu gesetzt wurd«.
Mit diesen Vorgängen und Aussprüchen konnte nun
freilich in einer nach Einheit strebenden Darstellung jene
zweifelnde Sendung nicht wohl cusammen bestehen: wie
sie denn im vierten Evangelium fehlt; wogegen die übri-
gen Evangelisten in ihre loseren Compositionen neben der
späteren Verherrlichung auch noch die ursprüngliche Er-
itäliluiig aufnahmen , indem sie weuiger auf die frage des
4$4 Zweiter Abschnitt.
Johannes, als asrf die damit in Verbindung gebrachte Red«
Jesu Aber denselben Gewicht Jagen mochten 8)»
g) Nur in Form einer Anmerkung sei hier der Halbheit gedacht,
mit welcher dai Verhältnis» des -Täufers zu Jesu auch vom
denjenigen, welchen über die Unhalftbarkeit der gewöhnlichen
Ansicht von demselben ein Licht aufgegangen, doch noch im*
mer gefasst wird. Unter diese ist Plahc*, in seiner Geschieht*
des Christenthums Jn der Periode seiner Einführung, 1, Kap. 7n
nicht einmal zu zählen , indem er die Berichte über dieses
Verhältniss durchaus als historisch nimmt, dann aber nicht
umhin kann, einen zwischen beiden Männern abgeredetes
Plan aufs Bestimmteste zu behaupten.
Die Abhandlung eines Ungenannten hingegen in Harai'i
neuem Magazin, 6, 3, S» 373 ff. , Johannes und Jesus über.
schrieben, geht von dem Bewusstsein aus, data die orthodoxe
Vorstellung von Johannes als blossem Vorläufer Jesu, der
seine Bestimmung und Absicht nicht in sich selber , sondern
einzig in dem nach ihm Gekommenen gehabt habe, unhaltbar
sei; ebensowenig aber der naturalistische Verdacht,^ das* zwi-
schen beiden Männern eine vorgängige Abrede stattgefunden,
irgend einen Grund für sich aufzuweisen "habe. In ersterer
Beziehung nun räumt der Verf. mit vieler Unbefangenheit die
Meinung hinweg , als hätte Johannes bestimmt schon auf Je?
s um als Messias hingewiesen , und geht hierin selbst zu weit,
indem er der unbegründeten Vermuthung nachhängt, vielleicht
habe der Täufer anfänglich sich selbst zum Messias berufen
geglaubt, und durch seine Taufe für sich Partei machen woU
Jen. Gegen die andre Vermuthung aber geht er lange nicht
weit genug. Er gibt nämlich nicht bloss die Verwandtschaft,
das ziemlich gleiche Alter und die frühe Bekanntschaft beider
zu: sondern ergeht sich auch in romantischen Vorstellungen
▼on den Weltverbesserungsplanen, welche die Jünglinge sut
sammen entworfen ; von dem eddmüthigen Streit, in welchem
sie gestanden, indem jeder den andern für würdiger gehalten
habe, den Messias voranstellen j bis endlich Johannes im Be*
wusstsefn seiner Unzulänglichkeit zurückgetreten, Jesus aber
durch eine Naturbegebenheit bei seiner Taufe in der Uebcr»
seugung, der Messias zu sein, bestärkt worden sei.
*
Erstes Kapitel, % 47. «9
$. 47.
Die Hinrichtung de« Taufen Johanne«.
Anhange weise nehmen wir hier gleieb da« jenige' mit,
was ans aber das tragische Ende des Tänfers Johannes
gemeldet wird. Nach den übereinstimmenden Berichten
der Synoptiker and des Josephus ') wurde er, nachdem
er einige Zeit lang gefangen gesessen , auf Befehl des He-
rodes Antipas, Tetrarehen von Galiläa, hingerichtet, und
»war nach den N. T.liehen Nachrichten enthanptet'(Matth.
14, 3 ff. Marc. 6J 17 ff. Lac. 0, 9.)*
- Deber die Ursache seiner Gefangennehmung und Hin-
richtung aber findet zwischen Josephus und den Evange-
listen eine Abweichung statt. Wihrend nämlich nach den
*■
Wurm, unter dem Artikel Johanne« in seinem bibl. Real*
Wörterbuch, 1, S. 690 ff. , hat zwar die richtige Einsicht in
die unausgleichbare Differenz zwischen der synoptischen und
johanneischen Darstellung de« Täufers, so wie darüber, dass
die letztere die Farbe Johann eilchcr Ünosis trage; aber von
dem theilweise sagenhaften Charakter auch der synoptischen
Berichte gibt er keine Andeutung, sondern setzt aus Lukas
die Verwandtschaft^ und du Altersverhältnis« , au« Matthias
die frühere Bekanntschaft Beider voraus, und glaubt auch
anerachtet diese« Verhältnisses die späteren in der Sendung
aus dem Kerker bewiesenen Zweifel des Täufers aus seinen
A. T. liehen Messiasvorstellungen begreifen zu können.
Auch Hast, $$. 52. 96, «eine« Leben« Jesu, findet e« noch
wahrscheinlich 9 das« Johannes ein Blutsfreund von Jesu gc-
wesen sei, und mit ihm in einer auf höchste Achtung ge
gründeten Freundschaft gestanden habe, ohne übrigen« vor
der Taufe dessen inessianische Bestimmung zu kennen. So-
bald er diese erkannte, habe er sich Jesu mit erhabener Auf-
opferung untergeordnet.
Von Nejhpbk's Ansicht ist im Texte hinlänglich die Rede
gewesen*
I) Antio, 18, 5,1
426 Zweiler Abschnitt
letzteren der Tadel, welchen Johanne« über die Verbeira-
thung des Herodes mit der Fran seines (Halb-) Binders7)
ausgesprochen hatte, die Veranlassung seiner Gefangen*
nehmung war, und die rachsüchtig* List der Herodias
während eines Hoffeste« die Hinrichtung herbeiführte: ss
erzählt «war auch Joseph«) ftas VerhftltnUs des- Antipae
cur Herodia* und den Tod des Täufers in Einem Zusam-
menhange ; aber nicht so, dafs der Tadel jenes Verhältnis«
«es als Ursache der Hinrichtung des Täufers erscheint:
Sendern die Hinrichtung des Täufers als Ursache der Nie*
derlage des Antipas in dem durch dje fleirath mit Hero-
diaa veranlafsten Araber |t?i*ge ; als Grund der Verhaftung
und Hinrichtung des Täufers aber gibt Josephua die
Furcht vor Unruhen an, yvelehe Herodes von dem bedeu-
tenden Anhange desselben besorgt habe. Diese beiden ab-
weichenden Erzählungen *) sind übrigens nicht unverein-
bar. Man hat die Vereinigung so versucht, dafs msn
yermuthete, die Furcht ?pr Aufruhr sei der eigentliche
Kabinetagrund »ur Verhaftung des Täufers gewesen , das
mebjrerbiaiige Urtheil über die Herrscher aber als osten-
sibler Grund vorgeschoben worden *}. Allein ich zweifle
sehr, ob Herodes den von Johannes gerügten scandalö'en
Punkt absichtlich wird hervorgekehrt haben; sondern,
wenn man hier zwischen geheimer und ostensibler Ur-
sache unterscheiden will, so möchte der Tadel jener Hei-
rath die geheime gewesen, und die Sachye bo zu denken
min , dafs die Furcht vor Aufruhr absichtlich , um den
%) Diesen früheren Gemahl der Herodjas nennen die Evange-
lien Philippus, Josephus Herodes. Er war der Sohn der Ho-
. henpriciterstophter Mariammo, und lebte als Privatmann, S.
Joseph. Antiq, 15, 9, 3. 18, 5, 1. 4. B. j. 1, 29, 2. 30, 7.
3) Vgl, Hasb, Leben Jesu, §., 8$.t .
4) Fmtzschs, Conim. in Matth. z. d. St. Wixvkr, bibl. iUral-
W>rtcrb., 1, S. 094.
I
\
Qrst es 'Kapitel. $.17. 427
Mord su entschuldigen, ausgestreut worden sei *). Uebri»
gens braucht man jeoe Unterscheidung nicht einmal; da
ja Antipaa befürchtet haben kann, eben auch durch den
starken Tadel jener gesetzwidrigen Heireth und seiner
Lebensweise Oberhaupt möchte Johannes das . Volk gegen
ihn in Aufruhr bringen.
Aber apei} syrischen den evangelischen Erzählungen
selbst findet sich eine Differenz; nicht nur darin, dafs
Jttarkus in anschaulichster Ausführlichkeit die Seene bei
dem Festmahl erzählt, Lukas dagegen sieh mit einer kur-
zen Angabe begnügt (3, 18 — M. Ö, 9.)j während Mat-
thäus in der Mitte steht: sondern es wird auch das Ver-
haitnifs Aß* Herodes zum Täufer vou Markus wesentlich
aoders als von Matthäus dargestellt. Während nämlich
nach dem Letzteren Herodes den Täufer au ttfdten
wfinschte, aber nicht dazu kommen konnte, weil das Velk
sn ftrchten war, das ifia für einen Propheten hielt (V.»v)*
so ist es nach tylarkus nur Herodias, welche dem Johan-
nes nach dem Leben trachtet, aber- ihren Zweck nicht er-
reichen kann, weil ihr Gemahl ihn als einen heiligen Mann
sehen te, ihn bei Gelegenheit selbst gerne härte, und sei«
nem Rath nicht selten Folge leistete (V. i9ff.> Hier hat
nun das individuell Charakteristische der Erzählung des
Markns die Erklärer bewogen, seiner Darstellung den
Vorzug vor der des Matthäus an gehen *). Allein gerade
jn, diesen Ausmalungen und Aenderungen bei Markus
könnte man vielmehr die Spur des Traditionellen zn er-
kennen glaubpn,; zumal auch «losepaus nur vom Volke
sagt; 7}<)!h4(fui( rij. uxqqqujgi vw Xoyuivi den Herodes aber
als denjenigen aufführt, welcher deiaas xq&liluv *&&*"+
5) So Faülus; ScaLsnamACRBB, Über den Lukas, S. 109 { nbaä-
dbr, L. J. Chr., S. 85.
fiX 2, B. Schub ckbnburcbr , über den Ursprung des ersten kano-
nischen Evangeliums; S. 86 f.
418 • Zweiter Abschnitt.
(roV *IoHxrvtfö avmqäv. Wie nahe lag es nämlich , cn wei-
tWer Erhebung dea Täufers* den Contrast herbeizuführen,
data selbst der Fürst, gegen welchen er gesprochen, und
der ihn defswegen verhaftet hatte, im Gewissen gehalten
gewesen s£i, Um e« achten, und nnr sein rachsüchtiges
Weib eu 'seinem Bedauern ihm den Mordbefehl abgelistet
habe. Mit dem Charakter des Antipas ist es ohnehin nicht
unverträglich, dafs er, als ayarcorv trjv rjovxlav*)) den Stö-
rer setner inneren und äofseren Ruhe aus dem Wege cu
schaffen wünschte.
Der Schiais der evangelischen Ersählung gibt den
Eindruck, als wäre der abgeschlagene Kopf des Johannes
noch bei Tisch überreicht worden, also das Geftngnifs
desselben gans in der Nähe gewesen. Nun aber erfahren
wir aus der angeführten % Stelle des Joseph us, dafs der
Täufer in Machart», einem festen Plate an der Südgrinse
von Peräa, gefangen gesessen habe ; wogegen die Residens
des Herodes in dem eine Tagreise davon entfernten Tibe-
rias war9)» Von Maohärus aber nach Tiberias konnte
das Raupt des Johannes erst nach swei Tagen, also nicht
mehr über Tafel, herbeigebracht werden. Der Wider-
spruch, welcher hierin su liegen scheint, ist nun swar
nicht mit Fritzschk durch Berufung darauf su lösen, dafs
in den Evangelien mit keinem Worte gesagt sei, das Haupt
des Johannes sei noch während des Mahles gebracht
worden. Denn die Tochter der Herodias verlangte das-
selbe (odef d. h. doch wohl auf der 8telle, noch während
des Festes 9) : und der Verfolg der Erzählung, besonders
ri Markus, wo alsbald ein speculator in den Kerker
7) Joseph. Antiq. 18, 7, 9- Dass das tivnqfy Ae* Matthäus V. 9«
kein Widerspruch dieses Evangelisten mit sich selber ist,
darüber vor gl. Faitzscju z. d. St.
8) Vergl. Fritzschk, Couun. in Matth., S. 491.
9) Vgl. ps Wjcrrs, exeg, Handb., J, i, S. 132.
Erstes Kapitel. & 47. 429
geht, und mit dem Haupte dea Tftnfers auf dem ntva% cu-
Mruckkommt, veranlagt an glauben, dafs ihr Wunsch,
oder vielmehr der ihrer Matter, gewihrt^ nod dem rech*
süchtigen Weibe der Kopf ihres Feindes als das köstlichste
Gericht noch über Tafel gebracht worden sei* Das aber
tritt hier mit einer wenigstens möglichen Lösung ein, was
wir aas Josephns erfahren10), daf s Herodes Antipas ebenda-
mala mit dem arabischen König Aretas im Kriege begriffen
war, swischen dessen Gebiet and dem seinigen Machfirns
die Grinsfeste bildete: wo also damals Herodes selbst mit
seinem Hofstaate sich aufgehalten haben könnte **)•
Wir sehen : das Leben des Johannes in der evangeli-
schen Erafihlang ist aas leicht denkbaren Granden vor-
wiegend nar an seiner Jesu angewendeten Seite von my-
thischem Schimmer umflossen ; wfihrend die von der Sache
Jean abgekehrte Seite mehr noch die geschichtlichen Um-
seigt.
10) Antiq. 18, 5, J. Vergl. Kux, Hauptamtlichen o. s. f., Tttb.
Zeitschrift, 1836, 2, S. 60.
11) OsiAMoin iwtf (S. 140) weiss für gewiss, dsss Herodes da-
mals in Mächanis „seine Hofhaltung hatte"; so lange er
uns aber nicht sagt, woher er diess weiss, müssen wir bei
unserem „könnte" bleiben.
Zweites Kapitel.
Taufe und Versuchung Jesu.
$. 48.
In welchem Sinne hat sich Jesus von Johannes taufen lassen ?
Die vorangestellte Frage , so leicht man et, mit ihrer
Beantwortung bisher an nehmen pflegte, gehdrt doch an
den schwierigsten in der evangelischen Geschichte; sofern
die zwei Seilen , welche der früheren Ausführung zufolge
an der Bedeutung der Johannistaufe zu unterscheiden sind,
beide gleich sehr mit der Stellung und dem Wesen Jesu
im Widerspruche eu stehen scheinen.
FüVs ferste stellen uns die Evangelisten die Taufe des
Johannes als ein ßamitifta fieravoiay dar. Die Israeliten,
heifst es Matth. 3, 6 , haben sich von Johannes taufen
lassen i^p/joloysftevoc vag a/uaQrlag avrwv : soll nun , müs-
sen wir fragen , Jesus gleichfalls ein solches Bekennthift
abgelegt haben? es erging an sie der Ruf: fietavoelti
(Matth. 3, 2.): soll auch Jesus sich diefs haben gesagt
sein lassen?
/ Schon in der alten Kirche war dieses Bedenken ; im
Hebräer-Evangelium der Nazarener richtete esus Jan seine
Mutter and Brüder, welche ihn aufforderten, sich von Jo-
hannes taufen zu lassen, die Frage, was er denn gesündigt
habe, dafs er diese Taufe nöthig hätte1)? und ein ketse-
1) Hieron« adv. Pelagian. 3,2:/« Evangelio juxta Hebraeos —
— narrat htstorta : Ecce maier Domini et fratres ejus die*-
Zweites Kapitel. ?. 48. 431
ritehes Apokryphum soll Je* am bei seiner Taufe geradezu
ein Bekenntnis eigener Sonde haben ablegen lassen2).
Zu einer solchen Vermnthung karin man allerdings*
durch folgende Ueberlegungetf gefahrt Verden. Nach
M atth. 3 , 6. scheint Johannes- Vor der Taufe ein Sünden-
bekenntnib verlangt eo haben: ablegen konnte Jesus, als
sündlos vorausgesetzt, ein solches ohne Unwahrheit nioht;
verweigerte er es, so taufte ihn Johannes schwerlich, denn
für den Messias hielt er ihn vorher nicht, und bei jedem an-
dern Israeliten mufste er ein Sflndenbekenntnifc ftr nöthig
\ halten. Wollte also Jesus keines abfegen, so mOfste sich
wohl hierOber der Streit entsponnen haben, weichest Mat-
thäus eine gans andre Besiehung gibt ; aber freilich, wenn
das dnxitiXvtv des Johannes durch eine solche Weigerung
Jean veranlafst gewesen wfire, so würde sich die Sache
schwerlich durch ein blofses aco) rtQinov iglv haben abma-
chen lassen, sondern eben das ulfjQÖiaai naoav dtxaioovvqv
bant ei : Joannes baptista bapHzat in remitstonem peccato-
rum; eamus et baptizemur ah 6a. JJtaii amtem eist quid
peccavi ut vadam et baptizer ab eo ? nisi forte hoc ipsumt
quod dixi, ignorantia est.
2) Der Verfasser des Tractatus de non iferando baptiamo in
Cyprians Werken, ed. Rigalt., p. 139. ( die Stelle steht auch
in Fibric. Cod. apocr. N. T. , 1, S. 799f.) sagt; Est — Über,
gui tnscribitvr Pauli praedicatio. In quo libro9 contra omnes
scriptnras et de peccato proprio confitentem invenies Christum,
qni sohm .omntno nihil deHquit, et ad aecipteudum Joannis
bapHsma paene imiHtm a matte sna Maria esse compüt.furn. —
Da dieses Strauben gegen die Taufe nicht cum Bekenntriiss
eigner Sünde, sondern eigentlich nur zu dem Bewussteein
der Stindlosigkcit passt, wie es Jesus im Nazarenerevfenge-
lium ausspricht: so mag die Darstellung der Praedicatio Pauli
der des genannten Evangeliums verwandt gewesen, und viel-
leicht nur aus verketzerndem Missverstand härter dargestellt
worden sein.
432 Zweiter Abschnitt« ^
würde der Täufer vermilst haben, wenn kein Sünden*«*
kenntnifs abgelegt war. Indessen, wenn auch vielleicht
nicht jeder einzelne Täufling ein solches Bekeontnifs able-
gen mufete; so hat doch wohl Johannes bei Vollziehung
der Tanfhandlnng nicht ganz geschwiegen , sondern des
Täufling mit Worten angeredet, welche sieh anf die /i««-
vota bezogen. Konnte Jesus solche Worte Ober sich spra-
chen lassen, wenn er sich bewufst war« keine Sinnesaode*
rung nötbig zu haben? nnd machte er dadurch, dafs er
von sich als einem Sünder reden liefe, nicht die Gemfitber
irre, welche nachher an ihn als den Sündlosen glauben
sollten? Lassen wir aber selbst auch die Behauptung
fallen, dafs Johannes die Täuflinge in angegebener Weise
angeredet habe : so mnfsten doch die Gebärden derjenigen,
welche in die reinigende Fluth hinabstiegen nnd wieder
anftanchten, die von BuTsenden sein, nnd wenn Jesus diese
auch nur stillschweigend mitmachte, ohne sie doch auf
sich zu beziehen : so könnte er von Simulation nicht frei-
gesprochen werden.
So zwingend diese Erwägungen scheinen: so wenig
kann man sich doch auf der s/idern Seite der Wahrheit
der Bemerkung entziehen, es sei undenkbar, dafs derje-
nige, welcher mit dem Bewufstsein zur Taufe gekommen
war, der Sflndenvergebung und Reinigung von der Sonde
wie Andere zu bedürfen, sich später im Gegentheil ftr
den gehalten haben sollte, welcher selbst die Sündenverge-
bung und Geistestaufe ertheilen könne; zwischen beiden
durchaus entgegengesetzten Formen des religiösen Bewirfst*
seins könne es in demselben Subjeote keine Vermittlung,
keinen möglichen Uebergang aus der einen in die andere
geben *)•
Um zu Gunsten dieser Ueberlegung der froheren aus-
zuweichen, genügt es aber nicht, mit Näandkr ungenau **
3) Nbandbs, L. J. Chr., S. 64«
Zweites Kapitel. $. 48. 433
sagen, die Beziehung der Taufe anf die Bnfse sei von
selbst ausgeschlossen gewesen bei dem, welcher eben ins
Momente der Taufe als den Messias, den Befreier von der
Bünde, sieh offenbarte; denn nach den evangelischen Er-
sählangen erfolgte diese Offenbarung erst, nachdem der
Tanfact vorüber, mithin alles dasjenige, woran wir uns
im Gedanken an die Unsündlichkeit Jesu stofsen müssen,
bereits vorgenommen war« Ebensowenig ist die Schwie-
rigkeit dureh die Unterscheidung zu lösen , für sich selbst
zwar habe Jesus keine perdvota ne'thig gehabt ; um die*
selbe aber als etwas für alle andern Menseben, aueh seine
Volksgenossen, die Nachkommen Abrahams nicht ausge-
nommen, unerläßliches darzustellen, und für die darauf
absweckende Taufe seine Billigung öffentlich auszuspre-
chen, habe Jesus sieh derselben unterworfen4): auch so
bliebe die Unwahrheit, dafs er etwas , das ihn für sich
nichts anging, doch scheinbar auf sich bezogen hätte* Doeh
dafs ihn, als Siindlosen vorausgesetzt, die Taufe nichts an-
gegangen hätte, ist eigentlich nur bei demjenigen Begriffe
der Sündlosigkeit richtig , welcher das posse non peccare
cum non posse peccare steigert. War die Möglichkeit des
Sfindigens in Jesu, und die beständige Niederhaltung der-
selben Werk seines freien Willens: so steht niohts mehr
0
im Wege, dal* er sich nicht einer sinnbildlichen Handlung
sollte haben unterwerfen können, durch welche er sich
fortgesetzte Reinheit, wie die Uebrlgen Reinigung, ge-
lobte 6>
Doeh kaum mit diesem Bedenken fertig, kommt
nns, von der andern Seite an der Bedeutung der Johan-
nistaufe her, ein neues entgegen. Dieselbe war den
N. T> liehen Nachrichten zufolge eine Taufe elg zov £(>xo
fievov, indem man durch dieselbe auf die Ankunft des Mes-
4) Kuiwöl, Olshauskn, z» d- St.
5) db Wxttb, exeg, Handb., 1, 1, S. 34.
Das Leben Jesu Me Aufl. /. Band. 28
' •
434 Zweiter Abschnitt
sias gläubig sieh vorbereiten su wollen versprach: wie
kennte Jesus , wenn er der tQxaptvog selbst su sein sieh
bewafst war, dieser Taufe sieh unterwerfen, und dadurch
den täuschenden Schein veranlassen, als ob auch er noch
eines Andern wartete? Ist diel* weder seiner Sittlichkeit,
noch auch nur seiner Klugheit »zutrauen, und fehlt an*
dererseits, bei { dem mythischen Charakter der tieburtage-
schichte und der Unbestimmtheit der Aeufserung Jesu im
ewölften Jahre, jede äußere Nöthigung, das Bewußtsein
seiner Messianität schon früher in ihm entwickelt eu den-
ken: so kann man eu der Folgerung sich veranlagt fin-
den, dafs Jesus, als er eu Johannes kam, um sich taufen
eu lassen, sich noch nicht entschieden als den Messias ge-
dacht haben könne6).
Aber auch hier, wie oben, stellt sich dieser Vermu-
thung ein gewaltiges Hindernifs in den Weg. Lfifst es
sich denken , mufs man nämlich fragen , dafs derjenige,
der sich bald hernach mit einer Klarheit und Entschieden-
heit, welche den Schrecken des Todes trotzte, als den
Messias wufste — • ist es denkbar, dafs dieser noch bis in
sein reifes Mannesalter, das dreifsigste Jahr, hinein über
sich im Unklaren gewesen sei? kann ein so sicheres und
in seiner Wirkung auf Andere so gewaltiges Bewußtsein,
wie das messianische Jesu , als ein später Fund eu seinem
übrigen Selbstbewußtsein hinzugetreten, und mufs es nicht
vielmehr aus demselben hervor- und mit demselben grofs-
gewachsen sein? eine Entfaltung, in deren Gang, wie
schon früher bemerkt, die Ereählung von dem ersten Tem-
pelbesuch Jesu aufs natürlichste sich einfügt.
Doch eur Lösung dieses Widerstreites bietet sich die
Nachricht bei Justin, welcher eufolge es jüdische Erwar-
tung war, dafs der Messias durch den ihm vorangehenden
6) Paulus, exeg. Handb., 1, a, S, 362 ff. 367. Hase, Leben Jesu,
§. 48. erste Ausg.
Zweites Kapitel. §. 40. 4SS
Ellas gesalbt) and dadurch unter seinem Volke werde ein«
geführt werden *)• Ale diese Salbung konnte Jesus die
Taufe des Johannes betrachten , und sich eben als Messias
derselben unterwerfen« Das Gleiche > dafs nicht' blof* die
auf das messianische Reich Wartenden, sondern auch der
Messias selbst m seiner Taufe kommen würde, erwartete
auch der Tfiufer nach dem vierten Evangelium (1, 39 f.) ;
wogegen seine Weigerung, Jesum eu taufen, im ersten
Evangelium (8, 14.) , sich mit jener Vorstellung nicht ver*
tragt.
$.49.
Die Votfälle bei der Taufe Jesu als Übernatürliche und als
natürliche betrachtet.
Eben als Johannes seine Taufe an Jesus vollendet
hatte, ereignete es sich nach den synoptischen Evangelien,
dafs der Himmel sich öffnete , der heilige Geist in Gestalt
einer Taube auf Jesum herabkam, und eine Himmelsstimme
sich hören Heb, die ihn als den Sohn Gottes, auf welchem
des Vaters Wohlgefallen ruhe, bezeichnete (Matth. 13, 16 f.
Marc« 1, 10 f. Luc. 3, 21 f.). Das vierte Evangelium lfiftt
(1, 32 ffi) durch den Tinfer ersihlen, j*ie er den heiligen
Geist einer Tanbe gleich auf Jesum habe herabkommen
und Ober ihm bleiben sehen ; von einer Stimme wird hier
nichts gesagt , auch nicht, dafs die Scene gerade bei der
Taufe Jesu vorgefallen sei: doch da im unmittelbar Vor»
hergehenden Johannes von seiner Taufe gesagt hatte, sie
sei nur Offenbarung des Messias bestimmt gewesen, über*
diefs die johanneiscbe Beschreibung des herabkommenden
Geistes fast wörtlich der synoptischen entspricht t so ist
7) DiaL c. Tryphon. 8 1 x&oe Sh (tagt der Jude Trypfcon) tl *£
ftywf/tüi ttai fo nei ayywgdf 2$ xa\ «fo avtog nta iavroy ittigartn
sSh *xft Jurajtür rtra» §UxifA ** *Mr *BJUa$ x&* «w™* *°* «w*f«>V
neun ftoajoß*
28«
436
Zweiter Abschnitt.
wohl nicht so eweifein , dafe hier derselbe Vorfall berich-
tet werden solle. Die alten verlorenen Evangelien Justins
nnd der Bbioniten verbanden hiemit noch ein "himmlisches
Lieht , oder ein imv Jordan aufflammendes Feuer1)» e*ek
mit der Taube und Himmeiestimme nahmen sie VerÄnde-
rangen vor, von welchen unten zu sprechen sein wird.
Wem denn eigentlich die Erscheinung gegolten habe, dar*
über kann man bei Vergleichnng der verschiedenen Be-
richte sweifelhaft bleiben. Nach Johannes , wo der Täu-
fer sie seinen Anhängern erzählt, scheinen diese nicht Aa-
genseugen gewesen eu sein; sondern, indem er davon
spricht, wie ihm von demjenigen, der ihn eu taufen ge-
sandt habe, das 'Herabkommen und Bleiben des Geistes
z über Einem als Kenneeichen des Messias verheifsen wor-
den sei, sieht es aus, als wäre die Erscheinung vorzugs-
weise nur für den Täufer bestimmt gewesen. Nach Mar-
kus ist es Jesus, der im Heraufsteigen ans dem Wasser
den Himmel sich spalten und den Geist herabkommea
sieht. Auch bei Matthäus liegt es am nächsten , eufe und
&nty%fhpav avzqi auf 6 *[qoSg sn beziehen, der unmittelbar
vorher Subject gewesen war ; doch, da es sofort heilst, er
habe den göttlichen Geist gesehen iQxo/usvov In avzort
nicht i<p* avrov (bei Markus erklärt sich das in seine Con-
strnetion nicht passende in* avrov aus seiner Abhängigkeit
von Matthäus) : so scheint der Sehende nicht derselbe ge-
wesen su sein mit dem, auf welchen er den Geist herab-
kommen sah, und man ist veranlagst, elde und avei#%fhfiw
ccvTtfi auf das entferntere Subject, den Täufer, eu belie-
hen, welcher jedenfalls, da die Himmelsstimme von Jesa
in der dritten Person redet, -am natürlichsten als weiterer
1) Justin. Martyr. dial. c. Tryph. 88 : xartlterrot r« 7*r» ht\ w
vStaq, xtä nvQ arqq&q er rw ^lo^Sarij it. r. L Epiphan. nteres. 50,
13 (nach der Himmelsstimme): *a\ tu9vc 7rep42apy# tot ronor
9*s pfy**
* Zweites KapjteL J. 49. 437
»
Zeuge dar Erscheinung vorausgesetzt wird. Ein noch viel
gWtfseres Poblioom scheint Lukas dem Vorfalle au geben,
indem er ir vqi ßamusdijvai aitavta %ov loa» auch Jesum
die Tanfe empfangen , nnd hierauf, wie man eu glauben
veranlaßt ist, vor allem Volke die beschriebene Scene sich
ereignen läfst *)•
Die Ers&hlungen veranlassen nunXohst eu keiner an-
dern Auflassung, als dafc alles Angegebene ftufsarlich sicht-
bar nnd hörbar vor sich gegangen : nnd so sind sie defs-
wegen von jeher von der -Mehrheit der Ausleger verstan-
den worden. Will man sich aber die Sache als wirklich
so geschehen vorstellen: so stöfst die gebildete Reflexion
auf nicht unbedeutende Schwierigkeiten. .Erstlich, dafs bei
der Erscheinung eines göttlichen Wesens auf der Erde sieh
erst der sichtbare Himmel anfthun müsse f um demselben
das Heruntersteigen aus n seinem gewöhnlichen Sitae mög-
lich au machen, diefs kann doch wohl nichts Objeotives,
sondern nur subjective Vorstellung einer Zeit. sein, welche
den Wohnplata Gottes ober dem festen Himmq|gewÖlbe
eich dachte« Ferner, wie ist es mit richtigen Begriffen
von dem heiligen Geiste, als der göttlichen, Alles erfüllen-
den Kraft, au vereinigen, da(s sich derselbe, wie ein end-
liches Wesen, von einem Orte zum andern bewegen, und
vollends gar in einer Taube sich verkörpern solle ? End-
lieh aber, dals Gott menschlich articulirte Töne in einer
bestimmten Landessprache von sich gegeben habe, hat man
mit Recht selbst abenteuerlich gefunden ■).
2) Ueber diese Differenzen vergl. Ustski, über den Täufer Jo-
hannes, die Taufe und Versuchung Christi, in den theolog.
Studien und Kritiken , 2ten Bandes drittes Heft , S. 442 ff. ;
Blbek, Bemerkungen mm Evang. Joh. , ebendaselbst, 1853, 2,
S. 428 ff.
3) Bauen, hehr. Mythologie, 2, S. 225 f. Vgl. Grate, Comm.
zum Evang. Matth., 1, S. 172 ff. i
438 Zweiter Abschnitt.
Schon in der alten Kirche waren daher gebildetere
Vfiter namentlich in Beeng auf die in der biblischen G*
schichte stob findenden Gottesstimmen auf die Ansiebt ge-
kommen, dafs sie nicht eigentlich ffufeere, durch Bewegsog
der- Luft entstandene Töne, sondern innerliehe Eindrücke
gewesen seien, welche Gott im Gemfithe derjenigen, denen
er sich mittheilen wollte, hervorgebracht habe ; und 10 be»
hanpten auch von der Erscheinung bei Jesu Taufe Orige*
nes und Theodor von Mopsvestia geradeso, dafs sie <ma-
oia, b qvoig, gewesen sei *). Den Einftltigen freilich, «igt
Origenes , ist es in ihrer Einfalt ein Geringes , die gante
Welt in Bewegung an setzen, und eine so fest verbundene
Masse wie den Himmel au spalten ; wer aber tiefer Aber
dergleichen Dinge forsche, meint er, der werde an jene
höhere Eröffnung des Sinnes denken, renmöge welcher,
wie öfters im Traume, so auch im Wachen erwfihlte Per-
sonen mit ihren leiblichen Sinnen etwas su yernehaei
glauben, während doch nur ihr Gemfi th in Bewegung ge*
setst ist j so dafs folglich auch hier die ganse Erscheinung
nicht als änfserer Vorgang, sondern als innere, von Gott
gewirkte Vision, au fassen wäre 5 eine Auffassung, welche
auch unter neueren Theologen vielen Beifall gefunden hat,
Dieselbe tat in den ewei ersten und dem fierten
Evangelium Anknüpfungspunkte an den Ausdrücken: att-
(fxOTjaav avriff, elde und red-eafiai, , welche der Erscheinung
eine subjeetive Wendung zu 'geben scheinen können; in
dem Sinne der Bemerkung Theodors, dafs das Nicderetai-
- gen des heiligen Geistes 0 näoiv äq^d-rj töl$ Tvagäoiv, alh
neevd Tiva Twevficetix^v d-ewQtav äq>9rj fuovq) zip ^Iwawr^ ^0B0
wir nach Markus Jesum als den Zweiten setzen mfifeteo,
der an dem Gesichte Antheil gehabt. Dagegen lautet nun
4) Dies» dio Worte Theodor'«, in Münter's Fragment« p>tr.
gracc. Kate. 1, S. 142. Orig. c. Cel«. 1, 48. Vgl. Basjl. IL
in Svicer's Thesaurus, 2} S. 1479* % ,
Zweites Kapitel. §. 49.
430
aber die Darstellung des Lukas mit ihrem: tyheto aretp-
Z&ijvai, — xat xaiafiijvat — xcu qxarijp — yev&od'ai — , vollends
wqnn mau das awpatmp e&fet hinznnimmt, so gans obje-
ktiv und Mufserlieh •) , da(s auf dem Standpunkte, der die
wllkommene Wahrheit slmmtÜeher evangelischen Berichte
festhält, die minder bestimmten drei übrigen Ersitzungen
naeh der unzweideutigen des Lukas von einem Vorgange
gedeutet werden müssen, der nicht blofs im Innern des
Taufers und Jesu sieh antrug. Richtig gibt daher Ols-
badsss dem Berichte des Lukas insoweit naeh, dafo er eine
Volksmenge bei dem Vorgange nugegen sein, nnd dieselbe
auch etwas sehen und hören laist, doch nur etwas Unbe-
stimmtes und Unverstandenes. Hiemit wird die Sache ei-
nerseits aus dem Gebiete subjeetiver Vision wieder auf
d«s des objeetiven Geschehens hinübergespielt; indem aber
Andrerseits die erschienene Taube nicht dem physischen,
sondern nur dem eröffneten geistigen Auge sichtbar , und
ebenso die Worte nicht leibliohen Ohren hörbar, fondern
nur dem Geiste vernehmlich gewesen sein sollen : so geht
Aber solcher übersinnlichen Sinnlichkeit OLSHAUSSN'scher
Pneumatologie uns Uebrigen das Verstfindnifs aus, und
wir eilen aus dieser dumpfen Atmosphäre gerne au der
Klarheit derjenigen fort , welche uns einfach sagen , die
Sache sei ein fiufserer Vorgang , aber ein rein natürlicher
gewesen«
Von dieser Seite beruft man sieh auf die Weise des
Alterthums , natürliche Vorgänge als göttliche Zeichen an-
zusehen, nnd in bedeutungsvollen Momenten, wo es auf
einen kühnen Entschlaf» ankam, sich durch dieselben lei-
ten so lassen. So habe auch für Jesuin, als er, innerlich
Kum Messias herangereift, nur noch auf eine ffufsere gött-
liche Bestätigung wartete, und eben so für den Taufer,
5) Wie dies» auch Lücke anerkennt, Commcntar zum Evangul*
Joh., 1, S. 570. und Buckk, a. ä (>., S 4)7«
440
Zweifer Abschnitt,
der seinen Jugendfreund bereite über sieb selber stellte, u
der feierlichen Stimmung bei der Tanfe des Ersteren durch
den Letzteren jedes zufallig eintretende Natarpbfinoqea
bedeutungsvoll sein, and ihnen als Zeichen des gffttltchea
Willens erscheinen müssen *). Was nun diese natürliche
Erscheinung gewesen sei , darüber sind die Erklärer ge»
theilter Meinung7). Oie einen nehmen mit den Synopti-
kern sowohl etwas Hörbares als etwas Sichtbares an; die
andern mit Johannes nur etwas Sichtbares. Was dal
Sichtbare betrifft, so deuten sie das Sieböffnen des Him-
mels entweder von plötzlicher Zertheilung der Wolken8),
oder von einem Blitzstrahl ') ; die Taube aber nehmen sie
entweder als einen wirklichen Vogel dieser tvattuog, wel-
cher zufällig ober das Haupt Jesu langsam Einschwebte i0),
oder setzt man voraus , dafs eben jener die Wolken zer-
theilende Blitz11), oder ein sonstiges Meteor12), der Art
seines Herabkommens wegen mit einer Taube verglichen
werde. Nimmt man neben diesem Sichtbaren aacb noch
etwas Hörbares bei der Scene an , so versteht man auf
diesem Standpunkt einen Donnerschlag darunter, welchem
die Anwesenden als einer Bath - kol die Auslegung gege-
ben haben, die wir bei den ersten Evangelisten lesen iS)J
wogegen Andere Alles, was von hörbaren Worten gesagt
ist, nur als Ausdeutung des sichtbaren Zeichens fassen, in
welchem man eine Erklärung Jesu zum vlog ösij gefunden
6) Paulus, a. a. O. S. 363 ff.
7) Unentschieden lässt es Kaissr, hibl. Theo!., 1, S. 25G.
8) Paulus, a. a. O. und S. 373.
9) Bauer,, hebr, Mytnol., 2, 226 f. Kuiwöl, Comm. in Matth.,
p. 72.
10) So Paülü8, Baus*.
11) KuiiröL.
12) Hasi, erste Ausg.
13) Bauer, Kuiköl; Ihkils, zur Biogr. J., §. 22* Anm. 5*
Zweites Kapitel f. 49. 441
habe ")• Diese letztere Ansicht setzt die' Synoptiker,
welche unverkennbar von einer wirklichen Stimme reden,
gegen Jobannes zurfick, enthält ,also einen kritischen Zwei-
fel an dem historischen Charakter der Berichte , welcher,
consequent verfolgt, auf einen ganz andern Standpunkt,
als den der natürlichen Erklärung, führt. Ebenso, wenn
das Hörbare ein blofser Donner gewesen, die Worte aber
aar eine sabjeetive Auslegung desselben sein sollen: so
tn&fste, da in der synoptischen Darstellung die Worte au»
genscheinlich zum objeetiven Vergang gerechnet sind, eine
traditionelle Zutbat in diesen Berichten angenommen wer-
den. Was das Sichtbare betrifft, so ist zwar nicht zu
llugnen, dafs schnell sich theilende Wolken oder ein
Blitzstrahl als Sichöffnen des Himmels bezeichnet werben
konnten; keineswegs aber konnte einem Blitz öder Meteor
eine Taubengestalt zugeschrieben werden« Die Gestalt
aber ist nicht nur bei Lukas entschieden der Verglei-
chungspunkt, sondern ohne Zweifel auch bei den übrigen
Erzfihlern; obgleich selbst Fritzsche das cogel negtgeQav
bei Matthäus nur auf die schnelle Bewegung bezogen wis-
sen will. In ihrer Bewegung hat die Taube keine so be-
stimmte Eigentümlichkeit, dafs nicht, wenn blofs diese
der Vergleichnngspunkt wfire , in einer der vier Parallel-
steilen eine Variation und Substitution eines andern Vo-
gels, oder Oberhaupt einer andern Bezeichnung, sich finden
mfifste; da statt dessen durch unsere vier Berichte die
neQigeQa als stehende Bezeichnung hindurchgeht: so mufs
sich die Vergleichung auf etwas der Taube ausschliefsend
Eigentümliches beziehen, und diefs scheint nur die Ge-
stalt sein zu können. Daher thun diejenigen zwar dem
Texte die wenigste Gewalt an, welche an eine wirkliche
Taube denken ; aber da hat nun Paulus ein schweres Ge-
schäft, dureb eine Masse naturgeschichtlicher und anderer
14) Paulus, Hase.
442 Zweiter Abschnitt.
Bemerkungen die Taube so weit kirre an machen, daft
ein solches Herbeifliegen derselben eu einem Menschen,
wie es hier angenommen werden müfste, wahrscheinlich
würde15); wie aber eine Taube gar so lange Ober Jemand
schwebend verweilen könne, dafs sich sagen liefse: quftw
eW avrov, das hat er doch nicht denkbar gemacht , and
damit gegen die Erzählung des Johannes, welchem er 'sieh
in Serag auf das Fehlen der Stimme anschloß, selbst Ver-
stoßen.
§. 50.
Versuche einer Kritik der Berichte. Mythische Auffassung
derselben.
Kann man somit den Vorgang bei Jesu Taufe einer
verständigen Vorstellung nicht näher bringen, ohne den
evangelischen Berichten Gewalt ansutbun, und eine unge-
naue Darstellung bei einem Theite derselben voraussnse-
tsen: so wird man hiedjiroh mit Notwendigkeit an einer
kritischen Behandlung der Berichte hingetrieben, wie eine
solobe nach de Wetts und Schleiermachbr jefat als die
herrschende Auffassung dieses Punktes der evangelischen
Geschichte gelten kann *)• Man versucht, aus der johsn-
ueisohen Erzählung, als der reinen Quelle, die übrigen,
als getrübte Abflüsse, herzuleiten. Bei Johannes sei rsn
keinem sich öffnenden Himmel, von keiner göttlichen Stim-
me die Rede; nur das Herabsteigen des Geistes werde den
Täufer nach einer ihm gewordenen Verheifsung «um gött-
lichen Zeugnifs, da£s Jesus der Messias sei; auf welche
16) Vergl. übrigens Euseb. H. E. 6, 29.
1) dr Warnt, bibl. Dogmatik, §. 208. Anm. b. , cxeg. tiandb.,
1, 1, S. 34 ff, 1, S, S. 29 f.; Schlkikrmachbr, über den Lukas,
S, 5$£j Ustkri und Blbkk in den angeführten Abhandlungen;
Hask, L. J., §54; Kkrn, Hauptihatsachen, S. 67 ff. ; N«a»m»>
J,. J. Chr., S. 69 (T.
Zweites Kapitel. $• 50. 443
Webe aber der Täufer wahrgenommen, dafs der Seist auf
Jesu ruhe, sage er uns nicht, und gar wohl können ihm
auch blofs Reden Jesu das Zeichen davon gewesen sein.
Man mob sich Aber die Behauptung Schlelbriucher's
wundern, dafs im Tierted Evangelium nicht angegeben wer-
de, in welcher Weise der Täufer das niedersteigende mev-
fta w»hrgenommen: da doch das auch hier sich findende
cigu TjeQigsQav es deutlich genug sagt, und eben durch die-
sen Zug Jenes Herabkommeu als sichtbares, nicht blofs
uns Reden erschlossenes, unverkennbar dargestellt ist,
Ustsri freilich meint, die Taube habe der Tlufer nur als
Bild gebraucht, um den sanften und milden Geist eu be-
zeichnen, den er an Jesu bemerkte. Allein, wenn er nur
diefs wollte , so würde er eher Jesum selbst, wie sonst
mit einem, apvog, so hier mit einer neQtgsQa, verglichen,
nicht aber durch das malerische Te&eajuat, zo Ttvevfta xveca-
ßatvov dsü nequgBqdv ii; hqccvö, den Gedanken an eine sinn-
liche Anschauung erregt haben. Jus ist also in Bezug auf
das von der Taube Gesagte nicht wahr, dafs erst in der
entfernteren Ueberlieferung, wie die Synoptiker sie geben
aollen, das ursprünglich blofs bildlich Gemeinte eigentlich
gedeutet worden sei ; sondern schon Johannes versteht es
eigentlich, und da dieser die richtige Darstellung haben
soll: so mfifrte der Tänfer selbst schon von einer sichtba-
ren, taubenähnliehen Erscheinung gesprochen' haben ; wie
Bisse, Neanpsb u, A. mit Recht anerkennen.
Wie hienach in Bezug auf die Taube der angebliche
Unterschied zwischen den drei ersten und dem vierten
Evangelien) sich gar nicht findet : so ist hinsichtlich der Stim-
me dieser Unterschied so grofs, dafs man nicht begreift,
wie aus der einen Darstellung die andere geworden sein
kann. Denn hier soll das Zeugnifs, welches Johannes in
Folge jener Erscheinung über Jesum abgab; ort vzog egiv
6 viog tu #ea (Job. J, 340> u> Verbindung mit dem vor-
angegangenen; p Tiifitpag fie ßanri^w •— iwvos fioi elnw
444
Zweiter Absohnitt.
iq> ov av idrß ro nvevfia xonaßahov — Szog i$tv o ßaml-
£cw iv TWGVfiari aylip (V. 33) — • beides zusammen soll in
der fortgehenden Ueberlieferung zu einer anmittelbaren
himmlischen: Erklärung geworden sein, wie wir sie bei
Matthäus in der Form : Orog igiv 6 vlog fiB o *ly<mr[io$ b
<ji evdoxrjoa, lesen. - Da zu einer solchen Umwandlung,
wenn sie jtnnehmlich sein soll, auch irgend eine Ver-
anlassung nachgewiesen werden mufs: so bietet eicb
Jes. 42, 1. dar, wo Jehova von seinem *DP aassagt:
^?3 nren nTji-i CisnjonK ^r^) ]n; wovon die aotwr
Klammer befindlichen Worte durch die Worte der Hirn-
melsstimme bei Matthäus fast wörtlich fibeipetzt sind. Wer-
de nan diese Stelle, wie wir aus Mattb. 12, 17 ff. leben,
auch sonst auf Jesus als den Messias angewendet: so lag
in ihr, indem doch hier wie bei der Taufe Gott selbst der
Redende ist, ungleich nähere Veranlassung, eine Himmels*
stimme an erdichten, als in dem bezeichneten Aussprache
des Johannes. Indem wir also, um den Ursprung der Er-
Zählung yon einer Gottesstimme zu erklären, den Mifsrer-
stand der Rede des Täufers nicht brauchen; zur Ableitung
des Zugs mit der Taube aber jene Rede nicht brauchen
können : so müssen wir die Quelle unserer Erzählung nicht
in einem der evangelischen Berichte, sondern außerhalb
des N. T. im Gebiete der auf das A. T. gegründeten Zeit-
Vorstellungen suchen, welche namentlich Schleiermacher
zum grofsen Schaden des dbjeetiven Werthes seiner neu«
testamentlichen Kritik durchaus vernachlässigt hat*
Aussprüche über den Messias, welche Dichter den
Jehova in den Mund gelegt hatten, als wirklich vernehm-
bar gewordene himmlische Stimmen zu betrachten, war
ganz im Geiste des späteren Juderithums, welches selbst
ausgezeichneten Rabbinen nicht selten himmlische Stimmen
zu Theil werden liefs 2j, und dessen Voraussetzungen vom
2) Nach Bava Mesia f. 59) 1. (bei Wit3tiin S. 427) berief »ich
Zweites Kapitel, f. SO. 445
Messias die erste Christengemeinde sowohl selbst tb eilte,
als auch denselben den Jaden gegenüber au genügen su-
chen muffte. Nnn hatte man in der angeführten jesaiani-
sehen Stelle einen göttlichen Ausspruch, in weichem wie
mit dem Finger auf den gegenwärtigen Messias hingewie-
sen war, der sieh also gana besonders eignete, als himm-
lischer Ruf über denselben aufgefafst an werden : wie
konnte die christliche Sage in die Länge säumen, eine
Scene aussubilden , in welcher diese Worte hörbar vom
Himmel herab über ihren Messias aasgesprochen worden
waren ? — Tfoch eine weitere Veranlassung, die Sache auf
diese Weise an gestalten, entdecken wir, wenn wir auf
die aweite Person achten , in welcher bei Lukas and Mar*
kns die Himmelsstimme au Jesus spricht ißv el 6 vlog fix),
und damit vergleichen, wie den Kirchenvätern aufblge io
einigen der alten verlorenen Evangelien die Himmelsstim«
me gelautet hat. Justin giebt sie nach seinen ccjtofny/uo-
vevficeKx TJSv änogolwv so wieder: vlog /it^el av* iyw oy-
fiSQW yeyewqxa ob *)} im Hebräerevangelium des Epipha-
nias stand dieser Aussprach neben dem, welchen unsere
Evangelien haben *) , und Klemens von Alexandrien 5) und
Augustin *) scheinen selbst in Exemplaren von diesen jene
Worte gelesen au "haben, welche bei Lukas wenigstens
auch noch einige unsref Codices an die Hand geben *).
B. Elieter dafür, dass er die Tradition auf seiner Seite habe,
auf ein himmlisches Zeichen. Tum personuit Echo coele-
sHm: quid vobis cum R. EHenere? natu ubivis secundum U-
htm obtinet traditio.
3) Dial. c. Tryph. 88.
4) Haeres. 30, 13.
5) Paedagog. 1, 6.
6) De consent. Evangg. 2, 14«
7) s. WsTSTSiif *. d. St. des Lukas, und na Witts, Einl. in das
N. T. 8. 100. ,
446 Zweiter Absohnitt.
Hier waren also in der Himmelsstimme nicht Worte am
der angeführten jesaianischen Stelle , sondern ans Ps. 2,7.,
einer Stelle, welehe von den jttdisoben Erklärern auf den
Messias gedeutet 8) , auch Hebr. 1, 5. auf Christum ange-
wendet wird , und durch die Form einer unmittelbaren
Anrede eine noch stärkere Veranlassung enthielt, sie als
eine wirkliehe, vom Himmel herab an den Messias gerieb*
tete Stimme aufzufassen» Waren nun ursprunglich viel*
leicht die Worte des Psalms der Himmelsstimme in den
Mund gelegt, oder war auch nur, wie jedenfalls aus der
«weiten Person: av el, bei Markus und Lukas wahrschein»
lieh wird — welehe nur durch die Psalmstelle, nicht aber
durch die jesaianisebe an die Hand gegeben war — neben
* dieser auch noch auf jene Rücksicht genommen i was be*
dürfen wir weiter Zeugnifs, um in diesen, längst messt*
irisch gedeuteten, und bald auch als himmlische Anrede *a
den auf Erden gegenwärtigen Messias gefafsten Stellen die
Quelle dnserer Erzählung von der himmlischen Stimme bei
Jesu Taufe su finden? Denn dafs sie gerade mit der Taufe
verbunden wurde, ergab sich von selbst, sobald diese ein-
mal als Einweihung Jesu su seinem Amte aufgefafst war«
Was nun das Herabkommen des mevfia in Gestalt ei*
ner TteQigeQa betrifft, so müssen wir das Herabsteigen dei
Geistes und die Gestalt der Taube trennen, und jedes be«
sonders betrachten» Dafs der göttliche tieist in besonde-
rem Maafse auf dem Messias ruhen werde, diese Erwar-
tung ergab sich von selbst, sobald einmal die meseianisebe
Zeit als die der Ausgiefsung des Geistes über alles Fleisch
gefafst war (Joel 3, 1 ff); und Jes. 11, 1 f. war ja von
dem Sprofs Isai's ausdrücklich gesagt, dafs auf ihm ißt
Geist Gottes in aller seiner Falle, als Geist der Weisheit
und Klugheit, der Stärke und Gottesfurcht, ruhen werde.
Dafs diese Geistesmittheilung als eineeiner Act gedacht,
8) s. RosBjrÄüixsR'i Schol. in Psalm, tu Pt. 2.
Zweites Kapitel. §. 50. . 447
und mit der Taufe in Verbindung gesetzt wurde, hat ein
Vorbild in der Geschichte Davids: als dieser von Samuel
gesalbt worden war, kam der Geist Gottes über ihn von
dem Tage and furder ( 1 Sern. 16, 13. ). Ferner» ist nun
aber in den A. T.lichen Ausdrücken für die Mittheilung
des göttlichen Geistes an die Menseben, insbesondere in
dem jesaianiseben **Sy fpo, welchem das jobanneisehe pi-
veiv tiü am meisten entspricht, bereits ein Moment sinnli-
cher Anschauung enthalten, indem jenes Verbum sonst ein
Sichniederlassen von Heeren, oder, wie das entsprechen-
de arabische Wort, auch vonThifereri bedeutet. War ein«
mal durch einen solchen Ausdruck die Einbildungskraft
angeregt : so muf ste sie sich zur Vollendung des Bildes um
so mehr getrieben finden , als das Herabkommen des Gei-
stes auf den Messias ausgeaeichnet werden mufste, jfidi-
scherseits vor der Art, wie auch Aber Propheten (*. B.
Jos. 61, l.)j christlicherseits vor der, wie auch über die.
getauften Christen (a. B. A.G. 1», 1 ff.) der göttliche Geist
su kommen pflegte 9); war einmal gegeben, dafs der
Geist sich auf den Messias niederlassen werde : so lag die
Frage nahe: wie wird er sich niederlassen? üiefs mufste
sich nach der Volksvorstellung bestimmen; je nachdem
nämlich bei den Juden der göttliche Geist unter diesem
oder jenem Bilde vorgestellt eu werden pflegte. Im A» T»
und auch im neuen (A.G. 2, 3.) finden wir vorzugsweise
das Feuer als Symbol des heiligen Geistes; woraus aber
keineswegs folgt, dafs nicht auch noch andere sinnliche
Gegenstände als solche Symbole haben gebraucht werden
können. Nun war aber in einer A. T.lichen Hauptstelle
über die DTlSl* im> l.Mos. 1, 2., diese als schwebend
CnDrHD) dargestellt; suchte man hieför ein sinnliches Sub-
V T - X
strat, so konnte man nicht sowohl an Feuer, als an die
9) ScjusiBRiucHia, Über den Lukas, S. 57.
I
449 Zweiter Abschnitt.
i
Bewegung eines Vogels denken, wie denn das prp 5. Mo*.
32, 11« von dem Schweben eines solchen Ober seinen Jun-
gen gebraucht ist» Konnte aber bei dem unbestimmten
Bilde eines Vogels Oberhaupt fflr jenes Schweben des Got-
tesgeistes die Vorstellung wieder nicht stehen bleiben: so
muftte Alles auf die Wahl gerade der Taube hinführen«
Im Orient, namentlich in Syrien y ist die Taube eis
heiliger Vogel 10), .und swar gerade au* einem Grunde,
welcher beinahe nöthigen mufste, sie mit dem auf denUr»
gewissern schwebenden Geiste, 1. Mos. 1,2», in Bezie-
hung su setzen. Die Taube nämlich als brütende, war
ein Symbol der belebenden Naturwfirme M); sie stellte
also gana jene Function dar, welche in der mosaischen
Schöpfungsgeschichte dem göttlichen Geiste sugeschrieben
wird: durch seine belebende Kraft aus dem chaotischen
Zustande der ersten Schöpfung die Welt des Lebens her-
vorzurufen. Ueberdiefr, als die Erde zum eweitenmale vom
Wasser bedeckt worden war, ist es eine von Noah aus-
gesendete Taube, welche Aber den Wassern schwebt, nnd
durch das Oelblatt, das sie bringt, nnd zuletzt durch ihr
Anfsenbleiben , die wiedergekehrte Möglichkeit des Lebens
auf der Erde» verkündigt. Wen kann es hiernach noch
Wunder nehmen, wenn in jödischen Schriften der Aber
dem Orgewässer schwebende Geist ausdrücklich mit einer
Taube verglichen sich findet 12), nnd auch abgesehen von
dieser Ersfthlung die Taube sds Symbol des heiligen Gei-
10) Tibull. Carm. L. |. eleg. 8. V. 17 f. und dazu die Anmerkung
von Broeckhuis; Crbuzka, Symbolik, 2, S. 70 f.; Paulvs, exeg.
Handb., 1, a, S. 369.
11) Crkuze», Symbolik, 2, S. 80.
12) Cbagiga c. 2: Spiritus Dei ferebatur super aqua*, sicvt co-
lumba, quae fertur super pullos suos nee tangit Mos. Vergf.
Ir Gibborim ad Genes. 1, 2. bei Schöttckn, borae, 1, S. 9.
1
« Zweites Kapitel. & 50. 449
•
stes gefaßt wird l3)? Wie nabe es von hier ans lag, der
schwebenden Taube eine Beziehung auf den Messias EU
geben , auf welchen der mit einer Taube verglichene Got-
tesgeist herabkommen sollte, erhellt von selbst, and ohne
dafs man sich anf jüdische Schriften «o berufen brauchte,
welche den Ober dem Wasser schwebenden Geist, l.Mos«
1, 2., als den Geist des Messias bezeichnen l4), und die
Mo achische Taube, dieses Nachbild des taubenartig über
dem Urwasser brütenden Gottesgeistes*, mit dem Messias
in Verbindung bringen **)•
Doch eben hier fafst die dem Berichte des vierten
Evangeliums günstige Kritik aufs Neue festen Fufs mit der
Bemerkung, je/ geläufiger unter den Juden jener Zeit die
13) Targum Koheleth, 2, 12* wird die Dow tuttnris als tox spi»
ritus sancti gedeutet. Dies s mit Lockb S. 367« für eine will-
kürliche Deutung zu erklären, scheint nach den obigen Daten
selbst der Willkür ähnlich »u sehen. Vergl. db War«, exeg*
Handb., 1, 1, S. 35 f«
14) Bereschith rabba, sect. 2, f. 4, 4, ad Genes. 1,2 (bei Schott-
sek a. ä. O.) : intettigitvr Spiritus regis Messiae , de quo dt*
citur Jes. 11,2: et quiescet super tllum spiritus Dominik
15) Sohar Numer. f. 68. col.*271f. (bei ScHttnvsir, horac, 2j
S. 557 ft). Der Inhalt dieser Stelle beruht auf dein kabbali-
stischen Schlüsse : Ist David nach Pa« 52 , 10« der Oelbaum t
so ist der Messias, Davids Spross, dasOeiblatt; heisst es von
Noa's Taube Genes« 8, 11. , sie habe ein Oelblatt im Munde
geführt: so wird der Messias durch eine Taube in die Welt
eingeführt werden« — Auch christliche Ausleger haben die
Taube bei Jesu Taufe mit der Noachischen Verglichen, s. Sui-
c«r, Thesaurus, 2, d. A< nt^fQa, S. 688 f. — Was man sonst
hier anzuführen pflegte, däsj die Samaf itaner Auf Gari-
zim eine Taube unter dem Namen Achima göttlich verehrt
haben , ist wohl hur aus absichtlicher Mksdeutung hervorge-
gangene jüdische Beschuldigung, s. Staeudliw's und Tzschir-
kvr's Archiv für H,G., 1, 5, S. 66. vergl. 55« 59. 64 f Lüchj,
I, S. 367.
Bas Leben Jesu He Aufl. /. Band» 20
450 Zweiter Abschnitt
Taube als Sinnbild des göttlichen Geistes gewesen sei: de-
sto eher lasse sich denken, wie dem Täufer wirklich in
prophetischer Vision die messianische Begabung Jesu an*
ter jenem Bilde sich dargestellt haben könne "). Allein
abgesehen davon, dafs hiebei eine augenblickliche wunder-
bare Erleuchtung des Täufers angenommen werden mutete,
so bleibt eine so kräftige Vergewisserung desselben von
der Hessianität Jesu mit seinem späteren Zweifel unver-
einbar 17): und wenn eine von beiden Erzählungen erdich-
tet sein mufs, so ist diefs leichter von der unsrigen sa
begreifen , die cur Beglaubigung Jesu gereichte , als von
jener froher betrachteten, die ein Bedenken gegen ihn
enthielt.
Sind nach dem Bisherigen alle näheren Umstände der
Taufe Jesu unhistorisch : so fragt es sich , ob auch dai
Datum selbst, dafs Jesus von Johannes die Taufe empfan-
gen, «um blofs Mythischen su schlagen ist? Fritzschi
scheint hiezu nicht gän« ungeneigt, wenn er es dahinge-
stellt sein läfst , ob die ältesten Christen historisch ge-
wufst, oder nur in Gemäfsheit ihrer messianischen Erwar-
tungen gemeint haben , Jesus sei durch Johannes als sei-
nen Vorläufer in das messianische Amt eingeweiht wor-
den. Diese Ansicht kann sich auf die Bemerkung stfitsen,
dafs in der jüdischen Erwartung, welche aus der Ge-
schichte Davids, in Verbindung mit der Weissagung des
Malachia , entstanden war , hinreichende Veranlassung lag,
eine solche Einweihung Jesu durch den Täufer, auch on-
geschichtlich, vorauszusetzen; wogegen die Erwähnung des
ßajvilafiaTOs %Lü)ow& in Bezug auf Jesum, A. 6. 1, 22. , in
einem selbst traditionellen Berichte, nichts beweisen könnte.
Doch jener Trieb cur Erdichtung der Taufe mufste durch
die schon bei Matthäus berücksichtigte Möglichkeit, sie
16) Hoffmann, S. 309 ; Kkrn, S. 68.
17) di Wettk, exeg Handb., 1, 3, S. 30.
^ •
Zweites Kapitel $. 51. 451
noch als Unterordnung Jesu unter Johannes su fassen,
uurffckgedrängt werden; dafs aber Jesus, selbst der Mes-
sias eu sein sich bewufst, der Taufe cur Eröffnung des
Messiasreiehs sieh unterworfen habe, ist nach dem früher
Ausgeführten nicht gegen die historische Wahrschein-
lichkeit.
f. 51.
Verhältnis des Uebernttiirlichen bei der Taufe Jesu tu dem
Uebernatttrlichen bei seiner Erzeugung.
Wie im Eingange dieses Kapitels nach der subjeetiren
Absicht gefragt worden ist, welche Jesus bei Annahme
der johanoeischen Taufe haben konnte: so kann hier cum
Schlüsse dieser Materie nach dem objeetiren Zwecke ge-
fragt werden, welchem das Wunderbare bei Jesu Taufe
dienen sollte?
Die gewöhnliehe Antwort ist: Jesus sollte dadurch in
sein öffentliches Amt eingeführt, und für dien Messias er-
klärt werden A), d« h. es sollte durch dasselbe ihm nicht
noch etwas gegeben, sondern nur das, was er schon war,
den Debrigen kund gethan werden« Es fragt sich aber,
ob diese Abstraction im Sinn unsrer Berichte ist? Eine
unter göttlicher Mitwirkung vollzogene Einweihung in ein
Amt betrachtete das Alterthum immer ungleich als eine
Verleihung göttlicher Kräfte su Führung desselben; daher
erfüllt im A. T. die Könige, sobald xsie gesalbt sind, Got-
tes Geist (1. Sara. 10, 6. 10. 16, 13.), und auch im N. T. .
werden die Apostel vor dem Antritt ihres Berufs mit hö-
heren Kräften ausgerüstet (A. 6. 2J. Hienach läfst sich
cum Voraus vermuthen, dafs dem ursprunglichen Sinne
der Evangelien uufolge mit der Weihe Jesu bei der Taufe
ungleich eine Ausrüstung desselben mit höheren Kräften
1) Hbss, Geschiebte Jesu, 1, S. 130.
29
4.V2 Zweiter Abschnitt.
werde verbanden zu denken sein, und der. Anblick unte-
rer Einzahlungen bestätigt riiefs. Denn die synoptischen
bemerken alle, dafs nach der Taufe das Ttvev/ua Jesum in
die Wüste geführt habe : offenbar, am diesen Gang als die
erste Wirkung des bei der Taufe empfangenen höheren
Principe zu bezeichnen; bei Johannes aber scheint das
piveiv iTi (xinov, welches er dem auf Jesum herabkommen-
den Geiste zuschreibt (1, 33.)? anzudeuten, dafs von der
Taufe an ein früher nicht stattgefundenes Verh<nifc des
TZfGVfiicc aytov zu Jesu eingetreten sei.
Diese Bedeutung des Wunderbaren bei Jesu Taufe
scheint mit den Erzählungen von seiner Erzeugung im Wi-
derspruch zu stehen. War Jesus* nach Matthäus und Lu-
kas durch den heiligen Geist erzeugt, oder war in ihm
gar nach Johannes gleich von Anfang an der göttliche 16
yog Fleisch geworden: wozu bedurfte er dann noch bei
•einer Taufe einer besondern Ausrüstung mit dem nvevfia
ayiovt Mehrere neuere Erklärer 'haben diese ^Schwierig-
keit gefühlt und zu lösen gesucht Was Olshaüsen dar-
über vorbringt 2), lauft auf den Unterschied des Potentiel-
len und Actuellen hinaus, womit es aber sich selbst wi-
derlegt. Ist nämlich der Charakter des XQigot;, welcher
in Jesu mit erreichtem Mannesalter bei der Taufe actn
hervortrat, schon in dem Kinde und Jüngling potentia vor-
handen gewesen: so war damit auch ein Eiitwicklungs-
trieb gesetzt, vermöge dessen jene Anlage sich von innen
heraus allmählig entfaltet haben, und nicht erst durch das
von aufsen kommende m'svfia mit Einem Male geweckt
worden sein wird» Hiedurch ist jedoch nicht ausgeschlos-
sen, dafs das in Jesu, als übernatürlich Erzeugtem, von
seiner Geburt an gesetzte Göttliche nicht doch zugleich,
vermöge der menschlichen Form seiner Entwickelung, der
Anregung von aufsen bedurft hätte : und von diesem Ge-
2) Bibl. Comm., f, S, 171 f.
Zweites Kapitel. $. 51. 453
genaate innerer Entwicketang and äufeerer Anregung ist
Lücke richtiger aasgegangen s). Der von Gebart an in
Jesu vorhandene loy<x;, meint er, habe bei allem Triebe
von innen doch auch Anregung und Belebung von aufsen
nölhig gehabt, um sur vollen Wirksamkeit und Manifesta-
tion in der Welt su gelangen; dasjenige aber, was die
göttlichen Lebenskeime-in der Welt anregt und leitet, sei
»ach apostolischer Vorstellungsweise eben das mtvpa Ixyuw*
Diefs sugegeben, so stehen doch innere Anlage und erfor-
derliche Stfirke der äuteren Anregung in umgekehrtem
Verhältnisse: so dafs, je. stärkere Anregung erfordert wird,
desto geringer die Anlage ist; bei absolut grober Anlage
aber, wie sie in dem durch das Ttvtvfiu erseugten oder
vom loyog beseelten Jesus vorausgesetzt werden mufs, die
Anregung ein mbUmum sein darf, d. h. jeder gegebene
Umstand, auch der gewöhnlichste, nur Anregung für den
mächtigen Trieb wird. Sehen wir nun aber bei Jesu Taufe
ein maximum äufseren Anstobes in dem sichtbaren Herab-
kommen des göttlichen Geistes gegeben: so kommt «war
das Eineige der messianischen Aufgabe allerdings in Be-
tracht, cu deren Lösung er befähigt werden sollte4): doch
aber kann nicht sogleich jenes maximim der inneren An-
lage «um vlog &eö als ein schon von seiner Geburt an, in
ihm vorhandenes vorausgesetzt werden — eine Consequens,
welcher auch Lückä nur dadurch entgeht, dafs er dieScene
bei Jesu Taufe hinterher doch wieder sur blufften Inaugu-
3) Comm. zum Ev. Joh., 1, S. 378 f\
4) Nur darf man auf orthodoxem Standpunkte nicht mit Hor»-
MAivjf (S. 301 f.) sagen, um die Ueberzeugung von seiner Mes-
sianität und die richtige Stellung unter so vielen Versuchun-
gen und Widerwärtigkeiten festzuhalten, habe für Jos um dio
innerlich errungene Gewissheit nicht genügt, sondern es sei
noch die äussere Beglaubigung durch eine Thatsacfrc erfor-
derlich gewesen.
/
4M < Zweiter Abschnitt.
ration herabsetst, womit er nach dem Obigen den evange-
lischen Berichten widerspricht.
Wir mfissen also, wie oben bei den Geschlechtsregi-
stern, so auch hier sagen: in demjenigen Kreise der ur-
christlichen Gemeinde, in welchem die Erzählung von der
Herabknnft des mtufta aof Jesnm bei seiner Taufe sieh
gebildet hat, kann die Vorstellung von einer Erseugung
Jesn duroh dasselbe mevfta nicht herrschend gewesen sein;
sondern , während man sich jetst das Göttliche Jesu schon
in seiner Erseugung mitgetheilt denkt, müssen jene Chri-
sten erst die Taufe als den Zeitpunkt dieser Mittheilong
angesehen haben. Wirklich sind nun diejenigen uralten
Christen, welche wir oben als solche gefunden haben, die
von einer übernatürlichen Erseugung Jesu nichts wofsten,
oder nichts wissen wollten, sogleich auch diejenigen, wel-
che die Hittheilung göttlicher Kräfte an Jesum erst an
dessen Taufe im Jordan gebunden dachten. Dm keiner
andern Lehre willen haben ja die orthodoxen Kirchenväter
die alten Ebioniten *) sammt ihrem gnostisirenden Glau-
bensgenossen Cerioth 6) grimmiger verfolgt, als weil diese
behaupteten, mit dem Menschen Jesn habe sieh erst bei
der Taufe der heilige Geist oder der himmlische Christas
vereinigt ; wie denn im Evangelium der Ebioniten au lesen
war, dafs das rcvevfia in Gestalt der Taube nicht Mols auf
Jesum herabgekommen, sondern in denselben hineingegan-
gen sei *)j und auch die gemeine jfidische Erwartung dem
Justin Eufolge die war, dafs erst bei der Salbung durch
den Vorläufer Elias dem Messias höhere Kräfte werden
mitgetheilt werden 8).
5) Epiphan. haeres. 30, 14 t hnJj y*c flüorr* rar tuh> Y^ 5rr«,
avitqwtw iivcu, Xp^ov Sk er aur$ yrySYtjo&ai tot *r eldu nfpstpiq
xaraßfftrjxoTa *. r. im
6) Epiphan, haeres« 28, 1.
7) Epiphan. haeres. 50, 13; — Tw^tQag *a«i£«ny« *m ttfeX»**^
tU aurdv.
8) s» die Stelle oben, §. 48. Anw, 7.
Zweite« Kapitel. §. 51. 455
Et scheint der Entwlekelungsgang dieser Vorstellun-
gen folgender gewesen eu sein. Als man unter den Juden
enterst anfing, die messianisehe Würde Jesu anzuerkennen*
glaubte man seine Ausrüstung mit den erforderlichen Ga-
ben am schicklichsten an den Zeitpunkt au knüpfen, von
welchem an Jesus erst einigermafsen bekannt geworden
war. und welcher sich sogleich durch die in denselben
fallende Ceremonie am besten su einer solchen Salbung mit
dem heiligen Geiste eignete, wie sie die Juden bei dem
Messias erwarteten: und auf diesem Standpunkte bildete
sich unsre Sage von den Vorgängen bei Jesu Taufe aus*
Wie aber die Verehrung gegen Jesum stieg, und ungleich
Mfinner in ' die christliche Gemeinde traten • welche mit
höheren Messiasideen bekannt waren p genügte diese splt
entstandene Messianität nicht mehr: es wurde sein Ver-
hlltnifs *um mev/ua aytov schon anf seine Empflngnifs au-
rflckdatirt, und von diesem Standpunkt aus wurde die
Sage von der übernatürlichen Erzeugung Jesu gebildet.
Hier ist es vielleicht auch gewesen, wo die Hinimelsstim-
me, welche ursprünglich nach Ps. 2, 7. gelautet haben
mag. nach Je*. 42, h umgestaltet wurde. Denn die Wor-
te: oyfttQm ytyhvipa ae hatten «war ihren angemessenen
Sinn bei der Ansieht, dafs Jesus eben erst bei der Taufe
*um viog &eö gemacht* und mit den entsprechenden Kräf-
ten ausgestattet worden sei 5 aber sie pafsten nicht mehr
sur Taufe Jesu, nachdem die Ansicht entstanden war.
daß schon sein erster Lebensanfang auf göttlicher Zeu-
gung beruht habe. Durch diese spftere Vorstellung jedoch
wurde die frühere keineswegs verdrängt, sondern, wie die
Sage und der mit ihr auf gleichem Standpunkt stehende
Schriftsteller weitherzig ist. gingen beide Kraählungen. die
von den Wundern bei Jesu Taufe und die von seiner
wundervollen Erzeugung oder der Einwohnung des Xoyog
in ihm von Lebensanfang an , wiewohl sie sich eigentlich
ausschlieisen , friedlich neben einander her, und wurden
456 Zweiter Abschnitt.
so auch Ton ungern Evangelisten , diefsmal selbst den Wer-
ten nicht ausgenommen, beide aufgezeichnet Ganz wis
oben bei den Genealogien: entstehen konnte die^Erzfihlang
yon der bei der Taufe geschehenen Geistesmittheilong
nicht mehr, sobald die Vorstellung von dpr Erzeugung
Jesu durch das mevfia ausgebildet war; aber nachgeffibrt
werden neben dieser konnte sie noch immer, weil die Sage
nicht gerne etwas von den einmal gewonnenen Schätzen
verlieren mag,
»
Ort und Zeil der Versuchung Jesu. Abweichungen der Evang»»
listen in Darstellung derselben.
Der Uebergang von der Taufe eur Versuchung Jesu,
wie ihn die Synoptiker machen (Matth. 4, 1. Marc. 1, fl
Lue« 4, 1.), hat in Bezug sowohl auf die Ortsbezeiehnnng
als die Zeitbestimmung Schwierigkeit.
Was die erstere betrifft, so fällt es auf, dafs sinnt«
lieben Synoptikern zufolge Jesus naeh seiner Taufe som
Behuf der Versuchung eig ttjv sQrjtov soll geführt worden
sein, als ob er nicht schon zuvor in der eQqftog gewesen
wäre, da doch nach Matth. 3, 1. Johannes, von weichen
er sieh taufen lieb, daselbst sieh aufhielt. Diesen ansehe**
nenden Widerspruch hat die neueste Kritik des Matthäus«
evangeliums hervorgehoben, um die Angabe desselben, daft
der Täufer in der Wüste gewirkt habe , als eine irrige
darzustellen ')• Wer jedoch aus früher dargelegten Gran-
den diese Angabe su verwerfen sich nicht entsohliefsen
mag, der kann sich aueh hier entweder durch die An-
nahme helfen, dafs Johannes seine ersten Vorträge «war
in der judäisohen Wüste gehalten, sofort aber zum Behof
des Taufens aus derselben hinweg an den Jordan sieb
|) ScHNscKiNBUiurSH, über den Ursprung des ersten kanoniacbw
Bvang., S, 39.
Zweites Kapitel. §. 52. 457
begeben hebe ;* oder, wenn man auch das Jordanafer noch
mu Jeher Wüste gerechnet sieb denkt , dnrch die Voraus-
setzung, die beiden ersten Evangelisten hätten 2 war ei-
gentlich nnr sagen müssen , von der Taufe weg habe Je«
zum der Geist tiefer in die Wüste hineingeführt, diese
nähere Bestimmung haben sie jedoch weggelassen y weil
ihre frühere Bezeichnung des Locals der Wirksamkeit des
Johannes als .einer Wüste dnrch die Schilderung der
Scene bei Jesu Taufe in ihrer Vorstellung znrückgetre-
ten war.
Aufserdem aber kommt hier noch eine chronologische
Schwierigkeit in den Weg. Während nämlich nach den
Synoptikern Jesus in frischer Fülle des ihm am Jordan
mitgetheilten 7W8vfta, mithin unmittelbar von der Taufe
weg, sich auf 40 Tage in die Wüste begibt, wo die Ver-
suchung erfolgt, und hierauf erst nach Galiläa zurück-
kehrt : so scheint dagegen Johannes , der von der Versu-
chung schweigt, «wischen, der Taufe und der galiläischen
Reise Jesu nur eine Zwischenzeit von wenigen Tagen vor-
auszusetzen , in welcher jener sechswöchige Aufenthalt in
der Wüste keinen Platz finden kann. Das vierte. Evange-
lium beginnt nämlich seine Erzählung mit dem Splgnifi»,
welches der Täufer ror den Gesandten des Synedriums
ablegt (1, 19ff. )J den Tag darauf (tjj tnavQtov') läfst es
denselben -beim Anblick Jesu den Vorgang erzählen, wel-
cher nach den Synoptikern bei dessen Taufe erfolgt ist
(V. 29 ff.) 5 wieder rfj sTzut'Qiw veranlagst der Täufer zwei
seiner Schüler, Jesu nachzufolgen (V. 35 ff.) ; abermals zfj
ircavQiov (V. 44«), wie Jesu* nach Galiläa zu reisen im
Begriffe steht, kommen Philippas und Natbanaül zu ihm,
und endlich rfj fyieQ$ rfj TQirr] (2, 1.) ist Jesus auf der
Hochzeit zu Kapa in Galiläa. Zunächst liegt hier die An-
nahme , dafs eben vor der Erzählung , welche Johannes
von dem bei der Taufe Jesu Vorgefallenen macht, diese
selbst stattgefunden , und da den Synoptikern zufolge un-
456 Zweiter Abschnitt,
mittelbar t mit der Taufe die Versuchung utsaaimenhiBg,
auch diese sammt der Taufe a wischen V. 28 und 20. sa
letzen sei; wie diel* sehen Euthymius angenommen hat
Da nun aber «wischen dem bis V. 28. Erafihlten und dem
von V. 29. an Folgenden nur die Zwischenzeit eines a?iau~
Qtov gesetst ist , die Versuchung aber einen Zeitraum von
40 Tagen erfordert: so glaubten die Ausleger dem tnah-
qiov den weiteren Sinn Ton vgeqov geben su müssen ; was
jedoch schon defrwegen unaulftfsig ist, weil im Zusammen*
hang mit jenem Worte hier tfj rtitk(Kf vfj tqItt] vorkommt,
im Unterschiede von welchem inccvQiov nur den aweiten,
unmittelbar folgenden Tag bedeuten kann. Daher könnte
man mit Küinöl sich versucht finden, Taufe udd Versu-
chung bu trennen , und jene «war nach V« 28. su setzen,
das Tegs darauf erfolgte Zusammentreffen Jesu mit Jo-
bannes aber (V. 29.) als einen dem Letateren vom Erst*
ren gemachten Abschiedsbesuch anausehen 9 und nach die«
aem erst den Gang in die W äste und die Versuchung ein»
zufügen. Allein, auch abgesehen davon , dafr die drei er-
sten Evangelisten a wischen der Taufe Jean und seinem
Abgang in die Wüste auch eine seiche Zwisehenaeit von
nur Eiajtm Tage nicht auaulasaen scheinen, so. weif« msn
auch später ebensowenig, wo man jene. 40 Tage unter-
bringen soll. Denn »wischen diesen seinsollenden Ab*
schiedsbesuch und die Hinweisung sweier Jünger so Je-
sus, d. h. «wischen V. 34» und 35., wie Küinöl will, kann
jener Aufenthalt ebensowenig gesetst werden, wie zwischen
V. 28 und 29. , da jene Verse so gut wie diese durch %jj
ijvavQtoy verbunden sind. Jflau mftfste daher noch weiter
herabsteigen, und es a wischen V. 43« und 44. versuchen;
aber auch hier ist nur die Zwisehenaeit eines inavQtty
und selbst 2, 1. nur eine rjfiiQa tqIttjZ mq dafs man, anf
diesem Wege fortgehend, die Versuchung am Ende in dea
galiläischen Aufenthalt Jesu hineinbrächte, gana gegen die
Darstellung der Synoptiker; neben dem, dafs man sie, in
Zweites Kapitel, fr 52. 459
einem weiteren Widerspräche gegen dieselben, immer mehr
von der Teufe entfernen würde. Wenn also auf diese
Weise weder bei noch anterhalb des ¥.29. sich die Spalte
findet, in welche sich der vieroigtfigige Aufenthalt Jesu in
der Wüste mit der Versuchung einschieben Heise : so mofs
man es mit Lückä2) u. A. oberhalb jener Stelle versuchen,
und diefs wäre nur vor V, 19» möglich, wo sich insofern
scheint einschieben au lassen, so viel man will, als hier
erst das vierte Evangelium seine Geschiohtseraählung an-
fängt. Zwar ist nun auch das von da an bis V. 28. Fol-
gende nicht von der Art, dafs es die Taufe und Voran«
chung Jesu, als schon früher geschehen, geradesu aus-
scbiöfse; aber V. 29 ff. lä&t der Evangelist den Täufer doch
gar nicht so sprechen, wie wenn zwischen der Taufe Jesu
und seiner jeteigen Erzählung von derselben eine Zeit von
sechs Wochen läge"); und nimmt man * die On Wahrschein-
lichkeit der Voraussetaung binau, dafs der vierte Evange*
list die den übrigen so wichtige Versuchungsgeschichte
bloCs anfällig übergangen haben sollte: so mufs die Frage
erlaubt sein, ob dieselbe ihm überhaupt bekannt, oder als
Geschichte von ihm anerkannt war«
Stehend ist bei allen drei Synoptikern die Zeitbestim-
mung von 40 Tagen för Jesu Aufenthalt in der Wüste:
aber hieran knüpft sich sogleich die nicht unerhebliche
Abweichung, dafs dem Matthäus aufolge die Versuchung
des Teufels erst nach Ablauf der 40 Tage eingetreten, den
übrigen zufolge auch schon während dieses Zeitraums vor
sich gegangen au sein scheint; denn des Markus rp> iv
rfj iQi]ft({> rj/utQccg TeoactQaxonu TtetQaCofievog vtzo tö oeetavu
(1, 13.) und die ähnliche Wendung bei Lukas (4, 1. 2.)
kann nichts anders als diefo aussagen. Woau noch «wi-
schen den beiden auletat genannten Evangelisten dieDjffe-
2) Comm. t, Ev. Job., 1, S. 344.
5) Vcrgl. ps Wsrrs, exeg. Haadb., 1, 5, S, 27»
4<i0 Zweiter Abschnitt.
rene kommt, dafs bei Markos das Versaehtwerden nur
überhaupt in die Dauer der 40 Tage verlegt ist, ohne dafs
die einzelnen Versuchongsacte , welche dem Matthäus aa-
fplge nach jenen 40 Tagen fielen, namhaft gemacht wären ;
bei Lukas dagegen Beides, sowohl das durch die 40 Tage
hindurchgehende TxeiqaCea&ai im Allgemeinen erwähnt, als
auch die nachher erfolgten drei eineeinen neigaopol her-
ausgehoben sind4). Diefs hat man durah die Annahme
ausgleichen au können geglaubt, dafs der Teufel Jesum
sowohl während der 40 Tage, wie Markus sagt, als auch
insbesondere noch nach Abflufs derselben, so wie Mat-
thäus berichtet, versucht habe, was beides von Lukas eu-
sammengefafst sei c) : und .diese beiderlei Versuchungen hat
man wohl auch so unterschieden, dafs die nicht näher be-
zeichneten , während der 40 Tage vorgefallenen , unsieht«
bare und solche gewesen seien , wie sie der Tepfel auch
sonst gegen die Menschen unternehme ; wogegen er , als
ihm diese fehlgeschlagen, am Ende der 40 Tage persönlich
und sichtbar hervorgetreten sei 6). Allein , wenn die letz-
tere Unterscheidung offenbar aus der Luft gegriffen ist, so
begreift man nicht, warum Lukas von den vielen Versu-
chungen der 40 Tage (eine einzige , sondern nur die drei
nach denselben vorgefallenen , übereinstimmend mit Mat-
thäus namhaft macht. Man könnte daher auf die Vermu-
thung gerathen, die drei von Lukas erzählten Versuchun-
gen seien nicht erst nach den 0 Wochen eingetreten, son-
dern von den vielen in diesen Zeitraum selbst gehörigen
fähre er nur beispielsweise drei an ; was dann Matthäus
dahin mifsverstanden habe, als wären sie nach jenen 6 Wo-
'4) Vergl. Faitzschs, Co mm. in Marc , S. 23; ds Witts, cxeg.
Handb., 1, 2, S. 33.
5) KuwÖl, Comm. in Luc. S. 579.
ü) JaüHTKOoi, horae, p. 245.
Zweites Kapitel. §.52. 461
chen erst eingetreten *)• Allein die Aufforderung, Steine
in Brod zu verwandeln, mufs doch jedenfalls an das Ende
dieses Zeitraums gestellt werden, da sie ja durch den ans
dem 40tägigen Fasten entstandenen Hunger Jesu (ein Mo-
ment, welenes nur bei Markus fehlt,) motivirt ist. Nun
aber ist diefs auch bei Lukas die erste Versuchung : und
wenn diese schon an das Ende der 40 Tage ftllt, so kön-
nen die folgenden nicht froher fallen ; denn das geht doch
nicht an, zu sagen, weil die einzelnen Versuchungen bei
Lukas nicht wie bei MatthXus durch rote und rcahv , son-
dern nnr durch xui aneinandergereiht seien., so habe man
sich an ihre Ordnung nicht zu binden , sondern gar wohl
könne im Sinne des dritten Evangelisten die zweite und
dritte vor der zuerst erwähnten sich zugetragen haben«
Bleibt demnach-bei Lukas das Ungeschickte, dafs er Je*
sum 40 Tage vom Teufel versucht werden läfst, ans dieser
langen Zeit aber keine Versuchung namhaft zu machen
weife, sondern nur etliche nachmals eingetretene : so. wird
man hienach wenig geneigt sein, mit der neuesten Kritik
des Matthäusevangeliums bei Lukas die ursprüngliche, bei
Matthäus dagegen die abgeleitete und getrübte Erzählung
zu finden 8). Sondern indem die Versuchungsgeschichte
bald unbestimmt erzählt, und dann das TtftQa^Oxkai Ober-
haupt in die 40 Tage verlegt wurde, wie Markus die Sache
wiedergibt ; bald aber mit Anführung der bestimmten Fälle,
wobei dann der zum Motiv des ersten gewählte Hunger
die Stellung nach dem 40tägigen Fasten erheischte, wie
wir es bei Matthäus finden : so Jiat nun Lukas die offen-
bar secundäre Darstellung, beides auf eine kaum erträg-
liche Weise zusammenzufassen, und nach dorn unbestimm-
ten 40tägigen Versuchtwerden zum Ueberflufs auch noch
7) ScHKECKijiBüR&iR, über den Ursprung des ersten kan. Evang.
S, 46.
S) Ders. cbend.
/
4fö Zweiter Abschnitt
das bestimmte, spätere, cn stellen. Damit soll kelneewegs
gesagt werden , dafs Lukas erst nach Markos nnd In Ah*
Bangigkeit von ihm geschrieben habe; sondern, wenn aoch
umgekehrt Markos hier ans Lukas schöpfte, so nahm er
sich nor den ersten Theil von dessen Darstellung, das
Unbestimmte, heraus, indem er statt der weiteren Angabe
einzelner Versuchungen einen eigentümlichen Zog in Be-
reitschaft hatte: dafs nfimllch Jesus wfthrend seines Auf*
entbalts in der Wüste perd rwv fhjQlajv gewesen sei.
Was Markos mit den Thieren will, ist schwer au
sagen. Die meisten Erklärer meinen, er wolle das schau*
Verhafte Bild der Wüste dadurch vollenden9); doch ist
nicht ohne Grund hiegegen erinnert worden, dafs dann
der Zusatz enger mit deftt rp iv tfj iqqfiip verbanden nnd
nicht erst nach dem neiQcc'Gofievog gestellt sein müTste 10).
Ustsri bat die Vermuthung gelfufsert, ob nicht vielleicht
durch diesen Zog Christas als Aotitypus von Adam darge-
stellt werden solle, welcher auch im Paradies in einem
eigentümlichen Verhältnisse eu den Thieren gestanden
habe11), ond Olshausbn hat diesen mystischen Zug begie*
rig aufgegriffen; doch auch diese Deutung findet eu wenig
Hülfe in dem Zusammenhang. Wenn Schlkiermacber die-
sen Zog als einen abenteuerlichen heseiehnet 1S) , so meint
er diefs doch ohne Zweifel so, dafc durch denselben Mar-
kus, wie aoch sonst öfters durch übertreibende Züge, an
die Weise der apokryphischen Evangelien streife, von de-
ren willkürlichen Dichtungen wir nicht selten keinen An-
Inf» ond Zweck mehr angeben können: und so müssen
9) So schon Euthymios, jetzt Koaröt u. A. s. d. St
10) FiirrzscBS z. d. St
11) Beitrag zur Erklärung der Vertuchungtgetchichte , in Uu-
auwf'i und Umbaut'! Studien, 1834, 4, S. 789.
12) üeber den Lukas, S. 56.
Zweites Kapitel. $.53. 463
wir ans wohl auch hier vor der Hand bescheiden, in den
Sinn dieser Angabe des Markos eindringen au wollen.
In Beeng auf die Differenz swischen Matthäus und
Lukas in der Anordnung der eineeinen Versuchungen wird
es wohl gleichfalls bei demjenigen sein Bewenden haben,
was Schleibrmachkr aur Erklärung nnd Benrtheilnng die-
ser Abweiehnng gesagt hat: dafs nfimlich die Ordnung des
Matthfios als die ursprüngliche erscheine, weil sie nach
der Hauptrüoksicht au& das Gewicht der Versuchungen
gemacht sei, in welcher Beziehung die Aufforderung cur
Anbetung, mit welcher Matthffus schliefst, als die stärkste
Versuchung sich verhalte; wogegen die Anordnung des
Lukas einer späteren, nicht' sehr glücklichen Umstellung
ähnlich sehe, welche von der dem ursprünglichen Sinne
der Eraähiung fremden Rücksicht ausgehe, dafs Jesus mit
dem Teufel wohl eher aus der Wüste auf den nahe gele-
genen Berg und von da nach Jerusalem werde gegangen
sein, als aus der Wüste in die Stadt, und von da wieder
in das Gebirge zurück **).
Während die beiden ersten Evangelisten damit schlie*
faen, dafs sie nur Bedienung Jesu Engel erscheinen lassen:
ist dem Lukas der Schlufs eigen, der Teufel sei von Jesu
Abgestanden ä%Qi xcciqö (V. 13.) ; wodurch, wie es scheint,
namentlich daa Leiden Jesu als eine weitere Anfechtung
des Teufels voraus bezeichnet werden soll ; eine Bezeich-
nung, welche Übrigens unten bei Lukas nicht wieder
'aufgenommen, Wohl aber bei Johannes, 14,30., enge*
ileutet ist.
$. 53.
Die Vertuchungsgeschichte im Sinne der Evangelisten aufgefastt.
Nicht leicht ist einer evangelischen Perikope eine
fleifsigere Bearbeitung «tt Theil geworden, als der gegen«
15) Doch vcrgl. Scmnbckbnbur9bii, a. a. O. S. 46 f.
464 Zweiter Abschnitt. *
wartigen, und nicht leicht hat eine ao vollständig den
Kreis aller möglichen Auffassungen durchlaufen. Denn die
persönliche Teufelserscheinung , welche sie zu enthalten
scheint , war ein Stachel, welcher die Erklärer beider
sich zuerst bietenden Deutung nicht ruhen liefe, sonders
sie rastlos immer weiter zu andern und wieder anders
Versuchen forttrieb. Die hiemit eich bildende Reihe v«v
schiedener Erklärungsversuche lud eu beurtheilenden Zu-
sammenstellungen ein , unter welchen in den von K. flu
L. Schmidt ') , von Fritzschb *) und Usteri 3) gegebenen
die Untersuchung wirklich als su ihrem Ziele geführt
erscheint«
Die erste Auffassung, welche sich der unbefangenen
Betrachtung des Textes bietet, ist die, dafs Jesus von dem
bei der Taufe empfangenen göttlichen Geist in die Worte
geführt worden sei, um eine Versuchung des Teufeil m
bestehen; welcher ihm sofort persönlich und sichtbarlieh
erschienen sei, und auf verschiedene Weise, an verschie-
denen Orten, «u welchen er ihn hinführte, seine Verw>
chongen mit ihm vorgenommen habe^ nach deren siegrei-
cher Abwehr von Seiten Jesu der Teufel von ihm gewi-
chen, und Engel erschienen seien, ihm zu dienen. Indeu,
so einfach sich diefs exegetisch als Sinn der Ersählong
ergibt, so thun sich doch, sobald sie nun als Geschichte
angesehen werden soll, in allen Theilen derselben Schwie-
rigkeiten hervor.
Wenn, um gleich vorn* anzufangen, der göttliche
Geist Jesum in der Absicht in die Wüste führte, um ihn
daselbst versuchen zu lassen, wie diefs Matyhftus in den
Worten: avrj%{hj eig xrp eQ^ov vtco tö nrev/narog, ntifja-
a^ijvat (4, 1.) ausdrücklich sagt: wozu sollte diese Vef-
1) Exegetische Beitrage, 1, S. 277 ff.
2) Comm. in Matth. S. 172 ff.
3) In der angef. Abhandlung, von S. 768 an.
Zweites Kapitel. $.53. 465
jnehnng dienen ? Einen stellvertretenden , erlösenden
Werth derselben wird man doch wohl nieht behaupten
wollen , so wenig als dafs Gott erst nöthig gehabt hätte,
Jesuin anf eine Probe «u stellen ; sollte aber durch die*
selbe Jeans uns gleich und nach Hebr. 4, 15. in allen
Dingen versucht werden wie wir: so wurde ihm ja der
Prüfungen vollestes Mais in seinem folgenden Leben nu
Tbeil\), und durch eine Versuchung des persönlich er^
scheinenden Teufels wfire er uns Cebrigen vielmehr un-
gleich geworden, die wir von dergleichen Erscheinungen
varschont bleiben.
Auch mit dem 40tlgigen Fasten ist es etwas Eigenes»
Man begreift nicht, wie Jesus nach sechswöchiger Enthal-
tung von aller Nahrung noch hungern konnte, und nicht
schon längst verhungert war; da für gewöhnlich die
menschliche Natur nicht Eine Woche völlige Nahrungslo-
sigkeit ertragen kann« Freilich trösten sich die Ausleger
damit, die fjju&Qai zeauagcatona seien eine runde Zahl, das
vijgevoag bei Matthäus aber und selbst das ax eqxxyev sdlr
bei Lukas sei nicht so streng su nehmen , und bezeichne
nicht Enthaltung von allen , sondern nur von den gewöhn«
liehen Speisen, so dafs der GennTs von Wurseln und Krau«
tarn dadurch nicht ausgeschlossen werde f). Aber von
4) Sehr schön stellt Nkajtoir mit den drei Teuf eis Versuchungen
dieser Geschichte eine Reihe dem Inhalte nach gleicher Ver-
suchungen Jesu aus seinem späteren Leben in Parallele (S. 95 f.
97* 98); wodurch aber eben jene Versuchungsgeschichte als
einzelner Vorfall überflüssig wird«
5) So s. B. Kunrife, Comm. in Matth. p. 84. Vergl. Grats,
Comm. cum lVfatth. , 1 , S. 229. Noch kleinlicher hält sich
Homum daran, dass es zwar heisse, Jesus habe nichts ge-
gessen, aber nirgends, er habe nichts getrunken: nun aber
habe sich einmal ein Schwärmer mit Wasser" und Thee 45
Tage lang erhalten ; freilich sei er hierauf gestorben , aber
nicht an Hunger, sondern an der „Unwahrheit seines Gefühls"
(! S. 315).
Das Lebern Jesu Ue Aufl. /. Band. 30
H
4<»ti Zweiter Abschnitt.
den 40 Tagen kann man in keinem Falle 00 viel absieben,
als nOthig wäre , am ein so langes Fasten denkbar cn fin-
den; und was dieses selbst betrifft, so hat Fritzschb klar
geceigt, und auch Olshausbm gibt es so, dafs namentlich
wegen der Parallele mit dem ebenso langen Fasten des
Moses C2 Mos. 34, 28. 5. Mos. 9, 9 18.) und des Elias
(J. Ktfn. 19, 8.) -r- von deren Ersterem es heifst: er als
kein Brot und trank kein Wasser, vom Letsteren aber, er
pei durch die Kraft einer vor der Abreise genossenen
$pei*e 40 Tage lang gegangen — aueh hier an nichts Ge-
ringeres, als an gfinaiiche Enthaltung von aller Nahrung,
fsu denken ist. Eine solche aber ist nicht allein röcksicht-
lich der Möglichkeit, sondern auch der Zweckmäßigkeit
schwierig. v Dem Znsammen hange nach mufs das Fasten
von Jesu auf Antrieb desselben mw^a übernommen ge-
wesen sein, welches ihn eu dem Gang in die Wüste ver-
aulafst hatte, und nunmehr en einer heiligen Uebung auf-
munterte, durch welche auch die Gottesmänner des alten
Bnndes sich geläutert und göttlicher Anschauung würdig
gemacht hatten. Jenem mtvfta aber konnte nicht verbor-
gen sein, dafs gerade an diesem Fasten der Satan Jesus
ergreifen, und den dadurch hervorgerufenen Hunger nun
Fürsprecher seiner Versuchung werde nehmen wollen«
Und war nun in diesem Falle das Fasten nicht eine Art
von Herausforderung des Satans , eine Vermessenheit , wie
sie auch dem seiner «elbst Gewissesten übel ansteht *)?
Nun aber der persönlich erscheinende Teufel mit sei-
nen Versuchungen ist der eigentliche Stein des Anstofses
in der vorliegenden Ereftjiiung. .Wenn es auch einen per-
sönlichen Teufel geben sollte, sagt man, so kann er doch
\
6) Ustbri, über den Täufer Johannes, *iie Taufe und Versuchung
Christi, in den thcol. Studien und Kritiken, zweiten Jahr-
gangs (1829) drittes Heft, S. 450; i>s Wans, exeg. Handb., I,
i> S. 38.
Zweites Kapitel §. 53. 467
nicht sichtbar erseheinen; and wenn auch diefs, so wird
er «ich schwerlich so benehmen, wie er sich nach unserer
Ersfblung benommen haben muffte, lndele, schon mit
dem Ilasein des Teufels rerh< es sieh, wie mit dem der
Engel: dafs selbst der üffenbarungsglaubige an demselben
uns dem Grunde irre Verden kann, weil diese Vorstellung
nicht rein auf dem Boden des Offenbarungsvolks geweeh-
'•en, sondern im Exil aus profanen Gebieten herflberver*
pflanct worden ist T). Ohnehin aber ffcr diejenigen unter
den Zeitgenossen9 welche sieh der Bildung des Jahrhun-
derts nicht versohlessen heben, ist die Exbtenn eines Teu-
fels im höchsten Grade zweifelhaft geworden. Auch in
Beuug auf diese wie auf die Engelvorsteilung kann als In-
terpret der neueren Bildung Scbleikrmachbu gelten, wenn
er auf der einen Seite seigt , daCs die Vorstellung eines
Wesens, wie der Teufel eines sein mllfste, aus Wider»
aprflcben Eusammengesetst ist ; auf der andern bemerklieh
macht, dafs, wie die Engelvorstellung aus beschränkter t
Naturbeobaehtung, eo sie aus beschränkter Selbstbeobach-
tung entstanden , mit den Fortsehritten von dieser immer
mehr in den Hintergrund tretet», und die Berufung auf
den Teufel hinfort als Ausflucht der Unwissenheit oder
.Trägheit gelten mufs •). Aber auch, die Existent des Teu-
fels angegeben, so hat doch ein persönliches und sicht-
bares Erscheinen desselben, wie es hier vorausgesetat wird, ♦
•noch seine besonderen Schwierigkeiten. Selbst Olshaussn
erinnert, dafs ein solches sonst weder im alten noch im
neuen Testamente vorkomme. Ferner, wenn doch der
Teufel, um hoffen au können, Jesum au täuschen, nicht
in seiner eigenthttmlichen Gestak, sondern nur entweder
7) db Wim, bibl» Dogmatil, §. 171 ; Gjuhbbrs, Grandzüge ei-
ner Engellehre des A. T., $• 5, in Wim*»'« Zeitschrift f. wis-
senschaftliche Theologie, 1. Bd. S. J82f.
8) Glaubenslehre, 1, $$ 44. 45. der »weiten Ausg.
30*
4<i8 Zweitor Abschnitt
\ \
als Mensch, oder alt guter Engel erseheinen durfte: 10
tragt man mit Recht, ob denn die Stelle 2. Kor. 11, 14.,
nach welcher o oararäg fteiaox^ftccri^ezai Big äyyekw axuros,
buchstäblich sq verstehen sei, nnd wenn diefs, ob dien
abenteuerliche Vorstellung Innere Wahrheit haben könne')?
Was die Versuchungen betrifft, so hat im Allgemei-
nen schon Julian gefragt, wie denn der Teufel habe hof-
fen können, Jesum su verfahren, da er doch seine höhere
Natur gekannt haben müsse1*)? und Theodors von Mops-
vestia Antwort darauf, dem Teufel sei Jesu Göttlichkeit
damals noch unbekannt gewesen, widerlegt eich durch die
Bemerkung, wenn er nieht damals schon in Jesu ein höhe-
res Wesen gesehen hotte , würde er sich schwerlieh die
Mühe gegeben haben , ihm ausnahmsweise, persönlich si
erscheinen. — In Beeng auf die einseinen Versuchung»
wird man dem Kanon seinen Beifall nicht versagen kfa-
nen, dafc, um glaubwürdig su erscheinen, die Erslbloog
dem Teufel nichts seiner vorauszusetzenden Klugheit wr
dersprechendes anschreiben dürfte ")• Nun ist allerdings
die erste Versuchung durch den Hunger nicht se übel
motivirt; schlug diese bei Jesu nicht an, so mvfste der
Teufel als klnger Taktiker eine noch lockendere Verse-
drang bereit haben: statt dessen aber finden wir nun (bei
Matthlus) den Vorschlag zu dem halsbreehenden Unter'
nehmen, sich von der Tempelzinne herabzustürzen, wor-
nach es den, welcher die Steinverwandiung ausgeschlagen,
noch weniger gelüsten konnte; und als auch dieser Ver-
schlag keinen Anklang gefunden, folgt zum Schlüsse eine
Zumuthung, welche, was auch immer damit zu gewinnen
sein mochte, jeder fromme Israelit ungesäumt mit Absehe«
9) Schmidt, exeg. Beiträge, 1, S. 279. Kuiköl, in Matth. S. 76.
10) In einem Fragmente Theodor'» von Mopsvestia, in Minis»'»
Fragm. Fatr. graec. Fase. 1, S. 99 f.
11) Paulus, a. a. O. S. 376.
Zweites Kapitel. $. 53. 469
sartick weisen mnfirte: den Teafel fufsftllig mi verehren*
Eine so «ngesehickto Aaswahl and Anordnung der Ver-
saohangen hat die meisten neueren Erklärer bedenklich
gemacht **). *
Da die drei Versuchungen an drei verschiedenen,
selbst entlegenen, Orten vorfallen, so fragt es siehy wie
Jesus mit dem Teufel von einem vom andern gekommen
sei? Diese Ortsverfinderung haben selbst Orthodoxe gans
natürlich sugehen lassen , indem sie annahmen , Jesus sei
ohnehin auf der Reise gewesen, und der Teufel ihm nach*
gefolgt "). Allein die Ausdrücke : naQalapßccvet — fgjjaaß
um 6* 6 diaßokog bei Matthäus, avayäywv^ tffciy&ß und egrjoev
bei Lukas, deuten unverkennbar auf eine vom Teufel ei-
gens veranlasste Ortsverlnderang, und da ohnehin der
Zug bei Lukas (V, 5.), der Teufel habe Jesu alle Reiche
der Welt iv giyftfj XQW** g**eigtj «rf etwas Zauberhaftes
in der Sache hinweist: so hat man ohne Zweifel an ma-
gische Verseteungen au denken, wie A. G. 8, 39. dem
nveöfia KvqIö ein solches aqna&w sageschrieben ist. Hier
fand man es nun aber frfihseitlg mit der Würde Jesu
unvereinbar , dafs der Teufel auf diese Weise eine magi-
sche Gewalt Ober ihn geflbt, und ihn in der Luft mit sich
heromgef tthrt haben solle '*) ; ein Zug , welchen selbst
derjenige höchst abenteuerlich finden wird, dem das per*
■w
12) Die Auskunft Homujni's, der Teufel wähle, z. B. bei der
zweiten Versuchung, „absichtlich ein recht grelles Beispiel
an dem Herabstürzen von der Tempelzinne, während es über-
haupt nur um einen falschen Gebrauch der Wunderkraft und
' des Gottesbewusstseins Jesu sich handelte'4 (S, 322) — diese
Ausflucht lässt die Sache wie sie ist, indem es die gleiche
Ungereimtheit bleibt, so unpassende Beispiele oder so unpas-
sende Versuchungen auszuwählen.
13) Hess, Geschichte Jesu, I, S. 124.
|4) s. den Verf. der Rede de jejunio et tentatiönibut Gh. ttti
unter den Werken Cyprians,
. *
* 470 Zweiter Abschnitt
stauch* Erscheinen des Teufels noch erträglich war. Da
Unglaubliche blnft eich, wenn man bedenkt, welches Auf-
sehen es gemacht haben mfifste, Jesam (sein Begleiter mag
sich hier etwa unsichtbar gemacht haben ) auf dem Tem*
peldaeb erscheinen an sehen, wenn es auch nur das Dach
der Halle Salomo's war, und somit weder die vergoldeten
9piefse anf dem eigentlichen Heiligthum, noeh das Verbot
für Laien , dessen Dach so betreten , im Wege stand ")•
Die letste Versuchung betreffend, ist die Frage allbekannt,
wo denn der Berg sei, von welchem ans man alle Reiche
der Welt fibersehen kfinne f und wenn die Ansknnft, dab
unter xoopog hier nur Palästina, und unter den ßaotfoiai$
dessen einzelne Gebiete und Tetrarchien verstanden seien ")9
haum minder lächerlich ist, als die, der Teufel habe Jesu
die Welt auf einer Karte geseigt : so bleibt keine Antwort
ihrig, als, ein solcher Berg existire nur in der alterthflu-
Hchen Vorstellung von der Erde als einer Fläche einer-
seits, und andrerseits in der volkstümlichen Phantasie,
welche leicht einen Berg bis in den Himmel hinein erhö-
heu, und ein Auge in's Unendliche schärfen kann.
Endlich auch der abschliefsende Zug der Eraähinng,
dafs, nachdem der Teufel mit seiner Versuchung au Ende
war , Bngel eu Jesu gekommen seien und ihn bedient ha-
ben, ist, auch abgesehen von dem oben besprochenen
Zweifel an der Existenz solcher Wesen, von Anstofa nicht
frei. Denn das dirptovuv kann doch keine andere Art von
Bedienung bedeuten , als die Darreichung von Nahrang*
mitteln ; wie nicht allein der Zusammenhang, welchem in-
folge Jesus nach langem Hungern eben eine solche Bedie-
nung nöthig hatte j sondern auch die Vergleichong nu't
15) Vcrgl. Joseph, b. j. 5, 5, 6. 6,6, 1. Fumacas, ia Matth.
S. 164; dk Wem, exeg. Handb., 1, 1, S. 40.
16) Jene von Kuiköl, in Matth. S. 90; diese angeführt kl
Kritzsciib, p. 168.
Zweites rUpitel. §. H. 47*
■
l.Kön. 19,5. selgt, wo dem Elias ein Kugel Speise bringt
Dann aber ist beides gleich unwahrseheiolieb , was maii
möglicherweise annehmen könnte: dafs entweder ffthe*
risehe Wesen, wie Kugel, irdische, materielle Speisen da«
hergetragen haben; oder dafs Jesu menschlicher Leib mit
himmlischen Substanzen, wenn es solche gibt, gestärkt
worden sei.
5. 54.
Die Versuchung als innerer, oder als äusserer natürlicher Vor-
gang; dieselbe als Parabel.
Das Undenkbare jener 'pltf tauchen Entrttekungen Jesu
auf den Tempel und Berg hat schon einige der alten Er«
klarer auf die Ansicht gebracht , dafs wenigstens die Lo-
eale der «weisen und dritten Versuchung nicht leiblich
und äußerlich, sondern bloCs im Gesichte, Jesu gegen-
wärtig gewesen seien *) ; wogegen Neuere , welchen Über*
haupt die äufseriioh sichtbare Teufelserscheinung anstöCug
war, die ganse Verhandlung mit demselben gleich von An«
fang in das Innere der Seele Jesu hinein verlegten. Dabei
fassen sie entweder auch das 40t£gige Fasten als blofs in«
nere Vorstellung auf*)* was aber wegen der ganz histo-
risch lautenden Angabe: vqgevoag tydQCcQ T&wctQaxavta
vgeQOv ir&lvaoe, die unerlaubteste Willkür ist; oder mau
nimmt es als wirkliche Thatsache: wobei dann för diesen
Zug die im vorigen $• erwähnten nicht geringen Schwio*
1) Theodor von Mopsvestla a. a. O. S, 107« behauptete gegen
Julian , yavxaölav oqh$ to* tfuißalor ntnoupet-rai , und nach dem
Verfasser des schon angeführten Sermo de jejunio et tenta-
tionibus Christi ging die erste Versuchung zwar tocaHter in
deserio vor, auf dem Tempel und Berg aber war Jesus nur
so , wie Ezechicl vom Cbaboras aus zu Jerusalem , nämlich
in spiritm
2) fAUius, S. 379.
473 Zweiter Abschnitt.
rigkelten stehen bleiben. Jenes innere Anschsnen nd
Vorstellen der Versuchungen verlegen die Einen in eines
Znstand ekstatischer Vision, fflr welche man den Obern*
tfirlichen Ursprung beibehalten, nnd sie entweder von Gott,
oder von der Einwirkung des Kelchs der Finsternib*) ab-
leiten kann ; Andre fassen die Vision mehr als traumartig,
nnd suchen demgemäfs einen natürlichen Grund för die-
selbe in den Gedanken , mit welchen Jesus wachend um-
gegangen war *). In der erhöhten Stimmung — so wird
hier die Sache vorgestellt — in welcher sich Jesus noch
von der Scene bei seiner Taufe her befand, durchdenkt
er in der Einsamkeit noch einmal seinen messianischeo
Plan, nnd hält sich neben den wahren Mitteln su dessen
Ausführung auch die möglichen Gegensätze vor: Ueber*
treibung des Wunderglaubens und Herrsohsnoht , durch
welche der Mensch nach jadischer Denkart aus einen
Rttstneuge Gottes ein Vollstrecker der Plane des Teufels
wurde. Indem er sich solchen Gedanken fiberl&fst, unter-
liegt- sein feihorganisirter Körper der Anspannung : er ver-
sinkt auf einige Zeit in tiefe Ermattung, nnd hierauf in
einen traumartigen Zustand, in welchem sein Geist die
vorigen Gedanken unwissend in redende and handelnde
Gestalten umschafft.
Fflr diese Verlegung des ganzen Vorgangs in das In-
nere Jesu glauben die Erklftrer einige Züge der evangeli-
schen Erzählung selbst anfahren nu können. Das dvrjxfy
dg %rpf Hqrjfiov vno tS mev/ucczos bei Matthäus, noch mehr
das tjyero iv ?q> Ttvev^iari bei Lukas, sei doch ganz ent-
sprechend den Formeln : iysv6/Lnp> iv Ttvev/jari, Offenb. l,lti*>
anqreyxi fie dg ÜQijfiiw'iv Tcvevfiiau, ebend. 17, 3«, und fihn-
3) Jenes H. Farmer» bei Grats, Comm. zum Ev. Matth., 1»
S. 217; dieses Olshausrn z. d. St., aueh Hornumr (S. 326 fj*
wenn ich ihn recht verstehe.
4) Paulus, a. a. O S. 377 ff.
Zweites Kapital. {.54. 473
liehen bei Eseehiel ; de nun in diesen 8tellen nur Ten in-
nerer Anschauung die Rede sei, so könne aoeh in der
vnsrigen kein äufserer Vorgang gemeint sein. Allein mit
Grund bat man dagegen bemerkt ')> dafs* fene Formeln flu?
sieh beides bedeuten können : vom göttlichen Geist änfseffc
lieh und wirklieh wohin versetst werden, wie A. 6. 8, St*
S.Kön. 2, 16 ; oder nur innerlich und visionär, wie in
den angefahrten Stellen der Apokalypse: swisohen beiden
mögliehen Dentangen müsse der Znsammenhang entschei-
den* Dieser entscheide nnn allerdings in einem dnrch
und dnrch visionären Boche, wie die Apokalypse nnd Ene-
chiel, Dir einen blofo inneren Vorgang; in einem ge-
schichtlichen Werke aber, wie unsere Kvaogeiien, ffir ei«
neir fiufseren. Träume ohnehin, aber auch Visionen, wer-
den in den historischen Büchern des N. T. immer dnrch
ansdrflckliche Bemerkungen als solche angeköndigt: nnd
so mttCste es anch an unserer Stelle entweder eldsv iv ooov
pari, iv ixgdoei, heiften, wie A.C. 9, 12. 10, ID., oder
iyavrj avuji *ar' oyccq, wie Matth. 1, 20. 2, 13. Nament-
lich aber, wenn ein Traum ernäblt werden sollte, möfste
der Uebergang aus demselben su dem weitem Verlaufe
der wirklichen Geschichte , wie Matth. 1, 24. 2, 14. 21.,
durch ein dieyEQfrelg gemacht sein ; wodurch , wie Paulus
sehr wahr bemerkt, die Verfasser den Eiegeten grofse
Mähe erspart haben worden. Ueberdiefs ist gegen die
Auffassung des Vorgangs als Ekstase nicht ohne Grund
eingewendet worden, dafs dergleichen Zustände sonst nicht
im Leben Jesu vorkommen; gegen, die Annahme eines
Traums aber diefs, dafs Jesus sonst nirgends einen Traum,
und zwar mit solchem Gewichte, wieder ersählt habe 6J.
5) Fjutzschs, in Matth. 155 f. ; Usnax , Beitrag zur Erklärung
der Versuchungsgeschichte, a. a. O. S. 774 f.
6) Jenes von Ullmahk, über rie UnsUndlichkcit Jesu , in s. Stu-
dien, 1, 1; S. 56; diese« von Ustmj, a. a. O. S. 775*
474 Zweiter Abschnitt.
Ferner, was des Bewirkende dieser Zustünde betrifft, &»
begreift /man nicht, an weichem Ende Gott in Jesu die*«
Vision erregt haben sollte ; ebensowenig , dafs der Teufet
eine solche, sumal in Christo, hervorzubringen, Macht and
Befugnifs gehabt haben könne ; - bei der Annahme eines
dnreh die eigenen Gedanken Jesn bewirkten Traumes aber
darf man namentlich auf orthodoxem Standpunkte sieht
vergessen, dafs man dabei eine grofse Gewalt jener fair
sehen Messiasideen im Gemfkthe Jesn voraussetzt 7).
Kann so nach dem Ergebnifs der letzten Betraehtaag
die Versnchnngsgeschichte nieht als innerer Vorgang ge-
nommen werden, and nach dem früher Ausgeführten nicht
als übernatürlicher: so scheint nichts übrig au sein, ab
dieselbe als fiufsere zwar, aber durchaus natürliche Bege-
benheit ansusehen , iL h. also den Versucher su einen
blofsen Menschen au machen. Nachdem Johannes auf Je»
sum als den Messias aufmerksam gemacht hatte, meint der
Verf. der natürlichen Gescbiehte des Propheten von Nasa-
ret *), habe die herrschende Partei su Jerusalem einen li-
atigen Pharisfier ausgesandt, der Jesum auf die Probe
stellen sollte, ob er wirklich messianische WunderLrlfie
besftfse, und ob er nicht in das Interesse der Priesterschaft
su sieben, und su einer Unternehmung gegen die Römer
su gebrauchen wfire? Eine Fassung des diaßoXos, nit
welcher es auf würdige Weise susammenstimmt, die nach
dessen Abgang sur Erquickung Jesu erseheinenden ayytk*
von einer sich nähernden Karawane mit Lebensmitteln,
oder von sanften , erfrischenden Winden , sn verstehen 9>
7) Ü8TBR1, S. 776.
8) 1. Bd. S. 542 ff. , nach Hermann von der Hardt, Baskdow
u. A. ; noch neuesten* Kvinöl, S. 81.
9) Erstcrea in einer Abhandlung in Hknhs's n. Magazin, 4, 2,
S. 552; letzteres in der natürlichen Geschichte u. »• *•» *»
3. 591.
Zweites Kapitel 9. 54. 475
Indefe hat diese Ansieht , nach Oshii's Ausdruck, ihren
KrelslAuf in der theologischen Welt so sehr, schon vollen*
det, dafs es überflüssig ist, su ihrer Widerlegung ein Wort
m verlieren«
Wenn sieh nach dem Bisherigen die Versuobongage-
sehichta, wie sie die Synoptiker uns erschien, weder «Is
iufserer, noch als innerer, weder als Übernatürlicher, noch
als natürlicher Vorgang denken l&fst:,so folgt nothwendig
der Schlafs : dieselbe kann überhaupt nicht so vorgegangen
nein, wie die Evangelisten berichten«
Der gelindeste Aasweg ist hiebei die Annahme, dafs
nwar wirklieh Tbatsiehliches ans dem Leben Jesu sum
Grunde liege, welches Jesus den Jüngern erzählt habe;
aber so, dafs seine ErcShlnng kein gans genauer Abdruck
des Factischen gewesen sei* Versuchende Gedanken, wel-
che ihm entweder wirklich während seines Aufenthalts in
der Wüste nach der Taufe, oder su verschiedenen Zeiten
und bei verschiedenen Gelegenheiten, vor die Seele getre-
ten, aber durch die reine Kraft seines Willens alsbald nie-
dergeschlagen worden seien, habe er naoh orientalischer
Denk- und Ausdrucksweise als teuflische Versuchungen
ersühlt, und diese bildliche Eraählüng sei eigentlich ver-
standen worden 10). Die Haopteinwendung nwar , welche
gegen diese Ansieht gekehrt worden ist, dafs sie die Un*
sündlichkeit Jesu gefährde 11), ist, da sie auf einem dogma-
tischen Begriffe beruht, für unsern kritischen Standpunkt
nicht vorbänden ; wohl aber können wir ans dem Verlaufe
der evangelischen Geschichte vorwegnehmen , dafs in der-
selben der praktische Verstand Jesu durchaus klar und
10) So nach vielen Vorgängen, welche Schmidt, Kunvöi, u, A.
nachweisen, Ullmahw, a. a. O. S. 56 ff. ; ELuiik, Leben Jesu,
$. 55; Nbakdkr, L. -J. Chr., S. 101 f.
11) ScuutiiRKACiiKB , üher den Lukas , S.J»4. Ustski, 4. a. 0.
' ß. 777«.
476 Zweiter Abschnitt.
richtig erscheint; dieser aber müfete schadhaft gewesen
sein , wenn Jesus au etwas der Art, wie die aweite Ver-
suchung bei Matthäus ist, jemals Lost empfinden, and fast
ebenso, wenn er auch nur darauf verfallen konnte, eins
Versuchung verständigerer Art seinen Schälern unter die-
ser Form darzustellen. Zudem hätte Jesus in einer sol-
chen Erzählung ein von einem redliehen Lehrer, wie er
sonst erscheint, nicht au erwartendes, trübes Gemisch von
Dichtung und Wahrheit aus seinem Leben gegeben , na-
mentlich wenn man nicht annimmt, die versuchenden Ge-
danken seien ihm wirklich nach dem 49tägigen Aufenthalt
in der Wüste in Einem Zuge aufgestiegen, sondern diefs
noch nur Einkleidung rechnet ; nimmt man dagegen jene
Zeitbestimmung geschichtlich, so bleibt auch das vierzig»
* tfigige Fasten stehen, und mit ihm einer der bedeutendsten
Anstölse in der Erzählung. Jedenfalls , weifn Jesus den
Innern Vorgang einfach erzählen wollte, nur aber in der
Art, wie der Hebräer jeden bösen Gedanken durch einen
Scblufs von der Wirkung auf die Ursache dem Teufel sn«
schrieb : so war er bieduroh nur au der Wendung voran-
lafst, der Satan habe ihm diefs und das in das Hera geben
wollen,' keineswegs aber dazu, von einem personlichen Auf-
treten des Satans und einem Herumreisen mit denselben
uu reden; wenn nicht neben oder statt der Absicht des
Erzählens noch eine andere, poetisch «didaktische, stattge-
funden haben soll.
Eine solche Absicht hatte nun allerdings Jesus denfe*
nigen zufolge, nach welchen die Vereuohungsgesehiohte
von ihm als Parabel erzählt, von den Jüngern dagegen
geschichtlich verstanden worden ist Dabei wird meisten*
das Bedenkliche , dafs ein wirkliches inneres Erlebnifi
Jesu zum Grunde gelegen, fallen gelassen l2) : nicht Jeri»
12) Wenn bei der Annahme einer Parabel zugleich etwas wirk«
lieh von Jesu Erlebtes hier gefunden wird , flicsst diese An«
Zweit*« Kapital. $. 54. 477
selbst sali solche Versuchungen durchlebt, sondern nnr
seine Jünger vor denselben su verwahren beabsichtigt
haben, indem er ihnen, gleichsam als ein Compendium saes-
sianiseher und apostolischer Weisheit, die drei Maximen
einprägen wollte: 1) kein Wander su than su eigenem
Vortheiie, selbst unter den dringendsten Umständen ; 2) nie
in Hoffnung auf außerordentlichen göttlichen Beistand
etwas Abenteuerliches su unternehmen ; 3) nie, aueh wenn
der gröfste Vortheil dadurch su erreichen wäre, sich in
Gemeinschaft mit dem Bösen einzulassen ")• — Längst bat
atan gegen diese Auffassung bemerkt, dafs die ErsAhlung
nicht leicht als Parabel su erkennen, und die Belehrung
schwer herauszufinden gewesen würe **)• Gewi/s wäre,
was das Letstere betrifft, namentlich die swelte Versuchung
ein wenig passend gewähltes Bild; doch die erstere Be-
merkung bleibt die Hauptsache. Warum diese Erzählung
so gar nicht das Gepräge einer Parabel trage, das ist
neuerlich dahin bestimmt worden, eine Parabel känne bei
der ihr wesentlichen geschichtlichen Form nur dadurch
sich von wirklicher Geschichte unterscheiden , dafs die in
derselben handelnden Personen sich sogleich von selbst als
fingirte kundgeben '*)• Diele ist aber dann der Fall, wenn
die Personen entweder unbestimmt, als Allgemeinheiten,
bezeichnet sind , wie in den GleichniTsreden Jesu all o
G7%d(*üv, ßaadevg u. dgl. ; oder wenn ihnen swar eine in*
sieht mit der vorigen zusammen, wie z. B. bei Hase zu
sehen ist.
13) J. E. C. Schmidt, in seiner Bibliothek, 1, 1, S. 60 f. ;
Scrubikrmachsa, über den Lukas, S. 54 f. > Usteri, über den
Täufer Johannes , die Taufe und Versuchung Christi, in den
theol. Studien, 2, 3, S. 456 ff.
44) K. Gh. L. Schkidt, exeg. Beiträge, 1, S. 339.
15) Has**t, Bemerkungen über die Ansichten Ullmajto's und
Ustsri's von der Versuchen gsgesch., Studien, 3, i, S. 74 f.
478 • Zweiter Abschnitt
•dividuelle Bestimmung gegeben ist, aber eine solche, wefche
nie als unhistorische Personen, als Träger von Dichtungen,
kenntlich macht, was, in Verbindung mit den übrigen Zl*
gen jener Parabel, selbst von dem mit Namen genanntes
^/u^aifog im Gleiohnifs vom reiohen Manne gilt» In beides
Rücksichten kann ein sinnlich Gegenwärtiger nicht ab
Subjeet einer' Parabel gebraucht werden; denn ein solcher
ist immer eine bestimmte und augenscheinlich historische
Person« Also weder den Petrus , noch sonst einen seiner
Jünger, noch anch sich selbst, konnte Jesus sum Subjeet
einer Gleichnifsrude machen ; da die eigene Person dessen,
der eine solche vortrügt, am unmittelbarsten su dea dabei
gegenwärtigen gehört: und ebendefswegon kann er die
Versuchungsgesehiohte, in welcher er das Subjeet ist, niebt
als Parabel vorgetragen haben. Annunebmen aber, daft
die Parabel ursprünglich ein anderes Subjeet gehabt hebe,
an dessen Stelle dann in der mündlichen lieberiiefertug
Jesus gesetet worden sei , gebt nicht an , weil die Ersah-
lung auch als Parabel nur dann eine rechte Bedeutung hat,
wenn der Messias das Subjeet derselben ist ie).
Kann somit Jesus nicht über sich selbst and niebt
über einen Andern eine solche Parabel vorgetragen heben:
so könnte sie ja vielleicht von einem Andern über Jena
gemacht worden sein 5 und so hat neuestens Theile die
Versnohungsgesebichte für , eine symbolisch - parabolische
Warnung erklärt, welche irgend ein Anhänger Jeso sor
Begründung der geistig- sittlichen Ansicht gegen die Haupt-
momente der irdischen Messiashotfnung gerichtet habe17)
Hiemit ist der tfebergang auf den mythischen Standpunkt
gegeben ; welchen selbst su betreten der genannte Theo-
loge die Erafthlung tbeils nicht anschaulich genug findet:
was sie doch in hohem Grade ist; theile su rein: w«i
10) Has«rt, a. s. O. S. 76.
17) Zur Biographic Jesu,. §♦ 23«
Zweites Kapitel. § 55. 470
^falsche Vorstellungen von den Ältesten Christengemeinden
.voraussetzt; theiis stehe, die Bildung des Mythos der Zeit
Jesu su nahe : was auch gegen das frihe Mifsverständnib
-der Parabel gelten moTste» Ltffst sieh dagegen umgekehrt
nachweisen, dafs die in Rede stehende Erzählung weniger,
-wie es einer Parabel gesternt, ans lehrhaften Gedanken
•und deren bildlicher Einkleidung, als vielmehr ans A. T.-
•lichen Stellen und Vorbildern susammengefogt ist: so wer-
den wir nicht anstehen dirfan, sie geradecn als Mythus
cu begeiehnen#
*. 55.
Die Versuchungigetchichte alt Mythus.
Der aus der persischen Religion als böses und men-
schenfeindliches Wesen herfibergekommene Satan war von
den Juden, deren Partieularismus alles Gute nnd wahrhaft
Menschliche auf das israelitische Volk beschränkte, jsum
besonderen Widersacher ihrer Nation, und damit »um
Herrn der ihnen feindlichen Heidenvölker gemaebt wor-
den ')• Wurden nnn die Interessen des Jüdischen Volks
in der Person des Messias vereinigt: so war es natürlich,
dafs der Satan namentlich als Gegner des Messias aufge*
fafst wurde; wie denn auch im N. T. mit der Vorstel-
lung, dafs Jesus der Messias sei, sich überall die vom Sa*
tan als dem Gegner seiner Person und Sache verbindet.
Wie Christus defrwegen erschienen ist, um die Werke des
Teufels so serstdren (l.Joh. 3, 8.): **> ergreift nnn dMser
1) Vergt. Zachar. 3, i , wo dem vor Jehova's Engel stehenden
Hohenpriester Satan widersteht; ferner Vajikra rahha f. 151,
1. (bei Bkrtholdt , Chris toi. Jud. S. 183. ): wo nach Rabbi
Jochanan Jehova zum HICH "UOO (d. b. zum Satan, vergl.
Hebr. 2, 14. und Lishtfoot , horae , p. 1088. ) spricht : feti
qutdem te xoa/uoxQtlroQo , nt vero cum poputo foederis negotium
nuüa in re tibi est.
480 X Zweiter Abschnitt.
jede Gelegenheit, am unter Ben guten Samen, welchen des
Menschen Sohn ausstreut, Unkraut su säen (Matth. 13,39.),
und tritt sowohl Jesum selbst an, ob er nicht Meister Aber
ihn werden könne (Job. 14,30.)) als er auch seinen Gläu-
bigen beständig zusetzt (Ephes. 6, 11. 1. Petr. 5, 8.> In*
dem die Angriffe des Teufels auf die Frommen nichts An-
ders als Versuche sind, ob er nicht den einen oder an-
dern in seine Gewalt bekommen, d. b. cum Sündigen be-
wegen könne (Lue. 22, 31.)? diese Probe aber nicht an-
ders gemacht werden kann , als durch mittelbares Veran-
lassen oder unmittelbares Eingeben böser, verführerischer
Gedanken: so war damit der Satan als Versucher, als o
<?t€iQa£w9 aufgefafst. Mittelbar, durch Verhängong von
Plagen und Unglück, sucht er im Prologe des Hiob den
Frommen von Gott abzuziehen ; als unmittelbare diabolisch«
Einflüsterung aber wurde frühzeitig der verführerische
Ratbschlag aufgefafst, welchen nach 1. Mos. 3. die Schlange
den ersten Menschen gab (Weish. 2, 24. Job. 8, ü
Offenb. 12, 9.)-
Der Begriff des Versuchens (HI-0, LXX: mtQafyiv)
war dem älteren Hebraismus in Bezug auf Gott selbst ge-
läufig, welcher seine Lieblinge, wie Abraham (I.Mo*.
22, 1.) und das Volk Israel (2. Mos. 16, 4. u. sonst) , auf
die Probe stellte, oder auch im gerechten Zorne die Men-
schen su unheilbringenden Handlungen reizte (2. San«
24, 1.). Nachdem sich aber die Vorstellung des Satans
ausgebildet hatte, wurde dieselbe benutzt, um das Versu-
chen, welches, wie man nachgerade zu bemerken anfing,
mit Gottes absoluter Güte sich nicht vertrug (s. Jac. 1,
13.), Gott abzunehmen und auf den Satan zu flberwälsen»
Daher ist es nun dieser, welcher bei Gott die Erlaubnis
auswirkt, den Hiob durch Leiden auf die gefährlichste
Probe zu stellen; daher ist der strafbare Gedanke Davids,
das Volk su zählen, welcher im zweiten Buch Samneis
noch vom Zorne Gottes hergeleitet war, in der späteren
Zweites Kapitel. $.55. N 481
Chronik (1. Chr. 22, 1«) geradezu auf Rechnung des Ten*
fels geschrieben, and selbst die gutgemeinte Versuchung,
welche der Genesis enfolge Gott mit Abraham vornahm,
als er die Opferung des Sohnes von ihm forderte, war
nach späterer jfidischer Ansicht auf Anstiften des Satans
von Gott vorgenommen *). Ja aneh diefs genügte nicht,
sondern es wurden Seenen erdacht, wie der Teufel dem
Abraham bei seinem Hinausgang nur Opferung persönlich
mit einer Versuchung in den Weg getreten sein , und wie
er das Volk Israel in Abwesenheit des Moses versucht ha»
ben sollte *).
Waren so die vornehmsten Frommen des hebrftisehen
Alterthums, war das Volk Israel selbst, nach der frftberen
Ansicht von Gott, nach der späteren vom Teufel, versucht
worden : was lag näher, als die Vorstellung, dafs vor Alien
an den Messias, das Haupt aller Gerechten und den Re-
präsentanten und Vorkämpfer des Volks Gottes, der Satan
eich wagen werde, Jim ihn eu fallen4,)? wie wir diefs
2) s. die von Fasaxcius Cod. pseudepigr. V. T. p. 595. aus Ge-
mara Sanhedrin angeführte Stelle.
S) Ebendat. p. 396. Als Abraham hinzog, um dem Befehle Je-
hova's gemäss seinen Sohn zu opfern , anteverttt eum Sata-
na* in via, et taÜ coltogwto eum ipso habito a proposito aver-
tere eum conatus est etc. S chemo th fU 41 ( bei WsTSTsnr z.
d. St. d. Matth.): Cum Moses in altum adscenderet, dtssit
Israeli: post dies XL hora sexta redibo. Cum autem XL ilä
dies elapsi essent, venit Satanas', et turbavit mundum, dixit-
que: übt est Moses, magtster vettert mortuus est Bemer-
kenswert}! ist, dass auch hier die Versuchung nach Ablauf
von 40 Tagen eintritt.
4) So Fmtzschb, in Matth. S. 173- Treffend derselbe schon in
der Ueberschrift S. 154 : Quod in vulgart Judaeorum opinione
erat, fore, ut Satanas sahäartbus Messtae eonstliis omni mo-
do, sed sine effectu tarnen, nocere studeret, id ipsum Jesu
. Messias accidit Nam quam ts ad esemphtm iiiustrium ma-
Das Leben Jesu Ite Aufl. 1. Band. 31
432 Zweiter Abschnitt«
wirklich als rabbinisehe Meinung Angedeutet finden *), and
Bwar nach der sinnlichen Vorsteiiungsweise des späteres
Judenthums in einer leibhaften Erscheinung- and einen
persönlichen Zwiegespräch.
Fragte es sich nm, den Ort, wo der Satan mathmafi-
iieb eine solche Versuchung mit dem Messias vornehmes
werde: so bot sich von mehr als Einer Seite die Wüste
dar. Nioht nur ist sie von Asasei (3. Mos. 16*, 8. 10.) ood
Asmodi ( Tob. 8, 3. ) bis eu den von Jesu ausgetriebenen
Dämonen herunter (Matth. 12, ,43.) der sehavderhafa
Wohnplatz der höllischen Mächte : sondern die Waste war
auch das Local , in welchem das Volk Israel , dieser filius
Dei cottectivus, versucht worden war *). Dazu kam, dafs
Jesus selbst es liebte, zu stiller Betrachtung und Gebet eich
bisweilen an einsame Orte zurückzuziehen (Matth. 14, 1£
Marc. 1, 35. Lue. 6, 12. Joh. 6, 15.); wozu er sich nach
jurum quadraginta dierum in deserto loco egtsset jejwihah
Satanas cum conventt, proterutsque atque imptis eosrf-
liis ad tmpietatem deducere frustra conatus est.
5) Schöttgen, horae, 2, 538, führt nach Fini flagellum Judaeo-
ritm, 3, 35. eine Stelle aus Pesikta an: AU Satan: Domtue,
* permitte me tentare Measfam et ejus generattenem. Ctä in-
quit Dens: tum höheres ullam adversus eum potestatem. Sa-
tan Herum att: sine me, qtda potestatem haöeo. Beapondit
Dens: st in hoe dtutius perseveraMs, Satan, poftui (te) de
mundo perdam , quam aliquant antnuan generattonts Messiac
perdi permtttam. Diese Stelle beweist wenigstens, das* eine
vom Teufel gegen den Messias zu unternehmende Versuchung
dem jüdischen Vorstellungskreise nicht fremd war. Liess der
Urheber der angeführten Stelle dem Satan, wie es scheint,
sein Gesuch abgeschlagen werden, so werden es Andere, dt
die Vorstellung einmal angeregt w^r, gewiss haben in Er-
füllung gehen lassen.
6) 5. Mos. 8, 2(LXX) wird das Volk so angeredet: pvqo&fa **-
aar rtpr odov, tjv *jyaY^ at ^C°* ® &cot a& T®*° TeooaQctxogor hos i*
TJj F(tytu(p, oTttos xaxuKJi) at xai ntiftdotj tu y xai diayyuo&ij ra h *B
Zweites Kapitel, f. 55. 485
der Einweihung 8Q seinem messiauisehen Berufe gana be»
sonders aufgelegt gefunden haben mag. Es wäre demnach*
wohl möglich, dafs naoh der Annahme einiger Theologen *)
ein Aufenthalt Jesu in der Wtiste nach der Taufe — na-
türlich nur nicht gerade ein 40tfigiger — cur geschichtli-
chen Grundlage unserer Eraihlung gehörte; obwohl auch
ohne diesen Anhaltspunkt nicht nur durch das eben Be-
merkte die Wahl des Orts, sondern auch die des Zeitpunkts
durch die Erwägung sich erklären würde, dals es am
nächsten liegen mufste, den Messias, als einen andern Her-
cules am Scheidewege, beim Eintritt in das reife Alter und
in das messianische Amt eine solche Probe besteben zu lassen«
Was aber sollte der Messtat in der Wüste tbun ? Dafs
auch der «weite Retter, wie Moses, der erste, als er in
der Wüste auf dem Berge Sinai war (2. Mos. 34, 38.
5. Mos. 9, 9.), die heilige Aseese des Fastens über sich
genommen haben werde, lag um so nftber, als diefc die
angemessenste Einleitung au der ersten, sieh an den Hun-
ger knüpfenden Versuchung geben konnte. Durch das
Vorbild des Moses, au welchem hier noch das des Elias
(1. Kön. 19, 8.) kam, war auch die Zeitdauer dieses Fa-
stens in der Wüste bestimmt ; denn auch sie hatten 40 Ta-
ge gefastet; wie denn die Viersig auch sonst im hebrfii-
eohen Alterthum als heilige Zahl eine Rolle spielt f). Na-
mentlich scheinen die 40 Tage der Versuchung Jesu, nach
Olshauskn's richtiger Beobachtung, im verkleinerten Mafs-
atabe dasselbe au sein, was die 40 Prüfungsjahre des is-
raelitischen Volks in der Wüste, 'die ja selbst ein strafendes
JNachbild der 40 Tage waren, welche* die Kundschafter im
Lande Kanaan angebracht hatten (4. Mö*> 14, 34.)* Denn dals
7) Zixslbr, in Gablbr's n. theoL Journ., 6, S. 201$ Thbilb, zur
Biogr. J., $. 23.
«) s. Wbtixb», S. 270; d* Wim, Kritik der mos. Geschickte,
S. 245; Derselbe in Daub's und Crsvssa's Studien, 3, S. 245}
v. Bornnr, Genesis, S. LXUIf*
• 31*
484 Zweiter Abschnitt
i der Versuchung Jesu auf die Versuchungen) welche du
Volk in der Wüste an bestehen hatte, gana besondere Rfiek-
ataht genommen ist, neigt sohon der Omstand, dafs alle von
Satan gegenüber von Jesu angesogenen Scbriftstellen ani
der reeapitulirenden Schilderung des Zugs der Israeliten,
5, Mos. 6. u, 8.9 genommen sind« Auch der Apostel Pao-
lo« Bihlt 1. Kor. 10 , 6 ff. eine Reihe von Zügen aus den
Benehmen der Israeliten in der Wfiste, sammt den von
Gott dafür verhängten Strafgerichten, auf, und warnt die
Christen vor einem ähnlichen Betragen; indem , wie er
V. 0* und 11. sagt, jene Strafgerichte über die Alten als
wrtoi Ar die so seiner Zeit, in den %iXrj tcov aiiovo/v, Lc*
benden, verhängt worden «efen: wefs wegen, wer stehe,
nusehen möge , dafli er nicht falle. Schwerlich war diefi
blofs zufällige Privatmeinung des Apostels, sondern, wie.
überhaupt das Mosaische, so seheinen besonders diese har-
ten Prüfungen des von Moses geführten Volkes als Vorbil-
der derjenigen angesehen worden au sein, welche in der
durch den Messias herbeiaufährenden Katastrpphe seines
Anhängern, vor Allen aber ihrem Anführer, dem Messias
selbst, bevorstünden, der hier in sofern als Antitypus des
Volks erscheint, als er alle die Versuchungen, welchen
dieses erlegen war, siegreich bestehen sollte*
So war also die erste Versuchung des Meaaias dadorch
num Voraus bestimmt, dafs das Volk Israel in der Wüste
hauptsächlich durch Honger versucht worden war9); wie
denn unter den verschiedenen Versuchungen, welche die
Rabbinen von Abraham eu erzählen wissen, meistens auch
der Hunger mitaafgezäblt wird 10). Dafs der Satan die
Aufforderung an Jesum, die Befriedigung seines Bedürf-
nisses, statt sie vertrauensvoll von Gott an erwarten, auf
9) 5« Mos. 8, 3* (Fortsetzung des not« 6* Angeführten): *ai w«-
«axr/ Ot xal hkfiayxoi¥rfl4 ae 2. r. X.
10) 8. Fabhicius, Cod. pseudepigr. V. T. p. 398 ff.
Zweite» Kapitel 5-55, 4M
i
eigenmächtige Weise herbeizuführen, gerade so ausdruckt,
wie wir es bei den Evangelisten lesen, kann nioht Wun-
der nehmen , wenn man , neben der steinigen Oertlicbkejt
der Wüste, bedenkt, wie gewöhnlich für den Ersats ei»
nes ginalieh mangelnden Gegenstandes die Formel war, ihn
aus Steinen henroraubriogen (Matth. 8, 9, vgl« Lue. 19,
40.), and wie namentlich Stein und Brot einen. auch sonqt
geläafigen Gegensatz bilden (Matth. 7, 9.)- Was Jesus
auf diese Zornnthong erwiedert, ist ans demselben Zusam-
menhange, welchem der ganae erste Versncbnngsact nach-
gebildet scheint. Denn eben dos gibt hier Jeans dem Sa-
tan cur Antwort, was nach 5. Mos« 6, 3« das Volk Israel
daroh die Versnchnng des Hungers (die es aber sunfichat
nicht bestanden, sondern sich tum Murren hatte verleiten
lassen), doch nachtrSgtich hatte lernen müssen: namücb,
ort tt* in äqvqf non# Zqceiai 6 uvd-qamot; x. r. X.
Doch an £iner Versuchung war es nicht genug. ' Von
Abraham zählten die Rabbinen deren sehn; für eine dra-
matische Darstellung aber, wie wir sie in den Evangelien
haben, war diefs an viel, und unter den niedrigeren Zah-
len lag keine näher als die heilige Drei. Dreimal riis sich
im Seelenkampf in Gethsemane Jesus von seinen Jüngern
los (Matth. 26.); dreimal verläognete Petrus den Herrn
(ebend.), und dreimal stellte nachher Jesus dessen Liebe
sn ihm in Frage (Job, 31.); auch in jener rabbinisehell
Stelle, welche den Abraham durch den Teufel persönlich
versucht werden llfst, sind es drei Ginge, die er mit
ihm macht: eine Darstellung, welche auch durch die Art,
wie ihr erfolge zwischen beiden Theilen mit A. T.lichen
Steilen hin- und hergefochten wird, der evangelischen ver-
wandt ist "). Die «weite Versuchung (nach Matth.) war
11) Gemara Saab, meldet das oben not 3. Angeführte, wo daaa
das eolloquium zwischen Abraham and Satan ferner so lautet:
1. Smimas: Arno* t**tare te (Dmm) im laH r* oegre ft-
t -
486 Zweiter Absebnltt.
nicht ebenso durch 'den Zusammenhang mit dem Vorkämt
gangenen bestimmt, wie die erste; sie tritt daher abgebro-
chen auf, and die Auswahl derselben kann anfällig uad
willkürlich erscheinen. In Beeng auf die Form derselben
mag «lieft der Fall sein; aber ihr Inhalt steht dadurch mit
dem der vorhergehenden im genauen Zusammenhange, dab
auch er aus dem Benehmen des jüdischen Volks in der
Wüste genommen ist. Diesem war 5. Mos* 6, 16. die Er-
mahnung gegeben , Gott nicht mehr na versuchen, wie sie
Ihn bei Massa versucht hfitten; eine Ermahnung, wdebe
1. Kor. 10, 9. auch den Mitgliedern des neuen Bandet,
doch mehr mit Anspielung anf 4* Mos* 21 , 4 ff. und ait
rast Eeee erudiebas mukös — labantem erigebant verba tu
— guum nunc advenit ad te (Dens tautet te tentans) wem
aegre ferres (Job 4, 2—5.)?
Cui resp. Abraham t ego in tntegrttate mea ambulo (ft
96, 11.).
2 Satanas: Annan titnar tuus.9 spes tua (Job. 4, 6.)'
Abraham t reccrdare guaeso, gyfs est tusons, gut perierii
(V. 7.)f
3. Quare, guum vtderet Satanas, se nihil proficere, tut
Abrahamum sibi obedtre, dtxit ad tlhim: et ad me vertun
furtim ablatum est (V. 12.)* audivi — pecus futurum eise pro
holocausto (Gen. 22, 7.)> *on atttem Isaacum.
Cui resp. Abraham* Haee est poena mendacü, %t sttsm
cum vera loguitur, fufes ei nan habeatur.
Ich bin weit entfernt, sn behaupten, dass dleie rtbbini»
sehe Darstellung das Vorbild untrer Versuchungsgeacbicbt«
gewesen sei; wenn man dagegen von der andern Seite eben-
sowenig beweisen kann, diu dergleichen Darstellungen sieb
nur als Nachbilder 'der neutestamentlichen haben gestyltes
können : so weist die voraussetzt ich unabhängige Entstehung
so entsprechender Ersählungen bestimmt genug darau£fci*t
wie leicht sie aus den gegebenen Prämissen sich vpn selbst
bilden kennten.
Zweites Kapitel. $. 55. 48?
Beeng auf Qhristum , gegefttyi wird. Auch au dieser be-
sonders schweren Sünde also , welcher das alte Volk Got-
tes erlegen war, muhte der Messias gereist werden, um
durch seinen Sieg über diesen Reie die Uebertretung des
Volkes gleichsam got an machen. Nrn war aber bei dem
Volke cjas als ixT&iQa&tv Kvqiov bezeichnete Benehmen
durch einen Wassermangel veranlafst, und das Gott Ver-
suchen war ihr Murren. Oiefs schien der späteren Sage
jenem Ausdrucke nicht völlig au entsprechen; man sah
sieh nach etwas Angemessenerem um: und kaum konnte von
diesem Gesichtspunkt aus passender gewfthlt werden, als
wie wir es in unsrer Versuchungsgeschichte finden; denn
nichts kann in eigentlicherem Sinne Gott versucht heifsen,
als wenn auf so tollkühne Weise, wie der Satan in seiner
»weiten Aufforderung Jesu anmuthet, sein ausserordentli-
cher Beistand in Anspruch genommen wird» Was die
Veranlassung war, als Beispiel solcher Vermessenheit ge-
rade das Herabstürzen vom Tempel namhaft an machen,
das ist dem Satan selbst in den Mund gelegt. Es fiel n&m«
lieh dem Urheber dieses Zugs der Sage als mögliche Veiv
Abrang au einer tollkühnen Handlung die Stelle Ps. Ol,
ltf. ein» wo dem unter Jehova's Schutze Stehenden, als
weichen er vorzugsweise den Messias dachte, vörheifsen
ist , die Engel werden Ihn auf den Händen tragen , damit
er seinen Fufs an keinen Stein stöbe. Da das atottv sttI
%n{Hav um das nQogxoncreiv au vermeiden, auf ein Herab«
stürzen aus der Höhe au deuten schien , so konnte diefs
auf die Vorstellung führen, dafs der von Gott beschützte
Messias sich unversehrt von einer Höhe herabstürzen kön-
ne. Von welcher Höhe? darüber konnte bei dem Messias
nicht wohl ein Zweifel sein»' Dem Frommen , und somit
auch ihm, dem Haupt aller Frommen, ist es ja nach Ps«
15, 1 f. £4, 3 f. eigentümlich, auf Jehova's heiligen Berg
geben nnd an seiner geweihten Stalte stehen au dürfen:
die Höhe des Tempels konnte daher nach jener vermesse-
4$& Zweiter Abschnitt
nen Scblufsweise als diejenige angesehen wtrden, von wtl*
«her der Messias unverletst sich hinablassen könne.
Die dritte Versuchung, welche Jesus besteht , die zur
Teufelsanbetung, seheint nntffr den Versuchungen des al-
ten Volks Gottes nicht vorankommen. Als eine der ge*
9
fährlichsten Verführungen , welchen die Israeliten in der
Wüste unterlegen waren, komm{ aber die cur Abgötterei
vor, und auch. der Apostel Paulus, 1. Kor« 10, 7., führt
sie unter den Vorbildern für die Christen auf. Diese Ver-
' suchung wird nicht nur in einer oben angeführten Stel-
le 12) dem Teufel als unmittelbarem Urheber sugeschrie-
ben; sondern es war in der späteren jüdischen Vorstel-
lung Abgötterei geradezu zur Teufelsanbetung geworden
(Baruch 4, 7. 1. Kor. 10, 20.). Wie sollte nun der Mes-
sias nur Anbetung des Teufels versucht werden? Hier
reichten sieh die Vorstellungen vom Messias als demjeni-
gen , welcher als König des jüdischen Volks sugleich siun
Herrn der übrigen bestimmt war, und vom Satan, als dem
durch dea Messias an besiegenden Beherrscher der Hei-
den well n), <li© Hände. Die Weltherrschaft , welche der
Messias nach der ohristianisfarten Vorstellung der Zeit durch
lange, cum Theil leiden volle Mühe su erringen hatte, bot
ihm der Satan leiohten Kaufes an, wenn er ihm den Zoll
der Anbetung bringen wollte. Dieser Versuchung begeg-
net Jesus so, dafs er die Maxime, Gott allein au dienen,
welohe den Israeliten 5. Mos. 6, 13. mit Besag auf ihres
Fehltritt eingeschärft worden war, dem Satan entgegen-
hält, und ihm damit sugleich den Abschied gibt.
Was hierauf Matthäus und Markus als Schlafs der
Versuchungsgesohichte haben, dafs Engel su Jesu getre-
ten seien , und ihn nach dem langen Fasten und der Ar-
12) Anmerkung 1.
Ji) Bkrtuoldt, Christolog. Judaeorum Jesu «etat*, $. 86« not f«
«ad 2f Fjutzschs, Conun. in Matth. S. 169 f.
Zweites KapiteL f. SS. 48»
bei! der Versuchungen nie Nahrungsmitteln erqulokt hsw
ben : ist tbeils durch den Engel vorgebildet, welcher nach
1. Kön. 19, 5. 6. dem Elia« vor, wie nun dem Metsiaa
nach dem 40tägigen Fasten Speise gebracht hatte: theils
wurde ja auch das Manna, welches den Hunger des Volke
in der Wflste stillte , aQios ayyilcap genannt (Ps. 78, 25«
UUL vergl. Weisheit 16, 20.) ")•
14) Vergl. mit der gegebenen Darstellung die Im Ganzen über-
einstimmenden Ausführungen ron Schmidt, Fritzscbb, Utnai
an den $. 50. not. 1 — 3. angeführtes Orten, und Ton de Witts
exeg. Handb«, I, 1, 8. 41 fL
i
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«
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Drittes Kapitel.
-fjoca! und Chronologie des öffentlichen
Lebens Jesu.
w
8. 56.
Differens zwischen den Synoptikern und Johannes Über den
gewöhnlichen Schauplatz der Thätigkeit Jesu.
Den Synoptikern zufolge hatte der swar in dem ja-
dltischen Bethlehem geborene , aber in dem galilfiisehen
Nazaret aufgewachsene Jesus Galilfta nur auf die knrse
Zeit von seiner Taufe bis cur Gefangennehmung des Tio-
fers verlassen ; begab sieb aber nach dem letzteren Ereif
nits alsbald dahin zurück, und begann lehrend , heilend,
Jünger berufend, seine Wirksamkeit in der Art, dafs er
ganz Galiläa durchreiste, zum Behuf eines Mittelpunkts
•einer ThXtigkeit aber seinen bisherigen Wohnort Nasaret
mit Kapernaum , am nordwestlichen Ufer dea galilfiisehen
Sees, vertauschte (Matth. 4, 12—25. parall.). Von hier an
haben «war Markus und Lukas im Unterschiede von Mat-
thäus manches Eigentümliche, und das mit ihm Gemein-
same zum Theil in anderer Ordnung ; da sie jedoch in Be-
zug auf den geographischen Kreis, welchen sie Jesum be-
schreiben lassen, von Matthfius nioht abweichen: so ksnn
die Darstellung' dieses Letzteren hier unbedenklich sam
Grunde gelegt werden. Ihm zufolge gehen nun gaiiläische
und zum Theil bestimmt in Kapernaum vorgefallene Bege-
benheiten fort, bis 8, 18., wo Jesus über den galiiüischen
See setzt, aber, kaum am östlichem Ufer gelandet, wieder
Drittes Kapitel, f. 56. 4M
nach Kapernaum surftckkebrt (9, 1.). Hierauf eine Reihe
durch kurae Uebergänge, wie naoayon ixtt&ev (9, 9. 27.)»
tore ( V. 14.) 9 zccuta avva XalSnog (V . 18.) n. dergl. ver-
knüpfter Seenen, bei welchen an keine wesentliche Ort*
Veränderung, d. h. an keinen Wechsel der ProvfriB, der-
gleichen der Verfasser sonst weit sorgfältiger ansuaeigen
pflegt , gedacht werden kann; wie denn auch das: neqiij-
yev 6 Itjohs tag aoleig naaag — öiddaxwv eV tcug tfwapvn-
yalg avtw, 9, 35., offenbar nur eine Wiederholung ist
von dem; xcu fUQirjyev ohp vrp ralüiala* 6 *hjaSg diäaa-
ittav hß feig owaytoyalg ccvtdiv 4, 23. , also nnr von einem
Umherwandarn in Galiläa an verstehen. Die Botschaft des
Täufers (Kap. 11.) empfängt Jesus nach dem Sinne das Etf-
sählers wahrscheinlich gleichfalls in Galiläa, da er ja im
Znsammenhange mit derselben die Klage iber die galiläi-
achen Städte ausspricht; bei dem. Vortrage der Parabeln
(Kap» 13») ist er am Meere, ohne Zweifel am galiläisoheii,
und weil von seiner otxia* die Rede ist (V. 1.), wah*-
acheinlich in der Nähe von Kaperdaum. Nachdem er hier*
auf seine Vaterstadt Nacaret besucht hat (IS, 53. ff), fährt
er Q4, 13.) Aber den See, dem Lukas enfelge (9, 10.)
nach der Gegend von Bethsaida (Julias); von wo er aber,
nachdejn er die Speisung vorgenommen, alsbald "wieder an
das westliche Ufer sich aurttckbegibt (14, 34> Hierauf
*ieht sich Jesus in das nördlichste, Ende des jüdischen Lan-
des, an die phönicische Gränae hinauf (15, 21); bald aber
an den galiläischen See aurfickgekehrt (V. 29.), begibt er
sich zp Schifte an das östliche Ufer, in die Gegend von
Magdala (V. 39.) ; sieht sieh aber von hier wiederum nftrd*
lieh, in die Gegend von Cäaarea PhiJippi (16, 13.), in die
JNihe des Libanon, unter dessen Vorbergen wohl auch
der Verklärungsberg (17, 1.) au- suchen ist. Nachdem er
sofort mit seinen Jüngern noch einige Zeit in Galiläa um-
liergewandert war (17, 22.) , auch Kapernaum noch ein-
mal besucht hatte (V. 24.), verläßt er Galiläa (19, -!.)>
Zweiter Abschnitt.
am (der wahrscheinlichsten Erklärung infolge) l) durek
Peria nach Judäa zu reisen (eine Reise, welche er nach
Lac« 9, 52. durch Samarien gemacht zu haben scheint);
20, 17« ist er auf der Reise nach Jerusalem ; V. 29. kommt
er durch Jericho; 21, 1. befindet er sieh in der Nähe von
Jerasalem, wo er V. 10. einsieht.
Den Synoptikern zufolge kommt also Jesus von sei-
ner Rückkehr nach der Johannestaufe bis su setner lere*
ten .Reise nach Jerusalem über die Grinsen ron Nordpa-
lästina nicht hinaus, sondern sieht in den Landschaften
westlich und östlich Vom galiläischen See und von oberen
Jordan, in den Gebieten des Herodes Antipas und de^Phi-
lippus, umher, ohne Jemals südlich Samaria, noch weni-
ger Judäa, überhaupt nicht das unter unmittelbarer römi-
scher Verwaltung stehende Gebiet zu berühren. Und in-
nerhalb dieser Grinsen ist es näher wiederum das Land
westlich vom Jordan und vom See Tiberias, also Galiläa,
die Provinz des Antipas, in welche vorzugsweise die Wirk-
samkeit Jesu fällt, indem nur von drei kurzen Absteohem
auf das Östliche Ufer des Sees, und zwei, schwerlich län-
geren, an die nördlichen Grunzen des Landes, berichtet
wird.
Ganz anders wird der Schauplatz der Wirksamkeit
Jesu im vierten Evangelium angegeben. Auch hier »war
geht er, als er von Johannes getauft ist, nach Galiläa so
der Hochzeit zu Kann (2, *.) , und von dort nach Kaper-
naum (V. 12.) ; doch schon nach wenigen Tagen ruft ihn
das nahe Paschafest nach Jerusalem (V. 13.)« Von Jeru-
salem begibt er sich in die Landschaft Judäa (S, 22.)) ten
wo er nach längerer Wirksamkeit (4, 1.) durch Samarien
nach Galiläa surüokkahrt (Y. 430« Nachdem von hier nur
•Ine Wunderheilung berichtet ist, folgt sogleich wieder
I) Famseas, p. 591.
^
Drittes Kapitel. S 56. 4M
eine neue Festreife nach Jerusalem (5, 1«)» und aus dem
dortigen Aufenthalt werden eine Heilang, Verfolgungen
und' lungere Reden Jesu gemeldet; bis er (0, 1.) sich auf
das östliche Uferland des Sees Tiberias , und von hier nach
Kapernaum (V. 17. 59.) begibt: worauf er einige Zeit in
Galiläa umhersog (7, 1.}. Aber schon wieder reist er
von da sum Laubhfittenfeste nach Jerusalem (V. £• 10.) f
und aus seinem diesmaligen Aufenthalte daselbst werden
aas besonders viele Reden von ihm und Schwankungen
seiner Stellung mitgetheilt (7, 10—10, 21.), auch an den-
selben, ohne einer Wegreise aus Jerusalem und Judäa au
erwähnen, unmittelbar sein Auftreten bei dem Feste der
Tempelweihe angeknöpft (10, 22.)* Nach diesem sog sich
Jesus wieder in die Gegend von Peräa, wo er suerst mit
Johannes gewesen war, surflok (10, 40), und hielt sich
einige Zeit daselbst auf, bis ihn der Tod des Lazarus nach
Bethanien bei Jerusalem rief (11, 1. ff); von wo er sich,
nach Ephraim, in der Hübe der jadischen Wüste, surück«
s^og (V. 54.), bis das Paschafest sich nahte, welches Je-
ans sofort, als sein letstes, besuchte (12, 1. ff).
Nach Johannes war also Jesus vor seiner letzten Fest-
reise schon bei vier Festen in Jerusalem , und außerdem
Einmal in Bethanien gewesen, hatte ferner längere Zeit in
4er Landschaft Jndäa, und auf der Durchreise auch in
Samaria, gewirkt
Warum haben nun, mofs man fragen, die Synopti-
her diese üftere Anwesenheit Jesu in Jerusalem und Ju-
däa verschwiegen? warum die Sache so dargestellt, als
wäre Jesus vor seiner ^etsten, verhängnisvollen Reise nach .
Jerusalem1 nicht über Galiläa und Peräa hinausgekommen!
Lange Zeit freilich hat man in der Kirche diese Abwei-
chung der synoptischen Darstellung übersehen, und neuer-
lich dieselbe sogar längnen sn dürfen geglaubt. Allerdings,
bat man gesagt, verlege Matthäus gleich Anfangs die Sce-
ne nach Galiläa und Kapernaum, und ersähle fort, ohne,
494 Zweiter Abschnitt.
bis auf die letzte, einer Reise nach Jqdäa zu gedenken:
allein darauf dürfe man nicht schließen , Matthäus wisse
nichts von einer froheren judäischen Thätigkeit Jesu; denn
da bei diesem Evangelisten das locale Interesee hinter den
•
Streben nach einer Sachordnung gänzlich zurücktrete, so
könne man nicht wissen , ob nicht Manches, was er in
den früheren Theilen seiner Schrift ohne Ortsangabe er*
zähle, vielleicht ihm. selber wohl bewufst, nur von ihm
nicht erwähnt, bei den früheren judäischen Reisen und
Aufenthalten vorgefallen sei *)• Allein dieses angebliche
Zurücktreten des localen Interesses bei Matthäus ist, wie
man neuestene gründlich nachgewiesen hat *), nichts wei-
ter als elfte harmonistische Flction. Wenn Matthäus so
sorgfältig Kap. 4. den Anfang und Kap. 19. das Ende des
vorwiegend gaiiläischen Aufenthalts Jesu angibt: so mofs
doch wohl das dazwischen Erzählte, wenn nicht beson-
ders das Gegentheil bemerkt wird, als in Galiläa vorge-
fallen betrachtet werden ; da er es alsbald bemerklich macht,
wenn Jesus nur auf kurze Zeit über den gaiiläischen Set
hinüberfuhr, oder einen Zug nach der Nordgränze des
Landes -unternahm : so wird er doch nicht die bedeutende-
*
ren Reisen nach Judäa und die cum Theil längeren Auf-
enthalte daselbst mit Stillschweigen übergangen haben ,
wenn er etwas von denselben wufste oder wissen wollte«
Nur soviel ist zuzugeben , dafs die speoiellsten Localitäts-
angaben, die Bezeichnungen der Orte und Ortsgebiete, in
welchen Jesus wirkte, bei Matthäus nicht selten vernach-
lässigt sich finden; in dem Allgemeineren der Ortsbestim-
mungen hingegen, in der Angabe der palästinischen Lan-
destheile und Provinzen, innerhalb deren Jesus wirksam
war, will er so genau sein, als irgend ein Anderer.
2) Olshadsbn, bibl. Comm., l, S. 189 f.
3) Schnichkhbua*kr, Beiträge, S. 38 f • y über den Ursprung u. s. £
S. 7 f .
Drittel Kapitel. $. 56. 495
Man wird sich daher bequemen müssen, in diesem
Stücke eine Abweiohnng «wischen den Synoptikern und
Johannes einsurfiumen *); wobei dann, wer die Evangelien
harmonisiren zu müssen glaubt, en verhüten suchen mufs,
dafs die Differenz nicht 'cum Widerspruche werde ; was
nur dadurch geschehen kann, dafs man versucht , jene Ab-
weichung nicht aus einer verschiedenen Ansicht der Evan-
gelisten von dem Aufenthalt Jesu, sondern, bei Voraus-
setzung der gleichen Ansicht, aus verschiedener Absicht
sn erklären. Da nehmen nun die Einen an, dem Matthäus
als Oalilfier sei das GalilJEisohe das Nächste gewesen, und
defswegen habe er, obwohl aueh der jerusalemischen Wirk-
samkeit Jesu • kundig , doch nur auf . die Darstellung von
jenem sich beschränkt *). Allein welcher Biograph, der,
unerachtet er seinen Helden selbst in verschiedene Provin-
zen begleitet, und ihn in denselben hatte wirken gesehen,
doeh nur das von ihm erzählte, was er gerade in seiner,
des Biographen, Heimath verrichtet hatte! Schwerlich ist
eine solche provincieile Bornirtheit jemals vorgekommen.
Daher haben Andere die Annahme vorgezogen, dafs Mat-
thäus, zu Jerusalem schreibend, aus der ihm vollständig
bekannten Masse der Reden und Thaten Jesu vornehmlich
nur die galiläischen herausgehoben habe , weil das in dem '
entfernteren Galiläa Geschehene zu Jerusalem weniger be-
kannt war, und also eher erzählt zu werden brauchte, als
das, was, in und bei Jerusalem vorgegangen, allen da-
selbst Wohnenden noch in frischer Erinnerung stand *)•
Doch hiegegen ist bereits von Andern 1) bemerkt worden,
wie unerwiesen die specielle Bestimmung des Matthäus»
4) db Wim, Einleitung in das N. T., $. 98 u. 106.
5) Paulus, exeg. Handb., 1, a, S. 39.
6) Gubrikb, Beiträge zur Einleitung in das N. T., S. 33 ; Tho
luck, Glaubwürdigkeit, S. 305.
7) Schhbckbkburmr, über den Ursprung u. «. w., S. 9.
• <•
496 Zweiter Abschnitt.
evangeliums fttr jud&ische und jerusalemische Christen sei;
dafs aber, diese selbst vorausgesetzt, doeb eine genaue
Hinweisung auch auf das in der Heimath der Leser Ge»
sehehene keineswegs fiberfltissig hätte erscheinen können;
und dafs endlich (was auch gegen den vorletaten Erkli-
rungs versuch gilt) die gleiche Beschränkung Jesu auf 6a*
liläa bei Markus und Lukas sich hieraus nicht erkläre*
lasse, da ja diese augenscheinlich nicht blofs ffir Judas
schrieben (noch auch, nach jener Erklärung, Galiiäer wa-
ren), und eu Matthäus nioht in solchem Abhängigkeit* Ver»
hältnifs standen , dafs sie nicht im Stande gewesen waren,
Aber die von diesem gesogene Gräneeduroh eigentümliche
Nachrichten hinauszugehen. Das Schönste aber ist, dab
diese ewei Arten, den Widerspruch «wischen Johannes
und den Synoptikern cu lösen, sich selbst gegenseitig durch
Widerspruch auflösen. Denn wenn nach der einen An-
nahme Matthäus wegen der Mähe, nach der andern we-
gen der Entfernung von dem jud&ischen Schauplätze das
auf diesem Vorgefallene soll verschwiegen haben: so selgt
die Erscheinung, dafs man cur Erklärung eines und des-
selben Umstände gleich gut swei entgegengesetzte Hypothe-
sen machen kann, dafs beide sich gleich schlecht das*
eignen.
Wenn hienach derjenige Versuch, die bezeichnete Dif-
.ferens au lösen, welcher blofs auf die örtlichen Verhält-
nisse der Verfasser Rücksicht nimmt, nicht ausreicht: so
mub höher hinaufgestiegen, und auch Geist und Zweck
der evangelischen Sehriften in Rechnung genommen wer-
den. Von diesem Standpunkt aus hat man den Sata auf-
gestellt; dasselbe, was den Unterschied im Gehalte «wi-
schen dem jobanneisohen Evangelium und den synoptischen
begründe, liege auch ihrer Abweichung in Hinaicht auf
den Umfang cum Grunde ; d. h. weil die jerusalemischen
Reden Jesu, welche uns Johannes berichtet, um verstan-
den au werden , eine höhere Entwicklung des Christen-
Drittes KapiteL $.56. 497
tbums, aU sie in der ersten apostolischen Zeit gegeben
war, erfordert haben, so sei drfs frühere Jeuusalemische
aas der ursprünglichen. Evangelientradition, als deren Or-
gane die Synoptiker schrieben , aasgeschlossen geblieben,
und erst von dem später schreibenden Jobannes eu einer
Zeit, in weicher jene Entwicklung schon zum Theil vor
•ich gegangen war, nachgeholt worden *)• Allein auch
dieser Lösungsversuch reicht nicht aus. Denn wie sollte
doch das Populäre und das Esoterische in den Vorträgen
Jesu so eigen sich vertheilt haben, dafs jenes durchaas
nur nach Galiläa, dieses, mit alleiniger Ausnahme der har-
ten Rede in der Synagoge ca Kapernaam, ausschließlich
nach Jerusalem gefallen wäre? Man könnte sagen: in Je-
rusalem hatte er ein gebildeteres Publicum vor sich als in
Galiläa, das ihn eher fassen konnte. Allein übler konn-
ten ihn unmöglich die Galiläer mifsverstehen, als ihn nach
Johannes Berichte die Judäer durchaus mifs verstanden ;
und da in Galiläa Jesus am ungestörtesten mit seinen Jün-
gern zusammen war, sollte man eben hier den Sita seines
tieferen Unterrichts vermathen. Ueberdiefs, da aus dem
lotsten jerusalemischen Aufenthalte Jesn die Synoptiker
eine reiche Lese allgemein verständlicher Reden desselben
eu geben wissen : so können die früheren nicht gau* leer
von dergleichen gewesen sein; es müfsten denn die Untef»
baltungen Jesu bei den früheren Festaufenthalten sieh
durchaus höher gehalten haben, als die während des letz-
ten, wovon sich schlechterdings kein Grund denken lä ist.
Doch, auch angenommen, deft alle früheren judäischen
und jerusalemischen Reden Jesu für die Zwecke der er-
sten apostolischen Ueberlieferang cu hoch gewesen wären:
8) Kern, über den Ursprung des Evang. Matthai, in der Tübin-
ger Zeitschrift, 1854, 2tes Heft, S. 198 ff. Vergl. Hue, Ein-
leit. in d. N. T., 2, S. 205 ff. (5te Ausg.).
Das Lebern Jesu Ite Aufl. L Band. 32
408 Zweiter Abschnitt.
so gnb es ja auch Thaten von dort cu ersfthlen, wie tis
Heilung deg 3Sjtihrigen Kranken, des Blindgeborenen, die
Auferweckung des Lazarus: welche durch die Wichtigkeil,
die sie von jeher ftr die Verkündigung des Christenthoou
hatten, fast nttthigen mnfsten, der frfihefen judffisches
Aufenthalte Jesu, in welche sie fielen, Erwähnung so thun.
Auf keine Weise also Iffftt es sich erklXren. wie die
Synoptiker, wenn sie von früheren Reisen Jesu nach Je-
rusalem wufsten, dieselben nicht erwähnt haben sollten,
und man mufs sagen: hat Johannes Recht, so wissen die
drei ersten Evangelisten von einem wesentlichen Theile der
froheren Wirksamkeit Jesu nichts; haben aber diese Recht,
so hat der Verfasser des vierten Evangeliums, oder, wenn
er einer 8age folgte, diese, einen grofsen Theil des von
ihm ersfihlten Wirkens Jesu wenigstens in eine falsche
* Localitfit verlegt
Näher angesehen indefs verhalten sich Johannes md
die Synoptiker nicht blofs so, dafs diese etwas nicht wfib-
ten, was jener berichtet; sondern ihr Verhfiltnifs ist der
Art, dafs sie von positiv entgegengesetzten Annahmen aus-
gehen. Wie nänilich die Synoptiker und besonders Mat-
thäus, so oft Jesus, seit er sich einmal nach des Tiefere
Verhaftung dort ansässig gemacht hatte, Galiläa verllbt,
selten versäumen, einen besondern Grund davon ansage-
ben ; sei es , dafs er dem Volksandrange durch eine Ueber-
fahrt über den See habe entgehen wollen (Matth. 8, 18.),
oder vor den Nachstellungen des Herodes in die jenseitige
Wüste sioh eorückgeeogen habe (14, 13.), oder dafs er
wegen des Anstofses, welchen die Schriftgelehrten an sei-
nen Reden genommen , in die Gegend ton Tyrus und Si*
don entwichen sei (15, 21.): ^o finden wir umgekehrt bei
Johannes gewöhnlich einen besonderen Grund dafür ange-
geben, dafs Jesus Jodtia verlflfst, und sich nach GaliU*
zurücksieht. Will man auch nicht behaupten, dafs gleich
' Heine erste Reise dahin nach der Taufe nur durch die Ein-
i
Drittes Kapitel. $. 56. 499
ladung nach Kana motivlrt erscheine: so Ist doch davon,
dafc Jesus naoh dem ersten Pascha, das er seit seinem öf-
fentlichen Auftritt in Jerusalem zugebracht, wieder nach
Galiläa geht, als Grand ausdrücklich die gefährliche Auf-
merksamkeit angegeben, welche die wachsende Zahl seiner
Anhänger bei den Pharisäern erregt hatte (4, l.ff.); auch
dafa er 4icb nach, dem zweiten von ihm besuchten Feste in
die Gegend östlich vom See Tiberia* zurückzieht (6, l.)j
mufs wohl ebenso zu dem i'Qrjv&v avtov oi ^Isdaioi aTCOxcet-
vat (5, 18.) in Beeng gesetzt werden, als gleich darauf
fflr Jesu Wandel in Galiläa der Grund angegeben wird,
da(s ihm der Aufenthalt in Judäa wegen der Nachstellun-
gen seiner Feinde lebensgefährlich gewesen (7, 1.). Zwi-
schen dem folgenden Laubhütten- und dem Enkjtnienfeste
(10, 22.) scheint es, wie wenn Jesus, weil diefsmal keine
ungünstigen Umstände ihn zur Entfernung nöthigten, die
dazwischenliegenden Monate in der Hauptstadt geblieben
wäre *) ; ohnehin stellen sich die Zöge nach Peräa (10, 40.)
und Ephraim (11, 54.) als solche dar, su welchen Jesus
nur durch die Rücksicht auf die Verfolgungen seiner Fein«
de genöthigt gewesen.
Gans dasselbe Verhältnils also, welches in Beeng auf
den ursprünglichen «Wohnort der Eitern Jesu zwischen
Matthäus und Lukas stattfand, haben wir hier in Betreff
des eigentlichen Schauplatzes der Wirksamkeit Jesu «wi-
schen den drei ersten Evangelisten und dem vierten. Wie
nämlich dort Matthäus x Bethlehem als den ursprünglichen
Wohnsitz voraussetzte, Nazaret aber nur als den darcn
safällige Umstände herbeigeführten ; Lukas umgekehrt: so
ruht hier die ganze Darstellung der Synoptiker auf der
Ansicht, dafs Galiläa das eigentümliche Gebiet der Thä-
tigkeit Jesu vor seiner letzten Reise gewesen sei , welches
9) So Tbolock, Comm. zum Evtng. Job., S. 207 (Ste Aufl.).
32*
*.—
ß
1
509 Zweiter Abschnitt.
er nur aas besondern Ursachen bisweilen auf kurze Zeit
verlassen habe ; die des Johannes aber umgekehrt auf der
Voraussetzung, eigentlich hätte Jesus immer inJudäa and
Jerusalem wirken mögen, wenn ihm nicht die Vorsieht
bisweilen gerathen hätte, sich in die entlegeneren Provin-
zen zurückzuziehen 10).
Kann von diesen entgegenstehenden Voraussetzungen
nur Eine die richtige sein : so hat man , wie man früher
unbewölkt den Johannes in die Synoptiker hineinlas, so
nun seit der Erkenntnifs des Widerspruchs swiscben bei-
den Theilen immer nur zu Gunsten des vierten Evangeli-
sten entschieden; die neueren Kritiker suhlen es geradeso
unter den ßedenkliohkeiten gegen die Aechtheit ,des M*>
thäusevangeliums auf, dafs es die Wirksamkeit Jesu fälsch«
lieh , auf Galiläa einschränke "), und so stark ist diese Ge-
wohnheit, dafs selbst der Verfasser der Probabilien jene Diffe-
renz nicht zum Nachtheil des vierten Evangeliums geltend ge-
macht hat Soll diese Entscheidung gegründet sein, so meft
sie auf sorgfältiger Erwägung der Frage ruhen, welche von
beiden unvereinbaren Ersählungen durch AuCsere Grflnde
mehr gestiftet und nach inneren Gründen die wahrschein-
lichere sei? Hier steht es nun mit den äufseren Gründen,
welche in den Zeugnissen für die Aechtheit der beidersei-
tigen Evangelien , und «war auf Seiten der Synoptiker na-
mentlich des Matthäusevangeliums, besteben, der Einlei-
tung zufolge ziemlich gleich: d. h. sie entscheiden beider-
seits nicht, sondern Oberlassen den inneren Gründen die
Entscheidung. In Beeng auf diese aber kommen zwei Fra-
gen in Betracht;, zunächst die: ist es wahrscheinlicher,
dafs, unerachtet Jesus .wirklich schon vor seiner letsteo
t
10) Vgl. Lückb, a. a. O. S. 546.
11) bk Wurm, Einleitung in das N. T., §. 98; Crbdner, Einl-,
1, S. 96; Schnückbkburgkk, über den Ursprung u. s. i'.; S. 7>
Beitrage u. s. f.y S. 38 ff.
Drittel Kapitel. §. 56. 501
Reise öfters ig Jerusalem und JudXa gewesen war, doch
in der Zeit und Gegend, wo die synoptischen Evangelien
entstandet*, jede Kunde davon sieh verloren ; oder dafs um-
gekehrt, ohne dafs Jesus vor seiner lotsten Reise jemals
in öffentlicher Wirksamkeit nach «fudfia gekommen war,"
doch an dem Ort und bis zu der Zeit der Abfassung des
vierten Evangeliums die Sage von mehreren solchen Rei-
sen sich gebildet hatte? v
Dafs der erste Fall leicht möglich gewesen, diefs su<<
eben die genannten Kritiker auf folgende Weise darsuthun.
Das erste Evangelium, sagen sie 12), und mehr oder Weni-
ger auch die zwei mittleren, enthalten die Tradition über
das Leben Jesu, wie sie sich in Galiläa gebildet hatte;
hier aber hatte sich vorwiegend nur die Kunde von dem,
was von Jesu eben in dieser Provinz gethan und geredet
worden war, erhalten; von dem Aubergalilftischen hinge«*
gen war nur das Wichtigste, die Geburt, Einweihung und
namentlich die lotete Reise Jesu , auf welcher sein Tod
erfolgte, bekannt geworden; das Uebrige aber, so nament-
lich die früheren Festreisen, entweder unbekannt geblie-
ben, oder frühzeitig wieder in Vergessenheit gerathen: so
dafs, was etwa auch von einzelnen Notizen aus einem
oder dem andern früheren Festaufenthalte Jesu verlautete,
weil man nur von Einem solchen, dem letzten, wufste, in
diesen verlegt wurde.
Allein ebenderselbe Johannes, auf welchen diese
Theologen sonst Alles bauen, meldet ausdrücklich von den
Galil&ern (4, 45.), dafs auch sie auf dem ersten Paschafe-
ste, welches Jesus nach seiner Taufe besuchte (und also
wohl auch auf den übrigen) , gewesen seien , und zwar in
Masse, wie es scheint, da ja in Folge dessen, dafs die
12) Schjibcxbmbua&br, Beiträge, S. 39 i. Vgl. Gable»'» Abband
lung über die Wiederbelebung des Lazarus , in seinem Jour-
nal lür auserlesene tiieol. Literatur, 5, 2.
SM Zweiter Abschnitt
in Jerusalem seine Tbaten gesehen hatten, Jet»
eine günstige Aufnahme in Galiläa- fand. Nimmt man noch
dam, dafs die meisten J Anger Jesu, die ihn auf den fie-
beren Festreden begleiteten (s. s. B. Joh. 4, 22. 9, &),
Galiläer waren: so ist es undenkbar, dafs nicht von An-
fang an Nachrichten ober die frühere Wirksamkeit Jem
in Jerusalem nach Galiläa gekommen sein sollten. Einmal
dahin gekommen aber konnten- sie vielleicht mit der Zeit
wieder erlöschen? Allerdings bat die Tradition eine ver-
schwemmende , assimiHrende Kraft : da die lotste Reife Je«
an nach Jerusalem besonders merkwürdig war, io kons*
ten die früheren allmählig mit dieser ansammenfliefien.
Aber einen anderen Trieb hat die Sage auch, und der ist
ihr stärkster: nämlich su verherrlichen. Nun könnte man
freilich sagen: cur Verherrlichung der Provins, in wel-
0 • eher die synoptische Ueberlieferung entstand, diente et,
' ; die frühere Wirksamkeit Jesu gans in die (fransen Gali-
x läa's einsusehliefsen. Allein, nicht Galiläa wollte die syn«
- . optische Sage verherrlichen, über welches sich vielmehr
f sehr harte Urtheile in derselben finden sondern Jason
' verherrlicht sie: und dieser steht um so g 'ifeer da, (e we-
■ niger er sich von jeher in dem galiläischen angulu* terrae
* verkrochen, je öfter er sich auf dem glänzenden Schan-
platse der Hauptstadt, besonders wenn diese von Zuschauers
und Zuhörern aus allen Gegenden so sahireich wie um die
Festseiten besucht war, hatte seilen lassen. Wenn daher
auch geschichtlich nur Eine jerusaiemische Reise Jesu statt-
gefunden hätte, so konnte doch die Sage versucht sein,
nach und nach deren mehrere su machen, indem sie für
sieh von dem Schlüsse ausging: wie wird ein so grofees
Lieht ale Jeeps war, mo lange unter dem Scheffel gestan-
den, und nicht frühzeitig und oft sich auf den erhabenen
Leuchter gestellt haben (Matth. 5, 15.), welchen ihm Je*
rusalem darbot? in Besag auf die Gegner aber glaubte man
£inwfirfen, wie schon die ungläubigen acfctyoi Y^c/ö Job.
Drittes Kapitel. §. 56. 903
7, 8* 4. sie machten, dals, wer etwas Rechtes leisten eu
können sich ^ewufst sei, sich nicht verstecke, sondern die
Oeffentlichkeit suche , um sich Anerkennung so verschaf-
fen, nicht besser begegnen eu können, als durch die Wen-
dung, dals Jesus allerdings auch früher schon jene Oeffent-
lichkeit gesucht, und sich Anerkennung in weiteren Krei-
sen erworben habe; woraus sieh dann leicht allmihlig die
Vorstellung bflden konnte, wie sie jebt im vierten Evan-
gelium cum Grande liegt, dafij nicht Galiläa, sondern Ju-
däa der eigentliche Aufenthalt Jesu gewesen sei.
Wenn sieh auf diese Weise, die Sache vom Stand-*
punkte möglicher Sagenbilddng aus betrachtet, die Wage
auf die Seite der Synoptiker neigt; so fragt sich, ob das
Ergebnits dasselbe bleibt, wenn bu den Verhältnissen und
Absichten Jesu hinaufgestiegen, und von diesem Gesichts-
punkt aus zweitens gefragt wird, ob. es wahrscheinlicher
sei, dals Jesus während seines öffentlichen Lebens mehr-
mals oder nur Einmal in Judäa und Jerusalem gewesen sei'l
Hier nun ist swar die Bedenklichkeit, dafs mit den
mehreren Festreisen auch ein Hauptmoment nur Erklärung
der Bildung Jesu wegfiele? nicht schwer au heben. Denn
theils reicht, die Bildung Jesu su erklären, auch die An-
nahme von mehreren Festreisen nicht aus, und da auf die
innere Begabung doch das Hauptgewicht gelegt werden
mnfs, könnten wir immer nicht wissen, ob einem Geiste,
wie der seinige war, nicht auch Galiläa genug Bildung**
mittel darbot; theils würden ja? wenn wir den Synopti-
kern folgen, nur diejenigen Festreisen wegfallen, welche
Jesus nach seinem öffentlichen Auftritte gemacht haben
soll: so dals er früher, ohne noch eine Rolle eu spielen,
Öfters auf den Festen gegenwärtig gewesen sein könnte.
Wollte man aber selbst das nicht begreiflich finden, wie
Jesus nach seinem öffentlichen Auftritte sich so lange auf
Galiläa habe beschränken mögen , statt auf den durch hö-
here Bildung und greisere Frequenz weit geeigneteren Bo-
I '
904 Zweiter Abschnitt
den ^udäa's and Jerusalems sieh sä begeben : so ist et Jt
(fingst anerkannt, wie in dem von Priesterherrschaft und
Pharisäerthum weniger abhängigen Galiläa mit seinen ein-
fachen und kräftigen Naturen Jesus leichter Eingang fin-
den, und daher Ursache haben konnte, erst nachdem er
hier durch längere Wirksamkeit einen festen Grund ge-
legt, sich auch nach Jerusalem su wenden, wo er, als im
Mittelpunkte des priesterlichen und pharisäischen Regi-
ments, auf stärkeren Widerstand rechnen mufste«
Bedenklicher wird die Sache, wenn man die Darstel-
lung der Synoptiker im Verhältnifs zum mosaischen Os-
sete und sur jüdischen Sitte betrachtet. Bei der strengen
Vorschrift des Gesetees , dafs jeder Israelität jährlich an
den drei Hauptfesten vor Jehova erscheinen solle (2. Mos.
23, 14. ff), und bei Jesu Ehrfurcht ' vor den mosaischen
Einrichtungen (Matth. 5, 17. ff.), läfst es sich nicht ohne
Schwierigkeit denken , dafs er während der ganzen Zeit
seiner öffentlichen Wirksamkeit nur Eine Festreise sollte
unternommen haben 18). Indefs, das Matthäasevaogeliun,
welches diese Darstellung gibt, wir mögen von Zeit und
Ort seiner Abfassung urtheilen, wie wir wollen, ist jeden-
falls in einem judenchristlichen Gebiet entstanden, wo
man , was das GesetB von einem frommen Israeliten for-
derte, gar wohl wufste, also auch ein Bewufstsein daron
haben mufste, in welchen Widerspruch gegen das Gesets
man Jesum verwickelte, wenn man aus seiner mehrjähri-
gen* öffentlichen Wirksamkeit nur Einen Festbesuefa mel-
dete, oder (falls die Synoptiker nur ein einjähriges Wir-
ken Jesu voraussetzen sollten, wovon unten) wenn man
ihn aufser dem Pascha die beiden andern Jahresfeste, ver-
säumen liefs. Fand also ein der jodischen Sitte noeh so
nahe stehender Kreis an der Annahme nichts Anstöfsiges,
dafs Jesus während seiner öffentlichen Wirksamkeit alle
13) Vgl. Hve, Einleit. in das N. T., 2, S. 2 10.
Drittes KnpiteL f. 56. 505
Fette bis auf Blues übergangen habe s so fragt efe sich , ob
diese Auctorität nicht auch ans das Bedenken in dieser
Sache benehmen sollte? and Wenigstens Ein in die Perio-
de seines Öffentlichen Lebens gefallenes Pascha hat er auch
nach der johanneisehen Darstellung nicht besacht (Job. 6, 4.).
Der für die Synoptiker ungünstigste Punkt aber ist
nun, dafs ee unerklärlich scheint, wie Jesus bei seinem
lotsten Aufenthalt in Jerusalem während der- kurzen Dauer
i
der Festtage sich mit der regierenden Partei der Haupt-
stadt so entschieden habe verfeinden können-, dafs sie sei*
ne Gefangennehmung und Hinrichtung veranstaltete, wenn
man die Angabe des Johannes zaröokweist, dafs sich diese
Feindschaft schon bei früherer öfteren Anwesenheit Jesu
in Jerusalem angesponnen und allmählich ausgebildet ha-
be "). Wollte man sich hier darauf berufen , dafs sieh
theils auch in galiläiscben Synagogen ansfifsige Schriftge-
lehrte und PharisKer fanden (Matth. 0, 3. 12, 14.), theils
solche, die in der Hauptstadt wohnten, die Provinzen au
durchreisen pflegten (Matth. 15, l.)> dafs also ein hierar*
cbischer Verband vorhanden war, vermöge dessen man
Jesu in Jerusalem längst den Tod geschworen haben konn-
te, ehe er einmal öffentlich wirkend dahingekommen war:
so findet sich bei den Synoptikern selbst eine Stelle, wo
sie, gegen ihre eigene Voraussetzung, Jesum auf eine öf-
tere Anwesenheit in Jerusalem hinweisen lassen« Die Worte
nämlich: %qsaakrj(.ii 'isQuoalrjfi, — noodxig ^d-kXtjüa im-
owa^ai Ttt rixva ob — xal sx Tfi-sX^accve , haben bei Lu-
kas, der sie Jesu in den Mund legt, ehe er während sei«
Der öffentlichen Wirksamkeit Jerusalem auch nur gesehen
hatte (13, 34 ), gar keinen Sinn, und auch nach der bes-
seren Anordnung des Matthäus (23, 37.) ist nicht abzuse-
hen, wie Jesus nach einem einzigen Aufenthalte von we-
nigen Tagen auf häufige Versuche , die Bewohner Jerusa-
14) Hve, a. a. 0. S. 211 f.
508 Zweiter Abschnitt
i
die vornehmsten Jünger läfst das johanneische Evangeliäa
nicht, wie die Synoptiker, ans Kapernanm , sondern theih
ans Kana (21, 2.), theils ans Bethsaida sein (1, 45.). Der
letztere Ort übrigens wird neben Chorazin auch von den
Synoptikern als ein solcher erwähnt, an welchem Jesus
vorzugsweise wirksam gewesen ( Matth, 11 , 41. Lac
10, 13.).
Wie es gekommen sei, dafs Jeens gerade Kapernanm
zum Mittelpunkte seines galüäischen Aufenthalts machte*
davon gibt Markus gar keine Rechenschaft , sondern lifst
Ihn nach seiner Rückkehr nach Galiläa und der Berufung
der Figcherpaare ohne Weiteres dahin kommen (1, 21.).
Matthäus (4, IS ff.) gibt als Gm od an, dafs eine A. T.liche
Weissagung (Jes. 8, 23. 0, 1.) dadurch habe erfüllt wer-
den müssen ; ein dogmatischer Grund , der in historischer
Beziehung nichts begründet. Lukas glaubt den Grood in
etwas Anderem gefunden zu haben, das sich weit eher
hören läfst. Nach ihm nämlich nimmt Jesus nicht so-
gleich naeh seiner Rückkehr von der Taufe in Kapernami
seinen Aufenthalt , sondern macht zuerst in Nazaret einen
Versuch , nach dessen Fehlsehlagen er sich erst nach Ka-
pejnaum wendet. Mit gröfster Anschaulichkeit wird ans
berichtet, wie Jesus am Sabbat in der Synagoge zu Na*
zaret aufgetreten sei , und* eine Prophetenstelle auf eine
Weise ausgelegt habe, welche allgemeine Bewunderung sei-
nes Vortrags, aber ebensobald auch hämische Rückblicke
auf seine beschränkten Familienverhältnisse hervorrief. Je-
sus hierauf habe die* Unzufriedenheit der Nazaretaner dar-
über, dafo er nicht auch bei ihnen wie in Kapernaum Wun-
der thue, auf die Geringschätzung, die jeder Prophet eben
in seiner Heimath am meisten zu erfahren habe, zurück-
geführt, und ihnen in A. T.liohen Beispielen gedroht, dafs
die göttlichen Wohlthaten ihnen entzogen und Auswärti-
gen werden zugewendet werden. Hierüber ergrimmt , ha-
ben sie ihn an den Abhang des Bergs hinausgeführt, um
Dritte« Kapitel. §• 57. §09
ihn hinabzustürzen : er aber sei unverletzt durch ihre Rei-
hen hindurchgegangen (4,- 16 — 50.)*
Von einem Besuche Jesu in Nazaret wissen auch die
beiden andern Synoptiker; aber sie versetzen ihn in eine
viel spätere Zeit: als Jesus schon längst in Galiläa ge-
wirkt, und namentlich schon lange sich in Kapernaum an-
sfifsig gemacht hatte (Matth. 13, 54 ff. Marc. 6, 1 ff). Beide
Vorginge • pflegte man sonst *) in das Verhäjtnifs zu stei-
len , dafc Jesus , unerachtet er das erste Mal so Abel auf-
genommen forden war, wie Lukas erzählt, doch später
noch einmal habe einen Versuch machen wollen, ob nicht
seine längere Abwesenheit und seither erworbener Rahm
das kleinstädtische Urtheii der Nazaretaner gebessert habe;
was aber nicbt der Fall gewesen sei. Allein die beiden
Scenen sehen - sich doch gar zu ähnlich, um sich leicht
auseinanderhalten zu lassen. Beidemale macht das. Lehren
Jesu in der Synagqge, welches Lukas nur näher beschreibt,
denselben Eindruck: dafs die Nazaretaner eine solche
Weisheit an dem Sohne des Zimmermanns Joseph nicht
begreifen können ; beidemale läfst es Jesus an Wundern
fehlen, wovon bei den zwei ersten Evangelisten mehr die
Ursache, nämlich der Unglaube der Nazaretaner, bei dem
dritten mehr die ungünstige Wirkung auf dieselben , her»
vorgehoben wird; beidemale endlich spricht Jesus die Er-
fahrung aus, dafs der Prophet in der eigenen Hehnath am
wenigsten geschätzt werde; woran er bei Lukas noch wei-
tere Reden Knüpft, weiche die Nazaretaner zum Versuch
eines Gewaltstreichs reizen, dessen die beiden andern Re-
ferenten nicht gedenken. Entscheidender aber ist das An-
dere, dafs keine von beiden Erzählungen die andre vor
sich dulden will, sondern jede den Anspruch macht, den
ersten Vorfall dieser Art zu betreffen; indem sich in bei-
den die erste Befremdung der Landsleute Jesu über seine
1) So noch Paulus | exeg. Handb., 1, b, S. 403.
512 Zweiter Abschnitt
vertrautesten Jünger dort zo Hause waren, theils der
gröfsere Verkehr des Orts etwas dazu beigetragen bat'>
Was die beiderseitige Schilderung der Seene betrifft,
so hat die Ausführlichkeit der von Lukas gelieferten ge-
genüber dem Summarischen derjenigen, welche die beides
andern Evangelisten geben, gewöhnlich das, Urtbeil sur
Folge, dafs jene die genauere und richtigere sei8). Tre-
ten wir näher, so zeigt sich die gröfsere Ausführlichkeit
der Erzählung des Lukas zuerst darin , dafs er sieb nicht
begnügt, nur im Allgemeinen eines von Jesu in der Syna-
goge gehaltenen Vortrags gu gedenkqn; sondern auch die
A. T.liche Stelle angibt , über welche er gesprochen , und
den Anfang der Anwendung, die er von derselben gemad t
habe. Die Stelle ist aus Jes. 61, 1. 2., wo der Prophet
die Rückkehr aus dem Exil ankündigt; nur die Worte:
mw^ttkai zeS-QavOfihög iv dqieoei sind aus Jes. 58, 6. eis*
geschoben* Dieser Stelle gibt nun Jesus eine messiamsche
Deutung, indem er sie durch seinen Auftritt für erfüllt
erklärt. Wie er gerade auf diesen Text gekommen, dar-
über hat man Verschiedenes gemuthmafst. Da man weift)
dafs bei den spätem Juden für die einfeinen Sabbate sad
Feste, bestimmte Abschnitte aus der Thorah und den Pro*
pheten «um Vorlesen in den Synagogen bestimmt waren:
so vermuthete man, für den damaligen Sabbat oder Fest-
tag sei eben jener Abschnitt aus Jesaias festgesetzt gewe-
sen. Und zwar, da die Perikope, aus welcher die Worts
aTfogelkai x. %. L genommen sind, am groben Versöhnung«-
feste gelesen zu werden pflegte: so hat Bengel zn einen
Grundpfeiler seiner evangelischen Chronologie die Voran*
setznng gemaeht, dafs die vorliegende Begebenheit am Ver-
söhnungstage vor sich gegangen sei9). Allein, wenn Je-
7) Vergl. Thkils, sur Biographie Jesu, $. 21$ Neaädis, L. J-
Chr., S. 386.
8) SCHLBIKBVACIUR, 8. 65 f.
9) Ordo tempQrum, S. 220 ff.
%
Drittes Kapitel. §. 57. 513
cos an diesem Feste die ordentliche Vorlesung hielt, so
durfte er «ms der Ar dasselbe bestimmten Perikope nicht
bloft ein paar verlorene Worte einfliefsen lassen, und den
gröberen Theil der Leotion aps einer gsns andern Stelle
nehmen ; überhaupt aber ist nicht erweislich , dafs schon
na Jesu Zeit beftinunte Lesestficke auch aus den Prophe*
ten vorgeschrieben gewesen seien 10). War also Jesus
nicht durch diese äufsere Veranlassung auf die bezeichnetet
Stelle hingewiesen, so fragt sich: schlug er sie absieht*
lieh oder unabsichtlich auf ? Manche" freilich lassen ihn
so lange blättern, bis er die Stelle, welche er im Sinne
hatte, findet11): allein ülshaüsbn hat wohl Recht, wenn
er sagt, das ccvamvgag to ßißllav bvqb roV %6nov deute
nieht auf ein reflectirend absichtliches, sondern auf ein
vom Geiste geleitetes Finden jener Stelle hin. Wenn nun
swar das anfällige Aufschlagen einer für die Situation
passenden Stelle oft genug vorkommt; oder auch angenom-
men werden könnte, das absichtliche Suchen Jesu sei, nm
die Sache bedeutungsvoller sn machen, in der Ersählang
weggeblieben ; fiberdiefs sehr glaublich ist, dafs Jesus diese
Stelle mit Beeng auf sich selber su gebrauchen pfleg-
te: so schwebte sie doch ebenso den Evangelisten als
in Jesu erfüllt vor; und wie Matthäus sie vielleicht in
seiner eignen Person durch Iva TitytModyj eingeführt, und
gesagt hätte, Jesus habe nunmehr sein messianisches x/j
(nrytua begonnen, auf dafs die Weissagung Jes. 6L 1 ff. er-
'füllet wflrde: so tiefte sich denken, dafs Lukas, der diese
-Eormel weniger liebt, oder die Tradition, aus welcher er
schöpfte , jene Stelle Jesu selbst bei seinem ersten messia-
nisehen Auftritt in den Mund gelegt hätte; so dafs es da-
hin gestellt bleiben moJs, welcher von beiden Berichten
der treuere ist.
10) Vgl. Paulus, a. a. O. 1, b, S. 407.
11) Paulus, a. a. O., aber auch Lichtvoot, horae, S. 765*
Da* Leben Jesu ZteAufl* I.Band, 83
514 Zweiter Abscümit.
Das Andere, worin der Yorsog der Schilderung des
Lukas in Hinsieht der Ausführlichkeit bestehen soll, dai
anschauliche Gemfilde der tninultuarischen Schiufssoene,
haben selbst diejenigen , welche im' Gänsen seiner Kraih«
Inng den Vorsug geben , doch nicht gans surechtsolegeo
gewußt. Denn wenn auch die Ankündigung der Am-
sohliefsung Nasarets von Jesu heilsamer Wirksamkeit wt
den A. TJiehen Parallelen erbitternd genng war , um die
Nasarener su einem Mordversuch an Jean reisen so kön-
nen l2) : so Ist doeh aofort das duldwv dia /nias avtüii
moQeveto (V. 30.) ©in Zug, der sich, wenigstens nach des
ErsJthlers Absieht, nicht mit Hasb durch den blofseo Herr-
scherblick Jesu erklären läfst; sondern anch hier behält
Olshausbn Recht, wenn er sagt, der Absicht des Schrift-
stellers nach aolle ausgesprochen sein, Jesus sei defswegen
ungekr&nkt mitten durch seine wfitbenden Feinde hindurch-
gegangen , weil seine göttliche Kraft Sinn und Glieder der-
selben gebunden hielt, weil seine Stunde noch nicht gekom-
men war (Joh.8, 20.), und weil Niemand sein Leben voa
ihm nehmen konnte, bis er selbst es hingab (Job. 10, 1&>
Nur um so weniger aber wird man auch in diesem Zöge
das verherrlichende Bestreben der Sage verkennen, ver-
möge dessen sie Jesum als einen solchen darsustellen lieb«
te, von welchem, wie von einem Lot (l.Mos. 19, 11») und
Klisa (% Kon. 6, 18.) eine höhere Hand, oder besser seine
eigene Macht als höheren Wesens, die Feinde abwehrte,
wenn man anch nicht gerade, was schon Tertullian ver-
wehrt **), ein Müdere per taliginem, wie in jenen .bei-
den Fällen, annehmen wi(L Ob nun gleich auch hier, über
Absug des vrunderhaften Anstrichs, der Mordversuch unA
12) Gegen Mass, Leben Jesu, §. 62. und ScuLBitaMACUS», über
den Lukas, S. 63. vgl, um Wim, exeg. Handb., 1, 2, S. 56?
Nkavdbr, L. J. Chr., S. 415»
13) odv. Marcton. 4, 8«
Drittes Kapitel. §. 58. *|5
*
das Entkommen Jesu historisch sein könnte : f o mufs doch
die Sicherheit schwinden, mit welcher man den Bericht
des dritten Evangeliums dem der beiden ersten vorsiehe«
au dürfen glaubte ")•
$. 58.
Abweichungen der Evangelisten in Besag auf die Chronologie des
Lebens Jesu. Dauer seiner öffentlichen Wirksamkeit.
Was die Zeitrechnung des öffentlichen Lebens Jesu
betrifft, so mufs die Frage nach der Dauer desselben im
Gänsen von der andern nach der Vertheilung der ebisel
nen Begebenheiten innerhalb dieses Zeitraums unterschie-
den v/erden«
Wie lange die öffentliche Wirksamkeit Jesu gewährt
habe» wird von keinem unserer Evangelisten ausdrücklich
gesagt; docl}, während uns die Synoptiker auch Ar einen
Schlafs auf jene Dauer nichts an,die Hand geben , linden
wir bei Johannes einige Data , welche uns* su einem sol-
lten Schlüsse su berechtigen scheinen. Bei den Synopti-
kern ist keine Andeutung, wie lange nach Jesu Taufe
seine Gefangennehmung and Hinrichtung erfolgt sei: nir-
gends s$nd Monate und Jahre unterschieden , und wenn
es ein und das andremal heilst: peS? yfii(xxg e£ oder ovo
CMatth. 17, 1« 26, 2«), so können diese sinselnen festen
Punkte in der allgemeinen Unbestimmtheit, in welcher afe
sebwimtaen, durchaus keinen sichern Halt gewähren. Das
vierte Evangelium dagegen gibt uns eben durch jene Fest-
reisen Jesu, durch deren Mebrsahl es sich von den übri-
gen unterscheidet, sugleich chronologische Anhaltspunkte
an die Hand'; indem, so oft Jesus auf einem dieser jähri-
gen Feste und' namentlich auf dem Paschafest erschienen
ist, so viele volle Jahre seiner Wirksamkeit, nach Abzug
des ersten Festes, gerechnet werden dürfen« Wir haben
14) Vgl. os Wim, a. a. O
33
516 Zweiter Abschnitt.
im vierten Evangelium naeh der Taufe Jean eitert t ein res
ihm besuchtes Paschafest (2, 13), «wischen welchem nad
der Taufe nur kurze Zeit eu liegen scheint (rergl. 1, &
35. 44. 51, 1. 12.). Nun aber das nächste von Jesu be-
suchte Fest (5, 1.), welches nur unbestimmt als tOQrjj «5r
IndaLav bezeichnet ist, war von jeher die crux der N. T.-
*liohen Chronologen. Bedeutend ist es fflr die Bestimmong
der Dauer des öffentlichen Lebens Jesu nur, wenn et ein
Pascha ist; denn in diesem Falle wäre hier das erste Jahr
seiner Wirksamkeit eu Ende. Dafs nun durch rj lopnf
vwv isdalwv vorzugsweise das Paschafest bezeichnet wer-
den ktinne, glauben wir gerne; allein die besten Codieei
haben in unsrer Stelle keinen Artikel, und ohne dieses
kann jener Ausdruck nur unbestimmt irgend ein jüdisches
Fest bedeuten, das der Verfasser nicht namhaft maehes
will. Au sich könnte es also gleich gut Pfingsten, Purin,
•Pascha, oder ein anderes sein *)> doch im Sinne des Re-
ferenten ist wohl nicht an ein Paschafest ra denken, theib
weil er dieses gröfste Fest schwerlich so unbeeeiehnet ge-
lassen hätte, theils weil 6, 4. schon wieder ein Pasohafctt
kommt, und so nwisehen 5, 47. and 6, 1. ein ganses Jahr
mit 8tUlsohweigen fibergangen' sein mttfste *). Denn Aals
das tjv di iyyvg ro nia%a (6, 4 ) sieh rflokwfirts auf «ha
eben verflossene Fest besiehe, .ist doch eine su gewaltsame
Auskunft von Paulus, da, wie er selbst gesteht, dieselbe
Phrase bei Johannes sonst immer daa nahe bevorstehende
Fest bedeutet (2, 13. 7, 2. 11, 55 ), nnd auch ihrer Katar
naeh bedeuten mufs, wofern nicht aus dem Zusammenhang
das Gegentheil sich ergibt. Erst also Job. 6, 4. haben wir
das e weite Paschafest, von welchem Übrigens nicht gemel-
det wird, dafs Jesus es besucht hätte. Nachdem nun noch
1) Zusammenstellungen der verschiedenen Ansichten geben Hitf,
L. J., §. 53; Lücke, Gomm. z. Ev. Job., 2, 8. 2 ff.
2) S. Lücm und u Warn, z. d. St
Drittes Kapitel. $.58. 517
des Festes der Laubhütten und der Tempelweihe gedacht
Ist, wird 11, 55. 12, 1. das letzte Pascha aufgeführt, wel-
ches Jesus besuchte. So hätten also wir, nach unserer
Ansicht von «loh. 5, 1. und 6,4., für die öffentliche Wirk-
samkeit Jesu «wei Jahre, nebst demjenigen Zeitabschnitt,
welcher «wischen seiner Taufe und dem ersten von ihm
besuchten Pascha liegt 9). Auf dieselbe Rechnung kom-
men diejenigen, welche, wie Paulos, 5, 1. ein Pascha,
aber 6, 4. nur eine Röckweisung auf dieses sehen; woge-
gen die alte, kircheny&terliche Ansicht, welche in den an*
geführten beiden Stellen ewei verschiedene Paschafeste
fand, drei volle Jahre herausbrachte; Indeft durch jene
Rechnung bekommen wir nur das mimmtim der Dauer des
dffentlioben Wirkens Jesu nach Johannes : da weder dieser
irgendwo andeutet, dafs er gerade alle Feste, welche in
Jenen Zeitraum fielen, und namentlich auch die von Jean
nicht besuchten, namhaft machen wolle; noch wir, sofern
wir nicht den Apostel Johannes als den Verfasser des vies*
ien Evangelium* schon voraussetaen , eine Bürgschaft ha-
ben , dafs er von allen gewufst habe.
Wenn man nun nicht selten sagt, dieser Johanne!»
•eben Rechnung gegen Aber geben die Synoptiker' Veran-
lassung, die öffentliche Wirksamkeit Jesu auf Ein Jahr
su beschränken *): so beruht dlefs nur auf der Vorausse-
tzung, dafs Jesus alle Paschafeste habe besuchen müssen;
eine Annahme, welche durch die Darstellung des Johan-
ne« selbst , nach welcher Jesus das Paschafest 6, 4. unbe-
eucht gelassen, widerlegt wud. Denn hier ist nicht etwa
«ine von Jesus wirklich gemachte Reise vom Referenten
verschwiegen, sondern von 6, 1. an, wo Jesus auf der
Ostseite des Sees Tiberias ist , durch 6, 13. und 59. , wo
3) Vgl. Hasm, a. a, 0. ; Thsils, x. Biogr. J., §. JO; Neakdsr, L,
J. Chr., S. 380. 430 ff.
4) z. B. Wiasa, b. Realw., 1, S. 666.
518 Zweiter Abschnitt
er nach Kapernaum gebt, und 7, 1., wo er, om Judb
zu vermeiden, in Galiläa wandelt, bis 7, 3» und 10., wo
er cur Skenopegle naoh Jerusalem reist, hingt die Dar»
Stellung des Evangelisten so genau eusamtnen, dafa nir-
gends eine Paschareise eingeschoben werden bann. Au
den Synoptikern für sich wissen ^wir gar nicht, wie lang»
Jesus öffentlich gewirkt hat , und er könnte nach ibuss
ebensogut mehrere Jahre als blofs Eines thätig gewesen,
nur aber im letzten erst cum Paschafest gereist sein, frei-
lich sprachen schon eklige der ältesten Häretiker ') and
Kirchenväter 6) von einer blofs einjährigen Wirksamkeit
Jesu: allein, dafs nioht das Fehlen der früheren Festrei-
sen Jesu bei den Synoptikern, sondern etwas ganz Zufäl-
liges die Quelle dieser Ansicht war, geben jene Väter selbst
eu verstehen, indem sie sich für dieselbe auf die aneh
von Jesus Luc. 4« auf sich bezogene Prophetenstelle Je*
Ol, 1. f. berufen, wo von einem iviaivog KvqIh donros die
Kede ist, welchen der Prophet, oder nach der evangeli-
schen Deutung der Messias , su verkündigen gesendet stL
Indem sie diesen Ausdruck im strengen , chronologisches
Sinne verstanden, kamen sie auf ihre Annahme nur Eioes
Messlasjahrs; welche sie denn freilich mit den Synopti-
kern leichter vereinigen konnten, als mit Johannes, naeh
dessen Darstellung jene Rechnung bald genug in der Kir-
che berichtigt wurde.
In auffallendem Contraste mit diesem niedrigsten An
schlage der Zeit von Jesu öffentlichem Leben steht die
ebenfalls sehr alte Behauptung, dafs Jesus swar im draV
fsigsten Jahre getauft worden, aber bei seiner Kreusigong
5) Iren. adv. haer. 1, |, 5. 2, 35. 58. (ed. Grabe), von den Vi-
lentinianern. Ciem. honi. 17, 19. •
6) Clem. Alex. Stromat. 1, p. 174 Würsb. Ausg., 34oSyiburgi
ürig. de prineipp.« 4, 5, vgl. honuL in Luc. 32*
Drittel Kapitel. $.58. 519
nleht mehr weit von den Fünf eigen entfernt gewesen sei ').
Allein aach diese Annahme beruht nur aaf Milsverstsnd,
Die TtQeüßmeqoi ol xa%a vqv 'Aalav *lmcwri re7 ra KvqIh //er«
Orjtf^ ovfißeßfoptoieg , anf deren Zeugnifs, naQadedioxevai
renket roV ^Itaainnrp, sieh Irenins beruft , hatten ihm nur so
viel an die Hand gegeben, dafs Christus , aetatem senio~
rem haben* , gelehrt habe; daft diese aetas senior das AN
ter a quadragesimo et quinquagesimo anno sei, ist der ei-
gene Schlafs des Irenlus, darauf gegründet, dafs, was
Job. 8, 57. die Juden Jesu entgegenhalten: Ttevzrjxovva (rrt
&t(o ex*lS> *<*i jfßQaafi iwgaxag; füglich nur einem sol-
chen habe gesagt werden können, qui jam quadraghUa
anuos excessit, quinquagesimum autem annum nondttm at-
tiffit. Allein gar wohl konnten die Joden aueb uu einem
etlioh und Dreißigjährigen sagen, er sei viel so jung, um
Abraham gesehen cu haben, da er ja noch nicht einmal
das funfsigste Jahr erreicht , d. h. nach jüdischer Vorstel-
lung, das Mannesalter vollendet habe •).
8o wissen wir also aus ungern Evangelien nicht ge-
nau, wie lange Jesu öffentliches Wirken gedauert habe;
sondern können nur so viel sagen, dafs es, wenn wir dem
vierten Evangelium folgen, nicht unter swei Jahren und
etwas darüber anzuschlagen wäre»
Diesem mmimum gegenüber erhalten wir ein Maximum
fttr^die Dauer des Öffentlichen Lebens Jesu, wenn wir die
Angabe des Lukas S, 1 ff. und 23. so verstehen, dafs die
Taufe Jesu in das funfsehnte Jahr des Tiberius gefallen
sei, und wenn wir, darauf fufeend, das andere Datum
dasu nehmen, dafs Jesus noch unter der Procuratur des
Pontius Pilatus hingerichtet worden ist 9). Da nämlieh
Pilatus im Todesjahre des Tiberins von seinem Posten ab-
7) Iren. adv. haeres. 2, 22, 5 f. Vgl. die Bemerkung Cmdxsh1«,
EinL, 1, S. 215.
8) LiSHrrooT und Tholucx z> d. St.
4U) Auch von Tacitus bezeugt, Ann. 15, 44«
520 Zweiter Abschnitt.
berufen wurde t0) ; Tiberiue aber nach jenem fünfzehnten
Jahr noch etwas über sieben Jahre regierte ")• so wäreo
sieben Jahre das maximum für die Wirksamkeit Jesa osch
seiner Taafe 12).
$. 59.
Die Versuche einer chronologischen Anordnung der einzelnen
Begebenheiten des öffentlichen Lebens Jesu,
Um die einzelnen Begebenheiten, welche in den Zeit-
raum von der Taufe Jesu bis zur Leidensgeschichte fallen»
10) Joseph. Antiq, 1$, 4, 2.
11) Sueton. Tiber, c. 73. Joseph. Antiq. 18, 6, 10.
12) WennTüOLUCK in Bezug auf das Obige behauptet, „es werde
von mir die Entdeckung vorgetragen, dass nach Lukas sieben
Lehrjahre (Jesu) herauskommen; ich stelle nämlich die Sache
so dar , als ob Lukas wirklich Jesu Tod in das siebente Jthr
seiner Wirksamkeit fallen Hesse" (S. 205 f.) : so fet dies* eine
elende Chicane. Setzt denn, wer in irgend einer Sache von eisen
tmaximum spricht , dieses Maass als das wirkliche und nickt
vielmehr als das bloss mögliche? Und wo sage ich, dass Loht
(und warum denn JLukas ? von diesem ausschliesslich ist bion
in Bezug auf den von ihm allein bestimmten Anfangspunkt
der öffentlichen Wirksamkeit Jesu die Rede; ihr Ende wird
von allen unter Pilatus gesetzt) — wo sage ich, dass die Evan-
gellsten den Tod Jesu in das letzte Jahr des -Pilatus fallen
lassen ? Nur so viel ist gesagt, und anwiderlegt ; sofern we*
der aus Johannes bestimmt erhelle , dass das ^Lehramt Jesu
nicht über 2 — 3 Jahre gedauert habe , noch irgend ein Evan-
gelist angebe, im wievielten Jahre des Pilatus Jesus hingerich-
tet worden sei : so könnte diese, äussersten Falls , wohl sack
erst im letzten Jahre geschehen sein. Und auf eine so flüchtig
gelesene und so grob missverstandene Stelle seines Gegners
hin scheut sich Tholuck nicht, von einem „böslichen Spiele*,
zu sprechen, auf welches derselbe es abgesehen zu haben
scheine ! — Auf ähnlich unverantwortliche Weise la'sst Osnxnia
(S. 151.) mich die Bestimmung deaJMatthäusevangeliums für pa-
lästinensische Christen läugnen : da ich S. 495 f. nur be-
zweifelt hatte, dass dasselbe speciell für judäische und Je-
rusalem! sehe Christen , und nicht ebenso für galiläi-
sehe, sollte bestimmt gewesen sein.
Drittes Kapitel. $. 59. SSI
chronologisch gegeneinander sn stellen, ist vermöge des ,
eigenthlimliohen Verhältnisses der Synoptiker zum Johan-
nes eine Betrachtung theils jedes dieser T heile für sich,
theils beider in Beziehung auf einander erforderlich.
Was das Letztere betrifft, so mfifsten, wenn eine
Ausgleichung möglich sein sollte , die johanneischen Fest-
reisen die Fächer abgeben, in welche der von den Synop-
tikern gelieferte Stoff in der Art einzutragen wäre, dal«
jedessaal zwischen zwei jener Reisen und die jerusaleml-
sehen Ereignisse, welche sich an sie anschließen, eine
Partie der galiläischen Begebenheiten fiele. Sollte diese
Einordnung mit einiger Sicherheit zu Stande gebracht wcb-
den können, so müfste zweierlei stattfinden: einmal von
Seiten der drei ersten Evangelisten, dafs sie, so oft bei
dem vierten von einem Festaufenthalte die. Rede ist, eine
Abreise Jesu aus Galiläa anzeigten ; dann von Seiten des
Johannes, dafs er dieselben galiläischen Begebenheiten,
welche die Synoptiker in Einem Zuge berichten, zwischen
die verschiedenen Feste hinein vertheilt erzählte oder an-
deutete. Allein jene Anzeigen von Seiten der Synoptiker
finden sich nach dem Obigen gar nicht \ Johannes aber
trifft bekanntlich zwischen der Taufe Jesu und den lots-
ten Ereignissen seines Lebens nur in zwei bis drei Erzäh-
lungen mit den übrigen Evangelisten zusammen. — Da«
Stiop rjv ßeßXr^ikvog elg xrp yvlaxrjv 6 lo)awrtq (Job. 3, 24),
woraus man zu achliefsen pflegt, Matthäus, welcher (4, 12.)
Jesum erst nach des Täufers Verhaftung nach Galiläa zu-
rflekkehren läfst, melde nicht die Rückkehr von der Tau-
fe, sondern vom ersten Paschafeste ')> ***> d* Matthäus un-
verkennbar den Anfang der Wirksamkeit Jesu nach Galiläa
verlegt, folglich eine frohere Wirksamkeit auf dem Feste
au Jerusalem nicht voraussetzt, weit entfernt, einen chrono-
logischen Vereinigungspunkt der synoptischen Berichte mit
1) Vcrgi. Paulus, Lebca Jesu, 1, a, S. 2 14 f.
S2S Zweiter Abschnitt
\
dem Johanneisehen an die Hand zd geben, vielmehr ein Be-
weis ihrer völligen Unvereinbarkeit. — Das nächste, aber von
den Meisten bezweifelte Zusammentreffen findet bei der Hei-
lung des Sobns eines ßaadixog nach Job. 4, 46 ff., oder des
Knechts eines hcatonaqxog Mattb. 8, 5 ff. Lac 7, 1 £ statt,
welche Johannes anmittelbar (V. 47.) nach der Zurück-
kauft Jesu von seinem lungeren Aufenthalt in Judas and
Samarien bei und nach dem ersten Paschafeste- setzt. Nun
mfifste also unmittelbar vor der entsprechenden Ersfthlong
bei den Synoptikern eine Andeutung der ersten Festrefae
Jesu sich finden* Aber nicht einmal eine Spalte für die
mögliche Einfügung dieser Reise findet man, da den Synopti-
kern zufolge jene Heilung vor sich geht, nachdem Jsras
«ben die Bergrede gehalten, welche, namentlich nach Mat-
thäus, mit dem übrigens auch Lukas zusammenstimmt, der
Höhepunkt einer, so viel man sehen kann, ununterbroche-
nen, galiläischen Wirksamkeit Jesu ist So läfst sich, ehe
an diesem Punkte der Chronologie der drei. ersten E?*n-
gelisten durch die des vierten nicht aufhelfen, indem sfrh
nirgends eine Fuge zeigt, an welcher die Darstellung dei
Letzteren in die der Erstehen eingreifen könnte. — Bin
anderes entschiedeneres Zusammentreffen des Johannes mit
den Synoptikern findet sich in den aneinanderhängenden
Erzählungen von der Speisung und dem Wandeln auf de«
Meere, Job. 6, 1—21. Matth. 14, 14—36. parallel., welche
Johannes (6, 4.) in die Zeit unmittelbar vor dem zweiten,
von Jesus nicht besuchten, Pascha verlegt. Aber hier sind
vollends die Anfangs- und Endpunkte der Erzählung auf
beiden Seiten so verschieden, dafs man sagen mufs: der
«ine oder der andere Theil hat sie in falsche Verbindung
gestellt. Denn während Jesus nach Matthäus von Mass-
ret, in jedem Falle von Galiläa ans, auf das jenseitige
Ufer sich zurückzieht , wo sofort die Speisung erfolgt:
kommt er nach Johannes von Jerusalem und Judäa her;
und während er bei den beiden ersten Evangelisten nach
Dritte« KaplteL {. 59. SU
der Speisung fn eine Gegend , wo er minder bekennt war
(et wirtl ja Matth. V. 34. Marc. V. 54. ausdrücklich* her-
ausgehoben^ dafs die Leute ihn erkannt haben), sich -be-
gibt: geht er naeh Johannes gerade in die ihm vertrauteste
Stadt , nach Kapernaum. Wenn wir so nicht wissen, ob
nicht das genannte Ereignifs bei den Synoptikern oder bei
Johannes zu früh oder so spftt «gesetzt ist : so können wir
•ach nicht absehen , wie viele von den synoptischen Er-
elihlnngen vor, und wie viele naeh dem mit Jener Spei-
sung zusammentreffenden zweiten Pascha zu setzen sind.
Damit sind .nun aber die Berührungspunkte aus der Zeit
vor der lotsten Reise Jesu su Ende, und wenn diese so
wenig, sicher sind, dafs sie eine Vertheilung des synopti-
schen Stoffs auch nur durch die beiden Paschafeste ver-
gebens versprechen: wie kann man hoffen, durch die Ret-9
aen Jesu auf die eoqrcrj %wv Yöda/wv, auf die Skenopegie,
und, wenn diefs eine besondere Reise ist, auf die finkanien,
den ununterbrochenen Flufs der galiläischen Erzählungen
in den drei ersten Evangelien chronologisch abtheilen zu
können ? wie diefs bis auf die neueste Zeit eine Reibe
Ton Theologen mit einem Aufwände von Scharfsinn und
Gelehrsamkeit versucht hat, der eines fruchtbareren Stoffes
würdig gewesen wäre2). Mit Recht haben daher unbe-
fangene Forscher sich dahin entschieden, da die Erzählung
der drei ersten Evangelien zu wenig darbiete , was bei
einer solchen Einordnung einigermafsen sicher leiten könnte:
bo habe keine der bisherigen Evangelienharmonien einen
Anspruch, für mehr als ein Gewebe historischer Conjectu-
reri gehalten zu werden8).
2) b. besonders die Leistungen von Pauiv* in den chronologi-
schen. Excnrsen seines Commentars und exegetischen Hand-
Buchs; von Hu* in der Einleit. x. N. T., 2, S. 2, 233 ft; und
Anderen, welche Wursn nachweist, ini bibl. Realwörter]». , 1,
S. 667.
3) Wtmn/s. a. O. ; Luc«, Cenum. i. Job., !, 8. 536} vgt Kai-
SM Zweiler Abschnitt.
Was nun die chronologische Würdigung der Synopti-
ker Abgesehen Von Johannes betrifft, so weichen sie in der
Anordnung der Begebenheiten so oft von einander ab, and
so wenig behält Einer die Wahrscheinlichkeit durchs«
auf seiner Seite, dafs auf jeden von ihnen eine Zahl chro-
nologischer Verstösse kommt, welche seine Verläßlichkeit
in diesem Stücke untergraben mofs. üeberdiefs, wenn
man ihre ganse Darstellungsweise ansieht, so ist an der
Behauptung, sie haben bei Abfassung ihrer Bacher an
keine bestimmte Zeitordnung gedacht*), wenigstens so viel
wahr, daüs ihre Erzählungen Aber den Zeitraum von der
Taufe Jesu bis nur Leidensgeschichte allerdings einem
Aggregate von Anekdoten *) ähnlich sehen, welches meistern
nur nach Rücksichten der Analogie und Ideesmssoebuea
'gemacht ist ; wobei man fedoch wohl, unterscheiden msb,
dafs «war wir dem Inhalte des Erafihlten snfolge diefs
einsehen , und ans den unbestimmten und eintönigen Ver*
bindungsformeln , welche sie gebrauchen, achliefsen kön-
nen, data ihnen die Einsicht in das genauere chronologi-
sche Verhftltnib des von ihnen Erzählten abgegangen sei:
dabei aber aus dem , wenn auch noch so unbestunaiten,
•br , biblische Theologie , 1 , S. 254. Anm. ; die Abhandlung
über die verschiedenen Rücksichten u. s. w. , in BerthoiWi
krit. Journal, 5, S. 239. Auch Olskavshv, bibl. Comm,, 1,
S. 25 f.) stimmt überein.
4) Olsbausbh, bibl. Comm», 1, S. 22 ff.
5) Unerachtet des vielfachen Anstosses , den man an dieser von
Lsssnie entlehnten Bezeichnung für Bestandteile der evange-
lischen Erzählungen genommen, muss ich sie doch beibehal-
ten , bis man mir eine angemessenere zeigt für einzelne Gs«
schichten , die , jede ihre eigentümliche Pointe in sich tri-
gend, von Mund zu Mundo gehen. Nur diese Form und Art
der Fortpflanzung ist durch jenen Ausdruck bestimmt; der
Inhalt kann ebensowohl der höchste als der niedrigste sein.
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Dritte« Kapitel. $. 50. 525
doch Immerhin chronologischen Charakter der meisten« jener
Oebergangsformeln (wie xazaß&vzi ano t§ öQsg, naQayaw
ixei&BVy ravra avvS IcASvtoq, iv ccvrfj vjj y(j£(Hf, rote, xal
ids u. s* f.) abnehmen müssen, dafs die Verfasser sich
geschmeichelt haben, eine chronologische Erzählung sn
geben6).
Johannes freilich unterliegt in Bezug auf die Chro-
nologie seiner gröTstentheils eigentümlichen Ersähinngen
weder einer solchen Controle anderer Berichte, wie die
Synoptiker untereinander, noch auch fehlt es an Zusam-
menhang und Fortschritt in seiner Darstellung; wir ban-
nen daher seine Anordnung nur so beurtheilen, dafc wir
fragen: ist der Entwicklungsgang und Fortschritt der Sa-
che und des Planes Jesu, wie ihn das vierte Evangelium
gibt, ein in sich und bei Vergleichung brauchbarer Data
uns den übrigen Evangelien glaubwürdiger? worauf die
Antwort erst in der folgenden Untersuchung sich erge-
ben kann«
6) ScntscinxiiUfttBR'« Beiträge, S.25 ft; »» Wbtts, exeg. Handb.,
J, 1, S. 2: „Es scheint, data die Sachverbindang zuweilen
entweder gleich in der ersten , oder in der zweiten Hand in
die anschauliche nach Zeit- und Örtt ^ Einheit umgeacala*
gen ist. "
Viertes Kapitel.
Jesus als Messias *).
- §• 60.
Indem wir von dem Verhfiltnifs handeln, in welches
sieh Jesus Nr messianisehen Idee gesetzt hat, können wir
dasjenige, was er in dieser Beziehung von seiner Person
aassagte, von demjenigen unterscheiden, was er Aber dsi
von ihm unternommene Werk gelufsert hat»
Der gewöhnlichste Ausdruck , durch welchen Jen*
den Evangelien zufolge seine eigene Person beseichnet,
ist der Ausdruck o viog t5 avO-Qüiust Das sunlebst ent*
sprechende hebräische DIK'J^ ist im A. T. eine gana allge-
n^eine Beaeichnung des Menschen Oberhaupt: und so könnte
man es auch im Munde Jesu verstehen wollen. Diefi
ginge in einigen Stellen an; z.B. wenn Jesus Matth.14,8.
sagt! xvqios yctQ sei tö aaßßars 6 vlog %5 av&Qi'ms, w
könnte man diefs an und für sich schicklich mit Grotius
gans allgemein so fassen , dafs der Mensch Herr Aber den
Sabbat sei; besonders wenn man den Markus vergleicht,
bei welchem (2, 27.) der Sats vorherging: zo odßßaiw
dia %w Svd-Qcmw iysvero, 8% 6 avO-Qomog dia to odßßazw.
Allein die meisten übrigen Stellen lauten auf einen be-
stimmten Menschen. So, wenn Jesus Matth. S, 20. den so
seiner Nachfolge sich anbietenden yQaftfiarevg9 um ihm die
*) Was sieh speciell auf die Idee des leidenden, sterbenden und
wiederkommenden Messias bezieht, bleibt hier ausgeschlossen
und der Leidensgeschichte vorbehalten.
Viertes KapiteL fc. öo. M!I
V
Beschwerlichkeiten zu bedenken zu geben, welche mit der-
selben verbanden seien, darauf aufmerksam macht, dafs
o viotf %h <x><>iHt>hs «* s%uy tch T7Jv xeqxxlrjv xüvrji so mala
er hier einen bestimmten Menschen gemeint haben, und
«war denjenigen, an dessen Begleitung der Schriftgeiehrte
sieh erbot : d. h. sich selbst Wie diefs in dem Ausdrucke
liegen könne, hat man so erklärt, dafs Jesus, nach der
morgenländisehen Art , das Ich eh vermeiden , sich in der
dritten Person, als diesen Menschen hier, bezeichne1).
Allein sich selbst in der dritten Person bezeichnen kann
man doch, sofern man verstanden sein will, nur so, dafs
entweder die Bezeichnung eine bestimmte ist, und auf kei-
nen der Anwesenden anfser dem Redenden pafst: wie
wenn der Vater, der König, von sich in dieser Weise
spricht; oder, wenn die Bezeichnung an sich anbestimmt
ist, so muA ihr durch ein demonstratives Pronomen nach-
geholfen werden: wie namentlich, wenn einer unter der
eJlerallgeineinsten Personalbezeichnung: Mensch, von sich
selber reden .will, ein solches unerläßlich ist. So viel
etwa mag noch zogegeben werden, dafs, ein und das an-
dere Mal statt eines hinweisenden Wortes auch eine bin-
neigende Gebärde genügen kann; dafs aber Jesus so un-
endlich oft, als er Jenes Ausdrucks sich bediente, es je-
desmal auf das Deuten sollte haben ankommen lassen, und
dafs namentlich die Erzähler, in deren Berichten die An-
schauung des Deutens wegfiel, der Unbestimmtheit des
Ausdrucks nicht durch einen demonstrativen Beisatz ab-
geholfen haben sollten,' ist undenkbar. Fanden diefs bei*
4* Tbeile Überflüssig , so mofo die nähere Bestimmung irt
dem Ausdrucke selbst schon gelegen haben. Hier sind nun
JSinige der Meinung, Jesus wolle sich durch denselben
als den Menschen im edelsten Sinne des Wortes, als den
1) Paulus, exeg. Handb. 1, b. S. 465 J Fritzschi, in Mtitth.
p. 320.
5S8 Zweiler Abschnitt.
Idealen Menschen , bezeichnen *) ; allein von einer solchen
Bedeutung des Ausdrucks zur Zeit Jesu fehlt übrigens Je-
de Spur *), und weit eher liefse sich die umgekehrte, ei-
nes niedrigen, verachteten Mensehen, darin nachweisen:
welche daher Manche auch für die Mehrzahl der Steilen,
in welchen Jesus sich so nennt, vorausgesetzt haben *).
Abgesehen davon, dafs auch hier ein hinzugesetztes De-
monstrativem vermifst wird, würde, diese Bedeutung «wir
für manche Stellen, wie Matth. 8, 20. Job« 1, 52., sieh
eignen:, in Stellen dagegen, wie Job. ,3, 13«, wo das
avaßeßyxevai eig %6v öqccvov, 5, 27. , wo die xqIgiq als Vor-
recht des vtog tö dvd'(xa7ZQ dargestellt ist , wird vielmehr
ein Wesen von hoher Würde vorausgesetzt; so wie Matth«
10, 23. die den ausgesendeten Jüngern gegebene Versiehe*
rang , ehe sie in sfimmtiiehen israelitischen Städten her
mngereist sein würden,, werde des Menschen Sohn ken-
nen , nur dann Gewicht hatte , wenn durch diesen Auf-
druck eine bedeutende Person bezeichnet war« Welche
Würde und Bedeutung aber Jene Worte anzeigten, dar»
über gibt die Vergleichung von Matth. 16, 28- Aufsohlift,
wo gleichfalls von einem eQxeo&cci des Menschensohoi,
aber mit dem Beisatz: iv %f[ ßaöddy ctvt5, die Rede ist;
ein Beisatz, der nur das messianische Reich, also dar
uog %h dv&Qwnö nnr den Messias, bedeuten kann.
Inwiefern nun aber ein so unbestimmt klingender Auf-
druck gerade den Messias bezeichnen könne, ist a«
Matth« 26, 64. parall. zu ersehen. Hier ist von einem
Kommen des Menschensohns inl rtov vetpehSv r§ a(mi
die Rede; mit unverkennbarer Beziehung auf Dan. 7,1$ f>
wo es, nachdem von dem Untergang der vier Thlere ge-
handelt war, heifst: ich sah in nächtlichen Gesichten,
3) So nach Headxr z. B. HtfiTXR, im Immanuel, S. 265.
3) Vgl. Lücke, Comm. zum Joh. 1, S. 397 f.
4) s. B. Grotius.
Viertes Kapitel. $. 60. 519
und «iehe, mit den Wolken des Himmels kam wie eines ,
Menschen Sohn (BfrK ""D3, tog vlog dv&Qoma, LAX), und
man brachte ihn vor den Alten der Tage , nnd ihm ward
Herrlichkeit nnd Königreich gegeben, dafs alle Völker
ihm dienen, nnd seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft»
Indem die vier Thiere V. 17 ft auf die Tier groben Reiche '
gedeutet werden , deren letetes das macedonische mit sei-
nem Zweige, dem syrischen, ist, nnd indem nun nach de-
ren Untergang das Reich auf ewige Zeiten dem Volke
Gottes gegeben werden soll : so kann unter dem in den
Welken Kommenden nur entweder eine Personifieation
des heiligen Volkes selbst 5) , oder ein vom Himmel stam«
äsender Führer desselben, also ein messianisches Wesen,
verstanden werden; nnd diese letztere Deutung ist die bei
den Juden gewöhnliche'). In dieser Würde freilich ist .
das beschriebene Snbject hier nicht dnrch den Zug, dals
es einem Menschen geglichen, vielmehr durch den andern,
dafs es in den Wolken des Himmels daher gekommen sei,
bezeichnet: wogegen das Uftlt 123 nur entweder diefs,
dafs der vom Himmel Kommende darum nicht in einer
übermenschlichen Gestalt, etwa eines Engels, sondern in
menschlicher, erscheinen werde; oder den Gegensatz der
Humanität des au erwartenden Reichs der Heiligen gegen
die durch Thiergestalten versinnllchte Inhumanität der
früheren Reiche ausdrücken su können scheint *)* Daher
haben «war die späteren Juden der Stelle einen wesentli-
cheren Zug cur Beseichnnng des Messias entnommen,
wenn sie ihm von seinem Komme« MW "OMTOF den Na-
5) So unter den Juden Abcncsra, s. Haeverxick, Comm. zum
Daniel S. 244.
6) Sca»Tr*mi, horae, 2, S. 63. 73; Hasvsjuiick, a. a. O. S. 243 f.
7) a. die vornehmsten Ansichten hei Haitbjuuck, a. a. O.
S. 242 f.
Das Leben Jesu ?>te Aufl. I. Band. 34
.' 530 Zweiter Abschnitt.
roen Animi beilegten 8) : indessen ist auch das ganz im
jüdischen Gesehmacke, einen biofsen Nebenzug, wie hier
die Verglcichung mit einem Menschensohn, zur stehenden
Bezeichnung einer Person oder Sache zn machen *)• Muhte
so der Ausdruck o ting rö avü-Qotitis an die anf den Mes-
sias bezogene Stelle des Daniel erinnern: so konnte Jesus
denselben unmöglich so oft, und swar in Verbindungen,
welche auf den Messias deuteten, gebrauchen, ohne diesen
dadurch bezeichnen zu wollen.
v So verstanden auch die Juden den Ausdruck; denn
wenn sie Joh. 12, 34* , nachdem Jesus von der Erholung
des Menschensohns gesprochen10), die Hinwendung ma-
chen, sie wissen aus dem Gesetz, dafs der Messiss in
Ewigkeit bleibe; nun aber sage Jesus von dem Menschen-
I söhne aus, er müsse erhöht werden, d» h. den Kreusestod
4 sterben: wer denn nun dieser viog %h ttf&Qamü sei? —
] wenn die Juden so fragen: so setzen sie offenbar die Iden-
tität beider Begriffe voraus , woran sie nur dadurch eines
Augenblick irre werden, dafs Jesus dem Menschensohns
etwas zuschrieb, was mit ihren Messiasvorsteilungen stritt.
So irrig es hienaoh ist, ans dieser Stelle den Schluß so
ziehen , der in Rede stehende Ausdruck sei den mit Je»
dort sich unterredenden Juden als Bezeichnung des Mes-
sias unverständlich gewesen "): •• mufs *• deeh auffalle!»
8) Schott«*, horte, 2, S. 73«
9) Man denke nur an die Bezeichnung jener Davidischen Elegie
2. Sam. 1, 17 ff. durch JT#J>> und an die Benennung de«
Messiss als flDX- Hätte Sciiuubrmackb* diese jüdische Be-
zeichnungt weise beachten mögen, so hatte er nicht die Be-
ziehung des uto<; th a. auf die Danielische Stelle einen sonder-
baren Einfall nennen können (Glaubcnsl. §. 99. S. 99. Aiun).
10) Johannes hatte ihn zwar ungenau iyta sagen lassen; er sctxt
aber sofort selbst die Bezeichnung als 6 wo* Tu~ay&?*n* vor-
aus; wie 8, 2S. Vgl. Tmoluck, z. d. St.
11) Abuson, Fortbildung, 1, S. 236. Thomjck, Comm. z. Job.
S. 80. S. dagegen NsAMutJt, L. J. Chr., S. 129.
i
i
i
v
Viertes Kapitel, f. «0. SSI
dafs aufser Jesu selbst und Stephaitus, A. G. 7, 56 (OfFenb.
1, 13. gehört nicht hieher), Kiemand in N. T. dieses Aus-
drucks als Benennung Jesu nach «einer eigenthffmlichen
Würde sich bedient Dazu komme die Stelle Matth. 16. 13 ff.,
wo Jesus seine Jünger fragt t ^riva //« Uy&oiv oi ch'd-Qtimöt
flvaiy iov xiov th av&fxoTiH ; und nachdem er die verschie-
denen Ansichten der Leute vernommen, hinzusetzt: vuzlg
de rlra f/e Uyere elvat; worauf Petrus die Ueberzeugung
ausspricht, <b£s er der X^icoV sei: auch aus tlieser Stelle
wird wahrscheinlich, dafs die Bezeichnung Mb Menschen-
söhn wenigstens nicht die gewöhnliche f&r den Messias
war; indem es sonderbar gefragt gewestai WSre: für wen
haltet ihr mich, der ich der Messias* bin ? wohl aber ging
es an , zu fragen : für wen sehet ihr mich an , der ich
mich durch den eigentümlichen Ausdruck: 6 viog zS av-
&Qwnx, zu bezeichnen pflege la) ?
Gegen diese Lieblingsbezeichnung seiner Person und
Würde tritt in den Reden Jesu die eigentliche Benennung
ab Mtaolag, XQtgog, sehr zurück. Der Samariterin gibt
er sich als solchen zu erkennen (Job. 4, 26.); das Be-
kenntnis des Petrus nimmt er wohlgefällig an (Matth. 16,
16 ff.); auf die Frage der Juden (Job. 16, 24 f.) und spä-
ter des Hohenpriesters, ob er der Christus sei, antwortet
er bejahend (Matth. 26, 63 f.): aber in eigenen freien Re-
den liebt er diese Bezeichnung nicht (Job. 17,3?). Ebenso
l2(st er sich den gleichfalls för den Messias üblichen Ti-
tel: vlog Jaßt$, zwar von Andern geben (Matth. 9, 27.
und Öfter): er selbst aber gedenAt desselben nnr auf die
bekannte skeptisohe Weise in der Streitfrage an die Pha-
risäer, Matth. 22, 41 ff. '*).
Fragt man, warum Jesus diese beiden Bezeichnungen
vermied : so springt bei der letztern der Grand besonders
12) Vgl. vm Witts, z. d. St.
13) Vgl.. AuMojf, a. a. Q. S, 251»
34
SS» Zweiter Abschnitt.
triebt in die Augen. Denn an dem Manen: 8eba DtvUi,
hingen alle politischen Erinnerungen und Erwartungen,
welchen Jesus nicht sorgfältig genng ans dem Wege g»
hen konnte» Etwas Aehaliehee war es aber auch mit dar
Beueiehnung als Meaalag oder Xqtgog: auch sie war nit
der gewöhnlichen politischen Messiasidee auf eine schwer
abtrennbare Weise verwachsen. Dagegen wird dem Mas-
sehensohne bei Daniel «war anch die Weltherrschaft ga-
geben: doch ist der Begriff desselben von vorne bereu
höher gehalten, and schon das Ungewöhnliche der Besakh-
nnng machte sie aar Anknöpfang einer neuen Messiasre*»
Stellung geeigneter.
Welche eigenthfimliohe Vorstellung es gewesen sei,
die Jesus in diesen Ausdruck hineinlegte, ist nicht ee
leicht bu bestimmen. Dafs er durch denselben haha be-
merklich machen wollen, wie er, unerachtet seiner Gött-
lichkeit , dennoch wahrer Mensch sei ") : wäre nar dam
wahrscheinlich , wenn entweder unter seinen ZeMgenonsi
eine Messiasrorsteliung geherrscht hätte , welche Aber der
Gottheit des Messias seine Menschheit an vergessen ta
Gefahr war: wovon vielmehr das Gegen theil bekannt ist;
oder wenn er der Hervorhebung seiner göttlichen NaW
in seinen eigenen Reden durch die Anwendung jenes As*
drucks auf sich ein Gegengewicht geben eu müssen glaahte:
allein in einer solchen, sich gegenseitig einschrAnkenden,
Wechselbeziehung erscheinen die Bezeichnungen: vtisfi
cev&Qomö und viog tö xheS, nirgends. Kann somit jener
Ausdruck nicht denjenigen anaeigen, welcher, unerachtet
seiner Göttlichkeit, dennoch Mensch ist : so geht doch dai
Umgekehrte an , in dem vlog x« av&QtoTW denjenigen sa
sehen, welcher, unerachtet seiner menschlichen Gebrech-
lichkeit, dennoch göttlicher Natur, die in der Menschheit
geoffenbarte Gottheit, ist ls). Dtefs kommt am Ende frei-
14) Tbolucx, a. a. O.j Neander, S. 151 f.
15) ds Wette, excg. Handb., |, |, S. 87. Auch Neandea itrcift
an diesen Sinn.
Viertes Kapitel, f. 61. 583
lieh auf dasselbe hinaus mit der oben abgewiesenen Auf-
fassung des Ausdrucks als Bezeichnung des idealen Men«
sehen: Aur dafs nach unserer Erkfftrung dieser Sinn nicht
der ursprüngliche, sondern lediglich ein an die aus der
Stelle des Daniel geschöpfte Grundbedeutung angelehn-
ter ist.
5. «1,
Jesus als o «V* r* *<«.
Ein weiterer Ausdruck, welchen Jesus, aber ebenso
oft auch Andere, zur Bezeichnung seiner Person gebrau*
eben, ist der Ausdruck : o vlog %5 &t8.
Denselben haben wir Luc. 1, 85. in der engsten, ei*
gentlieh physischen, Bedeutung gefunden, indem dort Jesus
vermöge seiner unmittelbaren Erzeugung durch den gffttli«
oben Geist so genannt worden war. In diesem Sinne wen-
det weder Jesus selbst, noch einer seiner Zeitgenossen den
Ausdruck auf ihn an : sondern lediglich der dritte Evan-
gelist legt eine solche Anwendung dem Engel in den
Mund, der die Empftngnib Jesu verkündigt.
Umgekehrt im allerweitesten moralischen und meta-
phorischen Sinne findet sich der Ausdruck Matth. 5, 9. 45»
Ifuc. 6, 35., wenn die Friedfertigen und diejenigen, welche
in der Feindesliebe und Wohlthätigkeit Gott nachahmen,
sda Söhne Gottes bezeichnet werden.
Der Ausdruck kommt >aber noch |n einem dritten,
ganz eigenthfimlichen , Sinne vor. Wenn (Matth. 4,, 3.)
der Teufel Jesum unter der Voraussetzung: el vlog el v5
&m, zum Verwandeln der Steine s auffordert; wenn Natha-
naSl zu Jesu sagt: av el 6 vlog rs &eö, 6 ßaatkevg zS
%IöQar}X (Joh. ], 50*); wenn Betrns bekennt: av el 6 Xqi-
gog, o vlog %h &e5 t& £wvzog (Matth. 16, 16. vgl. Joh. 6, 69.) ;
wenn Martha" ihren Glauben an Jesum so ausspricht: iyw
ttenigevxa, öti av el 6 Xqigog, 6 vlog %5 &eS (Job. 11, 47.);
wenn der Hobepriester Jesum beschwört, ihm zu sagen,
\
554 Zweitor Abschnitt.
ob er aei o XQtgog, 6 viog ts &tö (Matth. 26, 65.): so
will weder der Teufel etwas Anderes sagen, als: wenn
du der Messias bist ; noch la'fst in den übrigen Stellen die
Verbindung des viog tö &tä mit Xqlco^ und ßaoUtv*: ver-
kennen , dafs es fieeeiebnung des Messias ist. Wiefern
diefs1), das kann schon aus demjenigen erhellen, was be-
reits gelegentlich bemerkt werden mufste: dafs Hos. 11,1*
% Mos. 4, 22. das Volk Israel , und ebenso 2. Sem. 7, 14
Ps. 2, 7. (vgl. 89, 28 ) der König dieses Volkes, als Sohn
und Erstgeborener Gottes bezeichnet ist. Sobn Gottei
wurde der König (wie das Volk) der Israeliten nach der
Stelle aus 2. Sam. in Besiehung auf das besondre und un-
mittelbare Ersiehungs- und Liebesverha*ltnils genannt, Ib
^welches Jehova su demselben treten wollte ; wosn oach
der Stelle aus dem zweiten Psalm noch der weitere Grund
kommt, dafs, wie menschliche Könige einen Sohn sau
Mit- oder Unterregenten anzunehmen pflegen, so der im*
litiscbe König von Jehova, dem höchsten Herrscher, nit
der Verwaltung seiner Lieblingsprovins beauftragt ist
Dafs diese, ursprünglich auf jeden im Sinne der Theokrt*
tie regierenden israelitischen König anwendbare Bezeich-
nung mit der Entfaltung dea Begriffs eines Messias w
sugsweise auf diesen , als den geliebtesten Sobn und ge-
waltigsten Statthalter Gottes auf Erden, besogen werdes
mufste, erhellt von selbst. Obgleich also Beseichnaug dai
Messias, so ist der Ausdruck darum doch nicht schlecht-
hin gleichbedeutend mit Xqicoq, so da£s nicht jeder tob
beiden Ausdrucken neben den gemeinsamen auch wiedar
eigenthümliehe Merkmale enthielte. Sondern, wie du
Volk, als es Jesum mit dem Zuruf: toOcmd riß vup JaßH
empfing , dabei eben an den groben König und die Wie-
derherstellung seines Reiches durch den Messias dachtet
1) Vgl. über das Folgende die Ausführung von Paulus , in der
Einleitung zum Leben Jesu, 1, a, S. 28 ff.
Viertes Kapitel. $. 61. 535
so Übt sieh in den ebigen Stellen, wo Jesus als viog O-eS
angeredet wird, leicht entdecken, dafs die Redenden dabei
vorwiegend die Gott sugekehrte Seite des Messiasbegriffs*
seine. Theiluabme an göttlicher Macht and Ehre, in Auge
hatten *).
Noch weiter naeh dieser Seite bin hat Jesus selbst
den Ausdruck umgebildet, und zwar liegt diese eigenthffm- ,
liebe Umbildung hier deutlicher vor, als bei der früher
erwogenen Beseichnung : Menschensohn« Wie das nattir*»
liehe und das rechtliche Verhaitnif* zwischen Vater und
Sohn in dem höheren, gemüthltchen, sich aufliebt : so war
es diese Seite seiner Gottessohnschaft, {las Leben und
Siehversenken in den Angelegenheiten des Vaters, welche
zuerst, schon in dem swölfjahrigen Jesus , ^aufging. Die*
selbe Innigkeit der geistigen Gemeinschaft ist es, welche
Jesus später in den Worten ausdrückt: nana pm naQe-
4o0t] vTto ts TiavQog fdW xal dösig imywoMJxsi tov vlov> u
fiij 6 nazTjQ' ndi %ov ixmkqa zig iniyivoiaxetf ei prj 6 viog>
xal q» idv ßshjtat 6 viog ajtoxalvipai ( Matth. 11 , S7. )•
Gans besonders aber herrscht diese Fassung des Begriffes
vuig tS &e& im vierten Evangelium vor: wenn Jesus von
sich sagt, er rede und tbue nichts von ihm selber, sondern
nur „was er als Sohn vom Vater gelernt habe (5, 19» 12,49.
und sonst); welcher Übrigens in ihm (17, 31.) > und ojier»
achtet seiner Erhabenheit über ihn ( 14, 28. vgl* Lue. 18,
IS f. parail.), doch auch wieder Eins mit ihm sei (Job. 10, 30. >
Hatte auf diese Welse Jesus in seinen Reden die Be-
seichnung: Gottessohn, aus ihrem jüdisoh-theokratiseheti
Sinne eu religiös -metaphysischer Bedeutung erhoben: so
ist es kein Wunder, dafs die Juden nicht blofs an der
Anwendung, welche er von jenem hergebrachten, sondern
ganz besondersi auch an der, welche er von dem auf
2) Vgl. i>b Wsns, exeg. Haadb. i, 1, S. 38; Ammov, a. *. O.
S 255.
53« Zweiter Abschnitt.
diese Weise gesteigerten Begriff auf sieh machte, Anstob
nahmen ; dafs sie ihn der Anmafsnng nicht allein metti»
nischer, sondern mehr noch göttlicher Würde, derGefthr»
dnng des monotheistischen Princips ihrer Religion, be-
schuldigten. Wie jene höheren Aussprüche Jesu, so bat
auch diese Seite des Anstofses der Juden vorzugsweise
das vierte Evangelium aufbehalten (5, 17 f. 10, 30 ff, 19,7.):
doch auch in den synoptischen mag s{ch das ißiaoqTjtofö
welches der Hohepriester ausruft, als Jesus seine Fraget
av el 6 Xqigoctj 6 viog th &eö; bejaht, und auf sein Kom-
men in den Welken cur Rechten der Kraft hingewiesen
hatte (Matth. 26, 63 ff. parall.) — auch hier mag sieh der
Anstofia des Hohenpriesters auf Beides : die Anmafsnng der
messianisohen nicht nur, sondern auch - der göttlichen
Wörde, bestehen. Wenn Jesus Job. 10» 34 ff. ftr die
Befngnils, sich viog %u &eö eu nennen, auf die Benennnag
&€<ü, welche im A. T. (Ps. 82, 6.) auoh andern Menschen,
wie Porsten und, Obrigkeiten, gegeben werde, sich bereit:
ao fallt es nwar auf, wie Jesus am diesem so ferne liegen-
den und preoffren Argumente greifen konnte; während
ihm das schlagende so nahe lag : da im A. T. die theo-
kratischen Könige, oder, nach der damals üblichen Den«
tung der betreffenden Stellen, der Messias, als Sohn Je»
hova's beseiohnet sei: so habe somit er, der sich ja V.tt»
für den Messias erklärt hatte, vollkommenes Recht, diese
Benennung ffir sich in Anspruch su nehmen. Allein, dafi
dem vierten Evangelium der theokratische Sinn des frag-
lichen Ausdruoks nicht geläufig gewesen sei, und es des-
wegen Jesum hier auf den vagen metaphorischen «urüek-
gehen lasse, darf man schon defswegen nicht sagen, weil
Job. 1, 50. in der Anrede des Nathanati 6 viog tu %fc5 an
o ßaadevg %ü '/tfpcnyA, mithin an den theokratischen Mes-
siasbegriff, angeknüpft erscheint. Vielmehr scheint Jeaas
diesen Weg des Beweises defswegen einsuschlagen, nai
von seiner Befngnifs, sich Sohn Gottes su nennen, ancs
Vierte« Kapitel, f. 62. 537
solche so fiberseugen, welche seine Messisnität in Abrede
stellten, also durch Stellen , in denen der Messias so ge-
nannt wird, nicht su 'fiberweisen waren, dafs anch Jesus
ein Recht habe, jene Bezeichnung auf sich anzuwenden *).
$. 02.
Jesu Sendung und Vollmacht; »eine Präexistens.
In Bezug auf die Erklärungen Jesu aber seine gfftt»
liehe Sendung und Vollmacht stimmen die vier Evangelien
fiberein. Nicht nur ist er, wie jeder Prophet, von Gott ge-
sendet (Matth. 10, 40. Job. 5, 23 f. 56 f. u. son«t), handelt
und redet im Auftrag and unter unmittelbarer Leitung
Gottes (Joh.5, 19 ff.); sondern er ist im ausschliefslicheu
Besitze der vollkommenen Gotteserkenntntfs , die er allein
den Menschen mittheilen kann (Matth. 11,27. Joh.S, 13.).
Als dem Messias ist ihm von Gott alle Gewalt fibergeben
(Matth. 11, 27.)» zunächst über das von ihm zu stiftende
und zu regierende Reich und dessen Mitglieder (Job. 10, 29.
17, 6«), dann aber auch über alle Menschen überhaupt
(Job. 17, 2.), und selbst fiber die äuftere Natur: somit
über die ganze Welt , (Matth. 28, 18.); sofern ohne eine
durchgreifende Revolution in dieser das messianische Reich
nicht begründet werden kann. Bei einstiger Eröffnung
dieses Reiches hat Jesus als Messias die Vollmacht , die
Todten zu erwecken (Job. 5, 28.), und das Gerioht, die
Scheidung derer, welche der Theilnahme am Gottesreiche
würdig sind, von den Unwürdigen, vorzunehmen (Matth*
25, 31 ff. Job. 5, 22. 29*); lauter Befugnisse, welche die
jüdische Zeitvorstellung dem Messias zuschrieb ')•
Hiebt ebenso einstimmig sind die Evangelisten in ei-
nem andern Punkte. Während nämlich nach den Syno-
3) Vgl. Kaax, a. a. O., S. 80. v Die Bemerkung Nsaudsii's über
diese Steile, S. 133, ist nicht recht klar.
I) s. Birtholdt, Christo!. Jud. §§. 8* 35. 42.
538 Zweiter Abschnitt. '
ptikern Jesus zwar för Gegenwart and Zakanft die höth-
8te menschliche Würde und das erhabenste Verhiltnifs wr
Gottheit sich anschreibt; fiber den Anfang seines mensch'
Hoben Daseins aber nicht zurückgeht: so finden sich in
vierten Evangelium mehrere Reden Jesu , welche die Be-
hauptung einer Präexistenc desselben vor seiner menschli-
chen Erscheinung in sich schliefsen. Zwar, wenn in die-
sein Evangelium Jesus sich als den vom Himmel auf die
Erde Herabgekommenen bezeichnet (Job. 3, 13. 16, 28.):
so lftfst sich dieis für sich genommen leicht als biofo bild-
liche Beschreibung eines höheren, göttlichen Ursprungs
fassen. Schon schwerer, doch möglicherweise vielleicht,
könnte die Behauptung Jesu: ttqIv ^Aßqaaft yeveo&ui, vpi
slftt (Joh. 8, 58.) mit dem Socinianar Cbbll von einen
biofs idealen Sein in der Vorherbestimmung Gottes; die
Bitte an den Vater aber Joh. 17, 5. , ihm die doia «■ ge»
währen, welche er tiqo ts tov xoa/uöv elvcu bei ihm gehitt
habe, von Verleihung einer Jesu von jeher sugedachtei
Herrlichkeit verstanden werden. Hören wir nun aber
noch Joh. 0, 62. Jesuin von einem avaßalveiv des Men-
scbensohns, öuh Jjv to Trpors^or, sprechen: so ist diefetbeili
für sich, theiis in Verbindung mit den übrigen Stelleo
eine eu bestimmte Bezeichnung eines früheren Seins, eh
dafs wir dabei bleiben könnten, dieses für ein blofc idet>
les sn halten *).
Man hat nun schon vermuthet, diese Jesu in des
Mund gelegten Aussprüche, oder wenigstens ihre Dentaag
auf eine reale Prfiexistenc , rühren blofs von dem Verfas-
ser des vierten Evangeliums her *), mit dessen im Prologe
dargelegten Ansichten sie allerdings ganz specifisch aosam-
mensttmmen; denn war der koyog iv aQyrj iiqoq röV &&*'•
so konnte Jesus, in welchem er occq^ by&v&v9 im realsten
2) Vgl. Tholuck und db Wktts, z. d. St.
3) BjuB-iiiCMMBiDKRy Probabilia, S. 59.
Viertes Kapitel. $. 6*2. 539
Sinne rieb eine Präexistene vor Abraham* eine' Herrlich-
keit beim Vater vor Grundlegung der Welt, anschreiben«
Zu jener Ansieht sind wir aber nur in dem Falle berech-
tigt, wenn «ich weder zeigen Utfst, dafa die Idee von ei«
ner Präexistene des Messias zu Jesu Zeit unter den palä-
stinensischen Juden vorhanden war, noch auch wahrschein-
lieh machen, dafs Jesus unabhängig von Zeit* und Volks*
Vorstellungen auf eine solche Ansioht von sieb selbst ge*
kommen sei
DaXs nun das Letztere stattgefunden, und Jesus aus
eigener Erinnerung von seinem vermenschlichen und vor-»
weltlichen Zustande gesprochen habe, diese Annahme hat
an Pythagoras, Ennius, Apollonios von Tyana, gefährliche
Analogien; deren angebliche Erinnerung an die vor dem
jetzigen Dasein von ihnen durchlaufenen Persönlichkeit
ten *) jetzt allgemein entweder als spätere Fabel , oder als
Schwärmerei jener Männer selbst, betrachtet wird. In*
dessen ist nicht zu fibersehen, dafs die Erinnerung Jesu
nicht , wie bei jenen Männern , auf ein früheres irdisches,
sondern himmlisches Dasein geht: und so können wir nicht
wissen, ob einem Gemfithe von der religiösen Innigkeit Je»
au die Gemeinschaft mit Gott, deren es sich . bewufst war,
sich nicht im Reflex der Phantasie als Erinnerung an ein
früheres Sein bei Gott gestalten konnte. Lieber wenigstens
möchte ieh die Sache so fassen, als mich auf die göttliche
Natur Christi im orthodoxen Sinne berufen, vermöge wel-
cher ihm eine Erinnerung eingewohnt habe, die freilieh
blofsen Menschen nicht zukommen könne; eine Vorstel-
lung, welche Jesum zu einem fremdartigen Wesen macht,
dergleichen eines weder dem Philosophen und Historiker
glaublich , noch dem Glaubigen , wenn er sieh recht ver-
steht, tröstlich sein kann 6).
4) Porphyr, vita Pythag. 26 f. Jamblich. 14 , 63. Diog. Laürt.
8, 4 f. 14. Baur , Apollonius von Tyana, S. 64 f. 98 f. 185 f.
5) Vgl. ScttLKisftaucHSji, Glaubens!. 2} S. <J9-
540 Zweiter Abschnitt
Psychologisch aber scheint ein solches Bewufstssin an
so leichter in Jesn rieh heben bilden sm können, wenn
geschichtlich ähnliche Vorstellungen vom Messias gegeben
waren. Eine Grundlage so dergleichen Zetaronteiluog»
konnte man, was das A. T. betrifft, etwa in der ange-
führten Danielischen Beschreibung von dem in den Wol-
ken des Himmels kommenden Menschensohne finden; le-
dern ohne Zweifel schon der Verfasser, und jedanialli
mancher Leser, sich denselben als ein übermenschlich»
Wesen, das suvor gleich den Engeln bei Gott geweieo,
vorgestellt bat» Dafs aber Jeder, der diese Stelle auf den-
Messias benog, und namentlich Jesus, sofern er sich nach
derselben den Menschensohn nannte, auch an eine Prtai-
stens gedacht habe , lAtst sich nicht beweisen ; denn sda
Kommen in des Himmels Wolken dachte er sich doch.
wenn wir von Johannes absehen, nicht so, als wäre er.
wie ein von jeher im Himmel su Hanse gewesener, asf
den Wolken auf die Erde herniedergekommen: sonder«
nach Matth. 26, 64. (rergl. 24, 25.) eo , dals er, der Eid-
geborene, nach Vollendung seiner irdischen Laufbahn in
den Himmel aufgenommen werden , und von da sur Er-
öffnung seines Reiches wiederkehren werde; wodurch also
die Vorstellung des Kommens in den Wolken eine Wen*
dang bekam, bei welcher sie nicht noth wendig eine P*
existenn in sich schlofs. Sonst findet sich in den Prof*
bien . dem Sirach und dem Buche de* Weisheit die Idee
einer persooificlrten und endlich selbst hypostasirten Weit*
heit Gottes ; ebenso in den Psalmen und Propheten starke
Peraonifieationen des göttlichen Wortes6); besonders wich-
tig aber ist , dafs in Folge der Scheue des späteren J*
denthums vor Antbropomorphismns in der Vorstellung von
göttlichen Wesen es gewöhnlich wurde, sein Sprechen,
6) S. die Nachweisung und Auslegung der Stellen bei Lßc»,
Conun. xum Ev. Joh. 1, S. 211 ff.
Viertes Kapitel. $. «L 841
*
Erscheinen und unmittelbares Einwirken dem Wort 0X10*0)
oder der Wohnung QtnTSGO Jehova's suBuschreiben, wie
rieh diefs schon in dem uralten Targum des Onkelos fin-
det 7). Diese Vorstellungen, Anfangs blofte Umsohreibun-
gen des Namens Gottes , bekamen bald den schwankenden
Werth einer eigenen Hypostase , eines Ton ihm yersohie-
denen nnd doch mit ihm einigen Wesens» Da die meisten
Offenbarungen nnd Einwirkungen Gottes, als deren Organ
dieses personificirte Gotteswort angesehen wurde, «u Gun-
sten des israelitischen Volkes geschehen waren: so war
es natürlich , diejenige von Gott noch su veranstaltende
Erscheinung, von welcher das meiste Heil für Israel er-
wartet wurde, die Erscheinung des Messias, in besondre
Besiehung mit dem Wort oder der Scheckina su setaen;
woraus sich einerseits die Vorstellung, dab mit dem Mes-
sias die Sckechina erscheinen werde9), andrerseits das
sieh ergab, dafs, was der Sckechma sususchreiben war,
aueh vom Messias ausgesagt wurde; eine Darstellunirs-
weise, welche nicht blofs bei den Rabb!n«ft, sondern auch
bei dem Apostel Paulus sich findet. Hienach war der
Messias schon in der Waste der unsichtbare Begleiter und
WohlthXter des Volks Gottes (1. Kor. 10, 4. 9.) 9) ; er war
bereits bei den ersten Eltern im Paradiese10); schon bei
der Weltschöpfung war er als Organ derselben thätig
CKol. 1, 16.) ; selbst vor derselben exktirte er n), und war
7) Bs&noiDT, Chrittologia Judaeor. §(. 25 — 25. Vgl. Lucas,
s. a. O. S. 244. Anm.
8) Schöttskiv, 2, S. 6 f.
9) Targ. Jes. 16, i : Iste (Messias) in deserto fuit rupes eccle-
siae Zionis (bei Bertboldt, a. a. O. S. 145.)«
10) Sobar chadascb f. 82, 4, bei Schott*!*, 2, S. 440.
11) Nexach Iirael c. 35 f. 48, 1. (bei Schmidt, Bibl. für Kritik
u. Exegese, 1, S. 38) : VTITI *2BO FTUTO- Sohar Levit. f. 14,
56, (bei Schott***, 2, S. 436) : Septem (htmtna condtta sunt,
anteguam mundus eonderetur) , nimirum et lumen
542 * Zweiter Abschnitt.
vor seiner Menschwerdung In Jesus in herrlichem Zu-
stande bei Gott (PhJJ. % <>.).
Da auf diese Weise in der höheren jüdischen Theo-
logie unmittelbar nach Jesu Zelt die Idee von einer Prfr
existenz des Messias gegeben war: so liegt die Venu*
thung nahe, daifs dieselbe auch schon in der Zeit; in wel-
cher Jesus sich bildete, vorhanden gewesen, und dal* er
somit, wenn er sich einmal als Messias fiifete, diesen, tn
die Eigentümlichkeit seines religiösen Bewofstseins in-
klingenden, Zug der Messiasvorstellung auf sich habe
fibertragen können. Dabei ist es jedoch bemerkenswert!!
und bedenklich , dafe nur der mit alexandrinischer Logo*
logie vertraute Verfasser des vierten Evangeliums Jesu die
Behauptung einer Präexistenz in den Mund legt: und es
wird von dieser Seite immer der Zweifel offen bleibe»,
ob dieselbe der eigenen Ansicht Jesu von sieh, oder nur
der Reflexion des vierten Evangelisten über ihn angehöre.
§. 63.
Wie bald sich Jesus als Messias ^'erteilt, «ad als solcher
Anerkennung gefunden habe?
Die vorangestellte Frage beantworten sffmmtliche Et**
gelisten zunächst einstimmig dahin, dafs er von seiner
Taufe an jene Rolle flbernommen habe *)• AM° 1****° ^
der Taufe Jesu Dinge sich ereignen, die ihn selbst, sofern
er es nicht schon vorher war, und alle, welche entweder
Zeugen davon waren, oder den Erzählungen darüber Glas*
Btessiae. Die hier als real dargestellte PrHexistenz des Me*
Sias findet sich mehr nur ideal gefasst in Bereschith rabBa,
sect. 1. f. 3, 3, u. Pirke Elieser 3* (Schott«:!, ebendas. und
db Wbttb, bihl. Dogm., §. 200, not. g.).
1) Auch diess ist einer der Ausdrücke, an welchen man fcst
Anstoss nehmen wollen} z. B. Kbrn, Hauptthatsachen ,
S. 72. 91.
Viertes Kapitel. §. 63. 543
ben schenkten , Tön seiner Messianttät überzeugen nrafs-
ten; und wie hierauf nach Johannes die ersten Jünger
ihn gleich bei'm ersten Zusammentreffen in dieser Würde
anerkennen (1, 42 ff.): so hat er nach Matthäus (7, 21 ff.)
gleich eu Anfang seiner Lehrthätigkeit in der Bergrede
sich als Weltrichter, mithin als Messias, dargestellt
Bei näherer Betrachtung jedoch thut sich in dieser
Hinsicht «wischen der synoptischen und der johanneischea
Darstellung eine merkliche Abweichung hervor. Während
nämlich bei Johannes Jesus seinem Bekenntnifs, seine An-
hänger ihrer Ueberseugung, dafs er der Messias sei, durch-
weg getreu bleiben : so sind bei den Synoptikern gleich-
sam Rückfälle su bemerken, indem theils auf Seiten der
Jünger und des Volks die in früheren Fällen ausgespro-
chene Üeberzeu^r,nff Yon Jesu Messianität im Verlaufe der
Erzählung zuweilen wieder rerscim?;^!**« ran einer weit
niedrigeren. Ansicht von ihm Plats zu machen, theils aucb
Jesus selbst mit der früher unumwunden gegebenen Er-
klärung in späteren Fällen mehr zurückhält. Diefs ist
swar besonders auffallend, wenn man die synoptische
Darstellung gegen die Johanneische hält ; aber auch jene
für sich betrachtet, ist das Ergebnifs ein ähnliches.
Was fürs Erste das Volk betrifft, so ist freilich an
diesem ein solches Schwanken weder unwahrscheinlich, noch
blofs den drei ersten Evangelisten eigentümlich, sondern
auch in der johanoeisehen Darstellung findet es sich« Nicht
aliein bei jenen ist es der Fall, dafs, nachdem wegen der
Stillung des Sturms die Leute im Schiffe vor Jesu als
dem t)iog Ssö niedergefallen waren (Matth. 14, 33.)? and
Besessene ihn als Sohn Gottes (Matth. 8; 29. paratf. ),
Blinde aber als Sohn Davids (Matth. 8, 27. parail.) ange-
rufen hatten, — dafs nachher doch noch die Erkundigung
nach der Leute Meinung von ihm kein anderes Ergebnifs
lieferte, als dafs ihn die Eitlen für den1 (wiedererstande-
nen) Täufer, die Andern für Elias, noch Andere für Je*
544 Zweiter Abschnitt
remias oder sonst einen Propheten, Alle aber hieb f Ar d*
nen Vorläufer des Messias hielten; nicht blofe bei des
Synoptikern findet sich dieses Schwanken von Seiten da
Volks : sondern auch im vierten Evangelium ist nach den
Versuche der wunderbar Gespeisten, Jesum com menUni-
schen König su machen (Joh. 6, 15.)» die Yolksstimae
noch nicht einig, ob er der Messias oder der ihm ?eran-
gebende Prophet sei' (Joh. 7, 400 : natürlich, da unter den
Volke theils die einen den andern in Bezog auf die An«
sieht von Jesu vorausgeeilt sein , theils auch dieselben In-
dividuen nach den Augenblicken der Begeisterung, in wel-
chen sie in ihm den Messias gesehen hatten, wieder«
einer geringeren Ansicht von ihm surficksinken konnten.
Schwieriger ist die Abweichung, welche die Jünger
betrifft. Während bei Johannes Andreas zZuvn nack let
ner ersten Zusammen];--^ mjf Jesu seinem Bruder ugf**
evQTjxetfiev xov Mecolav (1, 42.) ; ebenso Philippus ihn des
Nathanael als den von Moses und den Propheten Gewd*
sagten bezeichnet (V, 46.) ; sofort Nathanael selbst ibn ab
den vtog zö &eä und ßaadevg zö 'IoqcctjI begrüfst (V. 50.);
das spätere Bekenntnifs des Petrus aber (6, 69.) nur wie-
derholte Versicherung des längst Anerkannten nach eisen
glücklich überwundenen Anstpfse ist: scheint bei den er
sten Evangelisten erst naoh langem Zusammensein mit ihn
und kurz vor seinem Leiden dem den Uebrigen voranei-
lenden Petrus die, Einsieht aufzugehen, dafs Jesu« fa
XQigog, 6 vtog zS &eS z5 £wvtoq, sei (Matth. 16, 16. partll.)
Konnte dieses Bekenntnifs, mufs man hier fragen , auf J*
sota so starken Eindruck machen , dafs er nach MatthSn
(V. 17.) den Petrus um desselben willen selig pries, und
seine Einsicht als eine ihm su Theil gewordene göttliche
Offenbarung darstellte , nach allen dreien aber ( 16, Jft
8, 30. 9, 21.) den Jüngern, wie erschrocken, die weitere
Ausbreitung . der von Pfetrus ausgesprochenen Uebersei-
gung verbot: wenn diese eine im Kreise seiner Jünger
Viertes Kapitel. $. 63. MS
längst gehegte Ansicht, und nieht vielmehr ein neues, dem
Petrus jetet eben aufgegangenes , und dadurch erst den
Uebrigen aum Bewubtsein gebrachtes Licht war8)?
Aach in den eigenen Erklärungen Jesu aber seine
Hessianität findet sich eine ähnliche Abweichung. Nach
Jobannes genehmigt er nicht blofs gleich Anfangs die Hul-
digung, welche ihm Natfahnaäl als dem Sohne Gottes and
Könige Israels darbringt, als den richtigen, obwohl noch
nicht auf dem wahren Grunde ruhenden, Glauben (Tttgavttg,
1, 51. ): sondern auch den Samaritern gibt er sieh nach
seinem ersten Festbesuche (4, 26. 39 ff.) , und den Juden
auf dem «weiten (5, 46), als den von Moses geweissagten
Messias su erkennen* Auch bei den Synoptikern gibt er
sich, wie schon bemerkt, bereits in der Bergrede die Stel-
lung des Weltrichters, mitbin des Messias, nimmt die
gleichfalls erwähnten messianischen Anreden an, and
spricht in der Instruotionsrede (Mattin 10, 33.) von seiner
messianischen Wiederkunft : aber die beaeicnnete Stellung,
die er sich zu dem Bekenntnis des Petras gibt, ^scheint,
mit diesen Vorgängen unvereinbar, vielmehr vorauseuse*
tsen, dafs er sich bis dahin auch seinen Jüngern gegen-
über noch nicht ausdrücklich für den Messias erklärt hatte.
Es hat daher die neueste Kritik des ersten Evange-
liums alle diejenigen von demselben berichteten Reden und
Thaten, durch welche sich Jesus unumwunden für den
Messias gab, oder in deren Folge er die laute Anerken-
nung, da£s er der Messias sei, frei gewähren lieb, wenn
sie vor der eigenen Erklärung Jesu (Job. 5.) oder vor
dem apostolischen Bekenntnifs (Matth. 16.) eraähit wer-
den, fflr Verstöde des Verfassers entweder gegen die
Chronologie, oder gegen die buchstäbliche Treue er-
klärt, und in dem öffentlichen Leben Jesu ewei Abschnitte
unterschieden, in deren erstem er sich noch nicht als
2) Vergl. db Wim *. d. St.
Das Leben Jesu Ite Aufl. L Band. 35
946 Zweiter Abschnitt.
dargestellt, sondert» nur das johanneische: perora.
«W 15777*« yuQ rj ßaGihla twv sqovwv (Matth 4, 17. vgL
3, 2.) , fortgesetat habe 8) ; wobei nur das einseitig war,
dafs die Kritiker jene Anklage anf Verwirrung der me*
sianlschen Oekonomie im Leben Jesu blofs gegen das er-
ste, oder überhaupt nur gegen die synoptischen Evange-
lien, and nicht In noch stärkerem Grade gegen das johan-
neische erhoben, welchem doch selbst der einzige Finger*
seig anf einen solchen Wendepunkt in der Stellang Jen,
Matth. 16, 13 ff. parall., fehlt.
Diese Ansicht als die richtige vorausgesetzt, mub
sogleich weiter gefragt werden: oiiterliefs Jesus von Äs-
ung an , sich als den Messia? darzustellen , weil er «och
ftr sich selbst erst spftter au der Ueberseugung von sei-
ner Messianitttt gelangte; oder hatte er diese für sich cwar
schon, von seinem öffentlichen Auftritt an, verbarg sie sber
aas gewissen Rücksichten? Dm hierüber su entsobekk%
mujs ein bereits erwähnter Punkt noch genauer erwog«
werden. Bei den Wunder heilangen Jesu ist es in des
ersten Evangelien, doch so, dafs auch im vierten sieh
Aehnliches findet, fast stehende Formel, dafs Jesus durch
ein oga fufi&il emrjg oder etwas Aehnliches dem Geretteten
die Ausbreitung der Sache verbietet : wie dem Aussitsigen,
Matth. 9, 4. parall. ; den Blinden , Matth. 9, 30. ; einer
Ansah! von Geheilten, Matth. 12, 16.; den Kitern dm
wiederbelebten Mädchens , Marc. 5, 43. ; namentlich aber
legte er den Dämonischen Schweigen auf, Marc. 1, 34.
3, 12., und Joh. 5, 13. helfet es nach der Heilung des 38-
j&brigen Kranken: o /. igsvevoew, ogAa 6Wo$ er rqi %bsu$*
Ebenso verbot er den Dreien , welche mit ihm auf den
Verklärungsberge gewesen waren, die Bekanntmachung
dieser Scene (Matth. 17, 9.) , und nach dem ßekenntnifc
3) Fmtzuchi, Co mm. in Mattb. , S. 213. 536» ScuKicxissuaesa,
über den Ursprung u. s. w., S. 28 f.
Viertes Kapitel. §. 63. 547
Petri den Jftfigern die Verbreitung der in demselben ent-
haltenen Ansicht von. ihm (Matth. 16, 20. parall.) 4). Nor
bei dem oder den Besessenen im Gadareneriande macht
Jesas eine Ausnahme^ indem er diesem auftrügt, die ihm
wiederfahrerie göttliche Wohlthat den Seinigen eu ver-
kündigen (Marc. 5, 19. Luc. 8, 39,). Hjer seheint aller-
dings eine Rücksicht, sei es anf den GemOthsaustand des
Geheilten, oder auf das Bedurfnifs jener von der Wirk-
samkeit Jesu noch wenig berfihrten überseeischen Gegen-
den stattgefunden eh haben *)• Dafs er aber in der über-
wiegenden Mehrheit der Fülle die Ausbreitung solcher
Thatsachen verbot, davon ist der Grund zunächst kein
anderer, als der Wonseh, den Glauben, dafs er der Mes-
sias sei, sich nicht au sehr verbreiten zu lassen. Wenn
es nftmlich Marc. 1, 34 heifst, Jesus habe die Dämonen^
welche er austrieb, nicht reden lassen, ori'jjdsioav athov,
und vrenn er nach Maro. 8, 12. den Dffmonen , und nach
Matth* 12, 16. den geheilten Kranken einschärft: ifo firj
qxxveQOv avzov noirjOüMJcr: so sollten offenbar jene ihn nicht
als denjenigen bekannt machen, als welchen sie ihn ver-
möge ihres tieferen dämonischen Blickes, diese nicht als
denjenigen, als welchen sie ihn aus der ihnen «u Theif
gewordenen wundervollen Heilung kannten, nämlich als
4) Freilich indem die Evangelisten dergleichen Verbote Jesu
bisweilen ganx am unrechten Orte in den Mund legen , wie
*. B. Matth. 8, 4. nach einer im Gedränge de» Volks voll-'
brachten Heilung et nichts nützen konnte, dem Geheilten
die Ausbreitung der Sache zu verbieten: so mag es sein, dass
in der evangelischen Tradition, welche durch das Geheimnis« -
rolle , das in jenem von Jesu gespielten Incognito lag , sich
angesogen fand, die derartigen Fälle unhistorisch vervielfäl-
tigt worden sind. Vergl. Fmtzscus, S. 309; Scrlbisrmacher,
über den Lukas. S» 74.
5) Olshause* , bibl. Comm. , 1 , S. 302- vgl. 261 f. ; na Wette,
exeg. Handb., 1, 2t $. 53.
35*
548 Zweiter Abschnitt
den Messias ; wie nach Matth. 16, 20. die Jünger Nlemin«
den sagen sollten, on airtog iciv 6 Xqigog. Warum Jen»
diefs nicht wollte, davon scheint Matthäus (12, 19.) seine
Bescheidenheit als Grund ansogeben, indem er im Zussn-
menhang eines solchen Verbots das ' jesaianisehe Orakel
vom geräuschlos wirkenden Knecht Gottes (Jes. 42, lf.)
auf Jesum anwendet; allein dieser Grund reicht fflr eine
so durchgreifende Hafsregel nicht aus *). Dagegen liegt
der wahre Grund jenes Verbotes ohne Zweifel Job. 6, 15.
eu Tage. Wie hier das Volk , welches aus der wunder-
baren Speisung geschlossen hatte, dafs er der (5. Mo*. 18,
15) verheifsene Prophet, d. h. der Messias, sei, ihn sofort
gewaltsam «um König eu machen gedachte: so hatte er
von der Verbreitung jeder That'odar Rede, die Hu» ik
den erwarteten Messias eu beurkunden schien, eine Auf-
regung der fleischlichen Messiashoffnnngea seiner Zeitge-
nossen su befürchten, deren Umbildung in'a Geistigere die
Aufgabe seines Lebens war ')• Besonders bemerkenswert
ist es hiebet, dafs Jesus sowohl die Bekanntmachung der
Verklärungsscene bis auf die Zeit nach seiner Auferste-
hung verbietet, als auch an das Verbot der Verbreitung
des Bekenntnisses Petri , dafs er der Messias sei , sogleM
die Verkündigung seines bevorstehenden Leidens und Ster-
bens knüpft. Sein Tod nämlich war das einsige Mittel,
durch welches er die Messiasidee seiner Volksgenosse»
von ihren irdischen Bestandtheilen eu befreien hoffte. Ehe
diese Katastrophe eingetreten war, mufste jedes entschie-
dene messianisehe Auftreten falsche Hoffnungen erweckest
6) Daher schlug er in sein Gegentheil um im Sinne des Frag-
mentisten , welcher jenem Verbote dufthaus die Absicht un-
terlegt , die Leute nur desto begieriger su machen. Von
Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 141 f.
7) Vgl. Fritz 6 che, a. a. O., S. 352; Tuoluck, Comm. s. Job.,
S. 153.
Viertes Kapitel. $. 64. 549
daher, und nicht etwa aus eigener Unentschiedenheit, jene
Verbäte Jesu, seine Messianitlt noch bei seinen Lebzeiten
tintqr den Volke auszubreiten; daher die Vermeidung des
Ausdrucks XQtgog aur Beseiebnung seiner Person; daher
selbst seinen Jfingern gegenflber eine Zurückhaltung, wel-
che die endliche Frage, wofür sie ihn denn hielten* und
die Freude/darüber , dafs sie ihn, mehr aus Andeutungen
und Tbaten, als aus Ärmlichen Erklärungen, als Messias
erkannt und festgehalten hatten *)•
f. 64.
Der metsiaoische FUn Jesu. Schein einer politischen Seite.
Wie der TXufcr auf einen Künftigen, so wies Jesus
auf sieh selbst als denjenigen hin, welcher die ßaoiXeia
*twv bqccvwv eu stiften gekommen sei. Die Idee 4** mes-
eianiscben Reiches gehörte dem israelitischen Volke an;
es fragt sieh : bat Jesus sie nur so, wie er sie unter die-
sem vorfand, aufgenommen, oder auch selbsstindig Modi«
ficationen an derselben angebracht? eine Frage, die eigent-
lich in demjenigen schon beantwortet ist, was bisher über
die persönliche Stellung Jesu bemerkt wurde.
Da die Messiasidee unter* den Juden ans politisch«
religiösem Boden erwachsen , ihre weitere Ausbildung
vorzüglich durch das politische Unglück dar Zeiten beför-
dert worden wtor, und auch au Jesu Zeit, nach dem ei-
genen Zeugnifs der Evangelien, erwartet wurde, dafs der
Messias den Herrscherstuhl seines Ahnherrn David bestei-
gen , das jüdische Volk vom Drücke der Römer befreien,
and eth Reich ohne Ende stiften werde ( Luc 1 , 32 f.
68 ff. A. 0. 1, 6 ) : so mufste die erste Frage diese sein,
ob Jesus auch dieses politische Grundelement Jn seinen
messianischen Plan aufgenommen habe?
8) Vergl. Kawi, Haupttiutsachea, S. 86 ; Ammox, Fortbildung, 1,
S. 235 ff.
' \
550 Zweiter Abschnitt.
Dafa Jesus enm weltliehen Herrscher sich habe aif-
werfen wollen, ist von jeher von Gegnern des Christen-
thums behauptet, von keinem aber so scharf an der Baal
der Exegese durchzuführen versucht worden, als von den
Wolfenbüttler Fragmentisten *), welcher ihm übrigens hie-
be! das Streben nach sittiioher Besserung seiner Nation
keineswegs absprach. Das Brate, was dem Frsgmentistei
cufolge für einen politischen Plan Jesu asu sprechen scheint,
ist, dafs er immer nur schlechtweg das sich nahende Met-
siasreich ankündigte, und die Bedingungen des Eintritts
in dasselbe vorlegte, ohne sich näher darüber su erklären,
was es sei und worin es bestehe*), mithin den Begriff
desselben als einen allbekannten voraussetzte. Nnn war
aber der damals herrschende Begriff von demselben üb«*
wiegend politisch gefatrbt: folglieh konnten, demFragmeo«
tisten eufolge, die Juden, wenn Jesu« ohne nähere ErklaV
rung vom Messlasreiche sprach f nur an eine weltlicäe
Herrschaft denken ; und da Jesus keine andre Aoffsasrog
seiner Worte voraussetzen konnte i so anufs er eben ao ha-
ben verstanden sein wollen« Dann kommt, nach derselbe«
Ansicht, dafii Jesus die Apostel, deren Vorstelluiigsweiff
ihm nicht verborgen sein konnte , nur Verkündigung des
Messiasreichs im Lande umherachickte (Matth. 10.)* ^u
aber hatten <*iese, welche sich um die oberste Stelle ia
dem von Jesu eu errichtenden Reiche senkten (Matth.
18, 1« Lue. 29, 24.) ; von % welchen ewei sieh bestimmt die
Sitae zur Rechten und Linken des messianischen Könip
ausbaten (Marc. 10, 85 ff.) ; welche selbst naoh dem Tod
und der Auferstehung Jesu noch ein aTWxa&igavuv %rf
ßaodelav ty ^IoqvtjX erwarteten ( A. 6. 1, 6« ) ; diese hat-
ten offenbar von Anfang bis cum Ende ihres Umgangs vti
Jesu ganz die gewöhnlichen Vorstellungen vom Messias:
1) Von dem Zweck Jeau und seiner Junger, S. 108*- 157*
2) Vgl. lfoiTzscus, in Matth. S. 114.
Viertes Kapitel. $. 64. 551
wenn also Jesus sie eis Herolde seine« Reiches anssandte,
so scheint es In seiner Absicht gelegen zu haben, dafs sie
aller Orten ihre politischen Messias begriffe verbreiten sollten.
Unter den eigenen Reden Jesu hat man besonders
Eine hervorgehoben. Matth. 19, 28. (vergl. Lue. 22, SO.)
verhelfst er auf die Anfrage des Petrus , was ihnen , die
um seinetwillen Alles verlassen haben, dafür werden würde?
«einen J fingern, dafs sie in der rtafoyy&soiu , wenn des
Menschen Sohn seinen herrlichen Thron bestiegen haben
werde, selbst auch auf zwölf Stählen sitsen, und die zwölf
Stämme Israels richten sollen. Haft der nächste Wort-
sinn dieser Verheifsung dem Zusammenhange der Messias*
Hoffnungen damaliger Juden angehöre, daftir wird auf
l.Kor. 6, % hingewiesen, und so, nach dem nächsten
Wortsinne, müsse Jesus haben verstanden sein wollen;
wenigstens haben die Jünger ihn so verstanden V wenn
doch selbst nach Jesu Auferstehung noch ähnliche Gedan-
ken in ihnen wohnten ; und da Jesus ihre Geneigtheit cu
weltlichen Messiashoffnungen aus mehreren Proben kannte:
po würde er sich schwerlich jenes Versprechen erlaubt
haben, wenn er nioht beabsichtigte, diese Erwartungen in
ihnen zu nähren. Dafs er diefs, ohne sie selbst an thei-
Jen, aus biober Aecommodation an die Jünger, um ihren
Mutb au befeuern, gethan habe, diese Voraussetzung lasse
ihn unredlich handeln, und diefs im gegebenen Falle noch
Jbesonders nnnötbig, da auf die Frage des Petrus jede an*
dere lobende Anerkennung des Strebens der Jünger ge-
nügt haben würde: es bleibe somit nur die Annahme übrig,
dals Jesns die jüdischen Erwartungen, welche er hier vor-
trage, selbst aueh getheilt habe.
Unter den Handlungen Jesu beruft man sieh für die
Behauptung eines politischen Planes besonders auf seinen
letzten Einzug in Jerusalem (Matth. 21, 1 ff.). Hier deu-
tet nach dem Fragmentuten Alles auf eine politische Ab-
hin. Der Zeitpunkt, den er wählt : nach hinreichend
552 Zweiter AbsehnitL
langer Vorbereitung des Volks in den Provtnaen, das vea
diesem »ah Ire ich besuchte Osterfest; das Thier, das er
besteigt, durch welches er sioh mit Beeng auf Zaeharias
als den für Jerusalem bestimmten König ankündigen wollte;
die Billigung, die er ausspricht, als das Volk ihn mit kö-
niglichem Grafs empfffngt; das gewaltsame Verfahren,
welches er steh sofort im Tempel erlaubt; die scharfe
Rede endlich gegen den hohen Rath (Matth. 23.) , an de«
ren Schlufs er sich die Anerkennung als messianiseher
K^nig durch die J)rohung, sich dem Volke sonst gar siehe
rne^r sq neigen, erzwingen will.
$. 65.
Data für einen rein geistigen Messiasplan Jesu.
i
Nirgends findet sich jedoch in unsern evangelisch«
Darstellungen eine Spur, dafs Jesus politisch Partei so
machen gesucht hfitte. Vielmehr hat er sieh der Aufre-
gung des Volks, das ihn tum König machen wollte, est*
sogen (Job. 6, 15.); hat erklärt, dafs das Messiasreich
nicht pteva naQccnjQqGEWQ komme, sondern unbemerkt be-
reits unter seinen Zeitgenossen erschienen sei (Lue. 17,
SO f.) ; Vereinigung des Gehorsams gegen Gott und gegen
die, wenn anch heidnische, Obrigkeit fst sein Grondsats
(Matth. 22,21.); nach dem festlichen Einzug in die Haapt-
'stadt weicht er der Menge aus , statt ihre Aufregung »
seinen Gunsten eu benutzen; endlich, was er vor seinen
Richter behauptet, dafs sein Reich sx ivrevd-w, ex ix rf
xoctyia rw« sei, und wofür er sich darauf beruft, dafs
seine Diener sich seiner Ablieferung an die Jüdische Obrig-
keit nioht gewaltsam Widersetat haben (Job. 16, 36): dieft
hat darin das Zeugnifs seiner Wahrheit, dafs Pilatus sor
Verurtheilung Jesu von den Juden fast genöthigt werden
mufs; während dooh, wenn auch nur ein Schein von po-
litischem Streben gegen Jesuin gewesen wäre, der Uö»er
Viertes Kapitel §. 0$. 55*
r
der erste gewesen sein würde, der ihn unschädlich zu
machen gesucht hätte *>
Die Ausgleichung scheinbar so entgegengesetzter An«
seichen hat man neuerlich so versnobt, dafg man eine
frühere und eine spätere Gestaltung des Planes Jesn un-
terschied *)• Obgleich, hat man gesagt, sittliche Besserung
und religiöse Erhebang seines Volkes von jeher sein Haupt«
sweck gewesen sei: so habe er doch zu Anfang seines
Öffentlichen Wirkens die Hoffnung gehegt, vermittelst die«.
eer Innern Wiedergeburt auch die lufsere Herrlichkeit
der Theokratie zu erneuern, wenn er von seiner Nation
als Messias anerkannt, und dadurch zugleieh als die höch-
ste Staatsgewalt eingesetzt würde; erst als diese Hoffnung
fehlgeschlagen, habe er hierin die göttliche Verwerfung
Jeder politischen Beziehung seines Planer erkannt, und
dadurch diesen zur reinen Geistigkeit verklärt 4 Eine sol-
che Veränderung im Plane Jesu soll namentlich daraus
hervorgehen, dafs über sein erstes Auftreten ebensoviel
Heiterkeit, als über die spätere Zeit seines Wirkens Weh-
muth ausgegossen sei; dafs an die Stelle des angenehmen
Jahrs des Herrn, das er Anfangs verkündete, herqach das
Wehe habe treten müssen, und dafs er selbst über Jeru-
salem gesagt habe, er habe es zu retten gedacht, nun aber-
werde es, auch politisch, untergehen.
Allein eine solche Unterscheidung zweier Perioden,
in deren einer der Plan Jesu eine andere Farbe gehabt
1) VergJ. Neakdee, L. J. Chr., 8. 626 ff.
2) Paulus, Leben Jesu, 1, b, S. 85. 94. 106 ff.} Vähturuti, 2,
S. 310 f. Hase, Leben Jesu, erste Auflage, §§• 68* 84. In
der zweiten Auflage, $$. 49. 50« (vgl. seine theol. Streitschrif-
ten, i, S. 61 ff.) hat Hais diese Ansicht in der Art xurückgc-
nonunen, dass nun Jesus das Politische der Messiasidee schon
vor seinem öffentlichen Auftritt überwunden .gehabt haben
soll.
554 Zweiter Abschnitt.
hälfe, *l* in der andern, findet sieh bei den Evangelisten
nicht. Denn der iviawog Kuyis dexrog, mit dessen Ver-
kfindignng er suerst auftrat (Luc* 4, 19« — wenn Anden
die chronologische Stellung richtig wäre ; s. o.)9 heifst so,
nicht wegen der Freudigkeit des Verkflndigenden oder de*
rer, welche die Verkündigung anfnabmen: sondern wagen
des Inhalts der Verkündigung, welcher, wie immer aufge-
nommen, ein freudiger, ein evayyiXiov, blieb. Ueberdiefo
aber findet sich in dem früheren, angeblieh von heiterer
Aussicht belebten. Abschnitte des Lebens Jesu bereits eins
Hindeutung auf seine Hinwegnahme (Matth. 9, 15.); wo"
gegen , mifslicherweise , gerade die awei Stellen , auf wel-
ehe man sieh fflr die frühere politische Farbe des Pltnei
Jesu noch mit dem meisten Scheine berufen bann, db
Verheifsung des Siteens auf Thronen und der Einsag in
Jerusalen\, in die letrtte Zeit des Lebens Jesu fallen. Non
sagt man swar in Betreff des Einenge , der sich nicht an
seiner Stelle rocken läfst , Jesus hätte ihn nicht in die»*
Weise veranstalten können, wenn er nicht wenigstens frü-
her theokratisoh - politische Absichten gehabt hätte: allein
mit aufgegebenen Hoffnungen im Angesichte der letsten
Entscheidung noch einmal sm spielen, ist eine Schwach*
heit, die Jesu am wenigsten ähnlich sieht. Die Rede tos
den Thronen soll von Matthäus irrig in die spätere Zeit
des Lebens Jesu hineingebracht sein: eine an sich wohl
mögliche Voraussetzung , an der man aber doch nur dann
seine Zuflucht nehmen darf, wenn sich auf keine andere
Weise helfen läfst.
Es frfigt sich demnach, ob sich denn wirklieb in Be-
treff des Planes Jesu ewel entgegengesetzte Reihen tos
Merkmalen gegenüberstehen, deren eine auf einen politisch*
gefärbten, die andere auf einen rein geistigen Plan hin-
führe ? ob nicht an dieser oder jener Seite ihr Gegeassts
gegen die andere ein blofser Schein sei?
Hier nun läfst sioh an der einen Seite , an den Sftel-
L
Viertes Kapitel. $.«5. 596
len , in welchen sieh der messianisebe Plan Jesu als ein
rein geistiger ad erkennen gibt, auf keine Weise rütteln;
indem vielmehr gesagt werden mofs : weder der Charakter,
noch das Verfahren, noch das Schicksal, noch der Erfolg
Jesu liefsen sich begreifen, wenn sein Plan eine politische
Farbe gehabt hätte.
Anders dagegen verhält es sich mit der andern Seite.
Er habe, wird gesagt, über seine Fassung des Begriffs
vom Messiasreicbe sich nicht erklärt, und daher seine
Zuhörer den gewöhnlichen, jüdischen, bei ihm veraasse»
taen müssen. Mufsten , ja konnten sie diefs auch nur,
nachdem Jesus in der Bergrede als seine Aufgabe die
Vergeistignng des Gesetses , die Erhöhung der sittlichen
Anforderungen an den Menschen und die Veredlung seine«
inneren und lufseren Lebens ausgesprochen ; nachdem er
in seinen Gleiehnifsreden das Messiasreich niemals' im jtt»
dischen Sinne, sondern immer nur als ein sittlich - religiö-
ses Gemeinwesen geschildert hatte: und weist nicht das
Irrewerden seiner Landsleute an seiner Messianität deut-
lich darauf hin, dafs sie in seinem Begriffe vom Messias»
reiche den ihrigen nicht wiedererkannten? — Aber er
schickte seine Jünger nur Verkündigung der Nähe des
Himmelreiches aus, von welchen er doch wissen muftte,
dafs sie von demselben sehr sinnliche Begriffe hatten.
Allein die ausgesendeten Jünger sollten nur vorbereitend
die Nähe des Messiasreiches verkündigen; die nähere ße»
Stimmung dieses Begriffs, und namentlich die Läuterung
desselben von seinen politischen Merkmalen, blieb der nach-
folgenden Belehrung durch Jesum selbst (vgl. Luc. 10, 1.)»
nnd wohl auch . dem Eindruck seines bevorstehenden To-
des überlassen. — Was die Rede von den Thronen be-
trifft, so ist sie bei Lukas mit der Verheifsung verbunden,
dafs die getreuen Jünger Jesu mit ihm in seinem Reiche
essen und trinken sollen; eine Rede, die, unter Verglei-
chung von Luc. 20, 35 f. , nothwendig bildlich au nebni&u
556 Zweiter Abschnitt
ist; denn von wirklichem Nahrungnehmen in der nahyyi-
veala konnte Jesus ebenso wenig reden wollen , als voo
freien und sich freien lassen nach der avagaaig. Ebenso«
wenig aber kann selbst das bei Matthfins mit jener Verbal-
fsung verbundene Versprechen, verlassene Häuser, Aeoker,
Väter, Mütter, Weiber n. s. f. hundertfältig surfickaobe-
kommen , wörtlich verstanden sein x folglich auch das Si-
tten auf Thronen nicht ; sondern ea ist nur ein Bild da-
für, dafs der Jetdgen Thätigkeit für das Gottesreich du
Mafs des l\flnftigen Antheils an der Ehre and Seligkeit
desselben entsprechen werde« — Hoch weniger beweist
der Einsug in Jerusalem: nach so deutlichen Erklärungen
konnte Jesus als hinlänglich bekannt .voraussetaen, in wel-
chem Sinne er das Thier des friedlichen Königs bestieg
«nd die Huldigung des Volks entgegennahm ; die Rffgei
sofort gegen Pharisäer und Schriftgelehrte, sowie die
Tempelreinigung, deuteten vielmehr auf einen Religio»»
nnd Sittenreformator als auf einen Herrscher hin. — End-
lich die Klage, dafs er Jerusalem habe retten wollen, das
nun, weil es ihn verschmäht habe, untergehen werde: diese
wörde höchstens darauf hinzeigen , dafs Jesus früher ge-
hofft hätte, die von ihm herbeisufllhrende Wiedergeburt
seines Volkes werde dasselbe mittelbar auch vom politi-
schen Untergang retten, nicht aber, dafs er im Sinne ge-
habt hätte , unmittelbar auch für seine politische Erueae-
rung thätig su sein 8).
5» 66«
Das Verhältnis* Jesu «um mosaischen Gesetz.
Ins der von Jesu gestifteten Kirche hat die mosaische
Religionsverfassung thatsächlioh ihren Untergang gefui-
3) Vergi. hiezu Da Warn, exeget. Handbuch, 1, 1, S. 163 f- 3>
S. 219; Kirr, HauptthaUachen , S. 91 ff. ; Nsasdi», l« J
Chr., S. 102 ff.
•*
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1
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4
»
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den ; es fragt sieb, ob auch in der Absiebt des Stif-
ters die Abschaffung des Mosaismas gelegen habe?
Hier' fehlt es keineswegs an Aussprüchen and Hand-
langen Jesa, welche unverkennbar dahin su deuten schei-
nen s> Wo immer er die Bedingungen der Theiloahme
an der ßaatXeiv zw sqaviav auseinandersetzt, wie in der
Bergrede, da hebt er nicht die Beobachtung der einseinen
mosaischen Vorschriften, sondern den Innern Geist der
Religiosität and Sittlichkeit hervor; dem Fasten, Beten,
Almosengeben, schreibt er blbfs in Verbindung mit ent*
sprechender Richtung des Gemfiths einen Werth au (Matth.
6, 1—18.) ; in den* Ausspruch , nicht was cum Mund ein-
gehe, sondern was aus demselben hervorgehe, verunrei-
nige den Menschen (Mattb. 15, 11.) , liegt die Nichtigkeit
, der mosaischen Speiseverbote eingeschlossen; die beiden
Hauptbestandteile des mosaischen Coltos, den Opferdienst
and die Fest- und Sabbatfeier, empfiehlt er nicht nur
nirgends ausdrficklich, sondern stellt sogar den erstem
merklich zurück, indem er einen yna/t///a?et£, der von
hereliober Gottes- und Nächstenliebe erklärt hatte, sie sei
lik&av navnav %wv olaKavrwftazan' xai dvouov, lobend ftr
einen solchen erklärte, welcher d ficaegav arto tijg ßaoduas
zS &eö sei (Marc. 12, SS f.) *) ; wie er denn selbst das
tkeov &&to xai « Ovalav aus Hos. 6, 6. (vgl. 1. Sam. 15, 22.)
bei jeder Gelegenheit im Munde fährte (Matth. 9, 13.
12, 7.); gegen die damals abliebe Sabbatfeier aber hat
Jesus mehr als einmal sowohl thätlich verstoßen, als aus»
drttckiich sich erklärt (Matth. 12, 1 - 13. Marc 2, 23—28.
S, 1-5. Luc. 6, 1-10. 13, 10 ff. 14, 1 ff. Johv 5, 5 ff.
7, 22 f. 9, 1 ff), nnd sich, als dem viog tö av&Qomüy die
Macht Aber den Sabbat zugeschrieben; wie auch die Ju-
1) Vergl. BsufBARo, Plan Jesu, S. 14 ff.
2) Eine Uebertrcibung des Ebionitenevangeliums s. bei Epipha-
^ nius, haer. 30, 16.
— V
558 Zweiter Abschnitt.
den vom Messias eine Revision des mosaischen Ge»
; setses erwartet zu haben scheinen *). Einen ähnliches
H Sinn kann man in dem Ausspruche finden , welchen d»
vierte Evangelium (2, 19.) Jesu selbst Buschreibt; das er-
ste (26, 610 und «weite (14, 5a) ihm durch falsche Ze»
gen «geschrieben werden lassen (der Verfasser der A. 8.
. 6, 14. hat etwas Aebnliches als Klagartikel gegen Steph»
nus) : dvvafiai xazalvaat (Joh. : Xvoctve) rov vaov re foa
(Marc: tov xbiqotkhijiov) , xal diu tquSv TjfieQcjv oixödofirr
üat avrcv (Marc.: allovy d%up(molTjtw , olxodoftTjOü)); be-
sonders wenn man als authentische Erklärung hievon das
gelten llfst, was die, A. 6. (a. a. O.) statt der «weiten
\ Hälfte dieses Ausspruchs hgt : xal dkXd&i (nämlich Jeim,
naoh der angeblichen Behauptung des Stephanns) ta ftty,
a naQedioxev rjfäv Mioiioijg. (Jeberhaupt kann man sagen:
wer einmal, wie Jesus, den alleinigen Werth des Innert
gegenüber vom Aeufoern, der Gesammtheit der Gesinnaog
im Vergleich mit der von derselben losgerissenen einseinen
Handlung, in der Art erkannt hat, dafs er die Gottes- osl
Nächstenliebe für das Wesentliche des .Gesetzes erklärt
(Matth. 22, 36 ff.)) dem kann nicht verborgen bleiben,
dafs ebendamit dasjenige im Gesetse, was auf diese beides
Punkte sich nicht besieht, als Unwesentliches bestiom*
ist Gans entschieden aber scheint die Aussicht Jesu anf
Abschaffung des mosaischen Cultos in den Aussprüche«
enthalten su sein, dafs der Mittelpunkt desselben, de*
Tempel in Jerusalem, eerstört (Matth. 24, 2. parnll.), ond
die Gottesverehrung künftig an keinen Ort mehr gebt*
den, eine rein geistige sein werde (Job. 4, 21 ff.)*
Indefs alles diefs ist doch nur die eine Seite der Stel-
lung, welche Jesus sich sum mosaischen Gesetee gab; in-
dem sich ebenso Data finden, Welche su beweisen schei-
nen, dafs er an einen Umsturz der alten' Religiousverfe*-
S) Bsrtkoldt, Christolog. Jud., §. Si.
• ?
Viertes Kapitel. $. 66. 559
sang »eine» Volks nicht gedacht habe: eine Seite, weiche
früher, ans leicht denkbaren Granden, vorzugsweise von
Gegnern des Christenthnms in seiner kirchlichen Form
ausgeführt *), und erst neuerlich, bei erweitertem theolo-
gischen Gesichtskreise, auch von unbefangenen kirchlichen
Auslegern gehörig anerkannt worden ist *). Im Leben
vorerst bleibt Jesus, wie aueh Paulus, Gai. 4, 4», beaeugt,
dem väterlichen Geeetee trau: er besucht am Sabbat die
Synagoge, reist cur Festaeit nach Jerusalem, und ifst an
Ostern mit seinen Jüngern das Pasobalamou Wenn er
am Sabbat heilt oder seine Schaler Aehren ausraufen laTst
(Matth. 12, 1 f£); wenn er in seiner Gesellschafe keine
Fasten und keine Waschungen* vor Tische einfahrt (Matth.
9, 14. 15, %)z so wa? diel* nicht gegen das mosaische Ge*
sota, welches nur Enthaltung von gemeiner Arbeit, rDttSö,
verlangte (2. Mos. 20, 8 ff. 31, 12 ft 5. Mos. 5X 12 ff.),
worunter namentlich Pflögen und Ernten (2. Mos. 34, 21. >,
Holasammeln (4. Mos« 15, 32 ff.) u. dergl. begriffen war,
Beilen aber und Abpflücken einiger Aehren nur von dem
späteren Kleinigkeitsgeiste gerechnet wurde e,j ebenso war
das Waschen der Hände vor dem Essen nur eine höchsr
geswungene rabbinlsehe Folgerung aus 3. Mos. 15, ll«9);
ae wie, was das Fasten betrifft, im Gesetce nur Ein jähr-
liches aligemeines CS* Mos, 16, 29 ff., 23, 27 ff.) , von Pri-
vatfasten aber nichts geboten war •). -*- Von Aussprächen
Jesu findet sich in derselben Bergpredigt, in welcher er
die geistige Religiosität so weit aber alles Rituale »etat
Cneben der Mob gelegentliehen, und daher unverfänglichen
4) Auch diest am bündigsten vom Wolfenhüttier Fragmentisten,
von dem Zweck u. s. f., S. 66 ff.
5) Vorzüglich von Fritmchi, in Matth. S. 214.
6) S. WnfiR, bibl. Realwert erb., lte Aufl., S. 585«
7) Vgl. Faiküi, exeg. Handb., 2, S. 273.
8) Wims, bibl. EleaLw,, 2t e Aufl., 1, S. 426.
■tah
560 - Zweiter Abschnitt
Voraussetzung des vorläufigen Fortbestehen« der Opfer
Matth« 5, 23 f.) j die Erklärung ,' dais er nicht gekomoea
sei, das Oeseta and die Propheten aufzulösen, sondern n
erfüllen (Matth. 5, 17.); worauf sofort dem kleinst«
Bachstaben des Gesetzes ewige Daner verhelften r und
demjenigen , der auch nur das geringste Gebot desselben
als anverbindlich darstelle, mit Zurücksetzung im Himmel-
reich gedroht wird *)• — Demgemlfs beobachteten sack
die Apostel, seibat nadh dem ersten Pfingstfeste noch,
streng das jüdische Gesetz: sie gingen am die Gebeto-
stnnde in den Tempel (A. G. 3, 1.); hielten siebte des
Synagogen ; hingen an den mosaischen Speiseverboten (16}
14.) , und wnlsten die Klagen der judaisirenden Partei
Über das Verfahren des Barnabas und Paulos, weicht
Heiden tauften , ohne ihnen die Last des mosaischen Ge-
setzes aufzulegen, wenigstens durch keine Berufung in*
ausdrückliche Erklärungen Jesu zurückzuweisen (A*6.ft>
Diesen scheinbaren Widersprach in dem Benehme»
und den Aenfserungen Jesu hat man von apologetisches
Interesse ans in der Art lösen so können geglaubt j dafi
man nicht blofs die eigene Gesetzbeobachtung Jesu, tos*
dem auch seine Erklärungen zu Gunsten des Gesetzes ib
nothwendige Acoommodation an seine Volksgenossen 6fr
te: welohe ihm ihr Vertrauen sogleich entzogen hsbeo
würden, wenn er sich als Zerstörer des heilig geachtetes
Gesetzes angekündigt hätte 10). Hieraus liefse sich wirk*
lieh das, dafs Jesus für seine Person das Gesetz beobach*
tete, so gut erklären , als das gesetzliche Leben des Apo-
stels Paulus unter Juden nach seiner eigenen Erklärung
blolse Anbequemung war (1, Kor. 9, 20. vgl. A.G. 16,3}
Aber die starken Versicherungen über die Unvergänglich-
9) Vergl. Fhxtzschi, S. 214 ff«
10) Rkikhard , a. a. O. S. 15 ff. Plawck , Geschichte des Chrl
stentkums in der Periode seiner Einführung, 1, S. 175 ff.
L
Viertes Kapitel. $. 66.
561
kett des Gesetzes and die Schuld dessen, der euch aar
da« kleinste Gebot desselben aufzulösen sieh erkühne, las-
sen sich aas blofcer Aoconunodation unmöglich ableiten;
denn für unentbehrlich erklären, was man doch für über-
flüssig hält and selbst nach and nach in Abgang au brin-
gen wünscht, würde neben der Unredlichkeit sogleich allzu
unklug gehandelt sein.
Daher haben Andere den Unterschied des Moralischen
und Ritaalen geltend gemacht , and die Erklärung Jesu,
das Gesetz nicht aufheben eu wollen, nur auf das erstere
bezogen, welches er durch reinere Herausarbeitung aas
dem blofs Ceremoniellen «u vervollkommnen (jnAqQcSijai)
gestrebt habe ")• Allein eine solche Unterscheidung liegt
In der betreffenden Stelle der Bergrede nicht: vielmehr
ist theils durch vofdog und nQ&pr/zcu die ganze A. T. liehe
Religionsverfassung im weitesten Umfange bezeichnet;
theils sind unter den unbedeutendsten Geboten and klein-
sten Buchstaben des Gesetzes, welche gleichwohl nicht
abrogirt werden sollen, nicht wohl andere, als eben Cere-
monialgebote zu verstehen 12).
Glücklicher ist die^ Unterscheidung zwischen wirklich
mosaischen Vorschriften und den traditionellen Zusätzen
su denselben '*)• Wirklich liefen ja die Sabbatheilungen
Jesu, seine Geringschätzung des pedantischen Waschen*
vor dem Essen u« dgl. , nicht gegen Moses , sondern nur
gegen spätere rabbinjsche Satzungen, and auch mehrere
Reden Jesu führen auf diesen Unterschied« Matth. 15,
3 ff. stellt Jesus die naQadoaig %wv nQ&jßvt&Qwv der iwolr}
mb i
11) db Wim, bibl. Dogm., $. 210.
12) 8. den Fragmentisten, vom Zwecke u. 8. w., 8. 69; Fmtx-
scaa, S. 214; de Wbtte, exeg. Handb., 1, 1, S. 56 j Nsandbr,
L. J. Chr., S. 124.
13) Paulus, exeget. Handb. ^ 1, b, S. 600 f. Leben Jesu, 1, a,
8. 296. 312.
Dom Leben Jesu Ite Aufl. /. Band* 36
502 Zweiter Abschnitt
ts &eS gegenüber, und Matth. 23, 23. erklärt er, wo sfck
beide miteinander vertragen, möge man xavxa nmpm,
xdxelva ^trj dynvcti, wefswegen er anch V. 3. das Volk er-
mahnt, Alles, was ihm die Schriftgelehrten ond Phartsfier
vorschreiben, eu thun ; könne oder wolle man dagegen nur
Eines oder das Andere thun, bemerkt er Matth. 15, 3K,
so sei ei gerathener, nm dem göttlichen (durch Moses ge-
gebenen) Gebote* folgen gta können, itaqaßalvtiv trpr wxqa-
äootv, als umgekehrt TtccQaßabsiv rrjv irrolijv r§ dtü ita
rrv TictQCtdooiv. Ueberhaupt findet er in der Masse tradi-
tioneller Gebote ein (poQriw difgßdzcanm (23, 4.) , welch«
er dem hartgedrtfekten Volke abzunehmen, and ihm dafür
sein tpoqtlw äLaqtQOv, seinen £vyog xp^os, aufzulegen ge-
denkt (11, 29 f.); wefswegen bei aller Schonung, die er
gegen das Bestehende, sofern es nur nicht geradem ver-
derblich wirkte, aussufiben geneigt war, doch seine Mei-
nung dahin ging, dafs alle diese endlftcna dyd-qumujf^
eine qpvre/a, ijv ex igwrevocv 6 nccrijq 6 öQaviog, «u Grssde
gehen worden (16, 9. 13.). Insofern dieses pbarissiid*
Sat«ungswesen grofsentheils auf Aenfserliehkeiten gerieh*
tet war, unter welchen der edle sittliche Kern des mosti-
schen Gesetses sieh verlor; wie wenn man durch Ge-
schenke an den Tempel sich von der schuldigen Dntentl-
taung bedürftiger Kitern entbinden liefe (15,3), oder Aber
dem Versöhnten des Tills und Kämmeis die Nächstenliebe
vergafs (23, 23.): *o ftllt freilieh diese Unterscheiden!
mit der vorigen gewissermafsen zusammen ; indem es in
den rabbinischen Satzungen eben die blofs ceremonielk
Richtung war, was Jesus verwarf, im. mosaischen Gesetss
aber der moralisch - religiöse Kern, um dessen willen er
es hauptsächlich sehätste.
Consequenterweise hätte nun allerdings Jesus, wenn
er einmal das auf Sittlichkeit und geistige Gottesvereh-
rung eich Beziehende als das allein Wesentliche in der
Religion erkannt hatte, alles blofs Rituelle, sofern es sieh
Viertes Kapitel. $. 66.
563
religiöse Bedeutung anmaßte, dergleichen sich schon eine
grofse Masse im mosaischen Gesetse selber fand, verwer-
fen müssen: allein man weifs auf der andern Seite, wie
langsam solche Consequensen , wenn ihnen ein geheiligtes
Herkommen entgegensteht, gesogen werden. Dafs Gehor-
sam besser denn Opfer sei, hat angeblich schon Samuel
erkannt (1. Sam. 1$, 22.), und Assaph, dafs ein Opfer ge-
fühlten Danks Gott besser gefalle, als von geschlachteten
Thieren (Ps. 50*): und doch, wie lange wurden noeh
Opfer neben und statt des wahren Gehorsams beibehalten ?
Lebendiger noch als jene Alten war Jesus von dieser Ue-
berseugung durchdrangen; die wahre ivtohrj tth&bä am
mosaischen Gesetze war ihm eigentlich nur das tlfta zw
7iatiqa9 das e (povevatig u. s. w., vor Allem aber das aya-
mjoeig Kvqiw %6v &eov xai %ov nkrplw : dabei aber Uelse
sieh immer noeh denken, dafs er, einzig an diese Seite
sieh haltend, in eine genauere Prüfung der andern, eere-
moniellen , sich gar nicht eingelassen ; dafs er , in Folge
seiner tiefgewurselten Achtung vor dem heiligen Gesät*»
buche seiner Nation, um jenes wesentlichen Inhaltes wil-
len auch den unwesentlichen geehrt hätte; was er um so
eher konnte, da im Verhfiltnifs su dem in'a Unsinnige
übertriebenen Pedantismus der traditionellen Zusätze das
Rituelle . in? Pentateueh als höchst einfaeh erscheinen
mufste ")• '
Doch die Einsieht, dafs das Gesetz nicht für ewige
Zeiten gültig sei , liegt jedenfalls darin , dafs Jesus nach
Matth. 24- parall. dem Tempel au Jerusalem den bei sei-
ner baldigen Wiederkunft bevorstehenden Untergang , und
nach Job. 4, 23 f. sogar eine Lösung der Gottesverebrung *
14) Vergl. Ne ander, L. J. Chr., S. 118, welcher dazu das Bei-
spiel Fhilö's anführt, der unerschtet seiner geistigen Ausdeu-
tung des mosaischen Gesetzes dennoch zugleich auf Üessen
ausser liehe Beobachtung drang,
36*
/
564 Zweiter Abschnitt«
von jeder localen Gebundenheit, vorausverkfindigt hat; 4a
hiemit die ganEe mosaische Form des Coltus fallen mnfirte,
Dafs er Matth. 5, 18. da* Gesetz fortdauern labt, so lange
Himmel und Erde stehen, widerspricht dem nicht, sobald
man sich ans Matth. 24. erinnert , dafs sich der Hebrfier
den Untergang seines Staats nnd Heiligthuros nnd d*
Ende der (alten) Welt im engsten Znsammenhang dsflhte;
so dafs es dasselbe war, «u sagen: so lange der Tempel
steht, wird das Gesetz danern, oder so lange die Weh
steht ")• Zwar scheint Luc 16, 16., wenn es heibt: o
vofiog xai lü 7iQ<xp7;Tci k'tog *l(odvvif die Gültigkeit de« Ge-
setzes schon mit dem Auftritte des Täufers aufgehoben;
indefs verliert diese Stelle durch die Parallele Matth. 11,
13. : narceg ol nQ4Xfijrai xai 6 vopog tws %Iiodmt nQoe^
tevoav, ebenso ihren ungünstigen Sinn, als freilieb dornt
Lue. 16, 17«, wo das Vergehen von Himmel und Krdi
nicht als bestimmter Termin, vor welchem die Abschaffiwg
des Gesetzes nicht erfolgen werde, aufgestellt, sondern ut
als der leichter mögliehe Fall mit dem Untergange des
Gesetzes verglichen wird, der Ausspruch Matth. 5, &
seinen günstigen Sinn eu verlieren scheint; wobei «*
nur fragt, ob nicht beidemale die Fassung des ersten Enn-
geliums als die richtigere aneusehen ist ? Damit wfiflb
auch der Ausspruch vom abeubrechenden und wieder est
subauenden Tempel in dem Falle zusammenstimmen, wenn
die hierin versprochene Vergeistigung der Religion, ono,
nach Stephanus angeblicher Deutung, die Abschaffung des
mosaischen Gesetzes, von Jesu an den Eintritt des mewi*
nischen aitav jtielXayv geknüpft war. Bienach wären dsss
die Ansicht Jesu und die des Paulus nur so verschieden,
dafs, was jener erst auf der bei seiner verherrlichten Ao*
kunft oder Wiederkunft en erneuernden Erde sich als
wegfallend dachte, dieser schon in Folge der ersten Ao-
15) Vergl. Paulus, exeg. Handh., 1, b, S. 598 f.
Viertes Kapitel. §. 6*. 565
litinft de* Messias, noob auf. der alten Erde, abschaffen eu
dürfen glaubte16).
Doch wie im Geeprfiche mit der Samariterin Jesus
da9 Aufhören des ausschliefslicben Tempeldtenstes nicht
blofs als etwas Zukünftiges, sondern in seinem Anfange
bereits Gegenwärtiges darstellt (ßQ%etai üqq xal vvv £$iv) :
so stellt er an einem andern Orte sich als den gegenwär-
tigen Messias nicht allein ober die traditionellen Zusfttse
sum Gesets, sondern fiber dieses selbst. Bei der schon
eben erwähnten Gelegenheit des Aehrenraufens am Sab«
bat ist es nicht nur das, allerdings blofs der Ueberliefe*
rang ungehörige, Verbot dieser einzelnen Handlung, was
er nicht anerkennt; sondern er sagt gans allgemein , dafs
des Menschen Sohn xvqioq %S aaßßdzs, dafs in seiner mes-
sianischea Erscheinung und Thätigkeit etwas Gröfseres
noch als der Tempel gegeben sei, dessen Besorgung die
Priester von den Sabbatgesetzen dispensire (Matth. 12,
5 ff. > Wenn so in der letsteren Stelle eine Erhebung
fiBer das Gesets auch nach seinen mosaischen Beetandthei-
Jen, in der ersteren aber, in Vergleichnng mit den Gleich-
nifsreden vom Sauerteig, vom Senfkorn u. a., die Andeu-
tung einer all mahl igen Entwiekelung seines Reichs und
eines damit gleichen Schritt haltenden ZurQcktretens des
Tempelcultus enthalten ist x so stellt sich als das Wahr-
scheinlichste doch diels hervor, dafs Jesus, wie Paulus,
«war für seine Person das Gesets beobachtete, um sieh
nicht von seiner Nation losunreifsen , dafs er überhaupt
keine gewaltsame . Abschaffung desselben beabsichtigte ;
ebensowenig aber das Aufhören des Gesetzes erst mit dem
Abbrechen der ganzen jetzigen Weltordnung erwartete:
sondern dafs er von dem Wachs thom und Reifen seiner
Ideen hoffte, es würden mit demselben die Biätterhflllen
16) Vcrgl. Hiss , L. J. , §. 84. Rahbinische Vorstellungen von
Abschaffung des Gesetzes s. bei Schöttgui, 2, S. 611 ff.
566 Zweiter Abschnitt.
»
F*
und Schalen von selbe* fallen , die ein damals noeh äugt*
ben , ond welche von dem noch anreifen Kerne Vorzeitig
absureifsen, diesem, wie er wohl wufste, nur cum Seha-
den gereichen konnte.
Bei dieser Stellung Jesu darf et an* nicht mehr Was*
der nehmen, dafs er in seinen Reden Aber diesen Punkt sn-
rflckhaltend war, cnfrieden, seinen Jüngern die Prftmissen ge-
geben an haben, ans welchen frflher oder eplfter die gewünsch-
ten Folgerangen gesogen werden mofsten (vgl. Job. 16, 13f.
Ja selbst fene Aussprüche In der Bergrede, welche ab po-
sitive Veraicherang der fortwährenden Gültigkeit des Ge-
setzes erscheinen kennen, treten bienach in ein änderet
Licht« Die Annahme einer Accommodatien «war, wie die
Unterscheidung dea Moralgesetees vom Ceremonialgesetn,
bleibt aus den oben beigebrachten Gründen unauUMg;
aber Geist ond Buchstabe 'ist an unterscheiden, und wena
Jesus auch dem kleinsten Bnchstaben des Gesetaes ewige
Daner ausiohert, so kann diefs nach dem Bisherigen, wie
nach dem Zusammenhange der Bergrede selbst , our »
verstanden werden, dafs von demjenigen nichts verleite
gehen dfirfe , was von wirklichem sittlich - religiösen fit-
halte selbst in den scheinbar Kaiserlichsten Geboten ent-
halten sei. In ähnlicher Weise sagt ja auch Paulas, der
den Werken des Gesetzes allen Werth .absprach, ond die
Christen von der Beobachtung der Vorschriften nesselest
entband, dennoch von seiner Lehre aus, daft sie das Ge-
setz nicht umstofse, sondern erat recht geltend msehe
tlgajftev, Rom. 3, 31. vgl. 8, 4.)? <L b. nicht die Äufeereu
Vorschriften desselben, sondern den Gebt, und das Weeee
des Gesetzes. So ist die folgenreiche Idee dea Paulas res
dem Gesetc als einer blofs vorbereitenden Eraiehongsu-
stalt (yoftog naidayc*yog9 Gal. 3, 24), die aber mit Errei-
chung des Zweckes der Ersiehung , mit dem Eintritte des
Zöglings in das reife Alter, als ferner überflüssig, wegfal-
len müsse: diese paulin ische Idee ist nur Wiederaufnahme
Vierte« Kapitel. $. 67. 567
dessen, was sehen Jesus erkennt, und euch der Form
nach in der Aeufserung angedeutet hat, dafa Moses dem
Volke uqoQ xijv oxlt}(fotca()diav awiZv Manches angelassen
habe, was jetat, bei fortgeschrittener Entwickelung , nicht
mehr so dulden sei (Mattb. 10, 8 f.) 17).
f. 67.
Umfang des mcssianischen Plans Jesu. Verbältnist zu den Heiden.
Die Ausdehnung ober den Kreis des jüdischen Volkes
hinaas, welche das von Jesu gegründete Reich frühaeitig
gewann, war ansern Evangelien aufoige durch ausdrück-
liche ErklSrungen Jesu vorgeaeichnet. Bei seinem Auf-
tritte id der Synagoge seiner Vaterstadt wies Jesus, cum.
großen Verdrösse der Nasaretaner, aunächst awar bloüs
um seine Abwendung von Nesaret au motiviren, auf das
Beispiel des Elia und Elisa hin, welche um der Un Wür-
digkeit ihrer Volksgenossen willen ihre Wohlthaten an
Heiden bitten wenden müssen (Luc. 4, 86 ff.)- Aus Veranlas-
sung seines Zusammentreffens mit dem kapernaitischen Haupt-
manne versicherte Jesus ferner, in der ßaotlela %<öv «(>or-
vtav würden einst noXXol <mo ävaxcJuüiv xcd tfvOfuxh' kommen
und mit den Patriarchen au Tische sitaen , während die
vlol %rt$ ßaoilticcg , d. h. offenbar die Juden, welchen es
ursprünglich bestimmt gewesen, hinausgeworfen werden
würden (Matth. 8, 11 f.). Noch bestimmter erklärt er,
als Nutzanwendung der Parabel Von den Weingärtnern,
seinen Volksgenossen : ort aQ&jocral äq>* vfiiliv rj ßaadela
%b &€3 xal dothfoerai ifhet noiSrBi %sg xaQTtss avzijs
(Matth. 21, 43), und in der Rede über die Parusie wird
die Verkündigung des Evangeliums unter allen Völkern als
einer der Umstände betrachtet, welche der Wiederkunft
17) Vergl. hirzu NiAftnan, S. 117 (f. } na Wbtts, exeg. Handb.,
1, I, S. 56 ff.
568 Zweiter Abschnitt
des Messias vorangehen muTsten (Matth. 24 , 14. Man.
13, 10.)« Endlich nach seiner Auferstehung gibt Jesus des
Jüngern die förmliche and bestimmte Anweisung: no(m-
&tvzEQ fiaSTjrevactre navra ra't9vrn ßcmrl^oneg cnksg x.t.l
(Matth. 29, 19. Marc. 16, 15. Lac. 24, 47.)*
Auf rftthselhafte Weise jedoch stellt sich diesen Er»
klftrungen Jesu für die Zulassung der Heiden In das me>
sianische Reich eine Reihe anderer gegenüber, aus wel-
chen hervorsugebien scheint , dafs eine solche Ausdeutung
desselben keineswegs In seinem Sinne gelegen habe *>
Als. er die Zwölfe auf die erste Missionsreise aussen-
det, weifs er ihnen nichts angelegentlicher einzuschärfen,
als: etg odcv idytSv yr} <mtX97pe — noQevea&e di fiutta
Ttoog Ta nQößcaa ra anoXtDloza <&t& *IaQcnjl (Matth. II,
5 f.)« DaT* diesen Ausspruch nur Matthäus hat, die bei-
den andern Synoptiker aber nicht, diefs ist schwerfiel
so su erklÄren, dafs der judaisirende Verfasser des erstes
Evangeliums diese Worte mit Unrecht hin zugesetzt; w*
dern umgekehrt so , daCs die hellenisirenden Verfasser der
beiden andern sie weggelassen haben. Denn da unter
MatthXus dooA nicht so sehr judaisirt, dafs er Jen die
Absicht unterlegte , das messianisohe Reich auf Juden n
beschränken; da er vielmehr S, 11 f. 21, 33 ff. 22,1 &
28, 19 f. Jesum deutlich von der Berufung der Heides
sprechen läfst: so hatte er keinen Anlafe, einen so psrtt
cularistischen Zusats au machen; wohl aber die ' anders»
den Ausspruch, cur Vermeidung, des Anstofsea bei den ntna
mehr aufgenommenen Beiden, wegaulassen.
Diesem Verbote entspricht das eigene Verfahren Jen
gegen das kananäisohe Weib, dessen Bitte um Heilung &V
rer kranken Tochter er defswegen nicht gewähren will,
weil er nur su denr verlorenen Schafen des Hauses Israel
gesandt sei (Matth. 15, 24.)* Und awar handelte es sieb
1) So der Wolfcnbüttlcr Fragmentist, a. a. O. S. 72 ff.
Viertes Kapitel. 5. 67. 500
hier nicht einmal um Zulassung «um messlanischen Reiche,
sondern nur am eine einzelne , seitliche Wohlthat, wie
dergleichen schon Ellas und Elisa auch Niobtlsraeliten er-
wiesen hatten (1. Kön. 17, 9ffc 4. Köo. 5, lff.), auf deren
Vorgang sich Jesus selbst , wie eben erwähnt worden ist,
berief; wefswegen auch die Jünger die Gewährung der
Bitte natürlich nnd unanstöfsig fanden; so dafs man hier
a tninori ad majus scheint fehliefsen bu können: wenn
nicht einmal diese äußerliche Wobithat, dann wird Jesus
noch viel weniger den Segen des Messiasreichs einem Hei-
den anzuwenden geneigt gewesen sein« Zwar ist hiebe!
die ausdrückliche Erklärung, nur zu den Israeliten gesandt
su sein, dem Matthäus eigentümlich; aliein theils ist die
Auslassung derselben bei Markus (bei Lukas fehlt die
gaose Ersählung) auch hier wie oben au erklären; theils
liegt auch bei ihm in der Aeufserung Jesu, dafs die Kin-
der vor den Hunden gesättigt werden müssen , der Sache
nach dasselbe.
Dazu kommt das Benehmen der Apostel nach dem
Hingange Jesu (A. G. 10. u. 11.). Her heidnische Haupt-
mann Cornelius, durch seinen gottseligen Wandel der Auf-
nahme in die messianische Gemeinde würdig, wird von
Gott durch einen Engel an den Apostel Petrus gewiesen«
Weil es aber Gott nicht verborgen war, müssen wir im
* Geiste der Ersählung ergänzen, wie schwer der Apostel
dazu su bewegen sein würde, einen Heiden . ohne Weite-
res in das Messiasreich aufzunehmen, fand er für nOthig,
denselben in einem symboIi8ohea<43esichte, das ihm die jü-
dische Unterscheidung zwischen Reinem und Unreinem als
nichtig darstellte, bu einem solchen Schritte vorzubereiten.
Auf diese Weisung geht Petrus «war au Cornelius; ihn
aber mit seiner Familie bu taufen, dazu wird er erst durch
ein weiteres Zeichen bewogen, indem er nämlich das
7tvevfta ayiov über sie kommen, sieht. Wie ihn nachher
die Judenchristen in Jerusalem über die Aufnahme von
570 Zweiter Abschnitt,
Beiden eh* Rede stellen, beruft sich v Petras se seiner
Rechtfertigung nur auf die gehabte Vision und das bei
der Familie des Hauptmanns bemerkte meöfuz aytw. Mai
mag von dieser Geschiebte denken, wie man will: in jeden
Falle ist sie ein Denkmal der vielen Ueberlegnngen and
Kämpfe, weiche es nach Jesu Hingang die Apostel kostete,
sieh von der Aufoabmsfähigkeit der Heiden als solcher is
das Reich ihres Christus sutfiberaeugen, und der Gründe,
durch welche sie nur Aufnahme derselben endlich bewo-
gen worden sind ; Kämpfe und Ueberlegnngen, welche, wie
es scheint, nicht stattfinden konnten, wenn von Christ**
selbst eine so bestimmte Erklärung vorlag, wie namentlich
in dem sogenannten Taufbefehl eine enthalten iet»\
Doch eine Beschränkung seines Reiche» auf da* jo-
dische Volk kann man Jesu schon defswegen unmöglies
nutrauen , weil er damit unter den Standpunkt der alten
Propheten seiner Nation uurtiokgesunken -wäre, welches
die Hoffnung geläufig war, dafs in der messianischen Zeit
auch die Heiden nur Jehovareligion sich bekehren würden
(Jes. 2, 2 ff. Jer. 3, 17. Arnos 9, 12. vgl. A.G. 15, 15 ff.
Maisch. 2, ll.)» Demgemäfs hatte auch der Täufer, der
letzte Prophet , die jüdische Abstammung so gering ange-
schlagen, dafs er seine stolzen Volksgenossen auf die Steine
am Ufer des Jordan hinwies mit dem Bedeuten, im Noth*
fall wäre Gott im Stande, aus diesen dem Abraham Nach« '
kommen zu schaffen (Matth. 3, 0.) *)• Wie sollte nun
Jesus, der sonst in Bezog auf die flöhe des Standpunkte!
und Weite des Gesichtskreises so hoch über diesen Min-
nern steht ; der, wie wir zuletzt gesehen haben , das nw
saisohe Gesetz und den Tempeldienst als Anstalten be-
trachtete, welche bjald der Anbetung Gottes im Geist und
in der Wahrheit weichen würden : wie sollte er ganz fol-
gewidrig die Segnungen seiner Stiftung in die zufälligen
2) Vfrgl. Njum>eh, L. J Chr., S. 54.
Viertes Kapitel. $. 67. 57t
Grinsen Efre* Volkes beben eineehlleben wollen? Indem
durch diese üeberiegungeh ein entschiedenes Uebergewiebt
in die Wagscbale derjenigen Aussprflebe und Ersäblungen
von Jesu geworfen wird, welche die Idee der Ausdehnung
des Messiesreiehs auch ober Heiden enthalten: se fragt
sieh nur, ob die entgegenstehenden Stellen sieh mit Jenen
in (Jebereinstimmung. bringen lassen?
In dieser Hinsieht kann da? den Jüngern erthettte
Verbot, sieb an Heiden na wenden, mit aller Wahrschein-
lichkeit als ein solches dargestellt werden, welches blofo
vorläufig gelten seilte; indem Jesus gerathen fand, wäh-
rend seiner Lebenszeit das Evangelium vorerst nur unter
seinen Volksgenossen feste Wurzel fassen, und erst später,
wenn sich überdieCt die Vorstellungen seiner Anhänger
durch seinen Tod gereinigt haben worden, sich weiter
ausbreiten su lassen *). Die anfängliche Härte gegen das
hananäische Weib scheint hieraus nioht erklärlich , da es
sich hier, wie schon oben bemerkt, gar nicht um Zulas-
sung in das messianische Reich handelte, und fiberdiefs
Jesus eine ähnliche Wohlthat bei einer andern Gelegen-
heit bereits einem Heiden erwiesen hatte. Der Hauptmann
von Kapernaum nämlich, gleichfalls ein Heide (wie aus
dem ade er c<p iüQcdjl %oaav%rpf iücw bvqw erhellt), bat
Jesu kaum eine ähnliche Noth wie Jenes Weib geklagt,
als er sich schon von selbst erbietet, nur Heilung seines
Knechts in sein Haus cu kommen (Matth. 8, 5ff. )• Das
aber macht hier, nach Nianpär's richtiger Beobachtung,
einen Unterschied, dafs das Ansinnen des Hauptmanns
jnitten im jüdischen Lande, die Bitte der Kananitin aber
an den Grausen der Heiden an Jesum erging, wo er eher
befürchten konnte,- durch einen solohen Vorgang in einen
5) S. Rkikhabd, a. a. O. ; Phjtcm, Geschichte de« Christenthums
in der Per. seiner Einführung, 1, S. 179 ff. ; uk Wbtt«, exc£.
Handb., J, i, S7i00; Nlaadkh, L. J. Chr., S. 460 ff.
57*2 Zweiter Abschnitt.
Verkehr mit Heiden verwickelt su werden, der ihm flr
jetzt noch nicht gerftthen schien. Ueberdiefs, weon wir
iiuf den endliehen Ausruf Jesu sehen: so enthielt dieser,
in dem: eJ yvvai, /ueyalrj ob rj nlgts, eine Ähnliche Var-
herrlichnng der Frau, wie in der verglichenen ErsShlang
der Hauptmann verherrlicht wird, und es bleibt immer
möglich, dafs Jesus ihre Glaubensstärke auf die Prob»
stellen wollte, um, im Falle -sie diese bestfinde, den Jon-
gern die Heidin in einem Liebte an neigen , das manehen
Israeliten beschämen konnte« Bndlich der scheinbare Wi-
dersprueh ewischen dem Taufbefehl und den Bedenklich-
keite*h der Apostel wegen Zulassung von Heiden zur Tasfc
löst sich gleichfalls, wenn mau erwägt, wie die Apostel
hur darein sich nicht gleich finden konnten j dafs Heides
als solche, d. h. ohne vorher durch die Beschneiduog sick
dem Volk Israel einverleibt su haben, und ohne fernerhin
das Geseta Jehova's su beobachten, Mitglieder des Reiehei
Christi sollten werden können: und darüber allerdiags
hatte Jesus nichts bestimmt, dessen einfacher Befehl, tll*
Völker an taufen, sammt der Drohung, dafs das Mesau*
reich wegen der Dnwfirdigkeit der geborenen Israelit*!
en den Heiden litergehen würde, es unentschieden lieft)
ob diese ohne Weiteres, oder erst nach vorhergegangener
Annahme des Judenthums , an den Segnungen seines
ches Antheil bekommen sollten *)•
4) Die Propheten dachten sich den Antheil der Heiden am Mee-
siasreiche ohne Zweifel in der letzteren Weise, und nid
Roth, in epist. ad Hebraeos, p. 117 f. war es Unterscheidung«-
lehre der Schulen Hülel's und Schammai's , das« nach der
ersteren nur Beobachtung der noachischen Gebote , nach der
letzteren Unterwerfung unter das ganze mosaische Gesetz iut
Bedingung der Aufnahme der Heiden in das Messiasreich ge-
macht wurde.
Viertes Kapitel, i 66. 573
i
i. es.
Verhältnis* des messiaaisefcen Plans Jetu su den Samarttanern.
Sein Zusammentreffen mit der samarischen Frau.
Aehnliobe Schwierigkeiten liegen In der Stellung,
welche Jesus sich und seinen Jüngern so den Bewohnern
Samarieng gegeben hat Während er nffmiioh in der In«
strnetionsrede , Matth. 10, 5., seinen Jöngern das Besu-
chen einer nolig 2afiaqeixwv eben so sehr wie das Betre-
ten der oSog iOriov untersagt i lesen wir bei Johannes
(Kap. 4.) 9 dafs, Jesus selbst auf der Durchreise dorch
Saniarien mit rielem Erfolge als Messias gewirkt, aueh zu
dem Ende sich zwei Tage in einer samarischen Stadt auf-
gehalten , und in der Apostelgeschichte (1, 8.) , dafs er
vor seiner Himmelfahrt den Jüngern aufgetragen habe,
seine Zeugen nicht blofs £v ^LeQSoaXrjfi xal iv naaj] rfj 7ö
dal ^ y sondern auch & rfj 2afiaQsl$ an sein. Dafe Jesus
fllr seine Person nicht, wie es nach jenem Verbote schei-
nen könnte, Samarien gXnzlioh gemieden habe, siebt man
aas Luc. 9, 52. (vgL 17, 110» wo seine Jünger in einer
xw/^7 2afiaQ€iTtSv ftr ihn Quartier bestellen wollen ; wie
denn auch nach Josephus der gewöhnliche Weg der zu'
den Festen reisenden fjalilXer durch Samarien ging *)•
Dafs er den Samaritanern nicht abhold war, vielmehr In
mancher Hinsicht ihre Vorzöge vor den Juden anerkenn-
te, erbellt daraus, dafs er in einer fjleiohnifsrede gerade
einen Samariter com Vorbilde der Barmherzigkeit wählte
(Luc. 10, 30 ff.); auch war ihm Ja nach Luc 17, 16.
'wirklich ein Fall vorgekommen, wo unter zehn Geheilten
nur Einer, und zwar ein Samariter, sich dankbar bewies;
endlich lielse selbst das sich hieher beziehen, dafs seine
J) Antiq. 20, 6, 1. Nicht ganz zusammenstimmende rabbinischc
Grundsätze hierüber s. bei Lichtioqt, S. 991 ff.
574 Zweiter Abschnitt.
{tidischen Gegner Jesu einmal den Vorwarf machen: e
xaltSq Xfyoftev, Sri Saftagehijs el ei—; (Joh. 4, 48.) *)
So natürlich es hienach so sein acheint, dsfs Je«
diese empfängliche Seite des samariseben Volkes, du
überdiefs auch von der Messiasidee nicht unberührt wir
(Job. 4, 25.) *), durch gelegentliche Verkündigung dei
Messiasreiohs bei demselben auch wirklieh in Ansprak
genommen habe: so mnft doch das eigentümliche V«-
hältnifs Bedenken erregen, in welchem man in dieser Hin-
sicht die Tier Evangelisten eu einander erblickt Wih-
rend nämlich Matthäus weder eine Berührung Jesu nk
den Samaritanern , noch einen Aussprach über sie, aoCwr
Jenem Verbote , hat : gibt Markos «war gleichfalls weder
eine Berührung noch eine günstige Aeufserung, aber dock
auch ebensowenig eine nachtheilige» wie Matthäus; Lnhi
bat swei Berührungen Jesu mit ihnen , von welchen dfe
eine »war ungünstige die andre aber, sammt seinen An-
iserungen über die Samaritaner, um so günstiger ausfallt;
Johannes endlich weifs von einein gans genauen und bödtf
günstigen Verhfiltnifs Jesu eu dem sumerischen Volke n
ersählen. Sollen alle diese so verschiedenen Nachricht»
gegründet sein: wie konnte Jesus das einemal verbieten,
die Samaritaner in den messianisohen JPlan hereineaöe-
hen, das andremal aber diefs selber ohne Anstand thnn?
und Ewar mühte, wenn die Anordnung der Evangelisten
etwas gelten soll , die eigene Wirksamkeit Jesu in Samt-
rien früher fallen , als das den Jüngern auf ihre Mi*
sionsreise mitgegebene Verbot. Denn die in Galiläa vor
sich gegangene Aussendung der Zwölfe hat in der kurzen
Zeit, welche dem vierten Evangelium zufolge Jesus vor
dem ersten Pascha in jener Landschaft war (2, 1-1&)>
keinen Raum; sie mühte also nach diesem Pascha, und,
2) db Wstis, exeg. Handb., 1, 3, S* 62.
3) Vgl. Birtholdt, Christol. Judaeorum, §• 7.
«
Viertes Kapitel. §. 68. 575
«
well der Besuch in Samarien auf die Rückreise von dem-
selben fÄilt, auch nach Jenem Besuche erst vor sieh ge-
gangen sein; wie aber konnte Jesns, wenn er selbst be-
reits, and zwar mit dem schönsten Erfolg, in Samarien
messianiseb gewirkt hatte , seinen Jüngern ein Aehnlicbes
verbieten? Setzt man dagegen die von Jobannes erzählte
Seene nach dem von Matthäus aufbehaltenen Verbote: so
sollten die Jünger nieht so sehr darüber, dafs Jesns über-
haupt mit einem Weibe (Job. 4, 27.), als dafs er gerade
mit einer Samariterin sieh so angelegentlich unterhielt,
sich gewandert haben *)•
Wenn es sieh bei scheinbar so widersprechenden
Angaben fragt , ob denn wirklich beide historisch sicher
stehen : so kommt auf der den Samaritanern ungünstigen
Seite jene Ungastlichkeit eines samarischen Dorfs und der
dadurch aufgeregte Feuereifer der Zebedaiden nicht fci
Betracht; da weder ein einzelner Vorfall dieser Art Je»
snm von den Samaritanern abwenden konnte, noch die
Wirksamkeit Jesu in der samarischen Hauptstadt die Un-
freundlichkeit jener Dorfbewohner nothwendig verhindern
mnfste. Sondern es handelt sich einsig um jenes Verbot
in der Instraetionsrede, und von diesem müssen wir, wie
oben von dem die Heiden betreffenden: und ans den glei-
chen Gründen, sagen: wenn ee gleich nur der erste Evan-
gelist hat, so ist es doch erklärlicher, wie die übrigen be-
wogen sein konpten, es wegzulassen, als jener, es nnge»
schichrlich hinzuzufügen.
Untersuchen wir sofort , ob nicht auf der andern,
den Samaritanern günstigen Seite sich Un historisches an«
gesetzt hat: so kommt vor Allem die Ers&blung des vier«
ten Evangeliums (K. 4.) von dem Zusammentreffen Jesu
mit der samfarischen Frau and was sich daran schliefst,
4) Mit Unrecht wollten dien Einige in die Frage legen ; s. bei
Lücicb, 1, S. SS*
r'
» •
*1
.77fl Zweiter Absehnitt.
in Betracht. Hier Irinnen wir «war die Anstifte nicht
finden« welche der Verfasser der Probabilieo schon in der
Ortsbeaeichnuqg und dem Anfang des GesprXehs Jesu ab
der Frau nachweben an können glaubt 5) : aber von V. 11
an tbun sich auch nach dem GestftndnUs unparteilich«
Ausleger0) manche Schwierigkeiten hervor. Die Fra
hatte euletat Jesum 'gebeten, ihr auch von dem Wsimi
an geben, welches für immer den Durst lösche, und dar*
auf sagt nun Jesus unmittelbar: tmaye, qwnpwxw avd(p
<ra. Woau diefs? Die Ansicht. Jesus habe durch die«
Frage | wohlwissend, dafs sie keinen recbtmfifsigen Mino
habe, die Frau nur beschämen und nur Buße leiten wol-
len 0 , weist Lücke ab , weil ihm solche Verstellung u
Jesu nicht ge&ilt, und vermuthet, wegen des Unverstands
der Frau habe Jesus durch Berufung ihres vielleicht ea»
pfänglicheren Mannes sich Gelegenheit su einer gedeihli-
cheren Unterhaltung verschaffen wollen. Aber wenn dock
Jesus, wie sich sogleich seigt, wußte, dafs das Weibia
gegenwärtigen Zeitpunkte keinen eigentlichen Ebemaaa
hatte , so konnte er nicht im Ernste die Herbeirufung de*
selben verlangen, und namentlich, wenn er, auch nach
Lückb's Zugestfindnifs , diese Kunde auf übernatürlich
Weise hatte, so konnte ihm., der auch sonst wußte, wu
im Menschen war, auch diefs nicht verborgen sein, dab
die Frau wenig geneigt sein werde , seiner Aufforderung
au entsprechen. Hat er aber vorausgewufst, dafs das Ver-
langte nicht geschehen werde, ja selbst nicht geschehet
könne: so war auch die Aufforderung nur eine versteilte,
und hatte nicht die Herbeischaffung des Mannes, sondern
etwas gans Anderes cum Zwecke. Dafs aber dieis die
5) BiumcBiYSiDta, a. a. O. S/ 47 ff. 97 f. Doch vgl, di Wim
su V. 11 f.
6) Vgl. Lücke und bi Wette z. <L Abtchn.
7) So Tmolüch x. d. St.
Viertes KapNel. §.08. 577
Bnfse der Frau gewesen wäre, davon liegt in der Erzäh-
lung nichts ; denn als endliche Wirkung auf die Frau tritt
keineswegs Beschämung und Reue, sondern Glaube an den
prophetischen Blick Jesu" hervor (V. 19.), und diefs wird
auch die Absicht Jesu gewesen sein; denn die Erzählung
ist so gehalten, wie wenn ihm sein Vorhaben mit der Frau
gelangen, also der Erfolg mit der Absicht zusammen getrof-
fen wäre« Hiebei ist indessen nicht sowohl das anstöbigj
was Lückb Verstellung nennt, da diese ganz unter die
Kategorie des auch sonst vorkommenden unverfänglichen
TUiQu&iv ftilt, als vielmehr die Gewaltsamkeit, mit wel-
cher Jesus die Gelegenheit, sich in seiner prophetischen
Gabe au zeigen, selber macht.
Mit derselben Gewaltsamkeit mnfs gemach die Frau
das Gespräch auf einen Punkt hintreiben, an welchem auch
vollends die MessianHät Jesu offenbar werden kann. So«*
bald sie nämlich Jesum als einen Propheten erkannt hat,
eilt sie sogleich, ihn über die zwischen Juden und Sama-
ritern obsohwehende Streitfrage rttcksichtlich des Ortes
der wahren Gottesverehrung zu Rathe zu ziehen (V. 20.).
Dafs ein so starkes Interesse an dieser religiös -nationalen
Frage zu dem sonstigen beschränkten Wesen der Frau
nicht passe, dessen sind die meisten jetzigen Erklärer
durch die Annahme geständig, sie habe, weil sie sich
durch die Aeufserung Jesu Aber ihre- ehelichen Verhält-
nisse getroffen fohlte, durch jene Wendung nur das Ge-
spräch von dem ihr empfindlichen Punkte ablenken wol-
len *)• Diefs läfst sich hören ; war aber hienach die Frage
nach dem rechten Orte des Gottesdienstes dem Weibe
nicht ernst, sondern lag derselben nur falsche Scham,
welche sich dem Bekenntnifs und -der Bufse entziehen
«will, zum Grunde: so sollten jene Ausleger sich doch an
das erinnern, was sie sonst bis zum Ueberdrusse wieder-
8) So Lückb und Tuolück z. d. St. ; Hase, L. J., $. 67.
Das Leben Jesu Me Aufl. I.Band. 37
579 Zweiter Abschnitt
holen, dafs Jcsns (bei Johanne«) In seinen Antworte!
durchaus nicht sowohl auf den ausdrücklichen Sinn der
Fragen, als anf die dabei cum Grunde liegende Gesinnung
Rücksicht nehme« Dieser Methode nufolge durfte er die
nicht ernstlieh gemeinte Frage der Fran nicht im höchstes
Ernst beantworten, sondern mufste mit Umgehung dersel-
ben auf den suvor schon getroffenen empfindlichen Fleck
im Bewufstsein der Frau, den sie jetet sn verdecken
suchte, losarbeiten, um aie wo möglich smm vollen GeftU
nnd offenen Bekenntnifs ihrer Schuld eo bringen« Aber
dem Erslhler ist es einmal darum su thun, Jesom hier
nicht blofc als Propheten, sondern bestimmt' als MenSsj
anerkannt werden su lassen: und diefs glaubte er an be-
sten durch die Lenkung des Gesprächs auf die Frage nich
dem wahren Orte der Gottesverehrung, deren Lösung nai
vom Messias erwartete (V. SS)9)* herbeiführen «o kos*
nen. Indessen — wir können nicht wissen, ob nicht du
Gewaltsame dieser Debergfinge nur Folge davon ist, dsfi
der Evangelist Mittelglieder aasgelassen hat: nnd so Ist
aus dem Bisherigen noch kein Schlafs gegen des p*
echichtlichen Charakter der JSralhlung an liehen.
Öle Kenntnifs , welche V. 17 £ Jesus von den Ver*
hfiltnissen des Weibes zeigt, hat man natürlich an erkü-
ren gesucht durch die Voraussetzung, dafs, während Je*
aus am Brnnnen safs, nnd die Fran ans dem Stldtebei
dahergegangen kam, ihm ein Vorübergehender einen Wink
gegeben habe, sich mit ihr, als einer solchen, die Jena
nach dem sechsten Manne trachte, nicht einzulassend
Allein neben dem Unwahrscheinlichen, dafs ein Vorüber-
gehender nichts Angelegeneres mit Jesu na sprechen ge-
habt haben seilte, als ihn von den Verhältnissen eiset
unbedeutenden Weibes su unterrichten, stimmen jetst
' :
9) Vgl. Scuöttck*, horae, |, S. 970 f. Wetsteih, S. 865.
10) Paulus, Leben Jesu, 1, a, 187; Comment. 4, z. d. St.
j
Viertes Kapitel. $. 66. »79
Freunde wie (fogner des vierten Evangeliums darin über«
ein, dafs jede natürliche Erklärung jener Kunde Jean der
Absieht dea Berichterstatters geradeso widerstrebe u>
Denn wenn dieser am der Eröffnungen Ober ihre Verhält»
niese willen nicht allein die Frau selbst (V. 19.)> sondern
auch viele Bewohner der Stadt (V. 39 ), an Jesum gläubig
werden läfst: ao meint er diefs gewifs nicht so, dafs diese
Leute, wenn aoeh nicht im Resultate (dafs Jesus ein Pro*
phet sei), so doch im Kriterium (dafs er es vermöge jener
Kenntnifs sein müsse), sich getäuscht und fibereilt, son-
dern dafs sie ganz recht gehabt haben ; er faftt also jenes
Wissen Jesu als Ausflufs seiner höheren Natur. Dafs
nun vermöge dieser Jesus seine eigenen messianischen
Schicksale und die grofsen Entwicklungsknoten seines
Reiches prophetisch vorausgesehen * auch daä Innere der-
jenigen, mit welchen er gerade tut thun hatte, durchschaut
habe: dieft kann man, bei einer gewissen Ansieht von
seiner Person, wahrscheinlich, und in jedem Falle nur
höchst würdig finden; dafs er aber immer und liberall
selbst die äufsern Verhältnisse aller andern Personen im
kleinsten Detail gekannt habe, diefs ist, je höher man
seine prophetische Würde fafst, eine desto unangemessen
nere Vorstellung, und jedenfalls zerstört eine solehe empi-
rische, nicht Allwissenheit, sondern Alleswisserei , das
menschliche Bewufstsein, das doch auch die orthodoxe Vor-
,1 Stellung in Jesu setzen will i2). Dagegen ist die Gabe, fflr
, Augenblicke im Innern anwesender Personen su lesen, und
e durch Vermittlnng dieses Innern selbst von Abwesenden,
» mit denen sie im Verhältnifs stehen, oder standen, Kunde
0 su bekommen — eine solche Gabe ist uniäugbar schon bei
1 Somnambulen beobachtet worden18): und hier ist es, wo
dl) Vgl. Olsbausbr z. d. St. und Brbtscbjibidbr , Prob ab. S. 50.
12) Vgl. Brbtschkbidbr, a. a. O. S. 49 f.
13) c u. A. Wibth, Theorie de» Somnambulismus, S. 216 ff.
- 3T*
SSO Zweiter Abschnitt.
der Kritiker sich über einem apologetischen Interesse be-
trifft, wenn er eine Fähigkeit, die sonst nar in Begleitung
krankhafter Zustände vorzukommen pflegt , Jesu sun-
schreiben Bedenken trägt. Näher indefs ist diese Bedenk-
lichkeit doch auch historisch nicht unbegründet: sofern
von krankhafter Ueberspahnung in dem Wesen nnd Leben
Jesu keine Spur zu finden ist. Doch , wenn gleich jene
Gabe sonst nur als Begleiterin leiblicher und geistiger
Krankheiten vorzukommen pflegt : so bleibt es darum in-
mer möglich, dafs dieselbe einnial auch einem in beider
Hinsicht Gesunden verliehen gewesen wäre , und so Übt
sich daraus, dafs sie hier Jesu zugeschrieben wird, keine
Folgerung gegen den geschichtlichen Werth des Beriohtei
ziehen. Ebensowenig aber — wohl zu merken — ist tm
einer solchen Gabe etwas für die höhere .Natur Jesu n
beweisen ; da ja vielmehr , wenn uns seine geistige on'
sittliche Gesundheit nicht sonsther gewifs wäre, jene Fi*
bigkeit wie sonst als etwas Krankhaftes betrachtet Her-
den müfste.
Weiter spricht nun Jesus (V. 23 ff.) gegen das Wob,
mit Hase zu reden , den höchsten Grundsatz seiner ßeli*
gion aus: geistige Verehrung Gottes durch ein fron**
Leben, mit Aufhebung jedes Ceremonialdienstes , und be-
kennt sich offen als den Gründer einer solchen Gottesver*
ehrung, als den Messias. Hier hat man allerdings Anlaß,
zu fragen: in welcher Hinsicht war denn dieses. Weib
einer so hohen Mittheilung würdig, wie sie nicht einnul
den J Ungern mit so klaren Worten zu Theil gewordea
Ist? was konnte Jesum bewegen , den Blick einer Pertos
in die weite Ferne der Religionsgeschichte ausschweife!
zu machen, der es am besten gethan hätte, in ihr eigeoei
Innerte geführt, bei der Verdorbenheit ihres Herzens fest-
gehalten zu werden? Nur das, scheint es, wenn er sa
jeden Preis von der Frau , ohne Rücksicht auf ihre Besse-
rung, aüfser dem Anerkenntnis seiner prophetischen Gabe
mich noch du seiner MessinnitSt sieh erzwingen wollte,
*»o*n jene Wendung des Gesprächs nothwehdig «ohien.
Indessen darf nicht nur die (ievmlt, welche Zelt and
Stande, Gelegenheit and Stimmung, über Eröffnaog and
VersahlieEsung des Gemflths hat, auch an Jesu nicht verkürzt
werden : sondern es lassen sich seihst Gründe denken,
am deren willen er es unbedenklicher fand,, den Samitri-
tanern sieb als Messias zn bekennen — einem »um Stam-
me der Nation abgerissenen Aste mit minder starkem No>
tionalgeftthl, dessen, wenn gleich ebenfalls politisch gefärbte,
Massiastdee der Umbildung In's Geistige weniger Wider-
stand schien entgegensetzen M können, als von den Juden,
und selbst von den Jüngern, so lange Jesus noch lebte, zu
befürchten war. Hoffte aber Jesus auf diese Weise dar oh
das Weib bei den Samaritanern als Messiaa Gingang zu '
finden : so Ist es nicht an verwundern , dafs er in seinem
Gespräche hauptsächlich auf diesen grüfieren Zweck hin-
arbeitete, die Verwirklichung des engeren Zweckes aber,
der sittlichen Besserung des Weibes , den Wirkungen
Überlief«, welche von der Bekehrung ihrer Landsleute auf
sie ausgehen mufsten.
x . Indessen, führt die ErzShlung V. 27. fort, kamen die
Jünger Jesu mit Lebensmitteln aus derStadt zartiefe, and
wanderten sich , dafs er gegen den rabbinischen Grund-
■ata ") mit einem Weibe sich unterhalte. Wihrend die
Frau , durch die letzte Erö flfnong Jesu aufgeregt , in die
Stadt zurfickUaft , am ihre Mitbürger zur Besiobtgung
des messiz»rtigeii Fremden einzuladen, fordern Ihn die
Jünger auf, von der mitgebrachten Speise etwas zu sieb
zu nehmen; worauf er erwiedert: s/w ßnöiatv fji<> (ftxystv,
ip> vfitiq äx oiiJwre (V. 32.), was seine Jünger dahin mils-
verstehen, es habe ihm vielleicht In ihrer Abwesenheit je-
mand za essen gebracht; eine jener fleischlichen Auffss-
14) bei LiSHnooi, S. 1003.
I
1
l 582 Zweiter Abschnitt.
-sangen geistig gemeinter Aussprüche Jesu, wie de in vier-
ten Evangelium stehend sind, and eben dadurob verdick*
tig werden: übrigens vom. wesentlichen Inhalte derErsuY
lang als mehr formelle Zothat des Berichterstatters InAk-
sog gebraoht werden können. Weiter folgt eins Res)
Aber Säen and Ernten (V. 35 ff.), welche, wenn an
V. 87 f. vergleicht, nar den Sinn haben kann, dafo, wa
Jesus ges&et habe, die Jünger ernten sollten"). Kiua
diefs gleich gans allgemein darauf besogen werden, dafs
Jesus die Keime der ßaaiXela tö &eä, welche anter «v
Pflege seiner Jünger Blfithen and Früchte trugen, euer*
in die Mensohheit gelegt habe: so ififst sich doch ssgletek
eine speciellere Beziehung unmöglich abweisen. Jen»
sieht voraus, dafs ihm die cur Stadt geeilte Frau Gelegt*
heit verschaffen werde, in Samarien die Saat des Bvanp-
liums auszustreuen , and verhelfst den Jüngern, atfiia
die Früchte dieser seiner Bemühangen einst au genietas
haben würden. Hier mofsr man an die nachmalige Aw-
breitung des Ch'ristenthums in Samarien dorch Philipp«
and einige Apostel (A. 6. &) denken ") , and könnte in-
sofern ein vaticinium post eventum vermathen : doch li&t
eich theils, selbst bei einer rein natürlichen Ansieht ?w
der Person Jesu, olcht geraden in Abrede stellen, ebb
er diesen Fortgang seiner Sache in Samarien nach sein«
Kenntnifs der Bewohner nicht schon damals habe vorher-
sehen können ; theils könnte nach hier vielleicht die pf-
Ciere Bestimmtheit der Vorhersage Zuthat des Evangeliitai
sein , in dessen Erinnerung sich die damalige Rede Jeu
nach dem späteren Erfolge ettvas umgestaltet hotte, oh*
dafs darum sein Bericht im Wesentlichen glaubwürdig n
sein aufhörte.
Zumal derselbe eine Ersfthlung der Apostelgeschichte
15) Lttcxs, 1, S. 543.
16) Lücks und du Wktts z. d. St. j Bubtscmasidek, S. 52.
Vierte« Kapitel $ 68. 5S3
gane auf seiner Seite bat. Noch ehe auf höheren Antrieb
Petras den ersten Heiden in das neue Reich des Messias
aufgenommen hatte, war ans Veranlassung der Mliptg ye-
rofthrt inl Zkeqxmp der Diakonus Philippas elg noliv Sa-
ftixQtiag gereist, wo er den Christas verkündigte and durch
Wunder aller Art viele Saatarftaner sunrOiäuben and eur
Annahme der Taufe bewog (A.G. 8, 5 ff.). Diese Kr Zäh-
lung bildet mit der früher betrachteten von der Aufnahme
der ersten Heiden einen völligen Gegensat* ; während es
dort die aufserordentlichsten Vorbereitungen durch ein Ge-
eicht and einen besondern Antrieb des nvevfia bedurfte,
am den Petrus den Heiden bu nähern: so fängt hier Phi*
üppos, and «war ohne noch jenen Vorgang so haben, ohne
Weiteres in Samarien na taufen an. Damit man aber
nicht etwa sage, der Diakonus sei vielleicht liberaler als
der Apostel gesinnt gewesen, sd kommt sofort Petriir selbst
mit Johannes nach Samarien, und auch diefs ist ein Zag
weiter in dem Gegensatse def beiden Ersählungen, dafs,
während dort die Aufnahme der ersten Heiden bei der
Mattergemeinde in Jerasaiem einen höchst ungünstigen
Eindruck machte, hier die Runde, Sri d&d&etal tj 2aftaQefo
%Q¥ loyov tS &e3, beifällig aufgenommen $ and das vor*
nebmste Apostelpaar abgeschickt Wird, um das Werk des
Pbilippus au bestätigen und an vollenden* Hiemit stimmt
ein solcher Vorgang ven Seiten Jesu selbst sehr gut su-
sammen , and es fragt sich nur, wie mit demselben das
oben besprochene Verbot bei Matthäus, das geschichtlich
auch nicht weichen will, in Uebereinstimmang sa brin-
gen ist?
Hier dürfen wir ans nan nicht verhehlen, dafs die
Vereinigung noch schwieriger ist, als oben bei dem Ver-
bot in Betreff der Heiden : sofern es sich eher reimen
läCit, wie Jesus, was er för die Zeit nach seinem Tode
selbst anordnete, während seines Lebens noch nicht vor-
genommen wissen wellte; als dab er, wie hier, seinen
V
584 Zweiter Abschnitt. '
Jüngern verboten haben sollte, was er nicht lange hei*
nach, oder sogar vorher, selbst unternahm. Doch wem
er zu jenem Verbot in Bezog auf die Heiden den doppel
ten Grund hatte: erstlich den infsersten Anstofs bei der
jüdischen Nation, der so lange vermieden werden mubte
bis sein Werk feste Warsein unter derselben gefaßt
hatte; zweitens die Unfähigkeit der noch nicht durch sei-
nen Tod belehrten Jünger , den Helden auf die rech»
Weise entgegennukommen, und die Gefahr, dafs sie, wäh-
rend sie den Juden ihre falschen Messiasvorsteliungen ■«
nicht benahmen , den Heiden für sie neue irrthümer bei*
bringen möchten — während ihn su dem Verbot in Be-
treff der Heiden diese beiden Schwierigkeiten veranlaßt»,
von denen dadurch, dafs er etwa persönlich, ohne Ver-
mittlung der Jünger, sich an die Heiden gewendet offne,
nur die «weite su vermeiden gewesen , die erste selbst
verstärkt worden sein würde : scheint in Betreff der St*
maritaner Jesus, wie später die Apostel, den Anatobba
den Juden weniger geschont, wegen der dermaligen Unge-
schicklichkeit seiner Jünger «um Verkehr mit Samaritt-
nern aber, wie sie sich auch in dem oben erwähnten Vor-
gang, Luc. 9, 52 ff* , «eigte , sioh nur persönlich an diesel-
ben gewendet «u haben 17)»
1 7) Vergl. Niakdbr, L. J. Chr., S. *62 f.
Fünftes Kapitel.
Die Jünger Jesu«
S. 69.
Die Berufung der ersten Begleiter. Differenz zwischen den
beiden ersten Evangelien und dem vierten.
Naeh der übereinstimmenden Erzählung der zwei er-
sten Evangelien (Matth* 4, 18—22. Marc. 1, 16-20.)
bat Jesus, am galiläischen See wandelnd, zuerst die bei«
den Brüder, Petrus und Andreas, unmittelbar darauf den
Jakobus und Jobannes, von den Fischernetzen weg au
seiner Nachfolge berufen. Auch das vierte Evangelium
erzählt gleich zu Anfang (1,35 — 52.), wie sich die ersten
Schüler an Jesum ansehlofsen , unter welchen auch hier
Petrus und Andreas, und wahrscheinlich auch Johannes,
sich befinden, indem der ungenannte Begleiter des An>
dreas gewöhnlich auf jenen gedeutet wird. Jakobus fehlt
in dieser Erzählung; statt seiner wird noch die Berufung
des Philippus und des Nathanael berichtet. Doch auch
von den gleichen Personen sind alle näheren Umstände
ihres Zusammentreffens mit Jesu verschieden erzählt»
Während nach den beiden Synoptikern der Schauplatz
desselben das Ufer des galiläischen See's ist, kommen im
vierten Evangelium Andreas, Petrus und der Ungenannte
in Peräa in der Mähe des Jordan, Philippus und Natba-
nael auf dem Wege von da nach -Galiläa zu Jesu. Wäh-
rend ferner dort je ein Brüderpaar zusammen berufen
wird, treffen hier zuerst Andreas und der Ungenannte,
V
1
580 Zweiter Abschnitt.
I dann Petras, hierauf Philippas and Nathanaä mit Jen
ftusammen* Haaptsiehlieb aber, während bei Matthin
nnd Markus die Brfiderpaare von ihren Fischergeschift
hinweg unmittelbar von Jesu berufen werden , gibt Jo
liannes als Situation der Berufenen nur überhaupt ein
EQXeod-ai nnd fVQioxeo&ai an, und läfst von Jesu unmittel-
bar nur den Philippas berufen werden , den Andreas usd
[ den Ungenannten weist der Täufer, den Petrus bringt
1 Andreas, den *Nathana€l Phiiippns su ihm hin.
I Scheinen so die beiden Era&blungen verschiedest
Ereignisse eu betreffen , und fragt es sieh , welche Au
frfihere und welche das spätere ? so scheint Johannes die
Geschichte noch etwas früher einsureihen , weil er de
schon vor Jesu Rflekkehr von seiner Taufe nach Galilia
erfolgen l&fst, die Synoptiker erst nach derselben; iumI
wenn, nach einer gewtthntioben Berechnung, die Rück-
reise, von welcher die Synoptiker ausgehen, nicht die m
der Taufe , sondern von dem ersten Paschafest sein ulL
Auch der inneren Beschaffenheit des Vorgangs nach scheint
# das vom vierten Evangelium Erzählte lyfcht das Späte«
sein su können. Denn waren nach den Synoptikern As*
dreas und Johannes bereits Jesu nachgefolgt, so koantn
sie nicht wieder, wie im vierten Evangelium, cum (Molß
des Täufers sich gesellen, noch brauchte dieser erst de
auf Jesum hinzuweisen ; ebenso , wenn Petrus schon ui*
mittelbar von Jesu zum Bfenechenfiseher berufen wir»
brauohte ihn nicht erst sein Bruder Andreas eu Ibn n
ffihren. Dagegen stimmen die Ausleger darin öbereto>
dafjj sowohl die synoptische Ersfihlung sich eigne, die]«*
hanneische vor sich, als diese, jene nach sich eu hsta
Das vierte Evangelien), sagt man % erzähle nur das ersts
■
I) Küiwöl, Comm. in Matth. 8. 100; Lücke, Comm. s. Job. *>
S. 588; Olshausb», bihl. Comm., 1, S. 193; Hasb, Leben Je««,
§. 56. 61; Nkakdsk, L. J. Chr., S. 247 ff.
Fünftes Kapital. $. 09.
Bekanntwerden Jesu mit jenen Männern, auf welche
sie noch nicht sogleich «eine bettfindigen Begleiter g€
den seien; erst bei der* von den Synoptikern aofbel
nen Gelegenheit habe sie Jesus «um beständigen Ge
sur eigentlichen Jüngerschaft, berufen.
Allein wenn man in dem synoptischen Bericht
Aufforderung Jesu: devrs onloa) pe, und die Bezeich
des Erfolgs durch Tfxok&xhjoav cnkqi von bestindigei
gleitung versteht! so fällt es auf, wie man in der je
neischen ErsäMung das gleiche dxols&Fi /uoi in an
Bedeutung nehmen kann, und man mafs die Conseq
von Paulus loben, wenn er nicht nur in der letsto
sondern auch in der ersteren Ersählung eine Auffordei
su einer blofs vorübergehenden Begleitung auf dem n
sten Gange findet *)• Allein diese Deutung der syn
sehen Erzählung ist unmöglich. Wie hätte doch Pc
später im Namen seiner Mitjflnger Jesusi so nachdrfiel
erinnern können : ide q/ueig dq>rjxaftev ndvra xal rjxoh
üafih 001, und dazu fragen: %L aqa tgat r^äv; und
hätte Jesus den axoXsxhjoarzsg avrtfi und jedem, der
seinetwillen aq>rjxev olxldg x. x. L hundertfältigen Er
verheifsen können (Matth. 19, 27 ff.), wenn dieses Vei
sen und Nachfolgen,, und also auch das gans ebenso
zeichnete in unserer Ersählung, nur ein so vorflbergel
des und unterbrochenes gewesen wäre ? Wird schon h
aus wahrscheinlich, dafs auch das dxoXs&et {tot bei Joh
nes die Anknöpfung eines bleibenden Verhältnisses
zeichnen werde : so sind fiberdiefs in dem Zusammenha
der Johanneischen Erzählung die deutlichsten Spuren 1
von su finden. Gans nämlich wie bei den Synoptjk
vor dieser Berufungsscene Jesus allein erscheint j nach!
aber bei jeder schicklichen Gelegenheit die Begleitung i
ner fiai>rjv<u erwähnt wird : so tritt auch im vierten Eyi
2) Leben Jesu, 1, s, S. 21Z*
A-
— i ^mm^ _ - -*■ —— — - - --- -
X
588 Zweiter Abschnitt.
gelium der vorher anbegleitete Jeans von Jenem • Vorfall
an in Gesellschaft von Jüngern auf (£, 2. 11. 12.17. 3, iL
4, 8. 27. u. f.), und die Annahme, dafs diese in Perii
gewonnenen Jünger naeh Jesn Rückkehr nach Galiläa nah
wieder zerstreut haben9), ist den Evangelien nur von
harmonistischen Bestreben aufgedrungen. Indets, aoeo
diefs vorausgesetzt, konnten sie ihm doch in der karten
Zeit, welche jene Entfernung immer nur gedauert habei
kann, unmöglich so entfremdet werden, dafs er so, wie in
der synoptischen Beruf ungsgeschichte der -Fall ist, die Be-
kanntschaft mit ihnen ganz wieder wie von vorne ans*
fangen sich veranlafst finden konnte.
Als einen besondern V ortheil dieser Stellung der bei-
den Erzählungen heben die rationalistischen Erklärer dien
hervor, dafs so allein begreiflich werde, worüber nai
sonst im höchsten Grade staunen müfste, wie sowohl Je*
sus nur so im Vorbeigehen auf den ersten Blick vier Fi-
scher zu Jüngern habe wühlen , und darunter gleieb da
zwei ausgezeichnetsten Apostel treffen ' können ; als aseh
wie die vier geschäftigen Männer auf den rfithselbsften
Ruf eines ihnen nicht näher bekannten Mannes bin *•
gleich ihr Gewerbe verlassen, und sich zu seiner Beglei-
tung haben hergeben mögen: bei Vergleichung des viert«
Evangeliums sehe man nämlich, dafs Jesus diese Manncf
längst vorher kennen gelernt, und sich gleicherweise ih-
nen in seiner Vortrefflichkeit gezeigt hatte ; woraus tick
nun sowohl das Glückliebe seiner Wahl, als auch ihn
Bereitwilligkeit ihm zu folgen, erkläre. Allein gerade
dieser scheinbare Vortheil ist es, der über die bezeichnete
Stellung der beiden Erzählungen vollends den Stab bricht
Denn entschiedener kann nichts gegen die Absicht da?
beiden ersten Evangelisten sein , als die Voraussetzung £
3) Paulus , Leben Jesu , 1, a, S. 215 ; Siiffbrt , über den fr*
sprung u. s. f., S. 72; auch Njujvdir; a, a. 0.
Fünfte« Kapitel. $.69. 589
nes schon vorher «wischen Jesu und den berafenen Brfl-
derpaaren bestandenen* Verhältnisses. Legt nämlich die
Erzählung bei .beiden darauf so grofses Gewicht, dafs sie
ev&*(ag ihre. Netse verlassen, und sith cur Nachfolge Jesu
entschlossen haben: so mufs diefs im Sinne der Erzähler
etwas Außerordentliches gewesen sein; was es nicht war,
wenn die Männer schon ' früher im Gefolge Jesu gewesen
waren. Dnd ebenso in Bezog . auf Jesum liegt die Spitze
der Erzählung darin, dafs er mit prophetischem Geiste
gieioh auf den ersten Blick die rechten herausgefunden ,
dafs er nach Job. % 25. « xqeiav el%sv9 Iva Ttg fxa(rcvQrj(Tv
mqi ts dvO'QtJTtay weil er avtog iylvtooxe, %l f4v iv rqi av-
&QwUüt)y wodurch er einer Forderung genügte, welche die
Juden an den Messias stellten *).
Macht so jede der zwei verschiedenen Erzählungen
darauf Anspruch, das erste Bekanntwerden Jesu mit sei-
nen vornehmsten Jüngern zu beschreiben : so kann nur
Eine richtig, die andere mufs irrig sein 5) , und, es ist
nun nach innern Gründen zu untersuchen, welche? Hier
nnb man in Bezug auf die Darstellung der Synoptiker
Paulos Recht geben, dafs man sich nicht genug wundern
kannte, wenn gleich das erste Zusammentreffen Jesu mit
Jenen Männern sieh so gemacht hätte, wie sie erzählen.
Ein Durchschauen des Menschen auf den ersten Blick,
wie es Jesus hier erprobt hätte, ginge weit über Alles
hinaus, was 'der glücklichsten nnd geübtesten Menschen«
kenntnifs natürlicherweise müglich ist. Wir müfsten also
entweder an die eigentümliche Gabe denken, vermöge de-
ren Jesus der Samariterin von ihren sechs Männern sag-
te; oder müfsten wir annehmen, die Synoptiker haben
den Vorfall dadurch in ein falsches Licht gestellt, dafs sie
4) s. Schott*!*, horae, 2, S. 371 f.
5) Vergl. Ffurzscus, in Matth. p. 189; di Witts, exeg. Handb.,
1, 1, S. 46.
V
590 Zweiter Abschnitt
das ErgebniTe eines lungeren Verkehrs wie ein erstmilig«
Noticnehmen beschreiben*
Dabei könnte das Wesentliche, dafs Jesus die Iba
längst bekannten Männer snletzt von den Netsen weg n
seiner Jüngerschaft berief, sich wirklich so ereignet haben;
freilich ebenso leicht aber konnte auch dieser Grundstock
der Ersählang auf traditionelle Weise sieh bilden. Anlsb
dasu'lag nicht allein in der. schön angeführten jüdisches
Vorstellung vom Messias als Hereenskttndiger; sonders
auch ein ganz specielles Vorbild dieser Apostelberofosg
war in der Erzählung (1. Kön. 19, lfr- 21.) von der Art
und Weise gegeben , wie der Prophet Elia den «Elisa n
seiner Nachfolge bestimmt haben sollte. Wie hier Jena
die BrOderpaare von den Netzen und dem Fischfang? *
ruft qlort der Prophet seinen künftigen Scbttler von da
Rindern und dem Pfluge weg; beidemale von einer eing-
ehen materiellen Arbeit zum höchsten geistigen Berufe,
ein Contrast, welchen , wie ans der rtfmischen Geschieht«
bekannt, die Sage besonder« gerne entweder aufbewahrt
oder macht. Ferner, wie die Fischer auf den Ruf Jen
ihre Netze verlassen , und ihm nachfolgen : so heifit m
von Elisa, als 'Elia seinen Mantel anf ihn warf; xcn&m
tag ßoag, xal xccridQaiiev oxioco ^HXtH CV. 20. LXX.). Ho
folgt eine scheinbare Differenz, die aber eigentlich da
frappanteste Znsammentreffen ist. Der berufene Proph»
tenschtiler bat, ehe er sich ganz an Elia anschlöfse, «<*
noefc von Vater und Mntter verabschieden zu dflrfen, nod
der Prophet nimmt keinen Anstand, ihm diefs eu gestio
ten, wenn nur Elisa sofort wieder zu ihm zurffekkehreil
würde. Aehnliche Bitten werden jauch Jesu (Luc. 9,59 ff
Matth. 8, 21 f.) von Einigen gestellt, die er zur Nachfolgt
berufen, oder die sieh freiwillig dazu erboten hatten; «ber
Jesus gewährt diese Gesuche nicht, sondern weist des
Einen, Welcher zuvor seinen Vater zu begraben wünschte,
su augenblicklichem Antritt seiner Jüngerschaft an, deo
Andern aber, der sich ansgobeteu hatte, sieh erat nooh
von seiner Familie verabschieden tu dürfen, weist er an-
rücli ; wogegen von den beiden Fischerpaaren hier gesagt
wird, dafs sie, ohne um Frist au bitten, Alisa, die Zeba-
daiden selbst ihren Vater, in Stiche gelassen haben. Die-
ser Zag kann anf die Vermuthuog führen , die ganze Er-
Kfihlang bei Matthias und Markus mSge eine überbietende
Nachbildung der A. T. liehen sein, um, wie Paulus rieb-
tip siebt, em seigen, dafs Jesna als Measlas noch entsohloa-
aenere und Bit grtilserer Aufopferung verbundene Nach-
folge gefordert habe, ab Elias der Prophet verlangte und
verlangen durfte. Die geschichtliche Grundlage der Er-
zählung w<re dann nur die, dafs mehrere der vorzüglich-
sten Junger Jean, wie namentlloh Petrua, als Anwohner
des gatilfliachen Sees, Fischer gewesen waren ; welswegen
Jesna sie in ihrer spltereb apostolischen Wirksamkeit bis-
weilen als äküs dv&Qwuin' bezeichnet haben mag.
Wäre somit durch Wegrlumung entweder, oder Be-
richtigung der synoptischen Ereählong für die Jobannei-
aehe Ranm gemacht: ao kann doch, ob sie diesen als hl*
storische einnehmen darf, erst aus einer Prüfung ihrer
Innern Beschaffenheit sieh ergeben. Bier erregt ea zwar
kein gutes Vorurtheil, dais Johannes der Täufer es ist,
Welcher Jesn die nwel ersten Schüler angewiesen haben
soll; denn, ist in der froher gegebenen Darstellung des
Verhältnisses nwiachen Jesu und dem Täufer nur irgend
'etwas Wahres: so konnten awar wohl Ja hannesjunger aus
eignem Antriebe sich an Jesus anschließen) nicht aber der
Tlufer Jemanden von sich weg an Jesum als den Messias
verweisen. Doch kannte such hier, der Wahrheit des
Uebrlgen unbeachadet, in der Erinnerung des Evangelisten
irgend eine Aeufserung des Täufers eu Gunsten Jesu,
durch welche einige seiner Jünger zuerst veranlaßt wur-
den, Jesu nähere Bekanntschaft cu suchen, ans spaterer
I
592 Zweiter Absohnitt.
Erkenntaifs heraus bestimmter und inhaltsvoller gemacht
worden sein«
Dafs sofort Andreas., nachdem er einen Abend mit
Jesu Busammengewesen , ihn seinem Bruder sogleich mit
den Worten: evQrpcafiev rov Meoolav, angekündigt habeo
soll (1, 42.) , und auf ähnliche Weise Philippus
naeh seiner Berufung sich gegen Nathanaäl über ihn
spricht (V. 46), steht mit der glaubwürdigen Darstellung
der Synoptiker im Widerspruch. Aus dieser (Matth. 16,
16 ff. parall.) wissen wir, dafs es einige Zeit brauchte,
bis die Janger Jesum als den Messias anerkannten y und
diets durch ihren Sprecher Petrus laut werden liefseo,
dessen späte Einsicht Jesus mit Unrecht als göttliche Of-
fenbarung gepriesen haben würde, wenn sie ihm gleich
Anfangs durch seinen Bruder Andreas entgegengebracht
worden wäre. Es scheint also hier eine anachronistische
Verschiebung im Gedächtnisse des Evangelisten angenom-
men werden zu müssen.
Aehnlichen Anstofs kann die Art erregen, wie sofort
Jesus den Simon empfangen haben soll. Schon das, dafs
er, nachdem er ihn in das Auge gefafst, ihm sagt: ai
el 2tfUiiv9 6 viog Iwvu, klingt nach Bbkgsl's richtiger Be-
obachtung 6) so, als sollte hier Jesu eine Übernatürliche
Kenntnifs des Namens und der Abkunft eines ihm sonst
unbekannten Mannes Angeschrieben werden. Jedenfalls
> aber, wenn er ihm »nun den bedeutsamen Beinamen Kr,
tpag oder IlkiqoQ sulegt, so ist diefs, sofern man diesen
Ausspruch nicht mit Paulus durch Besiehung auf die Kör-
pergestalt des JMannes bis cum Scurrlien herunterziehe»
will *), so gemeint, dafs Jesus auf den ersten Anblick mit
dem Auge des xaQdioyvalzTp; sein Inneres durchschaut, und
nicht blofs seine allgemeine Befähigung cum Auostolat,
6) Gnomon, z. d. St.
7) Leben Jesu, 1, a, S. 168.
Fünftes Kapitel. $.09. MS
y
sondern aneh die individuellen Eigenschaften erkannt he-
be, welobe den Mann mit einem Felsen vergleichbar mach*
ton. Die Ersähiung der Synoptiker , nach welcher Jesus
erst nach längerem Umgang mit dem Manne su ihm spricht«
ev cZ JZ&(jo£, xai kü rainy ffj neiqq x. t. L (Matth. 16,
18.), Ifi&t sich «war so verstehen, dafs, Jesus — sofern
er hier nicht wie bei Johannes sagt: av xhftrpjjij sondern
av ely und sofern aneh Matthäus den Simon schon vor
jener Anrede Petrus nennt — von einem dem Jünger frfl*
her beigelegten Namen , jetst nur eine bedeutsame Anwen-
düng gemacht habe °); jedenfalls aber bleibt es überwie-
gend wahrscheinlich, dafs erst nach längerer Bekanntschaft,
eder wenigstens, wie Locus will, nach einer längeren Du»
terredung, dem Petrus dieser Charaktername gegeben wur-
de; wornach also die firsähluog des vierten Evangelisten
auch hier mindestens eine bis nur Täuschung verkarste
wäre»
Noch mehrere Schwierigkeiten finden sich in der Ver-
handlung mit Nathanael. Wie Phiiippus ihm von einesi
Messias aus Nazaret sagt, macht er die her ahmte Frage:
ix Na£aQlv dvvcaai zt dyad-ov ehai; (V. 47.) Dafs nun
schon, als Jesus auftrat, Nasaret in besonderer Verach-
tung gestanden, lädt sich, wie auch Lückb bemerkt, durch
kein einsiges historisches Datum belegen, und es hat aUe
Wahrscheinlichkeit, dafs erst von den Gegnern des Chri*
atentbums dieser Vaterstadt des von ihnen verworfenen
Messias ein Schandfleck angehängt worden ist. Zu Jesu
Zeit stand Nasaret nur in der Eigenschaft einer galiläi-
sehen Stadt überhaupt bei den Judäern in Verachtung;
aber in diesem Sinne konnte Nathanael nicht auf dasselbe
herabsehen, da er selbst ein Galiläer war (21, 2.). Leicht
kannte also hier eine spottende Frage, welche sur Zeit
der Abfassung des vierten Evangeliums die Christen oft
8) Luck* und de Witts z. d. St. des Job.
Da» Leben Jesu Ite Aufl. /. Band. 38
Zweiter Abschnitt,
von ihren Gegnern hören mufsten, schon einem Zeitgenos-
sen Jesu in den Mund gelegt sein, der seinerseits vielmehr
in der Art, wie die Juden Joh. 7, 41 f.» seine Bedenkifch-
keit geankert hätte. — Wie nun Natbanael auf Jesu«
ankommt, soll dieser Ober ihn das Urtheil gefällt haben:
ftte alqQwg ^lOQa^kirt^ er <ji dolos ux e'gi (V. 48.)- Paolos
meint, von Nathanael aus Kana, wohin er eben aur Hoch-
aeit von Verwandten ging , könne Jesus wohl schon vor-
her gewnfst haben. Allein, war Matbanaels Charakter
Jesu auf natürlichem Wege bekannt geworden, so mutete
ar Auf dessen Frage 8 noO-ev pe yivoiüxHg; entweder ihn aa
die Gelegenheit erinnern, bei welcher sie schon früher
Bekanntschaft gemacht , oder sich auf Andre berufen , die
ihm von Nathanael schon Gutes gesagt halten; wenn er
statt dessen von einem Wissen um den Aufenthalt Natha*
naels unter einem Feigenbaum spricht, welches den Sehefai
des Wunderbaren bat: so wäre ein solches Benehmen,
wenn irgend eines, Charlatanerie gewesen. Da aber der
Evangelist Jesu so etwas nicht anschreiben will: so geht
seine Absicht unverkennbar dfthin , Jesu ein übernatttrli»
ehes Wissen um den Charakter Nathanael* au anschreiben;
worüber wie oben in Bezug auf Petrus und die Samarite-
rin au urthetlen ist. Ebensowenig läfst sich das omr iW
rrjv ovxijv tldov ae durch den pAULUs'schen Ausspruch : wie
oft siebt und beobachtet man einen, der es selbst nicht be-
merkt! erklären. Zwar denkt auch Lücke hier an ein
natürliches Beobachten; nur dafs er Jesum den Mathanael
in einer Situation beobachten läfst, welche, wie etwa Ge-
bet und Studium des Gesetzes, ihm einen Schlafs auf dea
Charakter des Mannes möglich gemacht habe. Allein,
wollte Jesus sagen : wie sollte ich von deiner Redlichkeit
nicht überzeugt sein, da ich ja von deinem eifrigen Bibel-
Studium und brünstigen Gebet nnter der oixi, Zeuge war?
so mfifste doch wohl ein 7tQog£v%of.i€vov oder uruyiPuMixavru
dabeistehen ; ohne diesen Beisatz kann als Sinn dea Ans
kB!
Fünftes Kapitel. §. 69. 595
sprach« nur dieser erscheinen: nein Vermögen, in dein
Inneres eu Micken , kannst da daraus erkennen , dafs ieh
dich in einer Lage, in welcher du auf natürliche Weise
keinen Beobachter hattest, gesehen habe; wobei es also
auf eine bestimmte Situation des Gesehenen nicht ankommt,
sondern einzig auf das Sehen Jesu , welches , sofern aller
Nachdruck auf demselben liegt, kein gewöhnliches, sinnli-
ches, gewesen sein kann •). Auch ein solches Fernse-
hen ohne Vermittlung der lufseren Sinne ist In dem
Kreise magnetischer und ähnlicher Erscheinungen * wie
b. B. unter den Propheten der Camisards , nicht ohne Bei-
spiel; dasselbe auf Jesnm fibersutragen , unterliegt ewar
denselben Bedenklichkelten , die sich aber auf die gleiche
Weise lösen lassen , wie oben in der Geschichte der Un-
terredung Jesu mit der Samariterin. Dafs Jesus, als ihn
auf diese Eröffnung bin Nathanael für den Sohn Gottes
und König Israels anerkennt , Ihm erwiedert ,- diese Probe
seiner messianisohen Fernsicht sei noch eine Kleinigkeit
gegen das, was Nathanael noch bu sehen bekommen wer-
det dafs nämlich über ihm, als dem Messias, ans geöfihtf-
tem Himmel göttliche Kräfte gleichsam auf- und niedeH
steigen werden (V. 51 f.); diefs beweist keineswegs, wie
Paulus meint, dafs in jener ersteren Probe nichts Wui*>
derbares gewesen, da es auch im Wunder eine fcteige^
rang gibt.
Es kann folglieh die Anschliefsung der ersten Jünger
an Jesura im Wesentlichen so erfolgt sein, wie das vierte
Evangelium meldet; wodurch dann die Erzählung der
erwei ersten Evangelien von der Berufung der beiden ßrü-
derpaare su Menschenfischern entweder völlig aus dem
Kreise des Geschichtlichen ausgeschlossen , oder dach in
soweit für unrichtig erklärt wurde, als sie unverkennbar
9) So auch Buuh, Bemerkungen zum Evmtfg. Job., in den theol«
Studien und Kritiken, 1335, S. 440 f.
38*
L-. «.
596 Zweiler Abschnitt.
darauf ausgeht, das erste Ansehlief sen der vier Min
an Jesum uns so berichten *•).
$. 70.
Der Fitchzug de« Petrus.
Doch aofser den bisher besprochenen beiden könnet
noch eine dritte Ersäblnng, die des Lukas (5, 1 — 11.)» hi**
in Betracht, welche, obwohl mit der des Matthias und
Markos genau verwandt, doch auch von ihr dureh meh-
rere ?öge sich unterscheidet« Abgesehen von den Klei-
nigkeiten, auf welche s. ß. Storr Gewicht legt, um diese
Erzählung von der der beiden ersten Evangelisten su tren-
nen fl)t Hegt ein wesentlicher Unterschied darin, dalä bei
Lukas das Anschliefcen der Fischer an Jesus* nicht auf
eine blofse Einladung hin , sondern in Folge eines reichen
Fiscbsugs geschieht, su welchem Jesus dem Petrus ver-
helfen hatte. Gibt sich so die Geschichte bei Lukas flr
die Ersählong einer andern Begebenheit, als welche seine
Yormänner berichten: so ist nun zunächst ihre Glaubwür-
digkeit für sich zu untersuchen, und dann ihr Verhältnifs
su der des Matthäus und Markus su bestimmen*
Jesus, am galiiäisehen See vom Volke gedrängt, be-
steigt ein Schiff, um in einiger Entfernung vom Ufer un-
gehinderter sum Volke sprechen su können; nach Beendi-
gung der Reden fordert er den Simon, den Eigen thflmsr
des Kahnes, auf, tiefer in den See hineinzufahren, und
da die Netze sum Fang auszuwerfen. Simon, obwohl
wenig ermuthigt durch den schlechten Erfolg der Fischer»
arbeit in der vergangenen Nacht, erklärte sich doch bereit,
und der Erfolg war ein so außerordentlich reicher Fang,
dafs Petrus und seine Genossen, Jakebus und Johannes
{Andrea* wird hier nicht erwähnt), in das äufsersto £r>
10) Vgl. Thkili, zur Biogv. J., $. 24.
1) Ucber den Zweck der ev. Gesch* and der Br. Job. , S- SSO.
Fünftes Kapitel. $. 70. 597
etaanen r der Entere selbst in eine Art von Furcht vor
Jesu eis einen höheren Wesen gerieth , und auf die An?
rede Jesu an Petras: inj (poßir ano tö vuv ccvSqwit&s &nj
£(oy(Hor, alle drei Alles vertieften and ihm nachfolgten.
Dals, was hier ersihlt wird, auf natürliche Weise
Badglich gewesen, Sachen die rationalistischen Aasleger
angelegentlich darzothnn. Nach Ihnen war der auffal-
lende Erfolg theils Werk einer richtigen Beobachtung
Jesu, theils glücklicher Zufall. Tiefer in den See hinein-
fahren wollte Jesus naeb Paulus auerst nur, am das Volk
ao entlassen, and erst als er im Hinfahren einen fischrei-
chen Plata ma bemerken glaubte, forderte er den Petras
auf, hier das Neta auszuwerfen« Ein doppelter Wider-
spruch gegen die evangelische Ereühlung. Wenn doch
Jesus in unmittelbarer Verbindung sagt: inavdyaye eig ro
ßadvt;, xccl %ahxoar8 xa dixrva x. r. L, so hatte er offenbar
aehon bei der Abfahrt die Absicht, einen Fischaug an
veranlassen; und tpraoh er diese schon am Ufer aus, so
konnte seine Hoffnung auf einen glücklichen Fang nicht
Ergebnifs der Beobachtung einer fischreichen Stelle auf
der Höhe des Sees sein, die sie noch gar nicht erreicht
hatten. Man müßte also mit dem Verfasser der natürli-
chen Geschichte sagen, Jetns habe überhaupt vermuthet,
dafs unter den gegebenen Umständen (vielleicht bei heran-
nahendem Sturme) der Fang auf der Mitte des Sees jetat
besser als in der Nacht gelingen werde. Allein, vom na-
türlichen Gesichtspunkt ausgegangen, wie sollte Jesus diefs
besser, au beurtheilen gewnfst haben , als die M Anaer,
welche ihr halbes Leben als Fischer auf dem See ange-
bracht hatten ? Gewifs, bemerkten die Fischer nichts, was
ihnen au einem guten Fange Hoffnung machen konnte: so
kann auch Jesus etwas der Art natürlicherweise nicht be-
merkt haben, und das Zusammentreffen des Erfolgs mit
seinem Worte mufs, den natürlichen Standpunkt festge-
halten, rein auf Rechnung des Zufalls geschrieben werden.
59S Zweiter Abschnitt.
Doch welche unbesonnene Vermeasenbeit, so auf Gerathe»
wohl etwas zu versprechen , was nach dem Vorgangs der
verflossenen Macht eher fehlschlagen als gelingen konnte!
Aber, sagt man, Jesus fordert ja den Petras nuch nur auf,
noch einen Versach za machen, ohne ihm etwas Bestimm»
tes na versprechen. Allein in seiner bestimmten Auffor-
derung , welche sich aach durch die Bemerkung de* Pe-
tra«, wie ungünstig die Umstände dem Fange seien, niek
irren läfst, liegt doch zugleich ein Versprechen, und schwer-
lich hat das x^kdacers x. t. A. in unserer Stelle einen in-
dem Sinn, als bei der ähnlichen Scene Job. 21. das ßakts
.dg t<* de^id fdtyt) %5 nXoiH %6 dixzvov, xal svqtjOsu
(V. 6.). Wenn ferner Petrus selbst seine Bedenkliehkeift
in den Worten zurücknimmt: int fte rq> fty/tiarl as %alm
10 dlxivovy so mag zwar fry/ucc nicht geradezu durch Zn-
zage, sondern durch Befehl zu übersetzen sein, in jeden
Falle aber liegt die Hoffnung darin , dafs , was Jesus ge-
biete, nicht erfolglos sein werde. Diese Hoffnung, wenn
sie Jesus nicht hatte erregen wollen , mufste er aUbald
wieder niederschlagen, um sich nicht der Beschämung
durch einen etwaigen ungünstigen Erfolg auszusetzen, wi
in keinem Falle durfte er nach gelungenem Fange den
Fufsfall des Petrus annehmen , wenn er ihn nicht besser,
.als duroh einen auf gut Glück gegebenen Rath verdient
hatte.
Es bleibt also der ganzen Absicht der Erzählung in-
folge nichts übrig, als hier ein Wunder anzuerkennen;
was nun entweder mehr als Wunder der Wirksamkeit
oder des Wissens gefaßt werden kann. Zunächst ergib
eich die erste Auffassungsweise: dafs Jesus durch sdai
Wundermacht die Fische im See dahin zusammengetrieben
hätte, wo er den Petrus das Metz auswerfen hiefs. Nu
dafs Jesus auf Menschen , an deren Geist seine Geistee-
kraft einen Anknüpfungspunkt hatte, unmittelbar durch
seinen Willen einzuwirken vermochte, diefs könnte mW
Fünfte« Kapitel. $. 70. 599
sieb etwa noch denken, ohne von den Geseiften psycholo-
gischer Wirksamkeit allzuweit abzukommen; aber wie er
auf vernunftlöse Wesen, und zwar nicht auf einseihe und
ihm unmittelbar gegenwärtige , sondern auf Sehaaren von
Fischen in der Tiefe eines Sees anf diese Weise habe wir-
ken können, das läTst sich nicht vorstellig machen, ohne in
das Zauberhafte hineinzugerathen. Die Olhhau&en sehe
Vergleichong wenigstens, Jesus habe hier dasselbe gethatf,
was die göttliche Allmacht alljährlich mit den wandern-
den Fischen und Zugvögeln thue *), hinkt nicht blofs, soft«
flern weieht ganz auseinander; denn der Unterschied, dafa
dts Letstere eine göttliche Thötigkeit ist, welche mit der
ganzen Übrigen Naturwirksamkeit Gottes, mit dem Wech-
sel der Jahreszeiten u. s. f. in engster Verbindung steht,
das firstere aber, auch Jesum als wirklichen Gott voraus-
gesetzt, eine aus allem Naturzusammenhang herausgeris-
sene vereinselte That wä*re, hebt alle Vergleichbarkeit bei-
der Erscheinungen auf. — Doch, auch die Möglichkeit
eines lolchen Wunders vorausgesetzt, wie denn auf sopra-
naturalstischem Standpunkte nichts an sich unmöglich ist:
Ififst sith denn anch nur ein scheinbarer Zwfeek denken,
welcher Jesum bewegen konnte , von seiner Wunderkraft
einen so abenteuerlichen Gebrauch zu machen ? War es
denn so tiel werth, dafs Petrus durch den Vorfall eine
abergläubische und gar nicht »eutestamentliohe Furcht vor
Jesus bekan? und liefe sich nur anf diese der wahre
(jlaube pfropen? oder glaubte Jesus nur durch solche
Zeichen sich jünger werben an können? Wie wenig
halte er da an t die Macht des Geistes und der Wahrheit
▼ertraut, wie vie zu gering den Petrus angeschlagen , der
wenigstens später (Joh. ö, 68.) nicht durch die Mirakel,
die er von Jesus sa*, sondern durch die fyrjuasa £o»/p aba-
2) Bibl. Comuu, 1, S. 73,
r
J
600 Zweiter Abschnitt
vhiy die er von ihm hörte, in seiner Gesellschaft festgehal-
ten war.
Von diesen Schwierigkeiten gedringt, kann* man sid
anf die andere Seite flächten, and als das Gelindere u
nehmen, Jesus habe nur vermöge seines -übermenschlicher
Wissens die Kenntnifs gehabt , dafs an jenem Platse g»
rade eine Menge von Fischen sieh befinde, and diefs des
Petras mitgetheilt* Meint man diefs so, Jesus habe »1
einer Allwissenheit, wie man sie bei Gott sich vorsagtet
len pflegt, jederaett am alle Fische in allen Seen, Flfiasa
and Meeren gewnfst: so ist es mit seinem menschUeba
Bewafstsein aas; soll er aber nur etwa, wenn er Aber en
Wasser fuhr, von dem Treiben der Fische in demseUea
Kenntnifs bekoirimen haben: so ist auch diefs schon ge-
nug, nm in seinem Gemfithe den Plats fftr wichtigere 6a-
danken au versperren; endlich, soll er so etwas nicb »*
mer und wesentlich gewnfst haben, sondern es nir, at
oft er wollte, haben wissen können : so begreift msn^iehtj
wie in Jean ein Antrieb entstehen konnte, dergletaen et-
was EU erfahren; wie derjenige, dessen Bernfauf die
Tiefen der'menscbliohen Herzen sieh bezog, mit An fisch»
reichen Tiefen der Gewässer sich an befassen versnobt
sein mochte.
Doch ehe wir über diese Ersählang des Lukas est»
scheiden , müssen wir sie asuvor noch im V<rh£ltnifs u
der Berufungsgeschichte bei den sjvei erster Synoptiken
betrachten ; wobei die erste Frage das cbroitflogische Ver-
hältnils beider Begebenheiten betrifft Daf nnn der wun-
derbare Fischzag bei Lukas vorangegangen die Berufung
bei den beiden andern aber erst nach/efolgt sei, diese
Voranssetaong ist dadurch abgeschnitten? dafs nach der
starken Anhänglichkeit, welche dare/ jenes Wander ifi
den Jüngern angeregt war, keine n*re Berufung nöthig
sein konnte ; oder, wenn die mit ein*n Wunder verknöpfte
Einladung nicht hingereicht hatte, die Männer bei Jesu
Fünftes Kapitel. $. 70. 601
fcstaubeiten , konnte er von dem Antiklimax einer später
erlassenen kahlen und wanderlosen Aufforderung sich noch
weniger Erfolg versprechen. Bei der umgekehrten Stel-
lung könnte sich, ein passender Klimax der beiden Einla-
dungen su ergeben seheinen : doch woau überhaupt eine
zweite, da die erste schon gewirkt hatte? Denn anauneh-
snen, dafs die Brüder, welche ihm auf die erste hin nach-
gefolgt waren , ihn bis nur «weiten wieder verlassen ge-
habt, ist doch nur eine willkürliche Nothhülfe. Nament-
lich aber, wenn man auch das vierte Evangelium hinnu-
nimmt , was wäre das ftlr ein VerhÄltnifs , wenn Jesus
diese Jünger Beerst so wie Johannes eraählt, in seine Ge-
sellschaft gezogen haben soll ; hierauf aber , naohdein sie
sich aus einer unbekannten Ursache wieder von ihm ge-
trennt, hÄtte er sie noch einmal, wfe wenn nichts voran«
gegangen wäre, am galilalsehen See berufen, und als auch
fliese Einladung noch keine bleibende Verbindung hervor*
brachte, hätte er zum drittenmal mit Hülfe eines Wunders
sie au seiner Nachfolge aufgefordert? Ihrer gansen An-
lage nach ist vielmehr die Kraft hlung bei Lukas so be-
schaffen, dafs aueh sie ein früheres engeres VerhÄltnifs
awischen Jesu und seinen nachmaligen Jüngern ausschliefst.
Denn ^enn sie gana unbestimmt damit anhebt, Jesus habe
awei Schiffe am Ufer gesehen, deren Inhaber aus densel-
ben gestiegen waren , um ihre Netce au waschen , und
wenn erst hierauf als der Eigenthümer des einen dieser
Fahrneuge Simon namhaft gemacht wird: so klingt doch
diefs , wie Schleiermacher bündig gezeigt hat *) , völlig
fremd, und nur wie auf ein jetet anauknüpfendes VerhÄlt-
nifs vorbereitend, nicht ein sohon bestandenes vorausse-
tzend; so dafs* anch die von Lukas vorher eraählte Hei-»
inng der Schwiegermutter des Petrus entweder, wie so
manche Heilungen Jesu, noch ohne Anknüpfung eines
3) Ueber den Lukas, S. 70.
602 Zweiter Abschnitt,
engeren Verhältnisses vorübergegangen, oder von Loht
(Matthfins hat sie später) su früh gestellt sein »ab.
Es geht uns also anch mit dieser tyrefihlong des Li-
Jkas in ihrem Verbiltnifs zu der des Matthäus und Mar*
tos, wie es ons mit der johanneischen Erzählung in V»
Jitiitnifs ku der letztem ging : dafs nämlich keine ?on bei*
den weder vor noch nach der andern sich wiii einreibe!
lassen, dafs sie somit einander , ausseh liefsen1). Fragt siek
hiebei, wer die richtige Erafihlnng gebe? so hat geh«
JSchlbiermachär die de* von ihm behandelten EvangelUtn
als die genauere vorgesogen 6), nnd neuestens hat Sikffek
jsehr emphatisch versichert, gewifs habe poch MienaW
daran gezweifelt, dafa die Eraäblong dea Lukas ein viel
treueres Bild des ganzen Vorfalls gebe, indem sie aes
ilorch eine Fülle specieller, anschauliche* und innerlich
wahrer Züge höchst vorteilhaft von der Ercihlung da
.ersten (und zweiten) 'Evangeliums unterscheide, wekb
.ihrerseits durch Auslassung des eigentlich ergreife*!«*
Hsuptmomenta (des Fischaugs) sieh als von einem Sicht*
augenseugen herrührend charakterisSre 6). Ich habe aiek
diesem Kritiker schon an einem andern Orte 0 als deajs-
4) Diese und dea sagenhaften Charakter beider Erzählung»
erkennt auch »* Wette an, exeg. Handb. 1, 1, S 47. U%
S. 58 f.
5) An ihn schliesst sich auch hier Niahdik an , L, J. Chr.)
S. 249 f. Er bemerkt, schon bei Matthäus können uns fr
Worte Jesu xu Petrus, dass er ihn zu einem Menschenfistfatf
machen wolle , dazu fuhren , eine den Gebrauch dieser Vef-
gleichung veranlassende Begebenheit vorauszusetzen, to0
recht ; nur dass diese Veranlassung nicht gerade ein Wunder,
überhaupt nicht ein einzelner Vorfall, gewesen sein muH J
sondern Veranlassung genug war der Umstand, dass Pctt*
früher das Fischerhandwerk getrieben hatte*
6) Ueber den Ursprung des ersten kan. Ev., S. 73»
7) Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, 1834. N*.
Ffinftes Kapitel. «. 70. 603
*
nigeif gestellt, der einen solchen Zweifel wagen wolle,
und tah kann aaoh hier nur die Frage wiederholen : was
i*t — wenn doch die eine der beiden Erzählungen durah
m6ndliche Deberliefernng entstellt sein soll — • dem Wesen
der Tradition angemessener: das wirklieh geschehene Fa-
ktum des Fischaugs com blofsen Dictum von Menschen«
fiscKern verflfichtigt, oder diese ursprünglich allein vor-
handene bildliche Rede an jener Geschichte vergröbert
su haben? Die Antwort auf diese Frage kann nicht swei*,
feihaft sein. Denn seit wann wäre es doch in der Art
der Sage , an vergeistigen , Reales , wie eine Wunderge-
mhichte ist, in Ideales, wie blofse Reden, au verwandeln?
da doch naeh der ganaen Natur der Bildungsstufe; nnd
der Geistesvermögen, welchen sie vorzugsweise angehört,
die Sage darauf ausgehen muls, dem flöchtigen Gedanken
einen soliden Leib au bauen, das leicht mifsverfitehbare
und schnell verhallende Wort ab allgemein verständliche
und unvergeßliche Begebenheit su fixiren.
Und wie leicht läfst sich erklären, wie aus der von
den swei ersten Evangelisten aufbewahrten Gnome die
Wnndererzfihlung des dritten sich bilden konnte. Hatte
Jesus seine Apostel, sofern einige derselben früher daa
Fischergewerbe getrieben hatten, als Menschenfischer be-
zeichnet; hatte er das Himmelreich mit einer oayfpj] ßkrj-
&elorj *&• **}? &udaooccv verglichen, in welcher Fische aller
Art gefangen werden (Matth. 13, 47. ff.) : so ergaben- sich
von selbst die Apostel als diejenigen, weiche auf Jesu,
Wort dieses Nets auswarfen, und in demselben den wun-
derbar reichen Fischzug thaten8). Nimmt man noch daan,
dflfs die alte Sage ihre Wondermfinner gerne mit Fisch-
sligen su schaffen haben liefs, wie denn Porphyr und
8) Aach nach 'ob Witts , a. d. zuletzt a. O. , ist der reiche
Fischfang „ein symbolisches Wunder, die reiche apostolische
Wirksamkeit vorbildend."
\
604 Zweiter Abschnitt.
J* rablich etwas Aehnliehes von Pythagoras eralhlen*): a»
ist nicht absusehen, was der Ansicht noch entgegenstehe!
könnte, dafs der Fischsug des Petras nur die cur Wnra-
dergeschiohte gewordene Onome von den Mensehenfisahen
sei; wodurch sogleich alle Schwierigkeiten, weiche jik
natürliche wie die supranatarale Auffassung der Eraählarag
drücken, mit Einem Schlage weggeräumt sind.
Einen ähnlichen wanderbaren Fiseheug > welfs dar
Anhang des vierten Evangeliums aas den Tagen der Aal*
erstehnng Jesn sa berichten (K. 21.)« Gleichfalls anf des
galilfiischen See fischt Petrus, wie dort, in Begleitung dar
beiden Zebedaiden und einiger andern Jünger, die ganss
Nacht hindurch, obife etwas an fangen 10). Mit dem erstes
Morgen kommt Jesus an das Ufer und fragt, von ihaea
anerkannt, ob sie kein nQogcpaytw haben? and als sie diefr
verneinen, heifst er sie rechts vom Schifte das Nets aus-
werfen , worauf sie wirklich einen überaus reichen Fang
thun, und daran Jesum erkennen. Dafs diefs eine von
der bei Lukas erzählten Geschichte verschiedene aei, ist
wegen der grofsen Aehnlichkeit kaum denkbar; ohne allea
Zweifel vielmehr ist dieselbe Eraählung durch die Tradi-
tion in verschiedene Theile des Lebens Jesu verlegt wor-
den ")•
Vergleichen wir nun diese drei Fischaugsgescbichtea,
die beiden von Jesus ereählten und die von Pythagoras:
\
0) Porphyr, vita Pythagorae, no. 25. ed. Hiesfcling) JamblicL
,v. F. no. 36. ders. Ausg. Diese Geschichte darf hier vergtt-
chen werden, da sie als die weniger wunderbare schwerlich
durch Nachbildung der evangelischen Erzählung* sondern un-
abhängig von derselben entstanden ist , und also auf eilte ge-
meinsame Neigung der alten Sage zu dergleichen Geschichten
hinweist.
10) Luc. 5,5? <J** ohfi rljg vwetoq -tumtaoayrts mShr ilaßofttr. Jeu*
21, 5. xai $r Ixtfon rjj wmtI hiiaa&v Zdiv.
11) Vgl. db Witts, exeg. Handb., 1, 5, S. 213.
Fünftes Kapitel. $.70. 646
so wird uns . Ihr mythischer Charakter vollends anschau-
lich. Was bei Lukas ohne Zweifel ein Wunder der Macht
•ein soll, ist in der jamblichiachen Erzählung ein Wander
des Wissens, indem Pythagoras von den bereits auf na-
türlichem Wege gefangenen Fischen nur die Zahl auf wun-
derbare Weise anzugeben weife; zwischen beiden aber
steht die johanneische Darstellung insofern in der Mitte,
ab auch in ihr, wenn gleich nicht als Vorherbestimmung
des Wundert häters , sondern nur als Angabe des Ersch-
ien, die Zahl der Fische (153) eine Rolle spielt. Ein
sagenhafter Zug ist ferner in allen drei Ersählungen die
Art, wie. die Menge nnd Schwere der Fische geschildert
wird; besonders wenn man auf die Variationen merkt,
welche sieb in dieser Hinsieht finden. Nach Lukas ist die
Menge der Fische so grob, data die Netne zerreiben, dafs
'Ein Schiff sie nicht faßt, nnd auch nach der Vertheilnng
in swei Fahrzeuge beide zu sinken drohen. Dali in Ge-
genwart des Wunderthäters die durch seine Wundermaoht
gefüllten Netze serrissen sein sollten, will der Tradition
im vierten Evangelium nicht recht einleuchten; da sie aber
doch durch Hervorhebung der Menge und Schwere der
gefangenen Fische das Wunder heben will, so zählt sie
dieselben, bestimmt sie als f,eyuksg, nnd fügt hineu, dafs
die Männer das Nets ex m tbwoai ta%voav ano tu Tthj&ue
%m i%dvü*vi statt nnn aber durch ein Zerreilsen der Netze
aus dem miraculösen Zusammenhange zu fallen , weifs sie
geschickt ein zweites Wunder daraus zu machen, dafs
voosTto* omw, &x toxio&y %6 dixtvov. Ein weiteres Wan-
der bietet Jamblich dar, welches flbrigens bei ihm neben
dem Wissen des Pythagöras um die Zahl der- Fische das
einzige ist, dafs nämlich während des Abzähiens der Fische,
wozu es doch bei ihrer grofsen Menge geraume Zeit brauchte,
keiner derselben gestorben sei. — Wem in diesen Verglei*
drangen nicht das Schalten und Walten der Sage, nnd
damit auch der sagenhafte Charakter dieser evangelischen
600 Zweiter Abschnitt«
Erzählungen zur Anschauung kommt , sondern die An*
hlnglichkeit an die geschichtliche, sei es natürliche oder
Übernatürliche^ Fassung derselben bleibt: nnn der mnfs
doch ebensowenig einen Bogriff von Sage wie von Ge-
schichte, von Natürlichem wie von Uebernatürlichesn haben*
§/ 71.
Berufung des Matthäus. Gemeinschaft Jesu mit den Zöllnern.
Das erste Evangelium erzählt (9, 9 ff.) von einem
av&Qamog, MavxhxTog kyo/uevog, statt dessen das «weite and
dritte (2, 14 ff. 5, 27 ff.) einen Aevtv (rov tö IdUpcda bei
Markus) haben, welchem, wie er an seiner Zollstätte sab,
Jesus das axolöfrei poi anrief, worauf er (nach Lukas AI*
las verliefe) ihm nachfolgte, und ein Mahl veranstaltete,
an welchem vitele Zöllner und Sünder sunt Anstofa der
Pharisäer Theil nahmen.
Wegen des verschiedenen Namens hat man schon ge»
meint, es müssen hier zwei verschiedene Begebenheit««
zum Grande liegen1); doch jene NamensverschiedenheU
wird weit überwogen von der Aehnlichkeit, welche darin
liegt, dafs Mattblaue, wie die beiden andern, diese Bern-
fungsgesehiehte zwischen die gleichen Begebenheiten hin-
einstellt; dafs beiderseits das Subject der Erzählung in
die gleiche Situation versetzt , Jesu Anrede mit denselben
Worten gegeben, und ihr der gleiche Erfolg zugeschrieben
wird *)• Ist man daher fetzt ziemlioh allgemein einver-
standen, dafs die drei Synoptiker blofs Eine Begebenheit
erzählen : so fragt sich nur , ob man darin nicht za weit
geht, dafs man zugleich ärinimmt, sie haben unter den
verschiedenen Namen doch nur Eine Person 9 und swar
den Apostel Matthäus, verstanden. Üiefs sucht man ge-
wöhnlich durch die Voraussetzung denkbar zu machen,
1) s. bei HuuiÖL, in Matth. p. 255.
2) Sigmar, a. a. O. S. 55.
Fönftes Kapitel. §. 71. 007
lad Levi der eigentliche, Matthftus nar der Beiname de«
Mannes gewesen sei *) ; oder dafs er nach seinem Ueber-
jritt äq Jesus jenen mit diesem vertauscht habe*)» Um
m einer solchen Annahme berechtigt xn sein, müßten wir
»ine Spar haben, dafs die Evangelisten, welche den hier
»erufenen Zöllner Levi nennen, darunter keinen andern
verstehen, als denjenigen, welchen sie im Apostelkataloge
il* Matthäus auffahren« Allein nicht nur erwähnen sie
lier (Marc 3, 18. Luc. 0, 15. A.6. 1, 13.)» wo mehrere
Beinamen und Doppelnamen vorkommen, des Namens Levi
»1* früherer oder eigentlicher Benennung des Matthäus
rieht, sondern sie lassen bei Ihrem Matthäus auch das
5 itijuwrfi weg, welches der erste Evangelist in seinem
l&sttaloge (10, 3#) beisetst, cum deutlichen Beweise, dafs
lie den Matthäus nkbt mit dem vom Zolle weg berufenen
Levi identisch denken •)•
EruJtblen so die Evangelisten die Berufung von zwei
verschiedenen Männern , aber auf gans gleiche Weise : so
tat, dafs beide Theile Recht haben sollten, defs wegen un«
pvsUirseheinlich, weil schwerlich so gans dieselbe Begeben-
heit sich wiederholte; und mufs somit der eine Theil Un-
recht haben, so hat man in dem Berichte des ersten Evan-
geliums den Uebelstand finden wollen, dafs hier Matthäus
urnt um ein Ziemliches nach der Bergrede berufen werde,
ia doch nach Lukas (6, 13 ff.) vor der Bergrede schon
i£mmüiche Zwölfe ausgewählt gewesen seien 6). Allein
Uefa würde höchsten* nur beweisen, dafs das erste Evan«
^elium jene Bernfungsgesehiehte unrichtig stelle, nicht
iber, dafo es dieselbe auch falsch eraähle. Da es somit
5) Huik'öl, a. a. O. Paulus, exeg. Handb., 1, b, S. 513* L, J->
~1, a, 240.
4) Bkrtholdt, Einleitung, 3, S. 1255 f. Fkitzschk, S. 540.
5) vgl. Sikffbrt, S. 5(ij de Wette, exeg. Uandb., 1, 1, &• 91*
6) SlÄIFJfRT, S. 60.
GOS Zweiter Abschnitt
irrig ist, der Erzählung des ersten Evangelisten eigtt-
thttmliohe Schwierigkeiten aufbürden zu wollen; ebenn»
wenig aber in der der beiden andern sich dergleichen a»
gen, wenn man nicht etwa das xccvoXitküv änana bell*
kas, von einem Manne, den er doeh nicht anter den b*
ständigen Begleitern Jesn aufführt, unpassend finden will2):
•o fragt es sich nur noch, ob sie von keinen gemeiasauai
gedrückt werden, welche dann beide Berichte als unhbti-
risch erscheinen lassen würden?
In dieser Hinsieht tat die genaue Analogie dlessr bV
rnfongsgeschichte mit der der beiden Brüderpaare bemcr»
kenswerth* Wie diese von den JSetnen, ao wird hier«*
Jünger von der Zollbank abgerufen; wie dort, so braucht
ei hier nichts weiter als daa einfache: axoXsO-ei ftoi, ad
dieser Ruf des Mesaias hat Über das Gemüth der Bswfc»
nen eine so unwiderstehliche Gewalt , dafs hier der TA
ner, wie dort die Fischer, xazafoiKov anavta, avc^agrn-
isthjoev avr(p. Allerdings ist nicht an läugnen, iwe*
Fritzsche die Anklagen einen Julian und Porpbyriw,
Matthäus zeige sich hier leichtsinnig, surüokschlägt, U
Matthäus Jesum, der damals schon längere Zeit in Jen«
Gegenden gewirkt hatte, längst gekannt haben müsse; •**
eben , je länger aueb Jesus ihn schon beobachtet hatte)
desto leichter konnte er Gelegenheit linden, den Mann &
mählig und ruhig in seine Machfolge au sieben , statt ik
ao tnmultuarisoh mitten aus seinem Beruf heraussoreifit*
Freilich meint Paulus, es sei hier von keiner Berahnj
nur Jüngerschaft, von keinem plötsliehen Verlassen «*
bisherigen Gewerben die Rede, sondern Jesus habe das
Freunde, der ihm für diesen Tag ein Mahl bereitet hatta,
nach geendigtem Lehrgeschäft nur bemerklich machen wel-
len , dafs er jetst bereit sei, mit ihm nach Hause undstf
7) Di Wbtte, a. a. 0.
Fttnftefl Kapitel f. » 1. 609
Tafel so gehen •)* AHein die Mahlaeit erscheint, nament*
lieh bei Lukas , nicht alt Grand , sondern als Folge jmtr
Abberuf ang; aar Mahlaeit ferner wird ein bescheidener
Vast de» Wirth, der ihn geladen) nur durch ein cnroU*-
&ifHa aoij aieht darch axolod-et /uoi sich ansagen; end*
lieh wird ja bei dieser Auffassung die ganae Anekdote so
bedeutungslos , dafs sie besser weggeblieben wäre; »). So-
mit bleibt das Jihe nad Gewaltsame dieser Soene immer
ein Pankt, an welchen sieh der Zweifel nnd die Vermtf-
thung ansebllelsen kann, ea möchte vielleicht der Anstritt
des apostolischen Mannes ans seinem früheren Lebenskrelse
mnd sein Eintritt in einen neuen in der Sage darch die
Wendung veranschaulicht worden sein: derselbe habe das
ÜVerkeeug seines bisherigen Treibens weggeworfen, seine
Werkstitte verlassen , um ein neues Leben an beginnen«
Besondere Aufmerksamkeit verdient bei dieser Eraih-
1mg noch der Umstand, dafs, nach der gewöhnlichen Vor-
smssetsung Aber den Verfasser des ersten Evangeliums, in
diesem Matthäus selbst die tieschiohte seiner Berufung et»
elblen würde. Dafs nun positive Spuren hievon in der
BraXhlung sich keine befinden , ist als eingestanden anau»
nehmen, und es fragt sich daher nnr, ob keine negativen
vorhanden sind, die jene Annahme unmöglich oder un-
wahrscheinlich machen? Dad der Evangelist hier nicht
in der ersten Person von sich redet, und nicht sofort' die-
jenigen Begebenheiten, welche er seihst miterlebte, in der
ersten Person des Plural, wie der Verfasser der A. 6.,
vorträgt, diefs freilich kann noch nichts beweisen, da auch
ein Josephos, nicht minder classische Geschichtsehreiher,
von sich in der dritten Person schreiben , und das Wir
des Pseudomatthäus im Ehionitenevangelium gerade höchst
g) Exeg. flandh., 1, b, S. 510. L. J., 1, •, 240.
9) Schlixsmuchs», über den Lukas, S. 79.
10) Gkatz, Gomm. x. Matth., 1, S. 470*
Das Lebern Jesu Me Aufl. L Band. 39
610 Zweiter Ablehntet«
verdfichtig klingt. , Aach «lab er «ich sogar durch sinn
gftM fremd thoemlen Ausdruck: ovttqitmov, MozÖcuov k
yo//«w, bezeichnet, woran, wie an dem suvor erwfthntei
Umstände) die ManiehSer Anstofs nahmen u)> hat gleich
bei Xenophon eine Analogie, welcher in der Anaba*is sieh
selbst als xtvoqtüv ng Idxhrratttg einfßhrt i2). Nor ist dieli
bei dem Griechen nicht treue Hingabe an den Gegenstand
and naira Reflexionalosigkeit, wofür es Olshadskn bei den
Evangelisten in Anspruch nimmt; sondern entweder einer
alten Ueberlieferung zufolge 1S) die Absicht, nicht ftr des
Verfasser en gelten, . oder doch Unstlerisebe Absichdiek*
keit Oberhaupt : welches beides man dem Matthäus nicht
wird ««schreiben wollen. Ob man defswegen jenen Asr
druck mit Scbolz") als ein Zeichen ansehen dürfe, dali
der Verfasser des ersten Evangeliums nicht eben jeasr
Matthfius war, möchte schwer nu entscheiden sein; jedes-
falls .ist auch im Uebrigen diese Berofungtgeschfohte irul
«teniger klar erzfihlt, als namentlich im dritten: nunweft
dort nicht , wie auf einmal von einem uraxeiofrai £v fij i-
%Uf die Rede sein kann, da doch der erste Evangelbt,
wenn er selbst der gastgebende Zöllner war, seine Freude
über die Berufung wohl auch in der Er&fiblung noch d*
durch bitte hervortreten lassen , dafs er, wie Loksi, s»
drtteklieh bemerkt bitte, wie er alsbald eine doxy ^
hry in seinem Hanse veranstaltet habe« Sagt man, er hak
diefs ans Bescheidenheit nioht so ausdrücklich sagen nfr
gen : so sieht man einen derben Galiläer jener Zeit in die
Ziererei des schwächlichsten modernen Bewufstseins her
uiiier.
An das Mahl bei'm Zöllner, an welchem viele Bernfr
11) Augustin c. Faust. Manich. 17, 1.
12) 3, 1, 4. .
13) Plutarch. de gloria Atheniens., zu Anfang.
14) Uebcr das Abendmahl, S. 308.
Fünftes Kapitel. §. 71. 611
genossen desselben Theii nahmen, knüpfen die Evangeli-
sten Verwürfe, welche die 0<%)ioaloi nnd yQc^fiareig gegen
Jesu Jünger geKnfsert beben : dafs ihr Lehrer f/eia nhi>-
viSv xai afiacnwlriSv esse; worauf Jesus, der den Tadel
hatte hören können, die bekannten Gnomen von der Be-
stimmung des Arstes für Kranke un<J des Menschensohns
für Sünder surflckgab (Matth. Ü, 11 ff.parall.). Dafs Vor-
würfe über sn grofse Gemeinschaft mit dem verachteten
Stande der Zöllner Jesu nicht selten von seinen pharisäi-
schen Gegnern gemacht worden (rgl. Matth« 11, 19.), liegt
gans in dem Wesen seiner Stellung, und ist also, wenn
irgend etwas, historisch; -so wie die Jesu hier in den
Mund gelegte ^Beantwortung jener Vorwürfe durch ihren
schlagenden, gnomischen Charakter sich gans so wörtli-
i eher Aufbewahrung in der Ueberlieferung eignete. Dafs
\ jener Anstofa namentlich auch dadurch erregt worden sei,
x dafs Jesus mit Zöllnern speiste, und unter ihr Dach ging,
jhat gleichfalls keine Unwahrsoheinltahkeit gegen sich.
, Aber dafs nun die Vorwürfe der Gegner sich unmittelbar
[' en das Zöllnermabl angeschlossen haben sollen , wie es
i nach unserer firsählung den Schein gewinnt, wenn es na-
mentlich bei Markus (V. 16.) heilst : Kai ol yjlticftftcct&is *«1
s cl OaQUfalot Idorceg avtov io&iomx — eteyw to& fia&q-
,twq, diefs will sich schon nicht ebensogut denken las-
sen 15). Denn da die Mahlzeit, an welcher auch die Jün-
, ger Theii nahmen, iv %r\ cixlq war : wie konnten die Pha-
risäer diesen noch wahrend des Essens solche Vorwürfe
machen, ohne durch etgeX&eiv naQa a^a(mwA<j> sich ebenso
sn verunreinigen, wie sie es Jesu (Luc. 19>7.) vorwarfen?
nnd draufsen gewartet, bis das Mahl su Ende wäre, wer-
nen die Pharisäer doch auch nicht haben. Dafs aber die
evangelische Erzählung nur einen causalen, keinen Zeit-
ansammenhang zwischen dem Zöllnermahl und dem pha?
15) Vgl. db Wim, exeg. Handb., 1, 2, 'S. 134-
39*
•
012 , Zweiter Abschnitt.
rlsätschen Tadel setze, läfst sieh schwerlich euch nur tob
der Darstellung bei Lukas mit Schleiermacher ,$) behaup-
ten. Leicht k5nnte diese unmittelbare Verknüpfung auf
sagenhaftem Wege entstanden sein; denn in der That
wüßte man kaum, wie das abstracto Datum , dafs an den
freundlichen Verkehr Jesu mit den Zöllnern die Pharisäer
Anstofs genommen, und diefs bei verschiedenen Gelegen-
heiten ausgesprochen haben, sich in der Alles in*a Con-
creto umbildenden Sage anders hätte darstellen können,
als so: Jesus speiste einmal in eines Zöllners Hause mk
vielen Zöllnern; das sahen die Pharisäer, trafen na den
Jüngern, und machten ihnen Vorwürfe, welche auch Je-
sus hörte und alsbald lakonisch genug beantwortete«
Nadi den Pharisäern tatst Matthäus die Jehanub-
jünger bu Jesu treten mit der Frage, warum seine Schü-
ler nicht ebenso, wie sie, fasten (V. 14 f.); bei Lukas
(V. 33 ff.) sind es noch die Pharisäer, welche ihre und
der Johannisjünger Fasten, im Gegensatse gegen das ioSi-
Biv und niveiv seiner Jünger, Jesu entgegenhalten; Mar-
kos vermittelt auf unklare Weise (V. 18 ff.)* Hier soH
nun nach Schleiermachbr jeder Unbefangene in der Dar-
stellung des Matthäus im Vergleich mit der des Lukas die
verwirrende Umgestaltung einer «weiten Hand erkennen,
welche sich nicht bu erklären wufste, wie die Pharisäer
danu gekommen , sich auf die Schüler des Täufers su be-
rufen. Vielmehr aber wäre, meint Schleiern acükr ,
den Johanniejüngern die Frage fast einfältig gew<
wogegen sich leicht begreifen lasse, wie die Pharisäer
dann kommen konnten , auf eine äufsere Aehnlichkeit mit
den Johannisjöngern Jesu gegenüber, der selbst die Johan»
nistaufe angenommen hatte, sich su stütsen. Allerdings
nun ist es auffallend, dafs nach den Pharisäern, welebe
sich an Jesu Essen mit Zöllnern stieben, wie gerufen Je»
16) a. s. O. S. 77.
Fünftes Kapitel. $. 71. 613
hannisjönger aufgetreten sein tollen, welche überhaupt an
•einem und der Seinigen nnverkümmertem Essen und Trin-
ken Anstofs nahmen , und wahrscheinlich ist Beides, in
der evangelischen Cfeberlieferung der Sachverwandtschaft
wegen zusammengestellt , von dem ersten Evangelisten ir-
rig auch durch die Einheit Ton Zeit und Ort verbanden
worden« Allein die Art, wie nun der dritte Evangelist
Beides Busammenfftgt, sieht selbst einer noch kttnstliohe*
ren Verbindung gleich, und , einer historischen schon defs*
wegen nicht, weil die Gegenrede Jesu nur gegen Johan-
nisjflnger oder solche, welche ihn Aber jene Differens gut«
arfthig fragten, gerichtet sein kenn: gegen Pharisäer
würde sie wohl anders and schärfer laateu 17).
Gans dasselbe Verhältnif* wie die von Matthias oder
•Levi behandelt auch eine andere Ereählung, welche dem
Lukas eigenthflmlich ist (19, 1 10*> Wie Jesus auf sei*
jser leisten Pestreise durch Jericho kommt, war du ccq%a-
TtXwvrfi Zaoehäus, um ihn in dem Volksgedringe bei sei"
Der kleinen Statur doch sehen au können, auf einen Baum
gestiegen, wo ihn Jesus bemerkte, und ihn sogleich wttr*
dig fand, das Nachtquartier bei ihm su nehmen. Auch
liier erregt das Anschliefsen an einen Zöllner die Unna-
friedenhelt der strengerdenkenden Zusohauer; worauf ,
nachdem noch Zaechius bofsfertige nnd wohithfitige Ge»
läbde fdr die Zukunft getban , Jesus durch eine ähnliche
Gnome wie oben antwortet» Bei dieser Geschichte scheint
mwar die ausgeueiohnete Anschaulichkeit der Scene ftr
ihren historischen Charakter na sprechen: doch enthält
jsuoh sie etwas, das bedenklich machen könnte* Nämlich
die Eraählung lautet gar nicht so, ab ob Jesus von dem
ülanne schon vorher gewebt, und jetat ihm Jemand den-
selben mit Nennung des Namens geneigt hätte i8>: sondern
17) »s Witts, exeg. Hsndb., 1, 1, S. 93.
18) ftutus, eaeg« Usadh», 3, a, S. 48» Huiaö*, in Luc. p. 632.
r»«.
614 Zweiter Abschnitt.
Olshausbn hat Recht, wenn er die Kenntnifs, die hier
Jesus plötalich von Zacchäus ««igt, aaf sein Vermögen
surflckftthrt, ohne Zeugnife Andrer su wissen, was im Men-
schen war. Doch reicht, nach dem früher über Ähnliche
Zöge Bemerkten, weder diefs, noch der Umstand, dafs die
Ersählung von dem Zeugnifs der drei übrigen Evangeli-
sten verlassen Ist, hin, einen entschiedenen Zweifel gegen
ihre geschichtliche Wahrheit an begründen.
Die «wöif Apostel.
IKe Männer , deren Bernfang bisher betrachtet wer-
den ist: die Jonaiden, die Zebedatden, sammt Philippas
Und Matthäus, den einzigen Nathanaet ausgeschlossen, bil-
den die Hälfte desjenigen engeren Kreises von Schülern
Jesu, weicher unter dem Namen dt öwdexa, oi doidtxa ua-
shjiai öder djtozolot, durch das gance N. T. hindurchgeht
Die cum Grunde liegende Vorstellung von diesen Zwölfen
Ist, dafs Jetus selbst sie ausgewählt habe (Marc. 3, 13f.
Luc. 6, 13. Job. 6,70. 15, 16). Matthäas zwar erzählt
Uns die Geschichte der Auswahl sämmtlicher Zwölfe nicht,
sondern setst sie stillschweigend voraus, indem er (10, 1.)
dieselben schon als feststehendes Collegium einfahrt. Lu-
kas hingegen ereählt (6, 12 ff.) , wie nach einer anf dem
Berge im Gebete durchwachten Nacht Jesus aus dem wei-
teren Kreise seiner Anhänger Zwölfe ausgewählt habe,
und hierauf mit ihnen von der Höhe herabgestiegen sei,
um die sogenannte ' Bergrede au halten. Auch Markat
(a. a. O.) berichtet in demselben Zusammenhange, daft
Jesus auf einem Berge aus, der gröberen Ansah! seiner
Schaler nach beliebiger Auswahl swölf Männer berufen
habe. -
Dafs nun Jesus nach der Darstellung des Lukas ge-
rade vor der Bergrede und mit Besiehung auf dieselbe die
Zwölfe ausgewählt habe, davon läTst sich kein Grund ein-
Fünfte« Kapitel. J. Tu. 615
-decken, indem diese Rede weder besondere auf sie berech-
net ist ') , Doch sie bei Abhaltung derselben eine Verrieb»
tnng haben konnten ; die Darstellung bei Markos aber
sieht so gern darnach ans, naeh dem ganz unbestimmten
Ilatom, dab Jesus die Zwölfe ausgewählt habe, ans eige-
ner Phantasie gemaebt su sein, dafs ans ihr Über die ei-
gentliche Veranlassung und Art dieser Auswahl keine Be»
iehrung an entnehmen ist 2), und Matthäus noch am be-
sten su tbun scheint, wenn er die eigentliche Berufung*»
scene, ohne sie su schildern, blofi» voraussetzt; wie auch
Johannes, ohne vorher einer Auswahl gedaeht au haben,
auf einmal (6, 67.) von den dtodtxa an sprechen anfiUigt.
Wird so, dafs Jesus selbst dieZwtiifsahi der Apostel
festgestellt habe, in den Evangelien eigentlich imsaer nur
vorausgesetzt: so fragt sich, ob die Voraossetsung richtig
ist? Zwar, dafs an Jesu Lebseiten schon fene Zahl sieh
festgestellt hatte,' scheint nicht bezweifelt werden so köa>
»an, da nicht nur nach der Darstellung der Apostelge-
schichte die Zwölfe gleich nach Jesu Himmelfahrt als ein
so geschlossener Körper auftreten, dafs sie die durch den
Abgang des Judas entstandene Lücke alsbald durch eine
neue Wahl ausfüllen au müssen glauben (1, IS ff«); •on-
dern auch Paulus (l. Kor« 15, 5.) von einer toig daidexa
ssu Tbeil gewordenen »Erscheinung des Auferstandenen
spricht. Das aber hat namentlich Schlku&rmachkr gefragt,
ob Jesus selbst die Zwölfe ausgewlhit, und nicht vielmehr
das besondere VerhaJtnils von Zwölfen aus dem Kreise
aeiner Anhänger au ihm sich allmäblig von selbst gemacht
habe S)S Dafs nun die Wahl der Zwölfe in einem beson-
dern feierlichen Acte vor sich gegangen wäre, dafür ha-
ften wir nach dem Bisherigen nicht nur keine Bürgschaft,
1) Sciilsuckmacubk, über den Lukas, S. 85.
2) Vgl dens. cbcnd.
3) s. s. 0. S. 88.
616 Zweiter Abschnitt.
sondern die Evangelien selbst lassen ja Seehse von ihnen
einsein and paarweise bei verschiedenen Anlässen berufen
werden; eine andre Frage aber tat, ob nicht doch dis
Zwölfsahl eine von Jesu selbst bestimmte gewesen sei, er
also mit Vergrö&ernng seines nächsten Gefolges bei dieser
absichtlieh inne gehalten habe? Zufällig kann dieselbe nn
so woniger sein, je bedeutsamer sie ist, und je leichter
sich nachweisen Ififst, was Jesu in bewogen haben mag, sie
so wählen. Er selbst, wenn er Matth. 19, 38. den Jün-
gern verheilst: xafrioead-e int daldtxa d-Qov&g, xqbaneg rag
döÜsxa qwlag tä Ytf^vl, gibt der Zahl derselben eine Be-
ziehung auf die Zahl der Stämme seines Volks, und das
höchste christliche Alterthum war der Ansiebt, data er sie
in dieser Beziehung gewählt habe*). War er und seine
Jünger sunächst gesandt eig zd nQoßara ta arcoAcuiofB
<üx& *IO(xxfjk ( Matth. 10, 6. 15, 24. ) : so konnte es ange-
messen scheinen, die Zahl der auszusendenden Hirten
nach der Zahl der hirtenlosen (Matth. 9, 36.) Stämme
festasetsen.
Die Bestimmung dieser Zwölfe wird Joh. 15, 16. nur
gase allgemein, Marc 3, 14 f. dagegen genauer und ohne
Zweifel riefhtig angegeben. ^Ertoirpe doidexa, heilst es hier,
1) i'ra MOL /uer* avrSy d. h. um nicht nur auf seinen Rei-
sen nicht ohne Gesellschaft, Hülfe und Bedienung sn sein,
wie sie ihm denn vielftkig su Bestellung von Quartier
(Lue. 9, 52. Matth. 26» 17 f.), su Herbeiscbaffong von Le-
bensmitteln (Joh. 4,8.) und andern lUisebedürfnissen
(Matth. 21, 1 ff.) behfilfiieh waren ; sondern vornehsalieh
sollten sie in seiner Geseilschaft herangebildet werden su
yoaftjuareiQ f4afrijtevd-£vreg dg xrp ßaodeUtv %uiv hqotA
(Matth. 13, 52.), su welchem Behufe ihnen Gelegenheit
gegeben war, theils Jesu meisten Lehrvorträgen anuawoh-
4) Ep. Baroab. 8, und das Evangelium der Ebioniten bei Epi<
phanius, bacr. 30, 13.
Fönfte« Kapitel, f. 72. 617
neu , und selbst noch besondre Aufschlüsse aber dieselben
sieh von ihm eu erbitten (Mattb. 13, 10 ff.. 36 ff.), theUs
dnreh seine ebenso freundliche als strenge Zucht ihre Ge-
sinnung au Untern (Mattb. S, 26. 16, 2& 18, 1 ff. 21ffit
Lac. 9, 50. 55 f. Job. IS, 12 ff. u. e.), tbeils endlich durch
den Anblick seines Vorbildes sich an heben (Jeh. 14, «.)*
S) Daran schliefst sich sofort dss Andre an, was dort als
Zweck der Erwählung der Zwölfe namhaft gemacht wird,
iva drtogiJ&T] cnkog xqfwooeiv, nlmlich %rp> ßa0ilei<&: *wf
uqovwvi sowohl, was bei Markus nunitohet der Sinn Jsf»
noch w&hrend seines Lebens; als anch, was wir im Sinne
Jesu hinandenken müssen , cur Ausbreitung seiner Sachs
nach seinem Tode. (Danilt ist in der Stelle hei Markus
noch die igaola, &eq<mevsiv za£ roa&g, xal ixßdU*iv t?
dcufiovut verbunden; ein Punkt, von welchem erst spAter
die Rede werden kann.)
Eben von dieser Bestimmung hatten sie auch den aus«
Ablehnenden tarnen anozoloi (Mattb. 10, 2. Marc. 6, 30V
Luc 6, 13. n. s.). Man hat gezweifelt, ob wirklich nach
Luc 6, 13. dieser Name den Zwölfen von Jesus selbst
nehon beigelegt gewesen , . und nicht vielleicht erst später
ex eventu aufgekommen, sei 5)? Allein , dafs Jesus sie
aeine Abgesandten genannt habe, kann nichts Unwahr*
eoheintiches haben, wenn er sie wirklich schon (Matth>
10, 5 ff. parall.) auf eine Reise anr Verkündigung das nur
banden Messiasrelcbes ausgesendet hat. Man meiste denn
eben diese Sendung, aumal das vierte Evangelium von der»»
aelben schweigt, dafür ansehen, aus der Zeit nach Jesu
Tod in seine Lebzeiten zurückgetragen au sein, , um von
der nachherigen Mission der Apostel ein Vorspiel noch
nnter Jesu Augen vorgehen nu lassen; ein Zweifel, au
welchem, da jene Aussendung nichts
gegen sich hat, die Berechtigung fehlt.
5) Scuuhsswachsb, s. a. O. S, $7.
618 Zweiter Abschnitt
Wie Johannes nichts von dieser Missionsreiae der
Synoptiker: so wissen diese nichts davon, was Johannes
sagt, dafs schon «u Lebseiten Jesu seine Jünger getauft
haben (4,2.); sondern erst nach der Anferstehong ertheih
er Ihnen hier cum Tanfen die Vollmacht (Matth 28, l&
parall. ). Da jedoch der Tanfritns einerseits schon vea
Johannes als Vorbereitung auf das Reich des Messias ei»
geführt war ; und andererseits nach djem Tode Jesu gleioa
bei der ersten Aafnahme neuer Mitglieder als Weihe ftr
das Reich Christi erscheint (A.G. «, SS. 41.): so ergik
sich die Anwendung der Tanfe auch schon wlhread
des Lebens Jesu als das natürlichste Mittelglied; wie anck
die andere Noria sowohl an sich, als anter Vergleichnng
Von 1. Kor. 1, 17. alle Wahrscheinlichkeit für sich hat,
'dafs Jesus selbst nicht getauft habe, sondern nur aaias
Jünger (4, 2 )
Aufser jener Missionsreise gedenken die Evangeliea
keiner längeren Entfernung der Zwölfe von Jesu ; denn
daraus, dafs sie nach seinem Tode wieder ihrem Gewerbe
nachgingen (Jdh. 21, 2 ff.), ist doch wohl kein Beweis
herzunehmen. Nur der Eifer harmonisirender Theologen,
welche nach der ersten Bernfang noch für eine zweit»
lind dritte Raum gewinnen wollten, auf der einen, and ifie
Bemähong pragmatischer Ausleger auf der andern Softe,
das Auskommen so vieler unbemittelten Minner dadurch
begreiflicher au machen , dafs man sie dazwischen hiaeia
wieder durch Arbeit etwas verdienen liefs, konnte aus dea
Evangelien solche Unterbrechung des Zusammenseins Jesu
mit den Zwölfen herauslesen. Was nun das Auskommen
Jesu und seiner Gesellschaft betrifft, so liegen in derGast-
freundlichkeit des Orients, '^weiche bei den Juden beson-
ders dem Rabbinen zu Gute kam; in der Begleitung be-
güterter Frauen, cSriveg dirpcov&v avr(ji <rao twv tWcrpjjfd*-
xiov amdig (Luc. 8, 2 f.); endlich in dem, freilich nur von
vierten Evangelisten erwalinteu, yJUttfowcyiW (12,6. 13,290,
Fünftes Kapitel. J. 73. 61V
aus weichet* neben den Bedirfbisten de» Geeellltthaft auch
Hoch den Armen Unterstützung gereicht Verden konnte,
und in welches, wie wir denken müssen, bemittelte Freunde
fclesu Beftrffge gfcbcn, wie es scheint, dnbeletensmittel ge»
»ug. Wer diese jedoch entweder* • ohne eigenen Erwerb
der Jünger nicht ftr sureiohend hfilt, oder Oberhaupt eine
gfineiiche Lossagang der Zwftlfe von ihren bürgerÜehen
Geschäften nicht wahrscheinlich findet, der «sie nur seine
Ansicht nicht auch den Evangelien aofswiugen wollen,
«reiche, vielmehr durch das jgrofse Gewicht, welches ste
aof das aqrpca^ev ndvra von Seiten der Apostel legen
(Matth. 19, 27 ff«), deutlich die entgugengesetst» eu* erken-
nen geben.
So weit uns* über den Stand der swtflf Jünger Jesu
etwas aufbehalten ist, gehorten sie slmmtlieh der Miede*
ren Klasse an: vier (oder* nach Job. 21, Ä. vielleicht noch
mehrere) Fischer und ein Zolleinnehmer , und auch für
die übrigen macht die Bildungsstufe', vtfelebe sie stigen^
so wie Jesu fiberall sieh fiufsexnde Vorliebe Air die tvfüp-
X'd^ und rrpzhi$ (Matth. 5, S. 11, 6* 25. ) wahrscheinlich,
dafs sie ans- ihnllchem Stande gewesen seien.
$.78.
Die ZwttÜB eiaseln betrachtet. Die drei oder vier vertrautesten
Jünger. Je«u.
Wir haben im N. T. vier Apostelkataloge: je bei den
*drel Synoptikern einen, und einen In der Apostelgeschichte
C Matth. 10 , 2-4. Marc. S , 16 - 19. Luc. 6 , 14 - Ift.
A. G. 1 , 13. ). Jedes der vfer Verseichnisse läfst sich in
drei Tetraden thellen, deren Flügelmänner, und bei der
letzten auch der abschließende (A. G. 1 , 13- wo er fehlt,
4
abgerechnet) , durchweg dieselben , die übrigen , doch in-
nerhalb derselben Tetrade o, verschieden geordnet sind, in
der letsten aber selbst eine Namens • oder Perspneadiffe-
rens sich findet.
6*2« Zweiter Abschnitt.
«
Vornnde* ersten Tetrode «nd den ganneu Katalogs
sieht in alte« Verzeichnissen, und swar in ersten mit den
Beisätze: XQJhog* Simon Petrus, Sohn von Jonas CMatth.
16, 17. ), naqfa. dem. vierten Evangelium von Bethsaidi
(I, 45.)» B**h den synoptischen in Kapernaum aneaTaig
(Matth. 8, 14« parail.) *)• Hier klingt bei protestantische*
Auslegern noeh die alte Polemik nach, wenn sie dies*
Stellung entweder für blofsen Zofall ausgeben, wogegen
die Uebereintlimmung eller vier , . sonst in der Anordnung
abweichenden Veraeicjiniase in der Stellung des Petras ist;
oder dieselbe daraas erklfireA, dafs Petrus nnerst berufen
worden sei *) , was nach dem vierten Evangelium nicht
einmal richtig wäre. Dafs dieses durchgingige VoransteJ-
len einen gewissen Vorrang des Petras unter den Zwölfen
bedeute, wird aneh ans eeiner sonstigen Erscheinung ia
der evangelischen Geschichte offenbar« Mit dem Feuer sei»
nee Wesens ist er überall den andern voran, sowohl we
es. m sprechen (Matth. 15, 1&. 16, 16. 22. 17, 4. IS, th
M, 33. Job. 6, 68. ), als wo es an bandeln gilt C Matth.
14, 28. 26, 5& Joh. 18, 16), nnd wenn diefs swar nicht
selten ein verfehltes Reden und Thun ist, und vder eben
gezeigte Math ihm oft schnell wieder verfliegt, wie «eins
Verläognung seigt, so ist doch nach der synoptischen Dar*
stellang er anoh der Erste, weleber die Messiauitfit Juso
mit Entschiedenheit aussprieht (Matth. 16, 16. parail. >
Von den bei dieser Gelegenheit ihm ertheilten LohsprO-
<chen und Voradgen bleibt fibrigena nur der sunffebst am
Sri neu Beinamen geknüpfte ihm eigeuthtünlioh ; die Befug»
nifs des dstiv und Ivew, d. h, des Verbieten* und ErJam
1) Wenn £ nol* Uväp» *a\ IJJtq* Joh. 1, 45. dasselbe bedeutet,
wie rj WCa noJUi Matth. 9, 1., nämlich den Ort, wo sie ansässig
waren: so findet hier ein Widersprach zwischen Johannes
und den Synoptikern statt.
2) Für Beides vcrgl. Fjutzscub, in Matth. p. 358.
Fünftes Kapitel §. 73. 6*1
bens •), Im neaerriehteten Messlasrefohe , wird bald nach*
her (18, 19.) auf alle Apostel ausgedehnt. Noch entschie-
dener tritt dieser Vorrang des Petras unter den filteren
Aposteln bekanntlieh in der A.6. und den pauHnisehen
Briefen hervor«
Auf den Petrus lfifst der Katalog des ersten nnd drit-
ten Evangeliums seinen Bruder Andreas folgen; der des
streiten Evangeliums und der Apostelgeschichte den Jako-
bus and nach ihm den Johannes« Die ersteren offenbar
Ton der Rücksicht geleitet, die Brflderpaare EUsammenau»
stellen: die beiden andern von dem Gesichtspunkte aus,
die swel an Aasaeichnung dem Petrus snnJtahst Stehenden
dem minder hervortretenden Andreas vorsuseteen, welchen
nie defshalb sum loteten der ersten Tetrade machen« Wie
diese Viere in der christlichen Sage durch eine besondere
Berufungsgeschichte ausgeaeichnet worden sind, ist bereits
erwogen worden. Sonst stehen sie bei Markus noch einl«
gemaJe beisammen: nuerst 1, 29., wo Jesus in Begleitung
der beiden Zebedaiden in das Haus des Petrus und An-
dreas tritt; was aber, da die andern Ersfihler hier nur
des Petrus gedenken, ein Zusatz des Markus aus eigenen
Mitteln sein könnte, indem er schlofs, die vier kurs aovor
berufenen Fischer werden Jesum auch dorthin begleitet,
und, was an sieh wohl richtig sein könnte, an des Petrus
Banse werde auch sein Bruder Andreas Antheil gehabt
haben *)• Noch einmal stehen die Viere Marc. 13, & bei-
aammen, wo Jesus das Orakel Über die Zerstörung des
Tempeis und seine Parusie eben ihnen xcnr' idlav mittheilt
Allein die Parallelen haben hievon nichts , und wenn wir
bei Matthäus ( 24 , 3. ) lesen : jzQogijlfrw avu$ ai fia&r/rai
xax Idiavx so sehen wir schon, data Markus nur durch
«inen Lrrthnm cu jener Angabe gekommen ist* Das xor'
3) Vgl. LitttrrooT x. d. St.
4) Vgl. SAvaisa, über die Quellen des Markus, S. 65 f.
02t Zweiter Abschnitt :
löla* nRaUfeb, wütetet er in den von ihm beatmeten Be-
lichte wir Unterscheidung der Zwölfe von dem Volke vor-
fand , klang ihm als Einleitnngsformel , wie et tonst vor-
nukommen pflegt (Matth. 17, 1. Marc* 9, 2.) , nn einer
Privatconferen« Jesu mit Petrus, Jakohas und Johanne«,
sn welchen er dann , der Brdderschaft wegen , wie ei
scheint, noch den Andreas setste; wie umgekehrt Lukas
(5, 100 b*i der Eratthlung vom Fischfang und der Beru-
fung den Andreas, welchen die beiden andern haben, weg-
läfst, weil er sonst in dem engeren Ausscbuls ans den
Zwßifen nicht erscheint, sondern nur noch Job. 6, 9. 12,
>22. ebne besondere Bedentang vorkommt*
Neben Petrus treten sonst nur die beiden Zebeduideu
noch mit Ausaeichnung hervor. Sie «eigen einen fihnli-
ehen feurigen, aber der Mäf«igung bedürftigen Eifer wie
Petrus (Luc. 9, 54«; einmal auch Johannes allein, Marc
9, 38. Luc. SA, 49.) , eine Gemflthsart, welcher sie wahr-
scheinlich den ihnen von Jesu beigelegten Namen: \bt\ ^q
viel ßfxmiJQ (Marc. 3, 17»), verdankten 6), und aie standen
unter den Zwölfen so hoch, dafs sie Ar sieh (Marc 12,
35 ff.), oder ihre Matter ffir sie (Matth. 20, 20 ff.)* •** die
ersten Plfitae im Reiche Jesu Anspruch machen «u kfin-
jien glaubten. Bemerkens werth ist , dafa. nicht nur in al-
len vier Katalogen, sondern aueh wo die beiden Brfider
sonst susammen genannt werden, wie Matth. 4, 21. 17, I.
Marc. 1, 19. 29. 5, 37. 9, 2. 10, 33. 13, 3. 14. 33. Lue.
5, 10. 9, 54., mit Ausnahme von Luc. 8, M. 9,28., immer
Jakobns zuerst genannt, und Johannes gerne als 6 adel-
(pog avtö an ihn angelehnt erscheint. Einen VorBU£ dm
Jakobns vor Johannes kann diefs nicht .andeuten sollest
da man von Jakobus nichts Besonderes weil*, Johannes
aber als der Lieblingsjttnger Jesu bekannt ist; defs wegen
erklärt man jene Stellung gewöhnlich durch die Annahme,
5) Vgl. di Witts i. d. St. I
Fünftes Kapitel. §. 73. 6BJ
Jakokns sei ..vielleicht der filtere. Bruder gewesen* *). Doofe
dieses Verhältnis führt uns auf eine Differenz «wischen
den drei ersten Evangelien und dem vierten, welche noch
nfiher erwogen werden mufs«
Bei den Synoptikern bildet, wie gesagt, Petrus mit
Jakebus und Johannes den engeren Aussehnfs aus den
Zwölfen, welchen Jesus eu einigen Seenen bezieht, deren
richtiger Auffassung die übrigen nicht gewachsen schienen :
wie die Verklärung auf dem Berge , der Kampf in Geth-
uemane, und nach Markus (5, 37.) die Auferweckung der
Tochter des Jairos 7).
Im vierten Evangelium finden wir von einem solchen
Triumvirate nichts. V>n Jakobus wird selbst der Marne
nicht genannt: nur im Anhange (21, 2.) kommen einmal
oL %h Zsßedais susammen vor; während mehrere Bern*
fungsgeschichten, wahrscheinlich auch die des Johannes,
flutgetbeilt werden: ist von der des Jakobus nicht die Rede;
auch tritt er nirgends, wie manche einzelne Apostel in die-
sem Evangelium, redend auf. Von Petrus werden zwar seine
Vor süge, wie der ehrende Beiname« den ihm Jesus gab
(1, 43), und sein glaubensvolles Bekenntnifs (u\ 68 f.), im
vierten Evangelium so wenig versehwiegen, als in den
synoptischen seine SchwXchen und die ihm defshalb von
Jesu ertheilten Augen (s. B. 16, 23)} auch ist in den Er-
tsfthitingen von dem Gange des. Petrus und Johannes cum
Grabe Jesu (20, 3 ff.) und von der Erscheinung des Auf-
erstandenen am galilfiischen See (21.) nicht ein Vorzug des
einen Jüngers vor dem andern, vielmehr eine gleiche Ab-
6) z. B. Paulm, exeg. Handb., 1, b, S. 556.
7) Dies» beruht indessen ohne Zweifel wieder auf einem" blos-
sen Schlüsse des Markus. Weil Jesus die unberufene Menge
wegtrieb, und die Mittheilung des Vorfalls verbot : so sah der
Evangelist hier einen jener geheimen Vorgänge, z,u welchen
Jesus sonst nur jene Drei mitzunehmen pflegte.
624 Zweiler Abschnitt.
wlgang Ihrer beiderseitigen Verdienste eu bemerken : le-
dern das einemai Johannes vor Petras «am Grabe and tu
Glauben gelangt, Petrus dagegen vor Johannes in das Grah
hineinaogehen wagt; das andremal ebenso Johannes nvrs*
der Erste ist, der Jesnm erkennt, Petras dagegen derje-
nige, der, am auf dem kflreesten Wege sa ihm an gelan-
gen, sieh in den See wirft *)• Doeh in. einigen ErtULhlan»
gen des vierten Evangeliums ist ein Vorsag des Johannes
vor Petrus nieht na verkennen. Nor ein Äafserer VortheÜ
ist es «war and ohne Besiebung auf ein näheres Verhlk-
nifs eu Jesu, dafs nach dem einsigen vierten Evangelien
Johannes es ist, der, als yvwgog rqi cIqxuqsl, dem Petrus
bei'm Verhöre Jesu den Zutritt inMen hohenpriesterliehea
Palast verschafft (18, 15 f.) ; womit aber sogleich das sa-
Sftmmenhffogt, dafs die Synoptiker Oberhaupt nur dem Pe-
tras, nieht ebenso dem Jobannes, den Eifer «uscbreiben,
der ihn antrieb, dem gefangenen Meister su folgen. Eben
dahin gehört der Umstand, dafs das vierte Evangelium den
Johannes anter das Kren« Jesu stellt, wo bei den Syn-
optikern keiner der Jünger erscheint, und dafs es ihn da-
selbst in ein VerhJtftnifs nur Mutter Jesu treten Ififtt, voa
welchem jene nichts melden (19, 26 f.) ; so wie auch bei m
letsten Mahle Petras durch Vermittlang des er r«p xaJUoy
ts yfT]oä liegenden Johannes sich nach der Person des Ves>
rithers erkundigen mufs *)•
Diefs hängt damit «usammen, dafs in dem von ihm
benannten Evangelium Johannes durch die stehende Be>
8) Vergl. hiezu J. Mvlur, theol. Studien u. Kritiken, 1836, 3;
Thbils, zur Biogr. J., S. 107 ff. J Thöluch, Glaubwürdigkeit,
8. 295 ff.
9) Vergl. Paulus, in seiner Recens. des ersten Bandes der zwei-
ten Auflage von Lückb's Conrai. zum Johannes, im Lit. Bl. zur
allg. Kirchenzeitung, Febr. 1834, no. 18, 8. 137 f. und L. J.,
1, a, S. 167 f.
Fünftes Kapitel *. 73« 62»
nennnng: o fiad-qrqg ov rffiata oder tqnUit o jfi7aB^9 vor al-
len andern ausgeseichnet wird (13, 23. 19, 26. 20, 2. 21,
7* 20« )• Da(s dnreh diese Formel ond durch die unbe-
stimmtere: 6 akloSt oder auch nur SiXog fiathpygW* ***•
20, 3. >4. 9.), welche, wie ans 20, 2 f. erhellt, dieselbe Per-
eon mit Jener andeutet, der Apostel Johannes beneiehnet
eei, läfst sieh swar aus dem vierten Evangelium für sieh
oder mit den übrigen verglichen nicht swingend beweisen*
Denn weder wird diese Beseichnung irgendwo mit dem
Namen dieses Apostels vertauscht, nooh wird im vierten
Evangelium etwas von dem Lieblingsjünger erzählt, waa
in den drei ersten dem Johannes angeschrieben wäre.
Daraus aber, dafs 21, 2. unter den Anwesenden oi %5 Ze~
(tedais aufgeführt sind, folgt nicht, dafs der naohher,
V. 7., erwähnte fia&r^g ov rjydna 6 *Iijo5g gerade Johan-
nes sein müsse; ebensogut könnte Jakobus, oder einer der
V. 2. aufgezählten alloi in rwv fiadi/ttüv <k'o, gemeint sein.
Dennoch seheint die kirchliehe Ueberlieferung mit gutem
Grund unter dem auf jene Weise Bezeichneten von jeher
den Johannes verstanden au haben; da in dem griechi-
schen Entstehungsgebiete • des vierten Evangeliums kaum
ein anderer von den in demselben nicht genannten Apo-
steln so bekannt war, um auf jene Beeeichnung hin er*
kennt su werden, als eben nur Johannes, dessen Aufent-
halt in Ephesus schwerlich als leere Sage von der Hand
su weisen ist.
Zweifelhafter kann scheinen, ob durch die genannten
Formeln der Verfasser sogleich sieh selbst , und also sich
als den Apostel Johannes bezeichnen wolle? Der Schlufs
des 21ten Kapitels freilich, V. 24., macht den Lieblings«
jünger zum f«xQTV(XjJY iuql mwv xal ygaipag ravra: doch
dab diefs ein Zusatz von fremder Hand sei, kann als an-
erkannt vorausgesetzt werden. Wenn aber in dem ächten
Contexte des Evangeliums, 19, 35., der Verfasser von dem
Erfolge des Jesu am Kreuze beigebrachten Lanzenstichs
Das Leben Jesu hte Aufl. /. Band. 40
026 Zweiler Abschnitt
sagt: o HPpaxiftjg fit pa(jTV(npef : so kenn damit «war nur
der LieblingsjOnger gemeint sein , weil nnr er unter des
Jüngern, die doch allein hier ala Zeugen aafauführes
•chicklioh war, als bei dem Kreuee gegenwärtig voramge-
setat ist; auch würde, dafs der Varfaaaer dadureh sugleicfc
sich selbst gemeint habe, durch die dritte Person, deren
er sich bedient, keineswegs unwahrscheinlich: wohl aber
könnte das Präteritum zweifelhaft machen, ob nicht doch
der Verfasser sieh hier afif das Zeugnifs des Johannes,
als einer von ihm verschiedenen, aber (wegen des o#dev)
noch lebenden, Person berufe10)? Doch lifst sieh diese
Ausdrucks weise auch im andern Fall erklffren u), und in
dem i&eaodpedv und tlaßofttv (1, 14. 16.) acheint sich der
Verf. als Angenneugen der von ihm ersihlten Geschieht*
su geben.
Ob nun aber der Verfasser des vierten Evangelium^
welcher sieh wahrscheinlich als den Apostel Johannes au
errathen geben will, dieser auch wirklich gewesen sei, ist
eine andre Frage; ober welche wir Übrigens hier nur nach
Mafsgabe des uns bis jetat Vorliegenden nns ausspreche»
können. Hier mag, was wir in der Zeichnung des Ver-
hältnisses «wischen Jesus und demTiufer Unhistoriaehes,
noch mehr was wir in den Gespr&ohen Jesu mit seinen
ersten Schülern und der Samariterin Ver köre tos oder sab*
jeetiv Gefärbtes gefunden haben, ans der Art des Apostels,
Alles mehr mit der Innigkeit des Gemttths, als mit eine*
lieh - verständiger Schürfe aufaufassen, und aus der Um-
bildung sich erklären lassen, welche in der langen Zeit
von seiner Jugend bis aum hohen/ Alter, während der er
seine Erinnerungen im Heraen bewegte, arft denselben
10) s. Paulus , in der Becens. von Brbtschkbidbe's Probabilien,
in den Heidelberger Jahrbüchern, 1821 , no. 9 , S. 138. Vgl.
us Wette z. d. St.
11) Lücke, a. a O. S. 664.
Fünftes Kapitel. $.73. 6*7
vorgegangen sein mochte ; der Vor rag, des in diesem Evan-
geliom Johanne« in gewisser Beziehung vor Petras gentefst,
kann geschichtlich stattgefunden haben , nur ads der gyn»
optischen Tradition verschwanden sein ; dab aber Johan-
nes seinem eigenen Brnder Jakobus, wenn dieser wirklich
so, wie die übrigen Evangelisten melden, von Jesu vorge-
wogen war, so gar nicht sein Recht sollte haben widerfah*
ren lmum9 wie wir diefs im vierten Evangellnm finden:
das ist mir immer nooh nicht so leicht denkbar, als man
es gewöhnlich dafür nimmt. Wendet man sieh in dieser
Beziehung an dem synoptischen Berichte mit der Frage,
ob nicht dieser vielleicht an Gunsten nies johanneischen
aufsogeben sei : so könnte man einen Augenblick etwa sa-
gen wollen: vueil nach dem Tode und der Auferstehung
Jesu ein Jakobus, Petrus und Johannes alt <*vXoi "4er Ge-
meinde sich ausseichneten (Gal. 2, 9.)*)> so habe die
Sage diese drei Männer auch schon su dem lebenden Jesos
In ein besonders ehrenvolles YerhaltnMs »gestellt , uneraeh^
tet an diesem in der Wirklichkeit nur Petrus und Johan-
nes tbeilgenommen haben. Allein, da der in der ersten
Jerusslemischen Gemeinde ausgezeichnete Jakobus nicht
der frühe hingerichtete Zebedaide (A. G. 12, 2>), sondern
der auch bei'm ersten Apostefconett mit vorwiegendem
Ansehen aufgetretene Bruder des Herrn (GaL 1^ 19.) war;
wogegen der Bruder des Johanne« von Anfang an hintef
diesen und den Petrus aurüok traft so verschwindet jeder
Anlafs, den die Sage haben konnte, gerade diesen Jakobus
um verherrlichen; wenn man nicht sagen will, es sei nur
eben um einen dritten nu thun gewesen, um stach den
Messias, wie den Moses (2. Mos. £4, 1. 9*),' mit einem en-
geren Ausschusse von drei vertrauten Begleitern »u um*
i.
12) Diesen Dreien, glaubte man in der ältesten Kirche, habe Je-,
sus die yrtoait xu geheimer Ueberiieferung mitgetheüt. S. bei
GissBLSft, K. C, 1, S. 234.
40*
028 Zweiter Abschnitt.
geben : eine Analogie , welebe aber dadurch unbrauchbar
wird 3 dafs die Gruppe jener drei Mftnner am den Moses
nicht so stehend ist, wie die der drei Jünger am «Pesos.
Bleibt demnach die synoptische Darstellung stehen: at
kann die auffallende Ab weichung der johanneischen in die-
sem Stücke tiwar fffr sich noch keine Entscheidung gegen
die Anthentie dieses Evangeliums herbeifahren; wohl aber
werden wir ans diesen Punkt als einen solchen merken
müssen, welcher bei der Frage nach derselben in Betracht
su eichen Ist
5. 74.
Die übrigen von den Zwölfen und die siebcnzig Jünger.
Die «weite Tetrade eröffnet in allen vier Katalogen
Philippas. Die drei ersten Evangelien wissen anfser sei-
nem Namen nichts von ihm. Das vierte allein gibt seinen
Geburtsort Bethsaida an, and berichtet seine Bernfaag
<1, 44 f.); in demselben tritt er aach öfters redend and
angeredet auf, mit mißverstehenden Aeufsernngen (6*7*
14, 8.) ; bedeutender vielleicht dadurch, dafs sieh (12, %\.)
die 'EUipttg, welche Jesom su sehen wünschen, gerade aa
ihn wenden.
Der nftohste in den drei evangelischen Verseiehniaaea
ist Bartholomftos ; efai Name, der aufser den Kataloge«
sonst nirgends genannt wird. Wie die synoptischen Ver-
zeichnisse den Bartholomäus: so verbindet in der ohea
betrachteten Bernfangsgesohichte das vierte Evangelium
(1) 46) mit Philippas den Nathanaei , welehen es aneb
21, 2. in der Gesellschaft von Aposteln aufführt. Untier
den Zwölfen aber findet Nathanaei keinen Raum, wenn er
nicht mit irgend einem, den die Synoptiker anders nennen,
identisch ist* Daau scheint sich am leichtesten Bartholo-
mäus eben dadurch aa eignen, dafs ihn die drei ersten
Evangelien ebenso neben Philippas aufführen, wie das
vierte, das von einem Bartholomäus nichts, weifs, den
Fünftel Kapitel. $.74. 629
Nathanael; wosu noch könnt, dafs *chn TQ nur die Be-
aeichuung des Sohns vom Vater her ist, neben welcher
also noch ein eigentlicher Name, wie Nathanael, Plats
hatte ')• Allein weder jene gleiche Zusammenstellung des
Bartholomäus und Nathanael mit Philippus, welche sich
dadurch als anfällige neigt, dafs sowohl A. G. 1, 13. Bar*
tholomäus, als Joh. 21, 2, Nathanael in anderer Verbin*
dnog erscheinen, ist für diese Identification ein hinreichen-
der Grand ; nach das Fehlen des Bartholomäus bei Johan-
nes, der auch andere von den Zwölfen verschweigt; noch
endlich die Beschaffenheit dieses Namens, da auch neben
eigentlichen, nicht Mofs patronymischen Namen, «weite
Namen, als Beinamen, geführt werden konnten; wie Simon
Petrus, Joseph Kaiphas, Johannes Markus o. dgU ; so data
jeder andere von Johannes nicht genannte Apostel gleich
gnt mit seinem Nathanael identificirt werden könnte ; wo-
durch das ganae »wischen den genannten beiden Namen
angenommene Verhältnifs unsicher wird«
Im Katalog der Apostelgeschichte folgt auf Philippus
statt des Bartholomäus Thomas, welchen das Veraeichnils
im ersten Evangelium nach Bartholomäus, die der beiden
andern auch noch nach Matthäus haben. Thomas, grie-
chisch Jidvfiog, kommt nur im vierten Evangelium einmal
in der Rolle seh wermuths voller Treue (11, 16. ), ein an«
dermal in der bekannteren des Schwerauüberaeugenden
<20, 24 ff.), nnd noch einmal im Anhange (21, 2.) vor.
Per nun folgende Matthäus findeUsioh sonst nur noch in
neiner Bernfungsgeschichte.
Die dritte Tetra« wird abereinstimmend durch den
Jakobus Alphäi eröffnet, von welchem schon oben die
ftade war. Auf ihn folgt in den beiden Verseichnissen
|) So die meisten Erklärer , auch Famscas , Mstth. , S. 559 ;
Wmsn, Realwtfrterb., l, S: l63f. Doch vgl. »s War», exeg.
Hsndb., 1, I, S. 96.
630 Zweiter Abschnitt.
des Lukas Simon., welcher bei ihm o Cj]lufrr}$y bei RUt-
thäus und Markus, die ihn am eine Stelle später heben,
6 xavccvirTfi (von KJj3) helfet; ein Beinerne, der ihn als ei-
nen ehemaligen Anhänger der jüdischen Secte der Reli-
gionseiferer so bezeichnen soheint*); eine Partei, die
«war erst in den letzten Zeiten des jüdischen Staats als
solche hervortrat, in eineeinen Reimen aber schon daasab
vorhanden war. Wehrend nnn die letste Stelle in alles
Veraeichntssen , die ihn noch haben , mit Jndas Iscbariet
■
besetzt ist, von welchem erst In der Leidensgeschichte die
Rede werden kann : so weichen in der Besetzong der in
der dritten Tetrade noch offenen Steile die Kataloge des
Lukas von den beiden andern, und vielleicht auch diese
von einander, ab, indem hier Lukas zweimal einen "tödas
*IaxojßHj Matthäus einen yffßßalog, Markus einen Gaddcuog
aufführt. Zwar wird nun bei Matthäus gewöhnlich sleßßdia;
6 imxhfltig QaMaTog gelesen ; aber das Schwanken der Les*
art scheint diese Worte als einen späteren Zusats an ver-
rathen, welcher den Katalog der beiden ersten Evangeli-
sten in diesem Punkte in Uebefelnstimmung bringen seil-
te *) ; was Andere so versucht haben , dafs sie auf die
gleiche Bedeutung der beiden Namen hinwiesen , die aber
nicht stattfindet4). Doch auch einen oder den andern die-
ser Au8gieichungsvei*suche als gültig angegeben, so bleibt
jedenfalls zwischen Matthäus und Markus mit ihrem Leb-
bäus - Thaddäus und Lukas mit seinem Judas Jakobi eine
Abweichung. Mit Recht tadelt Schlribrmachkk die sna
Theil höchst unnatürlichen Versuche, auch hier nur srwei
verschiedene Namen Einer Person nachzuweisen ; wenn es
aber jene Differenz daraus au erklären sucht, dafs viel»
2) •• Joseph, bell. jud. 4, 3, 9.
3) Vgl. Chsdnbr, Einleitung, 1, S. 64; PS Wim, exeg. Hand*
buch, 1, 1, 8. 98 f.
4) ps'Wstrs, «. s. 0.
Fünftes Kapitel« f. 74. 6S1
leioht noeh su Lebeeiten Jesu einer von beiden Männern
gestorben oder ans dem Kreise der Apostel getreten »ei,
und der andere seine Stelle eingenommen habe; so dafs
nun die einen Verseichnisse den früheren, die andern den
»filteren Personalbestand wiedergeben 6) : so ist schwerlich
einer unserer Apostelkataloge ans den Lebseiten Jesu her ;
nachher aber wird wohl Niemand ein früh abgegangenes
Mitglied des Aposteleollegiums , sondern nur die suletst
am Jesum gewesenen aufgeslfhlt haben. So 0afs auch hier
das Gerathenste bleibt, eine Abweichung der Veraeichnisse
ansnerkennen, welche leicht daraus entstehen konnte, dafa
man swar die Zwölfsahl der Apostel hatte, und die aus*
gezeichneteren unter denselben kannte, die Übrig bleiben*
den Stellen aber, wo bestimmte Data fehlten, nach verschie-
denen Traditionen verschieden besetste.
Mit einem eigenthflmlichen Kreise von Jfingern Jesu,
welcher swischen dem engeren der Zwölfe und dem wei*
testen seiner Anhänger Aberhaupt in der Mitte steht, macht
ans Lukas bekannt, indem er 10, 1 ff. sagt, dafs Jesus
auber den Zwölfen noeh hiqsg hßdourptwra ausgewählt,
ond sie paarweise in die Ortschaften, durch welche er auf
seiner leisten Reise zu kommen gedachte, Torausgeschickt
bebe, um die Nähe der ßaatlela twv sqccvwv bu verkündi-
gen« Da die übrigen Evangelisten von diesem Umstände
schweigen, so hat die neueste Kritik nicht ermangelt, na-
mentlich dem ersten , als seinsollendem Apostel , dieses
Stillschweigen aum Vorwurf su machen 6). Allein die
hieraus gegen Matthäus erwachsene Ungunst mufs sich
mildern, wenn man erwägt, dafs nicht nur, wie bemerkt,
iu keinem der übrigen Evangelien, sondern auch weder in
der Apostelgeschichte, noch einem apostolischen Briefe,
5) Ueber den Lukas,, S. 88 f.
6) Schulz, über das Abendmahl, S. 307.; ScuäICKsäotbwh, über
den Ursprung, S. 13 f.
i
■
- i
f
632 Zweiter Abschnitt.
von den 70 Jüngern eine Spar sieh 'findet, welche schwe>
lieh so gans fehlen könnte , wenn ihre Sendang so erfolg-
reich gewesen wäre, eis man gewöhnlich aaeanehaei
pflegt Doch weniger durch ihren Erfolg, als durch ihn
Bedeutsamkeit, soll jene Auswahl wichtig gewesen seit;
wie nämlioh die 12 Apostel durch ihre Besiehung auf dis
12 Stimme Israels die- Bestimmung Jesu für das jüdisch«
Volk andeuteten: so waren, sagt man, die 70, oder, wii
einige Auetoritäten haben , 78 Jünger Repräsentanten im
der 70 oder 72 Völker , welche, mit eben so vielen Spra-
chen , naeh jüdischer und altchristlicher Ansicht snf ist
Erde steh finden sollten' 7), und wiesen somit aaf die mV
verselle Bestimmung Jesu und seines Reiches hin 8). Dock
auch für die jüdische Nation für sioh hatte jene Zahl ab
heilige Zahl Bedeutung: 70 Aelteste wählte sich Motens
Geholfen (4. Mos. 11, 16. 25.); 70 Mitglieder hatte du
Synedrium ®)5 ebenso viele griechische Dolmetscher das A.T.
Hier fragt sich nun : hatte der in das Gedränge der
Umstände hineingestellte Jesus nichts Angelegeneres st
thun, als alle mögliehen bedeutsamen Zahlen Bussnutef
ansuchen, und sich naeh Mafsgabe derselben mit versöhn»
denen Jüngerkreisen au umgeben f oder ist ein tokbsi
durchgeführtes Halten an heiligen Zahlen, ein solches Fen*
spinnen des einmal durch die Zahl der Apostel dasn g*
gebenen Anfangs , nicht vielmehr gans im Geiste der m*
christlichen 8age, welche, sofern wir sie jüdisch gefirtt
uns denken, den Schlafe machte, wenn Jesus die 13 Stie-
me in der Zahl seiner Apostel abgebildet habe , so werdt
er auch die 70 Aeltesten durch eine entsprechende AostU
7) Tuf haaret f. 19, c. 3; Clem. hom. IS, 4; Rccognit. Clemcit
2, 42; Epiphan. haer. 1, 5.
8) ScHKncxumuRUR, a. a. O. ; Gistiua , über Entstehung d*
•chriftl. Evangelien, S. 127 f,
0) s. LteimooT, p. 786»
v^
Fünftes Kapitel. §. 74. Ö33
Ton J Ungern nachgebildet haben ; oder sofern wir sie mehr
pnulinisch- universalistisch vorstellen, nicht umhin konnte,
voraussusetaen , dafs Jesnt neben der durch die Zahl der
Apostel angedeuteten Bestellung seiner Sache auf das israe-
litische Volk isagleich durch die Auswahl von 70 J fingern
ihre weitere Bestimmung für alle Völker der Krde vorge-
bildet habe ? Und so angenehm auch von jeher der Kirche
die Klasse der 70 Jünger gewesen ist, gleichsam als Ver-
sorgungsanstalt, um Minner unterzubringen, welche nicht
so den Zwölfen gehörten , an denen ihr aber doch etwas
gelegen war, wie einen Markus, Lukas, Matthias : so wer-
den wir 'doch diese letztere Frage bejahen, die Entschei-
dung der neuesten Kritik für Debereilung erklären, und
gestehen müssen, da(s durch die Aufnahme einer solchen,
▼on aller historischen Bestätigung verlasseneu, nur auf
dogmatisches Interesse als Quelle hinweisenden Nachricht
das Lukasevaogelium gegen das des Matthäus im Nachtheil
ist. So viel freilich scheint namentlich aus A. 6. 1, 21 f.
so erhellen, dafs Jesus auch aufser den Zwölfen noch
andere beständige Begleiter hatte: dafs aber diese gerade
einen Körper von Siebsigen gebildet, oder aus ihnen so
viele ausgelesen worden seien, scheint nicht gehörig ver-
bürgt su sein **)•
10) Ueber einstimmend ob Witts, exeget. Handb. , I, 1, S. 99 f.
I, 2, S. 61. I, 3, S. 220; Tinos, cur Biogr. J., $. 24. Da-
gegen vergL NsiHDia, L. J. Chr., S. 498 f.
Seebste» Kapital.
Reden Jesu in den drei ersten Evangelien8).
S. 7*.
Die Bergrede.
In dem weiteren Verläufe det öffentlichen Lebens Jen
lassen sich von den Begebenheiten diejenigen Rede* ab-
sondern , weiche nicht Mols Aeoldensen von Begeben!*
ten , sondern selbststXndige Ganze bilden ; wiewohl diew
Unterschied immerhin ein fliefeender ist, nnd von manches
Kedestficke, wegen des veranlassenden Ereignisse«, I*
hanptet werden kann, es sollte anter die Begebenheit«,
so wie von mancher Begebenheit, wegen der daran«*
knöpfenden Erörterungen, sie sollte su den Reden gestellt
werden. Da ferner «wischen den drei ersten Evangelist«
und dem vierten namentlich auch in Hinsicht auf die Re-
den eine solche Differenz stattfindet, dafs dieser mit jeoei
nur wenige einzelne Aussprüche gemein hat ; auch fiker
djeft die ganze Natur und Beschaffenheit der Reden Jen
bei den Synoptikern und deren bei Johannes eine veneiuV
dene ist: so sind beide einer abgesonderten Betracht»;
au unterwerfen. Unter sich verhalten sich in diesem Sa-
cke die drei ersten Evangelisten so , daft Matthäus gen»
gröfsere Massen von Reden Jesu zusammenstellt, weicht
sich bei Lukas an verschiedene Orte und Anlässe vertbe*
•) Wat auf Leiden, Tod und Wiederkunft si<* besiebt, We*
auch hier aufgespart.
Sechstes Kapitel. J. 75. 635
finden, wobei jedoch jeder von beiden euch wieder eigen*
thfimliehe Redestfleke för eich hat; bei Markos tritt das
Element der Reden sehr zurück. Es wird demnach das
Zweekmäfsigste sein, wenn wir zunächst von den Rede-
massen des Matthäus ausgehen, jedesmal das ihnen Ent*
sprechende bei den andern Evangelisten aufsuchen, hier»
auf fragen, wer wohl diese Reden besser gestellt und dar-
gestellt habe, und endlich darüber, wiefern sie' wirklieh
als aus Jesu Munde gekommen au betrachten seien * uns
ein Urtheil an bilden streben.
Die erste gröbere Redemasse bei Matthäus ist die so*
genannte Bergrede , Kap. 5-7« Nachdem nämlich dieser
Evangelist die Rückkehr Jesu von der Taufe nach Galiläa
und die Berufong der beiden Fischerpaare erzählt hat,
berichtet er , wie Jesus lehrend und heilend ganz Galiläa
durchreist habe, ond viel Volks ans allen Theilen Palä-
stina^ ihm nachgesogen sei; als er die Volksmenge ge*
*ehen , sei er auf einen Berg gestiegen , und habe die be*
zeichnete Rede gehalten (4, 2S ff.)« Während man eine
Parallele au dieser Rede bei Markus vergeblich sucht, gibt
dsgegen Lukas, 6, SO— 49. , einen Vortrag, der nicht
nur denselben Anfang und Schlafs, sondern auch in dem
dazwischen liegenden Inhalt und Gedankengang die auf*
fallendste Verwandtschaft mit jenem hat; wozu noch kommt,'
dafs apoh bei ihm wie bei Matthäus nach Beendigung des
Vortrags Jesus nach Kapernaum geht, und den Knecht
des Hauptmanns heilt« Freilich reiht er die Rede etwas
später ein , indem er vor derselben manche Wanderungen
und Heilungen Jesu erzählt, welche Matthäus nach der
seinigen stellt; er läßt ferner, fast im Gegensätze gegen
Matthäus, Jesum die Rede nicht avaßmra elg %6 oqoq,
sondern xazaßdvia, int zons nedivS, und nicht, wie bei
Matthäus, xa&ioavza, sondern stehend, halten; wozu end-
lich noch diefa kommt, dafs die Rede bei Lukas dem Um-
fange naoh nur etwa ein ViertheU von der bei Matthäus
<. , _
636 Zweiter Abschnitt,
beträgt, somit ein bedeutender Thett von dieser in je
fehlt: während übrigens doch auch die Rade bei Lakai
einige eigentümliche Elemente hat, weiche in der dei
Matthäus vermiftt werden.
Dm daher nicht angehen an müssen, dafii von awei
inspirirten Evangelisten einer Dnreeht habe, wenn doch
der eine Jesum auf dem Berge, der andre anf der Ebene*
der eine sitsend, der andre stehend, der eine früher, .der
andre später, dasselbe reden liefse; andern entweder «kr
eine N wesentliche Auslassungen, oder der andere ebenso!*
ehe Znsätse sich erlaubt hätte: hat die alte Harmonietik
beide Reden för verschieden erklärt *) ; mit Berufung dar-
auf, dafr Jesus wichtige Stocke seiner Lehre öfters be-
handelt haben müsse, und dabei auch gewisse besonders
schlagende Aussprüche wörtlich wiederholt Laben könne»
So unbedenklioh dieses Letstere von einzelnen Sentenaaa
anzugeben ist: so entschieden ist es von längeren Ansfth»
rangen au läugnen; ja selbst jene kursen Gnomen wird
der begabte und erfindungsreiche Lehrer jedesmal in an*
drer Stellung und Verbindung voranbringen wissen , und
unmöglich kann ein anderer als ein gana dürftiger Kopf
einen so bestimmt ausgeführten Anfang und Schlafe, wie
ihn die in Frage stehenden Reden an den Hakarismen und
dem Bilde des auf Felsen oder auf Sand gebauten H^ntti
haben, au wiederholten Malen gebrauchen.
Mufste man sich daher für die Identität beider Reden
entscheiden, so galt es auerst, die Abweichungen awiachea
beiden Relationen auszugleichen, oder auf eine Weiee an
erklären, bei welcher ihre Glaubwürdigkeit unaugetaetet
blieb. In Beeng auf die verschiedene Beeeichnung- der
Oertlichkeit hat Paulus das &ü bei Lukas hervorgehoben,
1) Augutttn. de content, er. 2, 19 j Stör*, über den Zweck des
Evang. u. d. Br. Job. , S, 347 ff. Die weitere Literstur s. ia
Thoivch'* Auslegung der Uergpredi^t, Ein!., $. 1.
Sechstes Kapitel* J. 75., 637
und von einem Stehen ober der Ebene, also auf einem
Hfigel erklärt; bester Tholück den tonog mdivog von der
eigentlichen Ebene unterschieden, ond als eine weniger
jähe Stelle seines Abhangs an dem Berge gesehlagen; in*
defs, da der eine Evangelist den Vortrag Jesu unmittelbar
an ein Hinaufsteigen , der andere an ein fiterabsteigen
knüpft: so wird man doch mit Olshausbn sagen missen,
wenn Jesus nach Lukas auf der Ebene oder an einer nie-
drigeren Stelle des Berges gesprochen, so habe Matthäus
daa auf das Hinaufsteigen gefolgte Heruntersteigen fiber-
gangen; oder wenn nach Matthäus Jesus auf der Höhe
des Berges geredet, so habe Lukas vergessen zu melden,
dafa er, nachdem er schon herabgestiegen war, sich doch
des Gedränges wegen vor der Rede wieder etwas in die
Höhe gesogen habe» Und swar hat jeder von beiden, was
er nicht meldet, davon ohne Zweifel auch nichts gewufst;
sondern, indem in der Deberliefernng diese Aede mit ei-
nem Aufenthalte Jesu auf einem Berge in Verbindung
stand , so dachte wohl Matthäus sich eben den Berg als
eine bequeme Erhöhung für eine Volksrede, während Lu-
kas ein Herabsteigen au der Menge ffir nöthig erachtete:
womit auch die weitere Differenz zusammenhängt, dafa
der vom Berg aus Redende sitsen au können schien, weil
er durch den Berg schon genug über die am Anhang her-
unter aufgestellten Zuhörer hervorragte: der auf der Ebe-
ne Sprechende aber muffte natürlich stehen. — Ebenso
wie diese das Loeal betreffende, wird man auch die chro-
nologische Oifferens einräumen, und sich falscher Ana*
gleichungsversuche enthalten müssen *)•
Die Abweichungen im Umfang und Inhalt der Aede
lassen an sich die dreifache Erklärung offen : dafr entwe-
der der kfiraere Bericht des Lukas nur ein Auscug aus
der ganaen Rede, wie sie vollständig Matthäus wieder-
2) Vergl. ns Witte, exeg Handb. , 1, 1, S. 47 ff. i, 2, S. 44-
036 Zweiter Abschnitt.
gebe; "oder dafs in der Aufzeichnung des Matthfttti man»
' che* bei endern Gelegenheiten Gesprochene hinzugefügt;
oder endlich dafs beides zugleich der Fall sei. Wer, wie
Tholuck, die fides divina, oder, wie Paulus, die fides
kumana des Evangelisten unverletzt erhalten will, den em-
pfiehlt sich die erstere Ansicht, weil Weglassen von Vor»
gekommenem ein unverfänglicherer Fehler ist, als Hinz*
setzen von Nicht vorgekommenem, und man beruft sieh
hiebe! auf den engen Znsammenhang, welchen man in der
Bergrede des Matthäus nachweisen zu können glaubt, und
der darauf hinweisen soll , daCs die Rede in Einem Zuge
von Jesus selbst so gesprochen worden sei. Allein theifa
kann ja wohl auch ein nur nicht ganz ungeschickter Wie*
derernähler ursprünglich nicht zusammengehörige
spreche in erträglichen Zusammenhang bringen;
geht dieser, wie jene Erklärer selbst gestehen mflseen *),
nur etwas über die Hälfte der Bergrede hinüber, so dafs
von 6, 19. an mehr oder minder vereinzelte Sentenzen
folgen, von welchen zum Theil höchst unwahrscheinlich
ist, dafs sie an dieser Stelle sollten gesprochen sein. Da-
her hat sich die neueste Kritik umgekehrt dahin entseUe*
den , dafs die kürzere Relation bei Lukas ganz oder doch
nahezu die ursprüngliche Gestalt der Rede Jesu wieder-
gebe, Matthäus dagegen sich erlaubt habe, an dasjenige,
was Jesus bei dem beschriebenen Anlasse vorgetragen«
manches bei andern Gelegenheiten von ihm Gesprochene
in der Art anzureiben , dafs der gemeinschaftliche Gmnd-
riis, nämlich Anfang, Schlafs und zwischen beiden das
Wesentliche des Gedankenfprtschritts blieb, in dieses Fach*
werk aber mehr oder minder Verwandtes von anderwärts
her eingeschoben wurde4); eine Ansicht, welche haapt-
3) Tholuck, S. 24; Paulus, ezeg. Handb., 1, b, S. 584«
4) So Schul* , vom Abendmahl, S. 313 f.; SnrrsHT, S. 74 C;
FniTZScas, S. 301«
Sechstes Kapitel. $« 75. 639
siehtieh dadurch nnterstfltst wird, dafs viele von den Ana*
sprächen, welche Matthias in der Bergrede zusammen-
stellt, bei Lukas ond cum Theii anob bei Markas an ver-
schiedenen Orten Berstreut vorkommen. Diefs zuzugeben
genftthigt, ond doch bestrebt, einen Irrthum, der seine
Augenzeugenschaft sweifelhaft machen könnte , von dem
Evangelisten abzuwälzen, behaupten nnn andere Theolo-
gen, nicht in der Meinung, sie sei in Einem Zuge gespro-
chen worden, sondern mit klarem Bewufstsein, dafs diefs
nicht der Fall gewesen sei, habe Matthias diese Rede zu-
sammengesetzt *). Allein mit Recht ist hiegegen bemerkt
worden, wenn doch Matthias Jesum, ehe er die Rede be-
ginnt, auf den Berg hinaof, and nachdem er sie geendigt,
von demselben wieder herabsteigen lasse : so stelle er da-
durch das zwischen beiden Momenten Gesprochene äugen*
scheinlich als in Einem Zage gesprochen dar; and wenn
er von den oxloig, deren er vor dem Beginn der Rede ge-
dacht hatte, nach deren Beendigung bemerke, welchen
Eindruck die Rede auf sie gemacht: so müsse er doch
wohl einen zusammenhingenden Vortrag schildern wol-
len *)• Indessen auch bei Lukas hat man theils in seiner
Sergrede Stellen gefanden, wo der unterbrochene Zusam-
menhang auf Locken geblieben lifst, and Zusätze, welche
schwerlich ursprünglich sind *) ; theils ist die richtigere
Stellung derjenigen Aussprüche, welehe er an andern Or-
ten hat, mitunter sehr sweifelhaft gefunden worden8):
5) Ombausu, bihl. Co mm., I, $.197; Kami, in der Tttb. Zeit.
Schrift, 1834, 2, S. 33.
6) Schul*, a. a. O. S. 315; ScuascxsxBUaesR, Beitrüge, S. 26;
CnsDivsft, Einleit., 1, $. 69.
7) ScBLBxsaMACasa, über den Lukas, S. 89 f.
8) Tholtck, a. a. O. S. 11 ff., und meine Recens. der Schriften
von Sibffirt u* A. in den Jahrbüchern f. witt. Kritik, Nov.
1834, S. 775 ff.
1
640 Zweiter Abschnitt.
■
wefswegen , wie wir bald nfiher sehen werden , in diesen
Stücke Lnkas nichts vor Matthäus voraus hat.
Das Publicum, för welches die Bergrede bestimm
war, könnte von Lnkas als ein engerer Kreis bezeichnet
su sein scheinen, wenn er die Apostelwahl unmittelbar
vorhergehen, nnd bei'm Beginne des Vortrags Jeswn db
Augen dg zsg (xaOijiag avrs erheben lilst, als von Mal»
thäus, der der Rede eine Beziehung auf die ox^QQ güto
Da indessen andererseits sowohl Matthäus vor der Berg-
rede die fiafrifcaQ an Jesu treten, and diese sofort vos
ihm belehrt werden; als auch Lukas ihn die Rede «£ **k
axodg rS las halten lälst: so eeigt sieh, daCi Jeans saus
versammelten Volk überhaupt, doch mit besonderer Besäe*
hang auf seine Schüler, geredet hat 9) ; denn dafs hier eis
bestimmter feierlicher Redeaet cum Grunde liege, habsa
wir nicht Ursache «u bezweifeln.
Schreiten wir jetat nur Betrachtang des Einzelnen: m
ist in beiden Redactionen die Bergrede durch eine Am»u
von Makarismen eröffnet, von welchen übrigens bei Lukas
nicht nur mehrere fehlen, sondern jtneh, wie Store •)
besser eingesehen hat, als jetat Olshausen, die meisten ia
einem andern Sinne genommen sind, als bei Matthias*
Indem nämlich weder die tvuoxoL, wie bei Matthäus, deren
den Zusata: r<p msvficeci, näher bestimmt, also nicht dis
innerlich sich arm nnd elend Fohlenden, sondern die ei*
gentlich Armen sind ; noch der Hunger der ^«mJyrt-; auf
<£?}v dixcuoavvTjv beaogen, also kein geistiger, sondern eb
leiblicher ist; dagegen so Wohl die neivdüvteg als die xXaL
oneg doroh die Zeitbestimmung : vvv, näher bezeichnet wer-
den: so ist der Gegensats bei Lukas nicht wie bei Bfsu
thäus der concreto von jetat unbefriedigten und" leidendes
9) Vgl. Tholuck, a. a« 0. 8. 25 ff. ; ob Wittk, exeget. Handk,
1, 1, S. 49.
10) üeher den Zweck u. s. w., S. 548.
Sechstes Kapitel. $. 75. 041
Frommen and deren künftiger tiläckseligkeit, sondern der
abstracto von jetzigem Leiden und künftigem Wohlergehen
tiberhaupt ")• Diese Art der Entgegeneetsung des aiwv
Htog nnd ftilhtfv kommt bei Lukas auch sonst, namentlich
in der Parabel vom reichen Manne, vor, und ohne hier
sebon su untersuchen, welche von beiden Darstellungen
wohl die ursprüngliche sein möge, bemerke ich nur, dafii
eben die des Lukas gans in dem ebionitisehen Geiste ge-
macht ist, welchen man neuestens im MatthSusevangeliua
hat finden wollen. Bei den Ebioniten nämlich, wie sie
namentlich in den klementinischen Homilien sich darstel-
len, ist diefs ein Hauptsats, dafs, wer sich in dieser Zeit
sein Theil nehme, in der künftigen leer ausgehe, wer
aber auf irdischen Besits versieh te, sich dadurch himm-
lische Sehfttse sammle 12). Der lotete jttar.aQiOftog besieht
sich auf diejenigen , welche um Jesu willen verfolgt wer-
den. Lukas in der Parallelstelle hat i-'vexei' %s viä tu av~
&Qo)7iiiy und so kann auch das l'v&nv ipö bei Matthäus
Jesum nur in der Eigenschaft des Messias bezeichnen.
Gegen ein so frühes Hervortreten Jesu mit der Erklärung
seiner Messianitfit hat man von Matth. 16, 13 ff. pnrall.
aus Zweifel erhoben: wogegen das oben 1S) hierüber Be-
merkte su vergleichen ist.
Auf die Makarismen folgen bei Lukas ebensoviele
ecd, welche bei Matthäus fehlen. In ihnen tritt die ebio-
nitlsche Entgegensetsung des Kinn D71P und KDH noch
schroffer hervor, wenn ohne Weiteres den 7tXaaioigy iynf-
TthrfinhoiQ und ythüai wehe sugerufen, und in der kom-
11) Vgl. es Wrrrs, exeg. Handb«, 1, 2, S. 44 f.; Niaädkr, L. J.
Chr., S. 155 f. Aam. \
12) Homil. 15) 7 u. sonst; vergl. Ciuuhu* in Wuisa's Zeitschrift
f. wiss. Theologie, 1, S. 298 f.; ScmtscxsHBUsesa, über das
Evangelium der Aegyptier, $. 6.
15) $• 63.
Du* Leben Jesu $te Aufl. /. Band. 41
6f2 Zweiter Abschnitt.
menden messianisehen Weltordnung mit entsprechendes
Uebeln gedroht wird ; eine Darstellung, welche an Jac. 5,
1 ff erinnert. Da jedenfalls das letzte £ul etwas «reif den
loteten (.ivcrxiQioi nachgebildet ist, indem gewlfs nor de«
Gegensätze mit den vieiveriisterten wahren Propheten ss-
lieb, and -nicht weil 'ein historische« Datom vorhanden ge-
wesen wäre , behaopret wird, bei den ^'eirfoOToofjnfraf £ sei
es der Fall gewesen, dafs Jedermann Gutes von ihnen ge-
sagt habe: so könnte man wohl mit Schleis rm ach kr ")
yermothen , der Referent im dritten Evangelium habe die
den Seligpreisungen entsprechenden Wehe von seinem Ei-
genen hinsugethan. Weniger äbrigens, weil er, wie
Schleiern acbbr meint, eine Lücke fühlte, die er nicht
mehr ergänzen konnte, als weil es dem Messias angemes-
sen scheinen mochte, wie einst Moses, neben dem Segta
auch den Fluch ausgesprochen au haben. Wenn maa
nämlich in der Bergrede sonst ewar mit Recht ein Seiten*
stück uur sinaitiseben Gesetzgebung findet: so dürfte doch
dieser Eingang, wenigstens bei Lukas, mehr an den Ab-
schnitt im Denteronomiom (27, 11 ff.) erinnern, wo Moses
gebietet, dafs hei'ra Einenge des Volks in Kanaan die eins
Hälfte auf den Berg Garizim, die andere auf den Ebal
sich stellen , und jene einen vielfachen Segen fÖr die dem
Gesetne Gehorsamen, diese einen ebenso vielfachen Fluch
gegen die Uebertreter desselben aussprechen solle ;
nach Jos* 8, 33 ff. wirklieh vollsogen worden ist **)•
14) a. a. 0. S. 90. Ihm stimmt auch Neakdrr bei a. a. O.
15) Auch die Rabbincn legten auf diese mosaischen Segnungen
und Flüche Gewicht, 8. Ligiitfoot, S. 255. Ferner , wie wir
hier acht Makarismen haben , so Hessen sie den Abraham *>-
nedtetionibus Septem (Baal Turins, in Gen. IX hei Lkkuoot,
S. 256. ) , deta David , Daniel sammt drei Genossen und de«
Messias benedictionibns sex gesegnet werden (Targ. Ruth 3»
ebenda« ). Auch zählten sie gegenüber von 20 beatitudimibm*
Sechstes Kapitel. $. 75. 643
Passend reiht sieh an die Makarismen bei Matthins
die Darstellung der Jünger Jesu als vo ahxg zijg yijg and
to (flog ts xoo/ua an (5, 13 ff.). Bei Lukas findet sieh die
Rede vom Salze mit etwas Verschiedenem Anfang an einer
andern Stelle (14, 34f.)> wo Jfhukj seine Zuhörer ermahnt,
in reiflicher Erwägung der im seiner Nachfolge an brin-
genden Opfer sieh lieber gar «ich <i an ihn mzuschliefsen,
als nachher mit Schande au bestehe«; worauf er füglich
solche seh wach werdende Schüler m\i abstehendem Saite
vergleichen kann« Pafst so das Dictum an beide Stellen:
ao ist es augleieh in seiner gnomischen > Kürze von der
jArtrdafs es öfters wiederholt werden konnte, also in bei-
den Verbindungen gesprochen sein kann. Dagegen kann
es nicht gesprochen sein in dem Zusammenhange, welchen
ihm Markus (9, 50.) anweist; denn das auf die Hölle sieh
beziehende ali&iv bann mit dem akag, durch welches der
Vorzug des wahren Anhängers Jesu dargestellt wird, in
Jteinem inneren Znsammenhange stehen, vielmehr ist die
Verbindung nur fiufserlich durch das gleiche Wort ver-
mittelt, eine Art von Zusammenhang, welche treffend als
lexikalischer bezeichnet worden ist 16). Der veränderte
Schlafs, welchen Markus der Gnome gibt 0xeze & kavzoTg
vlag, xai siQyevers iv altifioig*), kann zwar möglicher-
weise in Verbindung mit derselben , ebensogut aber in
ganz andrem Zusammenhange vorgetragen worden sein. —
Auch die Gnome vom Lichte, das, wie das Salz nicht
kraftlos, so nicht verborgen werden dürfe, fehlt in der
JDergrede des Lukas, welcher mit Weglassung der be-
stimmten Beziehung auf die Jünger den Ausspruch an
in den Psalmen, ebensoviele vae im Jesaias auf (Midrasch Te-
hillim in Ps. 1. ebend.)«
16) Schnbckknbük&er, Beiträge, S. 58. Künstelnd sucht Nsandbr,
S. 157. Anm., einen wirklichen Gedankenzusammenhang nach-
zuweisen.
41*
-in i i *--"- •*»-
644 Zweiter Abschnitt.
zwei verschiedenen Orten hat. Zuerst 9, 16., unmittelbar
nach der Auslegung der Parabel vom Süemann, wohin
auch Markus (4, 21.) das Dictum stellt , liefse sich «war
das Leuchten des Lichts mit dem xaQTKKfoqttv des Samens
in Verbindung setzen: doe# ist nach der Auslegung einer
Gleichnifsrede ein Rehepunkt, Ober welchen ein verstän-
diger Redner nicht so leicht' zu neuen Bildern hinwegeilea
wird; jedenfalls, aber findet sofort z wischen diesem Leueb-
ten des inneren Lichts und dem von Lukas weiter daraa-
gehingten Ausspruche , dafs alles Verborgene an den Tag
komme, kein innerer Zusammenhang statt , sondern wir
haben hier eine Erscheinung, welche bei Lukas besonders
häufig sich wiederholt, dafs nämlich in den Zwischenraum
s wischen zwei selbst* ttindigen Reden oder ErzAhlnngea
mehrere vereinzelte (inomen zusammengeworfen sind. So
ist hier zwischen der Parabel vom Sfiemann und der Er-
stfhlung von dem Besuche der Mutter und der Brüder Jesu
die Gaome vom nicht zu bergenden Lichte wegen einiger
inneren Verwandtschaft mit der Parabel eingefügt; dann,
weil in dieser Gnome der Gegensatz von Verbergen und
offen Hinstellen vorkam, fiel dem Referenten die sonst he«
terogene Rede vom Offenbarwerden alles Verborgenen ein;
worauf ohne Zusammenhang mit dieser, aber wieder in
einiger Besiehung auf die Parabel, der Ausspruch: wer
hat, dem wird gegeben, hinzugesetzt ist. Vollends aber
an der zweiten Stelle, 11,33., ist zwischen der Rede Jesu,
dafs seine Zeitgenossen einst durch die Nineviten werde«
verurtheilt werden , und dem adelg de JLvyvov vipag kein
Zusammenhang nachzuweisen, wenn man ihn nicht hinein-
legt17); sondern wir haben auch hier wieder, zwischen
den Reden gegen die Zeichenforderung und denen bei'm
17) wie Olshausbn z. d. St Das Richtige angedeutet bei Scans-
ckäkbi hgbr, Beiträge, S. 58; Tholück, a. a. O. S. 11.
. Sechstes Kapitel. $. 75. 645
Pbarisiermabl, eine solche Fuge, welche mit abgerissenen
Medesttieken ausgefällt ist.
Es folgt nun 5, 17 ff. der Uebergang som eigentlichen
Thema der Rede , nämlich die Versicherung Jesu , niehtt
cur Auflösung, sondern aur Erffillung des Gesetaas und
der Propheten gekommen au sein u. s. f. Lukas (1#, 17.)
stellt diesen Ausspruch neben den scheinbar gana «atge-
gengeaetuten , dafs das Geseta und die Propheten nur bis
auf Johannes gehen ; awei Ausspräche , die unmöglich in
demselben Zusammenhange gethan sein können, sondern
auch hier ist der Zusammenhang nur ein lexikalischer^ in-
dem ad vocem vofiog, womit der erste Sats anfing, dem
Verfasser ein anderer, gleichfalls den vopog betreffender
Ausspruch Jesu beifallen mochte 18). Deberhaupt ist hier,
zwischen den Parabeln vom Hausbalter und vom reichen
Manne, wieder eine jener Spalten, in welchen sich bei
Lukas gerne abgerissene Redestficke ausammenJinden»
So wenig, wird V. 20. fortgefahren, sei Jesus geson-
nen, Nichtachtung des mosaischen Gesetzes au lehren, dafs
er vielmehr eine noch strengere Achtung desselben als die
Sehriftgeleiirten und Pharisäer verlange, und diese sich
gegenüber als diejenigen erscheinen lasse, welche das Ge-
aetz untergraben; worauf sofort an einer Reihe von mo-
saischen Geboten geaeigt wird, wie Jesus, statt sich an
den blofsen Buchstaben su halten, in den Geist der Ge-
setze eindringe, und namentlich die rabbinisehe' Auslegung
derselben in ihrer Verwerflichkeit durchschaue («— V. 48.).
Dafs dieser Abschnitt in der Ordnung und Vollstfindig-
keit, wie wir ihn bei Matthäus lesen, in der Bergrede des
Lukas fehlt, ist ein entschiedenes Zeichen, dafs diese letz-
tere LQcken hat. Denn in demselben ist der Grundge-
£8) Diess ist der von Schuiikimcrbr , S. 205, vermisste Anitas,
zum 16ten Vers den J7ten unhistorisch hinxuzufügea. Vergl.
pb Wrrrs x. d. St.
646 Zweiter Abschnitt.
danke nicht nur der Rede, wie sie Matthfius hat, angege-
ben : sondern auch die zerstreuten Aeufserungen ober
Feindesliebe, Versöhnlichkeit, Wohtthfitigkeit, welche Lu-
tea« gibt, finden nnr in dem Gegensätze der geistigen
Schriltauslegung Jesu and der fleischlichen der damaligen
Lehrer ihren bestimmten Sinn nnd Einheitspunkt. Anch
ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden , dal*
die .Worte, mit welchen Lukas (V. 27.) Jesum nach dem
Jetzten Webe fortfahren lfifst: oHJm vftiv Uyo), and ebenso
V. 39» das elfte de TtctQccßohpr avrotg, Locken verrathen ").
Was einzelne Parallelen betrifft, so ist die Ermahnung n
schneller Ausgleichung mit dem amdtxog (5, 25 f.) bei
Lokaa (12, 58 f«) wenigstens nicht so leicht mit dem Vor-
angegangenen in Zusammenhang zu bringen, als bei Nat«
thäus*°>; noch schlimmer jedoch steht es mit der Paral-
lele ra 5, 32., von der Ehescheidung, wo, was bei Mat-
thäus in engster Verbindung steht, bei Lukas (16, 18.)
in einer der schon bezeichneten Spalten zwischen die
Versicherung der (JnvergiEnglichkeit des Gesetzes und die
Parabel vom reichen Manne eingeklemmt ist. Denn zum
Behuf einer Verbindung dieses Satzes mit dem vorherge-
henden das {(ötyzxmv mit Olshauskn ohne Weiteres allego-
risch von Untreue gegen das göttliche Gesetz zu dentes,
oder Behufs des Zusammenhangs mit der folgenden Para-
bel diese mit Schleiermacher 21) auf den ehebrecherischen
Herodes zu beziehen: das heifst doch gleicherweise Ge-
spenster sehen22). Vielmehr scheint in dem Verfasser die
Deberlieferung nachgeklungen zu haben, dafs Jesus nach
vorangeschiokter Versieberang von der Unverbrüchlichkeit
des mosaischen Gesetzes unter Anderem auch diesen
19) ScHLEiBRMACHgR, a. a. O. S. 90.; Tholuck, S. 21.
20) Tholuck, S. 12. 187; as Warn, z. d. St.
21) a. a. O. S. 206 f.
22) Vgl. »* Wktte, exeg. Hdb., 1, 2, S. 86.
Sechstes Kapitel. §. 75. 647
gen Grundsatz in Bezug aaf die Scheidung Aasgesprochen
habe, und diesen, der ihm von jener Ausführung allein
gegenwärtig war, stellte er hieher. Derselbe Ausspruch
kommt Matth. 19, 9. in einem Zusammenhange wieder,
der eine Wiederholung glaublich macht. Während sofort
bei Matthäus die Gebote der Duldung und Nachgiebigkeit
C5, 3S — 42.) unter der geistigen Auslegung desuHf^aA/nov
cevtt oq&ulftö im begriffsmälsigsten Zusammenhange ste-
hen, sind sie in der Bergrede des Lukas (6, 29) weit un-
bestimmter durch das Gebot der Feindesliebe (V. 27 f.)
eingeleitet; weiches selbst bei Matthäus, wiederum ent*
schieden besser, als Berichtigung des dyanyotig %6v nXq~
oiov äs xal fuaqaeig tov i%&QOv oh (V. 43 ff.) gegeben ist*
Namentlich die Bemerkung, dafs, nur die Freunde su lie-
ben, nichts sei, was nicht auch schlechte Menschen thun
könnten, welche bei Matthäus (V. 46 f.) als Polemik gegen
die zum mosaischen Gebot der Freundesliebe in der Tra-
dition hinzugekommene Krlaubnifs , den Feind bu hassen,
so genau sich ansehliefst, steht bei Lukas (V. 32.) nach
dem : was ihr wollt u. s. f., welches Matthäus erst weiter
unten (7, 12.) hat, ohne Zusammenhang. Ueberhaupt,
▼ergleicht man den Abschnitt Luc. 6, 27 — 3& mit dem ent-
sprechenden bei Matthäus: so wird man hier geordneten
Fortschritt der Gedanken, dort eine ziemliche Verwirrung
finden 2*).
Bleiben -hierauf die Warnungen vor pharisäischer Heu-
chelei (6, 1—6.) ohne Parallele: so folgt in Beeng auf
das Mustergebet eine, auf welche die neuere Kritik nicht
wenig cum Nachtheil des Matthäus baut. Die ältere Har-
monistik «war hatte kein Bedenken , dieses Gebet von Je*
sa sweimal, sowohl unter den Umständen, welche Mat-
thäus, als welche Lukas (11, 1 ff.) ercählt, vorgetragen
23) Uebereinstimmend tm Witts, cxeg. Handb., 1, 1, S. 48.
648 Zweiter Abschnitt.
fein bu lassen **): allein schwerlieh werden, wenn Jesus
in der Bergrede schon ein Mastergebet gegeben hatte, sei-
ne Jünger ihn später, wie wenn nichts dergleichen vor-
hergegangen wäre, um ein solches angesprochen haben;
in keinem Falle hätte wohl Jesus ohne alle Erinnerung,
dafs er ein solches ja längst gegeben, das früher mitge-
theilte Master wiederholt. Deswegen hat sieh die neue-
ste Kritik dahin entschieden, dafs nur Lukas den natür-
lichen und wahren Anlafs der Mittheilung dieses Gebetet
aufbewahrt habe; wogegen es in der Bergrede des Mat-
thäus nur, wie so manche andre Redestficke, vom Refe-
renten eingeschoben sei 25). Allein die Natürlichkeit, wel-
che man an der Darstellung dieser Sache bei Lukas rtihatf,
kann ich nicht entdecken. Abgesehen davon , was die be-
zeichneten Kritiker selbst unwahrscheinlich finden, dafs As
Jünger Jesu bis cur loteten Reise, in welche Lukas die
Scene versetzt, ohne Anweisung su beten gewesen sala
sollten: will überhaupt schon das, dafs Jesus mit einer
solchen gewartet haben soll, bis die Jünger ihn darum
ersuchten, und dafs er dann auf ihr Begehren sich sogleich
in ein Gebet geworfen haben seil, nicht recht natürlich
scheinen; gewifs vielmehr hat or von Anfang an oft in
ihrem Kreise gebetet : dann aber war ihre Bitte überflüs-
sig, und er mufste sie, wenn sie doch baten, wie Job.
14 , 9. auf das verweisen , was sie in seinem Umgange
längst haben sehen und hören können. Die Darstellung
bei Lukas scheint nach blofser Vermuthung gemacht , in-
dem man zwar wufste, dafs jenes Gebet von Jesu herrühr-
te, auf die weitere Frage aber, was ihn zur Mittheiiung
desselben bewogen habe, sich selbst die Antwort ertheilte:
ohne Zweifel werden sie ihn am ein Mustergebet ersucht
24) So noch Hess, Gesch. Jesu, 2, S. 48 f.
25) ScHLiiiRMtciiBR, a. a O. S. 173; Olshausek, 1, S. 232; Sias-
fsrt, S. 7ä ff. ; Niuadsa, S. 235 f. Amn.
Sechstes Kapitel. &. 75. 649
haben. Ohne daher behaupten sn wollen, daff Matthäus
uns die Verbindung aufbewahrt habe, in welcher dieses
Gebet ursprünglich von Jesn gesprochen ist, zweifeln wir
doch ebensosehr, ob wir diese bei Lukas au lesen bekom-
men 26). Was das Einselne dieses Gebets betrifft, so ia$
es »war nicht zu läugnen, was Wktstein sagt: toia kaec
oratio ex formdis Hebraeorum concinmta est 2T)t aber
eben so richtig bleibt, was Fritzscbe erinnert, dafs so
allgemeine W ansehe gar wohl von Verschiedenen auf unr
abhängige Weise im Gebete, und «war selbst mit ähnli-
ehen Worten, ausgesprochen werden konnten **); woau
noch diefs kommt, dafs ihre Auswahl und Zusammenstel-
lung hier durchaus eigentbfimlich und ein genauer Abdruck
desjenigen religiösen fiewufstseins ist, welches Jesus hatte
und den Seinigen mittheilen wollte S9). Das nach dem
Schlüsse des Gebetes angehängte Corollarium nur dritt-
letzten Bitte steht hier nach der Unterbrechung durch die
späteren Bitten um so weniger gut, als es auch am Fol*
genden keinen Halt hat , wo V. 16 18. dem früheren Ge-
dankengange gemäfs gegen das Heuchlerische des pharisäi-
schen Fastens gesprochen wird; doch hat Markus 11, 25.
diesen Ausspruch, sammt der Anweisung, beim Gebete
seinen Feinden zu vergeben, an die vorangegangenen Re-
den von der Kraft des glaubensvollen Gebetes noch übler
angehängt 80).
Von 6, 19. an sollten alle Ausleger mit Paulus beken-
nen, dafs ihnen der Faden des engeren Zusammenhangs
abreifse: nur dals man dann nicht mit ebendemselben be-
26) Vergl. de Wrrre, exeg. Handb., 1, 1, S. 69- 1, 2, S. 65.
27) N. T. 1, 323. Man sehe die Parallelen bei ihm und Liwrr-
voot.
28) Comm. io Matth. p. 265.
29) Vgl. db Warn, 1, 1, S. 69 ff.; Nsakm*, S. 257 &
30) Vgl. os Witts, 1, 2, S. 176.
650 Zweiter Abschnitt.
haupten kann, unerachtet des mangelnden Zusammenhangs
habe doch Jesus selbst anch alle die folgenden Gnomes
noch susammen gesprochen; sondern hier hat die neven
Kritik Alles für sich, wenn sie vermuthet, es seien hier
cum Theil anch verechiedenaeitige Ausspräche Jean es>
sammengestellt. Voran steht die Gnome von irdischen uui
himmlischen d-ifiacQOiQ (V. 19 — 21.) » welche Lokaa IS,
$3 £ in einer seine Anhänger Vbn irdischen Sorgen abmah-
nenden Rede Jesu wahrscheinlich im richtigeren Zass»
menhange hat Anders bei der nun (^ 22 f.) folgendes
Sentenz vom Auge als des Leibes Lieht, welche bei La-
kas 11 , 34 f * der schon erwähnten Gnome von dem aaf
den Leuchter zu stellenden Lichte angehfingt ist. Da näs*
lieh der lv%i'og auf dem Leuchter etwas gans Anderes be-
zeichnet, als die Vergleiche ng des Augs mit einem Xiyro;
besagen will: se bUibt für die Verbindung der Sfitze bei
Lukas nur das leere Wort Xvyvog übrig ; ein lexikalischer
Zusammenhang, welcher schlimmer als gar keiner ist
Folgt sodann (V. 24), wieder ohne nachweisbaren Zusanr
menhang, die Gnome von den zwei Herren; bei Lukas
16, 13. in der schon erwähnten Fuge zwischen den Para-
beln vom Haushalter und vom reichen Mann, an das Vor«
hergehende wahrscheinlich blofs ad vocem gnafwn'u^ ange»
schlössen. Nun kommt bei Matthäus V. 25 34. eine Ab-
mahnung von irdischen Sorgen durch Hinweisung aaf das
harmlose Gedeiht a von Naturgegenständen; von Lukas
12, 22 ff. passend an eine ihm eigentümliche Parabel v«a
dem Manne angehängt, welchen mitten unter dem Anhäu-
fen irdisoher Schätze der Tod abfordert ")• Die folgende
Warnung, nicht für die eigenen Fehler blind, gegen die
der Andern scharfsichtig und hart zu sein (7, 1—5), läßt
31) Von 6, 19 — Ende des Kapitels vermistt auch Nbaädkä den
Zusammenhang und vermuthet eine vom Redacteur des grie-
chischen Matthäus gemachte Zusammeustellung (S. 169« An».).
«US
Sechstes Kapitel. $• 75. 651
sieh , naeh Auswertung des Abschnittes 6, 19 — Ende, mit
«ler vorausgegangenen Warnung vor pharisfiischer Sehein-
heiligkeit (6,16 — 180 in Zusammenhang bringen, und
könnte insofern com ursprünglichen Körper der Rede ge-
hört haben 32) ; wie sie denn auch Lukas wieder in seiner
Bergrede (V. 37 f. 41 f.) hat, wo sie sich zwar zufällig
besser an die vorangegangene Ermahnang zur Barmher*
ssigkeit anschliefst, aber V« 39. 40« and rem Theil aoch
38. darch fremdartige Dinge auf das Gewaltsamste unter-
brochen ist. Gans unpassend hat die darin vorkommende
Phrasis vom Messen Markos 4, 24. eingefügt, in einer
Stelle, welche ganz den mehrbesprochenen Fogen bei La-
kas gleicht« Ist sofort V. 6. bei Matthfius gleichsehr ohne
Zusammenhang wie ohne Parallele: so findet sich die fol-
gende Ausführung Ober den Nutzen des Gebets (V. 7 — 11.)
hei Lukas 11, 9« sehr passend an eine ihm gleichfalls ei-
genthtimliche Gleichnifsrede von dem aus dem Schlafe ge-
pochten Freunde angeschlossen^ wogegen das bei Matthäus
sosammeohanglose: was ihr wollt, dafs eneh die Leute
thun sollen o. s. f., in der Bergrede des Lukas 6, 31. nur
einen ungefähren Zusammenhang hat w). Was sofort
(V. 13 f) von der cwrj TtvXrj u. s. w. gesagt wird, leitet
Lukas (13, 23.) durch die an Jesum gestellte Frage: ei
oXiyoi ol <Ta)£6fisvoi ; ein, welche leicht, wie jene Bitte um
eine Gebetsformel, von einem Solchen gemacht scheinen
könnte, der zwar wohl wufste , dals Jesus jenen Aus-
spruch gethan hatte, aber um eine Veranlassung desselben
verlegen war ; auch ist das Bild bei Lukas weit mangel-
hafter als bei Matthäus ausgeffihrt, und mit parabolischen
dementen verschmolzen **). Die Rede von dem Erken-
nen des Baumes an seinen Früchten (V. 16 — 20«), welche
52) Niakdsr, a. a. 0. ; de Witt*, z. d. St.
53) di Wkttk, 1, 2, S. 45.
34) i. de 'Witts, z. d. St. des Lukas.
MZM
65* Zweiter Abschnitt.
bei Lukas (6, 43 ff.) und auch bei Matthäus aelbet weit«
unten (12, 33 ff.) in allgemeiner Beziehung, in der Berg-
rede des Matthäus aber in jpeelellem Besag auf Paende»
propheten vorkommt , steht bei Lukas am allerwenigst»
in schicklichem Zusammenhange, Die folgende Erklärung
Jesu gegen diejenigen, welche blofs Kvqie, KvQie, su ihn
sagen, am Tage des Gerichts aber, ihrer schlechten The-
ten wegen, von ihm werden abgewiesen werden (V. SU —
23.)> steht sowohl mit dem allgemeinen Sinne des vorher-
gehenden Ausspruchs über das Erkennen des Baumes ai
seinen Früohten , als mit dem Grundgedanken der ganzes
Bergrede: der Hervorhebung des Geistes gegenüber von
Worte, des Inneren gegenüber vom Aeufseren, im Zusam-
menhang ; kann aber ebensowohl aooh an der Stelle ge-
sprochen seio, welche Lukas derselben anweist (13, 25ft>
Der Schlote der Rede, wie schon erwähnt, ist beide*
Evangelisten gemeinschaftlich.
Ans der bisher angestellten Vergleichong sehen wir
bereits, dafs die körnigen Reden Jesu durch die Fleth
der mündlichen Ceberlieferung zwar nicht anfgelöet wer-
den konnten ; wohl aber nicht selten aus ihrem natürlichen
Zusammenbange losgerissen, von ihrem ursprünglichen La-
ger weggeschwemmt, und als Gerolle an Orten abgesetzt
worden sind, wohin sie eigentlich nicht gehörten. Cnd
dabei finden wir «wischen den drei ersten Evangelisten
den Unterschied, dafs Matthäus, einem geschickten Si
ler ähnlich, den Stücken zwar bei Weitem nicht imi
den ursprünglichen Zusammenhang wiederangeben
mocht , doch aber meistens das Verwandte sinnig so«
menzureihen gewußt hat; während bei den beiden andern
manche kleine Stücke da, wo gerade der Zufall sie abge-
setzt hatte, namentlich in Spalten zwischen gröfseren Re-
demassen, liegen geblieben sind, wobei dann insbesondere
Lukas in einigen Fällen sieh bemüht hat, sie künstlich m
Sechstes Kapitel $. ?G. 653
issen, was aber den natürlichen Zusammenhang nicht er-
»tzen konnte.
$. 76.
Instruction der Zwölfe. Klage über die galiläischen Städte.
Freude über die Berufung der Einfältigen.
Bei Gelegenheit der Anwendung der Zwölfe stellt
A8 erste Evangelium (K. 10.) wieder eine gröfsere Rede
usammen, welche, soweit sie ihm nicht eigentümlich ist,
ie beiden andern Synoptiker nur cum kleineren Theile
ei eben diesem Anlafs gesprochen sein lassen ; die meisten
testandtheile derselben rückt Lukas theils bei Gelegenheit
ler Aussendnng der Siebenzig (10, 2 ff.), theils bei einem
päteren Gespräche mit den Jüngern (12, 2 ff.), ein; Efli-
hes findet sich auch sowohl bei Matthäus als bei den
ihrigen in den Reden Jesu über seine Parnsie wieder.
Wie anch hier die ältere Harmonistik unbedenklich
ine Wiederholung derselben Reden annahm \ ; so will
lie neuere Kritik nur bei Lukas die ursprünglichen An-
ässe und Verbindungen, bei Matthäus eine blofse Znsam*
Denstellung des Referenten finden *) ; auch die Differenz
Lehrt wieder, dafs die apologetisch gesinnten Ausleger be-
haupten, Matthäus habe das Be wulstsein gehabt, hier zu
erschiedenen Zeiten Gesprochenes zusammenzustellen , ja
r habe sogar vorausgesetzt, dals diefs auch seinen Lesern
n die Augen fallen würde5): wogegen andere mit Recht
mf die Art hinweisen, wie die Rede V. 5. durch die
Worte : t&iag zig diodexa dnigeikev 6 jf. nccQayysllag avvoig
angeführt, und 11, 1. durch xal tyiveco oze trihoev o £
\uaaaaixiv zeig dvidexa x. %. L abgeschlossen ist, woraus
1) c. B. Miss, Gesch. Jesu, 1, S. 545.
2) Schulz, a. a. O. S. 308. 314; Siiff*rt, S. 80 ff.
3) Olsuaüsbn, z. d. St. Die letztere kecke Behauptung bei
Hin*, über den Ursprung des Evang. Matth., S. 63.
654 Zweiter Abschnitt.
nur Genfige die Meinung des Evangelisten, hier einen
sammenhängenden Vortrag eu geben, erbelle *)•
Eigentümlich ist in dieser Rede dem Matthäus
ben Anderem, was mehr nur als Erweiterung von
ken erscheint, die aoch in den entsprechenden Stellen der
beiden andern Synoptiker angelegt sind, der Eingang dar
Instruction, der die Wirksamkeit der Ausgesendeten aaf
Juden beschränkt (V* 5. 6.) , und ihnen den Auftrag er*
theilt — neben Verkündigung des Messiasreicbs and Bö»
lung der Kranken, wovon ebenso Lukas (9, 2.) spricht,—
(natürlich auf eben dieser nächsten Reise, sonst mtifste jt
auch das Verbot V. 5« 6. in weiterem Umfange genomnea
werden) aueh Todte eu erwecken: ein befremdender Aaf
trag, da von den Aposteln vor Jesu Hingang keine Todtss»
erweekung bekannt ist, und solche, ohne dafs sie ans er«
Eählt sind, dennoch mit Olshausrn vorausEusetuen, Wenig«
Lust haben werden» Erst die Apostelgeschichte weifs ?os
den Todtenerweckungen eines Petrus und Paulus : was die
Jünger nach ihrem Ausgang in alle Welt'thaten, daci
liefs sie die Sage schon bei ihrer ersten Aussendung dareh
Jesnm bevollmächtigt werden.
Gemeinschaftlich sind den Synoptikern bei der Aus*
sendung der Zwölfe eigentlich nur die Regeln fllr das
fiufsere Verbalten der Ausgesendeten : auf welche Weite
sie reisen, und wie sie sich in verschiedenen Füllen be-
nehmen sollten (Mattb. V. 9 - 11. 14. Marc 6, S— 11.
Luc. 9, 3 — 5 ); wobei die Abweichung, dafs Jesus nach
Matthäus und Lukas den Jüngern aufser Geld, Ranaea
u. dgl. auch vjiodrjuvcva und fydßdov mitzunehmen verbietst,
nach Markus dagegen ihnen nur untersagt, etwas Weite*
res mit sich eu führen, u /lijJ (idßdov ftorw und oavduha,
am einfachsten durch das Geständnifs eu lösen ist, dafs,
wo die Sage nur diefs festhielt, dafs Jesus, mit aosdrüek-
4) Schulz, S. 515.
Sechsteg Kapitel. §. 76. 655
Hoher Nennung des Stab« und der Schuhe, die Einfach-
heit der apostolischen Ausrüstung bezeichnet hatte, diefs
leicht der Eine so verstehen konnte, als hätte Jeans alles
fteisegeräthe bis auf jene Stücke : der Andre, als hätte er
«neb diese untersagt.
Bei Aassendung der Siebenztg ist es, dafs Lukas
CIO, 2 ) Jesu» die Worte gebrauchen läfst, welche Mat-
thäus schon 9, 37 fl als das Motiv Jesu cur Aussendung
der Zwölfe enthaltend, wiedergibt, die Gnome: o fj&v #£-
tMauo; Tiokvs x. r. iL; ferner den Ausspruch, dafs der Ar-
beiter seines Lohnes werth sei (V. 7. vgl. Matth. 10, 100;
ebenso die Rede vom apostolischen Grafs und dessen Wir-
kung (Matth, V. l%t Lue. V. 5 f.); die Drohung gegen
die Unempfänglichen (Matth. V. 15. Luc. V. 12.); end-
lieh das aTtogiUxü vfjäg eis iiQoßaxa x. z. L (Matth, V, 16*
Luc. V. 3 ). Der Zusammenbang dieser Sätze ist beide-
■aale ziemlich gleich natürlich ; die Vollständigkeit bald auf
der einen, bald auf der andern Seite gröfser: doch so,
dafs bei Matthäus Wesentlicheres, wie V. 16. , bei Lukas
mehr Aeufserliches hinzugefügt ist, wie V. 7. nnd 8., und
V. 4, dessen seltsames Verbot, Jemanden aaf dem Wege
za grüfsen, als unhistorische Uebertreibuog der Dringlich-
keit ihres Geschäfts, oder als Nachbildung von 2. Köo. 4, 29.
erscheinen könnte, wenn man nicht wfifstej dafs die damali-
gen jüdischen Begrflfsungen nicht wenig umständlich wa-
ren 6> Wenn von diesen Vorschriften, welche Jesus nach
Matthäus den Zwölfen, nach Lukas den Siebeigen gibt,
Sieffert bemerkt, dafs sie an sich ebensogut bei dem ei-
nen als bei dem andern Anlafs ertheilt sein können : so
möchte ich schon diefs aus dem Grunde bezweifeln, weil
es mir unwahrscheinlich vorkommt, dafs Jesus nach Lukas
die vertrauteren Jünger nur mit dürftigen Regeln für ihr
Ouierliohes Verhalten entlassen, den Siebzigen aber meb-
5) «. db Wsrrs, ArchaoU, §. 265, and z. d. St.
tiS6 Zweiter Abschnitt.
rare* weit Wesentlichere and Herzlichere zugerufen ha-
ben sollte 6). Wenn sich aber jener Kritiker Knietet far
die Stellung des Lukas entscheidet , weil seine ErsXhluar
vermöge der Unterscheidung der Siebensig von den Zwöl-
fen die bestimmtere sei: so ist dieser Punkt oben «■
Vortheil vielmehr des Mattbtfus erledigt worden. — Auch
der am Scblufs der Instructionsrede bei Matthäus über
denjenigen ausgesprochene Segen, der einem seiner Anhin-
ger nur ein nmlßiov \}jv%qS reiche (V. 44.), l*t hier we-
nigstens schicklicher eingefügt, als in der endlosen Wirr-
nifs des letsten Stücks von Marc. 9. (V. 41.), wo das
verknöpfende Band am Ende nur noch das aar und og ar
su bilden scheint , womit die zusammenhanglosen Sites
beginnen.
Anders stellt sich die Sache , wenn wir diejenige«
Theile der Instructionsrede betrachten, welche bei Lakai
Kap. 12. und spiter stehen, nnd auch bei Matthias als
«weiter Tbeil derselben sich aussondern. Ausspruche nist-
lieh, wie Matth. 10, 19 f. Luc. 12, 11., wo den Jüngern
gesagt ist , was sie thnn sollen , wenn sie vor Gericht ge-
sogen werden ; wie Matth. V. 28. Luc. V. 4 f. , dafs sie
diejenigen nicht fürchten sollen, die nur den Leib tödtea
können ; wie Matth. V. 32 f. Luc. V. 8 f. die Warnung
vor Verliugnung Jesu; auch die Rede von der durch tha
su stiftenden allgemeinen Entsweiung (Matth. V. 34 ff.
Luc. 51 ff, woran Matthäus, wie es scheint, aus Veranlas-
sung der biebei aufgesihlten Familienglieder, den Aas-
spruch Jesu knöpft, dafs man an diesen nicht stirher ab
an ihm hingen dürfe, sein Kreus auf sich nehmen naftase
u. s. f. , was er sum Theil unten , 16, 24 f. in schickliche*
rem Zusammenhange wiederholt) ; ferner Ausspräche,
welche in den Reden von der Parosie wiederkehren, wie
von allgemeiner Verfolgung der Jünger Jesu (V. 17 f. 23.
6) Vgl. db Warn, exeg. Htndb., i, 1, S. 99*
Seefestes Kapitel. $.76. 65T
▼gl. 24, 9. 13.); das von Lukas in der Bergrede (6y 4#.)
eeageeehobene, ond aueh bei Johannes (15, 20.) Torkons»
mende Wort, dals der «länger kein besseres Loos als der
Bleiater aaauspreehen habe (V. 24 f.); endlieh die der Rede
bei Matthias eigentbflmliche Anweisung, von einer- Stadt
in die andere an fliehen, sammt dem dazugefflgten Tröste
C V. 23) : dergleichen Aussprüche, haben die Kritiker weh*
seit Aeehf erklärt *) , paaaen nieht gut eu dieser ersten*
Aassendang der Zwölfe, welche, wie die angebticke de*
Sieben tig, nnr erfrealiehe Resultate lieferte (Lac. •, 10«
1«3, 17.); sie setsen vielmehr die getrfibteren Verhältnisse
voraus, wie sie nach Jesu Tode ond vielleicht aneh aeJum
in der lotsten Zeit seines Lebens sich gestalteten. Dem*
nach bitte Lnkas das Richtigere, indem er diese Reden in-
die letate Reise Jesu rersetet *) : wenn nicht gar dergleW
eben Sebildernngen des späteren Schicksals der Apostel,
nnd übrigen Anhinger Jean erst nach dessen Tade e*
event* gemacht f nnd ihm als Weissagungen in den Mnnd
gelegt worden sind; eine Vermnthnng, welche wenigstens
im Beeng aaf den Ausspruch V. 38: og « Xa^ßvnfBi ro*
gcwQor ccvts xal dxoXö&el omaia pu x. t. L, sehr nahe
Hegt9).
Die nächste längere Rade Jesu bei Matthäus Ist die,
so weit sie sich auf den Täufer besog, bereits betrachtete,
Kap. 11. Von der V. 20 - 24. folgenden Klage und Dro-
hung gegen die galiläisohen Städte, & ah eybono al
9
7) Schttli, S. 308; Sumar, S. 83 ff.
8) Den durchaus befriedigenden Zusammenhang Übrigens, wel-
chen die neuere Kritik in dem 12ten Kapitel de« Lukas findet,
kann ich ebensowenig entdecken, al« Teolück, Auslegung der
Bergpredigt, S. 13 f., welcher hier zugleich die Parteilichkeit
Schlsibrmachsr's für den Lukas und gegen den Matthäus tref-
fend gezeichnet hat.
9) s. di Witts s. d. St.
Das Leben Jesu Ite Aufl. L Band. 42
«8 Zweiter Abschnitt. x
otogen dvmfieiQ cn/re, nnd welche doch a t&tennj&B,
möchten die neuesten Kritiker vielleicht mit Recht behaup-
ten, dafs sie mitten in die galiläisdie Wirksamkeit hinein,
wehin Matthäus aie stellt, weniger passe , als in die Zeit,
{»welche sie Lukas (10, 13 ff.) versetzt, da Jeans Galiläa
i
verlassen, und sich isn leisten Versuche nach Jndäa und
Jerusalem auf den Weg gemacht hatte 10). Anders dage-
gen verhält» es sich mit dem näheren Zusammenhange die*
an# Aussprüche. Während nämlich bei Matthäus an der
vorangegangenen Zusammenstellung der gleich schlechtes
Aufnahme, welche Jesus wie Johannes gefunden, die»
Klage über die HäuptsebauplStse der Wirksamkeit dm
finsteren trefflich pafstt ist schwer su begreifen, wie Je-
ans nach Lukas den auszusendenden Slebsigen 'gegenüber,
welche gana der Zukunft angekebrt sein mufsten, vea
seiner eigenen trüben Vergangenheit reden mochte, ohne
doch das den galiläischen Städten angedrohte Strafgericht
mit demjenigen in Verbindung an bringen, welches er
eben vorher über die Stadt ausgesprochen hatte, die seine
Abgesandten nicht aufnehmen würde» Vielmehr nur* den
Referenten erinnert diese von Jesu überlieferte Verglei-
chnng einer gegen seine Jünger widerspenstigen Stadt mit
Sodom an die ähnliche der gegen ihn selbst unfolgsamen
Orte mit Tyrus und Sidon , ohne dafs ihm die Unsosas*»
mengehdrigkelt beider eum Bewufstsein käme lf)-
Die V. 25 — 27. folgende ayaXXiaaig über die den
vrjnloig verliehene Einsicht knüpft Matthäus nur unbe-
stimmt an die vorhergegangene Verwünschung an; da eis
jedoch einen durch erfreuliche Anlässe geänderten Ge-
müthseustand Jesu voraussetzt: so würde es alle Wahr*
scheinlichkeit haben, dafs Lukas (10, 17. 21 ff.) die ROck-
10) ScRLUBRMAcmui, über den Lukas, S. 169 f. ; Schb*ckb*bu»m»,
Über den Ursprung u. «. f., S. 32 f.
11) Vgl. ns WrrrMvexeg. Handb., j, 1, S. HO. 1, 2, S. 62.
8eehstes Kapitel« & 77.
kehr der Siebensig mit erfreulichen Nachrichten ab An-
lafs jener Rede heraushebt ; wenn nur die Auswahl and
nlso auch die Rückkehr der 70 Jünger nicht so problema-
tisch würe; atatt deren übrigens die der Zwölfe hieherge-
eegen werden könnte. Die an dieses Frohlocken bei Mat-
chfas sieh sehliefsende Einladung an die xmutmeg xal
9t&f0$uö[iivöi (V. 38 — 30.) fehlt bei Lukas, welcher statt
dessen Jesum xonr' tdlav eu den Jüngern sieh wenden, Und
sie glücklich preisen lifst, dafs sie sehen and boren dür-
fen, wonach viele Propheten nnd Könige vergeblich sich
gesehnt bitten (V. 2Sf.); was nu dem Vorangegangenen
wenigstens nicht so speeifisoh, wie das bei Matthäus damit
Verbundene, pafst, auch bei diesem 13, 16 f. in einer Ver-
bindung steht, weiche mit der bei Lukas sich Jedenfalls
5. TT.
Die Parabeln.
Wenn Matthäus Kap. 13. Jesum sieben
•Immtlich die ßaodela rwv SQccywy betreffend, vortragen
lifst: so ist die neuere Kritik bedenklich geworden, ob
wirklich Jesus so viele Gleichnisse in Einem Zuge gespro-
chen haben möge1)? Die Parabel, bat man erinnert, sei
eine Aufgabe, welche durch eigenes Nachdenken gelöst en
werden verlange; defswegen nach jeder ein Ruhepnnkt
nftthig, wenn man durch dieselben ffcvahrbaft belehren, und
nicht vielmehr durch den Wech'l unverstandener Bilder
Berstreuen wolle ')• Wird man diefs jedenfalls mit Nean-
dir soweit einrlnmen müssen, dafs nur Parabeln über
denselben oder genan verwandte Gegenstände hintereinan-
der gesprochen werden dürfen, um eben unter manchfal-
Cigen Formen nnd von verschiedenen Punkten aus auf das
1) Schulz, über das Abendmahl, S. 314.
2) Olskausbh, bibi. Comm., 1, S. 430.
42
660 Zweiter Abschnitt.
Eine hf umleiten •): so lassen «loh unter den sieben fct
Rede stehenden Gleichnissen «war die Ten Senfkorn uns1
Sauerteig auf den gemeinsamen, jedoch verschieden sehet-
tirten, Grandgedanken von dem allmthligen Wachsen und
Durchdringen des Reiches Gottes ; die vom Netze nnd voe
Unkraut auf den der Mischung des Guten mit dem Beeea
im Reiche Gottes; die vom Schatze und der Perle auf dea
«des unschätzbaren und alle Opfer lohnenden Werths des
Gottesreicbes zurückführen: womit aber, den tiedankea
von der verschiedenen fimpfänglicbkeit der Mensehen fiir
die Predigt vom Reiche Gottes, im Gleichnifs vom Sie»
mann, dazugerechnet, vier verschiedene Grondgedanftfli
für die zusammengestellten Parabeln bleiben; Gedanken,
die zwar in ihrer gemeinsamen Beziehung auf die ßaoihk
rcJv BQccmv zusammenhängen, von dieser aber so weseafr
lieh verschiedene Seiten zur Anschauung bringen, dafr
■um Behuf des gründlichen Verständnisses unertHsIick
war, bei Jedem insbesondere zu verweilen. Gewifs wurde
daher, hat man geschlossen, Jesus das Lob der Lehrweis-
heit nicht verdienen, wenn er fene GleichnUsreden alle, so
wie Matthäus es darstellt, in Einem Zuge gesprochen
hätte ')• Sah nian hienach auch in diesem Abschnitt
Zusammenstellung gleichartiger, aber zu verschied*
Zeiten gesprochener Reden: so erhob eich sofort auch
hier der Streit, ob sie Matthäus mit Bewufstsein von die-
sem letzteren Umstand 4» ader in der Meinung, zusammen-
hängend Vorgetragenes aufgeben, veranstaltet habe ? wovon
das Letztere aus der Anfangsformel (V. 3.): xai iXafopo
avsoiQ natäa iv noQaßokalg, und dem Schlüsse (V. 53. ):
oV« hileoev 6 jT. rag naQaßokdg vccvvccg, unwiderspreehliek
au erhellen scheint. Darauf wenigstens, da(s die Jünger
Jesum nicht wohl vor allem Volke, sondern, wie auok
3) L. J. Chr., S. 175.
4) ScvxscxasBVASB*, über den Ursprung u. •. f., S, 33-
Sechstes Kapitel. $.77. 661
luraos (4, 10.) berichte» als sie wieder xcetafiovag waren,*
m eine Erklärung der ersten Parabel werden angegangen
*tben, kann man sieh für ein Abbrechen des Vortrags
leich nach dieser nicht berufen *), weil daraus, dafs nach
er ersten Parabel Matthäus nicht wie Markos Jesum
ach Hanse gehen, sondern auf dem Piatee von seinen
ungern um Erläuterung ersacht werden Iftfst, deutlich
rhellt, dafs er sich hier kein Abbrechen des Vortrags ge-
lacht hat. Mit mehr Grand kann man sich auf die
fohlufsformel berufen, welche Matthäus schon naoh der
ierten Parabel V. 34 f. einfügt , indem er die bisherigen
Gleichnisse durch die Bemerkung: tcrika navta ihxXrpw 6
. er naQaßoXalg x. t. L zasammenfafst , and sogar durch
Anwendung einer A. T.lichen Weissageng den Ruhepunkt
rollkommen macht; sowie aof die Veränderung der Oert-
lehkeit, die hier bei ihm eintritt, indem V* 36. Jesus das
Volk entläfst, and vom Ufer des galiläischen Sees, wo er
bisher gesprochen, etg tt}v olxlccy kommt, wo ihn die Jttn-*
per um Erklärung der zweiten Parabel angehen, an web»
ehe er sofort nooh drei weitere Oleichnisse knüpft. AI«
lein , dafs auf diese Weise der Vortrag der drei letzten»
Parabeln von dem der übrigen durch einen Ortswechsel
und somit auch durch einige Zwischenzeit getrennt ist,
verändert den Stand der Sache wenig. Denn dafs Jesus
vor dem so leicht zu überladenden Volke auch nur vier
Parabeln, worunter zwei der bedeutendsten, in Einem
Zage vorgetragen, und dafs er hierauf die Jünger , deren
Faseungskraft er bei dem ersten und zweiten Gieichnifs
hatte zu Hülfe kommen müssen, statt sie zu prüfen, ob sie
nun das dritte und vierte sich selbst auszulegen im Stande
wären, mit drei neuen Gleichnissen überschüttet haben
sollte: bleibt immer4 noch unwahrscheinlich genug« Uebri-
gens dürfen wir die Erzählung des Matthäus nur genauer
5) Diese und die folgende Berufung bei Oubaüssti, S. 4SI.
068 Zweiter Abschnitt.
ansehen , am au bemerken , wie er au der Onterbreohneg
V. 34 ff. nur unwillkürlich gekommen ist* Hatte er in
Sinn , eine Masse von Parabeln , und für die swei wick-
tigsten nnd daher voranzustellenden awel privatim dm
Jüngern gegebene Erklärungen, aütuutheilen: so konnte m
biebei auf dreifache \Veise an Werke gehen« Entweder
lief* er nnmittelbar nachdem eine Parabel vorgetragsa
war, noch im Angesichte des Volkes Jesum den Jüngern
die Erklärung geben , wie er nach der ersten ttleienahV
rede (V. 10 23.) wirklich thut. Allein diese Dnretellueg
bat das Unbequeme, dafs man nicht begreift, wie Jetts
dem in gespannter Erwartung um ihn versammelten Volks
gegenüber au einer Privatunterbaltung der Art Malte be-
kommen konnte 6). Diesen Uebelstand hat- Markus gt»
fohlt, und defshalb die zweite mögliche Auskunft ergriffet,
dafa er nämlich nach der ersten Parabel Jesum mit dm
Jüngern nach Hause gehen, und ihnen hier die Lösueg
derselben geben lälst. Indefs, diese Wendung war Ar
denjenigen gar su hinderlich, der mehrere Gleicbniftredea
nach einander au geben gedachte; denn war schon nach
der ersten Jesus au Hause gebracht: so war der Schaa-
plats verlassen, auf welchem mit Fug die weiteren vorge-
tragen werden konnten. Defswegen mag der Berichter»
statter im ersten Evangelium nach der aweiten Parabel st
Beeng auf die Erklärung weder seine erste Auskunft
derholen, noch die andere in Anwendung bringen;
dern, indem er ohne Unterbrechung au awei weiteren
Gleichnissen fortgeht, scheint er sich eine dritte Maüsregei
voraubehalten : nämlich, die ihm im Sinne liegenden Pi
beln vorher alle dem Volke vortragen, und dann
wenn er nach Abschlufs derselben Jesum nach Hanse ge-
bracht hätte, ihn die rückständige Auslegung der zweiten
geben au lassen. Hiedurefa entstand in dem Wiederenäh-
6) Schuhs JuucMsa, S. 120.
Sechstes Kapitel $.77. ^6*
ler ein Streit »wischen den Parabeln, die ihm noeh im
Sinne lagen, und der Auslegung, deren Rückstand ihn
strängte: sobald in seiner Erinnerung an jene die min-
desto Stockung eintrat, mufste er mit dieser, und also mit
Schlafsformel nud Heimkehr, bei der Hand sein, nnd fie-
len ihm hierauf noch einige weitere Gleichnisse ein, so
mufste er sie eben nachher noeh beisetsen. So ist es dem
Matthtas mit den drei lotsten Parabeln begegnet, die er
asan fast wider* Willen den J Angern allein mufs vorgetra-
gen werden lassen, für welche doch nicht besondere Para-
beln , sondern nur Auslegungen derselben gehörten ; wie
denn auch Markus (V. 33f.) offenbar voraussetzt, die wei»
Deren Gleichnisse, die er auf die Auslegung des ersten fol-
gen Ififst, seien wieder dem Volke vorgetragen worden *).
Markus , welcher nach 4, 1. dieselbe Seene am See
malt, wie Matthäus, stellt nur drei Parabeln eusammen,
won weichet* die erste der ersten, die dritte Oom Senf-
korn) der dritten bei Matthäus entspricht, die mittlere
mber dem Markus eigenthflmlicb ist, und einerseits der
vom Senfkorn ähnlich, doch mit Unterscheidung der ver-
schiedenen Entwicklungsstufen) das Wachstbum des Reichs
Gottes auf Erden versinnbildlicht ; andererseits aber durch
die Hinweisung auf den Abschlufs der Entwicklung und
das Gericht unter dem Bilde der Ernte mit dem Gleioh-
nisse vom Unkraut im Acker bei Matthäus Verwandt»
schaft hat *).
Auch Lukas hat von den sieben Parabeln, Matth. IS«,
blofs drei: die vom Säemann, vom Senfkorn und vom
Sauerteig; so dafs also dem Matthäus die Gleichnisse vom
vergrabenen Senats, von der Perle und vom Netse, wie
auch die vom Unkraut im Acker, eigentümlich bleiben.
7) Fairstes*, Gomm. in Marc. 8. 130. 138. 134.
8) Vergl. Sauwiea, Über die Quellen de« Markus, S. 74} Fawi-
icmi «. d. zuletzt i. 0. ; »s Wim i. d. St.
664 Zweiter Abschnitt.
Da* Gleichnifr vom Sffemann «teilt Lukae etwas früher
(8, 4 ff.) 9 und auch nicht in dieselbe Umgebung wie Mat-
thäus ; fiberdiefs getrennt von den zwei weiteren Parabeb,
die er noch mit der Sammlung des Matthäus gemein hat
Diese bringt er spffter, 13, IS -21., nach; eine Stellung,
welche die neueren Kritiker einstimmig als die richtige
anerkennen *)• Allein dieses Urtheil gehört cg dem Selt-
samsten , wozu sieh die jetzige Kritik durch ihre Partei-
lichkeit für den Lukas hat verleiten lassen. Denn sehen
wir den so sehr gerühmten Znsammenhang an, so hat hisr
Jesus in einer Synagoge ein zusammengebficktes Weib
geheilt, hierauf den schwierigen Synagogenvorsteher «tuen
das Argument vom Ochsen und Esel zum Schweigen ge-
bracht, und nun heilst es V. 17. : xal rcnka liyortos ami
xccrfiOxirvorzo rtdwsg ol drstxeifievoi avzqi, xcu nag 6 ojiog
exoti^e? ini näai zöls ivdo^oig tolg ywofjhoig wi* avti,
tiewifs eine Schlafsformel, so ausführlich und entacbiedea,
wie irgend eine, nach welcher unmöglich noch die Bege-
benheit auf derselben Seene weitergeführt sein kann; son-
dern , wenn hierauf durch ein eleye d* und naktv dn& die
beiden Parabeln angehfingt werden: so sieht man, der
Verfasser wn&te die Gelegenheit nicht mehr, bei welcher
sie Jesus vorgetragen hatte; daher fügte er sie auf Gera-
thewohl irgendwo in dieser unbestimmten Weise ein, und
zwar weit weniger geschickt offenbar als Matthias, der
sie doch zn Gleichartigem zu gesellen wufste 10).
Wenn wir hierauf von den übrigen evangelische*
Parabeln11) zuerst diejenigen, welche Einem Evangelisten
9) Schlhirmacmr , a. a. 0. S. 192 j Ott Hl DI »II , I, S. 431 ;
SCHNECKBNBURCIR, 8. a. O. S. 35-
10) Vgl. db Witts, exeg. Handb., 1, 2, S. 73 f.
11) Analogien zu diesen Gleichnusreden und Sprüchen aas der
rab^inischcn Literatur geben Witstbiit, JLi6htfoot u.
cer z. d. St.
Sechstes Kapitel* {• 77. 645
eigentbtimlieh sind, betrachten : so stoben wir zuvörderst
bei Matthäus 18,23 ff. aof des Gleich nid von dem Knechte,
-welcher, anerachtet ihm sein Herr eine Schuld von 10,006
Talenten geschenkt hatte, doch seinem Mitkneohte nicht
\ einmal eine von 100 Denaren erlaasen wollte; passend ein*
\ geleitet dorch eine Ermahnung cur Versöhnlichkeit (V. 15.)
i und die Frage des Petras, wie oft man dem fehlenden
Bruder vergeben solle? — Gleichfalls eigenthfimlioh ist
i dem Matthias das Gleichnifs von den Arbeitern im Wein*
i berge (20, lff)> welches ein passendes Gegengewicht ge-
i gen die vorangegangene Verheißung reicher Belohnung
seiner Anhänger ist. Von den Sentenzen übrigens, welche
i Matthias (V. 16V) an die Parabel hängt, pa&t nnr die
( erste: taonai oi tayjxioi nQokoi x. %. L> die er Ihr auch
schon vorausgeschickt hatte (19, 30.) , au derselben; die
. andere: nolXol etat xXr/idi x. r. L aber gibt vielmehr die
, Moral der Parabel vom königlichen Gastmahl und vom
j hochzeitlichen Gewände an, wo sie auch wirklich Matthäus
i wiederholt (22, 14.)« Sie eignete sich aber ganz dazu,
auch abgerissen als vereinzelte Gnome umzulaufen, und da
, ee passend schien, an das Ende einer Gleichniftrede eine
, oder mehrere dergleichen kurze Sentenzen zu stellen: so
, mag diese hier wegen einiger äufserlichen Aehnlichkeit mit
, der andern ihr vom Referenten beigesellt worden sein. —
( Weiter ist dem Matthäus die Parabel von den zwei in den
Weinberg geschickten Söhnen {21, 28 ff ) eigenthömlioh,
welche sich an eine Verhandlung mit den Hohenpriestern
und Aeltesten nicht fibel lehnt, und deren antipharisäische
Bedeutung durch die Zusätze V. 31 f. auf erwünschte Weise
in's Liebt gestellt ist.
Unter den dem Lukas eigentümlichen Parabeln haben
die von den zwei Schuldnern (7, 41 ff.), die vom barm-
herzigen Samariter (10, 30 ff.)» die von dem Manne, den
im Sammeln irdischer Schätze der Tod unterbricht (12,
16 £ vergl. Sir. 11, 17 ff.), so wie die beiden, welche die
666 Zweiter Abschnitt.
Wirksamkeit des anhaltenden Gebete versinulieheai (H
5 ff. 1S} 2 ff.), ihren unverkennbaren Sinn, und bis auf die
leiste, welche abgebrochen eintritt, auch leidlichen Zusam-
menhang; sogleich kann man an den beiden letsteu ler-
nen, wie in den Parabeln Jesu oft von einem Zuge gast
nbstrahirt werden mufs, indem in der einen derselbm
Gott mit einem trägen Freunde , in der andern mit
ungerechten Richter in Parallele gestellt ist. An
letst genannte Parabel schliefst sich die vom Phuriiinr
und Zöllner an (V. f — 14.) > von .welcher nur 8cHuna-
machkr, einem selbstgemachten Zusamumnhamge mit das
Vorhergehenden aulieb, die antipharisäische Tendenz lauf
nen kann A2). Eine ähnliche Richtung haben die GlsiuV
nbse vom verlornen Schaf, Groschen und Sohn (Lue. 1^
3 32.)» von welchen Matthäus OS, 12 ff.) nur das eran,
aber In einem andern Zusammenhange, bat, der auch dm
Sinn etwas anders, und swar, wie sich später
wird, ohne Zweifel minder richtig, bestimmt. Oats
drei Parabeln unmittelbar hinter einander gesprochen aus
können, ist deswegen denkbar, weil die aweite nur uns
untergeordnete Variation der ersten, die dritte aber wei-
tere Ausführung und Erläuterung von beiden ist. Ob
ebenso, nach der Behauptung der neueren Kritik, ausk
noch die ewei folgenden Gleichnisse mit den vorhergehm-
den in Einen susammenhängenden Vortrag gehören ")i
mufs die nähere Betrachtung ihres auch an sieh beaaar»
kenswerthen Inhalts eeigen.
Die nächstfolgende, als Cruz bUerprehtm bekannte,
Parabel* vom ungerechten Hanshalter (16, 1 ff.) ist dach
in sich selber ohne alle Schwierigkeit Liest man bleu
bis sum Ende des Gleichnisses, die aunäehst darangehängt»
Moral , V. 9. , miteingeschlossen : so bringt man den eh>
13) Ueber den Lukas, S. 320.
13) ScKunsiuuGasE, *. a. 0. S. 202 ff. ; O&shausss z. i St
Sechstes, Kapitel. $. 77. 607
beben Sinn heraus, dafs der Mensch, der, «ach ohne ge-
rade bestimmt auf unrechtmäßige Weise «u Geld and Gut
gelangt su sein, doeh Gott gegenüber immer ein dolos
xXQstos CLiue. 17, 10.) , uod In Anwendung der ihm von
Dott anvertrauten Gaben ein otxovoftog Trjg ddixlccg ist,
diese immer mitunterlaufende Untreue am besten durch
Nachsicht und Wohlthätigkeit gegen seine Mitmenschen
gut machen, und sieh durch deren Vermittlung einen Plats
im Himmel verschaffen könne, llafs diese Wohlthitigkeit
in der anginen Geschichte ein Betrug ist, hievon mufii
man, wie in den vorhin angefahrten Parabeln davon, dafs
der Freund trffg und der Richter ungerecht ist, abstrahle
reo; waa fiberdiefs in der Ersihlung selbst dadurch an«
gedeutet ist, dafs V. 8» gesagt wird, was der olxovo/uog im
8inne dieser Welt gethan habe, sei in der Anwendung im
höheren Sinne der vlol %5 cpwrog su verstehen. Freilich,
wenn man nun auch noch das 6 nigog iv ilaxt&p x. %. 2.
(V. 10—12.) in demselben Zusammenhange gesprochen sich
denkt: gewinnt es den Schein, als möfste der in der Pa-
rabel als Muster aufgestellte otxovoftog in irgend einem
Sinne das Lob der Treue verdienen, und wenn V. 13. von
cwei Herren, Gott und dem Mammon, die Rede wird, de«
nen man nicht sugleich dienen könne: so scheint der
Hauehalter es mit dem rechten Herrn gehalten haben sn
müsaen. Daher Erklärungen, wie die ScuLSiERMACüfiR'sche,
welohe unter dem Herrn die Römer, unter den Schuldnern
das jüdische Volk, unter dem Haushaiter die auf Kosten
von jenen gegen dieses wohlthütigen Zöllner versteht, cu
diesem Behuf aber auf die willkürlichste Weise den Herrn
uum gewaltth&tigen Manne machen, den Haushaiter aber
rechtfertigen mufs *'); eine Verkehrung, welche in Ols-
Hausbm bis eum Extrem fortgegangen ist, indem nun die-
ser den Herrn, der durch sein richterliche« Auftreten sich
— . .
14) ». ». 0.
1
66S Zweiter Abschnitt
deulliob als Repräsentanten Oottea ankündigt, son ayx*"*
tQ xoOfiö zHtn veraeblimmert , den Haushaiter aber m
Bilde eines Menseben erhebt, der die Güter dieser Web
an geistigen Zwecken verwendet» Allein den bezeichnete*
Versen auf die Deutung der Parabel Binflofs an gestatten,
wäre man, da diese in der Moral V. 0« den befriedigend-
sten Absehlufs hat, und unrichtige Zusammenstellungen
bei Lukas keineswegs ohne Beispiel sind, nur dann ver-
anlagt, wenn eine genaue Verwandtschaft des Inhalts aa
Tage läge: wovon aber vielmehr das Gegen tbeil, die st*
rendste Verschiedenartigkeit, vorhanden ist« Ueberdiefc
fällt es nicht schwer, nachzuweisen, was den Lukas)
au einer falschen Zusammenstellung verführt haben
Es war in der Parabel vom fia/umväg rijg adixiag die Rede;
diefs weckte in ihm die Erinnerung an einen ähnlich lau-
tenden Ausspruch Jesu: dafs, wer an dem ddixip fiatiwy,
als dem Geringeren, sich treu beweise, dem auch das Hö-
here anvertraut werden könne. War aber einmal vom
Mammon die Rede : wie konnte der Verfasser umhin, sich
des bekannten Ausspruchs Jesu von Gott und dem Mam-
mon, als zwei unvereinbaren Herren, su erinnern, und
sum Ceberflufs aueh noch diesen (V. 13.) beiausetnen **)!
15) Diesen letzteren Vers bat auch Schheck¥*buägir , Beiträge,
No. V. , wo er zugleich die Olsh AUtaVtche Deutung der Pa-
rabel treffend widerlegt , als nicht hieher gehörig erkannt,
während er von den vorangegangenen Versen, mit Unrecht
schon vom 9ten an, diese Ansicht bloss möglich findet. Aue*
de Wettc <z. d. St. findet nur V. 13. entschieden nicht hieher
gehörig ; V. 10 — 12. scheinen ihm durch Ergänzung eines
ausgelassenen Mitteiglieds, das von der klugen Benützung
des Reich thums auf die Treue überleitete, für den Zusammen-
hang möglicherweise gerettet werden zu können; doch so,
dass der Begriff der Treue nicht auf den Haushalter bezogen
werden dürfe. — Die zahlreichen älteren und neueren Ver-
suche, das Gleichniss vom Haushalter ohne eine solche kriti-
Sechste* Kapitel. $. 77. 669
Dafr durch diese Zbsütze die vorhergemeldete Gleicbnifs»
*ede in ein völlig falsches Lieht gestellt wurde, toküm»
merte den Referenten wenig, der vielleicht ihren Sinn
selbst nicht klar gefafst hatte, oder in dem Bestreben, sein
evangelisches Gtdtchtnib vollständig eu entleeren, auf den
Zusammenhang keinen Bedacht nahm. Man sollte über»
hanpt mehr Bewnfstsein davon haben, dafs bei denjenigen
unserer Evangelisten , welche nach der jetzt herrschenden
Annahme eine mündliche Oeberliefernng aufzeichneten, in
Abfassung ihrer Schriften das Gedficbtnifs in einer Weise
eingesprochen war, welche die ThMtigkeit der Reflexion
zmrüekdrffngen mufste; wefswegen in ihren Berichten das
herrschende Band die Ideenassociation mit ihren zum TheM
am Aenfserliche8 sich haltenden Gesetzen ist, und wir uns
nicht wundern dürfen, namentlich manche Reden Jesu
mach dem biofsen Gleichklang gewisser Schlagwort zu*
•ammengereiht zu finden.
Blicken wir von hier auf die Behaoptung zurück,
dafs das Gleicbnifs vom ungerechten Verwalter im Zusam-
, naenhange mit dem vorhergehenden vom verlorenen Sohne
t gesprochen sein müsse : so sehen' wir dieselbe nur auf fal»
aoher Deutung beruhen. Soll nämlich nach Schleibrmachsr
die Vertbeidigung der Zöllner gegen die Pharisäer das
Band ausmachen: so finden wir von Zöllnern und Pbari-
t fläern in der Parabel keine Spur; oder soll nach Olshaü«
' sin der zuvor dargestellten barmherzigen Liebe Gottes ge-
genüber nun die barmherzige Liebe der Menschen hervor*
gehoben werden: so ist hier überall nur von einfacher
Wohlthätigkeit die Rede, und eine Parallele zwischen die-
ser nnd der Art, wie Gott dem Verlorenen verzeihend
entgegenkommt, nicht von ferne angedeutet. Auch die
sehe Sonderung zu erklären, sind nur eben so viele Beweite,
das« ohne dieselbe eine befriedigende Auslegung der Parabel
unmöglich ist.
\
-i-
§70 Zweiter Abschnitt.
Bemerkung V. 14. , «Ufa alles diefs die Pharisäer gebort,
und als (pthxqyvqoi Jesum verspottet beben, tauft sieh
theils nieht nothwendig aof dieselben Individuen beziehe«,
von welchen 15, 2. die Rede gewesen war, so dafs diese
die ganze Rede als susammenhfingende angehört haben
mfifsten ; theils bewiese sie doch zunächst nur die A"tii»ht
des Referenten von der Zusammengehörigkeit dieser Pa-
rabeln, welche nach dem Bisherigen ans unmöglich binden
kann 18)-
Nach einer bereits besprochenen, mit Zusammenhang»
losen Redestficken ausgefällten Spalte, V. 15 18, wird an
das letzte dieser Stöcke, vom fiotx&mv, das Gleichnifs vesi
reichen Manne anf eine Weise angefügt, welche man ver-
geblich nach dem froher Bemerkten äis Zusammenhang
daranstellen sich bemüht Darin jedoch wird man Schu(b*>
MACBER n Recht geben müssen, dafs, wenn man das Glesea*
nifs vom Vorhergehenden trennt, die alsdann gewöhnliche
Besiehung desselben anf die göttliche Strafgerechtigkeit
gleichfalls ihre grofsen Schwierigkeiten habe t7>. Den»
gar nichts ist doch in der ganaen Parabel herausgehoben,
was der Reiche nnd Lazarus gethan haben müfsten, mm
naoh «nsern Begriffen mit Recht der eine in Abrahams
Sehoofs, der andere in die Qual versetzt an werden ; son-
dern das Verbrechen des einen scheint nur im Reichthsna,
wie des andern Verdienst nnr in der Armnth bestanden
nu haben. Man nimmt «war gewöhnlieh von dem Reichen
an, theils dafs er im Genasse aasgeschweift, tbeile dafs
er den Lazarus lieblos behandelt habe l6). Allein das
letztere ist nirgends angedeutet; denn dafs der Arme hart
nqog tov nvhowa des Reichen liegt, soll nicht den Vorwwf
Air diesen enthalten , dafs er ihm leicht bitte helfen höa-
16) Vgl. di Warn, exeg. Handbuch, 1, 2, S. 80.
17) a. s. O. S. 208.
18) s. Kuiköl, z. d. St.
Sechstes Kapitel. $. 77. #71
nen, und es dooh unterlassen habe: sondern nnr den Con«
trast sowohl zwischen Ihrem beiderseitigen irdischen Loose,
als «wischen ihrer Nähe in diesem, and ihrer Entfernung
im andern Leben in'* Licht stellen ; und ebenso will der
Zog, dafs der Arme begierig gewesen sei, von den Brosa-
men sieb so sittigen , die von des Reichen Tische fielen,
nicht sagen, dafs der Reiche ihm auch diese verweigert,
«der dafs er ihm mehr als bloft die Brosamen hätte zu«
kommen lassen seilen: sondern nur die tiefe Unterordnung
fies irdischen Leeses von Lazarus unter das des reichen
Mannes soll es anaeigen , im Gegensatz gegen das umge*
kehrte VerbÄltnifs, welches nach dem Tode eintrat, wo
der Reiche sich nach einem Tropfen Wassers von der
Hand des Lazarus sehnte. Auf dieses Gesuch könnte, so*
-fern der Reiche als unbarmherzig gegen den Lazarus ge*
zeichnet werden sollte, der Abraham der Parabel nicht
anders als in der Art antworten: du hast einst einen weit
näheres Weg zu diesem Lasarus gehabt, und ihn doch
nicht erquickt; wie sollte nun er einen so weiten Weg zu
dir hinüber machen, um dir Linderung zu bringen? Eben*
so ist das herrliche Leben des Reichen nur im Contraste
gegen das Elend des Armen so ausgemalt; wfire er als
ausschweifend im Genüsse vorausgesetzt, so mfifste ihn
Abraham erinnern, wie er im Leben sich des Goten au
viel genommen, nicht Mofs, wie er sein Gutes empfangen
habe. Nicht minder grundlos ist es andrerseits, bei Laza-
rus hohe sittliche Vorzöge vorauszusetzen, da solche weder
in der Besehreibung seiner Persönlichkeit angedeutet, noch
in der Rede Abrahams ihm angerechnet sind ; sein einziges
Verdienst ist, in diesem Leben Uebles empfangen zu haben.
Es ist. also in dieser Parabel als Mafsstab bei der kflnfti-
gen Vergeltung nicht das in diesem Leben gethane Gute
und verübte Böse , sondern das hier erlittene Uebel und
genossene Gute vorausgesetzt19), und das sprechendste
19) Vergl. dk Witt«, i, 2> S. 86 f.
679 Zweiter «Abschnitt.
Motto €u derseibfcn haben Vwtr in* dar ßergrede nach 4er
Redaetion des Lukas gehabt, in dem: (mbuxqioi d Twnaxvi'
mt vpev&Qa iglv rj ßaadäu zii dtö' — nkrp «ot vpuw tw$
nlsalotg • vu anexete tqv na^ctnhjGtv 4>fiiov , wo auch erin-
nert worden ist , wie genau diese Ausspruche mit der
Weltansicht der Ebioniten zusammenstimmen. Eine »h-
liebe WerthschÄteung der to&eren Armuth schreiben fibri-
gens aaeh die andern Synoptiker in , dar ErsfihJojag vea
dem reichen Jfingiing und der Gnome wem Kamee! and
Nadelöhr (Matth. 19, 16 ff. Marc. 10, 17 ff. vergL Loa
18, 18 ff.) Jesu au; was in der synoptischen Tradfcwa
über ihn > namentlich wie sie im dritten Evangelium er-
scheint, durch esseniache Ansichten hervorgerufen acbes»
nen kann *). — Das bisher Betrachtete ist der Inhalt dar
Parabei vom reichen Manne bis V. 27., von wo an dar
weitere Gedanke von den A. T. liehen Schriften, als st-
reichenden und eineigen Gnadenmitteln, eintritt»
Zum Schlüsse Vrenden wir uns noch au einer Grane
von Parabeln, aus weicher awar einige wegen ihrer Be-
siehung auf Tod und Wiederkunft Christi auüaosparea
wären, doch aber wegen ihres Zusammenhangs mit
übrigen, wiewohl nur eben in soweit, hier mitgeno
werden müssen. Es sind die drei Gleichnisse von
rebellischen Weingfirtnern (Matth. 21, 33 ff. parail/), ?ea
den Talenten oder Minen (Matth. $&, 14 ff« Lue. 19, 12 ff.),
und dem Gastmahle (Matth. 22, 2 ff. Luc 14, 16fE> ü».
ter diesen sind die Parabel von den Weingärtnern nach
allen Berichten, die von den Talenten bei Mattbftns, and
die vom Gastmahl bei Lukas, einfache Parabeln, die keine
weitere Schwierigkeit machen: anders verhalt es aieh mit
dem Gleichnifs von den Minen bei Lukas, und dam vom
30) Ueber die Essener als Karatpqoytfras nhir» vgl. Joseph, b. j. 2»
8, 3; Cridkir, über Essener und Ebioniten, ih Wau's Zeit-
schrift, 1, S. 217; Giäöebr, Philo, 2, S. 311.
Seehates Kapitel. §. 77. 0fj|
Gastmahl bei NatthJus. Dafs da« erster* mit dem von
den Talenten bei Matthäus im Grunde dasselbe sei, ist
nnerachtet der mancherlei Abweichungen ualäugbar. In
beiden findet sich die Abreise eines Herrn;, das Zusam-
menrufen der Knechte, um ihnen ein Kapital zum Umtrieb
anzuvertrauen; nach, der Rückkehr des Herrn «ine Rechen-
schaft, bei weither drei Knechte hervorgehoben werden*
von denen zwei thatig, der dritte, aber unth&tig gewesen
ist* und daher dieser bestraft» jene belohnt werden, wobei
besonders dje Entschuldigung des Knechts und die Antwort
des Herrn in beiden Darstellungen fast gleichlautend sind*
Die Hauptversehiedenbeit dagegen ist, da& bei Lukas au-
ßer, dem Verhaltnils des abreisenden Herrn an meinen
Knechten noch ein zweites Verh<niis desselben zu rebel*
lisch eq Bürgern eingeschoben ist: weis wegen der nach
Matthäus nur als. avSQtßaQQ bezeichnete Herr bei Lukas
äv&QOmtg evysvfjg beifst, und ihm ein ßuQtldeiv zugesphrie*
bea ist; der Zweck seiner Reise aber, den Matthäus nicht
angibt, dahin bestimmt wird, er sei gezogen *fe xqiftaf pct-,
xöäV, laßfZv hvwip fiaedilav. Die Unter thanen diese* Hejttt
nun, .heilst es weiter» haben ihn gehaßt, und na/ch .seiner
Abreise ihm den Bebnrsani aufkündigen lassen. tD*h»fi
wer den nach der Rückkehr des Herrn neben dem fauleft
Knecht auch noch .die rebellischen Bürger, und zwar nWch
Hiedermetzelnng, bestraft, und. die treuen Diener nicht
blofii unbestimmt, durch Eingehen in. die £a<?a ihres Qerrt»9
sondern königlich, 4u1?ch 4*e Schenkung einer Anzahl vgii
Städten, belohnt. Weniger wesentlich sind die Differen-
zen , dal* die Zahl der Knechte bei JHatthüns unbestimmt,
bei Lukas auf zehn festgesetzt ist; dafs sie nach Mattheua
Talente,4 nach Lukas Minen ; bei jenem ungleiche Saauneii
t&cdctqt xotcc ttjv idiav dvvctf.uv') , bei Lukas gleiche bekom-
men, und sofort nach jenem aus ungleichem Kapital durch
gleichen Kraftaufwand Ungleiches gewinnen , und daher
gleich belohnt werden, nach diesem dagegen schaffen sie
Das Leben Jesu Ue Aufl. f. Band 43
674 Zweiler Abschnitt.
mit gleichem Kapital durch angleiche Kraftaiurtrenjrumg
Ungleiches, und werden daher auch ungleich belohnt.
Sollte diese Parabel so zwei verschiedenen Malen ii
veränderter Gestalt aas dem Munde Jesu gekommen nein:
-so muTete er sie, wenn Matthäus und Lukas sie richtig
stellen, zuerst in der zusammengesetzteren Form, wie sw
Lukas, dann erst In der einfacheren, wie Matthäus alt
gibt, vorgetragen haben **J ; da jener sie vor, dieser nach
dem Einzug in Jerusalem setzt. Allein diefs wäre gegm
alle Analogie. Die erste Ausführung eines Gedankens ist
ihrer Natur nach die einfachere: bei der zweiten können
neue Besiehungen hinsukommen, die Sache von mehrere»
Seiten betrachtet, und in mancbfakigere Verbindnngen ge-
setzt werden. So mllfste jedenfalls mit ScHUHsnuiAcum
angenommen werden, dafs, gegen die Stellung in dsa
Evangelien, die Parabel von Jesu zuerst In der einfache-
ren Gestalt vorgetragen, dann bei einer späteren Gelegen-
heit bereichert worden sei **). Indessen Tu> unsern beson-
deren Fall Ist diefs nicht weniger undenkbar ah jenes»
Der eigne Urheber einer solchen Darstellung nämlich , be-
sonders wenn sie nur erst in seinem Geist und Monde
lebt, und noch nicht schriftlich fiiirt ist, bleibt auch bei
einer späteren Ceberarbeitung seines Stoffe« Herr; die Ge-
staltung, die er Ihm froher gegeben, widersteht Ihm nicht
als spröde, sondern verhält sich als flüssige Masse, so ckfs
er bu den neu hinzukommenden Gedanken uud Bilder*
die von frflherher vorhandenen in das richtigste Verhält,
nifs setzen, und Einheit in seine Darstellung bringen kann.
So mußte derjenige, welcher der vorliegenden Parabel die
Gestalt gab, die sie bei Lukas hat, fafls er aueh ihr erster
Urheber gewesen wäre, - hatte er einmal den Herrn m
11) so Küutöl, Comm. in Luc. p. 635.
22) Ueber den Luka», »9 f. Ihm folgt auch hier Ksaxasa, L. I
Chr., S. 188.
Sechstes Kapitel, f. 77. 075
einen Kftnig gemacht, ond den Zog von den rebellischen
Borgern hineugefftgt: nodiufendig den Knechten statt Ka»
pitalien lieber Waffen Ogl, Lac. 23, 36. 23) ) anvertrauen*.
sie ihre Treue statt dnreh Gelderwerb vielmehr durch Be-
kämpfung der Rebellen beweisen, überhaupt die beiden
Klassen von Personen In der Parabel, die Knechte and
lue Borger, in irgend eine Beeiehung treten lassen; statt
dessen nun beide durch die ganae Erzählung hindurch be-
ziehungslos auseinanderfalten, und die Parabel in awel
*feel '• ausamniengeleiaite' Theffe gespalten sich aeigt •*>
Ditffs beweist sehr bestimait, dafs die Bereicherung der
-Parabel mk den beeeiebneten Zügen ' nicht von demselben
•Urheber herrührt, wie ihre erste Schöpfung; sondern
durah einen andern saefs sie In der UeberJiefernng auf
jjteee Welse erweitert werden sein. Diefs kann nicht in
«1er Art vor sich gegangen sein, dafs durch attmthlige
.weitere Ausmalung, wie dtefs In- dar Art der Sage Ist,
Jene Zage sieh thr angebildet bitten ; denn aae den Kneeb»
1en und Talenten wollen sieh auf keine Weise rebeHtMhe
-Birger beraasspinnen lassen, sondern dies«' sind vdn au-
fsen au den Uebrigen htnaugeftgt, ssüssen eise neben
diesem alsTbeÜ eines besonder a1 Gänsen vorhanden gewesen
seirtk Das heilst nun nichts Anderes, als: "wir haben liier
'die Erscheinung , dafs swel ursprünglich getrennte Para-
beln , die eine von Knechten und Talenten , die andre von
rebelHsehen Bürgern handelrid, des gemeinsamen Zugs voo
der Abreise und Wiederkunft eines Herrn «wegen eutam-
igeftoesen sind *•). Die Probe unserer Behauptung ist,
23) Diess gegen Neajidi*1« Einwurf, 8. 191. Antau
24) Wie Paulus, cxeget. Handb., 3, a, S. 76, die Parabel in der
zusammengesetzteren Form bei Lukas als die besser nicht al-
lein autgemalte , sondern anch abgerundete bezeichnen kann,
weiss ich mir nicht tu erklären.
25) Vgl. db Wsrrs, 1, 1, S. 208 f.
43*
UC SL.
676 Zweiter Abschnitt.
welui sich Ate beiden Parabeln leicht wieder anacffnnneW
nehmen leiten, ond diefi gelingt auf« Willkemmenate, ia-
dem neu durch Herausnahme der Verse W. 14. .15 m. 27.
mit geringer Modifieetien die Parabel von den rebeüiaebei
Birgern , freilich in etwas rerkireter Gestalt, doch reis
herausbekommt , von welcher man alsdann sieht, dafa »
mit der von den rebellischen Wetngirtnern einerlei Ten-
denz hatte *).
Ein Ähnliche« Verhiltnifr findet nwjeelien der Fans
statt > in welcher das GJekfeoif* vom Gastmahl bei Lehm
<H, 16 ff.) alid bei Matthins, GM* 2ff) erscheint; anr dafc
hier Lukas,. wie dort Mattbfiue, das Verdienst bat, ettn ein-
fache ond ursprünglich* form Beibehalten nu halse
Während nimUch auf beiden Setten die Üge; GertmaU,
Einladung, Zuriekweisnng denselben, and daher Aerefang
Anderer» die Binerleiheit beider Parabeln verbirge*: Ist
dann anderareeU» der Gestöber, bei Lukas arfrQomos ca&
roa Maitha*na snm ßaadevs genw©nt> werben die Boebnejt
aeinea 9obna vetfenlaCit, ein Featmajhi so gaben ; die Gele»
denen* welche aich . bei JLnhes gegen die nur EinemeJ ge-
aendeten Boten durch» verschiedene Grinde nnfnc hnliUgnii,
wollen nach Matthäus auf die erste Ladung nicht kern»
men, bei der aweiten, dringenderen * gehen- die einem na
ihren Gesehfiften, die andern mUshandeln und tidten de
Knechte des Königs, welcher sofort Heere ausaebiekt, an
jene Mörder aq verderben qnd ihre Stadt einnmieebaan
Hieron ist bei Lukas nichts *u finden ; nach ihm lltet der
16) V. 12 : "Av&ponoe rtf riyfrtjt btopu&r} §U Z***" *"**&* *aßi*r *m-
rp ßaodtiay, wi vno^p&t. 44. d <te k«Utoi aurS ijfanr ouzvr, m
an^hUay ngtaftfCay onio<A avrS, Uyavtfs' « 9üo/itr tvtot flm
W q/Mi- i&- xai iytytro iv rf 47urr*ltoir avrop Xaßovt* rjr r
l*tav> neu. sin* pwyft??«« afc$ ti* $mb*s — (*» cmtr ovrotc * ) 2?
— r*s ix&^S /** «Wv»*, r«f w aslytayrut ftt ßmsdevoat In* a»r*-
eyayfTf <Me xtti uaraotpatctTi l/unfQOx'htr p*.
Sechstes Kapitel. $.77. 677
Her* einfach nur statt der auerst Geladenen die Nächsten
besten Ton der Strafse cum Mahle Kienen; ein Zug, den
auch Matthäus aof den zuvor erwähnten folgen lalsfc
Wfihread hierauf Lukas durch die Versicherung des Herrn,
dafs keiner dar auerst Geladenen an seinem Mahle Aatheil
bekommen solle , die Parabel abschlieurt: hat Matthäus
noch den wetteren Zag, nachdem das Hans voll geworden
m*r9 hake der König die Gaste gemustert, und einen ohne
Doehaettliehes Kleid gefunden, welchen er sofort elg 10
0x610g %6 i^drve(j0^ habe abführen lassen.
Bier wfll gleich Anfangs der Zog bei Matthias, dale
die ßeiadenen die Boten des Königs mifsbandelt und ge*
tödtet haben, nieht rocht passen, und wie ein Herausfal-
len aus dem gewählten Bilde erscheinen« Mifsaohtung et-
iler Einladung ntfmlioh wird hialflngiicb durch Aussohla1*
gen derselben unter nichtigen Vorwtf nden , wie sie Lukas
itamhaft macht, an den Tag gelegt; Mifshandlang oder
gar Tödtong der Ladenden ist ein übertreibender Zug,
von welchem sieh nieht ebenso leicht einsehe» Iftmt, wie
Jesus, ah wie der Referent im ersten Evangelium su dem-
aelben kommen mochte. Dieser hatte nümlich unmittelbar
ibq vor .die Parabel von den rebellischen WeingXrtnern mit*
getheilt, sind von daher schwebte ihm noch die Art vor,
%vie diese den von ihrem Herrn ihnen Eugescbickten Boten
begegnet waren, indem sie Xaßovrtg rag dalag ccvtö w fii»
fttteikrv*, w di dnixreivov, w di 6Xi&oßöl7ficnr , und -die Je
trug er auch in die gegenwärtige Parabel ober in des»
Worten: xQat?}oaneg rag dalag etwa vßquiav xcA anixsH*
vav, übersah aber, dafs, was dort, als Verfahren gegem
Diener, die mit Forderungen und auf Eiecntioa kamen,
wohl motivirt war , hier völlig unmotlvirt er sohlen« Dala,
hierauf der König, nicht aofrieden, sie von seinem Mahle'
ansBuschliefsen, die Mörder durch seine Heere tödten und
ihre Stadt anaunden läfst, folgt awar aus dem vonuige*
gsngenen Zuge noth wendig, scheint aber, wie dieser, *n*
4T78 Zweiter Abschnitt. t
einer Parabel genommen su «ein, welche das Yerbükirifi l
«wischen dem Herrn und den Andern nicht in der müde-
ren Form einer «««geschlagenen Einladung, sondern ii
der Lftrteren einer Empörung iafste, wie d«s GLeiehain
ran den Weingirtaern und d«s von den rebellischen Bür»
gern 9 welches wir oben ans den von den Minen «mag»
schieden heben« An dem leisten Zug* unserer Parabel bei
Matthias , dem von dem bochseirUchen Kleide, Ifi&st sink
«war die der Form angehdrige Schwierigkeit: wie dss
von der Strafte Hereingerufenen die Anlegung eines Feier»
bleides sngemuthet werden mochte I — diese Schwierigkeit
lftfist sich ohne die sowohl dem Texte fremde, als gesehiehtiirk
Ibr jene Zeit unerweisliche Annahme, dafs nach der Sitt«
morgenläudischer Herrscher der König den Geladenen je-
dem einen Kaftan habe «usthollen l«ssen, dessen Nichtge-
brauch somit auch dem Aermsten snm Vorwurf gemacht
werden konnte , «Jorch die Bemerknng beseitigen , dafs ja
Lukas nicht reu Bettlern und Krüppeln , denen freilich
der Beck* eigener Festkleider nicht susumuthen war, son-
dern von nainjQdig ml ayec&diQ redet , Von welchen , sofern
sie nicht ausdrücklich als Arme beseichnet sind) erwartet
werden konnte, daCs sie, ehe sie der Einladung folgten,
ihre besten Kleider« anlegen würden17). Doch wenn unsk
nicht dem Bude, so scheint doch der Idee dieser Parabel
der fragliche Zusats fremd su seil» Denn bis dahin he»
wegte sich dieselbe in dem nationalen Gegensatse der wi-
derspenstigen Juden und der heilsbegierigen Heiden : tum
müfste sie auf Einmal nn dem moralischen von Würdiges
und Unwürdigen Überhaupt übergehen. Dafs, nachdem'
die Juden die Ladung zum Gottesreiche verschmiht betten,
dicflelden in dasselbe berufen werden sollten, ist eine Ider
für sich, mit welcher sich daher die Parabel bei Lukas,
Wie billig, sehliefst; dafs, wer sich der Berufung nickt
47) Vergt, oi Wtrrs z, d. St.
Sechstes Kapitel» $ 78. 679
«Jitrch entsprechende Gesinnung würdig Beige, aus de«
Kelche wieder ausgeschlossen werde, ist eine andere Idee,
welche eine abgesonderte Behandlung in einer andern Pa-
rabel su verlangen scheint. Auch hier kann daher rcr-
snuthet werden, dafs der Schlafs dieser Gleiehntfsrede bei
Matthias Fragment einer andern Parabel sei, welche, weil
beide von einem Gastmahl handelten , leicht in der Sage
anler in der Erinnerung eines Einzelnen mit dem Gleich-
siifs, das in seiner Reinheit durah Lukas aufbewahrt wor-
den ist, susammenfliefsen mochte28). Diese andre Parabel
anfl&te einfach dahin gelautet haben, dafs ein König ver-
schiedene Gäste su einem HochseiUnahie geladen habe un-
ter dar stillschweigenden Vorauasetsung eines wfirdigen
Ansage , und dafs er sofort ein Individuum , bei welchem
mr diesen nicht fand, seiner verdienten Strafe fibergeben
liabe. So hfttten wir liier die Erscheinung einer vielleicht
noch sosaaunengeseUteren Parabel als oben : einer Para-
bel, bei welcher i) das Gleiebnifs von den undankbaren
Geladenen (Xuc. 14.) die Grundlage bildet } doch so, dafs
*) ein Faden ans dem Gleicbriifs von den rebelBschen
Weingf rtnern oder Bürgern darein verwoben ; der Schluft
aber wahrscheinlich 3) aus einem sonst nicht bekannten
Gleichnifs vom unbochseitlicben Gewände darangenftht ist;
eine Erscheinung, welche uns einen folgenreichen Blick in
die Art und Weise gestattet,, wie die evangelische Tradi-
tion uüt ihrem 8teff su verfahren pflegte.
J. 78.
Vermischte Lehr- und Streitreden Jesu.
Da die Reden Matth, 15, 1 30. schon oben erwogen
sind, so ist su 18, 1 tL Marc. 9, 93 ff. Lue. 9, 46 ff.
*
28) Aus dem Zusatzblatt su ScmiBCKnfBimasn's Beiträgen ersehe
ich, dass auch ein Recensent im theo*. Literaturblatt, 1831 >
No. 88. hier eine Verschmelzung zweier ursprünglich ver-
schiedenen Parabeln vermitthet bat«
i
680 Zweiter Abschnitt.
Aberzogenen, wo sich an die durch einen Rangstreit der
Jünger veranlafste Aufstellung eines Kindes- verschiedene
Reden knflpfen. Vollkommen angemessen schliefst sieh bei
Matthftns an die Aufstellung des Kindes zunffchst die Er-
mahnung, wieder Kinder zu werden und sich wie dteft
Kind zu erniedrigen (V. 3. 4.); wogegen, wie hiemft der
folgende Ausspruch Jesu, wer ein solches Kind in sei
Namen aufnehme, der nehme ihn selbst auf, eiisem
h&nge, schon. nicht ebenso klar ist. Denn aufgestellt war
das Kind, um den Jüngern anschaulich eu machen, was
sie ihm nachthun, nicht, was sie ihm thun Sollten, und
wie Jesus diese Absicht auf Einmal aus den Augen
Heren konnte, macht bereits Schwierigkeit Doch
greller als bei Matthäus tritt das Unzusammenhängend
dieses Ausspruchs bei Markus und Lukas darin hervor,
dafs sie nach der Aufstellung des Rindes unmittelbar da*
og idv di^zai x. z. A. folgen lassen, so dafs also Jesus
schon wlhrend des Aufsteilens vergessen haben mftfste,
wefswegen er das Kind aufstellte, nämlich, um es seinen
ehrgeizigen Jüngern als nachahmungswflrdig, nicht aber
um es als aufnahmsbedflrftig darzustellen '). Von seinen
Schülern pflegte Jesus zu sagen, wer sie aufnehme, nehme
ihn selbst f und in ihm denjenigen auf, der ihn gesaadt
habe (Matth. 10, 40 ff. Luc, 10, 16. Job. 13, 20.): ▼<»
den Kindern sagte er sonst nur, wer das Himmelreich
nicht als ein Kind aufnehme, der werde nicht hineinkea-
men (Marc i0, 15. Luc. 18, 17.)- Dieser Aasspraefc
wfirde auch hier trefflich sich eignen, und man möchte
fast die Vermuthung wagen, dafs hier das ursprfingltdi
hiehergehörige : og iav ^ difyzai rrp> ßavdeiav nw aoc
vtiv ws naidtw, mit dem Ähnlich lautenden: oV iav <?&rr<a
naidlov toiwov ev int 1$ oYo/«m ^a, verwechselt wordea
sein möge.
i) Vgl ob Wbtte, 1, 1,8. 152.
Sechste* Kapitel. §.78.
681
WJe -in unitrittelbarsfeer Beziehung aof das culetvt
angefftbrte Wort Jesu fügen hierauf Markus (9, 88 f.) und
Lukas (9, 49 f.) durch ein arwxQiS^ig die Nachricht ein,
*relohe Johannes Jesu gegeben haben seil, dafs sie reinem
Menschen, der in Jesu Namen Dämonen austrieb, ohne
efch doeh an sie aneuscfalief sen , diefs niedergelegt haben.
ScRLBiBftMACHUt ffcfst den Zusammenhang so: weil Jesos
eben die Aufnahme' der Kinder Sni rq> oropatl fis (t. '/,)
empfohlen hatte, so habe ihm Johannes das Gestlhdnifs
gethan, • sie bitten bisher das, dafs einer etwas gerade &rü
n$ ovofical os (z. /.) thne, so wenig für die Hauptsache
gehalten, dafs sie ekiem, der sieh sieht an sie angeschloa»
sen, da« Handeln anf seinen Namen gewehrt haben *)•
Allein dafs Jobannes ans dem in • der Rede Jesu dem
Sinne naeh nicht 'her vortretenden, und durch die An-
schauung des in die Mitte gestellten -Kindes Hoeh beson-
ders in den* Hintergrand gestellten Beisatz? inl vqi ovo^
ficttl fcs, fm Augenbllek den allgemeinen Gedanken sollte
berausgesegen haben: also ist das „im Namen Jesu" bei
allem Thun die Hauptsache , und ebenso eehnell aof den
gans entfernt liegenden Fall reflectirt: mit dieser Regel
steht unser Verfahren gegen jenen Exorcisten im Wider-
spruch, das setet ScHLKiERMAOHBR'sehe Denkfertigkeit vor*
«us, nicht eine Schwäche, wie sie den J fingern damals
noch eigen war. Dennoch hat Schleiermaghbr unfehlbar
das Rechte getroffen , wenn er in dem Ausdruck ivd %q>
dvötuart (.tu das Band «wischen der vorhergehenden Rede
Jesu nnd dieser otioxqkjiq des Johannes erkannt hat; nur
dafs dieses Band kein inneres nnd ursprüngliches ist^
sondern ein tofseres and seeundires. Denn wenn es
«war för die eubörenden Jünger yiel «u ferne lag, bei
jenem Worte Jesu sich durch innere Gedankenvermittlong
sogleich jenes Falls ans ihrer Praxis au erinnern: so lag
2) Ueher den Lukas, S. 153 f.
r
.LT
--
684 Zweiter Abschnitt.
•
entweder an die jüdische Synagoge zu denken , wmftkr die
Analogie dieser Anweisungen mit jüdischen Vorschriftse
so sprechen -scheinen könnte; oder, wenn naeh Wortbe-
deutung and Zusammenhang ixxhjola *en der christliche»
Gemeinde verstanden werden mofs* welehe damals noek
lange nicht bestand : so findet hier wenigstens im Aoedmck
eine Vorwegnahme späterer Verhältnisse statt 7). Dar
J&efcrent freilich dachte gewils an die jau gründende
Gemeinde , wenn er sofort die Rede folgen laut , in
eher Jesus die schon früher dem Petrus gegebene Voll
macht, au binden und an lösen) also eine neue imiasiani
sehe Religtoasverfassuag au begründen, sammtÜehen Jün-
gern ertheilt ; womit sodann dl» Aussprüche von der Kr>
htfrung des eininüthigen Gebets und von der Gegenwart
Jesu bei swei oder drei in seinem Namen Versammeltem
zusammenhängen 9).
Die nächste Rede, die uns begegnet, Matth. 19,1— U
-Marel 10, Ä>12., ist, ob «war nach den Evangelisten aaf
der letalen Festreise Jesu vorgefallen, doch gleichartig
mit jenen Disputationen, welche sie sonst grdTstentheüs in
den letalen Aufenthalt Jesu in Jerusalem stellen. Phari*
sffer legen ihm .die in den jüdischen Schulen damaliger
£cR vielbesprochene °) Frage vor , ob man das Eheweib
nm jeder beliebigen Ursache willen entlassen könne?
Wenn man hiebe! , um Jesum nicht in Widersprach mit
der modernen Praxis kommen au lassen, darauf dringt,
dafc er nur diejenige Art der Ehetrennung, von welcher
man damals allein wußte, nämlich das willkürliehe Weg*
schicken der Frau, nicht aber die gerichtliche Seheidmm>
7).a. ne Warn, exeg. Handb., 1,1, 8: 155.
8> Auch hiezu Analoges aus jüdischen Schriften bei
LiaaivooT, Schott««* z. d. St.
9) Bemidbar R, ad. Num. 5, 30. bei Warmia p* W3
J
Sechstes Kapitel §. 78. 685
wi« nie Jets* ekigefährt W, mifsbilligt nabe "): s* Ist da-
. jmlt doch ««gestanden, daü» Jesus, soweit er tön» Ebetran-
anmngen wnfste, sie allgemein yeftverfen hat; Wobei als*
ndoh die Frage ist , ob ihn die neuere Art, die Ehe auf
•»Ideen, wenn er davon Kunde bfttte bekommen können,
bewogen haben würde, jene allgemeine Verwerfung einatf-
sehrfnken? — Auch bei dem folgenden, durch eine Fragn
.dar Jünger veranlagten Ausspräche"), von welchem Je>
ßmm selbst' sagt , nicht AUe begreifen Um, sondern nur eis:
dtöbrcu, dafs nftmlieb die Ehelosigkeit auch nm des Reicht
Oätsu wlUen übernommen werden könne (V. 11 £), bat
-snnn, ötn Jesnm «lebt* den den Jettfgeo Verstellungen Zu-
widerlaufendes sagen tu lassen, siel) beeilt, den Gedanken
fAnsnfragen , nnr mit Rleksicht aof die bewtestehendeil
JMtupjttode , oder damit sie In ihrer apostolischen Thfi-
tigkeit nicht ^gehindert worden, babe Jern^s den Jägern,
*ofpmj sie es vermöchten, die Ehelosigkdt angejrt)bmt **);
«l|e|n im Zusammenbange liegt davon noeh vreniger eine
^deutnng, als in <)er verwandten Stelle, 1. Kor. 7, 15 ff, «),
sondern es ist auch hier wieder etiler der Ortet, wo.asce-
tisehe Grundsätze, wie ,«ie damals namentlich unter den
Jissenern") herrachten, auch bei Jesu, nach der* Darstel-
lung der .synoptischen Evangelien, durchscheinen.
4 •
• 10) s. B. Paulus, L. J., ij b, Sv 46l ./
11) Mögliche Zweifel an der richtige* Stellung dieser Rtde Jesa
, *. bei Ns*m>bb,.L. J. Chr., S. 525. Anm.
. lg) Paulus ebenda*. S. 50. and exeg. Handh.) 2, S. 599.
13) In , dieser Stelle wird zwar die Ehelosigkeit zuerst nur Sri
rip> iregwaay ayayxqv empfohlen; dabei aber bleibt der Apostel
nicht steheri, iondern führt V. 3S ff. in dem: £ ayafio* jnpjurü
ra tU KvqCh — ' o Sf yaptjaas ra r» *oö/** , einen Grund* für die
Ehelosigkeit an, der unter allen Umständen gültig seiAmüsate,
und in den asketischen Hintergrund der Ansichten, des Paulus
blicken lässt. Vgl. Mack, Co mm. ü. d. Pastoralbriefe, S. 509.
14) s. Gvaöaia, Philo, 2, S. 310 f.
686 Zweiter Abschnitt.
Die Streitreden, Welche nach dem fctneag Jera u
Jerusalem Mattbios fast durchaus In- Uebereinstimmuug
mit den beiden andern Synoptikern folgen lifst (21, 23-
27. M, lS-tf.)*), «Ind gewif* rorsQgiicb Ächte Stücke,
weil eie so ganz im fielst and Ten damaliger rabbinieeher
Dialektik gehalten »Ind. Unter ihnen sind die dritte «ad
fünfte dadurch besonders merkwürdig, dato sie Jeemm mk
Sehrtfterkiirei" neigen« In Beeng auf den enteren Kall,
wo Jeans den SaddacJtern ans der mosaischen Benennung
Ootte* als #eo? 'Aßfmtitfi xeri "lüadx xtd 'icoetoß, Ja doch Gott
nicht &o£ vexQuhy sondern £covt<op sei, s« beweisen aaehf,
nfr* iyei$omxi vexqd CMattb. *2, * l 3& pawhVfc gibt Pon-
tes nwar au, ' daft Jesus hier- subtil argutaentirn, dosfc
liege in seiner Prffmisse wirklieh das , was er d*moa ab-
leite. Allein in dem aar Formel gewordenen ÜgTXM'yfm
«. s» w. Ist nichts enthalten, als daß Jebovn, Wie er der
Schdtegdtt dieser Mffhner gewesen sei , so fort nntf fort
auch ftir Ihre IVachkbmtrien es sein werde: an fein aseh
nach ihrem Tode fortdauerndes individuelle* Verbffknifs
Jehöra's an jenen Bf finnern wird sonst Im PenUtencb nicht
gedacht, nnd in unsere Worte konnte es nur durah rabtt-
nfcfhe Hermeneutik an einer Zeh hineingelegt werden, in
welcher man die ihdefs aufgegangene Idee der Unsterb-
lichkeit nm jeden Preis auch schon in dem Gesetze finden
wollte, wo sie doch nicht anzutreffen ist; wie denn die
Besiehung Gottes auf Abraham, Isaak nnd Jakob aeeh
sonst in rabbinischen Argumentationen, die schwerlich alle
dieser Beweisführung Jesn nachgebildet sind, aum Beleg
der Unsterblichkeit gebraucht sich findet16). Sieht man
sich auch noch in den neuesten Commentaren um , so fin-
det-man nirgends ein unumwundenes Gesttfndnifs, wie es
15) Eine bündige Erläuterung derselben gibt Ha», L.J., §.129.
16) s. Öemara Hieros. Berac. f* 5j 4. bei LicuTrooT, S. 423, und
R. Manassc Ben Isr. bei ScuÖfTes», i, S. ISO.
<
I
Sechstes Kapitel. $. 78. 687
mit • dieser ' Argumentation f mk steht Olshaiwin weif*
Wunder von der tiefen- Wahrheit dieser BeweisMitorig
mm sagen, aus welcher er nebenher noch 1) die Authfentie,
2) die Göttlichkeit des Pentalenehs auf dem kdrsesten
Wege ableiten so können glaubt; Paulus liest den Herr
sles Beweiset swisehen den Zeilen des Textes; Fritzscbr
schweigt. Wozu diese Wkikelstfge? Wunrm den Rahm,
In dieser Baehe klar gesehen und offen geredet so haben,
den* WolienMtttler Pragtneiitistftn 4berlettfen w) ? Zn wei-
chen Gespenstern nnd Doppelgängern tuscht ' man einen
Masses , einen Jesus, wenn sie unter ihren Zeitgenessen
hemmgewandelt haben soffen,' ohn6 anf lebendige Weise
*ft deren Einsichten nnd Sehwichen, wie mit ihren Fren-
zen nnd Leiden, susammensuhfingen , sondern losgetrennt
Ton Ihrer Zeh nnd iterem Volke sollen sie nnr lufserlich
und aus Anbequemung sich diesen gleichgestellt, innerlich
aber nnd ihrem Wesen nach in den vordersten Reihen der
Neuesten Zeit nnd ihrer Erkenntnisse gestanden haben.
Würdiger gewifc, ja allein fthig der Theitntfhme nnd Ver
•hrung sind diese Minner dann, wenn sie anf fichtmenscli-
liehe Weise klmpfend mit den Schranken nnd Vorurthet»
len Ihrer Zeit diesen in hundert Nebendingen unterlegen
sind, nur nicht in Beeng anf den Einen Punkt, In wei-
chem Jeder von. ihnen die Weltgeschichte vorwärts su
bringen berufen war.
Haft nnn aber vollends ton der Streitfrage über den
Messias, -welche Jesus den Pharisäern vorlegt: wiefern
derselbe Davids Herr und sogleich dessen Sohn sein kön-
net (V. 41- 40.) Paulus su behaupten im Stande ist, sie
a*i ein Master textgemifser Schriftauslegung *•) , erregt
kein gutes Vorurtheil für die Textgem&Tsheit seiner eige-
nen. Nach ihm will Jesus, wenn er fragt, wie doch Da*
|7) t. dessen 4tes Fragment, in Lissiire's 4tein Beitrag, S. 454 ff.
18) L. J., I, b, S. 115 ff.
■-*.
-Jl
038 Zweite* Abschnitt.
vid iov tHtten Psalm de« B&eaeias, welcher 4«mt der;*Uge.
me;ia*n^ Vorstellung vielmehr s 'fr &» ha wer, «einen Harn
nennen könne? die. Pihe4tbi^<>da*auf aufmerksam waob^,
daf« «tien in diätem PMa*t'W«jd£r Dl* vid noch vom Mt*
eiarrede, sondern *feo anderer Dichter rede von Oivii
als seinem Herrn) so dal*, dieser kriegerisch lautende Pak
gar Mein meseianischer sei. Waran 4*11 to, fragt Paulo,
Jesus, diesen Sinn des Psalms nicUt gefunden il&beD) 4
er an qjch waV ist $ Allein des ist eben ,dsj» af^lkaf ^w-
des dieser gangen Art r von gaegese, £u ,**einen, w«
«ob , ?d*r näiw f ttr *MW > wahr ist, daa mfiase bis arf
daa BinaeUjte Wnaus aucfr spAmfür Jesum nad.dieip
Atel daa. Wabse «gewesen sein., Wie kann, dertdieJÜtei*
frischen 'Erklarer 4*n, Psalm ^(seDtheüe vom Dtooa
verstanden 19); da dfo Apostel, *hp, al* ,VVleLrta^ung aal
Christum gefaranchen (A. G, 2, 34 t *,•, Kor- .19/ 25.); «
Jesus selbst naeb Matthäus- .unfi. Rfarinf durch den Za-
aata: iv^JW&ppKi sa Jaßlö $pl& > ifiktov JCi ^ft» effaikii
seine Beistimmiing su der Meinung, dafs hier DatM,«*'
«war yom Messias spreche, ,af|sd#uckt£ wtetftaffß nuada
annehmlieh finden , dal* ^esup der ftnigegeogeaetsies Ma-
nung gewesen sei? Bleibt, '-es vielmehr, debe}, WJtf ,B^
Olshausen gut Ausführt | da% Jesus den Psaln* 4* m?M*
nischen voraussetzte.; aber eben so sehr, worin dann 2&
lüs Recht behält, dafs er ursprünglich nicht auf den Mer
sias, sondern auf einen jüdischen Regenten, sßi, dieses, vm
David oder ein» anderer, ging: so sehen wir hier haXf*
de Jesu ein Muster nicht textgemäfser, wohl aber seitp
mäfser Schriftauslegung, was wir uns denn nacfc d»
oben Bemerkten nur gar nicht wollen wandern 1**M»
0er Sphlüssel «u dem R&tjiseJ, welches Jesus; den Phs*
aäern.bier aufgab» ^g ftyr ityi,ehtte ZWretfctl.ui.der Leb
19) s. Wbtstbis, z. d. St.; Hjbwtbkbirg, CfytistoL, l,a, S. f40^
auch Paulus selbst, exeg. Handb., 3, a, S. \283i. .
Sechstes Kapitel. $• 78. *S9
von der höheren Natur des Messias: sei ee in der Art,
dal* der naeh dieser Seite Davids Herr an Nennende naeh
der Seite seiner menschlichen Natur sogleich sein Sohn
heißen ktinne; oder dafa Jesus die Vorstellung vom Mes-
sias als Sohne Davids, und damit die politische Messias-
t Idee tfberhanpt , als eine, irrige beseitigen wollte so> Der
[ Erfolg, and vielleicht nach die Absicht Jesu den Pbari-
i eiern gegenüber, wer aber nur, ihnen cd neigen, daüs
i naeh er, was sie früher gegen ihn versnobt hatten, im
Stande sei: sie durch verfängliche Fragen in die Enge sa
treiben, and «wer mit besserem Erfolg als er» Defswe-
i gen stellen die Evangelisten dieses Stück an den Schlafs
i der von ihnen mitgetheilten Disputationen, and Matthins
i setat die Schlußformel : &d£ itÜLfape zig an ixeivqg zrjg
t yfi&Q<*G ineQanijaai ccvzov sxhtf gewid passender hieher,
j bIm Lakas naeh der Zurechtweisung der Sadducfier (20, 40.),
oder Markos nach der Verhandlung Aber das größte Ge-
t bot (12, 34.).
I Znniehst vor dieser von Jesu den Pharisiern gestell-
, ten Aufgabe nämlich ereihlen die beiden ersten Evangeli-
t aten eine Verhandlung Jesu mit einem vo/nucog oder YQccfi-
, funevg Aber das vornehmste Gebot (Matth» 22, 34 ff. Marc
I 12, 28 ff.) , welche Matthins en die Disputation mit den
| Sadduciern so anknüpft, als bitten die Pharisäer durch
, ihre Frage nach dem höchsten Gebote die Niederlage der
( Sadducier riehen wollen. So befreundet aber waren diese
, beiden Secten bekanntlieh nicht, sondern umgekehrt war
nach A* G. 23, 7. die eine geneigt, sich anf die Seite ei-
nes sonst Angefeindeten su schlagen, wenn sich dieser
nur als Gegner der andern bu stellen wufste* Hier wird
also Schkickskbubqbk's st) Beobachtung gelten müssen, dafs
Matthias nicht selten (3, 7. 16, 1.) die Pharisäer and Sad-
20) Vgl. di Wem c. d. St.
21) Ueber den Ursprung u. s. f., S. 45. 47.
Das Leben Jesu 3t* Aufl. L Band. 44
■i>
/■*-■.-'
* I
696 Zweiler Abschnitt.
dueffer in einer Weite nebeneinanderstelle, w!o sie kei-
neswegs in der sie feindlieb trennenden Wirklichkeit, son-
dern nur in der traditionellen Erinnerung, in welcher der
eine Gegensat« den andern hervorrief, gestanden haben
können. Leidlicher welfs in dieser Hinsicht Markos die-
ses Gesprfich an das vorige ansnsebliefsen ; indefr scheint
oben das ein Irrtbnm der Synoptiker an sein, dafs sie
meinen, diese, der Aehnliebkeit wegen in der Ueberliefi>
mng ansammengrnppirten Verbandinngen messen auch der
Zeit nach anf einander so gefolgt sein, dafs eine Rede die
andre gab. Dem Lukas fehlt die Frage nach dem höch-
sten Gebot im Znsammenhang dieser Streitreden ; eine Un-
liebe Ereählnng aber hat er schon früher in dem Reise-
bericht, 10, 25 £, gehabt. Hier ist nnn die gewöhnliche
Ansicht, dafs die beiden ersten Evangelisten Eine und die»
selbe Begebenheit wiedergeben, der Dritte aber eine ver-
schiedene 22). Wirklich unterscheidet sich die Era&hinng
des Lukas ton der der beiden andern in mehreren nicht
unwesentlichen Punkten. Zuerst in Betreff der Zeitord-
nung anf die bereits erwtthnte Weise, und diefs hat wohl
am meisten für die Auseinanderhaltung gewirkt; hien&ehst
in der Frage, welche bei Lukas nach einer Lebenangel
aum Behuf der Ererbung der ^uyrj attiviosy hei den andern
nach dem höchsten Gebote lautet ; dann in dem Subjeete*
welches die höchsten Gebote- ausspricht, was bei den swei
ersten Synoptikern Jesus, bei dem dritten der Schrifkge»
lehrte ist ; endlich auch in dem Ausgang der Sache, indem
bei Lukas der vopixog eine «weite, rechthaberische Frage
thut, an welche sich das Gleichnifs vom barmheraigen Sa-
mariter schliefst, während er bei den beiden andern ohne
weitere Frage befriedigt oder abgefertigt sich gibt. Indefr
auch ewisohen der Erzählung des Matthäus und der des
Markus seigen sich erhebliche Verschiedenheiten* Dia
22) so Paulus und Outuussit s. d. St.
Sechstes Kapitel. $• 78. N
«91
hauptsächlichste betrifft den Charakter des Fragenden, der
bei Matthäus als tziiqo^wv, bei Markos in gutmft thiger Ab-
sieht kommt, weil er wnfste, da£» Jesus den Sadducäern
xaltSs d7cex(Hdy. Paulus swar, uneracbtet er anderswo
(Luc. 10, 25.) den ix7ULQa£ow selbst als einen eigensüchti-
gen Probemaeher nimmt, erklärt doch, hier bei Matthäus
könne atLQu^w nur im guten Sinne gemeint sein. Allein
ein Grund hiesu liegt im Matthäus nicht, sondern nur im
Markos und in der unberechtigten Voranssetcung , daCs
beide Referenten in Bezug auf den Charakter und die
Absieht des fragenden Gesetslebrers nicht verschiedener
Meinung gewesen sein können. Mit Recht hat hiegegen
Fritzscbb darauf aufmerksam gemacht, wie hier einer
Vereinigung des Matthäus mit dem Markus theils die Be-
deutung des 7teiQa£un>9 theils der Zusammenbang entgegen-
stehe, welcher nicht gestatte, eine Reihe böswilliger Fra-
gen der Gegner Jesu ohne besondere Aussige durch eine
gutgemeinte unterbrochen su denken« Mit dieser Haupt-
diffiereoft hängt die andere zusammen , dafs , während bei
Matthäus der Schriftgelehrte, nachdem ihm Jesus die bei-
den Gebote genannt hat, wahrscheinlich beschämt, schweigt,
was auch kein Zeichen einer freundlichen Stellung zu Jesu
Ist, er bei Markus nicht nur durch ein: xakHg, diddaxale,
in alr/dtlag tinas, Jesu Beifall gibt, sondern auch das
von diesem Gesagte weiter ausfährt, wofür er von Jesu,'
oii vövexwg otuxqi^ip ml* einer bezeichnet wird, der nicht
ferne vom Reiche Gottes sei. Auch das kann noch ange-
führt werden, dafs, während bei Matthäus Jesus nur von
dem Gebot der Liebe spricht, er bei Markus von dem
ox«« "[(jQarjk) KvQiog 6 &eog ijfiwv KvQiog eig igt, ausholt«
Wenn man also um der Differenzen zwischen der Erzäh-
lung des Lukas und der der beiden andern willen diese
unterscheiden zu müssen glanbt : so mufs man nicht gerin-
gerer Unterschiede wegen auch den Markus von Matthäus
trennen, und so dreierlei Begebenheiten als cum Grunde
44*
s
092 Zweiter Abschnitt.
liegend denken. Aber drei Im Wesentlichen so
Vorfalle anaunehmen , fällt so schwer , dafs man sieh i»
mer wieder en Reductionsversuchen veranlafst findet
wird. Und hier scheinen sieh nun awar vor Allem tot
beiden Ersäblungen des Matthias und Markus aar Idesfr
ficirung daranbieten; indessen fehlt es auch weder awisebei
Matthäus und Lnkas an Berührungspunkten, da in beide»
der vofitxog als 7tsiQ<x£a)v auftritt, und durch Jesu Antwort
niebt eu dessen Gunsten gestimmt wird ; noch auch wi-
schen Lukas und Markus, indem beide der Nennung dir
höchsten Gebote noch eine weitere erläuternde Verhut
lung folgen, und in das Gesprich Jesu mit dem SehriAgr
lehrten Beifallsformeln, wie: OQdvjg anexQt&rß, xdLukm
aXiftsictQ elixag, einfliefsen lassen. So sehen wir, dtfi, nr
ewei ron diesen Ersählungen ausammensunehnen, an
halbe Mafsregel ist, und entweder alle drei ausefnaid*
gehalten werden müssen , oder, da* dieCs nicht angebt, aib
drei ausammengefafst; woraus wir abermals sehen, m wie
freien Variationen die urchrisdiebe Sage das gletehe Tfae-
ma — hier das , dafs Jesus aus dem mosaischen Gesetze
die beiden Gebote der Gottes- und Nächstenliebe ab die
vornehmsten herausgehoben habe, — su behandeln pflegte9).
Wir kommen nun an die grofse antipharisäisobeRes^
welche Matthäus Kap. 23. als HaopttrefFen auf die Ver-
spiele der Disputationen folgen läfst. , Auch Markos (H
38 ff.) und Lukas (20, 45 ff ) haben hier eine Rede Jeff
gegen die yQa/u/ucrreig , doch nur von wenigen Verse«.
Wohl mochte aber Jesus, wie auch die neueste Kritik i>
gesteht"), unter den damaligen Umständen renuM
sein, sich ausführlicher gegen jene Menschen aassolaiseij
und es müssen auch wohl solche scharfe Erörterungen der
Katastrophe vorausgegangen sein : so dafs man slto 4*
25) Vgl. dk Wim, exeg. Handb., I, 1, S. 186.
2*) Siarnar, Über den Ursprung des ersten Ev., S. Uli
\
Sechste« Kapitel. $. 78« 693
Darstellung des Matthäus hier wenigstens nicht nach den*,
was die beiden andern Synoptiker geben, abmessen darf85) ;
eumal die Von jenem mitgetheilte Rede in sich selbst wohl
Kusammenbängt. Freilich hat auch hier wieder Lukas
Manches von dem, was Matthäus nusammenstellt , an ver-
schiedene Orte nnd Anlässe vertheilt, and hieraus würde
folgen, dafs auch diefsmal Matthäus den nrspr anglichen
Lehrstoff mit verwandten Elementen aus andrer Zeit ver-
aebmolaen habe26): wenn es ausgemacht wäre, dafs die
Stellung jener Redestücke bei Lukas die richtige sei; was
sofort eu untersuchen ist. Lukas hat, was er aufser den
paar Versen , die er an gleicher Stelle wie Matthäus von
der antipharisäischen Rede Jesu beibringt, mit dieser ge-
mein hat, bei zwei pharisäischen Gastmahlen unterge-
bracht, an welchen er — eine nur bei ihm sich findende
Artigkeit - Jesum geladen werden iäfst (11, 37 ff. 14, 1 ff.),
und hier ist nnter den jetsigen Auslegern fast nur Eine
Stimme darüber, wie natürlich und treu uns Lukas die
ursprünglichen Veranlassungen dieser Reden aufbewahrt
habe 27> Nun nimmt sich wirklich bei dem zweiten der
angeführten Pharisäermahle das natürlich genug aus, wie
Jesus von dem dabei bemerkbaren Trachten der Geladenen
nach den obersten Plätsen Veranlassung nimmt, vor dem
Obenansitsen bei Gastmahlen schon aus Klugheitsrücksich-
ton su warnen ; was bei Matthäus und Markus, aber auch
hei Lukas selbst wieder, in jener letzten antipbarisäischen
Rede, ohne besondern Anlafs nnd kürzer, sich findet.
Anders dagegen verhält es sich mit den Reden, welche
Lukas bei dem früheren Phajrisäermahle geführt werden
25) Vgl. db Wim, 1, 1, S. 189.
26) So Schul«, über das Abendmahl, 8. 513 f. j Schnickikbv**«*,
über dca Ursprung, S. 35 . •
27) Sciilbibhmachbr, über den Lukas, S. 182. >96 f. j Ols mausen,
z. d. St , und die in der vorigen Anm. genannten.
_ 4..
694 Zweiter Abschnitt
ifffst. Hier spricht Jesus nicht nur gleich von vorne her»
ein von dfmayfj und 7tovr;oia9 womit die Pharisäer ihre
Schüsseln fallen, and beehrt sie mit dem Titel atffxm;]
Sondern er bricht sofort in ein öa* um das andere Hb«
sie und die Schriftgelehrten aas, and droht ihnen orft ei-
nem Strafgerichte für alies Blut, das sie and die ihn»
Gleichgesinnten von jeher vergossen haben. Ist nun gieiek
von einem jüdischen Lehrer keine attische Urbanität n
verlangen, so rnnfsten doch gerade auch nach morgenlis-
dischem Mafsstab gemessen solche Reden , Ober Tiseh ge-
gen den Wirth and die Mitgäste geführt, als die gröbste
Verletzung des Gastrechts erscheinen. - Diefs hat Schlkiu-
macher fein genng gefühlt; wefswegen er denn das Gast-
mahl selbst friedlich vorübergehen, and erst nach demsel-
ben, als Jesns sich schon wieder draufsen befand, sowohl
den Gastgeber mit seiner Verwanderang über die von Je*
sas and seinen Jüngern unterlassene Waschung heraus-
rücken, als auch Jesum hierauf so gewaltig antworten
lfffst "). Allein dal* auf diese Weise der Referent das
Gastmahl selbst and was dabei vorgegangen jpr nicht be-
schrieben, sondern nnr des Zusammenhangs wegen erwähnt
haben soll, Ist eine gewaltsame Annahme, and wenn aus
liest: elgeXd-ojv <W averteoev 6 di OaQiaalog Idiav i9av-
ftaoev, avi s TtQcütöv ißamtoxh] — • eine dk o Kvqioq aroos
ainovy so ist es rein unmöglich, irgendwo nwisehen dien
Sfitee den Verlauf der Mahlzeit einzuschieben ; sondern ei
mufs sich nach der Ansicht des Erzählers sowohl dm
id-avfiaaev an das dvirteoev, als das elnev an das e&at^fitso^
unmittelbar angeschlossen haben. Kann aber diefs, wem
Jesns nicht auf das Gröbste gegen alle Sitte verstofsea
haben soll , nicht wirklieh so der Fall gewesen sein : ss
hat es mit dem Rühmen der Stellung dieser Rede bei La- -
kas ein finde, und wir müssen nur noch sehen, wie er *i
28) a. a. 0. 8. ISO f.
i
Seohttef Kapitel. §. 76. IHM»
einer so falschen Stellang gekommen fein fcaniu Diefs
finden wir, wenn wir die Art vergleichen, wie die beiden
andern Synoptiker de« Anstofses Erwähnung thun, wel-
chen die Pharisäer an der Unterlassung der Waschung
vor Tische von Saiten Jesn and seiner Sehale nahmen;
woran sie übrigens andere Reden als Lukas knöpfen, wel-
che schon oben betrachtet worden sind. Bei Matthins
C 15, 1 ffi. ) kommen die y^a^fiaveig und OctQioaioi von Je-
rusalem und fragen Jesum, warum seine Jünger die Sitte
des Waschens vor Tische nio^t beobachten? was sie also,
wie man voraussetzen kann, durch das Gerücht erfahren
•haben mögen; bei Markus (7, lff.) sehen sie unmittelbar
*n (,ldovte$')9 wie einige von Jesu Jüngern mit ungewa-
schenen Händen essen, und stallen sie darüber aar Rede;
hei Lukas endlieb speist, wie wir gesehen haben,. Jesus
eelbst bei einem Pharisäer, und bei dieser Gelegenheit
steigt es sieh, dafs er die Waschung unterläßt, Dieb ist
ein offenbarer Klimax: Hörensagen — Zusehen — Mit-
speisen: and es fragt sieh nur, in welcher Richtung er
entstanden seinhnag, ob io der absteigenden von Lqkas
sc Matthäus, oder in der aufsteigenden von Matthäus au
Lukas? Von dem Standpunkte der neuesten Kritik des
ersten Evangeliums wird man nicht ermangeln, das Ersiere
eu behaupten : dafs nämlich die Kunde von der ursprüng-
lichen Soene, dem Mahle, sieh in der Ueberiieferung ver-
loren habe, und debwege* im ersten Evangelinm fehle.
Allein angesehen von dem Undenkbaren, dafs jene Reden
bei einem Mahle sollten geführt werden sein, so ist es
keineswegs die Weise der Sage, einen so anschaulichen
Zug, wie eine Mahlzeit ist, wenn sie ibn einmal hat,v wie-
der fallen an lassen, sondern eher, wenn sie ihn nicht hat,
ihn au erdichten« Wie überhaupt das Abstracto in der
Sage uum Conereten umgebildet: wird: so macht sie das
Mittelbare cum Unmittelbaren, das fando audire «um Se-
hen, den Zuschauer uum ThettneiMuer, und da sieh der
^-. :~<-»
096 Zweiter Abschnitt
Anstofs, welchen die Pharisäer an Jesu nahmen, unto
Anderm auch auf Tiaehgebräuohe bezog: ao war et itt
Sage nahe gelegt , jenen Ansteh an Ort und Stelle ents*
hen , nnd an diesem Behnfe pharisäische Einladungen n
Jesnm ergehen an lassen, von wieleben nnn aoeh bedesk«
lieh wird, dafs sie Lukas allein hat, nnd die beides s>
dern Synoptikern nichts von dergleichen wissen. Hiedueh
wird dann anch das andre der erwähnten Pharislenukk
verdächtig, nnd wir sehen hier wieder den Lukas in ssi-
ner beliebten Geschäftigkeit^ au fiberlieferten Reden Jen
passend scheinende Rahmen au verfertigen oder avtaek*
men; ein Verfahren, welohes von der historischen Wik
heit um ein gutes Stfiek weiter abliegt , als das Bestnki
des Matthäus, Reden ans veraehiedenen Zeiten, doch «tu
eigne Znthat, aasammeneustellen. Der bezeichnete Kliaa
f übrigens Ist dem sonstigen Verhältnifs der Synoptiker £•
mäfs nur so sn denken, dafs Markus, welcher in dieser
firsählung augenscheinlich den Matthäus vor sieh fcatte,
In dessen Darstellung das anschauliche idonsg hinefotrsg,
während Lukas, von beiden unabhängig, sogar ein iiim
Bei es von der weiter fortgeschrittenen Sage fibefiMi
oder mit regerer Phantasie daaudiebtete. — Neben dieaer
anhistorischen Stellung acheinen auch die Ausspräche nM
bei Lukas cum Theil entstellt n sein (11, »9-41. M
nnd die Zwischenrede des vofitxog: diddoxale* tavia Uff
xal rjftag vßgl&tg (11, 45.), siebt einer gemachten Qekr
leitnng von den Reden gegen die Pharisäer au denen p
gen die Schriftgeiehrten gar an ähnlich 29).
Sonst ist aus dieser Rede besonders V. 35. fiel be-
sprochen worden, wo Jesus seinen Zeitgenossen droht, W
alles unschuldig vergossene Blut von Abel bis an den i*
Heiligthnm ermordeten Zaebarias, Barachias Sohn, Ü*
sie kommen werde. Da nämlich derjenige Zaeharias, *■
29) Vgi> ds Warn , exeg. Handb., i, 1, S. 189. 1, 2, 8. 67. *-
-^A
Sechstes Kapital. $. 79. . 007
welche« a.Chr*ri.*4,20ft ein solches Kode ersählt wird,
ein Sohn »lobt von Baraehias , sondern von Jojada war;
dagegen im jüdischen Krieg ein Zaebarias, Barneb« Sohn,
ein gleiches Knde nahm50); da es fiberdieJs anpassend
schien, dafs Jesos auf einen 850 v. Chr. begangenen Mord,
eis aof den loteten, snrflokgewiesen haben sollte : so glaabte
man snerst, eine Prophezeihang, hernach eine Verbreche*
Inng jener früheren Thatsache mit dieser späteren, hier am
finden; weiches Letstere man als Mitbeweis einer späte-
ren Abfassung des ersten Evangeliums gebrauchte 8i>
fibeneognt indefs kann der nach der Chronik ' ermordete
Zaebarias Jojada's Sohn mit dem gleichnamigen Propheten,
der ein Sohn von BaraeUas war (Zach. 1,1. LXX; Ba»
rnch bei Josephns ist nicht einmal derselbe Name}, ver-
wechselt worden- sein **) ; nnmal anch ein Targum, offen-
bar in Folge der gleichen Verwechslung mit dem Prophe-
ten, der ein Enkel Iddo's war, den ermordeten Zaebarias
einen Sobn von Iddo nennt ") ; dem ersten, im ersten ka-
nonischen Boche ersählten , Morde aber einen im lotsten
Bache des Kanon gemeldeten (der Prophetenmord Jerem,
26, 23. füllt zwar der Zeit nach später; aber Jeremia
steht im Kanon weiter vorwärts) gegenüberzustellen, ist
gans in der Art jüdischer Redeweise **)•
Nachdem wir non von den Raden Jesu bei Matthäus
alle diejenigen betrachtet und mit ihren Parallelen ver-
glichen haben, welche uns nicht entweder schon froher
vorgekommen sind, oder später, theils in der Betrachtung
50) Joseph, b. j. 4, 5, 4«
51) Eichhorn, Einleitung in das N. T., 1, 8. 510 ff.; Hu©, Einl.
in das N. T., 2, S. 10 ff.; Crbdkir, Einl., 1, S. 207.
32) S. Thkilb , Über Zaebarias Baracbias Sobn , in Wihzr's nnd
Kngblhardt's neuem krit. Journ., 2, S. 401 ff.; db Warn s. d. St«
33) Targum Thren. 2, 20, bei Witstuji, 8. 49t.
34) VgL ua Wmtts s. d. St.
'. " *- «-
aus
Zweiter Abschnitt*
eineeiner Begebenheiten Mit der ftffentlichen Wirksamkeit
4eso, tbtile in der Leidensgeschichte , noch vorkommen
werden: so konnte es eur Vollstfindigkeit su gehSren
scheinen, dal* wir ebenso anch noch die Zusammenstellun-
gen, in welchen die beiden andern Synoptiker die Reden
Jesu geben, für sich betrachteten, und von da aoe auf dis
Parallelen im Matthäus hinübersähen. Indefs auf die merk*
würdigsten Redemassen bei Lnkas und Markos haben wir
bereits einen vergleichenden Blick geworfen ; die Parabeln,
welche beiden eigentümlich sind, durchgegangen;
Uebrige aber, was sie an Reden voraushaben, wird
tbeils gleichfalls später neeh verkommen, theils ergibt aick
der Standpunkt für die Betrachtung desselben aus
Bisherigen : wefswegen es hiebet sein Bewenden haben
N
I
t
Siebentes Kapitel.
Reden Jesu im yierten Evangelium,
f. 79.
Die Unterredung Jesu mit Nikodemus.
Das erste gröfsere Redestttck, welche« uns das Joban-
heische Evangelium mittheilt, ist die Unterbaitang Jesu
mit Nikodemus (3, 1—21.)* Vorher (2, 23 — 25.) war be-
richtet worden, wie während des ersten von Jesu seit sei:
nem öffentlichen Auftritte besuchten Paschafestes durch
die OfytsZccy welche er verrichtete, Viele zum Glauben an
ihn gebracht worden seien ; wie aber er sich ihnen nicht
anvertraut habe, weil er sie — ohne Zweifel in Hinsicht
der Unsicherheit und Unreinheit ihres Glaubens — durch-
schaute. Nun wird, als Beispiel sowohl von dem Anhang,
welchen Jesus schon damals fand, als auch von der Be-
hutsamkeit, mit welcher er bei Prüfung und Aufnahme
seiner Anhänger su Werke ging, die Art näher besehrie-
ben y wie sich Nikodemus, ein sur Pharisäersecte gehöri-
ger jfidischer uqx<ov9 an ihn gewendet, and wie ihn Jesus
behandelt habe.
Von diesem Nikodemus erfahren wir einzig durch das
johanneische Evangelium, welches ihn auch 7, 50 f. als
Fürsprecher ffir Jesum insofern auftreten läfst, als er
diesen nicht ungehört verdammt wissen will, und 19, 39*
Ihn die Sorge für die Bestattung Jesu mit Joseph von
Arimathäa theilen läfst. Die neuere Kritik hat es befrem-
dend gefunden, dafs Matthäus (mit den übrigen Synopti-
r - m- '• ' " «■ :-V*
Li
700 Zweiter Abschnitt.
kern) euch nicht einmal den Namen jenes merkwürdiges
Anhingen Jesu irgendwo nenne; eo dafs wir Alles, wa
uns von demselben bekannt ist, ans dem vierten Evange-
lium erfahren mftssen ; da doch das eigenth Unliebe Ver*
hältnifs, in welchem Nikodemns so Jesn gestanden, ul
dafs auch er an seiner Bestattung Tbeil genommen, dm
Matthäus ebensogut als dem Jobannes habe bekannt mu
müssen. Diefs wird sofort in den Kreis jener Gründe gl*
sogen, welche beweisen sollen, dafs das erste Evangalim
nicht vom Apostel Matthäus verfafst, sondern ans sienlfck
später Tradition entstanden sei *)• Allein auch an der ge-
meinen urchristlichen Sage, aus welcher dio Spcptibr
schöpften, mnfs es auffallen, dafs sie von diesem Nikos>
nins nichts weif«. Hat sie dooh die Namen aller flbrigu,
welche dem gemordeten Meister die lotste Ehre erweis*
halfeu, eines Joseph von Arimathäa und der beiden Maries,
mit röhrender Pietät in ihre Gedenkbücber eingeseieoiet
(Matth. 27, 57 — 61. parall.): wie konnte ihr nnr to
eämmtiichen uns aufbehaltenen Denkmalen gerade dieser
Nikodemns entgangen sein, welcher unter den Tbeüneh-
mern an der Bestattung Jesu durch jenen nächtlichen Be-
such bei ihm und die Fürsprache für ihn besonder! as>
geseiehnet war? Dafs, wenn der Mann sich in der Thst
so hervorgethan , sein Name dennoch aus der yolgtai
evangelischen Deberiieferung spurlos habe verschwind«
können, diefs ist so schwer sich begreiflich su mich»,
dafs man sich veranlagst linden kann, cu versuchen, *
nicht das Umgekehrte erklärlicher wäre, wie nfalfefc)
ohne dafs er wirklich in einem solchen Verhältnil* so Jen
stand, die Sage davon dennoch sich bilden, und vom Ve>
fasser des vierten Evangeliums aufgenommen werde«
konnte. Indefs, da ein Verschwinden des Nikodearoi atf
der synoptischen Ueberlieferung, wenn auch anffidlesi
1) Scans, über das Abendmahl, S. 331.
^
Siebentes Kapitel« $* 7».
701
dooh nicht undenkbar ist: an kann ans seiner Erscheinung
Im vierten Evangelium kein Schlufs gegen dessen Authen*
tfe ond Glaubwürdigkeit gesogen werden.
Was nun das folgende Gesprfich betrifft, so wollen wir
weder an die Schwierigkeit umhängen, wie denn «von den
nächtlichen, also geheinten und wahrscheinlich seegenlo-
aen Gespräche der Evangelist so genaue Kunde habe be-
kommen ktianen ? noch wollen wir mit dem Verfasser der
Probabilien gleich an dar Anrede des Nibodemus Anstof*
nehmen; noch auch mit demselben zwischen dieser Anre-
de and der Antwort Jesu den Zusammenhang vermissen *)•
DaCs Jesus sofort als Bedingung des Eintritts in das Him-
melreich das- yewtj&ijvai ano&er verlangt , ist von dem aus
den Synoptikern bekannten /asTcnveitf ijyyixe yaQ rj ßaöi-
leia %w* BQavaJVy nicht wesentlich verschieden. Das Bild
der neuen Geburt, der neuen Schöpf ang, -war den Juden
sehr geläufig, namentlich um die Umwandlung eines Men-
schen ans einem Gtitsendiener in einen Verehrer Jehova's
en bezeichnen« Von Abraham pflegte man au sagen 9 dafii
er bei seinem von den Juden vorausgesetzten Uebertritt
ans dem Götzendienst zur Verehrung des wahren Gottes
ein neues Geschöpf (JWTTl rTH3 ) geworden sei 8) , und
ebenso' Wurde der ProseJyt wegen seines Austritts aus al-
len bisherigen Verhältnissen mit einem neugeborenen Kin-
de verglichen *)• Dafs diese Redewelse schon in jener
Zeit unter den Juden üblich war , beweist die Sfaherheii,
mit welcher Paulus 2. Kor» 5, 17» GaL 6, 15. den entspre-
chenden Ausdruck: kcliyt} xvboig, wie einen keiner weite-
2) S. 44, Vgl. dagegen t>i Wim a. d. St.; Naumta, L. J. Chr.,
S. 399.
3) Bereschith R. sect. 39. f. 38, 2. Bammidbar R. sect. 11 f.
211, 2. Tanchuma f. 5. 2, bei Schöttcm , 1, S. 704. Etwas
Aehnliches von Moses aus Schemoth R. ebenda«.
4) Jevimoth f. 62, 1. 92, 1, bei Liohtfoot, S. 984.
*
-J
• 0
~ -- *-
TW Zweiter Abschnitt.
reu Erklärung bedürftigen, auf die wahrhaft an Chris*
Uebergetretenen anwendet. Verlangte nnn Jesus das 7».
vrftryai owtiter, welehes die Jaden den an ihnen ftbertn»
tenden Heiden anschrieben, auch von den Juden, sofari
sie in das Messiasreich angelassen werden wölkst: a
konnte sieh Nikodemns allerdings Aber diese Fordert^
wandern, da der lsraeiite sehon aU solcher ein onbedug-
tes Anrecht auf dasselbe an haben glaubte: and dies*
Sinn hat man daher wirklich in seiner Frage V. 4. iudu
wollen *). Allein Nikodemns fragt nicht: mag av Ikpti
düv avd-Qiimov avay&nnjdijvai *IudvZov oder vtov 'jfifmp
ovra; sondern darQber wundert er sich, data JesasT»
aasausetaen acheine, es könne ein Mensch, and «nr
yiqfov wv, aufs Nene «V %i)v xoü.lav tiji; fiiqvQog efeitä
xin yevvr^rjwui es befremdet Ihn also nicht, wie eins
Jaden die geistige Wiedergeburt, sondern wie einen Mee
sehen Aberhaupt ein leibliches Neugeboren werden au>
muthet werden könne. Wie nun ein Orientale, dea du
•bildliehe Sprache überhaupt, nttber ein Jude, dem inibe-
sondere das Bild von der neuen Geburt geläufig tau
mufste, und noch daau ein didüoxaXog tö 'loQatfa bei wel-
chem man nicht, wie bei den Aposteln, daa Mifsventebei
bildlicher Reden (wie Matth. lft, 15 f. 16, 7.) eaf Beck-
nung des Mangels an Bildung schreiben kann, — wie m
solcher jenen Ausdruck eigentlich verstehen konnte, da*
Aber haben sich, wie Jesus V. 10. , die Erklärer der f*
sohtedensten Parteien immer höchlich verwundert. Daktf
eetuen die einen voraus, der Pharisäer habe Jesu« wekl
verstanden , und durch seine Frage ihn nur prüfen wel»
len, ob er das bildlich Ausgesprochene auch in klare Be-
griffe umsusetaen wisse *)• allein Jesus wenigstens *>
5) So z. B. Knapp , Scripta vir. arg 1 , p. 18$ ff. Aehafr*
Neahder, L. J. Chr., S. 399 f. I
6) Paulus, Conua. 4, S. 185. L. J., 1, a, S. 176. 1
Siebeates Kapitel $. 79.
TOS
bandelte ihn nicht , wie er in diesem Fette oMifste , nie
vnoxffittpi sondern als einen wirklich e ymooxüna (V. 10.);
andere drehen die Frage so : im ieibliehen Verstände kann
es nicht gemeint ««in, weil diefs urimöglieh wäre, wie also
sonst *)? aber die Frage lautet vielmehr dahin: das kann ich
nur von leiblichem Wiedergeborenwerden verstehen, wie aber
ist ein solches möglich ? Es bleibt also die Verwunderung
über solche Unwissenheit des jfidischen Lehrers, und diese
mufs noch steigen, wenn selbst nach der ausfahrliehen
Erörterung Jesu ( V. 5 — 8.) darüber, dafs die von ihm
verlangte neue Geburt ein yevvij&f/vai ix tö nvsvfiatog »ei,
Dikodemus noch auf derselben Stelle, wie vorher, steht,
und, wie wenn er Jesu Erklärung fiberbört hätte, mit
verschlossenem Verständoifs fragt (V. 9.): -neig dvvcetai
ravra yevio&ai; Von diesem letzteren Uebelstande findet
sich auch Lücke so gedruckt, dafs, wie andre Exegeten
schon das auf Ingliche, so er, wider seinen sonstigen exe»
getischen Takt, wenigstens das fortdauernde Nichtverst*
hen des Nikodemus auf die von Jesu behauptete Noth*
-wendigkeit der Wiedergeburt auch für Israeliten besieht;
in welchem Falle aber Nikodemus eben nach der Noth-
wendigkeit, nicht nach der Möglichkeit fragen, und statt
nwg dvvcnai x. r. L nuig Sei x. t. L setsen mufste. Bleibt
somit der unbegreifliche Mifsverstand eines jüdischen Leb*
rers: so mufs unsere Befremdung Ober denselben cum be-
stimmtesten Verdachte werden, sobald sich ein Interesse
des Ersählers neigt, den Mann, der sich hier mit* Jesu
unterhält, einfaltiger sioh su denken und zu schildern, 'als
er wirklich war. Hier mufs uns suerst das allgemeine
Interesse einfallen, welches jede Darstellung für Contraste
hat, wodurch sie leicht dazu kommt, wenn in einer dar-
zustellenden Unterredung einer der Beiehrende, der andere
der Belehrte ist, diesen im Gegensätze su der Weisheit
7) LUcks und Tsoluck z. d. St»
704 Zweiter Abschnitt.
Ton Jenen in*s Einfältige mi malen; ferner »fteeen w
ans erinnern , welche Befriedigung es fdr einchristÜebei
tiemüth jener Zeit sein muhte, einen didaffxalos %& "IoqctL
im VerhÄitnifr su dem Lehrer der Christen als einen Tb-
ren bestehen su lassen; endlieb gehört es, wie wirUW
näher sehen werden , sur stehenden Manier des viertel
Evangeliums, in den Unterredungen Jesu die Verwickekig
und den Fortsehritt dadurch herbeisufthren, dafs die in
Jesu geistig gemeinten Bilderreden von den Mitsprechen»
den fleisehlieh verstanden werden 8>
Wenn in Erwiederung auf die nweite Frage da R»
kedemus Jesus fast gann die Sprache des johanneiue«
Prologs redet (V. 11-13.)9), und die hieraus entstehest
Frage , ob wohl eher der Evangelist diese Redeweisem
Jesu entlehnt, oder die seinige Jesu geliehen haben naß
einer früheren Untersuchung 10) nufolge su Gunsten «In
zweiten Gliedes su entscheiden ist: so betrifft «lief s dseh
unmittelbar blofs die Form; den Inhalt betreffend ist am
der Aehnliebkeit philoniseher Darstellungen noch rieht so-
fort na sebliefsen, dafs der Verfasser Jesu hier seiie sie-
xandrinisehe Logoslehre in den Mund lege11) , weil de»
doch su dem o ctdaftev kaXä/uev x. t+ L ipnd sdelg wafityl-
jcer x. r. L in dem sdelg invyvmaxsi %6v luxtiqa x. r.i
Mattfau 11, 27. eine Analogie findet, von der hier rois*
gesetsten himmlischen Präexistens des Messias aber saa
dem frflher Bemerkten auch der Apostel Paulus weiß.
g) VgL^s Witts, exeg. Hdb., f, 5, S. 42.
9) 3, 11t o iaqdgafiev, fHtfrvp- ' 1, 18: fror «fcfe Up**+
für ' *al Ttj¥ fiaqTvqtav ij/uüy $ , frort* o poroyevqs utot, • •* *
lafißarfrt. 13* xai 53 (U ar9ß4~> tor xo/bior rS nargoit kw*
ßtpttr *k rov bqovoV) tl ftij o in ttyyqoaTO*
re eqavti xaraßd; , o vto; re ar*> 11t-— mä o» tSat oft* '
Sqwtf^ o &y h rf $Qarqh nofflaßor*
10) Oben, §45.
11) Wie diess in den Frobsbilien, 3, 46, geschieht.
i
i
Siebentes Kapitel, £ 79.
705
V. 14. u. 15. steigt Jesus von den leichteren imyeiotQ,
>fhm Eröffnungen aber die Wiedergeburt, eh den schwieri-
geren inüQavloig, der Kunde von der Bestimmung des Mes-
sias su einem versöhnenden Tode, auf. Des Mensehen
Sohn, sagt er, müsse erhöht werden tvifmdijvai , in jo»
i bannetseben Spracbgebrauche den Kreuzestod, mit Anspie-
lung auf die Erhebung cur Herrliebkeit beeeiehnend '*)),
tauf dieselbe Weise und mit demselben rettenden Erfolge^
Iwie die eherne' Schlange 4. Mos. £1, 8. 9. Hier drängen
sich mehrere Fragen auf. Ist es glaublich, dfcfc Jesus
isehon damals, au Anfang seiner öffentlichen Wirksamkeit,
i nicht nur Oberhaupt seinen gewaltsamen Tod, sondern
mich die bestimmte Form desselben als Kreuzestod, vor-
i hergesehen , und dafs er, lange ehe er seine' Jänger über
i diesen Punkt belehrte, einem Pharisäer tfine' darauf 'tfc
i abgliche Eröffnung gemacht habe? Kaöh aian erder
Lehrweisheit Jesu angemessen finden, dafs fcr gättnto"dei£
i Mikodemus eine solche Mittbeilung machte? Aach LtftKB
i wirft sich hier ein, warum Jesus, wenn doch Niködbmutf
das Leichtere nicht verstand, ihn mit dem Schwereren ge-
quält habe, und warum gerade mit dem Geheimn!fs: vom
Tode des Messias, der damals noch -so ferne lag? Kr
antwortet, es sei der Lehrweisbeit Jesu vollkommen, ange-
messen gewesen, das ibm von Gott verordnete Leiden so
bald als möglich eu offenbaren, weil nichts geeigneter sein
konnte, falsche sinnliche Hoffnungen niederzuschlagen.
Allein je ferner ihrer sinnlichrn Erwartungen wegen sei-
nen Zeitgenossen der Gedanke ^an den Tod des Messias
lag, desto deutlicher und unumwundener mufste Jesus,
wenn er ihn verbreiten wollte, diesen Gedanken ausspre-
chen, und nicht in einem räthselhaften Bilde, von welchem
er nicht sicher war, ob ea Nikodemus nur verstehen würde ")•
12) Vgl. Luchs, I, S. 470.
13) s." db Witts z. d. St.
Das Leben Jem He Aufl. /. Band.
45
706 Zweiter Abschnitt«
Aber Nlkodemas, «itgtLüctR, war eki empfänglicher Msm,
dein wobl etwas* mehr eugemuthet werden durfte. Alle«
gerade in diesem Gesprs'ch hatte er sich darch Au Niehi-
?er stehen der tnlyaicc als noch weniger für die kcsoäm
cmpftngÜeh bewiesen , ond Jesus selbst verzweifelt« naci
V. 12« daran , dafs er diese verstehen werde. Aber eta
dadurch ,t bemerkt nun Lücke letztlich , dafs er so des
nicht verstandenen Leichteren das noeh weniger verstfiod-
licbe Schwerere fügte, habe Jesus aoch sonst die Gei«*
spornen wollen, um durch Spannung ihrer AufmerkiauM
ihr Nachdenken um so mehr in Anspruch au sehnen.
Doch das kann nicht spornen 9 sondern nur ?erwirrw
heUsen, wenn einem solchen, der den bekannten Tropa
wo* der Wiedergeburt beharrlich . nicht versteht , sage»
tbet wird, die unerhörte Vergleiehung des Messias mit fe
otoruen Sehlange auf dessen Tod cu besuchen, und die*
Vorstellung sofort mit seinen jüdischen Begriffen sa wr
einigen "). Die Beispiele eines solchen Verfahren! J«*%
^reiche Lücke beibringt, sind sämmtlich aus dem riefte»
Bvangelium selbst, von welchem es sich eben fragt, ob «
das Lehrverfahren Jesu in diesem Stücke richtig *id*
gebe, beweisen also im jCirkel. Gans anders verftbrt Je-
sus In den drei ersten Evangelien : wenn sich hier uf
Seiten der Jünger ein Nichtverstehen neigt , so bleibt er,
wo er nicht überhaupt abbricht, oder die Referenten oft*
bar unhistorisch bildliche Reden susammenhäufen, as
Schtpftdagogiscber Beharrlichkeit eben an jenem Psnk»
stehen, bis er ihn völlig jiufgeklKrt hat, und gehtcn*
dann, immer Schritt für Schritt, su weiteren Belehren*»
fort (so Matth. IS, 10 ff. 36 ff. 15, 1«. 16, 8ff.)"> ^
14) Vgl. Brbt*chmider, a. a. O. ' ,
15) db Wette führt als Beispiele eines ähnlichen Verfahr*»
Jesu aus den synoptischen Evangelien Matth. 19, 21. 20?23*'
an. Allein diese beiden Falle sind ganz «aderer Art tli &
Siebente* Kapitel. $. 79. 707
ist das Verfahren eines weisen Lehrers: die deflatorische,
überladende und überspannende Manier dagegen, in wel-
cher der vierte Evangelist ihn reden lädt, kann nur ans
dem Interesse eines Darstellers erklürt werden, welcher
den schon Anfangs angelegten Contrast swisehen der Weis»
heft des Lehrers und dem Unverstände des Schülers da-
durch auf die effectvollste Weise steigern su können
glaubt, dafs er vor demjenigen, welcher schon bei dem
Leichtesten unverständige' Fragen that, nun auch das
Schwerste aufhäufen, und ihm diesem gegenüber vollends
alle Gedenken vergehen Itist.
Von V. 16. an geht jetst selbst denjenigen Auslegern,
die sich sonst in diesem Fache etwas snsumnthen pflegen,
der Glaube, dals auch das Folgende noch von Jesu so ge-
sprochen sein könne, aus; was hier nicht blofs Paulus,
sondern aooh Ol8HAUS«n, mit bandiger Angabe der Gründe,
erklärt. Es verschwindet namlieh von hier an jede nähere
Beziehung der Rede auf Nikodemns , • und beginnt eine
völlig allgemeine Ausführung fiber die Bestimmung des
angefochtenen bei Johannes. Hier ist et ein Nichtverstehen,
welchem gegenüber es uns wundern muts, Jesuin, statt dass
er su dem schwachen Verständnisse sich herablies se, vielmehr
in eine diesem noch weniger erreichbare Höhe hinaufsteigen zu
senen. in den angeführten synoptischen Erzählungen dagegen
ist es Selbstüberschätzung, ein allzugrosser Werth, welchen
das einemal der reiche Jüngling, das anderemal die Zcbedai-
den, auf ihre Tüchtigkeit für die Sache Jesu legten, was
sofort von Jesus mit vollem Rechte durch die schroffe Ent-
gegenstellung einer höheren Forderung niedergeschlagen wird.
Hiemit liesse sich die Wendung Jesu im Gespräch mit Niko*
demus nur für den Fall vergleichen, wenn, wie. der Jüngling
und die Jünger ihre Leistungen, so Kikodemus seine Einsicht
Überschätzt hätte , und nun von Jesus durch einen schnellen
Aufüug in höhere Gebiete von seiner Unwissenheit überführt
würde.
45 *
708
Zweiter Abschnitt.
Menschensohns nur Beseligung der Welt, nnd öbw fr
Art, wie der Unglaube eich dieses Segens verlustig ancst:
diese Gedanken com TheiJ in einer Form aosgedritott,
welche theils als Reminiscens ans dem Prolog des Eri»
gellsten erscheint, theils mit Stellen ans dem ersten johai-
nelsohen Briefe auffallende Aehnlichkeit bat16). Hauest
lieh der Ausdruck : 6 [iowyevqs viog , welcher Jen wa>
derholt (V. 16. und 18.) nur Bezeichnung seiner eigeau
Person geliehen ist, kommt sonst selbst im vierten Erat
geiium im Munde Jesu nirgends vor: um so entschiede«
aber ist er ein Lieblingsterminus des Evangelisten (1,14
18.) und des Briefstellers (1. Job. 4, 9.). Ferner litis
Folgenden Manches als vergangen dargestellt, was m
Zeit jenes Gesprächs erst bevorstand; denn wenn ad
das edojxev (V. 16») nicht die Hingabe in den Tod, soefai
die Sendung in die Wek bedeutet: so lautet doch, w»
auch Lücke bemerkt, das rjyanrjoav oi av&QWTioi to GOT
und ?;v novrjQa av*ov rd f'oya (V. 19.) so, wie du «et
sprechen konnte; als sich in der Verwerfong und Hinrich-
tung Jesu die Uebermacht der Finsternife erprobt hatte,
also vom Standpunkte des später schreibenden Eftngefr
sten , nicht aber des im ersten Anfang seiner Thitigkof
stehenden Jesus. Ueberhaupt lautet diese ganse angebüesf
Rede Jesu , mit ihrer fortwährend zu seiner ßeseiehneej
16) 3, 19 1 avTtj S4 cgtv jy *£t<ftf,
ort to <pc5f Hjrjlv&ev el{+ rw
xoöfior y ttai tjyanrjoav ol av-
&Q{O7t0t /uailw to axorot $ to
3 y 16 1 Srta yoQ qyanqoer
O &tO$ TW XOOpOt, &£t TOT
vtor avrS tot fiovoytvt} l£wjr*v,
tva naf o nu;tviay tlf avrwf
ftrt anohjraiy a/UL* fxtl $M*Pr
atwrior.
1,9* qv to <f*i$ to alifteWi *
ipt&t^oy narra ar&i&mov, itf*!**1
?U tw xoopoY. 5* udt to fit *
T/j oxorCa (palvtt , tt*\ tj ow* «*♦
i» xartlaßtr.
1. Joh. *, 9: er TBttf hfamj
&l jj ayamj tS fai h tjftar> on w
wov owt» tot ftwoyerij aufak1*
9eot cfe TW Koo-pWy fra #•»*
3 • > -
«71 OVT9.
&ie»entes KaplteL f. 79. *0§
gebrauchten dritten Person, mit den dogmatischen termbus
von jttovoyevtjg y qxiig, o. dgl«, unter welchen sie Jesu« be-
trachtet , mit ihre« Deberblick über die dureh Jean- Er«
acheinung herbeigeführte Rrisis und deren Resultate) viel
cu objectiv und gegenständlich , als dafs wir glauben
könnten , eigene Worte Jesu in derselben au vernehmen:
so konnte nicht Jesus, aus sich heraus, sondern nur ein
Dritter über Jesum sprechen. Demnach soll nun, wie in
einem früher betrachteten Falle der Täufer, so hier Jesus
nur bis au V« 10. reden , von da an aber der Evangelist
seine eigenen dogmatischen Reflexionen anknüpfen "),
Aber hier 90 wenig wie dort findet sieh Im Text hlevon
eine Andeutung, vielmehr scheint das anknöpfende yaQ
V. 16. eine Fortsetzung derselben Rede «u beseichnen,
80 streut kein Schriftsteller, und namentlich nicht der
Verfasser des vierten Evangeliums (vgl* 7, 39. 11, Stf.
12 , 16. 33. 37 ff.) , eigene Bemerkungen ein ; er mfifste
denn absichtlich MifsverstXndnisse veranlassen wollen.
Bleibt es sonach gleicherweise dabei, dafs der Evangelist
auch von hier an noch Worte Jesu geben will, und dafs
Jesus 90 nicht gesprochen haben kann : so werden wir
mit db Wkttk aogestehen müssen , dafs der Evangelist,
nachdem er schon vorher bisweilen Jesu seine Worte ge*
liehen, von V. 16. an sich noch freier gehen lälst **).
17) So Paulus und Olshausek z. d. St.
18) Exeget. Handb.*, 1, 3, S. 48. Tholuck (Glaubwürdigkeit,
S. 535-) führt alt Beispiele eines gleichen unmerklichen Ver-
fliestens einer angeführten fremden Rede mit der eigenen des
Schriftstellers (Gal. 2, 14 ff.) Euseb. H. E. 3, 1. 39. Hieron. V
Comm. in Jes. 53. an. Allein etwas Anderes ist es in einem
Brief, einem Commentar, einem kritisch räsonnirenden Ge-
schichtswerke: und in einer Geschichtscrzählung wie die
evangelische. In Werken der ersteren Art erwartet der Le-
ser, den Verfasser räsoitniren zu hören, und muss daher,
wenn einmal die Rede eines Andern eingeflochten ist, bei x
je^tmhta
710 Zweiter Abschnitt,
So hat uns das vierte Evangelium, gleich bd die*
ersten Probe, wenn wir sie mit dem vergleichen, wu wir
Aber Job. 3, 22 ff. 4, 1 ff. bereits gesehen haben, alk
Haupteigenthttmliehkeiten der von ihm mitgethdlten Redei
Jesu dargelegt. Sie fangen gerne dialogisch an , und *>
weit diese Form geht, ist der Hebel des Gespriehi der
grelle Contraat «wischen geistigem Sinn und fleischliehflr ^
Auffassung der Reden Jesu; meistens aber Verlier««
sieh hierauf in fortlaufende Vortrfige, in welchen der Re-
ferent die Person Jesu mit seiner eigenen versehutbt,
und jenen nicht selten von sieh selber reden Uftt, w»
nur er ober Jesum reden konnte. Dieselbe ObjectiriÄ
also in Wiedergebung der Reden Jesu , wie bei den Sp-
optikern, die nur in der Stellung und ZusammejireiftU(
der einselnen Aussprüche, suweilen unhistoriseh a»d, h*
ben wir bei Johannes nicht ni suchen 19).
5. SO.
Die Reden Jesu Job. 5 — 12.
Im 5ten Kapitel des Johanneischen Kvangelltfaf büfft
sieh an eine von Jesu am Sabbat verrichtete Heikng ein
lÄngere Rede (V. 19-47.). Schon die Weise, wie tat
V. 17. seine Tätigkeit am Sabbat vertheidigt, ist im ü*
federn kleinsten Ruhepunnte gefasst sein , den Autor lefrt
wieder das Wort nehmen zu sehen : in einer Schrift vie i*
vierte Evangelium dagegen , deren Verfasser nach da» !*•
sonnirenden Einleitung (auf dem Boden dieses Prolog* W«
ganz in der Ordnung, dass nach kurser Anführung «■*
fremden Rede, V. 15., der Verf. V. |6. ohne Weiteres wted»
selbst fortspricht) sich in das Erzählen, als Wiedergeben *
Geschehenem und Gesprochenem, geworfen hat, nwu ■*
nothwendig jede Rede, die er an die Rede eines Andern sk*
deutliche Unterscheidung (wie s. B. 12, 57.) anknüpft, fr.
Fortsetzung eben jener fremden Rede halten.
19) na War«, a. a. Ü. S. 8 f.
Siebeates Kapitel. §. SO. 711
tereehiede von der Art, wie er dteb in den ersten Evan-
gelieh thut, bemerkenswerth. Diese ^laben hiefür drei
Arguniente: das von David, der die Sehaubrete afi»;
woran sieh das auch Job. 7, 2S. aufgeführte, von dem
sabbatltchen Arbeiten der Priester in Teatpei, schliefst
(Matth, 12, 3. parall.) ; ferner das vom Hausthier, das in
den Bronnen ftllt (Matth. 12, lLparall.)? oder cor Tranke
geführt wird (Lee. IS, 15.): ttmmtlioh praktisch-populäre
Argumente. Das vierte Evaogeiiam hingegen laTst ihn hier
aas der nie unterbrochenen Thfitigkeit Gottes Schlüsse
sieben, und erinnert durch sein: o nartjo i'iag ä(rt{ tQyd-
Ctraij an das alexandrinisch - metaphysische : noiiov 6 &eog
wUnote Ttccvsrcu *) ; . ohne dafs man jedoch behaupten
dürfte, dafs dem religiösen Bewufsfisein Jesu dergleichen
Gedanken nicht ebenso nahe liegen konnten , als dem' des
Evangelisten. Statt dafs nun ferner bei den Synoptikern
an solche Sabbatbeilongen weitere Aussprüche Über Wesen
und Bestimmung de9 Sabbats, aur Belehrung des Volks,
sieh ansnknüpfen pflegen : wendet sich hier die Bede als-
bald auf das Grundthema des Evangeliums, auf die Person
Christi and sein Verhftltnifs sum Vater; eine Wendung,
auf deren öfteres Vorkommen die Gegner des vierten Evan-
geliums nicht ohne Schein den Vorwurf einer einseitig
theoretischen und auf die Verherrlichung Jesu gerichteten
Tendenss gegründet haben; die aber ebenso gut nur in
Weglassuög der meisten praktischen Reden, als in Ver-
mehrung und Erdichtung theoretischer , ihren Grund ha-
,ben kann.
In dem Inhalte der folgenden Rede findet sieb sofort
nichts Anstöfsiges und was nicht Jesus selber so konnte
gesprochen haben ; da im besten Zusammenhang Dinge vor-
getragen werden, welche, wie namentlich die Todtener-
weckung und das Gericht, theils die Juden vom Messlas
1) Fhilo, Opp. ed. Mang. I, 44, bei (isatfasa, 1, S. 122.
-*--
r
71)
Zweiter Abschnitt.
erwarteten , theils Jeans ancb nach den Synoptikern an
angeschrieben hat. Desto bedenklicher dagegen ist t*
Form nnd Ansdrnokaweiae , in welcher Jesus das Ann
ansgesprochen haben aeJUL Gann voll nämlich ist itis*
Rede , besonders in Ihrer «weiten Hilf te (von V. 31. u),
der genanesten Analogien theils mit dem ersten joht*a*>
sehen Briefe, theils mit solchen Steilen des EYsagefism, (
in welchen entweder der Verfasser , oder der Tffefer i*
hannes redet *). Cm die erster« Aehnliehkett an «rklJm,
2) Job, 5« 30! q ydq ncrvfjq <pt-
XeX*rdr vior neu ndrra &e(xvv-
Ctv a&r$ § cnrroq 7totti.
34: o ro¥ loyotr pm. mtutotr
— ptraßißqmv he rS #*rerm
32: *Oi ciSa, ar$ aiq9ijt
nt(k IftS.
54 * lyto 3h « nagd ar&Qtün*
njr /uaffruqCav hxfißavu.
56 • tyio <fo . $%& ßiaQiVQfav
57 ! xa\ 6 nifrtpas p* narqq
Ehend. : Sre rqv <po)vqv av-
rS axrptoars manove^ «fr« to
ilSog avTH iwgdxare.
58 • xal ror Zoyov avra $*
fZ**8 p*voyr<x tv vfilv.
40: mV « Mitrc U&tTr np>g
42 X ort rijy ayant/f tS &tü
ix £#«■* h cauToU.
44; nüg duvao&8 v/utls m-
S*vtir, Sö\av TiaQU dV.ijltoy la/u-
ßavwrt* % xoi • ryv Ö6$av -tip
Joh. 3, 55 (der Täufer): i
jrflp narrft ayaaa rov vior xri *ö-
ra dtötoxtv er rjj j«^ aüri.
1. Joh. 3 9 14: jjVk rt*
5t» fierafkft/jxa/w 2» ri 9avmk
Job. 19, 55 : xät ilghri b
aurif y uaqrufgia^ xaxtirQs «^i m
ahfi?{ Ikyti. Vgl. 21, 24. IM
5, 12.
1. Joh. 5,9: tt ttJt pp>»*»
rür, avS-pmtor la/ußaropfr, y p*t
TVfUa tS &t9 fetfair f^Är' 5n «*p
* c * flu
^«c n*(* ri vi5 cahS.
Joh. 1 , 18 : &tov tiu; wf*
TtüJnore. Vgl. 1. Joh. 4, 12*
1. Joh. 1, 10 : xd o Ür**-
TM MX t$lV tV VfUV.
1. Joh. 5, 12: o rilfi***
vlov tS &e5 Zfoyv mx ^/ft.
1. Joh. 2, 15 : M^ifi
Joh." 11, 43: iyän^v y« T
Jc^av nüy av&qtontar palhn\ p*
Siebente« lUpitel. §.80. 713
Afste angenommen werden , dafs der Evangelist seine
mee Ausdrucksweise aaf das Genaueste der von Jesu
achgebildet hätte. Dafs diefs möglich sei, ist nicht m
oatreiten; aber ebensowenig, dafs es nur bei ganz an*
»ibstständigen Geistern vorankommen pflegt, als deren
inen sich der vierte Evangelist sonst .keineswegs eeigt.
'erner, da bei den übrigen Evangelisten Jesus in gans
nderem Styl and Tone spricht : so mfifste , wenn er so,
rie bei Johannes, gesprochen haben sollte, die Art, wie
ene ihn reden lassen, eine gemachte sein. Dafs sie non
tber wenigstens von den Evangelisten selbst nicht gemacht
at, eeigt der Umstand, dafs sie ihres Redestoffs so wenig
Heister sind ; aber auch von der Sage können jene Reden
ihrem gröfseren Theile nach nicht fingirt sein, wegen ih-
res nicht blofs höchst originellen, sondern auch völlig zeit-
nnd ortsgemäfsen Gepräges. Wogegen der vierte Evange-
list sowohl durch die Leiehtigkeit, mit weloher er den
Redestoff beherrscht, den Verdacht erregt, auch an der
Hervorbringung desselben starken Antheil gehabt au ha-
ben; als auch durch LiebiingshegrifFe- und Redensarten,
wie in dem gegenwärtigen Abschnitt aafser den schon an-
geführten noch der Ausdruck , dafs. der Vater ndvza de/-
xvvoi ztji viipi ix avvog rcoul 3) , eher auf hellenistische als
palästinische Quellen hinweist. Doch das Hanptmoment
in dieser Sache ist, dafs, wie wir früher schon gesehen
haben, auch der Tänfer Johannes in diesem Evangelium
-ganz in denselben Formeln und in dem gleichen Tone
spricht, wie der Verfasser des Evangeliums und dessen
Jesus. Da es sieb hier nicht denken läfst, dafs neben dem
Evangelisten auch der schon vor Jesu als scharf markirter
Charakter hervorgetretene Täufer seine Ausdrucks weise
wörtlich »genau nach der von Jesu gebildet haben sollte;
5) ». die Von Gehorch, 1, S. 194. , verglichene Stelle aus Philo,
de Unguarum confusione,
714 Zweiter Abschnitt«
90 bleiben nur die ewei F&lle möglich, dafs entweder Jer
Täufer die Sprechweise sowohl Jesn als. des vierten Em
gellsten, der ja auch sein Schüler gewesen sein soll, oder
dafs der Evangelist die Redeweise sowohl des Taufen ib
Jesn nach der seinigen bestimmt habe* Das Erster« ws>
den die Orthodoxen mit Rücksicht auf die höhere Kit»
in Christo sich verbitten , und wir wenigstens debwegu,
weil Jesus im Verhältnis zum Täufer sonst durchaus ab
Original erscheint; woeu noch kommt , dafs dieser Jehu*
neische Styl für den T&ufer, wie wir ihn sonsther kenao,
viel su weich and mystisch ist. So bleibt also nir sx
Andere, dafs der Evangelist sowohl Jesnm als den Thfcr
in seinem Tone reden Ififst; eine Annahme, welche,«
sieh schon weit natürlicher als die vorige, durch ein
Menge ton Beispielen aller möglichen Gesehichtechrakr
gedeckt ist» Ist hienacb die Form dieser Rede Jen uf
Rechnung des Evangelisten zo schreiben, so könnte eVr
Inhalt swar möglicherweise Jesu angehören: docht&uua
wir nicht berechnen , wie weit , da wir schon sonst Bei-
spiele gehabt haben , dafs der vierte Evangelist auf Mi-
lien freie Weise an bequeme Veranlassungen seine eips»
Reflexionen in Form von Reden Jesu knüpft.
Aus der Rede Kap. 6. ist das, dafs Jesus sieh, ritf
vielmehr seinen Vater, V. 27 ff. ale den Geber des geistig«
Manna darstellt, in Analogie mit der oben angefahrten^
disehen Erwartung, dafs der m weite Goel wie derer*
Manna gewähren werde *) , und mit der Einladung «*
Weisheit in den Proverbien : gvUter«, qxzysre ruh epö'k
%wv (0, S.); womit das, dafs er sofort sich selbst des«?
tog 6 £(2v 6 ex zö BQwä xcevaßag nennt (V. 35 ff.), so «■
nosammengranst , dafs die Aehnlichkeit mit der philo»
sehen Darstellung des Xoyog &elos *ls %6 vqiyw %rp ipiffl*
4) Oben, $. 14.
b) De profugis, Opp. Mang., 1, S. 566, bei Giaöa», 1; $ .»
Siebentes Kapitel. §. 80. 715
nicht hinreicht, om den Verdacht so begründen» alt hätten
wir es hier nor mit Worten des. Evangelisten eu thon«
Schwieriger ist, dafs Jesus von V. 51. an als das Him-
melsbrot sein Fleisch darstellt» welches er cum Heil der
Welt geben werde, and das qxxyetv rrp aaQxa s8 viö rS
avf>Qumr& und tu&v *6 cupa cnkö für das einsige Mittel
ausgibt, nur Jctwy atwiog au gelangen. Durch die Aehn»
Uchbeit dieser Ausdrucke mit den Worten , welche die
Synoptiker und Paulus Jesom bei der Einsetzung des
Abendmahls sprechen lassen» bewogen, haben die alteren
Ausleger diese Stelle meistens als Hindeutung auf das eu
stiftende Abendmahl gefafst *). Die Haupteinwendung ge»
gen diese Auslegung ist, dafs damals, vor der Stiftung des
Abendmahls, eine solche Andeutung völlig unverständlich
gewesen wfire 7> Allein unverständlich blieb ja die Rede,
sie mochte einen Sinn haben, welchen sie wollte, nach der
eigenen Angabe des Berichts, den Zuhörern doch; auch
kommt Jesu im vierten Evangelium auf die Unmöglichkeit,
verstanden su werden, nicht so viel an, dafs hiedurch
jene Erklärung unwahrscheinlich würde, welche au der
Verwandtschaft mit den Einsetzungsworten einen Halt be-
sitzt, der einem der neuesten Kritiker das BekenntnUs ab-
gedrungen hat, wenn auch nicht Jesus, indem er so sprach,
so möge doch Johannes, indem er gerade diese Reden Jesu
auswählte und überlieferte, sn das Abendmahl gedacht,
und in] denselben eine Vorandeutung davon gefunden ha-
ben *)• ludet* schwerlich hat er dann die Reden Jesu
Das hier noch weiter vom Myo< Gesagte : 0/ I *«rm naJtJai
Mai aof/ai £W- a*rva<A kann mit Joh. 4, 14« 6, 55« 7> SS« ver-
glichen werden.
6) s. Lvcxs't Geschichte der Auslegung dieser Stelle, in s. Comm.,
2, Anhang B, S. 727 ff.
7) Schuli, die Lehre vom Abendmahl, S. 161 ; Lücks, a. a. O.
S. 113.
8) üui, L. J., §. 99.
715 Zweiter Abschnitt.
unverändert gelassen ; sondern, da sieh die Wahl dar A»
drficke: oaQxa cfayelv o. s. w. nur ans der Beftiehnng mI
des Abendmahl genügend erklären Ififst, so haben wir
diese ohne Zweifel nur dem Evangelisten su verdank*
Hatte dieser einmal Jesnm sich als 6 aqrtog trjg %taijg h»
zeichnen lassen: wie hätte ihm nicht der crpng einfsttsi
sollen , welcher in der christliehen Gemeinde als Leii
Christi, sammt einem Getränk als seinem Blute, genona
% a werden pflegte *) ?
Aach die eben betrachtete Rede trägt die dialogis*
Form, und swar ist ihr der eigentümliche Typus d«j§-
hanneischen Dialogs, dafs geistig gemeinte Redeo flöat*
lieh verstanden werden, gann besonders aufgeprägt h*
erst , V. 34. , meinen die Jnden, ganc wie froher (4, li)
die samarisehe Frau in Beeng anf das Wasser, Jeset f*
stehe unter dem. anzog ix zs agave eine leibliche Spebs,
und bitten ihn, sie nur immer mit solcher su verenge*
So möglich an sich dieses Mifsf erstfindnifs war, so stetf
es doch, die Jnden worden, ehe sie sich hierauf watof
einlief sen, vor Allem gegen die Behauptung Jesu (V.8)>
Bf oses habe kein Himmelsbrot gegeben , mit Entribasg
steh erklärt haben. Wie sofort Jesus sich selber den cp-
fog ix %b üQuvä nennt, murren die Juden in derSynagop
su Kapernaum darüber, dafs er, der Sohn Josephs, denn
Vater und Matter sie kennen , sich eine Herabkunft fl»
Himmel zuschreibe (V. 41 f.); eine Reflexion, welche *
Synoptiker mit gröberer Wahrscheinlichkeit in Jesu Va-
terstadt Nazaret Vorlegen, und mit einem natfirlichern
Anlafs verbinden. Dafs V. 52. die Joden nicht verstehe»,
wie ihnen Jesus sein Fleisch zu essen geben könne, fr
seh( begreiflich : desto weniger, wie gesagt, wie Jesus je-
nes Unverständliche sagen konnte; ebenso wirdmanV.ro
66. das Hintqrsichgehen vieler Jünger auf solchen tfxfyf*
9) Vgl. Bjuu-scHKiiDfiR; Frobab., p. 56. 88 #.
^1
(
Siebentes Kepitel, $. 80. 717
l&yog hin sehr erklärlich finden : um so weniger aber ein*
•eben, wie Jesus diefc einerseits selbst herbeiführen , ond
doeh, als es eintrat, so verstimmt sein konnte, wie die
Fragen V« 61. und 67* es aussprechen. Man sagt 2 war:
Jesus wollte seine Jfinger siebten, die nur oberflächlich
Gläubigen , irdisch Gesinnten , denen er sich nicht anver-
trauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen; aber,
wie er ee hier angriff, war es eine Probe, die auch die
Besseren und Verständigeren von ihn abwendig machen
konnte. Denn gewifs hatten auch die Zwölfe, weiche ein
andermal nicht wnfsten , was er mit dem Sauerteig der
Pharisäer (Matth. 16, 7.) und mit dem Gegensatae des
sum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte ( Matth. .
15, 15/), die gegenwärtige Rede nicht geratenden; und
die (irtfAccta i^o)r^ aiwvis, um welcher willen sie bei ihm
blieben (V. 68.)> waren gewifs nicht die Worte dieses 6ten
Kapitels 10).
Je weiter man sich in die Reden des vierten Evan-
geliums hineinliest, desto mehr fallen die Wiederholungen
derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So »iod die Re-
den Jesu ans der Zeit des Laubhiittenfeste*, Kap. 7. u. 8«,
wie auch Lücke beobachtet hat, nur eine wiederholte und
erweiterte Abhandlung der bereits (namentlich Kap. 5 J)
dagewesenen Gegensätze des Gekommenseins, Redens und
Handelns von sich selber und von Gott (7, 17. 28 f. 8,2Sf.
38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38); des slvcu ex «5r
ano und ix twv xcnco (8, 23. vgl. 3, 31.); des von sich
selbst Zeugens und von Gott Zeugnilsnehmens (8, 13 — IV«
10) Ich matt in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung
der Probabilien beistimmen (S. 56): videretur — Jesus tpse
studtUsse, ui verbis Hinderet Judaets, nee ab iis tntelägeretur,
*eM reprobaretur. Ha vero nee egit, nee agere potuit, neque
si tta docuUset, tanta effecisset, quanta illum effedsse Histo-
rie testatur. Vgl. auch na Wim, exeg. Handb., t, $, 8. S.
718 ' Zweiler Abschnitt
vgl. 5, 31 - 87.); von wahrem and falschem Richten ft
15f. vgl. 5, 30.) ; von Licht and Finsternifs (8, 11 vgl
S, 19 ff. auch 12 , S5 f. ). Was von neuen Gedanken k
diesen Kapiteln fct, wird alsbald wiederholt, wie die Er-
wihnong des Hingangs Jesu , wohin ihm die Joden iWi
folgen können (7, 33 f. 8, 21., noch mehr spater, 13,11
14, 2 ff. 16, 1« ff.) ; ein Aussprach , an welchen sieh tt»
diefs die beiden ersten Maie eiemlich unwahrscheinlich
Mifsverstindnisae oder Verdrehungen der Jaden knöpf«,
indem sie das einemai, un erachtet Jesus gesagt hatte: m
yw nQog rov m^ixpwna //*, an eine Reise so der diaxmp
rwv "Blrjvojp, das andremal gar an Selbstmord gedacht fa-
ben sollen. Wie oft sind ferner auch in diesen Kapiu
die Versichertingen Jesu wiederholt , da& er nicht «se
eigene Ehre, sondern die kies Vaters suche (7, 17 t 8,Ä
64); dafs die Jaden ae\m Herkonft, seinen Vater, akk
kennen (7, 28. 8, 14. 19. 54.); dafs, wer an ihn jhib>
ewig leben, den Tod nicht sehen werde, wer ateafcfcl
glaube , ohne Antheil an der £*»? in seinen Sflode» «er*
ben mflsse C8, 21. 24. 51. vgl. 3, 36. 6> 40.). - Dm«»
Kapitel , dem grtf fsten Theii nach eine Verhandlang d*
8ynedriams mit dem von Jesu gebeilten Blindgeberna,
Ist darchaas dialogisch gehalten; doch tritt, weil Je*
selbst mehr im Hintergrunde bleibt , jenes gemachte Cs>
trastsuchen nicht so wie sonst hervor, und der Dialeg p-
staltet sich natürlicher.
Das sehnte Kapitel beginnt mit der bekannten RA
vom guten Hirten; eine Rede, welche man mit Onre*
eine Parabel zu nennen pflegt ")• Auch die kleinsten der
r
ii) «. Ä. Tholuck und Lucx*, welcher Letztere aber doch «•
gibt, das» sie mehr nur eine angefangene als vollendeten-
rabel sei (2, S. 345. Anm. 2.). Auch Olshaussii bemerkt, da
hier ?om guten Hirten und das 15, 1 ff. vom Weinstock &•
•agte sei mehr nur Vergleich™ g als Parabel , und Nun»
_j
Siebentes Kapitel. §.80. :i9
mat von Jean vorgetragenen Gleichnisse, wie die vom
unerteig, vom Senfkorn, enthalten die Grundzöge einer
eh fortbewegenden Geschichte, welche Anfang, Fortgang
nd Schlufs hat. Hier dagegen ist schlechterdings kein
iatoriacher Verlauf: auch die geschichtartigen Züge sind
llgemein gehalten (was zu geschehen pflege, nicht waa
In mal geschehen sei, wird gesagt),, and dadurch zum
»Sehen gebracht; ja das ursprüngliche Hauptbild vom
XHfjrpr durch das andere von der xhvQa unterbrochen: so
afs wir hier keine Parabel haben, sondern eine AUego-
ie 12> Es bildet also diese Stelle wenigstens (und wir
rerden auch keine andre finden; denn mit dem sogenann-
an Gleichnifs vom Weinstock Kap. 16. bat es,, wie auch
.»tiCKft sieht, die gleiche Bewandtnifs wie mit diesem)
Leine Instanz gegen die Art, wie neuere Kritiker ihren
/erdacht gegen das vierte Evangelium auch dadurch zu
«gründen gesucht haben , dafe es von der parabolischen
>>hrweise, welche Jesus den Übrigen Evangelisten zu-
blge so sehr liebte, nichts zu wissen scheine. Unbekannt
ibrigens scheint es dem Verfasser desselben nicht gewesen
ui sein , dafs Jesus gerne in Parabeln lehrte , da er hier
md Kap. 15. Proben davon zu geben strebt, von welchen
*r die erstere ausdrücklich eine naQoifiia nennt (V. 6.)t
aber man sieht, wie seinem anders gebildeten Gescbmacfce
diese Form widerstand, wie er namentlich nicht, genug
Objectivitit hatte, um sich der Einmischung von Reflexio-
nen au enthalten, wefswegen sich ihm unter der Hand die
Parabel in Allegorie verwandelte.
Bis 10, 18« gehen die Reden Jtau auf dem Laubhflt»
zeigt sich bereit, von der all gemeinen Gattung der Gleich-
nisse, unter welche auch die johanneischen ncrpxpfat gehören,
die Art der Parabel, wie sie bei den Synoptikern erscheint,
unterscheiden zu lassen (S. 211. Anm.).
12) Vcrgl. db Wirr*, exeg. Handb., 1, 3, S. 5. 127.
"^
7M Zweiler Abschnitt.
tenfeste: von V. 45. an melde! der Evangelist AeeCstn»
gen, welche Jesus drei Monate später, auf dem Fette de
Tempelweihe, gethan haben soll* Hier erwiedert Jen
den Joden, welehe eine bestimmte Erklärung , ob er Ar
Messias sei , von ihm verlangten , sunfiebst , dafs er ihm
diefs bereits sur Genügte gesagt bebe , und wiederholt fi
Berufung auf das Zengnifs des Vaters für ihn durch <&
f(yya (aus 5, 36.). Hierauf aber (von V. 26. an) ftllter
dureb die Wendung, dafs die ungläubigen Frager -nicht u
seinen Schafen gehören, in die eben verlassene Alkgeil
vom Hirten, mit cum Theil wörtlicher Wiederholung, n>
rück 18). Eben verlassen aber hatte diese Allegorie nick
Jesus ; denn seit dieser sie vorgetragen , waren drei lt
nate verflossen , und gewifs Vieles von ihm gesproeta,
gethan und erlebt worden, was ihm diese Biidsrredeii
den Hintergrund des Gedächtnisses rocken mafste: M<kfe
er schwerlich «u derselben zurückgekehrt, in keineuM
aber sie so wörtlich eu wiederholen im Stande gswmm
wäre. Wer unmittelbar von jener Allegorie herksaaU,
ist vielmehr nur der Evangelist, welchem freiliei voa
Niederschreiben der ersten Hälfte dieses Kapitels bis nr
2 weiten nicht Monate vergangen waren ; sondern er scMt
das nach seiner Zeitangabe ziemlich Entfernte in Boes
Zuge fort, und so mochte wohl in seinem GedÄchtnaa,
nicht aber ebenso in Jesu , die Allegorie vom Hirten tri
13) 10, 27: /Tor TTQoßara ra e/ia 10, $• xak t« nqoßm 1$ P
rijs <p<t>vt}i fi* oxhh xajm yiroU vrjt; ovth a*t*t*
axta nur* l4 l xa\ ytrwrxta ra tp*
28 '• xdk axola&Soi poi. 4 1 xai ra nqoßara mri «*"
Auch dss folgende xaYu fafr ahinor dti*ßH *vT*s esupri^
dem obigen tyt fa$Wi %ya f^v tXwr*, V. 10. , so wie du m k
u^naafi tk avra ht r?4( /^? jum das Gegent tttck davon ist) d*1
nach V. 12. der Miethllng die Schafe «^«b^ l«Mt«
Siebente* Kapitel. $. 8*. 911
solche Weise nachklingen. Wer sieh hier dadurch noch
helfen eu können glaubt, dafs er nur die wörtliche Aehn>
liehkeit der späteren Rede mit der früheren auf Rechnung
des Evangelisten schreibt, dem kann man diefs nicht ver-
wehren : für Andere wird dieser Punkt in Verbindung mit
den übrigen dafür entscheidend sein, dafs die Reden Jesu
bei Johannes zum Tbeil ziemlich freie Composidoneii
sind ").
Dasselbe erhellt auch aus derjenigen Rede, mit wel-
cher der vierte Evangelist Jesum seine öffentliche Thttig»
keit beschliefsen läfst (12, 44 — 50.)- Diese Rede nftmliob
ist so durch und durch nur von Reminiscenzen aus den
bisherigen Reden Jesu zusammengesetzt"), so ganz nur,
wie Paulus sich ausdrückt, ein Wiederschall mancher
sonst ausgesprochenen Hauptworte Jesu, dafs man sich
schwer entschließen kann, mit einer so wenig originellen
Rede das öffentliche Wirken Jesu endigen zu lassen, und
daher die neueren Ausleger gröfstentheils der • Meinung
sind, nur der Evangelist sei es, der hier die Summe von
Jesu Lehre noch einmal zusammenfassen wolle16)« Auch
nach unserer Ansicht redet hier wieder der Evangelist,
aber sein Vorgeben ist, einen Vortrag Jesu zu gehen, wenn
er doch die Rede durch ein : *Iqoös 6i &c(hx!;8 xal einer,
einleitet. Diefs freilich wollen die Ausleger nicht zuge*
ben, und sie können sich nicht ohne Schein darauf bereu
fen, dafs ja der Evangelist schon V, 36. gesagt hatte, Je»
sus habe sich nunmehr zurückgezogen CexQvßr})9 und dafs
er durch die folgende Betrachtung über den durch so
viele von Jesu verrichtete artfiua nicht gebrochenen Un-
14) Vgl. de Wbtti s. d. St.
15) Vgl. V. 44. mit 7, 17; V. 46. mit 8, 12; V. 47. mit 3, 17;
V. 48. mit 3, 18. 5, 45 ; V. 49. mit 8, 28; Y- 50. mit 6, 40.
7, 17, 8, 28.
16) Lucks, Tholucm, Paulus z. d. St.
Das Leben Jesu Ue Aufl. /. Band. 46
WÄ Zweiter Absohnitt
glauben der Joden nicht nndenttteh Jesu öffentliche» Wfc
ken ftr geschlossen erklärt hatte; wef« wegen es alsogegea
«einen eigenen Plan wäre, Jesnm hier noch einamal mit
einer öffentlichen Rede auftreten en lassen. Und hiegegea
mag ich mich «war nicht mit filteren Exegeten darauf be-
rufen, dafs Jesus, nachdem er schon den Rfickcug ange*
treten, sich nech einmal umgewendet, und den Joden jene
Worte BUgeruTen habe; aber daran halte ich fest, dals der
Evangelist durch den bezeichneten Eingang V. 44* nur
einen bestimmten Redeaot kann anzeigen wollen. Zwar
seil der Aorist in exQa§€ und eine die Bedeutung des Pias»
^piamperfectums haben, und hier die frfiberen Reden Je»
reeapitnlirt werden , deren ungeachtet die Joden ihm In-
nen Glauben geschenkt haben; aliein diese nachholesai
Stellung des Satses mOfste doch durch etwas, in da
Worten selbst oder im Zusammenhang , angedeutet seia,
ond da diefs weit weniger als n. B* Job. 18, 24. der FaB
ist: so wird man sich die Sache so bu denken haben, dafs
Johannes «war mit V. 86. den Bericht ven der frfientti-
eben Thfitigkeit Jesu hatte schiiefsen wollen ; aber dmreh
die ausführliche SchluAbetrachtung V. $7 ff. und duck
die Kategorien der nlgig und dmgia, welche in derselben
vorkamen, wurde er an froher von ihm vorgetragene He-
den Jeso erinnert, welche diesen ond ähnliche Gegensite
behandelten, und welche er nicht umhin konnte, hier nut
verstärktem Nachdrucke Jesum wiederholen an lassen1*).
17) db Witts, exeget. Handb., 1, 5, S. 148: „Man wird aacfc
hier , wie 3 , 16 ff. 31 ff. , das freie Verfahren des Evangeli-
sten anerkennen müssen , und zwar in umgekehrter Weise:
- näintich während er dort die angefangenen Reden Anderer
als die «einige fortführt, so gestaltet sich ihm hier unter
der Hand die Erinnerung an den Inhalt der Reden Jesu zur
Beschämung der Ungläubigen zu einer wirklichen Rede, wel-
che nie so gesprochen ist.'*
_ Siebentes Kapitel. $. 81. 72*
$.81.
Einzelne , dem rierten Evangelium mit den übrigen gemeinsame
Aussprüche Jesu«
Die bisher erwogenen längeren Reden Jesu waren dem,
arten Evangelium eigenthümlich: nor einige küraere Aae-
rrOche finden sieh, sei weichen die Synoptiker Paraihv
n bieten. Von diesen haben wir diejenigen, welche bei
»h anne* in nicht minder passender Verbindung stehen
vie 12, 25. rgl. mit Matth. 10, 39. 16, 25, and IS, 16.
jl. mit Matth. 10, 24.), nicht besonders an betrachten,
nd da die Stelle 2, 19. vgl. mit Matth. 26, 61. erst im
on texte der Leidensgeschichte aar Sprache kommen kann,
» bleiben ans hier nur drei Stellen übrig, von weichen
ie erste 4, 44 ist
Nachdem der Evangelist gemeldet hat, wie sich Jesus
on Samaria wieder nach Galiläa gewendet habe , setst er
insu: avzog yaQ 6 7. ifiaqrtvQi]Oev y ort ftQwpr/crfi & ifl
Mtf navqldi zifiijv sx exet. Denselben Aussprach finden
rir Matth. 13, 57. (Marc. 6, 4. Lac. 4, 24.) mit 4en Wor-
sjp : öx igt nQOfrjT^g änfiog, ei {ir} ev Tjj natqidt ctvrS
ai iv vfj oixla avrs. Allein, während er hier am gans
eeigneten Orte steht, veranlagst nämlich durch die schlechte
knfnahme, welche Jesu.* in seiner Vaterstadt Nasaret fand,
ie er defswegen wieder verlief«: so erscheint bei Johan-
en der Ausspruch umgekehrt wie ein Motiv der Reise
lesn in seine Heimath Galiläa, wo er übrigens sofort gut
mfgenommen wurde. Da ihn die in jener Sentena ausge-
prochene Erfahrung vielmehr hätte abhalten, als antrei-
ben müssen, eine Reise nach Galiläa au unternehmen: so
fige allerdings dem Bedfirfnifs die Erklärung am nächsten,
reiche noch Küinöl aufgenommen hat, das. yaQ geradeso
'Ör obgleich eu nehmen.; wenn sie nur nicht die sprach-
widrigste Gewaltbülfe wäre. Indessen , da es dabei bleibt,
lafs, wenn Jesus diese Stellung des Propheten au seiner
46»
7*4 Zweiter. Abschnitt.
7ia%QiQ kannte, er vielmehr nieht dahin gehen mobte: a
war man sofort veranläßt, natgls nicht von der Prorim,
sondern im engeren Sinne von der Vaterstadt so venfr
hen, and nach der Angabe, dafs er nach Galiläa gega»
gen, so ergangen: dafs er sich Jedoch in seine Vstantai
Nasaret ans dem angezeigten Grande nicht begeh« b
be *>> silein eine Auslagsang, wie sie bei dieser ErUt
rang angenommen wird , gehört nieht minder au des h>
mögliehkeiten, als jene CJmdentang von yaQ bei der rin-
gen. Da man hienaob eine Angabe , wie man sie Mnt
te, dafs Jesus gar nicht in seine TtcczQig gegangen, ibu»
aere Stelle nieht hineinbringen kann: so glaubte naiv*
nigstens das in ihr su finden, dafs er nicht bald M
zurQckgekebrt sei; wovon dann das ort nQOftrn^ ruii
ganz passend den Grand anzogeben schien *)• Sollt« im
Auffassung zulässig sein, so mfilste anmittelbar vorher die
ganze Dauer des auswärtigen Aufenthalts Jesu saturne*
gehalst sich finden : statt dessen aber ist V* 45. off A
kurze Zelt angegeben , welche Jesus in Samarieo verwdh
hatte; so dafs, in lächerlichem BÜTsverhältnifs voafina'
and Folge, die Furcht vor der Verachtung seiner Lasu»
leate als der Grund bezeichnet wäre, nicht Warna *
erst nach mehrmonatlichem Aufenthalt in Jodka, sonfa
warum er nicht eher als nach Verflnfs zweier in Sanas
zugebrachten Tage nach Galiläa gegangen sei. Kau*
mit , so lange man Galiläa und Mazaret als die nca(i; *•
1) So Cyrill, Erasmut. Was Tuolvck'b Auskunft, welcher**
Olshausbn beitritt, das i^a^rv^otv in der Bedeutung d« ß*
quamperfectums , jand das r^ explanativ zu nehmen, W**
soll, sehe ich nicht ein, da auch so durch ya$ und *r (V»u*
ein Verha'ltniss der Uebereinstümnung zwischen zwei SSW1
bleibt, zwischen welchen man einen, etwa durch /ar**
<fr angezeigten , Gegensatz erwarten sollte. '
2) Paulos, Comm. 4, S. 351. 56.
Siebentes Kapitel, f. 81. TOS
•a eich denkt, aus unserer Stelle des absurdum nicht ent-
fernt werden , dafs Jesu« , bewogen dnreh die daselbst au
erwartende MiCsachtuug, dahin gegangen sei: so war es
dem Ausleger nehe gelegt, sieh ans seinem Matthäus und
Lukas na besinnen , daft ja Jesns vielmehr in der Davids-
stadt Bethlehem geboren , . somit Judäa seine eigentliche
Heimath gewesen sei; welche er nun, der daselbst erfah-
renen Mitsaehtung wegen, verlassen habe *)• Allein in
Judäa hatte er ja nach 4, 1. vgl. 2, 23. 3, 26 ff. einen sehr
bedeutenden Anhang gewonnen, und konnte sich also über
Mangel an tiui] nicht beklagen; denn die Nachstellungen
der Pharisäer, welche 4, 1. su verstehen gegeben sind,
waren eben durch das wachsende Ansehen Jesu in Judäa
veranlafst, und ihrerseits keineswegs auf das: an tiqo
tpiftTfi x. x. iL, aurückauftihren. Ferner ist in unserer
Stelle das Gehen nach Galiläa nicht mit einem Verlassen
Judäa's, sondern Samariens in Verbindung gesetzt; so
daft, da es heilst: er verlieft Samarien, und ging nach
Galiläa, weil er die Erfahrung gemacht hatte, dafs ein
Prophet in seinem Vaterland nichts gelte, vielmehr Sama-
rien als sein Vaterland bezeichnet au werden scheinen
könnte, wie er 8, 48. Sa/naQeh^g gescholten wird: aber
auch in Salharien hatte er nach 4, 39* eine günstige Auf-
nahme gefunden. Ueberdieft haben wir schon oben gese-
hen, daft das vierte Evangelium von einer Geburt Jesu in
Bethlehem nichts weift, sondern ihn allenthalben als Ga-
liläer und Naaaretaner voraussetat. Der einsig übrig blei-
bende Ausweg ist, den Satz als Erklärung davon au neh-
men, warum Jesus nicht auerst längere Zeit in Galiläa,
sondern vielmehr in Judäa und Samarien gewirkt, und
sich hierauf erst nach Galiläa zurückgewendet t habe: näm-
5)\ Dieser Gedanke ist so ganz im Geiste der alten Harmonistill,
dast es mich wundert, wenn wirklich erst LxJckb (Comrn. 1,
S. 545 f.) auf denselben verfallen ist.
TSC Zweiter Abschnitt.
lieb, «i sieh erst auswärts Ansehen so > erschaffen, tri
dnreh die Rückwirkung hieven sofort auch die Galifa
sv gewinnen; was ihm nach dem gleich Folgeaden tiefe
gelang •).
Der Aussprach IS, 20: o hx/ißamv iav wa tupfa
ifii XanßavW 6 di ipi kxußavtav hx^ßavu toy nifiijmi
fie, hat Matth. 16, 40. eine fast wörtliche Parallele. V*
angegangen war bei Johannes die VerherverkündigiBgai
Verraths nnd die Erklärung Jean gegen die Jünger, U
er ihnen diefs im Vorans habe sagen wollen, damit u,
wenn sieh seine Vorhersage erfülle , an ihn ab Mens
glauben möchten. Wie hingt nun damit jener Anispnd
susammen? nnd wie mit dem Folgenden, wo alsbald?»
der vom Verrather die Rede wird ? Man sagt, Jesus mh
auf die hohe Wörde eines messianischen Lehrgecaafa
aufmerksam machen, welche der Verräther versehene1):
aber eben dieser negative tiedanke des Verlieren«, »i
welchen hier Alles ankommt, ist im Texte duret meto
angedeutet. Andere nehmen an, mittelst der Schilderung
Ihres hohen Werthes habe Jesus den durch die Erwib*
nung des Verräthers niedergeschlagenen Jüngern neee«
Muth einflössen wollen 6) : aber dann . durfte er aehwerW
unmittelbar darauf wieder vom Verräther fortfahren. Kai
Andere vermothen ausgelassene Mittelglieder7): kaoub*
ser, als wenn Küinöl an ein Glossem aus Matth. 10, <*■
denkt, das "ursprünglich su V. 16. gemacht, hierauf ito
hieher, an den Slhlnfs des Abschnitte', verwiesen worin
sei. Hiebet ist übrigens die Hinweisung auf V. ld ea
brauchbarer Fingerzeig. Auch dieser Vers nämlieb, wb
4) NsAHMa, L. J. Chr., .3. 386. Anm. ; vgl. na Wimi
* d. St.
5) Paulus, L. J. l, b, S. 158.
6) Ltfcat, 2, S. 478.
7) Taottfca, s. d. St.
Siebentes Kapitel, f. 81. T5T7
•er SOste, hat feine Parallele in der Instruöttonsrede bei
Mattl*ius (10, 24.); waren dem Verfasser des vierten
mVtuigeliums ans dieser einige Stücke fan Gedietitnifs : se
konnte leicht- eines das andere in seiner Erinnerung her»
vorrufen* V. 10. war von dem anogolog und dem nipiftag
ecvrov die Rede; ebenso hier, V. SO., von denen, weiche
Jeans senden werde, und dem, der ihn gesandt habe.
Freilieh jenes, nm Demntb an empfehlen, dieses nm an
ermnthigen ; also dem Sinne nach nicht aosammenbiogend,
sondern nur den Vif orten nach: so dafs wir hier den Vei^
fasser des vierten Evangeliums in Wiedergebnng der Aus-
sprüche Jesu demselben Gesetse der Ideenassociation fol-
gen aeben, wie die Synoptiker. Das Natürlichste wäre
hiebe! awar gewesen, den 20sten Vers unmittelbar nach
dem 16ten an stellen; indefs der Gedanke an denVerrither
drängte sich vor, und der doch nur lexikalisch in der Er-
innerung des Evangelisten wiedererwekte V. 20- konnte ja
ebensogut auch etwas spfiter stehen.
Die dritte hier in Betracht kommende Stelle, 14, 31.,
steht n war noch -tiefer als die anletat beleuchtete, im Be-
reich der Leidensgeschichte: kann aber, da sie sich, wie
jene, gana abgesehen von diesem Zusammenhang untersu-
chen Iftftt, hier ebenso unbedenklich mitgenommen wer-
den. In dieser Stelle fallen die Worte: iysiQeodt, ayw//*v
evrevd-evy defswegen auf, weil der in denselben enthalte-
nen Aufforderung cum Weggehen keine Folge gegeben
wird, sondern Jesus, wie wenn er so. etwas gar nicht
gesagt bitte, unmittelbar (15, 1.) fortfährt: iyal eifui rj
afirukos rj afoftivrj x. t. A., und erst nach lange noch fort-
gesetzten Reden 18, 1. mit seinen Jüngern aufbricht. Mit
seltener Uebereinetimmung jedoch haben die Ausleger der
verschiedensten Farben jene Worte dahin erklArt, dafs Je-
sus swar im Sinne gehabt habe, nunmehr wegsugehen,
und sich nach Gethsemane au begeben, dafs Ihn aber die
Liebe und der Drang, seinen Jüngern noch Hehreres mit-
T26 Zweiter Abschnitt.
Mtheilea* festgehalten, feabe; ao sei iwav da* Eine, w«
er aufforderte, dm $fdqfß&€> in Vollzug gekommen, ab*
stehend im Speisesaale habe er sofort noch weiter getpn>
ehen, bis erat später (18, 1.) aneh dem uyo)ft& ivuvte
folge gegeben worden sei *)• Die Möglichkeit einst «li-
ehen Hergänge wird ragegeben werden müssen: so wii,
dafg im Andenken eines Jfingera das Bild dieses letstu
Abends mit allen seinen Einzelheiten gar wohl so lebbsfi
sich erhalten haben konnte, dafs er auch Jesu Anbtehn
j|nd röhrendes Verweilen an gehöriger Stelle miters&hlte.
Aber, wer ans lebendiger Erinnerung heraus ers&hlte, der
mußte, acheint es, gerade daa Anschauliche an der Sieb}
daa Aufbreohen, und wie doch noch verweilt wurde,!*
entheben; nicht aber die blofsen Worte, welche ohnetfr
Ifigung Jener Umstände durchaus unverständlich bleu*
Bemerken wir nun, dafs an demselben letzten Abend uu
die Synoptiker Jean ein iyei$£0&€ uyco/uev, in darein*
passendem Zusammenhange, in den Mund legen (Ktttk
26, 46, Marc. 14, 42.): eo kann auch hier die VerwtoMg
entstehen , es möchte von dem vierten Evangelist« em
RedestOck, wo es ihm eben einfiel, nicht im bsstsa
Zusammenhange, eingefügt worden sein. In der Thst
lfifst sich auch etwas nachweisen, daa ihn gerade biern
jenen Ausspruch erinnern konnte. In den synoptueki
Parallelen steht die Aufforderung: tyelQeo&e cryw/tfv, ■*
der Ankündigung im Zusammenhang: 16& ^yyixe^ rj «(»?
xal 6 viog t. d. naQadidorai dg x£iQa§ <xfta(nü>lc~)v — l®
ijyyucev 6 naqaöidsg /ue, also mit der Verkffndigang d*
Mähens der feindlichen Macht , vor % welcher sich jedoet
Jesus nicht fürchtet, aondern mit jener entschlossenen An-
forderung der Gefahr entgegengeht. Von dem Herannahe»
einer feindlichen Macht hatte Jeans auch im Zusammen-
8) Paulus, Ldcki, Tkoujck, Olsbausik, z. d. St.; Hw, EiaL i>
das N. T. 2, S. 209.
Siebente« Kapitel, f. 81. 72»
bange der jobanneiechen Stelle gesprochen, wenn er sagte :
ÜQXerai 6 tu xoo/uh ccqxojv, xcä iv ifioi ax txei öder. Dafs
hier die in dem Verräther nnd den von ihm Geführten wirk-
same Macht, dort aber der von derselben getriebene Ver-
rfither selbst, als das sich Nähernde namhaft gemacht ist,
würde hiebe! wenig Unterschied machen: sondarn, wnfste
der Verfasser nur unbestimmt, dafs Jesus mit der Hinw^sung
auf die nahende Gefahr ein entschlossenes tyeiQeo&e ayioutv
verbanden hatte : so konnte ihm diefs bei der Erwähnung des
feindlich nahenden aqxoyv tHxojus einfallen, und er fügte, weil
er Jesum und seine Jünger noch in der Stadt und im Hause
hatte, sie also bis cum Zusammentreffen mit der feind-
seligen Macht noch eine bedeutende Ortsveränderung vor-
nehmen lassen mufcte, dem aytofitv noch das tvztv$ev hin-
an. Wie ihm aber dieses traditionelle Dictum nur unwill-
kürlich in den Gang derjenigen Gedanken, welche er Jesu
als Abschiedsreden in den Mund au legen gedachte, swi*
scheneingescblüpft war: so wurde es auch alsbald wieder
Ignorirt, und dem noch nicht erschöpften Strome der Ab-
schiedsreden nach- wie vorher freier Lauf gelassen. Wäre
freilich der fragliche Ausspruch auf diese Weise an unsere
Stelle gekommen, so könnte der Erzähler nicht wohl Zeuge
jenes letzten Abends, also nicht Johannes, gewesen sein;
doch auch angenommen, Jesus habe wirklich auch schon
im Speisesaale jene Worte gesprochen : so ist in dem un-
vermittelten Anschließen der Bilderrede vom Weinstock
an dieselben eine Unklarheit, die uns eu dem Geständnifs
zwingt, dafs der Evangelist auch hier wie in manchen
andern Fällen den objeetiv - historischen Faden nicht sicher
festgehalten habe9).
9) »e Witts, exeg. Handb., 1, 3, S. 166 f.
730 Zweiter Abschnitt.
& ML
Die neueren Verhandlungen über die Glaubwürdigkeit der
johanneischen Reden. Resultat.
Durch die bisherige Untersuchung der Reden Jen k
vierten Evangelium werden wir nun hinreichend assgerl!
stet sein, am uns in dem Streite, weicher neuerlieh ihr
dieselben geführt worden ist, ein Urtheil so bilden. Dt
neuere Kritik nämlich hat diese Reden theils nach ikv
inneren Beschaffenheit, mit Beziehung auf gewisse aUg*
mein anerkannte Maßstäbe der Glaubwürdigkeit, AA
nach ihrem äufseren Verhaltnils zu andern Reden ssi
Darstellungen, verdächtig gefunden : wogegen es aber n&
an zahlreichen Vertheidigern derselben gefehlt bat
In Bezug auf die innere Beschaffenheit entstellt 4 !
doppelte Frage : entsprechen jene Reden , so wie sie n
ans liegen , den Gesetzen 1) der Wahrscheinlichkeit, vi \
3) der Behaltbarkeit ?
In ersterer Hinsicht wird von den Freundes sei
vierten Evangeliums bemerkt, seine Reden zeichm» seh
durch ein besonderes Gepräge der Wahrheit not4 «**
verläfsigkeit aus, die Gespräche, die 4s Je«« ■*
Menschen der verschiedensten Gattungen fähren Ist«)
seien durchaus treue Charakterschilderungen, welche» ;
strengsten Anforderungen der psychologiechen Kritik Ge-
nüge thun ')• Dem ist von der andern Seite entgegenf j
setzt worden, wie es vielmehr höchst unwahrtcheiafi*
sei, dafs einerseits Jesus zu Personen von den ven**
densten Bildungsstufen so ganz auf dieselbe Weise, so **
Galiläern in der Synagoge zu Kapernaum nicht veno*'
lieber, als zu dem diddaxalog tö *IöQarjX in Jerww
gesprochen , dafs den Inhalt seiner Reden fast durtowf
nur die Eine Lehre von seiner Person und deren H*
1) WaescmwiR, Einl. in das Evang. Job. S. 37f. f"0.
Com». S. VI f.
Siebentes Kapitel, f. 83, TS1
mheft gebildet haben , die Fern derselben aber wie ab*
ehelich darauf berechnet gewesen sein sollte, die Leute
re sn machen und von ihm surflcknestofsen. Ebenso an«
reraeks bei den Zuhörern ond Mitunterrednern hat man
Le Angemessenheit ihrer Zwisehenreden niebt selten ver-
lifst. Hier ist, wie wir gesehen haben, kein Unterschied
wischen einem samarischen Weibe und dem gebildetsten
'harisler: dieser so gut wie jenemufs die geistig gemein«
in Reden Jesu fleischlich rnifs verstehen , und diese Mifs-
erständnisee sind nicht selten so grell, dafs sie allen
Hauben Abersteigen, jedenfalls aber so einförmig, dafs
ie einer stehenden Manier Ähnlich sehen , in welcher der
Verfasser des vierten Evangeliums willkürlich des Contra«
tes wegen die mit Jesu sich Unterhaltenden gezeichnet nn
iahen seheint *)• Dafs in vielen andern Fällen sowohl die
Anwendungen der Mitunterredner, als die Erwiederun-
gen Jesu auch wieder vollkommen angemessen sind (e. B.
m Uten, com Theil auch im Uten Kap., in den Abschieds»
«den u. sonst), ist nicht in Abrede eu stellen ; aber eben-
sowenig die entgegengesetste Beschaffenheit mancher an«
lern Wechselreden bu fiberseben«
Was fuVs Andere die tiesetee der Behaltbarkeit be-
rifft, so ist man so ziemlich darin einverstanden, dafs
iiejenige Art von Reden , wie sie das jbhanneische Evan«
gelium, im Unterschiede von den eineein stehenden oder
Busammengereihten Sinnsprüchen und Parabeln der übri-
gen, berichtet: nämlioh susammenh&ngende Demonstratio-
nen oder fortlaufende Dialogen, bu demjenigen gehöre,
was sich am schwersten behalten und treu wiedergeben
2) So Ecxbubuxw, theol. Beitrüge, 5, 2, 8. 228} (Vosbl) der
Evangelist Johannes und seine Ausleger vor dem jüngsten
Gericht, I, 8. 28 ff. , bei Wboscmbidbr , a. a. O. S. 281.;
Brbtschhbidbr, Probabil. S. 33. 45 ; »s Wbttb, exeg. Handb.
!, 3, 8. 6 f. . *
712 Zweiter Abschnitt.
lifst *). Wenn solche Reden nicht protokollarisch naehgt-
sehrieben werden, so ist fär ein treues Wiedergeben nicht
su stehen* Wirklich hat daher Dr. Paulus einmal dsa
Einfall gehabt, es mögen vielleicht bei den Tempel- «der
Synagogengerichten en Jerusalem- eine Art von Geschwind-
Schreibern als Protokollisten angestellt gewesen sein , aus
deren Acten dann nach Jesu Tode die Christen Abschrif-
ten gesammelt hätten *), und auf ähnliche Weise meinte
Bertholdt, unser Evangelist habe noch bei Lebseiten Je«
die meisten seiner Reden aramäisch aufgezeichnet, und
diese Aufzeichnungen bei der weit späteren Abfassung sei*
nee Evangeliums zum Grunde gelegt &). Wenn anch alt
letztere Voraussetzung nicht ohne Stütze in der Sitte /i-
discher Rabbinenschfiler ist 6) : so sehen doch die Rena
bei Johannes am wenigsten darnach aus, frisch vom Mun-
de Jesu weg aufgezeichnet zu sein , sondern es sind hier-
über, dafs sie lange vor der Miederschreibung im GemsV
the des Verfassers getragen worden sein müssen, jetzt atle
Theologen einverstanden. Zur Beglaubigung derselben be-
rufen sie sich nun aber auf die Tiefe erster Jogendein*
drücke, auf die Weiche und Bildsamkeit von Johannes
Charakter , auf sein inniges Verhältnis zu Jesu während
dieser lebte, auf die Treue, mit welcher er naob des
Meisters Tode seine Reden im Herzen bewegt , und sich
ganz in die Denk- und Redeweise Jesu hineingelebt ha-
3) ob Wstts, ßinl. in das N. T. $. 105.; exeg. Handb. 1, \,
S. 6 ; Tholuck , Gomm. z. Joh. S. 38 f. ; Glaubwürdigkeil,
S. 544 ff.; Lücke, 1, S. 198 f.
4) Commentar, 4, S. 275 f.
5) Verosimilia de origine ev angeln Joannis , opusc. S. 1 ff. und
Einleit. in das N. T. S. 1302 ff. Dieser Ansicht gibt VVM.
acHEiDBR, a. a. O. S. 270 ff. Beifall, und auch Hut* 2, 265 f.
und Tholuck, Comm. S.38, glauben die Annahme früherer Auf-
zeichnungen nicht ganz ausschliefen zu dürfen.
6) Vgl. Tholuck, S. 18.
Siebente» Kapitel. $. 8S. 7SS
be *). Mit dem Letzteren gestehe» sie Jedoch selbst eh,
dafs an strenge Auseinanderhaltung des Eigenen und Frem-
den, an eigentliche Objectmt&t , nicht su denken sei*
Namentlich setst Tholück in den Reden Jesu bei Joban-
nes die kindliche Einfalt (d. h. das Fortlaufen des Perio*
dehbans an einer beschränkten Zahl von Conjunctionen),
die Einförmigkeit (d. h. die kreisförmige Gedankenbewe«
gang, welche in kurzem Umschwünge immer wieder auf
den Punkt zurückkehrt, von dem sie ausgegangen) und
die Zerflossenheit (welche, mehr auf die Einheit, als auf
die Verschiedenheit der Begriffe merkend, dem Erklärer
die logische Exposition oft so schwierig macht), unbedenk-
lich auf Rechnung des Evangelisten: scheinbar nur for-
melle Momente; welche aber, wie namentlich die von
Tholück treffend sogenannte Kreisbewegung, sogleich tief
in den Inhalt eingreifen, und uns namentlich für den Gang
und Fortschritt der johanneischen Reden jede Bürgschaft
entstehen. Ob aber nicht sogleich auch entschieden zum
Inhalt Gehöriges, Vorstellungen und Ideen, in die Reden
Jesu und Anderer im vierten Evangelium sich eingeschli-
chen haben, mafs sich aus dem Bisherigen von selbst er*
geben.
In letzter Instanz beruft man sich auf den übernatür-
lichen Beistand des TtaQaxkrjcos y den Jesus seinen Jüngern
verheißen , und der sie an Alles, was er ihnen gesagt, er-
innern sollte *). Allein so weit diese Berufung wissen-
schaftliche Bedeutung hat, ist sie in den oben aufgeführ-
ten psychologischen Momenten enthalten ; führt also auch
nicht weiter als diese: und wie wenig sie eine darüber
hinausgehende Sicherheit zu gewähren im Stande ist, er-
7) W*esciura>*R, S. 285 f.; Lückb, S. 195 £.; Tholück, Glaub-
Würdigkeit, a. a. O.
8) Licits, 1, S. 197; Tholück, Comm., S. 39; Glaubwürdigkeit,
' S. 345 f.
754 Zweiter Abschnitt
hellt am besten daraus» dein Tholück, nachdem er sieh
eben mit grobem Nachdruck aof dieselbe berufen , alsbald
geratben findet, sieh auf den schlimmsten Fall veransc
hen, dafs nioilich Einer glauben könnte, angeben ma mie-
sen, manche von diesen Reden seien gar nicht reit Chri-
sto gehalten werden, aber der Geist des Meisters aei anf
die Jünger Abergegangen, und habe aus ihnen hemoe aal»
ehe Reden gebildet •>
Das änfsere Verhfiltnifs der Reden Jesu bei Johannes
ist selbst wieder ein gedoppeltes: indem sieh nur VergW-
ebung mit denselben theils diejenigen Reden darbieten,
welche die Synoptiker Jesu in den Mund legen; theils dis
Art und Weise, wie der Verfasser des vierten Erna^s»
liums, wo er in eigener Person auftritt, au reden pflegt.
In ersterer Beaiehung hat man die bedeutende Dtfb-
rena hervorgehoben, welche ewischen den beiderseitigen
Reden sowohl, dem Inhalt als der Form nach stattfindet.
In formeller Hinsicht ist auf die Differenz zwischen
der gnomischen oder parabolischen Form der Belehrungen
Jesu bei den Synoptikern, und der dialektischen bei Jo-
hannes, aufmerksam gemacht worden10). Die Parabel nun
allerdings fehlt dem oben Bemerkten aufoige im vierten
Evangelium gann, und man mufs sich wundern, da dock
9) GlaubwUrdigleit, S. 347. Indem bei dieser Gelegenkeit dSe
Reden bei classischen Geschichtschreihern rerglichen wer*
den, ist die Ungenauigkeit zu rügen, mit welcher das nu-
cydideische« i^optoo an fyyvrcnv rtjs %vpnaot]$ yrmpqt
rüv akftwq Xtxto'yrtar, «war yollständig angeführt, aber für
die ungelehrten Leser übersetzt ist: „mich so nahe als mög-
lich an das wirklich Gesprochene (statt: an den allgemei-
nen Sinn desselben) haltend." Offenbar schreibt die Ue-
bersetsung dem Geschichtschreiher eine ungleich grössere
Treue in Wiedergebung der Reden zu, als er selbst für
sich in Anspruch nimmt.
10) BmiTSCmtstnsa, Probahil. Anhang.
Siebente« Kapitel, f. 81. 716
nfcas neben Matthäus noch so manches schöne GleiohnUs
igen bat, wie nioht Johannes naoh beiden, vorausgesetat
uch, dafs er ihre Schriften kannte, noch eine bedeutende
[aoblese so machen .gewufst haben sollte? Dafs es an
imaselnen Gnomen nnd Senteneen, welche den synopti-
oben ähnlich sind, im vierten Evangelium nicht durchaus
»hie , .müssen wir swar zugeben (Job. 1, 52. 2, 16. 5, 14.
1, 11. 12, 7 f., ferner die §. 81. angefiihrten Anssprttobe
md manche ans der Leidensgeschichte, in weloben die
ier Evangelien bisweilen wörtlich ausammen treffen); so
ria andererseits in den drei ersten Evangelien nicht an
Laden, die an paradoxer Schärfe nnd Härte den johannei-
«shen gleichen (wie Matth. 8, 22. ): aber ebenso sollte
Dan von der andern Seite eingestehen, dafs im Gänsen für
»inen palästinischen Volkslehrer jener vorwiegend gnomi-
iche nnd parabolische Vortrag, den ihm die Synoptiker
eihen , besser als der dialektische bei Johannes passe ")•
Doch diese formelle Differenz ist nicht su trennen von
lerfenigen, welche auch in Betreff des Inhaltes der Reden Je»
m »wischen dem johanneischen Eyangelium und den ftbri-
^sn gefunden worden ist. Während Jesus in den drei ersten
Evangelien sich aufs Engste an die Bedürfnisse seines hir-
enlosen Volkes anschliefse, und demgemäß bald den ver-
lerblichen Satzungen der * Pharisäer gegen Ober den sittli-
chen nnd religiösen Gehalt des mosaischen Gesetzes, bald
na Gegensatz gegen die sinnlichen Messiasheffhungen der
Keit das reingeistige Wesen seines Reichs und die Bedin-
gungen des Eintritts in dasselbe auseinandersetse : drehe
»r sich im vierten Evangelium immer nur, und oft auf
lofruehtbar speoulative Weise, um die Lehre von seiner
Person und höhern Natur; so dafs dem manobfaltigen,
bald theoretischen, bald praktischen Inhalte der synopti-
ichen Reden Jesu in den johanneischen ein einseitiger
11) di Witte, Einleitung, $. 105.
736 . Zweiter Abschnitt.
Dogmatismus entgegenstehe iZ). DaJs diele kein totaler
tiegensats sei, sondern sowohl in den synoptischen Redsi
JohanneischartfgeBestandtheile, als umgekehrt, sieh findet,
wird man, mit Räcksieht auf Stellen wie Mattl». 11, 27 £
einerseits, und die oben aus Johannes angeführten anderer-
seits , angeben müssen ls) : aber aueh nur das bedeutende
Vorwiegen des dogmatischen Elements auf der einen, im
praktischen auf der andern Seite bedarf einer gründlichen
Erklärung. Gewöhnlich nimmt man hier den' Zweck n
Hülfe, welchen Johannes bei Abfassung seines Evange-
liums gehabt haben soll: die drei ersten Evangelien n
ergänzen, ,und die von ihnen gelassenen Lücken aaasafil-
len. Allein, wenn doch Jesus bald auf die eine Wein,
bald auf die andere sprach , warum nahmen sieh die Syn-
optiker fast durchaus nur die praktisch populären, Johan-
nes fast ohne Ausnahme nur die dogmatisch speealatira
Bestandteile seiner Reden heraus ? Jenes weifs man auf
eine Weise en erklären, die an und für sich befriedigen
könnte. In der mündlichen Ueberlieferung, bemerkt mao,
aus welcher die drei ersten Evangelien geflossen seien,
habe von den Reden Jesu nur das Einfache und Gemein-
Verständliche, das Kursgefafste und Schlagende, als dai
Behaltbarste, sich fortpflansen können, das Tiefere aber
und feiner Ausgesponnene verloren gehen müssen**). Dan
nun aber der Verfasser des vierten Evangeliums in der
Nachlese, welche er nach dieser Voraussetzung anstaHte,
fast alles jener praktischen Tendenz Angehörige fibergeht,
da doch gewifs nicht alle Reden Jesu von dieser Art be-
reits durch die Synoptiker aufbehalten waren, «Hefe Ufa
sich doch nur aus einer Vorliebe des Evangelisten fnr
12) Brjetscrkiidia, Probabil. S. 2. 3. 31 ff.
13) di Wim , Einl. in das N. T. §. 103. J exeg. Handb. 1 , 3,
8. 4 ff.) Hasi, L. J. §.7.; Tboluck, Glaubwürdigkeit, S. 527*
14) Luc» und Tholuck, a. d. a. 00.
Siebentes Kapitel. $,8*2. 737
laichen Reden erklären, welche nicht allein in dem ob*
tetiven Bedtfrfnifs seiner Zeit vnd Umgebung, sondern
neb. in der subjectiven Richtung seines eigenen Geistes
iren Grand gehabt haben mufs. Doch ebensosehr in dem
welehthom des Geistes Jesu, wird bemerkt, und helfend
n die in gaus ähnlicher Weise sich unterscheidenden ßil«*
er erinnert, welche uns Xenophon auf der einM und
•leito auf der andern 8eite von der Lehrart doli Sokrates
ntwerfen1*). Gewifs mufs Sokrates mehr getrjesenrsein,
Im Xenophon aus ihm macht,* und dieses. Mehr haben tyir
ben aus der platonischen Darstellung herausnuiesen^' aber
lamit ist nicht gesagt, da(s alle die Ideen, welche Plato
einem Sokrates in den Mund legt, auf Reohnung des ge-
ichichtlichen Sokrates geschrieben werden dürfen* Ebenso
et susugeben, dafs cum Verständnifs nicht nur mancher
ineelnen Aussprüche des synoptischen Jesus, sondern der
[anzen Eigenthttmlichkeit seines Bewußtseins, seiner. Stel-
ong und Wirksamkeit, der Schlüssel nur in dem johannei-
chen liegt; aber nicht allein bedarf ebenso die Zeiofrnung
leau im vierten Evangelium einer Ergänzung aus den drei
Ihrigen Evangelien, und erweist «ich somit als .eine £in*ei*
ige: sondern eben von dieser Einseitigkeit des gierten
Evangelisten fragt es sich sehr, ob sie aufser dem Nega-
iven des Weglassens wesentlicher Zttge, sich nicht . ungleich,
wie bei Plato bewufst und absichtlich, so hier vielleicht
inbewufst) auch positiv, durch Verstärkung gegebener
ind Eintragen neuer Züge, geäufsert hat?
Man fahrt mehrere Eigentümlichkeiten des vierten
Evangeliums an, die eine solche Untreue unwahrscheinlich
Aachen sollen* Warum — fragt man — , wenn dem Ver-
fasser desselben so wenig darauf ankam, eigene Gedanken
leinem Jesus in den Mund su legen, enthält er sich so
gewissenhaft, ihm die Logosidee seines Prologs su lei-
J5) Tmoluck, a. a. 0. , S. 519 ff.
Dom Leben Jen Sie Aufl. /. Band. 47
739 Zweiter Abschnitt.
hen ") ? Kein sicherer Beweis ^ da er von Glaser aait git
(serer Bestimmtheit ale von minder formell ausgeprägtes
Vorstellungen sich bewirfst «ein mufste, sie anderswoher
ale von Jesu »u haben , weswegen er bei ihr sorgfältig«
ale bei andern vermied , sie ansdrlfekltcb Jeeu ev unter-
legen. Ale ein weiteres günstiges Zeichen ftr die Treue
des vierten Evangelisten in Wledergebnng der Reden Jesa
hat man das betrachtet, daft er die VorherverkllndiguB-
gen des Todes " und der Auferstehung weit unbeetimaater
halte ; dafs er ferner bisweilen dunkle Aussprüche Jsm
durch eigene BeisStae, und «war öfters falsch, erkliie:
statt dafs bei einem minder treuen Oeschichtsdureiber —
wie diefs in Absicht der Todes - und Aoferstehungsverka*
digungen bei den Synoptikern geschehen — die spfiter,
nach dem Erfolge, gefabte Ansicht mit jenen Ausspruches
zusammengeflossen sein würde 17). lndefs — wie wir äs-
ten sehen werden, seinen gewaltsamen Tod, und zwar
bestimmt als Kreuaestod, läfst Johannes Jesum kann min-
der unumwunden als die übrigen Evangelisten voraussagen;
den Verrath des Judas sagt Jesus nach Ihm, wenn auch
nicht bestimmter, doch ungleich früher, vorher ; Oberhaupt,
wenn sich ihm einaelne geschichtlich wichtig gewordene
Worte Jesu scharf einprägten, und er diese getreu wie-
dergibt; so folgt daraus noch nicht, dafs Beides bei alka
und namentlich auch bei solchen Vortrügen Jesu stattfand,
welche, statt an die Geschichte sich anzulehnen, an die
dogmatischen Vorstellungen des Evangelisten anklangen.
Nicht unwichtig ist endlich noch das
16) pAOi.ua, in der Recens. der »weiten Auflage von Leen**
Commentar , im Lit, Blatt der allgesB. Kirchenzeitung, 1834,
No. 18.
17) Bbrtholdt, an dem Anm. 5* angeführten Orte; Harn, pra-
gramm, quo illustratur Joannes apostolus nonnullorum Jean
apophthegmatum et ipso interpres*
Siebentes Kapitel. §. 84. 730
Reden Jesu bei Johannes au der eigenen Denk« and
Schreibart des Evangelisten. Hier nämlich haben wir eine
Aehnlichkeit zwischen beiden gefunden 18) , welche . man
zwar jetat, wie schon bemerkt, In der Regel daraus er-
klären will, dafs der empfängliche Jünger sieh gana In
die Sprechweise Jesu bineingebildet habe *•). Allein,
war diejenige Form des Gedankens und der Rede, wie
sie, einselne Sentenaen abgerechnet, im vierten Evange-
lium die herrschende ist, wirklich der charakteristische
Grandton der Vorträge und Gespräche Jesu: so mfifsten
die flbrige* Evangelien, in welchen, wiederum einselne
Stellen abgerechnet, der Ton ein durchaus anderer ist,
den Charakter der Reden Jesu verändert haben. Diefa
läfst sich aber nicht wohl denken* Denn das Medium, in
welchem der Redestoff der drei ersten Evangelien vor der
schriftlichen Aufaeichnung bewahrt wurde, hat sich uns
als ein solches geaeigt , das ewar eerhröckelnd, aber nicht
aufweichend wirkte; das awar die Verbindung nolancher
Redetheile auflöste, ihre Stellung au einander veränderte,
aber jedes einzelnen Theiles innere Structar so «sehr re-
spectirte, daft es in unsähligen Fällen lieber Ungefügiges
auf schroffe Weise zusammenstellen, als durch Schmelzen
Uebergänge vermitteln wollte: ein solches Medium aber
hat alle Wahrscheinlichkeit eines treuen Wiedergebens von
Jesu Redeweise für sieb. Finden wir dagegen im vierten
Evangelium von allem diesem das Widerspiel: nämlich
fast durchaus gelinde, gleitende Uebergänge, wenn auch
wegen der Tiefe des mystischen Sinnes, in welcher sie lie-
gen, bisweilen ffir den ersten Anblick dunkel; ein Her-
aasspinnen des einen Gedankens aus dem andern , wobei
häufig der folgende Satz nur erläuternde Umbildung des
18) vgl. hiezu Schulze, der schrittst. Charakter und Wertfa des
Johannes. 1803.
19) Lucm und Tholüch, a. d. a. 00.
47*
"•- ^—— ^■^^^■M^fc»^.
740 Zweiter Abschnitt.
■ • ♦
vorhergehenden ist *°): so bleibt nur sweteriei: entweder
lieben wir hier eine noch treuere Relation ab bei dea
"Synoptikern, nfimlicb eine solche, welche aufeer den ein»
seinen Bestandteilen auch deren Verbindung und Zusauh
menhang auf ursprüngliche Weise wiedergibt - eine sol-
che aber wird dem jöhanneischen Evangelium jetat selbst
von seinen eifrigsten Freunden nicht mehr angeschrieben;
oder wir haben in demselben Reden , in welchen, was Im
Gedächtnisse auseinandergefallen war, durch eigene Gef
stesthfitigkeit des Evangelisten wieder in Einheit gebracht
worden ist, und awar ill der Art, dafs er die sprödes,
gediegenen Redestttcke gröfstentheils erst in aelnem fl*-
mfithe bu einer weichen Masse auflöste , aus welcher er
nun die uns jetet vorliegenden Reden in Formen ausbildete,
an welchen er selbst den überwiegenden Antheil hat.
• Darin kommen jetet im Wesentlichen alle, welche ei-
ne kritische Betrachtung des N. T. sich gestatten, überan,
was Brktschnbidbr als seine neueste umgestaltete Ansieht
von den jöhanneischen' Reden ausspricht: Johannes Itefs
Jesum weniger sprechen , wie dieser jedesmal wirklich im
Einseinen gesprochen, als wie ea jedesmal dem Eindrucke,
den er von der gannen Erscheinung und Lehre Jesu hal-
te! gemfifs war ")• Der Streit dreht sieh nur urstBsb
J0) Treffender ksnn man diese Eigenthtimlichkeit der jöhannei-
schen Reden nicht bezeichnen, alt Erasmns in der seiner
Paraphrase vorausgeschickten Epist. ad Ferdinandum :
Joanne* suum guoddam dicendi cenus, tta sermmem
ansutt* ea *e*e eohaerentibus contenen*, nonwmqUamt em
trarits, mmnunguam ew Hmiübus, mmnunguam em ff—fem
eubinde repetttts, ut oraticni* quodque atsatin
per exctpiat prim, sie ut priori* /Saft *ii tnitium
tt* etc.
21) Erklärung über die mythische Auffassung des historischen
Christus. Allg. HZtg. J837, Juli, No. 104—106.
i
i
I
Siebentes Kapitel. §. tt. »41
darum, wie Hei demungeaehtet in diesen Reden neeh Jesu i
selbst angehöre? Zweitens, eb mit dieser Ansieht die Ab*
fassong des vierten Evangeliums durah den Apostel Jo-
hannes bestehen köone? Entere Frage habe leb im Bis*
herigen bereits au beantworten gesueht; in Betreff der
andern getraue ieh mir nkht, so behaupten, dafr die Jo«
hanneisoben Reden etwas enthielten, was sieh entschieden
weigerte, theils ans der Individnatttit dee Johannes, theile
ans der Abfassung des Evangelium* in seinem eplten AJftsr
au^ wj#ajaj ^Baa> aa^epaam a^aja} a^f aaj üiajpaaapBsnaja)
Achtes Kapitel.
Begebenheiten ans dem öffentlichen
Leben Jesu*
(mit Auuehlnfs der Wandergeaohiohten). .
8- 8».
Vergleichung der Krzählungs weise der verschiedene n. Evange-
listen im Allgemeinen.
Vergleichen wir, ehe, wir una zur Betrachtung de*
Einseinen wenden, zuvor den allgemeinen Charakter and
Ton der Geschichtserzählung in den verschiedenes Evan-
gellen : so treten hier Differenzen theils zwischen Matthäus
nnd den beiden andern Synoptikern, theils zwischen sammt-
lichen drei ersten Evangelisten nnd dem vierten hervor.
Unter den Vorwürfen, mit welchen die neuere Kritik
das Matthäusevangelium überhäuft hat, nimmt eine flanpe-
stelle der des Mangels an Anschaulichkeit, an individua-
lisirender Lebendigkeit ein; ein Mangel, aus weichest
man, da sich sonst der Augenzeuge gerade im Wiederge-
ben des Bestimmten und Einzelnen zeige, schliefsen aa
dürfen glaubte , der Verfasser sei kein Augenzeuge gewe-
sen '). Und gewifs , wenn man in diesem Evangelium die
Unbestimmtheit seiner Zeit - , Orts - und Personalangabee,
1) Schulz, über das Abendmahl, S. 303 ff. ; Siäffkrt , über den
Ursf>r. des ersten kanon. Evang. S. 58. 73, u. s. ; Sckxecxbb- *1
avnska, über den Urspr. S. 73.
Achtes Kapitel« % 83.
74»
las so häufig wiederkehrende. xw£, aaQayw itat9evf äv-
hffumos n. dgl. liest; wenn. man an die aablreichen Anga-
jen in Bausch and Bogen, wie, dafs Jesus alle Städte
«ad Flecken durchbogen (9, 35« 11,1. vgl. 4, 23.), dafs
.eto ihm alle Kranke gebracht, and er sie alle gebeilt bä-
te C4, 24 f. 14, 35 f. vgl. 15, 29 ff.) , und endlich an die
trockene Kürze auch so mancher einseinen Eraäbjnngen
lieh erinnert : . so wird man die Behauptung dieser Kritik
lieht mißbilligen können, das Alles sehe gana so ans,
wie wenn vor geraumer Zeit geschehen* Begebenheiten
corch lange mündliche Ueberlieferang sich mehr und mehr
fa'a Allgemeine und Unbestimmte umgeformt hätten. Doch
»ringend ist allerdings dieser Beweis für sich noch nicht,
{■dem anf die meisten Fälle die Bemerkung Anwendung
fiaden wird, dafs auch einem Augeneeugen möglicherweise
da Gabe anschaulicher Darstellung fehlen könne *)•
< Nun aber wird von der neueren Kritik Matthäus nicht
Wcfs an diesem reinen Mafsstabe des von einem Augen-
neigen su Erwartenden, sondern auch an dem gegebenen
der Darstellung seiner Mitevangelisten gemessen. Unter
diesen :£ndet man nicht nur ohnehin den Johannes, theils
in dbn wenigen Parallelen, theils in seiner gansen Daiv
stallutigsweise, dem Matthäus an Anschaaliehkeit entschie-
den tttarlegen; sondern auch die beiden andern Synoptiker,
.vorefigÜoh Markus, geben, wie man behauptet, in der Re-
gel eim« weit klarere und vollständigere Darstellung8)«
.Die Saehe verhält sich, wirklich so, und man sollte sie
nicht snetr läugnen. Was das vierte Evangelium betrifft,
so fehlen war naturlieh auch ihm allgemeine Zusammen-
fassungen, wie, dafs Jesus während des Festes viele Zei-
2) Olsmaussr, H. Comm. 1, S. 15. der zweiten Auflage.
3) i« die obengenannten Hritifeer an mehreren Orten ; auch Hu»,
Eial. in das N T. 2, S. 212 ff.
es
744
Zweiter Abschnitt.
\
cbeo gethau, and daher VMe an ihn gegkabt habs
(2, 23. f.) , nnd andere dergleichen (3, 22. 7, 1.), riebt
auch die Personen beseichnet er nicht selten unbestinat
doch einlgeniÄle gibt er, wo Matthäus nur voo Einen odr
Einigen spricht, die Namen an (12, 3. 4. vgl. Mit Matth
26, 7. 8. und 18, 10. vgl. mit Matth. 26, 51.; aoeh 6,5.1
mit Matth. 14, 16. f.) ; in Beeng auf da/ Loeai weifs aa
in der Regel genau, in welcher Ortschaft oder flege*
eine Begebenheit vorgefallen; von der fleißigen Cbieao
logie dieses Evangeliums ist schon oben die Rede gewem,
nnd was die Hauptsache ist, seinen Ernäfalungen ist ein
Anschaulichkeit < nnd Lebendigkeit eigen, welche aus, pri
sie sich b. B. in der Ernäblung vom Biindgebornea d
von der Wiedererweckung des Lasarus neigt, in en»
Evangelium vergeblich sucht. Auch bei den zwei nittbi
Evangelisten fehlt es an unbestimmten ßeseichnungei ff
Zeit (a. B. Marc 8, 1. Luc. 5, 17. 8, 22.) , dei Ofl»
(Marc. 3, 13. Lue. 6, 12.) und der Personen (Mare. \%fl*
Luc. IS, 23.) nicht; ebensowenig an Angaben, aabJ**
alle Städte bereist und alle Kranke geheilt habe (Marc \\
32. ff. 38* f. Luc. 4, 40. f.): nicht selten jedoch findesnok
bei ihnen die von Matthäus nur allgemein aogegeteoe*
Verhältnisse individualisirt , indem nicht allein Lukas wie
wir schon gesehen haben , von Reden Jesu die M M*
thäus verschwiegene besondere Veranlassung herorbsH
sondern er nnd Markus auch Personen, welche jaieri*
unbestimmt tra beseiehhen weifs, bei Amt oder Nanu
nennen (Matth. 9, 18. Marc. 5, 22. Luc. 8, 41. ■***• *\
16. Luc. 18, 18. Matth. 20, 30. Marc. 10, 46.); vor Allen
aber in anschaulicher Schilderung der eineelnm Begebet*
betten ist Lukas und noch mehr Markus d/m Mattbi«
entschieden überlegen : man vergleiche nur v*n dem bereit*
Vorgekommenen die Ersählungen des Ma<häus und **
Markus von der Hinrichtung des Täufers/Mafth. 14, 3.ff.
Marc. 6, 17. ff.), und von dem noch rieht Dagewesene!
Achtes Kapitel, f. SS. 745
vor Allem die ttmfthlung von den (oder den) Besessenen
aus Oadara (Matth. 8, 88. ff. parail ).
Daraus hat nun die neueste Kritik Ar den Verfasser
dee vierten Evangeliums eine Bestätigung seiner angebli-
ehen Augenaeugenscbaft, für die der beiden mittleren Evan*
gelien wenigstens' so viel entnehmen au können geglaubt,
dafs sie den Thatsaohen näher als der erste Evangelist ge-
standen haben müssen. Allein anch augegeben, dafs kei-
ner, der durchweg nicht anschaulich erzählt, ein Augen-
seage sein könnet so folgt daraus doch nicht, dafs alle
anschaulich Ersählenden Augenaeugen sind; sondern nur
dafs einige. Wie defswegen fiberall, wo über denselben
Gegenstand ein* ausführlicherer und ein kürzerer Bericht
vorhanden ist, die Meinungen getheilt sein können, ob je-
ner oder dieser der ursprüngliche sei4); so hat man ins-
besondere in Beeng auf solche Berichte, bei welchen eine
Einmischung der Ueberlieferung an annehmen ist, eine «wie-
fache Thfitigkeit derselben an unterscheiden : die eine, ver-
möge welcher sie das Bestimmte der eoncreten Wirklich-
keit in ein Unbestimmtes, das Individuelle in ein Allge-
meiries, verflöchtigt; und die andere, nicht minder wesent-
liche, am die Stelle der verlorengegangenen geschichtlichen
Wirklichkeit eine willkfirliche Ausmalung treten an las-
sen ')• Schreibt man nun die Unbestimmtheit in der Dar-
stellung des Matthiusevangeliums auf Rechnung der erste*
ren Function der Sage, so fragt es sich: darf man die
Bestimmtheit und Anschaulichkeit in den fibrigen ohne Wei-
teres als Zeichen aum Grunde liegender Autopsie betrach-
ten , und mufs man nicht vielmehr ansehen , ob sie nicht
«aus jener eweiten Function der Sage abzuleiten sei 6J?
i 4) vgl. Sautubr, über die Quellen des Markus, S. 42 ff.
5) Kiwi, über den Urspr. des Ev. Mattfi. a. a. O. S. 70 ff.
6) Zusehen, ob nicht — ? nicht für entschieden annehmen, dass
— ; womit die Beschuldigungen der Gegner, da6S ich sowohl
74* Zweiter Abschnitt.
Dafs man das Entere so entschieden voraussetzt, ist ia k
Tbat nur ein Nachgeschmack der altorthodoxea Anaea,
dafs unsere sämmtjicben Erangelien unmittelbar, oder we-
nigstens durch eine reine Vermittlung, von Aageaseoga
herrühren. Dieser Voraussetzung Bat die neuere antik
ihre Allgemeinheit benommen, und die Möglichkeit) dafc
eines oder das andere unserer Evangelien durch mOndbek
Ueberlieferung alterirt sein möge, eingeräumt DiM
nimmt sie nicht ohne Wahrscheinlichkeit an, dafi m
Evangelium, dessen Schilderungen fast durchaus der A*
schaulichkeit ermangeln, nicht von einem Augenzeagejs
oben bezeichneter Weise herrühren könne, sondern ia Ar
Ueberlieferung gelitten haben müsse. Dafs nun aber «
übrigen, ausführlicher und anschaulicher erzählenden Er*
gellen auf Augenzeugenschaft beruhen , folgt nur oito
der Voraussetzung, dafs unter unseren Evangelieo jeden-
falls etliche an toptische seien. Denn allerdings, wem •*
ter mehreren Erzählungen beiderlei vorausgesetzt werdea:
bo sind die anschaulicheren mit überwiegender Wahnehaa-
lichkeit auf Augenzeugen zurückzuführen. Alias j*M
Voraussetzung selbst hat lediglich den subjectiren Gi«4
dafs von der alten Annahme lauter unmittelbar ödere*
telbar autoptischer Berichte leichter zu der beschränkt*
Einräumung zu gelangen war, dafs vielleicht einem, d»
zu der* allgemeinen , dafs möglicherweise auch alles z>
y aer Charakter abgehen möge. Consequenterweise aber SB
mit der orthodoxen Ansicht vom Kanon die VoraQStttmf
rein autoptischer Berichte nicht bloft für ein oder i*
andre, sondern für sämmtlicbe Evangelien weg; ee wm
die Möglichkeit des Gegentheils bei allen vorauf«**'
und, wiefes sich wirklich 'verhalte, erst aus der Beseht
\
die Kiirce als aucli die Ausführlichkeit der Berichte «1* 6e
weise für deren mythischen Charakter bcatitzc , tob *$*
sich erledigen.
Achtes Kapitel. $. 8S. 747
•
fenheit der Berichte, inf Vergleiehung mit den äufseren
Zeugnissen, ermittelt werden« Von diesem Standpunkte,
dem einzig kritischen, die Sache angesehen, ist es nun,
bei der in der Einleitung erwogenen Beschaffenheit der
Aufseren Zeugnisse, ebensowohl möglich, dafs die drei
übrigen Evangelisten die Anschaulichkeit, die sie vor Mat-
thäus voraushaben, einer weiteren Ausschmückung durch
die Sage, als dafs sie dieselbe einem näheren Verhältnisse
aar ursprünglichen Augenzeogensehaft verdanken.
Sehen wir in dieser Beziehung, nm nichts vorweg*
i nehmen au müssen, auf die bereits gewonnenen Ergebnisse
' zurück: so ist uns die bestimmtere Bezeichnung der Ver-
. anlassungen an manchen Reden Jesu, wie wir sie bei Lu-
i kas dem Matthias gegenüber fanden, nicht selten als sp&V
i tere Zothat erschienen; die Nennung bestimmter Personen
I bei Markus (13, & vgl. 5, 37« Luc 8, 51.) schien nns auf
, .einem eigenen Schlüsse des Berichterstatters zu bejruhen;
i nunmehr aber, im Eingange zu den einzelnen Erzählungen,
wo wir stehen, wollen wir die schon erwähnten aligemei-
«en Anfangs-, Schlafs- and Uebergangsformeln der ver-
schiedenen Evangelien aas dem angegebenen Gesichtspunkte
noch betrachten« Hier nämlich finden wir zwischen Mat-
thäus nmd den übrigen Synoptikern den Unterschied der
gröfseren und geringeren Anschaulichkeit auf eine Weise
ausgeprägt, welche ans am besten belehren kantig was es
«ait dieser Anschaulichkeit auf sich hat*
Wenn Matthäus (8, 16« f.) nur allgemein angibt, dafs
am Abende nach der Heilung der Schwiegermutter das
'Petras viele Dämonische zu» Jesu gebracht worden seien,
welche er, sammt andern Kranken, alle geheilt habe.: so
setzt Markus (1, SSL) höchst anschaulich, wie wenn er es
selbst gesehen hätte , hinzu , daft die ganze Stadt sich vor
der Thüre des Hauses, in welchem Jesus war, versammelt
habe; ein andermal läfst er so viel Volks zusammenströ-
men,, dafs es das ganze Vorhaus sperrte (2, 2 ); zwei
748 Zweiter Abschnitt
f
/
' weitere Maie macht er das Getimmel ee grob, daf« hm
und seine Jünger nicht «am Essen kommen können (5,Ä
6, 31 ), nnd Lukas läfst gar einmal Myriaden Volks »
sammenkommen , in solchem Gedränge, cS$e xcmmaw
diXqloQ 0% 10- Alles höohst anschauliche Züge oftnk,
aber deren Mangel dem Matthäus schwerlich nun Hast
y theil gereichen kann; denn sie sehen durchaus sabjettiia
Ausmalungen Ähnlich, wie sie nach ScHLBlEBMACHiil it
' merkung *) namentlich der Erzählung des Msrku wA
selten ein fast apokryphisches Ansehen geben» Wem dm
In detaillirten Erzählungen, wie uns im Folgenden die B*
spiele zahlreich genug vorkommen werden, während I*
thäus einfach wiedergibt , was Jesue bei einer gevrim
Gelegenheit gesprochen, die beiden andern uns anau*
dem Blicke an sagen wissen, mit welchem er du Geee*
chene begleitet habe (Maro. S , 5. 10, 21. Lac 6, 11);
wenn von einem blinden Bettler bei Jericho Marko* an
den Namen und Vaternamen anzuführen sich beeÜwt (H
40.): so können wir bereits ahnen, was ans die Bete»
chung der einzelnen Ersählongen bestimmter «eigeawH
dafs wir hier jene andre Funotion der Ueberliefernog w
uns haben, welohe wir mit Einem Worte die auwile*
nennen können. Ob nun diese Ausmalung aodh is **
mfindlichen Sage allmählig von selbst entstanden, oder A
absichtliche Zuthat der Anfzeiohner unsrer Evangelien *
ansehen sei, darüber läfst sich streiten, und höchsten»
Bezug auf. einselne Stellen bis au einer gewissen WJ*
scheinlichkeit kommen : jedenfalls indessen steht nicht W
eine durch eigene Zuthat des Referenten anageeehateka
Eraählung der ursprünglichen Wahrheit ferner all ä*
von solchem Znsate freie , sondern auch die Sage «W
\ scheint eher in froheren Perioden ihrer Bildung kars *J
nnr auf Hervorhebung der Hauptmomente, seien diess *
7) Ueber den Lukas, 8, 74 u. swut.
/Achtes Kapitel. $ 8». 749
Dieta oder Facto, gerichtet au «ein, später aber sieh mehr
auf gleiobmäfsige Veransehaullehung aller, auch der Nebert-
ssttge, eq legen, als umgekehrt: so dab auch in dieser Hin-
sicht das nähere Verhältnils aar Wahrheit anf Seiten de*
ersten Evangeliums bliebe«
Wie die Diflferens grfffserer oder geringerer Anschau-
lichkeit der Schlafs* und- Uebergangsformeln mehr «wi-
schen Matthias nnd den übrigen Synoptikern stattfindet:
so eine andre Differens in Beaug aaf jene Formeln «wi-
schen eimmtliehen Synoptikern and Johannes* Während
nämlich die meisten synoptischen Ersählangen ans dem
öffentlichen Leben Jesu panegyrisch auslaufen: so bei Jo-
hannes die meisten, so so sagen, polemisch* Zwar berich-
ten auch die drei ersten Evangelisten nicht selten schliefe-
lieh von dem Anstoße, den Jesus bei Engherzigen erregt,
nnd von den Anschlägen, welobe seine Feinde gegen ihn
gemacht haben (Matth. 8, 34. 12, 14. 21, 46. 26, 3 f. Lac 4,
28 f. 11, 53 f .) , nnd umgekehrt schliefst aoeh der vierte
einige Rede- and Wdnderacte mit der Bemerkung, dab
dadurch Viele an ihn glaubig geworden seien (2, 23. 4,39.
53. 7, 31. 40 f. 8, 30. 10, 42. 11, 45). Doch aber herrschen
bei jenen für die Zeit vor dem jerusalemischen Aufenthalte
Jesu im Gänsen Formeln vor, wie dafs weit und breit der
Ruf Jesu erschollen sei (Matth. 4; 24. 0, 26« 31. Marc. I,
28. 45. 5, 20. 7, 36. Luc. 4, 37. 5, 16. 7, 17. 8, 39.); dafs
das Volk seine Lehre bewundert (Matth. 7, 28. Marc. 1,
22. 11, 18- Lue. 19, 48. u. s. w.), seine Wunderthaten an-
gestaunt habe (Matth. 8, 27. 9, 8. 14, 33. 15, 31. u. e.),
und defowegen ihm allenthalben nachgesogen sei (Matth.
4, 25. 8, 1. 9, 36. 12, 15. 13, 2. 14, 13. a. s): im vierten
Evangelium dagegen findet sich häufiger die Bemerkung,
die Juden haben Jesu nach dem Leben getrachtet (5, 18,
7, 1.); die Pharisäer haben ihn festnehmen wollen, oder
Diener ausgesendet , ihn su greifen (7, 30. 32. 44. vgl. 8,
20. 16, 39.) ; es seien Steine gegen ihn aufgehoben worden
753 Zweiter Abschnitt.
geschehen jenen *> Wm jenen Vorwurf betrifft, eo Im
da« erstemal (Matth. 9,S2 ff.) Jesus einen Dfimosttefa*
stummen geheilt: darüber verwundert sich das Volk, üb
Pharisäer aber bemerken , er treibe die Dämonen am
durch den &q%wv der Dämonen« DaTs Jesus etwas darasf
erwiedert bitte, davon meldet hier Matthäus nichts. Um
nweitemal (12, 22 ff.) ist es ein dämonischer Blindste»
mer, welchen Jesus heilt, worüber wieder daa Volk er-
staunt, die Pharisäer aber äufsern, er thne diele durch
Hfilfe des Beelsebul, des aQ%iov der Dlmonen, woraof m-
fort Jesus das Absurde dieser Beschuldigung aufdeckt
Dafs nun jene Beschuldigung gegen Jesum bei seinen Di-
monenaustreibungen au wiederholten Malen erhoben
den sei, ist an sich gans wohl glaublich. Nur dieCs
bedenklich, dafs der Dämonische, weicher jene
veranlagte, beidemale.ein xtoyog (nur das einemal noch
Tvylog daau) gewesen sein soll. Der Dämonischen wann
doch so vielerlei, alle Arten von Krankheiten wurden
dem Einflüsse böser Geister augeschrieben: warum soll
nicht auch an die Heilung eines Besessenen andrer Art,
sondern zweimal an die eines dämonisch Stammen, besagte
Beschuldigung sich geknüpft haben? Die Schwierigkeit
vergröfsert sich, wenn wir die Erzählung der Lukas (11,
14 f.) daaunehmen, welche, was die vorangestellte Beschrei-
bung des Hergangs betrifft, der ersten, nicht der zweites
bei Matthäus entspricht: denn wie dort, ist auch bei Lu-
kas der Dämonische MÄr stumm; genau mit« derselben Fer-
mel wird seine Heilung und ebenso entsprechend die Ver-
wunderung des Volkes ansgedrflcht; in welchen Besiehu-
gen allen die aweite Erzählung des Matthäus der des Lu-
kas weit ferner steht. Nun verbindet aber Lukas mit der
Heilung dieses Stummen, welche Matthäus von Seiten Jen
still vorübergehen lädt, dieselben Reden Jesu, wie IM^tK*—
S) a. a. O.'S, 311.
r
Achtes Kapital. $. 84. 753
it der Heilung seines Blindstummen, se dafs Jesos bei
Ieeeo «wei auf einander gefolgten Fällen das Gleiche
ttfste geredet haben. Dieb geht über das Wahrsebeia»
ahe so weit hinaus,, nnd Ter banden mit der Unwahr-
iheinlichkeit einer zweimaligen gleichen Beschuldigung
»mde bei Gelegenheit eines dämonisch Stummen, fahrt es
»n x selbst auf die Frage, ob hier nicht ein und derselbe
orfall sich in der Sage verdoppelt haben möge? Wie
lefa ragegangen sein kann, darüber gibt uns Matthäus
übst Aufschlufs, indem er den Dämonischen das einemal
nr einfach stumm, das andremal zugleich blind sein l&Tst.
»ine auffallende Kur mufste es wohl sein, an welche sich
beils jene Bewunderung des Volks, theils dieser verawei-
alte Angriff der Feinde Jesu knüpfte: bald mag daher Ar
las geheilte Subject die blofse Stummheit nicht genfigt ha«
«en, und es in der steigernden Sage auch noch des Gesicb-
sa beraubt worden sein. Ging nun aber neben dieser
euen Formation der Sage auch noch die ältere her: was
Yunder, wenn ein mehr gewissenhafter als kritischer
lammler, wie der Verfasser des ersten Evangeliums, hei-
les als verschiedene Geschichten neben einander aufnahm,
rar dafs er, um die Wiederholung su vermeiden, das eine-
nd die Reden Jesu wegliefs ? 2).
2) Vergl. db Warnt, exeg, Handb. 1, I, S. 116«; Nbahder, L.
J. Chr., S. 288. Wie Schlburmachbr (S. 175.) von der Rede
über die Blasphemie- des nvev/ua ayior bei Matthäus (12, 31f.)>
welche sich an das vorangegangene *y« fr nrevucm &t» etßalka
xa datfiovia (V. 28.) trefflich anschliesst , den Zusammenhäng
▼ermissen kann , ist doch immer noch erklärlicher , als dass
er (S. 185 *f.) diesen Ausspruch bei Lukas (12, 10.) besser
eingefügt findet. Denn zwischen dem hier vorangeschickten
Satze, dass, wer des Menschen Sohn vor den Menschen ver-
läugne , von ihm vor den Engeln verläugnet werden werde,
^und dem in Rede stehenden findet doch kein anderer Zusam-
menhang statt, als dass das aqyeTofrcu tov wov th ayfrfun* dem
Da* Leben Jesu Ite Aufl. L Band 48
7M Zweit«* Abschnitt
SehniU Matthias 9, 34. die Rede Jesu weg, so keuü
er noch die Zeicbenfordemng, welche eine Abfertigung
von Seileo Jesu erforderte, erst bei «einer Krsälüug van
der Beschuldigung wegen ßeelaebnls damit verbinde», und
euch in diesem Stücke ist Lnkas, welcher die Zeichen-
fordemg gleichfalls an jene Beschuldigung knüpft, mit
der späteren Stolle des Matthias parallel *> Nun aber hat
Referenten dlt elnsTv loyov etg rov vtov tn ar&(xo7TB in Erinse-
rang brachte. Hieftir ist die Probe, dass nun zwischen die-
1 sem Aussprach und dem folgenden, dass seinen Jüngern wr
Gericht das Nttthige durch das nrtv/ua aytor werde eingegeben
werden, die Verbindung ebenso äusserlich durch den Ab-
druck nrevpa aytov vermittelt ist. Was bei Matthäus (V. 3
—37.) noch folgt , ist zum Theil schon in der Bergrede Ai
gewesen , steht aber auch hier in besserem Zusammenhang,
als Scrlkikrmachbr anerkennen will.
3) Dass Lukas Beschuldigung und Zeichenforderung unmittelbar
hinter einander ausgesprochen und hierauf von Jesu nach-
einander beantwortet werden lässt , findet die neuere Kritik
ungleich wahrscheinlicher, als wenn Matthäus zuerst die Be»
schuldigung und deren Beantwortung, dann die Zeächenfor-
derung und deren Zurückweisung gibt; sofern es sich näm-
lich schwer denken lasse , dass , nachdem Jesus sich gegen
jenen Vorwurf lange genug verantwortet, nun die nämliche*
Leute, welche denselben vorgebracht, oder doch ein Theil
Ton ihnen, noch ein Zeichen begehrt haben sollten (Schlei»
bamachsr, S. 175; ScHwiCKZWBURezR, über den Urspr. S. 521).
Indess ebensogut läset sich andrerseits das unwahraeneinEca
finden , dass Jesus , nachdem er längst in einer gewaltigen
Rede gegen das Bedeutendere , die Beschuldigung wegen
Beelzebuls, gesprochen, und sogar nach einer Unterbre-
chung, die ihn zu einer ganz anderartigen Aeusserung ver-
anlasste (Luc. 11, 27 f.) , noch auf die minder bedeutende
Zeichenforderung sollte zurückgekommen sein. VergL na
Witts, exeg. Handb., 1, 1, S. 119. — Was sich hierauf bei
Matthäus (V. 43—45.) ansekiiesst, die Rede von den ver-
stärkt wiederkehrenden Dämonen, scheint bei Lukas (11, 24 C)
1
I .
Achtes Kapitel. $* 94. 7ft*
Lsrtthlue nltfht blofs wie Lukas Sinei . Zeichutnfarderung,
i Verbindung mit jenem Vorwarft , « »otufeftü • iri>gh ©fae
ndere (16, 1 fF.) nach. der «weite« iStpeiapng, gelobe auqh
Utrkue (8, 11 f) hat, der dagegen die;,ersfcre/ wsgMtfst.
iier treten Pharisäer (bei Matthäus., ift d^i&Wlhrß&ßfoi
eben Begleitung von Sadduefiero> cu ibi* *i «n4 etegobtti
in um ein or^alov ix t& s(hws, tfotfuf i|>A0ßi.J|fts«*;e|n0
tot wort gibt, deren Schlufssata*: yftWf.ftetyie Jtfftfyuqigak
i<? orj/ueTov mi^r/tety xcd qt^iüo» ö dovhytfeiw warft,: u f&j tq
tjfiäiov "iwvä ts TtQoqijiSy bei Matthäus wörttielfcjtoU, deog
Lnfiang der früheren Abweisung, 12, 39M ws*uunensdnis»t»
at aehon diefs, dafs Jesus jene Zumuthung mteiinal mit
leraelben räthselhaften Hinweisung aul Jenes und *m*b
in Verbindung mit den Aeusserungen gegen den Vorwurf ei-
ner Austreibung der Dämonen durch Beelzebul passender zu
stehen, als hei Matthäus erst nach den Roden gegen die*
Zeichenforderung. Sehen wir indessen genauer zu, so isl
es sehr unwahrscheinlich , daas Jesus an die ifim gewaltsam
abgedrungene Apologie seiner Dämonenaustreibungen gege*
Feinde eine so ruhige, rein theoretische Ausführung, wel-
che , wo nicht für ihn interessirte , doch empfängliche Zu-
h'örer voraussetzt, geknüpft haben sollte, und wir finden
hier in letzter Beziehung keinen andern Zusammenhang, als
dass beide Reden von Austreibung der Dämonen handeln.
Durch diese Aehnlichkeit Hess sich der Referent im dritten
Evangelium verführen, die Verbindung zwischen den Reden
Jesu gegen die ' oftgenannte Beschuldigung und gegen die
Zeichenforderung, welche, als die zwei stärksten Proben des
böswilligen Unglaubens seiner Feinde betreffend , in der
Ueberlieferung zusammengefügt gewesen zu sein scheinen,
su sprengen; eine Gewaltsamkeit, deren der erste Evange-
list sich enthielt, und daher die ihm durch jene Verdächti-
gung der Dämonenaustreibungen Jesu in das Gedächtnis s ge-
rufene Rede von der Wiederkehr der Dämonen zurückbe-
hielt, bis er zuvor auch die Zurückweisung der Zoichenfor-
derung jnitgetheilt hatte;
49*
7M Zweiter Abschnitt
sontt mit denselben Worten abgefertigt habe, unwahr»
sehettfieh genug? so sind die In der «weiten Stelle dm
Matthias de« MleUtangeflhrten Satse vorangehend»
Woite»^ V.S und *.) Tollende unbegreiflich* Denn wie
Jetm a& to' Forderung eines wunderbaren Zeichens am
Hiinalel* seillto Ofcgntern erwiedern kann, dab sie ewv
auf die natörftohen Zeiehen am Himmel sich gut versan-
den , desto schlechter aber anf die geistigen Zeiehen die-
ser messianlsehen Zeit, das ist so dunkel*), dafs a\
Verewefflnug ' an' einem Znsammenhange die sonst
gründete Auslassung der Verse 2 nnd 3. *) hervorgegangen
seheint. Lukas, der diesen Vorwurf Jean, dab seine Zell*
genossen*' besser die Zeiehen der Witterung ab der Ze*
verstehen, nnr snm Theil mit andern Worten, gleichtun
bat (12, 54 f.) > gibt demselben eine andere Stellung 9 wel-
che man fttr die bessere ansehen könnte, sofern nach dm
Reden von dem Feuer, das er anufinden, nnd der £at-
sweiong, welche er herbeiführen werde, Jesus m gaus
schicklich num Volke sagen konnte: von den unverkenn-
baren Vorseichen einer so groben Revolution, wie eich
durch mich eine vorbereitet , nehmet ihr keine Notin, se
schlecht versteht ihr euch anf die Zeiehen der Zeit*).
Doch genauer erwogen reiht Lukas diese Gnome den vor-
hergegangenen Reden ebenso abgebrochen an, wie 13, 18»
die beiden Parabeln *)• Sehen wir von hier anf Matthta
surfick, so neigt sich uns leicht, wie er nu seiner Dar-
stellung kommen konnte. Zur Verdopplung der Zeichan-
forderung mag ihn die. Variation veranlabt nahen, welche
er vorfand, dab das geforderte Zeichen bald ab a^päm
schlechtweg, bald ab orj/ueTov ix %h aQccva bestimmt an
4) Vgl. db Wim z. d. St.
5) t. Gjussbach, Comm. crit. *. d. St.
0) Etwas anders Schlkieamacmka, S. 190 f.
7) ob Wann, exeg. Handb. 1, i, S. 139. 1, 3, S. 72»
Achte» Kapitel. §,85- 757
r
werden pflegte. Und wenn er nnn wufste, dafp Jesus die
Juden von den diaxQiveiv %6 nQooimw %ü bqovb auf die
1 didxQioig der artpttia ruh xatfalv verwiesen hafte neo lag
1 Ihn die Vernntbnng niebt allen ferne, daft die Jode?
> diese Abfertigung vielleicht durch das Verlangen eines,
i OTjuelov ix %s bqovö reranlabt haben mögen. So begegnet
uns Jiier Matthins, wie sonst Öfters Lukas, njt einer ge-
i machten Einleitung einer Rede Jesu ; cum Belege für den
i von SisrrsRT «war aufgestellten 8), aber eu wenig berück-,
i sichtigten Satc, dafs es in der Natur solcher traditionel*
I len Berichte, wie wir sie an den drei ersten Evangelien
i haben, liege, dafs der eine Zug in diesen, der andre in
i* andern sieb besser erhalten seige, somit bald dieser bald
I jener in Nachtheil gegen die Übrigen sei* .
I . >
r f- 85.
' Besuch der Motter und der Brüder Jesu, und die selig-'
l preisende Frau.
1 SXnntliohe Synoptiker wissen uns von einem Besuche
der Mutter und der Brüder Jesu eu erzählen, bei ttessen
Anmeldung Jesns, auf seine Jflnger deutend, den Ausspruch
1 gethan habe, dafs die seinem' Worte Folgsamen seine Mut-
' ter und Brüder seien (Matth. 12, 46 ff. Marc. 3, 31 ff. Lue«
8, 19 ff.)- Matthäus und Lukas sagen von dem Zwecke
dieses Besuches nichts; also auch nicht, ob" jene schein-
bar abweisende Aeufserung Jesu durch etwas Besonderes
veranlafst war. Markus hat hierüber eine unerwartete
Auskunft, indem er uns (V. 21.) eu wissen thut, dafs,
während Jesus unter einem Volkssulanfe, der ihn selbst
an Essen verhinderte, au lehren gepflegt habe, seine Ver-
wandten, in der Meinung, er sei verrückt, ausgegangen
seien, un sieh seiner su benichtigen, und ihn in Familien-
8) Ueber den Ursprung, 8. 115.
#
T58 Zweiter Abschnitt.
gewahrsänV zu nehmen1). Nachdem er hierauf, wie «
rsohein£, blofs der Aehnlichkeit wegen , welche zwiscbet
dem HW' Verwandten betreffenden eleyov, Sri *£*cjr, und
dem ol */ijauf(ccTtZg skejwv, Sri BfelCeßöl iyu x. t. 2. (FgL
/Job. 10, 20.) stattfindet, diesen Vorwurf sammt Jean Anfc
Wort', aber ohne die Veranlassung durch eine Dämooen-
austreibung',1 eingeschaltet bat, läfst er die indefs aoge-
kommenen Verwandten Jesu, als welche jetzt näher seias
Bfutter und Brüder namhaft gemacht sind, bei ihn ange-
meldet werden, und ihn hierauf die obige Antwort er-
theilenv '
Diese Notiz des Markus ist den Auslegern sehr will-
kommen, um die Hörte, welche in der Entgegnung Ja«
auf die Anmeldung seiner nächsten Verwandten en lieg«
scheint, aus der verkehrten Absicht ihres Besuchs so er-
klären und su rechtfertigen. Allein auch abgesehen da-
von, dafs, bei der gewöhnlichen historischen Auffassung
der Kindjieitsgeschichte Jesu sich schwer erklärt, wie seine
Mutter nach solchen Ereignissen später so weit an ihrem
Sohne irre werden konnte, so fragt es sich doch sehr, ob
wir jene Notiz des Markus annehmen dürfen? Bedenkt
man, wie sie theiis neben der augenscheinlichen Ueber-
treibung steht, dafs Jesus lind die Seinigen des Volkssu-
drangs wegen nicht einmal zum Essen haben kommen kön-
nen, theiis in ihrer Abgebrochenheit sich selbst nicht min-
der seitsam ausnimmt: so wird man kaum umhinkönnen.
» *
dem Urtheil Schleiermacher's beizutreten, dafs in diesem
Zusätze kein Aufschi ufs über das damalige Verhält nifsJes«
su seiner Familie zu suchen sei, derselbe vielmehr cu je-
nen Uebertreibungen gehöre, welche Markus sowohl ia
den Eingängen einzelner Begebenheiten, als in den aflge-
1) Den Beweis für diese Deutung der Ausdrücke: oi no« wri
Koarijnai und jg^ führt Fumscits , Qomm. in Marc. p. 97 £ >
/
/
Achtes Kapitel. $. 95. 750
Minen Darstellungen so gerne anbringe *)• B* sollte die
bweisende Antwort Jesu anf die' Anmeldung seiner Ver-
wandten begreiflieh machen ; glaubte defswegen ihrem. Be-
sehe eine für Jesum unerwünschte Absicht unterlegen su
räseen, und weil er nun von den Pharisäern wafste, daü
ie ihn unter Einflute "des Beelaebnl gestellt haben 9 so
ehrieb er auch jenen eine ähnliche Ansicht zu8).
Legen wir diese Notjfc des Markus bei Seite, so bie»
et swar die Vergleichung der sehr ihnliohlautenden drei
(erlebte an sieh keine Ausbeute4); wohl aber mufs uns
4
[im verschiedene Verbindung auffallen, in welche die Evan-
gelisten diese Begebenheit setzen: Matthäus und Markus
ifimlich nach der Vertheidigung gegen den Verdacht eines
löllisehen Beistands Und vor de? Parabel vom Sftemann;
wogegen Lukas den Besuch um ein Ziemliches vor jene
Beschuldigung , die Parabel aber noch vor den Besuch
»teilt« Merkwürdiger Weise dagegen hat Lukas an der-
leiben Stelle, nach der Vertheidigung gegen den Vorwurf
nnes Teufelsbundes, wo die beiden andern den Besuch
2) Ucber den Lukas, S. 121.
3) Vgl. Ol Wxttb, z. d. St.
4) Wenn SciiascKBitBUAGKA, ( über den Ursprung, S. 54. ) in dem
(m4 t* und dem fxraVa; zip* jW(ja bei Matthäus , gegenüber
dem Anw und nfQtfihyapnog xuxho des Markus, eine gemachte
Anschaulichkeit finden will : so ist diess eine Probe der par-
teiischen Scharfsichtigkeit zu Ungunsten des Matthäus, wel-
che in der neuesten Kritik dieses Evangeliums eine so grosse
Rolle spielt. Denn wer sieht nicht, wenn nun umgekehrt
Matthäus das tinov hätte , wie es alsbald zu den Zügen ver-
wischter Anschaulichkeit gezäjhlt werden wurde ? An dem
hrnras rrjr £'?pr aj^er ist vollends gar nichts zu entdecken,
was diesem Ausdruck mehr als dem -nfotßXftfä^roi das Geprä-
' ge des Gemachten geben sollte ; ebensogut kannte umgekehrt
diese letztere Formel aus der sehon erwähnten Liebhaberei
des Markus für Bezeichnung de% Augenspiels abgeleitet, und
somit als willkürliche Zuthat betrachtet werden.
o?
MD
Zweiter Abschnitt.
der Verwandten Jesu einfügen , einen Vorfall, welcher auf
ein gen* ähnliches Dietam, wie Jene Anmeldung, anaiiuft.
Nach der Widerlegung Jenes Vorwurfs nämlich, und dar
Belehrung aber die Wiederkehr der Dämonen, bricht eint
Frau 'unter der Menge bewunderungsvoll in eine SeUgpra-
sung der Mutter Jesu ans; worauf Jesus, wie oben bei
der Anmeldung seiner Mutter, erwiedert: selig vielmehr
diejenigen, welche das Wort Gottes hören und beobach-
ten ! *) Schleirmacher nun rieht auch hier den Bericht
des Lukas vor; von der kleinen Zwisohenhandleuig mit
der seligpreisenden Frau namentlich glaubt er, sie ver-
ratbe eine frische und lebendige Erinnerung, welche als
an Ort und Stelle, wo sie vorgefallen, eingeschoben m
haben scheine, wogegen Matthäus mit der Antwort Jen
auf den Ausruf der Frau die sehr ähnliche auf die An-
meldung der. Verwandten verwechselt , diese an die Stalls
von jener gesetst, und so die Scene mit der Frau flber-
gangen habe6)* Allein wie gerade durch die technische
Erörterung Aber die Wiederkehr der ausgetriebenen Dä-
monen oder auch durch die vorangegangenen Strafreden
die Frau sich au einer so begeisterten Ausrufung hinge*
rissen fühlen konnte, ist schwer begreiflich, und es möchte
eher die der ScHLEiERMAcpER'schen entgegengesetzte Ver-
muthang sich begründen lassen, dafc an die Stelle der
Anmeldung der Verwandten der Referent im ^dritten Evan-
gelium die ähnlich auslaufende Scene mit der seligpreisen
den Frau gesetat habe. £s hatte nämlich, wie wir ans
5) Antwort auf die Anmeldung,
S, 21:
/qfr?? fia xai adtltpot pm mrol
. tlatr oi ror Zoyor r« &*S
axsorrtt mal noiMVTH <*"-
TOV.
6) «. a. O. S. 177 f.
Antwort auf die Seligpreisung,
. 11« 28:
pwitryt fianaqu* ( SC. «g tj /qfrg»
/**, all ) oi axmorr 9£
loyor rm &tm
rf$ avror.
ror
xai
Aobres Kapitel. $.85. ' 761
latthftns nnd Markat sehen, die evangelische Deberliefe-
ung, sei es aas einen historischen, oder einem snftlligen
Iran de, jenen Besuch and das Dictum von den geistigen.'
erwandten mit den Reden Jesu gegen den Vorwurf eines
rerhfiltnisses com Beelcebul and von der Wiederkehr der
Unionen in Verbindung gebracht, nnd auch Lakas, wo
r an Schlafs dieser Reden kam, wurde an fene Scene
lit deren Pointe, die Erhebung der geistigen Verwand*
sbaft Jesu, erinnert. Man aber hatte er den Besuch be-
eits oben gemeldet7); or griff daher nach der ähnlich
aslaufenden Anekdote von der Frau. Dabei lftfst sieb
ber der groben Aehnlichkeit beider Anekdoten, wegen
weifein, ob wirklich swei verschiedene Begebenheiten
um Grunde liegen; der unvergessliche Aussprach Jesu,
n welchem er seine geistigen Verwandten ober seine leib«
ichen setate, könnte möglicherweise in der Sage swei
erschiedene Fassungen oder Rahmen bekommen haben :
»dem es dem Einen als das Natürlichste erscheinen mochte,
afs eine solche Zurücksetzung seiner Blutsverwandten mit
iner wirklichen Zurückweisung derselben verbanden; dem
Lndern, dafs die Erhebung der ihm geistig nahe Stehen-
!en durch eine vorangegangene Seligpreisung derjenigen,
ie ihm leiblich am nächsten stand, hervorgerufen gewe-
en sei« Von diesen swei — sei es verschiedenen Geschien-
en , oder Variationen derselben Geschichte — geben Mat-
bftos and Markos nor die erstere; Lukas aber, welcher
7) Was den Evangelisten veranlasste, den Besuch nach der Pa-
rabel vom Saemann einzuschalten, muss auch nicht gerade,
wie Sciilkibrmachir meint, eine wirkliche chronologische
Verbindung gewesen sein; vielmehr werden wir das ganz in
seiner Art finden, dass, ihm der Schlust der Auslegung je-
ne Parabel : %toC efoir cXriyet ~"~ axaoavrff rov loyov xar^x** *tf*
Kaf7TO(poQiotv er vno/iovjj, den ähnlichen Ausspruche Jesu hei
seinem Besuche : Iroi flow ot rov tiyov t« 9e » Zxtorrts m& noi-
iyrt; «vroV, in die Erinnerung rief.
I
702 < Zweiter Abschnitt.
diese schon bei einer früheren Gelegenheil ▼orvreggeosa-
inen hatte, fand sieh, alt er an die Steile kam, wo Inder
gewöhnlichen evangelischen Tradition jene Anekdote ihm
Site hatte, veranlafst, eie nunmehr in der »weiten Fora
Wer einzufügen. /
r .
5- 86.
Die Erzählungen Ton Rangstreitigkeiten unter den Jungem vd
Ton Jesu Liebe zu den Rindern.
Die drei ersten Evangelien ersfihlen uns von mehre-
ren Rangstreitigkeiten, welche unter den Jüngern ange-
brochen* seien , nnd von der Art, wie Jesus dieselben bei-
gelegt habe. Allen ist ein Rangstreit gemein, welch*
nach Jesu Verklärung und erster Leidensverkfindigoig
unter den Jüngern zum Ausbrach gekommen sein »II '
(Mattb. 18, 1 ff. Marc. 9, 33 ff. Luc. 9, 46 ff.) , wobei «ca
Ewar Differenzen in den Ersfihlungen finden, aber die
Einerleiheit derselben durch die in allen vorkommende
Aufsteilung eines Kindes verbürgt ist, da so etwas, wie
auch Sch(.biermacher bemerkt *) , sich nicht leicht wieder-
holt. Matthäus und Markus haben einen Rangstreit ge-
mein , welcher durch die beiden Söhne des Zebedias an-
geregt wurde, indem diese sich (nach Markus), oder ihre
Mutter ihnen (nach Matthäus), die swei ersten Stellen
neben Jesu im messianischen Reiche ausbat (Matth. %
iO ff. Marc. 10, 35 ff.)2)« Von einer solchen Bitte der
1) a. a. O. S. 152.
. 2) Es ist consequent in dem Tone der neueren Kritik über den
Matthäus gesprochen, .wenn Schulz (üb. d. Abendm. S.3W0
1 in Bezug auf die bemerkte Differenz zwischen den bei«
1 ersten Evangelisten äussert, er, zweifle keinen Augen-
I blick ,*dass jeder aufmerksame Leser sich ohne Be-
I denken der Darstellung des Markus zuwenden werde, wei-
ther, ahne Erwähnung der Mutter, die ganze Verbinde
Achtes Kapitel $. 66.
Ttt
Zebedaiden weif* das dritte Evangeliäai nichts; wohl aber
hat es ohne diesen Anlafs noch einen weiteren Rangstreit,
bei welchem Ähnliche Reden fallen, wie sie die beiden
ersten an jene Bitte angeknöpft haben. Bei dem lotsten
Mahle nftmllch, das Jesus vor seinem Leiden mit seinen
Jüngern hielt, lifst Lnkas unter den Jüngern eine (fdovei-
xla ausbrechen, wer von ihnen der größte sei, welche
Jeans sofort durch dieselben Gründe, cum Tbell mit den-
selben Werten, niederzuschlagen sacht, wie nach Mat-
thäus nnd Markus die über die Bitte der Zebedaiden un-
ter den Jüngern entstandene aycn'ctKtrpiQy worunter ein
Ausspruch sich findet, den Lukas selbst nnd Markus auch
bei der Aufsteilung des Kindes schon fast ebenso gehabt
haben, und welchen Matthäus, aufser bei der Bitte der
Salome, auch noch in der grofsen antipharisftischen Rede
hat (vgl. Luc. 22, 26. Marc. 9, 35. Luc. 9, 48. Matth. 20,
26 f. 23, IL). So glaublich es nun auch sein mag; dafs
.bei den weltlichen Messlashoffnungen der Jünger öfters
Rangstreitigkeiten unter ihnen *u dämpfen waren, so ist
es doch keineswegs wahrscheinlich, dafs e. B. die Sen-
tens: wer unter euch der größte sein will, sei Aller Die-
ner, 1) bei der Aufstellung des Kindes, 2) aus Anlafs der
Bitte der Zebedaiden, 3) in der antipharisäischen Rede,
und 4) bei dem letzten Mahle gesprochen worden sei.
Sondern hier findet augenscheinlich eine traditionelle Ver-
swischen Jesus und den beiden Aposteln vorgehen lasse.
Allein, was die historische Wahrscheinlichkeit betrifft, so
möchte ich wissen, warum eioe Frau, welche zu den Be-
gleiterinnen Jesu gehörte < Matth. 27 , 56.)» eine solche Bitte
nicht sollte haben wagen dürfen ; was aber die psychologi-
sche, so hat das Gefühl der Kirche in der Wahl der Feri-
kope auf den Jakobustag wohl mit Recht für die Darstel-
lung des' Matthäus entschieden , da eine so feierliche Bitt-
scene aus dem Stegreife ganz in der Art eines Weibes, und
näher einer für ihre Söhne sich verwendenden Mutter ist.
7M
Zweiter Abschnitt.
wfrrong statt, sei et nun, dafc, wie StsmaT In aoleben
Fällen gerne annimmt, mehrere ursprünglich verschiedene
Vorgänge in der Sage assimilirt , d. h* hier dieselben Re-
den irrig bei verschiedenen Anlässen wiederholt, oder dal*
ans Eiriem Falle durch die Sage mehrere .gemacht, d. h.
hier an denselben Reden verschiedene Veranlassungen er*
dacht worden sind. .Zwischen diesen beiden Möglichkei-
ten wird darnach entschieden werden müssen, ob die ver-
schiedenen Facta, an welche die analogen Dentutharedoa
sich knöpfen, eher das unselbstständige Ansehen blofsor
Rahmen ffer die Reden , oder das selbstständige von Ver-
gangen haben , welchev ihre Wahrheit and Bedentenmkdl
in sich selber tragen. .
Hier nun wird vor Allen der Bitte der Zebedaidea
nicht abgesprochen werden können, Air sich schon etwas
so Bestimmtes find Merkwürdiges an sein, dafs sie gar
nicht darnach aussieht, nnr als Einfassung der folgenden
Reden sich angesetst an -. haben , und ebenso wird man
über die Aufstellung des Kindes urtheilen müssen: so duft
wir also vorerst awei für sich bestehende Fälle von Rang-
streitigkeiten hätten. Wollen wir jedem dieser , beiden
Fälle die au ihm gehörigen Reden autheilen, so geboren
die Aussprüche , welche Matthäus bei der Aufstellung dm
Kindes hat: wenn ihr nicht wieder werdet wie die Kinder
n. s. w., und : wer sich erniedrigt, wie diefs Kind n. a. w»,
unverkennbar au diesem Anlafs, und andrerseits die vom
Herrschen .und Dienen in der Welt und im Reiche Jos«
scheinen der Bitte der beiden Jünger um die Herrscher-
stuhle im messianischen Reiche , womit Matthäus sie ver-
bindet, ganz angemessen au sein; wogegen das Dictum
vom Ersten und Letaten, Uröfsten und Kleinsten, weiches
Markus und Lukas auch schon bei der Kindersoene haben,
Matthäus mit Recht für die Scene mit den Zebedaiden aufge-
spart au haben scheint. Anders als mit den bisher bespro-
chenen beiden Anlässen verhält es sich mit dem Wetteifer,
Achtes Kapitel f. 86. MS
Lac. 22, 24 ff. Dimer knüpft sich weiter an eine besondre
Veranlass«!*;, noek läuft er in eine markirte Seene ans
(wenn wir nicht ans Johannes, der übrigens keines Wett-
streits gedenkt, die Fufswasehung herübernehmen wollten;
wovon jedoch erst in der Leidensgeschichte die Rede wer-
den kann); sondern er wird nnr eingeleitet durch iyhtro
de xcd tpdoreuda er oi/rot?, fast mit denselben Worten,
wie Lukas bereits den ersten Rangstreit (9, 45.) eingeführt
hatte, und veranlagt Jesnm sn Reden, welche, wie schon
erwähnt, Matthins und Markus ihn bei den frlheren
Rangstreitigkeiten führen lassen: so dafs also für diese
hier nichts Eigentümliches übrig bleibt, als nnr die Stelle
beim leisten Mahle, welche aber aaoh nicht die sicherste
Ist. Denn dafs unmittelbar nach den für die Jünger so
demütbigenden Reden vom Verräther ihnen der Hochmnth
alsbald wieder sollte so stark gewachsen sein, ist ebenso
schwer ra glauben, als es bei Gegeneinanderhaltung der
Verse 23. und 24. leicht sn entdecken ist, wie der Refe-
rent ohne geschichtlichen Grund verführt werden konnte,
einen Rangstreit hleheraustellen. Unverkennbar nämlich
waren es die Worte: xal avrol ij^avio ovCfpctiv nqog «ov-
TBg, zo, tIs ona ärj j£ avuüv 6 mo piXktov nQaaoeiv; wel-
che ihm das ähnliche: iytvero di xal (piXoveoda iv cn/rot£,
to, xlg aviäiv doxa eivai fiel^cav; d. h. es waren die Streit-
reden über den Verräther, welche ihm die Streitreden
über den Vorrang in die Erinnerung riefen. Einen sol-
chen Streit hatte er swar bereits gemeldet, aber mit dem-
selben, Eine Sentens abgerechnet, nur jene Reden, eu
welchen Jesum das Kind veranlagte, in Verbindung ge-
bracht: nun waren ihm noch die andern übrig, welche
die beiden ersten Evangelisten an die Bitte der Zebedaidett
knüpfen, ein Anlafs, der dem Erzähler im Lukasevange-
iirim nicht gegenwärtig gewesen au sein scheint, wefswe-
gen er die dasu gehörigen Reden hier mit der unbestimm-
ten Angabe eines ausgebrochenen Rangstreits einfügt. In-
--
7M
Zweiter Abschnitt.
defs die chronologische Stellung auch der zwei feueret ge-
nannten Raugstreitigfceiten , beidemale nach einer Leideas-
verkflndigung , welche doch, wie die Veraussagong des
Verraths, solche irdische Rochmuthsgedanken scheint ha-
ben niederschlagen zu müssen , hat so wenig Wahraebetn-
liehkeit 8), dafs der Fingerzeig willkommen senu rnofs,
welcher in der evangelischen Darstellung selbst Aber die
Art liegt, wie die Referenten auf nngeschiehtliche Weise
zu einer solchen Anordnung gekommen sind. In Jesu
Antwort auf die Bitte der Salome nämlich war die Hta-
weieung auf das ihm nnd seinen J fingern bevorstehende
Leiden das Hervorstechendste: daher schlofs sieh durch
die natürlichste ldeenaesoeiation an die Leidensverküadt»
gnng die Erzühlung von dem auf das bevorstehende Lei-
den .verwiesenen Ehrgeiz der beiden Jünger an. Bei der
ersten Rangstreitigkeit aber geht die voranstehende Lei»
densverkündigung nach den beiden mittleren Evangelisten
in die Bemerkung aus, dafs die Jünger die Rede Jesu
nicht verstanden, nnd doch, Jesom darüber so frage»,
eich gefürchtet (also ohne Zweifel über den Sinn der Rede
nnter sich ^gesprochen und gestritten) haben: und hier
schlofs sich nun sehr natürlich der gleichfalls hinter Je««
Rücken geführte Streit über den Vorrang an. Auf die
Erzählung des Matthäus übrigens findet diese Erklärung
ihre Anwendung nicht ebenso, da bei ihm zwischen die
Leidensverkündigung und den Wetteifer die Anekdote von
dem erangelten Stater eingeschoben ist4). v
Mit diesen Rangstreitigkeiten hängt durch Vermitte-
lung des bei einer derselben aufgestellten Kindes noch
eine andere Anekdote zusammen, die nämlich, wie die
Leute Kinder zu Jesu bringen, nm sie von ihm segnen zu
3) Vg^ SCHLBIRRJWACHER, 8. S. O. S. 285.
4) Hiermit vergl. die Bemerkungen ds Wstts's , exeg. tiaadh.
1, 2, S. 107.
Aehtes Kapitel« §• 87« 707
lasten 9 die Jünger es bindern wollen, Jesus aber da*
freundliche: acptte tu naidux x. t. L, spricht, und be-
merkt, da(s nur Kindern und ihresgleichen das Himmel«
reioh beschieden sei (Matth. 19, 13 ff. Marc. 10, 13 ff. Luc
18, 15 ff.)- Diese Ersfthlung hat mit der von dem inmitten
dar Jünger aufgestellten Kinde vieje Aehnlichkeit. 1) Bei«
dentale stellt Jesus die Kinder als Muster yor und erklärt,
dafs nur KinderihnUche in das Reich Gottes kommen kön-
nen; %) beidemale erscheinen die Jünger in einem tiegen-
aats gegen die Kinder, und endlieh 3) tagt Markus beide*
male, Jesus habe die Kinder in die Arme genommen
{ivayxaXujapievog). Wollte man defshalb nur Einen Vor*
fall als aum Grunde liegend vermuthen, so müTste jeden*
falls die letatere firsfihlung als die der Wahrheit nXhere
festgehalten werden, weil das Wort Jesu: äq>et€ tcc neu,-
dlcc x. t. L, welches in seiner durch alle Berichte hin-
durch sich gleich bleibenden Originalität den Stempel der
Aechtheit unverkennbar an sich trägt, nicht wohl bei je*
ner andern Gelegenheit gesprochen werden konnte; woge«
gen die angeblich aus Anlafs des Rangstreits gethanen Aus*
sprflehe von den Kindern als Demotbsmastern gar wohl
bei der unerigen im Rückblick auf frühere Rangstreitig*
ketten vorgetragen sein könnten. Eher möchte indefs hier
der Ort sein, eine Assimilation ursprünglich verschiedener
Fälle anannehmen, da wenigstens Markus sein ivayxufaoa-
fiievog offenbar nur der Aehnlichkeit beider Scenen wegen
bei beiden gleicherweise angebracht hat.
«
§. 87.
Die Tempelrcinigung.
Wenn Johannes (2, 14 ff.) Jesum bei seinem ersten,
die Synoptiker (Matth. 21, 12 ff. parall.) bei seinem letz-
ten Aufenthalt in Jerusalem eine Tempelreinigung vorneh-
men lassen: so dachten die älteren und denken auch noch
708 Zweiter Abschnitt.
manche neuere Ausleger *) an swei verschiedene Begeh»
heften ; eumal aufser der chronologischen Differens aaek
in der Darstellung des Vorgangs sieh awisehen den dni
ersten Evangelisten und dem vierten einige Abwekbatj
findet. Während nämlich in Besag auf das Verfikrei
Jesu bei jenen nur überhaupt von einem ixßaMw die
Rede ist : heilst es bei diesem , er habe sich su Anm
Behufe ein <pQay&bw ix o%oivLdV gemacht; ferner, wfr
rend er dort gegen alle Verkäufer auf gleiche Wehe Ter-
fthrt: scheint er hier einigen Unterschied au suelm,
«nd die Tanbenhftndler etwas milder su behandeln; neb
ist bei Johannes davon nicht die Rede, dafs er mit im
Verkäufern auch die Käufer ausgetrieben hätte. Aochii
der Rede Jesu bei diesem Anlasse findet sich die Diüereu,
dafs die Synoptiker sie genau in Form eines Citats tu
dem A. T. , Johannes aber nur als ungefähre An*pieUo|
darauf gibt. Besonders aber im Erfolge neigt sieb in
Unterschied , dafs nach dem vierten Evangelium Jen **■
gleiob Einsprache gethan wird, wovon die Synoptiker
nichts Berichten , sondern erst Tags darauf die jfidiicta
Hierarchen eine Frage an Jesum richten lassen , welche
Bezug auf die Tempelreinigung au haben scheiot (Mittk
21, 23 ff.)i euf welche Jesus auch ganz anders entwertet»
und namentlich ohne die berfibmte Rede vom Absnek
und Wiederaufbau des Tempels, mittelst welcher er a*k
dem vierten Evangelium jene Einsprache anrfickweist Bfc
Wiederholung einer solchen Execution sucht man durek
die Bemerkung erklärlich au machen, dafs, da asf <fo
erste Austreibung hin der Unfug schwerlich unterblieb,
bei jeder Erneuerung desselben Jesus auch su wiederhol-
tem Einsehreiten veranlafst gewesen sei ; dafs aber niber
die Johanneische Tempelreinigung eine frühere ab &
i) Paulus und Tboluck z. d. Abach. Auch Naurosa, L. J. Cfcr.»
, S. 388* Anm. , findet eine Wiederholung möglich.
w
Achtes Kapitel. $. 87. 769
rnoptiscbe sei, davon glaubt man die Spur,' eben auch
arin zu entdecken, dafs bei jener Jesu alsbald fiinspr*»
\ke gethan wurde , bei dieser hingegen seines inzwischen
sstiegenen Ansehen» wegen nicht mehr.
Allein bei allen Abweichungen ist doch die Uebereiiv»
timmung der beiden Erzählungen fiberwiegend. Derselbe
fnfug; dieselbe gewaltsame Art, ihm durch ixßccXXeiv der
*eute ond avagqiqmtv der Tische su steuern; ja auch im
Wesentlichen dieselbe Rede zur Begründung .dieses Ver-
ahrens, welche, wenn gleich nicht mit ebensovielen Wor-
»n, doch auch bei Johannes eine Hinweisung auf Jes.
6, 7. Jer. 7, 11. enthält. Jedenfalls mfifste man dieser
bedeutenden Aehnlichkeiten wegen mit Sieffkrt *) anneh-
Ben, die tfwei sieh ursprünglich weniger ähnlichen Vor-
ftlle qeien in der Deberlieferung assimilirt, die Züge des
Inen auf den andern fibergetragen worden. Allein soviel
cheint doch klar: die Synoptiker wissen nichts von einer
ürflhern Begebenheit dieser Art, so wenig als 'von einem
früheren jerusalemischen Aufenthalte Jesu überhaupt; und
»benso scheint der vierte Evangelist die Tempelreinigung
lach dem , letzten Einzug Jesu in die Hauptstadt nicht
lefswegen fibergangen su haben, weil er sie als aus den
Ibrigen bekannt voraussetzte, sondern weil er den einsi-
gen Act dieser Art, der ihm überhaupt bekannt war, in
sine frühere Zeit setsen su müssen glaubte. Wissen so
i&mmtliobe Evangelisten nur je von Einem, Vorfalle dieser
Art: so berechtigen ans weder die kleinen Abweichungen
in der Besehreibung , noch die bedeutende in 'der Stellang
der Begebenheit, swei verschiedene Vorfälle vorauszu-
setzen, da Ja namentlich chronologische Differenzen in
den Evangelien keineswegs selten, und bei traditionell
entstandenen Schriften auch ganz natürlich sind. Mit
Recht haben daher nach filteren Vorgängen die neuesten
2) Ueber den Ursprung, S. 108 ff.
Das Leben Jesu 3fc Aufl* /. Band. 49
770 Zweiter Abschnitt.
Ausleger de* Johannes «ich für die Identität beider 6t
schichten erklärt *).
Auf welcher Seite hiebet der lrrthnm, namentlich ii
chronologischer Beziehung, liege, derUber kann num n
Voraus wissen, wie sich die jeteige Kritik entscheide«
wird: nämlich au Gnnsten des vierten Evangeliums. Ü*
Peitsche, die abgestufte Behandlung der verschieden«
Klassen von Händlern, die freiere Anspielung aof die
A. T. liehe Stelle, sind* nach Lücke ebensoviele Kenmet-
chen des Augen * und Ohren eeugen ; in Besag aof die
Chronologie sei ohnehin anerkannt, dafs die Syuoptfcr
sie gar nicht beobachten , sondern nur Johannes: wp/*
wegen es , nach Sirffert *) , das Gewisse gegen das Ei*
gewisse aufgeben hiefse, wenn man die johanneische fr
s&hlung der synoptischen gegenüber fallen lassen wollte.
Allein, was jene Anschaulichkeit betrifft,' so hat aoefc .
Markus in seinem: xal sx rtcpiev, iva ng duvfyxi; mos
dtd ts i€QÖ (V. I6O9 einen solchen Zug vor denikn^s
voraus , der sich Oberdiefs einer Stfitee in der jüduchen
Sitte erfreut, welche nicht erlaubte, den TempehorM
mm Durchweg zu machen *)• Setet man dennoch von
diesem Zuge voraus , dafs er au der willkfirlicbeo Am*
maiung gehöre, wie sie Markus auch sonst liebt '): w«
berechtigt dann, ähnliche malerische Züge, wenn aus im
bei dem vierten Evangelisten findet, als Kennzeichen sei-
ner Autopsie eu betrachten ? Sich dabei auf seine §*»■
kannte Augeneeugensohaft su berufen 7), ist doch eise
gar au -grelle petüio principii, wenigstens auf dem Stand-
3) Lückb, 1, S. 435 ff. ; db Witts, exeg. Haadb. I, !, & i74f.
1, 3, S. 40.
4) a. a. O. S. 109. ; vergl. Schnkckkhburckr; S. 26 f.
5) Lightfoot, S. 632, aus Bab. Jevamoth, f. 6, 2.
6) Li'cHK, S. 438.
7) Lücke, S. 437.; Sieffirt, S. HO.
Achte« Kapitel. 5- #7« 771
paukt einer vergleichenden Kritik , auf welchem es ledig-
lich nach der inneren Wahrscheinlichkeit entschieden wer-
den mtifs , ob nicht anch die malerischen Züge des vier-
ten Evangelium« blofse Ausmalung sind« Wenn hier4 die
Verschiedene Behandlang der verschiedenen Menschen*
klassen ein für sieh wahrscheinlicher, die freiere Besag»
nähme aaf das A. T. wenigstens ein indifferenter Zog ist:
eo verhält es sieh mit dem auffallendsten Zage der johan»
nebehen Ersählang ganz anders« An dem flechten und
Anwenden der Strickpeitsche hat schon Origenes, als an
einem gar an gewalttätigen and ordnungswidrigen Schrit-
te, Anstofs genommen8): and die Milderang neuerer Er-
klärer, dafs Jesus dieselbe nur gegen das Vieh gebraucht
habe *), Ist theils gegen den Text, welcher mittelst des
cfQcr/eXXiav navrag austreiben lSfst; theils bann auch mit
dieser Milderung noch das Anwenden einer Geifsel über-
haupt fflr eine Person von Jesu Würde unschicklich er-
scheinen, und insbesondre nur geeignet, das ohnehin Tu-
multe arische der Handlung zu vermehren 10). Solche
Schwierigkeiten hat der dem Markos eigenthflmliche Zug
nicht gegen sich : und doch soll er verworfen , der des
Jobannes aber angenommen werden«
Ebenso wird in Betreff der chronologischen Differenz
fast einstimmig gegen die Synoptiker und für den vierten
Evangelisten entschieden. Und doch ist man nicht im
Stande, Einen Grand aufzubringen, um dessen willen die
fragliche Begebenheit besser in die Zeit des ersten, als in
die des letzten von Jesu besachten Pascha taugen sollte ")>
8) Comm. in Job. Tom« 10, $• 17, Opp. 1* p. 322, ed. Loh-
MATSSCa.
9) HvfwtfL, x. d. St«
10) BftSTSCHXBiDB*, Prob ab., p. 43«
11) Nach Nbaudi* (S. 387. Anm.) musste Jesu» nach seinem _lett-
ten Einstige in Jerusalem, wo die Begeisterung der Menge
49*
17% Zweiter Abschnitt.
wohl aber l&Tst sieb In entgegengesetatem Sinne riebt W
gegründetes geltend machen. Zwar, wenn aus mm
wabracheinlieh findet, dafs Jesus so frühe sehen, w»i
nach der Deutung des Johanne« durch den Aatspraesia
absubrechenden nnd wiederaufsubauenden Teufel gtni
bitte , auf seinen Tod ond seine Auferstehung liiapri
aen haben sollte i2): so werden wir seine«ort* seheaJ4i'
eben diese Beaiehung auf den Ted nnr durch des Im
gellsten in Jene Worte hineingetragen ist. Die Frage ih
lifo sieh der johanneischen Stellnng der ßegebeabat m
gegenhalten ,. ob wohl Jesus bei seinem besonnenes Tsb
so frühe sehon einen so gewaltsamen und für Manch) »
rftckstofsenden Act seiner messianischen Anctoritit w&
ausgeübt haben '*)? Sonst sehen wir ihn von Anflug «
noch weit mehr anf gütliche Weise mit seinen Yefap
nossen snsammentreffen : nnd man kann daher swefflnj
ob er gleich Anfangs, ohne in Güte einen Versuch m wt
eben, so kriegerisch aufgetreten sein wird. In fctato
Woche seines Lebens hingegen pafst ein solcher Aiftritt
vollkommen. Damals , nach seinem messianisches Etaf
in Jerusalem, legte er es absichtlich darauf an, AttAÜ-
les, was er that und sprach, dem Widersprach Mb*
Feinde nnm Trots, sioh als den Messias na geben; *•
mala stand Alles schon so anf der Spitse, dafs durch*
neu aolcben Schritt nichts mehr sn verlieren war. - W
dennoch, wenn es wahr ist, dafs der vierte Efaaj*
sich für ihn erklärt hatte, Alles vermeiden, wis ■*■»
Absicht , durch 'äussere Macht zu wirken , Unruhen itffi*
su wollen, gedeutet werden konnte. Allein dieti numteer
theils gleicherweise am Anfang wie am Ende seiner Lauft*1
su vermeiden suchen ; theils war die Handlung in **•**
vielmehr ein Aufbringen der äusseren Macht gegen na» *
eine Benützung derselben für sich.
12) So englische Ausleger, hei Lücke, 1, S. 435 f. Ann.
13) Dieselben a. a. O. ; vgl. auch d* Witt«, a. a. 0.
i
Achte* Kapitel. $.88. 773
Recht bat mit seiner Unterscheidung mehrerer Festreisen'
Jesu, ven welchen die übrigen nichts wissen: so ist es
nicht gans richtig, so sagen, diese verlegen die Tempel-'
reinig ang in den lotsten jemsalemisehen Aufenthalt Jesu;
vielmehr verlegen sie dieselbe in den Einen, von dem sie
nur wissen , nnd aas welchem nun wir nach Johannes die
ttbHgen aussuscheiden hatten. Da demnach der bestimm*
ten Zeitangabe des vierten Evangelisten die übrigen eigent-
lich ehne Zeitbestimmung gegenüberstehen: so kann uns,
hei unserer mangelhaften Kenntnifs der Zeitverhfiltnisse nnd
n&nern umstände, der Schein gröf serer innerer Schwie-
rigkeit aef Seiten der Zeitbestimmung im vierten Evange-
lium noch nicht berechtigen, sie gegen eine andere so
verwerfen, die gar kein bestinyntes Zeognifs ftr sieh hat.
Was die Begebenheit an. sich betrifft, so hat Qrige»
nes unglaublich gefunden, dafs dem einseinen Manne von
noch immer sehr bestrittenem Ansehen eine solche Menge
von Menschen so ohne Widerstand sollte gewichen sein;
wogegen er sich aber auf die höhere Macht Jesu berief*
vermöge deren Jesus den Grimm seiner Gegner plfttslich an
dämpfen oder doch unschädlich an machen im Stande ge-
wesen sei: wefswegen denn Origenes diese Austreibung
den gröbten Wundern Jesu an die Seite seist **)• Aller-
dings ist sie ein Wunder, und gewirkt durch höhere
Kraft: nämlich ein Wunder der religiösen Begeisterung,
gewirkt durch die unwiderstehliche Macht, mit welcher
das lange verletzte Heilige sich oft mit Einem Male gegen
seine Verlebter kehrt 15>
$. 88.
•
Pie Erzählungen von <}er Salbung Jesu durch ein Weib.
Von einer Salbung Jesu durch ein Weib während
eines Gastmahls erzählen uns sämmtliohe Evangelisten
14) Comnu in Joh. Tom. 10, 16. p 521 f.
\b) Vgl. Lvcks, ps Wsits und NsAsasa.
"V: __—*_•_.. -w".—-^
Zweiter Abschnitt,
(Matth. 26, 6 ff. Marc. 14, 3 ff. Loa 7, 36 ff. Job. 12, 1
mit Abweichungen freilich, welche besonders ssrui
Lukas and den übrigen bedeutend sind. Erstens nlsi
die Chronologie betreffend, setat Lukas den Vorgabt
die fräfrene Zeit des Lebens Jesu, vor seine Aarane!
Galiläa, die übrigen dagegen jn die lotete Wochen*
Lebens; zweitens, den Charakter der anlbenden Fmt
langend , ist diese nach Lukas eine yuvrj dfia^wloQj m
den beiden andern Synoptikern aber eine unbetpWtt!
Person, welche Johannes sogar als die Betbanisehs Mi
näher bestimmt. Mit diesem «weiten Punkte bangt i
msammen, dafs der Vorwarf der Anwesenden bei U
der Zulassung einer so verrufenen Person, bei des fr
gen nur der Versehwendung des Weibes gut; mtbcä
das, <k& Jeans in seiner Verteidigung dort als dsukbs
Liebe der Frau im Gegensatae gegen die afoln Lia*Vsj
keit des Pharisäers , hier seinen baldigen Tod i* üg*
sats gegen die immer au habenden Amen hewWC
Geringere Differenzen sind noch, dafs als die Oitobl]
in welcher das Gastmahl und die Salbung vor «flk pH
von den zwei ersten und dem vierten Evangeßnn Bern
nien (was nach Job. 11, 1. eine xwfaj war), W U"
unbestimmt eine rrolig genannt wird; ferner, *W* »
Vorwurf nach jenen dreien von Seiten der Jünger, am
Lukas von dem Gastgeber kommt. Daher denn im *
den meisten Erklärern die Unterscheidung von iw* **"
oungen, deren eine Lukas, die andere die übrigen a^1,
gellsten ersählen *).
Allein es fragt sich, wenn man den Lnk« nfl»
drei übrigen einstimmig an machen verzweifelt, ob
Uebereinstimmung von diesen unter sich so ennol**
$) So Paulus, eseg. Handb. J, b, S. 766. L. J. I, «i **
TlIOtUCK, Lücke, Olsuausen , z. d. St.; Ham> !•• *• r
Anm.
\*
Achtes Kapitel. $. 88. TW
iet, und nicht vielmehr von der Unterscheidung nweier
Salbungen noch weiter aar Unterscheidung von dreien
oder gar vieren fortgegangen > werden mnft? Zn vieren
nun freilich wird es wohl nicht reichen , da Mafkus von
Matthfius nur durch einige Zöge seiner wohlbekannten
Veransehauliehung abweicht; wphl aber finden sich zwi-
schen diesen beiden auf der einen und Johannes . auf der
andern Seite Differenzen, welche sich denen a wischen
Lukas und den fibrigen an die Seite stellen dürfen. Die
erste betrifft das Hans, in welchem das Gastmahl vor sich
gegangen sein seil: nach den awei erstem Evangelisten
nämlich im Banse eines sonst unbekannten ^i/uw, der aJa
n leTZQos bezeichnet wird ; der vierte nennt «war den Gast-
geber nicht ausdrücklich , da er aber Martha als die auf-
wartende, und ihren Bruder Lazarus als mitspeisenden
namhaft macht, so ist nach ihm ohne Zweifel das Haus
dieses Letzteren als das LoeaT des Gastmahls au denken *)•
Auch die Zeit des Vorgangs ist nicht gana dieselbe, son-
dern nach Matthäus und Marcus geht die Seene nach dem
feierlichen Einzug in Jerusalem, höchstens awei Tage vor
dem Pascha, vor: nach Johannes dagegen vor dam Ein-
zug, schon 6 Tage vor dem Pascha, Die Frau ferner,
welche nach Johannes die Jesu so eng verbundene Maria
von Bethanien ist, wissen die beiden ersten Evangelisten
nur unbestimmt durch yvv>) au bezeichnen; auch lassen sie
dieselbe nicht wie die Maria in das Haus und au der
Familie des Wirtbs gehören, sondern, man weifs nicht
woher, au dem bei Tische liegenden Jesus kommen. Auch
der Act der Salbung ist im vierten Evangelium ein ande-
2) Diese Differenz ist auch dem Origenes aufgefallen) welcher
überhaupt eine kritische Yergleichung dieser vier Erzählun-
gen gegeben hat , «wie man sie in neueren Cominentaren in
dieser Scharfe vergeblich sucht; s. dessen in Matth. Coav
mcAtariorum series, Opp. ed. de U Rue, i, S. 892 ff*
/
f
Zweiter Abschnitt
rer als in den beiden ersten." Mach diesen nUmUeh gfefa
die Frau Ihre Nardensalbe über Jean Haupt aas, sin
Johannas dagegen salbt sie ihm die Füfte, and tmkut
dieselben mit ihren Haaren ; was der ganzen Seene ein
andere Farbe gibt Endlich wissen die beiden Syooptüw
auch davon nichts, dafs eben Judas es gewesen sei, wel-
cher den Tadel gegen die Fran aassprach, > sondern M*
thflus legt ihn den Jüngern, Markos den Anwesens*
Oberhaupt In den Mund.
So ist also zwischen der Eroihlung des JohssM
und dei» des Hatthftua und Markus ein kaum geringer»
Unterschied, M «wischen dem Berichte dieser drei susta»
men und dem des Lnkas: wer hier swei verschiede» IV
gebenheiten voraussetat, ist nur dann consequent, wea
er diefs auch dort thut, nnd so mit Origenes einstweiki
drei verschiedene Salbungen annimmt. Dennoch skr,
aobald man sieh diese Consequens nflher ansieht, nsA
man Aber dieselbe bedenklich werden« Denn wie uwibv
scheinlich ist es doch, dafs Jesus nicht allein dreiaal,
jedesmal bei einem Gastessen, allemal von einer Fni,
aber jedesmal wieder von einer andern , kostbar gesalbt
worden sein , sondern dafs es sich hiebe! aoch jedeaul
gefügt haben sollte, dafs Jesus diese Handlung der Fm
gegen Angriffe der Zuschauer au vertheidigen hatte? Wie
labt sich namentlich das denken, dafs, wenn Jesu H
einem, und selbst bei swei früheren Anlassen die Ü»
erwiesene Ehre der Salbung so entschieden in Schote g»
nommen hatte, die Jünger, oder einer derselben sie dock
immer wieder sollten getadelt haben *) ?
Mufa mari sich hiedurch getrieben finden, anfl»
ductionen bedacht au sein; se wird ea allerdings i
J) Origenes a. a. O. ; Sculeikasuchbr, über den LukM, S,|ltl
WWr, N. T. Gramm. S. 149.
4
Achtet Kapitel. $. 88. ?T7
»
ans nächsten liegen , mit den Erslhlongen der beiden
ersten Synoptiker und der des Johannes den Anfang su
maeben; denn de haben nicht allein den Ort der Handlang,
{Bethanien, gemein, sondern im Allgemeinen auch die Zeit,
die letste WocSe des Lebens «Jesu; hauptsächlich aber ist"
xRede und Gegenrede auf beiden Seiten nahesu dieselbe:
and bei diesen Aehnliehkeiten wird man Aber die IHffe-
rensen theils durch den Drang der Unwahrscheinliehkeit
eines dreimal wiederholten Vorfalls ,so eigener Art , theils
durch die Wahrscheinlichkeit hinweggehoben, dafo bei der
traditionellen Fortpflansuog der Anekdote dergleichen Ab-
weichungen sich eingeschlichen haben mögen. • Hat man
aber anf dieser Seite in Betracht der Aehnliehkeiten , un-
erachtet der Differenzen im Berichte, die Identität des
Vorfalls angegeben : so können auch anf der andern Seite
die der Krsählung des Lukas eigentümlichen Abweichun-
gen nicht mehr hindern, sie mit der der drei übrigen
Evangelisten für identisch su erklären, sobald sich nur
einige erhebliche Aehnliehkeiten awiseben beiden hervor*
stellen. Und diese sind wirklieh vorbanden, indem Lukas
bald mit Matthäus und Markus gegen Johannes, bald mit
diesem gegen jene auffallend susammenstimmt. Dem Gast-
geber gibt Lukas denselben Namen, wie die awei ersten
Evangelisten dem Hauswirt!», nämlich Simon, nur dafs ihn
jener durch d>aqujalogy diese durch 6 leTZQog, näher bezeich-
nen. Auch darin stimmt Lukas mit den Übrigen Synop-
tikern gegen Jobannes fiberein, dafs nach ihrer gemein-
samen Darstellung die salbende Frau eine nicht sum Hause
gehörige Ungenannte ist; ferner darin, dafs sie dieselbe
mit einem dldßagQov fivQS auftreten lassen , während Jo-
hannes nur von einer ifaqa /uvqs, ohne Angabe des tie»
fäfres, spricht. Mit Johannes hingegen stimmt Lukas anf
merkwürdige Weise in der Art der Salbung gegen die
beiden andern Evangelisten snsammen* Während nämlich
diesen aufplge die Salbe auf das Haupt Jesu ausgegossen
778 Zweiter Abschnitt-
wird; salbt nach Lukas die Stinderin, wie nach Ji
Maria, Je*n vielmehr die Füfse; und selbst der
Zug findet sieh bei beiden fast mit den gleichen Wal
angegeben, dab sie mit ihren Heeren seine Fifa g*s
net habe*): nur dafs bei Lukas j wo die Fraa ab SM
rin gehalten ist, noch die ßenetsung der Fflfse doreki
Thränen sammt dem K Assen derselben hinsafceaai
Ohne Zweifel heben wir ralso hier nur Eine Gcschicb
drei ziemlich abweichenden Formen; was schon dfc
gentliche Ansieht des Origenes gewesen mm sein sehe
und nenerlieh von Schlwirmachsr angenommen v
den ist.
Dabei sacht man dann aber möglichst wtalftl
Kaufes abzukommen, und die Abweichungen der renek
denen Evangelien wenigstens vor dem Schein des Wü
eprnchs su bewahren. Was cuerst die Differeasen n
sehen den beiden ersten Evangelisten und den btrii
betrifft, so hat man vor allem die verschiedene Zeftiejd
durch die Vorauesetsung aussugleichen gesucht, difc ^
f {athenische Mahl «war wirklich , wie Johanne» berieta
6 Tage vor Ostern gehalten worden sei , daft aber Im
thäus , welchem Markus nachgeschrieben , Heine den u
dersprechende, sondern vielmehr gar keine Zeitbettiesjq
habe; denn dafs er jenes Mahl erst nach dem Aotcpr«
Jesu; oii ftiia dvo rjiiqag zo naö%<x yivevai, ciirfcn»
beweise nicht, dafs er dasselbe der Zeit nsch *ft*
stellen wolle, vielmehr hole er, hier, ehe er anf des '*
rath des Judas komme, die Begebenheit nsch, W **
eher dieser den schwarsen Entschlufs daso fafife» *
lieh das Mahl, bei welchem ihn die Versch wendig **
ärgerte , und die abweisende Antwort Je*B ***
4) Luc. 7, $8.: *«? n63as «J- Joh. 12, 3: &>'*' m
j
Achte* Kapitel. $. 88» 779
terte*)« Allelo hiegegen bat die neueste Kritik gezeigt,
wie einestheUs in der milden und gans allgemeinen Rede
Jesu* oiehto persönlich Erbitterndes für den Judas liegen
konnte, . und wie anderntheiU die zwei ersten Evangelien
als Tadler der Salbung niebt den Jndas , sondern tlie Jon*
ger pder die Umstehenden überhaupt nennen, da sie doch,
wenn sie die Scene bei der Salbung lediglieb als Motiv
der Verrätherei des Jndas hier nachholten, diesen nament-
lich hervorheben mflfsten6). Folglich bleibt hier ein chro-
nologischer Widerspruch swieehen den beiden ersten Syn-
optikern und Jobannes, welchen aoeh Osshacskn an-
erkennt.
Der weiteren Differenz, raeksiehtlioh der Person des
Gastgebers, bat man auf verschiedene Weise; anecu weichen
gesucht. Da Matthäus und Markus nur von der oixla
JSi/mavoe %& Xffkqä sprechen, so haben Einige den Haue-
eigenthumer Simon von dem Gastgeber, welcher ohne
Zweifel Laearus gewesen sei, unterschieden, und enge»
nommen, dafs nun beiderseits ohne irrthum der vierte
Evangelist diesen, die zwei ersten jenen namhaft machen *),
Allein wer bezeichnet denn ein Gastmahl durch den Na-
men des Hauseigenthfimers, wenn dieser nicht irgendwie
zugleich der Gastgeber ist? Weil übrigens Johannes den
Lazarus nicht ausdrücklich als den Wirth, sondern als
einen der oirvavaxei/uevtov bezeichnet, und) dafs er zugleich
der Gastgeber gewesen, lediglich daraus geschlossen wird,
daß seine Schwester, Martha, öujxomi so haben Andre
den Simon als den entweder wf gen Aussatzes abgesonder-
ten, oder bereits verstorbenen Gatten, oder unbestimmt
als einen Verwandten der Martha betrachtet, bei welcher
5) Kcixöl, Co mm. in Matth. p. 687.
ß) SisvrsRT, über den Ursprung, S. 125 f. Vgl. j>e Wette, Zr-
d. St. des Matth.
7) S. bei Kvinöl, a. a. Ü. S. 688. ; auch Thou'ck, S. 228«
fcffl Zweiter Abachnitt.
at»h damals aueh fianarae aufgehalten habe9); tSm\
nähme, die aieh swar eher alt die vorige Mit dai
Jungen vereinigen, aber durch nichts Sicheret etilen I
1 Die Abweichung in Besag auf die Art der
welche den swei ersten Evangelisten erfolge aas
nach dem vierten die Fflfoe Jesn betraf, hat aus
der filteren , trivialen Anagleichnng , dafs vieUekU sei
der Fall gewesen sei , nenestens durah die Anaabne h
«ulegen versnobt, dafs Maria swar wirklieh aar dal
eicht gehabt haben soll, Jesn die Fflfee so salben (Ab
nes), dafs aber, da sie anfällig das Gefiele serbmdi(«
TQiif/aaa9 Marc.), auch das Hanpt Jean mit Safte st
gössen worden sei (Matth.)9); «ine Anagleishaag, n
che dadurch in'e Komische ftllt , dafs , da nun nicht k
ken kann , Wie die an einer Fuessalbang sieh anteafcsui
Fran dasSalbengeftfe Ober das Hanpt Jesn bringt» kisri
'man sich ein Aufwlrtssprhaen der Salbe, wie siacudA
menden Getrink es, vorstellen mftfste. 80 dafs aen aa
der Widerspruch bleibt, und swar nicht blofs iwiaas
Matthins und Johannes, wo ihn auch Schlkiäuuc«
anerkennt, sondern auch Markus tat mit Johannes nfcb
su vereinigen.
8) Paulus, exeg. Handb., *, S. 581. 3, b, S. 466} Tiotpa^
OlSKAUSBN, z. d. St.
9) Schrickbhbcrsbr, über den Urspr. u. s. f. S. 60. S«**f
übrigens in der Darstellung hei Markus eine Spur ist, äs
das aurr^tfwra ro aidßa<;p# ein unabsichtliches JkrAwde
bezeichne; so wenig kann es doch mit Favws (eisf-Hn»-
t 3, b, S. 471.) und Farmen* (in Marc. p. 60*.)»***
härteste Ellipse von dem blossen Aufbrechen des VencM*
ses der Mündung verstanden werden ; sondern es kasa, o-
gezwungen erklärt, nur ein Zerbrechen des GefassesieW
bedeuten. Fragt man hiegegen mit Paulus : wozu du (s*1*
bare ) Gefäss verderben ? oder mit Fritzschi : woio etat
Verletzung der eigenen Hand und vielleicht auch des H"f
i-J
Achtet Kapitel. $.88« '78!
Am leJoh testen glaubte Man mit den beiden Abwei
ehangen rfiekslehtlich der Perton der salbenden Frau und
ihres Tadlera fertig au werden. Dafs, was Johanne« nur
dem Einen Judas susebreibt, Matthäus and Markos auf
a&mmtlicbe Jünger oder Anwesende Abertragen, glaubte
man einfach durch die Annahme au erklären, während
die übrigen ihre Mifsbilligung nur durch Gebirden ssu
erkennen gaben, habe Judas den Sprecher gemacht10).
Allerdingt nun mufs dat ehyw, da ihm bei Markus dyu-
vcactövreg n()6s tavrös vorangeht, bei Matthäus ywog dt 6
*i>;<Jötf folgt, nicht nothwendig ein lautet Reden simmtli-
eher Jünger bezeichnen; da indefs die zwei ersten Evan-
gelisten unmittelbar nach diesem Mahle den Verrath des
Judas berichten, so bitten sie gewifs den Verrlther auch
dort schon namhaft gemacht, wenn er sieh ihres Wissens
bei jenem habsüchtigen Tadel besonders hervorgethan
hätte. Daus aber Johannes die salbende Frau, deren Na-
men die Synoptiker nicht nennen, als die Maria von Be~
thanien beaeichnet, ist nach der gewöhnlichen. Ansicht
trar ein Beispiel, wie der vierte Evangelist die früheren
ergingt11)* Allein, da jeqe beiden auf die Handlung der
Frau so größtes Gewicht legen, dafs sie, waa Johannea
nicht hat, ihr Unvergefslichkeit ankündigen lassen: so
würden sie sicher auch den Namen der Thäterin angege-
beo haben, wenn er ihnen bekannt gewesen wäre; so dafs
also in jedem Falle soviel bleibt: sie wissen von der Frau
tes Jesu riskiren? so ist das ganz richtig bemerkt für die
Handlung der Frau, nur nicht für die Krzählung des Mar-
kus. Denn dass diesem ein solches Zugrunderichten auch
des köstlichen Gefässes zu der edlen Verschwendung der
Frau mitzugehören schien, das ist ganz in seiner, uns längst
bekannten, Übertreibenden Art.
f 0) Kuiköl, in Matth. p. 669.
II) Sc Paulus, exeg. Handb., $, b, S. 466. und viele Andere.
TBS Zweiter Abschnitt.
nicht, wer, and namentlich nicht, dafs eie die ftethn
eehe Marie war«
Also, wenn man die Identität anch nur de
der letste Evangelist, und was die beiden ersten
len, anerkennt, mnfs man eingestehen, dal« man auf
einen oder andern Seite ungenaue and durch die Debet*
lieferong- entstellte Berichte hat. — _ Doeh nieht eilen
•wisehen diesen, sondern auch «wischen Lukas und dm
übrigen, sacht, wer ihren Berichten nur Eine Bcgcbca
heit unterlegt, den "Schein des Widerspräche möglichst
na entfernen« Schlkikrmacder , dessen höchste Instaat
Johannes ist, der aber doch auch seinen Lukas nirgenn
fallen lassen will, kommt hier, wo sie so stark abwe»
eben, in eine eigene Klemme, aus der er sieh besonder)
geschickt riehen jeu können geglaubt haben mufs, da et
Ihr nioht, wie ähnlichen sonst, durch die Aiuishmr
sweier cum Grunde liegenden Begebenheiten ansgewieoea
ist* So viel zwar siebt er sich gedrungen, na fausten
des Johannes dem Lukas eu vergeben, dafs nein Gewihn-
mann hier kein Augenzeuge sei, woraus sich geringere
Abweichungen, wie namentlich in Bezug auf die LocsS*
tlt, erklären; die scheinbar bedeutenderen Diffiarema
dagegen, dafs nach Lukas die Frau eine Sünderin te,
nach Johannes Maria von Bethanien, dafe nach jenem der
Wirth, nach den übrigen die Jünger Einwendungen su-
chen, and dafs die Erwiederung Jesu beiderseits «tos
gans andere ist, — diese haben nach ScHUSiBamACUsa d*
in ihren Grund, dafs der Vorgang sich aus awei Gesiebti-
punkten fassen liefs. Die eine Seite des Vorgangs* nin-
ieh sei das Murren der Jünger und namentlich dea Jnus
gewesen, und diese Seite habe Matthias aufgefafst; die
andere Seite, die Verhandlung Jesu mit dem pharisfr
sehen Wirthe, kehre Lukas hervor, und Johannes be-
richtige beide Darstellungen. Was hier am entschiede«-
sten einer Vereinigung des Lukas mit den übrigen wider
Achtes Kapitel. $. 88, t83
>ebt9 seine Bezeichnung der Frau als djuctQToXog, läfst
:hlkikrmachkr als eine falsche Folgerang des Referenten
18 der Anrede Jesu an die Maria: mpHovtai not ai dt tan
in, falieri. ßiefs nämlich habe Jesus mit Bezug auf eine
18 unbekannte Verschuldung, wie sie auch dem Reinsten
»gegne, zu Maria sagen können, ohne sie vor den An«
esenden , die sie Ja hinlänglich gekannt haben , zu com*
romittiren, urfd nur der Referent habe daraus und aus
en weiteren Reden Jesu irrig geschlossen , es habe sich
ier von einer Sönderin im gemeinen Sinne des Wortes
«handelt , wefswegen er dann auch die Gedanken des
Yirthes V. 39. unrichtig ergänzt habe12). Allein nicht
►lofs yon dfuxQvicuc; schlechtweg, sondern von nokXaig*
ifiaQviaig spricht Jesus in Bezug auf die. Frau, und wenn
Mich diefs ein unrichtiger Zusatz des Referenten sein soll,
sofern es auf die Bethanische Maria nicht pafst, so hat
sr die ganze Rede Jesu, von V. 40 — 48., welche sich
am den Gegensatz von nah) und oXiyov dq>mfat und uyaucev
dreht, entweder verfälscht, oder falsch gestellt, und es
ist auf dieser Seite besonders vergeblieh , zwischen den
abweichenden Berichten Frieden stiften zu wollen 13).
Sind demnach die vier Erzählungen nur unter der
Voraussetzung zu vereinigen, dafs mehrere derselben be-
deutende traditionelle Umbildungen erfahren haben: so
fragt es sich jetzt* welche von ihnen der ursprünglichen
Thatsaebe am nächsten stehe? Dafs hier die neuere Kri-
tik einstimmig für den Johannes entscheidet, kann uns
nach unsern bisherigen Wahrnehmungen nicht mehr be-
fremden, und ebensowenig die Beschaffenheit der Gründe,
aus welchen es geschieht: nämlich vermöge des Cirkel-
schlusses, dafs die Erzählung des Augenzeugen Johannes
ohne Weiteres als die richtige vorausgesetzt werden
12) Uebcr den Lukas, S. 111 ff.
13) Vcrgl. os Witt*, excg. Handh. 1, 2, S. SO.
784 Zweiter Abschnitt.
müsse u) , welcher indefs biswellen noch durch da I
•eben Obersata weiter begründet wird, dafr, wwi
ausführlicher and anschaulicher erafthle, der gern
Referent, der Aogenseoge, sei16). Von solchen And
lichkeiten wird man wohl leicht geneigt sein, demlsj
sein ovrTQiipaaa als Ausmalung surfiekaogebeu: hat ä
nicht euch Johannes in seiner Angabe roa einem tk
Karden einen an Uebertreibung griooenden Zog, m i
die Kxtrayagans , welche Olshausen in Besag auf ä
so onrerhültnifsmaTsigen Verbraaeh von Salbe der U
Marias anschreibt, auf die Phantasie des Braag*
möglicherweise übertragen werden müfste? Benern
werth ist auch, dafs die Zahlbestimmong des Weftknl
Salbe sa 300 Denaren nur Johannes and Market g&
wie aoeh bei der wonderbaren Speisung ^ieiehhJb dfa
beiden den Anschlag der ndthigen Lebensmittel nfü
Denare gemein haben* Hätte blofs Markos diese sota
Bestimmungen: wie schnell wiren sie, wenigasf *n
Schlei er* acher , für Zusätze aas den eigenen Hitth ^
Erzählers erklärt; was, wie non die Sachen stoboi) &
aes Urtheil selbst als Vermathang nicht aafkoaaen lÄj
ist es etwas Anderes, als das Vorartheil ftr est **
Evangelium ? Hat man 'doch selbst die Haophalbong sr
beiden Synoptiker, weil Johannes statt derselbe «*
Fulasalbung hat , für ungewöhnlich and ans MtkJi •*
passend aasgegeben16); während, wie auch Lütf*0*
räumt, umgekehrt das Salben der Fflfee out W»«*
Oel das minder Gewöhnliche war17).
Gans besonders dankbar ist man aber den A*l*
fc oeagen Johannes dafür, dafs er den Nana* *>**"
14) SismuT, t. a. O. S. 123 f.
15) Schul», a. a. O. S. 320 f.
16) Schkiciikkburgir, a. a. O. S. 60.
17) Comm. 2, S. 417-i rgl. Lishtsoot, horae, S. 468 «■*•
Achtes Kapitel, f. 66. ?96
i
aalbeaden Freu de des tadelnden Jüngere der Vergessen- ,
helt entrissen hat 18). Da in Besag anf die Fran die Aus-
kunft, die Synoptiker' haben ihren Namen wohl gewußt,
ihn aber ans Rücksicht auf mögliche Gefahr für die Fe*
mrilie dea Laaarus versehwiegen, uqd erst der später
eohreibende Johannes, habe wagen können, ihn an neu*
neu19)) auf unerwiesenen Voraussetzungen beruht: so
bleibt es dabei , dals die ersten Evangelisten von dem
Nnuien der Fran niehts gewufst haben, und es fragt sich,
wie dieTs möglieh war? Da Jesu» der That des Weibes
ausdrücklich Verewigung verhieb, so mnfste die Tendens
entstehen , aneh ihren Namen aufeubewahren, und wenn
dieser nun mit dem bekannten und yielfach genannten der
Bethanisehen Maria sosammentraf 9 so ist nicht leicht ein*
naschen, wie dieses Band in der Ueberliefernng wieder
gelöst, und jene salbende Fran aar Unbekannten werden
konnte. Nicht minder unbegreiflich aber ist, wie, wenn
der habsüchtige Tadel der Frau wirklich von dem nach-
sneligen Verräther ausgesprochen worden war, diefe in
der Ueberlieferung vergessen, und derselbe den Jüngern
Aberhaupt angeschrieben werden konnte« Wenn von ei-
ner sonst unbekannten Person namentlich etwas eraählt
wird , oder auch von einer bekannten «twas, das mit ih-
rem anderweitigen Charakter nicht sichtbar zusammen* \
hingt: so ist es natürlich, dal* deh in der Ueberlieferung
der Name verliert; wenn aber das ereählte Wort oder
Werk einer Person so gans mit ihrem sonst bekannten
Charakter übereinstimmt, wie hier der habsüchtige und
heuchlerische Tadel mit dem Charakter des Verräthers: ,
wie da die Sage diesen Namen verlieren kann, ist nicht
so leicht au begreifen. Zumal da die Geschichte, bei
18) SCBULZ, ft. A. O.
19) So Gaoum, Hbuoir.
Das Lebe* Jesu $te Aufl. /. Band. SO
'786 Zweiter Absohnitt.
welcher jener Tadel- ausgesprochen wurde, besonden nuet
ihrer Stellung bei den zwei ersten Evangelisten, so naht
mit dem Zeitpunkte des Verraths zusammenfiel, und w
eine Besiehung dieses Schrittes auf jene Aeufseruog fast
aufgedrungen war. So sehr in der That, dals, weni
jene Aeuüerung versteckten Geizes auch nicht wkUieh
von Judas gethan worden war, man sich doch später w
sucht finden mufste, sie ihm als Beitrag zu seiner Chi*
rakteristik und nur Erklärung seines nachmaligen Ver»
ratbes anzuschreiben. So dafg sich hier die Stehe «•
kehrt , und die Frage entsteht, ob wir nicht, stattet
Johannes au loben, daß er uns diese bestimmte Nottse*
halten hat, vielmehr die Synoptiker rühmen müssen, i&
sie sich einer so nahe liegenden, aber unhistorisehee Cea*
bination enthalten haben. Dasselbe lifat sich in Befrei
der Bezeichnung der salbenden Frau als Maria vm H*
thanien fragen : ob nicht statt einer Ablösung jener Ihr
angebörigen That von ihrem berühmten Namen rielneAf
das Umgekehrte anzunehmen sei, dafs die sich fortsMsato
Sage eine Handlung ergebener Liebe gegen Jeus)) wene
sje auch ursprünglich einer andern, minder sskaast«
Person angehörte, derjenigen zuschrieb, deren iwp*
VerhÄltnifs au Jesu dem dritten und vierten Evangefa«
zufolge frühzeitig grofsen. Ruhm in der ersten Genetik
erlangt hatte.
Doch so große Schwierigkeit es hat, das Versito*"
den der Namen von Maria und Judas aus der lynopti-
schen Deberlieferung von dieser Scene zu erkürte: ie W
es doch noch weniger rathsam, das vierte Bvangefie*
gerade hier einer nnhistorischeh Namengebung se beeiM-
digen. Denn das Verhältnis Jesu ru der, Fsnilie ia ^*
thanien ist, wie die mehreren Festreisen, ein Ponkt, •»
welchem dieses Evangelium aller Wahrscheioiicfikeit wen
vor den übrigen genauere Notizen voraus hat. Wenn wir
bei den Synoptikern lesen, während seines FetUtfeothalt*
i
v
Achtel KapifteL $. 88.
78T
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I
\
habe sich Jesus des Abends nach Bethanien surliokgeso-
gen (Matth. 21, 17. Marc. 11, 11 f.) ; wenn Lukas ohne
Ortsangabe von1 der Einkehr Jesu bei den Schwestern
Maria und Martha spricht, wobei die letztere sioh als die
vielgeschAftige Wirthin, die erste als die gemütbvolle Zu-
fcttrerin Jesu bewiesen, habe (10, 38 ff.): wenn wir bei
Matthins und Markus von einen Mahle lesen, das Jesu
in den letsten Tagen vor dem Pascha au Bethanien gege-
ben wurde, wobei ein Weib ihre tiefgefühlte Verehrung
für ihn dutch Salbung seines Hauptes mit köstlicher Narde
an den Tag legte: so sind ja diese Berstreuten Züge eben«
soviele Wegweiser, welche als auf einen Vereinigungs-
pnnkt nach der Ersfihlung des Johannes hinneigen, die
ans auf erwünschte Weise belehrt, dafs die Herberge
-Jesu in Bethanien eben bei jenen Schwestern und ihrem
Bruder Lasarus war; dafs das Wort: Eins ist Noth! eben
in Bethanien gesprochen wurde, und dafs die im Ergufs ihres
Gefühles ^ verschwenderische Salbende keine andere als
eben diejenige war, die schon früher über den Worten
Jesu, su dessen Füfsen sie safs, alles Andere vergessen
hätte« Hierin also hat ohne Zweifel der vierte Evangelist,
aei er Johannes oder ein Anderer, das Genauere su ge-
ben gewnfst.
Dafs der Name der Maria in der synoptischen Deber-
lieferung verloren ging, bleibt befremdend, wie oben die
gleiche Erscheinung in Besug auf den Nikodemus; dafs
aber Lukas gar die Salbende im Hanse des Simon su ei-
ner Sünderin macht, scheint aus dem Zusammenfließen
dieser Begebenheit mit einer andern , violleicht mit der«
jenigen erklärt werden su müssen, welche der in ihrer
Aechtheit angefochtenen Kneblung des vierten Evange-
liums von der Ehebrecherin (8, 1 ff.) sum tirunde liegt.
Df ook fehler:
S. 33. Zeile 4. irt statt 18» xu lesen 1809.
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