Skip to main content

Full text of "Das Leben Jesu"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Äbout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  füll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Realen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 
Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  Partnerschaft  lieber  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.     Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.     Nie htsdesto trotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tür  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  fürdieseZwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google-MarkenelementenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril  durchsuchen. 


•  I 


f    -  •  ^tf  ü*  ••   ",• 


\ 


Das 


Leben    Jesn^ 


kritiscli    beariieitet 


von 


Dr.   David  Friedrieh   Sirmm, 


ZweiterBanct    , 

y  / 


0 


Dritte 

mit  Rüeksicki  auf  die  Gegenschriften  verbesserte  Auflage* 


T  fl  b  i  n  g  e  n,    , 

Verlag    von    G.    F.    Oiiander. 


1  S  3  9. 


IIC!-   .  d 


.*' 


f    \ 


Inhalt  des  zweiten  Bandes. 


\ 


Stile 
(Zweiter  Abeehnitt) 

Neuntet  Hapitel.    Die  Wunder  Jesu       -  i— 168 

f.  89«  Jetot  alt  WunderthXter  .....  | 
$,  90.  Die  DämonitclieB,  allgemein  betraclitet  •  •  iO 
^«  Öi.  Jesu  Dimoneaauttreibungen  einseln  betrachtet  -  87 
^  92.  Heilungeii  von  Paralytitcben*  Ob  Jesut  Krankhei- 
ten alt  SUndenttrafen  betrachtet  habe  -  -  59 
\,  93.  Heilungen  von  Auttätcigen  .....  7t 
$•  94«  Blindenheiiungen  •.  .'.  .  .  •  79 
$•    95.    UnwOlhlirliche  Heilungen       .....  fo^ 

$.    96.    Heilungen  in  die  Ferne ii8 

^    97.    Sabhatheilungen iS8 

§•    98»    Todtenerm^ckungen        -       -       -        .       -    '^  •  |45 

^    99.    Seeanekdoten           .......  fgj 

%.  100.    Die  MTunderhare  Speisung      .....  f ff 

§.  iOf«    Jesus  verwandelt  Wasser  in  Wein        ...  SSS 

%•  102«    Jesus  verwünscht  einen  nnfiruchtbaren  Feigenbaum  858 

Zehntes  KapifeL    Jes  a  VerklXrnng  und 

letzte  Reise  nach  Jerusalem     -         869-*5i8 

^  103.    Die  VerkllCruag  Jesu  als  wunderbarer   Vusserer 

Vorgang *              -  86D 

§.  104.  Die  natürliche  Anikssung  der  Ersühlnng  in  ver- 
schiedenen Formen  ...•••  873^ 

$.  105»    Die  VerklMrungsgeschichte  als  Mythus  880 

$.  106.    Abweichende  Nachrichten  Über  die  letate  Reis« 

Jesu  nach  Jerusalem         .       .       •       •       .  899 


I 


IV  Inhalt 

§,  107.    Abwelchungea  der  Eyangeliea  in  Hinticiit  auf  d«n 

Aufgangtpankt  des  Einengt  Jetii  in  Jerutaleo»         J99 

%p  108»    Näherer  Hergang  bei   dem  Eincug^    Zweck  und 

liittoriiche  Realist  deatelJben  -       •       *       -         106 


Dritter  Absehnitt  Die  Geaohiehte  dea  Lel- 
deoS)  Todea^  und  der  Auferatehnng  Jeao  519^717 

Eratet  KapiteL  Verhältnisa  Jesu  zu  der 
'  Idee  einet  leidenden. uiid  al^rh.^n- 
den  Met tiai;  aeine  Beden  Ton  Tod, 
Auferttehung  und  Wiederkunft        321—397 

^.  109»    ObJetut  te{nl.eiden  und  teinen  Tod  in  bettinun- 

ten  Zügen  vorhergetagt  habe  ?         •        •        •     '    -^ii 

§*' ilOp    Jptu    Tode t Verkündigung    im    Allgemeinen^    ihr 
Verhältnitt  zu  den  jüdit eben  Mettiasbßgriffen; 
Auttprüche  Jetu  übef  den  Zweck  und  die  Wir«      ^ 
kungen  teine^  Todet        -        •        •>     ,  •  930 

§^  11^    Bettimmte  Auttprüche  Jesu  über  leine  künftige 

*"  Auferttehung    •        •       .       •       j.       .       .         .344 

|i  112    Bildliche  Reden,  itt  welahen  Jetut  teine  Aufertte« 

hung  vorherveriiündigt  haben  toU   «       -        *  548 

(>  113^    Die  Reden  Jeau  vnh  tetner  Farutie.     Kritik  der 

veirtchiedenelk  Autlegungen      .        -        •        >.         262 

§.  J14»    Ürtprung  der  Redea  über  die  Farutie  •        ^         380 

2^eiiea  Kapitel.    AntdilHg^'der  Feinde 
Jetu;.  Verrath  det  Judat;    letztep 
Mahl  mit  deü  Jüngern         -        *         SOS—^TO 

§.  11^.    Entwicklung   det   VerhMltnittet     Jetu   zu   teinen 

FeindeA     -        •        -        .        *        •        -        •'         398 

^  116i    JetuI  und  «ein  Veff atiier 405 

$w  117.    Vertchiedene  Aniichten  über  den  Charakter   det     • 

Judat,  und  die  Motive  telnet  Verratht    •       -  414 

§.  ilg.    Betteilung  det  Fatchamahlt    •     .  -  -        -  425 

§:  119.    Abweichende  Angaben  über  die  Zeit  dea  letzten 

Mahlet  Jetu      ...       ^       -       -       -         429 


I  ti*4i  fl  1  t.  V 

» 

Seite 
^  i20>  DiÜnttttea  ia  Betreff  dmr  VergXnge  beim  lelsle» 

BfiliIeJew 443 

« 

(«  f21.    Verkündigoiig  des  Verraths  und  der  Verläugnung  454 

^  US.   Die  CinieUong  defc  Abendmelile    .       ..       -       •  464 

Drillet  H«piteL  Gettg  aaob  deaOelberg, 
Cef aageanehmiagy  Verkttr,  Ver* 
nrlhQÜuAg  aadiCr eiiii^uag  Jeeu     47i-*5d3 

$.  133.   Jesu  6eelenkaiapf  im  Geirtea  -        •       *        •       «  471 

^  124.  VerlililtBit«  de«  -nerlea  FVengeliuBW  tu  den  Vor- 
g'ängen  in  Gethtemaae.  Die  johanoeitehen  Ab« 
tchiedsreden   und  die  Scene  bei  Anmeldung 

der  Hellenen     •      '  •        •        -    '    -        *-        •  492 

$.  125.    Gefangennehmung  Jesu          ,  •        -        •        • '      .>  499 
^  128.   Jesu  Verhör  vor  dem  fl4»henpriester     •      '-        •    •     607 

i  127.    Die  Verläugnung  des  Fetrut          ....  5I6 

i  128.    Der  Ted  de«  Verräther« -525 

V  129.    Jesu«  vor  Filatu«  und  Herode«      •        .        .        •  539 

V 130.    Die  Kreuzigung 555 

Viertes  Kapitel.  Tod  und  Auferstehung 

Jesu 585-695 

(.  131.   Die  Naturerscheinungen  hei*m  Tode  Jesu     -        -  585 

(.  iSl.    Der  Lanzenstich  in  die  Seite  Jesu         ...  595 

$.  iSS.    Be^äbniss  Jesu 604 

$.  134.    Die  "Wache  am  Grabe« Jesu     .....  611 

$.  155.    Erste  Kunde  der  Auferstehung       ....  620 

$.  136*    Galiläiscbe  und  judäische,  paulinische  und  apokry- 

phisdie  Erscheinungen  des  Auferstandenen     -  639 
$•  137.  .  Die  Qualität   des  Leibs  und  Wandels  Jesu  nach 

der  Auferstehung      ......  660 

^  138.    Die  Debatte  über  die  ReaUtät  de«  Tode«  und  der 

Auferstehung  Jesu     -        -        -        -        ...  676 

Fünfte«  Kapitel.    Die  Himmelfahrt  696-717 

(.  139.     Die  letzten  Anordnungen  und  Verheissungen  Jesu  696 
f.  140«     Die   sogenannte  Himmelfahrt  als   Übernatürliches 

und  als  natürliches  Ercigniss  •        -        -     .  -  705 


VI  Inhalt. 

Seite 
§.  I4f.    Da»  Up^ott^ende  der  N«AbHcIitett  über  Jeau.Blitt* 

melfahrt.    Deren  mythische  Auffaatiuig  m       .  799 

Sohlnfsabhandloiig*    Dlß  donmatlaebe  Be- 
deatnng  dea  Lebeoa  Jesu  *       *        718—778 

(.  142.    Nothwendiger  Uebergang  dor  Kritik  in  da«  Dogma  718 

§*  143.    Die  Christologie  des  orthodoxen  Syitema     -       .  721 

$.  144.    Bestreitung  der  kirchliehen  Lehre  von  Christo  733 

!•  145.    Die  Cbristologie  des  AationaUamiis       .       •       •  '  739 

$.  146.    Eine  eklektische  Christologie.,  ScHUinMucRBii    «  743 
§•  147.    Die   Christologie,    ajmboUseb    gewendet    Hakt« 

j>i  Wrti  -        •        ...        •        •        •        .  755 

$•  148.    Die  speculative  Christologie  -        •        •       •        .  751 

$•  149.    Letztes  Dilemma     .••....•  7^4 

$.  150.    Vermktlungsvertuche.    Schluss     .       «       .        .  770 


>. 


V 


} 


If^onles    Kapitel. 

Die    Wunder    Jesa< 


%.    89. 

Jesus  als  Wunderthäter. . 

Dtlii   das  jodische  Volk  ca  Jesa   Zeit  fem   Mefalaa 

K^Boderthaten  erwartete  ^   iat  tbeUa  an  sich  aehon  natar» 

IicIk,  da  ihm  der  Measiaa  ein  «weiter  Moaea  und  der  grüfa- 

te  Prophet  war,   von  Moaea  ond  lien  Propheten  aber  die 

beilige  Nationaitage  Wander  aller  Art  ersählte;  theilaUbt 

es  sieh   ana   apiteren  jttdiftchen   Schriften   wahrscheinlich 

flitehen  ^) ;   theila  wird   ea  ana  den  Evangelien   seihst  ge« 

wils.    Ab  Jeaoa  eiomat   einen  dämonkchen  Blindstummeii 

(ohne  natarliehe  Miilel)  geheilt   hatte,    wurde  daa   Volk 

dadoreh  aaf  die   Vermuthnng  gefllhrt:  ^ti^i  5t6^  igiv  o 

vlos  Javld;  (Matth.  \%  23  )  ftum  Beweise,  dafa  man  eine 

wunderbare  Heilkraft  ala  Attribut  dea  Mestfiaa  betrachtete. 

Jobannea  der  Täufer  wurde  durch  daa   Gerflcht  von   den 

^yoi^  Jeaa  su  der  Frage  an   ihn   veranlafst,    ob   er   der 

i^Ofi&>'OS  *^1?   worauf  aich  Jeana,  sdm  Belege,  dafa.  er  ea 

sei,   nur  wieder  auf  aeine  Wunderthaten    berief  (Maith. 

11,  2  £L  paralL).    Auf  dem  Laubhfitienfeate,  daa  Jeaua  in 


1)  S«  die  im  iten  Band,  Einleitung,  S.  106  ff.  Aam.,  angefülir- 
ten  Stellen,  %lrosu  noch  genommen  werden  hann  4  Esdr.  15, 
SO.  (Fabrie.  Cod.  pseudepigr.  V.  T.  2,  8.  286)  und  Sohar 
Exod.  fol.  S,  col.  12  (bei  ScHÖrraai«,  horae,  2,  S.  541,  auch 
in  BaaTBOLDT't  Christol.  §.  33,  not.  1  ). 

BaM  Lehen  Jeni  Me  Aufl.  II,  Band.  1 


t 

ü  Zweiter  Absohnilt. 

Jerusalem  feierte,  wurden  Viele  vom  Volk  an  ihn  glaubig, 
indem  sie  dachten:  ott  o  XQigoi;  orav  ilO-rj,  faji  Tihioru 
a^jpela  THuov  7wn\aaiy  wv  arog  inolrflev;  {Job«  7,  31.) 

Uocb  nicht  bloft,  daf«  er  Oberhaupt  Wunder  ihnn 
sollte,  sondern  auch  die  verschiedenen  Arten  von  Wun- 
dern, welche  der  Messias  verrichten  würde,  war^n.  in  der 
Volkserwartung  vorherbestimmt.  Auch  diefs  durch  altie« 
stamentlic^he  Vorbilder  und  Aussprüche.  Durch  Moses  war 
dem  Volke  auf  fiberuatürliche  Art  Speise'  und  Trank  ge- 
währt worden  (2.  Mos.  16,  17.):  ein  Uleiches  erwartete 
man,  wie  die  Rabbinen  ausdrfleklich  sagen,  vom  ^Messias; 
auf  filisa's  Bitten  waren  den  Einen  die  Au^en  auf  Über- 
natürliche  Weise  verschlossen,  den  Andern  ebenso  geöff- 
net worden  (2.  Kön.  6):  auch  der  Messias  sollte  die  Au- 
gen der  Blinden  aufthun ;  seihst  Todte  hatte  der  genannte 
Prophet  und  sein  Lehrer  wiederbelebt  (1.  Kön.  17.  2.  Kön. 
4.):  so  konnte  auch  dem  Messias  die  Macht  über  den  Tod 
nicht  fehlen  ^;.  Unter  den  Weissagungen  war  besonders 
Jes.  ;]5,  5  f.  (vgl.  42,  7.^  auf  diese  Seite  der  Messiasvor- 
stellung von  K]nf!uf-i.  liier  war  von  der  messianischen 
Zeit  gesagt  (LXX.) :    lorc  avoty^d-r^QOM.(Xi  oipd^u/^fiui  7i'<f'/.o}v, 

TQavTJ  dk  egal  yXüiaaa  (.icr/ikaXiov ,  was,  bei  Jesaias  zwar  in 
bildlichem  Zusammenhange,  doch  bald  eigentlich  verstan- 
den wurde,  wie  daraus  erhellt,  dafs  Jesus  den  Bot|&n  des 
Johannes  gegenüber  (Matth.  II,  5.)  mit  offenbarer  Bezie- 
hung auf  diese  Prophetenstelle  seine  Wunderthaten  be- 
schreibt. 

Diese  Erwartung  trat  auch  Jesu,  sofern  er  als  Mes- 
sias, oder  auch  nur  als  Prophet,  sich  gab  und  angesehen 
wurde,  in  Gestalt  einer  Forderung  entgegen,  wenn  er  nach 
mehreren  bereits  betrachteten  Stellen   (Matth.  12 ,  38.  16y 


2}   S.   die  a.  a.  0.  des   Iten  Bandet    angeführten  rabbinischen 
Stellen. 


Nenntet  Kapitel.     $.  M.  S 

l.parall.)  ?oii  seinen  pharieiitchen  Gegnern  um  ein  arjthlov 
angegangen  worde ;  «renn  nach  der  gewaltannipn  Vertret* 
hang  der  Verkfiufer  ond  Wechsler  aus  dem  Tempel  die 
Juden  ein  tegitimirendes  ar^^nov  von  ihm  verlangten  (Joh, 
tj  18),  und  das  Volk  in  der  Synagoge  von  Kapernaumi 
da  er  Glauben  an  sieh  alt  den  von  Gott  gesandten  forder- 
te,  cur  Bediiignng  dieies  Glaubens  macfate^  dafs  er  ihm 
ein  ar^futoy  seigen  sollte  (Job.  6,  30  ). 

Den  neu  testamentlichen  Naclirichten  «nfolgehat  Jesus 
dieser  Anforderung,    welche  seine   Zeitgenossen    an   den 
Metou  machten,    mehr  als  genoggetban.    Dicht   nur  'be- 
steht ein  betrfichtlicher  Theil  der  evangelischen  £rsXhlnn« 
gen  ans  Beschreibungen  seiner  Wnnderthaten ;   nicht  nur 
riefen  nach  seinem  Tode  seine  Anhänger  vor  Allem  auch 
die  fon  ihm  verrichteten  ^rviif^fig,  Of^^tla  und  xiQona  sich 
und  den  Juden  in  das  Gedfichtnirs  surttck    (A.  G.  2,   %% 
v|L  Loo»  24;  19.)  :   sondern  das  Volk  selbst  vear  schon  au 
innen  Lebzeiten  nach  dieser  Seite  so  durch  ihn  befriedigt| 
dafs  viele  defswegen  an  ihn  glaubten'  (Job.  2,  23.    vgl.  6, 
2.);  dafs  m«n   ihn   dem   Tffufer,  der  kein  ar^f,:elov  gethan 
hatte,  entgegenstellte  (Joh.  10»  41.)»  und  selbst  vom  kflnf- 
tigen  Hesttas  nicht  glaulite,  dafs  er  ihn  in  dieser  Hinsicht 
werde  fiberbieten  können  (Joh.  7,  Sl.)*     D^fs  es  Jesus  an 
Wundern  hStte  fehlen  lassen  y   scheinen  jene  Zeichenforde- 
ningen  um    so   weniger  su  beweisen ,   da  mehrere  dersel« 
baa   unmittelbar  nach  bedeutenden  Wunderaoten  gemacht 
wurden,  so  Matth.  12,  38.  nach  der  Heilung  eines  Dämo- 
nischen ,  Joh.  6,  39«  nach  der  Speisung  der  Fdnftausende« 
Freilieh   ist  eben   diese  Stellung  schwierig;   denn  wie  die 
Juden  die   uwei  genannten  nicht  als   rechte  ar^^ma  gelteo 
gelassen  haben  sollten,   ist   nicht  wohl   au  begreifen,    da 
oamentliob  die  Dümoneaaustreibungen   sehr  hoch  gehalten 
worden  C^oc.  10,  17.) :    es  mfifste  denn  das  in  Jenen  bei- 
den  Stellen   geforderte    Zeifhen    aus   Luc.  11,    16.    (vgl. 
Msttb.  16,  1.    Marc.  8,    II.)   als  arfiiH€v  e|  u{}avH  näher 

1*     . 


4  Zweiter  Abschnitt. 

betttmint ,  und  dabei  entweder  an  das  apeclfisoh  -  mettia- 
nisehe  ai^p&foy  tu  vi5  r«  c«'*>(kJvT«  iv  r<ii  SQav«o  (Matth.  24, 
30.))  oder  an  Stillstand,  Verfinstemng,  der  Gestirne,  etwa 
aoch  an  eine  beglaubigende  Himmelsstimme,  gedacht  wer* 
den  ')•  Will  man  aber  lieber  die  Verbindang  jener  Zei* 
chenforderangen  mit  vorhergegangenen  Wonderacten  auf- 
lösen,  so  Lann  Jesus  ganz  wohl  sahireiche  Wunder  ge« 
than,  und  dennoch  einige  feindselige  PharisXer,  weiche 
ftuftllig  noch  bei  lieinem  derselben  Augeneengen  gewesen 
waren,  nun  auch  selbst  eines  su  sehen  verlangt  haben. 

Auch  dafs  Jesus  die  Wnndersuoht  tadelt  (Job.  4,  48  >y 
und  auf  jVne  Zeichenfordernngen   Jedesmal  ablehnend  ant» 
wertet,  beweist  nn  sich  gar  nicht^  dafs  er  nicht  in  andern 
Fällen  freiwillig  Wunder  gethnn    haben   könnte,    wo  ihm 
solche  besser  angelegt  schienen.    Wenn  er  in    Bezug  auf 
die  Forderung  der  PharisSer  Marc.  S,  12.  erklärt,  es  wer- 
de T^  yeve^  tavTi]  gar  keines,  oder  Matth.  12^  39  f.  16,  4« 
Luc.  11,  29  f.  y   es   werde   ihr    kein   Zeichen   aufser  dem 
arjjueYav  Yovä  rS  nQOfprp:ii  gegeben  werden:    so  könnte   es 
swar  scheinen,   als  verweigerte  Jesus  biemit  Jedes  Wnn» 
der  aufser  dem  Zeichen  des  Jonas,   d.  h.«  nach  der  Den- 
tung  des  ersten  Evangeliums,  seiner  Auferstehung;   da  je- 
doch nach   dem  reineren   Berichte  des   Lukas   unter  dem 
ar^peJov  %)ra  vielmehr  die  ganze  Erscheinung  Jesu  zu  ver- 
stehen ist,   in  welcher  auch  seine  Wunder  miteinbegriffen 
sind :   so  will  Jesus  ohne  Zweifel  nur  sagen,  es  sei  unver- 
antwortlich von  diesem  Geschlechte ,  noch  ein  besonderes 
Wunderzeichen,   ansdrficklich  zu  setner  Beglaubigung,  su 
verlangen,  da  doch  seine  gesammte  Erscheinung  und  Wirk« 
samkeit  so  viel  Beglaubigendes  (sum  Theil  auch  Wunder- 
bares)  von   selbst  schon   in   sich   scbllefse,    dafs  nur  ein 
ganz  verhärteter  Sinn  dadurch  unfiberseugt  bleiben  könne  *)• 

3)  Vgl.  Dl  Wim,  exeg.  Handb.,  s.  d.  St  ;  Nia^dkr,  L.J.  Chr., 
S.  264. 

4)  S.  Nkaadbr,  a.  a.  O.  S.  265  f. 


B«  ikr  Frage  naoh  der  geaohiehtlicheii  Begleobigong 
der  Wender  Jeio  kann  eg  swar  befremden,  dafa,  «o  viel 
•■eil  rott  aolehen  In  den  Krangelieu  ersihlt  wird,  sie  doeh 
in  der  Geeebiebfte  und  den  Briefen  der  Apoetol,  ein  paar 
allgemeine  £rwfihnnngen  abgereehnet  (A.,6.  2,  S2.  lO, 
Z8  f.) ,  ao  gut  wie  reraebollen  aind ,  und  Alles  auf  iieine 
Anferatehnng  gebaut  wird.  Doeh  erklXrt  sieb  dlefa  naob 
den  Berieht  der  Apostelgesehiebte  daraus,  dafs  man  den 
Wnnderl^eweis  In  den  ersten  christlichen  Gemeinden  ge- 
genwärtig hatte,  nnd  dalier  nicht  auf  die  der  Vergangen« 
lieit  angehSrigen  Wunder  Jesu  sich  sn  berufen  brauehtei 
sondern  nar  darauf  anfmerlLsam  nn  maehen,  wie  auch  die 
Wnnder  der  Apostel  Ausflösse  der  Wirluamkeit  Jesu  seien 
(A.  6.  2,  33.   S,  16.   4,  SO.)« 

Dals  /nXmlieh  die  Wnndergabe  auch  nach  dem  Hin« 
scheiden  Jesu  in  der  apostolischen  Kirche  fortdauerte,  des« 
▼ersiehert  uns  nicht  allein  die  Apostelgeschichte,  de> 
Zengnifs  mSglicherweise  in  Anspruch  genommen  wer- 
den kSnnte;   sondern  ein  nnrerwerflicher  Z^enge  dafflr  Ist 
der  Apostel  Paulus   in  seinen   Briefen,   wo  er  thells  sich 
selbst  eine  von  Christus  verliehene  dtrafug  ai^ftHiav  xai  tt- 
(jtrictfF  (Rda.  15,    19),  eine  Wirksamkeit  iv  arjidotg  x<d 
i^HtOi  xiä  SnHxfifai  (2.  Kor.  12,  120f  «uschreibt,  theils  un- 
ler  den  in  der  Gemeinde  vertheilten  Geistesgaben  xa{iia^i(xia 
la^itnwv  nnd  ivfnyjjfiara  dwafnoiv  auffflhrt  (1.  Kor.  12,  9  f. 
2S  f.)-    Von  hier  ans  gilt  ein  Rflekschlofs  auf  Jesum  selbst 
nicht  nnr  in  der  Art,   dafs   wir   Oberhaupt,  was    wir  an 
Einem  Orte  anerkennen  mflssen,  an  einem  andern  sn  vor« 
werfen  kein   absolutes  Recht  mehr  haben;   sondern  sogar 
a  mmori  ad  majus  scbliefsend  mflssen   wir  bei  Jesu  das 
Aurserordentliohe  glaublicher  finden ,   als    bei  seinen  Jttn- 
gern ;   oder  bestimmter ,  wir  mflssen ,  der  eigenen  Andeu- 
tung der  Apostel  sufolge,  in  ihm  and  seiner  aufserordent- 
licben  Begabung  die  anregende  Ursache  ähnUoher  ISrschei* 
nuogen  im  apostolischen  Zeitalter  finden. 


/ 


f»  Zweiter  Absehnitf. 

Wie  Terbftlt  «ich  nun  aber  eu  dieser ,  der  Glaabwtir- 
digkeit  des  von  Jesa  erzählten  Wanderbaren  günstigen, 
historischen  Brwligang  die  in  der  Einleitung  gegebene  pbi- 
losophisehe  Darlegung  von  der  Unoiftgliehlieit  des  Wan« 
ders  ^)  ?  stehen  nicht  beide  Im  vollkommensten  WidcMpra« 
che?  Es  scheint  so;  in  der  That  aber  stofsen  sie  nicht 
anmittelbar  gegeneinander,  sondern,  w&hrend  der  ein« 
Sats  das  Wander  im  strengen  Sinne  l&agnet,  erkennt  der 
andere  Wirkungen  und  Erscheinungen  an,  von  welchen  es 
sieh  erst  ffAgt»  *ob  sie  absolute  Wander  sind?  üafs  Uott 
durch  Jesum,  oder  riafs  dieser  selbst  aas  sich,  auf  einsei- 
nes Endliche,  angebunden  an  die  Oesetse  endlicher  Wirk* 
aamkeit,  durch  seinen  blofsen  Willen,  rein  schöpferisch 
gevirirkt  habe  —  diefs  bleibt  ans  andenkbaf ,  and  vi^§  nna 
Derartiges  eraählt  wörde,  anglaoblich;  aber  sind  denn  die 
evangelischen  Wandergeschichten  so  beschaffen  ,#  dafs  sie 
schlechterdings  anf  einesolche  Wirksamkeit  hinführen  wür- 
den? Einige  «war  «-  am  diefs  vorwegnanehmen  — ,  wie 
die  Brotvermehrang^  die  Wasser  verwandlang,  die  Todfen- 
erwecknngea,  wenn  man  bei  den  Worten  der  ErzXhlang 
bleibt,  lassen  sich  nur  aus  der  Wirksamkeit  eines  Wesens 
erklfireii ,  welches ,  über  der  Natur ,  als  der  Uesammtbeit 
endlicher,/ miteinander  in  Wechsel vplrkung  begriffener  ür« 
s&chlichkeiten  stehend,  von  anfsen  oder  oben  lier  in  diese 
eingreift:  bei  manchen  andern  Wondererc&hiungen  aber 
acheint  eine  i!«rkUirung,  wenn  aooh  nicht  aus. den  gewöhn- 
lichen Naturkräften  (wie  die  sogenannte  natüriicba  Erkltf- 
rang  a.  ß*  bei  den  Heillings  wundern  Jesu  die  Anwendung 
von  Medicamenten  and  chirurgischen  Operationen  vorans- 
setete),  doch  immerhin  noch  aus  «tolcben  Kräften  iBaläfsig 
CO  sein,  welche  eu  der  Gesammtheit  des  endlichen  Seins 
gehöHg,  in  diesem  nur  eine  höhere,  oder  auch  tiefere 
Stelle  In  dem  Sinne  einnehmen,  dafs  sie,  seltener  wirksam 


■»— ^ 


$)  Band  I,  ).  H. 


Nenotes  Kapitel    S.  89.  i^ 

henrorCretend,  «ich  ddr  Beobaebtang,  and  dadoreh  der  All- 
tigiiehkeit,  mehr  entstellen. 

-indeon   wir,   am   ona  der  NatOrliebkeit  des  Wirbeni 
Jesa  bei  gewissen  Wanderthaten ,    und    damit  der  GlaolN 
wtrdigkcit  von  diesen,  ca  ▼ersiehem,  naeb  entspreehenden 
firseiieinangen  im  Gebiete  desjenigen  Geschehens  ans  am- 
lehen  mttssen,  welches  Insgemein  filr  ein  natQrliches  gilt: 
ao  bildet  den  Mittelpankt  aller  aufeufindenden  Analogien 
bekanntlich  der  thierische  Magnetlsmas.    Hier  haben  wir 
gtelcbfalls  eine  heilende  ETnwirkang  der  Hand,  nnd  nwar 
nteht  der  Arsnei  reichenden  oder  chirurgisch  operirendeni 
saadem  der  blofs  berttbrenden  Hand,  der  einfachen  Hand-* 
aoflegong,  mittelst  welcher  auch  Jesus  so  bftnfig  heilt ;  hte# 
Cnden  wir  sogar  ohne  unmittelbare  Berflhrung  eine  Wirk» 
mmkett  des  blofsen  Wortes,  ja   der   Wiilensrichtung  des 
Magnetiseors :  and  doch  lüfst  die  ganze  Beschaffenheit  der 
ZostSode,   der  wirkenden  Individuen   and  des  Heilrerfah- 
rens,  an  nielits  wirklich  Uebernatlirliches  denken.    Inner- 
halb desselben  Gebietes  ist  es  auch,  wo  uns ,  neben  dieser 
Dnrcbbrechung  der  Schranke   gewöhnlicher  Wirksamkeit, 
eine  Hhniiche  Erwelteruni^  der  Grfinse  des  Wahrnehmungs- 
rermögens,  ein  Hell    und  Fernsehen,  begegnet,  an  welches 
manche  Zfige  aus  dem  Leben  Jesu  nach  der  evangelischen 
Jirsihlang  ans  erinnern«     Diese   also   auf  der  einen ,  und 
fKe  Klnwirkang  «leso    auf   den   erkrankten   menschlichen 
Organismus  auf  der  andern  Seite  selgen  uns  Anknflpfungs- 
punkte  an  sonst  beobachtetes  natürliches  Geschehen:  wfih- 
rend    die  BrsXhlungen   von  einem  Kinwirken  Jesu  auf  die 
anfsermenscbliche    und    die    im    Tode    leblos    gewordene 
menachliche   Natur  aufser  aller   Analogie    als   schlechthin 
aberoatttrliobe,  mithin  auch  uiiglaubllche,  stehen  bleiben"). 


6)  Vgl.  meine  Slreitscbriflen,  1,  5,  S.  58f.  154f. ;  Wbi!*««,  die 
evangelische  Geschichte,  Itrilisch  und  philosophisch  J  carbci- 
tet,  J,  S.  144 ff.  554 ff.;    TMotircR,  Gltub^%'iirdigkeit,  9.  90 ff. 


8  Zweiler  Absttbnitt. 

Inwiefern  indef«  auch  dA^jeoige  in  der  WlrktfAflikeil  Jesu, 
Was  mit  mngneti«chen  and  Ähnlichen  firsebeinangen  Ver- 
wandtschaft hnt,  grorsentbells  ttber  das  Mab  dea  sonat  Be- 
obachteten hinansgehe,  and  welchen  Ginfiafa  dieaer  Unter- 
schied aof  die  Glanbwttrdigkeit  der  betreffenden  Eraählun- 
gen  habe,  davon  wird  unten,  In  der  Betrachtung  der  eiusei- 
nen  Ers&hlnngen,  su  sprechen  Gelegenheit  aeio. 

Bieher  gehdrt  noch  eine  Bemerkung  Ober  den  Wertb, 
welchen  wir  Ihnliehen  Fähigkeiten  und  Wirkungsweisen^ 
wo  sie  sonst  vorkommen,  beilegen  gewohnt  sind.  Uio 
Kraft  magnetischer  Finwirkung  vorerst  kennen;  wir  sonst 
überall  nur  als  eine  Natorgabe,  weletie,  wie  Körperatftrke^ 
Beredtsamkeit  n.  dgl ,  mit  dem  sittlichen  Werthe  oder  der 
Frömmigkeit  der  damit  Begabten   in  einem  nor  zufälligen 


Ersterer  untertcheidel  in  dieser  Beziehung  zwischen  Wun* 
derbarem  und  Miraculttsem;  Letzterer  zwischen  miraeuUnn 
und  miroMe.  In  demselben  Sinne  tagt  Waitsa  in  einer  Ab- 
handlung in  Tholvck^s  literarischem  Anzeiger,  1836,  No.  20, 
S.  157 :  „Zu  dem  eigentlichen  Wunderglauben,  insofern  der- 
selbe nicht  in  den  Erfahrungen  vom  thierischen  Magnetis- 
mus ,  vom  somnambulen  Hellsehen  u.  s.  w.  einen  rationalen 
Haltpunkt  findet,  hat  sich  die  Philosophie  durch  die  Auf- 
nahme und  Durchbildung  der  speculativen  Physik  und  der 
dynamischen  Naturansicht  nicht  im  Mindesten  in  ein  anderes 
Verhäitniss  gesetzt,  als  in  welches  ehemals  die  mechanische 
Naturansicht  sich  gesetzt  hatte.  Im  Gegentheil  wird  die  Ab« 
neigiing  des  speculativen  Naturbeobachters  vor  jeder  An- 
nahme einer  äusserlichen  Durchbrechung  des  gesetzmässigca 
Naturlaufcs  um  so  grösser  sein  denn  die  eines  Anhängers 
der  mechanischen  Ansicht,  als  er  eben  in  jenen  Gesetzen  das 
eigentliche  5^ihst ,  die  Substanz  und  den  Begriff  der  Natur 
zu  erkennen  das  Bewusstscin  hat,  die  durch  eine  Durchbre- 
chung der  Gesetze  vbllig  aufgehoben  und  vernichtet  werden 
würde;  während  dem  Mechaniker  die  Gesetze  nur  für  äus- 
bcrlich  au  die  Substanz  der  Natur  gebrachte  und  daher  eben- 
fslls  auch  wohl  äusserlich  lu  durchbrechende  gelten.'' 


•  •  f 


V^rhllliiUsa  stebt.    IHs  nafnelitche  Hell*  anil  F«i>asehen 
In   der  Somnambale  «ber  kommt  ^   wie  aueb  die  Freunde 
dieser  Analogie  fttr  die  Wunder  Jean  aofesfeben  'J,    viel- 
mehr  in   und   dorcb   einen  Zustand  geistiger  Depressiuni 
gebandenen  Bewnrataeins ,  su  Stande.    Aebniiche  Eracbei* 
miugen   linden   sieb   swar  aueb  aufserbalb   des  ei^entlicb 
■agnetiachen  Kreisea,    und  swar  in»b  »sondere  auf  dem  Ge- 
biete der  Religion ;    allein ,   wie  mehrere  von  den  beglaa» 
bigten  Wnndergeaeblcbten  de«  Mittelalrers,  ferner  die  Voti* 
ginge  aas  Grabe  dea  heil.  Paris ,    unter  den  Cauiisards  im^ 
CeTeuoenbriege  n.  a.  seigen,  sind  sie  kelnetwogs   nur  l>o- 
glaobigende  Kennseieben  des  Wabren  und  Aechten  in  der 
Religion,  sondern  ebensooft  mit  Falschem  und  Uniautereas 
vergeselliichaftet,  Begleiter  gewaltiger  religiöser  Aufregnn» 
gen  überhaupt,  sofern  und  so  lange  diese  mehr  im  unmit« 
t^lbaren  GefabI  und  Bewnfstsein  gfthren,  als  in  klRi*er  Re- 
flexion auseinandergetrefen.  sind.    In  kleinem  Falle  demnach 
können  diese  Fibigkeiten  und  Erscheinungen  es  sein,    an 
denen  nna  Jeans  als  Stifter  der  wahren  Religion  erkenn- 
bar wftre :  vielmebr  umgekehrt,  weil  wir  ihn  anderswoher 
ula  selehen  kennen ,   mttssan  wir  auch  jene  Ersebeinnngen 
in  aeinem  Leben  als  gesunde  and  reine  fassen. 

Allerdinga  mag  es  natürlich  sein,  an  neuen  Entwick- 
longspunkten  des  geistigen  Lebens  auch  entsprechende  nnd 
durch  die  neu4  geistige  Kraft  vermittelte  Erscheinungen  in 
der  leiblichen  Natur  cu  erwarten;  demgemifs  namentlich 
von  Christo  Torausznsetaen,  er,  der  eine  so  eigentbfimlicho 
Wirksamkeit  auf  die  übrige  menschliche  Natur  ausgeübt 
bat,  werde  vermöge  des  allgemeinen  Zqsammenhangs  auch 
eine*  eigentbümliche  Kraft  bewiesen  haben,  auf  die  leibliche 
Seite  der  menschlichen  Natur  su  wirken*):  aberdafs  eine 


7)  Tuotvcx,  a.  a.  O.  S.  94«  98;  OuKAUiia^  bibl.  Comm.,  Vor- 
rede zur  ^weiten  Aufl.,  S.  Vli. 
f)  ScaaiiaauAcaaR;  GUubcnilchrc,  1,  i-  !4i  S.  102* 


10  Zweiter  Absebnitt  r 

•olobe  leibliehe  Be^rabong  mit  teinem  geistigen  Weten  noth- 
wendig  sBueamraenbfinge ,  er  mithin  an  jener  tijibe  als  die 
höebste  religitfae  Persönliehiieit  mn  erkennen  sei,  dieser 
Beweis  ')  ~-  'der  Wnnderbeweis  im  Sinne  des  orthodoxen 
Systems  —  wird  sich  defswegen  niemals  fähren  lassen^ 
weil  nicht  nur  auf  andern  Gebieten  die  gröfsten  Epoelien 
ohne  dergleielien  Ersehelnangen  waren,  sondern  auch  in« 
nerhalb  des  religiösen  Gebietes  dieselben  nicht  ansschllefs* 
lieh  nnr  ^Is  Begleiter  des  Beinen  nnd  Aechten  nns  he* 
gegnen. 

So  rlel  im  Allgemeinen  ttlier  die  Wunder  Jesu;  die 
Betrachtang  der  einzelnen  wollen  wir,  aus  eineln  Grunde, 
der  bald  klar  werden  wird,  mit  seinen  D&monenanstreip 
bongen  eröffnen. 

S.    90. 

Die  Dämonitchea )    allgemein  betrachtet. 

Während  im  vierten  Evangelium  die  Ausdrdoke  dai- 
fiovujv  %yßiv  und  dai^iwi^oficvog  nur  im  Munde  der  Joden 
als  Beseholdigung  gegen  Jesom,  parallel  mit  ftcuveaiß^csi^ 
vorkommen  (S,  48  f.  10,  20  f.  vgl.  Marc.  3,  22.  30.  Mauh. 
lly  18.):  sind  in  den  drei  ersten  Dämonisch)»,  man  kann 
sagen  die  gewöhnlichsten  Gegenstände  der  heilenden  Tbä- 
tigkeit  JesQ.  Gleich  wo  sie  die  Anfänge  seiner  Wirksam- 
kejt  in  'Galiläa  beschreiben  ^  stellen  die  Synoptiker  unter 
den  Kranken,  welche  Jesus  geheilt  habe ,  die  äatftoi'ii^o^ii- 
ifHg  ^)  oben  an  (Matth.  4,  24.  Marc.  1,  34.),  und  diese 
spielen  durchweg  in  ihren  summarischen  Berichten  von  der 


9)  Wie  um  Wsisai  versucht,  die  evangel.  Gesch.,  1,  S.  337  f. 

1)  Dass  die  ihnen  bei  Matthäus  zugesellten  athinnZoufvr.i  nur 
eine  besondere  Art  von  Dämonischen  sind,  deren  Krankhpit 
sich  nämlich  nach  <lem  Mondwechsel  ku  richten  schien,  icigt 
Matth.  17,  l4fr.|  wo  aus  eine«  ^tkr,nttiou9roi  ein  6mi ftonm'  aus« 
getrieben  wird^ 


N«iitites  Kafiitel.     $•  !)0»  11 

Wlrksttak^it  Jetn  in  gewissen  Gej^endeo  eine  Hauptrolle 
(Metth.  d,  16  f.  Marc.  J,  59.  3,  II  f.  Luc.  6,  IS.)-  Aach 
seioeo  Jingern  theilt  Je«us  vor  allem  Ändern  die  Vollr 
macht  mit,  Uiünenen  ansautreibeii  (Matth.  10,  1.8  Marc. 
S,  15.  6/7.  Lac.  9,  !•);  %vas  Ihnen  Ett  ihrer  besondera 
Frmide  wirklich  nach  Wunsch  gelang  (Lne.  10,  17.  20. 
Mave.  6,  13.> 

Anfser  diesen  snmmarisciren   Angelten  aber  werden 
ans  >  noch  die  Heilangen  mehrerer  Dlmonisehen  im  Binsel- 
nen  emiihlt,  so  dafs  wir  ans  eine  Biemlich  genaae  Vorstel- 
long  von  dem   eigenthttmlichen  Zustande  dieser  Leidenden 
ninehen  kdnoen«     Gleich    bei  demjenigen ,    dessen  Hellung 
in  der  Synagoge  nn  Kapernanm  die  nwei  mittleren  Evan- 
geliateo  als  die  erste  dieser  Art  setsen  (Maro*  1,  23  ff.  Luo. 
4,  33  ff.))  finden  wir  einestheils  eine  Alterirung  des  Selbst- 
bewttfetsrfna  9  vermdge  deren  der  Besessene  in  der  Person 
des  Dämon  redet,  was  sich  auch   hei  andern  Dfimonisehen^ 
wie  bei  den  Gadarenischen  (Matih.  8,  29  f.  parall.) ,    wie^ 
derholt;    anderatheila  Krftmpfe    und  Convnlsionen  mit  wil-  % 
dem  GesehveL    Dieses  krampfhafte  Wesen  findet  sieh  bei 
fenem  Ofimonisehen,   der  sogleich   als  MondsOchilger  h»> 
seichnet  bt  (Mattb.  17,  14  ff.  paralL),   dentlich  als  Fall- 
sucht  ausgebildet ;   denn  das  pidtsllche  Niederstttrsen ,  oft 
an  gefihriichen  Orten,   das  BrfiUen,  Zähneknirschen  und 
S<sh<amen,  sind  bekannte  Symptome  der  Epilepsie  ^.    Die 
andre  Seite,  die  Sttfrnng  des  Selbsibewufstseins,  erscheint 
besonders  bei  den  Gadarenischen  Besessenen,  neben  dem, 
dafs  gleichfalls  der  Dämon ,    oder  vielmehr   eine  Mehrheit 
Ton  solchen,  alsSobJect  aus  ihnen  sprieht|  uom  menschen« 
scheuen  Wahnsinn  mit  Anfallen  einer  gegen  sich  und  Än- 
dere wfithenden  Tohsncht  gesteigert').    Doch  nicht  blofs 


2)  Vergl.  die  Stellen  alter  Aerzte  bei  Wiksk^  bibl.  RealwBrttrb. 

i,  S.  J9I. 
i)  fXsbhmwhr  n.  a.  Stellen  i.  bei  WiNaa,  a.  a.  O.  S.  193. 


n 


Zweitor  Abschnitt. 


Wahosiniiiga  and  Epileptische,  sendem  eooh  Stamme 
(Matth.  9,  32.  Lac.  11,  U.  Matfh.  12,  22.  bt  der  daifia- 
vi^oftevoi  xoHpag  eagleich  noch  vv(f>kog^  and  an  gichtUeher 
VerkrOmmang  des  Körpers  Leidende  CLac.  IS,  IL)  werden 
mehr  oder  minder  bestimmt  als  D&monisehe  beseiehnet. 

Die  In  den  Evangelien  Toraasgesetste,  aneh  von  deren 
Verfassern  getheilte,  Vorstellang  von  diesen  Leidenden  iat 
die,  dafs  ein  böser,  unreiner  Geist  idat/novim'y  Jtvevfia  axii- 
9'(xftvGv)y  oder  mehrere,  'Sicb  ihrer~  tiemldhUgt  haben  (daher 
ihr  Zustand  durch  daifiovioy  sxBiVf  daifiovi^cad^t  beseieh* 
not  wird),  welche  nun  aus  ihnen  reden  ^so  Hatth.  8,  31 : 
Ol  duifiovtg  Tia^yBxaXav  aviov  iihyon^g')j  und  ihre  tiÜedma« 
fsen  nach  Belieben  in  Bewegung  setzen  C  eo  Marc.  0,  20 : 
70  7ciii\au  iandifa^tv  aikoi),  bis  sie  bei  der  Heilung,  mit 
Gewalt  ausgetrieben,  den  Mensohen  Terlassen  CixßdiiJiaiv^ 
i^BQXeoi^aiy  Der  evangelischen  Darstellung  sufolge  hatte 
auch  Jesus  diese  Ansicht  von  der  Sache.  Zwan,  wenn  er 
cum  Behuf  der  Heilung  von  Besessenen  den  in  ihnen  be- 
findlichen Dfimon  anredet  (wie  Marc.  9,  25.  Matth.  8,  32. 
Luc.  4,  35.):  so  könnte  man  diefs  allerdings  mit  Paulos^) 
als  Eingehen  in  die  fixe  Idee  dieser  mehr  oder  minder  ver* 
rfickten  Personen  ansehen,  wosu  der  psychische  Arxt,  um 
wirken  sn  können,  sich  bequemen  mufs ,  so  sehr  er  von 
dem  Dngronde  einer  aolchen  Vorstellung  ttberaeugt  sein 
mag.  Allein  wenn  nun  Jesus  auch  in  Prlvatunterbaltun* 
gen  mit  seinen  Jüngern  diesen  nicht  allein  niemals  etwaa 
cur  Untergrabung  jener  Vorstellung  sagt,  sondern  vielmehr 
wiederholt  aus  der  Voraussetaung  eines  dXmoniscIien  Grun- 
des jener  Zustände  heraus  spricht  (so,  aufser  dem  Auf- 
trage: fScufiOvia  ixßdllere,  Matth.  10,  8  noch  Luc  10, 18  £ 
und  besonders  Matth.  17, 21.paraU.:  täto  to  yivoSi  ^*  dai- 
l^vUoVj  dx  ix7ioQ£V€iat  X.  t,  A.);  wenn  er  io  einer  rein 
theoretischen  Ausftfbrung,   vielleicht  ebenfalls  im  engeren 


4)  txe^.  Handb.^  1;  h,  S.  475  i  vgl.  Hau,  L.  J.,  (.  60. 


•*; 


^-•♦•' 


Rttantes  Kapitel,    f.  MI.  IS 

KrriM<«eiaer  JOnger,   efaüe  gans  den  damaligan  Volktror- 

stalluigeB  sieh  aoschliefaende  Beaehreibang  ¥oai  Aufgehen 

dar  Diaionen,  ihrem  Umfarren  In  der  Wllate  nnd  ihrer  ver- 

■tlrkten  Rfickkehr  gibt  (Matth.  12,  4Sff.):    ao  kann  man 

aar  ein  Zareehtsaehen  der  VorateHungen  «lean  nach  den 

■Mrigeo  darin  aelien ,  -  wenn  aonat  unbefangene  Forscher, 

wie  WiHEa*),  Jeaom  die  Meinung  dea  Volks  von  der  Ui^ 

Sache   dieaer  Krankheiten    nicht  theilen,  aondern  sieh  ihr 

aar  onlieqBeBMn  lassen.     Cm  von  jedem  Gedanken  a  i  blo* 

be  Aeeommodation  absukommen,  darf  man  nur  die  anletat 

beaierkte  Srelle  genaaer  ansehen.    Zwar  hat  man  das  Be^ 

weisende  derselben  dadarch  an  umgehen  gesnehti  data  man 

sie  bildlich  nahm,  oder  gar  als  eine  Parabel  beaeiehnete  *)• 

Dsbei,   wenn  wir   Ansdeutongen ,   wie  diejenige,   welche 

nach  Calmbt  noch   Olshadskn   gibt^),    iiei  Seite  lassen, 

kämmt  das   Wesentliche  der .  ErkUruiig  des  vorgeblichen 

Bildes  immer  daranf  liinans,  data  oberflXchliehe  Bekehrung 

aa  dar  Sache  Jesb.  einen  nur  um  so  schlimmeren  ROckfuli 

nsdi  sieh   siehe ^.    Allein  ich  möchte  wissen,   was    uns 

deaa  ftberhaupt  berechtigt,  von  der  eigentlichen  Aoffassong 

dieser  Rede  abcuweichen?  In  den  ^Sitaen  aelbst  Hegt  keine 

Andentaag,    ebensowenig   in    der  anderweitigen    Darsfel« 

loogsweise  Jesu ,   welcher  sonst  nirgends  sittliche  VerhXlt« 

nisse  ia  das  Bild  dftmonischer  Zustande  httUt,  sondern  wo 

er  aonat  noch,  wie  hier,  von  i^eQx^^^^  ^^^  bttsen  Geister 

qnicht,  s.  B.  Matth.  17,  U.^  dieiTs  eigentlich  will  verataa» 


5)  a.  a.  O.  S.  191. 

6)  G1UTZ9  Comm.  x.  Matth.,  1,  S.  615;  NsAXDaa,  L.  J.  Chr., 
S.  393. 

7)  bibl.  Comm. ,  I ,  S.  417.  Es  sei  yom  jüdischen  Volke  die 
Rede,  das  vor  dem  Exil  durch  den  Teufel  ia  Form  der  Ab- 
götterei, nach  demselben  durch  den  schlimmeren  des  Phsri- 
säismns  besessen  gewesen.  ' 

8)  So  FaiTsscaa,  in  Matth.  p.  447. 


14  Zweiter  Abachnltt. 

den  wUfen.  Aber  in  dem  Zusammenheng  der  Er^  *nlang? 
Lukas  (11,  S4flF.)  stellt  den  in  Frage  stehenden  Äusuproeh 
hinter  die  Vertbeidigong  Jesa  gegen  die  pharisüisehe  Be^ 
aehaldigang,  dIeDfimonen  durch  Keelsebnl  aQssatreiben, — 
ohne  Zweifel  irrlgi  wie  wir  gesehen  haben,  aber  doch  wohl 
Bum  Beweise,  dafs  er  de  eigentlich,  von  wirklichen  U£- 
monen,  verstanden  hat.  Auch  Alatthfias  stellt  den  Ans^ 
Spruch  in  die  Nähe  jener  Besohaldigang  ond  Apologie, 
doch  schiebt  er  die  Zeiehenforderung  nebst  Jesu  Gegen- 
fiofserungen  daswischen,  und  ififst  Jesnn  am  Schlüsse  die 
Nutaan Wendung  machen:  üriog  scai  xai  zfi  ytn^t  lavirj  tiy 
novr^Q^.  Dadurch  gibt  er  freilich  der  Rede  eine  bildliche 
Beziehung  auf  den  sittlich- religiösen  Zustand  seiher  Zeit- 
genossen, aber  ohne  Zweifel  nur  so,  dafs  er  dia  voränge- 
scbickte  Beschreibung  des  vertriebenen  und  wiederkehren* 
den  Dffmons  eigentlich  von  Besessenen  gemeint  hat,  hier- 
auf aber  diesen  Hergang  auch  wieder  aür  Bild  des  morali« 
sehen  Zustandes  seiner  Zeitgenossen  wendet«  Jedenfalls 
gibt  Lukas,  der  diesen  Beisats  nicht  hat,  die  Rede  Jesu, 
wie  Paulus  sich  ansdrOckt ,  als  eine  Warnung  vor  dlimo* 
nischer  Recidive  'J.  Dafs  nun  die  meisten  jetsigen  Theo* 
lügen  ohne  bestimmten  Vorschob  von  Seiten  des  Matthäus, 
ond  in  bestimmtem  Widerspruch  gegen  Lukas,  den  Aus- 
Spruch  blofs  bildlich  fassen  wollen ,  diefs  scheint  nur  in 
der  Scheue  seinen  Grund  au  haben,  Jesu  eine  so  ausge« 
ffihrte  Dfmortologie  suansehreiben,  wie  sie  in  den  eigent- 
lich gefafsten  Worten  liegt.  Einer  solchen  aber  entgeht 
man  auch  abgesehen  von  dieser  S(!elle  dennoch  nicht. 
Mattb.  12,  2.5  f.  29.  spricht  Jesus  von  einem  Reich  und 
Haushalt  des  Teufels  in  einer  Weise,  welche  über  das 
blofs  Figo rllche  augenscheinlich  hinausgeht;  besonders  aber 
ist  die  schon  angeführte  Stelle,  Luc.  10,  18 — 20.,  von  der 
Art,  dafs  sie  selbst  einem  Paulus,  der  sonst  den  geheilig- 


9)  Vgl.  »B  Wbttb,  exeg.  Handb.,  I,  1,  S.  120. 


JNeatilet  Kapitel.    $.90.  ]& 

teü  Peno^en  der  ohriidicben  Uif  eschiohte  eo  gerne  die 
Einsichten  unseres  Zettalters  leikt.  das  tiestlndnifs  abnö- 
chigt  y  das  Satansreich  sei  Jeso.  dorchans  nieht  blofs  Sym- 
bol des  Busen  gewesen,  ond  er  habe  nsmeatlich  wirkliche« 
i)&BOiienbesitsBangen  angenonnsen.  Denn,  sagt  er  gans 
richtig,  da  hier  Jesus  nicht  au  den  Kranken,  nicht  snni 
Volke,  sondern  su  solchen  spreche,  weiche  selbst  von  der- 
gleichen Krankheiten  nach  seiner  Anleitung  befreiten,  90 
sei  es  nicht  als  blofse  Anbequemnng  erklärbar,  wenn  er 
ihr  la  duiftOt'ia  v.TOtaaaitiu  i^uTv  bestitigend  wieder  auf- 
nehme, und  ihi*e  Befähigung  cor  Heilung  der  Dlmonischen 
als  eine  Gewalt  über  die  dvi'ix^tg  %ä  ixO'ffä  beschreibe  ^^« 
£benso  treCFend  hat  derselbe  Theologe  an  andern  Orten 
dem  Anstofse ,  welchen  solche ,  deren  Bildung  mit  dem 
Glauben  an  DSmonenbesitaungen  sich  nicht  evrtrSgt,  an 
dem  Ergebniise  nehmen  könnten  ^  dafs  Jesus  jenen  Glau- 
ben gehabt  habe,  durch  die  Bemerkung  vorgebeugt,  dafs 
selbst  der  ausgeaeichnetste  Geist  eine  unrichtige  Zeitvor* 
Stellung  beihebalten  könne,  sofern  sie  nicht  gerade  Im  Be« 
reiche  seines  besondern  Nachdenkens  liege  ^^). 

Erläuternd  för  die  neutestamentlichen  Vorstellungen 
von  den  Dämonischen  sind  die  Ansichten,  welche  wir  bei 
andern  mehr  oder  minder  gleichzeitigen  Schriftstellern  Ober 
diese  Materie  finden.  Die  allgemeinen  Begriflfe  von  Ein- 
flössen böser  Geister  auf  den  Menschen ,  welche  Melan« 
-cholie,  Wahnsinn,  Epilepsie,  sur  Folge  haben,  waren  awar 
schon  frfihe  bei  Griechen  ^^)  wie  bei  Hebräern  ^')  verbiß 


10)  exeg.  Handb.,  2,  S.  566. 

11)  «.  «.  O.,  i,  hy  S.  483.    2,  S.  OB. 

12)  Daher  wurde  Saitioruyj  leaxoSmttorijy'^^^  ^*XaYxo^''y  fMtiitfft^m»  ge- 
braucht, und  Hippokrates  mu88te  die  Ableitung  der  Epilepsie 
von  dämonischem  Einflüsse  bestreiten;  s.  bei  WsTSvsnii 
S.  282  ff. 

i3)  Man  vergleiche  die  n^H"  nXO  TVr\  T!T\j   welche  des    Sauf 


16  Zweiter  Abtebnitt 

let:  aber  die  bettimmtere  Voritenang,  d«(t  die  bdten  G«i> 
•ter  in  den  Leib  des  Menschen  fahren  nnd  von  demselben 
BesitB  nehmen  y  hat  sich  naohweislieh  doch  erst  Biemli<*h 
sp8t,  f n  Folge  allgemeinerer  Verbreitung  der  orientalischen« 
namentlich  persischen ,  Pnenmatelogie  unter  Hebräern  und 
Griechen  aasgebildet  ^^)*  Daher  denn  bei  Josephns  die 
Aede  von  daifmia  tdig  ^(Soiv  eigdvofieva  '^),  tyxa&eCoittf' 
va  ^*)»  und  dieselben  Vorstellungen  auch  bei  Lneiao  *^ 
und  Philostratus  <^. 

Ceber  die  Natur  und  Herkunft  dieser  Geister  finden 
wir  in  den  Evangelien  nichts  ausdrfloLlich  bemeri&t,  als 
dafs  sie  cum  Haushalte  des  Satan  gehören  (Mstth.  12,  26  ff. 
parall ) ;  wefswegen  denn,  was  einer  von  ihnen  thuf,  ancfi 
geradeau  dem  Satan  augeschi ieben  wird  (Luc.  IS,  16.}- 
Durch  Josephus  ^'),  Justin  den  Mfirtyrer  -^)  und  Philo- 
stratus ^0)  mit  welchen  auch  rabbinische  Schrifteh  fiber- 
etnstlmmen '^ ,  erfahren  wir  nun  aber,  dafs  diese  Dfimo- 
nien  von  Hanse  aus  eigentlich  abgeschiedene  Seelen  böser 
Mensehen  seien  t  und  neuere  Theologen  haben  keinen  An« 


melancholisch  machte^  1.  Sam.  16,  14.     Ihr  Einflai»  auf  S«ul 
wird  durch  W^V^,  sie  Überfiel  ihn,  ausgedrückt. 

14)  s.  Grbüzir,  Symbolik,  3,  S.  69 f.;  Bach,  Apollooius  vo« 
Tyaoa  und  Christus,  S.  144. 

15)  Bell.  jud.  7,  6,  3. 

16)  Antiq.  6,  11,  2.  von  dem  Zustand  Sauft. 

17)  l^hiLopseud.  |6. 

18)  Vita  Apollon.  4,  20,  25 ;  vergl.  Baür  ,  a.  a.  O.  S.  38  f.  42. 
Indessen  spricht  auch  schon  Aristoteles,  de  mirab.  166.  ed. 
Bekk.,  von  daC/iwi  r»w  y^vo^thoi^  xaroj^oif, 

19)  a.   a.   O.  des    Bell*  jud.  :    ra    y«r^    nnlnfifva    tlai/torim    —    TrovtjtKoy 

&tCai  uij  rvyj^ayorrag^ 

20)  Apol.  1,  18. 

21)  a.  a.  O.  3,  38. 

22)  s.  EisBVMBusBM,  entdeckte!  Judenthum,  2,  S.  427. 


I^euntes  K•pi^el•     $.  M. 


17 


stand  genomnien ,  diese  Ansicht  von  ihrer  Herknnft  aiieh 
dem  N.  T.  aotorsiilegeii  '')•  Näher  bestimmen  jedoch  Ja- 
itia  and  die  Rebbinen  TorBOgsweise  die  Seelen  der  Rie« 
sea^  der  Abliömmiinge  jener  En^el,  welche  sich  mit  den 
Töchtern  der  Menschen  Termischteu ,  nnd  •  die  Rabbinen 
femer  noch  di<9  Seelen  der  in  der  Sffndllnth  UmgeLomme« 
Ben  nnd  der  Theilhaber  am  babylonischen  Thurmban^  ala 
Piagageitter  fQr  die  UeberlelMttden  *^ ;  wondt  auch  die 
KlemeDtinen  Bukammenstimmen ,  nach  welchen  gleiohfalla 
jene  mn  Dämonen  gewordenen  Riesenseeien  sich  als  die 
tt&rikeren  ün  menschliche  Seelen  an  hängen^  nnd  In  Men« 


/ 


33)  Faqlvs,  ezeg.  Handb.,  2,  S.  39^  L.  J.,  1,  i,  S.217.  Er  be- 
mfl  sich  hiefur  namentlich  auf  Matth.  14,  2.,  wo  Herodea 
auf  das  Gerücht  von  Jesu  Wundertbaten  hin  sagt:   mg  i^tv 

^Itoamji  o  ftoTrrtgijg^    auro;   iy^'^^ff   ano    TtSr  vtx^v'    worin  pAÜLtJt 

die  rahbinische  Ansicht  irom  "^"Q^y  findet,   yerm'öge   desseil 
(im  Unterschiede  vom  tTiS^I,    oder  der  eigentlichen  Seeleit- 
Wanderung,   d.  h.    der  Versetzung  abgeschiedene^  Seelen  in 
eben   sich  bildende  Hinderleibcr )  zu  der  Seele  eines  Leben- 
den die   eines   Verstorbenen  als  yerstXrliender  Zusats   sieb 
gesellt  (s.  Eisbumehobr ,    2j  S.  85 ff.)-    Allein,  dass  in  dei|i 
jjy*^^  wenn  es  anders  so  genau  genommen  werden  darf  (vgl. 
aa  Warn  z.  d.  St.) 9   nicht  diese,   sondern   die  Vorstellung 
mner  wirklichen  Auferstehung  des  Täufers  liege ,   hat  u.  A, 
PatTzscaa  X.  d.  St.  gezeigt,  und  wenn  auch  jene>  so  wSre 
doch  hier  von  einem  ganz  indem  Verhältnisse  die  Rede,  ils 
Ton  dern^  der  dämonischen  Besitzung.    Hier  wäre  es  nämlich 
ein  guter  Geist,    der  in   einen  rfopbeten  zur  Verstärkung 
seiner  Kraft  übergegangen  wäre,  wie  nach  spätere^  jüdischer 
Vorstellung  Seths  Seele  zu  der  des  Moses,  und  wieder  Mo- 
ses und  Aarons  Seelen  zu  der  des  Samuel  sich  gesellt  haben 
(EisBiiau90Ba,  s.  a.  0.[);   wofaus  aber  die  Möglichkeit  eines 
tJebergangs  böser  Seelen  in  Lebende  noch  keineswegs  folgen 
wttrde. 

24)  Justin.  Apol.  1«  5.    Eisbkmbkszr,  a.  a.  O.  S.  42Sff. 
Ae«  Jjfthtm  J99U  lU  Avß.  IL  Band  3 


18  Zweiter  Abschnitt. 

lehenieiber  so  fat^ren  snchen  ^').  Da  oan  in  der  ersterea 
welter  lautenden  Stelle  Justin  den  Heiden  aus  ihren  eige- 
nen Vorstellungen  heraus  die  Unsterblichkeit  beweisen  will| 
so  ist  die  Ansicht  von  den  Uftmonen  als  Seelen  Verstor- 
bener fibek*haupt,  welche  er  dort  fiufsert,  sumal  sein  Schil- 
ler Tatian  sich  äusdrücldich  gegen  diese  Vorstellung  er- 
lilärt  '^))  schwerlich  als  seine  eigene  sn  betrachten  j  Jo- 
aephns  aber  entscheidet  fflr  die  im  N.  T.  cum  Grunde 
liegende  Ansicht  defswegen,  nichts ,  weil  sich  seiner  grie- 
chischen Bildung  wegen  sehr  fragt  |  ob  er  Jene  Lehre  in 
der  ursprfinglich  jüdischen,  oder  in  grficisirier  Gestalt 
wiedergibt.  Darf  man  nun  annehmen,  dafs  die  Dfimonen« 
lehre  su  den  Hebräern  von  Persien  her  gekommen  sei : 
so  waren  die  üew*s  der  Zendreligion  bekanntlich  vor  der 
Mensohenwelt  entstandene,  von  Hause  aus  böse  Geiser, 
an  weichen  der  Hebraismus  för  sich  nur  den  letzteren, 
dem  Dualismus  angehörigen  Zug,  nicht  aber  den  ersteren, 
EU  verwischen  veraniafst  sein  konnte.  So  wurden  die  DU» 
monen  in  der  hehrfiischen  Ansicht  die  gefallenen  Engel 
von  1.  Mos.  9,  die  Seelen  ihrer  Kinder,  der  Riesen,'  und 
der  grofsen  Verbrecher  vor  und  unmittelbar  nach  der 
Sdndfluth  überhaupt,  welche  die  Volksvorstellung  allmfib« 
lig  in  das  Uebermenschliche  hinaufgesteigert  hatte;  Ober 
den  Kreis  dieser  Seelen  jedoch,  die  man  sich  als  den 
Hofstaat  des  Satans  denken  mochte,  lag  in  den  Voi^stel- 
lungen  der  Hebräer  kein  prund  herabzusteigen.  Ein  sol- 
cher lag  nur  in  dem  Zusammentreffen  der  griechisch  -  rö« 
mischen  Bildung  mit  der  hebräischen:  jene  hatte  keinen 
Satan,  also  auch  keinen  e*genthttmlichen ,  ihm  dienenden 
Geisterstaat;  wohl  aber  hatte  sie  Ihre  Alanen,  Lemuren 
u.  dgl.,  sfimmtlich  abgeschiedene  Menschengeister,  welche 
die  Lebenden   beunruhigten.     Prodnct   nun    der   Ausglei* 


25)  Homil.  8,  18  f.   9,  9  f. 

26)  Orat.  contra  Graecos,   16. 


Neuntes   Kapitel«     $.  00. 


11» 


chang  Jener  jSdischen  Vontellangen  mit  dleaen  griechiscli- 
roaiseben  eeiieint  die  Darsteiiangsweise  des  Josephns  and 
Joftin,  wie  aoeh   der   späteren  Rabbinen^   sa   sein:   dafa 
aber  aiieh  schon  im  N.  T,  eine  sofobe  so  finden  sei,  folgt 
faiermia  nicht.     Sondern,  wenn  wir  hier  diese  gricisirte 
Vorstellangsweise  nicht  positiv  nngeceigt   finden,   wie  sie 
es  denn   nirgends  ist,   vielmehr  an  einigen  Orten  die  Dft* 
manen    mit  dem  Satan  als  sein  sngehöriger  Haushalt   in 
Verbindnng  gesetst   sind:  so  missen  wir,   bei  der  sonsti- 
gen  (soweit  keine  Umbildoog  in  christlichem  Sinna  ein- 
trat') aovermischt  jfidisohen  Denkweise  de?  synoptischen 
EvangelieD ,    vielmehr  jene  rein  and  ursprünglich  Jüdische 
VorrtellaDg  als  die  ihrige  voraassetsen  -'). 

Die  Iltere  Theologie  nun  hat  bekanntlich,  in  Betracht 
der  Aactoritit  Jesu  and  der  Evangelisten,  die  Ansicht  von 
einem  wirklichen  B^sessensein  Jener  Menschen  darch  Dfi- 
monen  so  der  ihrigen  gemacht.     Die  neaere  Theologie  da- 
gegen,  l»eaonders  seit  Skmler  2^),   in  Betracht   der   auf- 
fatleaden  Aehnliehkeit,  welche  swi8<Aen  dem  Zustande  der 
neoteitamentlichen   llftmonischen    and    mancher    natfirticb 
Kranken  unserer  Zeit  stattfindet  2^,  bat  angefangen,  anch 
das  Uebel  von  jenen   aus  natürlichen  Ursachen  absnleiten, 
und   die  im  M.  T.  voransgesetste  übernatürliche  Ursache 
auf  Haehiiong  der  Vorsceilangen  jener  Zeit  so   schreiben« 
Dafii,  wo  in  jetsiger  Zeit  Epilepsie,  Wahnsinn  und  selbst 
eine^  dem  Zustand  der  nentestamentlichen  Besessenen  8hn- 


27)  So  auch  NsANDia,  L.  J.  Chr.,  S.  28i, 

28)  s.  dessen  Commentatio  de  daemoni«ci8  quorum  in  N.  T.  fit 
mentio,  und  Umst'andliche  Untersuchung  der  dämonischen 
Leute.  —  Schon  zu  Origenes  2eit  gaben  übrigens  die  Acrite 
von  dem  Zustand  der  angeblich  Besessenen  natürliche  Ülrlilä- 
ruBgeo,  8.  Orig.  in  Matth.  17,  15.    / 

29)  Vcrgl.  besonders  Hcrxbr  ,  (Ji^schichten  Besessener  nfurrer 
Zeit,  Carlsruhe  1834. 


\ 


20 


Zweiter  Absehnitt 


lioha  AlteratloD  des  SelbsibewuOtseini  vorkomnen ,  dooh 
nicht  leicht  mehr  an  dfimonischen  Eloflari  gedacht  «wird, 
hat  seinen  Grand  theil»  darin ,  dafs  der  fortgeschrittenen 
Natur-- und  SeeieniLunde  Jetzt  mehr  Mittel  und  Anlcnfl- 
pfangspnnlite  aar  natarljchen  Erklärnng  jener  Znstfinde 
■u  Gebote  stehen,  theils  darin,  dafs  man  die  Widersprft- 
ehe,  welche  in  der  Vorstellung  des  Besessenseins  liegen, 
wenigstens  dunkel  xu  erkennen  angefangen  hat. '  Denn  ab- 
gesehen von  den  oben  anseinandergesetEten  Schwierigkei- 
ten, welche  die  Annahme  der  Eiistenn  von  Teufel  und 
Dämonen  überhaupt  drncken,  so  mag  man  sich  das  Ver- 
hfiltnifs  zwischen  dem  Selbstbewurstsein  und  den  leiblichen 
Organen  denken  wie  man  will,  immer  ist  doch  das  schlech- 
terdings nicht  vorsuttellen,  wie  das  Band  zwischen  bei- 
den so  lose  sein  sollte,  dafs  ein  fremdes  Selbstbewufstsein 
sich  einschieben,  und,  mit  Verdrfingnng  des  zum  Organis- 
mus  gehörigen,  diesen  in  Besitz  nehmen  könnte*  So  er- 
gibt sich  fär  jeden ,  welcher  die  Ersohetinungen  der  6e- 
genwfirt  mit  aufgeklärten ,  und  doch  die  Erzählungen  des 
N.  T.  noch  mit  orthodoxen  Augen  betrachtet,  der  Wider- 
spruch, dafs  dasselbe,  was  jetzt  aus  natfirlichen  Ursachen 
kommt,  zu  Jesu  Zeiten  fibernatttrlich  mflfste  verursacht 
gewesen  sein« 

Diesen  undenkbaren  Unterschied  der  Zeiten  wegza- 
bringen,  und  doch  dem  N.  T.  nichts  zu  vergeben,  läng- 
net  Olshadsen,  welchen  wir  för  diesen  Punkt  fOgUch  als 
Repräsentanten  der  mystischen  Theologie  und  Philosophie 
jetziger  Zeit  betrachten  können,  Beides:  sowohl  dafs  jetet 
alle  dergleichen  Zustände  natürlich,  als  dafs  damals  alle 
übernatörlich  verursacht  gewesen  seien.  Was  unsere  Zeit 
betrifft,  so  fragt  er,  wenn  die  Apostel  in  unsere  Irren« 
bäuser  träten,  wie  sie  manche  der  Kranken  in  denselben 
nennen  würden  ^®)?    Allerdings,  antworten  wir,  würden 

50)  bibl.  Conim.,  J,  S.  29i/Anin. 


N«ante«  Kapildl.    $.00.  21     / 

•!•  vMtt  denelben  BesetMiM  oemidB,  rarmdge  ihrer  Zeit- 
«nd  VolksTorstellang  nXmliob,    und  nicht  Termdge  apostö« 
lischer  Erleocbtnng ;  so  dafs  also  der  heranffilirende  Mann 
?o«  Fache  sie   mil  Recht  eines  Bessern  sa  betohren  sa- 
eiiea  würde,   ond  daraas  gegen   die  Natllriichkeit  Jener 
Zostfinjie   in   unserer   Zeit  lediglich    nichts    folgen    kann« 
ten  der  Zeit  Jesu  behauptet  der  genannte  Theologe,  auch 
Ten  den  Juden  seien  dieseiben  KranlLheiisformen ,  Je  oaeh 
der  Tersehiedenen  Enlstehongsart,  das  eioemal  fflr  dämo- 
nisch gehalten  worden ,  das  andrenal  nicht:  so  dafs  »•  £• 
einer,  der  durch  organische  Verletanng  des  Gehirns  wahn* 
sinnig,  oder  der  Zange  stumm  geworden  war,,  ni^ht  fftr 
daaeniseh  gegolten  haben  würde,  sondern  nur  ein  solcheri 
dessen  Zustand  mehr   oder  minder  auch  psychisch  ?eran* 
iafst  gewesen  sei.    Beispiele   einer  solchen,    im  Zeltalter 
Jesa  gemachten  Unterscheidung  bleibt  uns  Olsbausbn,  wie 
sich  Ton  selbst  versteht,  schuldig..    Wo  hätten  auch  die 
damaligen  Juden  die  Keontnils  der  verborgenen   natürli« 
chen  Ursachen   solcher  Zustände   hergenommen,    wo   die 
Kriterien,   einen  durch  Mifsbildung  des  Gehirns  entstan- 
denen Wahnsinn   oder  Blädsinn   von  psychologisch  vernr» 
aachtesi  an  unterscheiden  ?    Waren  sie  nicht  gann  und  gar 
aof  die  äoCiere  Erscheinung,   und  awar  in  ihren  gröberen 
Umrissen,  angewiesen?    Diese  aber  ist  bei  einem  Epilep- 
tischen mit  seinem  plötslichen  unvorhergesehenen  Mieder« 
stüreen  und  seinen  iJonvulsionen,  bei  einem  Wahnsinnigen 
mit  seinem  Irrereden,    namentlich  wenn  er,  durch  Rück* 
Wirkung  der  Volksvorstellungen    auf  seinen  Zustand,   in 
der  Person  eines  Dritten   spricht,    von  der  Art,   dafs  sie 
auf  eine  fremde  den   Menschen   beherrschende  Macht  hin- 
weist, und  dafs  folglich,  sobald  einmal  der  Glaube  an  dä- 
■M>nische  Beaitsungen  im  Volke  gegeben  ist,  alle  derglei« 
chen  Zustände   auf  solche  aurückgeführt  werden  werden, 
wie  wir  diefs  im  M.  T.  finden ;  wogegen   bei  Stnmmheit . 
i^d  giohiiscber  Verkrümmung  oder  Lähmung  die  Herr* 


±1  Z  weiter  A  bs  dl  ni  tt«   ' 

aeliaft  eioer  fremdeu  Macht  schon  weniger  entechieded  io- 
dicirt  ist,  and  diese  Leiden  also  bald  gleichfalls  einem  be* 
sitzenden  öfimon  sugeschrieben  werden  liönoan,  bald  aaoh 
nicht;  wie  wir  jenes  bei  den  sehon  erwähnten  Stuaimen 
Matth.  9,  32.  12,  22.  and  bei  der  verkrümmten  Frau, 
Luc.  13,  11«;  dieses  bei  dem  xiocfo^  ftoyddlog  Marc.  7,  32  ff. 
und  bei  den  mancherlei  Paralytischen,  deren  in  den  Evan- 
gelien gedacht  wird,  finden :  wobei  übrigens  die  Entschei- 
dung för  die  eine  oder  andre  Ansieht  gewifs  nicht  von 
Krforscfanng  der  Entstehungsweise,  sondern  lediglich  von 
der  Sofsern  Erscheinung  ausgegangen  ist*  Haben  deoinach 
die  Juden,  nnd  mit  ihnen  die  Evangelisten,  die  beiden 
Hftoptärten  der  hiehergehdrigen  Zustünde  anf  dämonischen 
Einflufs  Burllckgeffikrt ,  so  bleibt  fftr  den,  der  sich  durch 
ihre  Ansicht  gebunden  glaubt,  ohne  sich  doch  der  Bildung 
unserer  Zeit  entsiehen  ku  wollen,  die  grelle  Uogleiohheit^ 
dieselben  Kranidielten  in  der  einen  Zeit  sämmtlich  als  na* 
tllrliche,  in  der  andern  s&mmtlich  als  fibernatfiriiche  den- 
ken SU  müssen. 

Die  schlimmste  Schwierigkeit  aber  erwächst  fflr  den 
OtSHAUSBN'schen  Vermittlungsversuch  ewischen  der  jüdisch* 
neutestamentlichen  Dämonologie  und  der  Bildung  unserer 
Zeit  daraus,  dafs  dieses  letztere  Element  in  ihm  der  An- 
nahme persönlicher  Dämonen  widerstrebt.  Dasselbe,  der 
Bildung  des  gedachten  Theologen  durch  die  Naturphiloso* 
phie  angehörige  Streben,  das  im  M.  T.  als  ein  Heer  dis- 
creter  Individuen  Gedachte  emanatistisch  in  das  Gontinuom 
einer  Substanz  aufsnlösen ,  welche  zwar  einselne  Kräfte 
aus  sich  hervortreten ,  diese  jedoch  nioht  zu  selbstständi- 
gen Individuen  sich  fixiren,  sondern  als  Accidenzien  wie- 
der in  die  Einheit  der  Substanz  zurückkehren  läfst,  — 
dieses  Streben  sahen  wir  schon  in  0L8HAuaEN*s*  Angelo- 
logie  hindurchleucbten ,  und  entschiedener  tritt  es  nun  in 
der  Dämonologie  hervor.  Dämonische  Persönlichkeiten 
sind  »u  widrig;    bei  den  angeblich  Besessenen  namentlich 


NoanteB  Kapitel.    {.  00.  23 

das  —   wie  es  Olshadskr    selbst   aosdrflekt    ->    Steoken 
Eweier  Sabjecte  io  Einem  Indivirfanin  su  andenkbar  ^    als 
dalii  nan   sich   eine  solche  Vorstellung  sumatben  ktinnte. 
Dsker  wird  überall  nur  in  schwebender  Allgemeinheit  ?on 
einem  Reiche  des  Bösen  and  der  Finsternils  geredet,   and 
Bw»r  ein  persönlicher  Fürst  desselben  ▼oransgesetct,  aber 
anter  den  Dfiknonen  nur  die  einseinen  Aasflüsse  and  Wii^ 
kaagen  Terstanden,  in  welchen  das  böse  Princip  sich  am« 
nifeatirt.     Daher,   and   hieran  ist   Olsuaüskm's    and   hier 
aocb  Nbakpsr's  '0  Ansicht  ¥on  den  Oimonen  am  bestimm- 
testea  an  ergreifen,   ist  es  ihnen  an  viel,  dafs  Jeans  dea 
Dimea  im  Gadarener  nm    seinen  Namea  gefragt   haben 
soll;  so  iiestimmt  kann  doch  Christus  die  Ton  dem  Ausle- 
ger besweifelte  Persönlichkeit  Jener  Aasflüsse  des  finstern 
fteiehes  nicht  Toraasgesetat  hkben;   wefswegen  denn  das 
7/  am  iiwfia;   (Marc  5,  90   ^^^   Frage  nach   dem   M^men    ' 
nicht  des  Dämon,  sondern  des  Menschen  aufgefafst  wird  ^');   ^ 
gegen  allen  Zusammenhang  offenbar,  da  die  Antwort:   Ae- 
7H«iy,  lieineswegs  als  Mifsv^rstand ,  sondern  als  die  rechte, 
?on  Jesus  gewollte,  Antwort  erscheint. 

Sind  nun   aber  die  Dämonen,   nach  dieser  Ansicht, 
unpersönliche  Kräfte:   so   ist   es  die  Gesetsmäfsigkeit  des 
Reichs  der  Finsternifs   in  seinem  Verhältnils  cum   Lieht- 
rtichej  was  sie  leitet  und  au  ihren  verschiedenen  Thätig« 
ieilett    bewegt«    Von  dieser  Seite  müfste  also,  Je  schlim- 
mer dar  Mensch   wird,   desto  enger  der  Znsammenhang 
awiseben   ihm   und  dem  Reiche   des  Bösen   sich  knüpfen,   . 
und    dar  engste   denkbare  Zusammenhang,   das  Eingehen 
der  finstern  Macht  in   die   Persönlichkeit  des   Menschen, 
d.  h.  die  Besessenheit,  müfste  immer  bei  den  Schlechtesten 
eintreten.     Diefs   finden   wir  aber  geschichtlich   gar  nicht 


31)  L.  J.  Chr.,  S.  206. 

iZ)  S.  302,  nach  dem  Vorgang  von  Favlus,  excg.  Uandb.^  i,  b, 
5.  474. 


24  Zweiter  AbsobnitL 

eo:  die  Üämoaischea  erscheinen  in  den  Evangelien  nur  eo 
weit  ali  Sünder,  wie  alle  Kranke  Vergebung  der  Sttnde 
DÖthig  haben  ^  und  die  gröfaten  Sfinder,  wie  ein  Judas^ 
bleiben  von  der  Besessenheit  versobont.  Die  gewöhnliohe 
Vorstellung,  mit  Ihren  persönlichen  Dämonen,  entgeht  die* 
sem  Widerspruch.  Zwar  hält  auch  sie,  wie  wir  dlefs 
s«  B;  in  den  Klementlnen  finden,  daran  fest,  dafs  nur 
durch  die  Sünde  der-«  Mensch  dem  Dämon  den  Zugang  uu 
sich  eröffne'');  doch  bleibt  hier  immer  noch  ein  Spiel- 
raum für  die  individuelle  WillkOr  des  Dämon,  welcher 
aus  nicht  m^  berechnenden  subjeotiven  Gründen  oft  den 
Schlechteren  vorfibergeben ,  auf  den  weniger  Schlechten 
aber  Jagd  machen  kann  '^>.  Werden  hingegen ,  wie  von 
Olshaüsbn,  die  Dämonen  nur  als  die  Actiooen  der  Macht 
des  Bösen  In  Ihrem  durch  Gesetce  geregelten  Verhältnifs 
Bur  Macht  des  Guten  betrachtet  t  so  Ist  Jede  Willkür  und 
Zttfklligkeit  ausgeschlossen,  und  defs wegen  hat  die  Abwei- 
sung der  Consequens,  dafs  nach  seiner  Theorie  eigentlich 
Immer  die  Schlimmsten  besessen  sein  sollten,  Olshacsbn 
sichtbare  Mühe  verursacht.  Von  dem  scheinbaren  Kampfe 
Bweler  Mächte  in  den  Dämonischen  ausgehend,  ergreift  er 
Bunächst  den  Ausweg,  dafs  nicht  bei  denjenigen,  welche 
sich  gans  dem  Bösen  ergeben,  und  somit  eine  innere  Ein- 
heit ihres  Wesens  behalten,  sondern  nur  bei  denen,  in 
welchen  noch  ein  inneres  Widerstreben  gegen  die  Sünde 
vorhanden  sei,  der  Zustand  des  Besessenseins  eintrete. 
So  aber,  sum  rein  moralischen  Phänomen  gemacht,  mdfste 
dSeser  Zustand  weit  häufiger  vorkommen ;  es  mülbte  jeder 
heftige  Innere  Kampf  in  dieser  Form  sich   äufsem,   und 


HS)  Homil.  8,  19. 

54)  'VVie  sich  Asmodi  die  »Sara  und  ihre  Männer  zum  Plagen  und 
Umbringen  auscrsieht,  nicht  weil  jene  oder  diese  besonders 
nchleaht  waren,  sondern  weil  Sarahs  Sehtfnheit  ihn  anzog, 
Tob.  6,  i2.  i5. 


Keantes  Kapifel.     f.  M.  31» 

naneatlich  diejenigen)  welche  sich  spiter  deni  BSsen  gans 

ergeben,  ihren  Dnrebgang  dorch  eine  Periode  des  Kampfsy 

also  des  Beaessenseins ,    nehmen.    Daher  fügt  anch  Ols* 

HAUSiH  noch  ein  physisches  Moment  hinna :    dafs   nXmlich 

das  Bdae  im  Menschen  rorwiegend  seinen  leiblichen  Orga« 

jiifmna,  insbesondere  das  NerTcnsystem ,  geschwächt  haben 

■Osse,  wenn  er  für  den  dämonischen  Zustand  empfünglioh 

sein  solle.    Aliein  wer  sieht  nicht ,   nnmal   solche  Zerrlit- 

tQBgen  des   Merrensystems  noch  ohne   sittliche   Verschni« 

dang  eintreten  können,  dafs  auf  diese  Weise  der  Zustand, 

welchen  nuin  der  dämonischen  Macht  als  eigenthilmlicher 

Dnaelie  vindiciren  wollte,   snm  grofsen  Theil  Huf  natllrll" 

ebe  Gründe  anrIlcbgefiBbrt,  and  somit  dem  eigenen  Zwecke 

widersprochen  wird?    Daher  wendet  sich  Olshausbn  von 

ilieser  Seite  aiioh  bald  wieder  weg,   und  verweilt  bei  der 

Vergleiehvng  des   daifiWi^ofiBvos  mit   dem   Ttovr^Qogy    statt 

dafs   er  ihn  mit  dem  Epileptischen  and  Wahnsinnigen  an* 

sammenstellen  sollte,    aus   deren  Vergieichung  allein  anf 

den  Besessenen  ein  Licht  snrflofcgeworfen   werden  kann* 

Dnreh  dieses  flinfilierspielen  der  Sache  vom  physiologisch» 

fisyehologischen  Gebiete  auf  das  moralisch-religiöse  ist  der 

Ezears  ikt>er  die  Dämonischen  au  einem  der  anbranchSar- 

Bten  geworden,   die  im  0L8HAü8Kii*schen  Buche  sa  finden 

sind  ^>. 

La$Mn  wir  also  die  anerfrenlichen  Versnche,  die 
neatestamentlichen  Vorstellungen  von  den  Dämonischen 
so  modernisiren ,  und  unsere  jetsigen  Begriffe  sn  judaisi- 
ren;  fassen  wir  vielmehr  anch  in  diesem  Punkte  das  N.T. 
auf,  ivie  es  sich  gibt,  ohne  jedoch  durch  die  Zeit-  and 
VoiksTorstellungen  in  demselben  uns  fttr  weitere  Forschun- 
gen die  Hände  binden  su  lassen  '^). 


S5)  Er  füllt  S.  294—293. 

36)    Beiträge  su  einer  wisseiLSchaftlichen  AufTassung  der  fragii- 
cben   Zustsflde  habe   ich   ia  zwei  Recfsiioaen  der  Usassa*- 


M  Zweiter  Abicbnitu 

Den  bieher  ermittelten.  Vorstellungen  ▼em  Wesen  der 
Dlmonfscben  gernftfa  gestaltete  sieh  aoeh  das  Heilverfah- 
ren mit  solchen  Personen,  namentlioh  bei  den  Juden.  Da 
die  Rrankheitsnrsaohe  nicht,  wie  bei  natflrlichen  Hebeln, 
als  ein  unpersdnllcher  Gegenstand  oder.  Znstand , '  wie  ein 
angesnnder  Saft,  eine  tirankhafte  Spannting  oder  SchwK* 
ehe,  sondern  als  ein  selbstbewubtes  Wesen  angesehen 
wurde:  so  suchte  man  aufv dieselbe  auch  nicht  blofs  me* 
ehanisoh,  ehemisoh  und  dergl.,  sondern  logisch,  durch  das 
Wort,  SU  wiriiien.  Man  sprach  dem  Dämon  sn,  sich  ua 
entfernen,  und  um  diesem  Zuspruch  Machdruck  eu  geben^ 
knüpfte  man  ihn  an  die  Namen  ?on  Wesen,  welchen  man 
Macht  über  das  Reich  der  Dämonen  Busohrieb*  Daher 
als  Haupfmittel  gegen  dämonische  Besitsungen  die  Be- 
schwörung ^') ,  sei  es  bei  dem  Namen  Gottes ,  oder  der 
£ngel,  oder  eines  andern  fibermächtigen  Wesens,  wie  dee 
Messias  (A.  G.  19,  13.),  in  gewissen  Formeln,  die  man 
von  Salomo  herxuleiren  pflegte  '^.  Uebrigens  wurden  hie- 
mit  auch  gewisse  Wnrseln '') ,  Steine  ^^),  Räuoherungeo 
und  Amulete^O  1^  Verbindunj^;  gesetzt,  ebenfalls,  wie  man 
glaubte,  ans  Salomonischer  Oeberliefernng.  Da  nun  die 
Ursache  von  dergleichen  liebeln  nicht  selten  wirklich  eine 
psychische  war,  oder  doch  im  Nervensysteme  lag,  auf 
welches  sich  von  geistiger  Seite  unberechenbar  einwirken 
läfst:    SO'  täuschte  Jenes  -psychologische    Verfahren   nicht 


sehen  und  EscHSHMArsR^schen  Schriften  üb*er  Besessene  neue- 
rer Zeit,  in  den  Jahrbb.  für  wiss.  Kr.,  1836,  Juni,  No.  102  ff. 
1858,  Febr.,  No.  31  ff.,  zu  geben  gesucht.  Ausserdem  vergU 
WiRTH,  Theorie  des  Sonmanibulismus,  S.  311  ff. 

37)  s.  die  Anm.  17.  angeführte  Lucianische  Stelle. 

38)  Joseph.  Antiq.  8,  2,  5- 

39)  Joseph,  a.  a.  0. 

40)  Giltin,  f.  67.  2. 

41)  Justin.  Mai(.  dial.  c.  Iryph.  85. 


Keantes  Kapitel.     S^  91.  27 

dureham,    sondern    es   konnte  oft  wirkliiih  darch   die  im 

Kmnkea    erregte  Meinung,   dafs   vor  einer  Zaoberfornei 

der  ihn  besitsende  Dllnion  sieb  nicht  länger  halten  könne, 

eine  Hebung  des  Uebels  bewirkt  werden  ;  wie  denn  Jesus 

selbst  eugibt,  dafs  auch  jödiscben  Beschwörern  dergleichen 

Koren    bisweilen   gelingen    (Matth.  12,  27.)*     Von   Jesn» 

aber  lasen    wir,    dafs   er    ohne   anderv^eitige  Mittel    and 

ohne  Beschwörung    bei  einer  andern    Macht   durch   sein 

blofses  Wort  die  Ditmonen  ausgetrieben  habe :  und  es  sind 

die  herrorstechendsten  Heilungen  dieser  Art,  Ton  welchen 

uns  dif  Evangelien  berickten ,    nunmehr  *  in  Erwägung  sa 

sieheu« 

S.    91. 

Jesu  Damonenaastreibungen,  einzöln  betrachtet. 

Unter  den  einzelnen  ErcKhlongen,  welolTe  uns  in  den 
drei  ersten  Evangelien  von  den  Kuren  Jesu  an  Dämoni- 
schen gegeben  werden,  ragen  besonders  drei  hervor:  die 
Heilung  eines  Dämonischen  in  der  Synagoge  eu  Kaper- 
naum;  die  der  von  einer  Menge  Dämonen  besessenen  Ga- 
darener,  und  endlich  die  des  Mondsfichtigen ,  welchen  die 
Jünger  nicht  im  Stande  gewesen  waren  su  heilen. 

Wie  nach  Johannes  die  Wasserverwandlung,  so  ist 
nach  Markus  (1,  23  ff.)  und  Lukas  (4,  33  ff.)  die  Heiluog 
mte^  Besessenen  in  der  Synagoge  von  Kapernaum  das  er- 
ste Wunder,  das  sie  von  Jesu  seit  seiner  Rückkehr  von 
der  Taufe  nach  Galiläa  zu  erzählen  wissen.  Jesus  hatte 
Qilt  gewaltigem  Eindrucke  gelehrt:  als  auf  einmal  ein  an- 
wesender Besessener  in  der  Rolle  des  ihn  besitzenden  Dä- 
mons aufschrie,  er  wolle  mit  ihm  cichts  zu  schaffen  haben, 
er  kenne  ihn  als  den  Messias,  welcher  gekommen  sei,  sie, 
die  Dämonen,  zu  verderben ;  worauf  Jesus  dem  Dämon  zu 
schweigen  und  auszufahren  gebot,  was  unter  Geschrei  und 
Zockungen  von  Seiten  des  Kranken  und  zum  grofnen  Er- 
atannen  der  Menge  über  solche  Gewalt  Jesu  gcöchab* 


/ 


28  Zweiter  AbsebiiiU. 

Hier  könnte  man  steh  Allerdings  mit  rationallstitohen 
Auslegern  die  Sache  so  vorstellen :  wenn  der  Kranke,  der 
wfihrend  eines  lichten  Afigenbllcks  in  die  Synagoge  getre- 
ten war  9  von  der  gewaltigen  Rede  Jesu  einen  Eindruck 
bekommen,  nnd  dabei  einen  der  Anwesenden  von  ihm  als 
dem  Messias  hatte  sprechen  hören,  so  konnte  itk  ihm  ieioht 
die  Vorstellnng  sich  bilden,  der  ihn  besitaende  unreine 
Geist  könne  mit  dem  heiligen  Messias  nicht  ausammenbe- 
steben,  wodarch  er  in  Paroxysmus  gerathen,  und  seine 
Furcht  vor  Jesu  in  der  Rolle  des  Dämon  aussprechen  moob* 
te*  Sah  aber  Jesus  einmal  den  Menschen  so  gestimmt: 
was  war  ihm  näher  gelegt,  ais,  die  Meinung  desselben 
von  seiner  Gewalt  Ober  Uen  Dämon  au  benlitaen,  und  die- 
sem das  Ausfahren  su  gebieten,  was  dann  nach  den  6e- 
aetsen  der  Seelenheilkunde,  da  der  Irre  von  seiner  fixen 
Idee  aus  ergriflfen  wurde,  gar  wobi  gfinstigen  Erfolg  hal- 
ben konnte ;  wefswegen  Paulus  diesen  Fall  für  die  Veran« 
iassung  hält,  durch  welche  Jesus  suerst  auf  den  Gedanken 
gcfahrt  worden  sei,  seine  messianische  Geltung  su  Hei- 
lung von  dergleichen  Kranken  au  benötaen  ^). 

Doch  erhebt  sich  gegen  diese  natürliche  Vorstellung 
von  der  Sache  auch  manche  Schwierigkeit.  Dafs  Jesus  der 
Messias  sei,  soll  ihr  sufpige  der  Kranke  durch  die  Leute 
In  der  Synagoge  erfahren  haben.  Davon  schweigt  der  Text 
nicht  blofs,  sondern  er  widerspricht  einer  solchen  Annahm 
me  aufs  Bestimmteste.  Sein  Wissen  um  Jesu  Messiani- 
tä(  hebt  der  aus  dem  Menschen  redende  Dämon  durch  daa 
oida  ae  xlg  et  x.  r.  L  deutlich  als  ein  ihm  nicht  von  Men- 
schen euffillig  mifgetheiltes,  sondern  als  ein  ihm  vermöge 
seiner  dämonischen  Natur  wesentlich  ankommendes  heraita« 
Ferner,  wenn  Jesus  ihm  ein  (pifuo^tjiil  anruft,  so  beaieht 
sich  diefs  eben  auf  das,  was  der  Dämon  zuvor  von  seiner 
Messianität  ausgesagt  hatte,  wie  ja  auch  sonst   von  Jeau 


\)  cxcg.  Handb.,  1,  b,  S.  422 i  L.  J.,  1,  a,  S.  218. 


Neuntes  Kspltel.     {•  91.  S9 

«rmfthk  vrird^    dal«  er    ax  ^^is  la)Mv  ta  dai^ivia^    ^i 
^iu0€a^  ccvrav  CMerc.  1,  34.  Lno.  4,  41.)  9  oder  %va  ^  q^cc 
ngop  avTOv  noirflcoatv   (Mare.  3,  12.);  glaubte  also  Jesus 
dareb  das  dem  Dfimon  aufgelegte  Schweigen  das  Bekannt- 
werden seiner  Hessianitl^  verhindern  sn  können,  so  mufs 
fge  der   Meinung  gewesen   sein,  dafs  nicht  der  Besessene 
doreh  dais  Volk  in  der  Synagoge  etwas   von  derselben  ge- 
hört habe ,   yielmehr  umgekehrt  dieses  es  von  dem  Besee- 
seaen  erfahren  könnte,  wie  denn  auch  in  der  Zeit  des  er- 
sten A^uftritts  Jesu,  in  welche  die  Evangelisten  den  Vorfall 
verlegen,  noch  Niemand  an  seine  Messianitfit  gedacht  hat. 
Fragt   es  sich   demnach,  wie,   ohne  Mittheilnng  von 
aslsen,   der  Dfimonisohe  Jesum   als  Messias  durchschaut 
haben  könne?   so  beruft  sich  Olsbausbn  auf  die  unnatilr- 
lleh  gesteigerte  Nerventhfttigkeit,  -welche  in  d&monischen 
Personen   wie  in   somnambfllen   ein   verstftrktes  Ahnnngs- 
vermögen,  eine  Art  von  Hellsehen,  hervorbringe,  vermöge 
dessen   ein  solcher  Mensch  gar  wohl  die  Bedeutung  Jesu 
für  das  ganse  Oeisterreich  habe  erkennen  können  ^.    Die 
evsngelttcbe  Darstellung  freilich  schreibt  jene  Kunde  nicht 
einem  Vermögen  des  Kranken ,    sondern  des  in  ihm  woh- 
nenden Dimons  su ,  wie  diefs  auch  allein   den  damaligen 
Jffdisehen  yorstellunjjen  angemessen  ist.     Der  Messias  soll- 
te ersebeioen,  um  das  dämonische  Reich  su  stOrsen  iurco- 
liaai  ^fiag^  vgl.  1.  Job.  3,  8.    Luc.  10,  18 f.),   den   Teufel 
samoit  seinen  Engeln  in  den  Fenerpfuhl  su  werfen  (Matth. 
25 ,  41.     Offenb.  20 ,  10. )  ^ ,    und  dafs  nun  die  Dfimonen 
denjenigenj,   der  ein  solches  Gericht  über  sie  su  oben  be- 
stiflimt  war,  als  solchen  erkennen  würden,  ergab  sich  von 
selbst  ^.    Da  somit  das   Erkanntwerden  des  Messiaa  von 


2)  bi]>L  Coiiun.,  1,  290  f. 

3)  Tgl.  BsRTBOLOTy  Christol.  Jnd.  $$.  S6.  41. 

4)  Nsch  Peailta  in  Jalkut  Schimoni  2,  fi  56t  3.  (s.  Bsstrout, 
p.  185.)  erkennt  auf  ähnliche  Weise  der  Satan  den  unter  dem 


30  Zweiter  Absohnitr. 

den  Dttmonen  so  gans  mit  den  volksthfimlichen  Vorstel- 
longen  cusammentriffit :  ao  kOnnte  man  vermothen,  dafs  in 
diesem  Ponkte  die  eTangelische  Tradition  nicht  rein  nach 
der  historischen  Wahrheit  sich  gebildet  habC)  sondern 
durch  jene  Vorstellungen  mitbestimmt  worden  sei  ^).  Hiesu 
war  um  so  mehr  Veraniassung ,  je  rfihmlleher  fflr  Jesum 
eine  solche  Anerkennung  von  Seiten  der  Dlimonen  war. 
Wie  ihm,  da  die  Erwachsenen  ihn  verkannten,  ans  dem 
Munde  der  Kinder  Lob  zubereitet  war  (Matth.  21,  16.)} 
wie  er,  falls  die  Menschen  schwiegen,  tibereeugt  war, 
dafs  die  Steine  schreien  würden  (Luc.  19,  400-  so  mufs-  / 
Ce  es  angemessen  scheinen,  den,  welchen  sein  Volk,  das 
KU  retten  er  gekommen  war,  nicht  anerkennen  wollte,  von 
den  Dämonen  anerkannt  werden  sn  lassen ,  deren  Zeug- 
nifs,  weil  sie  nur  Verderben  von  ihm  su  gewarten  hatten, 
unparteiisch,  und  wegen  ihrer  höheren  geistigen  Natur 
enverlfffsig  war.  Indefs  genöthigt  ist  man  eu  dieser  Aus- 
kunft in  der  That  nicht  Dafs  dftmonisch  Leidende  wie 
Somnambule  während  des  Paroxysmns  mit  anwesenden 
Personen  in  Rapport  treten,    und  vermöge  desselben  in 


Throne  Gottes  präexistirenden  Messias  mit  Schrecken  als 
denjenigen,  qui  me,  sagt  er,  et  amnes  gentiles  in  infemunt 
praecipitaturus  est* 
5)  Fhitzsche,  in  Marc.  p.  35  :  in  multis  evangeliorwm  locis 
homines  legas  a  pravis  daenionibus  agitatos,  quum  primunt 
eonspexerint  Jesum,  eum  Messiam  esse,  a  nemine  unquam 
de  hac  re  contmonitos,  statim  inteliigere.  In  qua  re  kac  no  - 
strt  Script nres  ducti  su$U  sententia,  consentaneusn  esse,  Sa- 
tanae  sateliites  faeile  cognocisse  Messiam,  quippe  insignia 
de  se  suppHda  aUqtumdo  sumturunu  Auch  Nrandba,  S.3()J, 
<  Anm.j  findet  wenigstens  möglich  ,  dass  die  Bekenntnisse  der 
Dämonischen  in  der  UeberÜeferung  in  eine  stehende  Komi 
gebracht  worden  seien  (so  dass  in  der  Wirklichkeit  dieser 
Dämonische  Jesum  vielleicht  nur  als  Propheten  angeredet 
hätte). 


Neunte«  Kapitel.    %.  91.  31 

«lereA  Imeres  sich  hineinsaftiileii|  an  ihren  Empfindangetty 
Sdnangeii  nnd  Gedanken  Theil  sa  nehven  iai  Stand» 
•tnd,  iit  nicht  selten  beobachtet  worden  *):  und  so  konnte 
aack  hier,  wenn  Jeans  so  eben  ans  dem  Tollen  Bewofst* 
•flia  swn«r  Messlanitfit  heraas  gesproclicn  hatte,  der  Di- 
■oaiscbe  hicTon  Termdge  magnetischen  Rapports  eine 
HTahrnehaanng  bekommen. 

Hiebt  mehr  Schwierigkeit  als  diese  Kenntoifs  des  Da- 
aionisehen  Ton  Jesn  hat  sofort  seine  Heilang.  Hatte  der 
Kranke  die  Vorstellung  ?ort  Jesns  als  dem  Messias,  und 
hatte  er  diese  nicht  biofs,  wie  nach  der  rationalistisclien 
Ansicht,  durch  Mittheilnng  von  anrsen,  sondern  durch  ei- 
gsues  magnetisehes  MitgefAhl:  90  ging  anch  Wort  und 
Wille  Jesu,  den  DXmon  anssutreiben ,  in  unmittelbarer 
Stärke  and  Wirkaamkeit  auf  ihn  fiber. 

Haben  wir  in  der  unletst  betrachteten  Heilungsge- 
sehiehte  eines  DXmonischen  eine  von  der  einfachsten  Gat- 
tung gehabt:  so  begegnet  uns  In  der  Erslbiung  ?on  der 
Beilaug  der  besessenen  Gadarener  (Matth.  8,  28  ff.  Marc. 
5,  Iff.  Luc  8,  S6  ff .  )  eine  höchst  Eusammenge^etzte,  in- 
dem wir  hier,  neben  mehreren  Abweichungen  der  Evan- 
gelisten, statt  Eines  Dämons  viele,  und  statt  des  einfachen 
Ausfahrens  derselben  ein  Fahren  in  eine  Schweineheerde 
haben. 

Nach  einer  stfirmischen  Ceberfahrt  über  den  galilsl« 
sehen  See  an  das  östliche  Ufer  begegnet  Jesu  nach  Mar- 
kus und  Lukas  ein  Dämonischer,  welcher  sich  in  den 
Grabroälern  jener  Gegend  aufhielt  O9  und  mit  furchtbarer 
Wildheit  gegen  sich  selbst  ^  und  Andere  eu  wOthen  pfleg- 


6)  s.  TViRTH,  a.  a.  O.  S.  321,  vgl.  179  ff. 

7)  Ein  Lieblingssul'enthalt  der  Rssenden,  ••  Lishttoot  und 
Scnörrsan  z.  d.  St.,  und  der  unreinen  Geister,  s.  die  rsbbi- 
nischen  Stellen  bei  Wststrik. 

$)  Die  Behauptung,    das«  das  xmraxoirm  Uvror  kt^otfy   welches 


32  Zweiter  Abschnitt. 

le ;  nach  Matthias  waren  es  ihrer  2weL  £s  ist  erstaun-  * 
lieh,  wie  iange  sieh  hier  die  Haroionistik  mit  elenden 
Ausfluchten,  wie,  dafs  Markus  und  Lukas  nur  Einen  nen- 
nen 9  weil  dieser  durch  Wildheit  sich  besonders  ausge* 
aeichnet,  oder  Mattbfius  swei,  weil  er  den  dem  Wahnsin- 
nigen  anr  Aufsicht  beigegebenen  Begleiter  mitgeafihlt  habe, 
u.  dergl. ')  bebolfen  hat,  bis  man  eine  wirkliche  Differens 
Bwischen  beiden  Berichten  angeben  mochte*  Hiebei  hat 
man,  in  Erwägung  dessen,  dafs  dergleichen  Rasende  unge« 
seilig  au  sein  pflegen ,  der  Angabe  der  beiden  mittlem 
Evangelisten  den  Voraug  gegeben,  und  die  Verdoppelang 
des  Einen  Dämonischen  bei  dem  ersten  daraus  erklärt, 
dafs  die  Mehrheit  der  dalfim'eg^  von  welchen  ia  der  Er- 
aäblung  die  Rede  war,  dem  Eraähler  an  einer  Mehrheit 
▼on  daijii(n'uojiif.vo{  geworden  sei  ^^).  Allein  so  entschieden 
ist  die  Unmöglichkeit,  dafs  awei  Rasende  in  der  Wirk- 
lichkeit sich  ansammengesellen,  oder  yielleieht  auch  nur  in 
der  ursprAngliehen  Sage  ausammengesellt  wurden,  denn 
doch>  nicht,  dafs  hierauf  allein  schon  ein  Voraug  des  Be- 
richts bei  Markus  and  Lukas  vor  dem  bei  Matthärs  sich 
begrflnden  liefse*  Wenigstens  wenn  man  fragt,  welche 
der  beiden  Darstellungen  der  Sache  leichter  aus  der  an- 
dern, als  der  ursprflnglichen ,  in  der  Ueberlieferung  sich 
habe   bilden   können?    so   wird  man  die  Möglichkeit  auf 


Markus  dem  Beiessenca  zus6hreibt|  in  lichten  Augenbliclien 
alt  Busse  für  seine  Verschuldung  von  ihm  geschehen  sei, 
gehört  tu  den  Unrichtigkeiten,  tu  welchen  Olskavsbn  durch 
seinen  falschen,  moralisch -religiösen  Standpunkt  in  Betrach- 
tung dieser  Erscheinungen  Terfuhrt  wird ,  da  doch  bekannt 
genug  ist,  Mrie  gerade  in  den  Parozysmen  solcher  Kranken 
die  selbstzerstörende  Wuth  eintritt. 
9)  s.   die  Sammlung  von   dergleichen  Erklärungen  hei  Fairs- 

scBBy  in  Matth.  p.  S27. 
10)  so  Schule,  über  das  Abendmahl,  S.  309;   Paulus,  s.  d.  St.  ; 
Ha»,  L.  J,y  V  75 ;  Nbakdbr,  L.  J.  Chr.,  S.  295.  Aua. 


} 


Neonces  Kapitel.    $.91.  SU 

bddia  Briten  gleich  grob  finden.     Ueno'  weon  auf  die 
eben  engeseigte    Weiae   die  mehreren   DAaiontn   su   der 
VonteUnng  aaeb  ron  mehreren  Dömonischen  Anlafe  gehen 
kaflateii,  ao  IflGit  aich  ebenso  umgekehrt  sagen :  in  der  dem 
Faetaffl  nSheren  Darstellang  des  MatlhXusy  vpo  ron  Besea» 
teaea  sowohl  als  ron  Dfimonen  in  der  Mehrzahl  die  Rede 
wsri  trat  das  speoifisob  Aofserordentliche,  welches  dieser 
Fall  in  der  £rsählnng  der  beiden  andern  bat,   noch  flicht 
so  henror,  dafs  nämlich   auf  Kin  Indlfidadm  mehrere  Dft- 
Aonen  kamen:    und  indem    man,    nm   dieies    Verhiltnifs 
hervorznheben ,   sich  heim  Wiedererafihlen  so  ansdrficken 
■Q&tSy  dafs   in  Einem  Menschen  mehrere   üfimonen  sich 
befoaden  haben,  so  konnte  diefs  leicht  Veranlassung  wer* 
den,  da£s  nach  und  nach  dem  Plnral  der  O&monen  gege«* 
Über  der  Besessene  in  den  Singular  gesetat  wurde  '0*    I<tt 
üebrigen  ist  in  diesem  ersten  Eingange  die  Erafihlung  dea 
MatthSna  kure  und  ailgemein ,  die  der  beiden  andern  aus« 
ffthrUeh  malend;    woraus   man  gleichfalls  nicht  ermangelt 
hat,  auf   die  gröfsere   UrsprOnglichkeit  der  ietateren  au 
schUeben  *^»    Gewib   aber  kann  ebensowohl  die  Ausfüh- 
rung^ in  welche  sich  Lukas  und  Markus  theiien ,  dals  dev 
Besessene  kein  Kleid  an  sich  geduldet,  alle  Fesseln  aerris» 
sen,    und  sich  selbst  mit  Steinen   geschlagen  habe,    eine 
willkfirliehe  Ausmalung  der  einfachen  BeaeichnuHg:  ya?^* 
stoi  Uavy  aain,  welche  Matthäus  nebst  der  Folge,  dafs  Nie* 
amnd  Jeaeli  Weg  habe  gehen  können,  gibt ,  als  diese  eine 
angenaae  Zoaammenfassung  von  fener. 

Die  Eröffnung  der  Scene  a wischen  ^dem  oder  den 
Dteoniachen  und  Jesus  geschieht  hier  wie  oben  durch 
einen  angatvollen  Zuruf  des  Dämonischen  in  der  Person 
des  ihn  beaiteenden  Dämons,  dafs  er  mit  Jesus,  dem  Mes« 
lies,  yoo  ivelchem  er  nur  Qualen  an  erwarten  hätte,  nichts 


11)  VgL  i>B  WsTTty  'exeg.  Htndb.,  1,  1,  S.  88« 

12)  Scnuz-z,  a.  «.  O.        ^ 

Daa  Leben  Jem  Vt  Anfl.  //.  Band.  3 


•84 


Zweiter  Abtehnitt. 


BQ  schaffen  hebm  walle.     Die  xar  Erkiffrang  der  Erachei- 
nang*)   defs  der  Dtraoniscbe   Jesum   sogleich   als  Messias 
erkennt,   ron   rationaiiRtiscber  Seite  gemachten  PosCaUte, 
dafs  Jesns   damals    wohl  auch   schon  auf  dem  Jenseitigen 
Ufer  als  Messias  genannt  worden  sei  ^*) ,    oder   drffs   <lem 
Menschen  ^(welchem  seiner  Wildheit  wegen  Niemand  nahe 
kommen  konnte ! )    einige  von   den  mit  Jesu  fiber  den  See 
Gekommenen  gesagt  haben,  dort  sei  der  Messias  an's  Lnnd 
-gestiegen  ^^ ,  sind  gleicherweise  grundlos,  und  in  demsel- 
ben Verhffltnifs,  als  hier,  wo  kein  Redeact  Jesu  Torange- 
gangen,  dieser  vielmehr  so  eben  erst  in  einiger  Entfernung 
an's   Land    gestiegen   ist,    die   Annahme   eines  Erkennens 
darch  magnetischen  Rapport  schwierig  wird,   tritt  die  an- 
dere Auskunft  nfiher,  dafs  niimlioh  die  jüdisch- christliche 
Voraussetzung   Hber    das    Verhältnlfs   der    Dämonen    snm 
Messias  diesen  Zog  der  Erzfihlung  hervorgebracht  habe  ^^). 
Indefs  tritt  hier  noch  eine  Abweichung  der  Berichte  ein. 
Nach  Mattbflua  nfimlleh  rufen  die  Besessenen,  wie  sie  Jesu 
ansichtig  werden :    %i  jjfuv  xal  aal  -^ ;  jjld-fg  —  ßctaaviaai 
i^tidg;   nach  Lukas  ffillt  der  Dämonische  Jesu  cu  Füfsen, 
ond    bittet  ihn,   ^n^  jus  ßarjcn^iais;'    nach   Mnrkus   endlich 
MufKer  Ton   ferne  herbei,   um  Jesum  fofsfätlig   bei  Gott 
Bu   beschw6rei|,   dafs   er  ihn  nicht  qufilen  möchte«     Wir 
haben  also  wieder  einen  Klimax:    bei  MattbÜos  ein  schre« 
ekenvolles  Abwehren  des  unerwdnscht  kommenden  Jesus : 
bei  Lukas   eine  bittende  Annäherung  an    den  gegenwärti- 
gen ;    bei  Markus  sogar  ein    eiliges  Aufsuchen    des    noch 
entfernten.     Die  Erklärer,  von  Markus  ausgehend,  müssen 
selbst  sugeben ,    dafs  das  Hersulanfen   eines  Dämonischen 
ea  Jesu,    den  er  doch  fOrchtet,   etwas  Widersprechendes 
sei ;    wefswegen  sie  sich  durch  die  Annahme  helfen ,     der 


15)  ScHLSiBRMACBBR,  übcT  den  Lukas,  S.  127. 

14)  Paulus,  L.  J.,  i,  «,  S.  232. 

15)  t.   FniTzsctiB,  in  Matlh.  S.  329. 


Neuntes  Kapitel.     {.  91.  35 

Men«^  mh  er  sieb  gegen  Jesom  hin  in  Bewegung  setete, 
tei  in  einem  lichten  Angenhlieke  gl!we8en,'in  welchem  er 
Yom  Dimon  befreit  en  werden  wOnschte,   und  erst  durch 
die  ErbitEnng  des  Laufens  ^) ,    oder  durch   die  Anrede 
JssB  *''}  sei  er  in  den  Paroxyamus  g^rathen ,   in  welchem 
er  in  der  Rolle  des  Dlimons  um  Unterlassung  der  Austrei- 
bung bat.     Allein  in  den  cnsammen hängenden  Worten  bei 
Harliiis:    idcJi*  —  $d(}aite  —  xai  TtQO^fxvr^  —  xai  xQaSctg 
—  ftTie  *  iit  keine  Spur  von  einem  Wechsel  seines  Zostan- 
des  Bv  finden ,    und  es  bleibt  so  das    Unwahrscheinliche 
der  Bmrstellnng;   denn  der  wirklich  Besessene  hätte  sich| 
wenn   er  den  gefiirchteten   Messias   von   ferne  erkannte, 
eher  so  aebnell  wie  möglich  davon  gemacht ,    als  sich  ihm 
geolherC,   und  wenn  auch  nicht,    so  konnte  er^    der  sich 
dureb   einen   Gott    feindseligen   DKmon    besessen    glaubttf| 
Jemim  doch  gewifs  nicht  bei  Gott  beschwören,    wie  Mar- 
kus den  Dimonischen  thun  läfst  ^*).     Kann  demnach  seine 
DanteiluDg  hier  die  ursprttngliche  nicht  sein,   so  ist   die 
des  Lakua  ihr  so  verwandt,    und  eigentlich   nur  um   die 
ZAge  des  2(«rzulaufens   und   Beschworene  einfac^r,    als 
dafs  wir  «e  fttr  die  dem  Factum  nlichste  ansehen  könnten. 
Sondern  die  am  reinsten   gehaltene  ist  ohne  Zweifel  die 
des  Matthäus,  deren  sohreckenvolle  .Frage :   ?j?.^'€g  uide  nqo 
KcciQä  ßccßfxnaai  rjftai;;   einem    DXmon,  der  «Is  Feind  dea 
Meesiusreiebs  vom  Messias   keine   Schonung  so   erwarten 
hatte,   weit  natörlicher  steht,  als  die  Bitte  um  Schonung 
bei  Markos  und  Lukas;  wenn  gleich  Philostratus  in  einer 


16)  Natürliche  Geschichte,  2,    S.  174. 

17)  Paüujs,  OLsaAtrsSMy  t.  d.  St, 

18)  Diest  finden  «och  Paulus  und  OLlMAütsif  AuffsUeitd,  ttitd 
Wftists,  ob  er  gleich  den  Bericht  de«  Markus  auch  hier  für 
den  ursprünglichen  halt,  vcrzichtst  doch  auf  seine  wörtliche 
Geltung  (1,  S.  497.). 


ZC  Zweiter  Abschnitt. 

Erctthlungi  die  niAn  als  Naohbildang  illeaer  eTangeiisciien 
ansehen  könnte,  sich  an  die  letstere  Form  gehalten  hat  *^). 
Wfihrend  man  nach  dem  Bisherigen  glauben  mufste, 
die  Dämonen  haben  hier  wie  in  der  ersten  Ersählnng, 
ohne  dafs  etwas  von  Seiten  Jesa  Torangegangen  war,  ihn 
auf  die  besehriebene  Welse  angesprochen :  so  holen  nnn 
die  awei  mittleren  ETangelisten  nach,  Jesus  habe  nftmiich 
dem  nnsaubern  Geiste  geboten  gehabt,  den  Mensehen  so 
Terlassen.  £s  fragt  sich,  wann  Jesus  diefs  gethan  haben 
soll?  Das  Nächste  wäre:  ehe  der  Mensch  ihn  anredete; 
aber  mit  dieser  Anrede  ist  bei  Lukas  das  TiQog^TiUße ,  und 
mit  diesem  weiter  rfickwärts  das  cn^ccxQa^ag  so  eng  ver- 
bunden, dafs  man  den  Befehl  Jesu  vor  den  Schrei  und 
Fufsfall  als  deren  Ursache  setsen  mttfste.  Nun  aber  ist  als 
Ursache  davon  vielmehr  der  blofse  Anblick  Jesu  angege- 
ben: so  dafs  man  bei  Lukas  nicht  sieht,  wo  Jenes  Gebot 
Jesu  seine  Stelle  finden  soll.  Noch  schlimmer  ist  es  bei 
Markus,  wo  der  Zuruf  Jesu  durch  eine  ähnliche  Verket- 
tung ,der  Sätse  sogar  vor  das  sdQafie  surfickgescholien 
wird,  so  dals  Jesus  sonderbarerweise  schon  m  der  Ferne 
dem  Dämon  das  t^elO'e  angerufen  haben  müf'ste.  Wenn 
auf  diese  Weise  bei  den  beiden  mittleron  Evangelisten 
entweder  die  vorangeschickte  suSammenhängende  Darstel* 
lung  oder  der  daranffolgendö  Zosata  unrichtig  sein  mufs: 
so  fWigt  sich  nur,  was  von  beiden  eher  den  Schein  des 
Unhistoriscben  wider  sich  habe?  U|id  hier  hat  selbst 
ScHLKiSRMACHER  uud  ihm  uaoh  auch  Neandkr  eingeräumt, 
wenn  in  der  ursprünglichen  Eraählung  von  einem  vorans- 
gegangenen  Gebote  Jesu  die  Rede  gei^esen  wäre,  so  wfirde 
dieses  gewifs  in  seiner  rechten  Stelle  vor  der  Bitte  der 
Dämonen ,  und  mit  Anffihrung  der  eigenen  Worte  Jesu, 
gegehea  worden  sein ;   wogeged  seine  jetsige  Stellung  ala 


19)  Es  ist  diess  die  Erzählung  von  der  EintUnrang  einer  Einpusa 
durch  Apollonius  von  Tyana,  vita.Ap.  4, 35 ;  bei  Bäür,  S.  145. 


Heantef  Kapitel.    $•  fl.  37 

P< achtrag,   and  ebenso  seine  abgekQrste  Fassung  in  der 

oratio  obUqiia  (bei  Lukas;   erst  Markus  wandelt  sie  nach 

seiner  Welse  in  oratio  recta  um)  sehr  stark  die  Vermu* 

tbnog  begrfinde ,  dafs  es  auch  nur  ein  erklärender  Nach« 

trag  des    Ers&hlers   aus   eigener  Conjector   sei  ^%      Und 

swsr  Ist  OS  ein  höchst  störender,  Indem  er  der  ganaen 

Scene  naehtrfigiich  eine'  andere  Gestalt  gibt,    als   sie   ron 

forne  hereih   Eeigte.    Zuerst  nämlioh  war  sie  auf  ^n  sn- 

forkomaaendes  Erkennen  und  Bitten  des  Dlmonlschen  an« 

gelegt:   nnn  aber  fällt  der  Ersftbler  aus  seine»  Rolle,  und 

in  der  Meinong,  .der  Bitte   des   Dämons    um   Schonung 

ndsse  ein  barter  Befehl  Jesu  vorangegangen  sein,  bemerkt 

er  nachholend,  dafs  Jesus  vielmehr  mit  seinem  Gebote  an« 

rorgekommen. 

An  die  Nachholung  dieses  Gebotes  schliefst  sich  nun 
bei  Markne  und  Lukas  die  Frage  Jesu  an  den  Dämon  an: 
T(  tfof  ovofia;  worauf  sich  eine  Mehrheit  von  Dämonen  an 
erkennen  gibt,  und  als  ihren  Namen  X^€wv  beseichnet,  *« 
eine  Zwischenhandlung,  von  welcher  Matthäus  nichts  hat« 
Wie  wäre  aa  nqn,  wenn,  wie*  der  vorige  Zasata  eine  nach- 
trägliche Erklärung  des  Vorhergehenden ,  so  diese  Frage 
und  Antwort  eine  vorausgeschickte  Einleitung  des  Folgen« 
den  wäre,  und  ebenso  nur  aus  den  eigenen  Mittein  der 
Sage  oder  der  Referenten  ?  Der  sofort  von  den  Dämonen 
ausgesprochene  Wunsch  nämlich,  in  die  Schweineheerde 
KU  fahren,  aetat  bei  Matthäus  noch  gar  nicht  nothwendi^ 


30)  Sghlxibiiiiucnrr ,  über  den  Lukas,  S.  128;  NiAnaiR,  L.  J. 
Chr.,  S*  296,  Anm. '  Wenn  nun  aber  der  Erstere  diese  un- 
richtige  Ergäxisung  von   Seiten  des  Lukas    daraus   erklärt, 

dsss   sein  I}erichterstattcr  vcrnkuthlich  bei^m  Schiff  beschäf* 

» 

tigt  und  etwas  zurüplsgeblicben ,  dem  Anfang  der  Scene  mit 
dem  Dämonischen  nicht  angewohnt  habe :  so  ist  diess  ein 
gar  zu  neugieriger  Scharfsinn  neben  der  veralteten  Annahme 
eines  m'ögHohst  nnmittclbarcn  Verhältnisses  der  evangeli« 
sehen  Berichte  zu  den  Thatsachcni 


ZH  Zweiter  Abteil uitt, 

eine  Mehrheit  von  Uämooeo  in  jedem  der  beiden  Besesse- 
nen voraos,  de  wir  oicbt  wissen  l&önnen ,  ob  der  Hebräer 
niebt  auch  swei  Dämonen  in  ein  Besitaongsverhältnifs  an 
einer  ganeen  Heerde  au  aetzen  im  Stande  warr  wohl  aber 
konnte  ein  späterer  Erzähler  meinen,    die  Zahl  der  bösen 
Geister  mit  der  Zahl  der  Schweine  aosgleiehen  au  müssen. 
Was  nun  bei  Thieren  eine  Heerde,    daa  ist  bei  Mensehen 
nnd  hliheren  Wesen  ein  Heer  oder  eine  Heeresabtheilang, 
und  da   lag,    wenn    eine  gröfsere  Abtheiluog   bezeichnet 
Werden  sollte,  nichts  näher,  als  die  römische  Legion,  wel- 
che Matth.  26,  M.  auf  die  Engel,  wie  hier  auf  die  Dämo- 
neu,  angewendet  ist.    —    Uafs  es  nnn  aber,  auch  abgese- 
hen  fon   dieser  näheren  Bestimmung,    mehrere  Dämonen 
gewesen   sein   sollen,    welche   hier  in   Einem   Individnam 
ihre  Wohnung  aufgeschlagen  hatten,  ist  als  undenkbar  ea 
beseichnen.    Denn  wenn  man  zwar  so  viel  etwa  noch  sieh 
vorstellig  machen  könnte,  wie  Ein  Dämon,  mit  UnterdrA- 
ckung  des  menschlichen  Bewufstseins,  sich  eines  manschli« 
eben  Organismus  bemächtigen  könne:  so  geht  einem  doch 
alle  Vorstellung  aus,  sobald  man  gar  viele  einen  Menschen 
(»esitsende  dämonische   Persönlichkeiten  aicli   denken  soll. 
Denn  da  dieses  Besitzen  nichts  Anderes  ist,  ala,  sich  zum 
Subject  des  Bewufstseins   in    einem   Individuum    machen, 
das  Bewufstsein  aber  in  der  Wirklichkeit  nur  Eine  Spitxe, 
Einen   Mittelpunkt,    haben    kann:    so  ist  jedenfalls    daa 
schlechterdings   nicht  zu  denken,   dafs   zu   gleicher   Zeit 
mehrere  Dämonen  von  einem  Menschen  sollten  Besitz  nebr 
men  können,   und  es  könnte  die  mehrfache  Besitzung  im- 
mer nur  als    successiver  Wechsel  des  Besessenselna  durch 
verschiedene  Dämonen  vorhanden  sein^  nicht  aber  wie  hiev 
ein  ganzes  Herr  derselben  zoglefch  im  Menschen    wohnen 
und  zugleich  ihn   verlassen.      Pie«e   Form  der  Krankheit 
mithin,  die  fibrigens  auch  in  neuerer. Zelt  beobachtet  wor- 
den, enthält  noch  eine  besondere  Möthigung  fsur  rationalen^ 
•abjectiv^u  AuS'assupjr  derselb^üt 


neuntes  Kapitel.    $•  9^  W 

Dtrin  onn  stimineD  weiterhin  'die  Ei^sählokigen  ttber-^ 
ein )  dab  die  DXraonen  Cooi  nicht ,  wie  Markaa  sagt ,  aus- 
ser Landes,  oder  naeh  Lukas  in  den  Abgrund  verwiese» 
SU  werden)  Jesum  um  die  Erlaubnifs  gebeten  haben |  iu 
die  benachbarte  Sohwelneheerde  sn  fahren {  dals  ihnen 
diefs  von  Jesn  gestattet  worden ,  nnd  sofort  durch  ihre 
Kinwirkaog  lämmtliche  Schweine  (Markusy  man  darf  nicht 
fragen,  ans  welchen  Mitteln,  bestimmt  ihre  Zahl  anf  tM)00> 
jti  den  See  gestürzt  nnd  ersoffen  seien.  Bleibt  man  hie« 
nnf  dem  Standpunkte  der  Berichte,  welche  durchaus  wirk« 
liehe  Ulmonen  voranssetsen,  stehen,  so  fragt  es  sich:  wie 
kö'inen  ÜAmonen  •-  einger&umt  auch,  daCs  sie  von  Meufi 
sehen  Besitz  nehmen  liönnen,  —  wie  können  sie  ^ber,  ala 
in  Jedem  Falle  vernttoftige  Geister,  den  Wunsch  haben 
und  erreichen,  in  thierische  BiMMngen  einEugehen?  Jede 
Religion  und  Philosophie,  welche  die  Seeienwanderung 
verwirft,  mnls  aus  demselben  Grunde  auch  die  Möglichkeit 
eines  solchen  Ueber^^Hnges  langnen,  nnd  Olsu/IDSEN  stellt 
voUkommen  richtig  die  gadareniscben  Säue  im  N«  T*  mit 
Bileams  Esel  im  alten  als  ein  fihnliches  ax<iydalov  xal 
noosKOftfia  Busaoimen  ^0*  Diesem  ist  er  aber  durch  die 
Beraerknipg,  dafs  hier  nicht  an  ein  Eingehen  der  einseinen 
IMmonen  in  die  einseinen  Schweine,  sondern  an  ein  blo« 
fses  Einwirken  sfimmtlicher  bösen  Geister  auf  die  Thier- 
masse  sn  denken  sei,  mehr  ausgewichen,  ajs  dafs  er  dar- 
über hinweggekommen  wäre.  Denn  das  eii;6l(>eiy  eigr^g 
yoiQHgj  wie  es  dem  i^€?M-€Tv  ix  ra  av&QCJTie  gegenübersteht, 
kann  doclh  unmöglich  etwas  Anderes  bedeuten,  als  dafs 
die  Dämonen  in  dasselbe  Verhfiltnifs,  in  welchem  sie  bis- 
her SU  den  besessenen  Menschen  gestanden,  nunmehr  sn 
den  Schweinen  getreten  seien  \  anoh  konnte  sie  vor  der  , 
Verbannung  aufser  Landes  oder  in  den  Abgrund  nicht  ein 
blofsee  Einwirken,  sondern  nur  ein  wirklichifs  ^nwohnen 


:i)  S,  299,  Anm. 


4^  Zweiter  Abseh  uitt. 

in  deti  Leibero  der  TMere  bewaiireo :  so  daCi  jenes  axdv- 
dakov  steheB'  bleibt.  Uomögllch  also  kaoa  Jene  Bitte  von 
#lrkUchdn  DSeionen,  sondern  aor  etwa  von  Jüdischen 
Wahnsinnigen ,  vorgebraebt  worden  sein  9  nach  den  Vor- 
stellnngenl  ihrds  Volkes.  Ohne  leibliche  Halle  ma  sein, 
macht  diesen  enfolge  den  bösen  Geistern  Qnal,  weU  sie 
ohne  Leib  ihre  sinnlfchen  Lüste  nicht  befriedigen  kön- 
nen ^2);  waren  sie  daher  aus  den  Menschen  aasgetrieben, 
so  mnfstf  n  sie  in  Thierleiber  ^n  fahren  wünschen ,  dnd 
was  tangte  für  ein  Ttvtv^ia  axd&uqit<n'  besser,  als  ein  ^cJoy 
^dO^aQTOv  y  wie  das  Schwein  war  ?  ^^)  So  weit  könnten 
also  die  EvangelUten  in  diesedi  Punkte  das  Thatsilchliche 
viobHg  wiedergeoen ,  indem  sie  nur  ihrer  Vorstellung  ge- 
mfifs  den  Dfimonen  zuschrieben,  was  vielmehr  die  Kran- 
ken aus  ihrem  Wahne  heraus  sprachen.  Nun  aber,  wenn 
es  weiter  heifst,  die  Dämonen  seien  in  die  Schweine  ge- 
fahren ,  berichten  da  die  Evangelisten  nicht  eine  offenbare 
Unmöglichkeit?  Paulus,  bnd  mit  ihm  selbst  supranatura- 
Ilstiscbe  Theologen,  wie  S^gudel,  meint,  auch  hier,  wie 
sonst  immer,  identificiren  die  Evangelisten  die  besessenen 
Menschen  mit  den  sie  besitzenden  Dfimonen,  und  schrei- 
ben alsoj  das  slseXS-eTv  etg  r&g  xo^Q^S  den  letat^ren  an, 
während  doch  in  der  Wirklichkeit  nur  die  ersteren  ihrer 
fixen  Idee  gemfifs  auf  die  Schweine  losgerannt  seien  ^*), 
Hier  liefse  sich  zwar  des  Matthfins  ccTiijJid'Cfif  sig  zag  toL-^ 


22)  Clem.  hom.  9,  10.  VcrgK  eine  ähnliche  Bittstellung  eines 
Dämons  in  Kerkrr's  Geschichten  Besessener,  S.  116  f. 

23)  Fritzschb,  in  Matth.  p.  3S2.  Nach  Eisskmknger  ,  2  9  447  fr., 
halten  sich^  der  jüdischen  Vorstellung  gemäss,  die  Dämonen 
Überhaupt  gern  an  unreinen  Orten  auf,  und  in  Jalknt  Hu- 
Jienf  f.  10,  |.  (bei  Wktstkiiv)  ilndet  sich  die  Notiz:  Animu 
idoloMrarum,  qtiae  venit  u  xpiritü  tfmnundo,  tociftür  porcus^ 

24)  a  a.  O.  S.  474.  485;  Stbudbl,  Glaubentlehre,  S.  175;  ebenso 
Wimrk;  bibl.  Rcslw.,  J,  S,  192, 


*  NoaVites  KAuitel.     S-  Ol-  ^1 

oHf; ,  fttr  «iah  fuenomnen ,  etwa  noch  von  einam  Losrennen 
aaf  die  Heerde  versieben ;   aber  niobt   nar  rnnfs  PAüifUa 
selbst  einriamen,  dafs  das  etgeld-oir^g  der  beiden  andern 
Synoptiker   ein   vfirldiches  Hineingeben   in  die   Sebweine 
beseiehne  t  sondern  es  hat  ancb  Matthfios ,  wie  die  beiden 
andern 9    vor  dem  uni^Xd-dv  ein  i£el%^6ynF^  ol  dalfiovfg  C^e. 
tx  t<Sy  ayO'(Hjina}iO  7  wodaroh  also  die  in  die  Schweine  fah« 
rendeo  Dämonrn  von  den  Mensebenf  aus  welchen  sie  vep^ 
her  wichen,    deatlich  genug  unterschieden  sind  '^).     Kine 
feinere  Art  von   natllrlieber  Erklärung  dieses  Zuges  hat 
neuestens  Weisse  in  Vorschlag  gebracht,   indem  er,  ohne 
die  Voranssetanng   wirklicher  Dftmonen   au   theilen ,   eine 
magl^ehe  Ableitung  der  Krankheit   in  die  Sohweinebeerde 
annehmlich  findet,    wofür  er  sieh  auf  Kieser   beruft,    der 
die  Mögliehkeit  eines    Uebergangs   dämonischer  Zustände 
auf  Andere   und   selbst   auf  Thjere   anerkenne  ^^).     Eine 
Ableitung  gewisser  körperlicher  Leiden  auf  Thiere  kommt 
bekanntlich  in  der  -^  freilich  noch  immer  einer  kritischen 
Sichtung   bedürftigen  —  sympathetischen   Heilpraxis  vor; 
von  Mittheilang  organisch -psychischer  Zustände  an  Thiere 
ist  meines   Wissens  nur  die  Theilnahme  von  Pferden  und 
andern  Thieren  an  dem  sogenannten  eweiten  Gesiebte  der 
sebottlschen   und  dänischen  Inselbewohner  sicher   beglau- 
bigt ^Oy    was   aber   der  evangelischen   Eraäblung  immer 
noch  Eiemlich  ferne  steht. 

Neuen  Anstofs  macht  die  Wirkung,  welche  die  Dä- 
monen in  den  Schweinen  hervorgebrifeht  haben  sollen. 
Kaum  In  dieselben  gefahren  nägiUch   sollen  sie  die  ganse 


25)  t.  FkiTziCHE,  in  Matth.  S.  3S0. 

26)  AYkissi,  die  evang.  Gesch.,  1,  S.  497.  499;  Kiisir,  System 
des  Tcliurisnms,  2,  S.  72. 

$7)  S.  die  Mittheilungea  von  Bende  äendsen  in  verschiede- 
nen Bänden  des  £8CNXiiMAYSR^schefi  Archivj  für  «lea  tkisri* 
sickpit  MagnclisjEus« 


it  Zweiter  Abschnitt. 

Heerde  angetrieben  beben  j  eich  In  den  See  sa  etiireeiiy 
wobei  man  mit  Recht  fragt ,  wae  denn  die  Dinenen  nun 
dnroh  da«  Fahren  in  die  Thiere  gewannen  liaben ,  wenn 
eie  diese  alsbald  vernichteten  ^  and  sich  somit  der-  so  sehr 
erbetenen  leidiiehen  Interimswohnnng  selbst  wieder  be- 
raubten ^)?  Die  Vermuthnng,  die  Absieht  der  Oftmonen 
bei  Vernichtung  der  Schweine  sei  gewesen ,  die  GemOther 
der  Eigenthttmer  durch  diesen  Verlast  gegen  Jesnm  ein« 
sanebmen,  was  anch  erfolgt  sei  *^)y  ist  sn  weit  iiergeholt ; 
die  andre,  dafs  der  mit  Geschrei  auf  die  Heerde  losstttr« 
sende  DSmonische  sammt  den  Im  Schreclien  däronlanfen- 
den  Hirten  die  Schweine  sehen  gemacht  und  ln*s  Wasser 
gefegt  habe  ^®) ,  wfirde,  wenn  sie  anch  nicht  nach  deiD 
Obigen  dem  Text  so  wider  wftre,  doch  nicht  hinreichen^ 
um  das  Ertrinken  einer  Heerde  von  2000  Stfiolien  nach 
Markus,  oder  Qbefhaopl  nur  einer  grofsen  Heerde,  nach 
Matthäus,  EU  erklären.  Die  Ausflucht,  dsfs  wohl  nur  eia 
Theil  der  Heerde  ersoffen  sei  *^),  ist  entschieden  gegen 
den  Bericht,  de  Matthäus  ausdrücklich  sagt,  maaa  r^  ayü.tj 
sei  in  den  See  gestOrst  und  erstickt,  Markus  aber  seine 
Zablbestimmnng  swisehen  oiQurfltv  rj  ayiktj  eis  ^17^  (^akaa^ 
0av  und  inviyovro  stellt»  -^  Vermehrt  wird  ffir  dleeen 
Punkt  die  Schwierigkeit  durch  die  nahe  liegende  Reflexioo 
auf  den  nicht  geringen  Schaden ,  welchen  das  Ertrinken 
der. Heerde  den  Eigenthümern  brachte,  und  dessen  mittel- 
barer Urheber  Jesus  gewesen  wäre.  Die  Orthodoxen, 
wenn  sie  Jesnm  Vk  irgend  einer  Wendung  dadurch  recht« 
fertigen  wollen,  da&  durch  Zulassung  des  Uebergangs  der 
Dämonen  in  die  Schweine  die  Heilung  des  Besessenen 
möglich  gemacht  worden  sei,  und  dafs  doch  gewils  Thjere 


\ 


38)  Paulus,  a.  a.  O.  S.  475. 

29)  Olsiiausiit,  S.  301. 

30)  Paulus,  S.  474. 

31)  Tailus,  S,  ^%by  WiMR,  a.  a.  Q. 


Neuntes  Kafiitel.     S*  l^l-  43 

•  « 

getddtel  werden  dfirfen,  denit  die  Menseheo  lebendig  wer* 

den  ^y  bedenken  nieht,  dafs  sie  hiedvroh  auf  die  fflr  ih- 
ren Standpunkt  folgewidrigste  Weise  die  sehlecbtbinige 
MAchc  Jesu  fiber  das  dämonische  Reich  beschrlinken.  Die 
Aesknnft  aber^  Jesus  habe,  sofern  die  Schweine  Judea 
gehörten,  ^diese  für  ilire  gewinnsttehtige  Uebertretong  des 
Gesetses  strafen  wollen  "*j,  überhaopt  habe  er  ans  göttli« 
eher  Vollmacbt  gehandelt,  welche  oft  au  höhWen  Zwecken 
filnaelnes  eerstöre,  und  durch  Bllta,  Hagei  und  Ceber« 
sehwemonng  vieler  Menschen  Habe  vernichten  lasse,  wer« 
Aber  Gott  der  Ungerechtigkeit  aneuklagen,  albern  wäre  ^)f 
—  diefs  ist  wieder  die  a^f  orthodoxem  Standpunkt  aner« 
laubteste  VermiscboDg  des  Standes  der  Erniedrigung  Chri* 
sti  mit  dem  seiner  Erhöhung,  ein  schwärmerisches  Hin* 
ausgehen  ftber  das  besonnene  paulinische  yeivftevov  vrco 
rouor  Oi»l.  4»  4.)  und  iavtov  ixinoae  (Phil.  2,  TOi  welches 
uns  Jesnm  völlig  entfremdet,  indem  es  ihn  auch  in  Beeug 
auf  die  sittliche  Beurtheilung  seiner  Handlungen  fiber  das 
Maafs  des  Menschlichen  hinaushebt.  Soll  daher  nicht  auf 
Jesu  die  Beschuidigung  eines  Eingriffs  in  fremdes  i£igen* 
thum  liegen  bleiben,  wie  denn  Gegner  des  Cbristenthums 
diese  Eraählung  sich  längst  gehörig  au  Nutse  gemacht 
babed  ^):  so  bleibt  nur  noch  fibrig,  das  vom  Standpunkte 
der  natfirlicben  Erklärung  voraosgesetete  Hineinrennen 
der  Dämonisolien  unter  die  Schweine,  oder  die  verderbliohe 


32)  Olsmavss!<v,  a.  a.  O. 

33)  Ders.  cbcndas. 

54)  UhLKkTin ,  über  die  Unsiiiidlich1<eit  Jesu ,  in  den  thcol.  Stii- 
dien  und  Krit.,  1,  1,  S.  51  f.;  Olsuiuskn,  a.  a.  0.  ^ 

55)  2.  B.  WooLSTON,  Disc,  1,  S.  32  if.  Wenigstens  wlrc  Pytha- 
goras  in  ähnlichem  Falle  weit  billiger  verfahren,  da  er  die 
Fische,  deren  Loslassung  er  von  den  Fischrrn  ,  die  sie  ge- 
fangen hatten,  auswirkte,  ihnen  baar  bezahlt  haben  soll. 
JsmHicJi*  ^ita  r)thag.  no.  30.  cd.  Kiesiling. 


44  Zweiter  Absobaitt. 

Wirkang  des  aof  sie  Qbergetragenen  dimonliebeD  Zastan* 
des,  als  etwas  Jesn  selbst  unerwartetes,  ffir  das  er  alao 
aaeh  nicht  verantwortlieb  sei,  darsnstellen  ^) ;  wobei  man 
dann  nnr  eingestehen  mnfii,  sieh  in  Widersprach  gegen 
die  evangelische  Darstellung  sn  setsen,  welche  Jesnm  die 
firfolg€l,  sofern  er  sie  aneh  nicht  geradesn  bewirli.t ,  dech 
anfs  Bestimmteste  Vorhersehen  lifst"). 

Bei  diesem  Gewebe  von.  Schwieriglieiten ,  welche  na- 
mentlich der 'Punkt  mit  den  Schweinen  in  die  vorliegende 
ErzXhlnng  bringt,  ist  es  kein  Wnnder,  dafs  man  in  Becn^ 
auf  diese  Anekdote  froher  als  bei  den  meisten  andern  aus 
dem  öffentlichen  Leben  Jesu  angefangen  hat,  die  dnrch* 
gängige  geschichtliche  Treue  der  Erzfihiung  en  beswetfel*, 
und  insbesondere  den  Untergang  der  Schweine  mit  dev 
durch  Jesum  bewirkten  Austreibung  der  Dimonen  aufsev 
Besiehung  ku  setzen.  Da  durch  eine  uns  unbekannte  Urw 
Sache  —  meint  Meandkr  —  in  der  Heerde  eine  Verwirrung 
entsteht,  und  sie  das  steile  Ufer  hinabstfiraend  im  See  anim 
Tbeil  umkommt:  so  schliefst  sich  dieser  Wahrnehmangr 
,  bei  dem  Dämonischen  die  Ueberzengnng  an,  dafs  die  bösen 
Geister  Ihn'  verlassen,  von  den  Schweinen  Besita  genommen 
und  diese  durch  ihre  Zerstörungswnth  in  das  Wasser  ge« 
triei)en  hätten  ^.  Bestimmter  vermnthete  Krug,  die  Schwei« 
ne  seien  schon  vor  der  Landung  Jesn  durch  den  Sturm, 
der  während  seiner  Ueberfahrt  wflthete,  in  den  See  ge- 
atfirat  worden,  und  als  Jesus  nachher  den  Dämonischen 
heilen  wollte,  habe  entweder  er  selbst,  oder  einer  aus  sei- 
nem Gefolge,  den  Menschen  beredet,  seine  Dämonen  seien 
bereits  in  jene  Schweine  gefahren,  und  haben  sie  in  den 
See  gestürat;   was  dann  a|s  durch  Jesum  bewirkt  aufge* 


36)  Paulus. 

37)  s.  UiaiuAiiir, 

38)  1'.  J.  Chr.,  S.  397 f. 


^- 


Neanlet  KapiteL    $.  fl«  4S 

nwmmtm    and   welter  getegt  worden   sei  *>      K.  Cb.  L. 
ScBViBT  Ufet,    alt  Jeeos  aa'e  Land  stieg ,    die  Hirten  ihm 
entgingen  gehen,  indeeeen  von  den  «ieh  «elbet  fiherlaMenen 
Sehwelnes  mehrere  In  das  Waaaer  tiOrsen ,   and   da  nan 
OB  eben  diese  Zeit  Jesus  dem  UXmoa  anseafahren  geboten 
habe,    so   liaben  die  Umstehenden  Beides  In  Caasalansism- 
■enhang   gesetst**).     Durch  diese  answei9henden   KrftlX- 
raagsTersiiche  wird  man  sich  nieht  befriedigt  finden,  soo« 
dem  aut  Wsisss  die  Alternative  stellen,  dals  der  henror« 
tteebeadste  Zng  der  ErKählang,  die  Ableitung  der  Krank- 
hnt  der  Besessenen  in  die  Schweineheerde,   entweder  fa- 
ctiseh  wahr,  oder  erdichtet  sein  nittsse.   In  welchem  Sinne 
flie  mU  thatsichlich  wahr  an  sonst  bekknnte  Erfahrungen 
lieh  etwa   aniinflpfen   liefse,   ist  beiylts  oben  angegeben; 
da  jedoch  die  dort  beigebrachten  Analogien  weder  durch- 
aus aieher  noch  erschöpfend  sind:   so   Ist  hier  schlierslieh 
noch  sa  fragen,  ob  In  der  Zelt  der  mothmalslichen  Bildung 
der  eTangeliaehen  Ersiblungen  sich  nicht  Vorstellungen  fin« 
den,  ans   welchen   tleh  die  Erdichtung  des  Zugs  mit  den 
Schweinen  In  der  vorliegenden  Geschichte  erlilären  liefse? 
Eine  biehergehörige  Zeitmeihung  hatten  wir  schon : 
nlmlich  die,    dafs  Dämonen  nicht  ohne  Leib  sein  wollen, 
■nd^   dats  sie  gerne  an  unreinen  Orten  seien,    wefswegen 
ihiiea   die  Leiber   von  Schweinen  am  besten  taugen  muf«« 
tea;  indefs  erklfirt  sich  hieraus  der  Zug  noch  nicht,  dafe 
ide  die   Schweine  in   das  Wasser  gettiIrKt   haben   sollen. 
Dpeh  anch  hiefflr   fehlt  es  nicht,  an  erkltfrenden  Notisen. 
Joaephos  berichtet  von  einem  Jüdischen  Beschwörer,    der 


39)  In  der  Abbandlung!  über  genetische  oder  formelle  Erkia'rangs- 
art  der  Wunder,  in  Hikkk^s  Museum,  1,  3|  S.  410 (F.  Zu 
loben  ist  hier  auch  das  Bevvusstsein  davon,  dass  die  Darstel- 
lung bei  Matthäus  die  einfachere  ,  die  der  beiden  andern 
Erangelisten  die  gusgeschmücktere  ist. 

40)  Exeg.  Beiträge,  2,  S,  109  ff. 


/ 


I 


M  Zi^eiter  Abschnitf^ 

durch  Salomonische  f^ormeln  ond  Mittel  die  Ditttonen  tkUB- 
trieb,  dafs  er,  om  die  Anwesenden  von  der  Realität  sei- 
ner Aostreibong  sa  überfahren,  In  die  Nfihe  des  Besesse- 
nen ein  Wassergeftfs  gestellt  hnbe,  welches  der  ausfah- 
rende Dämon  umwerfen  ^  und  dadurch  den  Zuschauern 
augenscheinlich  Keigen  mufste,  dafs  er  aus  dem  Menschen 
heraus  sei  ^0«  ^uf  ähnliche  Weise  wird  von  Apöllonius 
von  Tyana  ersählt,  dafs  er  einem  Dämon,  der  einen  Jüng- 
ling besessen  hatte,  befohlen  habe,  sich  mit  einem  sichtbar 
ren  Zeichen  zu  entfernen,  worauf  derselbe  sich  erbot,  ein 
in  der  Nähe  befindliches  Srnndbild  umsuwerfen,  welches 
dann  Eum  grofsen  Erstaunen  aller  Anwesenden  wirklich 
In  dem  Augenblicke  umfiel ,  als  der  Dämon  den  Jüngling 
verliefs  ^^).  Galt  bienach  das  in  Bewegung  Setsen  eines 
nahen  Gegenstandes  ohne  körperliche  Berfibrong  als  die 
sicherste  Probe  der  Realität  einer  Dämonenaustreibung: 
so  durfte  diese  Probe  auch  Jesu  nicht  fehlen ,  und  swar, 
wenn  jener  Gegenstand  bei  einem  Eleasar  nur  fuxQov  von 
dem  Beschwörer  und  dem  Kranken  entfernt,  mithid  der 
Gedanke  an  eine  Täuschung  nicht  ganz  ausgeschlossen 
war,  so  räumt  in  Bezug  auf  Jesum  Matthäus,  hierin 
ausmalender  als  die  beiden  andern,  durch  die  Bemerkung, 
dafs  die  Schweineheerde  (.tayj^dv  geweidet  ha^e,  auch  den 
letzten  Rest  einer  solchen  Möglichkeit  hinweg.  Dsfs  der 
Gegenstand,  an  welchem  Jesus  diese  Probe  ablegte,  eine 
Schweineheerde  ist,  diefs,  wie  es  einerseits  aus  der  jfldt* 
sehen  Vorstellung  von  unreinen  Geistern  und  Thieren 
hervorgegangen   war,   %6  knfinfre  es  sich  andererseits  an 


41)  Antiq.  8,  2,  5  t  ßeloutvoi  d'k  ntlaat  arae  nanag^nm  toTq  TretQOTuy^ 
^avaaiv  o  ^Elfata^t,  OTi  ravrrp^  f^^t  i'»;|fw',  trC^rt  ^hxqov  hunQoa^-fir 
^TOi  noTtj^ov  nJt^^g  vSarog  ^  naSoviTtr^y  xeti  rto  daiftwüo  n^grrar— 
Tfv,  r^VTi  TS  av&gtana  ravT  ttrar^hpai^  itai  fra^arf;fwv  iniyvöh'eit 
TOii  o^wftr^  OTi  xaTa?^Xotne  ror  ar&^timor.  ' 

k'2)  Fhilostr.  vir.  Apollon.  4,  20 ;  bei  Baus,  ä.  a.  O.  S.  39. 


^   IVevnees  KiipiteL    f.  01,  47 

^  • 

die  iilfklioke  GescbiehCe  iniofern  paBtend  an,  mh  Jetas 
In  d«r  T'httt  nicht  bloft  einfach  Beseasene,  wie  den  dar 
vorifBB  Geachiehte,  aondern  anoh  aolehcy  die,  wie  Maria 
Magdalena  (Luc.  8,  ^.)^  ^^^  nehreren  Ulmonen  aich  !>•- 
aetieB  wfihnten,  gehelit'hatte;  eine  Mehrheit,  die»  wenn 
sie  alier  Wahraeheinliohlceit  nach  auch  hier  snr  geichichtU- 
ehen  Grandlage  gehört,  darch  die  gegenübergeatelite  Vielheit 
einer  HeeMe  noch  geateigert  wnrde.  Die  Einwirlinng  der 
aai  den  Blenachen  Tcrtriebenen  Dämonen  aber,  wie  aie 
an  Mnem  Waaaergefiirs  oder  Standbilde  dorch  nichta  aogen- 
aeheialicher  aich  «eigen  k9nnte,  als  dadurch,  dafs  daaaelbe 
gegen  aein  natirliobea ,  dorch  daa  Geaets  der  Schwere  be- 
stiramtea  Verhalten  umfiel:  ao  konnte -aie  an  Thieren  dorch 
nichts  aieherer  sich  IwthKtigen ,  ala  wenn  dieae,  ihrem  na« 
tirliehen  Lebenstriebe  ao  wider,  aich  an  erafiufen  voran* 
lafst  wurden.  So  wenig  man  daher  Oraache  hat,  die  Hei- 
lung ^oe«  oder  aweier  Dämonischen  von  besondere  achwie- 
figer  KranlLheitaform  dorch  Jeaum  ala  anm  Gmnde  lie« 
genda  Tbataache  zn  beaweifeln :  ao  dringend  ist  man  ver» 
anlaftt,  in  manche  Nebeonmstände  der  Ercählung  einen 
Zweifel  an  aetaen ,  und  namentlich  den  Zug  mit  den 
Schweinen  ala  eine  sAgenhafte  Zothat  an  iietrachten. 

Die  dritte   und  letzte  anaffibrlich   eraählte  Dämonen« 
auatreibang  hat  das  Eigenthfimliche ,    dafa  auerst  die  Jün-^ 
ger  vergeblich  die  Heilung  verauchten ,   hierauf  aber  Je^ua 
diesellie   mit  Leichtigkeit  vollbringt.     Sämmtliche  Synopti- 
ker nämlich  (Mattb.  17,  14  ff.  Marc.  9,  14  ff.  Luc.  9,  37  ff.) 
berichten  einatimmig,    wie  Jesoa  mit  aelnen  drei  Vertrau- 
testen  vom  Verklärungsberge  herabgekommen  sei,  habe  er 
leine  übrigen  JOnger  in  der  Verlegenheit  gefunden,     duh 
ne  einen  beaeaaenen  Knaben,  welchen  sein  Vater  an  ihnen 
gebracht  hatte,  nicht  im  Stande  gewesen  seien,  zu  heilen. 
Anoh  in  dieser  Kraählung  findet  eine  Abstufung  statt 
fon  der  gröfaten  Einfachheit  bei  Matthäus  bia  zur  gr6f$ten 
AaaflDhrliohkeit    der    Sehllderang   bei   Markos;   was  denn 


/ 


4B  Zweiter  Abschnitt« 

anoh  hier,  wieder  lile  Folge  gehabt  bat,  dafa  tnaii  itrn 
Bericht  des  Hatthäiu  ala  den  der  Thatsache  am  fernsten 
stehenden  den  Relationen  der  beiden  andern  oaehsetsen 
Bu  müssen  glaubte  ^^>  Im  .Eingange  Ufst  Matthfins  Jesum, 
vom^erge  herabgestiegen,  kq  dem  oyj^og  stofiien,  hierauf 
den  Vater  des  Knaben  bq  ihm  treten  und  ihn  fufsfftlllg 
um  Heilung  desselben  bitten;  nach  Lukas  kommt  ihm  der 
^iy.iiog  entgegen;  nach  Marluis  endlich  sieht  JAus  um  die 
Jtf  nger  viel  Volks,  und  Sohriftgelehrte,  die.  mit  ihnen  strei- 
ten, das  Volk,  wie  es  seiner  ansichtig' wird,  läuft  hiriBu 
und  begriffst  ihn,  er  aber  fragt,  was  sie  streiten?  worauf 
der  Vater  d^s  Knaben  das  Wort  nimmt.  Hier  haben  wir* 
in  Bezog  auf  das  Benehmen  des  Volks  wieder  einen  Kli- 
max: ans  dem  BufüUigen  Zusammentreffen  mit  demselben 
bei  Matthäus  war  schon  bei  Lukas  ein  Entgegenkommen 
des  Volks  geworden,  und  dieses  steigert  nun  Markus  bu 
einem  Herbeilaufen,  um  Jesnm  an  begrOfsen,  wobu  er 
noch  das  sonderbare  i^eü'a^tßi^jj  fflgt.  Was  in  aller  Welt 
hatte  das  Volk,  wenn  Jesus  .mit  einigen  Jfingem  daher- 
kam, so  sehr  bu  erstaunen?  Oiefs*  bleibt  durch  alle  andern 
ErklärungsgrOnde,  die  man  aufgesucht  hat,  so  unerklärt, 
dafs  ich  den  Gedanken  des  Enthymius  nicht  so  absurd 
finden  kann,  wie  Fritzsche  ihn  dafür  ausgibt,  es  sei  an 
dem  eben  vom  Verklärungsberg  hefabgestiegeneo  Jesus 
tioch  etwas  von  dem  himmlischen  Glänze,  der  ihn  dort 
umleuchtet  hatte,  sichtbar  gewesen,  wie  bei  Moses,  ala 
er  vom  Sinai  herunterkam  (2  Mos.  34,  29  f.)  ^^)-  Dafs 
unter  diesem  Volksgedränge  zufällig  auch  Schriftgelehrte 
aich  befunden  haben,  welche  den  Jflngern  wegen  der  mifa- 
Inngenen  Heilung  zusetzten  und  sie  in  einen  Streit  veiv 
wickelten,  ist  Bwar  an  und  fOr  sich  gar  wohl  denkbar, 
aber  im   Zusammenhang   mit  jenen    üebertreibungen   hin- 


43)  ScRULZf  S.  3l9;  NiANDBRy  S.  301;  Wiissi,  I,  S.  SfiOlL 

44)  V^L.  Ol  Wbttb,  exeg.  Handb.,  1,  3,  S.  162. 


Heontes  Kapitel.    §.  91«  4f 


iiehttteh  des  ,Verluilteiu  der  Menge  mliCi  aaeh  dieMr  Zog 

Teidiehlig   werden,   snmal  die  beideo  andern  Bericbter* 

flUtter  ihn  niobt  liaben;  se  daCi,  wenn  lich  Migen  lIfeC| 

anf  welche  Weite  der  Referent  dean  liomineD  lionnte,  ihn 

ana  eigener  Combination  hioBaaafifgen,  wir  ihn  mit  hik)h* 

fCer    Wahrscheinlichkeit  fallen    lassen  dOrfen.     In  Besag 

auf  die   Ffihigkeit  Jesu,    Wunder  an  thnn,  MeA  es  bei 

Markna  frfiber  einmal  (8^  IK)  bei  Gelegenheit  der  Forde* 

rang  eines    himmlischen    Sieicbeos   von   den   PharlaXern: 

i^^ccno  üv^t/i€tv  avtfff  ond  so  liels  er  denn  hier^    wo  die 

Jttnger  sich  anfibig  som  Wnnderthnu  seigteni  die  gro* 

fsentbeils  snr  pbarisidschen  Secte  .gehörigen  yQafificttäg  als 

ov^fjl^&nas  Tcig  ftai^r^Tcug  auftreten  *^)*   -^    Aneh  i^   der 

folgenden   Schilderang    der  ümstfinde   des  Knaben  findet 

dieselbe  Abstufung  in  Beaug  auf  die  Ausfährlicbkeit  statt ; 

nur  daia  Halthfins  das  aeXr^via^ai  eigen  bat,  welches  man 

ilun  nie  hätte  snm  Vorwurf  machen  sollen  ^)f  da  die  Her« 

leitmig  periodischer  Krankheiten  vom  Monde  im  Zeitalter 

Jeeo  niehta  Ungewöhnliches  war  *'>    Dem  Markus  ist  die 

Bcoeieiuinng  des  den  Knaben  besitaenden  nvBviax  als  aka- 

Xaf  CV*  170  "od  xoHfov  (V.  25.)  eigenthiimllob;  es  konnte 

Bimiieh  das  Ausstofsen  nnarticulirter  Laute  während  des 

epileptiseben  Anfalles  als  Stommheit,   nnd  das  fOr  jede 

Anrede  naaugäogliche  Verhalten  des  Kranken  als  Taubheit 

dee  Dämona  angesehen  werden* 

Wie  der  Vater  Jesom  von  dem  Gegenstande  des  Streik 
tea  nnd  der  Unfähigkeit  seiner  Jflnger,  den  Knaben  au  hei- 
len, nnterrichtet  hat,  bricht  Jesus  In  die  Worte  ans  x  yeped 
äju^og  xtd  diegQai4fdivt}  x.  r.  X.  Vergleicht  nmn  liei  Mat« 
cliäna  den  Schlufs  der  Ersählungy   wo  Jesus  den  Jfingem 


45)  Vgl.  Hl  Wim,  t.  a.  O. 

46)  lYie  ScavLX  »j  a.  O.  su  thun  icheint« 

47)  s.  die  von  Paulus,  exeg.  Handb.,  1,  h,  S.  56dy  Und  ton  Wi- 
KBA,  1,  8.  191  f.  angeführten  Stellen. 

MkuLthmJem  ^e  Aufl.  ILBandi  ^ 


50  Zweiter  Abtchniei. 

attf  die  Frage  9   wamin  sie  ^  den  Kranken  nicht  haben  hel- 
len   kdnnen,    aar   Antwort  gibt;   dia  tt^v  anigiixv  vfiiiVf 
und  hieran  die  Schilderung  der  bergeversetaenden  Macht 
achliefst,  welche  ein  auch  nur  senfkorngrorser  Glaube  ha- 
be (V.  19  ff.) :  80  kann  man  nicht   sweifelhaft   sein ,   darf 
nicht  auch  jene  unwillige  Anrede  sich   auf  die  Jünger  b^ 
aiehe,  in  deren  Unfähigkeit,  den  OXmon  ausautreiben,  Je- 
sus einen  Beweis  Ihres  noch  immer  mangelhaften    Glau- 
bens  fand  ^>    Diese  schliersliche   Erklärung   des  Unver- 
mögens der  Jfinger  aus  ihrer  anigla  Ififst  Lukas  weg,  und 
Markus  thut  ihm  nicht  nur  dieses  nach,  sondern  flieht  auch 
V»  21 — 24.   eine  ihm  eigenthu  milche  Zwischenscene   swi- 
sehen  Jesus  und  dem  Vater  ein,   in  welcher  er  anerst  Ei- 
niges über  die  KraiikheitsumstXnde,   theils   aus  Matthäus, 
thells  aus  eigenen  Mitteln,  nachholt,  hierauf  aber  den  Va- 
ter Bur  Tiigig  aufgefordert  werden ,   und  sofort  mit  Thrä- 
nen  die  Schwäche  seines  Glaubens  und  den  Wunsch  einer 
Stärkung  desselben  ausspreeh6n  lädt»    Diefs  ausammenge* 
nommen  mit  der  Notia  von  den  streitenden  Schriftgelehiv 
ten,  wird  man  nicht  irre  gehen,  wenn  knan  bei  Markus  und 
wohl  auch  bei  Lukas  die  Anrede  t  cJ  ytvedi  ikagoi:^  auf  daa 
Publicum  im  Unterschiede  von  den  Jüngern,  nach  Markus 
namentlich  auch  auf  den  Vat^r  des  Knaben,  beaieht,  des« 
aen  Unglaube  hier  als  der  Heilung  hinderlich,  wie  ander«» 
wärts  (Matth.  9,  20  der  Glaube  der  Angehörigen  als  def-» 
aelben  förderlich,  dargestellt  wird*    Da  aber  beide  Evange- 
listen diesen  Sinn  dadurch  hervorbringen,  dafs  sie  die  Er« 
klärnng  der  Unwirksamkeit   der  Jünger  ans  ihrer  Migia 
sammt  dem  Ai^sspruch  über  die   bergeversetaende   Macht 
des  Glaubens  hier  weglassen:   so  fragt  sich,   ob  die  «n« 
dorn  Verbindungen,  in  welche  sie  diese  Reden  stellen,  paa- 

sender  als  die  bei  Matthäus  sind  ?    Bei  Lukas  nun  steht 

• 

der  Ausspruch :  wönn  ihr  Glauben  habt  wie  ein  Senfkora 


4S)  80  Kritisch«  und  ds  Wirra  f.  d.  St. 


MeanCes  Kapitel.    $»  91.  51 


t    • 


a.  s«  f.  (denn  des  did  rfjv  amdcnf  vf.icjv  haben  beide  gar 
meht),  nnr  mit  der  geringen  Variation,  dafs  statt  dea  Ber- 
gea  ein  Banm  genannt  iM,   17,  5*  6.   anfaer  aller   Verbin- 
dmg  vreder  mit  dem  Vorliergehenden   noch  Folgenden  al« 
ein  rersprengtet  Redestfick;  kleinster  Grdfse,  mit  der  ohne 
Zireifel  nach  Art  von  Lnc.  11,  1.  und  13,  23.  gemachren 
£iiüeitBng,   dals  die  «Ifinger  Jesnm  bitten:   nQog&sg  i^uTv 
ai^iw.     Marlons   gibt  die   Sentenn  vom    bergeversetsejiden 
Glanben  als  Nntsanwendnng  sn   der  Geichichte  vom  ver« 
flochten  Feigenbaiune ,   wo  sie  auch  MatthSos  wieder  iiet« 
Aber  dasa  pafst,  wie  wir   imld  aehen  werden,   der  Aus- 
sprach gar  nicht;    sondern,   wenn  wir   nicht  gans  darauf 
versiehten  wollen,   etwa«  von  dem  Aniafs  an  wissen,   bei 
welcliem   er   gethan  worden   ist,   so  müssen  wir  die  V|)r- 
bindoog  bei  Matthffus  als    die   ursprüngliche  annehmen; 
denn    so   einer  den   Jüngern  mifslnngenen   Kur   palst  er 
vorti<efflicb«     Ueberdiefs  lüfst  sich  der   Natur  der  Sache 
nach  swar  wohl  denken,  wie  Jesus  der  Glaubensschwüche 
der  Jünger  die  Schuld  des  Mifslingens  der  Kur  beimessen 
mochte,  nicht  aber,  wie  er  an  den  Glanben  des  Varters  die 
MögRehkeit  der  Heilung  des  Sohnes  knüpfen  konnte;  viel- 
mehr sieht  letBtere  Wendung  des  Markus  einem  Mifsvei^ 
atindnifs  des  ursprünglichen  Berichtes  ähnlich  ^^.  —  Au- 
ÜBT   dem  Zwischenspiele   mit   dem    Vater  hat  Marktfs  die 
Scene  auch  dadurch  noch  effectvoUer  cu  machen  gesucht, 
da(ä  er   während  jener  Zwischenhandlung  einen  Volkssn- 
lanf  entstehen,   nach  Austreibung   des   Dämons  aber  den 
Knjilien  tigel  vexQot^j  so  dafs  Viele  sagten,  ori  aned'ityevj  hln- 
ainken,  und  von  Jesu,  wie  er  sonst  bei  Todten  that  (Matth. 
9,  2S.)9  durch  ein  xQaTtiv  rijg  x^^Q^  aufgerichtet  und  ins 
Lehen  surückgerufen   werden  läfst;   Letsteres  Züge,  die 


49)  Diett  erkennt  auch  M^is»  «n  ( S.  552. )  y  kommt  aker  da- 
durch mit'  seiner  BehsupUmg  der  UrsprUnglichkeit  des  Be- 
richts von  Markus  in  ColHsion. 

4* 


4 


.Vi  Zweit'er  Ahichnitt 

ans  richtiger  Naohrichl   oder  Beobachtung  gefioasen    «ein 
kannten. 

Während  nach  vollendeter  Kor  Lokaa  darcb  eine  kor- 
se  Hinweisnng  auf  das  Erstaunen  des  Volkes  schlierst,  laa- 
aen  die  ersten  Synoptiker  beide  die  Jflnger,  als  sie   mit 
Jesu  allein   sind^    die  Frage  an  ihn   richten ,   warnm  sie 
nicht  im  Stande  gewesen  seien,  den  Dlmon  aosEUtreiben? 
was  er  nnn  bei  Matthäus  snnächst  auf  die  erwähnte  Weise 
ans   ihrem   Unglauben,   bei  Markns  aber  daraus   erkläre, 
dals  tSto  t6  yivog  iv  sdsvl  dmatai  i^eld-dv,  et  ftrj  *v  Tipo;;-^ 
eiiXfj  xai  vrjgeltfy  was  auch  Matthäus  nach  den  Reden  über 
Unglauben  und  61anl>en8macht  noch  hinsnffigt,  ohne  Zwei- 
fel in  dem  Sinne,  dafs  durch  Beten  und  Fasten  der  Glaube 
Bii   solcher  Wirksamkeit  gestärkt  werden  mOsse^^).     Uafs 
eine  solche  geistige  und  leibliche  Diät  des  fixorcisten  aof 
den  Besessenen  von  Wirkung  sein  sollte,,  hat  man  mit  Un» 
recht  befremdlich  gefunden,  und  indem  man  eine  solche  mit 
Porphyrius  ^')  eher  dem  Kranken  angemessen  dachte ,  bat 
man  die  nqoQBvxrj  xal  vr^^da  als  eine  dem  Besessenen,  om 
die  Rur  radical  su   machen,    gegebene  Vorschrift  angese* 
hen  '^;     Allein  in  offenbarem  Widerspruch  gegen  die  £r* 
Bählnng«    Denn   wenn  Fasten   und   Beten   von  Seiten  des 
Kranken    eum    Gelingen    der   Kur  erforderlich    gewesen 
wäre:   so  hätten   wir  eine   allmählige  HeiJung  und  keine 
plötsliche,  was  doch  alle  Kuren  sind,   die  in  den  Evange* 
iien  von  Jesu  eraählt  werden,   und  wie  namentlich  diese 
durch  das  xal  id-eQcmevd'r^  6  naig  and  zijg  oiQag  ixem^s  bei 
Matthäus,   so  wie   durch   das  ewischen   imxl(.ir^(Je  x.  7.  h, 
und  cmkdbiiite  x.  t.  h  hineingestellte  idaaro  bei  Lukas  deut- 
lich beseichnet  ist    Freilich  will  Paulus  jenen  Ausdruck 
des  Matthäus  gerade  ku   seinem  Vortheil  wenden,  indem 


50)  Fritxschb  u.  Dl  WsTTs  z,  d.  St.  5^  Nianosr^  L.  J.  Chr.,  S.  304  f- 

51)  de  «bstinentv  2,  p.  204.  u.  417  f.    8.  Wikbr,  1,  S.  191. 

52)  PiULU»,  exeg.  Handb.,  2,  6.  471  ^. 


Neonles  Kapitel    $.  91.  5S 

er' Ihn  ao  Terttelit,   von  jener  Zeit  an  sei  nun  der  Knalie 
darch   Anwendung  der^   vorgesebriebenen    Diät   alim&lüig 
YoUenda  geannd  geworden«    Altein  man  darf  nnr  dieaeUbe 
Forsal,   wo  aie  aonst  in  den  Evangelien  ala  Soblnlafonnel 
TOB  Beilnogtgetchiehten^rorlioniait,   betrachten,   nm  aioh 
Tofl   der   Unmöglichkeit   Jener    Deotnng   an    MierBeagen. 
Wean  s.  B.  die  Gecchiebte  von  der  Beilong  der  Bintflfia» 
ligen   mit  der  Bemerkong  achlterat  CMatth.  9,320:   xoi 
effct»^  17  ytv^  ono  t^g  oßQag  ixelvrjSj  ao  wird  man  diefa  doelr 
nieht  flberaetsen  wollen  x   e<  exhuAe  midier  paidaÜM  ser^ 
vabaJtMry  aondem  ea  kann  nnr  heifaen:   servata  est   (et 
$erraiam  se   praebuit)  ab  illo  temjnnii  numento.    Ein 
Aoderea,   worauf  aicb  Padlub   bemft,   um  an  beweiaen, 
daiä  Jeana  hier  ein  fortanaetcendea  Heilverfahren  eingelel" 
tet  halle,  iat  daa  ankditmev  ttmov  rtp  ncetqi  amö  bei  Lnkaai 
vraa  nach  Ihm   aiemlich  llberflessig  wire,  wenni  ea  nieht 
rin  Oeliergeben  an   besonderer  FOrsorge  beaeichnen  aollte* 
Allein  oTiodidiafU  beibt  nieht  cnnächst  übergeben,  aondem 
aarftekgeben,   nnd  so  liegt  in  dem  Satae  nur  der  Sinn: 
puerum,   quem  sanandtan  acoeperat,  mnatum  reddidU, 
od«r,  daTs  er  den  einei^   firemden  Gewalt,   dea  Dfimona, 
verfallenen  Sohn  den  Eltern  als   den  ihrigen  «nrfiekgege- 
beo  habe.    Endlich,  wie  willkttrUeh  ist  es,  wenn  PAVLua 
daa  ixTtonei^ai  (Mattb.  V.  21.)  in  der  engeren  Bedeutung 
aiaea  vdfilgen  Weggehens  vom  vorläufigen  Ausfahren,  waa 
tehoB  avf  daa  Wort  Jesu  CV.  IS.)  geschehen  sei,    unter- 
seheidet.    So  dafs  uns  auch  hier  keine  Kur  berichtet  ist, 
welche  Tage  und  Wochen  gedauert  hätte,   sondern,    wie 
sont   immer,   eine  in  Einem  Wnnderact  vollendete;   wefa- 
f^en  denn  auch  die  nQOgevxf]  ond  vj^eia  nicht  als  Vor- 
sehrifit  für  den  Patienten  gefafst  werden  können. 

Von  den  übrigefi,  kürzer  eraHblten  Uämonenaostrei- 
bangen  Ist*  die  Heilung  eines  dfimonisch  Stmnmen  und  el« 
■ea  eiienso  BUndstnmmen  oben  bei  Gelegenheit  des  daran 
ikb  knfljifenden  Vorwurfs  eines  höllischen  Bttndnifises,  so 


54  Zweiter  Abschnitt. 

■ 

^ie  die  der  susamiiieogebfickteD  Frao  In  der  allgemeinen 
Betrachtung  über  die  Dämonischen 'bereits  hinreichend  cur 
Sprache  *gelLommen;  die  dei^  besassenen  Tochter  des  liana- 
iiäischen  Weibes  aber  (Matth.  J5,  22  ff.  Marc.  7,  25  flf.) 
hat  nor  das  Eigenthttmliohe ,  dafs  sie  von  Jesu  durcb  ein 
Wort  ans  der  > Entfernung  bewirkt  wird,  wovon  spiiter. 

Wenn  nun  den  evangelischen  Berichten  zufolge  in 
allen  diesen  Fällen  die  Austreibung  dies  Dämons  Jesu  ge- 
lungen ist:  so  bemerkt  Paolus,  dafs  diese  Art  von  Heilan- 
gen, nnerachtet  sie  für  das  Ansehen  Jesu  bei  der  Menge 
das  Meiste  gewirkt  habe,  doeb  an  sich  /iie  leichteste  ge- 
wesea  sei,  und  auch  db  Wetts  *will  ffir  die  Heilung  der 
Dämonischen,  aber  auch  nor  ffir  sie,  eine  psychologische 
Erklärung  gelten  lassen  ^^ ;  Bemerkungen ,  welchen  wir 
nicht  werden  umhin  können  beiButreten.  Denn  sehen  ,wif 
als  die  u^irküche  Grundlage  des  Znstandes  der  Dämoni- 
schen eine  Art  von  VerrQcknng  mit  krampfhafter  Stim- 
mung des  Nervensystems  an:  so  wissen  wir,  dafs  auf  psy- 
chische und  Nervenkrankheiten  am  ehesten  «uoh  psychisch 
einBuwirken  ist;  eine  Einwirkung,  eu  weloher  bei  dem 
fiberwiegenden  Ansehen  Jesu  ala  Propheten  und  später 
selbst  als  des  Messias  alle  Bedingungen  vorhanden  waren. 
Freilich  findet  unter  solchen  Zuständen.  Cfine  bedeutende 
Abstufiang  statt,  je  nachdem  sich  die  psychische  Verrü- 
ckung mehr  oder  weniger  auch  schon  körperlich  fizirt  bat, 
und  die  Verstimmung  des  Nervensystems  mehr  oder  minder 
baUtuell  geworden  und  in  die  fibrigen  Systeme  äbel*ge* 
gangen  ist.  Je  mehr  das  Cebel  blols  in  einer  Verstim- 
mung des  (jemfithes  lag,  auf  welches  Jesus  unmittelbar 
durch  sein  Wort  geistig  wirken  konnte,  oder  in  einer 
leichteren  des  Nervensystems,  auf  welches  er  durch  Ver- 
mittlung des  Gemfiths  gewaltigen  Eindruck  bu  machen  im 


55)  Paulus,  e^e^.  Handb.  1,  b,  S.  438.     L.  J.  i;,  «,    S.  023$   ds 
Wbtti,  bibl.  Pogm.  ^.  222,  Anm.  c. 


Meontet  KapiteL    $.  91.  SS 

Simds  war,  wie  die  ente  der  von  uim  ertivogenen  6a- 
•chiehftao  aich  aaffaMen  lAtbt:  desto  eher  war  es  mdgliob^ 
daTs  Jeaaa  lirf^f  (Matth.  8,  lA.)  und  TiaQcexQ^iaa  (Loe.  13^ 
U>  daff^tehen  Zoat Anden  ein  Ende  auielien  iionnte;  Je 
mAr  aber  naigelLehrty  wie  in  den  beiden  folgenden  ^  das 
DeM  aieh  aneli  aehon  als  lidrperliche  Kranliheit  featgO" 
«eCit  hatte :  desto  sehwerer*  ist  ansnnehmeni  dals  Jeans  Im 
Stands  gewesen  sei,  anf  rein  psychologisohe  Weise  aogen- 
Uieiifieh  H&lfe  an  sehaffen.  ^  Mit  Reeht  eriiennt  diefs  aneli 
WiiasK  an  *^  y  nnd  Illst  daher  eine  liörperlich  wirliende, 
■affirtisch  artige  Kraft  Jesu  liinantreton  {  deren  Wiriisaai* 

•iwigena  dadnroh  eraehwert  wird^  dsJa  in  iieiaer  an» 
drei  ansfülirlielien  erangelischen  Erslblnngen  ron 
AisMoenaastrolbnpgen  von  dner  der  Heilnng  roraosgelieD« 
dsn  Bsrfllimng  die  Rede  ist.  Am  wenigsten  iJÜTst  sicli 
danken,  dafa  aneh  oline  das  laiposante  seiner  Gegenwart 
der  Wanderthiter  ans  der  Feme  tiabe  wirlien  liönnen, 
wie  diefa  Jesns  anf  die  Toehter  des  iLananAischen  Weibea 
gsthaa  iialien  soll.  Dagegen  llfiit  sieh  der  Fieberanfall  der 
Sehwiegemifitter  Petri,  welehen  Jesns  nach  Matth.  Sf 
14  ff.  parall*  dadorah  gehoben  hat,  dafii  er  die  Kranke  bei 
der  Haad  nabm  und  Cn<^oh  Lukas)  das  Fieber  bedrohte, 
na  dea  favibergehenden  Verstimmnngen  Bihlenj  auf  welo^ 
Jeaoa  jwfrehologiseh-Biagiietiseh  eingewirkt  haben  kann«     , 

Sa  aehr  aich  also  der  Nator  der  Sache  nach  anneh- 
■ea  Urst,  dab  es  Jesn  bisweilen  gelangen  sei,  Personen, 
welahe  an  remeintUeh  dCmonlseher  Venrllokung  oder  Nor- 
vaoatgraag  litten,  anf  psychische  Weise,  durch  die  Co- 
benaaeht  seines  Ansehens  nnd  Wortes,  nnd  dnrch  eine 
der  magnetischen  Ähnliche  Kraft,  sn  heilen:  bo  aufsCr- 
ordentlich  ist  es,  dafs  ihm,  so  viel  wir  aus  den  Kvange- 
lieo  wissen ,  nie  eine  derartige  Kur  mifslungen  ist ;  wefs- 
wegen  schon   rermntbet  worden  ist.   Kranke  dieser  Art 


54)  a.  a.  O.    S.  354  f. 


50  Zweiter  Abschnitt. 

finton  tblh  nicht  gelten  geheilt  geglaubt,  wenn  nur  durch 
Jesu  Binwirknng  die  Krisis  gebrochen  war,  und  die  Re« 
ferenten  haben  sie  dafflr  aasgegeben ,  weil  sie  nichts  Wei- 
teres voft  ihnen  erfuhren ,  und  also  von  der  wahrschein- 
lich wiedergekehrten  Krankheit  nichts  wufsten  ^).  Da 
Oberdi^fs  nanientllch  in  der  eweiten  Austreibungsgeschichte 
auf  die  nicht  undenkbare  wesentliche  Gromlli^  iMgBjtgt 
getragen  sind,  welche  über  die  auch  noch  ei^celir  erweiterten 
Grincen  der  Mdglichkrit  aUcnentschieden  hinausgehen:  so 
müssen  wir  wohl  annehmen ,  dab  die  Sage  auch  auf  die- 
sem Felde  nicht  ganz  gefeiert,  sondern  theils  den  histori- 
schen nnhistorische  Züge  steigernd  hinsngefilgt|  tbellsviei- 
teicht  auch,  was  ursprünglich  verschiedenen  Geschichten 
angehört  hatte,  sn  den  drei  grofsen  Bildern  i|erartiger 
Heilungen,  die  uns  übrig  sind,  ausammengetragen  habe. 

Werfen  wir  schlie(slieh  noch  einen  Blick  auf  das  Jo* 
hanneischc  Evangelium,  welches  von  Dümontsehen  und  de» 
reu  Heilung  durch  Jesum  nichts  hat,  so  ist  diefs  dem  Apo- 
stel Johannes,  dem  voraussetslichen  Verfasser,  nicht  selten 
als  ein  Zeichen  geläuterter  Ansichten  anm  Vortheil  aoge* 
rechnet  worden  ^^.  Allein,  wenn  der  genannte  Apostel 
an  wirkliche  Teufelsbesitcungen  nicht  glaubte,  so  hatte  er 
als  Verfasser  des  vierten  Evangeliums,  der  g-ewtfhnlichen 
Ansicht  von  seinem  Verhältnisse  au  den  Synoptikern  snfol^ 
ge,  die  bestimmteste  Veranlassung,  sie  cu  berichtigen,  und 
der  Verbreitung  einer  nach  seiner  Ansieht  falschen  MeU 
nung  durch  eine  Darstellung  dieser  Heilungen  vom  ricfati« 
gen  Gesichtspunkt  aus  vor«ubeugen.  Doch  wie  konnte  der 


55)  NstUrUche  Geschichte  u.  s.  f.  9,  S.  499;  Kiisia,  bihl.  The- 
plogie^  1,  S,  196, 

56)  So  mehr  qder  minder  von  Eichhorn,  in  der  allg.  Bibliothek, 
4|  S.  435  i  HiRDSB,  von  Gottes  Sohn  ti.  s.  f. ,  S.  20 ;  Wbg- 
scHBiDSR,  Einl.  in  dss  Evsng,  Job.  S.  513;  PS  WsiTi,   biJ)l. 

Pogm.  i.  269, 


Keuntes   Kapitel     $•  01*  57 

A|io»tel  «lobutinea  cur  Verwerfung  der  Ansieht,  dafs  jene 
Krankheiten  ihren  Grund  in  dämonischen  BesitBongen  ha- 
ben y  kdmoien  ?  Sie  war  nach  Josephns  jfidisehe  Volksan* 
siebt  £d  jener  Zeit,  von  der  ein  palfiatinisoher  Jude,  der^ 
wie  J«lianiiea,  erst  In  -sfäteaew  Jahiiw  iü  läm  .  ftimiand 


■neben.;    sie  war,  der  Natur  der  Sache  und  den  synopti- 
schen Berichten  enfolge,  Ansicht  Jesu  selbst,  seines  ange- 
beteten Meisters y  von  welcher  der  Lieblingsjünger  gewifa 
keinen    Finger   breit  abeuweichen   geneigt  war.      Theilte 
aber  Johannes  mit  seinen  Volksgenossen  und  Jesu  selbst  die 
Annahme  wirklicher  Dimonenbesiläaungen,  und  bildete  die 
üeiiang  solcher  Personen,   wie  wir  gesehen  haben,  einen 
Hanpttheil   der  angeblichen   WunderthStigkeit  Jesu:    wie 
kommt  es ,  da(a  et*  \iessenungeachtet  in  seinem  £vangeiiam 
ihrer  lieine  Erwähnung  thut?    Dafs  er  sie  abergangen  ha- 
be, weil  die  Qbrigen  Evangelisten  genug  dergleichen  Ge- 
schichten anfgenommen  hatten  ^'j,  sollte  man  doch  endlioh 
aufhören   sn  sagen,   da   er  ja  mehr  als  Eine  von  ihnen 
schon  berichtete   Wnndergeschioht^  wiederholt  hat;,  nnd 
meint  man,   diese  habe  er  wiederholt,   weil  sie  der  Be- 
riebtigong  bedurften :    so   haben  wir  bei  Erwägung  der 
aynoptisehen  Relationen  von  den  Heilungen  der  Dämoni« 
sehen  gesehen,  dale  bei  densellien,  schon  der  Abweichung 
der   \verscbiedenen     Berichte    wegen,     eine    Zurfickfüh- 
mng   anf  die  einfache   geschichtliche  Grundlage  gar  sehif 
am  Orte  gewesen  wäre.     So  bliebeNjiech,  dafs  Johannes 
ans   Anbeqnemnng   an   die  griechische   Cultur  der  Klein- 
asiaten, unter  welchen  er  geschrieben  haben  soll,  die  ih- 
nen  nnglanbliehen    oder    anstö&igen    Dämonengeschichten 
ans  seinem  Evangelium  weggelassen  hätte.    Aber  konnte 
nnd  durfte  wohl,  mnfs  man  auch  hier  Iragen,  ein  Apoistel 


57}  0|.saÄVssii,  h.  Consm.  \,  S   292* 


^  Zweiter  AbtQhttilw 

«US   blolier   Aeocmoiodation  «n  die  fe{nen   Ohren  seioer 
ZuhiSrer  eiiien  so  weseDtlichen  Zag  des  Wirkens  Jesu  su- 
rflckbehalten ?  Sehwerlich,  wenn  er  ihm  bekannt  war  ^: 
und  so  soheint   sieh  das    bedenkliche    Dilemma    nu   stsl- 
len^    dafs  entweder  die  synoptischen    Berichte   von  Oft* 
monenanstreibongen   nicht  geschichtlich  ^    oder  da(s  vom 
vierten  Evangeliam,    das  von  diesen   Geschichten   nichts 
weitkj    der  Apostel  Johannes   ji^r   Verfasser    nicht    teia 
könne.    Das   Erstere  nnb  anannehmen ,   können  wir  ans 
nach  dem  Bisherigen  nicht  entschlielsen ,  da  uns  die  Er* 
sAhlnngen   der  Synoptiker   von    den    Heilangen    Dfimoni- 
scher  dnrch  Jesam  ihrem   wesentlichen  Inhalte    nach  ab 
le  Kennseichen    der  Wahrheit    zu    tragen    schienen:    es 
bliei»e  mithin  dieser  Punkt  eine   Instans  gegen  das  vierte 
Evangelium.    Nkanobr  sucht  aus  der  Ansicht  seines  Ver- 
fassers vom  Teufel  wahrscheinlich  su  machen,   dafs  der, 
welcher  sagte,   Christus  sei  gekomnien,   die   Werke  des 
Teufels  su   serstören   (1  Job«  3,  8.>,    gewifs  auch  jene 
Krankheiten  dacu  gerechnet   haben    werde:  ^  — •    gewils» 
wenn  er  nftmlioh  wafste,  dafs  dergleichen  tou  Jesu  ge- 
heilt worden.    Was  nun  Neandsr  sum  Beweise  beibringt, 
dals  er  darum  gewufst,   und  doch   nichts  davon  erafthlt 
haben  könne,   das  läuft  im   Wesentlichen  acsf  das  Obige 
hinaus,   dafs  er  n&mlich  die  Auswahl  des  von  ihm  so  Er- 
sfthlenden  unter  Voraussetzung  dessen  eingerichtet  hsbe, 
was  schon  aus  der  synoptischen  Tradition  bekannt  gewe- 
sen; woBu  nur  noch  die  eigenthümliche  Bemerkung  geflDgt 
wird,   dafs  das  aufserjerusalemisohe  Gebiet  dieser  Heilun- 
gen mit  ein  Grund  sein  möge,  warum  sie  hei  dem  vor- 
sugsweise  an  die  Vorgänge  in  der  Hauptstadt  sich  halten- 
den Johannes  fehlen.   Indessen  setzt  Neandkr  selbst  hinsu, 
dafs  auf  den  GrSnden  dieser  Auslassung  immer  ein  ge- 


58)  s.  Wbuss,  a.  a.  0.  S.  552. 


Ifenntes  Kapieei    f«  M.  S9 

wisse«  Dunkel  liegen  bleibe;  onr  lasse  sich  daraas  niehts. 
ca  Ungunsten  des  vierten  Evangelianis  folgern  *0*  D^^ 
Drtheil  über  solche  Abwolchungen  und  Lüeken  wird  der. 
Natar  der  Saehe  nach  immer  bei  Versehiedefen  versehie» 
des  aosfallen:  fQr  mich  gehört  sein  Stillschweigen  von 
den  Dämonenaostreibongen  bu  den  bedenklichsten  Kigeu'^ 
thfimtiebkeiten  des  vierten  Evangeliums. 

Heilungen   ron  Paralytischen.     Ob  Jesu«  Hrankhelten  alt 

Siindenstrafcn  betrachtet  habe. 

Den  Boten  des  Tfiuferk  gegenttber  lassen  die  Synoptl« 
ter  Jesum  sich  namentlich  auch  darauf  berufen,  dafs 
durob  seine  Wandermacht  x^^^  neQiucnöaiv  (Matth.  11, 
5.)>  und  ein  andermal  wundert  sich  das  Volk,  wie  es  ne* 
ben  andern  Geheilten  auch  x^^^^  nsqinatBvrag  und  icvl^Bg 
i'/iiig  erblickt  (Matth.  15,  31.)*  An  der  Stelle  der  x^^^^ 
werden  anderwärts  TtaQalirrixol  aufgeffihrt  (Matth*  4,24.)« 
und  namentlich  sind  in  den  defaillirten  Heilungsgeschich- 
ten,  welche  wir  Ober  diese  Art  von  Kranken  haben,  (wie 
Matth.  9,  1  ff.  parall.  8,  ^5  ff.  parall.)  nicht  x^A^^  sondern 
naQaXciucl  genannt.  Der  Kranke  Jofa.  5,  5.  gehörte  wohl 
gu  den  /(oköiSj  von  welchen  V.  3.  die  Rede  gewesen  war; 
ebendaselbst  sind  ^r^Qol  aufj^efahrt,  und  so  finden  wir 
Matth*  13y  9.  ff.  parall.  die  Heilung  eines  Menschen,  der 
eine  x^^Q  l'/P^  hatte.  Da  Jedoch  die  drei  zuletzt  ange- 
fahrten Heilungen  von  Gliederkranken  unter  andern  Ru- 
briken uns  wiederkehren  werden:  so  bleibt  hier  nur  die 
Hellung  des  Paralytischen  Matth.  9,  1.  ff.  paralL  sn  be- 
leochten  übrig. 

Da  die  Definitionen ,  welche  die  alten  Aerete  von  der 
TtaQaXvoig  geben ,   swar  alle  auf  Lähmung ,   aber  iinent- 


59)  NsAADSft,  L.  J*  Chr,;  S.  307  ff. 


M  Zweiter  4^b8obDitt. 

sohleifen ,  ob  totale  ^der  partiale ,  gehen  0  >  i>nd  fibei^dier« 
von  den  Evangeiigten  Lein  strenges  Festbalten  an  der  nie* 
dicinischen  Kunstsprache  an  erwarten  ist,  so  mfissen  wir, 
was  sie  ante»  Paralytischen  verstehen,  aas  ihren  eigenen 
fcai  lii  ulimiigff  n  von  dergleichen  Kranken  entnehmen.  In 
onserer  Stelle  nnn  erfahren  wir  von  dem  riaQakiTixog  y 
dafs  er  anf  einer  xijvrj  getragen  werden  mafste,  nnd  daft, 
ihn  aam  Anstehen  and  Tragen  seines  Bettes  nn  beflBhigen, 
ffir  ein  nie  gesehenes  na^do^w  galt,  woraas  wir  also  auf 
eine  Lfthmang  wenigstens  der  Ffllse  scbliefsen  müssen« 
Wihrend  von  Schmersen  i^nd  einem  hitzigen  Charakter 
der  Krankheit  in  anserem  Falle  nicht  die  Rede  ist,  wird 
ein  solcher  in  der  Geschichte  Matth.  8,  6»  unverkennbar 
vorausgesetzt,  wenn  der  Centurio  von  seinem  Knechte  sagt: 
ßißhp;uL '-7ta^a?^vTixdgy  daivvUs  ßaacd'i^oftevoSy  so  daft  wir 
also  unter  der  TtaQaJ^voig  in  den  Evangelien  bald  eine 
schmerslos  lähmende  ^  bald  eine  schmerchaft  gichtische 
Gliederkran  kbeit  sn  verstehen  hfitten  ^). 

In  Schilderqng  der  Scene,  wie  der  Paralytische  Matth. 
9, 1  ff.  parall,  cu  Jesu  gebracht  wii'd ,  findet  zwischen  den 
drei  Berichten  eine  merkliche  ^Abstnfnng  statt.  Mattbfins 
sagt  einfach-,  wie  Jesus,  von  eioem  Aosflug  an  das  Jensei- 
tige Dfer  nach  Kapernaum  aurfickgekehrt  sei,  habe  man 
Ihm  einen  Paralytischen,  auf  einem  Lager  hingestreckt, 
gebracht.  Lukas-  beschreibt  genau ,  wie  Jesus ,  von  einer 
grofsen  Me^ge,  namentlich  von  Pharisäern  und  Schriftge- 
lehrten, umgeben,  in  einem  Hause  lehrte  und  ^heilte,  und 
wie  die  Trfiger  des  Paralytischen ,  weil  sie  vor  der  Volka- 
menge  nicht  durch  die  Thfire  an  Jesu  g|elangen  konnten  ^ 
den  Kranken  durch  das  Dach  au  ihm  niederliefsen«    Be- 


i)  Man  sehe  sie  bei  Wetstbin^  N.  T.  1,  S.  284,  und  in  Waui^'s 

Clavis  'U.  d.  Art.  nach. 
2)  vgl.  WiMtR,  b.  Realw.  2,  S.  225  iF.,  und  Faitzschs,  in  Matth. 

p.  194. 


ll#ttAtea  K^apltok    S*  9SL  ni 


dmkt  lüMi  ÜB  Strocmr  sorgenländlteher 
ND  yhtfa»  Daeh  aas  deat  oberen  Stockwerke  eine  Oeffnong 
ttnrte  *)  ,  and  niaunt  aian  den  rabbinisehen  Sprachgebraach 
biaan,    in  welobem  der  via  per  partam  (DTIPD  "pi)  die 
IM  per  teehim  if33i  *pi)  als  nicht  mihder  ordentlicher 
Wieg,   naaientlicb  am  in  das  vn^Q(^w  an  gelangen ,  gegen- 
ttergeaCelit  wird  ^:  so  kann  man  anter  dem  xa&iirai  dia 
fÜ9  xs^fuay  schwerlich  etwas  Anderes  verstehen ,  als  data 
dieTriger,  welche  entweder  mittelst  einer  nnmittelbar  von 
der  StraCie  dahin  fOhrenden  Treppe ,  oder  vom  Dache  des 
NaaUhariiaases  aas  |  aaf  das  platte  Dach  des  Hanses  9  in 
welcbem  Jesus  sich  befand ,  gelangt  waren,   den  Kranken 
samaU  seinem  Bette  darch  die '  im  Dachboden  bereits  be- 
iadliehe  OeSnang,  wie  es  scheint  an  Stricken,  an  Jesa  her* 
akgelaaaen  haben«    Markus,  der  in  der  Verlegung  der  Sce- 
■e  nach  Kapemaum  oiit  Matthias,  in  Schilderung  des  gros- 
sen Gedränges  uud  der  dadurch  veranlafsten  Besteigung 


3)  WrasKy  s.  s.  0.  u.  d.  A.  Dach.  Niahoir  meint  (S.  316.  Anm.)» 
Joseph.  Antiq.  14^  15;  12  Usse  eBer  darauf  schlicssen',  data 
kaue  solche  Thtire  Torhandeft  gewesen,  sondern  dass  man 
mir  durch  Abdeckung  des  Daches  in  den  unter  demselben 
beluiAichen  Raum  gelangen,  und  was  in  diesem  Torging, 
fFsbraehmen  konnte;  denn  als  Herodes  I.  einen  Flecken,  in 
welchem  sich  viele  feindliche  Soldaten  befanden,  eingenom- 
nfen ,  und  ein  Theil  von  diesen  auf  die  Dächer  der  Häuser 
sich  geflüchtet  hatte ,    wo   sie   gefangen   genommen  wurden, 

heisse  es  sodann :    Tag  o^oipsg  rtay    ö^Ktar   araaxanTtar ,    Xfmha    tu 

rarta  rwr  (^^otuotw^  iiooa  x.  t.  JL  Allein,  auch  wenn  eine  ThUre  im 
Dache  war  f  so  konnte  man  Ton  ihr  aus  schwerlich  alle  Theile 
des  darunter  befindlichen  Stockwerks  tibersehen;  überdies s 
war  sie  von  den  Geflüchteten  ohne  Zweifel  verrammelt ;  ein 
Aufbrechen  des  Daches  bedurfte  es   aber  jedenfalls  2um  Be- 

« 

bnfe  dessen ,   was  Josephus  weiter  berichtet :  TMTitt  (r«g  <^- 
4)  LiSHTfOOT,  p.  601. 


I 

\ 


64  ZmmUfimir  AtesirinrMli 


r^  ipii^erdim  teine  Mfihe  soheuenilen  £ifer,  veU 
eben  das  Zulraoen  ma  Jeso  den  Lenteo  einflöfste,  in  dag 
atiSrksto  Lioht  so  seteen  geeignet  war.  Aber  eben  aas  dem 
letEteren  Interesse  seheint  aoeh  sehen  die  Äbweiehnng  des 
Lukas  von  Matthias  hervorgegangen  en  sein.  Bei  Mat- 
thias nän^iicb )  der  die  IVflger  den  Paralytisehen  aaf  dem 
gewöhnlichen  Wege  so  Jesa  bringen  läTst,  indem  er  ohne 
Zweifel  das  mfihselige  Herbeisehleppen  des  Kranken  aaf 
seioem  Lager  fflr  sieh  sehen  als  Probe  ihres  tilaabens  an- 
sah} tritt  es  doch  minder  bestimmt  hervor,  worin  Jesus 
ihre  ni^ig  gesehen  haben  soll«  Wurde  nun  die  Geschichte 
orsprfinglich  so,  wie  sie  im  ersten  Evangelium  lautet,  vor- 
getragen ,  so  konnte  leicht  der  Reis  entstehen ,  ein  mehr 
hervortretendes  Zeichen  ihres  Zutrauens  fflr  die  Triger 
ausfindig  au  machen,  welches,  sofern  man  die  Scene  eu- 
gteicb  in  grofsem  Volksgedränge  vor  sich  gehen  liefs,  am 
angemessensten  in  deui  ungewöhnlichen  Wege  gefunden  seu 
werden  scheinen  konnte,  welchen  die  Leute  einschlugen, 
am  ihren  Kranken  au  Jesu  cu  bringen  ^^). 

Der  Hergang  bei  der  Heilung  ist  sofort  nach  dem 
Obereinstimmenden  Bericht  aller  drei  Syi\optiker  einfach 
der,  dafs  Jesus  dem  Paralytischen  suerst  in  freoodlich  be- 
ruhigender Anrede  die  Vergebung  seiner  Sünden  ankfin- 
digt  (wovon  gleich  hernach);  hierauf,  die  murrenden 
Schriftgelehrten  beschfimend,  den  Beweis  fflr  seine  Voll- 
macht, SBnden  cu  vergeben,  durch  die  Anweisung  ffihrC, 
die  er'  mit  augenblicklichem  Erfolge  dem  Gelähmten  er- 
tbeilt,  sein  Bett  aufzunehmen,  und  heimcugeben.  Diesen 
Erfolg  hat  man  dadurch  als  einen  natürlichen  daraustellen 
gesucht,  dafs  man  den  Znstand  des  Kranken  nur  für  Mer- 
venschwffche  erklärte,  bei  welcher  das  Schlimmste  die  Ein- 
bildung dbs  Kranken,  sein  Uebel  müsse  als  Sündenstrafe 
fortdaudrn,  gewesen  sei;  wobei  man  überdiefs  eine  länger 


li)  Vergl.  Bi,  WsTTT,  exe^.  Hsndb.,  1,  1,  S.  90.  1,  2;  S.  40. 


Nountes  Kapitel,     f.  92.  <i5 

fnrlgMetete  11  achkar  annahm  *^) :  allein  daa  ^Ine»  wier  dds 
Andere  ist  gegen  den  Berieht.  So  hat  man.tioh  denn'  mmh 
Analogien  aaa  dem  ffaboel»:  des  swar  nngewMiriÜoheA  und 
gebeianifetollen,  «loeh  immer  noch  oattfrliehen  Geschiohens 
oBgesehen.  Wäiir^d  aich-PAUioa  au€'-%ineifihlhlahg  dek 
LiVios  beroft^  die  sehr  elhem.  Mühriclldn  ^Ihnlioh  sieht  ^^}t 
«eheint  aioh  gegen  den  Fall  einer  IlelliiAg^Fief|lltMnigep  VeiC 
krftmmwug  nad  thell«v^er:  Lftbmnng.  dtirob-  Mofqe  lllan^ 
beDolwaft,  welcher  in  der  «weite»  AasgnbbMronr' BsKoaela 
Gnomen  beigebracht  iaik  ^^9' nichts  eimbenAn  su  lassenr^ 
wie  aoch .  ähnitohe  Beispiele  im  ETdlda^  des  « thiei4sohenl 
MagnetiMMis  >  immer  wieder  «"voi^komtoen.  Beides  nun  en* 
aammen:  in  Jesu  eine  der  magnetiaehen  ähnliche  Heil'- 
krafty  und  im  KraalLon  einen  starken  ^  darcb  die  Anrede 
Jesn  cor  bdclbsten  GmuHthabeWegiing  ^  Erregbaren  Glaa«> 
ben  gedacht!  so  rttcM  diese  Bnlnngsgeschiohte  in  den 
Kreia.  derjenigen  eini  für  weiche  nas  der  Anknttpfiingi^ 
pnnkt  an  das  anoh  soinst  Beobachtete  nicfat-  fehk,  welche 
wir  daher  anoh  nicht,  ohne  Weitete  ans  dem  Kreise  idef 
Geschichtlichen  aosensehUeTsea  berechtigt  aind.  -Freilicll 
liegt  anf  der  aatdem  Sblfla-dieAbleitong  derBeeäbking  ans 
der  aaf  Jesum  aber|[etragene9  Jüdiscbeh  Messiaserwartung 
golserst  nahe«.  In.  der  sehen  angeftthrtea  StelliB  des  Ja- 
aaias  nämlich^  35,  6.,  war  von  der  messiant«6ben.  Zeit  anoh 
verheiGian :  zove  althtxt  dg  Hkatpog  o  'jß/a^kog^  and  in  dem* 
aeibea  Znsammienbang,  V«  S.,  war  den  yimca  nagakekoi 
fiha  ein  iaxvoixga  angerufen;  .was,  wie  die  flbrigen  damit 
Boaama^nhftngenden  Zflge»  später  eigenilkb  verstanden  nnd 
ala  Wonderleiatung  vom  .Hefsias'  erwartet  worden  sein 
ma£i»  da  sich»  wie  schon  ^rMIhnt^  Jesas,  anm  Beweise^ 


12)  PaulM»  exeg.  Hsndb.^  iy  hf  9.  498^  $01/ 
15)  Liv.  2,  36.  ^ 


•\S', 


14)  Gnomon,  1,  S.  245. 

■  •,  . 

Das  Leben  Jesu  Ue  Aufl,  //.  Band*  ^ 


M  Zweiter  Absohnitt. 

daf $  er  der  i(fxofievoQ  sei ,   aoch   darasf ,   dafs  x^^  TteQi- 
Tiazöai^   berief. 

Aaf  eiDOii  *2mg  dieaer  Ereiliking  tat  nnn  noeh  niSher 
«inaagebeo  y  4ler  berelta  berfihrt  worden  iaU  Wenn  nfim- 
lieh  Jesoa  ^lan»'. Kranken  euerat  erklirt:  ärpeMmtl  ooi  ai 
afiaQTiat  ^,  «hd.^blbraaf ,  ala  Bew«ia,  dafa  er  su  aolcber 
Sfindeni/tae^cjbfmg  VoUaiacht  habe,  ikn  heilt:  ao  iat  die  ße* 
siehaniif  «ef  die  Jttdiaclie  Ansicht  nlefit  an  yerkeotteay  d^fa 
daa  Uebel  vnd'  mtmentlieh  die  Krankheit  des  Btnaeinpti 
Strafe  setner -ftilnda  aei;  eine  Ansieht ,  welehe,  in  ihren 
flmndBtijgen  ini  A;  T..  angelegt  (3.  Mos.  26,  14  iF.  5.  Moa. 
^j  15  ff,  !L  Chron.  21,  15.  18  f),  von  den  «pttaren  Ja- 
gden anfs  Bestimmtosta  aoage^rochen  wurde  ^^).  Mitten 
wir  nun  blofa  Jene  aynoptisehe  Erdhlang,  aa  mfifliten  wir 
glauben,  Jeana  habe  die  Anaieht  seiner*  Zcftt  •  und  Volka- 
genoaaen  Aber  diesen  Penkt  getheilt,  indeai  er  ja  aelne  Bn* 
ftignifa,  Sdnden  (ak  Grood  der  Krankheit)  en  vergeben, 
4nreh  eine  Pk^obe  aeinar  Fähigkeit,  Krankheiten  (die  Fol- 
gein der  Sfinde)  es  heilen,  beweist.  Allein,  sagt  man,  ea 
finden  aich  andere  Steilen,  wo  Jesna  dieaer  JOdiaehen  Mei- 
nung geradem  wlderapricht,  und  darans  folgt,  dafa,  wna 
er  dort  sum  Paralytischen  sprach ,  blofae  Aocoinniodiitioa 
«n  die  Vorstellungeo  des  Kranken  nur  f  (^rdemng  seiDer 
Heilung  war  ^0*  ^ 

Uie  Hanptstelle,  welche  man  hiefilr  aDBufShuan  pflegt, 
iat  die  Einleitung  der  spiter  bu  betrachtenden  <ieschichte 
vom  Blindgeborenen,  Job.  9,  1— »S.  Hier  nffmlieh  legen 
die  Jünger,  wie  aie  den  Mann  aoi  Wage  stehen  aeh^ü,  «den 
aie  als  von  Geburt  an  Blinden  -kennen,  Jesu  die  ¥tng6  vor, 
ob  aeine  Blindheit  Folge  aeiner  eigenen,  edar  der  Sünde 


15)  Nedarim  f.  41,  1.  (bei  Scn^mmv;  1,  S.  93.) :  DixU  JL  €h^ 
fiL  Abba:  nuUu9  aegrotns  a  mcrbo  suo  sanatur,  danec  ipgi 
omnia  peccata  remissa  stni. 

16)  Hase,  L.  J.,  (.  75.  j   Fritzschb,  in  Matth.  S.  33$. 


N.eonres  Kapitel.    $.  IM.  57 

MIMT  Umru  «ei?    Dar   Fall  war  Ar  die  jOdiaebe  Vergel- 
tangidieorie  beeonders  eohiflerlg.     Von  Uebela,  weleiie  ei- 
Ben  Meaechgo  erel  in  Verkofe  «eiiies  Leben«  engestoliieii 
sind,  wild  der  eaf  eiae  gewiife  Seile  «leb  einmal  neigen- 
de Beeheehter  leiebt  irgend  «reiche  eigene  Verseboldangen 
dbiei  Henseben  als  Uneobe  anelindig  «laehen ,  oder  doch 
forausetsen«     Von  angeboreoeo  Uebeln  dagegen  gab  ewar 
die  altbebriiaohe  Ansieht    (S.  Moe.  30,  &    &  Aloe.  5,  9. 
1  Saa.  3^  21^0  ^  Erkllrang  an  die  Hand,   daft  durch 
öieMiben  die  Sfinden  der  Vorfahren  an  den  Nachkommen 
httapMoht  werden ;  allein,  wie  fttr  das  menschliche  Recht 
du  aMafnebe  Geeets  selbst  verordnete ,  dafs  Jeder  nur  für 
cfgtss  V^rgehnngen  solle  gestraft  werden  kdnnen  (fi.  Mos* 
Uy  il  t.  K5n«  14,  6.),  nnd  ««ach   in  Besog  auf  die  gött- 
liebe  SCrft^gereefatl^beit  die  Propheten  ein  Oleieh^s  ahnten 
(Jer.  81,  SO.    Bneeh.  18,  19  f.):  so  eigab  sich  fiir  angebo- 
rsM  DeM  deife  rabbiniseben  Sebarfiiinne  4er  Änsweg,  sol- 
ibe  Meoeflheii  mfigM  wohl  sbhon  in  Mntterleibe  gesAndigt 
habsD  ^^ ,   nod  diese  Melouig  war  es  ohne  Zweifel  anoh, 
wdshe  die  Jünger  bei  lhre#  Frage  V.  2.   roranssetsten. 
Wenn  ihnen  nun  Jesus  nur  Antwort  gibt :  weder   um   ei- 
ner eiganen,  noch  am  einer  Sünde  seiner  tfUtem  willen  sei 
fsner  Measeh  bliüd  nur  Wek  gekommen,  eeadern,  um 
dercb  die  floflnng ,  welchn  er  ob  Messias  an  ihm  rollsie- 
hsn  solito,  die   Wnndermeoht  Gottes  «nr  Anschannng  nn 
klingen :    so  wird  diefs  Insgemein  so  verstanden,  als  hfitte 
dasüt  Josns  Jene  ganee  Meinnng,  dafs  Krankheit  und  son- 
stiges Oebel  wesentlich  Sttndenstrafe  sei,  ver,worfen.    AI- 


17)  Sanbedr.  f.  91,  2.  und  Bereschith  Rabbs  f.  38, 1.  (bei  Li»ht- 
rooT,  S.  1050.) :  Antoninus  interrogavÜ  liabH  (Judam) :  a 
gtumam  tempore  incipit  malus  affectus  praevalere  in  homi- 
nel  an  a  tempere  fnrmaiionis  ejus  (in  utero),  an  a  tempore 
processimis  ejus  (ex  utero)  f  IHeit  ei  RabM :  a  tempore  far^ 

mailowls  ejus. 

^  5* 


08  ZmeitM*  A  b«rhnitt. 

lela  ausdrflcklioh  spricht  hier  Jesm   nur  von'ttem   Fall«, 
der  ihm   eben    vorlag:   dafs  dieses   bestimmte   üebel   hier 
nicht  in    der  VerschoMiing  des  IndiridonniSj  sdiNlern    in 
höheren   göttlichen  Absichten   seinen    Grund*  babe^;  einen 
allgemeineren  Sinn  nnd  die  V^werfong  der  gtniMn  füi^ 
.sehen  Ansicht  in  jenem  Atissprache  £u  finden,  fcönnSeman 
nar  darcb  andere   bestimmter   dahin    lautende  Attsspräehe 
ein  Recht  bekommen.  -  Da  nun   aber  dem   Obigen   Bufol^te 
In  den  synoptischen  Evangelien  eine  Ereählung  sich  findet, 
welche,  einfach  aufgefafst,-  vielmehr  ein  Einstimmen  Jesu 
in  die  herrschende  Meinung  enthfilt,    so  w^rde   sich  fra- 
gen, was  leichter  angehe,  jenen  synoptischen  Anaspruch 
Jesu  als  Anbequeraung,   oder  den  .jöimnneischen    nar   mit 
BcEug  auf  den  vorliegenden  Fall  ^au  fassen?   eine  Frage, 
'welche  Jeder  su  Gunsteli  des  ietsten  Glie<les  erntacheiden 
wird,   der  einerseits  die  Schwierigkeiten  dar  Accoihmoda- 
tionshypothese  In  ihrer  Anwendung  auf  die  evangeiiaelien 
Ausspruche  Jesu  kennt,   und  andrerseits  sich  kLar  maeht, 
dafs  in  der  betreffenden  Stelle  des  vierten  EvangeliaoM'  ei- 
ne allgemeinere  Beziehung  des  Ausspruchs  gar  nicht  aoge* 
deutet  ist. 

Freiliefa  darf  nach,  richtigen  Auslegungsgmndaftteen 
ein  Evangelist .  nicht  unmittelbar  aus  einem  andern  erläu- 
tert werden ;  sondern  es  bliebe  in  unserem  Fall6  «rbhl  mög- 
lich ,  dafs ,  während  die  Synoptiker  Jesu  jene  Zelfeansic^t 
suschreiben,  der  höher  gebüdele  Verfasser  des  viei^ten 
Evangeliums  ihn  dieselbe  verwerfen  liefse:  a||ein  dafs  aueh 
er  jene  Abweisung  der  Zeitansicht  von  Seiten  JAsa  nur 
auf  den  einzelnen  Fall  bezog ,  beweist  er  durch  die  Art, 
wie  er  ein  andermal  Jesum  reden  Ififst.  Wenn  dieser  näm- 
lich zu  dem  achtdnddreifsigjährigen  Kranken  Job.  5.  nach 
seiner  Wiederherstellung  warnend  sagt:  ftipcert  aftaorcn'ey 
ha  fit]  x^T^ov  zi  aot  yivr/tai  (V.  14.)  i  so  Ist  dlefs  so  gut, 
als  wenn  er  einem  zu  Hellenden  zuruft:  dqa^rai  aot  ai 
afiaQiiai  an:    beidemale  nämlich  wird  Krankheit    i^ls  Sün- 


■^ 


Neuotea  Kupital.    §•  92.  «tt 

den»trafe  hier  «iifg«hoben,  dort  Mgü^^lroht«  Uoob  auch  hier 
wissen  die  Erklärer,  deoen  e»  onwillkommen  ist^  von  Jesa 
eine  Aasidit ,  welehe  sie  verwerfen ,  anerkannt  so  finden, 
dem  natürlichen  Sinne    anssniveichen.    Jesus  soll  das  be- 
sondere Debel  dieses  Mensohen   a|s  eine  natOrliehe  Folge 
gewisser  Ao^schweifungen  erkannt,   nnd  ihn  vor  Wieder- 
holung derselben  gewarnt  haben,    weil  diefs  eipis  gef&hrli* 
«here  Re^dive  berbeifQbreii  könnte  ^^)*    Allein  der  Oenk- 
weisct  des  Zeitalters  Jesu  liegt  die  Einsicht  in  den  natfirli- 
ehen  Zusammenhang  gewisser  Anssohwoifnngen  mit  gewis- 
sen ILrankheiten  als  deren  Folgen  weit  ferner,  als  die  An« 
sieht  von  einem  positiven  Zusammenhang  der  Sflnde  fiber- 
hanpt  mit  der  Krankheit  als  deren  Strafe  i  es  m&lste  also, 
wenn  wir  denqoch  den   Worten  Jesu   den  ersteren  Sinn 
sollten  unterlegen  dfirfen,  dieser  sehr  bestimmt  in  der  Stel- 
le aogeeeigt  sein*    Mun  aber  ist  in   der.  gansen  Erstthlung 
von  einer  tiesdmmlen  Aiissohwf ifong  de^  Mensi^ben  nicht 
die  Rede;  das   von  Jesu  ihm  eugerufene.  ^rftixi  u^uQftmt 
lieceiehaet  nur  Sfindigen.  Oberhaupt,  nnd  eine  Unterredung 
Jesu  mit  dem  Kranken,  in  welcher  er  denselben  über  den 
Zusammenhang  seines  Leidens  mit  einer  bestimmten  SUnde 
belehrt  hStte,  cn  «oppliren  ^0,  ist  eine  gar  nicht  im  Gei- 
ste des  sonstigen  Verfahrens  Jesu  gemachte  Fiction.    Wel- 
che Auslegung,  wenn  man,   um  einem  dogmatisch  unange- 
nebiaen  JKrgebnifs  ansznweichea,  die  eine  Stelle  (Job.  9.> 
cu  eioer  Allgemeinheit  erweitert,  welche  nicht  in  ihr  liegt; 
die  andere  (Matth.  9.)  durch  die  Aocommodationshypothese 
elmdirt;  der  dritten  (Job.  5,)  einen  modernen  Begriff  ge» 
wmltsam  an£(lrftngt:  statt  dafs,  wenn  man  nur  die  erste 
ScmlU^  m^t  mehr  /lagen  läfst  als  sie  sagt,  die  beiden  an- 


19)  lUvX'Vtf  Con^.  4,  9.  264;    LUcrb,  ty  S.  22;  such  Nbakoiü 
neigt  sich  dahin ,    S.  S19. 

19)  We  Taf  fcücji  ijj  d.  St.  Ikul. 


\ 


l 
70  Zweiter  AbscbnitC 

dern  fn  Ihrem  BanSchsC  liegenden  Sinne   nlcllt  im   Minde« 
«ten  angetastet  zu  werden  braochen ! 

Doch  man  bringt  noch  eine  weitere,  and  ftwar  9yn» 
optische,  Steile  herbei,  um  Jesa  Erhabenheit  über  die  b^ 
eeichnete  Volksmeinnilg  ea  belegen.  Wie  ihm  nffmiich  ein« 
mal  von  Badilffern  ers&hlt  wurde,  weiehe  Pilatin  l»ei'm 
Opfern  hatte 'niederhaaen  lassen,  and  von  andern,  weiche 
durch  den  Einstur«  eines  Thvrmes  vemngiOokt  waren 
(Luc,  13, 1  (F.);  wobei  ditf  EmlfMer,  wie  man  glauben  mnfs, 
vsu  eriiennen  gaben,  daft  sie  jene  DngUicksflille  fflr  göttliche 
Strafen  dei^  b^sondern  Verworfenheit  jener  Leute  ansahen: 
erwiederte  Jesai,  sie  möchten  Ja  nicht  glauben,  jene  Men- 
achen  seien  b^soliders  schlecht  gewesen;  sie  ielb^t  seien 
um  nichts  besser,  and  sehen  daher,  falls  rfe  sieh  nicht 
bekehren,  einem  gleichen  Untergang  entgegen.  Ea  ist  in 
der  That  hieht  kikPf  wie  man  in  dieser  Aeafsernng  Jesi^ 
eine  Verwerfung  Jener  Volktansicht  finden  kamt.  Wollte 
ciesas  gegen  di^c^  sprechen,  so  mufste  er  entweder  sagen : 
ihr  seid  ebenso  grofse  Sünder,  v^enn  ihr  auch  oldil  aaf 
die  gleiche  Weise  leiblich  au  Grunde  gehet;  odert  glau- 
bet ihr,  dafs  jene'  Menschen  ihnsr  Sünde  wegen  ssa  Grunde 
g^^angen  seien?  nein!  diels  sieht  man  an  eilch,  die  Ihr 
ntierachtet  eurer  Schlechtigkeit  doch  nicht  ebenso  sa 
Grunde  gehet.  So  dagegen ,  wie*  der  Ausspruch  Jesu  bei 
Lukas  lautet,  kann  der  Sfiin  desselben  nur  dieself  dein: 
d^fs  jene  Menschen  schon  Jetat  ein  solcher  Unfall  betrof- 
fen hat*^  beweist  nichts  fflr  Ihre  besondre  SehlMiitt^eit, 
80^  wenig  das,  däfs  Ihr  bisher  voU  dergleichen  verschont 
geblieben  seid,  fflr  eure  gröfsere  Wflrdigkeit  beweist ; '  viel- 
mcihr  werden  frfiher  oder  spAter  fll»er  euöh  *  kommende 
Ähnliche  Strafgerichte  eare  gleiche  Sch(eehtigkeit  beor« 
künden:  —  wodurch  also  das  Gesetz  des  Zosammenhanga 
iswisoheil  Sflnde  and  Unglflck  jedes  Einednen  belstktlgt, 
nicht  umgestofsen  wflrde.  Diese  vuigflr-bebrh'ische'  An- 
siebt  von  Krankheit  und  Uebel   steht  nliit  allei*ding8    in^ 


%    • 


Keantes  KapileL    {•  M.  71 

Widenprueke  mit  jener  esotori«ehea ,  eMenfsch-ebioitiü« 
«eben,  die  wir  lia  Kingang  der  Itergrede^  im  fileichBifii 
TOn  reieiiea  Mann  oud  soatt  gefdiiden  liabea ,  naoh  wel« 
eher  fielneiir  die  üereehton  in  dieaeai  Aeon  die  Leiden- 
den,  Aroien,  Kranken,  eind;  allein  beide  Aneiebten  liegen 
elaaal  in  den  Aenfeernngen  Jeen  fär  eine  unbefangene 
Exegese  «i  Tage:  und  der  Wideräprneh^  weleben  wir 
aarisalien  imiden  ftndan^  bereebtigt  ans  nidihl,  die  eine 
Kinase  yon  Anssprieben  gewaltsam  na  denteiu  Wir  mdib* 
teo  Tielniefar  die  eine  oder  andere  Jeen  abspreobenj  aber 
wir  kfinnea  Ja  doeb  nieht  wissen.,  ob  er  den  Widerstreit 
nweier  ihm  von  verscbiedenen  Seiten  der  damaligen  jadi« 
schea  Büdnng  her  gebotanen  WeltansebnMUigen  niebt  Ir* 
gendwte  in  sieb  gelöst  hatte. 

s.  «s. 

Heilungen  von  AastHtzigen. 

Unter  den.  Kranben ,  welche  Jesns  hriita^  spielen ,  ge*i 
mifs  dem  leiebt  Hautkrankheiten  emengenden  Klima  von 
PaUsthia,  die  AussAtsigen  eine  Haaptrelle.    Wo  Jesus  der 
synoptiseheo  Krsilhlnng  nofolge  die  Abgesandten  des  Täu- 
fers auf  die  tbatsüohlicben  Beweise  seiner  Messtanitfit  hin- 
weist CAfstth.  11,  50»  ffihrt  er  unter  diesen,  auch  das  A«- 
nQoi  xad^Qi'Qanai  auf;  wo  er  seine  Jünger  bei  der  ersten 
Aussendung  eu    allerband    Wundertbaten    beyollmfichtigt^ 
stellt  er  die  Reinigung  der  Aussätzigen  oben  an  (Mat^h.  lo, 
8.) ,  und  swei  Fälle  von  solchen  Hellungen  werden  nns  im 
Kirsceinen  beriehte^ 

Der  eine  Fall  ist  allen  S  noptikem  gemeinsohafdich , 
wiewohl  sie  ihn  in  verschiedenen  Zusammenhang  stellen. 
Mmtthäns  nämlich  läfst  Jesu  bei*m  Hersbgehen  von  dem 
Ben*ge,  auf  welchem  er  die  Bergrade  gehalten  (8, 1  ff.)i  ^1^ 
abr-igen  in  unbestimmter  Stellung  am  Anfang  seiner  gali* 
läisehen  Wirksamkeit  (Marc.  1, 40  ff.  Lac.  5, 12  ff.)     einen 


' 


72  Zweiter  Abacfanitt. 

Aussfitsigeo  begegnen,  der  ihn  fuf^föllig  am  Heilang  an- 
fleht,  lind  diese ' auch  durch  eine  Berührung  Jesu  erhält, 
weicher  ihn  sofort  Anweist,  sich  dem  Gesetze  (Z  Mos.  14, 
2  ff.)   geniärs  dem   Priester  cur  Reinerklffrung  su  stellen. 
Der  Zustand  defii  Menschen   wird  von  Matthfius  and  Mar« 
lius  einfach  durch  XeTtQog^  von  Lulias  stflriLer  durch  TtlijQt^ 
XtTtQag  beseichnet.     Nach  Paulos  freilich  war  eben  dieses 
Vtfllsein  von  Anssats  ein  Symptom  der  Heiibariieit,  indem 
das  Ausschlagen  and  Abblättern  desAassatses  auf  dergan- 
2sen  Haut  die  Reinigangsiirisis  beseichne ,   und  demgemäfs 
stellt  sieh  Jener  Ausleger  den  Hergang  folgendermafsen  vor« 
Der  Aassitsige  geht  Jesam   als  den  Messias  am  ein  Gut- 
achten Über  seinen  Zustand,  und  nach  Befund  um  eine  Rein- 
erhlArung,   an   Qel  d-ilat^^  dvvaaal  /ae  xai^aQlaaO  y  weiche 
ihm-den  Gang  eum  Priester  entweder  ersparen,  oder  doch 
eine  tröstliche  Hoffnung  auf  denselben  mitgeben  sollte«   Je- 
sus,  indem  er  sich  «u  einer  Untersuchung  bereit  erklärt 
(^eXco),  streclit  die  Hand  ans,  um  ihn  su  beföhlen,    ohne 
dnfs  doch  der  vielleicht  noeh  ansteckende  Kranke   ihm   zu 
nahe  ktfme,  und  naoh  genauer  üntersachnng  spricht  er  als 
Ergebnifs  derselben  die  Ueberseugung  aus,  dafs  die  Krank- 
heit nicht  mehr  ansteckend  sei  (x&d-aQlad-rjTOj  woraut  sieb 
denn  wirklieh   bald  und  leicht  C^vü'icog)  der  Aussäte  vol- 
lends gana  verlor  *>• 

Hier  ist  vor  Allem  die  Behauptung,  der  Aasafitsige  sei 
gerade  in  der  keinlgungskrise  gewesen,  dem  Texte  fremd, 
welcher  bei '  din  zwei  ersten  Evangelisten  von  Adssata 
schlechtweg  spricht,'  während  das  TiXr^Qrß  UuQaL;  des  drit- 
ten nichts  Andres  bedeuten  kann,  als  das  A.  T.liche 
A»tÖ3  irfsO  (2  Mos.  4,  6.  4  Mos.  12,  10.  2  Kön«  5,  27.) , 
was  dem  Zusammenhang  nach  jedesmal  den  höchsten  Grad 
des  Aassatsses   bea^ichnet.     Dafs  das  xad^anlCeiv   nach   he- 


1)  excg.  Handb,  1;  b;  8,  698  ff. 


Keuote«  KapileL     %»  93.  73 

briiaohem  ond  beUeDiatbohcm  Spracbgebraach  anoh  blofs 
reinerklären  twdeuton  könne^  lat  zwar  nicht  in  Abrede  bu 
■teilen ;  nar  mfirste  ea  dieae  Bedeotnng  in  dem  ganaen  Ab- 
•eiinitte  beibehalten«  Dafa  nan  aber,  nachdem  von  Jeana 
eniblt  wavy  er  habe  daa  xai^aoia&ijn  gespfroehen,  Mat». 
tkloa  Bodi  ei»  xoi  ev&iiog  ixaO-aQia&fj  x.  t.  L  in  dejn  Sin*- 
ae,  dafa  alao  der  Kranke  wirklich  von  Jesa  reinerklärt 
worden  aei,  hinzngefflgt  haben  aollte,  ist- der  albernen 
Tantelogte  wegen  ao  und^nkbar,  dafa  hier,  aber,  dana 
»ncli  in  gaasen  Abschnitt ,  das  xa^^a^^ea^ai  von  wirkli- 
chem 6ereIoigt%verden  an  nehmen  ist«  An  das  Jüngoi  xa- 
^^acfiZanai  CMatth*  11,  5.)  und  X^Ttgag  xaÜxxQi^ffrB  (Matth. 
10,  8.>9  wo  doch  daa  letztere  Wort  weder  blofse  Rein- 
erkfärang,  noch  aocb  etwaa  Anderes  als  in  der-  vorliegeni» 
den  £r2fihlang  beaeicbnen  kann,  genügt  ea  su  erinnern* 
Woran  aber  die  natürliche  Dentnng  der  Anekdote  am  'ent* 
sehiedensten  scheitet,  das  ist  die  Zerreifsnng  des  ^ha^ 
xa^ttQiO^ijti.  Wer  wird  sieh  überreden  können,  dafa  diese 
In  sllen  drei  Berichten  unmittelbar  verbundenen  Worto 
darcb  eine  ciemliebe  Pause  getrennt  gewesen,  dab  da< 
^aUtf  bei  oder  eigentlich  vor  dem  Befühlen,  daa  xcr^a^- 
aihji  *aber  ^  nach  demselben  gesprochen  worden  sei ,  da 
doeh  säamtlicbe  Evangelisten  beide  Worte  ohne  Unter* 
sehied  während  der  Berührnng  gesprochen  sein  lassen! 
Ivewifs  wücdoy  .wenn  der  angegebene  Sinn  der  ttreprÜDgU« 
ebe  wäre ,  wenigstens  Einer  der  Evaogelistfm ,  statt,  dea 
il\fHno  aii&6  Vf^oäs  liycnr  &elu)y  x^thaQiax^ijTiy  sagen:  ^  L 
a.r&sQiyazö*  O^aifyif  xal  dipafievieg  avvä  am*  xai^ixqla^rflu 
Ist  aber  dus  xad^aQio&r^zi  in  Einem  Zuge  mit  iyiha  gespro« 
eben,  so.  dafs  Jesus  lediglich  in  Folge  seines  Willens,  ebne 
dazwiacbeneirt^etretene  Untersuchung,  das  xaO^aQiCkod'ai 
eintreten  Heb:  so  kann  dieC^  unmögiiob  eine  Reinerklärung, 
wenn  es  ei|ier.,*vorgäng2gen  Untersuchung  bedurft^^  sondern 
mufs  ein  wirkliches  lleinmaclien  gewesen  sein.  In  diesem 
Zusammenbang  ist  dann  auch  das  uKHOi^iU  nicht  von  un- 


74  '  Zweiler  AbecboUt 

lerauchender' BerilbniDg  su  revsteheii)  sendern,  wie  Bönst 
Inmer  in  aoieben  Krcfthlangen,  von  heilender* 

Fftr  eefaie  Metttriielie  Erkllmng  dienet  Vorgangs  beruft 
fieh  Paulus  nnf  den  Kanon ,   dar«  ttberall  in  einer  Erslh- 
long  das  GewtffanÜcbe  und  Ordentliobe  voransgeaatat  wer» 
den  mflsae,   wo  niebt  das  Gegentbeil  ausdrüeUieb  angege- 
ben sei  ^ ;   ein  Kanen ,  welcher,  an  der  der  gancen  ratio* 
nalistisehen  Auslegung  eigentbfimliclien  Zweideutigkeit  lei- 
det, was  ffir  nna,  nnd-  was  fdr  die  anssuiegenden  Schrift- 
steller gewöhnlich  und  ordentlich  ist,  nicht  sn  nntersobei- 
den.    Allerdings,  wenn  ich  einen  Gibbon  ror  mir  habe^  so 
darf  ich  in  seinen  i£mählnngen,  sofern  er  nicht  ausdrUck- 
licb  das  Gegentheil  anmerkt,  nnr  natfiriicbe  Ursachen  und. 
Vorginge  voraussetaen,  weit  von  der  Bildung  eines  solcheu 
Schriftstellers  aus  das  Uebernatllrliche  htfcbstens  als  selten- 
ste Ausnahme  denkbar  ist;  aohon  anders  verhält  sich  diefs 
bei  einem  Herodot,   in  dessen  Vorstellnngs weise  das  Ein- 
greifen  höherer  Mächte  keineswegs  ungewdhnlioh  and  aus- 
ser der  Ordnung  ist:  und  vollends  in  einer  auf  Jüdischem 
Boden  gewachsenen  Anekdotenreibe^  deren  Zweek  Ist,  ein 
Individuum  als  höchsten  Propheten,  alt  mit  Gott  innigst 
verbundenen  Menschen    darsustellen ,    versteht  -  ideh    das 
Uebematarltche  so  sehr  von  selbst,  dsfs  jener  ratiönaiistip 
sehe  Kanon  sich  dahin  umkehrt:  wo  In  solcben  Ersählun* 
gen  auf  Erfolge  Gewicht  gelegt  ist,  welche,  als  nfftllriiehe 
betrachtet ,    keine  Wichtigkeit  haben  worden ,    da  juUrsten 
abematörlicbe  Ursachen  ansdriicklich  ausgescfalosaen  sein, 
wenn  nicht ,   dafs  solche  im  Spiele  gewesen ,    als  Ansicht 
des  EraAblers  vorausgesetat  werden  sollte.     In  der  vorlie- 
genden Geschichte  ist  flberdiefs  das  Aufserordentllehe  des 
Hergangs  dadurch  hinlänglich  angedeutet,   dafe  es  belfst, 
auf  Jesu  Wort  habe  den  Kranken  der  Aussäte  alsbald  ver- 
lassen.    Freilich  weifs  Paulus  ,   wie  schon  bemerkt ,  diese 


2)  a.  a.  0.  S.  7ü5  u.  sonst. 


Neante«  Kapii«L    S*  M*  7^ 

ALttgsbe  auf  dlne  aüailhiige  iMtlfrUebeOefteililig  a«  deaCan, 
lU  hilHaßg^  wodurch  die  Evangelisten  dSa  Zeit  derselben 
bntiaiiaen,  je  nach  den  verschiedeaeo  Soeanmeohaoge  da« 
pineaial  aogleich  bedeute  ^  das  andreaal  oorbald  nnd  an« 
gehindert.  Diefa  eingertemt:  eoil  nnn  das  bei  Marlins  In 
Damtffelbareni  Zasammenhang  felgeade  evQifos  'i^i(i(Kltw 
uviov  (V.  43.)  sagen  wolleA>  bald  uad  ungahindert  babtf 
Jcsna  den  Ueheillen  binaMgetrieben  ?  Oder  sqU  in  assei 
snfeinADder  ftiigenden  Vamen  das  Wort  in  verschiedeneoi^ 
Sinne  genomnen  weMea? 

Ist  aomit  naeh  der  Absieht  der  evangelisoiien  Ersiblev 

von   eiaoB  angenblieklieben  Vereobwindcn  des  Äussataes 

aaf  daa  Wort  nnd  die  Berfibrnng  Jesu  hin  die  Rede :    so 

ist^  eich  diels  denkbar 'au  macheni  fr^lioh  noch  eine  gana 

aadere  Aiifgabe,  als  diO)  das  aogeBbUekiiohe  Znrecbtbrin« 

gen   rines  aut  fiier  Idee  Behafteten,   oder  einen  bleibend 

stirlionden  Kindrnok  anf  einen  Nervenkranken  sich  vorao- 

stelleB«    üafs  eine,  in  Folge  tiefer  Verderbnirs  der  Säfte 

dnrelk  den  bartnielügsten  nnd  bösartigsten  aller  AnssehlAga 

aerfressane  flant  durch  ein-  Wort  uad  eine  BerlUirung  an» 

geabUekIteh  rein  und  gesund  geworden   sein  sollte ,  diels 

iMtj   weil  es  etwas  einer  langen  Reihe  von  Vermittlungen 

Bedürftiges  als  unaiittelbar  eingetreten  darstellt,  so  undenk^ 

bar  0«  d<^«  M  jeden,  der  aufserhalb  gewisser  Vorurtbetle 

steht  (waa  der  Kritiker  immer  soll),  nttwillkOrlicb  an  das 

Fabelreich  erinnern  mnfs.   Und  im  fabelhaften  Gebiete  mor- 

genilndiseller,  näher  jfidischer ,  Sage  ftnden  wir  wirklich 

das  pltftaliehe  sowohl  Entstehen  -  als  Verschwindenmachen 

dea  Avasataes  anerst»     Als  Jehova  den  Moses  anm  Behuf 

seiner  Sendung  nach  Aegyptea  mit  dar  Fähigkeit ,  allerlei 

Zeloben  an  tbnn ,  ausrastete ,   biefs  er  ihn  unter  Anderem 

aaeli  aeine«Hand  an  seinen  Busen  stecken:    nnd  als  er  sie 

besKsaaeg^  war  sia  von  Anssata  bedeckt  \   er  mufiMe  sie 


3)  vgl.  ÜASBy  L.  J«,  ^:  86;   Wii8>B,  a,  a.  p.    S.  47^. 


76  Zweiler  Abftoliiiitt 

noiBh  tflnttml  Itf imkiftieclteii ,  mid  beim  abermaligen  HeraitB- 
stehen  war  sie  wfeeder  rein  (2  Mo«.  4,  H.  7.)*  .  Später,  we* 
gen  eines  EmplH^angtversochs  gegen  Mo^es,  wurde  seine 
Schwester  Mirjam  plötKlieh  mit  Aussats  geschlagen,  aber 
anf  die  Fürbitte  des  Moses  bald  wieder  geheilt  (4  Mos.  12, 
10  ff.)«  Besonders  aber  spielt  auter  den  Wunderthaten  des 
Propheten  Bllsa  die  Heilung  eines  ÄassIitBigeB ,  deren  auch 
Jesus  (Lue.  4,'  87.)  gedenkt ,  eine  bedeutende  Rolle.  Der 
syrische  Feldherr  Nahmen,  weieber  am  Aussatse  litt, 
wandte  sich  an  den  israelitischen  Propheten  um  flfilfe; 
dieser  liefs  Ihm  die  Wei^ng  geben,  er  solle  sich  siebenmal 
im  Jordan  waschen:  worauf  auch  wirklich  der  Aossata 
wich,  welchen  aber  der  Prophet  später  voran laf st  war, 
auf  seinen  betragerlschen  Diener  Gehasi  ilberautragen 
(2  Kön.  5.)*  Ans  diesen  A.  T.lichen  Vorgängen  scheint  die 
evangelische  £reählang  sich  vollständig  ableiten  au  lassen. 
Was  der  erste  Goel  In  Jebora's  Auftrag  vermochte ,  das , 
wie  gesagt,  mufste  auch  der  a weite  an  thun  im  Stande 
aein ,  und  ohnehin  hinter  einem  Prophetea  durfte  der  Pro* 
pheton  gr^fster  nicht  aurllckbleiben.  Waren  bienach  ohne 
Zweifel  schon  in  dem  Jüdischen  Messiasbilde  dergleiohen 
Heilungen  mitbegriffen ,  so  *  wären  noch  bestimmter  die 
Christen,  welche  den  Messlas  in  Jesu  wirklich  erschienea 
glaubten,  veranlafst,  seine  Geschichte  durch  'solche  aas 
der  mosaischen  und  prophetischen  Sage  genommene  Zöge 
au  verherrlichen,  nur  dafs  sie  dem  milden  Gmste  des  neuen 
Bundes  (Luc.  9,  55 f.)  gemäfs  die  strafende  Seite  Jener 
alten  Wunder  wegtiefsen. 

Etwas  mehr  Schein  hat  die  rationaÜstisehe  Berufung 
auf  den  Mangel  einer  ausdrilolEliehen  Angabe,  r dafs  eine 
wunderbare  Reinigung  vom  Ausaatae  gemeiat  sei ,  l>ei  der 
fireähluog  von  den  cehn  Ansfcätaigen.,  .wdloke.  duift  :Lukas 
eigenthttmlich  ist  (17,  12 ff.).  iliarinäsBlicfa<.ver|i|itga»iWe^ 
der  die  Kranken  ausdrOcklich  die  Heilung,  sondern,  sie  ru- 
fen nur:   iUffiov  fjiii^j   noch  thut  Jesus  ein  hier amI' sich 


Neuntes  Knpitel»    $.  93.  77 

betiplietide»  Machtwort,  «eiidern  er  veisl  »ie  iHii:  «y^  sieb 
dan  Priestern  bu  aeigen ;  was  man'  deon  mtioballstiiith^r- 
seits  iiioht  aänmt,  dahin  so  erfclfiren,  dafs  Jeiii|S|i.j||s(ch  g^ 
DOoiBener  Kenntnlfs  von  ihreca  Zii)itafide.y'  sie  :ers|antert 
Wfaey  sieh  der  priesterÜeheii  ViaitaÜm  49u.  oiilAcwalBfen; 
diefs  habe  wbrUioh  ihre  Reinapretbang  aar  Felge  gidiilbl;, 
■nd  der  Samariter  sei  attgekehrl)  am  Jeea  für  jeiaeii  ^^ 
mathigendeB  Rath  an  danken  *).  Allein  «o  angelegtutli^ 
wie  es  hier  besehrieben  wird,  dnrch. ein  7mm£$y  inl  n^i 
ownor,  dankt  man  nicht  filr  einen  blofsen  Rath ,  ttotb  .we* 
nigsr  konnte  Jesns  rerlangeo^  dafs  aai.dea£ff£algs  diesa^ 
Itathes  willen  alle  Zebae  hftttea  ttaifcHvea'.«^!^»,.  nad 
aarar  eai  Gott  die  Ehre  su-  gel>en  •  —  4oU*  nie»  itaa  vsag^ 
iaSbr^  dafa  er  Jesom  befiäbigt  habe;  ihflNln-  tomin  isa  gMafi 
Balh  aai  ertbeiien?  Nein;  sondern  hier  wird  «iaejndiUaafe 
Lcistnng  ▼orani|[eseta^  and  diese  gibt  die  finslkhlang  wit iü- 
lieb  Jüiy  arann  sie  sowobl  die  übikdhp  des  ^iaiaritetre 
darek  Idoir  ofi  iaSTj  begvOndet,  als  aaeb  «lesilai:  deniGmodf 
wsnini  ec  von  Allan  Dank,  erwartet' hfttd«  daaok  a^  d 
dexa  ikaSa^&fjaay;  aassprechen  ISist^  wa^'Beidea  doch 
nar  bBehst  gaawnngen  so  erklfirt  wenden  hant»,  dab,  weil 
'de  gasshen,  dafs  Jesus  mit  seiner  Reinerkltfrang  reofat 
gakabt>  der  eine  wirklioh  nmgekehrt  sei,,  ihm.ao  danken, 
die  fibr^en  aber  hättea  nmkeihren  soUen.M  JSfilaoheideiMl 
«bar  gegen  -die  natllrliohe  £rklfirung  i4t  der  Sota :  iy  %^ 
maffiw  ctvT^  ixad^aqUs&tiöax.  Wölke  hifr,.  jener  Qenliiqg 
genJLfa^  dar  Referent  blofii  skgen:  wie  die  Ki^nfiaAi/  b^iip 
Priestar  angekommen,  sieh  ihm  seiften,  wnrden  sie  fCr 
reiii  arkUM:  so  mnlste  er  wenigstens  setaeki:  naQBvikivM^ 
ixa9aQlo&r]ffar:  wogegea  non  die  abmbtsvpile  Waiil  des 
h  xt^  imayeiv  unwidersprecblich  neigt ,  dab .  von  ej^em 
Reinwerden  wfthrend  des  Hingehens  die  Rede,  ist  A^b 
biar  also  haben  wir  eine  wnnderbara  AassatuheUmg)  Wf4* 


4)  Paulus,  L.  J.,  1,  b,  S.  68. 


78  Zweiter  Abgchnitc. 

ohe  eben  deneelben  tichwierigkeiton  unterliegt ,  aber  auch 
ebenso  tn  ihrer  BntetehaDg  erklttrbar  sebeiot,  wie  iBe  vo- 
rige •  Anekdote. 

Doch  ee  kommt  bei  dieser  Brsihlong  noch  etwis  Ei- 
gentbüiDKcbes  to  Betracht,  das  sie  von  der  vorigen  nnter- 
sciheidet.     Es  Ist  hier  keine  simple  Heiiang ,   ja  die  Hei- 
long  ist  nicht  einmal  eigentlich  die  Hauptsache;  diese  liegt 
«tieÜniehr  in   dem  Torschiedenen   Betragen  der   tieheilten, 
nnd  die  Frage   Jesu :   bxI  oi  dixa  iKa(htqiaihia€gif  m*  t.  L 
CV.  17  fO   bildet   die  Spitse  des  Oanaen,   welches  hiemit 
gans  moraliteh  schliefst,    and  sum  Behnf  der  Belehrong 
ertfAhlc  an  sein  scheint  ^>    NaraeDtüch  dafs  der  als  Mnster 
der  Dankbarkeit   Ersoheinende  gerade  ein  Samariter  ist, 
mofs  bei  'demjenigen  Evangelisten  anifallen ,  welchem*  «ueii 
die  Lebrrede   vom   barmhersigen  Samariter  eigentilümlich 
ist.    Wie  ntmlich  in  dieser  swei  Joden,  ein  Priester  und 
-ein  Le^it,  sieh  nobarmheralg  beweisen,  ein  Seonariter  da- 
gegen mosterhaft  barmhersig :  so  steht  hier  neva  nndanlh 
baren  Joden   ein  Samariter  als  der   einelg  Dankbare  ge- 
genfiber.    IV ie  daher,  sofern  doch  die  plfttBÜcbe  HeÜnng 
dieser  Kranken  nicht  historisch  sein  kann,  wenn  wir  auch 
hier,  wie  dort,   eine  von  Jean  vorgetragene  Parabel  vor 
«ns  hfttten,   welche  die  Dankbarkieit,  wie  jene  die  Bana- 
heretgkdt,   am  Beispiel  eines  Samariters  darsteilen  sollte, 
nur  aber  gesehlchtlieh   verstanden  worden   wffre!    DieCs 
wSre  dann  se,  wie  man  schon  behauptet  hat,  dafs  es  mit 
der  Versoeinnigsgeschichte  sieh  verhalte.    Doeli   eben  in 
Sesvg  auf  diese  haben  wir  gesehen ,  daCi  und  warum  Je- 
sus nie  sieh  selbst  unmittelbar  in  einer  Oleichnifarede  auf- 
treten lassen  konnte ,  >  und  diefs  mflfste  er  hier  getlian  ha- 
ben, wenn  er  von  sehn  Anssttuigen  ersihlt  hfitte,  die  er 
einmal  geheilt  habe.     Wollen  wir   daher  den  Gedanken, 
hier  etwas   nlrsprttnglich   Parabolisches  ku   haben,    nicht 


S)  ScntstSMiAciiiii,  Über  den  Lukas,  S.  2i5. 


neuntes  Kiipitel.    $.  94.  79 

fiJlen  liwseo,  so  hiuen  wir  urb  die  Saobe  «o  s«  deok^n, 
dab  ans  d«r  Sag»  Toa  Hailimgeii,  walcha  Jesas  a«oli  an 
Amltwigan  vollkraeht  habe,  eioeraaks,  ond  andrerseifB 
aat  Parabeln,  in  welchen  Jesaa,  wie  in  der  Tom  barni- 
henagen  Samariter,  lndi?idaen  dieses  angeMndeten  Voi- 
km  als  Master  Tersehiedener  Tagenden  anfstellte,  die  or- 
eiuisdiehe  Sage  diese  Eraftblang  nnsammengewoben  habe^ 
«veiehe  ebendaher  halb  Wnndereraihhiag,  halb  Parabel  ist. 

Aaf  eine  neeh  andere  Krklirung  kann  M  dieser  £r- 
■iUaai;  der  Zng  flibren,  dafs  die  Kranken  nlcbl  oanrittel- 
bsr  in  Jesa  Gegenwart,  sondern  naehdem  sie  sieh  bereits 
von  Ihm  entfernt  hatten,  geheilt  worden.  Zwar 
diefa  der  fiTangelist  avgenseheinlich  nor  ?on  einer 
knmen  Entfernung  vielleicht  nicht  einmal  mehrerer  Stnn* 
den  0:  aber  es  liefiw  sich  eh^n  dieb  als  nngesobiohtllche 
Verkfirsug  denken,  und  vermuthen,  erst  nach  längerer 
Zwiselienseit  seien  die  Minner,  in  Feige  des  heilenden 
ffinflnassn  tlesn,  von  ihrem  Debel  belMt  worden;  eine  Erf> 
Uirang,  die  man  anch  anf  die  erstere  Geschichte  des  Ei* 

AnasMtnigon  fbertrageo  könnte.  Ob  eine  der  magno* 
iibniigibs  Heilkraft ,  wie  wir  sie  in  Jesn  annuneh* 
iiabsn,  wie  anf  verstimmts  Nerven ,  so  aneh  aof  verw 
doribeno  Sifte,  heilend  einwirken  ktone,  mnfs  freilich  da^ 
hingniUeüt  bleiben ;  Jedenfalls  wäre  die  Einsehiebnng  einer 
ZwisoiMMBoit  nöthigi  mn  den  gomoidetan   Erfolg  denkbar 


f.    M. 

BUadenheiluageii. 

Eine  der  ersten  Stellen  anter  den  von  Jeto  gehßllten 
Kranken  pehmen,  gleichfalls  nach  der  Natar  des  Landes  0, 


6)  Vgl.  \BiaDsa,  S.  337.  ' 

i)  s.  WwMy  Retlw.  d.  A.  Blinde. 


I 

[ 


80  ZWeitvr  Abstttinltr* 

.die  Blinden  ein ,  ron  deren  HeUung  wiederum  nicbt  bii>r5 
in  den  allgemeinen  Schilderungen,  welche  die  ETangeliaMi 
(Matth.  15,  30  f.  Lnc.  7,  21.)  oder  Jesus  selbst  (llatth. 
11,5.)  von  seiner  messianischen  Thfidgkeit  geben,  die 
Rede,  ist,  sondern  auch  einige  eincelne  Fülle  ansfclbrliofc 
beriehtet  werden.  Und  swar  mehrere  als  von  den  Beilai»- 
^en  der  suletzt  beschriebenen  Act;  Tieileieht,  weil  die 
Blindheit,  als  ein  Leiden  des  feinsten  und  complioirteiten 
Organs,  juehrere  abweichende  Behandlnngsweisen  enliefs. 
Eine  dieser  Blindenheilnngen  ist  sämmtlicben  Sjrnofiiakera 
gemeinsam;  die  andern  sind  (sefern  wir  den  dänienische« 
•Blindstumman'  des  Matthäus  hier,  nicht  wieder,  suhlen  ) 
je  eine  dem  ersten,  sweiten  und  vierten  Evangelisten  ei- 
genthümliefa. 

Gemeinsam  ist  den  dtei  synoptischen  Evangelien  die 
Ersähiung,  dafs  Jesus  auf  seiner  leteteo  Reise  nach  Jeru- 
salem bei  Jericho  eine  .Blindenheilung  verrichtet  habe 
(  Matth.  20,  !SL9.  parall. ) :  aber  bedeutende  Ab'weiebottgen 
finden  statt  sowohl  in  Bestimmung  des  Objecte  der  Hei* 
lung,  indem  Alatthftns  swei  Blinde  bat,  die  b^dte  andern 
nur  Einen ,  als  auch  in  Benug  auf  das  LeealT  A^rselbeii^ 
indeih  Lukas  sie.bei'm  Einsog,  MattbXos  und  Marhiis 
bei'm  Ausaug  aus  Jericho  vor  sich  gehen  lassen;  aneb 
wissen  von  der  Berührung,  mittelst  welcher  nacb  deoi  er* 
sten  EvAngeltsten  Jesus  die  Blinden  heilt,  die  beidien  ao* 
dern  Berichterstatter  nichts.  Von  diesen  Differensea  mag 
sich  die  leiste  durch  die  BemeriLung,  dafs  AlarlLUS  nnd 
Lukas  die  Berührung,  die  sie  verschweigen,  darum  nicht 
läugnen,  etwa  lösen  lassen:  schwieriger  ist  die  erste,  \4'el- 
che  die  Zahl  der  Geheilten  betrifft.  Hier  haf  mai^  bald 
mit  Zugrundlegung  des  MaUhfius  gesagt,  es  möge  sich  ei- 
ner von  beiden  Blinden  besonders  ausgeseichnet  haben, 
wefswegen  in  die  erste  Ueberliefemng  er  allein  gekemoien 
sei;  Matthäus  aber  als  Augenzeuge  habe  ergärueend  den 
Bweiten    Blinden   hinsugefUgt.     So    widersprechen    weder 


Neoalet  KapItaL    %  94.  81 

Lakas  imd  Markai  dem  Matthlsf ,  dam  ah  liognen  nlr- 

geads,    dafs  nicht  Doob  mehrere  ab  nnr  der  Toa  Ihnen 

herforgehohefie  Blinde  geheilt  worden  seien;  noch  Mat- 

Ihfai  den  b^den  andern,  denn  wo  Zwei  seien,  da  sei  aoeh 

Katr^y,    AUdn   wenn   der   einfaehe  Ersfthier  Ton  Einem 

loiliridanm  spricht  (und  sogar,  wie  Markus,  dessen  Namen 

aeant>,    an  welchem  etwas.  AnlsercNrdentliehes  geschehen 

sei:  ao  hat  er  offenbar  der  Angabe,   es  sei  an  awei  Indl- 

Tidaen  Torgegangen,   stillschweigend  widersprochen;   wae 

aasdrAckUeh  an  thnn  er  keine  Veranlassung  hatte.    Wenn 

man  sieh  aber  auf  die  andere  Seite  wendet,  und,  die  Ein- 

■aU  des  Markus  and  Lukas  aum  Grunde  legend,  von  Mat- 

tiilBs,  der  hier  wohl  nicht  Angenseuge  gewesen  sei,  Ter- 

■athet,  sein  Gewährsmann  habe  vielleicht  den  Fahrer  des 

Blinden  f&r  einen   aweilen  Blinden   angesehen*):   so  ist 

daant  achon  ein  wahrer  Widerspruch  angegeben,  nnr  nn* 

ndthigerweise  eine  höchst  unwahrscheinliche  Veranlassung 

desseUien  erdacht.    Dafs  die  dritte  Differeas,  das  ixno^en- 

Ofihw  mto   und   iv  %i^  iyyl^eiv  eis  'hQixtij   noltfsbar  sei, 

kana,  wen  die  Worte  nicht  fiberseugen,  aas  den  gewaitsa-» 

aMo  AnsgleichnngSTersucben  lernen ,   welche  von  Orotius 

1^  Pavu»  darttber  aufgestellt  worden  sind. 

Besser  haben  daher  die  Alteren  Harmonisten  *)  gethaa, 
welehea  defswegen  auch  neuere  Kritiker  beigefallen  sind  *), 
wenn  nie  mit  Rflckslcht  auf  die  aitletst  besprochene  Ab- 
weichang  hier  aweierlei  Begebenheiten  unterschieden,  und 
annahaaen,  Jesus  habe  suerst  bei'm  Einsug  ia  Jericho  (nach 
Lakaa>9  dann  wieder  bei*m  Ansang  (nach  Matthäus  und 
Markoa  ) ,  einen  Blinden  geheilt.  Mit  der  andern  Abwei- 
chung, rficksichtllch  der  Zahl,  glauben  diese  Harmonisten 

2)  GtLMTXy  Gomm.  z.  Mattb.  2,  S.  323. 

3)  PAUiut,  ezeg.  Handb.,  3,  a,  S.  44.  J 

4)  ScavTLZ,  AmnerkuogeB  zu  MicHAUiSy  2,  S.  105. 

5)  SisafSST,  a.  a.  O.  S.  104. 

Da»  JLehn  Jesu  Ue  Auß.  iL  Baitd  6 


92  Zweiter  Absehnilt. 

durch  die  Voränssetsang  fertig  Ma  werden,  Matthäos  habe 
die  beides  Blinden,   den  vor  und  den   hinter  Jericho  ge- 
heilten, wm9mmmengedkhlty   ond  die   Heilung  Ton    beiden 
hinter. Jericho  versetst«     Allein,  wenn  man  der  Angabe  des 
Matthftua  rdckaichtlich  der  Oertlichkeit  der  Heilung  so  viel 
Gewicht  bellet,  um  ihr  und  der  dea  Markus  sufolge  ewei 
Heilungen I   die  eine  vor,  die  andere  hinter  der  Stadt  an- 
Kunehmeo:   so  weiis  ich  nicht,  warum  seine  abweichende 
Zablangabe  nicht  ebensoviel  Geltung  haben  soll,  und  Storr 
scheint  mir  folgerichtiger  sn  verfahren,  wenn  er,  auf  bei« 
de  Abweichungen  gleiches  Gewicht  legend,  annimmt,  dafs 
Jesus  Buerst  bei'm  Eineug  in  Jericho  Einen  Blinden  (Lu- 
kas), dann  bei'ra  Auszug  von  da  swei  Blinde  CMatthäus) 
geheilt  habe  ^)*    Kommt  nun  aber  hiebei  Matthfius  su  sei- 
nem vollen  B.echte,  so  ist  diefs  hingegen  dem  Markus  ver- 
weigert.   Denn  wenn  dieser,  wie  hier  geschieht,  um  sei- 
ner Ortsangabe  willen  mit  Matthäus  zusammengestellt   ist, 
so  geschieht   hiedurch   seiner  Zablangabe  Gewalt,    welche 
filr  sich  vielmehr  eine  Zusammenstellung  mit  Lukas  erhei- 
schen würde:    so  dafs,   wenn    man   keine   seiner  Angaben 
beeinträchtigen  will,   was  man   bei  dieser  Verfahr ungsart 
nicht  darf,  er   von  beiden  gleicherweise  getrennt  werden 
mufs.    So  hätten  wir   drei  verschiedene  Blindenheilungen 
bei  Jericho:    1)  die  Heilung   Eines  Blinden   bei*ai  Einzug, 
2)  die  eines  weiteren  bei*m  Auszug,    und   3)  die  Heilung 
zweier  Blinden  bei'm  Auszug,  also  zusammen  vier  Blinde. 
Uen  zweiten  und  dritteii  Fall  nun  auseinanderzuhalten,  ist 
freilich  schwierig.   Denn  wenn  doch  Jesus  zu  zwei  verschie- 
denen  Thoren  zu  gleicher  Zeit  nicht  ausgezogen  ^sein   kann, 
so  will  sich   ebensowenig  das  vorstellen    lassen,    dafs   er, 
blofs  auf  der  Durchreise  hegriifen ,    nach  dem  erstea  Aus- 
zuge wieder  in  die  Stadt  zurückgekehrt,   und  später  noch 


6)  lieber  den  Zweck  der  evang.  Gescliichtc  und  der  Briefe  Joh. 
S.  5^5. 


/" 


/ 


Neunte« -Kiipitei.     §.04.  83 

eiamal  «usgescigen  sein  coUle.    üeberhaupt  aber,  drei  so 
gsns  iknlicha  VorfiÜle  hier  sosammentreffeD  sn  lassen,  wiU 
kaiiB  angehen.    Sehen  die  Häufung  ven  Bttndenheilungen 
ma6  befremden.    Besonders  aber  wird  das  Benehmen  der 
B^leiter  Jesu  nnbegreifteh,  welche,  hatten  sie  einmal  hei'm 
fincoge  gesehen,  dafs  das  fVri<f/#^v  z(p  tvq^h^  iVc  aiwTtrjuri 
nieht  ia  Jesu  Sinne  sei,  indem  er  ihn  Ja  nn  sich  rief,  diels 
doch  nicht  bei  dem  Ansenge,  und  swar  sweimal,  wieder- 
holt haben  werden.  Sreaa  n  freilieh  stdrt  diese  Wiederho- 
ItiDg  nieht   in  der  Annahme  von  wenigstens  swei  Vorfkl- 
lea  ^eser  Art;   denn  Niemand  wisse  Ja,    ob  diejenigen, 
welche  hinter  Jericho  Stille  geboten,  nicht  gans   andere 
gewesen   seien ,   als  die  vor  der  Stadt  das  Gleiche  getban 
hstten;   wenn  atier  aneh,   so  wfire  eine  solche  Wiederhc* 
hing,  eines  von  Jesu  thatsXchlich   mifsbUligten   Benehmens 
swar  nnschicklich  gewesen,   aber  dämm  nicht  unmöglich, 
ds  anch  die  Jfinger,  welche  der  ersten  Speisung  angewohnt 
liatten,  doch  vor  der  sweiten   wieder  gefragt  haben,    wo 
Brot  fOr  so  Viele  herannehmen  sei?    —   aliein   das   heifst 
ans  der  Wirklichkeit  einer  UnmÖglichaeit  auf  die  der  an- 
dern gBsehlossen ,  wie  wir  bald  genug  bei  Betrachtung  des 
doppeltea  Speisnngswnoders  sehen    werden«     Doch   nicht 
MÜmn  das  Benehmen  der  Begleiter,  sondern  Oberhaupt  fast 
alle  Zfige  der  Begebenheit  mttfsten  sich  auf  die  unbegreif- 
Ikiiste  Weise  wiederholt  haben.     Einmal  wie  das  andere 
der  Rnf  der  Blinden:   iXirflay  i^fiag,   oder  ^£,  vie  JcnHÖ\ 
hierauf  (nachdem  ihnen  von  der  Umgebung  Stillschweigea 
auferlegt  worden)  der  Befehl  Jesu,   sie  an  ihm  eu  brin- 
gen;  seine  Frage,  was  sie  von  ihm  wollen?  ihre  Antwort: 
teilend  werden ;  seine  Gewährung  ihres  Wunsches,  worauf 
sie  ihm    dankbar  nachfolgen.     Dafs   sieh   diefs  Alles  drei* 
mal,    oder  anch  nur  zweimal  so  wiederholt  haben  sollte, 
ist  eine  der  Unmöglichkeit  gleichkommende  Unwahrschein- 
lichkeit,    und  es   müfste  entweder  nach  der  von  Sieffrrt 
hl  solchen  FiSllen  angewandten  Hypothese   eine   Bagenhafte 

G  ' 


84  Zweiter  Absehnltt» 

AMfanilatioa  veriehiedener  Facta,  oder  eine  traditioMlIe 
Variatfen  einer  rinaigen  Begebenheit  aDgenommen  werden» 
Fragt  man  sich,  am  hier  an  entscheiden:  was  lionotoy  ein- 
mai  eine  Vermittlang  durch  die  Sage  Toraosgesetet^  leich- 
ter geschehen :  das  iJone,  dafs  dieselbe  Geschichte  bald  ?on 
Einem,   bald  yon  Mehreren,   bald  yom  Einzog,  bald  Ton 
AnsEug  erzählt  wnrde  ?   so   braucht  man  das  Andre  gar 
nicht  erst  dasafindenken ,   da  jenes  Erstere  so  ohne  Ver> 
gieichnng  wahrscheinlich  ist,  dafii  man  keinen  Angenblick 
anstehen  kann,  es  als  wirklich  voraassasetaen.   Führt  man 
aber  so  die  scheinbar  mehreren  Facta  anf  wenigere  aarück, 
so  bleibe  man   nnr  nicht  mit  Suffert  bei  der  Reduction 
aof  Bwei  stehen,   da  hiebei  nicht  allein  die  Schwierigkei- 
ten hinsichtlich  der  Wiederholung  desselben  Hergangs  blei- 
ben, sondern  auch   die  Consequeoz   verfangt,,  wenn,  man 
die  eine  Abweichung  (in  der  Zahl)  als  unwesentlich  auf- 
gibt ,  auch  von   der  andern  (im  Local)  abausehen.     Stellt 
sich  nun,  wenn  hi|9r  nur  Eine  Begebenheit  ersKhlt  werden 
soll,  die  weitere  Frage,  welche  der  verschiedenen  Eraih- 
langen  wohl  die  ursprfln|[liche  sei  ?  so  wird  die  Orteangabe 
an  keiner  Entscheidung  helfen,  da  genau  ebensogut  vor  als 
hioter  Jericho  ein  Blinde^  au  Jesu  stolsen  konnte.    Eher 
wird  man   in  Bezog  auf  die  ZahkOrond  haben,    aich  eo 
entscheiden,  und  zwar  zu  Gunsten  des  Lukas  und  Markos 
ffir  blols  Einen  Blinden;    Keineswegs  zwar  aas   dem  von 
ScBLEnRMACHBR  angegebenen  Gm udc ,    weil  Markus  ^  der 
durch  die  Angabe,  wie  der  Bünde  geheilsen,  eine  genaaere 
Bekanntschaft  mit  den  Verhältnissen  beorkonde,  auch  nur^ 
Einen  habe  0 ,  da  dem  so  oft  auf  eigne  Hand  individuali- 
sirenden  Markus   am  wenigsten  bei  den  ihm  eigenthfimli- 
chen  Namen  zu  trauen  sein  dfirfte;  sondern  wegen  eines 
andern  Cmstendes* 

Es  scheint  nändich  die  Verdoppelung  des  Blinden  bei 


7)  s.  t.  O.     S.  237. 


Nenntea  Kapitel.    S.  M.  85 

Hattbftas  dmreh  die  ErinneroDg  an  die  deaielben  Evaiige- 

ÜflUm  eigenthftaUiche  Eraibiiuig  Ton  eiaer  ffftthereii  Heilnng 

BWMflr  Blinden  (9,  S7  £F0  Teranlalät  ra  sein.    Hier,  gleiclh 

Idb  iaa  Weggehen,    nCnlieh  Tön; dem  Ortei  wo  er  die 

Totbtar  des  aigf/a^  wiedererweokt  hattei  folgen  Jesu  evrei 

Jlfinde  nacli  (die  iiei  Jerieho  dtnen),  und  mfen  ilinlich 

wie  dort  den  OavidMohn  um  Erbarmen  aoi  der  sie  sofort 

aneh  hier,  vHe  dort  nach  Matthäus ,  duroh  Handanflegnng 

heilt.     Daneben  finden  sieh  freilich  niebt  geringe  Abwei- 

chui^en:   von  einem  Stillegebote  der  Begleiter  Jesu  steht 

Uer  niehts,  und  während  bei  Jericho  «Ifsus  die   Bünden 

segisieh  su  sich  raft|  kommen  sie  in  dfin  frflheren  Falle 

ent  WM,  ihm,  als  er  wieder  en  Hanse  isti  .ferner,  während 

er  dort  sie  fragt,   was  sie  yon  ihm  wol|po?  fragt  er  hier 

gleich,   ob  sie  das  Vertrauen   haben,.  4<^fs  er 'sie  heilen 

hdnae?  endlich  das  Verbot,    Niemanden  etwas  su  sagen, 

ist  dem  froheren  Falle  eigentbamlich.  )|pi  diesem  Verhält- 

niTs  beider  Erzählungen  könnte  wohl  |lpe  Assimilation  in 

der  Art  aftatigefnnden  hallen,  daTs  dem  IMatthäns  die  uwei 

Bliudep  md  die  Btortthrnng  Jesu  aus  d||f  ersten  Anekdote 

In  die  «weite,  die  Form  des  Rufs  dM  füranken  aber  aus 

der  swdton  in  die  erste  hineingekon^ptn  wäre  ^> 

Wie  beide  Geschichten  angelegt  slpd,  scheint  fttr  eine 
aetflriiehe  Brklärung  sich  wenig  d^Mubieten.  Dennoch 
hA^  die  r*tioa.li.tisch«n  Aiuleger  0»  soiehe  >a  y«nui. 
stalteo  gevi^ulst.  Dais  Jesus  in  dem  ^^^^'^  Falle  die 
Blinden  f^agt,  ob  sie  Vertrauen  cu  Vt^  haben,  erklärt  man 
dalde,  Jesus  habe  sich  fiberaeugeii  wollen,  ob  sie  ihm 
woU  bei  der  Operation  festhalten,  Md  seine  weiteren  Vor- 
sefariften  pinktlieh  befolgen  wttrd||||  ^);  erst  nu  Hanse 
biemaf ,  um  ungestört  su  sein,  haj^f  er  ihr  Hebel  untere 


8)  Vgl.  OB  WsTTSy  exeg.  Handb.  1,  1,    S,  17f ;  Wsuss,  die  ev. 
Geschichte,  1,  S.  571. 

9)  FlVLUS,  L.  J.,  1,  a,  S.  249. 


85  Zweiter  Abschnitt.  ' 

sacht,  hikI  als  er '  in  demselben  ein  hellbares  (nncb  Vektu- 
RiNi  ^^  durch  den  feinen  Stanb  jener  Gegenden  bevHrktes) 
Uebel  erkannte,  die  Leidenden  versichert,  dafs  ihnen  nach 
dem  Maafs  ihres'  Zutranens  geschehen  solle.    Hierauf  sagt 
Paulus  nur  knrs, 'Jesus  habe  das  Hindernifs  ihres  Sehens 
entfernt ;  aber   anch   er   mufs   sich   etwas  Äehnllches    mit 
Venturini  denken,   welcher  Jesum  die  Augen  der  Blinden 
mit  einem  scharfen,    von  ihm   vorher  enbereiteten  Wasser 
bestreichen,   ond  sie  so  von  dem   etitcündeten  Staube  rei- 
nigen läfst,   woranf  in  Kureem  ihr  Gesicht  enrückgekehrt 
sei.    Allein  auch  diese  natürliche  Erklärung  hat  nicht  die 
mindeste  Wurzel  im  Texte;   denn  weder  kann  in  der  von^ 
den  Kranken  geforderten   nlgig  etwas   Anderes,   als,    wie 
Immer  in  ähnlichen  Fällen,  das  Vertrauen  auf  Jesa  Wun» 
dermacbt  gefunden  werden,  noch  in  dem  ijifjoro  eine  ehi^ 
urgische  Operation,  sondern  lediglich  jenes  Berühren,  wel* 
ches  bei   so  vielen  evangelischen  Heilungswundern ,  sei  es 
als  Zeichen  odek*  ails  Leiter  der  heilenden  Kraft  Jesn ,   ei^ 
scheint;   von   weiteren   Vorschriften  Kur  völligen  Herstel- 
lung ist  ohnehin  nichts   en    bemerken.     Nicht  anders  ver- 
hält, es  sich  diit  der  Heilung  der  Blinden  bei  Jericho,  we 
übcrdiefs  die  zwei  mittleren  Evangelisten  nicht  einmal  et 
ner  Berfihmng  gedenken. 

Sollen  aber  auf  diese  Weise  nach  dem  Sinne  der  Re- 
ferenten auf  das  bloise  Wort  oder  die  ßerfihrung^  Jesu  hin 
Blinde  augenblicklicli' Behend  geworden  sein:  so  werden 
wohl  ähnliche  Bederi'4lichkeiten  hier  eintreten,  wie  in  dem 
vorigen  Falle  mit  den  Aussäteigen.  Denn  ein  AngenObef, 
es  mag  noch  so  leicht'  sein,  wie  es  nicht  ohne  mancbfache 
Vermittlung  entstanden  ist,  so  wird  es  noch  weniger  an- 
mittelbar  auf  ein  Wort  oder  eine  Berührung  hin  weichen 
wollen;  sondern  es  erfordert  sehr  complicirte  theils  cbimr« 
gische  theils  medicinische  Behandlung,  und  so  vornehmlich 


10)  Natürliche  Geschichte  des  Propheten  von  Naz.  2,  S.  216. 


Meanles  Kapitel.    %  94.  87 

die  BUndheit)  wenn  sie  fiberbavpt  heilbarer  Natar  Ut.  Wie 
»ellteii  wir  ans  auch  die  pl6tsliobe  iieiiende  Kiiiwirkung 
eieee  Wortes  ond  einer  Hand  anf  ein  erblindetes  Aoge  ror» 
steileB?  rein  wanderbar  aod  magiseh?  das  Uelse  das  Oea* 
kea  fiber  die  Saebe  anfjgeben;  «4^*  magnetisob  ?  allein  es 
IM  «ohne  Beispiel,  da(s  anf  dergleiehen  Uel»el  der  Magne« 
tifflins  Ton  Einflofs  gewesen;  oder  endlich  psyehisoh?  aber 
die  BUndheit  ist  etwas  Tom  SeelenlelieD  so  Unabhängiges) 
selbstotindig  Körperliehes,  dafs  an  eine,  namendicb  plöts« 
liehe,  Hebang  derselben  Ton  geistiger  Seite  her  nicht  sSb 
denken  ist.  Wir  mOisen  folglich  ll»kennen,  dars  eine  ge- 
seiiicbtiiehe  Anffassong  dieser  Krsiihlangen  uns  äafserst 
schwer  fiillt,  and  bis  namentlieb  voUstftodigere  Analogien 
mmg  dem  Gebiete  magnetischer  ond  psychischer  Heilange« 
be^ebraeht  sein  werden,  mafs  der  Versoch  erlaobt  sein, 
sich  die  sagenhafte  Entstiehnng  dieser  Er£&hlungen  denk- 
bar mm  machen* 

Die  Stelle  ist  bereits  angeffihrt,  wo  nach  dem  ersten 
ond  dritten  Evangelium  Jesns  den.fpesandten  des  Täafers 
gegeoiber,  welche  ihn  so  fragen  hatten,  ob  er  der  igxo- 
fnros  sei,  sich  auf  seine  Thaten  beruft,  ond  vor  allem  An- 
dern hervorhebt,  dafs  rvifhu  m'aßkLiaai\  eum  deutlichen 
Beweise,  dafs  namentlich  auch  solche,  an  Blinden  verrich- 
tete^ Wander  vom  Messias  erwartet  wurden;  wie  ja  jene 
Worte  MUB  Jes.  35,  5,  einer  ai^^Mianisch  gedeuteten  Weis- 
S8ga]i|r,  genommen  sind,  vnd  nach  in  einer  oben  angefihr- 
len  rabbiniseben  Stelle  unter  den  Wundern,  welche  Jehova 
in  der  messianisefaen  Zeit  ausführen  werde  ^  das  hervorge» 
hoben  ist,  dafs  er  ocnlos  caecorvm  apeiiet,  id  quod  per 
Elisam  fecit  ")•  Eine  eigentliche  Blindheit  nun  hat  Elisa 
nicht  geheut,  sondern  nur  einmal  seinem  Diener  die  Augen 
für  eine  Wahrnehmung  aus  der  übersinnlichen  (Welt  er- 
öffnet,  und  dann  eine  in  Folge  seines  Gebets   über  seine 


IJ)  s.  Band   ).  S    106  ff    Aiun 


86  Zweier  Al»«ohaitt. 

Feinde  verhängte.  Verbloi«liuig  wieder  «BÜhfiren  Ineen 
(2*  Ktfn.  17—20.)»  Dieee  Tbaten  des  Elisa  non  fabte  man, 
ahne  Zweifel  in  Rficksicht  aaf  die  Jesaianjsche  Stelle  ^  ge* 
radesn  als  Eröffnung  erblindeter  Aogen,  wie  wir  ans  je^er 
rabbinisehen  Stelle  sehen  |  and  so  wnrden  vom  Messias 
aneh  Bltndenbeilnngen  erwartet  ^^.  Nahm  nun  die  nr- 
ehristllohe  Gemeinde,  wie  sie  ans  den  Jaden  hervorgegan- 
gen war,  Jesam  für  das  messianiscbe  Snbjeet,  so  mafste 
sie  die  Tendene  haben,  ihm  anch  alle  messianiseben  Prä- 
dicate,  and  so  auch  das  In  Rede,  stehende,  saeaschreiben. 

Die  dem  Marlius  elgenthfimlicbe  Ersfiblnng  von  einer 
Blindenheilang  bei  Bethsaida  <8, 22  ff  )  ist,  neben  der  gieich-* 
lalls  nur  bei  ihm  sn  findenden  von  der  Heilang  eines 
aebwerredenden  Taaben  (7,  32ff.))  welebe.wir  defswegen 
hier  mitberiloksichtigen,  die  Lieblingsersühlnng  alier  ratio- 


12)  Auch  sonst  finden  wir ,  dass  in  jener  Zeit  Männern ,  die  iiir 
Lieblinge  der  Gottheit  galten ,  das  Verm'dgen  Wunderbarer 
Heilung,  nsmentUdi  such  der  BHndheit,  zugeschrieben  zu 
werden  pflegte.  So  erzählen  uns  Tacitus,  Bist.  4^  81.,  und 
Sneton ,  Vespas*  7« ,  in  Alezandrien  habe  sich  an  den  kürz- 
lich Imperator  gewordenen  Vespasian  ein  Blinder,  angeblich 
nacli  einer  Weisung  des  Gottes  Serapis,  mit  der  Bitte  ge- 
wendet, ihn  durch  Benetzung  seiner  Augen  mit  seinem  Spei- 
chel zu  heilen,  was  Vespasian  mit  dem  Erfolge  gethan  habe, 
dass  der  Blinde  augenblicklich  das  Gesicht  wieder  erhielt. 
Da  Tacitus  die  Richtigkeit  dieser  Erzählung  ganz  besonders 
verbürgt,  so  dürfte  Paulvs  woIü  nicht  Unrecht  haben,  wenn 
er  die  Sache  als  Veranstaltung  9chmeschlertscher  Priester 
ansieht,  welche  durch  subornirte  Scheinkranke  den  Kaiser  in 
den  Ruf  des  Wunderthäters,  und  dadurch  ihren  Gott,  dessen 
Rath  den  Vorgang  veranlasst  hatte,  bei  ihm  in  Gunst  setzen 
wollten  ( exeg.  Handb.  2,  S.  56  f.  ).  Jedenfalls  aber  sehen 
wir  hieraus,  was  man  in  jener  Zeit  auch  ausserhalb  Palüsti- 
na*8  von  einem  Manne  erwartete ,  welcher,  wie  Tacitus  sich 
hier  über  Vespasian  ausdrückt,  einen  fwoor  e  coeUs  und  eine 
inciinaiio  numinum  genoss. 


#fii>gwlhdinij  HeHngifMefaiditaB  irie 

de,  dab  Jewn  niehl  lüvaii  blobe  MaebttpHldie  heilte,  hi- 
■iwieiih  Sil  erweisen ,  ond  tut  tiefer  Ferecliende  sogar  die 
MtfiriieboB  Mittel  seiner  Hoilnngen  so  eotdeeken  sein  ^^)l 
So  ist,  ▼orsOglieli  ans  Vonuüassong  dieser  Eraihlungen, 
weicliea  aich  dann  aber  aneh  oiaselne  Zfige  ans  andern 
ThHloa  des  nweiten  ETangelinms  anschliefsen ,  Markos  Ih 
neooBtar  Zeit  aoeb  von  solcben,  die  sonst  dieser  Ansle- 
gongsweiae  nieht  eben  geneigt  sind ,  als  Patron  der  natip- 
iiehea  Erl&Ulrong  dargestellt  worden  ^^)* 

Was  aon  nnsere  beiden  Heilungen  betriflEt,  so  ist  den 

raüenalistuchen  Anslegem  sehen  das  eine  goto  Vorbeden- 

tni^,   dnfs  Jesus  beide  iüranke  Tom  Volke  weg  besondere 

mt:  nos  keinem  andern  Grande,   wie  sie  glaoben,  als 

ilirea  Zustand  Srstlioh  so  nntersnoheni  nnd  so  seheni 

ob  «elr  lielfen  lasse  oder  nieht.    Eine  solche  Untersnehnng 

fiadea  die  beaeiehneten  Erklärer  vom  ETongelisten  ^selbst 

angcaeigt,   wenn  naeh  ihm  Jesns  dem  Tanben  die  Finger 

in  Um  Ohren  steekte,  wobei  er  die  Tapbheit  als  eine  he>I- 

bnroj  fielleicbt  nur  dnrch  ForbXrtete  Fenchtigkeit  im  Ohr 

ealataDdene,   gefanden  >   and  hierauf,  gleichfalls  mit  den 

Fiagem,   das  Hindemils  des  Gehörs  entfernt  habe.    Wie 

da«  ijilale  %hs  dcoavkag  eis  ra  cka^  00  wird  anch  das  i^tpa- 

%o  Trfi  Yltiiaatjg  von  einer  chirorgisohen  Operation  verstan* 

den,   dareh  welche  Jesus  das  Zangenband  bis  anf  den  op- 

forderliclien  Punkt  gelöst,  nnd  dem  erstarrten  Organ  seine 

Gelenkigkeit  wieder  gegeben  habe,   und  ebenso  wird  das 


t$)  So  tingefihr  Paulus,  exeg.  Uandb.  2,  S.  312-  S91. 

t4)  i»B  WsTTB,  Beitrag  zur  Cbaraktcristik  des  Evangelisten  Mar- 
kus,  ia  Uluunm's  und  Umbhsit's  Studien^  1,  4,  789  ff.  Vgl. 
H'ötrtaiy  Immanuel  y  S.  72.  Digegeo  vergl.  db  Wettb^s  exeg. 
Handi.  J,  Z,  S.  148  f. 


00  Zweiter  Absoknitt« 


\' 


miOsig  rag  xetQag  avTifi   bei  dem  Blinden   dahin  erkllirt, 
JesQS  habe  vielleicht   daroh  ein  Drflcken   der  Augen  die 
verdickte  Linse  herausgebracht.     Eine  weitere  HolfQ  findet 
diese  Erklärnngsweise  darin,  dafs  Jesus  (»eidemaie,  an  der 
Zunge  des  Sohwerredenden   und  nn  den  Augen   des  Blin- 
den, Speichel  anwandte*    Schon  für  sich  hat  der  Speichel, 
wenigstens  nach  der  Meinung  äkerer  Aereto^^},   eine  ffir 
die  Augen  heilsame  Kraft;  da  er  indefs  so  schnell  in  kel> 
jiem  Falle  wirkt,  um  eine  Blindheit  und  einen  Fehler  der 
Sprachorgane    mit   Einemmale    entfernen   bu   können,    so 
wird  ftf r  beide  FfiUe  vermuthet ,  Jesus  habe  den  Speichel 
nur  gebraucht,   um   ein  Arsneimittel ,    wahrscheinlich  ein 
Stzendes  Pulver,  ansufeuchten ;   wobei  sowohl  der  Blinde 
nur  das  Ausspucken  gehört,  von  den  eingemischten  Medi- 
camenten aber  nichts  gesehen,   als  auch   der  Taube    nach 
dem  Geiste  der  Zeit  die  natürlichen  Mittel  wenig  beachtet, 
oder   die  Sage  sie  nicht   weiter  aufbewahrt  habe.     Wird 
hierauf  in    der  Ersfihlung'  vom    Tauben   die  Heilung   tiar 
einfach  atigegeben,  so  eeichnet  sich  die  vom  Blinden   noch 
dadurch  aus,  dafs  sie  die  Wiederherstellung  seines  Gesichts 
umständlich  als  eine  successive  beschreibt.     Nachdem  Jesus 
die  Augen   des  Kranken   auf  die   beschriebene  Weise   be- 
handelt hatte,  fragte  er  denselben,  u  ri  ßUnu;  gar  nicht, 
bemerkt  Paulus,  wie  ein  Wunderthfiter,  der  des  Erfolges 
sicher  ist,  sondern  recht  wie  ein  Aret,  der  nach  gemach- 
ter Operation  den  Patienten  probiren  Ififst,  ob  ihm  gehol- 
fen sei.    Der  Kranke  erwiedert,    er  sehe,   aber  erst   un- 
deutlich,   so   dafs  ihm  die  Menschen   wie  Bät^me  erschei- 
nen.    Hier  kann  nun  der  rationalistische  Erklärer  siegreich, 
wie  es  scheint,   den   orthodoxen  fragen:    wenn   Jesu    die 
götiiiche  Kraft   su  Bewirkung   von  Heilongen   su  GeI>ote 
stand,    warum  heilte  er  den  Blinden    nicht  sogleich    voll- 
ständig?    Wenn   ihm   das  Uebel   einen  Widerstand  entge- 


15)  PUn.   H.  N.  28,  7.  u.   a    St.  hei  WÄibiEiw. 


Keuntes  KujtiteJ«     S*  94.  ^91 

l>eMeteto{,  dm  er  nieht  schon  beffli  «rtten  Vanaohe  bh 
überwinden  Teraoehte,  wird  daraus  niobt  klar,  d«(s  seine 
Krmft  eine  endliclie,  gewöhnlich  menseliliohe  gewesen  isl? 
Hierenf  legte  Jesus  noch  einmal  Hand  an  die  Augen  dm 
Kranken,  nm  der  ersten  Operation  naebsnhelfen)  und  nun 
erst  wnr  die  Kor  vollendet  '^). 

Die  Freude  der  rationalistischen  Ansieger  an  diesen 
firsibiangen  des  Markus  ist  durch  die  trockene  Bemer- 
kung sn  stdren,  dafs  auch  hier  die  Umstlnde,  weieiie  die 
naHrliehe  ErUärong  möglich  machen  sollen ,  nicht  tom 
ETangeBsten  selbst  angegeben,  sondern  Ton  den  Anslegem 
nntcrgescboben  sind.  Denn  bei  beiden  Heilungen  gibi 
Markus  nar  den  Speichel  her,  das  wirksame  Polver  aber 
streuen  Paulus  und  Vsvturiiii  darein ,  wie  auch  *  nvr  sin 
es  sind,  die  aus  dem  Legen  der  Finger  in  die  Ohren  nnp 
erst  ein  Sondiren,  dann  ein  Operiren,  und  ans  dem  im^ 
itiHviu  rag  x^^(!^S  ini  zag  otpO-al/ueg  sprachwidrig  statt 
eines  Bandaufl^gens  ein  chirurgisches  Handanlegen  machen* 
Auch  dne  Beiseitenelimen  der  Kranken  besieht  sich  dem 
Zasammenhang  nnfolge  C7,  36.  8,  26.)  auf  die  Absicht 
Jesn,  den  wunderbaren  Erfolg  geheim  su  halten,  niclit 
nof  das  Verlangen ,  In  Anwendung  natürlicher  Mittel  n»- 
gestlM  an  sein:  ^  dafs  de^  rationalistischen  Erklftrung 
alle  StiUsen  sinken,  und  die  orthodoxe  sich  ihr  auf  s  Nene 
gegen BbersteUen  kann*  Diese  nimmt  die  Berübrnng  Qnd 
den  Speichel  entweder  als  Herablassung  au  den  Kranken, 
welchen  dadureh  nahe  gelegt  werden  sollte,  wessen  Macht 
sie  ihr«  Heilung  su  Tcrdanken  hfitten,  oder  als  ein  leiten- 
des Medium  der  geistigen  Kraft  Christi ,  an  dessen  G^ 
braneh  er  jedoch  nicht  gebunden  gewesen  sei  ^0  i  ^^  ^^^' 


16)  Virtu«,  a.  a.  O.  S.  512  f.  392  ff. ;    Natürliche  Getchiehtc,  i, 
S.  .?1  ff.    216  f. ;   KSiiTBR,  Immanuel,  S.  188  ff.  ' 

17)  Jenes  Hiss,  Geschichte  Jesu,  1,  S.  390  ii   dieses  Olsuausiv, 
h.  Comm-  1,  S.  500  1. 


SS  liwcit«ir  AliaeliBitt. 

endra  ^äBeWUUmag  aber  8iiebt  oubi  iman  fhtiU  «o  «i  wm« 
den  9  daCi  JeeiM  dnrch  die  lialbe  Heilsng  enror  d«B  Olat»* 
ben  des  Blinden  liebe  bdeben  ^wollen ,  and  erst  als  di^er 
gewachsen  war,  den  nanmebr  Würdigen  gans  wiederher» 
gestellt  habe^^;  oder  Termnthet  man,  dem  Blinden,  bei 
seinem  tiefgewnrnelten  Leiden ,  wäre  eine  plfftaliche  Hei- 
lung vielleicht  sehädlicb  gewesen  ^0* 

Allein  durch  diese  Versuche,  namentlicb  die  letsto  / 
Eigenheit  der  evangelischen  Ersfihlnng  su  deuten,  begeben 
eich  die  supranaturalistischen  Theologen,  welche  sie  toi^ 
bringen,  selbst  auf  Einen  Boden  mit  den  Rationalisten, 
Indem  Hb  nicht  minder  als  jene  in  den  Text  hineintragen, 
tras  in  demselben  nicht  von  ferne  angedeutet  ist*  Denn 
wo  ist  in  dem  Heilverfahren  Jesu  mit  dem  Kranken  irgend 
«Ine  Spur,  dafs  er  euerst  nur  darauf  ausgegangen  sei,  sei- 
nen Glauben  cu  prfifen  und  2u  stfirken?  in  welchem  Falle 
etatt  des  nur  seinen  fiufsem  Zustand  betreffenden  iwjQoiva 
<xmc(¥  ei  ti  ßUnei;  vielmehr  wie  Matth.  9,  28.  ein  nigei)€ig 
mi  dwafiai  tSto  Ttoiijoai;  stehen  mlffste*  Vollends  aber 
die  Vermuthung,  eine  plötaliche  Kur  mdchte  schfidlich  ge- 
wesen sein!  Der  heilende  Act  eines  Wunderthlters  lat 
doch  (namentlich  nach  Olshausen's  Ansicht)  nicht  als  der 
blors  negative  der  VlTegrftumung  eines  Uebels,  sondern  bq- 
gleicfa  als  der  positive  einer  Mlttheilnng  neuen  Lebens  und 
frischer  Kraff  an  das  leidende  Organ  nu  betrachten,  bei 
welcher  von  Schftdlichbeit  ihres  plötalichen  Eintritts  nleht 
die  Rede  sein  kann*  Da  somit  kein  Grund  sich  ausfindig 
machen  läfst,  aus  welchem  Jesus  absichüiob  dem  äugen* 
blicklieben  Wirken  seiner  Wunderkraft  Einhalt  gethan 
bfitte,  so  mfifste  sie  nur  ohne  seinen  Willen  ^  von  aufsen 
.durch  die  Macht  des  eingewureelten  Uebels  gehemmt  wor- 
den sein ;    was  aber  der  ganaen  evangelischen  Voi;*steliung 


18)  bei  KuikSl,  in  Marc.  p.  ilO. 

19)  Olshaussk,  a.  a.  O. 


He«»!««  Ka^UL    Sp  M» 


mttmt  <■»  Tqd  tfwIafBam  WaachnMotit  1 
OBtpgen  ist,  fiilgifah  steht  Meinway  niiiwrim  firangsUftea 

Sttndoro  dia  Abrieht  des  Merknt^   wenn   wir 
•ehffifiMalleriiehe  Elgentfattoülehkelt  erwlgen^ 
kann  auch  hier  anf  niehta  Anderei  als  anf  Veransehanli« 
6ban|r  gehen.    Alles  PUtsliehe  aber  Ist  sehwer  rieh  anr 
A  nsr hnnnng  nn  bringen :  wer  eine  gesehwinde  Bewegung 
Andern  dentiieh  sMudien  will,  der  maeht  sie  ihm 
laogsam  tot,  und    ein    sehneller  Brfolg  wird  nnr 
dum  vneht  TorsteJlbai^  wenn  ihn  der  Emihler  dnreh  alle 
seine  Moaiente  hindnrchf&hrt;   welswegen  denn  ein  Refe* 
rent,  dens  es  dämm  sn  thnn  ist,  in  seiner  Erslhlnng  der 
VersteUnngsinräft  seiiier  Leser  mdgiiehst  an  Hülfe  an  kom- 
men, nnch  die  Neigung  neigen  wird,  we  möglich  flberall 
das  Uiunittelbare  an  Termitteln,   nnd  an  dem  plfftaliohen 
Erfolge  doch  das  SnecessiTo  seines  Eintritts  lienrorankeb- 
<*)•     So  glaobte  hier  Markus  oder  sein  Gewihcemann 
Dir  die  Ansehaulichkeit  an  thun,   wenn  er  awisohen 
die  BUndbeit  des  Mannes   und  die  völlige  Herstellung  sei- 
ner Sehkraft  die  halbCsrtige  Heilung  oder  das  Sehen  der 
Menaelien  wie  Bäume  einsehob,  und  das  eigene  Gefühl 
wird  Jede«  sagen,  dafs  dieser  Zweck  vollkommen  erreicht 
ist.     IhrlB  aber  liegt,  wie  auch  Andere  bemerkt  haben  ^% 
so  wenig  eine  Hinneigung  des  Markus  aa  natürlicher  Auf- 
bsseng  solcher  Wunder,  dafs  er  ja  fMfli^r  ideht  selten 
die  Wunder  au  vergrdfsem  bemüht  Ist;   wie   wir  tiieils 
befm  Sadarener  gesehen  haben,  theils  noch  öfters  w^en 
bemerken  können. 

Hiebt  gana  ebenso  verhilt  es  sich  mit  der  Eigeniieit, 
dals  Markus  namentlich  in  diesen  ihm  eigenen  Eraählun- 
gni  Caber  auch  sonst,  wie  6,  13.,  wo  er  bemerkt,  dals  die 


m)  Tgl.  BS  VVsm,  Kritik  der  mosaischen  Gescbtchte,  S.  36  £• 
ü)  Vtan^CMB.,  Cosun.  in  Marc.  p.  XLUI. 


94  Zvireiter  Abschnitt 

Jftnger  die  Kranlien  mit  Oel  gesalbt  haben)  die  Änwi^An- 
ihing  Unfserer  Mittel  nnd  Manipnlationen  bei  den  Hei- 
langswondern  mehr  afs  die  übrigen  Evangeliaten  hervor- 
hebt. Dafs  diese  Mittel,  vrie  besonders  der  Speichel,  in 
der  damaligen  Volksansicht  nicht  als  natflrlich  wirken  de 
Ursachen  der  tkeÜnn^  galfen,  davon  kann  schon  die  oben 
angefahrte  Erzählang  von  Vespaslan  fiberzeogen,  so  wie 
Steileti  jüdischer  vnd  römischer  Autoren^  nach  weichen 
das  Aasspacken  als  magisehes  Mittel^  Vornehmlich  gegen 
Angenfibel,  g^alt  2^.  80  dafti  Olshausen  gane  die  damalige 
Vorstellung  gibt,  wenn  er  Berührang,  Speichel  a.  dgl.  för 
die  Condactoren  der  dem  Wondermann  inwohnenden  hö- 
heren Kraft  erklSrt.  Und  wenn  wir  nicht  umhin  können, 
die  Wunderkraft  Jean,  sofern  sie  geschichtlich  denkbar 
gemacht  werden  ^oU,  in  Analogie  mit  der  animalisch - 
magnetisohen  vorznstellen ,  bei  welcher  die  Wirksamkeit 
nicht  allein  der  anmittelbaren  Berfihrang,  sondern  auch 
mittelst  solcher  Leiter,  bekannt  ist :  so  könnten  wir  geneigt 
«ein,  diese  Zöge  in  den  Beschreibnngen  des  Markus  als 
ganz  besonders  fichte  und  liehlgebende  zu  schätzen.  Frei* 
lieh  hfingen  mit  denselben  fli)rigens  fast  lauter  verdfiohtige 
Eigenheiten  zusammen.  80  das  Besonderne^men  der 
Kranken,  die  fibertreibende  Beschreibung  der  Verwunde- 
rung des  Volks  (^vntnTxeqiaaws  i^eTtXrjoaovto  ccTtonnceSy  7,37.)» 
und  das  strenge  Verbot,  Niemanden  von  den  HeUnngen 
etwas  zu  sagen.  Dieses  Geheimhalten  gab  der  Saehe  ein 
mysteriöses  Ansehen ,  welches  auch  nach  andern  Stellen 
dem  Markus  gefallen  zu  haben  scheint.  Zu  dem  Myste- 
riösen  gehört  bei  der  Heilung  des  Taoben  auch  diefs,  dafs 
Markus  das  gebietende  Wort,  mit  welchem  Jesus  die  Ob- 
ren desselben  aufthut,  in  seiner  ursprünglichen  syrischen 
Form:  i(f(pad^a^  wiedergibt;  wie  bei  der  Erweckung  der 
Tochter  des  Jairus  nur  unser  Evangelist  (5,  41.)  das  rcr - 


22)  8.  d.  St.  bei  WsTSTfiiN  und  Li«iitfoot  zu  Job.  9,  6. 


I^enntes  KApitei*     $.  04.  95 

Ar«9€r  nHiJti  hat.  Man  sagt  wohl,  dieCs  seien  nichts  weniger 
ils  Zaoberformeln  gewesen  ^^) ;  allein ,  dab  Markus  diese 
Machtworte  so  gerne  in  der  seinen  Lesern,  denen  er  sie 
js  erklären  mufs,  fremden  Drsprache  wiedergibt,  beweist 
doch,  dafs  er  eiien  dieser  ihrer  arsprtttfgliehen  Form  eine 
besondere  Bedeutnng  beigelegt  haben  mufs,  welche  dem 
Zatammenhang  zufolge  nur  eine  magische  scheint  gewesen 
sein  za  können  ^0*  Diese  Neigung  sum  Mysteriösen  kön- 
nen wir  rückwärts  blickend  nun  auch  in  der  Anwendung 
jener  änfseren  Mittel  finden,  welche  sum  Erfolg  in  keinem 
Verhältnifs  stehen;  denn  eben  darin  besteht  ja  das  Myste- 
rium, dafs  mit  einer  inadäquaten,  endlichen  Form  ein  un** 
endlicher  Inhalt,  mit  einem  scheinbar  unwirksamen  Mittel 
die  kräftigste  Wirkung  sich  verbindet. 

Haben  wir  nun  oben  die  einfache  Ereählnng  sämmt- 
lieber  Synoptiker  von  der  Blindenbeilnng  bei  Jericho  ge- 
schichtlich zweifelhaft  gefunden:  so  findet  diefs  bei  der 
geheimnifsvoUen  Schilderung  des  f<inen  Markus  von^  der 
Heilung  eines  Blinden  bei  Bethsaida  in  noch  höherem 
Mafse  statt;  wir  können  sie  kaum  anders,  als  fOr  ein  Er* 
Bengnils  der  Sage  mit  mehr  oder  weniger  Zuthaten  des 
evangelisehen  Berichterstatters  halten,  und  ebenso  die  von 
ihm  mit  gleicher  Eigenthttmlichkeit  ereählte  Heilung  dee 
TUiHpog  fioyüLah)g,  Denn  auch  bei  dieser  letsteren  Geschichte 
fehlen  uns  neben  den  schon  ausgeffihrten  negativen  Gran- 
den gegen  ihre  bistorisclie  Glaubwürdigkeit  die  positiven 
Veranlassungen  ihrer  mythischen  Entstehung  nicht,  da  die 
Weissagung  auf  die  messianische  Zeit:  Tore-^arra  xotq^wv 
axudififvai  —  tQavi}  dt  e'gai  yhaaaa  fioyikdkMv  ( Jes.-3ö, 
5.  6.  )  vorimnden  war,  und  nadb  Matth.  11,  5.  eigentlich, 
verstanden  wurde.  t 

So  günstig  der  natfirhchen  Erklärung  auf  den  ersten 


23)  Hess,  Gesch.  Jesu,  1,  S.  391.  Aiun.  1. 

24)  Vgl.  DB  WsTTK,  cxcg.  Hdridb.  1,  2,  S.   148  f.  und  156. 


M  Zweiter  Abschnttt. 

Aobliefc  «He  eben  betraehtetea  Erslblangen  des  Markai  so 
sein  sebienen:  80  angfinatig  ond  Temichtend,  sollte  man 
glaaben,  mfisae  die  Johanneisehe  Ersfihlang,  Kap«  9»,  aaf 
aie  fallen,  wo  niebt  von  einem  Blinden  schleohtweg,  dessen 
snfiUHg  eingetretenes  Debel  lelehter  wieder  su  beben  sein 
moobte^  sondern  yon  einem  Biindgebornen  die  Rede  ist. 
Doch  wie  die  Aäsleger  dieser  Riehtnng  seharfsiehtig  sind 
nnd  den  Mnth  nicht  bald  verlieren ,  so  wissen  sie  auch 
hier  manches  ihnen  Ofinstige  sn  entdeciien.  Vor  Allem 
den  Znstand  des  Kranken  finden  sie,  so  bestimmt  aneh 
das  Tvg>X6v  ix  yspetijg  sn  lanten  scheint,  doch  nur  unge- 
nau beseichnet«  Die  Zeitbestimmung  nwar,  welche  darin 
liegt,  entbftlt  sich  Paulus,  wiewohl  ungern  und  eigentlich 
nur  halb,  umzustofsen:  um  so  mehr  mufs  er  dann  aber  an 
der  Qualitätsbestimmung  des  Znstandes  zu  rtf  tteln  suchen. 
Tviplas  mfisse  nicht  gerade  totale  Blindheit  beaeichnen, 
und  wenn  Jesus  den  Kranken  anweise,  zum  Siloateich  su 
gehen,  nicht  sieh  flBhren  zu  lassen,  so  müsse  derselbe  noch 
einigen  Schein  des  Augenlichts  gehabt  haben,  mittelst  des» 
sen  er  selbst  den  Weg  dahin  finden  konnte.  Noch  mehr 
HfUfe  sehen  die  rationalistischen  Ausleger  in  dem  Heilver- 
fahren  Jesu.  Gleich  An&ngs  (V.  4.)  sage  er,  er  mllase 
wirken  Uing  ^idqa  i^lv^  in  der  Nacht  lasse  sich  nichts 
mehr  anfangen:  Beweis  genug,  dafs  er  den  Blinden  nicht 
ndt  einem  blofsen  Machtworte  zu  heilen  im  Sinne  gehabt 
habe,  was  er  auch  bei  Nacht  hfitte  aussprechen  können; 
dafs  er  vielmehr  eine  kfinstliche  Operation  habe  voraeh«' 
men  wollen,  zu  welcher  er  freilich  das  Tageslicht  liedurfite« 
Der  mjljog  femer,  welchen  Jesus  mittelst  seines  Speichels 
macht,  und  dem  Blinden  auf  die  Augen  streicht,  ist  ja  der 
natttrlichen  Auslegung  noch  gftnstiger  als  das  blofse  vctv^ 
cag  bei'm  vorigem  Fall;  wefs wiegen  'denn  aus . demselben 
die  Fragen  nnd  Vermuthungen  wie  Pilze  in  Üppiger  Falle 
anfschiefsen.  Woher  wuIste  Johannes,  fragt  man,  dnfe 
Jesus  nichts  weiter  als  Speichel  nnd  Staub  zu  der  Augen- 


Mennte»  KapileL    $•  M.        ^  97 

tdfcfr  wmtmi  war  er  mikat  dabei,  oder  Jbatle  er  et   blof« 

eae  4er  Kreihleng  dea  gehdltea  Blinden  !    Dieser  konnte 

eker  bei   dem  aehwaehen  Sehlmmer,  den   er  nnr  batte^ 

nieiit  genen  aeben,  waa  Jeana  vornaim;  er  konnte  vlel- 

laiabi,  wenn  Jeaoa,  wlbrend  er  ana  andern  Ingrediensien 

eine  Salbe  «iacbte,  snfUlig  anch  anaapnekte,  auf  den  Wahn 

fCffidlBB,  eoa  dem  Anigeapaekten  aei  die  Salbe  entatanden. 

Heeh  mehr:  hat  Jeana,  während  oder  ehe  er  etwaa  auf 

die  Augen  atrich ,  nieht  aueh  etwaa  ana  denaelben  wegge» 

nommen,   weggestrichen,   oder  sonst  etwaa  daran  Terin* 

dert,  waa  der  Blinde  aelbat   und  die  OoMtebenden  leicht 

fir  Nebensache  ansehen  konnten?    Endlich  daa  dem  Blin« 

den  gebotene  Waschen   im  Teiche  danerte  vielleicht  meh- 

rare  Tage ,  war  eine  längere  Badekur ,  und  daa  ^li>€  ßli- 

juav  aagt  nicht,  dals  er  nach  dem  ersten  Bade,  sondern 

dafa  er  so  aeiner  Zeit,  nach  Vollendung  der  Kur,  aehend 

tyk. 


Allein^  um  ron  Tome  ananfangen,   ao  wird  hier  dem 

nod  rv^  eine  Bedeutung  gegeben,  welche  selbst  ei* 

Vkhtürini  an  selcht  gewesen  ist  ^^),   und  namentlich 

Ziuaammenhange  mit  V.  5.  anwiderlänft,  welcher  durch« 
eoa  eine  Beaiehung  der  Worte  auf  den  baldigen  Hingang 
Jeßa  erfaaischt '').  Waa  aber  Ton  etwaigen  medicinischen 
Ingredienaien  dea  7€t]l6g  Tcrmuthet  wird,  ist  um  so  boden* 
laaer,  ala  hier  nicht  wie  bei  dem  vorigen  Falle  gesagt  wer- 
den kenn,  es  werde  nnr  das  angegeben,  was  der  Blinde 
dnreh  daa  Gehör  oder  einen  leichten  Lichtschimmer  wahr- 
nehmen konnte ,  da  ja  dlefsmal  Jesus  den  Kranken  nicht 
aUrin,  sondern  in  Gegenwart  seiner  Jtfnger  vornahm. 
Oeiier  die  weitere  Vermnthung  vorangegangener  chfrorgi« 
Seher  Operationen,  durch  welche  die  im  Texte  allein  aoge- 


25)  Paulus,  Gonun.  4,  S.  472  ff. 

26)  Natürliche  Gesch.  3,  S.  215. 

27)  s.  Trolucx  und  Lvcas  s.  d.  St. 

JJas  Leben  Jem  Ite  Aufl,  Fi,  Band» 


98  ,  Zweiter  Abschnitt 

gebene  Bestreichung  and  Waschung  Kar  Nebenraohe  wird, 
ist  nichts  zu  sagen,  als  dafs  man  an  diesem  Beispiele  siehe, 
wie  BÜgelios  die  einmal  eingelassene  natfirlicbe  Erl&lfirang 
sich  alsbald  gebürdet ,  nnd  die  lilarsten  Worte  des  Textes 
dareh  die  Gebilde  ihrer  eigenen  Combinatiön  ?erdrftngt. 
Wenn  ferner  daraas ,  dafs  Jesas  den  Blinden  sam  Teiche 
gehen  hiefs,  gefolgert  wird,  er  mflsse  noch  einen  Schein 
des  Lichts  gehabt  haben,  so  ist  dagegen  mn  bemerken,  dafs 
Jesas  demselben  nnr  angab,  wohin  er  sich  begeben  Cv7ia- 
yeiv')  solle;  wie  er  diefs  näher  augreifen  wollte,  ob  allein 
gehen  oder  einen  Führer  nehmen,  das  fiberliefs  er  ihm  sel- 
ber« Endlich  wenn  das  engverbnndene  d/iijÄ^fv  sv  xal  ivL 
f^foTO  xal  TjXd^e  ßUnojv  (V.  7,  vgl.  V.  11.)  ««  einer  mehr* 
wöchigen  Badekar  aaseinandergesogen  wird,  so  ist  diefa 
gerade,  wie  wenif  man  das  veni,  vidi,  vici  übersetzen 
wollte:  nach  meiner  Ankunft  recognoscirte  ich  mehrere 
Tage,  lieferte  hierauf  in  gehörigen  Zwischenseiten  anter- 
schiedliche  Schlachten,   and  blieb  endlich  Sieger. 

Es  Ififst  ans  also  auch  hier  die  natürliche  Erklärong 
im  Stiche,  ond  wir  behalten  einen  ?on  Jesu  wunderbar 
geheilten  Blindgeborenen.  Dafs  unsere  obigen  Zweifel  ge- 
gen die  Realität  der  Blindenheilungen  hier,  wo  es  sich  von 
angedorener  Blindheit  handelt,  in  verstärktem  Maafse  wie* 
derkehren,  ist  natürlich.  Und  ewar  kommen  hier  noch  ei- 
nige besondere  kritische  Gründe  hinzu.  Keiner  der  drei 
ersten  Evangelisten  weifs  etwas  von  dieser  Heilung.  Nan 
aber,  wenn  doch  in  der  G)sstaltung  der  apostolischen  Ue- 
berlieferung  und  in  der  Auswahl,  welche  sie  anter  deo 
von  Jesu  eu  erzählenden  Wundern  traf,  irgend  ein  Ver- 
stand gewesen  sein  soll,  so  muis  sich  diese  nach  den  zwei 
Gesichtspunkten  gerichtet  haben:  erstlich,  die  gröfseren 
Wunder  vor  den  scheinbar  minder  bedeutenden  auszuwäh- 
len, und  zweitens  diejenigen,  an  welche  sich  erbauliche 
Erörterungen  knüpften,  vor  denen,  hei  welchen  diefs  nicht 
der  Fall  war.     In  der  ersteren  Rücksicht  war  nun   often- 


\ 


Nf^nheet  Knpi  tel    (^  94.  99 

bar  die  Röllong  einea  yon  Gebart  an  Blinden ,  als  die  an- 
gleieb  seiiwiefigere,  ?or  der  einet  Blinden  sehleohthin  aas« 
Buwibleni  and  man  begreift  nicht,  wenn  doeh  Jesus  wirk« 
lieh  einen  Blindgeborenen  sehend  gemacht  hat,  warum  da- 
TOD  nichts  in  die  evangelidche  Tradition    and  also  in   die 
synoptischen  Eyangelien  gekommen  ist.    Freilich  konnte  mit 
dieser  Rficksiebt  anf  die  Grörse  des  Wunders  die  andere 
anf  die  ErbaoUchkeit  der  daran   sich   knüpfenden  Reden 
nicht  selten  in  Streit  gerathen^    so  dafs  ein  minder  auf* 
fallendes^   aber  durch   die  GesprKcbe,  die  es   veranlafste^ 
frocbtbareres  Wunder  einem  auffallenderen,  aber  bei  wei- 
chem   das   Letstere   weniger    entraf,   vorgeeogen  werden 
mochte.     Allein   die  Heilung  des  Blindgeborenen  bei   Jo- 
hannes ist  von  so  merkwürdigen  Gesprächen,  euerst  Jesu 
mit  deo  Jfingern,   dann  des  Geheilten   mit  der  Obrigkeit, 
endlich  Jesu  mit  dem  Geheilten,  begleitet,  wie  von  derglei- 
chen  bei  den   synoptischen   Blindenheilnngen   keine   Spur 
ist;   Gesprfiche,  von  welchen,  wenn  auch  nicht  der  ganze 
diaiogische  Verlauf,  so  doch  gnomische  Perlen ,  wie  V.  4« 
5.  39.,  sich  audh  für  die  Darstellung  der  drei  ersten  Evan- 
gelisten trefflich  eigneten.    Diese  hätten   also  nicht  umhin 
grelionnt,  statt  der  sowohl  weniger  merkwürdigen,  als  auch 
ffllsder  erbaalichen  Blindenheilnngen,   welche  sie  haben , 
die  Heilung  des  Blindgeborenen  aufsunehmen,  wenn  diesel- 
be in   der  evangelischen  üebcf liefer ung,   aus  welcher  sie' 
schöpften,  befindlich  gewesen  wäre.    Der  allgemeinen  evan- 
gelisoben  Verkündigung   konnte   sie   möglicherweise  unbe- 
kannt bleiben,  wenn  sie  an  einem  Orte  und  unter  Umstän- 
den   Torgefallen  war,    die  ihre   Ausbreitung  nicht  begün- 
stigten;  also  wenn  sie  in  einem  Winkel  des  Landes  ohiie 
weitere  Zeugen   verrichtet  worden  war«     Aber  Jesus  voll- 
bringt sie  Ja  vielmehr  bu  Jerusalem,  im  Kreise  seiner  Jün- 
ger ,   mit  gröfstem  Aufsehen  in  der  Stadt ,  und  sum  hoch* 
sten  Anstofse  bei  der  Obrigkeit:    da  mufste  die  Suche  be- 
kannt werden,   wenn   sie  anders' geschehen^  war,   und  da 

7* 


100  Zweiter  Abeehnitt. 

wir  sie  in  der  gewöhnlichen  Byangeüeiitradidon  nicht  als 
bekannt  antreffen  9  so  entsteht  der  Verdacht ,  ai»  möchte 
rielleicht  gar  nicht  geschehen  sein. 

Aber  der  Gewährsmann  ist  doch  der  Apostel  Johan« 
nes.  Wenn  diefs  nur  nicht,  aaber  dem  unglauliliohen, 
also  schwerlich  yon  einem  Aogenceogen  berrttbrenden  In« 
halte  des  Berichts,  auch  noch  aas  einem  andern  Grond  an* 
wahrscheinlich  würde.  Der  Referent  erklnrt  nttmlieh  den 
Namen  des  Teiches  2iX(üa^  durch  das  griechische  ccTiegal- 
fiivQS  CV«  7.)  9  mit  Beeng  entweder  auf  den  Oottgesandf en 
Jesus,  oder  wahrscheinlicher  anf  den  von  Jesu  dahinge« 
sendeten  Blinden :  eine  Jedenfalls  Irrige  Erklärung ;  denn 
ein  Abgeschickter  heilst  Tjh^f  wogegen  IlScf  der  wahr- 
scheinlichsten Erklärung  sofolge  einen  Wassergufs  bedeu« 
det  ^) ;  der  Evangelist  wählte  aber  jene  Deotong,  weil  er 
Bwlschen  dem  Namen  des  Teichs  und  der  Sendung  des 
Blinden  bu  demselben  eine  bedeutungsvolle  Besiehung  sach- 
te, und  sich  also  vorgestellt  su  haben  scheint,  der  Teich 
habe  durch  besondere  Ffigung  den  Namen  des  Gesendeten 
bekommen,  weil  dereinst  vom  Messias  aur  Offenbarung  sei» 
ner  Herrlichkeit  ein  Blinder  eu  demselben  gesendet  wer- 
den sollte  ^').  LüCKB  stöfst  sich  stark  an  einer  solchen, 
wie  er  sich  ausdrfickt,  an  Unsinn  streifenden  Allegorie, 
welche  er  ebendefswegen  sich  nicht  für  Johanneisch  aufre- 
den lassen  will,  sondern  als  eine  Glosse  betrachtet.  Da 
jedoch  alle  kritischen  Auctorl täten ,  bis  anf  Eine,  minder 
bedeutende ,  dieselbe  bieten,  so  ist  eine  solche  Behauptung 
die  haare  WiilkOr,  und  man  hat  nur  die  Wahl,  ob  man 
mit  Olshaüsbn  auch  an  diesem  Zog  als  einem  apostolischen 
sich  erbauen  '^,  oder  mit  den  ProbabiÜen  denselben  mil 

28)  >•  Paulus  und  Lijckb  z.  d.  St. 

29)  so  Eutbymius  und  Paulus  z.  d.  St. 

30)  b.  Coinm.  2,  S.  230,  -wo  er  jedoch  das  antqaXufvo^  auf  den 
von  Gott  ausgehenden  Geittctstrom  bezieht. 


N«ontes  Kapitel.    %.  94.  101 

die  Morkoiale  von  i&m  olohft  «postoUsoben  Unprong 

4n  wwmwtma  Evftsgelioait  sfiblen  will  '0*    Man  konnte  al- 

lerAiBgo  ein  Apostel  eine  grammetiseh  unriehtige  Erklärung 

geken,  eofern  er  nur  nieht  aU  inspirirt  vorantgesetat  wird, 

and  nach  ein  geborener  Paläatinenier  konnte  sieh   in  Ety« 

Buiegien  heiirüieber  Worte  irren,  wie  das  A.  T.  telbst, 

ferner  Joaiin  der  Märtyrer  n«  A.  seigen:  dooh  aber  sieht 

eine  Spioierei  dieser  Art  eher  wie  das  Machwerk  eines 

lemer  Stehenden  als  ^es  Aagennengen  ans.    Der  Aagen« 

■enge,  seilte  man  denken,  hatte  an  dem  angesphanten  Wan« 

dsr  «nd  den  Temoninienen  Reden  genng  B^deatnngsTolles: 

erst  bei  dem  entfernter  Stehenden   konnte  die  Mikrologie 

eintreten,  daft  er  anch  ans  den  kleinsten  Netiennflgen  eine 

BedsatoDg  heraosnapressen  snobte^ 

Was  nan  aber  den  Verfasser  d^  vierten  Evangellams, 
oder  die  DeberUeferong,   ans  welcher  er  sohöpfte,   veran* 
lassen  kcMante,  annofrieden  mit  den  Blindenheilangen,  von 
weieben  die  Synoptiker  berichten,  die  vorliegende  Erzäh« 
lang  aasmibÜden,  liegt  sehen  in  dem  bisher  Aosgeffthrten. 
Es  ist  sehen  von  Andern  die  Bemerknng  gemaebt,  wie  das 
vierte  Evangellam  awar  wenigere,  aber  um  so  stärkere 
Wnndsr  von   Jesu   eraähle  '^).       So ,   wenn   die    flbrigen 
fmagelies  einfach  Paralytische  haben,  welche  Jesns  heilt, 
hat  das  vierte  Evangellam  einen ,   der  38  Jähre  lang  ge- 
lähmt war;  wenn  Jesas  in  Jenen  eben  Verstorbene  wieder» 
belebe ,   ruft  er  in  diesem  einen  schon  vier  Tage  in  der 
GruSt  Gelegenen,  bei  welchem  bereits  der  Eintritt  der  Ver- 
wesQog  na  vermnthen  war,  in  das  Leben  nnrflck;   ebenso 
hier   statt  einfacher  Blindenheilangen   die  Heilang  eines 
Blindgeborenen:  —  eine  Steigerang  der  Wander,  wie  sie 
der    apologetisch*  dogmatischen    Teodene    dieses    Evange« 


M)  S.  9}. 

12)  KVfTBA,  Iflunanuel,  S.  79,    BsiTioajisiBBs,  Frobiji.  S.  122. 


t 
I 


UVl  Zwaiter  AbBchniU. 


liiiqi«  gaos  Aoi^emessen  ist«  Auf  welohem  Wege  hiebet 
der  Verfasser .  des  EvAiigeliams  oder  die  perticoiAre  Tm- 
dltton,  welcher  er  folgte,  pu  den  einftelnen  Zügen  der  lär» 
sftiilang  kommen  konnte,  ergibt  sich  leicht.  Das  TvnfBtv 
war  bei  magischen  Aogenkoren  gew6bnlieh ;  der  ntjlo^'  lag 
hIs  Surrogat  einer  Äugensalbe  nahe  und  kommt  auch  sonst 
bei  zauberhaften  Procedureii  yor^);  der  Befehl,  sich  in 
Siioateich  sn  waschen,  kann  der  Verordnuog  filisa's,  dab 
der  aussätaige  Näeman  sich  siebenmal  im  Jordan  baden 
solle,  nachgebildet  sein.  Die  Verhandlungen,  welche  sich 
an  die  Heilung  knüpfen,  gehen  theils  aus  der,  auch  von 
Storr  bemerblioh  gemachten  Tendens  des  johanneisoben 
Evangeliums  hervor,  sowohl  die  Heilung  als  fy  angeborne 
Blindheit  des  Menschen  mttglichst  urkundlich  eu  machen 
und  »n  verbffrgen,  daher  das  wiederholte  Verhör  des  Ge- 
heilten selbst  und  sogar  seiner  Eltern;  theils  drehen  aie 
sich  um  die  symbolische  Bedeutung  der  Äusdrioke:  Tixpkos 
und  ßkemoVy  r^f.dQce  und  voSj  wie  sie  awar  auch  den  Syno« 
ptikem  nicht  fremd  ist,  noch  specifisoher  jedoch  in  den 
jobanneischen  Bilderkreis  gehört  ^^), 

S.    95. 

Unwillkürliche  Heilungen. 

Etiichemale  in  ihren  allgemeinen  Angaben  fiber  die 
heilende  Thätigkeit  Jesu  bemerken  die  Synoptiker,  dafs 
Kranke  aller  Art  Jesum  nur  »u  berQbren,  oder  am  Saume 
seines  Kleides  eu  fassen  gesucht  haben,  um  geheilt  so 
werden,  was  dann  auf  die  Berfihrnng  hin  auch  wiriüich 
erfolgt  sei  (Matth.  14,36«  Marc.  3, 10.  6,56.  Luc.  6,  19.). 
Hier  wirkte  aIso  Jesos  nicht,   wie  wir  es  bis  Jetet  immev 


^  33)   WlTSTRlIf,   E.    d.   St. 

34)  Wbissb  vcrmuthct,  die  johanneitche  Erzählung  sei  Umbil- 
düng  der  synoptischen  von  der  ^lindcnbcilung  bei  Jericho 
(S.   375,). 


Mettotas  Kapiiel.    $.95.  lOS 

gefmden  habea,  mit  besCioiafter  RiekloOg  «uf  einseliid 
Kranke ,  sondern ,  ohne  dafs  er  von  Jede«  be«oadre  Noti« 
ndoiwii  konnte,  anf  ganze  Maaten ;  sein  Vermögen  eo  keir 
len  encbeint  hier  nicht,  wie  aonet,  an  aelnen  Wiüen^  ton* 
d«n  an  seinen  Leib  nnd  dessen  Dmbftlkuigen  gebunden; 
er  spendet  nicht  selbstthfitig  Kr£fle  aus,  sondern  Utfst  sieb 
tfeselben  nnwillkfirlicb  abgeivinnen. 

Anclft  von  dieser  Gattsng  der  Heilnogswnnder  iit  uns» 
dn  detailiirtes  Beispiel  aafbehalten:  in  der  üescbiebte  von 
der  blniflfisslgen  Fran«  weioke  sAnaaptliobe  Synoptiker  wie» 
dergebea ,   and  sie  anf  eigeathfimliphe  Weise  mit  der  60* 
sebiehte  Ton  der  Auferweebnng  der  Tocbter  des  Jairos  so 
verfleebten)  dafs  anf  den  Hinwege  su  dessen  Hause  Jesue 
die  Fraa  gebellt  beben  soll  (Matth,  9,  M  ff.    Maro.  5, 25  ff. 
Loe.  8,  43£>     Vergleicben  wir  die  Oarstellang  des  Vor- 
gangs bei  den  verscbiedenen  Evaogellsteoy  so  könnten  wir 
diebmal  yeraacht  sein,  die  des  Lukas  für  die  urspr&ngliobe 
SB  iialtan,   weil  aus  ihr  die  gleichm&£iige  Verbindung  der 
beaeieliaeten    swei    Geschichten    sich   vielleicht    erklfiren 
liebe.    Wie  nftmlich  die  Leidenseeit  der  Fran  von  sfimmt« 
Üebeo  Erafiblern,   so   wird  von  Lukas,    welchem  Markus 
folgt,  auch  das  Lebensalter  des  M&dohens  anf  cwölf  Jahre 
ge§etMt ;  eine  Gleicbheit  Jer  21ahlj  welche  wohl  im  Stande 
gewesen  sein  könnte,  die  beiden  Geschichten  in  der  evsn- 
geÜseben  Ueberlieferong  Eusammensngesellen,     Doch  dieses 
Moment  steht   viel   «u   vereinselt,   um  für  sich  eifie  Ent* 
seheidnng  berbeifeufUhren,   welche  nur  ans  einer  durcbge- 
Inhrten  VergleioJinng  der  drei  Berichte  naeh  ihren  einsei« 
nen  Zügen   hervorgehen  kann.    Matthäus  nun   beaeichnet 
die  Fran  einfach  ah  yvvtj  atfdOQjoQacf  Jwdexu  hnjj  was  einen 
so  lange  andaoernden  starken  Bintverlast,   vermuthltch  in 
Form  an  reichlicher  Menstruation^  bedeutet«     Lukas,   der 
angebliche  Arst,   aelgt  sich  hier  se^en  Knnstverwandten 
keineswegs  hold,   sondern  setzt  hinan,   die  Frau  habe  ihr 
gaaaes  Vermögen  an  Aerzte  gewcitdet,  ohne  dafs  diese  ihr 


k4 


.  • 


104  Zweiter  Äbschaitl. 

bätteo  helfen  können.  MarkiM,,  noch  ongilnttf ger,  tAgt  bei, 
ilafe  sie  von  den  yieien  Aeraten  viel  habe  leiden  rnttesen, 
und  dafe  es  dovoh  dieselben,  statt  besser,  vieimehr  sehlim- 
mer  mit  ihr  geworden  sei.  Die  Umgebung  Jesu ,  ais  die 
Frau  Bu  ihm  tritt,  bilden  nach  Matthäus  seine  Jflnger; 
nach  Markus  und  L^kas  drängende  Volksmassen«  Naeh^ 
dem  nun  alle  drei  Berichterstatter  erzählt  haben,  wie  die 
Frau,  ebenso  sohfiehtem  ais  vertrauensvoll,  von  hinten  her- 
Bugetreten  sei,  und  den  Saum  von  Jesu  Gewand  berfihrt 
habe,  melden  Markus  und  Lukas,  sie  sei  alsbald  geheilt 
worden,  Jesus  aber  habe  das  Ausgehen  einer  Kraft  geffihlt 
ttnd  gefragt,  wer  ihn  berfihrt  habe?  Als  die  Jünger  be- 
fremdet erwiedem,  wie  er  denn  bei  so  allgemeinem  Dräo« 
gen  und  Drücken  des  Volks  eine  einselne  Berührung  habe 
unterscheiden  künn'en  ?  beharrt  er  nach  Lukas  auf  seiner 
Behauptung,  nach  Markus  blickt  er  suchend  um  sich,  die 
Thäterin  ausfindig  bu  machen.  Auf  dieses  kommt  nacb 
beiden  die  Frau  Bitternd  herbei,  fällt  ihm  bu  Füflieu  und 
bekennt  Alles,  worauf  er  ihr  die  beruhigende  Versicherung 
gibt,  dals  ihr  Glaube  ihr  geholfen  habe.  Diesen  verwickel- 
ten Hergang  hat  Matthäus  nicht,  sondern  läfst  nach  der 
Berührung  Jesum  sich  umschauen,  die  Frau  entdecken  and 
ihr  die  Rettung  durch  ihren  Glauben  verkündigen. 

Die  vorgelegte  Differena  ist  so  erheblich,  dals  man 
sich  nicht  bu  sehr  wundern  darf,  wenn  Storr  Bwei  ver- 
schiedene Heilungen  blutflüssiger  Frauen  annehmen  woll- 
te 0-  Wurde  er  aber  hiesu  noch  mehr  durch  die  bedeu- 
tenderen Abweichungen  bestimmt,  welche  in  der  mit  vor- 
liegender Heilnngsgeschichte  verflochtenen  firsählong  von 
der  Auferweckung  der  Tochter  des  Jairus  sich  finden:  sa 
wird  es  eben  durch  diese  Verflechtung  vollends  unmöglich^ 
sich  vorzustellen,  dafs  Jesus  zweimal,   beidemale  im  Hin- 


J)  Ucbor  den  Zweck  der  cvang.  Geschiebte  und  der  Briefe  Job. 
S.  551  f. 


•■* 


^•mJkJtMlLmfUet    f.  AS.  1115 


WkAiitBiBiiyft  der  Todüer  ^tmm  piMbmm  ^. 
Tuir,  «iM  Bwdtf  Jahre  kng  mit  deai  Blatflsb  balMflMB 
Ffn  geheilt  haben  aolle.    Wann  in  Belradit  imma  die 
Kritik  Ifingtt  fOr  die  Einheit  der  faetiaehen  Orwmümgb  «► 
amr  drei  EreiUaBgeB  sieh  eeAMhiedan  JMt,  ae  hat  aie 
avgleich  den  Beriehten  des  Markes  and  Lakaa,  ihrer  gröa» 
Mren  Anscshaniichkdt  wegen,  den  Vorseg  gegeben  ^)*    Al- 
lein, gleioh  von  vorne,  wenn  doch  von  Marknt  Jeder  an* 
gehen   wird,   dafe  sein  Znaata:    aiXd  /aaiXoy  ^ig  t6  xnQOif 
eldwo,  als  Ansmalnng  des  at  laxvasv  m  ndevog  xhsQaruv- 
^^^Ktt  hei  Lukas,    auf  seine  eigene  Reelmang  kommt t    so 
scheint  dieser  Zog  bei  Lukas  gleichfalls  nnr  eine  selbster- 
schJeeaene  ErgKnanog  des  aifto^itoöaa  dioi&ta  m]  an  sein^  * 
welehea  Matthfins  ohne  Znsata  wiedergibt.     War  die  Frau 
se  langje  lirank ,  dachte  man ,    so  wird  sie  in  dieser  Zeit 
viel  Btit  Aemten  an  thon  gehabt  haben,  und  weil  angleich 
im  Contraat  gegen  die  Aerate ,    weiche  nichts  ansgerichtet 
hatten,  die  Wnndermacht  Jesu,  welche  augenblicklich  Ufilfe 
sehaibe,  in  am  so  glftnaenderem  Lichte  erschien :  so  bilde- 
ten  äeb  im  Weitereraihlen  jene  Znsätae.    Wie  nun,  wenn 
es  mit  dmi  flbrigen  Differeoaen  sich  elM||iso  verhielte?  Dafs 
die  Fran  auch  nach  Matthäus  Jesnm  nnr  von  hinten  bcK 
TühriBj  drickte  das  Bestreben  und  die  Hoffnung 'ans,  ver- 
borgen an  bleiben;    dafs  Jesus  sich  sogleich  nach  ihr  um- 
sah,   darin   lag,    da(s  er  ihre   Berflhmng  gefühlt  haben 
■niste.     Jene  Hoffnung  der  Frau   wurde  erklärlicher  und 
diesea  Geftthl  Jesu  um  so  wundervoller,  Je  mehr  Menschen 
Jesuaa  umgaben  und  drängten:    daher  wurde  aus  dem  Oe« 
leite  der  fta&ijiiu  bei  Matthins  von  den  beiden  andern  ein 
awi>JJßea^ßi  durch  die  o^iloei  gemacht.    Da  angreich  in 
dem  aneh  von  Matthäus  erwähnten  Umschauen  Jesu  nach 
der  Berfihmng  die  Voraussetzung  gefunden  werden  konnte, 
dafs   er  diese  auf  eigenthämlicbe  Weise  empfunden  habe, 


2)  ScauLZ  a.  a.  O.  S.  517,    Ovsiuussxi  1)  S.  313  ^ 


108  Zweiler  Abiobiiii^* 

^^fwtö  imi  iiMQag^  nal  Idtov  cnkipf  deotlleh  cHeb,  defs 
iwm  ^nt  neelMbiii  «ie  ibn  bertthrt  bette,  die  Frau  ken- 
Aeü  gelenit  habe.  Lvfit  «leb  Madt  eine  der  Heilangr  iror- 
eaagq{a]igeiie  Kem^nifs  der-Fnui  uad  eio  «peoieUer  Wllle^ 
ibr  sa  helfen  ^  bei  Jete  nleht  nacbwiSsen ,  so  bliebe  fiip 
denjenigen,  tmieher  lEeine  onwilikOrliehe  Aenlsemng  der 
Heilkraft  Jean  annehmen  will,  nnr  flbrig,  einen  lieatftndi- 
gen  allgemeioen  Willen,  sn  heilen,  in  ihn  voransansetsen, 
mit  welohem  dann  nnr  der  Olanbe  im  Kranken  anaammeu- 
treffen  durfte,  nm  die  wirkliehe  Heilung  berTorsnbringen. 
Allein  dafs,  uneraobtet  eine  besondere  Willenerichtnng  aaf 
die  Heilung  dieser  Frau  in  Jet^  nicht  vorhanden  war,  siA 
duröh  ihren  bioben  Glauben,  aneh  ohne  Berttbmag  a^nea 
Kleides,  gesund  geworden  wfire ,  ist  gewils  nicht  die  Ver- 
stellung der  Kyangeiisten;  sondern  ee  tritt  hier  an 
Stelle  des  individuellen  Willensaetes  von  Seiten  Jeen 
Bwahrnng  von  Seiten  des  Kranken ;  diese  ist  es ,  welche 
statt  des  ersteren  die  in  Jesu  ruhende  Kraft  anr  Aeafse- 
mng  bringt:  so  dafs  mithin  das  Materialistische  der  Vor- 
Stellung  taf  diesem  Wege  nicht  an  vermeiden  ist« 

Janen  Schritt  weiter  mnfs  die  rationalistische  Anale- 
gnng  gehen  ,^  welcher  nicht  bloüs,  wie  dem  modernen  Sn- 
pranaluralismus,  ein  nnbewnfstes,  sondern  überhaupt  das 
Ausgehen  heilender  Kräfte  von  Jesu  unglaublich  ist,  wel<i 
ehe  aber  doch  die  Evangelisten  gescbiciitlicb  wahr  erafih« 
len  lassen  will.  Nach  ihr  wurde  Jesus  an  der  Frage,  wer 
ihn  berfihrt  habe,  lediglich  dadurch  veranlafst,  dafs  er  eieh 
im  Vorwärtsgehen  aufgebalten  fühlte ;  dafs  die  Empfindvng 
einer  dvvafttg  i^ekO^saa  die  Veranlassung  gewesen  sei ,  ist 
blofser  Sohlufs  sweier  Referenten,  von  welchen  der  eine, 
Markus ,  es  auch  blofs  als  eigene  Bemerkung  gibt ,  and 
nur  Lukas  es  der  Frage  Jean  einverleibt  0 ;  die  Oeneeang 

5)  Hierin  stimmt  auch  Nbaxdbr  (S.  423.)  mit  den  Rationalisten 
zusammen.    Dass  CliHslus  wil'itüGk  eine  aufsirömsadc  Kraft 


üeavtes  Kcpiiet    S*  M.  109 

der  Rtm  ward«  dmnh  ihm  «rolrfrr—  ZatnoMO  bMrM^ 
vtmi^;»  diwinn  sie  bei  der  J^rihwiag  d«ft  8fM—  Jen» 
in  aUmi  JNerven  BnumaauoiiUHkvtQ,  wodavek  fielkieiit 
eine  piötsiiehe  Znnaiiinieiudehaiig-  der  erweilertett  Bliitgo» 
fibe  herbeigefUhrt  wurde;  tbrigeiis  kernte  nie  ia  Auge»* 
bfiefce  Bwr  neinen^y  nieht  gewifii  witsen,  geheilt  sa  sein, 
nnd  erst  nach  nod  Aecb)  vieUeiebt  in  Folge  des  Gebrenelie 
fon  Mitteln,  die  ibr  Jesus  eorfeth,  wird  das  Cebel  sieh 
vtilig  verloren  lieben  *>.  Allein  wer  wird  sieh  die  sehftelf-^ 
tenie  Berfthmng  einer  kranken  Fran ,  deren  Absiebt  war^ 
Tsrborgen  sn  bleiben ,  und  deren  Glaube  auch  dnreh  das 
leiseste  Anstreifen  Heilung  zu  erlangen  gewifs  war,  als 
da  AnISnasen  vorstellen,  welches  den  nach  Markos  und 
Lakaa  Vom  Volk  nmdrSngten  Jesns  Im  Geben  anftielt? 
wss  Ar  ein  mSchtiges  Vertranen  ferner  anf  die  Macht  des 
Vertrauens  gehört  an  der  Annahme ,  da(s  es  ohne  flinan- 


gefohlt  hStte,   damit  stehen  nach  N.  seine  nachher  gespro. 
chenen  Worte  in  IViderspruch ,    worin   er  die  Heilung  von 
dem  Glauben  der  Frau  ableite  (als  oh  nicht  der  Glauhe  in 
der  Bertihraag  als  das  Solicitürende  jener  Kraft  gedacht  sein 
kbnate};  es  hönne  9,aus  dieser  Erz'äUung  nicht  entschieden 
werden,  ob  Christus  mit  Absicht  die  Frau  heilte  y  oder  (man 
erwartet :   ob   er  unwillkürlich  sich  eine  Kraft   abgewinnen 
Ues^i   aber  es  folgt:   oder)  ob   es  eine  unabhängig  von  ihm 
erfolgte   göttliche  Wirkung  war,  welche  (der   Verf.  fühlt, 
dass   er   die  eigenthÜmliche  Vermittlung  der  Heilung  durch 
Bertthrung  Jesu  zu  sehr  aus  den  Augen  gelassen,  und  setzt 
daher  hinzu :  welche )  auch  auf  eine  dem  Naturzusammen- 
lieage  entsprechende  Weise,  (das  ist  nun  wieder  zu  rationa- 
listisch,  daher  der  weitere  Zusatz:)  wenngleich  als  Erhö- 
mng  des  glaubigen  Vertrauens  der  Frau,  erfolgt^sein  konn- 
te. ^^    (Ich  frage  den  Leser,   ob  ihm  von  diesen  sich  gegen« 
seitig  zurücknehmenden    Sätzen   etwas  Bestimmtes    in    der 
Hand  geblieben  ist?) 
6)  Pacmts,  ezeg.  Handb.  1,  b,  S.  524  f.  530.  L.  J.  1,  a,  S.  244  f.^ 
ViRTOaiifi,  2,  S.  204  ff.;  Köstbb,  a.  a.  O. 


110  Zweiler  Abaehoitt. 

tritt  einer  realen  Kraft  von  Seiten  Jean  einen  swölQAlir^ 
gen  Blutflafa  geheilt  oder  aneb  nur  gemindert  habe?  end« 
lieh  aber,  wenn  die  Evangelisten  einen  selbstgenacbten 
Schlafs  C^<^'  ^^^^  Kraft  von  ihm  ausgegangen)  Jesu  in 
den  Mond  gelegt,  und  eine  nur  nach  and  nach  eingetre* 
teiie  Wiederherstellung  als  eine  äugen bliekliehe  besehrie- 
ben haben  sollen :  so  fiSllt  mit  dem  Aufgeben  dieser  Zfige 
die  Bfirgsohaft  fflr  die  gescbiehtUche  Wahjrheit  der  gansen 
Erzählung,  aber  ebendamit  auch  die  Veranlassung  hinweg, 
sich  mit  der  natArlichen  Erklärung  vergebliche  Mflhe  su 
machen» 

Uns  in  diesem  Sinne  bu  entscheiden ,    könnte  uns  in 
der  That  die  Vergleichnng  dieser  Ersählung  mit  verwand«* 
ten  Anekdoten  geneigt  machen.      Wie  hier  und  an  einigen 
andern,    oben   angefahrten  Stellen  von  Jesu  erzählt  wird, 
dafs  durch  blofse  BerQhrung  seines  Kleides  Kranke  genesen 
seien:  so  berichtet  die  Apostelgeschichte,  dafs  die  asdaQiu 
und  aifuxiPx^ia  des  Paulus,  wenn  man  sie  auflegte  (19, 11  f.)^ 
und  von  Petrus  selbst  der  Schatten,    wenn  er  auf  einen 
fiel  (5,  15.)  9   Kranke  aller  Art  gesund  gemacht  hftbe,  und 
apokryphische  Evangelien   lassen  durch   die  Windeln  und 
das  Waschwasser  des  Kindes  Jeans  eine  Masse  von  Kuren 
verrichtet  werden  ').      Von  diesen   leteteren  Geschichten, 
wie  auch  von  den  Ileilungslegenden   der  katholischen  Rir«» 
ehe,  weifs  Jedermann,  dafs  er  sich  mit  denselben  auf  dem 
Gebiete  der  Sage   und  Dichtung  befindet;    aber  wodurch, 
kann  man  fragen,  sollen  sich  von  diesen  Kuren  durch  die 
Windeln  Jesu    oder  durch  die  Knochen  eines  Heiligen  diö 
Heilungen,  durch  die  Schweifstttcher  Pauli  unterscheiden, 
als  etwa  dadurch,   dafs  jene  von  einem  Kinde,  diese  von 
einem  Et-  *  .chsenen  ,    diese  von  einem  lebenden ,   jene  von 
einem   todten  Körper  ausgehen?    Zwischen  diesen  Heilun- 
gen  durch   die  Schweifstticher  aber  und  denen  durch  die 


7)  t.  das  Evangelium  infantiae  arabicum  bei  Fjibiiicivs  und  Thilo. 


Neanles  KapIceL    $•  96.  111 

Berttbraog  des  Sauiaa  an  Kleide  findet  wledcnm,  so 
aeheiot  ea^  kein  weaentlicher  ünteraehied  statt:  beidemale 
eine  BerOliruDg  yon  Gegenstinden,  welche  nur  in  lutserem 
Zaaafl»enhange  mit  dem  Wnnderthäter  atehen;  nur  dafs 
diessr  ZuaamflMnhang  bei  den  abgelegten  Sehweifstöchern 
eis  ■ntarbroehener,  bei  dem  Gewände  ein  noch  fortdauern« 
dar  iat. 

Findet  aich  durch  diese  Parallele  der  Kritiker  ver- 
tagt, mit  der  einen  Klasse  von  Ersfihlnngen  auch  die  an* 
dcre  als  uogesehichdieh  ancnsprechen :  so  hat  er  doch  auf 
beiden  Seiten  sich   wohl  in  Acht  an   nehmen.      fürstlich 
sehen  anf  Seiten  der  katholischen  Legende  ist  es  gewifs 
sn  rasch,    mit  den  vielleicht  neun  Zehntheilen  Fabel  auch 
das  letste   2jehntheil   als    un  historisch    f orten  werfen ;    da 
manebe  jener   Heilnngsgeschichten   theils   in    beglaubigten 
neueren  Verffillen  Analogie^  theils  in  dem  Znsammentreffen 
der  Glaul>enskraft   in   den    Kranken    mit   einer   vielleicht 
magaetiseh  -  artigen  im  Wnnderthäter  die  Möglichkeit  ei- 
ner Erklärung  haben.     Auf  Seiten  der  nentestamentlichen 
nud  namentlieh  der  evangelischen  Erzählungen   dieser  Art 
aber  ist  es  nnch  hier  wieder  der  Fall ,   dals   der  Kritiker, 
welcher  ihre  geschichtliebe  Wahrheit  aua  den  angegebenen 
Grfiiiden  besweifelt,  sich  anf  einer  versteckten  Befangen* 
lieit   Im  snpranatnralistlBchen  Standpunkt  ertappt.     Denn 
nicht   weil  ihm  ein  solches  rein  -  physisches  Ausgehen  hei* 
lender   Kräfte  von  Jesus   unmöglich  erschiene  —  welches 
er   Ja   auf  dem  Felde   des   Magnetismus  ausdrücklich   als 
wirUich  einräumt  — ,    spricht  er  es  Jesu  ab,   sondern  in 
der  Tbat   nur  defswegen ,    weil   es    ihm   Jesu    unwfirHlg 
dftnkt:   and  diels  aus  welchem  andern  Grunde  |    als  ver^ 
mäge  der  aus  dem  Snpranatnralismus  hertfbergenommenen 
Veranssetanng,  dafs  die  Wunder  Jesu  nur  als  rein  geistige 
and  freie  Acte  seines  mit  dem   göttlichen   geeinigten  Wil* 
kns  nn  betrachten  f  •  len  ?    Sobald  wir  aber  dieses  supra? 
■aCuraijstische    Vorurtheil   ablegten  y    und    auf  der   andern 


4C. 
/ 


lli  Zvreiter  Absehniti. 

Seit»  am  reeht  bewiiCit  werden  ^  da£i  wir  efaeaso  wenig 
mit  den  ftatfonalitfeB  Jene  verborgenen  Kräfte  der  meaech* 
lieben  Nator^  wie  sie  in  tfaieriMihen  Magnetinnns  und  in 
den  Zmtlnden  i«ligittier  und  anderer  Exaltation  «leb  sei- 
gotty  BV  iXngnen  gemeint  sein  können:  so  wird  uns  niebte 
mehr  abhalten  —  wie  viel  anoh  immer ,  aehon  Im  N.  T^ 
die  Sage,  vermöge  der  VoiMebe  dea  Volke  fftr  eine  ao  mn« 
terielle  Äealäemng  (woffir  man  ea  nalim)  der  gOttÜch« 
Kraut  nnd  Wirde  Jean,  binaogediehtet  haben  mag  — ,  den- 
noeh  aia  gesebiebtiieb  denkbar  ansner kennen ,  dafii  Petri 
Schatten  mittelst  der  glänidgen  Einbildangskraft  der  Kran* 
keni  die  Berabmng  dea  Gewandes  Jesu  aber  aufserdem 
noch  dorcb  eine  aeinem  Körper  nnd  dessen  UmbOllangen 
4nwohnende,  der  magnetischen  vergleichbare  Heilkraft,  man- 
che von  denjenigen  Wirkungen  bervorgebracht  liabe,  deren 
die  Evangelien  nnd  die  Apostelgeaebiebte  Meldung  tban  ^>. 

S.    M. 

Heilungen  in  die  Ferne. 

Von  jenen  nnwillkfirlieben  Heilungen  sind  nun  aol- 
cbe,  welche  ana  der  Entfernung  liewirkt  werden,  eigent» 
lieh  das  gerade  GegentheiL  Geschehen  jene  durch  blofse 
körperliche  Berfibrnng,  ohne  besondern  WiUensact:  $o  er* 
folgen  diese  durch  den  bloisen  WiUensact  ohne  leibliche 
Berührung,  oder  auch  nur  räumliche  Nfibe.  Zugleich  aber 
mofs  man  sagen:  war  die  Heilkraft  Jesu  so  materiell,  defa 
aie  bei  der  blofseh  leiblichen  Berührung  nnwlllkllrlicb  sich 
entlud,  so  kann  sie  nicht  ao  geistig  gewesen  aein,  dafa  der 
blobe  Wille  sie  auch  über  bedeutende  Entfernungen  bin- 
Obergetragen  hätte;  war  sie  aller  ao  geistig,  um  auch  ohne 
leibliche  Gegenwart  su  wirken,  so  kann  sie  nicht  so  ma«> 
teriell  gewesen  sein,  um  ohne  Willen  sieb  sn  entladen. 


8)  Vergi'.  hicmit  die  Bemerkungen  von  Waisia,   die  evang.  Ge- 
schichte, 1,  S.  5U1  f. 


Neuntes  Kapitel.      §•  9ß*  113 

Alt   Proben  einer  solct^ea  in   die   Feme   wirlienden 
Hdiknift   Jesu    l>eriehten   uns   Mattbäua   und   Loiiaa   die 
Heüenjr   dea  kranken  Kneehta  rfnea  Hanptmanna  so  Ka« 
peraanm:   Johannea  die  dea  kranken  Sohna  einea  ebenda« 
•aihst    wohnenden  ßaailoeog  ( Hatth.  8,  5  £L    Luc»  7,  1  ff. 
Jotu  4 ,  46  ff  ).     Die  gewöhnliche  Ansicht   fiber  diese  Er* 
siUnogen  iat  die,  dafs  SMrar  Matthäns  und  Lukas  dasselbe, 
Johannaa  aber  ein  von  diesen  irerschiedenea  Faetnm  mel- 
de, da  aeiB  Bericht  von  4^01  der  beiden  andern  in  folgen- 
den Zfigen  abweiche:  I)  der  Ort,  von  wo  aus  Jeans  heile, 
sei  btt  den  Synoptikern  de^  Aufenthaltsort  des  Kranken, 
Kapemaam:  nach  Johannea  ein  davon  veraehiedener,  näm- 
lieh  Kana ;    2)  die  Zeit,  in  welehe  die  Synoptikei^  die  Be- 
gebeabeit    aetsen,    nämlich   beide   unmittelbar   hinter   die 
Heimkehr  Jean  nach  der  Bergrede,  aei  von  der  im  vierten 
Evangeliom   angegebenen ,     ebenao    unmittelbar   nach    der 
Rückkehr  Jesu  vom  ersten  Pascha  und  seiner  Wirksamkeit 
in  Samaria,  verschieden;  3)  der  Kranke  sei  nach  jenen  der 
Sklave,   aach  diesem  der  Sohn  dea  Bittstellers;   die  wich- 
tigsten Abweichungen  aber  finden  4)  in  Hinsieht  des  Bitt- 
stellers selber  statt,  indem  er  im  ersten  und  dritten  £van« 
geliam  eiae  Militürperson  (ein  Ixcn^mTa^XO^ ) ,    im   vierten 
ein  flofbaamter  (ßaadixog) ,  nach  jenen  (laut  V«  10  ff.  bei 
Hattfi.)  ein  Heide,  nach  diesem  ohne  Zweifel  als  Jude  au 
denken  sei;    hauptsächlich  aber  werde,  er  nach  den  Syno- 
ptikern  von t Jesu   ala  Muster  des  innigsten,  demfithigsten 
Glaobeoa  beiobt,  weil  er  ja  Jeaum  in  der  Zuversicht,  dafs 
er  aaah  aus  der  Ferne  heilen  könne,  verhinderte,   in  sein 
Haas  an  gehen:    nach  Johannes  dagegen  werde   er  umge- 
kehrt,   weil  er  die  Gegenwart  Jesu  in  seinem  Hause  aum 
Behnf  der  Heilung  fOr  nöthig  hielt,   wegen  seines  schwa- 
eben,  der  ar^f^da  und  TtQaia  bedürftigen  Glaubena  getadelt  >)• 


1)  s.  die  Ausführungen  von  Fauivs^   Luckb,   Tholucx  und  OlS; 
HAUSBl«  z.   d.   St. 

Das  Leben  Jesu  'hte  Aufl,  fi.  Band.  S 


114  Zweiter  Abschnitt. 

Diese  Abweloliongen  sind  aUerdingB  bedeotend  genüge 
um  von  einem  gewissen  Gesiehtspnnltt  aus  um  ihretwülen 
auf  der  Verschiedenheit  des  dem  synoptisehen  und  des  dem 
(ohanneischen  Berichte  Eum  Grande  liegenden  Thatsächli- 
ehen  bu  beharren:  nur  sollte  man,  wenn  man  es  von  die- 
ser Seite  so  genau  nimmt,  sieh  über  die  Abweicbungenv 
welche  auch  swisohen  den  beiden  synoptischen  Berichten 
stattfifiden ,  nicht  verblenden.  Schon  in  Beaeichnung  der 
Person  des  Leidenden  stimmen  sie  nicht  gane  eusammen: 
Lukas  heifst  ihn  einen  dSlos  tvtifiog  de&  Hauptmanns;  bei 
MatthXus  nennt  dieser  ihn  6  Tfoig  pm^  was  ebensowohl  ei« 
nen  Sc^n  als  einen  Diener  bedeuten  iiann ,  und  dadurch, 
dafs  dell  Hauptmann  V.  9.,  wo  er  von  seinem  Knechte 
spricht,  den  Ausdrucls :  öSXoQy  gebraucht,  wfihrend  der  Ge* 
heilte  V.  13«  noch  einmal  als  o  ndig  avrS  bezeichnet  wird, 
eher  im  ersteren  Sinn6  erklSrt  ea  sein  scheint.  In  Betreff 
aeines  Leidens  wird  der  Mensch  von  MatthXus  als  ein 
naQaXvTixog  dsivtilg  ßaaavi^oftevos  geschildert,  \on  welcher 
Krankheitsform  Lukas  nicht  allein  schwelgt,  sondern,  in- 
dem er  EU  dem  unbestimmten :  xcexcog  t%u)v  noch  i^^itXke  rs- 
leirvfv  setzt,  Manchen  eine  andere  Krankheit  yorauscu- 
setzen  geschienen  hat,  da  die  Paralyse  sonst  nicht  als  sehneil 
tödtende  Krankheit  vorkomme  ')•  Als  die  bedeutendste 
Differenz  aber  geht  durch  die  ganze  Erzählung  diese  hin* 
durch,  dafs  Alles,  was  nach  Matthäus  der  Centurio  an* 
mittelbar  selbst  tbut,  bei  -Lukas  durch  Gesandtschaften 
vermittelt  ist,  indem  er  hier  zuerst  schon,  nicht  wie  bei 
Matthäus  persönlich,  sondern  durch  die  TtQeoßvreQsg  %iov 
ladaL(i)Vj  Jesum  um  die  Heilung  ersucht,  dann  aber  von 
dem  Betreten  seines  Hauses  ihn  wiederum  nicht  selbst  sa- 
rilckhält,  sonderii  durch  einige  Freunde  abmahnen  Ififst» 
Zur  Ausgleichung  dieser  Differenz  pflegt  man  sich  auf  die 


2)  SciiLBiSHMACiiBR,  Über  den  Lukas,  S.  92. 


Neontes  Kupitel.     {•  OCu  115 

Regel:  quod  quii  per  alium  facti  etc.  zu  berufen  '')•    Soll 
danit,  wie  es   auf  dem  Standpnokto  der  so  nrt hellenden 
Rrklfirer  nicht  anders  denkbar  Ist^  gesagt  sdin,  Matthätts 
habe  wohl  gewufst,    dab   awisehen   dem  Hauptmann  und 
Jesa  Alles  durch  Mittelspersonen   verhandelt  worden  sei, 
dennoch  aber  habe  er  der  Kfirse  wegen  mittelst  jener  Re* 
defigar  Ihn  selbst  mit  Jesu  sprechen  lassen:    so  hat  Storr 
Tollkommen   recht   mit  der  Gegenbemerkung,    dafs   wohl 
schwerlich  irgend  ein  Oeschichtsohreiber  Jene  Metonymie 
so  beharrlich  durch  eine  ganse  Eraählung  hiodurchfahren 
w&rde,  und  swar  in  einem  Falle,  wo  einerseits  die  Rede- 
fignr  sieh  keineswegs   so   von   selbst  verrathe,   wie  s.  B. 
weoa  einem  Feldherrn  angeschrieben  wird^  was  seine  Sol* 
datea  thnn,    und  wo  andrerseits  gerade  auf  den  Umstand, 
ob  die  Person  selbst  oder   durch  Andere  gehandelt  habe, 
sar  Tollen  Erkennbarkeit  ihres  Charakters  etwas  ankom- 
me ^.    Mit  löblicher  Conseqnena  hat  daher  Storr,  wie  er 
der  be<leutenden  Differensen  wegen  die  Brnihlung  des  vier- 
ten ETasgelinms   auf  eine   andere  Thatsaohe   besiehen  su 
missen  glaubte,  als  die  des  ersten  und  dritten,  ebenso  um 
der  Abweichungen  willen,  welche  er  swisoben  den  Berich- 
ten der  letsteren  lieiden  fand,  auch  diese  fflr  Ereihlungen 
sweier  Terschiedenen  Begebenheiten  erklXrt.  Wundert  man 
sieb,  dals  en  drei  Terschiedenen  Malen  ein  so  gane  ähnii« 
eiier  Heilnngsfall  an  dem  gleichen  Orte  Torgekommen  sein 
soll  C<lonn  auch  nach  Johannes  lag  und  genas  der  Kranke 
in  Kapernaum) :  so  Tcrwundert  sich  Storr  seinerseits,  wie 
auui  Im  Mindesten  unwahrscheinlich  finden  könne,  dafs  in 
Kapernaum  an  Terschiedenen  Zeiten  swei  Hauptlente  einen 
kranke»  Knecht,  und  wieder  ein  andermal  ein  Hofbeamter 
einen  kranken  Sohn  gehabt;   dafs  der  nweite  Hauptmann 


3)  Augustin,  de  consens.  evang.  1^  20;  Paulus^  exeg.  Handb.  I, 

b,  8.  709.;    KösTBii,  Immanuel^  S.  63*  * 

4)  Veber  den  Zweck  o.  i.  f.  S.  351. 


115  ZwaiterAbseliiiUt. 

(des  Lukas)  toh  der  Geschichte  des  ersten  gehört,  sich  auf 
ähnliche  Art  an  Jesum  gewendet,  ond  sein  Beispiel  ebenso 
durch  Oemuth  eu  übertreffen  gesnobt  habe,  wie  der  erste 
Hauptmann  (Matth.),  dem  die  frfihere  Geschichte  des  Hof- 
manns  (Job.)  bekannt  gewesen  sei,  das  schwache  Vertranen 
dieses  leteteren  habe  übertreffen  wollen ,  und  dafs  endlich 
Jesus  alle  drei  Patienten  auf  dieselbe  Weise  aus  der  Ferne 
geheilt  habe.  Aliein  der  Vorfall,  dafs  ein  vornehmer  Be- 
amter Ton  Kapernaum  Jesum  um  die  Heilung  eines  Ange- 
iillrigen  bat,  und  Jesus  aus  der  Entfernung  so  auf  diesen 
einwirkte,  dafs  um  dieselbe  Zeit,  da  Jesus  das  heilende 
Wort  sprach ,  der  Kranke  au  Hanse  genas ,  ist  so  einsig 
in  seiner ^Art,  dafs  eine  dreimalige  Wiederholung  dessel- 
ben nnmttglich  angenommen  werden  kann,  und  auch  schon 
eine  blofs  sweimalige  Schwierigkeiten  hat;  wefs wegen  der 
Versuch  gemacht  werden  mufs,  ob  nicht  die  drei  Berichte 
auf  Eine  Grundlage  eurflckgeftthrt  werden  können. 

Hier  Ist  nun  die  am  allgemeinsten  für  yerschiedenartig 
gehaltene  Ersälünng  des  vierten  Evangelisten  nicht  allein 
In  den  schon  angegebenen  Grondzügen  cfer  synoptischen 
verwandt,  sondern  in  manchen  bemerkenswert hen  fiincel- 
heiten  stimmt  einer  oder  der  andere  der  beiden  synopti- 
schen Referenten  genauer  mit  Johannes  eusammen  als  mit 
dem  andern  Synoptiker.  So,  während  in  dem  Zuge,  dafs 
er  den  Kranken  als  711/1^;  beseichnet,  Matthäus  mindestens 
ebensowohl  mit  dem  jobanneischen  viog  übereinstimmend 
gefunden  werden  kann,  als  mit  dem  döXog  des  Lukas,  tref- 
fen Matthäus  und  Johannes  darin  entschieden  ausammen, 
dafs  nach  beiden  der  kapernaitische  Beamte  sich  unmittel- 
bar an  Jesum  selber  wendet,  und  nicht,  wie  bei  Lukas, 
durch  Vermittler.  Dagegen  stimmt  der  Johanneische  Be- 
richt mit  dem  des  Lukas  gegen  den  Matthäus  in  der  Be* 
Schreibung  des  Znstandes  fiberein,  in  welchem  der  Lei- 
dende sich  befunden  haben  soll:  beide  wissen  nichts  von 
der  TiaQaktmg,  von  welcher  Matthäus  spricht,  sondern  be- 


Nonatea  Kapitel.    S*  96.  117 

zeiehnen  den  Kranken  als  dem  Tode  nahe,   Lukas  durch 
intJJie  %tkev%aY.  Jobahnea  durch  ruiiJktv  drco&r/Hßxtiv,  vrosu 
Att  letstere  V.  52.  oachtrffglioh  bemerkt,  dafa  die  Krank- 
heit Ton  einem  nv^eTog  begleitet  gewesen.    In  Darstellung 
der'^Art,  wie  Jesus  die  Heilung  des  Kranken  vollBog,  und 
wie  dessen  Genesung  erfolgte,   steht  Johannes  wieder  auf 
Seitan  des  Matthius  gegen  den  Lukas.     Während  nämlich 
dieser    eine    ausdrückliche   Versicherung  Jesu,    dafs   der 
Kneefat  geheilt  sei,  gar  nleht  bat,   lassen  Jene  beiden  ihn 
sehr   Abereinstimmend  so  dem  Beamten  sagen,    der  eine: 
tnay«,  xcd  vig  inigsvoag  y^i^thjrtj  aoij  der  andere :  tioq^u^ 
o  lios  OS  ^jj^   and  auch   der  Sohlufs  des  Matthäus:   xai 
iu!h^  Q  Ttdig  ctviS  iv  rij  WQ^  kxaLvi]^  stimmt  wenigstens  der 
Fora  Dach  mehr  su  der  johanneischen  Angabe:  bei  gehal- 
tener Nachfrage  habe  der  Vater  gefunden,   dafs  iv  iteeivfj 
ffj  »pn,   in   welcher  Jesus  jenes  Wort  gesprochen,   sein 
Sohu  gesund  geworden  sei,  als  su  der  des  Lukas,  dafs  die 
cnrilckgehehrten  Boten  den  kranken  Knecht  gesund  enge- 
troSm  haben.    In  einem  andern  Punkte  dieses  Schlusses 
wendet  sich  nun  aber  die  Zustimmung  des  Johannes   von 
Mattbins  wieder  eu  Lukas  aurttck.    Bei  beiden  nämlich 
fot  Ton  euer  Art  von  Gesandtscliaft  die  Rede,  welche  un* 
letmt  nach  aus  dem  Hause  d%  Beamten  tritt:   bei  Lukas 
eine  Ansahl  von  Freunden  des  Hauptmanns,  welche  Jesum 
abhalten  sollen,   sich  selbst  uu   bemflhen;    bei  Johannes 
Knechte,  welche  Joiielnd  ihrem  Herrn  entgegenuieben,  und 
ihm  <lie  Kunde  von  der  Genesung  seines  Sohnes  bringen. 
GewiCs,  wo  dr^  Ersäblnngen  so  durcheinander  versohlun« 
gen  sind ,  wie  diese ,  darf  man  nicht  blofs  swei  dersellien 
fär  identisch  erklären,  und  eine  als  verschiedene  stehen 
laseen ;  sondern  man  mofs  die  drei  Berichte  entweder  alle 
auseinander  halten,  oder  alle  uusammenwerfen ,  wie  Lete- 
teres    nach    älteren    Vorgängern   Sbmler  gethan  *),    und 

5)  s.  bei  Ll'CMB,  i,  S.  552.    Vgl.  auch  oi  Wbtti,  exeg.  Hsndb. 
I,  d,  S.  64. 


118  Zweiter  Absobuitt. 

Tholuck  wenigsten«  ffir  möglich  erblSrt  hat,  es  sa  thun. 
Nur  sucbeo  solche  Ausleger  dann  die  Abweichungen  der 
drei  Berichte  so  au  erUliren^  dafs  keiner  der  ETangelisten 
etwas  Falsches  gesagt  haben  soll.  Den  Stand  des  Bitt« 
stellers  betre£Fend  sucht  man  den  ßaaiXixo^  des  Johannes 
cum  Militärbeamten  au  machen,  wovon  dann  das  hcatoviaQ- 
yo$  der  beiden  andern  nur  nKhere  Bestimmung  wäre;  was 
aber  den  Hauptpunkt ,  das  Benehmen  des  Bittstellers ,  be- 
trifft, so  könnten,  meint  man,  die  verschiedenen  Ercähier 
verschiedene  Seiten  der  Sache  In  der  Art  hervorgehoben 
haben,  dafs  Johannes  nur  das  Frohere  wiedergäbe,  wie 
sich  Jesus  ober  die  anfibigliche  Schwäche  des  Glaubens  in 
dem  Bittenden  beklagte,  die  Synoptiker  nur  das  Spätere, 
wie  er  seinen  schnell  gewachsenen  Glauben  belobte.  Wie 
man  auf  noch  leichtere  Weise  die  Banptdlfferena  swischen 
den  beiden  synoptischen  Berichten,  in  Hinsicht  der  mittel- 
baren oder  unmittelbaren  Bittstellung,  ausgleichen  an  kön- 
nen meinte,  ist  bereits  angegeben  worden.  Dieses  Bestre- 
ben ,  die  Widersprüche  der  drei  Relaiionen  auf  gfitlichem 
Wege  ausEugleichen,  ist  ein  falsches.  Es  bleibt  dabei:  die 
Synoptiker  habjBU  sich  den  Bittsteller  als  einen  Centnrio 
g«>daeht,  der  vierte  Evangelist  als  einen  Hofbeamten;  jene 
als  glaubensstark,  dieser  als^der  Stärkung  noch  bedürftig; 
Jobannes  und  Matthäus  stellten  sich  vor,  er  habe  sieh  nn- 
mittelbar,  Lukas,  er  habe  sich  aus  Bescheidenheit  nur 
mittelbar  an  Jesum  gewendet  ^). 

Wer  stellt  n|in  die  Sache  auf  die  rechte,  und  wer  auf 
irrige  Weise  dar?  Nehmen  wir  suerst  die  beiden  Syn- 
optiker für  sieh,  so  ist,  mit  Ausnahme  dk  Wbtte's,  nur 
Eine  Stimme  der  Erklärer,  dafs  Lukas  die  genauere  Dar* 


6)  Fritzschs,  in  Matth.  p.  310:  dtscrepat  autem  Lucas  ita  a 
Matthaet  narratione,  ut  centurionem  non  tpsum  venisse  od 
Jesum  ^  sed  per  iegatos  cum  eo  egisse  tradat;  t^uibus  dUsi- 
detUiöus  pucem  obtrudere,  boni  nego  inierprciis  esse. 


Neunte«  Kapileh    f.  96.  llO 

•lelloDg  gebe.  Sohoo  daa  will  man  anvrahrscheinKeh  fin* 
den,  dafs  der  Kranke  nach  MatthXus  ein  Pamlytiscber  ge- 
weaea  aein  sollte,  da  bei  dem  UiigefKhrliohen  dleaea  Lei- 
dens der  bescheidene  Hauptmann  schwerlich  Jesnm  gleich 
bei'ci  Eintritt  in  die  i9^adt  in  Beschlag  genommen  haben 
würde  ^ :  als  ob  ein  sehr  schmershaftes  Uebel ,  wie  das 
ron  Matthäus  beschriebene,  nicht  möglichst  schnelle  Ab- 
bfilfe  wfinschenswerth  machte,  und  als  ob  es  ein  nnbeschei' 
denar  Anspruch  gewesen  wXre,  Jesom  noch  vor  seiner 
Nadüiaasefcunft  um  ein  heilendes  Wort  nn  ersuchen. 
Yielmehr  das  umgekehrte  VerhXltnils  nwiscben  Matthfius 
■nd  Lukas  wird  durch  die  Bemerkung  wahrscheinlich,  dafs 
das  Wnoder,  und  also  auch  das  Uebel  des  wunderbar  Oe* 
bctltaa,  in  der  Uel>erlieferung  sich  nie  yerkleinert,  sondern 
stets  fergrdfsert;  daher  eher  der  arggeplagte  Paralytische 
aam  fiiiJUav  Ta?.etrv^v  gesteigert,  als  dieser  su  einem  blofs 
Leidenden  herabgesetct  werden  mochte.  Hauptsfichlich 
ab^  die  doppelte  Gesandtschaft  bei  Lukas  ist  nach 
ScauunniiACBBR  etwas,  das  nicht  leicht  erdacht  wird. 
Wie,  wenn  sich  dieser  Zug  vielmehr  sehr  deutlich  als  ei- 
nen erdachten  an  erkennen  gSbe?  Während  bei  Matthäus 
der  Baaptmann  Jesnm  auf  sein  Erbieten,  mit  ihm  gehen 
s»  walisB,  durch  die  Einwendung  aurfickauhalten  sucht: 
Kvpi€f  WC  eifdl  ixccvog^  ha  /na  vno  Tf^v  gipjv  eiglkihf^Sj  läfst 
er  bei  Lukas  durch  die  abgesandten  Freunde  noch  hincn- 
setseo :  dio  adi  i^airtov  r^^Uoaa  Ttqog  ce  ilt>uv^  womit  deut- 
lich genug  der  Schlufs  angegeben. ist,  auf  welchem  diese 
Gesandtschaft  lieruht  Erklärte  sich  der  Mann  ffir  unwür- 
dig ,  dafs  Jesus  su  ihm  komme,  dachte  man,  so  hat  er 
wohl  auch  sich  selbst  nicht  fiDr  wfirdig  gehalten ,  su  Jesu 
an  kommen ;  eine  Steigerung  seiner  Demuth,  durch  welche 
sieh  auch  hier  der  Bericht  des  Lukas  als  der  secundäre 
stt  erkennen  gibt.    Den  ersten  Anatofs  su  <Ueser  Gesandt- 


1)  ScjusiSKiUACHaA;  a.  a.  0.  S.  92  f. 


120  Zweiter  AbschnUt. 

«cbaft  scheint  fibrigens  das  andere  Interesse  gegeben  so 
haben ,  die  Bereitwilligkeit  Jesu ,  in  des  Heiden  Hans  so 
geben,  durch  eine  vorgfingige  Empfehlung  desselben  mm 
motiviren«  Das  ist  ja  das  Erste,  was  die  7ti)€i;ii in ^toi  tcJv 
*lödaiwv,  nachdem  sie  Jesu  den  Krankheitsfall  beric>tet, 
hincnsetzen:  ari  a§i6g  iciv  y  naqi^ei  rOzo'  ayan^  yccQ  xo 
eihog  T^ftcüv  x.  t.  L,  ähnlieh,  wie  gleichfalls  bei  Lukas,  in 
der  Ä«  6  10, 22.,  die  Boten  des  Cornelius  dem  Petrus,  um 
ihn  SU  einem  Gang  in  dessen  Hans  zu  vermögen,  ausein« 
and^rvetzen,  dafs  er  ein  avfJQ  dlxaiog  xal  q^oßöfievog  zov 
d^tov^  f.i<x(rrrQöin€v6g  tb  vno  ola  tö  tOiag  icov  ^ladalußv  «ei- 
Dafs  die  doppelte  Gesandtschaft  nicht  ursprünglich  sein  kann, 
erhellt  aber  am  deatlichsten  daraus,  dafs  durch  dieselbe 
die  Erzählung  des  Lukas  alle  Haltung  verliert.  Bei  Mat- 
thäus hängt  Alles  wohl  zusammen:  der  Hauptmann  zeigt 
Jesu  zuerst  nur  den  Zustand  des  Kranken  an,  und  fibei> 
läfst  entweder  ihm  selber,  was  er  nun  thun  wolle,  oder 
es  kommt  ihm,  ehe  er  seine  Bitte  stellt,  Jesus  mit  seinem 
Anerbieten,  sich  in  sein  Haus  zu  begeben,  zuvor,  waa  nun 
der  Hauptmann  auf  die  bekannte  Weise  ablehnt«  Welches 
Benehmen  dagegen ,  wenn  nach  Lukas  der  Centurio  Jesu 
zuerst  durch  die  jüdischen  Aeltesten  sagen  läfst,  er  mächte 
kommen  ii?.d-a)i')  und  seinen  Knecht  heilen;  hierauf  aber, 
wie  Jesus  wirklich  kommen  will,  gereut  es  ihn  wieder, 
ihn  dazu  veranlafst  zu  haben,  und  er  begehrt  nur  ein 
wunderthätiges  Wort  von  ihm.  Dab  die  erste  Bitte  nur 
von  den  Aeltesten,  nicht  von  dem  Centurio  ausgegangen  ^), 
diese  Auskunft  läuft  den  ausdrücklichen  Worten  des 
Evangelisten  entgegen,  welcher  durch  die  Wendung:  ani 
C^iAe  —  TiQeaßvTEQüg  —  i(Hf)Twv  aurovy  die  Bitte  als  vom 
Hauptmann  selber  ausgegangen  darstellt;  dafs  aber  dieser 
mit  dem  i?Jh'iv  nur  gemeint  haben  sollte,  Jesus  möchte 
sich  in  die  Nähe  seines  Hauses  begeben,  und  nun  wie  er 


8)  KuiKöt,  in  Matth.  S.  221  f. 


N0ttiit«s  Kapitel,    i.  96.  111 


gBiihcu^  daCi  Jen»  »ogut  in  sein  flaua  treten  wolle,  «Keb 

akgelahnC  hebe:  wire  doeh  wohl   b«  angeraimt,  «!•  dele 

■en  ee   den  sonst  Terstindigen  Manne  eotrauen  htentoj 

von  welebea  aber  ebendelshalb  nooh  weniger  'eine  eo  m&^ 

tcrwendinehe  UnutlflMipng  so   erwarten  ist,   wie  sie   Im 

Tczse  des  Lnkas  liegt.    Der  ganse  Uebelstand  wäre  vor* 

■iedea   worden,   wenn   Lakas  der   ersten   tiesandtsehaft, 

wie  MatthSns  dem  Centnrio  selbst,  suerst  nnr  die  direete 

oier   Indireefe  Bitte   nm  Heilung   ttberhaapt,   nnd  dann, 

aaehdeas   Jesvis  sieb  erboten,   in   das  Hans  des  Kranken 

•ieh  in  begeben,    noch  de|selben  ersten  Gesandtschaft  das 

kesebeidene  Ablehnen  dieses  Anerbietens  in  den  Mnnd  go- 

legt  bitte.    Allein  er  glaubte,  den  Entsehlnfs  Jesu,  in  das 

Asus  sn  gehen,  doreh  eine  ebendahin  sielende  Bitte  moti* 

Tiren  ca  mUssen,   nnd  indem  ihm  nnn  die  Ueberliefemng 

noeh   ein    Verbitten  dieser  persönlichen    Bemflhnng    Jesu 

sn  die  Hand  gab:   so  sah  er   sieh  anfser  Stands,   Bitten 

nnd  Verbitten  denselben  Personen  so  leihen,    und  mnbte 

daher  eine    sweite  Gesandtschaft  veranstalten;    wodurch 

aber  der  Widerspruch  nur  scheinbar  vermieden  ist,  indem 

ja  beide  Gesandtschaften   von  dem  Einen  Centnrio  abge- 

eebiekt  dnd.      Vielleicht  Erinnerte  ihn  auch  der   Haupt- 

aanno,    welcher  Jesum  nicht  in  sein  Haus   bemflhen  will, 

Mn  den  Boten, 'der  dem  Jairns  wehrte,  den  Lehrer  in  sein 

Haus  so  bemühen,  nachdem  gleichfalls  eine  Aufforderung, 

in  das  Hans  su  kommen,  Torangegangen  war,  und  er  legte 

aon,  wie  sn  Jairus  nach  ihm  und  Merkus  der  Bote  sagt: 

//jf  axvike  Tov  didaaxalov  (Luc.  8,  49- )i   •<>  •"«'*  '***'  •**' 

swetten  Gesandtschaft  ein  Kv\iie  //?;  axoHü  in  den  Blnnd ; 

obwohl  SU  einer  solohen  Contre- ordre  nur  bei  Jairus,   in 

dessen  Hause  sich  seit  der  ersten  Aufforderung  durch  den 

Tod  der  Tochter  die  Lage  der  Dinge  verändert  hatte,  ein 

Grund  vorlag,  keineswegs  aber  bei  dem  Centnrio,  dessen 

Kneeht  noch  immer  im  gleichen  Znstande  sich  befand  ')• 

9)  Vgl.  M  VVsTTB ,  weg.  Uandb.  1 ,  J ,  8.  85.     Niaamr  ,   auch 


Vl'l  Zweiter  AbBcbnitt, 

Da  von  der  Identification  aller  drei  Geachichten  die 
neueren  ErklXrer  aich  hauptaSahlich  durch  die  Furcht  ab- 
gebalten finden,  Johanne^  möchte  dabei  in  daa  Liebt  einet 
aolcheh  gestellt  werden,  der  die  Scene  nicht  genau  genug 
aufgefafat,  und  wohl  gar  daa  Hauptmoment  fiberaehen  ha« 
be  ^^:  ao  würden  sie  also,  wenn  sie  eine  Vereinigong 
dennoch  wagen  wollten,  dem  vierten  Evangelium  ao  viel 
möglich  die  nrsprfiuglichste  Darstellung  der  Sache  vindi- 
^iren;  eine  Vorausaetsung,  die  wir  sofort  aua  der  Beschaf- 
fenheit der  Berichte  heraua  su  prfifen  hab^n*  Das  nun, 
dafs  dem  vierten  Evangelisten  der  Bittende  ein  ßaadixog 
ist,  nicht,  wie  den  äbrigen,  ein  IxccroiraQxog ^  iat  ein  lo- 
differenter  Zug,  aus  welchem  sich  fflr  keinen  Thetl  etwas 
achliersen  Ififst,  und  ebenso  kann  es  mit  der  Abweichung 
in  Betre£F  des  Verhftltnisses  des  Kranken  zum  Bittsteller 
aich  zu  verhalten  scheinen»  Indessen,  wenn  man  in  Bezug 
auf  den  letzteren  Punkt  aich  fragt:  welche  der  drei  Be- 
seichnungs weisen  eignet  sich  am  ehesten  dazu,  die  beides 
andern  aus  sich  haben  entstehen  zu  lassen?  ao  wird  man 
wohl  schwerlich  annehmen  können,  dafs  aus  dem  joban«* 
neischen  t^log  in  absteigender  Linie  zuerst  unbestimmt  ein 
maTg,  dann  ein  dälog  geworden  sei,  und  auch  die  umge- 
kehrte aufsteigende  Richtung  ist  hier  minder  wahrschein- 
lich, als  das  Mittlere,  dafs  aus  dem  zweideutigen  mag 
(=s  nV3),    welches  wir  im   ersten  Evangelium    finden,  in 

zwei  Richtungen  das  einemal  ein  Knecht,  wie  bei  Lukas, 
das  andremal  ein  Sohn,  wie  bei  Johannes,  gemacht  wor- 
den sein  mag.  Dafs  die  Bezeichnung  des  Zoatandes,  in 
welchem  sich  der  Leidende  befand,   bei  Johannea   wie 


hier  dem  Lulias  folgend,  tucht  die  Umstimmung  des  Haupt- 
manns denkbar  zu  machen  ( S.  328- ) ;  man  sehe  selbst ,  oh 
mit  Glück. 

10)  Thouxk  z.  d.  St.  j    ExsEy  §.  6g.  Anni.  2. 


I 


Neunte«  KapiceL    $.06.  1S3' 

Lokft»  sich  sa  der  bei  Matthfiaa  als  Sreigeroijg,  mifhin  als 
die  apitere  Terhalte ,  Ist  bereia  oben  bemerkt  Der  Un* 
ttrtcbied  in  der  Ortsangabe  wfirde  aaf  dem  Jetaigen  Stand- 
punkte der  vergleiebenden  Evangelien  kritik  ebne  Zweifel 
fo  bevrtfaeilt  werden,  dafs  in  der  Ceberlieferong,  aas  wel- 
eher  die  Synoptiker  schöpften,  der  Ort,  von  weldiem  aus 
Jesos  das  Wunder  verrichtete,  mit  dem,  in  welchem  der 
Kranke  lag,  susammengeflossen,  das  minder  bekannte  Kaoa 
vea  dem  berfihmten  Kapemaum  verschlangen  worden  sei, 
Jobannea  aber,  als  Augenaeuge,  das  Genauere  aufbewahrt 
habe.  AUein  so  erscheint  das  Verh£ltnifs  nur,  wenn  man 
den  vierten  Evangelisten  als  Augenaeugen  schon  voraua- 
aetat:  sacht  man,  wie  man  soll,  rein  aus  der  Beschaffen- 
heit der  Berichte  heraus  au  entscheiden,  so  stellt  sich  ein 
gaas  anderes  Ergebnifs  heraus.  Es  wird  hier  eine  Hei- 
lung aaa  der  Ferne  berichtet,  in  welcher  das  Wnnder  um 
so  gröfser  erscheint,  je  weiter  der  Zwischenraum  zwischen 
den  Heilenden '  «nd  dem  Geheilten  ist.  Wird  nun  die 
mfiudliehe  Überlieferung,  wenn  sich  die  Ercfthlung  in  die- 
ser fortpflanst,  eine  Neigung  haben,  jene  Entfernung,  nnd 
damit  das  Wunder,  an  verkleinem,  so  dafs  wir  in  der 
Darstellang  des  Johannes,  der  Jesum  die  Heilung  von  ei- 
nem Orte  aus  verrichten  iifst ,  von  welchem  der  Hofbe- 
Bmtm  erst  am  andern  Tage  bei  dem  Geheilten  ankommt, 
die  arsprflngliobe,  in  der  der  Synoptiker  dagegen,  welche 
Jesom  mit  dem  liranken  Knecht  in  derselben  Stadt  sich 
befinden  lassen,  die  traditionell  umgebildete  Ere£hlung 
hStten?  Nur  das  Umgekehrte  kann  der  Sage  gemfifs  ge- 
fiinden  werden :  und  auch  hierin  also  aeigt  sich  der  jo* 
hanneische  Bericht  als  ein  abgeleiteter.  Besonders  gemacht 
aeigt  sich  noch  die  Pfinktlichkeit ,_  mit  welcher  im  vierten 
Evangelium  die  Stunde  .der  Genesung  des  Kranken  ausge* 
aittrif  wird.  Aus  dem  einfachen,  auch  sonst  am  Schlüsse 
von  Ueilungsgeschichten  vorkommenden  tu^-r;  tr  rjj  ui(ff/ 
ixupr^  des  Matthäus   i«t   eine  Nachfrage   des   Vaters   nach 


114  Zweiter  Abf  obiiilt. 

der  ä(Hx  h  fi  xo/atl^oreQoy  ür^r«,  eine  Antwort  der  Kneehte: 
0^1  X^^Sy  MQcev  eßdofitpfy  arpijxey  avtov  o  ^tvQevog,  und  end- 
lieh das  Ergebnifa,  dafa  iv  ixelvr]  rrj  dßQf^y   iv  jj  einer  avuf 
o  jf.*  o  liog  üü  ^fjj   dieser  wirklich  gesond  geworden  sei, 
gemacht:   eine  ängstliche   Oenanigkeit,   eine  Quälerei  mit 
der  Rechnung,  welche  weit  mehr  das  Streben  des  Gnfih« 
iers,  das  Wunder  en  beurkunden ,  als  den  ursprünglichen 
Hergang  der  Sache  au  seigen  scheint     Darin,  dafs  er  den 
ßaadixog  persdnlich  mit  Jesu  verhandeln   iäfst,   hat  der 
Verfasser  des  vierten  Evangeliums  mehr  als  der  des  dritten 
die    ursprüngliche   Einfachheit    der   Ersählung    bewahrt; 
wiewohl   er^   wie    bemerkt,    in   den   entgegenkommenden 
Knechten  einen  Anklang  an  die  Eweite  Botschaft  des  Lu- 
kas hat.     In  dem  Hauptdifferenapunkt  aber,  der  den  Cha- 
rakter des  Bittstellers  betriflft,  könnte  man  mit  Anwendang 
unsers  eigenen  Marsstal>es   dem  Johannes  den  Vorsng  vor 
den   beiden  andern    Berichterstattern   euerkennen   wollen. 
Denn  wenn  diejenige  Ercähinng   die  mehr  sagenhafte  ist, 
welche  ein  Bestreben  nach  Vergröfserung  oder  Verschöne* 
rang  SU  erkennen  gibt:   so  könnte  man  sagen,   es  seige 
sich   der  Bittende ,   der  nach  Johannes  eiemlieh   schwach 
im  Glauben  gewesen  sei,   bei   den  Synoptikern   su  einem 
Glaubensmuster  verschönert«     Allein  nicht  auf  Verschöne- 
rung  fiberhaupt,    sondern  nur  in    Besiehung    auf  ihren 
Haupte  weck,    welcher  bei  den  Evangelien   die  Verherrli- 
ohung  Jesu  ist,  geht  die  Sage  oder  ein  diehtender  Ersah* 
1er  aus:   und  hienach  wird  man  in  doppelter  Hinsicht  die 
Verschönerung  auf  Seiten  des  vierten  Evangeliums  finden. 
Einmal,  wie  es  fiberbaupt  darauf  ausgeht,  die  Überlegen* 
beit  Jesu  durch  den  Contrast   mit  der  Schwäche   derer, 
die   mit  ihm  au  thun   haben,    hervorsnheben,    konnte  es 
auch  hier  sein  Interesse  sein,  den  Bittsteller  eher  schwach- 
als  starkgläubig  darcustellen ;   wobei  ihm  Jedoch  die  Er- 
wiederung, welche  es  Jesu  in  den  Mund  legt:    iav  //?;  or 
fiHa  y,ai  liquiu  c(J/jTe,  ö  fttf  nigeiv^/ien   doch  wohl  au  hart 


Nennlea  KapiteL    S*  M.  ftt 

gmmlhen  bt,  wefiiwegaii  ü»  «lenn  »neb  dte  nektan  ErkU- 
rer  in  Verlegenheit  setaL  Zwtttens  aber  konnte  et  nn> 
achieklieh  erscheinen,  dafs  Jeane  Toa  aeinem  anffingliehen 
Venelne,  In  daa  Hana  dea  Kranken  zn  gehen ,  sich  naeb« 
bar  iiieder  abbringen  Hefa,  und  so  fremdem  Einflüsse  sn 
fa%«a  sehien;  man  konnte  es  für  angsiiessenar  halten,  die 
Hctinwg  ana  der  Feme  als  seinen  nrapringliahen  Vorsats, 
and  nicht  erst  darch  einen  Andern  ihm  eingeredet,  daranr 
ttellen.  SoUta  nnn  aber,  wie  diaCs  die  Uberiiefemng  an 
die  Hand  gab,  der  Bittatellar  doch  eine  Einrede  gethan 
haben,  ao  mnfste  diese  die  entgegen^setate  Richtung  als 
bsa  dea  Sjooptikem  bekommen:  nlmlicb,  Jesnm  an  einem 
6a^e  in  das  Hana  des  Kjranken  bestimmen  an  wollen» 

Fragt  ea  sich  nnn  um  die  MfigUdikelt  nnd  den  idft^ 
ran  Hergang  des , vorliegenden  Ereignisses ,  so  glaniit  die 
natiriieho  Erkllmng  am  leichtesten  arit  der  Kraählnng 
dea  vierten  Evangeliums  anreehtaukommen.  Hier,  wird 
beamrkt,  sage  Jesus  nichts  davon,  daüs  er  die  Heilung  dea 
Kranken  bewirken  wolle,  aondem  er  versichere  den  Vater 
nur,  dab  das  Leben  aeines  Sohnea  anfaer  tiefahr  aei  (o 
tiog  OB  ^]\^j  und  auch  der  Vatar,  wie  er  finde,  data  daa 
Heaaerwerden  seines  Sohnes  mit  der  Zeit ,  um  welche  er 
mit  Jeans  geaprochen,  zusammenfalle,  sefalielse  keineswegs, 
dafa  Jeana  die  Heilung  ana  der  Ferne  bewirkt  liabe.  So 
isi  dieae  Geachichte  nur  die  Probe  davon,  dafs  Jesus,  ver- 
aifige  grfindlicher  Kenntnisse  in  der  Semiotik,  %m  Stande 
gewesen  sei,  auf  gegebene  Beachreibung  der  Umstfinde 
eines  Kranken  hin  eine  richtige  Prognose  über  den  Vei^* 
laaf  aeiner  Krankheit  zu  atellen ;  dafs  jene  Beachreibung 
hier  niefat  mitgetheilt  aei,  darana  folge  nicht,  dafs  sie 
Jmoa  sich  jiicbt  habe  geben  lassen;  ein  ar^fihXw  aber 
werde  diese  Probe  (¥•  54.)  genannt,  als  Zeichen  einer 
?on  Johannes  zuvor  noch  nicht  angedeuteten  Fertig« 
keit  Jesu,  die  Genesung  eines  besorgiich  Kranken  voraus* 


IM  Zweiter  Abschnitt. 

EUiageii  ^0*    Ailetiii  abgesehen  von  dieser  Mif^deutung  riet 
Wortes  ai]^m(jv^  and  jener  Einschwireang  eines  im  Texte 
nicht  angedeuteten  GesprXchs,  erschiene  bei  dieser  Ansicht 
von   der  Sache  der  Charatiter  ond    selbst  der   Verstand 
Jesn   im   sweidentigsten  Lichte.      Denn,   wenn  wir  schon 
denjenigen  ArEt  för  an?orsichtig  halten  würden,   welcher 
auf  selbstgenommenen  Augenschein  hin   bei  einem  Fieber* 
kranken,   den   man   so  el>en  noch  fftr  sterbend  Iiielt,   die 
Genesung  verbürgte ,  und  dadurch   seinen  Credit  auf  das 
Spiel  setzte :   um  wie  viel  vermessener  hätte  Jesus  gehen* 
delt,  wenn  er  auf  die  blofse  Beschreibung  eines  Laien  hin 
die  Gefahrlosigkeit  des   Znstandes   versichert  hütte?    Ein 
Solches  Benehmen   können  wi^  uns  an  ihm  —  nicht  etwa 
ans  orthodoxen  VurstcIInngen,  sondern  —  defswegen  nicht 
denken,  weil  es  der  Analogie  seines  sonstigen  Verfahrens, 
und  dem  Eindrucke,  welchen  sein  Charakter  bei  den  Zeit- 
genossen snrilckliefs,  geradesu  widersprechen  würde.   Hat 
also  Jesus  die  Genesung  des  Fieberkranken  auch  nur  vor- 
ausgesagt, ohne  sie  bu  liewirken :  so  mnfs  er  doch  anf  bu« 
verlfifsigere  Weise  als  durch  natürliche  Vermuthung  von 
derselben  versichert  gewesen  sein ;   er  mnfs  sie  auf  Ül>er- 
natOrliche  Art  gewufst  liaben.     Diese  Wendung  bat  einer 
der  neuesten  Erklärer  des  Johannes  der  Sache  bu  geben 
versucht.     Er  stellt  die  Frage,   ob   wir  hier  ein  Wunder 
des  Wissens   oder   des  Wirkens  haben?    und  da  nun  von 
einer  on mittelbaren  Wirkung   dea  Wortes   Jesu  nirgends 
die  Rede  sei,  sonst  aber  im  vierten  EvangeUnm  gerade  das 
höhere  Wissen  Jesu   besonders  hervorgehoben  werde,   so 
erklärt  er  sich  dahin,  Jesus  habe  vermöge  seiner  höheren 
Natur  nur  gewufst,  dafs  in  jenem  Augenblicke  die  Kranli« 
heit  sich  cum  Leben  entschied  ^^.    Allein  die  öftere  Her* 


11)  Paulus,  Comm.  4,  S.  253  t;   Vbiiturihx,  2,  S.  140  ff.     Vcrgl, 
Hass,  $.  68. 

12)  Luchs  ,  1 ,  S.  550  f. 


1 

IfeBfiles  Kapitel.    S^  96.  1*27 

Torhebang  des  büberen  Wlaaem  Jesu  in  unsereoi  K?aDge« 
lien  beweist  bieber  nicbts ,  da  es  ebenso  oft  aof  sebi  lid- 
herea  Wirken  aufmerksam  macht.  Femer,  wenn  Von 
ftbcnatflriicbem  Wissen  Jesn  die  Rede  Ist,  wird  diefs 
sonst  deatlicb  angegeben  (wie  1,  49.  2,  25.  6,  64. )i  und 
$o  würde  Johannes,  wenn  eine  Obematarliohe  Kunde  von 
der  ohnehin  erfolgten  Genesung  des  Knaben  gemeint  wire, 
Jesnm  wohl  anoh  hier  aof  fihBliehe  Weise,  wie  dort  eu 
Kathanaei,  so  dem  Vater  sprechen  lassen,  dafii  er  seinen 
Sohn  bereits  in  ertrXgiicherem  ZnstaAde  auf  seinem  Bette 
erblicke.  Nicht  nar  aber  ist  von  höherem  Wissen  nichts 
asgedentet,  sondern  eine  wanderbare  Wirksamkeit  deut« 
lieh  genog  ea  verstehen  gegeben.  Wenn  nimlicb  von  ei« 
Bern  fiiiXitiv  dnoihr^axeiv  die  plötsllche  Genesung  gemeldet 
»t,  so  ^^1  man  sunfichst  die  Ursache  wissen,  welche  diese 
unerwartete  Wendung  berbelgefilhri  habe,  und  wenn  nun 
ein  Berieht,  der  auch  sonst  auf  das  Wort  seines  Helden 
hin  Wunder  erfolgen  IXfsr,  eine  Versicherung  desselben, 
dafs  der  Kranke  lebe,  mittbeilt,  so  kann  nur  das  falsche 
Bestreben,  das  Wunderbare  au  vermindern,  der  Anerkennt* 
nifs  im  Wege  stehen,  dafs  der  Erefihier  in  diesem  Worte 
di»  Ursache  Jener  Verfindemng  angeben  wolle  ^'J. 

Bti  der  synoptischen  ErEäblung  ist  mit  der  Annahme 
einer  biofsen  Prognose  nicht  abcukommen,  da  hier  der 
Vater  (MatUi.  V.  8.)  eine  heilende  Einwirkung  verlangt, 
and  Jesus  ihm  (V.  13.)  eben  diese  seine  Bitte  gewfthrt. 
Dadurch  schien  sich  bei  der  Entfernung  Jesu  von  dem 
Kranken,  welche  alle  physische  wie  psychische  Einwirkung 
unmöglich  machte ,  der  natflrlichen  Erklärung  Jeder  Weg 
au  versehliefsen :  wenn  nicht  Ein  Zug  der  ErsXhlnng  un- 
erwartete Hälfe  geboten  bfifte.  Die  Vergleichung  nämlich, 
welche  der  Centurio  awisehen  sich  und  Jesu  anstellt,  dafs, 
wie  er  nur  ein   Wort  sprechen  dflrfe,    um  durch  ^seine 


li)    V^l.    Dl   WsTTt   z.   d.    St. 


12g  Zureiter  Abgehnitt: 

fliilAitnn  winA  Dianer  didb  asd  feaeA  amgenchtet  sa  »ehen, 
«a  ftock  Jetttm  es  nar  ein  Wort  koite,  seinem  Koeeht« 
mär  -Qmanihfit  am  verhelfen ,  komite  man  mfiglicIierweiM 
so  pressen,  dafe,  wie  aaf  Seiten  des  Haaptoianils,  «o  aoeh 
auf  Seiten  Jeeo  an  mensotiiiohe  Mittelspersonen  gedacht 
wurde.  Demnach  soll  nna  der  HanptnMuin  Jean  haben 
vorstellen  wollen,  er  dfirfis  nor  au  einem  seiaer  Jfinger 
ettt  Wort  spreehev^  so  werde  dieaer  mit  ihm  gehen  nnd 
seinen  Kneebt  gesund  maeben;  wa«  sofort  auch  wirklich 
gesebehen  sein  aoll^»  Allein,  da  diefa  der  erste  FaII 
wire,  daf«  Jesas  durch  seine  Jünger  heilen  iiefs,  und  der 
eiaaige,  dafa  er  aie  unmittelbar  an  einer  bestimmten  Hei- 
lung abseUekte:  wie  konnte  dieser  rigenthttmlicbe  Umstand 
sogar  in  der  sonst  so  ausfflhrlicben  firafihlung  des  fjukas 
stUlschweigend  voransgesetat  werden?  warum,  da  dieser 
Referent  In  Ansspinniipg  der  flbrigen  Rede  der  Abgesand- 
ten nicht  sparsam  ist,  geiat  er  mit  den  paar  Worten,  vrel* 
che  Alles  anfgeklirt  haben  würden,  wenn  er  nämlich  sa 
dem  eiTik  k6y((fi  tvl  twv  fta&rjviSv  ob  oder  dergleichen  etwss 
gesef Et  bitte  ?  Vollends  aber  am  Schlosse  der  Ersfiblung, 
wo  der  Erfolg  gemeldet  wird,  kommt  diese  Deutung  nicht 
biofs  durch  das  Stillschweigen  der  Eraäbler,  aondern 
durch  einen  positiven  Zug  bei  Lukas  in  die  ülielste  Ver- 
legenbeit.  Lukas  schliefst  nftmliich  mit  der  Motie,  dafs 
die  Freande  des  Hauptmanns  bei  ihrer  Rückkehr  in  des- 
sen Haus  den  Knecht  bereits  gesund  gefunden  haben« 
Soll  ihn  nun  Jesus  dadurch  wiederhergestellt  haben,  dafs 
er  den  Abgesandten  einen  oder  mehrere  seiner  Jünger 
mitgab:  so  konnte  es  mit  dem  Kranken  erst  von  da  an^ 
als  die  Abgesandten  mit  den  Jüngern  im  Hause  ankamen, 
allmählig  besser  werden ;  nicht  aber  konnten  sie  ihn  bei 
ihrer  Ankunft  schon  hergestellt  finden«     Paulus  freiUeh 


14)  Paulus,  e\cg.  Handb.,  1,  b,  S.  710  f. ;    Natürliche   Gescbich 
tc,  2,  S.  285  ff. 


Meantea  Kapitel.    {.  96.  129 

B«Ut  ToravS)  die  Abgesandt^il  haben  sieh  bei  den  Rtden 
Jesu  no«h  etwas  verweilt,  and  so  seien  die  Jinger  vor 
UttOD  angekoauneo  :  aber  wie  sieh.  JenO'  so  nnoöthig  babea 
TerweÜ0D  mögen,  and  wie  der  Evangelist  neben- der  Äbsen« 
dang  der  Jünger  nnn  aneh  noeh'  das  Znrilel&ldeilien  der 
Abgesandten  habe  versehweigen  ktanen,  enthält  er  sich 
an  erUfiren.  Mag  man  nun  statt  dessen  als  daafenige,  waa 
den  Soldaten  des  llaaptmanna  anf  Seiten  Jean  entsprioht, 

KrankheitsdXnonen  *')  9  <^^'  dienstbare  Bngel  ^^,  oder 
Uo(s  daa  Wort  nnd  die  HeitkrXfte  Jesn^O  denken:  Jeden- 
faUa  bleibt  ans  eine  wanderbare  Wirksamkeit  in  die  Ferne. 
Ein  Bweites  Beispiel  von  einer  Heilang  in  die  Ferne 
ist  dam  ersten  nnd  dem  sweiten  Evangelium  gemein  (Matth* 
Id,  S2ff.  Marc  7,  25  ff.  >  Anderphtoieisohen  Grinse  rief 
ein  heidniaelies  Weib  Jesam  om  H&lfe  für  ihre  besessene 
Toehter  an.  Er  wendete  anfkngliehaeine  aasschliefiiliohe  Be» 
stimmiing  fBr  das  israelitisehe  Volk  vor;  als  aber  die  MnUer 
in  demflthigem  Flehen  beharrte,  sagte  er  ihrem  starken' 
Gianben  GewAhraog  ihres  Wunsches  au,  welche  aneh  als* 
bald  an  der  geheilten  Toehter  sichtbar  wnrde.  Von  die- 
aar  Erdhlong  ist  in  einer  Hinsicht  —  auf  die-  anfAogliohe 
We^etnag  Jesu  —  bereits  oben,  in  der  Untersnehang  des 
mesaianischen  Planes  Jesu  ^) ,  in  der  andern ,  dafs  die 
Kranke  eine  Dfimonisehe  war,  noch  so  eben  erst  die  Rede 
gewesen  ^):  in  Betreff  des  dritten  Punktes,  dafs  die  Hei«, 
lang  durch  das  blolse  Wort  nnd  den  Willen  Jesu  aus  der 
Feme  erfolgt,  ist  sie  hier,  in  Verbindung  mit  der  6e- 
aehiehte  von  dem  kranken  Knecht  oder  Sohn  des  Beamten 
In  Kaperpaom,  na  wfirdigeli. 


15)  so  schon  Giern,  homil.  9,  21 ;  jetzt  Frxtzscrs,  in  Matth.  313* 

16)  Yfvnmtitj  N.  T.  1,  p..  $49;   vgl.  Oi.SHA0tSN  s*  d.  St. 

17)  HösTBBy  Immanuel)  S.  195-  Anm. 

18)  Band  1,  §.  67. 

19)  Band  2,    §.  90  ff. 

Das  Leben  Jem  Ue  Aufl^  iL  Band  9 


lao  Zweiter  AbtchniCt. 

OtoM  An  dee  Wirkena  Jeen   hat  nach  dem  Zage* 
•tändnbae  «elbtt  eoloher  Äasleger,  welche  eonat  das  Wan- 
derbare nichl   sobeuen ,   darin  etwas  besonders  Schwieri- 
ges |  da(s  durch  den  Mangel  der  persönllehen  Gegenwart 
Jesu  nnd  ihres  wohlthAtigen  Eindrael&s  anf  den  Kranken 
ni|8  Jede  Möglichkeit  genommen  ist,  die  Heilang  darch  ein 
Analogen    des   Natfirlieben    ans   denkbar  an   machen- -^> 
Nach  OLSHAUSKti    ewar  hat  aach  diese  Fernwirknng  ihre 
Analogien :   nämlich  im   thierisoben  Magnetismus  ^0*    '^h 
will  diefs  nicht  geradeaa  bestreiten ,   sondern  nor  auf  die 
Schranken  aufmerksam  machen,  innerhalb  deren  sich  mei- 
nes Wissens  diese  Erscheinung   im  Gebiete  des  Magnetis- 
mus Immer  hält.    In  die  Feme  bin  wirken  kann  nach  den 
bisherlgenj  Erfahrungen   nur  theüs   der  Magnetiseur  oder 
ein  anderes  im  magnetischen  Rapport  mit  ihr  stehendes  In- 
dividuum auf  die  somoambOle  Person,   wo  also  der  Fern- 
wirkung immer  eine  unmittelbare  Berflhrung  vorausgegan- 
gen sein  mafs,  was  in  dem  Verhältnifs  Jesu  su  den  Kran- 
ken unserer  EniXhlungen  nicht  gegeben  ist;  theils  besitsen 
Cwenn  anders  die  l^hatsschen  sicher  sind)  ein  solches  Wir* 
kungsvermögen    die  Somnambalen   selbst  oder  andere   in 
serrflttetem  Nervenaustande  befindliche  Mensehen,  was  auf 
Jesum  entschieden  keine  Anwendung  findet.    Geht  also  ein 
solches  äeilen  entCernfer  Personen,  wie  es  in  unsern  £w 
sählungen  Jesu  sugeschrieben  wird,  fiber  jenes  Aenfserste 
natfirlicher  Wirksamkeit,  wie  wir  es  im  Magnetismus  und 
den  verwandten  Erscheinungen  finden,   bis  aum  Abreifaen 
Jedes  anknflpfenden  Fadens  weit  hinaus:  so  wird  uns  darch 
Jene  Erzählungen,   sofern    sie   historische  Geltung  anspre- 
chen ,   Jesus  EU    einem   übernatürlichen  Wesen ,   nnd  ehe 
wir  ein  solches  uns  als  wirklich  denken,  verlohnt  es  sich 
auf  unserem  kritischen  Standpunkte,   anvor  noch  an   nn- 


20)  Lücxi,  ],  S.  550;   Wbissb,  a.  a.  O.  S.  526  f. 

21)  bibl.  Comm,  1,  S.  264. 


Neonleft  Kapitel.    $.96  131 

tAMoeheii,  ob  die  be^raehteteii  Erftftliiuogeo  aMü  aooh  oh- 
■e  hislaiieeheo  Omnd  dennoeb  liebeii  entstellen  kennen! 
■■■mI  eiob,  dafe  aie  aagenbafte  Bestandtboile  entbaltea,  we- 
■ignieiia  bei  der  enteren,  an  d^  yerteiiiedenen  Formatio» 
Den  neigt ,  welcbo*  sie  in  den  drei  erangeliselien  fiericbten 
erlialinn  bat.  Und  liier  erhellt  es  nnn  von  selbst,  dals  das 
irnndnrbnre  Heilen  Jesn  dnreh  BerAhren  des  Kranken, 
wie  wir  es  s.  B.  bd  dem  Anssfttsigen  Matth«  8,  S.  und 
den  Blinden  Matth.  9,  S9.  antreflfon,  fermdge  eines  nahn 
Begendeo  Klimax  sunächst  nnm  Heilen  Gegenwärtiger  mit* 
lelst  des  blofsen  Wortes,  wie  bei  den  Anssltsigen  Lae. 
17,  14.  and  andern  Kranken,  dann  aber  nur  Herstellnng 
selbst  Abwesender  durch  ein  Wort  sieh  steigern  konnte; 
wie  denn  schon  im  A.  T.  ein  Analogen  hieron  besonders 
Aeransgeboben  ist.  Wie  nftmlioh  nach  2.  Kön.  5,  9  ff.  der 
syrieche  Feldherr  Nahmen  vor^  die  Wohnnng  des  Prophe> 
ten  Kliea  kam,  nm  sich  vom  Anssatne  heilen  so  lassen, 
ging  dieser  nicht  selbst  su  Ihm  heraus,  sondern  sandte  Ihm 
einen  Boten,  nnd  liefs  ihn  nn  siebenmaliger  Wasch ong  im 
Jordan  aoweisen.  Darfiber  wurde  der  Syrer  so  nogehaU 
ten,  dafs  er,  ohne  die  Anweisung  des  Propheten  su  he« 
rfeksiditigen ,  wieder  heimsiehen  wollte*  Er  habe  erwar- 
tet^ cMSrt  er,  der  Prophet  werde  so  ihm  hertreten,  und 
■nter  Anrufung  Gottes  mit  der  Hand  über  die  aussätsige 
Stelle  fahren;  dafs  nun  aber  der  Prophet,  ohne  selbst  et- 
was nn  ihm  voreonehmen,  ihn  an  den  Jordan  verweist, 
das  macht  ihn  muthlos  und  firgerllch,  weil,  wenn  es  auf 
Wasser  ankäme,  er  sotcbe  su  Hause  besser  als  hier  hfitte 
hallen  können»  Man  sieht  aus  dieser  A.  TJichen  Darstel- 
lung: das  Ordentliche,  was  man  von  einem  Propheten  er« 
wartete,  war,  dafs  er  anwesend  mit  körperlicher  Ber^h- 
Tmng  heilen  könne;  dafs  er  es  auch  entfernt  und  ohne  Be- 
rVhnuig  vermöge,  wurde  nicht  ebenso  vorausgesetet.  Dafs 
BlisA  dennoeb  auf  die  letetere  Weise  die  Kur  des  ausslitsi« 
gen  Feldberrn  vollbringt  (denn  das  Waschen  war  es  auch 

9* 


13i  ""Zweiter  AbBehnitt. 

hier  so  «renlg  iili  Job.  9,  was  den  Kranken  gesand  maoh- 
tOi  sondern  die  Wandermacht  des  Propheten,  welche  ihro 
Wirksamkeit  an  diese  ftofsere  Handlang  an  knOpfen  für 
gut  fand),  dadurch  bewies  er  sich  als  einen  i>esonders 
ansgbiseichneten  Propheten  — :  and  nan  der  Messias,  durf- 
te der  auch  in  diesess  Stocke  hinter  dem  Propheten  nu- 
rfickbleiben?  So  neigen  sich  unsere  N*  T.lichen  Erftfthlnn« 
gen  als  nothwendige  Gegenlnlder  Jener  A.  T.lichen«  Wie 
dort  der  Kranke  an  die  Möglichkeit  seiner  Wiederherstel- 
loog  nicht  glanlien  will,  wenn  der  Prophet  nicht  ans  sei* 
nem  Hanse  heraus  ieu  ihm  trete :  so  sweifelt  hier  nach  der 
einen  Redaction  der  ersten  Oeschichte  der  ffir  den  Kran- 
ken Bittende  ebenso  an  der  Möglichkeit  der  Heilung,  wenn 
nicht  Jesus  in  sein  Haus  trete;  nach  der  andern  im  6e- 
gentheil  ist  er  von  der  Wirksamkeit  der  Heilkraft  Jeaa 
auch  ohne  das  übersengt:  und  beidemale  gelingt  hier  Jesu 
wie  dort  dem  Proplieten  auch  dieser  besonders  schwierige 
Wunderact  ^. 

$.97. 

^    SabbatheilungeiK  * 

Grofsen  Anstofs  erregte  den  eyangelisehen  Nachrichten 
Bufolge  Jesus  dadurch,  dafs  er  nicht  selten  seine  Heiinngs- 
wunder  am  Sabbat  verrichtete;  wovon  ein  Beispiel  den 
drei  Synoptikern  gemeinschaftlich  ist,  Ewei  dem  Lukas  ei- 
genthfimlich,  und  ewei  dem  Johannes. 

In  jener  den  drei  ersten  Evangelisten  gemeinschaftli« 
eben  Eraäblnng  sind  swei  Fälle  vermeinter  Sabbatsenthei- 
lignng  verbunden,  das  Aehrenraufen  der  Jünger  (Matth. 
12,  1  parall.)  und  die  durch  Jesum  vollbrachte  Heilung  des 


22)  Weissb  zieht  et  hier  wie  anderwärts  vor,  die  unhistorische 
Wundcrcrzählung  aus  einer  missverstandenen  Parabel  Jesu 
herzuleiten  (S.  526  f.) ;  von  der  er  uns  aber  Keine  deutliche 
Vorslelhmg  gibt. 


Keaiiiet  Kapitel    $•  07.  135 

MaatdieQ  i^t  der  verdonien  Hand  (V.  0  ffi.panJl<). .  'Neeh 

dir  aof .  dem  Felde  voi|[ef«ileBeii    Verhandlmig  Aber  das 

A^rearatifen  fahren  die  beiden  ersten  EraDgelisteD  ao  fort, 

wie  wenn  Jeaoa  unmittelbar  yon  dieser  Seene  «weg  in  die 

SjnMgfigö  desselben  nicht  nAher  beseiohoeteii  Qrts  siofi  yev^ 

fä^y  «nd   hier  ans  Anlals  der  Heilang  des  Mensoben  mit 

der  verdorrten  Rand  abermals  einen  Streit  .fibev  die  Ueili^ 

gimg  des  Sabliats  gehabt  hätte.  Offenbar  aber  waren  diese 

bilden  Geeobiobten  arsprfingiieh  nur  der  Aehniiehkeit  dem 

Inhalts  wrsgen  ansammengestellt;  weswegen  hier  Lokas  sa 

loben  isly  dafs  er  dnrohdie  Worte:  iy  higff  außßiki^^  den 

chranelogiseben  Zusammenhang  swisehen  lieiden  aosdrflolL- 

seraebnitten  hat  *>    Die  weitere  üntersnehnng}  wiis-^ 

&r«ftUung  hier  die  ursprangUehere  sei,  kffnnen  wir 

durah  die  Bemerkung  erledigen,  dafs,  weon.d(e  von  Mat« 

thiiia  den  Pharisiem  in  den  Mund  gelegte  Frage,  ob  es 

eriavbt  ael,  am  Sabbat  an  heilen,  als  ein  Stfiek  von  ge- 

maehtem  Dialogisiren  beneiohnet  wird  ^ :  dessen  ebensogut 

dieselbe  Frage  beschuldigt  werden  kann,  welebe  die  nwet 

mitdereo  Evangelisten  Jesu  leihen,  und  noeh  dann  ihre 

belebte')  Schilderung,  wie  Jesus  den  Kranken  in  die  Mitte 

treten  heilst,  und  spftter  strafende  Blieke  ringsumher  vrir^ 

eiaer  geauiehten  Anschaulichkeit. 

Das  Hebel  des  Kranken  war  nach  den  fibereinstimmen- 
den Nachrichten  eine  %hq  ^ijQa  oder  i^rjqafiiAhr^.  So  un-: 
besdmmt  diese  BeEcicbnung  ist,  so  macht  es  sich  doch  die 
aatfirllehe  Erklftrnng  ailauieicht,  wenn  sie  nüt  Paulus  nur 
eine  dureh  Hitse  angegriffene  0,  oder  gar  nach  Vsmturiiii*s 
Ansdmck  eine  verstauchte  Band*), darunter  versteht.    Son- 


1)  ScRunBMiAcasRy  über  den  Lnkss,  S.  SO  f. 

2)  SdanoxBiiBuasiAy  über  den  Vrsprong  u.  s»  f«    S*  50« 
i)  ScHuiiBiiBuciiBii,  a.  a.  O. 

4)  exeg.  Haodh.  2,  S.  48  ff. 

5)  Natürliche  Geschichte,  2;  S.  421. 


\ 


134  Zvr«Iler  Absebnilt 

• 

dem  wann  wir,  om  dh  BedeoCong  der  N.  T.iieben  Be- 
aeiohnungsw^e  seq  be«tiaiBien,  bUttg  auf  das  A.  T.  so« 
rfiekgeben,  so  finden  wir  !•  Ktfn«  13,  4*  eine  Hend,  wei* 
ebe  im  Autatreelieii  i^r^qm^ij  GtO'/TI),  M«  imfthig  geschil- 
dert, an  den  Leib\sarffcbgesogen  bq  werden:  aö  daf«  also 
an  Libmang  und  Starrheit  der  Hand,  nnd^  bei  Verglei- 
ehnng  des  von  einem  Epileptiaehen  gebrauchten  ^r^iKxlvtadm 
Marc.  0,  IS«,  sogleieh  an  ein  Saftloswerden  nnd  Schwin- 
den BQ  denken  ist  ®)»  Dafür  nun  aber ,  dafs  Jesus  dieses 
und  andre  Uebel  mit  natfirliehen  Mitteln  behandelt  bäbsy 
wird  ans  der  vorliegenden  ErBfiblung  ein  sehr  scheinbares 
Argument  abgeleitet.  Nur  ein  solche$  Heilen,  sagt  dsdi 
war  am  Sabbat  verboten,  welches  mit  irgend  einer  Be* 
iohKftigttng  verbunden  war;  also'  mttssen  die  Pharisäer, 
wenn  sie,  wie  iss  hier  heifst,  von  Jesu  eine  Uebertretong 
der  SabbatsgesetBe  durch  Heilen  erwarteten,  gewuist  ha* 
bau,  dafs  er  nieht  durch  das  blofso  Wort,  sondern  durch 
Medicamente  und  chirurgische  Operationen  bu  heilen  pfleg« 
te  0.  Da  indessen ,  wie  Paulus  selbst  and&rswo  anführt, 
am  Sabbat  das  Beilen  auch  nur  durch  eine  sonst  erlaubte 
Beschwörung  verboten  war  ®);  da  ferner  swischen  den 
Schulen  Hillers  und  Schammai's  ein  Streit  obwaltete,  ob 
auch  nur  das  TrÖ6<>en  der  Kranken  am  Sabbat  erlaubt  sei  ^, 
und  da  fiberdiefs  nach  Paulus  eigener  Bemerkung  die  fil- 
teren Rabbinen  im  Punkte  des  Sabbats  strenger  waren  als 
diejenigen ,  «von  welchen  die  uns  vorliegenden  Schriften 
ober  diesen  Gegenstand  herstammen  *^):  so  konnten  die 
Hellungen  Jesu,  auch  ohne  dafs  natfirliche  Mittel  dabei 
in's  Spiel  kamen,   i^on  chicanirenden  Pharisflem  unter  die 


6)  Wivsa,  bibl.  Realw.  1,  S.  796. 

7)  Pauros,  a.  a.  O.  S.  49.  54.;   HtfsTsa,  Immanuel,  8.  185  f- 

8)  «.  a.  O*  S.  85,  aus  Tract.  Schahbat. 

9)  Schabbat,  f   «2,  1^  bei  Scu9tt»V|  I,  p.  123« 
10)  a   d,  auletat  a.  0. 


Aeuntes  KapiteL    $.  97*  131^ 

Rategiyrt«  Ton  SabbatfFerletevngen  gesogen  werden.    Dem 

Uanptein wende  gegen  die  ratiooalistieebe  ErkiArung)  der 

wndmm  Sehweigen  der  Eyangelkten  von  natürliobei^Mitteln 

hergeoovmen  wird,    glenbt  Paulus  für  oneem  Fall  dnreh 

die  Wendnng  sn  begegnen ,   dafe  damala  in  der  Synagogo 

wirkÜeh  keine  snr  Anwendung  gekomnen  seien,    sondern 

«lesos  habe  sieb  die  Hand  vorneigen  lassen,   nn  su  seheni 

wie  die   bisber  von  Üim  angeordneten  Mittel  ^alMo  werden 

dergleielien.doeh  fingirl)  geholfen  bitten,  nnd  da  balM  ev 

sie  bereits  v^ig  geheilt  gefunden ;  denn  dals  sie  bereits 

wiederhergestellt  gewesen  sei,  nicht  dafs  sie  nun  plötslieh 

gesnnd  geworden,   bedeute  das  fmoKotegd^  simmtliober 

Referenten.    Allein  der  Aorist  kann  hier  nnr  heUsen:    sie 

worde  ein  demselben  Augenblicke)  wiederhergestellt;  durch 

das  Wort  Jesu  nlmlieh,  welches  die  Evangelisten  mitthei« 

loa,  ttksbt  durch  natürliche  Mittel,   welche  nnr  von  den 

KrkÜrem  ersonnen  sind  ^0* 

Da  die  x^^Q  ^KQ^  unter  die  Lähmungen  gehdit,  auf 
wefebe  nach  frfiheren  Bemerknngen  die  Berührung  (von 
weleher  aber  hier  nichts  gemeldet  wird)  eines  magnetisch 
B^gjshten,  und  vielleicbt  selbst  die  bloTse  glanbige  Exalta« 
tioB  des  Kranken,  möglicherweise  heilend  wirken  kann :  so 
fielae  neb  hier  eine  natfirlicbe  Erklärung  feinerer  Art  an« 
kndpfen:  indels  fragt  es  sich,  ob  nicht  die  Verwandtschaft 
der  schon  erwähnten  A.  T.iichen  Ercählnng  (1  Kön.  13, 
I  £)  eine  mythische  Entstehung  auch  der  evangelischen 
Anekdote  wahrscheinlicher  nmcht?  Als  ein  Prophet  aus 
Juda  den  am  Götaeoaltare  räuchernden  Jerobeam  mit  dem 
Untergang  des  Altsrs  nndsdes  Götcendienstes  drohte,  und 
der  König  mit  ausgestreckter  Hand  den  Unglficksprophe- 
tan  SU  greifen  befahl :  da  vertrocknete  plätalicli  seine  Hand, 
ae  dals  er  sie  nicht  mehr  curttckaiehen  konnte,   und  der 


II)  FamscHi,  in  Matth.  p.  427.  in  Marc.  S.  79;  ds  Wstts,  cxcg. 
HsnJb.,  U  i^  S*  ii5- 


IM 


Zweiter  AbBchoitt« 


Alter  zerfieL  Wie  aber  aof  Erenchen  des  Köoigs  der 
Prophet  Jehova  um  Wiederherstellung  der  Hand  bat, 
konote  sie  jener  wieder  an  tioh  sieben ,  •  und  sie  wnitle 
wie  aie  vorher  geweaeo  war  ^^).  Auch  Paulus  rergleicht 
hier  diese  £rsihlnng;  aber  ntir  «n  auch  auf  sie  seine  oa« 
tflrliche  Erklärongs weise  dareh  die  Bemerkung  ansnwea- 
den^  Jerobeams  21om  habe  leioht  rine  vorUbergebende 
krampfhafte  Erstarrung  der  Muskeln  o«  s.  w*  in  der  gerade 
mit  Heftigkrft  ausgestreckten  Hand  henrorbringen  können. 
Wem  fftUt^  es^dber  nicht  yielmehr  in  die  Augen,  dafs  wir 
hier  eine  Sage  sdr  VerherrUehnng  des  monotheisttscheD 
Prophetenthums  und  tsur  Brandmarkung  des  israelitischen 
ddtaendiensts  in  der  Person  seines  Urhebers  Jerobeam  vor 
uns  haben?  Der  Mann  Gottes,  weissagt  dem  Götaenalur 
sebnelien  wunderbaren  Ruin ;  der  abgöttische  König  streckt 
freventlich  die  Hand  gegen  den  Gottesmann  aus;  die.  Hand 
erstarrt,  der  Götsenaltar  serfttllt  In  Staub,  und  nur  aaf 
die  Fürbitte  des  Propheten  wird  der  König  wiederherge- 
stellt: wer  mag  hier  über  wunderbaren  oder  natOrllchen 
Hergang  rechten,  wo  man  eine  offenbare  Mythe  vor  sieh 
hat?  Weiter  Iftlst  sich  sofort  in  unserer  evangeliftcben 
firnihlung  eine  Nachbildung  jener  A*  T.lichen  vermutbeo, 
wobei  nur,  dem  Geiste  des  Christenthnms  gemäfs,  die  Ver- 
•trocknung  der  Hand  nicht  als  Strafwunder  eintritt,  son« 
dern  als  natfirliche  Krankheit  dargestellt,  und  Jesu  blofs 
die  Heilung  angeschrieben  wird;  ebendefswegen  auch  nicht 
wie  dort  die  Ausstreckung  der  Hand  aür 


U)  1.  K»n.  13,  4.  LXX :  »«l  iSi 

6  5    Kai  fn^^Qitf/a  Tijr  X'^ 
TH  flaoiXiwi   n^9   oJroV,    teal 


Matth.  12 ,    10  :    «ttk  M«  oy- 

(Marc,  eitjgaju/i^rip'), 

l5 !    TOT«    2tyet    t^    ay9^ia7TU 

ixriiyor  rtjv  x^^^  ^^'  ****  ***' 
Tfivt'  Kai  anoxoTf^a^  v/v/i  (**t' 
i   akiij. 


Neanle«  Kapitel*     (•  9T.  197 

Vrsaehe  and  cmn  pSnalen  HubUns  der  Krankheit,  de«  An- 
aielien  ileraelben  aber  snm  Zeichen  der  Genesung  gemacht 
iat,  aondem  die  Hand,  welebe  his  dahin  kradlibaft  enge« 
sogen  war,  nach  ToUbraebter  Heilung  wieder  antgeetreckt 
werden  kann.  Dafs  auch  sonst  um  Jene  Zelt  Im  Orient 
dem  Llehfingen  der  Gdtter  das  Vermdgen  es  dergleiobeii 
HeUongen  sugetrant  wvrde,  sehen  wir  ans  einer  schon 
frfifaer  angeflihrten  Ersfiblnng,  in  welcher  dem  Vespaslan 
«eben  einer  BlindenheUnng  auch  die  WiederhersteUnng  ei« 
ner  kranken  Hand  sageschrieben  wird  ^'). 

Nicht  selbststKndig  übrigens  und  als  Zweck  für  sich 

ftht  in  dieser  Geschichte  das  Heilnngswnnder  aaf,  sondern 

die  Haopttaehe  ist,   dafs  es  am  Sabbat  geschieht,  and  die 

Spitse  der  Ätiekdote  liegt  in  den  Worten,   durch  welche 

Jesns  seine  heilende  Thfitlgkeit  am  Sabbat  gegen  die  Pha« 

risler  rechtfertigt,  bei  Lukas  und  Markus  nämlich  durch 

die  Frage  9   was  am  Sabbat  eher  angehe  ^   Gutes  en  thun 

oder  B5ses,  ein  Leben  su  srhalten,  -oder  sn  verderben? 

bd  Matthäus,  neben  einem  Stück  von  dieser  Rede,  durch 

das  Dictum  von  der  sabbatlichen  Rettung  des  in  die  Grube 

geUlenen  Schaafs.    Lnkas,  welcher  diese  Gnome  hier  nicht 

ha^  legt  sie  mit  der  Abweichung,  daCs  statt  des  n^ßoeta» 

ein  090S  i}  ßsgj  und  statt  der  Grube  der  Brunnen   steht, 

bei  Gelegenheit  der  Heilung  eines  vd(Ktmix6g  Jesu  in. den 

Hund  (14,  5.);  sine  Ersählung,  an  welcher  überhaupt  die 

Aehnlichkeit    mit    der   bisher  erwogenen   aufffillt»     Jesus 

speist  bei  einem  Pharisierobersten ,   wo  man,   wie  dort  in 

der  Synijgoge  nach  den  swei  mittleren  Evangelisten,   auf 

ihn  lauert  rhier:   ^aov  naQccTTjQdjuevoi^   dort:   7iaQBTi^Q8v')j 

es  ist  ein  Wassersüchtigisr  da ,  wie  dort  ein  Mensch   mit 

verdorrter  Hand;   wie  dort  nach  Matthäus  die  Pharisäer 

Jessm  fragen:  ei  ^eci  rcSg  oaßßaai  y^eqoTtevnv;  nach  Mar- 

ksa  and  Lukas  er  sie  fragt,  ob  es  erlaubt  sd,  am  Sabbat  ein 


\l)  Tacit.  Histsr.  4,  81. 


13$  Zweiter  Äbtohnict. 


» 


Leben  cd  retten  o«  e.  f.:  so  legt  er  Ihnen  hier  die  Frage 
▼or:  H  i^egi  r(ji  aaßßattf)  x^s^neviiv;  woranf^  wie  flort, 
die  Gefragten  sehweigen  (dort  Harkas:  o^  di  iaiWTuoVy 
liier  Lnkaa :  6L  di  rjovxaaav) ;  endiieb  als  Epilog  der  Bei- 
lang, wie  dort  bef  Matthiaa  als  Prolog,  das  Dictam  yoa 
dem  in  den  Bronnen  gefallenen  Thiere.  Noeh  eine  dritte, 
sehr  fihniiche  Eraihlnng  bat  Lukas  (IS,  10  ff.)  eigenthfina- 
licb*  Jesus  lehrt,  wie  in  der  ersten  Gesohiehte,  am  Sab- 
bat in  einer  Synagoge ;- hier  befindet  sieh  eide  Fran,  dle^ 
schon  seit  achtsehn  Jahren  dureh  die  BInwirkong  eines 
Krankheitsgeistes  (Tsrcv/za  Sxsaa  da&&^ag^j  so  ansammen- 
gekrttmmt  war,  dafs  sie  sich  nicht  mehr  aufrichten  konnt^ 
Jesus  ruft  sie  bu  sich ,  kündigt  ihr  Befreiung  von  ihrem 
Uebei  an,  und  legt  ihr  die  Hände  auf;  sogleich  rich- 
tet sie  sich  auf  und  preist  Gott,  der  Synagogenvorsteher 
aber,  ärgerlich,  weist  das  Volk  an,  an  den  Wochentagen 
und  nicht  am  Sabbat,  sich  heilen  au  lassen;  worauf  jesna 
die  Frage  euräckgibt,  ob  denn  nicht  jeder  am  Sabbat  sei- 
nen Ochsen  oder  Esel  von  der  Krippe  löse  und  nur  Tranke 
ffihre? 

Bei  der  eigenthflmlichen  Aehnlichkeit  dieser  drei  Ge* 
schichten,  in  welchen  ewar  Person  und  Krankheit  des 
Geheilten  verschieden,  aber  die^  Verhältnisse,  unter  wel- 
chen Jesus  heilt,  und  die  Nnfzanwendong,  die  er  von  sei- 
ner Heilung  macht,  selbst  bis  auf  die  Form  hinaus  iden- 
tisch sind,  ist  die  Frage  natürlich,  ob  wir  hier  wirklich 
drei  verschiedene  Geschichten,  oder  nur  verschiedene  Va- 
riationen einer  und  derselben,  oder  endlich  wenigstens 
diefs  haben,  dafs  drei  Vorfälle,  die  sich  ursprünglich  nicht 
so  ähnlich  gesehen,  in  der  Ueberlieferung  einander  aasi- 
milirt  worden  sind.  Dafs  nun  bei  dem  Verhältnirs,  in 
welchem  Jesu  Ansicht  von  der  Sabbatfeier  su  der  phari- 
säischen stand,  und  bei  seiner  Geneigtheit,  ^die  ihm  ver- 
liehene eigenthümliche  Kraft  aus  Heilung  von  Krankheiten 
au  verwenden,  mehr  als  einmal  der  Fall  eintreten  konnte, 


Neaates  Kapitel.    {•  97.  139 

weleber  vnsem  drei  Brslblangen  ■am  Omnde  liegt;  daf^ 
J^wmm  Raaentlich  für  gnt  finden  konnte ,   den  lehlagenden 
Aaaaproeh  von  der  sabbatliehen  Bemühung  mit  dem  Haae<i 
thter,  sMial  mit  den  Verädderangen,  die  wir  oben  an  der 
dretami  wiederkehrenden  Sentena  angebraelit  gefiinden  ha* 
iwii,  SU  wiederholen:  diefa  ist  nicht  wohl  In  Abrede  an  aiehen« 
Frrilieh  elientowentg  auf  der  andern  Seite  die  Mdglicbkeit, 
dafa  —  sofern  hier  nicht  anf  der  Heilong  als  solcher^  son- 
dern anf  dem  Tag,  an  welchem  sie  rorging^  and  der  Art, 
wiesle  angefochten  and  rertlieidigt  wordci  dasHaaptgewicht 
lag  —  in  der  Oeberliefemng  Jener  Mebenpnnkt  wechseln, 
nnd  daa  anrergelsHebe,  wahrhaft  ▼olksthflmliche  Dictum  ?on 
dem  aai  Sabbat  an  rettenden  oder  an  Tcrsorgenden  Hans- 
thier  In    yerschiedene    Rahmen    gefafst    werden    konnte. 
Nicht  ohne  Vorschnb  fiir  diese  letatere  AnnaRme«ist  der 
Uautandi  dafs  nar  die  erste  der  drei  Khnlichen  Geschich- 
ten,  die  Bedang  der  verdorrten  Hand,   sfimmtlichen  Syn- 
optikern gemeinsam,  fttr  die  beiden  andern  aber  Lukas  der 
einnge  Gewihrsmann  ist    Und   awar  ist   bei  diesen   bei« 
den,  aomal  sie  in  kurzem  Zwischenraum  aufeinander  fol« 
gen ,  die  Aehnlichkeit  so  anfiPallend ,   dafs^  Schlkibrmacbkr 
nrtheilt,  wire  die  sweite  yon  demselben  Verfasser  wie  die 
erste   orsprfinglich   anfgeseichnet ,    so    hätte   dieser    nicht 
umhingekonnt,  durch  Rückweisung  auf  die  yorangegangene 
die  Wiederholung  au  entschuldigen  f  nun   diefs   nicht   ge- 
schehen sei,  mOsse  man  annehmen,  Lukas  habe  die  beiden 
BnBlhlangen  aus  awei  Tcrschiedenen  schriftlichen  Quellen 
hier  eingefBgt  ^^).     Wie  möglich   aber  gerade  in   diesem 
Falle,   dafs  dem  einen  dieser  Gewfihrsmfinner  als  Gegen- 
stand der  berflhmten  Sabbathoilung  eine  yerkrftmmte  Frau, 
dem  andern   ein  wassersichtfger   Mann   genannt   worden 
war!     Dabei  Ue(se  sich  an  und  für  sich  denken,  beiderlei 
Kranke,  so  wie  aberdiefs  der  Mann  mit  der  vertrockne« 


14)  Ueber  den  Lnliat,  S.  196. 


[ 


140 


Zweiter  ÄbsohnitU 


ten  Hand,.  8%len  wirklich  aiie  von  Jesu  gellet  worden; 
und  nur  in  der  Verlegung  sämmtUeher  Heilnngea  auf  deo 
Sabbat  habe  die  Sage  ihre  asaimilirende  Kraft  l»ewiesen. 
In  dieser  Hinsieht  fragt  ea  sich  letattichy  ob  alle  diese  drei 
Heilungen,  oder  ob  nur  einigOi  und  weloboi  <Ue  geschieht- 
Üohe  DenkbariLeit  für  sieh  haben.  Hier  haben  wir  non 
von  der  verdorrten  Hand  schon  oben  gesehen,  da(s  eine 
magnetisch-psychologische  Heilung  derselben  nicht  nnddnk* 
bar,  aber  ebenso  möglich  eine  mythische  Entstehung  der 
gansen  Ersählung  ans  der  Nachbildung  e^er  A«  T.lichen 
(jeschichte  ist;  eine  ähnliche  geschichtliche  Auffisssung, 
und  swar  ohne  die  gleiche 'Versuchung  su  mythischer  Ab* 
leitung  auf  der  andern  Seite,  lafst  die  Heilung  des  Busam- 
mengekrflmmten  Weibes  eu,  obwohl  die  Krankheitsaeit 
von  18  Jafll>en  ein  erschwerender  Umstand  ist;  die  Hei- 
lung  des  Wassersüchtigen  hingegen  bietet  kauni  fiberwind- 
liche  Schwierigkeiten.  Hier  nämlich  handelt  es  sich  nicht 
blofs,  wie  in  jenen  beiden  Fällen,  von  einem  krankhaften 
Habitus,  sondern  (wenn  die  Krankheit  richtig  beseichnet 
ist)  von  einem  Krankheitsstoffe ,  dem  .unter  der  Haut  ge- 
sammelten Wasser,  von  welchem  sich  eine  augenblickliche 
Entfernung  nur  entweder  durch  eine  chirurgische  Opera- 
tion ^^>,  oder  durch  ein  absolutes  Wunder  denken  läfst. 
Sofern  wir  nun  das  letztere  von  vorne  herein  ausschlielsen, 
die  erstere  Annahme  aber  gegen  die  sonstige  Art  des  Vei^ 
fahrens  Jesu  ist:  so  können  wir  diese  Eraählnng,  so  wie 
sie  lautet,  nicht  ffir  treu  geschichtlich  halten,  sondern  uitts- 
sen  sie  ffir  eine  freie  Variation  auf  das  Thema  der  Sali- 
batheiiungen  erklären. 

Von  den  swei  Sabbatheilungen  des  vierten  Evange- 
liums ist  die  eine  schon  mit  den  Blindenheilnngen  betrach- 
tet worden ;  die  andere  (5 ,  1  ffO )    welche  unter  den  Hei- 


15)  Vergl.  die  aatUrlicIic  Erklärung  von  Favivs»  cxcg.  Handb,  2, 
S.  341  f.  / 


Neantet  KapiteL    $.  97*  141 

langen    der   Pamlytischeo   Torgenommeii   werden   konnte  ^ 

iiefs  sich  9   weil  doch   der   Kranke   nicht   mit  Jenem  Aus- 

dmeke   beceichnet  ist,    hieber  versparen.    In  den  Hallen 

de»  Teiches  Bethesda  in  Jerusalem  fand  Jesus  einen  schon 

38  Jahre  —  wie  ans  dem  Folgenden  erhellt|  an  LAhmnng  — 

kranken  Mensehen,  welchen  er  mit  einem  Worte  cum  Auf* 

stehen   nnd  Beimtragen   Seines  Bettes  befthlgte,  hiedurch 

jedoehy  weil  es  Sabbat  war,  die  Feindschaft  der  jadisohen 

Hierarehen  auf  sich  lud.    Anf  eigene  Weise  glaubten  seit 

W001.8TON  ^^   Manche   mit    dieser    Geschichte   durch   die 

Annahaiie  fertig  en  werden,    dafs  Jesus   hier' nicht  einen 

wirklieh  Leidenden  geheilt,  sondern  nur  ^nen  yerstellten 

Kranken  entlarvt  habe  ^').    Der  einsige   6rond ,   der  mit 

einigem  Schein  hiefifr  angeführt  worden  kann,   ist,    dafs 

der  Gesnndgemachte  Jesnm  seinen   Feinden  als  denjenigen 

angebe,  der  ihm  am  Sabbat  sein  Bette  sn  tragen  befohlen 

habe  C^*  1^*  ^g^*  ll^Oj  ^^  ^^^^  ^^^  dann  erklftren  lasse, 
wenn  Jesus  ihnr  etwas  Unwillkommenes  erwiesen  hatte« 
Allein  Jene  Aneeige  konnte  er  auch  entweder  in  guter  Mei- 
nung maehen,  wie  der  Blindgeborene  (Job*  9,  11.  25.)» 
oder  wenigstens  in  der  unschuldigen,  den  Vorwurf  der 
Sabbatsferletsung  von  sich  auf  einen  Stfirkeren  abauwäl- 
nen  '0*  DwlCs  der  Mensch  wit*klich  lurank ,  nnd  swar  an 
dnem  langwierigen  Ceb^l  krank  gewesen  sei,  gibt  we- 
nigstens der  Evangelist  als  seine  Ansicht,  wenn  er  ihn  als 
xQiaxona  xai  oxtcj  ett]  EX(ay  iv  vfj  dad'evein  beseichnet  (V.  5*); 
wovon  Paulus  seine  früher  vorgetragene  gewaltsame  fir- 
klfirung ,  nach  welcher  er  die  38  Jahre  anf  das  Lebens- 
nlter,  nicht  auf  die  Krankheitsseit  des  Mannes  bezog,  neuer- 
lieh selbst  nicht  mehr  vertreten  mag  ^^.    Unerklftrlich  bliebe 


16)  Disc.  3. 


17)  FirLUSy  €omm.  4,  S.  263  ff.    L.  J.  1,  «,  S.  298  ff. 

fS)  s   LUcKi  und  Tholuck  z.  d.  St. 

19)  Vgl.  mit  Gomm.  4,  S.  ;290.  das  L.  J.  1,  a,  S.  298 


14a  Zweiter  Abächnitt. 

bei  Jener  Ansichl  von  dein  ^Vorfall  aach,  wa«  Jeaa»  bei  I 
einer  spfiteren  Begegnung  an  dem  Geheilten  aprach(V«  14): 
tih  ryujg  yeyova^  fir^xhi  a//a(/ray6,.  ha  firj  xd^¥  %i  am 
yivr^tau  Paulus  selbst  sieht  sieb  dnreh  diese  Worts  ge« 
nöthigt,  ein  wirkliches  ^  nur  onbedeatendes,  DnwohkeiD 
bei  dem  Menseben  voransanseteen,  d.  h«  das  tlnanreieheode 
seiner  Grnndansicbt  ?on  dem  Vorfall  selbst  einangesteheii; 
so  dufs  wir  also  hier  ein  Wunder  &  und  awar  keines  der 
geringsten }  behalten« 

Was  nun  die  historische  Glaubwürdigkeit  der  Ersah- 
long  betrifft  y  so  kann  man  es  allerdings  auffallend  fiodes, 
dars  einer  so  grorsartigen  Wohltbäligkeitsanstalt,  wie  Jo- 
hannes Bethesda  Iieschreibt^  weder  Josephns  noch  die  lUb- 
binen  Erwähnung  thun^^);  aumal,  wenn  die  Volksoei- 
nungan  den  Teich  eine  wunderbare  Heilkraft  knüpfte^')** 
doch  fahrt  dlefs  noch  keine  Entscheidung  herbcL  Daf^ 
in  der  Beschreibung  des  Teiches  ein  fabelhafter  Volksglaobe 
liegt  y  der  vom  ErsAhler  gebilligt  en  werden  scheint  (weno 
auch  V.  4*  unffcht  wfire,  was  keineswegs  entschiedeo  ist  ^^ 
so  liegt  eine  ähnliche  Voranssetsung  doch  schon  in  dem 
raQaxOfj  V.  T.)»  beweist  gegen  die  Wahrheit  der  Ersib* 
Inpg  nichts;  da  auch  ein  Augensenge  und  Jfinger  Jesu 
den  betreffenden  Volksglauben  gethellt  haben  iiann.  1^"^ 
nun  aber  ein  seit  3S  Jahren  in  der  Art  gelähmter  MenA 
dafs  er  aum  Gehen  ni\fahig  auf  einem  Bette  liegen  mofste, 
durch  ein  Wort  eines,  wie  AusdrQcklich  bemerkt  wird, 
ihm  durchaus  unbekannten  Menschen  in  einem  Aog«"' 
blicke  völlig  wiederhergestellt  worden  sein  soll :  dlefs  geb^ 
über  alle  andern  evangelischen  Heilangsgeschichteu  äluiü- 


20)  Sondern  erat  christliche  Schriftstcllpr  (Eu«pb.  und  Hic»'»"^' 
welche  nach  der  Zerstörung  Jerusalemt  leicht  irgend  emcR 
Teich  jener  Gegend  als   den  unserer  Stelle  nelwien  fconDic« 

21)  Britschkbidir,  Frobab.  S.  69. 

22)  t.  Dl  Wbtti  2.  d.  St. 


Keonlet  KapIteL    $.  !)7»  143 

eher  Art  C^ie  Inngwierigiiteii  KranklielUamstünde  bei  den 
Synoptikern     tlnd     ein    swölfjfibrlger   BJatflof«    und  die 
aehtaehnjäbrige     Verl&rffeininng ,     von    weicher  -  go   eb^n 
die  Bede  wftr)^   eof   bedenkliebe    Welse   hinaus.     Zwar^ 
wenn  nuin  einaal  Ein  derartiges  Uebel ,  ob  auch  yon  kür» 
mt'nT  Dauer,  auf  die  in  den  Evangelien  'angegebene  Welse 
ifSiT  beilbar  erkennt:    so  kann   es  willkfiriieh  erscheinen, 
eine   andere   übrigens   gleichartige  Hellnngsgescbichte,   le- 
digli^   nn  des  quantitativen    Unterschieds    der    längeren 
Dauer  des  Uebels  willen  eu  verwM*fen:    allein  mit  diesem 
negativen  Grunde  gegen  die  geschichtliche  Wahrscheinlich  • 
keit  der  Krufiblung  trifft  ein  positiver  ensammen,  der  den 
Verdaeht  der  Erdichtung  erregt.    Gerade  Jener  schwierige 
Zug  mkt  der  Ifingeren  Dauer  der  Krankheit  nämlich  ist  es, 
wodnreh  sieh  auch  sonst   das  vierte  Evangelium  auf  eine 
Weise  von  dan  Abrigen  unterscheidet,  die  uns  theils  schon 
aufgefallen  Ist ,   theils  noch  auftauen  wird.     Wo   die  lete- 
teren  Blinde  schlechthin  haben ,   gibt  Jenes  einen  BKndge« 
borenen ;  statt  so  eben  Gestorbener  Ififst  es  einen  bereits 
vier  Tage  Im  Grabe  Befindlichen  von  Jesu  erweckt  wer- 
den; so  hier,  statt  eines  Paralytischen  schlechtweg,  einen 
seit  98  Jahren  Gelähmten :  eine  Steigerung  des  Wunder- 
baren, welche,   so  durchgängig  und  so  ohne  Bestätigung 
von  Seiten  der  Synoptiker,  wie  sie  ist,  den  Verdacht  des 
Gemaebten  erregen  muls.    Das  andere  Elgenthümliche  die- 
ser firsählung  swar,  dafs  Jesus  ans  der  Menge  von  Kran- 
ken,   welche  in   den  Hallen  von  Bethesda  sich   befanden, 
nur  diesen  einsigen  eur  Heilung  anserkor,  hätte  man  nle- 
nuds   bedenklich  finden  sollen  ^'3;   da  die  Heilung  dessen, 
der  am  längsten  krank  lag,    eur  Verherrlichung  der  mes- 
sianlschen  Wunderkraft  nicht  nur  besonders  geeignet,  son« 
dem  auch  hinreichend  war.    Dennoch  knüpft  sich  andrer« 
seita  eben  auch  an  diesen  Zug  die  Vermuthung  eines  un- 


2»)  Wie  Bissy  L.  J.  V  d2. 


144 


Zweiter  Absohnicc. 


gesohichtlichen  Charakters  der  EfzShlun^.  Anf  i*iii&m  gro* 
fgon  Schaaplatse  der  Krankheit,  wo  alle  müglicbe  Leiden- 
de  ausgestellt  sind,  tritt  4er  grofse  Wunderarzt  Jesaa  auf, 
und  wählt  sich  denjenigen,  dar  am  bartnäckigaten  leidet, 
heraus,  um  durch  Wiederherstellung  dessell>en  die  glän- 
sendste  Probe  seiner  HeiÜLraft  abanlegen :  eine  Celebrität| 
OeiFentiichkeit  und  Crkundliobkeit,  welche,  wie  wir  schon 
oben,  bei  der  tiescbichte  vom  Blindgeborenen,  wahrgenom- 
men haben,  der  vierte  Evangelist  so  gerne  im  Unterschie- 
de von  den  ttbrigen  den  Hellangswondern  Jesu  verleiht. 
Wäre  diesem  Verdachte  in  Betreff  der  vorliegenden  Er- 
sählung  nachzugeben :  so  Heise  sich  annehmen ,  dafs  dem 
Evangelisten  eine,  obwohl  ziemlich  unbestimmte,  Kunde 
von  dergleichen  fleilangen  Jesu,  namentlich  der  des  Pa- 
ralytischen Matth»  9,  2  ff.  paralL,-  zugekommen  gewesen 
wäre;  da  der  heilende  Zuruf  und  der  Erfolg  der  Heilung 
hier  bei  Johannes  fast  wörtlich  ebenso,  wie  dort  nament- 
lieh  bei  Markus,  angegeben  ist  2^).  Auch  davon,  dafs  in 
der  synoptischen  Erzähluqg  jene  Hellung  zugleich  als  ein 
Act  der  Sündenvergebung  erscheint,  ist  in  der  vorliegen- 
den Johanneischen  Geschichte  noch  eine  Spar,  indem  Je» 
sus ,  wie  er  dort  den  Kranken  vor  der  Heilung  mit  einem 
afpiwvTäl  aoc  ai  a^uaQziai  beruhigt ,  so  hier  nach  der  Hei- 
lung ihn  durch  das  f^jpUu  afiaQrFavs  x.  r.  iL  verwarnt.,  lile 


24)  Marc.  2,  9.: 

\t£  fgiy  €vxo7t(are^oy  j  tinety 
-  —  — )  ^yeiqe ,  aQor  an  tot 
xQaßßaroy  xm  Tfe^avH^ 

10  5  —  Jsyfiüf»    OQor   tqv  x^fi^ 
ßarov    aa    xm   vnaye    elg   tov 


otxoy  OB, 


12 :  XM  T/Y^^^tj  9v9^taij   xal  Z()ag 
TOT  xQaßßarw    t^l^tv    evav" 

r(ov  Tidyruiy. 


Joh.  5,  8: 

f/fi^ft,  a^  TOV  x^ßßaror  er«,    xal 


9  2    xal    eu^ttüi   iyh'tro   vyt^i  o 
tey^^ümo;,    xcu    jy^     ror    x^ßßaroi 


avTH  xai   TtfotiTtätti. 


Neontea  Kapitel.     $.  DS«  145 

80  aasgeflchmflckteHeilangsgeschicbte  aber  wurde  zagleich 
sar  Sabbatheilong  gemacht,  weil  das  darin  vorkommende 
Gebeila,  das  Bette  iiln wegzutragen,  als  der  geeignetste  Anlab 
cm  Vorwarf  der  Sabbaten theiligung  erscheinen  mochte  *'). 

§.    98. 
Todtcnerweckungcn.  . 

Drei  Todtenerweckungen  wissen  die  Evangelisten  von 
Jesu  zu  ersahlen ,  davon  eine  den  ^drei  Synoptikern  ge- 
Bieinschaftlich ,  eine  dem  Lukas,  und  eine  dem  Johannes 
dgenthiimlicb  ist. 

Die  gemeinsame  ist  diejenige,  welche  von  Jesu  an  ei- 
nem Hfidcben  verrichtet  worden,  und  in  allen  drei  ße- 
richten  mit  der  Erzählung  von  der  blutflfissigen  Frau  ver« 
bonden  ist  (Matth.  9, 1$  f.  23 ->2&  Marc.  5, 22  ff,  Luc.  S,  41  ff.) 
In  der  näheren  Bezeichnung  des  Mfidchens  und  ihres  Va- 
ters weichen  die  Synoptiker  ab,  indem  Matthäus  den  Va- 
ter, ohoe  einen  Namen  su  nennen,  unbestimmt  als  uff^^ov 
ägj  die  beiden  andern  aber  als  Synagogenvorsteher  Na- 
mens ^idstffog  einffihren ,  und  ebendieselben  auch  die  Toch* 
ter  als  BwölQährig,  Lukas  noch  aufserdem  als  das  einzige 
Kind  ihres  Vaters,  bestimmen,  wovon  Matthäus  nichts 
weifs.  Bedeutender  Ist  die  weitere  Differenz,  dafs  nach 
Matthins  der  Vater  das  Mädchen  Jesu  gleich  Anfangs  als 
gestorben  ankündigt,  und  ihre  Wiederbelebung  verlangt; 
wälirend  er  nach  den  beiden  andern  sie  noch  lebend,  ob- 
wohl ^in  den  letzten  ZQgen,  verliels,  um  Jesum  »ur  Verhü« 
tung  ihres  wirklichen  Yodes  herbeizuholen,  und  erst,  wie 
Jesus  mit  ihm  auf  dem  Wege  war,  Leute  aus  seinem  Hau* 
se  mit  der  Nachricht  kqmmen,  dafs  das  Mädchen  indefs 
gestorben,  und  nun  jede  weitere  Bemühung  Jesu  vergeh- 
lieh  sei.   Auch  die  Umstände  bei  der  Wiederbelebung  wer* 


23)  Vergl.  die  ähnliche  Ansicht  von  Wiisss,  1.  S.  "128  ff. 
J^as  Leben  Je^u  o(c  Aufl.  U  üund.  *0 


V 

IM  Zweiter  Abschnilt. 

den  rerschledeo  besehrieben,  indem   Matthfiua  namentlich 
davon  niohti  weiCs»   dafs  Jeaoa  nach   den   beiden   andern 
Referenten  nur  den  engsten  Attssehnfs  seiner  Jfinger,  den 
Petrvs  und  die  Zebedaiden,  als  Zeugen  mitgenommen  ha- 
ben soll.    Diese  Abwetehungen  hat  b.  B«  Storr  so  bedeu- 
tend gefunden,  dafs  er  ewei  versehiedene  Fälle  annahm. 
In  welohen  unter  fthnliehen  Umstunden  die  Tochter  das  ei- 
nemal eines  weltlichen  aQXfov  CMatthäus),    das  anderemal 
eines  Synagogarohen  Jairus  (Markus  und  Lukas),  vom  To* 
de  erweckt   worden    sei  ^).     Dafs   nun   aber,   was  Store 
noch  dasn  annimmt,  und  was  auf  diesem  Standpunkt  an- 
genommen werden  mufs,  Jesus  nicht  blofs  zweimal  ein  Mäd- 
chen vom  Tode  erweckt,  sondern  auch  beidemale  unmittel- 
bar vorher  eine  Frau  vom  Blutflusse  geheilt  haben  soll,  ist 
ein  Zusammentreffen,  welches  sich  durch  die  vage  Bemer- 
kung STORR'd,  es  k5nnen  sich  bu  verschiedenen  Zeilen  gar 
wohl  sehr  ähnliche  Dinge  sotra^en,  um  nichts  wahrschein- 
licher wird.     Mufs  man  somit  einräumen ,  dafs  die  Evan- 
gelisten nur  Eine  Begebenheit  eraähleii,  so  sollte  man  doch 
des  weichlichen  Bestrebens  sich  entschlagen,   eine  völlige 
Ueboreinstimmung  Ihrer  Ersählongen  heraussubringen.  Denn 
weder  kann  das  aqri  itüLsvtjyjs  bat  iMiatthäus,  wie  Kuiköl 
wIllO»   ^'^  moftt  proxima  belisen|2  noch  läfst  sich  das 
ioffionag  b%u  und  duidvr^ince   bei  Markus  und  Lukas  von 
bereits  erfolgtem  Tode  verstehen,  nfimal  bei  beiden   die 
Todesnachricht  dem  Vater  später  als  etwas  Neues  hinter- 
bracht  wird  ")• 


1)  Ueber  den  Zweck  des  Evailg.  und  der  Briefe  Job.  S.  351  IT. 

2)  €omm.  in  Matth.  p.  263.  Welche  Argumentation:  eerto 
[NB.  Matthaet]:  «(in  Irflturr^tt,  non  posrnni  Udine  reddi: 
fam  mtoNua  est:  nam,  auetore  (NB.]  Luca,  paM  adkue 
cum  Christo  coUoguenti  nunüaöat  aervu»,  fiüamjam  exspi^ 
rosse,  ergo  [oMictore  Matt haeof]  nandum  martuß  erat, 
cum  pater  ad  Jesum  acesderet, 

3)  Ver^l.  über  diese  falschen   Ausgleichungsversuche   Schlbibr- 


Neunles  Kapitel.    S«  96.  147 

Bat  daher  die  neuere  KriHk   mit  Recht  hier  eine  Ab* 

weiehiing   der  Beriohte  aagegeben :   so  findet  sie  die  ge- 

■seere  Darsteilaog  des  Hergangs  einstimmig  aof  Seiten  der 

lutderen  SrangeÜsten ;  sei  es,  dafs  man  mit  Scbonnng  des 

Matthias  in  seiner  Oaräteliong  eine  Abliflrsang  fimdet,  wie 

sie  aaoh  ron  einem   Angenseugen  veranstaltet  sein   liönn- 

te  %  «^der  dafs  man  diese  mindere  Genauigiieit  als  Zeichen 

eines   niebtapostoUsehen  Drsprongs  des  ersten  Brangeliuma 

ansiebt  *)•   Dafs  nim  Marlins  and  Lahas  den  ven  Matthloa 

vertehwiegenen  Namen  des  Bittstellers  angeben,  and  aaoh 

seinen  Stand  genaaer  als  Jener  bestimmen,  kann  ebenso* 

wähl  B3  Dngansten  ,  als ,  wie  gewöhniioh ,  an  Oonsten  je* 

OST  beiden  ausgelegt  werden;  da  die  namentliohe  Beseich* 

ning  der  Personen,  wie  sehön  fipllber  bemerkt,  nieht  sei* 

len  Zatliat  der  spSteren  Sage  ist,  wie  die  blotflflssige  Frau 

erst  in  der  Tradition  eines  JoIl  Malaie  Veronika  *)^  daa 

kananlisclie  Weib  erst  in  den  Klementinen  Justa  heifst  ^ 

und  die  beiden  MltgekreuBigten  Jesu  erst  im  Erangelium 

TÜDodemi  Gestaa  and   Demas*).    Das  liovcymjs  des  La« 

lus  eiinebin  dient  nur,  die  Seene  rührender  au  machen, 

and  das  erotr  iiid&ta  könnte  er  und  nach  ihm  Markus  aas 

der  Bawhiehte  der  BlotflOssigen  heranfgenommen  liabea. 

Ose  Akwrfehnng ,   daft  nach  Matti^äus  das  Mädclien  schon 

AnCuige  als  gestorlNin ,  nach  den  beiden  andern  erst  als 

sterliend  angekündigt  wird ,  mfifste  man  sehr  oberfläehlich 

aagasehen  haben ,  wenn  man  dieselbe  nach  unseMOi  eige* 


MACMsa,  über  den  Lukas,  S.  132.  und  Fritibcrb,  in  Matth« 
p.  347  f. 

4)  OuuAutEKj  ly  S.  316. 

5)  ScHLBiBAMAcaimy  a.  a.  O.  S.  131  ff.;  ScsuLty  Über  daa  Abendm, 
S.  316  f. 

6)  a.  Fabmgios,  Cod.  apocr.  N.  T.  2,  S.  440  ff. 

7)  Homil.  2,  19. 

8)  Cap.  10. 

10* 


148'  Z  wei  ter  A  hechnitt. 

nen  Kanon  zu  Ungunsten  des  Matthftud  unter  dem  Verwand 
gebraueben  eu  können  glaubte,  dafs  bei  ihm  das  Wunder 
vergrüfsert  sei.  Denn  auch  bei  den  l)eiden  andern  wird 
hernach  der  Tod  des  Mädcliens  gemeldet,  und  dafs  er  nach 
Matthäus  einige  Augenblieice  früher  eingetreten  sein  mflfs- 
te,  kann  keine  Vergröfserung  des  Wunders  beifsen.  Um* 
gekehrt  mnfs  man  sagen ,  dafs.  bei  den  beiden  andern  di0 
Wundermaeht  Jesn^  zwar  nicht  objectiv,  wohl  aber  subjc* 
ctiv  gröfser,  weil  gesteigert  d^rch  den  Contrast  und  *da<t 
Unerwartete,  erscheine*  Dort,  wo  Jesus  gleich  Anfangs 
am  eine  Todtenerweckung  gebeten  wird ,  leistet  er  nicht 
mehr,  als  von  ihm  verlangt  war:  hier  dagegen,  wo  er,  nnr 
um  eine  Krankenheilnng  ersucht,  eine  Todtenerweckung  voll- 
bringt ,  thut  er  mehr  als  die  Beiheiiigten  bitten  und  vern 
stehen;  dort,  wo  das  Vermögen,  Todte  zu  erwecken,  vom 
Vater  bei  Jesu  vorausgesetzt  wird  ,  ist  das  Ungemeine  eines 
solchen  Vermögens  noch  nicht  so  hervorgehoben ,  als  hier, 
wo  der  Vater  zunächst-  nur  das  Vermögen,  die  Kranke  sa 
heilen,  voraussetzt,  und  als  der  Tod  eingetreten  ist,  Fon 
jeder  weiteren  Hofinung  abgemahnt  wird*  In  der  Art,  wie 
die  Ankunft  und  das  Verfahren  Jesu  im  Leichenhause  be- 
schrieben  wird,  ist  Matthäus  bei  seiner  Kfirze  wenigstens 
klarer  als  die  andern  mit  ihren  weitläuftigen  Berichten. 
Denn  dafs  Jesus,  im  Hause  angelangt,  die  bereits  zur  Lei- 
che rersammelten  Pfeifer  sammt  der  übrigen  Menge  aas 
dem  Grunde  weggewieseh'habe,  weil  es  hier  keine  Leiche 
geben  werde,  ist  vollkommen  verständlich;  warum  er  aber 
nach  Markus  und  Lukas  aufserdem  auch  seine  Jünger  bis 
auf  jene  drei  von  dem  vorzunehmenden  Schauspiel  ausge* 
schlössen  habän  soll,  davon  ist  ein  Grund  schwer  einea- 
sehen.  Dafs  eine  gröfsere  Anzahl  von  Zuschauern  phy- 
sisch oder  psychologisch  ein  Hindernifs  der  Wiederbele- 
bung gewesen  wäre,  kann  man  nur  unter  Voraussetzung 
eines  natürlichen  *  Hergangs  sagen :  war  es  ein  Wunder , 
so  könnte   man   den   Grund  jener   Ausschliefsung  nur  in 


^Mettotes  KapileL   ,§.98.  140 

d«r  mUid«rn  Flh%[keit  der  AoBg^sschloaeeaen  •achcD ,  wel- 
cher aber  eben  doreh  die  Ansehaaang  eines  aolehen  Won- 
4ers  Iifitte   aufgeholfen  werden    «ollen.      Vielmehr  scheint 
ei  aaeh  Allem ,  als   bfitt^u  die  swei  spftteren  Synoptiker^ 
weiche  aoeb  im  Gegensata  .gegen. die  Schlufsfovmel  des  Met* 
thius,    dals   das   ttertfcht  von   diesem   fireignifs  sich  im 
fMiaen  Lande  verbreitet  habe,   den  Zeugen  desselben  von 
Jesu   das   strengste   Btillschwelgen    auflegen    lassen,  den 
Vorgang  als  ein  Mysterinm  betrachtet,  an  welchem  aalser 
den  nfichsten  Angehörigen  nur  der  engste  Ansschula  dev 
JGnger  gesogen  worden  seL    Vollends  auf  das  voa  Schuld 
haraoagebobene,  dafs,  während  MatthSns  'Jesnm  das  Mädf 
ehea  nur  einfach  liei  der  Hand  nehmen  Ififst,.  Markus  nnd 
Lskaa  nna  die  Worte,  welche  er  dasn  gesprochen,  der  er- 
itere  aogar  In  der  Ursprache,  au  überliefern  wissen,  bann 
eiitwe40P  ^cin  Gewicht  gelegt  werden,  dder  nur  in  entge* 
geogeaetstem  Sinne.    Denn  daüs  Jesus,  wenn  er  bei  Aofer- 
weeknng  eines  Msdchens  etwas  sprach ,  sieh  ungefkbr  der 
Worte:  7/  naig  ayeiQü,  bedient  haben  werde,  diefs  konnte 
wohl  aaeh  der  vom  Factum  entfernteste  Eraihler  auf  el« 
geoe   Hand    sieh    vorstellen;    ond    bei    Markus  gar  das 
Tfdt^  MSfii  als  Zeichen  einer   liesondars  ursprttnglichen 
Quelle,  ans  welcher  der  Evaogelist  geschöpft  habe,   anse-' 
beo,  bellst  das  Niherliegende  vergesaen,  dats  er  es  ebenso 
leicht  ans  dem  Griechischen   seines  Gewährsmanns  über- 
tragen ballen  kann,  um,  wie  bei  Jenem  iff(pai}aj  dils  geheim* 
nifavolle  Lebenswort  in  seiner  ursprfinglichen  fremden  Spra- 
che, also  nur  um  so  mysteriöser  klingend,  wiederaugeben. 
fiema    werden  wir   uns  demnach  dessen  bescheiden,  mit 
ScHLKiERMACRKR'schem  Scharfsinn  auseumaohen ,  ob  der  ur- 
spranglicbe  Gewährsmann  der  Brafihlnng  des  Lukas  einer 
von  den  drei  angelassenen  JQngern  gewesen,  und  ob  der- 
selbe, der  B\e  ursprQnglicb  berichtete,   sie   auch  niederge- 
schrieben habe  '^j  ? 


V 


150  Zweiter  Absohntci. 

Id   Besog  nan  aof  den  ForeasBaaetBendeii  wirklieb«! 
Hergang   der    Sache   tritt  die  natttrliche    Krklfirung   hier 
gans  besonders  snyeralobtlioh  auf,  Indem  sie  Jesa  eigene 
Versiohemng  ffir  sich  an  haben  glaobt,  dafs  das  MiEdehen 
nicht  wirldich  todt  sei^  sondern  nnr  in  einem  sohlafihnliehen 
Zustande  der  Ohniäacht  sich  befinde;  und  nicht  blofs  entschie* 
den  rationalistische  Ausleger,  wie  Paulus,  oder  balbratio« 
naiistische,  wie  Schlbiermachbr,  sondern  auch  entsehieden 
supranaturallstisohe  Theologen,   wie  Olshaüssn,  glauben 
um  der  beeelchneten  Erklftrnng  Jesu  willen  hier  an  keine 
Todtenerweckung   denken  bu   dfirfen  '^.    Der  enletet  ge- 
nannte Erklfirer  legt  besonders  auf  dein  tiegensats  In  der 
Rede  Jesu  Gewleht,  und  meint,  weil  su  dem  &x  ani&ai^e 
noch  das  dXka  yct^evdei  gesetst  sei,  'so  könne  der  erstere 
ÜLUsdruek  nicht  blofs  so  gefafst  werden :  sie  ist  nicht  todt. 
Indem  ich  den  Vorsats  habe,  sie  nnerwecken;  —  wundei*- 
lieh,   da  doch  dieser  Znsatu  gerade  anzeigt,  dafs  sie  nur 
Insofern  nicht  gestorben  sei,   als  Jesus   sie  bu  M'weoken 
vermöge.    Man  beruft  sich  femer  auf  die  Erklftrung  Jesv 
über  den  LaBarusj^,  JohJ  li,  14.,  weiche  mit  ihrem:  ^d- 
^aQojs  miiihxn,  de«  gerade  (}egensatB  bu  unserem  m  mi- 
SteP€  to  xoqaüicfv  sei.    Aber  vorher  hatte  Jesus  doch  aooh 
von  LaBarus  gesagt}  qvtti  tj  dad-ivBia  ax  e^t  ngog  d'dvcerw 
CV.  4.))   ^^'   Ad^tKQos  6  qilXog  ^^wv  xex(Jftrp:ai  (V.  11.)? 
also  gauB  dieselbe  Lfiugnung-  des  Todes  und  Behauptung 
eines  blofsen  Schlafe^,  wie  hier,  und  doch  bei  einem  wiri^- 
lich  Gestorbenen.    Gewifs  hat  demnach   Fritzschb  recht, 
wenn  er  den  Sinn  der  Worte  Jesu  In  unserer  Stelle    so 


10)  Pauujs  f  eseg.  Handb. ,  1 ,  b ,  S.  526.  31  f. ; 

a.  a.  0.  S.  132.;  Olbhaussh,  1,  S.  321  f  Selbst  Nbatcdsr 
spricht  sich  nicht  völlig  entschieden  gegen  diese  Deutung  der 
Worte  Jesu  aus;  den  Zustand  des  Mädchens  selbst  aber  be- 
treffend ,  findet  er  die  Annahme  eines  Scheintodes  wahr- 
scheinlich.   L.  J.  Chr.  S.  543.    vgl.  338  f. 


Meonles  Kapitel.    $.  98. 


151 


angibt:   puellam  ne  pro  mortua  kabetote,  ied  dormirc 


,  quippe  In  "»itarn,  mox  redüuram.  Ohnehin, 
weaa  Matlhioa  spSter  (11,  5.)  Jeüam  sagen  iäCsti  vwQci 
if^ffwzaij  ao  soheint  er,  der  aonst  keine  Todtenerwecliang 
aniUt  j  eben  an  diese  gedacht  haben  an  mttaaen  *')• 

Doch  aneh  abgesehen  von   der  falschen   Deutung  der 
Worte    Jesu   hat   diese   Erklärung   noch    manche  andere 
Sehwlerigkeittsn.    Zwar,  dafs  sowohl  an  sich  bei  manchen 
Krsakhfdten  Zustände  eintreten  kdnnen,  welche  dem  Tode 
tiucbetid  ähnlich  sehen,    als  auch  insbesondere  bei  dem 
seUsehtea   Znstand  der   Hellkunde  unter  den   damaligen 
Jadsu  eine  Ohnmacht  leicht  f  flr  wirklichen  Tod  genenunan 
wttdeo  konnte,  lit  nicht  in  Abrede  an  stellen.    Nun  aber 
wsher  aoU  Jesus  gewulst  haben,   dafs  gerade  bei  diesem 
JUldeiiM   ein   blolser  Scheintod  stattfand?    Eraähite  Ihm 
sueh  der  Vater  den  Gang  der  Krankheit  noch  so  genau; 
j«,  war  er  mit  den  Uoutänden  des  Mädchens  vielieioht 
vorher  aehon  bekannt ,  wie  die  natttrliebe  Erklärung  ror- 
amaetst:    immer  firagt  sich  doch,  wie  er  hierauf  so  Tief 
bsasB  konnte,  um,  ohne  das  Kind  noch  gesehen  su  habea^ 
im  Widerspruche  gegen  die  Versicherung  der  AugeHuen* 
gm,  es,  nach  der  rationalistischen  Deuhing  seiner  Worte, 
bestimmt    fttr  nicht  gestorben  en  ei4illrenf    Diefs   wäre 
Veramasenbelt  gewesen  und  Onklugheit'  dacn,  wenn  nicht 
anders  Jesus  auf  flbematarliehem  Wi^  Fon  dem  wahren 
Thatbestande  sichere  Kenntnifs  hatte  ^^;  womit  aber  der 
Standpunkt    der  natürlichen  ErkMrdlig    verlassen    wäre. 
Nach  Jesu  Ankunft  bei  der  angeblich' Bcheintodten  aehiebt 
non  Paulus  awischen  ixQotJjae  t^g  x^'^QOS  cnkr^  und  ^iQ^rf 
fo  xoQdatoVf  was,  bei  Matthäus  schon  enge  genug  verbun« 
den,    die  l>eiden  andern  Evangelisten  dnreh  evS-icog  and 


11)  VgL  OS  WbttBi  ezeg.  Handb.,  l,  1«  S.  95.;  Waisss,  die  sv> 

Geschichte,  1,  S.  503. 
12;  Vgl.  NsuiusA^  L.  J.  Chr.;  S.  542. 


1.^  '  Zweiter  Abschnitt. 

naQoxQ^ffcc  nooh  fnfther  easammenrficken,  eine  Jfiogere  Zeit 
der  ärsstlicben  Behandiong  ein ,    und  Vbnturini    weifs.  die 
angewandten  Mittel  sogar  im  fiinfeeinen    namhaft  zu   ma- 
chen ^^).    Mit   Recht  h.^lt  gegen  solche  Willkfirlichkeiteo 
Olshaüskn  daran  fest,  dafs  nach   der  Ansicht  der  Ersliii- 
ier  der  belebende  Ruf  Jesn ,  nnd'  wir  können  hinsuseteen, 
(Ue  Berfthmng/ seinej*  mjit  göttlicher  Macht  gerfisteten  Hand, 
das  Medium   der  Erweckung   des  Mfidchens  gewesen  sei. 
.  Bei  der  dem   Lukas  eigenthfimlichen    Erweckungsge* 
eohichte  (7,    11  ff.)   fehlt   der   natörliohen    Erklfiruog  die 
Handhabe,   die  in  der  «nletzt  betrachteten  der  Aussprach 
Jesn  bot|    in  welchem  er  de^  wirklich  e^rfolgten  Tod  des 
Mädchens  an  Ifiugnen   schien.     Dennoch  fassen  die  ratio- 
nalistischen Ausleger  Muth,  und  knüpfen  ihre  Hoffnongen 
hauptsächlich  daran,   dafs  Jesus  V.  14.  den  im  Sarge  Ud- 
genden  Jüngling  anredet:  anreden  aber,  sagen  siCi  könne 
man  doch  nicht  einen  Todten ,  sondern  nnr  einen  solchen, 
den  man  des  Hörens  fähig  erkannt  habe  oder  vermutbe  ^^). 
Allein  dieser  .Kanon  würde  auch  beweisen ,  dafs  die  Tod- 
ten alle,  welche  am  Ende  der  Tage  Christus  auferweoken 
wird,   nur  Soheiotodte  ireien^   da  sie  sonst  nioht,  wie  es 
.  doch  ausdpflcklich  heifst  (Job.  5,  28.  vgl.  1  Tliess:  4,  16.)i 
seine  Stimme   hören  könnten:   fr  würde  also   eq  viel  be^ 
ji^eisen.    Allerdings  mufs,  wer  angeredet  wird,  als  hörend 
und  in  gewissem  Sinne  lebend  voransgesetst  werden;  aber 
hier  nur  insofern,   als   die   Stimme  des  Todtenerweckers 
auch  in  erstorbene  Dhren  dringen  kann.   Nächstdem  wer- 
den wir  zwar  die  Möglichkeit,  däfs  bei  der  jüdischen  On* 
Sitte,    die  Todten   schon  einige  Stunden   nach   deren  Ver* 
scheiden    an    begraben , '  leicht  ein    blofs   Sehelntodter  sa 
Grabe  getragen  werden  konnte,  ssugeben  müssen  ^0:  alles 


13)  Natürliche  Geschichte,  2,  S.  212,  . 

14)  Paulus,  exc^.  Uandb.,  J,  b,  S.  716.  Anm.  und  719  f- 

t5)  Ders.  d.  a.  0.  S.  723      Vgl  »js  Wette  ,    cxcg.  Unndh. ,  1,  2; 


M  •  u  n  tes  ümfi  ieL    $.  98.  153 

Wetter»  afair 9  wodvroh  man  eo^seffven 'sucht,   dufs  diese 

Wildheit   hier  Wirkliobkeit  gewesen,    ist  eiil  Gewebe 

f«e  Erdichtungen.    Um  sa  erklfiren,  wie  Jesus,  anch  ohne 

den  VorsatB,  hier  ein  Wnnder  2u  than ,  sich  mit  deip  Lei- 

plMDsuge  einlassen,    wie  er  aof  die  Vermuthung,   der  bu 

Begrabende  möchte    vielleicht    nicht  wirklich,    todt    sein, 

ftosinen  konnte,  wird  suerst  fingirt,  die  beiden  Zfige,  der 

Leichensog  nnd  der  Zag  der  Begleiter  Jesn,  seien  g^ade 

eatep  dem  Stadtthor  sasammengetroifen,  und  da  sie  einen* 

der  den  Weg  sperrten ,   eine   Weile  aufgehalten    worden : 

gendesu  gegen  den  Text,    der  erst,    als  Jesus  den  Sarg 

sn&ilste,  die  Träger  stillestehen  Ififst.     Durch  die  Ersfih- 

bmg  der  näheren  Umstände  des  Todesfalles ,    die   er  sich 

wahrend   des  Stillstands   habe  geben  lassen,   gerührt,    sei 

Ben  Jeeus  so  der  Mutter  getreten,  nnd  habe,  ohne  Bezug 

auf  eine  su  vollbringende  Todtenerweckung ,   rein  nur  als 

tröstenden  Zuspruch,  die  Worte:  ft^  xla^Bj  su  ihr  gespro- 

eben  ^^).    Allein   was   wäre  doch   das  fiQr  ein  leerer,  an- 

lujsender  Tröster,  welcher  einer  Mutter,  die  ihren  einsi- 

}rsa  Sohn  begräbt,    nur  geradezu  das   Weinen   verbieten 

wollte,  ohne  weder  reale  Hfilfe  durch  Wiederbelebung -des 

tiestorbslien ,   noch  ideale  durch  ausgesuchte  Trostgrtinde 

ihr  ze  bietend    Das  Letztere  thut  nun  !esus  nicht:    soll 

er  also  nicht  ganz  unzart  aufgetreten  sein,  so^muis  er  das 

Erstere  im  Sinne  gehabt  haben,   und  dazu  macht  er  auch 

alle  Anstalt,  indem  er  absichtlich  den  Sarg  anhält  und  die 

Träger  zum   Stehen   bringt.     Vor  dem  erweckenden  Rufe 

Jesu  schiebt  nun   die   natörliohe  Erklärung  den  Umstand 

ein,  dafs  Jesus  an  dem  jQngling  irgend  ein  Lebenszeichen 

bemerkt,    und  auf  dieses  hin  entweder  unmittelbar,    oder 

nach  vorgängiger  Anwendung  von  Medicamenten  '^9  j®'*^ 

Worte  gesprochen   habe,    welche   ihn   vollends  erwecklen 


16)  So  auch  HAb£,  L.  J.,  §.  87- 
r>  V^vriRwi,   2,  S.  295. 


154  Zweiler  Äbnohnitt. 

halfen.  Allein  abgesehen  daron ,  daft  Jene  Zwlsehenmo- 
mente  In  den  Text  nar  eingeschoben  sind,  und  da«  starke: 
vBovlanBj  aoL  XiyiOj  iyiQO-t/i^i^  eher  dem  Maohtbefebl  eines 
Wanderthäters  als  dem  Belebungsversnch  eines  Arztes 
Ahnlich  sieht:  wie  lionnte  Jesns^  wenn  er  sich  bewofsk 
war,  den  Jfingling  als  lebenden  schon  angetroffen,  nicht 
selbst  erst  ihn  vom  Tode  cnrflckgerofen  an  haben,  mit 
gotem  Gewissen  die  Lobpreisungen  hinnehmen ,  welohe 
dem  Bericht  safulge  die  aasehauende  Menge  dieser  Thak 
wegen  ihm  als  grofsem  Propheten  sollte?  Naeh  Paulos 
war  er  selber  ungewils,  wie  er  den  Erfolg  ansusehen 
habe ;  aber  eben  wenn  er  nicht  ilberseagt  war,  den  Erfolg 
sich  selber  anschreiben  eu  dürfen,  so  «rwucbs  ihm  die 
Pflicht,  alles  Lob  in  Besug  auf  denselben  absulehnen,  ond 
er  liommt,  wenn  er  diefs  nicht  that,  In  ein  aweidentiges 
Licht,  in  welchem  er  naeh  der  ttbrigen  eTangelisohen  tie- 
schichte,  sofern  sie  unbefangen  aufgefafst  wird,  keines- 
wegs steht.  Auch  hier  also  mfissen  wir  anerkennen,  dsfs 
der  Evangelist  uns  eine  wunderbare  Todten«rweckttng  er- 
säblen  will,  und  dafs  nach  ihm  auch  Jesus  aeioo  That  als 
ein  Wunder  angesehen  haben  mufs'^. 

Je  weniger  bei  der  dritten  Todtenerweekungsgescbicb- 
te,   welche  denv  Johanneisohen  Evangelium  (Kap..  11.)  ei* 
genthOmlich  ist,  weil  wir  an  Lasarns,  kdnen  elien  Gestor- 
benen ,  oder  auf  dem  Weg  unm  Grabe  Befindlichen ,  son- 
dern einen  schon  mehrere  Tage  Begrabenen   vor  uns  ha- 
llen, an  eine  natürliche  Erklfimng  gedacht  werden  au  köa- 
nen  scheint:    desto  künstlicher  und  ausführliober  bat  sie 
sich  gerade  in  Beang  auf  diese  Ersfthlung  ausgebildet.  Dod 
Bwar  ist  hier  neben  der  streng  und  consequent  rationali> 
stischen   Auslegungsweise,  welche  den  evangelischen  Be- 
richt  durchaus  als  geschichtlich  festhaltend,    alle  Theile 
desselben  natürlich  au  deuten  sich  anheischig  macht,  auch 


i8)  Vgl.  ScaLSiaJiMACUSKy  a.  a.  0.  S.  103  f* 


N^ttolet  KupitaL    {•  98.  15& 

noeb  jene  andere  aafgetreten ,  welche  einselne  Züge  des 
Rcriebtfl  als  solche  aossoheidet,  die  erst  nach  dem  Erfolg 
hlBBagesetat  seien,  womit  also  schon  ein  Schritt  In  die 
■lythisebe  Erklärung  hinäber  gemacht  worden  ist. 

Attf  die  nfimlieheh   Prtmissen   wie  bei  der  rorigen 
Entiftlong  gestatst,  dab  sowohl  an  sicti  als  wegen  der  JO- 
diiebeo  Sitten  ein  Begrabener  wohl  nach  riertJIgigem  Auf- 
enfbalft  In  einer  Felsengmft  wieder  snm  Leben  habe  kom- 
men können  —  eine  Möglichkeit,   die  wir  als  solche  auch 
Msr  nicht  bestreiten «— ,  beginnt  die  natOrliohe  Krklfining  *') 
mit  der  Voransse|snng,  die  wir  vielleicht  schon  nicht  mehr 
ebenso  passiren  lassen  sollten ,   dafs  bei  dem  Boten ,    den 
ihm  «lie  Sehwestem   mit  der  Rrankheitsnachiicht  sandten, 
Jesnn    sieh  genan  nach  den  Umständen  der  Krankheit  er» 
faindigt  beben  werde;   nnd  nnn  soll  die  Antwort,  welche 
€r  daaa  Boten  gab  (V.  4*):    aStfi  17  da&lvBia  ex  $gi  nQog 
^awcegaat  jr.  t.  iL,    ebenso  nnr  als  Scblnfs  ans  den  von  dem 
Boten    eingesogenen  Nachrichten  seine  UberEeugong  an»- 
dHlclLen,  dafs  die  Krankheit  nicht  tddtlich  sei«     Mit  einer 
•olehen  Ansicht  ron  dem  Zustande  des  Freundes  wttrde  ak 
lerdings  das  anf  s  Beste  snsammenstimmen,  dafs  Jesus  naeb 
erhaltener  Botsebafifc  noch  swei  Tage  in  Peria  blieb  (V.6.); 
lodeas  er  nach  jener  Voraussetsung  seine  Anwesenheit  in 
Bethanien  fflr  nicht  so  dringend  nothwendig  erachten  konnte. 
Mnn  aber,  wie  kommt  es,  dafs  er  nach  Abflnfs  dieser  nwei 
Tage  nieht  nur  entschlossen  ist,   dahin  en  reiseii  (V.  8.)) 
Sendern  auch  von  dem  Znstande  des  Lasams  eine  gann 
andre  Anfticht,    ja  die  bestimmte  Kunde  von  seinem  Tode 
hat,   weichen   er' den  Jüngern  soerst  verbiflmt  (¥•  11.), 
dann  offen  (V.  14.)  ankttndigt?    Hier  erhält  die  beseich- 
nete  Erklärongsart  einen  bedeutenden  Rifs,  den  sie  durch 
die  Fiction  eines  a weiten  Boten  ^),  welcher  nach  Verflnls 


19)  PiCLOs,  Conun.  4,  S.  5S5  ff.    L.  J.  1,  b^  S.  53  ff* 

20)  Im  L.  J.  '2, 1)  (TcitüLcrsctzung) ,   S.  46.    scheinen  gar  nach 


156  Z  VI  oiler  Äbbtiliniit. 

der  zwei  Tage  Jesn  dio  Nachricht  von  des  Laearot'  Indefs 
erfolgtem  Ableben  gebracht  habe,  nur  am  ao  aoffallendev 
macht.  Denn  von  einem  sweiten  Boten  kann  wenigstens 
der  Verfasser  des  Evangeliums  nichts  gewulst  haben,  sonst 
mflfste  er  seiner  Erwähnung  thun,  da  die  Verschweignng 
desselben  der  ganeen  Erzählung  einen  andern  Schein  gibt, 
den  nämlich  I  dafs  Jesus  auf  wunderbare  Weise  von  dem 
.Tode  des  Lazarus  Kenntnifs  gehabt  habe.  Dafs  sofort 
Jesus,  als  er  entschlossen  war,  nach  Bethanien  zu  reisen, 
KU  den  Jüngern  sagte ,  er  wolle  den  eingeschlummerten 
Lazarus  aufwecken  ixexoiii7/Fai  —  t^v:wle,(a  —  V.  11.)) 
wird  auf  diesem  Standpunkte  so  erklärt,  Jesus  mtfsie  aus 
den  Nachrichten  des  Boten ,  der  den  Tod  des  Laearus 
meldete,  irgendwie  abgenommea  haben ,  dais  derselbe  nur 
In  einem  soporösen  Zustande  sich  befinde.  Allein  hier  so 
wenig  als  oben  können  wir  Jesu  die  unkluge  Vermessen- 
heit  zutrauen,  ehe  er  noch  den  angeblich  Verstorbenen 
gesehen  hatte,  die  bestimmte  Versicherung  zu  geben,  dafs 
er  noch  lebe  ^0*  Auch  das  hat  auf  diesem  ^Standpunkte 
•eine  Schwierigkeit,  da(s  Jesu^  zu  seinen  Jüngern  (V.  15.) 
sagt,  er  freue  sieh  um  ihretwillen ,  vor  und  bei  des  Laza- 
rus Tode  nicht  zugegen  gewesen  zu  sein,  iva  mgevöijii* 
Die  pAüLUs'sche  Erklärung  dieser  VITorte ,  ab  ob  Jesos 
gefürchtet  hätte,  der  in  seiner  Gegenwart  erfolgte  Tod 
hätte  sie  im  Glauben  an  ihn  wankend  machen  können,  hat 
nicht  allein  das  von  Gabler  Bemerkte  gegen  sieb,  dafs 
nicevü)  nicht  geradezu  nur  das  Negative:  den  Glanbeo 
nicht  verlieren,  bedeuten  kann,  was  vielmehr  durch  eine 
Pbrasis,  wie :  Hva  ^ij  txhiTif}  jy  mgig  vfiwvy  C^.  Luc-  22, 32.) 


der  im  Evangelium  erwähnten  Sendung  noch   drei  weitere 
vorausgesetzt  zu  werden. 

21)  Vgl.  C.  Ch.  FLATT,^et^a»  zur  Verlhoidigung  des  VVunJtii 
der  Wiederbelebung  des  Luzaiub,  in  SI'muad  s  Mü^iizin^  I<4tr« 
3hii  k  ,    S.  93  ff.  ' 


/ 


Neontet  KapUel.    $.  09.  157 


1 


«Qsgedrllekt  sein  mül^te^j;   sondern  es  ist  aach  nirgends- 
lier  eine  solche  Vorstellung  der  Jfinger  von  Jesa  als  dem 
Messias    nachcoweisen ,    mit   weAßber   das   Sterben    eines 
Maschen ,   oder  nSher  eines  Freundes  ^   in  seiner  Gegen*  ' 
Wirt  anvertriglieh  gewesen  wfire. 

Von  Jesn  Anliunft  tn  Bethanien  an  wird  die  erange- 
lisehe  ErcShlnng  der  natürlichen  Erklürung  etwas  gflnsti- 
gM*.  Zwar  die  Anrede  der  Martha /an  ihn  (V.  21  f.):  wS- 
re  er  EOgegen  gewesen,  so  wflrde  ihr  Bruder  nicht  gestor* 
bw  sein :  ixXXd.  xtri  vvv  otda ,  ort ,  oaa  av  cun^ari  rov  S-eov, 
<Wci  am  6  O-eog'j  scheint  unverkennbar  äie  Hoffnung  aus* 
nipeben,  dafs  Jesus  auch  den  schon  Gestorlienen  in  das 
Le^  suröckeurnfen  vermöge ;  allein  dafs  sie  auf  die  foU 
genile  Zosicherung  Jesu;  avucijaeToi  6  adskq^^og  os,  klein- 
müthig  enriedert :  ja,  am  jfingsten  Tage  (V.  24. )j  thnt  al- 
lerdings einer  £rklfirnng  Vorschub,  welche  nun  rfickwärta 
taeh  der  obigen  Äufserung  d^r  Martha  CV»22.)  den  unbe- 
itiamten  Sinn  unterlegt ,  selbst  JetEt  noch ,  unerachtet  er 
ibren  Bruder  nicht  bei'm  Leben  erhalten  habe,  glaube  sie 
»Jemm  als  an  denjenigen,  welcbem  Gott  Alles,  was  er 
Utte^gewftbre,   d.  h.  als  den  Liebling  der  Gottheit,   den  a 

Hesiitt.  Allein  nicht  nigsvio  sagte  Martha  dort,  sondern 
adffyUad  die  Wendung:  ich  weifs,  dals  das  und  das  ge« 
leAiebt,  wenn  du  nur  willst,  ist  eine  gewöhnllohe  indireote 
Föns  der  Bitte,  und  hier  um  so  unverkennbarer,  da  der 
fegenstand  der  Bitte  ans  dem  vorausgeschickten  Gegensätze 
^in  klar  wird  y  dafs  Martha  sagen  will :  den  Tod  des 
Binders  ewar  hast  du  nicht  verhindert;  aber  auch  jetst  ist 
o  nach  nicht  su  spät,  sondern  auf  deine  Bitte 'wird  ihn 
Sott  dir  und  uns  wieder  schien  ken.  £in  Wechsel  der  Stim- 
mig, wie  er  dann  in  Martha  angenommen  werden  mnfs, 


22)  GiBum's    Journal  für  auserlesene    theol,    Literatur  ,3,2, 
S.  261.  Anm.  / 


136  Zvreiter  Abschnlie. 

deren  kaum  geftafiierte  Hoffnang  In  der  ErwiodeiMing  V  24. 
bereits  wieder  erloschen  ist,  kann  bei  einem  Weibe,  wel* 
ohes  hier  and  sonst  als  von  sehr  beweglioher  Nator  sich 
selgt^'  nicht  en  sehr  l>efrenideny  ond  wird  in  unserem  Falk 
durch  die  Form  der  vorangegangenen  Zusicherung  Jesn 
(V.  230  hinlfinglich  erklärt.  Auf  ihre  indirecte  Bitte  nISm- 
lieh  hatte  Martha  eine  bestimmte  gewährende  Zusage  et- 
wartet ;  da  non  Jesus  nur  gane  allgemein  und  mit  einem 
Ausdruck  antwortet,  welchen  man  auf  die  Anferstehang 
am  Ende  der  Dinge  bu  beviehen  gewohnt  Vfar  (jdvagijctraiyi 
so  gibt  sib  halb  empfindlich  halb  kleinmüthig  Jene  Erwiede- 
rung ^^>  Eben  jene  so  allgemein  lautende  Aeafserung  Je- 
su aber,  so  wie  die  noch  unbestimmteren,  V>  25  f:  i^*(i 
et  fit  7]  aragaatg  x.  t.  A.,  glaubt  man  nun  rationalistischer* 
seits  dahin  deuten  eu  können ,  Jesus  selbst  sei  von  der  Er- 
wartung eines  aufserordentlichen  Erfolgs  noeh  entfernt  ge 
wesen ,  defswegen  tröste  er  die  Martha  blofs  mit  der  allge- 
meinen HoflFnong,  dals  er,  der  Messiiis,  den  an  ihn  Gläu- 
bigen die  einstige  Auferstehung  und  ein  seliges  Leiien  ver- 
aehaffen  werde.  Da  Jedoch  Jesus  oben  (V*  11.)  mia  seinen 
JAngem  Euversichtlich  von  einem  "Aufwecken  des  liasanis 
gesprochen  hatte,  so  mfifste  er  indessen  umgestimmt  wor- 
den sein ;  woen  kein  AnlaTs  an  finden  ist,  Ancb  beruft 
sich  Jesus  V«  40,  wo  er  im  Begriff,  sur  Erwecknng  des 
Laaams  bu  schreiten^,  bu  Martha  sagt:  «k  elnw  aoe,  oii 
iav  nicevojjgy  otf/ei  rr^v  do^av  ta  -d^eS;  offenbar  auf  V. .  2^ 
in  welchem  er  also  schon  die  vorannehmende  Wiederbele- 
bung vorhergesagt  haben  will.  Dafs  er  diese  nicht  be- 
stimmter bcBeichnet ,  und  das  kaum  gegebene  Versprechen 
in  BcEug  aäf  den  aäelg>6s  V.  25.  f.  wieder  in  allgemeine 
Verheifsungen  fflr   den   ni^^vanf  überhaupt   verhallt,   ge- 


23)  Flatt,    a.  a.  O.    S.  102  f.;   »i   Wstrs  z.   d.   St.  >    Nbai^dbh^ 
S.  351  f. 


Neotites  KapileL    f.  98.  ISt 

schiebt  absichtlich ,  um  den  Glauben  der  Martha  su  prU- 
fto ,  und  ihren  Gesichtslireia  eu  erweitern  '^)« 

Wie  DUQ  Maria  mit  Begleitung  hernntkomnt )  «nd 
durch  ihr  Weinen  auch  Jesus  bis  au  Thronen  ersehOttert 
urird  y  das  Ist  ein  Punkt ,  auf  welohen  sich  die  Datflrlichc 
ErkUruDg  mit  liesonderer  Zuversicht  beruft  und  Iragt^  ob 
iesas,  wenn  ihm  die  Wiederbelebung  des  Freuildes  jetat 
lebon  gewifs  gewesen  wäre,  nicht  vielmehr  mit  der  innig» 
tten  Frende  sich  seiner  Gruft  genähert  haben  würde,  ans 
der  er  ihn  im  nficbsten  Augenbliclie  lebend  wieder  hervor- 
mfen  bo  können  sieb  bewufst  war!  Hiebei  wird  dann  daa 
inßQiurfiaro  (V.  33.)  und  ijjßQifid^evoi;  CV«  38.)  von  ge- 
waltsamem  Zurückdrängen  des  Scbmersens  über  den  Tod 
des  Preondes  verstanden ,  der  sieh  hierauf  in  deni  eddxQv- 
aew  Loft  gemacht  habe.  Allein  sowohl  nach  der  Etymolo- 
gie, nach  welcher  es  fremere  m  aliqnem  oder  i»  se  heifst, 
als  naeh  der  Analogie  des  M*  T.  liehen  Sprachgebrauchs,  wo 
es  Matth.  9 ,  30.  Marc.  1 ,  43.  14,  5.  Immer  /nur  im  Sinne 
imcrepare  aliquem  vorkommt,  beeeichnet  efißQiftaad^ak 
Bewegung  des  Zorns,  nicht  des  Scbmersens,  und  awar 
miiste  ea  hier,  wo.es  nicht  mit  dem  Dativ  einer  andern 
Pcnea,  sondern  mit  %if  wftvfum  mod  er  eavttf  verbanden 
hi^  von  einem  atiUen,  verhaltenen  Onwillen  verstanden  wer* 
den.  In  diesem  Sinne  würde  es  V»  38,  wo  es  num  swel- 
tanmale  vorkommt,  gans  wohl  passen ;  denn  in  der  voran* 
gegangenen  Aenfsernng  der  Juden:  «x  r^diißaxo  SroSj  o 
c9ol^<iQ%sg  ofpd-aXfiHQ  tS  TvqfJiSf  noiijaai  tva  xal  oros  pt^ 
axo9awT};  liegt  Jedenfalls  ein  axceySaXl^ead-aif  indem  Jesu 
frühere  Thai  sie  an  seinem  Jetaigen  Benehmen,  und  dieses 
hinwiedenim  an  Jener,  irre  machte*  Wo  aber  das  erstemal 
von  einem  efißQifiäaO'ai  die  Rede  ist,  V.  33,  scheint  awar 
das  allgemeine  Weinen  Jesnm  eher  su  einer  wehmüthigen 
•iM  unwilligen  Bewegung  haben  veranlassen  an   ktfnnen: 


4 


24}  Flatt,  a.  a.  O.  ;   LuckI;  Tholvch  und  di  Warn  i.  d.  St. 


JCO  Zweiter  Absohiiitc. 

« 

doch  war  auch  hier  eine' starke  Miräbilligang  der  slcheei- 
genden  ollyottigla  möglioh.  Data  hierauf  Josas  selbst  in 
Thronen  ausbrach,  beweist  nar,  dafs  sein  Unwille  fiber 
die  yevm  uTtigog  um  ihn  her  sich  in  Wehmutb  auflöste, 
nicht  aber,  dafs  Wehmuth  von  Anfang  an  seine  Gmpfin- 
dcng  war.  Endlich,  dafs  die  Juden  (V.  S6.)  in  Beeng  auf 
die  Thrünen  Jesu  untereinander  sagten:*  ide,  TTcig  e(fllfi 
avzov,  diefs  scheint  eher  gcj^en  als  f0r  diejenigen  bu  sprühen, 
welche  die  Gemüthsbewegung  Jesu  als  Schmerz  über  den  Tod 
des  Frenndes^und  Mitgeffihl  mit  dessen  Schwestern  betracb- 
ten ;  da ,  wie  der  Charakter  der  jobanneiscRen  Darstellung 
Oberhaupt  eher  einen  Gegensatz  zwischen  dem  wirklifben 
Sinne  des  Benehmens  Jesu  und  der  Art,  wie  die  Zuschauer  e« 
auffafsten,  erwarten  läfsti  so  insbeeondere  ot  ^lüätdoi  in  die* 
sem  Evangelium  sonst  immer  diejenigen  sind,  welche  Jeso 
Worte  und  Thaten  theils  mifsverstehen ,  th^ls  mifsdeuten. 
Man  beruft  sich  freilich  noch  auf  den  sonst  so  milden  Charak» 
ter  Jesu,  welchem  die  Härte  nicht  angemessen  sei,  mit  wel- 
cher er  hier  der  Maria  und  den  Uebrigen  ihr  so  natOrlicbei 
IVeinen  übelgenommen  haben  müfste  ^^) :  allein  dem  joi^anoei* 
sehen  Christus  ist  eine  solche  Denkweise  keineswegs  fremd. 
Derjenige,  welcher  dem  ßaailixog,  der  ihm  mit  der  anve^ 
finglicben  JUtte»  zur  Heilung  seines  Sohnes  in  sein  Haoi 
BU  kommoo»  entgegentrat,  den  Verweis  gab :  iav  fifj  Grftm 
rMi  zeQixza  tdrjiey  ö  ^  nigeiat^re  (4,  48.);  der  die  Jün* 
ger,  welche  sich  an  der  harten  Rede  des  6ten  Kapitel« 
gestofsen  hatten ,  so  schneidend  mit  einem  zäro  vf^ag  oy.av 
dulii^ei;  und  ^ttj  y,ai  vfisJg  Stiere  vTiayeiv;  anliefe  (6,  61« 
67.) ;  der  seine  eigene  Mutter,  als  sie  bei  der  Hochzeit  co 
Kana  ihm  den  Weinmangel  klagte,  durch  das  harte:  li 
ifiol  yal  coij  yhfxi;  abwies  (2,  4.);  der  also  jedesmal  dann 
am  unwilligsten  wurde^  wenn  Menschen,  sein  höheres  Tliun 


25)  LüCKB,  2,  S.  388. 


NeoDles  KapiteL    f.  08.  161 

aad  Benken  jafeht  begreifepid,  «ich  U^nnilUifg  oder  ra- 
driBgiieh  «eigten:  der  war  hier  geoc  besonders  bo  ähnli-r 
eben  UawiUeo  vemniefit.  ,  Ist  bei  dieser  firklärnng  der 
Stelle  von  einem  Sebmer«  Jeea  Ober  den  Tod  de«  Latariui 
pr  nicht  die  Bede,  so  fällt  ench  die  HOlfe  weg,  welcbe 
die  eatärlicbe  Brklärnng  des  gennfn  Hergangs  in  diesem 
Zagfi  nv  .finden  glaubt ;  indels  äneh  bei  der  anderen  üea« 
taug  Ififst  sieh  die  angenbliokiiobe  Rlibrnng  durch  dae  Mit« 
gefOhl  mit ,  den  Weinenden  gar  wohl  mit  der  Voranssicbt 
der  Wiedertielebung  vereinigen  ^^).  Und  wie  hätten  sich 
auch  die  Worte  der  Juden  V«  37.  nach  der  Behauptung 
natfirlicher  Erklärer  geeignet,  die  Hoffnung,  d«(s  Gott  auch 
jeCit  vielleicht  etwas  Ansaeicbnendes  ftr  ihn  thun  werde, 
la  Jesa  nnerst  anzuregen  ? '  JNlcht  die  Hoff^nnng ,  dafs  er 
den  Todten  wiedererwecken  kOo^e,  sondern  nur  die  Ver» 
authiiDg,  dafs  er  vielleicht  den  Kranken  am  Leben  sn  er- 
kalten im  Stande  gewesen  wäre,  sprachen  ja  die  Juden 
aas;  es  hatte  also  schon  früher  Martha  durch  die  Aenfse- 
mg,  dala  auoh  jetst  noch  der  Vater  ihm  gewähren  werde, 
wss  er  bitte,  mehr  gesagt:  so  dais,  wenn  dergleichen 
Hsfibangen  erst  von  anisen  in  Jesu  angeregt  wurden,  die- 
flclban  sehen  frtther  angeregt  sein  mufsten,  und  nament- 
lich for  jenem  Weinen  Jesu,  anf  welches  man  sich  dafHr, 
dals  sie  noch  nicht  angeregt  gewesen,  au  berufen  pflegt. 

Dafs  die  Aeufserung  der  Martfia,  als  Jesus  den  Stein 
vom  fSmbe  eu  nehmen  befiehlt  :,.iCi^<€,  ^dtj  ii^ei  (V.Bd.), 
filr  die  wirklich  schon  eingetretene  Verwesung  und  also 
gegen  die  BIdglichkeit  einer  .natürlichen  Wiederbelebung 
niebts  beweise^  da  sie  aneh.UoiiB^r.Schlors  ans  dem  rercr^- 
täios  Min  kann ,  ist  ancti  <roa  sttpvanatumlistischen  Ans« 
legern  «ingeeänrnt  wprde|k  F).'  JUeriinf  aber  die  Worte, 
mit  welchen  Jesus,  diesBinredA  der  Martha  ablehnend, 


26)  Flatt,  a.  a.  O.  S.  104  f. ;   Lvckk,  a.  a.  O. 

27)  Flatt,  S.  106 ;   Olshavssn  y  2,  S.  269  (2te  Auflage). 
Ikis  Leben  Jesu  ^te  Aufl.  //.  Band.  11 


16i  .   Zweiler  ftbBohnitt. 

aaf  der  Oeffnung  des  ftvr^fmo»  besteht  (V.  40.) :   dab  sie, 
weno  sie  nar  gliiabe,  rrpf  do^osp  i;h  &e5  sehen  werde;  wie 
konnte  er  diese  aasspredhen,  wenn  er  sich  setner  Macht, 
den  Lasams  au  erwecken,  nioht  anf  s  Bestimmteste  bewofst 
war?    Nach  Paulus  sagte  Jener  Anssprueh  nttr  allgemein, 
dafs  der  Vertranensvotle  anf  irgend  eine  Weise  eine  herr- 
liehe Aenfserung  der  Gottheit  erlebe.    Allein  welche  herr> 
liehe  Aenfsernng  der  Gottheit  war  denn  hier,  bei  Erftffnang 
der  Gruft  eines  seit  vier  Tagen  Begrabenen ,  zn  erleben, 
wenn   nicht  die ,   dafs  er  anferweckt  werden  solltet  und 
im  Gegensatee  vollends  gegen  die  Versicherung  der  Marths, 
dafs  den  Braddi*  bereits  die  Verwesung  ergrilFen  haben  müs- 
se, was   können   jene  Worte  fttr  einen   Sinn   haben,  aIs, 
hier  sei  der  Mann,  der  Verwesung  eu  wehren?  Um  aber 
gans  sicher  an  erfahren ,  was  die   io^a  tS  d-eö  in  unserer 
Stelle  sagen   will,  darf  man  nur  auf  V.  4.  cnrttekseheit, 
wo  Jesus  gesagt  hatte,  die  Krankbdt  des  Laeams  sei  nicht 
ftQog  d'avcniavj  sondern  vneQ  tjjg  do^tjg  tö  &eSy  x.  t.  L 
Hier  erhellt  doch  wohl  aus  dem  Gegensats :  nicht  cum  To« 
de,  unabweisbar,  dafs  die  do^a  t«  d'es  die  Verherrlichung 
Gottes  durch  das  Leben ,  also,  sofern  er  jetst  bereits  toiit 
war,   durch   die  Wiederbelebung  des  Laearas   bedeutet; 
eine  Hoffnung,  welche  Jesus  gerade  im  entscheidendsten 
Augenblicke  nicht  anauregen  wsgen  konnte,  ohne  eine  bö* 
here  Gewifsheit  au  haben,  dafs  sie  in  ErfttUung  gehen  wer* 
de*^).    Dafs  er  sofort  nach   Eröffnung  der  Grnft,   noch 
ehe  er  dem  Todten  das  devQO  e^oi!  angerufen,  bereits  dem 
Vater  f&r  die  Erhörung  seiner  Bitte  dankt ,  dtefs  wird  vom 
Standpunkte  der  natfirlichen  Eirüttrung  als  der  klarste  Be« 
web  daffir  angeführt,  dsfa  4r  den  Lazarus  taicht  durch  je- 
nes Wort  erst  in  das  Leben  gerufen,  sondern  beim  Hinein« 
lüick  in  die  Gruft  ihn  bereits  wiederbelebt  gefunden  habe»' 
mfisse.    Ein  solches  Argument  sollte  man  von  Kennern  des 


28)  KLAtT,  S.  97  f. 


f(eiinl«ft  Kapitel.    (.  f^.  16S 

johanoriseliMi  ETangellam«  In  der  Thal  nicht  erwarten« 

WiegowShnlieh  lat  et  dieaeai  nieht,  ••  B.  in  dem  AoMpraehe: 

ilk^aaSi^  o  viog  r.  a«,  das  erst  noch  Bevoratehende  nnd  nur 

ent  Angelegte  als  bereits  Verwirklichtes  daraasteUen;  wie 

jMssend  war  ea  namentlich  hier,  die  Gewilsheit  der  BrIUl- 

rvag  dadarch   herYorsnheben ,  dafs  sie  als  bereits  gesohe* 

hsne  beneiehaet  wurde!   Und  welcher  Fictieaen  liedarf  ea 

■an  ferner,  nm  au  eriilKren,  theils  wie  Jesus  das  in  den 

•carflclKgekehrte  Leben  bemerken,  theils  wie  dieser 

Bom  Leben  gelangt  sein  konnte!  Zwischen  dem  Weg- 

nd»ea  des  Steins,  sagt  PAULua,  und  Jesu  Dankgebet  liegt 

der  Moment  des  überraschenden  Erfolgs ;' damals  mnfs  Ji^ 

HS,  noeh  um  einige  Schritte  entfernt,  den  Lasarns  als  ei<* 

asa  Labenden  erkannt  haben.     Woran?   mflssen   wir  fra» 

gm,   ond  wie  so  schnell  nnd  sieher?   nnd  warum  nur  er 

and  Niemand  aonst?    Erkannt   m^ge  er  ihn  haben  an  Be- 

wegangen,   vermathet  man*     Al>er  wie  leicht  konnte  er 

lieb  bierin^  tXnschen  bei  einem  in  dunkler  Felsengmft  iie- 

gmdon  Todten;  wie  voreilig,  wenn  er,  ohne  erst  genaoer 

aatersaeht  au  haben,  so   schnell  und   bestimmt  die  Über- 

aengaag,  dafs  er  lebe,  aassprach I   Oder,  wenn  die  Bewe- 

gangea  des  Todtgegia  übten  stark  und  unverkennbar  waren, 

wie  koanten  sie  den  Umstehenden  entgehen?  Endlich,  wie 

koaata  Jesus  in  seinem  Gebete  das  bevorstehende  Erelgnifs 

als  Erkennangsaeichen  seiner  göttlichen  Sendung  darsteU 

iea,  wenn  er' sich  bewuCst  war,  die   Wiederbelebnng  des 

Lasams  nicht  bewirkt,   sondern  nur  entdeckt   au  haben? 

Pflr  die  natürliche  Möglichkeit  eines  Wiederauflebens  des 

sehen  Begrabenen  wird  unsere  Unkenntnils  der  näheren  Um- 

stSnde  seines  rermeintlichen  Todes,  das  schnelle  Begraben 

bei  den  Juden,  hierauf  die  kühle  Gruft,  die  stark  duften« 

den  Specereien,  und  endlich  der  warme  Lufteug  angeführt, 

welcher  mit  der  Abwfilaung  des.  Steins  belebend  in  diamraft 

strömte.   Alle  diese  Umstünde  jedoeh  führen  niehl  über  den 

niedrigsten  Grad  der  Möglichkeit,   welcher  der  höchsten 

II* 


164  Zweiter  Absehniec. 

UnwahrschelnlicIikeU  gieioh  ist,  hinaus;  WMbtr  liatiD  die 
Oewibbeit,  mit  weleher  Jesoa  den  Brfolg  voraa«?erbün- 
digt ,  unvereinbar  bleiben  mufs  ^'). 

Eben  diese  bestimmten  Vorhersagen,  als  das  fladptbin- 
dernifs  einer  natttrlichen  ErklSmng  dieses  Abschnitts,  sind 
es  daher,  welche  man,  noch  vom  rationalistiscben  Stand- 
'pnnkt  ans,  durch  die  Annahme  su  beseitigen  suchte,  daf« 
«ie  nicht  von  Jesu  selbst  herrllhi'en ,  sondern  ex  eventn 
vom  Referenten  binangefügt  sein  mögen.  Paulos  selbst  fand 
wenigstens  das  i^x-Twlaw  avrov  (V.  11.)  gar  zu  Itestlamt, 
und  wagte  daher  die  Vermuthung,  dafs  der  ErcXhler  nack 
dem  Erfolge  ein  milderndes  Vielleicht,  das  Jesua  hinzage- 
setet  hatte,  weggelassen  habe  ^.  Diese  Auskimflfc  hat 
Gablch  in  erweiterte  Anwendung  gebracht«  Nicht  blob 
ttber  den  beseichneten  Ausspruch  theilt  er  die  PAULUs'scbe 
Vermuthung,  sondern  schon  V.4.  ist  er  geneigt,  das  vnifi 
%^g  do^ijg  TS  d'eö  nur  auf  Rechnung  des  Evangelisten  a« 
schreiben ;  elienso  V«  15.,  bei  dem  xalq(a  dC  vftag^  Hva  nicfi^ 
isrjcBj  Oll  ax  WV^  ^ttty  vermothet  er  eine  kleine,  von  Jo- 
hannes nach  dem  Erfohg  angebrachte  Verstfirkung;  endlich 
«uch  bei  den  Worten  der  Martha,  V.  22:  diXamatrh 
oida  K.  T.  h.  gibt  er  dem  Gedanken  an  einen  eigenen  Zu- 
aats  des  Berichterstatters  Raum'^).  Durch  diese  Wendsng 
bat  die  natürliche  Aoslegungsweise  selbst  sich  als  unfthig 
bekannt ,  ffir  sich  allein  mit  der  Johanneischen  Ersählang 


29)  Vgl«  auch  hierüber  vorzüglich  Flatt  und  Lücxs. 

50)  So  im  Gomme&tar,  4,  S.  537  \  im  L.  J.  1,  b,  S.  57 »  und  2, 
b,  S.  46.  wird  diese  Vermuthang  nicht  mehr  angewendet. 

51)  a.  a.  Q.  S.  272  ff.  Auch  Nsakdsr  zeigt  «ich  fUr  V.  4.  einer 
solchen  Vermuthung  nicht  abgeneigt,  S.  349.  Wie  Gabuck 
diese  Aeusierungen  nicht  von  Jesu,  sondern  nur  yon  Jo- 
hannes, so  glaubte  sie  Dibffskbach,  in  Bsrtholdt'8  Krit.  Jour- 
nal, 5 ,  S.  7  ff. ,  auch  nicht  v<on  Johannes  ableiten  zn  k'ön- 
nenr,  And' da* ^«f* das  übrige  EVangeHum  für  johanneisch  hielt, 
so  erMdete.  er  jene  Stelien  für  Interpolationen. 


) 


Neonles  Kapitel.    $.  )m.  165 

fiif  ligJt  fTtden.  Denn  weon  aie)  am  sieh  andenalbeD  gel- 
lend oMielien  m  lU^aneB^  mehrere,  gerade  dar  beseiehnend- 
Um  SteiJea  eeemersen   mufs ,  so  gesteht  ele  damit  eb^n, 
deb  die.  Kreghlung,  so   wie  sie  verliegt ,  eine  natttriiehe 
ilMit«0g  Hiebt. Mlifst.    Zwar  sind  die  Steilen,  deren  Un- 
fwtrigliehheit  mit  der  ratlonalistisohto  ErkUnuigsart  dnroh 
Aesaeheldnog  deniellien  eingestanden  wird,  sehr  sparsam 
gswSbit}  allei»  aus  der  obigen  üarstellnng  erbellt,  dab, 
imllte   aMn'<aUe  in  diesem  Absehnitt  verkommende  Zfige, 
ndeha  dsir  i^ttflrliohen  Ansicht  vom  gannen  Hergang  wi- 
^stMftihnii ,  md{  Rechnvnf  des  Evangelisten  sehreiben »  am 
Knde  mmt  nieht  gar  Alles ,   was  hier  verbandelt  wird  ,  ala 
spMsr»  Srdiehtnng  angesehen  werden  mllfste»    Hiemil^  ist, 
isas  M  den  früher  betraebteten  nwei  Berichten  von  Tod- 
Isnerweeliengea  wir  gethan  haben,  bei  der  letsiten  nml 
merkwürdigsten  Oeschiehte  dieser  Art  von  den  verschiede- 
nem nof  einander  gefolgten  Erklimngsversnohen  selbst  voll* 
aege«  worden,  nfimlieh  die  Sache  anf  die  Alternative  an 
irtibiiH»  dafs  man  von  der  evangelischen  Brnfihlnng  entwe* 
der  den  Hergang  als  ftbematürliehen  hinnehmen,  oder,  vrenn 
man  üin  ala  solchen   nnglanblich  findet,  den  historischen 
Chsfikter  der  Ersiblnug  liingoen  mols« 

Vm  in  diesem  Dilemma  für  alle  drei  hiehergehürige 

Braihhingen  eine  Eatseheidong  an  finden,  müssen  wir  anf 

dsn  e^entbündlchen  Charakter  derfenigen  Art  von  IVundem 

BirüekgelMn,  welche  wir  hier  vor  ans  haben.    Wir  sind 

Ms  Jetnt  durch  eine  Stufenleiter  des  Wnnderbaren  aufge* 

stiegen«    Zoerst  Uellnngon  von  OelsteslMranken ;  dann  von 

•llsn  Arten  leiblich  Kraiiber ,  deren  Organismus  aber  doch 

socb  nicht  bis  cum  Entweichen  des  Geistes  und  Lebena 

ssirüttet  war;  nunmehr  die  Wiederbelebung  solcher  Kör* 

per,  ans  welchen  das  iicben  bereits  geflohen  ist.    Dieser 

KÜSMX  des  Wunderbaren  ist  sogleich  eine  Stufenreihe  des 

(iodenkbaren.    Das  nümlioh  haben  wir  uns  awar  etwa  noch 

lorstellcn  können^  wie  eine  geistige  Störung,  bei  welcher 


166  Zweiter  Abtohaitc 

voo  den  kdrperilAheii  Organeo  nar  des  dem  GebCe  mMtiist 

nngrehörige  Nevrensystem  «ieh  angegriffen  v^le,  ämtk  tbeili 

auf  dem  geistigen  Wege  des  blorsen   WorSes,  Aabllcki, 

fSindmeln  Jfsn,  thells  dareh  magoetiscbe  BitmAknng  auf 

die  kraniLeji   Nerven,  gebeben  werden  asoehle]  aueh  die 

Heilung  r#n  Lahmangen,  Blvtflurs ,  4i«C  demselben  Wegs, 

fanden  wir  weder  an  sieb  undenkbar,  noeb  iriine  Beispiel; 

sweifelbafter  waren   wir  sehen  In'  Beaog  a»l  filiadenbel> 

Jungen;   bei  Aussitsigen,    WassersfiohtigeW,  kMMften  wir 

die  Seilong  ens  wenigstens  nieht  als  efi|p  plöorflehe  den- 

%ei^j  die   Iteiol^iehten  von   Heilungen  BntflMter  moAten 

ipvir  geradeau  abweisen.     Und  doch  war  hier  iumeir  noob 

etwas  vorbanden ,  woran  die  Wuoderkraft  Jesu  äoh  we»» 

tlen  konnte;   es  war  doch  noeb  ein  Bewnfatseiu  In  den 

Menschen ,  auf  welchee  Eindruck  an  machen ,  ein  Nerves« 

leben ,  welches  ancnregen  war.    Nun  aber  brt  Todteo  iil 

das   anders.    Der  Gestorbene,    welchem  Leben  und  Be- 

wofstsein  entflohen  ist,  hat  den  letttten  AnknApAingspankt 

für  die  Einwirkung  des  Wnnderthiters  verloren :  er  niant 

{ha  nicht  mehr  wahr,  bekommt  keinen  Eindmck  mehr  von 

tbm ;  da  ihm  selbst  die   Fähigkeit ,  Eindrücke  au  bekon» 

men ,  aufs  Nene  verliehen  werden  mufs«    Diese  alkf  m 

verleihen ,    oder    beieben   im   eigendiehen  Sinn,   ist  eise 

"schöpferische  Thfitigkelt ,  wefche  von  einem  Menschen  aui* 

gefibt  an  denken,  wir  unsere  Unfähigkeit  bekennen  onUieD« 

Doch  auch  innerhalb  unserer  drei  Todtenerweefcangs* 

gesohichten  selbst  findet  ein  unverkennbarer  lUimai  stsit, 

Mit  Recht  hat  schon  M^oolston  bemerkt,  es  sehe  ans,  wie 

wenn   von  diesen  drei  Erafihlungen-  Jede  au  der  voraoge* 

henden  an    Wunderbarem   hätte  hinaufligen  wollen,  was 

dieser  noch  fehlie^.    Die   Jalrustoohter   erweekt  Jesus 

noch  auf  dems^lien  Lager ,    auf  welchem  sie  so  eben  ver» 

schieden  wfuS    ^^d  nainitischen  JQnglIng  achon  im  Sargs 

12)  Vit/  5. 


noA  Mif  dMn  Wege  ^ur  Bgflpfttafig ;  den  Lasanu  endlicb 
MNsk  viertl^gfgeiii  Anfoodielt  im  4^  Orafu  War  es  in  Je- 
mm  ersten  fieicbiohte  nnr  4^mh  ein  Wort  angfpneigl,  daCi 
4ln  BUdehen  de«  untorirdhehen  Mfiehten  vei^aUen  gew^ 
mmz  ao  wurde  diele  in  der  nweiton  Gesobiebta  dnroh  den 
Ügy  dtJk  man  den  Jüngling  bereiJly  i^or  die  Stadt  binana 
M  (iffabe  getragen  habe^  aneb  Ar  die  Anaobaunng  anag^ 
prigt ;  nni.  entiebiedenaten  al^  ist  dfr  Ungst  {n  der  Gmft 
fwsehiosaene  fianama  ala  ein  bereits  der  Dntervrelt  angep 
IMgnr  geaebildert:  so  da(s»  wenn  die  Wirldiebkelt  dea 
Isdea  ins  eisten  Falle  benweifolt  werden  konnte,  diele 
W». snneitea  sebon  seliwerery  bei*in  dNtten  so  viel  wie 
BiMJglifili  ist  ^).  In  dieser  Abstnfnng  steigt  dann  aneb 
die  Snbwierigfcett,  die  drei  Begebenbeiten  sieb  deinbbar  sn 
i :  wenn  anders,  wo  die  Sa«be  selbst  undankbar  ist, 
f  ersebledeaen  Modificationen  derselben  eine  Stei« 
gsroBg  der  Dndenkbarkeit  stattfinden  kaom  Webern  nfta. 
fisb  eine  Todtenerwecknng  Qbarbanpt^  mSglleliy  ae  ttifste 
sie  wohl  aber  ndglieh  sein  b^i  einett  ee  ebent  erst  rw* 
sshMenen,  noeb  lebenswarmen  ladlTldnnm,  ala  «bei  einem 
erkaltetea,  das  sebon  au  Grabe  getragen  wird;  und  wio- 
dmm  bei  diesem  ober  als  bei  einem  soleben ,  an  welchem 
wegen  bereits  vlertftgigen  Aufenthalts  im  Grabe  der  An« 
Ikng  der  Verwetnog  ala  eingetreten  voraosgesetnt,  und  dab 
iieh  diene  Voraossitettng  beetfitjgt  habe,  wenigstens  nicht 
fsmeiot  wird. 

Doch  aneh  ai^gasebeft  von  dem  Wunderberotty  ist  von 
den  lietvaehtelen  tiesehiebten  immer  die  folgende  theils  isi- 
asriioh  nowabrsch^licber ,  tbeils  Xn&erlieh  nnrerbOigter 
als  die  Torbergehgyde.  Waa  die  innere  Unwahrseheinlieh* 
keit  lietriflb,  so  pnit  ein  Moment  derselben,  welobes  an 
aieh  swar  in  allen,  und  somit  auch  in  der  ersten,  liegt, 
doeh  bei  der  nweitei^  besonders  hervor«  Alslttotir,  warum 


53)  Basiaciuisiosai  l^robab.  S.  61. 


108  Zweil^^  Absoiiiiit^U    « 

iesuB  den  Jfingling  an  NMn  erweckte,  wird  Kler  dl»  Mit- 
leiden Ale*  «einet'  Mtottei*  Meeeiehnet  (V.  1S«>  4>mmt  iit 
nftoh  OtSHACBüN'  eihe  «Besfebtffig  dieser  Hatidkkng  «tf  den 
Erweekten  eeifttt  nieht  auigesehlessen.  Denn  der  Mensoh, 
hemerlkter,  *icann  als  bewafstes  Wesen  ^nit  Mofs  ak  Mittel 
behandelt  turefdbn ,  x^iA  es  hier  der  Fall  tFire,  wenn^  «aa 
die  "Prend^  tfer  Mact^f  als  alleinigen  Zweck  Jis«  bei  dw 
Aaferwechüng  des  J^n^lfngs  betrachten  wollte*^.  Hie» 
durch  halOiSRAusEK  adf  darnb^nswerthe  Weise  «dleSehwIe* 
rigkels  dieser  and  Jeder' TodtenerweclKang  nitfht  gehoben, 
sondern  In's  Lieht  gebellt.  Oönn  der  SchltffiSy  dtifs,  wat 
anstehe  oder^nach  gelUbterten  Begriffeta,  nlcbl^Haobc 
oder  sehieklieh  ist,  Tön*  den  £vangelisten  Jeeo  ntoht  eoge- 
achrieben  sehi  k5niie,  Ist  ein  darchaus  unerlatiblsr:  viel- 
mehr mäfste,  die  Reinheit  des  Charaliters  Jesu '  Voraasge- 
setzt,  wenn  Ihm  die  Evangelien  etwas  ünerlaobles  w* 
schreiben,  a«f  die  -  Unrichtigkeit  Ihrer  Enfthlnngen  ge- 
sehlMseoh  werden«  Dafs  nlin  Jesns  bei  seinen  Todtene^ 
weckvnge»  4aranf  Rttcksichi  genommen  bitte,  ob  dieselben 
den  flo  erweckenden  Personen,  vermöge  dee  Seelenanstsndi, 
in  welchem' sie  gestorben  waren,  mn  Gtfte  kommen  oder 
niekt^  davon  finden  wir  keine  Spar;  dafs,  wie  Olbhiussn 
annimibt,  bei  den  leiblich  Erweckten  aach  die  gektige  fir- 
wecknng  habe  eintreten  selleo  und  eingetreten  sei,  wird 
nirgends. gesagt)  überhaupt  treten  diele« firwecklen,  aaeh 
den  Lasaras  nicht  aasgenommen,  nach  ihrer  Brweekang 
dorchius ' jsavilol !  'We&rwe];M 'Woolsi^m  fragen  konnte, 
warum  doeh>  Jesus  gerade  diese  felnbe^otenrfen  Personen 
dem  Tode  entrissen  habe,  ond  nicht  einen  Tlufer  Johannes, 
oder  etnen  avidern  allgemein  nfitslichdtft*  Mann?  Wollte 
man  sagen ,  er  habe  es  als  den  Willen' ller  Vorsehung  er- 
kannt, darTs  diese  Mfinner,  einteaj  gestorben,  im  Tode  bite- 
ben: so  hAtie  er,  sebeint  es,  von  allen  ^nmal  43cstorbeneB 


54)  J,  S.  270  f. 


JNea»t*s  KaplteL    %.  96.  160 

X 

/ 

m  &&n1um  oiIIbmii,  «liil  e«  wird  in  letstvr  Betlehang  keloe 
«ädere  Antwort  übrig  Uelhen,  alt  diese:  well  man  ¥oa 
WrlhfliteD  MiiMiem  urkandlieh  wobte,  dafe  die  dnreh  Ui- 
rea  Tod  entstandene  LMiie  dnreh  kela  Wiederaoflebe» 
■mgefnllt  worden  war,  so  konnte  die  Sage,  was  sie  von 
Tsdteaerweeknngen  tm  evsXMen  Lnst  batte,  nicht  an  sei- 
ein  Mannen  knOpfen^  eondem  ninftte  »n  bekannte  Snbjeote 
wiblen,  bei  weiebe«  'Jene  Oentrole  weffieL ' 

b*  dieser  Anstofs  allen  drei  KrsMblnngen   geaeln, 

md  trüt  bei  der  nweiten  nnr  ^nes  soAllllgan  Aosdmoks 

wegen  siehtbarer  hervors    s»  ist  dagefindi^dritte  Ecnil^ 

lang  ToU   von  gans  elgeatkiuiMsbea*Seiiwisrigkeiten,  ii>* 

dm  das  ganse  Benehnen '  Jesn  nnd  «siMi  .Theil  nneb  da» 

fMgen  Personen  nlobt  wohl  cn  l»egnslfcn  ist    Wie  Jesna 

die   Naehrieht  ron  der  Krankhell  idns  Lankras  «nd  did 

dsrin  enthaltene  Bitte  der  Sebwestem,  nnsb  fietbanien  m 

kemnien  ,    erhflit ,    bleibt  er  noch  nwei  Tage  an  Ort  nnd 

BtsUe,  «od  setst  sich  ent,    naekdem  er  selnee  Todes  ge* 

üÜs  gewovden,  naeh  Jndda  fen.  Bewegung.    Wanim  diefsl 

Dsfr  es  niebt  gesebah,  well  er  etwia  die  Krankheit  filr  n»* 

geiUbliek  gehalten  bitte,  ist.  oben 'geneigt;  da  er  vielmebn 

den  Ted  des  Lannm  'V^ranssalu      Däft  es  nbenaowenlg 

Gleiefcgiltigkdt  gegen  diesen  war ,  wird  rok  BrsngellsteD 

(V.  5.)  nusdrOeklieb  bettni»kt.>   Was  also  sonst?    Lücu 

fwsntbet,  Jesna  sei  fieüeleht  eben  in  einer  besonders  fem 

itgneten  WMcsaKkelt  In  Perili  tM^IAhn  gewesen,  welehn 

«r  nai  des  Lansros  willen  nltht  sogMob  habe  abbreehen 

wollen,  indem  er*  f dr  i^flleht  gebaken  habe,  seineni  höhere» 

Bsrof  als  Lehrer  den  geringeren   als  hedender  Wunder« 

thXter  und  kelfeiider  Frenndi  nachmbetsen  «^y*    Allefai  ne» 

ten  dem,   daüs  er  hier  ganz  wohl  das  Eine  thon  nnd  das 

Andere  nicht  Isssen  konnte:  nämlich  entweder  einige  Jfin* 

ISer  aar  Fortsetsnng '  seloei^  Wtrksanikeir  fki'  Jeuer  Gegend 


S5)  Ccmm.  2y  8«  37^.    Ebensi)  Nsahiier;  S.  $49« 


179  vZwoicer  A;bi«hBiU. 


« 


gynoptf— tiea  Todtogüi  tfdkiMUcn  TorftotgetäiB«^  aehwer  be* 
gf^iflioh.  Die  JttiIeD  berafm  akh  aaf  db  Meilaog 'il« 
BUndgeböMiieii  (Job.  a),  wd  ndobaii  dan^Ualii,  dtff 
derjen^)  wdobev  dIeMm  onm  fltticbt  verfatdfen»  wohl 
auch  iai  Stttade  gew«en  •du  taififirte,  den  .T^dr.des  LaBi- 
rus  Bit  verhindern*  Wie  imrfellen  «ie.naf  dieses  hetero» 
gene-aed  baaiiraiteheiidB  BeUldel,  «raon  ihnen  doeb  le  ^ 
iNMdk  « Fodtenerwseekaligen  •  gleiehevilgere  Toriegeo ,  end 
eolebe^  ^eloha  eellist  nnnh  ffer  den  Faä.des  beveito  effolf* 
ten  CTodtos  HeflMng  bn- gehen .  geeignet  waren  {  Voraage- 
ganganU  fravan-  after  Jehe  {(aiflüieben  Todtenarweokangeo 
dieser  Jadäischen  in  jedem  V^wSk^  weüxJ^iie!  naeb*  dieier 
ifieht .  mehr  /liabh  6aU«a'  kaia;  aodi  v  honniens  jen#  Vo^ 
finga  in  ikr  flahptotad*  nicht  anbehaattt  geblieben  aein^O» 
anmeiaa  Ja  fSA  .beiden*  aaedHIeUieh  beifit,  daa  liiritoiit 
von  d^neeUien  halie  aidb  .erV  oAj^y*<ri^  9^  inelnpty  er  ohj  ttj 
*£Bd^Uf  f^cd  »i»^  haar]  tf\  neq^tiq^  Terbreiltt»  |)en  wirkli- 
oben  Jaden  also  füllten  diese  FAÜa  ntfheii;yßlagsii  i  da  der 
Viiaita  l&ramgaBit  sie  aaf  etwas  weniger^NahaU^gsndei  sieh 
beanfan'lifst^  sa  Jwladiwahridbeinliebi,  dals  er  von  jenen 
VorgingiAn  liiabta  gewaTstlhat;  dann  daJTs.  die  Berafong 
aar  ihaiy  nleht  den  «faden  splbet  angehört,  aelgt  eich  schon 
davin^  .^dalkier  sie  gerade  aaf  diejenige  Beilaag  sich  betia- 
hen itfst,  laaUh^  ar  näebstanvior  eraftUt  baikte« 

. .  Kill  «tarlier,  Aaetofs  liegt  anob  iq  dam  Gabata»  walchss 
V*  ^liw-JiBfUiiin  daa  Bland  gelegt,  wird«    Haobdamar  dem 


;..  -I.'.'.  ■>{ 


'41)  WieFfiifKDSit  bcbantitet t  L.  J.  Ohr.,  9.  ^4.  Seine  Einwen- 
dvng>i  da'ss'dor  vierte  EvangeMsl  ledenfalls  von  Todtenerwe- 
'€ku]igenr.9esuigc4ru8st  baben  müsse ,  wena  die  ia  Präge  tte* 
hende  EtxSUiluQg.  eine  unhittorj^che  Ueberbistung  derselben 
sein  s.olloy  —  erledigt  sich  durch  die  Bemerkung,  daM>  un 
eine  solche  zu  veranstalten,  schon  die  allgemeine  Hunde « 
^  Jesus  habe  such  Todte  erweckt,  hinreichend,  und  keinci- 
Wegs  die  Bekanntschaft  mit  einzelnen  Detailer züblongen  er 
forderlich  war,  auf  welche  er  hier  xurUckwoi&en  konott. 


Nevate«  Kupilel.    %  98.  173 

Viiter  fir  db  ErMrung  gedankt ,   aetac  er  hiiwo  ^    er   für 
akh  wiaee  woU,  dafa.  der  Vater  Um  jederaeil  erbtfre>  and 
amr  «aa  dee  Volkes  wiUen,  «ai  iluaCUaabeii  an  teiaegfttUi- 
elie  Seadimg  beianbringen  ^  eprecbe  er  dieten  beeonderea 
Duk  ane.   Zuerst  also  gili*  er  seiner  Rede  eine  Bealebnng 
aaf  6<»tty  Idnterber  aber  setat  er  diesa  Beeiehnng  an  einer 
aar  vaa  dea  Volks  wiUea  gemaehtefn  bemnter.    Uad  diefs 
BiAt  nur  so ,  wie  LOoaa  will ,   dafs  Jesas  für  sich  swar 
bloia  ailll  gebetet  haben  wirde,  nm  des  Volks  willen  aber  sein 
(Met  laut  spreebe  (denn  für  das  bfaiA  stille  Beten  liegt  in 
der  GewiGriielt  der  Erhdmng  kmn  Grund);  sondern  in  den 
Siane,  dals  er  flir  sich  dem  Vater  nlobt  Ar  einen  einaelnen . 
£rfolg9  wie  gieiobsaa»  fiberrasoht,  an  danken  branehoy  da 
er  der  Sawifarnng  im  Voraus  gewifii  sei,  also  Wunsch  und 
Disk  nnsammenfallen,  fiberhanpt  sein  Verhiltnifs  anm  Va- 
ter nicht  in  einseinen  Acten  der  Bitte ,  der  Erbürnng  und 
des  Dankes  sieh  bewege,  sondern  ein  bestftndiger  und  st»- 
tigsr  Auatansch  dieser  gegenseitigen  Functionen  sei,   ans 
Webens  an  und  für  sich  kein  dnaelner  Dankact  in  dieser 
IVsMO  sieh  aussondern   wfirde.    Wenn  nun  allerdings  tn 
Besag  auf  die  Aediirfnisse  des  Volks  und  aus  Sympathie 
mit  demseliien  in  Jesu  ein  solcher  einaelner  Act  bervorge- 
treCen  sein  kfinnte:    so  mfilste  doch,  wenn  in  dieser  Stel- 
Isng  Wahrheit  gewesen  sein  soll,  Jesus  gans  im  HitgefÜbl 
asf^angen  sein,   den  Standpunkt  des  Volks  sn  dem  sei* 
fligen  gemacht,  und  so  in  Jenem  Angen  blicke  doch  auch  aus 
eigenem  Trieb  lind  Ar  sich  selber  gebetet  haben  ^^.   Hier 
aber  iiat  er  kaum  su  beten  angefangen,  so  steigt  ihm  schon 
die  Reflexion  auf,  dafs  er  diefs  nioht  in  eigenem  Bedfirfnisse 
thne;   er  iietet  also  nicht  aus  lebendigem  GeAbl,  sondern 
ans  kalter  Accommodation :  und  dieis  mufie  bmu  anstölsig,  ja 


42)  Dieu  sock  gegen  ob  Wsns,  der  zwar  jene  Wendung  im 
Munde  Jesu  für  unpassend,  erkennt ,  sie  aber  doch  in  sei- 
ner Seele  wirklich  liegen  liisst. 


174  Zweiter  AbsobnAic. '- 

widrig  finden.  lo  keinom  Fiilie  darf,  wer  eiit  dteee  Wei* 
He  nor  aar  £rbaniiiig  Anderer  betet ,  ee  dieeen  sagen ,  et 
geschehe  nicht  von  seinem^  sondern  nur  von  ihrem  Stand* 
punlKt  aus ;  weil  ein  lautes  Gebet  auf  die  Uörer  nur  dann 
Kindruck  machen  kann,  wenn  sie  vorfinssetaen,  dab  der  Spre- 
chende mit  gmiaer  Seele  *  datmi  sei*  Wie  mochte  also  J^ 
ans  sein  angefangenes  Gebet  durch  diesen  Znsats  nnwirk* 
sam  machen?  Dringte  es  ihn,  vor  6ott  ein  Behenntniri 
des  wahren  Bestands  der  Sache  abenlegen>  io  konnte  er 
dier*  im  Stillen  tbnn;  daft  er  es  laut  aussprach  9  und  is 
Folge  dessen  auch  wir  es  hier  lesen ,  diefs-kdnnte  nur  auf 
die  spXtere  Christenheit,  auf  die  Leser  des  fivaageliaiu><, 
berechnet  gewesen  sein.  Während  nimlich  nur  Srweckani 
des  Glaubens  in  der  umaftehenden  Menge  erkUrlermaraen 
das  Dankgebet  ndthig  war:  konnte  der  fortgesohrittune 
Glaube,  wie  ihn  das  vierte  Evangelium  voraussetety  sich  an 
demselben  stofsen,  weil  es  aus  einem  au  untergeordneten, 
und  namentlich  an  wenig  stetigen  Verhfiltnib  dea  Sohai 
cum  Vater  hervorgegangen  sehelnen  konnte;  es  mufste  folg- 
lich jenes  Gebet,  das  für  die  gegenwKrtigen  Httrer  ndthig 
war,  fttr  die  spKteren  Leser  wieder  annulÜK,  oder  auf  den 
Werth  einer  bloüsen  Anbequemung  restringirt  werden. 
Diese  Rücksicht  aber  kann  unmöglich  schon  Jesus,  sondern 
nnr  ein  tpiter  leiwnder  Christ  gehabt  haben.  DisTt  hat 
schon  früher  ein  Kritiker  gefühlt,  und  daher  den  4S.  Vers 
als  unffohten  Znsata  von  späterer  Hand  aus  dem  Texte  wer- 
fen wollen  *3).  Da  jedoch  diefes  Urtheilvon  allen  änfeeren 
Grüriden  verlassen  ist,  so  müfete  man,  wenn  jene  Worte 
doch  nicht  von  Jesu  sein  können,  annehioen,  woau  Lücke 
früher  nicht  gana  nngeneigt  war  ^^),  der  Evangelist  iiabe 
Jesu  Jene  Worte  nur  geliehen,  um  die  in  V«  41.  vorange* 


43)  DiBFmniACH,  über  einige  wahrscheinliche  Interpolationen  ün 
Evangelium  Johannii,  In  BaiiTMOLiiT*t  krit  Journal,  5,  S.  8  (• 

44)  Comm.  x.  Joh.,  Ite  Aufl.,  2,  8.  MO. 


Neuntes  K-pitel.    f.  98.  175 

gungenen  cn  erl/Sutern*  Gane  gewlfii  haben'  wir  hter  Wor- 
te,  die  Jeen  Tom  Bvangeliaten  nnr  igeiieheD  sind:  aber, 
wenn  elnmai  diete,  wer  steht  uns  dann  aneh  liier  dafür, 
dab  es  nor  mit  diesen  sich  so  Terhfiit¥  in  einem  Evange* 
Kon,  in  w<dehem  wir  soboa  so  vieie  Reden  als  biofs  gelie- 
hene erkannt  haben  ,  im  Znsammenhang  einer  Erftählniig, 
weiobe  an  allen  Enden  hitotorishe  Undenkbarkeiten  hat, 
ist  die  Sehwierigkeit  eines  einaelnen  Verses  nieht  ein  Zei« 
ohen ,  dafs  er  nicht  snm  Uebrigen ,  sondern  in  Verbindang 
mit  dem  übrigen  davon,  dafs  das  Ganee  nicht  in  die  KlaF- 
le  bittorischer  Compositlonen  gehSrt  ^^). 

Was  ffir's  Andere  die  Abstufung  nwisehen  den  drei 
KrtXhlangen-in  Rtteksicht  auf  die  äofsere  Beglaubigung  l>e« 
trift,  so  hat  schon  Woolston  richtig  beobachtet,  wie  auf- 
falieod  es  sei ,  da(s  nur  die  Erwecknng  der  Jaimstochter, 
in  weleber  das  Wunderbare  am  wenigsten  hervortrete,  bei 
drei  ErangeÜaten  vorkomme;  die  beiden  andern  aber  Je 
nnrbei  Einem  ^^):  n^d  nwar,  indem  es  bei  der  Erwecknng 
dei  liSKsrns  noch  weit  weniger  begreiflich  ist,  wie  sie  bei 
den  flbrigen  fehlen  kann,  als  bei  der  Erweckung  des  naini- 
Hiehen  Jiinglings,  so  ist  auch  hier  ein  vollständiger  Kii- 
BIX  vorhanden* 

üaCe  die  suletut  genannte  Begebenheit  nur  allein  vom 
Verfaiter  des  Lukasevangeliums  frsShIt  ist;  dals  insbeson- 
i»e  Matthias  nnd  Markus  sie  nicht  neben  oder  statt  der 
KnXhlang  von  dem  erweckten  Mädchen  haben :  macht  in 
nehr  als  Einer  Hinsicht  Schwierigkeit  ^0-  Schon  ilbnr- 
baspt  als  Todtenerweckung)  sollte  man  glauben,  da  deren 
Mb  unsem  Berichten  nur  wenige  vorgekommen  waren, 
^  diese  von  auqeaeichneter  Beweiskraft  sind ,  es  mflfste 
die  Evangelisten  nicht  verdrossen  haben ,  neben  der  einen 

^)  So  a^ich  der  Verf.  der  Fl>obsbilien  S.  61. 

^)  Di»c.  5. 

^')  Vgl.  ScuutigRMAGHBH,  Übet  dcii  Lukas,  S.  lOS  ff. 


176  Zweiter  A-baohaitc. 

aooh  «loch  die  sweite  anfBooebmen;  da  es  ja  MatlhikM  fflr 
der  Mübe  werth  gehalten  ^bat,   «•  B«  von  Bliodenbeiinugea 
drrf  Proben  so  bertchteO)  welehe  doeh  weit   weniger  Ge- 
wicbt  batteO)  wo  er   also  weit  eher  mit  Einer  bitte  ab- 
fcommen,   und   statt  der  übrigen  nooh  eine  oder  die  aade^ 
re  Todtenerweckang  aufnehmen  iKöoneo.   GeeetEt  aber  auch, 
die  swei  erften  Evangelisten  wollten  aus  einem  nicht  mehr 
SU  ermittelnden  Grnode  nicht  weiter  als   Eine  Todtener* 
weckungsgesohichte  geben:  so  sollten  sie^   mofs  man  mei- 
nen., weit  eher  die  vom  Jfingling  au  Main,  sofern  sie  von 
derselben  wufsten,  ansgewAhlt  haben,  als  die  von  der  Jai* 
rustochter;  weil  jene,  wie  oben  ausgeführt,  eine  entschiede- 
nere und  auffallendere  Todtenerweekung  war*    Geben  sie 
dessen  ungeachtet  nur  die  letctere,  so  kann  von  der  andern 
wenigstens  Mattbfius  nichts  gewnfst  haben;  dem  Markui 
freilich  lag  sie  wahrscheinlich  im  Lukas  vor,  aber  er  war 
schon  3, 7.  oder 20  von  Lukas  6, 12,  (17.)  au  Matthiins  12,  15. 
Ilbersgeprnngen,  und  kehrt  erst  4, 35.  (21  ff«)  an  Lukas  8,  22. 
(16  ff.)  aurfick  ^^),  wo  er  dann  die  Erweckung  des  Jfinglings 
(Luc.  7, 11  ff)  bereits  hinter  sieh  hat.  Die  nunmehr  entstehen- 
de s weite  Frage:  wie  kann  die  Wiederbelebung  des  J0ng^ 
lings,  wenn  sie  wirklich  vorgegangen  war,  dem  Verfasser 
des  ersten  EvangeÜums  unbekannt  geblieben  sein  ?    hat, 
auch  abgesehen  von  dem  voraussetslich  apostolischen  Ur* 
Sprung  dieses  Evangeliums,   doeh  nicht  geringere  Schwie- 
rigkeiten als  die  vorige,     Waren  doch  aufser  dem  Volke 
auch  fiaO-i/ial  ixcnfol  dabei;  4w  Ort  Main  kann,  wie  Jose- 
phus   seine  Lage  im    Verhältnifs   sum  Thabor   bestimmt, 
nicht  fern  von  dem  gewöhnlichen  galUiischen  Schauplatse 
der  Tb&tigkeit  Jesu  gewesen  sein  *0 ;    endlich  verbreitete 
sich  Ja  das  GerQcht  von  dem  Ereignifs,  wie  natfirlich,  weit 


48)  Savkur,  Über  die  Quellen  des  Markus,  S.  66  ff. 

49)  vgl.  WiKKR,  bibl.  Realw.  d.  A, 


Nennlea  Kapitel    $.  98.  177 

umber  (V.  t?.)«    ScHieKiEiiMACHBB  meiAl,  die  nicblapostoli« 
celieo  Verfasser  der  ersten  Anfseiehnungea  aus  dem  Leben 
Jesu  haben  weniger  gewagt ,  die  vielbeselififUgten  Apostel 
HB  Notisen  ansogeben  y    sondern  mebr  die  Freunde  Jesu 
■wsitur  Ordnung  aufgesnebt,  und  bi^bei  beben  sie  sieb. 
Bstflrlieh  am  meisten  an  diejenigen  Orte  gewendet,  wo  sin 
ia»  reicbste  £mte  boffen  lionoten:   naob  Kapernanas  nnd 
Jerusalem;  was  sieb,  wie  die  in  Rede  stabende  Todtener« 
weeknog,  an  andern  Orten  sugetragen,  da»  bebe  niebt  so 
ieicbt  Gemeingut  werden  können«    AUein  diese  Vorstellung 
dsr  Saehe  ist  tbeils  an  subjeetiv,  indem  sie  die  erste  Vor* 
kreitnng  der  Kunde  ?on  Jesu  Tornebmsten  Tbaten,  wie 
wfitittr  die  NaeMese  eines  Papias,  dureb  Nachfrage  einsel- 
Bsr  Liel»baber  und  Anekdotensammler  gehen  Ififst ;   tbeilsy 
was  damit  susammenbängt ,  es  liegt  ?on  dergleichen  6e- 
seUebteo   die  irrige  Ansicht  aum  Grunde,   als  wären  sie 
so  den  Plitcen,  wo  sie  ?orgeg#ugen,  wie  träge  Klumpen 
m  Bodeo  gefallen »    desselben  Orts  als  todte  Sohätae  ver^ 
wdhrt,  vnd  nur  denen,  die  sieb  in  Ort  und  Stelle  bemab« 
tea,  Toi^eaeigt  worden :    statt  dafs  dieselben  vielmehr  von 
dem  Orte,  wo  sie  sieb  begeben  oder  gebildet  haben,  leben- 
dig anfBiegen,    allenthalben  umherschweifen,    und  nicht 
selten  das  Band,  das  sie   mit  dem  Ort  ihrer  Entstehung 
verknüpft,  gans  senreilsen,  wie  wir  an  unaähligen  wahren 
oder  erdichteten  Geschiob^en  täglieh  sehen,  welche  als  an 
den  vemchiedensten  Orten  vorgefallen  dargestellt  werden. 
Bat  sieb  einmal  ei^e  soiebe  Ercäblung  gebildet,  so  ist  sie 
die  Sobetans ;  die  angebliche  jLocalität  das  Accidens :  kei- 
neswegs, wie  ScHUtiXRMACBsa  es  wendet,  der  Ort  die  Sub- 
Staus  9   an   welche  die  Eraäblung   als  Accidens  gebunden 
wäre.    Läfst  es  sich   demnach  ni^ht  wohl  denken ,    wie 
«iiie  Begebenheit  dieser  Art,  wenn  sie  wirklich   vorgefal* 
Im  war,    anfser  der  allgemeinen.  Uberliefenyng  bleiben, 
und   daher  dem   Verfasser  des  ersten   Evangeliums  unbe- 
kannt sein  konnte:  so  ergibt  sich  aus  der  Thatsache,  dais 
Jku  Leben  Jem  Ite  Aufl.  iL  Band.  12 


178  Zweiter  Abschnitt. 

er  nichts  von  derselben   wel(s,  ein   Verdacht  gegen  ihr 
wirkliches  Vorgefallensein. 

Doch  mit  ungleich  schwererem  GFewichto  fkllt  dieser 
Zweifelsgmnd  auf  die  Erzfthlnng  des  Werten  ^Tvangeliams 
von  der  Anferweckuog  des   Lasarns.     Wufsten  die  Ver- 
fasser oder  Sammler  der  drei  ersten  Evangelien  von  die- 
ser: so  konnten  sie  ans  mehr  als  Einem  Grande  nicht  am- 
liin,  sie  in  ihre  {Schriften  aufsnnehmen.    Denn  erstlich  ist 
sie  unter  sfimmtlichen   von  Jeso    vollbrachten    Todtener' 
weckungen,  Ja   anter  seinen  sämmtlichen  Wandern  fiber- 
haopt|    wenn  nicht  das  wander  barste,  so  doch  dasjenige, 
in  welchem  das  Wanderbare  am  augenscheinlichsten  und 
ergreifendsten   hervortritt,   und  welches  daher,  wenn  es 
gelingt,  einen  von  seiner  historischen   Realität  so   fiber- 
seugen,  eine  vorattgiich  starke  Beweiskraft  hat^®);    web- 
wegen  die  Evangelisten,  sie  mochten  schon  eine  oder  Ewei 
andere  Todtenerwecknngen    ersählt    haben,    doch    nicht 
überflüssig  finden  konnten,- auch  diese  noch  hinsasufflgen« 
Zweitens  aber  gri£F  sie,    laut  der  johanneischen'  Dante!- 
lang ,    entscheidend   in   die   Entwickelang  des   Schickesls 
Jesu  ein,   indem  nach  11,  47 ff.   der  vermehrte  Zulauf  sa 
Jesu  und  das  grofse  Aufsehen,    welches  die   Wiederbele- 
bung des  JLasarns  herbelgeftthrt  hatte ,   das  Synedriom  so 
jener  Berathschlagnng  veranlafste,  bei  welcher  dar  blsdge 
Rath    des    Kaiphas   gegeben   wnrde    und     Eingang    fand« 
Diese  doppelte,  dogmatische  sowohl  als  pragmatische  Wich- 
tigkeit des  Ereignisses  mnfste  die  Synoptiker  nathigen,  es 
Bu  erefthlen,  wenn  sie  davon  wufsten.     Indefs  lUe' Theo- 
logen haben  allerlei  Gründe  ausfindig  gemacht,  warum  Jene 
Evangelisten,   auch  wenn  ihnen   die  Sache  bekannt  war, 
doch  nichts  von  derselben  sollen  haben  ersfiblen   mögen. 
Die  einen  waren   der  Meinting,'  cur  Zeit  der  Abfassang 
der  drei  «rsten  Evangelien*  sei  die  Geschichte   noeli  in  al- 


so) Man  erinnere  sich  der  bekannten  Aettsscrung  von  Spimoia. 


Neantes  Kapitel.    §.  98.  179 

ter  JHimdej   mitbin  ihre  Anfoelchnung  aberflUwig  gewe- 
sen ^^);  Andre  viMrmatheten  omgekehrt,  man  habe  das  wei- 
tere  Bekanntwerden  derselben  verb&ten  wollen,   om  dem 
nesh  lebenden  Lasams,  welcher  nach  Job»  12,  10.  wegen 
des  an  ihm  geschehenen  Wunders  von  den  jüdischen  Hie- 
rarehen  rerfolgt  wnrde,  oder  seiner  Familie,  keine  Gefahr 
BS  liereiten,  was  in  der  späteren  Zeit,   als  Johannes  sein 
Evangelium  schrieb,   nicht  mehr^  sn   befürchten  gewesen 
aei^«    Zwar  heben  sich  nun  diese  beiden  Gr finde  aufs 
SehUnste  gegenseitig  auf,  und  sind  auch  Jec^er  für  sich 
kaum  mier  ernsthaften   Widerlegung  werth:   doch  solleui 
treil  ähnliche  Ausflöchte  auch  sonst  noch   öfter  als  man 
glauben  ndchte,  angewendet  werden,  einige  Gegenbemer- 
kaagen  nicht  gespart  sein.    Die  Behauptung,  als  in  ihrem 
firaise  allgemein  bekannt  sei  die  Wiederbelebung  des  La- 
mms  von  den  Synoptikern   nicht   aufgezeichnet  worden^ 
beweist  su  viel ;  indem  auf  diese  Welse  gerade  die  Haupt« 
punkte  im  Leben  Jesu,  seine  Taufe  im  flordan,  sein  Tod 
und   seine  Auferstehung,     hätten    unbeschrieben   bleiben 
Es  dient  aber  eine  solche  Schrift,   die,  wie  un** 
Kvangelien,    in  einer  religiösen   Gemeinde  entsteht, 
keiaesiregs  blofs  dasu.    Unbekanntes  bekannt  su  machen, 
sondern  auch   das    bereits   Bekannte   festsubalten.    Gegen 
die  andere  Erklärung  ist  schon  von  Andern  bemerkt  wor- 
den, das  Bekanntwerden  dieser  Geschichte  «unter  Nioht- 
pallstinensern ,   fiSr  welche  Markus  und  Lukas  schrieben, 
habe  dem  Laearns  nichts  schaden  können;    aber  auch  der 
Verfasser  des  ersten  Evangeliums,  falls  er  in  und  fflr  Pa- 
listina geschrieben,  wQrde  wohl  schwerlich  aus  Röcksicht 
aaf  Lazarus,    welcher,    ohne  Zweifel   Christ  geworden, 
sollte  er  auch  im  unwahrscheinlichen  Falle  nur  Zeit  der 


51)  Whitüt,  Annpt.  z.  d.  St. 

52)  So  GmoTiDS,  Hsnoin;   auch  OtSRAVSin   bekennt   sich  vermu- 
thungsweise  lu  dieser  Ansicht,  2y  S.  256  f*  Anmerk. 

12  • 


ISO  Zweiter  Abschnitt, 

• 
AbfuMung  des  ersten  Evangelioms  noch  gelebt  haben,    so 

wenig  als  seine  Familie  sieh  weigern  durfte,  um  des  Na- 
mens Christi  willen  eu  leiden,  eine  Thatsache  ?ersehwie- 
ghn  haben ,  in  welcher  sich  dessen  Herrlichkeit  so  beson* 
ders  geoft'enbart  hatte.  Die  gefllhrlichste  Zeit  ftr  Laxams 
war  nach  Job.  12*  10.  die  gleich  nach  seiner  Wiederbe- 
lebung, und  schwerlich  itonnte  eine  so  spät  liommende 
Ersählung  diese  Gefahr  erhöhen  oder  erneoern ;  Oberhaupt 
mafste  in  der  Gegend  ?on  Bethanien  und  Jerosalem,  Ton 
woher  dem  Lamms  die  Gefahr  drohte,  der  Vorgang  so 
bekannt  sein  und  Im  Andenken  bleiben,  da(s  dorch  Aof- 
seichnung  desselben  nichts  cu  verderben  war'^^). 

Bleibt  es  also,  dafs  die  Synoptiker  von  der  Aofer- 
wecknng  dks  Lasaras,  von  welcher  sie  nichts  erslhleri, 
auch  nichts  gewnfst  haben  können:  so  entsteht  auch  hier 
die  «weite  Frage,  wie  diefs  Nichtwissen  mdglich  war? 
Die  mysteriöse  Antwort  Hasb's,  der  Gmnd  dieser  Auslas- 
sung -sei  in  den  gemeinsamen  Verhältnissen  verborgen,  on« 
t^r  weichen  die  Synoptiker  überhaupt  von  allen  frfiheren 
VorfkUen  in  Judfia  schweigen,  Ififst  wenigstens  dem  Aot- 
drocke  nach  ungewifs,  ob  damit  sn  Ungunsten  des  vierten 
EvangeUums  oder  der  Qbrigen  entschieden  sein  aoil»  Diese 


53)  ••  diese  ATgumente  zerstreut  bei  Paulus  und  Luckb  z.  d.  Abtcl&n. ; 
bei  Gabler  in  der  angef.  Abhandl.  S.  338  ff.  und  Hasb,  L.  J- 
$.  119.  —  Einen  neuen  Grund  9  warum  namentlich  Mattbäut 
von  der  Auferweckung  des  Lazarus' schweige 9  bat  Hbyobh- 
RBjtcM  (über  die  Unxulässigkeit  der  mythischen  Auffassung, 
2tes  Stück,  S.  42.)  ausgedacht.  Der  Evangelist  habe  sie 
übergangen  9  weil  sie  mit  einer  2artheit  und  Lebendigkeit 
des  Gefühls  dargestellt  und  behandelt  seinwoUe,  zu  welcher 
er  sich  nicht  fähig  gefühlt  habe.  Daher  habe  der  beschei- 
dene Mann  sich  lieber  gar  nicht  an  die  Geschichte  wagen 
wollen  y  als  sie  in  seiner  Erzählung  an  rührender  Kraft  und 
Erhabenheit  verlieren  lassen.  —  Welche  eitle  Bescheidenheit 
diess  gewesen  wäre! 


Kennte»  KapileL    $•  06.  181 

ZwaUewtigkeit  der  HASk'fchen   Antwort  hat  die  oeaeste 
Kritik  des  Matrhlosevaiigeliooie  in  ihrer  Weite  aufgehe« 
ben,    indem  sie  jene  gemeinsamen  Verhiltnisse  dahin  Im* 
titainite,  ,dafs  durch  die  Cnbekanntsohaft  mit  einer  Oe» 
Mhiclite,  die  einem  Äpostei  habe  bekannt  sein  mttssen,  die 
Synoptiker  sieh  slmmdich  als  Niehtapostel  beurkunden*^. 
Allein  dareb  diese  Vemiehtleistung  auf  den  apostolischen 
Onpmng  des  ersten  Evangeliums  wird  sein  und  der  an- 
dsm  Nlebtwissea  um  den  Vorgang  mit  Lanams   noch  kd« 
netwegs  erkllrlicb«     Denn   i»ei   der  Merkw&rdigkeit  des 
Erei^iasesi    da  es  femer  im  Mittelpunkte  des  jfldischen 
Landee   vorgefallen  war,    grofses  Anflehen  erregt  liatte, 
and  die  Apostel  als  Augenneugen  sngegen  gewesen  waren: 
iit  gar  nicht  einnuseheny  wie  es  nicht  in  die  allgemeine 
Dberüeferungi  und  aus  ihr  in  die  synoptischen  Evangelien 
bitte  iLommen  sollen.    Man  berief  sich  darauf,  dafs  diesen 
Efangellen  galilSische  Sagen,  d,  h.  mttndliche  Ersählungen 
aad  sehrifkliche   Anfsitne   der  galillisohen  Freunde    und 
Bsgleicer  Jesu ,  som  Grunde  liegen ;   diese  seien   bei  der 
Arferweckung  des  Laearus  nicht  sngegen  gewesen,    und 
haben  ne  also  nicht  in  ihre  Denkwürdigkeiten  aufgenom« 
■ea;  die  Verfasser  der  ersten  Evangelien  aber,  indem  sie 
sieb  streng  an  diese  gsliläischen  Nachrichten  hielten ,   ha« 
beo  die  Begebenheit  gleichfalls  flbergangen  ^).    Allein  so 
scharf  llTst  sich  die  Scheidewand  swischen  Galiläischem 
and  Jodftischem  nicht  sieben,   dafli  der  Ruf  eines  Ereig- 
nisses wie  die  Auferweckung  desLasarns  nicht  auch  nach 
GalÜIa  hätte  binflbertSnen  mflssen;    war  es  auch  nicht  in 
fioer  Fests^it  vorgefallen,  wo  (wie  «loh.  4,  45.)  viele  Ga« 
iilXer  Angensengen  sein  konnten,  so  waren  doch  die  Jün- 
ger, grdtsemtheils  Galiller,  dabei  (V.  16.)  9  nn^  mufsten, 
sobald  de  nach  Jean .  Auferstehung  wieder  nach  GaUltfa 


54)  ScmiCKSiKBUECBRy  Über  den  Urspr.  S.  10. 

53)  Qj^udi)  4.  «.  O.  S.  340  f.    Aehnlicb  Nsahosa,  S.  ^7. 


Kt 


Zweiler  Äbschoilt 


kamen,  die  Gesehiebto  ttberall^aoeh  to  dieser  Provint  aiu- 
breiten ;  oder  ?ielmebr  rnnfaten  sehen  vorher,  an  dem  lats- 
tto  von  Jesa  besoehten  Pasehafeste,  die  festbesnchenden 
Qaiiläer  die  stadtkundige  Begebenheit  erfahren  haben. 
Daher  findet  anch  LOcrk  diese  GABLSR*sobe  Erklfirong 
angenflgend;  wenn  er  aber  seinerseits  das  Räthsel.  darch 
die  Bemerkung  lösen  will,  dafs  die  urspr&ngiiehe  evaoge- 
lisehe  Überiiefernng,  weicher  die  Synoptiker  gefolgt  seien, 
die  Leidensgeschiohte  wenig  pragmatisch,  also  auch  ohne 
Rficksicht  auf  diese  Begebenheit ,  als  das  geheime  Motiv 
des''Alordbefehi8  gegen  Jesum,  dargestellt  habe,  und  erst 
der  in  die  innere  tieschiohte  des  Synedrinms  eingeweihte 
Johannes  im  Stande  gewesen  sei,  diese  Erglnanng  ao  ge- 
lten ^^) :  so  könnte  «war  hiemit  der  eine  Grund  entkräftet 
an  sein  scheinen,  der  die  Synoptiker  nöthigen  mufste,  jene 
Begebenheit  anfennehmen,  der  nämlich,  welcher  von  ihrer 
pragmatischen  Wichtigkeit  hergenommen  ist;  wenn  aber 
hinsogesetzt  wird,  als  Wunder  an  sich  und  ohne  jene  nä- 
heren Umstände  betrachtet,  habe  sie  sich  leicht  unter  den 
fibrigen  Wunderersählnngen  verlieren  können,  von  wel- 
chen wir  in  den  drei  ersten  Evangelien  eine  cum  Theil 
sufällige  Auswahl  haben:  so  erscheint  die  synoptische 
Wnnderauswahl  eben  nur  dann  als  eine  eufällige,  wenn 
man,  was  hier  erst  bewiesen  werden  soll,  schon  vorans- 
aetst,  dafs  die  johanneischen  Wunder  historisch  seien,  und 
ist  sie  nicht  bis  som  Verstandlosen  anfällig,  so  kann  üe 
ein  solches  Wunder  nicht  verloren  haben  ^0. 


56)  Comm.  z.  Joh.  2>  S.  402. 

57)  Vgl.  Ol  Wbttk  ,  exeg.  Handb. ,  1^  3,  S.  139.  Darf  ich  mich 
auch  auf  eine  erst  zu  druckende  ScLrift  beziehen,  so  werden 
wir  in  den  ScHLiiiRiiAcaiR^schcn  Vorlesungen  über  das  Le- 
ben Jesu  zur  Erklärung  des  fraglichen  Stillschweigens  dar- 
auf verwiesen  werden,  dass  die»  synoptischen  Evangelien 
überhaupt  das  Verhältniss  Jesu  zur  Betlianisclien  Familie 
ignoriren,  weil  vielleicht  die  Apostel  eine  vertraute  pcrsönU- 


fieonle«  KapiteL    §.98.  IS3 

Dieie  mhA  fihnliolie  Erwlgoogen  «lad  m  wohl  gewe- 
sen, welobe  eioen  ilev  neaesten  Sprecher  In  4er  StreiCsa« 
cbe  dee  ersten  Krangeliiui«  sa  einer  Rüge  der  Einaeidg« 
kflit  veraalaCsteD,  mit  welcher  man  die  obige  Frege  immer 
Rv  Bom  Neehtheil  der  Synoptiker  nnd  nementlieh  des 
Matthine  beantwortet  habe,  ohne  daran  na  denken,  dals 
ckeaso  nahe  eine  dem  vierten  ISvangelinm  gefkhrliche  Ant> 
irorr  li^e  ^|  nnd  anch  uns  schrecken  LOcki  s  Bannstrab- 
kn,  welcher  auch  in  der  neaen  Ausgabe  demjenigen,  der 
ans  i^m  Schweigen  der  Synoptiker  auf  Erdichtung  dieser 
Knfihiang  nnd  Cnichtbeit  des  Johanneischen  E?angeUuma 
lekliefst,    eine   Aluisie  eonder  Oleichsii    nnd  ginnlichen 


che  Verbindung  dieser  Art  nicht  in  die  allgemeine  Tradition 
baben  übergehen  lassen  wollen  ^  ans  welcher  jene  Evange- 
listen achtfpflen:  mit  dem  Verhältnisse  Jesu  eu  dieser  Fami- 
lie überhaupt  sei   nun  auch  dieses  einzelne  auf  sie  sich  bc^- 
liebende  Factum  unbekannt  geblieben.    Allein  was  sollte  die 
Apostel  zu  einem  solchen  ZurUokbalten  bewogen  haben  ?  aol- 
lea  wir  denn  an  geheime  y  oder  mit  VsnTDnnn  an  sarte  Ver- 
kudiingen  denken?   sollte  bei  Jesu  nicht  anch  ein  solches 
Fm atvcrhältniss  des  Erbaulichen  viel  gehabt  haben  ?  Wirk- 
Ikh  enthalten  ja  die  Frohen,   welche  uns  Johannes  und  Lu- 
ku  von  dem  Verhältnisse  Jesu   zu  der  bezeichneten  Familie 
geben ,    dessen  viel  j  und   aus   der  Erzählung  des  Letzteren 
von  dem  BesucI^Jesu  bei  Martha  und  Maria  sehen  wir  zu- 
gleich,  dass  auch  die  apostolische  Verkündigiuig  keineswegs 
abgeneigt  war,   etwas  von  jenem  VerhÜltnisse  sehen  zu  las- 
sen,   sofern   es  allgemeines  Interesse  gewähren  konnte.    In 
dieser  Hinsicht  ragte  nun  aber  die  Auferweckung  des  Laza- 
rus als  eminentes  Wunder  ohne  Vergleichung  weiter  als  je- 
ner Besuch  mit  seinem  hog  hi  '/^^   \jheT  das  Privatverhält« 
niss  Jesu   zur  Bethanischen   Familie  hinaus :   das   vorausge- 
setzte Streben,  dieses  geheim  zu  halten,   konnte  der  Ver- 
breitung  von  jener  nicht  in  den  Weg  treten. 

i)  Kann,  über  den  Ursprung  des  Evang.  Matth.    'flibing.  Zeit- 
schrift, 185'i,  2,  S.  110, 


184  Zweiter  Abschnitt. 

Mangel  an  Eiriafoht  in  das  Verhtltnlft  anti>er  Bvaogelien 
an  einander  (wie  es  nMniHcli  die  geistliehe  Sicherheit  der 
Theologen,  auch  durch  die  ann  Theil  treffenden  Winke 
der  ProliabilieD  nicht  aofgerdf telt ,  noch  immer  festhfilt) 
vorwirft,  nieht  In». sehr,  am  nns  von  der  bestimmten  Er- 
liilmng  snrllclK«ahalten,  dafs  wir  die  Erweetiangsgescbiobte 
des  Laannas  fSr  die  wie  innerlich  unwahrscheinliohste,  lo 
änfserlich  am  wenigsten  beglanbigte  ansehen ;  ohne  ans  dt« 
bei  die  Schwierigkeit  aa  vei^l»ergen ,  welche '  ein  solches 
Urtheil  ftlr  denjenigen  bat,  der  dem  vierten  Evangelisten 
ttbrigens  eine  genaaero  Renntnirs  der  Bethanischen  Ver- 
hältnisse Jesa  Kogesteht« 

Sind  auf  diese  Weise  alle  drei  evangelische  Todten« 
erweckangsgetchichten  durch  negative  Gründe   mehr  oder 
weniger  sweifelhaft  gemacht:    so  fehlt  jetzt  nur  noch  der 
positive  Nachweis,     dafs    leicht   auch    ohne   historieobeD 
Grund  die  Sage,   Jesus  habe  Todto  erweckt,    sich  bilden 
konnte.     Vom    Messias    wurde    bei    seiner  Ankunft  nach 
rabbinischen  ^')  wie  nach  N.  T.  Ilcheq  Stellen  (a.  B.  Joh. 
5,  28 f.   6,  40,  44.     1.  Kor.  15.    l.Thess.  4,  16.)  die  Auf- 
erweckung  der  Todten  erwartet.      Nun  war  al»er  die  na- 
QHaia  des  Messias  Jesus  in   der  Ansicht  der  ersten  Ge- 
meinde durch  seinen  Tod   in  swei  Stücke  gebrochen:  in 
seine  erste  vorbereitende  Anwesenheit,   welche  mit  eeioer 
menschlichen   Geburt   begann    und   mit  der   AnferstehoDg 
and  Himmelfahrt  schlofs,  und  in  die  aweite,   noch  ss  ^^ 
wartende,  Ankunft  in  den  Wolken  des  Himmels,   um  den 
alciv  fiikhav  wirklich  au  eröffnen.      Da  es  der  ersten  Pa- 
rusie  Jesu  an  der  von  einem  Messlas  erwarteten  Herrlich- 
keit gefehlt  hatte,  so  wurden  die  großartigen  Bethfitigon« 
gen  messianischer  Macht,   wie   namentlich  die  allgemeine 
Todtenerwecknng,  in  die  aweite,  noch  bevorstehende,  Pa- 
rosie  verlegt.    Doch  mulstc»  eum  Dnterpfande  für  das  so 


59)  BsRTHOLPTy  Chrifltol.  Jud.  §.  35« 


Neunte«  Kapitel.    S.  99.  185 


Emartondei  anoh  lehon  dorch  die  erste  Anwetenbeli 
Herrlichkeit  der  Bweitim  in  eiiiflelneQ  Proi>en  blndurehge* 
ubittAert,  Jerae  eeiDen  Beruf,  einet  alle  Todte  sn  erwe» 
fkmj  icbon  M  seiner  ersten  Aniiunft  dnrch  Erweckang 
Boipr  Todten  i»enrkondet  haben;    er  mnfstei    um  seine 
HtnltiiitXt  gefragt,   unter  den  Kriterien  derselben   auch 
iuy&Qoi  i^'siQonm  (Matth.  11,  5.)    haben  anilübren  und 
leineo  Apesteln  dieselbe  Vollmaeht  ertheilen  können  (Matth. 
10,  8.  TgL  A.  6.  9,  40.  20,  10.) ,   namentlich  aber  als  ge- 
nasM  Vorspiel  davon ,  dafs  einst  navtig  d  iv  töig  finj^tL 
w;  axioanau  rijg  qxav^g  avrs  xai  iimoQtvaavTat  (Job.  5, 
SSf.),  einesi  riüaoQixg  ij/nigag  ^Sfj  exorn  iv  rif  ftvi^ftelqt 
ifmi  iie/akji  das  d^vQO  e^w  ecgernfen  haben  (Job.  11,  17. 
tt.).   Fttr  die  Entstehung  detaillirter  Er«Ihlungen  ron  dn- 
ttlaen  Todtenerweokungen   lagen   flberdlefs  im  A.  T.  die 
geeigostrtsn  Vorbilder»     Die  Propheten  Ellas  (1.  Kön.  17, 
17  ff.)  and  Elisa  (2.K8n.  4,  18  ff)   hatten  Todte  erweckt, 
«ad  dtraaf  berufen  sich  Jüdische  Schriften   als   auf  ein 
Vorbild  der  niessianischen  Zeit  ^.     Objeet  ilirer  Todten- 
RWttksngen  war  l>ei  beiden  ein  Kind,  nur  ein  Knabe,  wie 
in  iti  den  Synoptikern  gemeinsamen  Era£hlong  ein  Mid- 
eben;  beide   erweckten   es,  wie  Jesus  die  Jairustochter, 
oocb  lof  dem  Bette ;    beide  so ,   dafs  sie  sich  allein  in  die 
Todtenkammer  l>egal»en,  wie  Jesus  dort  Alle  aufser  weni- 
gen Vertrauten   hinauswies ;    nur  braucht   wie   billig   der 
Meiiias  die  mflhsamen  Manipulationen  nicht  vorsnnehmen, 
doreh  welche  die  Propheten   eo  ihrem  Zwecke  an  gelan- 
gen soeben.    Elia  im  Besondern  erweckte  den  Sohn  einer 
Wittwe,  wie  Jesus  bu  Nein  that;  er  begegnete  der  Sare- 
pUniicben  Wittwe  (^ber  vor  dem  Tod  ihres  Sohnes)  am 
Thor,  wie  Jesus  mit  der  Mainitischen  (nach  ihres  Sohnes 
Tod)  unter  dem  Stadtthor  ansammentraf;   endlich  wird 
mit  denselben  Worten  beidemale  gemeldet,  wie  der  Wnn- 


60)  I.  die  Band  1^  S.  108   angeführte  Stelle  aus  Tanchuma. 


im  Zweiter  Abscboiitr. 

derthMter  den  Sohn  der  Mptter ,  surilekgegeben  babe  ^0. 
Selbst  ein  bereits  in*s  Urab  Gelegter,  wie  Lasams,  wurde 
durch  Elisa  erweckt  (2  Kön.  13,  31.) ,  nur  dals  damsli 
der  Prophet  lAngst  todt  war,  und  die  fierllhroBg  seiner 
Gebeine  den  sufällig  darauf  geworfenen  Leichnam  belebte; 
Bwisehen  den  snvor  angef<|hrten  A.  T.licben  Todtenerwe- 
ckungen  aber  und  der  des  Lasarus  besteht  darin  eine  Ahn« 
lichke^t,  dafs.  Jesus,  während  er  bei  den  bttden  andern 
geradeeu  gebietend  auftritt,  bei  dieser  an  Gott  betet,  wie 
Elisa  und  namentlich  Elia  gethan  hatte.  Während  nun 
Paulus  anch  auf  diese  A«  T«  lieben  Erzllilungen  seine  an 
den  erangelischen  rollsogeoe  natfirliche  Erklärung  ans* 
dehnt:  haben  weitersehende  Theologeh  längst  bemerkt, 
dafs  die  N.  T.  lieben  Todtenerweokungen  nichts  Anderes 
als  Mythen  seien,  entstanden  aus  der  Neigung  der.  ältesten 
Christengemeinde,  ihren  Messias  dem  Vorbilde  der  Pro- 
pheten und  dem  messlanischen  Ideale  gemäfs  nn  machen  ^. 


61)  1.  Hön.  17,  23.  LXX:  xa\  MSmntv  auzo  r?  ^^r^V  ovr?.  Luc.7,16: 
ncn  ^Stoxfv  auror  rij  /if/r^  ovth, 

62)  So  der  Verf.  der  Abhandlung  über  die  verschiedenen  Rück- 
sichten ,    in   welchen  der  Biograph  Jesu  arbeiten  kann ,  in 

•  Birtiioldt's  Ifrit.  Journ.yS,  S.  237  f*;  Kaissk,  bibU  Thcol.  1) 
S.  202.  ^  Eine  der  £rweckung  des  Jünglings  zu  Nain  auf- 
fallend ahnliche  Todtenerweckung  weiss  Philostratus  von  Bci- 
nem  Apollonius  zu  erzählen :  ^^Wie  es  nach  Lukas  ein  Jüng- 
ling ,   der  einzige  Sohn  einer  Wittwe ,  war ,   der   schon  vor 
die  Stadt  hinausgetragen  wurde :   so   ist  es    bei  Philostrstui 
ein  er^'achscncs  y   schon  dem  Bräutigam   verlobtes  Mädchen, 
dessen  Bahre  Apollonius  begegnet.    Der  Befehl,   die  Bahre 
niederzusetzen,  die  blosse  Berührung  und  wenige  ausgespro- 
chene Worte  reichen  hier  wie  dort  hin,   den  Todtcn  wieder 
zum  Leben  zu  bringen.^^     (Baub,    Apollonius  v.  Tyana   und 
Christus,  S.  145.)-     Ich  möchte  wissen ,    ob  vielleicht  PiULüt 

'  oder  wer  sonst  Lust  hätte ,    auch   diese   Erzählung  natürlich 
zu  erklären;    wenn  man    sie  aber,    wir  man  wohl  nicht  um- 

•  hin  kann  f   als  Nachbildung   der   ovauj^cU&chtn  fassen  inuss ' 


Meuotes  Kapitel.  $.99.  187 


■Seeanekdoten. 

Wie  flberhaapt,  wenigstens  nach  der  Darstellung  der 
drei  ersten  Evangelisten ,  die  Umgegend  des  galilfiischen 
See'i  flsoptschaupiatz  der  Thfitigkeit  Jesn  war :  so  steht 
aoeh  eine  ciemliche  Ansahl  seiner  Wunder  mit  dem  See 
io  «naittelbarer  Besiehang.  £ines  ?on  dieser  Gattung, 
der  des  Petrus  bescheerte  wunderbare  Fischeng,  hat  sich 
BUS  bereits  cur  Betrachtung  dargeboten ;  fibrig  sind  nun 
noeh  die  wunderbare  Stillung  des  Sturms,  der,  wfihrend 
Jeias  schlief,  auf  dem  See  entstanden  war,  bei  den  drei 
Synoptikern;  das  Wandeln  Jesu  auf  dem  See,  gleichfalls 
wihrend  eines  Sturms,  bei  Matthfius,  Markus  und  Johan- 
oes;  die  Zusammenfassung  der  meisten  dieser  Momente, 
weiche  der  Anhang  des  vierten  Evangeliums  in  die  Zeit 
Mch  der  Auferstehung  verlegt;  endlich  der  von  Petrus 
u  erangelnde  Stater  bei  Matthäus. 

Die  Buerst  genannte  Ersfihlong  (Matth.  8, 23  ff.  paralL) 

^  ons  ihrer  eigenen  Schlufsformel  sufolge  Jesum   als 

denjesigen  darstellen,    welchem  d  ave^oi  xat  tj  ^aXaaaa 

vTwxmvf,    £s  wird  also^  wenn  wir  den  bisherigen  Wun« 

derkiisax  verfolgen ,    hier  nicht  blofs  vorausgesetst,    dafs 

Jetoi  inf  den  menschlichen  Geist  und  lebendigen  Leib  psy-   * 

chologiich  -  a&agnetisch ,    oder  auf  den  vom  Geist  verlasse- 

n«n  menschlichen  Organismus  neu  belebend ,   auch   nicht  . 

Uofs,  wie  in  der  frfiher  erwogenen  Fischeugsgeschiohte, 

to  gehört  schon  eine  vorgefasste  Meinung  von  dem  Charak- 
ter der  N.  T.lichen  Bücher  dazu,  um  der  Gonsequenz  aua- 
EuweicheAy  das^  ebenso  die  in  ihnen  sich  findenden  Todten- 
erweckungen  nur  minder  absichtlich  entstandene  Nachbildun- 
gen jener  A.  T.lichen  seien  ^  welche  selbst  aus  dem  Glauben 
dos  Alterthums  an  die  den  Tod  bcz\^ingcnde  Kraft  gottge- 
licbtcr  Männer  (Hercules^  Acsculap),  und  naher  aus  den  jü- 
dischen Begriffen  von  einem  Propheten  abzuleiten  sind. 


188  Zweiler  Ab«ebnitt.     ^ 

dafs  er  auf  die  TcmanfÜoae  aber  lebendige  Natar:  son- 
dern, dab  er  selbst  auf  die  leblose  nnmlctelbar  bettin- 
mend  habe  einwirken  können.  Die  Mttgliehkelt  einer  An- 
knflpfnng  an  das  natfirllebe  Gesehehen  reifst  hier  entsehie- 
den  ab:  hier  spätestens  (sofern  bei  Todtenerweckongen 
Immer  noch  die  Annahme  eines  Seheintodes  an  sich  m5g- 
lieh  bleibt)  hdren  die  Wunder  in  dem  frflher  beseicbneteo 
Sinne  auf,  und  fangen  die  Mirakel  an.  Bietet  sich  dem- 
nach Bunichst  die  reinsnpranatnralistische  Ansicht,  so  bat 
Olshaüssn  richdg  gefohlt,  dafs  eine  solche  Gewalt  fiber 
die  ftnfsere  Nator  mit  der  Bestimmung  Jesu  für  die  Mensch- 
heit und  ihre  Erlösung  an  sich  nicht  eusammenhfinge ; 
wodurch  er  auf  den  Versuch  geffihrt  wurde,  das  NatB^ 
ereignits,  welchem  Jesus  hier  Einhalt  thut,  In  eine  Besie- 
hnng  Eur  Sflnde,  und  damit  eum  Berufe  Jesu,  sn  setsen. 
Die  Stürme  sind  Ihm  die  Krämpfe  und  Zuckungen  der 
Matur,  und  als  solche  Folgen  der  SOnde,  welche  in  ibrer 
furchtbaren  Wirksamkeit  auch  die  physische  Seite  des 
Daseins  zerrüttet  hat  ^).  Allein  nur  eine  Naturbeobach- 
tung,, welche  über  dem  Einzelnen  das  Allgemeine  yergifst) 
kann  Stürme,  Gewitter  n.  dgK  Erscheinungen,  die  im  Za- 
sammenhang  des  Ganzen  ihre  nothwendige  Stelle  nnd 
wohlth&tige  Wirkung  haben,  als  Übel  und  AbnormitSten 
betrachten ,  und  eine  Weltansicht ,  welche  im  Ernste  der 
Meinung  ist,  vor  nnd  ohnd  den  Sflndenfall  würde  es  keine 
Stürme  und  Gewitter,  wie  andererseits  keine  Giftpflansen 
and  reifsende  Thiere,  gegebeii  heben,  streift  —  man  weib 
nicht,  soll  man  sagen,  an  das  Schwärmerische  oder  an 
das  Kindische.  Wosu  aber,  wenn  sich  die  Sache  auf 
diese  Weise  nicht  fassen  läfst,  bei  Jesu  eine  solche  Haeht 
über  die  Natur?  Als  Mittel,  ihm  Glauben  zu  erwecken, 
war  sie  unznreic'hend  und  überflüssig;  denn  einzelne GlSu- 
bige  fand  Jesus  auch  ohne  diese  Art  von  Maohtbeweisen, 


J)  bihl.  Comm.  i,  S.  282  f. 


Neunte«  Kapitel«    $.  M.  ist 

■od  idlgemeliiM  Aaiiiy  y>r—li»ffigo  ihm  afaeh  Umm  iiühc 
Als  Bild   dar    HrsprflngliobMi   H«mdM&  diat  Mfimehan 
Iber  die  SnrMre  Natur,  an  deren  Wied^rerlangnng  er  be» 
•tiaait  ist,  kaao  aie  ebensewenig  betrachtet  werden;  denn 
der  Werth  dieeer  Herreehaft  besteht  eben  darin ,   dals  sie 
eine  Termittelte ,  dvreh  das  fortgeeetste  Naebdenken  npd 
die  rereinigte  Anstrengung  ron  Jahrhunderten  der  Natnr 
abgerungene 9   nicht  aber  eine  nnmittelbare ,    magische. ist, 
weiclie>iir  ein«  Wort  kostet    So  ist  in  Besag  auf  denjeni- 
gen Theil  der  Natur,  von  welchem  hier  die  Rede  ist ,  der 
f^onpafs,  das  Dampfschiff,  eine  nngleich  wahrere  Verwirk* 
Üehnng  der  Herrschaft  des  Menschen  Ober  dieselbe,  als 
die  Beschwichtigung  des  Meeres   durch  ein  blofses  Wort 
gewesen   wire«     Die  Sache  hat   aber  noch   eine  andere 
Seite,  indem  di^  Herrschaft  des  Menschen  Ober  die  Natnr 
nicht  blofs  eine  in  sie  eingreifende',    praktische,    sonderh 
aneb  eine  immanente  oder  theoretische  ist,  rermdge  wel- 
dber  der  Mensch,   anch  wo  er  Infserlich  der  Macht  des 
TOfimnntrs  unterliegt,  doch  innerlich  nicht  ron  derselben 
l>erieg|t  wird,  sondern  in  der  Überneugung,    dafs  die  Na* 
turgewslt  nur  das  Natfirliobe  an  ihm  bu  serstören  vermtf 
ge,  sieb  in  der  Selbstgewifsbeit  des  Geistes  Ober  den  mög^ 
lieben  Dntergang  seiner  Natflrlichkeit  emporhebt.     Diese 
geistige  Macht,  sagt  man,  bewies  Jesns,  indem  er  mitten 
im  Sturme  ruhig  schlief  ,^nd,  ron  den  nagenden  Jttngem 
an%eweekt,  ihnen   Muth   einsprach.     Da  Jedoch,   wenn 
Mnth  bewiesen  werden  soll,  wirkliche  Gefahr  rorhanden 
sein  mufs;  flir  Jesum  aber,  sofern  er  sich  als  die  nnmit* 
telbare  Madit  Ober  die  Natur  wofste,  eine  solche  gar  nicht 
Torhanden  war:  so  hätte  er  auch  von  dieser  theoretischen 
Macht  keine  wahre  Probe  hier  abgelegt. 

In  beiden  Hinsichten  hat  die  nat&rliche  Erklftmng  in 
der  evangelischen  Ersählnngnur  das  Denkbare  und  Wfln- 
scbenewertfae  Jesu  nugeschrieben  finden  wollen,  nämlich 
sinerseiU  verständige  Beobachtung  des  Gangs  der  Witte- 


190 


Zweiter  Abschnitt« 


•rong,  andererseita  hohen  Muth  bei  wirklicher  Gefahr  des 
Unterganges.  Das  inirtfi^  toTs^  dviitotg  soll  nur  in  einem 
Sprechen  aber  den  Sturm,  in  einigen  Ansmfnngen  fiber 
seine  UeftiglKeit,  das  Stillegebieten  in  der  auf  Beobachtung 
gewisser  Zeichen  gegrfindeten  Voraussage  bratanden  haben, 
dafs  der  Sturm  sich  nun  wohl  bald  legen  werde,  und  der 
Zuspruch  an  die  JOnger  soll ,  wie  Jener  beitannte  yon  Gl« 
sar,  nur  aus  dem  Vertrauen  hervorgegangen  sein,  dafs  ein 
Mann ,  auf  welchen  in  der  Weltgeschichte  gerechnet  lei, 
nicht  so  leicht  durch  Zufälle  aus  seiner  Bahn  heransge> 
worfen  werde.  Dafs  hierauf  die  im  Schiffe  Befindlioben 
die  Stillung  des  Sturms  als  Wirkung  der  Worte  Jesu  an- 
gesehen haben,  beweise  nichts ;  da  ja  Jesus  ihre  Deatong 
nirgends  billige  ^«  Doch  anch  mifsbtlligt  hat  er  sie  nicht, 
unerachtet  er  den  Eindruck  wohl  bemerken  mufste,  wel- 
chen von  der  beceichneten  Ansicht  aus  der  Erfolg  auf  die 
Leute  gemacht  hattet;  er  mfifste  also  absichtlich,  ivie 
Ventubini  wirklich  annimmt,  ihre  hohe  Meinung  von  sei- 
ner Wundermacht  nicht  haben  stören  wollen,  um  sie  desto 
fester  an  sich  bu  knflpfen.  Noch  ganz  abgesehen  hieven 
aber,  wie  sollte  die  natttrlichen  Vorseichen  von  dem  Ende 
des  Sturmes  Jesus ,  der  nie  einen  Beruf  auf  dem  See  ge- 
habt hatte,  besser  verstanden  haben,  als  ein  Petrus,  Mo' 
bus,  Johannes ,  welche  von  Jugend  an  auf  demselben  oln- 
heimisch  waren  ^)  ? 

Es  bleibt  also  dabei:  so,  wie  die  Evangelisten  uns  den 
Vorgang  ersfihlen,  mflssen  wir  in  demselben  ein  Wunder 
erkennen;  dieses  nun  aber  vom  exegetischen  BrgebniCs  sor 


2)  to  Paulus,  exeg.  Handb.,  1,  b,  S.  468  ü. ',  Vaxnmiin,  2^ 
S.  166  ff. ;  Kaissr,  bibl.  Thcol.  1,  S.  197.  Auch  Hasb^  §.  74, 
findet  diese  Ansicht  möglich. 

3)  Nkakdir,  L.  J.  Chr.,  S.  S63,  der  sich  übrigens  hier  nur 
schwach  der  natürlichen  Erklärung  erwehrt, 

4)  Hasi,  a.  a.  O. 


Neontes  Kapleel.    $.  99.  191 

wirklichen  Thatsache  iin  erheben,  fällt  nach  dem  oben 
Aosgefthrten  ftufserst  schwer;  woraus  gegen  den  hiatori- 
ichen  Charakter  der  Ersfiblnng  ein  Verdacht  erwftchst. 
Niher  Jedoch  läCit  sich,  den  Matthäus  snm  Grunde  gelegt, 
gegen  die  Ercählnng  bis  snr  Mitte  von  V.  2G.  nichts  ein- 
wenden;  sondern  Jesus  könnte  bei  seinen  öfteren  Fahrten 
aof  dem  galilftisehen  See  wirklieh  einmal  geschlafen  ha« 
fcen,  als  ein  Sturm  ausbrach;  die  Jfinger  könnten  ihn  mit 
Schreeken  erweckt,  er  aber  ruhig  und  gefafst  das:  tl&ei- 
Id  ecf,  ohyomgoi;  sn  ihnen  gesprochen  haben*  Was  dann 
weiter  folgt,  ^das  iuiTifi^  rrj  O^akdaarj,  welches  Markus 
wieder  mit  seiner  i>ekannten  Vorliebe  fOr  solche  Machtwor- 
te mit  den  angeblich  eigenen  Ausdrficken  Jesu  nach  grie- 
chiseher  Uebersetsung  (aroi^Ta,  ne^ifiwaol')  wiedergibt,  der 
Erfolg  und  der  Eindruck,  könnte  in  der  Wiedererefihlnng 
biozQgefDgt  worden  sein*  Dafs  ein  solches  iniTifiqv  rij 
^aliaar]  Jesu  angedichtet  werden  konnte,  daeu  lag,  auf^er 
der  Ansiebt  von  seiner  Person ,  die  Veranlassung  ober» 
dieb  im  A.  T*  Hier  wird  in  poetischen  Darstellungen  des 
Durchgangs  der  Israeliten  durch  daa  rothe  Meer  Jehova 
ab  derjenige  beseichnet,  welcher  imci^ajae  ttj  eQD&Q^  S'a- 
Uaari  (Ps*  106,  9.  LXX.  vgl*  Nahnm  1,  4.) ,  dafs  sie  eu- 
rlekweichen  sollte*,  Da  nun  das  Werkseug  dieser  Zurflck- 
weiiung  de8  reihen  Meers  Moses  gewesen  war  (2.  Mos. 
14,  16.  210 9  flo  ^Ag  es  nahe,  seinem  grofsen  Nachfolger, 
dem  Messias,  eine  fihnliche  Function  sususchreiben ,  -wie 
deon  wirlülch  nach  rabbinischen  Stellen  in  der  messianl- 
•eben  Zeit  ein  fthnliehes  Austrocknen  des  Meeres,  von 
Gott  —  ohne  Zweifel  durch  den  Messias  —  bewirkt,  er- 
wartet wurde,  wie  einst  Moses  eines  herbeigefflhrt  hat- 
te ^).  Dafs  Jesu  hier  statt  des  Austrockneos  nur  ein  StU- 
^  des  Meers  sugeschrieben  wird,  erklärt  sich,  wenn  man 
^  Sturm  und  die  dabei  von  Jesu  bewiesene  Fassung  hi- 


S)  s.  Band  1,  S.  107.  Anm. 


I9i  Zvpeiier  Ab«iih.jxi.et« 

slorisoh  ninmity  eben  ava  dem  Anknfliifan  dea  Hythiseheii 
B»  diese  gesohichtliohe  Gnindlage,  wo  ein  Austrockuso 
des  See*s,  da  sie  Ja  so  Schiffe,  waren ^  okbt  äa  der  Stelle 

gewesen  wire* 

Ifflflieriün  indefa  ist  es  ohne  sicheres  Beiqpieli   dab 
8uf  den  Stamai  einea   wlrkUchen  Vorfaila  ein  mythischer 
Zusatz  in  der  Art  gepfropft  worden  w2re»  dafs  jener  vol- 
iig   nnverSndert    hiieb.    Und  Ein  Zng  ist  schon  in  Jepeia 
bisher  ais  historisch  voransgesetalien  Stücke  y  welcher ,  nl- 
her  angesehen,    ebensowohl  in  der  Sage  gedichtet,   alt 
wirklich   so  vorgefallen   sein   kann.    Dafs  nftmiich  JesoB 
vor  dem  Ausbräche  des  Sturmes  eloschlief ,  .  und  auch  ais 
er  ausbrach,  nicht  sogleich  erwachte ,  daa  war  nicht  seine 
That ,   sondern  Zufall  ^ ;  eben   dieser  Zufall  aber  ist  Hj 
•   welcher  der  ganaen  Seene  erst  ihre  volle  Bedeutung  gibt; 
denn  der  im  Sturme  schlafende  Jesus  ist  durch  d^  Con- 
trast,  welcher  darin  liegt,  ein  nicht  minder  sinnvolles  BiU) 
als  der  nach   so  vielen  Stürmen   im  Sclilaf  an  der  heimi- 
schen Insel  landende  Odysseus.     Dafs  nun  Jesus  wirklieh 
bei'm  Ansbruch  eines  Sturmes  geschlafen,  kann  awar  foo 
Ungef Ahr  in  Einem  Falle  unter  nehn  geschehen  sein :  soch 
in   den  neun  Fällen  abev,    wo   es   nicht  geachehen  war, 
sondern  Jesus   nur  überhaupt  im  Sturme  gefafst  und  no- 
thig  sich  aeigte ,  würde ,  glaube  ich ,  die  Sage  ihres  Vor- 
theil  so  weit    verstanden   haben,    dafs   sie    den  Contrast 
der  Seelenruhe  Jesu   mit  dem  Toben  der  Elemeate,  wie 


6)  Nbaüdbr  verschiebt  die  Sache ,  wenn  er  Jeaum  ,,  mitten  un- 
ter dem  Toben  der  Stürme  und  Wellen  in  einen  Schlaf  ver- 
fallen lässt,  welcher  von  seiner  durch  keine  schrccliöndc 
Naturgcwalt  zu  st'drenden  Seelenruhe  zeugte^'  (S.  562- )•  ^^ 

kas   sagt  ausdrücklich    (V.   25.  )  5     nlForrtay    S'$  avTtar  aqvnvhm- 

Kai  xartß/j  )jaCXaxf>  x.  t.  i.  y  Und  auch  nach  der  Darstellung  der 
übrigen  ist  das  Einschlafen  Jesu  dem  Ausbruche  des  Sturme 
vorangehend  zu  denken,  st>nst  würden  die  zaghaften  Jünger 
ihn  nicht  geweckt,  sondern  gar  nicht  haben  einschlafen  lassen. 


k 


MeantM  Kapllel.    S*  99*  19S 

er  lieh  fdr  den  Gedanktfii  in  den  Worten  Jmb  «nadrfioktty 

10  fllr  die  Antehaaiiag  in  des  BIM  des  im  Sehiflb  (oder 

wie  Mwkos  nelt  0  9  *"'  einem  Kissen  ia  Hintortlieil  des 

Sdiifib)  sehieienden  Jfesas  nnsenunenfafste*    Wenn  so,  was 

hSioeA  Felle  rieUeieht  skh  wirklieh  ereignet  hei,  in 

MIO  Fillen  Ton   der  Sage  geidldet   werden  mnlsto:   so 

naii  Man  sieh  dooh  wohl  ?emflnftigerweise  anf  die  um 

(iigbore  Mögliehkeil  gefiifsl  oMehen,  dafii  wir  liier  einen 

dienr  neun ,  stett  Jenes  Biaea  Falles ,    ?or  «na  hItton  *)• 

Bliebe  anf  dieae  Weiae  als  historisehe  Gnmdiage  niehta 

nehr  Abrig,  als  dalk  Jasns  ia  Uegensatee  so  tebenden 

MeoKtwellen  den  Glanbeesaiuth  seiner  Jflnger  in  Anspruch 

geoosiaeo,  so  kann  er  diefs  swar  möglicherweise  einmal 

nitteo  in  einem  Seestnrme  gelhan  Imlien;   doeh  aller,   so 

pt  er  kildlieb  sagen  kennte:  wenn  ihr  Glanben  habt  nnr 

«uei 'Senfkorns  gro£s,   so  seid  ihr  im  Stande ,   sn  diesem 

Beije  an  spreehen:   hohe   dieh  weg  nnd  wirf  dieh  in*4 

Meer  (Biatth»  21,'  21O9  oder  an  diesem  Banme:  entwnrsle 

^■ad  pflnnne  dich  in  den  Meeresgrund  (Lne.  17,  6.)» 

"■Abddes  aalt  Erfolg  ixcu  vTtrjxwSkv  av  vfuvj  Lno.):    •o 

^■nte  er,  nicht  blofs  anf  der  See,  sondern  in  jeder  LagOf 

'Kh du  Bildes  bedienen,  data  demjenigen,   der  Glanlien 

^9  Wind  nnd  Wellen  anf  das  Wort  gehorsam  seien 

(m  xd  TcXs  awifiois  intituaau  xcä'Ttß  tidarf,  xal  vTiaatoHaw 

ttiT(^,  Loe.  )•    'Bringen  wir  nnn  noch  in  Reehnnng,   was 

mh  Olshausbn  beuMrkt,    nnd  ScHNicKaNBuaaKR    belegt 

^\  daTs  der  Kampf  des  Gottesreiehs  mit  der  Welt  in 

^  ersten  ehristliohen  2^it  gerne  mit  einer  Fahrt  durch 

eoen  stirmisehen  Oceau  Tergliehen  wurde:  so  sieht  man, 

^ie  leicht  die  Sage  dann  kommen  konnte ,  aus  der  Paral- 


7)  Vgl.  SAimiBA,  Über  die  Quellen  deo  Markuo,  S.  83. 

t)  Dieot    gegen    Tmoluck^s    Beschuldigung,     GUubwttrdigkeit , 

8.  110. 
9)  üeber  den  Ursprung  u.  s.  f.    S.  68  f. 
Dst  JMm  Je9U  3#e  Amß,  Fl.  Bmui.  13 


1Ü4  Zweiter  AbaebnitU 

lele  mit  Moses,  aas  Aeafserongeii  Jesu,  ond  aus  der  Vor- 
stelloDg  ?oo  ihm  als  demjenigen,  weleher  das  ScbiflSets 
des  Oottesretohs  dnreh  die  empörton  Wogen  des  xoa]uo^ 
sieber  hlBdarcbstenert ,  eine  solebe  Brilblung  sasammea« 
snsetBen.  Oder,  abgesehen  bievon,  die  Saehe  nur  allgs« 
mein  ?om  Begriff  eines  WnoderCbXters  ans  betrachtet,  fin» 
det  man  s.  B.  auch  einem  Pytbagoras  fthaliebe  Macht  Aber 
Storm  und  Unwetter  nngesebrieben  ^% 

Verwickelter  als  diese  erste  ist  die  andere  See  Anek- 
dote, welebe  dem  Lukas  fehlt,  dagegen  aber  neben  Matth. 
14,  SS  ff.  und  Marc.  6,  45  ff.  sieb  auch  bei  Johannes,  d, 
16  ff.,  findet,  wo  der  Stnrm  die  In  der  Naeht  allein  schif- 
fenden Jfinger  fiberftllt,  und  sofort  Jesus,  Aber  den  See 
daherwandelnd,  su  ihrer  Rettung  erscheint«  Wxhrend 
auch  hier  mit  Jesu  Eintritt  In  das  Schiff  wunderbsrer 
Weise  der  Sturm  sich  legt,  bildet  doch  den  eigentlichen 
Knoten  dei^  Erslhlnng  diefs,  dafs  in  derselben  der  Leib 
Jesu  von  einem  üesetse,  welches  sonst  ausnahmslos  alle 
menschlichen  Leiber  in  seinen  Banden  hMit,  ron  den  Ge« 
aeti  der  Schwere ,  so  sehr  ausgenommen  erscheint ,  dsfi 
er  im  Wasser  nicht  nur  nicht  unter ,  sondern  selbst  niebt 
einsinkt,  rielmehr  Aber  die  Wellen  wie  Aber  festen  Boden 
eich  emporhAlt  Da  mfifste  man  sich  den  Leib  Jesn  In 
irgend  einer  Art  als  einen  Itherischen  Scheinktfrper  den- 
ken, wie  die  Doketen  thaten;  eine  Vorstellung,  welehe* 
wie  von  den  RircbenrXtern  als  eine  irreligiöse,  so  ron  oni 
als  eine  abenteuerliche  uurilckgewiesen  werden  mnfik 
Zwar  sagt  Olshausxn,  an  einer  höheren  lielblicbkeit ,  ge- 
sehwlngert  mit  Krifien  einer  höheren  Welt,  dOrfe  eine 


10)  Nach  Jamblich.  vita  Pyth.  135,    ed.  HiittuKS,    wurdea  Ton 

Fythagoras  enMhlt    avi/itar    ßtaUav   ;)fcr2a(i5v    r«    /vtr^oig    na^avrtxa 
woTtvyrfltii  9NU  MVfiartay  nora/diav   rt  »ai  Salcuaiiar  an^vStaa/idi  AfK 
,  «v/Me?  TWK  ha:^un-  Swißatuv.     Vgl.    Porphyr.   ▼.    F.    29.   den. 
Ausg. 


Neontes  Kapitel.    S*  99*  lOS 

solche  Erflcheinong  nioht  befiremden  *^) :  doch  das  sind 
Worte )  mit  welehen  sieh  liein  beatianater  Gedanke  ver- 
bindet Weon  man  die  den  Leib  verklärende  ond  vollem 
deode  TliXtigkeit  des  Geiitea  Jeen,  atatt  sie  als  eine  solche 
n  fsseen,  welehe  seinen  Leib  den  psychlseben  Gesetsen 
der  Lost  und  Sinnlichkeit  immer  voUatlndlger  entnahm^ 
fielaehr  so  versteht,  dafs  derselbe  durch  sie  den  physi*» 
lehoD  Geseteen  der  Schwere  entholien  worden  sei:  so  ist 
dieb  ein  Materialismns,  von  welchem,  wie  oben,  schwer 
so  entscheiden  ist,  ob  man  ihn  mehr  phantastisoh  nennen 
mU  oder  kindisch.  Ein  Jesns,  der  im  Wasser  nicht  eiiH 
iloke,  wäre  ein  Gespenst,  und  die  Jänger  in  nnserer  Ei^ 
siUang  bitten  ihn  nicht  mit  Unrecht  dafUlr  gehalten. 
kmth  daran  mflssen  wir  uns  erinnern,  dafs  bei  seiner 
Tanfe  im  Jordan  Jesns  diese  Eigenschaft  nicht  neigte, 
Mndero  ordentlich  wie  ein*  anderer  Mensch  nntertanchtc 
Iktte  er  nnn  aach  damals  schon  die  Ffthigkeit,  sich  fiber 
der  Wasserfläche  so  halten ,  nnd  wollte  sie  nnr  nicht  ge- 
bftsehen?  nnd  war  es  also  ein  Act  seines  Willens,  sich 
tehwsr  oder  leicht  an  machen!  oder  aber,  wie  Olshausbn 
fieUncht  sagen  würde,  war  er  nur  Zeit  seiner  Taufe  im 
ProeeCr  der  Läuterung  seines  Körpers  noch  nicht  so  weit 
getaassen,  dafs  ihn  das  Wasser  frei  getragen  hätte,  son- 
dem  so  weit  brachte  er  es  erst  später? —  Fragen,  welche 
Olshaüssn  mit  Recht  absurd  nennt,  sofern  sie  einen  Blick 
in  den  Abgrund  von  Ungereimtheiten  eröffnen ,  in  welche 
man  sich  bei  der  supranaturalistischen  und  insbesondere 
bei  seiner  Deutung  dieser  Erzählung  verwickelt. 

Sie  SU  vermeiden,  hat  die  natjQrliche  Erklärung  man- 
cherlei Wendungen  genommen.  Am  kfihnsten  hat  Paulus 
geradezu  behauptet,  es  stehe  gar  nicht  im  Texte,  dals  Je- 
sus aof  dem  Meere  gegangen;  das  Wunder  in  dieser  Stelle 
id  lediglich  ein  philologisches,  indem  das  ruQmmüv  ini 


11)  a.  a.  0<    8.  481. 

13 


\ 


196  Zw'eiter  Abschnitt. 

%TJg  d'alaaaijg  nar,  wie  2.  Mos.  14,  2.  du«  gQoromdeü^iv 
ini  tfjg  S'aJijttaür^s  ein  Lagern,  so  ein  Wendein  Aber  dem 
Meere y  d*  h.  am  erliabenen  Dfer  desselben ,  bedeute  ^^. 
Der  Bedentang  der  eincelnen  Worte  nach  ist  diese  Brkll* 
rang  mögileh:  ihre  wirkliche  AnwendbArkeit  aber  mab 
sich  erst  aas  dem  Zasammenbang  ergeben.  Dieser  nun 
lllst  die  Jünger  25  -  30  Stadien  weit  gefahren  sein  C>IohOi 
oder  mitten  im  See  sich  befinden  (Matth.  u.  Mark.),  and 
nun  heifst  es,  Jesns  sei  anf  sie  eu«,  und  ewar  so  nalie, 
dafs  er  mit  ihnen  sprechen  konnte,  an  das  Schiff  heran- 
gekommen ,  TiSQiTtarwy  ini  xijs  d-aliaaTjg  — :  wie  konnte 
er  dfefs,  wenn  er  am  Ufer  bÜeb?  Dieser  Instane  ansBia* 
weichen,  yermatbet  Paulus,  die  Jünger  seien  in  der  a£llr- 
mlschen  Nacht  wohl  nnr  am  Ufer  hingefahren;  was  dem 
iv  fiiatfl  T^  d-aXaaarjgy  wenn  es  aach  allerdings  nicht  ma* 
thematisch  genan,  sondern  nach  popnllrer  Redeweise  sa 
nehmen  ist,  an  entschieden  widerspricht,  am  In  weitere 
Rücksicht  kommen  sn  können.  Tödtlioh  aber  verletat  sieh 
diese  Aafl(assongsweise  an  der  Stelle,  wo  Mattbftos  aach 
Ton  Petras  sagt,  dafs  er  xccraßag  dno  rä  nXöis  neQi&iatij- 
aev  ini  za  vdctta  i\.  29.);  was,  da  anmittelbar  daraaf 
¥on  xoaaTtoni^ea&di  die  Reder  ist,  doch  wohl  kein  Wan- 
deln am  Dfer  sein  kann,  und  wenn  dieses  nicht,  dann 
anch  nicht  das  wesentlieh  ebenso  beselchnete  Wandeln 
Jesa  "). 

Aber,  wenn  Petras  bei  seinem  neQiTiateiv  tni  %a 
vdceta  an  sinken  anfing:  kannte  da  nicht  bei  ihm  sowohl 
als  bei  Jesns  an  ein  Schwimmen  anf  dem  See  oder  an  ein 
Waten   dnrch  seine  Untiefen  nn  denken  sein?    Beide  An- 


12)  Paulus,  Memorabilien ,   6.  StUck,  No.  V.;  exeg.  Handb.  2^ 
S.  238  S. 

13)  Gegen  die  h'öchtt  gewaltsame  Auskunft »  welche  hier   Pacuts 
getrofFen,  s.  Storr,  Opusc.  acad.  3>  p.  288. 


MeonUs  KaplieL    S*  W.  19T 

tiehton  tind  wirklMi  aafgetteUt  worden  ^^^  Allein  das 
Waten  allfste  dnreh  TteQiTiccteip  dia  xijg  &aldaarfi  ausge- 
dHlekt,  nm  daa  Schwimmen  nn  beseiehnen  aber  doeh  ir* 
päd  einmal  in  den  jiarailelen  Stellen  der  meigentliebe 
Amdrock  mit  dem  eigentlieben  Tertanseht  eein;  abgeseben 
diTon  ,  dafs  25  —  30  Stadien  im  Sturme  cn  eehwimoMn^ 
oder  bis  gegen  die  Mitte  des  gewifs  nicht  so  weit  hinein 
•eichtea  See's  nn  waten ,  beides  gleich  anmögliob  aein 
nnbte,  ferner  ein  Schwimmender  nicht  leicht  filr  ein  Ge* 
•peost  gehalten  werden  konnte,  nnd  endlich  die  Bitte  des 
Petrua  um  besondere  Erlanbnifs,  es  Jesn  nachanthnn,  und 
daft  er  wegen  Mangels  an  Glauben  es  nicht  Tcrmochte^ 
•uf  etwas  Ubematarliches  hinweist  *^). 

Das  RXsonnement,    worauf  auch  hier  die  natfirliche 
iatlegungsweise  beruht,  hat  bei  dieser  Gelegenheit  Paulus 
io  einer  Weise  ausgesprochen,  an  welcher  der  cum  Grunde 
liegende  Irrtbnm   besonders  glficklich  in  die  Augen  ftllt 
Die  Frage,   sagt  er^   bleibe  in  solchen  FcUen  immer  diCi 
•b  dSe  Möglichkeit  eines  nicht  gans  genauen  Ausdrucks 
TOS  Seiten  der  Schriftsteller,   oder  eine  Abweichung  vom 
Sttsrlanf  das   Wahrscheinlichere  sei!     Man   sieht,    wie 
faiieh  das  Dilemma  gestellt  ist;  da  es  vielmehr  nur  beUben 
lolfte,  ob  es  wahrscheinlicher  sei,  dafs  der  Verfasser  sich 
■ogenaa  (yielmelv^  Wl^^^nnig)  ausgedrfickt,  oder  dafs  er 
eine  Abweichung   vom  Natnrlauf  habe  erzAhlen   wollen; 
d^nn  nnr  von  dem,    was  er  geben  will,   ist  ennftchst  die 
Rede:  was  wirklich  cum  Grunde  gelegen,  das  ist,  selbst 
nseh  dem  immerwfthrenden  PAüLCS'schen  Reden  von  Un- 
terscheidung des  Crtheils  vom  Factum,   eine  gans  andere 
Frage.    Daraus,  dafs  unserer  Ansicht  snfolge  ein^  Abwei* 
ehnng  vom  Naturlaufe  nicbt  vorgekommen  sein  kann,  folgt 


U)  Jene  von  Boltkn  j  Bericht  des   MaHhli^s  s.  d.  St. ;   diese  in 

HsKXB^t  neuem  Magazin,  6,  2,  S.  327  ff, 
iS)  Tgi«  Pavlvs  und  FaiTieaGHS^  i»  d.  St«  ^ 


19S  Zweiter  Absobnitt. 

keineswegs,  dafs  ein  Krsfthler  aas  der  christlichen  Ursett 
eine  solche  nicht  annehmen  and  berichten  Iionnte  ^^):  um 
also  das  Wauderbare  aus  dem  Wege  za  rftnmen,  dürfen 
wir  es  nicht  aas  dem  Bericht  hinaus  erklären ,  sondern 
das  mfissen  wir  versuchen,  ob  nicht  der  Bericht  selbst 
ganz  oder  anm  Theil'  ans  dem  Kreise  des  GesohichtUcliea 
auszaschliefsen  ist.  Und  in  dieser  Hinsicht  hat  nun  so- 
TÖrderst  Jede  unserer  drei  Relationen  eigenthfimliche  Zfige, 
die  in  historischer  Hinsicht  verdächtig  sind. 

Am  auffallendsten  sticht  ein  solcher  Zug  bei  Markus 
bervori  wenn  er  V.  48.  von  Jesa  sagt,  er  sei  auf  dem 
Meer  gegen  die  Jfioger  dahergekommen ,  xai  ^O-eJie  nuQeX' 
d-tXv  autHj^y  nur  ihr  angstvolles  Rufen  habe  ihn  vermoclit, 
von  ihnen  Notis  an  nehmen.  Mit  Recht  deutet  FaiTZscuB 
diese  Stelle  so,  dafs  Markus  dadurch  anaeigen  wolle,  Je- 
sus hai>e  im  Sinne  gehabt,  durch  göttliche  Kraft  unter* 
stfitst,  fiber  den  gansen  See,  wie  über  festen  Boden,  iiin* 
dbersugehen.  Aber  mit  eben  so  vielem  Rechte  fragt  Pau- 
lus: hätte  etwas  aweckloser,  abenteuerlicher  sein  können, 
als  ein  so  seltsames  Wunder  bu  thun,  ohne  dafs  es  gese- 
hen werden  sollte?  l^ur  dafs  man  defswegen  nicht  mit 
diesem  Ausleger  den  Worten  des  Markus  den  natärÜchen 
Sinn  geben  darf,  als  hätte  Jesus  die  in  der  Mähe  des 
Ufers  Schiffenden  su  Lande  vorübergehen  wollen;  somal 
die  wnnderhafte  Deutung  der  Stelle  dem  Geiste  unseres 
Schriftstellers  vollkommen  angemessen  ist.  Nicht  sufrie- 
den  mit  der  Darstellung  seines  Gewährsmanns,  dats  Jeaas 
mit  besonderer  Röcksicht  auf  die  Jünger  diePsmal  einen 
so  anfserordentlichen  Weg  gemacht  habe,  gibt  er  darcli 
jenen  Zusats  der  Sache  die  Wendung,  als  wäre  Jesu  ein 
solches  Gehen  auf  dem  Wasser  so  natürlich  und  gewöhn- 
lich gewesen,  dafs  er  auch  ohne  Rücksicht  auf  die  Jünger, 
wo  ihm  ein  Wasser  im  Wege  iag,  seine  Strafse  über  das- 


16)  9.  die  trefiFlicbe  Stelle  bei  FaiTZScaa,  Conmi.  in  Mstth.  p.  505 


•tlka  ie  nnlMdMiUieli,  wie  iber  Cittet  liand,  nahni.  Duft 
iMo  eio  solehet  Geben  hei  Jeea  habiUiell  geweeen,  dieft 
wAriie  am  etechledeailen  eine  OLBHAimiii'eehe  Lelbeever- 
Uinng,  Milbin  des  Undenkbeve,  rereneeeiaen;  wodnroh 
inb  dieeer  Zag  ale  einer  der  stifarkaten  ?on  jenen  in  er- 
ieooen  gibt,  dnreb  weiebe  des  nweite  Kyengettan  alob 
hm  und  wieder  der  epokrypbiaeben  Übertreibnog  nip 
Inrt'O- 

Auf  andere  Welse  findet  sich  bei  HatthXna  da«  Wun- 
derbare des  Vorgangs,  nicht  sowohl  gesteigert^  als  venriel» 
lUtigt,  indem  er  anfser  Jean  auch  den  Petrus  einen,  wie- 
wohl niebt  gane  gut  abgelaufenen ,  Versuch  im  Gehen  auf 
den  Meere  machen  llfst    Diesen  Zug  maeht  anfser  dem 
StiUsohvreigen  der  beiden  Correferenten  anch  seine  eigene 
Katar  ererdSebtig.     Anf  das  Wort  Jesu  bin  und  durch 
leinen  anfknglichen  Glaulien  vermag  Petrus  wirklieh  eine 
Zdt  fang  auf  dem  Wasser  su  gehen ,  und  erst  als  Furcht 
ind  Kleinglftnbigkeit  ihn  ergreift,   fingt  er  nnternnainken 
ui.   Was  sollen  wir  nun  hieron  denken  ?    Vermochte  Je- 
ns nittelst  eines   Ferklftrten  Leibes  auf  dem  Wasser  nn  f 
gehen:  wie  konnte  er  dem  Petrus,  der  eines  solchen  Ktfr-  ^ 
jien  neb  nicht  erfreute,  ansprechen,  ein  Gleiches  bu  thnn? 
oder  wenn  er  durch  ein  blofses  Wort  den  Leib  des  Pe- 
tras vom  Gesets  der  Schwere  dispensiren   konnte ,   Ist  er 
dann  noch  ein  Mensch?    nnd  wenn  ein  Gott,  wird  dieser 
•of  den  Einfall  eines  Menschen  hin  so  spielend  Naturge- 
•etce  cessiren  lassen  ?    oder  endlich ,   soll  der  Glanlie  die 
Krafk  haben,   augenbUckiiob  den   Körper  des  GlXnb^en 


17)  Des  Markos  Neigung  tum  Uebertreibeii  selgt  rieb  auch  in  der 

Schlottformel,  V.  51  (Tgl*  7|  S7) ;   »tA  Uar  ht  'nf^iooii  er  Savreit 
H^^orro  M»  l^ov/tfoCor»  worin  man  dach  nicht  mit  Pahus  (9, 
8.2660  eine 'MislbaUgmig. des  uaveiiiSttnissmäetigen  Br 
•IsoaeM  wir  A  finden  svQHea.;,^ 


200  Zweiter  Abaehuici. 

Jelehter  bd  maebeii  ?  Der  Gleube  hat  freiiieh  eine  eekka 
Kraft,  nämlieh  in  der  kann  erwihnten  biliUlehen  Ra4« 
Jesu )  nach  welcher  dör  Glftobige  Berge  iumI  Bätnae  in*t 
Meer  sa  venetaen  —  and  warom  nicht  aveh  adtist  arf 
dem  Meere  an  wandeln  ?  —  Im  Stande  ist. .  Dnd  daf«  naD^ 
sobald  der  Glaube  weiche,  anch  *das  Gelingen  aafblHre, 
diefs  konnte  in  keines  der  nwei  ersteren  Bilder  so  ge- 
schickt dargestellt  werden ,  wie  in  dem  lotsten  darch  die 
Wendang:  so  lange  einer  Glanben  habe,  vermöge  er  an- 
gjsfährdet  auf  dem  wogenden  Meere  einhersaschrelten; 
sobald  er  aber  Zweifeln  Raum  gebe,  sinke/  er  unter,  weno 
nicht  Christus  helfend  ihm  die  Hand  reiche.  Das  also 
werden  die  Grundgedanken  der  von  Matthäus  eingescho- 
benen Erafthlnng  liein ,  dafs  Petras  auf  die  Festigkeit  sei- 
nes Glaubens  au  viel  vertraut  bebe,  durch  das  plötsliche 
Schwachwerden  desselben  in  grofse  Gefahr  gekommen, 
aber  durch  Jesus  gerettet  worden  sei;  ein  Gedanke,  wel- 
cher sieh  Luc.  22,  31  f.  wirklich  ausgesprochen  findet, 
wenn  Jesas  au  Simon  sagt:  o.aatavag  i^uti^aaro  vfiag  li 
Civiäaai  vis  top  oitoV  iyui  de  id&lj97jv  TtiQi  oö,  ha  //ij 
iidelnr]  iq  nlgig  oh.  Diefs  sagt  Jesus  dem  Petrus  mit  Be- 
äug auf  seine  bevorstehende  Verläugnung :  diese  war  der 
Fall,  wo  sein  Glaube,  kraft  dessen  er  sich  so  eben  noch 
erboten  hatte,  mit  Jesu  xal  tlg  (pvXcmrpf  xal  etg  i^arcno» 
noQSvead^ai ,  wankend  wurde ,  wenn  nicht  der  Herr  doroh 
seine  Ffirbitte  ihm  neue  Stärke  verschafft  hätte.  I^ehmen 
wir  dasu  die  schon  erwähnte  Neigung  der  ersten  christli- 
chen Zeit,  die  den  Christen  anfechtende  Welt  unter  dem 
Bilde  eines  wilden  Meeres  darzustellen:  so  werden  wir 
nicht  umhin  können,  mit  einem  der  neuesten  Kritiker  in 
dem  sich  muthig  cum  Gehen  auf  dem  Meer  ansohickendeo, 
bald  Jedooh  kleinmüthig  untersinkenden ,  aber  von  Jesu 
emporgehaltienen  Petras  eine  in  der  Sage  gebildete  allsge* 
risch- mythische  Darstellong.  jener i  Glaubensprobe  nn  fin- 
den, welche  der  so  stark  sich  dttnkdiide^Jlinger  so  schwach 


NttttütM  kAfiitel.    S«  99.  Ml 


«od  «MP  4mfA    kMkmm  BäUttaä 

Omk  wmA  4^ä  SktMm  4m  üai—  ftMiiig«BnM 
leUt  fls  vMxt  mn  eia^jen  tignUblliBliehoii  Ztgen,  die  «Ihm 
«diMtoritelieii  Cfairnktep  wamAeu.  \jm  jeher  hat  et  den 
HifeeittiMi  Kmc  gemeolit,  dele  imeh  flialthft««  nod 
Marlrai  dat  S<;|iiflF  ertt  ungeflhr  in  der  Mitte  dea  See'-a 
aeh  befand ,  als  Jeaos  demselben  begegnete :  naeh  Johan* 
Des  aber  bald  Tellends  daa  jenseitige  |Ufer  erreioht  gehabt 
haben  seil;  dafa  naeh  jenen  Jesns  wirklieh  noeb  in  daa 
Schiff  atieg,  und  darauf  der  Starm  eieh  legte:  nach  Jo- 
banaet  dagegen  die  Jtfnger  ihn  nwar  In  das  Sehiff  nah* 
■en  wollten,  die  wirbliche  Aufnahnte  aber  durch  das  so* 
gkich  erfolgte  Anlanden  fiberflttssig  gemacht  wurde.  Zwar 
fftnd  man  auch  hier  Ansgletchungen  in  Menge:  das  an 
laßfjp  geaetste  ijd'eXcv  sollte  bald  abundiren,  bald,  wie 
wenn  es  ix^DMvxBg  tkaßw  hiefse ,  die  freudige  Aufnahme 
beteicbnen,  bald  nur  dea  ersten  Eindruck  bescbreibei», 
Weichen  das  Erkennen  Jesu  auf  die  Jttnger  gemac|it  haboi 
wobei  die  später  wirklich  erfolgte  Aufnahme  in  das  Schiff 
verschwiegen  sei  ^^.  Doeh  an  einer  solchen  Deutung 
fiegt  d^k*  einaige  Anlafs  in  der  unbefugten  Vergleichung 
'er  Synoptiker:  in  der  Braählung  des  Johannes  fttr  sich 
liegt  nicht  nur  kein  Grund  dafiUri  sondern  ein  entschiede- 
ner dagegen.  Denn  der  hinEogefagte  Sata:  ^vd'iwg  to 
^hXw  iyiveto  im  rijg  yrjg^  eis  ^^v  vnrjyWj  wenn  er  aueb 
nicht  durch  di^  sondern  durch  xal  angeknfipft  ist,  kann 
doch  nur  adversatlF  in  dem  Sinn  genommen  werden ,  dafa 
es  anr  wirklichen  Aufnahme  Jesu  in  das  Schiff,  unerach- 
tet  der  Bereitwilligkeit  der  Jfinger,  doch  nicht  gekommen 
<ei,   weil  sie  sich   bereits  am  Ufer  befunden  haben.    In 


18)  ScmicsaABURftiii ,  über  den  Ursprung  u.  s,  f.   S.  ^  L  ;   vgl- 
Wxiksa,  die  evang,  Geschiclite>  t,  S*  591» 

19)  ».  bei  Lflcaa  und  Tholück*' 


M4  Zweiter  Abeohnid. 

habe,    mit  aller  oben  anseinandergesetsten  Unwahraoheio-' 
llchkelt  eines  solchen  Ereigniasea  larflok.    Doeh  hat  am 
die  Aofltfsnng  Jener  Nebensfige ,  \  indem  wir  die  AnlXsse 
ihrer  nnhiatorischen  Entstebang  entdeckten,    die  Aoffiih 
düng  aoloher  Anlässe  anoh  fttr  die  HaaptensXhlong  erleich- 
tert«  und  damit  die  Auflösung  auch  dieser  selbst  möglieh 
gemimht.    Dars  die  Gewalt  Gottes   upd  des  mit  ihm  eini- 
gen menschlichen  Geistes  Aber  die  Natur  Ton  den  HebrXeni 
und  ersten  Christen  gerne  unter  dem  Bilde  einer  Dbe^ 
macht  über  die  toi»enden  Meereswellen   vorgestellt  worde, 
haben  wir  aus  depi  vorigen  Beispiel  gesehen.     In  der  E^ 
stthlung  des  Exodus   stellt   sich  diese   Übermacht  so  dar, 
dafs  das  Meer  durch   einen  Wink  ans  seiner  Stelle  ve^ 
jagt,   und  so  dem  Volke  Gottes  ein  trockener  Weg  doroh 
seinen  Grund  geoflfnet  wurde;   in  der  «nvor  betrachteten 
R.  T.lichen  Ersäblung  so,  dafs  das  Meer  an  seiner  Stelle 
blieb,    und  nur  so  weit  edr  Ruhe  gewiesen  wurde,  dsfi 
Jesus  und  seine  Jünger  su  Schiffe  gefahrlos  über  dasselbe 
hinübergelangen  konnten :  in  der  jetst  vorliegenden  Anek- 
dote wird  aus  der  sweiten  der  Zog  beibehalten ,  dab  dsi 
Meer  an  seiner  Stelle  bleibt ,   eugleich  jedoch  ans  der  e^ 
sten  der  herbeigeholt,  dafs  cu  Fnfs,  nicht  su  Schiffe,  hin- 
fibergewandelt  wird ,  dochg  mit  Rücksicht  auf  den  andern 
Zug,  nicht  durch  seinen  Grund ,  sondern  über  seine  Ober- 
fläche.    Oafs   sich   auf  solche  Weise  die  Anschauung  der 
Übermacht    des   Wnnderthfit^rs   über   Waaserwogen  fort- 
bildete, daau  läfst  sich  theils  im  A.  T.,  theils  Jn  den  Mei- 
nungen des  Zeitalters  Jesu  noch  nähere  Veranlassung  ent- 
decken.    Unter  den  Wundern  des  Elisa  wird  nelien  dem, 
dafs   er  mittelst  seines  Mantels  den  Jordan  getheilt,  und 
so  trockenen  Fufses   habe   hindurchgehen  können  (2.Köa. 
3,  14.)9  auch  das  erzählt,  dafs  er  ein  in*s  Wasser  gefaile- 
nls  Eisen  schwimmend  gemacht  habe  (2.  Kön.  6,  0«) :  eine 
Uebermacht  über  das  Gesets  der  Schwere,     welche   der 
Wunderthäter  wohl  auch  am  eigenen  Leibe  gfeltend  ma- 


Neuntes  Kapitel«     §.  99«  SOS 

eben,  nnd  so,  wie  es  Hiob  9,  8.  LXX«  von  Jebova  heilst, 
sIs  n€Qina%ti¥  wg  en^  idag>Hs  inl  &ahiüarfi  sich  darstellen 
koDBte»  ¥oD  Woiidertbltern,  die  auf  dem  Wasser  gehen 
koneten,  wnfste  muk  sieh  nm  die  Zeit  Jesa  Vieles  en  ei^ 
siUen.  Abgesehen  von  elgeothUeilieh  griechisehen  Vor* 
ndRingen^,  so  sebrieb^  die  orientalisch- grieehisehe  Sage 
Ml  Hyperboreer  Aberis  einen  PAÜ  sa ,  ant  weleheK  er 
fiber  Flösse,  Meere  nnd  AbgWIiide  eeh wehend  seiaUi  *^; 
der  geaaeine  Voiksglanbe  lieh  flsaneben  ThaaoMtnrgen  die 
Fihigkcit,  anf  dem  Wasser  an  geben '^i  nnd  es  eraeheint 
10  die  Mögiiobieity  dafs  sich  aof  allen  diesen  Elementen 
■ad  Veranlaasnngen  eine  gleiche  Sage  auch  Aber  Jesnm 
bilden  konnte,  ungleich  gröfser,  als  die  eines  wirklichen 
Vorgangs  dieser  Art,  —  womit  unsere  Rechnung  geschlos« 
len  ist. 

Mit  den  bisher  betrachteten  Seeanekdoten  hat  die  Joh.  21. 

enfthlte  q^a^iqwatg  Jesu  enl  v^  d'aXaaaijg  tijg  TißeQiddos 

10  snffiallende  Ahnllohkeit,  da(s  wir,   obwohl  das  vierte 

Kitsgelinm  den  Vorfall  in  die  Tage  der  Auferstehung  Je- 

» vorlegt,   doch  nicht  umhin  können,    wie  wir  sie  schon 

ttAat  Ihrem  einen  Theile  nach  mit  der  Emählung  vom 

Fiaditag  Petri  in  VerbinduDg  brachten,  ao  nun  ihren  an- 

dnv  Bestandtheil  mit   dem  Wandein  Jesu  nnd  Petri  auf 

den  Meer  in  Parallele  au  setaen.    Beidemale  wird  in  dem 

Boeh  nfichtlicben  Dunkel  das  Frühmorgens  Jesus  von  den 

m  Schiffe  befindlichen  J Ungern  erblickt;   nur  dafs  er  bei 

dem  spiteren  Falle  nicht  wie  in  dem  früheren  auf  dem 

Heere  geht,  sondern  am  Jlfer  steht,  nnd  die  Jünger  nicht 

durch  Sturm,  sondern  nur  durch  die  Fruchtlosigkeit  ihrer 

Fiseherarbeit  in  Verlegenheit  gesetat  sind»  Beidemale  furch« 

ten  sie  ihn:    dort,  weil  sie  ihn  für  ein  Gespenst  halten. 


23)  t.  die  Stellen  bei  Wbtsisik,  p.  417  f. 

24)  Jamblich.  Tita  Pythigorae  136 ; ,  vgl.  Porphyr.  29. 

25)  Lucian.  Philop8eudet,  13. 


206  Zweiter  Absohniet. 

hier  wagt  eB  keiner,  so  fragen,  wer  er  sei,  dtSor^g,  ort  o 
KvQiog  eciv.  Im  Besondern  Aber  findet  die  dem  ersten 
BTangetivm  eigenthamliohe  Scene  mit  Petras  in  der  ge* 
nannten  Stelle  des  vierten  ihr  SeitenstOcii.  Wie  Petru 
dort,  als  der  ttber  den  See  einhersohreitende  Jesus  sich 
ea  erkennen  gibt ,  ihn  am  die  Erlanbniia  bittet ,-  Ba^bm 
über  das  Wasser  hingehet)  ea  dürfen :  so  wirft  er  sieh 
hier,  sobald  der  am  Ufer  stehende  Jesas  erkannt  ist,  in 
das  Wasser,  am  aaf  dem  kOrsesten  Wege  sehwimmend  ca 
ihm  ea  gelangen.  Da  aaf  diese  Weise,  was  in  Jener  frfl- 
heren  ErsMhlong  ei^i  wonderbares  Wandeln  aaf  dem  Meere 
war,  in  der  vorliegenden  in  Beaog  auf  Jesom  ein  wen* 
derloses  Stehen  am  Ufer,  in  Beeng  anf  den  Petras  aber 
ein  natttrliehes  Schwimmen  ist,  somit  die  ietstere  Oeschtcbte 
fast  wie  eine  ratlonallstiFche  Paraphrase  der  ersteren  lii« 
tet:  so  hat  es  nicht  an  solchen  gefehlt,  welche  wenigstens 
von  der  petrinischen  Anekdote  im  ersten  Evangeliam  be- 
hanpteten ,  dafs  sie  eine  traditionelle  Dmbildnng  des  Zogt 
Job.  21 ,  7.  in's  Wanderhafte  sei  >*>  Diese  Vermathong 
auch  aaf  das  Meerwandeln  Jesu  aassadehnen ,  wird  die 
jetaigo  Kritik  dadarch  abgebalten,  dals  diesen  Zog  das  sli 
apostolisch  vorausgesetcte  viefte  Evangeliom  selbst  ia  der 
froheren  Ersählang  (6, 16  ff.)  hat;  wogegen  wir  aof  on*^ 
rem  Standpunkt  es  gar  wohl  möglich  finden  werden,  difs 
die  betreffende  Geschichte  entweder  dem  Verfasser  des 
Evangeliums  in  der  einen,  dem  Verfasser  des  Anhsng« 
aber  in  der  andern  Gestalt,  oder  dafs  sie  demselben  vie^ 
ten  Evangelisten  in  zwiefacher  Form  au  Ohren  gekooiDeD) 
und  von  ihm  an  verschiedenen  Orten  seiner  Erefihlung 
einverleibt  worden  sei.  Indessen,  wenn  beide  Gesehiehten 
▼erglichen  werden  sollen,  so  dürfen  wir  nicht  schon  Koa 
Voraas  die  eine,  Job.  21.,  als  die  arsprfingllehe,  die  an* 
dere,  Matth.  14.  parall.,  als  die  abgeleitete  setsenf  sopd^m 


26)  ScRMKCxBKBvaoKRi  Über  den  Urtpr.  S.  68' 


Neontes  KiipIteL    (.99.  M7 

BtttMn  erst  fragen,  welche  von  beide»  «ieh  eher  söiii  Eh- 
ma  oder  Andern  eigne?    Allerdings  nnn^  wenn  wir  desi 
Ksnon  folgen  ^  ders  ilie  wnnderhaftere  die  spätere  «ei ,  se 
enehelnt  die  ?on  Joh.  21.  in  Benag  anf  die  Art,  wie  Je* 
MS  In  die  Nfthe  der  Jfinger,  und  Petros  nn  ihm  gelangt, 
■b  die  orsprfingliehe.    Aber  anfs  Engste  hingt  mit  jenen 
Ksiion  der  andere  nnsammen ,    dafs  die  einfachere  firsfth- 
Isag  ^e  frflhere,  die  cnsanifliengesetBtere  die  spfttero  Ist, 
wie  das  Conglomerat  spiter  als  die  einfache  Steinblldang : 
and  nach   diesen  Kanon  wMre  nmgehehrt  die  Ernihlnng 
Jsb.  Sl.  die  abgeleitete,    da  In  ihr  die  beseichneten  ZAg6 
Doeh   nit  den  wunderbaren   FischBuge  Tcrflecbten   sind^ 
wihrend  sie  in  der  früheren  Erisfthlnng  fflr  sich  ein  Oanses 
loinuieben.  Allerdings  swar  kann  auch  ein  grOfseres  Oanne 
io  kleinere  JStfleke  nerspUttem:  doch  solchen  Bmchstficken 
lehen  die  getrennten  ErEählnngen  vom  Fischnng  und  von 
Wandela  anf  den  Meere  keineswegs  Ihnttch,  welche  riel- 
«thr  Jede   als  wohigeschlossenes   Ganne   sich   verhalten« 
An  dieser  Verflbchtnng  mit  dem  Wunder  des  Fischeugs, 
wfsa  iiaoh  kommt,  dals  der  ganse  Vorgang  am  den  anf* 
erstandenen  Jesus,  der  an  sich  schon  ein  Wunder  ist,  sich 
dreht,  wird  nun  auch  erkllrlich,  wie,  g^gen  die  sonstige 
S^d,  die  oH  beseichneten  Zflge  In  der  späteren  Darstel- 
bng  ihr  Wnnderhafites  verlieren  konnten.  Indem  sie  nftni' 
Keh  durch  die  Verbindung  mit  anderweitigem  Wonderba* 
reu  nu  blofsen  Nebensfigcn,  nur  natürlichen  StaflFage,  her* 
nntergeeetnt  wurden.    Ist  aber  auf  diese  Weise  die  Er- 
slUottg  Job.  21.  eine  durchaus  abgeleitete,  so  ist  sie  in 
Besng  auf  ihren  geschichtlichen  Werth  bereits  mit  denje- 
nigen Ersfihiungen  benrtheilt,  welche  ihre  Grundlage  bilden. 
Sehen  wir,  ehe  wir  weiter  gehen,   auf  die  bisher 
durchlaufene  Reihe  von  Seeanekdoten   lurück:    so  finden 
wir,  dals  uwar  die  eine  ftufserste  der  andern  durchaus  un« 
ihnlieh  ist,  Indem  in  der  dnen  blofs  von  Fischen,  in  der 
andern   blofs  vom  Sturm  gehandelt  wird;    doch  aber>   je 


'n 


206  Zweiler  Abschnitt. 

nacbdem  aiiii  «10  aufstellt,  hängt  jede  mit  der  folgenden 
dnrch  einen  gemeinsamen  Zug  zusammen.  Die  firsftlilaug 
ven  der  Bemfnng  der  Menscheniacher  CMatth.  4,  IS  ff. 
paratt.)  eröffnet  die  Reihe;  mit  dieser  hat  die  vom  Fiseh- 
sog  des  PMraa  CLue»  5,  1  ff.}  die  Onrnne  von  den  Mas« 
oeiimifiseiiera  gemein,  aber  die  Tbateaebe  des  E1seh«igi 
ist  ihr  eigeadriLtüiah  i  diese  letatere  kehrt  Job.  21.  wieder, 
wo  noek  da»  mosgenliehe  Stehen  Jesn  am  Ufer  und  das 
ttnffhenehwimme&  des  Petrus  damikemnit;  diefs  Stehen 
nd  Sehwintmen  erseheint  Matih«  14,  22  ff.  paralL  als  U^ 
ben  auf  dem  Meer,  und  aoglmb  mt  ein  Sturm  und  deeien 
Aufhören  mit  dem  Eintritt  Jesu  in  das  Schiff  hinmigefligt; 
Matth.  8, 2S  ff.  parall.  endlich  steht  die  Stillung  des  Storni 
durch  Jesnm  für  sich  allein. 

Entfernter  von  den  bisher  betraehteten  firafthlaogen 
steht  die  Geschichte  Matth.  17 ,  24  ff.     Zwar  findet  sich 
auch  hier,  wie  bei  einigen  von  jenen,  eine  Anweisnng  Jeii 
an  den  Petrus  cum  Fischfang,    welcher,    wie  swar  nicht 
ansdrfiohlioh  gesagt  ist,   doch  vorausgeseCkt  werden  oiiifi, 
der  Erfolg  entspricht:  aber  theils  soll  nur  Ein  Fisch,  und 
■war   mit  dem  Angel,   gefangen  werden;    tbeils  iit  die 
Hauptsache  die,  dafs  in  seinem  Maule  ein  Geldstfiok  ge- 
funden werden  soll,  um  damit  die  Tempelstener  fiBr  Jesus 
und  Petrus,  welche  von  dem  letsteren  gefordert  wer,  so 
besshlen.    Diese   ErsAhlong,    wie  sie  snnächst  sieh  gi^ 
hat  eigenthamliche  Schwierigkeiten,    welche    Padlijs  gut 
anseinandersetst ,    und  auch   Olshaussn  nicht  in  Abrede 
sieht    Wenn  nämlich  Fritzschk  mit  Recht  bemerkt,  swei 
wunderbare  Stücke  seien  in  dieser  Geschichte;   das  eine, 
dafs  der  Fisch  einen  Stator  im  Manie  gehabt,  das  andere, 
dafs  Jesus  diefs  vorhergewufst  heben  solle;   so  erscheioi 
theils  jenes  und  damit  anoh  dieses  als  abenteuerlich)  tbeiti 
das  ganae  Wunder  als  unnöthig.    Zwar,   dafs  Fische  Me- 
talle nnd  andere  Kostbarkeiten  im  Leibe  gehabt  haben, 


\ 


NeanCes  Kapitel.    §.  U9.  209 

wird  «Doh  sonst  ersühlt  '^),  and  ist  nicht  aBglanblich :  dafs 
«ber  ein  Fisch  ein  GeldstUck  im  Manie  haben   und  darin 
behaltan   sollte ,    während  er  nnglelch    nach   dem  Angel 
whnappt^  das  fand  aneh  Dr.  Scrvappinobr  *^  nnhegreifliolu 
Der  Anlafa  Ar  Jesnm  aber,  ein  solohea  Wunder  nn  thnn, 
konnte  weder  OeMniangel  sein:   denn  wenn  aneh  damaia 
gerade  kein  Vorrath  in  der  gemeinsaBien  Kasse  war,    ao 
befand  alch  doch  Jesus  in  den  befreundeten  Kapernanm, 
wo  er  auf  natürlichem  Wege  bu  dem  nSthigen  Oelde  ge* 
langen  konnte,   man  milfste  denn  mit  OLdBAVSBN  das  Ent- 
lehnen durch  Zusammenwerfen  mit  dem  Betteln  gegen  das 
fOB  Jesu  BU  beobachtende  dect^rum  dwiimm  finden  ;    noch 
konnte  Jeans   nach  so  vielen  Proben   seiner  Wunderliraft 
Mcb  dieses  Wunder  noch  fiir  ndthig  erachten,  um  denf  Pe- 
tras im  Glauben  an  seine  M essianität  su  bestXrken. 

Defswegen  ist  es  nicht  su  Torwundern ,    wenn  eatio« 
saBitisclie  Ausleger  gesucht  haben,  eines  Wunders,   das 
asch  Olsbauskn  das  schwierigste  in  der  gansen  CTangeli« 
diea  Gesdiichte  nennt,  um  Jeden  Preis  sich  su  entledigen : 
M  kommt  nur  auf  die  Art  an ,   wie  sie  diefs   angegriffeD 
bibsBL    Der  Nerr  der  natfirlichen  Erklärung  des  Factnms 
ÜBgt  ikrin,  dafs  man  in  der  Anweisung  Jesu  das  evQi^sig 
ajeht  Tom   unmittelbaren  Finden   eines  Stators  im  Fische, 
iondeni  ron  einem   mittelbaren  "Erwerben   dieses  Geldbe- 
trage  durch  Verkaof  des  Erangelten  versteht  ^^.    Dafs  das 
SBgeseigte   Wort  auch  diese  Bedeutung  haben  kann,   ist 
suBugeben;    nur  mufs,   dafs  es  diese  und  nicht  seine  ge- 
wöhnliche Bedeutung  habe,   im  einselnen    Falle  aus  dem 
Zusamnaeohang   erhellen.     Wenn   es  also  in   unserem  Fall 
hiefae:   nimm  den  ersten  besten  Fisch,   trage  ihn  auf  den 
Markt,  xmel  evQi^a$ig  gccr^Qaj  so  wäre  jene  Erklärung  an 


27)  Die  Beispiele  s.  bei  Witstbih   z.  d.  St. 

28)  Die  heil.  Schrift  des  n.  Bandes  1,  S.  314.  2te  Aufl. 

29)  Paulus,  exeg.  Handb.^  2,  502  ff.    Vgl.  Hasb,  L.  J.  $.  111. 

Das  liehen  Jesu  Ue  Aufl.  iL  Band.  14 


210  Zweiter  Abschnitt 

der  Stelle ;  da  statt  dessen  dem  evQijaeig  vielmehr  ein  am- 
£ag  t6  cofia  amCt  vorhergeht,  da  also  nicht  ein  Ort  enm 
Verkaufen )  sondern  nur  ein  Ort  am  Fisch  angegeben  bt, 
bei  dessen  Er5£Fnnng  der  Stater  erlangt  werden  sollte,  so 
kann  nor  an  ein  anmittelbares  Finden  des  Geldstückt  io 
diesem  Theile  des  Flscbs  gedacht  %verden  ^y.  Wozu  wftre 
auch  das  Offnen  des  Fischmaules  ansdrüekllch  bemerkt, 
VFcnn  nicht  eben  in  demselben  das  Begehrte  gefanden 
werden  sollte?  Paulus  sieht  darin  nur  die  Anwehung, 
den  Fisch  ungesäumt  vom  Angel  su  lösen,  um  ihn  leben« 
dig  EU  erhalten  und  desto  eher  verktfuflich  au  machen* 
Zu  dem  Befehl,  das  Maul  des  Fisches  au  Öffnen,  könnte 
allerdings,  wenn  sonst  nichts  dabei  stönde,  die  Herausnehme 
des  Augeis  als  Zweck  und  Erfolg  hinsugedaeht  werden: 
da  aber  evQijaetg  cctrijoa  dabeisteht,  so  ist  unverkennbar 
dieses  als  nächster  Zweck  des  Maulöffhens  Iveseichnet. 
Das  Gef&hl,  dafs,  so  lange  von  einem  Anftlian  des  Manles 
am  Fisch  in  der  Stelle  die  Rede  sei,  auch  der  Stater  alt 
in  demselben  su  findender  voransgesetat  werde  ^  bewog 
die  rationalistischen  Erklärer,  das  co^ia  wo  möglich  auf 
ein  anderes  Subject  als  den  Fisch  bo  bestehen:  und  da 
war  nur  der  Fischer,  Petrus,  Abrig.  Da  nun  aber  dai 
coiicr  durch  das  dabeistehende  avrö  an  den  Fisch  gebondeii 
schien,  so  hat  Dr.  Paulus,  den  Vorsehlag  eines  Frenndei, 
statt  —  ariS,  et\)i^ani;  —  geradeau  uy&evfn}a€ig  «u  leien, 
mildernd  oder  überbietend ,  das  stehen  gelassene  crvr«  von 
c:6fii(x  getrennt,  adverbialisch  genommen,  und  übersetst:  da 
darfst  dann  nur  deinen  Mund  aufthnn,  um  den  Fisch  feil* 
anbieten,  so  wirst  du  auf  der  Stelle  Corrü')  einen  Stater 
fttr  denselben  ausbeaahlt  bekommen.  Wie  konnte  aber, 
mnfste  man  noch  fragen,  in  dem  fischreichen  KapernsDni 
ein  einziger  Fisch  so  theoer  beaahlt  werden?  weswegen 
denn  Paulus  das  %6i'  (h*aßdvta  uQtiTOv  Ix^vv  aim-  collecdv 


30)  >'gl.  Storii,  im  FiJkrr^schcn  Magazin,  2,  S«  68  (T. 


Neantes  KapiteL    $.  99.  211 

füfiCie:  nlaoi  alfeauil.deii  Fisch,  rfer  dir  saerst  aof«l6r8f, 
ttiid  BMche  $o  fort,  bis  da  einet  Sutert  werth  eran« 
gelt  hast. 

Werdeo  «vir  d^reh  dte  Reibe  von  Oewaltlhltigkeifen, 
welche   sor  natfirlieheo   Krklümng  dieser  ErEäblung  nö* 
diig  sind,   wieder  au  derjenigen   snriickgewiesen ,    welche 
hier  ein  Wander  findet ;  and  erscheint  uns  doch  nach  dem 
frflher   BeoMrliten  dieses'  Wnnder   als   alienteaerlieh  und 
uoalithig,   aütbio  tdit  anglÄobllch:   so  bleibt  nichts  fibrig, 
ab  aocb    hier    ein  sagenhaftes   Element   voraussusetaeii« 
Uisfs  bat  man  so  fersaeht,    dafs  man  eine  wirkliche  aber 
aatfrliebe  Thatsaehe  als  aam  Grunde  liegend  annahm:  dafs 
siadieb  Jeaos  einaMl  den  P^ros  angewiesen  habe,  so  lange 
so  fiseheo,   bis  die  Tempdstener  erangelt  w4re;   woraus 
daaa  die  Sage  entstanden  sei,   der  Fisch  habe  die  Steuer« 
■iaae  im  Manie  gehabt  '0*    Beaser  denken  wir  one  wohl 
sif  Yeranlassong  dieser  Anekdote  das  ?ielbentttzte  Tbeinn 
fSB  einem  Fischfang  des  Petras   auf  der  einen ,    and  die 
htkannfen  KraAhlungen   von  Kostbarkeiten,   die  im  Leiue 
fsa  Fischen  gefunden  worden ,  auf  der  andern  Seite.    Pe- 
tras war,  wie  wir  aus  Matth.  4,  Luc.  5,  Job.  Si.  wissen, 
ia  dar  evangelischen  Sage  der  Fischer,  welchem  Jesus  in 
renebiedenen  Formen,   nanächst  symbolisch,  dann  eigent» 
lUb,   den  reichen  Fang  beseheert  hatte«     Das  Werth  volle 
das  Fangs    tritt  sinn  hier  als  Oeldmanze  heraus,    welche, 
wie  dergleichen  Uinge  sonst  im   Bauche  ?on  Fischen,  so 
doreh  eine  Steigerung  des  Wunders  gleich  im  JMaule  des 
Fisehes  gefanden  werden  sollte«    üals  es  gerade  der  sur 
Tempelsteaer  erforderliche  Stater  ist,   könnte  durch  eine 
wflrküehe  Aulserang  Jesu   über  sein  Verhältnifs  an  dieser 
Abgalie,  welche  aofKliig  mit  Jener  Anekdote  in  Verbindung 
kam^   veranlalst  sein;   oder  könnte  umgekehrt  der  in  dar 
Ssge   vom  Fischfang   sufällig   vorhandene   Stater   an    die 


Sl)  Kusaa»  bibl.  Theol.  1,  S.  20U.     Vgl.  Hxw,  a.  a.  O. 

14* 


212  Zweiter  Absehnllt« 

Tempelabgabe  I  welche  fiBr  cwei  Personen  eben  eo  ?iel  be- 
trag, ond  den  darauf  beeOgUcben  Aasspruoh  Jesn  erin- 
nert haben. 

In  diesen  mlhrohenhaften  Ansltefsr  endigen  dUe  Ses* 
anekdoten« 

f.    100. 
Die  wunderbare  ^eitung^  • 

Wie  In  den  snletst  betrachteten  Gbseblohten  Jerai 
bestimmend  und  besinftigend  anf  die  TemtinfllosiB  nnd  selbtt 
auf  die  leblose  Natur  einwirkte:  so  Wirkt  er  in  denjeni- 
gen Ereählungen ,  bu  deren  Betrachtung  wir  JetEt  fort» 
schreiten,  sogar  vermehrend  nicht  allein  anf  Naturgegen- 
stände,  sondern  selbst  auf  kflnstiicli  verarbeitete  Matll^ 
Produkte. 

Dafs  Jesus  nnliereitete  Nahrungsmittel  auf  *waDde^ 
bare  Weise  vermehrt,    mit  wenigen  Broten   und  Fischen 
eine  grufse  Menschenmenge  gespeist  habe,   ersählen  ans 
mit  seltener  Einstimmigkeit  sKmmtliche  Evangelisten  (Mstth. 
14,  13  ff.   Marc.  0,  SO  ff.  Luc    9,  10  ff.  Job.  6,  1  ff.)>    ^^ 
glauben   wir   den   beiden   ersten   von  ihnen ,    so  hat  Jerai 
diefii  nicht  blofs  Einmal  gethan;    sondern  Mattli.  15,  32  £ 
Marc.  8,  1  ff.  vrird  eine  sweite  Speisung  erslliit ,  bei  der 
es   im  Wesentlichen   ebenso   wie    bei   der  ersten  coging* 
Sie  fiUlt  der  Zeit  nach  etwas  spiter ;  der  Ort  ist  etwas 
anders  beseichnet,    und   die   Dauer  des   Anfentbalts  der 
Menge  bei  Jesu  abweichend    angegeben;    aucli  ist,  wsi 
mehr   besagen  will,  das  OrfffsenverhSltnirs  swischen  dem 
Speisevorrath  und   der  Menschenmenge  ein  verschiedenes, 
indem  das  erstemal  mit  5  Broten  und  2  Fiselien  5000,  des 
sweitemal   mit  7  Broten  und  wenigen  Fisctien  4000  Mann 
gesittigt  werden,  und  dort  12,  hier  7  Kttrbe  mit  Brocken 
Übrig  bleiben.     Demongeachtet  ist  nicht  nur  die  Substani 
der  Geschichte  auf  beiden  Seiten  gana  dieselbe :  Sfittlgoog 
einer   Volksmenge  mit   nnverblltniCimäfsig    wenigen   Nah' 


Neanlea  Kapitel.    S*  100.  %lt 

raagiMletola ;  MMidam  aaeh  die  Ansimlung  de»  8e»He  ist 
ia  ilen  GrandaAgMi  gana  antsprecheiHl :  beidemale  das  Lo- 
cal  aiaa  dmawia  tiegand  Ui  dar  Nahe  das  galilXltobaD 
Sea's;  baideiaale  die  Varanlassang  des  Wondats  ein  ai» 
Isnges  Verweilen  des  VaUis  bei  Jesu;  beidemale  iwaeogt 
Jssas  Last,  die  Menge  bu9  eigenen  Mitteln  an  speiseny 
was  ctte  Jünger  als  eine  annttgliehe  Saefae  betraebtan; 
heideauJa  bestebt  der  disponible  SpeiseTorrath  In  Broten 
oad  Fischen ;  lieideniala  Ufst  Jesns  die  Leate  sieb  lagern 
■ad  tiieilt  ihnen  naob  gesproolianeai  Dankgebet  dureh  Ver- 
■Ittlaag  seiner  Jünger  aus;  lieidenuile  werden  sie  yoUkoai* 
■ea  satt,  und  es  liann  noeb  eine  anrerliiCltfdfsniSrsig 
gro(se  Menge  Abrig  geblieben«*  Brocken  in  Körbe  gesam* 
■elt  werden;  endlieh  einmal  wie  das  andere  satat  Jesns 
oaeh  roUbrachter  Speisung  lllier  den  See.a 

Bei  dieser   Wiederholung   desselbae  Vorfalls   nacht 

■sasntUch  die  Frage  Schwierigkeit ,  ob  es  wolü  denkbar 

ad,  dafa  die  Jünger,  naclidem  sie  selbst  nitangesehen  hat* 

tas,  wie  Jesos  mit  wenigen  Nahrungsmitteln   eine  grofsa 

Mesp  m  speisen  vennechte,   dennoch  bei  einem  awettoii 

Ihaliabao  Falle  Jenen  ersten  spurlos  vergessen  gehabt,  nnil 

fB&i|t  haben  sollteu :  nodtr  ijfitp  iv  iQfjfdff  aqtik  roaStoij 

tSgi  xoffKoaai  oxiov  xoaäfsey;    Wen^  auin  sich  für  eine  sol« 

sbe  VergefiUiehkeit  der  Jünger  darauf  berufifc,  dafs  sie  auf 

ihnlieba  unbegreiflicbe  Weise  die  Erklärungen  Jesu  über 

asin  l^rorstabendas  Leiden  und  Sterben   vergessen  gehabt 

iisben ,  ala  dasselbe  eiatrat  ^>  ^  so  ist  es  Ja  ebenso  noch 


1)  OiSHAvasir ,  1 ,  S.  503>  Die  ebendsa.  in  der  Anmerkung  gel- 
tend genachte  Inatanz,  daaa  laut  dea  a^n^  hx  llaßofttv  Matth. 
16,  ?•  die  Jtinger  auch  nach  der  «weiten  Speiaung  noch  aicb 
nicht  gemerkt  hatten,  wie  man  in  der  Nühe  dea  Menaohen* 
sohna  keine  Speise  für  den  Leib  mitxunehmen  brauche,  l>e- 
weist  deaswegen  nichta,  weil  die  Umstände  hier  gana  andere 
vvaren.    Dass  aus  der  wunderbaren  Sättigung  des  zufällig  in 


314  »*  Zweiter  Abtcbnitt 

riiie  obMibwebende  Fragen  ob  neeti  so  dentllcben  Vomiw- 
sAgen  Jesu  sein  Tod  den  JAnger«  so  unerwartet  hätte  sein 
können  ?  Denkt  man  sieh  aber  Kwtscben  beide  Speisongen 
eine  l&ngere  Zeit  nnd  eine  Ansahi  fihnlieher  FfiUe  hiaein, 
wo  aber  Jesus  nicht  für  gut  gefonden  habe,  aof'Huoder- 
bare  Weise  ed  helfen  ^j,  so  sind  dieb  theÜs  reine  Erdieh* 
tangen,  theils  bliebe  auch  so  nnbegreiflieh,  wie  die  gar  sn 
spreehende  . Ähnlichkeit  der  Unistände  vor  der  sweitca 
üpeisong  -niit  denen  vor  der  ersten  auch  nicht  Einen  der 
•I  tinger  an  diese  sollte  erinnert  haben*  Mit  Recht  behaup- 
tet daher  Paulus  ,  hätte  Jesos  schon  einmal  die  Menge 
darch  ein  Wunder  gespeist  gehabt,  so  würden  beFm  evrei- 
tan  iiiale  die  Jflnger  auf  seine  Erklärung,  er  möge  das 
Volk  nicht  nUchtern  entlassen,  ihn  getrost  sur  Wiederho- 
lung des  vorigen  Wunders  aufgefordert  haben. 

Jedenfalls  daher,  wenn  Jesus  uu  ewei  verschiedenen 
Malen  eine  Volksmenge  mit  unvertHlltnirsmärsig  geringem 
Vorrathe  gesättigt  hat ,  müfste  man  mit  einigen  Kritikern 
annehmen ,  dafs  aus  der  Ersählung  von.  der  einem  Bege* 
beoheit  viele  Züge  in  die  von  der  andern  Übergegangen, 
and  so  beide,  ursprünglich  sich  unähnlieber,  in  der  münd» 
liehen  Oberlieferung  immer  mehr  ausgeglichen  worden 
seien,  wobei  also  namentlich  die  uweifelnde  Frage  der  Jün- 
ger nur  das  erste ,  nicht  aber  auch  das  Rweitemai  vorge- 
kommen sein  künnte  ')•  Für  eine  solche  Assimilation  kann 
es  SU  sprechen  scheinen,  wenn  man  bemerkt,  wie  der 
vierte  Evangelist,  der  namentlich  in  den  Zahlangaben  auf 
Seiten  der  ersten  Speisung  des  Matthäus  und  Markns  ist, 


der  Wtiste  verspäteten  Volks  die  Jünger  nicht  den  beque- 
men Schluss  zogen,'  welchen  der  bibl.  Comm.  daraus  sieht, 
kann  ihnen  nur  zur  Ehre  gereichen. 

2)  Ders.  ebcnd. 

3)  GRArii  Comm.  z.  Matlh.  2,  S.  90  f.;  SxsmRT,  über  Atn  Ur- 
sprung, S.  97.  . 


A««AlO0  Kapitel.    S*  100.  .  215 

iloeh  rcn  deten  sweitar  ßpebongfgeMhlchte  die  Züge  hat, 
daCi  eine  Aarade  Jesa,  nicht  der  Jfinger,  die  Scene  eröflf* 
netj  end  dab  das  Velk  aq  Je«o  auf  einen  Berg  kommt» 
AUeia  wenn  man  hiebei  die  Grandaflge:  Wüste,  Speisung 
des  Volks,  Aufsammeln  der  Brocken,  auf  beiden  Seiten 
itahen  ififst,  so  ist  auch  ohne  Jene  Frage  der  Jünger  Inn 
aer  noeh  unwahrscheinlich  genug,  dsfs  eine  solche  Sceue 
lieh  aaf  so  gana  ähnliche  Weise  «i^iedcrhoU  haben  sollte; 
lifst  Bsa  hingegen  auch  Jene  allgemeinen  ZOge  bei  der  el- 
oea  Geschichte  fallen,  so  ist  nicht  wmter  einaosehen ,  wie 
naa  die  Treue  der  OTangeiischen  Bralhlong  in  Beang  auf 
du  Wie  der  aweiten  Speisung  auf  allen  Punkten  in  An* 
ipraek  nehmen  9  und  doch  an  der  Angabe,  dafs  eine  soU 
che  vofgefallen,  feathalten  kann,  aumal  nur  Matthäus  und 
der  ihn  folgende  Markus  yon  derselben  wissen. 

Daher  haben^  neuere  Kritiker^  mit  mehr  ^)  oder  weni* 

gn*)  Entschiedenheit,   die  Ansicht  ausgesprochen,  es  sei 

luer  ein  und  dasselbe  Factum  durch  Mifsverstand  des  er- 

ta£Tangelisten,  welchem  der  aweite  folgte,  Tcrdoppelt 

«oidau    \on  der   wunderbaren  Speisung  seien  Tcrschie* 

dene  Sraähinngen  im  Umlauf  gewesen,  welche  namentlich 

u  dn  Zahlangaben  von  einander  abwichen :  und  nun  habe 

dvVerfiuaer  des  ersten  BTangeliums,  welchem  Jede  Wun- 

beschichte  weiter  ein  willkommener  Fund,  und  der  defs« 

küb  KU  kritischer  Reduction  aweier  verschieden  lautenden 

Krablangen  der  Art  wenig  geeignet  war,    beide  In  seine 

Simsiliing  aufgenommen«     Dann  erklärt  sich  voUkommen, 

«ie  bei  der  aweiten  Speisung  die  Jfinger  noch  einmal  so 

ugliabig  sich  äntkem  können:    weil  nämlich  auchi  die 


4)TKis88y  krit.  Commentar,  1,  S.  168  ff.;  Schulz,  Über  das 
Abendmaht,  S.  ^11.    Vgl.  Fritzschb,  in  Matth.  p.  523. 

3)  ScauisiiMAcniR,  über  den  Lukas,  S.  145. ;  Siirrsar,  a.  a.  0. 
S.  95ff. ;  Hus,  $.  97.  Gan«  unentschieden  «chwankt  Nbakobr, 
L.  J.  Cur.,  S.  372ff.  Anm, 


216  Zweiter  Abftckaili^ 

aweite  Gesehlohte  de ,  wo  der  Verfaeier  des  ersteo  B?ui* 
gelioma  sie  hernahm ^  die  eioelge  and  erste  gewesen  war; 
und  der  Evangelist  verwischte  diesen  Zug  nicht,  weil  er 
überhaupt  die  beiden  Erzählungen  gans  so,  wie  er  ale 
hörte  o(ier  las,  seiner  Schrift  einverleibt  uu  haben  scheint, 
was  sich  unter  Anderem  auch  in  der  Constane  selgt,  mit 
welcher  er  und  der  ihm  nachschreibende  Marlius  nicht 
^  nur  in  der  Darstellung  der  Begebenbeiton  selbst,  sondern 
auch  in  der  spfttereo  Erwähnung  derselben  Mattb.  16, 9  f. 
Marc.  8,  19 f.,  bei  der  ersten  Speisung  die  Körbe  dorch 
)f6ftvotf  bei  der  eweiten  durch  anvqUiBg  lieseichnen  ^).  Frei* 
lieh  wird  mit  Recht  behauptet,  dafs  der  Apostel  Matthias 
unmöglich  einerlei  fUr  zweierlei  habe  aufgreifen,  und  eine 
gar  niclit  vorgefallene  neue  Geschichte  ereäblen  können')* 
aber  die  Wirklichkeit  einer  doppelten  Speisung  folgt  nur 
dann  hieraus ,  wenn  man  den  apostolischen  Ursprang  des 
ersten  Evangeliums  schon  voraussetzt,  der  doch  erst  sa 
beweisen  ist.  Wenn  ferner  Paulus  einwirft,  die  Verdop- 
pelung jener  Geschichte  wäre  ohne  allen  Vortheii  Ar  die 
Sache  des  Evangelisten  gewesen ,  und  Olsbauskn  diefs  ofi- 
her  dabin  entwickelt,  daCs  die  Sage  die  sweite  Speieongs- 
gescbichte  nicht  so  einfach  und  nachtern,  wie  die  erste, 
gelassen  haben  wOrde:  so  kann  diesea  begehrliche  Redeo^ 
es  sei  etw^as  keine  Erdichtung,  weil  es  als  solche  noch  ««•- 
gescbn«jickter  sein  mOfste,  eigentlich  geradezu  abgewieMA 
werden,  weil  es,  jedes  bestimmten  Mafsstabes  entbebrendi 
unter  allen  Umständen  wiederkehren,  und  am  Ende  du 
Mährchen  selbst  nicht  mährchenhaft  genug  finden  wird; 
insbesoqdene  aber  hier  ist  es  defswegen  völlig  ieer^  weil  es 
die  Erzählung  von  der  ersten  Speisung  als  eine  historiscb 
genaue  voraussetzt:  haben  wir  in  dieser  schon  ein  sageo* 
haftes  Erzeugnifs,    so  braucht  sich  die  Variation  dafoOi 


6)  Vgl.  SAVxua,  a.  a.  0.     S.  105. 

7)  Paulis,  exeg.  Handb.^  2)  S.  315;    OlshaCsbiv^  a.  a*  ^' 


die  «weite  Sprunge gnehiehtö,  nielit  Höcb  «diwrili  beeendere 

tradldeneUe  Züge  aonmekbfieii.    l>fteh  'fiieli^  Mic^fe  iitclit 

ift*8  WnderherBPe    iet    die  firslbioiig    Ven  dMr  cwehM 

SjMjjieHg  gegwikii  Ten  der  iMreted  ttuegeeeÜMMt ;  -  ion« 

dern,   indeM  aia,  Ae  Ihuge  der  HshHnigeMlItef -i^emieh» 

rend,  die  Zahl  der  6eeitdg«Mi  «Mmikidert ,  Terrlng«!^  "de 

du  Woader:   »od  in   diesein   A»til|liieeic  'toAmi  tuok  *  dW 

•khersto   Itttrgsebefft   fiSr  die    WirUiohkeit   der   cwelleii 

Speisung;   iBdeni ,   wer  so  der  ereten  dooIf  eine  welteni 

Unsudichten  wollte ,   dieselbe  wohl  e«cb  ttberfnoten,    und 

statt  der  MOO  Mensclien  oiebt  4000|  sondern  ¥0,000  gesetst 

heben  würde  ^.    Aach  diese  Argonfentation  beruht  anf  der 

anbegrOndeten  VeraossetEong,  dafs  gerade  die  erste  Speisung 

die  historisehe  sei;  wobei  Olshauskn  selbst  den  Gedanken  hat, 

dafs  einer  wohl  auch  die  aweite  für  die  historisehe  Grand«> 

Isge,  nad  die  erste  fttr  die    sagenhafte  Zuthat    ansehen 

könnte,   nnd  dann   rerhielte  sioh  die  erdichtete  sur  walw 

lea ,  wie  gefordert  würde,  als  Steigerang*    'Wenn  er  nm 

tW  liiegegen  bemerkt,  wie  unwahrsobeinltch  es  sei,  dafd 

der  lalantere  Referent  dae  Achte  Factooi  aie  das  geringere 

Bsehbrfnge,  nnd  das  falsche  voranstelle,  yielaehr  wolle  «in 

nidher  die  Wahrheit  Überbieten ,  nnd  stelle  defshalb  im- 

■er  daa  Erdichtete  als  das  OlünEenderc   hinten  au:  bo 

seigt  er  damit  anfs  Nene,  dafs  er  sieb  anf  die  mythisch« 

Ansicht  von  den   biblischen  Brafihiungen  nicht  einmal  so 

iveit  rersteht,  als  su  ihrer  BenrtbeUnpg  nöthig  ist.    Denn 

▼ea  einem  unlauteren  Referenten ,   welcher  absichtlich  die 

wahre  Speisnngsgescbichte  bitte  Oberbieten  wollen,  spricht 

bier  Niemand,    und  am  wenigsten  erklärt  irgend  wer  denr 

Matthtas  für  einen  solchen;  sondern,  mit  vollkommenster 

Redlichkeit,  ist.  die  Meinung,  hatte  der  eine  von  5000,  der 

tndere  von  4000  Gesättigten  geschrieben,    ebenso  redlich 

•ehrieb  der  erste  Evangelist  Beides  nach,  nnd  eben 


8)  OLsaAVSB»;  S.  504. 


918  Zweitor  Abaohnitl* 

er  TdUig  arg*  and  ebsiehtolot  sa  Werke  gfaif  ^  kem  et  iha 
eech  iiioht  dareof  an^  welehe  von  beiden  Gesehiehten  To^ 
en-  oder  neehetehe,  die  bedentendere  oder  die  ?on  minde- 
rem Beienge;  fondern  er  lieft  eleh  hierin  dnreh  snfkllige 
UmsUUidei  wie  dafs  er  die  eine  mit  Begebenheilen  snsam- 
mengestellt  fand,  die  ihm  die  firflheren^  die  andere  nit 
•pichen,  die  ihm  die  apXteren  aehienen,  bestimmen,  tiani 
dieselbe  Verdoppelnng"  findet  aiob  ancb  sehen  im  Penti- 
tench  in  Beeng  aqf  die  Gesebicbten  von  der  Speisung  mit 
Wi^ehteln  und  der  Tränkung  ans  dem  Felsen,  von  welebea 
die  erstere  sowohl  2.  Mos.  10.  als  4*  Mos.  11.,  die  letetere 
aber  2.  Mos.  17.  und  wieder  4.  Mos.  20:^ «  beidemale  mit 
reriinderten  Zeit-,  Orts-  and  sonstigen  Umstinden,  ersShlt 
ist  *>  Hiemit  haben  wir  indefs  blofs  das  negative  Ergeh- 
nib,  dafs  der  dopjMlteii  £raählang  der  ersten  Evangelien 
nioht  swei  verschiedene  Begebenheiten  kennen  snm  Grunde 
gelegen  haben :  welche,  und  ob  fiberhaupf  eine  von  lieiden 
geschichtlich  begründet  se^  mnfs  Gegenstaiid  einer  eigeoen 
Untersuchung  werden.» 

Wenn,,  um  dem  magischen  Scheine  ensunweleheo, 
welchen  das  vorliegende  Wunder  vor  aodera  hat,  Oi.SflAU- 
aSH  dasselbe  mit  dem  GemOthsenstand  der  betbeiligten 
Personen  in  Beziehung  setaC,  und  die  wunderbare  Spei- 
aung  durch  den  geintlieben  Hunger  der  Menge  vermittelt 
wissen  will:  so  ist  diefs  nur  ein  zweideutiges  Reden,  das 
bei  dem  ersten  Versuche,  den  Sinn  desseliien  festsusteUen, 
in  Nichts  nerfällt«  Denn  bei  Heilnogen  u«  B.  besteht  nach 
der  hier  vorausgesetsten  Ansicht  Jene  Vermittlung  darin, 
dafs  das  Gemfith  des  Kranken  sich  der  Einwirkung  Jesu 
glaubig  öffnet,  so  dars  bei  fehlendem  Glauben  auch  der  Wnn* 
der  kraft  Jesu  der  erforderliche  Anknflpfungspunkt  im  Men* 
scheu  fehlt:  hier  also  ist  die  Vermittlung  eine  reale.  Sollte 


9)  •.  die  Nachweisung  bei  dk  Witts,   Kritik  der  mos.  Gesch.  . 
S.  220  ü.    314  a. 


Meaiiles  KapiteL    S*  100«  SlO 

nim  In  gegeawirCfgem  Falle  dieselbe  Art  tos  Venftlttlnog 
•tattgehabt,  and  also  bei  denjenigen  Ton  der  Menge,  welehe 
etwa  nngiaoblg  waren,  die  slltligende  Einwlrknng  Jesu  kel* 
nen  Eingang  gefunden  haben:  so  mfifste  hier  die  Sittigvng 
wie  dort  die  Hellung  als  etwas  von  Jeso  geradeso  and 
ohne  voroügegangene  Vermehrung   der  Mafserlich  yorhan- 
denen  Mahmngsmlttel   In  dem   Leibe  der  Hungrigen  6e* 
wirktes  angesehen  werden.    Allein  eine  solehe  Vorstellung 
von  der  Sache  wird,  wie  Paulos  mit  Recht  erinnert,  and 
«aeh  Olsbaosbm  andeutet,  durch  die  Bemerkung  der  Evaii« 
gellsten  abgeschnitten,  dafs  unter  die  Menge  wirklich  Spot- 
ten rertheilt  worden  seien,  dals  von  diesen  Jeder,   so  yiel 
er  wollte,    genossen  habe,    und  dafs  am  Ende  noch  mehr 
ile  ursprOiigllch  yorräthig  gewesen ,   übrig  geblieben  sei. 
Die  hierin   liegende  lurserlleh   and  objectiy  yorgegangene 
Vermehrung    der   Nahrungsmittel    kann    nun    doch   nicht 
durch  den  Glauben  des  Volks  auf  reale  Weise  yermittelt 
gedacht  werden ,   so  dafs  jener  Glaube  cum  Gelingen  der 
Brotrermobrnng  mitwirken  mufste;    die  Vermittlung  kann 
Helmehr  nur  eine  teleologische  gewesen  sein,  d.  h.  dafs 
um  eines    gei»  lesen  Gemfithssnstands    der  Menge    willro 
Jesus   die  Speisung  vornahm.      Kino  solche   Vermittlung 
tber  gibt  mir  nicht  die  mindeste  Hülfe,  mir  den  fraglichen 
Vorgang  denkbarer  an  machen ;  denn  nicht,  warum  es  so^ 
•sndem  wie  es  engegangen  sei,  ist  die  Frage.    So  beruhe 
adthin  Alles,  was  Olshaoskn  hier  gethan  un  haben  glaubt, 
un  das  Wunder  denkbarer  bu  machen,  auf  der  Zweideutig- 
ksit  des  Ausdrucks:   Vermittlung,    und  es  bleibt  die  Dn- 
(knkbarkeit  einer   nnmittelbaren  Einwirkung  des  Willens 
Jesu  auf  die  yemuuftlose  Natur  dieser  Geschichte  mit  den 
loletBt  erwogenen  gemein. 

i>oeh  eigenthümlich  vor  den  andern  ist  Ihr  die  Schwie- 
rigkeit, dafs  hier  nicht  blofs  wie  bisher  von  einer  den  Na- 
targegenständen  ertheilten  lliohtung  oder  Modification, 
tondern  von  einer  Vermehrung  derselben,   und  awar  tn's 


220  Zw«il»r  Abschnitt. 

• 
Ungtobettfe,  dia  Rede  Ist.    Zwar  Ist  uns  nlehts  «UtitgllclMr, 

als  Wachstham  und  Vermehmiig  dar  MatorgegenstHnde, 
wie  sie  b.  B.  vom  SamenkMfa  in  den  Parabeln  vom  Sie- 
mann  und  vom  Senfkorn  dargestellt  bt.  AlMn  diese  gs- 
sohiebt  erstlich  nicht  ohne  Zntvitt  anderer  Natnrdhige,  wie 
Erde,  WasMr,  Lnft,  So  dafs  aiieh  bfery  naeh  dem  beksnn- 
tei»  Sats  der  Natiiriehre,  oiebt  eigentlich  die  Substana  Tsr> 
mehrt,  sondern  nur  die  Aceidenslen  verwandelt  werden; 
zweitens  geschieht  dieser  Prooeb  so ,  dafs  er  seine  ver* 
aohiedenen  Stadien  in  .entsprechenden  Zeitdistaneen  so« 
rfieklegt.  liier  dagegen ,  bei  der  Vermehrang  der  Nah- 
WMigsmlttel  darch  Jesus  i,  findet  ¥iwder  das  £ine  noch  das 
Ander«  statt:  das  Brot  in  der  Hand  Jesu  b&ngt  nicht 
mehr,  wie  der  Halm,  auf  welchem  die  Frucht  wuchs,  mit 
dem  mfitterlichen  Boden  uusan^en,  noch  geschieht  sMse 
Vermehrung  ailmäblig»  sondern  pUltalieh. 

Das  aber  eb^ii  soll   das  Wunderbare  an  der  Saebe 
aefp  ^  und  namentlich  nach  der  letzteren  Seite  hin  dai  ge- 
genwfirtige   Wunder  ein   beschleunigter  NatnrproeeCa  ge- 
nannt werden  können.      Was  von  der  Aussaat  bis  aar 
Ernte  in  drei  Vierteljahren  geschieht,  soll  da  in  Minotao 
unter  der  Austheilung  der  Speise  geschehen  sein;  denn  ei- 
nes Beschleunigung  seien  die  Natnrentwicklnngen   fi% 
und  einer  wie  grofsen,  daa  sei  nicht  au  bestimoMn  ^®).  f^ 
beschleunigter  Naturprocefs  wäre   es  gewesen ,    wenn  in 
Jesu  Hand  Je  ein  Korn  hundertfftltige  Frucht  getragen  aad 
sur  Reife  gebracht,  und  er  die   vermehrten  Kömer  ana 
immer  vollen  Httnden  dem  Volke  bingesohattet  hStte ,  vm 
sie  von  diesem  serreiben ,  kneten  und  backen ,  oder  in  der 
Wüste ,  wo  sie  waren ,   roh  aus  den  Hfllsen  geniefsen  so 
lassen;    wenn  er  einen  lebendigen  Fisch  genommen,  nod 
die  Eier  in  dessen  Leibe  plötsllch  hervorgerufen,  befrach- 
tet, und  SU  ausgewachsenen  Fischen  gemacht  h&tte^  welche 


10)  So,  nach  Fmnmnssa>  Oumaussh,  1,  S.  480.  Vgl.  Hass>  §•  9^ 


Meontes  Raplcel.     S-  100.  121 

dinn  die  Jdknger  oder  das  Volk  hitten  sieden  oder  braten 
■Sgttfl.  So  hingegen  nimmt  er  nieht  Korn  in  die  Hnnd, 
soadera  Brot,  nnd  eneh  die  Piaohe  misten,  se  win  sie  in 
Stfieken  ansgetlieill  werden,  irgendwie  nnliereitet}  viel«» 
bieht,  wie  Ln6.  M,  ISL  rgl.  Job.  21 ,  9.,  gebraten ,  oder 
daieialsen  gewesen  sein«  Hier  ist  ako  aof  iieideii  Seiten 
kein  reines,  lebendiges  Natnrprodnet  mehr,  sondern  ein 
todtes  nnd  durch  Konst  modificlrtes ;  um  ein  solehee  in 
eineD  NatnrproeeCs  Jener  Art  en  rersetsen,  bitte  Jesos 
Tor  Allem  dnroh  seine  Wunderkraft  ans  dem  Brot  wieder 
KSnier,  ans  den  Bratfischen  wieder  rohe  nnd  lel>ende 
mehen,  dann  geschwind  die  besehriebene  Verdiebmng 
nrnehmen,  endlieh  simmtliohes  Vermehrte  Tom  Natumn* 
•tand  in  den  kflnstÜchen  anrOckrersetsen  mflssen.  So 
wire  mitbin  dieses  Wunder  aosammengesetEt  1}  ans  einer 
Wiederbelebang,  welche  alle  sonst  in  den  Srangelian  er* 
ilUle  an  MiraculositXt  llbertrife;  S)  ans  einem  bSchst 
beiehleanigten  Maturprooefs,  nnd  S)  ans  einem  nnsicMlialp 
virgsoemmenen  und  el»enfalls  höchst  liesobleunigten  Kunst» 
pnoefs,  indem  alle  die  langen  Prooeduren  des  Müllers 
■BdBäckersi  auf  der  einen,  nnd  des  Kochs  auf  der  andern 
Seite  dnroh  Jeen  Wort  in  einem  Augenblick  mfifsten  vor 
lieh  gegangen  sein.  Wie  mag  also  Olsbahsbn  sieh  selbst 
■id  den  glaubigen  Leser  durch  den  annehmlich  kUngen* 
isn  Ausdruck:  beschleunigter  Maturprocefs ,  tSnsohen, 
veno  doch  dieser  diu  Sache.,  ron  der  die  Rede  ist^  nur 
nun  dritten  Theil  beneicbnet  ^0  < 


il)  Diese  jämmerliche  Bemerkung,  ven  mir  luit  nach  OfUAV^mn 
wohl  in  etwas  Schlimmerem  als  in  blosser  inteUectueller  Ua« 
fahigkeit  ihren  Grund,  nämlich  in  meinem  vollendeten  Un- 
glauben an  einen  lebendigen  Gott;  sonst  hätte  mir  wohlidaa 
Bedenken  nicht  so  gross  scheinen  können ,  wie  durch  die 
göttliche  Causalität  menschliche  Thätigkeitcn  ersetzt  werden 
können  (S.  479.)* 


934  Zweiter  Absohniit. 

lieb  Bnni  gröfseren  Tlielli^aaa   efaMr  FestknraFane  beitiin- 
den  habei  so  könne  de  nioht  ebne. alle  Speberorrlthe  ge- 
weaen,  and  nnr  einigen  Aermerei  vielleiebt  der  Vorrath 
bereite  anegegangen  geweaen  sein.    Dm  nun  die  besser  Ve^ 
eebenen  nur  Mittbrflnng  an  die,  denen  es  fehlte,  eb  ye^ 
anlassen,   bebe  Jesus  ein  Mahl  veranstaltet,   und  sei  mit 
eigenem  Beispiele  in  der  Mittheilnng  dessen,  was  er  and 
seine  Jflnger  von  ihrem  geringen  V-ormtb  entbehren  konn* 
ten,   vorangegangen;   dieser   Vorgang  habe    Naobaboiiing 
gafnnden,  und  so   sei,  indem 'Jean  Brotaustheilong  eine 
allgemeine  Mittheilnng  veranlafste,  der  ganee  Volkshaof« 
satt  geiiovden.     Allerdings  mfisse  man  dieses   natürliche 
Bfittelglied  in  den  Text  erst  hineindenken ;  da  jedoch  du 
flbernatfirliche,  welches  man  gewöhnlich  annehme,  die  wun- 
derbare Brotvermehmng,  ebenso  wenig  aoadrAeklleb  enge- 
gelMu  sei,  'eondern  beide  gleicherweise  tünnugedaebt  wer- 
den müssen:   so  könne  man. nicht  anders,   als  ftr  das  n«* 
tttrliehe  sieh  entscheiden.  ^  üoch  das  hier  i»ehänptete  giei- 
ebe  VerbftltniTs  der  beiden  Mittelglieder  nnm  Texte  findet 
in  der  That  nicht  statte    Sondern,  während  ^nnm  Behufe 
der  natttriichen  Erklftmng  ein  neues  austheÜendea  Sobjfet 
Cdie  besser  Versehenen  unter  der  Menge),   und  ein  neaea 
auagetheilfees  Object  (deren  Vorrlthe),  summt  der  Handltnf 
des  Austbettens  von  diesen,  biuBi^gedacht  werden  mab:  be* 
gnl^t  sieh  die  snpranaturallstisehe  Erklärung',  mit  des  vor- 
handenen Snbject  (Jesu  und  seinen  Jüngern) ,  Object  (de* 
ren  kleinem  Vorratli)   nnd  dessen  Austbellung,   und  lüfft 
nur  die  Art  hinandenken,   wie  dieser   Vorrath    cur  Sfitti- 
guflg  der  Menge  aulänglich  gemacht  wnrde^  indem  er  sich 
nämlich  unter  Jesu  (oder  seiner  Jttnger)  Händen  wunder^ 
Iwr  vermehrte.     Wie  kann  men  hier  noch  bebaopten,  dem 
Texte  liege  keines  von  beiden  Mittelgliedern  näher  als  das 
andere?     Dafs  die  wunderbare  Vermehrung  der  Brote  und 
Fische  verschwiegen  ist,   erklärt  sich  daraua^    dafs  dieser 
Vorgang  selbst  sich  nicht  ffir  die   Anscbanung  festhalten 


Senates  Kapitel.    §.100.  225 

iiMeo  v9'Jtj  daber  besser  mir  naeh  dem  Erfolg  bezeichnet 
wird:   wie  aber  will  aian  erklären,   daCi  von   der   dnroh 
Jetaa   berrorgerofenen   Miitheilsamkeit  der    Obrigen   mit 
Vorratb  Versebeneo  niebts  gesagt  ist?  Zwischen  das  tdtw» 
tig  /üctd^r^zcag^   ci  de  fiaO^r/icd  loig  iixi^S  (Mattb.  14,  19) 
Süd  xai  Bffteyoy  navreg  xat  i^oiKaa^rfleof  (V.  20.)  {ene  Mit- 
tbcilaog  der  Andern  bineinsodenken ,   ist   reine  Willkür: 
wogegen  durcb  das  xoi  tag  ovo  ix^^vag  ifdgiae  naai  (Marc. 
6^41.)  nnrerkennbar  angeeeigt  ist,  dafs  nnr  die  awei  Fische 
-  und  ako  aneb  nur  die  5  Brote  —  das  Object  der  Tbei« 
ioBg  fOr  Alle  waren  ^^).    Gans  besonders  kommt  aber  diese 
nstürlicbe   firkiärung    mit    den   Körben   in    Verlegenheit  ^ 
welebe,  nachdem  Alle  satt  geworden,  Jesus  noch  mit  den 
llirig  gebliebenen  Brocken  füllen  liefs.     Wenn    hier  der 
rierte  firangelist  sagt:  av>Tjctyoif  &y,  xcd   eyifuaay  diodexa 
totfivHg  xijaaficnunf  ix   %uiv  nevre  ägrafv  tcüv  xqiD-IvuVj    a 
ijUQiaaiuae  xcig  ßeßQtaxoaiv  <6,  13.) :    so  scheint  doch  hie<^ 
dareh  deutlich  geoug  gesagt  au  sein,  dafs  eben  yon  jenen 
%  Broten ,    nachdem  5000  Mann   sich  von  denselben  gesät- 
tigt, noch  12  Körbe  voll  Brocken ,  also  mehr  als  der  ar- 
^rSftgliche  Vorratb  betragen  hatte,  fibrig  geblieben  seien, 
filier  hat  daher  .der  iiatfirliche  Erklärer  die  abentenerlicb* 
sieo  Wendungen  nöthig,   um  dem  Wunder  auszuweichen.. 
Zwar,  wenn  die  Synoptiker  nur  schlechtweg  sagen,   man 
habe  die  Ueberreste  des  Mahls  gesammelt,  und  mit  densel« 
ben  12  Körbe  geföllt,  so  könnte  man  vom  Standpunkte  der 
aatfirlieben  Erklärung  etwa  denken,  Jesus  habe  ans  Ach« 
taug  für  die  Gottesgabe  auch  das,  was  die  Versammlung 
foo  den  eigenen  Vorräthen  liegen  liefs,  durch  seioe  Jfin- 
ger  aufsammeln  lassen.    Allein,    wie  das,  daCs  das  Volk 
das  fibrig  Gebliebene  liegen  liefs  und  nicht  au  sich  steckte,« 
ioaudeaten  scheint,  Jafs  es  die  gereichten  Nahrungsmittel 
sls  fremdes  Eigenthum  bebandelte :   so  seheint  Jesus ,    in- 


l      V 


Dit9  Leben  Jesu  Ifa  Aufl.  li.  Band.  l*» 


226  Zweiler  Abiehnitt. 

dem  er  es  ohne  Weiteres  dnrcli  seloe  Jflnger  slniannieln 
IXfst,  es  als  sein  EigentlioBi  bu  lietrachten.  Daher  nimmt 
dton  Paulus  das  ijQixv  x*  r.  iL  der  Synoptiker  nicht  ?oa 
einem  auf  das  Essen  erst  erfolgten  Aufsammeln  desseui  wti 
nach  S&ttignng  der  Menge  fibrig  blieb,  sondern  von  dem 
Ueiierflofs  ihres  geringen  Verratlu,  weleben  die  Jflogeri 
naehdem  sie  das  ffir  Jesnm  and  sie  selbst  Erforderliche 
cnrflohgethan ,  vor  dem  geoteinsamen  Mahle  and  om  ein 
solches  na  veranlassen ,  hemmgetragen  liaben.  Wie  kano 
aber,  wenn  nach  etpayov  ttal  ixoqfiiad-rfiaiß  unmittelbar  xai 
ijqccif  folgt,  damit  auf  die  Zeit  vor  dem  Essen  socSckge- 
eprungen  sefn  ?  milfste  es  nicht  nothwendig  wenigstens  ^^ 
yoQ  heifsen  ?  Ferner,  wie  kann,  nachdem  eben  gesagt  war, 
das  Volk  habe  sich  satt  gegessen,  to  n€QiaatüOaVy  voilenda 
wenn,  wie  bei  Lukas,  avrds  dabei  steht,  etwas  Anderes 
ab  das  vom  Volk  Debergelassene  bedeuten?  Endlich)  wie 
bt  es  möglich,  dafs  von  &-  Broten  und  2  Fischen,  nachdem 
Jesus  und  seine  Jflnger  ihren  Bedarf  genommen ,  oder 
selbst  ohne  diefs ,  natttriicherweise  12  Körbe  mnr  Aastbei" 
Inng  an  das  Volk  gefflilt  werden  konnten?  Doch  noch 
seltsamer  geht  es  bei  Erklärung  der  Johanneisohen  Stelle 
EU.  Wegen  der  Anweisung  Jesu,  das  Uebriggebliebeoe 
mu  sammeln,  tva  fuj  %i  ajiohjraij  scheint  der  folgendes 
Angabe,  dafs  sie  von  dem  Debersehufs  der  5  Brote  12  Kö^ 
he  gefüllt  haben,  die  Besiebung  auf  die  Zeit  nach  dem 
Mahle  nicht  enteogen  werden  bu  können ;  wobei  dann  oh- 
ne  wunderbare  Brotvermehrung  nicht  abeukommen  wire. 
Lieber  reifst  daher  Paulus  von  dem  avn-yayw  6r  das  in 
Einem  fortlaufende  xal  iyifdUJav  dtidexa  xoq^ivug  x«  t.  A*  sb, 
und  Ifilst  nun  hier  die  Rede,  noch  härter  als  beladen  Syn- 
optikern,  ohne  alle  Andeutung  auf  Einmal  In  das  PlU' 
quamperfectum  und  in  die  Zeit  vor  dem  Mahle  siurfiok- 
springen« 

Auch  hier  demnach  löst  die  natiirliche  Erklärung  ih- 
re Aufgabe  nicht:   dem  Texte  bleibt  sein   Wunder,  und 


Nennt«!  Kapitel.  S-  100.  i27 

V 

weno  ivir  Grflnde  haben,  diese«  nnglanblieh  en  finden ,  se 
mSssen  wir  natennclien,    ob  die   £rsllbiang  de«  Texte« 
wirklieh  Glaoben  verdiene?  Ffir  ihre  ansgeaeiohnetefjlanli- 
Würdigkeit  ffihrt  man  gewöhnlich   die  Deliereinstimniung 
liamtlleher  vier  Evangelieten  in  derselben  an :   aber  diese 
Oeber^stiBBong  Ist  so  vollstftndlg  nicht.    Zwar  die  Dif- 
ftreosea,  welche  nwischen  Matthäus  und  Lukas,  und  wie^ 
derswiseben  diesen  beiden  and  dem  auch  hier  ausmalen« 
denMsrkns  stattfinden,  ferner  swischen  simmfiichen  Syn» 
Optikern  and  Johannes  dariui  dafs  Jene  den  Vorgang  schlecht- 
weg an  einen  lono^  iQrjtOQj  dieser  ihn  auf  ein  oQog  ver- 
Ktit,  nnd   dafs  den   Synoptikern   nnfolge    die   Handlung 
dorch  eine  Anrede  der  Jfinger,  nach  Johannes  darch  eine 
Fnge  Jesu  eröffnet  ist  C'wei  Zfige,  worin,    wie   bereits 
knerkt,  die  Jobanneische  ErnUhlnng  sich  dem  Berichte  de« 
Httdilas  und  Markus  von  der  nweiten  Speisung  nähert), 
Mdlkh  noch  die  Abweichnng,  dafs  die  Reden,  welche  die 
M  ersten  Eirangelisten  unbestimmt  tdlg  fiad't/tatg  in  den 
MunI  legen,  der  wierte  in  seiner  individualislrenden  Wei- 
Mninendieh  dem  Philippns  und  Andreas  leiht,   wie  der- 
Mfte  nch  als  Träger  der  Brote  und  Fische  bestimmt  elit 
^KttÜ^m»  angibt,   —  diese  Abweichungen  können  wir  als 
■htkr  wesentlich  II  hergehen,  um  nur  an  Eine  uns  su  hal- 
^>  welche  tiefer  eingreift.     Während  nämlich  nach  den 
ij^tisohen   Berichten  Jesus  die  Volksmenge  suerst  lange 
Mehrt  nnd   ihre  Kranken  geheilt  hatte,   nnd  erst   durch 
^  einbrechenden   Abend   und   die  bemerkte  Verspätung 
Knmlafst  wurde,  sie  noch  su  speisen:   ist  bei  Johannes, 
loktld  er  nur  die  Augen  aufhebt  und  das  Volk  heranaie« 
^  sieht,  Jesu   erster  Gedanke  der,  welchen  er  in  der 
^nge  an  den  Philippus  ausspricht ;    woher  Brot  nehmen, 
^  diese  nn  speisen  ?  oder,  da  er  diefs  nur  neiQd^ajv  f^*g* 
^}  wohlwiasend,  tl  ^fitlle  nouiv^  der  Vorsats,  hier  eine 
änderbare  Speisung  nn  veranstalten.    Wie  konnte  denn 
*W  Jesu  bei*m  ersten  Herannahen  des  Volks  sogleich  die 

15* 


228  Zweiter  Abschnitt. 

Aufgalie  entstehen,  ihm  zn  essen  su  geben!  Defshilb 
kam  es  ja  gar  nicht  zn  ihm^  sondern  nm  seiner  Lehre  ond 
Heilliraft  wille.n.  Er  mnfste  sich  also  gane  ans  eigenen 
Antrieb  jene  Aufgabe  steilen ,  nm  seine  Wnndermaeht  in 
einer  recht  ausgezeichneten  Probe  zn  beweisen*  Aber  that 
er  auch  Je  sonst  ein  Wunder  so  ohne  Noth  und  selbst  oIh 
ne  Veranlassung,  ganz  eigenwillig,  nur  nm  ein  Wunder  es 
verrichten?  Ich  weils  es  nicht  stark  genug  anaznsprechen, 
wie  unmöglich  hier  das  Essen  Jesu  erster  Gedanke  sein, 
wie  unmöglich  er  dem  Volke  sdn  Speisungs wunder  in  die- 
ser Weise  aufdringen  konnte«  Hier  geht  also  die  synopti- 
sche Darstellung,  in  welcher  das  Wunder  doch  einen  An- 
lafs  hat,  der  des  vierten  Evangelisten  bedeutend  vor,  wel- 
cher, zum  Wunder  eilend,  die  nöthige  Motivimng  dessel- 
ben flberspringt,  und  Jesnm  die  Gelegenheft  zn  demselbeo 
machen,  nicht  abwarten  Iftfst«  So  konnte  ein  Augenzeuge 
nicht  erzfihlen  ^%  und  wenn  somit  der  Bericht  desjenigen 
Evangeliums,  welchem  man  jetf  t  die  gröfste  Auctoritftt  ein- 
rfiumt,  als  nngeschichtlich  bei  Seite  gestellt  werden  mab: 
so  sind  bei  den  öbrigen  die  oben  beregten  Schwierigkei- 
ten der  Thatsache  hinreichende  Gründe,  ihre  geschieh tUehe 
Zuverlässigkeit  zu  bezweifeln,  besonders  wenn  sich  neben 
diesen  negativen  auch  positive  Gründe  auffinden  isMeo, 
welche  eine  unhistorische  Entstehung  unserer  Erzfiblong 
denkbar  machen« 

Solche  Veranlassungen  finden  sich  wirklich  sowohl  in« 
nerhalb  der  evangelischen  Berichte  selbst,  als  anfserhsib 
ihrer  in  der  A.  T.  liehen  Geschichte  und  dem  jadiachen 
Volksglauben.  In  ersterer  Beziehung  ist  es  bemerkenswertb, 
dafs  sowohl  bei  den  Synoptikern  als  bei  Jobannes  an  lUe 
durch  Jesum  vollzogene  Speisung  mit  eigentliobem  Brote 
mehr  oder  minder  unmittelbar  Reden   Jesu  von   Brot  nn^ 


16)  Gegen  Nbakdbr's  Ausgleichungavcrsuch  vergl.  db  Wbttk,  cxeg. 
Hendb.)  1,  3,  S.  77. 


Neuntes  Kapitel.    S*  100.  d29 


Bretefst^  in  nneifentlieheiB  Sinne  angebflngt  sind,  nftin» 
lioh  hier  die  Austprüeiie  Tom  wahren  HinunelB*  nnd  Lv* 
beiubrot,  da«  Jeaiu  gekm  (Joh.  6, 27  iE)»  dort  .dla  Tom.  fal* 
nhen  Sawrleif  der  Phariaäer  nnd  SaddnoXer»  Mmlieh.  ib^ 
rer  falseheh  Lehre  und  Uenefaelei  (Matth,  16,  *5  ff.  - Marm 
S^  14  ff.  vgl:  Lue.  12,  1.)  >0»  «nd  beidereeita  wird  dieeb 
bildliche  Aede  Jean  irrig  von  eigen tliebea  Brote  Terataitdehi 
Dnoaeh  lige  die  Vennutbnng  nicht  allsnfern^  wie  in  den 
lagifiMiften.  Stellen  das  Volk  nnd  die  Jfioger,  so  habe  aueb 
die  ente  ohriatliehe  Ueberiieferong  das  von  Jean  nneigent« 
SA  tiemeidte  eigentlich  gefafst,  und  wenn  er.  sieb  etwa 
iibüdliofaer  Rede  hisweHen  als  denjenigen  dargasteilt  bal« 
ta,  wetober  dem  irerinrten  nnd  hungernden  Volk  das  wldN 
n  Lebtnsbrot,  die  beste  Zukost,  nn  reichen  varmSge,  mo^ 


t7)  Dietem  Fingerzeig  ist  neuestens  Wbissb  nacligegangen,  und  hat 
den  Schlüssel  zu  der  Speisungsgeschichte  in  der  Frage  Jesu 
gefunden ,  welche  er  auf  das  Missverst'ändniss  seiner  War- 
Btiag  vor  dem  Sauerteige  der  Pharisäer  und  Saddncäer  an 
die  Jiioger  richtet ,  oh  sie  sich  denn  nicht  erinnern,  wie 
nelKtfirlbe  sie  von  den  fttnf  und  wieder  von  den  sieben  BfO*^ 
tea  hah&n  aufsammeln  können?     Wenn  er  dann  hinzusetze; 

««5  H   rOS2Tf  n     OTl    «    71^^    S^H   flTtOy    VfJUV    «.    T.    X»    (Matth.     16,    H)« 

to  zeige  die  Parallele,  in  welche  Jesus  hier  die  Speisungs- 
geschichte mit  der  Rede  vom  Sauerteig  setze,  dassauph  jen« 
nur  paraholisch  zu  verstehen  gewesen  sei  (S.  511  ff-)*  Allein 
die  Form  der  Frage  Jesu:  noan^  xoiptvug  {o.ioftiSct^)  hXufifrf\  setzt 
eine  wirkliche  Begebenheit  vori^us ;  von  einer  ParAhel ,  in 
welcher  Jesus  «iid  die  Jünger  eine  Hauptrolle  gespielt  hHU 
teo,  kann  man  sich  nach  dem  im  ersten  Bande,  bei  Gele- 
genheit der  Versuchungsgeschichte  Bemerkten,  keine  Vor- 
stellung machen;  die  Schlussweise  Jesu  aber  geht  dem  Texte 
zufolge  nicht  von  dem  hlos  bildlichen  Sinne  der  früheren 
Erzählung  auf  die  gleiche  Bedeutung  der  sjpäteren  Rede, 
sondern  von  dem  früheren  Beweise,  Wie  Überflüssig  die  Sor.i 
ge  für  leibliches  Brot  in  Jesu  NlChe  «ei  i  nAf  d?e  Üiigercii&t* 
heit,  seine  >jetzige  Rede  von  solchem  lii  yerstefaen.    '  * 


230  Zweiter  Absohnilt* 

mit  er  vielleieht  den  Saaerteig  der  Pbariiier  i*  QegenaaU 
stellte:  so  habe  diefa  io  der  Sage,  ibrer  realistiaohen  Rieh- 
fohg  gemäfa,  die  Wendung  genommen,  ala  ob  Jesni  wirk* 
lioh  eifamal  in  der  Wfiste  hungernde  Yolkamaiaea  waBde^ 
bar  gespeist  hätte.  Wenn  das  vierte  fivangellnm  die  &e« 
den  vom  Himmelsbrot  als  veranlafst  duveh  die.  Speisung 
hinstellt,  so  könnte  das  Verhiltnifi  leioht  umgekehrt  dieri 
gewesen  sein,  dafs  die  Entstehung  dieser  GescMohte  durch 
jeno>  Rede  veranlafst  war,  sumal  aneh  der  lüngmig  der  jo* 
hanneisoben  Ibraäblnng  mit  seinem :  no^&f  ct/epaao^  «V 
T8^,  Um  ydyioaiy  moi;  sich  gleich  bei'm  ersten.  AiÄbikk 
lies'  Volk«  in  Jesu  Munde  eher  denken  läfst,  wenn  er  dt* 
mit"ai^ieiiie  Speisung  dureh  das  Wort  Gottes  (vgl.  Joh. 
4v  ^%  ft'.)i  «nf  eine  Stillung  des  geietigen  Hn^era  (Mattk 
5,  6)  anspielte,  um  das  höhere  Verstfindoirs  seiner  Jfin- 
ger  Bu  fiben  (jieiQa^tav)^  als  wenn  er  wirklich  an  leibliche 
Sfittigung  gedacht,  und  seine  Jünger  nur  in  der  Hinsiebt 
auf  die  Probe  gestellt  haben  soll,  ob  sie  sich  dabei  aof 
aeinjO  Wunderkraft  verlassen  würden«  Weniger  ladet  so 
i^ioer  aolohen  Ansicht  die  ErB&hlnng  der  Synoptiker  ein  : 
durch  die  bildlichen  Reden  vom  Sauerteig  für  sich  konnte 
die  Entstehung  der  Speisimgsgeschiohte  nicht  versnlibt 
werden,  und  da  somit  das  johanneische  Evangelium  in  Be- 
Eug  auf  jenen  Schein  eigentlich  allein  steht,  so  ist  es  dea 
Charakter  desselben  doch  angemessener,  zu  vermuthen,  dab 
es  die  traditionell  überkommene  Wunderersählung  au  bäd- 
liehen  Reden  im  alexandrinischen  Geschmaoke  verweodet| 
als  dafs  ea  uns  die  ursprünglichen  Reden  aafbewahrt  ha- 
be, ans  welchen  die  Sage  Jene  Wundergeschichte  gespon- 
nen hätte. 

Sind  nun  vollends  die  anfserhalb  des  N.  T.  liegenden 
möglichen  Veranlassungen  nur  Entstehung  der  Speisnngt- 
geschichte  ß^ihr  stark:  so  werden  wir  den  a«fgenomme- 
nen  Verjiucl^^  dieselbe  ana  M.  T.  liehen  Stoffen  an  con- 
strniren ,   wieder  fallen  laasen  müssen.    Und  hier  erioiiert 


Neuntes  KapIteL    {•  100.  S31 

vns  gieleh  der  ?ierle  Evangelltt  doreb  die  dem  Vdke  In 
den  Mnnd  gelegte  Erwlhnnng  des  Manna,  Jene«  Hiomele- 
brots,  welches  Moses  in  der  Wttsto  den  Verfahren  nu  es« 
Kn  gegeben  habe  (V.  Sl«)»  ^^  einen  der  berahmtesten  ZU* 
p  der  israelitlsefaen  OrgescUebte  (8.  Mos.  16* ) ,   welcher 
lieh  gans  dasn  eignete,  dab  in  der  messianisehen  Zeit  ein 
Rsehbild  desselben  erwartet  wnrde,   wie  wir  denn  wirk- 
lieb ans  rabbiniseben  Schriften  wissen,  dafs  unter  denje- 
nigen Zügen  9  welche  roni  ersten  6o#l  auf  den  nweitea 
ibeinetragen  wurden,  das  Verleihen  von  HioiaMlsbrot  eine 
Bsaptstdle  einnabm  ^^.    Und  wenn  das  uiesalsehe  Manna 
lieh  dann  hergibt,   als  Vorbild  des  von  Jesu  auf  wunder» 
bsra  Weise  vermehrten  Brotes  angesehen  nn  werden:  so 
kSanten  die  Fische,  welche  Jesns  ebenso  wunderber  tct- 
nslirte,  daran  erinnern,  wie  auch  durch  Moses  nicht  nur 
ja  desa  Manna  ein   Brotsurrogat,  sondern  auch  in    den 
Wachteln  sine  Fleischspeise  dem  Volke  nu  TheU  geworden 
war  OL  Mos.  16,  8.  12.  IS.    4.  Mos.  11,  4— Ende).    Ver- 
gjlcieht  mau  diese  mosaischen  Kralhlungen  mit  unserer  CTan* 
gcdsehen,   so  findet  sich  auch  in  den  einseinen  Zflgen  el- 
ne  sflSallende  Aebnlichkeit*    Das  Local  ist  beidemale  die 
Wiele;   die  Veranlassung  des  Wunders  hier  wie  dort  die 
Bsssrgirfrs,.das  Volk  möchte  in  der  Wflste  Mangel  leiden, 
oder  gur  durch  Hunger  eu  Grunde  gehen:  in  der  A.  T.- 
Üsben  Geschichte  die  vorlaute,  mit  Murren  rerbundene  des 
Volks,  in  der  N»T.liclien  die  knrssichtige  der  Jttnger  und 
die  meneehenlreundUche  Jesu.    Geht  hierauf  mit  der  An- 
weisuog  des  letstereu  an  die  Jfinger,  sie  sollen  dem  Volke 
so  essen  geben,  in  welcher  schon  sein   Vorhaben  einer 
Wunderbesen  Speisung  liegt,  die  Zusage  parallel,  welche 
Jebora  dem  Moses  gab,  das  Volk  mit  Manna  (%  Mos.  16, 
4.)  und  mit  Wachteln  (2.  Mos.  16, 12.  4.  Mos.  11, 18  -  2a) 
>u  speisen :  so  ist  gana  besonders  spreebend  die  Aehnlich- 


18)  ts  den  1.  Band^  ^.  14. 


233  Zweiter  Abtohnitt. 

Mt  des   Zage«    der  evangelieeben    BriXblung,    dafs   die 
Jünger  es  als  Unmöglichkeit  ansehen,   ffir'  eine  so  grofse 
Volksmasse  In    der  Wüste   Mahroogsmittel^  herbeisoschaf* 
fen,  mit  dem,  was  der  A.  T. liehe  Berieht  den  Moses  gegen 
die  Verheirsang  Jehova's,  das   Volk  mit  Fleisch   bo  sSttU 
gen,   eweifelnd  einwenden  lurst   (4.  Mos.  11,  21  f.)-    Wie 
nSmlich  die  Jünger,   so  findet  auch  Moses  die  Menge  des 
Volks  KU  grofs,  als  dafs  er  ffir  möglich  haken  könnte,  es 
hinreichend  mit  Nahrungsmitteln   ed   versorgen;  wie  jene 
fragen^  woher  in  der  Wö^fo   so  viele  Brote  nehmen?   lo 
fragt  Moses  Ironisch,  ob  sie  denn  Schafe  und  Rinder  (wes 
sie  nicht  hatten)   schlachten  sollen?    nnd  wie   die  Jünger 
einwenden ,  dafs    nicht  einmal  durch   die   erschöpfendste 
Aosgaba   von  ihrer  Seite  dem  Bedürfnifs  gründlich  abge> 
holfen  werden  könnte:    so    hatte  Moses  In    einer  andern 
Wendung  erklärt,   um  das  Volk  so,   wie  Jehova  verhiefs^ 
aftttigen  eo  können^  müfste  das  Unmögliche  geschehen  (die 
Fische  aus  dem  Meer  herbeikommen);  Kin Wendungen,  sof 
welche  dort  Jehova,  wie  hier  Jesus,  nicht  achtet,  sondern 
das  Volk  Bur  Empfangnahme  der  wunderbaren  Speise  sich 
rüsten  belfst. 

So  analog  übrigens  der  Hergang  der  aofserordentlicheo 
Speisung   auf   beiden   Seiten   ist,   so  findet  sich  doch  der 
wesentliche  Unterschied,  dafs  Im  A.  T.  beldemale,  bei  dem 
Manna  wie  bei  den  Wachteln,  von  wunderbarer  BeiMhsC- 
fnng  SU  vor  nicht  vorhandener  Speise,  im  neuen  aber  fon 
wunderbarer  Vermehrung  eines  schon   vorhandenen,  aber 
unBurelohenden  Vorraths  die  R^de  Ist,  so   dafs  die  Kloft 
cwiscben  der  mosaischen  Erzfihlung  und  der  evangelischen 
cu  grofs  wllre,  um  diese  unmittelbar  ans  Jener  ableiten  cn 
können.     Sehen  wir  uns   hier  nach  einem  Mittelglied  O0| 
so  trifft  es  sich  gane  sachgemfifs,  dafs  «wischen  Moses  and 
den  Messias  auch  In  diesem  Stücke  die  Propheten  eintreten. 
Von  Elias  Ist  es  bekannt,    wie  durch  Ihn   und   nm  seinet- 
willen  der  geringe  Vorrath  an  Mehl  und  Oel,    den  er  bei 


Meootes  Kaintel.     S«  100* 


233 


der  Wittwe  tn  Zarpath  faiu)^  woaderbar  vennehrt,  oder 
niher  wXhrend  der  ganeen  üaoer  diner  Hangersooth  bd« 
reichend  erhalten  wurde  (1  Kön.  17,  8—16.).  Noch  wei« 
ter,  ond  mehr  znr  Aebniiehkeit  mit  der  eTaogelisehen  Er^ 
lihlang  entwickelt  findet  sich  diese  Wnndergeschichte  bei 
fiUta  (2  Kein.  4,  42  ff.)-  lüeser  will,  wie  Jeans  in  der 
Wüste  mit  5  Broten  nnd  2  Fischen  SMC,  so  während  ei- 
ser Hnngersnoth  mit  20  Broten  (welche,  wie  die  von  Jeaa 
vsrtbeiken  bei  Johannes ,  als  Gerstenhrode  beseichnet  wer- 
den) nebst  etwas  zerriebenem  tietreide  (hvTQy  LXX:  na- 

Itxlhai;')  100  Menschen  speisen ;  ein  Mifsrerbfiltnirs  ewischen 
Vorrath  nnd  Mannschaft,  welches  sein  Diener,  wie  dort 
Jesn  Jttnger,  in  der  Frage  ausdrfickt,  was  denn  fBrlOO 
Mann  diefs  Wenige  solle?  Eliiia  wie  Jeans  lifst  sich  da* 
dvreh  nicht  irren,  sondern  befiehlt  dem  Diener,  das  Vor- 
handene dem  Volke  sn  essen  eu  geben,  nnd  wie  in  der 
erangelischen  Erefthlnng  das  Sammeln  der  llbriggebliebenen 
Brocken,   so  wird    auch  in  der  A.  T.lichen.  am  Schlüsse 

• 

das  besonders  hervorgehoben,  dafa  nnerachtet  von  dem 
Venrath  so  Viele  gegessen  hatten,  doch  noch  Ueberschnfs 
sieh  keransgestellt  habe  ^').  Die  einsige  Dififerene  ist  hier 
e^mtlich  noch  die  geringere  Zahl  der  Brote  nnd  die  grö- 
ßere des  gesättigten  Volks  auf  Seiten  der  evangelischen  Er- 
siUong;  allein  wer  weifs  nicht,  dafs  (Iberhaopt  die  Sage 
nicht  leicht  nachbildet,  ohne  nngleich  an  (Iberbieten,  nnd 
wer  aieht  nicht,  dafs  es  insbesondre  der  Stellung  des  Mos« 
rtas  vdillg  angemessen  war,  seine  Wnnderkraft  zu  der  ei- 


19)     3.  Ktfn.  4,  43.  LXX: 

ri  Sw   T9TO  inanior  exaror 

Ebendas.  V.  44 :  jw»  hpa^ 
yor,    «a*  nmlaiw  waa  ro 


Joh.  6,  9: 

Mattb.  14«  20:  ml  iipayor  nav^ 
r^    aral    f/o^<Hf<9j|;(yay,    iral    ^(hiv 

M.    T.    L 


2S4  Zweiter  AbschuitU 

nes  Elba,  was  das  BedArfDifs  natOrlieher  Mittel  tMCriSk^ln 
das  VerhlltDifii  ?on  5  so  SO,  was  aber  die  flbernatOrliche 
Lebtangi  in  das  von  AOOO  zu  100  an  setaen?  Paulus  fird- 
liob^  um  die  Folgemng  abaaschneideni  dSifs,  wie  die  bei- 
den A.  T«Uoben,  so  aueh  die  ihnen  so  anffaliend  Ibniiebe 
e?angelisohe  Eraihlong  mythiseh  an  fassen  sei,  dehnt  auch 
auf  Jene  den  Versueh  einer  natllrliehen  Erlilfimng  aus,  den 
•r  an  dieser  dnrchgefilbrt ,  und  IXfst  den  Oelkrog  der 
Wittwe  duroh  BeitrXge  der  ProphetensehOler  Toll  erhalten 
werden,  die  20  Brote  aber  für  100  Mann  veraiöge  einer 
lobenswerthen  MXfsigkeit  derselben  sureiohen  *^ ;  eine  B^ 
fclXrung,  welche  in  dem  Maafse  noch  weniger  Terffibreriscb 
ist,  als  die  entsprechende  der  N,  T.lichen  Erslhlong,  in 
welchem  bei  Jener  vermöge  ihrer  grBfseren  Zeitentfemang 
weniger  kritische  (und  vermöge  ihres  nnr  mittelbaren  Ver- 
hXltnisses  com  Christenthnm  auch  weniger  dogmatische) 
Beweggründe  vorhanden  sind,  an  ihrer  historischen  Rieh- 
tigkeit  festanhalten. 

Diese  mythische  .  Deducdon  der  Speisangsgesohichte 
TollstAndig  an  machen,  fehlt  nichts  mehr,  als  die  Naeh- 
weisnug,  dafs  auch  die  spXteren  Juden  noch  Ton  besonder! 
belügen  MXnnern  glaubten,  es  werde  durch  ihren  Einflnfs 
geringer  Speisevorrath  soreichend  gemacht,  —  and  auch 
mit  solchen  Notiaen  hat  uns  der  uneigennOtsige  Samnlar- 
fleifs  von  Dr.  Paulus  beschenkt,  wie  namentlich,  dafisnr 
Zeit  eines  besonders  heiligen  Mannes  die  wenigen  Schsa- 
brote  anr  SXttignng  der  Priester  bis  anm  Ueberflufa  ange- 
reicht  haben  '0*    Consequenterweise  sollte  der  genannte 


30)  Exeg.  Uandb.,  2,  S.  237  f. 

21)  Joma  f.  39,  1:  Tempare  SimeimisJutH  henedictiö  etai  ntper 
dm09  panes  peniecastaies  et  super  decem  pancM  rr^^fa^t^ .  ^ 
HnguH  sacerdatess  gui  pro  rata  purie  aedpereni  gtumtita- 
Um  oÜvae,  ad  satietaiem  comedereni,  imo  «i  adhmc  reH- 
quiae  superessent. 


Neante«  Kapitel,    f.  10h  2SS 

Antbger  umA  diese  Eralhlong  natürlieb,  etwa  gleiohfSiJls 
dnrch  die  Blibigkek  Jener  Priester,  an  erUiren  nielieB: 
doch  die  Oesehielite  stellt  Ja  nicht  in  Kanon,  daher  kann 
crsie  anbedenlLlieh  ftr  ein  Mähreben  halten,  «nd  rtaat 
Itesr  au&lienden  Aehnliehiieit  mit  der  evangelischen  nar 
«fiel  eiift^  dafs  reroMige  des  dureh  Jene  rabliinische  No« 
tii  doeiNnentirlen  Glanbens  der  Jaden  an  dergleieben  Spei* 
Kferashrongen  anch  die  N.  T.  liehe  Eralhlong  von  Jodal- 
arenden  <%risteo  frflhaeitig  in  gleichem  (wnnderhaftem) 
Sinne  habe  aufgeiWlst  werden  können.  Allein  laut  onserer 
Diitenachnng  ist  der  evangeltsche  Berieht  in  diesem  Sinne 
idioo  abgefalst,  nnd  lag  dieser  Sinn  im  Geiste  der  JBdi» 
leheo  Volkssngö,  .so  ist  die  evangeliscbe  Krzihlnng  ebne 
Zweifsl  ein  färaeogniis  derselben  ^. 

S.    101. 
Jesus  Terwandelt  Waster  in  Wein. 

An  die  Spelsnngsgeschiehte  läfst  sieh  lUe  Ersililang 

Ja  fierten  Evangeliums   (2,  1  ff.)  anreihen,   diis  Jesus 

ki  tiaer  Bochaeit  an   Kana   in  Galiläa  Wasser  in  Wein 

v'C'waidelt    habe.    Nach  Olshadskk  sollen  Iwide  Wunder 

■■terdiesell^  Kategorie  ansammenfallen,  indem  beidemale 

tu  Sabstrat  vorhanden   sei,    dessen    SnlMtana   modificirt 

wwde  <)•    Allein  hiebei  ist  der  logische  Unterschied  fiber^ 

■theo,  dafs  in  der  Speisungsgeschiehte  die  Modification  des 

wstrsts  eine  blofs  quantitative,  eine  Vermehrung  des  be- 

ftiti  m  dieser  Eigenschaft  Vorhandenen,   ist  (Brot  wird 

Aor  niehr  Brot,   aber  bleibt  Brot)s    wogegen  bei   der 

Bochaeit  au  Kana  das  Substrat  qualitativ  modificirt,    aus 

^u  nicht   blofs  mehr  dergleichen,   sondern  ein  Anderes 

(ins  Wasser  Wein)  wird,   somit  eine  eigentliche  Trans- 

tiktsntiation  vor  sich  geht.    Zwar  gibt  es  qualitative  Ver» 

22)  VgL  DB  Warn,  exeg.  Hsadb.,  i,  i,  S.  i»  f. 
i)  bim.  Conm.  2,  S.  74. 


236  Zweiter  Abschnitt. 

finderangen^  welche  natargemSfs  ei4blgeii)  und  deren  pldtt* 
liehe  HervorbriDgang  von  Seiten  Jesu  noch  leichier  denk* 
bar  wXre,  als  eine  ebenso  schnelle  Vermehrong  des  Quan- 
tums,  wie  s.  B.  wenn  er  plötclich  Most  na  Wein,  oder 
Wein  EU  Essig  gemacht  haben  würde:  denn  dters  wlrs 
nur  ein  beschlennigtes  Hindnrchfffhren  desselben  vegetabh 
lisohen  Snbstrats,  des  Tranbensaftes,  doreh  Vwsebieden« 
ihm  natürliche  ZostSndHchkeiten ;  wogegen  es  sdion  won* 
derberer  wäre,  wenn  Jesus  dem  Saft  einer  andern  Pflsa* 
nenfmoht,  b.  B.  des  Apfels,  diednalitftt  des  Tranbensafrei 
ertheilt  hSCte,  ob  er  gleich  hiebei  doch  immer  noch  inner- 
halb der  Grinsen  desselben  Katnrreichs  stehen  geblieben 
wäre.  '  Hier  nun  aber,  wo  Wasser  in  Wein  verwandelt 
wird,  ist  von  einem  Naturreich  in  das  andere,  vom  Ele- 
mentarischen in  das  Vegetabilische,  übergesprungen;  ein 
Wunder,  welches  so  weit  über  dem  Speisnngswnnder  steht, 
als  wenn  Jesna  dem  Rath  des  Versuchers  Gehör  gegeben, 
und  ans  Steinen  Brot  genmcht  hfitte  ^). 

Auch  auf  diese,  wie  auf  die  vorige  Wunderenählong 
wendet  Olshaosbn,  nach  Augustin  '),  die  Kategorie  eines 
besehiennigten  Maturprocesses  an,  so  dafs  hier  nichts  An- 
dres  geschehen  sein  soll,  als  in  accelerirter  Weise  dasselbe, 
was  in  langsamer  Entwicklung  sich  jährlich  am  Weinitoei 
darstelle.  Diese  Betrachtungsweise  wäre  in  dem  Fall  ge- 
gründet, wenn  das  Substrat,  auf  welches  Jesus  einwirkte, 
dasselbe  gewesen   wäre,    ans   welchem    natnrgemäCi  te 


2)  Nbandbr  meint ,  für  dieses  Wunder  *  lasse  sich  noch  leichter 
als  für  das  Speisungswunder  eine  Analogie  finden  ^  in  den 
Mineralquellen  nämlich,  deren  Wasser  durch  Naturkräfte  »o 
„potcnzirt^^  werde ,  dass  es  Wirkungen  hervorbringe ,  wel- 
che die  Wirkung  des  gewöhnlichen  Wassers  weit  tiberstei- 
gen ,   und  zum  Theil  der  des  Weines  ahnlich  seien  (S. 569) 

3)  In  Joann.  tracl.  8:  Ipse  vinum  feeit  in  WipMs ,  qni  mnl 
atmo  hoc  facit  in  vilibus. 


Nennte«  Kupitel.    {    loi.  2)7 

Wein  herrersogeheii  pflegt:  hxtte  er  eine  Weinrebe   nor 

Hand  genommen,    nnd   diese  plStnlaeb  snm  Billben   vnd 

Tragen  reifer  Trauben  gebraeht,    so  iielsefSieh  dieft  ein 

besehiennigter   Naiarproeess   nennen.     Äncb   so    übrigens 

kitten  wir  nocb  lieinen  Wein ,  und  lursGhte  Jesns  ans  der 

mr  Hand  genonamenen  Rebe  sogleich  auch  diesen  liervor, 

10  mnfirte  er  iloeh  ein  unsichtbares  Surrogat  des  Kelterns, 

alio  einen  beschlennigten  Kuntiproeess,  hinsnfilgen,  so  dals 

iseli  so  eebon  die  Kategorie  des  i>eiclileunigten  Natnrpro* 

csises  nnnnreichend  würde.     Doeh  wir   liaben  Ja   lieine 

Rebe  als  Substrat  dieser  Weinproduetion,  sondiBrn  Wasser, 

and  hiebe!  könnte  von  einem  beschleunigten  Matnrproeess 

aar  dann  mit  Fug  gesproehen  werden ,   wenn  Jemals  aus 

Waiser  y   sei  es  auch  noch  so  allmihlig,    Wein  entstünde« 

Hier  wird   nun  der  Saebe^  die  Wendung  gegeben,    dafs 

allerdings  ans  Wasier,   aus  der  dureh  Regen  u.  dgl.   in 

dieKrde  gebrachten  Feuehtigkeit,  die  Rebe  üiren  Saft  niehe, 

den  sie  sofort  zur  t'roductlon  der  Traube  und  des  in  ihr 

tathaltenen   Weines  verwende ,   so  dafs  folglich'  allerdings 

jiMieb  vermöge  eines  natürlichen  Proeesses  ans  Wasser 

Weia  enfatehe  *).    Allein  abgesehen  davon,  dafs  das  Was- 

üranr  Eine  der  elemeutariaehen  Potensen  ist,  welclie  die 

Kebe  so  ihrer  Fruchtbarkeit  nöthig  hat,  nnd  dals  sn  dem- 

•dben  noch  Erde,  Luft  und  Licht  hineukommen  müssen: 

ao  konnte  doch  weder  von  einer,    noch  von  allen   diesen 

elementarisohen  Potennen  zusammen   gesagt  werden,   dals 

•ie  die  Traube  od^r  den  Wein   hervorbringen,  dafs  also 

Jeans,  wenn  er  aus  Wasser  Wein  hervorbrachte,  dasselbe, 

nur  schneller,  gethau  habe,  was  sich  in  allmähligem  Pro» 

cssse  Jibrlich  wiederhole,  sondern  auch  hier  wieder  sind 


4)  So ,  von  OitiuvsRTf  gebilligt ,  Augustin  a.  a.  O. :  ticut  enim, 
guod  mtnemnt  minMri  in  Hydrias,  In  vinnm  conversum  est 
optre  Domini»  »ie  ei  guod  fwbes  fimdmnt,  in  trinum  etmver-^ 
tUur  i^U9dem  apere  Domini. 


2S8  Zweiter  AbtohniCt. 

wesentlieh  Tenehiedene  logitcbe  Kategerieen  Terwechtelt. 
Wir  mögen  nftmlioh  das  Verbftltnifii  de«  Prodocto  sum  Fro- 
dooirenden,  Ton  welobeM  es  sieb  bier  bandelt,  uoter  die 
Kategorie  Ton  Kraft  nod  Aeafserong,  oder  toh  Drsacbs 
und  Wirltiuig  steilen:  niemals  wird  gesagt  werden  können, 
dafs  das  Wasser  die  Kraft  oder  die  Drsaebe  sei,  welehs 
Tranben  nnd  Wrfn  benrorbringe ,  sondern  die  Kraft,  wel* 
ebe  deiren  Entstehung  verursacht,  ist  immer  nur  die  Tege- 
tabilisebe  indi?idnalitfit  des  Weinstoeks,  au  welcher  sich 
das  Wasser  nebst  den  übrigen  elementarisoben  Ageasien 
nnr  wie  die  Sollicitation  snr  Kraft,  wie  die  Veranlassung 
sar  Ursache,  ?erbXlt.  D.  b.  ohne  Einwirkung  von  Wasser, 
Laft  n.  s.  f«  kann  allerdings  die  Traube  nicht  entstehen, 
so  wenig  als  ohne  die  R«»be;  aber  der  Unterschied  ist, 
dafs  in  der  Rebe  die  Traube  an  sich  oder  dem  Keime  nach 
bereits  vorhanden  ist,  welchem  Wasser  n.  s*  f.  nnr  sur 
Entwicklung  verhelfen:  in  diesen  elementariscben  Wesen 
dagegen  ist  die  Traube  weder  aciu  noch  potetUia  vorban- 
den, sie  können  dieselbe  auf  keine  Weise  ans  sich,  son- 
dern nur  aus  einem  Andern,  der  Rebe,  entwickeln.  Aus 
Wasser  Wein  machen  beiist  also  nicht,  eine  Ursache 
schneller  als  auf  natürlichem  Wege  erfolgen  würde,  snr 
Wirksamkeit  bringen,  sondern  ohne  Ursache,  ans  der  blo- 
fsen  Veranlassung,  die  Wirkung  entstehen  lassen;  oder, 
bestimmter  auf  das  Organische  besogen,  ein  organisches 
Produot  ohne  den  producirenden  Organismus  aus  dem  blo- 
fsen  unorganischen  Material,  oder  vielmehr  nur  aus  Einem 
Bestandtheil  dieses  Materials,  hervorrufen:  nngefiibr  wie 
wenn  Einer  ans  Erde,  ohne  Das  wischen  kunft  der  Getreide* 
pflanse,  Brot,  aus  Brot,  ohne  es  vorher  durch  einen  thie- 
rischen  Körper  assimiliren  au  lassen.  Fleisch,  ans  Wein 
auf  eben  dieselbe  Weise  Blut  gemacht  haben  sollte.  Will 
man  sich  daher  nicht  blqfs  auf  das  Unbegreifliobe  eines 
AUmaebtsworts  Jesu  berufen,  sondern  mit  Olshausvn  den 
Prooefs,    der  in  dem   fraglichen   Wunder  enthalten  sein 


Neantet  Kapitel.     $•  101.  239 

mfibto)  nach  Art  eines  NaIacproeesMt  aioli  nftlier  bringen: 
10  mufs  man  nur  niebt,  nm  die  Sache  acheinbarer  ea  machen, 
einen  Theil  der  dann  gehörigen  Momente  verschweigen,  son- 
dern alle  her?orstellen,  wekhe  dann, folgende  gewesen  sein 
n&fsteii:  1)  an  dem  elementarischen  tigens  des  Wassers  mllfste 
Jeios  die  Kraft  der  übrigen  oben  genannten  Elemente  ge- 
fBgt,  dann  aber  2)  was  die  Hauptsache  ist,  die  organische 
lodiTidnalitAt  der  Rebe  ebenso  unsichtbar  herbeigeschafft 
haben ;  S)  bitte  er  nun  den  natfirlichen  Procefs  dieser  Ge- 
genstände mit  einander,  das  Blllhen  und  Frnchttragen  der 
Rebe  sammt  dem  Reifen  der  Traube,  bis  «um  Angenhlickr 
lieben  beselUennigt;  4)  hierauf  den  Knnstprocefs  des  Pres* 
•ens  n.  s.  f •  unsichtbar  nnd  piötalich  geschehen  lassen,  und 
endlieh  5)  den  weiteren  Naturprocefs  der  Gfihrung  wieder 
hk  cum  Augenblicklichen  beschleunigen  müssen«    Auch  hier 
demnaeh  ist  die  Beeeichnung  das  wunderbaren  Vorgangs 
als  bescliieanigten  Natnrprocessaa  nur  Ten  nwei  Momenten 
nnter  flinfen  hergenommen,  während  deren  drei  unter  die» 
len  Gesichtspunkt  sich  gar  nicht  bringen  lassen,  von  wel- 
eben  doch  die  beiden  ersten,   namentlich  das  eweite,  von 
einem  Belange  sind,   der  selbst  den  l>ei  der  Speisnngsge* 
schichte  von  dieser  Vorstellungsweise  vemaclüässigten  Mo« 
menten  nicht  nnkam:  so  dals  also  von  einem  lieschleunig- 
ten  Natnrprocefs  hier  so  wenig  wie  dort  die  Rede  sein 
kann  '^).    Da  aber  allerdings  diese  Kategorie  die  einaige 
sder  änaserste  ist,  unter  welcher  wir  dergleichen  Vorgän- 
ge unserem  Vorstellen  und  Begreifen  näher  bringen  kdn- 
neu :  so  ist  mit  der  Dnanwendbarkeit  Jener  Kategorie  auch 
die  Undenkbarkeit  des  Vorgangs  dargetban« 


5)  Auch  LvcKB,  if  S.  405)  findet  die  Analogie  mit  dem  bezeich- 
neten Naturproceftt  mangelhaft  und  undeutlich,  und  weise 
sich  hierüber  nur  dadurch  einigermassen  zu  beruhigen,  dast 
ein  ähnlicher  Uehelstand  auch  bei  dem  Speisungswunder 
stattfinde. 


240  Zweiter  Atrsehnitc« 

Doch  nioht  allein  in  Beeng  anf  die  Mö|;liohkeit,  smi* 
dem  auch  anf  die  Zweokmftfsigkeit  nnd  ScIuekliohJieit  Ut 
das  vorliegende  Wnnder  in  Äutprnoh  genommen  worden. 
Zwar  der  in  Alteren  ^)  nnd  neueren  ^)  Zeiten  gemaehle 
Vorwnrf,  dafa  eu  Jesu  unwürdig  sei»  sieh  nicht  allein  in 
Gesellschaft  von  Trnnkenen  betreten  au  lassen,  sondern 
ihrer  Trunkenheit  durch  seine  Wunderkraft  noch  Vorschob 
EU  tbun,  ist  als  fibertrieben  aban weisen,  indem,  wie  die 
Erklärer  mit  Recht  bemerken,  aus  dem  oroev  fiadva^äai 
(V.  100  9  welches  der  oQXi^^Qi^'^vog  in  Beaug  auf  den  ge- 
wöhnlichen Hergang  bei  dergleichen  Mahlen  bemerkt^  fBr 
^en  damaligen  Fall  nichts  mit  Sicherheit  gefolgert  werden 
kann«  So  viel  Jedoch  bleibt  immer,  was  nicht  allein  Päd* 
LC8  nnd  die  ProbabiKen  ^)  bemeridich  machen,  sondern 
audh  LOcKX  und  Olshadsbn  als  eine  bei'm  ersten  Anblick 
sich  aufdringende  Bedenklichkeit  angestehen,  dafs  nftmlich 
Jesus  durch  dieses  Wunder  nicht,  wie  er  sonst  pflegte, 
irgend  einer  Notkh,  einem  wirklichen  Bedfirfnifs,  abhalf, 
sondern  nur  einen  weiteren  Reia  der  Lnat  herbeischaffte; 
nicht  aowohl  hfilfireich ,  ala  vielmehr  gefflllig  sich  erwies ; 
mehr  nur  so  au  sagen  ein  Lnxuswunder,  als  ein  wirldich 
wohltbätiges,  verrichtete«  Sagt  man  hier,  es  sei  ein  hinrei- 
chender Zweck  des  Wunders  gewesen,  den  Glauben  der 
Jfinger  zu  befestigen  '),  was  nach  V.  11.  auch  wirtlich 
die  Folge  war:  so  mufs  mau  sich  erinnern,  dafs  bei  den 
übrigen  Wundern  Jesu  in  der  Regel  nicht  allein  das  For- 
male derselben,  d.  h.  dafs  sie  aulserordentliche  Krfolge 
waren ,  etwas  Wfinschenswerth^s ,  nämlich  den  Glauben 
der  Anwesenden,  aur  Folge  hatte,  sondern  auch  ihrem 
Materialen,  d.  h«  dafs  sie  in  Heilungen,  Spebungen  u.  dgl. 


6)  Bei  Chrysostomus,  homil.  in  Joann.  21. 

7)   WOOLSTOK,    Di8C.   4. 

8)  p.  42. 

9)  TllOLVGKj   z.   d.   St. 


Neontet  Kapitel. '§.  101.  i4t 

befUmdeii,  eine  wöhltbldge  Absieht  saa  Grande  lag«    Bei 
den  gegenwlrtlgen  Wunder  fehlt  diese  Seite,  ond  Paulus 
bst  %o  Unreeht  niebt,  wenn  er  auf  den  Widersprach  aaf- 
■eriisas  macht,  welcher  darin  liege,  dafs  Jesns  «war  dem 
Vcrsaeber  gegenfiber  Jede  Aafforderung  an  solchen  Wnn* 
dem,  die,  ohne  materiell  woblthXtig,  und  durch   ein  drin« 
pndes   BedOrfnifs  gefordert  sn  sein,    nnr  formell  etwn 
Gkaben  und  Bewnndemng  wirlien   könnten,  abgofriesen, 
ud  nun  doch  ein  solches  Wunder  gethan  haben  sollte  *^. 
Man  war  daher  supranaturalistischerseits  anf  die  Wen- 
doDg  angewiesen,  nicht  Glauben  überhaupt,  welche^  eben« 
M  got  oder  noch   besser  durch  eine  auch  materiell  wohl« 
thitige  Wunderhandlung  nu  iMwirken  war,   sondern  eine 
pos  specielle,  eben  nnr  doreh  dieses  Wunder  nu  be wir- 
kende Ueinerseagung  hal>e  Jesus  durch  dasselbe  hervorbrin* 
gen  wollmn.     Und  hier  lag  nun  nichts  näher,  als  durch  den 
Gegeneats  Ton  Wasser  und  Wein,  um  welchen  sich  das 
Wonder  dreht,  an  den  Gegensats  swisohen  dem  ßaTvri^wv 
hvömi  <Matth.  S,  110>  ^'^^  augleieh  ein  dvay  ^tj  Tuvityv 
wv  (Luc.  1,  15.   Matth.  11,  18.),   und  demjenigen,  wel- 
cher, wie  er  mit  dem  heiligen  Geist  und  mit  Feuer  taufte, 
M  isih    die  feurige,   geistreiche  Frucht   des  Weinstocba 
lU  nicht  versagte,   und  daher  olvoTiiit^^  gescholten  ward 
(Matth.  1  i,  19.))  erinnert  nu  werden,  um  so  mehr,  da  das 
Tieite  Evangelium,   welches  die  Ers&hiung  von  der  Hoch- 
ieit  sa  Kana  enthält ,  in  seinen  ersten  Abschnitten  beson- 
ders die  Tendens  seigt,   vom  Täufer  au  Jesu   herfiberau- 
Abren.  Daher  haben  denn  Hkrdbr  ^^)  und  nach  ihm  einige 
Andere  *')^  angenonunen,  Jesus  habe  durch  Jenes  Vorneh- 


10)  Comm.  4,  S.  151  f.. 

11)  Von  Gottes  Sohn  u.  s.  f.  nach  Johannes  Evangeliom,  S.  131  f. 

12)  C.  Ch.  Flatt  ,  über  die  Verwandlung  des  Wassers  in  Wein, 
in  Susxnn>*s  Magazin,  14.  Stück,  S.  86  f. ;  OLSHAUsaH,  s.  a.  O. 
S.  75  f. ;   vgl.  NiAiTDiii,  L.  J.  Chr.,  S.  572. 

Das  Leben  Jesu  Ue  Aufl,  IL  Band.  16 


242  Zweiter  Abschnitt. 

men  seinen  Jüngern ,  yon  welchen  mehrere  verlier  Schü- 
ler des  Täufers  gewesen  waren,  das  Verhältnirs  seines 
Geistes  and  Amtes  za  dem  des  Johannes  yersinnlichen, 
and  den  Anstofs,  welchen  sie  etwa  an  seiner  liberaleren 
Lebensweise  nehmen  mochten,  darch  das  Wander  nieder- 
schlagen wollen.  Allein  hier  tritt  nan  dasjenige  ein ,  wss 
gleichfalls  selbst  Freunde  dieser  Aaslegang  als  aafFallend  her- 
Forheben  ^^,  dafs  Jesus  das  sinnbildliche  Wand0r  nicht  be« 
DÜtsti  um  durch  erläuternde  Reden  seine  Jfinger  ober  sein 
Verhältnifs  cum  Täufer  anfsuklären.  Wie  nöthig  eine  sol- 
che Auslegung  war,  wenn  das  Wunder  nicht  seinen  spe- 
ciellen  Zweck  verfehlen  sollte,  erhellt  sogleich  daraus,  dab 
der  Referent  nach  V.  II.  dasselbe  gar  nicht  in  diesem 
Sinn,  als  Veranschaulichung  einer  besondern  Maxime  Je- 
su, sondern  gans  allgemein,  als  (paviQwaig  seiner  Jo|cr,  ve^ 
standen  hat  ^*).  War  also  doch  jene  specielle  Verständi- 
gung Jesu  Zweck  bei  dem  vorliegenden  Wunder,  so  hat 
Ihn  der  Verfasser  des  vierten  Evangeliums,  d.  h.  nach  der 
VoraussetEung  jener  Erklärer  sein  empfänglichster  Schfiler, 
mifsverstanden,  und  Jesus,  diesem  Alifsverständnirs  vorso- 
beugen,  auf  unzweckmäfsige  Weise  versäumt;  oder,  wenD 
man  dieses  Beides  nicht  annehmen  will,  so  bleibt  es  dabei, 
dafs  Jesus  den  allgemeinen  Zweck,  seine  Wunderkraft  sa 
Beigen,  gegen  seine  sonstige  Weise  durch  eine  Handiong 
SU  erreichen  gesucht  hätte ,  an  deren  SteiUe  er  eine  nfits- 
lichere  scheint  haben  setzen  zu  können. 

Auch  das  unverhältnifsmäfsige  Quantam  Weins,  wel- 
ches Jesus  den  Gästen  gewährt,  mufs  in  Erstaunen  setzen. 
6  Krfige,  jeder  2  bis  S  ^eiqijcag  fassend,  gäben,  wenn  der 
dem  hebräischen  Bath  entsprechende  attische  ^BTQijtrßj  sn 


13)  Olbuausi]«,  a.  a.  0. 

14)  Auch  LUcKs  findet  jene  symbolische  Deutung  zu  weit  herge- 
holt, und  zu  wenig  im  Tone  der  Erzählung  begründet,  S.  406. 
Vgl.  ni  Wim,  excg.  Handb.,  1,  5,  S.  37. 


Nenntet  KapiteL    $.101.  243 

IV;  rdoibchen  ampkcris  oder  21  WürteabergUcheii  Mae- 
Tseo,  rerttanden  ist,  252—378  Maars  ^').  Welches  Qnan- 
tom  fiir  eine  Gesellschaft ,  die  bereits  sienilieh  getrunken 
bstte!  Welche  ungeheuren  Krfige!  mfi  anch  Dr.  Paulus 
IIS,  und  wendet  nun  Alles  an,  um  die  Maaüsangabe  des 
Textes  an  verlilelnern.  Aof  die  sprachwidrigste  Weise  gibt 
er  dem  ma  statt  seiner  distribntiiren  eine  ansanimenfassen- 
de  Bedeatnag,  so  dafs  die  A  Hydrien  nicht  Jede ,  sondern 
sossaiDen  2  bis  3  Metreten  enthalten  haben  sollen,  und 
socb  Olshausbn  getröstet  sich  nach  Skmlkr  dessen,  dafs 
jsairgends  bemerkt  sei,  das  Wasser  aller  Krilge  sei  in  Wein 
rerwsndelt  worden.  Allein  das  sind  Ansflaohte:  wem  die 
Herbeisehaffang  eines  so  verschwenderisch  und  geffthrlieh 
groben  Quantums  von  Seiten  Jesu  unglaublich  Ist,  der  mufs 
daraus  auf  einen  anhistorischen  Charakter  der  Braählung 
•eUiefsen. 

Elg^nthUmliche  Schwierigkeit    macht    bei   dieser  Er- 

eShiaog  auch  das  VerhAltnifs,  in  welches  sie  Jesum  su  sei^ 

9»  Mutter  und  diese  bu  ihm  setst.    Nach  des  Evangelisten 

tnlHIcklicber  Angabe  war  dieses  Wunder  die  apx?  ^^'^^ 

or^fimsr  Jesu:   und  doch  sShit   seine  Mutter*  so   bestimmt 

danif,  er  werde  hier  ein  Wunder  thun,  dals  sieHhm  den 

elflgetretenen  Weinmangel  nur  anseigen  bu  dürfen  glaubt, 

iB  ihn  BU  fibernatiirlicher  Abhülfe  bu  bewegen,  und  selbst 

ils  sie  eine  abweisende  Antwort  erhält ,   verliert  sie  diese 

Boffnnng.  so  wenig,  dafs  sie  den*  Dienern  Anweisung  gibt, 

der  Winke  Ihres  Sohnes  gewXrtIg  zu  sein  (V.  3.  5.).     Wie 

loUen  wir  diese  Erwartung  eines  Wunders  bei  Jesu  Mut« 

ter  erklären  ?  sollen  wir  die  johanneische  Angabe,  die  Was- 

ssrverwandlung  sei  das  erste  Zeichen  Jesu  gewesen,   nur 

•nf  die  Zeit  seines  öffentlichen  Lebens  boEiehen,   fttr  seine 

Jagend  aber  die  apokrjphischen  Wunder  der  Kindheits- 


15)  WmM,  de  pondermn,  meniurariun  etc.  rationibua  ap.  Rom. 
et  Graec.  p.  123.  126.    Vgl.  Lücics,  z.  d.  St. 

16* 


244  Zweiter  Abschnitc. 

eTangelien  roraosseleen?  oder  wenn  diefs  schon  Chrygosto« 
mos  mit  Recht  eu  unkritisch  gefunden  hat  ^0,  sollen  wir 
lieber  vermnthen,  Maria  habe,  vermöge  ihrer  durch  die 
Zeichen  bei  Jesu  Geburt  bewiriiten  üeberzeugung,  dafs  er 
der  Messias  sei,  auch  Wunder  von  ihm  erwartet,  und,  wie 
rielleloht  schon  bei  einigen  frflheren,  so  nun  auch  bei  die- 
sem Anlafs,  wo  die  Verlegenheit  grofs  war,  eine  Probe  ja- 
ner Kraft  Ton  ihm  verlangt  *^  ?  Wenn  nnr  jene  frfibe 
üel>erseugung  der  Angehörigen  Jesu  von  seiner  Messiaoi- 
tat  in  etwas  wahrscheinlicher,  und  namentlich  die  anfseror- 
dentliohen  Ereignisse  der  Kindheit,  durch  welche  sie  hervor- 
gebracht worden  sein  soll,  mehr  lieglaubigt  wfiren!  wobu 
noch  kommt,  dals,  auch  den  Glauben  der  Maria  an  die 
Wunderkraft  ihres  Sohnes  vorausgesetat ,  immer  nicht  er* 
hellt,  wie  sie  unerachtet  seiner  abweisenden  Antwort  doch 
noch  Buversichtlich  erwarten  konnte,  er  werde  gerade  bei 
dieser  Gelegenheit  sein  erstes  Wunder  thun,  und  bestimmt 
SU  wissen  glauben,' er  werde  es  gerade  so  thun,  dafs  er 
die  Diener  dazu  gebrauchen  würde  ^®).  Diefs  bestimmte  Wis« 
sen  der  Maria  selbst  um  die  Modalität  des  eu  verrichtenden 
Wunders  scheint  auf  eine  vorangegangene  Eröffnung  Je- 
su gegen  sie  an  deuten,  und  so  setzt  Olsuaüssm  voraus, 
Jesus  habe  seiner  Mutter  aber  das  Wunder,  das  er  vor- 
hatte, einen  Wink  gegeben  gehabt«  Wann  aber  sollte  die- 
se Eröffnung  geschehen  sein?  «chon  wie  sie  au  der  Boch- 
Bcit  gingen?  da  mfilste  also  Jesus  vorausgesehen  halieD, 
dafs  es  an  Wein  gebrechen  wfirde;  in  welchem  Falle  dann 
aber  Maria  nicht  wie  von  einer  unerwarteten  Verlegenheit 


16)  HomiL  in  Joann«  c.  d.  St. 

17)  Tholuck,  z.  d.  St. 

18)  Diese  gilt  auch  gegen  Nsandkr,  der  auf  dem  Glauben  der 
Maria  an  Jesu  Messianität  sich  mehr  insofern  beruft  t  als 
derselbe  durch  die  feierliche  Inauguration  bei  der  Taufe  her- 
vorgerufen sein  musste  (S.  370.). 


Neontea  Kapitel*    $.  101.  245 

ihn  ven  dem  olvw  sx  exQffi  tn  KeDntnift  setsen  konnte. 
Oder  erst  nach  dieser  Anaeige ,  also  in  Verbindong  mit  den 
Worten:  %l  i^oi  xai  aoL  y^ai;  x.  r.  A.?  aber  hiemlt  IXbt 
aeh  eine  so  entgegengesetate  Eröffnung  gar  nicht  in  Ver- 
Undang  deniten  ;  man  mfifste  sich  denn  die  abweisenden 
Worte  laat,  die  ansagenden  aber  leise,  biofs  fflr  Maria, 
gesprochen  vorstellen,  was  eine  Komödie  veranstalten 
Meise.  Begreift  man  somit  auf  keine  Weise,  wie  Maria  ein 
Wunder,  und  gerade  ein  solches,  erwarten  konnte:  so 
fiefse  sich  derersteren  Sonwierigkeit  swar  durch  dieÄnnali* 
BS  scheinbar  aosweichen ,  dafs  Maria  nicht  in  Erwartpng 
eines  Wunders^  sondern  nnr  so,  wie  sie  sich  in  allen 
ichwierigen  Fällen  bei  ihrem  Sohne  Raths  erholte,  sich 
aaeh  in  diesem  an  ihn  gewendet  habe  ^'; ;  aber  seine  Kr- 
wiederaog  aeigt,  dafs  er  in  den  Worten  seiner  Mntter 
die  Aaffordemng  an  einem  Wunder  gefunden  hatte,  und 
die  Anwreisnng ,  welche  Maria  den  Dienern  gibt,  bleibt 
ohnehiD  iiei  dieser  Annahme  unerklärt. 

Die  Erwiederung  Jesu  auf  die  Anmahnung  seiner  Mut« 
tBr(Y.40  ist  ebenso  oft  auf  Obertriebene  Weise  getadelt  ^^ 
ab  n{  nngenflgende  g^redhtfertigt  worden.  Man  mag  Im* 
■erliia  aagen,  das  hebräische  "^  T  HO,  dem  das  %l  i^oi 

xcu  001  entspreche,  komme  a.  B.  2.  Sam.  16,  10.  auch  als 
^liader  Tadel  vor  '^ ,  oder  sich  darauf  berufen ,  dafs  mit 
den  Amtsantritte  Jesu  sein  Verhältnifs  anr  Mntter,  was  sei- 
ne Wirksamkeit  betrifft,  sich  gelöst  habe>^:  gewifs  durfte 
doch  Jesus  auf  die  Gelegenheiten ,  seine  Wundermacht  in 
Anwendung  au  bringen,  mit  Bescheidenheit  aufmerksam 
geaacht  werden,  und  so  wenig  derjenige,  welcher  ihm  ei* 
oea  Krankheitsfall   mit  hinaugefiBgter  Bitte  um  Hfilfe  an- 


19)  Hess,  Geschichte  Jesu,  1,  S.  135.  Vgl.  auch  Calvih,  s.  d.  Sl. 

20)  z.  B.  von  WoouTOH  a.  a.  O. 

2J)  Flatt,  a.  a.  O.  S.  90.  j  TaoLOCK,  s.  d.  St. 
22)  OlshavisiV)  X.  d.  St. 


246  Zweiter  AbachniU. 

seigte,  eine  Schmfthang  verdiente,  so  wenig  and  noch  we- 
niger Maria^  wenn  Ae  einen  eingetretenen  Mangel  mit  biori 
hinsogedaohter  Bitte  uro  Abhülfe  za  seiner  Kenntnifs  brach- 
te. Ein  Anderes  wfire  es  gewesen ,  wenn  Jesus  den  Fall 
nicht  geeignet,  oder  gar  nnwfirdig  gefunden  hätte,  ein  Wun- 
der ^an  denselben  su  kndpfen :  dann  hätte  er  die  auffor» 
dernde  Anseige  als  Reiuung  uu  falscher  Wunderthätigkeit 
(wie  in  der  Versnchnngsgesohichte)  hart  abweisen  mögen  j 
so  hingegen,  da  er  bald  darauf  durch  die  That  seigte^  dafs 
er  den  Aolafs  allerdings  eines  Wunders  werth  finde,  ist 
schlechterdings  nicht  einsnsehen,  wie  er  der  Mutter  ihre 
Anaeige,  die  ihm  nur  vielleicht  einige  Augenblicke  so  frfi* 
he  kam,  verdenken  konnte  ^^). 

Den  sahlreiehen  Schwierigkeiten  der  snpranatnralisti- 
sehen  Auffassung  hat  man  auch  hier  durch  natflrliohe  Deu- 
tung der  Geschichte  zu  entfliehen  versucht.    Von  der  Sitte 
ausgehend,  dafa  bei  JAdischen   Hochzeiten  Geschenke  an 
Wein  oder  Oel  gewöhnlich  waren,  und  davon,  dafs  Jesos, 
der  fünf  neugeworbene  Sohfiler  als  ungeladene  Gäste  mit- 
brachte, einen  Mangel  an  Wein  voraussehen  konnte,  nimmt 
man  an,  des  Scherzes  wegen  habe  Jesus  sein  Geschenk  snf 
unerwartete  und  geheironifsvolle  Weise  anbringen  wollen. 
Die  do|cr,   weiche  er  durch  diese  Handlung  offenbarte,  lit 
hienach  nur  seine  Humanität,  welche  gehörigen  Ortes  soch 
einen  Spaf«  zu  machen  nicht  verschmähte;    die  mgig,  die 
er  sich  dadurch   bei  seinen  JOngern  zuwege   brachte ,  ist 
dfis  freudige  Anschliefsen  an  einen  Mann,   welcher  nichts 
von  dem   drückenden  Ernste  zeigte,   den   man   sich   vom 
Messias  prognosticirte«     Die  Mutter  wufste  um  den  Vor- 
satz des  Sohnes  und  mahnt  ihn,   wie   es   ihr  Zeit  schien, 
denselben  zur  Ausfflhrnng  zu  bringen ;    er  aber  erinnert 
sie  scherzend,  ihm  nicht  durch  Vorschoelligkeit  den  Spafs 
zu  verderben.     Dafs  er  Wasser  einschöpfen  lieüs,   scheint 


2h)  Vgl.  auch  die  ProbabiLien,  p.  41  f>  | 


Neujites  Kapitel.    $.  lOi.  247 

lu  der  sohershaften  Täiuchang  gehört  eu  haben ,  welche 
tr  beabsichtigte ;  dafa ,  als  auf  EiDmal  Wein  statt  Was* 
ers  in  den  Krflgen  sich  fand ,  diefs  fflr  eine  wunderbare 
Verwandlung  gehalten  wurde,  ist  leicht  begreiflich  in  ei- 
■er  späten  Nachtstunde,  wo  man  schon  siemlich  getrunaen 
ktte;  dafa  endlich  tlesut  die  Hochseitlente  über  den  wah* 
nn  Tbstbestand  nicht  anfklfirte ,  war  die  natArliche  Coxi- 
uquens,  die  hervorgebrachte  acherahafte  Tfioschong  nicht 
idbst  seratdren  an  wollen  ^^).  Wie  ttbrigena  die  Sache 
logegangen,  durch  welche  Veranstaltung  Jesus  den  Wein 
airdle  Stelle  des  Waaaers  gebrächt,  diefs,  meint  Paulus, 
Uiw  sich  nicht  mehr  ausmachen;  genug,  wenn  wir  wie« 
teo,  dafa  Alles  natfirlich  vor  sich  gegangen  sei.  Da  aber 
nach  der  Annahme  dieses  Auslegers  der  Evangelist  sich  der 
Natflrliehkeit  des  Erfolgs  im  Allgemeinen  bewufst  war, 
waraii  hat  er  uns  keinen  Winli  darfiber  gegeben?  Wollte 
eraach  den  Leaern  die  üeberraachung  bereiten,  welche 
Jesus  den  Zuachanem  bereitet  hatte :  so  mulate  er  aie  doch 
Ikiiiterher  aufldaen,  um  die  Tänachung  nicht  bleibend  sn 
aidisn.  Mameotlich  durfte  er  nicht  den  irreführenden 
AaiJrnck  gebrauchen,  dafa  Jeaua  durch  dieaen  Act  tnljv 
^^09  ctms  (V.  1 1.) ,  waa  in  der  Sprache  aeinea  Evange« 
lioat  nur  deaaen  höhere  Würde  liedeuten  kann,  geoffen- 
i»rt  habe;  er  durfte  den  Vorfall  kein  ar^paiov  nennen,  waa 
eio  Oebernatfirlichea  in  sich  aobliefat  ;^er  durfte  endlieh  nicht 
dorch  den  Auadruok:  to  vdioQ  ohov  yayävij^ievoy  (V.  9.), 
noch  weniger  unten  C4,  46  )  durch  die  Beseichnung  Kana'a 
■it  ojis  inoLtfliv  vdoiQ  olvovy  den  Schein  erregen,  ala  atimmte 
er  der  wunderhaften  Anffiiaaung  des  Vorganga  bei^).  Die- 
se Schwierigkeiten  aucbte  der  Verfaaaer  der  natürlichen 
Ueachichte  durch  die  Einrfiumnng  au  umgehen,  dafa  der 


24)  Paulus,  Comm.  4,  S.  150  ff.      L.  J.  1,  a,  S.  169  ff.  i    NatUr. 

liehe  Geschichte,  2,  S.  61  ff. 
23)  Vgl.  hierüber  Flatt,  a.  a.  0.  S.  77  ff.  und  Lücica,  a.  d.  Absch. 


248  Zweiter  Abtohnitt. 

Berichterstatter  selbst,  Johannes,  die  Sache  für  ein  Won 
der  angesehen  habe  und  als  solches  ers£hle.  Indefs,  ab 
gesehen  von  der  anwürdigen  Art,  wie  er  diesen  Irrthon 
des  Evangelisten  erklärt  ^®),  wäre  es  von  Jesu  nicht  woU 
denkbar,  dafi  er  auch  seine  Schiller  in  der  Täuschung  der 
übrigen  Gäste  erhalten,  und  nicht  wenigstens  ihnen  eins 
Aofklärong  über  den  wirklichen  Hergang  der  Sache  gege- 
ben haben  sollte.  Man  müfste  daher  annehmen,  der  Re- 
ferent dieses  Vorfalls  im  vierten  Evangelium  sei  keiner  vsn 
Jesu  Schülern  gewesen;  was  Jedoch  über  die  Sphäre  diC' 
aer  Erklärnngsweise  hinausgeht.  Doch  auch  Bugegeben, 
dals  der  Ersähler  selbst,  wer  «r  immer  sein  möge,  in  der 
Täuschung  derer,  welche  in  dem  Vorgang  ein  Wander 
sahen,  befangen  gewesen  sei,  wobei  also  seine  Oarstel« 
lungsweise  und  die  von  ihm  gebrauchten  Ausdrücke  be- 
greiflich würden:  so  ist  Jesu  Verfahren  und  Handlungs- 
weise desto  unbegreiflicher,  wenn  kein  wirkliches  Wunder 
Im  Spiele  war.  Warum  richtete  er  die  Darliringung  des 
Geschenks  mit  raffinirtem  Fleilse  so  ein,  dafs  es  als  wun- 
derbare Bescheerung  erscheinen  mulste?  warum  liels  er 
namentlich  die  Geftfse,  in  welche  er  sofort  den  Wein  ni 
bringen  im  Sinne  hatte,  vorher  mit  Wasser  voll  maeheo, 
dessen  nothwendige  Wiederentfernung  am  unbemerkten 
Vornehmen  der  Sache  nur  hinderlich  sein  konnte?  weaa 
man  nicht  mit  Woolston  annehmen  will,  er  habe  desi 
Wasser  nur  durch  angegossene  Liqueure  einen  Weinge- 
achmack  ertheilt.  Das  Gefühl  dieser  doppelten  Schwierig- 
keit, theils  das  Hineinbringen  des  Weins  in  die  bereits 
mit  Wasser  gefüllten  Krüge  denkbar  au  machen,  theils 
Jesum  von  dem  Verdachte  freisnsprechen ,  als  hätte  er 
den  Schein  einer  wunderbaren  Verwandlung  des  Wassers 
erregen  wollen,  mag  es  gewesen  sein,   was  den  Verfasser 


26)  Er  gibt  dem  /ut9vaxfo9ai  V.  fO.   eine  Beiiehung   auch  auf  den 
Johannes. 


Neuntes  Kapitel.     S.  101.  249 

der  oitOflleheD  Geschichte  bewog,  den  Zneammenliang 
Bwiichen  dem  eingeffiUten  Wasser  -and  dem  später  «um 
Vorschein  gel&ommenen  Wein  gans  so  cerreifsen  dnroli  die 
Asnahmey  das  Wasser  habe  Jesos  holen  lassen,  weil  es 
aseh  daran  fehlte,  und  er  den  wohlthfitigen  Gebranch  des 
Waicbens  ?or  und  nach  der  Tafel  empfehlen  wollte,  den 
Wein  aber  habe  er  hernach  ans  einer  anrtofsenden  Kam« 
■er,  wobin  er  ihn  gestellt  hatte,  herbeibringen  lassen  — 
eine  Aoffsssnng ,  bei  welcher  freilieh  entweder  die  Trun- 
kenheit sfimmtlicher  Giste  nnd  namentlich  des  Referenten 
ab  ciemlich  bedeutend  angenommen  werden  müfste,  wenn 
<ie  den  aas  ^er  Kammer  gebrachten  Wein  fiSr  einen  aus 
den  Wssserkriigen  geschöpften  angesehen  haben  sollen, 
oder  die  täuschende  Veranstaltung  Jesu  als  sehr  fein  an- 
gelegt, was  mit  seiner  sonstigen  Geradheit  sich  nicht  ver- 
trägt 

In  dieser  Klemme  zwischen  der  supranaturalistlschen 

ud  der  natOrlichen  Erklärung,   von   welchen  auch   hier 

&eine  so  wenig  als  die   andre  genfigen  kann,    mflfsten 

«ir  Dsn   mit  einem   der   neuesten   Ausleger  des   vierten 

Srtnpünms  warten,   „bis  es  Gott  gefällt,   durch  weitere 

liotwidünngen  des   besonnenen   christlichen   Denkens   die 

''toig  dieser  Räthsel  sn  allgemeiner  Befriedigung  herbei* 

leftlifen  ^')'< ;  wenn  uns  nicht  ein  Ausweg  schon  dadurch 

ugeseigt  wäre,    dab  wir  die  betreifende  Geschichte  nur 

bei  dfMB  l£inen  Jobannes  finden.     War  sie,  einsig  in  ihrer 

^  wie  sie  Ist,  sngleich  ^m  erste  Zeichen  Jesu,  sp  mnfsle 

*»^  wenn  auch  damals  noch  nicht  alle  Zwölfe   mit  Jesu 

waren,  doch  diesen  allen  bekannt  werden,  und  wenn  auch 

Boter  den  übrigen  Evangelisten  kein  Apostel  ist,   doch  in 

ole  sllgemeine  Tradition   und   von  da  in  die  synoptischen 

Aofseichnnngen  fibergehen:   so,  da  sie  nnr  Johannes  hat, 

Kheint  die  Annahme,   dafs  sie  in  einem  den  Synoptikern 

H)  LUcKi,  8.  407. 


25a  Zweiter  Absohoitt. 

igegen  Bittende  (wie  Job.  4,  48.) ,  nnd  selbst  gegen  seine 
Matter,  auf  die  Spitse  mu  stellen  '*)•  Ebenso  im  Geiste 
dieses  Evangelisten  ist  es  aneb,  den  festen  Glauben ,  wel- 
eben  Maria  nnerachtet  der  abweisenden  Antwort  Jesu  be- 
hielt,  dadaroh'  beranssobeben ,  dafs  er  sie  in  einer  histo- 
risch anmögliehen  Abnang  selbst  von  der  Art  nnd  Weise, 
wie  Jesns  das  Wunder  verricbten  wfirde,  die  oben  be- 
aprocheile  Anweisung  den  Dienern  geben  Iftlst  "O* 

S«    102. 

Jesus  verwünscht  einen  unfruchtbaren  Feigenbaum. 

Die  Anekdote  von  dem  Feigenbaum ,  welchen  Jesus, 
weil  er,  hungrig,  keine  Früchte  auf  ihm  fand,  durch  sein 
Wort  verdorren  machte,  ist  den  zwei  ersten  Evangelieo 
eigenthfimlich  CMatth.  21, 18  ff.  Marc.  11,  12  ff.)»  wird  aber 
von  ihnen  mit  Abweichungen  ersählt,  welche  auf  die  An- 
sicht von  der  Sache  von  Elnflufs  sind.  Und  swar  scbieo 
die  eine  dieser  Abweichungen   d^s  Markus  von  Matthlos 


32)  Vgl.  die  Frohabilien,  a.  a.  O. 

33)  OS  Warn  findet  die  beigebrachten  A.  T.lichen  Analogiea  lo 
ferne  liegend ;  „näher  der  Sache,  und  nicht  feriie  dem  grie- 
chischen Boden,   auf  welchem   das   Evang.   Job.   entsUDifen 
ist,    läge  nach  ihm,    was  Witsteiit   anführt  von  Wasserrer- 
wandlung  in  Wein  durch  Bacchus.     Am   analogsten  wäre  es, 
diese  Weinspende  als  Gegenbild  der  Brotspende ,   und  beide 
als  dem  Brote  und  Weine  im  Abendmahl  entsprechend  anzu- 
sehen.    Aber  der  mythischen  Ansicht  steht  entgegen    1)  die 
noch   nicht  über  den  Haufen  geworfene   Aechtheit  unseres 
Evangeliums ;  2)   das  weniger  sagenhafte   als  subjective  Ge- 
präge der  Erzählung,  das  darauf  ruhende  Dunkel,  der  Man- 

.  gel  einer  das  Gänse  beherrschenden  Idee,  bei  einem  Reich- 
thum  von  darin  liegenden,  Jesu  würdigen,  praktischen  Ideen.^^ 
Hiemit  scheint  eine  natürliche  Erklärung  aus  Selbsttäuschung 
des  Johannes  angedeutet ;  «velche  die  oben  bemerkten  Schwie- 
rigkeiten gegen  sich  hätte. 


Meüiite»  Kapitel.    $.102.  253 

der  jijuarlleheii  Krklfirung  so  gflnstig  so  sein,  dafs  aan 
iuuneot|ich  aach  mil  Rllckalcbt  auf  tie  dem  EFangelisten 
neoerlich  eine  Teodeoa  so  natürlicher  Ansiebt  ¥on  den 
UTandern  Jesa  soiresebriebeD,  und  nm  dieser  einen«  rfin* 
läpn,  Abweichung  willen  ihn  aoch  Im!  der  andern,  siem- 
lieh  nnbeqaemen ,  die  sich  in  Yorliegender  firsAblnng  fin* 
det,  in  ScbntB  genommen  hat« 

Bliebe  es  nämlich  bei  der  Art,  wie  der  erste  Evange- 
list den  Erfolg  der  Verwfinscbung  Jesn  angibt :  xai  i^i^- 
fiif9t]  naQaxQ^ficc  17  avx^  CV»  19.)}  «o  wfirde  es  wohl  schwer 
hilteo,  hier  ndt  einer  natilrliehen  Erkllrnng  ananltommen, 
dtsneb  die  gewaltsame  PAULU8*scbe  Deutung,  nach  wel- 
ebcr  das   TiagaxQ^fi^c   nur   weiteres   menschliches  Zuthun , 
nielit  abev  eine  längere  Zeitfrist  ansschllersen   soll ,  doch 
iir  auf   unbefugtem   Herlibertragen   des  Markus    in  den 
Mttthäos  beruht.    Bei  Markus  nämlich  Tcrwfinscht  Jesus 
dm  Banmi  am  Morgen  nach  seinem  Einsog  in  Jerusalem, 
ud  erst  nm  folgenden  Morgen  bemerken  die  Jflnger  im  Vor- 
fikergebeo,  dais  der  Baum  verdorrt  ist«    Durch  diese  Zwi« 
Khe&seifey  welche  Markus  swischen  der  Rede  Jesu   und 
den  Verdorren  des  Baumes  offen  läfst,   drängt  sich  nun 
die  Mt&rliche  Erklärung  der  gaonen  Oesobichte  ein,  darauf 
fii/Mid,  dafs  in  dieser  Frist  der  Baum  wohl  auch  durch  na« 
ttrliehe    Ursachen    habe  verdorren    können.     DemgemäCs 
loil  Jesus  an  dem   Baume  neben  dem  Mangel  an  Frfich» 
im  SQcb  sonst   noch  eine  Beschaffenheit  i>emerkt  haben  9 
iQi  welcher  er  ein  baldiges  Absterben  desselben  prognosd* 
eirte,  und  dieses  Prognostiken  soll  er  ihm  in  den  Worten: 
lOD  dir  wird  wohl   Niemand  mehr   FrQchte  su  essen  he* 
iommen,  gestellt  haben«  *  Als  die  Hltce  des  Tages  die  Vor- 
lossage  Jesu  unvermothet  schnell  verwirklichte,   und  die 
JdDger  diefs  am  andern  Morgen  bemerkten:  da  erst  setn- 
ten  sie  diesen  Erfolg  mit  den  Worten  Jesn  vom  vorigen 
Morgen   in   Verbindung,    nnd  begannen  diese  als  VerwAn- 
lehoDg  anfsufassen;  eine  Deutung,  welche  ttbrigens  Jesus 


^254  Zweiter  Abschnitt. 

nicht  bestätigt I  sondern' den  Jfingern  ku  Gemfithe  fährt, 
mit  nur  einigem  Selbstvertraoen  werden  sie  nicht  blof« 
solche  schon  physiologisch  bemerkbare  Erfolge  voraussa- 
gen,  sondern  noch  viel  Schwereres  wissen  und  bewirken 
können  0*  Allein  gesetst  anch,  die  Angabe  des  Msrkai 
wäre  die  richtige,  so  bleibt  doch  aach  so  die  natflrliche 
£rkl([rang  anmöglich.  Denn  die  Worte,  Jesu  hei  Msrkas 
(V.  14.) :  iLopeiri  ix  a5  eig  rov  akova  fif;S6is  xaQuov  yajw, 
mtifsten ,  wenn  sie  blofs  eine  Vermuthnng  j  was  wohl  ge- 
schehen werde ,  enthalten  sollten ,  nothwendig  ein  av  bei 
sich  haben,  nnd  in  dem  fiipdri  ix  a3  xa(KT6i;  y^^cii  ''w 
Matthäns  ist  ohnehin  der  Befehl  nicht  sn  verkennen,  ob- 
gleich Paulus  anch  hier  mit  einem  blofsen  „mag  werdep^^ 
abkommen  möchte.  Anch  dafs  Jesns  den  Baam  selbst  an- 
redet, so  wie  das  feierliehe  etg  rov  aicSvay  welches  er  bin* 
cnfttgt ,  spricht  gegen  eine  blofse  Voraussage  and  ffir  di« 
VerwOnschang ;  Paulus  ftlhlt  diefs  wohl,  and  deutet  daher 
mit  unerlaubter  Gewaltsamkeit  das  Jiayet  avijj  an  eineD 
Sagen  in  BeBiehnng  auf  den  Baam  am ,  während  er  das 
dg  Tov  aliova  durch  die  Debersetzung:  in  die  FoigcEeit  hin, 
abschwächt.  Doch  gesetzt  auch,  die  Evangelisten  hfitten 
aus  ihrer  irrigen  Ansicht  von  dem  Vorgang  heraus  die  Worte 
Jesu  fiber  den  Feigenbaum  in  etwas  verändert,  und  Jefo« 
also  wirklich  dem  Baum  nur  ein  Prognostiken  gestellt:  so 
hat  er  doch,  als  das  Vorausgesagte  eingetreten  war,  den 
£rfolg  seiner  übernatürlichen  Kinwirkang  zugeschrieben. 
Denn  wenn  er  das,  was  er  in  Bezug  auf  den  Feigenbaoni 
geleistet,  als  ein  noitlv  bezeichnet  (V.2I.  bei  Matth.),  so 
kann  schon  diefs  nur  gezwungen  auf  eine  blofse  Voraas- 
sage  bezogen  werden;  namei^tlich  aber,  wenn  er  es  dem 
Bergeversetzen  gegenüberstellt,  so  mofs,  wie  dieses  nach 
Jeder  möglichen  Deutung  doch  immer  ein  Bewirken  i^t, 
ebenso  auch  jenes  als  eine  Einwirkung  auf  den  Baam  ge* 


1)  Paulus,  exeg.  Handb.,  S,  a,  S.  157  ff. 


Nenntet  Kapitel.     $.  102.  255 

fafst  werden;  jedenfalls  mafste  Jeso«  dem  xitn^QdiJcü  des 
Petms  Cf.  21.  MarcO  entweder  widersprechen,  oder. war 
sein  Stillseh welgen  darüber  Zastioimnng.  Schreibt  deoinaoh 
Jesus  das  Verdorren  des  Baams  hinterher  seiner  Einwir- 
knag  so:  so  bat  er  entweder  auch  schon  durch  seine  An* 
rede  an  denselben  eine  Binwirlinng  beabsichtigt ,  oder  er 
hat  den  snCKlligen  Erfolg  aar  Täuschung  seiner  Jünger 
ebrgeiajg  milsbrauoht ;  ein  Dilerama,  in  welehem  ans  die 
Worte  Jesu,  wie  sie  von  den  Evangelisten  wiedergegeben 
liad,  entschieden  auf  die  erstere  Seite  hinweisen. 

Unerbittlich  also   werden   wir  von  diesem  natfirlichen 
Brfclirungsversnch  auf  die  supranatoralistlsche  Auffassang 
sorllekgedrftngt,  so  schwierig  diese  auch  gerade  bei  vorjie- 
^nder  fieschiohte  ist    Was  sich  gegen  die  physische  Mög- 
Ikfakmt  einer  solchen  Einwirkung  sagen  liefse,    fibergehen 
wiTi  nicht  zwar  9  als  ob  wir  mit  Hase  uns  anheischig  ma- 
eben  könnten ,    sie  ans   der  natfirlichen  Magie  zu  begrei- 
fra  *) ,   sondern  weil  eine  andere  Schwierigkeit  die  Unter- 
saehang  sehen  vorher  abschliefst,    und   gar  nicht  bis  zur 
Erwigoog  der  physischen  Möglichkeit  kommen  Itffst    Die- 
ser entsoheidende  Anstofs  betrifft   die  moralische  Möglich- 
keit einer  solchen  Handlang  von  Seiten  Jesa.    Was  er  hier 
vollzieht,  bt  ein  Strafwnnder.  Ein  solches  findet  sich  sonst 
in  den  kanonischen  Eeriebten  Aber  das  Leben  Jesu  nicht: 
aur  die  apokryphischen  Evangelien  sind,  wie  oben  bemerkt 
wurde,  voll  davon.    In  einem  der  kanonischen  Evangelien 
findet  sich  vielmehr  eine  gleichfalls  schon  öfters  angefahr- 
te Stelle ,   Lac*  9 ,  55  f. ,   welche  es  als  Bewufstsein  Jesu 
SBsspricht,  dafs  eine  Benfitzang  der  Wunderkraft,  um  Stra- 
fe zo  Oben  und  Rache  zu  nehmen ,    dem  Geiste  seines  Bä- 
iii£i   widerspreche,    und  dasselbe  Bewufstsein  spricht  der^ 
Evangelist  fiber  ihn  ans,  wenn  er  das  Jesaianische:   xaXa- 
f/oy    awretiiiii^iivcfv  a   xared^ei  x.  t.  L   auf  ihn  anwendet 


2y   I^.  J.,  V  128. 


256  Zweiter  Abschnitt. 


CMatth.  12^  200*     Diesem  Graodsats  und  seine^i  sonstigeo 
Verfahren  gemfift  hätte  Jeans  vielmehr  einen  dfirren  Baum 
nenbeieben,   als  einen  grfinen  verdorren  machen  mttssen, 
und    nm   seine  diefsmalige   Handlungsweise  su  begreifen, 
mäfsten  wir  Gründe  nachsnweisen   im  Stande  s^,   wei« 
che  er  gehabt  haben  könnte,  von  dem  dort  ansgesprochenen 
tirundsatEC,   welcher  keine  Zeichen  der  Unficbtheit  gegen 
sich    hat,    in    diesem  Fall   abzugehen.     Die  Gelegenheit, 
bei  welcher  er  Jenen  Gmndsate  aufstellte,  war  die  ans  An- 
lafs  der  Weigerung  eines  samarischen  Dorfs,   Jesnm  und 
.seine  Jfinger  gastlich  aufannehmen,  an  ihn  gerichtete  Fra- 
ge der  Zebedaiden,  ob  sie  nicht  nach  der  Weise  des  Elisa 
Feuer  auf  das  Dorf  herabregnen  lassen  sollen?  worauf  sie 
Jesus   an   die  ISfgenthfimlichkeit  des  Geistes   mahnt,   den 
sie  angehdren,  mit  welcher  ein  so  verderbendes  Thnn  sich 
nicht  vertrage,    in  unserem  Falle  hatte  es  Jesus  nicht  wie 
dort  mit  Menschen ,    die  sich  unrecht  gegen  ihn  betragen 
hatten,    sondern  mit. einem  Banme  sn  thun,  den  er  nicht 
in  der  erwfinschten  Verfassung  traf.    Statt  dafs  nun  hierin 
ein   besonderer  Grund  IXge,   von  jener  Regel  absugehen, 
ist  vielmehr  der  Hauptgrund,  welcher  in  jenem  «raten  Fslle 
möglicherweise  nur  Verhängung  eines  Strafwundera  fafitte 
bewegen  können,  bei  diesem  sweiten  nicht  vorhanden.   Der 
moralische  Zweck  der  Strafe  nämlich,  den  Gestraften  cor 
Einsicht  und  Anerkenn tnifs  seines  Fehlers  su  bringen  and 
dadurch  eu   bessern,   fällt   einem  Baume  gegenüber  vöUtg 
weg,  und  selbst  von  Strafe  als  Vergeltung  kann  bei  einem 
unfreien  Mntorgegenstande  ni<^bt  die  Rede  sein  ^).     Sich 
gegen  einen  leblosen  Gegenstand,   den   man  eben  nicht  im 
erwünschten  Zustande  findet,  au  ereifern,  wird  mit  Recht 
als  Mange^   an  Bildung   ausgelegt;   in   solcher  fintrfistang 


3)  Augustin.  de  verbis  Domini  in  ev.  tec.  Joann.  eermo  44 : 
Quid  är bar  fecerat,  fructum  non  afferendof  guae  culpa  ar- 
boris  infoecunditas  t 


Nenntet  Kapitel.    $•  102-  257 

bi«  aar  ZerstSrang  des  Uegenstandet  fortsugehen ,  wird 
»elbst  ffer  roh  und  nnwArdig  angeeehen,  und  Woolstoh  hat 
M  Unreeht  nicht,  «renn  er  behauptet,  an  Jedem  Andern 
aJs  an  Jeen  würde  eine  soiehe  HandJung  streng  getadelt 
wtrden  ^)*  Zwar  bei  wiriilich  objectif  und  habitneii  feh* 
krbafker  JBesebeffenheit  eines  Watorgegenstandes  kann  es 
wohl  etwa  geschehen,  dafs  der  Mensch  ihn  ans  dem  Wege 
rIoBt ,  nas  einen  bessmm  an  seine  Stelle  an  setaen ;  woau 
übrigens  immer  nnr  der  EigenthaoMf  die  gehörige  Anffor- 
derang  und  Befngnlfs  hat  (Tgl.  Luc.  13,  7.)*  Oars  aber 
dimer  Baiam ,  weil  er  eben  damals  keine  Frflchte  bot ,  aneh 
in  folgenden  Jahre  keine  getragen  haben  wttrde,  verstand 
lieh  keineswegs  von  selbst,  und  auch  in  der  Ernihlung 
wird  das  Gegentheil  angedeotet,  wenn  Jesns  seine  Verwlla- 
•ehaag  so  ansdrfickt,  dafs  anf  dem  Banme  nie  mehr  Frfich* 
te  wacknen  jolien,  was  also  ohne  diesen  Finch  voraosset»- 
licb  doeh  noch  geschehen  sein  wttrde» 

War  so  die*  Qble  Beschaffenheit  des  BanaM  keine  ha« 
Ukielley  sondern  nur  eine  vorfibergehende ,  so  war  sie, 
»«»  wir  dem  Markns  weiter  folgen,  nicht  einmal  eine  ob- 
jeetivi,  sondern  rein  sobjectiv  nnr  in  dem  nuftlllgen  Ver- 
hlltBiTa  des  Baums  so  dem  angenblicklichen  Wunsch  und 
Badirfnib  Jesu  gegründet.  Denn  nach  einem  Znsatae,  wei- 
ther die  Bweite  Elgenthfimlichkeit  des  Markns  in  dieser 
EnXhInng  bildet,  war  eben  damals  nicht  Feigenseit  (V.  13.)« 
ei  war  also  kein  Fehler,  vielmehr  gana  in  der  Ordnung, 
dals  auch  dieser  Baum  damals  keine  hatte,  und  Jesns,  an 
den  es  schon  Wunder  nehmen  mufs,  dafs  er  so  cur  Cn- 
seit  Feigen  anf  dem  Banme  erwartete,  hüte  wenigstens,  als 
er  keine  fand ,  sich  anf  das  Dngegründete  seiner  Erwar- 
tong  besinnen,  und  eine  so  gans  unbillige  Handlung,  wie 
die  Verwünschung  war,  unterlassen  sollen.  Schon  Kirchen 
Titer  stiefsen  sich  an  diesem  Zusatae  des  Markus,  und  fan« 


4)  Ditc.  4. 

Am  tjtbm  Jem  lU  Auß.  U.  Band.  17 


338  Zireifeer  Abiuhnitt. 

ddo  uiiCer  Vomatsetsang  deaselben  das  Verfahren  Jesu  gans 
besondera  rätbselhaft  ^) ;  Woolston  aber  apottet  nioht  mit 
Unrecht  9  wenn  ein  Kentiacber  Bauer  im  Frflbjahr  Obst  In 
aelneoi  Garten  anebte,  nnd  die  BKuaie  nmhiebe,  welche  kei- 
nes haben  9  ao  wttrde  er  von  Jedemann  anagelacht  we^ 
den«  Die  Ausleger  haben  durch  eine  bunte  Reihe  von  Con- 
Jectnren  und  Deutungen  der  Sebwieriglieit  dieses  ZotstE«! 
BU  entgehen  gesucht«  Von  der  einen  Seite  hat  man  den 
Wunach,  dafs  doch  die  schwierigen  Worte  lieber  gar  nicht 
dastehen  möchten)  geradeau  in  die  Hypothese  verwandelt, 
sie  mögen  wohl  spätere  Glosse  sein  *)•  Andrerseits,  da, 
wenn  ein  Zusata  der  Art  dastehen  sollte,  eh^r  die  amge- 
kehrte  Angabe  au  wfinsohen  war,  dafs  damals  Peigenseit 
gewesen,  um  nftmlich  Jesu  Erwartung,  und  seinen  Unwil- 
len, als  er  sie  getXuscht  sah,  begreifen  su  liönnen:  so  bit 
man  auf  verschiedene  Weise  die  Negation  aus  dem  Satze 
BU  entfernen  gesucht,  theils  gans  gewaltsam,  indem  man 
atatt  ä  5  laa,  nach  tjv  interpungirte,  hinter  avxfoy  ein  swei- 
tes  ^  aupplirte,  und  fibersetste :  ubi  enifk  tum  versabattr 
(Jems),  tempus  ficuum  erat ');  theils  abgeschaiackt,  durch 
Verwandlung  des  Sataea  in  einen  Frage^ats :  itomi«  enia 
etc.  0 ;  theils  dadurch ,  dafs  das  xat^  oinnav  von  der  Zeit 
der  FeigenXrnte  genommen,  und  so  in  dem  Zusats  dieAfl' 
gäbe,  die  FeigeD  aalen  noch  nicht  weggelesen,  d.  h.  aoeh 


5)  Orig.  Comm.  in  Matth.  Tom.  16 ,  29 :  'O  9t  Ma(^oi  ara^^'^i 

TcJ    Hora   TOT  TOTTor,     antutfaivov   r%,   wf   n^f    ro    ^jrov   n^f^,'^} 
noajaaf ,  St»  —  «  /«e  '7''  xat^e  avxtar'     ^-    Eünoi  ycf^  ar  t^i     •»  ^1 

Suiaüai  tiTitr  avrjf   fnjfdri  «f;  tov  ttlära  ht  ai   /utjSäkf    Ko^nw  ffo^H) 
vgl«  Auguatin  a.  a.  O. 

6)  ToUFn  emendd.  in  Suidam,  1,  p.  330  f. 

7)  Hiiiraivs  u.  A.,  bei  FRiTsscai  c  d.  St. 

8)  M4JI  Obs    «.  bei  dems. 


Neuntes  Kapitel.    $.   102.  259 

9 

I 

auf  den  Bimnen  gewesen ,  gefnnden  wurde  *) ,  woftir  man 

sieh  «af  das  xaiQog  ruh  xaq^twv  Mattb.  21,  S4.  berief.    AI- 

leifl  wie  anter  diesem  Aasdmeliey   der  eigentlleh   nur  das 

(oiecedens  der  Aemte,  das  Vorliandenseln  der  Früchte  aof 

Aeekero  oder  Blumen,  beseichnet,  wenn  er  in  einem  affirma- 

dreo  Satae  steht,  das  ctmsequens,  die  mögliche  Fruchtein- 

uamlang ,  nnr  in  der  Art  verstanden  sein  kann ,  dafs  das 

aittecedais^  das  Dasein  der  Früchte  auf  dem  Felde,  mitein- 

feschloMen  bleibt,    folglich  igt  xaiQog  xaqmiiv  nnr  so  viel 

bedeuteo  kann :  die  (reifen)  Früchte  stehen  auf  den  Aeckern, 

Bod  sind  demnach  zur  Einsammlung  bereit:   ebenso  wird, 

weno  Jener  Ausdruck  in  einem  negativen  Satse  steht,   an- 

tm  iu  antecedenSy  das  Befiodlichsein  der  Früchte  auf  dem 

Acker,  Baum  u.  dgl.,  und  erst  mittelst  dessen  das  conse» 

(ßenSy  die  Einsammlung  der  Früchte,  aufgehoben;   we  iz$ 

tai^  (fvxwv  heifst  also :  die  Feigen  sind  nicht  auf  den  BXn- 

■en  gej^nwürtig ,  und   somit  auch  nicht  sum  Einsammeln 

bereit,    keineswegs  aber   umgekehrt:   sie   sind  noch  nicht 

gesammelt,  und  stehen  also  noch  auf  den  Bitumen.   Aber 

nMikDar  diese  unerhörte  Redefigur,   dafs,  wfihrend  den 

Worten  nach  das  antecedens  aufgehoben  wird ,  dem  Sinne 

lueii  aar  das  consequens  aufgehoben,  das  antecedens  aber 

pietn  sein  soll,  sondern  noch  eine  andere,  die  man  bald 

Sjochyais,   bald  Hyperbaton  nennt,  mufs  bei  dieser  Erklft- 

ning  angenommen  werden.     Denn  als  Angabe,  dafs  damals 

die  Feigen  noch  auf  den  Bäumen   gewesen ,   gibt   der  in 

Kede  stehende  Zusata  nicht  den  Grund,  warum  Jesus  auf 

jenem  Baume  keine  fand,  sondern,    warum  er  welche  er- 

Wftrtete:    er  sollte  also   nicht  hinter  ödlv  evQCv  x.  t,  A., 

sondern  nach  ^hS'ev^  d  aqa  evQj^ei  x.  t.  X.  stehen;   eine 

VerietBung,  welche   aber  nur  beweist,  dafs   diese  ganae 

Kriilürang  gegen  den  Teit  Ifuft.  Ueberaeugt  einerseits,  dafs 


9)  Dasmb,  in  Hbnxi's  b.  Magazin,  2.  Bd.  2.  Heft,  S.  252.^  Auch 
Kuiaöii,  in  Marc.  p.  ISO  f. 

17» 


000  Zweiter  Abaohnltt« 

der  Zasata  des  Markus  das  Obwalten  gttns^ger  Doistftnde 
fflr  das  Vorhandensein  von  Feigen  auf  Jenem  Banane  Ter« 
neine,   aber  andrerseits  doch  bemllbt,  Jesu  Erwartung  eo 
rechtfertigen,  suchten  andere  Erlillrer  Jener  Verneinung  statt 
des  allgemeinen  Sinns,  dafs  es  überhaupt  nicht  an  der  Jahn- 
neit  gewesen  sei,  wovon  Jesus  nothwendig  hfitte  Notia  ha- 
ben mfissen,  den  particullren  su  geben ,  dafs  nur  besondre 
Umstände,  welche  Jesu  nicht  nothwendig  belcannt  sein  mofa- 
ten,  der  Fruchtbarlieit  des  Feigenbaums  entgegengestanden 
haben.    Ein  gans  specielles  Hindernils   wAre   es  gewesen, 
wtenn  etwa  der  Boden ,   in  welchem  der  Baum  wure^lte, 
ein  unfruchtbarer  gewesen  wire,  und   wirklich  soll  nach 
Einigen  xaiQOS  avxiav  einen  ffir  Feigen  günstigen  Boden  be« 
seichnen  ^^^^  Andere,  mit  mehr  Achtung  von  der  Wortbe- 
deutung von  xaiQogi  bleiben  swar  bei  der  Erklärung  von  gün- 
stiger Zeit,  nur  dafs  sie  die  Angabe  des  Markus  nicht  universell 
von  einer  stehend  und  alljährlich  der  Feigen  ermangelnden 
Jahreseeit,  sondern  nur  von  einem  eineeinen,  sufällig  den 
Feigen  ungünstigen  Jahrgange  verstehen  ^0*    Allein  xaiQog 
ist  eunächst  die  rechte  Zelt  imGegensatae  aurUnaeit,  nicht 
eine  günstige  gegenüber  einer  ungünstigen ;  nun  aber  kann, 
wenn  einer,  auch  in  einem  unfruchtbaren  Jahrgange,  su  der 
Zeit,  in  welcher  sonst  die  Früchte  su  reifen  pflegen ,  solclia 
sucht,  doch  nicht  gesagt  werden,  dafs  es  cur  Unseitsei,  riei- 
mehr  könnte  ein  Mifsjahr  gerade  dadurch  beaeichnet  wer- 
den, dafs,   irre  ^IS-sy  6  xaiQog  twv  xaqmSv^   man   nirgends 
welche  gefunden  habe.    Jedenfalls,  wenn  der  gance  Jahr- 
gang die  Feigen,  eine  in  Palästina  so  häufige  Frucht ^  nicht 
begünstigte,   mufste  Jesus  diefs  fast  ebensogut  wissen ,   als 
wenn    die  unrechte  Jahrazeit  war:  so  dals  das  Räthael 
bleibt,  wie  Jesus  über  eine  Beschaffenheit  dea  Baums ,  wel- 


10)  s.  bei  KuxiftfL  z.  d.  St. 

11)  'Bkvvotj  exeg.   Handb.;  S,  a,  S.  175;  OLSSAuan!,  b.  Goaittu  i^ 
S.  772. 


Neuoles  KapiteL    f.  102.  261 

•he  in  Folge  Ihm  bekannter  Omatlnda  niehft  andere  sein 
konnte,  ao  ungehalten  aein  noohte. 

Allein  erinnern  wir  nna  dooh  nnr^  wer  ea  lat^  dem 

wir  jenen  Znaats  verdanken.    Ea  lat' Markus,  weloher  In 

sdaem  erlinternden,  ?erantobanllchendon  Beatreben  ao  Man« 

ches  ana  seinem  Eignen  Boaetst,  und  dabei)  wie  Ungat  an- 

srkannt  ist,   und  aoeh  wir  auf  unarem  Wege  aehon  snr 

GenOge  gefunden  haben  |  nicht  immer  auf  die  fiberlegteato 

Welae  au  Werke  geht.    So  hier  nimmt  er  gleieh  das  erste 

AaSallendai    waa  ihm   begegnet,    dafa    der  Banm   keine 

Frttehte  hat,    und    lat  eilig  mit  der  Eriüirung   bei  der 

Hsnd,  ea  werde  die  Zeit  nleht  geweaen  aein;    merkt  aber 

licht,  dafif  er,  indem  er  phyaikaüsoh  die  Leerheit  dea  Bauma 

erkUrt,   dadurch  daa  Verfaiiren  Jean  moralisch  unerklir« 

lieh  macht.   Auch  die  olien  erwihnte  Abweichung  von  Mal» 

xiäuM  in  Betreff  der  Zeit,  innerhalb  weloher  der  Banm 

rerdorrte,  tat,  weit  entfernt,  eine  gröfsere  Urkundlichkeit 

dm  Markus  in  dieaer  Erafthlnng  ^'j ,  oder  eine  Neigung 

m  naMrllober  Erkllmng  dea  Wunderbaren  au  beweiaen, 

iviedar  nur  ana  demaelben  Teranachaulichenden  Bestreben, 

wie  dsv  Buletat  betrachtete  Znaata ,  hervorgegangen.    Daa 

Bild  cinea  auf  ein  Wort  hin  pltttalich  verdorrenden  Bauma 

iUlt  der  Klnbildungakraft  aehwer  au  voUaiehen :  wogegen 

6s  oleht  abel  dramatisch  genannt  werden  kann,  den  Pro- 

csfa  dea  Verdorreos  hinter  die  Soene  an  verlegen,  und  erst 

Tsn  deeaen  Resultate  die  später  Vorübergehenden  Ansicht 

nehmeo  au  lassen.  *—  Blit  seiner  Behauptung  übrigens ,  ea 

Mi  damala,  etilehe  Tage  vor  Oatem,  keine  Zeit  für  Feigen  ge* 

weeen  ,  hätte ,  auf  die  klimatischen  Verhältnisse  Palästina  a 

gsaelien,  Markua  inaofem  recht,  ala  In  ao  früher  Jahraaelt 

^e  fipiaeh  getriebenen  feigen  Jenea  Jahrgangs  noch  nicht 


12)  Wie  Siavvaav  meint,  über  den  'Ursprung  u.  ••  f.  S.  IIS  IT, 
Vergh  dagegen  meine  Recens.  in  den  Jahrb.  f.  wiss,  Hritik, 
Nov.  18M* 


252  Zweiter  Abtohoitt.  '^ 

reif  waren  >  iodem  die  Frtihfeige  oder  Booeore  doch  ent 
nm  die  Mitte  oder  gegen  Ende  Juni*«,  die  eigentliche  Fei- 
ge ,  die  Kermos  ,  aber  gar  erst  im  Augustmonat  reif  wird. 
Dagegen  konnte  um  dieOsterzcit  nooh  Tom  vorigen  Herbit 
nnd  fiber  den  Winter  her  die  dritte  Frucht  des  Feigeo- 
banms,  die  späte  Kermus,  hie  nnd  da  auf  einem  Baam 
angetroffen  werden  ^^  ;  wie  denn  nach  Josephns  ein  Tbeil 
Ton  Palästina  (das  Uferland  des  gaiiiäischen  Sees,  freilieh 
fruchtbarer,  als  die  Gegend  um  Jerusaiem,  wo  die  frag« 
iicbe  Geschichte  vorging)  amov  d&ta  fitjolv  udiaXelmfos 
XOQtffd  "). 

Doch  wenn  wir  auch  auf  diese  Weise  die  allerdiogi 
erschwerende  Notia  des  Markus,  dais  der  Mangel  dei 
Baums  kein  wirklicher  gewesen,  sondern  nur  Jesu  fe^ 
möge  einer  irrigen  Erwartung  so  erschienen  sei,  anf  die 
Seite  gebracht  halten :  so  bleibt  uns  doch  auch  nach  Met- 
thäns  noch  das  MifsFerhähnifs ,  dafs  Jesus  wegen  eines 
?ieilelcht  biofs  vorübergehenden  Mangels  einen  Natnrgegen- 
stand  zu  Grund  gerichtet  hätte.  Weii  ihn  hiesn  weder 
ökonomische  Rfioksichten,  da  er  nicht  -Eigenthüner  dei 
Baumes  war,  noch  auch  moralische  Absichten  -^  auf  eineo 
bewufstlosen  Naturgegenstand  —  bewogen  haben  kdaaen, 
so  hat  man  den  Ausweg  ergriffen ,  als  das  eigenÜieha  Ob- 
ject,  auf  welches  Jesus  hier  wirken  wollte,  die  JOng^i* 
SU  substituiren ,  den  Baum  aber  und  was  Jesus  aa  ibm 
that,  als  blofses  Mittel  seiner  Absicht  auf  jene  zu  betrseh- 
len.  Diefs  ist  die  symbolische  Auffassung  ^  durch  welche 
schon  die  Kirchenväter ,  und  nun  auch  die  meisten  ortho- 
doxen Theologen  unter  den  Nenefen,  die  Handlungsweise 
Jesu  von  dem  Vorwurfe  des  Unpassenden  sa  befreien  ge- 
meint haben.    Nicht  Erbofsung  fiber  den  Baum ,    der  sei« 


13)  s.  Paulus,  a.  a.  O.   S.  168 f.;    Wim»,  b*.  Reaiw.    d.  A.  Fei- 
genbaum. 

14)  Bell.  jud.  3,  10,  8. 


üesnies  KapiteL    $.102.  MS 

aem  Banger  keine  Stillang  bot,  war  hienaeb  die  Sdjnmnng 
Jesn  bei  dieaeai  Aete,  sein  Zweeb  nicht  eehleebtweg  die 
Vertilgang  des  nnfruohtbaren  Uewicbsee ;  aondern  mit  Be- 
Mwoeniieit  bat  er  die  Gelegenheit  einet  frftcbteleer  befiin- 
imea  BauoMi  dasn  bentttat,  den  Jflngern  durch  eine  ayu- 
Mische  Handlung  anschaulicher  und  unvergefslicber  als 
ilsreh  Worte  die  Wahrheit  au  machen,  die  nun  entweder 
spsdeU  so  gefafst  werden  kann ,  da(s  das  jfldiscbe  Volk» 
welchea  beherrlieh  keine  Gott  und  dem  Messias  gcfiilligen 
Frfichte  bringe^  au  Grunde  geben  werde^  oder  allgemeiner 
10 ,  dafa  Aberbaopt  jeder ,  der  Ton  guten  Werken  so  etit* 
blofst  am^  wie  dieser  Baum  ton  FröchteU)  einem  ihnlieben 
Strafgericht  entgegensnseben  habe  '^).  Mit  Recht  indefii 
fsrdern  andere  Ausleger ,  wenn  Jesus  mit  der  Handlung 
dieft  besweckte»  so  hXtte  er  sich  irgendwie  darfiber  erklft* 
ran  mOsaen  *^} ;  denn  war  bei  seinen  Gleicbnifsreden  eine 
Amlegang  nftthig^  so  war  sie  bei  einer  Handlung  um 
w  aaeoibebrlicher)  Je  mehr  diese  ohne  eine  derartige  Hin« 
«draag  auf  einen  aufser  ihr  liegenden  Zweck  als  Zweck 
ftrueh  eelbst  gefafst  werden  mufste.  Zwar  liefsesieh  aui^b 
bteri  wie  sonst ,  annehmen)  Jesus  habe  wohl  aur  Veratln- 
digsBg  seiner  Jünger  aber  das  von  ihm  VoUcogeue  noch 
elwas  gesprochen,  was  jedoch  die  Referenten ^  mit  dem 
Wonderfactumsufrieden,  weggelassen  haben«  Allein,  sollte 
Jesus  eine  Deutung  seiner  Handlung  im  angegebenen  sym* 
boiisehen  Sinne  gegeben  haben ,  so  hätten  die  Evangelisten 
dieie  Rede  nicht  bjk>fs  TcrschwiegeUi  sondern  eine  falsche 
so  deren  Stelle  gesetst ;  denn  sie  lassen  Jesum  nach  seinem 
Vornehmen  mit  dem  Asume  nicht  schweigen,  sondern  aus 

13)  Ullhaiiii  9  vher^läe  Unstindlichkeit  Jesu ,  in  seinen  Studien , 
iy  S.  50;  SiBi^irry  s.  a.  O.  S.  115  it;  Ouiuossir,  1,  S.  773; 
l^SAioHiB,  L.  AoChr.,   S.  378.  _ 

1(>)  P4VL0Sy  a.  a.  O.  S.  170 1  Hasb,  L.  J.  ^.  128 ;  auch  SiSffffsaT, 
a.  a.  0. 


264  Zweiter  Ahaohnitf. 

Anlab  niner  Terwqndemingsvollen  Frage  seiner  Jttoger,  wie 
es  mit  dem  Baume   zugegangen,   eine  Erläuterung  gelten, 
fvelche  aber  nicht  Jene  symbolische ,  sondern  von  ihr  ver- 
schieden, Ja  ihr  entgegengesetzt  ist.    Denn  wenn  Jesus  ih- 
nen nagt ,   sie  sollen  sieh  aber  das  Verdorren  des  Feigen« 
baums  anf  sein  Wort  hin   nicht  wnndern ,   mit  nur  weoi- 
nigem  Glauben  werden  sie  noch  Gröfseres  zu  thun  im  Stande 
sein :   so  legt  er  das  Hauptgewieht  anf  sein  Thun  in  der 
Sache ,  nicht  auf  den  Zustand*  und  das  Leiden  des  Baomt 
als  l^ymbole ;  er  hätte  also ,   wenn  doch  auf  das  Letstere 
s6in  Absehen   ging,    sweck widrig  su  seinen  Jüngern    ge* 
aprochen ;  oder  vielmehr ,  wenn  er  so  sprach ,  kann  Jenes 
feine  Absicht  nicht  gewesen  sein.    Ebendamit   ftllt  auch 
Sibftkrt's,  ohaeliin  auf  nichts  sich  stOtaende  Hypothese, 
dafs  Jesus  a war  nicht  nach,   wohl  aber  vor  Jenem  Acte, 
auf  dem  Weg  zum  Feigenbaum  hin,  über  den  Zustand  und 
die  Zukunft  des  israelitischen  Volks  mit  seinen  Jangem 
Gespriiche  gefflhrt  halie,  zu  welchen  die  symbolische  Ver- 
wflnsehnng  des  Baums   nur  als  von  selbst  verstindlicher 
Schluf «stein  gefligt  worden  sei:  denn  alles  durch  Jen«  Ein- 
leitung etwa  angebahnte  Verstftndnifs  des  fraglichen  Actes 
h&tte,  zumal  bei  der  Neigung  der  Zeit  zum  Miracultfseo, 
durch  Jenes  Nachwort ,  welches  nur  die'  wunderbare  Seile 
des  Factnms  iierQcksichtigte,    wieder  zu   Nichte  gemsiht 
werderi  mOssen.    Mit  Recht  hat  daher  Ullmann  den  hin- 
IBUgefOgten  Worten  Jesu  so  weit  nachgegeben,  dals  er  der 
von  ihm  zulässig  gefundenen  symboliscKbn  Auffassung  die 
andere  noch  vorzieht,   welche  auch  sonst  schon  vorgetra« 
gen  war  ^0  >   Jesus  habe  durch  die  Wttnderhandlung  den 
Beinigen  einen  neuen  Beweis  seiner  Machtvollkommenheit 
geben  wollen ,   um  dadurch  ihr  Vertraa^n  auf  ihn  fBr  ilie 
bevorstehenden  Gefahren  au  stärken«    Qder  vielmehr,    da 
eine    specielle  Beidehnng    aaf  das   beviirst^h^nde  |«eideQ 


t7)  HuTPSHMtcu,  in  dpn  tbeol«  Nadiri^ht^ni  4814,  Mai,  S,  131  IT. 


NesDtes  Kapitel»    $.  102.  265 

Bipgends  hervorgehoben,  and  in  den  Worten  Jean  riiohte 
enthalten  ist,  was  er  nieht  auch  schon  früher  gesagt  hätte 
(Hattb.  17,  80.  Lac.  17,  6«) :  so  mars  man  mit  Fritzschb 
ils  die  Ansicht  der  BFangelisten  gans  allgemein  diese  ans- 
iprachen,  Jesns  habe  seinen  Unwillen  Über  die  Unfrneht- 
krkeit  des  Feigenbaums  als  Gelegenheit  mnr  Verrichtung 
eioes  Wunders  benfitst,  dessen  Zweck  nur  der  allgemeine 
liier  seiner  Wunder  war,  sich  als  Messias  en  beorkan* 
den  ^.  Gans  in  dem  von  Fritzschb  geseichneten  '*)  Geiste 
der  Ersäbler  spricht  daher  Euthymius»  wenn  er  alles 
fimbeln  Aber  den  besondern  Zweck  der  Handlung  Terbie- 
tat,  and  nur  im  Allgemeinen  auf  das  Wunder  in  ihr  tu 
wben  ermahnt^.  Keineswegs  aber  folgt  hieraus ^  dafa 
•och  wir  uns  des  Nachdenkens  hierüber  enthalten,  und 
ohne  Weiteres  das  Wunder  gläubig  hinnehmen  mfifsten; 
Tielmehr  können  wir  uns  der  Hemerkung  nieht  erwehren^ 
difs  das  besondere  Wunder,  welches  wir  hier  haben ^  we* 
dar  aea  dem  allgemeinen  Zwecke  des  Wunderthuns  Aber- 
^ipt,  noch  aus  irgend  einem  besendern  Zweck  und  Grund 
ihwirklieh  von  Jesu  Tcrrichtet  sich  erkliren  lifst,  viel- 
Mhrin  Jeder  Hinsieht  seiner  Theorie  wie  sonstigen  Praxis 
i^nientrebt,  und  defswegen  mit  gröfserer  Bestimmtheit  als 
ifgni  ein  amdreS|  auch  abgesehen  von  der  Frage  fiber  die 


m  Conm.  in  Matth.  p.  637. 

19)  Coimii.  in  Marc.  p.  481 :  Vale  -^  vv.  dd.  in  eo  hmMenaU, 
quod  Jesus  sine  raiiane  innoeeniem  fievm  aridam  reddidisse 
videretur,  närisque  Qr§nUis  usi  sunt»  ut  aHquod  hujus  rsi 
eonsiiium  fuisse  ostenderent  Nimirwn  apüstoU»  evangeiistae 
et  omnes  prim4  temporis  Christiani,  qua  erani  ingeniorum 
stmpÜcttale,  quid  quantumque  Jesus  porteniase  fecisse  dice^ 
retur,  curarunt  tantummodo,  neu  quod  Jesu  in  edendo  nU^ 
raciUo  eonsiiium  fuerit,  sublUiter  et  m-guie  quaesiverunt. 


266  Zweiler  Abcchnitt. 

physische  Möglichkeit,  fttr  eia  solobea  erliiftrt  werden  mafi| 
weiches  Jesas  nicht  wirlilich  verrichtet  heben  liaon. 

Indem  uns  nun  aller  noch  der  positire  Necliweis  der- 
jenigen Veraniassung  ohliegt ,  dnroh  welche ,  auch  ohne  ge- 
aehichtiieheo  Grund,  eine  solche  Erafihlong  entstehen  konn- 
te: so  finden  wir  in  unserer  gewöhnliehen  Quelle,  deniA. 
T«,  awar  wohl  manche  bildliche  Reden  und  Ercähluogen 
von  Bäumen  und  von  Feigenbäumen  insliesondere,  sber 
keine,  weiche  au  unserer  Ersäblung  eine  so  speeifische  Ve^ 
wandtschaft  hätte, »dafs  wir  sagen  könnten,  diese  sei  jener 
nachgebildet.  Statt  dessen  aber  dfirfen  wir  im  N.  T.  nicht 
weit  blättern ,  so  finden  wir  schon ,  suerst  in  des  Tänfen 
CMatth.3,  10  j,  dann  in  Jesu  eigenem  Munde  (7, 19.)  die 
Onome  von  dem  Baume,  der,  weil  er  keine  gute  Frocbt 
trägt,  abgehauen  und  in's  Feuer  geworfen  wird,  und  wei* 
terbin  (Luc.  13,  6  ff.)  findet  sich  dieses  Thema  au  der  fin- 
glrten  Geschichte  eines  Herrn  ansgeffibrt,  welcher  auf  ei- 
nem Feigenbaum  in  seinem  Weinberge  drei  Jahre  lang  Te^ 
geblich  Früchte  sucht,  und  defswegen  denselben  umfasnes 
lassen  will ,  wenn  nicht  durch  die  Ffirbitto  des  Gärtnen 
ihm  noch  eine  einjährige  Frist  ausgewirkt  wfirde.  Schon 
Kirchenväter  haben  in  der  Verwttnsehang  des  Feigenbsoms 
nur  eine  tbatsächliche  Aosfahrung  der  Parabel  vom  Feigeo- 
bäum  gefunden  -^) ;  freilich  in  dem  Sinne  der  vorhte 
angeführten  Erklärung,  dafs  Jesus  selbst  den  damaiigen 
Znstand  und  das  bevorstehende  Schicksal  des  Jödieobeii 
Volks,  wie  frflher  durch  eine  bildiiohe  Rede,  so  damals  durch 
eine  symbolische  Handlung  habe  darsteilen  wollen ;  wai) 
wie  wir  gesehen  haben ,  undenkbar  ist.  Dennoch  werden 
wir  uns  jder  Vermuthung  nicht  erwehren  können,  dafs 
wir  hier  ein  und  dasselbe  Thema  in  drei  verschiedenen 
Gestalten  vor  uns  haben:  euerst  in  concentrirtester  Form, 

2i)  Ambrosius,  Comm.  in  Luc.  z.  d.  St.   Aehnlich  jetzt  NsAKoa«« 
a.  a.  O. 


\ 


Neuoces  Kapic«!.  j^«  103.  267 

aJs  Gnoflic,  dann  sor  Panbel  erweitert,  niid  endlich  cor 
(jeschiohle  reeiUirC ;  wobei  wir  nur  nicht  ennehmeo ,  dafg 
JeeiUy  was  er  nweimal  durch  Worte ,  snietst  anch  noch 
dareh  eine  Handlung  dargestellt,  sondern  ,  daüs  die  Tradi* 
tum  9  was  sie  als  tinome  und  psrabolisohe  Geschichte  vor- 
fsad,  auch  vollends  eur  wirkliehen  Begeiüenheit  gemacht 
iksbe.  Dafs  in  dieser  wirldicben  Geschichte  das  Ende  des 
Baums  ein  etwas  andres  ist,  als  was  ihm  in  der  Gnodie 
«ad  Gleichnifsrede  angedroht  wird,  nimlich  Verdorren 
statt  des  Umgehauen werdena,  darf  nicht  sum  Anstols  ge- 
rsiclien*  Denn  war  die  Patabel  einmal  nur  wirklichen 
Ueschiehte,  mit  desu  Subject  Jesus,  geworden,  war  also 
ihr  ganner  didaktischer  und  symbolischer  Gehalt  in  der  lus- 
tersn  Haodlung  aufgegangen:  so  mufste  diese,  sollte  sie 
noch  Gewicht  und  Interesse  haben,  als  Wunderhandluog 
sich  bestimmen,  also  die  durch  A^t  und  Hauen  natürlich 
vermittelte  Vertilgung  des  Baums  in  ein  unmittelbares  Ver- 
dorren anf  das  Wort  Jesu  sich  verwandeln.  Zwar  scheint 
pgen  «iiese  Ansieht  von  der  Krsfthlnng,  nach  welcher  ihr 
laaereter  Kern  doch  kein  andrer  als  ein  symbolischer  blie> 
be,  deh  ebendasselbe,  was  gegen  die  oben  erwogene,  ein- 
wenden SU  lassen:  «dals  nXmlich  die  daran  sich  knüpfen- 
de Rede  Jesu  einer  solchen  Auffassung  widerstrebe.  AI- 
Irin  bei  unserer  Ansicht  von  den  Berichten  sind  wir  befugt, 
en  sagen,  da(s  mit  der  Umwandlung  der  Parabel  aur  Ge- 
ichichte  in  der  Oeberliefemng  auch  der  ursprüngliche  Sinn 
Fon  jener  verloren  ging,  und,  indem  das  >/uDderbare  als  der 
Nerv  der  Sache  betrachtet  au  werden  anfing ,  irrigerweise 
jene,  die  Wundermacht  und  Glanbenskraft  betreffende  Re« 
de  damit  verknöpft  wurde.  Sogar  die  besondere  Veranlas- 
long,  warum  gerade  die  Rede  vom  Bergev ersetzen  an  die 
Krafihiung  vom  Feigenbaum  angeknüpft  ist,  l&fst  sich  mit 
Wahrscheinlichkeit  nachweisen.  Die  Glaubenskraft,  wel- 
ehe  hier  durch  ein  von  £rfoig  begleitetes  Sprechen  au  einem 
Berge:   a^^rpri  utai  ßlljS^f^ii  efg  ttjtf  d^aXuaoaVy   dargestellt 


208  Zweiter  Absohnict.    ' 

ist,  findet  sich  anderswo  (Lno.  17,  0.)  versinnblldlieht  dnrch 
ein  ebenso  wirksames  Sprechen  so  einer  Art  von  Feigenbaan 
(auxa/nivog) :  ixQi^oid-t^t^  xal  (pvttvxhijzi  iv  ttj  d-aXaaari.  So 
erinnerte  der  Terwünsehte  Feigenbaum,  sobald  sein  Ver- 
dorren als  WirlLong  der  Wnnderkraft  Jesu  gefafst  wurde, 
an  den  durch  die  wunderbare  Kraft  des  Glaubens  eu  ?e^ 
pQanaenden  Baum  oder  Berg,  und  so  wurde  dieses  Oictam 
Jenem  Factum  angehängt.  Hier  also  gebflhrt  dem  dritten 
£Tangelinm  der  Preis,  welches  uns  die  Parabel  von  der 
unfruchtbaren  avx!}  und  die  Gnome  von  der  dnreh  deo 
Glauben  an  verpflanzenden  avxafuvog  getrennt  und  rein, 
Jede  in  ihrer  ursprttagliehea  Form  und  Bedeutung,  erhal- 
ten hat:  während  die  beiden  andern  Synoptiker  die  Para- 
bel Bur  Geschichte  umgebildet,  die  Gnome  aber  (In  etwM 
anderer  Form)  au  einer  falschen  Deutung  Jener  angebli« 
eben  Geschichte  Verwendet  haben  ^^. 


33)  Vergl.  Iiiemit  die  im  Wesentlioken  ttberelnaUmmendeii  Auf- 
fasauiigen  der  ErsVhlnng  hei  vm  Wim,  exeg.  Handb.,  1,  1 
S.  176  f.  I,  3,  S.  174  t  und  b^i  Wassss,  die  evang.  Gcicli. 
I,  S.  576  f. 


9 


'^Ä» 
•  f 


Zehntes    KaptteJ, 

■ 

Jesn  Verklärang  und  letzte  Reise  nach 

Jerusalem. 


$.     103. 
Die  VerklSiriuig  Jetu  aU  wunderbarer  Hnsserer  Vorgang. 

Hit  den  bisher  antersnehten  WondererziUnngen  konnte 
die  Gescbichte  von  der  Verkllmng  Jesn  auf  dem  Berge  nicht 
mehr  verbunden  werden :  nicht  blob  well  sie  kein  von  Jesn 
f errichtetes  Wunder  wie  jene^  vielmehr  ein  an  ihm  vorge- 
gangenes betrifft;  sondern  anch  weil  sie  als  ein  Ifer  sich 
stehender  Moment  im  Leben  Jesn  hervortritt,  welcher  der 
fiUehnrtigkeit  wegen  nnr  etwa  mit  der  Taufe  und  Auf- 
entehang  nusammengestellt  werden  könnte ;  wie  denn  Hir- 
Dit  nit  Recht  diese  drei  Begebenheiten  als  die  drei  licli- 
tett  Punkte  himmÜseher  Beurkundung  im  Leben  Jesu  Inh 
saiehnet  hat  0* 

So  9  wie  sich  die  synoptische  Krsfihlong  (Matth.  17| 
1 C  Mare.  0 ,  2  ff.  Luc.  9,  28  ff.)  —  denn  im  vierten  Bvan- 
geliom  fehlt  die  'Geschichte  —  dem  ersten  Anblicke  darbie- 
tet,  haben  wir  hier  einen  wirklichen  fiufseren  und  swar 
wunderbaren  Vorgang:  als  Jesus  6  —  8  Tage  nach  seiner 
ersten  Leidensverktfndignng  mit  seinen  drei  vertrautesten 
Jflngem  einen  hohen  Berg  bestieg,  waren  diese  Zengeni 
wie  mit  Einem  Male  sein  Angesicht  und  selbst  seine  Klei- 
der in  aberirdischem  Olanse  sich  veridArteni    wie  nwel 


1)  Vem  Ertöser  der  Menschen  nach  unsem  drei  ersten  Evange- 
lien, S.  114. 


270'  Zweiter  Abschnitt. 

ehrwürdige  Geataiten  aas  dem  Geisterreiche,  Moses  und 
Elias ^  erschienen,  sich  mit  ihm  cu  unterreden ,  und  wie 
endlich  aas  einer  lichten  Wolke  eine  himmlische  Stimme 
Jesnm  fttr  Gottes  Sohn  |  dem  sie  Gehör  au  schenlieo  bit- 
ten, erklftrte. " 

Diese  wenigen  Zflge  der  Geschichte  regeif  eine  Men- 
ge Fragen  an ,  nm  deren  Sammlang  sich  Gabler  ein  be- 
sonderes Verdienst  erworben  hat  *).  Bei  Jedem  der  dni 
Momente  des  Vorgangs :  dem  Glanae ,  der  Todtenerschei- 
nang,  and  der  Stimme,  iäfst  sich  sowohl  nach  der  Hog 
lichkeit,  als  nach  dem  aarelchenden  Zwecke  fragen.  Wo- 
her soll  vorerst  der  aarserordentllche  Glanz  an  Jesrnn  ge- 
kommen sein?  Bedeokt  man,  dafs  von  einem  fierafioijqi 
ad-at  Jesa  die  Rede  ist,  so  scheint  nicht  an  ein  blofsesBe- 
achienenwerden  von  aafsen  her,  sondern  an  eine  von  inneo 
kommende  VerkiXrong  gedacht  werden  an  mfisseo,  so  som- 
gen  an  ein  vorübergehendes  Darchieochten  der  göttlicben 
do^a  durch  die  menschliche  HfiUe;  wie  aach  Olshacsen  diese 
Begel^enheit  als  einen  Haaptmoment  in  dem  Lfiuteronge- 
and  Verklftrangsprbcefse  fafst,  in  welchem  er  die  Leiblicb- 
keit  Jeso  wfihrend  seines  gansen  Lebens  bis  cur  Blmmel- 
fahrt  begriften  denkt  ^.^  Allein^  ohne  das  schon  oben 
Gesagte  hier  weiter  anszaflQhren,  dafs  Jesus  entweder  kein 
wahrer  Mensch  war,  oder  die  mit  ihm  während  seines  Le- 
idens vorgegangene  Llnterung  eine  andere  gewesen  tein 
mafs,  als  welche  in  einem  Licht-  ond  Leichtwerdeo  ds> 
Körpers  bestand :  so  ist  in  keinem  Falle  sn  begreifen,  wie 
an  einem  solchen  Verkl£rongtproce(s  anfser  seinem  Lei- 
be anch  sdne  Kleider  theilnehmen  konnten.  Möchte  dsb 
dieses  letateren  Punktes  wegen  lielier  an  eine  Belenchtong 


2)  In  einer  Abhandlung  Über   die  Verklärangsgetchicbte »  in  t. 

neuesten  theolog.  Journal,   1.  Bd.  5.  Stück,  S.  5l7  ff.    ^6^ 

Bausr,  hebr.  Mythol.  2,  S.  233  ff. 
S)  bibl.  Comm.  1,  S.  524. 


Zehntes  Kapitel.    $.  103.  ^1 

Ton  ffar«efi  denken,  so  wtfre  diefa  dann  keine  Metamorpho- 
se, Ton  welcher  doch    die  Evangelisten  sprechen:  so  dafs 
also  diese  Scene  zu  keiner  in   sich   Ensammensttmmendiin 
Anschaaong  gebracht  werden  kann,  wofern  man  nicht  et- 
wa mit  Olshauskn  beides  Tcrbunden ,  Jesnm  sowohl  strah- 
lend als  bestrahlt,  sich  denken  will.  Aber  war  dieser  Glanz 
aoch  möglich :  immer  bleibt  doch  die  Frage,  woaii  er  denn 
gedient  haben  soll?    Sagt  man,   was   am   nächsten  liegt; 
om  Jesom  zn  Ferherrlichen :  so  war  der  geistigen  Verherr- 
liehong  gegenüber,  welolie  Jesus   darch.  Rede  und  Tbat 
sieb  selber  gab,  diese  physische  dorch  glSnieende  Beleuch- 
tong  eine  sehr   nnwesentliche ,    und  fast  kindisch  bq  nen- 
nen; soll  sie  aber  dennoch  zur  Erhaltung  des  allznschwa- 
ehen  Glaubens  nöthig  gewesen  sein ,   so  mfifste  sie  vor  der 
Menge,  oder  doch   vor  dem  weiteren  Kreise  der  Jünger, 
nicht  aber  vor  dem  engsten  Ausschusse  der  kräftigsten  vor- 
genommen*,   mindestens  den  wenigen   Augenzeugen  nicht 
die  Mittheilung  gerade  fiBr  die  am  meisten  kritische  Zeit, 
bis  zar  Auferstehung ,  untersagt  worden  sein,  —  Mit  ver- 
Btlrkter  Kraft  kehren  diese  beiden  Fragen  bei  dem  zweiten 
Moment  in   anserer  Geschichte  ,    bei  der  Erscheinung  der 
beiden  Verstorbenen,  wieder.    Können  abgeschiedene  See- 
len den  Lebenden  erscheinen?   und  wenn,  wie  es  scheint, 
die  beiden  Gottesmftnner  mit  ihrem  vormaligen ,    nur  ver- 
USrten,  Leibe  sich  zeigten,   woher  nahmen  sie  diesen  «— 
flach  biblischer  Vorstellung  —  vor   der  allgemeinen   Auf- 
erstehung?    Zwar  bei  Elias,  der  ohne  Ablegung  des  Kör- 
pers gen  Himmel  fuhr,    macht  diefs   weniger  Schwierig- 
keit: allein  Moses  war  doch  gestorben,  und  sein  Leich- 
nam begraben  worden.  Vollends  aber  zu  welchem  Zwecke 
tollten  die  beiden  grofsen   Todten   erschienen    sein?    Die 
svangelische  JSarstellong ,  indem    sie   die  beideh  Gestalten 
Alt  avllaXävteg  t(^  '/.  darstellt,  scheint  den  Zweck  der  Er- 
tcheinnng  in  Jesum  zu  setzen ;   näher ,  wenn  Lukas  recht 
bat,   bezog  sich  dieselbe  auf  da»  Jesu  bevorstehende  Lei* 


77t  Zweiter  Abachnitt 

den  und  Stmrben.  Aber  mngekttndigt  können  sie  ihm  diers 
nicht  erst  haben,  dm  der  einstimmigen  Angabe  der  Syiiop- 
til£er  Eufolge  schon  eine  Woche  vorher  er  selbst  es  ?oraui- 
gesagt  hatte  (Matth.  16,  21.  paralJ.)*  Daher  yermnthet  man, 
durch  Moses  und  Elias  sei  Jesus  nur  ron,  den  näheren 
Umständen  und  Verhältnissen  seines  Todes  genauer  unte^ 
richtet  worden^):  allein  einerseits  ist  es  der  Stellong, 
welche  die  Evangelien  Jesu  an  den  alten  Propheten  geben, 
nicht  angemessen,  dafs  er  von  ihnen  Belehrung  bedarft 
haben  soll:  andrerseits  hatte  Jesus  schon  frfiher  sein  Lei- 
den mit  so  genauen  Zfigen  vorhergesagt,  dafs  die  speciel- 
lerefi  Eröffnungen  aus  der  Geisterwelt  nur  etwa  das  ^a- 
gadldoadxct  f^öig  edrsaiv  and  ifiTwvea&aij  wovon  er  erst 
später  sagt  (Matth.  20,  19.  Marc.  10,  a4.)i  betroffen  haben 
liönnten.  Oder  sollte  die  an  Jesum  cu  maehende  Mittbei- 
long  nicht  sowohl  in  einer  Belehrung,  als  in  einer  Stär- 
kung ffir  sein  bevorstehendes  Leiden  bestehen:  so  ist  am 
diese  Zelt  noch  keine  Spur  eines  ttemfitlisBustands  l>ei  Je 
SU  £U  finden,  welcher  einen  Beistand  dieser  Art  eu  e^ 
heischen  scheinen  lu»nnte;'fflr  das  spätere  Leiden  aber 
hätte  diese  so  frtthe  Stärkung  doch  nicht  hingereiejit,  wie 
wir  daraus  sehen,  dafs  in  Gethsemane  eine  weitere  nötbi; 
war.  Werden  wir  so,  wiewohl  bereits  gegen  die  Anhp 
des  Teites,  su  dem  Versuche  veranlafst,  ob  sieh  der  Er- 
scheinung nicht  vielleicht  eine  Beziehung  auf  die  Jffnger 
geben  lasse :  so  reicht  der  Zweck'  der  Glaubensstärkoog 
Oberhaupt  sur  Begrfindung  einer  so  besondern  Veranstal- 
tung theils  als  cu  allgemein  nicht  aus ;  theils  mfifste  Jesus 
in  der  Parabel  vom  reichen  Manne  den  leitenden  Grundsats 
der  göttlichen  FOgungen  in  dieser  Beziehung  falsch  gedeu- 
tet habeq,  wenn  er  ihn  dahin  aussprach,  dafs,  wer  den 
Schriften  des  Moses  und  der  Propheten  —  und  wie  viel 
mehr,    wer   dem   gegenwärtigen  Christus  —  kein  Gehör 


4)  Olshausbk  a.  a.  0/ S,  527. 


V 


Zehntes  Kapitel      S*  104.  «17S 

schenke,  auch  durch  eioen  wiederkehrenden  Todcen  nicht 
gvm  Glaaben  gebracht  werdeh  würden  wefsvregen  denn  ei- 
ne eoiche  Erscheinung,  wenigstens  en  Jenem  Zweclie,  Ton 
6ott  nicht  verfllgt  werde.  Der  speciellere  Zweck,  dioJfln- 
pr  ¥on  der  Del>ereinstimmung  der  Lehre  und  Schicksale 
Jen  mit  Moses  und  den  Propheten  -cu  ttberseogen,  war 
lom  Tbell  schon  erreicht ;  enra  Theil  aber  wurde  er  es 
erst  nach  dem  Tod  und  der  Anferstehnng  Jesn  und  der 
Ansjriefiuing  des  Geistes ,  ohne  data  die  Verkllfmng  in  die>> 
ler  Hinsicht  irgend  Epoche  gemacht  hätte.  -—  Endlich  die 
iitisiaie  aas  der  lichten  Wolke  (ohne  Zweifel  der  Sckechi' 
xoi)  ist,  gleich  der  bei  der  Taufe,  eine  Gottesstimme; 
sber  wie  anthropemerphistisch  mnfs  die  Vorstellung  yon 
Gott  sein ,  welche  ein  wirkliches  hörbares  Sprechen  Got- 
tes ttr  miöglich  hält;  oder  wenn  hier  nur  von  einer  Mit- 
theilimg  Gottes  an  das  geistige  Ohr  die  Rede  sein  soll  ^), 
10  ist  damit  die  Sache  In  das  Visionttre  hinfibergespielt,  und 
b  eine  j^anu  andere  Betrachtungsweise  fihergesprungen. 

S.     104. 
Die  uförliche  Auffaissung  der  Eriäklung  in  verschiedenen  Fonnan. 

Den  ausgef&hrten  Schwierigkeiten  derjenigen  Ansicht, 
weiebe  die  Verklärung  Jesu  als  wunderbare  und  awar  Sus* 
«ere  Begebenheit  betrachtet,  hat  man  dadurch  eu  entgehen 
gesDcht,  dafs  man  den  gansen  Vorgang  In  das  Innere  der 
dabei  betheiligten  Personen  verlegte.  Hiebei  braucht  das 
Waoderbare  nicht  sogleich  aufgegeben  au  werden:  nur 
scheint  es  als  ein  im  menschliehen  Innern  gewirktes  Wnn^ 
der  einfacher  und  denkbarer  cu  sein.  Man  nimmt  daher 
an,  dafs  durch  göttliche  Einwirkung  das  geistige  Wesen 
der  drei  Apostel,  und  wohl  auch  Jesu  selbst^  bis  cur 
Kkstase  gesteigert  worden  sei ,   in  welcher  sie  entweder 


5)  OukHAüssiv,  1,  S.  529.    vgl.  S.  174. 

Das  Leben  Jesu  Zie  Aufl.  //.  Band.  IB 


274  Zweiter  Abschnitt. 

wirklich  mit  der  höheren  Welt  in  Berührang  traten, 
oder  deren  Gestalten  aufs  Lebendigste  selbst  prodaoiren 
konnten ,  d.  h.  man  denkt  sich  den  Vorgang  als  Vision  *;. 
Allein  die  erste  Stütise  dieser  Änffassong ,  dafs  Ja  Matthfioi 
selbst  durch  den  Aasdrack  :  oQafia  CV.  9O9  die  Sache  als  ei- 
nen blofs  snbjecti?eny  visionären  Vorgang  beseichne,  weicht 
alsbald,  wenn  man  sich  erinnert,  dafs  weder  in  der  Wort« 
iiedeutung  ?on  oQUfia  das  Merkmal  des  blofs  InnerHcheo 
liegt,  noch  aoch  der  N.  T. liebe  Sprachgebranch  den  Aas- 
druck nar  für  innere,  sondern,  wie  A6.  7,  31.,  ebenso  aach 
fflr  fiufsere  Anschauungen  verwendet  ^.  Die  Sache  seib&t 
betreffend  aber  ist  es  unwahrscheinlich ,  und  wenigstenj 
in  der  Schrift  beispiellos,  dafs  Mehrere,  wie  hier  Drei 
oder  Viere,  an  demselben,  sehr  ausfdhrllcben ,  Ivesicbte 
Thell  gehabt  hätten  ')  ;  woeu  noch  kommt,  dafs  die  ganse 
schwierige  Frage  nach  der  Zweckmäfsigkeit  einer  solchen 
wunderbaren  Veranstaltung  auch  bei  dieser  Auffassung  der 
Sache  wiederkehrt. 

Diesen  Anstofs  an  vermelden,  haben  daher  Andere  den 
Vorgang  £war  im  Innern  der  bechelHgten  Personen  belas- 
sen, aber  als  Pruduct  einer  natärlichen  Thätigkeit  der 
Seele :  das  Ganze  mithin  für  einen  Traum  erklärt  *).  Wäh- 
rend oder  nach  einem  von  Jesu  oder  ihnen  selbst  gespro- 
chenen Gebete,  in  welchem  des  Moses  and  Elias  gedieht, 
und  ihre  Ankunft  als  messianlscher  Vorläufer  gewünscht 
worden  war,  achliefen  dieser  Auffassung  zufolge  die  drei 
Jünger  ein,  and  träumten,  indem  wohl  aach  die  von  Jesu 


1)  So  Tertull.  adv.  Marcion.  4>  22;  Herdbr,  a.  a.  O  S.  115 f) 
welcben  auch  Gratz,  Comm.  z.  Matth.  2,  S.  163  f.  169.  bei- 
stimmt. 

2)  Vgl.  Fritzscbi,  in  Matth.  p.  552;    Olshat7Sbs,  l,  S.  523. 

3)  Olshavsitt,  a«  a.  O.'      . 

4)  Bau,  eymbola  ad  illuetrandam  Ew.  de  metamorphosi  J.  Chr. 
narrationem;  Gabler,  a.  a.  O.  S.  539  IT.;  KvikÖL|  Comm.  t. 
Matth.  p.  459  ff.  ;    Nsakdsr,  L.  J    Chr.  S.  474  f. 


Zehntes  Kapitel.     $.  104.  275 

genannten  Namen  jener  Beiden  in  ihre  seh laftmnkenen  Oh- 
ren hineintönteni  als  ob  HoBea  nnd  Elias  gegenwärtig  wff- 
ren,  andJeena  sich  mit  ihnen  unterhielte;  was  ihnen  aach 
bei*fB  ersten,  trflben  Krwaehen  noeh  einen  Aogenblick  yor^ 
lehvrebte.  -^  Wie  die  vorige  Erkiffrnng  aof  das  oQa^a  des 
Hatthlo^,  so  stfitBt  sieh  diese  darauf,  dafs  Lukas  die  Jiln«> 
ger  als  ßfßaQijfitevoi  tm'r;»,  und  erst  gegen  das  Ende  der 
Seene  wieder  als  SiayQr^yofn^cnreg  j  he«Mchnet  (¥•  32.). 
Aof  die  Handhabe,  welche  der  dritte  Evangelist  hiemit  der 
natfirllehen  Erklärung  bietet ,  winl  nun  ein  bedeutender  Vor- 
sog  seiner  Ensählong  vor  der  der  beiden  ersten  begrfindet, 
indem  die  neueren  Kritiker  erklären,  dafs  durch  diese  und 
sodere  Zflge,  weiche  die  Begebenheit  dem  Natfirlichen  nä- 
her bringen,  die  üarsteliong  bei  Lukas  sich  als  die  ui^ 
iprfiogliche,  die  des  Matthäus  dagegen  durch  Weglassong 
derselben  sich  als  die  abgeleitete  erweise,  da  bei  der  wunder- 
säcbtigen  Richtung  jener  Zeit  wohl  Miemand  solche ,  das 
Wander  mindernde  Zage,  wie  das  Schlafen  der  Jdnger, 
hlnsogedichtet  haben  wfirde  ^).  Diese  Schlufsweise  wür- 
den wir  sn  der  nnsrigen  machen  müssen,  wenn  wirklich 
der  bezeichnete' Zug  nur  im  Sinne  der  natflriichen  Erklä- 
mng  aafgefafst  werden  könnte.  Hier  dürfen  wir  uns  aber 
Dar  erinnern ,  wie  bei  einer  andern  Scene ,  in  welcher  das 
naeh  Lnkas  liei  der  Verklärung  Jesti  angekündigte  Leiden 
in  ErfüUong  so  gehen  anfing,  und  bei  welcher  naeh  dem- 
selben Evangelisten  Jesu  gleichfalls  eine  himmlische  Ersehet* 
onng  SU  Theil  wurde,  in  Gethsemane  nämliob,  die  Jünger 
ebenso,  und  swar  nach  sämmtliehen  Synoptikern,  als  xa- 
^ivdovTEg  erscheinen  (Matth.  26,  40parall.).  Konnte  hier 
sehen  die  blofs  änfsere,  formelle  Äehnliohkeit  beider  Sce- 
nen  einen  Referenten  cur  Debertragnng  des  Zugs  vom  Schlaf 
in  die  Verklärungsgesohichte  veranlassen  :^  so    konnte  ihm 


5)  Schulz,  über  das  Abendm.,  S.  319;  ScHLtisiiMACHtii,  über  den 
Lukas,  S.  148  f.  ;    vgl.  auch  Köstsr,  Immanuel ,  S.  60  f. 

18* 


ITA  Zweiter  AbiobnitU 

noch  mehr  der  Sinn  ond  Inhalt  dieses  Zags  anch  hier  in 
seinem  Orte  scheinen«  Durch  das  Schlafen  der  Jfloger 
nKmlich,  eben  während  mit  ihrem  Meister  das  Wichtigito 
vergeht,  wird  ihr  nnendlicher  Abstand  ypn  ihm,  ihre  On- 
ffibigkeit,  seine  Höhe  sn  erreichen ,  nnd  seine  Ueberiegeo- 
heit  beseiclinet;  der  Prophet,  der  Empfllnger  einer  Offeo- 
barnng,  ist  anter  den  gewöhnlichen  Mensohen  wie  eio 
Wachender  anter  Schlafenden:  wefswegen  es  sich  gani 
von  selbst  ergab ,  wie  bei  dem  tiefsten  Leiden ,  so  aoeb 
hier  l>ei  der  höchsten  Verherrlichung  Jesu  die  Jflnger  all 
sehlaftraniLene  darEustellen.  Ist  somit  dieser  Zog  so  weil 
entfernt,  der  natfirlichen  Erklärung  Vorschub  su  thun, 
dafs  er  vielmehr  das  an  Jesu  vorgegangene  Wunder  durch 
einen  Contrast  heben  will:  so  sind  wir  auch  nicht  mehr 
befugt,  den  Bericht  des  Lukas  als  den  ursprünglichen  an« 
Busehen,  und  auf  seine  Angabe  eine  Erklärung  des  Vor 
falls  ca  bauen ;  sondern  umgekehrt  werden  wir  an  jenem 
ZusatE ,  in  Verbindung  mit  dem.  schon  erwähnten  V.  31.) 
seine  Darstellung  als  abgeleitete  und  aasgesohmückte  e^ 
kennen  ®J,  und  uns  mehr  an  die  der  l>eiden  ersten  Eyan- 
gellsten  halten  müssen. 

Fällt  auf  diese  Weise  die  Hanptstatee  derjenigen  Auf* 
fassong,  welche  hier  nur  einen  natürlichen  Traom  iff 
Apostel  sieht:  so  hat  diese  aofserdem  noch  eine  Mengein* 
nerer  Schwierigkeiten.  Sie  setet  nur  die  drei  Jünger  als 
träumend  voraus,  vnd  läfst  Jesnm  wachen,  also  nieht  in 
der  Ulusion  begriffen  sein.  Die  ganse  evangelische  Dar- 
stellung lautet  aber  so,  als  ob  Jesus  so  gut  wie  die  Jflnger 
die  Erscheinung  gehabt  hätte;  namentlich  konnte  er,  wenn 
das  Gänse  nur  ein  Traum   der  Jünger  war,  ihnen  nicht 


6)  Diese  Einsicht  hat  Baubr^  a.  a.  O.  S.  237;  Fritzscrb,  p.556; 
«    DB  Warn,  exeg.  Handb. ,  1,  2,  S.  56  f. ;   Waissa,  die  evang. 

Gesch.  1,  S»  536;  und  zum  Theil  auch  Pavlus,  exeg.  Handb.; 

2,  S.  447  f. 


Zehntes  Kapitel    $.104.  tn 

heroAoh  sagen:  fn^evl  ämfjCB  to  o^Kx^iay  wodureb  er  sie  ja 
•bea  in  der  Meinang  bestärkt  blltte,  dafs  es  etwas  Beson- 
deres nnd  Wanderbares  gewesen  sei.  ^  Hatte  aber  aneh  Je- 
101  keinen  Theil  an  dem  Tranmei  so  bleibt  es  doob  immer 
noch  nnerbdrt,    da(s  drei   Personen   natarlicberweite   so 
|ieicher  Zeit  einen    und   denselben   Tranm  haben    sollten. 
Dieb  haben  die  Freunde  dieser  KrklJIrang  eingesehen^  und 
daher  soll  nun  eigentlloh  nur  der  feurige  Petrus ^   der  Ja 
iscb' allein  spreehe,  so  geträumt,  die  Referenten  aber  yer- 
noge  einer  Synekdoche  allen  drei  Jfingem  Bugeschrielien 
heben,    was  nur  Einem   von  ihnen  begegnet  war.    Allein 
Jsrsns,   dafs   Petrus   aueh   hier   wie  sonst  den  Spreeher 
Biacht,  folgt  nieht|  dafs  auch  nur  er  allein  Jenes  Gesicht 
febabt  habe,  wovon  das  Oegentheil  ans  den  klaren  Worten 
iler  Erangelisten  durch   keine  Redefignr  entfernt    werden 
kann«     Doch   die   in  Rede   stehende  Erklärung   der  Sache 
bekennt  Ihre  Unsulänglichkeit  noch  deutlieher*   Nicht  nur, 
irie  uehon  bemerkt,  das  laute  Ausspreeben  der  Namen  des 
Moeee  and  Elias  von  Seiten  Jesu  mufs  in  den  Tranm  der 
JOngier  onterstfifsend  hineinspieien ;    sondern  auch  ein  6e» 
%vittcr  v9\tA  bu  Hfilfe  genommen  ,  welches  in   denselben 
dorcb  seine  BliUe  das  Bild  ?on  Überirdischem  Glans,  und 
doreh  seine  Donnerschläge   das  von  Gesprächen  und  Alm«« 
melastioimen  hineingebracht,  und  sie  auch  nach  ihrem  Er^ 
wachen  noch  einige  Zeit  in  der  Täuschung  erhalten  haben 
soll.     Doch    dafs  die  JOnger  nach  Lnkas  eben   bei   ihrem 
Erweichen  idKxyQrffoqrjoccvtBg^   die  Ewei  Männer   bei  Jesu 
stehen  sahen,  sieht  nicht  wie  eine   blofse  aus  dem  Traum 
^n  das  Wachen  herflhergenommene  Täuschung  aus;   wefs« 
wegen  denn  Kuinöl  die  weitere  Annahme  herbeisieht,  dafs, 
während  die  Jflnger  schliefen,    wirklich  zwei  unbekannte 
Männer  an  Jesu  gekommen  seien,   welche   die  Erwachen- 
den   sofort  mit  I  ihren   Tränmen   in    Verbindung  gebracht, 
and    fflr  Moses    und   Elias  gehalten   haben.    Durch   diese 
IVendnng  der  Ansicht  sind  nun   alle  diejenigen  Momente, 


278  Zweiter  Abschnitt. 

^welche  die  auf  einen  Traum  sorflokgehende  Aoffasi ong  all 
innerlich  Forschwebende  betrachten  sollte,  wieder  nach  aas- 
sen  getreten,  indem  die  Vorstellung  eines  Lichtglansesdarch 
die  Blitse,  die  Meinung,  Stimmen  an  hören,  durch  des 
Donner,  endlich  die  Vorstellung  von  cwei  bei  Jesu  anwe- 
senden Personen  durch  die  wirkliche  Gegenwart  sweier 
Unbekannten\hervorgebracht  worden  sein  soll.  Das  AUei 
konnten  die  Jfinger  eigentlich  nur  im  Wachen  wahroeh- 
men ,  und  fällt  somit  die  Voranssetcong  eines  Traum  all 
eine  fiberflttsslge  hinweg. 

Besser  daher ,    sofern  sie  darin ,    daCs  ihrer  Drei  ao 
Einem  Traume  theilgenommen  haben  mfifsten ,   eine  eigao- 
thamliche  Schwierigkeit  hat,    den   Faden,   welcher  nach 
dieser   ErkiMrnngsarl   den    Vorgang    noch   an  das  Innere 
knflpft ,   gans  abgerissen ,   und  Alles  wieder  inj  die  Aufsen« 
weit  verlegt:   so   dafs  wir,    wie  cuer^t  einen  öbernatfirli- 
chen ,   so  nun  einen  natürlichen  ftufseren  Hergang  vor  ans 
haben.     Den  JOngem   bot  sich  etwas  Objectives  dar:  lo 
erklärt  sich,   wie  es  mehrere  sngleich  wahrnehmen  kenn* 
ten;  sie  täuschten  sich  wachend   Ober  das  Wahrgenomme- 
ne :  natQrliob,  weil  sie  alle  in  demselben  Vorstellungakreis, 
in  derselben  Stimmung   und  Lage   sich   befanden«    Dieser 
Ansicht   snfolge  ist  das  Wesentliche   der  Scene   auf  dea 
Berge   eine  geheime  Zusammenkunft,   welche  Jesus  beib 
sichtigte,    und   bu  diesem  Behufe  die   drei  suverlästiftteii 
seiner  Jfinger  mit  sich  nahm.     Wer  die  Bwei  Männer  wa- 
ren, mit  welchen  Jesus  susammenkam ,  wagt  Paulus  sieht 
BU   bestimmen ;   Kuinöl  vermnthet  heimliche  Anhänger  von 
der  Art   des  Nikodemus;    nach  Vskturini  waren  es  Esse- 
ner, Jesu  geheime  Verbündete.     Ehe  diese  noch  eintrafen, 
betete  Jesus,  und  die  Jfinger,  nicht  janr  Theilnahme  geso- 
gen ,  schliefen  ein ;    denn  den  von  Lukas  an  die  Hand  ge- 
gebenen Schlaf,  wiewohl  tranmlos,  behält  diese  ErklironK 
gerne  bei,    nm   bei  eben   erst  Erwachten   die   Täuschung 
wahrscheinlicher  zu  machen.    An   fremden  Stimmen,  Ale 


Zehntes  Kapital    {•  104.        ^  279 

sie  bei  Jesa   hörten,    wachen  eie  auf,   sehen  Jesom,  der 
waliracheiniieh  aaf  einem  höheren  Punkte   des  Berges  ^  als 
wo  sie  sich  gelsgert  hatten ,  stand ,  in  einem  angewöhnli- 
ehen Glänze ,  der  von  den  ersten  Morgenstrshlen ,  welche, 
vielleicht  durch  nahe  Schneelagen  sarfickgeworfen,  anf  Je- 
MBi  fielen,  herrührte,  ?on  ihnen  aber  in  der  ersten  Ueber- 
rstchnng  för  flbernatQrliche  Verklämng   gehalten   wurde; 
•ie  erblicken  die  beiden  MXnner,  welche  ans  nnbekanntea 
Urfinden  der  schlaftrunkene  Petrus,  und  nach  ihm  die  Oebri^ 
gen,  für  Moses  und  Elias  halten;   ihre  Bestfirnnng  Steigt, 
als  sie  die  beiden  Unbekannten  in   einem  lichten  Morgen^ 
nebei,  der  sich,  wie  sie  weggehen  wollten,    herabsenkto^ 
rovehwinden  sehen,  und  aus  dem  Mebelgewölk  einen  der^ 
feÜNui   die  Worte:  isos  is^y  x.  t.  X*  rufen  hören,  welehiBL 
m  onter  diesen  ümstttnden  fUr  eine  Himmelsstimme  haltea 
Buläteo  '>  Diese  Erklärung,  welcher  auch  ScHLKiSBMicaxE 
lieh  geneigt  neigt  ^,   glaubt,  wie  die  vorige,  besonders  in 
Lukas  eine  StöCse  nn  finden,  weil  bei  diesem  die  Behauptung, 
die  imden  Münner  seien  Moses  und  Elias  gewesen,  weit  we» 
luger  saversichtlich   als   bei  Matthins   und  Markus  ausg0« 
aprothen  werde,  nnd  mehr  nur  als  Einfall  des  sehlaftmn« 
kenen  Petrus  erscheine«     Diefs  besieht  sich   darauf,    dafs, 
wlhrend   die   beiden  ersten  Evangelisten  geradenu  sagen: 
viff&f^accv  avToTs  Mcoaijg  xal  ^HUag  j  Lukas,  wie  es  scheint, 
behotaumer,  von   civdQeg  ovo  spricht,   (ätiveg  rfiov  JH(aaijg 
xal  ^HXiag,  wobei  dann  die  erstere  Bezeichnung  den  obje« 
Ciiven  Thatbestand,  die  zweite  dessen  snbjective  Deutung 
enthalten  soll.    Allein  dieser  Deutung   pflichtet  der  Refe- 
rent, wenn  er  doch  oinveg  r^acn*,  nnd  nicht  eJo^av  elrai,  sagt, 
offenbar  beiy  wefs wegen  er  also  zuerst  nur  von  swei  Man« 
nem  spricht ,   und  erst  nachher  ihre  Namen  nennt ,  davon 


7)  Paulus^  exeg.  Handb.^  2,  43G  ff.    L.  J.  1,  b,  S.  7ff. ;   Natüf. 

Uche  Geschichte,  3,  S.  S56  ff. 
S)  1.  a.  0. 


280  Zweiter  Absehnitt. 

kann  die  Absicht  nicht  gevreaen  sein,  dem  Leser  eine  be- 
liebige andere  Deutung  offen  su  lassen ,  sondern  nur  die, 
das  tieheimnirsFoUe  der  anfserordentlichen  Soene  durch 
die  anfängliche  Unbestimintheit  des  Ansdraeks  naehenhil* 
den«  Hat  somit  diese  Erklärung  ebensowenig  als  die  bis- 
her  betrachteten  in  einer  der  eyangelisohen  Ersählnngen 
eine  Stütse :  so  hat  sie  Bugleieh  nicht  mindere  Schwierig- 
keiten als  Jene  in  sieh  selbst.  Die  Morgeni»eleuobtnng 
auf  ihren  yaterländisehen  Bergen  mufsten  die  Jflnger  so 
weit  kennen,  um  sie  von  himmlischer  Glorie  unterscheiden 
■n  kttnneo;  wie  sie  auf  die  Meinung  kamen,  dafs  die  bei- 
deb  Unbekannten  Moses  und  Elias  seien,  ist  swar  bei  kei- 
amr  der  irfsher  vorgelegten  Ansichten  leicht,  am  schweiften 
aber  bei  dieser,  bu  erklären;  wie  Jesus,  dem  ja  Petras 
durch  seinen  Antrag,  die  bu  erbauenden  OTtrjvag  betreffend, 
die  Täuschung  der  JOnger  bu  erkennen  gab,  ihnen  €Üese 
sieht  benahm,  Ist  unbegreiflich:  webwegen  Paulus  sich 
bu  der  Annahme  flflchtet,  Jesus  habe  die  Anrede  des  Pe- 
trus fiberhdrt;  die  gauBC  Ansicht  yon  geheimen  Verbfin* 
deten  Jesu  Ist  eine  mit  Recht  verschollene,  und  eiMilich 
hätte  derjenige  dieser  Verbändeten,  welcher  aus  der  Wolke 
heraus  Jene  Worte  bu  den  Jüngern  sprach ,  sich  eine  ua- 
Mystifieation  erlaubt.  • 


S.    105. 

Die  Verklärungsgeschichte  als  Mythus. 

Wie  Immer  also,  so  finden  wir  uns  auch  hier,  nach» 
dem  wir  den  Kreis  der  natQrlichen  Erklärungen  durohlau* 
fen  haben,  bu  der  Obernatarlichen  Burfickgeffihrt ;  aber 
ebenso  entschieden  von  dieser  abgestofsen,  müssen  wir,  da 
eine  natürliche  Auslegung  der  Text  verbietet,  die  textge- 
mäfse  supranaturale  aber  historisch  festsuhalten  aus  ratio- 
nalen Gründen  unmöglich  fkllt,  uns  dasu  wenden,  die 
Aussagen  des  Textes  kritisch  bu  untersuchen.    Diese  sollen 


Zehnte«  Kiipitel.    «.  105.  »i 

MWär  bei  yerliegemder  Ei^ählong  besonders  cnverlälsig  sein, 
da  das  Fsctvm  von  drei  Evangelisten ,   welobe  namentlicli 
•ocli  in  der  genauen  Zeitbestimmnng  anffaliend  nosaianien* 
traffea,  erkthlt,  und  ttberdters  vom  Apostel  Petras  C^  Patr. 
l,  17.)  besengt  werde  0*    Jene  .  QbereinstioiBiende  Zeiten-. 
pbe  (sofern  die  r^fxiqvn  oxrcu  des  Lukas ,  Je  naehdem  man 
lihlt,  mit  den   rj^iqaig  £|  der  andern  dasselbe  sagen)  ist 
illerdiogs  anffaliend ;  sie  Ifilst  sich  aber,  sammt  dem,  dafs 
naeh  allen  drei  Berichterstattern  anf  die  VerlLÜndigangsscene 
die  Hellnng  des  dftmonisehen  Knaben  folgt,»  den  die  Jünger 
sieht  hatten  heilen  liönnen,    schon  durch  den  Ursprung 
der  ejfloptisclien  Evangelien  aus  stehend  gewordener  evan« 
geliieher  Yerk&ndignng  orldMren,    von  welcher  es   nicht 
hdher  Wunder  nehmen  darf,   dafs  sie  manche  Anekdoten 
ohne  objectiven   Grund  auf  bestimmte  Weise    nusammen 
pppirt,  als  dals  sie  oft  Ausdrücke ,  in  welchen  sie  hätte 
furüren  körnten,    durch   alle  drei  Redactionen   hindurch 
intgehaleen  haf).   Hie  Beurkundung  der  Geschichte  durch 
in  drei  Synoptiker  aber  wird  wenigstens  ffir  die  gewöhn- 
^  Ansioht  von  dem   Verhiltnifs    der    ner   Evangelien 
<larä  das  Schweigen  des  |ohannei8chen  sehr  geschwächt, 
iodee  nicht  einsusehen  ist ,   warum  dieser  Evangelist  eine 
'(^  wichtige  Begebenheit,    welche  sogleich  seinem  Systeme 
(0  aogemessen ,  und  eigentlich  die  anschauliche  Verwirkll- 
cfiaog  seines  Ausspruchs  im  Prolog  (V.  140-  xal  id'eaad- 
fii^a  Tjjv  do^cev  avräy    do^av  wg  ftovoye^'ög  noQa  navQOSf 
^Wf  nicht  aufgenommen  haben  soll.  Der  abgenutate  Grund, 
tr  habe .  die  Begebenheit   als  dureh  seine  Vorgänger    be- 
kannt voraussetzen  können ,    ist   neben   seiner  allgemeinen 
Cnricbtigkeit  hier  noch  besonders  defswegen  unbrauchbar, 
weil  von  den  Synoptikern  diefsmal  keiner  Augenaeoge  ge- 
veien  war,  also  an  ihren  Eraäblnngen  durch  einen,  der, 

1)  Paulus,  exeg.  Uandb.,  S.  446;    Giuxxy  2,  S.  165  f. 

2)  Vgl.  BS  Wbtts,  Einlcit.  in  das  N.  T.  $•  79. 


289t  Zweiter  ÄbsolioiM» 

wie  Johannes^  die  Scene  miterlebt  hatte,  noeh  Manches 
SU  berichtigen  and  bu  erifiutero  sein  mnfsta.  Man  hat 
aioh  daher  naeh  einem  andern  Grande  für  diese  und  ähn- 
liche Ansiassangen  im  vierten  E?angeliam  umgesehen,  uod 
einen  solchen  in  der  antignostischen,  nfiher  antidolietiicbeD, 
Tendenz  sn  finden  geglaubt,  welche  man  aus  den  johannei- 
schen  Briefen  auch  auf  das  Evangelium  übertrug,  in  der 
VerU&rungageschichte,  wird  hienach  behauptet,  habe  der 
Jesum  umleuchtende  Glane ,  die  Verwandlung  seines  Ao^ 
Sehens  in  das  Ceberirdische,  der  Meinung  Vorschub  lei- 
sten können,  als  sei  seine  menschliche  Gestalt  nur  einie  Schein* 
hfille  gewesen ,  durch  welche  zu  Zeiten  seine  wahre ,  über 
menschliche  Natur  hindurchgeleuchtet  habe;  sein  Verkehr 
mit  alten  Propbetengeistern  habe  auf  die  Verrauthnng  ffib- 
ren  können ,  er  möge  vielleicht  selbst  nur  eine  solche  wie- 
dergekommene Seele  eines  A«  T.  liehen  Frommen  sein :  — 
und  um  solchen  irrigen  Meinungen,  welche  unter  gnosd- 
sirenden  Christen  sich  frühseitlg  un  bilden  anfingen ,  kei- 
ne Nahrung  eu  geben ,  habe  Johannes  diese  und  ähnliche 
Geschichten  lieber  unterdrückt ').  Aliein  abgesehen  davon, 
dafs  es  der  apostolischen  naii^rpia  nicht  entspricht,  mdg* 
liehen  Mife brauche  bei  Einselnen  wegen  Haupttbatsachen  der 
evangelischen  Geschichte  sn  unterdröcken :  so  mafste  Jo- 
hannes liiebei  doch  mit  einiger  Consequenz  verfahren  sein, 
und  alle  Erzählungen,  welche  eine  doketische  Mifsdevtsn^ 
in  gleichem  Maafse  mit  der  gegenwärtigen  hervormfea 
konnten,  ans  dem  Kreise  seiner  Darstellung  ausgescbloe- 
Ben  haben.  Non  erinnert  sich  aber  sogleich  Jeder  an  die 
Geschichte  vom  Wandeln  Jesu  auf  dem  See,  welche  min- 
destens ebensosehr  wie  die  Verkittrungsgeschichte  die  Mei- 
nung von  einem  blofsen  Scheinkörper  Jesu  hervorroft, 
und  doch  auch  von  Johannes  aufgenommen  ist.  Die  Wich- 
tigkeit freilich  eines  Vorfalls  konnte  hier  noch  einen  Do- 


3)  Sd  Schascksasuaosa;  Beiträge,  S.  62  ff. 


1 


Zehntes  Kapitel.    $.  10^ 


2S3 


fergobied  begründen:  so  dafs  von  swel  Ersfibiangen  mit 
gleich  stark  doftetiscbem  Sobeln  Johannes  dennoch  gröfse- 
rer  Wichtigkeit  wegen  die  eine  anfnahm,  die  minder  wich- 
tige aber  wegiiefs«  Hier  non  aber  wird  doch  wohl  Nie- 
mtnd  behaupten  wollen,  der  Gang  Jesu  auf  dem  See  ste- 
he an  Wichtigkeit  der  Verklärongsgeschichte  voran  oder 
ftoeh  nur  gleich  ;^'ohannes  mufste ,  wenn  es  ihm  um  Ver- 
■eidang  des  doketisoh  Scheinenden  eu  thun  war,  in  Jeder 
Hinsicht  vor  Allem  jene  erste  Geschichte  unterdrücken : 
da  er  es  nicht  gethan  hat,  so  kann  er  anch  jenes  Princip 
nicht  gehabt  haben ,  weiches  daher  nie  als  Grund  der  ab«. 
sichtlichen  Auslassung  einer  Geschichte  im  vierten  Evan- 
geliom  gebraucht  werden  darf;  sondern  es  bleibt,  was  na- 
mentlich diese  Begebenheit  betrifft,  dabei,  dafs  sein  Ver« 
iaaser  nichts  oder  doch  nichts  Genaues  von  derselben  ge* 
wnfst  haben  kann  ^).  Freilich  kann  dieses  Ergebnifs  nur 
denen  eine  Instanz  gegen  den  historischen  Charakter  der 
Verklfirungsgeschichte  sein,'  welche  das  vierte  Evangelium 
lU  Werk  eines  Apostels  voraussetzen;  so  dafs  also  wir  ans 
diesem  Stillacbwelgen  nicht  gegen  die  Wfihrheit  der  Er- 
sShIang  argumentiren  können :  aber  uns  beweist  auch  um- 
gekehrt die  Uebereinstimmung  der  Synoptiker  nichts  ffir 
dieselbe,  indem  wir  schon  mehr  als  Eine  Erztthlung,  in 
welcher  drei,  ja  alle  vier  Evangelien  zusammenstimmeni 
für  unhistorisch  haben  erklären  mUssen.  —  Was  endlich 
das  angebliche  Zeugnifs  des  Petrus  betrifft,  so  ist  wegen 
der  mehr  als  zweifelhaften  Aechtheit  des  zweiten  Briefs 
Petri  die  allerdings  auf  unsere  Verkl&rnngsgeschichte  be* 
Bfigiiche  Stelle  als  Beweis  ffir  die  historische  Wahrheit 
derselben  jetzt  anch  von  orthodoxen  Theologen  aufgegebeu 
Worden  *). 

4)  Nbi:^dkR|  weil  ihm  die  objective  Realität  der  Verklärungsge- 
schicLtc  zweifelhaft  ist,  tindei  dicssmal  auch  das  StiUschwei- 
gun  des  vierten  EvaDgciiiuns  bedenklich  (^,  475  f.). 

3)  Ol8mai;6bK|  S.  523.  Anm. 


P 


S84  Zweiter  Absohnitt. 

Dagegen  haben  wir  anfaer  den  oben  angeselgten  Schwir 
rigkeiten,  weiche  in  dem  wanderhaften  Inhalte  der  E^ 
sfthiung  liegen,  noch  einen  weiteren  Grond  gegen  die 
historische  Geltung  der  Verklfirnngsgeschichte :  die  Co- 
terrednng  nfimlich ,  welche  den  beiden  ersten  Evangelisten 
Bufolge  die  Jünger  anmittelbar  nachher  mit  Jesn  gefilhrt 
haben  sollen.  Wenn  nämlich  im  Herabsteigen  yomVerkifi- 
rnngsberge  die  Jfinger  Jesam  frn^en:  tl  sv  ot  y^afificntii; 
XiyHaiVy  ort  ^Hkiav  du  ild'eiv  nQfJkay;  CAIatth.  V.  10.)  so 
klingt  diefs  gane,  wie  wenn  etwas  vorangegangen  vräre, 
woraas  sie  hätten  abnehmen  mfissen,  Elias  werde  nicht  er< 
eeheinen,  und  gar  nicht,  wie  wenn  sie  eben  von  einer  £r- 
scheinang  desselben  herltämen  ;  da  sie  in  diesem  Falle  nicht 
anbefriedigt  fragen,  sondern  cnfriedengestellt  sagen  mafs- 
ten:  etxaiwg  iv  oi  yQaftftateTg  ksysaiv  x.  r,  X.  •).  Daher 
wird  denn  die  Frage  der  Jfinger  von  den  Er  klarem  so  ge- 
deutet, als  oh  sie  nicht  eine'.  Elias- Erscheinung  Oberhaupt, 
sondern  an  der  eben  gehabten  nur  ein  gewisses  Merkmal 
vermifst  hätten;  das  nämlich,  dafs  nach  der  Ansicht  der 
Sohriftgelehrten  Elias  bei  seinem  Auftritt  wirksam  und  re- 
formatorisch in  das  Leben  der  Nation  eingreifen  sollte;  uro- 
gegen  er  bei  der  eben  gehabten  Erscheinung  ohne  weitere 
Wirksamkeit  sogleich  wieder  verschwunden  war  ').  Diese 
Erklärung  wäre  sulässig,  wenn  das  aTcoxaragj^aei  nma 
In  der  Frage  der  Jfinger  stfinde;  statt  dessen  aber  ifeht 
es  bei  beiden  Referenten  (Matth.  V.  11. ,  Marc.  V.  \%) 
nur  in  der  Antwort  Jesu:  so  dafs  die  Jfinger  auf  finfserst 
verkehrte  Weise  das,  was  sie  eigentlich  vermifsten,  das 
anoxux^igdvaii    verschwiegen,   and  nur  das  tQxtü^ai  ge- 


6)  8.  Hau,  im  angef.  Programm,  bei  Gablbr,  neuestes  tlieolog. 
Journal,  1,  5,  S.  506  (  de  Wsirk  z.  d.  St.  des  Matth. 

7)  Fritzschb^  in  Matth.  p.  553;  Olshauskn,  1,  S.  531-  Noch 
weniger  genügende  Auskünfte  bei  Gabi.kr  ,  a.  a.  O.  und  hei 
MArriuiX;  Rcligionsgl.  der  Apostel;  2,  S.  596. 


Zehntes  Kapitel.     {.  105.  *i8i 

oaDnt  haben  mOrsten ,  was  sie  naeh  der  gehabten  Erscbei- 
BODg  nieht  vermissen   konnten.     Wie  aber  die  Frage  der 
Jfiager.  Iteine  gehabte  lUias^Erscbeinnng,  vielmehr  das  6e- 
ffihl  des  Mangels  einer  solchen  veranssetst :  so  aneh  die  Ant- 
wort, welche  ihnen   Jesus  gibt,     Denn  wenn   er  erwie- 
dert:  wohl  haben  die  Schriftgelehrten  recht,  wenn  sie  sa- 
gen, £lias  mflsse  vor  dem  Messias  kommen ;   diefs  ist  aber 
kdn  Grand  gegen   meine  Hessianitfit,    da  mir  bereits  ein 
Elias  in    der  Person   des   TXufers  vorangegangen   ist,  — 
wenn  er  aomit  seine  Jfinger  gegen  den  ans  der  Erwartung 
der  yQafificcreTg   sn   siehenden  Zweifel   durch  Verweisung 
aof  den  ihm  vorangegangenen  nneigentlichen  Elias  sn  ver- 
wahren sucht:   so   kann  eine  Erscheinung  des  eigentlichen 
Elias  unmöglich  vorausgegangen   sein;    fonst  müfste  Jesus 
an  allererst  auf  diese  Erscheinung ,   und  nur  etwa  weiter- 
hin,auch  auf  den  Täufer,  hingewiesen  haben ^.    Die  un- 
aittelbsure .  Verbindung  dieses  GesprJlobs  mit  jener  Ersohei- 
aaog  kann  also  nicht  historisch  sein,  sondern  nur  der  Äehn- 
üehkeit  enlieb  gemacht,  weil  in  beiden  von[  Elias  die  Rede 
iit^     Doch  nicht  einmal  mittelbar  und  durch  Zwischen- 
begeknheiten  getrennt  kann  einer  solchen  Rede  eine  Er- 
sefaetaang  des  Elias  vorangegangen   sein:   cfa,   wenn  auch 
soeh  so  lange  nachher,   sowohl  Jesus  als  die  drei  Augen- 
seogen  unter  seinen  J  fingern  sich  derselben  erinnern  mufs- 
ten,  und  nie  so  sprechen  konnten,   als  ob  eine  solche  gar 
sieht  stattgefunden  hfilte.    Selbst  aber   auch    nach   einer 
Beleben  Unterredung  kann  eine  Erscheinung  des  wirklichen 
Ellas  der  orthodoxen  Vorstellung  von  Jesu  gemäfs  nicht  wohl 
stattgefunden   haben.     Denn  nn   deutlich  spricht    er  hier 
•eine  Ansicht  aus ,  da(s  der  eigentliche  Elias  gar  nicht  au 
erwarten ,    sondern   der  Täufer  Johannes   der  verheifsene 
Elias  gewesen  sei :  wäre  also  dennoch  später  eine  Erschein 


8}  Diess  gestellt  auch  Paulus  zu,  2,  S.  442. 
9)  ScHLBiBiiMACHBii,  Über  den  Lukas,  S.  149. 


flS5  Zweiter  Absohnitt. 

uung  des  wirklioben  Elias  noch  eingetreten ,  so  hStte  §ich 
Jesas  geirrt,  was  gerade  diejenigen,  welchen  an  der  hi- 
storisohen  Realität  der  Verl&lärangsgescbichte  am  meisten 
gelegen  ist,  am  wenigsten  annehmen  Icönnen.  Schliefsen  sich 
somit  jene  Erscheinung  und  diese  Unterredung  geradesa  aoi: 
so  fragt  sich ,  welches  von  beiden  Stficiten  eher  aufgegeben 
werden  icann  ?  Und  hier  ist  der  Inhalt  der  Unterredong 
durch  Matth.  11,  14.  vgl»  Luc.  1,  17.,  so  bestätigt;  die 
Verkl&rnngsgeschicbte  aber  durch  alle  Arten  von  Schwie- 
rigiieiten  so  unwahrscheinlich  gemacht,  dafs  die  Entschei- 
dung niebt  Bweifelhafi  sein  kann.  Es  scheinen  demnach^ 
wie  oben  sclion  einige  Male ,  so  auch  hier  swei  von  gäni 
verschiedenen  Voraussetzungen  ausgehende  und  wohl  soch 
in  verschiedenen  Zeiten  entstandene  Erzählungsstflcke  aof 
eiemlich  ungeschickte  Weise  susammengesetct  worden  eu 
sein :  das  die  Unterredung  enthaltende  Stück  nttmlich  geht 
von  der,  wahrscheinlich  früheren,  Ansicht  aus,  die  Weis- 
sagung in  Betreff  des  Elias  sei  eben  nur  in  Johannes  in 
Erfüllung  gegangen;  wogegen  das  StBck  von  der  Verklli- 
rnng,  ohne  Zweifel  späteren  Ursprungs,  sieh  damit  nicht 
begnfigt,  dafs  in  der  messianischen  Zeit  Jesu  Elias  onei- 
gentlioh  im  Täufer  aufgetreten  sei :  er  mdfste  auch  persön* 
lieh  und  eigentlich,  wenn  auch  nur  in  vorfibergeheniier 
Erscheinung  vor  wenigen  Zeugen  —  weil  eine  öffenfficbe 
und  tiefer  eingreifende  %  bekann termafsen  nicht  stattgefun- 
den hatte  ^^,  —  sich  gezeigt  haben. 

Um  nun  zu  begreifen ,  wie  eine  solche  Erzählung  aof 
sagenhaftem  Wege  entstehen  konnte,  ist  der  zuerst  zu  er- 
wägende Zug ,  an  dessen  Betrachtung  sich  die  aller  fibri- 
gen  am  leichtesten  anreiht,  der  sonnenartfge  Glanz  dej 
Angesichts  und  das  helle  Leuchten  der  Kleider  Jesu.  Dsi 
Schöne  und  Majestätische  ist  dem  Orientalen,  und  insbe- 
sondere  dem  Hebräer,   ein  Leuchtendes;  der  Dichter  de« 


10)  Diess  gegen  Wsitss^s  Einwurf,  S.  539. 


Zehntes  Kapitel.    $.  105.  297 

hohen  Lied«  vergfeieht  seine  Geliebte  mit  der  Horgenröthei 
dem  Monde,  der  Sonne  (6,  9.);  die  von  Gottes  Segen  on* 
terstfitEten  Frommen  werden  der  Sonne  in  ihrer  Macht 
verglichen  (Rieht.  5,  31«),  ond  nainentlich  das  kflnftige 
Loos  der  Gereohten  wird  dem  Glanae  der  Sonne  nnd  der 
Gestirne  sur  Seite  gesetst  (Dan.  t2,  .3.  Matth.  13,  43.)  '0* 
Daher  erscheint  nicht  allein  Gott  im  Licbtglanz,  und  Enget 
mit  gifinsendem  Angesicht  and  leuchtenden  Gewändern  (Ps. 
50,  2.  3.  Dan.  7,  9  f.  10,  5.  6.  Luc.  14,  4.  Offenb.  1, 
13  ff.),  sondern  auch  die  Frommen  des  behrfiischen  Alter- 
thoms ,  wie  Ädsm  vor  dem  Fall ,  und  unter  den  folgenden 
nifflentlioh  Moites  nnd  Josua,  werden  mit  einem  solchen  Licht- 
glans  vorgestellt  ^^  *  wie  denn  die  spfitere  jßdisohe  Sage  auch 
losgezeichneten  Rabuinen  in  erhöhten  Augenblicken  Über- 
irdischen Glans  verlieh  *').  Am  berühmtesten  ist  das  leuch- 
tende Antlitz  des  Moses  geworden ,  von  welchem  2.  Mos. 
34,  29  ß.  die  Rede  ist,  nnd  von  ihm  wurde,  wie  in  an* 
dern  8tfl«ken,  so  auch  in  diesem  ein  Schluf«  a  minori  ad 
ttaJKx  auif  den  Messias  gemacht,  was  schon  der  Apostel 
Pinlas  %.  Kor.  3,  7  ff.  andeutet,  wiewohl  er  dem  Moses 
als  dem  Sidxcvos  tS  yQafificcTog  nicht  Jesnm ,  sondern  ,  ge- 
nl/s  der  Veranlassung  seines  Schreibens,  die  Apostel  und 
(briitlicben  Lehrer  als  iicacüvag  xö  7tv€Vfiatog  gegenfiber* 
itellt,  und  die  den  Glans  des  Moses  überbietende  So^a  die* 


11)  Vgl.  Jalkut  Simeoni  P.  2,  f.  10»  3.  G>ei  Watstrin  ,  p.  435.) : 
Facies  Justorum  futuro  tempore  HnUles  eruni  soH  et  hmae, 
coelo  et  steiiis,  fulguri  etc* 

12)  Bereschith  Rabba  20,  29  (bei  WsTStativ) :  Vestes  htcis  vestes 
Adami  primL  PococKSy  ex  Nachmanide  (ebendas.) :  Fulgida 
facta  fuit  fades  Mosis  instar  soits,  Josuae  instar  hinaef 
quod  idem  affirmarunt  veteres  de  Adorno. 

15)  la  PirJte  Elieser,  2,  findet  sich  nach  WrrsTiiiv  die  Angabe, 
fnJter  docendum  radios  ex  fade  ipstus,  ut  oHm  e  Mosis  fa- 
de, prodiisse ,  adeo  ut  non  dignosceret  quis,  utrwn  dies  es- 
set an  nox. 


3S8  Zweiter  Abaehnitt. 

ser  leteteren  erst  als  Gegenstand  der  ilmg  im  sakOnftigen 
Leben  erwartet.  Eigentlich  aber  war  doch  am  MeMiai 
aelbat  ein  Glans  eq  erwarten,  welcher  dem  dea  Moses  enUprS- 
ehe,  Ja  ihn  überstrahlte:  nnd eine  jfldische Schrift,  die  ? on 
unserer  Veriilärungsgescbichte  keine  INotis  nimmt  ^  argu- 
^  mentirt  gans  im  Geiste  der  Jaden  der  ersten  christlichen 
Zeit,  wenn  sie  geltend  macht,  Jesus  könne  nicht  der  Mes- 
sias gewesen  sein,  da  Ja  sein  Angesicht  nicht  den  Glanz 
des  Angesichts  Mosis,  gesohfieige  einen  höheren,  gehabt 
habe  ^^)«  Solche  Einwürfe,  wie  sie  ohoe  Zweifel  schon 
die  ersten  Christen  tbeils  von  Jaden  hören,  theils  aich 
selber  machen  mafsten,  konnten  nicht  anders,  als  Inder 
ältesten  Gemeinde  eine  Tendenz  erseogen ,  Jenen  Zug  an< 
dem  Leben  dea  Moaea  im  Leben  Jean  nachBubilden ,  ja  in 
Einer  Hinaicht  sa  überbieten ,  and  atatt  eines  leuchtenden 
Angesichts,  das  sich  mit  einem  Tuche  verdecken  liefa,  ihm 
einen  auch  über  die  Gewänder  aich  ergiefaenden  Strahlen- 
glane,  wenn  auch  nur  vorübergehend,  susnachreiben. 

Dafa  die  Verklärung  des  Angesichts  von  Moses  sam 
Vorbilde  für  Jesu  Verklärung  gedient  habe,  beweist  aber 
überdiefs  eine  Reihe  einselner  Züge.  Moaes  i>ekam  seinen 
Glane  auf  dem  Berge  Sinai:  auch  von  Jesu  Verklärung  ist 
ein  Berg  der  Schnnplate;  Moses  hatte  bei  einer  früheren 
Besteigung  des  Bergs ,  welche  mit  der  späteren  ^  nach  der 
sein  Angesicht  glänzend  wurde,  leicht  susammenfllersen 
konnte,   anfaer  den  70  Aelteaten  beaonders  noch  drei  Ver- 


14)  Nizzachon  vetu8,  p.  40  9  ad  Exod.  34,  33.  (bei  WsTsranr): 
Ecce  Moses  tnagister  noster  feÜcis  menwriaey  qiU  hämo  me- 
rus  erat ,  guia  Dens  de  fade  ad  fadem  cum.  eo  locutus  est, 
miitum  tarn  lucentem  retulit,  ut  Judad  vererentur  accedere: 
quanto  igitur  magis  de  ipsa  dMtätate  hoc  teuere  oportet, 
atgue  Jesu  fadem  ab  uno  orbis  cardine  ad  aiterum  fulgo-- 
rem  diffundere  conveniebatf  At  non  praedit\is  fuit  uUo  spien- 
dvre,  sed  reUguis  mortaÜbus  fuit  simillimus.  Quiqfropter 
eoHstat,  non  esse  in  eum  credendum. 


Zehntes  Kapitel.     }.  105. 

tmiite)  Aaron,  Nftdub  und  Abiho^  Eiir  Theilnahme  an  der 
Anschauaog  Jehova^s  mit  sich  auf  den  Berg  geaon|oie|i 
(2.  Mos.  24 y  1.  9—11«):  so  nimmt  non  anch  Jesus. seine 
drei  rertraatesten  Jfinger  mit  sich,  am,  so  vialJbre  Kräfte 
es  Termöcbten,  Zeugen  des  erhabenen  Schauspiels  au  sein, 
and  ihre  nfichste  Absicht  war,  nach  Luc.  V«  ^,  TiQogav- 
^aad^ai:  gerade  wie^ehova  den  Moses  mit  den  l](f;eien  ond 
den  Aeltasten  auf  den  Berg  kommen  heifst,  uipi,  voo  farna 
ansuheten.  Wie  hernach ,  als  Moses  mit  Josua  d^^  Sinai 
bestieg ,  die  do^w  Kv(iiü  als  vnfü.t^  den  Berg  bedepkte  (V- 
15  f..  LXX ) ;  wie  Jehova  ans  der  Wolke  heraus  d^^ 
Moses  rief,  bis  dieser  endlich  In  die  Wolke  suibm  hipl- 
einging  (V.  16  —  IS.}:  so  haben  wir  auch  in  unserer  EiT* 
xiblong  eine  req>t)j;  (fo/zo^j  welche  Jesum  nnd  die  bunm- 
lischen  Erscheinungen  beschattet ,  eine  q^ojvtj  ix  zijg  re(fikr/Vj 
and  bei  Lukas  ein  eigelA>HV  der  Drei  in  die  Wolke.  Was 
die  Stimme  aus  der  Wolke  eu  den  Jüngern  spricht,  ist 
im  ersten  Theile  die  messianische  Oedaration,  welche,  ai|s 
Ps.  2,  7.  und  Jes.  42,  1.  znsammengesetet ,  schon  bei  Jesu 
Tftsfe  vom  Himmel  erscholl ;  im  zweiten  Theil  ist  sie  aus 
des  Worten  genommen,  mit  welchen  Moses  in  der  frtther 
aogeflibrten  Stelle  des  Deuteronominm  Cid,  15.)  nach  der 
pwöhnlichen  Deutung  dem  ^  Volk  den  künftigen  Messias 
snkQndigt,  und  es  zur  Folgsamkeit  gegen  denselben  er- 
mahnt "). 

J5)  Aus  dieser  Vergicichung  mit  der  Bergbesteigung'  des  Moses 
lässt  sich  ▼ielleicht  auch  die  Zeitbestimmung  der  r^fif'^i  ^l 
ableiten,  durch  welche  die  zwei  ersten  ETangclisten  das  ge- 
genwärtige £reigniss  Yon  dem  zuletzt  erzählten  trennen.  Denn 
auch  die  eigentliche  Geschichte  von  den  Begegnissen  des 
Moses  auf  dem  Berge  beginnt  nut  der  gleichen  Zeitbestim- 
mung, indem  es  heisst,  nachdem  6  Tage  lang  die  Wolke  den 
Berg  bedeckt  batt»,  sei  Moses  zu  Jehova  berufen  worden 
(V.  16.)y  eine  Zeitbestimmung^  welche,  obgleich  der  Aus- 
gangspunkt ein  ganz  anderer  war^  für  die  Eröffnung  der  Jesum 
betreffenden  Verklärungsscene  beibehalten  werrfrn  mochte. 
Da»  Leben  Jesu  Ite  Aufl.  tL  Band.  19 


\ 


290  Zweiter  AbtchniU. 

Durch  die  VerUftrahg  aof  dem  Berge  war  Jetoa  lei« 
nem  Vorbilde^ 'Moses,  an  die  Seite  gestellt ,  und  da  es  in 
den'  Erwartungen  der  Jaden  lag,  dafs  nach  «fes.  52,  6  ff. 
die  messianisrhe  Zeit  nicht  nnr  Einen,  sondern  mebrers 
Vorläafer  haben  ^^),  und  anter  Andern  namentlich  auch 
der  alte  Gesetsgeber  cor  Zeit  des  Messias  erscheinen  soll- 
te ^^) :  so  War  fttr  dessen  Erscheinung  kein  Moment  ge- 
eigneter, als  der,  in  weichem  der  Messias  auf  dieselbe  Wei- 
se, D^ie  dnst  er,  anf  einem  Berge  verherrlicht  worde. 
Zu  ihm  gesellte  sich  dann  von  selbst  derjenige,  welcher 
nach 'Mal«  3,  23.  am  bestimmtesten  als  messianisrher  Vor- 
laufer« und  zwar  nach  den  Rabbinen  sogleich  mit  Moses, 
erwartet  wurde.  Erschienen  beide  Männer  dem  Messias, 
so  ergab  sich  von  selbst,  dafs  sie  sich  mit  ihte  unterredet 
haben  werden ,  und  fragte  slch*s  um  einen  Inhalt  dieser 
Unterredung,  so  lag  vom  letaten  Abschnitt  her  nichts  nfiher, 
als  das  bevorstehende  Leiden  und  Sterben  Jesu,  vrelcbes 
ohnehin  als  das  eigentliche  messianische  Geheimnifs  des 
N.  T.  sich  am  ehesten  eu  einer  solchen  Dnterhaltong  mit 
Wesen  einer  andern  Welt  eignete;  wefswegen  man  sich 
wundern  niufs,  wie  Olshausen  behaupten  bann,  auf  die- 
sen Inhalt  des  Gesprächs  hätte  die  Mythe  nicht  tiomiDen 
können.   So  hätten  wir  also  hier  einen  Mythus  ^^,  desses 


16)  8.  BiRTHOLDT,  Ohristologia  Judaeorum,  §.  15.  S.  60  ff. 

17)  Debarim  Rabba  3.  (Wststiin)  :  Dixit  Dens  8.  B.  MoH:  pn 
vitam  tuitm,  quemadmodum  vilam  tuam  ponästi  jn'o  Israi- 
UtU  in  hoc  mundo,  iia  tempore  fuiuro,  quando  EUam  pro- 
phetam  ad  ipeos  nUttam,  vos  duo  codem  tempore  venietit. 
Vgl.  Tanchuma  f.  42,  1,  bei  Schöttoii«,  1,  S.  149. 

18)  Für  einen  Mythus  erklärt  diese  Erzählung  ds  Wbttb,  Kritik 
der  mos.  Gesch.  S.  250.  vgl.  exeg.  Handb. ,  1«  1,  S.  I4ö  f.) 
Bbatkoldt,  Chriatologia  Jud.  §.  15.  not.  17.  ;  Crbdkbr,  Ein- 
leitung in  das  N.  T.  1,  S.  241 ;  Schulz,  über  das  Abendmahl, 
S.  319?  gibt  wenigstens  ein  Mehr  und  Minder  des  Mythischen 
in  den  verschiedenen   evangelischen  Relationen  der  Verklä- 


/ 


Zehntes  Kapitel.     $.    103.  'y    i91 

Tentlenc  die  gedoppelte  ist:  ersten?,  die  Verklimng  des  Ufo* 
MS  an  Jesu  in  erhöhter  Weise  eo  wiederholen ,  ond  swei« 
teos,  Jesam  als  den  Missias  mit  seinen  beiden  Vorlinfern 
sasammensabriogen ,  durch  diese  Erscbeinang  des  Gesets* 
gebers  and  des  Propheten,  des  UrAnders  nnd  des  Reforme* 
tors  der  Theokratle,  Jesnm  als  den  Vollender  des  Qottes- 
reichs,  als  die  Krffillang  des  Gesetses  und  der  Propheten 
dtnsostellen,  nnd  seine  messianische  Wflrde  noch  Aberdiefs 
dsrch  eine  Himmelsstinime  bekrJKftigen  cu  lassen  '').' 

An  diesem  Ifieispiele  «Ififst  sich  schllefslich  besondere 
aogenscheinlich  eeigen,  wie  die  natflrilohe  ISrIilffrnng,  In** 
dea  sie  die  historische  tiewifsheit  der  Erefihlongetfi  fest- 
halten will,  die  ideale  Wahrheit  derselben  verliert,  gegen 
die  Form  den  (Inhalt  aufgibt :  wogegen  die  mythische  dnrch 
Aofopferang  des  geschichtlichen  Leibes  solcher  ErsAhlun- 
gen  doch    die  Idee  derselben,  welohe  ihr  Geist   and  ihre 


rangsgetchichte  zu,  und  Fritcbcrb,  in  Matth.  p.  448  f  und 
456,  fuhrt  die  mythische  Ansicht  Ton  derselben  nicht  ohne 
Zeichen  von  Beistinunung  auf«  Vgl.  auch  Koiwik.,  in  Matth. 
p.  459,  und  Gritz,  2,  S.  161  ff. 
19)  Aach  Plato  im  Symposidn  (p.  223.  B.  ff.  Steph.)  Terherrlicht 
leinen  Sokrates  dadurch,  dass  er  auf  natürlichem  und  komi- 
•chem  Grund  eine  ähnliche  Gruppe  yeranstaltet ,  wie  die 
Evangelisten  hier  auf  tragischem  und  übernatürlichem.  Nach 
einem  Ttdnkgelage  überwacht  Sokrates  die  Freunde ,  welche 
schlafend  um  ihn  liegen :  wie  hier  die  Jünger,  um  den  Herrn ; 
mit  Sokrates  wachen  nur  noch  zwei  grossartige  Gestalten, 
der  tragische  Dichter  und  der  komische,  die  beiden  Elemente 
des  früheren  griechischen  Lebens,  welche  Sokrates  in  sich 
bereinigte:  wie  mit  Jesu  der  Gesetzgeber  und  der  Prophet 
sich  unterreden ,  die  beiden  Säulen  des  A.  T.  liehen  Lehens, 
welche  Jesus  in  höherer  Weise  in  sich  zusammenschloss ; 
wie  bei  Plato  endlich  auch  Agathon  und  Aristophanes  ein- 
schlafen, und  Sokrates  allein  das  Feld  behält :  so  verschwin- 
den im  ETangelium  Moses  und  Elias  zuletzt,  und  die  Jünger 
ttken  nur  noch  Jesum  allein. 

19» 


292  Zweiter  Abschnitt. 

« 

Seele  ist,  erbfilt  und  rettet.  War  nXmlich  diY  na tQr liehen 
£rkl&rDng  eufolge  der  Liehtglans  nm  Jesam  ein  snfäUigei 
optiflchee  Phfinomen,  nnd  die  bei*en  Eracbienenen  entwe« 
der  Traambilder  oder  unbekannte  Menachen :  wo  -bleibt 
d#  die  Bedeutung  der  Begeiienheit?  wo  ein  Grund,  eine 
aolche  ideenlose,  gehaltlaerei  auf  gemeiner  Tfiuschnng  und 
Aberglauben  beruhende  Anekdote  im  Andenken  der  Ge- 
meinde featauhalten?  Dagegen,  ^wenn  ich  nach  der  mythi- 
schen Anffass  nng  in  dem  evangelischen  Berichte  ewar  keine 
wirkliche  Begebenheit  finden  luinn,  so*  behalte  ich  doch 
einen  Sinn  nnd  Inhalt  der  Ereähl  ung,  weifs,  was  die  erste 
Christengemeinde  sich  bei  derselben  gedacht,  und  waran 
die  Verfasser  der  Evangelien  ihr  eine  so  wichtige  Stelle 
in  ihren  Denkaohriften  eingeräumt  haben  ^^J. 


20)  Wbissb,  durch  die  ron  uns  in  dem  Mythus  gefundene  Bedeu- 
tung unbefriedigt,  und  eine  geschichtliche  Grundlage  der 
Erzählung  übrig  zu  behalten  bemüht,  fasst  dieselbe  als  eine 
'  von  den  drei  Augenzeugen  aelbst  ausgegangene  orientalisch- 
bildliche  Darstellung  des  Lichtes,  das  ihnen  eben  damsli 
Über  die  Bestimmung  Jesu,  und  namentlich  über  sein  Ver- 
ha'ltoiss  zur  A.  T.  liehen  Iheokratic  und  zur  messianischen 
Weissagung,  aufgegangen.  Der  hohe  Berg,  auf  weichem  die 
Scene  sich  ereignet  haben  soll,  bedeutet  dann  iymbohuh 
die  Höhe  der  firkcnntnisa ,  welche  den  Jüngern  zu  Thcil 
wurde  ^  die  Metamorphose  der  Gestalt  Jesu  und  der  Glinz 
seines  Gewandes  ist  ein  Sinnbild  für  ihre  Intuition  der  gei- 
stig verklärten  Messiasidee ;  die  Wolke ,  die  sich  über  die 
Erscheinung  legt,  bezeichnet  das  Unbestimmte  und  Nebel- 
liafte ,  in  welches  sich  die  neue^  Erkcnntniss ,  welche  festxii- 
halten  sie  noch  nicht  vermögend  waren,  für  die^ Jünger  ver- 
lor; der  Vorschlag  des  Petrus,  Hütten  zu  bauen,  ist  der 
Versuch  dieses  Apostels,  die  hohe  Anschauung  alsbald  dog- 
matisch zu  fixiren.  Wbissi  befürchtet  (S.  543.),  man  möchte 
diese  seine  Au£Passung  der  Verklärungsgeschichte  auch  Air 
eine  mythische  ansprecheii:  ich  denke  nicht;  sie  gibt  sieb 
allzu  deutlich  als  eine  allegorische  zu  erkennen. 


Zehntes  Kapitel.    $.  IM.  19ä 

S.    106. 

Abweichende  Nachrichten  über  die  letzte  Reise  Jesu  nach 

Jerusalem.  ^ 

Bald  nach  der  Verklfirnng  auf  deuv  Berge  lassen  die 
Efangelisten  Jesum  die  TerhängnifsTolle  Reise  anti*etenj 
welche  ihn  seinem  Leiden  entgegenfOhrte.  Deber  den  Ort, 
ron  weichem  er  bei  dieser  Reise  ausging,  und  den  Weg, 
welchen  er  nabm^  weichen  die  evangelischen  Nachrichten 
roQ  einander  ab«  Stimmen  tfber  den  Ausgangspunkt  die 
Synoptiker  susammen,  indem  sie  sfimmtlich  Jesnm  von  6a« 
liUa  aufbrechen  lassen  (Hatth,  19,  1.  Marc.  10>  1.  Luc 
9,  51 ;  in  welcher  letzteren  Stelle  swar  Galilfia  nicht  ans- 
drScUich  genannt  ist  |  aber  ans  dem  Vorhergehenden ,  wo 
nsr  ?on  Galilfia  nnd  galiifilschen  Ortschaften  die  Rede 
war,  flo  wie  ans  der  im  Folgenden  erwähnten  Reise  durch 
Saaurien  sich  von  selbst  ergibt ')} :  so  scheinen  sie  doch 
Über  den  Weg,  welchen  Jesus  von  da  nach  Jodfia  ge- 
wihlt  habe,  von  einander  abzugehen.  Zwar  sind  die  An- 
gtWo  zweier  von  ihnen  in  diesem  Punkte  so  dunkel,  dafs 
iie  der  harmonisirenden  Exegese  Vorschub  zn  leisten  schei* 
nen  konnten.  Am  klarsten  und  bestimmtesten  sagt  Mai^ 
^Bs,  Jesus  habe  seinen  Weg  Über  Perfia  genommen:  aber 
•ein  tQj^^ai  tis  ra  o(fia  rijg  ^Ifidaiag  did  %h  nsQctv  %s  Ioq- 
tlinaUt  schwerlich  etwas  Andei^es ,  als  die  Art,  wie  er 
lieh  den  schwerverstfindlicben  Ausdruck  des  Matthfius, 
dem  er  in  diesem  Abschnitt  folgt,  erkl&ren  zu  dürfen  gMlkb- 
<«•  Was  dieser  mit  seinem  fierrJQf-v  ano  z^g  ToXiXaiag  xai 
f/(^ey  dg  td  OQia  rrjg  ^Isdaiag  niqocv  %5  *Io()ddvs  eigentlich 
•igen  will,  ist  in  der  That  dunkel.  Denn  wenn  die  Er- 
Ufimng:  er  kam  in  den  Theil  von  Jqdfia,  weicher  Jenseits 
des  Jordans  liegt  ^  ,  <  gleicherweise  gegen  Geographie  wie 
lirsBmatik  verstöfst,  bo  ist  die  Oeutang^   zu  welcher  di^ 


1)  ScHuisaii|ACiimH ,  über  den  Luliai  f  S.  160. 

2)  HviAÖL  und  Gratz,  c.  d.  St. 


294  Zweiter  Absobaitt.    ^ 

Vergletchung  des  Markos  die  meisten  Ausleger  geneigt 
macht,  dafs  Jesus  nach  Judfia  gekommen  jsei  durch  da« 
Land  jenseits  des  Jordans  ')  ,  auch  nach  der  von  FritZscub 
angebrachten  Modifioation  wenigstens  nicht  ohne  graoiina- 
tisohe  Schwierigkeit.  Bleibt  indefs  so  viel  in  jedem  Falle, 
dafs  auch  Matth&us  wie  Markus  Jesnm  von  Galiläa  nach 
Judfta  den  weiteren  Weg  über  Pcräa  nehmen  Ififst:  so 
scheint  dagegen  Lukas  ihn  den  näheren,  durch  Samaria,  so 
f Öhren.  Zwar  ist  sein  Ausdruck,  17 3  11,  dafs  Jesus  anf 
seiner  Reise  nach  Jerusalem  du]()%e%o  did  fiias  2afiu{>tia^ 
xui  raXikaiaQy  kaum  klarer,  als  der  eben  erwogene  dei 
Matthäus.  Der  gewöhnlichen  Wortbedeutung  nach  scheint 
er  aussusagen,  Jesus  habe  Euerst  Samarien ,  dann  Galiläa, 
quer  durchschnitten,  um  so  nach  Jerusalem  en  kommeo. 
Aber  diese  Aufeinanderfolge  ist  verkehrt;  denn  ging  er 
von  einem  galiläischen  Orte  aus,  so  mufste  er  suerst  dai 
übrige  Galiläa,  und  dann  erst  Samarien  durchreisen.  Man 
bat  defswegen  dem  ditQxea&ai  dia  fiiaa  x.  t.  it.  die  Bedeutung 
eines  Hineiehens  auf  der  Gränee  swiachen  Galiläa  und  Sa- 
marien  gegeben  ^ ,  und  nun  den  Lukas  mit  den  beiden  e^ 
aten  Evangelisten  durch  die  Vorausseteung  vereinigt,  Jesus 
sei  auf  der  galiläisch  -  samarischen  Gränee  bis  cum  Jordan 
hingereist ,  habe  hierauf  diesen  überschritten ,  und  sei  so- 
fort durch  Peräa  nach  Judäa  und  Jerusalem  gewandert 
Diese  letstere  Voraussetsong  verträgt  sich  aber  mit  Lac. 
9,^1  ff.  nicht;  denn  wenn  dieser  Stelle  sufolge  Jesus  nach 
dem  Aufbruch  aus  Galiläa  alsbald  einem  samarischen  Dor- 
fe  Bugeht,  und  hier  fibeln  Eindruck  macht,  Sti  t6  nQO(Ht>- 
n€v  avtä  rpf  noQtvo^ievov slg^Quaalrfi:  so  lautet  diefsgsnc, 
wie  wenn  er  die  Richtung  von  Galiläa  durch  Samarien 
nach  Judäa  gehabt  hätte,  und  wir  werden  am  besten  thun, 


3)  So  z.  B.  LisHTFOoT,  z*  d.  St. 

4}  WsTSTim ,   Olshavskk,    z.  d.  St.;    ScHLSisaaucasR ,  a.  «•  0. 

S.  164.  2U. 


Zehntes  Kapilel.    (.  lee.  tVS 

in  Jener  Angabe  eine  nngeDaoe  y  vielleicht  darch  das  Be- 
•treben,  die  Krsählung  von  den  sehn  Aossäteigen,  vvornnter 
ein  Samariter,  einauleiten^  veranlafste  *)  Wortstething,  ond 
fODit  hier  eine  Abwelehang  der  synoptiaehen  EvaDgelien  an- 
taeriLennen 'J.  Erat  gegen  daa  Ende  des  Wegea  Jean  verei* 
nigen  aie  aich  wieder,  indem  lant  ihres  fihereinstimmenden 
Berichte  Jesus  nach  Jerusalem  von  Jericho  her  gekommen 
Ist  (Matth.  SO,  29  parall.) ;  ein  Ort,  welcher  übrigens  mehr 
dem  Aber  Perfta,  als  dem  durch  Samarien  gekommenen  6a« 
lilier  auf  der  geraden  Strafse  lag. 

l«t  auf  dieae  Weise  nnter   den  Synoptikern   swar  in 
Rdoksicht  auf  den  von  Jesu  eingesclilagenen  Weg  ein  Streit, 
aber  doch  in  Beaug  auf  den  ersten  A'usgangspnnkt  und  daa 
letate  Stack  des  Wegs  Cebereinstimmung :  so  weicht  der  Jo- 
banneische Bericht  in  iieiden  Hinsichten  von  ihnen  ab.   Ihm 
nfolge  ofinüioh  ist  es  gar  nicht  Galilfta,  von  wo  Jesus  sulp 
leisten  Paschareise  aufbricht,  sondern  schon  vor  dsm  Laub- 
bättenfeate  des  vorigen  Jahrs  hatte  er  Jene  Provins ,  anm 
Wtittnmal,  wie  es  scheint,  verlassen  (7^  1. 10);  dafs  er  awi- 
ttbn  diesem  und  dem  Feste  der  Tempelweihe  (10, 22.)  wie« 
(ierUiin  gekommen  wfire,  wird  wenigstens  nicht  gesagt; 
aaeb  diesem  Fest  aber  begab  er  sich  nacH  Peräa  und  blieb 
diielbst  CIO,  40,) »  bis  Ihn  die  Krankheit  und  der  Tod  des 
Lazarus  nach  Judäa  und  in  die  nftchste  Nähe  Jerusalems, 
nach  Bethanien,  rief  (II,  8 ff.)*    ^^^  Machstellungen  seiner 
Feinde  wegen   sog  er   sicb^  von   hier  bald  wieder  surOck, 
doch,    weil  er  das  bevorstehende  Pascha  besuchen  woUtCi 
nor  bis  in  das  Stidtchen  Ephraim,  unweit  der  Wüste  (1 1, 
H);  von  wo  ans  er  dann,  ohne  dafa  einea  Aufenthalts  in 


5)  t.  Da  Wtm  z.  d.  St. 

6)-FiimtcMB,  in  Marc.  p.  415:  Marcus  Matthaei  19,  1.  $e  atu 
etoritaii  h,  L  adstringit,  diciigue,  Jesum  e  Galilaea  (cL  9,  35-) 
profeclum  esse  per  Perneam,  Sed  auriorf  IfUca  17,  f  I * 
in  Judaeam  eontendii  per  S 9 mar i am  iUnerr  hrevUtima^ 


296  Zweiter  Abschnitt. 

Jericho  gedacht  würde,  das  auch  von  Ephraim  aus,  wie 
man  dessen  Lage  gewöhnlich  bestimmt,  nicht  im  Wege 
lag,  nach  Jerusalem  eum  Feste  sich  begab. 

Eine  so   totale   Abweichung    mnfste  ^die  Harmonisten 
in  ungewöhnliche  Geschäftigkeit  versetsen.     Der  Aufbruch 
aus  Galilfta,  dessen  die  Synoptiker  gedenken,  soll  nach  ih- 
nen nicht  der  Aufbruch  zum  leteten  Pascha,  sondern  snm 
Feste  der  Tempeiweihe  gewesen  sein  '):  unerachtet  er  yod 
Lukas  durch  das  ev  rtp  avfiTilTjQÖaO'ai  zag,  T^fdQag  zfjg  ava- 
)ij]ip€i(}g  avrä  (9,  «510  unverkennbar   als  Aufbruch  en  dem- 
jenigen  Feste ,    auf  welchem  Leiden  und  Tod  Jesu  warte* 
ten,  beeeichnet  ist,  und  sämmtliohe'Synoptiker  die  hier  be- 
gonnene Reise  mit  jenem  festlichen  Einsug  in  Jernaalem 
endigen  lassen ,  welcher  auch  dem  vierten  Evangelium  su- 
folge  unmittelbar  vor  dem  letzten  Pascbafest  erfolgt  ist^). 
Soll  hienach  der  Aufbruch  aus  Galilfta,  von   welchem  sie 
erefthlen,  der  zum  EnkSnienfest,  die  Ankunft  in  Jerusalem 
aber,  welche  sie  melden ,   die  zum  späteren  Pascha  gewe- 
sen   sein :    so    mttfsten    sie  das  nach  dieser  Voraussetzung 
zwischen  beiden  Punkten  Liegende,  nämlich  Jesu  Ankunfit 
und  Aufenthalt  in  Jerusalem  zum  Fest   der  Tempelweibe, 
seine  Reise  von  da  nach  Peräa,  von  Peräa  nach  Bethanien, 
und   von    hier    nach   Ephraim,    ganz    Übergangen    haben. 
Scheint  hieraus  zu    folgen ,   dafs  jene  Berichterstatter  reo 
allem  diesem  auch  nichts  gewufst  haben:  so  soll  vielmehr, 
wie  geltend  gemacht  wird,   Lukas  dadurch,    dafs  er  bald 
nach  der   Abreise  aus  Galiläa   Jesum   auf  Sohrifrgelehrte 
stofsen  lasse,  die  ihn  auf  die  Probe  stellen  wollen  (10,  25  ff.)» 
dann  ihn  in  dem  Jerusalem  benachbarten  Bethanien  zeige 
CiO,  38  ff.)?   hierauf  ihn  wieder  rückwärts  an  die  Granz- 
acheide von  Samarien  und  Galiläa  versetze  (17,  IIO9    und 
erst  alsdann  ihn  zum  Pascha  in  Jerusalem  einziehen  kisse 


7)  Paulus;  2,  S.  295.  554.     Vgl.  Olsuaisbk,  1,  S.  573  f. 

8)  ScMLKUiiAucHSR;  a.  a.  0.,  S.  159. 


Zehntes  Kapitel.    $.  106.  297 

(19,  29  ff.),  deotlioh  g^nog  daraaf  hinweisen^  dafs  ewi« 
•chen  jener  Abreise  ond  dieser  Ankunft  Jesas  ein  weite- 
res Mal  nach  Judfia  ond  Jerasalem,  und  von  da  wieder 
sorOcki  gereist  sei  ')•  Allein,  wenn  die  Schrlftgelebrten 
ohoehin  nichts  beweisen,  so  ist  auch  von  Bethanien  nir« 
gends  die  Rede,  sondern  nur  von  einer  ^inliehr  Jesu  be 
Martha  und  Maria,  welche  der  vierte  Evangelist  in  jenes 
Dorf  versetzt ,  woraus  jedoch  nicht  folgt,  dafs  auch  der 
dritte  sie  ebendaselbst  wohnhaft ,  und  also  Jesnm ,  wenn 
er  bei  ihnen  war,  in  der  INfihe  von  Jerusalem  sich  gedacht 
hsbe.  Daraus  aber,  dafs  Bö  sehr  lange  nach  der  Abreise 
(9,  51 —  17,  11.)  Jesus  erst  auf  der  Gränsee  swischen  Ga- 
lilfia  und  Samarien  erscheint,  folgt  nur,  dafs  wir  hier 
keine  geordnet  fortschreitende  Ersfihlung  vor  uns  haben. 
Doch  selbst  Matthäus  soll  nach  dieser  harmonisirenden 
Auiicht  von  jenen  Zwischen begebenheiten  gewufst,  and 
iie  für  den  genauer  Zusehenden  angedeutet  haben,:  sein 
(ittiJQtv  ano  tf^g  raliXaiug  nfimlich  soll  als  Andeutung  der 
Keise  Jesu  auf  die  finkänien  eine  Diegese  abschliefseh, 
Im  tat  ^l&ev  dg  td  OQia  zi^g  ^ladaiug  ntQav  tu  ^Io(fäuvB 
dagegen  mit  Angabe  der  Ausweichung  von  Jerusalem  nach 
Peria  (Job.  10,  40.)  einen  neuen  Abschnitt  eröffnen:  wo- 
bei fibrigens  ehrlich  sugestanden  wird«  dafs  ohne  die  Data 
det  Johannes  Niemand  auf  eine  solche  Zerreifsung  der 
Worte  des  Matthäus  kommen  wUrde  ^^).  Dergleichen 
Kfinsteleien  gegenüber  Jst  für  denjenigen,  welcher  die 
Richtigkeit  des  johanneischen  Berichts  voraussetat , « kein 
anderer  Weg  Obrig,  als  der  von  der  neuesten  Kritik  ein- 
geschlagene :  nfimlich  die  Autopsie  des  Matthäus ,  der  die 
Reise  nur  ganz  kors  behandelt,  aufzugeben,  von  Lukaa 
aber,  der  einen  ausführlichen  Reisebericht  hat,  anzuneh- 
men,   dafs  er  oder  ein  von  ihm  benutzter  Sammler    zwei 


9)  Paulü«,  2,  8.  294  tf. 
10)  Derselbe,  i.  a.  0.  295  f.  584  f. 


3IIS 


Zweiter  Abicliiiitt. 


yereebiedene  Berlchißj  voo  welohen  der  eine  die  frfihen 
Reise  Jesu  aof  das  Fest  der  Tempel  weihe,  der  andere  sei- 
ne letate  Pasohareise  betraf,  sosammengefOgt  babt,  obo« 
Bo  ahnen,  dafs  awischen  die  Abreise  Jesn  aus  Gfdjlfia  und 
aeinen  Eineug  in  Jerusalem  vor  dem  Pascha  noch  ein  fro- 
herer Aufenthalt  in  Jerusalem  |  sammt  andern  Reisen  and 
Begebenheiten,  fiel  ^0. 

Auf  eigene  Welse  kehrt  sieh  nun  aber  im  Verlaufe 
des  Berichts  von  der  oder  den  letaten  Reisen  Jesu  du 
Verhältnlfs  awischen  den  synoptischen  Evangelien  und 
dem  Johanneiechen  um.  Wie  nfimlich  snerst  aof  Seiten 
der  ersteren  eine  grofse  Lfioice  sich  eeigte,  indem  sie  eine 
Masse  von  Zwisohenbegebenheiten  und  Zwischenanfenthel- 
ten  übergingen ,  deren  Jobannes  gedeni&t :  so  sciieint  nun 
gegen  das  Ende  des  Reiseberichts  auf  Seiten  des  letcCereo 
eine ,  wenn  auch  kleinere ,  Lücke  einautreten ,  indem  er 
nichts  davon  hat,  dafs  Jesus  über  Jericho  hach  Jerusaleu 
gekommen  ist.  Alan  kann  swar  sagen,  Jobannes  habe,  nner- 
achtet  den  Synoptitcern  «ufolge  eine  Biindenheiinng  und 
der  Besuch  bei  Zacc hau s  in  dieselbe  fiel,  doch  diese  üorch* 
reise  übergehen  litfnnen :  aliein  es  fragt  sich ,  ob  in  seiner 
Darstellung  ein  Darohgang  durch  Jericho  überhaupt  Reooi 
habe  ?  Auf  dem  Wege  von  Ephraim  nach  Jerusalem  Jie;^ 
die  genannte  Stadt  nicht ,  sondern  bedeutend  östlich  A\ 
man  hilft  sich  daher  durch  die  Voranssetaung,  von  fipbraim 
ans  habe  Jesus  allerlei  Nebenreisen  gemacht,  auf  oner 
von  diesen  sei  er  nach  Jericho  gekommen,  und  von  hier 
dann  nach  Jerusalem  gezogen  ^*)* 

Jedenfalls  herrscht  hienach  in  den  evangelischen  Nach- 
richten von  der  letzten  Reise  Jesu  eine  besondere  Uneinij- 


11)  ScaunsHMACHBR,  a.  a.  O.  S.  161  f. ;  SixmRT,  über  den  Urspr. 
.  S.  104  ff.    Dem  ersteren  stimmt  in  Beziehung  auf  Lukas  auch 

Olshausbm  bei ,    a.  a.  O. 

12)  laoauca,  Coinm.  z.  Jok.  S.  227  t   OtsiiAtssf«;  1;  S.  7b  1. 


Zebnte«  Kupitel.    %.  107,  iM 

keit:  ifideni  er  der  valgiren,  •jrnoptitchen  Tradition  bd« 
folge  «u  6alil&a  Aber  Jericho ,  nnd  swar  nach  MaUbifiat 
and  Harkoi  durch  PerlUi|  nach  Lakai  darch  Samaria,  ge« 
reist  wfire;  dem  vierten  Evangeliam  snfolge  aber  von 
Kphraiffl  her  gekommen  sein  mOfste;  Angaben ,  swischen 
welchen  eine  Vereinignng  anraöglioh|  aber  auch  die  Wahl 
lehr  schwierig  ist. 

$.     107.  \ 

Abweichongen  der  KTangelien  ia  Hinsicht  auf  den  Ausgangs- 
punkt des  Einzugs  Jesu  in  Jerusalem. 

Selbst  Ober  den  Sohlula  der  Reise  Jesu,  über  die  letste 
Station  vor  Jernsalem,  sind  die  Evangelisten  nicht  gana  ei- 
nifS«    Wahrend  es  nach  den  Synoptikern  das  Ansehen  hat, 
sl«  sei  Jeana  von  Jericho  ans    ohne  l&ng^lren  Zwischenauf- 
enthalt an  demselben  Tage  bU  nach  Jerusalem  gekommen^ 
(Matth.  20,  34.  21,  1  ff.  parall.) :  Ififst  ihn  das  vierte  £van- 
plioDi  von  Ephraim  eonftchst   nur   bis  Bethanien  gehen, 
bier  fibernaehten,  nnd  erst  am  folgenden  Tage  seinen  Ein* 
M{  in   die    Hauptstadt  halten  (12,  1.  12  ff.)«     Dm   beide 
Dmtellnngen  eu  vereinigen,    sagt  man,  bei  der  nur  snm« 
atrittben  Eraäblnng  der  Synoptiker   sei   es  nicht  au  ver« 
WBsdern ,    dafs   sie   das  Debernachten   in  Bethanien  nicht 
sswirQcklich    berfihren,    ohne   es   defswegen    Iftugnen    au 
wollen;    es    finde  somit  kein  Widerspruch  «wischen  ihnen 
Bsd  Johannes  statt,  sondern,  was  jene  linra  eusammenfas- 
fen,  lege  dieser  in  steine  weiteren  Momente  auseinander  ^). 
Allein  während  Matthfius  Bethanien  gar  nicht  nennt,*  thun 
<iie  beiden    andern   Synoptiker  dieser  Ortschaft   auf   eine 
Weise  Erwähnung,  welche  der  Annahme,   dafs  Jesus  da* 
selbst  fibernachtet  habe,  entschieden   widerstrebt.    Wenn 
sie  nämlich  ercählen,  w^*  rjyyiaev  tlg  Br^S^fpayfj  xai  Br^aviixi*^ 
habe  sich  Jesus  aus  dem.  nächsten  Dorf  einen  Esel  holen 


l)  Taoi.i;ca  uad  OksaACsaii  a.  d.  a.  OOt 


300  Zweiter  Absobnitt. 

lassen,  and  sei  sofort  auf  diesem  in  die  Stadt  eingeritten: 
so  kann  man  sieh  zwischen   die  so  verbundenen  Vorginge 
nn möglich  eine  Nacht   hineindenken ,    sondern  die  Ersfth- 
lang  lantet  so,    als  ob    unmittelbar  auf  die  Sendung  Jesu 
der  Eigen^hfimer  den  Esel  verabfolgt,  und  anmittelbar  nach 
der  Ankunft  des  Esels  Jesus  sich  eum  Eineng  angeschickt 
hätte«     Auch  Ififst   sich,   wenn  Jesus  in   Bethanien  fiber 
Nacht   EU  bleiben   Tm  Sinne    hatte,    iiuf  keine  Weise  ein 
Zweck  seiner  Sendnkig  nach   dem  Esel  ausfindig  machen. 
Denn  soll  das  Dorf,  in  welches  er  schickte,  eben  Bethanien 
gewesen  sein :  so  hatte  er,  wenn  erst  auf  den  andern  Mo^ 
gen  ein  Reitthier  zu  bestellen  war,  nicht  nöthig,  die  Jün- 
ger vorauszuschicken,  sondern  konnte  fdglich  warten,  bis 
er  miit  ihnen  in  Bethanien  angekommen  war;  dafs  er  aber, 
ehe  er  noch  Bethanien  erreicht,  und  sich  umgesehen  hatte, 
ob  nicht  hier  ein  Esel  zu  finden  sei,  über  dieses  nächstge- 
legene  Dorf  hinaus  nach  Bethphage  geschickt  haben  sollte, 
um  dort  auf  den   andern  Morgen   einen  Esel  aufzubieten, 
entbehrt  vollends  aller  Wahrscheinlichkeit:  und  doch  sagt 
wenigstens  Matthäus   entschieden ,   dafs  der  Esel  in  Beth- 
phage geholt   worden   sei«     Dazu  kommt,   dafs,   der  Dar- 
stellung des  Markus    zufolge,  als  Jesus   in  Jerusalem  an- 
kam,   bereits  die  oijda  angebrochen  (11,  IL)»  und  es  iha 
defswegen  nur  noch  möglich  war,  sich  in  Stadt  undTeo- 
pel    vorläufig    umznsehen,    worauf  er    mit    den    Zwölfen 
sich  nach  Bethanien  znrOckzog.     Nun  läfst  sich  zwar  dtt 
nicht  beweisen,  was  schon  behauptet  worden 'Ist,  dafs  da» 
vierte  Evangelizm   den    Einzug   vielmehr   auf  den  Morgen 
verlege ;   aber  das  mufs  man  fragen ,    warum,  denn  Jesus, 
wenn  er   nur  von   dem  nahen  Bethanien   kam,   nicht  bfil- 
der  von  da  aufgebrochen  ist,    um  in  Jerusalem  auch  noch 
et^as,  das  der  Rede  werth  wäre,   thun  zu  können?    Die 
späte  Ankunft  Jesu  in  der  Stadt,  wie  sie  Markus  behaup- 
tet, erklärt  sich  oifenbar  nur  aus  dem  längeren  Wege  von 
Jericho  her:  kam  er  blofs  von  Bethanien,  so  ging  er  von 


Zehntes  Kapitel.    $.  107.  301 

hier  achweriioh  so  apat  erst  weg,  daf«  er,  nachdem  er  die 
Stadt  sich  nor  angesehen,  wieder  nach  Bethanien  nmlieh- 
ren  ninfste,  nm  am  folgenden  Tage  zeitiger  von  da  anfsn- 
brechen,  woran  ihn  aber  auch  schon  am  rorigen  nichts 
gehindert  hatte.  Freilich  ist  in  seiner  Verlegung  der  An- 
kunft Jesu  in  Jerusalem  auf  d^n  spiSten  Abend  Markus 
▼on  den  beiden  andern  Synoptikern  nicht  utaterstfltat,  in- 
dem diese  Jesnm  noch  am  Tage  seiner  Ankunft  die  Tem- 
pelreinigung vornehmen,  und  Matthfius  ihn  selbst  noch 
Heilungen  verrichten  und  sich  gegen  die  Hohepriester  und 
Sehriftgelehrten  verantworten  Iftfst  (Alattb.  21 ,  12  ff.) : 
sUein  auch  ohne  jene  Zeitangabe  entscheidet  .die  Contlnuitüt 
der  Momente  des  Hinkommens  gegen  jene  Flecken,  der 
Sendung  der  Jünger,  der  Ankunft  des  Esels,  und  des  Ein- 
reitens ,  gegen  die  Möglichkeit,  in  die  Erzählung  der  Syn- 
optiker ein  Bethanisebes  Nachtquartier  einansohieben.^ 

Bleibt  es  auf  diese  Weise  dabei ,  dafs  die  drei  ersten 
Evangelisten  Jesum  geradeau  von  Jericho  ans,  ohne  Auf- 
enthalt in  Bethanien ,  der  vierte  aber  ihn  nur  von  Betha- 
niea  her  nach  Jerusalem  sieben  Ififst :  so  mfissen  sie,  wenn 
sie  beiderseits  recht  haben  sollen ,  von  swei  verschiedenen 
Eioal^en  reden;  wie  diefs  neuerlich  von  mehreren  Kriti- 
kern vermnthet  worden  ist  ^.'  Ihnen  aufolge  sog  Jesus  zu- 
erst (was  die  Synoptiker  erschien)  mit  der  Festkarawane 
geradesa  nach  Jerusalem ,  und  es  erfolgte  hiebei ,  wie  er 
sich  durch  die  Besteigung  des  Thiers  bemerklich  machte, 
▼on  Seiten  der  Mitreisenden  unvorbereitet  eine  laute  Holdi- 
gQng,  welche  den  Eincug  in  einen  Triumphaug  verwandelte. 
Nachdem  er  sich  am  Abend  nach  Bethanien  sorflckgezogen, 
ging  ihm  dann  am  folgenden  Morgen  (wa^  Johannes  be- 
richtet) eine  grofse  Volksmenge  entgegen ,  um  ihn  einsn- 
bolen ,   und  als  er  auf  dem  Wege  von  Bethanien   her  mit 

2)  Paulus,  exeg.  Handb.,  3,  a,  S.  92  ff.  98  ff .  >    Scruibmiachiii, 
über  den  T.uka«,  S.  244  f. 


30i  Zweiter  Absehniftt. 

•  

kommen  wQrde;  so  wie  auch  der  Empfang,  den  omn  ihm 
sofort  bereitet,  nnr  als  Verherrliebanj[  seines  ersten  Kin- 
tritts  in  die  Haaptstadt  einen  rectiten  Sinn  iiat,  bei  seiner 
sweitenDahinkonft  aber  nnr  etwa  dann  fOglich  hfitte  ?e^ 
anstaltet  werden  liönnen,  wenn  Jeans  Tags  Buvor  anbe- 
meriit  nnd  ungeehrt  hereingekommen  w&re,  und  mandieb 
am  folgenden  Tag  hätte  nachholen  wollen :  nicht  aber  wenn 
der  erste  £lnaug  schon  so  glänsend  gewesen  war.  Und 
ewar  müfsteo  sich  beim  sweiten  alle  Zflge  des  ersten  wie- 
derholt haben;  was,  Ag  man  es  mehr  als  absichtliche 
Veranstaltung  Jesu,  oder  als  zufällige  FOgung  der  Umstän- 
de betrachten,  immer  unwahrscheinlich  bleibt«  VonJesoi<«r 
es  nicht  wohl  zu  begreifen,  wie  er  ein  Schauspiel  wiederbu- 
len  mochte,  das,  Einmal  bedeutsam,  in  seiner  Wiederho- 
lung matt  und  zwecklos  war  ^);  die  Umstände  aber  ffififft* 
ten  auf  unerhörte  Weise  zusammengetroffen  haben,  wenn 
beidemale  dieselben  Khrenbeseogongen  von  Seiten  desVolb, 
dieselben  Aeufserupgen  des  Neides  von  Seiten  seiner  Geg- 
ner eingetreten  sein,  auch  beidemale  ein  an  die  Wnsss- 
gung  des  Zacharias  erinnerndes  Reittbier  zu  Gebote  ge- 
standen haben  sollte.  Man  könnte  daher  did  Si£FFERT*sche 
Assimilationshypothese  zu  Hülfe  nehmen,  und  voraussetsaflj 
die  beiden  Einzöge,  ursprünglich  mehr  versohiedeo,  seif" 
durch  *  traditionelle  Vermischung  sich  so  ähnlich  gewor- 
den: wenn  nicht  überhaupt  die  Annahme,  dafs  dener^n- 
gelischen  Erzählungen  hier  zwei  verschiedene  ThaU»<^l^e^^ 
zum  Grunde  liegen,  eines  andern  Umstands  wegen  ooDÖg- 
lieh  würde. 

Auf  den  ersten  Anblick  zwar  scheint  ea  die  Anoabme 
von  zwei  verschiedenen  Einzügen  zu  unterstützen,  wenn 
mafl  bemerkt,  dafs  Johannes  seinen  Einzug  den  Tag  nscii 
jenem  Bethanischen  Mahle,  bei  welchem  Jesus  unter  merk 
würdigen  Umständen  gesalbt  wurde,  vor  sieh  gehen  hifs^ 


5)  Hask,  L.  J.  §,  124. 


Zehntem  Kapitel.     $.  107.  305 

die  beiileo  ersten  Synoptik^  dagegen   (di>nn  Lnkat   weif« 
fon  einer  so  Bethanien  und  In  dietem  Abschnitte  de«  Le- 
bens Jesu  gehaltenen  Mahlzeit    bekanntlich  nicht«)   ihren 
KioBOg   dfeseoi  Mahle   vorangehen  lassen:   wodurch   also, 
gana   der   obigen  VoraassMxung   gemfffs,   der  synoptische 
Einsog  als  der  frühere  ^   der  johanneiscbe  als  der  spfif ere 
erschiene.    Diefs  würe  gat,  wenn  nur  nicht  Johannes  sei- 
Ben  Klnnag  so  frfih,  die  Synoptiker  dagegen  ihr  Bethanl- 
iches  Mahl  so  spXt  setzen  wfirden,   dafs  jener  nnmöglich 
oseh  dieseoi  erst  erfolgt  sein  kann«     Nach  Johannes  nfim» 
lieh  kommt  Jesus    sechs*  Tage   ?or   dem  Pascha  nach  Be« 
thsnien  y   ut\d   sieht   am    folgenden  Tag   in  Jerusalem   ein 
(12,  1.  12):   das  Bethanische  Mahl    der  Synoptiker  dage^* 
gen  (  Matth«  My  6  S,  parall. )   kann  höchstens  swei  T»g6 
for  dem  Pascha   gehalten   worden    sein   (V.  2 ) ;   so  dab, 
wenn  der  synoptische  Einsug  vor  dem  johanneischen  Mahl 
snd  Einsöge  stattgefonden   haben   soll,  dann   nach  allem 
Diesem  den  Synoptikern  sufolge  noch  eine  sweite  Betha- 
aisehe  Mahlseit  angenommen  werden  mOfste.     Allein  ewi- 
sehen  den  hiebei  voraossusetsenden  swei  Mahlseiten  fiBiide 
nun  ebenso,   wie   s wischen  den  beiden  fiinsfigen,'  bis  ins 
Kinsabte  hinein  die  anffallendste  Äehnlichkeit  statt ,    und 
das  Siehverflechten   von  swei  dergleichen   Doppelbegeben- 
heitea  ist  so  verdächtig,  dafs  man  hier  schwerlich  die  Aus- 
konft  wird  anwenden   mögen ,    es  seien  swei  £insüge  und 
Hahlsaiteo  ^  die   einander   ursprAnglieh   weit   unähnlicher 
gesehen  haben,   in  der  Tradition  durch  Uebertragnng  von 
Zfigen  ans  der  einen  Begebenheit  In    die  andere   sich  so 
ähnlich  geworden ,  wie  wir  sie  jetst  haben :  sondern  hier, 
wenn  irgendwo,  ist  es  leichter,  sofern  einmal  die  Urkund* 
ikhkeit  der  Berichte  aufgegeben  wird,  sich  vorsustellen,  dafs 
in  der  Ueberlieferung  eine  Begebenheit  variirt,als  dafs  durch 
dieselbe  swei  Begebenheiten  assimllirt  worden  seien  0« 


6)  Vgl.  DB  Wbttb,  exeg.  Handb.,  1,  1,  S.  172. 
Dms  Leben  Jesu  ^fe  Auf.  ii.  Bund.  ^0 


306  Zweiter  Abschnitt. 

§.     108. 

Näherer  Hergang  bei  dem  Einzug.     Zweck   und  bittoriicbc 

Realität  desselben. 

Wfthrend  das '  vierte  Evangelium  saerst  die*  Jesu  ent- 
gegeustrdmende  Menge  ihm  ihre  Buldigang  darbringeo, 
und  dann  erst  die  Imrse  Angabe  fulgen  läfsty  dafi  Jesu 
einen  jungen  Esel,  dessen  er  tiabhaft  wurde,  bestiegen  ha* 
be :  ist  bei  den  Synoptikern  das  Erste,  was  sie  geben,  eio 
ausführlicher  Bericht,  wie  Jesus  bu  dem  Esel  kam.  Äk 
er  n£mlioh  in  die  Nähe  von  Jerusalem,  gegen  Betbpbage 
und  Bethanien  am  Oelherg  hingekommen,  haha  er  zwei 
seiner  Jünger  in  das  vor  ihnen  liegende  Dorf  gescbickt, 
mit  der  Weisung,  wenn  sie  hineinkämen,  würden  sie  - 
und  nun  sagt  Matthäus,  eine  Eselin  angebunden,  and  ein 
Füllen  bei  ihr:  die  beiden  andern,  ein  Füllen,  auf  welchem 
noch  Niemand  gesessen  habe,  angebunden  —  finden,  du 
edle)  sollen  sie  losbinden  und  ihm  bringen ,  etwaige  Ein- 
wendungen des  Eigenthümers  aber  durch  die  Bemerkung, 
der  Herr  bedürfe  seiner  (ihrer),  niederschlagen;  diefs  ssi 
so  geschehen,  und  die  Jünger  haben  • —  auf  die  Thiere 
nach  Matthäus:  nach  den  beiden  andern  auf  das  Eine 
Thier  — ,  ihre  Rigider  unterbreitend,  Jesum  gesetat 

Das  Auffallendste  in   diesen  Berichten  ist  offenbar  <ire 
Angabe  des  Matthäus,   daCs  Jesus   nicht   blofa,   da  iloch 
nur  er  allein  reiten  wollte,    swei  Esel  requirirt,   sondern 
dafs  er  auch  wirklich   auf  beide  sich  gesetst   haben  soll. 
Zwar,  wie  natürlich,   hat  es  nicht  an  Versnoben  gefehlt, 
das  Grstere  eu  erklären,  und   das  Letztere  sa  beseitigen. 
Das  Mutterthier  soll  Jesus  mit  dem  Füllen,  auf  welehea 
er  eigentlich  reiten  wollte,  haben  holen  lassen ,  damit  dsi 
jniige,   noch  sangende  Thier  desto  eher  gehen  möchte  Oi 
oder  soll  die  an  das  Junge  gewöhnte  Hotter  von  teibst 


1)  Paulus,  3y  a^  S.  115;   Kuiivöi.,  in  Matth.  p.  541. 


Zehnte«  Kapitel.    &.  108.  'MJ 

nuchgclaafen  «ein  ')  :  allein  ein  noch  durch  Sangen  an  tile 
Matter  gewöhnte«  Thier  gab  der  Eigner  bchwerlicb  sum 
Reiten  her«  Ein  genügender  Grund  ffirJeaain,  swei  Thiere 
holen  so  lassen,  lag  nur  darin,  wenn  er  auf  beiden  reiten 
woUte;  was  Marthüns  deutlich  gcnog  au  sagen  scheint,  in- 
dem er  aof  beide  Thiere  iindvap  ainwi')  sowohl  die  Klei- 
der gebreitet  werden ,  als  Jesum  sich  setsen  Ififst.  Allein 
wie  soll  man  diefs  sich  vorstellen  ?  Als  ein  abwechselndes 
Reiten  auf  dem  einen  und  andern ,  meint  Fritzschs  ^) : 
iber  diefs  war,  ftfr  die  kurze  Strecke  Wegs,  eine,  nnnö- 
thige  Dnbeqnemlichkeit.  Daher  suchten  die  Ausleger  der 
Moderbaren  Angabe  los  an  werden;  die  einen  indem  «ie^ 
•ehr  sehwmchen  AuctoritAten  aufolge ,  und  gegen  alle  hri- 
tischen  tirnndsätse,  in  den  Worten  vom  Auflegen  der  Klei« 
der  statt  inayiü  amaiv  lasen:  in  atkov  Ciov TuilLoy^f  worauf 
lodsnD  bei  der  Erwähnung,  dafs  Jesus  sich  darauf  gesetat 
habe,  das  eTiavta  avrwv  auf  die  tiber  das  Eine  Thier  ge^ 
breiteten  Kleider  besogen  ^wird  ^).  Ohne  Aenderung  der 
Leurt  glaobten  Andere  durch  Annahme  einer  EnaUage 
naen  ausBokommen  *),  was  Winrr  dahin  bestimmt  hat, 
d«fi  wirklich  der  Eraüiiler  in  ungenauer  Ausdrucks  weise 
Fon  beiden  Thieren  spreche,  wie  auch  wir  von  demjeni- 
geo,  der  von  einem  der  ansammengespannten.Pferde  springt, 
Mgeo,  er  ael  von  den  Pferden  gesprungen  ^>  Gesetzt, 
diese  Auskunft  reichte  an ,  so  begreift  man  nun  wieder 
Dicht,  wofür  Jesus,  der  hienach  nur  des  einen  sich  bedie- 
oeo  wollte,   swei  Thiere  bestellt  haben  soll.     Diese  ganae 


1)  OUHAUSBN,   \j  S.   766. 

l)  Conun.  in  Matth.  p.  630.    Ihm  stimmt  db  Wstti  bei ,  ezeg. 
Handb.,  1,  1,  S.  175.  > 

4)  Paulus,  a.  «.  O.  S.  143  f. 

5)  Glassivs,   pbil.   sacr.    p.  172.     Aehnlich   Koinöl  und  Gaatz 
«.  d.  St. 

6)  N.  T.  Gramm.  S.  149. 

20* 


SU8 


Zweiter  Abschnitt. 


/ 


Angabe  muta  um  so  mehr  Ferdiohtig  werden,  da  der  erst« 
EFangelist  mit  derselben  allein  steht ;  denn  das  reicht  doch 
nicht  aus,  am  die  fibrigen  anf  seine  Seite  an  aiehen,  wti 
man  gewöhnlich  sa  leseh  bekommt:  sie  nennen  nar  dai 
Füllen,  auf  welchem  Jesus  geritten  sei,  ^die  Eselin ,  ab 
Blebensacbe,  lassen  sie  weg,  ohne  sie  aussnsehliersen. 

Fragt  es  sich  nun,  wie  Matthäus  an  seiner  eig^nthOm- 
liehen  Darstellung  gekommen  ist?    so  haben,  wiewobi  aof 
seltsame  Weise,  diejenigen   anf  den  rechten  Punkt  hinge- 
wiesen, welche  vermutheten,  Jesus  habe  in  seinem  Auftrag 
an   die  swei  Jfinger,  und  Matthäus  In  seiner   Urschrift, 
der  Stelle  des  Zacharfas  (9,  9.)  aufolge  für  den  Einen  Be- 
griff des  Esels  mehrerer  Ausdrücke  sich  bedient,   woraoi 
sofort  der  griechische  Uebersetzer  des  ersten  E?angeliaois 
mifsverständlich  mehrere  Thiere  gemacht   habe  ^).    Aller- 
dings sind  die  gehäuften  Bezeichnungen  des  Esels  in  jener 
Stelle:  n^SHKI^  TJ?1  "^^^^CJ»  vna^vyiovxainoilwvioy^  LXX., 
der  Anlafs  der  Verdojipelung  desselben  im  ersten  £?ange- 
lium:   indem  nämlich   das   Und,  welches  im   Hebräischen 
erklärend  gemeint   war,   als   hinzufügend  genommen,  and 
statt   „ein  Esel,   d.  h.    ein  Eselsfüllen  n.  s.  w«^^   vielmehr 
„ein  Esel  sammt  einem  Esel«fflllen'^  in  der  Stelle  gefunden 
wurde  ^.    Allein  diesen  Fehler  kann  nicht  erst  der  gnV 
chische  Uebersetzer  gemacht  haben,   welcher  scbwerlkh, 
wenn  er  in   der  ganzen  Erzählung  des  Matthäus   nur  Ei- 
nen Esel  gefunden  hätte,  rein  aus  der  Prophetensteile  her« 
aus  ihn  verdoppelt,   und  so   oft  sein  Original  von  Einem 
Esel  sprach,  den  zweiten  hinzugefügt,  oder  statt  des  Sin- 
gulars den  Plural  gesetzt  haben  würde;    sondern   ein  sol- 
cher mufs  den  Verstofs  begangen    haben,   dessen   einzige 


7)  EicHHORNy  aligem.  Bibliothek,  5,  S.  896  f.    Vgl.  Boltsu,  Be- 
richt des  Matthäus,  S.  317  f. 

8)  s.  FniTzscHS,  z.  d.  St.     Auch  Nbandba^  S.  560,  Anm. ,  räiunt 
dicss  ein. 


Zehntes  Kapitel.    S-  108.  S09 

ichrifdich  fixirte  Quelle  die  Propbetenstelle  war,  ans  wel- 
cher er  mit  ZaBiehung  der  mQndlichen  Tradirion  feine 
gaose  Ersihlung  heraa«apann,  d.  b.  der  Verfasser  des  er- 
sten EFangeliums,  welcher  sich  freilich  hiedurch,  wie  die 
neuere  Kritik  mit  Recht  behauptet ,  unwiederbringlich  um 
den  Rohm  eines  Augen  sengen  bringt  *). 

hr  dieser  Mifsgriff  dem  ersten  Evangelium  eigen :  so 
haben  hinwiederum  auch  die  beiden  mittleren  einen  Zog 
f&r  sich,  welchen  vermieden  an  haben  dem  Verfasser  des 
ersten  soa  Vortbeil  gereidht*  Aof  das  Schleppende  swar 
soll  nur  bellSufig  anfmerhsam  gemacht  werden,  was  darin 
liegt,  dafs,  nachdem  bei  allen  drei  Synoptikern  Jesns  den 
twei  abgeschickten  Jüngern  genau  vorherbeseichnet  hatte^  * 
wie  sie  den  Esel  finden ,  nnd  womit  sie  den  £igenthttmer 
dessslben  snfrieden  stellen  sollten,  nun  Markus  und  Lu« 
kss  sich  nnd  dem  Leser  die  Blühe  nicht  sparen,  ausfuhr- 
lieh  nnd  genau  das  Alles  als  eingetroffen  en  wiederholen 
CMare.  V.  4  ff.  Luc.  V.  32  ff.);  während  Hatthfins  CV.  tt.) 
g^ickt  dureh  ein  Tion^aavzeg  xuO-iog  nQogita^ev  avtoig  6  jf. 
sich  abfindet  —  diefs,  als  blos  die  Form  betreffend ,  soU 
bier  nicht  weifer  geltend  gemacht  werden.  Das  aber  he- 
fVift  den  Inhalt  der  Sache,  dafs  naeh  Markus  nnd  Lukaa 
Jeius  ein  Thier  verlangte ,  itp"  o  Bdetg  TttiiKne  avD'Qionw(v 
ixu!^taej  ein  Zug,  von  welchem  Matthäus  nichts  weifs« 
Man  begreift  hier  nicht,  wie  sich  Jesus  das  Vorwärtskom« 
laen  durch  die  Wahl  eines  noch  nicht  cogerirtenen  Thiers 
sb^tchtlich  erschweren  mochte,  welches,  wenn  er  es  nicht 
durch  gdtiliche  Allmacht  in  Ordnung  hielt  (denn  bei  dem 
ersten  Kitt  auf  einem  solchen  Thiere  reicht  auch  die  gröfs- 
^e  oenschliohe  tieschicklicbkelt  nicht  aus),  gewifs  manche 
Sfomng  des  festlichen  Zuges  herbeigeführt  hab^n  jwird, 
somal  ihm  kein  Vorangehen  des  Motterthiers  zu  Sutten 


f))  SeHULz,   über  das  Abendmabl,  S.  310  f . ; '  SiirviAT ,  über  dua 
Vr«pr,     S.  107  f. 


3tO  Zvreiter  Absohiiitt. 

kam,  welches  nur  in  der  Vorstellong  des  ersten  Evange- 
listen mitgelaufen  ist.  Dieser  Unannehmliohkeit  bat  Je^ai 
gewifs  nicht  ohne  triftigen  Grand  sich  an^gesetct :  ein  sol- 
cher aber  scheint  nahe  genug  au  liegen  in  der  Ansiebt  dei 
AlterthumSy  welcher  anfolge,  nach  Wetstkim's  Autdruck, 
animaliaj  usibus  humanis  nondum  mancipata,  saaa  habe- 
bantar :  so  dafs  also  Jesus  für  seine  geheiligte  Person  and 
2u  dem  hoben  Zwecke  seines  messianischen  £insugs  auch 
nur  ein  heiliges  Thier  hfttte  gebrauclven  mögen.  Niher 
erwogen  jedoch  wird  man  diefs  eitel  finden,  und  wonder 
lieh  daau;  denn  dem  Esel  konnten  die  Zuschauer  es  nicht 
anheben,  dafs  er  noch  nicht  geritten  war,  aufser  ander 
Ungebärdigkeit,  mit  welcher  er  den  ruhigen  Fortschritt 
des  feierlichen  Zuges  gestört  haben  w0rde  ^^.  So  w«nig 
wir  auf  diese  Weise  begreifen ,  wie.  Jesus  in  dem  Beutel- 
gen  eines  nicht  zugerittenen  Thiers  eine  Ehre  gesucht  ha- 
ben kann:  so  begreiflich  werdest  wir  es  finden,  dafsschoo 
frähe  die  christliche  Gemeinde  es  seiner  Ehre  schuldig  tu 
sein  glaubte,  ihn  nur  auf  einem  solchen  Thiere  reiten,  wie 
spSter  ihn  nur  in  einem  ungebrauchten  Grabe  liegen  zu 
lassen;  was  in  ihre  DeukwOrdigkeitep  aufzunehmen,  die 
Verfasser  der  mittleren  Evangelien  kein  Bedenken  trugeoi 
weil   ihnen   freilich    bdim   Schreiben    der    nicbtEugerittejie 


10)  Dass  jener  Grund  für  die  Maasregel  Jesu  nicht  genüge >  bat 
auch  Paulus  gefUhlt ;  denn  nur  aus  dem  verzweifelnden  Su- 
chen nach  einem  reelleren  and  mehr  specifischen  (irundeUt 
es  zu  erklären,  dass  er  hier  das  einzige  Mnl  mystisch  wird, 
und  an  die  Erklärung  Justina  des  Märtyrers  (die  als  vntCv^ 
bezeichnete  Eselin  bedeute  die  Juden ,  der  noch  nicht  gerit- 
tene Esel  die  Heiden,  Dial.  o.  Tryph.  £|3.)y  den  er  sonst  im- 
mer als  Urheber  der  verkehrten  kirchlichen  Bibeldeutungen 
bekämpft,  sich  anschliessend,  wahrscheinlich  zu  machen  sucht, 
Jesus  habe  durch  Besteigung  eines  noch  nicht  gerittenea 
Thiers  sich  als  Stifter  und  Regenten  ?incr  neuen  Religioos- 
gcsclUcliüfl  ankündigen  wollen.  Exeg.  Handb.  5,  a,  S.  U^^- 


Zehntes  Kapitel.    $.  106.  311 

Beel   nicht  die  CJnbeqoemllchkeit  vernnachte,   welche  er 
Jeea  bei'm  Kelten  verursaeht  haben  mOrste. 

Wenn  in    die  bisher  erwogenen   beiden  Schwierigkrt- 
ten  die  Synoptiker  sieh  theiien :   »o  ist  eine  andre   ihnen 
allen  gemeinschafrlioh ,   die  nfimlich,    welche  in  dem  Um- 
stände liegt,  dafs  Jesus  so  EUFersichtlich  swei  Jfinger  nach 
einem  Esel  sendet ,  den  sie   im  nSchtten  Dorf  in  der  und 
der  Situation  finden   würden ,    und  dafs  der  Erfolg  seiner 
Voraussage  so  genau  entspricht.     Das  Natfirlichste  könnte 
leheioen,   hier  an    eine  vorangegangene   Verabredung  na 
denken,   welcher   sufoige   cur  bestimmten  Stunde  am  be« 
seiebneten  Orte   ein  Reitthier   f2r  Jesum  bereit  gehalten 
worden  sei*^);   allein  wie  konnCe  er  eine  solche  Verabre- 
dung in  Bethphage  getroffen  haben ,  da  er  eben  von  Jeri-* 
sbo  kam?   Daher  findet   auch  Paulus   diefsmal  etwas  An- 
deraa  wahrscheinlicher!  dafs. nämlich  in  den  an  der  flaupt- 
«trafae   nach  Jerusalem   gelegenen   Dörfern   um   die   Fest* 
Seiten  viele  Lastthiere  aum  Vermiethen  an  die  Wallfahrer 
bereit  gestanden  haben    werden ;    wogegen  jedoch   bu  be- 
merken ist  y   dafs  Jesus  gar  nicht ,    wie   vom  nächsten  be* 
sten ,  sondern  von  ein^ro  bestimmten  Thiere  spricht.     Man 
wundert  sich  daher ,  wenn  man  es  bei  Olsrausbn  npr  als 
rereiothliehen  Sinn  der  Referenten  bezeichnet  findet|  dafs 
dem  einziehenden  Messias  Alles  idorch  Fügung  Gottes  anr 
Band  gewesen  rei,   wie  er  dessen  eben  bedurfte;   so  wie, 
dafa  derselbe  Ausleger,  um  die  Willfährigkeit  der  Besitzer 
des  Thieres  bu  erklären,    die  Voraussetaung   nothwendig 
findet,  sie  seien  mit  Jesu  befreundet  gewesen :  da  vielmehr 
durch   diesen  Zog  die  gleichsam   magische  Gewalt  darge- 
stellt werden  soll,  welche,  sobald  er  nur  woilre,  dem  blo-* 
fsen   Namen   des   Kvqios  inwohnte,    bei    dessen  Nennung 
der  Besitzer  des  Esels   den  Esel,   wie  später  (Matth.  iQ, 


II)  Natürliche   Geschichte,   3,   S.  366  f. ;    NvanpsR)   h-    i-   Cbr 
S.  530,  Aiuys. 


i 

312  Zweiter/Abschuitt.  i 

18  pnraliO  der  Inhaber  des  Saals  dea  Sani,  unweigerlleh 
ffu  seiner  Uictposition  stellte.     Za  dieser  göttlichen, Fligong 

.  KU  Gantfien  des  Messias,  und  der  unwiderstehlichen  Kraft 
seines   Namens    kommt  noch   das   höhere    Wissen,    durch 
^%elehes  Jesu  hier  ein    entferntes  Verhältnifi,    das  er  für 
seine  Bedürfnisse  benfitaen  konnte ,  offen  vor  Augen  lag. 
Ist  diefs  der  Sinn   und  die  Absicht   der  E?angeiisten 
bei  den  angegebenen  ZOgen  ihrer  Erzählung:  so  liefie  sieb 
Ewar  ein  solches  Vorhersagen   eines    aufü^ligen  Umstandei 
-    als  magnetisches  Hell-    und  Fernseilen   begreifen^'):  doch 
kennen    wir  theih   die  Neigung   der    nrohrisfiichen  Sage, 
solche  Proben  der  hüher^i  Natur  ihres  Messias  an  geben, 
bereits  allen  gut   (man^  denke   an    die  Berufung  der  awei 
Brfiderpaare;  die  genaueste   Analogie  aber   hat  die  eben 
angefahrte,    unten  näher  au  betrachtende  Art,   %%ie  Jeias 
das  Local   für  seine   letzte  Mahleeit  mit  den  Zwölfen  be- 
atellen  läfüt);  theils  läfst  sich  au  augenscheinlich  der  pro- 
phetisch-dogmatische Grund  nachweisen,    w/irum  sich  hier 
das  Fernsehen  Jesu  gerade  als  Wissen  um  einen  angebande* 

\  uen  Esel  zeigt :    als  dafs  wir  uns  der  Vermutbung  "enthalten 
könnten ,   auch   hier   nur ,  ein  Gebilde  Jener  Neigung  vi»! 
dieses  Pragmatismus  For  uns  zu  haben.     I3i»ber  der  im  e^ 
fiten  und  vierten  Evangelium    citirten  Stelle  aus  Zachariai 
nämlich,   welche  vom  Einreiten  des  sanftmfithigen  Könifi 
nur  Oberhaupt  auf  einem  Esel  handelt,    versäumt  man  {6- 
wohnlich,  eine  andere  A.  T.licbe  Stelle  m%k  berücksichtigen, 
welche  näher  den  angebundenen  Esel  des  Messias  est- 
liält.     Es  ist  diefs  diefs  die  Stelle  1  Mos.  49,  11.,  wo  der 
sterbende  Jakob  zu  Juda  von  jenem  nS^  ^^g^  (LXX.): 
äiGfiti'vfy  TiQog   ctfiitdi-ov  tov    Ticihjv  aviä  xou  tfj  iktxi  tov 
:ujiim'  lijg  ora  arrS.    Justin  der  Märtyrer  fafst  auch  dieie 
mosaische  StelleJ,   wie  jene  prophetische,   als  Weissagung 
auf  den  Einzug  Jesu ,  und  behauptet  daher  geradezu ,  dsi 


12)  Wsisss,  S.  575. 


ZehttM^KapileL    $.  108.  SU 


Ffillen,  welobet  «lesot  boten  lieft,  sei  an  einen  WeinetociL 
gebonden  geweaeii  ^^).  Ebenso  deuteten  die  Joden  nicht 
nnr  Oberbeapt  jenen  Sehilo  Foa  Messiae ,  wie  sich  schon 
ia  den  Targnmim  nachweisen  Ififst  ^^) ,  sondern  combinir- 
ten  such  beide  Stellen,  das  messianische  Anbinden  des 
Esels  mit  dem  Einreiten  auf  demselben  ^^)»  Dafs  jene 
Weitssgnng  Jakobs  von  keinem  nnsrer  Evangelisten  an* 
gef&brt  wird,  beweist  höchstens,  dafs  sie  beim  fiieder- 
sehrsiben  der  vorliegenden  Ersählung  sich  derselben  nicht 
astdrflcklich  bewttfst  waren :  dafs  sie  aber  anch.  demjeni* 
gen  Kreise,  in  vielchem  die  Anekdote  sich  snerst  bildetCi 
nicht  vorgeschwebt  habe,  kann  es  keineswegs  beweisen.  Für 
einen  Durchgang  der  Ereühlung  durch  mehrere  Hfinde 
?oo  folchen,  welche  sich  dev  ursprünglichen  Besiehung 
auf  die  Stelle  der  Genesis  nicht  mehr  bewurst  waren, 
iprieht  allerdings  auch  diefs,  dafs  sie  der  Weissagung 
nicht  mehr  ganz  ähnlich  ist.  Sollte  eine  vollkommene 
Cebereinstimmung  stattfinden ,  ao  mfifste  Jesus ,  nachdem 
er  de«  Zacharias  snfolge  auf  dem  Esel  in  die  Stadt  ge* 
ritten  war,  diesen  bei'm  Absteigen  an  einer  Weinrebe  «n- 
gebnden  haben,  statt  dafs  er  ihn  jetet  im  nichsten  Dorfe 
(necb  Markaa  von  einer  Thdre  am  Wege)  losbinden  Isrst. 
fliedurcb  wurde  aber,  angleich  diefs  noch  erreicht,  dafs 
ait  der  Erfüllung  jener  beiden  Weissagungen  noch  eine 
Probe  des  SbernatOrlioben  Wissens  Jesu  und  der  magischen 
Kraft  seines  Namens  verbunden  werden  konnte;  woliei 
aan  insbesondere  daran  denken  könnte,  dafs  auch  Samuel 
einat  aeioe  Sehergabe  durch  die  Voraussage  erprobt  hatte, 


15)  Apol.  S ,    32 !  ^  To  St'   Stofifwar  n^g    a/tJtflor   rw   ntoior   avrS   — 
aiiußolny  dtjltarixor  ^v  rw  yfVffSOfUvw   tw    X«???  xai    r&v  vii  m^rS 

iunplor  StSfun^ ,   or  ixihuatv  ^aytiv  avto*  «.  r.  X, 

i4)  t.  ScHtfTT«siv,  horaey  2,  p.  146.  ^ 

13)  Midf s»ch  Rabbi  f.  98. 


314  Zweiler  Abtchniit. 

dem  heimkehrenden  Saql  werden  Bwei  Mflnner  begegnen 
mit  der  Naehricht,  daCe  die  Eselinnen  seines  Vaters  Kia  ge- 
funden seien  (1  Sam.  10,  2.)*  —  Im  vierten  Evangelinm 
iehlt  mit  der  Besiebnng  auf  die  mosaische  Stelle  der  Zog 
vom  angebundenen  Esel  and  dessen  Abholung,  und  ei 
wird  mit  alleiniger  Rilefcsicbt  auf  die  Stelle  des  Zscbsrias 
iLurn  gesagt:    ei)^ctfV  de  6  Y;  ovuQioVf    ixad-taeif  in   cm 

(V.  140  "). 

Das  Nächste,  was  nun  in  Betracht  kommt,  ist  die 
|luldignil|[,  welche  Jesu  vom  Volke  dargebracht  Wird. 
Nach  allen  Berichten  aufser  dem  des  Lukas  bestand  diese 
im  Abhanen  von  Baomsweigen,  welche  man  nach  den  htv 
den  Synoptikern  auf  den  Weg  streute:  nach  Johannes, 
der  nAher  Palmaweige  angibt,  Jesu,  wie  es  scheint,  entge- 
gentrug; ferner  nach  allen  aufser  Johannes  iia  Breiten 
von  lUeidern  auf  den  Weg.  Daeu  kam,  ein  Jubelnder  Zo* 
ruf,  von  welchem  all«  mit  unbedeutenden  Modificationen 
die  Worte;  tvkoyr^fitvog  6  tQxoff^og  iy  oroftcni  KvqIü,  !>«• 
ben,  ferner  alle  aufser  Lukas  das  coocciya^  alle  endlicb  die 
Begrfifgung  als  König  oder  Sohn  Davids.  Hier  ist  ewar 
das  r\)r\]  DC^  K^n  *!jr^  aus  Ps,  118,  26.  eine  gewöhnitehe 
Begrfifeungsformel  fOr  Festbesuchende  gewesen ,  und  auch 
das  dem  vorhergehenden  Verse  desselben  Psalms  entnom* 
mene  )^J  r^jTtJ^^n  war  ein  gewöhnlicher  Ruf  am  Laubhfitten* 

fest  und  am  Pascha  ^^ ;  aber  das  bineugesetste  i^  t ^ 
Javld  und  6  ßaoiltvg  js  ^la^ar^X  seigt ,  dafs  man  jene  all- 
gemeinen Formeln  hier  speciell  auf  Jesum  als  den  Messiaa 
anwandte,   ihn   in   eminentem  Sinne   willkommen  beifsen, 


16)  Diesea  Stillschweigens  dea  vierten  Evangeliaten  wegen  ist 
diessmsl  auch  Nsaaoir  («  a.  O. )  geneigt,  die  M<>gIichl(eU 
einzuräumen ,  data  ein  einfacherer  Hergang  in  Kolge  Her 
unverhältnisamässigen  Bedeutung,  die  man  nachher  hinein- 
gelegt ^  unhislorisch  umgebildet  worden  wäre. 

17j  vgl.  FAUi.ua  z.  d.  St. 


Zehnle»  Kapitel.     (•  108« 

ond  «einen  Dnteroehinen  Glück  wOnschen  wollte*  In  Be« 
treff  der  Subjeole,  weiebe  die  Holdi^ng  darbringen,  bleibt 
Luka«  im  engsten  Kreise  stehen  y  er  knfipft  niKmlieh  das 
Breiten  der  Kleider  auf  den  Weg  (V.  SO.)  an  das  Vorher» 
gehende  so  an,  dafs  ea  scheint,  als  sehrielie  er  es,  wie 
das  Legen  der  Kleider  auf  den  Esisl,  blofs  den  J  fingern  sn, 
wie  er  denn  die  Loblieder  ansdtdoblich  nnr  ünav  %6  nU^- 
^(V  f (Jv  fia9r/twv  anstimnen  Ififst;  Matthäns  und  Markna 
dagegen  lassen  diese  Huldigungen  von  den  begleitenden 
Volksaassen  ansgehen.  Diefs  vereinigt  sich  indessen  leicht; 
denn  wenn  Lubaa  von  dem  ulijO'og  taiy  fiaShpiUv  spricht^ 
10  ist  diefs  der  weitere  Kreis  der  AnbKnger  Jean,  und 
lodrerseits  Ist  der  nhUzog  o/los  bei  Matthäus  doch  nur 
die  Gesammtheit  der  ihm  Vflnstigen  unter  der  Menge. 
Wattrend  nun  aber  die  Synoptiker  innerhalb  der  Grfinsen 
de«  mit  Jesu  reisenden  Festauges  bleiben:  läfst  Johanneoi 
wie  schon  oben  erwfthnt,  die  ganEC  Feierlichkeit  von  sol« 
eben  ausgeben,  die  von  Jerusalem  aus  Jesu  entgegensogen . 
(V.  13.) >  wogegen  dann  die  mit  Jesu  kommende  Menge 
des  Einholenden  die  von  ihm  vollbrachte  Anferweekupg 
J«i  Laaarua  beseugt,  um  d^ren  willen  nach  Johannes  die 
faMiche  Einholung  von  Jerusalem  aus  veranstaltet  war 
(V.  17  f.>  Diesen  Beweggrund  können  wir,  da  wir  die 
Wiederbelebung  des  Lacarus  oben  kritisch  besweifelt  ha« 
beu,  eicht  gelten  lassen;  mit  seinc-m  angeblichen  Grunde 
Aber  wird  auch  das  Factum  der  Einholung  selbst  erschüt- 
tert, cnmal  wenn  wir  bedenken,  wie  die  Wfirde  Jesu  es  nu 
erfordern  aeheinen  konnte,  dafs  ihn  die  Davidsstadt  feier- 
lich eifigeholt  habe ,  und  wie  es  auch  sonst  su  den  Eigen- 
tbAalichkeiten  der  Darstellung  des  vierten  Evangeliuma 
gebort,  f  or  der  Ankunft  Jesu  eu  den  Festen  au  beschrei« 
ben,  wie  aehr  die  Erwartung  desTolks  auf  ihn  gespannt 
war  (7,  11  flF.  11,  50.). 

I>er  lotste  Zug  in  dem  vor  uns  liegenden  fjemälde  ist 
der  Unwille  der  Feinde  Jesu   aber  die  atarke  Anhfioglieh  r 


S16  Zweiter  Abfoholtt. 

keit  des  Volks  an  ihn,  welche  s{ob  bei  dieser  Gelegenheit 
neigte.  Naoh  Johannes  (V.  iO.)  sprachen  die  Pharisfier 
Bu  einander:  da  sehen  wir,  dafs  unser  bisheriges  (icho* 
nendes)  Verfahren  nichts  nOtst ;  alle  Welt  hfingt  ihm  ja 
an  C^v^i^  werden  gewaltsam  einschreiten  müssen)  Nach 
Lukas  CV*  S9  f.)  wandten  sich  einige  Pharisier  an  Jesom 
selbst  mit  dem  Ansinnen ,  seinen  Schfilern  Stillscbwelgen 
aufaulegen;  worauf  er  ihnen  Enr  Antwort  gibt,  wenn 
diese  nicht  rufen,  würden  die  Steine  schreien.  Während 
Lukas  und  Johannes  diefs  noch  auf  dem  Zuge  vor  sich 
geben  lassen ,  ist  es  bei  Matthäus  erst  nachher ,  als  Jesus 
mit  dem  Festzug  im  Tempel  angekommen  war,  und  liie 
Kinder  auch  hier  fortfuhren  ,  Hosianna  dem  Sohne  DaTidi 
SU  rufen ,  dafs  die  Höhenpriester  und  Schriftgelehrten  Je- 
sum  auf  den  Unfug,  wofür  sie  es  hielten,  aofmerkssm 
machten ,  worauf  er  sie  mit  eiuer  Sentenc  aus  Ps.  8,  3. 
Cix  goficcTog  vrjiUov  xal  O-r^la'Conov  xcrrf^(rfiaco  alvov')  zurück- 
weist CV.  15  f.) ;  eine  Sentens ,  die  also  hier ,  uneracbtet 
sie  im  Originale  sich  augenscheinlich  auf  Jehova  besieht, 
auf  Jesum  angewendet  wird«  Die  von  Lukas  an  den  Ein« 
sug  angeknOpfte  Klage  Jesu  über  Jerusalem  Wird  unten 
noch  in  Betrachtung  kommen. 

Unzweideutig  sprechen  Johannes  und  insbesondere  Hat* 
thitts  durch  sein  rJzo  dt  olov  y^yorer,  in:  Tckr^fKoO-ij  x.  r.L 
V.  5.  den  Gedanken  aus,  die  Abbicbt  zunächst  Gottes,  in- 
dem er  diese  Scene  veranstaltete,  dann  aber  auch  des 
Messias  Jesus,  als  Mitwissers  und  Theilnehmers  der  gött- 
lichen Rathschlüsse ,  sei  gewesen,  durch  diese  Gestaltung 
seines  £inzugs  eine  alte  Weissagung  zu  erfüllen.  Wenn 
Jesus  in  der  Stelle    des  Zacharias  9,  9.  ^®),   eine  Weissa- 


18)  So  wie  Matthaus  das  Orakel  anführt,  ist  es  eine  Zutammcn- 
setztuig  einer  jesaianischen  Stelle  mit  der  des  Zacharias. 
Denn  das  tlnare  t/i  dvyar^t  ^wJr  ist  aus  Je«.  62,  II. ;  dai  Wei- 
tere aus  Zach.  9;  9.  «  y<o  die  LXX^  etwas,  abweichend,  hai: 


Zabotes  KipiteL    S*  lOd*  317 

piRf  auf  tieh  als  den  Mesfiaa  sah,  so  kann  dieft  niobt 
ErkenntoU«  des  böberen  Prlncips  In  ibm  gewesen  aein; 
di|  wenn  die  Propbetens teile  anqb  niebt  anf  einen  bisto* 
rbehen  Ffirsten,  wie  Usta  **)  oder  Jobannea  Hyroanns  *^, 
loodem  aof  ein  messianiscbes  Indiridanm  sa  Itesieben 
iic-'),  dieses  wobl  als  frledlioher,  aber  docb  als  weldleber 
Ffirst ,  nnd  swar  im  rnbigen  Besitee  vorf  Jerosalem ,  also 
fSDB  anders  als  Jesns,  gedacht  werden  rnnfs.  Wobl  aber 
leheiiit  Jesus  anf  natfirlicbem  Wege  zu  Jener  Beeiebnng 
hiben  kommen  sn  können,  sofern  wenigstens  die  Rabbinen 
die  Stelle  des  Zacharias  mit  grofser  Uebereinstimmung  auf 
den  Messias  denten  ^).  Namentlich  wissen  wir,  dafs,  weil 
die  unscheinbare  Ankunft ,  welche  hier  vom  Messias  vor- 
bergesagt  war,  im  Widerspruche  an  stehen  schien  mit  der 
giinsenden,  welche  Daniel  ForherFcrkflndigt  hatte,  diefs 
später  dahin  ausgeglichen  su  werden  pflegte,  dafs,  je  nach- 
dem sich  das  jfidische  Volk  würdig  beweisen  wflrde  oder 
nieh^  sein  Messias  in  der  herrlichen  oder  in  der  geringen 
Gutilt  erscheinen  aolle  *')•    War  nun  aaeh  nur  Zeit  Jesu 


2^«  o  ßatfUtvg  09  t^xtrai  tfoi  S^xettoi  X4ä  aviur  ovrof  ir^oo;  uak  hrt^' 
ßißijtaag  ItA  vnoCvytor  xak  nalw  rtcv, 

19)  Htni» ,  über  die  Abfassungszeit  der  Orakel  Zach.  9—14 ,  in 
den  theol.  Stadien,  ISSOy  1,  S.  36  ff.  beiieht  die  Torange- 
benden  Verse  auf  die  Kriegstbaten  dieses  Httnigs ,  also  den 
gegenwärtigen  wohl  auf  seine  friedlichen  Tagenden. 

SO)  Paolvs,  exeg.  Handb.,  3)  a,  S.  121  ff. 

21)  BosiiKMULLBR,  Schöl.  in  V.  T.  7^  4,  S.  274  ff. 

71)  In  der ,  Tbl.  1 ,  §.  l4.  citirten  GardinalsteUe  aus  Midraich 
Goheleth  wird  gleich  Anfangs  das  Zacharianische  pawper  ef 
insidens  asino  auf  den  GM  posiremus  bezogen.  Dieser  Esel 
des  Messias  wurde  sofort  mit  dem  des  Abraham  und  Mose» 
für  identisch  gehalten,  s.  Jalkut  Rubeni  f.  79 1  3.  4.  hei 
ScHÖTTOSir ,  1  y  S.  169 ;  vgl.  Eisinaumojsn ,  entdecktes  Juden  • 
thum,  2,  S.  697  f. 

2S)  Sanhedrin  f.  96,  1.  (bei  WiTSTsnv) :   Dijrtt  I?.  Alexander:  ü. 


\ 


S16  Zweiter  Abschnitt. 

diese  Unterscheidung  noch  nicht  aasgebildet,  sondern  nur 
erst  (Iberhaopt  eine  Besiehong  der  Stelle  Zach.  0^9  aof 
den  Messias:  ao  konnte  doch  Jesus  aioh  etwa  die  Vor- 
stelli^ng  machen,  dafs  Jetzt,  bei  seiner  ersten  Paroila, 
die  Weissagung  des  Zacharias,  einst  aber  bei  seiner 
»weiten  die  des  Daniel  an  ihm  in  BrfAllung  gelieo  mfliie. 
Doch  wire  anch  das  Dritte  möglich,  dafs  entweder  eis 
eufäUiges  Einreiten  Jesu  auf  einem  Ksel  Fon  den  Christeo 
später  auf  diese  Weise  gedeutet,  oder  dafs,  damit  kein 
messianisehes  Attribut  ihm  fehle,  der  ganee  Einsng  frei 
nach  den  beiden  Weisaagungen  und  der  dogmatiscbeR 
Voraussetsung  einea  höheren  Wiasena  in  Jesu  conponirt 
worden  wäre« 


Joiua  f.  Leot  duoius  tnier  äe  coilatis  tocU  tanquam  contra- 
Hit  vistM  oiffecit:  serMtur  Dan.  ly  13/  et  eece  cum  nuMbät 
eoeU  veiui  fiäus  hominis  venit  Et  teribitwr  Zach,  9y  9' 
pangper  et  tnMens  atino.  Verum  haee  duo  ioca  ita  inter  se 
eoncüiari  possunt :  ttempe,  si  Justitia  wa  mereeniur  itreäi' 
tae,  Messias  veniet  cum  nubiinu  coeU:  si  autem  tum  ms- 
roaniur,  veuiet  patq^,  et  vehetur  üsino^ 


Dritter   jibschnitt. 

Die  Geschichte  des  Leidens,  Todes, 
und  der  Auferstehung  Jesu. 


/ 


Erst«!    Kapitel. 

Verhältniss  Jesu  zu,  der  Idee  eines  leiden- 
den and  sterbenden  Messias;  seine  Reden 
von  Tod,  Anferstehnng*  und  Wiederkunft. 


S.    109. 


Ob  Jetut  sein  Leiden  und  seinen  Tod  in  bestimmten  Zügen 

vorhergesagt  habe  ? 

Den  Eirangelien^safolge  hat  Jesos  aeioen  JQngern  mehr 
ils  Einmal,  ood  schon  geraume  Zeit  vor  dem  Erfolge  *), 
foraoügeMgt,  daCs  Ihm  Leiden  und  gewaltsamer  Tod  b«»- 
forstebe.  Und  swar  blieb  er,  wenn  wir  den  synoptischen 
Naohrichten  trauen,  nicht  *  bei  Voranssagnng  dieses  Schick* 
isit  im  Allgemeinen  stehen ,  sondern  bestimmte  den  Ort 
ieioer  Leidens  vorher,  nfimlich  Jerusalem;  die  Zeit  des- 
lelben:  dafs  eben  auf  dieser  Festreise  ihn  sein  Schicksal 
ereilen  wttrde;  die  Subjecte,  von*  welchen  er  an  leiden 
bsben  wttrde  iuQX^^Q^'^y  yQccfifiOieigy  slhi^') ;  die  wesentliche 
Form  seines  Leidens:  Kreneignng  in  Folge  eines  Richter- 
sprucbs;  auch  Mebensfige  sagte  er  voraus:  dafs  es  an  6ei* 
telhieben,  Spott  und  Verspeien  nicht  fehlen  würde  (Matth. 
16,  21.  17,  12.  22  f.  20,  17  ff.  26,  12.  mit  den  Parall., 
Uc«  13,  S3.>  —  Zwischen  den  Synoptikern  und  dem 
Verfasser  dea  vierten  Evangeliums  findet  hier  ein  dreifa- 


1)  Was  er  ganz  in  der  Nähe  des  Erfolgs ,  in  den  letzten  Tagen 
seines  Lebens,  noch  von  einzelnen  Umständen  seinti  Lei* 
dens  vorhersagte,  kann  erst  weiter  unten,  in  der  Geschichte, 
jcaer  Tage,   in  Betrachtung  kommen. 

Oat  Ub9H  Jesu  oie  Aufl.  iL  Band,  21 


322  Dritter  Abschnitt. 

eher  Uoterscbied  statt,   fürs  Erste  und  hauptsfiehiich  1«|. 
ten  bei  dem  LeCEteren  die  Voraussagen  Jesu  nicht  so  klar 
und  deutlich,  sondern  sind  meistens  in  dunliler  Bilderredtf 
vorgetragen,   von  vreichar  der  Berichtersta'tter    weit!  auch 
selbst  gesteht,  dafs  sie  den  J fingern  erst  nach  dem  Erfolg« 
lilar   geworden    sei   (2,    22.).      Aufser    einer   bestimmten 
Aenfserong)    dafs  er  sein  Leben  freiwillig   lassen    werde 
(10,  15  ff.),   spielt  in  diesem  Evangelium  Jesus  auf  seinen 
bevorstehenden  Tod  besonders   gerne  durch  den  Aasdrock 
vipBVy  vt/jäüO-uiy   an,    welcher  zwischen  Erhöhung  an  das 
Krens   und    Eur  Herrlichkeit  schwankt  C^,  14.  8,  28.  12, 
32.),    und  vergleicht  die  ihm  bevorstehende  Hrhöhung  mil 
der  der  ehernen  Schlange  in  der  Wflste  (3,  14),    wie  bei 
Matthfius  sein    Schicksal    mit   dem    des    Jonas    (12,  40); 
dann  spricht  er  auch  von   einem  Weggehen ,    wohin  man 
ihm  nicht  folgen  könne  (7,  33  ff.   8,  21  f.),    wie  beides 
Synoptikern  von  einer  Uinwegnahme  des  Bräutigams,  wel- 
che  seine  Freunde  in  Trauer   versetzen  werde  (Matth.  9, 
15  parall  ),  und  von  einem  Kelche ,  den  er  trinken  müsse, 
und  welchen   mit   ihm   su    theilen   seinen  J fingern  schwer 
fallen  dfirfte  (Mätth.  20,  22    parall.)-     FHefsender,  doch 
immerhin  bemerklich,  sind  die  beideli  andern  Dnter&chiede. 
Einmal,  während    bei  Johannes  die  Hindeutungen  auf  den 
gewaltsamen  Tod  sich  gleichmafäig  von  Anfang   durch  dai 
ganze   Evangelium    hinziehen:   fiiiden    sich   bei    den   Syn* 
optikern      die     wiederholten     bestimmten     Todes  verkfindl* 
gungen  erst  geigen  das  Ende,  th^ils  unmittelbar  vor,  cbeiU 
«uf  der  letsfen  Reise;    in  frühere  Abschnitte  fällt,   aufser 
der  dunkeln  Rede    vom  Zeichen   des' Jonas ,    von   welcher 
wir  bald  sehen  werdien,  dafs  sie  keine  Todesverkfindigong 
ist,   nur  noch  die  Andeutung  einer  (ohne  Zweifel  gewalt- 
samen)   Hinwegnahme    des   Bräutigams.      Endlich,     weon 
den   drei    ersten  Evangelisten    zufolge  Jesus   jene  Vorsus- 
sagongen,  wieder  mit  alleiniger  Ausnahme  der  so  eben  er- 
wähnten   Andeutung,    Matth,  9,  15.,   nur  dem  vertrauten 


Krates  Kupitel.     §.  109.  SSS 

Kmte  der  Zwölfe  mluheilf,    f pvfeht  er  lie   bei  Johannei 
dem  Volk  und  selbst  seinen  Feinden  gegenftber  uns. 

Bei  der  liritisehen  Prifnng  dieser  evengelisohen  Naeb- 
riebten  werden  wir  irom  Speelellen  ran  AllgesMinen  in 
4er  Art  fortsehreiten,  dafs  wir  saerst  fragen:  ist  es  glanb« 
lieb  j  dars  Jesas  so  viele  eineeine  Zflge  des  auf  ihn  war- 
teodeo  Sohiobsala  Toraosgewurst  habe?  hierauf  antersn* 
eben,  ob  fiberhaapt  ein  Voranswissen  nnd  Voranssagen 
leiiiet  Leidens  von  Seiten  Jesn  wahrseheinlioh  sei;  wobei 
dann  der  Untersehied  cwischen  der  synoptischen  nnd  der 
johanneisQhen  Darstellong  von  selbst  Eur  Sprache  kom« 
nen  wird. 

Wie  Jesos  die  eincelnen  Umstünde  seines  Leidens  ond 
Sterbens  so  genau  vorberwissen  lionnte,  davon  gibt  es  eine 
doppelte  ErUirungsweise :  eine  sapranatorale  nnd  eine 
utiiriiehe.  Die  eritere  seheint  ihre  Aufgabe  dnrcb  die 
eijifaebe  Berafong  darauf  lösen  zu  können ,  dafs  vor  dem 
prophetischen  Geiste,  welcher  Jesu  in  höchster  Fülle  in* 
wohnte,  von  Anfang  an  sein  Schicksal  in  allen  eincelnen 
,  Zögen  ausgebreitet  gelegen  haben  mOsse.  üa  indessen  Je* 
so«  selbst  bei  seinen  LeidensverkOndignngen  ausdrücklich 
sich  auf  das  A.  T«  berief,  dessen  Weissagungen  anf  ihn 
in  allen  Stücken  erföllt  werden  mfifsten  (Lac.  18,  31.  vgl. 
22,  37.  24,  25  ff.  Mstth.  26,  54.):  «o  da^f  die  orthodoxe 
Betrachtungsweise  diese  Hülfe  nicht  verschmähen,  sondern 
Bofs  ^er  Sache  die  Wendung  geben,  Jesos  habe,  lebend 
snd  webend  in  den  Weissagungen  des  A.  T. ,  aus  ihnen 
mit  Rolfe  des  ihm  inwohnenden  Geistes  jene  Einzelheiten 
schöpfen  können  ^.  Demnach  milfste  Jesus,  wöhrend  die 
Kondc  von  der  Zeit  seines  Leidens,  soll  er  diese  nicht 
etwa  aus  Daniel  oder  einer  fihnllchen  Quelle  berechnet 
haben,  seinem  prophetischen  Vorgefühl  Oberlassen  bliebe, 
aof  Jerusalem  als  den  Ort  seines  Leidens  nnd  Todes  durch 


2)  v^l.  O&sMAUtBN,  bibl.  Comm.  1,  S.  517. 

21 


324  Drilter  Abschnitt. 

Betrachtung  de»  Schicksals  frfiherer  Propheten  als  Typui 
des  seihigen  in  der  Art  gekommen  sein,  da(s  der  tieist 
ihm  sagte,  wo  so  viele  Propheten,  da  mttsse  naeh  h5iierer 
Consequens  auch  der  Messias  den  Tod  erleiden  (Lae.  13, 
3S.)f  A^^  seinen  Untergang  in  Folge  förmlicher  Verorthei* 
long  mttfste  ihn  etwa  diefs  gefflhrt  haben,  da(s  Jes.  5S,  8. 
von  einem  ftber  den  Knecht  Gottes    verhknften  JSBStü  nnd 

O  r  t    ■ 

V.  12.  davon  die  Rede  ist,  dafs  er  iv  xolg  drofioig  tMr/iül>r^ 
(vgl.  Luc.  22,  37.);  seine  Verurtheilung  durch  die  Obe^ 
sten  des  eigenen  Volks  hätte  er  vielleicht  ans  Ps.  HS,  22. 
geschlossen,  vio  oi  oixoSojiiörreg ,  vrelche  den  Eckstein  ?e^ 
werfen  haben ,  nach  apostolischer  Deutung  (A.  G.  4,  11.) 
die  jtfdi;3clien* Obern  sind;  seine  Uebergabe  an  die  Heideo 
konnte  er  darin  finden ,  daf»  in  mehreren  A.  T.  liehen 
Klageliedern ,  die  sich  messi^nisch  deuten  liofsen,  die  pla- 
genden Snbjecte  als  d^VW^,  d.  h.  als  Heiden,  erscheinen; 

,    dafs  sein  Tod  gerade  der  Kreusestod  sein  wOrde,   könnte 
,    er  tbeils  aus  dem  Typus  der  am  Holz   aufgehängten  eher- 
nen Schlange  4.  Mos.  21,  8  f.  (vgl.  Joh.  3, 14.))  theili  a« 
^.  \     dem  Uurchgraben  der  Hände  und  Fufse  P«.  22,   17.  LXX. 

abgenommen  haben ;    endlich  den  Hohn,  und  die  Mirdhand- 
'  lung  ans  Stellen,    wie  im  angeführten  Psalm  V.  7  ff.  Jes. 

50,  6.  u.  dgh  '  Soll  nun  der  Jesu  inwohnende  Geist,  wel- 
cher ihm  der  orthodoxen  Ansicht  Eufolge  die  Beziehvog 
dieser  Weissagungen  und  Vorbilder  auf  sein  endiicbes 
Schicksal  erliennbar  machte ,  ein  Geist  der  Wahrheit  ge- 
wesen sein :  so  mufs  sich  die  Beziehung  auf  Jesum  aU 
der  wahre  nnd  ursprüngliche  Sinn  jener  A.  T.  liehen  Stel* 
len  nachweisen  lassen.  Um  aber  nur  bei  den  Haupcstelien 
stehen  eu  bleiben ,  so  hat  jetzt  eine  grQiidliche ,  gramma- 
tisch-bistorische  Auslegung  für  Alle,  die  sich  aus  dogmati* 
sehen  Voreussetzungen  hinauszusetzen  im  Stande  sind, 
überzeugend  nachgewiesen,  dafs  In  denselben  nirgends  vom 
Leiden  Christi,   sondern  Jes.  50,  6.  von  'den  Milshandlan- 


Erstea  Kapitel.    $.  109.  ZU 

|eD,  welebe  der  Prophet  su  «rdoMen  hatte  *),  Jei.  5S.  ?on 
den  Drangtelen  des  Prophetensf ande« ,  oder  noch  wahr- 
fcheinltcber  des  israelitifchen  Volkef,  die  Rede  sei  ^) ;  dafe 
Ps.  HS*  von  der  unerwarteten  Rettung  and  Erhöhung  dei 
Volks  oder  eine«  Ffirsten  dessi^iben  gehandelt  werde  *) ; 
so  wie ,  dab  P«.  22.  ein  bedrängter  Exalant  spreche  *) ; 
dsfi  aber  gar  im  I7ten  Verse  dieses  Psalms  von  derKreu- 
rigung  Christi  die  Rede  sei  (da  doch ,  auch  die  nnwahr« 
leheiollchste  Erkifirang  des  ^^3  dureh  perfodei'unt  vor- 
ao9gesefKt,  dieb  in  keinem  Fall  eigentlich,  sondern  nar 
bildlich  SQ  Terstehen,  das  Bild  aber  nicht  von  einer  Kreu« 
tiffimg,  aondern  von  einer  Jagd  oder  einem  Kampfe  mit 
wilden  Thieren  hergenommen  wiire  ')),  diefs  wird  Jetzt  nur 
Doch  von  Solchen  behauptet,  mit  welchen  es  sich  nicht- 
der  Mühe  verlohnt  su  streiten*  Sollte  demnach  Jesus  'auf 
ftbfrnatttrliebe  Weise  vermöge  seiner  höheren  Matur  in 
diesen  Stellen  eine  Vorandentnng  der  einseinen  Zttge  sei- 
nes Leidens  gefunden  haben:  so  wEre^da  eine  solche  Be* 
liehnog  niclit  der  wahre  Sinn  Jener  Stellen  ist,  der  Geist 
in  Jesu  nielit  der  (jeist  der  Wahrheit,  sondern  ein  Lügen* 
geilt  gewesen;  eawird  also  der  orthodoxe  Erkllirer,  sofern 
^r  lieh  nur  dem  Lichte  nnbefangeiier  Auslegung  des  A. 
T.  nicht  verscliliefst,  aus  eigenem  Interesse  eu  der  natffrli* 
efien  Ansicht  bingetrieben,  dafs  nicht  höhere  Ein|rebnng,' 
tondem  eigene  Combination  Jesum  -auf  eine  solche  Ans-^ 
legang  der  A.  T.  liehen  Stellen  und  auf  die  Voraus- 
licht  der  einselDen  ZOge  seines  kfinftigen  Schicksals  ge* 
Ahrt  habe. 


5)  Gnaaios,  Jesaias,  3,  S.  157  ff.;  HinEiOy  Cömm.  v/Jes.  S;  SSO«* 

4)  GaaBRivs,  a.  •a  O.  S«  158  ff. ;  Uituo,  S«  577  ff- ;  VAiiica,  ^ihd. 
Thcol.  1,  S.,||Sff.  .  .  .:  o..  I.   V     » 

5)  Dl  Wbtts, -Gomm.  zu  den  Psalmen,  S.  514  ff.>  5tc  Aufl. 

6)  Dcrt.  ebend.,  S.  224  ff. 

7)  Paulus  ,    weg.  Handb. ,  3,  b,  S.  677  ff.    aiid   db  yftrtE,  z,  d. 
FsaljBstcllf. 


926  Dritter  Abftchuitt. 

Dftfs  es  di«  herrsclien4e  Priester partei  sein  würde, 
der  er  uiiterli^gien  inüfste,  diefi,  kaoti  man  hienach  sagen "), 
uar  leicht  voraosttaseheiiy  da  diecse  theiid  voriEOg lieh  gegen 
Jesacn  erbijbte^'t,  tbells  im  Besitze  der  erforderlichen  Macht 
war^  dafs  sie  Jerusalem  zum  Sobaaplata^  seiner  Verur- 
theilung  und  H^inrichtuug  machen  wOrde,  ebenfalls,  da 
hier  der  Mittelp^nlit  ihrer  SUIrke  war;  dals  er,  von  den 
Oberaten  seines  .Volks  ▼erurtheilt,  den  Römern  cur  Hin* 
rlQhtnng  würde  übergebe»  •  werden ,  folgte  aus  der  damali- 
gen Bekehr Jinkung  der  jüdiscbcn  Qerichtsbarkeit^  daf«  gerade 
d^r  Kreuzestod /Über  ^hn  verhängt  werden  würde,  kpnnte 
vermuthet  ^^den^  di|  diese  Todesart  bei  den  Kömern  na» 
n#ntlicb  gegen  Aufruhrer  verfügt  su  werden  pflegte ;  dtSk 
endlich  Geifdelung  und  Verspottung  nicht  fehlen  würde, 
iiefs  sich  gleichfalls  ans  römischer  Sitte  und  der  Rohheit 
diimaligen  Ueriohtsverfahren^  «om  Voraus  berechnen.  — 
Doch,  genauer  die  Sache  erwogen ,  wie  konnte  denn  Je- 
aus  so  gewifs  wissen,  ob  nicht  flerodes,  der  eine  gefähr- 
liche Aufmerksamkeit  auf  ihn  gerichtet  hatte  (Luc.  13, 
3i.)>  der  Priesterpartei  su vorkommen,  und  su  dem  Morde 
des  Tfinfers  auch  den  meines  b^sdeutenderen  Macbfolgers 
fügen  würde?  Und  wenn  er  auch  gewifs  sein  an  dürfen 
glaubte,  dafa  ihm  nur  von  Seiten  der  Hierarchie  her  wirk- 
liche Gefahr  drohe  (Lue.  13,  S*).)*  ^^i"  veracherte  ibii 
denn,  dafs  nicht  einer  ihrer  tumultnarischen  Mordversuebe 
(vgl.  Job.  8,  59  10,  31*)  doch  endlich,  gelingen ,  und  er 
also,  wie.^  spfit^r  StepbanuSi  ohne  weitere  Förmlichkeit, 
und  ohne  vorgfingige  Ablieferung  an  die  Römer,  seinen 
Tod  auf  gans  andere  Weise,  als-dnrch  die  römische  Strafe 
der  Kreualgoag,  finden  könne?  findlicb,  ^ie  konnte  er  ao 
cuversichtlich  behaupten,  dafs  gerade  der  iifichstB  Anschlag, 
nach  so  vielen  mifslungenen,  seinen  Feinden  glücken,  ond 


B)  t.  ,4|^te  Ansicht  ausgeführt  bei  FKiTSicaa ,    Comm.   ia  Marc, 
p.  $S1  f. 


£rstet  Kapitel.     S«  109.  S27 

ebfn  die  jeUC  bevorstehende  Fettreite  seine  letzte  sein 
Kflrde?  -  Indessen  kann  auch  die  natflrliehe  ErkiSruog 
hier  die  A«  T.  liehen  Stellen  su  Hälfe  nehmen,  und  sagen, 
Je^us  habe,  sei  es  durch  Anwendung  einer  unter  seinen 
Volksgenossen  damals  üblichen  Aoslegungs weise,  oder  von 
eigenfbfimlieben  Ansichten  geleitet,  in  den  schon  angeführ- 
ten Scbrifts teilen  näheren  Auf&clilufs  über  den  Hergang 
l»ei  dem  ihm  als  Messias  bevorstehenden  gewaltsamen  Ende 
gefunden  ^.  Allein  wenn  schon  diefs  schwer  en  beweisen 
leiq  möchte,  dafs  bereits  bu  Lebseiten  Jesu  alle  diese  ver- 
ichiedenen  Stelleo  auf  den  Messias  besogen  worden  seien ; 
dafs  aber  Jesus  selbststfindig ,  vor  dem  Erfolg,  auf  eine 
lotfibe  Besiehnng  gekommen  sei  ,*  ebenso  schwer  denkbar 
it:  go  wire  das  vollends  dem  Wunder  fihnlich ,  wenn  ei- 
ner so  falschen  Deutung  der  Erfolg  wirklich  entsprochen 
haben  sollte:  überdlefs  aber  reichen  die  A.  T. liehen  Ora« 
kel  und  Vorbilder  nicht  einmal  hin^  um  alle  einzelnen 
20ge  in  der  Vorherverkündigung  Jesu,  namentlich  die  ge- 
nsue  Zeitbestimmung,  so  erklliren. 

Kann  somit  Je»us  weder  auf  Obernatürliche  noch  auf 
Dstfirliche  Weise  eine  so  genaue  Vorkenntnifs  der  Art  und 
Weise  seines  Leidens  und  Todes  gehabt  haben :  so  hat  er 
eine  solche  überhaupt  nicht  gehabt,  und  was  ihm  die 
Kvsngelisten  davon  in  den  Mund  legen  j  ist  als  vaiiciniwm, 
post  eventum  ansusehen  ^^).  Hiebei  hat  man  nicht  er- 
mangelt,  den  synoptischen  Berichten  gegenüber  den  johan- 
Beiscben  zu  erheben,  indem  eben  die  specielien  Züge  der 
Voninssaguog,  welche  Jesus  oicht  so  gegeben  haben  kann, 
ttor  bei  den  Synoptikern  sich  finden ,  während  Johannes 
ihm  our  iinbestimmte  Andeutongeo  io  den  Mood  lege,  und 


H)  «.  VnmtCHEy  a.  a,  O. 

10)  Paulus,  exeg.  Handb. ,  2,  S.  415  IT,;    Ammoa-,   bibl.  Throl.  2,    * 
S.  377  f.  ;   R.418BR,  bibl.  Tbeol.,  1,  S.  2 ib.     Auch  Frit«schi, 
I    a.  O.  vind  Wsitss;  J,  S.  423}  r'jiuiiicn  dies»  zum  Tbcil  cia< 


32S  Dritter  Abschnitt. 

von  diesen  seine  nach  dem  Erfolge  geniftchte  Auslegung 
derselben  unterscheide;  som  deutlichen  Beweise ,  dafs  wir 
in  seinem  E?AngeIiom  allein  die  Reden  Jeso  onTerfikcht 
in  ihrer  ursprQnglichen  Gestalt  besitsen  ^^).  Allein  niber 
betrachtet  Terhfilt  es  sich  nicht  so,  dafs  auf  den  Verfaiser 
des  vierten  Evangeliums  nur  die  Schuld  irriger  Deutung 
der  übrigens  unverffilscht  erhaltenen  Aussprüche  Jesa 
fiele,  sondern  an  Einer  Stelle  wenigstens  hat  er,  cwur 
dunkel,  aber  doch  unverkennbar,  die  Vorausbeceicbnung 
seines  Todes  als  Kreuzestodes  ihm  in  den  Mund  gelegt, 
mithin  die  eigenen  Worte  Jesu  nach  dem  Erfolge  verün- 
dort.  Wenn  nfimlich  «Jesus  bei  Johannes  sonst  passivisch 
von  einem  vipojd-ijvai  des  Menschensohns  spricht :  so  konnte 
er  hiemit  ewar  möglicherweise  seine  Erhebung  sur  Herr- 
lichkeit meinen,  wiewohl  diefs  3,  14.  wegen  der  Yergiei- 
chung  mit  der  mosaischen  Schlange,  die  bekanntlich  sn 
einer  Stange  erhöht  worden  ist,  bereits  schwer  ffillt;  aber 
wenn  er  nun  6,  28.  das  Erhöhen  des  Menschensobns  sli 
That  seiner  Feinde  darstellt  (Ikav  vf^dar^re  tov  viov  t.  »)• 
so  konnten  diese  ihn  nicht  unmittelbar  eur  HerrKcbkeit, 
sondern  nur  cum  Kreuz  erheben,  und  Johannes  mufs  siso, 
wenn  unser  obiges  Ergebnifs  gelten  soll,  diesen  Ausdrock 
selbst  gebildet,  oder  doch  die  aramäischen  Worte  Jeso 
schief  übersetzt  haben,  und  er  füllt  daher  mit  den  Synop- 
tikern  im  Wesentlichen  unter  Eine  Kategorie.  Dafs  er  fibri- 
gens  gröfstentheils  das  Bestimmte,  was  eif  sich  dabei  dschte, 
Jesum  in  dunkeln  Ausdrücken  vortragen  liefs ,  diefs  hst 
in  der  ganzen  Manier  dieses  Evangelisten  seinen  Grand, 
dessen  Neigung  cum  Rlithselhaften  und  Mysteriösen  hier 
der  Forderung,  Weissagungen,  die  nicht  verstanden  wer- 
den  waren,  auch  unverständlich  einzurichten,  auf  e^ 
wünschte  Art  entgegenkam. 


11)  Bbhtholdt,  Einleitung  in  d.  N.  T.  S.  1505  ff.;  \Vb«8CHBidir, 
Einlcit.  in  das  Evang.  Johannis,  S.  271  i. 


Erstes  Kupitel.    $.  109.  Sa9 

Jesu  Hilf  diese  Wrise  eine  VorherirerkOndigang  der 
einseinen  Zfige  seines  Leidens ^  namentlich  der  schmacb- 
vollen  Kreocigong)  aas  dem  Erfolge  heraas  in  den  Mond 
SU  legen,  dasa  war  diei  arcbristiiche  Sage  hinlänglich  ver« 
anlaf:it.  Je  mehr  der  gekreuzigte  Christos  ^lisduuni;  fitp 
u/crJa/or,  "Eili^ai  dl  fuoQia  war  (1  Kor.  1,  23.):  desto 
■ehr  that  es  Nofh,  diesen  Anstofs  auf  hIIo  W'eise  hinweg- 
lOdchsffen,  ond  wie  biesa  anter  dem  Machhergesebeheaen 
besonders  die  Auferstehang,  als  gleichsam  die  nachtrug* 
liebe  Aafliebung  jenes  schmacb?ollen  Todes,  diente:  so 
mufste  es  erwünscht  sein ,  jener  anstöfsigen  Katastrophe 
attch  schon  vorlSofig  den  Srachel  so  benehmen,  was 
nicht  besser,  als  durch  eine  solche  in*s  Einzelne  gebende 
Vorherverkflndigong,  geschehen  konnte.  Denn  uie  das 
üiibedeotendste ,  prophetisch  voraas verkfindigt,  durch  sol« 
che  Aufnahme  in  den  Zusammenhang  eines  höheren  Wis- 
sens Bedeutung  gewinnt:  so  hört  das  Sobmihlichste ,  so- 
bald es  als  Moment  eines  göttlichen  Heilplans  vorhergesagt 
wird^  aufj  achmfihllcb  eu  sein ;  und  wenn  dann  vollends 
ebeo  derjenige,  fiber  welchen  es  verhfingt  ist,  eugleich 
den  prophetiachen  Geist  besitzt,  es  voraoseuseben  und  vor- 
aossQsagen :  so  beweist  er  sich,  indem  er  nicht  blofs  leidet, 
sondern  auch  das  göttliche  Wiissen  um  sein  Leiden  ist, 
sli  die  ideale  Macht  über  dasselbe.  Noch  weiter  ist  hierin 
der  vierte  Evangelist  gegangen,  indem  er  es  der  Ehre  Jesu 
schoidig  so  sein  glaubte," ihn  auch  als  die  reale  Macht 
Über  sein  Leiden ,  als  denjenigen ,  welchem  nicht  fremde 
Gewalt  die  V/i;  entreifse,  sondern  der  sie  mit  freiem 
Willen  hingebe,  darzustellen  (10,  17  f.);  eine  Darstellung, 
2u  welcher  flbrigens  Matth.  26,  53. ,  wo  Jesus  die  Mög- 
lichkeit behauptet,  zu  Abwendung  seines  Leidens  den  Va* 
^r  um  Engellegiooen  so  bitten,  bereits  ein  AnsatE  ist. 


SSO  ^  Dritter  Abtobuitt. 


\ 


$.     110. 

Jesu  Todesverkündigung  im  Allgemeinen ;    ibr  Verhältniis  zu  den 
jUditcben  Messiasbegrißen ;  Aussprüche  Jesu  über  den  Zweck 

und  die  AVirkungen  seines  Todes. 

Zieben  wir  auf  diese  Weise  Toii  den  Aeufserongen, 
welche  die  Evangelisten  Jesu  über  sein  berorstebendei 
Schicksal  in  den  Mund  legen,  alles  dasjenige  ab,  was  die 
iifihere  Bestimmtheit  dieser  Katastrophe  betrifft :  so  bleibt 
uns  doch  noch  so  Tiel,  data  Jesus  fiberbaupt  vorber?e^ 
hfindigt  habe,  ihm  stehe  Leiden  und  Tod  bevor,  und  zwar 
insofern  in  den  \,  T.  lieben  Orakeln  dem  Messias  ein  lol 
ches  Schicksal  vorausbestimmt  sei.  Da  nun  aber  die  an- 
gefahrten A.  T.  liehen  Hanptstellcn ,  welche  von  Leiden 
and  Tod  handeln,  nur  mit  Unrecht  auf  den  Messias  bezo- 
gen werden,  und  auch  andere,  wie  Dan.  9,  26,  Zach.  12, 
10,  diese  Beziehung  nicht  haben  ^):  so  werden  sich  wie« 
derum  gerade  die  Orthodoxen  am  meisten  hüten  müssen, 
dem  übernatürlichen  Princip  in  Jesu  eine  so  falsche  l)ea- 
tnng  der  betreffenden  Weissagungen  eueoschreiben.  Dsfs 
statt  dessen  Jesus  möglicherweise  durch  rein  natürliche 
Cumblnation  das  allgemeine  Ergebnifs  herausgebracht  ha- 
ben könnte:  da  er  die  Hierarchie  seines  Volkes  sich  sor 
unversöhnlichen  Feindin  gemacht,  so  habe  er^  sofern  er 
aus  der  Bahn  seines  Berufs  nicht  au  weichen  fest  est* 
schlössen  war,  von  ihrer  Rachsucht  und  Uebei macht  d«s 
Aenfserste  zu  fürehten  (Job.  10,  11  ff.);  ^^^^  ^^  ^^^  ^^® 
Schicksal  früherer  Propheten  (Matth.  5,  12  21,  33  ff.  Loe. 
13,  33  f.),  und  einselneo  dahin  gedeuteten  Weissagungen, 
auch  sich  ein  fthnllches  finde  prognosticiren ,  and  demgs- 
mäfs  den  Seinigen  voraussagen  konnte,  es  stehe  ihm  früher 
oder  spiiter  ein  gewaltsamer  Tod  bevor,  '—'  das  sollte  man 
nichl'-iiiehr  mit  unnöthiger  Ueberspannong   des  aupraoato- 


i)  Daniel,    übersrlzt  und  erklärt  von  Berthoi.dt  ,    2,    S.  hU  ^ 
660  C  j  •RosRNMÜLLÄii,  Schol    in  V.  T.  7,  4,  S.  539  tf- 


£r«tef   Kapitel.    $.  110.  331 

rtltitiicheii  Standponktt  läogneo ,   aoriddrn  der  rationalea 
Betnichtang«wet»e  der  Sache  einrfiumeii  '> 

Es  kaon  auffiillen,  wenn  wir  nach  dleiem  Zugeatlod- 
nifs  noeh  die  Frage  maeheo  j  ob  es  der  N.  T.  lieben  Dar» 
itellung  cufulge  aucb  wahrtclieinlich  sei,  dafs  Jesus  %virk« 
iich  jene  Voranssage  gegeben  habe?  da  ja  eine  ellgemeine 
VorherrerkQndignng  des  gewaltsamen  Todes  das  Mindeste 
Mt,  was  die  eirangeiiscben  Nachrichten  zu  enthalten  schei« 
oen.  Die  Meinnng  mit  dieser  Frage  ist  aber  die,  ob  der 
Krfsig,  namendich  das  Benehmen  der  Jflngcr,  in  den 
Evsogelien  so  beschrieben  werde,  dafs  eine  yoraasgegan* 
gene  Erdffnong  Jean  iber  sein  bevorstehendes  Leiden  da» 
Mit  vereinbar  sei?  Von  den  Jfingern  non  bemerken  die 
Kvsngelisten  aHsdrfiokiieh ,  dafs  sie  in  die  Reden  Jesa  von 
deu  ihm  bevorstehenden  Tode  und  der  Auferstehung  sich 
Bicbt  allein  nicht  haben  finden  können,  in  dem  Sinne,  dafs 
lie  die  Sache  sieh  uiclit  sui  echtsulegen ,  mit  ihren  vorge- 
faCiteu  Messiasbegriflfen  nicht  s«  reimen  wuffl^ten ,  wie  Pe- 
tras,  wenn  er  Jesu  auf  die  erste  Todesverkündigung  hin 
Burief:  iXeiig  ooiy  KvqW  &  firj  i'gu^  ooi  imo  (Matth.  16, 
tl);  sondero ,  wenn  Lukas  das  oi  d^.  i]yv6^  ro  {iijfia  des 
Markos  (9,  32.)  so  weiter  ausführt :  xai  7;v  Tiaouxexalvfi- 
/rtW  uTt  avTwv  ha  fifj  aioO'un'zai  uiio  ißy  45.)>  oder  wenn 
er  ein  andermal  sagt :  xul  avtoi  ödiv  nsrtjv  omi^xaVy  xai 
i,v  10  ^fjua  ruro  xexQriiiidroi'  d/i  avu^iv,  xul  hx  iyivoMJxov 
zff  Isyofiei'a  CiS ,  34.) :  so  tautet  diefs  so ,  als  hätten  die 
Jünger  gar  nicht  verstanden,  wovon  die  Rede  war.  — 
So  trifit  sie  denn  auch  hernach  die  Verurtheiinng  und 
Hinrichtung  Jesu  völlig  unvorbereitet,  und  vernichtet  defs- 
wegen  alle  Hoffnungen,  die  sie  auf  ihn  als  Messias  gesetEt 
kttten  CLue«  24 ,  20  f . :  igavQcouav  avrov  r^fisJg  öi  Tjlm^o- 
//«',  ort  avfog  iqiv  6  /hHJaov  XvtQÖaO^ai  tov  ^laQur^ly  Allein, 


2)  Da  Wbtti,   de  morte  Christi  cxpiatoria,    in  dessen  Opuseuia 
tkeol ,  p.  150  9  Hasb;  L/  J.  ^.  106- 


»t  Dritter  Abschoitt. 

hatte  Jesai  mit  den  Jfingern  lo  gans  nafl^rflUf  (Mare.  8, 
32.)  von  aeineni  Tode  gesprochen,  so  mofsten  sie  leim 
klaren  Worte  und  ansführlichen  Reden  nothwendig  auch 
fasten,  und  hatte  er  ihnen  flberdiefii  seinen  Tod  als  g^ 
gründet  in  den  messianisehen  Weissagungen  des  A.  T, 
mithin  cor  Bestimronng  des  Messias  gehl^rig,  nscbgewie- 
•en  (Loe.  18,  31.  22,  37.)  9  >o  konnten  sie  nach  seinen 
wirklich  erfolgten  Tode  den  Glauben  an  seine  Messianitit 
nicht  so  ganc  verlieren.  Mit  Unrecht  ewar  hat  der  Wol* 
fenbfittler  Fragmentist  in  dem  Benehmen  Jesu,  wie  ea  die 
£rangeli8ten  schildern,  Spuren  auffinden  wollen,  dafs  noch 
Ihm  selbst  sein  Tod  unerwartet  gekommen  sei;  aber,  blofs 
auf  das  Benehmen  der  JOnger  gesehen ,  wird  der  Folge- 
rung ,  welche  er  aieht ,  schwer  aussnweichen  sein :  dub 
nimlich,  nach  demselben  cu  urtheilen,  Jesus  den  Jfingern 
keine  vorlüofige  Alittheilung  Ober  seinen  bevorstehenden 
Tod  gemacht  haben  könne,  sondern  sie  scheinen  bis  sof 
die  letate  Zeit  hinaus  in  diesem  Stttcke  die  gewöhnliche 
Ansicht  gehabt,  und  erst  nachdem  sie  der  Tod  Jesu  uner- 
wartet getroffen,  aus  dem  Erfolge  das  Merkmal  des  Lei- 
dens und  Sterbens  in  ihren  Messiasbegriff  aufgenomoien 
en  haben  ^).  Allerdings  mfissen  wir  hier  das  Dilemmi 
stellen :  entweder  sind  die  Angaben  der  Evangelisten  von 
dem  Nichfverstehen  der  Jfinger  und  ihrer  Ueberrnschon|f 
bei'm  Tode  Jesu  unhistorisch  flbertrieben,  oder  sind  die 
bestimmten  Ausspräche  Jesu  über  den  Ihm  bevorsteheodea 
Tod  ex  eventu  gemacht,  und  selbst  das  wird  sweifelhaft,  ob 
er  auch  nur  im  Allgemeinen  seinen  Tod  als  an  seinem  roessis- 
nischen  Schickssl  gehörig  vorhergesagt  habe.  In  beiden  Hin- 
sichten konnte  die  Ssge  zu  nnbistor Ischen  Darstellungen  ver^ 
anlafst  sein:  zur  Erdichtung  einer  Voraussage  seines  Todes 
im  Allgemeinen  durch  dieselben  (jründe,  welche  oben  als 
otive  geltend  gemacht  worden  sind ,  ihm  die  Vorberver- 


3)  Vom  Zweck  Jesu  und  seiner  Jüngery  S.  114  ff.  153  f- 


l 


Erates  Kapitel.   $•  HO.  Z%% 

kOndtgang  der  einKeliieii  Züge  seines  Leldena  in  den  Mund 
ca  legen;  cur  Ficdon  einet  so  Tölligen  Unverstandes  von 
Seiten  der  Jfinger  aber  lionnte  man  sieh  tbeils  durch  di« 
Neigong  Teranlafst  sehen,  die  Tiefe  des  von  Jesu  eröffne- 
ten Mysteriums  von  einem  leidenden  Messias  mittelst  des 
Nicbtversteheus  der  Jünger  jen  heben,  tbeils  dadurch,  dafa 
■an  in  der  evangelischen  VerlLÜudignng  die  Jünger  vor 
der  Aosgielsnng  des  Geistes  den  eu  belKchrenden  Juden 
and  Heiden  verähnlichte ,  welche  alles  eher,  als  den  Tod 
des  Messias,  begreifen  l&onnten. 

Dm  dieaes  Dilemma  einer  Entscheidung  entgegeosn« 
ffihren,  müsaen  i«ir  suvtirderst  die  danialigeo  Zeitvorstel- 
longen  über  den  Messias  darauf  ansehen,  ob  wohl  daa 
Merkmal  des  Leidens  und  Sterbens  schon  vor  und  unab- 
hingig  von  Jesu  Tod  in  denselben  enthalten  war  oder 
oicht  War  es  schon  au  Lebaeiten  Jesu  jüdische  Vorstel* 
long,  dafa  der  Messias  eines  gewaltsamen  Todea  aterben 
mfisse:  so  hat  es  alle  Wahrscheinlichkeit,  dafa  auch  Jesus 
diese  Vorstellung  in  seine  Ueberzeugung  aufgenommen  und 
leioen  Jüngern  mifgetheilt  habe,  welche  dann  um  so  we* 
aiger  In  diesem  Stücke  so  unbelehrt  bleiben  und  vom 
wirklichen  Erfolge  so  gana  darniedergeschlagen  werden 
konnten;  war  dagegen  jene  Vorstellung  vor  Jesu  Tode 
nicht  unter  seinen  Landsleuten  verbreitet:  so  bleibt  es 
cwar  immer  noch  möglich,  dafs  Jesus  durch  eigenes  Nach* 
denken  auf  dieselbe  kommen  konnte,  aber  eben  so  mög- 
lich ist  dann  vorerst,  dafs  die  Jünger  erst  nach  dfim  Er- 
folg das  Merkmal  des  Leidens  und  Todes  in  ihren  Messias« 
begriff  aufgenommen  haben. 

Die  Frage,  ob  die  Vorstellung  von  einem  leidenden 
ond  sterbenden  Messias  au  Jesu  Zeit  bereits  unter  den  Ja« 
den  verbreitet  gewesen  sei,  gehört  zu  den  schwierigsten, 
und  über  welche  die  Theologen '  noch  am  wenigsten  zum 
Einverständnifs  gekommen  sind.  Und  zwar  liegt  die 
SchHierigkeit  der  Frage  nicht  in  theologischem  Partei  lü- 


SS4  Dritter  Abaolinitt. 

teresse,  fo  Aaü  luaii  hoffen  könnte,  mit  dem  Aofkomnien 
nnperteiischer  Fortchung  werde  «ich  die  Verwicklung  l«% 
een :  da  vielmehr ,  wie  Staüdlin  treffend  nachgewiesen 
hat  ^)j  sowohl  das  orthodoxe  als  das  rationalittlsohe  Inter- 
esse Jedes  auf  beide  Seiten  hintreiben  kann;  wefiiwegen 
wir  denn  auch  anf  beiden  Seiten  Theologen  von  beiden 
Parteien  finden  ^):  sondern  die  Schwierigkeit  der  Sache 
liegt  in  dem  Mangel  an  Nachrichten,  and  in  der  Unsicher* 
heit  derjenigen,  welche  vorhanden  sind.  Wenn  das  alte 
Testament  die  Lehre  von  einem  leidenden  und  sterbenden 
Messias  enthielte ,  so  würde  hieraus  allerdings  mit  mehr 
als  blofser  Wahrscheinliehkeil  folgen  ^  dafs  sie  auch  unter 
den  Juden  zu  Jesu  Zeit  vorhanden  gewesen:  so  hingegen, 
da  nach  den  neuesten  Untersuchungen  wohl  die  Lehre 
von  einer  in  der  messianischen  Zeit  vorsunehmenden  S8h- 
nung  des  Volkes  (Esech.  36,  25.  37,  23.  Zach.  13,  1.  Dan. 
9,  24.)  sieb  im  A.  T.  findet,  aber  keine  Spur  davon,  daf« 
diese  SOhnung  durch  Leiden  und  Tod  des  Messias  au 
Stande  kommen  solle  ^) :  so  ist  von  dieser  Seite  her  keine 
Entscheidung  der  vorgelegten  Frage  ku  erwarten.  M£her 
liegen  der  Zelt  Jesu  die  A.  T.lichien  Apokryphen:  aber 
da  diese  Überhaupt  vom  Messias  schweigen,  ao  kann  t^uch 
von  jenem  speciellen  Zog  im  Bilde   desseiben   keine  Rede 


4)  lieber  den  Zweck  und  d>e  Wirkungen  des  Todes  Jesu,  in  der 
Götlingischen  Bibliothek,  1,  4,  S.  252  ff. 

5)  s.  das  Verzeichniss  bei  db  Wsits,  a.  a.  0.  S.  6  ff.  Die  be- 
deutendsten Stimmen  für  das  Vorhandensein  der  fraglichen 
Vorstellung  schon  zu  Lebzeiten  Jesu  haben  abgegeben  StÄi»- 
LiN  in  der  angef.  Abh.  in  der  Gott.  Biblfoth.  1,  S.  255  0*.  und 
HsK68TSKBKR6,  Christologie  des  ^.  T. ,  1,  a,  S.  270  ff-  K 
S.  290  ff.  ;  für  die  entgegengesetzte  Ansicht  ns  Witts  ,  in 
der  angef.  Abb.,  Opusc.  S.  1  ff. 

6)  Vgl.  DB  Wbttb,  bibl.  Dogm.  §.  201  f. ;  Baumsabtbk-Ciiosic$> 
bibl.  Thcol.    §.  54. 


^ 


Erstes  Kapi  tel.     $.  110. 

sein  ');  $0  wie  auüli  vou  den  beiden  das  fragliche  Zeit-  ^ 
alter  am  nüchsten  berQbrenden  Sehrifutellero ,  Philo  und 
JosephttSy  der  letztere  die  neteianitchen  Hoffnungen  aei- 
ner  Nation  verschweigt^;,  der  eratere  wohl  measlaniache 
Zeiten  and  einen  measiasartigen  Helden,  aber  nichts  von 
eioem  Leiden  desselben  bat  ^).  Ea  bleiben  also  nur  das 
N.  T.  und  dio  spSteren  jfidischen  Schriften  «Is  ttaellen 
fibri^. 

Im  M.  T.  hat  es  fast  dnrchana  das  Ansehen,  als  hätte 
an  einen  leidenden  und  sterbenden  Messias  unter  den- mit 
Jesu  lebenden  Juden  Niemand  gedacht.  Wenn  der  Mehr- 
uhl  dcir  Juden  die  Lehre  vom  gekreuzigten  Messias  ein 
oxui'jaln»  war;  wenn  die  Jfinger  Jesu  in  seine  wiederhol- 
ten deutlichen  Todesverkttndigungen  steh  nicht  finden 
konnten:  so  sieht  diefs  doch  gar  nicht  aus,  als  ob  die 
Lehre  von  einem  leidenden  Messias  unter  den  Juden  je- 
ner Zeit  in  Umlauf  gewesen  wfire;  vielmehr  stimmt  mit 
diesen  Umständen  die  Behauptung  vällig  überein ,  welche 
der  vierte  Evangelist  dem  jüdischen  ox^'oü  in  den  Mund 
legt  (12, 34.) :  sie  haben  aus  dem  ivofdog  gelernt,  ort  o  X(fi' 
?o^'  liivei  €ig  tov  gioiva  ^^).  Doch  eine  allgemeine  Geltung 
der  Idee  dea  leidenden  Messias  unter  den  damaligen  Juden 
behaopten  auch  jene  Theologen  nicht ;  sondern ,  die  Hoff- 
OQng  auf  einen  weltlichen,  endlos  regierenden  Mossims 
US  die  herrschende  einräumend,  halten  sie  nur  daran  fest, 
worin  selbst  der  Wolfenbüttler  Fragmentist  ntit  ihnen  fiber- 
einstimmt ^*) ,    dafs  eine  minder   eahlreiche   Partei ,   nach 


7)  s.  OB  WsTTi,  a.  a.  0.    $.  189  fit. 

8)  Vgl.  ]>|  Warra,  a.  a.  O.    §.   193. 

9)  üiraoRBR,  Philo,  !,  S.  495  Ü". 

10)  Eine  Stelle  aus  dem  eigentlichen  rofio^  möchte  hier  schwer 
zu  finden  sein:  db  Wbitb ,  de  morte,  S.  72.  denkt  an  Jes. 
9,  5.;   LCcKB,  z.  d.  St.  an  Fs.  110>  4.   Dan.  7,  14.  ty  44. 

11)  Vom  Zweck  Jesu  und  seiner  Jünger,  S.  179  f. 


3S6  Dritter  Absohnitt. 

Staudlin  namentlich  die  Essener,   nac^h  Ukngstrnbbrg  d«r 
bessere,    erleuchtetere    Theil    des   Volks     überhaujir,   el- 
nen  solchen  Messias  Angenommen  habe,  m elcher  aunüchit 
in  Niedrigkeit  erscheineni  und  erst  dureh  Leiden  und  Tod 
2or  Herrlichkeit  eingehen  würde.     Hieför  beraft   man  sich 
besonders  auf  ei%ei  Stellen:  eine  aus  dem  dritten,  und  eine 
AUS  dem  vierten  Evangelium.     Wie  Jesus  als  unmflndigei 
Kind  im  Tempel   zu  Jerusalem  "dargestellt  wird,   spricht 
der  greise  Simeon    unter  andern  Weissagungen,   nament- 
lich   ober    den    Widerspruch,     welchen    ihr   Sohn  einst 
finden    werde,    zu   Maria    auch   die    Worte:    xai   ai  d'f 
avii;g  ttjv  ipr^r/v   di^evaetai   (jofjquicc  (Luc.  2,  So.);  w« 
durch  ihr  mfitcerlicher  Schmers    über  den  Tod  ihres  Sob 
nes  beseichnef,  also  die  Ansicht,  dafs  dem  Messias  ein  ge- 
waltsamer Tod  bevorstehe,  als  eine  schon  vor  Christo  vor 
handene  dargestellt   zu    werden    scheint.     Noch  deutlicher 
liegt  die  Idee  von    einem    leidenden  Messias   in   den  Wor- 
ten,   welche  das  vierte  Evangelium  den  Täufer  beim  An 
blick  Jesu  sprechen  Ififal-,   er  sei   o  dftrog  xü  O^eS  6  ai(NA 
ti^v  dji/aQTiav  lü  xoofiu  (1,  29.) r  ein  Ausspruch,'  welcher, 
in  seiner  Beziehung  auf  Jes.  53«,   im  Munde   des  Taufen 
gleichfalls  dafür  sprechen  wflrde,   dafs  die  Vorstellung  ei- 
nes söhnenden  Leidens   des  Messias  schon  vor  Jesu 'Tor 
banden  gewesen  sei.  Allein  beide  Stellen  sind  bereits  oben 
als  unhistorisch  nachgewiesen,  und  es  darf  daraas,  daf«  die 
urchristliche  Sa^e  «geraume   Zeit    nach   dem   Erfolge  sich 
bewogen  fand,    Personen,    welche  sie  für   gottbegei^terte 
hielt,   eine  Vorkenntnifs   des  göttlichen  Rathschlusses  hin- 
sichtlich  des  Todes  Jesu    in   den  Mund  zu  legen,  keines- 
wegs gefolgert  %%  erden,  daf«  wirklich  schon  vor  dem  Tode 
Jesu    diese   Einsicht    vorhanden   gewesen.    —   Scbliefslich 
wird  das  noch  geltend  gemHcht,  dafs  doch  die  Evangelisten 
iind  Apostel  die  Idee  eines  leidenden  und  sterbenden  Mes 
Sias  im  A.  T.  nachweisen ;  woraus  man  schllefsen  zu  d&r- 
fen  glaubt,  dafs  diese  Deutung-  der  betreffenden  A.  T.licfaeu 


Erstes  KaptteJ«    S-  HO.  <S7 

Seellea  ooter  den  Joden  nicht  nnerhörC  gewesen  sei.  Al- 
krdiogs  bernfen  siehPetros  (A.6.  3,  IS.  1.  Petr.  1,  11  f.) 
ood  Paulus  (A.  6.  26,  82  f.  l.Kor.  15,  S.)  anf  IMoses  and 
die  Propheten  als  Verkllndiger  des  Todes  Jesu,  und  Phi- 
lippos deutet  dem  äthiopischen  Eunuchen  die  Stelle  Jes.  53. 
•sf  die  Leiden  Christi  (A.  ti.  S,  35.) :  allein ,  da  die  ge- 
Bannten  Männer  alles  diefs  nach  dem  Brfalge  sprachen 
«nd  schnellen,  so  haben  wir  keine  Sicherheit,  ob  sie  nicht 
aoch  blofs.aus  dem  Erfolge  heraus,  und  ohne  sieb  an  doe 
«nter  ihren  jadischen  Zeitgenossen  fl  bliche  Anslegungs* 
webe  ansuschliersen ,  jenen  A.  T.  liehen  Stellen  eine  Be« 
liebong  auf  das  Leiden  des  Messias  gegeben  haben  ^^. 

Wenn  auf  diese  Weise  die  Annahme,  dafs  die  in  Frage 
•tebende  Idee  schon  an  Jesu  Lebzeiten  anter  seinen  Volke- 
genossen  vorhanden  gewesen  sei,  Im  N.  T.  keinen  festen 
Grand  hat,  so  fragt  sich  Jet£t,  ob  ein  solcher  vielleicht  In 
den  späteren  jfldlscben  Schriften  nn  finden  ist«  Zu  den 
iltesten  uns  fibrigen  Schriften  dieser  Klasse  gehören  die 
beiden  chaidftischen  Paraphrasen  von  Onkelos  and  Jona- 
than, und  voBi  diesen  pflegt  das  Targum  des  let£teren,  der 
rabbinischen  Tradition  zufolge  eines  Schülers  von  Hillel 
d.  i.  "),  fBr  die  Vorstellung  von  einem  leidenden  Messias 
deriwegen  angefahrt  £a  werden,  weil  es  die  Stelle  Jos. 
52,  13  —  53 y  12.  auf  den  Messlas  besieheb  Allein  mit  der 
Aoslegung  dieser  Stelle  im  Targum  Jonathan  hat  es  die 
eigene  JBewnndtnifs,  dafs  dasselbe  awar  den  Abschnitt  im 
Aligeraelnen  messlanisch  deutet,  so  oft  aber  von  Leiden 
snd  Tod  die  Rede  wird,  recht  absichtlich  ond  meistens 
hdehst  gewaltsam  entweder  diese  Begriffe  vermeidet,  oder 
infein  anderes  Subject,  das  Volk  Israel,  ausbeugt:  aum 
deotlichen  Beweise  ^    dafs  dem  Verfasser  Leiden  und  ge- 


12)  s.  Ol  Wim,  de  morle  Chr.  p.  73'  f. 

U)  Vgl.  GsasHics,  Jessiaa,    2.  Tbl.,  S.  66;  an  ^Wana,  linleitung 
in  das  A.  T.  ^.  59.   3te  Autg. 

Hot  leAsn  j€m  Ite  Aufl.  iL  Band.  22 


3»^ 


Dritter  Abschnitt. 


waltsttmer  Tod  mit  dein  Begriff  des  RÜeseias  noTereinbur 
geschienen  «habe^  ^*)«  Doch  dieb  soll  eben  der  Anfang  der 
Abirmng  vom  wahren  Sinne  des  Orakels  sein,  eu  welcher 
die  späteren  Juden  ihr  fleischlicher  Sinn  und  die  Oppo- 
sition  geg^n  das  Christenthum  verleitet  habe:  die  filteren 
Ausleger  haben ,  sagt  man ,  in  der  jesaianischen  Stelle  ei- 
nen leidendeii .  und  sterbenden  Messias  gefunden.  Aller- 
dings beeeugen  Abenesra,  Abarbanel  und  Andre,  manche 
alte  Lehrbr  haben  Jes.  5^  auf  den  Messias  bezogen  '^J: 
allein  einigt  diteer  Angaben  lassen  dunkel,  ob  nicht  eben- 
so blofs.  stftckweise,  v^ie  Jonathan,  und  bei  allen  bleibt 
jBweifelbaft,  ob  die  ErkUrer,  von  denen  sie  sprechen,  aom 
Alter  Jonathan!a  hinaufreichen,  was  ohnehin  von  den  Tbei- 
len  d(^s. Bachs  Sohar,   welche   die   bcEeichnete  Steile  aof 


Wörtliche  übers,  nach  Hitzi»  : 

»  •      .     ■»  •,      ^       ^ 

^  h%y  f4;  Gleichwie  sich  Viele 
vor  ihm  entsetzten,  also 
entstellt  y  nicht  menschlich, 
war  sein  Ansehen,  und  sei- 

'  «e  Gestalt  taicht  die  derMen- 
schenKindef  u.  s.  f. 

53,  4 :  Allein  unsre  Krank- 
heiten er  trug  sie,  und  un 
sere  Schmerzen  lud  er  sich 
auf,  und  wir  achteten  ihn 
geschlagen,  getrolFeavon  Gott, 
und  gequält. 


Targnm  Jonathan: 

Quemadmüdum  per  muHot 
dies  ipsum  exapectäruni 
israe'litae,  quorum  ctm- 
tabuit  inter  gentes  adspeetus 
et  splendor  (et  evanuUJ  e  fiäii 
h&minum  etc. 

idcirco  pro  delictU  nosiHt 
ipse  deprecabitur 9  et  ini- 
quttates  nostraep ropter  eum 
condonabuntur,  licet  not 
reputati  simtut  contusi,  plagU 
affecti  et  afflictL 


Auch  Origenes  erzählt ,  c.  Geis.  1 ,  55 :  wie  ein  l^yo/avoi  jra^ 
^In^aioi:  ao(fHJi  seiner  christlichen  Deutung  der  jesaianischen  Stelle 
Witgegen gehalten  habe:   ravTa  ntn^wftittva^ai  «?  nt^  «»d»  t«  t-i* 

15)  n.  hei  Snaif rrsn« ,  2,  S.  182  f.  ;   EistwÄSKwa ,  entdecktes  Jn- 
denlhum,  2,  S.   758.  *     ' 


Erjtes  Kapitel.    $.  110.  339 

den  leidaoden  Messias  deoten  **),  anwahrscheinlieh  ist. 
Diejenige  Schrift  aber,  welche  neben  Jonathan  noch  am 
nächiten  an  die  Zeit  Jesu  hinanreichen  möchte,  das 
pieodepigraphische  Vierte  Bnch  Esra,  der  wahrscheinlichsten 
Rechnung  snfolge  linrs  nach  der  Zerstörung  Jerusalems 
onter  Titas  ahgefafst  ^') ,  erwähnt  awar  des  Todes  des 
Messias,  aber  nicht  eines  leidensroUen ,  sondern  nur  eines 
solchen ,  wie  er  nach  der  langen  Daner  des  messianischen 
Reichs  der  allgemeinen  Anferstehnng  vorangehen  sollte  ^^. 
Die  Vorstellung  von  groben  Drangsalen  allerdings,  welche 
gleichssm  als  tiebnrtswehen  des  Messlas  OTtTün  wSHy  vgl. 
ao//;  lüdivorv  Matth.  24,  8.)  ^^^  messianischen  Zeit  voran* 
gehen  würden,  ist  ohne  Zweifel  schon  vor  Christo  verbrei« 
tet  gewesen  *') ,  und  ebenso  frfihe  scheint  an  die  Spitae 
dieser,  besonders  das  Volk  Israel  bedrängenden  Oebel  der 
ortiXQi^og  gestellt  worden  au  sein,  welchen  der  XQigog  an 
bekämpfen  haben  würde  (2  Thess.  2,  3  flF.)  ^^:  aber,  in- 
dem er  denselben  auf  übernatürliche  Weise,  t([}  Ttvei^iun 
vi  zoiiaios  avzSj  vernichten  sollte,  so  war  hierin  noch 
kein  Leiden  fiQr  den  Messias  enthalten.  Dennoch  finden 
sich  Stelleu ,  in  welchen  von  einem  Leiden  des  Messias, 
snd  £war  von  einem  stellvertretenden  für  das  Volk,  die 
Rede  ist  >^) ;  allein  theils  ist  diefs  nur  ein  Leiden ,  kein 
Sterben  des  Messias;  theils  triflPt  es  denselben  entweder 
vor  seiner  Herabkunft  in  das/ Irdische  Leben,  in  seiner 
Präexistens  2^,   oder  in  der  Verborgenheit,  in  welcher  w 


16)  bei  ScmUttmh,  2,  S.  J81  f. 

17)  Dl  Witts,  de  morte  Chr.  expiatoris,  a.  s.  O.  S.  50. 

18)  Cap.  7,  29. 

19)  ScHÖTT^Bif ,  2,  S.  509  ff.  y  Schmidt  ,  Christologische  Fragmen- 
te,  in  seiner  Bibliothek,  i  ,  S.  24  ff.  ^  Biatholot,  Ghristol. 
Jud.  $.  13. 

30)  SciiBUDT,  a.  a.  O. ;   Bbhtuoldt,  a.  a.  O.  §.  16. 
3t)  Pesikta  in  Abkath  Rochel,  hei  Schmidt,  S.  47  1. 
32)  Sobar,  P.  2,  S5,  2.,  bei  Schmidt,  S,  kS  f. 


940  Driffer  Abtebnirt. 

•ich  von  seiner  Gebart  bis  £a  seinem  messisntschen  Aof 
tritt  hfilt^'),  theils  ist  das  Alter  dieser  Vorstellnngen  Bw<>b 
felbaft,  nnd  sie  kdnnten  nach  einigen  Sparen  erst  von  der 
Zerstörung  des  jüdischen  Staats  durch  Titas  sich  so  da- 
tiren  scheinen  '*).  Indessen  fehlt  es  in  jOdifichen  Schriften 
keineswegs  an  Stellen,  in  iwelchen  geradeso  behauptet 
wird,  dafs  ein  Messias  anf  gewaltsame  Weise  omliomnen 
werde:  ailein  diese  betreflfen  nicht  den  eigentlichen  Me^ 
•ias,  den  Abkömmling  Davids,  sondern  einen  andern,  soi 
der  Nachkommenschaft  Josephs  and  Ephraims,  welcher 
dem  ersteren  in  antergeordneterStellung  beigegeben  wurde. 
Dieser  Messlas  ben  Joseph  sollte  dem  Messias  ben  Dattd 
vorangehen,  die  zehn  Stumme  des  ehemaligen  Reichs  l«rsel 
mit  den  swei  Stämmen  des  Reichs  Jnda  vereinigen ,  hie^ 
auf  aber  im  Kriege  gegen  Gog  and  Magog  durch  du 
Schwert  umkommen,  worauf  die  Stelle  Zach.  12,  10.  be- 
sogen  wurde  ^^>  Doch  von  diesem  swelten ,  sterbenden 
Messias  fehlen  vor  der  babylonischen  Gemara ,  welche  im 
5ten  und  6ten  Jahrhundert  nach  Christo  gesammelt  ist, 
nnd  dem  in  Beaug  auf  sein  Alfer  höchst  Bweifelhaften  Bn- 
che  Sohar,  die  sicheren  Spuren  -% 

So  wenig  es  hienach  sich  nachweisen  läfst,  oder  aueh 
aar  wahrscheinlich  gefunden  werden  kann,  dafs  die  Vor- 
stellung eines  leidenden  und  sterbenden  Messias  bu  Jen 
Zeit  schon  unter  seinen  Volksgenossen  vorhunden  gewesen: 
so   bleibt  doch   nicht   blofs   an  sich   möglich,   dafs  Jesat 


33)  Gemara  Sanhedrin  f.  98 ,  1.  bei  di  Wbttb,  de  morte  Chr., 
p.  95  f.  f  und  bei  Hkkgstixbbrg,  S.  292. 

24)  Sohar,  P.  2,  f.  82,  2.  bei  db  Wkttb  ,  S.  94 :  Cum  IsrailitM 
essent  in  terra  sancta,  per  ctiitus  religiosos  et  sacrificia  quoM 
fadebant,  omnes  iäos  morbos  et  poeruu  e  mundo  MustuUnmif 
nunc  vero  Messias  debet  auferre  eas  ab  hanUnibus» 

US)  «•  Bbrtroldt,  a.  a.  0.  ^.  17. 

26)  DB  WbttB;  de  morte  Chr.  p.  112.    vgl.  55  ff. 


Erstes  KapiteL    S-  U^  *^l 

«■eh  ohne  solchen  Vorgang,  ans  sieh  selbst  faerans,  doreh 
Beobachtong  der  Verhältnisse  und  Vergleiehung  d<;rselbeM 
mit  A.  T.  liehen  Weissagongen,  auf  den  Gedanken  gekom- 
nen  fein  kann,  es  gehd/*e  Bor  Bestimmong  ond  dem  Amte 
dei  Messias   Leiden    und  Sterben;    sondern   wir  werden 
aoeb  doreh   die  Erwägung   seines  Planes  nnd  Verfahrens 
auf  diese  Annahme  fast    mit   Nothwendigkeit  hingeffihrt 
Hafte  er,  wfe  gehörigen  Orts  bewiesen  worden,  sieh  selbst 
nit  Bestimmtheit  als  Messias  gefafst,   nnd  Bwar  so,  'dafs 
er  die  sinnlich  politische  Messiasidee  seiner  Landsleote  für 
iich  voUstfindig  fiberwunden  und  vergeistigt  hatte :  so  ISfst 
•iuh  die  Zorflckhaltung  mit  den  Erklärungen  seiner  Mes- 
lianitat,  so   wie  die  sparsamen  Winke   Bur  Berichtigung 
der  irdischen  Messiashoft'nungen  seiner  Jdnger,  nur  daraus 
erklären,  dafs  er  seinem  gewaltsamen  Tode,  als  dem  ^hat« 
iiohlichen  und  kräftigsten  Correctiv  dieser  Irrthflmer,  ent- 
^^gensähm    lUtte  er  nun   freilich  diese  Voraussicht  mit  so 
Hdrren  und  ausführlichen  Worten,  wie  die  Synoptiker  er- 
sShlen,   seinen  Jüngern  mitgetheilt,  so  wfirde  ihr  haif 
Dückiges  Nichtverstehen  und  ihr  Benehmen  nach  dem  Ein« 
tritte  des  Erfolges  nicht  su  begreifen  sein;  wogegen  kurce 
und  dunkle  Andeutungen   eines   ihren  MessiasbegriflTen  so 
durchaus  entgegenlaufenden  Schicksals  ihnen  eher  unrer« 
stündlich  bleiben   konnten.     In   diesem   Betrachte  scheint 
"Qn,  wie  schon  oben  erwähnt  worden  ist,  der  Ruhm  der 
richtigeren  nnd  genaueren  Darstellung   dem   vierten  Eran- 
getiam  BUBufallen.    Allein  sind  seine  Todesrerkfindigungen 
glf^ich   für   die   Hörenden   unbestimmt  genug:  $o   sind  sie 
doch  für  den  Sprechenden,  ffir  Jesus,  bu  bestimmt,  da  cum 
Behufe   deraelben ,    wie  gleichfalls  schon   bemerkt ,   Jesus 
«einen  Tod    bestimmt    in  Form   der  Kreuaigung    Foraosge« 
lehen  hallen  mfifste;    so   dafs  vielmehr  die  Synoptiker  ne- 
ben den    gemachten     ansfQhrlichen    Vorhersagen    sugleich 
die  ursprflnglicben    kuraen   oder  bildliehen  Winke  aufbe- 
^▼•hrt  haben ,   mit    welchen  Jesus  auf  seinen  bevorstehen- 


349  Dritier  Abaehoitt.    . 

den  JTod  hinwies,  in  Stellen  wie  Matth.  '9,  15:  orcrr 
a;caQd^fj  aji  atkfoy  6  vvfAffiog  x.  x.  A.;  Luc,  13,  32:  ich 
wirke  noch  heute  und  morgen,  xai  %rj  TQiir]  rUtisuai' 
7i?^/jv  —  öx  ivdiyerai  TtQOcpr^upf  dnoUad-at  i%io  %Qoaah'jft\ 
endlich  in  der  Parabel  von  den  rebellischen  Weingfirtnern, 
welche  aufser  den  Knechten  auch  den  Sohn  ihres  Herrui 
der  offenbar  den  Messias,  Jesus,  selbst  bedeutet,  erscbli- 
gen  CMatth.  21,  3S.> 

Auch  in  Besog  auf  die  Aeufserungen  Jesu  aber  den 
Zweck  und  die  Wirkungen  seines  Todes  können  wir,  wie 
oben  .bei  der  Vorherverkfindigung  des  Todes  selbst ,  einen 
mehr  natürlichen  Gesichtspunkt  von  einem  mehr  suprsni- 
turalistischen  unterscheiden.  Wenp  Jesus  im  vierten  Evan- 
gelinm  sich  mit  dem  treuen  Hirten  vergleicht,  der  für  seine 
Schafe  das  Leben  lasse  (10,  11.  15.):  eo  kann  diefs  den 
gans  natürlichen  Sinn  haben,  dafs  er  von  seinem  Hirten* 
und  Lehramte  nicht  au  weichen  gesonnen  sei,  sollte  noch 
in  Führung  desselben  der  Tod  ihm  drohen  (moraÜMhe 
Nothwendigkeit  seines  Todes)  *7) ;  der  ahnungsvolle  Ans« 
Spruch  in  demselben  Evangelium  (12,  24.),  wenn  das  Wai- 
senkorn nicht  in  die  Erde  fallend  ersterbe,  bleibe  es  ein- 
sam, ersterbe  es  aber,  so  bringe  es  viele  Frucht,  Ififst  eine 
ebenso  rationelle  Erklärung  von  der  siegenden  Kraft  jedes 
Blfirtyrertods  für  eine  Idee  und  Deberzeogung  eu  (mora* 
iische  Wirksamkeit  seines  Todes)  ^^);  endlich,  was  sich 
in  den  johanneisehen  Abschiedsreden  so  oft  wiederholt,  es 
sei  den  Jüngern  gut,  dafs  Jesus  hingehe,  denn  ohne  seinen 
Hingang  könnte  der  TtaQaxlr/tog  nicht  an  ihnen  kommen, 
der  ihn  in  ihnen  verklären,  und  sie  in  alle  Wahrheit  leiten 
werde,  darin  könnte  man  die  gans  natürliche  Ueberlegang 
Jesu  finden ,  dafs  ohne  die  Aufhebung  seiner  sinnlichen 
tiegenwart  die  bis  dahin  noch  so  sinnlichen  messianiscben 


27)  Hasb,  I^.  J.  $.  108. 

28)  Ders.  cbcndaa. 


Erstet  KapiteL    $.  110.  S48 

VonteliniigeD  seioer  Jünger  Dioht  vergdbtlgt  vv^rden  wlfr^ 
den  (psyohoiogiiche  Wirksamkeit  teinef  TodeO ''>.  Mehr 
der  tupranetaralistischen  Betnicbtangsweise  gehört  dasje- 
nige an,  was  JesQs  bei  der  Stiftung  des  AbendttaUs -spricht« 
Denn  wenn  zvrar  das,  was  die  mittlaren  firaogelisten  ihi| 
klebst  sagen  lassen ,  dafs  das  dargereichte  .  noti^ov  rö 
Qi^u  ti^^  xamjg  itud^rpcr^i;  (Maro.  14,  24)^  r^  y.aivjlj  dtadtpoi 
iv  uft  uijuccTi  aiVj  (Lue.  22,  20.)  9  '«^  nur  so  Fiel  an  be* 
deoten  scheinen  könnte:  wie  durch  die  blutigen  Opfer  am 
Sinai  der  Bund  des  alten  Volkes  mit  Gott,  so  werde  durch 
•ein,  des  Messias,  Blut  in  höherer  Weise  der  Bund  der  neuen 
um  Ihn  steh  sammelnden  Gemeinde  besiegelt:  so  verschmilst 
hingegen  in  dem  Berichte  des  Matthius,  wenn  er  (26,  26») 
Jeium  hinaosetzen  Iftfst,  sein  Blut  werde  rergossen  ffl^ 
Viele  eig  arp^aiv  aftaQiu^fVy  die  Vorstellung  des  Bunde»» 
Opfers  mit  der  Ton  einem  Sfihnopfer,  vnd  auch  bM  den 
beiden  andern  ist  durch  den  Zusats:  ro  ae(fi  nolkoßv  oder 
vniQ  i\ii^  £x;rtTo^6vov,  über  das  blofse  Bondesopfer  aum 
Sohnopfer  hinausge|j[angen«  Wenn  ferner  im  ersten  KtsO)* 
^elium  (20,  2S*)  Jesus  sagt,  er  mflsse  davai  tt^  ^pv^r/v 
Olli  XvTQcfv  ani  no'Ü.wri  so  ist  diefs  ohne  Zwelftl  auf 
Jes.  53.  rn  beafehen ,  wo ,  nach  einer ,  dem  HebrXer  auch 
«onst  geläufigen  Vorstellung  (Jes.  43,  3.  Fror«  21,  18.), 
dem  Tode  des  Knechtes  Jehova  s  eine  sfihnende  Bealehnng 
iof  die  fibrige  Menschheit  gegeben  wirf^. 

Hienach  könnte  Jesus  durch  psychologische  Reflexion 
dsrauf  gekommen  sein , '  wie  autrXglich  der  geistigen  £nt* 
Wicklung  seiner  Jünger,  wie  nnerläfsilch  sur  Vergeisti- 
gung ihrer  Messiasrorstellnngen ,  eine  solche  Katastrophe 
sein  werde,  und  nationalen  Vorstellungen  gemfifs  mit  Be- 
rOeksiehtigong  A.  T.  lieber  Stellen  seihst*  auf  die  Idee  ei< 
ner  sühnenden  Kraft  seines  messianischen  Todes.  Indessen 
könnte  doch   namentlieh  das,    was   die  Synoptiker  Jesum' 


39)  Der»,  rbendaü.  und  f.  109. 


144  'Dritter  Abschnitt. 

TOD  meinem  Tod  aIi  Sobnopfer  SAgen  luMeoi  mehr  dea 
nach  Jeso  Tode  aosgebildeten  System  anzogehören,  ond 
WM  der  vierte  Erangelist  ihm  Über  die  Beeiehung  teinei 
Todes  Bom  ParalLlet  in  den. Mond  legt,  ex  evemtu  gesagt 
SU  sein  scheinen;  so  dafs  auch  bei  diesen  Aossprttcbeo 
Jesn  lli>er  den  Zweck  seines  Todes  eine  Sonderung  d« 
Allgemeinen  vom  Speciellen  vorgenommen  werd^  müfsla. 

S.    111. 

Bestinimtä  Au$$ppüche  Jesu  über  seine  künftige  Auferstehung. 

Mit  nicht  minder  klaren  Worten  als  seinen  Tod  und 
mit  einer  besonders  genauen  Zeitbestimmung^  bat  den  evsn- 
geUschen  Nachrichten  sufolge  Jesus  auch  seine  Auferste- 
hung vorauaverkflndigt.  So  oft  er  seinea  JOngero  sagte» 
des  Menschen  Solm  werde  am  Kreuse  getödtet  werden, 
setate  er  hinan:  x(4  'tji  '^Qi'^f!  ^M^Q^  dvagi^aeTai,  oder  t^fq 
^r;aevai  (Matth.  16,  21.  17,  23.  20^  19.  parall.  vgl  17,9* 
26,  32.  paralL)« 

Aber  auch  von  dieser  Vorherverkfindignng  heifst  es, 
die  Jünger  haben  sie  nicht  gefaf^t;  so  wenig,  dafs  sie  so< 
gar  miteinander  stritten ,  ti  igi  i6  ix  vtxQciv  crivrc^c» 
(Marc.  9,  10.);  und  gemfifs  diesem  Nichtverstehen  seigen 
sie  sofort  nach  dem  Tode  Jesu  keine  Spur  einer  Erinne- 
rung, dafs  ihnen  ein  auf  das  Sterben  folgendes  Aafersteben 
Jesn  vorhergesagt  war,  keinen  Funken  von  Hoffnung,  dafs 
diese  Zusage  in  firffillang  gehen  werde.  Als  die  Freonde 
den  vom  Kreua  abgenommenen  Leichnam  in  das  Grab  ge- 
legt hatten ,  nahmen  sie  (Job.  19,  40.)  —  oder  behielten 
sich  die  Frauen  (Marc.  16,  1.  Luc.  23,  56)  —  die  Efai- 
balsamirnng  vor,  was  man  doch  nur  bei  einem  solcben 
thut,  welchen  man  als  eine  Beute  der  Verwesung  betrach- 
tet ;  als  an  dem  Morgen,  welcher  nach  N.  T.  lieber  JRecb- 
nung  den  voransbestimmten  Anferstehungstag  eröffnete,  die 
Frauen  snm  6ral>e  ginoen  ^  dachten  sie  so  wenig  an  eine 


Erstes  KapitsU    S,  111.  S4S 

rorbeifessgte  Aoferstehang ,  dafs  ihnen  die  rermutliliche 
Schwierigkeit,  den  Stein  Tom  Grabe  so  wXisen,  Besorg« 
mfa  machte  (Uare.  16|  3.) ;  als  Maria  Magdalena  and  spft« 
ter  Petras  das  Grab  ieer  fanden,  hXtte  ihr  erster  Gedanke 
seio  mfisten,  dafs  non  die  Aaferatehang  wirklich  erfolgt 
Ml,  wenn  eine  solche  voraasgesagt  war:  statt  dessen  rer* 
nothet.Jene,  der  Leichnam  mdehte  gestohlen  sein  C^ob* 
SO}  2.)}  Petras  aber  ^erwandert  sich  blofs,  ohne  aaf  eine 
bsitimmte  Vermathong  na  kommen  (Lac.  24,  12.);  als 
die  Weiber  den  Jüngern  von  der  gehabten  Engeierschel- 
flung  sagten^  und  sich  des  Aoftrags  der  Engel  entiedigten, 
hielten  die  Jflnger  ihre  Aossage  theils.  fQr  leeres  Ge- 
icbwfitB  Q,r^ixis  Lue«  24,  11-)  9  theils  wurden  sie  an  schre- 
ckenToUem  Erstaanen  erregt  Ci^igr^accv  t^f-iag,  Lno.  24,  21  ff.) ; 
ils  Maria  Magdalena,  ond  hernach  die  Emmanntischen  Jfln- 
ger, die  Eiife  versicherten ,  den  Auferstandenen  selbst  ge- 
•ehen  au  haben,  schenkten  sie  auch  dieser  Aassage  keinen 
Glauben  (Marc.  10,  11.  13»),  wie  später  Thomas  sogar 
der  Yersichemng  seiner  Mitapostel  nicht  (Job,  20 ,  25.) ; 
endlich,  als  Jesus  selbst  in  GalilSa  den  Jüngern  erschien, 
giben  noch  nicht  alle  den  Zweifel  auf  (ot  de  idlgaaaVf 
Marc.  28,  17  )•  Diefs  alles  mufs  man  wohl  mit  dem  Wol- 
fenblittler  Fragmentisten  ^)  unbegreiflich  finden,  wenn 
Jesus  seine  Auferstehung  so  klar  und  bestimmt  vorherge» 
lagt  hatte. 

Zwar,  wie  das  Benehmen  der  Jünger  nach  Jesu  Tod 
gegen  eine  solche  von  Jesu  gegebene  Voraussage  spricht, 
•0  scheint  das  seiner  Feinde  dafür  an  sprechen.  Ueno 
dsb  nachHlatth.  27,  62  ff.  die  Hohenpriester  und  Phari- 
sfier  an  das  Grab  Jesu  sich  von  Pilatus  eine  Wache  e^- 
bitten ,  hat  nach  ihrer  eigenen  Erklärung  darin  seinen 
Grund,  dab  Jesus  bei  seinem  Leben  noch  gssagt    habeo 


1)  s.  dessen  belebte  und  schlagende  Ausführung,  vom  Zweck 
a.  s.  f.  S.  131  ff.  Vgl.  ai  Wsns;  eaeg.-  Handb.,  1^  1?  S.  141. 


SM  Dritter  Ab«ohnitt. 

sollte :  /uezii  T(wg  ^^liQccg  iyeiQO/nai.^  Allein  diese  Eriih* 
loog  des  ersten  Evangelinms,  dje  wir  erst  ooten  ofiber 
wflrdigen  können ,  encscheidet  noch  nichts,  sondern  tritt 
nor  auf  die  eine  Seit«  des  Dilemffla)  so  dafs  wir  nun  •§• 
gen  müssen :  wenn  die  Jfinger  nach  dem  Tode  Jeso  sich 
wirblieh  so  benahmen,  dann  bann  weder  er  seine  Aufer- 
alehnng  bestimmt  vorhergesagt,  noch  können  die  Juden 
aus  Rflcbsiobt  anf  eine  solche  Vorheri^erkfindigvng  eine 
Wache  an  sein  Grab  bestellt  haben ;  oder ,  wenn  die  bei- 
den letsteren  Angaben  richtig  sind,  bönnen  die  JOoger 
sieh  nicht  so  benommen  haiien. 

Die  Schfirfe  dieses  Dilemma  hat  man  dadorch  abia* 
stumpfen  versacht,  dafs  man  den  oben  angefflhrten  Vo^ 
herverkUndigungen  nicht  den  eigentlichen  Sinn  einer  Wie- 
derkehr des  gestorbenen  Jesa  aus  dem  Grabe,'  sondern  nor 
den  aneigentlichen  eines  neaen  Aufschwungs  seiner  an- 
terdrflckten  Lehre  und  Sache  unterlegte^.  Wie  dieA.T.- 
lichen  Propheten,  ^nrde  gesagt,  die  Wiederherstellung 
des  israelitischen  Volks  bu  neuem  Wohlergehen  unter  dem 
Bild  einer  Auferstehung  der  Todten  darstellen  (Jes.  26, 
19.  £sech.  37.);  wie  sie  die  kurae  Frist,  innerhalb  wel- 
cher unter  gewissen  Bedingungen  diese  Wendung  der  Dioge 
SU  erwarten  wäre,  durch  den  Ausdrnck  bezeichnen,  in 
Bwei  bis  drei  Tagen  werde  Jehova  das  Geschlagene  auf- 
richten ,  und  das  Getödtete  wiederbeleben  (Hos.  6,  2.  % 
eine  Zeitangabe,  welche  auch  Jesus  unbestimmt  fBr  eine 
kurze  Zeit  gebrauche  (Luc.  13,  32.):  so  wolle  er  mit  dem 
Ausdrnck,  er  werde  nach  seinem  Tode  rij  TQkfi  9/u^o^ 
a^'Lczi^^vaiy  nichts  Anderes  sagen,  als,  wenn  auch  erder 
Gewalt    seiner  Feinde  unterliegen   und    getödtet   werden 


2)  So  namentlich  Herder,  vom  Erlöser  der  Menschen,  S.  133  ff* 
Vgl,  KuiivöL,  Comm.  in  Matth.  p.  444  f. 


Erstes  Kapitel..  '$•  111.  347 

iolIt6|  so  werde  das  von  ihm  begonnene  Werk  doch'nieht 
untergeben  9  sondern  in  liuraer  Zeit  einen  neoen  Aof« 
•cbweng  nehmen.  Diese  von  Jesu  blofs  bildlich  gemein» 
tan  Redensarten  haben  die  Apostel ,  nachdem  Jesos  leib- 
lieh  auferstanden  v^ar,  eigentlich  genommen,  nnd  fflr  Weis- 
Mgongen  anf  seine  persönliche  Wiederbelebung  ftpgese^ 
hen.  Dafs  nun  in  den  angeffihrten  Prophetens teilen  das 
iTI]<  D^  nnd  pj^TI  nar    den  angegebenen  tropischen  Sinn 

habe,  ist  richtig;  aber  in  Stellen,  deren  gancer  Zusammen- 
hang tropbch  ist,  and  wo  namentlich  das  dem  Wiederbeleben 
forsngegangene  Schlagen  tfkid  Tödten  selbst  nor  einen 
iigarlichen  Sinn  hatte»  Dafs  dagegen  hier,  wo  die  ganze 
forhergehende  Reihe  >on  Ausdrücken :  das  naQaSldoad'ai^ 
xaroxQivea&aij  gavQoa&ai,  anoxrslvead'ai  u.  s.  f.,  eigentlich 
in  nehmen  war,  auf  Einmal  mit  dem  iyeq^fjyai  und  orva- 
c^'tti  eine  uneigentliche  Bedeutung  eintreten  sollte,  würde 
doch  ein  unerhdrter  Absprung  sein ;  dessen  nicfit  au  ge- 
denken, dafs  Stellen,  wie  Matth.  26,  32,  wo  Jesus  sagt: 
/ifTtt  ro  iyeQd^ai  fte  nQod^o)  vfiäg  Big  rr^v  raXikaUxv ,  nur 
bei  der  eigentlichen  Bedeutung  des  iyfiQea&ai  einen  Sinn 
haben.  In  diesem  Zusammenhange  von  lauter  eigentlich 
and  wUrtlieh  zu  nehmenden  Bestimmungen  fehlt  dann 
aaeh  jede  Berechtigung  nnd  selbst  Veranlassung',  die  bei- 
gefttgte  Zeitbestimmung  anders  als  gleichfalls  eigentlich 
and  in  ihrem  bestimmten  Wortsinn  aafznfassen.  Hat  also 
Jesos  wirklich  die  Ausdrücke,  und  in  dem  Zusammenhange 
geBraucht ,  wie  die  Evangelisten  sie  ihm  in  den  Mund  le* 
gen,  so  kann  er  durch  dieselben  nicht  blof:«  uneigentlich 
den  baldigen  Sieg  seiner  Sache  haben  verkündigen  wollen, 
•ondem  seine  Meinung  mufs  die  gewesen  sein,  er  selbst 
werde  drei  Tage  nach  seinem  gewaltsamen  Tod  aufs  Neue 
in  das  Leben  zurückkehren  *)• 


h)  Vgl.  ScsKiNO,  einige  Bcmerliungcn  Über  die  Frage ,  ob  Jesus 


.TIS  Dritter  Abtohnltt. 

Da  jedoch  Jesus,  dem  Benehmen  seiner  Jünger  puk 
seinem  Tode  enfolge ,  seine  Auferstehung  nicht  mit  deat- 
lieben  Worten  rorhenrerkOndigt  haben  liann:  so  habes 
sieh  andere  Ausleger  bu  der  Einräumung  verstanden ,  dis 
Evangelisten  haben  den  Reden  Jesu  nach  dem  Erfolge  eloe 
Bestimmtheit  gegeben,  welohe  sie  in  Jesu  Munde  noch 
nicht  gehabt  haben ;  sie  haben  das,  was  Jesus  bildlich  tob 
Aufschwung  ^seiner  Sache  nadi  seinem  Tode  gesagt  habsi 
nicht  blofs  eigentlich  verstanden,  sondern  es  dieser  AaSat> 
sung  gemäfs  auch  so  umgeformt,  dafs,  wie  wir  es  jetsc 
leseh,  wir  es  allerdings  eigentlich  verstehen  müssen*). 
Doch  nicht  alle  betreffenden  Reden  Jesu  seien  auf  diese 
Weise  verändert,  sondern  hie  und  da  auch  noch  seine  ur- 
sprünglichen Ausdrücke  stehen  geblieben, 

$•     112. 

Bildliche  "Reden,  in 'welchen  Je$U8  seine  Auferstehung  vorher- 

verkündigt  haben  soll. 

Schon  SU  Anfang  seiner  öffentlichen  Wirksamkeit  bat 
dem  vierten  Evangelium  siifolge  Jesus  die  ihm  feindlich 
geainnten  Juden  in  bildlicher  Itede  auf  seine  künftige  Aof- 
erstebung  hingewiesen  (2,  19  ff.)*  Nachdem  wfthrend  sei- 
nes ersten  messianischen  Festbesuchs  der  Marktunfug  In 
Tempel  ihn  eu  jenem  Schritte  heiligen  Eifers  beivogm 
hatte,  von  welchem  oben  die  Rede  gewesen ,  und  wie  non 
die  Juden  ihn  um  ein  Zeichen  angingen,  durch  weichet 
er  sich  als  einen  Gottgesandten  legitimiren  sollte,  der  isr 
Vornahme  solcher  Gewaltmaftfegeln  BefogoiCs  hätte,  giht 
ihnen  Jesus  die  Antwort:  kvaceie  zov  vam*  tSinw^  xal  iv 
t(iiatv  ijfiBQaig  iyeQcS  avtov.  Die  Juden  nahmen  diese  Wor- 
te in  dem  Sinne,   welcher,   da  sie  im  Tempel  gesproobea 


seine  Auferstehung  kestimmt   vorhergesagt  habe?   in  Furr'i 
Magazin,  7,  S.  203  ff. 
i)  rAVLOs^  ä.  a.  O.  2f  S.  415  ff  j  Hass;  L.  J.  ^.  109. 


Erste«  KapiteL     f..  llf.  ^49 

wordaiiy  mm  niehsten  lug,  ond  bieilen  Jeso  entgegpn.  dpf« 
er  dieMO  Tempel,  £a  dessen  Bao  man  46  Jalire  gebraocht 
habe,  wohl  schwerlioh  ,  wenn  er  serstdrt  wire ,  in  3  Ta* 
geo  wieder  an&nriehten  Im  Stande  sein  dfirfte;  aber  der 
Ersngelist  belehrt  uits,  diefs  sei  nicht  die  Meinung  Jes« 
gewesen,  sondern  dieser  habe,  wie  übrigens  den  JQngeru 
erst  nach  seiner  Änferstebnng  klar  geworden  sei,  ron  dem 
faog  TS  oo}ftixtog:  uvrs  geredet,  d.  h.  also  dnreh  das  Abb re- 
eheo  und  Wiederaofbaoen  des  Tempels  auf  seinen  Tod 
«nd  seine  Auferstehung  hingedeutet.  Gibt  man  hiebel 
•neb  au,  was  indessen  gemfifsigte  Ausleger  Ifiugnen  %  dafs 
Jesus  die  Joden  mit  ihrer  Forderung  eines  gegenwärtigen 
Zeiebens  (wie  er  es  auch  Matth.  ü,  39  B.  gethan  haben 
loll)  f&glich  auf  seine  einstige  Auferstehung,  als  das 
gröfste  und  namentlich  fttr  seine  Feinde  besehfimendste 
Wunder  in  seiner  Oesehichte,  hai>e  rerweisen  können  :  so 
sioff te  diese  Hinweisung  doch  von  der  Art  sein ,  dals  sie 
oöglicherweise  rerstanden  werden  konnte  (wie  Matth«  a.  d. 
s.  Steile  Jesum  gana  unumwunden  sich  erkliren  läfst).  So 
hingegen,  wie  wir  hier  den  Ausspruch  Jesu  haben,  konnte 
er,  als  ihn  Jesus  that,  unmöglich  in  diesem  Sinne  begriffen 
werden.  Denn  wer  im  Tempel  yon  der  Zerstörung  dieses 
Tempels  spricht,  dessen  Rede  wird  Jedermann  auf  eben 
eUiTempelgebSuda,  in  welchem  er  sich  befindet,  beaieben. 
El  mfifste  denn  Jesus,  als  er  das  roy  vaov  türov  sprach, 
mit  dem  Finger  auf  seinen  Leib  gewiesen  haben;  was 
SBch  die  Freunde  dieser  Krkllrung  meistens  vorausseteen  ^. 
Allein  ffir'a  Erste  sagt  der  Evangelist  Ton  einer  solchen 
Gebird«  nfchts,  uneraehtet  es  in  seinem  Interesse  lag,  ssur 
DnterstfltEung  seiner  Deutung  dieselbe  hervorsn heben.  F(ir'« 
Andere  hat  Gabler  mit  Recht  darauf  aufmerksam  gemacht, 
wie  matt  und  schaal  es  gewesen  w£re,  einer  Rede,    wel- 


1)  f.  B.  Lvcxa,  i,  S.  426 ;  Tgl.  dagegen  Tboivsk  x.  d.  St. 

2)  t.  THOtvsv,  a.  s.  O. 


3A0  Dritter  Absobnitt. 

che  nach  Allem,  \Ta»  in  ihr  Wort,  also  Logfschet,  wtr, 
sieh  aaf  das  Tempelgebftode  besog,  darob  einen  bloCien 
Zosats  von  Mimischem  eine  gans  audere  Beeiehnng  eq  ge- 
ben. Hat  sich  aber  Jesus  dieser  Hfllfe  bedient,  so  konnte 
sein  Fingerseig  nicht  unbemerkt  bleiben ;  es  mnfsten  die 
Juden  eher  dardber  mit  ihm  rechten,  wie  er  mn  den 
Uebermnthe  komme,  seinen  Leib  vaog  eu  nennen;  oder 
wenn  auch  diefs  nicht,  so  konnten  doch  in  Folge  jener 
Action  die  Jdnger  nieht  bis  nach  der  Auferstehung  Jesu 
fiber  den  Sinn  seiner  Rede  im  Dunkeln  bleiben  *). 

Darch  diese  Schwierigkeiten  fand  sich  die  nenere 
Exegese  gedrungen,  die  johannelsche  Auslegung  der  Wor- 
te Jesu  als  eine  ex  eventu  gemachte  Umdeutnng  zu  rer- 
lAssen,  und  zu  versuchen,  unabhängig  von  der  Erkläronj; 
des  Evangelisten  in  den  Sinn  der  räthsel haften  Rede  ein- 
zudringen, welche  er  Jesu  in  den  Mund  legt  *).  Der  Auf 
fassung  der  Juden,  weiche  die  Worte  Jesu  auf  ein  wirk- 
liches Abbrechen  und  Wiederaufbauen  des  Nationaiheilig- 
thums  bezogen,  kann  man  nicht  beistimmen  wollen,  oboe 
Jesu  gegen  seinen  sonstigen  Charakter  eine  in*s  Ungeheure 
getriebene  leere  Grofssprecherei  zuzuschreiben.  Siebt 
man  sich  defsviegen  nach  einem  irgendwie  uneigentlicben 
Verstände  des  Ausspruchs  um,  so  begegnet  man  in  dea- 
selben  Evangelium  zuerst  der  Stelle  4 ,  21  ff. ,  wo  Jeisi 
der  Samariterin  verkündigt,  es  komme  nichstens  die  Zeit, 
wo  man  nicht  mehr  ausschtiefslich  iv  ^QoaokvfiOig  den 
Vater  anbeten,  sondern  ihn  als  Geist  geistig  verehren  wer- 


3)  HsMKS,  Joannes  «postolus  nonnuUorum  Jesu  apophthegmattin 
in  cvang.  iiio  et  ipae  interpres.  In  Fott^i  und  RursaTi'i 
Sylloge  Comm.  theol.  1,  S.  9;  Gablbr,  Recention  des  Hfx^ 
KX^schen  Programms  im  neuesten  tbeol.  Journali  2,  1|  S.  S8j 
LUcKB  z.  d.  St. 

4)  So ,  ausser  Hbnkb  im  angcf.  Programm ,  Hsrdbr  ,  von  Gottes 
Sohn  nach  Johannes  E%'ang. ,  S.  135  f.;  Paulus,  Comm.  4, 
S.  165  f.  L.  J.  1,  a,  S.  173  C.  J  Locke  und  »x  Wansi.  <i.  5t. 


Erstes  Kapitel.     $.  112.  351 

de.    Eine  Abstellung  des  vermeintlich  allein  gültigen  1*eni« 
peicultas  so  Jemsalem  liömite  das  Xvuv  des  vaog  aneb  \h 
onierer  Stelle   arspriinglich  bedeotet   haben.     Diese  Aaf- 
fssiong  wird  dnreb  eine  Erafthlnng  der  Apostelgeschichte, 
6,  14.,  bestfltigt.    Stephanas,  welcher,  wie  es  scheint,  den 
in  Frage  stehenden  Aussprach  Jesu  adoptirt  hatte,  worde 
TOD  seinen   Ankligem   beschnldigt,    geändert  nn   haben^ 
iVi  ^frflng  6  Na^o}Qu7og   5tog  xceralvaei  tov  tcmov  rSrov,  xat 
ada^Bi  ta  sO'f^^  a  naQedcjxe  Mowaijs,  wo  demnach  als  Folge 
des  Tempelabbmohs  eine  Aeiidemng  der  mosaischen  Reli« 
gionsverfassung ,   ohne  Zweifel   eine  Vergeistignng  dersel- 
ben, beaeicbnet   wird.    Dann  kommt   noch  eine  Stelle  in 
den  synoptiachen   Evangelien«     Dieselben  Worte   beinahe, 
welche  bei  Johannes  Jesus   selbst   ausspricht,  kommen  in 
den  swei  eisten   Evangelien   (Matth.  26,  60  f.   Marc.  14, 
57  f.)  als  Anklage  falscher   Zeugen   gegen   ihn  vor,   und 
hier  bat  Markus  den  Zusats ,  dafs  er  den  abEubrechenden 
CO«;  als  x^'QOTEOifjfiog  9  den  von  Jesus  neu  sn  bauenden  als 
uUOi;  9   dxuijon:oirjog  bcEeichnet ,    was  derselbe  Gegensatz 
Ton  sinnlicher  und   geistiger  Rellgionsverfassung   zu  sein 
scheint.     Demgemfifs   l&fst  sich  nun  auch  die  johanneische 
Stelle  so  erklären :   das  ist  das  Stichen  meiner  Vollmacht 
tnr  Tempelreinigung ,   dais    ich  Im    Stande   bin ,    an   die 
Stelle    des    mosaischen    Ceremonialdieostes    in    kürzester 
Frist  einen  neuen ,  geistigen  Gottesdienst  zu  setzen ;   d.  h. 
ich  bin  zur  fleformation  des  Alten   berechtigt,  sofern  ich 
sar  Stiftung  eines  Neuen   bef&higt   bin.    Hiegegen  ist  das 
swar  eine  unbedeutende  Einwendung,   dafs   bei  Johannes 
Dicht  wie   bei  den   Synoptikern   das   Subjeot   gewechselt, 
und  der  neu  zu  erbauende  vaog  als  aAA(x;,  sondern  durch 
cirrog  als  derselbe  mit  dem  zerstörten  bezeichnet  werde'); 
d«  Ja  die   christliche   Religionsverfassung    im    VerbMltnifa 
cur  jadischen  ganz   ebenso   wie    der  auferstandene   Leib 


)'i 


5)  Sroim,  in  FLA'rr^s  Magazin,  4,  S.  199. 


Dritter  Absebnitt. 

Jesa  im  VerhXltnira  mn  dem  gestorbenen  towohl  all  iden- 
tisch gefafst  werden  konnte  wie  als  verschieden:  sofern 
beidemaie  die  Sabstans  dieselbe  bleiben ,  das  vergSoglichs 
Beiwerk  aber  wegfallen  sollte.  Gefährlicher  dagegen  iit 
.  die  andere  Einwendung ,  die  sieh  an  die  Zeitbestimmiing, 
iv  TQtalv  TjfiiQatg,  knfipft.  Dafs  diese  nfimlich  auch  nage* 
naa  and  sprfich wörtlich^  in  der  Bedeutung  einer  knrsen 
Zeit  Oberhaupt,  vorkomme,  wird  durch  die  beiden  Stellen, 
anf  welche  man  sieh  dafür  beruft,  nicht  hiniänglich  e^ 
wiesen;  da  in  denselben  der  dritte  Tag  durch  Zossm- 
menstell«ing    mit   dem    sweiten    und    ersten    (Hos.  6,   2: 

'*B^Wn  DV3  O.'^O;  Luc.  13^  32:  ai^/n€QW  xal  avQioif  xcu  r?; 

TQltrj)  als  blofs  relative  und  ungetthre  Zeitbestimmung  sn- 
gekdndigt  ist,  wogegen  sein  Alleinstehen  in  unserer  Stell« 
eine  absolute  und  genaue  Zeitangabe  verspricht  *). 

So  von  beiden  Erblfirungen  in  gleicher  Weise  enge- 
sogen  und  abgestofsen  ^),  flüchten  sich  die  Theologen  tu 
einem  Doppelsinne,  welcher  entweder  c wischen  der  johan- 
neischen  und  der  snletat  dargelegten  symbolischen  ^,  oder 
cwischen  der  johanneischen  Deutung  und  der  JOdischeo 
die  Mitte  htflt  ^ ;  so  daCs  Jesus  entweder  Eugleich  von 
seinem  £u  tödtenden  und  wieder  eu  belebenden  Leibe  nnd 
von  der  dadurch  hauptsXchllch  vermittelten  Dmgestalrung 
der  Jüdischen  Religion  gesprochen ;  oder ,  um  die  Juden 
abzuweisen,  sie  cum  Abbrechen  ihres  wirklichen  Tenipel*i 
als  EU  etwas  Unmöglichem,  aufgefordert,  und  unter  dieser 
nie  eintreflenden  Bedingung  sich  Eom  Bau  eines  andern 
erboten  haben  soll ,  so  Jedoch ,  dafs   neben  diesem  osten- 


6)  Tholuck  und  Olbhausih,  e.  d.  St. 

7)  Wesswegen  Nkakdih  zwischen  beiden   unentschieden  in  d«r 
Schwebe  bleibt,  S.  395  f. 

8)  So  Kbrk,  die  Hauptthatsscbea  der  evang.  Geesh.    TUb.  Zii>- 
ichrift  18S6,  1,  S.  129. 

9)  So  (HsHAOsax. 


^       Erstes  Kapitel.     §.    11*2.  35S 

fibeln  Sinne  fttr  die  Menge  noch  ein  verborgener  herging, 
der  den  JOngern  erst  nach  der  Auferstehnng  klar  wurde, 
nach  welchem  vaog  den  Leib  Jesa  beseichnete.  Allein 
Jene  an  die  Joden  geriohtete  AniForderong  sammt  dem 
darangehXngten  Brbieten  wfire  ein  unwürdiger  Mothwille, 
die  darin  verborgene  Andeutong  ffir  die  Jdnger  eine  nats- 
lose  Spielerei  gewesen  y  und  äberhanpt  ist  ein  Doppelsinn  ^ 
der  einen  oder  andern,  Art  in  der  Rede  eines  verst&ndigen 
Menschen  unerhört  *^.  Oa  man  auf  diese  Welse  an  der 
ErkISrbarkeit  der  johanneischen  Stelle  gana  versweifeln 
möchte,  so  beruft  sich  der  Verfasser  der  Probabilien  dar- 
auf,  dafs  die  Synoptiker  die  Zeugen,  welche  vor  Gericht 
behaopteten,  Jesus  habe  Jenen  Ausspruch  gethan,  als  tpav- 
i0ftd(nvQag  bcEeichnen;  woraus  er  folgert,  dafs  Jesus  so 
etwas,  wie  Johannes  ihn  hier  sprechen  lasse,  gar  nicht 
getagt  habe,  und  sich  somit  einer  Erklfirnng  der  Johan- 
seitchen  Stelle  Hberhebt,  indem  er  sie  als  ein  Pigment  des 
fierten  Evangelisten  betrachtet,  welcher  die  Verlänmdung 
jener  Ankläger  sowohl  erklfiren,  als  durch  eine  mystische 
Deotung  der  Worte  Jesu  habe  abwenden  wollen  ")•  AI* 
lein  theils  folgt  ans  der  synoptischen  Beeeiohnung  Jenef 
Zeogen  als  falscher  nicht ,  da(s  der  Ansicht  Jener  £vange* 
Baten  Eufolge  Jesus  gar  nichts  von  dem,  wessen  sie  ihn 
besehnidigten ,  gesagt  habe ,  da  er  es  ja  auch  nur  etwas 
anders  gesagt  O-vaccre  nicht  Avacu),  oder  anders  gemeint 
baben  kann  (figflriioh,  nicht  eigentlich);  theils  ist,  wenn 
er  gar  nichts  der  Art  gesagt  haben  soll,  schwer  un  erklfi- 
ren ,  wie  die  falschen  Zeugen  auf  jene  Aussage ,  und  na- 
mentlich auf  das  sonderbare  iv  tgiaiv  i^/digaig^  gekommen 
fein  sollen. 


iO)  Kbah  sagt  wohl,   es  finde  sich  Aehnlicket  auch  in  anderwei- 
tigen Gebieten  bedeutsamer  Rede ; '  aber   ein  Beispiel  aniu- 
führen  enthält  er  sich. 
11}  Frobahil.  p.  23  ff. 
i)a#  Leben  Jejtu  ^te  Äu0,  II.  Bund.  23 


354  Dritter  Abschnitt. 

Wenn  hienaoh  bei  jeder  Deotnng  des  Aossprachsi  «oi- 
ser  bei  der  anmöglicben  aaf  den  Leib  Jeso ,  des  iv  %Qia\v 
fjfiiQais  einen  Anstofs  bildet:  so  liönnte  man  mn  der  schon 
erwähnten  Ercihlang  der  Apostelgeschichte  die  Zoflocbt 
nehmen,  sofern  in  dieser  Jene  Zeitbestimmnng  fehlt  Hier 
wird  nftmlioh  Stephanas  nur  besehnidigt,  gesagt  so  haben, 
CTi  y.  0  Na^.  atog  xazalvaei  %w  ronov  raroi*  (Tor  aYiov)f 
xal  aUA^ei  ta  tO-ij  ix  naQidioxe  Miavaijg.  Das  Falsche  an 
dieser  Aassage  —  denn  auch  die  Zengen  gegen  Stepbanui 
werden  als  fjaQTVQeg  \pev5tig  beaeichnet  -  könnte  der 
*  Bweite  Sata  aein,  welcher  mit  eigentlichen  Worten  roo 
einer  Aenderung  der  mosaischen  Religionsverfassnng  spricht, 
and  statt  dessen  Stephanas  and  frflher  Jesas  wohl  in  der 
oben  ansgefOhrten  figfirlicben  Bedentong  gesagt  haben: 
xai  nahif  oUodo^jau  \ — aio)  amovj  oder  xai  ullov  {dxei^ 
fiolr^TOv)  (Hxodoftijaei  ( — auf)» 

Indessen  diese  Auskunft  ist  nicht  einmal  nöthig,  sofern 
die  Schwierigkeit  der  Worte :  iv  TQiali^  i^/tdQaig  nicht  an- 
fiberwindlich  ist  Wie  die  Zahl  3  nicht  blofs  in  Verhin- 
dang  mit  2  oder  4  (SprOohw.  30,  15.  18.  21.  29.  Sir.  23, 
21.  26|  25.),  sondern  auch  för  sich  allein  (Sir.  25,  1.  1) 
sprttchwörtlich  gebraaclit  wird,  so  konnte  der  Aasdruck: 
in  drei  Tagen,  war  er  einmal  in  Verbindung  mit  dem  svrei* 
ten  und  ersten  Tage  als  nngefiShre  Zeitbestimmung  g^ 
bräuchlich  geworden,  sofort  wolil  auch  fUr  sich  in  dem« 
selben  Sinne  verwendet  werden.  Ob  der  Aasdrnck  eine 
längere  oder  kflrzere  Zeit  andenten  sollte,  kam  dann  aof 
den  Zusammenhang  an:  hier,  im  tiegensatae  gegen  die  Be- 
schaffenheit eines  grofsen  and  kunstvollen  Gebfiades,  sa 
dessen  wirklichem,  natarlichem  Aufbau,  wie  auch  die  Ju- 
den alsbald  bemerklich  machen,  eine  lange  Reihe  von  Jah- 
ren erforderlich  war,  kann  Jener  Ausdruck  nur  als  Be- 
Eeiobnung   der   kfi^sesten  Zeit  genommen  werden  ^^*  — 

12)  Vgl.  Nkakdbr,  y.  396.  Anm. 


Erstes  Kapitel.     {.  112.  355 

Eine  VoraoMage,  oder  aach   tiar  Andeatang  der  Anfer» 
itehuog  ist  mithin  in  diesen  Worten  nieht  enthalten. 

Wie  hier  durch  das  Bild  vom  abnubreehenden  und 
aea  anfanbauenden  Tempel,  so  soll  Jesus  l>ei  einer  andern 
Gelegenheit  doreh  das  Vorbild  des  Propheten  Jonas  auf 
Mioe  Auferstehung  im  Voraus  hingedeutet  haben  (Matth. 
12,  )9  flE.  vgL  16  9  4.  Lue.  11,  29  ff.)-  Ala  die  Sehrifcge- 
lehrten  und  Pharisäer  ein  ar^ftiToy  von  ihm  cn  sehen  vor- 
langten,  soll  Jesus  ihr  Ansinnen  dnrch  die  Erwiederung 
snHieligewiesen  haben,  dals  einer  so  schlimmen  yevia  kein 
Zeichen  gegeben  werde,  als  to  arjfiäloif  ^I(ava  %S  nQoq)rjaj 
welches  in  der  ersten  Stelle  bei  Matthfius  Jesus  selbst  dahin 
erUirt :  Vf ie  Jonas  drei  Tage  und  drei  Nfiehte  iv  rf]  nouJif 
TS  rijft^dQ  gewesen  sei ,  so  werde  auch  des  Menschen  Sohn 
drei  Tage  und  drei  Nichte  er  tj;  xaQÖl^  Trjg  yijg  subringen. 
An  der  'nweiten  Stelle,  wo  DIatthftua  Jesu  diesen  Ausspruch 
leiht,  wiederholt  er  die  angegebene  Deutung  nicht;  Lulias 
aber  in  der  Parallelstelle  erklärt  denselben  nur  so:  xaStig 
/a^  iyheto  tiavccs  (njfieiay  vdig  Nivevtzaigj  ik(og  tgai  xal  6  vlog 
^i  av^q(onö  %j]  yeve^  tavnj*  Gegen  die  Möglichkeit,  dafs 
Jeias  die  Ajislegung  des  Jonasseichens ,  welche  ihm  Mat- 
thlos,  V.40.,  in  den  Mund  legt,  selbst  gegeben  habe,  läfst 
dch  Verschiedenes  einwenden.  Das  nwar,  dafs  Jesus  von 
drei  Tagen  und  drei  Nftehten,  welche  er  im  Hernen  der 
Erde  subringen  werde,  defswegen  nicht  hal>e  sprechen 
kdnnen,  well  er  nur  einen  Tag  und  swei  Nftchte  im  Grabe 
pwesen  «ei  "),  wird  sich  schwerlich  entgegenhalten  las- 
sen, da  der  N.  T.  liehe  Sprachgebrauch  entschieden  die 
Eigenheit  hat,"  den  Aufenthalt  Jesu  im  Grabe,  weil  er  den 
Tag  Tor  dem  Sabbat  dnrch  den  Al>end,  und  den  nach  dem 
Sabbat  durch  den  Morgen  noch  berdhrte,  einen  dreitfigi- 
gen  SU  nennen ;  wurde  aber  einmal  dieser  Eine  Tag  sammt 
cirei  fliehten  fOr  drei  ToUe  Tage  genommen ,  so  war  es 

13)  Pahuw,  «Mg.  Haadb.  a%  d.  St. 


S56  Dritter  Abschnitt. 

Dor  eine  Umsohreibong  dieses  Voliseins ,  da(s  sn  den  Ta- 
gen auch  noch  die  Nächte  gesetzt  wurden,  was  sich  ohae- 
hin  in  der  Vergieichnng  mit  den  drei  Tagen  and  Nichten 
des  Jonas  von  selbst  ergab  ^*)  .  Dagegen  wäre  es,  wenn 
Jesus  von  dem  ar^fitiov  Icovü  die  Erklärung  vortrug,  wel- 
che ihm  Matthäus  leiht,  eine  so  klare  Voraussagung  seiner 
Auferstehung  gewesen ,  dafs  aus  denselben  Gründen,  wel- 
che nach  dem  Obigen  den  eigentlichen  Vorausverköndl- 
gnngen .  derselben  entgegenstehen ,  Jesus  auch  diese  i£rkl£- 
rang  nicht  gegeben  haben  kann.  Jedenfalls  mufste  sie  die 
nach  V.  49.  anwesenden  Jünger  su  einer  Frage  an  Jesum 
veranlassen ;  wo  sich  dann  nicht  einsehen  läf^t,  warum  er 
ihnen  die  Sache  nicht  vollends  klar  gemacht ,  also  mit  ei- 
gentlichen Worten  seine  Auferstehung  vorherverkündigt 
haben  sollte.  Kann  er  aber  diefs  nicht  gethan  haben,  weil 
sonst  die  Jünger  nach  seinem  Tode  sich  nicb(  so  benom- 
men haben  könntep ,  wie  sie  steh  den  evangelischen  Kacb* 
richten  zufolge  benahmen :  so  kann  er  auch  nicht  dareb 
Jene  Vergleichong  des  ihm  bevorstehenden  Schicksalt  mit 
dem  des  Jonas  eine  Frage  der  Jünger  hervorgerufen  ha- 
ben, welche  er,  wenn  sie  an  ihn  gestellt  wurde,  auch  be- 
antworten mafste,  aber  dem  Erfolge  nach  nicht  beantwo^ 
tet  haben  kann. 

Aas  diesen  Gründen  hat  sich  die  neuere  Kritik  dsbin 
ausgesprochen,  dafs  die  Matthäische  Erklärung  des  ar^fiiioif 
^Iwivä  eine  post  eventum  vom  Evangelisten  gemachte  Dea- 
tang  sei,  welche  er  fälschlich  Jeso  in  den  Mund  lege'')* 
Wohl  hat  hienach  Jesus  die  Pharisäer  auf  das  ar^fiiic» 
*(<avä  verwiesen;  aber  nur  in  dem  Sinne,  ift  welchem  ei 
Lukas  ihn  erklären  lälat:   dafs,  wie  Jonas   selbst,  seine 


14)  Vgl.  Fritzschb  und  Olshausin,  z.  d.  St. 

15)  Paulos,  exeg.  Handb.  2,  S.  97  ff. ',  Schulz,  ttber  das  Abend»* 
S.  317  f.;  Da  Wbtti,  exeg.  Handb.,  1,  i,  S.  119  f.  Vgl- 
Nkakdsa,  L.  J.  Chr.,  S.  266. 


S 


Erstes  Kapitel     $.112.  557 

Uofse  Gegenwart  und   seine   Bufspredigt,   ohne  Wander, 
den  MlneTiten  als  göttliches  Zeichen  genügt  habe:  so  auch 
seine  Zeitgenossen,  statt  nach  WqitderBeiehen  sa  haseben, 
fieh  sn  seiner  Person  und  Predigt  genügen  lassen  sollen. 
Diese  Auffassung  ist  die   einaige  dem  Zusammenhang  der 
Rede  Jesu  —  auch    bei  Matthäus   -^  und   nüher  der  Pa- 
rallele'  swischen  dem  Verhftitnifs  der  Niue?iteji  au  Jonas 
ond  dem  der  Königin  dea  Südens  au  Salomo  angemessene« 
Wie  es  die  aoffia  Soloiuorog  war,    durch   welche  die  leta- 
tere  roa  den  Enden  der  Erde   sich   herbeigesogen    fühlte : 
80  bei  Jonas   aneh  nach  dem  Ausdrucke  des  Matthäus  le- 
diglich sein  xj]Qfyfiay  auf  welches  hin  die  Nineviten  Bufse 
thateo.   Das  Futurum  io  deraSatae  bei  Lukas:  äiojg  egai 
xcd  6  viog  r.  &•  rfj  yeve^  tccvrrj  (cn^/ueioiO)  ^®<*  welchem  man 
glaoben   möchte,   es  könne    nicht  auf  den  gegenwXrtagen 
Jesus  und  seine  Predigt,  sondern  müsse  auf  etwas  Kflnfti« 
ges,  wie  seine  Auferstehung,   beasogen  werden,    ist  in  der 
That  nur  dadurch  begründet,  dafs,  als  Jesus  diese  Worte 
sprach,  seine  Erscheinung  noch  nicht  vollendet  war,  son* 
dem  manche  Momente  derselben   noch  in  der  Zukunft  la- 
gen.   Frühaeitig    mufs  jedoch,    wie  wir   aus   dem   ersten 
EFsngelium  ersehen,  dem  Schicksale  des  Jonas  eine  typi- 
sche Beaiehung  auf  den  Tod   und    die  Auferstehung  Jean 
gegeben  worden   sein ;   indem  die  erste  Gemeinde  für  die 
•0  anstöfsige  Katastrophe    ihres  Messias    mit  Aengstllch« 
keit  Qberaii  im  A.  T.  Vorbilderund  Weissagungen  aufsuchte« 
Noch   einige  Aussprüche  Jesu  finden  sich  im  vierten 
Fvangelinm,  weiche  schon  als  verhüllte  Weissagungen  der 
Auferstehung   gefafst  worden   sind.     Die  Rede  vom  Wel- 
seokorn  swar,  12,  24.,  drückt  au  augenscheinlich  nur  den 
Gedanken  aus ,   dafs   durch    aufopfernde  Hingabe  für  dwa 
Allgemeine    sich    das    individuelle    Leben    au    fruchtbarer 
Wirksamkeit    erweitere  ^^) ,    um  hier   weiter  in   Betracht 


\b)  OS  Warrs  z.  d.  Sl. 


358  Dritter  Abschnitt. 

fcommen  mu  liönneii.  Aber  io  den  Johaoneisohen  Abtehladi- 
reden  finden  sich  einige  Aussprache ,  weiche  nech  immer 
Manche  von  der  Auferstehung  verstehen  möchten.  Wenn 
Jesus  sagt:  ich  werde  euch  nicht  verwaist  lassen,  ich 
komme  su  euch ;  noch  knrse  Zeit,  so  sieht  die  Welt  mich 
nicht  mehr,  ihr  aber  sehet  mich;  aber  ein  KieineSi  m 
werdet  ihr  mich  nicht  mehr  sehen ,  und  wieder  über  ein 
Kleines,  so  werdet  ihr  mich  sehen  u.  s.  f.  (14,  18.  ff.  16, 
16  fF.):  so  glauben  Manche,  diese  Reden,  mit  dem  Ver* 
hftltnifs  von  fiixQov  aal  :idXiv  fitxQov^  mit  dem  Gegensstsa 
•wischen  ifitpcsvll^eiv  f^fiiv  O^olg  fiaS-tjtalg)  xal  8j(l  rqi  xoa^n^ 
mit  dem  von  gana  persönlichem  Wiedersehen  lautendes 
Tidkiv  otpofiai  und  oipead^€y  können  auf  nichts  Anderes,  ab 
auf  J&e  Auferstehung  becogen  werden ,  welche  eben  dm 
kurs  auf  das  Miehtsehen  gefolgte  Sehen,  und  cwar  ein 
persönliches  und  auf  die  Freunde  Jesu  eingeschrinktei, 
gewesen  sei  ^^.  Allein  dieses  verheifsene  Wiederseben 
beschreibt  Jesus  hier  sugleich  auf  eine  Welse,  welebo 
fOr  die  Tage  der  Auferstehung  nicht  ganz  passen  will 
Wenn  das  Sti  iyio  ^(S  (14,  19.)  seine  Auferstehung  bedeu- 
ten soll:  so  weifs  man  gar  nicht,  was  in  diesem  Zaum- 
menhange  das  xal  v^eTg  i^ijaead-a  heifsen  will;  wenn  Jeiai 
sagt,  bei  jenem  Wiederseben  werden  seine  Jfinger  sein 
Verbfiltnifs  som  Vater  erkennen ,  und  ihn  nichts  mehr  sa 
fragen  brauchen  (14,  20.  16,  23.)  '  so  machten  sie  ja  ooch 
am  loteten  Tage  ihres  Zusammenseins  mit  ihm  nach  der 
Auferstehung  eine,  und  swar  im  Sinne  des  vierten  £Tsn- 
geiiums  reclit  nnverstfindige ,  Frage  an  ihn  (A.  6.  1,6.); 
endlich,  wenn  er  verspricht ,  dals  su  demjenigen  ,  der  ihs 
liebe ,  er  und  der  Vater  kommen  und  Wohnung  bei  thm 
machen  werden :  so  wird  vollends  klar ,  dafs  Jesns  hier 
nicht  von  dnem  leiblichen,  sondern  von  seinem  geistiges 
Wiederkommen  durch  den  nftQaxhiros  redet  ^*).    Hat  je- 

17)  SüsKiND,  a.  a.  O.  S,  184  ff. 
SS)  s^  l^vcM  z.  d.  Si. 


-    Erstes  Kapitel.    §.  lia.  959 

doeh  aaeh  diese  Erkllroog  ihre  Schwierigkelten ,  indem 
hiowlederoni  das  otf.feaO'e  fte  und  oipofiai  vfiug  anf  Jene 
Mob  geistige  Wiederkunft  nicht  gans  passen  will:  so  niHs«» 
sen  wir  die  Lösung  dieses  sonderbaren  Widenprnohs  auf 
die  genanere  Beleuchtung  dieser  Ausspräche  an  einer  spfi« 
leren  Stelle  versparen,  und  erinnern  einstweilen  nur,  dafs 
SOS  den  Johanneischen  Abschiedsreden,  deren  Untermi- 
lehang  mit  eignen  Gedanken  des  Evangelisten  jetst  selbes 
Ton  Freunden  des  vierten  Evangeliums  sugestanden  ist, 
sm  wenigsten  ein  Beweis  in  dieser  Sache  genommen  wer- 
den  kann. 

Nach  ullem  diesem  könnte  der  Ausweg  noch  fibrig  mu 
sein  scheinen,  dafs  Jesus  swar  allerdings  aber  seine  künf- 
tige Auferstehung  sich  nicht  geJSufsert,  nichts  desto  weni- 
ger aber  aie  fQr  sich  verberge wnfst  habe.  Wufste  er  seine 
Aaferstehoog  vorher,  so  wufste  er  sie  entweder  anf  fiber- 
natarllcbe  Weise,  vermöge  des  ihm  inwohnenden  prophe- 
tischen Geistes,  höheren  Priocips, .—  wenn  man  will,  sei- 
ner göttlichen  T^titur :  oder  er  wnfste  sie  auf  natQrliohe 
Weise,  durch  verstfindige  menschliche  Ueberlegung.  Al- 
lein ein  übernatfirliches  Vorherwisseo  jenes  Ereignisses 
»t  auch  hier,  wie  in  Rttcksicht  auf  den  Tod,  wegen  der 
Betiebuni^  undenkbar,  in  welche  Jesus  dasselbe  Eum  A. 
T.  setst.  Nach  denselben  Berichten  nftmlieh ,  welche  ihn 
seine  Auferstehung  vorherverkOndigen  lassen,  stellt  er  die- 
selbe, wie  sein  Leiden  und  seinen  Tod,  als  ein  ErfUllt- 
w  erden  novriay  twv  fty^fi/aivojv  dia  twv  nqwptjiüiv  T(f  vu$ 
tQ  uv&iHjina  dar  (Lue.  18,  31  ) ,  und  anch  nach  dem  Er- 
folg hält  er  den  an  seiner  Auferstehung  sweifelnden 
Jüngern  vor,  sie  bfttten  glauben  sollen  enl  nüatv  oig  tka- 
hfstxv  OL  nqotffjtui^  dafs  nftmlieh  %ama  edfi  naO^elv  tov  Xqi~ 
cov,  xal  elgeX^Hv  eig  %r^v  doiap  amS  (Lue.  24«  25  f.)»  Laut 
des  Verfolgs  der  Erafthlnng  hat  Jesus  sofort  diesen  Jon- 
^ern  (den  Emmauntiseheo)  alle  von  ihm  handelnden  Schrift* 
•teilen  ,   ii^i^wog  iXTio  Mioaiwg  mi  dno  ituvtußv  tmv  nQo^ 


360  Dritter  Abtchoitt. 

(jpiTrcJv,  woso  weiter  anten  auch  noch  die  tpoXfoi  gesetet 
werden  C^*  ^^  )  9  aasgelegt ;  im  Einseinen  jedoch  wird 
uns  keine  Stelle  «ngegebeni  welche  nnd  wie  sie  Jesos  aof 
seine  Wiederbelebung  gedeutet  hltte^  aofser  dsfi  tos 
Matth.  12|  39  f.  folgen  würde ,  er  habe  das  Schicksal  des 
Propheten  Jonas  als  Vorbild  des  seinigen  betrachtet,  und 
aus  der  späteren  apostolischen  Dentnng,  alt  mothmarsli* 
chem  Nachhall  der  seinigen,  geschlossen  werden  höante, 
dafs  er,  wie  nachmals  die  Apostel)  hauptsfichlioh  io  Pi. 
16,  8  ff.  (A.  G.  2,  25  ff.  13,  35.),  Jes.  53.  (A.  G.  8,  32  ff.}, 
Jes.  55,  3.  (A.  6.  13,  34.),  nnd  dann  etwa  noch  in  Bot. 
6,  2,  solche  Weissagungen  gefunden  habe.  Allein  das  Schick- 
sal des  Jonas  hat  mit  dem  Schicksale  Jean  sieht  eio- 
mal  recht  eine  änfserliche  Aehnlichkeit,  und  das  ihn  be- 
treffende Buch  trfigt  seinen  Zweck  so  sehr  In  sich  selber, 
dafs  derjenige  es  gewifs.  nicht  nach  seinem  Unehren  Süin 
und  der  Absicht  seines  Verfassers  dentet,  der  Ihm  oder 
einem  Zuge  dessell»en  eine  vorbildliche  BeEiehung  auf  Er> 
eignisse  der  Zukunft  unterlegt;  Jes.  55,  3.  ist  so  offenbar 
fremdartig,  dafs  man  kaum  begreift,  wie  die  Stelle  nur 
mit  der  Auferstehung  Jesu  hat  in  Beaiehung  gebracht  wer- 
den können  ;  Jes.  53.  besieht  sich  entschieden  auf  ein  in 
immer  neuen  Gliedern  wiederauflebendea  CoUectivsubject; 
Bosea  7.  unverkennbar  bildlich  auf  Volk  nnd  Staat  Israel; 
endlich  die  Uauptstelle,  Ps.  16^,  kann  nur  auf  einen  Freot- 
men  gedeutet  werden,  welcher  durch  Jebova's  Hfllfe  einer 
Todesgefahr  cn  entrinnen  hofft ,  und  nwar  nicht  in  der 
Art,  dafs  er,  wie- Jesus,  aus  dem  Grabe  wieder  hervor- 
gehen ,  sondern  gar  nicht  wirklich  in  dasselbe  versetst 
werden  wärde,  versteht  sich,  diefs  nur  vor  der  Hand,  ond 
mit  den  Vorbehalt,  seiner  Zeit  allerdings  der  Natur  den 
Tribut  zu  entrichten ,  was  auf  Jesnm  wiederum  nicht 
passen  würde.  Hfitte  also  ein  übernatQrliehes  PHncip  in 
Jesu,  ein  prophetischer  Geist,  ihn  in  dieaea  A.  T. lieben 
Geschichten  nnd  Stellen  eine  Vorandeutang  aeiner  Anfer- 


Erste«  KapiteL    §.112.  561 

itehnng  finden  lauen :  so  kdnnre ,  da  in  keiner  dersc  Iben 
eine  solohe  Beaiebang  wirklich  Hegt,  der  Geist  in  ihm 
nicht  der  Geist  der  Wahrheit ,  sondern  er  mdfste  ein  Lll« 
^engeist  gewesen  sein  ^^,  das  iibernatariiche  PrinGijp  in 
ilim  nicht  ein  göttliches,  sondern  ein  dä'monlsches.  Bleibt, 
001  dieser  Consequens  an  entgehen ,  dem  fOr  verständige 
Autlegnng  des  A.  T.  augfinglichen  Sa]iranatoralisten  nichts 
fibrig,  als  das  Vorherwissen  Jesu  von  seiner  Auferstehung 
ili  ein  natarlich  -  menschliches  au  betrachten  :  so  war  die 
Äsferstehung,  als  Wunder  genommen,  ein  Geheimnifs  des 
göttlichen  Rathschlusses^  in  welches  einaudringen  dem 
■eDfchllchen  Verstände  vor  dem  Erfolg  anmöglicb  war; 
aU  natürlicher  Erfole  angesehen  aber  war  sie  der  unbere- 
chenbarste Zufall,  wenn  man  nicht  einen  von  Jesu  und 
Mioen  Verbündeten  planmftlsig  herbeigefBhrteo  Scheintod 
«naehmen  wilL 

Also  nach  dem  Erfolg  erst  ist  so  Voraussieht  wie  Vur- 
aoissge  der  Auferstehung  Jesu  beigelegt,  and  nun  war  es 
loch  bei  der  bodenlosen  Willkfir  jüdischer  Exegese  den 
Jfingem  und  Verfassern  der  M.  T.  liehen  Schriften  ein 
Leichtes ,  ina  A.  T.  Vorbilder  und  Weissagungen  auf  die 
Wiederbelebung  ihres  Messlas  aufeufinden.  Nicht  als  ob 
iie  diels  mit  schlaner  Absichtlichkeit ,  und  selbst  von  der 
Nichtigkeit  Ihrer  Aoslegungs-  und  Schlufsweise  fibersengt, 


19)  Diese  Folgerung  glaubt  Kbkn  durch  die  wettere  turücKau- 
weisen ,  dass  man  dieselbe  Beschuldigung  eines  sie  beherr- 
schenden LUgengeistes  auch  auf  >dic  Apostel ,  ja  auf  die  ge- 
sammte  christliche  Kirche  ausdehnen  müsste,  sofern  auch  'sie 
jene  Deutung  der  A.  T.  liehen  Weissagungen  auf  die  Aufer- 
stehung Jesu  sich  angeeignet  habe  (a.  a.  O.  S.  150.)*  Wobei 
nur  yeri^essen  ist,  dass  lediglich  unter  Voraussetzung  einer 
tibernattirlichen  Quelle  dieser  Deutung  jene  Folgerung  ge- 
macht war ;  dass  sie  mithin  bei  den  Jtingern  und  der  Kirche 
hinwegfäilt,  und  sich  in  die  unverfängliche  Beschuldigung 
eines  natürlichen  Irrtbuns  verwandelt. 


MS  Dritter  Abschnitt. 

getba  Q  hätten ,  wie  der  Wolfenbfittier  FragmeDtist  ood 
Aodfe  seinesgieioheo  iftgtern;  sondern,  wie  es  dem,  der 
in  dl.e  Sonne  gesehen ,  ergeht,  dafs  er  noch  IXngere  Zeit, 
wo  isr  hinsieht,  ihr  Bild  erblickt :  so  sahen  sie,  dareh  ihre 
Begeisterung  fflr  den  nened  Messias  geblendet,  in  den 
einstigen  Buche,  das  sie  lasen,  dem  A.  T«,  ihn  überall, 
nnd  ihre,  in  dem  wahren  Geftthl  der  Befriedigung  tiefiter 
Bedarf nisse  g^grfindete  Uebersengung ,  dafs  Jesus  der 
Meissias  sei,  ein  Geffihl  und  eine  Ueberseugnng,  die  aaeh 
wir  noch  ehren,  griff,  sobald  es  sich  um  reflexiensrnfitfip 
Beiveise  handelte,  nach  Stfltsen,  welche  Ifingst  gebrochen 
sind ,  und  selbst  durch  das  eifrigste  Bemflhen  einer  hinter 
der  Zeit  surackgebliebenen  Exegese  nicht  mehr  haltbar 
gesaaoht  werden  können, 

S.     113. 

Die  Reden  Jesu  von  seiner  Farusie.    Rrltik  der  Terschie- 

denen   Auslegungen. 

Doch  nicht  allein  dafs  er  drei  Tage  naoh  seinem  Tode 
wieder  aufleben  werde,  um  sieh  seinen  Freunden  bu  sei- 
geil,  sondern  auch,  dafs  er  später  einmal,  mitten  in  der 
üirangsalsseit ,  welche  auch  die  Zerstörung  des  Tempeli 
in  Jerusalem  herbeifOhren  sollte,  in  den  Wolken  des  üin- 
mels  kommen  werde,  um  die  gegenwärtige  Weltperiode 
absuschliefsen,  und  durch  ein  allgemeines  Gericht  die  fcfisf- 
tige  ca  beginnen,  hat  Jesus  den  evangelischen  Naehriehten 
»ufolge  vorausgesagt  (Matth.  24.  und  25.  Marc.  IS.  Lue. 
17,  22  —  37.  21,  5  —  36.). 

Als  Jesus  cum  letstenmale  aus  dem  Tempel  ging  (Lo* 
kas  hat  diese  Bestimmung  nicht) ,  und  seine  Jfinger  (Lu- 
kas unbestimmt :  Einige)  ihn  auf  den  herrlichen  Bau  be- 
wundernd aufmerksam  machten,  gab  er  ihnen  die  Veni« 
cbemng ,  dafs  alles ,  wie  sie  es  da  sähen ,  von  Grund  aas 
serstttrt  werden  wflrde  (Matth.  24,  1.  2.  paraU.).  A»' 
die  Frage  der  Jünger,    wann  diefs  geschehen,    und  wai 


Erft«8  Kapitel,    f.  IIS.  5« 

das  Zdehen  der  ihrer  Aii»ieht  nach  damit  ■nsammeDhln* 
genden  Aokonfc  des  Metfias  aeiii  werde  (V.  3.)  9  warnt 
sie  JeMis ,  «ich  nicht  durch  Leute ,  welche  aich  fSlschlich 
fSr  den  Me«aiaa  ausgeben,  und  durch  die  Meinung,  gleich 
nach  den  ersten  Voraeichen  müsse  die  erwartete  Rata- 
fkrophe  folgen,  irrefOhren  an  lassen;  denn  Kriege  und 
Kriegsgerfichte,  Kämpfe  von  Völiiern  und  Reichen  gegen- 
einander, Hnngersnoth,  Pest  und  Erdbehen  da  und  do^, 
seien  nur  die  ersten  AnfKnge  des  Elendes,  welches  der 
Aakanft  dea  Messias  vorangehen  werde  CV.  4 — 8).  Auch 
•ie  selbst,  aeine  Anhänger,  werden  cuvor  noch  HaTs,  Ver- 
folgung und  Mord  filier  sich  ergehen  lass^  mfissen;  Treu« 
lofigkeit,  Verrath,  Täuschung  durch  falsche  Propheten, 
Lieblosiglieit  und  allgemeines  Sittenverderben  werde  unter 
den  Menschen  einreifsen,  ungleich  al»er  mfisse  die  Bot- 
schaft vom  Messiaareich  noch  vorher  in  der  gansen  Weit 
feriLfindigt  werden;  nach  allem  diesem  erst  könne  daa 
Eode  der  jetsigen  Weltperiode  eintreten ,  auf  welches  mit 
Stsndbaftigkeit  harren  mttsse,  wer  an  dem  Glficke  der 
kanftigen  Antbeil  bekommen  wolle  (V.  9  —  14.>  Ein  nl« 
keres  Vorseichen  schon  von  dieser  Katastrophe  aei  die 
Erfüllung  dea  Danielischen  Orakels  (9,  27)  von  dem  an 
ketliger  Stfitte  aufsustellenden  Verwfistungsgräuel  (naeh 
Lakas,  21,  20,  die  Umstellung  Jerusalems  durch  Kriegs« 
beere);  wenn  dieses  eintrete,  dann  sei  es  (nach  Lukas, 
weil  die  Verödung  Jerusalems  berorstehe,  welche  Luc. 
19,  43  f.  in  einer  Anrede  Jesu  an  die  Stadt  durch  na^i-- 
ßtdSaiv  (K  ix^Q^  ^^  xa^oaca  001  ^  xul  n^iiixvxXoiaaai  ae  xal 
om^sai  oe  TiavvoO'ty^  xal  iduifiüoi  ae  xal  %a  TBxva  an  h 
(foiy  XM  Hx  uq^janaiv  iv  ad  Xl9ov  i^u  lixhy  näher  bestimmt 
1^0  die  höchste  Zeit  nur  schleunigsten  Flucht,  bei  welcher 
>Ue  am  schnellen  Fortkommen  Gehinderte  an  bedenern, 
and  von  welcher,  dala  sie  in  keine  ungfinstige  Zeit  flalleiB 
aitfge,  angelegentlich  cn  wfinschen  sei ;  denn  es  trete  dann 
eine  beiapiellose  Urangsalsueit  ein  (nach  Luc:  V.  24.  ha^pt- 


304    *  Dritter  Abfohnitt. 

«löblich  Anrui  beatehenil,  dab  vom  Volk  Israel  viele  vn* 
kommen,  andere  gefangen  weggeführt,  Jerosalem  aber  eine 
vorherbestimmte  Periode  hindurch  von  Heiden  aertreten 
werden  werde),  welche  nor  dorch  gnadenvolle  Abkfirsung 
ihrer  Dauer  von  Seiten  Gottes  aas  Rücksicht  aof  die  E^• 
wählten  ertrftglich  werde  (V.  15  ^  22.)-  ^«^  d*^«^  Zeit 
werden  fahche  Propheten  nnd  Messiase  dorch  Wunder 
und  Speichen  su  täuschen  suchen ,  und  da  oder  dort  den 
Messias  au  eelgen  versprechen:  da  doch  ein  Messias,  der 
irgendwo  verborgen  wäre  und  aufgesucht  werden  mfiftte, 
kein  wahrer  sein  könne;  indem  dessen  Ankunft  wie  dm 
Leuchten  des  Blitees  eine  plötsliche,  überallhin  dringende 
Offenbarung  sei,  deren  Hittelpunkt  Jerusalem  bilde,  dm 
durch  ftpine  Schuld  die  Strafe  über  sich  herbeisiehe  (V. 
23  —  28.)«  Unmittelbar  nach  dieser  Drangsalszeit  werde 
sich  nun  durch  Verfinsterung  von  Sonne  und  Mond,  darcb 
Herabfallen  der  Sterne  und  Erschütterunjg  aller  Kräfte  dei 
Himmels ,  die  Ersoheinung  des  Messias  einleiten ,  welcher 
sofort  cum  Schrecken  der  Erdenbewohner  mit  grofser 
Herrlichkeit  In  den  Wolken  des  Himmels  daherkommen, 
und  alsbald  durch  Engel  mit  Trompetenschall  seine  Er- 
wählten von  allen  Enden  der  Erde  susammenrufen  lassen 
werde  (V.  29 -310*  An  den  vorgenannten  Zeichen  sei  die 
Nähe  der  angegebenen  Katastrophe  so  sicher,  wie  an  des 
Ausschlagen  des  Feigenbaums  die  I^ähe  des  Sommers,  sa 
erkennen;  noch  das  gegenwärtige  Zeitalter  werde,  bei  el" 
lem  was  sicher  sei,  das  Alles  erleben,  obgleich  der  ge- 
nauere Terfuin  nur  Gott  altein  bekannt  sei  (V.  32  —  36). 
Wie  aber  die  Menschen  seien  (das  Folgende  haben  Mar* 
hns  und  Lukas  theils  gar  nicht,  theils  nicht  in  diesem 
Zusammenhang) ,  so  werden  sie  auch  die  Ankunft  des 
Messias ,  wie  einst  die  der  Sfindfloth ,  mit  leichtsinniger 
Sicherheit  heranrficken  lassen  (V.  37-  39. ):  und  doch 
werde  es  ein  äufserst  kritischer  Zeitpunkt  sein,  der  die- 
jenigen ,    welche   in  den  nächsten  Verhältnissen  gestanden, 


Erstes. Kapitel.    S«  113.  .  363 

gtD£  eDtgegengesetsteni  Loos  fiberantworten  werde  (V^ 
40.  41. )•  Darain  sei  Waohsamkeit  noth  (V.  42.  )>  wie  im- 
mer, weno  Ton  einem  entscheidenden  Erfolge  der  Zeit* 
pookt  seines  Eintreffens  unbekannt  sei;  was  sofort  darcb 
das  Bild  vom  Haushcfrrn  und  Dieb  (V.  43.  44.  )>  vom 
Koechte,  dem  der  verreisende  Herr  die  Aufsicht  Ober  das 
Haoswesen  anvertraut  (¥•  45  — 51.),  ferner  von  den  kla- 
gen and  thöriehten  Jungfrauen  (25 ,1  — 13.) ,  endiloh  von 
den  Talenten  (V.  14  -  30.)»  veranschaulicht  wird.  Hierauf 
folgt  eine  Beschreibung  des  feierlichen  Gerichts,  welches 
der  Messias  fiber  alle  Völker  halten ,  und  in  welchem  er 
Dach  der  Rücksicht ,  ob  einer  die  Pflichten  der  Alensehen- 
Uebe  beobachtet  oder  hintangesetzt  habe,  Seligkeit  oder 
Verdammnifs  suerkennen  werde  (V.  3l-46.)0- 

In  diesen  Reden  kündigt  also  Jesus  bald  O^^^oi^,  24, 
2S.)  nach  derjenigen  Drangsal,  in  welcher  wir  OiAment- 
lieh  nach  der  Uarstellung  des  Lukasetangelidms)  liie  2<er- 
Störung  JemsaleoM   and  seines  Tempeis  erkennen  mfissen. 


1)  Vgl.  über  den  Inhalt  und  Zusammenhang  dieser  Beden  Fmm« 
SCHI ,  in  Matth.  p.  695  ff. ;  ni  Wim ,  exeg.  Handb.  ,1,1, 
S.  197  ff. ;  WiiziL ,  die  urchristliche  Unsterblichkeitslehre, 
in  den  theol.  Stadien  und  Kritiken,  1836,  S.  599  ff.  —  In 
Uebereinstimmung  mit  diesen  Auslegern  füge  ich  noch  fol- 
gende Eintheilung  des  Abschnittes  bei  Matthäus  hei: 

1)  Vorxeichen  des  rtXoi"  24,  4—14. 

a)  entferntere ,    oQxi  ^iyw»  4—8« 

b)  nähere,   die  eigentlichen  Wehen.  9— 14« 

2)  Das  Tfi^  selbst.    24,  15—25,  46. 

a)  Dessen  Anbruch  mit  der  Zerstörung  Jerusalems   und 
der  grossen  sie  begleitenden  »Xlipi^»    15'-28. 

b)  Dessen  Mitte  und  Wendepunkt :  die  Ankunft  des  Mes- 
sias, nebst  der  Sammlung  seiner  Auserwählten.  29—31. 
(Hierauf  Rückblicke  und  Ermahnungen.  2^,32—25,90.) 

c)  Abschluss  des  r/2o(  mit  dem  messianischen  Gericht. 
51-46. 


■«•       •m^ 


S6tt  Dritter  Abschnitt. 

ond  8O9  daf«  es  die  Generation  «einer  Zeitgenosten  (i)  yena 
wkrj  V.  34.)  Dooh  erleben  werde ,  seine  siebtbare  Wieder- 
kunft in  den  Wollien  und  das  Ende  der  gegenwlrtigen 
Zeitperiode  an.  Da  nun  bald  vor  1800  Jahren  die  Ze^ 
Störung  der  Jüdischen  Hauptstadt  erfolgt,  und  ebensolaoge 
her  die "Zeitgenossenschäft  Jesu  ausgestorben,  seine  sieht- 
l>are  Wiederkunft  aber  und  das  von  ihm  mit  derselben  in 
Verbindung  gesetzte  Weltende  noch  immer  nicht  einge- 
treten ist:  so  scheint  insofern  die  VorherverbQndlgong 
Jesu  eine  irrige  gewesen  bu  sein.  Schon  in  der  ttltesten 
christlichen  Zeit,  da  die  Wiederkunft  Christi  sich  Unger 
TcrEOg,  als  man  sich  gedacht  hatte,  standen,^  nach  2.  Petr. 
S,  3  f.,  Spötter  mit  der  Frage  auf:  71H  igiv  7^  tmxyyüia 
TTJg  naQoaiag  avvQ;  dtp  ijg  yccQ  01  narioeg  ixoiiArf&rfiuv, 
navra  ma)  diafiivti  an  csQx^t^  xriüeiog.  In  neuerer  Zeit  ist 
die  nachtheilige  Folgerung,  welche  aus  dem  beseichneten 
Verhiltnifs  gegen  Jesum  und  die  Apostel  sich  schein- 
bar sieben  läfst,  von  Niemand  sehneidender  ausgespro- 
chen worden,  als  von  dem  Wolfenbflttler  Fragmenti- 
sten.  Keine  Verbeifsung  in  der  gansen  Schrift,  meiot  er, 
sei  auf  der  einen  Seite  bestimmter  Torgetragen ,  auf  der 
andern  offen  barer  falsch  befunden  worden,  als  diese,  wel- 
0he  doch  eine  der  Grnndsäulen  des  gesammten  Chrif^en- 
thnms  bilde.  Und  ewar^ieht  er  darin  nicht  einen  blofi^n 
Irrthum,  sondern  einen  absichtlichen  Betrug  der  Apo^^td 
Cdenen,  und  nicht  Jesu  selbst,  er  jenes  Versprechen  ontl 
die  es  enthaltenden  Reden  Buschreibt),  herForgegangen  ans 
der  Mothwendigkeit,  die  Leute,  von  deren  Beiträgen  sie 
Ihren  Unterhalt  Eiehen  wollten,  durch  das  Versprechen  ei- 
ner nahen  Belohnung  anaulocken,  und  kennbar  an  der 
Kablheit,  mit  welcher  sie  den  aus  dem  allznlangen  Versog 
der  Wiederkunft  Christi  erwachsenden  Zweifeln,  wie  Pau- 
lus im  2ten  Thessalonicherbrief  durch  Versteckspielen  mi 
dunkeln  Redensiirten ,  und  gar  Petrus  in  seiner  swelten 
Epistel  durch  das  Ungeheure  einer  Berufung  auf  die  gtttt- 


Erstes  Kapitel,    f.  IIS.  Stf7 

liehe  Zeltreehnang,  in  welcher  1000  Jahre  =  einna  Tage 
leieo,  so  entgehen  suchen  ^. 

Der  tödtlioben  Wunde,  welclie  auui  durch  solche  Fol- 
geroDgen  ai|8  dem  vor  uns  liegenden  Abschnitte  dem  Chri- 
itenthnm  beibringen  wollte,  mufste  natfirliob  die  Exegese 
tof  jede  Weise  aussnbeugen  suchen.  Und  swar  näher, 
iodeffl  der  gauEO  Knoten  darin  besteht ,  dafs  Jesus  mit  et« 
WM  nunmehr  Iftngst  Vergangenem  in  unmittelbaren  Zeit- 
iDsammenhang  etwas  noch  immer  ZukOnftiges  ea  setsen 
lebeint,  so  waren  die  drei  Answegd  möglich :  entweder  su 
Uugoen,  dafs  Jesus  sum  Theil  auch  von  etwas,  jetst  schon 
Vergangenem  fpreche,  und  ihn  von  lauter  noch  immer  Zu- 
kflnftigem  reden  nn  lassen ;  oder  su  läugnen,  dafs  ein  Theil 
seiner  Rede  etwas  noch  jetat  ZulKOnfdges  betreffe y  somit 
die  gsnse  Voraussagung  auf  etwas  bereits  hinter  uns  Lie- 
gendes Bu  iMsiehen ;  oder  endlich  swar  suBUgebeii ,  dafs 
der  Vortrag  Jesu  theils  auf  Solches,  was  uns  schon  ein 
Vergangenes ,  theils  auf  Solches,  was  uns  noch  ein  Zu- 
kOnftiges ist,  sich  besiehe,  aber  nun  entweder  au  iKugnen, 
dtb  er  beides  in  unmittelbare  Zeitfolge  gestellt,  oder  su 
behaupten,  dafs  er  auch  das  in  der  Mitte  Liegende  be. 
rflckaichtigt  habe. 

In  der  urchristlichen  Erwartung  der  Wiederkunft 
Christi  noch  lebend,  und  sugleich  in  geregelter  ISxegese 
nicht  so  geübt,  um  fiber  einige  Härten  einer  sonst  er- 
wfioschten  £rklirung  nicht  hinwegsehen  au  können ,  be- 
sogen  einige  Kirchenväter,  wie  Irenäus  und  HilaKius  *)» 
den  ganzen  Abschnitt,  tou  seinem  Anfang  Matth.  i4.  bis 
BQ  seinem  Ende  Kap.  25,  auf  die  noch  bevorstehende  Wie- 


2)  Vom  Zweck  Jesu  und  seiner  Jünger,  8.  184.  201  ff  207  ff. 

3)  Jener  ady.  haeres.  5 ,  25 ;  dieser  Comm.  in  Matth.  %.  d.  St. 
Vergl.  über  die  verschiedenen  Auslegungen  dieses  Abschnitts 
das  Verseichniss  hei  Scmott,  Commentarius  in  eos  J.  Chr. 
scraiofies,  qui  de  reditu  ejus  ad  judislM»  ^  aftunt,  p.  73  ff. 


36.^  Dritter  Abschnitt. 

derkunfc  Chritti  sna  fiericht.  Allein,  in(l(»ni  dieae  Ausle» 
gungsvi'eise  sogleich  einrJloait,  Ton  vorne  herein  habe  Je- 
ens  aln  Typos  dieser  letsten  Kstastrophe  die  Zerstörung 
Jerusalems  gebraucht:  so  gibt  sie  damit  sich  selbst  wieder 
auf;  d'»nn  was  heifst  jenes  Zugeständnlfs  anders,  als  dufs 
der  Allfang  der  fraglichen  Reden  sunftchst  den  Eiadraek 
mache  I  wie  wenn  Ton  der  ZerstSrung  Jerusalems ,  also 
etwas  bereits  Vergangenem,  die  Rede  wfire ,  und  dafs  nur 
eine  v/eitere  Reflexion  und  Combination  demselben  eine 
Besieh  ung  auf  etwas  noch  in  der  Zukunft  Liegendes  ge- 
ben könne  i 

Der  neuere  Rationalismus,  welchem  in  seinen  nstarii* 
listischicn  AnfSngen  jede  Form  der  Hoffnung  auf  die  Wie- 
derkunft Christi  au  Nichte  geworden  war,  und  welcher, 
um  da:i  ihm  Mifsflfllige  aus  der  Schrift  wegeo bringen,  jede 
exegetische  Gewaltthat  sich  erlaubte ,  warf  sich  defswegen 
auf  die  entgegengesetzte  Seite,  und  wagfe  den  Versuch, 
die  betrefifenden  Reden  Jesu  in  ihrem  ganeen  Verlaufn 
nur  avif  die  Zerstörung  Jerusalems,  und  was  ihr  sunfichst 
Toranfjing  und  folgte,  su  beaiehen*).  Dieser  Auslegong 
Bufolge  soll  das  Ende,  von  welchem  die  Rede  ist,  nur  dai 
Aufliören  der  jttdisch- heidnischen  Weltgestaltung  ;  das  von 
der  Ankunft  Christi  in  den  Wolken  Gesagte  nur  bildliche 
Beseichnung  der  Verbreitung  und  des  Siegs  seiner  Lehre; 
die  Versammlung  der  Völker  sum  Gericht  und  die  Ver- 
weisung der  einen  in  die  Seligkeit,  der  andern  in  die  Ver 
dammnifs  ein  Bild  für  die  beglöckenden  Folgen  sein,  wel- 
che die  Aneignung  der  Lehre  und  Sache  Jesu ,  und  fftr 
die  Uebel,  weiche  die  Gleichgfiltigkelt  oder  gar  Feindschaft 
gegen   dieselbe    mit    sich  fahre.     Allein  hiebei  wird  eis 


4)  Bahrdt,  Uebersetzung  des  N.  T. ,  1 ,  S.  IIOS,  3te  Ausgabe; 
EcKBRMiTVKy  Handbuch  der  Claubenslelire,  2«  S.  579.  3>  S.  427. 
437.  709  ff. ,   und  Andere ,  bei  Schott  ,  a.  a.  O. 


Erseea  Kapitel.     §.  113.  3611 

Abstand  der  Bilder  von  den  Ideen  angenommen,  der  so- 
wohl an  sieh  unerhört,  als  im  Beaondem  hier  niehl  denk- 
bar ist,  wo  Jesus,  EU  jSdiseh  Gebildeten  redend,  wissen 
fflof«te,  dafs  sie,  was  er  von  Ankunft  des  Mes^as  ia 
den  Wolken ,  vom  Gericht  und  Ende  der  ge^onwärtigeii 
Weltperiode  sagte,  im  eigentlichsten  Verstände  nehmea 
wflrden. 

Läfst  auf  diese  Weise  die  Rede  Jesu  ihrer  ganaeii 
Lfinge  nach  weder  auf  die  Zerstörung  des  jSdisohen  Staats, 
ooch  auf  die  Vorginge  am  Ende  der  Dinge  sich  bestehen : 
10  mflfste  sie  auf  etwas  von  heidem  Verschiedenes*l>eco- 
gen  werden,  wenn  jedesmal  an  einem  und  ebendemseiben 
Zug  Jene  gedoppelte  Unmöglichkeit  haften  würde.  So 
aber  liegt  die  Sache  nicht ;  sondern,  während  aqf  das  ferne 
Ende  der  Welt  nicht  besogen  werden  kann,  was  Matth. 
24,  2.  3.  15  fif.  von  Verwüstung  des  Tempels  u.  s.  w*  ge- 
sagt wird :  kann  umgeliehrt  auf  die  Zerstörung  Jerusalems 
das  nicht  gehen,  was  25,  31  S,  von  dem  durch  des  Men« 
sehen  Sohn  sn  haltenden  Gerichte  verkflndigt  ist.  Indem 
bienach  in  der  Rede  Jesu  von  vorne  herein  dieBexiehung 
auf  die  Zerstörung  Jerusalems ,  nach  hinten  su  aber  die 
auf  das  Ende  der  Uinge  die  vorwiegende  ist:,  so  wird 
eine  Theilung  möglich,  in  der  Art,  dafs  der  erste  Theil 
der  Rede  auf  Jenen  näheren,  der  sweite  auf  diesen  entfern- 
teren  Erfolg  besogen  werden  kann«  Diefs  ist  der  von  den 
meisten  neueren  Exegeten  eingeschlagene  Mittelweg,  bei 
welchem  en  sich  nur  fragt,  wo  der  Einschnitt  su  machen 
ist,  welcher  beide  Theile  von  einander  trennt.  Da  es  eine 
Spalte  sein  mfifste,  in  welche  voraussetslich  die  ganse 
Zeit* von  der  Zerstörung  Jerusalems  bis  cum  Jfingsten  Tag, 
also  muthmafslich  ein  Zeitraum  von  mehreren  Jahrtausen- 
den, hineinfiele :  so  sollte  sie,  mufa  man  denken,  kenntlich 
beseichnet,  und  folglich  leicht  und  mit  Debereinstimmung 
so  finden  sein.  Es  ist  kein  gutes  Vorxeichen  fflr  die  Vor- 
anssetsung,  dafs  man  diese  Uebereinstimmung  vergeblich 
Dax  Leben  Jesu  $te  Aufl.  Ef.  Bfind,  24 


S70  '  Dritter  Abflchnitt. 

soobt,  vielmehr  nn  den  verichiedeneten  Oertem  der  K«de 
Jesu  Jener  Absobnitt  gefunden  worden  i»^. 

Da  auf  der  einen  Seite  so  viel  ehtscbieden  cn  sein 
schien,  dafs  wenigstens  der  SchliiCs  des  25ten  Kapitels, 
von  V.  31.  an,  mit  den  Reden  von  dem  feierliehen  Gerichte, 
welches  der  Messias,  von  den  Engeln  umgeben,  über  alle 
Völker  halten  werde,  nicht  auf  die  Zeit  der  Zerstörung 
Jerusalems  besogen  werden  könne:  so  glaubten  manche 
Theologen  hier  dieUränce  abstecken,  und*  bis  25,  SO  swar 
die  Besiehnng  auf  das  Ende  des  jttdisohen  Staates  festhal- 
ten m' können,  von  da  an  aber  zum  Weltgericht  am  Ende 
der  Dinge  Sbergehen  eu  mfissen  ^).  Auffallen  mnfs  bei 
dieser  Erklärung  schon  diefs,  die  grofse  Kluft,  weiche 
derseiben  sufolge  e wischen  25,  30.  und  31.  stattfinden 
möfste,  durch  ein  einfaches  St  beseichnet  eu  «sehen.  Dann 
aber  wird  hiebei  nicht  nur  das  von  Sonnen  •  und  Honds- 
finsternissen ,  Erdbeben  und  herabfallenden  Sternen  Ge- 
sagte als  blofses  Bild  für  den  Untergang  des  Jüdischen 
Staats  und  Cultus  erklärt,  sondern,  dafs  84,  31*  vom  Mes- 
sias gesagt  ist,  er  werde  auf  den  Wolken  kommen,  das 
soll  heifsen:  unsichtbar;  mit  Macht,  das  heifse :  nur  durch 
seine  Wirkungen  bemerkbar;  mit  vieler  Herrlichkeit,  d«  b. 
mit  einer  solchen,  die  aus  Jenen  Wirkungen  werde  er> 
schlössen  werden  können;  die  alle  Völker  susammentrom- 
petenden  äyyfloi  aber  sollen  die  predigenden  Apostel  sein  % 
Völlig  mit  Unrecht  beruft  man  sich  für  eine  solche 
blofs  bildliche  Bedeutung  der  angefahrten  Zöge  auf  die 
prophetischen   Gemälde  der  göttlichen  Gerichtstage,  Jet. 


5)  So  LiSHTroOT,  x.  d.  St.;  Flatt,  Comm.  de  notione  Tocii 
ßaaiUCa  rtav  M^aräy^  in  ViLTiivsiiv^s  und  A.  Sammlung,  2,  461  ff-; 
Jahn,  Erklärung  der  Weissagungen  Jesu  von  der  Zerstörung 
Jerusalems  u.  s.  w. ,  in  Bihsil^s  ÄrchiT  2,  1,  S.  79  ff-  >  »■'^ 
Andere,  s.  bei  Schott,  S.  75  f« 

6^  So  namentlich  Jaioi,  in  der  angef.  Abhandlung. 


Krste«  Kapitel    $.  113.  S71 

13,  9  ff.  24,  18  ff.  Jeren.  4,  i3  f.  Eseeh.  St,  7  ff.  Joel. 
S,  3  ff  Arnos  8,9.;  femer  aaf  Schildemiigen  wie  RiehL 
5,  20.  A.  6.  2.  17  ff. ').  In  Jenen  Prophetenstellen  ist  von 
wirklichen  Sonnen-  nnd  Mondffiosternissen ,  Erdbeben  o. 
dergt.  die  Rede,  welehe  als  Prodigien  die  yerkSodigte  Ka- 
tastrophe begleiten  sollten;  im  Liede  der  Debora  ist  eben« 
so  ?on  eineoi  wirklichen  Antheil  des  Himmels  am  Streite 
wider  Sissera  die  Rede ,  weicher  Antheil  in  der  Frclh- 
iung,  4,  15.,  Gott  selbst,  hier  im  Liede  seinen  himmlisohen 
Heersehaaren  sugesehrieben  ist;  Petras  endlich  erwartet, 
dtfs,  nachdem  die  Aasgiefsoog  des  Geistes  In  Brfallang 
gegsngen,  demniichst  nun  auch  die  unter  den  Voreeicbeii 
der  i^fieQo  KvQiS  verbeifsenen  Krscheinongen  am  Bimmel 
eintreffen  vrerden. 

Füllt  hiemit  der  Versnob,  Ton  hinten  herein  gehend 
bei  25,  30.  abzntheüen,  durch  die  Unfähigkeit,  das  weiter 
Torwfirts  Liegende  so  erklären,  in  sich  selbst  eusammeo: 
so  Isg  es  nahe,  von  vorne  herein  au  sehen ,  bis  wohin  die 
Besiehung  auf  die  nächste  Zukunft  nothwendig  festeuhal« 
ten  sei :  u  nd  da  ergab  sich  der  erste  Höhepunkt  hinter 
24,  2S.;  denn  was  bis  dahin  Ton  Krieg  nnd  andrer  Noth, 
Tom  Gräuel  im  Tempel,  von  der  Mothwendigkeit  schleuni- 
ger Flucht y  am  beispiellosem  Elend  eu  entgehen,  gesagt 
ist,  das  kann  aus  der  Besiehong  snr  Zerstörung  Jerusa» 
leais  ol|ne  die  gröfste  Gewalt  nicht  gerissen  werden :  was 
aber  folgt,  vom  Erscheinen  des  Menschensohns  in  den 
Wolken  n.  s«  f. ,  erheischt  eben  so  dringend  eine  Besie* 
bong  auf  die  lefEten  Dinge  ^).  Hiebei  jedoch  scheint  es 
Beorderst  unbegreiflich,  wie  man  den  ungeheuren  Zeit- 
mom ,  welcher  auch  bei  dieser  Erklärung  swischen  den 
einen  und  andern  Theil  der  Rede  fällt,   gerade  awisehea 


7)  KsRif,  Hsnptthatsachen,  Tiib    Zeitachr.  1836,  9,  S.  140  ff. 

8)  So  Storr,  OpuBC.  acad.  3,  S.  34  ff. ;   Paulus  ,  exeg.  Handb., 
3,  A,  S.  346  f.    402  f. 

24* 


372  Dritrer  Abschilitt. 

fewel  Verse  hineinlegen  kann,  welehe  Matthias  doreh  eine 
Partikel  der  kttrseslen  Zeit  Ov^^kog)  verbindet  Man  hat 
diesem  üebelstande  durch  die  Behauptung  abcuhelfeo  ge« 
sucht,  dafs  (vd'ioig  hier  nicht  die  schnelle  Folge  der  eines 
Begebenheit  auf  die  andere ,  sondern  nur  das  unerwartete 
Eintreten  eines  Ereignisses  bezeichne,  und  also  hier  nsr 
so  viel  gesagt  werde:  plötelich  einmal  (unbestimmt,  wie 
lange)  nach  jenen  Bedrängnissen  bei  der  Zerstörung  Je- 
rusalems werde  der  Messias  sichtbar  erscheinen.  Abge- 
sehen dayon  jedoch,  dafs  eine  solche  Deutung  Ton  £i;^aui;, 
wie  Olshaussn  richtig  sieht,  ein  blofser  Nothbehelf  iit,  to 
ist  durch  dieselbe  nieht  einmal  wirklich  geholfen,  indea 
nicht  allein  der  parallele  Markus  V.  24.  durch  sein  iv 
ixehaig  laJg  rjteQaig  fifiu  tr^v  ihiJijnv  ixhlvr^v  die  von  hier 
an  gemeldeten  Erfolge  in  dieselbe  Zeitreibe  mit  den  sQvor 
erslblten  verlegt,  sondern  auch  kurc  bernaeh  Obereinttin- 
mend  in  allen  Berichten  (Matth.  V.  34.  parall.)  die  Ver- 
sicherung doh  findet ,  alles  diefs  werde  noch  von  der  ge- 
genwärtigen Generation  erlebt  werden.  Da  auf  diese  Weite 
der  Annahme,  dafs  von  V.  29.  an  Alles  auf  die  Wiede^ 
kunft  Christi  cum  Weltgericht  gehe,  durch  den  34  ten  Ven 
Vernichtung  drohte:  so  wurde  nunmehr,  wie  schoa  der 
Wolfenbattier  klagt'),  das  Wort  y&ta  gefoltert,  dsfi  ei 
der  VoraussetEung  nicht  mehr  entgegen  sein  sollte.  Bald 
mufste  es  die  jtfdische  Nation  ^<0  9  bald  die  Anblinge^ 
Schaft  Jesu  '^)  {bedeuten,  und  von  dar  einen  oder  an* 
dern  sollte  Jeans  sagen,  sie  werde,  unbestimmt  in  der  wie- 
vielten Generation,  befm  Eintritt  jener  Katastrophe  noch 
vorhanden  sein.  So  den  gedachten  Vers  sn  erklären,  dati 
er  eine  Zeitbestimmung  gar  nicht  enthalte,  soll  selbst  noth* 
wendig  sein  in  Rücksicht    auf  den  gleichfolgenden  SStes; 


9)  a.  a.  O.     S.  188. 

10)  Stomr,  a.  a.  O.    S.  39.  116  ff. 

11)  Paüixs  z.  d.  St. 


I 

J 


Erstes  Kapitel.    $.  113.  373 

da  nSmlieh  In  diesem  Jesus  den  Zeitponkt  jener  Katastro* 
pbe  Btt  bestimmen  fQr  «nmdglioh  erklfire,  so  könne  er  niotit 
onoüttelbar  vorher  eine  solche  Bestimmung  gegeben  haben 
dareh  die  Versioherang ,  dafs  seine  2«eitgenossen  noch  AI* 
let  erleben  wOrden.  Indefs  diese  angebliche  Itdthigung^ 
das  yevea  so  so  deaten^  ist  längst  ans  dem  Wege  geschafft 
doreh  die  Unterscheidung  cwischen  der  nngefähren  Be- 
seichoang  des  Zeitranms,  5ber  den  das  fragliche  £reignib 
nicht  hinausfallen  werde  (y€veu)j  welche  Jesus  gibt,  und 
der  genauen  Bestimmung  des  Zeitpunkts  irj/niQa  xal  wQa)^ 
in  welchem  es  eintreten  werde,  die  er  nicht  geben  sn  kön- 
nen versichert  ^*).  Doch  selbst  die  Möglichkeit^  yevea  auf 
eine  der  angegebenen  Arten  su  deuten,  verschwindet,  wenn 
Bisa  erwägt,  dals  in  XTerbindung  mit  einem  Verbnm  der 
Zeit  und  ohne  sonstige  Bestimmung  yevea  unmöglich  eine 
andre  als  seine  ursprüngliche  Bedeutung :  Generation, 
Zeitalter,  haben  kann;  dafs  in  einen  Zusammenhang,  wal« 
eher  die  Zukunft  des  Messias  durch  Zeiched  su  i>estlm« 
nen  sucht,  ein  Ausspruch  Obel  passen  wQrde,  der^  statt 
Ober  den  Eintritt  jener  Katastrophe  etwas  aussusagen, 
vielmehr  von  der  Dauer  des  jödischen  Volks  oder  der 
christlichen  Gemeinde  handelte,  von  welcher  gar  nickt 
die  Rede  war;  dafs  auch  schon  V.  33  in  dem  vfĀT$  crvav 
ifJf^te  Tiavza  tavzay  yivoiaxeze ^ x.  t.  L  vorausgesetzt  ist,  die 
Angeredeteq  worden  die  Annäherung  des  fraglichen  Er- 
eignisses noch  erleben;  endlich,  dafs  an  einer  andern 
Stelle  (Mattb.  16,  28.  parall.)  die  Versicherung,  die  An- 
lionft  des  Menscbensehns  noch  su  erlel>en,  statt  von  der 
ytna  aikfj  geradezu  von  nai  %wv  wde  egcivKiV  gegeben  wird, 
wodurch  aufs  Entscheidendste  daigethan  ist,  dafs  Jesus 
sqoh  an  unserer  Stelle  unter  jenem  Ausdrucke  das  Ge« 
schleciu  seiner  Zeitgenossen  verstanden  hat,  welches  noch 
nicht  ausgestorben  sein  sollte,  bis  jene  Katastrophe  eintr«^ 


12)  a.  HviA(i^  in  Malth.  S.  6^9, 


374  Dritter  Abtchnitt. 

ten  wttrde  ^').  Dlel'B  absolfiagnen  aaher  Stande ,  nnd 
doch  das  hier  angekOndigte  Weiteode  and  die  2ieit  Jein 
fnöglichst  aaieinandersurfloken  beodttht ,  wollen  Andere  in 
dem  fraglichen  Aussprache  nur  so  viel  finden,  daft  noch 
im  damaligen  Zeitalter  die  bis  daher  beschriebenen  E^ 
folge  anfangen  werden  in  ErfttUung  sa  geben;  deren 
rollst&ndige  ErfflUang  daram  doch  noch  viele  Jahrbonderte 
BÖgern  könne  ^0*  Allein  wenn  schon  V.  8.  von  Anfing 
der  ürangsalsperiode  die  Rede  gewesen ,  von  V.  14.  aber 
das  durch  sie  eingeleitete  Ende  der  gegenwärtigen  Welt« 
seit  beschrieben  worden  war,  und  es  heifst  naui  das  ge* 
genwirtige  Geschlecht  werde  nicht  vorfibergehen,  ewi;  av 
navta  lavta  yhr/tai :  so  können  darunter  unmöglich  blof« 
jene  Anfinge,  sondern  mfissen  die  suletst  besprocheoeo 
Momente  des  Weltendes  selbst  verstanden  sein. 

Findet  sich  demnach  noch  V.  S4.  etwas ,  das  auf  ein 
dem  Zeitalter  Jesu  sehr  nahes  Ereignifs  su  besieben  ist: 
so  kann  nicht  schon  von  V.  29t  an  die  Rede  Jesu  auf  (Ui 


13)  vgl.  den  Wolfenbüttler,  Fragmentiaten ,  s.  a.  O.  S.  190  ff. 
Schott,  a.  a.  O,  S.  127  ff. 

14)  Hbjlm,  a.  a.  O.  S.  141  f.  Dass  zwischen  dem  Zeitpunkte^  io 
welchem  er  sprach^  und  dem  Weitende  Jesus  einen  ungleidi 
längeren  Zeitraum  als  den  bis  zu  der  Zerstörung  Jerusaleoi 
mitten  inne  liegend  sich  gedacht  habe ,  glaubt  Kbrn  auf  den 
kürzesten  Wege  ans  V.  14.  unseres  24sten  Kapitels  Lei  Mat- 
thäus beweisen  zu  können^   wo  Jesus   sagt:   xai  xr^^x^i^""^ 

THTO  t6  fvayyiXioy  r^i  ßaaiXtCaq  er  oXij  r^  olxnfifvfi  flf  fta^v^ 
nam  rot;  f&yeat,  »at  t6c9  ijifi  ro  riXoi  —  ZU  einer  solchen  Aul* 
breitung  des  Christenthums  sei  doch  „unwidersprechlich*^ 
eine  ungleich  längere  Zeit,  als  jene  paar  Jahrzehente,  er- 
forderlich. Zum  Glücke  widersprechen  die  Apostel  selbtt, 
wenn  sie  noch  vor  der  Zerstörung  Jerusalems  das  Evange- 
lium als  bereits  in  jenem  umfange  verbreitet  darstellen. 
Z.  B.  Kol.  1  y  5  :  r»  euayyil^ ,  ( 6  )  r«  na^rrog  -  *V  Tteori  t>- 
MOOfua  —  (23)  —  TÄ  xtf0tx&fyroi  iv  naofi  rij  »rtatt  r^  Imo  rot 
ifttror.    Vgl,  Rom.  10,  13. 


Erstes  KaptleL    S*  113.  S7ft 

«Dtfenito  Ende  der  Weit  gehen,  sondern  man  mab  den 
Einschnitt  noch  etwas  weiter  hinaus  y  etwa  naeh  V.  U. 
oder  42.,  setsen  *')•  Allein  hiebei  behält  man  dann  Ans» 
iprQehe  im  Röcken,  welche  der  Oeotang  auf  die  Zeit  von 
Jerusalems  Zerstörung,  die  man  dem  Abschnitt  bis  an  den 
beseichneten  Versen  geben  will,  widerstreben;  man  mufs 
in  den  Reden  Ton  dem  herrlichen  Konimen  Christi  auf 
den  Wolken  und  dem  Versammeln  aller  Völker  durch 
Kngel  (V.  30  f.)  dieselben  ungeheuren  Tropen  finden,  an 
welchen,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  eine  andere  Ab* 
thelloog  gescheitert  ist« 

Hat  auf  diese  Weise  der  Ausspruch  V.  34,  welcher, 
sammt  der  Torangehenden  BUderrede  vom  Feigenbaum  CV« 
12  f.)'  nnd  der  angehfingten  BekrXftigung  (V.  350»  auf  ein 
•ehr  nahes  Erelgnifs  sich  beaiehen  mnfii,  sowohl  ohnehin 
vorwärts  Reden,  welche  nur  auf  die  ferne  Katastrophe 
gehen  können,  als  auch  rfickwirts  bereits  eben  solche:  so 
teheiot  er  in  dem  Contexte  der  fibrigen  Rede  als  Oase  von 
eigenthQmlichem  Silin  mitten  inne  nu  liegen.  So  nimmt 
Schott  an,  nachdem  Jesus  bis  V.  26.  von  der  Zerstörung 
Jernsalems  gesproehen ,  sei  er  awar  V.  27.  auf  die  Ereig* 
nitse  am  Ende  der  jetaigen  Weltperiode  öbergegangen, 
V.  32,  aber  komme  er  auf  das  die  Zerstörung  Jerusalems 
Betreflfende  surfick,  und  fahre  erst  V.36.  wieder  über  das 
Weltende  sa  sprechen  fort  ^0«  Allein  das  heifst  in  der 
Yersweiflnng  den  Text  nerhaoken;  denn  so  unordentlich 
und  springend  luuin  Jesus,  noch  dasn  ohne  in  der  Anein« 
anderreihung  der  Sätze  eine  Andeutung  su  geben,  unmög« 
lieh  gesprochen  haben« 

Das  soll  er  auch  nicht,  meint  die  neuere  Kritik,  sön-^ 
derii  auf  Rechnung  der  Referenten  soll  es  kommen,   ver« 


15)  Jenes  SIisriko,  yermischte  Aufsütze,  S.  90  iT. ;  dieses  HuiköLi 

in  Matth.  p.  653  ff. 
^ti)  8.  deft&cn  Conunontariui ,  2.  d.  St. 


375  Dritter  Absehnitt. 

srhiedene,  niobt  snaamniengehdrlge  Aossprficbe  Jesu  Dicht 
ia  dep  besten  Ordoong  aoeinandergeflQgt  sn  haben.  Mat- 
tbäoA  freilich,  rfiumt  Schulz  ein,  stelle  sieh  diese  Reden 
als  in  Einem  Zage  gesprochen  vor,  nnd  nur  Willkür  oder 
Gewalt  könne  sie  in  dieser  Hinsicht  auseinanderreir«en: 
sehwerlich  aber  habe  Jesus  selbst  sie  in  diesem  Znssmmen- 
hanff  ond  mit  diesem  Totalgepräge  vorgetragen  ^').  Die 
verschiedenen  Momente  seiner  Zukunft,  meint  Sieffert, 
seine  unsichtbare  Parusie  cur  Zerstörung  Jerosalemi,  and 
seine  eigentliehe  am  finde  der  üinge ,  möge  Jesus  swar 
nicht  ausdrücklich  gesondert  haben ,  doch  habe  er  sie  si- 
cher auch  nicht  positiv  verbunden ;  sondern ,  was  er  still- 
schweigend aneinanderreihte,  das  sei  den  Evangelisten  der 
Dunkelheit  des  Gegenstandes  wegen  in  einander  veVflos- 
aen  ^®).  Und  indem  hier  swischen  Matthlius  und  Lukas 
die  Differens  wiederkehrt,  dafs,  was  Matthäus  in  Einen 
Zusammenhange  gesprochen  sein  Ififst,  bei  Lukas  an  ?e^ 
schiedene  Stellen  vertheilt  ist,  woxu  noch  kommt,  daft  er 
manches  von  Matthäus  Mitgetheilte  theils  gar  nicht,  theils 
anders  gibt :  so  glaubte  sich  ScHLEiERMACHEa  *^)  berech- 
tigt,  die  Composition  des  Matthäus  geradezu  aus  Lokai 
zu  rectificiren,  und  zu  behaupten ,  während  bei  Lukas  die 
zwei  getrennten  Beden,  17,  22  S*  und  21,  5  ff.,  Jede  ibreo 
guten  Znsammenhang  und  ihre  unzweifelhafte  Besiehong 
haben,  sei  bei  Matthäus  (Kbp.  24.  nnd  25.)  durch  Ve^ 
mengung  jener  beiden  Vorträge  nnd  HinznfQgnng  ande^ 
weitiger  Redestfloke  sowohl  der  Zusammenhang  verdorben, 
als  die  Beziehu^ng  verdunkelt  worden.  Soll  nun  aber  In 
der  Rede  Luc.  21.  für  sich  genommen   niebta  sein^  ws< 


17)  Ueber  das  Abendmahl,  S.  SIS  f. 

18)  Uebcr  den   Ursprung  des   ersten  kanon.    Evangel.    S.  119  ff- 
Aebnlich  >yiissi,  a.  a.  O. 

J9)  Uebcr  den  Lukas,    S.  2)5  ff.  265  ff.     Ihm  schiiesst  sich  luch 
hier  Ni4»DiR  an ,   S,  562. 


•,.-   J 


Erstes  Kapitel.    §•  113.  377 

fiber  die  Beslehang  anf  die  Einiiahoie  Jerusalems  und  das 
damit  Zusammenhängende  hinauifginge:  so  findet  sich  doch 
iocb  hier  (V.  27)  das  tote  oipanat  tov  viop  t5  dud'Qci.ia 
iQloiibvaif  iv  v£qiXt-  y  and  wenn  diefs  Scbliisrmacher  als 
blobes  Bild  fiBr  die  su  Tage  kommende  religiöse  Beden« 
tDDg  der  suvorbeschriebenen  politischeii  und  Naturbege« 
beubeiten  erlilXrt:  so  ist  diefs  eine  Gewaltsamkeit,  an  wel- 
cher seine  gsnse  Ansicht  von  dem  Verh&ltnils  der  beiden 
Berichte  scheitert.  Wenn  auf  ^lese  Welse  In  der  Ver» 
knäpfuog  des  Endes  aller  Dinge  mit  der  Zerstörung  des 
Tempels  au  Jerusalem  Matthins  keineswegs  allein  steht, 
sondern  Lukas  sie  gleichfalls  macht,  pnd  ohnehin  Markus, 
der  io  diesem  Abschnitt  einen  Ansang  aus  Matthäus  gibt : 
so  msg  Ewar  vielleicht  auch  in  dieser  Rede  Jesu,  wie  in 
andern,  die  sie  mittheilen.  Manches  au  verschiedenen  Zei- 
ten (jesprochene  ausammengestellt  sein;  aber  au  der  An« 
nähme  hst  man  kein  Recht,  dafs  gerade  dss  anf  jene  bei- 
den nach  nnaerer  Vorstellung  so  weit  auseinanderliegenden 
Begebenheiten  sich  Beaiehende  das  Michtausammengehörige 
sei,  Eumal  wir  aus  der  übereinstimmenden  Darstellung  der 
Qbrigen  N.  T. liehen  Schriften  ersehen,  dafs  die  erste  Ge- 
meinde die  Wiederkunft  Christi  sammt  dem  Ende  der  ge^ 
genwfirtigen  Weltperiode  als  nahe  hevorstehend  erwartete 
(s.  1.  Kor.  10,  11.  in,  51.  Phil.  4,  5.  1.  Thess.  4,  15  ff. 
Jac.  5,  8.  1.  Petr.  4,  7.  1.  Job,  2,  18.  Offenb.  1,  1.  3. 
3,  11.  22,  7.  10.  12.  20.). 

Lufst  sich  demnach  dem  Anerkenntnifs  nicht  auswei- 
chen, dsfs  Jesus  in  seiner  Rede,  wenn  wir  sie  nicht  selbst- 
beliebig aerreifsen,  au  Anfang  von  der  Zerstörung  Jeru- 
salems, weiterhin  und  bis  cum  Schlüsse  von  seiner  Wie- 
derkunft am  Ende  aller  Dinge  rede,  und  dafii  er  beides 
in  onmjttel baren  Zeiteosammenhang  setae  :  so  bleibt ,  um 
seine  Verkfindignng  aufrecht  an  erhalten,  nur  noch  die 
Eine  Auskunft,  sein  Kommen,  von  dem  er  spricht,  «war 
ainerseits  in  der  Zukunft  au  belassen,  es  aber  andre[rseits 


S7S  Dritter  Abtehnitt. 

Bogleieh  in  die  Gegenwart  herfibersEasiehen ;  es  aoi  einem 
blofs  kfinftigen  eum  immerwährenden  so  maoben.  Die 
gaose  Wekgescbichte,  sagt  man  bienacb,  seit  der  ersten 
Ericheinung  Christi,  ist  ein  uneichtbaree  Wiederliooinien 
desselben,  ein  geistiges  Gericht,  das  er  fibor  die  Mensch- 
heit hält.  Davon  ist  die  Zerstörung  Jerusalems  (in  nnie- 
Stelle  bis  V.  28.)  nur  der  erste  Aot ;  in  unmittelbarer  Folge 
C€t»€(og,  V.  29£F.)  schliefst  sich  hieran  die  darch  die  Ve^ 
kfindigung  des  Evangelia^is  in  der  Menschheit  bewirkte 
Umgestaltung,  welche  in  einer  Reihe  von  Acten  und  Epo- 
chen hinabläuft  bis  an's  Ende  der  Dinge,  wo  das  in  der 
Weltgeschichte  nach  und  nach  voUsogene  Gericht  sich  lo 
Einer  Alles  umfassenden,  abschliefsenden  Offenbarung  iLond 
geben  wird  ^^.  Allein  das  berühmte  Dichterwort,  aus  dem 
Mittelpunkte  des  modernen  Bewufstseins  heraus  gespro* 
oben,  eignet  sich  schlecht  cum  SchlQssel  einer  Rede,  wel- 
che mehr  als  irgend  eine  andere  in  dem  Standpuniite  der 
alten  Welt  ihre  Wursel  hat«  Das  Weltgericht,  das  Kom- 
men Christi,  als  etwas  Successives  au  betrachten,  ist  der 
schärfste  Gegensata  gegen  die  Vorstellnngsweise  des  N.  T. 
Sohpn  die  Ausdrücke,  mit  welchen  es  jene  Katastrophe 
beaeichnet,  wie  ixuvt]  oder  iayjotr^  rjfitQaj  aeigen,  dafs  sie 
als  momentane  an  denken  ist;  die  (TirvTcleia  tö  akorogf 
nach  deren  Zeichen  die  Jünger  CV.  3.) 'fragen,  und  welche 
Jesus  anderswo  (Matth.  13,39.)  unter  dem  Bilde  der  Ernte 
darstellt,  kann  nur  der  endliche  Abschlufs  des  Weltve^ 
laufe,  nicht  etwas  sein,  das  sich  während  dieses  Verlaofes 
allmählig  verwirklicht;  wenn  Jesus  seine  Parusie  mit  emea 
Blitze  (24,  370  i  ihr  Hereinbrechen  mit  dem  des  Diebs  is 
der  Nacht  vergleicht  (V«  43.):  so  will  er  sienladurch  als 
Ein  plötalich   eintretendes  Ereignifs,    und   nicht  als  eine 


20)  Olsraumw,  bibl.  Gomm.  I,  S.  865;   KiRx,'a.  a.  O.  S.  \i$S- 
Vgl.  Stsudil;  Glaub easlehre,  S.  479  S. 


Erstes  KapiteL     t.  113.  S79 


Reih«  ▼•o  aaleben,  heseicbnen  *^)«  Nimmt  man  dasn  noch 
die  unerlidrten  Tropen,  bu  weieben  men  bei  dieser  Aue*, 
legong  nicht  minder,  als  bei  der  oben  erwähnten  Deutung 
des  24ten  Kapitels  auf  den  Untergang  des  Jndentbums^ 
sich  genöthigt  findet  ^) :  so  wird  man  auch  von  dieser 
Aoskttnft^  wie  von  allen  bisherigen,  wieder  abstehen 
■Assen. 

Ist  liiemit  der  letate  Versnob  gescheitert ,  die  gro(se 
Kloft,  welche  auf  unserem  heutigen  Star.dpnnkte  swischen 
der  Zerstörung  Jerusalems  und  dem  Ende  aller  Dinge  be* 
festigt  bt,  auch  in  die  vorliegenden  Reden  hineinxubrin- 
gen :  so  sind  wir  thatsächlich  belehrt,  dafs  Jene  Trennung 
eben  nur  unsere  Vorstellung  bt,  die  wir  in  die  Darstel« 
Ipng  des  Textes  nicht  hineintragen  dürfen.  Und  wenn 
wir  erwfigen ,  dafs  wir  die  Vorstellung  von  jener  KJuft 
our  der  Erfahrung    der  vielen  Jahrhunderte  verdanken. 


31)  Vgl.  besonders  Wiixsi.,  die  Zeit  des  )Ungsten  Tags  u.  s.  f. 
in  den  Studien  der  evahg.  Geistlichkeit  Wiirtembergs,  9,  3, 
S.  140  :ff.    154  ff. 

22)  Nach  H  srm  heseichnet  das  ^Ktrtjo^rm  otjfitlw  th  u«  t.  a.  ir  a^- 
v^  ,>daa  Sichtbarwerden  alles  desjenigen,  was  epochemachend 
in  der  Entwicklung  der  Geschichte  der  Menschheit  so  her. 
vortritt,  dass  sich  daraus  das  Wirken  des  in  der  Geschichte 
der  Menschheit  waltenden  Christus  so  anschaulich  erkennen 
lasst|  ^ie  wenn  man  das  Zeichen  Christi  am  Himmel  schau- 
te \  das  xa\  Tore  xoxJxxvTat.  naaeci  at  tpü?.ui  r^g  yt-;  ist  zu  verstehen 

von  dem  schmerzlichen  Ergriffensein  der  Menschen  durch 
die  mit  der  Verbreitung  des  Reichs  Christi  verbundene 
jr^ts,  als  Ausstossung  des  Ung'öttlichen  i^us  der  Welt  und 
Ert'ddtung  des  alten  Menschen/^  Noch  weiter  lässt  sich  vom 
allegoristischen  Taumel  Weisse  fortreissen:  Christus  }|be* 
klagt  die  Schwangeren  und  Säugenden ,  d.  h.  die ,  welche 
noch  innerhalb  der  alten  Ordnung  schaffen  und  erzeugen 
wollen;  er  beklagt  ferner  die,  deren  Flucht  in  den  Winter 
fällt,  d.  1i.  in  eine  rauhe,  unwirthbarc  Zeit,  die  keine 
rrttchte  für  den  Geist  trägt  ^(S.  592.). 


^ 


380  Dritter  Abschnitt. 

welche  seit  der  Zerstörung  Jerasalems  Ferflossen  sind  r  so  nsfii 
es  uns  leicht  werden,  ans  eo  denken,  wie  der  Urheber 
dieser  Reden ,  welcher  diese  Erfahrnng  noch  nicht  hinter 
sich  hatte,  die  Vorstellong  hegen  konnte,  dafs  bald  nach 
dem  Falle  des  Jüdischen  Heiligthnrns ,  nach  Jüdischer  Vor- 
atellnng  des  Mittelpunkts  der  Jetsigen  Welt,  es  aueh  mit 
dieser  selbst  ein  Ende  nehmen,  und  der  Messias  sum  Ge- 
richt erscheinen  werde. 

§.     114. 

Ursprang  der  Reden  über  die  Farusie. 

In  dem  suletst  gefundenen  Ergebnifs  über  die  unserer 
Betrachtung  vorliegenden  Reden  ist  nun  aber  etwas  ent- 
halten ,  welches  su  vermeiden  alle  bisher  l>enrtheilten  fal- 
schen Erklfirungsversnche  gemacht  worden  aind.  Bat 
nSmlich  Jesus  sich  vorgestellt  und  ausgesprochen,  dafi 
bald  nach  dem  Falle  des  Jüdischen  Heiligthums  seine  sicht- 
bare Wiederkunft  und  das  Ende  der  Welt  erfolgen  werde; 
wAhrend  nun  seit  jener  ersten  Katastrophe  fast  1800  Jahre 
hingegangen  sind,  ohne  dafs  die  andere  eingetreten  wire: 
so  hat  er  in  diesem  Stücke  geirrt;  und  wer  nun  auch 
dem  exegetischen  Augenscheine  so  Viel  nachgibt,  uro  in  je- 
nem Ergebnifs  über  den  Sinn  der  vorliegenden  Reden 
mit  uns  übereinaustimmen ,  der  sucht  doch  aus  dogma- 
tischen Rücksichten  dieser  Folgerung  ans  demselben  ani- 
suweichen. 

Bekanntlich  hat  Hengstenbrro  in  Beaug  auf  die  6e* 
sichte  der  hebräischen  Propheten  die  VorstellungsweiM 
aufgebracht,  welche  auch  bei  Andern  Beifall  gefunden,  ei 
haben  sich  dem  geistigen  Schauen  dieser  Mfinner  die  es- 
künftigen  Dinge  nicht  sowohl  in  dem  Medium  der  Zeit, 
als  vielmehr  des  Raumes,  gleichsam  als  grofse  Tablesox, 
dargeboten;  wobei,  wie  diefs  bei  Gemfilden  oder  Ferosich* 
ten  der  Fall  ist,  das  Entfernteste  oft  unmittelbar  hinter 
dem  ^'ächstcn  au  stehen  geschienen ,  Vorder  -  und  Hiater- 


Erstes  Kapitel.    $.  114.  381 

grund  sich  miteinander  vermengt  haben :  nnd  diese  Theprie 
?on  einem  perspectiviscben  Schauen  soll  nan  aoch  auf 
Jetam,  namentlich  in  Betreff  der  vorliegenden  Reden, 
ihre  Anwendung  finden  0*  Allein ,  was  Paulus  schlagend 
kmerkt  hat  ^ ,  wie  derjenigei  welcher  in  einer  AuCierlieh 
gegebenen  Perspective  die  Entfernungen  nicht  au  "unter- 
scheiden weifs,  sich  in  einer  optischen  Tfiuschnng  befin« 
det,  d.  h.  irrt:  ebenso  wird  bei  einer  innerlichen  Per- 
spective von  Vorstellungen I  wenn  es  so  etwas  gibt,  daa 
Debersehen  der  Distanaen  ein  Irrtbnm  genannt  werden 
mflssen  ;  und  es  zeigt  somit  diese  Theorie  nicht,  dafs  Jene 
Minner  nicht  geirrt  haben,  sondern  erlilärt  vielmehr  nur, 
wie  sie  leicht  irren  konnten. 

Auch  Olshausen  hfilt  dfiher  diese,  von  ihm  sonst  adop* 
drte  Betrachtungsweise  nicht  für  aureichend ,  iii  gegen- 
wfirdgem  Fall  allen  Schein  des  Irrthums  von  Jesu  au  ent- 
fernen, und  sucht  defswegen  aus  der  eigenthflmlichen  Na- 
(ar  der  Thatsache ,  von  deren  Voraussage  es  sich  handelt, 
noch  besondere  Rechtfertigungsgrände  abanleiten  ').  Fflr*s 
Erste  soll  «s  cur  ethischen  Bedeutsamkeit  der  Lehre  von 
ChriiCl  Wiederkunft  gehören,  dafs  diese  jeden  Augenblick 
fflr  möglicli,  ja  wahrscheinlich,  gehalten  werde.  Allein 
hiedarch  sind  biofs  Aeufserungen ,  wie  Matth.  24,  37  ff.f 
gereehtferCigt,  wo  Jesus  aur  Wachsamkeit  ermahnt,  weil 
Niemand  wissen  könne,  wie  bald  der  entscheidende  Au- 
geoblick  komme;  keineswegs  aber  solche,  wie  24,  34,  wo 
er  versichert,  noch  vor  Ablauf  eines  Menschenalters  werde 
Alles  in  Erfüllung  gehen;  denn  das  Mögliche  denkt  sich, 
wer  eine  riehtige  Vorstellung  hat,  eben  als  möglich,  das 
Wahrscheinliche  als  wahrscheinlich,  nnd  wenn  er  bei  der 


1)  HiK68TBiiBias,  Christologie  de«  A.  T.,  1,  a,  S.  305  ff. 

2)  exeg.  Hmdb.,  5,  i,  S.  405,    Vgl.  auch  HsKif,   HauplthiUi- 
chen,  a.  a,  O.  S.  137. 

3)  Bibl.  Comm.  1,  S.  865  ff. 


S81  Dritter  Abschnitt. 

'Wahrheit  bleiben  will,  «teilt  er  es  eben  so  dar:  wer  bis- 
gegen  das  nur  Mllgllcbe  oder  Wahrscheinliche  als  Wirk- 
liches sich  Torstellt)  der  irrt ,  und  wer  es  y  ohne  es  selbit 
so  Toreastellen,  doch  nm  eines  religiösen  oder  morsiitchen 
Zweckes  willen  dafflr  ausgibt,  der  hat  sich  eine  piafravs 
erlaubt.     Weiter  maeht  Olshausxn    das   schon    oben  E^ 
wfihnte  geltend,  die  Ansicht,  dafs  die  Zahonft  Christi  be- 
vorstehe,   habe  ihre   Wahrheit   darin,    dafs   wirklich  die 
ganae  Weltgeschichte  ein  Kommen  Christi  sei,  ohne  d«b 
jedoch  hiedarch    sein   abschliefsendes   Kommen   am   Ende 
der  Dioge   aasgeschlossen  wSre.     Allein ,    wenn  Jesus  alt 
nfichstbcTorstehend  bewiesenermafsen  sein  eigentliches,  ab- 
schliefsendes   Kommen    darstellt,   in    Wahrheit   aber  nor 
sein   aneigentliches,    fortwAhrendes  Kommen    aach  in  der 
nächsten  Zeit  schon  eingetreten  ist :  so  hat  er  diese  beiden 
Arten    seines    Kommens   verwechselt.     Das   Letzte,    wsi 
Olshausen  anfuhrt:    weil   die  Beschlennigang  oder  VercS- 
gerang   der  Wiederkunft  Christi  von    dem  Benehmen  der 
Menschen,   also  von  der  Freiheit,    abhfinge,    so  sei  seine 
\yei8ssgung  nur  bedingt  zu  verstehen ,  steht  ond  fBlIt  mit 
dem  Ersten  ;  denn  etwas  Bedingtes  als  unbedingt  darstellen, 
heifst  eine  irrige  Vorstellung  verbreiten» 

In  fihniicher  Weise  hält  auch  Sieffbrt  die  OrOnde, 
durch  welche  Olshausen  die  Bestimmungen  Jesu  Ober  »ei- 
ne Wiederkunft  dem  tiebiete  des  Irrthums  sa  entnehmen 
sucht,  fttr  ^ungenfigend ;  dennoch  aber  meint  er,  dem  chriit- 
liehen  Bewufstseln  sei  es  nnmöglich,  Jesa  eine  getluschce 
Erwartung  sueuschreiben  ^).  In  keinem  Falle  würde  diefi 
berechtigen,  in  der  Rede  Jesu  diejenigen  Elemente,  wel- 
che auf  den  niheren , ,  und  welche  auf  den  nach  unserer 
Einsicht  entfernteren  Erfolg  sich  beliehen,  wiilkfirllcb 
von  einander  bu  scheiden:  sondern,  wenn  wir  Grfinde 
hfitten,  einen  solchen  Irrtham   von  Seiten  Jeaa  ffir  on- 


4)  Ueber  den  Ursprung  u.  s.  f.  S.  119.    AehnÜch  Waissa,  a.  a.  0. 


Erstes  Kapital.    $.  If4.  S8S 

deDkbar  su  halten ,  to  wBrden  wir  fiberhanpt  die  Reden 
Ton  der  Parnsie,  in  welchen  jene  beiden  Bettandtheile  so 
antrennbar  in  einander  verflochten  sind,  ihm  absprechen 
aifl»en.  Indofs,  Tom  orthodoxen  Standpunkte  betrachtet, 
fragt  man  nicht  cnerst,  was  einem  heutigen  ohrlstltehen 
Bewafstseln  beliebe,  von  Christo  ansonehmen  oder  nicht, 
Modem,  was  von  Christo  geschrieben  stehe,  ist  die  Frage, 
worein  sich  dann  das  Bewnfstsein  wird  bu  schicken  su- 
chen mOssen  so  gut  es  gebt;  rational  die  Sache  angesehen 
aber  hat  ein  solches  auf  Voraussetaungen.  ruhendes  tie- 
f&hl,  wie  das  sog.  christliche  Bewnfstsein  ist,  in  wissen- 
scbaftUcben  Verhfindlungen  keine  Stimme,  ond  ist,  so  oft 
et  sich  in  solche  mischen  will ,  durch  ein  einfaches :  mur 
Her  taceat  in  ecclesia!  cur  Ordnung  tua  weisen  ^). 

Fragt  es  sich  nun,  ob  wir  vielleicht  andere  Gründe 
haben,  die  Weissagungen  Matth.  24,  25.  parall.  Jesu  ab- 
sasprechen  y  so  können  wir  unsere  Untersuchung  an  die 
Behauptung  snpranaturalistischer  Theologen  anknüpfen, 
was  Jesus  hier  voraussage,  habe  er  nicht  auf  dem  natfir- 
liehen  Wege  verstä'ndiger  Berechnung,  sonilern  nur  auf 
übernatfirliche  Weise  vorherwissen  können  ^)  Schon  das 
Allgemeine,  dafs  der  Tempel  serstört,  und  JerimAlem  ver- 
wfiitet  werden  würde,  konnte  nach  dieser  Ansicht  nicht 
10  sicher  voransgewufst  werden/  Wer  hätte  vermuthen 
können,  fragt  man,  dafs  die  Juden  so  weit  in  ihrer  Ra- 
serei gehen  würden,  dafs  jener  Ausgang  herbeigeführt 
werden  mufste?  wer  konnte  berechnen,  dafs  gerade  solche 
Kaiser  solche  Procuratoren  schicken  würden,  welche  durch 
NiedertrSchtigkeit  und  Schwfiche  sur  Empörung  relEten? 
Noch  auffallender  ist  dann ,  dafs"  manche  einzelne  Züge, 
die  Jesus  vorhersagte,  wirklich  eingetroffen  sind.  Die 
Kriege,    Seuchen,   Erdbeben,   Hungersnöthe,   welche  er 


5)  Vgl.  auch  meine  Streittchriften,  1,  1,  Schluss. 

6)  8.  s.  B.  GaATXy  Comm.  i.  Matth.  2,  A44  ff. 


384  Dritter  Abschnitt. 

proplieseibte,  liiuen  sich  in  der  folgenden  Oesobichte  wirk- 
Jich  nachweisen ;  die  Verfolgungen  seiner  Anhänger  sind 
ohnehin  eingetreten ;  die  Voraossagong  von  falschen  Pro« 
pheten^  und  zwar  namentlich  von  solchen,  die  durch  Ve^ 
sprechen  von  Wunderseicben  das  Volk  in  die  Wfiste  locken 
wflrden  (Mattb.  24,  11.  24  flf.  parall.)»  läfst  sich  mit  einer 
auffallend  ähnlichen  Stelle  aus  Josephns  Schilderung  der 
letzten  Zmten  des  Jfidischen  Staats  vergleichen  ') ;  die  /t- 
xlofthj;  vTco  gQaroittdcjy  liQisaaljjfi  bei  Lukas,  womit  der 
;^<r^a^  cu  vergleichen  ist,  welcher  nach  Luc«  19,  43  f.  ubi 
Jerusalem  gezogen  werden  sollte,  kann  in  dem  umstände 
wiedergefunden  werden,  dafs  nach  Josephns  Zeugnifs  Ti- 
tns  Jerusalem  durch  eine  Alauer  einscbliefsen  liefst;  so 
wie  endlich  auch  das  auffallen  kann,  dafs  die  Angaben: 
;hc  aq^id^tieiai  kiO^os  i^i  kii>o»  in  Bezug  auf  den  Tempel, 
und  iöacpiual  ae  (Luc.  19,  44)  in  Bezug  auf  die  Stadt,  in 
wörtliche  Erfüllung  gegangen  sind  ^. 

Wenn  nun  aus  der  Unmöglichkeit,  dergleichen  in  ns- 
tOrlioher  Weise  vorauszusehen,  auf  orthodoxem  Standpunkt 
eine  öbernatürliche  Einsicht  Jesu  gefolgert  wird:  so  an- 
terliegt  die  Annahme  einer  solchen  auch  hier  der  gleiches 
Schwierigkeit,  wie  oben  bei  den  Vorherverköndigongen 
des  Todes  und  der  Auferstehung,  und  noch  einer  weiteren 
dazu.  Fürs  Erste  nämlich  hat  nach  Matthfius  (24,  15.) 
und  Markus  (13,  140  Jesus  das  Eintreten  der  Katastrophe 
an  die  Erffllinng   der  Danielischen  Weissagung  von  einem 


7)  Antiq.  20,  8,  6  (vgl  bell.  jud.  2,  13,  4.):  (H  Si  y^'J^^  "" 
aTfcfTftZrtg  av&Qianoi  rov  o^lov  enfi&or  avnug  elg  rr^v  i^ftCar  %ifw^ 
difCifiy  ya^  ttpaaay  fvaoyjj  rf'^ara  xai  atificia ,  Ttara  Tjyy  t»  ^f «  7^^ 
yotar  yfyo/utva,  Kat  nolXdt  nfio^kvTfg  r^g  aq*^vr^g  ri/aa^;  v^'' 
a^ov      ava^^tyrag  ya^  avrttg  'f'^lii  ettoXaafv. 

8)  Bell.  jud.  5,  12,  1.  2. 

9)  Weitere  Zusammenstellungen  der  von  Josephus  u.  A.  gemel- 
deten Erfolge  mit  der  Weissagung  i.  bei  Crsokb»,'  fiinleit' 
in  das  N.  T.,  1,  S.  207. 


Erstes  Kapitel.    $.  114.  38a 

ßdiXvyfia  rrg  iQt^fttiaeiog  geknApft,   folglieb  Dan*   9^  S7. 
(Tgl.  11,  31.  12,  ll.)*aaf  ein  EreigDifs  bei  der  Zerstörang 
Jerusalems  darch  die  Römer  besogeo.    Dean  was  Paulus 
behauptet,   Jesus   babe  bier  nur  einen  Ausdruck  Fon  Da- 
niel entlehnt,   ohne  jenen   Ausspruch  des  Propheten   als 
Weissagung    auf  etwas  sn  seiner  Zeit  noch  Künftiges  sn 
betrachten,   das  wird   bier   besonders  durch  den  Zuvats: 
0  artcyivaiaxanf  voelrio^  undenkbar*     Nun  aber  darf  es  auf 
dem  jeteigen   Standpunkte    der  A.    T.  liehen   Kritik    und 
Exegese  als  entschieden  angesehen  werden,  dafs  die  ange- 
seigten  Stellen  im  Daniel  auf  die  Entweihung  des  Heilig« 
tbams  unter  Antiochns  Epiphanes  sieh   beaieben  ^^) ,    also 
die  Dentang  derselben ,  welche  die  E?angelisten  bier  Jesa 
leihen,  eine  falsche  ist.    Ferner  aber,  was  dieser  Weiss»» 
gang  eigeothllmlich  ist,   sie  ist  nur  nach  ihrer  Einen ,  Je- 
msslem  betreffenden,  Seite  eingetroffen;   nach  der  andern 
aber,  die  sich  auf  die  Wiederkunft  Jesu  und  das  Wehende 
becogy   unerfdllt  geblieben.     Eine  solche  halbwahre  Weis- 
sagung nun  aber  kann  Jesu  nicht  ans  seiner  höheren  Na- 
tar  gekommen ,  sondern  er  mOfste  hierin  seiner  menschli- 
ebeo  Geisteskraft    Überlassen    gewesen   sein.      Doch   eben, 
wie  er  mittelst  dieser  im  Stande  gewesen  sein  sollte,  einen 
von  so  Tieien  Znffilligkeiten  abhfingigen  Erfolg,   wie   die 
Zerstörung  Jerusalems ,   mit  seinen  Einselheiten  Torausso- 
ishen,  seheint  unbegreiflich,    und   man  wird  von  hier  aus 
auf  die  Vermuthung  gefCIhrk,  dafs  diese  Reden  in  der  Be- 
stimmtheit, wie  wir  sie  hier  lesen,  nicht  vor  dem  Erfolge, 
nithin  nicht  von  Jesu,  gesprochen,  sondern  nach  dem  Er- 
folg ihm  als  Weissagung  in  den  Mund  gelegt  worden  sein 
mögen.    So  nimmt  n.  B.  Kaisbr  an ,   Jesus    habe    nur  be- 
dingt, för  den  Fall,  dafs  die  Nation  sich  nicht  durch  den 

10)  BiRTHOLDT,  Daniel  übersetzt  und  erklärt,  2»  S.  668  ff. ;    Pau- 
LW,  excg..  Handb,  3,  a,  S.  340  f. ;    de  Witts  ,   Einleitung  in 
das  A.  T.   $.  254  ff. 
J>aM  Leben  Jem  Ue  Aufl.  iL  Band.  25 


386  Dritter  Abschnitt. 

Messias  retten  liefse,  den  Tempel  and  der  Stadt  ein 
«ehreckliches  Schicksal  dorch  die  Römer  -gedroht,  nnd 
diefs  in  prophetischen  Bildern  beschrieben,  die  anbsdingti 
Haltnng  aber  nnd  die  genaueren  Bestimmongen  seien  fei- 
ner Rede  erst  post  eventum  gegeben  worden,  nnd  aooh 
Crbdnbr  sehliefst  aus  dem  Umstände,  dafs  Vorfülie  wlb- 
rend  der  Zerstörung  Jerusalems  Jesu  als  Weissagungen  in 
den  Mund  gelegt  werden,  die  ArA  ersten  E?«ngeiieii 
^können  nicht  Tor  diesem  Ereignisse  verfafst  sein^^.  Nor 
freilich  mOfste  die  Weissagung,  wie  wir  sie  in  den  beiden 
ersten  Evangelien  lesen,  unmittelbar  nach,  oder  selbst  wfih- 
rend  des  Erfolges  gebildet  worden  sein,  da  hier  fOr  die 
nfichste  Zeit  nach  dem  Falle  Jerusalems  die  Erscheinung 
des  Messias  vorhergesagt  wird ,  was  in  spttteren  Jahren 
nicht  mehr  die  Erwartung  sein  konnte.  Da  diese  unmittel- 
bare Zeitvenbindung  der  beiden  Katastrophen  hei  Lokii 
sich  nicht  so  ausdrücklich  findet ,  so  hat  man  von  ihnoi  an- 
genommen, er  gebe  die  Weissagung  in  der  Form,  wie  nie 
aich  durch  die  Erfahrung  ungebildet  habe^  dafs  nach  der 
Zerstörung  Jerusalems  keineswegs  sofort  Parusie  nnd 
Weltende  gefolgt  waren  ^^)* 

Im  (legensatae  gegen  diese  beiden  Ansichten,  von  einer 
Qbernatürlichen,  und  einer  erst  nach  dem  Erfolge  gemaeh- 
ten  Weissagung,  sucht  man  von  einer  dritten  Seite  her 
die  Möglichkeit  darzuffaun,  dafs,  was  hier  vorausgesagt 
wird,  wirklich  schon  Jesus  natürlicherweise  habe  wisien 
können  ^').  —  Wenn  man  vor  Allem  das  befremdlich  ge- 
funden hat,  dafs  mit  eincelnen  Zögen  der  W  eissagung  Jesu 
der  Erfolg  so  genau  eusammengetroffen  sein  soll:  so  wird 
eben  dieses  Zusammenireffen  in  Anspruch  genompien.  Dai 


i  1)  Kaxsir,  b.  Theol.  1,  S.  247  ;  Crsorsk^  Ein!,  in  das  N.T.  1,  S.  206 1 
12)  OB  Witts,  Eixil.  in  das  N.  T.   §.  97.  iOl.    Ezeg.  Handb.,  U 

iy  S.  204.   1,  2,  S.  lös. 
IS)  Paulus,  Fritzschb,  db  Wbttb  s.  d.  Absck* 


Erstes  Kapitel,    f.  114.  38f 

Jenisslea  prophecelhte  xvxXaadai  vno  gffcaonidwv  werde 
Ton  Titas  bei  Josephot  gerade  als  unaosffihrbar  beseioh- 
net^*);  ebenso  ^  wenn  das  Aofwerfen  eines  x^Q^  ^^  ^ 
Stadt  Foraasgesagt  werde,  so  OMlde  Josephos,  dafs,  naoh- 
dem  der  erste  Versacb  eines  x^f^^  dnroli  Brandstiftung 
Ton  Seiten  der  Belagerten  vereitelt  worden ,  Titas  vom 
Aofvrerfen  weiterer  Wället  abgestanden  sei^^);  von  fatsohen 
Messlaseoi  die  in  der  Zelt  von  Jesa  Tod  bia  cur  Zerstö- 
rung Jerosalems  angestanden  wAren,  melde  die  tiesokichte 
nichts;  die  Völlierbewegnngen  and  Natorericheinnogen  in 
jener  Periode  seien  bei  Weitem  nicht  so  bedentend  gewe- 
sen, wie  aieihier  geschildert  werden;  namentlich  aber  sei 
in  diesen  Reden,  nach  ihrer  Gestalt  bei  Matthäus  und 
Markos,  keine  Zerstörung  Jerusalems,  sondern  nnr  des  Tem* 
pels  vorhergesagt:  lauter  Abweichungen  der  Weissagung 
vom  Erfolge,  welche  nicht  stattfinden  würden,  %venn  ent- 
weder  ein  übernatürlicher  Blick  in  die  Zu&nft,  oder  ein 
taticinium  post  eventum  im  Spiele  wfire. 

Nicht  vorwärts,  im  Erfolge,  dürfen  daher. nach  Jenen 
Theologen  die  Gegenbilder  dieser  Weissagungen  aufgesucht 
werden:  sondern  rückwärts,  auf  Vorbilder  der  Vergan- 
genheit, soll  der  l^rheber  derselben  gesehen  haben.  Eine 
Masse  solcher  Vorbilder  lieferte  die  Jüdische  Vorstellung 
von  den  Umständen,  welche  der  Ankunft  des  Messias  vor* 
snsgehen  sollten«  Falsche  Propheten  und  IMessiase,  Krieg, 
Tbeurung  und  Seuchen,  Erdbeben  und  Bewegungen  am 
Himmel ,  überhandnehmende.  Sittenlosigbeit ,  Verfolgungen 
der  gläubigen  Jehovadiener,  galten  als  die  nächsten  Vor» 
boten  des  Messiasreichs,  und  es  finden  sich  bei  den  Pro- 
pheten so  analoge  Beachreibungen  der  Ürangsale,  welche 


14)  B«  ]•  5,  12,  i  V  K\nthaaaa9tU  rt  y^   "^ß    ^^^^^^  Wr  noity,    Sui   ro* 

IS)  B.  ].  5, 11, 1  ir.  12,  1. 

25* 


388  Dritter  Absehnitt. 

den  Tag  des  Kommena  Jeho?a*s  ankündigen  nnd  begleiten 
(Jes.  13,  9  ff..Joel  1,  Ifi.  2^  1  ff.  10  ff.  3,  3  flEl  4,  15  f. 
Zeph.  1,  14  ff.  Hagg.  2,  7.  Zaeb.  14,  1  ff.  Mal.  3,  1  ff.}, 
oder  dem  Eintritte  dea  meaaianiaehen  Reicha  der  Heiligeo 
vorangehen  aollten  (Dan.  7— 12.),  und  ohnehin  in  spfiteren 
Jfidiacben  Schriften  Anaaprficbe,  welehemlt  nnaern  evan- 
geliacben  ao  viel  Verwandtacbaft  haben/*)}  ^'f*  man  nicht 
eweifeln  liann,  ea  aei  hier  aoa  einem  Kreiae  von  Zeitror- 
ateiiangen  heraaa  Aber  die  Zeit«  der  Anlinnft  dea  Hesiiai 
geaprochen. 

Eine  andere  Frage  lat,  ob  der  OrnndEOg  in  dem  Tor- 
liegenden  Gemälde,  die  Zerattfrang  dea  Tempela  and  die 
Verödung  der  Stadt  vor  der  Ankunft  dea  Meaaiaa,  eich 
ebenao  ala  ein  Theil  der  allgemeinen  Voratellungen  aar 
Zeit  Jean  nachweiaen  laaae?  In  jodiaehen  Schriften  fin- 
det aich  die  Meinung ,  die  Geburt  dea  Meaaiaa  treffe  mit 
der  Zeratörung  dea  Heiligthuma  euaammen  ^') :  doch  dieie 
Voratellung  hat  aich  offenbar  erat  nach  dem  Untergänge 
dea  Tempela  gebildet,  um  ana  dem  tiefaten  Punkte  dei 
DnglQcka  die  Quelle  dea  Troatea  entapringen  eu  laasen. 
Joaephua  findet  im  Daniel  neben  dem  auf  Antiochua  Be- 
Bfiglichen  auch  eine  Weiaaagnng  auf  die  Vernichtung  dei 
jfldiachen  Staate  durch  die  Römer  ^^ :  doch,  wie  diefa  ?od 


16}  8.  die  Stellen  bei  ScH'drroiir,  2,  S.  509  ff.  ^  Bbrtholot,  $.13; 
Schmidt,  Bibliotb.  1,  S.  24  ff. 

17)  8.  bei  ScH'dTTGaN,  2,  S.  525  f.  *' 

18)  Antiqi  10,  11,  7.  Nachdem  er  das  kleine 'Hörn  auf  Antiochni 
gedeutet,  eetzt  er  kurx  hinzu :  Tw  oM^  Sk  r^onw  /lanii(K 
xai  n(^  rFj(  rav  *^Pu)fiaCofv  iqytfiaviai  otviy^ctü'9  ^  »al  oxi  vn  aurcUr 
tgtfjuw,9t}atrai  {ro  fJyog  tjfivJv)*  Auf  die  Römer  bezog  er  ohne 
Zweifel  die  vierte,  eiserne  Monarchie,  Dan.  2,  40,  wie  aui- 
8er  dem  xnar^iei  fl;  oTiay,  wa8  er  ihr  zuschreibt,  besonder! 
daraus  erhellt,  dass  er  ihre  Zerst'örung  (i^urch  den  Stein  für 
etwas  noch  Zukünftiges  erklärt,  Antiq.  10,  10,  4 :  eSiJiuoi  ^ 
»tu  nffjk  TB  U&a  davujloi  ri^i  ßaadfl,    aif  l/#ol    /ib»    ix  fSdiß  rho 


Erstet  Kapitel,    f.  114.  3S9 

keinem  der  DanieliMhen  Geaiehte  die  arspriingliolie  Be- 
Biehang  ist,  so  liönnte  Josephas  diese  Deolang  erst  nach 
dem  Erfolge  gemaolit  haben ,  in  welchem  Falle  sie  fttr  die 
Zehen  Jesu  nichts  beweisen  würde.  Indessen  liefse  sich, 
doch  denlien,  dafs  anoh  sehen  an  Jesa  Zeit  die  Juden  den 
Weissagongen  Daniela,  nnerachtet  sie  in  der  That  weit 
frflhere  ZeltverhShnisse  betreffen,  eine  Besiehon^  anf  noch 
beforstehende  Ereignisse  gegeben  h£tten;  aas  demselben 
Grande  nAmJloh,  aus  welchem  die  Christen  jetsiger  Zeit 
der  vollen  VerwirlLlichnng  von  Matth.  24.  29.  noch  entge« 
geiisehen.  Da  nfimlieh  nach  dem  Untergange  der  aus  Thon 
und  Eisen  gemischten  Reiche,  ond  des  Börnes,  das  die 
tiotteslSsterongen  ansstöfst  and  gegen  die  Heiligen  streitet, 
alsbald  des  Kommen  des  Menschensohnes  in  den  Wolken 
ond  der  Eintritt  des  ewigen  Reichs  der  Heiligen ,  geweis« 
sagt,  diese  Erfolge  aber  nach  der  üeberwindung  des  An* 
tiochas  keineswegs  sofort  eingetreten  wären  {  so  war  man 
v^ranlafst,  mit  diesem  himmlischen  Reiche  auch  die  ihm 
nnmitteibar  vorangestellten  Drangsale  durch  das  eiserne 
and  gemischte  Reich ,  worunter  man  nach  Analogie  dea 
vom  Hörne  Vorhergesagten  namentlich  die  Entweihung  dea 
Heiligthnma  verstand,  erst  noch  einmal  von  der  Zukunft 
sa  erwfrten.  Wfihrend  nun  aber  bei  Daniel  nur  Ent- 
weihung dea  Tempels  und  Störung  dea  Cnltus,  nebst  (theil* 


otpfilam.  Den  Stein  nämlich  deutet  Daniel  2,  44.  auf  das 
hunmlische.  Kl^nigreich,  welches  das  eiserne  zerstbren,  selbst 
aber  ewig  bleiben  werde,  —  ein  messianischer  Zug,  auf  wel< 
eben  sich  Josephus  nicht  weiter  einlassen  will.  Dass  nach 
richtiger  Auslegung  die  eisernen  Schenkel  des  Bildes  das 
macedonische ,  die  aus  Thon  und  Eisen  gemischten  Füsse 
aber  die  aus  dem  macedonischen  entstandenen  Reiche  y  also 
namenttich  das  syrische,  bezeichnen,  darüber  vgl.  ns  Witts, 
Eiai.  iu  das  A.  T    §.  25^. 


300  Dritter  Abiohnltt. 

iiveiser  **))  Zerstörung  der  Stadt,  geweiisagt  i<t:  wird  in 
den  vorliegenden  Reden  dem  Tempel  —  nnd  aach  der 
Stadt  nicht  blofs  bei  Lukas,  wo  es  entschieden  ist,  son- 
dern ohne  Zweifel  auch  bei  den  beiden  andern,  wo  die 
Ermahnung  zur  eiligen  Flucht  aus  der  Stadt  dasselbe  sd- 
Eudenten  scheint  —  völlige  Zerstörung  vorhergesagt ;  was 
alfio,  weil  in  dem  Vorbilde  nicht  enthalten,  nur  aus  dem 
Erfolge  scheint  genommen  sein  bu  können.  Allein  tbeili 
Jiefs  sich  die  Beschreibung  bei  Daniel  mit  den  AusdrQcken 
D^O^  und  myffn  (9,  36  f.  12,  ll.)»  welche  die  LXX.  darch 

tQ^fiwaig  nnd  dtaipd'UQto  wiedergeben,  leicht  auch  von  völ- 
liger Zerstörung  verstehen ;  theils  war  fa  schon  einmal  im 
Zusammenhange  mit  deiv  Sonden  des  Volks  Tempel  nnd 
Stadt  eerstört,  nnd  das  Volk  gefangen  weggeführt  vior- 
den :  es  konnte  mithin  von  da  an  jeder  begeisterte  Israelite, 
dem  der  religiöse  und  sittliche  Zustand  seiner  Landslente 
verwerflich  und  unverbesserlich  erschien,  die  Wiederho- 
lung jenes  früheren  Strafgerichts  erwarten  und  vorher- 
verkündigen. Hienach  ist  selbst  dasfenige,  was,  laut  der 
im  vorigen  §*  gegebenen  Darstellung,  Lukas  vor  seinen 
beiden  Correferenten  an  Bestimmtheit  der  einseinen  Zöge 
voraus  hat,  nicht  von  der  Art,  dafs  es  uns  nöthigen  würde, 
entweder  ein  tthernatürliohes  Vorherwissen»  oder  ein  vati" 
cinium  post  eventum  anzunehmen :  sondern  es  ISfst  sich 
Alles  aus  genauerer  Berücksichtigung  dessen  erklären,  was 
über  die  erste  Zerstörung  Jerusalems  2  Kön.  25.  2  Chron. 
36.  nnd  Jer.  39,  52.  ersfihlt  ist. 

Nur  Eine  Bestimmung  könnte  Jesus,  als  Urheber  die- 
ser Reden,  nicht  aus  irgend  welchen  Vorbildern,  sonders 
mfifste  sie  aus  sich  selber  genommen  haben :  die  Versiche- 
rung nlimlioh ,  dafs  die  Katastrophe ,  welche  er  beschriebt 
noch  während  des  damaligen  Menschenalters  eintreten 
werde.    Diefs  aas  einer  übernatflrlichao  Erkeontnifs  sb- 


19)  s*  Jstepli.  Anliq.  i2,  5. 


j 


Erstes  KapiteL    {•  114.  S91 

Eoleitea,  mflsien  wir  ans  dem  oben  erwAhnten  Granda 
Bedeokea  tragen  ,  w^  es  nfimliob  nor  snr  HAlfte  einge- 
troffen ist:  wogegen  uns  das  Andere,  dafs  wenigstens  die 
Eine  Hlifte  der  Weissagung  so  auffallend  in  ErfOllung  ge- 
lingen ist,  ebenso  gegen  die  Annahme  einer  blob  natflr^ 
lieben  Vorherbereehnnng  mifstrauiseb,  und  geneigt  machen 
köante,  wenigstens  diese  Zeitbestimmung  als  eine  erst  naeh 
den  Erfolg  in  die  Reden  Jesn  hineingetragene  z^  betraeh- 
ten.  Indefs  die  Wiederkunft  Christi  glaubten  nach  den 
10  Bade  des  Forigen  $.  angeffihrten  Stellen  auch  die  Apo- 
stel selbst  noch  an  erleben:  und  so  hat  wohl  auch  Jesus 
dieselbe,  nebst  der  nach  Oaniel  ihr  Torangehenden  Drang- 
Mi  der  Stadt  und  des  'Tempels  9  in  der  niichsten  Zukunft 
erwsrtet.  Das  Allgemeine  der  Erwartung  ntimiich,  irgend 
sinoisl  in  den  Wolken  des  Himmels  au  erscheinen,  um 
die  Todten  cu  erwecken,  Gericht  au  halten,  und  ein  ewi- 
ges Reich  SU  begründen,  wa?  Jesu  ebensobald  gegeben, 
•Is  er  sich  für  den  Messias  hielt  mit  Beeug  auf  Daniel, 
wo  jenes  Kommen  dem  viog  tö  av&QiajiH  augesohrieben 
ist;  in  Betreff  der  Zeit  aber  ergibt  es  sich  als  natOrlicb, 
dsfs  er'  awisehen  seiner  ersten  messianischen  Ankunft  in 
der  Niedrigkeit  und  der  aweiten  in  der  Herrlichkeit  keine 
slliülange  Zwischenaelt  hineingedacht  haben  wird. 

Eine  Einwendung  gegen  dieAechtheit  der  synoptischen 
Reden  über  die  Parusie  ist  noch  aurSck;  sie. hat  übrigens 
sttf  nnsrem  Standpunkte,  weniger  Erheblichkeit,  als  auf 
dem  der  jetet  gewöhnlichen  Evangelienkritik:  diejenige 
nümlieb,  welche  aus  dem  Fehlen  jeder  ausfahrlicben  Schil- 
derung der  kfinftlgen  Parusie  Jesu  im  johanneischen  Evan- 
gelium hergenommen  werden  kann  <^  Zwar«  die  Grund- 
bestandtheUe  der  Lehre  von  der  Wiederkunft  Chruti  sind 
auch  im  vierten  Evangelium  nicht  au  verkennen  ^0-  J^^ns 


20)  s.  Hass,  L.  J.  %.  130. 

^i)  Die    hicbci  gehörigen    Stelieu  finden   sich   zusamincngestcHt 


392  Dritter  Abtohnitt. 

schreibt  sich  in  demselben  das  einstige  Geriebt  ond  dit 
Aoferwecliang  der  Todten  zu  cJoh.  5,  21 --SO.)»  %velche 
letztere  als  Moment  der  Zukunft  Christi  swar  in  den  ebeo 
erwogenen  synoptischen  Rfden  nicht  hervortritt,  aber 
sonst  im  N.  T.  nicht  sehen  in  jenem  Zusammenhange 
vorkommt  (z.  B.  1  Kor.  15,  23.  1  Thess.  4,  16.)-  Weoa 
Jesus  im  vierten  Evangelium  bisweilen  Ifiugnet,  com  Ge- 
richt in  die  Welt  gekommen  cu  sein  (3,  17.  $|  15.  12,47.)t 
so  gilt  dlefs  theils  nur  von  seiner  ersten  Anwesenheit, 
theils  wird  es  durch  entgegengesetzte  Aenfsernngen ,  wo 
er  vielmehr  behauptet,  zum  Gerichte  gekomraeA  zu  seio 
(9,  39.  vgl.  8,  16),  auf  den  Sinn  eingeschränkt,  dafs  der 
Zweck  seiner^'Sendung  nicht  Verdammen,  sondern  Retten, 
und  sein  Gericht  nicht  ein  particularistisches  oder  soo8t- 
wie  parteiisches,  überhaupt  kein  subjectiver  Machtirproch 
seiner  Person,  sondern  ein  objoctiver  Act  .der  Sache  selbst 
sei ;  wie  diefs  deutlich  ausgesprochen  ist  in  der  Versiche- 
rung, wer  sein  Wort  gehört  habe,  ohne  zu  glauben,  den 
richte  nicht  er,  sondern  o  16)'(k:,  dv  ilakr^aa,  xqivh  uvkh' 
iv  tfi  ioxuTjfi  rjf.(iQri  (12,  4S.)«  Wenn  ferner  der  johanoei- 
sehe  Jesus  von  dem  Glaubenden  sagt:  ti  xQuetatj  eiV  xru 
aiv  sx  i(>;^£Taf  (3,  18.  5,  24.) :  so  ist  diefs  von  einem  Ge- 
richte mit  verdammendem  Ausgang  zu  verstehen ;  beifst  ei 
dagegen  von  dem  Ungifiubigen :  ijdi^  xlxQitai  (3,  18  ):  »o 
sagt  diefs  nur  so  viel,  dafs  die  Anweisung  des  verdienten 
Looses  für  jeden  nicht  erst  dem  künftigen  Gep*ieht  aoi 
Ende  der  Dinge  aufbehalten  sei,  sondern  mit  seiner  in- 
nern  Beschaffenheit  schon  jetzt  Jeder  das  ihm  gebührende 
Schicksal  in  sich  trage.  Dadurch  ist  ein  bevorstehender 
solenner  Gerichtsact,  an  welchem  das  Jetzt  nur  erst  aa 
sich  Vorhandene  zur  feierlichen  Offenbarung  gelangen  wird| 


und  erläutert  bei  Schott,  Gommentarius  etc.  p.  S64  ff.  Vgl- 
Lücxi,  z.  d.  St.  und  WaiziL,  urchristi.  Ünstcrblichkvi (sich- 
re;  in  den  theo!.  Studien,  ISSü,  S.  626  ff. 


Erste«  Kapitel.     S*  114.  393 

nicht  anagetchlosBen ;  wie  denn  in  der  snletst  angefflbr^ 
teo  Stelle  die  Zuerliennang  der  Verdammnife ,  und  sonst 
such  die  Ertheilong  der  Seligkeit  i  5,  2S  f.  6,  39  f.  54. )  f 
an  den  jüngsten  Tag  und  die  Auferstehung  geknfipft  wird« 
Ebenfo  sagt  ja  auch  bei  Lulias  Jesus  in  demselben  Zusam- 
menhang, in  welchem  er  seine  Wiederkunft  als  eine  noch 
bevorstehende  liufsere  Katastrophe  beschreibt,  17}  20  f.» 
das  Reich  Gottes  komme  nicht  ue^a  naQccir^Qr^aecjgy  adi 
iqiaiy  lÖH  tüöcy  ^  ida  ixai'  iJ&  yilff^  tj  ßaOiUia  %5  d^iH 
ivzos  vfidSv  iglvy  d.  h.  es  habe  bereits  mitten  unter  den 
Zeitgenossen  seinen  unsichtbaren  Anfang  genommen.  — 
Aach  dafs  seio^  Wiederkunft  in  Kursem  bevorstehe,  soll 
flach  einer  gewissen  Deutung  seiner  Worte .  der  johannei- 
iche  Jesus  geäufsert  haben.  Die  schon  erwfihnten  Aus- 
aprflebe  in  den  Abschiedsreden  nämlich,  wo  Jesus  seinen 
Jüngern  vernpricht,  sie  nicht  verwaist  aurückzulassen , 
londern,  hingegangen  aum  Vater,  in  Kurzem  (16,  16.)  wie- 
der eu  ihnen  zu  kommen  (14,  3.  18.),  sind  nicht  selten 
aach  von  der  Wiederkunft  Christi  am  Ende  der  Tage  ver- 
standen woraen  ^^ ;  aber  wenn  man  von  dieser  nfimiichea 
Wiederkunft  Jesnm  sagen  hört,  dafs  er  bei  derselben  nur 
seinen  Jfingcrn,  nicht  aber  der  Welt  sich  offenbaren  wer- 
de (14,  19.  vgl.  22.):  so  kann  man  unmöglich  an  die  Wie- 
derkunft zum  Gerichte  denken,  wo  Jesus  sich  Goten  und 
Bösen  ohne  Unterschied  zu  offenbaren  gedachte.  Beson- 
ders räthselbaft  ist  noch  im  Anhang  des  vierten  Evange- 
iuiDs,  Kap.  21,  von  dem  K,ommen  Jesu  die  Rede.  Auf 
die  Frage  des  Petrus ,  was  es  mit  dem  Apostel  Johannes 
werden  solle,  erwiedert  hier  Jesus:  iuv  amov  ^iho  fd- 
«IV,  (UPS  tQXOfiai^  %i  UQOS  ae;  (Y.  22)  was,  wie  hinzo- 
gesetzt  wird,  die  Christen^  so  verstanden,  als  sollte  Jo- 
bannes gar  nicht  sterben ,  indem  sie  das  eqxta^ai  auf  die 
letzte  Wiederliunft  Christi  bezogen ,  bei   welcher  die  sie 


22)  8.  bei  TaetvcK,  z.  d.  St. 


SM  Dritter  Abtobuitc. 

Erlebenden,  ohne  den  Tod  sa  tebmeeken,  Terwandelt  wer- 
den sollten  (1.  Kor.  15,  51  f.)*  Aber,  setst  der  Verfasser 
berichtigend  hinEu,  Jesus  habe  nicht  gesagt,  der  JAnger 
werde  nicht  sterben,  sondern  nur,  wenn  er  wolle,  dab 
er  bleibe,  bis  er  komme,  was  es  den  Petrus  angehe? 
Hiednroh  kann  der  Evangelist  eweierlei  berichtigen  wei- 
len« Entweder  schien  es  ihm  unrichtig,  das  Bleiben,  bii 
Jesus  komme,  geradean  mit  nicht  sterben  eu  identifioireo, 
d.  h.  also  das  Kommen,  von  welchem  hier  Jesus  sprach, 
fttr  das  lotste,  welches  dem  Tod  ein  Ende  machen  sollte, 
JBU  nehmen :  und  dann  müfste  er  sich  ein  unsicbtbarei 
Kommen  Christi,  etwa  in  der  Zerstörung  Jerusalems,  du- 
unter  gedacht  haben  ^'>  Oder  hielt  er  es  fttr  irrig,  was 
Jesus  nur  hypothetisch  gesagt  hatte:  wenn  er  auch  etwa 
das  Angegebene  wollte,  so  ginge  das  doch  den  Petras 
nidits  an,  kategorisch  au  fassen,  als  ob  es  Jesu  wirkli- 
cher IfVille  gewesen  wfire ;  wobei  dann  das  eQxoftai  seine 
gewöhnliche  Bedeutung  behielte  ^*)* 

Sind  hienach  allerdings  die  GruudaOge  der  Lehre  ?oo 
der  Parusie  auch  im  vierten  Evangelium  Jesu  in  den  Mund 
gelegt,  so  finden  wir  doch  nirgends  e^was  von  der  aas- 
ffihrlichen  sinnlichen  Schilderung  des  Anfsern  Hergangs 
bei  derselben  und  der  mit  ihr  susammenhSngenden  Vo^ 
gffnge,  wie  wir  sie  in  den  synoptischen  Evangelien  lesen. 
Dieses  Verhfiltnifs  macht  bei  der  gewöhnlichen  Ansicht 
von  dem  Ursprung  der  Evangelien,  namentlich  des  vier- 
ten>  nicht  wenig  Schwierigkeit.  Wenn  Jesus  wirklich  so 
aosfOhrlich  und  feierlich,  wie  ihn  die  Synoptiker  daron 
reden  lassen,  von  seiner  Wiederkunft  gesprochen,  und  die 
richtige  Erkenntnifs  und  Beobachtung  der  Zeichen  dersel- 
ben als  etwas  so  Wichtiges  behandelt  hat:  so  ist  es  schwer 
Bu  begreifen,   wie  der  Verfasser  des  vierten  Evangelian< 


35)  Vgl.  Tholuck,   z.  d.  St. 

24)  St  LtCMn,  auch  lMoi.bCK;  z.  d.  St.     SvHori;  p.  409. 


Erstes  KapIreL    $.  114.  39& 

das  Alles  fibergehen  kooote,  wenn  er  anders  ein  onnalltel* 
barer  Sehfiler  Jean  war.  Das  gewöhnliche  Reden,  er  habe 
dieft  ans  den  Synoptikern  oder  der  mflndUcben  Verkfin- 
digong  als  bekannt  voranageaetst ,  reicht  hier  um  so  we- 
oiger  ans,  Je  mehr  alles,  was  Weissagung  ist,  namentlich 
einer  ao  eraehnten  und  gefUrohteten  Kataatrophe,  der  Mifa- 
deatong  biofasteht,  wie  wir  ana  der  suletzt  erwähnten 
Berichtigung  aehen,  welche  der  Verfaaaer  von  Job.  21.  an 
der  Meinung  aeiner  Zeitgenoaaen  fiber  die  dem  Jobannes 
?on  Jean  gegebene  Verbeifaung  ansubringen  für  nSthig 
find.  Hier  alao  ein  verständigendes  Wort  su  reden  ,  wie 
aweckmäfaig  und  verdienatlich  wäre  ea  geweaen,  lieaon- 
dera  da  die  Oaratellnng  des  ersten  Evangeliuma,  welche 
sogleich  auf  die  ZeratSrung  des  Tempels  daa  Ende  der 
Dinge  folgen  Uefa,  Je  nlfher  Jenes  Ereignifa  kam,  und  noch 
nehr  ala  es  vorüber  war,  immer  bedenklicher  und  anatöfai- 
ger  werden  mufate ;  und  wer  war  eher  im  Stande ,  efaie 
solche  Berichtigung  an  geben ,  ala  der  Lieblingajfinger,  bu- 
mai  wenn  er  nach  Marc.  13,  3.  der  einsige  Evangeliat 
wir,  der  den  Erörterungen  Jeau  Ober  dieaen  Gegenatand 
angewohnt  hatte  ?  Uaher  aucht  man  auch  hier  einen  be- 
sondern Grnnd  aeines  Stillachweigena  in  der  angeblichen 
Bestimmung  aeinea  Evangeliuma  fflr  nicbtjOdiache ,  ideali- 
sirendeGnostiker,  forderen  Standpunkt  Jene  Schilderungen 
nicht  gepafft  haben,  und  delahalb  weggelaaaen  worden 
seien  *^).  Allein  gerade  aolehen  Lesern  gegenüber  wäre 
es  eine  pflichtwidrige  Nachgiebigkeit,  eine  Beatärkung  in^ 
ihrer  idealiairenden  Richtung  geweaen ,  wenn  Johannes 
iboen  aulieb  die  reale  Seite  an  der  Wiederkunft  Christi 
hätte  snrilektreten  lassen.  Uem  Hang  dieaer  Leute,  das 
Snfaerlich  Geschichtliche  des  Christenthums  an  verflQchti- 
gen,  mufste  der  Apostel  dadurch  entgegentreten,  dafs  er 
eben  diese  Seite  gebflhrend  hervorhob;  wie  er  in  seinem 


2h)  OuaAOiiiK,  I,  S.  861. 


396  Dritter  Äbtcbnitt« 

Brief  ihrem  Uoketitmos  gegenflber  auf  die  wahre  Leib- 
liohkeit  Je«a  dringt:  so  mufste  er  im  Gegentata  gegea 
ihren  IdealUmae  an  der  Wiederkanft  Christi  die  Kafserea 
Momente  ihres  Kintritts  mit  besonderem  Fieifse  hervor- 
kehren. Statt  dessen  spricht  er  *  selbst  fast  wie  ein  Gdo- 
stiker,  and  saoht  die  Wiederkanft  Cbristi'von  der  Bedea- 
tang  eines  äufsern,  zukünftigen  Vorgangs  immer  wieder 
in  das  Innere  nnd  die  Gegenwart  surück abrufen.  Lfibt 
sich  somit  das  Verhalten  des  vierten  Evangelisteo  sa  den 
ausfiihrlichen  esohatologischen  Reden  Jesa,  wie  sie  bei  des 
Synoptikern  aofbehalten  sind,  nicht  aas  irgend  welcher 
fiafsern  Rücksicht,  weder  auf  die  früheren  Evangelien, 
noch  auf  die  Leser,  genügend  erklären:  so  hat  man  aof 
die  innere  £igenthümlichkeit  und  den  Grandgedanken  je- 
nes Evangeliams  aufmerksam  gemacht.  Dieser  sei  die  be- 
seligende Gottesfttlle  der  Person  Christi,  der  Glanbe  aa 
ihn  als  den  Geber  der  ^co?}  iuwviogi  and  nur  was  darauf 
sich  unmittelbar  besog,  oder  in  darauf  beaiiglicbe  Redeo 
ond  Thaten  uneertrennlich  verfloditeo  war,  habe  Je- 
hannes  in  sein  Evangeliam  aufgenommen.  Die  aosfQhrli- 
cben  Reden  von  der  avnileia  tä  aiwvog  nun  stehen  die- 
sem  Grandgedanken  fern,  und  seien  daher  übergangen 
worden  ^^),  Allein  wie  der  vierte  Evangelist  in  *deii  Ab- 
sohiedsreden  Jesum  Manches,  das  mit  Jener  Grundidee  fei- 
nes Evangeliums  nicht  sosammenhüngt ,  wie  namendicb 
die  den  Jüngern  bevorstehenden  Verfolgangen,  ihnen  si 
dem  Ende  vorherverk findigen  läfst,  iva  fttj  axavdaliaihiksf 
'iva^  (irav  ekO^j^  i]  otQu,  ixvr^(.t(wtiioai\\  oii  unev  aikoig  (16)  !• 
4.)  •  <o  mufste  su  demselben  Zwecke  (vgl.  Matth.  24,  4. 
10.)  auch  die  Vorherverkündigong  der  einaeinen  Momentt 
seiner  ViTiederkunft  und  deren  Vorzeichen  dieniich  schei- 
nen ;    woau    noch    über diefs  die    dringende  Aufforderonf 


26)  WaizBL,  urchristl.  Unsterblicbkeitslehre,  ibeol.  Studien,  ISh^, 
S.  627  ff. 


Erstes  Kapitel.    S*  114.  39T 

kam,  den  Anttoft,  der  nm  die  Zeit  der  Abfassaog  des 
Tierten  Evangeliama  darin  lag,  dafs  die  Wiederlinnft  Chri« 
fti  nicht,,  wie  man  erwartet  hatte,  anmittelbar  oder  doeh 
bald  nach  der  Zerstörung  Jemtalems  eingetreten  war,  dnrch 
eine  neue  grfindliche  Krörterong  dieses  Gegenstandes  in 
(hniicher  Weise  en  beseitigen,  wie  im  Anhange  des  Evan« 
geliams  ein  entsprechender  AnstoCi  an  einer  vereinselten 
Rede  Jesa  beseitigt  wird.  Ist  es  demnach  mu  viel,  mit 
Fleck ''j  2 wischen  der  synoptischen  und  der  johanneischen 
Dantellong  der  Lehre  von  Jesu  Wiederkunft  geradesa  ein 
Verhältnifs  gegenseitiger  Ansschliefsung  an  behaupten:  so 
behxlt  doch  auch  dieser  UifFerenspunkt  allen  Lösongsver- 
saehen  cum  Trotze  eine  eigenthü milche  Schwierigkeit,  und 
in  Verbindung  mit  einer  Reihe  entsprechender  Abwei« 
cbongen  sein  Gewicht  bei  Abwfig^ng  der  Frage  Ober  die 
Aecbtheit  des  vierten  Evangeliums;  obwohl  es,  einer  schon 
frOber  gemachten  Bemerkung  gemäfs,  das  Rede- Element 
Iq  demselben  nicht  ist^  was  in  dieser  Sache  den  Ausschlag 
geben  kann. 


37)  De  regno  divino,  p.  483. 


Zweites    Kapitel* 

Anschläge  der  Feinde  Jesu;  Verrath  des 
Jadas;  letztes  Mahl  mit  den  Jüngern. 


§.    115. 
Entwiclilung  des  Verhältnittes  Jesu  tu  seinen  Feinden. 

Als  die  Feinde  Jeaa  erscheinen  in  den  drei  ertteo 
£rangelieo  am  häafigeten  die  OaQiaaioi  xai  yQafjficaeig  % 
welche  in  ihm  den  verderblichsten  Gegner  ihres  Satcnngi- 
Wesens  erkannten ,  ond  neben  diesen  beiden  die  aQyu{)ft^ 
und  TiQaaßüTtQOij  welche  als  Hftnpter  des  äufseren  Tempel- 
cttlttts  nnd  der  anf  diesen  gegrflndeten  Hierarchie  mit 
Demjenigen ,  der  bei  jeder  Gelegenheit  anf  den  inneren 
Gottesdienst  des  Gemflths  als  die  Haoptsache  hinwies,  lich 
nicht  befreunden  konnten.  Sonst  treten  wohl  auch  die 
2add'<£xouoL  unter  den  Gegnern  Jesu  auf  (Matth.  16,  1.  22, 
23  flf.  parall.  vgl.  Matth.  16,  6  ff.  parali.),  deren  Mate- 
rialismus Manches  an  seinen  Ansichten  sawider  sein 
mufste,  und  die  Uerodische  Partei  (Marc.  3,  6.  Matth.  % 
16  parall.))  welche,  wie  dem  Tfinfer,  so  auch  seinen 
Nachfolger  abhold  war.  Das  vierte  Evangelium,  obwohl  ei 
einigemale  die  aQxieqbi^  und  OaQiaaioi  nennt,  beseichnet 
die  Feinde  Jesu  doch  'am  häufigsten  durch  den  allgemeioes 
Ausdruck:  oi^Iadaioif  was  vom  späteren,  christlichen  Stand- 
punkt aus  gesprochen  ist,  wenn  es  nicht  gar  die  onrieii- 
tige  Vorstellung  in  ^foh  schlierst,  als  sei  die  Masse  dei 
jadischen  Volks  Jesu  abhold  gewesen  ')• 


1)  s.  WiKBa's  bibl.  Realw'örterb.  d.  A.  A. 
a)  Wbissb,  die  evang.  Gescbichle,  1,  S.  123. 


Zweitot  KapiteL    fl.  115.  399 

ÜebcireinftiniiDend  beriehten  slnuitUehe  vier  Evangeli- 
sten, dar«  die  betlimniteren  Anschläge  der  phnrlalTitch  hier- 
archiBohen  Partei  gegen  Jeanm  von  einem  Verstörte  det- 
selben  gegen  die  den  Sabbat  betreffenden  Satsnngen  ihren 
Aofaog  genommen  b&ben.  Alt  Jesns  den  Mentchen  mit 
der  vertrockneten  Hand  am  Sabbat  wiederhergettellt  hatte, 
heilst  et  bei  Mattbiut:  ol  dkOaQiaoSioi  arinßö?uay  tkaßw 
tm  avvSy  Srtms  avtov  uTioUaoHSiv  (12,  14.  vgL  Marc.  3^  6. 
Luc.  6,  ll)|  und  ebento  bemerkt  Johannet  bei  der  tabbat- 
lichen  Heilnng  am  Teich  Bethetda:  xal  dia  xäto  idUoxoy 
fov  y.  Ol  ^Isdäioiy  und  er  fährt,  nachdem  er  noch  einen  Ana- 
sprach  Jeto  gemeldet,  fort :  did  rSvo  5v  fiällov  i^ijv&y  av- 
%ov  d  ^adaiai  djioxTHvai  C4,  !••  18.)- 

Sogleich  nach  diesem  Anfangspunkt  aber  gehen  die 
sjnoptisohe  und  die  johanneische  Darstellang  des  fraglichen 
Verh&ltnitset  auseinander.  Bei  den  Synoptikern  gibt  den 
Diebsten  Anttefs  die  Vernaehlirsigung*  des  Waschens  vor 
Tische  von  Seiten  Jetn  und  teiner  Jünger  und  die  tcbar% 
fen  Ausfälle,  welche  er,  darüber  cur  Rede  gestellt,  gegen 
den  kleinllcben  Satsungsgeist  und  die  damit  verbundene 
fleocbelel  und  Verfolgungstucht  der  Pharisäer  und  Oeseis- 
kandigen  macht,  wo  es  dann  am  Ende  belfst,  sie  hi|- 
Ben  tiefen  Groll  gegen  ihn  gefafst,  und  ihn  auscuholen, 
ihm  verfängliche  Reden  absnlocken  gesucht,  um  tirund  cur 
Anklage  gegen  ihn  zu  gewinnen  (Luc.  II,  37  —  54*  vgl. 
Matth«  15,  1  ff.  Marc.  7,  1  ff.)*  Auf  seiner  lotsten  Reise 
Dach  Jerusalem  liefsen  die  Pharisäer  Jesu  eine  Warnung 
for  Herodea  ankommen  (Lue.  13,  41),  die^ wahrscheinlich 
aar  den  Zweck  hatte ,  ihn  aua  der  Gegend  wegzubringen. 
Den  nächsten  Hauptanstofs  nimmt  die  hierarchische  Partei 
an  der  auffallenden  Huldigung,  welche  Jesu  berm  Einzug 
in  Jerusalem  vom  Volke  dargebracht  wird,  und  an  der 
Tempelreinigung,  zu  welcher  er  sofort  schreitet :  doch  et- 
was Gewaltsamea  gegen  ihn  zu  unternehmen,  hielt  aie  aein 
itarker  Anhang  unter  dem  Volke  noch  zurück  (Matth.  21, 


400  Dritter  Abffch II itt. 

15  f.  Mare.  11,  18.  Lac.  19,  39.  47 f.);  was  auch  der  em- 
sige Grund  war,  waram  sie  nach  der  scharfen  Zeiohnang 
darch  das  Gleichnifs  von  den  WeingISrtnern  sich  seiner 
Person  nicht  bemfichtigte  (Matth.  21,  45  f.  parali.).  Nach 
diesen  Vor^fingen  bedurfte  es  kauni  mehr  der  antiphiri- 
aftisohen  Rede  Matth.  23,  nin  kurs  vor  dem  Pascha  die 
Hohenpriester,  Sohriftgelehrten  und  Aeltesten,  d.  b.  du 
Synedrium,  in  den  Palast  des  Hohenpriesters  ssu  einer  Be* 
rat  hang  susammensuffibren ,  Hva  rov  L  dolio  xQceir;a<aoi  m 
aTtomEinoaiv  (Matth.  26,  3  ff.  parali.). 

Auch  im  vierten  Evangelium  svrar  wird  der  grofse 
Anhang  Jesu  unter  dem  Volk  einigemale  als  der  Grund 
beeeichnet)  warum  ihn  seine  Feinde  hal>en  wollen  feit- 
nehmen  lassen  (7,  82.  44.  vgl.  4,  1  ff.),  und  sein  feierlicher 
Einsog  in  Jerusalem  erbittert  sie  auch  hier  Ci^»  19 M  ^^*' 
weilen  wird  ihrer  Mordanschlffge  ohne  Angabe  einer  Ver- 
anlassung gedacht  (7,  1.  19.  25.  8,  40.) :  aber  den  Heupt- 
'anstofs  geben  in  diesem  Evangelium  die  Aussagen  Jeto 
Über  seine  höhere  WOrde.  Schon  bei  Jener  Sabbatbeilang 
reiste  das  haoptsfichlich  die  Juden  auf,  dafs  Jesus  dieselbe 
durch  Berufung  auf  die  ununterbrochene  Thätigkeit  Gottei^ 
als  seines  Vaters,  rechtfertigte,  worin  nach  ihrer  Meinung 
ein  blasphemiscbes  iaov  taiTOv  noulv  n^  ^«f»!  lag  (5,  1S.)5 
wenn  er  von  seiner  göttlichen  Sendung  sprach,  sochteD 
sie  ihn  au  greifen  (7,  30.  vgl.  8,  20.)^  wegen  derBeh«op- 
tung,  vor  Abraham  sei  er,  hoben  sie  Steine  gegen  ihn  aof 
(8,  59).;  dasselbe  thaten  sie,  als  er  äufserte,  er  und  der 
Vater  seien  Eins  (10,  31.),  und  wie  er  behauptete,  der 
Vater  sei  in  ihm,  und  er  im  Vater ,  suchten  sie  sich  aber- 
mals seiner  su  bemächtigen  (10,  39.).  Was  aber  dea  Ans- 
schlag  gibt  nach  der  Darstellung  des  vierten  Evangeliums, 
und  die  feindliche  Partei  au  förmlicher  Besohlufsnshme 
gegen  Jesum  veranlafst,  ist  die  Auferweokuog  des  Laearas. 
Als  diese  That  den  Pharisäern  gemeldet  wurde,  veransul- 
taten   sie  und   die  Hohenpriester  eine  Synedriumssitaaiig} 


Zweites  Kapitel.     §.  115. 


401 


in  welcher  sie  In  ErwXj^ng  cogen,  wenn  Jefiis  fortfahre, 
flo  viele  aij/n€ia  ssn  thon,  werde  ihm  ealetst  Alles  anhfingen, 
und  dann  die  Römer  serstörend  einschreiten ;  worauf  der 
Hohepriester  Kaiphas  den  verhängnife Tollen  Anssprucb 
that,  es  sei  besser,  dafs  £in  Mensch  für  das  Volk  sterbe, 
ab  dafs  das  ganse  Volk  sn  Gmnde  gehe«  Nun  war  sein 
Tod  beschlossen,  nnd  es  wnrde  jedem  cur  Pflicht  gemacht, 
leinen  Aufenthaltsort  aonnselgen,  um  aich  seiner  Person 
benüchtigen  sn  können  (11,  46  ff.)* 

In  Besng  auf  diese  Differens  bemerkt  die  neuere  Kri- 
tik, dafs  wir  ans  den  synoptischen  Berichten  die  tragische 
Wendung  des  Schicksals  Jesu  gar  nicht  begreifen  würden, 
und  nur  Johannes  einen  Blick  in  die  stufenweise  Steige« 
rang  der  Spannung  Bwischen  der  hiemrchischen  Partei 
nnd  Jesu  uns  eröffne;  kurs,  dii(s  namentlich  auch  in  die» 
sem  Stacke  die  Darstellung  des  vierten  Kvangeliums  als 
eine  pragmatische  sich  zeige,  was  die  der  fibrigen  nicht 
Mi  ')•  Alloin,  was  hier  an  stufenweisem  Fortschreiten  die 
johsnneisch«  firnihlung  Toraushaben  soll,  ist  schwer  ein« 
SQsehen;  da  ja  gleich  die  erste  bestimmtere  Angabe  Aber 
das  sich  bildende  MirsTerbKltnifs  (5,  18.)  in  dem  iaov 
iaiToy  noicSv  tüj  -d'Cip  das  Uuohste  des  Anstofses,  in  deni 
Uf[n;v  aikov  djroxTttvai  aber  das  Höchste  der  Feindselig- 
keit enthält^  so  dafs  Alles,  was  weiter  von  der  Feindschnft 
der  'ladaloi  ersühlt  wird ,  blofse  Wiederholung  ist ,  und 
nur  der  Synedrinmsbeschlufs  Kap.  11.  als  Fortschritt  anm 
Bestimmteren  sieh  darstellt.  In  diesem  Sinne  fehlt  aber 
SQch  der  eynojiCiscben  Darstellung  der  Fortschritt  nicht, 
fon  dem  unbestimmten  iv^dgeveiv  und  dialaleivy  %L  üv  Ttotr^- 
OHuv  jo)  hfiö  (Luc.  11,  54,  6,  11.),  oder,  wie  es  bei  Mat* 
thins  (12,  14.)  und  Markus  (3,  6.)  bestimmter  lautet,  av^i- 
ßi)uov  kafißavHv  oniag  avjov  anoliawaiVy   bis  an  dem  in 


S)  ScHxKCxswBVKoin)  über  den  Urspr.,  S.  9f. ;  Lvcm,  1,  S.  133. 

159.     2,  S.  402. 
Am  Leben  Jem  Ite  AulL  IL  Band.  ^ 


r> 


402  Dritter  Abschnitt. 

Becog  anf  Art  ((foAf/i)  und  Zeit  Q/i^  er  tf^  eofftfj)  nanmehr 
genau  bestimmten  Bescblatse  (Matth.  26,  4  f.  parall.);  ]t 
es  ist  insofern  mehr  Fortschritt  in  der  synoptischen  Dm>- 
steilnng  bemerkbar,  als  in  ihr  während  der  gansea  gsli- 
läisehen  Wirksamlieit  Jesu^  hinter  der  AnhAngüchbeit  dei 
Volks  die  Anfeindung  einer  Partei  BurfickCritt :  wogegen 
Im  vierten  Evangellam  Jesus  von  Anfang  bis  su  Ende  fait 
ununterbrochen  mit  den  feindseligen  ^ladaloig  wo.  itrd- 
ten  hat  *). 

Näher  wird  nun  aber  den  drei  ersten  Evangelitten  be- 
sonders das  Eum  Vorwurf  gemacht,  dafs  sie  in  der  Aafe^ 
wecknng  des  Lasarus  diejenige  Begebenheit  übergiingen 
haben,  welche  für  die  letste  Wendung  des  Schiekials 
Jesu  entscheidend  geworden  sei  ^).  Mttssen  dagegen  wir, 
mit  Rücksicht  anf  das  obige /Resultat  unserer  Kritik  die* 
aer  Wunderersählung ,  Tielmehr  die  Synoptiker  loben, 
dafs  sie  nicht  eine  Begebenheit  cum  Wendepunkte  des 
Schicksais  Jesu  machen ,  welche  gar  nicht  wirklich  F0^ 
gefallen  ist,  so  beurkundet  sich  der  vierte  Evangelist  sscb 
durch  die  Art,  wie  er  den  dadurch  veranlafsten  Mordbe- 
achlufs  berichtet ,  keineswilgs  als  einen  solchen ,  descen 
Auctorität  uns  die  Wahrheit  seiner  Ersählong  verbärgen 
könnte«  Das  awar,  dafs  er,  ohne  Zweifel  iiach  einer  abe^ 
gläubischen  Zeitvorstellnng  Oy  dom  Hohenpriester  ^le  Gabe 
der  Prophetie  nuschreibt ,  und  seinen  Ausspruch  f&r  eine 
Weissagung  anf  den  Tod  Jesu  hält,  diefs  wfirde  fttr  sich 
noch  keineswegs  beweisen ,  daCs  er  nicht  ein  Augensenge 
und  Apostel  könnte  gewesen  sein  ^).  Das  aber  bt  out 
Recht  bedenklich  gefunden  worden,  dafs  unser  Evangelist 


4)  Vgl.  Band  1,  §.  83.  S.  749  (T. ;  Wsitss^  a.  a.  O.  S.  119  ff. 

5)  Vgl.,  ausser  den  angeführten  Kritikern,  Hq»,  Einleit.  in  du 
N.  T.  2,  S,  215.  ^ 

6)  Hierüber  am  richtigsten  Leen,  2,  S.  409  IT. 

7)  Wie  die  Frobabilien  meinen,  S.  94. 


Zweites  Kapitel.     %.  115.  403 

denKaiphas  ml«  dQxuQevg  ra  mavrS  exdya  beeeiehnet  (11, 

49.)9  also  ToraasBosetsea  aeheint,  diese  Würde  ael|    wie 

manche  römisebe  Magiatrataren ,  eioe  Jährige  geweaeo;  de 

ak  doch  nrsprOnglioh  eine  lebenslängliche  war,  nnd  aaeh 

ifl  Jener  Zeit  der    römischen  Oberherrschaft  nicht  rs^ej* 

miCiig  Jährlich,  aondern  ao  oft  ea  der  WiUkttr  der  Röaer 

gefiel  I  abwechaelte.    Aaf  die  Aoctorität  dea  vierten  Kvnn» 

geliosM  hin  gegen  die  aonatige  Sitte  und  nnerRchtet  dee 

Stillschweigens    des  Josephns    anzonehmen,    Annaa  odd 

Kaipfaaa  haben  Tormdge  einer  Privatfibereinknnft  Jährlieb 

gewechselt  "J,  dasn  mag  aichi,  wer  Lnat  hat,  entseUiersen ; 

inavzS  unbestimmt  ffir  XQO^^  *»  nehmen*},  ist  wegen  der 

doppelten  Wiederholang  dBsaelben  Ansdrncks  V.  51«   nnd 

18^  13.  nnnolässig;    dafa  in  Jener  Zeit  das  Hohepriester* 

thaai  so  häufig  wechselte,   nnd    einige  Hohepriester  nicht 

lioger  als  ein  Jahr  in  ihrer  Steile  belaaaen  wurden  ^^ 

berechtigte   unaern  Schriftsteller  nicht,   den  Kalphaa  da 

Hohenpriester  eines  Jahre  nn  beseichnen,  welcher  gerade 

rälaehr  eine  Reihe  von  Jahren ,  nameiftlich  während,  der 

gaoaen  Dauer  von   Jesu   öffentlicher  Wirksamkeit,   Jene 

Stelle  bekleidete;   dala    aber  endlich   Johannea    aoU    aa^ 

gen  wollen  y  im  Todesjahr  Jesu  sei  Kalphaa  Hoherprieater 

gewesen,  ohne  dadurch  frflhere  oder  spätere  Jahre  anssn» 

tcbliefsen ,   in  welchen  er  dieses  Amt  gldcbfalia  bekleidet 

babe^'),  geht  ebenaowenig.    Denn  wenn  die  Zeit,  in  wel* 

cbe  eine  Begebenheit  fällt ,  als  ein  gewisses  Jahr  beseicli» 

net  wird,  ao  mnfs  diefs  darin  seinen  Grund  haben,  dafe 

eatweder  die  Begebenheit,  deren  Zeit    bestimmt    werden 

loU,  oder  das  Datum ,  nach  welchem  man  dieselbe  bestimm 

men  will,   mit  dem  Jahreswechsel  susammenhängl*    Ent- 


8)  Hv6,  s.  a.  O.  S.  221. 

9)  KvinttL,  z.  d.  St. 

10)  YAVhV%j  Chmm,  4,  S.  S79  f.     Vgl.  Joseph.  Antiq.  18,  2,  2. 

11)  LCcMS,  z.  d.  St.  '    //   4. 

26* 


404  .     Dritter  Abgohnitt. 

V 

ureder  mufa  alao  der  Erzfihler  im  rierten  Evangeliam  der 
Meinung  gewesen  tein,    von  Jesu    Tod,    ea  weleben  lie 
damale  den  Anschlag  machten ,   sei  aaf  jenes  ganee  Jahr, 
aber  weiter  nicht,  eine  Fülle  von  Geistesgaben,  unter  wel- 
chen  auch    die  prophetische  Gabe  des    damaligen  Hohen- 
priesters, ausgeflossen  ^^:   o&evj  wenn  diefs  eine  gesuchte 
Erklärung  ist,    so  mufs  er  den  Kaiphas  als  Hohenpriester 
eben  nur  jenes  Jahrgangs  sioh   vorgestellt   haben.    Wenn 
also  Lücke  schliefst,  da  nach  Josephus  der  damalige  Hohe- 
priester dieses  Amt   sehn  Jahre   hintereinander  verwaltet 
habe,  so   könne  Johannes   mit  dem  gqxisqbvs  tö  iviam 
ixeivü  nicht  gemeint  haben ,  das  hohepriesteriiche  Amt  sei 
damals  jährig  gewesen  :    so   kehrt  sioh  dieser  Schlofs^  dt 
das  Zutageliegen  dieser  Meinung  in  den  Worten  des  Evan- 
geliums sicherer   ist,    als   dafs  dessen  Verfasser  JohsDnea 
gewesen,  in  d^n  entgegengesetcten  um :  da  das  vierte  Evan- 
gelium hier   eine   Vorstellung  von  der  Dauer  des  Hohen- 
priesteramts   entweder   überhaupt,    oder    wenigstens  der 
Amtsführung   des   Kaiphas,  seige,  die  man   in  Palästina 
nicht  haben  konnte,   so   werde   dadurch   höchst   unwah^ 
scheiniich,  dafs  der  Verfasser  desselben  ein  Palisttnenser, 
oder  gar  yno^6g>t(fi  aQyjfQsT,  wie  Johannes  IS,  15.  beseich« 
net.  wird,  gewesen  sei  ^^. 

Auch  der  Inhalt  dieser  angdrfichen  Verhandlung  moA, 
näher  betrachtet,  befremden.  Der  vierte  Evangelist  Ififit 
nämlich  die  SynedrIsten  die  Furcht  aussprechen,  es  möch- 
ten durch  den  steigenden  Anhang  Jesu  die  Römer  eu  ge* 
waltsamem  Einschreiten  bewogen  werden ;  sie  legen  abo 
seinem  Wirken  eine  politische,  und  namentlicli  den  Rö- 
mern gegenäber  revolutionäre  Tendens  unter«  Daaaeibe 
thun  sie  nun  awar  auch  Luc.  23,  2.  5.;  aber  mit  dem 
Unterschiede,  dafs,    was  sie  bei  den  Synoptikern  nur  den 


12)  Lt&HTVOOT,    K.    d.    St. 

ii)  Probabil.  a.  a.  0.    Vgl.  ds  Wbttb,  exeg.  Handb.,  1,  S,  S.  140. 


Zweites  Kapitel.    S«  116.  40$ 

Pilatus  bereden  mSehten,  sie  im  vierten  EvapgeUttm  unter 
sicby  ndthin  als  ihre  ernstliche  Meinung,  vortragen.  Ihr 
£rnst  konnte  es  aber  wohl  ebensowenig  setny  ab  der  Pro- 
eorstor  es  sieh  einreden  liefs ;  da  die  Beweise  einer  nieht 
polidflcben  Tendenn  Jesu  allan  offenkundig  vorlagen  *^}. 

Sofliit  sind  unter  den  Angaben  der  Evangelien  Ober 
die  AnUsse  und  den  Gang  der  Anfeindung,  welobe  Jesus 
voD  der  jüdischen  Hierarchie  erfuhr,  die  besdeo  im  Voraus 
glaobwürdigen  Punkte  —  dafs  sich  nämlioh  der  an  Je« 
in  genoa^mene  Anstofs  vornehmlich  an  sein  Bteden  und 
Thun  gegen  die  geltenden  Sabbatsvorechriften,  so  wie  spi* 
ter  an  seine,  bei  dem  letalen  Einenge  in  Jerusalem  nn 
Tage  gekommene,  bedenkliche  Popolaritttt,  geknüpft  habe  — 
diese  Angaben  sind  sKmmtlieben  vier  Evangelisten  gemein ; 
?on  denen,  welche  dem  vierten  Evangelium  eigenthfimlich 
«ind,  haben  wir  drei  —  da(s  gleich  yom  Anfang  an  die 
Anfeindung  die  Anh&nglichkeit  fiberwogen,  dafs  erstere 
lieh  spfiter  besonders  an  die  Auferweckung  des  Liasarus 
geknüpft,  and  dafs  die  Synedristen  politische  Gefahr  von 
desu  im  Ernste  befürchtet  haben  sollen  —  nicht  als 
historisch  aneuerkennen  vermocht;  nur  in  dem  Einen 
Punkte,  dafs  auch  die  starken  Aeufserungen  Jesu  über 
seine  Person  und  Würde  Drsaehen  desAnstolses  gewesen, 
nöcbte  dieses  Evangelium  die  übrigen  auf  glaubwürdige 
Weise  erg Annen  ^^). 

§.    116. 

Jesus  und  sein  Verrüther. 

Uneraohtet  im  Rathe  der  Hohenpriester  und  Aeltesten 
beschlossen  worden  war,  die  Festzeit  erst  vorübergehen 
so  lassen,   weil  eine  in  diesen  Tagen  an  Jesu  verübte  Ge« 


U)  WsissK,  die  evang.  Geschrchte,  1,  S.  443  f. 
15)  Vgl.  Biind  1,  |.  61. 


u 


406  \         Dritter  Abschnitt. 

walttliat  anter  der  Masse  ihm  gfinstiger  Festbesucher  Mcbt 
einen  Aafstand  erregen  konnte  (Matth.  26 ,  5.  Marc.  14, 
2.) :  so  wnrde  diese  Rficksicht  der  Feinde  Jesu  doch  durch 
die  Leichtigkeit  überw^gen^  mit  weicher  einer  seiner  Jfin* 
ger  ihn  in  ihre  Hände  zu  iiefern  sich  anheischig  machte. 
Judas  nfimlich,  ohne  Zweifel  von^eeiner  Abstammong  am 
der  Judäischen  Stadt  Kerioth  (Jos.  15,  25.)  ^laxaQimjfi  ge- 
nannt Ol  der  habsfichtige  und  die^sche  Casseffihrer  der 
Geseilschaft  Jesu  (Joh.  12,  6.),  ging  den  Synoptikern  su- 
folge  wenige  Tage  vor  dem'Pasehafeste  zu  den  Vorstehern 
der  Priesrerschaft,  und  erbot  sich ,  Jesnm  Ihnen  in  der 
Stille  zu  fiberliefern,  wofOr  sie  ihm  Geld,  nach  Mattbfios 
dreifsig  Silbersekei  (cr^t^ior),  Terspracben  (Matth.  26, 
14  paralL).  Von  einer  solehen  vorläufigen  Verhaodliuig 
des  Judas  mit  den  Feinden  Jesu  meidet  das  vierte  Gnn- 
geUnm  nicht  nur  nichts^  sondern  scheint  auch  sonst  die 
Sache  so  darzustellen,  als  bitte  Judas  erst  bei  der  lotsten 
Mahlzeit  den  £ntschlnfs  gefafst  und  sogleich  ausgefthrt, 
Jesum  an  die  Priesterachaft  zu  verrathen.  Dasselbe  erV- 
Bld^elv  des  Satan  in  Judas  nftmlich,  welches  Lukas  (22,  3.) 
vor  seinen  ersten  Gang  zu  den  Hohenpriestern  und  die 
Anstalten  zum  Paschafeste  setzt ,  Ififst  der  Verfasser  des 
vierten  Evangeliums  bei  dii^em  Mahle  eintreten,  ehe  Jadas 
die  Gesellschaft  verliefs  (13,  27.);  sum  Beweise,  wie  ei 
scheint,  dafs  nach  der  Ansicht  dieses  Evangelisten  Jodai 
erst  Jetzt  den  verrltherischen  Gang  gemacht  hat.    Zwar 


i)  Doch  vg[.  DB  Witts,  exeg.  Handb.,  1,  1,  S.  99.  —  Genauere 
Auskunft  Über  die  Abstammung  des  Verr'itbers  weiss  Olsiuo- 
SBH  zu  geben,  wenn  er  hibJ.  Commt  2,  S.  458.  Amn.  ssgi: 
„VieUeicht  ist  1.  Mos.  49,  17.  [iVmn  wird  eine  Schlange 
sein  auf  dem  Wege ,  ein  Oerast  auf  dem  Fusssteige,  der  da« 
Pferd  in  die  Hufe  sticht,  dasa  sein  Reiter  rückwärts  fäUt] 
der  Verrath  des  Judas  prophetisch  angedeutet,  wornach  mao 
achlieaaen  könnte,  dass  e^  aus  dem  Stamme  Dan  war.''   . 


Zweites  Kapitel.    S>  U9.  407 

«choD  ver  dem  MaUe,  bemerkt  derselbe  (18,  20f  babe  der 
Teufel  dem  Judas  Ins  Hers  gegeben  gehabt ,  Jesam  bu 
rerrathen,  and  dieses  %h  diaßaka  ßeßh^xotag  eigt^  xaQdiccv 
wird  gemeioigllob  dem  elg^l^e  aavccväg  bei  Lukas  gieioh* 
gesetst,  und  von  dem  Bntsehlusse  aum  Verrath  Terstan- 
den,'in  dessen  Folg$  Jndas  au  den  Hobenpriestern  gegan- 
gen sei:  allein,  war  er  sehen  damals  mit  denselben  einig 
geworden,  so  war  der  Verrath  bereits  ToUaogen,  und  man 
weils  dann  kaum,  was  das  ugfjl^&f  dg  amcv  o  aarcevag 
bei  m  lotsten  Mable  noch  bedeuten  soll,  da  das  Hinausflih* 
ren  derer,  welche  Jesum  greifen  sollten,  kein  neuer  Ten- 
f eisen tschlnfs,  sondern  nur  die  VoUsiehung  des  bereits  ge» 
fafdten  war«  Der  Ausdruck  bei  Johannes  V.S7.  bekommt 
im  Unterschiede  Ton  V«  2«  nur  dann  einen  gans  passenden 
Sinn,  wenn  man  das  ßaiXiiv  dg  ttpf  xaqdlcnf  von  dem  Auf- 
steigen des 'Gedankens,  das  dgsX3siv  aber  von  dem  Reifen 
desselben  snm  Entschlufs  versteht,  also  nicht  voraussetsly 
dafs  Judas  schon  vor  dem  Mahle  den  Hohenpriestern  eine 
Zttssge  gemacht  babe ').  Stehen  sich  aber  auf  diese  Weise 
die  Angabe  der  Synoptiker,  dafs  Judas  schon  einige  Zeit 
for  der  Ansfflhrifug  seines  Verraths  mit  den  Feinden  Jesu 
in  Unterhandlung  gestanden,  und  die  Johanneische,  dafs  er 
erst  unmittelbar  vor  der  That  sich  mit  ihnen  in  Verbin- 
dung gesetzt  habe,  entgegen:  so  entscheidet  sich  swar 
Lücke  in  der  Art'  ffir  den  Johannes,  dafs  er  behauptet, 
erst  nach  dem  Aufbruch  vom  letsten  Mahl  (Job.  13,  SO.) 
habe  Judas  den  Gang  sn  den  Hohenpriestern  gemacht, 
welchen  die  Synoptiker  (Mattb.  20.  14^  f.  parall.)  vor  das 
Mahl  versetsen  *) ;   aber  er   thut  diefs  nur  der  vorausge» 


3}  Dass  nach  der  johanneischen  Darstellung  Judas  erst  vom 
Mahle  weg  zum  erstenmal  zu  den  Hohenpriestern  gegangen 
sei)  hat  auch  LieurrooT  ancrliannt  (horac,  p.  4650)  ^^^^  ™^^ 
dcsswegen  das  von  JohanncA  erzählte  Mahl  für  ein  früheres 
als  das  synoptische  gehalten. 

5)  Comm    z.  Joh.  2,  S.  48^. 


408 


Dritter  Absehnitt. 


4 


N 


setsten  Aaotoritfit  des  JohanoeeiBalieb;  denn  wenn  aoch, 
wie  er  bemerkt,  bei  eben  einbrecbeader  Macht  Jndat  mit 
den  Priestern  noch  recht  gut  unterhandeln  konnte:  so  bt 
doch,  die  Sache  ohne  Vorauasetenng  betrachtet,  dieWahi« 
acheinlichkeit  ohne  Vergleiehang  mehr  auf  Seiten  der  Syn« 
optiker,  welche  der  Sache  dooh  einige  Zeit  lassen,  als 
des  Johannes,  bei  weicbeoi  Alles  Knall  and  Fall  gebt,  nnd 
Jndas,  allerdings  wie  besessen  ^  nach  Einbruch  der  Nacht 
noch  dsTonrennt,  nm  mit  den  Prieslern  su  unterhandelo, 
and  nnmittelbar  darauf  sur  Tjbät  sud  schreiten* 

Ein  anderer  Punkt,  in  welchem  die  Synoptiker  and 
Johannes  von  einander  abwekhen,  ist  das  Vorherwissen 
Jeso  von  des  Judas  Verrätfaelral.  Bei  den  Synoptikern 
keigt  Jesus  diese  Kunde  erst  am  ietäten  Mahle,  also  eu  ei- 
ner Zeit,  wo  dieThat  des  Judas  eigentlich  schon  gescheheo 
war,  und  noch  kars  Torher,  wie < es  scheint,  ahnte  Jesus 
so  wenig  von  dem  drohenden  t^all  eines  der  ZwiÜfe,  dafs 
er  ihnen  allen,  wie  sie  da  waren,  bei  der  Palingeuesie  ein 
Sitzen  auf  12  Riohterstflhlen^  rerhiefs  (Matth.  19,  2S.). 
Mach  Johannes  dagegen  versichert  Jesus  schon  um  die 
Zeit  des  vorletsten  Pascha,  also  ein  Jabr  vor  dem  Erfotg, 
einer  von  den  Zwölfen  sei  ein  duxßohyg^  womit  er,  laut  der 
Bemerkung  des  Evangelisten,'  dbn  Judas,  als  seinen  kflnfti- 
gen  Verräther,  meinte  (6-,  70.);  denn,  wie  kura  vorher 
(V.  64.)  bemerkt  war,  i^et  i^  ctqy/^g  o  ^Irjaüg^  —  %lg  izii 
6  na^adotaaiv  avrov,  Hienach  hütte  sJso  Jesus  von  Anfang 
seiner  Bekanntschaft  mit  dem  Judas  gewufst,  dafs  dieser 
ihn  verrathen  würde,  und  nicht  blofs  diesen  liufsern  Er- 
folg hätte  er  vorhergesehen,  sondern,  da  er  Ja  wnfste, 
was  im  Menschen  war  (Joh.  2,  25.)?  so  hätte  er  auch  die 
Triebfedern  des  Judas  durchschaut,  dafs  er  nämlich  ans 
Habsucht  nnd  Geldgier  Jene  Tbat  begehen  würde.  Und 
dabei  soll  er  ihn  £am  Casseführer  gemacht,  d.  h.  ihn  anf 
einen  Posten  gestellt  haben,  auf  welchem  sein.  Hang,  sich 
auf  jede,   wenn    auch  unrechte  Art  Gewinn  tu   schaffen, 


Zweites  Kapitel.    $.  116.  409 

die  reiehete  Nahrung  bekommen  mufste?  er  soll  ibn  durch 
Gelegeoheit  com  Dieb  gemacht,  und  sich,  wie  absichUicbj 
an  ihn  eineu  Verrüther  grob  gesogen  haben?  Schon  vom 
ökonomiaehen  Standpnnbt  ans  betrachtel*:  wer  vertraot 
denn  einem  eine  Casse  an,  von  dem  er  wei&i  daCs  er  sie 
bestiehk?  dann  pidagogisch:  wer  stellt  den  Schwachen 
auf  einen  Plats,  der  gerade  seine  schwache  Seite  so  be- 
ftfindig  in  Anspruch  nimmt,  da£i  voranssesehen  ist,  er 
vfisse  fraher  oder  später  unterliegen?  Nein  in  der  That, 
60  hat  Jeans  mit  den  ihm  zunächst  anvertranten  Seelen 
nicht  gespielt,  so  nicht  das  Gegen theil  von  dem  ihnen  er« 
wiesen,  was  er  sie  beten  lehrte:  /tii^  eigevi^^rig  i]^iüg  eis 
n€i(iaafi6y  (Matth.  6,  13.)»  dafs  er  den  Judas,  von  wel« 
ehern  er  vorauswurste  ^  er  werde  ans  Gewinnsucht  sein 
Verräther  werden,  cum  Casseffihrei^  ernannt  haben  könn- 
te; oder  wenn  er  ihn  dasu  machte,  so  kann  er  jenes 
Yorherwlssen  nicht  gehabt  haben. 

Um  in  dieser  Alternative  nn  einer  Entscheidung  su 
gelangen,  mfiaaen  wir  jenes  Vorherwissen  ftlr  sich  nehmen, 
and  sehen,  ob  es,  abgesehen  von  dem  Cassenamte  des  Ja- 
Amj  wahrscheinlich  ist  oder  nicht?  Auf  die  Frage  nach 
der  psychologischen  Möglichkeit  wollen  wir  uns  nicht  ein- 
lassen, da  es  ja  immer  frei  steht,  sich  auf  die  göttliche 
Natur/ in  Jesu  zu  berufen ;  aber  von  der  moralischen  Mög- 
liebkeit  wird  es  sich  fragen,  ob  es  bei  jener  Voraussicht 
so  rechtfertigen  sei,  dafs  JeSns  den  Judas  unter  die  Zwöl- 
fe gewählt,  und  in  diesem  Kreise  behalten  habe?  Da 
darch  diese  Berufung  sein  Verrath  als  solcher  erst  mög* 
lieh  wurde,  so  scheint  Jesus,  wenn  er  diesen  vorherwufs^ 
te,  und  den  Judas  doch  berief,  ihn  absichtlich  in  jene 
Sflode  hineingezogen  zu  haben.  Man  wendet  ein,  dpreh 
den  Umgang  mit  Jesu  sei  dem  Judas  ja  auch  die  Möglich- 
keit gegeben   Worden,  jenem   Abgrunde   zu    entgehen  *): 

4)  Diesen  und  die  folgenden  Gründe  s.  bei  Olsuiusbk,  2,  S.  458  f£, 
l^«gegea  vgl.  ns'WsriS;  ejicg.  ütndb.,  1,  hi  S.  89  f. 


410  Dritter  Absehnitt. 

aber  Jesus  bette  Ja  iroraasgeseben,  dafs  sieh  diese  Mög* 
llohkeit  uiebt  \erwiriKlichea  wttrde;  man  sagt  weiter,  sath 
in  andern  Kreisen  würde  das  in  Judas  gelegene  Bdse  sich, 
nur  in  andrer  Form ,  entwickelt  haben :  was  scboo  stsrk 
deterministisob  klingt;  so  wie  iroUends  die  Behaeptasg, 
es  sei  keine  wahre  Hfllfe  für  den  Menschen,  wenu  das 
Bdse,  woan  der  Keim  in  ihm  liegt,  nicht  anr  Ausbildang 
komme,  auf  Gonsequenaen  an  fähren  scheint,  wie  sie 
Rom.  3,  8.  6,  1  f.  irerworfen  sind.  Und  aneh  nur  yon  der 
gemfithlicben  Seite  angesehen,  -^  wie  konnte  Jesus  es  er- 
tragen, einen  Menschen,  von  welchem  er  wafste,  dafs  er 
jiein  Verrüther  werden,  und  alle  Unterweisung  an  ihn 
fruchtlos  bleiben  wfirde,  die  ganse  Zeit  seines  öfFentiiches 
Lebens  hindurch  um  sieh  au  haben?  mufste  ihm  dnreh 
denselben  nicht  Jede  Stunde  traulichen  Znsammenseins  isk 
den  Zwölfen  verkfimmert  werden  ?  Gewifs  triftige  Grfin* 
de  mOfsten  es  gewesen  s^in ,  um  deren  willen  Jesus  sieb 
dieses  Widrige  und  Harte  aufgelegt  bitte.  Solefae  Grflode 
and  Zwecl^e  konnten  sich  entweder  auf  den  Judas  besie- 
hen,  und  hier  also  in  der  Absicht  bestehen,  ihn  an  bei- 
aem,  welche  aber  durch  die  bestimmte  Voraussicht  seioei 
Verbrechens  aum  Voraus  abgeschnitten  war;  oder  sie  be- 
sogen  sich  auf  Jesum  selbst  und  sein  Werk ,  so  dafs  ff 
die  Ceberaeugung  gehabt  bitte,  wenn  die  Erlösung  doreh 
seinen  Tod  au  Stande  kommen  solle,  mflsse  auch  einer 
sein ,  der  ihn  verrathe  ^).  Allein  au  Jenem  Zwecke  war 
nach  christlicher  Voraussetcung  nur  der  Tod  Jesu  ein  nn- 
entbehrliches  Mittel:  ob  dieser  aber  mittelst  eines  Ve^ 
raths,  oder  wie  sonst,  herbeigefiBhrt  wurde,  hatte  fiBr  des 
ErlösungsEweck  kein  Moment,  und  dafs  es  den  Feinden 
Jesu  auch  ohne  den  Judas  früher  oder  spiter  bitte  geiio* 
gen  mfissen,  ihn  in  ihre  Gewalt  an  bekommen,  ist  na- 
liugbar;  dafs  aber  der  Verrither  unentbehrliph  gewesen» 


5)  ÜLSUAUfSA^  a.  a.  .0. 


Zweites  Kapitel.    $.  116.  411 

nm  Jesu  Tod  eben  aai  Paschafeite,  das  sein  typisches  Vor- 
bild enthalte  I  su  Stande  sn  bringen  0»  —  ^^^  solchen 
Spielereien  wird  man  ans  doch  heutiges  Tags  nicht  mehr 
hiahalten  wollen. 

Lüfst  sieh  somit  auf  keine  Weise  eine  genfigende  Ab« 
siebt  anslindig  machen,  welche  Jesnm  bewegen  konnte,  in 
der  Person  des  Judas  wissentlich 'seinen  Verrither  an  sieh 
SU  Eichen  nnd  um  sieh  sn  behalten  :  so  sicheint  entschieden, 
dsls  er  ihn  als  solchen  nicht  im  Voraus  gekannt  haben 
kann«  Scblkurmacher,  am  nicht  durch  Längnung  dieseir 
Vorberwlsaens  der  johanneischen  Anctoritflt  au  nahe  au 
treten,  nweifelt  lieber  daran,  dafs  Jesus  die  Zwölfe  rein 
lelbstst&ndig  ausgewihlt  habe,  und  indem  nao  dieser  Kreis 
lieh  mehr  doreh  freies  Ansehliefsen  der  Jflnger  von  selbst 
gebildet  haben  soll,  so  könne  Jesus  leichter  darüber  ge- 
rechtfertigt werden,  dafs  er  den  sich  uudrfingenden  Judas 
oicbt  BurOcbwies,  als  wenn  er  ihn  ans  freier  Wahl  nu 
iich  gecogen  bitte  O»  Allein  die  Auctoritit  des  Johannes 
wird  hiednroh  doch  yerletat,  da  ja  gerade  er  Jesum  an 
den  Zwölfen  sagen  Ififst:  aj^  vfihis  fie  i^sU^aa&e,  aiiX  iyvi 
b^d^^a^rpf  -vfiäg  (15,  16.  v|^5  5,  70  );  fibrigens  einen  be- 
stimmten Wahlact  auch  weggedacht,  so  brauchte  es  doch, 
damit  einer  bestfinJ'rg  um  Jesum  bleiben  durfte,  seiner 
£rlaubnifs  nnd  Bestfitigung,  and  schon  diese  konnte  er 
measchlicherweise  einem  Manne  nicht  geben,  von  welchem 
er  wufste ,  dafs  er  durch  dieses  Verhfiltnifs  ku  ihm  der 
tchwirsesten  Frevelthat  entgegenreife;  sich  aber  gens,  wie 
mao  sagt,  in  den  Standpunkt  Gottes  cu  versetKcn,  und  um 
der  Möglichkeit  der  Besserung  willen,  von  der  er  doch 
vorattswulste,  dals  sie  nie  cur  Wirklichkeit  werden  würde, 
deo  Judas  in  seiner  Gesellschaft  na  lassen^  das  wftre  eine 


6)  Ein  solches  Argument  Hesse  sich  aus  dem  ableiten,  was  Ots- 
uAUBBTi,  2y  S.  387  unten  und  588  oben  sagt. 

7)  Ueber  den  Lukas,  S.  88. 


412  Dritter  Abschnitt. 

gdttliohe  Uiimensohiiehkeit ,    niehts  GotCmenMliIidies,  ge- 
wesen. 

So  schwer  es  bienach  hAlt,  ,die  Angabe  des  irierten 
Evaogeliomg}  dafs  Jesus  i^on  Anfang  an  den  Judas  mit 
Bestimmtheit  als  seinen  VereAther  geJiannt  habe,  als  hiito- 
riscb  fest«ubalten :  so  leicht  entdeckt  sich,  was  auch  ohne 
geschichtlichen  Grund  su  einer  solchen  Darstellung  bewe- 
gen konnte.  Dafs  der  yon  einem  seiner  eignen  Sehfiier 
an  Jesu  begangene  Verrath  ihm  in- den  Augen  seiner  Feiode 
eum  Nachtheil  gereichte,  ist  natfirlich;  wenn  wir  aoeh 
nicht  von  (Jelsns  wttfsten,  dafs  er  in  der  Rolle  eines  Joden 
Jesu  vorwarf,  ini  v€p  (av  wvo^aC,^  fiad-r^rolv  TtQsdadi^^  sob 
Beweis,  dafs  er  weniger  als  jeder  Räubi^rhauptmann  die 
Seinigen  an  sich  su  fesseln  vermocht  habe  ^.  Wie  oon 
die  aus  dem  schmihlichen  Tode  Jesu  na  siebende  fible 
Folgerung  durch  die  Behauptung,  er  habe  seinen  Tod 
lange  verberge wufst,  am  besten  abgeschnitten  zu  werden 
schien:  ebenso  das,  was  man  aus  dfem  Verrathe  des  Judu 
Schlimm/BS  gegen  Jesum  ableitete,  durch  die  Angabe,  dafs 
er  von  Anfang  an  den  Verrfither-  durchschaut  habe,  und 
dem ,  was  ihm  dieser  bereitete ,  hätte  entgehen .  können, 
mithin  mit  Freiheit  und  aus  höheren  Rficksichten  sich 
seiner  Treulosigkeit  blofsgestellt  habe');  womit- sogleich 
noch  der  Vortheil  sif  gewinnen  war,  der  in  jeder  angeb- 
lich eingetroffenen  Voraussagung  fflr  den  Vorausverkiln- 
digenden  liegt,  und  welchen  der  vierte  Evangelist  naiv  sei« 
neu  Jesus  aussprechen  läfst,  wenn  er  ihm  nach  der  Be* 
Zeichnung  des  Verräthers  beim  lotsten  Maiüe  die  Worte 
leiht :  an  äqrci  kiyu)  v^lv  tvqo  rä  yeviaO-aL ,  %va ,  orav  yhr^ 
xuiy  TiigevaijTey  oti  iyoi  eifii  (13  ^  19.)  —  in  der  That  dai 
beste  Motto  zu  allen  vaiiciniis  post  eveiUtim.  Diese  beiden 
Zwecke  wurden  destp  vollkommener  erreicht,   je   weiter 


8)  Orig.  c.  Gel».  2,  fl  f. 

9)  Vgl.  Frobabil.  p.  139. 


Zweites  Kapilei.    §•  116.  413 

Eorflek  im  Leben  J^a  dieees  Vorherwissen  gesetst  wurde ; 
woravs  sieh  also  erklirt,  wamm  der  Verfasser  des  vierten 
Evaogelioms,  nieht  Bufrieden  dami^,  dafs  oaoh  der  gewähn* 
liehen  Darstellung  Jesns  bel'm  letzten  Mahle  den  Verrath 
des  Jpdas  Torherverkandigt  haben  sollte ,  sein  Wissen  nas 
denselben  schon  in  die  Anfknge  des  Zosammenseins  Jesn 
mit  Jndas  irerlegte  ^^).  , 

Indessen,  wenn  Ewar  ein  ans  seiner  höheren  Matnr 
hervorgegangenes,  bestimmtes  nnd  nntrflgliohes  Voraus- 
wissen von  dem  Verrsthe  des  Judas,  welches  Jesn  gleieh 
Fom  Anfange  seiner  Verbindung  mit  demselben  eingewohnt 
hfitte,  nach  den  früheren  Bemerkungen  ebenso  andenkbar 
ist,  als  nach  dem  suietst  Beigebrachten  diese  johanneische 
Angabe  leicht  auf  ungesehichtliohem  Wege  entstehen 
konnte:  so  fragt  es  sich,  ob  Jesus  nicht  «uf  rein  natfirliche 
Weise  den  Judas  in  der  Art  durchschaut  haben  könnte, 
dafs  er  frühaeitig,  wenn  gleich  nicht  die  bestimmte  fland- 
long  des  Verraths  vorhergesehen,  doch  die  mindere iLan« 
terkeit  seiner  Gesinnungen  bemerkt  hfttte?  Ans  dieser 
Kenotnifs  seines  Charakters  heraus  könnte  Jesus  das  ef 
vfuüv  £ig  didßolog  igiv  (Job«  6, 70.)  gesprochen  haberi",  ohne 
damit  auf  den  erst  nach  Jahresfrist  erfolgten  Verrath  hin- 


10)  Noch  weiter  rückwärts  wird,  nicht  das  Wissen  Jesu  um  sei- 
nen VerrÜthery  aber  doch  ein  bedeutsames  Zusammentr^ffea 
mit  demselben,  im  apokryphischen  Evangelium  infantiae  ara- 
bicum c.  35.)  bei  Fabiucxus  1,  p.  197  f.,  bei  Thilo,  1,  p.  108 f. 
gesetzt.  Hier  wird  ein  dämonischer  Knabe  j  der  im  Anfall 
mit  den  Zähnen  um  sich  biss,  «u  dem  Kinde  Jesus  gebracht, 
er  beisst  nach  ihm,  und  weil  er  es  mit  den  Zähnen  nicht  er- 
reichen  kann^  versetzt  er  ihm  einen  Schlag  auf  die  rechte 
Seite  9  worauf  das  Jesuskind  weint ,  der  Satan  aber  einem 
wüthenden  Hunde  ähnlich  aus  dem  Knaben  fährt.  Hie  au- 
tem  puer,  qui  Jesum  percasHt  et  ex  quo  Satanas  suh  for- 
ma eanii  emMt  ^  ftUt  Judas  ischariotes,  qui  Ubim  Judaeis 
prodidit. 


414  Urittor  Abschnirt. 

* 

weisen  ■«  wollen ,  -  sondern  nar  mit  Bezog  auf  den  onlaa- 
tem  Sinn,  welchen  er  an  dem  Jünger  bemerkte ,  aber  in- 
mer  noch  hoffitei  besserij  eu  können  ^^).  Allein  Dicht  biofi 
diese  natürliche  Kenntnifs  seines  Charakters ,  der  die  nn- 
bestimmte  Möglichkeit  bedeutender  Fehltritte  in  sich  trog, 
schreibt  der  vierte  Evangelist  Jesu  eo,  sondern  ein  Im- 
stimmtes  Vorauswissen  des  Verraths;  denn  die  Nbandsr- 
sehe  Dentnng  der  Worte :  tjdei  yccQ  e^  ctQX^  o  ^-  ^fe  «?'»' 
o  naqaddotav  ainov  (Job«  6 ,  64«) :  Jesus  wufste  von  An- 
fang an ,  was  für  ein  Mensch  oder  Charakter  Judas ,  sein 
nachmaliger  VerrXther,  sei  — '  diese  ErklArung  hat  so  viel 
Verwandtschaft  mit  rationalistischen  Ausflflchten  y  dafs  ihr 
Urheber  sie  selbst  wieder  aufgibt,  und  einrflnmt,  Johannes 
möge  in  unbestimmtere  Andeutungen  Jesu  über  den  Cht* 
rakter  des  Judas  nach  dem  Erfolge  bestimmtere  Besiehun- 
gen hineingelegt  haben :  das  Mindeste  allerdings ,  was  in 
dieser  Sache  Eugestanden,  und  aus  dem  oben  bemerkten 
apologetischen  Interesse  erkliirt  werden  mala« 

Mit  einem  solchen  rein  na^rlichen  und  somit  be- 
achrSnkten  Durchsehiinen  des  Judas  ist  nnn  ewar  seine 
Berufung  und  Beibehaltung  als  Apostel  vertriglich;  nieht 
aber  die  Uebertragong  des  Cassenamtes  an  denselben,  wenn 
anders  Jesus  unter  den  Fehlern  des  Judas  eine  bis  aar 
Unredlichkeit  gehende  Gewinnsucht  kannte. 

%.    117. 

Verschiedene  Ansichten  Uber  den  Charakter  des  Judas  und 

die  Mcttive  seines  Verraths. 

Nun  hat  es  aber  von  den  Iltesten  bis  auf  die  neuesten 
Zeiten  Solche  gegeben,  welche  mit  dieser  Ansicht  der 
N.  T.  liehen  Schriftsteller  von  dem  Beweggrunde  des  Jn- 
das  und   mit  ihrem  durchaus   verwerfenden  Urthetl  fiber 


11)  So  KtRM,  Hauptthatsachen,  TBb.  Zeitschr.  18SG,  2,  S.  152 IT.; 
Nbandiii,  L.  J.  Chr.,  S.  571  ff. 


Zweites  Kapitel,    f.  117.  415 

denselben  (vgL  A.  6.  l,  16  ff.)  niebt  fiberelnstimmeii  sa 
können  glaubten;  und  ewar  können  wir  sagen,  dafs  diese 
Abweichung  theils  ans  fibertriebenen  SnprahaturalismnSi 
theils  ans  einem  rationaiistisehen  Hange  hervorgegangen  ist. 
Ein  fiberspannter  Supranaturalismns  konnte  von  den 
!■  N,  T«  selbst  an  die  Hand  gegebenen  Gesichtspunkt  ans, 
dtfs  der  Tod  Jesu ,  Im  göttlichen  Weltplan  beschlossen, 
tnm  Heil  der  Menschheit  gedient  habe,  nun  auch  den  Ju- 
das, durch  dessen  Verrath  der  Tod  Jesu  berbeigefiBhrt 
worden  ist,  als  ein  tadelloses  Werkeeug  in  der  Hand  der 
Vorsehung,  als  einen  Mitarbeiter  an  der  Eriötnng^  der 
Menschheit,  betrachten;  In  dieses  X#icht  konnte  er  da- 
doreh  gestellt  werden,  dais  man  ihm  ein  Wissen  um  Je; 
Den  göttlichen  Rathschlufs  lieh ,  und  die  VoUaiehung  des- 
selben als  bewufsten  Zweck  seines  Verrathes  setate.  Die« 
se  Betrachtungsweise  finden  wir  wirklich  bei  der  gnosti- 
scben  Partei  der  Kainiten,  welche  den  alten  Hfiresiologen 
snfolge  den  Judas  fSr  denjenigen  hielten,  der  sich.  Aber 
die  beschriokte  jfldische  Ansicht  der  fibrigen  Jünger  cur 
(inosis  erhoben,  und  dieser  gemfifs  Jesum  verrathen  habe, 
weil  er  erkannte,  dafs  durch  seinen  Tod  das  Reich  der  die 
Welt  beherrschenden  niederen  Geister  gestörat  werden 
wfir^e  ')•  Andere  in  der  fiteren  Kirche  rfiumten  swar 
ein,  da(s  Judas  Jesum  ans  Gewinnsucht  verrathen  habe; 
doch  soll  er  nicht  erwartet  haben,  dafs  Jesus  getödtet  wer- 
den wfirde,  sondern  der  Meinung  gewesen  sein,  er  werde, 
wie  schon  öfters,  so  auch  dieismal,  durch  seine  flbernatör« 


1)  Iren.  adv.  haer.  1,  35 :  Judam  proditorem  —  solutn  prae  ee- 
teris  eognoscentem  verttaiem  perfecisse  prodiiionijt  mf/ste^ 
rium^  per  quem  ei  terrena  et  coeUstia  i^mnia  dissoluta  tU- 
amt.  Epiphan.  58,  3:  Einige  Kainiten  sagen,  Judas  habe 
Jesum  als  einen  norr^^  verrathen,  weil  er  das  gute  Gesetz 
auflösen   wollte;    ^Um  Se   rav  avrßv^  »;^*\    9WW,   iU^  aya»*^ 


416  Dritter  Abscbiult. 

liehe  Macht  seinen  Feinddn  entgehen  ^) ;  eine  Aosicbt, 
welche  bereits  den  Vebergang  «a  den  neueren  Rechtferti- 
gungen des  Yerräthers  bildet. 

Wie  die  beeeichnete  supranatnrslistische  Erbebang  dei 
Judas  bei  den  Kainiten  sunfichst  von  ihrer  Oppoiition  ge- 
gen das  Jndenthum  ausging,  Iiraft  deren  sie  sich  sou 
ÖrundsatEe  gemacht  hatten ,  alle  von  den  jfidischen  Ve^ 
fassern  des  alten,  oder  den  judaisirenden  des  neuen  Testa- 
ments getadelte  Personen  zu  ehren  und  umgekehrt:  m 
verspürte  der  Rationalismus ,  besonders  lin  seinem  ersten 
Unwillen  Ober  die  lange  Knechtschaft  der  Vernunft  in  den 
Fesseln  der  Auctorität,  einen  gewissen  Reie  in  sich,  wie 
die  von  der  orthodoxen  Ansicht  seiner  Meinung  nach  sd 
sehr  vergötterten  bibiiicben  Personen  ihres  Mimbna  m 
entkleiden,  so  die  in  eben  dieser  Ansicht  verdamqiten  oder 
zurückgesetzten  ku  vertheidigen  und  bu  heben.  Daher, 
was  das  A.  T.  betrifft ,  die  Erhebung  Esau*s  ttber  Jakob, 
Saul's  über  Samuel;  im  neuen  der  Martha  fiber  die  Maria, 
die  Lobreden  auf  den  sweifelnden  Thomas,  und  nun  sogar 
die  Apologie/ des  Verrltbers  Judas.  Den  Einen  war  er 
ein  Verbrecher  ans  beleidigter  Ehre :  die  Art ,  wie  Jeivs 
ihn  bei  der  Bethaniechen  Mahlcelt  geellchtigt,  die  ZorOck* 
seteung  überhaupt,  die  er  im  Vergleich  mit  andern  Jungen 
erfuhr,  verwandelte  seine  Liebe  zu  dem  Lehrer  in  UiSi 
und  Rachgier  ').  Andere  haben  sich  mehr  der  von  Theo* 
phylakt    aufbehaltenen    Vermuthung   angeschlossen,   daft 


aa^fvtjq  Svvajuig    xai  T«ro,    iprflty   y^ag   6  ^InSaq^    {ontvae    km   Ttdrta 
fxiyf^ty,   to^e  na^adsvai  avrov  ^    aya&or  fQyor    noujijaf   ^/uv  «f  outt- 
^av.    »at  Sei  ^/uSi  inairf'iv    xal   anoSiSorai  avr^  tot  tnairwy  on  f^« 
ttVTH  xaTfaxevdad^tj    ^juTv  jy  r5    ^orv^    otarij^    xoa.   f    dta   rjj  rottx^^p- 
vno^iaftag  rtav  avto  anoxaXvxpii. 

2)  Theophylact.  in  Matth.  27,  4. 

3)  Kai8br,  bibl.  Theol.  1,  S.  249.     Aehnlich  auch  Klopstocx,  im 
Messias. 


Zweites  KapiteL     $•  117.  417 

Jodas  gehofft  haben  möge,  Jesaa  werde  aach  dieramal  sei- 
nen Feinden  entgehen.  Dieb  fafsten  die  Einen  noch  an- 
prAnatoralistiMh  so,  als  lifitte  Judas  erwartet,  Jesus  werde 
sich  durch  Anwendung  seiner  Wunderhraft  in  Freiheit 
sotsen  *) ;  consequenter  auf  ihrem  Standpunkt  muthroafsten 
Andere,  Judas  möge  wohl  erwartet  haben,  wenn  Jesna 
gefangen  wäre,  werde  ein  Volksaufstand  sn  seinen  Gunsten 
snsbreehen  und  Ihn  befiraien  ^).  Judas  wird  hienaeh  als 
ein  solchtt*  Torgestellt,  der,  darin  fihiigena  den  andern 
Jüngern  gleich,  das  Messiaareich  irdisch  und  politisch  sich 
dachte,  und  daher  nnsufrieden  war,  dafs  Jesus  die  Gunst 
des  Volks  so  lange  nicht  benütste,  um  sich  cum  messiani* 
«eben  Herrs^iher  anfznwerfen.  Veranlalst  nun  entweder 
dorch  Bestechungsyersuche  des  Synedriums,  oder  durch 
das  Gerficht  yon  dessen  Plane,  Jesum  nach  dem  Fest  ins« 
geheim  sn  verhaften,  habe  Judas  diesem  JVnschlag,  der 
Je«am  verderben  mufste,  znvorsukommen,  und  eine  Ver- 
haftung noch  wfihrend  des  Fests  sn  Stande  eu  bringen 
gesucht,  1^0  er  gewifs  hoffen  eu  können  glaubte,  Jesun^ 
doroh  einen  Volksaufstand  befreit,  ebendamit  aber  genö- 
thigt  cn  seilen,  sich  endlich  dem  Volk  in  die  Arme  eu  wer- 
fen, und  snr  GrOndung  seiner  Herrschaft  den  entscheiden- 
den Schritt  eu  thun.  Da  er  Jesudi  von  der  Nothwendig« 
keit  seiner  Gefangennehmung ,  und  dab  er  in  drei  Tagen 
sieh  wieder  erheben  werde,  sprechen  hörte,  habe  er  diefs 
als  Zeichen  der  Einstimmung  Jesu  in  seinen  Plan  genom- 
men ,  in  diesem  Wahne  dessen  fibrige  abmahnende  Reden 
tbeils  fiberhört,  theils  falsch  gedeutet,  namentlich  das  o 
noiü^^  noirflov  Totxiov  als  eine  wirkliche  Ermunterung  eur 


4)  K.  Ch.  L.  ScamiDT,  exeg.  Beiträge,  1.  Thl.  2ter  Versuch, 
S.  18  ff* ;  vgl.  denselben  in  Schmiut^s  Bibliothek,  3,  1,  S. 
163  ff. 

5)  Paitlüs,  exeg.  Handb.,  3,  b,  S.  451  ff.  L.  J.  1,  b,  S.  143 ff.; 
HASBy  L.  J.  $^  132.    Vgl.  THauü,  zur  Biographie  Jesu,  §.  33. 

Das  Leben  Jesu  Ue  Aufl.  ii.  Band.  27 


•     '      ;    '   *     f 


418  Dritter  Abschnitt. 

Ansffihrung '  seines  Vorhabens  anfgefarst.  Die  30  Silber- 
linge  habe  er  von  den  Priestern  genommen,  entweder  am 
seine  wahre  Absicht  hinter  den  Schein  der  Habsacbt  so 
▼erborgen  I  und  ihnen  dadarch  jeden  Verdacht  sa  beneb« 
men ;  oder  habe  er  neben  der  Erhebang  eu  einer  der  er* 
•ten  Stellen  im  Reiche  seines  Meisters,  die  er  erwartetCi 
auch  Jenen  kleinen  Vortheil  noch  mitnehmen  wollen.  Aber 
Jodas  habe  sich  in  ewei  Punkten  verrechnet :  einmal ,  in- 
dem er  nicht  bedachte ,  dafs  nach  der  darchsehmaasten 
Paschanacht  das  Volk  nicht  frflhe  su  einem  Aufstand  wach 
sein  wArde;  Eweitens,  indem  er  nicht  erwog,  dafs  das  Syn- 
edriom  eilen  wfirde,  Jesum  in  die  Hfinde  der  Römer  so 
bringen,  denen  ein  Volksanfstand  ihn  schwerlich  cu  ent- 
reifsen  im  Stande  war.  So  soll  nun  Judas  entweder  ein 
▼erkannter  braver  Mann  ^),  oder  ein  Getauschter  sein,  der 
aber  kein  gemeiner  Charakter,  vielmehr  in  seiner  Ver- 
Bweiflnng  noch  ein  Trümmer  apostolischer  Gröfse  war^); 
oder  soll  er,  Bwar  durch  ein  schlechtes  Mittel,  doch  einen 
guten  Zweck  haben  erreichen  wollen  ®).  —  Beide  Ansieh« 
ten  von  Jesu,  die  übernatürliche  und  dje  natürliche,  Ufst 
MsANDER  in  der  Art  als  Dilemma  in  Jodas  vorhanden  sein, 
dafs  er  gedacht  haben  soll;  ist  Jesus  der  Messias,  so  wird 
inm,  vermöge  seiner  Übernatürlichen  Kraft,  die  Debergabe 
an  seine  Feinde  nichts  schaden,  im  Gegentheil  cur  Be- 
achleunigung  seiner  Verherrlichung-  dienen ;  ist  er  aber 
der  Messias  nicht,  so  verdient  er  den  Untergang.  Hienach 
wlire  der  Verrath  nur  die  Probe  gewesen,  auf  welche  der 
Bweifelnde  Jünger  die  Messianitit  d^a  Meisters  stellen 
wollte  »).  ^ 

Unter  diesen  Ansichten   ist  eigentlich  nur  diejenige^ 


6)  ScHHiDT,  a.  a.  O. 

7)  Haib. 

8)  Paulus. 

9)  NiAWDsa,  L.  J.  Chr.,  S.  578  f. 


Zwniti's   Kapirel.     $.  117«  419 

«reiche  den  Verrnth    des  Jadas   ans    gekrSnktem    Ehrgeis 

abieitet,   im  Stande,   eine  positive  Spar  fdr  sich  ansoffih« 

ren:   den  Verweis   iiSniiich,   den   sich   derselbe   von   Jesu 

beim  Bethanischen  Mahle  cneog.    Allein   gegen   die  Beru- 

fnng  aaf  diesen  Verweis  ist  schon  bei  anderer  Gelegenheit 

die  Bemerkung  der  neuesten  Kritik  gekehrt  worden,  dab 

die  Milde  desselben,    wie    sie    namentlich   aus  der    Ver» 

i;leichnng    mit    der   weit  schSrferen   Zurechtweisung    des 

Petrus,  Matth.  16,  23,  erhelle,  in  gar  keinem  Verhfiltnifs 

Btt  dem  Groll  stflnde,  den  er  in  Judas  erregt  haben  soll  ^^) ; 

dafs  dieser  aber  sonst   Zurücksetzung    gegen   seine  Mit- 

Jfinger  erfahren  habe,  davon  fehlt  uns  Jede  Spur. 

Alle  Obrigeu  Vermuthungen  Ober  die  eigentliche  Trieb- 
feder der  That  des  Jodas  können  nur  negative  Gründe  fiBr 
•ich  anfahren,  d,  h.  Gründe ,  die  es  unwahrscheinlich  ma- 
chen sollen,   dafs  er  fiberhaupt  eine  böse  Absiebt  bei  sei- 
nem Anschlage  gehabt   habe,    und  dafs  insbesondere  Hab* 
sncht  seine  Triebfeder  gewesen  sei;  einen  positiven  Beweis 
sber,    dafs   er  das  Werk  Jesu  habe  fordern  wollen,   und 
dafs   namentlich    ungestüme  politische   Messiashoffnungen 
ihn  getrieben  haben,  vermögen   sie  nicht  beisnbringen.  — 
Dafs   Judüs   fiberhaupt  keine   böse   Absicht  gegen  Jesnm 
gehabt  habe,   dafür  beruft  man  sich  hauptsichlich  darauf, 
dafs  er,  nachdem  ihm  die  Ablieferung  Jesu  an  die  Ktfmer 
und  die  Unvermeidlichkeit  seines  Todes  su  Ohren  gekom- 
men, in  Verzweiflung  gerathen  sei,  als  Beweis,  diifs  er  ei- 
nen entgegengesetzten  Erfolg  erwartet  hatte.    Allein  nicht 
blofs  der  unglückliche  Erfolg,  wie  Paulus  meint,  sondern 
ebenso  auch  der  glückliche,  oder  das  Gelingen  des  Verbre- 
chens,  „zeigt  dasselbe,   welches   man   sich   vorher   unter 
tausend    Entschuldigungsgründen   verschleierte,    in    seiner 
schwarzen,  eigenthümlichen  Gestalt.^^     Das  real  gewordene 
Verbrechen  wirft  die  Maske   ab,  ilie  man   dem  nur  erst 


10)  1.  Band,  ^.  88.  S.  779.    Vgl.  noch  Mass,  a  .a.  O^ 

27* 


4^0  Dritter  Abschnitt. 

idealen,  im  Gedanken  vorhandenen,  leihen  konnte;  und  lo 
wenig  die  Reue  manohes  Mörders ,  wenn  er  den  Ermor- 
deten vor  sieh  Hegen  sieht ,  beweist,  dafs  er  den  Mord 
nicht  wirklich  beabsichtigt  habe:  ebenso  wenig  kann  dis 
des  Judas,  als  er  Jesum  ohne  Rettung  sah,  beweisen,  dab 
er  nicht  vorausberechnet  hatte,  es  werde  Jesam  das  Le- 
ben kosten. 

Unmöglich  aber,  sagt  man  ferner |  kann  insbesondere 
Habsncht  die  Triebfeder  des  Jndas  gewesen  sein ;  denn 
wenn  es  ihm  om  Gewinn  so  thnn  .war,  so  konnte  ihm 
nicht  entgehen,  dafs  die  fortdauernde  Cassenfflhrung  in 
der  Gesellschaft  Jesu 'ihm  mehr  abwerfen  würde,  als  die 
elenden  30  Silberlinge,  unsres  Geldes  20  —  25  Thaler,  die 
er  bekam,  was  bei-  den  Juden  die  Vergütung  ffir  einen 
verletsten  Sklaven,  ein  Taglohn  auf  4  Monate  war.  Allein 
eben  die  30  Silberli.nge  sucht  man  vergeblich  bei  allen  Be- 
richterstattern aufser  MAtthfius.  Jobannes  schweigt  völlig 
fiber  einen  dem  Judas  von  den  Priestern  gebotenen  Lohn ; 
Harkns  tfnd  Lnkas  sprechen  unbestimmt  von  dQyxQior^  des 
sie  ihm  versprochen  haben  ,  und  auch  den  Petrus  Ififst  die 
Apostelgeschichte  (1,  18.)  nur  von  einem  fuaO^os  reden, 
der  dem  Jndas  eu  Theil  geworden  sei.  MatthKus  aber, 
der  allein  jene  bestiminte  Summe  hat,  IXlst  ans  Eogleicb 
keinen  Zweifel  über  den  historisehen  Werth  seiner  An- 
gabe« Er  citirt  nftmlioh,  nachdem  er  das  Ende  des  Judas 
berichtet  (27,  0  f.),  eine  Stelle  aus  Zacharias  (11,  12  f.; 
aus  Irrthum  schreibt  er  Jeremias)',  in  welcher  ebenfalls 
30  Silberlinge  als  Preis  vorkommen,  eu  welchem  einer  an- 
geschlagen worden  sei.  Zwar  sind  in  der  Pr«)phetenstelle 
die  30  Silberlinge  kein  Kaufpreis,  sondern  ein  Lohn;  der 
damit  Bezahlte  ist  der  Jehova's  Person  vorstellende  Pro- 
phet, und  durch  die  geringe  Summe  wird  die  Geringschi- 
tBung  angeeeigt,  welche  die  Juden  gegen  so  viele  göttliche 
Wohlthaten    sich   zu   Schulden   kommen   liefsen  ^0«    ^'^ 

ll)^o8ciiMÜi.i.sR,  SchoL  in  V.  T.  7,  4,  S.  318  ff. 


Zweites  Kapitel.     %.  117.  421 

leicht  aber  konnte  ein  christlicher  Leser  darch  diese  Stelle, 
In  welcher  von  einem  scfamfihiich  geringen  Preise  (ironisch 
1j?TI  niK)  die  Rede  war,  om  welchen  die  Israeliten  einen 

in  Orakel  Redenden  angeschlagen  haben,  an  seinen  Messias 
erinnert  werden,  der  um  ein  seinem  Werthe  gegenüber 
Jedenfalls  geringes  Geld  seinen  Feinden  verkauft  worden, 
war,  nnd  er  konnte  linn  aus  dieser  Stelle  heraus  den  Preis 
bestimmen,  der  dem  Judas  für  die  Ueberliefernng  Jesu 
besahlt  worden  war  ^-j.  Hienach  geben  die  TQidxoyra  ccq- 
yinia  durchaus  keinen  Punkt  ab,  auf  den  sich  derjenige 
stutzen  könnte ,  welcher  beweisen  will ,  der  geringe  Lohn 
könne  es  nicht  gewesen  sein,  was  den  Judas  Eum  Verrfi- 
ther  machte;  denn  wie  gering  oder  bedeutend  der  Lohn 
war,  welchen  Judas  bekam,  wissen  wir  hienach  gar  nicht. 
Aach  ans  Matth.  27,  7  ff.  A. 6.  1,  18«,  wornach  um  den 
Verritherlohn  des  Judas  ein  dyQO^  oder  xiaQLOv  erkauft 
wurde ,  ist  nicht  mit  Neander  auf  die  Geringfügigkeit  Je- 
nfer  Summe  e^u  schliefsen,  da,  auch  abgesehen  von  dem  sptt* 
ter  zu  untersuchenden  historischen  Werthe  Jener  Angabe, 
die  beiden  angeführten  Ausdrücke^  ein  gröfseres  oder  klei- 
neres Stück  Landes  bedeuten  können,  und  die  Bestimmung 
«4'  Taq)TJiv  idli;  ^evoigy  welche  Matthfius  demselben  anweist, 
an  keinen  allzu  geringen  Umfang  desselben  denken  Ififst. 
Wie  derselbe  Theologe  gar  in  dem  Ausdruck  auch  der 
beiden  mittleren  Evangelisten ,  die  Jüdischen  Obern  haben 
dem  Judas  aQyvQiov  en  geben  versprochen ,  die  Andeutung 
einer  geringen  Summe  finden  will,  ist  vollends  nicht  ein« 
SDsehen.  —  Weit  triftiger  ist  die  schon  oben  in  anderem 
Sinne  angeführte  Bemerkung,  dafs  Jesus  einen,  den  er  als 
gewinnsüchtig  bis  zur  Unredlichkeit  kannte,  schwerlich 
2ur  Casseführung  berufen  und  auf  diesem  Posten  gelassen 
haben  würde;  wefswegen  Neander  geradezu  annimmt,  der 


12)  Auch  NR«%nBii  findet  Hirsr  Entstehung  der  Angabe  des  ersten 
Evangeliums  möglich,    S.  574.  Anm. 


422 


Dritter  Absehnitt. 


vierte  Evangelist^  weDn  er  die  Bemerkung  des  Jodat  beiQ 
Betbanischen  Mahle  aus  seiner  Habsacht  ableite^  habe  die- 
selbe nach  der\Spfitern  Wendong,  die  es  mit  Judas  oshm, 
falsch  ausgelegt,  and  namentlich  anch  die  Beschuldigung, 
dafs  Judas  die  Gesellschaf tscasse  bestohlen  habe ,  aus  sei- 
nem Eigenen  hinzugefügt  ^''}.  Allein  hiegegen  fragt  sich, 
ob  man  vom  N&ANDER'schen  Standpunkte  aus  dem  Apostel 
Johannes,  als  vorausset^lichem  Verfasser  des  vierten  Evan- 
geliums, eine  so  grundlose  Verläumdnng  —  denn  diefa 
'w&re  es  nach  Neander's  Voraussetsnng  —  cur  Last  legen 
darf;  und  auf  dem  unsrigenwfire  es  wenigstens  natürlicher, 
anzunehmen,  dafs  Jesus  den  Judas  zwar  als  geldliebend, 
aber  bis  zuletzt  nicht  als  unredlich  gekannt,  und  daher 
fUr  den  bezeichneten  Posten  nicht  ungeeignet  gefunden 
habe.  —  Was  ISeander  schliefslich  bemerkt:  wenn  Judas 
durch  Geld  bewogen  werden  konnte,  Jesum  zu  verrathen, 
s^  müsse  er  den  rechten  Glauben  an  ihn  längst  verloren 
gehabt  haben  —  diefs  versteht  sich  von  selbst  ^  und  inols 
bei  jeder  Ansicht  von  d^r  Sacl  e  vorausgesetzt  werden ; 
allein  das  Ersterben  des  Glaubens  konnte  ihn  zunächst 
nur  zu  deip  airfA^cTv  eii;  lu  ordau)  Job.  6,  66.  bewegen: 
um  ihn  auf  den  Gedanken  des  Verraths  zu  bringen,  be- 
durfte es  eines  weiteren,  besonderen  Reizes,  welcher  duo 
an  sich  gleich  gut  Gewinnsucht,  wie  jene  von  Meamder 
o.  A.  ihm  untergelegten  Absichten,  gewesen  sein  kano. 

Dafs  Gewinnsucht  als  solche  nfiohste  Triebfeder  cor 
Erklfirung  der  That  des  Judas  genüge,  will  ich  nicht  be- 
haupten ;  nur  das  halte  ich  fest ,  dafs  eine  ändere  Trieb- 
feder in  den  Evangelien  weder  angegeben,  noch  irgendwie 
angedeutet  ist,  jede  derartige  Hypothese  also  in  der  Loft 
steht  "). 


15)  L.  J.  Chr.  S.  573. 

14)  Vgl.  auch  Fkitzscmk;  in  Mstth.  p.  7S9  f. 


Zweite«  KapiteL    {.  HS.  42S 

S.    11& 

Bestellung  des  Faftchamahlt. 

Am  ersten  Tage  der  angesfioerten  Brote ,  an  desfen 
Abende  das  Paschalamm  gescfalaohtet  werden  mnfste,  alte 
dea  Tag  vor  dem  eigentiicben  Fette,  welehes  aber  an  dem- 
selben Abend  noch  «einen  Anfang  nahm,  d.  h.  den  14ten 
Nitan,  «611  Jean«,  nach  den  awei  eraten  Evangelien  auf 
eine  von  den  Jflngern  an  ihn  gerichtete  Anfrage,  nachMat- 
thäua  nnbeatimmt,  welche  und  wie  viele,  nach  Marina 
awei  Jfinger,  welche  Luliaa  als  den  Petrna  und  Johannea 
beaeichnety  cur  Stadt  geachickt  haben  (vielleieht  von  Betha- 
nien aua),  um  filr  die  Featmahlzeit  ein  Local  au  bestellen, 
und  die  weiteren  Anordnungen  au  treffen  (Matth.  26,  17  ff. 
parallO*  Waa  Jeans  dieaen  Jflngern  für  eine  Weisung  ge- 
geben, darin  stimmen  die  drei  Berichterstatter  nicht  gans 
tiberein.  flach  allen  schiciit  er  sie  an  einem  Manne,  bei 
welchem  sie^nnr  im  Auftrage  des  didaaxceXoi;  ein  Local 
aar  Paachafeier  begehren  dQrften,  um  aogleich  einea  einge- 
rfiomt  an  beliommen:  aber  theila  wird  dieaea  Local  von 
den  beiden  andern  n&her  ala  von  Matthäua  l>eaeichn^, 
nämlich  als  ein  grofsea  oberea  Zimmer,  welchea  bereite 
mit  Polstern  veraehen,  und  cum  Empfang  von  Gisten  su- 
gerichtet  sei;  theila  wird  namentlich  die  Art,  wie  aie  den 
Eigenthflnier  deaaelben  auffinden  aollten ,  von  jenen  andere 
aU  von  diesem  angegel>en.  Matthfiua  nämlich  Ififst  Jesnm 
nur  sagen,  aie  aollten  hingehen  TtQOS  tov  düvat  die  fibri* 
gen  aber ,  aie  wfirden ,  in  die  Stadt  getreten ,  einem  Men- 
Kben  begegben ,  weicher  ein  xeQUfiiov  vdaros  trage ,  dem 
sollten  sie  in  das  Hans,  in  welches  er  gehe,  folgen,  und 
daselbst  mit  dem  Hausherrn  unterhandeln. 

In  dieser  Erafthlung  hat  man  eine  Menge  von  Anstös- 
ssn  gefunden,  welche  Gablbr  in  einer  eigenen  Abhandlung 
ausammengeatellt  hat  0*    Schon  daa   ist   aufgefallen ,   dafs 

1>  Ueber  die  Anordnung  des  letzten  FaschamahU  Jesu,    in  sei« 
■e»  aeuetlen  thcal.  Journal/  2y  äj  S.  441  ff* 


• 


V 


424  Dritter  Abschoitt. 

Jeaus  erst  am  loteten.  Tage  an  die  Bestell ang  des  Mahlet 
gedaoht  haben  soll,  ja  naeh  den  beiden  ersten  Evangelisten 
noch  durch  die  jQnger  daran  erinnert  werden  mub,  dt 
doch  bei  dem  grofsen  Andrang  von  Menschen  in  der  Pa« 
achaseit  (2,700,000  nach  Josephus^))  die  städtischen  Lo- 
cale  bald  vergeben  waren ,  und  die  meisten  Fremden  vor 
der  Stadt  unter  Zelten  oampi^en  mnfsten.  Dm  so  sooder- 
barer  ist  dann,  dafs  demunerachtet  die  Boten  Jesu  dai 
verlangte  Zimmer  nicht  besetst  finden,  sondern  der  Eigen- 
thümer,  als  hätte  er  Jesu  Bestellung  geahnt,  es  für  ihn 
aufgehoben,  und  bereits  für  ein  Gastmahl  eugericbtet  hatte. 
Und  dessen  versieht  sich  Jesus  so  gewifs,  dafs  er  den 
Hauseigenthttmer  nicht  erst  fragen  Ififst,  ob  er  bei  ihm  ein 
Local  zur  Pascbamahleeit  bekommen  könne,  sondern  ohne 
Weiteres,  wo  das  ffir  ihn  geeignete  Local  sei?  oder  nach 
Matthäus  ihm  nur  ansagen  läfst,  er  werde  bei  ihm  das 
Pascha  essen  ]  wozu  noch  kommt ,  dafs  nach  Markos  und 
Lukas  Jesus  sogar  diefs  weifs,  was  für  ein  Zimmer  and 
in  welchem  Theile  des  Hauses  ihnen  eingeräumt  werden 
wQrde.  Besonders  auffallend  ist  nun  aber  nach  diesen  hei- 
den  die  Art,  wie  die  Jünger  den  Weg  nach  dem  betreffen* 
den  Hause  finden  sollen.  Lautet  nämlich  bei  Matth&ui 
das  vnayeve  Ht;  trjv  nohv  nqog  %6v  deiva  einfach  so,  all 
hätte  zwar  Jesus  den  Namen  dessen,  zu  dem  sie  geben 
sollten,  genannt,  der  Referent  aber  ihn  nicht. mehr*  ange- 
ben wollen  oder  können :  so  bezeichnet  bei  den  /beiden  an- 
dern Berichterstattern  Jesus  den  JOngern  das  Haus,  in 
das  sie  zu  gehen  hätten,  durch  einen  Wasserträger,  den 
sie  begegnen  würden.  Wie  konnte  nun  Jesus  in  Betha- 
nien, oder  wo  er  sonst  eben  war,  diesen  zufälligen  Un- 
stand  vorberwissen,  wenn  anders  nicht  vorher  verabredet 
worden  war,  dafs  um  diese  Zeit  ein  Knecht  aus  jenem 
Hause  mit  einem  Krug  -  Wasser  sich  zeigen ,   und  auf  die 

3)  Bell.  jud.  6,  9,  5, 


Zweites  KapiteL    $.  118.  425 

Boten  Jean  warten  sollte  ?  Auf  eine  vorhergegangene  Ver» 
abredung  schien  den  rationalistischen  £rl&iärern  Alles  in 
uDsrer  Erzfiblnng  hinanweisen,  und  durch  diese  Voraus- 
seteung  angleich  alle  Schwierigkeiten  derselben  sich  sa 
lösen.  Die  so  sp£t  erst  ausgeschickten  Jünger  konnten 
nur  dann  noch  ein  Local  unbesetet  finden,  wenn  diefs  von 
Jesu  vorher  bestellt  worden  war ;  nur  dann  konnte  er  dem 
Hausbesitser  so  kategorisch  sich  ansagen  lassen ,  wenn  er 
mit  ihm  schon  frfiher  Abrede  genommen  hatte;  aus  einer 
•eichen  erklärt  sicb-anch  Jesu  genaue  Kenntnifs  von  dem 
Locale,  und  endlich^  wovon  ausgegangen  wurde,  seine  6e- 
vrifsbeity  dafs  die  Jflnger  einem  Wassertrfiger  aus  jenem 
Hanse  begegnen  würden«  Den  Dmsehweif  dieser  Beseich« 
oung  des  Hauses,  der  durch  einfache  Nennung  des  Namens 
vom  Eigenthflmer  au  vermeiden  war,  soll  Jesus  gemacht 
haben,  um  den  Ort,  wc^  er  die  Alahlseit  halten  wollte,  nicht 
vor  der  Zeit  dem  Verrfither  bekannt  werden  au  lassen, 
der  sonst  vielleicht  schon  dort  ihn  auf  störende  Weise' 
fiberfallen  haben  würde  ^). 

Allein  diesen  Eindruck  macht  die  evangelische  Ersäh- 
lung  durchaus  nicht.  Von  einer  Verabredung,  vorgingigen 
Bestellung ,  hat  sie  nichts ;  vielmehr  scheint  das  evQOv  xct- 
^v»S  tiqrjxev  aikoig  bei  Markus  und  Lukas  darauf  hinwei* 
sen  au  sollen,  dals  Jesus  Alles,  wie  es  sich  später  wirk- 
lich fand,  voransausagen  im  Stande  war;  eine  furchtsame 
Vorsicht^  ist  nirgends  angezeigt,  vielmehr  deutet  Alles  auf 
eine  wundersame  Voraussicht  hin.  Näher  ist  hier,  wie 
oben  bei  der  Bestellung  des  Reitthieres  cum  Einzug  in 
Jerusalem,  das  swieCache  Wunder  vorhanden,  dafs  einer- 
seits für  Jesu  Bedürfnisse  Alles  bereit  ist,  nnd  dertiewalt 
seines  Namens  Niemand  cn  widerstehen   vermag;  andrer- 


3)  So  Gablbk  ,  a.  a.  0. ;  ähnlich  PAUtut ,  exeg.  Hjindb. ,  3  ^  b , 
S.481 ;  KsRM,  Haupkthattachen,  Tüh.  Zeilschr.  1836^  3,  S.  3f.  ; 
NaAxasA,  S,  583. 


ißA  Ürilter  Abschnitt. 

•eits  aber  Jesos  in  entfernte  Verhältnisse  eioen  Bliok  m 
werfen,  und  das  Zofftiligste  vorhercosagen  im  Stande  ist  ^). 
Ks  oiufs  befremden ,'  dafs  diese  so  unabweisbar  sich  dar- 
bietende snpranatoraiistifcbe  AaflFaAsung  des  vorliegenden 
Beriehts  diefsmal  selbst  Olsbausbn  bq  umgehen  sucht,  mit 
Grfioden,  durch  welche  die  meisten  WundergescbichteD 
omsustofsen  wären,  und  welche  man  sonst  nur  ?oo  Ratio- 
nalisten Bu  hören  gewohnt  ist«  Dem  unparteiischeD  Ana* 
leger,  sagt  er  ^),  gebe  die  £rBäblnng  nicht  das  Geringita 
an  die  Hand,  das  die  wunderhafte  Auffassung  rechtfertigte, 
—  man  glaubt  sich  bereits  in  Paulus  Commentar  vertettt; 
wollten  die  Referenten  ein  Wuuder  ersählen,'  so  h&tteo 
sie  ausdrflcklich  bemerken  müssen,  es  habe  keine  Verab- 
redung .stattgefunden  -^  g^ns  das  rationalistische  Begeih 
ren,  wenn  eine  Heilung  als  wunderbare  anerkannt  wer 
den  sollte,  so  mfifste  die  Anwendung  natOrlicher  Mittel 
Ansdrficklicb  geliiagnet  sein ;  auch  ein  Zweck  dieses  Wnn* 
ders  sei  nicht  einsusehen,  insbesondere  eine  Glaubeof8tfi^ 
kung  der  Jünger  sei  damals  nicht  nötbig,  und. nach  deo 
früheren  erhabeneren  Wundern  durch  dieses  weniger  be- 
deutende nicht  SU  erreichen  gewesen  —  Gründe,  durch 
welche  ebenso  namentlich  auch  die  gans  ähnliche  Ersib- 
Inng  yon  der  Vorberbeneichnung  des  Esels  bei*m  Einsog) 
welche  doch  Olshausbn  als  wunderbar  festhält,  auf  den 
Kreise  des  UehernatOrlichen  ausgeschlossen  werden  wOrde. 
Eben  dieser  früheren  Ersählung  min   aber  i^  die  ge- 


4)  Richtig,  nur  mit  zu  specieller  Beziehung  auf  das  Jesu  beror- 
stehende  Leiden ,  gibt  Bsza  ,  zu  Matth.  26 ,  18. ,  aU  Zweck 
dieser  Vorherbezeichnung  an ,  vt  nmgis  ac  magis  inteiäg^' 
rent  dUdpuU,  nihil  temere  in  urbe  magistro  eventurum,  »^ 
quae  ad  minuiUsimas  usgue  drcufnatantioM  penilus  pertpe- 
eta  haberei. 

ftX  Bibl.  Comm.  2,  S.  3S5  f.     Vgl.  dagegen  an  Wsm  s.  d.  St. 


Zweites  Kapitel'    $.118.  427 

genwUrÜge  so  auffallend  ?erwandt,  dafs  Aber  die  hfsCori- 
iche  Realitlt  der  einen  nicht  anders  als  ober  die  der  andern 
geurtheiit  werden  kann.  Hier  wie  dort  hat  Jesos  ein  Be- 
darfnlfs,  fflr  dessen  si^hleunige  Befriedigung  von  Gott  so 
gesorgt  ist,  da^s  Jesus  die  Art  dieser  Befriedigung  aufs 
Genaoette  yorherweifs;  hier  bedarf  er  eAen  Speisesaal, 
wie  dort  ein  Reicthier;  hier  wie  dort  sendet  er  swei  J  flu- 
ger aas,  um  die  Bestellung  su  machen ;  hier  gibt  er  ihnea 
einen  begegnenden  Wassertrfiger  als  Kennseichen  fflr  das 
Hins  an,  wie  dort  der  angebundene  Esel  das  Zeichen  war ; 
hier  wie  dort  weist  er  die  Jfinger  an,  dem  £igenthflmer 
Dor  ihn,  hier  als  diddaxukoi; ^  wie  dort  als  xvQiogt  su  nen- 
nen, um  sogleich  die  unweigerliche  Gewährung  seines  Ver- 
Isngensi  aussowirken;  beidemaie  entspricht  der  Erfolg  sei- 
ner Voraussage  genau.  Alich  bei  dieser  Ersfihlung,  wie 
bei  der  früheren,  fehlt  der  hinreichende  Zweck,  welchem 
BDÜeb  ein  solches  mehrfaches  Wunder  könnte  veranstaltet 
worden  sein;  wogegen  der  Grund  ebenso  leicht  wie  bei 
jener  in  die  Augen  fällt,  vermüge  dessen  sich  in  der  ur- 
christlichen Sage  die  Wunder erseählung  ausgebildet  babea 
mag.  An  eine  A.  T. liehe  Ersählung  insbesondere,  an 
welche  wir  schon  dort  denken  mufsten,  werden  wir  hier 
noch  bestimmter  erinnert«  Zum  Zeichen,  dafs  er  Ihm  mit 
Grund  der  Wahrheit  die  Herrschaft  Ober  Israel  verkfln« 
digt  habe 9  sagt  Samuel  dem  Saul  vorher,  wer  ihm  bei*m 
Weggehen  von  Ihm  begegnen  werde«  Nfimlich  sunfiehst 
swei  Mfinner  mit  der  Machricht,  dafs  seines  Vaters  Ese- 
linnen wiedergefunden  seien;  hierauf  drei  andefe,  welche 
Opferthiere,  Brot  und  Wein  tragen  und  ihm  von  dem 
Brote  anbieten  werden  n.  s.  f.  (1  'Sam.  10,  1  ff.);  voraus 
wir  se^en^  durch  welcherlei  Vorhersagungen  die  hebräi- 
sche Sage  ihre  Propheten  sich  beglaubigen  liefs. 

Was  schliefslich  das  Verb&ltnifs  der  Evangelien  be- 
trifft, so  wird  gewöhnlich  die  Ersählung  des  Matthäus 
tief  unter  die  der  awei  andern  Synoptiker  gesetst,  und  als 


428  Dritter  Absohaitt. 

die  spStere  und  abgeleitete  betrachtet  *)•  Vor  Allem  loU 
der  Umstand  mit  dem  Wasserträger,  weichen  jene  beides 
geben,  der  ursprünglichen  Thatsache  angehören,  in  der 
Sage  aber,  bis  sie  an  Matthfius  kam,  verloren  gegsDgen, 
and  nun  das  rftthselhaflte  vndyere  TtQOS  tov  delva  an  seist 
Stelle  gesetst  worden  sein.  Allein ,  wie  wir  gefunden  ha- 
ben, ist  *(ler  delia  vielmehr  unverfänglich,  der  Wssse^ 
trffger  aber  im  höchsten  Grade  rfithselhaft ').  Noch 
weniger  läfst  sieh  darin,  dafs  Matthfins  die  abgeschicktes 
Jünger  nicht  wie  Lulias  als  den  Petrus  und  Johannes  he- 
Ecichnet,  eine  Spur  finden,  dafs  die  Eraäblnog  des  drittes 
Evangeliums  die  ursprünglichere  sei.  Denn  wenn  Schleier* 
MACBBR  sagt,  dieser  Zug  habe  wohl  im  Hindurchgehen 
durch  mehrere  Hfinde  verloren  gehen ,  nicht  leicht  aber 
durch  eine  spStere  Hand  binsuliommen  l&önnen,  so  ist  we« 
nigstens  die  letztere  Behauptung  ohne  Grund.  So  wenig 
wahrscheinlich  es  ist,  dafs  su  einer  so  rein  Ökonomischen 
Bestellung  Jesus  gerade  die  beiden  ersten  Apostel  verwen- 
det haben  sollte;  so  leicht  Ififst  sich  denlien,  dafs  zuerst 
unbestimmt,  wie  wir  bei  Matthäus  lesen,  eine  Sendung 
'  der  oder  einiger  Jünger  eraählt  wurde,  deren  Zahl  hie^ 
auf,  vielleicht  ans  der  EraShlung  von  der  Sendung  nach 
dem  Esel,  auf  awei  festgesetet,  und  diese  Stellen  endlich, 
da  es  von  einer  Auswahl  su  einem  Geschäft  von  spiterhin 
hoher  Bedeutung  —  der  Bereitung  des  letcten  Mahle« 
Jesu  —  sich  handelte,  durch  die  beiden  ersten  Apostel 
ausgefallt  wurden.  So  dafs  hier  selbst  Markus  sich  der 
ursprünglfchen  Wahrheit  wieder  mehr  genähert  eu  hahen 
scheint,  indem  er  die  von  Lukas  an   die   Hand  gegehe- 


6)  Schulz,  über  das  Abendmahl,  S.  .^21 ;  Schlbisrmjiciuii  ,  üher 
den  Lukas,  S.  280;   Wsissb,  die  evang.  Gesch.,  S.  600  f. 

7)  t.  Thbilb  ,  über  die  letzte  Mahlzeit  Jesu  ,  in  M'i]«bb*s  und 
l!)»CKLiiAiibT*s  iiniem  krit.  Journal^  2,  S.  169.  Anni, ,  un<f  <ur 
Biographic  Jesu,  J.  31. 


Zweites  Kapitel.     $.  119.  420 

« 

nen  NameD  der  beiden  Jflnger  in   seine  Erzlihlanff   nicht 
anfnahnu 

$.      119. 

Abweichende  Angaben  über  die  Zeit  des  letzten  Mahles  Jeiu. 

Meldet  der  vierte  Evangelist  von  der  bisher  bespro« 
ebenen  Bestellung  der Paschamahlseit  nichts,  so  weicht  er 
auch  in  Bezng  anf  das  Mahl  selbst  au£FaIlend  von  den 
übrigen  ab.  Abgesehen  nämlieh  von  der  dnrchgehenden 
DifferenE  im  Inhalte  der  Seene,  von  welcher  erst  später 
die  Rede  werden  Icsnn,  scheint  er,  was  die  Zeit  des  Mah- 
ks  betrifft,  es  mit  eben  der  Bes^mmtheit  als  eine  vor  dem 
Pascha  gehaltene  Mahlaeit  so  geben ,  wie  die  Synoptilier 
als  das  Pasehamahl  selbst. 

Wenn  diesen  zufolge  der  Tag,  an  welchem  die  Jfinger 
fon  Jesn  znr  Bestellung  des  Mahles  angewiesen  worden, 
bereits  jj  nqdxi]  talv  a^vfiiav  war,  iv  fi  tdei  di^fead-ai  ro 
naaxa  (Matth.  26,  17.  parall.) :  so  kann  das  darauf  gefolgte 
Mahl  kein  anderes  als  eben  das  Paschamahl  gewesen  sein; 
wenn  ferner  diie  Jfinger  Jesum  fragen :  nä  O-ileig  kroifid- 
oia^iv  aoi  q^ayeiv  t6  7iaa%a;  (ebendas.)  wenn  es  hierauf 
Ton  denselben  heifst :  i^oifiaaav  to  naoxa  (Matth.  V.  19. 
parail.),  und  sofort  von  Jesn:  oipiag  yet'Ofiivr^g  avixsno 
^na  Ttsiv  dcidexa  (V.  20.):  so  würe  das  Mahl,  an  welchem 
man  sich  hier  niederliefs,  schon  Oberflüssig  als  dasPaseha- 
mahl  bezeichnet,  wenn  auch  nicht  Lukas  (22,  15)  Jesum 
dasselbe  mit  den  Worten  eröffnen  liefse:  emO-viniff:  inedv- 
^rfsa  tÖTO  TO  Ttdaxcc  q^ayelv  f.ied'  v^itSv»  —  Wenn  dagegen 
das  vierte  Evangelium  seine  Erzfihlung  von  dem  letzten 
Mahle  mit  der  Zicitbestimmung :  tiqo  da  zijg  kofnijg  zö  ndoxccy 
eröffnet  (13,  1.),  so  seheint  das  ötiTcvoVy  dessen  es  unmit- 
telbar darauf  (Y.  2.)  gedenkt ,  ebenfalls  noch  vor  das  Pa- 
Khafest  zu  fallen ;  zumal  in  der  ganzen  johanneischen 
^hilderung  dieses  Abends,  welche  namentlich  in  Bezug 
*vf  die  an  das  Mahl   sich   knfipfenden  Reden  höchst  aus- 


430  Dritter  Abscbnitf. 

fohrlicii  Istf  jede  Erwähnung  ond  selbft  jede  Anspielong 
darauf  9  dafs  hier  das  Paschamahl  gefeiert  werde ^  fehle. 
Wenn  ferner  die  Aufforderung  Jesu  an  den  VerrSther 
nach  dem  Essen,  was  er  thae,  schnell  cd  thon ,  von  den 
Jüngern  dahin  mifsverstanden  wird,  oV/  ?Jyei  ai)zq?  ayofw- 
aoi'j  tov  x^f/ar  tyiOfiBV  sig  tr^v  ioQrr^v  (V.  29.)'  «o  besogen 
sich  die  Festbedürfnisse  doch  hauptsfichlich  auf  das  Pn- 
schauiahl ,  und  kann  folglich  die  so  eben  vollendete  Mnhl- 
seit  nicht  wohl  schon  das  Paschamahl  gewesen  sein.  Wenn 
es  dann  (IS,  28.)  weiter  heifit,  am  folgenden  Morgen 
seien  die  Juden  nicht  in  das  heidnische  PrStorium  ge 
gangen,  iva  firj  ^lav&aiaiVf  aU,  Uta  qaytoai  zo  Ttaayicti  m 
acheint  auch  hienach  die  Paschamahlzeit  noch  bevorgestan- 
den SU  habeq.  Dasn  kommt,  dafs  (19,  14.)  eben  dieser 
folgende  Tag,  an  welchem  Jesus  gekreuciget  wurde,  il« 
naQaaxfvfj  ra  ndaxcc  bezeichnet'  wird,  d.  h.  als  derjenige 
Tag,  an  dessen  Abend  erst  das  Paschalamm  verzehrt  wer- 
den sollte ;  auch,  wenn  von  dem  zweiten  Tage  nach  jener 
Mahlzeit,  welchen  Jesus  im  Grabe  zubrachte,  gesagt  wird: 
7;v  yuQ  /Lieydlrj  tJ  rj^tl-Qa  ixelvü  t5  aaßßdts  (19,  31.):  w 
scheint  diese  besondere  Feierlichkeit  eben  daher  gerOhrt 
zu  haben,  dafs  auf  jenen  Sabbat  d6r  erste  Paschatsg  fiel, 
also  das  Odterlamm  nicht  schon  am  Abend  der  Gefangen' 
nehmung  Jesu  gefeiert  worden  war,  sondern  erat  am  Abend 
seines  Begrfibnisses  gehalten  wurde. 

Diese  Abweichungen  sind  so  bedeutend,  dafs  manche 
Ausleger ,  um  die  Evangelisten  nicht  in  Widerspruch  mit 
einander  kommen  zu  lassen ,  auch  hier  die  alte  probate 
Auskunft  angewendet  haben,  sie  reden  gar  nicht  von  de^ 
aelben  Sache,  Johannes  meine  eine  ganz  andre  Mablseit 
als  die  Synoptiker«  Das  johanneische  öeTnvov  ist  hienach 
ein  gewöhnliches  Abendessen,  ohne  Zweifel  in  Bethanien; 
bei  diesem  nahm  Jesus  die  Fufswaschung  vor,  sprach  voa 
VerrMther,  und  fttgte,  nachdem  dieser  die  Gesellschaft  ver- 
Uaaen,   noch  andere  Reden  tröstenden   and   ermahneadea 


Zvreites  Kapitel.   $,  110.  4Ü1 

Inhalts  hinso,  bis  er  endlieh  am  Mprgen  des  14ten  Nisnn 
dorch  die  Worte:  i'/HQiod^ey  aytaiiev  mevd-ev  (14,  Sl.),  die 
Jfinger  som  Aufbruch  von  Bethanien  und  com  tiang  nach 
Jerusalem  ermahnte.    Hier  fallen  nun  die  Synoptiker  ein, 
indem  sie  ihn   auf  dem  Wege   nach  Jerusalem    die  swei 
J Anger  cur  Bestellung  des  Mahls  aussenden   lassen,    hier- 
aof  das   Pasehamahl    einfdgen,    von    welchem    Johannes 
schweigt)   und   seinerseits   erst   wieder  mit  den  nach  dem 
Paschamahl  gehaltenen  Reden  (15,  1  ff.)  eingreift  *).     (le- 
geo  diesen  Versuch ,   durch  Besiehung   der   beiderseitigen 
KrzShlungen  auf  gans   verschiedene   Vorffille  den  Wider- 
spruch EU  vermeiden y  kehrt  sich  nun  aber  die  in  mehreren 
Zfigen  unverkennbare  Identität   beider  Mablceiten   heraus. 
Abgesehen  nämlich  von  einzelnen  Stücken,   die  sich   glei- 
cherweise in  beiden  Berichten  finden,  will  offenbar  Johan- 
nes wie  die  Synoptiker  das  letzte  Mahl  schildern,  welches 
Jesus  mit   seinen  SchAlern   gehalten  hat.      Darauf   deutet 
schon   die    Einleitung   der  Johanneisohen   Erzfihinng   hin; 
denn  der  Beweis,    der  Ihr  zufolge   hier  gegeben   werden 
soll,  wie  Jesus  die  Seinigen  elg  tilog  geliebt  habe,   lieb 
sich  am  passendsten  aus  seinem   letzten  geselligen  Zuaam^ 
mensein    mit    denselben   entnehmen.     Ebenso    weisen    die 
nach  dem   Mahle  geführten  Reden  auf  den  unmittelbar  be- 
vorstehenden Abschied  hin ,    und  an  die  Mahlzeit  vnd  die 
Reden  schliefst   sich   auch  bei  Johannes  sogleich  der  Hin- 
gang nach  Oethsemane  und  die  Gefangeonehmung  Jesu  an. 
Freilich  sollen  dieser  Ansicht  zufolge  die  zuletzt  genann- 
ten Vorgünge  nur  an  diejenigen  Gespräche   sich    unmittel- 
bar angeknüpft  haben,  welche  bei  dem  späteren,  von  Jo- 
hannea  Übergangenen,   Mahle   geführt   worden   sind  (Kap. 
15     170:    allein,    dafs   zwischen  14,    31.   und  15,  1.  der 
Verfaaaer  des  vierten  Evangeliums  auf  bewulste  Weise  das 


y 


1)  So  LiaRvooT,  horae,  p.  463  ff.;   Hiss,  Geschichte  Jesu,  1, 
S.  273  ff.  \   auch  ViNTumin,  3^  S.  634  ff. 


432  Dritter  Abfchnitt. 

ganze  Paschamahl  ausgelassen  habe,  diefs,  obwohl  dadorch 
das  seltsame  iyetQsa&Sj  ayiofiev  ivrtv&ev  nicht  fibel  erkifirt 
EQ  werden  scheinen  könnte,  wird  wohl  Niemand  mehr  im 
Ernst  behaupten  wollen.  Doch ,  diefs  auch  zugegeben ,  so 
sagt  ja  schon  13,  38.  Jesos  dem  Petrus  seine  Verlängnong 
mit  der  Zeitbestimmung:  h  i^rj  dlexTWQ  fptav^fjy  voriioi, 
wie  er  nur  i>ei  der  lotsten  Mahlseit  sprechen  i&onnte,  oad 
nicht,  wie  hier  voransgesetst  wi^d,  bei  einer  froheren-). 

Dieser  Ausweg  also  mnfs  verlassen,  und  sugestanden 
werden,  dafs  sfimmtliche  Evangelisten  von  der  gleichen 
Mahlseit,  der  lotsten,  welche  Jesus  mit  seinen  Jdngern 
hielt,  reden  wollen«  Und  hiebei  schien  die  Billigkeit,  die 
man  jedem  Autor  schuldig  ist,  und  in  besonderem  Mabe 
den  biblischen  schuldig  su  sein  glaubte,  den  Versuch  so  e^ 
fordern,  ob  nicht,  ungeachtet  sie  Einen  und  denselben  Vo^ 
gang  in  mehreren  Besiehnngen  fiufserst  abweichend  dai^ 
Stellen,  dennoch  beide  Theile  recht  haben  könnten.  Ks 
mfifste  sich  also,  was  die  Zeit  betrifft,  seigen  lassen ,  ent* 
weder  dafs  auch  die  drei  ersten  Evangelisten  wie  der 
vierte  nicht  ein  PaschamaKl,  oder,  dals  auch  dieser  wie 
jene  ein  solches  geben  wolle. 

Ein  altes  Fragment  ')  hat  die  Aufgabe  auf  dem  erete- 
ren  Wege  su  lösen  versucht,  indem  es  läugnet,  dafe  Mat- 
thäus das  lotste  Mahl  Jesu  auf  den  Abend  des  14ten  Ni* 
San,  als  die  eigentliche  Zeit  für  das  Pasohamahl,  und  sein 
Leiden  auf  den  ]5ten  Nisan ,  als  den  ersten  Tag  des  Pa- 
schafestes, setze ;  allein  es  ist  nicht  absnsehen,  wie  die  aus- 
drficklichen  Hinweisungen  auf  das  Pascha  in  den  Sjnopti* 
keirn  beseitigt  Werden  sollen. 

Weit  allgemeiner  ist  daher  In  neuern  Zeiten  der  Ver- 
such   gemacht   worden,   den  Johannes  auf  die  Seite  dir 


2)  Eine  ungenügende  Aaskanft  gibt  Lisktpoot,  p.  482  f. 

3)  Fragm.  ex  Claudii  Apollinaris   libro   de  Faichate ,   in  Cbron. 
Pasch al.  cd.  du  Fresne.     Paris  t988.    p*  6  f.  praef. 


Zweites  Kapitel.     $.  110.  4SS 

flbrigen  berllbersaBiehen  ^).    Sein  tzqo  rr^g  io^t^  t5  naoyn 
(13,  1 )  glaubte  man  dareh  die  BeobAchttiog  benetlSgen  %m 
können,    wie  Ja   an   diese    Worte  nicht   anmtttelbar   das 
dtJ.Ti'm'f  sondern  iinr  die  Bemerkung  sieh  anschiierse,  daüs 
Jetns  gewnfst  habe,  nun  sei  seine  Stande  gekommen,  und 
difs  er  die  Seinigen  bis  an*s  Ende   gelieht  habe;  erst  im 
folgenden  Verse  sei  dann  vom  iMahie   die  Rede,   auf  wel*' 
ehes  also  jene  Zeitl>es(immung  sieh  nicht  iMElehe.     WoraidF 
loil  $le  sieb  dann   aber   lieeiehen?   auf  das  Wissen,   dafa 
leine  Stonde  gekommen  sei?   dtefs   ist  nur  eine  Neb^nbe- 
nerkung;  oder  anf  die  bis  sum  Ende  liewahrte  Liebe?  ea 
dieser  aber    Itann  eine   so   speclelle  Zeitbestimmmtg    nrnr 
dann  gehören  ,  wenn  sie  als  ein  fiufserer  Liebesbeweis  go» 
meint  ist,    und   eis  solcher  bethäligte  sie  sieh  eben  betje»- 
nem  Mahle,   welehes   also   immer   der  Punkt  bleibt,    der 
dorch  jene  Tagsbestimmong  fixirt  werden  soll.  Uaher  ve«^ 
nuthet  man  ferner,  das  nQo  r^g  (oqtijg  sei  ans  Aobe«|nsk 
Dong  an  die  Griechen   geredet,    fQr  welche  Johannes  gen 
schrieben    habe:  .weil   diese  den  Tag  nicht  wie  die  Juden 
mit  dem- Abend  begannen,  so  sei  ihnen  das  am  Anfang  des 
ersfen   PialMihiitags    gehaltene  Mahl  als  eine  Mahlaeit  am 
Vorabende  des  Pascha  erschienen.    Allein  welcher  verstICn- 
dige  Schriftsteller,   wenn  er  einen  mi^gllchen  Mifsverstand 
des  Lesen  Termnthet,  schreibt  dann  lieber  gleich  so,  wie 
der 'Leser  Ihn   mifsverstehen  vrird?   -—   Schwieriger  noch 
ist  18,  98,  wo  die  Juden  am  Morgen  nach  Jesu  Gefangen- 
nehttiang  das  Pritorium  nicht  betreten,   um   sich  nicht  sn 
Terunreinigen,   aiX  Vvte   q^dywai  to  naaxa.    Doch  glaubte 
man  nadh  Stellen,    wie  5  Mos.  16,  L  2«,    wo  sftmmtlicbe 
in  der  Paschazeit  au  schlachtenden  Opfer  durch  den  Aus- 
druck npS  beteiehnet  sind,  to  7taa%a  hier  von  de«  übrigen 

wfibrend   der  Paschawoche   darsubrln^enden  Opfern,    na- 

._  # 

4)  t.  samentUch  Tmoluck  und  ÜLiNAUSBif , .  %,  d.  Absch. ;    Kkrn  , 
'iliaiii^tlUtiacken, .  Tüb.  Zeitfch.  183l>»  Sv  S.  6  ff.  .u  . 

Das  Leben  Jtm  ite  Aufl,  iL  Band.  2B 


4S4  Dritter  AbsehnitL 

■lentlioh  von  der  4;egen  Ende  des  ersten  Festtsgs  to  ver- 
sehrenden  Cbegiga,  verstehen  cu  dürfen.  Allein  schon 
MosHSiM  hatte  richtig  bemerkt,  daraus,  dafs  bisweilen  dai 
Paschalamm  einschliersiioh  der  übrigen  in  der  Pasch«* 
keit  SU  bringenden  Opfer  ilurch  naaya  bezeichnet  werde, 
Iblge  keineswegs,  dafs  auch  diese  übrigen  Opfer  mit  Äos* 
aeblüfs  des  Paschalsmms  so  genannt  werden  können '). 
Dagegen  anchten  nnnoiehr  die  Freonde  jener  Ansicht  tu 
ihrer  Oeotnng  der  johanneischen  Notis  darch  die  Bemer- 
k«ng  SU  nöthigen,  dafs  an  der  Paschaniahlsei^,  die  in  den 
SpStabend,  also  schon 'in  den  Anfang  des  folgenden  Tages, 
4iel,  das  Betreten  eines  heidnischen  Hauses  am  Morgen, 
als  efne  nur  den  laufenden  Tag  bindurrh  dauernde  Ve^ 
•unreinigung,  nicht  verhindert  haben  würde:  wohl  aber  an 
•Genosse  der  Chagiga,  welche  am  Nachssittag,  also  noch 
an  deiDseibeH:  Tage  mit  der  am  Morgen  sogesogencn  Ver 
«ni^einigang,  gegessen  wurde:  so  dafs' also  nor  «liese,  nicht 
Jene  gemeint  sein  könne«  Allein  theils  wissen  wir  oichc, 
#b  der  Eintritt  in  ein  heidnisches  Haus  nur  fDr  den  Tag 
verunreinigte;  theils  waren,  wenn  sich  diefs  ai^h  so  ve^ 
hielt,  die  Joden  durch  eine  Veronreinigong  am  Morgen 
doch  an  der  Seibatvornahme  der  vorbereitCfiden^Geschiifte, 
die  in  den  Nacbmitrag  des  14ten  Mitten  fielen,  wie  an 
Schlachtea.4er  Lfimmer  im  Teropelvorhofe,  v^r bindert.  — 
Um  endtioh  auch  die  Stelle  19,  14.  in  ihrem  Sinne  ss 
deuien,  nehmen  die  Harmonisten  aani^x^oi;  li  tum-j^u  reo 
dem  Rüsttag  auf  den  Sabbat  in  der  Osterwoohf ;  eine  (is- 
waltsamkeit,  welche  wenigstens  in  19,  31.,  wo  die  Tia^- 
axacij  als  Rfisttag  auf  den  Sabbat  beeeichnet  ist,  keios 
Hülfe  findet,  weil  hieraus  nur  erbellt ,  dafs  der  Evangelist 
die  Vorstellung  hat,  der  erste  Pasobatag  sei  damals  suf 
den  Sahbat  gefallen  % 

5)  Diss.    de   Vera   notione   coenae  Domioi,    au  Cuowobtk.  tjtt. 
intell.  p.  22.  not.  i: 

6)  Diese   Gegenbemeriiaogeii   a.    beiondera    bei    Lttam   imd  aa 


Zweite«  Knpirpt,    i  ]I9l  43^ 

DieJte'  Schwierigkeiten,  welche  ^er  Besiehnnfr  de«  jo« 
hunneiffchen  Berichtes  auf  ein  wirkliches  Paschsnuihi  hin« 
derlich  entgegenstehen,  sehienen  durch  die  Voranssetcani; 
▼emiieden  su  werden ,  welche  man  aus  S.  Mos«  23,  5.  4». 
Mos.  9,  3.  and  einer  Stelle  bei  Josephns  ')  ableitete,  dafa 
das  Pascbalaipm  nicht  am  Abend  vomHten  auf  den  15ten^x 
aondern  an  dem  Tom  13ten  auf  den  l4tenNisan  gegessen, 
mithin  k wischen  die  Pascharoahlseit  und  den  ersten  Fest- 
tag,, den  15.  Nlsan,  noch  ein  Werktag,  der  14te,  hfneln|ret, 
fallen  sei.  Mit  Recht  werde  hienaeh  der  auf  die  letsr« 
Paschamahleeit  folgende  Tag  Job.  19,  14.  na^fxaxevi^  ra 
naaya  genannt,  weil  er  wirklich  Rfisttag  auf  den  Festtag 
/gewesen ;  und  ebenso  mit  Recht  heifse  der  folgende  Sabbat 
19,  31.  /if^'aAi;,  weit  mit  ihm  der  erste  Festtsg  «nsamroeu* 
getroffen  sei  ^).  Aber  die  gröfste  Schwierigkeit,  welcher 
In  Job.  IS,  28.  liegt ,  bleibt  ungelöst ;  da|  iVa  q^dyotoß,  to 
Tiua^ct  nSmIlch  mofs,  da  die  Paschamabizeit  schon  vornbei^ 
gewesen  sein  soll^  von  den  ungesäuerten  Broten  verstan- 
den werden,  welche  auch  wfihrend  der  folgenden  Fe^ttago 
noch  genossen  wurden:  was  gegen  allen  Sprachgebrauoli 
ist.  Nimmt  man  daeu,  dafs  die  Voranssetenng  eines  swi* 
sehen  das  Pascharoahl  und  den  ersten  Festtag  einfullendea 
Werktages  im  Pentateuch  und  Josephus  keine  Grundlage 
hnt^,  dem  spfiteren  Gebrauche  entschieden  widerspricht, 
und  an  sich  höchst  unwahrscheinlich  i*t:  so  wird  mptt 
nii^ht  umhin  können,  diese  Auskunft  wieder  anfr«ugeken  ^>« 

Im  GefQbi   der   Unmöglichkeit,   die   Vereinigung    der 


WuTTt,  z.  d.  Abtch. ;  bei  Sibffbiit,  über  den  Urtpr.  S.  127  fr. 
und  WiNBR,  bibl    Bealwörterb.  2,  S.  25S  ff. 

7)  Antiq.'  ',  14^  16. 

8)  Fm^f.H ,    Tom  OsterTfimm ;   neueiti^nK  B^rea,   in  den  tbeoft>^.' 
8ttidien  und  Kritiken^  1852,  .^,  S.  557  ff.     , 

9)  Vgl.  n%  Wbttr,  theol.  Studien  und  Hrit.  1834,  4,  S.  939  ff.  *, 
TnouDCv^  Comm.  x.  Joh.  S.  245  C. ;    Wi»Ba«  a.  s*  O.^ 


L 


43<t  Dritter  Absohnitt. 

SyDoptiker  mit. John nnea  in  dieser  einfachen  Weise  cii 
Stande  cu«  bringen,  haben  andere  Ausleger  eine  kOnstli- 
obere  Auskunft  ergriffen.  Der  Schein,  als  ob  die  Evange- 
listen das  letzte  Mahl  Jesu  auf  verschiedene  Tage  verleg* 
ten,  soll  darin  seine  Wahrheit  haben,  dafs  wirklich  damAii 
Entweder  die  Juden  oder  Jesus  das  Paschamahl  auf  einen 
Andern  Tag  verlegt  hatten.  Die  Juden,  sagen  die  ^ineo, 
um  der  Unbequemlichkeit  auszuweichen,  welche  darin  lag, 
dafs  in  jenem  Jahre  der  erste  Paschatag  auf  den  Freitag 
fiel,  also  zwei  Tage  hintereinander  als  Sabbate  hütten  ge- 
feiert werden  müssen,  haben  das  Paschamahl  auf  den  Frei- 
tag Abend  verlegt,  wefs wegen  sie  am  Tage  der  Kreozigong 
sich  noch  vor  Verunreinigung  in  Acht  zu  nehmen  hatten; 
Jesus  aber,  streng  am  Gesetze  haltend,  habe  es  zor  ge- 
hörigen Zeit,  am  Donnerstag  Abend,  gefeiert:  so  dafs  so- 
wohl die  Synoptiker  recht  haben,  wenn  sie  das  letzte  Mahl 
Jesu  als  ein  wirkliches  Paschaessen  beschreiben ,  als  auch 
Johannes,  wenn  er  die  Juden  erst  Tags  darauf  dem  Olte^ 
lamm  entgegensehen  lasse ^^.  In  diesem  Fall  hätte  ako 
Markus  mit  seiner  Angabe,  dafs  an  dem  Tag,  me  t6  ndaxo 
f^vov  (y .  12.),  anoh  Jesus  es  habe  zurichten  lassen,  on- 
i*echt;  was  aber  die  Hauptsache  ist,  so  ging  es  zwar  io 
gewissen  Fällen  an,  das  Pascha  einen  Monat  später,  dann 
aber  auch  am  15  ten  desselben,  zu  feiern :  von  einer  Ve^ 
legung  auf  einen  späteren  Tag  desselben  Monats  hingegen 
findet  sich  nirgends  eine  Spur.  —  Lieber  wandte  man  sich 
daher  auf  die  andere  Seite,  und  nahm  an,  Jesus  habe  das 
Pascha  auf  einen  früheren  Tag  verlegt.  Aus  rein  persoo- 
liebem  BedOrfnifs,  meinten  Einige,  in  der  Voraussicht,  dafs 
er  um  die  eigentliche  Zeit  des  Paschamahls  schon  im  Grabe 
ruhen  werde,  oder  doch  seines  Lebens  bis  dahin  nicht 
mehr  sicher  sei,  habe  er  in  äbnlloher  Weise,  wie  von  Jeher 
diejenigen  Juden,  welche  an  der  Festreise  gehindert  wareOf 


10)  Ciivivr,  XU  Matth.  26,  17. 


Zweites  EapiteL    yU9.  4SI 

■od  wie  die  jelsigen  Juden  alle,  ohne  ein  geopfertes  Lanini| 
mit  blofion  Surrogaten  dettelben,  ein  naaxa  ^iVf]inayevTu6v 
gefeiert ")•    Allein  erstlleh  hätte  so  Jesos  nicht,  wie  Ln- 
kae  sagt,  das  Pascha  an  deai*Tag,  iv  ^  ^ei  ^v&J^ai.  %o 
nuaia^  auch  gefeiert;  dann  aber  hält,  wer  die  blofse  Ge- 
dichtnif«feier  begeht ,   nit  Aufgebung  .der  für  das  Pasch^ 
bestimoiten  Oertliehkeit  CJemsaiem)   doch  die  Zeit  dessel- 
ben (Abend  yoai  14ten  auf  den  I5ten  Ifisi^n)  imyerhrflcb« 
lieb  fest;  wogegen  Jesus  dasselbe,  gerade  umgekehrt,  swar 
SD  dem  gewöhnlichen  Ort ,  aber   an  ongewffhnlioher  Zeit| 
gefeiert  haben  nttfste,   was  ohne  Beispiel  ist«    Gegen  4i^ 
len  Vorwurf  des  Unerhörten  und  Kigenmöchtigen  hat  man 
die  ?on  Jesu   angeblich  vorgenommene  Verlegung  dadurch 
SU  achötaen  gesucht,  dafs  man  ihn  mit  einer  ganaen  Partei 
leiiier  Voii&sgenossen    das   Pascha   frßher  ala  diei   fibrigen 
feiern  üefs.     Wie  nfimlich   von   der  jfidiechen  Partei  der 
Ksrfier  oder  Scripturarier  bekannt  i«(^   dafs   sie  von  den 
Rsbbaoiten    oder  Traditionariefn  namentlich   auch  in  der 
Bestimmnog  des  Meumonds  abweichen,  indem  sie  behaop- 
teo,  die  Art  der  letateren,  den  Neumond  nach  dem  astro; 
nomiicheo  Calcnl  festausetsen,  sei  eine  Neuerung,  wogegen 
sie ,  der  niien ,   gesetslichen  Sitte  getreu ,  denselben  nach 
der  empiriisehen  Beobachtung  der  Phase  des  Neulichts  be* 
stimmen :  so  sollen  schon  an  Jeso  Zeit  die  Sadducäer,  von 
welchen  die  Karäer  abstammen  sollen,  den  Neumoad  und 
siit  ihm  d#A  yon    demselli^ea  abhängige.  Osterfest  anders 
sls  die  Piiarisäer   liestimmt,  und  Jesus,   als  Gegner  der 
Tradition  nnd  Freund  der  Schrift,  sich  hierin  an  sie  ange- 
schlossen haben  ^^.    Allein  abgesehen  davon,  dafs  der  Zu* 
Bsmmenhaog   der  KarAer   mit   den  alten  Saddocäern  eine 
blobe  Vermuthung  ist,   so  ist  es  ja  eben  der  gegründete 
Vorwarf  der  Karäer,  dab  die  Bestimmung  des  Neumonds 


11)  Grotiuk,  7.U  M«ttli.  26)  18. 

12;  Ijcaa,  Piu.  philol.  tkeol.  Vol.  2,  p.  416  9« 


43S  '      IXritter  Absohnitt. 

durch  den  Calbul  erst  nAch  der  Zerstörung  des  Tempeli 
durch  die  Römer  aufgekomnien  sei :  so  dafs  also  Ror  Zeit 
Jesu  einö  solche  Abweichung  noch*  gar  nicht  stattgefondea 
1  n^en  kann  ;  ohnehin  vom  Faschnfeste  findet  aus  jener Zett 
sich  keine  Spur,  dafs  es  von  verschiedenen  Parteien  aa 
verschiefdenen  Tag^n- gefeiert  vrdrdeit  wäre  ^^).  Angenom- 
men Jedoch ,  jene  Differenz  in  der  Bestimmung  des  Neu* 
libonds ' hifbe  ^dhoii  dinmais  obgewaltet,  so  würde  die  Fe«t* 
BetzUng  de^^selVeh  nach  der  Phake,  welcher  Jesus  gefolgt 
kein*  soll ,  ötier  ein  späteres  als  ein  frttheres  Paseha  sor 
Folge  gehabt  haben ;  wefswegen  denn  wirklich  Einige  ve^ 
mutheten,  Jesus  kiiöge  vielnrehi*  dem  astronomischen  Csical 
gefolgt  sein  ^^. 

Aufser  dem ,  vras  sich  auf  diese  Weise  gegen  jeden 
einzelnen  der  Versuche,  die  Angabto  der  Evangeliiten 
Über  die  Zeit  des  letzten  Mahles  Jesu  gütlich  zu  vereiniges, 
s'agen  läist,  entscheidtet  gegen  alte  zusammen  em  tJmstsnii, 
welchen  erst  die  neueste  Kritik  gehörig  hervorgehoben  bat. 
£s  verhält  srch  Afimlich  mit  diesem  Widerstreite  nicht  so, 
dafs  unter  gröfstentheils  harmonfrenden  Stellen  uor  etwa 
Kine  Aeufserung  von  scheinbai^  etitgegengesetstem  Sinoe 
vorkäme,  wobei  man  dann  sag^h  könnte,  der  Verfasser 
habe  sich  hier  ^ines  nngenalieri  Ausdrucke  bedient,  Her 
aus  den  übrigen  Stelleo'  zn  erkiKren  s^:  sondern  alle 
Zeitbestimmungen  der  Synoptiker  sind  von  de^'Art,  difa 
nach* ihnen  Jesus  dasPcis^hä  noch  mitgefeiert  httbeo  müfits, 
alle  Johanneischen  dagegen  so,  daf^  er  es  ni<sht  tbhgefeiert 
haben  kann  '^).  Ua  sich  auf  diese  Weise  ewtSr  Unter  sieb 
differirende  Gesammtheifen  evangelischer  Stellen  gegen* 
Überstehen,  die  auf  zwei  verschiedene  Grondansichteii  der 


nariwru  <J  i  ■»•■^•^yM 


13)  s.  Faulu8,  exeg.  Handb.,  3,  a^  S.  486  ff. 

14)  MiciiAsuti  Änm.  zu  Job.  13. 

15)  SiarrBRT,    a.  a.  0.;    Hase,   L.  J.  §.  ]24>   vb  Wsm,   exeg. 
Haadb»  1,  S,  S.  149  iF, ;  Thbils,  zur  Biographie  Jesu,  §.  31- 


Zweite«  Kapitel,    f.  119* 


4M 


ReferMiten  über  die  Seehe  hin  weiten :  so  kenn  es /wie' 
SiErrERT  bemerkt,  nloht  mehr  als  wissentebaftiicbe  Aoe^ 
legong,  sondern  nur  als  nA wissenschaftliche  Wiilkftr'iind 
fiigeosinn  betrachtet  werden,  wenn  man  anf  Niehtanerken-^ 
oang  der  Differens  s wischen  den  synoptischen  Evangelien- 
enrf  dem  vierten  bestehen  will. 

So  hat  sich   denn   die  neuere  Kritik   dacii   vei^kteben^ 
müssen,    auf  einer   oder  der  andern  S^ite  eitlen  Irrthum* 
ansonebmen,  and  cwar  war  es,  anfser  dei»  gangbateü  Vov«< 
ortheilen  für  das  johanneische  Gvangelinfn ,  ein  bedeuten^ 
der  timnd  ,  welcher  su  nöthigen  schien,  den^IrMldfn.  auf 
die  Seite  der  Synoptiker  au   verlegen.    Schon  j^nes   alte^ 
sngeblieh  ApoUinariscbe  Fragment  wendet  gegen'  die  Mei- 
nong,  dsfa  Jesus  tf^  ^^/o^lrj  fjiiiQoi  riov  a^v^U'jif  ina^ev,  ein, 
dsf»  sie  aaiuq^üvog  rr;T  ropm  sei,  und  so  ist  auch  neteerlieb'- 
wieder  bemerkt  worden,  der  auf  das  letate  Mahl  Jean  fei* 
gende  Tag  werde  von  alle«  Seiten   so  werktSglieh  behan-^ 
deit,  dafs  "sieh  nicht  denken  laste,  er  sei  der  ttete  Pascha- 
tsv, und  Mglich  das  Mahl  am  Aliend  vorher  das  Paficba- 
mshl  gewesen.    Jesus  feire  ihn  nicht,  indem  er,   was  in 
derPaschanacht  verboten  war,  sich  aus  der  Stadt  entferne; 
seioe  Freunde  nicht,  indem  sie  seine  Bes tetinng  noch  au 
besorgen  anfangen ,  und  dieselbe  nur  wegen  Anbruchs  des 
olehsten  Tages,  des  Sabbats,  unvollendet  fassen;  noch  we* 
niger  die  Mitglieder  des  Synedrinms,  indem  ^fe  nicht  nur 
ihre  Diener  aus  der   Stadt  sur  Verhaftung  Jesu  senden, 
sondern  auch  persönlich  Oertehtssitenng ,  Verhör,  ürtheil 
and  Klage  bei  dem  Proeurater  vornehmen;  Oberhaupt  aeige 
lieh  dorchaoa  nur  die  Furcht,  den  folgenden  Tag,  der  am 
Abend  nach  der  Krenssigang  anbrach,  au  entheiligen,  nir- 
gends eine  Sorge  fdr  den  laufenden :  lauter  Zeichen ,  dafs 
die  synoptische  Darstellung  jenes  Mahls  als  eines  Pascha 
•in  späterer  Irrtbum  sei,  da  in  der  übrigen  firaühlung  die« 
«er  Evangelisten  selbst  das  Riehtige ,    dafs  Jesus   den  Tag 
vor  dem  Pascha  gekreuaigt  worden,   ooeh   unverkennbar 


\ 


440  .    Dritter  Abtcbiiitt. 

dorchfobeioe  ^').  Die«e  Beoierkuogeii  ^iod  aUerdisgs  fön 
Gawiobt«  Zwar  die  erst«  könnte  man  durcb  den  Wider- 
streit der  jQditcben  Beftimmungen  über  Jen^n  Punkt  viel- 
leicht entkräften  ^'3;  der  letzten  and  stärksten  die  That« 
Sache  entgegenhalten ,  dafs  Verhören  und  Rioliten  an  Sab- 
baten und  Festen  bei  den  Juden  nicht  nur  erlaubt,  sendera 
£Ur  solche  Tage  wegen  des  Volksandrangs  selbst  ein  grofse- 
res  Gerichtslocal  vorhanden  gewesen  sei^  wie  denn  auch 
nach  de«  N.  T.  selbst  die  Juden  an  der  r^uiQcc  fnyaia}  det 
Laubböttenfests  Diener  ausschickten,  um  Jesum  su  greifen 
CJoh.7,  44flr),  und  amFeate  der  Tempel  weihe  ihn  steioigea 
wollten  (Job.  10,  31  ),  Herodes  aber  wfihrend  der  };/i£^ai  tcji 
u^Vfuov  den  Petma  gefangen  setsen  liefs;  aber  freilich  die 
öffentliche  Verurtfaeilnng  und  Hinrichtung  desselben  bis 
nach  dem  Pascha  verschieben  wollte  (A*  G.  12,  2  £> 
Dafs  Jesu  Hinrichtung  am  Paschafest  habe  vorgenomoen 
werden  dürfen ,  dafür  beruft  man  sich  theils  darauf,  difi 
die  Ex€tcuiion  darch  römische  Soldaten  geschehen,  fibri- 
gens  auch  nach  jödiacher  Sitte  üblich  gewesen  sei,  die 
Hinrichtung  bedeutender  Verbrecher  auf  eine  Festseit  so 
versparen,  um  durch  dieselbe  auf  eine  desto  gröfsera 
M^nge  Eindruck  en  maohen  ^^).  Allein  nur  so  viel  ist  e^ 
weislich ,  dafs  w&hrend  der  Festaeit ,  also  bei'm  Pascha  so 
den  fflnf  mittleren,  weniger  feierlichen  Tagen,  Verbrecher 

16)  Tmbilb,  in  WinsR^a  krit.  Journal,  2y  S.  157  ff. ;  Simwwekt  uod 
LUckb  a.  a.  O. 

17)  Peaacbin  f.  65,  2,  bei  Lisairoor,  p.  654:  Ptuckete  prim§ 
tenetur  guitpiam  ad  pemoeiaticnenu  Gloti,:  PasehaHzaM 
tenetur  ad  pemoctandum  in  Hiero$ofyma  nocte  primae  Dt- 
gcgen  Toaaphotb  ad  tr.  Fesachin  8  :  in  Paschate  Aegtfpttaco 
dicitur:  nemo  exeat  —  usgue  ad  mane.  8ed  sie  nm  fvU 
in  sequentibus  generaticnibua ,  —  quibus  comedebatur  id  uno 
hco  et  pemoctabani  in  alio.  Vgl.  Schksckskbur&sr  ,  Beiträ- 
ge, S.  9. 

18)  Tract.  Sanhedr.  f. ^89,  1.  bei  Scatfrrstiv,  1,  p.  2i^y  ^g^-  P^<' 
tvty  s.  s.  O.  S.  492. 


Zw«il«s  Kapitel*    i.  119.  444 

fefurtbaik  ond  hiogerichtec  werdea  konnten,  nieht  aberi 
dftCs  diefs  aaob  am  ersten  ucid  Jetsten  Paaehatege,  welche 
SabbAt«raog  hatten,  sutfisaig  geweten  «ei  ^®);  ^wie  denn 
auch  nach  dem  Tal^ad  Jeaaa  am  nOD  STlVi  d.  |^.  am  Vor^ 
abende  dea  Paacfaa ,  gekrensigt  worden  iat  ^)*  ILln  Andeh 
re$  wAtfe  es,  wenn,  wie  Dr«  Baue  naclixQ.weiaen  aocht ,  io 
dem  Wesen  and  der  jfedeotpng  dea  Pascha  ala  eii^a  Sab»», 
feites  die  Hinrichtung  von  Verbrechern,  ata.  blntige  Sühne 
für  daa  Yalk,  gelegen  hiitte ,  i^nd  die  von  den  Ei^angeltste^ 
angemerkte  Sitte,  awf  das  Fest  einen  Gefaiigeneff  losaulaap 
•en,  EQ  der  Uioriobtnng  einea  andern  nor  als  die  Kebr- 
leiCe,  wie  die  beiden  Böcke  and  Sperlinge  jft^iscl^r  Sphn- 
ond  Reinigungsopfer,  sich  verbleite -0« 

Leicht  konnte  freil  ch  die  nrchristliche  U^berlieferung 
such  auf  ungesobicbtlicbem  Wege  dlaankommen,  JIcsi)  letatea 
Mahl  mit  dem  Osterlam'm ,  nnd  seinen  TodesU^  ■  mit  dem 
Paschafest  sn  combiniren.  Da  nimlicb  das  jfbristUebe 
AkendmabI  ebenso  von  der  einen  Seite,  durcb  seine  Formi 
das  Pascha  9  wie  von  der  andern,  durch  aeine  Beden tnngi 
den  Tod  Jean  berfihrte:  so  lag  es  nahe  genug,  diese  bei; 
den  Punkte  ausammensurlicken,  und  die  Uinriobtnng  Jesi|. 
auf  den  ersten  Paschatag  eu  verlegen ,  saline  ietste  Mahi) 
seit  aber,  bei  welcher  er  das  Abeodmabt  gestiftet  haben 
lullte,  ala  das  Paacbamabi  su  betracbteii*  Freilich,  weni^ 
der  Vc^rfüisser  des  .ersten  Evangeliums  als  «Apostel  i|nd| 
Seibsttbeilneboier  an  dem  ietsten  Mahle  JeaujrorausgesctsS 
wird ,  bleibt  es  schwer  su  erklfiren ,  wie  er  au  einem  sol- 
chen Irrtbom  kommen  konnte«  Wenigateps  reicht  es  nicht 
bin,  sieh  mit  Theilk  darauf  bu  berufen,  je  mehr  daa  letate 
mit  ihrem  Meister  gehaltene  Mahl  den  Jüngern  fiber  alle 


19)  Famsciul,  in  Makth.  p.  763  f*  vgl.  755.     bücas,  2,  S.  614. 

20)  Sanbedr.  f.  43,  i.  bei  Scmöttsb;^,  2»  S.  70<). 

21)  lieber  die  iirspriingliefie  Bedeutung  des  FassahfeAte«  u.  s.  w. 
Tübinger  Zeitschrift  1.  Theo!.  ie32>  i,  S.  90  ff. 


411  Dritter  Abfohnitt 

Pasohamahle 'gegangen  sei,  desto  weniger  sei  ihnen  Aof 
die  Zeit  dessdben/ob  es  am  Paschaabend  sellnt,  oder  ei- 
nen Tag  frtftier '  gehalten  worden  war,  angeliommen '^. 
Denn  der  ersi'e  Evangelist  fSfst  diefs  nicht  etwa  nnr  un- 
bestimmt, sondern  er  spricht  ausdrOcklich  ron  einen  Ps- 
schamahl,  iiad  ^o  konnte  sich  ein  wirklicher  Tbeilnehner 
desselbert ,  wenn  er  auch  noch  so  lange  Zeit  nach  jenem 
Abend  'schrieb,  unmöglich  tSuschen»  Die  Aogenaeagen- 
schaft  des  ersten  Evangelisfen  also  wird  man  bei  dieser 
Ansicht  anfgeben ,  und  Ihn  santmt  den  beiden  mittleren 
aus  der  Tradition  schöpfen  lassen  mfissen  -^).  Der  Ao- 
itofs  daran,  dafs  sXmmtliche  Synoptiker,  also  alle  diejeni- 
gen, welche  uns  die  vulgtfre  GTangeiientradition  der  ersten 
Zeit  aufblehalt'en  haben,  in  einem  solchen  Irrthum  fiberein- 
itimmen  sollen  ^'),  liefst  sieh  vielleicht  durch  die  Bemerkung 
aus  dem  Wege  rfiumen,  dafs,  so  allgemein  fn  den  Jädenchriit- 
liehen  Gemeinden,  in  welchen  doch  die  evangelische  lieber- 
lieferung  sich  ursprünglich  gebildet  iiat,  das  Jüdische  Pa- 
scha noch  mifgefeierf  wurde,  so  allgemein  sich  auch  der 
Versuch  darbieten  mufste,  demselben  durch  die  Besiebung 
äiif  den  Tod  und  das  letste  Mahl  Jesu  eine  christliche  Be- 
deutung Ca  geben. 

Ebensowohl  aber  liefse  sich ,  die  Richtigkeit  der  syn- 
optischen Zeitbestimmung  vorausgesetst ,  denken  ,  wie  Jo- 
hannes Irrig  dazukommen  konnte,  den  Tod  Jesu  auf  den 
Nachmittag  des  14ten  Nisan,  und  seine  lotete  Mahlseit 
auf  den  Aberid  vorher  su  verlegen.  Wenn  hämlloh  dieser 
Evangelist  in  dem  Umstände,  dafs  dem  gekreasigi.en  Cbri- 


22)  a.  a.  O.  S.   167  ff. 

23)  SiBFFBRT,  a.  a.  O.  S.  144  ff.  ;  Lückk,  S.  628  ff.;  Thkilb,  lur 
Biogr.  Jesu,  ^\  31.;  di^Wittb,  exeg.  Handb.,  1,3,  S«  149 ff«; 
vgl.  NsAKDsn,  L.  J.  Chr.,  S.  580  ff.  Anm. 

J4)  FaiTXscaa ,  in  Mattli.  p.  763 ;  Kaaii«  über  den  Ursprung  d- 
fivsng.  Mattk.  Ih  der  Tüb.  Zeitichr.  1834,  :!}  S.  98. 


Zweites  Kapitel.    §.  120.  443 

•tus  die  Beiöe  oieht  sersehla^en ,  worden ,  eioe  ErfOllunfJ 
de«  o::öv  ^  o  111  ()ifir^aeTai  avfo)  (2  Mo«.  12,  4^.)  fand:  av 
konnte  ihn  di#ae  Bexlehung  dea  Todea  J«;»u  anf  Abb  0<ter» 
Ihoihi  ifitt  dar  Veratalliing  veraniasaen,  dafa  utt  dia«al(»e 
Zeit,  in  weleher  die  PaaclmllSiwner  ge«ehiaohtet  wurden, 
am  Nachmittag  dea  14  ten  Nlsan,  Jetua  am  Kreaice  gelitten 
und  den  Geiat  aufgegeben  habe  ^)y  al«o  die  am  Abend  Tor-» 
her  gefeierte  Mahlaeit  noch  nicht  daa  Pa^chamahl  gewe« 
sen  sei  **).    - 

lit  auf  diese  Welae  eine  mSgliefae  Veranlaasong  som 
Irrthum  anf  beiden  Selten  ?o^handeO|  und  findet  die  innere 
Sehwierigkele  der  aynoptischen  Zeitbeatimmnng ,  die  viel« 
fache  Verletaung  dt9  eraten  Pascbataga ,  theils  in  den  au« 
geführten  Bemericungen  einigermaftfen  ihre  Kriedigungi 
thetls  In  der  Zusammenstimmang  dreier  Kvangelisteu  ein 
Gegengewicht:  so  iat  vor  der  Hand  nur  der  unaoflösliche 
Widerstreit ^der  beideraeittgen  Uaratellungen  anzuerkennen, 
eine  Kntsoheidung  aber,  welche  die  richtige  aei^  noch  niebt 
au  wagen. 

$•     120. 

Abweichungen  in  Betreff  der  Vorgange  beim   letzten  Mahle  Jesu. 

• 

Doch  nicht  allein  in  Beieog  auf  die  Zeit  des  letstea 
AlatUe«  tieau,  aondern  auch  auf  dasjenige^i.waa  bei  demtel» 
ben  vorgegangen  aeiia  aell,  geben  die  Evangelisten  von  ein« 
ander  ab«  Ole  Hauptditferen«  findet  swischen  den.aynop- 
tiHchen  und  dem  vierten Evan|[elium  statt:  u&iier  aber.rcr* 
hiiit  ea  aioh  so,  dafa  nur  Mattbfiua  und  Markus  genau  su- 
sammenatunmen,  Lukaa  achon  ziemlich  abweicht,  doch  Im 


25)  vgl«  jSoicaH,  thetaur.  2y  S.  613. 

26)  £ine  andere  Ansicht  über  die  Veranlassung  des  Irrtbums  im 
4teA  Evangelium  geben  die  Probabilien,  S.  100  ff. ;  Vgl, 
Waiftsai  die  tvang.  Geschicbte^  ii  S.  446  f.  Aam. 


4Vw 


Orilter  Abtibnitl. 


Ouisen  mit  seineo  b€|d«ii  Vorgäag^ra  immer  noeh  eimtiB- 
■liger  ist,  «U.  mit  Minem  Nachfolger. 

Semeinaam  ist  sftmmtlicben  Eve^geltsteo ,  «iifser  dem 
Hable  aelbati  ilafii  Ober  demaelben  von  dem  beForttehenden 
Verrath  des  Jodaa  geepreehen  wird,  ond  da£i  wäbreod 
oder  nach  demselben  Jesus  dem  Petras  seine  Verlftugnuog 
vorberTerliüodigt.  Aber  abgesehen  davon,  dafs  beiJoban- 
nes  die  Beseilshnang  des  Verr&tbers  eine  andere  nnd  gs« 
naoere,  auch  von  einem  Erfolge  begleitet  ist,  won  weichem 
die  übrigen  nichts  wissen.;  dafs  ferner  bei  demselben  nach 
dem  Mahle  gedehnte  Absohiedsreden  ^;  sich  finden,  wei* 
che  den  andern  fefaliin:  so  ist  der  Hauptnnterschied  der, 
dafs,  während  den  Synoptikern  nufolge  Jesus  bei  dieser 
letaten  MahUeit  das  Abendmahl  eingesetst  bat,  er  bei 
Jobannes  vielmehr  eine  Fufswasohnng  mit  den  Jfingeni 
vornimmt« 

Die  drei  Synoptiker  anter  sich  haben  die  Stiftung  des 
Abendmahls  sammt  der  Verkündigung  des  Verratbs  ond 
der  Verlfiognung  geüiein;  aber  Abweichung  findet  nwisobea 
den  beiden  ersten  und  dem  dritten  schon  in  der  Anordnong 
dieser  Stücke  statt,  indem  bei  jenen  die  VerkOodigung  des 
Verraths,  bei  diesem  die  Stiftung  des  Abendmahls  voran- 
steht; die  Vorhersagung  der  Verleugnung  des  Petrus  aber 
nach  Lukas,  wie  es  scheint,  noch  im  Speisesaal^  nach  den 
beiden  andern  abep  erst  auf  dem  Hinweg  aum  Oeiberge 
vor  sieh  geht«  Uann  aber  bringt  Lukas  auch  einige  Stfl- 
eke  bef,  welche  die  beiden  ersten  Evangelisten  entweder 
gar  nicht,  oder  nicht  in  diesem  Znsammenhang  haben:  in 


,  1)  Nach  Hirn  (Uaupitbats.y  TUb.  Zeittchr.  1836,  3,  S.  9.)  loU 
ich  hier  ,, nicht  ohne  bittere  Ironie"  ron  „gedehnten  De- 
in u  t  h  ft  reden''  sprechen ;  wie  man  sieht  spreche  ich  iher 
von  dergleichen  Abschieds  reden ,  wobei  jeder  Anltss,  ao 
Ironie  zu  denken  ,  wegfällt.  Man  sollte  den  Gegner  doch 
wenigstens  genau  lesen ,  ehe  man  sich  solche  VerdSchti^uo* 
geu  seines  Sinnes  erlaubt* 


Zweites  Kapitel.     {.   12tt  44ft 

Ifimi  anderem  Zaaammenfaang  ateht  bei  ihnen  ikr  Rang« 
streit  and  die  Verheifsang  des  Sltsena  aof  Thronen ;  wo- 
gegen die  Rede  ron  den  Sehwertero  Tergeblieh  bei  ibnoa 
gelocht  wird. 

In  seiner  Abweiehnng  von  den  beiden  ersten  Evango« 
listen  hat  d^r  dritte  einige  Annfiberung  an  den  alerten. 
OemeinsatB  nfimlich  ist  dem  Lnlcas  and  Johannes,  dafsi 
wie  dieser  in  der  Fafswaschong  eine  aof  Rangstreit  sieh 
besiehende  symbolische  Handlung  nebst  apgehängten  De- 
nathareden '  hat :  so  Lokas  wirklieh  eintm  Rangstrelt  nnd 
dflrsuf  besflgliche  Reden  meldet,  welche  nicht  ganz  ohn« 
Verwandtschaft  adt  den  johanneisohen  sind,;  dafs  ferner 
auch  bei  ihm  wie  bei  Johannes  die  Reden  ?om  Verrfither 
dsa  Mahl  nicht  eröffnen,  sondern  erst  nach  einer  symbo- 
liacben  Handlung  eintreten';  endlich  dafs  auch  er  die  Ver« 
Ifiagnung  des  Petrus  noch  im  Locale  der  Mahlzeit  Torktfo« 
digt  werden  Ififat. 

Am  meisten  Schwierigkalt  macht  hier  natflrlioh  die 
Abweichung,  dafs  bei  Johanncis  die  Ton  den  Synoptikern 
einstimmig  berichtete  Einsetipang  des  Abendmahls  fehlt, 
und  an  ihrer  Statt  eine  gana  andere  Handlung  Jesu,  eine 
Fufswaschnng,  gemeldet  wird.  Freilich,  wenn  man  isioh 
durch  den  ganzen  bisherigen'  Verlauf  der  evangelischen 
Geachiehfe  mit  der  Annahme  bindurcbgeholfen  bat,  Jo- 
hannes habe  den  Zweck  gehabt,  die  übrigen  Evangelien  au 
ergXneen ,  so  kommt  man  auch  über  diese  Schwierigkeit 
10  gut  oder  so  schiecht  wie  Aber  die  andern  alle  hinweg« 
Die  Fiinsetzang  des  Abendmahls,  beifst  es,  fand  Johannes 
bei  den  drei  ersten  Brangeiisten  auf  eine  Weise  erzKhlt 
schon  vor,  weiche  mit  seiner  eigenen  Erinnerung  völlig 
fibereinstimmte;  wefs wegen  er  sich  denn  nicht  bewogen 
fand ,  sie  zu  wiederholen  *),  Allein ,  wenn  wirklich  der 
vierte  Evangelist  von  den  schon  in  don  drei  ersten  Evmip 


3)  PAOtva,  S>  b,  S.  499;   Olmausbii,  2,  S.  IM. 


.V    I 


446  ^    •      Dritter  A  bMohnitt.^ 

.r 

geil«^  iiaflfeseichneten  Gatchicbten  nur  diejenigen  ntioH 
einmiil  erslhlen  wollte,  an  deren  DArstellnn«  er  etwa«  m 
berichtigen  oder  rq  ergffnsen  fand:  warum  erslhlt  er  dunn 
die  Speisangugetchichte,  an  der  er  niclit«  irgend  Krhebli- 
ehes  so  bessern  weifs,  noch  einmal,  die  Sfiftong  lin 
'  Abendmahls  dagegen  nicht ,  l»el  welcher  ihn  doch  schon 
die  Abweichungen  der  Synoptiker  in  Anordnung  der  So<>- 
ne  unil  Fasfung  der  Worte  Jena,  haoptsJScblich  aber  Her 
Umstand,  dafs  sie,  nach  seiner  Darstellung  irrig,  jen« 
Eiosetftong  am  Paschaabend  vorgehen  lassen,  sur  Mitthri* 
Inng  eines  authentischen  Berichts  hlitte  veranlassen  nifi«- 
sen  ?  Mit  ROci&sicht  auf  diese  Schwierigkeit  gibt  man  nn« 
wohl  die  Behauptung  auf,  der  Verfasser  des  vierte»  l*>jifi« 
geliums  habe  eine  Kenntnifs  von  den  drei  ernten ,  und  die 
Absicht,  sie  zu  ergffnsen  und  ssn  berichtigen,  gehabt:  dofh 
aber  soll  er  die  vulgare  mOndiiche  Evangelientraditton  e«* 
kannt  und  bei  seinen  Lesern  vorausgesetzt,  und  in  die«<>r 
Rücksicht  die  Stiftung  des  Abendmahls,  als  allgemein  b^ 
kannte  Beschichte,  übergangen  habeii  ^.  Allein  dieser 
Zweck  einer  evsngelischen  Schrift,  nur  das  minder  Bf- 
-kanntet  bu  erzJIhlen,  das  Bekannte  aber  zu  fihergeben,  lifft 
sich  eigentlich  gar  nicht  denken.  Die  schriftliche  Auf- 
leeichnnng  s^eht  |a  ans  von  Mifstrauen  gegen  die  mCfndliche 
Ueberliefernng ;  sie  will  diese  nicht  blofs  ergKncen,  fon- 
dern  alich  befestigen,  und  daher  kann  sie  gerade  die  Ilnnpt« 
punkte,  welche,  wie  sie  als  die  meist  besprochenen  der 
Entstellung  am  meisten  ausgesetst  sind,  so  die  genaue«^«« 
Aufbewahrung  wAnschenswerth  machen ,  am  wenigs^<*t 
Ohergehen  :  ebenso  demnach  auch  Johannes  die  Stifranf 
deü  Abendmahls  nicht,  an  dessen  Ginsettunirtworten,  wenn 
wir  die  verschiedenen  N.  T.  liehen  Berichte  vergleif hf n , 
frfihcei'ig  entweder  ZusKtze  oder  Weglassungen  niO^^'n 
gemacht  worden  sein»    Aber,   sagt  man  weiter,  die  Stif- 


S)  LOcMBy  2,  S.  484  f. ;  NaAnotiit  L.  J.  Chr.  S.  38S.  Aam. 


Zweites  Kiipitel.     %  Tili.  44T 

tang  des  Abendmahlg  kd  ereühlen ,  war  für  den  Zweck 
des  johsnneischen  ETengelians  von  keiner  Hedenrang  *). 
Wie?  für  den  allgemeinen  Zweck  desselben,,  seine  Leser 
KQ  Oberseogea,  ön  ^Ir^a5^  iciv  6  XQtgoSy  6  rioc;  lü  ihn 
(20,  SIOj  «olUe  die  Mittbeilung  einer  Scene  nic^t  von  Be- 
|«ng  gewesen  sein,  in  welcher  er  als  Stifter  einer  xiarrj 
Mcci^rxr^  erscheint?  nnd  für  den  besonderen  Zweck  def 
betreffenden  Abschnitts,  Jesn  bis  an's  Knde  sich  gleich 
gebliebene  Liebe  ins  Licht  ca  setaen  (13,  l.)»  sollte  es 
nichts  aoügetragen  haben,  an  erwähnen,  wie  er  seinen 
Leib  ond  sein  Blut  den  Seinen  als  Speise  ond  Trank  dsr- 
geboten,  ond  damit  .seinen  Worten  Joh.  6.  Wirklichkeit 
gegeben  habe?  Doch,  dem  Johannes  soll  es  hier  wie  Ober- 
•II  voraugsweise  nnr  nm  die  tieferen  Reden  Jesu  au  thon 
gewesen  sein,  und  defivwegen  soll  er  die  Einsetzung  des 
Abendmahls  übergangen,  und  erst  mit  den  auf  die  Furi. 
Waschung  beattglichen  Reden  seine  Ersfthlung  begonnen 
hsben  0«  Allein  diese  Demnthsreden  kann  nur  ein  ver- 
wertetes Vorortheli  für  das  vierte  Evangelinm  für  tiefer 
sQSgeben,,  als  dasjenige,  was  Jesus  bei  i^in^setzung  de» 
Abendmahls  von  dem  Genüsse  seines  Leibes  und  Blutes 
im  Brot  und  Weine  sagt. 

Uie  Hauptsache  ist  nnn  aber,  dafs  uns  dieHArmonisf^^n 
nsebweisen,  wo  denn  Johannes,  wenn  er  doch  seihst  vor- 
SBSsetzen  soll,  Jesus  habe  bei  dieser  letieten  M-^lilzeit  das 
Abendmahl  gestiftet,  dieses  überitprupgen  hsbe;  dafs  sie 
uns  in  der  johanneischen  Darstellung  dieses  letzten  Abends 
die  Pug9  aeigen ,  in  weiche  sich  jener  Vorgang  einpassen 
läfst.  Sehen  wir  uns  in  den  Commentaren  um,  so  scheint 
■ehr  als  Kine  Stelle  sich  zu  solcher  Einschiebong  vor- 
trefflich  sa  eignen.  Olshauskn  meint,  am  Ende  des  I3ten 
Kapitels,  nach  der  Verkündigung  der  Verleugnung  des  Fsk. 


4)  Olsnausbk,  s.  a.  O. 

i)  SitrrBRT,  über  den  Urtpr.  8.  152. 


Dritter  Ahiobnitt. 

trafiy  «ei  die  Stiftang  des  Abenilmiihls  hinefncudenken :  mit 
dieser  habe  aich  die  Mahlseit  gf schlössen ,  ond  die  folgen- 
den Reden  von  14,  l.  an  habe  Jesus  nach  dem  Anfbroch 
vom  Tische  gehend  im  Saale  noch  gesprochen.  Allpin 
hier  scheint  sich  OlS hausen,  um  cwischen  13,  38.  and  14,1. 
einen  Ruhepunkt  zu  bekommen,  der  Tfiuschang  bincoge- 
ben,  als  ob  das  f'jWfjeij^e,  aycoijev  ivT€v*hfv,  bei  welchem 
er  Jeünm  vom  Tische  sich  erheben  nod  das  Folgende  noeh 
stehend  sprechen  lärst,  schon  hier,  am  Ende  des  ISteo 
Kapitels,  stünde,  da  es  doch  erst  am  Ende  des  14ten  sich 
findet.  An  unserer  Stelle  ist  kein  Raum,  um  eine  Seen« 
wie  das  Abendmahl  einsuschalren.  Jbsus  hatte  von  seinem 
Hingang,  wohin  ihm  die  Seinigen  nicht  folgen  könnten, 
gesprochen,  and  das  verm^essene  Erbieten  des  Petras,  das 
Leben  fOr  ihn  za  lassen,  durch  die  Voraussage  seiner  Ve^ 
Iffagnung  suriickgewiesen:  nan,  14,  1  ff. ,-  beruhigt  er  die 
hiedarch  erschütterten  Oemdther  wieder,  indem  er  sie 
auf  den  Glauben  und  die  segensreichen  Wirkangen  seines 
Hingangs  verweist.  —  Durch  den  festen  Zusammenhalt 
dieser  Redetheile  surückgewiesen,  rücken  andere  Ausleger, 
wie  Paulus,  weiter  hinauf,  und  glauben  nach  dem  Abgang 
des  Verrfithers ,  13 ,  30. ,  die  schicklichste  Sielie  cur  Eis- 
Schiebung  des  Abendmahls  isu  linden,  indem  der  Hingang 
des  Judas,  um  seinen  Verrath  su  vollenden,  leicht  die  To- 
desgedanken in  Jesu  rege  machen  konnte,  welche  derStif- 
tung  des  Abendmahls  sum  Grunde  liegen^).  Allein  nicht 
nur  wenn  man  mit  Lücke  n.  A.  das  me  i^ijl&e  so  den 
folgenden  Uyn  6  Jfjnüi;  zieht,  sondern  auch  ohne  diefs  hat 
das  vvv  hdo^aaxhj  6  viog  tS  avd'QOjriö  x.  t,  L  (V.  31.)  ""^ 
was  Jesus  weiterhin  (V.  33.)  von  seinem  baldigen  Hingaof 
spi^icht,  seine  nächste  Beeiehung  nnvei^kennbar  aaf  den 
Weggang  des  Judas.  Dehn  wenit  das  do^d^fiv  im  vier^«« 
EvMgelinm  immer  die  Verherrliohung  Jesu  bedeutet,  wel- 


tf)  Paulus,  exeg.  Handb.,  S,  b,  S.  497. 


i 


Zw0ite«   Kapitel.     $.  120.        *  4411 

«her  ihn  sein  Leiden  entgegei|fBhrt,  so  war  eben  mit  dem 
Gang  des  verlorenen  Jüngers -an  denen,  welche  Leiden  nnd 
Tod  aber  Jesnm.  brachten ,  seine  Verherrlichung  und  sein 
baldiger  Hingang  entschieden.  —  Hängen  auf  diese  Weise 
die  Verse  31  --  33.  untrennbar  mit  V.  30.  ausammen :  so 
kann  man  sich  bewogen  linden,  mit  dem  Abendmahl  wie- 
der etwas  herabeurflcken ,  und  es  dabin  zu  stellen ,  wo 
dieser  Zasammenhang  ein  Ende  en  haben  soheinen  kann : 
und  so  läfst  denn  LOcke  die  Einsetsnng  desselben  swischen 
V.  33.  ond  34.  in  der  Art  fallen,  dafs,  nachdem  Jesna 
V.  31—33.  die  durch  das  Hinausgehen  des  VerrÜthers '  ser- 
streoten  nnd  erschrockenen  GemOther  beruhigt  und  auf 
das  Abendmahl  vorbereitet  habe,  er  nun  V.  34.  f.  an  die 
Anstbeilung  desselben  das  neue  Gebot  der  Liebe  knüpfe» 
Aliein,  wie  sonst  schon  bemerkt  worden  ist '),  wenn  V.  36« 
Petrus  mit  Besiehung  auf  V.  33.  Jesum  fragt,  wo  er  denn 
hingehe?  %o  kann  unmöglich  nach  jenem  Ausspruch  Jesa 
V.  33.  das  Abendmahl  eingesetzt  worden  sein ,  weil  sonst 
Petros  daf  tinayio  durch  das  öupia  dido^ierov  nnd  ai/ia  ix- 
yvrouevfn'  erklärt,  jedenfalls  aber  sich  eher  zu  einer  Frage 
8ber  die  Bedeutung  dieser  letzteren  Ausdrücke  veranlafst 
finden  mufate.  —  Diefs  anerkennend  geht  Nbander  um  ei- 
nen Vers  zurück,  und  schiebt  das  Abendmahl  zwischen 
V.  32.  und  33.  ein  ^) ;  wobei  der  o£Fenbare  Zusammenhang 
zwischen  dem  evdri;  do^daei  avtov  des  ersteren  und  .dem 
eri  fiücQov  //6v>^  v^üiv  dfii  des  letzteren  Verses  gewaltsam 
zerrissen  iat.  —  Alan  mufs  daher  abermals  aufwärts  gehen, 
nur  noch  weiter  als  Neamder  und  selbst  Paulus  gethan  hat ; 
hier  aber  bietet  sieh,  da  von  V.  30.  bis  hinauf  zu  V.  18.*  in  Ei- 
nem Zuge  vom  Verrftther  die  Rede  ist,  das  Gespräch  über 
diesen  "aber  sich  wiederum  untrennbar  an  die  Fufswaschung 
und  die  Deutung  derselben  sehlielst,    bis  zum  Anfang  des 


7)  Maraa,  Comm.  Über  dea  Job.  s.  d.  Sl. 
'S)  L.  J.  Chr.,  S.  587.  Anm. 

Das  Leben  Jesu  Ite  Auü.  U.  Band.  29 


4§0  Dritter  Abschnitt. 

Kapitels  keine  Stelle  dar,  an  welcher  die  AbendmnhlMtif. 

tung  eingefügt  werden  könnte.    Hier  jedoch  f)oil.  sie  wh 

nach  einem  der  neaesten  Kritiker  auf  eine  Weise  einreiheo 

lassen ,    welche  den   Verfasser   des  Kvangeliums   von  dem 

Vorwarf  gans  befreie,   durch  eine  scheinbar  conttnuirlirh 

fortschreitende,    und  doch  das  Abendnahl  öberspringende 

Darstellung  den  Leser  irre  gemacht  zu  haben.    Denn  gleich 

von  Anfang    mache   sich  Johannes    gar   nicht   anheischig, 

?om  Mahle  selbst  und  was  dabei  vorgefallen,  etwas  zu  er- 

Bfihlen,  sondern    nur   was   nach  dem  Mahle  sich  begeben, 

wolle  er   berichten;   wie  denn    das    deiTtvB  yevofiivQ  nach 

seiner  natOriiohsten  Bedeutung  heifse:  nachdem  die  Mflhl- 

seit  vorfiber  war,  das  iyetQexai  ix  z5  delrcvs  aber  deotticb 

seige,   dafs  die  Fufswaschung  etwas  erst  nach  dem  Essen 

Vorgenommenes  gewesen  sei  ^)»    Allein,  wenn  es  von  Jesa 

nach    vollbrachter  Fufswaschung    heifst:    on^amaijiv'  naijx . 

(V.  I2.)9  80  war  folglich  die  Mahlzeit  noch  nicht  vorfiher, 

als  er  sich  zur  Fufswaschung  erhob ,   und  das  iyaiQevai  ix 

%B  delnvs  will  sagen,   dafs  ^r  aus  dem  Mahle  heraus,  das 

Essen,   oder  wenigstens   das   vorläufige  zu  Tische   Sitsen 

unterbrechend^  zu  jenem  Geschäfte  aufgestanden  sei.     Dsi 

SsIttvö  yevofidvs   aber    heifst  so  wenig :    nachdem  ein  MM 

gehalten  war,  als  ra  jT.  ysvofiiva  iv  Br^d-avitf  (Matih.  26^  6.) 

sagen   will:    nachdem   Jesus  in   Bethanien    gewesen  wir, 

sondern ,  indem   uns  durch  Jene  Wendung  Johannes   den 

Verlauf  der  Mahlzeit  selbst '^J,  wie  Matthäus  durch  diese 

^die  Dauer   des    Bethanischen   Aufenthalts  JesU|    vorfahrt, 

so  macht  er  ,sich  damit  anheischig,  uns  alles,  was  während 

jener  Mahlzeit  Merkwürdiges  vorfiel,  zu   berichten,  ond 

wenn  er   nun   die   bei   derselben   vorgefallane  Stiftung  des 

Abendmahls  nicht  meidet,  so  bleibt  diefs  ein  Sprung,  der 

ihm  den  Vorwurf  zuzieht,  lückenhaft  erzählt,  ond  gerade 


9)  SUVFBRT,  S.  152  ff. 

10)  Vgl.  LücKs,  S.  468. 


/ 


Zweites  Kapitel.    $.  120.  451 

dat  Wichtigste  ilbergiingen  su  haben«  —  Von"  diesem  ober- 
$ten  Ende  de»  johanneischen  Berichts  vom  letcten  Mahle 
JesQ  springt  neoestens  Kern  eum  untersten  herab ,  und 
denlit  sich  nach  den  Worten  14,  ^1 :  fyeiQf.ad^s  ityiotiev  iv- 
nvd-evy  die  Einsetsong  dea  Abendmahls  ^^),"  wodurch  dieselbe 
die  onwahraoheiniiehe  «nd  in  der  That  anwflrdige  Stel« 
lang  einer  Handlung  bekommt ,  die  Jesu  erst  Während  der 
Anstalten  snm  Aufbruch  eingefallen. 

Wie  aich  also  im  Allgemeinen  kein  Grund  denken 
liefs,  wamm  Johannea,  wenn  er  einmal  von  diesem  lets* 
ten  Abend  sprach,  die  Stiftung  des  Abendmahls  fibergan- 
gen haben  aoUte:  so  findet  aich  auch  im  Eincelnen  keine 
Stelle,  wo  sie  in  den  Verlauf  teifier  Darstellung  eingescho- 
ben werden  könnte,  und  es  bleibt  somit  nichts  übrig ,  als 
die  Annahme,  er  erfühle  i^ie  nicht,  weil  er  nichts  von  der* 
selben  gewofiit  habe.  Dagegen  steifen  sich  nun  aber  die 
Theologen 9  selbst  diejenigen,  welche  sich  unfähig  beken- 
nen, die  Auslassung  des  Abendmahls  «u  erklären,  auf  die 
Bemerkung:  ein  so  allgemein  in  der  ersten  Kirche  verbrei- 
teter Gebrauch ,  wie  das  Abendmahl I  habe  dem  vierten 
fivsn^elisten^  wer  er  auch  immer  gewesen  sein  möge,  un- 
möglich unbekannt  sein  können  ^^.  Gewifs ,  von  dem 
Abendmahle  als  christlichem  Ritus  wufste  er,  wie  sein 
6res  Kapitel  seigt,  und  mufste  davon  wissen;  das  aber 
kann  ihm  unbekannt  gewesen  sein  unter  welchen  Umstän- 
den Jesus  das  Abendmahl  förmlich  eingesetat  haben  sollte. 
Einen  so  hochgehaltenen  Gebrauch  auf  die  Auctoritfit  Jesn 
selbst  Burficksuführen,  lag  zwar  auch  ihm  nahe ;  nur  that 
er  diefs  aus  Unbekanntschaft  mit  jener  synoptischen  Stif« 
tongsscene,  so  wie  ans  Vorliebe  für  das  Geheimnlfs- 
rolle,  vermöge  welcher  er  Jesu  gerne  Anasprfiche  in  den 


II)  Hauptthstsacheo,  a.  a.  O.  S.  12. 

12}  Hasb,  L.  J.  §.  133.;   HsRK)  Hauptthatsachen,  S.  tl ;   Thkils, 
xiir  Biographie  Jesu,  ^.  ^1. 

29* 


452  Uritte^r  Absobnitt. 

A^rtd  legte,  die,  für  den  Aafrenbliek  anverstSndlich ,  erst 
au0  dem  spfiteren  Erfolge  Liebt  bekonimen  haben  sollten, 
nichc  80,  dafs  er  Jesum  wirklieh  schon  den  Ritas  einsetsen, 
sondern  nur  so,  dafs  er  ihn  donkie  Worte  von  der  Noth« 
wendigkeit ,  pein  Fleisch  za  essen  und  sein  ßlat  zu  trin- 
ken, sprechen  liefs,  welche,  nor  ans  dem  nach  seinem 
Tode  in  der  Gemeinde  aufgekommenen  Abendmahls- Ritai 
verstfindlich ,  als  indireote  Stiftung  von  diesem  angesehen 
werden  konnten. 

Dafs,  Bo  wenig  als  Johannes  von  der  Einsetsnng  dei 
Al>endmahls,  die  Synoptiker  von  der  Fufitwaschang  etwas 
gewufst  haben  können,  weil  sie  derselben  keine  Erv»ahnong 
thnn,  diefs  kann  Shells  wegen  der  minderen  Wichtigkeit 
der  Siiche  und  der  hier  mehr  fragmentarischen  Darstel- 
lung dieser  Evangelisten  nicht  so  bestimmt  behauptet  wer« 
den;  theils  hat,  wie  oben  bemerkt,  Lukas  in  dem  Rang- 
streit  V.  24  ff.  etwas,  das  mit  jener  Fufswaschung,  all 
Anlafs  derselben,  zusammenzuhfingen ,  manchen  Erklärem 
geschienen  hat  ^^).  Isk  nun  aber  in  Bezug  auf  dieien 
Rangstreif  bereits  oben  dargelegt,  wie  er,  in  den  Zusaai- 
menhang  der  vorliegenden  Seene  nicht  passend ,  nur  einer 
Bufälligen  Ideenassociation  des  Erzfihlers  seine  Stelle  ve^ 
danke  ^'^) :  so  könnte  die  Fofswaschungsscene  bei  Johannes 
nur  die  sagenhafte  Ausführung  einer  synoptischen  Denoths- 
rede  zu  sein  scheinen.  Wenn  nfimlich  bei  Matthäus  (20, 
26  ff.)  Jesus  seine  Jfinger  ermahnt,  wer  unter  ihnen  grofs 
sein  wolle ,  der  solle  der  andern  didxovog  sein ,  gleichwie 
er  nicht  gekommen  sei,  diootovf^fpfai^  akla  diaxavijoai,  ond 
wenn  er  diefs  hier  bei  Lukas  (22 ,  27.)  in  der  Frage  aos- 
drOckt:  rig  yao  ftei^wv;  6  avaxeijtisvog,  ij  6  diaxamv;  "^^ 
mit  der  Hinweisung  verbindet :   iyvi  de  eifu  iv  fiio<p  vtuif 


liS)  Sismar,  S.  153;   Paulus  und  Oishaussh,  s.  d.  St.    Dagegea 
vgl.  Dl  Witts,   1,  1,  S.  222,   1,  2,  S.  107. 
14)  i.  Band,  §.  8$: 


Zweites  Kapitel.    S«  120.  453 

ijjg  6  duacoiydiv :  so  könnte  swar  sehr  wohl  Jesus  selbst  für 
gnt  gefunden  haben,  diesen  Aussprach  durch  ein  wirkliches 
ducxortiv  inmitten  seiner,  die  Rolle  der  ai'axei/uBVOi  spielen- 
den Jflnger  au^  veranscbaolicben ;  ebensogut  aber  könnte 
Dsoi  sofern  die  Synoptiker  von  eineui  solchen  Vornehiaen 
schweigen,  die  Vtfrmuthnng  fassen,  es  möge,  sei  es  die 
Ssge,  wie  sie  dem  vierten  Evangelisten  su  Ohren  kam, 
oder  er  selbst,  ans  jenem  Dictum  dieses  Factum  herausge* 
spönnen  haben  ^^).  Dnd  ohne  dafs  ihm  gerade,  der  ßar^ 
Stellung  des  Lukas  gemäfs.  Jener  Ausspruch  Jesu  als  wäh« 
rend  der  letzten  Mahlaeit  gethan  augekommen  au  seia 
brsuchte,  ergab  es  sich  aus  dem  ai'cac€ia&ai  und  ditoiwah 
von  selbst*,  dafs  die  Versinnlichnng  dieses  Verhültnisses  an 
ein  Mahl  geknöpft  wurde,  welches  dann  aus  leicht  deäkba- 
ren  Grflnden  am  schicklichsten  das  letzte  gewesen  zu  sein 
scheinen  konnte. 

Dsfs  hierauf  nach  der  Darstellung  bei  Lukas  Jesus 
die  Jfinger  als  solche  anredet,  welche  bei  ihm  in  seinen 
Bedrängnissen  behärrt  haben ,  und  ihnen  dafür  verheifst, 
daCs  sie  mit  ihm  in  seinem  Reich  zu  Tische  sitzen ,  und 
auf  Thronen  die  12  Stämme  Israels  richten  sollen  (V.  28 
-  30 ) ,  das  scheint  in  den  Zusammenhang  einer  Scene. 
nicht  zu  passen,  in  welcher  er  unmittelbar  vorher  einem 
der  Zwölfe  den  Verrath,  unmittelbar  nachher  eirera  an- 
dern die  Verläugnnng  vorhergesag^t  haben  fioU ,  und  in  ei-, 
nen  Zeitpunkt,  in  welchem  die  eigentlichen  TieiQceafAol  erst 
bevorstanden.  So  wie  nach  einer  früheren  Betrachtung 
die  Scene  bei  Lukas  von  vorne  herein  angelegt  ist,  dürfen 
wir  den  eirund /der  Einschaltung  dieses  Redestücks  schwer- 
lich in  etwas  Anderem,  als  in  einer  zufälligen  Ideenasso- 
ciation ,  suchen ,  vermöge  welcher  etwa  der  Rangstreit  der 
Jfinger  den  Referenten  an  den   ihnen  von  Jesu  verheifse- 


15)  Zu  weit  hergeholt  ist,   was  die  Probabiiien ,    S.  70  f.,   nber 
die  Entstehung  dieser  Anelidote  vcrmutlien. 


454  Dritter  Abschnitt. 

nen  Rang,  und  die  Rede  vom  Aufwartenden  and  so  Tisch« 
Sitzenden  an  das  ihnen  versprochene  2u  Tische  Sltoen  im 
messianischen  Reiche  erinnern  mochte  ^®J. 

In  Bezug  auf  das  folgende  Gesprfich,  wo  Jesus  seinen 
Jttngem  hiidlich  sagt,  von  nun  an  würde  esNoth  thun,  sie 
kauften  sich  Schwerter^»  so  feindlich  werde  man  ihnen  ?oa 
allen  Seiten  entgegentreten ,  sie  aber  ihn  eigentlich  ?er- 
atehen,  und  auf  swei  in  der  tieselUchaftvorräthige Schwer- 
ter verweisen  9  möchte  ich  am  liebsten  ScHLKiERBiACHKRa 
beistimmen ,  weicher  der  Meinung  ist ,  um  das  in  der  fol- 
genden Ersfthlong  vorkommende  Hauen  des  Petrus  mit 
€lem  Schwerte  bu   bevor  werten ,   habe  der  Referent  dieses 

Redestfick  hiehergestellt  ^0« 

Die  übrigen  Abweichungen  in  Bezug  auf  das  letste 
Mahl .  wefden  im  Verlauf  der  folgenden  Untersucboogen 
zur  Sprache  kommen. 

§.     121. 

^Verkündigung  des  Verraths  und  der  Verläugnung. 

Wenn  mit  der  Angabe,  dafs  «lesus  von  jeher  seinen 
Verräther  gekannt  und  dureh.schaut  habe,  der  vierte  i<>an' 
gelist  allein  steht:  so  stimmen  darin  alle  viere  zusammen, 
dafs  er  bei  seinem  letzten  Mahle  vorhergesagt  habe,  einer 
seiner  Jünger  werde  ihn  verrat hen. 

Doch  findet  zuerst  schon  darin  eine  Abweichung  statt, 
dafs,  wShrend  den  beiden  ersten  Evangelisten  zufolge  die 
Reden  vom  Verräther  die  Scene  eröffnen,-  und  namentlich 
der  Stiftung  des  Abendmahls  vorangehen  (Matth.  26,  21  ff* 
Marc.  14,  18  ff.):  Lukas  erst  nach  eingenommenem  Mahl 
und  gestifteter  Gedächtnifsfeier  (22,  21  ff.)  Jesum  von  den 
bevorstehenden  Verrathe  sprechen  läfst;  bei  Johannes  geht 
das  auf  den  Verräther  sieh  Beziehende  während  und  nach 
der  Fufs Waschung  vor  (13,  10—30.).  Die  an  sich  uobedea- 


16)  Vgl.  Dl  Witts  ,  s.  d.  St. 

17)  Ueber  den  Lukas,  S.  275. 


Zweites  Kapitel.    $.  12i:  45S 

tsnde  Fmge,  welcher  Evangelist  hier  Recht  habe,  ist  den 
Theologen  aas  dem  Gmnd  flberaus  wichtig,  weil  je  nach 
der  Entscheidang  derselben  sich  die  andere  Frage  sa  be- 
antworten scheint,  ob  auch  der  Verrfither  das  Abendmahl 
noch  mitgenossen  habe?  Weder  mit  der  Idee  des  Abend-« 
mahls,  als  des  Mahls  der  Innigsten  Liebe  und  Vereinigangi 
schien  sieh  die  Theilnahme  eines  so  fremdartigen  Glieds 
an  demselben  ca  vertragen,  noch  anoh  mit  der  Liebe  and 
Barmhersigkeit  des  Herrn  das,  dafs  er  sollte  einen  Un< 
wflrdigen  aar  Erhtfhnng  seiner  Schuld  das  Abendmahl  lia« 
ben  Bitgeniefien  lassen  ')•  Diesem  gefttrrhteten  Umstand 
glaubte  maif  dadurch  eu  entgehen,  dafs  man,  der  Anord* 
nang  des  Matthfins  und  Markus  folgend,  die  Bejeeichnupg 
des  Verrftthers  der  Stiftung  des  Abendmahls  vorangehen 
Jiefs;  und  da  man  nun  ans  Johannes  wnfste,  dafs,  naeiH 
dem  er  sich  entdeckt  und  bezeichnet  sah,  Judas  aus  der 
Gesellschaft  gegangen  sei:  so  glaubte  man  annehmen  nu 
dttrfeo,  dafs  erst  nach  dieser  Entfernung  des  Verrlithers 
Jesus  die  Ginsetsung  des  Abendmahls  vorgenommen  habe  ^). 
Aliein  diese  Abhülfe  kommt  nur  durch  unerlaubte  Vermi- 
schung des  Johannes  mit  den  Synoptikern  nu  Stande. 
Uenn  von  einer  Entfernung  des  Judas  aus  der  Gesellschaft 
weifs  eben  nur  der  vierte  Evangelist ,  und  er  allein  hat 
auch  diese  Annahme  nöthig,  weil  nach  ihm  Judas  erst  Jetat 
seine  Unterhandlungen  mit  den  Feinden  Jesu  anknüpft, 
aUo,  um  mit  ihnen  einig  au  werden,  und  Bedeckung  von 
ihnen  eu  erhalten,  eine  etwas  Ifingere  Zeit  brauchte:  bei 
den  Synoptikern  dagegen  ist  keine  Spur,  dafs  der  VerrX* 
(her  die  Gesellschaft  verlassen  hätte;  es  ist  Alles  so  er- 
Kählt,  wie  wenn  er  erst  bei  dem  allgemeinen  Aufbruch, 
statt  unmittelbar  in  den  Garten,  au  den  flohenpriestern 
gegangen  wXre,  von  welchen  er  dann,  da  die  Unterhand- 


1)  Olbm«vkk\,  2«  S.  !>80. 

2)  So  Li'UKK,  Paulus^  Olsmacsbk. 


45A  *^     Dritter  Abichaitc. 

lungen  echon  vorher  angeknOpft  waren,  unversfiglich  die 
nüthige  Mannschaft  snr  Verhaftang  Jesa  erhalten  konnte. 
Mag  alflo  in  Anordnung  der  Scene  Lukas  oder  Matthias 
recht  haben :  naeh  sMmmtlichen  Synoptikern  hat  Judat^ 
der  ihnen  eufoige  sich  gar  nicht  vor  der  Zeit  aus  der  Ge- 
sellschaft entfernte,  idad  Abendmahl  mitgenossen  ^). 

Aber  auch  in  der  Art  und  Weise,  wie  Jesus  feines 
Verräther  beseichnet  haben  soll,  weichen  die  Evangeliitea 
nicht  unbedeutend  von  einander  ab.  Bei  Lukas  gibtJesoi 
nur  knris  die  Versicherung,  dafs  die  Hand  seines  VerrI« 
thers  mit  ihm  über  Tische  sei ,  worauf  die  Jfinger  unter 
sich  fragen,  wer  es  wohl  sein  möge,  der  so  etwas  sutbun 
im  Stande  wäre?  fiel  Matthäus  und  Markus  sagt  er  suerst, 
einer  der  Anwesenden  werde  ihn  verrathen,  und  als  von 
den  Jüngern  ihn  jeder  einzeln  fragte  ob  er  es  sei?  erwie- 
dert  er:  der  mit  ihm  in  die  Schfissel  tauche;  bis  endlich 
nach  einem  fiber  den  Verräther  ausgesprochenen  Wehe 
dem  Matthäus  eufolge  auch  Judas  jene  Frage  thut,  worauf 
ihm  Jesus  eine  bejahende  Antwort  gibt.  Bei  Johannei 
deutet  Jesus  Euerst  während  und  naeh  der  Fufswaschung 
an,  dafs  nicht  alle  anwesenden  Jönger  rein  seien,  dafs 
vielmehr  die  Schrift  erfüllt  werden  müsse:  der  mit  mir 
das  Brot  ifst,  erhebt  die  Ferse  gegen  mich«  Dann  sagt  er 
geradezu,  einer  von  ihnen  werde  ihn  verrathen^  und  als 
die  Jünger  forschend  einander  anbllokeii,  wen  er  wohl 
meine,  läfst  Petrus  durch  den  zunächst  au  Jesu  liegenden 
Johannes  fragen,  w^  es  sei?  worauf  Jesus  erwiedert,  der, 
welchem  er  den  Bissen  eintauche  und  gebe,  was  er  sofort 
dem  Judas  thut,  mit  beigefügter  Erinnerung,  die  Ausffih- 
rung  seines  Vorhabens  zu  beschleunigen;  worauf  dleeer 
die  Gesellschaft  verläfst 

Die  Harmonisten  sind  auch  hier  schnell  damit  fertig 


S)  Vgl.  OS  Witts,   exeg.  Handb.,   1,  1,   S.  219;   Wsiassy.ciie 
cvang.  Gesch.,  1,  S.  605. 


Zweites  Kapitel.    §.121.  457 

gefresen^  die  Terschiedeaen  Sceoen  ineinander  einaosebie- 
ben  und  miteinander  vertrfiglieh  zu  machen.  Da  soll  Je- 
sus auf  die  Frage  der  einzelnen  Jfinger,  ob  sie  es  seien, 
soerst  mit  lauter  Stimme  erklärt  haben,  eine»  seiner  Tisch- 
genossen  werde  ihn  verratben  CMattb«);  hierauf  soll  Jo- 
hannes leise  gefragt  haben,  wer  es  näher  sei,  und  Jesus 
ihm  ebenso  leise  die  Antwort  ertheilt:  der,  dem  er  den 
Bissen  gebe  (Job  ) ;  dann  soll  auch  Judas,  ^gleichfalls  leise, 
gefragt  haben,  ob  er  es  sei,  und  Jesus,  ebenso  seine  Frage 
bejaht  habeu  (Matth.) ;  endlich  aber  soll  auf  eine  antrei- 
bende Mahnung  Jesu  der  Verrärher  aus  der  tieseilschaft 
gegangen  sein  (Job.)  ^)*  Allein  dafs  die  swischen  Jesus 
und  Judas  gewechselte  Frage  und  Antwort,  welche  Mat- 
thäus mittheilt,  leise  gesprochen  worden  sei,  davon  bemerkt 
der  Evangelist  nichts;  auch  läfst  es  sich  nicht  wohl  den- 
ken, wenn  vian  nicht  das  Unwahrscheinliche  voraussetzen 
will,  dafs  Judas  auf  der  andern  Seite  wie  Johannes  auf 
der  eineo  neben  Jesus  gelegen  habe;  war  aber  die^ Ver- 
handlung laut,  so  konnten  die  Jfinger  nicht,  wie  Johannes 
ersählt,  das  o  nouig  noifjoav  zd/jov  auf  so  seltsame  Weise 
mirsverstehen,  —  und  .mit  einer  stotternden  Frage  von  Sei- 
ten des  Judas  und  leichthin  gesprochenen  Antwort  Jesu 
wird  man  sich  nicht  im  Ernst  beruhigen  können  ^)*  Auch 
das  ist  nicht  wahrscheinlich,  dafs  Jesus,  nachdem  er  schon 
disKrklärang  gegeben:  der  mit  mir  in  dteSchOssel  taucht, 
wird  mich  verrathen ,  zur  bestimmteren  Bezeichnung  des» 
Verrfithers  nun  noch  selbst  ihm  einen  Bissen  eingetaucht 
haben  sollte;  sondern  beides  ist  wohl  dasselbe,  nur  ver- 
ftchieden  dargestellte  Erkennt  man  aber  diefs-mit  Paulos 
Qod  Olshaus£N  an,  so  hat  man  bereits  dem  einen  oder  an- 
dern Berichte  so  viel  vergeben,  dafs  man  sich  auch  fiber 
die  Schwierigkeit,  welche  in  derausdrackliehen  Antwort 


4)  KvintfL,  in  Matth.  p.  707. 

5)  'Wie  Omiuvisit,  2>  S.  402.    S.  dagegen  SisvfsaT,  S.  148^^. 


4ÖS  Dritter  Abaohiiitt. 

liegt,  die  Mntthlias  Jesam  dem  Verrftther  geben  Ififtt,  niebt 
mit  Zwang  hinöberhelfen,  sondern  eingestehen  sollte,  hier 
swei  abweichende  Berichte  vor  sich  su  haben,  deren  einer 
nicht  darauf  berechnet  ist,  durch  den  andern  erglinst  sa 
werden. 

» 

Ist  man  mit  Sieffert  und  Fritzschb  bq  dieser  Einsicht 
gefrommt n:  so  fragt  sich  nur  noch,    welehem   von   beides 
Berichten   als    dem   arsprflnglichen   der  Vorsug  su  geben 
sei?     Sieffert  hat  diese  Frage  mit  grofser Entsohiedeoheit 
an  Gunsten  des  Johannes  beantwortet;  nicht  blofs,  wie  er 
behauptet,  vermöge  des  Vornrtheils  für  die  angebliche  Ao- 
geuEeugenschaft  dieses  Evangelisten ,    sondern   auch ,  w«l 
sich   seine  Erefihlung   in   diesem  Abschnitte  durch   innere 
Wahrheit  und  malerische  Anschaulicbbeit  auf s  Dnverkenn- 
barste  vor  der  des  Matthfins  ausEcichne,    welcher  letstern 
die  Sporen  der  Autopsie  auch  hier  durchaus  fehlen.  Wih* 
rend  nämlich  Johannes  das  Genaueste  über  die  Art  zu  sa- 
gen    wisse,    wie   Jesus   den    Verräther    bezeichnet   habe: 
lilinge  die  Erzählung  des    ersten  Evangeliums  so  ,^  als  ob 
seinem  Verfasser  nur  die  allgemeine  Motiz,  dafs  Jesus  sei- 
nen Verräther  auch  persönlich  bezeichnet  habe,  zugekom- 
men   gewesen    wäre.     Wenn     in     dieser    Hinsicht    slie^ 
dings  von    der  runden   Antwort,   die  Jesus    bei  MatthSo« 
(V.  25.)  dem  Judas   gibt,   nieht  geläugnet   werden   kann, 
dafs  sie  ganz  darnach  aussieht,  nach  jener  FTotiz  auf  ziem- 
<  lieh  trockene  Weise  gemacht  zu   sein ,    und   in   sofern  der 
verblümteren,  also  doch  immer  wahrscheinlicheren  Art,  wie 
Johannes  diese  Bezeichnung  wendet,  nachsteht:  so  ist  dt* 
gegen  zwischen   dem    o  tftfidihag   oder   i/ußccTtroftevog  fifif 
tfiö  bei   den   zwei   ersten  Evangelisten,    und  dem  johsn- 
neischen  qi  iyco  ßa^ag  tu  ifßütfUov  imdiiaia,  das  Verhältnifi 
ein  ganz  anderes;    hier  nämlich   ist   offenbar  die  gröbere 
Bestimmtheit  der  Bezeichnung,  mithin  die  geringere  Wahr- 
scheinlichkeit des  Berichts ,    auf  Seiten   des   vierten  Kvsn- 
geliaas.    Bei  LuLas    beieiehnet  Jesus   den  Verräther  aar 


Zureites  Kapitel*     S-  12K  459 

ftls  einen  der  mit  ihm  bei  Tische  Sitzenden,  and  euch  von 
dem  o  if.ißak}jag  ;f.  t.  A.  bei  Mntth^as  und  Markus  ist  die 
Deutung ,  welche  Kcinöl  und  H£n:;;sbrrg  ^)  von  demselben 
geben  :  einer  von  meinen  Tischgenossen ,  unbestimmt  wel* 
eher,  —  so  irreleitend  nicht,  nie  Olshauskn  sie  dafür 
aasgibt.  Denn  auch  auf  die  Frage  der  einzelneii  Jünger: 
bin  ich*s?  konnte  ja  Jesus  theiis  immer  noch  eine  auswei- 
chende Antwort  su  geben  für  gnt  finden,  theiis  verhielt 
sich  £o  dem  frflheren:  ^ig  £|  vf.iuiv  Tiagadciau  fi€  (V.  Sl.)» 
nach  KuinÖl's  richtiger  Bemerkung  jene  Antwort  auch  in 
diesem  Sinne  als  angemessene  Steigerung,  indem  sie  das 
die  Schuld  desVerraths  noch  besonders  erschwerende  Mo« 
ment  der  Tiscbgenossenschaft  hervorhob.  Wenn  auch  die 
Verfasser  der  beiden  Evangelien  den  fraglichen  Aufdruck 
bereits  so  verstanden,  als  ob  gerade  Judas  mit  Jesu  die 
Hand  In  die  Schttssel  getaucht,  und  somit  jene  Aeufderung 
ihn  persönlich  beseichnet  hMfte :  so  seigt  doch  die  Parallele 
bei  Lukas,  und  bei  Markus  das  dem  o  ^ußaTnoiie^v^  vor« 
gesetste  u^;  ix  tüv  dcJdexor,  dafs  ursprünglich  jenes  nur 
Epexegese  von  diesem  war;  wenn  es  gleich  vermöge  des 
Wonsches  ^  eine  recht  bestimmte  Vorher kezeichnung  des 
Verräthers  von  Seiten  Jesu  su  haben,  frühzeitig  in  jenem 
andern  Sinne  genommen  wurde.  Haben  wir  aber  so  ein* 
mal  eine  aagenhafte  Steigerung  der  Besrimmtheit  jener  Be* 
eeichnang :  so  ist  auch  die  Art,  wie  das  vierte  Evangelium 
den  Verräther  beeeichnet  werden  läfst,  in, diese  Reihe  cu 
sieben ,  und  ^  swar  müfste  sie  nach  Sieffert  die  ursprüng- 
liche gewesen  sein,  von  welcher  alle  übrigen  ausgegangen 
wären.  Nun  aber  ist  sie,  wenn  iwir  das  av  tinag  des  Mat* 
thäas  cum  Voraas  preisgegeben,  die  bestimmteste  Beeeich- 
nongsweise,  bu  welcher  sich  der  Ausdruck:  meiner  Tisch« 
genossen  einer,  nur  als  gante  unbestimmt  verhält ;  und  auch 


6)  Comment.  Über  die  Geschichte  des  Leidens  und  Todes  Jesu, 
z.  d.  St. 


4CI0  Dritter  Abtebnitt. 

der  Wink  :  derjenige,  welcher  jetst  eben  mit  mir  in  dit 
Schüssel  taacht,  war  noch  weniger  direct|  alt  wenn  Jesai 
selbst  ihm  den  Bissen  eintauchte  nnd  reichte.  Ist  es  deon 
nun  im  Geist  der  alten  Sage,  die  bestimmteste  BeEeichnuog, 
wenn  Jesus  eine  solche  gegeben  hatte,  fallen  ea  lassen, 
und  auf  unbestimmtere  zu  redodren,  also  das  Wunder  des 
Vorherwissens  Jesu  au  verringern?  Und^kann  man  es  im 
Geiste  Jesu  finden,  dafs  er  auf  so'sweoklose  Weise  die 
persönliche  Entlarvung  des  Verrfithers  vorgenommen  beben 
sollte,  wenn  er  doch  weder  hoffte,  ihn  dadurch  von  sei- 
nem Vorhaben  abzubringen,  wie  ans  dem  o  TiOieJg,  noir^ccn^ 
Tuyjov  (V.  27.)  erhellt,  noch  auch  die  Absicht  hatte,  sei- 
nerseits dem  Verrathe*  zuvorzukommen  ?  Endlich,  wenn 
Jesus  den  Verrfither  auch  nur  dem  Johannes  persönlich 
bezeichnete:  wöcde  dieser  Uonnersohn  sich  so  ganz  rabig 
SU  halten  vermocht  haben?  geschweige  denn  die  Obrigen, 
wenn  er  ihn  nach  dem  ersten  Evangelium  vor  sämmtlichen 
Jfingern  kenntlich  gemacht  hfitte  ')• 

Finden  wir  somit  die  persönliche  Bezeichnung  des  Ve^ 
rXthers  von  Seiten  Jesu  ,  unwahrscheinlich:  so  fragt  sich 
weiter,  ob  ihn  Jesus  Oberhaupt  nicht  als  solchen  vorher 
erkannt^  sondern  nur  im  Allgemeinen  von  dem  im  Krei»e 
seiner  Jfinger  brütenden  Verrath  gewvfst  habe,  oder  ob 
selbst  auch  diese  unbestimmte  Ahnung  des  Verraths  iha 
erst  nach  dem  Erfolge  beigelegt  worden  sei?  Die  Psaim- 
stelle,  welche  Je^as  V^  IS.  als  eine  an  ihm  zu  erfOllende 
Weissagung  anführt:  o  z(i(t'r/ofv  //5t  f/^ö  rov  äfrrov  i:if,oeif 
in  b(.d  TT^v  nriQvav  amö  CP««  41,  10),  gab  ihm  nur  unbe- 
stimmt einen  seiner  Tischgenossen  als  künftigen  Wide^ 
sacher  an  die  Hand.  Aber  freilich  kann,  diese  Schriftstelle 
nicht  ^die  ein/Jge  ttuelle  gewesen  sein ,  aus  welcher  er  die 
Kunde  des  ihm  bevorstehenden  Verrathes  schöpfte:  m^ 
dorn  nach  der  orthodoien  Ansicht    half  ihm  das  göttliche 


7)  WsiMK,  a.  a.  O.  S.  604  f. 


Zweitat  Kapitel.    S-  l^l-  461 

Princip  in  ihm  die  Schrift  aaslegen,  and  dieses  kann  nicht 
blofs  bis  fiur  anbestimmten  Ahnung  des  Verraths  gereicht, 
sondern  es  mCrste  ihm    den  Verrfither  sugleich  persönlich 
kennbar  gemacht  haben.    Nor  tritt  in  dieser  Hinsicht  hier 
die  gleiche   Schwierigkeit  ein ,    die    wir   schon    sonst   bei 
A.  T. liehen    Weissagungen,    die  Jesus   auf  sich    becogen 
hsben  soll,  gefunden  haben.    Ihrem   ursprfinglichen  Sinne 
nftch  besieht    sich    die   angefahrte  Psalmstelle   so  oü^enbar 
nicht  auf  den  Messias,  dafs  selbst  Tholcck  und  Olshadsen 
diefs  anerkennen ;  sondern  sie  geht  entweder  auf  einen  der 
bekannten  treulosen  Freunde  Davids ,  Ahitophel  oder  Me- 
phiboseth,  oder,  wenn  der  Psalm  nicht  Davidisch  ist,   auf 
einen  Unbekannten,  der  mit  dem  Dichter  desselben  in  Xhn- 
Hchem  Verhffltnifs  stand®).    Dafs  nun  eine  so  falsche  Auf- 
fassung des  Psalms  Jetiu    aas   seiner   göttlichen  Matur  ge- 
flossen sein    sollte,   läJTst  sich  nicht  denken;   er  mufs  viel- 
mehr  hierin  seinem  menschlichen  ^    irrthumsfKhigen  Denk* 
TermÖ^en  flberlassen  gewesen  sein.     Mittelst   dessen  aber 
schöpfte  er  die  erste  Vermuthung  des  Verraths  gewifs  nicht 
lus  diesem  Psalm,   von   welchem    wir   keine  Spur   haben, 
dafs  er  vor    dem  Vorfall    mit  Judas    messianisch    gedeutet 
worden   wSre;    sondern,    wenn   nicht    gar  erst    nach  dem. 
wirklichen   Erfolg   ihm  die   Berufung   auf  die   Psalmstelle 
nngeschichtlich  in  den  Mund  gelegt    worden    ist,   so  kann 
er  dieselbe  jedenfalls    erst  dann   auf  sich    besogen    haben, 
iüs  der  bevorstehende  Verrath  eines  seinj^r  Jünger  sonst  her 
CQ  seiner  Kenntnifs  gekommen   war.   Dafs  diefs  auf  natfir- 
liebem  Wege  möglich  gewesen,   läfst    sich  nicht  geradeaa 
verneinen;    und  swar  ist  es  dann  weit  wahrs>3heinlieher, 
<lsfs  er  bestimmt   von  Judas,   als   dafs  er    nur    überhaupt 
▼on  einem  seiner  Jünger  eine  solche  Unthat  vorhergesehen. 
Zwar   wenn  man   dieses  Vorhersehen  einsig   von  Mitthei- 
Inngen  Anderer  ableiten  wollte,  so  llefse  sich  einen  Aagen- 

8)  I.  Dl  Warn  «.  d.  Pt. 


46^  Dritter  Abicrtmitr. 

blick  denken  9  dafs  ein  Wohlv?oIlender  aber  AengAtlioher 
von  der  Art  des  Nikodemud  Jesom  nur  unbestiaiint  und 
andeutend  auf  den  im  vertrauten  Kreise  derSeinigen  brö- 
tenden  Verrafh  anfmerksaiu  gemacht  hfitte;  aber  wenn 
nun  Jesus  auf  diesen  Wink  bin  seine  Jünger  achfirfer  be- 
obachtete: so  mflfste  er  kein  Menschenkenner  gewesen 
sein,  wenn  ihm  nicht  die  Befangenheit  in  dem  Benehmen 
des  Judas  im  Unterschiede  von  der  Arglosigkeit  der  übri- 
gen aufgefallen  wäre. 

Wie  dem  Judas  den  Verrath,  so  soll  Jesus  dem  Petroi 
die  Verläugnung  vorherger:;)gt  haben,  und  ewar  niitder 
besonders  genauen  Zeitbestimmung,  dafs,  ehe  am  nüchsten 
Frfihmorgen  der  Hahn  (nach  Markus  fiweima!)  krfibe, 
Petrus  ihn  dreimal  verläognet  haben  werde  CMatth  S6, 
33  ff«  parall.) ;  was  den  Evangelien  sufolge  aufs  (lenane^te 
eingetroffen  ist«  Hier  hat  man  von  rationalistischer  Seite 
die  Erstreckung  der  Sehergabe  auf  solche  Nebensdge,  wie 
der  Hahnenschrei)  befremdlieh  gefunden;  ebenso,  dafs  Je- 
sus, statt  EU  warnen,  vielmehr  den  Erfolg  wie  unvermeid- 
lich vorhersage  ^),  was  allerdings  ganz  nach  der  Art  dei 
tragischen  Fatums  der  Griechen  lautet,  wo  der  Menseh 
in  das  ihm  vom  Orakel  Vorherverkündigte,  indem  er.  es 
vermeiden  will,  dennoch  hineingeräth.  Wollte  man  indefs 
nm  dieser  Schwierigkeiten  willen  die  ganze  Vorher^Rgung 
als  vaticiiiittm  post  ecentum  aufgeben,  so  wäre  diefs  ieu  weit 
gegangen.  War  ««esus,  was  die  sonst  in  manchen  SfArUn 
abweichenden  Evangelien  mit  merkwürdiger  Uebereinstim- 
mnng  voraussetzen,  durch  Andere  oder  durch  eigene  Beob- 
achtung davon  unterrichtet,  dafs  für  die  bevorstehende 
Nacht  von  Seiten  seiner  Feinde  etwas  gegen  ihn  im  Werke 
sei ;  wies  er  darauf  und  auf  die  schwere  ProbeJ,  die  ihre 
Treue  dabei  zu  bestehen   haben   würde ,   seine  Jünger  hin 


9)  Pavlui,  exeg.  Handb.,  5,  b,  S.  538.  L.  J.  1,  b,  S.  192.  HiS»> 
I^.  J.  f  137. 


..  * 


Zweites  Kapitel.    $.   Vit.  4li:i 

(Hatth.  26,  31  parall ) ,  und  TerDiafa  sich  hierauf  Petrus 
ganz  in  seiner  Weise,  als  ob  seine  Treue  und  sein  Moth 
durch  nichts  au  erschüttern  wäre  (Matth.  26,  33  paralL): 
•0  bedurfte  es  nur  Jesu  natfirlicher  Kenntnifs  von  dem 
schnell  ausfallenden ,  aber  ebenso  schnell  wieder  BurQclK- 
weichenden,  übrigens  im  Grunde  treuen  und  reinen,  mithin 
keines  wirklichen  Abfalls  fähigen  Charakter  des  Petrus, 
nm  ihm  vorhersagen  en  liöonen,  dafs  er  die  PrOfungen 
dieser  Nacht  nicht  fiberstehen  wflrde  ohne  bu  fallen,  aber 
in  seiner  Weise  auch  schnell  wieder  aufsustehen.  Die  ge- 
naue Bestimmung  freilich  nach  Art,  Zeit  und  Zahl,  wel« 
che  Jesus  dieser  Vorhersagung  in  den  Worten  gibt:  nQiv 
aUxTOQu  ifMvfaaiy  tq)^  anafry/^p^  fie  (Matth.  26,  34  parallOf 
and  dafs  sie  Zng  fQr  Zug  eingetroffen  sein  soll,  bleibt  im* 
mer  noch  befremdlich  genug.  Indefs  das  7CQiv  dkexioga 
fuiijaai  ist  in  der  That  nichts  weiter  als  ein  andrer  Aus- 
druck für  das  vorangegangene  iv  ravii]  ti;  vvxtI  ,  da  die 
aikxtoffotfiavLa  die  letzte  Nachtwache  vor  der  Frühe  war 
(vgl.  Marc.  13,35.)  ^®) ;  das  dnanvi^ar^  könnte  ein  nach  dem 
£rfolge  gebildeter  bestimmterer  Ausdruck  für  ijyMvdakiad^rdt] 
oder  einen  fthnlichen  sein  (vgl.  Luc.  22,  31  f),  und  et- 
was  der  Art  liefie  sich  auch  in  B«*treff  des  t()/s'  vermuthen^ 
Allein  von  diesem  letateren  werden  wir  unten,  bei  Krör? 
terung  der  VerlfingnungAgeschichte,  finden,  dafs  es  eher 
darnach  aussieht,  aus  der  Voraoasagung  in  den  Erfolg  hin- 
eingetragen £u  sein,  als  umgekehrt;  sofern  von  den  Evan- 
gelisten jeder  sich  auf  eigene  Weise  bemüht,  die  gegebene 
Dreiaahl  ausaufüllen.  Scheint  demnach  JesuF  die  Dreizahl 
wiiklich  selbst  an  die  Hand  gegeben  zu  haben:  so  meinte 
er  damit  doch  wahrscheinlich  nur,  wie  in  der  Rede  vom 
Aufbau  des  Tempels  ^  eine  runde  Zahl ,  die  aber  von  den 
Jüngern  entweder  sogleich  oder  später  in  bestimmtem 
Sinne  verstanden  wurde.     In   el>en  dem    unbestimmteren 


10)  t.  Li«HTrooT,  Tavlv  und  db  Wkttk  s.  d.  St.  des  Matth. 


^ 


•'  -s. 


464  Dritter  Abschnitt. 

Sinne,  wie  etwa  Luc,  12,  9.,  mag  Jesus  auch  von  Verlüag- 
nung  gesprochen  haben ;  wenigstens  sind  wir  nieht  berech- 
tigt)  das  blofse  liTiaQvrjai]  /ae  der  drei  übrigen  Evangelisten 
seinem  ursprdnglichen  Sinne  nach  in  eben  der  BestioiiDt- 
heit  aafeufassen,  welche  ihm  Lukas  darch  den  Beitats: 
jjij  eidl-ica  //e»  ertheilt,  und  welche  es  ohne  Zweifel  anch 
schon  im  Sinne  der  übrigen  Evangelisten  hat« 

Dal's  im  Znsammenhange  dieser  Voraussagen  Jesus  auch 
den  übrigen  Jüngern  vorherver kündigt  haben  soll,  sie  wfir- 
den  in  der  bevorstehenden  verhängnifs vollen  Nacht  alle  an 
ihm  irre  werden,  ihn  verlassen  und  sich  serstreuen  (Mnttb. 
26,  äl  parkll.  vgl.  Job.  16,  SO-)?  hat  nach  dem  Bisherigen 
nichts  Entscheidendes  gegen  sich;  obwohl  es  mit  einer 
Verkündigung  der  Auferstehung  (V.  32.),  Busammenhfingt, 
welche  wir  nach  früheren  Untersuchungen  nicht  als  ge- 
schichtlich anzuerkennen  vermögen ,  wenn  auch  die  damit 
verbundene  Hinweisung  auf  Galiläa  als  den  Ort,  wo  die 
Seinigeu  sich  wieder  sammeln  würden ,  Beachtung  ver- 
dient ^0- 

§.     122. 

Die  Einsetzung  des  Abendmahls. 

Bei  dem  leteten  Mahle  war  es,  nach  dem  Berichte  der 
drei  ersten  Evangelisten,  mit  welchem  auch  der  Apostel 
Paulos  (1  Kor.  11,  23  ff.)  fiusammeostimmt,  dafs  Jesos 
dem  nngesfioerten  Brot  und  dem  Weine,  was  nach  der 
Sitte  des  Paschafestes  ^)  er  als  Familienhaupt  unter  seine 
Schüler  su  vertheilen  hatte,  eine  BeEiehung  auf  seinen 
nahe  bevorstehenden  Tod  gegeben  hat.  Während  des  Es- 
sens nämlich  soll  dr  einen  Brotkuohen  genommen,  nach 
gesprochenem  Uankgebet  ihn  gebroohen  und'  seinen  Jüngern 


11)  Vgl.  WiissB,  a.  a.  O.  S.  609  f. 

1)  Vgl.  Über  diese  vornehmlich  Lishtvoot,  horse,  p.  474  ff*)  vod 
Paulus,  exeg.  Handb.,  3,  b,  S.  $11  ff. 


Zweites  Kapitel.    $«  122.  4^5 

gereicht  haben,  mit  der  ErklXrang:  t&to  igt  ro  üHfiu  fiHy 
vrosa  Paulus  und  Lukas  noch  setzen:  t8  vnkQ  vfaov  dido^ 
fiivor  oder  xAci^^vO)',  —  und  ebenso  hierauf,  bei  Paulus  und 
Lukas  nach  dem  Essen,  soll  er  ihnen  einen  Becher  Weins 
mit  den  Worten  hingegeben  haben:  täro  igt  tö  alfid  fia, 
ro  Tjjg  xaiv^s  SiaO-ijxr^i; y  oder,  nach  Paulus  und  Lukas:  ij 
xaiYT^  iuxd^xi]  iv  zflji  aifiini  fiUj  ro  txbqi  TioikXuiv^  oder,  vtiIq 
vftviyy  exxwofisvcvy  woen  Matthäus  noch  setet:  £/«;  äg:€aiv 
afiafjTidiVy  'Paulus  aber,  was  er  und  LiAas  auch  schon  oben 
beim  Brote  hatten:  töto  Ttoieizs  (Paulus  bei'm  Wein  oau- 
xtg  av  Tcivrj^t)  €ig  itjv  i(.o^v  avuinr^oiv. 

Der  Streit  der  Confessionen  über  die  Bedeutung  die- 
ser  Worte,  ob  sie  eine  Verwandlung  von  Brot  und  Wein 
in  den  Leib  und  das  Blut  Christi,  oder  ein  Vorhanden- 
sein .von  Leib  und  Blut  Christi  mit  und  unter  jenen 
Elementen,  oder  endlich  diefs  ausdrücken,  dals  Brot  und 
Wein  Christi  Leib  und  Blut  bedeuten  sollen,  ist  als  obso- 
let zu  beceichnen,  und  sollte  wenigstens  exegetisch  defs- 
wegen  nicht  ;nehr  nachgeführt  werden,  weil  er  auf  einer 
unrichtigen  Plsjunction  beruht.  Nur  in  der  Uebertragung 
in  das  abstraotere  Bewnfstsein  des  Abendlandes  und  der 
neuem  Zeit  zerfällt  dasjenige,  was  der  alte  Orientale  sich 
Q^ter  seinem  tüto  igt  dachte,  in  jene  verschiedenen  Mög- 
lichkeiten der  Bedeutung,  welche  wir,  wenn  wir  den  ur- 
sprOnglichen  Gedanken  in  uns  nachbiVlen  wollen,  gar  niobt 
auf  diese  Weise  trennen  dürfen.  Erklärt  man  die  frag- 
lichen Worte  von  Verwandlung:  so  ist  das  zu  viel  und 
zu  bestimmt;  nimmt  man  sie  von  einer  Existenz  cum  £t 
sub  specie  etc, :  so  ist  diefs  zu  künstlich ;  übersetzt  man 
aber:  diefs  bedentet:  so  hat  man  zu  wenig  und  zu  nüch- 
tern gedacht.  Den  Schreibern  unsrer  Evangelien  war  das 
Brot  im  Abendmahl  der  Leib  Christi;  aber  hätte  man  sie 
gefragt ,  ob  also  das  Brot  verwandelt  sei  ?  so  würden  sie 
es  verneint;  hätte  man  ihnen  von  einem  Genufs  des  Leibes 
mit  und  untdr  der  Gestalt  des.  Brots  gesprochen:  so  wür- 
Ihff  Leben  Jesu  iteAufl,  ii.  Band.  30 


466  Dritter  Abschnitt. 

den  sie  diefs  «nicht  verstanden  ;  hätte  man  geschlossen,  daf« 
mithin   das  Brot   den  Leib   blofs   bedeute:   so  wfirden  sie 

^  sich  dadurch  nicht  befriedigt  gefanden  haben. 

Hierüber  also  verlohnt  es  sich  nicht,  weiter  ca  strei- 
ten: eher  können  einige  andere  Fragen  interessiren ,  wel- 
che mit  Abweichongen  der  Berichte  im  Zusammenhange 
stehen.  Nach  sfimmtlichen  Relationen  stellt  Jetos  sein 
Blut  als  das  Blut  des  neuen  Bundes,  welches  Bum  Besten 
der  Seinigen  CVieler")  vergossen  werde,  dar,  mithin  seinen 
gewaltsamen  Tod  als  Bundesopfer,  als  ein  höheres  Gegen- 
bild der  blutigen  Thieropfer ,  durch  welche  einst  der  alte 
mosaische  Bund  Jehova*s  mit  dem  israelitischen  Volke  be- 
stätigt  worden  war  (2.  Mos.  24 ,  6  ff.*)-  Zu  dieser  Be* 
seichnung  fügt  Matthäus  noch  die  Worte:  Fig  a(peaiv  d/naQ- 
*ticjv,  wodurch  also  in  Betreff  des  Todes  Jesu  sn  der  Vor- 
stellung des  Bundesopfers  noch  der  weitere  Gesichtspunkt 
des  Sühnopfers  hinzugefügt  wird.  Die  Verschiedenartig- 
keit  beider  Vorstellungen,  sowie  dafs  das  erste  Evangelium 
mit  gedachtem  Zusätze  allein  steht,  hat  kritische  Zweifel 
gegen  denselben  erregt  ^.  Da  Jedoch  beide  Vorstellungen 
nicht  unverträglich  sind,  wie  sie  denn  auch  im  Hebräer- 
briefe   neben    einander    hergehen    (9,   15.)*    so  lliTst  sich 

^  ein  entschiedenes  Urtheil  nicht  wohl  aussprechen  ^j. 

,Eine  vpeitere  Frage  ist,  ob  Jesus  jene  eigen tbfimlich 
bedeutsame  Brot-  und  W^inaustheilong  nur  als  einen  Act 
des  Abschieds  von  seinen  Jüngern,  oder  ob  er  dieselbe  in 
der  Absicht  vorgenommen  habe,  dafs  sie  auch  nach  seinem 
Hingang  von  seinen  Anhängern  cum  Andenken  an  ihn  ge- 
feiert werden  sollte?  Hä^tten  wir  blofs  die  Berichte  "der 
beiden   ersten  Evangelisten  ^-  diefs  geben  hier  selbst  or- 


2)  Schulz >   die  christliche   Lehre  vom   Abendmahl,    S.  271  ff., 
CRSD^SR,  Einl.  1,  S.  199. 

3)  S.  oben,  §.  HO,  S.  343.    Vgl4  db  Wxttb,  exeg.  Handb.,  1,1, 
S.  222  f. ;   Nbakdbr,  L.  J.  Chr.  S.  589  f.  Anm. 


Zweites  Kaiiirei.     {.  122.  467 

thodoxe  Theologen    sa  ^)   •—   so  vrlre  kein  entscheidender 
Grond  eu   der  letsteren  Annahme  vorhanden ;  allein   ent* 
scheidend  scheint  bei  Paulas  ond  Lukas  der  Zusats:  %Qiu 
ftouhs  eig  ttjv  ifnjv  avaprr^tVj   welchem  Eofolge  Jesus  of- 
fenbar die  Absicht  hatte,   ein  Gedäohtnifsmahl  su  stiften, 
das  nach  Paulus  die  Christen  feiern   sollten,   axQiQ  h  op 
di&r.    Allein  eben  von  diesen  Znsätaen  hat  man  neuerlich 
vermutbet,  sie  möchten  nicht  ursprfinglich  Worte  Jesu  ge- 
wesen sein,  sondern  bei  der  Abendmahlafeier  in  der  ersten 
Gemeinde  möge  der  anstheilende  Vorsteher  die  Gemeinde- 
glieder aufgefordert  haben ,   dieses  Mahl  auch  ferner  Eum 
Andenken   Christi   su   wiederholen,    und  aus   diesem   ur- 
ehristlichen  Ritual    seien    dann   die  Worte  eu  der  Rede 
Jesu  gesehlagen  worden  *).  Gegen  diese  Vermathuog  sollte 
man  nicht  mit  Olshausen  die  AuctoritXt  des  Apostels  Pau- 
lus in  der  Ueberspannung  geltend  machen,  ^afs  laut  seiner 
Versicherung:  naffikaßav  ano  rö  KvqIö^  er  hier  aus  einfer 
unmittelbaren  Offenbarung  Christi,  ja  dafs  Christus  selbst 
hier  aus  ihm  spreche:   da  doch,  wie  selbst  Süskihd  Euge- 
geben,     und    neuerlich  Schulz   aufs   Bündigste   bewiesen 
bat  *),  nafmla/ußaveiv  ano  Tivog  nicht  ein  unmittelbares  Be- 
kommen  von   einem  ^    sondern   nur  ein  mittelbares  Ueber- 
koramen  von  einem  her,  also  durch  Ueberlteferung,  bedeu- 
ten kann.    Hat   aber  Paulus  jenen  ZusatE  nicht  von  Jesu 
selbst  gehabt:  so   glaubt  Ewar  SOskind  beweisen  eu  kön* 
neu,  er  mflsse  ihm  von  einem  Apostel  mitgetheilt  oder  min- 
destens bestätigt   worden   sein,    und    meint  in   der  Weise 
seiner  Schule  durch   eine   Reihe  abstracter   Disjunctlonen 
sichere  Mauthlinien  Eichen   eu    können,    welche  das  Ein- 
dringen einer   un historischen  Sage  in    diesem  Stöcke  ver- 
hindern sollen:   allein  die  strenge  Urkundlichkeit  unserer 

4)  SUsKiKD,  in  der  Abhandlung :  hat  Jesus  das  Abendmahl  als  einen 
mnemonischen  Ritus  angeordnet?  in  s.  Magasin,  ll,  S.   1  ff. 

5)  Paulos,  cxeg    Hahdb.,  y  b,  S.  527. 

6)  Die  Lehre  vom  Abendmahl,  S.  217  ff. 

30* 


46B  Dritter  Abschnitt.  ^ 

» 

Tage  darf  tod  einer  werdenden  ReligionngeseUachaft  nieht 
erwartet  werden,  deren  an  Verschiedenen  Orten  befiadUoho 
Theile  noch  keinen  geordneten  Zosammenhang  and  mei- 
stens nar  mündlichen  Verliehr  hatten.  Ebensowenig  aber 
darf  man  dun,  das  töro  nonlie  x.  r.A.  für  einen  späteren 
Zusate.sn  den  Worten  Jesu  bu  halten,  durch  falsche 
(jrfinde,  wie  dafs  es  gegen  die  Demath  Jesa  verstofiea 
haben  wfirde,  sich  selbst  eineGedfichtnlfsfeier  sa  stiften  0 
D.  dg|.,  sich  bewegen  lassen  |  oder  das .  Stillschweigen  der 
beiden  ersten  Evangelisten,  dem  Zeugnifs  des  Aposteii 
Paulus' gegenüber,  allzuhoch  anschlagen. 

Vielleicht  entscheidet  sich  dieser  Punkt  mit  der  andern 
Frage:  wie  überhaupt  Jesus  daau  gekommen  sei,  diese  ei- 
genthümiich  bedeutsame  Brot-  und  Weinailsthcilung  mit 
seinen  Jüngern  vorannehmen  ?  Wie  die  orthodoxe  Ansiebt 
von  der  Person  Jesu  aus  dieser,  als  einer  göttlichen,  das 
Werden  und  namentlich  ein  alimllhliges'  oder  plütcliobef 
Entstehen  von  früh^  nicht  dagewesenen  Planen  und  Vor* 
sfttsen  möglichst  su  entfernen  sucht:  so  lag  ihr  snfolge 
sammt  dem  Vorherwissen  um  sein  Schicksal  und  seinem 
gauEen  Plane  auch  der  Vorsats,  das  Abendmahl,  und  awsr 
als  Gedfichtnifsfeier  für  seine  Kirche,  su  stiften,  von  jeher 
in  Jesu,  und  diese  Ansicht  kann  <  sich  wenigstens  dsffir, 
dafs  Jesus  schon  ein  Jahr  vorher  das  Abendmahl  im  Sinne 
gehabt  habe,  auf  die  dahin  sielenden  Anspielungen  bem- 
f«fn,  welche  das  vierte  Evangelium  im  sechslen  Kapitel 
Jesu  in  den  Mund  legt. 

Freilich  Uf  diefs  eine  unsichere  Stütse,  da  nach  einer 
früheren  Untersuchung  jene  vor  der  Stiftung  des  AbendmaUi 
schlechterdings  nnverstfindlichen  Anspielungen  nicht  von 
Jesu  selbst,  sondern  nur  vom  Evangelisten  herrühren  ktfa- 


7)  Kaissr,  bibl.  Theologie,  2,  a,  S.  39.   Snnkni,  das  h.  Abcad- 
mahi,  S.  6J. 


Zureite«  KapiteL    $.  122.  4419 

nen  *>  Und  da  es  ferner  überhaupt  die  Wahrheit  der 
menechlicben  Natnr  in  Jesa  aafsaheben  schien,  ip  ihm 
Ton  |eher/  oder  wenigstens  vom  Anfange  des  reifen  Alters 
an,  Alles  schon  fertig  «nd  vorgesehen  sich  eq  denlEen:  so 
hat  der  Rationalismus  im  Gegentheil  behauptet,  nicht  frd* 
her,  als  eben  an  Jenem  Abende,  sei  der  Oedanlie  Jener 
sinnbildlichen  Handlung  und  Rede  in  Jesu  i^ufgestlegen. 
Demnach  soll  nun  beim  Anblick  des  gebrochenen  Brotes 
and  ausgegossenen  Weines  Jesnm  eine  Ahnung  seines  na* 
hen  gevraltsamen  Todes  angewandelt,  er  soll  in  Jenem  ein 
Bild  seines  hinaurichtenden  Leibes,  in  diesem  seines  au 
vergiefsenden  Blutes  erblickt,  und  diesen  augenblicklichen 
Eindruck  gegen  seine  Jünger  ausgesprochen  haben  ')•  Ei- 
nen solchen  tragischen  Eindruck  aber  konnte  Jesus  nur 
bekommen,  wenn  er  seinen  gewaltsamen  Tod  in  der  Nähe 
sah«  üafs  diefs  bei  Jenem  Mahle  mit  gröfster  Bestimmt- 
heit der  Fall  gewesen,  scheint  die  Versicherung  zu  iiewei* 
sen,  weiche  er  nach  slmmtlichen  synoptischen  Berichten 
seinen  Jflngern  gab,  dafs  er  von  dem  Gewächs  des  Wein- 
stocks nicht  mehr  trinken  werde,  bis  er  es  neu  geniefsen 
werde. im  Reiche  seines  Vaters;  wornach  er  also,  da  an 
ein  Enthaltungtgelöbde  zu  denken  kein  Grund  ist,  f(lr  die 
Dächstea  Tage  sein  Ende  volrausgesehen  haben  mflfste« 
Sehen  wir  Jedoch ,  wie  bei  Lukas  dieser  Versicherung  in 
Bezog  anf  den  Wein  die  Erklärung  Jesu  vorangeht,  das 
Pascha  werde  er  nicht  mehr  geniefsen,  bis  anr  ErfSUnng  im 
Gottesreiche:  so  könnte  man  auf  die  Vermnthung  kommeni 
es  möchte  wohl  ursprünglich  auch  unter  dem  yewrjia  rijs 
aiiTtilSj  zumal  da  Matthäus  thtu  hinzusetzt,  nicht  Wein 
überhaupt,  sondern  speciell  der  Pasobatrunk  verstanden 
gewesen  sein.  Von  Mahlzeiten  im  messianisohen  Reiche 
sprach  Jesus,  anknfipftod  an  die  Vorstellungen  seiner  Zeit, 


8)  f.  Band,   $.  80. 

9)  VxMLVy  a.  a.  O.  S.  519  ff,  ]   HaiskRj  s.  a.  0.  S.  S7  ff. 


V 

I 


X 


470  Dritter  Abschnitt.  • 

*  öfters:  und  so  könnte  er  auch  von  einem  Paschafest  and 
Paschatrank,  obwohl  in  dem  geistigen  Sinne  von  Lac.  20, 
36.,  gesprochen  haben.  Wenn  er  nun  versichert,  dieses 
Mahl  nicht  mehr  in  diesem,  sondern  erst  in  jenem  Äon 
wieder  zu  geniefsen :  so  Ifige  darin  nicht ,  wie ,  wenn  er 
von  Essen  und  Trinken  überhaupt  spräche,  dafs  schon  ia 

»  den  nächsten  Tagen ,  sondern  nur ,  dafs  vor  Ablauf  eioes 
Jahres  das  Verweilen  in  dieser  vormessianiscben  Weltord- 
nung  für  ihn  ein  Ende  haben  werde. 

Indessen,  wenn  Jesus  vorhersah,  dafs  eben  indernfich- 
aten  Macht  seihe  Feinde  mit  Hölfe  des  Judas  sich  seiner 
2U  bemächtigen  buchen  worden,,  und  wenn  er  entschlossen 
war ,  diesem  Angriife  weder  mit  gewaltsamer  Gegenwehr 
entgegenzutreten,  noch  durch  die  Flucht  sich  demselben 
KU  entziehen :  so  konnte  ihn,  wie  er  die  Personen  und  die 
Verhältnisse  kannte,  die  Ahnung  überfallen ,' dafs  in  den 
nächsten  Tagen  sich  Schlag  auf  Schlag  Alles  erfällen 
würde,  was  er  als  sein  unvermeidliches  Ende  längst  ans 
der  Ferne  vorhergesehen  hatte.  Von  hier  aus  erscheint 
dann  Beides  als  gleich  möglich,  sowohl  dafs  er  vermöge 
einer  Eingebung  des  bedeutungsvollen  Angenblieks  bei 
«dem  letzten  Pascha,  das  er  mit  seinen  Jüngern  feierte, 
Brot  und  Wein  zu  Symbolen  seines  zu  tödtenden  Leibes 
und  zu  vergiefsenden  Blutes  gemacht  hätte,  als  dafs  er 
achon  einige  Zeit  zuvor  auf  den  Gedanken  gekommen 
wäre ,  seinen  Anhängern  ein  solches  Gedächtnifsmahl  sn 
hinterlassen,  wobei  er  dann  gar  wohl  auch  jene  ron 
Paulus  und  Lukas  aufbehaltenen  Worte  gesprochen  habea 
könnte. 


DrittesKapitel. 

Gin^  nacb  dem  Oelbergf,  Gefangeimeli- 
miDg^,  Verhör,  Verortheiliing  und  Krea- 

zigwkg  Jesu. 


§.      123. 
Jesu  Seelenkampf  ixn   Garten. 

Dtti  synoptischen  Beriobten  sofolge  ging  Jesus  sogleich 
nach  Btendigung  des  Mahles  und  Absingang  des  Hallel^ 
wie  er  iberhsupt  während  dieser  FesUeit  aofserhalb  Je* 
rttsalems  su  flbernaohten  pflegte  (Mattb.  21 ,  17.  Lac.  22| 
39.)»  hinais  an  den  Oelberg,  in  ein  xtDQiaif  (bei  Job.  xjy 
.T0(;),  Getbiemane  genannt  CMattb.  26,  30«  36  parall.))  wo- 
hin ibo  Johannes,  mit  der  ausdracfclieben  Erw&hnnng,  da(s 
es  fii>er  den  Bach  Kidron  gegangen  sei,  erst  nach  einer 
langen  Reihe  von  Abächiedsreden  (Kap.  14  17.))  ^^^  wel« 
che  wir  spatei  zu  reden  kommen  werden,  aufbrechen  läfst. 
Wfihrend  an  üe  Ankunft  Jesu  im  Garten  Johannes  uo« 
mittelbar  die  Gifangennehmung  knflpft:  schieben  die  8yn« 
optiker  noch  ditfenige  Scene  dazwischen  y  weiche  man 
als  den  Seeleukau^f  J  esu  zu  bezeichnen  pflegt. 

Ihre  Berichte  iierllber  si;id  nicht  gleichlautend.  Nach 
Matthitos  und  Markis  nimmt  Jesus,  indem  er  die  Qbrigen 
Jünger  surOckbleibcL  beifst,  seine  drei  Vertrautesten,  den 
Petrus  und  die  Zebediiden,  mit  sich,  wird  von  Bangigkeit 
und  Zagen  überfallen,  erklärt  den  Direien,  bis  zum  Tode 
betrübt  zu  sein,  und  reiet  sich  auch  von  ihnen,  indem  er 
sie  wach  zu  bleiben  ermihnt,  los,  um  für  sich  ein  Gebet 
verrichten  zu  können ,  in  welchem  er ,  das  Angesicht  auf 
liif  blrde  gebeogc,  um  Abweidnng  des  Leideoskelclis  flehf^ 


47i  Dritter  Abschnitt. 

fibrigeiis  Alles  dem  Willen  seines  Vaters  anheimstellt. 
Wie  er  wieder  su  den  JOngern  kommt,  findet  er  sie  scbia* 
fend,  ermahnt  sie  abermals  £ur  Wachsamkeit,  entfernt 
sieh  _dann  noch  einmal  und  wiederholt  das  vorige  Gtbet, 
worauf  er  seine  Jünger  wieder  schlafend  antrifft.  Zorn 
drittenmal  entfernt  er  sich  nun,  um  das  Gebet  so  wieder« 
holen,  und  wiederkommend  findet  er  cum  drittenmsl  die 
Jühger  schlafend,  erweckt  sie  aber  jetat,  um  dem  niben- 
den  Verrather  entgegen  augeben.  Von  den  beiden  Drei- 

zahlen, welche  In  dieser  Eraühlung  der  beiden  ersten  fivsn- 
gellsten  eine  Rolle  spielen,  hatXukas  nichts,  sondern  nach 
ihm  entfernt  sich  Jesus  von  sfimmtiichen  Jfingern,  naob- 
dem  er  sie  sur  Wachsamkeit  ermahht,  ungefähr  auf  eines 
Steinwurfs  Weite,  und  betet  kniend,  nur  Einmal,  aber  fast 
mit  denselben  Worten,  wie  ihn  die  beiden  andern  betea 
lassen ,  kehrt  dann  zu  den  Jüngern  zurfick  nnl  erweckt 
sie,  well  Judas  mit  der  Schaar  sich  nShert.  Daffir  bat 
nun  aber  Lukas  isi  der  einzigen  (jchefsscene,  >on  welcher 
er  welfs,  zwei  Dmstände,  die  den  fibrigen  Beriiliters tattern 
fremd  sind,  dafs  nämlich  während  des  Crebets,  anmittelbar 
^he  der  heftigste  Seelen  kämpf  eintrat,  ein  En^el  erschienen 
sei,  Jesum  zu  stärken,  während  der  darauf  g^foJgten  aymia 
aber  Jesus  Schweifs,  wie  zur  Erde  faliense^BlatstropfeOj 
vergosseil  habe. 

Von  jeher  ist  an  diesem  Vorgang  U  Getbseroane  An- 
stofs  genommen  wordeb,  weik  in  denselben  Jesus  eine 
Schwäche  und  Todesfurcht  zu  zeigen  soheint,  welche  man 
ihm  unangemessen  gUuben  könnte.*  £n  Celsns  ondJoliao 
haben,  in  Rücksicht  ohne  Zweifel  aif  die  grofsen  Muster 
eines  sterbenden  Sokrates  und  anderer  heidnischen  Wei- 
sen,  das  Zagen  Jesu    vor  dem  Tbde  geschmäht  0)   ^^ 


1)  Orlg.  fi.  Cela.  2,  24  :    Xt'yft  (o  Xi'^og)'   rC  ür  natrmrat,   wt  oSv- 
pcrm,    xu'i  rov  r«  oktS'QB  tfoßov  »?;|fC7crt  na(>aS^/u€tr ,  JU'ytay-ic*  r.  /•'• 

—  Julian  in  einem  Fragment  Theodor* s  von  Mopsvestia ,  bei 


Drittes  KupiteL    §.  123.  47S 

Vanini  sein  eigenes  Qenebmen  bei  bevorstehender  Hinrich- 
fong  kühn  Über  das  von  Jesu  gestellt  ^},'  und  im  Ecanr 
gelium  Kicodemi  sebliefst  derSutan  aus  dieser  Scene,  dafs 
Ctkrintus  ein  blofser  Menseh  gewesen  '}.  Die  Autflueht 
des  Apokryphums^  die  Betrübnifs  Jesu  sei  nur  Verstellung 
gewesen,  um  dem  Teufel  cum  Kampfe  mit  ihm  Muth  eo 
machen  *) ,  ist  nur  das  fiingestfindnifs ,  dafs  es  eine  wirk- 
liehe BetrAbnifs  jener  Art  bei  Jesu  nicht  sn  denken  weifs. 
Daher  berief  man  sich  auf  den  Unterschied  der  beiden 
Naturen  in  Christo,  und  schrieb  die  Betrübnifs  und  die 
Bitte  um  Abnahme  des  .ctnr^Quw  der  menschlichen,  die  Kr- 
gebung  in  das  Oikr^^a  des  Vaters  aber  der  göttlichen  Na- 
tur EU  ^).  Da  Jedoch  diefs  theils  eine  uncutfifsige  Tren* 
nnng  im  Wesen  Jesu  bu  setzen ,  theils  das  Zagen  auch 
nur  seiner  menschlichen  Natur  vor  bevorstehenden  körper- 
lichen Leiden  ihm  nicht  wohl  ansustehen  schien :  so  gab 
man  seiner  Bangigkeit  einen  geistigen  Beeug ,  und  maohte 
sie  SU  einer' sympathetischen,  indem  es  nun  die  Riichlosig-> 
keit  des  Judas,  die  Gefahr,  welche  seinen  J fingern  drohte, 
und  das  Schicksal,  welches  seinem  Volke  bevorstand,  ge- 


Ml-KTift,  Fragm.  Patr.  graec.  Fase.  1,  p.  121 :   aXXa  xai  toukv^ 

2)  Gramond.  bist.  Call,  ab  exe.    Henr.  IV.   L.  3,  p.  211:    Mm- 
cilius  Vanini  —  dvm  in  patiMum  trahiiur  —  Christo  iHu-      •    • 
dtt  in  haee  eadem  verba:  HU  in  extremis  prae  timare  im-' 
MUs  sudar:  ego  imperterritus  moriar, 

3)  Evang.  Nicod.  c.  20 ,  bei  Thilo  ,  1 9  S^  702  fit. :    tyti  y^^  ^^^y 

fttt  Stas   SaraTBrn 

4)  Ebendas.,  8.  706 y  erwiedert  Hades  dem  Satan:    tl  Se  Ityttf^ 

OTi    r^xsaai    aurS   tfoßHja^vtt   rov   S&rarov,    naCt^   ae   «m    yd^   fft 
riiro,    &tltoy,   %ya  at  ü^aaif  rr  %Htk  SvrarJi, 

5)  So  Kilon  Origcnes,  c.  Geis.  2,  25« 


V 

I 


474  Dritter  Absohnitt. 

wesen  «ein  soll}  BAft  ihm  solche  Tranriglteit  Terorsachte  *). 
Seine  Spitee  erreichte  dieses  Streben ,  den  Schmers  Jesn 
von  alier  sinnlichen  Beimischong  und  Besiehang  auf  leipe 
eigene  Person  zu  reinigen,  in  d^r  kirchlichen  Ansicht,  dali 
Jesus  in  das  Mitgefühl  der  Sfindenschnld  der  gsnteo 
Menschheit  versetst  gewesen  sei}  und  Gottes  Zorn  über 
dieselbe  stellvertretend  empfunden  habe  ^);  wobei  nach 
der  Ansicht  von  Einigen^  sogar  der  Teufel  selbst  mit  Jess 
gerungen  haben  soll  ^). 

Doch  von  einem  solchen  Grun^de  der  Bangigkeit  Jmb 
steht  nichts  im  Texte;  vielmehr,  wie  sonst  (Matth.  20,  22{. 
parall.),  so  mjifs  auch  hier  das  rrtri;()«ai',  um  dessen  Ab- 
nahme Jesus  bittet,  von  seinem  eigenen  Leiden  und  Tode 
verstanden  werden.  Zugleich  liegt  jener  kirchlichen  Ao- 
sieht  eine  nnbiblische  Vorstellung  von  der  Stellvertretoog 
cum  Grande.  Jesu  Leiden  ist  allerdings  auch  ^cbon  in 
der  Vorstellung  der  Synoptiker  ein  stellvertretendes  far 
die  Sünden  Vieler;  allein  die  Stellvertretung  besteht  nach 
ihnen  nicht  darin,  dafs  Jesus  nicht  unmittelbar  diese  SOs- 
den  und  das  ihretwegen  der  Menschheit  gebührende  Lei- 
den SU  empfinden  bekäme;  sondern  für  jene  Sünden,  und 
um  ihre  Strafe  aufzuheben,  wird  ihm  ein  persönliches  Lei- 


6)  Hieron.  Oomm.  in  Matth.  z.  d.  St.  :  Cwitristabatvr  tum  ti- 
more  patiendi,  gut  ad  hoc  venerat,  ut  pateretur,  sed  pmptfr 
infelidünimutn  Judam,  et  ncandalum  omnium  tqn^toiantm, 
et  rejectionem  populi  Judaeorum,  et  ecersionem  miur» 
Hierusalem. 

7)  Calvin,  Comm.  in  härm,  evangg.  zu  Mattb.  26,  57:  Tfon - 
mortem  harruit  MtmpUdtery  quatenus  transitus  est  e  numi^ 
sed  quia  formidabile  Bei  tribunal  Uli  erat  ante  ocuht ,  ji- 
deae  ipse  incomprehensibili  trindicta  armatus,  peccala  ven 
nostra ,  guorum  onus  Uli  erat  impositum ,  sua  iiigenti  nuk 
eum  premebant,  VgL  Lcthsk's  Uauspostille ,  die  erste  P<$ 
siou^predigt. 

8)  LiiGiiTroor;  p.  884  f. 


Drittes  Kapitel.     S«  123.  475 

den  aufjgelegt.     Wie  ihn  aldo  am  Kreuze    nicht   direet  die 
Sänden  der   Welt  and  der  aof  diese  sich  beziehende  Zorn 
(iottes ,   sondern    die   ihm  beigebrachten  Wanden ,   sammt 
sein^  ganzen  tjammervollen  Lage,    in   welche  er   freilich 
um    der  Sünden    der   Menschheit    willen    versetzt    war, 
schmertfteu:   so   war   es   der  Vorstellung  der  Evangelisten 
zufolge    auch  .in  Gethsemane  nicht  unmittelbar  das  Gefäfal 
des  Elends  der  Menschheit,   sondern  das  Vorgefühl  seines 
eigenen,  allerdings  an  der  Stelle  der  Menschheit  zu  Über« 
nehmenden  Leidens,  was  ihn  in  jene  Bangigkeit  versetzte. 
Von  der  unhaltbar  befundenen  kirchlichen  Ansieht  des 
Seelenkampfs  Jesu    ist   man    in  neuerer  Zeit  einerseits  in 
rohenJ^Materialismus  zurückgefallen,  indem  man  die  Stim» 
mung,    welche   man   ethisch  rechtfertigen  zu  l^önnen  ver- 
zweifelte,   zu   einer  rein  physischen  macl^te,    und  Jesu  in 
Gethsemane  eine  (Jebelbeit  zustofsen  liefs ') ;  eine  Ansicht, 
weiche  Paulus  mit  einer  Strenge,  die  er  nur  fleifsiger  auch 
gegen  seine  eigenen  Erklärungen  hfitte  kehren  sollen,   für 
eine  unschickliche,  textwidrige  Umdeutung  erklärt,    dabei 
flber  dennoch  die^  Il£OMANN*sche  Hypothese  nicht    unwahr- 
scheinlich findet,    dafs   zu  dem  Innern  Schmerz  eine  leib« 
liehe    Erkältung    in    dem    vom    Kidron    durchschnittenen 
Thalgrund   wenigstens  hinzugekommen  sei  ^^).      Von  der 
andern-  Seite  hat  man    der  Scene    mit    moderner  Empfind- 
samkeit aofzuhelfen  gesucht,  und  das  Freundschaftsgefühl, 
den  Trennungsschmerz,  die  Abschiedsgedanken,  als  dasje- 
nige betrachtet ,   was  Jesu  Inneres  so   zerrissen   ha|>e  ^0 ) 
oder  ein  trübes  Gemisch  von  dem  Allem,  von  selbstischem 
und  theilnehmendem ,    sinnlichem  und  geistigem   Schmerz 


9)  Thikss,  krit.  Comm.  S.  418  ff. 

10)  a.  a.  O.  S.  549.  554  f.  Anm. 

U)  SciiusTSR,  zur.firtöuterang  des  N.  T.,  in  EicuHoith's  BibHoth. 
9>  S.  I0J2  ff. 


476  Dritter  Abschnitt. 

\ 
Toraosgetetst  ^'>.    Paulus  deutet  das  ei  dvvatov  igiy  Tianu- 

%^iTio  TO  natTjQiov  als  rein  moralische  Aengstliobkeit  Jeia, 
ob  es  wirlilich  Gottes  Wille  sei ,  dafs  er  sieh  dem  nicbtt- 
bevorstehenden  Angriff  hingebe,  ob  es  nicht  Tieloiehr  gotU 
gefftiliger  wftre,  dieser  Gefahr  noch  aussowelcheD :  er 
macht  cur  blofsen  Anfrage  an  Gott,  was  offenbar  die  dris- 
gendste  Bitte  ist. 

Wfthrend  Olshauskn  sich  in  die  kirchliclie  Ansicht  so« 
rflclLivirflt,  and  den  Machtsproch  that,  die  Meioang,  tit 
hätte  das  Sufserliche,  l&örperliche  Leiden  den  Kampf  in 
Jesu  bervorgerofen ,  mttsse  als  eine  das  Wesen  seiner  Er^ 
scheinang  Terniohtende  entfernt  werden:  haiien  Andere 
richtiger  anerliannt ,  dafs  hier  allendings  der  sam  Affecte 
gewordene  Wnnscb ,  des  bevorstehenden  farchtliaren  Lei- 
dens ttberhoben  en  sein,  die  Schaoer  der  sinnlichen  Natur 
▼or  ihrer  Vernichtong,  sich  seigen  ^'),  Mit  Recht  ist  flbri- 
gens  gegen  den  Tadel,  der  hieraus  Jesu  erw«chsen  sollte^  be- 
merkt worden,  dafs  Ja  die  schleunige  Ueberwindong  der 
widerstreiienden  Sinnlichkeit  feden  Schein  des  SOndbsfteo 
wieder  entferne  ^^ ;  dafs-  flbrigens  das  Beben  der  sinnli- 
chen Natur  Tor  ihrer  Vernichtung  au  ihren  wesentiicheo 
Lebensftufsemngen  gehöre  ^^;;  ja  dafs,  Je  reiner  die  meneeh« 
liebe  Natur  in  einem  sei,  desto  empfindliclfer  sie  geg» 
Schmers  und  Vernichtung  sich  verhalte  ^^);  dafs  dsi 
Durchempfinden  und  Ceberwinden  des  Schmeraens  gr6fser 
sei  als  eine  stoische'  oder  auch  sokratische  Unempfindlich- 
keit  gegen  denselben  ^0. 


12)  Umis,  Geschichte  Jesu,  2,  S.  322  fF. ;  Kuinöl,  in  Matth.  p.  719. 

13)  Ullmank,  über  die  Untiindiichkeit  Jesu,  in  s.  Studien,  1,3.61* 

Uaskrt,  ebend.  3,  1,  S.  66  ff. 

14)  Ullmamk,  a.  a.  O» 

15)  UASERTy^a.  a.  O* 

16)  LvTNiR,  in  der  Predigt  vom  Leiden  Christi  im  Garten. 

17)  Ambfosius  in  Luc.  Tom.  10,  S6. 


i 

t 


Drittes  Kapitel.     S*  12S.  477 

Mit  mehr  Grond  liat  sicii  die  Kritiii  aof  die  eigen« 
thfimliclie  DarfttelliMig  des  dritten  ETangelinras  geworfen. 
Der  stärkende  Engel  liat,  wie  ans  dogmatiselien  Gründen 
der  alten  Kirehe,  ap  der  neueren  Aoslegung  ans  brititoben 
Gründen,  sa  schaffen  gemacht.  Ein  altes  Scholioa)  in 
Betracht,  ini  liji;  ioxvog  zs  ayyeks  öx  iTsedtero  6  vtio  na- 
orfi  ijiSQovia  Swafiaiog  q:6ßqf  xai  TQOfitf^  nQosxwH^'o$  xal 
So^ai^6fi€vog  0  fafst  das  dem  Engel  sogesehriebene  inax^fir 
alt  ein  fflr  stark  Erklfiren ,  d.  h.  als  Oarbriognng  einer 
Doxologie  '^;  wogegen  andere  lieber,  als  Jesnm  einer 
Stärkung  dur^Hi  einen  Engel  bedürftig  jsein  bq  lassen,  den 
ttyyiX(K:  iviaxvun*  Bom  bösen  Engel  mschen,  welcher  gegen 
Jesom  Gewalt  brauchen  wollte  *').  Wenn  nan  auch  die 
Orthodoxen  durch  die  Unterscheidung  des  Standes  der  Er- 
niedrigung und  Entfinfnerung  bei  Christo  von  dem  Stande 
seiner  Erhöhung,  oder  auf  ähnliche  Weise,  den  Stachel 
der  dogmatischen  Bedenklichkeit  längst  abgestumpft  ha- 
ben: so  hat  sich  an  deren  Stelle  nur  um  so  entschiedener 
ein  kritisches  Bedenken  ausgebildet.  In  Erwägung  des 
Verdachts  9  welchen  nach  früheren  Bemerkungen  angebli- 
che Angelophänien  jederseit  gegen  sich  haben,  bat  man 
SQch  in  dem  hier  erscheinenden  Engel  bald  einen  Men- 
schen ^) ,  bald  ein  Bild  für  die  von  Jesu  wiedergewon- 
nene Ruhe  '0  9  finden  wollen.  Doch  der  eigentliche  Ort 
ffir  den  kritischen  Angriff  auf  die  Engelerscheinung  war 
dorch  den  Umstand  angeaeigt,  dafs  Lukas  der  einaige  ist, 
von  welcbem  wir  dieselbe  erfahren  '^.  Sind  laut  der  ge- 
wöhnlichen Voraassetsung  das  erste  und  vierte  Evangelium 


18)  In  Matthaii*8  N.  T.  p.  447. 

19)  LlSHTFOOT,  a.   s.   O. 

20)  ViKTURuii)  3,677.  und  vermuthungsweise  auch  Pavlvs,  S.  561. 

21)  EiCHRORif,  allg.  Bibl.  1,  S.  628  y   Thiiss,  z.  d.  St. 

22)  Vgl.  hierüber  und   über   das   Folgende  Gablsr,  im  neuesten 
Ibeol.  Journal,  1^  2,  S.  109  ff.   3,  S.  217  ff. 


478 


Dritter  Absehnitt^ 


I 


i^postolischen  Ursprangs:  wararo  schweigt  dann  Matthias, 
der  doch  im  Garten  war,  von  dem  Engel,  waram  beson« 
ders  Johannes,  der  anter  den  Dreien  in  der  Nabe  Jeto 
sich  befand?  Sagt  man:  weit  sie,  scblaftranken,  wiesle 
waren,  and  immerhin  in  'einiger  Entfernung,  noch  data 
bei  Nacht,  ihn  nicht  bemerliten:  so  fragt  sich,  woher  La« 
kas  die  Notie  behommen  haben  soll^^)?  Dafs ,  sofern  die 
Jflnger  die  Erscheinang  nicht  selbst  beobachtet  hatten, 
Jesus  ihnen  noch  in  jener  Nacht  von  derselben  sollte  er 
sMhit  haben ,  ist  wegen  der  gespannten  Stimmong  jener 
Stunden,  und  der  unmittelbar  nach  der  Zurfickkurtft  Jesn 
zu  seinen  Jüngern  erfolgten  AnnUherung  des  Judas  wenig 
wahrscheinlich;  ebenso,  dafs  er  in  den  Tagen  der  Aofer 
stohnng  es  Ihnen  sollte  mitgetheilt ,  und  diese  Kunde  nun 
nur  dem  dritten  Evangelisten,  aii  welchen  sie  doch  blofs 
mittelbar  gelangte,  der  Aufieeichnang  werth  geschienen 
haben»  Da  auf  diese  Weise  Alles  gegen  den  historiscben 
Charakter  der  l^ngelerschelnung  sich  vereinigt:  warum 
sollten  wir  nicht  auch  sie,  wie  alle,  namentlieh  in  der 
Kindheitsgeschichte  Jesu  uns  vorgekommenen  Eracheinan* 
gen  dieser  Art,  mythisch  fassen?  Schon  Gabler  hat  die 
Ansicht  vorgetragen,  dafs  man  in  der  ältesten  Gemeindd 
den  schnellen  Uebergang  von  der  heftigsten  Gemüth^bewe- 
gung  zu  der  ruhigsten  Ergebung,  welcher  in  jener  Nftcht 
an  Jesu  bemerklich  war,  sich  der  jüdischen  Denkweise  g^ 
rofifs  durch  die  Dazwischenknnft  eines  stärkenden  Engeli 
erklart,  und  diese  Erklärung  sich  In  die  Ereäblong  ge- 
mischt haben  möge,  und  ScHLfiiBRMACHER  findet  sls'dai 
Wahrscheinlichste,  dafs  man  diese,  von  Jesu  selbst  sIs 
schwer  bezeichneten  Augenblicke  zeitig  durch  Engelerschei- 
nungen hymnisch  verherrlicht,    und  der  Referent  im  drit- 


23)  Vgl.  Julian  bei  Theod.  v.  Mopsv.   in  Müxtbk's  Fragm  Pttr 
1,  p.  J2i  f. 


Drittes  Kapitel.     $.  123.  47tt 


I 


ten  Evaogelium  dieses  ursprangliob  biof«  politisch  Gemeinte 
gescbiobtiieh  genommen  habe  '^. 

Mieht  minder  anstöfsig  als    die   StXrkung   darch  den 
Engel  ist  schon  frfihseitig   der  andere   dem   Lukas  eigen« 
thamliebe  Zug,  der  blutige  Schweifs,   gefunden  worden. 
Wenigstens  seheint  es  dieser  vor  Allem  gewesen  eu    sein, 
welcher  die  Weglassung  der  gansen  Einschaltung  bei  Lu- 
kas V.  43.  und  44.  aus  mehreren  alten  Evaogelienexempla- 
ren  veranlafst  bat.    Denn  wie  die  Orthodoxen,  welche  nach 
EpipbaAius  ^)   die    Stelle  ansmersten,    bauptsftcblich  den 
tiefsten  Grad  der  Bangigkeit,  der  sich  in  dem  Blutschweifs 
ausdrflckt,  gescheut  cu  haben  scheinen:    so  können  beson- 
ders die  doketisch  Gesinnten  unter  denen,  welche  die  Stelle 
nicht  lasen  '^,    nur  jenen   Schweifs   perhoiresclrt  haben. 
Erhob  man  auf  diese  Weise  früher  aus  dogmatischen  Rfick« 
sichten   gegen   die  Scbickliohkelt  des  Blutschweifses  Jesu 
Zweifel:   so   hat   man  diefs   In  neuerer  Zeit  aus  physiolo« 
gischen  Grflnden  gegen    die  Möglichkeit  desselben  gethsn. 
Zwar  werden   für  das  Vorkommen  von  blutigem  Schweifs 
von  Aristoteles  2')  bis  auf  die  neueren  Naturforscher  her- 
unter '^)    Auctorititen   aufgeführt :    aber   man    findet  eine 
solche  Erscheinung  immer  nur  als   höchste  Seltenheit  ond 
als  Symptom  bestimmter  Krankheiten  erwfthnt«    Dfiher  macht 
Paulos  auf  das  tigti    aufmerksam,   welchem    zufolge  hier 
nicht  geradezu    von  einem  Blutschweifs,    sondern  nur  von 
einem  mit  Blut  vergleichbaren  Schweifs  die  Rede  sei :  die* 


24)  Uebcr  den  Lukas,  S.  288.  Vgl.  di  ^•Virrs,  z.  d.  St.,  und 
Tmsili,  zur  Biographie  Jesu,  ^.  32.  Auch  NKA^DBa  scheint 
diesen  und  den  folgenden  Zug  stillschweigend  preisgeben  zu 
wollen. 

25)  Ancoratus,  31. 

26)  s.  bei  Wirsniir,  S.  807. 

27)  De  part.  animal.  3,  15. 

38)  s.  bei  Michailis,  Anm.  z.  d.  St.  und  Kuoi'öi,  in  Luc.  p.  69t  f. 


480  Dritter  Abschnitt. 

$e  Vergleichung  aber   besieht  er   nur  mif  die  dichte  Tro- 
pfenbildaog,  ond  aueh  Olshacsen  sdinnir  iRm  so  weit  bei, 
dar«  die  rothe  Farbe  des  Schvieifies   nicht  nothwendig  in 
der  Vergleichung  enthalten  sei.    Allein  im  ZusamioenliAng 
einer  Ercählnog,   welche  ein  Vorspiel  des  blutigen  Todei 
Jesu  geben   will,    wird   es  doch   immer  das   Natfiriichite 
bleiben,  die  Vergleichung  des  Schweifses  mit  Blutstropfen 
in  ihrem   vollen  Sinne  su    nehmen.         Ferner  kehrt  nnn 
aber  hier  noch  gewichtiger  als  bei  der  Engelerscbeinnng 
die  Frage  snrüoli ,   wie  Lukas  eu  dieser  Notis  gekoakmen 
Ist,  oder,    um  alle   Fragen,   die  sich  hie^^ans  wie  oben 
gestalten,   su  übergehen,   wie  die  JOnger  ans  der  Entfe^ 
nung   und  in  der  Nacht  das  Herabfallen  blutiger  Tropfen 
▼om  Leilie  Jesu  bemerken  konnten  ?    Zwar  soll  qach  Pao* 
LUS  nicht  gesagt  sein ,  daCi  der  Schweifs  herabgefaileo  sei, 
sondern ,  indem  das  xaraßuitovreg  statt  auf  idQoig  vielmehr 
auf  die  nur  sur  Vergleichung  herbeigesogenen  O'Qo^tßoi  J 
ficaos  sich  beaiehe,  so  sei  nur  gemeint,  dafs  ein  Sehweif«, 
so  dicht  und  schwer  wie  fallende  Blutstropfen ,  aof  Je» 
Stirne  gestanden  habe.    Allein  ob  es  heifst;  der  Schweib 
fiel  wie  Blutstropfen  auf  die  Erde,  oder:  er  war  wie  anf 
die  Erde   fallende    Blutstropfen,    wird    wohl  Biemlich  auf 
Eines  hinauüiaufen ;   wenigstens  wfire  die  Verglelchong  ei- 
nes auf  der    Stirne   stehenden   Schweifses   mit  sur  Erde 
frfiufelndem   Blute   ungeschickt,    vollends   wenn    mit  den 
Fallen  auch  die  Farbe  des  Bluts  aips  der  Vergleichung  weg* 
bleiben,   find  von  dem  logei  i^QOfißot  aifiarog  xcctaßmoni; 
HS  t^v  yijv  eigentlich  nur  das  (ogel  O^Qo^ußoi  einen  bestimm- 
ten Sinn  haben  soll.     Nehmen  wir  also,    da  wir  den  Dm- 
atand weder  begreifen,  noch  uns   denken  können,  woher 
der  Referent  eine   historische  Kunde  von  demselben  hsben 
sollte,    lieber  auch  diesen  Zug  mit  Schleiermachkr  sii  ei- 
nen poetischen,    welchen   der   Evangelist  geschichtlich  ge- 
nommen,   oder  besser  als  einen   mythischen,   dessen  Ent- 
stehung sich  leicht  aus  dem  Trieb  erkifiren  läfst,  das  Vor 


Uritte«  Kapitel.    $.  123.  4SI 

spiel  des  Leidens  Jesa  am  Kreose ,  was  dieser  Kampf  im 
Garten  war,  dadorcb  mu  vervoltst£ndfgen,  dab  nicht  blofs 
das  psychische  Moment  jenes  Leidens  in  der  Bekfimmer- 
nirs,  sondern  aocb  das  physische  in  dem  Blutochweifs  sollte 
vorgebildet  gewesen  sein. 

Dieser  Eigenthftnilichkeit  des  Lnkas  gegenttber  ist  sei* 
nen  beiden  VorgSngern,  wie  gesagt,  die  doppelte  DreicAhl, 
der  Jünger,  and  der  Entfernungen  und  Gebete  Jesu,  ei* 
gen.  Kennen  wir  hier  an  der  ersteren  keinen  besonde- 
ren Änstofs  nehmen,  so  hat  doch  die  sweite  etwas  Befrem. 
deodes.  Man  hat  zwar  ein  so  anstetes  Hinnndhergehen, 
ein  so  schnell  wechselndes  Siebentfernen  und  Wiederkom- 
men, gann  der  Stimmung  angemessen  gefunden,  in  welcher 
Jeaus  damals  war  -O9  nnd  ebenso  in  der  Wiederholung 
dea  Gebets  eine  sachgemlfse  Steigerung,  eine  immer  voll* 
stindigere  Ergebung  in  den  Willen  des  Vaters  richtig 
michgewiesen  ^^.  Allein  dafs  die  beiden  Referenten  die 
Günge  Jesu  nfthlen,  von  ix  detriQa  nnd  ix  iqits  sprechen, 
neigt  schon,  dals  ihnen  gerade  an  der  Dreleahl  besonders  viel 
gelegen  war;  wenn  dann  Matthftns  swar  dem  nweitea 
Gebet  einen  von  dem  des  ersten  etwas  verschiedenen  Ans- 
dmok  £u  geben  weifs,  beim  dritten  aber  Jesnm  nur  Toy 
avtov  Xayov  wiederholen  läfst,  was  Markus  schon  bei*m 
sweiten  Male  thut:  so  wird  vollends  deutlich,  dafs  sie  in 
Verlegenheit  waren  ,  die  beliebte  Dreisahl  der  Gebete  mit 
gehörigem  lohalt  ausanftllien.  Nach  Olshausek  soll  Mat- 
thäus mit  seinen  drei  Acten  dieses  Kampfs  schon  defshalb 
gegen  Lukas  recht  haben ,  weil  diese  drei  auf  Jesum  mit* 
telst  jder  Furcht  gemachten  Angriffe  den  drei  Angriffen 
mittelst  der  Lust  in  der  Versuchungsgeschicbte  gegen  Ober 
stehen«    Diese  Parallele  ist  gegrQndet;   nur  fahrt  sie  auf 


29)  Paulus,  a.  tu  O.  S.  549. 

30)  Thsils,  in  Winir^s  und  EKSSLiuRiyr's  krit.  Joarnsl,  2,  8.353; 
Nkabdiii,  L.  J.  Chr.  S.  616  f. 

Ar«  Leben  Jem  Ue  Aufl.  ii.  Band.  3  t 


/ 


\ 


482  Dritier  Abschnitt. 

das  entgegengesetzte  Ergebnlfs  von  ftemjenigen ,  welche« 
Olsha.usen  aus'  ihr  sieben  will.  Denn  was  ist  nnn  wahr- 
scbeinlicher:  dafs  in  beiden  Ffillen  die  dreimalige  Wiede^ 
holang  des  Angriffs  ihren  objectiyen  Grond  in  einer  ver- 
borgenen Gesefsmfirsigkeit  des  ^jeisterreichs  gehfibt  hube, 
mithin  als  wirklich  historisch  anzasehen  sei ;  oder  dHfs  ihr 
blofs  snbjectiver  Grund  in  der  Manier  der  Sage  liege,  und 
demnach  das  Voriiommen  dieser  Zahl  nns  hier  so  sicher 
wie  oben  bei  der  Versuchungsgeschichte  aaf  etwas  Mythi- 
sches hinweise  '0  ^ 

Rechnen  wir  also  £ngel,  Blotschweift  und  die  gerade 
dreimalige  Wiederholong  der  Entfemang  and  des  Gebets 
Jesa  als  mythische  Zathaten  ab:  so  bliebe  vorlfiafig  alt 
geschichtlicher  Kern  die  Thatsache ,  dafs  Jesos  an  jenem 
Abend  im  Garten  in  ein  heftiges  Zagen  hineingeratben 
sei,  und  Gott  am  Abwendung  seines  Leidens ,  mit  Vorbe« 
halt  Jedoch  der  Unterwerfung  unter  seinen  Willen ,  gebe- 
ten habe :  wobei  es  indefs  unter  Voransseteun|^  der  ge- 
wöhnlichen Ansieht  vom  Verhüitnifs  unserer  Erangelien 
sieht  wenig  befremden  mufs,  dafs  dem  johannefscheoBirsn- 
geilum  selbst  diese  Gründcüge  der  in  Rede  stehenden  Ge- 
schichte fehlen. 

is     124. 

Verhältnis«    des   vierten  Gvangeliiuni  zu  den  Vorgängen  in  Geili- 

semanc.     Die  jubanneischcu  Abschiedsreden   und    die  Scene 
^  ,    "    bei  Anmeldung  der  Hellenen. 

Das  Verbleiten  des  Johannes  bu  den  bisher  erwogenen 
Ersfihiungen  aer  Sypoptiker  hat  näher  die  ewei  Seiten, 
dafs  er  erstlich  von  dem|  was  diese  geben,  nichts  hat,  und 
ftweitens  statt  dessen  ätwas  hat,  was  mit  dem  von 
Synoptiliern  firsUhlten  schwer  vereinbar  ist. 


51)  Vgl.  Wrissi,  die  evang.  Geschichte,  1,  S.  611. 


DriCles  Kapitel.     §•  124.  4S:i 

Was  die  erste,  negatirc^  Seite  betrifft,  so  ist)  bei  der 
gewöhnlichen  Voraossetzang  über  den  Verfasser  des  vier- 
ten Evangelioms  ond  die  Richtiglieit  des  synoptischen  Be- 
richtes, SU  ericlfiren,  \vie  es  kommt,  dafs  Johannes,  der 
doch  den  beiden  ersten  Evangelien  zufolge  einer  der  drei 
gewesen  ist,  welche  Jesus  als  die  nSheren  Zeugen  seines 
Kampfes  mit  sich  nahm,  den  ganzen  Vorgang  mit  Stiil- 
scbweigen  übergebt?  Auf  seine  Sehläfrigkeit  wfihrend  des- 
selben darf  man  sieh  nicht  berufen ;  da ,  wenn  diese  ein 
Hindernifs  war,  sSmmtliche  Evangelisten,  nicht  Johannes 
allein ,  von  der  Sache  schweigen  mOrsten*  Daher  zieht 
man  auch  hier  das  GewShnliohe  heran,  er  übergehe  die 
Scene,  weil  er  sie  schon  bei  den  Synoptikern  sorgffiltig 
genug  dargestellt  gefunden  habe  ^).  Allein  zwischen  den 
beiden  ersten  Synoptikern  und  dem  dritten  findet  ja  hier 
eine  so  bedeutende  Abweichung  statt,  dafs  sie  den  Johan« 
nes,  wenn  er  auf  Ihre  Darstellungen  Rücksicht  nahm,  aufs 
Dringendste  auffordern  mufste,  in  diesem  Streit  ein  ver- 
mittelndes \yort  zu  sprechen.  Vl^enn  aber  auch  nicht  an^ 
den  vor  ihm  liegenden  Arbeiten  seiner  Vorgfinger :  so  soll 
Johannes  doch  haben  voraussetzen  können,  dafs  aus  der 
evangelischen  Tradition  Jene  Geschichte  seinen  Lesern  hin- 
Ifinglich  bekannt  sein  werde  ^).  Doch,  da  aus  dieser  üeber- 
lieferung  die  so  sehr  abweichenden  Darstellungen  der  Syn- 
optiker hervorgegangen  sind,  so  mufs  in  ihr  selbst  schon 
frühzeitig  ein  Schwanken  gewesen ,  und  die  Sache  bald 
so  bald  anders  erzählt  worden,  folglich  auch  voi*  hier  aus 
an  den  Verfasser  des  vierten  Evangeliums  die  Aufforderung 
ergangen  sein,  diese  schwankenden  Erzählungen  durch 
seine  AnctoritäC  zu  berichtigen.  Daher  hat  man  neuestens 
auf  etwas  ganz  Besonderes  gerathen:  dafs  nämlich  Johan« 
nes  die  Vorgänge  in  Gethsemane  defswegen  übergehe,  um 


1)  OLtHAUtiir,  2y  S.  429. 

2)  I.tCKR,  2,  S.  591. 

31 


484  Dritter  Abschnitt. 

nieht  darch  Grwühnang  .des  stiirkenden  Engels  der  ebioni- 
tischen  Meinung  Vorschub  eu  tbun,  das  Höhere  in  Christo 
sei  ein  Engel   gewesen ,   der  sich   mit  ihm    bei  der  Taufe 
verbunden  habe,  und  damals,  vor.  dem  Antritt  des  Leidem, 
wie  man  glauben  konnte,  wieder  von  ihm  geschieden  sei  ^). 
Allein ,   auch  abgesehen  davon ,   dafs   wir  diese  Hypothese 
schon   sonst  als   unsurefchend  gefunden   haben,  die  Aus- 
lassungen   im  Johanneischen  Evangelium   su   erklXren,  so 
mufste  Johannes,  wenn  er  eine  engere  Resiehufig  Jesu  auf 
Engel  vermeiden  wollte,  auch  noch  andere  Stellen  aas  sei- 
nem Evangelium  weglassen :  vor  allen ,  worauf  LtJcKE  aof- 
merksam  macht*),  1,  52.  den  Ausspruch  von  den  fiberihn 
auf-  und  absteigenden  Engeln;  dann  aber  auch  das,  cwtr 
nur  als  Vermuihung  etlicher  Umstehenden  gegebene,  ayyt- 
los  avtip  ?€)LdXr^x€v  12,  29.    .Nahm    er  aber  aus  irgend  ei- 
nem  Grunde   an    dem    Engel   im   Garten    gdne  .befondern 
Anstofs :  so  konnte  doch  hierin  nur  ein  Grund  liegeiji ,  mit 
Matthäus  und  Markus,  die.  Daswischenkunft   des   Engels, 
nicht  aber  die  gan^e,  von   der  Angelophanie  wohl  trenn- 
bare Geschichte  wegaulassen« 

Will  sich  nun  schon  das  Fehlen  der  Begebenheit  bei 
Johannes  nicht  erklären  lassen:  so  wächst  die  Schwierig- 
keit, wenn  wjr  dasjenige  erwägen,  was  derselbe  statt  die- 
ser Scene  im  Garten  über  die  Stimmung  Jesu  in  den  leis- 
ten Stunden  vor. setner G^fangennehmung  mittheilt.  Nfim- 
lich  an  der  gleichen  Steile  swar,  welche  d^e  Synoptilier 
dem  Seelcnkampf  anweisen,  hat  Johannes  nichts,  indem  er 
nach  Jesu  Ankunft  im  Garten  sogleich  die  Verhaftung  er- 
folgen läfst :  aber  unmittelbar  vorher,  bei  4ind  nach  dem 
letfften  Miihle,  hat  er  Reden,. von  einjdr  Stimmung  beseelt, 
auf  welche  dergleichen  Scenen ,  wie  sie  laut  der  synopti- 
schen Berichte  im  Garten  vorgegangen   sisin  sollen  j   nicht 


3)  ScHNiCKiNBURUR,  Beitrage,  S.  65  f. 

4)  Conun.  1,  S.  177  f. 


Drittes  Kapitel.    §.  124.  485 

wohl  gefolgt  sein  können.  In  den  Abschiedsreden  bei  Jo- 
hannes nfimlichy  Kap.  14  17,  spricht  Jesas  gans  wie  ei- 
ner ,  der  das  bevorstehende  Leiden  ini^rlfch  schon  völlig 
aberwunden  hat;  von  einem  Standpunkt',  welchem  der'Tod 
in  den  Strahlen  der  auf  ihn  folgenden  Herrlichkeit  ver-' 
schwimmt;  mit  einer  göttlichen  Ruhe,  die  in  der  Gewifs- 
heit  ihrer  Unerschfitterlichkeit  heiter  ist :  wie  konnte  ihm 
unmittelbar  darauf  diese  Ruhe  in  der  heftigsten  Gemtiths* 
bewegnng,  diese  Heiterkeit  in  TodesbetrObnifs  untergehen, 
und  er  aus  dem  schon  gewonnenen  Sieg  wieder  Eum 
schwankenden  Kampf,  in  welchem  er  der  Stfirkung  durch 
einen  Engel  bedurfte,  Eurficksinken  ?  In  jenen  Abschieds- 
reden  ist  er  es  dui'chaus,  welcher  aus  derFttlie  seiner  in- 
neren  Klarheit  und 'Sicherheit  die  cagändeu' ÜWunde  be- 
ruhigt: und  nun  soll  er  bei  den  schlaftrunkenen  Schfilern 
geistigen  Beistand  gesucht  haben-,  indem  er  sie  mit  ihm 
eu  wachen  bat ;  dort  ist  er  der  heilsamen  Wirkungen  sei* 
nes  bevorstehenden  Todes  so  gewifs,  dafs  er  versichert,  es 
sei  gut,  dafs  er  hingehe,  sonst  kXme  der  TuxQamkrjiog  nicht 
3BU  ihnen:  nun  soll  er  hier  wieder  geeweifelt  haben,  ob 
sein  Tod  auch  wirklich  des  Vaters  Wille  sei;  dort  eeigt 
er  ein  Bewufstsein,  welches  in  der  Noth wendigkeit  des 
Todes  dadurch,  dafs  es  diese  begreift,  die  Freiheit  wieder- 
findet, so  dafs  sein  Sterbenwollen  mit  dem  göttlichen  Wil« 
len,  dafs  er  sterben  solle,  eins  ist:  hier  gehen  diese  beiden 
Willen  so  auseinander,  dafs  sich  der  subjective  unter  den 
absoluten  swar  freiwillig,  aber  doch  nur  sehmerEhaft^ 
beugt.  Und  diese  beiden  so  entgegengesetzten  Stimmungen 
sind  nicht  etwa  durch  eine  Ewischeneingetretene  sehre* 
ekende  Begebenheit,  sondern  nur  durch  den  geringen  Zeit- 
raum getrennt,  welcher  während  ^es  Gangs  ans  Jerusalem 
Ober  den  Kidron  nach  demOelberg  verlief:  gans  als  wKre 
Jesu  in  Jenem  Bache ,  wie  den  Seelen  in  der  Lethe ,  alle 
Erfnnemng  an  die  vorangegangenen  Reden  und  Stimmungen 
versunken. 


48(»  Dritter  Absdhnitt. 

Mao  beruft  sieh  zwar  auf  den  Wechsel  der  Stirn- 
mungen,  welcher  natürlich,  je  näher  dem  entscl^eidenden 
Momente,  desto  schneller  werde  ^);  auf  die  Thatsache, 
dafs  nicht  selten  im  Leben  gläubiger  Personen  eine  piots- 
liehe  Entziehung  der  höheren  Lebenskräfte,  eine  GottTe^ 
lassenheit.  eintrete,  welche  den  doch  erfolgenden  Sieg  erst 
wahrhaft  grofs  und  bewundernswerth  mache  ^).  Äileia 
diese  letztere  Ansicht  verräth  ihren  nngeistigen  Ursprung 
ans  einem  imaginirenden  Denl&en  (welchem  die  Seele  etwa 
wie  ein  See  erscheinen  kann,  der,  je  nachdem  die  zufah- 
renden Kanäle  verschlossen,  oder  deren  Schleusen  geöffnet 
werden,  ebbt  oder  fluthet)  sogleich  durch  die  Widerspräche, 
in  welche  sie  nach  allen  Seiten  sich  verwickeU.  Der  Sieg 
Christi  Über  die  Todesfurcht  soll  erst  dadui'cb  seine  rechte 
Bedeutung  gewinnen,  dafs,  während  ein  Sokrates  nur  sie- 
gen konnte^  indem  er  im  vollen  Besitz  seiner  geistigen 
Kraftfülle  blieb,  Christus  über  die  ganze  Macht  der  Fio- 
aternifs  auch  in  der  Verlassenheit  von  Gott  und  der  Ftille 
seines  Geistes,  durch  seine  blofse  menschliche  ilfvyj]^  zo 
siegen  im  Stande  war  — :  ist  dlefs  nicht  der  roheste  Pe- 
ingianismus ,  der  grellste  Widerspruch  gegen  Kirchenlehre 
wie  gegen  gesunde  Philosophie,  welche  gleicherweise  dar- 
auf bestehen,  dafs  ohne  Gott  der  Mensch  nichts  Gat<*i 
thun,  nur  durch  seinen  Harnisch  die  Pfeile  des  Bösewichts 
zurückschlagen  könne!  Um  diesem  Widerspruch  gegen  die 
Ergebnisse  eines  wirklichen  Denkens  zu  entgehen,  mafs 
jenes  phantasirende  Denken  einen  Widerspruch  mit  sich 
selbst  hinzufügen,  sofern  nun  in  dem  stärkenden  Engel 
Cwelcher  beiläufig  auch  gegen  allen  Wortverstand  der 
Stelle  zu  einer  blofs  innerlichen  Erscheinung,  die  Jesus 
hatte,  umgedeutet  wird)  dem  in  der  höchsten  Verlasses- 
beit  ringenden  Jesu  ein  Zaflufs   geistiger  Kräfte  zu  Theil 


5)  LücKB,  2,  S.  5P2  ff. 

6)  Olshavisk,  2;  S.  429  f. 


I 


Drittes  KapiteL    $.  124.  487 

geif  Orden  seiu  soll,  eo  dab  er  also  doch  nicht^wie  vort|er 
gerfibiBt  worden  war,   ohoe,  aondern  mit  Hülfe  göttlicher 
Krfifte  gesiegt  h&tte:  wenn  nSDilieh  iiaeb  I^hImw  4^  Engel 
vor  den  letsteo  y  heftigsten  Momente  des  Kampls ,,  um  Je- 
«om  für  denselben  co  stXrken,  erschienen  ^mu-  soll.     Obcb 
ehe  man  so  offenbar  sieb  sellMt  widerspricht,  vriiderspricht 
man  lieber   Forsteekt   dem   Text ,    and  .  so    Terdf^bt  nun 
Olshauskn  die  Stellang  der  Momente,  indem  er  oboye  Wei- 
teres annimmt,   die  Stirkang  sei  nach   dem   dipeimaiigen 
Gebete,   also  nach  bereits  errungenem  Siegf,, eingetreten, 
sa  welchem  Behaf  dann   das  nach  Erwähnung  des  Jingeis 
«lebende  xai    yevo^ievos  iv   ayeüvlt^t  imevigeQOn    T^Qogj^i'xeto 
mit  höchster  Willkür  als  Plosqnamperfectam  g^0|it^l|  wird. 
Doch  aach  abgesehen  von  dieser  sinnlichen  Ausmalung 
des  Grandes,   weicher  den  sehneilen  Wechsel  iar  Jesi|  Stirn* 
mung  herbeigeführt  haben  soll,  ist  die  Annahme  eines  sol* 
eben  auch   an  sich   von   vielen  Schwierigkeiten   gedrückt. 
N&her  nämlich  wäre,  was  hier  bei  Jesa  stattfände,  nicht 
ein  blofser  Wechsel,  sondern  ein  Rückfall  der  bedenklich- 
sten Art.     Mamentlich   in  dem  sogenannten  hohenpriester* 
liehen  Gebete,  Job.  17,   hatte  Jesus  seine  Kechnong  mit 
dem  Vater  völlig  abgeschlossen  ;  jedes  Zagen  in  Beeug  auf 
das ,  was  ihm'  bevorstand ,   lag  hier  berelu  so  wmt  hinter 
ihm,  dafs   er  über  sein  eigenes  Leiden  kein  Wort  verlor, 
und  nur  de^  Drangsale  gedachte,  welche  seinen  Freonden 
drohten;    den  I^aaptinhalt   seiner    Unterhaltung    mit   dem 
Vater  bildete  die  Herrlichkeit ,   in  welche  er  sofort  einen- 
gehen,  ond  die  Seligkeit,  welche  er  den  Seinigen  erworben 
Bu  haben  hoffte:  so  dab  sein  Hingang  cum Schaoplata  der 
Gefangennehmung  gans  den  Charakter  hat,   dem  innerlich 
und  wesentlich  bereits  Vellsogenen  nor  noch  die  äufsere  Ver- 
wirklicbnng  als  accidentelle  Beigabe  hinsusufdgen.     Wenn 
non  Jesus  nach  diesem  Abschlüsse  die  Kechnong  mit  Gott 
noch  einmal  eröffnete,   wenn  -er,    nachdem   er  sich  schon 
Sieger  gemeint,  noch  einmal  in  ängstlich^a  Kampf  /.urttck- 


488  Dritter  Abschnitt. 

sank :  mttfste  er  da  nicht  sich  fragen  lassen  :  waram  bist 
du,  statt  in  eiteln  Hoffnungen  der  Herrlichkeit  so  schwel* 
gen,  dich  nicht  lieber  bei  Zeit  mit  dem  ernsten  Gedanken 
des  bevorstehenden  Leidens  beschfiftiirt,  nm  dir  durch  sol- 
che Vorbertitong  die  gefAhrliohe  L'eberraschong  durch 
das  Hef*annahen  desselben  2u  ersparen  ?  warum  hast  da 
Triumph  gerufen ,  ehe  du  gekfimpft  hattest ,  nm  dann  bei 
Annä'bernng  des  Kampfs  mit  Beschämung  um  HOlfe  rofen 
sn  mAssen?  In  der  That,  nach  der  in  jenen  Abschiedt- 
reden,  und '  besonders  im  Schlufsgebet,  ausgesprochenen 
Gewifsheit  des  bereits  errungenen  Siegs  wäre  das  Herab- 
sinken in  eine  Kimmung,  wie  sie  die  Synoptiker  schildernj 
ein  sehr  demilthigender  Rückfall  gewesen,  welchen  Jesot 
flicht  voraulBgesehen  haben  könnte,  sonst  würde  er  sich 
vorher  nicht  so  selbstgewifs  ausgesprochen  haben ;  welcher 
demnach  beweisen  würde,  daft  er  sich  über  sich  selbst 
getäuscht,  dafs  er  sich  flQr  stärker  genommen  hätte,  als  er 
sich  wirklich  fand,  und  dafs  er  Jene  eu  hohe  Meinung  von 
sich  nicht  ohne  einige  Vermessenheit  ausgesprochen  hätte« 
Wer  nun  diefs  dem  sonstigen,  ebenso  besonnenen  als  be* 
scheidenen  Wesen  Jesu  nicht  angemessen  findet,  'der  wird 
sich  SU  dem  Dilemma  gedrungen  fühlen,  dafs  entweder  die  jo- 
hanneischen  Abschiedsreden,  wenigstens  das  Schlnfsgebet, 
oder  aber  die  Vorgänge  in  Gethsemane,  nicht  historiieh 
sein  können. . 

Schade,  dafs  bei  der  Entscheidung  hierüber  die  Thes- 
logen mehr  von  dogmatischen  Vorurtheilen ,  als  von  krid- 
sehen  Gründen  ausgegangen  sind.  Dsteri*s  Behauptosg 
wenigstens,  dafs  nur  die  Johanneische  Darstellung  der 
Stimmung  Jesu  in  seinen  loteten  Stunden  die  richtige,  die 
der  Synoptiker  aber  onhistorisch  sei '),  wird  man  nur  asi 
der  damaligen  Anhänglichkeit  ihres  Urhebers  an  die  Part- 


7)  Commenlatio  critica,  qna  Evangelium  Joannis  gcnuiniim 
^  ostenditur,  .p.  $7  ff* 


ess« 


Dritte«  Kapitel.    {.124.  48Ü 

graplien  der  ScBLBiBRMACHBR'aeben  Dogmatik  erklärlich 
finden,  in  welofaer  der  Begriff  der  tJnsflndliehkeit  Christi 
auf  eine  Weise  gespannt  wird,  die  selbst  das  Kleinste  von 
Kampf  aQssebliefst ;  denn  dal's,  abgesehen  von  solchen  Vor» 
anasetznngen ,  die  jobanneische  Darstellong  der  lotsten 
Standen  Jesu  eine  natürlichere  und  sachgemAfsere  wäre, 
nScbte  schwer  naohanweisen  sein.  £her  könnte  umgekehrt 
BRBTSCHNfiiDsa  rocht  so  haben  scheinen,  wenn  er  fflr  die 
Synoptiker  die  grdfsere  Natfirlichkeit  und  innere  Wahr» 
beit  der  Schildemng  in.  Ansprach  nimmt  ®) :  wenn  nur 
nicht  die  Art,  wie  ihm  an  den  von  Jobannes  in  diesen 
Zeitpunkt  gestellten  Reden  haäptslehlieh  das  Dogmatische 
and  Metaphysische  sa wider  ist,  an  den  Ursprung  seiner 
gancen  Polemik  gegen  den  Johannes  aus  dem  Widerwillen 
seiner  kritischen  Reflexionsphilosophie  gegen  den  specola« 
tiFen  Gehalt  des  vierten  Evangeliums  erinnerte. 

Gans  abrigens  hat,  wie  auch  die  Probabilien  bemer« 
ken,  Johannes  die  Be&ngstigung  Jesu  in  BcEug  auf  seinen 
bevorstehenden  Tod  nicht  übergangen,  nur  dafs  er  sie 
schon  an  einer  früheren  Stelle,  Job.  12,  27  ff. ,  eingefügt 
bat.  Bei  aller  Verschiedenheit  der  Verhältnisse  (da  die 
von  Johannes  beschriebene  Scene  unmittelbar  nach  dem 
Kinaug  Jesu  in  Jerusalem  vorgeht,  als  ihn  mitten  unter 
der  Menge  einige  aum  Fest  gekommene  Bellenen,  ohne 
Zweifel  Proselyten  des  Thors,  an  sprechen  wfinschten) 
and  des  Hergangs  selbst,  .findet  doch  awischen  diesem 
Vorfall  und  deip ,  welchen  die  Synoptiker  in  den  letaten 
Abend  des  Lebens  Jesu  und  in  die  Einsamk^t  des  Gaf- 
tena  versetsen,    eine  auffallende  Debereinstimmung  statt. 


8)  Frobab.  p.  33ff.  In  der  dritten  Ausgabe  seines  b.  Comm.  mtfge 
doch  Olshaussiv  endlich  den  Verf.  der  Probabilien  aus  der 
Reibe  derer  wegstreichen,  weiche  die  synoptische  Krzahlung 
vom  Kampf  in  Gethsemane  mit  Rücksicht  auf  d.is  Stilischwti- 
gen  des  Augenzeugen  Johannes  für  irrig  halten  (2,  S.  428.)' 


490  Drilter  Abschnitt 

Wie  Jeans  hier  seinen  Jflngern  erlillrt :  neQÜivTiog  izif  if 
t/ßvx'^  (iH  twi;  D-avacH  CMatth.  26 ,  38.) :  so  sagt  er  dort: 
vvv  7}  ^ffirif]  (XH  TevdQcocrai  (Job.  I2|  27.);  v^ie  er  hier  be> 
let,  iVa,  ei  dvvatov  igi^  naQtl^j]  an  avtö  rj  äifa  (Mtre. 
14}  35.) :  80  bittet  er  dort :  ndre^ ,  aoiaov  f.ie  ex  ri]^  m^ 
'luvif^  (Job.  ebd«.)!  ^^^  ^1^  aber  hier  eich  darob  die  Re- 
atriction :  diX  ii  iL  iyw  xkihü^  ukld  ri  avy  tiernbigt,  cMare. 
14,  36.) :  80  dort  dareh  die  Reflexion :  dXld  did  täio  ^l 
•O-ov  eis  '^^  wQiXP  Tainrpf  CJoh.  ebendaa.);  endlich^  wie  hier 
ein  äyyeXoQ  evtO'ivvjv  Jean  erscheint  (Lue.  22 ,  43.) :  lo  e^ 
eignet  sich  auch  dort  etvras^  daa  einige  der  UmstehendeD 
an  der  Aearserung  ?eianlafst :  ayyelog  avr(}  lehUrpct»  (Joh. 
V.  29.)*  Durch  diese  Äehniichkeit  bewo|;en,  haben  neoefe 
Theologen  den  Vorgang  Joh.  12,  27 ff.  nit  dem  in  Gethse- 
mane  für  identisch  erliifirt ;  wobei  es  nur  darauf  ankao, 
auf  weiche  von  beiden  Seiten  der .  Vorwurf  ungenauer  l^r- 
•älilnng  und  namentlich  unrichtiger  Stellung  fallen  sollte. 
Uer  Richtung  der  neueren  Kvangelienkricik  gemifs  ist 
sunächst  den  Synoptikern  aufgebürdet  worden,  in  dieser 
Sache  sich  geirrt  an  haben.  Die  wahre  Veranlassung  des 
Seelen  kämpfe  Jesu  sollte  nur  bei  Johannes  bo  finden  sein, 
in  der  Annäherung  jener  Hellenen  nfimlich,  welche  ihm 
durch  Philippua  und  Andreas  den  Wunsch  au  erkennen 
gaben,  ihn  au  sehen.  Diese  haben  ihm  ohne  Zweifel  An- 
träge machen  wollen,  Palästina  au  verlassen  und  unter 
den  auswärtigen  Juden  fortaawirken ;  ein  solcher  Antrag 
habe  einen  Reia^  fär  ihn  enthalten ,  sich  der  drohenden 
tiefahr  au  entaiehen,  und  diels  ihn  auf  einige  Augenblicke 
in  einen  Zustand  von  Zweifel  und  innerem  Kampf  gesetit» 
welcher  jedoch  damit  geendigt  habe,  dab  er  die  Hellenen 
nicht  vor  sich  liers ').     Das  beifst  nun  nichts  Anderes,  als 


9)  GoLOHORfi,  über  das  Schweifen  des  Joh.  Eran^eÜums  iibnr 
drn  Seelenkampf  Jesu  in  Oelhsemane,  in  TtSGHtRKih's  Ma- 
gaxin  f.  Christi    Prediger,  1^  2,  S.  1  ff. 


Drittes  Ka|iitel.   $.  124*  491 

« 

mit  einem f  dorch  doppeltes,  kritisches  wie  dogmatisches 
Vorurtheii  gescharfteu  Gesichte  vsvischeo  den  Zeilen  des 
Tezttfs  gelesen;  denn  von  einem  »olchen  Antrag,  den  die 
Hellenen  beabsichtigt  hätten,  ist  bei  Johannes  keine  Spur: 
da  es  doch,  gesetzt  auch,  der  l£vangelist  habe  von  dem 
Plan  der  Hellenen  durch  diese  selber  nichts  gewufst^  den 
Reden  Jesu  aneumerken  sein  müfüte,  dafs  sich  seine  Ge-' 
mflthsbewegung  auf  einen ^  solchen  Antrag  beeog.  Nach 
dem  Zusammenhang  der  johan fleischen  Darstellung  hatte 
das  Begebren  der.  Hellenen  keinen  andern  Grund,  als  dab 
lie  durch  den  feierlichen  Einzog  und  das  viele  Reden  der 
Leute  von  J^sa  begierig  geworden  waren,  den  gefeierten 
Mann  tsa  sehen^und  kennen  zu  lernen ,  und  di^  Gemüths* 
bewegung,  iu  welche  Jesus  bei  diesem  Anlafs  hineingerieth, 
hing  mit  ihrpm  Begehren  nur  so  zusammen ,  dafs  Jesus 
dadurch  veranlafst  wurde,  an  die  baldige  Verbreitung  sei- 
nes Reichs  in  der  Heiden  weit,  und  an  die  unerlfifsliche 
Bedingung  von  dieser,  an  seinen  Tod,  zu  denken.  Je  ver« 
mittelter  und  entfernter  aber  bierftach  die  Vorstellung  sei- 
nes bevorstehenden  Todes  Jesu  vor  die  Seele  trat:  desto 
wenigisr  ist  zu  begreifen,  wie  sie  ihn  so  stark  ersehttttern 
konnte,  dafs  er  sich  gedrungen  fühlte,  den  Vater  um  Ret- 
tung ans  dieser  Stunde  anzuflehen ,  und  wenn  er  einmal 
im  Vorgefühl  des  Todes  im  innersten  erbebt  haben  soll^ 
80  scheinen  die  Synoptiker  dieses  Zagen  an  eine  richtigere 
Stelle,  in  die'  nninittelbarste  N 8 he«  des  beginnenden  Lei* 
dens,  zu  verlegen.  Auch  das  fällt  bei  der  johanneischen 
Darstellung  weg,  was  die  Synoptiker  zur  Rechtfertigung 
der  Bangigkeit  Jesu  an  die  Hand  geben :  dafs  in  der  Ein- 
samkeit des  Gartens  und  der  Macht,  deren  Schauer  ihn 
fiberfielen,  sich  eine  solche  Gemüt hsbevvegnng  eher  scheint 
begreifen  9  und  ihre  unverhohlene  Aeufserung  im  Kreise 
▼on  lauter  Vertrauten  und  Würdigen  sich  wohl  rechtferti- 
gen zu  lassen.  Denn  nach  Johannes  befiel  Jene  Er^ohOt- 
teruDg  Jesum  am   bellen  Tage,   mitten   uliter  dem  zttströ- 


492  Critter  Abschnitt. 

Aenden  Volke ,  wo  man«  sonst  leichter  die  Fassang  behüt, 
oder  vor  welchem  man  doch,  des  möglichen  MirsFerstind- 
nisses  wegen ,  stärkere^  Gemtithsbewegungen  in  sich  ve^ 
schliefst. 

Weit  eher  wird  man  daher  der  Ansicht  Tbrile*»  eb- 
stimmen  können,  dafs  der  Verfasser  des  vierten  Evange- 
liums die  von  den  Synoptikern  richtig  eingefügte  Begeben- 
heit an  einen  falschen  Ort  gestellt  habe  ^^)«  Da  Jesoi 
zur  Einleitung  einer  Antwort  an  die  Hellenen,  welche  den 
durch  den  Eineug  Verherrlichten  sprechen  wollten,  geiagt 
hatte:  ja,  die  Stunde  meiner  Verherrlichung  ist  da,  aber 
der  Verherrlichung  durch  den  Tod  (12 ,  23  f.) :  so  habe 
diefs  den  Enefihler  verleitet,  statt  die  wirkliche  Antwort 
Jesu  an  fiie  Hellenen  sammt  dem  weiteren  Verfolg  anzo* 
gebep,  vielmehr  Jesum  sich  ausffihrlich  über  die  innere 
JNoth wendigkeit  seines  Todes  verbreiten  bu  lassen  ,  wo  er 
dann  fast  onbewurst  auch  die  Schilderung  des  ionereo 
Kampfs,  den  Jesus  rficksichtlich  seiner  freiwilligen  Aof- 
opferung  eu  bestehen  hiitte,  eingeflochten  habe,  welchen 
er  defswegen  später,  an  seiner  eigentlichen  Stelle,  über- 
gehe. Eigen  ist  hiebe!  nor ,  dafs  Theilb  der  Meinung  ist, 
eine  solche  Umstellung  habe  dem  Apostel  Johannes  selbst 
begegnen  können.  Dafs  sich  ihm  der  Vorgang  in  tiecbse- 
mane,  da  er  während  desselben  schlaftrunken  gewesen, 
nicht  tief  eingeprägt  habe,  und  dafs  derselbe  Oberdem 
durch  den  schnell  darauf  erfolgten  Kreueestod  in  den  Hin- 
tergrund seines  Bewufstseins  gerückt  worden  sei,  dadorch 
könnte  man  etwa  erklärt  finden,  wenn  er  ihn  gans  flbe^ 
gangen,  oder  nur  summarisch  dargestellt  hätte,  keines- 
wegs aber,  dafs  er  ihn  an  unrechter  Stelle  eingeffigt  hat. 
So  viel  mafste  er  doch ,  wenn  er  unerachtet  seiner  dsoa- 
ligen  Schläfrigkeit  von  dem  Vorgang  Motis  genommen  hat- 


iO)  s.  die  Recens.  von  üstbri's  Comment.  crit.,   in  Wikiä'j  und 
^seBLKAiivr't  n.  krit.  Journal,  2,  S.  5$9  ff. 


Drittes  Kapitel.     §.   124  493 

te,  behalten,  dafa  jene  eigeDthllfflliche  Stfotanng  Jesum 
hart  vor  dem  Anfang  seines  Leidens,  und  in  Naebt  und 
Einsamkeit  befallen  habe:  wie  konnte  er  jemals  seine  Er« 
innernng  so  weit  verlfingnen,  dafs  er  die  Scene  in  weit 
früherer  Zeit,  ,am  hellen  Tag  und  unter  vielem  Volke  vor- 
gehen liefsf  Um  nicht  auf  diese  Weise  die  Aechtheit  des 
jobsnoeischen  Evangeliums  su  gefkhrden,  bleiben  Andere 
dabei ,  mit  Berufung  darauf,  dafs '  eine  solche  Stimmung 
im  lotsten  Abschnitte  des  Lebens  Jesu  mehrmals  habe 
vorkommen  können,  die  Identitfit  d^r  beiden  Soenen  an 
liognen  '0. 

Allerdings  find^  Ewischen  der  synoptischen  Darstel- 
lung des  Seelenkampfs  Jesu  und  der  jobanneiscben ,  auch 
snfter  der  rerschiedenen  ftufseren  Stellung,  im  Inhalt  bei- 
der Vorgfinge  noch  bedeutende  Abweichungen  statt,  indem  * 
namentlich  die  johanneische  Erefihlung  Zfige  enthält,  wel- 
che in  den  Berichten  der  drei  ersten  Evangelisten  Ober 
den  Vorfall  in  Gethsemane  keine  Analogie  findpn.  Wenn 
nümlich  2w;Ar  das  Flehen  des  johanneischen  Jesus  um  Ret- 
tong  aps  dieser  Stunde  bei  den  Synoptikern  vollkommen 
anklingt :  so  fehlt  es  doch  ffir  die  bei  Johannes  hinnoge- 
ffigte  Bitte:  iiiatq^  do^aaov  au  t6  ovofia  (12,  28.)»  an  ei- 
ner Parallele ;  ferner,  wenn  swar  in  beiden  Darstellungen 
von  einem  Engel  die  Rede  ist,  so  ist  doch  von  einer  Him- 
raelsatimme,  welche  im  vierten  Evangeliom  die  Meinung, 
es  sei  ein  Engel  im  Spiel  gewesen ,  veranlafst ,  bei  den 
Synoptikern  keine  Spur.  Sondern  solche  Himmelsstimmen 
linden  wir  in  diesen  Evangelien  nur  bei  der  Taufe  und 
wieder  in  der  Verkifirungsgeschichte ,  an  welche  letctere 
aaeh  die  Bitte  des  johanneischen  Jesus:  nont(f,  do^düov 
OH  t6  ovofiOy  erinnern  kann.  In  der  synoptischen  Beschrei- 
bung der  Verklfirung  swar  findet  sich  der  Ausdruck :  doSa 
Qnd  öo^ai^eiv  nicht ;  dagegen  Itf fst  der  sweite  Brief  Petri 


11)  Ha»,  L.  J.  $.  154 ;    Lvcki,  2,  S.  591  f.  Anm. 


494  Dritter  Ahschnitt. 

Je^u  bei  der  Verklärung  nfir^v  xal  do^av  zo  Theil  werden, 
und  'die    Rimmelsstiniine    aus   der   (A€ya).o:i{ii7ii]^  öo^u.  er- 
schallen    (1|  17  f.)*     So   bietet  gich  denn  eu    den   beiden 
bisdaher   betrachteten    Erzählungen    noch    eine '  dritte  als 
Parallele  dar,  indem  die  Scene  Joh.  12,  27  ff.,  wie  einer* 
seits   durch    die   Bekümmern ifs    und   den    Engel  mit  dem 
Vorgang    in   Gethaemane,   so    andrerseits  durch   die  Bitte 
um  Verklarung   und   die   gewährende  Himmelsstimflie  mit 
der  Verklfrungsgeschichte  xusammenhängt.     Und  nun  sind 
ewei  Fälle  möglich :    entweder  ist  die  johanneische  Enib- 
iung  die  einfache  Wnrsel ,    aus  welcher  auf  traditionelleBi 
Wege  durch  Scheidung  der  in    ihr  enthaltenen  Elemente 
die  beiden  synoptischen  Anekdoten  von  der  Verklärung  ond 
dem  Seelenkampf  bervorgewachsen  sind:    oder  sind  diese 
letzteren  die  ursprünglichen  Gestaltungen,   aus  deren  Auf« 
lösung  und  Verschwemmung  in  der  Sage  die  johanneische 
Erzählung  als   gemischtes  Product  zusammengeflossen  ist; 
worfiber  nur   die  Beschaffenheit  der  drei  Anekdoten  ent- 
scheiden kann.      Dafs   nun   die   synoptischen    Erzählungen 
von  der  Verklärung  und  dem  Seelenkampf  klare  GemSlde 
mit    bestiL«mt    ausgebildeten    Zögen   sind,    kann    fflr  sich 
nichts  bevir.^en,   da,    wie    wir    zur  Genüge  gefunden  hi- 
ben ,    eine    «lus   sagenhaftem  Boden    erwachsene  Erslihiong 
ebensogut,    als  eine   rein    historische,  jene   Eigenschaften 
besitzen   k^inn.      Wäre   also   die  johanneische   Darstellung 
jenes  Auftritts  nur  minder  klar  und  bestimmt  gehalten,  ^o 
könnte  sie  defswegen  doch  für  den  ursprßnglichen ,  einfa- 
chen Bericht   gehalten   werden  ^   aus   welchem   sicli  durch 
die  ausschmückende    und  malende    Arbeit  der   Ceberliefe- 
rung  jene  farbigeren  Gebilde  herausentwickelt  hätten.  Nun 
aber  fehlt  es  der  johanneischen  Erzählung  nicht   blofs  an 
Bestimmtheit,    sontlern    an  Uebereinstimmung  mit  den  um- 
gebenden   Verhältnissen   und   mit   sich   selbst.     Wo  Je^u 
Antwort   auf  das    Gesuch    der    Hellenen    bleibt,    und  wo 
diese   selber  hinkommen,    weifs    Niemand;   die  piucJiche 


Drittes  Kapifel.     §•   124.  405 

Beklenmang  Jesa  and  die  Bitte  am  eine  EhrenerklXrang 
von  Seiten  Gottes  sind  nieht  gehörig  iDoti?lrt.  «Ein  solches 
Gemisch  nnEasammengehdriger  Theile  ist  «her  immer  da« 
Kenneeichen  eines  secondfiren  Products ,  eines  sosammen- 
geschwemmten  Congloraerats :  and  so  scheint  denn  der 
Schlofs  gerechtfertigt,  dafs  in  der  johanneischen  Ersihlang 
die  beiden  synoptischen  Anekdoten  von  der  Verklärung 
ond  vom  Seelen  kämpf  Eusammengeflossen  seien«  Hatte  dem 
Verfasser  des  vierten  Evangeliauis  die  Sage,  wie  es  scheint, 
lehon  ziemlieh  verwaschen  ^-)  and  nur  in  unbestimmten 
Umrissen ,  von  jeneti  beiden  VorfKllen  Kunde  Eogefilhrt : 
80  konnten  ihm  leicht,  wie  sein  Begriff  von  do^a^nv  die%B 
Ztveiseitigkeit  von  Leiden  and  Herrlichkeit  hat ,  beide 
sieb  vermengen  ;  was  er  in  der  Erefihlung  des  Seelenkampfs 
von  einer  Anrede  Jesa  an  den  Vater  vernommen  hatte, 
konnte  er  onit  der  göttlichen  Stimme  aas  der  Verkllirangs- 
geschichte  als  Antwort  darauf  verbinden  ;  dieser  Stimme, 
deren  näherer  Inhalt,  wie  die  Synoptiker  ihn  geben,  ihm 
nicht  berichtet  war,  gab  er  aus  der  allgemeinen  Vorstel- 
lung von  dieser  Begebenheit,  als  eitler  Jesu  ea  Tbeii  ge« 
ivordenen  do|cr,  den  Inhalt:  xal  ido^aaa,  xai  nakiv  do^uaußy 
ond  am  auf  diese  göttliche  Erwiederung  an  passen,  mufste 
der  Anrede  Jean  aufiser  der  Bitte  um  Rettung  noch  die 
om  Verkiftrong  hinEogefOgt  werden ;  der  stärkende  Engel, 
von  welchem  der  vierte  Evangelist  vielleicht  auch  etwas 
vernommen  hatte ,  wurde  als  Ansicht  der  Leate  von  dem 
Drsprang  der  Himmelsstimme  mit  aufgenommen ;» in  Betreff 
des  Zeitpunkts  worde  swisohen  dem  der  Verklärung  und 
dem  des  Seelenkampfs  die  angeflihre  Mitte  gehalten ,  wo- 
bei die  Wahl  der  Verhältnisse  ans  Unkenntnifs  der  ur- 
spranglichen  dbel  ausfieL 

12)  Gegen  den  Anttoss  y  welchen  an  diesem  Ausdrucke  Tholücx 
hat  nehmen  wollen  (Glaubwürdigkeit,  S.  410»  ▼$!-  die  Apho- 
rismen sur  Apologie  des  Dr.  Strauss  und  seines  Werkes, 
S.  69  f. 


41H>  Dritter   Abschnitt.' 

Sehen  wir  von  hier  aof  die  Frage  corück ,  von  wel- 
cher wir  ausgegangen  sind,  ob  wir  eher  die  johanneischen 
Abschiedsreden  Jesn  als  darohaas  historisch  festhalteo, 
ncid  dagegen  die  synoptische  Darstellung  der  Scene  in 
Gethsemane  aufgeben  wollen,  oder  nngekehrt:  so  werden 
wir  vermöge  des  Ergebnisses  unserer  eben  gefflhrten  Un- 
tersuchung BU  der  letsteren  Annahme  geneigter  sein.  Die 
Schwierigkeit y  welche  fohon  darin  liegt,  dafs  man  kaom 
begreift,  wie  Johannes  diese  langen  Reden  Jesu  gennu  be- 
halten konnte,  hat  Paulus  durch  die  Vermuthnog  cn  ioten 
geglaubt^  dafs  der  Apostel  wohl  schon  am  nächsten  Sabbat, 
während  Jesus  im  Grabe  lag,  die  Gespräche  des  vorigen 
Abends  sich  in  die  Erinnerung  Eurückgerufen ,  und  sie 
vielleicht  auch  niedergeschrieben  habe  ^').  Allein  in  jener 
Zeit  der'  Niedergeschlagenheit,  welche  auch  Johannei 
theilte,  wäre  er  wohl  nicht  im  Stande  gewesen,  diese  Re- 
den wiederaugeben ,  ohne  ihr  eigentbfimliches  Colone  der 
ruhigsten  Heiterkeit  au  verwischen;  sondern,  wie  derWol- 
fenböttler  sagt,  wenn  die  Evangelisten  in  den  paar  Tagen 
nach  Jesu  Tode  die  Ersäblung  von  seinen  Reden  undTha- 
Cen  hätten  ssu  Papier  bringen  sollen,  so  würden,  da  sie 
selber  keine  Hoffnung  mehr  hatten,  auch  alle  verheifsenden 
Re*len  aus  ihren  Evangelien  weggeblieben  sein.**).  Uaber 
hat  auch  Lückr^  in  Betracht  der  eigen thiimlich  johan- 
neischen Ausdrucksweise,  welche  sich  namentlich  in  dem 
Schlofsgebet  findet,  die  Behauptung,  dafs  Jesus  mit  densel- 
ben Worten  gesprochen  habe,  welche  ihm  Johannes  in 
den  Mund  legt ,  oder '  die  Behauptung  der  Anthentie  die- 
ser Reden  im  engsten  Sinn  ^  aufgegeben ;  ab^r  nur  um  ihre 
Anthentie  im  Weiteren  Sinne,  die  Aechtheit  des  Gedanken- 
Inhalts,  desto  fester  bu  halten  *^).  Doch  auch  gegen  diesen 


13)  L.  J.  1,  b,  S.  165  t 

14)  Vom  Zweck  Jesu  und  seiner  Jünger,  S.  124. 

15)  2,  S.  588  f. 


Drittes  Kapitel.     $.  124.  A\Y7 

hat  der  VerfaMer  der  Probabilien  seinen  Angrgifle  wendet, 
indem  er  namentlich  in  BeBag  aaf  Käp.  17.  fragt ,  ob  es 
denkbar  sei,  dafs  Jesus  in  der  firwartimg  des  gewaltsamen 
Todes  nichts  Angelegeneres  eh  thnn  gehabt  habe,  als  mit 
Gott  von  seirter  Person,  seinen  bisherigen  Leistungen,  and 
der  ED  erwartenden  Herrlichkeit  sieh  so  nnterhalten?  ond 
ob  es  defswegen  nicht  vielmehr  alle  Wahrscheinlichkeit 
habe,  dafs  dieses  Gebet  nnr  ans  dem  Sinne  des  Schrift- 
stellers geflossen  sei,  welcher  durch  dasselbe  theils  seine 
Lehre  von  Jesus  als  dem  fleischgewordenen  3iiyf}g  bestäti- 
gen, theils  das  Ansehen  der  Anestel  befestigen  wollte  ^^>? 
In  dieser  Ausstellung  liegt  das  Richtige,  dafs  das  fragliche 
Scblursgebet  nicht  als  ein  unmittelbarer  firgufs,  sondern 
als  Product  der  Reflexion,  eher  als  eine  Rede  über  Jesom, 
denn  -als  eine  Rede  von  ihm  erscheint*  Ueberall  neigt  sich 
in  demselben  das  Denken  eines  solchen,  der  schon  weit 
vorwirts  im  Erfolge  steht,  und  defswegen  die  Gestalt  Jesu 
bereits  in  fernem,  verklärendem  Däft  erblickt;  ein  Zauber^ 
weichen  er  dadurch  vermehrt,  dafs  er  seine,  auf  der  Höhe 
einer  fortgeschrittenen  Entwicklung  der  christlichen  6e» 
meinde  entsprungenen  Gedanken  von  dem  Grilndmr  dersel- 
ben schon  vor  ihrer  eigentlichen  Entstehung  ausgesprochen 
seintlfifst»  Aber  auch  in  den  vorhergehenden  Abschieds* 
reden  erseheint  Manches  ans  dem  Erfolge  heraus  gespro- 
chen« Der  ganse  Ton  derselben  erklärt  sich  doch  am  na* 
tttrlichsten ,  wenn  die  Reden  Werk  eines  solchen  sind, 
welchem  der  Tod  Jesu  bereits  ein  Vergangenes  war,  des- 
sen Schreckliohkeit  in  den  segensreichen  Folgen  und  der 
andächtigen  Betrachtungsweise  der  Gemeinde  sich  gelind 
anfgeldst  hatte»  ■'  Im  Einseinen  ist ,  abgesehen  von  dem 
fiber  die  Wiederkunft  Gesagten,  anch  diejenige  Wendung 
der  christlichen  Sache,  welche  man  als  Sendung  des  heili- 
gen Geistes  SU  beseichnen  pflegt,  in  den  Aeufserungen  über 


16)  s.  a.  O. 


408  Dritter  Abschnitt. 

den  Paraklet  und  dessen  über  die  Welt  ca  haltendei  Ge- 
richt (14,  16  ff.  25  f.  15,  26.  16,  7  ff.  13  ff.)  mit  dner  Be- 
stioinptheit  vorausgesagt,  welche  auf  die  Zeit  nach  dem  E^ 
folge  hineilweisen  scheint.  Damit  sind  jedoch  ächte  (irund- 
bestandtheile  dieser  Keden  nicht  aosgeschlossen ;  ein  sol- 
ches StficiL  ist  jedenfalls  die  Rede  17,  12:  ag  didwxu^  fm 
&pvhx^a  X.  T.  hy  weicher  der  Evangelist  weiter  unten,  18, 
%  eine  irrige  Deutung  gibt  ^'3. 

Indem  aber  auch  von  dem  nfichstbevorstehenden  Kr- 
foige^  dem  Leiden  und  Tod  Jesu,  das  bestimmte  Voniiu- 
wissen  in  diesen  Abschiedsreden  liegt  (13 ,  18  ff  33  3S. 
14,  30  f.  16,  5  ff.  16,  32  f.),  tritt  die  johanneische  Darstel- 
lung mit  der  synoptischen  auf  Einen  Boden,  da  auch  diese 
auf  der  Voraussetasung  der  genauesten  Voraussicht  der 
Stunde  und  des  Augenblicks,  wann  das  Leiden  eintreten 
werde,  ruht.  Nicht  allein  bei*m  lotsten  Mahle  und  h»\m 
Hinausgehen  an  den  Oelberg  eeigte  sich  dieses  Vorberwis- 
sen  nach  den  drei  ersten  Evangelien,  indem,  wie  im  ▼le^ 
ten,  dem  Petrus  eine  VerIXngnung,  ehe  der  Hahn  krihea 
werde,  vorhergesagt  wird;  nicht  nur  beruht  der  ganse 
Seelenkampf  im  Garten  auf  der  Voraussicht  des  in  den 
nächsten  Augenblicken  bevorstehenden  Leidens :  sondern 
am  Ende  dieses  Kampfes  weifs  Jesus  sogar  auf  die  JHios- 
te  hin  su  sagen,  dafs  jetet  der  Verrftther  heranrflcke 
(Matth.  26,  45  f.).  Und  swar  ist  nach  der  fibereinstimmeo- 
den  Darstellung  sämmtlicher  Evangelisten  dieses  Vorhe^ 
wissen  Ausflofs  von  Jesu  höherer,  göttlicher  Natur.  Noa 
aber  kann  dem  Obigen  aufolge  das  Vorauswissen  der  Ka- 
tastrophe Oberhaupt  und  ihrer  einaelnen  Momente  aus  den 
fjöttlichen  in  Jesu  nicht  geflossen  sein,  weil  es  sieh  dana 
nicht  an  irrig  ausgelegte  Weissagungen  liuüpfen  wOrde; 
anzunehmen  aber,  das  vori&ufige  Wissen  swar,  dafs  ond 
wie  er  au  leiden  habe,  sei  in  ihm  natfirliehen,  die  Kunde 


^17)  s.  Dl  Warni,  exeg.  Handb.,  1,  3,  S.  179. 


Dritte«  Kapitel,    i.  125.  499 

davon  hingegen^  wann  diese«  Leiden  eintreten  würde»  llber- 
natflrlicben  ürsprangs  geweaen,  wäre  doeli  allen  nnge» 
reioit.  Hieiait  i«t  jedenfalls  die  Daretellnng  der  Evange- 
listen von  diesem  Vorherwissen  anfgegeben;  damit  jedoeh 
noch  nicht  dieses  selbst ,  welohes  möglioherweise  seine 
gana  oatfirüehe  Quelle  gehabt ,  nur  aber  von  den  Bvange> 
listen,  ond  vielleicht  schon  von  den  jQngern  selbst,  ffir 
flbernstfirlich  gebalten  worden  sein  könnte.  Die  natflrli» 
ehe  Erklirang  dieses  Vorberwissena  ist  selbst  wieder  mdg^ 
licherweise  eine  gedoppelte:  sofern  sie  entweder  von 
infserer  Wahrnehmung  und  verständiger  Bereohnung,  oder 
Fon  innerer,  nomittelbarer  Ahnong  Jesu  ausgeben  kann» 
In  dem  ersteren  Sinne  läfsC  Paulos  Jesum  die  mit  Fackeln 
ans  der  Stadt  heranrfiekende  Hflsehertruppe  schon  von 
ferne  bemerken,  von  welcher  er,  da  er  die  Umtriebe  des 
Jodss  in  der  ietsten  Zeit  durchschaut  hatte,  wohl  vermu« 
theo  konnte,  dafs  sie  gegen  ihn  gesendet  sei ;  Wsissi  sieht 
die  Annahnae  einer  nnmitteUwren  Ahnung,  eines  nnwider« 
stehlieh  sieh  aufdringenden  Vorgeffihls  vor,  welches  Je« 
sam  an  Jenem  lotsten  Abend  ergriffen,  und  ebendefswegen 
so  gewaltig  ersohattert  habe  ^^J.  Beide  Annahmen  sind 
Beglich,  and  eine  oder  die  andere  nothwendig,  wenn  in 
der  evangelischen  Schilderung  dieses  AbendiT  irgend  etwas 
Historisches  bleiben  soll;  die  Wahl  swischen  beiden  aber 
wird,  da  die  Evangelisten  einen  gans  andern  Weg  snr  Br^ 
klirung  jenes  Vorherwissens  einschlagen,  immer  sehvderig 
und  sweifelhafik  bleiben. 

S*    125. 

Gefangennehmung   Jesu. 

Genau  susammentreffend  mit  der  Erkllmng  Jesu  an 
die  schlafenden  Jünger,  dafs  eben  jetst  der  Verrftther  na- 


18)  Die  evang.  Geschichte,  1,  S.  612. 

32 


II 


Me  Dritter  Abschnitt. 

be,  soll,  wShrend  er  noch  redete ,  Judas  mit  einerb«- 
wafFneten  Maclit  herangerfickt  sein  (Matth.  26,  47.  parall. 
TgL  Job«  18,  3.).  Diese  Scbaar  l&am  den  Synoptikern  la« 
folge  Ton  den  Hohenpriestern  nnd  Aeltesten,  nnd  war  nach 
Lukas  von  den  (^Qoetr/ydis  ^&  uqö  angefahrt,  also  wahr 
acheinlich  eine  Abtheilong  Tempelsoldaten,  an  welehe  sich 
übrigens ,  aus  der  Beseichnnng  als  o^^o^  und  ihrer  thetl- 
weisen  Bewaffnung  mit  ^rAoit;  cu  schliefden^  noch  anderes 
Gesindel  tumultnarisch  angeschlossen  su  haben  scheint; 
der  Darstellung  bei  Johannes  sufolge,  welcher  neben  den 
vTir^Qhaig  raiv  dQxieqiny»  xal  OaQiaaiwv  von  der  anelna  und 
dem  XÜdaQxogy  ohne  Erwähnung  ^nmultunrischer  Bewaff- 
nung, spricht,  scheint  es,  als  bitten  sich  die  jfidlsehen 
Obern  auch  eine  Abtheilung  römischen  Militärs  cor  Uo- 
tersttttsung  ausgebeten  gehabt  ^3. 

W&hrend  sofort  nach  den  drei  ersten  Evangelisten  Ja« 
das  vortritt  und  Jesum  kflfst,  um  ihn  durch  dieses  verab- 
redete Zeichen  der  anrOckenden  Scbaar  als  denjeni|[en 
kenntlich  su  machen,  welchen  sie  zu  greifen  hfitte:  geht 
laut  des  vierten  Evangeliums  umgekehrt  Jesus  ihnen  vor  den 
Garten,  oder  das  Gartenhaus  hinaus  O^eldtiv)  entgegen,  nnd 
beeeichnet  sich  selbst  als  denjenigen ,  welchen  sie  snehen. 
Diese  abweichenden  Darstellungen  su  vereinigen  ^  bsbea 
Einige  den  Hergang  sieh  so  gedacht,  dafs,  um  eine  Ve^ 
haftung  seiner  Jünger  an  verhüten,  Jesus  gleich  zuerst  dem 
Haufen  entgegengegangen  sei,  und  sich  zu  erkennen  gege- 
ben habe;  hierauf  erst  sei  Judas  hervorgetreten,  sind  habe 
ihn  durch  den  Kufs  bezeichnet  ^.  Allein ,  hatte  sich  Je- 
sus bereits  selbst  zu  erkennen  gegeben  ,  so  konnte  Jodas 
den  Kufs  ersparen;  denn  dafs  die  Lrcute  der  Angabe  Je- 
su, er  sei  es,  den  sie  suchen,  nicht  geglaubt,  und  noch 
auf  die  Bekräftigung,  derselbeo  durch  den  Kufs  des  beste- 


1)  8.  LücKS,  E.  d.  St. ;  Hasb,  L.  J.  §.  135. 

2)  Paulus,  exeg.  Handb.,  3,  b,  S.  567. 


Drittes  Kapitel.    $.  125.  Ml 

«henen  Jansen  gewartet  hAben,  kann  nicht  gesagt  werden, 
wenn  nach  der  Angabe  des  vierten  Evangeikims  jenes  iyui 
ti^a  so  starken  Eindrnck  auf  sie  machte,  dafs  sie  eq  Boden 
fsnkeo.   üefswegen  haben  Andere  die  Ordnung  der  Scenen 
in  der  Art  omgekehrt,  dafs  soerst  Judas,  vorantretend,  Je- 
lom  durch  den  Kufs  beseichnet,  dann  aber,  noch  ehe  der 
Hanfe  in  den  Garten  oder  das  Hans  eindringen  konnte,  Je- 
sus SU  Ihnen  hinaustretend  sich   su  erkennen  gegeben  ha- 
be ').    Allein,  wenn  ihn  Judas  bereits  durch  den  Kufs  be* 
seichnet,  und  er  den  Zweck  des  Kusses  so  gut  verstanden 
hatte ,   wie   es   sich  in   seiner  Erwiederung  auf  denselben 
Lac.  V.  4S.   ausspricht;   so   brauchte   er   sich  nicht  noch 
besonders  sn  erkennen  bu  geben,    da  er   schon   kenntlieh 
gemacht  war;    dafs  aber  Judas   der  Schaar  so  weit  vor- 
sosgeeilt  gewesen  sei,   dafs  diese  den  lediglich  fflr  sie  be- 
itimmten  Kufs  nicht  bemerken    konnte,    ist  nicht   nur  an 
sicji  angereimt,  sondern  auch  geradeau  gegen  V.  5,   wor» 
nach  Judas  bei  der  Schaar  seiner  Begleiter  war  *);  über* 
hanpt  kommt  dadurch,    dafs  Jesus  swischen  den  Judas- 
kofs  und 'das  gewifs  unmittelbar  darauf  erfolgte  Eindringen 
der  Schaar    hinein    dieser   noch  mit  Fragen  und  Anreden 
entgegengetreten    sein    soll,    in   sein  Benehmen  eine  Hast 
nnd  fillfertlgkeit ,   welche  ihm  unter  diesen  ümsttfnden  so 
fibei  ansteht,   dafs  die  Evangelisten  schwerlich   beabsichti- 
gen, Ihm  eine  solche  Bususchreiben.    Man  sollte  demnach 
anerkennen,  dafs  von  den  beiden  Darstellungen  keine  dar- 
auf berechnet  ist,  durch  die  andere  erginzt  eu  werden  ^), 


5)  LticKi  %  S.  599;  Tmolvck,  S.  S98;  Hass,  a.  a.  O.;  Ouuiu- 
8i?i,  2y  S.  435 ;   NiAKiiiR,  S.  618. 

4)  Tholcck  meint,  das  tigr^xn  ftfr  aurtay  „nicbt  argiren^^  ctt  'mils- 
aen ,  d.  h.  es  ungcfa'hr  in  sein  Gegontheil  verkehren  au  dür- 

~fen  ,  indem  er  den  Judas  getrennt  von  den  übrigen  umher- 
gehen,  und  nachdem  er  Jeaum  gefunden,  (mit  diesem)  auf 
sie  zukommen  iässt. 

5)  Vgl.  Ds  Warra,  exeg.  Handb.,  1,1,  S.  226.  1,5,8.187  f.    Wie 


50Ü  Dritter  Abscb'nUt. 

lodem  jede  die  Art,  wie  Jesus  erkannt  wurde ,  und  wie 
Jndas  dabei  thätig  war,  auf  andere  Weise  fabi.  Usft 
Judas  odijyog  vcHg  avlXaßöai  %oif  ^lijaSv  gewesen  (A.  li.  1, 
18.),  darin  stimmen  alle  Evangelien  susammen.  Nun  aber, 
wAhrend  naeh  der  synoptischen  Darstellung  snm  Gescbfiftt 
des  Judas  aufser  der  Ortsbeseiehnung  auch  noch  die  Ite- 
selchnung  der  Person  gehört,  welche  dnroh  den  Kufs  ge* 
schiebt :  Iftfst  Johannes  die  Thfttigkelt  des  Verrltbers  nie 
der  Beaeichnung  des  Orts  ihr  Ende  erreichen ,  und  ihn 
nach  der  Ankunft  an  Ort  und  Stelle  mfifsig  bei  den  Oebri- 
gen  stehen  (ßiglp€Bi  dk  xal  ^ladag  —  fier  cevräiv,  V.  5.)» 
Warum  die  Johanneische  Darstello^ng  dem  Judas  das  Ge- 
schuft  der  persönlichen  Beaeichnung  Jesu  nicht  ertbeilt, 
ist  leicht  so  sehen:  damit  nfimlioh  Jesus  nicht  als  üeber- 
lirferter,  sondern  als  ein  sich  selbst  üeberliefernder,  so- 
mit sein  Leiden  in  höherem  Grad  als  frei  übernommenes 
erscheinen  möchte.  Man  darf  sich  nur  erinnern ,  wie  von 
Jeher  die  Gegner  des  Chrlstenthnms  Jesu  seinen  Weggang 
fios  der  Stadt  in  den  abgelegenen  Garten  als  schimpfliche 
Flucht  vor  seinen  Feinden  aufrechneten  ^),  um  es  begreif- 
lich SU  finden,  dafs  frühaeltig  unter  den  Christen  eine 
Neigung  entstand,  die  Art,  wie  er  sich  bei  seiner  Verhaf- 
tung benahm,  noch  in  höherem  Grade,  als  diefs  in  der  ge- 


snag  LvcKB  die  Auslassung  des  Judaskusses  Im  johsnnei- 
sehen  Evangelium  daraus  erklären,  dass  er  gar  su  hekanat 
gewesen  sei,  und  wie  hiezu  als  Analogie  das  anführen,  dass 
Johannes  auch  die  Verhandlung  des  Verräthers  mit  dem  Syn- 
edrium  übergehe?  da  zwar  diese  Verhandlung  als  etwas  hin- 
ter der  Scene  Vorgegangenes  wohl  übergangen  werden  konn* 
te,  keineswegs  aber  etwas,  das,  wie  jener  Huss ,  so  ganz  im 
Vordergrund. und  Mittelpunkt  der  Handlung  geschehen  war. 

6)  So  sagt  der  Jude  des  Gelsus  bei  Orig.  c»  Cels.  2,9:    inft*'^^ 
voq  fiiky  xal  Siüt9t9(*iifjxujv  Inöi'ftSi^oTara  ealta. 


Drittes  Kapital.    S.  125.  50ft 

wöbniioheo  Evaiii^elieiitniditlon  der  Fall  war,  im  Liclit  ei- 
ner freivrilligeii  Hingabe  erseheineu  su  lassen. 

Reiht  sich  nun  bei  den  Synoptikern  an  den  Jadasknfs 
eine  einschneidende  Frage  Jesu  an  den  Verrätber :  so  schliefst 
sich  bei  Johannes  an  das  von  Jesu  gesprochene  ^cJ  €lfi& 
die  Erwfihnnng,  daCs  vor  diesem  Machtworte  die  en  seiner 
Verhaftoog  gekommene  Schaar  surückgewicben  und  sn 
Boden  gefallen  sei,  $o  dais  Jesus  seine  Erklfirong  wieder- 
liolen,  und  die  Leute  gleichsam  ermutbigen  raufste,  ihn  wa 
greifen.  Hierin  will  man  neuerdings  kein  Wunder  mehr 
erblicken,  sondern  psyebologisch  soll  der  Eindruck  Jesu 
aof  diejenigen  unter  der  Schaar,  welche  ihn  schon  sonst 
öfters  gesehen  und  gehört  hatten,  so  gewirkt  haben ;  wobei 
n&an  sich  auf  die  Beispiele  aus  dem  Leben  eines  Marius, 
eines.  Coligny  o.  A.  Iieruft  ^J.  Aliein  weder  nach  der  syn« 
optisehen  Darstellung,  laut  deren  es  der  BeEeichoung  Jesu 
durch  den  Kofs,  noch  auch  nach  der  johanneischen ,  nach 
welcher  es  der  Erkliiruog  Jesu,  daft  er  es  sei,  bedurfte, 
war  Jesus  dem  Haufen  genauer,  am  wenigsten  auf  eine 
Weise,  bekannt;  jene  Beispiele  aber  beweisen  nur, 


7)  LvcKi,  2,  S.  597  f. ;  Olshaussn,  2,  S.  435. ;  Tholucr,  S.  299. 
Die  Berufung  auf  denM'drder  Coligny *s  ist  übrigens  unstatt- 
haft y  wie  jeder  finden  wird ,  der  das  von  Tboluck  ungenau 
citirte  Buch :  Serrani  commentariorum  de  statu  religionis  et 
reip.  in  regno  Galliae  L.  10^  p.  529  b,  nachschlägt.  Der  Mör- 
der liest  sich  durch  die  Standhafligkeit  des  edeln  Greises 
nicht  im  Mindesten  in  der  Durchführung  seines  Vorhabens 
aufhalten.  Vgl.  such  Schdabr,  Werke,  16.  Bd.  S.  382  f. 
3S4;  Erscr  und  Grubrr's  Encyclopädie ,  7.  Band.  S.  452  f. 
Dergleichen  Ungenauigkeiten  im  Felde  der  neueren  Ge- 
schichte h'önnen  übrigens  nicht  Wunder  nehmen  an  einem 
Manne 9  der  anderswo  (Glaubwürdigkeit,  S.  437.)  den  Her. 
Rog  von  Orleans ,  Louis  Philipp^s  Vater ,  zu  einem  Bruder 
Louis  XVI.  macht.  Wer  so  vielerlei  weiss,  wie  Dr.  Tmo- 
&UCK,  wie  könnte  der. immer  AUes  so  ^cnsu  wissen? 


504  , Dritter  Abschnitt. 

dafs  bisfreilen  der  gewaltige  Eindrack  einea  Mannet  m5r* 
derlsche  HUnde  Einzelner  oder  Weniger  gelfibmt  hat,  nicht 
aber,  dafs  eine  ganze  Scbaar  von  Gerichtsdlenem  und  Sol* 
daten  nioht  blofa  cnrückgewichen ,  aondern  zu  Boden  ge- 
fallen wäre.  Was  soll  es  nützen ,  wenn  Lücks  zuerst  Ei- 
nige, dann  den  ganzen  Haufen,  niederstürzen  IXfst,  wo- 
durch es  vollends  unmöglich  wird,  sich  die  Sache  auf  ernit- 
hafte  Weise  vorzustellen?  oder  wenn  Tholück,  um  in  dem 
engen  Räume  des  Gartenhause>i  nur  Wenige  vortreten  las- 
sen zu  können,  7.  iSeldwv  durch :  Jesua  trat  hinein,  fiber- 
setzt? Wir  kehrefi  daher  zu  den  Alten  zurück,  welche 
hier  allgemein  ein  Wunder  anerkannten.  Der  Christus, 
welcher  durch  ein  Wort  seines  Mundes  die  feindlichen 
Schaaren  niederwirft,  ist  kein  anderer,  als  derjenige,  wel- 
cher nach  2.  Thess.  2,  8-  den  Antichrist  m'ahoaei  riTi  Ttvfv- 
^ioXL  %5  coinctTog  avrSy  d.  h.  aber  nicht  der  historische, 
sondern  der  Christus  der  jOdiitchen  und.  urchristlicheo 
Phantasie.  Der  Verfasser  des  vierten  Evangeliums  insbe- 
sondere, der  so  oft  bemerbt  hatte,  wie  die  Feinde  Jesu 
und  ihre  Schergen  aufser  Stands  gewesen  seien,  Hand  an 
ihn  zu  legen,  weil  seine  Stunde  noch  nicht  gekommen  ge- 
wesen sei  (7,  30.  32.  44  ff.  8,  20.))  war  veranlafst,  noo, 
als  die  Stunde  erschienen  war ,  den  wirklich  gemschtea 
Versuch  zunfichst  noch  einmal  auf  recht  auffallende  Welse 
mlfsilngen  zu  lassen;  zumal  diefs  ganz  mit  dem  Interesie 
zusammenstimmte,  welches  in  der  Beschreibung  dieser 
ganzen  Scene  ihn  beherrscht:  die  Verhaftung  Jesu  reia 
als  Act  ieines  freien  Willens  darzustellen.  Indem  Jesai 
die  Soldaten  durch  die  Macht  seines  Wortes  niederwirft, 
gibt  er  ihnen  eine  Probe,  was  er  vermöchte,  wenn  es  ihm 
um  Befreiung  zu  thun  wfire;  und  wenn  er  sich  nun  on- 
mittelbar  darauf  greifen  iä'fst,  eo  erscheint  diefs  als  die 
freiwilligste  Hingabe.  So  gibt  Jesus  im  vierten  Evange- 
lium eine  factische  Probe  jener  Macht,  welche  er  im  er- 
sten nur  mit  Worten  ansdrfickt,  wenn  er  zu  einem  seiner 


ürittea  Kapitel.    $•  125.  505 

JOng«r  sagt;  domg^  Sri  h  dvvauai  ä(rvi  naqaxaHaat  roy 
naiiQa  //ö,  xal  noQagijaei  fioi  7i?Mög  ij  dtodexa  hyecSvas 
ayyilojv;  (V.  5S.) 

Nachdea  hieraaf  der  Verfaif er  des  fierten  BFangelions 
einen  früher  richtiger  aaf  die  geistige  Bewahrung  seiner 
Schfikr  besogenen  Aassprooh  Jesu  (17,  12.))  dafs  er  iiei- 
aen  der  iba  von  Gott  Anrertrauten  yerloren  habe,  sehr 
anpassend  in  der  Sorgfalt  erfoUe  gefunden,  welche  Jesus 
angewendet  habe,  dafs  seine  Jänger  nicht  mit  ihm  verbaf* 
Ist  wfirden,  stimmen  nun  sftmmtliche  Evangelisten  darin 
Botammen,  dafs,  als  die  Soldaten  Hand  an  Jesnm  sn  legen 
snfingen,  einer  seiner  Anhänger  das  Schwert  gesogen,  und 
de«  Hohenpriesters  Knechte  ein  Ohr  abgehauen  habe,  was 
von  Jesu  mirsbilligt  worden  sei.  Doch  haben  Lokas  und 
Johannes  jeder  einen  eigentbOmlichen  Zog.  Ahuesehen 
davon,  dafs  beide  das  von  den  Vormlonern  unbestimmt 
gelassene  Ohr  als  das.  rechte  näher  bestimmen ,  nennt  der 
letatere  nicht  blofs  den  verwundeten  Knecht  mit  Namen, 
sondern  bemeriLt  auch,  dafs  der  bauende  Jfinger  Petrus 
gewesen  sei;  eine  Bestimmung,  über  welche,  wie  oben 
fiber  die  demselben  Evangelisten  eigenthfimliche  Hervorhe- 
bung des  Judas  bei'm  Bethaoischen  Mahle,  ein  doppeltes 
Urtbeil  möglich  ist^).*  —  Lolias  hat  bei  dieser  Sehwert- 
scene  das  Eigentbli milche,  dafs  nach  ihm  Jesus  das  Ohr 
des  Knechts,  wie  es  scheint  dorch  ein  Wunder,  wieder 
geheilt  hnt.  Wfthrend  Olshausen  die  sufriedene  Anmer- 
kung macht,  dieser  Umstand  erklfire  am  besten,  wie  Pe- 
trus sich  an  verletzt  surOcb  eichen  iLonnte  -  das  Erstaunen 
fiber  die  Heilung  werde  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  in 
Anspruch  genommen  haben:  wollte  nach  Paulus  Jesus 
das  verwundete  Ohr  durch  die  Befilblung  Ca^fd^tevog)  "H' 
ootersuchen,  und  gab  sofort  an ,  was  som  Behuf  der  Hei- 
laog  an  thun  sei  ii^oavo  aikov^  ]   hätte   er  ibn   durcb  ein 


8)  s.  1.  Band,  S.  784  ff.  j  Lucas,  Tholvck  und  Olshivssn  z.  d.  St. 


506  Dritter  Abaobnitl. 

Wunder  geheile ,  ao  mfifste  doeh  auch  eio  Ersfcaiinen  der 
Aowesendeu  gemeldet  seih.  Solche  ttaälerei  ist  dietsail 
besonders  onnöthig,  da  das  Alleinsteben  des  Lukas  mit 
dem  fraglichen  Zog  und  der  ganae  Zusammenhang  der 
Seene  uns  deutlieh  genug  sagt,  was  wir  von  der  Sache  so 
halten  haben.  Jesus,  der  so  vieles  Leiden,  an  welchem  er  nn- 
sohuldig  war,  durch  seine  Wunderkraft  gehoben  hatte, 
der  sollte  ein  Leiden,  welches  einer  von  seinen  Jfingern 
aus  AnhXnglichkeit  an  ihn,  also  mittelbar  er  selbst,  verur- 
sacht hatte,  ungeheilt  gelassen  haben?  Oiefs  maCste  man 
bald  undenkbar  finden,  und  so  dem  Schwertstreich  des 
Petrus  eine  Wunderheilung  von  Seiten  Jesu  —  die  letsta 
in  der  evangelischen  Geschichte  —  sich  anschliefsen  ')• 

Hieher,  unmittelbar  vor  seine  Abführung,  stellen  die 
Synoptiker  den  Vorwurf,  welchen  Jesus  den  su  seiner 
ttefangennehmung  Gekommenen  machte,  dafs  sie  ihn,  der 
ihnen  durcH  sein  tAgliches  öffentliches  Auftreten  im  Tem- 
pel die  beste  Gelegenheit  gegeben  habe,  sich  seiner  «nf 
die  einfachste  Welse  eu  bemfiohtigen,  — *  ein  schlimmei 
Anaeichen  für  die  Reinheit  ihrer  Sache  .—  mit  so  vielen 
ümstfinden,  wie  einen  Rfiober,  hier  aufsen  aufsuchen.  Das 
vierte  Evangelium  läfst  ihn  etwa»  Aehnliohes  spfiter  sum 
Hohenpriester  sagen,  dessen  Erkundigung  nach  seinen 
Schülern  und  seiner  Lehre  er  auf  dieOeffentlichbeit  seinei 
ganaen  Wirkens,  anf  sein  Lehren  in  Tempel  und  Syna- 
goge,  verweist  (18,  20  f.).  Wie  wenn  er  von  Beidem  ver« 
nommen  hätte,  sowohl  dafs  Jesus  so  etwas  dem  Hohen- 
priester, als  dafs  er  es  bei  seiner  Gefangennehmung  gesagt 
bab^,  Iftist  Lukas  die  Hohenpriester  und  Aeltesten  selbst 
bei  der   Verhaftung   gegenwärtig  sein,    und  Jesum  hier 


9)  Vgl.  DB  Wstn,  exeg.  Hsndb.,  1,  2,  S.  111 ;  TmiLS^  zur  Bio. 
graphie  Jesu ,  $.  34.  Anm.  3 ;  Niaroir  ,   L.  J.  Chr. ,  S.  619- 

AtUKk', 


OrlUes  Kapitel*    $.  kiß.  ft07 


«q/  fene  Weiso  aa  ibuen  tpreoheo;   was  gewifs  nur  Iri^ 
Ihnm  iat  ^^). 

JNach  dea  swei  ersten  Evangeliseen  fliehen  nnn  alle 
jQnger;  wobei  Markna  den  speciellen  Zug  bat,  dsr«  ein 
JfiDgling,  der  eine  Leinwand  um  den  blofaen  JLelb  gewor« 
fen  hatte,  als  man  Ihn  greifen  wollte,  mit  Znrficklastung 
der  Leinwand  naekt  davongeflohen  sei.  Abgesehen  von 
den  mfifsigen  VermnChungeo  älterer  und  selbst  neuerer 
firblftrer,  wer  dieser  Jfingiing  gewesen  sein  möge,  hat 
inaD  mit  Unrecht  ans  dieser  Notla  auf  nahe  Gleiebseitig- 
keit  des  Markus  •fivangeltnms  gesohlossen,  weil  eine  sol- 
che  kleine,  namenlose  Anekdote  nur  in  der  Mfthe  der 
Personen  und  Begebenfarften  habe  interessiren  können  *^): 
ds  dooh  dieser  Zug  selbst  uns,  in  der  weitesten  Zeitferne, 
Doch  eine  lebendige  Anschauung  ?on  dem  panischen  Schre- 
cken und  der  schnellen  Fluoht  der  Anhänger  Jesu  gibt, 
nod  also  dem  Markus,  woher  er  ihn  auch  bekommen, 
and  wie  spät  auch  geschrieben  haben  mag,  willkommen 
lein  mnlste« 

§.     126. 
Jesu  VerhSr  vor  dem  Hohenpriester. 

Von  dem  Orte  der  Gefangennehmnng  lassen  die  Syn- 
optiker Jesnm  com  HohenpriesteiC?  dessen  Namen,  KLalphas, 
jedoch  hier  nur  Hatthäns  nennt,  Johannes  aber  so  Annas, 
dem  Schi^iegerrater  des  damaligen  Hohenpriesters,  und 
Ton  diesem  erst  zn  Kaiphas ,  geföhrt  werden  (Matth.  26, 
57  ff.  parall.  Joh.  18,  12  ff.);  was  bei  dem  Ansehen  des 
Annas  eben  so  denkbar  ist,  als  sich  das  Stillschweigen  der 
Synoptiker  daraus  erklärt,  dafs  der  gewesene  Hoheprie« 
<ter    keine   Entscheidung    in    dieser    Sache   herbeiftthren 


10)  Schlbiirmachbh  ,  über  den  Lukas^  S.  290. 
il)  Pavlvs,  exeg.  üandb.,  3;  b,  S.  576. 


.J^ 


S06 


Dritter  Abschaitt. 


konnte.  Um  so  aufiallender  ist  es  aber,  dafs,  wie  mut 
dem  ersten  Anbiiok  nach  glauben  mufs,  der  vierte  E?an« 
geiiat  umgekehrt  nur  aus  der  Verhandlung  mit  Annas  ei- 
niges Nfiliere  mitEutheilen ,  das  entseheidende  Verhör  doi 
wirklichen  Hohenpriesters  dagegen,  aofser  dafs  er  ttgt, 
Jesus  sei  dahin  abgeführt,  worden,  gans  bu  QlMrgeheQ 
scheint.  Nichts  lag  daher  der  Uarmooistik  nliher,  als  die 
Annahme ,  wie  sie  sich  s.  B.  schon  bei  £utbymius  fiodeti 
Johannes  habe  vermöge  seines  Ergänsungsswecbes  dai 
von  den  Synoptikern  abergangene  Verhör  vor  Annas  naoh- 
geholt,  das  vor  Kaiphas  aber  fibergangen,  weil  es  von  sei» 
nen  Vorgängern  ausföhrlich  genug  beschrieben  war  *). 
Diese  Antsicht ,  dafs  die  Synoptiker  von  gane^  verschiede* 
nen  Verhören  reden ,  findet  darin  eine  Bestütigong,  dafs 
der  Inhalt  des  Verhörs  auf  beiden  Seiten  ein  gans  ve^ 
schiedener  ist.  Während  nnmlich  bei  dem ,  welohes  die 
Synoptiker  beschreiben,  nach  Matthäus  und  Markus  coerst 
die  falschen  Zeugen  gegen  Jesum  auftreten,  hierauf  der 
Hohepriester  ihn  fragt,  ob  er  sich  wir  I&  Höh  forden  Messias 
ausgebe ,  und  auf  die  Bejahung  davon  ihn  der  Blasphemie 
und  des  Todes  schuldig  erklärt,  woran  sich  MifshaudlttO- 
gen  sohliefsen:  ae  wird  in  dem  von  Johannes  gesehilder* 
ten  Verhöre  Jesus  nur  naeh  seinen  J fingern  und  nach  sei- 
ner Lehre  gefragt ,  worauf  er  sich  auf  die  Oeftenrlichkeit 
seines  Wirkens  beruft,  und  nachdem  er  hierüber  von  ei- 
nem Diener  mifshandelt  worden  war,  wird  er,  ohne  dsfs 
ein  Urtheil  gefällt  wäre,  weiter  geschickt.  Dafs  nun  aber 
hienach  der«  vierte  Evangelist  von  dem  Verhöre  vor  Ksi- 
phas  nichts  Näheres  angibt,  ist  um  so  auffallender,  da  in 
dem  vor  Annas,  wenn  es  dieses  ist,  von  dem  er  ereählt, 
seiner  eigenen  Darstellung  Eufolge  nichts  entschieden  wor- 
den ist,  mithin  die  Gründe  und  der  Act^der  Verurtheilung 
Jesu   durch  das  jfidische  Gericht   in   seinem  Evangelion 


1}  ?xvixs^  a.  a.  0.  S.  577  ^  Ojlsjuvss!«,  2,  S.  244» 


Dtitt%B  Kapilei.    $•  126.  509 

dorchsM  fehloD,  üieb  aas  dem  ErgänsangaBweck  erkli« 
ren,  heifst  dem  Johannes  ein  gar  so  verkehrtes  Verfahren 
ear  Last  legen;  da,  wenn  er  das  überging,  was  die  An* 
dera  schön  hatten,  ohne  anaadeaten,  dafs  er  es  nur  dels- 
wegen  weglasse,  er  berechnen  konnte,  dadurch  nor  Ver- 
wirrung, und  gegen  sich  den  Schein  eines  faisehen  Be- 
richts, euwege  an  bringen.  Die  Meinung,  dafs  das  Ver- 
hör vor  Annas  das  Hauptverhör  gewesen  sei ,  und  delswe* 
gen  das  andere  Abergangen  werden  dürfe ,  kann  er  auch 
nicht  wohl  gehabt  haben,  da  er  ja  keinen  Beschlufs,  der  in 
jenem  gefafst  worden  wflre,  ansngeben  Mcifs;  wufste  er 
aber  endlich  das  Verhör  vor  Kaiphas  als  das  Hanptverhör, 
and  gab  doch  keine  nähere  Auskunft  darflber,  so  ist  anoh 
diefs  ein  höchst  sonderbares  Verfahren. 

Von  selbst  ergibt  sich  daher  der  Versuch,  in  der  Dar- 
stellung des  vierten  Evangeliums  ISpuren  davon  au  ent- 
decken, dafii  auch  sein  Berieht  von  einem  Veriidre  i>ei  Kai- 
phas SU  verstehen  sei.  Die  auffallendste  Spur  einer  möf- 
lichen  Identitfit  beider  Verbtfre  ist  die  Identität  einer  ne- 
benher^pielenden  Begebenheit,  indem  auch  Johannes,  wie 
die  Synoptiker,  während  des  von  ihm  beschriebenen  Ver- 
hörs Jesum  von  Petrus  verlKugnet  werden  lif»t.  Ferner 
kann  es  aufFallen,  dafs,  nachdem  V.  13.  von  Annas,  als 
dem  TUv&eQog  th  KaYccfa,  die  Rede  gewesen,  nun  eine  nä- 
here Beseichnung  des  letsteren,  als  Urhebers  von  jenem 
verbängnif 8 vollen  Rathe,  Job.  11,  50.,  folgt,  wenn  doch 
sofort  nicht  ein  von  ihm,  sondern  v.on  dem  ersteren  vor- 
genommenes^ Verhör  eraählt  werden  soll«  Dann  Ist  auch 
in  der  Beschreibung  des  Verhörs  selbst  durchaus  vom  Pa- 
läste und  von  Fragen  t3  aQXiCQioJS  die  Rede,  wie  doch 
Johannes  sonst  nirgends  den  Annas,  sondern  nur  den  Kai- 
phas nennt*  Dafs  aber  nun  auf  diese  Weise  schon  von 
V.  15.  an  von  etwas  bei  Kaiphas  Vorgegangenem  die  Rede 
sein  sollte,  scheint  freilich  wegen  V.  24.  unmöglich,  weil 
M  hier  erst   helfet,   Annas  habe  Jesum   sn  Kaiphas   ge- 


510  Dritter  Abschnitt. 

sehickt ,  so  dafs  er  also  Ms  dahin  bd  Annas  gewesen  sein 
müfste.  Schnell  besonnen  setste  man  daher  saerst  des 
24  ten  Vers  dahin ,  wo  nan  ihn  brauchte ,  nftmlich  hinter 
V.  13.  j  und  schob  die  Schaid,  dafs  er  jetet  weit  spiter 
gelesen  wird,  auf  die  Naehlfissigkeit  der  Abschreiber^ 
Da  jedoch  diese  Umstelhing ,  In  ihrer  Verlassenlieit  tob 
kritischen  Anctoritäten ,  als  wiUhfirliche  OewaithfiKe  er 
scheinen  mnfsie :  so  bat  man  sofort  versacht,  ob  sieh  nicht 
d«*r  Nc^tla  V.  24,  ohne  sie  wirklich  ans  ihrem  Orte  n 
rücken,  doch  eine  solche  Deutung  geben  liefse,  dafs  de 
dem  Sinne  nach  hinter  V.  13.  bu  stehen  käme,  d.  h.  man 
nahm  das  aTtigeikev  in  der  Bedeutung  eines  Plusquamper 
fects,  und  dachte  sich,  Johannes  w6lle  hier  nRchbolen, 
was  er  bei  V.  13.  bu  bemerken  vergessen,  dafs  nfinlieh 
Annas  Jesum  alsbald  bu  Kaiphas  geschickt  habe,  folglich 
das  beschriebene  Verhör  von  diesem  vorgenommen  worden 
sei  ^).  Da  die  aligemeine  Möglichkeit  einer  solchen  enai- 
läge  temporum  Buaugeben  ist,  so  fragt  sich  nur,  ob  sie  ss 
der  Eigenthflmliohkeit  des  gegenwärtigen  Sobrifbtellen 
pafst,  und  im  Znsammenhange  angedeutet  isti  In  letaterer 
Binsicht  konnte  nun  allerdings  der  Evangelist,  wenn  vor 
Annas  nichts  Bedeutendes  vorgefallen  war,  sich  durch  die 
an  die  Angabe  seines  Verhältnisses  bu  Raiphas  geknfipfte 
nähere  Beaeichnung  dieses  Letatern  verfahren  laasen,  so- 
fort ohne  Weiteres  au  dem  Verhöre  des  Kaiphas  übersn« 
gehen,  und  diesen  Uebergang  etwa  nachträglich,  bei  irgeod 
einem  ftubepnnkte,  wie  hier  nach  dem  Schlüsse  der  Ve^ 
handiorigen  des  Hohenpriesters  mit  Jesu ,  bemerklieb  ss 
machen.  Bin  genau  griechisch  Schreibender  freilich  wür- 
de in  diesem  Falle,  wenn  nicht  das  Plusquamperfectan 
gebraucht,  doch  an  dem  AorUt  dnreb  ein  yaQ  die  eriäs- 


2)  So  z.  B.  EiusKus,  t,  d.  St. 

3)  So  WiHsn  y  N.  T.  Gramm.  4*  ^^ »  ^  >    Troluck  luid  Lücn 
s.  d.  St. 


Drittes  Kapitel.    {•  12d.  511 

ternde  BcBlehiing  aaf  das  Vorhergehende  sichtbar  gemacht 
hüben.  Unser  Evangelist  hingegen,  bei  weichem  die  Eigf>n- 
beit  der  hellenistischen  Schriftsteller,  dem  li^lst  der  hebrii- 
sehen  Sprache  gemäfs  dfb  Sfttse  nor  lose  sn  verbinden, 
besonders  ausgeprSgt  sich  ceigt,  kann  Jene  Nachholnng 
Hohl  anoh  entweder  ohne  Partiiiel,  oder  der  gewfthnlichen 
Lesart  sofolge  durch  av^  das  nicht  blofii  fortfahrend,  ton« 
dern  anch  wiederanfnehmend  ist  0,  eingefDgt  haben.  Ki^ 
Bühit  hienach  anch  er  das  Verhör  vor  Kaiphas:  so  erhellt 
freilich  theils  schon  ans  der  Ansicht  seiner  Darstellang 
fiir  sich,  theils  ans  ihrer  oben  angestellten  Vergleichnng 
mit  der  synoptischen,  data  seine  Ereählnng  nicht  vollstän- 
dig sein  kann. 

Sind  wir  hierait  an  den  Bericht  der  Synoptiker  ge- 
wiesen, so  finden  anch  unter  ihnen,  awischen  den  beiden 
ersten  nlmlich  und  dem  dritten,  mehrfache  Abweichungen 
statt  Wshrend  nach  jenen  beiden,  als  man  Jesnm  in  den 
hoheitpriesterlichen  Palast  brachte,  die  Schriftgelehrtcn 
nnd  Aeltesten  bereits  versammelt  waren,  und  nun  noch  in 
der  Nacht  Aber  ihn  Gericht  hielten ,  wobei  anerüt  Zeugrn 
anftraten,  dann  der  Hohepriester  ihm  die  entscheidende 
Frsge  vorlegte,  auf  deren  Beantwortung  hin  die  Versamm- 
lung ihn  des  Todes  schuldig  erklfirte  (auch  bei  Johannes 
geht  das  Verhör  in  der  Nacht  vor  sich,  ohne  dnfs  Jedoch 
von  der  Anwesenheit  des  hohen  Raths  die  Rede  wäre): 
wird  nach  der  Darstellung  im  dritten  Evangelium  Jesus 
die  Nacht  ober  im  Palaste  des  Hohenpriesters  nur  einst- 
weilen verwahrt  nnd  von  der  Dienerschaft  mifshandelt, 
bis  erst  mit  Tagesanbruch  das  Synedrium  sich  versammelt, 
ond  nun ,  ohne  dafs  vorher  Zeugen  auftreten ,  der  Hohe- 
priester durch  Jene  entscheidende  Frage  die  Verurtheilung 
beschleunigt.  Dafs  nun  die  Mitglieder  des  hohen  Raths 
schon  in  der  Nacht,  während  Judas  mit  der  Wache  aus- 


4)  Wikbh,  Grsmm.  ^.  57 ,  4. 


512  Dritter  Abschnitt. 

gerückt  war,  cor  Empfangnahme  Jetn  ttich  versammelt  ht- 
ben ,  könnte  man  nnwahrecheinlich  finden ,  ond  insofern 
die  Därstellnng  des  dritten  Uvangelioms  vorsiehen  wollen, 
welches  sie  erst  bei  Tagesanbruch  ansammen kommen  ififst^): 
wenn  sich  Lnkas  nur  nicht  diesen  Vortheil  dadurch  lelbtt 
wieder  entzöge ,  dafs  er  die  Hohenpriester  and  Aeitesten 
bei  der  Gefangennehmang  im  Garten  sugegen  sein  ififst; 
ein  Eifer,  der  sie  wohl  auch  getrieben  haben  wCrde^  sich 
alsbald  aar  schleunigen  Beschlofsnahme  eusammensothun. 
Jndefs  auch  bei  Mattbftus  und  Markus  ist  das  seltsam^  dafi, 
nachdem  sie  uns  das  ganee  Verhür  sammt  der  Bescblttft> 
nähme  ersfihlt  haben  ^  sie  doch  noch  (27)  1.  nnd  15,  1.) 
sagen :  nQidiag  di  ye^ofiivr^g  avjußakioy  ekaßw ,  so  dsfs  ei 
acheioty  die  Synedristen  haben,  wo  nicht  gar  sich  amMo^ 
gen  wieder  versammelt,  da  sie  schon  die  ganse  Nacht  bei- 
sammen gewesen  waren,  doch  jetat  erst  einen  Beschlof« 
gegen  desum  gefafst,  der  auch  nach  ihnen  bereits  in  der 
näehtlichen  Versammlung  gefafst  worden  war  ^);  wenn 
man  nicht  sagen  will,  zu  dem  bereits  geffiUten  Todesurtbeii 
sei  am  Morgen  noch  der  Beschlnfs  der  Abiieferong  an  Pi- 
latus gekommen;  oder  Oberhaupt:  nachdem  sie  das  Todei- 
nrtheil  geffillt  hatten,  berathschlagten  sie  über  die  Art  der 
Vollziehunrg.  Uafs  Lukas  und  Johannes  die  Vorbandluog 
mit  den  tpevdofiaQvvQeg  fibergehen ,  ist  als  eine  Lficke  to 
ihrer  Darstellung  an  betrachten.  Denn  dafs  Jesus  den 
Ausspruch  vom  Abbruch  und  Aufbau  des  Tempels  geffaan, 
hat  bei  dem  Znsammentreffen  von  Job.  2,  19.  und  A.  U* 
6,  14.  mit  MatthAus  und  Markus  alle  Wahrscheinlichkeit; 
dafs  man  dann  aber  vor  Gericht  Jene  Aeufsemng  sli 
Anklagepunkt  gegen  ihn  benfitzte ,  ergab  sich  von  sellwt* 
Das  Fehlen  dieses  wichtigen  Punktes  bei  Lukas  erklirr 
ScHLSiBRMACHfiR  aus   dem   Umstände  9    dafa   der  Verfswer 


5)  So  ScRLBi^RMACHKa,  über  den  Lakss,  S.  295« 

6)  Ders.  a.  a.  O. ;   vgl.  FatTzscHi,  x.  d.  St.  des  Matth. 


I 


Drittes  Kapitel.    $.126.  5ia 

» 

dieses  Stflcks  im  dritten  ETangeliam  zwar  Tom  Uarten  her« 
ein  dem  Zuge,  der  Jesam  geleitete,  gefolgt,  vom  h'ohen- 
priesterliohen  Phiast  aber  mit  den  meisten  Uebrigen  aas- 
geschlossen  worden  sei,  mithin  das  in  diesem  Vorgefallene 
Dor  Tom  Hörensagen  ersfihle«  Allein  ein  so  nahes  Ver- 
hfiltojfs  des  Berichterstatters  in  diesem  Abschnitte  des  La- 
ksseTangeliams  sor  Thatsaohe  kann,  am  aas  dem  Folgen- 
den nichts  vorwegsanehmen,  aach  nar  um  des  Kinen  Zogt 
willen  von  der  Heilung  des  verwundeten  Knechts  nicht 
wohl  angenommen  werden«  Vielmehr  scheint  dem  dritten 
Evangelisten  dieser  Aussprach  nar  als  Klagartikel  gegen 
StephanuSy  nicht  gegen  Jesus,  dem  vierten  aber  nar  als 
Aosspruch  Jesu,  nicht  auch  als  Klagartikel  gegen  ihn,  so- 
gekommen  su  sein«  Weiter  ist  Ober  denselben,  da  er  schon 
frfiher  erläatert  werden  mufste  0>  ^^'^^  nichts  mehr  en  be- 
merken abrig. 

Wie  Jesus  auf  die  Aussage  der  Zeugen  nichts  erwi^ 
der^e,  frpgte  ihn  den  beiden  ersten  Evangelisten  snfolge 
der  Hohepriester,  im  dritten  Evangelium  ohne  Jene  Veran- 
lassung das  Synedrium,  ob  er  wirklich  der  Messias  (der 
Sohn  Gottes)  bu  sein  behaupte?  was  er  nach  jenen  beiden 
ohne  Weiteres  dhrcb  gv  üuag  und  tyia  dfu  bejaht,  und 
hinsusetct,  dafs  sie  von  jetst  an,  oder  demnächst  (aV 
aW)}  des  Menschen  Sohn  sur  Rechton  der  göttlichen 
Macht  sitsen,  und  in  den  Wolken  des  Himmels  kommen 
sehen  würden;  nach  Lukas  hingegen  erkllirt  er  zuerst, 
dafs  ihn  aeine  Antwort  doch  nichts  nlitsen  werde,  ffigt 
fibrigens  hinzu,  von  Jetzt  an  werde  des  Menschen  Sohn 
aar  Rechten  der  göttlichen  Macht  sitzen,  worauf  ihn  Alle 
gespannt  fragen,  ob  er  demnach  der  Sohn  Gottes  sei  ?  was 
er  bejaht.  Hier  spricht  also  Jesus  die  Erwartung  aus, 
durch  seinen  Tod  nunmehr  zu  der  Herrlichkeit  des  mes- 
lianischen  Sitzens  zur  Rechten  Gottes,   nach  Ps.  110,  1., 


7)  Band  2^  ^.  112. 

Dom  Leben  Jesu  ^te  Aufl.  ii.Bfmd.  33 


514  Dritter  Abschnitt. 

den  er   schon  Matth,   22,    44.    auf  den   Messiae    g(>dMt«t 
hatte,   einsDgehen.     Wenn   den    ewei  ersten  Erangelisten 
Bofolge  Jesus  zu   dem  xad-rjfieyov  ix  de^ioHv  rijg  dnufitoig 
noch  xai  tQxofnvov  inl  riov  veq^ehov  t5  eQarö  setzt,  so  ssfrt 
er,  wie  schon  früher,  zugleich  seine  baldige  Parnsie,  ond 
Bwar  bestimmt  als  Wiederkunft,  voraus.    Nach  Olsbaussk 
soll  das  ccTc  a^t  des  Matthä'ns  nur    auf  xad'rjttvfw  x.  t.  h 
bezogen  werden,   weil  es  zu  iQyof.tBvw  x.  r.  iL    nicht   pas- 
sen würde,  indem  sich  nicht  denken  la^se,  wie  Jesus  sich 
damals  schon   als  dei^nfichst  Kommenden    habe   darstellen 
können;  In  Ahnlicher    Absicht   fibersetzt  Neandkr  das  ^'^- 
XOf(e%'(iv  im   rolv  veg^eXiov  durch:    ein  herziehend   Aber   den 
Wolken  ^;    beides    o£Fenbare   Verfüischongen   des    Wort- 
sinns, aus  dogmatischen  Bedenklicbkeiten  hervorgegangen. 
Auf  die  gedachte  Erklärung  Jesu  zerreifst  nach  Marthäna 
und  Markus  der  Hohepriester  seine  Kleider,  erklfirt  Jesun 
der  Blasphemie  für  fiberwjesen,   und  die  Versammlung  er- 
kennt ihn  des  Todes  schuldig;   wie  auch  nach  Lukas  die 
Vorsammelten    bemerken ,    nun    brauche   es   kein   weiteres 
Zeugnifs  mehr,   da  die  verbrecherische  Aussage   von  Jesu 
selbst  vor  ihren  Ohren  gethan  worden  sei. 

An  die  Verortheilang  schliefst  sich  dann  i>ei  den  bei- 
den ersten  Evangelisten  die  Mifshandlung  Jesu,  welche 
Johannes,  der  hier  keiner  Verurtheilung  erwähnt,  nach 
der  Berufung  Jesu  auf  die  Oeffentlicbkeit  seines  Wirkeos 
erfolgen  läfst,  Lukas  aber  schon  vpr  das  Verhör  verlegt; 
wahrscheinlicher,  weil  man  nicht  mehr  genau  wufste, 
wann  diese  Mifshandlungen  vorgefallen  waren ,  als  weil 
sie  zu  verschiedenen  Zeiten  und  unter  verschiedenen  Ver- 
bfiltnisspn  wiederholt  worden  wären.  Die  Verfibong  die« 
ser  Mifshandlungen  wird  bei  Johannes  und  Lukas  aus- 
drücklich dort  einem  vui^Qen^g^  hier  den  avÖQeg  owixofyrEg 
Tov  */.  zugeschrieben;   dagegen  müssen  bei  Markus ,  wenn 


8)  L.  j.  Chr.  s.  eaj. 


Drittes  Kapitel.     $.' ltB6.  515 

er  im  Folgenden  die  v7€t;Qirag  von  ihnen  nnterecheidet,  die 
tivig  iftTCTvoyreg  einige  von  den  navreg  sein ,  welche  ihn 
eben  vorher  vernrcbeilt  hatten,  ond  auch  bei  MatthJins, 
der,  ohne  ein  nenee  Subject  so  eetaen,  nnr  doreh  rcxre 
ijO^avTO  fortfährt,  soheinen  die  Synedristen  selbst  es  an 
•ein,  welche  sich  Jene  unwürdigen  Handlungen  erlauben; 
was  ScBLKifiaiiACHaR  mit  Recht  unwahrsoheinÜeb  gefunden^ 
uad  insofern  die  Darstellung  des  Lukas  der  des  Matthlus 
vorgesogen  hat  ')•  Die  Mifsbandlung  besteht  bei  Johan- 
nes in  einem  BaclKenstreich  QaTCiafia')  ^  welchen  ein  Die- 
ner, wegen  einer  vermeintlich  unbescheidenen  Rede  gegen 
den  Hohenpriester,  Jesu  gibt;  bei  Matthäus  und  Markus 
ist  es  Verspeiung  des  Angesichts  CivinTvacv  eig  to  jcQoata- 
nov  avtQ')^  Schläge  auf  den  Kopf  und  Baekeostreiehe,  wo- 
Bo,  auch  nach  Lukas,  das  k|im,  dafs  er  Chei  verhfiUtem 
Haupte  ^®J)  geschlagen  und  höhnend  aufgefordert  wurde, 
leinen  messianischen  Seherbliok  durch  Angabe  des  Thäters 
so  benrknnden.  Nach  Olshacsbn  hat  der  Geist  der  Weis*- 
saguog  es  nicht  unter  seiner  Würde  gehalten,  diese  Roh- 
heiten im  Einseltien  vorhersuverkflndigen,  und  augleich  die 
GemfithsFerfassung  su  aeichnen ,  welche  der  Heilige  Got- 
tes der  anheiligen  Menge  entgegensrellte.  Richtig  wird 
hiesu  Je«.  50,  6  f«  angeführt  (LXX.):  tov  vakov  /ns  di- 
diüKu  dg  ftdgiyag^  rag  di  aiayovag  /i«  Hg  QCcniafiaTay  ro  de 
nQoaitmay  fts  «x  anigoeipa  dno  alaxvvtjg  i^7Viva(iav(av  x.  r.  A,, 
vgl.  Mich.  4,  14 ,  und  fdr  die  Art,  wie  Jesus  das  Alles  er- 
trug, die  bekannte  Stelle  Jos.  53,  7.,  wo  vom  Knecht  Got- 
tes AtA  Schweigen  untei^  den  Mirshandlnngen  hervorgeho- 
ben wird.    Allein,  dafs  Jes.  50,  4  £F.  eine  Weissagung  auf 


9)  a.  a.  O. 

10)  Matthäus,  welcher  der  Verhüllung  nicht  gedenkt,  scheint 
lieh  die  Jesu  gestellte  Aufgabe  90  zu  denken,  er  solle  die 
ihn  misshandelttden  Personen,  die  er  zwar  sah,  aber  nicht 
näher  kannte,  hei  N^men  nennen.    Vgl.  na  Warn,  z.  d.  St. 

S3* 


516  Dritter  Absöhnitt. 

den  Messias  sei ,  ist  ebenso  gegen  den  Zusammenhang  dct 
Abschnitts  9  wie  bei  Jes.  5:i.  ^0^  folglieh  mttlste  das  Z«- 
>wmmentre£Fen  des  Erfolgs  mit  diesen  Stellen  entweder 
mensohlich  beabsichtigt,  oder  rein  sufKllig  gewesen  sein. 
So  wenig  nun  die  Diener  nifd  Soldaten  bei  ihren  Hifa- 
handlnngen  die  Absicht  gehabt  haben  werden,  Weissa|aii- 
gen  an  Jesu  in  Erfüllung  gehen  sn  la»sen :  so  wenig  wird 
man  diesem  selbst  das  Affectirte  Bosehreiben  wollen,  «os 
dieser  Absicht  geschwiegen  su  haben ;  sondern  der  Natnr 
der  Dmstfinde,  Personen  und  Vorstell  nogen  gemflfs  kann 
hier  ein  safKlliges  Znsammentreffen  stattfinden.  Doch ,  to 
waRrseheinlich  es  auch  der  rohen  Sitte  Jener  Zeit  infolge 
ist,  dafs  der  gefangene  Jesns  mifshandelt,  und  unter  An* 
drem  auch  so  milshandelt  worden  ist,  wie  die  EvangeUtten 
es  besehreii>en :  so  Iftfst  sieh  doch  kanm  Torkennen,  dafi 
ihre  Sohildernngen  nach  Weissagungen  gemacht  sind,  wel- 
che  man,  da  Jesus  einmal  als  Leidender  nnd  Mifshandeltsr 
gegeben  war,  auf  ihn  besog;  ebenso,  wie  angemessen  ei 
auch  ^  dem  Character  Jesu  ist,  diese  Miffhandlnngen  gedal* 
dig  ertragen,  nnd  unbefugte  Fragen  mit  edlem  Sohweigsn 
-surflckgewiesen  su  haben:  so  hätten  doch  sehwerlioh  die 
Evangelisten  dieis  so  oft  nnd  angelegentlich  hervorgeho- 
ben ^^,  wenn  es  ihnen  nicht  darum  su  tbnn  gewesen  wAre, 
dadurch  A.  T.  liehe  Orakel  als  erfbUt  nn  neigen. 

§.    12T. 
Die  Verla ugnung  det  Fetrui. 
Bei  der  Abfnhrnng  Jesu  aus  dem  Garten  lassen   die 
Ewei  ersten  Evangelisten  im  Augenblick  swar  alle  Jünger 

11)  s#  GssBKiut,  X.  d.  Abich. 

12)  Matth.  26,  63.   vgl.  Markui  14,  61 :   i  Sh  V.  iauina. 

flllatth.  27  j   12  :    ttSfy  antx^tiyaro, 

IMatkh.  27,  14*    vgl.  Marc.  15,  5 :    xak  ««   oTTtK^raro  wr^  n^ 

nSt  )by  ^/ittj  äqe  y^auftaltir  ror  r/ytftora  JUav. 
Luc.  23)  9  J   auTOi  St  H^hr  antte^retro  ovtm, 
Jon.  19,  9l  o  Sk  */.  unox^toiy  •«  KStMir  avrtZ. 


Drittel  Kapital.    $.  127.  517 

ilie  Flocht  argreafen;  doch  folgt  aooh  bai  ibnen,  wia  bei 
den  abrigen,  Petras  von  ferne,  und  weifs  sich  mit  dem 
Zuge  Eingang  in  den  Hof  des  bohenpriesterliehen  Palasta 
so  verschaflFan«  Wfthrend  den  Synoptikern  snfolge  Petras 
aliein  es  ist,  der  diese  Probe  von  Math  und  Anbfinglioh- 
keit  an  Jesnm ,  die  ihm  aber  bald  genag  sar  tiefsten  De« 
nflthigong  ausschlagen  sollte,  ablegt :  gesellt  ihm  das  vierte 
Evangelium  den  Johannes  bei,  und  swar  so,  dafs  es  dieser 
ist,  welcher  dnroh  seine  Bekanntschaft  mit  dem  Hobenprio» 
tter  dem  Petrus  Zutritt  jbu  dessen  Palast  verschafft;  eine 
Abweichung,  die  mit  dem  ganaen  eigenthllmlichem  Verhllt- 
^ils,  in  welches  dieses  Evangelium  den  Petrus  nu  Johan* 
oes  setst,  schon  früher  erwogen  worden  ist ').  . 

Simnatlicheo  Evangelisten  nufoige  war  es  In  .dieser 
arAj^,  dafä  Petrus,  eingesehaohtert  durch  die  bedenkliche 
Wendung  der  Sache  Jean  und  die  hohenpriesferiiche  Die« 
oerschafty  die  ihn  umgab,  den  entstandenen  und  wiederholt 
geSofserten  Verdacht ,  daüs  er  su  den  Anhingern  des  ver- 
hafteten UalUfters  gehtfre,  durch  wiederholte  Versicherun* 
gen,  ihn  nicht  nu  kennen,  niedersuschlagen  suchte.  Doch, 
wie  bereits  angedeutet ,  in  Beaog  auf  den  Inhaber  dieses 
Locals  kfinn  awischen  dem  vierten  Evangelium  und  den 
fibrigen  eine  Abweichung  stattsnfinden  scheinen.  Dem  er« 
sten  Anblick  seiner  Ersihlung  nach  su  urtheilen,  erfolgt 
olodieh  bei  Johannes  die  erste  Verlingnung  (18,  17.) 
während  des  Verhörs  vor  Annas,  da  sie  nach  der  Notia, 
dals  Jeaas  an  Annas  (V.  IS.),  und  vor  der^  da£s  er  su 
Kaiphas  gefilhrt  worden  sei  (V.  24.)  steht;  und  nur  die 
awei  weiteren  Acte  der  Verlingnung,  sofern  sie  auf  die 
Erwähnung  der  Abfilhrung  su  Kaiphas  erst  folgen  {y. 
tt^37.) ,  und  unmittelbar  nach  ihnen  die  Ablieferung  an 
den  Pilatus  erafihlt  wird  CV.  SS.),  scheinen  auch  nach  Jo- 
hannes w&hrend  des  Verhörs  vor  Kaiphas,    in  dessen  Pa« 


1)  i.  Band,   §.  73. 


518  Dritter  Abschnitt. 

laste ,  vorgegangen  sn  sein.  Allein  dieae  Annahme  einer 
Verschiedenheit  der  Oertllchl&eit  f&r  die  erste  Verlfiagnnng 
nnd  die  beiden  folgenden  hat  in  der  Johanneischen  Dar- 
stellnng  selbst  ein  Hindernirs*  Nachdem  die  erste,  schon 
an  der  Pforte  des  Palastes,  wie  es  scheint,  von  Annas, 
vorgefallene  Verlfiugnnng  gemeldet  ist,  heifst  es,  die  Die- 
nerschaft habe  sich  der  Kälte  wegen  ein  Kolilenfeuer  an- 
gemacht, jjv  de  xal  fier  avtwv  6  JJiTQog  tcojs  xai  O^eQfiaivo- 
fievog  CV.  IS.).  Wenn  nun  später  dle^rsählung  von  der 
«weiten  and  dritten  Yerläugnung  fast  mit  den  nänüichen 
Worten  :  ijv  da  ^ifitov  UerQog  hgtjg  xal  d-SQftaivofieyos  (V. 
25.),  sich  eröffnet:  so  kann  man  nicht  anders  deniien,  ab 
durch  Jene  erste  Erwähnung  des  Kohlenfenera ,  and  dab 
Petras  so  demselben  getreten,  solle  der  Umstand  eingelei- 
tet werden ,  dafs  die  aweite  und  dritte  Verläognang  an 
diesem  Feuer,  also  nach  obiger  Ansicht  gleichfalls  noch 
im  Uaase  des  Annas,  vorgefallen  sei.  Zwar  sprechen  die 
Synoptiker  (Marc.  V.  54.  Luc.  V.  55.)  auch  im  Hofe  des 
Kalphas  von  einem  Feuer ,  an  welchem  Petras  (nur  hier 
sitEend,  wie  bei  Johannes  stehend)  sich  gewärmt  habe: 
doch  daraus  folgt  nicht,  dafs  auch  Johannes  im  Hofe  des 
regierenden  Hohenpriesters  ein  ähnliches  Feuer  sich  ge- 
dacht habe ,  wie  er  der  bisherigen  Voraussetzung  enfolge 
nur  bei  Annas  eines  solchen  gedenkt.  Wer  daher  die 
Vermnthnng  des  £uthymius  su  künstlich  findet,  dafs  die 
Wohnungen  des  Annas  and  Kalphas  vielleicht  einen  ge- 
meinschaftlichen Hofraum  gehabt,  and  folglich  Petras  nach 
der  Abfährang  Jesu  vom  ersteren  cum  letzteren  an  dem- 
selben  Feuer  habe  stehen  bleiben  können,  der  nimmt  lieber 
an,  die  «weite  und  dritte  Yerläugnung  sei  dem  Johannei 
snfolge  nicht  nach,  sondern  eben  während  der  Abfflhroog 
Jesa   von  Annas  zu  Kalphas  geschehen  ^).    Bleibt  somit 


2)  So  ScHLBiiRMAciiiR ,  Über  den  Lukas ,  S.  289 ;  Olshavs»«  ;  2« 
S.  445. 


DritteB  Kapitel.   §.  127.  519 

bei  der  Voranssetsnng,  daf«  Johannes  ein  Verhör  vor  An« 
oaa  berichte  y  die  Differens  der  Evangelien  in  Besag  auf 
die  Oertlichkeit  der  Verlfingnang  eine  totale,  so  haben  die 
Einen  so  Gunsten  des  Johannes  sich  dahin  entschieden, 
dafd  die  versprengten  Jfinger  über  diese  Scenen  nur  frag- 
mentarische Nachrichten  gehabt ,  und  der  in  Jernsalea 
nicht  einheimische  Petras  selbst  nicht  gewafst  habe,  in 
welchen  Palast  er  so  seinem  Unglück  hineingekommen 
war;  sondern  er,  and  nach  ihm  die  ersten  Evangelisten, 
haben  gemeint,  die  Verltagnungen  seien  im  Hofe  des  Kai- 
phas  vorgefallen ,  was  jedoch  der  in  der  Stadt  and  dem 
bohenpriesterlichen  Palaste  bekanntere  Johannes  berieh- 
tige  ')•  Allein,  auch  das  Cnglanbliche  sogegeben,  dafs  Pe- 
tras irrig  gemeint  haben  sollte,  im  Paläste  des  Kaiphas 
gelfiugnet  so  haben:  so  hfttte  doch  gewifs  Johannes,  der 
in  diesen  Tagen  am  den  Petras  war,  seine  Aussage  gleieh 
damals  berichtigt,  so  dals  jene  irrige  Meinung  sich  gar 
nicht  haue  fixiren  können«  Man  könnte  daher  den  umge- 
kehrten Versuch  machen,  und  auf  Rosten  des  vierten  Evan- 
geliums den  Synoptikern  Recht  geben  wollen:  wenn  nicht 
in  der  Bemerkung  des  vorigen  §.,  wonach  Johannes, 
nachdem  er  die  Abführung  Jesu  su  Annas  biofs  erwähnt 
hat,  sehon  von  V«  15«  an  von  den  Vorgängen  im  Paläste 
des  Kaiphas  spricht,  die  Lösung  auch  dieses  scheinbaren 
Widerspruches  läge. 

In  Besag  auf  die  einselnen  Acte  der  Verlängnung  stim- 
men sämmtliche  Evangelisten  darin  snsammen,  dals  es  de- 
ren, gemiCi  der  Vorhersage  Jesu,  drei  gewesen  seien;  aber 
in  der  Beschreibung  derselben  weJMshen  sie  von  einander 
ab.  —  Zuerst  Orte  und  Personen  betreffend,  geschieht 
nach  Johannes  die  erste  Verlängnung  bereits  bei'm  Eintritt 
des  Petrus  gegen  eine  naidiato]  &vQiü()6g  (V.  17.):  bei  den 
Synoptikern  erst  im  innern  Hofraum,  wo  Petrus  am  Feuer 


3)  So  Taulvs,  a.  s.  0.  S.  577  f. 


5^0  DrUter  Abschnitt. 

•afa ,  gegen  eine  naidiüxr^  (Matth.  V*  69  f.  parall.).  Die 
ft weite  geschieht  nach  Johannes  (W»  25.)  and  anch  nach 
Lukas,  der  wenigstens  keine  Verfindernng  des  Standpunkts 
anmerkt  (\.  58.>9  em  Feaer:  bei  Matthäus  (V.  71.)  «nd 
Markus  (V.  68  ff.) ,  nachdem  Petrus  in  den  Vorderen  Hof 
iTtvltav,  TiQoavlujv)  hinausgegangen  war;  ferner  nach  Jo- 
bannes gegen  mehrere ,  nach  Lukas  gegen  Einen  Mano; 
nach  Matthäus  gegen  eine  andere,  nach  Markus  gegen  die- 
selbe Magd,  vor  welcher  er  das  erstemal  geläugnet  hatte. 
Die  dritte  Verläugnung  geschah  nach  Matthäus  und  Ma^ 
kus,  die  keine  Ortsveränderung  gegen  die  b weite  beale^ 
ken,  gleichfalls  im  vorderen  Hof:  nach  Lukas  und  Johan- 
nes, sofern  sie  gleichfalls  keines  Localwechsels  gedenken, 
ohne  Zweifel  noch  im  inneren,  am  Feuer;  ferner  oaoh 
Matthäus  und  Markus  gegen  mehrere  Umstehende:  nach 
Lukas  gegen  Einen:  nach  Johannes  bestimmt  gegen  einen 
Anverwandten  des  im  Garten  verwundeten  Knechts.  - 
Was  ffir*s  Andere  die  Reden  betrifft,  welche  bei  dieser 
Gelegenheit  gewechselt  werden,  so  sind  die  Anreden  der 
Leute  bald  an  Petrus  selbst,  bald  an  die  Umstehenden  ge- 
richtet, um  sie  auf  ihn  aufmerksam  bu  mf eben,  und  lauten 
die  beiden  ersten  Male  ciemlich  gleich  dahin,  dafs  anch 
er  einer  von  den  Anhängern  des  eben  Verhafteten  so  sein 
seheine;  nur  bei'm  drittenmal,  wo  die  Leute  ihren  Ve^ 
dacht  gegen  Petrus  motiviren  wallen,  gehrauchen  sie  nach 
den  Synoptikern  als  Beweisgrund  seinen  galiläisohen  Dia- 
lekt: bei  Johannes  beruft  sich  der  Verwandte  desMalchoi 
darauf,  ihn  im  Garten  bei  Jesu  gesehen  cu  haben;  wo 
die  erstere  Motivirung .  ebenso  natürlich ,  als  die  zweite, 
sammt  der  Bezeichnung  dessen,  der  sie  vorbrachte,  als  ei- 
nes Verwandten  Jenes  Malchus,  künstlich  und  gemacht 
klingt,  um  die  Beziehung  jenes  Schwertstreichs  auf  Petrus 
recht  fest  in  die  Erzählung  zu  verweben  ^).    In  den  Ant- 


4)  Vgl.  WsissK;  die  craog.  Geschichte^  ],  S.  609. 


Prittea  Kajiitel.    §•  127.  ,    5*11 

* 

worCan  des  Petrus  findet  die  Ahvreichnng  statt,  dafs  er 
nach  Matthias  sehen  die  aeweite,  naeh  Markus  erst  die 
dritte,  hei  den«  beiden  andern  gar  keine  seiner  VerlXagnun- 
gen  durch  einen  Schwur  bekrifHgt;  bei  Matthäus  ist  dann 
an  der  dritten  Verllugnnng  die  Steigerung  dadurch  her- 
vorgebracht, dafs  SU  dem  ofjvvetv  noch  das  xarcnfaS'eficeti^etv 
gefügt  ist ,  was  den  andern  gegenfiber  allerdings  als  Ober« 
treibende  Darstellung  erscheinen  kann. 

Diese  so  verschieden  eraählten  Verllugnungen  derge- 
stalt in  einander  einsuschieben ,  dafs  kein  Evangelist  einer 
anrichtigeni  Ja  auch  nur  ungenauen  Darstellung  beschul- 
digt werden  mfllste,  war  nun  gann  ein  Geschfift  fttr  die 
Harmenisten.  Mieht  nur  die  ftlteren,  supranaturalistiscben 
Ausleger,  wie  Bsmoxl,  haben  sich  diesem  Gesohftfc  unter- 
Eogen,  sondern  auch  neuestensv  noch  hat  sich  Paulus  viel» 
Mfihe  giegeben ,  die  verschiedenen ,  von  den  Evangelisten 
ersfihlten  Verliugnungsacte  in  schickliche  Ordnung  und 
pragmatischen  Znsammenhang  bu  bringen.  Nach  ihm  ver- 
Iftngnet  Petrus  den  Herrn 

1)  vor  der  Partnerin  (Ite  Verifiugnung  liei  Johannes); 

2)  vor  mehreren  am  Feuer  Stehenden   (2te  bei  Job.) ; 

3)  vor  einer  Magd  am  Feuer  (Ite  bei  den  Synoptikern) ; 

4)  vor  einem,  der  nicht  näher  beaeiclinet  wird  (2te.l>el 
Lnkas) ; 

5)  bei'm '  Hinansgehen  in  den  vordern  Hof  vor  einer 
Magd  (2te  bei  Matthäus  und  Markus.  Aus  dieser 
Verläugnung  mfirste  Paolus  conseqnenterweise  swei 
mnchen,  da  die  Magd,  welche  die  Umstehenden 
auf  den  Petrus  aufmerksam  macht,  nach  Markus 
dieselbe  mit  No.  3«,  nach  Matthäus  aber  eine  andere 
war); 

6)  vor  dem  Verwandten  des  Malchus  (dritte  bei  Job.); 
'    7)  vor  einem,  der  ihn  am  galiläischen  Dialekt  erkennen 

will  (dritte  bei  Lukas),  welchem  sofort 
8)  mehrere  Andere  beistimmen ,  g^^n  welche  sich  Pe- 


5a4  Dritter  Äbsohnitt. 

den  beiden  ersten  BTangeiisfen  Petrae  nicht  in  deoudbeo 
Local  mit  Jesa,  sondern  e^co  Cl^^^^^b«  V.  69.)  oder  xmn 
CMsre.  V.  66.)  iv  rfj  avXfj^  elso  Jesus  innen  oder  oben  in 
Palaste  war:  so  mufs  man  fragen,  wie  denn  Jesns  die Yer 
Iftugnnngen  des  Petrns  habe  mit  anhören,  und  hieraof  iha 
ansehen  liönnen  ?  Auf  das  Letztere  beliommt  man  gewohs- 
lieh  die  Antwort,  Jesus  sei  Jetst  elien  aus  dem  Palaste  da 
Annas  in  den  des  Kaiphas  abgeführt  worden,  und  habe  in 
Vorübergehen  den  sebwaohen  Jünger  bedeutend  eng«* 
sehen  ^.  Allein  von  einem  solchen  Abführen  weifs  Lokai 
nichts;  anch  lautet  sein  gQaq:>€ig  6  Kv(fiog  iviftJietpe  li} 
nirQffi  nicht  sowohl,  wie  wenn  Jesus  im  Gehen,  als  wie 
wenn  er,  abgewendet  stehend,,  sieh  nach  Petrus  umgesehes 
hätte;  endlich  aber  ist  durch  Jene  Voninssetsnng  nodi 
nicht  erliUrt,  wie  Jesus  snr  Kenntnils  yon  den  Verläog- 
Jinngen  des  Jüngers  geliommen  war,  da  er  bei  dem  Ge- 
tümmel dieses  Abends  doch  nicht  wohl,  wie  Paulus  meiot, 
im  Zimmer  den  anf  dem  Hofe  lancredenden  Petrus  hörai 
konnte.  Freilich  findet  sich  Jene  ausdrückliche  Dnterschei- 
dnng  des  Ortes,  wo  Jesus,  von  dem,  wo  Petrus  war,  b«i 
Lukas  nicht,  sondern  nach  ihm  könnte  auch  Jesus  einige 
Zeit  im  Höfe  sieh  haben  aufhalten  müssen ;  allein  tbeili 
ist  hier  die  Darstellung  der  «ndem  an  sich  wahrscheioii- 
cher;  theils  macht  auch  clie  eigene  Ersühlnng  des  Lokis 
von  den  Verllngnungen  von  vorne  herein  nicht  den  Ein* 
druck,  als  ob  Jesus  in  unmittelbarer  Nfihe  gewesen  wire. 
Man  hätte  sich  übrigens  die  Hypothesen  nur  Erkllrnog 
jenes  Blickes  ersparen  können,  wenn  man  auf  den  D^ 
sprnng  dieses  Zuges  einen  kritischen  Blick  gerichtet  bWei 
Schon  die  Unklarheit,  mit  welcher  der  in  dergsneenfrOh^ 
ren  Verhandlung  hinter  die  Scene  gerüciite  Jesos  hier 
anf  einmal  einen  Blick  in  dieselbe  wirft,  hätte,  Busammstt- 


3)  Paulus  and  Olsiuusbn  ,  z.  d.  St. ;    Schlbibsmacbbr  y  a.  a  0. 

S.  289  'f   NsASDfiR;  S.  ij22*  Anm. 


Dritlea  KapiteL    (.,  128.  ft^ 

gBuemmmn  mit  dem  SHHsehwsigen  dtr  abrlgen  EvjiogeU* 
gten ,  ein  Fiagerseig  sein  tollen ,  wie  es  mit  dieser  Notin 
steht.  Dann 9  wenn  tiinsogesetst  wird,  als  Jwub  den  Pe- 
tras anblickte«  habe  sieh  lUes^r  des  Wortes  erinnert ,  wel« 
ehes  Jesus  firllher  Ober  seine  herorstehende  Verlingnnng 
■a  ihm  gesprochen  hatte:  so  hätte  man  bemerken  kennen, 
wie  der  Blick  Jesn  nichts  Anderes  ist,  als  die  nur  finlsern 
Anschauung  gemachte  Brinnemng  des  Petms  an  die  Worte 
•eines  Meisters.  Zeigt  die  hierin  einfachste  Johanneische 
ErzShlnng  nur  objectiv  das  Eintreffen  der  Verheifsnng 
Jeso  durch  das  Krfthen  des  Hahnes  an ;  fllgen  die  nwei  er- 
sten Evangelisten  hiestt  anoh  den  subjectiren  Eindmck, 
welchen  dieses  ^nsammentreffen  auf  den  Petras  machte: 
so  wendet  Lukas  diefs  wieder  objectiv,  und  Ififst  die 
8€itmerniiafte  Erinnerung  an  die  Worte  des  Meisters  als 
einen  dnrohbobrenden  Blick  von  diesem  in  das  Innere  des 
Jüngers  .dringen  0« 


$.•  1». 


/ 


Der  Tod  des  VerrKthcrs. 

Auf  die  Nachricht ,  daTs  Jesus  cum  Tode  verartheilt 
sei,  läfat  das  erste  Evangelium  (27,  3  ff.)  den  Judas,  von 
Rene  ergriffen,  su  den  Hohenpriestern  und  Aeitesten  eilen, 
ujB  die  30  Silberlinge ,  mit  der  Erklirnng ,  dafii  er  einen 
Unschuldigen  verrathen  habe,  ihnen  zurflcknugeben.  Als 
aber  diese  höhnisch  alle  Verantwortlichkeit  ffirjene  That 
snf  ihn  allein  schieben:  geht  Judas,  nachdem  er  das  Geld 
im  Tempel  hingeworfen,  von  Versweiflung  getrieben,  weg, 
Qnd  erhiogt  sich.  Die  Synedristen  hierauf  kaufen  um  das 
von  Judas.  Burflckgegebene  Geld,  welches  sie  als  Blufgeld 
nieht  in  den  Tempelschat«  legen  an  dfirfen  glauben,  einen 
Töpfersacker,  nnm  Begräbnils  fttr  Fremde.   Hiesu  bemerkt 

9)  Vgl.  OB  Wsnst  «.  d.  St.  des  Lukas. 


SM  Dritter  Abschnitt. 

der  EvAngeliit  Ewei«rlei:  erstlich,  daf«  eben  dieser  Art  der 
Erwerbong  wegen  das  Grandstfick  bis  auf  seine  Zeit  Blat» 
acker  genannt  worden  sei,  und  zweitens,  dafs  darch  itie* 
sen  Gang  der  Sache  eine  alte  Weissagung  sich  erf&llt  hs< 
he.  —  Während  die  fibrigen  Evangelisten  Ober  das  Ende 
des  Jodas  schweigen ,  finden  wir.  dagegen  in  der  Apostel" 
geschichte  (1,  16  ff.)  einen  Bericht  über  dasselbe,  welcher 
von  dem  des  Matthäus  in  mehreren  Stocken  abweicht 
Petrus,  wo  er  die  Ergfinieang  der  apostolischen  Zwölfsahi 
durch  die  Wahl  eines  neuen  Mitgliedes  in  Antrag  bringt, 
findet  angemessen,  sovor  an  die  Art,  wie  die  Lücke  Im 
Apostelkreise  entstanden  war,  d.  h.  an  den  Verrath  niul 
das  Ende  des  Judas,  su  erinnern,  und  sagt  in  leCsterer 
Beaiehnng,  der  VerrXcher  habe  ffir  den  Lohn  aeiner 
Schandthat  ein  GrundstfSck  sich  erworben,  sei  aber  jäh- 
lings herabgestürat,  und  mitten  entzweigeborsten,  ao  dsfi 
alle  Eingeweide  herausgetreten  seien ;  das  Grundstficii  aber 
habe  man,  weil  die  Sache  in  gans  Jerusalem  bekannt  ge* 
worden,  axekdafna,  d.  h.  Blutltfnd,  geheifsen.  Wobq  dann 
der  Erafthler  den  Petrus  bemerken  läfst,  dafs  dadurch 
cwei  Psalmstellen  in  Erffillong  gegangen  seien. 

Zwischen  diesen  be'den  Berichten  findet  eine  doppelte 
Abweichung  statt:  die  eine  Ober  die  Todesart  des  Judas, 
die  andere  darüber,  wann  und  von  wem  das  Grundstock 
erworben  worden  sei.  W^as  das  firsfere  betrifft,  so  ist  es 
nach  Matthäus  Judas  selbst,  welcher  aus  Reue  und  \ei^ 
cweiflnng 'Hand  an  sich'  legt:  wogegen  in  der  A.  G.  von 
keiner  Reue  des  Verräthers  die  Rede  Ist,  und  sein  Tod 
nicht  als  Selbstmord,  sondern  als  sufälliger,  oder  näher 
vom  Himmel  zur  Strafe  verhängter  Unglücksfall  ersclieint; 
ferner  ist  es  bei  Matthäus  der  Strick,  durch  welchen  er 
sich  den.  Tod  gibt:  nach  der  Darstellung  des  Petrus  ist 
es  ein  Sturs,  der  durch  ein  gräfsliches  Bersten  dea  Lei- 
bes  seinem  Leben  ein  Ende  macht. 

Wie  thätig  von  jeher  die  Harmonisten  gewesen   sind. 


Drittes  KapiteL    f.  128.  »27 

\ 
dlete  Abwelchongen  aussogleichen,  mag  maa.  bei  Soicbr  ') 

ond  KdinÖl  nachlesen:  liier  sollen  nnr  kurz  die  Haopt- 
versoche  aofgefBhrt  werden.  Da  die  tteceichnete  Absvel« 
chong  ihren  Haoptsits  in  den  Worten  an)ry^ceTO  bei  Mat- 
tbCns ,  nnd  TtQfpnljg  yeroiaevog  bei  Loltas  hat :  so  lag  es  an 
nichsten ,  Bnsusohen,  ob  nicht  der  eioe  dieser  Ansdrüclie 
•of  die  9eite  des  andern  sa  sieben  wäre.  Diefs  bat  man 
mit  a7trff^€XT0  anf  verschiedene  Weise  versoeht,  indem  die- 
ses Wort  bald  nur  die  BeSngstignngen  des  bdsen  Gewis- 
sens ^,*bald  eine  Kranliheit  in  Folge  derselben  *),  bald 
jeden  aus  Schwermuth  und  Versweiflong  gewählten  Tod 
bedeuten  sollte  ^;  wosu  dann  erst  das  nitt^vr^g  yevofievos 
X.  r.  A.  der  Apostelgesehichte  das  Genaoere  nachbringe, 
iah  die  Todesart,  2u  welcher  den  Judas  das  böse  Gewis- 
sen und  die  Versweiflnng  trieb,  derSturu  von  steiler  Höhe 
beranter  gewesen  sei«  Andere  haben  umgekehrt  das  ngr^n^s 
ftviftevog  dem  dnrjy^ato  ansupassen  gesucht ,  in  der  Art, 
dsrs  es  nichts  Anderes  ausdrfteken  sollte,  als  dasjenige  als 
Znstaad,  was  das  am^'^tno  als  Handlung:  wenn  dieses 
doroh  se  suspendit,  so  sollte  Jenes  durch  snspensus  flber- 
setst  werden  ^).  —  Der  oflfenbaren  Gewaltsamkeit  dieser 
Versuche  gegenflber  haben  Andere  mit  Schonung  der  na« 
tfirlichen  Bedeutung  der  beiderseitigen  Ausdrficke  die  ab* 
wsiebenden  Berichte  durch  die  Annahme  vereinigt ,  dafs 
Msttbftus  einen  froheren ,  die  A.  G.  einen  spfiteren  Mo- 
ment in  dem  Hergang  '  bei  dem  £nde  des  Judas  berichte» 
Und  zwar  hielten  einige  der  älteren  Erblfirer  beide  Mo- 
mente so  weit  auseinander y  -dafs  sie  in  dem  dnr^y^oao  nur 


1)  Thesaurus,  s.  r.  anuyx^' 

2)  Grotius.] 

3)  Hbiksxvs. 

4)  FiKizoinus. 

5)  So  die  Vttigata  und  Eraskus«   S.  gegen  sUe  diese  Deutungen 
KuiNai,  in  Matth.  p.  743  ff.  > 


528 


Dritter  Abschnitt. 


einen  uiir«lun|[enen  Versuch   sam  Selbstmord   sahen,  vrel- 
eben  Jndas,   Indem  der  Baomast,   an  den  er  sich  hingen 
wollte,  sich  bog,  oder  aus  sonst  einer  Ursache^  fiberlebte, 
bis  sp£ter  die  Strafe  des  Himmels  durch  das    TiQr^vi^i;  y^vo- 
fifvo^  ihn   ereilte^}.    Allein,   da  Matthfius  -sein   oTi^^cao 
offenbar  In  der  Meinung  «ind  Absieht  setst,  von  dem  Ver^ 
rtfther  das  Letste  eu   berichten:   so  ^hat    man   in  neuerer 
Zeit  die  beiden  Momente,   in  deren  Bericht  sich  das  erste 
£?angelinm  und  die  A.  ü.  theilen  sollen,  nfiher  zusammen- 
gesogen,  und  angenommen,  Judas  habe  sich  auf  einer  Hdhe 
an  einem  Baume  aufhingen  wollen ,    da  al>er   der^  Strick 
rifs,  oder  der  Baumast  brach,  sei  er  über  schroffe  Klippen 
und  spitse  Gestrfinche ,   die  seinen  iiolb  serfleischten ,    bis 
in*s  Thal  heruntergestfirut  ^).    Doch  schon  der  Verfasser 
einer  Abhandlung  Ober   die  letzten  Schicksale  des   Judss 
in  Schmidt's  Bibliothek  ^  hat  es  auffallend  gefunden  ,   wie 
getreulich  sich  nach  dieser  Annahme  die  beiden  Erslhler 
in  die  Nachricht  getheilt  haben  mfilsten,  indem  nicht  etwa 
der  eine  das  Unbestimmte,  der  andere  das  Bestimmtere  he- 

0 

richte,  sondern  beide  erefiblen  bestimmt,  nur  der  eine  dea 
ersten  Theil  der  Begebenheit  ohne  den  zweiten,  der  andere 
den  zweiten,  ohne  den  ersten  zu  berOhren ,  und  Hasb  be> 
hauptet  mit  Recht ,  beide  Berichterstatter  haben  jeder  nar 


6)  Oekuincnius  z.  A.  G.  1 :  o^Mas  ü*  han^&ctye  r?  a^xor*!,  aju 
tnfßita ,    Mar&rfix*^***    ^Ü9    t**»    uTroTtviytjym,      Vgl.  Theophylallt    KU 

Matth.  27,  und  ein  Schol.  \4noLva^H  bei  Mattmabi. 

7)  So,  nach  Casaubokus,  Paulus,  3,  h,  S*  457 ;  Kuiü'öl,  in  MattL 
747  f. ;  WiKBR,  b.  Realw.  d.  A.  Judas,  und  mit  halber  Bei- 
Stimmung  Olshausbn,  2,  S.  455  f.  Selbst  Fmtzschb  ist  durch 
den  langen  Weg  bis  zu  diesen  ietcten  Kapiteln  des  Matthäus 
so  matt  gemacht^  dass  er  sich  he\  dieser  Ausgleichung  he* 
rufaigti  und  unter  Voraussetzung  derselben  behauptet,  dass 
die  beiden  Berichte  amicissime  conspiriren. 

8)  2.  Bandy  2.  Stück,  S.  248  f. 


Drittes  Kapitel.     S-  12S.  5t!9 

den  Ton  ihm  AvfgenommeneD  Thntbestand  gekannt,  da  sie 
sonst  die  andere  Hfiifte  nicht  hfitten  auslassen  können  ')• 

Nacbdem  wir  so  an  der  ersten  Differens   die  Vereinl- 
gongs?ersache  haben  scheitern  sehen,  fragt  sich  nnn,  ob  die 
andere^  die  Erwerbung  des  Grundstocks  betreflPende,  sich 
leichter  beilegen  Ififst.    Sie   besteht   darin,   dars    bei  Mat« 
thius  erst  nach  des  Judas  Entleibnng   die  Synedristen  ffir 
das  von  ihm  surflckgelassene  Geld  einen  Acker  (und  zwar 
Ton  einem  Töpfer  —  eine  Bestimmung,    die  in  der  A.  6. 
fehlt)  erkaufen:    wogegen   nach  der   A.   6.   Judas  selbst 
noch  das  Grundstock  ffir  sich  erwirbt,  und  auf  demselben 
Tom  jlben  Tode  ereilt  wird ;   so  dafs  nach  diesem  Bericht 
das  Grundstück   von  dem   darauf   vergossenen   Blute   des 
Verrlthera,   nach  jenem  von  dem  am  Kaufpreis  desselben 
klebenden  Blute  Jesu,   dyQog  oder  xiaqlov  aXficczog  genannt 
worden  sa  sein  scheint.    Hier  ist  nun  die  Ausdrucksweise 
des  MatthXua  so  bestimmt,  dafs  an  ihr  nicht  wohl  eu  Gun- 
sten der  andern  Nachricht  gedeutelt  werden    kann :    wohl 
aber  hat  das   ixti^aaro  in  der  A.  G.   eingeladen,   es   nach 
Matthäus  umEudeuten.     Durch  den  Verrfitherlohn,  soll  die 
Stelle  der  A.  G.  sagen    wollen,   erwarb  er  einen  Acker: 
nieht  unmittelbar,  sondern  mittelbar,   indem   er  durch  die 
Zarfickgabe  des  Geldes  Veranlassung    eum  Ankauf  eines 
tirondsttfcks  gab;    nicht  ffir  sich,   sondern  fifir  das  Syne- 
driom  oder  das   allgemeine  Beste  ^^.    Doch  so  viele  Stel- 
len man  auch  aufführen  mag,   in    welchen  das  xtaad'ai  in 
der  Bedeutung :  ffir  einen  Andern  erwerben,  vorkommt,  so 
mofs  doch  in  diesem  Falle  notbwendig  die  andere  Person, 
flir  welehe  einer  erwirbt,  angegeben  oder  angedeutet  sein, 
und  wenn  diefs,   wie  in  der  Stelle  der  A«  G. ,  nicht    der 
Fall  ist,   so  bleibt  es  bei  der  Bedeutung:    ffir  sich  selbst 
erwerben  ^0*    Diefs  hat  Paulus  geftthlt,   und  daher  der 

9)  L.  J.  §.  132.    Vgl.  Thbili,  zur  Biographie  Jesu,  §.  33. 

10)  t.  Kuxn'ÖL,  in  Matth.  p.  748. 

11)  8.  ScHmoT^s  Bibliokh.  a.  a.  O.  S.  251  f. 

i)a.t  L^öen  Jem  $te  Aufl.  //.  Band.  ^4 


530  Dritter  Abschnitt. 

Suche  die  Wendung  gegeben,  von  Jadas,  der  durrh  den 
sohaoderbaften  Stnrs  auf  eine  Loimengrabe  der  Ankb 
geworden  sei,  dala  dieses  Grondstllck  den  Synedristen  Ye^ 
kanft  werde,  habe  Petrus  wohl  ironisch  sagen  können^  er 
habe  noch  im  Tode  durch  den  Fall  seines  Leichnams  ein 
schönes  Besitsthum  sich  angeeignet  **J.  Ooeh  diese  Des- 
tung  ist  theiis  an  sich  geschraubt,  theils  seigt  das  yeirj^^- 
TO)  rj  BTtavXig  avrS  tQr^/tiog,  welches  der  Petrus  der  A.  6* 
Im  Fo^genden  aus  den  Psalmen  anfdhrt,  dars  er  sich  dai 
Grundstock  als  wirklfphes  Eigenthum  des  Judas  gedacht 
bat,  welehes  cur  Strafe  durch  seinen  Tod  verödet  wo^ 
den  sei. 

Da  sich  bienaob  vreder  die  eine  noch  die  andere  Dif< 
ferens  auf  götlichem  Wege  ausgleichen  Ififst,  so  hat  schon 
Salmasius  eine  wirkliche  Abweichung  det*  beiden  Beriehte 
Bugestanden,  und  Base  glaubt  diese  Erscheinung,  ohne  den 
apostolischen  Ursprung  der  beiden  Angaben  su  gefthrdeo, 
aus  der  gewaltigen  Bewegung  jener  Tage  erkUren  su  k5o- 
nen ,  in  welcher  nur  die  Thatsache  des  Selbstmords  ?on 
Judas  bekannt  geworden ,  ober  den  näheren  Hergang  des- 
selben aber  verschiedene  Gerflohte  geglaubt  worden  seien. 
Allein  in  der  A.  6.  ist  von  einem  Selbstmorde  gar  nicht 
die  Rede,  und  dals  nun  Bwei  Apostel,  wie  Matthäus  uod 
Petrus,  wenn  das  erste  Evangelium  von  Jenem,  die  Rede 
in  der  A.  6.  aber  von  diesem  heYrflbren  soll,  über  den  in 
ihrer  nächsten  Nähe  erfolgten  Tod  ihres  ehemaligen  Mit- 
apostels  so  sehr  im  Dunkeln  geblieben  wären,  dafs  der  eine 
ihn  eines  sufäUigen ,  der  andere  eines  selbstgewählten  To- 
des sterben  llefs,  ist  schwer  bu  glauben.  Uafs  daher  oor 
einer  der  beiden  Berichte  als  apostolisch  festgehalten  wer 
den'  könne,  hat  der  Verfasser  der  schon  erwähnten  AIh 
handlung  in  Schmidt  s  Bibliothek  richtig  eingesehen.  Und 
Ewar  ist  er  bei  der  Wahl  cwischen  beiden  von  dem  Grund- 


12)  Paulus,  3,  b,  S.  457  f. ;    Fritzscrb,  p.  799. 


Drittes  Kapitel.    $.128.  531 

satfe.  AUigegAiigen ,  dar«  die  minder  aof  Verherrliebang 
eingerichtete  Ersfihlong  die  glaobwflrdigere  ael;  wefawegen 
er  denn  der  Daratellang  der  A.  6. ,  welche  den  verherrli- 
chenden Zug  der  Rene  dea  Jadas  and  aeinea  Bekenntniaaea 
von  Jeaa  Dnachnld  nicht  hat,  vor  der  dea  eraten  Evange- 
Uooia  den  Vorsog  glot«  Doch  wie  ea  immer  iat  bei  swei 
sich  wideraprecLenden  Berichten,  dafa  der  eine  den  an» 
dern  nicht  nur  durch  aein  Stehen  anaacbliefat,  aondern  auch 
durch  aein  Fallen  miterachfittert :  ao  haben  wir  auch  hier, 
wenn  ^ejenige  Daratellnng  der  Sache,  weiche  daa  Anaehen 
dea  Apoatela  Matthfioa  fttr  aich  geltend  macht,  aufgegeben 
ist,  keine  Bllrgachaft  mehr  ffir  die  andere,  welche  aich 
dem  Apostel  Petrua  in  den  Mund  legt. 

Dfirfen  wir  aomit  beide  Berichte  auf  Einen  Fufa  behan« 
dein,  nfimlich  ala  Sagen,  von  welchen  erat  aoasumachen 
ist,  wie  weit  ihr  geachichtlicher  Kern,  und  wie  weit  das 
traditionell  Aufgetragene  geht:  ao  mflisen  wir,  um  hier» 
Aber  in*a  Klare  su  kommen,  die  Anhaitapunkte  betrachten, 
an  welche  die  Ersiblungen  aich  knüpfen.  Hier  neigt  aich 
aini  beiden  gemeinsamer,  neben  ewei  andern,  deren  einen 
jede  für  sich  eigen  hat.  Gemeinschaftlich  ist  beiden  Re- 
lationen das  Datum,  dafs  es  in  oder  bei  Jemaalem  ein 
QrandatBck  gegeben  habe,  daa  ayQog  oder  xiaQiov  aificttog^ 
in  der  Ursprache  nach  der  Angabe  der  A«  6«  axeXdaficcy 
hieb.  Da  in  dieaer  Notis  swei  sonat  ao  gans  anaeinander- 
gehende  Berichte  suaammentreffen,  und  llberdiefa  der  Ver- 
fasser dea  eraten  Evangeiiuma  aich  darauf  (»eruft,  dafa  noch 
SU  aeiner  Zeit  jener  Name  dea  Ackere  vorhanden  geWeaen 
aei :  ao  darf  die  Exiatens  einea  ao  benannten  Grnndatacka 
wohl  nicht  besweifelt  werden.  Dafa  ea  eine  wirkliche  Be- 
siehung anf  den  Verräther  Jean  gehabt  habe ,  iat  achon 
weniger  gewifa,  da  nnaere  beiden  Ersähinngen  dieae  Be- 
eiehung  verachieden  angeben:  die  eine  den  Jndaa  aelbat 
daa  Gnt  erwerben,  die  andere  ea  erat  nach  aeinem  Tod  nm 
die  30  Silberlinge  gekauft  werden  lälst.     Wir  kennen  da- 

34* 


532  Dritter  Abschnitt. 

her  nar  so  viel  sagen ,  dafs  die  nrohristliche  Sage  Jenen 
Biotacker  frühzeitig  eine  Besiehang  aaf  den  Verrfither 
gegeben  haben  mnfs.  Warum  aber  in.  verschiedener  Weise, 
davon  ist  der  Grnnd  in  dem  andern  Anhaltspunkt  unserer 
£reählungen  sn  suchen ,  in  den  A.  T.  liehen  Steilen  nfia- 
liqh  ,  welche  die  Berichterftatter  ^  jeder  öbrigens  andere, 
als  erfüllt  durch  das  Schicksal  des  Judas  anführen« 

In  der  Stelle  der  A.  6.  wird  Ps.  69,  26.  und  Ps.  109,  S. 
in  dieser  Weise  angeführt.  Der .  letatere  ist  ein  Psalm, 
welchen  die  ersten  Christen  aus  den  Juden  gar  nicht  um- 
bin konnten ,  auf  das  Verhältnifs  des  Judas  bu  Jesu  an 
liesiehen«  Denn  nicht  nur  spricht  der  Verfasser,  angeblich 
David ,  ohne  Zweifel  aber  ein  weit  späterer  ^')  von  vorne 
herein  von  solchen,  die  falsch  und  giftig  wider  ihn  re- 
den, und  ihm  für  seine  Liebe  Hais  eurückgeben;  sondern 
von  V.  6.  an,  wo  die'  Verwünschungen  angehen,  wendet 
er  sich  gegen  eine  einzelne  Person ,  so  dafs  die  jüdischen 
Ausleger  an  Do§g,  Davids  Verläumder  bei  Saul,  dachten, 
und  ebenso  natürlich  die  Christen  an  den  Judas»  Ana  die- 
sem Psalm  ist  hier  derjenige  Vers  herausgelesen,  welcher^ 
von  der  Uebertragnng  des  Amts  an  einen  Andern  handelnd, 
gsnz  auf  den  Fall  des  Judas  zu  passen  schien.  Der  andre 
Psalm  redet  zwar  unbestimmter  von  solchen,  die  den  Ver- 
fasser ohne  Ursache  hassen  und  verfolgen:  doch  ist  er, 
ebenfalls  angeblich  Davidisch,  dem  andern  an  Inhalt  and 
Manier  so  ähnlich ,  dafs  er  als  Parallele  zu  jenem  gelten, 
nnd  wenn  aus  jenem,  dann  auch  aus  diesem  Verwünachnn« 
gen  auf  den  Verräther  angewendet  werden  konnten  '*> 
Hatte  nun  Judas  wirklich  um  seinen  Verräthersold  ein 
Gut  gekauft,  welches  hernach  wegen  seines  auf  demaelben 


13)  s.  DB  Wim,  z.  d.  Ps. 

14)  Auch  sonst  im  N.  T.  sind  Stellen  dieses  Psalms  messianiscli 
angewendet :  wie  V.  5.  Job.  15,  25. ;  V.  10.  Joh.  2,  17.,  und 
Joh.   19,  2S  f.  wahrscheinlich  V.  22. 


Drittes  Kapitel.    $.  128. 


53d 


erfolgten  grXfeilchen  Endes  öde  liegen   blieb:  so  ergab  es 
sich  von  selbst,  ans  diesem  Psalm  gerade  diejenige  Stelle, 
welche  den   Feinden   Verödung  ihrer  mavlig  anwfinscbt, 
sof  ihn  EO  besiehen.     Wie  es  jedoch,  bei  der  Abweichung 
des  Matthfins ,  sweifelhaft  ist ,    ob  Judas  selbst  sich  jenes 
Grnndstflck  erkauft  habe   und   auf  demselben  vernngiflckt 
sei:  so  war  auch  schwerlich  den  Juden  das  Stfiek  Land, 
aaf  welchem   der  Verrlther  Jesu   geendet    hatte,   so  ab- 
scheulich, um  es  als  Blutland  öde  liegen  en  lassen;  sondern 
diese  Benennung  hatte   wohl  einen  andern  nicht  mehr  zu 
eraiittelnden,  Ursprung  gehabt,  und  die  Christen  haben  sie 
in  ihrem  Sinne  umgedeutet;   so  dafs    wir  nicht  ans  tfnem 
wirkliehen  Besitsthum  des  Judas  die  Anwendung  der  Psalm- 
steile  und  die  Benennung  jenes  öden  Platzes,  sondern  aus 
diesen  beiden  Momenten   die  Sage  von    einem  Besitze  des 
Jodas  ableiten  mflssen«  Waren  nfimlich  die  genannten  bei- 
den Psalmen  einmal  auf  den  Verräther  Jesu  besogen,  und 
in  deren  einem   ihm  Verödung  seiner  mccvXig  (LXX.')  ge- 
wfinschi:   so  mnüste  er  vorher  im  Besitz  einer  solchen  ge- 
wesen sein,  und  diese,  dachte  man  sich,  wird  er  wohl  um 
den  Lohn  seines  Verraths  erkauft  haben.    Oder  vielmehr, 
dsfs   man    ans  jenen   Psalmen  gerade   die  Verödung   der 
mavlis  besonders  hervorhob,  scheint  in  der  nahe  liegenden 
VoraussetJBung  seinen  Qrund  gehabt  zu  haben,   dafs  eben 
an  etwas,  das  er  sich  um  sein  Sdndengeld  erworben ,   der 
Fluch*  sich  geänfsert  haben    werde:  der  Mittelpunkt  des 
£rwerblicljen  aber  unter  dem,  was  die  gedachten  Psalmen 
anfffihren,   ist  die  *&iavJiig.     Dieser   Wendung  der  Sache 
kam    nun  auf  erwünschte  Weise  das  in  der  Mähe  Jernsa- 
lems  gelegene  axeldafia  entgegen,  welches,  je  weniger  man 
den  wahren  Ursprung  seiner  Benennung   und  des  an  ihm 
haftenden  Abschens  kannte,   desto  leichter  sich  dazu  her- 
gab, von  der  nrchristlichen  Sage  för  sich  verwendet,  und 
als   die   inavlig   i]Qf;/4W/4ivtf  des   Verräthers  betrachtet  zu 
werden. 


534  Dritter  Absohnitt. 

Statt  dieser  Pflalinstellen    f&brt  das  eryCe  Evangelioa 
ala  erffiUt  dareh  das   endliche  Benehmen    des  Judas  eise 
Stelle  angeblich   ans  Jeremies  an^   für   welche   sich   aber 
nnr  bei  Zacharias,  11,  12  f.,  etwas  Entsprechendes  findet, 
wefswegen  man  jetst  eiemlioh  allgemein  eine  Verwechslirog 
der  Namen    von  Seiten   des  Evangelisten   voranssetst  ^'). 
Wie  Matthins  durch  den  Grundgedanken   dieser  Stelle  — 
einen  unbillig  geringen  Preis   ffir  den   im  Orakel  Redeih 
den  —  SU  einer  Anwendung   auf  den  Verrath   des  Jndai| 
der  um  ein  scbndiles  Geld    seinen  Meister  gleichsam   ver- 
kauft hatte,   sich  veranlafst  finden  konnte,  ist  schon  oben 
anseinandergesetet  ^^>.     Nun   war   in   der  Prophetenstelk 
dem  Urheber  des  Orakels  von  Jehova  befohleui  das  aehlechte 
Geld,  womit  er  abgelohnt  worden  war,  in  das  GottesbaU) 
und  swar  "ttSViTTM,  zu  werfen,  nnd  er  bemerkt,   dals  er 

diefs  gethan  habe.  Der  Hinwerfende  ist  im  Orakel  dieselbe 
Person  mit  dem  Sprechenden,  also  mit  dem  des  geringes 
Preises  werth  Geachteten,  weil  hier  das  Geld  nicht  Kaof- 
preis  sondern  Lohn  ist,  folglich  eben  von  dem  so  niedrig 
Angeschlagenen  eingenommen  wird,  und  nnr  von  diesen 
wiener  hingeworfen  werden  kann :  in  der  Anwenddog  des 
Evangelisten  dagegen,  wo  das  Geld  ein  Kaulpreis  Ut,  war 
ein  anderer  als  der  so  gering  Angeschlagene  als  derjenige 
cu  denken,  welcher  das  Geld  eingenommen  and  wieder 
liingeworfen  habe.  War  der  um  so  geringen  Preis  Verluinfte 
Jesus:  so  konnte  der,  welcher  das  Geld  eingesogen  hatte 
nnd  wieder  hinwarf,  nur  sein  Verräther  sein.  Daher  heiCit 
es  nun  von  diesem,  er  habe  die  aQyvQia  iv  %<fi  vai^  hinge, 
werfen,  entsprechend  dem  rt\iV  PS^  \nk  "IfSsEfMI  in  der  Pre- 

phetenstelle ,  obwohl  gerade  diese  Worte  in  der  hScbft 
entstellenden  AnfShmng  des  Matthäus  fehlen.    Nnn  aber 


15)  Doch  s.  andere  Vermuthangen  bei  Huihöl,  x.  d.  St. 

16)  %,  117. 


Drittes  KapiteJ.    S*  i2& 


535 


stand  neben  den  rhSV  rV^f  wohin  das  Geld  geworfen  wor- 
den  war.    nock  der  Beiaata:  "ttS^^rrSM-    Die  LXX.   Ober- 

setat:  eig  ro  x^ii^^^Q^^^f  ^°   ^^'^  Schmelcofen ;  Jetet  ver- 
nnthet  man  mit  Grand, "es  sei  ")lS^^rr7M,  in  den  Scliats,  an 

panetiren  ^');  der  Verfaaaer  nnsres  Evangeliums  blieb  bei 
der  wörtlichen  Deberseteang  durch   xeQafievg*     Was  aber 
der  Töpfer  hier  thun,  warum  ihm  das  Geld  gegeben  wer- 
den  sollte,    mn&te    ihm    cunSchst   ebenso   nnverstfindlich 
sein,  wie  ans,  wenn  wir  bei  der  gewöhnliche^  Lesart  blei- 
ben.    Nan  fiel  ihm  aber  der  Blutacker  ein,  welchem,  wie 
wir  ana   der  A.  6.   sehen,   die  christliche   Sage  eine  Be« 
^    Ziehung  auf  den  Jadas  gegeben  hatte,   und  so  ergab  sich 
'    die  willkon«mene  Combinatioh,  jener  Acker  sei  es  wohl  ge- 
^    wesen ,  ffir  welchen  dem  xeQafievg  die  30  Silberlinge  erlegt 
^    werden  mofsten.    Da  aber  der  Töpfer  nicht  im  Tempel  aa 
b    denken  war,  und  doch  laut  der  Prophetenstelle  dieSilber- 
'    linge  In  den  Tempel  geworfen   worden  waren:  so   wurde 
;    das  Hinwerfen  in   den  Tempel   von   dem  Abgeben   an  den 
:    Töpfer  getrennt.    Mufste  jenes   dem  Judas  angeschrieben 
i:   werden,    hatte  er  also  einmal  das  Geld  ans  der  Hand  ge- 
ifii   geben :    so   konnte  nicht   mehr  er  selbst  das  Grundstück 
von  dem  Töpfer  kaqfen ,   sondern  diefs  mufsten    mit  dem 
hiogeworfenen  Gelde  Andere   thun.     Wer   diese  gewesen 
«   sein  mufsten,  ergab  sich  von  selbst :  warf  Judas  das  Geld 
hin,  so  wird  er  es  denen  hingeworfen  haben,  von  welchen 
er  es  erhalten  hatte;  warf  er  es  in  den  Tempel,  so  fiel  es 
dessen  Vorstehern  in  die  Bände :  auf  beide  Weise  also  den 
:,i   Sjnedristen«    Der  Zweck,  welchen  diese  bei  dem  Ankaufe 
lii;   des  Grundstocks  gehabt  haben  mufsten,  ergab  sich  vielleicht 
,^^  aus  der  wirklichen  Benfiteung,  jenes  öden  Platzes.    Sollte 


fei 

Itr 


Su    ^ 


17)  Emi9y  in  Ullmanj^'s  und  Umbrbit's  Stadien,  1830,  1«  S.  S5.| 
GstBNius  y    im    Wörterbuch ;   vgl.   Rosbkmüllir's   Scholia  in 
t  V.  T.  7,  4,  S.  320  ff. 


536     .  Dritter  Absohuitt. 

endlich  Jodas  den  Lohn  seines  Verraths  von  sich  gewor- 
fen haben :  so  konnte  diefsi  mufste  man  schliefsen,  nur  tos 
Rene  geschehen  sein*  Den  Judas  Reue  eeigen  sa  lassen, 
und  so  dem  Verr,äther  selbst  ein  Zeugnifs  für  die  Unscbald 
Jesu  abzugewinnen,  lag  ohnehin  der  Vorstellung  der  älte- 
sten Christengemeinde  ebenso  nahe,  oder  vielmehr  noch 
näher,  als  es  ihr  lag,  den  Pilatus  sich  bekehren,  und  selbst 
den  Tiberius  im  römischen  Senat  auf  Vergötterung  Jesu 
antragen  zu  lassen  ^0»  Wie  wird  sich  nun  aber  die  Rene 
d^s  Judas  ferner  gefiufsert  haben?  Dafs  er  sich  snm  tio* 
te^  eurfickgewendet  hätte,  davon  wnfste  man  nicht  nor 
nichts,  sondern  es  war  auch  für  den  Verräther  viel  £a 
gut:  folglich  wird  die  Reue  in  ihm  enr  Verzweiflung  ge- 
worden sein,  und  er  das  Ende  des  aus  Davids  Geschichte 
bekannten  Verräthers  Ahitopbel  genommen  haben,  von 
welchem  es  2.  Sam.  17 ,  23.  heifst :  avapj  xai  ait^kO-ev  -^ 
xai  anrff^ino^  wie  von  Judas  hier:  dvex^Qt^oa  fcal  a7U/,^tav 

Eine  auf  den  Papias  zurOckgeffihrte  Ceberliefernng 
scheint  sich  mehr  nur  an  die  Erzählung  der  Apostelge- 
schichte anzuschliefsen,  Oekumenius  führt  aus  dem  ge- 
nannten Traditionensammler  an,  Judas  sei  zum  abschre- 
ckenden Beispiele  der  Gottlosigkeit  dermafsen  am  Leibe 
aufgeschwollen,  dafs  er,  wo  ein  Wagen  durchfahren  konnte, 
nicht  mehr  durchkam,  und  endlich,  von  einem  Wagen  ge- 


18)  Tertull.  Apologet,  c.  21 :  Ea  crnnia  super  Christo  Piialut, 
et  tpse  Jam  pro  sua  conscientta  Christianus,  Caesari  tum 
Tiberio  nuncioüit.  c.  5 :  Tiberius  ergo,  cujus  tempore  nomen 
Christianum  in  secuhim  introiit,  annunciatum  sihi  ex  Syria 
Palaestina,  quod  illic  veritatem  iUius  Divinitatis  revelavenä, 
detuiit  ad  Senatum  cum  praerogativa  suffragii  suL  Senatus, 
guia  non  ipae  probaoerat,  respuit.  Weiteres  hierüber  findet 
man  ge«ainmclt  bei  Fabriciü«,  Cod.  Apocr.  N.  T.  1,  p.  214  ff. 
298  ff. ;   vg).  2,  p.  505. 


Drittes  Kapitel.    S*  128.  537 

qaetseht,  serbont  und  alle  Eingeweide  aueaehilttete  ''), 
Die  letEte  Angabe  ist  ohne  Zweifel  ein  Mifsventand  der 
alten  Sage;  denn  der  dorohfahrende  Wagen  war  arspriing- 
lieb  in  keine  nnmittelbare  Berflhrnng  mit  dem  Leibe  des 
Jadas  gebracht,  sondern  nnr  als  Mafs  ffir  dessen  Dicke 
gebrancht,  nnd  diefs  wurde  später  irrig  so  anfgefafst,  als 
ob  ein  vorflberfahrender  Wagen  den  aufgeschwollenen  Ju- 
das zerquetscht  hfitte.  Wirklich  finden  wir  daher  nicht 
sllein  bei  Theopbylakt  nnd  in  einem  alten  Scholion  ^®) 
ohne  bestimmte  ZurfickfUhrung  auf  den  Papias,  sondern 
such  in  einer  Catene  mit  genauer  Anffihrung  seiner  e^jj^ 
yrjüeis ,  die  Sache  ohne  jenen  Znsats  erefiblt  -^).  Das  un- 
geheure Anschwellen  des  Judas,  von  welchem  in  diesen 
Stellen  die  Rede  ist,  sollte  wohl  nrsprdnglich  nur  eine 
ErUfirung  für  das  Zerplataen  nnd  Ausschütten  der  Ein- 
geweide sein  ,  und  ebenso  könnte-  man  die  Wnssersucht, 
in  welche  Theophylakt  ihn' verfallen  Ififst,  wiederum  nnr 
als  eine  Erklärung  dieses  Ansohwellens    betrachten:    in- 


19)  Oecmneil.  ad  Act«  ].:     rffro  rTt  aa«ptgf^  l^o^X  UanCag,    o  'ifoayra 
rS   ano^ht   /ia&tfri^q     ft^yoi    aafßf(aq    inoSny/ua    ir   rartp    tw    xoofito' 
Ttt^ttnarijoey   Iiidag.     JjQt^^ttg    yaq   inl    roaSroy   r^   aoQxa^    tagt  fttj 

a^tj ,   (Ss«  Ta  Pyuaera  tn/rS  ixxevta^ijvcu. 

20)  t.  oben  Anm.  6. 

%\)  In  MUirriK't  Fragm.  Patr.  I,  p.  17  ff.    Die  Stelle  lautet  tibri- 
gens  sehr  ähnlich  der  des  Oekumeniat,   und  überhietet  sie 

zum  Tbeil  noch  !  tbto  Sh  catp^'qt^  l^oqtl  IIan(ai ,  o  ^lioarva  fta- 
'9tfr^i,  2tytav  «rro»;  er  tw  Ttra^to  r^i  f^^ijattag  top  xu^xtav  Xoytay' 
fttya  Se  acf/StCas  vnoSeiyjua  tv  rarfo  tiZ  xoa/ttn}  m^tnarrfity  o  InSaf 
n^tja^ttg  Inl  roaSrov  t^  aa^tta,  tO^e  /utjSk  onoSer  a/jta^  QaSiwg 
Sif^^trai,  httivQV  ^vraa^tn  9al&tüf^  alla  /ojSt  auror  /uoroy  rov  oyxor 
T^(  xtfpaVji  avTM  ra  fov  ya^  ßlkifa^  xw  oip^aX/Mv  avrS  ( CoCL 
Venet«:  ^al  roaSroy  iiOtStjaatj  mq  ovror  ßitv  xa96ls  ro  tpoSf  fx^  ßli^ 
nttrj  jufjSh  vno  iotqS  SioTrrfHtq  o^^tjrai  Swaa9ai  x.  r.  Z.  Altra  rroi^ 
Zai  dt  ßaowsg  «at  Ti/uwntaf  iy  Idoo^  tpaa),  X*'^?  rtievnjaayrpi  k.  r.  i. 


538  Dritter  Absobnitt. 

dessen,  wenn  man  in  dem,  A.  O.  i,  20.  auf  den  Jadas  an- 
gewendeten Ps.  109.  unter  andern  Vorwfirfen  ancb  den 
liest:  ^a■^p9  d:53  <^^^i?>  **^1  *^^^-  «^^«y  (7  xma^a) 

fjigel  vd(OQ  elg  %oi  ayxccza  avrä  (V.  18.):  so  liSnnte  doch 
möglicberweise  die  voaog  vdeQixi^  auch  aus  dieser  Stelle 
geholt  sein;  wie  der  Zug  der  monströsen  Bescbreibnnj[, 
welohe  der  angebliche  Papias  yon  dem  Znstande  des  Jo* 
das  macht,  dafs  er  nämlich  wegen  ungeheuren  Ansah wel- 
lens.der  Angenlieder  das  Tageslicht  nicht  mehr  habe  sehea 
können,  an  V.  24.  des  andern  Jndaspsalms  erinnern  durf- 
te, wo  unter  den  Verwfinschnngen  namentlich  auch  die 
vorkommt ;  axortiadTjroyaav  ol  6(pd'aXnol  avnSv  rS  f£i^  ßlimuf, 
eine  Verhinderung  am  Sehen ,  welche^  einmal  den  g^ 
schwollenen  Leib  des  Judas  vorausgesetzt,  als  Zusehwellen 
der  Augenlieder  sich  gestalten  mufste.  Hat  so  die  aa 
A*  6.  1.  sieh  ansehliersende  Ueberlieferung  ihre  Ansiebt 
von  dem  Ende  des  Judas  hanptsicblich  nach  Ausdrfleken 
der  beeeichneten  beiden  Psalmen  weitergebildet,  und  ist  in 
jener  Stelle  der  A.  6.  selbst  die  Angabe  von  dem  Ver- 
hältnifs  des  Judas  an  dem  Landgut  ebendaher  entnommen: 
so  liegt  die  Vermnthung  nicht  ausufern,  dafs  auch  schon, 
was  die  A*  O.  Aber  das  Ende  des  Verrfithers  sagt,  auf 
derselben  Quelle  geflossen  sein  möge.  Dafs  er  eines  frflb- 
eeitigen  Todes  gestorben,  kann  geschichtlich  sein :  aberanch 
wenn  nicht,  so  war  ein  frflher  Tod  schon  Ps*  109,  in  demsel- 
ben 8ten  Verse,  welcher  die  Verleihung  der  iTtiGKOJi^  an  ei- 
nen andern  enthielt,  in  den  Worten :  ys^f^Oi^cjaccv  cel  ^fiiftu 
avtä  oUyaiy  Ihm  verkQndigt,  und  fast  möchte  man  glauben, 
dafs  auch  der  Tod  durch  einen  jfihen  Fall  aus  Ps.  69,  2^, 
wo  es  heifst:  yetTjd'ijno  jy  TQccne^a  avzfSv  —  dg  axavdalv 
(tt^iZD?),  entstanden  sei. 

Schwerlich  also  wissen  wir  von  Judas  auch  nur  soviel 
gewifs,  dafs  er  auf  gewaltsame  Weise  vor  der  Zeit  nm*5 
Leben  gekommen :  sondern  wenn  er,  wie  nach  seinem  Aus- 


Drittes  Kapitel.    S*  129.  539 

v 

tritt  «tt9  der  Getellsehaft  Jean  oatOrlleh  wer,  filr  diese  in 
die  Dnnkelbeit  snrflcktrat,  io  welcher  die  liietorisehe  Ran- 
de von  seinem  weiteren  Sotiicksal  erlosch:  so  konnte  die 
christliche  Sage  ungehindert  alles  das  an  ihm  in  ErfiQllong 
gehen  lassen,  was  die  Weissagongen  und  Vorbilder  des 
A.  T.  dem  falschen  Frennde  des  Oavidssohnes  drohten, 
Dod  konnte  selbst  an  eine  bekannte  nnheilige  Stätte 
in  der  Nfihe  flemsalems  das  Andenken  seines' Verbrechens 

kofipfen  ^), 

* 

S.    129. 
Jesnt  vor  FilstiiB  und  Herodei. 

Nach  sXmmtlichen  Evangelisten  war  es  Morgens,  als 
die  Jfldiscben  Obern  Jesnm,  nachdem  sie  ihn  des  Todes 
•chuidig  erkannt  hätten  ^),  (fesseln  —  nach  Joh.  18,  U. 
wsr  er  schon  im  Garten  bei  der  Gefangennehmnng  gefea- 
•elt  worden ;  Lukas  erwähnt  des  Bindens  gar  nicht  —  an4) 
Bu  dem  römischen  Procurator  Pontius  Pilatus  fOhren 
iiersen  (Matth.  27,  1  ff.  parsll.  Joh.  18,  28.).  Hieeu  ntf- 
thigte  sie  nach  Joh.  18,  31.  der  Umstand,  dafs  dem  Syn* 
edrinm  die  Befngnifs,  Todesstrafen  (ohne  römische  Ge- 
nehmigung) eu  vothdehen,  abgenommen  war'):  jedenfalls 


23)  Vgl.  DS  WnTB,  exeg.  Handb.,  !,  1,  S.  231  f  1,  4,  S.  10  f. 

1)  Nach  Babyl.  Sanhedrin,  bei  Liohtfoot,  p.  486  ^  wo  es  heisat: 
Judieia  de  capiiaHäui  /Munt  eodem  die,  si  tint  ad  absolut 
tionetnf  si  vero  sint  ad  damnaiionem,  fMuntur  die  segnete 
te  —  wäre  diesa  Verfahren  ungesetzlich  gewesen.  * 

2)  Ausser  dem  johanneischen :  r,ftiv  ix  fit^tv  anorreirai  mSfra^ 
spricht  für  diesen  Stand  der  Dinge  nur  noch  eine  dunkle 
und  schwankend  auagelegte  Tradition ,  Avoda  Zara  f.  Sy  2. 
<Li«HTrooT,  p.  1123  f.^ :  JRäbh  Cahua  didt,  cum  aegroiaret 
R*  innaii  bar  Jose,  miseruni  ad  cum,  dieer^es:  die  nMs, 
o  Domtne,  duo  a»U  tria,  guae  aliquando  dixisti  nobit  no^ 

mine  patris  tut    Didt  iis quadraginta  anuia  ante  ex-^ 

cidium    tempH  migradt   Synedrium    et  sedit   in  tabemig. 


540  Dritter  Abschnitt. 

indefs  mufste  diefsmal  die  JQdisehe  Regierang  wfinscben, 
die  R(^iner  in  die  Sache  ca  eieben ,  weil  nor  deren  M«cbt 
ihr  gegen  einen  d'OQvßog  iv  nf)  kaai,  den  sie  von  einer  Hin- 
richtung Jesu  während  der  Festzeit  befflrchtete  CMaCth« 
269  5.  parall.)»  Sicherheit  gewähren  konnte. 

Bei'm  Prätorinm  angekommen,  blieben,  nach  der  Dai^ 
stellong  des  vierten  Evangeliams  9  ^e  Juden  aus  Scheue 
vor  levitischer  Verunreinigung  anfsen,  Jesus  aber  wurde 
in  das  Innere  des  Gebäudes  geführt,  so  dafs  Pilatus  ab- 
wecbslnngsweise,  wenn  er  mit  den  Juden  verhandeln  woll- 
te, herauskommen,  wenn  er  aber  Jesum  inqnirirte,  hinein- 
gehen mufste  (18,  28  fF.)«  Die  Synoptiker  stellen  im  Ver- 
folg Jesnm  mit  Pilatus  und  den  Juden  in  Einem  und  dem- 
selben Locale  vor,  da  hei  ihnen  Jesus  die  Anklagen  dar 
Juden  unmittelbar  hört,  und  vor  Pilatus  beantwortet.  Dt 
sie,  wie  Johannes,  die  Verurtheilung  unter  freiem  Himmel 
vorgehen  lassen  Cn*oh  derselben  lassen  sie  ja  Jesom  10 
das  Prätorinm  hineingeffihrt  werden,  Matth.  27,  27»,  und 
Matthäus  V»  19.,  wie  Jobannes  10, 13.,  läfst  den  Pilatus  dss 
ß^/iicc  besteigen,  welches  nach  Josephns  ')  unter  freiem 
Himmel  stand),    ohne  im  VerhältniCi  cum   Verhör  einer 


Quid  Hbi  vuU  haec  tradiHof ,  Rabh  Isaac,  bar  Abdimi  di- 
eit:  tum  Judicäruni  judicia  nuilctaüva.  IHxit  R.  Nackma» 
bar  isaac:  ne  dicat ,  guod  nan  judicdrunt  judida  muieia- 
Hva,  »ed  guod  non  Judicdrunt  Judida  capitaÜa  —  womit 
noch  die  Notiz  bei  Jotepfaua,  Antiq.  20,  9,  Uj  verglichen  wer- 
den kann,  data  et  «r  #$ov  »/r  Idrart^j  (dem  Hohenprietter),  ^^m- 
f/tf  T^f  fxfCvH  (det  Frocuratort)  ynajutj^  xa&£am  aw49^o¥.  Dage- 
gen könnte  zwar  die  ohne  Zuziehung  der  Römer  erfolgte 
Hinrichtung  det  Stephanut ,  A.  G.  7,  zu  tprechen  tcheinea: 
allein  diett  war  ein  tumultuaritcher  Act,  unternommen  viel- 
leicht  im  Vertrauen  «uf  die  Abwesenheit  det  Pilatus.  Vgl. 
über  dieten  Funkt  LtjCKS,  2,  S.  631  ff«;  Tbolvck,  Glaubwür- 
digkeit, S.  360  f. 
3)  De  bell.  jud.  2)  9;  3. 


Drittes  Kapitel.    S*  129.  541 

OrtsFerfinderang  cn  gedenken:  ao  haben  sie  sieh  wahr- 
aobeinlich  die  ganse  Verhandlung,  aber,  abweichend  von 
Johannes,  anch  Jesnm  selbst,  auf  jenem  Vorplätze  gedacht 

Die  erste  Frage  des  Pilatus  an  Jesnm  ist  nach  allen 
Evangelien:  av  el  6  ßaütlevg  rtjy  ^I&daujVj  d.  h.  der  Mes- 
sias? Bei  den  swei  ersten  Evangelisten  ist  diese  Frage 
ohne  Einleitung  durch  eine  Klage  der  Juden  (Matth.  V. 
II.  Marc.  V.  2.);  bei  Jobannes  fragt  Pilatus,  ans  dem 
Prfitorinm  heraustretend,  die  Juden,  was  sie  gegen  Jesum 
so  klagen  hfitten  (18,  19.)?  worauf  sie  ihm  trotsig  er- 
wiedern :  ei  ^  ötos  ^  xaxojtoiogj  hx  av  aoi  TtaQedcixafiev 
avTOVf  wodurch  sie  übrigens  sich  nicht  vertpreohen  konn- 
ten ,  dem  Römer  die  Bestfitignog  auf  die  schnellste  Weise 
sbsndringen  *),  sondern  nur  ihn  eu  erbittern.  Nachdem 
ihnen  Pilatus  hierauf  cor  Antwort  gegeben:  so  mögen  sie 
ihn  nehmen  and  nach  ihrem  Gesetze  nebten  —  indem  er 
entweder  an  ein  todeswilrdiges  Verbrechen  nicht  dachte, 
oder  die  Jaden  verhöhnen  wollte  — ,  und  sie  ihm  ihre 
locompeteuB  sor  Vollziehung  von  Todesstrafen  entgegen- 
gehalten haben :  geht  der  Proeurator  hinein,  und  legt  Je- 
ia  gleich  die  bestimmte  Frage  vor,  ob  er  der  König  der 
'  Joden  sei  ?  welche  somit  hier  gleichfalls  nicht  gehörig  ein- 
geleitet ist.  Nur  bei  Lukas  ist  diefs  der  Fall,  welcher 
saerst  die  Anklagen  der  Synedristen  gegen  Jesnm  aufführt, 
dafi  er  das  Volk  aufwiegle  und  enr  Verweigerung  der 
Steuer  an  den  Cfisar  reize,  indem  er  sich  fittr  XQigov  ßa- 
QiUa  ausgebe  (23,  2.). 

Begriffe  man  auf  diese  Weise  aus  der  Darstellung  des 
Lakas,  wia  Pilatus  ^  sofort  die  Frage  an  Jesum  richten 
konnte,  ob  er  der  König  der  Juden  sei  ?  so  ist  bei  ihm  um 
so  dunkler,  wie  auf  die  bejahende  Antwort  Jesu  hin  Pila- 
tes  ohne  Weiteres  den  AnkllSgern  erklfiren  konnte,  an  dem 
Beklagten  keine  Schuld  zu   finden.    Er  mufste  doch  erst 


\ 


4)  Wie  Ucn  annimmt ,  S.  631. 


542  Dritter  Abschnitt. 

den  Grond  oder  Ungrond  der  Anklage  auf  Volkt•1lf«lieg^  i 
long  untersuchen ,   und  auch  Aber  den  Sinn ,  in  welch» 
sich  Jesus  ffir  den  ßaatXsvg  twv  ^iBÖodiov  ausgab,  sich  ah  | 
ihm  verständigen ,   eh9  er  sein   adh  evQiaxta  amc»  iv  w  | 
avS-(H07t(p  TöTip  aussprechen    konnte.     Bei  Matthias  onl  | 
Markus  folgt  zwar  auf  die  Bejahung  Jesu ,  der  König  der 
Juden  SU  sein,  noch  sein  den  Pilatus  befremdendes  Schwei* ' 
gen  gegenfiber  den   gehliuften  Anklagen  der  Synedritten; 
auch  wird  hierauf  nicht  eine  bestimmte  Erklffrong ,  iäk 
an  Jesu  keine  Schuld  sn  finden  sei.  sondern  blofa  derVer 
such  des  Procurators  gemeidet,  Jesum  durch  die  Zasaa- 
menstellung^nit  Barabbas  in  Freiheit  au  seteen :  doch  aoeb 
nur,  was  ihn  an  diesem  Versuche  beweg,  geht  aas  da 
genannten  Erangelien  nicht  hervor.    Hinllnglich  klar  da- 
gegen wird  dieser  Punkt  im   vierten  Evangelium*    Nach 
der  Frage  des  Pilatus,  ob  er  wirklich  der  Judenköaig  lei, 
befremdet  swar  die,  Gegenfrage  Jesu,  ob  er  diefs  von  sieb 
selbst,  oder  auf  Eingebung  Anderer  rede?     Man  kann  ei- 
nen Beklagten,    möge   er  immer  sich  unschuldig  wlueO) 
Btt  einer  solchen  Frage  nicht  befugt  finden,  wefswegeoB^aa 
denn  auch  auf  allerlei  Arten  versucht  hat,  derselben  eioca 
ertrfiglicheren  Sinn  au   geben :   allein ,   um  blofs  eine  Zi* 
rfickweisung    der   Beschuldigung   als   einer    widersinnigen 
an  sein  ^),   ist  die  Frage  Jesu  au  bestimmt;    als  Erkoodh 
gung  aber,  ob  der  procurator  das   ßaaiXevg  TiSv  %3au^ 
im  römischen  Caq>^  tavrä)  oder  im  jüdischen  Sinne  iaÜ» 
001  dhtoif)  meipe^),  au  unbestimmt.     Auch  fafst  es  Piiatitf 
nicht  so,  sondern  als  unbefugte  Frage»  auf  welche  es  noeb 
aehr  milde  ist,  dafs  er  aunfichstawarungeduldig'die  aweit« 
Gegenfrage   macht,    ob  er  denn  ein  Jude  sei,   um  dsrch 
sich  selbst  von   einem   so  specifiscb  Jüdischen  Verbrechen 
tVotia  haben  au  können  ?  hierauf  aber  gutwillig  erklirt,  die 


5)  CALvncy  c.  d.  St 

6)  Li?cKi|Und  TttOLVCK,  i.  d.  St. 


Drittes  Kapitel.    S-  129.  54S 

Joden  und  deren  Obere  seien  es  Ja ,  dureli  welche  er  ihm 
fiberliefert  worden,  er  möge  also  Aber  das  ihm  yon  diesen 
Bor  Last  gelegte  Vergeben  sich  näher  aasspreehen.  Auf 
dieses  nun  aber  gibt  ihm  Jesus  eine  Antwort,  welche,  so« 
sammengenommen  mit  dem  Eindruck  seiner  g^nsen  Er- 
icheinang,  dem  Procnrator  allerdings  die  Ueberceognng 
▼OD  seiner  Onsohold  beibringen  konnte.  Er  erwiedert 
nümlich,  seine  ßaailela  sei  nioht  ex  tS  xoofia  totBj  und 
föhrt  den  Beweis  hieffir  ans  dem  ruhigen,  passiven  Ver- 
halten seiner  Anhänger  bei  seiner  Gefangennehmang  (V. 
3(>.)«  Auf  die  weitere  Frage  des  Pilatus ,  da  Jesus  sich 
hiemit  eine  ßaaüLeiaj  wenn  gleich  keine  irdische,  suge* 
schrieben  hatte,  ob  er  also  doch  für  einen  König  sich  aus- 
gebe? erwiedert  er,  allerdings  sei  er  das,  doch  nur  inso- 
fern er  cum  Zengnits  der  Wahrheit  geboren  sei;  worauf 
Ton  Seiten  des  Pilatus  das  bekannte:  tI  igiv  dXrjS'Bux;  er- 
folgt« Ob  nun  gleich  an  dieser  letsteren  Wendung  das 
eigenthfimiich  johanneische  Colorit  im  Gebrauch  des  Be« 
griffs  von  al^siOj  wie  weiter  oben  das  Ongeftlgfge  in  der 
Gegenfrage  Jesu,  auifällt:  so  begreift  man  doch  nach  die« 
aar  Darstellung,  wie  Pilatus  sofort  hinaustreten,  und  den 
Joden  erklären  konnte,  keine  Schuld  an  ihm  an  finden. 
Doch  könnte  leicht  ein  andrer  Punkt  gegen  diesen  Bericht 
des  Johannes  wieder  bedenklich  machen.  Wenn  ihm  eu* 
folge  das  Verhör  Jesu  im  Innern  des  Prätorioms  vor  sich 
ging ,  welches  kein  Jude  betreten  mochte :  wer  soll  dann 
das  Gespräch  des  Procnrators  mit  Jesu  gehört,  und  als 
Gewährsmann  dem- Verfasser  des  vierten  Evangeliums  an- 
gebracht haben?  Die  Ansicht  älterer  Erklärer,  dafs  Jesna 
selbst  nach  der  Auferstehung  den  Jdngern  diese  Verband« 
langen  ersäblt  habe,  ist  als  abenteuerlich  aufgegeben; 
die  neuere,  dafs  vielleicht  Pilatus  selbst  die  Quelle  der 
Nachrichten  aber  das  Verhör  gewesen  sei,  ist  kaum  min- 
der unwahrscheinlich,  und  ehe  ich  mir,  wie  Lückk,  damit 
helfe,   dafs  Jesus  am  Eingänge  des  Prätoriunu  stehen  ge* 


»   I 


544  Dritter  Abschnitt. 

blieben  sei,  and  somit  die  aoften  Znnlicbststehenden  bei 
einiger  Anfmerlisamkeit  und  Stille  C^)  die  Unterredung  ha- 
ben hören  können ,  würde  ich  mich  noch  lieber  auf  die 
Umgebongen  des  ProcnratorS)  der  schwerlich  mit  Jesa  al- 
lein war,,  berafen.  Leicht  könnten  wir  indefs  hier  eis 
Gesprfich  haben,  das  nnr  der  eignen  Combination  des 
Kvangelisten  seinen  Ursprung  verdankt. 

Vor  der  Diversion  mit  Barabbas,  welche  nun  bei  den 
fibrigen  folgt,  hat  Lukas  ein  eigenthiimliohes  Zwischenspiel. 
Auf  die  Erklärung  des  Pilatus  nfimlich,  an  dem  Beklagten 
keine  Schuld  eu  finden,  bleiben  hier  die  Hohenpriester 
sammt  ihrem  Anhang  unter  der  Menge  dabei,  Jesus  rege 
^'  das  Volk   auf  durch   seine    Wirksamkeit   als  Lehrer   von 

GalilSa  bis  Jerusalem;  Pilatus  farsttialillia  in'sObr,  fragt, 
ob  der  Beklagte  ein  Galilfier  sei?  und  wie  diefs  beatiitigt 
wird,  ergreift  er  es  als  \Bine  willkommene  Gelegenbeir,  sich 
des  unwillkommenen  Handels  bu  entledigen,  schickt  al^o 
dem  Tetrarchen  von  Galilfia,  dem  cur  Festseit  in  Jerasalem 
anwesenden  Herodes  Antipas ,  Jesum  eu  ,  mit  der  Neben* 
absieht  vielleicht,  was  wenigstens  der  Erfolg  war,  den  klei- 
nen Fürsten  durch  solchen  Respect  vor  seinem  Forum  sieh 
zu  verbinden.  Herodes,  heifst  es,  sei  darüber  erfreut  ge- 
wesen, weil  er  nach  dem  Vielen,  was  er  schon  von  Jesa 
gehört  hatte,  Ifingst  wflnschte,  ihn  zu  sehen,  in  der  Hoff- 
nung, er  würde  vielleicht  ein  Wunder  zum  Besten  geben. 
Der  Tetrarch  habe  nnn  verschiedene  Fragen  an  ihn  ge- 
richtet, auch  die  Synedristen  harte  Klagen  gegen  ihn  er- 
hoben ,  Jesus  aber  keine  Antwort  gegeben ;  worauf  dann 
Herodes  mit  seinen  Soldaten  sich  zum  Spotte  gewendet, 
und  endlich  Jesum  in  einem  Prachtgewande  zu  Pilatus 
zurückgeschickt  habe  (23,  4  ff*.).  Diese  Erzfihlung  des 
Lukas  hat,  sowohl  in  ihr  selbst,  als  in  ihrem  Verbfiltnifs 
zu  den  übrigen  Evangelien,  mehreres  Befremdliche.  Ge- 
hörte wirklich  Jesus  als  Galiläer  unter  die  Gerichtsbarkeit 
des  Herodes,  wie  Pilatus  durch  die  Uebergabe  des  Beklag- 


Drittes  Kapitel.     S-  129.  545 

ten  an  iho  anEoerkenoen  scheint :  wie  kam  es ,  dafs  Jesas, 
nicht  nnr  der  sdndlose  des  orthodoxen  Systems,  sondern 
anch  der  gegen  die  bestehende  Obrigkeit  nnterwfirfige  der 
Geschichte  vom  Zinsgroschen,  ihm  die  schaldige  Antwort 
versagte  ?  wie ,  dafs  ihn  Herodes  ohne  Weiteres  wieder 
▼00  seinem  Forum  carflckschickte  ?  Mit  Olshausen  su  sa- 
gen, es  habe  sich  im  Verhör  bei  Herodes  ergeben,  dafs 
Jesas  nicht  in  Nazaret  nnd  Oaliliia,  sondern  in  Qethlefaem, 
also  in  JodiSa,  geboren  war,  ist  theils  eine  nnerlaabte  Be- 
aognahme  auf  die  Gebnrtsgeschichte  ,*  von  deren  Angaiiea 
sich  im  gansen  seitherigen  Verlauf  des  Lnkasevangeliums 
keine  Spur  mehr  gefunden  hat ;  theils  wQrde  wohl  eine  so 
gsna  KufftUige  Geburt  in  Judfia,  wie  sie  Lnkas  darstellt, 
während  die  Eltern  Jesu  vor*  und  nachher,  und  auch  Je- 
sas selber,  in  Galiläa  ansässig  blieben,  Jesum  su  keinem 
Judäer  gemacht  haben;  hauptsächlich  aber  mnfs  man  fra- 
gen, durch  wen  denn  die  Jndälsche  Abkunft  Jesu  an  den 
Tag  gekommen  sein  soll,  da  es  von  Jesu  heifst,  er  habe 
keine  Antwort  gegeben,  den  Juden  aber  jene  Abkunft  nach 
siiem,  was  wir  wissen,  unbekannt  war?  £her  mag  maa 
das  Stillschweigen  Jesu  aus  der  unwürdigen,  nicht  den 
Ernst  des  Richters,  sondern  blofse  Neugier  verrathenden 
Art  der  Fragen  des  Herodes ,  und  die  Znrücksendung  an 
Pilatus  daraus  erklären,  dafs  doch  nicht  allein  die  Ver- 
haftung, sondern  auch  ein  Tbeil  der  Wirksamkeit  Jesu  in 
das  Gebiet  des  Pilatus  gefallen  war.  Warum  aber  berich- 
ten, die  übrigen  Evangelisten  von  dieser  ganzen  Zwischen- 
scene  nichts?  Namentlich  wenn  man  den  Verfasser  des 
vierten  Evangeliums  als  den  Apostel  Johannes  Ach  denkt, 
ist  schwer  einsusehen,  wie  man  diese  Auslassung  erklärea 
will.  Die  gewöhnliche  Hülfe,  er  habe  die  Abfahrnng  sn 
Herodes  aus  den  Synoptikern  und  fiberhaupt  als  bekannt 
voransgesetat ,  schlägt  hier  nicht  an,  da  ja  nnr  der  Eine 
Lukas  die  Geschichte  meldet,  sie  also  nicht  sehr  verbrei- 
tet gewesen  au  sein  scheint;  die  Vermuthnng,  sie  möge 
Ihn  U&em  Jtim  ^fe  Auf!.  U.  Band.  SÄ 


546  Dritter  Absehnitt. 

* 

ihm  iwohl  en  anerheblich  gewesen  sein  ^,  Ferliert  d*- 
durch  ihren  Boden ,  daHi  Johannes  nuoh  der  Hlnführong 
EU  Annas  9  welche  doch  ebenso  wenig  entscheidend  wsr, 
KU  gedenken  nicht  verschmäht;  fiberhaopt  ist,  wie  aneh 
ScHLBiERMACHER  Bogcsteht,  die  Johanneische  Ersfthiung  die- 
ser Vorgänge  so  eusammenhängend ,  dafs  sich  iiirgendi 
eine  Fuge  zeigen  will,  um  eine  solche  Zwischenscene  ein- 
BQscbieben*  Flachtet  sich  daher  auch  Schl£iermacher  so- 
letzt  zu  der  Vermuthnng,  es  möge  wohl  dem  Johannes  dis 
ÄbfAhrong  Jesu  za  Herodes  entgangen  sein,  weil  sie  aaf 
einer  entgegengesetzten  Seite,  als  wo  der  Jfinger  stand, 
tlurch  eine  Ilinterthfire ,  geschehen  sei,  dem  Lukas  aber 
eine  Kunde  von  derselben  zugekommen,  weil  sein  Ge- 
währsmann ebenso  eine  Bekanntschaft  im  flsuse  des  Be- 
rodes  gehabt  habe,  wie  Johannes  in  dem  des  Annas:  so 
ist  jene  erstere  Vermuthung  eben  nur  eine  Hintertbüre,  die 
letztere  aber  eine  verzweifelte  Fiction.  Setzen  wir  frelUeh 
den  Verfasser  des  vierten  Evangeliums  nicht  als  Apostel 
voraus:  so  verlieren  wir  die  Unterlage,  um  gf'gen  die  Er- 
sählung  des  Lukas  den  Hfbel  anzusetzen,  welche  jeden- 
falls ,  da  schon  Justin  von  der  Abführung  zu  Herldei 
weifs  *J,  von  sehr  frtthem  Ursprung  ist«  Immerhin  indes- 
sen  bleibt  theils  das  Stillschweigen  der  übrigen  Evang^ 
listen  in  einem  Abschnitt,  wo  sonst  über  die  Hanptstadien 
der  Entwicklung  von  Jesu  Sache  Uebereinstimmong  za 
herrschen' pflegt,  theils  die  innere  Schwierigkeit  der  Er- 
sählung  so  bedenklich,  dafs  die  Vermuthung  ofifen  bleiben 
mufs,  die  Anekdote  sei  aus  dem  Bestreben  entstanden.  Je- 
som  vor  alle  möglicherweise  in  Jerusalem  zusammenzubrin- 
gende Richterstühle  zu  stellen,  von  allen  nicht  hierarchi- 
schen Behörden  ihn  zwar  verächtlich  behandelt^  aber  doch 
seine  Unschuld  laut   oder  stillschweigend  anerkannt  wer* 


7)  ScuLBiiRMACHKit,  Ubcr  den  Lukas,  S.  291. 

8)  Disl.  e.  Tryph.  i03. 


llrittet   Kapitel.    §.  1:29.  ft47 

den,  ihn  selbst  aber  Tor  allen  «eine  gleichmafaige  Haltung 
and  Wfirde  behaopten  so  lassen  ^).  Wäre  ditfs  von  der 
vsrliegenden  Erzählung,  mit  welcher  der  dritte  Evangelist 
allein  steht,  anzunehmen:  so  würde  eine  ähnliche  Verma* 
thong  yon  der  Hinffihrang  zn  Annas,  mit  welcher  wir  den 
vierten  Evangelisten  alleinstehend  gefunden  haben ,  nar 
durch  den  Umstand  abgewehrt  werden,  dafs  diese  Scena 
nicht  näher  beschrieben  ist,  mithin  auch  keine  inneren 
Schwierigkeiten  darbietet. 

Nachdem  er  Jesum  von  Herodes  zurückgesandt  bekom- 
men hatte^  berief  nun  dem  Lukas  zufolge  Pilatus  die  Syn* 
edristen  und  das  Volk  wieder  zu  sieh,    und  erklärte,  auf 
das  mit   dem  seinigen  übereinstimmende  Urthefl  des  Hero- 
des gestützt,  Jesum  mit  einer  Züchtigung  loslassen  zu  wol- 
len; wozu   er  die  Sitte,   am  Pasohafest  einen  Gefangenen 
frei  zu  lassen  '®),  benützen  konnte.     Dieser  bei  Lukas  et» 
was  verkürzte  Umstand  tritt  bei  den  übrigen ,   namentlich 
bei  Matthäus,   deutlicher  heraus.     Da  nämlich  die  Befng- 
nifs,  sich  einen  Gefangenen  loszubitten,  dem  ox^og  zukam: 
so  suchte  Pilatus,   wohl  wissend,   dafs  nur  der  Meid  der 
Grofsen  Jesum  verfolgte,  die  bessere  Stimmung  des  Volks 
fär  ihn  zu  benützen,  und  um  dasselbe  zur  Befreiung  Jesu 
eigentlich  sa  nöthigen,  stellte  er  ihn,  den  er,    zum  Theii 
zwar  aus  Spott  gegen    die  Juden,  zum  Theil  aber  um  sie 
von  seiner  Hinrichtung,  als  für  sie  selbst  schimpflich,  ab- 
zubringen, Messias  oder  Judenkönig  nannte,  zur  Auswahl 
mit  einem  diofiiog  imatjfiogy  Barabbas  ^0)  soaammen,  wel- 


9)  S.  i>B  >yiTTi,  exeg.  Handb. ,  1,  2,  S.  114;   Taxits,  zur  Bio- 
graphie Jesu,  §.  35*  ' 

10)  Man  zweifelt,  ob  diese  Sitte,  von  welcher,  wir  ohne  das  N.T. 
nichts  wissen  würden ,  rbmischen  oder  jüdischen  Ursprungs 
war ;  vgl.  Frxtzscub  und  Paulus  z.  d.  St. ,  und  Baur  ,  über 
die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Fassahfestes  u.  s.  f.  Tüb. 
Zeitschr.  f.  Theo).  1SS2,  1,  S.  94. 

11)  Einer   Lesart   nach   hiess   dieser   Mensch  mit    seinem  yoUen 

S5* 


548  Dritter  Absohnitt. 

eben  Jobannes  all  krjgfjsf  Markus  and  Lukas  aber  als  ei- 
nen solchen ,  der  wegen  Aufruhrs  und  Mords  verhaftet 
war,  bezeichnen.  Der  Plan  schlug  aber  fehl,  da  das  Volk, 
anfgestiftet,  wie  die  Ewei  ersten  Evangelisten  anmerken, 
von  seinen  Oberen  9  mit  grofser  Einstimmigkeit  die  Frei* 
gebung  des  Barabbas ,  und  für  Jesum  die  Kreocigung 
verlangte« 

Als  ein  besonderes  Gewicht,  das  bei  Pilatus  noch  in 
die  Wagschale  Jesu  fiel,  und  ihn  bewog,  den  Versuch  mit 
Barabbas  aufs  NachdrOcklichste  geltend  eu  machen ,  wird 
von  Matthäus  das  angefflhrt,  dafs,  wie  der  Procurafor  auf 
dem  Richterstuhle  safs,  seine  Gemahlin  ^')  ihn  in  Folge 
eines  Ängstigenden  Traumes  warnen  liefs,  sich  ja  nichts 
gegen  jenen  Gerechten  eu  Schulden  kommen  zu  lassen 
(27,  19.)*  Nicht  allein  Paulus,  sondern  auch  Olshauseh 
erklärt  diesen  Traum  als  natOrliches  Ergebnifs  aus  dea- 
jenigen,  was  die  Frau  des  Pilatus  von  Jesu  und  seiner  am 
vorigen  Abend  erfolgten  Gefangennehmung  gehört  hal>en 
mochte ;  wozu  man  noch  die  Notiz  des  Evang.  Nicodend 
als  erklärende  Vermuthung  ziehen  kann,  dafs  dieselbe  eine 
d'foaeßijg  und  isdäi^aoa  gewesen  sei  ^').  Indessen,  wie  im- 
mer im  N.  T.,  namentlich  im  Matthäusevangelium,  Triiume 
als  habere  Schickung  betrachtet  werden:  so  ist  in  derAn- 


Namen  "fi^iwg  liaoafißa;.  was  hier  nur  desswegen  bemcrKt  wird, 
weil  Olsmausen  es  „merkwürdig'^  gefunden  hat.  Indem  näm* 
lieh  Bar  Ahha  Sohn  des  Vaters  bedeutet,  so  ruft  Olsmacsb» 
aus:  Alles,  was  an  dem  Erlöser  Wesen  war,  erschien  bei 
dem  M'örder  als  Carricatur !  und  findet  den  Vers  anwend- 
bar :  ludit  in  humanis  ditina  patentia  rebus.  Wir  können 
in  dieser  OLSHAUSsw^schcn  Betrachtung  nur  einen  hisus  hu- 
manae  intpotentiae  finden. 

12)  Im  Evang.  Nicodemi  und  bei  späteren  Kirchengeschichtschrei- 
bern heisst  sie  Procuiay  ir^öxlt,.  Vgl.  hierüber  Thilo,  Cod. 
Apocr.  N.  T.,  p.  522;    Paulus,  ezeg.  Handb.^  3,  b,  S.  640  f. 

li)  Cap.  i,  S.  520.  bei  Thilo,  ' 


Drittes  Kapitel.     §•  129.  U9 

lieht  dei  Erzfihlers  gewifs  aoch  dieser  non  sine  numine 
gewesen  I  und  es  mufs  sich  daher  eio  Grnnd  and  Zweck 
seiner  Zasebickung  denken  lassen«  Sollte  derTraam  wirk- 
lich den  Tod  Jesa  hintertreiben,  so  müfste  man  Tom  or- 
thodoxen Standponkt  ans,  auf  welchem  dieser  Tod  aar 
Seligkeit  der  Menschen  nothwendig  war,  auf  die  Vermo« 
tboog  einiger  Alten  kommen,  der  Teufel  möge  es  gewesen 
sein,  welcher  der  Fraa  des  Procurators  jenen  Txaum  ein- 
gab, um  den  Versöhnongstod  'an  Terhindern  ^^);  sollte  der 
Tod  Jesu  nicht  verhindert  werden,  so  kftonte  der  Zweck 
des  Traumes  nur  auf  Pilatus  oder, seine  Gattin  gehen.  Al- 
lein dem  Pilatus  konnte  eine  so  sp£t  kommende  Warnung 
wohl  nur  die  Schuld  vermehren,  ohne  ihn  von  dem  bereits 
halb  gethanen  Schritte  surOckbringen  au  kennen;  dafs 
aber  seine  Gattin  durch  den  Traum  bekehrt  worden  wäre, 
wie  Manche  angenommen  haben  ^^')j  ist  theils  nirgendsher 
bekannt,  theils  spricht  sich  in  der  Erafihlung  nicht  dieser 
Zweck  aus.  Sondern,  wie  schon  die  Figor  des  Pilatus  in 
der  evangelischen  ErsfibluDg  so  gehalten  ist,  dals  dem  blin- 
den Hasse  der  Volksgenossen  Jesu  das  anparteiische  ür- 
theil  eines  Beiden  gegen 6 bersteben  soll:  so  wird  nun  auch 
seiner  Gattin  ein  Zeugnifs  fQr  Jesum  abgewonnen ,  um, 
wie  nach  Matth.  21 ,  16«  ans  dem  Munde  der  vr^mwv  xcd 
^la^ovTwVy  so  nunmehr  aus  dem  Munde  meines  schwachen 
Weibes,  ihm  ein  Lob  au  bereiten,  welches,  aur  Mehrung 
seines  Gewichts,  aus  einem  bedeutungsvollen  Traume  ab- 
geleitet wird.  Je  mehr  man,  um  diesen  wahrscheinlich  au 
Bachen ,  aach  ans  der  Profangeschichte  dergleichen  TrSn». 


14)  Ignat.  ad  Fhilippens.  4:  tpoßtl  Sk  (der  Teufel)  to  yvyft.w,  «^ 

ortLooig  avTO  xacraToe^rtay  x<n  netvtir  ntioarm    ra   Mora   rov    ^vqov. 
Vgl.  Thilo,  p.  523.  Die  Juden  im  Evang.  Nicod.,  c.  2.  p.  524» 
erklären  den  Traum  für  ein  Zauberstück  von  Jesu:    yw^  U\ 
ISh  oyfi^oTTtftmra  Jhttijntff  n^i^Tijv  ywmxa  ob. 

15)  z.  B.  Tlieüpb)ltkt,  s.  Thilo,  p,  525. 


550^  Dritter  Absebnitt. 

me  anführt,  welche  einer  blutigen  Katestropbe  befingttt- 
gend  aud  warnend  vorangeschritten  sind  ^^ :  desto  mehr 
vi'ird  der  Verdacht  angeregt,  dafs,  wie  die  meisten  tob 
diesen,  so  auch  der  Traum  in  unsrer  Stelle  nach  dem  Kr- 
folge  gemacht  sein  möge,  am  dessen  tragische  Wirkung  au 
erhöhen. 

Wie  nun  die  Juden  auf  wiederholtes  Befragen  des 
Pilatus  die  Loslassung  fOr  Barabbas,  fflr  Jesum  aber  die 
Kreusigung,  stürmisch  und  beharrlich  verlangen:  lassen 
die  beiden  mittleren  Evangelisten  ihn  in  ihr  Begehren  so- 
fort willigen,  Matthäus  aber  schiebt  noch  eine  Ceremonio 
und  eine  Wechselrede  dazwischen  (27,  24  ff.)-  Nach  ihm 
nfimlich  läfst  sich  Pilatus  Wasser  geben,  wascht  sich  damit 
die  Bfinde  vor  dem  Volk,  und  erklärt  sich  für  nnacholdig 
am  Blute  dieses  Gerechten.  Die  Handwaschnng  als  Reto- 
erklfirung  von  einer  Blutschuld  war  specifisch  jüdische 
Sitte,  nach  5*  Mos.  21,  6  f.  ^^>  Man  hat  nnwahrscbein- 
li^h  gefunden,  dafs  der  Römer  diese  jüdische  Gewohnheit 
hier  nachgeahmt  habe,  und  defswegen  sich  darauf  bemfeD, 
wie  jedem,  der  seine  Unschuld  feierlich  erklären  will, 
nichts  leichter,  als  eine  solche  Handwaschnng,  einfalleo 
könne  ^^).  Allein , .  um  ohne  Anhalt  an  einer  gewohnten 
Sitte  eine  symbolische  Handlung  gleichsam  im  Augenblick 
SU  erfinden ,  oder  auch  nur  in  einen  fremden  Volksge- 
brauch  sich  hineincu werfen ,  dazu  gehört,  dafs  dem,  wel« 
eher  eine  solche  Handlung  vornimmt,  an  demjenigen,  was 
er  durch  dieselbe  bezeichnen  will,  ungemein  viel  gelegea 
aei.  So  ungemein  viel  aber  konnte  doch  nicht  sowohl  dem 
Pilatus  daran   gelegen   seiq,   seine  Unschuld   an  der  Hio- 


16)  Wie  Paulus  und  Kuin'öI,  z.  d.  $t.,  welche  aamcnklich  an  des 
Traam  von  Gäsar's  Gemahlin  in  der  Nacht  vor  seiner  Ermor- 
dung erinnern. 

17)  Vgl.  Sota,  8,  6. 

18)  Fkitzschb,  in  Mattli.  p.  808. 


DritCds  KapiteL    $.  129.  ^1 

richfung  Jeso  r.a  b^seugeo,  al«  rlelmehr  den  Christen  dar- 
im,  aaf  diese  Weise  die  Unschald  llires  Messias  beaeugt 
werden  an  lassen ;  woraus  der  Verdacht  erwächst  y  dafs 
vielleioht  erst  ihnen  die  Handwaschang  des  Pilatus  ihre 
Entstehung  verdanken  möge.  Diese  Vermnthnng  bestätigt 
lieh,  wenn  wir  den  Ausspruch  erwägen,  mit  welchem  Pi- 
Isttts  Jene  symbolische  Handlung  begleitet  haben  soll: 
a^hSog  ei  fit  ano  rä  aificaoi;  %3  dixais  la/ö.  Denn,  dals 
der  Richter  öffentlich  und  emphatisch  den ,  welchen  er  ' 
doch  der  härtesten  Bestrafung  hingab,  einen  öixaiog  ge« 
osiint  haben  sollte,  findet  auch  Paulus  so  in  sich'  wider- 
sprechend, dafs  er  hier,  gegen  die  sonstige  Weise  seiner 
Auslegung,  annimmt,  der  Erzähler  interpretire  selbst,  was 
Pilatus  seiner  Meinung  nach  bei  der  Handwaschung  ge-  x 
dacht  haben'  mfisse.  Zu  verwundern  ist,  dafs  ihm  das 
ebenso  Unwahrscheinliche  nicht  auffällt,  was  den  Juden 
bei  dieser  Gelegenheit  in  den  Mund  gelegt  ist«  Nachdem 
uffmlich  Pilatus  sich  ffir  unschuldig  an  dem  Blute  Jesu 
erklärt,  und  durch  das  hinsugefDgte :  vfieig  oiffead'B,  die 
Verantwortung  auf  die  Joden  fibergewälat  hatte,  soll  nach 
Matthäus  cjag  6  Xaog  gerufen  haben:  to  cipia  avxö  i(p 
T^^iäg  utal  im  za  tixva  7;//cJv.  Allein  diefs  ist  doch  äugen-  * 
•cheinlich  nur  vom  Standpunkte  der  Christen  aus  gespro" 
eben ,  die  in  dem  UnglQck ,  welches  bald  nach  Jesu  Tode 
io  immer  verstärkten  Schlägen  fiber  die  Jädische  Nation 
hereinbrach,  nichts  Andres,  als  die  Blutschuld  von  der 
Hinrichtung  Jesu  her  erblickten :  so  dafs  also  diese  ganae 
dem  ersten  ETangelium  eigenthamliohe  Episode  im  höeh- 
<ten  Grade  verdächtig  ist  ^'). 

Nach  Matthäus  und  Markus  liefe  nun  Pilatus  Jesum 
geifseln,  um  ihn  sofort  cur  Kreuaiguog  abführen  au  las- 
sen. Die  Geilselung  erscheint  hier  gana  so,  wie  nach  rtf- 
ndscher  Sitte  das  virgis  caedei'e  dem  secnri  perctitei'ef 


.  \ 


19)  Vgl   Bi  Waits^  exeg.  Hsndb.,  i,  i,  S.  2S4. 


551  Dritter  Abschnitt. 

and  bei  Scluven  die  Geifseiang  der  Kreozigang,  Tonnin- 
gehen  pflegte  ''^^).  Bei  Lukas  erscheint  sie  gane  ändert. 
Während  es  dort  heifst :  ray  dt  Y.  (pQoyeUxoaag  Tia^dosea 
ira  gavQco&fj:  erbietet  sich  hier  Pilatus  wiederholt,  V,  16 
und  22:  natdevaag  axriov  anokvoiüj  d.  h.  wie  dort  du 
Geifseln  als  einleitendes  Äccidens  der  Hinrichtung  er- 
scheint: so  hier  als  ableitendes  Surrogat -derselben  ;^Pilatai 
will  durch  diese  Züchtigung  den  Hafs  der  Feinde  Jesa 
befriedigen,  und  sie  bewegen ,  von  dem  Verlangen  seiner 
Hinrichtung  abeiistehen.  Während  es  aber  bei  Lukas  cor 
wirklichen  Geifselnng  nicht  kommt,  weil  auf  den  wiederhol- 
ten Vorschlag  des  Pilatus  die  Juden  in  keiner  Weise  eingehen 
wollen :  so  läfst  dieser  bei  Johannes  Je^nm  wirklich  gei- 
fseln,  stellt  ihn  sofort  mit  dem  Pnrpurkleid  und  Domen* 
krane  dem  Volke  vor,  und  versucht,  ob  nicht  sein  klSgii- 
cher  Anblick,  mit  der  wiederholten  Erklärung  seiner  Un- 
schuld verbunden,  einen  Eindruck  auf  die  erbitterten  Ge- 
m^ther  machen  möchte ;  aber  auch  diefs  ist  vergebens  (19, 
1  ff.)*  ^  besteht  somit  zwischen  den  Evangelisten  in  Be- 
treff der  Geifselnng  Jesu  ein  Widerspruch,  welchen  msn 
nicht  mit  Paulus  dadurch  ausgleichen  darf,  dafs  man  du 
%av  jf.  q^QayeUjciaag  naQidcDxev  Hva  cavQCOxhf]  bei  Matthini 
und  Markus  so  umschreibt:  Jesus,  den  er  schon  vorher 
hatte  geifseln  lassen,  um  ihn  eu  retten,  hatte  diefs  vergeb- 
lich erduldet,  indem  er  nun  doch  zur  Kreuzigung  hinge- 
geben wurde.  Sondern,  die  Differenz  der  Berichte  ane^ 
kennend ,  mufs  man  nur  fragen ,  welcher  von  beiden  die 
gröfsere  historische  Wahrscheinlichkeit  fflr  sich  habe? 
Wiewohl  sich  nun  :freilich  nicht  nachweisen  läfst,  defi 
Geifselnng  vor  der  Kreuzigung  ausnahmslose  römische  Sitte 
gewesen  sei :  so  ist  es  doch  andrerseits  auch  einzig  ans 
faarmonistischem   Bestreben,   wenn   behauptet  wird,  nor, 


20)  Vgl.  besonders   die  von  Wststiih  iu  Mittfa»  27,   26.   »ge- 
fttihrten  Stellen. 


Drittes  KapiteL    {•  129.  ftU 

wenn  einte  besonders  hart  gestraft  werden  sollte,  sei  vor 
der  KreoBigaog  noob  die  Gelfselan^  verhXngt   worden  ^Ot 
nnd  folglich  könne  Pilatus,   der  gegen  Jesom   nicht  gran« 
sam  sein  wollte,  ihn  nur  in  der  besondern  Absicht,  welche 
Lnkas  nod  Johannes  melden ,   nnd  welche  anch  bei  ihren 
beiden     Vormännern    hinanaadenlLen    sei,    haben   geifseln 
lassen.    Weit  wahrscheinlicher  ist  es  vielosehr,  dafs  in  der 
ÜVirkliohlieit  awar  die  GelTseiang  nor    so,   wie  die  swei 
erster    Evangelisten   berichten,  als  Verspiel   snr  flinrich- 
tnng,  vorgenommen  worden  ist,  die  christliche  Sage  aber, 
wie  ihr  num  Zengnifs  gegen  die  Joden  am  Charakter  des 
Pilatus    diejenige  Seite    besonders  willkooimen   war,  ver- 
möge welcher  er  Jesom   an  retten    sich  auf  verschiedene 
Weise  bestrebt  haben  soll,  so  nun  auch  die  Notic  von  der 
Geifselung  benütat  habe,  um  an  ihr  einen  neuen  Befreiongs- 
versueh   des  Pilatus   an  gewinnen.      Diese  Beniltaung   er« 
scheint  im   dritten  Evangelium    nur  erst   als    eine  hegen« 
neue,    indem   hier  das  Geirselnlassen  blofse  Erbietung  des 
Pilatus  ist:    wogegen  Im  vierten  die  Geifselung   wirklich 
vollzogen,    und  an  eiqem  weiteren  Acte  des  Drama  verwen« 
det  wird. 

An  die  Geifselung  sehliefst  sich  bei  den  zwei  ersten 
Evangelisten  und  dem  vierten  die  Mifshandlung  und  Ver- 
spottung Jesu  durch  die  Soldaten,  welche  ihm  ein  Purpur* 
kield  umlegten,  einen  Krana  von  DorngestriSoch  ihm  auf 
das  Haupt  setsten  ^,  nach  Matthlias  ihm  auch  einen 
Rohrstab    in    die  Hand  gaben,    und  in    dieser  Vermum« 


21)  Paulus,  a.  a.  O.  S.  647. 

22)  Durch  die  Aaseinandemetzung  von  Paulus,  S.  649  f.,  gewinnt 
es  alle  Wabrscbeinlicbkeit ,  dass  der  ^t'q>avo9  f^  uxav^tav  nicht 
ein  Kranz  aus  spitzen  Dornen  war,  sondern  von  dem  näch- 
sten besten  HeckengesfrXuch  genommen,  um  durch  die  vilit^ 
9ima  Corona  y  spineola  (Plin.  H.  N.  21,  tO.)  Jesmn  zu  ver- 
höhnen ^ 


s 
S54  Dritter  Abschnitt. 

oinng  tba  theils  als  Judenkönig  begrfifsten,  theils  schlugen 
NBod  flsirsbandelten  ^^.  Lukas  weifs  hier  von  keiner  Ver- 
höhnung durch  die  Soldaten ;  wohl  aber  hat  er  Ip  seiner 
Erzählung  von  der  Abfilhrnng  Jesu  sn  Herodes  etwai 
Aehnliches,  indem  er  hier  den  Herodes  avv  rdig  gqaiivfta- 
Civ  avcH  Jesom  verspotten,  und  ihn  i^  einer  ia&ijg  IccfmQa 
Btt  Pilatus  Eurflicksenden  läfst.  Manche  nehmen  an,  diefi 
sei  dasselbe  Purporgewand,  welches  nachher  die  Soldaten 
des  Pilatus  Jesu  Bum  EV^itenmal  angesogen  haben;  aber 
Tielmehr  dreimal  mflfste,  wenn  wir  den  Johannes  data- 
nehmen,  und  zugleich  keinen  der  Synoptiker  des  Irrtbans 
beschuldigen  wollen,  mit  Jesu  diese  Vermnmmufag  vorg«^ 
Dommen  worden  sein:  euerst  bei  Herodes  (Lukas);  hie^ 
auf  ehe  Pilatus  Jesum  den  Juden  vorffib^te,  um  dorch 
das:  tde  o  avd'Qionog y  ihr  Mitleid  rege  au  machen  (Job.); 
endlich  noch  einmal,  nachdem  er  den  Soldaten  cur  Kren- 
signng  fiberlassen  war  (Matth.  und  Markus).  Diefs  ist  nun 
ebenso  unwahrscheinlich,  als  es  wahrscheinlich  ist,  dsfs 
die  Evangelisten  eine  und  dieselbe  Vermummnng ,  von  der 
sie  gehört,  an  verschiedene  Orte  und  Zeiten  verlegt,  and 
verschiedenen  Personen  sugeschrieben  haben. 

Während  iiei  den  swei  ersten  Evangelisten  vor  der 
Geifseluog  Jesu  die  Gerichtsverhandlung  bereits  geschios* 
sen  ist,  beim  dritten  auf  die  Nichtannahme  des  naidei'üag 
amov  anokvaio  von  Seiten  der  Juden  Pilatus  Jesum  tur 
Kreuzigung  hingibt:  spinnt  sich  im  vierten  Evangelinm 
die  tierichtsscene  folgendermafsen  noch  weiter»  Als  noch 
die  Vorstellung  ''des  gegeilselten  und  vermummten  Jesus 
nichts,  fruchtet ,  sondern  beharrlich  seine  Kreuzigung  ve^ 
langt  wird,  ruft  der  Procurator  entrostet  den  Juden  eu: 
so  mögen  sie  selbst  ihn   hinnehmen   und  kreuzigen ,   denn 


23}  Eine  ähnliche  Vermiunmung  eines  Menschen,  um  einen  Drit- 
ten zu  verhöhnen ,  fuhrt  aus  Fhilq  ,  in  lilaccum ,  WsTSTt» 
an,    p.  535  f. 3    vgl,  auch  Tholuck,  GIaubwürdigheit>  S.-36<)> 


üritles  Kapitel.    $.130.  555 

er  fiode    keine   Sobald  an   Ihm.     Die   Joden    erwiedero, 
naeh  ihrem  Gesetse  müsse  er  sterben,   da   er   sieh  selbst 
cum  viog  x^eä  gemacht  habe;  eine  Bemerkung,  weiche  dem 
Pilatus  abergläubische  Fureht  einjagt,  wefswegen  er  Jesum 
nochmala  in  das  Prfttorinm    hineinfahrt,    und  nach  seiner 
(ob  wirklich   himmlischen?)  Abkunft   fragt,   worauf  ihm 
aber  Jeans  keine  Antwort  gibt,  und,  als  ihn  der  Procura« 
tor   mit    der   Ihm   sustehenden   Gewalt    über   sein   Leben 
schrecken  will ,   ihn  auf  die  höhere  Macht ,    die  Ihm  ,diesd 
Gewalt    gegeben  habcy  verweist.     Zwar  strebte   in  Folge 
dieser  Reden   Pilatus  (noch   angelegentlicher   als    bisher), 
Jesnm  BQ   befreien:  endlich   aber   fanden  nun   die  Juden 
das  rechte  Mittel,  Ihn  nach  Ihrem  Willen  au  stimmen,  in- 
dem  sie  die  Bemerkung  hinwarfen ,    wenn  er  Jesum    los« 
lasse  y    der  sich   dem  Cfisar  als  Usurpator  gegenüber-ütelie, 
sei  er  kein  ffilog  tä  Kaiaaoog*     So,   durch   eine  mögliche 
AnschwSrzuog   bei   Tiberius    eingetcbflchtert  ^  besteigt   er 
den  Riohterstnhl ,  ,und   greift,   da  er  seinen  Willen  nicht 
durchsetssen   kann,   zum  Hohn   gegen   die  Juden,   In   der 
Frage,  ob  sie  denn  wollen,  dafs  er  ihren  König  kreuaigen 
solle  ?  worauf  sie  aber ,   die  euletat  mit  so  sichtbarem  Er- 
folg angenommene  Stellung  behauptend,  erklfiren,  Ton  kei- 
nem Köniff,  als  Ton  dem  Cäsar,  wissen  au  wollen.    Jetzt 
willigt  der  Procurator  darein,  Jesnm  cur  Kreuzigung  füh- 
ren zu  Inssen,  zu  welchem  Behufe  man  ihm,  wie  die  zwei 
ersten  Evangelisten   bemerken,  den  Pnrpurmantel  auszog, 
vnd  seine  eigenen  Kleider  wieder  anlegte. 

S.    130. 

Die    Kreuzigung. 

Scb&n  über  den  Hingang  Je&u  cum  Orte  der  Kreuzi- 
gung weichen  die  Synoptiker  und  Johannes  von  einander 
ftb ,  indem  dem  letzteren  zufolge  Jesus  das  Kreuz  selber 
dahin  trug  (19,  17«),  während  die  ersteren  melden,  man 
habe  es  an  seiner  statt  einem  Simon  von  Cyrene  aufgelegt 


S56  Dritter  Abschnitt. 

(Matth.  27,  32  parall.)«  Die  Commentatoren  swar,  wie 
weni^  es  sich  von  selbst  verstflnde,  vereinigen  diese  An* 
gaben  dahin :  zuerst  habe  Jesas  selbst  das  Kreac  en  tra- 
gen versacht,  hierauf  aber,  als  es  sich  seigte,  dafs  er  ta 
erschöpft  war,  habe  man  es  dem  Simon  aufgeladen  ^).  Al> 
lein  wenn  Johannes  sagt:  xai  ßaga^ojv  zov  gavQOv  avti 
i^ijlO^ev  €ig  —  Folyad'ä'  onn  avrov  igavQ(oaay :  so  setat  er 
offenbar  nicht  voraus ,  dafs  auf  dem  Weg  dahin  Jesu  das 
Kreuz  abgenommen  worden  wfire  ')•  Es  scheint  aber  die 
von  den  Synoptikern  so  einstimmig  gegebene  Notie  von 
dem  untergeschobenen  Simon  um  so  weniger  abgewiesen 
werden  zu  können ,  je  weniger  sich  ein  Anlafs ,  ans  dem 
sie  erdichtet  worden  sein  könnte,  auffinden  Ififst«  Wohl 
hingegen  könnte  dieser  individuelle  Zug  im  Kreise  der 
Entstehung  des  vierten  Evangeliums  unbekannt  geblieben 
sein,  und  der  Verfasser  desselben  sich  gedacht  haben,  dafs 
der  allgemeinen  Sitte  zufolge  Jesus  selbst  das  Kreuz  we^ 
de  haben  tragen  mftssen.  Sämmtliche  Synoptiker  bezeich- 
nen Jenen  Simon  als  einen  KvQfpfoiog^  d.  h.  wahrscheinlich 
einen ,  aus  der  libyschen  Stadt  Cyrene ,  wo  viele  >Jaden 
wohnten  ^,  zum  Feste  nach  Jerusalem  Gekommenen.  Nach 
allen  wurde  er  auf  gewaltsame  Weise  zum  Tragen  des 
Kreuzes  gebracht,  was  aber  ebensowenig  f&r,  als  gegen 
die  Annahme,  dafs  er  Jesu  gOnstig  gewesen,  benützt  wer- 
den kann  ^).  Nach  Lukas  und  Markus  kam  *der  Mann 
gerade  drt  dyQÖj  und  wie  er  am  Kreuzigungszuge  vorüber- 
gehen wollte,  verwendete  man  ihn  zur  Unterstützung  Je80. 
Markus  bezeichnet  ihn    noch    bestimmter  als  nazrjq  y£ilf|- 


1)  So  Paulus,  Kuin^L)  Tholuck  und    Olshauiih  in  den  Comin.; 
Nra>dbr,  L.  J.  Chr.  S.  634. 

2)  FbiiTzscui,   in  Marc.  684:    Significat  Joannes,  Jesum  suam 
crucem  poriaHMset  dcnec  ad  cahariae  locum  pervenisset, 

5)  Jo&cph.  Antiq.  l^^  7,  2. 

4)  "Dafür  benützt  es  z,  B.  GaoTa8  3  dagegen  Olsujluii a,  3;  S.451. 


Drittes  Kapitel.   §.  190.  S57 

avdQ8  xttl  ^PBg>&s  welche  in  der  ersten  Gemeinde  bekennte 
Hinner  gewesen  mw  sein  scheinen  C^gl«  Rom.  10,  13. 
A.  6.  19,  33.  (?)  L  Tim.  1,  20.  (7)  2.  Tim.  4,  14.  (?))&>. 

Anf  dem  Hinweg  cum  Riehtplatse,  meldet  LaJcas,  sei 
eine  grobe  Volksmasse,  namentlich  auch  Weiber,  webkla- 
gend Jesu  nachgefolgt,  deren  Klagen  er  aller  aaf  sie  selbst 
und  ihre  Kinder  verwiesen  hal>e,  mit  Hinsicht  auf  die 
schrecklichen  Zeiten ,  welche  bald  Ober  sie  hereinbrechen 
würden  (23,  27  ff.).  Die  ZOge  sind  theils  aus  der  Rede 
Ober  die  Parusie,  Lnc.  21,  23«,  da,  wie\dort  den  Schwan- 
geren und  Sfiugenden  in  jener  Zeit  Wehe  gerufen  war, 
80  hier  gesagt  wird,  es  kommen  f^fteQai,  in  welchen  ai  gtZ- 
(Kti,  xal  xoi^ai  dl  öx  iyewjyjovj  xal  fiagoi  ^  öx  i^TjXaaooß^ 
werden  glücklich  gepriesen  werden;  theils  ist  ans  Hosea 
10,  6.  geborgt,  denn  das  xove  uQ^ovrai  kiyeiv  TÖig  oQf-ai  x, 
r.  L  ist  beinahe  wörtlich  die  alexandrinisohe  Uehersetaung 
jener  Stelle. 

Den  Platz  der  Hinrichtung  nennen  sSmmtItohe  £?an- 
gelisten  Golgatha, -das  chaldäische  HnS|73,    und    erklären 

diese  Beaeichnung  durch  xqovIb  TOitog  oder  xqaviav  (Matth. 
V.  33.  parall.).  Der  letsteren  Beaeichnung  nach  könnte  es 
scheinen,  der  Ort  sei*  von  seiner  schädelformigen  Figur  so 
gensnnt  gewesen  ;  wogegen  die  erstere  Erklärung  und 
wohl  auch  die  Nstur  der  Sa^he  wahrscheinlicher  macht, 
dafs  er  seiner  Bestimmung  als  Richtplata  und  den  daselbst 
verscharrten  Gerippen  und  Schädeln  der  Hingerichteten 
seine  Benennung  verdankte.  Wo  dieser  Plata  gelegen 
war,  ist  nicht  bekannt,  doch  ohne  Zweifel  aufserhaib  der 
Stadt;  anch  dafs  er  ein  Hflgel  gewesen,  wird  nur  ver- 
machet ^). 

Den  Hergang  nach  der  Ankunft  Jesu  auf  dem  Rieht- 


5)  Vgl.  Faülüs,  FamscKB  und  db  Wbitb,  s.  d.  St. 

6)  t.  Pavlus  und  Fkitischs  s.  d.  Abschn.    Wihik,   bibl.  Realw. 
d.  A.  Golgatha. 


558  Dritter  Abschnitt. 

plftts  erEählt  Matthäoi  (V.  34  ff.)  in  etwas  sond^rbiirfr 
Folge.  Zuerst  erwfthnt  er  des  Jesa  angebotenen  Tr^nk»; 
dann,  dafs,  nachdem  sie  .ihn  an  das  Kreae  gescbUgen,  die 
Soldaten  seine  Kleider  vertheilt  haben ;  hierauf,  wie  lie 
•ich  niedergesetzt,  um  ihn  zu  bew4ichen;  nach  diesem  di« 
dem  Kreuze  gegebene  Ueberschrift ,  und  nun  erst  wird, 
und  zwar  nicht  als  Nachboinng,  sondern  durch  eine  Pa^ 
ttkel  der  Zeitfolge  (ror6),  die  Notiz  angefcnfipft,  dafs  mtn 
mit  ihm  zwei  Käober  gekreuzigt  habe.  Während  Markoi 
dem  Matthäus  folgt,  nur  dafs  er  statt  der  Angabe  der  Be- 
wachung des  Kreuzes  eine  Zeitbestimmung  hat,  berichtet 
Lukas  richtiger  zuerst  die  Kreuzigung  der  beiden  Verbre- 
cher mit  Jesu,  dann  erst  die  Kleiderrerloosung,  und  in 
ähnlicher  Abfolge  auch  Johannes.  Defs wegen  aber  die 
Verse  bei  Alatthftns  bmzusteilen  (34.  37.  38.  35.  36),  wie 
vorgeschlagen  wurde  '),  ist  unerlaubt,  und  man  mufs  viel* 
mehr  auf  dem  Verfasser  des  ersten  Evangeliums  die  Be- 
schuldigung liegen  lassen,  dafs  er  Über  dem  Bestreben, 
von  den  Hanptvorgängen  bei  *der>  Kreuzigung  Jesu  nor 
keinen  zu  übergehen  ^  die  natttrliohe  Zeitfolge  vernach- 
lässigt habe  8> 

Was  die  Art  der  Kreuzigung  '  betrifft ,  ist  Jetzt  kson 
mehr  etwas  streitig,  als  nur  die  Frage,  ob  dem  Gekreu- 
zigten aufcer  den  Hunden  auch  die  Ffifse  angenagelt  wo^ 
den  seien?  Die  Bejahung  dieser  Frage  liegt  ebenso  iui  In- 
teresse der  orthodoxen,  wie  die  Verneinung  in  dem  der 
rationalistischen  Ansicht.  Von  Justin  dem  Märtyrer  an '; 
bis   auf  Hengsx£MB£Ro  ^^   und  Ox^shausen  finden    die  Or* 


7)  voa  Wassikbbrsm,  in  der  Diss.  de  trajectionibus  N.  T.zuVjl- 
ckcnaer's  scholae  in  lt.  quosd.  N;  T.  2,  p.  31. 

8)  Vgl.  ScHLBiBRMACHBR,  Über  den  Lukas,  S.'295;    Wikbk,  N.  T. 
Gramm.  S.  226.,   und  Fritzschb,  in  Matth   p.  814. 

9)  Apol.  1,  35.    Dial.  c.  Trypb.  97. 

10)  Christologie  des  A.  T.  f,  a.  S.  182  ff. 


Drittes  Kapitel.     (.  130.  56»^ 

thodoxen  in  fi^ii  angenagelten  Ffiften  Jesa  eind  Erftillang 
der  Weiesagang  Pa,  2^,  17* ,  wo  die  LXX.  iaqv^ap  x&iQa^ 
fiH  xal  nodag  flbersetst ;  allein  im  Grundfext  ist  aehwerlieh- 
von  Dorchbobren,   in^  keinem  Fall  Fon    einer  Kreoslgnng 
die   Rede;  auch   wird   die  Stelle  im    N,  T.   nirgends    aof 
Chriatum    angewendet.     Den  Rationalisten   hingegen    wird 
es  theila  leichter,  den  Tod  Jesu  fflr  blofsen  Scheintod  bq 
erklSren  ,    theils  nur  dann  möglich,   su  begreifen,   wie  er 
nach  der  Auferstehung  sogleich  wieder  gehen  konnte^  wenn 
an    den    Fflfsen    keine   Verwundung   stattgefunden    hatte: 
allein    rielmehr,    wenn  es  sich  geschichtlich   ergäbe,   dafs 
wirklich    auch   die  Fiifse  Jesu    angenagelt   waren,   mfifste 
gefolgert    werden ,   dafs   die  Wiederbelebung  und  das  bal- 
dige Wandeln  nach  derselben  entweder  auf-  fibernatflriiche 
Weise,  oder  gar  nicht,  geschehen  sei.  Meuestens  stehen  sich 
besondere    awei   gelehrte  und   grQndliche  Untersuchungen 
dieses  Punktes,   von  Paulos   und  von  Bahr,   jene  gegen, 
diese  ffir  die  Annagelung  der  Füfse,   gegenüber  ^^).    Ans 
der  evangelischen  firsftblung  kann  die  festere  Ansicht  vor 
Allem  das  für  sich  geltend  machen,  dafs  weder  Jene  Psalm- 
steile, die  doch  unter  Voraussetsung  einer  Fufsannagelung 
dem  Pragmatismus  der  Evangelisten  so  nahe  lag,  irgendwo 
benOtat,   ooch  in   der  Auferstehungsgeschichte  neben  den 
Nigelmajblen  in    den  Hfinden    und   der  Seitenwunde  einer 
Wunde  in  den  Fofsen  gedacht  ist  (Joh.  20,  20.  25.  27.): 
urogegen  die  andere  Ansicht  sich  nicht  ohne  Grund  darauf 
beruft,  dafs  Luc.  24,  39.  Jesus  die  Jünger  auffordert:  eJere 
^^?  t^^Q^S  H^  ^ccl  Tsg  nodag  fiSy  wo  zwar,  dafs  die  Fflfse 
durchbohrt  gewesen,    nicht  gesagt,   aber  auch  schwer  bu 
begreifen  ist,   wie,   blofs  um  von  der  Realität  seines  Kör- 
pers Oberhaupt  bu  OberBCugen,  Jesus  gerade  die  Füfse  vor^ 

ii)  Paulus,  im  exeg.  Handbuch  3,  b,  S.  669— 754;  Bahr,  in  Tac 
luck's  liter.  Anzeiger  für  christl.  Theol.  1835,  No.  1—6«  Vgl. 
such  NsASEOiR,  I..  J:  Chr. ,  S.  636.  Anni. 


500  Dritter  Abschnitt. 

geseigt  hüben  loll«  DaTs  unter  den  Kirchen?ätern  «och 
solche,  welche,  vor  Constanlin  lebend,  die  Kreosigiinf 
noch  aas  eigener  Anschanang  kennen  konnten,  wie  Justia 
und  TertuUian ,  die  Füfse  Jpsa  angenngelt  werden  lassen, 
ist  von  Gewi<?ht,  und  wenn  man  auch  ans  der  Bemerkong 
des  leteteren :  gut  (Christus)  solus  a  papulo  tarn  insiffni- 
ier  crucifixus  est  ^^) ,  schlielsen  köonte ,  der  Psalmsteile 
sulieb  haben  diese  V fiter  angenommen,  Christus  sei  «oi- 
nabmsweise  mit  Durchbohrung  auch  der  Fafse  gekreueigt 
worden:  so  wird  doch,  wenn  vorher  die  Durch bohrang der 
Hfinde  und  Fafse  die  propria  atrocia  crucis  genannt  war, 
deutlich,  dafs  jene  Worte  nicht  eine  ausgeaeichnete  Art  der 
Kreuzigung,  sondern  die  im  A«  T,  nicht  vorkommende, 
Jesnm  vor  allen  Andern  ausaeiohnende  Todesart  der  Kreo* 
Bigung  bedeuten.  Unter  den  Stellen  der  Profaoscribenten 
ist  die  wichtigste  die  Piautinische,  wo,  allerdings  als  aos- 
nahmsweise  verschärfte  Kreuzigung,  offigantur  bis  pedeSf 
bis  brarkia  vorkommt  ^').  Hier  firagt  es  sich:  soll  das  IV 
gewöhnliche  in  dem  bis  bestehen,  so  dafs  als  das  auch 
sonst  Uebliche  die  einfache  Anheftung  sowohl  von  FfifMo 
als  Händen  vorausgesetat  wird;  oder  soll  das  bis  offigen 
der  Hände,  d.*h.  dafs  beide  Hände  angenagelt  wurden, 
das  Gewöhnliche  gewesen,  das  Annageln  beider  Füise  aber 
als  aufserördentliche  Verschärfang  hinzugekommen  aem? 
wovon  Jeder  das  Erstere  den  Worten  angemessener  finden 
wird,  Hienach  scheint  sich  mir  dermalenr  das  Ueberge- 
wicht  der  historischen  Grfinde  auf  Seiten  derer  an  neigen, 
welche  behaupten,  dafs  Jesu  am  Kreuz  beides,  Hände  and 
Fflfse,  angenagelt  worden  seien. 

Noch  vor  der  Kreuaigung  war  es  laut  der  beiden  e^ 
sten  fivangelisten,  dafs  Jesu  ein  Getränk  angeboten  worden 
welches  Matthäus  (V,  34.)  als  o|o^  fieud  x^^S  fue^ayfiirofy 


12)  Adv.  Marcion.  3>  19. 

13)  Motteliana  2,  1. 


Urittes  Kapitel.     $.130.  Ml 

Markos  CV»  2X)  als  ia^ivQViafiivop  olvov  beseiohnet,  das 
aber  beiden  zufolge  Jesus  ^  bei  Matthäas  naehdem  er 
es  vorher  gekostet,  nicht  ca  sich  nehmen  mochte.  Oa 
man  nicht  begreift,  £u  welchem  Zwecke  man  anter  den 
Essig  Galle  gemischt  haben  möge,  so  erklärt  man  ge* 
wohnlich  die  xo^}  ^o*  M^tthfius ,  aus  dem  iafa'ovia^i^ 
Yov  des  Markus,  von  bittern  vegetabilischen  Ingredien« 
ftien,  wie  namentlich  Myrrhe,  und  liest  dann  auch  statt 
oloQ  entweder  geradeza  oei^or,  oder  versteht  doch  Jenes  von 
•aurem  Wein  '^),  um  so  das  betäubende  Getränk  aus  Wein 
nod  starken  Specereien  herausau bringen ,  welches  nach 
jüdischer  Sitte  den  Hinzurichtenden  zur  Abstumpfung  des 
Scbmersgeflihls  gereicht  zu  werden  pflegte  '^).  Allein  wenn 
auch  der  Text  diese  Lesart,  und  die  Worte  diese  £rkllC- 
itongen  znliefsen,  so  würde  doch  wohl  Matthäus  gegen  die 
Hioaosdeotung  der  wirklichen  Galle  und  des  Essigs  aus 
seiner  Erzählung  sehr  protestiren,  weil  ihm  dadurch  die 
Erffiliung  der  Worte  des  auch  sonst  messianisch  gebrauch* 
ten  Unglfickspsaims  69,  V.  22.  (LXX) :  xai  iduxav  eig  zo 
ß(xof(d  fis  Xoi?;V,  xal  eig  %rpf  ditpav  fis  ijtotuJavfiEo^og,  ver- 
loren ginge.  Diesem  Orakel  gemäfs  meint  Matthäus  un- 
streitig wirkliche  Galle  mit  Essig,  und  aus  der  Verglei- 
chiing  des  Markus  darf  nur  die  Frage  genommen  werxlen, 
ob  es  wahrscheinlicher  sei,  dafs  der  Vorgang,  wie  ihn 
Markus  darstellt,  das  ürsprflngiiche  gewesen,  was  erst 
Matthäus  zu  genauerer  Aehnliohkeit  mit  der  Weissagung 
amgeformt,  oder  ob  Matthäus  ursprünglich  den  Zug  aus 
der   Psalauteüe  geschöpft,    Markus    aber  ihn    hinterher 


14)  t.  Kuik'öl,  Faclvs,  z.  d.  St. 

15)  Sanhedrin ,  f.  43,  1,  bei  Wiisniif,  p.  635 :  JMa;it  R.  Chafa^ 
/*.  R,  Ascher,  dixitte  R,  Chasdam :  exeuiUi,  vi  capite  plecta^ 
tur,  dani  bibendum  granum  turit  in  pocuio  vini,  ui  aiiene- 
iur  mens  tffus,  sec.  d,  Prov,  31,  6 :  daie  stceram  pereumii  ei 
vinum  amaris  anima* 

Das  Lebern  Jesu  ZieAufl.  11.  Band. 


Mi  Dritter  Ahtohnitl. 

BD  gröfserer  geschichtlicher   Wahrscheinlichkeit  ODgebil- 

det  hübe? 

Cm  hierüber  entgcheiden  cn  können,  müssen  wir  siidi 
die  beiden  andern  Evangelisten  mit  in  die  Betrachtnnjv 
stehen.  Von  einer  Trfinkung  Jesn  mit  Essig  nJimlich  mel- 
den alle  viere,  and  auch  jene  beiden,  welche  den  nitGall« 
vermischten  Essig,  oder  den  Myrrhenwein ,  als  den  enten 
Trank ,  der  Jesu  geboten  worde ,  haben ,  wissen  «piter 
noch  von  einer  Tränkung  mit  blofrtem  Essig  ca  sagen. 
Nach  Lnkas  war  das  o^og  TtQogq^iQeiv  eine  Verhöhnung, 
welche  die  Soldaten  gegen  Jesum ,  wie  es  scheint,  nicht 
sehr  lange  nach  der  Kreasigong,  noch  vor  der  Finstemib, 
vornähmen  (V.  36  f.) ;  nach  Markna  reichte  kurs  vor  den 
Ende,  drei  Stunden  nach  Entstehi^ng  der  Pinstemib ,  ei- 
ner der  Umstehenden  auf  den  Ruf  Jesu:  mein  Gott  a.  s.w., 
ihm ,  gleichfalls  in  «(jöttischer  Absicht,  mittelst  eines  asf 
ein  Rohr  gesteckten  Schwamroes  Essig  dar  (V.  S6.);  nsch 
Matthfius  bot  ihm  einer  der  Umstehenden  auf  eben  jeneo 
Ruf  hin  und  auf  dieselbe  Weise  den  Essig ,  aber  in  gater 
Absicht,  wie  man  daraus  sieht,  dafs  die  Spötter  ihn  dsToa 
abhalten  wollten  (V.  48  f.)  ^^);  wogegen  es  bei  Joksnnei 
auf  den  aa»drückllc).en  Ruf:  dnpotj  ist,  dafs  einige  eines 
Schwamm  in  ein  nahe  stehendes  Geffifs  mit  Essig  tsneb- 
ten,  und  auf  einem  Ysopstengel  cum  Munde  Jesu  brscb- 
tpn  (V.  29.)-  Man  hat  daher  drei  verschiedene  Versuebe, 
Jesnm  au  tränken,  angenommen;  den  ersten  vorderKreo- 
Bigung,  mit  dem  betäubenden  Tranke  (Matth.  und  Ma^ 
kus);  den  eweiten  nach  der  Krencigung,  wo  ihm  die  Sol- 
daten Eum  Hohne  von  ihrem  gewöhnlichen  Getränk,  einer 
Mischung  aus  Essig  und  Wasser,  posca  genannt  ^'),  boies 
(Lukas),  und  endlich  die  dritte  Tränkung,  welche  auf  des 


16)  t.  FniTSSCHi,  f.  d.  SU 

17)  Vgl.  Paulü«,  s.  d.  St. 


Drittes  Kapitel.     $.  13(K 


MS 


klagenden  tluf  Jesu  erfolgte  (Matth.  Mark,  und  Job.)  ^"). 
Allein,  "will  man  einmal  Ungieichlaatendes  auseinander* 
halten,  so  mnfs  man  aueii  folgerecht  verfahren:  soll  die 
Ton  Lniias  berichtete  Trfinliong  von  der  des  Matthfios  unil 
Markos  wegen  einer  Zeitdifferene  verschieden  sein  ,  so  ist 
die  des  Matth&as  von  der  des  Markus  dorch  eine  üifie» 
renss  der  Absicht  verschieden,  und  wiederum  ist  das,  was 
Johannes  berichtet,  nicht  dasselbe  mit  dem  was  die  beiden 
ersten  Synoptiker,  da  es  ja  auf  einen  ganu  andern  Ruf 
Jesu  erfolgt.  So  bekSmen  wir  im  Ganaen  ffinf  Trffnkun« 
gen,  und  könnten  wenigstens  nicht  wohl  begreifen,  warum 
Jesus,  nachdem  ihm  schon  dreimal  Essig  snm  Munde  ge* 
fährt  war  y  nocbgum  viertenmal  £n  trinken  verlangt  bfitfe. 
Mfissen  wir  demnach  auf  Vereinfachung  bedacht  sein:  so 
ist  aber  keineswegs  nur  die  Trfinkung  bei  den  awei  ersten 
E?angelisten  und  dem  vierten  wegen  des  Zusammentreffens 
der  Zeit  ond  der  Art  der  Darreichung  fffr  Eine  su  erklfi« 
reo,  sondern  ebenso  die  des  Markus  (und  mittelst  dieser 
die  fibrigen)  mit  der  des  Lukas  wegen  Gleichheit  de^ 
höhoischen  Absicht.  So  bleiben  uns  uwei  Trunk ungen, 
die  eine  ror  der  Kreucigung,  die  andere  nach  derselben, 
ond  beide  haben ,  die  erstere  an  der  jfidiseben  Sitte  mit 
dem  betättbenden  Trank  ffir  HinEurichtende,  die  andere 
an  der  römischen,  vermöge  welcher  die  Soldaten  cu  Ex- 
peditionen, dergleichen  auch  die  Vollziehung  der  Hinrieh- 
tong  eine  war,  ihre  posca  mit  sich  eu  führen  pflegten,  ei- 
nen historischen,  an  der  Weissagung  Ps.  69.  aber  einen 
prophetischen  Haltpunkt.  Beide  Haltpunkte  wirken  ent« 
gegengesetzt:  der  prophetische  erregt  Verdacht,  ob  auch 
wirklieh  der  Erz£hlung  etwas  Geschichtliches  zum  Grunde 
liege;  der  historische  macht  es  zweifelhaft,  dafs  die  ganze 
Sache  nur  aus  Weissagungen  sollte  herausgesponnen  sein. 
Uelierblicken  wir  noch   einmal  die  verschiedenen  Be« 


18)  So  Kanv'ÖL,  in  Luc.  p.  710  f.    1ruoLVCK>  p.  S10w 
'  86' 


564  Dritter  Abschnitt. 

richte  9*  so  sind  wenigstens  ihre  Abwoichnngen  giinc  top 
der  Art,  wie  sie  ans  verschiedener  Anwendung  derPsaln- 
steile  entstehen  l&onnten.  Da  in  derselben  von  Gslleessen 
und  Essigtrinken  die  Rede  war,  so  scheint  man  EQofichst 
das  Erstere,  ^Is  undenl&bar,  bei  Seite  gelassen,  and  die 
Erffiliung  jeuer  IVeissagnng  darin  gefunden  au  haben, 
dafs,  was  wohl  historisch  sein  liann,  wie  es  von  alieo 
vier  Evangelisten  gemeldet  Hird,  Jesus  am  Kreuae  mit  Es- 
sig getränkt  worden  sei.  Diefs  konnte  man  entweder  all 
Handlung  des  Mitleids,  wie  Matthfins  und  Johannes,  oder 
des  Spottes,  mit  Markus  und  Lukas ,  betrachten.  Da  auf 
diese  Weise  awar  das  irtovioav  /^eo^os,  noch  nicht  aberaach 
daB^ig  Tijy  Slipccv  fis  des  Orakels  wörtlich  erfüllt  war, 
so  hielt  es  der  Verfasser^  des  vierten  Evangeliums  ffir 
wahrscheinlich,  dafs  Jesus. auch  wirklich  die  Empfindung 
des  Durstes  gefinfsert,  d.  h.  diifui  gerufen  habe;  ein  Rof, 
den  er  ausdrücklich  als  Erfüllung  der  yQaqr^j  worooter 
ohne  Zweifel  die  genannte  Psalmstelle  (vgl.  Ps.  22,  16.) 
verstanden  ist,  bezeichnet,  und  cwar,  indem  er  das  iW 
zaMia^&i]  7}  yQce(f?j  durch  ddoig  6  ^Ir^oäg^  aii  Ttavza  rfir}  «- 
riX^gai  einleitet,  so  scheint  er  fast  sagen  aa  wollen,  die 
Erfüllung  der  Weissagung  sei  die  eigene  Absiebt  Jesu  bei 
jenem  Ausruf  gewesen:  allein  mit  solchem  typologitfchea 
Spiel  wird  kein  am  Rreua  im  Todesliampf  begriffener  lieh 
abgeben,  sondern  nur  sein  in  ruhiger  Lage  befindlicher 
Biograph«  Indefs,  auch  hiedurch  war  immer  nur  die  eine 
Hälfte  Jenes  messianischen  Verses,  die  auf  den  Essig  be- 
zügliche, erfüllt :  die  von  der  Galle  handelnde,  welche  ab 
Inbegriff  aller  Bitterkeit  au  einer  Beaiehung  auf  den  lei- 
denden Messias  gana  besonders  geeignet  schien,  W4ir  noch 
übrig.  Zwar,  dafs  xoh^  als  ßqui^a  gegeben  worden  sei} 
was  die  Psalmstelle  strenggenommen  verlangte,  blieb  sii 
undenkbar  hei  Seite  gestellt:  wohl  aber  schien  ea  den  er 
sten  Evangelisten,  oder  wem  er  hier  folgt,  thunlich,  die 
Galle  als  Ingrediens  unter  den  Essig  eu  mischen,  eineHi' 


Drittes  Kapitel.    $•  130.  ft6£^ 

ichüngj  ifvelcbe  dünn  freilich  Jesus,  des  Abeln  Geschmacks 

wegen,  nicht  trinken  konnte.  Der  s weite  E?angelist,  mehr 

«af  den    pragmatischen  als  aof  den  prophetischen  Znsam«* 

menhang   bedacht ,   machte  dann ,    mit  Beaiehaag  auf  eine 

JSdische   Sitte,    und    ?ielleicht   cnsammentreflfend  mit  der 

geschiehtlichen  Wirklichkeit,  aas  dem  Essig  mit  Galle  bit-< 

tern  Myrrhenwein ,  nnd  liefs  Jesnm  diesen ,  ohne  Zweifel 

aus  Sebeae  wor  BetXnbong,    ausschlagen.     Da  aber  diesen 

beiden   Evangelisten   neben   der    Ersählong   von   dem    mit 

Galle  gemischten  Essig  auch  noch  die  nrsprangliche ,    ?on 

blofsem   Essig «   sogekommen    war:    so    wollten   sie  diese 

durch  jene   nicht   yerdrXngen   lassen,    und  stellten  daher 

beide  nebeneinander.   Hiemitsoll  aber,  wie  schon  bemerkt, 

keineswegs  gelingnet  werden,   dafs  Jesu  vor  der  Krenni* 

gong   ein    solcher  Mischtrank,    und   nachher  noch    Essig 

möge  gereicht  worden  sein,   da  Jenes,  wie  es  scheint,  ge» 

wohnlich,  ond  dieses  bei  dem  Durst,  welcher  die  Gekreu* 

sigten  plagt,   natfirlich  war:    nur  so  viel  soll  gesagt  sein, 

dafs   die   Evangelisten   diesen  Umstand,   und  cwar   in   so 

verschiedenen  Wendungen,  nicht  defswegen  ereählen,  weil 

sie    historisch   wufsten ,   er  sei  auf  diese  oder  Jene  Weise 

wirklich  vorgekommen,  sondern  weil  sie  dogmatis^fi  tfber- 

seugt  ivaren ,  er  mflsse  jener  Weissagung  cufolge ,    die  sie 

aber  verschiedentlich  anwandten,  sieh  ereignet  hallen  ^'). 

Während  oder  nomittelbar  nach  der  Kreuzigung  Ififst 
Lukas  Jesum  sprechen:  nat€Qj  äg^sg  avtolg^  u  yd(}  didaai 
Ti  noiSöt  (V.  34.);  eine  Fürbitte,  die  man  bald  anf  die 
Soldaten ,  die  ihn  krensigten ,  beschränkt  ^^ ,  bald  anf  die 
eigentliehen  Urheber  seines  Todes,  die  Synedristen  und 
Pilatus,  ausdehnt  2^).   So  angemessen  eine  solche  Bitte  den 


19)  Vgl.  auch  Bliik,  Comm.  zum  Hebräerbrief,  2,  S.  312.  Anm.^ 

DB  Wktts,  exeg.  Handb.  I,  3,  S.  198. 

20)  KüiTveL,  in  Luc.  p.  710. 

21)  01.SUAIISA,  S.  484  >   NiiAosji,  S.  637« 


ftM 


Dritter  Absohuitt. 


$oogtigeQ  Grundafiteen  Jesu  fiber  Feindealiebe  {«t  (Matth. 
S,  44.)  >  und  so  viele  innere  üiaubwfirdigkeit  von  dieier 
Seite  die  Motis  des  Luka&  hat:  so  ist  doch,  EaiDsl^r  mit 
derseiben  allein  steht,  darauf  aufmerksam  cu  machen,  dJi 
möglicherweise  dieser  Zug  ans  dem  fftr  messianitch  gehal- 
tenen Abschnitte  Jes,  5u.  genommen  sein  könnte,  wo  et 
im  letzten  Vers,  in  demselben,  ans  M^elchem  auch  das  fitia 
avofiufv  iloylaO-f]   entlehnt  ist,   helfet:   yjsr  Wyvf^j  wai 

swar  die  LXX.  unrichtig  durch  dta  rcrv;  avofiias  avim 
na(f€d6')'r;  (aber  bereits  das  Targum  Jonathanidorch  jiro  pec* 
eatiSj\Bolltehelt»enpeccat<n'ibus')  deprecatus  e«£  wiedergibt 
Üafs  mit  Jesu  zugleich  Juo  xaxüQyoi^  welche  Mattbaoi 
ond  Markus  als  Ifigag  beceichnen ,  in  der  Art  gekreusigc 
worden  seien,  dafs  sein  Krens  in  der  Mitte  stand,  darin 
stimmen  die  Evangelisten  zusammen,  nnd  Markos,  wenn 
sein  2Ster  Vers  acht  ist,  sieht  darin  eine  wörtliche  Erfül- 
lung des  Jesaianischen :  //ara  aioftwP  iXtrylaOi]^  welcliei 
nach  Lukas  22,  'XI.  Jesus  schon  am  Abend  vorher  aU  eine 
demnfichst  an  ihm  su  erfbllende  Weissagung  angefilbrt 
hatte.  Von  dem  weiteren  Verhalten  dieser  Mitgekreuiig' 
ten  berichtet  uns  Johannes  nichts;  die  beiden  ersten  Syn- 
optiker lassen  sie  Schmähungen  gegen  Jesnm  ansatoben 
CMatth.  27,  44.  Marc.  15,  321):  wogegen  Lukas  ersXlilt, 
nur  der  eine  von  ihnen  habe  sich  dieses  erlaubt,  sei  aber 
von  dem  andern  surechtgewiesrn  worden  (23,  39  ff.)*  ^* 
diese  DifFerenn  ansaugleichen ,  haben  die  Erklfrer  dta 
Voranssetcung  gemacht,  zuerst  mögen  wohl  beide  Verbre- 
cher Jesum  geschmäht  haben,  dann  aber  durch  die  ao^le^ 
ordentliche  Finaternifs  der  eine  nmgeatimmt  worden  sein  ^]; 
neuere  haben  sich  auf  eine  enßUage  numeri  bemfeo  ^ 
gewlfs  aber  nur  diejenigen  recht  gesehen,  welche  eine 
wirkliche  Differenz  zwischen  Lukas   und  seinen  VorvlA* 


22)  So  Chrysbstomus  u.  A. 
33)  Bizi  Had  (jnaxit*!« 


Driltef  Kapitel.    $•  130.  »67 

■ern  ««gaben  >,*)•  Offenbar  haben  von  deoi  Genaaeren, 
was  Jener  über  das  Verb&itnils  der  bekleo  Mitgekrenaig- 
ten  sa  Jesu  sa  beriehten  weifs^,  die  swei  ersten  £yange> 
listen  nichts  gewulst«  Nfih^r  eraiihit  nämlich  Lukas ,  als 
der  eine  der  beiden  Verbrecher  Jesam  durch  die  Auffor- 
derung höhnte,  wenn  er  wirklich  der  Messias  sei,  sich 
und  sie  su  befreien ,  habe  ihm  der  andere  solehen  Hohn 
gegen  einen,  mit  dem  er  doch  das  gleiche  Schicksal ,  und 
Ewar  als  Schuldiger  mit  dem  Unschuldigen,  theile,  ernst« 
lieh  yerwiesen,  Jesam  aber  gebeten,  wenn  er  In  seiner 
ßaaiksia  kom.men  werde,  seiner  an  gedenken ;  worauf  ihm 
Jesus  das  Versprechen  gegeben  habe,  noch  heute  werde 
er  mit  ihm  er  t(p  naQadeiaij)  sein.  An  dieser  Soene  ist 
vorn  herein  nichts  Anstöfsiges,  bis  au  der  Anrede  des 
Bweilen  Mirgekreuaigten  an  Jesnm,  Denn  um  von  einem 
aoi  Krens  Hängenden  ein  einstiges  Koramen  aur  Errich- 
tung des  Messiasreichs  au  erwarten ,  daan  gehörte  das 
ganae  System  von  einem  sterbenden  Messias,  welches  die 
Apostel  vor  der  Auferstehung  nicht  begriffen,  und  welches 
somit  ein  Ai^gi;«»  vor  ihnen  gefafnt  haben  mfifste.  Diefs  ist 
10  unwahrscheinlich,  dafs  es  kein  Wunder  ist,  wenn  Man* 
rhe  in  der  Bekehrung  des  Käubers  am  Kreua  ein  Wunder 
haben  sehen  wollen  '^^) ,  und  es  wird  durch  die  Annahme, 
welche  die  Erklärer  au  flfilfe  rufen,  der  Mensch  werde 
wohl  kein  gemeiner,  sondern  ein  politischer  Verbrecher,^ 
vielleieht  einer  der  avgcanagaiv  des  Barabbas,  gewesen 
•ein  >*),  nur  noeh  undenkbarer.    Denn  war  er  ein  aum 


24)  Pauli78,  S.  763;  Wiksr,  N.  T.  Graxun.  S.  149;  Fritzscbi, 
in  Matth.  p.  817. 

25)  &•  Thilo,  Cod.  apocr.  1.  S.  143*  Weitere  apokrypbische  Nach- 
richten von  den  beiden  Mitgekreuzigten  finden  sich  im  erang. 
Infant,  arab.  c.  23,  bei  Thilo ,  p.  92  f.;  vgl.  die  Anm.  p.  143; 
im  ev.  Nicod.  c.  9.  10,  Thilo,  p.  581  ff«  c.  26,  p.  766  ff» 

2^)  PAVLti  und  iiuiA'öL,  I.  d.  St. 


5ftS 


Dritter  Abschnitt. 


Aufruhr  geneigter  Israelit,  der  auf  Befreiung  seines  Volks 
vom  römischen  Joehe  hiharbeiten  wollte :  so  war  gewifi 
auch  seine  Idee  vom  Messias  am  weitesten  davon  entfernt, 
einen  politisch  so  gans  Vernichteten,  wie  Jesus  damsU  vrar, 
als  solchen  ansnerkennen.  Man  ist  daher  an  der  Frage 
veranlafst,  ob  man  hier  wirkliche  Geschichte,  und  nieht 
vielmehr  eine  sagenhafte  Bildung  vor  sich  habe?  Zwei 
UebelthXter  waren  mit  Jesu  gekrenaigt,  so  viel  hatte  ohne 
Zweifel  die  Geschichte  (oder  auch  diefs  schon  die  Weit« 
sagung  Jes.  53,  12.?)  an  die  Hand  gegeben.  Sie  hingen 
sunüchst  als  stumme  Personen  da ,  wie  wir  sie  im  vierten 
Evangelium  finden,  in  dessen  Entstehungsgebiet  nor  die 
einfache  Nachricht,  dafs  sie  mit  Jesu  gekreosigt  worden, 
gedrungen  war.  So  unbentttet  aber  konnte  sie  die  Sage 
in  die  Liinge  unmöglich  lassen :  sie  öffnete  ihnen  den 
Mund,  und  da  sie  ffbrigens  nur  von  Schmühungen  der 
Umgebenden  su  berichten  hatte,  so  liefs  sie  in  den  Allg^ 
meinen  Hohn  gegen  Jesnm  auch  die  beiden  Uebelthfiteri 
ffunfichst  ohne  nähere  Angabe  ihrer  Beden,  einstimmen 
(Matth.  und  Markus^.  Doch  die  Mitgekreusigten  liefwo 
sich  noch  besser  benützen.  Hatte  ein  Pilatus  ZeugniCs  ßr 
Jesum  abgelegt,  zeugte  bald  darauf  ein  römischer  Cen- 
torio,  ja  die  ganze  wunderbar  aufgeregte  Natur  ffir  ihn: 
so  werden  auch  seine  beiden  Leidensgenossen,  wiewohl 
Verbrecher,  gegen  den  Eindruck  seiner  Gröfse  nicht  gans 
verschlossen  geblieben  sein,  sondern,  wenn  zwar  der  eine, 
der  ursprihigifchen  Gestaltung  der  Sage  gemäfs,  lästerte,  lo 
mufste  wohl  der  andere  sich  in  entgegengesetztem  Sinn  ge- 
lufsert,  und  Glauben  an  Jesus  als  den  Messias  bewiesen  haben 
(Lukas).  Ganz  im  Geist  der  jQdischen  Denk-  und  Rede- 
weise ist  dann  seine  Anrede  an  Jesnm  und  dessen  Ant* 
wort;  denn  das  Paradies  war  nach  damaliger  Vorstellon; 
derjenige  Theil  der  Unterwelt,  welcher  die  Seelen  der 
Frommen  in  der' ZwischcQzeit  zwischen  ihrem  Tod  nni 
der  Auferstehung  beherbergen   sollte;   um  eine  Stell«  in 


Drittef  Kapitel,    f.  130.  569 

P«riiiiet  und  ein  goldiges  Andenken  im  kOnMgeo  Äon 
bittet  dtor  Hraellte  6ott|  und  so  hier  den  Messias  '') ,  ond 
?on  einem  ansgeseiehnet  frommen  Manne  glaubte  man, 
dals  er  den  -in  seiner  Sterl»estande  Anwesenden  mit  sieb 
in  das  Paradies  einfahren  könne  ^^). 

Dem  Kreoce  Jesn  wurde  naoh  rdmischer  Sitte  ^')  »eine 
hti'/qaqy^  (Mare.  Luc.) 9  «in  tlrXog  (Job.),  angebeftet,  der 
rrjV  aiTicey  avts  (Matth.  Marc.)  enthielt,  welche  nach 
simmtlichen  Evangelisten  durch  die  Worte:  o  ßaaiXevg 
t(üv  Vndaltov  beeeichneC  war.  Lukas  und  Johannes  mel« 
den^  dafs  diese  Aufschrift  in  drei  Sprachen  bu  lesen  ge- 
wesen sei  I  und  der  letstere  gibt  noch  die  Notie ,  dafs  die 
jBdischen  Obern  den  Spott,  der  in  dieser  Fassung  der 
Deberschrift  gegen  ihre  Nation  lag,  wohl  gefthlt,  und 
defshalb  den  Pilatus,  jedoch  vergeblich,  um  Abänderung 
derselben  gebeten  haben  (Y.  21  f ). 

Von  den  .Soldaten ,  welche  Jesum  gekreualgt  hatten, 
deren  Zahl  Johannes  auf  vier  angibt ,  berichten  die  Evan* 
gellsten  einstimmig,  dafs  sie  die  Kleider  Jesu  mit  Anwen- 
dung des  Looses  unter  sich  yertheilt  haben.  Mach  dem 
römischen  Gesetce  de  bonis  damnatorum  ^)  fielen  die 
Kleidungsstücke  der  Hingerichteten  als  spotia  den  Voll- 
streckern des  Drthells  su ,  und  insofern  hat  jene  Angabe 
der  Evangelisten  einen   historischen  Anhaltspunkt.    Doch, 


27)  Confcssio  Judaei  aegroti,  Bei  Wetstsim,  p.  820:  ^  da  por- 
tionent  fneam  in  horto  Edenis,  et  memento  tnet  in  sectdo 
futuro,  qtiod  absecnditum  est  justU.  Andere  Stellen  t»  bei 
ebendems.,   p.  819* 

28)  Cetubath  f.  103,  bei  Wbtstiik,  p.  819 :  Quo  die  RaM  mo^ 
riiurus  erat,  venit  vox  de  eoelo,  dixitgue:  gut  praesens  ade- 
rit  nwrienti  Rabbi,  Ule  intraJbit  in  paradisum* 

29)  t.  Wbtstbin,  z.  d.  St.  des  Matthäus. 

30)  Angeführt  bei  Wststbin,  p.  536 ,  womit  übrigens  die  Text- 
berichtigung Ton  Favlvs,  exeg.  Handb.  3»  b,  S.  751 9  zu  ver- 
gleichen ist. 


S70  Orittar  AbfohniiU 

wie  die  neisten  Zöge  dieser  lotsten  Seene  im  LelieeJen, 
bat  sie  auch  einen  prophetiMshen.  Bei  Matthäus  awsr  Ut 
die  Aaffihmng  der  Stelle  Ps«  32,  19.  ohne  Zweifel  einge. 
fehoben;  sicher  £cht  dagegen  daMeibe  Citat  bei  Johann« 
(19,  24.):lVa  ^yqaq^rjnXr^Qiod'ilfj  Uynacr  C^örtlieh  naeb  def 
LXX.)  d^eiiBQlaayto  %a  Ifmua  [xh  eavzoiSj  xal  ini  %6y  l^a- 
tujfiop  fiü  SßcJiov  xk^QOV,  Auch  hier  hat  nach  der  Verii- 
cberung  der  orthodoxen  Ausleger  der  Verfasser  des  Psalmi, 
üa?id,  nach  einer  höheren  Leitung,  im  Znstande  der  Be- 
geisterung solehe  bildliche  Ausdrficke  gewählt,  welche  bei 
Christo  im  eigentlichen  Sinne  angetroffen  sind  ^^).  Viel- 
mehr aber  gab  David,  oder  wer  sonst  der  Urheber  dei 
Psalms  ist,  als  ein  Mann  von  dichterischem  Geiste  jene 
Ansdrflcke  nur  bildlich ,  im  Sinne  von  gänaliohem  ÜbUt- 
liegen;  aber  die  kleinlichte,  prosaisohe  AoslegnngsweiN 
der  Jnden ,  welche  die  Evangelisten  ohne  ihre  Schuld 
theilten ,  und  von  welcher  sich  die  orthodoxen  Theologen, 
aber  durch  eigene  Schuld,  nach  18  Jahrhunderten  notk 
immer  nicht  frei  gemacht  haben ,  glaubte  jene  Wort«  ci* 
gentlich  nehmen,  und  in  diesem  Sinn  als  am  Messias  e^ 
fällt  nachweisen  au  mfisseu«  —  Ob  nun  die  Kvangeiiiten 
die  Kleiderverloosung  mehr  aus  historischen  Nachrichten, 
die  ihnen  cu  Gebote  standen,  oder  ans  der  prophetiicbei 
Stelle,  welche  sie  verschiedentlich  auslegten,  gesejiupft 
haben ,  mnfs  aus  der  Vergleichung  ihrer  Berichte  sich  e^ 
geben.  Diese  weichen  darin  von  einander  ab,  dafs,  wih- 
rend  den  Synoptikern  zufolge  sfimmtlicbe  Kleider  dorcb 
das  Loos  vertheilt  wurden,  was  schon  aus  dem  dufiefdamto 
ta  ifiOTia  avTÖ^  ßaXkorreg  xXiJQov  bei  Matthäus  (V.  35.) 
und  der  ähnlichen  Wendung  des  Lukas  (V.  34.))  am  est 
sehiedensten  aber  aus  dem  Zusata  des  Markus:  r/V  u 
aQfj  (V.  24.) 9  erheilt:  bei  Johannes  die  übrigen  Stfleke 
ohne  Loos  vertheilt ,  und   nur   um  das  Unterkleid  gelooit 


il)  Tmolvgk,  z.  d.  S.t. 


Drittes  Kapital«    $.  130.  S71 

(V.  2S  f.).     Uiete  Abweichaag  wiird  gewöholioh  ?i^l 
tn  leicht  genommen,  und  ttilUchweigend  so  behandele,  ale 
ob  die  Darstellung  der  Synoptiker  eur  johanneiscben  sieh 
oor   wie  die   on bestimmtere  nur   bestimmteren    verhielte. 
KuiNÖL  Oberaetzt  mit  Rfloksicht  auf  den  Johannes  das  Mat* 
thSitche  dtmBQi^ovzo  ßollof^ieg  geradesn  dnreh:  pariim  dt- 
videlnmt ,  partim  in  sortem  conjidebant  \  allein  so  läTst 
sich  nicht  thellen^   sondern  das  dufjeQi^no  gibt  an,  was, 
^M  ^iuHmTcg  xir-QoVf   wie  sie    es  gethan  haben;   ohnehin 
fiber  das  lig  zL  Sqt]  schweigt  Kdinöl  still,   weil  hierin  nn- 
ferkennbar  liegt,   dafs   sie  um  mehrere  Stacke  geluo^t  ha- 
ben :    während    sich  nach  Johannes  das  Loos  nur  auf  Ein 
KleidungsstOck  beaog«   Fragt  es  sich  nun,  welche  von  bei- 
den widersprechenden  Angaben  die  richtige  sei,    so  lautet 
saf  dem  jetsigen  Ständpunkte   der  vergleichenden  Evange- 
lienkritik die  Antwort  dahin,  dafs  der  Aogenseuge  Johan« 
nes  das  Richtige  gebe,   den  Synoptikern  aber  sei  nur  das 
Dobestimmte  so  Ohren  gekommen,   dafs    bei   de^  Verthei« 
Inng  der  Kleider  Jesu    die  Soldaten    das  Loos   in  Anwen- 
dnng  gebracht  haben,  ond  diefs  haben  sie  aus  Unkenntnifs 
der  nfiheren  Verhältnisse  so  verstanden,  als  obObersImmt« 
liehe  KleidnngsstQcke   Jesu    das    Loos    geworfen    worden 
wSre  '^«     Allein,   wenn  schon  der  Umstand,   dab  gerade 
Johannes  allein   es   ist,   der  die   Psalmstelle    ausdrücklich 
snfiihrf,    eine  vorzOgliche  Berflcksichfigung  derselben  von 
seiner  Seite  beweist:    so   ist   überhaupt  diese  Abweichung 
der  Evangelisten  eine  solche,   welche   einer  verschiedenen 
Auslegung,  jener  Stelle  anfs  Genaoeste  entspricht.     Wenn 
der  Psalm  von    einem  Vertheilen   der  Kleider  nnd  Verloo- 
sen  des  Gewandes  redet:   so  ist  Im  Sinne  des  hebräischen 
Psrailelismos  das  aweite .  nnr  nähere  Bestimmung  des  er- 
sten, und  In  richtigem  Verstflndnifs  hievon  setzen  die  Syn- 
optiker  das  eine  der  beiden  Verba  in's  Participium.     Wer 


^2}  X.  B.  bei  TasiLB^  cur  fiio^sphie  Jesu,  $.  36.  Anili.  ih 


.-• 


572  Dritter  Abtohnitt. 

aber  entweder  diese  Eigenheit  des  hebrfiischen  Sprachge- 
braacbs  nicht  berücksichtigte,  oder  ein  Interesse  hstte,  je- 
den  einselnen  Zag  der  Weissagung  als  besonders  erfüll- 
ten heransBuheben ,  der  itonnte  jenes  näher  bestimmende 
Und  als  hincofOgend  fassen,  und  so  in  dem  Verloosen  ei- 
nen von  dem  Vertheilen  verschiedenen  Act  finden.  Dann 
Bofste  auch   der  i^iariüfxog  (tt^S),   welcher  arsprfinglich 

ein  synonymum  von  Ifidriu  (D'^TQ)  war,  ein  von  diesen  ▼e^ 

schiedenes  Kieidongsstttck  werden,  dessen  nähere  Bestin- 
ninng,  weil  sie  im  Wort  anf  keine  Weise  lag,  dem  Belie- 
ben überlassen  blieb.  Der  vierte  Evangelist  bestimmte  ei 
als  xiTcJy,  and  weil  er  seinen  Lesern  auch  einen  Grnod 
achnldig  bu  sein  glaubte,  warum  auf  dieses  Stück  eio  ?oii 
der  Vertheilung  der  übrigen  so  verschiedenes  Verfahren 
angewendet  worden  sei,  brachte  er  heraua,  der  Grond, 
warum  man  das  Unterkleid  lieber  verloosen  als  Bertheilen 
wollte ,  werde  wohl  gewesen  sein ,  dafs  es  keine  das  Ze^ 
trennen  begünstigenden  Mähte  gehabt  (juQ(}aq>os)  y  am  B' 
oem  Stück  gewoben  ivq^avtog  di  olu)  gewesen  sei  ^^}.  Di 
hätten  wir  also  bei  dem  vierten  Evangelisten  gans  dasselbe 
Verfahren,  wie  wir  es  in  der  Geschichte  des  Einzugs  auf 
Seiten  des  ersten  gefunden  haben :  beidemale  die  Verdop- 
pelung eines  ursprünglich  einfachen  Zugs  aus  falscher  Fas- 
sung des  1  im  hebräischen  Parallelismus;  nur  ist  der  ercte 
Evangelist  an  Jener  Stelle  darin  noch  weniger  willkürlich, 
als  hier  der  vierte ,  dafs  er  uns  wenigstens  mit  der  Anf- 
spfirung  des  Grundes  verschont ,  warum  damals  für  Einen 
Reiter  swei  Esel  haben  reqnirirt  werden  müssen.  Js 
mehr  sich   auf  diese  Weise   die  Darstellung  dea   bezeich- 


33)  Die  Ausleger  merken  hiezu  an ,  dass  auch  das  Kleid  dei  jü- 
dischen Hohenpriesters  von  dieser  BeschifTenheit  wir.  Jo- 
seph. Antiq.  3,7,4.  —  Dieselbe  Ansicht  von  obiger  Diffe- 
renz ist  bereits  in  den  Frobabilien  aufgcbtclit,  p.  80  f. 


Drittes  Kapitel,     f.  ISO. 


»TS 


neten  Ponlits  bei  den  Evangeligten  abhängig  seigt  roa  der 
Art,  wie  Jeder  Jene  yermeintUch  propbetisehe  Psalmstelle 
Terstand:  desto  wc^niger  scheint  eine  sichere  historische 
Kunde  an  ihrer  Darstellung  Theil  gehabt  cu  haben ,  uni| 
wir  wissen  demnach  nicht,  ob  bei  der  Vertheiinng  der 
Kleider  Jeso  das  Leos  angewendet,  ja  ob  fiberhanpt  onter 
dem  Kreoae  Jesu  eine  Kleidervertheilung  vorgenommen 
worden  ist;  so  sarersichtlieh  sich  Jostin  gerade  auch  fflr 
diesen  Zag  auf  die  Acten  des  Pilatus  bernft,  welche  er 
nie  gesehen  hatte  '*> 

Von  dem  Benehmen  der  bei*m  Krenae  Jesu  anwesen- 
den Joden  meldet  uns  Johannes  nichts;  Lukas  läCst  das 
Volk  sDSchauend  dastehen ,  ^  und  nur  die  ä()xovT€g  nnd  die 
Soldaten  Jesom  durch  die  Auflforderang,  sich  eu  retten, 
wenn  er  der  Messias  sei,  wozu  von  Seiten  der  letsteren 
noch  das  Anbieten  des  Essigs  kommt,  verhtthnen  (V. 
35  ff.);  Matthäus  und  Markus  haben  von  einem  Spotte 
der  Soldaten  hier  nichts,  dafflr  aber  lassen  sie  anfser  den 
^QX^Q^^S9  yQafifiateig  nnd  nQeaßvteqoi  noch  die  naQccTio 
(^^i'O/ievoi 'Lästerungen  gegen  .Jesnm  ansstofsen  (V.  39  ff* 
29  ff.).  Die  Aeufsernngen  dieser  Leute  beciehen  sich 
theils  auf  frühere  Reden  und  Thaten  Jesu,  wie  der  Spott: 
0  xcrralvtjv  %6v  vaoy  xoi  iv  %Qialv  iq^iqaig  otxodofiwv^  awaov 
aeavToy  CMatth.  Mark.)»  ecf  die  gleichlautende  Rede,  die 
man  Jesa  anschrieb,  der  Vorwurf  aber:  älkas  &f(aotVj 
kavTov  ^  dvvaTui  aaiaai  oder  oataatü}  kai/icv  (bei  allen 
dreien),  auf  seine  Heilungen  sich  beaieht.  Theils  aber  ist 
das  Benehmen  der  Juden  gegen  den  Gekrenaigten  nach 
demselben  Psalm  geceichnet,  von  welchem  TertuUian  mit 
Recht  sagt ,  dafs  er  totam  Christi  passianem  in  sich  ent- 
halte ^^).  Wenn  wir  nimlich  bei  Mstthäns  und  Markus 
lesen:  oi  ds  TiaQonoiievofi&foi  iß?Mag>]jfiüif  CL«ukas  von  den 


54)  Apol.  1,  35. 

35)  Adr.  Marcion.  a.  a,  O. 


574  Dritter  Abschnitt. 

^QXQ^l^S '  i^ffitncTr'iQi^ov)  avvov ,  xivBVteg  tag  xicpcliag  aniit 
xal  Xtyovteg'  «o  ist  diefs  doch  gewifii  nlclits  Anderes,  aii 
was  Ps.  22,  8.  (LX-X,")  steht:  navTBg  ol  O-swQÖnig  //f  iä- 
fivxTi^Qiadv  f.i€,  h).(xh^öuv  iv  /fc/Afcwy,  ixtiTjaccv  xfffc[).i^',  und 
hierauf  bei  Mattbftus  die  den  Sjnedristen  geliehenen 
Worte:  mTvoiS-ev  im  tov  S-eov,  (twdadto  vvv  aJrov,  il^ih\ 
avroVy  sind  ganz  dieselben  mit  den  Worten  des  folgendea 
Verses  in  jenem  Psalm :  rjXniaev  im  Kvgioy,  ^iHJaa%)  mior 
ocoacrcü)  ccvTov^  vti  d'iXei  avrov.  Kann  nun  swar  jeoei 
Spotten  nnd  Kopfschfltteln  der  Feinde  Jean,  nnersebtec 
die  Zeichnung  desselben  nach  einer  A.  T«|lirhen  Stelle  ab 
geschattet  ist,  dennoch  gar  wohl  wirklich  so  Tor  sich  g^ 
gangen  sein :  so  verhält  es  sich  dagegen  mit  dieser  den 
Spöttern  geliehenen  Rede  anders.  Worte,  die,  wie  die 
Afigegebeneii ,  im  A.  T.  den  Feinden  des  Frommen  in  den 
Mond  gelegt  sind,  konnten  die  Synedristen  nicht  adoptireOf 
ohne  damit  sich  selbst  als  Gottlose  hinaustellen;  wovor  »ie 
sich  wohl  gehtitet  haben  werden.  Nnr  die  cbristliche 
Sage,  wenn  sie  einmal  den  Psalm  anf  das  Leiden  Jes«, 
and  namentlich  auf  seine  letzten  Stunden,  anwandte»  konnte 
auch  diese  Worte  den  JQdischen  Obern  in  den  Mond  le- 
gen, und  darin  die  ErfQllung  einer  Weissagung  finden. 

Dafs  yon  den  Zwölfen  einer  bei  der  Kreuzigung  Jeto 
zugegen  gewesen  wäre,  davon  melden  die  ewei  vorderrn 
Evangelisten  nichts;  sie  erwiihnen  blofs  mehrerer  gnIiUi* 
sehen  Frauen,  von  welchen  sie  drei  namhaft  müchen:  n«* 
lieh  Maria  Magdalena;  Maria,  die  Mutter  des  kleinen  «I«- 
kobus  und  des  Joses ;  die  dritte  bezeichnet  Matthfiui  ab 
Mutter  der  Zebedaiden,  Markus  nennt  sie  Salone,  was 
nach  der  gewöhnlichen  Ansicht  Eine  und  dieselbe  Persoa 
ist  (Matth,  V.  55  f.  Marc.  V.  40  f.):  die  Zwölfe  seheinen 
sich  nach  ihnen  von  Ihrer  Flucht  hei  Jesu  Gefangen nehrnon; 
noch   nicht   wieder   gesammelt   gehabt  zu  haben  ^    Bei 

36)  Justin ,    Apol.  1 ,   50.  und  sonst ,    spricht  gar  von  Abfall  und 
Vcri'iugnung  aller  Junger  nach  der  Hreuiigung  Jeto. 


Drittes  Kapitel.    %.  i:lo.  575 

» 

Lukas  dagegen  sifid  nnter  den  navreg  61  yrtogci  ccvrSj  wel- 
che er  der  KrenEigong  ansehen  lüt^t  (V.  49.)  >  wohl  anch 
die  Zwölfe  mitBu begreifen :  das  vierte  Evangelinm  »her 
nennt  von  den  Jfingern  aasdraolKÜch  denjenigen,  or  jjyarca 
6  y. ,  d.  h.  den  Jobannes ,  als  anwesend ,  niid  anter  den 
Franen ,  neben  Maria  Magdalena  und  der  von  Kiopas  be- 
nannten, statt  der  Mutter  der  Zebedaiden  die  eigene  Mut« 
ter  Jeso*  Und  swar,  während  nach  allen  übrigen  Berioh- 
fen  die  Bekannten  Jesu  ^axQoOev  stehen,  mfifsCen  dem 
vierten  Kvangflium  cnfolge  Johannes  und  die  Matter  Jesu 
in  der  nifebsten  Nfihe  des  Kreuzes  gestanden  haben,  da 
nach  dessen  Bericht  Jesus .  vom  Krense  her  anter  den  Jo« 
hannes  etim  Stellvertreter  in  dem  kindlichen  Verbal tnifs 
zu  seiner  Mutter  beruft  (V.  25  (F.)»  Wenn ,Olsh ausbin  den 
Widersprach,  welcher  c wischen  der  synoptischen  Angabe 
und  der  johanneischen  Voranssetsung  von  der  Stellong 
der  Bekannten  Jesa  an  seinem  Krense  stattfindet,  durch 
die  Vermatiinng  co  beben  meint,  dafs  dieselben  Anfang« 
swar  ferne  gestanden ,  spfiterhin  aber  einige  nahe  an  das 
Kreoe  herangetreten  seien :  so  ist  hiegegen  bu  bemerken, 
M%  die  Synoptiker  gerade  am  Schlosse  der  KreoEOS-  and 
Todesscene,  unmittelbar  vor  der  Kreosabnahme,  Jener  Stel- 
long der  Angehörigen  Jeso  gedenken,  also  voraassetzeu, 
dsb  sie  dieselbe  bis  cum  Ende  der  Scene  eingenommen 
haben;  was  wir  der  furchtsamen  Stimmung  der  Jfinger 
in  jenen  Tagen,  and  namentlich  der  weiblichen  Sehtteh* 
ternheit,  gane  angemessen  finden  mfissen.  Könnte  man 
awar  von  der  mötterlichen  Zärtlichkeit  vielleicht  den  Ue- 
roismas  eines  näheren  Hinsotretens  erwarten:  so  macht 
dagegen  das  völlige  Schweigen  der  Synoptiker,  als  der  In- 
terpreten der  gewöhnlichen  evang4lischen  Tradition,  die 
historische  Realität  jenes  Zuges  sweifelhaft.  Die  Synopti- 
ker können  weder  von  der  Anwesenheit  der  Matter  Jeso 
bei*m  Krens  etwas  gewofst  haben:  sonst  worden  sie  vor 
wIen  andern  Frauen  sie  als  die  Hauptperson  namhaft  ma- 


576  U'rilter  Abl^chnilt. 

chen ;  noch  scheint  von  einem  engeren  Verhlltnils  dend- 
ben  eu  Johannes  etwas  bekannt  gewesen  so  sein:  wenig* 
stons  läfst  die  Apostelgeschichte  (1,  12  f.)  die  Motter  Jen 
mit  denJKwölfen  überhaupt,  seinen  Brfldernnnd  den  Fnme« 
EOsammensein«  Wie  abe^r  die  Kunde  von  jener  rGkrendeii 
Gegenwart  und  diesem  merkwürdigen  Verh^iltnifs  ?erl«rcn 
ge^en  konnte,  begreift  sich  wenigstens  niebt  9o  leicht,  ab 
wie  sie  in  dem  Kreise,  ans  welchem  das  vierte  EvaDgeÜom 
hervorgegangen  ist,  hat  entstehen  können.  Wenn  wir  uds 
diesen  Kreis  als  ^einen  solchen  denken,  In  welchem  der 
Apostel  Johannes  besondere  Verehrung  genofs,  wefswegen 
ihn  denn  unser  Kvangelium  aus  der  Dreizahi  der  gen«o^ 
ren  Verti^^uten  Jesu  heraushebt,  und  allein  zum  Lieblingi- 
jünger  macht:  so  konnte  eur  Besiegelung  dieses  Verbilt- 
nisses  nichts  Schlagenderes  gefunden  werden ,  als  die  An- 
gabe, dafs  Jesus  die  theuerste  Hinterlassenschaft,  seine 
Mutter  (in  Beziehung  auf  welche,  wie  auf  den  angeblichen 
Liebliugsjünger ,  ohnehin  die  Frage  nahe  lag ,  w  b  sie  denn 
in  dieser  letzten  Noth  von  der  Seite  Jesu  gewichen  seien?), 
dem  Johannes  gleichsam  letztwillig  fibergdben,  diesen  m* 
mit  an  seine  Stelle  gesetzt ,  ihn  zum  vicarius  Christi  ge 
macht  habe. 

Ist  die  Anrede  Jesu  an  die  Mutter  ond  den  Jfioger 
dem  vierten  Evangelium  eigenthflmlich :  so  findet  eich 
umgekehrt  der  Aufruf:  a^Ai,  i^ii,  Xa^ta  aaßccx^ori;  onr 
in  den  zwei  ersten  £vangelien  (Matth.  V.  36.  Msrc  V. 
34.)*  Dieser  Ausruf  und  der  innere  Zustand,  aus  wel 
ohem  er  hervorgegangen ,  wird ,  wie  der  Seelenkaapf 
in  Gethsemane,  von  der  kirchlichen  Ansicht  als  ein 
Theil  des  stellvertretenden  Leidens  Jesu'^  gefafst.  Oi 
man  sich  Jedoch  auch  hier  das  Auffallende  nicht  nr- 
bergen  konnte,  welches  darin  .liegt,  wenii  der  blofs 
körperliche  Schmerz  verbunden  mit  dem  finfserlichcn 
Unterliegen  seiner  Sache  den  auf  einen  solchen  An** 
gang   nach    der  evangelischen    Darstellung  längst   g^hh- 


Drittel  Kapitel.    $.  130.  9T7 

len  >')  Jesos   bis  snm   tiefllbie   der  Gottverlasteohelt  «ie. 
dergcdrilekt  haben  follte,  wlhrend  es   vor  und  nach  ihm 
solche  gegeben  hat,   welehe  unter  eben  so  grofsen  Leiden 
doch  die  Fassung  und  Stärke  des  Geistes  beibehalten  ha- 
ben:  so  bat  die  kirchliche  Ansicht  auch  hier  sn  dem  na- 
tfiriichen   körperlichen    und  Seelenschmera  als  den  eigent- 
lichen   Grund  jener   Stimmung   Jesu  ein  Zurflckweiohen 
Gottes   von  seinem   Inneren,    eine  Empfindung  des  göttli- 
chen   Zorns,    hinzngefögt,    was,    statt    über    die    Men- 
schen,   die    es    eigentlich    als    Strafe    verdient    bitten, 
fiber  ihn  verbaingt  worden    sei  ^y      Wie    aber   bei  den 
kirchlichen  Voranssetsnngen    fiber  die  Person  Christi  ein 
Zarfickwelchen  Gottes  von  seinem  Innern  gedacht  werden 
kann,    mögen  die   Vertheidiger  dieser  Ansicht  selbst  an« 
sehen.     Soll   es  die   menschliche  Natur   in    ihm  gewesen 
•ein,  die  sich  so  verlassen  ffihlte  :   so   wfire  ihre  Einheit 
mit  der  göttlichen   unterbrochen,  also   die  Grundlage  der 
Persönlichkeit  Christi  naeh  jenem  System  aufgehoben  ge- 
wesen ;  oder  die  göttliche:  so  hfitte  sich  die  s weite  Person 
in  der  Gottheit  von  der  ersten  losgerissen ;  der  aus  beiden 
Naturen  bestehende  Gottmensch  aber  kann  es  ebensowenig 
gewesen  aein,  was  sich  gottverlassen  ffihlte,   da  dieser  ja 
eben  die    Einheit    und  Unzertrennlichkeit    des   Göttlichen 
und  Menachlichen  bt.    So  durch  den  Widerspruch  dieser 
supranaturalistischen  Erklfirung  sn  der  natfirlichen  Ablei- 
tung jenes  Ausrufs  aus  dem  Geffihl   des   finfseren  Leidens 


S7)  Wetswegen  der  W^lfenbüttler  eben  diesen  Ausraf  als  einen 
Beweis  gebraucht,  dass  Jesus  durch  die  unglückliche  Wen- 
dung seines  Schicksals  sich  in  früher  gehegten  Erwartungen 
getäuscht  gefunden  y  und  dcsswegen  in  Durchfuhrung  seines 
Fianes  sich  von  Gott  verlassen  geglaubt  habe.  Vom  Zweck 
Jesu  und  seiner  Jünger,  S.  153. 

38)  «•  Calvin  ,  Comm.  in  härm.  evv.  au  Matth.  27 ,  46 ;  Olsbaü- 
SEK,  z.  d.  St. 

DaM  Leben  Jesu  S/«  Afifl.  /I.  Rand.  ^7 


KH  Dritter  Abschnitt. 

Borflckg«worfen,  and  doch  von  der  Annahme |  daU  doreh 
diesee  Jesos  »o  tief  sollte  gebeugt  gewesen  sein,  abg^^tos- 
sen,  hat  man  dem  Aa»ruf  einen  mildern  Sinn  unterzulegen 
versucht.  Da  es  die  Anfangsworte  des  ffir  diesen  letzten 
Abschnitt  im  Leben  Jesu  ciiissischen  Ps.  22.  sind,  dieser 
Psalm  aber  mit  klagender  Schilderung  tiefsten  Leidest 
Bwar  beginnt,  doch  im  Verlaufe  eu  froher  Hoffnung  der 
Rettung  sich  aufschwingt:  so  hat  man  angenommen,  Je«os 
gebe  jene  Worte  nicht  um  ihrer  selbst  willen,  als  Be- 
schreibung seines  eigenen  unseligen  Zustandes,  sondern 
mit  den  Anfangsworten  citire  er  den  ganzen  Psalm,  und 
Bwar  sei  es  ihm  in  demselben  um  seinen  freudigen  Schlsb 
cu  thnn  ^^).  Allein ,  that  Jesus  jenen  Ausruf  in  Besag 
auf  die  Umstehenden,  um  sie  der  bsildig^n  Wendung  lei- 
nes  Schicksals  sn  versichern:  so  hätte  er  es  auf  die  zweck- 
widrigste Weise  angegriffen,  wenn  er  gerade  diejenigen 
Worte  des  Psalms  ausgesprochen  hätte,  welche  vom  tief- 
sten Elend  handeln,  und  er  hätte  statt  des  ersten  Verses 
eher  einen  der  Verse  vom  lOten  bis  12teo,  oder  vom  SOteo 
bis  cum  Ende,  anführen  müssen ;  wollte  er  aber  durch  jV 
nen  Ruf  nur  seiner  eigenen  Empfindung  Luft  machen :  so 
würde  er  nicht  diesen  Vers  gewählt  haben ,  wenn  nicht 
ebdn  das  in  diesem,  sondern  das  in  dem  folgenden  ausge- 
sprochene Gefühl  sein  eigenes  in  diesem  Augenblicke  ge- 
wesen wäre.  Man  mufs  daher  eugestehen,  dafs  jene  Worte 
Ausdruck  der  eigenen  Empfindung  Jesu  in  jeneai  Au- 
genblicke gewesen  seien;  wobei  man  aber  das  volle  Recht 
behält,  mit  Rücksicht  auf  den  Zusammenhang,  aus  den 
•ie  genommen  sind,  zu  behaupten,  dafs  in  Jesu  wie  In 
diesem  Psalme  das  augenblickliche  tiefühl  jener  Verlassen- 
heit als  untergeordnetes  und  fliefsendes  Moment  alsbald 
wieder  in  Vertrauen   und  Hoffnung    übergegangen   sei  ^ 

39)  ScHLKiKAMACHSR,  Gitubcnslehre,  2,  S.  154.  Anm.  ' 

40)  Nba%]>sr,  L.  J.  Chr.  S.  639  S   os  Wbttb,  exeg   Handb.,  1,  U 
S.  238. 


Drittes  Kapitel.    {•  130« 


579 


Doch  ebeo  das  Verhfiltnila  der  Worte  Jesu  Bom  22ten 
PmIoi  k^nn  gegen  die  geschichtliche  Wirlilichkeit  dieses 
Zog«  Verdacht  erregen  *0*  ^*^  nloilich  der  Messias  ein- 
mal  als  leidender  aafgefafst,  und  wurde  Jener  Psalm  gieich- 
•sm  als  ein  Programm  seines  Leidens  benätct^  woen  es 
keineswegs  das  Anlasses  bedarfte,  dafs  Jesus  am  Krens 
eine  Stelle  desselben  wirklich  angeffihrt  hatte:  so  mufsten 
die  Anfangsworte  des  Psalms,  welche  das  tiefahl  des  tief« 
sten  Leidens  aussprechen,  sich  glins  besonders  eigneni  'dem 
gekreoEigten  Messias  in  den  Mond  gelegt  su  werden.  In 
diesem  Falle  könnte  dann  anch  die  aof  jenen  Ausruf  Jesu 
sich  besiehende  Spottrede  ^*)  der  Umstehenden,  Sri  ^HUctr 
q'vwH  irog  a.  s.  w. ,  nnr  so  entstanden  sein:  dafs  dem 
Wunsche,  fiBr  diese  Scene  dem  Psalm  gemifs  verschiedene 
Spottreden  sa  l>ekommen ,  der  Gleichlilang  des  r^Xt  In  dem 


41)  Das  Stillschweigen  des  Lulcas  nnd  Johannes  würde  uns  nicht 
so  sehr  anfechten,  dass  wir  zu  Erklärungen  desselben  unsre 
Zuflucht  nähmen ,  wie  die :  Johannes  habe  den  Ausruf  ver. 
schwiegen,  um  nicht  der  gnostischea  Ansicht  Vorschub  zi« 
thun,  als  hätte  der  leidensunfähige  Aon  Jesum  damals  schon 
▼erlassen  gehabt.    Schrbckbuburoir,  Beiträge,  S.  66  f. 

42)  Nach  Olshaüsbh  ,  S.  495 ,  ist  ein  solcher  Sinn  der  Rede  mit 
keiner  Sylbe  angedeutet ,  vielmehr  soll  schon  jetzt  sich  ein 
heimlicher  Schauder  über  die  Gemüther  ausgebreitet ,  und 
die  Sp'ötter  bei  dem  Gedanken  gebebt  haben ,  Elias  möchte 
im  Wetter  erscheinen.  Allein  wenn  sofort  unter  dem  Vor- 
wande,  zusehen  zu  wollen,  d  ?^/f rm 'Ält'a; ,  mo^fioy  aurar,  ei- 
ner, der  Jesu  zu  trinken  geben  will,  davon  abgemahnt  wird, 
so  ist  doch  hiedurcb  jener  Vor  wand  deutlich  genug  als  ein 
höhnischer  bezeichnet ,  und  gehört  also  der  Schauder  und 
das  Beben  nur  der  unwissenschaftlichen  Stimmung  des  bibl. 
Commentators  an,  in  welcher  er  sich  namentlich  der  Lei- 
densgeschichte ,  als  einem  mysterium  tremendum,  gegenüber 
befindet,  und  die  ihn  auch  schon  in  Pilatus  eine  Tiefe  finden 
iiessy  welche  die  Evangelisten  diesem  BVmcr  nirgends  geben. 

37* 


580  Dritter  Abschnitt 

JesD  gelieheDen  Ausrufe   mit   dem   auf  den  MeMias  beEO- 
genen  Elias  entgegengekommen  wfire. 

lieber  den  letsten  Lauf ,  weicher  von  dem  starbenden 
Jesns  vernommen  wurde,  differiren  die  Evangelisten.  Nach 
den  beiden  ersten  war  es  blofs  eine  qKM'f^  fteyai^j  mit  wel- 
cher er  verschied  (V.  50.  37);  nach  Lnkaa  daa  Gebet: 
nareQy  elg  yeiQcig  as  7taQa(}i;aofiai  z6  nvev^iu  fta  (}/•  46.); 
nach  Johannes  das  kurze  lerikecaty  worauf  er  daa  Haupt 
neigte  und  verschied  (V.  30).  Hier  lassen  sich  die  swei 
ersten  Evangelisten  mit  je  einem  oder  dem  andern  der  fol- 
genden durch  die  Annahme  vereinigen :  was  jene  unbe- 
stimmt als  lauten  Schrei  beceichnen,  und  was  man  nach 
ihrer  Darstellung  ffir  einen  unarticnlirten  Schmerzenslaot 
halten  könnte,  davon  geben  diese  n£her  die  Worte  an. 
Sohwerer  hingegen  fällt  die  Vereinigung  der  Kwei  letsten 
Evangelien  miteinander.  Denn  soll  nun  Jesus  euerst  seine 
Seele  Gott  befohlen,  und  hierauf  noch:  es  Ist  vollbracht! 
gerufen  haben,  oder  umgekehrt:  so  ist  beides  gleichsehr 
gegen  die  Absicht  der  beiden  Evangelisten,  da  des  Lukas 
xal  Tccvra  eiTtcov  i^BTtveDOet',  nicht  mit  Paulus  durch:  bald 
nachdem  er  dieses  gesprochen ,  verschied  er,  wiedergege- 
ben werden  kann,  und  Johannes  schon  dem  Worte  nach 
einen  loteten  ,  abschliefsenden  Ausruf  geben  will ,  ilrelchea 
aber  der  eine  so,  der  andere  anders  dachte.  Dem  Lukas 
scheint  die  für  das  Sterben  Jesu  gewöhnliche  Formel: 
naQtdcjxe  z6  uvtifia^  en  einer '  ausdrücklichen  Uebergabe 
des  Geistes  an  Gott  von  Seiten  Jesu  geworden  su  sein, 
und  mitROcksicht  auf  die  Stelle  Ps.  31,  0.  (LXX):  (jtvgit) 
€ig  x^^Q^S  (Jo  TtaQa^aofiac  t6  nvev/itcc  ^s  —  eine  Stelle,  die 
sich  weg^n  der  genauen  Aebnlichkeit  dieses  Psalma  mit 
dem  22ten  leicht  darbot  ~  sich  su  jenem  Ruf  ausgebildet  au 
haben  *^).  Wogegen  der  Verfasser  des  vierten  Evange* 
liums  mehr  aus  der  Situation  Jesu  heraus  ihm  einen  Aus- 


43)  Vgl.  Grbdkbr,  Einleitung  ia  das  N.  T.  1,  S.  198. 


Drittes  Kapitel,    f.  130.  581 

ruf  gelieben  so  haben  seheint  |  indem  er  ihn  durch  das 
inihgai  die  Vollendung  seines  Werkes,  oder  die  Erffil- 
long  sIiDmtUcher  Weissagangeoi  (mit  Ausnahme  natiirlioh 
dessen,  was  sich  erst  noch  in  der  Auferstehung  vollenden 
nad  erfflllen  sollte)  aussprechen  IXfst. 

Doch  nicht  blofs  diese  loteten,    sondern   auch   schon 
die  froheren  Reden  Jesu  am  Kreuse  lassen   sich  nieht  ao, 
wie  man  gemeiniglich   glaubt,   ineinanderschieben.     Man 
aihlt  gewöhnlich  sieben  Worte  Jesu  am  Krenae:  allein  so 
fiele  hat   kein  einaelner   Evangelist;   sondern  die  beiden 
ersten  haben  nur  Eines:    den  Ruf  j^At,  i^U  x.  r.  A. ;  Lukas 
bst  drei :  die  Bitte  für  die  Feinde,  die  Verbeifsung  an  den 
Mitgekreusigten ,  und  die  Uebergabe   des  Geistes   in   des 
Vaters HSnde;  Johannes  hat  gleiohfalls  drei,  aber  andere: 
Hie  Anrede  an  Mutter  und  Jünger,  das  iiifftH,  und  das  re- 
illegal.     Hier  liefsen   sich   die  Förbitte,   die    Verbeifsung 
ond  die  Anempfehlung  der  Mutter   wohl   in   solcher  Auf- 
einanderfolge denken;   aber  das  önj-nJi  und  das  rjXi  verwi- 
ckeln  sich   bereits,   indem    nach   beiden  Ausrufungen  das 
Gleiche ,    die   Trfinkung  mit  Essig  durch    einen    auf  ein 
Rohr  gesteckten  Schwamm,  erfolgt  sein  soll.     Nimmt  man 
hiesu  die  Verwicklung  des  rerslegai  und  des  ndreQ  x.  t,  L  : 
so  sollte  man  wohl  einsehen  und  augestehen ,   dafs  keiner 
der  Evangelisten    bei   den    Worten,    welche  er  Jesu   am 
Kreua  in  den  Mund  legt ,  auf  diejenigen ,   welche  der  an- 
dere ihm  leiht,  gerechnet,   und  von  denselben  etwas  ge« 
wafst   habe;    vielmehr  malt   diese  Scene  jeder  auf  seine 
Weise,    je   nachdem   er   oder   die  ihm  su  Gebot  stehende 
Sage  nach    dieser  oder   jener  Weissagung  oder  sonstigen 
ROck sieht  die  Vorstellung  von  derselben  ausgebildet  hatte. 
Eigentbamliche  Schwierigkeit     macht    hier    noch   die 
Stundenaäblung.     Nach  simmtlichen  Synoptikern  fand  utio 
rXTf^^  wQag  i'iog  aiQag  iiyaiT^g  (nach  unserer  Rechnung  von 
Mittags  12    bis   Nachmittags  .3  Uhr)   die  Finsternifs    statt; 
nach  NaUhäus  und  Markus  war  es    um  die  letztere  Ston- 


S82  Dritter  Abfehnitt. 

de,  daffl  Jesus  über  Gottrerlassenheit  klagte,  nnd  bald  dar- 
auf den  Geist  aufgab;    naoh   Markus  war  es   oiQa  TQiJr^ 
CVormittags  9  Uhr)   gewesen,    als   sie  Jesum  kreu£i|^n 
CV*  25.).     Dagegen   hat   nach^  Johannes  (19,  14.)  um  die 
sechste  Stande,  wo  nach  Markus  Jesus  bereits  drei  Stan- 
den am  Krense  hing,  Pilatus  erst  Aber  ihn  su  Gericht  ge- 
sessen.   Diefs  ist,  wenn  nicht,  wie  su  Hiskias  Zeiten ,  der 
Sonnenseiger  rfickwfirts  gegangen   sein   soll,  ein    Wider- 
spruch, der  sich  weder  durch  gewaltsame  Aenderung  der 
Lesart,    noch  durch  Berufung  auf  das  oigsl  bei  Johannes, 
oder  auf  die  Dnfähigkelt  der  Jfinger,  unter  so  schmerz« 
vollen  Eindrficken  die  Stunde  genau  an  beobachten,  heben 
läfst ;   höchstens  vielleicht  dadurch ,    wenn  sich  bewies 
liefse,   dafs  das  vierte  Evangelium  durchaus  von  einer  ao- 
dern  Stundenaählung  als  die  fibrigen  ausgehe  ^^>. 


44)  So  BsTTXG,  exegetische  Analekten,  in  Ullmäkm's  und  Umsuini 
Studien,  1830,  1,  S.  106  ff.;  Tholuck  ,  GUubwiivdiglicit, 
S.  307  ff.  Vgl.  über  die  verschiedenen  Ausgleichungsvertuche 
LvcKB  und  Ds  WsTTB  z.  d.  St  des  Job. 


▼  {•rtes    Kapital. 

Tod    und   Auferstehung   Jesu. 


S.    131. 

Die  Naturerscheinungen  bei'm  Tode  Jesu. 

Der  Tod  Jeso  war  nach  den  evangelischeo  Beriebtem 
fon  anrterordentlichen  Erseheinangeo  begleitet  Seboa 
drei  Stunden  vorher  ioll  eine  Finaternifa  sich  verbreitet| 
Diid  bia  Bu  aeinem  Veraebeiden  gedauert  haben  (Muttb. 
27,  45.  parall.) ;  im  Augenblicke  dea  Todea  aei  der  Vor- 
h-ing  im  Tempel  von  oben  an  bis  unten  aus  serriasen,  die 
Krde  habe  gebeiH ,  die  Felsen  sieh  gespalten  y  die  Grfiber 
sich  anfgethan,  und  viele  Leiber  beiliger  Veratorbenen 
seien  anferatanden  ^  in  die  Stadt  gelcommeni  und  Vielen 
erschienen  (Matth.  V.  51  ff.  parail.).  In  diese  Nachrich- 
ten theilen  »icH  übrigens  die  Evangelisten  sehr  ungleich: 
nur  das  erste  enthält  sie  alle ;  das  cweite  und  dritte  blofa 
dieFinsternifs  und  das  Zerreifsen  dea  Vorhangs;  daa  vierte 
aber  weifs  von  allen  diesen  Zeichen  nichta. 

Nehmen  wir  aie  einzeln  nach  der  Reihe  vor:  so  kann 
aaerst  daa  axorog^  welcbea,  während  Jesus  am  Krense 
hing,  entstanden  aein  soll,  keine  gewöhnliche,  durch  Oa- 
Bwischenknnft  dea  Mondea  vermittelte  Sonnenfinsternila 
gewesen  aein  *),  da  ea  Ja  am  Pascha,  alao  um  die  Zeit  dea 
VoUmonda,   war.    Doch  indem  nun   auch  die  Evangelien 


1)  Das  Evang.  Nicodemi  lässt  die  Juden  sehr  unverständig  be- 
haupten:  MftU'u:  ijXh  ytyoit  xard  ro  el'h}6q.  C.  11,  p.  592.  bei 
Thuo. 


384  Dritter  Absclinitt. 


nicht  bestimmt  von  einer  ex?.e$^ig  rö  r}XlH  «prechen,  ton- 
dem  die  beiden  ersten  nnr  Oberhaupt  von'  cnrarog,  fioxo 
das  dritte  ewar  etwas  genauer:  xa2  iaxorla&fj  6  ^'l/<v, 
setat,  was  aber  gleichfalls  von  Jeder  Art  der  Verdnniceking 
des  Sonnenlichts  gesagt  werden  liann:  so  lag  es  nahe,  statt 
einer  astronomischen  eine  atroosphSrische  Ursache  dieser 
Finsternifs  eo  denicen,  and  sfe  von  verdnnlielnden  Dfim- 
pfen  in  der  Luft,  wie  sie  Eumal  vor  Erdbeben  hersogehea 
pflegen,  absnleiten  ^,  Dafs  solche  Verdankelongen  der 
Lnft  über  ganze  LSnder  sich  aasbreiten  können,  ist  rich- 
tig; aber  nicht  nur  ist  die  Angabe,  dafs  die  damalige  ^^71 
näoav  oder  olr^v  zr^v  yijVj  d.  h.  der  natürlichsten  Erkilmng 
sofoige  Ober  den  gansen  Erdkreis,  sich  erstreckt  habe,  als 
Uebertreihung  der  Berichterstatter  in  Absog  so  bringen  *) ; 
sondern  aach  die  im  Zasammenhang  ihrer  Darstellung  deot- 
liehe  Voranssetaung  eines  fibernatfirlicben  Ursprungs  der 
Finsternifs  erscheint  in  Ermangelung  eines  genügendea 
Zweckes  eines  solchen  Wunders  als  eine  nnbegrOndete. 
Fragt  man  nach  der  mit  diesen  NebenaOgen  noch  nicht 
von  selbst  schon  fallenden  GlaobwOrdigkeit  des  Ereignis- 
ses: so  beriefen  sich  fOr  diese  die  Kirchen vftter  aaf  Zeug- 
nisse heidnischer  Schriftsteller,  von  welchen  namentlich 
Phlegon  in  seinen  xqavwoig  jene  Finsternifs  angemerkt  ha- 
ben sollte  *) :  allein  wenn  mfin  die  l>ei  Eusebius  wahr- 
scheinlich aufbewahrte  Stelle  des  Phlegon  vergfeiebt,  so 
ist  in  dieser  nur  die  Olympiade ,  schwerlich  das  Jahr ,  in 
keinem  Falle  die  Jahrseeit  und  der  Tag  dieser  Finatemifs 
bestimmt  ^),  Neuere  berufen  sich  auf  fihnliohe  Fälle  aas 
der  alten  Geschichte,    von  welchen  namentlich  Wststkis 


2)  So  Paulus  und  KuikÖl,  z.  d.  St. ;   Hasi,  L.  J.  §.  145 ;  Nkah- 
DiR,  L.  J.  Chr.  S.  639  f. 

3)  Vgl.  Fritzschi  und  db  Wbttb,  b.  d.  St.  des  Mstth. 

4)  TertuU.  Apologet,  c.  21;    Orig.  c.  CeU.  2,  33.  59. 

5)  Euseb.  CSD.  ehren,  ad  Ol.  202.  ann.  4.  Vgl.  Paulus,  S.  765  fr. 


Viertes  KapiteL    $.131.  WS 

eine  reiche  Sammiang  engelegt  hat     Er   bringt  ana  grie* 
chlscben    und  rfimtochen  Schriftstellern    die  Notisen   Ton 
den  Sonnenfinsternissen    bei,    welche   bei   der  Wegnahme 
des  Romolus,  bei'm  Tode  Cisar's  ®)   nnd  fthnlichen  Ereig« 
nissen,  stattgefunden  ;  er  ffihrt  Anssprttche  an,  welche  die 
Yorstellnng  enthalten,   dafs  Sonnenfinsternisse   den  Seors 
von   Reichen ,    den   Tod   von   Konigen    bedeuten ;    endlich 
weist  er  A.  T.  liehe    (Jea.  50,  3.  Jo^l  3,   20.  Arnos  8,  9. 
?jl.  Jer.  15,  0.)  und  rabbinische  Stellen  nach,  in  welchen 
thells    die  Verfinsterung  des  Tageslichts  als  das   göttliche 
Trauercostfim  beschrieben^),  theils  der  Tod  grofser  Lehrer 
mit  dem  plötciichen  Untergang  der  Sonne  am  Mittag  Ter- 
glichen^,   theils  die  Ansicht  vorgetragta  wird,    dafs  bei 
dem  Tode  hoher  hierarchischen  Beamten,  wenn  ihnen  die 
letste  Ehre  nicht  erwiesen  werde,  die  Sonne  sich  su  ver- 
finstern pflege  ')•    Aber  statt  Stfitaen  der  Glaubwürdigkeit 
der  evang-eliscben  Ereählong  au  sein,  sind  diese  Parallelen 
ebenso  viele  Pr&miasen  su   dem  Schlosse,   dafs  wir   auch 
hier  nur  eine  ana  verbreiteten  Vorstellungen  entsprungene 
christliche  Sage   haben,    welche    den    tragischen  Tod  des 
Messias  von  der  ganzen  Natur  durch  ihr  solennes  Trauer- 
costfim mitfeiern  lassen  wollte  *®). 

Daa  Bweite  Prodiginm  ist  das  Zerreifsen  dea  Tempel- 


6)  Serv.  ad  Virgil.  Georg.  1,466  ff. :  Conitat,  oectfo  Caeiore  in 
Senaiu  pridie  Idus  Martias ,  soHs  fuUse  defeUttm  ab  hara 
texta  utque  ad  nodem. 

7)  Echa  B.  3,  28. 

8)  R.  Bechai  Cod.  Hakkema :  Cum  insignis  RaMnus  fato  con- 
cederet,  dixit  quidam:  iste  dies  gravis  est  Israeli,  ut  cum 
soi  occidii  ipso  meridie, 

9)  Succa ,  f.  29 ,  1 :  Dixervnt  doctores :  quatuor  de  causis  soi 
deficit :  prima,  ob  patrem  domus  judidi  mortuum,  cui  exe- 
quiae  non  fluni  nt  decet  etc. 

10)  t.  FiimtCNK,  z.  d.  St.    Vgl.  auch  di  Wbttb,  cxeg.  üandb., 
I>  1,  S.  238  y   THaua,  zur  Biogr.  Jesu,  %,  36. 


MS  Dritter  Abichnitc. 

Torhang8 ,  ohne  Zweifel  des  inneren ,  vor  dem 

•ten,   indem  das  diesen  bezeichnende  POflQ  von  da*.LXX. 

darch  x<na7ihaa/ia  wiedergegeben  sa  werden  pflegt.  Aoch 
dieses  Zerreifsen  des  Vorhangs  glaubte  man  als  natfiriiches 
fireignifs  deuten  su  l&önnen ,  indem  man  es  als  Wirkong 
der  ErderscbOtterung  ansah.  Allein  von  dieser  ist ,  wie 
schon  LiGHTFOOT  richtig  bemeri&t,  eher  begreiflich,  vrie  sie 
feste  Körper,  dergleichen  die  nachher  erwähnten  tcItqoi 
Biodj  als  wie  sie  einen  dehnbaren,  freihSngenden  Vorbang 
SU  eerreifsen  im  Stande  war.  Daher  soll  nnn  nach  Paulus 
Annahme  der  Vorhang  im  Tempel  ausgespannt,  unten  und 
auf  den  Seiten  befestigt  gewesen  sein.  Allein  tbells  ist 
diefs  blofse  Vermnthung;  theilS|  wenn  das  Erdbeben  die 
Wände  des  Tempeljs  so  stark  erschütterte,  dafs  ein,  ob 
auch  ausgespannter,  doch  immer  noch  dehnbarer  Vorhang 
Bcrrifs :  so  wäre  von  solcher  Erschütterung  wohl  eher  et- 
was am  Gebäude  eingefallen,  wie  nach  dem  HebrfiereTan- 
gelium  geschehen  sein  soll  ^0  •  wenn  man  nicht  mit  Kginöl 
die  weitere  Vermnthung  hinaufügen  will,  der  Vorhang 
sei  vor  Alter  mürbe,  nnd  daher  auch  durch  eine  kleine  Er- 
aehätterung  su  s^rreifsen  gewesen,  Dafs  in  keinem  Fall 
unsere  Berichterstatter  an  einen  solchen  Caosalsusammen- 
hang  gedacht  haben,  beweist  des  «weiten  nnd  dritten  Evan- 
gelisten Schweigen  von  dem  Erdsfofs,  nnd  bei  dem  ersten 
das,  dafs  er  desselben  erst  nach  dem  Zerreifsen  des  Vor- 
hangs gedenkt.  Müssen  wir  demnach  dieses  Ereignif«, 
wenn  es  sich  wirklich  augetragen  haben  soll,  als  wander- 
bares festhalten:  so  könnte  der  göttliche  Zweck  bei  dessen 
Hervorbringang  nur  dieser  gewesen  sein,  auf  die  jüdischen 
Zeitgenossen  einen  starken  Eindruck   von  der  BedeotsanH 


IJ)  Hieron.  ad  Hedib.  ep  149,  8.  (v^l.  Comm.  z.  d.  St.)'  '" 
evangelio  auiem,  quod  hebraicis  iiteris  scriptum  est,  legi- 
mtis,  non  velum  templi  scissum,  sed  snperHminare  tempH 
mirme  magnUudinis  corruuse. 


Viertes  Kapitel.    $.  131.  MT 

keit  de«  Todee  Jeta  hervorsabringen^  und  den  ersten  Ver« 
kfindigern  des  Erangeliams   etwas   an  die  Usnd  so  geben, 
worauf  sie  sich  in    ihren  BeM-eisfährongen   stütsen    könn* 
ten.    Allein,  wie  aneh  Schlsikrmachsr  herausgehoben  hat, 
nirgends  sonst  Im  N.  T.,  weder  in  den  apostolischen  Brie- 
fen,  noch  in  der  A*  6.,   noch  im  Brief  an  die  Hebrfteri 
auf  dessen  Wege  es  fast  nicht  umgangen   werden  konnte, 
geschieht  dieses  Ereignisses  Erwfihnong:    sondern    bis  auf 
diese  trockene  synoptische  Motiz  Ist  jede  Spur   dessellien 
Ferloren;    was  schwerlich  der  Fall  sein   könnte,   wenn  es 
wirklich     einen    Stiitspunkt    apostolischer   Beweisführung 
gebildet  hfitte.    Es   mfifste   also   die  göttliche  Absicht   bei 
Veranstaltung  dieses  Wunders  durchaus  verfehlt  worden 
sein;   oder,   da  diefs  undenkbar  ist,   so  kann  es  nicht  um 
dieses  Zweckes  willen,  d.  h.  aber,  da  sich  weder  ein  an- 
drer Zweck  des  Wunders,    noch  ein  nstfirlicher  Hergang 
der  Sache  denken  llfst,   gar  nicht  geschehen  sein.   —  In 
anderer   Weise  kommt  freilich    ein    eigen thOmliches    Ver- 
hiltnils  Jesu    Eum  jQdischen  Tempelvorhang   im  Hebrler- 
brief  snr  Sprache.     Während  vor  Christo  nur  die  Priester 
in  das  Heilige,   In   das  Allerhell igste   aber  nur  der  Hohe- 
priester Einmal  des  Jahrs  mit  dem  Söhnungsbinte  Zutritt 
gehabt  habe,  sei  Christus  als  ewiger  Hoherpriester  mittelst 
seines  eigenen  Blutes   eig  to  iavneQov  zu  xavaTteraauaTogj 
in  das  Allerheiligste  des  Himmels,  eingegangen,  womit  er 
der  nQoÖQOfios  der  Christen  geworden  sei,  und  auch  Ihnen 
den  Zugang  dahin  eröffnet ,  eine  aiaiviov  kvTQioaiv  gestiftet 
habe  (6,  19  f.  9,  6-12.  10,  19  f.)*     Diese  Metaphern  fin- 
det auch  Padlus*  unserer  Ersählnng  so  verwandt,   dafs  er 
es  mögKeh  findet,  diese  su  den  Fabeln  eu  rechnen,  welche 
nach  dem  HKNKK'schen  Programm  e  figurata  genere  dicendi 
absoleiten  sind  ^^;   wenigstens  sei  die  Sache,  wenn  auch 


la)  Dieselbe  Möglichkeit  räumt  auch  Niakdir,  doch  unter  Vor« 
aussetzuBg  irgend  einer  thatiächlichen  Cirundlagf,  eio(S.  640f')- 


58S  Dritter  Absehnitt. 

wirklieh  vorgefallen ,  doeh  den  Gbriften  TorBiiglich  wegen 
Jener,  den  Bildern  des  HebrSerbriefs  rerwandlen  tymboti- 
sehen  Bedeatsemkeit  wichtig  gewesen:  dab  nfimlioh  doreh 
Chri$ti  Tod  der  Vorhang   des  jfidischen  Gultos  serrissen, 
der  Zutritt  snGott  ohne  Priester  durch  TiQogxtrmv  ir  nfii- 
fioti  Jedem  eröffnet  sei.    Ist   aber,   wie   geseigt,   die  ge> 
sehichtliehe  Wahrscheinliehkeit  des  fraglichen  Ereignisses 
so  sehwaeh,  dagegen  die  AolSsse,  aus  welchen  die  Bruib- 
lung  ohne  historischen  Grund  sich  bilden    konnte^    so  be- 
deutend:  so  ist  es  folgerichtiger,  mit  Schlsikrmachbr  den 
Vorgang  als   geschichtlichen   gana   anfaugeben,    in  Erwi- 
gung,  dab,  „sobald  man  anfing,  das  Verdienst  Christi  unter 
den  im  Brief  an  die  Hebriier  berrschenden  Bildern  darun 
atellen.  Ja  schon  bei  den  ersten,  letoesten  Uebergfingen  sn 
dieser  Lehrweise,   bei  der  ersten  Aufnahme  der  fleiden, 
die  mau  cum  Jüdischen  Cultus  nicht  verpflichtete,  und  die 
also  auch  ohne  Antheil  au  den  JOdischen  Sfibnongen    blls* 
ben,  solche  Darstellungen  in  die  christlichen  Hymnen  [und 
die  evangelischen  Erslhlnngen]  kommen  mofsten'*  *'). 

Ueber  das  folgende:  ij  yfj  iaeiaihjj  xal  ai  TtirQai  iaxio- 
&f]aavj  kann  nur  im  Zusammenbang  mit  dem  Vorbergeheo- 
den  geurtheilt  werden.  Ein  Erdbeben,  welches  Felsen  ser- 
reilst,  ist  als  natflrlicbe  Erscheinung  nicht  unerhört:  nicht 
selten  aber  kommt  es  auch  als  poetisehe  oder  mythische 
Autscbmflckung  eines  groTsen  Todesfalles  vor,  wie  Virgil 
bei  Gftsar's  Tode  nicht  allein  die  Sonne  sich  verfinstern, 
sondern  auch  von  ungewohnter  Erschütterung  die  Alpen 
ersittern  Ififst  ^^).  Da  wir  nun  die  vorhergemeldeten  Pro- 
digien  nur  aus  diesem  leteteren  Gesichtspunkte  haben  faa- 
sen  können,  und  da  überdiefs  gegen  die  historische  Be- 
gründung der  Jetzt   vorliegenden  Züge  ihr  alleinigea  Vor- 


13)  Ueber  den  Lukas,  S.  293.  Vgl.  pi  Wetti,  exeg.  Handb.,  I,  1, 

S.  240. 
U)  Georg.  J,  465  ff 


Viertes  Kapitel.    $.  131.  5S0 

kommen  bei  Matthfioe  spricht:  so  werden  wir  aneh  sie 
nur  so  ansehen,  wie  Fritzschk  sagt :  Messiae  obUum  atro* 
cibns  ostentis,  quibus,  quantus  vir  quummaximeexspirässet, 
orbi  terrarum  indicarettir ,  illustrem  esse  apcrtebat  '^). 

Das  letste,  gleichfalls  dem  ersten  Evangelium  eigen« 
thfimlicbe  Wnndersäicben  bei'm  Tode  Jesu  ist  die  Eröff- 
nung der  Grlber,  das  Hervorgehen  vieler  Todten  ans  den- 
aelben,  nnd  deren  Erseheioang  in  Jernsalem*  Diesen  Vor^ 
gang  sich  denlibar  sn  machen,  fällt  besonders  schwer« 
An  sich  schon  ist  weder  klar,  wie  es  diesen  althebrlisehen 
ayiotg*^^  nach  dieser  Aoferstehong  ergangen  sein  sollte ''); 
noch  auch  ist  fiber  den  mdg lieben  Zweck  einer  so  aniser» 
ordentlichen  Veranstaltung  etwas  Genfigendes  anssomit» 
teln  '^).  Rein  in  den  Anferweckten  selbst  scheint  der 
Zweck  nicht  gelegen  su  haben ,  da  sich  sonst  kein  Grund 
denken  liefse,  warum  sie  alle  eben  im  Augenblicke  des 
Todes  Jesu  anferweckt  wurden,  und  nicht  Jeder  in  dem 


15)  Wenn  Hass,  §.  143,  tcbreibt:  „(es)  erbebte  die  Erde,  mit- 
trauernd  um  ihren  gr'össtcn  Sohn'* :  $o  sieht  man ,  wie  der 
Historiker,  indem  er  jenen  Zug  als  geschichtlichen  festhal- 
ten will,  dabei  unwilUiürlich  zum  Foeten  wird,  und  wenn 
der  Verf.  in  der  zweiten  Auflage  die  Phrase  durch  ein  ein- 
gesetztes 9, gleichsam*'  mildert :  so  zeigt  sich  weiter ,  dass 
sein  historisches  Gewissen  ihn  darüber  zu  schlagen  nachträg- 
lieh  nicht  unterlassen  hat. 

16)  Nur  an  solche ,  nicht  an  sectatores  Christi y  wie  KvmÖL  will» 
ist  zu  denken.  Im  Evang.  Nicodemi,  c.  17,  sind  es  allerdings 
auch  Verehrer  Jesu,  welche  bei  dieser  Gelegenheit  auferste- 
hen, nämlich  Simeon  (aus  Luc.  2.)  und  seine  beiden  Söhne  ^ 
die  Mehrzahl  aber  bilden  auch  nach  diesem  Apocryphiun, 
wie  nach  der  aratpo^  ITiXaTtt  (Thilo  ,  p.  810.) ,  nach  Epipha- 
nius,  erat,  in  sepulcrum  Chr.  275,  Ignat«  ad  Magnes.  9.  u.  A. 
(vgl.  TaxLO,  p.  780  ff.),  A.  T. liehe  Personen ,  wie  Adam  und 
Eva,  die  Patriarchen  und  Propheten. 

17)  Vgl.  die  verschiedenen  Meinungen  bei  Thilo,  p.  783  f. 

18)  Vgl    besonders  Eichhorh,  Einl.  in  d.  N.  T.  1,  S.  446  ff. 


590  Dritter  Abschnitt. 

durch  den  Gang  seiner  eigenen  Entwioklang  bedingten 
Zeitpunkte*  Wer  aber  die  UelierseDgiing  Anderer  der 
Zweck:  so  w8re  dieser  noch  weniger  erreicht  worden  als 
bei  dem  Wander  des  eerrissenen  Vorhangs,  da  auf  die  Kr> 
scheinnng  der  Heiligen  nicht  nur  in  den  apostolischen  Bri»* 
fen  und  Reden  jede  Berufung  fehlt,  sondern  auch  onter 
den  Evangelisten  Matthfius  mit  seiner  Erwähnung  dersek 
iien  allein  steht.  Eine  besondere  Schwierigkeit  erwfichtt 
aus  der  seltsamen  Stellang,  welche  e wischen  den  schein- 
bar ansammengehörigen  Momenten  der  Begebenheit  die 
Zeitbestimmung:  ^era  rrpf  ¥yt()Giv  am 5,  einnimmt.  Denn 
wenn  man  diese  Worte  cum  Vorhergehenden  eieht,  al«o 
die  verstorbenen  Frommen  im  Augenblicke  des  Todes  Jese 
nur  wiederbelebt  werdeui  aus  den  Gräbern  aber  erst  nuch 
seiner  Auferstehung  gehen  läCst,  so  wire  diefs  eine  Quai 
för  Verdammte,  nicht  ein  Lohn  für  Heilige  gewesen;  ver- 
bindet man  dagegen  jene  Zeitbestimmung  mit  dem  Folgen* 
den,  so  dafs  die  Anferweckten  zwar  gleich  nach  ihrer 
bei'm  Tode  Jesu  erfolgten  Wiederbelebung  auch  ans  dea 
Grfibern  hervorgegangen  sein ,  aber  erst  nach  seiner  Auf- 
erstehung sollen  In  die  Stadt  haben  gehen  dürfen :  so  aocht 
man  von  dem  Letzteren  vergeblich  irgend  einen  Grand. 
Diese  Schwierigkeiten  so  vermeiden,  ist  es  eine  grobe  Ge- 
walthülfe gewesen,  die  ganae  Stelle  ohne  kritische  Gründe 
für  eingeschoben  au  erklären  ^');  feiner  ist  die  Art,  wie 
die  rationalistischen  Erklärer  durch  Beseitigung  des  Wun- 
derbaren in  dem  Ereignifs  auch  die  fibrigen  Schwierigkei- 
ten wegsuräumen  suchen.  Wie  beim  Zerreifsen  dea  Vor> 
bangs  wird    auch  hier  meistens  an   das   Erdbeben    ange- 


19)  Stroth,  von  Interpolationen  im  Evang.  Matth.   In  Eichhor^*i 
Repertorium,  9,  S.  139.    Nicht  viel  besser  ist  die  KBHü'scbe 
Auskunft,  die  Stelle  als  Einschiebsel  des  griechischen  Ueber- 
setzers  zu  betrachten.    Ueber  den  UrtTprung  des  Ev.  Mallh 
S    25.  und  100. 


Viertes  Kapitel.    S.  13t.  591 


koflpft:  durch  dieses  sollen  mehrere  CJrabmfilery  nftment- 
lioh  smßh  Tou  Propheten,  geöfiFoet  worden  sein,  in  welchen 
man,  sei  es,  dafs  sie  verschfittet,  oder  verwest,  oder  von 
wilden  Thieren  geraubt  worden  waren,  keine  Leichen 
mehr  gefanden  habe:  Als  nun  nach  Jesu  Auferstehung 
die  ihm  Geneigten  unter  den  Bewohnern  Jerusalems  voll 
?on  Auferstehongsgedanken  gewesen ,  so  haben  diese  Ge- 
danken, Bosammen  mit  den  leergefundenen  Grfibern,  Trln- 
me  und  Visionen  in  ihnen  erregt,  in  welchen  sie  die  in 
jenen  Gräbern  beigesetst  gewesenen  frommen  Vorfahren 
zu  sehen  geglaubt  haben  -^.  Aüein  die  leergefundenen 
GrSber  hfitten  auch  mit  der  Kunde  von  Jesu  Auferstehung 
susammen  schwerlich  solche  Träume  hervorgebracht,  wenn 
nieht  schon  vorher  unter  den  Juden  die  Erwartung  ge« 
herrscht  hätte,  der  Messias  werde  die  verstorbenen  firom« 
men  Israeliten  auferwecken.  War  aber  diese  tirwartung 
vorhanden,  so  konnte  aus  derselben,  eher  als  Träume, 
fielmehr  die  Sage  von  einer  bei*m  Tode  Jesu  geschehenen 
Auferstehung  der  Helligen  hervorgehen;  wefswegen  Uasb 
mit  Recht  die  Voraussefsnng  von  Träumen  fallen  läfsc, 
und  allein  mit  den  leergefundenen  Gräbern  auf  der  einen 
ond  jener  jOdisehen  Erwartung  auf  der  andern  Seite  isus« 
Eorelchen  sucht  ^*).  Mäher  angesehen  indefs,  wenn  ein- 
mal diese  Vorstellung  vorhanden  war,  so  bedurfte  es  kei- 
ner wirklichen  Eröffnung  der  Gräber,  um  einem  solchen 
Mythus  Entstehung  zu  geben :  und  so  hat  ScuNBCKKNBORGBa 
die  leergefondenen  Gräber  aus  seiner  Rechnung  wegge- 
lassen^^. Wenn  nun  aber  er  statt  dessen  von  visionären 
Erscheinungen  spricht,  welche,  durch  Jesu  Auferstehung 
angeregt,   seine  Anhänger  in  Jerusalem  gehabt  haben:   so 


20)  So  Paulus  und  Kvinöl,  s.  d.  St. ,  welcber  ietstere  diese  Er- 
klärung eine  mythische  nennt. 

21)  L.  J.  §.  148. 

22)  Ueber  den  Ursprung)  S.  67. 


/ 


592  Dritter  Absohnitt.  * 

ist  diefs  ebenBO  einseitig,  wie  wenn  Hasb,  die  Trlome 
weglassend,  an  der  Graböffnung  festblit ;  da,  wenn.  einoAal 
das  eine,  dann  auoh  das  andere  dieser  engverbandenea 
Momente  als  gesohichtlioh  aufgegeben  werden  mofs. 

Freilieh  ist  hiegegen  niebt  ohne  Scbein  bemerict  wor- 
den, dafs  cur  Erklfirnng  des  Entstehens  eines  solchen  My« 
tbns  die  angeführte  jadische  Erwartung  nicht  ausreiche  >'). 
Die  Erwartung  war  niher  diese.  Vom  Apostel  Paoloi 
(1  Thess.  4,  16.  vgl.  1  Kor.  15,  22  f)  und  bestimmter  ant 
der  Apokalypse  (20,  4  f.)  wissen  wir,  dafs  die  erstes 
Christen  bei  der  Wiederkunft  Christi  einer  Auferatehong 
der  Frommen  entgegensahen,  weiche  sofort  mit  Christo 
1000  Jahre  regleren  sollten ;  erst  nach  dieser  Z^eat  soUtes 
dann  auch  die  übrigen  auferstehen,  und  ron  dieser  siweitsa 
Auferstehung  wurde  jene  als  rj  dvagaaig  i^  nquTjj ,  oder 
loJy  öixalcav  (Luc.  14,  14?),  wofür  Justin  jy  uyia  avagccot^ 
bat  ^^')y  unterschieden.  Doch  diefs  ist  schon  die  cbristiani- 
airte  Form  der  jüdischen  Vorstellung;  diese  beeog  aick 
Dicht  auf  die  Wiederkunft,  sondern  auf  die  erste  Aniionft 
des  Messias,  und  erwartete  bei  dieser  nur  die  Auferstehung 
der  Israeliten  '^).  In  die  Zeit  der  ersten  Paruaie  des  Mes- 
siaa Tcriegt  nnn  awar  auch"  die  Macbricht  bei  Mattbioi 
jene  Auferweckung ;  aber  warum  sie  dieselbe  gerade  aa 
seinen  Tod  knüpft,  dafür  liegt  allerdings  in  der  jOdisebea 
Erwartung  an  und  für  sich  kein  Grund,  und  in  der  Mo- 
dification,  welche  die  Anhänger  Jesu  an  dieser  Erwartung 
anbrachten,  hfitte,  wie  es  scheint,  eher  ein  Aniafs  gelegen, 
die  Auferweckung  der  Frommen  mit  aeiner  Auferatebung 
BU  Terbinden;  sumal  die  Anknüpfung  an  seinen  Tod  mit 
der  sonstigen   urcbristliehen   Vorstellung  in  Widcursprucb 


23)  Paulus,  exeg.  Haadb.,  3,  b,  S.  798. 

24)  Dial.  c.  Tryph.  113. 

25)  s.  die  Sammlung  hiehcrgehVriger   Stellen  bei  ScR»TTeBx  y  2. 
p.  570  iF.  9  und  in  Bbrtholdt's  Chritlologia,  §.  35. 


Viertes  Kapitel.    $.  ISl.  59S 

Bu  liommen  scheint,  welcher  eafolge  Jesus  nQiOTOtoxog  ix 
T(5v  wexQiov  (Kol.  1,  18.  Oifenb.  1,  5.)>  anaQxrj  tiov  Ttexoifdtj- 
ftevury  (1  Kor«  15|  20  )  ist.     Doch  wir  wissen  Ja  nicht,  ob 
diese  Vorstellung  die  allgemeine  war,  und  wenn  die  Einen 
der  messianischen  Würde  Jesu  schuldig  zu  sein  glaubten, 
ihn  als  den  ersten  der  Auferstandenen  su    betrachten,   so 
bieten  sich  doch  auch  Grfinde  dar,   weiche  Andere  bewe- 
gen konnten,  schon  bei  seinem  Tod  einige  Fromme  aofeiv 
stehen  eu  lassen.     Einmal  der  äufsere:  da  unter  den  Pro- 
digien   bei  Jesu   Tod   auch   ein    Erdbeben   henrorgehoben 
ist,  und  in  der  Beschreibung  seiner  Heftigkeit  dem  nhQai 
ia/Jaxh^ccv  sich  leicht  das  auch  sonst  bei  Schilderung  hef- 
tiger Erdheben  Torltommende  ^^)  fivr^fttia  avsqixSTjaav  bei- 
geselleu  konnte:  so  war  hier  ein  einladender  An knttpfnnga- 
paokt  fflr  die  Auferstehung  der  Frommen  gegeben.    Aber 
auch  aus  dem  Innern  der  Vorstellung  vom  Tode  Jesu  her- 
aas,  wie   sie  sich  frühzeitig  in  der  christlichen  Gemeinde 
ausbildete :   dafs  ..nlimlich  derselbe  das  eigentlich  erläsende 
Moment   seiner   Wirksamkeit  ausmache,    und   namentlich* 
durch  den  daran  geknüpften  Hinabgang  sum  Hades  (iPetr. 
3,   19  f.)    die  früher   Verstorbenen  aus   demselben  befreit 
worden  seien  '^,  konnte  sich  ein  Anlafs  ergeben,  gerade 
durch  den  Tod  Jesu  die  Bande  des  Grabe«-  fflr  die  alten 
Frommen    gesprengt    werden   su  lassen.     Ohnehin   wurde 
durch   dieae  Stellung   noch   entschiedener  als   durch   eine 
Verbindung   mit  Jesu  Wiederbelebung    die  Auferwecknng 
der  Gerechten  nach  jüdischer  Vorstellung  in  die  erste  Pa* 
rusie  dea  Messias  gesetzt;  eine  Vorstellung,  welche  in  jn* 
daisirenden  Kreisen  der  ersten  Christenheit  gar  wohl  noch 
in  einer  solchen  Erzfihlung  nachklingen  konnte:  während 
ein  Paniua  und  eboASo   der  Verfasser   der  Apokalypse  be- 


26)  s.  die  toh  Witstiih  gesammelten  Stellen. 

27)  s.  diese  Vorstellung  weiter   ausgeführt  im  Eysngel.   Nicod. 
cap.  18  ff. 

Dax  LeSen  Jetiu  Me  Aufl.  //.  Bmid.  ^S 


5M  Dritter  Abschnitt. 

reits  anch  die  avdgaaig  ^  nfKOTtj  in  die  siveite,  erst  sa  er- 
wartende AnlLonft  des  Messias  verlegten.  Mit  Rficksicbl 
auf  diese  Vorstellung  scheint  es  dann,  dafs,  wahrsobeiniich 
▼om  Verfasser  des  ersten  Evangelittois  selbst,  das  ^ercr  m 
iycQOtv  aoiä  als  Restriotlon  angebracht  wurde. 

Ihre  Beschreibung  der  Vorgfinge  bei  dem  Tode  Jeii 
acbiiefsen  die  Synoptiker  mit  einer  Angabe  des  Eiodracki, 
welchen  dieselben ,  aunfichst  auf  den  wachhabenden  roni- 
sehen  Centurio,  gemacht  haben.  Mach  Lukas  (V«  47«) 
war  dieser  Eindruck  durch  to  yey'Ofiei'Ov  y  d.  h.,  da  er  die 
Finsternifs  schon  früher,  snletzt  aber  nur  das  Verscheideo 
Jesu  mit  lautem  Gebete  gemeldet  hat,  durch  eben  dieses 
letBtere  hervorgebracht;  viie  denn  Markus,  den  Lokai 
gleichsam  auslegend^  den  Hauptmann  dadurch,  dafa  Jeiui 
ww  xQa^ag  i^tTtrsvoev ,  an  dem  Ausruf:  6  ävd^iHon^og  iios 
viog  rj»  O^eäy  TeraDlafst  werden  lüfst  (V.  39.)-  ^^  Lokai 
nun,  der  als  die  lotsten  Laute  Jesu  ein  Gebet  gibt,  itt 
wohl  etwa  zu  begreifen,  wie  durch  dieses  erbauliche  £iide 
der  Hauptmann  au  einer  vortheilhsften  Ansicht  von  Jess 
gebracht  werden  mocht^:  wie  hingegen  aus  dem  Versehet* 
den  mit  lautem  Geschrei  auf  die  Würde  eines  Gotteasohn« 
geschlossen  werden  konnte,  will  auf  keine  Weise  einleuch- 
ten. Die  pasäv^.kdste  Beeiehung  aber  gibt  dem  Aasrof  des 
Centttrio  Matthäus,  welcher  denselben  durch  dasErdbebea 
und  die  Übrigen  Vorfiele  beim  Tode  Jesu  veranlafst  seio 
Iftfst:  wenn  nur  nicht  die  historische  Realität  dieser  Keda 
des  Hauptmanns  mit  der  ihrer  angeblichen  Veranlaasongea 
stünde  und  fiele.  Derselbe  spricht  bei  Matthäus  and  Mar- 
kus die  Deberaeugung  aus,  dafs  Jesus  in  der  That  lio; 
&€öy  bei  Lukas,  dafs  er  äv^QioTCog  dixaiog  gewesen.  Erste- 
res  wird  augenscheinlich  in  dem  Sinne  gemeldet,  dafs  hier 
ein  Heide  für  die Messianitüt  Jesu  gezeugt  haben  soll;  in  die- 
sem specifisch  jüdischen  Sinne  kann  aber  der  rdmi^die 
Krieger  seine  W^orte  nicht  wohl  verstanden  haben;  eher 
mochte  er  in  Jesu  einen  Giittersohn  im  heidnischen  Sliine^ 


Viertes  Kapitel.    |.  13t.  595 

oder  doeh  einen  unschnldig  Getödteten  erblicken:  wenn, 
nor  nicht  mit  der  gansen  synojitischen  Darstelinng  der 
Vorfalle  beim  Tode  Jesu  auch  dieser  Schlofsstein  derselben 
ferdächtig  wfirde  —  cnnial  be^  Lukas ,  der  sn  dem  Ein- 
drock  auf  den  Haoptmann  noch  den  auf  die  übrige  Volks« 
menge  fOgt,  und  diese  mit  Zeichen  der  Rene  und  Traner 
in  die  Stadt  surOckkehren  IfiCit;  ein  Zug,  welcher  nicht 
sowohl  ansngeben  scheint,  was  die  Juden  wirklich  em- 
pfunden und  gethan,  als  wa«  sie  nach  christliche^  Ansieht 
bitten  thun  und  empfinden  sollen* 

S.    132. 
Der  Lanzenstich  in  die  Seite  Jesu. 

Während  die  Synoptiker  Jesnm  von   der  üßQa  iwdiif}^ 
d.  h.  Machmittags  3  Uhr,   wo   er   verschied,^  bis   eu  der 
oipia,  d.  h.    wohl   bis   gegen  6  Ohr   Abends,   äuß   Kreuae 
i   bangen  lassen,    ohne  dafs  weiter  etwas  mit  ihm  vorginge: 
ichiebt  dcrr  vierte  Evangelist  eine  merkwürdige  Zwischen- 
I    aeeoe  ein.     JNach   ihm   baten    ufimlich   die  Juden  ^    um   zu 
f   ?erhaten,  dafs  nicht  durch  das  Hfingenbleiben  der  Geiireu- 
^  aigten  der  bevorstehende  besonders  heilige  Sabbat  entweiht 
I   wfirde,    den    Procurator,    es  möchten    ihnen    die    Beine 
■erschlagen    und   sie    sofort    abgenommen    werden.      Die 
■   biesn  beaoftragten  Soldaten  vollsogen  diefs  an  den  beiden 
neben  Jesu  gekrensigten  Verbrechern :   wie  sie  aber  an  Je- 
su die  Zeichen  des  bereits  eingetretenen  Todes  bemerkten , 
hielten  sie   bei  ihm   ein  solches  Vornehmen  fflr  fiberflfls« 
sig,    und    begnflgten   sich,    in   seine  Seite    einen   Speer« 
stich   Bo   machen,   worauf    Blut  und  Wasser   herausflob 
(19,  31-37.). 

Diese  Thatsaehe  wird  gewöhnlich  als  Hauptbeleg  für 
die  Wirklichheit  des  Todes  Jesu  angesehen,  und  im  Ver- 
hfiltnifs  Bu  ihr  der  aus  den  Synoptikern  su  fahrende  Be- 
weis ffir  unsulinglich  gehalten.  Nach  derjenigen  Rechnung 
nimlich,  welche  den  längsten  Zeitraum  gibt,  der  des  Mar- 

38* 


5M  Dritter  AbBchnitt. 

kos,  hing  Jesos  von  der  dritten  bis  nennten  ^  also  6  Stan- 
den, am  Krense,  ehe  er  starb ;  wenn,  wie  Manchen  wahr- 
scheinlich gewesen  ist,  bei  den  beiden  andern  Synoptikern 
die   mit  der   sechsten   Stunde   eingetretene  Finsternifs  ao- 
gleich   den    Anfang  der   Kreuzigung   beseichnet,   so   hing 
nach   ihnen  Jesus   nur    drei  Stunden    lebend   am  Kreose, 
nnd  wenn  wir    bei  Johannes  die  Jüdische  StondenaShiung 
Toraussetzen,  und  ihm  die  gleiche  Ansicht  vom  Zeitpunkt« 
des  Todes  Jesu    zuschreiben:    so    mOfste,   da  er   um    die 
sechste  Stunde  den  Pilatus  erst  das  Urtheil  sprechen  Ififst, 
Jesus  nach  nicht  viel   über   zwei  Stunden  Kreuzigung  be- 
reits gestorben  sein.    So  schnell    aber    tödtet    die  Kreusi« 
gung  sonst  nicht :    was  theiln  ans  der  Natur  dieser  Strafe, 
welche  nicht  durch  starke   Verwundung  ein  schnelles  Ver- 
bluten, senden  mehr  nur  durch  Ausspannung  der  Glieder 
ein  allmähliges  Erstarren  hervorbringt,  sich  ergibt;   cbeils 
aus  den  eigenen  Angaben  der  Kvangeiisten    erhellt ,    nach 
welchen  Jesus  unmittelbar  vor  dem  Augenblicke ,   den   sie 
für    den   letzten    hielten,    noch   Kraft  zum  lauten    Rafea 
hatte,   auch   die  beiden  Mitgekrenzigten   nach  jener    Zeit 
noch  am  Lehen  waren;   theils  endlich  durch  Beiftpiele  von 
solchen  zu  belegen  ist ,    welche   mehrere  Tage  lebend  am 
Kreuze  zugebracht  haben,   nnd  erst  durch  Hunger  u.  dgL 
allmfihlig  getödtet  worden  sind  ^)«    Daher  haben  Kirchen- 
väter nnd  ältere  Theologen    die  Ansicht  aufgestellt,    Jesu 
Tod,  der  auf  natürlichem  Wege  noch  nicht  so  bald  erfolgt 
aein  würde,  sei  auf  übernatürliche  Weise,  entweder  durch 
ihn   selber,    oder    durch   Gott,    beschleunigt    worden  ^j; 
Aerzte  nnd  neuere  Theologen  haben  sich  auf  die  gebävf- 
ten  körperlichen  und  Seelenleiden   berufen,   welche  Jesus 


1)  Das  Hiehergehörige  findet  sich  zusammengestellt  bei  Paclos, 
exeg.  Handb.,  3»  b,  S.  781  ff.;  Wikbh,  bibl.  Realwörterb.  1, 
S.  672  ff. ;   und  Hasb,  §.  144. 

3)  Jenes  TertuUian,  dieses  Gnorios,  s.  bei  Paulus,  S.  784,  Anas. 


Vierles  Kapitel.     $.132.  .    597 

den  Abend  und  die  Naoht  vor  seiner  Kreusigung  eu  dul- 
den hmte  ^)  ;  doch  auch  sie  lassen  gröfsCentheils  noch  die 
Möglichkeit  offen,  dafs,  was  den  Evangelisten  der  Eintritt 
des  Todes  sohlen,  nur  eine  durch  Stockung  des  Blutum« 
Isufs  herbeigefdhrte  Ohnmacht  gewesen  sei,  und  erst  der 
Speerstich  in  die  Seite  den  Tod  Jesu  entschieden  habe. 

Doch  eben  über  diesen  Speerstich,  Über  den  Ort,  an 
welchem,  dat  Instrument,  durch  welches,  und  die  Art  und 
Weise,  wie  er  «beigebracht  worden,  über  seinen  Zweck 
und  seine  Wirkung,  waren  von  Jeher  die  Meinongen  sehr 
verschieden.  Das  Instrument  boEeichnet  der  Evangelist  als 
eine  h\yyj]^  was  ebensogut  den  leichteren  Wurfspiefs,  als 
die  schwere  Lanse  l>edeuten  kann:  9o  dafs  wir  über  den 
Umfang  der  Wunde  im  Ungewissen  bleiben.  Die  Art,  wie 
die  Wunde  beigebracht  wurde,  beschreibt  er  durch  vvaoetvt 
dlefs  bedeutet  aber  bald  eine  tödtliche  Verwundung,  bald 
ein  leichtes  Ritsen ,  ja  einen  Stols ,  der  nicht  einmal  Blut 
gibt;  wir  wissen  also  nicht,  wie  tief  die  Wunde  ging: 
wiewohl,  wenn  Jesus  nach  der  Auferstehung  den  Thomas 
in  die  MSgelmahle  Ewar  den  Finger,  in,  oder  anoh  nur 
sn  die  Seitenwnnde  aber  die  Hand  legen  läfst  (Job.  20,  27. )y 
der  Stich  eine  bedeutende  Wunde  gemacht  zu  haben  scheint. 
Doch  dabei  kommt  es  vor  Allem  noch  auf  die  Stelle  der 
Verwundung  an.  Diese  bestimmt  Johannes  als  die  nXevQd^ 
wo  freilich,  wenn  der  Stich  an  der  linken  Seite  Ewischen 
den  Rippen  bis  in  das  Herz  drang,  der  Tod  unausbleiblich 
erfolgen  mufste:  allein  jener  Ausdruck  kann  ebensowohl 
die  rechte  Seite  als  die  linke,  und  an  beiden  jeden  Ort 
von  der  Schulter  bis  zur  Hüfte  bedeuten.  Die  meisten 
dieser  Punkte  würden  sich  freilich  von  selbst  bestimmen, 
wenn  die  Absicht  des  Kriegers  mit  dem  Lanzenstich  gewe- 
sen wfire,  Jesum,  sofern  er  noch  nicht  gestorben  wfire,  zu 


3)  so   Grukia  u.    A.   bei   Paulus  ,    S.  784t  iF.  ^    Hasb  ,    «.  «•  0. } 
NiA5i>BR^  L.  J.  Chr.  S.  647. 


•    

598  Dritter  Abschnitt, 

tödten;  in  diesem  Falle  nSmltch  wfirde  er  ohne  Zweifel 
am  tödtlichsten  Plats  ond  so  tief  wie  mSglich  gestoeheo, 
oder  vielmehr  Jeso,  wie  den  beiden  Andern,  die  Beine  ge- 
brochen haben :  da  er  mit  Jesu  anders  als  mit  diesen  ver- 
fahr 9-  so  wird  wahrscheinlich,  dafs  er  in  Becug  aof  ihn 
eine  andere  Absicht  hatte,  nifmiich  dnrch  den  Stich  vor- 
erst nar  bu  erforschen,  ob  der  Tod  wirklich  schon  einge- 
treten sei,  was  er  ans  dem  Hervorfliefseri  vbn  Blot  ond 
Wasser    aas    der    Wonde    sicher    abnehmen    so    kSnnea 

glaobte. 

Abor  freilich  Ober  diese  Folge  des  Speerstichs  ist  man 
am  allerwenigsten  einig.  Die  Kirchenvfiter  haben ,  in  Be- 
tracht, dafs  aus  Leichen  l&ein  Blot  mehr  fliefse,  in  deoi 
ans  Jeso  Leichnam  hervorgequollenen  af//or  xai  vdo}Q  ein 
Wunder,  ein  Zeichen  seiner  höheren  Natnr,  gefunden  ^). 
Nenere,  von  der  gleichen  Erfahrung  ausgehend,  haben  in 
dem  AusdruclK  eine  Hendiadys  gesehen,  und  denselben  von 
noch  flüssigem  Blute,  einem  Zeichen  des  noch  nicht,  oder 
doch  eben  erst  erfolgten  Todes,  verstanden  ^).  Da  jedoch 
das  Blot  fBr  sich  schon  ein  Flüssiges  ist,  so  iiann  das  so 
alijcc  gesetEte  vöcf)Q  nicht  blofs  den  flössigen  Znstand  von 
jenem  bedeuten,  sondern  mufs  eine  besondere  Beimischoag 
beeeichnen,  welche  das  aus  der  Wände  Jesu  fliefeende 
Blut  enthielt.  Um  sich  diese  sn  erklären,  und  sogleich 
die  möglichst  sichere  Todesprobe  eu  bekommen ,  ainrf  An- 
dere aof  den  Einfall  gerathen,  das  dem  Blute  beigemischte 
Wasser  sei  wohl  aus    dem    von    der  Lanse   getroffenen 


4)  Orig.  C.  Celt*  2y  ößl  T<dy  juty  nv  uklbw  vtxtmy  OfOuanor  ro  mua 
TT^yrurai ,  xai  vtftoo  xnx^aoor  hx  nnonon  r»  ^f  xara  ror  Iqdnr  rfjrfi 
OiafiftTog  TO  naQa^otov  ^  xai  TifQi  ro  %'txoov  autua  t^v  aiua  xut  v'}i» 
OTTO  TÜr  nitv^v  TTQo/uO-f'v.  V§^»  Euthymius  1.  d.  Sl. !  ?«  »-«roJ 
yuQ  ay9^^o:Tti^  xar  /iv^dxti  >'vir]  rtg.  »x  ^i;fifv<f(rai  mua.  V7ttit^*>-: 
tSto  to  nQayua^    xai  T^itu;  StSaoxor ,    on    vTtep   m'9onmo¥  o   »i-*.^ 

I)  ScNUtTBR,  in  EiCHiioiui*s  Bibl.  9,  S.  1036  % 


Viertes  Kapital«    (.  13S.  599 

gekommen 9  in  welehem  sieh,  namentUeh  bei 
•olche»,  die  onter  starker  BeSngsti^unj^  sterben,  eineQitan« 
titXt  Flüssigkeit  sjimmein  soll  ^J.  Allein  aufserdem  ^  dafs 
das  Eindringen  der  Lance  in  das  Perieardinm  blofse  Vor- 
ansseteong  ist,  so  ist  thetls ,  wo  keine  Wassersucht  statt- 
findet,  das  Quantum  jener  Flüssigkeit  so  gering,  dals  ihr 
AoHflufs  nieht  in  die  Augen  fiele;  thells  ist  es  nur  ein 
einsiger  iiieiner  Fleck  vorn  an  der  Brust,  wo  das  Peri- 
eardlom  so  getroffen  werden  kann ,  dafs  eine  Kntleernng 
nach  aaTsen  möglich  ist:  in  allen  andern  Ffillen  würde, 
was  ausfliefst,  in  das  Innere  der  Brnsth5hle  sieh  ergia* 
fsen  ^J.  Ohne  Zweifel  geht  vielmehr  der  Evangelist  von 
der  bei  Jeder  Aderlässe  sa  machenden  Erfahrung  ans,  dals 
das  Blnt,  sobald  es  aufgehört  hat,  im  Lebensprocesse  be- 
griffen sa  sein,  sieh  in  Blutkuchen,  placentae  und  Blul- 
wasser,  servMy  an  sersetsen  auffingt,  und  will  nun  daraus, 
dafa  am  Blute  Jesu  sich  bereits  diese  Scheidung  geaeigt 
habe,  dessen  wirklich  erfolgten  Tod  beweisen  ®).  Ob  nun 
aber  dieses  Ausfliefsen  von  Blnt  und  Wasser  in  bemerk- 
bsrer  Sonderung  eine  mögliche  Todesprobe  ist,  ob  Hasb 
and  WiNBR  recht  haben,  wenn  s<e  behaupten,  bei  tiefereil 
Einschnitten  in  Leichen  quelle  bisweilen  das  so  aersetate 
Blut  heraus,  oder  die  Kirchenvater,  wenn  sie  diefs  für  so 
on erhört  bielten,  dafs  sie  es  bei  Jesu  als  ein  Wander  an- 
sehen SQ  müssen  glaubten,  ist  noch  eine  andere  Frage* 
Mir  hat  ein  ausgezeichneter  Anatom  den  Stand  der  Sachs 
folgendermalsen  angegebeo  ^*    Für  gewöhnlich  pflegt  bin« 


6)  Gruxsh  ,    Comm.    de   morte  J,  Cbr,  yer« ,   p.  47. ,    TuoiiOca) 
Comm,  z.  Job.  S.  318. 

7)  Vgl.  Hasb,  «.  a,  O. 

8)  WmxR,  a.  a.  O. 

9)  Vgl.  die  gleiche  Angabe  eines  Anatomen  bei  dk  Witts  s«  d.  St« 
und  Tholvck,  a,  a.  0, 


tm  Dritter  Abschnitt. 

nen  einer  Stande  nach  dem  Tode  das  Blut  in  den  Gef&> 
f'sen  KU  gerinnen,  und  sofort  bei  Einschnitten  nichts  mehr 
auseufliefsen ;  nur  ausnahmsweise,  bei  gewissen  Todesar- 
ien, wie  Nervenfieber,  Erstickung,  behSlt  das  Blut  im 
Leichnam  seine  FlOssigkeit.  Wollte  man  nun  den  Tod  am 
Krens  etwa  unter  die  Kategorie  der  Erstickung  stellen,  — 
was  jedoch  wegen  der  langen  Zeit,  welche  die  Gekreasig- 
fen  oft  nech  am  Leben  blieben,  und  bei  Jesu  insbesondere, 
weil  er  ja  bis  euletzt  gesprochen  haben  soll,  unthanlich 
acheint ;  oder  wollte  man  annehmen ,  so  bald  schon  nach 
dem  Augenblicke  des  Todes  sei  der  Stich  in  die  Seife  er- 
folgt, dafs  er  das  Blut  noch  flössig  fflnd,  —  was  den  Be- 
richten unangemessen  ist,  welchen  Bufolge  Jesus  neben 
Nachmittags  drei  Uhr  gestorben  war,  die  Leichen  aber 
erst  Abends  6  Uhr  abgenommen  sein  mnfsten:  so  w£re, 
wenn  der  Stich  ein  gröfseres  Blutgefftls  traf,  Blut,  aber 
ohne  Wasser,  ausgeflossen ;  war  aber  der  Tod  Jeso  vor 
etwa  einer  Stunde  erfolgt,  und  sein  Leichnam  im  gewöhn* 
liehen  Zustande:  so  flofs  gar  nichts  aus.  Also  entweder 
Blut,  oder  nichts;  Wasser  und  Blut  in  keinem  Falle,  weil 
«Ich  semm  und  placenta  in  den  Geffifsen  des  Leichnams 
gar  nicht  %o  sondert,  wie  im  Geschirre  nach  der  Adei^ 
ifisse.  Schwerlich  also  hat  der  Urheber  dieses  Zugs  im 
viereen  Evangelium  das  alfta  xal  vdioQ  selbst  aus  der  Seite 
Jesu  als  Zeichen  des  erfolgten  Todes  kommen  sehen:  son* 
dern  weil  er  bei  BlutlSssen  schon  jene  Scheidung  im  er- 
sterbenden Blute  gesehen  hatte,  und  ihm  anlag,  eine  sichere 
Probe  für  den  Tod  Jesu  eu  bekommen^  liefs  er  aus  dessen 
verwundetem  Leichnam  jene  geschiedenen  Bestandtheila 
fliefsen. 

Dafs  sich  diefs  mit  Jesu  wirklich  cugetragen  h*.le, 
und  sein  Bericht  davon ,  als  auf  Autopsie  gegründet,  sn* 
verlAssig  sei,  versichert  übrigens  der  Evangelist  aufs  An- 
gelegentlichste (V.  35.)  Nach  Einigen  defswegen,  um  do- 
kefisohe  Gnostiker,    welche  die  wahre  Leibliehkeit  Jesu 


Viertes  Kapitel.     {.  132.  001 

liogneten,  su  widerlegen  *^:  allein  wosii  dann  die  Er« 
wfihiiang  des  vSiOQi  Maeh  Andern  wegen  der  merkwürdi- 
gen Krfilllang  sweier  Weissagangen  doreh  Jenes  Vorneh- 
men mit  der  Lelehe  Jesu  ^0  •  <(her,  wie  Lücke  selber  sagt, 
wenn  allerdings  auch  sonst  Johannes  selbst  in  Nebenpunk« 
ten  eine  Erfüllung  der  Schrift  sucht,  so  legt  er  doch  nir- 
gends ein  so  anfserordentliehes  Gewicht  darauf ,  wie  er 
hier  naeh  dieser  Auffassung  thnn  wOrde.  Daher  scheint 
es  Immer  noch  die  natfirlichste  Annahme  su  sein,  dafsder 
Evangelist  durch  Jene  Versicherungen  die  Wahrheit  des 
Todes  Jesu  hekrfiftigen  wolle  ^^ ,  die  Hin  Weisung  auf  die 
SchrifterfOllung  aber  nur  als  weiteren «  erläuternden  Zn- 
satz beifüge.  Der  Mangel  einer  geschichtlichen  Spur^ 
daf«  schon  sur  Zeit  der  Abfassung  des  Johanneischen  Evan- 
geliums der  Verdacht  eines  Scheintodes  Jesu  rege  gewesen, 
beweist  bei  der  Mangelhaftigkeit  der  Nachrichten,  die  uns 
fiber  Jene  Zeit  an  Gebote  stehen ,  nicht ,  dafs  ein  so  nahe 
liegender  Verdacht  nicht  wirklich  in  dem  Kreise,  in  wel- 
chem das  genannte  ETangeliam  entstand,  su  bekämpfen 
gewesen  ist,  und  dafs  dasselbe  nicht,  wie  snr  Mittbeiinng 
Ton  Anferstehnngsproben,  so  auch  eine  Todesprobe  mitsu* 
theilen  Teranlafst  gewesen  sein  kann  '^).  Ist  doch  auch 
schon  Im  Erangelium  des  Markos  ein  ähnliches  Bestreben 
slfhtbar.  Wenn  dieser  von  Pilatus,  als  Joseph  sich  den 
Leichnam  Jesu  ausbat,  sagt:  ixha'uc:afv,  h  7]()r^  rid^'i^xa 
(V.  44.):    eo  lautet  diefs  ganz,  ala  wollte  er  dem  Pilutus 


10)  WrrSTSiif  und  Olshavsbk,  z.  d.  St.  'y   ygl.  Hisi^  a.  a.  O, 

11)  LUcKB,  z.  d.  St. 

12)  so  Lbbs,  Aufersteboiigsgeschichte,  S.  95  f. ;  Tholuck,  z.  d.  St. 
Nach  Wbissb  (die  evang.  Gesch.  1,  8. 102.  2,  S.  237  ff.)  wie- 
se  der  ETangelist  auf  eine  von  ihm  missTerstaodene  Stelle 
des  apostolischen  Briefs  hin,  nämlich  auf  1.  Joh.  5,  6:   nroi 

l^iv    o    ilihoy    Sr    v^aroi    x<u    a'ifitarog ,    V.    6  X^. '    ix   *r    r'Ji    vdfcn 

H)  Vgl.  Kaisbr,  bihl.  Thcol.  J,  S.  253. 


a04  Dritter  Abschnitt. 

Jesu  noch  das  crurifragium  yorgenomnien  haben.  So  bleibe 
diese  Jobanneisohe  Ersfihlung  ansicher,  und  wenn  eie  aaeb 
nicht  gerade  gans  erdichtet  ist,  so  beroht  doch  das,  wor> 
auf  der  Berichterstatter  am  meisten  NaohdmclK  legt,  aaf 
einer  Tfinschnngt 

$.     133. 
BegräbnisB  Jesu. 

Während  der  Leichnam  Jeso  nach  römischer  Sitte 
am  Kreus  bitte  hfingen  bleiben  müssen,  bis  Wittemog, 
Vögel  und  Verwesung  ihn  Versehrten  ');  nach  jadischer 
aber  vor  Abend  abgenommen,  auf  dem  unehrlichen  Begrfib- 
nifsplatee  der  Hingerichteten  verscharrt  worden  wfire  ^: 
erbat  sich  den  evangelischen  Nachrichten  sufolge  ein  an- 
gesehener Anhfinger  des  Oetödteten  vom  Procurator  aeineo 
Leichnam ,  der  ihm  nach  römischem  tiesetse  *)  nicht  ver- 
wetgert,  sondern  alsbald  verabfolgt  wurde  (Matth.  27,  57 
parall.).  Dieser  Mann ,  welchen  alle  Evangelien  Joseph 
nennen,  und  von  Arimathäa  stammen  lassen,  war  nach 
Matthäus  ein  reicher  Mann  und  Schöler  Jesu,  doch  diefs, 
wie  Johannes  hineofOgt,  blofs  heimlich ,  gewesen ;  die  bei- 
den mittleren  Evangelisten  beeeichnen  ihn  als  ein  ehreo- 
werthes  Mitglied  des  hohen  Rathes,  als  welches  er  fibri- 
gens,  wie  Lukas  bemerkt,  su  der  Verurthellung  Jesu  seine 
Stimme  nicht  gegeben  hafte,  und  lassen  ihn  messianiscben 
Erwartungen  sngethan  sein.  Wfihreod  die  Synoptiker  dis 
Bestattung  Jesu  durch  Joseph  allein  verrichten,  und  nur  noch 
die  Franen  ansehen  lassen,  fahrt  Johannes  als  Geholfen  da- 
bei den  Nihodemus  auf,  einen  Mann,  der,  wie  schon  frfiher 
bemerkt  wurde  ^),  seine  EinfOhrung  in  die  evangelische  Ge- 
schichte einzig  dem  vierten  Evangelium  verdankt. 

Letsterer  bringt  aum  Behufe  der  Einbalsamirnng  Jesu 

1)  Vgl.  WiMiR,  1,  S.  802. 

2)  Sanhedrin,  bei  LiearrooT,  p.  499. 

3)  ülpian.  48,  24,  1  flF. 

4)  I.  Band,  ^.  79. 


Vierte«  Kapitel,     f.  I3S.  im 

SpeeMreieDy  nlmlieh  eine  Mieebang  Ton  Myrrhen  und 
Aloe,  in  der  Qaantitit  von  ongeftlir  IM  Pfänden,  herbeL 
Vergeblicli  hat  man  eich  bemüht,  dem  Ton  Jelumnee  hier 
gebraoohten  XitQa  die  Bedeutung  des  latelnleehen  libra  so 
entsiehen,  und  die  eines  lileineren  6ewiehtes  unfersnsehie« 
ben  *) :  indefs  mag  fDr  Jene  auffallend  grofse  Quantitit  die 
Bemerkung  Olsbauskii's  genügen,  dafs  das  Uebermafs  na- 
tiirlieher  AusdruclL  der  Verehrung  Jener  Männer  für  Je* 
som  gewesen  sei.  Im  vierten  fiFangelinm  ▼olisielien  nun 
gleich  nach  der  Kreusabnahme  die  beiden  Minner  die 
Einbalsamirung  nach  jüdischer  Sitte,  indem  sie  den  Leich« 
Dam  mit  den  Specereien  in  Leintücher  wiclceln ;  bei  Lul&as 
sorgen  die  Frauen  nach  ihrer  Helmiiehr  Tom  Grabe  Jesu 
ffir  Specereien  und  Salben,  um  nach  demSabbat  die  Ein- 
balssmirung  Torsunehmen  (23,  56.  i4,  1.);  bei  Marlms 
kaufen  sie  die  doti/acna  erst  nach  Verflnfs  des  Sabbats  (Iß, 
1.) ;  bei  Matthäus  aber  ist  tou  einer  Einbaisamirnng  des 
Leichnams  Jesu  gar  nicht,  sondern  nur  von  Einwickelnng 
in  reine  Leinwand  die  Rede  (37,  59). 

Hier  bitt  man  snerst  die  Differens  swischen  Markos 
and  Lnkaa  in  Beeng  auf  die  Zeit  des  Einkaufe  der  Spece- 
reien  dadurch  ausgleichen  su  können  gemeint,  dafs  man 
den  einen  von  beiden  Referenten  auf  die  Seite  des  andern 
berttbersog«  Am  leichtesten  schien  Markus  nach  Lukas 
umgedeutet  werden  sn  können ,  durch  die  Annahme  einer 
enallage  temporumj  Indem  sein  vom  Tage  nach  dem  SalH 
bat  gesagtes  jjyoQaacev^  als  Plnsquamperfeotum  genommen, 
dssselbe  sagen  sollte,  wie  des  Lukas  Angabe,  dafs  die 
Frauen  schon  vom  Begräbnifsabend  her  die  Speeereien  in 
Bereitschaft  gehabt  haben  ^).  Allein  gegen  diese  Ausglei- 
chung ist  bereits  vom  Wolfen  bfittler  Fragmentisten  mit 
siegreichem  Unwillen  bemerkt  worden,  dafs  der  swischen 
eine  Zeitl>estimmung  und  die  Angabe  eines  Zwecks  hinein« 

5)  MicHABLity  Begräbniss  -  und  AufcrstehungsgeBcbichte,  S.  68  ffl 

6)  So  GAonve;  Lsss,  Aufcrttehungtgescbichte,  S.  165« 


6U6  Dritter  Abschnitt. 

gestellte  Aorist  Dtimögiioh  etwas  Anderes,  als  das  hbs  Jene 
Zeit  tu  diesem  Zweclie  Gesehebene,  also  liier  das  Bwisehea 
dtayerofüh^s  tö  oaßßdrs  nnd  Vi'or  ikd-naai  aleltf/oHiiv  mior 
gestellte  jjyoQoaav  aQüjjtiaza  nur  einen  nach  Verflnfa  des 
Sabbats  vorgenommeneu  fiinliauf  bedeuten  li5nne  V  ^^ 
her  bat  Michaelis,  vielcber  die  Widersprncbslosigbeit  der 
Begräbnifs  und  Auferstehnngsgesohiehte  gegen  dieAngrifb 
des  Fragmentisten  su  retten  unternahm,  sich  auf  die  an- 
dere Seite  geschlagen ,  nnd  den  Lni&as  dem  Mariine  ii 
conformiren  gesucht.  Wenn  Luicas  schreibt:  vnogqeiftctaax 
dt  i^oi/itaaccv  a^na^tara  aal  ftvQai  so  soll  er  damit  nicht  sä' 
gen  wollen,  dafs  sie  unmittelbar  nach  der  ROckkehr,  ako 
noch  am  Begrfibntfsabend,  diese  Einkäufe  gemacht  hfitteo: 
▼ielmehr  durch  den  Zusate :  xai  to  juiv  adßßaroy  rflvxaßia 
xuid  ti]v  bVLoXi]v y  gebe  er  selbst  su  yerstehen ,  dafa  ea  erst 
nach  Verflofs  des  Sabbats  geschehen  sei,  da  swiacben  ih- 
rer Rückkehr  vom  Grab  nnd  dem  Anbruch  dea  Sabbsti 
mit  6  Uhr  Abends  keine  Zeit  Eum  Einkaufen  mehr  übrig 
gewesen  war  ®).  Allein,  wenn  Lukas  swischen  vnocgeU'a- 
üai  und  i^avxccdop  sein  fjrolfiixaav  stellt :  so  &juiü  diefa  eben- 
sowenig  etwas  erst  nach  der  Sabbatrnhe  Vorgefallenes  be- 
deuten, als  bei  Markus  das  auf  ähnliche  Art  in  die  Mitte 
gestellte  tjyoQaavcv  etwas,  das  vor  dem  Sabbat  wäre  ge- 
schehen gewesen;  Man  hat  daher  neuerlich  «war  ein/be- 
sehen ,  dafs  man  Jedem  dieser  beiden  Evangelisten  in  Be- 
treflf  des  Ankaufs  der  Speoereien  seinen  eigenen  Sinn  las- 
sen müsse:  doch  glaubte  man  den  Schein  deslrrthnma  auf 
der  einen  oder  andern  Seite  durch  die  Annahme  entferneo 
sn  können,  die  noch  vor  dem  Sabbat  bereiteten  Speeereieo 
haben  nicht  sugereioht,  und  die  Frauen  dem  Markus  au- 
folge    wirklich    nach   dem   Sabbat    noch    Weitere   dasvge- 

H)  6i  das  flinfte  Frsgment,  in  LKSSine^t  viertem  Beitrag  zur  Ge- 
schichte und  Literatur^  S.  467  f.  VgL  über  diese  DüTercfi- 
zen  auch  Lbssik^'s  Duplik. 

8)  MxcMABus,  a*  a.  0<     S^  102  ff« 


Viertes  Kapitel.     $.  ISS.  007 

kenft  *)-  ^^^  miirste  aber  doch  ein  ungeheurer  Speoerel- 
verbranch  gewesen  sein^  wenn  snerat  der  von  Niltodemna 
herbeigebrachte  Centner  nicht  gereicht,  und  defswegen  die 
Frauen  noch  Abends  vor  dem  Sabbat  weitere  Specereien 
bereit  gelegt  hätten,  dann  aber  wfiro  auch  dieis  als  eu 
wenig  befunden  worden,  und  sie  h&tten  am  Morgen  nach 
dem  Sabbat  noch  etwas  Weiteres  dasugekauft. 

So  nämlich  mfifste  man   doch  consequenterweise  auch 
den  sweiten   Widerspruch   lösen,    weicher  swischen  den 
Bwei   mittleren    Efangelisten   susammen   und  dem  Irierten 
stattfindet,    dafs   nümfich   nach    diesem   Jesus    hei    seiner 
Grablegung   mit  100  Pfund    Salben    einbalsamirt    worden, 
nach    Jenen    dagegen    die  £inbalsamirnng    bis   nach   dem 
Sabbat  rorbehalten    war«     Nun    waren    aber   der  Materie 
nach  die  100  Pfund  Myrrhen   und  Alo^  mehr  als  genug: 
was  fehlte,  und  nach  dem  Sabbat  nachgeholt  werden  sollte, 
könnte  nnr  etwa   die  Form  gewesen    sein,   d.  b.  dais  die 
Specereien  noch  nicht  auf  die  rechte  Weise  an  dem  Leich- 
nam angebracht  waren,  weil  bierin  der  Anbruch  des  Sab- 
bats unterbrochen  hatte  ^®).    Allein,  wenn  wir  den  Johan- 
nes hören  ,   so   war  die  Beisetanng  Jesu  am  Abend  seines 
Todes  xaxhig  e^og  egl  toJg  ^Isdaioig  iviatfiaCeiv,  d.  h.  rite, 
in  aller  Forin,  vorgenommen  worden,  indem  der  Leichnam 
fisia  tiov   aQLOftuTityv  in   od^ovia   gebuhden   wurde  (V.  40.)j 
was  eben    das  üanse  der  jüdischen  EInbalsamirnng  war, 
welcher  somit   nach  Johannes   auch  in   Betreff  der  Form 
nichts  mehr  fehlte  ^^3;  abgesehen  davon,  dafs,  wenn  doch 
die  Weiber  nach  Markus  und  Lukas  neue  Specereien  kau- 
fen und  in  Bereitschaft  stellen,  die  Einbalaamirungdes  Ni- 
kodemus  auch  materiell  unvollständig  gewesen  sein  mfiAiie. 
Da  somit  an  der  Bestattung  Jesu,  wie  sie  Johannes  ersäblt, 

9)  tiuintft,  in  Luc.  p.  721. 
iO)  So  T HOLUCK,  X.  d.  Sti 
11)  8.  den  Fragmcntistcii,  ä.  a.  O.,  S.  469  ff. 


6<I8  Dritter  Abschnitt. 

objectiv  nichts  i^efebit  haben  liann :  so  soii  sie  doch  aab- 
jeetiF  für  die  Weiber  eine  nioht  vorgenooinene  gewesei 
■ein,  d.  h*  sie  sollen  nicht  gewofst  haben,  dals  Jesss  be> 
reits  durch  Nikodemns  und  Joseph  einbalsamirt  war  ^. 
Man  erstaunt  über  eine  solche  Behauptung,  da  man  doch 
bei  den  Synoptikern  ansdrttcklich  liest,  dafs  die  Fraaea 
bei  der  Bestattung  Jesu  Bogegen  gewesen  seien,  und  nicht 
blofs  den  Ort  (jiä  il^evaty  Markus),  sondern  auch  die  Art, 
wie  er  beigesetst  wurde  (jig  tzExh]^  Lukas),  mit  angesehes 

haben» 

Die  dritte  diesen  Punkt  betreffende  Abweichung,  wel- 
che Ewischen  Matthfius  und  den  Obrlgen  insofern  stattfin- 
det, als  jener  Oberhaupt  von  keiner  Einbalsamirnng,  we 
der  vor  noch  nach  dem  Sabbat,  weifs,  hat  man,  vreil  fi« 
blofs  im  Schweigen  eines  Berichterstatters  besteht,  bisher 
wenig  berficksicbtigt,  und  selbst  der  Wolfenbat tler  gab  aa, 
dafs  in  der  von  Matthäus  gemeldeten  £inwiekelung  In  reine 
Leinwand  die  jfldische  Einbalsamirnng  bereits  mitenthaltei 
sei.  Allein  diefsmal  möchte  doch  wohl  ex  sileniio  einA^ 
gnment  sich  ziehen  lassen.  Wenn  man  in  der  ErellhlaDg 
von  der  Bethanischen  Salbung  das  Wort  Jesu  liest,  durck 
ihre  That  habe  die  Frau  die  Salbung  seines  Leibea  avn 
Begräbnifs  vorweggenommen  (Matth.  26,  12  paralL):  ^ 
hat  diefs  cwar  alleniings  in  allen  Berichten  seinen  Sinn, 
einen  gans  besonders  treffenden  aber  doch  bei  Matt  hin«, 
nach  dessen  weiterer  Eraäblnng  bei*m  Begräbnila  Jest 
keine  Salbung  stattfand  ^^),  und  nur  hieraus  scheint  ficb 
auch  das  besondere  Gewicht,  welches  die  evangelische  Tra* 
dition  auf  jene  Handlung  der  Frau  legte,  genfigend  sa  e^ 
klären»  War  dem  als  Messias  Verehrten  bei  seinen  Be- 
gräbnifs im  Drang   der  ungfinstigen  Umstände  die  gebiln 


12)  MiCHAKus,  a.  a.  O.,  S.  99  f.  ;  KvikVi.  nnd  Lvckb  lassen  iwi- 
sehen  dieser  Auskunft  und  der  vorigen  die  Wahl. 

13)  Vgl.  DB  Wkttb,  c.  d.  Stv  des  Mattli, 


^    I 


Viertel  Kapitel,  f.  1S3.  HIHI 

rende  Ehre  der  Einbaleaniirong  nicht  geworden :  so  nrnfste 
freilich  der  BÜcIl  seiner  AnhiUiger  mit  besonderem  Wohl- 
gefallen anf  einer  Begebenheit  ans  den  lotsten  Abschnitte 
seines  Lebens  ruhen,  wo  eine  demnthsirolle  Verehrerin,  wie 
wenn  sie  geahnet  hfitte,  dafs  dem  Todten  diese  Ehre  versagt 
sein  werde,  sie  dem  Lebenden  erwiesen  hatte.  Von  hier 
ans  wfirde  sich  dann  anch  i|ie  Terschiedene  Darstellung 
der  lotsten  Salbnng  hei  den  fibrigen  Evangelisten  in  das 
Licht  einer  stufenweisen  EntwiciLelung  der  Saga  stellen. 
Bei  Markus  und  Lnlias  steht  es  noch,  wie  bei  Matthfius, 
fest,  dafs  der  Leiehnam  Jesu  nicht  wirklich  eiDbslsamirt 
worden  ist:  so  war  ihm  aber  doch,  sagte  man  Ober  das 
erste  Evangelium  hinaussohreitend,  die  Einbalsamirung  sn« 
gedacht,  dem  Hingang  der  Frauen  su  seinem  Grab  sm 
Morgen  naeh  dem  Sabbat  lag  diese  Absicht  sum  tirunde, 
deren  Auafahrung  nur  seine  Auferstehung  suvorkam«  Im 
vierten  Evangelium  dagegen  flofs  jene  bei  dem  Lebenden 
tnticipirte  und  diese  dem  Todten  augedaehte  Salbung  in 
eine  mit  dem  Todten  vorgenommene  zusammen,  neben  wel* 
eher  ilbrigens,  nach  der  Art  der  Sagenbildong,  die  Be- 
siehnng  aueh  der  frilheren  Salbung  anf  das  Begrabnifi 
Jesu  stehen  blieb« 

Der  Leichnam  Jesu  wurde  sofort  nach  sfimmtlichen 
Referenten  in  einer  Felsengrnft  beigesetet,  welche  mit  ei- 
sern grofsen  Stein  verschlossen  wurde.  Matthäus  bezeich* 
oet  dieses  Grabmal  als  xaivoVy  was  Lukas  und  Johannes 
genauer  dahin  bestimmen,  dafs  noch  Niemand  in  demsel- 
ben beigesetst  gewesen  sei.  Beil&ufig  gesagt,  bat  man  ge« 
gen  diese  Neuheit  des  Grabes  ebenso  Ursache,  mifstrauisch 
>n  sein,  wie  bei  der  Geschichte  des  Einsugs  Jesu  gegen 
den  ungerittenen  Esel,  da  hier  auf  ähnliche  Weise  wie 
dort  die  Versuchung  unwiderstehlich  nahe  lag,  auch  ohne 
geschichtlichen  Grund  das  heilige  Behfiltnifs  des  Leiber 
Jesu  als  ein  noch  durch  keine  Leiche  verunreinigtes  vor- 
Kostellan.  Aueh  in  Bezug  auf  dieses  Grabmal  indefs  seigt 
J>aM  Leben  Jem  "hU  Aufl.  iL  ßanri.  39 


010  Dritter  Abichnill. 

flieh  eine  Abweichnng  der  Evangelisten.  Nach  Matthioi 
war  es  das  Bigenthum  des  Joseph,  welches  er  selbst  bitte 
in  Felsen  bauen  lassen ,  and  aach  die  beiden  andern 
Synoptiker,  indem  sie  den  Joseph  ohne  Weiteres  fiber  du 
GrMb  verfCigen  lassen,  scheinen  von  der  gleichen  Vomos- 
Setzung  ausEogehfen.  Nach  Johannes  hingegen  war  nicht 
das  Eigenthumsrecht  des  Joseph  auf  das  Grab  der  Urond, 
warum  man  Jesum  in  dasselbe  legte ,  sondern  weil  die 
Zeit  drängte,  'legte  man  Ihn  in  die  frische  Gruft,  welch« 
in  einem  benachbarten  Garten  sieh  befand«  Auch  hier 
hat  die  Harmonistik  auf  beiden  Seiten  ihre  Kffnste  ve^ 
sucht«  MntthSus  sollte  Eur  Uebereinstimraung  mit  Johan- 
nes gebracht  werden  durch  die  Observation ,  AbU  eine 
Handschrift  seines  Evangeliums  das  eu  ^rjmi^  geietite 
avis  weglasse,  eine  alte  Uebersetsung  aber  statt  o  tfsai^- 
fiT^aev  —  0  ?;v  laXarofdJjjittvov  gelesen  habe  **) :  als  ob  niebt 
diese  Aenderangen  wahrscheinlich  selbst  schon  dem  ba^ 
monistischen  Bestreben  ihr  Dasein  eu  verdanken  hütten. 
Daher  hat  man ,  auf  die  andere  Seite  sich  wendend ,  be 
merkt,  die  johanneischen  Worte  schliefsen  gar  nicht  aui, 
dafs  nicht  Joseph  könnte  der  Elgenthfimer  der  Gruft  ge* 
wesen  sein,  da  ja  beide  Gründe,  die  N&he,  und  daf«  d^ 
Grab  dem  Joseph  gehörte,  Eusammengewirkt  haben  kön- 
nen ^^).  Vielmehr  aber  schliefst  die  Nfihe,  wenn  sie  alt 
Beweggrund  herausgehoben  wird,  das  Eigentbums?erbiit* 
nifs  aus:  ein  Haus,  in  welches  ich  bei  bei  einfallendea 
Regen  der  Nähe  wegen  trete,  ist  nicht  mein  eigenes;  ich 
müfste  denn  BesitEcr  mehrerer  Hfinser,  eines  nahen  onii 
eines  entfernteren,  sein,  von  welchen  das  letEtere  meine 
eigentliche  Wohnung  wfire:  und  ebenso  ein  Grab,  in  wel- 
ches einer  einen  Verwandten   oder  Freund,  der  für  ach 


14)  MicuABtia,  a.  a.  O.,  S.  45  ff. 

15)'Rüixbt,  in  Matth.  p.  786;    HaS«,  $.  145;    TaotüCM,  Comm  , 
S.  320. 


Viertel  Kapitel«    $.  13S.  011 

kein  tirabmal  bat,  der  Nähe  wegen  legt,  kann  nicht  aeln 
eigene«  sein,  er  mOfate  denn  mehrere  Gräber  besitsen,  und 
den  Todten  bei  besserer  Mufse  in  ein  anderes  bringen 
wollen;  was  aber  in  unserm  Falle,  da  das*  nahe  Grab  darch 
«eine  Neuheit  sur  Beisetsang  Jesa  in  demselben  vor  allen 
andern  siob  eignete,  nicht  wohl  denkbar  ist.  Bleibt  so 
auch  hier  der  Widersprach ,  so  scheint  im  Innern  beider 
entgegengesetsten  Angaben  kein  Grand  £ar  Entsobeidung 
für  die  eine  oder  andere  bu  liegen  ^0« 

|.    134. 

Die  Wache  am  Grabe  Jesu. 

Am  folgenden  Tag,  als  an  Sabbat  ^),  sollen  nnn  nach 
Matthäns  (27,  62  K)  die  Hohenpriester  ond  Pharisäer  bei 
Pllatoa  BQsammengekommen  sein,  ond  ihn,  mit  Rücksicht 
auf  die  Voranssage  Jesa,  er  werde  nach  dreien  Tagen  auf« 
erstehen,  gebeten  haben,  eine  Wache  an  sein  Grab  sa 
stellen,  damit  nicht  seine  Anhänger  von  der  durch  jene 
Voranssage  erregten  Erwartung  Gelegenheit  nähmen,  sei- 
nen Leichnam  eo  stehlen,  und  ihn  sofort  für  auferstanden 
auszugeben.  Pilatus  gewährt  ihre  Bitte,  und  so  gehen  sie 
hin ,  versiegeln  den  Stein ,   ond  stellen  die  Wache  vor  das 


16)  Aus  einer  Verwechslung  det  dem  Richtplatze  benachbarten 
xr7io;j  WO  Jesus,  nach  Johannes,  begraben  wurde,  und  det 
Gartens  Gethsemane ,  wo  er  gefangen  worden  war ,  scheint 
die  Angabe  des  evang.  Nicodemi  geflossen  zu  sein,  Jesus  sei 
gelireuzigt  worden  iv  rw  r/;7TM,  onm  tTiiao&tj,  C.  9.  p.  580.  bei 
Thilo. 
1)  J5  iTTavotoTi  ijrtf  egi  fttra  rrpf  na^axtv^y  ist  freilich  eine  son- 
derbare Umschreibung  des  Sabbats,  da  es  eine  Verkehrung 
ist,  einen  feierlichen  Tag  als  den  Tag  nach  dem  Vortage  zu 
bezeichnen:  doch  muss  man  bei  dieser  Deutung  bleiben,  so 
lange  man  derselben  nicht  auf  natürlichere  Weise,  als 
ScHKBCKii^BUR&sK  In  Seiner  Chronologie  der  Leidenswoche, 
Beiträge  S*  3  ff»>  auszuweichen  weiss» 


01)  Dritter  Abschnitt. 

Grab.  Als  nnn  CAleh  mafs  hier  anticipirt  werden)  dit 
Auferstehung  Jesu  erfolgte ,  setzte  die  mit  derselben  Te^ 
bondene  fingelerscheinnng  die  Wftchter  so  in  Fureht,  dsb 
sie  cigti  vex(foi  wurden,  übrigens  doch  sofort  in  die  Sudt 
eilten,  und  den  Hohenpriestern  die  Anseige  von  dem  Vor 
fall  machten«  Diese ,  nachdem  sie  sich  in  einer  Fersann- 
lung  darttlMr  berathen ,  bestachen  die  Soldaten  ,  dafs  na 
vorgeben  sollten ^  die  Jttnger  haben  bei  Nacht  den  Leieb- 
nam  gestohlen;  woher  sich,  wie  der  Referent  hineusetti, 
dieses  G  erficht  Ter  breitete,    und  bis  auf  seine  Zeit  erhielt 

(2S,  4.  11  ff.)- 

Bei  dieser,  dem  ersten  Evangelium  eigenthtimlichn 
ErnShIung  hat  man  allerlei  Bedenken  gefunden,  weicht 
der  W  olfenbOttier  Fragmentist  und  nach  ihm  Paulus  an 
scharfsinnigsten  in*s  Licht  gestellt  haben  0-  ^1«  Schwi^ 
rigkeiten  liegen  suFörderst  darin,  dafs  weder  die  erf«^ 
derlichen  Bedingungen  dieses  Vorgangs,  noch  seine  ned- 
wendigen  Folgen  in  der  fibrigen  N.  T.  liehen  GeecbiekiB 
gegeben  sind.  In  ersterer  Hinsicht  ist  es  nicht  bh  iiegrei- 
fen ,  wie  die  8ynedristen  sn  der  Motiz  kommen  konnte^ 
dafs  drei  Tage  nach  seinem  Tode  Jesus  wieder  io  das  Le- 
ben surtfck kehren  solle :  da  selbst  bei  seinen  Jflngern  roi 
einer  solchen  Kunde  keine  Spur  sich  findet.  Sie  sagea: 
i/nv/^oO-i^fitv  ofii  ixHVOQi  6  uldi'og  tlnev  iii  ^aiv  x,  r.  i.  Soll 
diefs  heilsen,  sie  erinnern  sich,  ihn  selber  daron  redes 
gehört  EU  haben:  so  sprach  laut  der  evangelischen  Macb- 
richten  Jesus  seinen  Feinden  gegenüber  nie  bestimmt  roa 
seiner  Auferstehung;  die  bildlichen  Reden  aber,  welcfie 
seinen  vertrauten  Schülern  nnverstfindlich  blieben,  kooa- 
ten  die  an  seine  Denk-  und  AusHrucksweise  weniger  ge- 
wöhnten jüdischen  Hicrarchen  gewifs  noch  weniger  rer- 
stehen.     Wollen  aber  die  Synedristen  blofs  sagen ,  sie  htf 


uy  Ersterer  a.  a.  O.  S.  437  ff. ;   letzterer  im  exeg.  Handhack  S. 
h,  S.  637  ff.    Vgl.  KAiftsm,  bibl.  Thvol.  J,  S.  253. 


viertes  KapiteL    $.  134.  6n 

ben  Ton  Andern  gehört,  dafs  Jesaa  jene«  Vertpreehen  ge- 
geben  habe:  00  könnte  diese  Nachrieht  nur  von  den  Jöu« 
gern  ausgegangen  sein ;  aber  diese,  weiche  weder  vor  noch 
nach  dem  Tode  Jesu  eine  Ahnung  von  bevorstehender 
Wiederbelebung  hatten ,  l&onnten  auch  in  Andern  diese 
Vorstellung  nicht  erregen  —  abgesehen  davon,  dafs  wir 
die  Jesu  geliehenen  VorherverlLÖndignngen  seiner  Aufer- 
itebong  s&mmtlich  als  unhistorisch  haben  von  der  Hand 
weilen  mOssen.  Wie  aber  bei  den  Feinden  Jesu  diese 
Kenntnifs :  so  ist  'bei  seinen  Freunden ,  den  Aposteln  und 
fibrigen  Evangelisten  aufser  Matthäus,  ihr  Schweigen  von 
einem  ihrer  Sache  so  günstigen  Umstände  nicht  zu  begrei* 
fpn.  Zwar  das  ist  au  modern,  was  der  Wolfenbüttler  den 
jQngern  anmuthet,  sie  hätten  sieb  darüber,  dafs  eine  Be* 
WRchong  des  Grabes  angeordnet  worden,  alsbald  Brief  und 
Siegel  von  Pilatus  erbitten  müssen:  doch  so  viel  bleibt, 
dafs  es  aufifallen  roufs,  in  der  apostolischen  Verkfindigung 
nirgends  eine  Berufung  auf  eine  so  schlagende  Thatsache 
so  finden,  und  auch  in  den  Evangelien,  aufser  dem  ersten, 
jede  Spur  davon  su  vermissen.  Man  hat  diefs  Stillschwei- 
gen daraus  zu  erklären  versucht,  dafs  ja  durch  die  Beste* 
chang  der  Wache  von  Seiten  des  Synedrioms  die  Berufung 
auf  sie  eine  fruchtlose  geworden  sei  ^) :  allein  um  solcher 
offenbaren  Lüge  willen  gibt  man  die  Wahrheit  nicht  so* 
gleich  aaf  9  -und  Jedenfalls  in  der  Verantwortung  der  An« 
hänger  Jesu  vor  dem  Synedrium  mnfste  die  Erwähnung 
jener  Thatsache  eine  schlagende  Waffe  sein»  Halb  verlo* 
ven  gibt  man  schon,  wenn  man  sich  nur  dahin  surilok» 
sieht,  die  Jünger  haben  wohl  von  dem  wahren  Hergange 
nicht  sogleich,  sondern  erst  spät,  als  die  Wächter  anfingen, 
demselben  aussnschwatsen ,  Kenntnifs  hekommen  ^)*    Uenn 


3)  MiCMABuSf  Begräbnits  -  und  Auferstebungsgeschichtc,  S.  206t 

OLtHAVSSN,  2,  S.  506. 

4)  MtciiABtin,  a.  4.  O, 


C14  Dritter  Abschnitt» 

brachten  die  Wfichter  im  Augenblick  auch  blobda8M8h^ 
chen  von  deni  Diebstahl  vor,  und  gaben  also  zu,  dafs  sie 
bei*ni  Grabe  aufgestellt  gewesen :  so  konnten  die  Anhänger 
Jesu  sich  den  wahren  Thatbestand  schon  construiren,  vaA 
sich  dreist  auf  die  Wächter  berufen  9  welche  von  etwu 
ganz  Anderem ,  als  einem  Leichendiebstabl ,  mOCsten  Zei- 
gen gewesen  sein.  Doch  damit  man  nicht  etwa  die  Un« 
gültlgkeit  des  Arguments  aus  der  blofs  negativen  Tbit- 
Sache  des  Stillschweigens  anrufe,  so  wird  von  einem  Tbell 
der  Anhängerschaft  Jesu,  nämlich  von  den  Frauen,  etwas 
positiv  erzählt,  was  sich*^mit  der  Wache  am  Grabe  nicht 
verträgt.  Nicht  blofs  wollen  nämlich  die  Frauen,  welche 
am  Morgen  nach  dem  Sabbat  zum  Grabe  gingen,  die  Sal« 
buDg  vollenden,  was  sie  nicht  hoffen  konnten,  than  m 
dürfen,  wenn  sie  wnfsten,  dafs  eine  Wache  vor  das  Gnb 
gestellt ,  .und  dieses  noch  dazu  versiegelt  war  ^) :  sondern 
nach  Markus  besteht  ihre  ganze  Bedenklichkeit  wfihreo' 
des  Hinausgehens  darin,  wer  ihnen  wohl  den  Stein  tob 
Grabe  wälzen  werde?  zum  deutlichen  Beweise,  dafs  sie 
von  den  Wächtern  nichts  wufsten,  welche  entweder  eioen 
auch  noch  so  leichten  Stein  wegzunehmen  ihnen  nicht  ge- 
stattet, oder,  wenn  diefs,  dann  wohl  auch  den  schwereren 
ihnen  hOlfreich  weggewälzt ,  in  jedem  Fall  also  die  Be- 
denklichkeit wegen  der  Schwere  des  Steins  überflüssig  ge- 
macht haben  würden.  Dafs  aber  die  Aufstellong  der 
Wache  den  Weibern  sollte  unbekannt  geblieben  seis, 
ist  bei  dem  Aufsehen ,  welches  alles  das  Ende  Jesu  Be- 
treffende in  Jerusalem  machte  Cl^nc.  24,  18.)}  ^^^^  ^'' 
wahrscheinlich. 

Doch  auch  innerhalb  der  Erzählung  ist  Alles  voll  roi 
Schwierigkeiten,    indem  nach  dem  Ausdrucke  von  Paulos 


5)  Den  letzteren  Funkt  übersieht  Olshausbn  ,  wenn  er  a.  «-  ^• 
sagt,  die  Wache  habe  ja  nicht  den  Befehl  gehabt,  die  vail- 
standige  Bestattung  Jesu  zu  hindern. 


Viertes  Kapitel.     $.  134.  615 

keine  eincige  der  in  derselben  aoftretenden  Personen  Ibreoi 
Chürakter  gemfifs    handelt.     Schon    dufs  Pilatus   den  jttdi« 
sehen  Obern  ihr  Gesoch  um  eine  Wache ^   loh   will  nicht 
ssgen,  ohne  Weigerung,  aber  so  gana  ohne  Spott,  gewährt 
haben  soll,  mufs  naeh  seinem   bisherigen  Benehmen  gegen 
sie  auffallen  ^) ;  obwohl  diefs  toIi  Matthäus  in  seiner  sum- 
marische o  Darstellung  auch  nur   übergangen   sein    könnte. 
Befremdender  ist,  dafs  die  Wächter  zu  der  i>ei  der  Strenge 
römischer  Kriegszucht  sehr  gefährlichen  Lüge,  sie   haben 
ihren  Dienst  durch  Schlafen  versäumt,  sich  so  leicht  her- 
gaben; svmal  sie  bei  dem  gespannten  Verhältnifs  desSyn- 
edrinms  unm  Procnraior  nicht   wissen    konnten,   wie  Fiel 
ihnen  die  Fon  dem  ersteren    zugesagte  Vermittlung  niltzeo 
wörde.     Am    undenkbarsten  aber  ist   das   angebliche   Be- 
nehmen der  Synedristen«    Zwar  die  Schwierigkeit,  welche 
darin  liegt,    dafs   sie  am  Sabbat  zu  dem  heidoischen  Pro- 
curator  gingen,  sich   am  Grabe  verunreinigten,    und  eine 
Wache  aasrflcken  liefsen,    hat  der  WolfenbOttler   auf  die 
Spitze  gestellt;  aber  ihr  Benehmen,  als  die  voiti  Grab  zu- 
räckgekehrte  Wache  die  Auferstehung  Jesu   meldete,   ist 
in  der  That  ein   unmögliches.     Sie  glauben    der  Aussage 
der  SoldHten,    dafs  Jesus  auf  wundervolle  Weise  aus  sei- 
nem Grabe  auferstanden  sei.     Wie   konnte   diefs  der  hohe 
Rsth,    der  eines   guten    Theiis   ans  Sadducäern    bestand, 
glaublich  finden?  Nicht  einmal  die  Pharisäer  in  demselben, 
welche  m  tkesi  die  Möglichkeit  der  Auferstehung  behanp^ 
teten,  konnten  bei  der  geringen  Meinung,  die  sie  von  Jesu 
hatten,  an  die  seinige  zu  glauben  geneigt  sein;  zumal  die 
Aussage  im  Munde   der  weggelaufenen  Wächter  ganz  wie 
eine    zur  Entschuldigung    eines    Dienstfehlevs    ersonnene 


6)  Olshausbn  freilich  ist  es  auch  hier  noch  immer  so  schauer, 
lieh  XU  Muthe,  dsss  er  den  Pilatus  bei  dieser  Mittheiliing 
der  Synedristen  von  unbeschreiblichen  Gefühlsji  durchschau* 
trt  werden  I'ässt ,    S.  505- 


616  i)ritl;ei*  Abickiiitt. 

LOge  lautete.  Statt  dafs  somit  die  wirlilieben  Synedriitea 
bei  einer  solchen  Aassage  der  Soldaten  erbittert  gesagt  In* 
ben  würden:  ihr  lögt!  ihr  habt  geschlafen  and  ihn  stehlen 
lassen ;  aber  das  werdet  ihr  tbeuer  beaablen  müssen,  weni 
es  erst  vom  Procarator  antersucht  werden  wird  —  stiU 
dessen  bitten  sie  dieselben  noch  schön :  lügt  doch,  ihr  habet 
geschlafen  und  ihn  stehlen  lassen;  besahlen  sie  fiberdteb 
theaer  ffir  diese  Lüge,  und  versprechen,  sie  bei'm  Prooi- 
rator  so  entschuldigen.  Man  sieht,  diefs  ist  gans  ans  der 
christlichen  Vorausseteung  von  der  Realltfit  der  Aofenti- 
hung  Jesu  gesprochen ,  eine  Voranssetenng ,  welche  aber 
gafiz  mit  Unrecht  auf  die  Mitglieder  des  Synedriaras  fibe^ 
getragen  wird.  Auch  darin  liegt  eine,  nicht  bloGi  ?oa 
Fragmentisten  anfgesnohte,  sondern  selbst  von  orthodoxei 
Auslegern^)  anerkannte  Schwierigkeit,  dafs  dasSynedrini 
in  einer  ordentlichen  Versammlung  und  nach  fÖrfflÜGher 
Berathung  sich  entschlossen  haben  soll,  die  Soldaten  h 
bestechen,  und  ihnen  eine  LOge  in  den  Mond  au  gebea. 
Dafs  auf  diese  Weise  ein  Colleginm  von  70  Mfinnern  eil 
Falsnm  20  begehen  amtlich  beschlossen  iyiben  sollte,  ist} 
wie  Olshausem  richtig  sagt ,  so  sehr  gegen  das  Deeoroa, 
das  natttrlicha^AnstandsgefOhl,  einer  solchen  Verssmoiinnf* 
Die  Auskunft,  er  sei  eine  blofse  Privatversamralnng  gewe> 
aen,  da  ja  nur  von  den  aQxifQdg  und  nQ€üßvre(HHj  nicbc 
auch  von  den  yQajuiuareig  gesagt  sei ,-  sie  haben  die  Soldt* 
ten  EU  bestechen  den  Beschlois  gefabt  *),  liefe  auf  dai 
Wonderliche  binaos,  dafs  liei  dieser  Zosamnenkonft  die 
yOCftfÄcezsTg  y  bei  dem  kurs  vorher  io  derselben  Angeleget- 
heit  gemachten  Gange  snm  Ptrocurator  aber,  wo  die 
Scliriftgelehrten  durch  die  ihre  Mehrheit  bildenden  Pbi- 
risSer  vertreten  sind  y  die  TCQeaßvteQOi  gefehlt  haben  nitfi" 
ten:   woraus  aber  vielmehr  erbcUt,  dals  dtiß  Synedrisa, 


7)    OL8H4U8BNy   S.    $06. 

$)  MicMAStiS;  a«  a.  0.  S.  198  f* 


Viertel  Kapitel.    $.  IM.  Ö17 

weil,  es  Jedesmal  dorob  irollttfindige  Aafsfthliing  eeioer 
BesUndtheile  sv  beaeiehneo,  oobeqaea  war,  nicht  selten 
durch  Erwftbnong  nar  einiger  oder  Eines  Fon  denselben 
angeseigt  wurde.  Bleibt  es  somit  dabei,  daCs  nach  Mat- 
thSns  4«r  hohe  Rath  in  formlicher  Sitsong  die  Beste» 
chnng  der  Wfiehter  beschlossen  haben  mttfste:  so  konnte 
sine  solche  NiedertrfiohtigiLeit  doch  wolil  nur  die  Erbitte» 
rung  der  ersten  Christen,  unter  denen  unsre  Anekdote 
eirttUnden  ist,  dem  Collegium  als  solchem  antrauen. 

Diese  SchwierigiLeiten  der  vorliegenden  Erafihlung  des 
ersten  Evangeliums  hat  man  schon  so  drfickend  gefunden, 
dafs  man  sie  durch  die  Annahme  einer  Interpolation  an 
entfernen  suchte  ') ;  was  neuerlich  dahin  gemildert  worden 
ist,  dafs  die  Anekdote  awar  nicht  vom  Apostel  MatthSua 
selbst,  doch  auch  nicht  von  einer  unserem  Evangelium 
sonst  fremden  Hand  herrtthren ,  sondern  von  dem  griechi- 
schen Oebersetaer  des  hebrfiischen  Matthfius  eingeschoben 
sein  sollte  ^^.  Gegen  das  Erstere  ist  der  Mangel  Jeder 
kritischen  Begründung  entscheidend ;  die  Berufung  der  an- 
dern Ansicht  auf  den  unapostolischen  Charakter  der  Anek- 
dote würde  eine  Ausscheidung  derselben  aus  demContexte 
der  übrigen  Eraählung  nur  dann  begründen,  wenn  der 
spestolbche  Ursprung  des  Uebrigen  schon  bewiesen  wftre; 
Mangel  an  Zusammenhang  mit  dem  Uebrigen  aber  findet 
so  wenig  statt,  dafs  vielmehr  Padlds  Recht  hat  mit  der 
Bemerkung,  ein  Interpolator  (oder  einschiebender  Ueber- 
setaer)  würde  sich  schwerlich  die  Mühe  gegeben  haben, 
sein  Einschiebsel  an  drei  Orte  (27,  62  66.  28,  4.  11-15.) 
so  vertheilen,  sondern  er  hätte  es  an  Einer,  höchstens 
awei  Stellen  nnsammengedrängt.    Auch  so  leichten  Kaufs 


9)  SraoTH,  in  Eicuhohm^s  Repertoriiim,  9^  S.  141. 
10)  KcRw ,    über   den  Ursprung  des  £▼.  Mattb.    TUb.  Zeitschrift 

1834,  2,  S.  100  f.  vgl.  123.    Vergl.  meine  Recens.,  Jahrbüchfr 

f.  Witt.  Hrtlili,  Nov.  1854,  am  Schluii«. 


618  Uritter  Abtfhniit. 

lifst  alch  die  Sache  nicht  abmachen,  wie  OLaBAUSin  will, 
dafs  nämlich  die  ganse  Erzühlung  apostolisch  und  in 
Uebrigen  richtig  sein  soll,  nur  darin  habe  der  Evangelist 
geirrt,  dafs  er  die  Bestechung  im  vollen  Ratbe  beschloiiei 
werden  lasse,  da  die  Sache  wahrscheinlich  von  Kaiphai 
allein  nnter  der  Hand  abgemacht  worden  sei :  als  ob  dieie 
Rathsversammlong  die  einzige  Schwierigkeit  derErafibloDg 
w&re,  und  als  ob,  wenn  in  Beaug  auf  sie,  dann  nicht  auch 
in  andern  Beaiebongen  Irrthilmer  sich  eingesohlicheo  b«- 
ben  könnten  ^0* 

Mit  Recht  macht  Paulus  darauf  aufmerksam,  wie 
Matthäus  selbst  durch  seine  Notis :  xcu  öuifTjfiiad'tj  6  iJr/<ii 
Stos  TtaQa  ^ladaloig  fti^Q^  ^'J^*  ai^fieQOP,  auf  ein  verlfianuie» 
risches  jüdisches  Gerächt  als  die  ttnelle  seiner  Ercflblong 
hinweise.  Wenn  nun  aber  Paulus  der  Meinung  ist,  die 
Juden  selbst  haben  ausgesprengt,  sie  hätten  eine  Wsebe 
an  Jesu  Grab  gestellt,  diese  aber  seinen  Leichnam  stehlea 
lassen :  so  ist  diefs  ebenso  verkehrt ,  wie  wenn  Hase  ftf- 
mnthety  das  beaelchnete  Gerächt  sei  zuerst  von  den  Freoa- 
den  Jesu  ausgegangen,  und  hernach  von  seinen  Feindes 
modificirt  worden.  Denn  was  die  erstere  Annahme  b^ 
trifft,  so  hat  schon  Kuinöl  richtig  darauf  hingewiesen,  dtb 
Matthäus  blofs  die  Aussage  vom  Leichendiebstahl,  ntcbt 
die  ganee  Erzählung  von  Aufutellong  einer  Wache,  «b 
jttdisches  Gerächt  bezeichne;  auch  läfst  sich  kein  Grao^ 
denken,  warum  die  Juden  sollten  ausgesprengt  habeo,  ei 
sei  am  Grabe  Jesu  eine  Wache  aufgestellt  gewesen.  Wens 
Paulus  sagt,  man  habe  dadurch  die  Behauptung,  der  Leib 
Jesu  sei  von  seinen  Jängern  gestohlen  worden,  den  Leicbt- 
gläiibigen  um  so  glaublicher  machen  wollen:  so  mäfstes 
das  allerdings  sehr  Leichtgläubige  gewesen  sein,  die  nicht 
b^'merkt  härten,  dafs  eben  durch  die  aufgestellte  Wache 
die  Entfernung  des  Leichnams  Jesu   mittelst  eines  OiA' 


11)  Ha»«,  L.  J.  §.  145. 


Viertes  Kapitel.    $.  134.  619 

•tAlib  unwahrscheinlich  werde.  Paulus  scheint  sich  die 
Sache  etwa  so  vorzastellen :  die  Joden  haben  für  die  Ba» 
hauptang  eines  Diebstahls  gleichsam  Zeugen  stellen  ge* 
wollt,  und  liieao  die  aufgestellten  Wächter  fingirt.  Aber 
dsftf  die  Wächter  mit  offenen  Augen  ruhig  sogesehen  hät- 
ten, wie  die  Anhänger  Jesu  dessen  Leichnam  wegnahmen, 
konnte  doch  den  Joden  Niemand  glauben;  sahen  sie  aber 
nichts  davon,  weil  sie  schliefen,  so  gaben  sie  auch  keine 
Zeogen  ab,  indem  sie  dann  nur  durch  einen  Schlafs  zu 
dem  Resultat  kommen  konnten ,  der  Leichnam  möge  ge- 
stohlen worden  sein:  das  aber  konnte  man  ohne  sie  eben- 
sogut. Keineswegs  also  kann  die  Wache  schon  sum  JA- 
diächen  Grundstock  der  vorliegenden  Sage  gehört  haben, 
sondern  das  unter  den  Juden  verbreitete  Gerücht  bestand, 
wie  auch  der  Text  sagt,  nur  darin,  dafs  die  Jünger  den 
Leichnam  gestohlen  haben  sollten.  Indem  die  Christen 
diese  Verläumdung  au  widerlegen  wünschten,  bildete  sich 
onter  ihnen  die  Sage  von  einer  am  Grabe  Jesu  aufgestell- 
ten Wache,  und  onn  konnten  sie  Jener  Verläumdung  dreist 
durch  die  Frage  entgegentreten:  wie  kann  der  Leichnam 
entwendet  worden  sein ,  da  ihr  Ja  eine  Wache  am  Grab 
aufgestellt,  und  den  Stein  versiegelt  hattet?  und  weil,  wie 
wir  im  Verlauf  der  Untersuchung  es  selbst  erprobt  haben, 
einer  Sage  erst  dann  ihre  Grundlosigkeit  völlig  nachge- 
wiesen ist,  wenn  es  gelingt,  su  zeigen,  wie  sie  auch  ohne 
historischen  Grund  sich  bilden  konnte:  so  versuchte  man 
von  christlicher  Seite,  neben  der  Aufstellung  des  vermeint- 
lich wahren  Thatbestandes ,  Eugleich  die  Genesis  der  fal- 
schen Sage  nachsuweisen ,  indem  man  die  verbreitete  jü- 
dische Lüge  aus  einer  Anstiftung  des  Synedriums  und  sei- 
ner mit  der  Wache  vorgenommenen  Bestechung  herleitete. 
Gerade  das  Umgekehrte  von  dem  ist  also  wahr,  was  Base 
sagt,  die  Sage  sei  wohl  unter  den  Freunden  Jesu  entstan- 
den, und  von  seinen  Feinden  modificirt  worden:  die 
Freunde  hatten  nur  dann  erst  Veranlassung ,    eine  Wache 


6*i0  Urittdr  Absobnitt. 

ma  erdiohteo,  wenn  die  Feinde  vorher  ron  ebiettDiehiuU 
gesprooben  hatten  ^^« 

S.    133. 
Erste  Kunde  der  Auferstehung. 

Oafs  die  erste  Kunde  von  dem  eröffneten  und  leerai 
Grabe  Jesu  am  Eweiten  Morgen  nach  «einem  Begribnili 
dnreh  Frauenmund  an  die  Jflnger  gekommen,  darin  stim- 
men die  vier  Evangelisten  ilberein :  aber  in  allen  nihens 
Umstanden  weichen  sie  auf  eine  Weise  von  einander  sk, 
welche  der  Polemik  eines  WolfenbfittlerFragmentisten  des 
reichsten  Stoff  geboten,  und  dagegen  den  Uarmonisteo  nnd 
Apologeten  vollauf  zu  thun  gegeben  hat,  ohne,  dsfs  bü 
jetat  eine  befriedigende  Vermittlung  zwischen  beiden  Ps^ 
teien  an  Stande  gekommen  wftre  ^). 

Sehen  wir  von  der  an  die  Abweichungen  der  Begrfib- 
nifsgeschichte  sich  anschliefsenden  Differena  in  Angabe 
des  Zweckes  ab,  welchen  die  Frauen  bei  ihrem  Gang  us 
Grabe  hatten ,  indem  sie  nach  den  beiden  mittleren  Em* 
gellsten  eine  Salbung  mit  dem  Leichnam  Jesu  vorEonehnei 
gedachten ,  nach  den  beiden  andern  nur  einen  Besuch  aa 
Grabe  machen  wollten ,  —  so  findet  uuerst  in  Besag  aaf 
die  Zahl  der  Frauen,  welche  diesen  Gang  machen,  dii 
mannicbfachste  Abweichung  statt.  Nach  Lukas  sind  h 
unbestimmt  viele,  nämlich  nicht  allein  diejenigen,  welcbi 
er  23,  55.  als  awekr^kvdviai  tqt  i  ex  %jjg  rakdaiag  b^ 
selchnet,  und  von  welchen  er  24,  10.  Maria  Magdsleoi, 
Johanna  und  Maria  Jakobi  namhaft  macht,  sondern  anck 
no4^h  Tivig  ovv  amdtg  (jLAy  l.)«  Bei  Markus  sind  es  blofi 
drei  Frauen,  nimlich  swei  von  denen,  die  auch  Lukas 
nennt,  die  dritte  aber,  statt  der  Johanna,  Salome  (16,  1> 


12)  Vgl.  Thiils,   zur  Biographie  Jesu,  §.  37. ;  Weisse,  die  eraa{. 

Gesch.  2,  S.  343  f. 
J)  Vgl.  TaaiLi,  «.  «.  0, 


Viertes  Kapitel.    %.  lU.  621 

JHatthfioa  hat  diese  dritte ,  fibei*  welehe  die  Bwel  oiittlereii 
Evangelisten  difiFeriren,  gar  nicht,  sondern  bloCs  die  beiden 
Marien,  Aber  welche  sie  einig  sind  (S8,  !.)•  Johannes 
endlich  hat  nnr  die  Eine  von  diesen,  die  Magdaleneri» 
(20,  10-  —  Ole  Zeit,  in  weleher  die  Fraaen  Bon  Grftlie 
gehen,  wird  gleichfalls  nieht  ganz  gleicbförniig  bestimat; 
denn  wenn  anch  des  Mattbfins  oipe  uaßßaviüWy  %fj  in^^püHf- 
xödrj  €ig  filav  aaßßarwv  keftie  DifiFerena  macht  *>  ^  so  ist 
doch  der  Znsata  des  Markos:  tnartlhxnos  tä  ijUa  mit 
dem  Johanneischen  axaiiat;  tu  sar^  und  dem  oq&qö  ßa&loi; 
des  Lukas  im  Widerspruche.  —  Heber  den  Znstand,  in 
welchem  die  Frauen  aoerst  das  Grab  erblickten,  kann  we- 
nigstens zwischen  Matth&os  und  den  drei  übrigen  eine 
Abweichung  stattanfinden  seheinen,  flach  diesen  seheu 
sie,  wie  sie  niher  kommen  und  nach  dem  Grabe  hin- 
blicken,  den  Stein  bereits  dnrch  nnbekannte  Hand  von 
demselben  abgewSlct:  wogegen  die  Emfthlnng  des  ersten 
Evangelisten  Manchen  so  au  lauten  geschienen  hat,  als 
hfltten  die  Weiber  selbst  noch  dieAbwXlzong  durch  einen 
Engel  mitangesehen.  —  Manchfaltiger  werden  die  Abwet- 
chongen  in  Bezug  auf  dasjenige ,  was  idie  Frauen  welter 
am  Grabe  sahen  und  erfuhren.  Mach  Lukas  gehen  si« 
in  das  Grab  hinein,  finden  den  Leib  Jesu  nicht,  und 
indem  sie  hieröber  betroffen  sind,  stehen  zwei  MSnner  in 
strahlenden  Gewindern  bei  ihnen,  weiche  ihnen  seine  Auf- 
erstehung verkOndigen.  Bei  Markos,  der  sie  gleichfalls 
in  die  Gruft  hineingehen  lifst,  sehen  sie  nur  Einen  Jfing* 
iing  in  weifsem  'Kleide  auf  der  rechten  Seite  nicht  stehen, 
sondern  sitzen,  der  ihnen  dieselbe  Kunde  ertheilt.  Bei 
Matthfius  bekommen  sie  diese  Nachricht  ehe  sie  in  das 
Grab  hineingehen  von  dem  Engel,  der  nach  Abwfilznng 
des  Steins  sich  auf  denselben  gesetzt  hatte.    Nach  Johan- 


2)  Vgl.  Fritzschb  ,  I.  ^.  St. ,  und  Kkrk,  Tüb.  Zeitscbr.  1854,  2, 
S.  102  f. 


LtiK^ 


^^  Dritter  Abiehnitt« 

net  endlidi  Iftuft  Maria  Magdnieoa,   sobald  aie  den  Stein 
abgenommen  siebt,  ohne  eine.  Eogelersoheinung  gehabt  n 
liaben ,  in  die  Stadt  surttolu  —   Aoeb  das  VerbSltnift,  in 
welcbes  die  Jünger  Jesn   su  der  ersten  Kande  von  seioer 
Anferstebung  gesetst  werden ,    ist    in   den   verschiedenen 
Evangelien   ein  verschiedenes*     Naeh   Markos    sagen  dii 
Frauen  aus  Furcht  Niemand  etwas  von    der  gebabtea  En- 
geierscbeinnng ;    nach   Johannes    weifs   Maria    Magdaieni 
dem  Johannes  und  Petrus,  eu  welchen  sie  vom  Grabe  hin- 
weg eilt,    nichts  su    sagen,  als  dafs  Jesus  daraus  wegge- 
nommen sei ;    nach  Lukas   berichten   die  Frauen  den  Jün- 
gern ttberhaopt,  nicht  blofs  zweien  derselben,  die  gehabte 
Erscheinung ;  nach  Matthftus  aber  kam  ihnen ,    wie  sie  lo 
den  Jüngerp  eilen  wollten,  Jesus  selbst  noch  in  den  Weg, 
und  sie  konnten  auch  diefs  schon  den  Jttngern  mittheilec. 
Dafs  einer  von  diesen  auf  die  JNaohricht  der  Frauen  selbst 
com  Grabe  gegangen  wllre ,   davon  sagen   die  swei  entei 
Evangelien  nichts;    nach  Lukas  ging  Petrus  hinaus,  hni 
es  leer,  und  kehrte  verwundert  wieder  um ,  and  ans  Luc. 
24,  24.  ist  EU  ersehen,  dafs  noch  andere  Jflnger  aurser  iba 
in  ähnlicher  Weise  dahin  gegangen  waren;  nach  de■l^e^ 
ten  Evangelium  war  Petrus  von  Johannes  begleitet,  wel- 
cher sich  hiebei   von   der  Auferstehung  Jesu   Qberceogte. 
Diesen  Gang  machte  dem  Lukas  sufolge  Petrus,  nschdea 
er  bereits  durch  die.  Weiber  von  der  Engelerscheinong  be 
nachrichtigt  war;  laut  des  vierten  Evangeliums  aber  fingen 
die  beiden  Jünger  t&nm  Grabe,   ehe   ihnen  Maria  Migd«- 
lena  von  einer  solchen  hatte  sagen  können ;  dann  erst,  nU 
diese  mit  denselben  Beiden  den  aweiten  Gang  Eom  Grube 
gemacht  hatte,  und  die  Apostel  wieder  umgekehrt  w«ref>, 
sah  sie  nach  dem    vierten  Evangelium,    sich  in  das  Gr»b- 
mal  bückend ,  awei  Engel  in  weifsen  Kleidern  ,    oben  und 
unten  an  der  Stelle,  wo  Jesus  gelegen  hatte,  siteen,w4 
che  sie  fragten,    warum   sie   weine?   und  als  »le  sich  um- 
wendete,  erblickte  sie  gar  Jesum  selbst,  wovon  sacfa  bei 


Viertes  Kapitel.     %.  135.  ffiU 

MarliiM,  V.  0.,  eine  abgerissene  Notts  sich  findet,  mit  dem 
Beisatce ,  dafs  sie  diese  Naobricht  .seiAeli  ehemaligen  Be- 
gleitern gebraelit  habe. 

Die  meidten  von  diesen  Eoantiopbonlen  glaubte  man 
soch  hier  durch  Anteinanderhahnng  des  verschieden  Lau« 
tendf n  su  lösen ,  indem  man  statt  Einer  manchfaltig  dar« 
gestellten,  eine  Manchfaltigkeit  verschie.dener  Seenen  her- 
ausbrachte;  wosu*  dann  noch  die  gewöhnlichen  gramraati- 
•cben  u.  a.-  Kunststficke  der  Harmonistik  kamen.  Damit 
Markus  dem  ancriag  eri  hot^  bei  Johannes  nicht  wider- 
sprfiche,  entblödete  man  sich  nicht,  sein  uj'ccraii^rvros  tjj 
fjkia  durch  orituro  sole  an  ttbersetaen  ^};  eher  ginge  es 
noch  an,  den  Widerspruch  uwischen  Hatth&us  und  den 
fibrigen,  wenn  Jener  au  sagen  scheint,  die  Weiber  haben 
die  Abwälsung  des  Steins  durch  den  Engel  mitangesehen, 
dadurch  eu  heben,  dafs  man  ewar  nicht  mit  Michablis  ^ 
xal  lös  alsNachbolung  von  etwas  früherem,  und  aTt&wktae 
in  der  Bedeutung  eines  PlusquamperfectnoM  nimmt,  was 
gegen  Lessimg,  der  es  noch  gestatten  wollte,  die  neuere 
Kritik  mit  Recht  ver%vehrt  '),  wohl  aber  etwa  dadurch, 
dffft  man  dai  i^k&e  V.  1.  von  noch  nicht  vollendetem  Gange 
der  Weiber  versteht,  wo  sodann  das  xal  ida  und  was 
folgt,  seiner  eigentlichen  Bedeutung  gemäfs,  etwas  ansei- 
gen  kann ,  das  erst  nach  dem  Weggange  der  Frauen  von 
Hause,  doch  aber  vor  ihrer  Ankunft  am  Grabe,  erfolgte*), 
in  Beaag  auf  die  Zahl  und  den  Gang  der  Frauen  wurde 
sunächst  geltend  gemacht ,  dafs  auch  nach  Johannes ,    ob 


S)  Kuin'öl,  in  Marc.  p.  194  f. 

4)  MicHAKus,  a.  a.  O.     S.  112. 

5)  ScHK■CKs^BunMll  y  über  den  Urspr.  des  ersten  kanon.  Evang. 
S.  62  f«  Vgl.  den  Wolfenbüttler  Fragmentisten  in  LBSsnc«*8 
Tiertem  Beitrag,  S.  472  ff.  Dagegen  LBSSiKft's  Duplilt,  Wer« 
ke ,  Dooauttscb.  Aus^.  F.  Thl.  S.  .^94  f. 

6)  DB  Wbttb,  s.  d    St. 


0i4  Dritter  Abtchnttt. 

er  gleich  die  Magdalena  allein  namhaft  ttache ,  mit  dieier 
noch  meh^re  Fraaea  Eom  Grabe   gegangen   sein  nQuei, 
da  er  sie  ja  nach  ihrer  Rflckltehr  von    demselben  zu  im 
beiden  Jflogern  sagen  IXfst:  dx  MaftePi  TYtfedipeixyatw'); 
ein  Plnral  ^  der  allerdings  auf  ?erschwtegene  weiten  P» 
sonen  deutet ,   mit  welchen  Magdalena,   sei   es  am  finbi 
selbst,   oder  auf  .dem  Rfickweg,   ehe  sie  su  den  Aposteln 
kam,  über  den  Gegenstand  ?erhandelt  hatte.   So  ging  also, 
sagt  man,  Magdalena  mit  andern  Weibern,  ?on  denen  dk 
flbrigen  E?angelisten,  dieser  mehrere.  Jener  wenigere,  na»' 
haft  machen,  cum  Grabet  da  sie  aber  suriickkommt,  ohaa 
dafs  sie,   wie  die  flbrigen  Frauen,   einen   Engel  geiebci 
hatte,  so  wird  nun  angenommen ,  sie  sei ,   sobald  sie  du 
Stein   weggewXist   sah ,   allein  surfickgelanfen ;  was  mu 
ans  ihrer  heftigen  Gemfithsart,   als  einer  ehedem  Dlooii- 
sehen,   erklXrt  ^>     Wfihrend  sie  sur  Stadt   aurfickeil^ 
hatten   nun   die  flbrigen   Frauen  die  Erscheinungen,  m 
welchen  die  Synoptiker  sprechen.  —  Allen,  wird  behaop 
tet,  erschienen  die  Engel  innerhalb  des  Graiies;  denn  M 
einer  aufsen  auf  dem  Stein  gesessen,  sei  bei  MatthXos  sor 
Plnsquamperfectum :  als  die  Frauen  kamen,   habe  er  tiä 
bereits  in  das  Grab  curttckgcEOgen  gehabt,  da  Ja  nach  ib* 
rer  Unterhaltung  mit    ihm  die  Frauen  als  i^eXx^öaai  » f- 
/tiVrfteis  beeeichnet    werden  ^ :   wobei   nur  flberseh^n  itf, 
dafs  Bwischen   der  ersten   Anrede    des   Engeis  ond  d«i 
i^el&äaac  seine  Aufforderung  an  die  Frauen  steht,  mit  ihs 
(in  das  Grab)    su    kommen,    und   den  Ort  su  betrachter. 
wo  Jesus  gelegen  hatte«  —  Wenn  nach  den  beiden  ersten 
fiyangelidten  die  Frauen  nur  Einen,  nach  dem  dritten  aber 
swei  Engel   sehen;  so  behilfc   sieh  selbst  Calvin  mit  der 
firmlichen  Auskunft  der  Synekdoche,  so  dafs  »war  simo'- 


7)  MicKiiLis,  S.  150  ff« 

g)  Paulos,  exeg,  Handb«,  5^  b,  S.  825« 

9)  MiclfAiLiS;  S.  117. 


Viertes  Kapitel.    $•  135.  625 

liehe  Evangelisten  von  swei  Engeln  wissen,  MatthXus  und 
Markns  aber  nur  desjenigen  von  ihnen,  der  das  Wort 
f&brte,  Erwähnung  thnn  sollen.  Andere  lassen  Terscbie- 
dene  Frauen  hier  Verschiedenes  sehen:  die  einen ^  von 
welchen  Matthäus  und  Markus  sprechen,  sahen  nur  Einen 
Engel,  die  andern,  von  welchen  Lukas  ersählt,  und  wel* 
che  frflher  oder  auch  später  als  die  vorgenannten  kamen, 
sahen  swei  ^®) ;  allein  Lukas  läfst  dieselben  beiden  Marlefi, 
weiche  nach  seinen  Vormännern  nur  Einen  Engel  gesehen 
hatten,  den  Aposteln  von  einer  Erscheinung  sweier  Engel 
ereählen.  —  Auch  den  ROokweg  sollen  die  Frauen  in  ge- 
trennten Gruppen  gemacht  haben,  so  dafs  denen,  von  wel- 
chen Matthäus  spricht,  Jesus  begegnen  konnte,  ohne  von 
denen  des  Lukas  gesehen  su  werden,  und  die  des  Markus 
vor  Schrecken  Anfangs  Niemand  etwas  sagen,  die  ttbrigen 
aber,  und  auch  jene  selbst  später,  die  Jünger  in'Kenntoifs 
seteen  konnten  ^0.  —  Auf  die  durch  mehrere  Frauen  er- 
haltene Nachricht  hin  geht  dem  Lukas  cufolge  Petrus  cum 
Grabe,  findet  es  leer,  und  kehrt  verwundert  wieder  um. 
Aber  schon  geraume  Zeit  vor  den  Obrigen  Weibern  war 
nach  dieser  Hypothese  Magdalena  suriickgelaufen ,  und 
hatte  den  Petrus  und  Johannes  mit  herausgeführt.  Es 
mOfste  aleo  Petrus  zuerst  auf  die  unvollständige  Kunde 
der  Magdalena  vom  leeren  Grabe  hin  mit  Johannes  hin- 
ansgegangen  sein,  hernach  auf  die  Nachricht  der  Frauen 
von  der  Kngelerscheinung  noch  einmal  allein:  wobei  be- 
sonders auffallend  wäre,  dafs,  während  sein  Begleiter  gleich" 


10)  M1CHASLXS9  S*  146.  —  Schon  Celsas  stiess  sich  an  dieser  die 
Zahl  der  Engel  betreffenden  Differenz,  und  Origenes  verwies 
ihn  darauf,  dass  die  Evangelisten  verschiedene  Engel  mei- 
nen :  Matthäus  und  Markus  den ,  der  den  Stein  abgewälzt 
hatte,  Lukas  und  Johannes  diejenigen,  welche  als  Berichter- 
statter für  die  Frauen  aufgestellt  waren,    c.  Geis«  5,  56. 

11)  Paulus,  z.  d.  St.  des  Matth. 

DaM  Leben  Je»u  Me  Aufl.  iL  B/md.  40 


02li  Dritter  AbsohnItW 

hfiim  ersten  Gange  cum  Glanben  nn  Jesu  Wiederbelebung 
gelangte ,  er  selbst  durch  den  zweiten  Geng  nicht  «reifer 
als  bis  cur  Verwunderung  es  gebracht  haben  sollte,  l]ebe^ 
diefs  sind,  wie  der  WolfenbOttler  Fragmentist  schon  ^ 
herausgehoben  hat,  die  Erzählungen  des  dritten  Kvani^e- 
Hnnis  von  dem  Gange  des  Petrus  allein,  und  des  vierten 
von  dem  des  Petrus  und  Johannes,  so  anffallend  seibic  bis 
auf  die  Worte  einander  Ähnlich  '^),  dafsdie  meisten  Ao»- 
ieger  hier  blofs  Einen  Gang ,  nur  bei  Lulias  den  Begleiter 
des  Petras  verschwiegen ,  linden ,  wofür  sie  sieh  aof  Lac 
24,  24.  berufen  liönnen.  Ist  aber  der  durch  Magdaieoss 
Znrfickkunft  veranlafste  Gang  dpr  beiden  Apostel  mit  des 
durch  d^e  Rfickkehr  der  Weiber  veranlafsten  des  Petnu 
ein  ond  derselbe:  dann  ist  auch  die  ROokkehr  der  Fr&nea 
keine  doppelte;  sind  sie  aber  miteinander  umgekehrt:  m 
ist  diefs*  ein  Widerspruch,  —  Nachdem  nun  die  beides 
Apostel  umgekehrt  sind,  ohne  einen  Engel  gesehen  su  bi- 
ben,  erblickt  die  zurOckgebliebene  Mnria,  wie  sie  in  Au 
Grab  hineinsieht,  auf  Einmal  deren  zwei.  Welch  vvande^ 
liebes  Versteckspielen  der  Engel  nach  der  harmonis tischen 


12)  Ich  setze  die  vom  Wolfenbüttler  (a.  a.  O.  S.  477  f.)  entwor- 
fene Tabelle  hieher : 

„1)  Luc.  24,  12:  Petrus  lief  zum  Grabe,    l^S^uf^. 

Joh.    20 9    4:  Petrus  und  Johannes  liefen,    fro^j^or. 

2)  Luc.    V.    12:  Petrus  kuckte  hinein,  na^xvif^^. 
Joh.     V.    5 :  Johannes  kuckte  hinein ,   Tra^Mrxt'Cfr;. 

3)  Luc.   V.   12:  Petrus    sähe  die    Tücher    allein    liegea, 

ßlfTiH  ra  o^m'ta  xilufVa  uora, 
Joh.  V.  6.  7 :    Petrus  sähe  die  Tücher   liegen  ,    und  du 

Schweisstuch  nicht  mit  den  Tüchern  Ue> 

gen  :    ^ftOQfl  ra  o!t6yta    xfiufra ,    Mok    to    r»- 
Sdoiot^  M  ftira  tmv  o^orüar  xfC^tfyor. 

4)  Luc.    V.    12:   Petrus  ging  heim,  an^ia^  no6s  ftrvrtr. 
Joh.     V.    10:   Petrus  und  Johannes  gingen  wieder  heia 


Viertes  Kai^itel.    §.135.  027 


Zosemmenfflgung    dieser  Ersählongen !    Zaerst  seigt  sieh 
dem  einen  Trepp   der   Weiber  nnr  £iner;    denn    einem 
andern  deren  swei;    vor  den  Jüngern  hierauf  verbergen 
sich  beide ;  nach  deren  Abgang  aber  kommen  beide  wieder 
Bum  Vorschein.    Um   diefs   unterbrechende   Verschwinden 
EU  entfernen,  hat  Paulus  die  der  Magdalena  su  Theil  ge* 
wordene  Erscheinung  vor  die  Anitunft  der  beiden  Jfinger 
gestellt :  aber  durch  diese  gewaltsame  Umstellung  der  vom 
Berichterstatter  gewählten  Ordnung   nnr  ein   Beltenntnirs 
der  Uomögltchkeit  abgelegt,  die  Ersählnngen  der  verschie- 
denen Evangelisten  auf  diese  Weise  ineinander  einsuschie- 
ben.  •—  Hierauf,  wie  sieh  Magdalena  vom  Hineinsehen  in 
das  Grab  aufrichtet  und  umschaut,  sieht  sie  Jesnm  hinter 
sich  stehen.    Nach  Matthfius    erschien  Jesus   der  Magda- 
lena  und    der  andern   Maria,    als  diese   bereits  auf  dem 
Räckweg  in  die  Stadt  begriffen,   mithin   vom  Grabe   ent- 
fernt waren.     So  wäre  also  Jesus  zuerst  der  Maria  Mag- 
dalena allein  hart  am  Grabe,    hierauf  ihr  in  Gesellschaft 
einer  andern  Frau    auf  dem  Wege  erschienen.      Um   das 
Zwecklose  dieser  in  so  kurser  Frist  wiederholten  Erschei- 
Dong  Jesu  vor  derselben  Person   zu  vermeiden,   hat  man 
die  obige  Behauptung  benfltzt,  von  den  Frauen,  von  wel- 
chen Matthäus  spreche,  habe  sich  Magdalena  schon  früher 
getrennt  gehabt  ^^):  allein  dann  wäre  es,  da  Matthäus  an- 
fser  der  Magdalena  nur  noch  die   andere  Maria   hat,   nur 
eine  einzige  Frau  gewesen,    welcher  auf   dem  Rückwege 
Jesus    erschien:    während  doch   Matthäus   durchaus   von' 
mehreren  spricht  (^anrprtrflBV  avtwg  u.  s.  f.). 

Um  diesem  unsteten  Hinundherrennen  der  Jflnger  und 
Frauen,  dem  phantasmagorischen  Erscheinen,  Verschwin- 
den und  Wiedererscheinen  der  Engel,  und  der  zwecklosen 
Hfinfung  der  Erscheinungen  Jesu  vor  derselben  Person, 
wie  sie  bei  dieser  harmonistischen  Methode  herauskommt. 


13)  KciTv'di.,  in  Matth.  p.  80Ö  f. 

40 


02S  Dritter  Abtohnitt* 

BD  entgeheo ,  mfissen  wir  jeden  Evangelisten  fttr  iich  b»- 
treohten,  dann  bekommen  wir  von  jedem  ein  rahiget  BiM 
mit  einfachen,  würdigen  Zögen :  Einen  Gang  der  Fraun, 
oder  nach  Johannes  ewei ;  Eine  Engelerscheioung :  Eise 
Erscheinung  Jesa  nach  Johannes  und  Matth&os ,  und  Ei- 
nen Gang  Eines  oder  eweier  Jünger  nach  Lukas  mi 
Johannes« 

Doch  EU  jenen  materiellen  Schwierigkeiten  der  hu» 
monistischen  Einschiebnngsmethode  gesellt  sich  noch  die 
formeile  Frage,  wie  es  denn  unter  den  Voranssetsongei 
jener  Ansicht  komme,  dafs  ans  der  Fülle  des  GeschebeD» 
jeder  Referent  ein  andres  Stück  für  sich  heraaügesehirkttco, 
von  den  vielen  Gfingen  und  Erscheinungen  keiner  alle, 
und  fast  keiner  dieselben  wie  sein  Nachbar,  sondern  od- 
stens  nur  jeder  Eine,  und  jeder  wieder  eine  andere,  lor 
Darstellung  ausgewählt  habe?  Die  plausibelste  Antwort 
auf  diese  Frage  hat  Griesbach  in  einem  eigenen  Pro- 
gramm Über  diesen  Gegenstand  gegeben  ^*),  indem  er 
annahm,  jeder  Evangelist  gebe  die  Art  und  Weise  wieder, 
wie  ihm  gerade  suerst  die  Auferstehung  Jesu  bekunnt  ^ 
worden  war.  Jobannes  habe  die  erste  Macbricht  dordi 
Maria  Magdalena  erhalten ,  und  so  ersfihle  er  auch  oor, 
was  er  von  dieser  erfahren  habe;  dem  Mattbfius  (deni 
die  Jünger  haben,  als  festbespchende  Fremde,  ohne  Zw» 
fei  in  verschiedenen  Quartieren  der  Stadt  gewohnt)  sei  die 
erste  Kunde  durch  diejenigen  Weiber  sugekommen,  wel* 
eben  auf  dem  Rückweg  vom  Grabe  Jesus  selbst  erschienai 
war,  und  so  theile  er  denn  nur  das  von  diesen  Erlebtt 
mit.  Doch  hier  scheitert  diese  Erklärung  bereits  dariD) 
dafs  theils  bei  Matthäus  unter  den  Frauen,  welche  aaf 
dem  Rückwege  die  Cbristophanie  haben,  auch  Msgdakai 


14)  Progr.  de  fontibus,  undc  Evangelistae  auas  de  reaurrecUoae 
Domini  narralioncs  hauserint.  Opuac.  acad.  ed.  Giaui> 
V«l.  2y  p.  24 1  ff'. 


Tiertes  KapiteL    $.  135.  tl9 

ist,    tbeiU  bei  Johannes  Magdalena  nach  ihrem   awelten 
Gun^y  auf  welchem  ihr  Jesus  erschienen  war,  nicht  mehr 
EU  Johannes  ond  Petras  allein/  sondern  an  den  ^aO'tp^ou^ 
fiberhaopt  ging ,    and    ihnen  die  gehabte  Erscheinung  und 
den  erhaltenen  Auftrag  mittheilte:    so   dafs  also  Matthfius 
in  jedem  Fall    aaoh   von  der  Krscheinong  Jesu    vor  Mag- 
dalena wissen  mufste  ^^).     Wenn  dann  ferner  nach  dieser 
Hypothese  Markos  die  Anfers tehungsgeschiohte  so,  wie  er 
sie  im  Hause  seiner  so  Jerusalem  lebenden  Matter  (A.  6* 
12,  12.)j  Lukas,  wie  er  sie  von  der  bei  ihm  allein  genann- 
ten  Jobanna  erfahren  hatte,   eraihlen    soll:   so  mofs  man 
sich  Ober  die  Zfibigkeit  verwundern,  mit  welcher  hienach 
jeder  an  der  snfällig  saerst  vernommenen  ErzShInng  hfin« 
gen  geblieben  wäre,  da  doch  gerade  fiber  die  Auferstehung 
Jesu  der  Austausch  der  Erzlihlungen  unter  seinen  Anhän- 
gern der  lebhafteste   sein,    und  so  die  Vorstellungen  über 
das  erste  Bekanntwerden  derselben  sich  ausgleichen  mufs- 
ten.    Diese  Sehwierigkeiten  au  heben,  hat  Griesbacb  wei- 
ter angenommen,  die  jQnger  haben  wohl  im  Sinne  gehabt, 
die  uncusammenstimmenden  Berichte  der  Frauen  au   ver- 
gleichen und  in  Ordnung  su  bringen,    als    aber   der  wie- 
derbelebte Jesus  selbst  fn  Ihre  Mitte  getreten   sei,    haben 
sie  diefs  unterlassen,  wuil  sie  nun  nicht  mehr  auf  die  Aus- 
sagen der   Weiber,  sondern  auf  die  selbstgehabten  Ersehet- 
nongen   ihren  Glauben  gegründet   haben:  allein   eben,  je 
mehr  auf  diese  Weise  die  Machrichten  der  Weiber  in  den 
Hintergrand  traten,    desto  weniger  ist  su   begreifen,   wie 
fernerliin    jeder   so   starr  an   demjenigen  hängen   bleiben 
konnte,   was  ihm  zufällig  aoerst  diese  oder  jene  Frau  be- 
richtet hatte. 

Fährt  hienach  das  einschiebende  Verfuhren  nicht  zum 
Ziele  ^') :  so  ist  das  auswählende  zu  versuchen,  and  zu  se- 


15)  Vgl.  ScHivsCKBivBuaesR,  a.  a.  0.  S.  64  f.  Anm. 

16)  Vgl.  hierüber  di  Wsttb,  exeg    Uandb.  1,  i,  S.  245.  |   Am- 


630  Dritter  Ahflchnitt. 

hen,  ob  wir  nicht  etwa  iin  Einen  der  vier  Berichte,  als  vor- 
ssttgsweise  apoiitolisehen,  ans  cu  lialten,  und  nach  ihm  dk 
fibrigeri  sa  berichtigen  haben;  wol>ei  wie  tonst,  so  aoeh 
hier,  am  der  wesentlichen  Gleichheit  der  Cofseren  Beglsi- 
higang  willen,  aar  die  innere  Beschaffenheit  der  einselnea 
Relationen  entscheiden  kann. 

Aus  der  Zahl  derjenigen  Berichte  Aber  das  erste 
Kundwerden  der  Auferstehung  Jesu,  welche  auf  den  Raog 
autoptischer  Urkunden  Anspruch  haben,  ist  der  des  erstes 
Evangeliums  durch  die  neuere  Kritik  weggerfiamt  wer- 
den ^^).  ohne  dafs  wir  uns  über  diese  Ungunst,  wie  in  so- 
dorn  Fiillen ,  als  Ober  eine  ungerechte ,  beklagen  ifcdnnten. 
Denn  in  mehrerlei  Beziehungen  zeigt  sich  diefsmal  die 
ErsShIung  des  ersten  Evangeliums  um  eine  Stelle  weiter 
vorwürts  in  der  Ausbildung  der  TrAdition,  als  die  der 
übrigen  Evangelien.  Einmal,  dafs  die  wunderbare  Eröff- 
nung des  Grabes  von  den  Frauen  noch  mitangesehen  win- 
den, woFern  diefs  Matthlius  sagen  will ,  dlefs  konnte  siek, 
wenn  es  wirklich  der  Fall  gewesen  war,  schwerlich  s«, 
wie  bei  den  übrigen  Evangelisten ,  wieder  verlieren,  wohl 
aber  sich  nach  und  nach  frei  in  der  Ueberliefernng  bildeo: 
ferner,  dafs  die  Abwülenng  des  Steins  durch  den  Engel  ge- 
schehen sei,  beruht  offenbar  nur  auf  der  Combination  ei- 
nes solchen,  welcher  die  Frage,  wie  denn  wohl  der  grofa 
Stein  vom  Grabe  gekommen,  und  die  Wächter  bei  Seite 
geschafft  worden  seien,  nicht  besser  beantworten  sa  kos* 
nen  glaubte,  als  wenn  er  su  Beidem  den  Engel  benfitxte. 
welchen  ihm  die  umlaufenden  Ersählungen  von  der  des 
Frauen  su  Theil  gewordenen  Erscheinung  boten;  wosu  er 
femer  das  Erdbeben,  als  weitere  Verherrlichung  der  Seea^ 


MOH,  Fortbildung  des  Christenthumt  zur  Weltreligion,  2,  1« 
S.  6.;    l'iutLi,  zur  Biogr.  Jesu,  §.  57. 
17)  Schulz,  über  das  Abendmahl,  S.  321  f. ;   ScasriCKimicaftsm,  t. 
s.  O.    S.  61  ff. 


Viertes  Kapitel.     $.135.  631 

setzte.      Aber  auch    anrserdem  ist    in   der  Erzählung   des 
Matfhliiis  noch  ein  Zog,   der  nichts  weniger  als  liistorisch 
klingen  will.     Maciidem  den  Fraaen  bereits  der  Kngel  die 
Aoferstehang  Jesu  verkündigt,   und   sie    mit  dem  Auftrag 
RH  die  Jünger 'gesendet  hatte,  dafs  sie  nach  Galiläa  gehen 
sollen,    dort    Mferde   ihnen   der  Auferstandene  erscheinen: 
begegnet  ihnen  dieser  selbst,    und  wiederholt  den  Auftrag 
an  die  Jfinger.     Oiefs  ist  ein  sonderbarer  Ueberflufs«  Zum 
Inhalte  des  Auftrags,  den  die  Engel  den  Frauen  gegeben, 
hatte  Jesus  nichts  mehr   hinaozufligen ;    mithin    müfste  er 
denselben  nur  noch  haben  bekräftigen  und  glaubhafter  ma- 
chen wollen.     Allein  bei  den  Frauen  bedurfte  es  weiterer 
Beglaubigung  nicht,    denn    sie  waren  ja  schon  durch  die 
Nachricht  des  Engels   x^Q^S  f^^yci^^iS   T^ü)   also   gl&ubig; 
bei  den  Jtingern  aber  reichte  auch  jene  Bekrüftigong  nioht 
hin ,   denn    sie   blieben  selbst    auf  den  Bericht  derjenigen, 
welche  Jesnm  gesehen  au  haben  versicherten,   bis  sie  ihn 
selbst  sa  sehen  bekamen,  nnglfinbig.     Es  scheinen  sich  al. 
so  hier  sweierlei  Relationen  über  die  erste  Kunde  der  Auf- 
erstehung in  einander  verwickelt  zu   haben ,   von  welchen 
die  eine  die  Weiber  durch  Engel,  die  andre  durch  Jesum 
selbst  von  seiner  Wiederbelebung  in  Kenntnifs  gesetzt  und 
an  die  Jüngst*  abgeschickt  werden  Hefa  —  die  letztere  of- 
fenbar die  spätere. 

Der  dem  Berichte  des  Matthäus  entzogene  Vorrang 
der  ürsprünglichkeit  wird  auch  hier  wie  sonst  dem  joban- 
neischen  zugewendet.  So  charakteristische  Züge,  sagt 
Lücke,  wie,  dafs  beim  Gang  zum  Grabe  der  äU.(h;  (nad-ijrfjg 
schneller  als  Petrus  gegangen,  und  vor  ihm  an  Ort  und 
Stelle  gekommen  sei,  beurkunden  die  Aechtheit  des  Evan* 
gelinms  aach  dem  Zweifel^iücbtigsten.  Allein,  die  Sache 
hat  doch  auch  noch  eine  andere  Seite.  Schon  früher  ist 
bemerkt  worden,  wie  dieser  Zug  zu  denjenigen  gehöre, 
durch  welche  das  vierte  Evangelium  auf  eigenthümliche 
Weise  bemüht   sieh   zeigt ,    den  Johannes  dem  Petrus  wo 


(I3i  Dritter  Abaolinitt. 

nicht  vorzosetsen,  doch  an  die  Seite  su  steUen  ^.  DieTs 
ist  nun  genauer  su  erörtern,  indem  wir  die  sebon  erwähnte 
Notiz  des  Lul&as  über  den  Gang  des  Petrus  zum  tirabe 
Jesu  mit  dem  Berichte  des  vierten  Evangeliums  ober  deo 
Gang  der  beiden  Jfinger  vergieiohen.  Mach  Lukas  (24,  12) 
Ifinft  Petrus  zum  Grabe:  nach  Johannes  (20,  3  fF.>  Pefruf 
und  der  Lieblingsjünger  zusammen,  doch  su,  dafs  der  iets- 
tere  schneller  läuft,  und  zuerst  zum  Grabe  kommt.  !■ 
dritten  Evangelium  bückt  sieh  Petrus  in  das  Grab  hinein, 
und  sieht  die  leeren  Tücher:  im  vierten  thut  Johanne* 
diefs,  und  sieht  dasselbe.  Mun  von  einem  Hineingehen  la 
die  Gruft  hat  der  dritte  Evangelist  gar  nichts:  der  vierte 
aber  Ififst  zuerst  den  Petrus  hineingehen  und  die  Tücher 
genauer  besichtige'n,  dann  auch  den  Johannes,  und  diesen 
mit  dem  Erfolge,  dafs  er  an  die  Wiederbelebung  Jean  sa 
glauben  anfängt  ^^}.  Uafs  hier  von  einem  und  demselks 
Vorfalle  die  Rede  sei,  ist  oben  durch  die  genaue  Analogie 
selbst  des  Auedrucks  wahrscheinlich  gimiaoht  worden.  Ei 
fragt  sich  also  nur,  welches  wohl  die  ursprüngliche^  der 
Thatsache  nähere  Erzählung  gewesen  sei?  Wenn  die  des 
Johannes:  dann  müfste  sich  also  dessen  Name  allmSkiij 
aus  der  Ueberlieferong  verloren  haben,  und  der  Gang  den 
Einen  Petrus  zugeschrieben  worden  sein;  was  aich  bd 
dem  alle  Andern  verdunkelnden  Ansehen  des  Petros  gsr 
wohl  denken  liefse.  Hiehei  würde  man,  diese  beiden  pi- 
rallelen  Erzählungen  für  sich  betrachtet,  sich  berohigea 
können:  allein  im  Zusammenhange  mit  der  Absichtlich keit, 
mit  welcher  das  vierte  Evangelium  auch  sonst  daa  Ver- 
hältnifs  des  Petrus  und  Johannes  behandelt,  kann  der  an- 
gekehrte  Verdacht  entstehen.    Zwar  beruft  man  aich^  wie 


18)  Band  1,  §.  73.  S.  623  t 

$9)  Ueber  diesen  Sinn  des  hikevoev »  und  dsss  ihm  das  ^.to»  y^^ 
S^eiaar  ir^v  yQnrpfjy  x.  r.  i.  nicht  widerspricht,  s.  das  nichtj^ 
J»c}  l#vcKi  z.  d.  St. 


Viertes  Kapitel.    $.  1S5.  C>33 

bereits  bemerkt,    cor  Beglaubigong  der  jobanneitchen  Er« 
sEälilung    auf  den    gleichiam   anwillkfirliehen  Anklang    an 
dieselbe    bei  Lukas,     ftelcher,    nnerachtet  er  suvor    nur 
von   einem  Gang  des   Petras  snm  leeren  Grabe  berichtet 
Latte,   nachher  doch  die  £mmaantischen  Jünger  sagen  IfifAt: 
uTiij/^O^av  Tiveg  tiJiv  aw  r^f/tv  im  to  fni^fielov  C24,  24.)»     Al- 
lein diefa   kann,    wenn   man  nicht  eine  Zusammensetaang 
widersprechender  Berichte   ans  verschiedenen  Quellen   in 
jenem  Abschnitte  des  dritten  Evangeliums  annehmen  will '^i 
nur    von    sp&teren  Grabgängen  auch   anderer  Jfinger  ver- 
standen   werden ,   da  Petrus   bei   dem  seinigen   bu   augen- 
scheinlich als'  unbegleitet    vorausgesetat   war,    Uoch  diese 
Notiz  von  «»inem  Gange  auch   nur  des  Petrus    aum  leeren 
Grabe  wird  selbst  verdächtig,  wenn  man  bemerkt,  dafs  sie 
in   den   swei  ersten  Evangelien   fehlt  f   woroHch    sich   der 
Klimax  herstellt,   dafs   für  die  Entfernung  des  L«eichnams 
Jesu  aas    der  Gruft  cuerst  awar  das  Zeugnifs  der  Frauen 
genügte,    bald  aber  das  der  Jünger,  namentlich  des  Petrus, 
an  Hülfe  gerufen,  und  diesem  suletzt  Johannes  beigesellt 
wurde  mit    der  Bemerkung,   dafs  er  suerst  — ^  und  nicht, 
wie  nach  der  gewühnlichen  Erafibinng,  die  Weiber  —  sum 
Glauben    an   die  Wiederbelebung  Jesu    gelangt   sei  '0*  — 
Nun  erst,  nachdem    die  beiden  Jünger  bei'm  Grabe  gevie- 
»en  waren,   und  sein  Johannes  Glauben   gewonnen  hatte, 
konnte  der  Verfasser   des  vierten  Evangeliums  die  Erschei- 
nung   der   Engel   und   Jesu   selbst  einfügen ,    welche    den 
Weibern    zu  Theil   geworden  sein   sollte.      Dafs   er  statt 
dieser  nor  die  Maria  Magdalena  nennt  —  obwohl  er,  wie 
früher  bemerkt,  20,  2.    wenigstens    ein  nachträgliches  Zn- 
sammentreffen derselben  mit  noch  andern  Frauen    voraus- 
setBt  — ,  diefs  könnte  freilich  unter  andern  Umständen  als 
das  Ursprüngliche  angesehen  werden,  woraus  die  synopti« 


20)  Vgl.  Dl  Witts  z.  d.  St. 

21)  Vgl.  WsifSB,  die  evang.  Getchichte,  2,  S.  356  f. 


634  Dritter  Ab«chiiitt. 

sehe  Darstellung  durch  Verallgemeinerunjrentstaoden  w&re : 
ebensogut  Jedoch   können   die   übrigen  Fmuen  als  minder 
bekannt  hinter  Magdalena  sarückgetreten  sein.     Die  Aas- 
mainng  der  Scene  swischen  ihr  nnd  Jeso,   mit  dem   aa- 
fünglichen  Nichterkennen  n.  s.  f. ,  macht  svrar  der  geist- 
reichen und   gefähivoUen  Manier  des  Verfassers  Ehre  ^] 
indefs  findet  sich  auch   hier  ein   ähnlieher  nnhistoriscber 
Ueberfluis,  nie  bei  Matthäus.     Denn  hier  haben  die  Engel 
der  Magdalena    nicht,    wie   bei  den  flbrigen  Evangelistea 
den  Frauen ,   die  Auferstehung  Jesu  zu  verkflndigen ,  und 
ihr  einen  A nfschlufs  zu  geben,  sondern  sie  fragen  sie  nur: 
rl  xlalet^;  worauf  sie  ihnen  das  Verschwinden  dea  Leich- 
nams Jesu  klagt,  aber,  ohne  weitern  Anfschlufs  abzowar 
ten,    wendet    sie  sieh  sofort  um,  und  sieht  Jesum  steliea. 
Wie  also  bei  Matthäus  die  Erscheinung  Jesu,  weiche  doch 
noch  nicht  die  eigentlic  le  un.l  rech  e  sein  soll,  eioe  flbef« 
flttssige  Zugabe  zu  der  EngelerscV einung  ist:   so    hier  die 
Engelerschelnur  g   eine  möCsig  prunkende  fiinleitujig  aar 
Erscheinung  Jefu. 

Sehen  wir  hierauf  den  dritten  Bericht,  den  des  Markus, 
darauf  an,  ob  nicht  er  vielleicht  der  dem  Factum  nächste  sela 
möchte :  so  ist  er  auf  eine  Weisein  sich  zerrissen  und  aus  na- 
gefOgigen  Bestandtheilen  zusammengesetzt,  daf^  an  ein  sol- 
ches Verhältnifs  nicht  zu  denken  ist.  Nachdem  Dämlich 
bereits  erzählt  war,  dafs  am  Frühmorgen  des  Tugs  nacb 
dem  Sabbat  die  Frauen  zum  Grabe  Jesu  gekommeD ,  und 
durch  einen  Engel  von  seiner  Auferstehung  benachrichtigt 
worden  seien,  aus  Furcht  aber  Niemand  etwas  von  der 
gehabten  Erscheinung  gesagt  haben  (10,  1-8.)^  wird  naa 
CV.  9.) 9  eis  ob  weder  von  der  Auferstehung,  noch  voi 
der  Zeit  derselben,  die  Rede  gewesen  wäre,  fortgefahren: 
avagdg  di  nocoi  nnulrrj  aaßßdrtov  iqccvf]  TiQdncv  JMaQin  rij 
Maydakfjvfi.    Dieser  Zug  pafst  auch  defshalb   zu  der  vor- 


22)  Anders  urtlicill  Wiisss,  a.  a.  0.  S.  355.  Anm,^ 


'  f 


Vi«rt«t  Kapitel,    f.  135.  M5 

angegangenen  Erafthlang  nicht,  weil  diese  gar  nicht  auf 
eine  der  Magdalena  besonders  sagedaohte  Ericheinung  ein« 
gerichtet  ist;  sondern,  da  sie  mW  sirei  andern  Frauen 
durch  einen  Engel  von  Jean  Anferstehang  benachrichtigt 
wird,  so  konnte  ihr  vorher  Jesus  noch  nicht  erschienea 
sein;  nachher  aber,  auf  dem  Wege  cor  Stadt,  unr  sie 
mit  den  übrigen  Frauen  sasammen,  wo  sie  dann  wirklich 
nach  Martbäns  miteinander  die  Christophanie  hatten.  Ob 
man  defswegen  dfis  Ende  des  Markusavangelinms ,  von 
V.  9.  an ,  als  einen  späteren  Zusats  ansehen  darf  ^^) ,  ist 
swar  wegen  des  Mangels  an  entscheidenden  kritischen 
Grfinden,  und  noch  mehr  wegen  des  abgebrochenen  Schlus- 
ses mit  iifoßöno  yccQy  der  sich  dann  ergibt,  rweifelbaft; 
in  jedem  Fall  aber  haben  wir  hier  einen  Bericht,  welchen 
dfr  Verfasser  ans  Tcrschiedenartigen  Elementen  der. um- 
gehenden Sage,  welche  er  nicht  eq  beherrschen  wunite9 
ohne  klare  Anschauung  von  dem  Hergang  der  Sache  und 
der  Aufeinanderfolge  der  Momente,  eilfertig  susammenge- 
setst  hat. 

In  der  Ercfihlnng  des  Lukas  wSre  swar  fibrigens  kein 
besonderer  Anstofs:  doch  aber  hat  sie  ein  verdfichtiges 
Element,  die  Engelerscheinung,  und  swar  in  der  Zweiaahl, 
mit  den  Übrigen  gemein.  Was  sollten  die  Engel  bei  die- 
ser Scene?  Matthfius  sagt  uns:  den  Stein  von  der  Gruft 
wSlaen;  wogegen  schon  Celsus  bemerkt  hat,  dafs  nach  der 
orthodoxen  Voraussetsung  der  Gottessohn  hiesu  keiner  sol- 
chen Hülfe  benörhigt  sein  konnte  '*):  nur  etwa  schicklich 
mochte  er  sie  finden.  Bei  Markus  und  Lukas  erscheinen 
die  Engel  mehr  nur  als   diejenigen,   welche  den  Weibern 


23)  Wie  Paulus,  Fritzsche,  Criorir,  Einleitung,  1,  §.  49.  Da- 
gegen vgl.  Dl  Wem ,  exeg.  Handb. ,  1 ,  2 ,  S.  19^  f.  Eine 
vermittelnde' Ansicht  bei  Hu6,  Einl.  in  d.  N.  T.  2,  §.  69. 

24)  Bei  Orig.  C.  Celt.  5,  52:  o  ytio  tu  &iS  nali,  w^  hwxty .  »«  idua 
ymio  iyolim  rov  r^tpor ,  ttiX'  idf^K^ii  ttXXm  aTiomrijawTOi  Tifv  nir^i» 


6M  Dritter  Abschnitt. 

Nachricht  und  AaftrSge  ertheilen  sollten:  allein  da  naeh 
Matthäns  ond  Johannes  ODmitteibar  darauf  Jesus  selber 
erschien,  und  Jene  Auftrüge  wiederholte,  so  war  die  B^ 
Stellung  durch  Engel  ÜberflQssig.  Es  bleibt  daher  nichts 
fibrig,  als  su  lagen:  die  Engel  gehörten  cur  Verherrli- 
chung der  grofsen  Scene,  als  himmiisehe  Dienerschaft, 
welche  dem  Messias  die  Thflr  aufauthun  hatte,  dnreh 
welche  er  ausgehen  wollte ;  als  Ehrenwache  an  der  Stelle, 
welche  der  Getödtete  so  eben  lebendig  verlaasen  hatte. 
Hier  ist  nun  aber  eben  die  Frage:  gibt  es  einen  aolchea 
Prunk  in  dem  wirklichen  Bausbalte  Gottes,  oder  nur  in 
der  kindlichen  Vorstellung,  welche  sich  die  Vorceit  tob 
demselben  machte? 

Man  hat  sich  daher  verschiedentlich  Mühe  gegeben, 
die  Engel  der  Auferstehungsgeschichte  in  natörliebe  Er- 
scheinungen SU  yerwandeln.  Ging  man  hiebei  von  dem 
Berichte  des  ersten  Evangeliums  aus,  und  erwog,  dafs  den 
Engel  eine  idia  dg  ag^foni^y  als  Wirkung  die  Abwfilcanf 
des  Steins  und  die  Betäubung  der  HOter  sugeschrieiieB, 
auch  mit  'seiner  Erscheinung  eine  Erderschütterang  in 
Verbindung  gesetEt  wird:  so  lag  es  nicht  mehr  fern,  ent* 
weder  an  einen  Blits  au  denken,  welcher  mit  erschfittem> 
dem  Schlage  den  das  Grabmal  schliefsenden  Stein  auf  die 
Seite  geschmettert  9  und  die  Hfiter  au  Boden  geworfen 
habe;  oder  an  ein  Erdbeben,  welches,  begleitet  von  aas 
der  Erde  schlagenden  Flammen,  dieselben  Wirkungen  her* 
vorgebracht  habe;  wobei  dann  das  Feurige  und  lieber 
mächtige  der  Erscheinung  von  den  wachhabenden  Soldaten 
ffir  einen  Engel  gehalten  worden  sei  -0«  Allein  theils  der 
Umstand,  dafs  der  Engel  sich  auf  den  abgewilsten  Steta 
gesetat,  theils  und  noch  mehr  die  Notiz,  dafs  er  mit  den 
Weibern  geredet  haben  soll,  macht  diese  Hypothese  onau- 


2B)  ScHUSTSR,  in  EicHaoim's  tilg.  Bibliotb.  9,  S.  1034 ff. ;  Kvixoi, 

in  Matth    p.  799. 


Vierte«  Kapitel,    f.  135.    .  087 

reicfaeniL  Man  hat  sie  defswegen  doroh  die  Annahme  mm 
ergänsen  gesocht,  der  hohe  Gedanke ,  Jeane  aet  anfersten« 
deo,  welcher  aas  Veranlassung  des  leergefnndenen  Grabes 
in  den  Franen  entstand,  und  allmihlig  der  anftngliohen 
Zweifel  Meister  wurde ,  sei  yon  den  Franen  naeh  orienta* 
lischer  Denk-  nnd  Redeweise  einem  Etogel  sageschrieben 
worden  '^).  Wie  aber,  dafs  in  sämmtliehen  Evangelien 
die  Engel  als  gekleidet  in  weifse,  strahlende  Gewinder 
dargestellt  werden?  soll  auch  das  orientalische  Bilderrede 
sein?  Der  Orientale  kann  wohl  etwa  einen  guten  Gedan- 
ken, der  ihm  kommt,  als  einen  bezeichnen,  den  ihhi  ein 
Engel  so^^eflüstert  habe:  aber  nun  noch  die  Kleidung  und 
das  Aussehen  dieses  Engels  cn  beschreiben,  das  geht  fiber 
das  Maafs  des  blofsen  Bildes  auch  im  Orient  hinaus.  Bei 
der  Beschreibung  im  ersten  Evangelium  könnte  man  etwa 
den  angeblichen  Blite  zn  Hülfe  nehmen,  nnd  yermnthen, 
was  den  Franen  bei'm  Anblick  desselben  durch  den  Sinn 
fahr,  das  haben  sie  einem  Engel  zugeschrieben,  welchen 
sie  mit  Rfi.cksicht  auf  jenen  Blitz  als  einen  glänzend  ge- 
kleideten schilderten.  Allein  nach  den  fibrigen  Evange- 
listen sahen  die  Weiber  die  Abwälzung  des  Steins  ex 
hypothesi  durch  den  Blitz  nicht  mehr  mit  an,  sondern, 
wie  sie  in  das  Grab  gingen  oder  schauten ,  erschienen  ih- 
nen ganz  ruhig  die  werTnen  Gestalten.  Uienach  mnfs  es 
etwas  im  Grabe  gewesen  sein,  was  in  ihnen  den  Gedanken 
an  weifsgekleidete  Engel  erregte;  im  Grabe  aber  lagen 
nach  Lukas  und  Johannes  die  weifsen  Leintacber,  in  wel- 
che der  Leichnam  Jesu  gewiekelt  gewesen  war:  diese, 
welche  von  den  rahigeren  und  beherzteren  Männern  ein- 
fach als  solche  erkannt  wurden,  konnten,  sagt  man,  von 
forchtsamen  und  aufgeregten  Weibern  in  der  dunkeln 
Gruft  bei   täuschender  Morgendämmerung   gar   wohl   fflr 


26)  FaiioRica,   über  die  Engel  in  der  Auferstchungsgeschichte. 
In  Eicaaoaii's  allg.  Bibl.  6,  3.  700  ff.    KuinVl,  s,  a.  0. 


\ 


ft:i8  Dritter  Abschnitt. 

Engel  gehalten  vverden  '^*  Doeh  wie  sollten  die  Franen, 
welebe  doch  erwarten  mnftteny  einen  weifseingewickrltea 
Todten  in  der  Graft  cn  finden,  durch  den  Anblick  Jener 
Tflcher  anf  so  gana  besondere  Gedanken  gekommen  sein, 
und  Bwar  gerade  darauf ,  was  ihnen  damals  am  fernsten 
tag,  diefs  mögen  wohl  Engel  sein,  welche  die  Anferste- 
hong  ihres  hingerichteten  Lehrers  ihnen  anküodigen  wol- 
len?      Wie  sonderbar  aber,   muftte  man    Fon   anderer 

Seite  her  denken,  hier  so  viele  kfinstliche  Vermuthangen 
aufsostellen ,  was  wohl  die  Engel  gewesen  sein  mögen, 
da  doch  anter  den  vier  Berichten  awei  uns  anadrfick- 
lich  sagen,  was  sie  gewesen  sind,  nSmIich  natürliche 
Menschen,  wenn  ja  Markus  seinen  Engel  als  veccviaxoi, 
Lukas  die  seinigen  als  av(Joag  dvo  beaeichnet  ^).  Wer 
sollen  nun  aber  diese  Mfinner  gewesen  sein?  Hier  ist  wie- 
der Thär  und  Thor  geöffnet  für  die  Annahme  von  gehei- 
men Verbflndeten  Jesu,  welche  selbst  den  Jüngern  anbe- 
kannt gewesen  sein  mfifsten:  es  werden  dieselben  gevresei 
sein ,  welche  bei  der  sogenannten  Verklärungsgeachichte 
mit  ihm  Eusammenkamen ,  vielleicht  Essener,  welche  sich 
weifs  zu  kleiden  pflegten  und  was  dergleichen  aus  der 
Mode  gekoniinene  Vermuthungen  eines  BAURDTisch-YENTti- 
RiNi'schen  Pragmatismus  mehr  sind.  Oder  will  man  lieber 
ein  rein  euffilliges  Zusammentreffen  postuliren;  oder  end- 
lich mit  Paulus  die  Sache  in  einem  Uunkel  lassen  ,  sm 
welchem,  sobald  man  es  durch  bestimmte  Gedanken  aof- 
eubcllen  versucht,  doch  immer  wieder  die  Gestalten  der 
geheimen  Verbündeten  hervortreten?  Der  richtige  Sino 
wird  auch  hier  vielmehr  die  Gestalten  der  jüdischen  Volks» 


27)  So  eine  Abhandlung  in  EiCHitOR.V8  allg.  Bibl.  S«  S.  629  ff.,  und 
in  ScHikUDT^s  Bibl.  2^  S.  545  f. ;  auch  Badbii,  hebr.  MytLuI. 
2,  S.  259. 

28)  Pavlus,  exeg.  Handb.  S,  b,  S.  829.  55.  60.  62. 


Viertes  Kapitel.    {.  136.  639 

Tontellong  erkennen,  darch  welche  die  nrchmtliobe  Tm- 
dition  die  Auferstehong  ihres  Messias  Terherrlicben  sn 
mflssen  glaubte;  eine  Ansicht,  dorch  welche  sich  eagleieh 
die  Differeneen  in  Zahl  nnd  Erscheinungsweise  Jener  Ober- 
Irdischen  Wesen  von  selbst  auf  die  iLunstloseste  Weise 
lösen  29j. 

Eben  hiemit  ist  aber  auch  anerltannt,  dafs  wir  so  we- 
nig mit  dem  auswfihlenden ,  als  mit  dem  einschiebenden 
Verfahren  ausreichen,  Tielmehr  bekennen  mflssen,  in  sfimmt- 
liehen  evangelischen  Darstelinngen  dieser  ersten  Kunde 
der  Auferstehung  nur  traditionelle  Berichte  vor  uns  au 
haben  ^y 

§.     136. 

Galiläische  und  judälschc,  paulmische  und  apokryphische 
Frscheinungen  des  Auferstandenen. 

Wohl  die  bedeutendste  von  allen  in  der  Anferste*  nngs- 
geschichte  vorkommenden  Differenzen  betrifft  die  Frage, 
welches  der  von  Jesn  beabsieheigte  Hauptschauplata  seiner 
Erscheinungen  nach  der  Auferstehung  gewesen  sei?  Die 
beiden  ersten  Evangelien  lassen  Jesom  noch  vor  seinem 
Tode  bei^m  Hinausgang  an  den  Oelberg  den  Jüngern  die 
Zusage  machen:  fterd  to  iysQ&f^rai  fie  nwa^o)  vfxag  eh; 
x^v  lalüMiav  (Mafth.  26,  32.  Marc.  14,  28.);  dieselbe 
Versicbernng  gibt  am  Auferstehungsmorgen  der  Engel  den 


29)  FaiTzsciiB,  in  Marc.  z.  d.  St. :  Nemo  —  quixpiam.  primt  tem- 
poris  ChristianU  tarn  dignu»  videri  poterat ,  gui  de  MesHa 
in  vitam  re»er$o  nuntium  ad  komines  perferret,  quam  ange^ 
his,  Dei  minister,  divinorumque  cnnsilifirum  interpres  et  ad~ 
jutor.  —  Dann  über  die  Differenzen  in  Bezug  auf  die  Anzahl 
der  KnjjTcl  u.  g.  f . :  Nimirum  insperato  Jesu  Mcssiae  in  H-^ 
tarn  reditui  miracula  adjecere  alii  alia,  quae  EvangeHstae 
religiöse,  quemadmodum  ab  suis  auctorilms  acceperani,  ii- 
teris  manddrunt. 

50)  «AiiBR,  bibl.  Thcol.   1,  S.  254  ff. 


MO  Dritter  Abschnitt« 

Weibern  mit  dem  Zosate :  ixtl  avtov  oipiad-e  CMiitth.  ^8, 7. 
Marc.  16,  7.)  >  nnd  bei  Matthftas  ertheilt  fiber  alles  dies« 
Jesn»  in  eigener  Person  den  Weibern  den  Aoftriig,  den 
J fingern  au  sagen:  %va  dneld-oaiv  eig  %r]V  rakiXaiceVy  xaza 
fie  oiffonai  (2S,  100«  Bei  Matthäus  wird  sofort  wiriilich 
die  Abreise  derJönger  nach  Galilfta,  und  die  Erscheiniing, 
weiche  sie  dort  von  Jesu  hatten  (die  einzige  den  J fingern 
EU  Theil  gewordefie,  deren  Matthlins  gedenkt),  gemeldet); 
Markus  bricht,  nachdem  er  die  Bestfiranng  beschrieben, 
in  welche  die  fingelerseheinnng  die  Frauen  veraetst  habs) 
auf  die  schon  erwähnte  räthselhafte  Art  ab,  und  hänirt 
einige  Erscheinungen  Jesu  an,  welche,  da  e wischen  An 
ersten,  die,  als  unmittelbar  nach  der  Auferstehang  erfolgt, 
notbvrendig  in  Jerusalem  äu  denken  ist,  und  den  folgen- 
den keine  Ortsverändernng  bemerkt,  und  der  Znaarnrnfn- 
hang  mit  der  früheren  Weisung  nach  Galiläa  aufgehoben 
ist,  sämmtlich  als  Erscheinungen  in  und  um  Jerusalem  be- 
trachtet werden  müssen.  Johannes  weifs  von  einer  Wei- 
sung der  Jünger  nach  Galiläa  nichts,  und  läfst  Jeaam  na 
Abende  des  Auferstehungstages  und  acht  Tage  spfiter  des 
Jüngern  in  Jerusalem  sich  eeigen;  doch  wird  in  dem  ta- 
gehängten  Schlnfslinpitel  eine  Erscheinung  am  gnliiäisehefl 
See  beschrieben.  Bei  Lukas  dagegen  ist  nicht  biofa  von 
einer  galiläischen  Erscheinung  keine  Spur,  und  Jerusale« 
mit  der  Umgegend  eum  alleinigen  Schaoplatze  der  Chrt- 
stophanien,  welche  dieses  Evangelium  hat,  gemacht;  son 
dern  es  wird  auch  Jesu,  wie  er  am  Abend  nach  der  Aof« 
erstehung  den  versammelten  Jüngern  in  Jerusalem  er- 
scheint, die  Weisung  in  den  Mond  gelegt:  i\uug  de  xa^ 
ütetE  iv  rfj  nohi  (was  die  A.  G.  1 ,  4.  bestimmter  negacir 
durch  an;6  %:Qoaoh\uo)v  jurj  yoßoiCsalhccL  ausdrückt)  ,  I'uk:  a 
hfdvarpd^B  dinafjLV  i^  vtl'sg  (24,  49.)-  Hier  mufs  eweieriei 
gefragt  werden:  1)  Wie  kann  Jesus  die  Jünger  su  einer 
Reise  nach  Galiläa  angewiesen,  und  ihnen  doch  eugleich 
geboten   haben,    bis   Pfingsten   in   Jerusalem   au   bleiben? 


Viertes  Kapitel.     $.  130.  641 

and  2)  wie  konnte  er  sie  daraaf  rerweisen ,  in  Galiläa 
sieh  ihnen  sa  selgen,  wenn  er  doch  im  Sinne  hatte,  noch 
am  oäniliohen  Tag  ihnen  in  nnd  bei  Jeroaalem  sa  er- 
tcheinen  ? 

Den  ersteren  Wideraprooh,  welcher  Bunfiehst  swischen 
Matthäas    and  Lukas  stattfindet,    hat  Niemand   schärfer 
hingestellt,    als    der    Wolfenhattler   Fragmentist.     Ist  es 
wahr,  schreibt  er,  waa  Lokas  sagt,   dafs  Jesns  gleich  am 
ersten  Tage  seiner  Auferstehung  seinen  Jängern  in  Jeru- 
salem ersdiienen  ist,  und  befohlen  hat,  da  an  bleiben,  nnd 
nicht  Ton  da  wegaugehen  bis  Pfingsten:  so  ist   es  falsch, 
dafs  er  ihnen  befohlen  habe,   in  derselben  Zeit  nach  dem 
fiofäersten  Galiläa  sn  wandern,    um  ihnen  da  zu  ersehe!"' 
neo,  und  umgekehrt  0-    Die  Harmonisten  gaben  sich  swar 
die  Miene,  als  wäre  dieser  Einwurf  unbedentend,  und  be- 
merkten nur  kurs,  die  Anweisung,  in  einer  Stadt  an  blei- 
ben, sei  kein  Stadtarrest ,  und  schliefse  also  Spaziergänge 
und  Nebenreisen   nicht    aus;    sondern   nur    die  Verlegurg 
des  Wohnsitzes  von  Jerusalem  weg  und  das  Ausgehen  in 
alle  Welt    aar  Predigt    des  Evangeliums   habe  Jesus   den 
Jfingern  bis  zu  Jenem  Termin  verbieten  wollen  *>    Allein 
ein  Spaziergang  ist  die  Reise  von  Jerusalem  nach  Galiläa 
doch  wohl  nicht,  sondern  der  weiteste  Zug,  den  der  Jude 
im  Inland  machen  konnte;    ebenso    wenig  war  es  fttr  die 
Apostel  eine  Nebenreise,  vielmehr  eine- Rflck reise  in  ihre 
Heimath ;    waa   aber  Jesus  dorch  Jene  Weisung  den  JOn- 
gern  untersagen  wollte,  kann  weder  das  Ausgehen  in  alle 
Welt  zur    Verkündigung   des  Kvangeiloms   gewesen   sein, 
wozu   sie    vor  der  Autgiefsung    des  Geistes   gar    keinen 
Trieb  in  sich  ver«pfirten;   noch  die  Verlegung  des  Wohn- 
sitzes von  Jerusalem  weg,   wo  sie  nur  als  festbesuchende    * 
Fremde  sieh  aufhielten:  sondern  eben  von  der  Reise  mjfs 


j)  In  LatsiKS*»  Beiträgen,  a.  a.  O.  S.  485. 

2)  Michaelis,  S.  259  f. ;  -KuiaiiL,  in  Luc.  p.  743. 

Dum  Leiern  Jesu  ütj  Aufl.  IL  Bamd.  41 


/.' 


Mt  Dritter  Abtchnitt. 

sie  JesQ«  baben  Borfickhalten  wollen,  welche  so  mmchei 
ihnen  am  hüchsten  lag,  d.  h.  von  der  Rflekkehr  in  ihre 
Heimath  Galillia  nach  Verflub  der  FesUage.  Ueberdieb  — 
worüber  auch  Michaelis  gesteht,  sich  wundern  eo  müi- 
sen  —  wenn  Lokas  dnrch  jenes  Verbot  Jeso  die  Reiie 
nach  Galiläa  nicht  ansschliersen  will ,  warom  erwfihnt  er 
derselben  mit  keinem  Wort?  nnd  ebenso,  wenn  M^ttbiot 
sich  bewufst  war,  dafs  seine  Hinweisnng  nach  Galilfia  sich 
mit  dem  Befehl ,  in  der  Hauptstadt  co  bleiben ,  vertrag 
warum  hat  er  diesen,  sammt  den  Jerusalemischen  Erschei- 
nungen, fibergangen  SF  gewifs  ein  deutlicher  Beweis,  dtb 
jeder  von  beiden  einer  andern  Grundansicht  vom  Scbaii" 
platse  der  firsoheinupgen  des  auferstandenen  Jeans  p- 
folgt  ist. 

In  diesem  6edr£nge,  swei  an  demselben  Tag;e  gege- 
bene eDtgegengesetr.te  Befehle  ausammensureimen,  bot  dit 
Vergleicbung  der  Apostelgeschichte  eine  erwünschte  Hfilfe 
durch  Unterscheidung  der  Zeiten  dar.  Hier  findet  sick 
nämlich  der  Befehl  Jesu,  Jerusalem  nicht  au  verlaaaen,  ii 
seine  letate  Erscheinung,  40  Tage  nach  der  Auferste- 
hung, unmittelbar  vor  der  Himmelfahrt,  verlegt;  an 
Schlüsse  des  Lnkasevangelinms  ist  es  gleichfalls  die  letste 
mit  der  Himmelfahrt  schliefsende  Zusammenkunft,  in  wet 
oher  Jener  Befehl  ertbeilt  wird ;  und  wenn  man  nun  gleichi 
die  gedrängte  Darstellung  des  Evangeliums  ffir  aich  g^ 
nommen,  glauben  mfifste,  das  Alles  sei  noch  am  Tage  der 
Auferstehung  selbst  vorgegangen:  so  ersehe  man  doch, 
heafst  es,  aus  der  A.  6.  desselben  Verfassers,  dafs  swi- 
schen  V.  43  und  44  im  letaten  Kapitel  seines  Evangelioai 
die  40  Tage  von  der  Auferstehung  bis  sur  Himmelfabrt 
igitten  inne  liegen»  Hiemit  aber  verschwinde  auch  der 
scheinbare  Widerspruch  jener  beiden  Weisungen:  deaa 
gar  wohl  könne,  wer  auerst  swar  an  einer  Reise  nach 
Galiläa  angewiesen  hatte,  40  Tage  später,  nachdem  diese 
Reise  gemacht,  und  man  in  die  Hauptstadt  surfichgekehit 


Viertes   Kapitel.     $.  136.  .   643 

war,  nanmehr  jede  weitere  Entfernang  von  da  verboten 
haben  ^J.  Allein  so  wenig  der  au  befahrende  Widerspruch 
verschiedener  M.  T.  liehen  Schriftsteller  ein  Grnnd  sein 
darf,  von  der  natarlichen  Deotuog  ihrer  AossprOche  ab- 
angeben :  so  wenig  kann  man  hiean  durch  die  Furcht  be« 
rechtigt  sein,  es  möchte  sonst  ein  und  derselbe  Autor  in 
verschiedenen  Schriften  sich  widersprechen ;  da,  wenn*  die 
eine  etwas  spfiter  als  die  andere  geschrieben  ist,  der 
Schriftsteller  in  der  Zwischenaeit  Qber  Manches  anders 
berichtet  worden  sein  kann,  als  er  es  bei  Abfassung  der 
ersten  Schrift  war.  Dafs  diefs  in  Beeng  auf  den  Lebens- 
abschnitt Jesu  nach  der  Auferstehung  bei  Lukas  wirklich 
der  Fall  war,  davon  werden  wir  uns  bei  Gelegenheit  der 
Himmelfabrtsgesobichte  Qberseugen:  womit  dann  jeder 
Grund  verschwindet,  swischen  das  eq^ayer  V.  43.  und  eitis 
dt  V.  44.  gegen  den  Augenschein  eines  unmittelbaren  Zn- 
sammenhangs beinahe  5  Wochen  Zwischeneeit  einznschie- 
b«n  ;  ebenso  aber  auch  die  Möglichkeit,  die  entgegengeseta- 
ten  Befehle  Jesu  bei  Matthins  und  Lukas  durch  Dnter- 
,   Scheidung  der  Zeiten  su  vereinigen. 

indefs ,   gesetst  auch ,   dieser  Widerspruch  liefse  sich 
,   auf  irgend  eine  Weise  heben ,  so  würden  dennoch ,  selbst 
ohne  jenen  ausdrOcklichen  Befehl,  welchen  Lukas  meldet, 
auch  die  blofsen  Thatsachen,    wie  sie  bei  ihm  und  seinem 
.    Vormann  und  Nachfolger  erzählt  sind,   mit  der  Weisung, 
welche  Jesus  bei  Matthfius   den  Jüngern   ertheilt,    unver- 
einbar bleiben.     Denß  haben  ihn,  fragt  der  VVolfonbOttler, 
I    die  sSmmtiichen  Jünger   su  sweien    Malen   in    Jernsalem 
,   gesehen ,  gesprochen ,  betastet  und  mit  ihm  gespeiset :  wie 
,    kann  es  sein,  dafs  sie,  um  ihn  au  sehen,  die  weite  Reise 
nach  Galiläa  haben  thun    müssen  *)  ?  Die  Harmonisten  er- 
wiedern  swar  dreist,  damit,  dafs  Jesus  den  Jüngern  sagen 


o)  ScHLiiERMAcaBR,  Über  den  Lukas,  S.  299  f. ,   Paulus^  S.  910. 
^)  a.  a.  O.  S.  486. 

41* 


644  Dritter  Abtehnitt. 

lasse,  in  Galiläa  werden  aie  ihn  s^hen,  sei  keineswegs  ge- 
sagt, dafs  sie  ihn 'sonst  nirgends,  namentlich  nicht  in  J^ 
rusalem,  sehen  würden  ')•  Allein,  Jiönnte  ihnen  der  Wol- 
fen büuler  In  seiner  Weise  entgegnen,  so  wenig,  wer  ti 
mir  sagt:  geh*  nach  Rom,  dort  wirst  da  den  Pabst  Mheo, 
meinen  kann,  der  Pabst  werde  swar  so  vor  noch  dordi 
meinen  jetsigen  Aufenthaltsort  kommen,  und  da  lon  niif 
gesehen  werden  können ,  hernach  aber  soll  ich  auch  noch 
nach  Rom  geben,  -om  ihn  dort  wieder  bu  sehen :  so  weoig 
würde  der  £ngel  bei  Macthäns  and  Markus,  wenn  er  ron 
der  jerusalemisohen  Erscheinung  noch  am  nämlichen  Tage 
etwas  geahnt  hätte,  den  Jüngern  gesagt  haben:  gehet  nxeh 
Galiläa,  dort  wird  sich  euch  Jesus  eelgen;  sondern:  uÜ 
nur  getrost ,  hierselbst  in  Jerusalem  werdet  ihr  ihn  m 
Abend  noch  sa  sehen  bekommen.  Wozu  die  Verweisang 
auf  das  £niferntere ,  wenn  ein  gleichartiges  Näheret  di- 
a wischenlag?  und  wo£Q  eine  Bestellung  der  Jünger  niek 
Galiläa  dnreh  die  Weiber,  wenn  Jesus  vorhersah,  am  ni» 
lieben  Tage  noch  die  Jünger  persönlich  sa  sprechen?  Mit 
Recht  beharrt  die  neuere  Kritik  auf  dem,  was  sfehon  Lks- 
81NG  geltend  gemacht  hat  ^,  dafs  kein  Vernünftiger  seioei 
Freunden  durch  eine  dritte  Person  eine  spätere  Zotta* 
menkunft  aii  fireudigem  Widersehen  an  einem  entferoteo 
Ort  anberaumen  lasse,  wenn  er  noch  an  demselben  Tc{ 
unii  Öfters  am  gegenwärtigen  Orte  sie  su  sehen  gewüi 
sei  ').  Kann  mithin  der  Engel  und  Jesus  selbst,  als  ne 
am  Morgen  durch  die  Frauen  die  Jffhger  nach  Galiläa  be- 
schieden,   noch  nichts  davon  gewjufst   haben,   dals  er  la 


5)  C>AisaBACH,  Vorlesungen  über  Hermeneutik  des  N.  T.,  ^ 
Anwendung  auf  die  Leidens-  und  AuferstehungsgefcJiichle 
Christi,  herausgegeben  von  Stbixsr,  S.  314. 

6)  Duplik,  Werke,  6.  Bd.  S.  352. 

7)  ScHKBcxBKBVRCBR,  Über  den  Urapr.  de!  ersten  kanon.  Etis{m 
S.  17  L 


Viertes  RapIteL    %  136.  64ft 

Abende  denelben  Tages  bei  nnd  io  Jeratalem  sich  ihnen 
K<»igen  werde:  so  mafs  er  also  am  Morgen  noch  Im  Sinne 
guthabt  haben,  sogleich  oaeh  Gaiilka  an  geben,  im  Verlanfe 
des  Tags  aber  aof  andere  Gedanken  gekommen  sein.  Von 
jenem  anftnglichen  Vorsatse  findet  sich  naeh  Paulus  *) 
auch  liei  Lukas  eine  Spnr,  in  der  Wanderung  Jesn  nach 
dem  in  der  Richtung  gegen  Galilfia  hin  gelegenen  Emmans ; 
als  Grand  der  Abänderong  des  Plans  al>er  yermutbet  der- 
selbe Aasleger,  welchem  hierin  Olsbauskv  beistimmt  0) 
den  Unglauben  der  Jflnger,  wie  er  sich  Jesu  nameaclieh 
bei  Gelegenheit  des  Gangs  naeh  Emmaus  su  erkennen  ge- 
geben hatte.  Wie  sich  eine  solche  irrige  Berechnung  von 
Seiten  Jesu  mit  der  orthodoxen  Ansicht  von  seiner  Person 
vertrage,  mtfge  bteliei  Olshaussm  zusehen ;  aber  auch  rein 
menschlich  betrachtet,  liegt  kein  genügender  Grund  Jener 
Umstiramung  vor*  Namentlich  seit  Jesus  von  den  beiden 
Enmauotischen  Jflngern  erkannt  worden  war,  durfte  er 
gewifs  sein,  dafs  das  Zeugnlfs  der  Männer  die  Aussage 
der  Weiber  so  beglaubigen  würde,  um  die  Jünger  wenig- 
stens mit  glimmenden  Funken  des  Glaubens  nnd  der  Höfl^ 
nnng  räch  Gsliläa  zu  führen,  üeberhaupt  aber,  wenn 
eine  Dmstimmong  nnd  eine  Verschiedenheit  des  Plans  Jesa 
vor  nnd  nach  derselben  stattfand:  warum  gibt  dann  kein 
Evangelist  von  einem  solchen  Wendepunkte  Nacbrichtt 
sondern  spricht  Lukas  so,  wie  wenn  er  von  dem  nr- 
sprflnglichen  Plane;  Rfatthlius,  wie  wenn  er  von  einer  spi« 
teren  Ablndernng  desselben  nichts  wüfste;  Jobannes,  als 
ob  der  Hauptschauplata  der  Erscheinungen  des  Auferstan- 
denen Jerusalem  gewesen,  nnd  er  nur  nachträglich  auch 
einaal  nach  Guliläa  gekommen  wäre;  endlich  Markus  so, 
dafs  man  wohl  sieht,  er  hat  die  anftngliche  Weisung  naeh 
Galiläa,  welche  er  ans  Matthäus  |    nnd  die  folgenden  Kv^ 


8}  Exeg.  Haiidb.  3«  b,  S.  835. 
9)  Bibl.^  Comm.  S,  S.  5U. 


fi 


046  Dritter  Abftohnitt. 

«cbeinungen  in  Jerusalem  und  der  Umgegend,  welche  er 
aus  Lukas,  und  woher  sonst  noch,  schöpfte,  auf  k«ae 
Weise  EU  vereinigen  gewnfst  oder  auch  nur  gesucht,  son- 
dern sie  roh  und  widersprechend,  wie  er  sie  fand,  so- 
sammengestellt  ? 

Mufs  man  demnach  mit  der  neuesten  Kritik  des  Hat- 
thSuscTangeliums  den  Widerspruch  swischen  diesem  und 
den  übrigen '  in  Besug  auf  die  Oertlichkeit  der  Erschei- 
nungen Jesu  nach  der  Auferstehung  anerkennen :  so  fragt 
es  sich,  ob  man  derselben  auch  darin  beistimmen  kann, 
dafs  sie  ohne  Weiteres  die  Darstellung  des  ersten  ErsD- 
geliams  gegen  die  der  tthrigen  aufgibt  ?  ^^)  Stellen  wir, 
abgesehen  von  vorausgesetetem  apostolischen  Drsprang  det 
einen  oder  andern  Evangeliums,  die  Frage:  welche  der 
beiden  abweichenden  Darstellungen  eignet  sich  mehr  dasii, 
als  traditionelle  Cm-  und  Weiterbildung  der  andern  ange- 
sehen EU  werden?  so  können  wir  hier,  anfser  der  all^ 
meinen  Beschaffenheit  der  Er2fihlungen ,  noch  aof  eioei 
einseinen  Punkt  sehen ,  an  welchem  beide  sich  aof  cht- 
rakteristische  Weise  berOhren.  Diefs  ist  die  Anrede  der 
Engel  an  die  Frauen ,  in  welcher  nach  sfimmtlichen  Syo- 
Optikern  Galilfia's  gedächt  wird ,  aber  auf  verschiedeoe 
Weise.  Bei  Matthäus  sagt  der  Engel,  wie  schon  erwfihnt, 
von  Jesu :  nqoayu  v^ag  eig  trpf  raXiXaiccv  —  Idö  eiTtov  vith 
C2S,  7.)«  Bei  Markus  sagt  er  dasselbe,  nur  dafs  er  ststt 
des  letsteren  Zusatzes,  durch  welchen  bei  Matthäus  der 
Engel  seine  eignen  Worte  den  Frauen  einprägen  ^11,  des 
Zusats  hat :  xad^wg  eiTiev  vfdvy  mit  welchem  er  sie  auf  die 
frühere  Vorherssge  Jesu  über  diesen  Gegenstand  surllck- 
weist.  Vergleichen  wir  zunächst  diese  beiden  Darstellan- 
gen :    so  könnte  leicht  das  bekräftigende   elicov  vfilv  fiber- 


10)  Wie  Schulz^  über  das  Abendmahl,  S.  32i  >  Scu]VRCKK>Büii6im, 
a.  «.  O. 


J 


Viertes  Kapitel.    $.  136.  647 

flüssig  and  nichtssagend  erscheinen,  dagegen  die  Zurücli- 
weisung  anf  Jesu  frflhere  Vorhersagnng   durch  ern^y  pas- 
sender, und  darauf  Itännte  man   die  Vermothnng  begrfin- 
den,    dafs   hier  vielleicht  Harlios   das  Richtige  und   Ur- 
sprfingliche,  Matthfios  aber   ein  nicht  ohne  MiCsverstfind- 
nifs  Abgeleitetes  halle  ")•    Ziehen  wir  nun  aber  auch  den 
Bericht  des  Lukas  in   die  Vergieichung   herein :    so  wird 
auch  hier,  wie  bei  Markus,  durch  ein  ^tinja^tej  cog  ikalt^- 
aty  vfuv  IVt  wv  iv  rfj  FaltXaii^ey  leyiov  x,  r.  L  auf  eine  frfl- 
here Vorhersage  Jesu  surfickgewiesen,  aber  nicht  auf  eine 
nach  GaliiSa  weisende,   sondern   auf  eine  in  Galiläa  gege- 
bene.   Hier  fragt  sich:  ist  es   wahrscheinlicher,  dafs  das 
nrsprflnglioh  sur  Bestimmung  des  Locals ,  in  welohem  die 
Weissagong  der  Auferstehung  gegeben  wurde,    hlnsuge« 
setfete  Galillia  später  irrig  als  Bestimmung  desjenigen  Lo- 
cals, wo  der  Auferstandene  erscheinet  wollte,  umgedeutet 
worden  iat,  oder  umgekehrt?  Diefs  mufs  sich  darnach  ent« 
scheiden,  in  welcher  von  beiden  Stellungen  die  Erwähnung 
6alilSa*s    inniger  in   den  Znsammenhang  pafst.     Dafs  nun 
bei  VerkOndIgung  der  Auferstehung  Alles   darauf  ankam, 
ob  und  wo  der  Auferstandene  sn  sehen  sei,   erhellt  von 
selbst ;    weniger  lag ,  wenn   auf  eine  frflhere  Weissagung 
snrfick gewiesen  werden   sollte,    daran,    wo  diese  gegeben 
worden  war.    Hienach  könnte  man  schon  yon  dieser  Ver- 
gieichung der  Stellen  aus  es  wahrscheinlicher  finden,  dafs 
es  ursprfinglich  geheifsen  haben  m5ge,  d,er  Engel  habe  die 
Jünger  nach  Galiläa  gewiesen ,   um  dort  den  Auferstande- 
nen EU  sehen  (Matth.) ;  hierauf  aber,  als  die  Erzählungen 
von  Judäischen  Erscheinungen   Jesu   die   galiläiscben   ver- 
dränge hatten,  habe  man  das  Galiläa  in  der  Engelrede  da* 


11)  Wess wegen  Micrablis,  S.  118  f. ,  such  bei  Matth'aiis  nn^v 
fUr  die  ursprüngliche  Lesart  hält.  Vgl.  Wsissi,  die  cvang. 
Geschichte,  3,  S.  347  f. 


648  Dritter  Absehnitt. 

aIo  oiDgeatellty  dafs  es  nan  hieft,  tehon  in  Galiiln  habe 
Jesaa  «eine  Auferstehung  vorhergeaagt  (Liubaa);  worAof 
dann  Markus  Termittelnd  eingetreten  sn  sein  seheint ,  in* 
dem  er  mit  Lukas  das  eiTtary  in  bItuv  verwandelt ,  auf  Ja- 
sum  beeog,  Galiiäa  aber  mit  Mattblina  ais  SebanpIatK  nicht 
der  frfiheren  Vorbersagung^  sondern  der  berorstebendes 
Erscheinung  Jesu  beibehielt« 

Ziehen  wir  hierauf  die  allgemeine  Beschaffenheit  der 
beiden  Erslihlungen  und  die  Natur  der  Sache  in  Betracht, 
so  stehen  der  Annahme,  dafs  Jesus  nach  seiner  Aofersts- 
hung  den  Jüngern  wirklich  mehreremale  in  and  bei  Je- 
rusalem ersohienen  sei,  die  Kunde  hievon  aber  aas  der 
Ueberiieferung,  wie  sie  dem  ersten  Evangelium  sum  Grunde 
lag,  sich  verloren  habe,  dieselben  Schwierigkeiten  entge- 
gen, und  die  entgegengesetste  hat  eben  so  viel  fUr  sich, 
wie  wir  diefs  bei  einer  früheren  Untersuchung  in  Betag 
auf  die  mehreren  Festreisen  und  Judiiischen  Aufentbalte 
Jesu  gefunden  haben  '').  Dafs  die  jerusalemischen  Er 
scheinungen  des  Auferstandenen  in  Galilla,  wo  dieser 
Voranssetsung  nach  die  Matfh&ustradition  sich  bildete,  no- 
absiohtlich,  also  durch  völliges  Verschwinden  der  Kunde 
von  denselben,  in  Vergessenheit  gekommen  wllren,  lllit 
sich  bei  der  Wichtigkeit  gerade  dieser  *  Erscbeinanges, 
welche,  wie  die  vor  den  versammelten  Eilfen  nnd  vsr 
Thomas,  die  sichersten  Zeugnisse  für  die  RealitXt  der  Anf- 
erstehung  enthielten,  and  bei  dem  organisirenden  Einflofi 
der  Gemeinde  in  Jerusalem,  nicht  wohl  denken;  dafa  mao 
aber  in  GaliUa  von  den  Judiiischen  Erscheinungen  Jesn 
«war  gewufst,  der  Verfasser  des  ersten  Evaogeliama  aber 
aie  absichtlich  verschwiegen  haben  sollte,  um  seiner  Pro* 
vina  allein  die  Ehre  derselben  au  erhalten ,  diefs  aetst  ei* 
Den  galilliischen  Particularismus,  eine  Opposition  der  dor- 
tigen Christen  gegen  die  Gemeinde    sn  Jerusalem  voraus. 


12)  1.  Bandy  $.  56. 


Viertes  Kapitel.    S*  1S6.  649 

woyon  uns  Jede  geschichtliche  Spor  abgeht.    Das  andere 
Mögliche  hingegen,  dafs  vieUeiohr,  nachdem  nrs|frllnglich 
blofs  galilXische  Erseheinnngen  des  Anf erstandenen  bekannt 
gewesen    waren,   in  der  Deberlieferung  allmfihlig  immer 
mehr  jnd&isehe  und  Jerosaiemische  hinsugefügt,  nnd  durch 
diese   endlieh  jene  gans    Terdrfingt  worden  sein   mögen, 
läfst  sich  durch  mancherlei  Grfinde  cur  Wahrscheinlichkeit 
erheben*    Schon   der  Zeil    nach   war  die  Kunde   von  der 
Auferstehung  Jesu   um  so   schlagender,  je  unmittelbarer 
seine  Erscheinungen   auf  Begrfibnifs   und  Wiederbelebung 
gefolgt  waren':    sollte   er  aber   erst  in  Galilfia  erschienen 
sein,  so  fand   eine  solche   unmittelbare  Aufeinanderfolge 
nicht  statt;  femer  war  es  eine  nstOrliche  Vorstellung,  dals 
sich  die  Auferstehung  Jesu  an  Ort  und  Stelle  seines  To- 
des durch  Erscheinungen  documentirt  haben   müsse;  end- 
lich aber  der  Vorwurf,  dafs  Jesus  nach  seiner  angeblichen 
Wiederbelebung  nur  den  Seinigeu,    und  awar  in   einem 
Winkel  von  GalilSa^  erschienen  sei,  war  dadurch  einiger- 
mafsen  surOckgewiesen ,    wenn  man  sich   darauf  berufen 
konnte,  dafs  er  vielmehr  in  der  Hauptstadt,   mitten   unter 
seinen  ergrimmten  Feinden,  aber  freilich  von  diesen  weder 
ABU  sehen  noch  su  greifen,    als  Auferstandener  gewandelt 
habe.    Hatte  man  aber  einmal  mehrere  Erscheinungen  Jesu 
nach  Judfta  und  Jerusalem  verlegt:   so   verloren    die  gali- 
Jfiischen  ihre  Wichtigkeit,  und   konnten  hinfort  entweder' 
in  der  nntergeordneten  Weise,  wie  im  vierten  Evangelium, 
nachgetragen  werden,   oder   auch,   wie  im  dritten,  gauB 
ausfallen.     Da  diesem^  vom  Standpunkte  möglicher  Sagen« 
bildnng  aus  sich  ergelienden  Resultate  hier  nicht  wie  oben 
In  der  Untersuchung  Über   den  Schanplata  der  Wirksam- 
keit des  lebenden  Jesus  vom   Gesichtspunkt  der  VerhSlt- 
nisse  und  Absichten  Jesu   aus  ein    umgekehrtes  sieh  ent- 
gegensetst :  so   dörfen    wir  im  Widerspruch  gegen  die  je- 
tsige  Kritik  bu  Gunsten   des  ersten  Evangeliums  entsohei- 
ilen,  dessen  Berieht  Aber  das  Erseheinen  des  Anferstande- 


650  Dritter  Abschnitt. 

nen  ohnehin  als  der  einfachere  nnd  minder  schwierige  sieh 
empfehlen  wird  *'). 

Was  non  die  Erscheinungen  des  auferstandenen  Jesu 
im  Elnselnen  betrifft,  so  hat  deren  das  erste  EvangeliuB 
Bwei:  eine  am  Auferstehupgsmorgen  For  den  Freuen 
(29,  9  f.) 9  nnd  eine,  unbestimmt  wann,  vor  den  EUfen  in 
Galiläa  (28,  16  ff.)-  Markus  hat,  in  übrigens  blofs  sna- 
marischer  Angabe,  drei:  die  erste,  welche  am  Horgen  der 
Auferstehung  der  Maria  Magdalena  (16,  9.  f*)»  eine  an- 
dere, welche  swei  aufs  Land  gehenden  Jüngern  (16,  ]2.)| 
und  eine  dritte,  welche  den  su  Tische  sitzenden  Eilfes, 
ohne  Zweifel  in  Jerusalem,  eu  Theil  geworden  ist  (16, 14.)* 
Lukas  ersühlt  ewar  nur  swei  Erscheinungen :  die  vor  den 
Emmauntischen  Jüngern  am  Auferstehungstag  (24,  13  ff.) 
und  die  letzte,  vor  den  Eilfen  und  andern  Jüngern  sa  Je- 
rusalem, nach  24,  30  ff.  am  Abende  desselben  Tags,  nach 
A.  G.  1,  4  ff.  vierzig  Tage  später;  aber  wenn  den  Esh 
mauntischen  Wanderern  bei  ihrem  £intritte  zu  den  Apo- 
steln diese,  noch  ehe  Jesus  in  ihre  Mitte  getreten  ist,  eot- 
gegenrufen:  rffkQS^tj  o  KvQiog  oyiiog  xal  wqr^  JSift(an 
(24,  34.):  so  wird  hier  eine  dritte  Erscheinung  vorausge- 
setzt ,  welche  dem  Petrus  allein  zu  Theil  geworden  war. 
Johannes  hat  vier  dergleichen  Erscheinungen:  die  erttc^ 
welche  der  Maria  Magdalena  am  Grabe  zu  Theil  wurde 
(20,  14  ff.);  die  zweite,  welche  die  Jünger  zu  Jerusalea 
bei  verschlossenen  Thüren  hatten  (20,  19  ff.);  die  dritte, 
acht  Tage  später,  ebenfalls  in  Jerusalem,  bei  welcher  Tbs- 
roas  sich  überzeugte  (20,  26  ff.);  die  vierte,  unbestimmt 
wann,  am  galilliischen  See  (21.)«    Hier  ist  nun  aber  aiieb 


IS)  Dasf  die  wahre  Localität  fUr  die  Erscheimingen  des  Aafer- 
ftandenen  vor  den  Jüngern  Galiläa  sei,  damit  stimmt  auch 
WsissB  ,  2 ,  S.  358  ff.  9  überein ;  nur  dass  er ,  seiner  synop« 
tischen  Grund  ansieht  zufolge ,  dem  Berichte  des  Markos  ^t>r 
dem  des  Matthäus  den  Vorzug  zuerkennt. 


Viertes  Kapitel.    %  136.  Ii51 

eine  Nachricht  des  Apostels  Paolus  so  berflcksicbtigeD, 
welcher  1  Kor.  15 ,  5«  ff.,  wenn  man  die  ihm  selbst 
EU  Theil  gewordene  Christophanie  abrechnet ,  fttnf  Kr- 
scheinungen  des  Anferstandenea  ersählt,  ohne  sie  je- 
doch nfiher  so  beschreiben:  suerst  eine  dem  Kephas  ge* 
wordene;  dann  eine  vor  den  Zwdlfen ;  hierauf  eine  vor 
mehr  als  fflnfhondert  Brfidem  auf  einmal;  weiter  eine 
vor  Jaliobos,  und  endlich  eine  vor  sämmtliehen  Aposteln. 
Wie  fflgen  wir  nun  diese  verschiedenen  Erscheinnngen 
in  einander  ein?  Den  Anspruch  darauf,  die  erste  su  sein, 
macht  bei  Johannes,  und  aosdrOckliober  noch  bei  Markos, 
die  der  Maria  Magdalena  eu  Theil  gewordene.  —  Die 
Eweite  mQfste  das  Zusammentreffen  Jesu  mit  den  vom 
Grabe  zurQckkehrenden  Weibern,  bei  Hatthfios,  gewesen 
sein ;  da  aber  unter  diesen  Magdalena  gleichfalls  war,  und 
keine  Spar  vorbanden  ist,  dafs  sie  schon  vorher  den  Auf- 
erstandenen hitte  gesehen  gehabt:  so  k(Ninen,  wie  bereits 
bemerkt,  diese  beiden  Erscheinungen  nicht  aoseinanderge- 
halten  werden,  sondern  wir  haben  über  Eine  und  diesell>e 
einen  schwankenden  Bericht.  Dafs  Paulos,  welcher  in  der 
angefahrten  Stelle  spricht,  als  wollte  er  alle  Krseheinnn- 
gen  des  wiederbelebten  Christus  aufsählen,  von  denen  er 
v^nfste,  die  beseichnete  Übergeht,  kann  man  daraus  erldi- 
ren,  dafs  er  Weiber  nicht  als  Zeogen  anffiDbren  wollte. 
Da  die  Ordnung,  in  welcher  er  seine  Christophanien  wie- 
dergibt, der  Reihe  von  elra  und  msita  und  dem  Sohlofs 
mit  toxonov  nach  eu  urtheilen ,  die  Zeitfolge  eu  sein 
scheint  ^*) :  so  wlire  nach  ihm  d{e  Erscheinnng  vor  Kephas 
die  erste  einem  Manne  eu  Theil  gewordene  gewesen.  Diefs 
würde  sich  mit  der  Darstellung  des  Lukas  gut  vertragen, 
bei  welchem  den  Emmauntischen  Wanderern  bei  ihrem 
Eintritte  die  Jünger  eo  Jerusalem  mit  der  Nachricht  ent- 
gegenkommen, dafs  Jesus  wirklich  auferstanden  und  dem 


14)  f.  Billroth '•  Commentar  z.  d.  St. 


052  Dritter  Absehnitt. 

Simon  erschienen  «ei^  wa«  mSglicherweiee  noob  vor  de« 
ZusammeDtreffen  mit  jenen  beiden  der  Fall  gewesen  sein 
iLJfnnte.  —  Als  die  näebste  Erscheinung  mObte  aber  hier- 
auf nach  Lukss  die  suletat  genannte  genählt  werden,  wel- 
<Ae  Paulus  nicht  erw&hnen  wOrde,  etwa  weil  er  nor  die 
Aposteln  auTheil  gewordenen,  und  von  den  Obrigen  biob 
solche,  welche  ? or  grtffseren  Massen  erfolgt  waren,  aofso- 
fahren  gediiebtei  oder  wahrscheinlicher,  weil  er  von  der- 
selben nichts  wufste.  Markus  16,  12  f.  meint  offenbar 
dieselbe  Erscheiaung;  der  Widerspruch,  daft,  wMirend  bei 
Lukas  die  Tersammelten  Jttnger  den  von  Eromaaa  Kosi- 
menden  mit  dem  gl&obigen  Ruf:  ijyi(>07j  6  KvQiog  x.  t.  L 
entgegentreten,  bei  Markus  die  JGnger  auch  auf  die  Nach- 
richt jener  beiden  hin  noch  nicht  geglaubt  haben  solieni 
rfthrt  wohl  nur  von  einer  Uebertreibung  des  Markus  Imti 
welcher  den  Contrast  der  fibersengendsten  Eracheinangen 
Jesu  mit  dem  fortdauernden  Dnglauben  der  Jfinger  Dicht 
aus  den  Händen  lassen  will.  —  An  die  Emmanntisebe 
schliefst  sieh  bei  Lukas  unmittelbar  die  Ersehelnang  Jen 
in  der  Versammlung  der  hvdexa  und  anderer  an»  Diess 
hilt  man  gemeiniglich  ffir  identisch  mit  der  pauliniseheo 
Erscheinung  vor  den  doidexa^  und  mit  dem,  was  Johannes 
berichtet,  dafs  agi  Abend  nach  der  Auferstehung  Jesas  bei 
verschlossenen  Thfiren  su  den  Jüngern,  in  deren  Vers^ima- 
lung  fibrigens  Thomas  fehlte,  eingetreten  sei.  Uiegegeo 
darf  man  awar  das  h'vdexa  des  Lukas,  da  doch  nach  Jo- 
hannes nor  sehn  Apostel  dabei  gewesen  sind,  ebenso  vre- 
ntg  pressen,  als  bei  Paulus  das  dtidexa^  wo  doch  in  Jedem 
Falle  Judas  abge»eehnet  werden  mnfs;  auch  scheint  die 
bei  den  beiden  Evangelisten  gans  gleiche  Beschreibung  des 
flerbeikommens  Jesu  durch  ep]  iv  fiiaip  ccvzaiv  und  e^  dg 
%6  fiiaovy  und  die  Anffihrnng  des  Grufses:  äqtpnj  vfuy,  auf 
IdentitKt  beider  Erscheinungen  hinsuweisen;  indefa,  wenn 
man  bedenkt ,  wie  das  Betasten  des  Leibes  Jesu ,  welches 
bei  Johannes  erst  in   die    acht  Tage  spStere  firsobeinung 


Viertes  Kapitel,    i.  136.  6U 

ffiUt,  ond  das  Essen  vom  Bratfiseb,  welehes  Johannes  erst 
bei  der  noch  spftteren  galliiiscben  Erseheinong  bat,  ron 
Lukas  in  jene  Jemsalemisebe  am  Tage  der  Aoferstebong 
▼erlegt  wird :  so  erhellt,  dafs  —  wie  man  non  sagen  will  — 
entweder  der  dritte  Evangelist  hier  mehrere  Vorgänge  in 
Einen  ensammengesogeni  oder  der  vierte  Einen  in  mehrere 
aoseinander  geschlagen  bat»  Diese  Jerosalemisehe  Ersehei- 
nong vor  den  Aposteln  lidnnte  aber,  wie  oben  bemerkt, 
nach  Matthftos  gar  nicht  stattgehabt  hal»en,  da  dieser 
Evangelist  die  h'vSexa^  nm  Jesnm  an  sehen,  nach  Galiläa 
wandern  l&rst.  Markus  nnd  Lnkas  im  Evangelium  knOpfen 
an  dieselbe  die  Himmelfahrt  an,  sehliefsen  also  alle  späte- 
ren Erscheinungen  aus.  —  Der  Apostel  Paulus  hat  als 
die  nächste  Erscheinung  die  vor  500  Brfidem,  welche  man 
gewöhnlich  für  dieselbe  mit  derjenigen  hält,  die  Matthäus 
auf  einen  Berg  in  Galiläa  verlegt  ^') :  allein  bei  dieser  sind 
nur  die  evdtxa  als  gegenwärtig  angegeben,  und  aueh  die 
Gespräche,  welche  Jesus  mit  ihnen  fährt,  seheinen,  als 
vorwiegend  amtliche  Instructionen ,  mehr  fttr  diesen  enge- 
ren Kreis  EU  passen.  —  Demnächst  fährt  Paulus  eine  dem 
Jakobus  au  Theil  gewordene  Erscheinung  auf,  von  der 
auch  im  Hebräerevangellom  des  Hieronymus  sich  **inc  apo- 
kryphisohe  Nachricht  findet,  nach  welcher  sie  aber  die 
erste  von  allen  gewes^en   sein   mOfste  '0   —  Bierauf  wäre 


15)  Pavlvs,  exeg.  Handb.  3,  b,  S.  897 ;    Olsmausbn,  2,  S.  541. 

16)  Hieron.  de  viris  illustr.  2:  Evangelium  guogue,  guod  appeU 
latur  secundnm  Hebraeoty  —  post  resurredianem  SahatarU 
refert:  Dominus  tmtem,  poHgumm  dedisMt  Hndanem  tervo 
sacerdoti»  (wahrscheinlich  in  Bezug  auf  die  Wacbe  am  Grabe, 
weiche  hier  aaa  einer  rttmischen  xu  einer  priesterlichen  ge- 
ma(;|it  w'ire ;  s.  CREoifm,  Beitrage  xur  Einleit.  in  das  N.  T. 
S.  406  f.) ,  Mt  ad  Jacubum  et  appahät  et.  Juraeerai  enhn 
Jacoäus,  se  non  comesturum  panem  ab  itta  tutra,  qua  hihe-^ 
rat  eaUcem  Domini,  donec  viderei  eum  resurgentem  a  dar- 
mieniibus  (wie  undenhbar  ein  solches  Gelübde  bei  der  UoQ- 


654  Dritter  Abschnitt. 

fflr  Jene  Ersobeinnng  Ranm,  Ml  weloher  dem  vierten  Evan- 
geliam  enfolge  eeht  Tage  naeh  der  Aoferstebong  «lesB 
Tboma«  fiberseogt  worden  sein  soll;  womit  Paulus  gen«« 
fibereinstimnien  wdrde ,  wenn  wirklieb  sein  taii;  aTtogoi.oi: 
naaiv  (V.  7.)»  vor  weleben  er  seine  fünfte  Erscbeinnng 
vorgehen  ittfst,  von  einer  Plenarversammlung  der  Kilftf,  m 
Dntersehied  von  der  früheren  ^  bei  welcher  Thomas  ge- 
fehlt  hatte,  so  verstehen  wfire:  was  aber,  weil  Panlos, 
nach  der  hier  besprochenen  Voraussetaung,  auch  diese  sk 
eine  Erscheinung  vor  jmg  dcidfxa  bezeichnet  hatte ,  oa- 
mtfglioh  angebt,  sondern  der  Apostel  versteht  sowolil  unter 
iddexa  als  unter  ol  anogokoi  ndweg  die  sfimmtlichen,  da- 
mals übrigens  um  Einen  Mann  unvollzfihligen  Apostel  ia 
Gegensatz  gegen  die  einzelnen  Individoen  C^^pbas  oimI 
Jakobus)}  von  welchen  er  beidemale  unmittelbar  vorher  als 
von  solchen  gesprochen  hatte,  denen  eine  Christophanie 
zu  Theil  geworden.  Soll  aber  dennoch  die  fünfte  paoli- 
nische  Erscheinung  Jesu,  mit  der  dritten  johannelsches 
^  identisch  sein:  so  würde  nur  um  so* deutlicher  erhellei^ 
dafs  die  vierte  paulinische,  vor  den  500  Brüdern,  nicht  dia 
galiläische  des  Matthfius  sein  kann«  Da  nämlich  bei  J#* 
hannes  die  dritte  in  Jerusalem  statt  fand,  die  vierte  ab« 
in  Galllfin:  so  müfsten  also  Jesus  und  die  Zwölfe  nsck 
den  ersten  jernsalemischen  Erscheinungen  nach  Galiiii 
gegangen,  und  aof  dem  Berge  Bosammengekommeu  seia; 
hierauf  hfitten  sie  sich  wieder  naeh  Jerusalem  begeben, 
wo  Jesus  sich  dem  Thomas  zeigte;  dann  wieder  nach  Ga- 
liläa, wo  die  Erscheinung  am  See  erfolgte;  endlieh  aar 
Bimmelfahrt  wieder  nach  Jerusalem.     Um  diefs  swecklose 


nungslosigkeit  der  Jünger,  darüber  vgl.  Micrablis  ,  S.  123) 
Eursusgue  post  pauluium:  Afferte,  ait  Dominus,  memstm 
et  panem.  SiaHmgue  additur:  TuHt  panem  et  benedixii  ar 
fregit,  et  dedit  Jacahojusto  et  dixit  ei:  fraler  mi,  cmnedr 
panem  tuum ,   guia  resurrexit  fiUut  hominis  a  dormieniibms. 


Viertes  Kapitel.    §.  136.  635 

Hinondherwandem  eu  vermeiden,  and  doch  Jene  beiden 
£rtcheinangen  combiniren  zn  liönnen ,  verlegt  Olshausen 
die  Eracheinoog  vor  Thomas  nach  Galilfia :  ein  unerlaubter 
Gewaltstreioh,  da  nicht  nur  awlsehen  dieser  und  der  vor- 
hergehenden ,  eingestandnermafsen  jerusalemischen ,  Er- 
scheinoog  kefaier  Ortsverfinderung  gedacht,  sondern  der 
Versammlungsort  gana  auf  dieselbe  Weise  beschrieben 
ist,  ja  der  Zusatis :  rutv  dvQcJv  x&cleiafimov^  nur  an  die 
Hauptstadt  denked  Ixfst,  weil  in  dem  von  priesterlichem 
Hasse  gegen  Jesum  weniger  aufgeregten  Galiläa  sich  der 
Grund  jenes  Verschliefsens ,  der  q^oßog  rcSv  YadaiW,  nicht 
ebenso  denken  liifst*  —  Erst  da  also,  wo  mit  der  acht 
Tage  nach  der  Auferstehung  erfolgten  die  frühem  judäi- 
schen  Erscheinungen  au  Ende  sind,  bekfimen  wir  Kfaum, 
die  galiiäischen  des  Matthäus  und  Johannes  einzufügen. 
Mit  diesen  hat  es  nun  aber  die  eigene  Bewandtnifs,  dafs 
jede  von  beiden  die  erste,  und  die  des  Matthäus  noch 
aufserdem  sugieieh  die  letzte  zu  sein  den  Anspruch 
macht  '0-  Dorch  seine  ganze  Darstellung  nicht  nur,  son* 
dem  aoadrOcklich  durch  den  Zusatz :  a  ird^aro  avxdis  6  Y. 
zu  dem  galiiäischen  o^y  auf  welches  die  Eilfe  gingen, 
bezeichnet  Matthäus  diese  Erscheinung  als  diejenige,  auf 
welche  Jesus  am  Auferstehungsmorgen ,  zuerst  durch  den 
Engel,  dann  persönlich,  verwiesen  hatte;  nun  aber  verab- 
redet man  nicht  eine  zweite  Zusammenkunft  in  einer  Ge- 
gend, indem  man  die  erste  unbestimmt  läfst:  folglich  mufs, 
da  ein  unvorhergesehenes  frfiheres  Zusammentreffen  bei 
der  evangelischen  Vorstellung  von  Jesu  sich  nicht  denken 
lätst  *^ ,  jene  Zusammenkunft,  weil  die  veraln^udete,  auch 
die  erste  galiläische  gewesen  sein.  Kami  somit  die  Er- 
scheinung .am  See  Tiberias   bei  Johannes  unmöglich   vor 


17)  Lbssiks,  Dapiik»  S.  449  ff. 

i8)  Wie  auch  Kamii   zugibt ,   Hsuptthattscken ,  Tüb.  ZeiUchrift, 
1836,  3,  S.  57. 


(i56  Dritter  Abicbnitt. 

die  anf  dem  Berge  bei  Hatthloi  gesetst  werden :  lo  v^ill 

die  let£tere  Jene  ebeneowenig  nacb  sich  dnlden ,  da  lie  d 

nen  förmlioben  Abschied  Jesa  von  seinen  Jfingeni  enthfilt; 

auch  wüfste   man   gar  nicht,   wie   man   die  johanneiiche 

.Krscbciiturig    nach   der  eigenen   Angabe   des  £?angelUteB 

als  die   dritte   (fixiequioig  des  auferstandenen  Cbrittni  vir 

seinen  ftud-r^Tois  i^h  ^^O  heraosbringen  wollte,  wennaodi 

noeb   die  des   ersten  KFangelioms  ihr  TorangegangeD  leii 

sollte,     indefs,  auch  wenn  man  jene  voranstellt,  bleibt  dii 

Verlegenheit  mit  dieser   johanneischen  Zählung  grofs  g^ 

nag«    Zwar  die  Erscheinungen  vor   den  Weibern  dürfen 

wir  abrechnen,  weil  Johannes   selbst   die  der  Magdalena 

2D  Theil  gewordene  wohl  erslhlt,   aber  nkht  alhh;  oan 

aber,    wenn   wir  die  dem  Kephas  gewordene  als  die  erste 

Eählen,   nnd  die  Emmanntische  als  die  Ewcire:    so  wfirde 

Bwischen  diese  und  die  vor  den  Eilfen  am  Abend  des  Auf* 

erstehnngstags  in  Jerusalem  diese  galilfiische  als  die  dritte 

fallen,  was  eine  gane  unmöglich  aohnelle  Ortsverlndertii| 

Foraoesetsen  würde;  Ja,   w^nn  Jene  Erscheinung  vor  dei 

versammelten  Eilfen  diejenige  ist,    bei  welcher  nach  Jo> 

hannes  Thomas  fehlte:    so  fiele  die  dritte  Erscheinonf  bei 

Johannes  vor  seine  erste.     Vielleicht  aber,   wenn  wir  tlei 

Ausdruck :  ifavfQo'tih^  %dig  fua&r^TaTg  amä  betrachten,  d8^ 

feil  wir  nur  solche  Erscheinungen   von  Johannes  geti>\ik 

uns  denlien ,    welche   vor  mehreren  JOngern  eogleich  iiA 

ereigneten  ,    so   dafd  also  die  Erscheinungen  vor  dem  eto- 

aigen  Petrus  undJakobos  abanrechnen  wären.  Uennwlre 

als    die  erste  au   suhlen    die  den    beiden  EmmanneiKhen 

Jflngern  gewordene,    als  die   aweite   die  vor  den  vrr»a» 

melten  Eilfen   am  Abend  des  Anferstehungstags:  so  dafs 

nunmehr  in  die   acht  Tage  swischen  dieser  nnd  der  rar 

Thomas  die  Reise  nach  Galilfia  awar  etwas  bequemer  Mf^ 

aber  auch  so  die  dritte  Erscheinung  bei  Johannes  went^ 

stens  vor  seine  aweite.    Es  erschienen  also  wohl  deai  Ver 

faaser  des  vierten  Evangeliums  awei  Jünger,  wie  dir,  de- 


Viertes  Kapitel.    %.  13G.  ^7 

nen  Jesos  «af  dem  Weg  nach  Emmaas  begegnete,  als  eine 
an  geringe  Zahl,    um   eine  nnr  so  Helen  sn  Tbeil  gewor- 
dene Chriatophanie  als   ein   q>ay^q5ad-ai  zdig  ^adrfldig  £a 
suhlen.    Dann  wäre  also   der  Eintritt  in  die  JOngerver>' 
sammlong  am  Abend  die  erste  Erscheinung ;  hierauf  wären 
die  500  Brüder,  welchen  sich  Jesus  auf  Einmal  ceigte^  ge* 
wifs  sahireich  genug,   um  in  Anschlag  gebracht  bu  wer« 
den:   so  dafs  also   nach  dieser,   dann  aber  immer  wieder 
vor  der  dem  Thomas  und  den  anogoloig  naai  gewordenen, 
welche  Johannes  als  die  Eweite  slhlt,  seine  dritte,  die  ga« 
lilfiisehe,  eingeschoben  werden  müfste.     Vielleicht  aber  ist 
jene  Erscheinung  Jesu  vor   den  Ffinfhonderten  später  sn 
ietsen ,    so   dafs   nach  jenem  Eintritt  Jes0  in  d^e  Jünger» 
Versammlung  sunächst  die  Scene  mit  Thomas,  nach  dieser 
die  am  galiläischen  See,   und   hierauf  erst  der  den  Fünf- 
honderten   gewährte  Anblick   folgen  würde.     Dann  aber 
mufflte ,   wenn   doch  die  Erscheinung  vor  Thomas  diesellie 
lein  soll  mit  der  fünften  bei'm  Apostel  Paulos,  dieser  die 
beiden  letzten  Erscheinungen,  welche  er  aofsählt,   umge- 
Btellt  haben,  wobu  doch  Itein  Grund  vorhanden  war:  viel« 
mehr  lag  ea  näher,  die  Erscheinung  vor  500  Brüdern,  als 
iie  gewichtigste,  suletEt  sn  stellen.    Es   bliebe  also  nichts 
übrig ,  als   au  sagen ,   Johannes  habe  unter  den  ^tad^aJg 
mmer  nnr  eine  grüfsere   oder  kleinere  Versammlung  von 
Aposteln  yerstanden:  unter  den  Fünfhunderten  aber  seien 
(eine  Apostel  gewesen;  defswegen  habe  er  auch  (diese  über- 
langen, und  so  mit  Recht  die  Erscheinung  am  See  Tiberias  als 
lie  dritte  gesfihlt :    wenn   diese   nämlioh  vor  der  auf  dem 
aliläisehen  Berge  stattgefunden  haben  könnte ,  was  naeh 
lem  Obigen  undenkbar  ist.     Sind   schon    die  bisher  anbe- 
nemungaweise  versncliten  Auskünfte  zumTheil  lächerlich 
enug:    so  hat  dieselben  neuerdings  Kkrn  noch  überboten 
nrch   den   mit  grofser   Zuversicht  vorgetragenen  Einfall, 
ohannea  wolle  hier  nicht  die  Erscheinungen,  sondern  die 
Rge  zkhlen,  an  welchem  Erscheinungen  des  Anferstande- 
Da*  Leben  Jesu  Zte  Aufl.  ii.  Band.  42 


058  Dritter  Abschnitt. 

nen  «tattgefanden ,  so  dafs  rSro  ijdtj  T^/rov  iqiCtt*eQia&ij  6  */. 
T<H$  fiaih/cals  heifsen  soll:  |et£t  war  Jesos  deo  Seinigen 
bereits  an  drei  verschiedenen  Tagen  erschienen:  n&mlich 
film  Anferstehnngstage  viermal ;  dann  acht  Tage  daraof  ein- 
inal ;  jetzt,  einige  Tage  spfiter,  wieder  ^').  Vielmehr  bleibt 
nichts  übrig,  als  sn  bekennen,  der  vierte  Evangelist  sihle 
nur  diejenigen  Erscheinungen  -Jesu  vor  seinen  Jfingen, 
welche  er  selbst  ercfihlt  hatte ;  und  davon  wird  der  Grund 
schwerlich  gewesen  seini  dafs  ihm  die  übrigen  aos  ii^end 
welchen  Ursachen  minder  bedeutend  schienen,  sondern, 
dafs  er  nichts  von  denselben  wuPste  ^^.  Wie  denn  auch 
wiederum  Matthttus  mit  seiner  letuten  galilfiischen  Ersehet- 
nung  nichts  von  den  jerasalemischen  des  Johannes  gewolst 
haben  kann;  denn  wenn  sich  in  der  ersten  von  dieses 
beiden  sehn  Apostel,  in  der  sweiten  aber  selbst  Thoasi 
von  der  Realität  der  Aufersrehung  Jesu  überseugt  faattea: 
so  konnten  nicht  bei  jener  späteren  Erscheinung  aof  den 
galilfiischen  Berge  noch  einige  von  den  Eilfen  (denn  nir 
diese  Ififst  Matthäus  dorthin  kommen)  Zweifel  haben  («t 
de  idlgacixv  V«  17.)*  Endlich  aber;  wenn  Jesus  hier  sei- 
nen Jüngern  schon  die  leteten  Befehle,  lehrend  und  tso- 
fend  in  alle  Welt  an  gehen ,  und  die  Zusage ,  alle  Tsg» 
bis  cum  Ende  des  gegenwArtigen  Äon  bei  ihnen  an  aeiB, 
was  gana  Worte  eines  Scheidenden  sind,  gegeben  hatte: 
so  kann  er  nicht  später  noch  einmal,  wie  die  Apostelge* 
schiebte  im  Eingang  meldet,  bei  Jerusalem  ihnen  die  leli' 
ten  Aufträge  ertheilt,  und  Abschied  von  ihnen  genomawn 
haben.  Nach  dem  Schlüsse  des  Lukasevangeituma  ftilt 
dieser  Abschnitt  im  Gegentheil  viel  früher,  ala  er  nach 
Matthäus  au  denken  wäre,  und  der  Schlufs  des  Markas- 
evangeliums  legt  dem  noch  am  Tage  der  Auferslebnog  aa 


19)  Hauptthatsachen,  a.  a.  O.  S.  47. 

20)  Vgl.  DB  Wrrrs,  exeg.  -Handb.  1,  3,  S.  205..  210;  Weit»,  die 
evang.  Gesch.  2,  S.  409. 


Viertes  Kapitel.  $.  136.  65(1 

tlerasalem  von  seinen  Jfingern  Scheidenden  «am  Theil 
dieselben  Worte  In  den  Mand,  welche  nach  Matthlfos  in 
GalilXa,  and  jedenfalls  spXter  als  am  Anferstehnngstage, 
gesprochen  sind.  Darauf,  dafs  die  zwei  Bücher  des  Einen 
Lakas  in  Bezog  auf  den  Zeitraum^  wfibrend  dessen  Jesaa 
nach  seiner  Aaferstehong  noch  erschien ,  so  weit  von  ein- 
ander abgehen,  dafs  das  eine  diesen  Zeitraum  als  etntffgig, 
das  andere  als  vierzigtffgig  bestimmt,  kann  erst  tiefer  un- 
ten nfihere  Rücksicht  genommen  werden. 

Wenn  so  die  verschiedenen  eTangeliscben  Berichter» 
statter  der  Erscheinongen  Jesa  nach  seiner  Anferstehnng 
nor  in  wenigen  derselben  zusammenstimmen ;  wenn  die 
Ortsbezeichnung  des  einen  die  von  den  fibrlgcn  berichte* 
ten  Erscheinungen  aasschliefst ;  die  Zeitbestimmung  eines 
andern  fdr  die  Erzfihlongen  der  übrigen  keine  Frist  Ififst; 
die  Zilhlang  eines  dritten  ohne  alle  Rflcksicht  auf  die  an- 
dern angelegt  ist;  endlich  unter  mehreren  von  verschiede- 
nen Referenten  berichteten  Erscheinungen  Jede  die  letzte 
sein  will,  und  doch  mit  den  fibrigen  nichts  gemein  hat: 
80  mflfste  man  absichtlich  blind  sein  wollen ,  wenn  man 
Dicht  anerkennen  würde,  daCs  keinier  der  Berichterstatter 
das,  was  der  andere  berichtet,  kannte  und  voraussetzte; 
dafs  jeder  die  Sache  wieder  anders  gehört  hatte ;  dafs  so- 
mit aber  die  Erscheinungen  des  auferstandenen  Jesus  frOh- 
eeitig  nur  schwankende  und  vielfach  variirte  Gerüchte  im 
Umlsnf  weren  ^')- 

Dadurch  wird  übrigens  die  Stelle  aus  dem  ersten  Ko- 
rintherbriefe  nicht  erschüttert,  welcher^  unzweifelhaft  ficht,' 
etwa  um  das  Jahr  59  nach  Christo,  mithin^  noch  keine 
30  Jahre  nach  seiner  Auferstehung,  geschrieben  ist.  Die- 
ser Nachrieht  <nüssen   wir   das   glauben,    dafs   viele   zur 


20)  Vgl.  Kaisbr,  bibl.  Thcol.  1,  S.  254  ff. ;  db  Wbtt«,  s.  s.  O.  ; 
Ammoh  ,  Fortbildung,  2,  i,  Hap.  1 ;  Waissa ,  die  cvang,  Ge^ 
schichte^  2,  7te8  Buch. 

42* 


660  Dritter  AbsohiiitU 

Zeit  der  Al>fa88ang  des  Briefs  noch  lebende  Mitglieder 
der  ersten  Gemeinde,  namentlich  die  Apostel,  fiberzeugt 
waren,  Erscheinungen  des  aoferstan denen  Christas  gehabt 
2u  haben.  Ob  faiemit  auch  das  schon  gegeben  ist,  dafs 
diesen  Erscheinungen  etwas  objectiF  Wirkliches  zum 
Grunde  lag,  wird  später  zur  Untersuchung  kommen;  fiber 
den  gegenwärtigen  Punkt,  die  Abweichung  der  Evange> 
listen,  namentlich  in  Hinsicht  der  Oertlichkeit,  ist  aus  der 
Stelle  des  Paulus  keine  Entscheidung  zu  entnehmen,  so- 
fern er  keine  jener  Erscheinungen  näher  beschrieben  hat. 

.    S*    137. 

« 

Die  QualitSft  des  Leibes  und  Wandels  Jesu  nach  der 

Auferstehung. 

Wie  haben  wir  uns  nun  aber  diese  Fortsetzung  des 
Lebens  Jesu  nach  der  Auferstehung,  und  namentlich  die 
Beschaffenheit  seines  Leibes  in  dieser  Periode  voreostel- 
len?  Zu  dem  Ende  müssen  wir  die  einzelnen  Erzfihluogea 
von  den  Erscheinungen  des  Auferstandenen  noch  einmal 
durchsehen. 

Mach  Matthäus  begegnet  CdmjiTf^ev)  Jesus  am  Auf- 
erstehungsmorgen den  vomGrabe  zurückeilenden  Weibern; 
sie  erkennen  ihn ,  umfassen  verehrungsvoll  seine  Filfse, 
worauf  er  zu  ihnen  spricht«  Bei  der  zweiten  ZusammeB« 
kunft  auf  dem  galiläischen  Berge  sehen  ihn  die  Jünger 
Cido^Tfc),  doch  zweifeln  einige  noch,  und  auch  hier  spricht 
Jesus  zu  ihnen«  Von  der  Art,  wie  er  kam  und  ging,  wird 
hier  nichts  Näheres  gesagt. 

Bei  Lukas  gesellt  sich  Jesus  zu  zwei  Jfingem,  die 
auf  dem  Wege  von  Jerusalem  in  das  benaehbarte  Dorf 
Emmaus  waren  (Jyylaag  aw&toqeveco  avTdii;}^  diese  erken- 
nen ihn  unterwegs  nicht,  was  Lukas  einem  durch  hShere 
Einwirkung  in  ihnen  hervorgebrachten  subjectiven  Hinder- 
nifs  Col  SifO-alficl  avzwv  exQcctSvTo^  tS  fnij  imyvbk'ai  cnVoi)} 
und  erst  Markus,   der  dieses  Ereignifs  in  wenige  Worte 


Viertes  Kapitel.    $.  137.  661 

zosammendrfingt,  einer  objectireo.  Veränderang  seiner  Ge- 
stalt Boschreibt  (ev  krigif  fMQq>fi)*  Auf  dem  Weg  unter* 
hfilt  sich  Jesus  mit  den  beiden ,  begleitet  sie  nach  der  An* 
iKunft  ins  Dorf  auf  ihre  Einladung  in  ihr  Quartier^  setst 
sich  mit  ihnen  an  Tisehe,  und  flbernimmt  nach  seiner  Ge- 
wohnheit  das  Brechen  und  Vertheilen  des  Brotes,  in  die- 
sem Angenblicke  weicht  yon  den  Augen  der  Jünger  der 
wunderbare  Bann,  und  sie  erkennen  ihn  ^):  aber  in  dem- 
selben Momente  wird  er  ihnen  unsichtbar  (joiqxxmog  iyivezo 
aji  ccvTcSy)-  Ebenso  plötalich,  wie  er  hier  verschwand, 
scheint  er  sich  unmittelbar  ^nachher  in  der  Versammlung 
der  J Anger  geseigt  au  hallen,  wenn  es  heilst,  er  hal>e  mit 
Einem  Male  in  ihrer  Mitte  gestanden  (Ig^  iv  fdof  crt^cJv), 
und  sie,  hierüber  erschrocken,  haben  geglaubt,  einen  Geist 
cn  sehen.  Um  ihnen  diese  ängstigende  Meinung  an  be- 
nehmen, aeigte  ihnen  Jesus  seine  Hfinde  und  Ffilse,  und 
forderte  sie  sum  Betasten  anf,  damit  sie  durch  die  Wahr- 
nehmung seines  *  (Fcx^or  xal  dgia  .  enthaltenden  Leibes  sich 
fiberseugen  könnten,  dafs  er  kein  Gespenst  sei;  auch  lieb 
er  sich  ein  Stück  Bratfisch  and  etwas  von  einem  Honigku- 
chen gelten,  und  Versehrte  es  vor  ihren  Augen.  Die  dem 
Simon  au  Theil  gewordene  Erscheinung  lälst  Lukas  durch 
äq>ih^  beseiohnen,  was. auch  Paulus  im  ersten  Korintber- 
briefe  für  alle  dort  aufgeslhlten  Christophanien  gebraucht, 
und  sfimmtliche  Erscheinungen  des  Auferstandenen  wäh- 
rend der  Tieraig  Tage  fafst  Lukas  A.  G.  1,  3.  in  dem  Aus- 
druck arvTceyo/nevog  f  A.  G.  IB,  40.  durch  ifig}av^  yevia%^ai^ 
aasammen ;  ähnlich  wie  Markus  die  Erscheinung  to^  Mag- 
dalena durch  ifpdvrjy  die  ror  den  wandernden  Jüngern 
und  vor  den  Eilfen   durch   eq'ta'BQci&Tj,  Johannes  aber  die 


1)  Dass  et  die  bei'm  Brotbrechen  sich  enthüllenden  Nägelmale 
in  den  Händen  gewesen  seien,  an  welchen  hier  Jesus  erkannt 
wurde  (Paulus,  excg.  Handh.  3,  b,  S.  882;  KvinDl,  in  Luc. 
P-  7340.1    ist  ohne  alle  Andeutung  im  Text. 


662      ^  Dritter  Abschnitt. 

Erscheinung  am  See  Tiberias  durch  iq^avsQwüfv  ictvcoi'  be- 
Eelchoety  and  sämmtiiche  Christophauien ,  die  er  ersfihlt 
hat,  anter  den  Aasdrack  iq:aveq(a%h}  fafit.  Bei  Markos 
und  Lakat  kouihit  hierauf  als  Schlafs  des  irdischer.  Wan- 
dels des  Auferstandenen  diefs  hincu ,  dafs  er  vor  den  Äo- 
gen  der  Jünger  weggenommen ,  und  (durch  eine  Wolke^ 
nach  A.  G.  1,  9.)  anm  Himmel  emporgetragen  wurde. 

Im  vierten  Evangeliam  steht  Jesus  suerst,  als  Harn 
Magdalena  sich  vom  Grabe  umwendet,  hinter  ihr,  doch 
erkennt  sie  ihn  auch  auf  eine  Anrede  hin  nicht,  sondern 
hfilt  ihn  für  den  GjErtnev,  bis  6r  sie  (mit  dem  ihr  so  wohl 
bekannten  Tone)  bei  Namen  nendt.  Wie  sie  ihm  hieraiif 
ilire  Verehrung  beceigen  will,  hält  sie  Jesus  durch  die 
Worte  fxf^  fiö  aitcH  ab,  und  sendet  sie  mit  Botschaft 
so  den  J  fingern.  Die  Eweite  johanneische  Erscheinoag 
Jesu  fiel  unter  besonders  merkwürdigen  Umständen  vor. 
Die  Jünger  waren  ans  Furcht  vor  den  feindlich  gesinotea 
Juden  bei  verschlossenen  Thfiren  versammelt:  da  kan  auf 
einmal  Jesus,  steilte  sich  in  ihre  Mitte,  begrüfste  sie,  anil 
seigte  ihnen  —  wahrscheinlich  blofs  dem  Gesichte  —  seine 
Hände  und  seine  Seite,  um  sich  als  den  Gefcreoeigten 
kenntlich  zu  machen.  Ais  Thomas ,  der  damals  nicht  bo- 
gegen  gewesen  war,  durch  den  Bericht  seiner  HitjQoger 
von  der  Realität  dieser  Erscheinung  sich  nicht  fiberseogen 
liefe  I  and  zu  dem  Eiide  die  Wundenmale  Jesu  selbst  n 
sehen  und  zu  betasten  verlangte :  gewährte  ihm  Jesns  bd 
einer  acht  Tage  darauf  anter  denselben  Cmstfindeo  wis" 
derholten  Erscheinung  auch  diefs,  indem  er  ihn  die  NS* 
gelmale  in  seinen  Händen  und  die  Stichwandp  in  seiner 
Seite  befühlen  liefe.  Endlich  bei  der  Erscheinung  am  ga- 
liiäischen  See  stand  Jesns  in  der  Morgendämmerung ,  un- 
erkannt von  den  im  Schiffe  befindlichen  Jüngern,  am 
Ufer,  fragte  sie  um  ein  Gericht  Fische,  und  wurde  hie^ 
auf  an  dem  reichen  Fischzuge,  den  er  ihnen  gewährte, 
von  Johannes. erkannt;   doch  so,    dafs   die  an's  Land  ge- 


Viertes  KapiteL    §.  137.  M3 

stiegenen  Jttnger  Dkbt  fragten  ^  ihn  sa  frageo,  ob  er  et 
wirklich  sei.  Hieranf  Tertheilto  er  Brot  und  Fitehe  un- 
ter sie,  wovon  ler  ohne  Zweifel  telbtt  auch  mitgenob, 
und  liatte  hernaeb  mit  Joliannet  nnd  Petent  eine  Unter- 
redung' ^* 

Sind  nun  die  beiden  Hauptvorttellnngen,  die  man  von 
dem  Lel»en  Jetn   naeh   teiner  Anferttebung  iiaben   liann, 


2)  Von  demjenigen  Theile  dieser  Unterredung,  welcher  den  Jo- 
hannes betrifft*,  ist  schon  oben  (§.  114.)  die  Rede  gewesen. 
Den  Petrus  anlangend  bezieht  sich  die  dreimal  wiederholte 
Frage  Jesu :  ayanug  oder  tpiifti  ftt ;  der  gewtthniichen  Ansicht 
nach  auf  seine  ebenso  oft  wiederholte  Verläugnong;  dem 
ore  ^g  vMTf^og ,  i^tiyrvfg  cfouroy  nai  nf^nnarftg '  otkm  ^&f2eg'  orar 
Sk  Y>i^ac^j  ixTCrttg  ras  X^^^^  ^**  ^  fiXXoi  .a«  t^toatt  xtu,  ot^fi  on»  a 
iHltt<:  (V.  18  ip)  aber  wird  vom  Evangelisten  seihst  die  Deu- 
tung  gegeben,  Jesus  habe  es  zu  Petrus  gesprochen,  aij^uatyü>y, 
Ttoito  ^avaru)  So-aiH  Tor  dfov.  Diess  müsste  auf  die  Kreuzigung 
geh^n,  was  der  kirchlichen  Sage  zufolge  (Tcrtull.  depraescr. 
haer.  36.  Euseb.  H.  B.  2,  25.)  die  Todesart  des  Petrus  war^ 
und  auf  welche  im  Sinne  des  Evangelisten  auch  dat  axolit^i 
fioi  V.  30  und  22.  (d.  h.  folge  mir  in  der  gleichen  Todeaart) 
hinzuweisen  scheint.  Allein  gerade  der  Hauptzug  bei  dieser 
Deutung,  das  mkvn%  Tai  /^'e^S}  ^st  hier  so  gestellt,  dass  die 
Beziehung  auf  die  Kreuzigung  unmöglich  wird,  nämlich  vor 
die  Abführung,  wohin  man  nicht  will^  umgekehrt  das  Gür- 
ten, was  doch  nur  das  Binden  zum  Behuf  der  Abführung 
bedeuten  kann,  sollte  vor  dem  Ausstrecken  der  Hände  am 
Kreuze  stehen.  Sieht  man  von  der  Deutung  ab,  welche  der 
Referent,  wie  auch  L6ckb  (S.  703.)  zugesteht,  ew  ^wntu, 
den  Worten  Jesu  gibt:  so  scheinen  diese  nichts  als  den  Ge- 
meinplatz von  der  Hülflosigkeit  des  Alters  im  Gegensatze  zu 
der  Rüstigkeit  der  Jugend  zu  enthalten ,  worüber  auch  .das 
oiofi  Jan»  H  d-^Xfii  nicht  hinausgeht.  Der  Verfasser  von  Job.  21. 
aber,  dem  die  Worte,  sei  es  als  Ausspruch  Jesu,  oder  wie 
sonst,  bekannt  waren,  glaubte  sie  in  der  Weise  des  vierten 
Evangeliums  als  verdeckte  Weissagung  auf  den  Kreuzestod 
des  Petrus  verwenden  zu  k'tfnnen. 


6G6  Dritter  AbschnitL 

iiang  im  fi*arigen  Bosch,  2  Mos.  3,  2«  LXX;  oTrrovo/iei*«. 
wie  die  Erscheinung  des  Engels,  Tob.  12,  19« ;  iq^uvr^  wi» 
die  Engeleritcheinongen  Mafth.  1.  und  2. ,  beoeiebnet  sind, 
auf  etwas  Uebermenscbliches  fainsoweisen  scheinen.  Kt- 
stimnokter  aber  aber  steht  dem  natürlichen  Gehen  und  Koa- 
men,  welches  bei  einigen  Soenen  Foransgesetst  iirerden 
kann,  in  andern  ein  piötsliches  Erseheinen  und  Verschwia- 
den ;  der  Annafalme  eines  gewöhniieben  menschliolieii  Kör^ 
pers  das  öftere  Nichterlianntwerden ,  ja  die  ausdrficJilicbs 
ErwMhnong  einer  hiQa  f^OQfi^,  entgegen;  liaaptefichliefa 
aber  scheint  der  Betastbarkeit  des  Leibes  Jesu  die  Flb^^ 
keit  SU  widerstreben,  welche  iiim  Johannes,  den  erst«« 
Eindruclie  seiner  Worte  snfolge,  leiht:  durch  Terscbloasens 
Tbilren  einsogeben.  Allein,  dafs  Maria  Magdalena  Jesoa 
Anfangs  ffir  den  Kr/asqog  hielt,  davon  glauben  seibat  aolcbe 
Ausleger,  welche  sich  sonst  vor  dem  Wunderbaren  iLeiDes- 
wegs  scheuen,  den  Grund  darin  suchen  au  dfirfen,  daf< 
Jesus  von  dem  Gfirtner,  der  wohl  in  der  Nfthe  der  Gruft 
seine  Wohnung  gehabt  haben  möge,  sich  einen  Ansug  habe 
geben  lassen;  wosu  sowohl  hier  als  bei  dem  Gange  nacb 
fimmaus  die  Entsteilung  des  Angesichts  Jesu  dureh  die 
Qualen  der  Kreuzigung  beigetragen  haben  möge^  und  elMa 
nur  dieses  beides  soll  auch  durch  die  niqa  ffiO(xpj}  bsi 
Markus  ansgedrficbt  werden^).  Denselben  Emmauntischea 
Jüngern  habe  sich*  Jesus  sofort  in  der  freudigen  Bestlir- 
sung,  welche  djis  plötellche  Wiedererkennen  des  Todtge- 
glaubten  verursachte,  leicht  auf  die  natfirlicbste  Weise  aa- 
bemerkt  entziehen  können;  was  dann  von  ihnen,  denen 
die  ganze  Sache  mit  Jesu  WiederbebAung  ein  Wunder 
war,  ffir  ein  oberirdisches  Verschwinden  gebalten  wordea 
sei  ^).    Auch  in  dem  egtj  iv  fieatfi  avziSv  oder  dg  t6  fdaat 

4)  Tholuck,  z.  d.  St.,  vgl.  Paulus,  cxeg.  Handb.  3,  b,  S.  S66. 
8S1.  Eine  ähnliche  naturliche  Erklärung  hat  neucstens  I^- 
CKi  von  Hu«  angenommen. 

5)  Taulus,  a.  a.  O.     S.  8S2. 


Viertes  Kapitel.    $.137.  067 

lege,  boihaI  bei  Johannes,   ifvo  das  ordentliche  ^l&sv  und 
^Xerai    dabeistehe,   nichts  DebernatfirJiebes ,   sondern  nur 
lie  fiberrascbende  Ankunft   eines  Solehen ,    von  dem  man 
;erade  gesprochen  bat,  ohne  ihn  su  erwartenj  und  ffir  ein 
zyevfia  haben  ihn  die  Versammelten    gebalten,   nicht  weil 
sr  auf  ivunderbare  Weise  eingetreten   war,  sondern   weil 
lie  an  die  wirkliche  Wiederbelebung  des  Gestorbenen  nicht 
;lanben   konnten  ^).    Selbst  der  Zog  endlich,  von  welchem 
man  meinen  sollte,  er  sei  gegen  die  Ansicht  von  dem  Le- 
ben des  Auferstandenem  als   einem  natfirlich  menschlichen 
sntscheidend ,   das  li^€a<^at  dvQtay  x&deiafiivanf  bei  Johan- 
nes,   ist  l&ngst  sogar  von  or#>*odoxen  Theologen  so  geden- 
tet   worden,   dafs  es  jener  Ansicht  nicht   mehr  entgegen 
ist.     Abgesehen  von  Erklärungen,   wie   die  HauMAKN'sche, 
die   OiüQai  seien    nicht   die    des   Versammlungshauses  der 
Jfinger,  aondern  Oberhaupt  die  Thttren  in  Jerusalem,  und 
die  Angabe,   dafs  sie  verschlossen   gewesen,  "^sei  eine  Be* 
seichnang[   derjenigen  Stunde   in   der  Macht,    in    welcher 
man  die  'IbjOren  su   schliefsen   gepflegt  habe,   der  ffoßa^ 
titiv  *£adaiwv  aber  gebe  nicht  den  Grund  des  TbOrschliersens, 
sondern  des  Zusammenseins  der  Jttnger  an,  —  so  bezeich- 
net selbst  Calvin  die  Meinung ,   dafs   der  Leib  des  Aufer- 
standenen per  medium  ferrum  et  asseres  hindurchgedrun- 
gen sei ,    als  pueriles  argutiae,  wosu  der  Text  keine  Vers 
aniassnng  gebe,   welcher  nicht  sage,  Jesus  sei  per  janiUM 
clausas  eingedrungen,  sondern  nur,  er  sei  plötslich  ^nter 
seine  Jflnger  getreten,  cum  clausae  essent  jamtae  0*   Den- 
noch hAlt  Calvin  den  Eintritt  Jesu,  von  welchem  hier  Jo- 
hannes spricht,  als  ein  Wunder  fest,  welches  dann  näher 
dahin  su  bestimmen  wäre,  Jesus  sei  eingetreten,  cumfores 
clausae  fuissenty  sed  quae  Domino  veniente  subito  patuei'unt 
€id  nutum  divinae  majestatis  ejus  0«    Während  neuere  Or- 

6)  Paulus,  a.  a.  O.    S.  883.  93 ;   Luckb,  2,  S.  684  f. 

7)  CALvni)  Comm.  in  Job.  z.  d.  St.  p.  363  f.    ed.  TnoLtCK. 

8)  So  SviCBB;  Thes.  s.  v.  ^t;^a.     Vgl.  Michablis,  S.  265. 


60S  Dritter  Abtchoitt. 

thoiloxe  nur  das  Unbestimmte  retten,  dafs  bei  diesem 
tritt  Jesu  etwas  Wunderbares  —  qnaasgemaeht ,  welcber 
Art  —  »tatfgefanden  habe  ^:  hat  der  Rationalismiit  au 
demselben  das  Wonrierbare  vollends  gans  so  verluinnci 
gewufst.  Die  versehlossenen  Thflren  seieo  Jesu  von  Meo- 
schenbfinden  geöffnet  worden;  was  Johannes  nardefswegcs 
2u  berichten  unterlasse,  weil  es  sich  Ton  selbst  versteh«, 
Ja  abgeschmackt  gewesen  wffre,  wenn  er  gesagt  hfitte:  «e 
machten  ihm  die  Thüreo  anf,  und  er  ging  hinein  ^^. 

AUein  bei  dieser  Deutung  des  BQXitai  %uiv  S^^hhUv  « 
xlnaidiuor  sind  die  Theologen  lieineswegs  nnliefangen  |>»> 
wenten.  Am  wenigsten  Calvin;'  denn  wenn  er  sagt,  dk 
Papisten  behaupten  ein  wirkliches  Durebdringen  des  Lei- 
bes Jesu  durch  geschlossene  Thflren  defswegen,  ut  corpu 
Ckristi  immensum  esse,  nuUoqne  loco  cantmeri  obiineta^: 
so  sträubt  er  sich  mithin  gegen  jene  Auslegung  der  johaa- 
neischen  Worte  nur  defswegen  so,  um  der  ihm  anatöfsigeB 
Lehre  von  der  Dbiquitfit  des  Leibes  Jesu  keine  Stfitee  n 
geben.  Die  neueren  Ausleger  dagegen  hatten  das  Inte^ 
esse,  dem  Widerspruch  aussuweiehen ,  welcher  naeh  aa- 
sern Einsichten  darin  liegt,  dafs  ein  Körper  sagieieh  ass 
fester  Materie  besteben,  and  doeh  durch  andre  feste  Mt- 
terie  ungehindert  sollte  hindurchgehen  können;  allein,  da 
wir  nicht  wissen ,  ob  diefs  auch  auf  dem  Standpunkte  der 
N»  T* liehen  Schriftsteller  ein  Widerspruch  war,  ao  gSbc 
ans  die  Scheue  vor  einem  solchen  kein  Recht,  Jener  Dea- 
tung,  sofern  sie  als  die  textgemäfse  sieh  seigen  sollte,  vai 
SU  entaieben.  Hier  könnte  man  nun  allerdings  das  rr^ 
ihvQoiv  iCBxlsiaitievüJV  annfichst  lediglich  als  Beseicfannng  das 
ängstlichen  Zustandes  fassen,  in  welchen  dieJfinger  dareh 


9)  TuoLUCK  und  OLsaAUiair,  z.  d.  St. 

10)  Oribsbacb^  Vorlesangen  Über  Hermeneutik ,   S.  S05  >    Facus 
S.  855.     Vgl.  UcKs,  2,  S.  683  ff. 


Viertes  KapiteL    §.  137.  669 

lie  Hinricblong  Jesa  versetst  waren.  D«eh|  schon  ilafa 
liese  MotiB  bei  der  Erscheionng  Jean  vor  Thoaiaa  wieder- 
iolt  ist,  erregt  Bedenken ;  da,  wenn  doreh  dieselbe  weiter 
richts,  als  das  Angegebene,  gesagt  sein  8oll|  es  sich  kaum 
erlohnte,  sie  za  wiederholen  ^^).  Wenn  non  bei  diesem 
;weiten  Falle  jener  timnd,  warum  die  ThQren  verschlos« 
en  waren,  weggelassen ,  dagegen  mit  dem  twv  d^v(HJiv  xe- 
'Xiia^hunß  das  tQxazai  unmittelbar  rerbanden  ist:  so  wird 
ler  Sehein  cor  Wahrscheinliehkeit,  dafs  durch  jeneNotis 
:aglmcb  die  Art  des  Kommens  Jesa  näher  bestimmt  wer- 
len  solle  ^^.  Ist  femer  mit  der  wiederholten  Angabe,  Je- 
ins  sei  bei  Forsohlossenen  Thfiren  gekommen,  wiederholt 
las'r^j^  US  to  fiioov  verbunden,  was,  auch  in  Verbindung 
nit  7}>U>ey,  wozu  es  sich  als  nähere  Bestimmung  verhalt, 
immer  ein  plötzliches  Dastehen  Jesu,  ohne  dafs  man  ihn  hatte 
lommen  sehen,  ausdrfickt:  so  erhellt  ans  diesen  ZOgen  zu- 
lammen  anläugbar  wenigstens  so  viel,  dafs  hier  von  einen^ 
Kommen  ohne  die  gewöhnlichen  Vermittlungen,  mithin  von 
nnem  wunderbaren,  die  Rede  ist.  Dafs  aber  dieses  Wun- 
ler  nicht  in  einem  Dringen  durch  die  Dielen  der  TfaOren 
bestanden  habe,  daffir  berufen  sich  aucb  die  Wunder^ 
Ereonde  anter  den  Auslegern  sehr  zuversichtlicli  darauf, 
lab  es  Ja  nirgends  heifse,  er  sei  dia  zah  dvqviv  xfxkaiafd^ 
vofv  hereingekommen  '').  Allein  das  will  der  Evaiigelisl 
loch  gar  siicht  bestimmen,  dafs  Jesus,  wie  Michaeus  sicii 
lusdrfickt,  gerade  durch  die  Poren  des  Holzes  an  der  Thüre 
in  das  Zimmer  gedrungen  sei,  sondern  seine  Meinung  ist 
lor,  die  Thfiren  seien  verschlossen  gewesen  und  geblieben^ 
snd  doch  habe  Jesus  auf  Einmal  im  Zimmer  gestanden^ 
vrelcbem  also  Wände,  Tbdren ,  kurz  alle  materiellen  Zwi- 


il)  8.  TaoLVCx  und  ob  Wbttb  s.  d.  St, 

i2)  Vgl.  Olshausb»)  2,  S.  531.  Anm. 

13)  So,  ausser  GALria,  LOckb,  a.  a.  O.;  Olsbaoibii,  530  f. 


1^0  Dritter  Absehoitt. 

schenlagen,  kein  Hinderniri  gewesen  seien,  bereincukon- 
men.  Statt  ihrer  unbilligen  Forderung  an  uns  also,  ihacf 
im  Texte  des  Johannes  eine  Bestimmung  nachzaweiMt 
welche  dieser  gar  nicht  geben  will ,  mfissen  wir  Tieinelr 
Ton  ihnen  verlangen,  uns  zu  erUSren,  wamui  er  dma(wn- 
derbare)  Aufgehen  der  Thttren ,  wenn  er  ein  solches  tw- 
ausaetstte,  nicht  hervorgehoben  hat  ?  In  /dieser  Hinsicbt  i« 
es  sehr  unglücklich,  dafs  Calvin  sich  auf  A.  G.  12,  6  f 
beruft,  wo  von  Petrus  ersfihlt  werde,  er  sei  aas  dem  ta- 
schlossenen  Kerker  entkommen,  ohne  dafs  Jemand  dsns 
denke ,  die  Thfiren  seien  versclüossen  geblietMn  ,  and  er 
durch  Bretter  und  £isen  hindurchgedrungen.  Natfirlkt 
nicht ;  weil  hier  von  der  eisernen  GefXngnlfspforte,  wetek 
Eur  Stadt  fOhrte,  ausdrücklich  gesagt  wird:  ijng  cnkoiicv^ 
i^olx^  avTOig  (V.  10.)>  «ine  Bemerkung,  welche,  well  w 
eine  schSne  Anschauung  des  Wunders  gibt,  ge^ils  aacL 
uns^r  Evangelist  nicht  beidemale  weggelassen  haben  wfink. 
wenn  er  an  ein  wunderbares  Aufspringen  der  Thflre  ge- 
dacht hätte. 

So  wenig  aber  in  dieser  Johanneischen  EneShlong  du 
CebernatOrlirhe  sich  beseitigen  oder  vermindern  Ififst:  m 
wenig  will  die  natlirliche  Erklfirung  der  Ausdrücke  geni- 
gen, mit  welchen  Lukas  das  Kommen  und  Gehen  Jesu  be- 
zeichnet. Denn  wenn  nach  diesem  Evangelisten  sein  Koa- 
men  ein  g^xxi  iv  ftiüif  tiov  fta&r/i^fov,  sein  Gehen  ein  atfcr,- 
Tog  yivsad'ai  an  axrtviv  war:  so  Ififst  das  Zusammentreffen 
dieser  Züge,  mUeingerechnet  noch  den  Schrecken  der  Jfia- 
ger  und  ihren  Wnbn,  er  sei  ein  Gespenst,  sehweriicb  sa 
i>twas  Anderes,  als  an  ein  wunderbares  Erscheinen  denkeo. 
Ohnehin,  wenn  man  sich  das  swar  etwa  noch  vorsteilf» 
könnte,  wie  Jesus  in  ein  von  Menschen  erffliltes  Zianer 
auf  natürliche  Weise  unbemerkt  hineinkommen  konnte: 
so  Ififst  sich  doch  das  auf  keine  Weise  anschaulich  machen« 
wie  es  ihm  sollte  möglich  gewesen  sein,  den  swei  Enni* 
nntischen  Jflogern,  mit  welchen  er,  wie  es  scheint,  allein 


Viertes  Kapitel.     $.  1^7.  671 

Bu  Tische  safs ,   anbemerltt  y   und ,  oiine  dafs  sie  ihm  nach- 
gehen lionnten,  sich  eu  entsiehen  ^^). 

Dafs  Marlios  unter  der  trtQa  fnoQff^  eine  wunderbar 
reränderte  Gestalt  yerstehe,  hätte  man  niemals  längnen  sol- 
len '^) ;  doch  hat  diefs  weniger  Gewicht,  weil  es  nur  des 
Referenten  eigene  Erklärung  des  Umstandes  ist,  welchen 
Lukas,  aber  anders  erlilärt,  i|n  die  Hand,  gab:  dafs  die 
beiden  Wanderer  Jesum  nicht  erkannt  haben.  Dafs  Maria 
Magdalena  Jesum  für  den  Gärtner  hielt,  war  nach  der 
(Vnsicht  des  Evangelisten  schwerlich  Folge  entlehnter  Gärt- 
fierkleider:  sondern,  dafs  sie  ihn  nicht  kannte,  wird  man 
lioh  dem  Geiste  der  Erzählung  gemäfs  entweder  dnrch  ein 
toatflad-ai  der  Augen  Magdalena's ,  oder  ans  einer  hiqa 
uoQifT]  Jesu  erklären  mlissen;  dafs  sie  ihn  aber  für  den 
Sfirtner  ansah,  kam  dann  einfach  daher,  dafs  sie  den  un- 
bekannten Mann  im  Garten  traf.  Auch  eine  Entstellung 
Jesu  dnrch  die  Qualen  der  Rreusigung,  und  ^in  «llmähli- 
ges  Heilen  seiner  Wunden  ansunehmen,  sind  wir  4nrch 
die  evangelischen  Nachrichten  nicht  berechtigt.  Das  jo- 
hanneische  /^t/  fia  ama^  wenn  es  Abwehr  einer  schmere- 
lichen  Berflhrung  sein  sollte,  stfinde  im  Widerspruche  nicht 
blofs  mit  Matthäus,  nach  welchem  Jesus  an  demselben  Auf- 
3rstehnngsmorgen  dnrch  die  Frauen  seine  Pfifso  umfassen 
liefs,  sondern  auch  mit  Lulias,  welchem  zufolge  er  noch 
im  nämlichen  Tage  die  Jünger  auffordert,  ihn  su  betasten, 
■nd  es  fröge  sich  alsdann,  welche  Darstellung  die  richti- 
gere wäre?  Al>er  es  liegt  Ja  im  Zusammenhange  gar  nichts, 
^as  darauf  hinwiese ,  '  dafs  Jesus  sich  das  aTrveaO^ai  eben 
ils  etwas  Schmershaftes  verbitte;  sondern  diefs  kann  ans 
rerschiedenen  Gründen  geschehen  sein:  ans  welchen,  ist 
>ei  der  Dunkelheit  der  Stelle  bis  jetat  nicht  zur  Entschei- 
iung  gebracht  ^^). 

14)  OLSnivssif,  a.  a.  O.  S.  530* 

15)  vgl.  Fkitzschb  ,  in  Marc. ,  p.  725* 

16)  Die  verschiedenen   ErKlärungen   s.  bei  Tholuck  und  Lücna, 


e72  Dritter  Absohnitc. 

Die  wunderlichste  Verkebrong  aber  ist  ei,  wenn  p- 
sagt  wird ,  die  seltenen  und  knrsen  Zusammenkflofte  Jeu 
mit/ seinen  Jüngern  nach  der  Auferstehong  beweiten,  dab 
er  für  längere  nnd  häufigere  Anstrengungen  noch  u 
schwach,  also  ein  naIOrlich  Genesender^  gewesen  seL  Ebe» 
wenn  er  auf  diese  Weise  körperlicher  Pflege  bedfirfüg 
war :  so  sollte  er  nicht  telten ,  sondern  immer  bei  seinn 
Jüngern  gewesen  sein,  welche  die  nächsten  waren,  tob 
denen  er  eine  solche  Pflege  zu  erwarten  hatte«  Denn  «• 
aoU  er  nun  in>  den  langen  Zwischenseiten  nwischen  seina 
Erscheinungen  sich  aufgehalten  haben?  in  der Kinstmkeit? 
im  Freien  ?  in  der  Wüste  und  auf  Bergen  ?  Das  war  keifl 
Aufenthalt  für  einen  Kranken,  und  es  bleibt  nichts  fibri|, 
als  er  müfste  bei  geheimen  Verbündeten,  von  welchen  selbit 
seine  Jünger  nichts  wufsten,  verborgen  gewesen  sein.  Eii 
solches  Geheimhalten  seines  eigentlichen  Anfenthalti  aber 
selbst  vor  seinen  Schülern  ,  denen  er  nur  selten ,  ond  alt 
Absicht  plötalich  sich  einstellend  und  wieder  entfernen^ 
sich  i^eigte,  wäre  ein  Spielen  unter  der  Decke,  ein  fslscher 
Schein  des  üebernatürliohen  gewesen,  welchen  er  ihnu 
vorgemacht  hätte ,  der  uns  Jesum  und  seine^anze  Sacbe 
in  einem  Lichte  erscheinen  liebe,  welches  dem  Gegensun^ 
selbst,  wie  er  übrigens  in  den  Quellen  vor  uns  liegt,  frenil, 
nur  durch  die  Blendlaterne  moderner,  übrigens  bereio 
wieder  verschollener,  Vorstellungen  auf  denselben  gevo^ 
fen  ist.  Die  Ansicht  der  Evangelisten  ist  keine  sndei«, 
als  dafs  der  Anferstandeoe'  nach  jenen  kursen  ErscheinoB- 
gen  unter  den  Seinigen  sich  wie  ein  höheres  Wesen  in  die 
Cnsichtbarkeit  aurückgezogen   habe ,    und   aus  dieser  nie- 


welcher  letztere  eine  Acndorungder  Lesart  n'dthig  findet.  Ai'.^i> 
die  WiiftftR^sche  Deutung  der  Worte  (2,  S.  395  ff.)  musi  ich, 
obwohl  mit  der  übrigen  Ausßihrung,  in  deren  Zusamme"- 
hange  sie  vorkommt,  einverstanden,  als  misslungeo  i>^ 
trachten. 


Viertes  Kapitel    $.137.  tf^ 

der^  wo  rniil  wenn  ei*  es  sweekmäfsig  fand,   herroi^kre-'* 
ten  sei  •»)*  '  '         l    . » 

SndKeh;  wie  ^wlli  mun  deh,  bei  der  VoraasseCvung, 
dsfs  Jesus  dorch  die  Anferstehong  in  ein  reib  nafüHlKlies 
Leben  sttrilebgebehrt  sei,  das  Ende  desselben'  deiilien? 
Conseqnenterweise  mofs  man  ihn,  sei  es  lSngei4  ^  oder 
kllrsere  Zeit  nacli  seiner  Wiederbelebung  eines  nültfiriiohen 
Todes  sterilen  lassen ;  wie  anch  Paulus  aadentet,  daß  der 
slteu  heftig  affieirte  Leib  Jesu,  unerachtet  er  sieh  von  iler 
todfthnliehett  Erstarrung  am  Kreuze  wieder  erliött  hatt^ 
doeh  dnreh  natürÜehes  KrSnkeln  und  versehrendes  Flober 
vollends  aufgerieben  worden  sei  ^^.  Dafs  diefs  wenigstitris' 
die  Ansieilt  der  Evangelisten  vom  Ende  Ihres  Christus  nleht 
sei,  iat  offenbar,  da  ihn  die  einen  von  ibneii  wie  einen 
Unsterbliehen  von  den  Jüngern  Abschied  n^bmeh,  die  an- 
dorn  ihn  alchtbar  In  den  Himmel  sieb  erbeben  lassen.  Vor 
der  Himmelfahrt  also  spfitestens  mfifste,  wenn  liis*diihin 
Jesus  einen  natttrliehen  mensehlichen  Leib  beibehalten 
iHitte,  eine  Veränderung  mit  demselben  vorgegangen  sein*,* 
ivelche  ihn  supi  Aufenthalt  in  den  himmiisehen  Regiofnen 
bellbigte;  es  mOfste  die  Sehlaeke  der  groben  LeiUiehkeit 
niedergefallen,  und  nur  etwa  der  feinste  Extraot  derselben 
nitemporgestiegen  sein.  Davon  aber ,  dafs  von  dem  siim 
Himmel  sich  erhebenden  Jesus  irgend'ein  materieller  Geber-' 
rest  Eurfiekgeblieben,  melden  die  Evangelisten  nicfits,  und 
la  es  die  ausehauenden  Jfinger  doch  bemerkt  haben  mflfs- 
*en,  so  bleibt  für  diese  Ansicht  am  Ende  nichts,  als  diä 
luskunft  Jenes  Theologen  aus  der  TllBinger  Schule,  das 
lesidoom  von  Jesu  Leibliehkeit  sei  jene  Wolke  gewesen. 


i7)  Vgl.  hiefUr  betondert  Wkissi,  a.  a.  O.  S.  339  ff« 

18}  Brbkivbckb,  biblischer  Beweift,  dass  Jesus  nach  seiner  Aufef- 
stebong  noch  27  Jahre  leibhaftig  auf  P>den  gelobt ,  und  zum 
Wohle   der  Menschheit  in  dor  Stille  forl^ewirlit  habe.  'lS19. 

19)  a.  a.  O.  S.  795.  925. 

Df/x  Leden  Jexu  Ue  Aufl.  El.  Band  43 


074  Dritter  AbiehDltl. 

dl0  ihn  bei  der  Hloiiiielf ehrt  mnhaUte,  In  welche  deh,  mu 
materiell  an  ihm  war ,  aafgelöit  habe  and  gleiehiam  nt- 
pufft  aei  ^.  Oa  aomit  die  BTangelisten  daa  Ende  dm  i^ 
disohen  Wandele  Jesu  nach  der  Anferstehnng  weder  «li 
einen  natürlichen  Tod  sich  vorstellen ,  noch  bei  der  Hin* 
melfahrt  irgend*  einer  mit  seinem  Kdrper  VorgegaageiM 
Verfindemng  gedenken,  fiberdieia  ans  der  Zeit  swUdM 
der  Anferstehnng  und  Himmelfahrt  Dinge  von  Jesu  berieb- 
ten,  welche  von  einem  natfirlichen  Leib  nndenkbar  nad; 
so  können  sie  sich  sein  Leben  seit  der  Änferstehnng  siebt 
als  ein  natfirliches ,  sondern  nur  als  ein  flbematQrUeh«^ 
und  seinen  Leib  nicht  als  einen  organisoh-materielleo,  k» 
dem  nur  sis  einen  Fcrkllrten  rdrgestellt  haben. 

Dieser  Vorstellung  widersprechen  auf  dem  Standpanlte 
der  Evangelisten  auch  diejenigen  Zage  nicht ,  welche  <> 
Freunde  der  rein  uatttrlichen  Ansicht  vom  Leben  des  Alf* 
erstandenen  fflr  sich  geltend  nu  machen  pflegen.  DafiJ» 
aus  afs  und  trank,  das  setate  in  dem  beaeichneten  Vortttl* 
lungskreise  so  wenig  ein  wirkliches'  BedOrfnUs  bei  ün 
voraus,  als  das  Mahl,  welches  Jehova  mit  nwm  Engeio  ba 
Abraham  einnahm :  Essenkönnen  bt  hier  kein  Beweii  6r 
Essenmttssen.  Dafs  er  sich  betasten  liefe,  war  der  «sai 
mögliche  Beweis  gegen  die  Vermnthung,  ein  körperloni 
Gespenst  möge  den  Jüngern  erschienen  sein;  auch  G5U«^ 
wesen  erschienen  in  alterthümllcher,  nicht  bIo(s  grieebi- 
scher,  sondern  (nach  der  oben  angeführten  Stelle,  !•  Hot» 
32,  24.)  ench  hebräischer  Vorstellung,  bisweilen,  betsstbar, 
im  Unterscliiede  von  wesenlosen  Schatten,'  nneracbtet  at 
sonst  an  die  Oesetae  der  Materialität  so  wenig  gebanda 
sich  neigten,  als  der  betastbare  Jesus,  wenn  er  doch  piöte- 


90)  Noch  etwas  über  die  Frage :   warum  haben  die  Apostel  W- 
•     th'aut  und  Johannes  nicht  ebenso  wie  die  swei  Evangeütlefi 
Markus   und  Lukas   die  Himmelfahrt  ausfjlrttcklich  eniblt'. 
In  SUsKiND^a  Magazin,  17>  S«  165  ff. 


<:f  - 


Viertes  Kapitel.    (•  137.  67S 

lieh  Tertehwinden,  und  io  TerteliloMene  Zimnier  ohne  Htn- 
derai£B*rindringen  iionnte  *')• 

Eine  ganz  andere  Frage  iit ,  ob  aoeh  auf  unserem, 
dorch  genauere  Natorkenntnifs  gebildeten  Standpunkte  jene 
beiderlei  Züge  sich  vertragen?  Und  da  werden  wir  freilich 
ssgen  mfissen :  ein  Leib,  der  sichtbare  Speise  geniefst^  mnfs 
aoeh  selbst  ein  sichtbarer  sein;  der  G/enofs  der  Speise 
ietst  einen  Organismus  voraus,  der  Orgaaismos  aber  ist 
organisirte  Materie,  und  diese  hat  die  üigenschaft  nicht, 
in  beliebigem  Wechsel  verschwinden  und  wieder  sichtbar 
werden  bu  können  2^.  Gans  besonders  aber,  wenn 
der  Leib  Jesu  sich  betasten  liefs,  und  Fleisch  und  Knochen 
20  fahlen  gab,  so  neigte  er  damit  die  Widerstandskraft 
der  Materie,  und  cwar  wie  sie  ihr  als  fester  eigenthamlich 
ist:  wenn  er  dagegen  in  verschlossene  Hinser  und  Zimmer, 
angellindert  dnrcb  daawischenliegende.Wfinde  undThfiren, 
einaugehen  im  Stande  wer,  so  bewies  er  hiedorch,  dafs 
eben  dif»e  Widerstandskraft  der  festen  Materie  ihm  nicht 
ankam;  indeipi  er.  also  qach  den  evangelischen  Berichten 
dieselbe  Eigenschafit  um  dieselbe  Z^it  gehabt  und  nicht  ge» 
babt  haben  mfifste :  so  aeigt  sich  die  evangelische  Darstel- 


21)  Das  Schwebende  der  hier  zom  Grande  Hegenden  Vorstellung 
drückt  Origenes  gut  aus  ^  wenn  er ,  c.  Gels.  2^  62.   von  Jesu 

sagt :  xai  rpf  yt  f^xa  xrpr  tcya^aotv  avrü  wKif^\  Iv  ^«i^o^uo  nvi  rtj^ 
Tra^rrTO^  rii  noo  tm  nai^Hg  aofjuatog ,    xai  th  yvfxvrpf   tounH  Oiafiorog 

22)  Daher  gesteht  auch  Kbiü»  , '  dass  er  jen^  Zog  bei  Lukas  mit 

dem  Uebrigcn  nicht  zu  reimen  wisse  y  und  denselben  für 
etwas  fspätercs  Traditionelles  halte  (Hauptthats..,  a.  a.  O. 
S.  50.>  Allein  was  hilft  ihn  diess ,  da  ihm  immer  noch  aus 
Johannes  die  Betastharkeit  hleibt,  welche  doch  so  gut  wie 
das  Essen  zu  den  „Bedin^ngen  des  irdischen  Lehens,  den 
Verhältnissen  der  materiellen  Welt"  gehört ,  welchen  der 
LeiUb  des  Aulerstandenen  nach  Kküm's  eigener  Voraussetzung 
9,nicht  mehr  unterwerfen"  gewesen  sein  soll  ? 

4H' 


076  Dritter  Abschnitt. 

lang  der  Leibliohkeit  Jesu  nach  der  Aoferstehiin^  aU  eine 
in  sich  widersprechende.  Und  swar  ist  dieser  Widerspruch 
nicht  etwa  von  der  Art,  dafs  er  sich  anter  die  verschie> 
denen  Berichterstatter  vertheilte;  sondern  der  Bericlit  Ei> 
nes  and  desselben  Evangelisten  schliefst  jene  widerspre- 
chenden Zfige  in  sich.  Der  karse  Bericht  des  MaCthSes 
Kwar  enthalt  in  dem  ixQatTTüav  mrS  reg  Tiodag  CV.  90 
nur  das  Moment  der  Betastbarkeit ,  ohne  dafs  ebenso  eis 
entgegengesetstes  hervorgehoben  wfire:  bei  Markas  umge- 
kehrt spricht  sein  iv  hiQ(f  ^iOQtffi  (V.  12i)  fSr  etwas  Uei;er- 
natBrliches,  ohne  dafs  andrerseits  auch  wieder  das  Gegn- 
theil  bestimmt  vorausgesetzt  wSrde:  dagej;en  spriebt  bei 
Lukas  das  Sichbetastenlassen  and  Essen*  ebenso  bestimmt 
ffir  organische  Materialität,  als  das  piStsliche  Erseheines 
und  Verschwinden  gegen  eine  solche;  gans  besonders  hart 
aber  stofsen  die  Glieder  dieses  Widerspruchs  im  viertea 
Evangelium  leasammen,  wo  Jesus,  unmittelbar  naehdeis  er 
in  das  verschlossene  Gemach  unberfihrt  darefa  W  finde  'imd 

« 

ThOren  eingedrungen  ist  ^') ,  sich  von  dem  sweiftliMlei 
Thomas  berfihreri  läfst. 

Die  Debatte  über  die  BealitÄt  des  Todes  und  der  Aufer- 

stehung  Jesu.  ^ 

Der  Sats:  einTodter  ist  wiederbelebt  worden,  ist  am 
Ewei  so  widersprechenden  Bestandtheilen  susammengesetst, 
dafs  immer,  wenn  man  den  einen  festhalten  will,  der  an- 


23)  Mit  der  Fähigkeit  Jesu,  durch  verschlossene  Tbiircn  zo  dria- 
gen ,  fanden  manche  Kirchenväter  uAd  c/rthodoxe  Thcologea 
das  nicht  recht  vereinbar,  dasa  zumBehufe  der  Auferstebusg 
Jesu  vorher  der  Stein  vom  €rabe  gewälzt  worden  sein  solle, 
und  behaupteten  daher:  'r^üurrexit  Christus  dausö  sepmia^ 
slve  nondtim  ah  ostio  sepulcri  revduto  per  an^eftum  It^ide. 
yuBASifiDT,  fhcol.  didact.  polcm.  5,  p.  5*2. 


viertes  Kapitel.    %  tSS.  (177 

dere  an  «enebwioden  droht  Ist  er  ^irklkii  wie«ler  sum 
Leben  gekonmeDy  eo  liegt  ee  nahe,  £o  denken,  er  %rerde 
nicht  gen»  todt  gewesen  sein;  war  er  aber  wirklich  todt» 
so  hlit  es  schwer^  so  glanbeo»  daTs  et  wirkKck  lebendig 
geworden  seL 

Bd  einer  richtigen  Ansidbt  Aber  das  Verhäitnifs  von 
Seele  ond  Leib,  welche  diese  beiden  nieht  alMtraet  aosein- 
anderbült,  sondern  sie  sngleieb  in  ibrer.Ideetitft,  die  Seele 
als  die  Innerlichkeit  des  Leü»es,  den  Leib  ab  die  AenCier- 
lichkeit  der  Seele  begreift,  weits  man  sehen  gar  nicht,  wie 
man  sich  die  Widerlielebnng  eines  Todten  nur  vorstellen^ 
geschweige  denn  sie  verstehen  solle.  Haben  dieKrftfte  nnd 
ThitigkeiteB  des  Leibes  einmal  aufgehört,  in  denjenigeo 
regierenden  Mittelpunkt  Ensammenaulanfen ,  welchen  wie 
die  Seele  nennen,  deren  Tbätigkeit,  oder  vielmehr  sie  eelfael, 
in  der  nnnnterbrochenen  Miederbaltung  all^  andueo  im 
Körper  möglichen  Processe  unter  der  höhereii  Kinbeit  des 
organisehen  Lebensprocesses,  welche  bei'm  Mensohen  ann 
gleich  die  Basis  des  Geistigen  i#t,  bestellt:  so  treten  Jn  den 
verschiedenen  Theiien  des  Körpers  jene  andern,  niedrigen 
Prinoipien  als  herrschend  auf,  deren  6esebäft  in  seiner 
Fortsetnnng  die  Verwesung  ist*  Haben  diese  einmal  die 
Herrscliaft  angetreten:  so  werden  sie  nieht  geneigt' sein, 
sie  an  den  vori|[en  Herrn,  die  Seel^,  aurflcknngeben ;  oder 
ridmehr  ist  diefs  defswegen  unmöglich ,  weil  f  gans  abgon 
sehen  von  der  Fn^e  über  die  ..Unsterblichkeit  des  mensch* 
iicben  Geistes,  ndt  Ihrer  Herrschaft  und  Thitlgkeit,  welche: 
ihre  ExiBtenm  isti^tdie  Seele  als  solche  nn  sein  aufhört,  mit- 
ün  bei  einer  Wjederbelebpng,  selbst  wenn  man  sich  auf 
im  Wunder  berufen  wollte,  diefs  geradesn.  in  der  £rschaf* 
ong  einer  neuen , Seele  bestehen  mOfete. 

Nur  der  popnlfirgewordene  Dualismus  in  Beeng  auf 
las  Verbfiltnifs  ^von  Leib  und  Seele  begünstigt  die  Mei- 
inug  von  der  Möglichkeit  einer  eigentlichen  Wiederbele- 
luog.     Da  wird  die  Seele  in  ihrem  Verhältnils  num  Kör- 


* 


678  Dritter  Abschnitt. 

per  wie  der. Vogel  i^i^gestellt ^  welcher,  wenn  auch  ebe 
Weile  ana  dem  Käfig  entflogen ,  doch  wieder  eiogefaDgeo, 
nnd  in  deofelben  zarflct^girbraeht  werden  kann,  and  u 
dergieioke*  Bttder  biUt  sieh  ein  inuginirendea  Denken,  db 
die  Voratellnng.der  Wiederbelebung  featsnhalten.  Doek 
aelbst  auf  dem  Standpttnkte'  dieaea  Dnaliamna  versteckt  «ick 
die  Dndenkbarkeit  eines  aoleben  Voigangs  mehr,  ab  lili 
aie  sich  eigentlieh-  yerringerte«  Denn  so  gleichgllltig  qhI 
nnlebendig,  wie  bbi  einer  Sehaebtei  nnd  deren  Inhalt,  dirf 
man  sich  doch  daa  Zusammensein  des  Leibs  nnd  der  Seele 
auch  bei  der  abatractesCen  Trennung  nicht  denken;  sm* 
dern  die  Gegenwart  der  Seele  bringt  im  Körper  Wirksif 
gen  hervor  9  welche  hinwiederum  die  8l5gliehkeit  jener 
ffegenwart  der  S^ele  in  ihm  bedingen.  Sobald  also  die 
Seele  den  Körper  verlassen  hat,  werden  In  diesem  diejen* 
gen  Thltfgkelteii  atiUe  stehen ,  welche  nach  der  dmlitti- 
aoben  Vorstellnngswelse  die  nnndttelbarsten  AenlseningM 
des  KInflttssea  der  Seele  waren ;  ebendamit  werden  (b 
Organe  dieser  ThKtigkeiten ,  Gehirn ,  Blut  n.  a.  f.,  an  sto- 
cken und  stKrr  en  werden  beginnen,  und  swar  wird  dlea 
Veränderung  mit  dem  Aagenblioke  des  wirklichen  Todei 
Ihren  Anfang  nehmen.  Könnte  ea  also  auch  dar  entflob6 
nen  Stele  einfallen,  oder  ate  dnrch  einen  Andern  dato  ge- 
nöthlgt  werden,  ihten  -vorigen  Wohnaits,  den  Korper,  «i^ 
der  aofisnsnchen:  ao  würde  aie  Ihn  doch  nach  den  erstes 
Augenbiieken  schon  In  seinen  edelsten  Theiien  unbewohn- 
bar und  för  Ihren  Dienst  untauglich  finden.  Wiederker 
ateilen  aber,  wie  ein  krankea  Glied,  könnte  sie  die  vo- 
brauchbar  gewordenen  unmittelbarsten  Organe  Ihrer  Wirt 
aamkeit  auf  keine  Weise,  da  sie,  um  Irgend  etwaa  im  K5r 
per  an  wirken,  des  Dienstes  eben  dieser  Organe  bedarf: 
aie  mfifste  also,  ob  auch  wieder  In  den  Leib  suriickgebaoDt, 
denselben  doch  geradeau  vermodern  lassen,  weil  sie  keioeo 
Blnflnlä  auf  ihn  anaaufiben  im  Stande  wäre;  oderesaififite 
au  dem  Wander  ihrer  Zurfickfübrung  in  den  Körper  dii 


Viertel  Kapitel,    f.  118.  «• 

sweite  elderfteftaurtning  ilmr  elifettorbeiMii  liSrperliehen 
Organe  liineiikeBMwn  —  ein  nnMittelberes  Bingreilin'Oet« 
tm  in  den  gesetsliehen  Verfenf  des  Nntnrlebent,  wie  es 
gelinterten  Antiebten  Ten  dem  Veriilltnift  Gettea  ■» 
Welt  widersprieht. 

Sehr  iMClMiBt  liet  datier  die  nevere  BÜdnng  In  Be- 
sag anf  iesnm  das  DUeaini^  anfgesiellt ,  daTs  er  entii» 
der  nicht  wilrklich  gestoriben ,  oder  oiieht  wiriilieb  anCor- 
itsnden  seL 

Der  Itationalisnivs  hat  sieh  vorwiegend  der  ersteren 
AnnaboM  «ngewendeC  Die  linrae  Zeit,  welelie  Jeans  am 
Kreaee  hing)  nnsammengenommen  mit  der  sonst  lieliannten 
LsngBsmhett  des  Krennestodes ;  die  Ungewisse  Besebaflen* 
heit  md  Wirlinng  des  Lancenstiehs  (welcher  Tielleiebt 
nicht  einmal  historisch  Ist),  schienen  die  WirkUehheit  des 
Todes  cwMfelhaft  nn  machen.  Dafs  die  VoUstreeker  dar 
Kreorignng,  wie  die  Jflnger  selbst,  keinem  selehen  Zwei* 
fei  Raum  geben,  wfirde  sieh  anfser  der  allgemeinen  Schwie- 
rigkeit tMe  Ohnmächten  und  synkoptiscbe  Erstarmngen 
▼om  wirldiehen  Tode  an  nnterscheiden,  ans  dem  niedrigen 
Stande  der  medicinischen  Kenntntsse  in  Jener  Zeit  erldl- 
ren ;  wogegen  wenigstens  Sin  Beispiel,  dafs  ein  vom  Krens 
Abgenommener  wieder  genas,  ein  erielgtes  Wiederanfleben 
aoch  bei  Jesn  denkbar  nn  auiehen  schien«  Dieses  Beispiel 
iodet  sieh  liei  Josephns,  welcher  berichtet,  da(s  von  drei 
gekrenctgten  Bekannten,  die  er  von  Titos  losgebeten  liabe, 
nach  der  Abnahme  TomKrense  swei  gestorlmn,  einer  aiwv 
mit  dem  Leben  davongekommen  sei  0*    Wie  lange  diese 


i)  Joseph*  Tita,  75 :    n9fif9tU  ^  vni  Tita  Kataa^  9w  Kä^alUp  neu 
r9iy  r,ifq&a  Tijr  V^Jf^r,  and  ftna  SoMtM  n^oatiSmt  Tlr^  flnor.    *0 


.__    '        ^ 


«83  Dritter  Ahsohnitt. 

gen  das  Grabmal  Jean  eröffnet  habe  *)•  Hiegegen  haben 
|edoch  Andere  darauf  aufmerksam  gemnehti  wie  die  kihi 
Luft  in  einer  Höhle  am  wenigsten  etwas  Beleihendes  habei 
konnte;  wie  starke  Aroroe  in  einem  verschlossenen  Ran« 
vielmehr  betitubend  und  erstickend  wirken  ^  ;  die  gleidM 
Wirkung  mflfste  ein  in  die  Gruft  schlagender  BlitestnU 
gehabt  haben ,  wenn  dieser  nicht  blofse  Erdichtung  ratw- 
naiisttsoher  Ausleger  wäre. 

Dnerach'tei  aller  dieser  Dnwabrschelnlichk^ten  jedsek, 
welche  die  Ansicht  gegen  sich  hat,  dafs  Jesus  ans  eines 
blofsen  Scheintode  durch  natitriiche  Ursachen  wieder  tis 
Leben  gekommen  sei ,  bleibt  sie  doch  Insoweit  mSglieb, 
dafs  9  wenn'tfns  die  Wiederbelebung  Jesu -sicher  verblirp 
wäre,  wir  ads  dbr  EntschiediBnhei^  des  ErfoFgs  die  Lfickei 
der  Berichte  über  den  Hergang  der  Sache  ergfincen ,  ood 
der  bisher  vorgetragenen  Ansicht ,  mit  Abweisung  Jedoek 
aller  bestimmteren  Yermnthungen,  beitreten  könnten.  Vcf 
bflrgt  wXre  uns  die  Auferstehung  Jesu ,  wenn  sie  von  m- 
parteiischen  Zeugen  auf  bestimmte  und  snsammenstininieo- 
de  Weise  beurkundet  wäre.  Aber  eben  die  Dnparteilicfi- 
keit  der  angeblichen  Zeugen  ftir  die  Auferstehung  Jeen  ha- 
ben die  Gegner  des  Christenthums  von  Celsas  bis  auf  den 
Wolfenbfittler  Fragmentisten  herab  in  Anspruch  genoa- 
dien.  Nur  seinen  Anhängern  habe  sich  Jesus  geseilt: 
warum  nicht  auch  seinen  Feinden,  um  auch  sie  sa  flbe^ 
sengen,  und  durch  ihr  Zeugnifs  der  Nachwelt  Jede  Vc^ 
mnthung  einer  absichtlichen  Täuschung  von'  Sdten  teioer 
Jfinger  tn  benehmen  ?  ^   So  wenig  Ich  nun  auch  von  dai 


6)  ScHUSTia,  in  £xcaMOBa*a  allg.  BibL  9»  S.  1053. 

7)  Wxxaa,  bibh  Reslw.  J,  8.  674. 

8)  Orig.  C.  Cele«  ty  63  •   Afrro  retvra  o  KHoo^  t*M  evxarenpfoiir^  <' 
yfY^fifiira  KaxoXof^i  if^tVy  Sn  ?/^,  «&rff(>  oma$  &9{ar  Syrafnr  w- 

jtpfgym   il&eltr  o  *l. ,    auroU    Tots    Inij^aaaai    m  tu    KaraSanöarri  » 
oUfi  yrainy  oip9ljr€a.   —   67  5    »  yo^  —    Inl  rSr     en^/tf^  »fr  ♦!?• 


Viartea  Kapitel.    $.  138. 


WS 


BrwMmrmngem  der  Apologeten  auf  diesen  Einwand  halten 
kann,  tob  dem  Origeneiteben  igfeldero  yccg  xal  rS  xcnad^ 
ycaaavTog  itai  vdSv  imiQeaaarvwv  6  XQigog^  iVor  fiij  nata%9w' 
oty  aoqaalif  *)  Bn^  \A»  anf  die  Meinungen  der  Neueren^ 
welche  dnreh  das  Sehwanken  swisehenr  der  Behauptung, 
doroh  eine  solehe  Brsoheinnng  wXren  die  Feinde  Jean  cum 
Glauben  geuwongen  worden,  und  der  andern^  aie  würden 
aoch  auf  eine  aolehe  hin  nloht  geglaubt  haben ,  aieh  selbst 
widerlegen  ^^:  so  kann  doch  Jenem  Bin wuHb  das  enfge* 
gengehalten  werden,  dala  die  AnhXnger  Jesu  durch  ihre 
Hoffnnngsioaigkelt,  welche,  *wie  aie  aus  der  ZälMimmenstioH 
mong  der  Berichte  erhellt,  ^*so  der  Natur  dte*  Baehe  voll* 
kommen  ungemessen  ist,  kbk  »um  'Ra0ge'-*mi)(arteiiscber 
Zeugen  sieh  erbeben.  Hfilten  sie  eine  Aufni^tehung  Jesu 
erwartet,  und  sollten  Wir  diese  nun  allein  uirf  ihr  Zeug^ 
niCi  hin  glauben:  so  wfire  allerdings  die  Mflgtiohkeit,  und 
TieUeicht  WahrsehelnUebkeit ,  wenn  nicht  eines  absichtli* 
eben  Betrugs,  doch  onwillkffrlioher  SellAttäuscbnDg  ron 
ihrer  Seite  Torhanden;  diese  rerschwindet  aber  in  dem 
Grade,  als  die  Jünger  Jesu  nach  seinem  Tode  alle  Hoff* 
neng  verloren  hatten.  Da  nun,  wenn  auch  von  den  Evan- 
gelien keines  unmittelbar  von  einem  Jünger  Jesu  herrüh- 
ren seUte,  di»oh  aus  den  paultniseheu  Briefen  und  def  Apo- 
stelgeschichte gewifs  ist,  dafs  die  Apostel  selbst  die  Ueber- 
seegung  hatten,  den  Auferstandenen  gesehen  jbu  haben :  so 
könnten  wir  uns  an  den  N.  T.  liehen  Zeugnissen  für  die 
Anferstehnng  Immerbin  genügen  lassen;  wenn  nar  diese 


'ira  la»n.  Vgl.  dco  Wolfenbüttler  >  bei  LBiti^e,  S.  450.  60. 
92  ff.  WooLSTOif^  Disc.  6.  SnHOZA,  ep.  23*  ad  Oldenburg, 
p*  558  f.  ed  GvaöiisR.  , 

^)  «.  a.  O.  67.  *' 

10)  Vgl.  MosHXiM ,  in  seiner  Üeberaetzung  der  Schrift  des  Ort- 
genet  gegen  den  Celtus,  s.  d.  angef.  St. ;  Michablis  ,  Anni. 
zum  fönften  Fragment ,  S.  407. 


IK84  Dritter  Abschnitt. 

Zengnigse  tiiell«  bestimoil  gen«g  wMren ,  theil«  rniter  ein- 
Ander,  und  jedes  mit  sioh  selbst,  Eusammenstiaifliteii.  Nan 
aber  ist  das  in  sich  einstimmige  nnd  auch  sotist  gewidi* 
tigste  Zeagnifs  des  Paulus  so  allgemein  und  nnbestiiDiiit, 
dafs  es  für* sich  uns  ifber  die  snbjective  Th*tsaehe,  di» 
Jünger  seien  Ton  der  Auferstehung  Jesu  fiberseugt  geu«> 
sen,  nicht  hinausführt ;  die  besiimmteren  Ermihlnngen  der 
Evangelien  dagegen,  in  welcbcn  die  Auferstehung  Jeso  ab 
objectiye  Thutsache  erscheint,  sind  ihrer  anfgeeetgteo  Wh 
dersprfiche  wegen  nicht  als  Zeugnisse  eu  gebraacben, 
llberbauptt2i«t  ihr  Bericht  ff  her  den  Wandel  Jesu  mA 
seiner  AnftrstebuBg^  i^ein  in  ticb  BusammeBfaüngeadery  ia 
uns  eine  J^liure  historische  Atiißbaiiftng  der  Sache  gibe, 
sondern  eint^lüignientafischer  t\)^  der  uns  mehr  eine  Reik 
von  Visionepi.,  Als  eine  fortlaufisude  Geschiehte  aar  in- 
sohauung  bringt» 

Vergleicht  man  mit  diesem  Bericht  ttber  die  Wiedo> 
belebnng  Jesu  de«  bestimmten  in  sich  einstimmigen  fibcr 
seinen  Tod:  so  m.ufs  man  in  dem  oben  gestellten  DÜHuit 
auf  die  andre  Seite  sich  neigen,- und  eher  die  Realität  der 
Auferstehung,  als  die  des  Todes  in  Anspruch  au  nehoei 
sich  ver^nUfst  finden.  Auf  diese  Seite  ist  daher  Mhoi 
Celsus  getreten,  indem  er  die  angebiiclien  firacheinnogfi 
Jesu  nach  der  Auferstehung^  entvreder  ans  Selbstt&useboii; 
seiner  Airiifinger,  namentUcb  der  Weiber,  im  Traum  odar 
Wachen,  oder  was  ihm  noch  wahrscheinlicher  war,  «la* 
absichtlichem  Betrug  ableitete  f^j   ^^^  Neuere  >  wie  u- 


>     > 
|1)  Habe,  L.  J.  §.  149;   Diss. :  Hbrorüm  sacroram   de  J.  Cbr.  i 

mortuis  tevocato  atquc  in  coelum  sublato  narrationem  colb- 

tit  valgaribus  iila  aetate  Judaeorum  de  mortc  opioionibus  iß* 

terpretari  conatus   est  C.  A.  Frb«b,    p.  12  t,   Wfiuse,  ^ 

evang.  Geschichte,  2,  S.  368  iF. 

12)  Bei   Orig.   c.  CeU.  2,  55:   Wg  r«ro  elfh;  (die   durchbohrloi 

Hände  Jesu ;   und   überhaupt   «piat  lj)rachcinungen  nach  dc^ 


Viertes  Kapitel.    S-  138.  6a5 

mentitoh  der  WdfenbOliler  Fragmentist,  haben  sieh  an  die 
JOdiscbe  Be«chnldigan|[  bei  Mattblns   angeschlossen-,   dnrs    , 
die  Jfinger  den  Leiebnan  Jesn  gestohlen,  und  hernach  die 
ErsShlangen  Ton  seiner  Adferstehnng   und    den   Erschei- 
nungen nach  derselben  anf  übel  Ensammenstlmoiende  Weise 
erdichtet  haben  ^)«    Dieser  Verdacht  ist  sehon  dorch  die 
Bemerlinng  des  Origenes  niedergeschlagen,  dafs  eine  selbst- 
erfandene  Lffge  die  Jünger  nnmögtich   so  einer  so  stand* 
haften    Verliflindignng  der  Auferstehung  Jesn    unter    den 
gröfsten   Gefahren   hätte  begeistern   können  ^*) ,   und  mit 
Recht  bestehen  noch  jetst  die  Apologeten  darauf,  dafs  der 
angebeore  Omschwnng  von  der  tiefen  Niedergeschlagenheit 
und   ginslichen   Hoffnungalosigkeit    der  Jünger    be}    dem 
Tode  Jesn  eo    der  tilaubenskraft   und  Begeisterung,  mit 
welcher  aieam  folgenden  Pfingstfest  ihn  als  Messias  verkün- 
digten, aicb  nicht  erUflren  liefse,  wenn  nicht  in  der  Zwi- 
schensek  etwas   gann  aufserordentlieh  Ermuthlgendes  vor- 
gefallen  wäre,   und  «war    näher  etwas,  das  sie  von  der 
Wiederbelebung    dea    gekrevaigten  Jesns    überseugte  '^. 
Dafs  aber  dieses  üeberzeugende  gerade  eine  wirkliche  i£r- 
scheinnng  des  Auferstandenen,  dafs  es  überhaupt  einäurse- 
rer  Vorgang  gewesen  sein  müsse,  ist  damit  noch  keines- 
wegs beiviesen.    Man  könnte,  wenn  man  anf  sopraniitura« 


Auf dr stehung)  yin^  nd^ot^iiog,  eaf  tpen^f,  xat  d  rtf  aXlof  rw/  ex  r^f 
avT^9  yotjTeCag^  tjroi  ararra  nva  SiaS'fOiv  ovniKo'la;^  v  xata  rtjr  qvtm  /9m- 
h^tv  ffo^tj  Tifnlart^juivjj  (payrctaua^etg ,  oTTfQ  SiJ  fiVQCoii  avftßißtjxfv'  ?, 
onfQ  fidtXXoy »  »arTri^^at  rif$  lonniq  TJ(  TffKtrtia  ravrjn  ^tJi^as ,   aral  Sta 

13)  Das  5te  Fragment,  in  LsttzKS^s  4tcm  Beitrag.  Woolstox, 
Disc.  8. 

14)  a.  a«  O.  56. 

15)  Ullmaki«,  was  setzt  die  Stiftung  der  christlichen  Kirche  durch 
einen  Gekreuzigten  voraus?  In  s.  Studien,  1852>  3,  S.  589f.; 
(ROhr)  Briefe  über  den  Rationalismus ,  S.  28.  236.  Paulus, 
exeg.  Handb.  5,  b,  S.  826  f.  \  Hasb  j  %.  146. 


06tt  Dritter  Abtobnilt. 

leai  Bddeo  bleiben  wollte ,  etwa  mit  Sfikoza  eine  in  U- 
nem  der  Jünger  eaf  wanderbere  Weite  bewirkte  VlaiM 
ennebmen,  welehe  den  Zweelc  gehabt  bätte^  .ihneD  ntek 
ihrer  Faf aongskraft  and  der  VoreteUangaweiae  ihrer  Zdt 
anschanlieh  sn  machen,  dab  Jeans  durch  «ein  ta||endbaf* 
tee  Leben  vom  geistigen  Tode  auferstanden  sei,  und  denn, 
welche  seinem  Beispiel  folgen,  eine  ähnliche  Auferstehoig 
verleihe  ^^])^  Mit  Einefai  Fnfse  wenigstens  auf  deniidbei 
Boden  steht  die  Annahme  von  Wsisss,  dafs  der  abgetcliie- 
dene  Geist  Jesu  auf  die  aurfickgebliebenen  Jüngern  wiik- 
lieh  eingewirkt  habe;  wobei  an  die  Ueistererscheimnig« 
erinnert  wird,  deren  Dndenbbarkeit  noch  immer  niek 
nachgewiesen  sei^O«  ^^  ^Q*  dem  Zanberkreise  desUeh«^ 
natürlichen  heransaukommen ,  haben  Andere  nach  ostflrE* 
eben  fiufseren  Veranlasiinngen  gesucht,  weiche  die  Meinnf 
erregen  Itonnten,  Jesus  sei  auferstanden  and  als  Anbh 
standener  gesehen  worden.  Den  ersten  Anatefs,  venu- 
thete  man ,  habe  das  gegeben ,  dafs  am  aweiten  Morga 
nach  dem  Begräbnils  sein  Grab  leer  gefunden  wnidsi  dei* 


16)  Spinoza  ,  a.  a.  0. :  Apostolos  omnes  omnino  credidtsse,  pd 
Christus  a  morte  resurrexerit ,  et  ad  coelum  reoera  ascfnäe- 
Ht '—  ego  noit  nego,  Nam  ipse  etiant  Abrahamus  credidU 
quod  Deus  apud  ipsum  pransus  ftierit  —  cum  tarnen  h»r 
et  phira  aÜa  h^ju9modi  apparitiones  seu  reveiattones  ftierlii, 
captui  et  opinionibus  eorum  homiman  accomtnodtUae,  qvüv 
Deus  mentetn  suam  iisdem  revelare  volutt.  Concludo  Üoff» 
^Christi  a  martuis  resurrectionem  revera  sptritualem,  d  stSt 
fidetihus  ad  eorum  captum  revelatam  fitisse,  nempe  fu^ 
Christus  aetemitate  donatus^  fuit,  et  a  marU^s  {wurtuot  Üf 
inteUigo  eo  sensu»  ^fuo  Christus  dixits  sMte  martuot  seff- 
Üre  mortuos  suos)  surresit,  Hmsiiatgue  vita  et  morte  HMf»r 
laris  sancHtatis  eaemplum  dedit,  et  eaienus  disdpml^s  m* 
a  mortuis  suscitat^  quatenus  tpH  hoc  vttae  ^jus  et  m^ 
exemplum  sequuntur. 

17)  Die  evang.  Geschichtei  2,  S.  426  CT. 


VUrUs  KapIteL    f.  tS8.  667 

860  LeintAofaer  snertt  fiOr  Engel,  .dann  ffir  eine  Ertehel- 
nnng  des  Anffurstendenen  selbst  gebalten  worden  seien  ^: 
alleini  wenn  der  Leib  Jesn  nicht  neabelebt  aas  dem  Grabe 
hervorgegangen  ist,  wie  soll  er  denn  heransgelioninien 
sein  ?  Da  mafste  man  ja  wieder  an  Diebstahl  denken :  wenn 
man  nicht  ans  der  Ändentong  bei  Johannes,  daCs  Jesus 
der  Eile  wegen  in  ein  fremdea  Grab  gelegt  worden,  die 
Versntfaang  herleiten  will,  dafs  Tielleieht  der  Eigenthff mer 
der  Graft  den  Leichnam  habe  entfernen  lassen;  was  aber 
die  Jfinger  nachtriglioh  hfltten  erfahren  mttsseii,  nnd  was 
in  Jedem  Fall  an  der  Tcreincelten  Angabe  des  rierten  £?an* 
geliams  eine  an  schwache  Grundlage  hat. 

Ungleich  fraohtbarer  ist  die  Hinweisang  anf  die  pau- 
linlsche  Stelle  1.  Kor.  15,  5  £,  als  den  geeignetsten  Äus- 
gsngsponlit  in  dieser  Sache,  nnd  den  Schldssel  sur  Ver- 
st&odigang  Ober  alle  Erscheinongen  Jesu  nach  seiner  Aof- 
erstehnng  *')•  Wenn  nfimlich  Panlas  dort  die  ihm  an  Theil 
gewordene  Christophanie  mit  den  Ersoheinnngen  Jesu  in 
den  Tagen  nach  seiner  Anferstehang  in  Eine  Reihe  stellt: 
so  berechtigt  die(s,  sofern  sonst  nichts  im  Wege  steht,  au 
dem  Schiasse,  dals,  so  Tiel  der  Apostel  woiste,  jene  frühe« 
ren  Erscheinungen  von  derselben  Art,  wie  die  ihm  gewor- 
dene, gewesen  seien.  Von  dieser  letateren  nnn  aber,  wie 
sie  ons  die  Apostelgeschichte  (9,  1  ff.  22,  S  ff.  26,  12  ff.) 
erzfthlt,  ist  es  nach  den  Analysen  von  Eiobhorn  ^^  and 
Ammom  '^3  nicht  wohl  mehr  mdglich ,   sie  als  Anfsere,  ob« 


18)  Versuch  Über  die  Auf^stehung  Jesu,   in  ScuoDt^s  Biblio- 
thek, i,  4,  S.  645  £ 

19)  S^  die  sngefiUurte  AUandluBg  in  Schmidt'^  Bü^.  ,  S.  537. ; 
KAitSRy  hibL  Tbeal.  i,  S.  258  f. ;  Fum,  a.  a.  O.  p.  13. 

20)  In  seiner  tilg.  Bibliothek,  6,  1»  S.  1  ff. 

21)  Comm.  exeg.  de  repentina  Sauli  —  conversione.  In  s.  oputc. 
theoL;  Fortbildung  del  Cbristenth.  2,  1,  Kap.  3.  Vgl.  auch 
meine  Streitacbriften,  2tes  Heft,  S.  52  ff. 


688  Dritter  Abschnitt. 

Jeotive  Ersoheinnng  des  wirklichen  Ghristoa  festenhalten; 
selbst  Nkander  ^  getraut  sich  blofs,  eine  innere  Eiavli^ 
kong  Christi  anf  das  Gemßth  des  Paotaa  sicher  bo  be> 
hanpten ,  die  Annahme  einer  änfseren  Erscheinung  aber 
hängt  er  nur  sehr  bitt^eise  hinten  an,  und  aneh  jeoeifr 
nere  Einwirkung  macht  er  dadaroh  seibat  llberflössig,  dtb 
er  die  Momente  namhaft  macht,  welche  anf  natfirlielii 
Weise  eine  solche  Revolution  in  der  Gesinnung  des  Mu. 
nes  hervorbringen  konnten :  die  gfiostigen  Eindrücke,  wel- 
che er  da  und  dort  vom  Christenthum,  von  der  Lehre,  dea 
Leben  und  Benehmen  seiner  Anh£nger,  namentlich  sni 
durch  den  Mfirtyrertod  des  Stephanus,  bekommen  lifttta, 
und  welche  sein  GemQth  in  eine  Spannung  und  in  eine« 
Innern  Kampf  verseteten,  den  er  wohl  einige  Zeit  ge^di* 
sam,  und  vielleicht  selbst  durch  verdop|>elte8  Eifern  gegei 
die-  neue  Secte,  unterdrficken  konnte,  der  sich  aber  suiett 
in  einer  entscheidenden  geistigen  Krisls  entladen  mofsto, 
von  welcher  es  uns  bei  einem  Orientalen  nur  gar  sidt 
wundern  darf,  dafs  sie  die  Gestalt  einer  Chrlstophanie  u* 
nahm.  Haben  wir  hiemit  an  dem  Apostel  Paulas  ein  Bei> 
spiel,  Attti  starke  Eindrficke  von  der  jungen  Christenge- 
meinde ein  feuriges  Gemfith ,  das  ihr  Iffngere  Zeit  en^ 
gegengestrebt  hatte,  bis  aur  Christophanie  and  TöUig« 
Sinnesfinderung  steigern  konnten :  so  wird  wohl  aoch  d<r 
gewaltige  Eindruok  der  grofsartigen  Persönlichkeit  Jesu  ia 
Stande  gewesen  sein,  seine  nnndttelbaren  Schfiler  ia 
Kampfe  mit  den  Zweifeln  an  seiner  Messianitfit,  welche 
sein  Tod  in  ihnen  erregt  hatte,  va  Xbnlichen  Gcsicbtei 
eu  begeistern.  Wer  aur  Erklärung  der  paal(iiischeo  Chri- 
stophanie  noeh  ein  äutsereS'  NatorphänMicn  ^  wie  Wti 
and  Donnerschlag,  an  Hülfe  nehmen  an  mttssen  uiid  ■> 
dflrfen  glaubt,   der  mag  auch  die  Erkllron^  der  Erscheh 


22)  Geschichte  der  Pflanzung  und  Leitung  der   cliristl.  BircBf 
durch  die  Apostel,  1,  S%  75^ff.    ^ 


i 


Viertes   Kapitel.    §.  138.  «89 

nungen,  welche  früher  die  unmitleibareD  Schaler  Jesn  von 
dem  Änferstaodenen  zu  haben  glaobten,  durch  Voraoa« 
seteuDg  ähnlicher  Creigniase  eich  so  erleichtern,  suchen  ^). 
Nur,  wie  die  fiiCHHORM'sche  Erklärung  des  Vorgangs  mit 
Paulus  daran  scheiterte,  dafs  sie  alle  und  jede  Züge  der 
N.  T.  liehen  Ercfthlung,  ^ie  die  Blindheit  des  Paulus  und 
deren  Heilung,  die  Vision  des  Ananias  u.  s«  f.,  als  histo« 
rische  festhielt ,  und  diese  begreiflich  nur  sehr  gezwungen 
in  natürliche  Erfolge  umdeuten  konnte:  so  würde  freilich 
derjenige  die  psychologische  Erklfirung  der  Erscheinungen 
des  auferstandenen  Jesus  selbst  sich  unmtfglieh  machen, 
welcher  alle  evangelischen  Erefiblungen  Fon  denselben,  na* 
mentlich  von  den  Proben,  welche  Thomas  durch  Betastung 
angestellt,  und  der  Auferstandene  selbst  durch  Genulä  von 
Nahrung  abgelegt  haben  soll,  als  historisch  anerkennen 
wollte ;  worauf  aber  diese  Erzählungen  ihrer  aufgezeigten 
Widersprüche  wegen  nicht  den  mindesten  Anspruc/h  ha- 
ben. Die  zwei  ersten  Evangelien,  und  der  Hauptgewährs* 
mann  in  dieser  Sache,  der  Apostel  Paulus,  erzählen  uns 
von  dergleichen  Proben  nichts,  und  es  ist  ganz  natürlich, 
dafs  die  Cbristophanien ,  welche,  so  wie  sie  den  Frauen 
and  Aposteln  wirklich  vorgeschwebt  hatten,  mehr  das  vi- 
sionäre Gepräge  derjenigen  gehabt  haben  mügen,  welche 
Paulos  auf  dem  Wege  nach  Damaskus  hatte,  einmal  in  die 
Tradition  aufgenommen,  sich  vermöge  des  apologetischen 
Bestrebens,  alle  Zweifel  an  der  Realität  derselben  abzu- 
schneiden ,  immer  mehr  consolidirten ,  ?on  stummen  Er- 
scheinungen zu  redenden ,  von  geisterhaften  za  essenden, 
von  sichebaren  zu  handgreiflichen  wurden. 

Hier  kehrt  sich  jedoch  ein  Unterschied  heraus,  wel- 
cher den  Vorgang  mit  Paulus  zur  Erklärung  jener  frühe« 
reu  Erscheinungen   mit  Einem  Male  unbrauchbar  zu 


23)  So   die  Ablisndiuiig  in  Schkiot's  Bibliothek ,  bnd  Haisiz  , 
a.  a.  O. 

Iku  Leimt  Jesu  Ue  Aufl.  IL  Band.  44 


um  Dritter  Absehnttt. 

Awk  «ebeint.    Dem  Apostel  Paalm  nSnlieh  war  die  Vo^ 
atellang,  dafe  Jeans  anferttandoD  nnd  nehrereu  Penooci 
erschienen  sei,  als  Glaube  der  Secte,  die  er  verfolgte ,  ge* 
geben;   er  hatte  sie  nur  noch  in  seine  Uebernengang  anf- 
annehmen  y   nnd   dnreh   die  Phantasie  bis  nor  eigenen  Er 
fabrong   sn   beleben:  die   ilteren  Jfinger  hingegen  hattea 
lediglich  den  Tod  ihres  Messias  als  Factnm  yor  sich,  die 
Ansicht  eider  Auferstehung  desselben  konnten  sie  nlrgeodi- 
ber  nehmen  y  sondern  mnfsten  dieselbe,  nach  unserer  Vo^ 
Stellung  Von   der  Sache ,    erst  prodnciren ;    eine  Aofgibc^ 
welche  ttl»er  alle  Vergleichung   hinaus  schwieriger  so  seU 
seheint,   als  die,   welche   sieh  spiter  dem  Apostel  Paol« 
stellte.     Um  bierflber  richtig  urtheilen  nu  hdnnen^  mfittei 
wir  uns  noch  genauer  in  die^Lage  und  Stimmung  der  Jfin- 
ger Jesu  nach  seinem  Tode  hineindenken^    fir  hatte  wlk- 
rend  seines  mehrjährigen  Zusammenseins  m|t  ihnen  imner 
mehr  und  entschiedener  den  Eindruck  des  Messias  auf« 
gemacht :  sein  Tod  aber,  den  sie  mit  ihren  Messiasbegrifia 
nicht  reimen  konnten ,  hatte  diesen  Eindruck  filr  deo  ii- 
genbliok  wieder  Ternichtet«     Wie  sich   nun ,   nachdem  dir 
erste  Schrecken  vorOber  war,    der  frfihere  Eindruck  mV 
der  en   regen   begann :    entatand    in   ihnen  von  aelbst  du 
paycbologische  Bedarf nifs,   den  Widerspruch  der  letst« 
Schicksale  Jesu    mit   ihrer  Arflheren  Ansicht  yon  ihai  nt 
Bulösen ,   in  ihren  Begriff  vom  Messias  das  Merkmal  des 
Leidena   und  Todea  mltaufaunehmen.     Da   aber  Degreifo 
bei  den  Juden  Jener  Zeit  eben  nur  hiefa,   etwaa  aus  dei 
heiligen  Schriften  ableiten :   ao  waren   aie  an  diese  gewi^ 
aen,  ob  nicht  in  ihnen  rielleichtAnden)ungen  eines  leiden- 
den nnd  sterbenden  Messias  sich  fänden.    Dergleiebea  Ab« 
deutungen  mufsten  sich  den  Jüngern  Jesu ,  welche  sie  n 
finden   wünschten ,   so  fremd  auch   die  Idee  eines  lolciiei 
Messias  dem  A*  T.  ist,  dennoch  in  allen  denjenigeo  poeti* 
sehen  und  prophetischen  Stellen  darbieten,    welche,  wie 
Jes.  53,  Ps.  22 ,  die  Männer  Gottes  als  geplagt  und  g«- 


Viertes  Kapitel.    %  1.18.  691 

beugt    bie  sam  Tode  derstellteD«    Des  ist  es  eoeb)   was 
Lnkas  als  das  Haaptgesebift  des  ao&rstandenen  Jesus  bei 
seinen  Zosammenkflnften  mit  den  Jfli^era  beransbebt,  dafii 
er  uQ^afierog  ano  Mioaiiog  xal   dno  navttav  nov  nqoq^tpidv 
dir^QiiTjveve»  avtdiQ  iv  naaaig  Tcug  yQaijpaig  rd  71€qI  avröf 
dafs  nXmlieh  zavra  üdn  nal>flv  ror  Xgtcov  (34>  86  f.  44  ff.> 
Hatten  aie  aof  diese  Weise  Sehmaeb  ^  Leiden  nad  Ted  In 
ibre  JMeaaiasidee  aafgenommen :  se  war  ihnen  der  sebmach« 
Toll  getödtete  Jesns  nicht  verloren ^  sondern  geblieben:  er 
war  durch  den  Tod  nor  in  eelne  messianisehe  do^a  einge* 
gangen  (Lue.  24^  26.)  |  in  weieher  er   nnsiohtbar  mit  Ih» 
nen  war    ndaag  Tag  i^fieQag ,   i'tjg  riyff  avnelalcs  j5  aidhog 
(Matth.  28,  20  )•    Aas  dieser  Herrlichkeit  aber,  in  welohur 
er  lebte^  wie  konnte  er  es  unterlassen,  ilen  Seinigen  Kun- 
de Ton  sich  Bu  geben?   und  wie  konnten  sle^  wenn  ihnen 
der  Sinn  fflr  die  bisher  verborgene  Lehre  der  Schrifi;  Tom 
sterbenden  Messias  aufging,  und  in  ungewohnter  Begeiste^ 
rang  ihre  xaftdia  xaiofth'jj  war  (Luc*  24, 32«),  umhin,  dieCi 
als  Einwirkung  ihres  verherrlichten  Christus  auf  sie,   4iU 
ein  von  ihm  ausgebendes  diavoiyeiv  €6v  vöv  (V.  43),  ja  als 
ein  Reden  mit  ihnen  aufaufassen?  -^)  wie  denkbar  endiich 
ist  es,   dafs   diese  Empfindungen    bisweilen  bei  eiBselnen^ 
namentlich  Frauen,    rein  subjectiv   cur  wirklichen  Vision 
sich  steigerten;  auf  Andere  dagegen,  auch  auf  ganae  Ver- 
sammlungen, irgend  etwas  Objectives,  Sichtbares  oder  Hör- 
bares,  bisweilen  vielleicht i  der  Anblick  einer  unbekannten 
Person,  den  Eindruck  einer  Offenbarung  oder  Erscheinung 
Jesu  machte:  eine  Höhe  des  frommen  Enthusiasmus,  wel- 
che auch  sonst  hei  religiösen  Gesellschaften,  besonders  ge- 
drackten  und  verfolgten,  vorankommen  pflegt.   Sollte  aber 
der  gekreuzigte  Messias   wahrhaft  in   die   höchste   Form 
des  seligen  Lebens  eingegangen  sein:  bo  durfte  er  seinen 
Leib  nicht  im  Grabe  gelassen  haben,   und  wenn  nun  ge* 


24)  Vgl.  Waista,  s.  s.  O.  S.  S98  ff. 

44 


Mü  Dritter  Abtchnitt. 

rada  In  solchen  A.  T.  liehen  Stellen ,  welche  eine  TorbHd- 
llche  Beeiebung  auf  das  Leiden  des  Messias  solieiaeo,  bo> 
gleich  die  Hoffnung  sich  ausgesprochen  fand:  ini  ax  i^va- 
Takilip€is  Ttjv  '^vyrfpf  fiH  efg  ^SOf  edk  dtiaeig  zov  oaiav  aa 
idfiv  duxfpO^OQov  (Ps.  ,16,  10.  A«  6.  2,  270;  wenn  Jet. 
ftS.  10.  dem  sur  Schlaohthank  Gefährten,  Getddteten  end 
Begrahenen  naehher  4iooh  ein  langes  Leben  Tcrheifaen  wsr: 
was  lag  den  Jüngern  oiher,  als  ihre  frflbere  jOdische 
Vorstellung,  ort  oXQicog  ftevei  sig  tov  aitiva  (Job.  12,34), 
die  ihnen  im  Tode  Jesu  untergegangen  war,  durch  Ver- 
mittlung des  Gedankens  einer  wirklichen  Wierierbefebnag 
des  Getddteten  wiederhersustellen ,  und  zwar,  da  es  raei- 
llanisches  Attribut  war,  einst  die  Todten  leiblich  bu  er- 
wecken ,  ihn  gleichfalls  in  Form  der  dvdgaatg  in  das  Le- 
ben Eurfickkehren  au  lassen? 

Indefs,  wenn  doch  der  Leichnam  Jesu  an  einem  be* 
kannten  Platse  beigesetet  war,  und  an  diesem  C^ofern  wir 
weder  einen  Diebstahl,  noch  eine  aufallige  Entfernung  dei- 
aelben  postuliren  mögen)  aufgesucht  und  nachgewiesei 
werden  konnte:  ist  es  schwer  eu  begreifen,  wie  die  Jfin- 
ger  in  Jerusalem  selbst,  und  nicht  volle  £wei  Tage  amtk 
der  Beerdigung,  meinen  und  aussagen  konnten,  Jeaoa  sei 
auferstanden,  ohne  durch  den  Augenschein  am  Grabe  aick 
selbst  EU  widerlegen,  und  von  ihren  Widersachern  (denes 
sie  freilich  erst  an  Pfingsten  etwas  Von  der  Anferstehuag 
ihres  Messias  eröffnet  bu  haben  seheineo)  widerlegt  ca 
werden  ^^).  Hier  ist  es  nun,  wo  der  mit  Unrechi  snrfick- 
gesetEte  Bericht  des  ersten  Evangeliums  lösend  und  befrie- 
digend eintritt.  Auch  nach  diesem  Evangelium  eracheiat 
Bwar  der  Auferstandene  einmal  noch  in  Jerusalem  ,  aber 
nur  den  Weibern,  und  so  sehr  blofs  auf  eine. folgende 
Zusammenkunft,  lind  awar  auf  überflüssige  Weise,  vorb^ 
reitend,  dafs  schon  oben  diese  Erseheinung  besweifelt,  und 


25)  Vgl.  FRiBDJiiGa,  in  EiCHiioa»'«  Bibliothek,  7>  S.  223. 


Ylertet  KapiuL    $.  138.  OM 

Dor  affs  «Ine  tpltere  Ungettaltaiig  der  Sage  van   der  En* 
geleneheinong,  welche  Matthias  neben  ihr  noch  aufnahm, 
bingeitellt    worde  '^).     Die   £ine  Haopterseheinnng  Jean 
nach    der  Auferstehung  fällt  bei  MatthSns  nach  GaUlfiai 
«rohin  ein  Engel  und  Jesus  seihst  am  letston Abend. seines 
Lfcbens  und  am  Auferstehungsmorgen  aufs  Angelegentlioh- 
•te  Tcrweisen ,  *  und  wohin  auch  das  vierte  Eyangelium  in 
Nachtrag  eine  fccvifHoatg  des  Wiederbelebten  verlegt.  Dafs 
eich  die  durch  den  Schrecken  über  die  Hinrichtung  ihres 
Messias  versprengten  Jünger  in  ihre  Heimath  Galiläa  su- 
rficknogen ,    wo  sie  nicht ,    wie  in  der  Hauptstadt  Jodäa's, 
dem  Sitse  der  Feinde  ihres  geiLreucigten  Christus,    ndthig 
hatten  I    dui  rov  ipoßw  fdiv  ^IsdccUav  die  Thflren   an   vei^- 
achliefsen,   war  natürlich;   hier  war  der  Ort,   wo  sie  all- 
mählig  wieder  freier  anfatbraenj  und  ihr  darniedergeschla- 
gener Glaube  an  Jesum  sich  wieder  in  den  ersten  Regun- 
gen erheben  konnte;   hier  aber   auch,  wo  kein  im  Grabe 
nachzuweisender  Leichnam    die   kühnen   Voranssetsungen 
widerlegte,   konnte  sich  allmählig  die  Vorstellung  von  der 
Auferstehung  Jesu  bilden;  und  bis  diese  Ueberseugung  den 
Muth  und  die  Begeisterung   seiner  Anhänger  so-  weit  g^ 
gehoben  hatte,  dafs  sie  es  wagten,  in  der  Hauptstadt  mit 
derselben  anfeutreten,   war  es  nicht  mehr  möglich,   durch 
den  Leichnam  Jesu  sich  selbst  an  überführen,  oder  von 
Andern  überführt  an  werden. 

Nach  der  Apostelgeschichte  swar  sind  '-die  Jünger 
schon  am  nächsten  Pfiogstfeste ,  slelien  Wochen  naoh-  dem 
Tode  Jesu ,  mit  der  Verkündigung  seiner  Anfemttehung  in 
Jerusalem  hervorgetreten,  und  auf  die  eigene  Ueberaen- 
gung  von  derselben  bereits  am  zweiten  Morgen  nach  seiner 
Grablegung,  durch  Erscheinungen,  die  sie  hatten,  gekom- 
men. Allein  wie  lange  wird  es  noch  anstehen ,  bis  die 
Art,    wie  die  A.  6.   den    ersten   Hervortritt  der  Jünger 


26)  Vgl.  auch  Scrhidt's  Bibl.  2,  S.  548. 


694  Dritter  Abschnitt. 

Jetu  mit  Verkfindigong  der  *  neuen  Lehre  gerade  enf  des 
Fest  der  Verkündigang  des  alten  tiesetEes  verlegt,  als  eine 
solche  'erkannt  wird ,  welche  lediglich  auf  dogmatisebee 
Grande  mht,  mithin  historisch  werthlos,  ons  aaf  keiM 
Weise  bindet,  jene  Zeit  der  stillen  Vorbereitang  inGaiilit 
so  kurs  sa  setsen?  Was  aber  das  Andere  betrifft,  m 
mochte  ee  awer  einiger  Zeit  bedürfen ,  bis  sieh  die  8ti» 
mang  der  Jünger  su  der  Höbe  erhob,  weiche  dasso  ge* 
hSrte,  dafs  dieser  oder  Jener  Einaelne  «ein  aas  seinem  Is- 
nern  heraas  den  erstandenen  Christas  sich  aof  TiaioniR 
Weise  vergegenwftrtigte,  and  ganee  begeisterte  VereasiB- 
Inngen  ihn  in  Jedem  auffallenden  Ton  oder  AnbKclL,  der 
sich  ihnen  darbot,  eu  hören  and  ea  sehen  glaubten:  si 
mafste  man  sich  doch  denken,  da(s  er,  xa^ori  dx  ^  Sinr- 
rov  xQCtrela&ai  avrov  vtco  tö  &otvatH  (A.  G.  % ,  24.) ,  nar 
knrse  Zeit  im  Grabe  augebracht  habe.  Zur  nfiheren  Be- 
atimqiang  dieses  Zeitranms , .  wenn  man  sich  nicht  dank 
begnügen  will,  dafs  die  solenne  Ureisahl  Ton  Tagen  an 
nftchsten  lag,  mochte  sich,  mag  es  nun  historisch  aeln  oder 
nicht,  dafs  Jesus  am  Abend  vor  einem  Sabbat  begrabet 
worden,  die  Vorstellung  bieten,  dafs  er  im  Grabe  nur  eint 
Sabbatnihe  gehalten  habe,  also  n^Hot  nQtaTr]  aaßßdrorr  aaf- 
erstanden  sei,  was  mit  der  runden  Zahl  tou  drei  Tages 
durch  'die  bekannte  Zfihlung  vereinigt  werden  kannte  ^^ 
Hatte  sich  auf  diese  Weise 'die  Vorstellung  einer  Auf- 
erstehung 'Jesu  gebildet,  so^ltonnte  diese  nicht  so  einfach 
▼or  sich  gegangen  sein,  sondern  mufste  mit  allem  Geprfinge, 
welches  die  Jüdische  Voretellnngsweise  bot,   umgeben  und 


27)  Itt  etwa  .auch  der  dreitägige  Aufenthalt  des  Jonas  im  Wall- 
fisch von  Einflutt  auf  diese  Zeitbestimmung  j^ewesen,  wel- 
cher freilich  nur  in  Einem> Evangelium  in  Besiehung  mit  der- 
selben gesetzt  wird?  und  die,  oben,  ^.  111.  Anm.  3«,  ange- 
führte Stelle  aus  Hosea,  welche  übrigens  im  N.  T.  nirgeadi 
benutzt  ist? 


Viertes  KapiCeL    $.138.  605 

verberrlleht  werden.    i)er  Haoplsierretb ,   welcher  so  cUe- 
sem  Behof  su  Gebote  stand ,  waren  Engel  x    diese  mofsten 
daher  das  Grab  Jesa  eröffnet,  nachdem  er  hervorgestiegen 
'war,  an  der  leeren  Stätte  Wache  gehalteni  nnd  den  Wei- 
bern, welche,  weil  ohne  Zweifel  Weiber  die  ersten  Visio» 
nen  gehabt  hatten ,  aaerst  com  Grabe  gehen  mnfsten ,  von 
deoi  Vorgefallenen  Nachricht  gegeben   haben.    Da  es  Ga- 
liläa  war,    wo  ihnen  später  Jenas  erschien,    ao  wurda 
die  Reise  der  Jflnger  dalün,   welche  nichts  Anderes,  als 
ihre  durch  Forcht  lieschlennigte  Rficlikehr  in  die  Heimatb 
war,    von   der  Weianng  eines  Engels  abgeleitet^  Ja  Jeans 
selbst  mofste  schon  vor  seinem  Tode,  nnd,  wie  Matthias 
gar  an  eifrig  hinaufflgt,  anch  nach  der  Anferstehnng  noch 
einmal,  die  Jflnger  dahin  gewiesen  haben.    Je  weiter  sieb 
aber  diese  Eraftblnngen  in  der  Deberlieferung  fortpflana- 
ten,   desto  mehr  mnlste  die  Verschiedenheit  der  LocalitXt 
der  Anferstehnng  selbst  nnd   der  Erscheinnngen  deii  Aof- 
erstandonen  als  onl>eqaem  verschwinden,  nnd,  da  dieOert- 
lichkeit  dea  Todes  und  der  Anferstehnng  feststand,  die  Er- 
scheinungen allmählig  in  dieselbe  LocalitXt  mit  der  Aufer- 
stehung, nach  Jerusalem,  verlegt  werden,  welches  als  der 
glinaendere  SchaapJnts  nnd  als  Sita  der  ersten 
Gemeinde  besonders  daan  geeignet  war  ^t 


28)  Vgl.  mit  dieser  Ansftihrong  die  von  Waissi)  im  7ten  Hsp. 
leiner  angef.  Schrift.  £r  trifft  mit  der  obigen  Darstellung 
darin  zusammen ,  dass  auch  er  den  Tod  Jesu  als  wirklichen, 
und  die  Erzählungen  von  dem  leergefundenen  Grabe  als  spH- 
tere  Erdichtungen  fasst;  den  Funkt  -der  Abweichung  bildet 
das  schon  Erwähnte,  dass  ihm  die  Erscheinungen  des  Aufer- 
standenen nicht  blos  subjektiv  psychologische,  sondern  ob- 
jektiv magische  Thatsachen  sind. 


Pflnftes    Kapitck 

Die  Himmelfahrt« 


§.     139. 
Die  letzten  Anordnungen  und  Verheissungen  Jesu. 

Bei  der  letsten  ZmammenkDoft  mit  seinen  JOngen, 
welche  nacli  Markos  und  Lukas  mit  der  Himaielfsiirc 
•cbloüs,  lassen  die  drei  ersten  Evangelisten  Cder  vierte  hst 
etwas  Aehnllches  schon  bei  der  ersten  ZnsammenkQofi) 
Jesum  letstwiilige  Verordnangen  nnd  Verhelf  sangen  gebes, 
welche  sieh  anf  die  Stiftung  und  Verbreitung  des  messisB^ 
sehen  Reichs  auf  £rden  besogen. 

%Vm  die  Verordnungen  betrifft,  so  ernennt  bei  Lukts 
CUy  47  f.  A.  G,  1,  8.)   Jesus   scheidend   seine  Jünger  u 
Zeugen  seiner  MessianitKt ,  und  beauftragt  sie,  von  Jen- 
salem   an   bis   an   die  Enden   der  Erde   id   seinem  Kanes 
fieravoiav  teal  oi(peaiv  d/na(rtuov  su  verkündigen.    Bei  H«^ 
kus  (16,  15  f.)  weist  er  sie  an,  in  alle  Welt  aussogebes, 
und  die  frohe  Botschaft  des  durch  ihn  gestifteten  Messiss- 
reichs aller  Creatur  au  bringen ;  wer  glaube  nnd  sich  tas- 
fen  lasse ,  werde  gerettet ,  wer  aber  nicht  glanbei  Clni  be- 
vorstehenden messianischen  Gerichte)    verurtheilt  werdes* 
Bei  Matthfius  (2S,  19  f.)   werden  die  Jünger  ebenfalls  be- 
auftragt, TtdvTCc  tüitihrj  au  Schfilern  Jesu  au  machen,  and 
dabei  wird  die  Taufe  nicht  blofs   beiläufig,  wie   bei  Msr- 
kns,  erwiihnt,  sondern  als  ausdrAckliche  Verordnung  Jess 
hervorgehoben ,    und    noch  dazu  als  Taufe  eig  xo  orotfa  ri 
n^xTQO^  xai  iQ  viG  xixi  rä  dyiü  Ttrevfiaxiog  näher  bestimmt. 


Ffloftes  Kapitel.    {•  tM-  W7 

Bine  lolebe  ZvsftmBeniteliang  tod  Vater  ^  Sohb  und 
Geist  non  kommt  «onst  nor  in  apostoliseheo'  Sehriften  ab 
Grufsforrael  Tor  (8.  Kor.  13,  13 :  3^  x^Q^  ^^  Kvffia  '/•  X. 
y.  i.  ü,};  als  nShere  Bexeicbnung  der  Tuufe  aber  im  gan- 
sen  N.  T^  ist  sie  einaig  in  der  angefahrten  Stelle  des  ei^* 
stenEyangeliomsanautreifen:  wogegen  in  den  apostolifehen 
Briefen  und  ancb  In  der  A.  6.  die  Taufe  nnr  als  ßoTVcL 
^eiv  dg  XQigov  ^ItjoöVj  oder  dg  ro  ovopia  ra  KvqIh  ^Irjas  nnd 
auf  ähnliebe  Weise  bezeichnet  wird  (Rom.  0,3.  6al.3,27. 
A.  6.  %  38.  8,  16.  10,  48.  19,  5.) ,  nnd  erst  bei  Kiroben- 
sohrifcstellern,  wie  Justin  0>  diesellie  dreifache  Beziehnng 
auf  Gott,  Jesnm  und  den  Geist  sieb  findet.  Anoh  lautet 
die  Formel  bei  Mattbins  schon  so  gans  wie  ans  dem  kirch- 
lichen Ritual,  adafs  es  nicht  wenig  Wahrscheinlichkeit  hat^ 
sie  ans  diesem  \  in  Jesu  Mnnd  übergetragen  sn  denken* 
Defswegen  aber  diese  Stelle  als  Interpolation  aus  dem 
Teite  eu  werfen^,  Ist  man  nicht  berechtigt,  da,  wenn 
man  Allea  dasjenige  in  den  Evangelien  ,  was  Jesu  nicht 
begegnet,  von  ihm  nicht  so  gethan  nnd  gesprochen  sein 
kann,  für  eingeschoben  erklAren  wollte,  der  Interpolatio* 
nen  leicht  £U  viele  werden  dOrfren.  Insofern  Ist  mit  Recht 
ron  Anderen  dleAeehtheit  der  Taufformel  vertheidigt  wor* 
den  ^) ;  aber  indem  ihre  Grttnde  für  die  Behauptung,  die« 
selbe  sei  schon  von  Jesu  selbst  auf  diese  Weise  vorgetra- 
gen worden ,  nicht  ansreichen :  vereinigen  sich  beide  An« 
lichten  In  der  dritten,  dafs  diese  nihere  Bestimmung  der 
Taufe  swar  dem  ursprünglichen  Contexte  des  ersten  Evan- 
^[elinms  angehöre,  ohne  jedoch  schon  von  Jesu  so  vorge« 
tragen  worden  an  sein  *)•     Derselbe  hatte  die  Ausbreitung 


1)  Apol.  1,  6f. 

2)  Wie  Tblua  ,   im  excura.  2.  ad  Bumeti  1.   de  fide  et  offic. 
Christ,  p.  262. 

3)  Die  Schrift  yon  Bbckkavs,  Über  die  Aechtheit  der  sog.  Tauf- 
formel,  1794,  fand  allgemeine  Zustimmung. 

4)  Vgl.  na  Wbtts,  eaeg.  Haadb.  I,  1,  S,246. 


«IS  Dritter  Abaoboitt. 

•eines  Reiches  aber  die  GrSnsen  des  JttdisebeA  ?olkee  hin- 
aus während  seines  Lebens  schon  Terschiedenllicb  vor^ 
liergesagti  vielleicht  auch  die  Einf&hrnng  der  Taufe  sb 
seinen  Willen  ao  erliennen  gegeben ;  und,  sei  es  non,  dsfi 
lant  des  vierten  ETangeliums  die  Jflnger  schon  so  Leb- 
aeiten  Jesa  getauft  hatten,  oder  dafs  sie  erst  nach  aeiofs 
Tode  diesen  Ritos  anm  Zeichen  der  Aofnahme  in  die  ncai 
Buessianische  Gesellschaft  machten:  Jedenfalls  war  ea  gast 
in  der  Art  der  Sage,  die  Anweisung  daso,  wie  bdib  Aa»- 
gang  in  alle  Welt,  dem  scheidenden  Christos  ala  letsti 
WillenserlilArung  in  den  Mund  so  legen. 

Die  VerheiTsungen,  welche  Jesus  scheidend  den  Seiiu- 
gen  gibt,  beschränken  sich  bei  Mstthfins,  wo  sie  auaacblieb- 
'lieh  an  die  fiilfe  gerichtet  sind,  einfach  darauf,  dafs  er, 
'dem  als  erhöhten  Messias  alle  Gewalt  Im  Himmel  ond  ssf 
Erden  Übertragen  worden,  auch  wfthrend  des  gegeoivarti- 
gen  aiwv  immer  unsichtbar  bei  ihnen  sei ,  bis  er  nait  iet 
avneleux  desselben  in  bestfindige  sichtbare  6enii^inacha& 
jnit  ihnen  treten  werde:  gana  der  Ausdruck  des  Bewaü^ 
Seins,  wie  es  sich  nach  Ausgleichung  der  Schwankiin|Ci^ 
welche  der  Tod  Jesu  erregt  hatte,  in  der  ersten  Geaeimb 
bildete.  —  Bei  Markus  erscheinen  die  lotsten  Verheibon- 
gen  Jesu  aus  der  Volksmeiiinng  genommen,  wie  sie  nr 
Zeit  der  Abfassung  dieses  Evangeliums  Über  die  wnnde^ 
baren  Gaben  der  Christen  gangbar  war*  Von  den  a/jt&ot;, 
welche  den  Glfinbigen  Oberhaupt  hier  yerheÜsen  aind,  tsc 
das  kaXeXv  yXijiaaaig  CxaivaJg)  im  Sinne  von  1.  Kor.  14, 
nur  nicht  in  dem  bereits  mythischen  von  A.  6.  2.  *),  0 
der  ersten  Gemeinde  wirklich  vorgekommen ;  ebenso  dsi 
daitiovia  ixßdkleiVj  und  auoh  dab  Kranke  durch  deo  Glaa- 
ben  an  die  Kraft  der  inid-eais  %BiQfjiv  eines  Chriaten  gaas- 
sen,  ^&fst  sich  auf  natttrliche  Weise  denken:  dagegen  bst 


5)  Vgl.  Bauk,  in  der  Tübinger  Zeitschrift  für  Theologie  >   Jakr- 
gaog  1830,  2,  S.  75  ff. 


:    Ffloftes  KapiteL    S*  139.  6W 

das  oq^eig  aiQeiv  (rgi.  Lnc«  10,  19.)  vnd  der  gefahrlote 
Gennfa  t5dllicher  Setrinke  wohl  innier  nur  in  der  abei^ 
glilttbisehen  Voikameioang  eine  Stelle  gehabt,  und  am  we» 
nigsten  hätte  Jeane  aof  dergleichen  Dinge,  ala  Zeichen 
seiner  Jflngersehaft,  einen  Werth  gelegt.  —  Bei  Lnkaa 
ist  der  Gegenstand  der  lotsten  Verheifaung  Jean  die  duva- 
^ag  i^  vipsg^  welche  er,  gemftrs  der  enayyella  th  nctrgogi 
den  Apoateln  aehicken,  und  deren  Mlttheilung  ale  in  Je» 
rosalem  abwarten  acuten  (24,  49.),  und  A.  6.  1,  5  ffl  lie- 
stimmt  Jeaoa  dieae  Kraftmittheilnng  nfiher  ala  eine  Taufe 
mit  dem  nver^a  ayiovy  welche  nach  wenigen  Tagen  den 
JOngern  sn  Theil  werden,  and  sie  cnr  Verkllndigong  dea* 
Evangelinma  befähigen  werde.  —  Mit  diesen  Stellen  dea 
Lukas,  welche  die  Mittheilong  des  helligen  Geistes  in  die 
Tage  nach  der  Himmelfahrt  aetsen,  acheint  die  Nachricht 
des  vierten  Bvangelioms  im  Widerapmche  sn  stehen,  dafa 
Jesas  schon  in  den  Tagen  aeiner  Auferstehung,  und  awar 
bei  der. e raten  Eraebeinung  im  Kreise  der  Eilfe,  ihnen  den 
heiligen  Geist  mitgetheilt  habe«  Job.  20,  22  f.  lesen  wir 
nämlich,  dafa  Jeaus,  bei  Ferschlossenen  Thilren  ef scheinend, 
die  JOnger  angeblasen  und  gesprochen  habe:  laßere  m'€vficc 
Syim',  womit  er  die  Befngnifs,  Sfinden  sn  erlassen  und  zu 
behalten,   verbunden  habe. 

Hfttt«  man  fiber  die  Mittheilung  dea  Ttvevfia  blofa  dieae 
Stelle,  84>  würde  jedermann  glauben,  die  JUnger  haben  ea 
schon  damals  von  dem  persönlich  gegenwärtigen  Jesus, 
ond  nicht  erst  später  nach  seiner  Erhebung  cum  Himmel, 
mitgetheilt  bekommen«  Aber  in  harmonistischem  Interesse 
bat  schon  Theodor  von  Mopsvestia ,  wie  Jetzt  Tholock  ^), 
geschlossen,  das  Xaßeik  bei  Johannea  mflsse  in  der  Be« 
dentnng  von  ki^ipead-e  genommen  werden,  weil  Ja  nach 
''okaa  der  heilige  Geist  den  Jüngern  erst  später,  am 
Pfingstfeste,  mitgetheilt  worden  sei.    Allein,  wie  wenn  er 

6)  Comm.  z.  Joli. ,  S.  332. 


7ü0  Dritter  Abschnitt« 

•ioer  iiolcben  Verdrehang  vorbeugen  wdlCe,  fügt  der  je 
hanneiflcbe  Jetna  seinen  Worten  die  sinnUldliebe  Band- 
Inng  des  Anhanohens  hinsoi  weiche  enf  s  UnrerkennlMirsce 
das  laußayHv  des  nvevfia  als  ein  gegenwSrtiges  darstellt  *). 
Die  Ausleger  freilieh  wissen  auch  dieses  Anblasen  en  da- 
diren ,  indem  sie  ihm  den  Sinn  unterlegen :  so  gewifs  tii 
Jesus  Jetet  anhauche,  so  gewifs  sollen  sie  kfinftig  den  hei- 
ligen Geist  bekommen  *)•  Allein  das  Anblasen  Ist  eben  m 
entschieden  Symbol  einer  gegenwSrtlgen  Hittheilang ,  ab 
die  Handauflegung,  und  wie  also  diejenigen,  anf  welelit 
die  Apostel  die  Hlnde  legten,  anf  der  Stelle  vom  nveruc 
'erriiUt  wurden  (A,  G.  8,  17.  19,  6.):  so  mnfs  aioh  jener 
Eretthlung  cnfolge  der  Verfasser  des  vierten  Evangeliow 
gedacht  haben,  die  Apostel  haben  eben  damals  von  Jeii 
den  Geist  mitgetheilt  bekommen.  Om  nun  weder  gegen  des 
klaren  Sinn  des  Johannes  IXngnen  eu  mfissen,  dafs  wirk- 
lich schon  nach  der  Auferstehung  eine  Geistesmittheilui; 
atattgefnnden,  noch  auch  mit  Lukas  in  Widerspruch  sa 
kommen,  welcher  die  Ausgiefsung  des  Geistes  spfiter  settt, 
nehmen  jetst  die  Ausleger  gewöhnlich  Beides  an,  dafs  s^ 
wohl  damals  als  spiter  den  Aposteln  Tivevfia  verlielien,  sa 
Pfingstfeste  die  frilhere  Mittheilung  nur  vermehrt  und  voll- 
endet worden  sei  ')•  Oder  nfiher,  indem  schon  Mattb.  10,  SS 
von  dem  nvevfia  t3  ntxTQog  die  Rede  ist,  welches  die  Apostd 
bei  ihrer  ersten  Missioosreise  unterstötaen  sollte :  so  wird  so- 
genommen,  einige  höhere  Kraft  haben  sie  schon  vor  jener  Reise, 
bei  Lebzeiten  Jesu,  bekommen ;  hier,  nach  der  Auferatehnai, 
habe  er  ihnen  diese  Kraft  erhöht;  dieganseFfille  de«  Geistes 
aber  sei  erst  am  Pfingstfest  Ober  sie  ausgegossen  worden  *0* 


7)  LüGKs,  Comm.  z,  Job.  2,  S.  686;  db  Wettb,  S.  204. 

8)  Liss,  Auferskehungsgeschichte^  S.  281 ;  Kuijvöl,  z.  d.  St 

9)  LvcHE ,  S.  687. 

10)  s.  bei  MtcHABLis  ,    Begrübniss-    und  AuferstehangsgescIiicbU, 
S.  268;  OLSiiAUiiy,  2,  S.  533. 


Fflnftes  Kapitel.    S.  139.  »1 

Aber  waa  iiiiii  die  Dateraehiede  dieaer  SibIbo  geweaeö 
aeien,  and  worin  namentlleh  die  diefamalige  VeriDeliroii||' 
der  Oeiatesgalien  beataoden  haben  aelle,  tat,  wie  achon 
MiCHABLia  bemerkt  hat,  nicht  abaoaeben«  War  den  Apo* 
ateln  daa  ^ratomai  die  Wnnderkraft  (Matth.  10, 1. 8.)  nebitt 
der  Gabe  der  Parrheaie  ror  Goridbt  (V.  20.)  mitgetheilt 
werden:  ao  kSnnte  ea  nur  etwa  noch  die  rieh  tigere  Ein. 
aioht  in  die  Geiatigkeit  aeinea  Reichea. gewesen  sein,  waa 
ihnen  Jeana  doreh  daaAnblaaen  Terliah;  allein  diese  hatten 
nie  ja  nnmittelbar  Tor  der  Himmelfahrt  noch  nioht,  wo  sie 
Dach  A.  6.  1,  6.  fragten^  ob  mit  der  Geistesmittheilnng  in 
den  nächaten  Tagen  die  Wiaderherstellnng  dea  Reichea 
Israöl  verbnnden  sein  werde?  Nimmt  man  aber  an,  nicht 
neae  Vermögen  seien  den  Jiingern  bei  jeder  folgenden 
Geistesmittheilnng  verlieben,  sondern  daa  mit  allen  Vermö* 
g[en  achon  in  Ihnen  Vorhandene  nur  erhöht  worden  ^*): 
lo  mnfa  ea  tioeh  auffallen ,  dafa  kein  Evangeliat  neben  ei- 
ner froheren  Afittheiiung  noch  einer  spfiteren  Vermehrung 
gedenkt;  sondern,  anfser  einer  beilfiufigen  Erwihnung  dea 
ipologetischen  nvevfia  bei  Lukas  (1^9  l^O?  welche,  weil  sie 
bier  nicht,  wie  bei  Matthäoa,  mit  einer  Anssendong  sn- 
laramenhSngt,  nur  als  Hin  Weisung  auf  die  Zeit  nach  der 
ipfiteren  Anagiefsung  des  Geistes  erscheinen  kann,  gedenkt 
[oder  blofs  Einer  aolohen,  und  Ififst  diese  die  erste  und 
letate  sein:  cum  deutlichen  Beweise,  data  jene  Zutammen- 
itellung  dreier  derselben,  ala  verachiedener  Stufen,  nur 
lurch  daa  harmonistiache  Beatreben  in  die  Urkunden  hin« 
eingetragen  ist. 

Drei  Terschiedene  Ansichten  also  fiber  die  Mitthel« 
ang  dea  jtvevpia  an  die  Jfinger  Jesu  finden  aich  im  N.  T»^ 
welche  in  sweifacher  Hinsicht  einen  Klimax  bilden.  0er 
^eit  nach  nämlich  aetat  Matthfina  die  Mittheilnng  am  früh« 
iCen:    noch  in  die  Periode  dea  natflrlichen  Lebena  Jean; 


11)  Wie  TaoiUGx  a.  a.  O. 


7M  Dritter  Abaohnitt. 

aebiediroilen  Jeao  Dtmlloh  konnte  der  Streit  nicht  getehlick- 
tet  werden,  ob  daa^'Wae  Jesna  dort  von  aeiner  Wiede^ 
kanft  aagt,  auf  die  Tage  aeiner  Auferateliang,  oder  aaf  dii 
Anagiefaong  dea  Geiatea  so  besieheD  aei,  weil  für  dai  t^r 
atere  die  Beacbreibang  jener  Wiederkunft  ala  einei  W» 
deraeiiena^  für  daa.LetEtere  die  Bemerkang,  dafs  sie  in  je- 
ner Zeit  ihn  nichta  melur  frjigen,  ihn  gans  veratehen  wiir 
den ,  gleich  entacheidend  ßu  aprechen  aobien :  ein  Ziri»> 
apait,  der  auf a  Erwttnachteate  geachlichtet  ist,  wenn  ntck 
der  Ansicht  dea  Ei:«alilers  die  Geiateamittheilang  in  d» 
Tage  der  Auferatehoag  £el  ^^.  Znnfichat  nwar  aoiite  mn 
freilieh  denken,  dieae  Mittbeilang,  somal  mit  derselben  bei 
Johannea  die  förmliche  Ernennung  der  Jflnger  so  seioa 
Abgesandten  und  die  Ertheiinng  der  Vollmacht  cor  Ver|^ 
bang  und  Behaltung  der  Sünden  verbanden  iat  C^gLUattli. 
18,  18.) ,  möge  aich  eher  an  den  Schlofa,  ala  f&r  den  An- 
fang der  Erscheinungen  de^i  Auferstandenen ,  und  io  eiu 
Pienarveraammluog  der  Apostel  eher,  ala  in  eine,  m 
Thomas  fehlte,  geeignet  liaben ;  allein  defs wegen  mit  Ol»- 
HAUSBN  anaanehmen ,  der  Evangelist  hinge  nur  der  Kfine 
wegen  die  Geisfesmittheilung  gleich  der  ersten  Erscheioofl; 
an,  wKhrend  sie  eigentlich  in  eine  apfitere  ZusammenkoBÜ 
gehöre,  bleibt  immer  eine  unerlaubte  Willkflr;  statt  dem 
man  vielmehr  anerkennen  mufa,  dafa  der  Verfas»er  ^ 
vierten  Evangeiiuma  diese  erste  Ersoheinong  Jesu  als  ^ 
Haapterscheinang ,  die  nach  acht  Tagen  nur  als  eiu 
Mach  holung  au  Gunsten  dea  Thomaa  angeaehen  hat.  Die 
Eracheinong  Kap.  21.  ist  ohnebin  ein  Nachtrag,  der  (ka 
Verfaaser,  Als  er  das  Evangelium  achrieb,  entweder  B«d) 
nicht  bekannt^  oder  doch  nicht  gegenwfirtig  war. 


12)  Vgl.  Waiiti  die  evsng.  Geschichte  2,  S.  4ie. 


Fünftel  Kapitel.   §.  140.  705 

$.     140. 

Die  sogenannte  Himmelfahrt  alt  übernatürliches  und  als 

natürliches  Ereigmss. 

Ueber  die  Himmelfahrt  Jesu  haben  wir  im  N.  T.  drei 
Berichte,  welehe  in  Hinsicht  der  Ausführlichkeit  and  An- 
schaulichkeit eine  Stufenreihe  bilden.  Markus,  in  seinem 
letEten  Abschnitt  überhaupt  sehr  kurz  und  abgebrochen, 
sffgt  nor,  nachdem  Jesus  sum  ietetenmale  mit  seinen  Jün- 
gern gesprochen  hatte,  sei  er  In  den  Himmel  aufgehoben 
worden  f^cn'eXriq^^  und  habe  sich  cur  Rechten  Gottes  ge* 
setzt  (16^  10.).  Kaum  anschaulicher  helfst  es  Im  Lukas* 
evAngeiioni :  Jesus  habe  seine  Jünger  l^w  tv}g  eig  Br^d^ccviav 
hiniiuHgefährt ,  und  wShrend  er  hier  mit  aufgehobenen 
Händen  Ihnen  den  Segen  ertheilte,  habe  er  sich  von  ihnen 
entfernt  (ßd^^r^,  und  sei  sum  Himmel  erhoben  forden 
(u)'€g^e^£Tc;)  \  worauf  die  Jünger  anbetend  niedergefallen, 
und  sofort  mit  Freuden  nach  Jerusalem  umgekehrt  seien 
(24,  50  ff.).  Im  Eingang  der  Apostelgeschichte  führt  diefs 
Lukas  welter  aus.  Auf  dem  Oelberge,  wo  Jesus  seinen 
Jüngern  die  letzten  Befehle  und  Verbeifsungen  gab,  wur- 
de er  For  Ihren  Augen  aufgehoben  i.e7vrjQ&rl)  y  und  eine 
Wolke  nahm  Ihn  auf,  die  ihn  ihren  Blioken  entzog-  Die 
Jünger  schauten  ihm  nach,  wieder  auf  der  Wolke  in  den 
Himmel  hinein  aich  entfernte:  da  standen  plötzlich  2wei 
Männer  in  weifsen  Gewfindern  bei  ihnen,  und  brachten 
sie  von  ihrem  Nachsehen  durch  die  Versicherung  ab,  dafs 
der  ihnen  entnommene  Jesus  auf  dieselbe  Weise,  wie  er 
so  eben  in  den  Himmel  sieh  erhoben,  wieder  vom  Himmel 
kommen  werde;  worauf  sie  befriedigt  nach  Jerusalem  um- 
kehrten Cl»  1—120* 

Der  erste  Eindruck  dieser  Erzählung  ist  offenbar,  dafs 

sie  einen  wunderbaren  Vorgang,  eine  wirkiiehe  Erhebung 

Jesu  in  den  Himmel ,   als  den  Wohnsitz  Gottes ,  und  eine 

BestStigung  desselben  durch  Engel   berichten  wolle;   wie 

Das  Leben  Jesu  UeAufl,  iL  Band.  45  ^ 


706  Dritter  Abtchnttf. 

ältere    and    neuere   Orthodoxe  mit   Recht   behaupten.     Kf 
fraftt  «ich  nur,   ob  aie  ans  aooh  Über  die  Schwieriglieit^a 
binfiberheifen  liönnen,    weiche  es  hat,  einen  aoicben  Vo^ 
gang  sich  denkbar  eu   machen.     Die  eine  Hauptachwierig» 
Leit  ist,  wie  ein  tastbarer  Leib,    welcher  noch  aaoxa   m 
ogict  hat,  und  materielle  Nahrung  geniefst,  für  einen  Sbef^ 
Irdischen  Aufenthalt  tauge  ?  wie  er  sich  auch  nnr  dem  Ge- 
setz der  Schwere  so  weit  eu  ent sieben  vermöge,  um  eioei 
Aufsteigens  durch  die  Lüfte  fähig  zu  sein?   und  yifle  iioit 
eine   so    widernatiirliche  Fähigkeit  dem  Leibe  Jeso  durch 
ein    Wunder  habe  geben   mögen  0?     Das   Einzige,     was 
man  hier  etwa  noch  sagen  kann,  ist  y^  die  gröberen  Tbeile, 
welche  der  Leib  Jesu   auch    nach   der  Auferstehung    nocl 
hatte,    seien    vor  der  Himmelfahrt  noch  entfernt  wordea, 
und  nur  der  feinste  Ex(ract  seiner  Körperlichkeit  als  Halle 
der  Seele  mit  gen  Himmel  gefahren  ^).    Allein  da  die  Jua- 
ger,    welche   bei  der   Himmelfahrt  Jesu    zug^en    wareo, 
nichts  davon  bemerkten,  dafs  von  seinem  Leib  ein  Residoosi 
surfickgeblieben  wäre,   so    führt   diefs   entweder    auf  die 
oben    erwähnte    Absurdität   einer   Verdunstung  des  Leib« 
Jesu  in  Form  der  Wolke,    oder   anf  den  OLSBAUSEM^schea 
Läuterungsprocefs ,   welcher  auch   nach  dei' Anferst ehuog 
noch  nicht,  sondern  erst  im  Augenblicke  der  Himmelfahrt 
vollei^det  gewesen  sei ;   ein  Procefs ,  welcher  nur  wunder- 
lich schnell   in  dieser  letzten  Zeit  mit  retrograden  Bewe- 
gungen gewechselt  haben   mUfste,    wenn  doch  Jeans  bei*ai 
Eindringen  in  das  verschlossene  Versammlungszimmer  der 
Jünger  einen  immateriellen ,  unmittelbar  hierauf,  als  Tho- 
mas ihn.  befühlte,  einen  materiellen,  endlich  bei  der  Bioi- 
melfahrt   wieder  einen   immateriellen   Leib   gehabt   habeo 


1)  Gablbk,  im  neuesten  theol.  Journal,  3,  S.  417.,  und  in  der 
Vorrede  zu  Ghiisbach^s  opusc.  acad.  p.  XCVI.  Vgl.  Kvuitt, 
in  Maic.  p.  222* 

2)  SKiLhh,  bei  Ku»bL,  a.  a.  0.,  S.  223. 


r         FOnftet  Kapit)bl.     $.   140.  707 

sollte.  —  Die  andere  Schwierigkeit  liegt  dario,  dafa  nach 
richtiger  Weitforatellung  der  Site  Gottea  nnd  der  Seligen, 
SU  welcbem  Jesoa  aich  erhoben  haben  soll,  lieiiieawega  Im 
oberen  Loftraom,  überhaupt  an  Icelneoi  beatimoiten  Orte 
SU  suchen  ist,  sondern  dleC«  gehört  nur  cur  kindlich  l»e- 
schraokten  Vorstellonga weise  der  alten  Welt.  Wer  jbq 
Gott  und  in  den  Beairk  der  Seligen  kommen  will,  der, 
das  wissen  wir,  macht  einen  tiberflfissigen  Umweg,  wenn 
er  za  diesem  Bebof  in  die  höheren  Loftschichten  sieh  em* 
porscb wiegen  su  müssen  meiut,  und  diesen  wird  Jesus,  je 
vertrauter  er  mit  Gott  nnd  göttlichen  Dingen  war,  gewib 
nieht  gemacht  haben,  noch  Gott  ihn  denselben  haben  ma* 
chen  iMssen  ').  Man  mUfste  also  nur  etwa  eine  göttliche 
Äccommodation '  an  die  damalige  WeltForstelinng  anneh- 
men, und  sagen:  um  die  Jfinger  von  dem  Znrfiekgang 
Jesu  in  die  höhere  Welt  an  fiberBeojgen,  habe  Gott,  'qI]n 
gleich  diese  Welt  der  Wirklichkeit  nach  keineswegs  im 
oberen  Luftraum  eu  suchen  sei,  doch  das  Spectakel  einer 
solchen  Erhebung  veranstaltet  ^ ;  was  aber  Gott  zum  tän- 
schenden  Schauspieler  machen  heifst. 

Als  einen  Versuch,  solchen  Schwierigkeiten  nnd  Un« 
gereimtheiten  uns  nn  entheben,  mfissen  wir  die  natflrlicbe 
£rklärang  dieser  Ersählnng  willkommen  beilsen  0«  Sie 
unterscheidet  in  den  evangelischen  ErsSblnngen  von  der 
Himmelfahrt  das  Angeschaute  von  dem  durch  Raisonne- 
ment  Erschlossenen.   Freilich,  Indem  es  in  der  A.  6.  heifst : 


3)  Vgl.  pAULUSy  exeg.  Handb.  3,  b,  S.  921 ;  os  Witts,  Religion 
und  Theologie,  S.  16 f. 

4)  KjtRN,  Uauptthatsacfaen ,  TUb.  Zeittchr.  f836,  3}  S.  58.  Vgl. 
Stbudbl,  Glaubenslebre,  S.  323  ^  welcher  die  Himmelfahrt  zu 
einem  von  Gott  in  den  Jüngern  gewirkten  Gesichte  macht. 
Wogegen  zu  vergl.  meine  Streitichriften,  1,  S.  152  ff. 

5)  Wie  sie  namentlich  Vavu39  gibt,  a.  a.  O.  S.  910  ff.  L.  J.  i, 
b,  S.  318  ff. 

45  ♦ 


74)6  Dritter  Abschnitt. 

ßjLsmovTOJiP  avTwv  inr/Qd'rz  so  scheint  hier  eben  die  Erhe- 
bung in  den  Himmel  aU  angeschautes  Factum  dargestellt 
sa  werden.  Hier  soll  nun  aber  i7v]{}lh^  nicht  eine  Erhe- 
bung Über  den  Boden ,  sondern  nur  diefs  bedeuten ,  daft 
Jesus 9  um  die  Jünger  zu  segnen,  sich  hoch  aufgerichtet 
habe,  und  ihnen  dadi^rch  erhabener  erschienen  sei.  Sofort 
wird  ans  dem  Schlüsse  des  Luktfeevangelinms  das  ddp 
berfibergeholt,  in  der  Bedeutung,  dafs  Jesus,  indeoi  er  sieh 
von  seinen  Jüngern  verabschiedete,  sich  entfernter  von  i^ 
oen  gestellt  habe.  Hierauf  sei  in  fibniicher  Weise,  wie 
auf  dem  Verklfirungsberge,  ein  Oe wölke  e wischen  Jeson 
und  die  Jünger  getreten,  und  habe  ihn,  in  Verbindiiii| 
mit  den  Kahlreichen  Oelbfiumen  des  Berges,  ihren  Blickei 
entsogen ;  was  sie  dann  auf  die  Versicherung  eweier  na- 
bekannten  Männer  hin  für  eine  Aufnahme  Jesu  in  des 
Himmel  gehalten  haben.  Allein,  wenn  Lukas  in  der  A.  G. 
das  im^^O^rj  unmittelbar  mit  der  Angabe  verbindet :  xccl  n 
(pÜjfj  vnikaßev  amovi  so  so|l  doch  wohl  jen^  Erhebung  die 
Einleitung  zu  dem  Aufgenommenwerden  durch  die  Wölb 
sein ;  was  sie  nicht  ist ,  wenn  sie  ein  blolses  Sichaufrieh- 
ten,  sondern  nur,  wenn  sie  eine  Erhebung  Jesu  Ober  des 
Boden  war,  da  nur  in  diesem  Falle  eine  Wolke  sich  iha 
tragend  und  verhüllend  unterschieben  konnte,  waa  in  v^ä- 
Xaßev  enthalten  ist  Ebenso,  wenn  im  Lukasevangeliaa 
das  diigr]  an  cnnuiv  als  etwas  iv  rq7  ev?^oyaTv  avzov  airs^ 
Vorgegangenes  dargestellt  wird,  so  wird  doch  Niemand, 
während  er  einem  Andern  den  Segen  ertheilt,  von  ihn 
weggehen:  wogegen  es  sehr  passend  erscheint,  dafs  Jesus 
während  der  Ertheilung  des  Segens  an  die  Jünger  in  die 
Höhe  gehoben  wurde,  und  so  noch  von  oben  herab  die 
segnenden  Hände  über  sie  breitete.  Die  natürliche  ErUi- 
rung  des  Verschwindens  in  der  Wolke  fällt  hiemit  fon 
selbst  hinweg;  in  der  Voraussetsung  aber,  dafs  die  swei 
Weifsgekleideten  natürliche  Menschen  gewesen  seien  ^  tritt 
schlicfslich  noch   einmal   besonders   stark  die  BAHanTiseh- 


Fünftes  Kapitel.    $.  141.  709 

VBMTmiiifitcbey  von  Padlub  nnr  verdeckte,  Ansicht  hervor, 
dafs  mehrere  Hauptepocben  Im  Leben  Jesu,  besonders  seil 
seiner  Kreuaigang,  durch  geheime  Verbfindete  bewirkt  ge- 
weaen  seien.     Und  Jesns  selbst,  wie  soll  es  ihm  denn  die« 
aer  Voratellnng  geafifs  nach  jener  letalen  Entfernung  von 
seinen    J fingern  weiter  ergangen   sein?     Wollen   wir   mit 
Baurdt  eine  Essenerloge  träumen,  in  welche  er  sich  nach 
vollbrachtem  Werke  enrfickgeaogen  habe?   und  mit.Baia- 
KECKB  dafür,  dafs  Jesos  noch  längere  Zeit  im  Stillen  snm 
Besten    der  Menschheit  fortgewirkt  habe,  auf  seine  Er> 
scheinung  cum  Behuf  der  Bekehrung  des  Paulus  uns  be* 
rufen,  welche  doch,  die  Eraählnng  der  A.  O.  geschichtlich 
genontnen,  mit  Umständen  und  Wirkungen  verbunden  war, 
die  kein  natfirlicher  Mensch,  wenn  auch  Mitglied  eines 'ge* 
heimen  Ordens,  hervorbringen  konnte.    Oder  will  man  mit 
Paulus  annehmen,  bald  nach  dieser  letzten  Zusammenkunft 
sei  der  angegriffene  Leib  Jesu  den  erhaltenen  Verietaungen 
erlegen :   so   kann   diefs  doch  nicht  wohl  in  den  nächsten 
Augenblicken ,  nachdem  er  so  eben  noch  rfistig  mit  seinen 
Jüngern  susammen  gewesen  war,  geschehen  sein,  so  daft 
die  awei    hinantretenden  Männer  Zeugen  seines  Versehe!« 
dens  gewesen  wä^en,  welche  fibrigens  auch  in  diesem  Falle 
gar. nicht  der  Wahrheit  gemfifs  gesprochen  hätten;  lebte 
er  aber  noch  längere  Zeit,  so  mfifste  er  die  Absicht  ge* 
habt  haben,  von  jenem  Zeitpunkt  an  bis  au  seinem  Ende 
in  der  Verborgenheit  einer  geheimen  Gesellschaft  au  blei« 
ben,  der  dann  wohl  auch  die  awei  Weifsgekleidäten  ange- 
hörten,  welche  den  Jfingern,  (^ne  Zweifel  mit  seinem  Vor- 
wiesen ,   seine  Erhebung  aum  Himmel  einredeten ,  —  eine 
Vorstelluiig ,  von  welcher  sich  auch  hier,  wie  immer,  der 
gesunde  Sinn  mit  Widerwillen  abwendet. 

S»    141. 

Das  Ungenügende  der  Nachrichten  über  Jesu  Himmelfahrt. 

Deren  mythische  AufFassiing. 

Am    wenigsten  unter   allen   N.  T.  lieben   W^nnderge« 


710  Dritter  Abschnitt* 

scbiohten  war  bei  der  Himmelfahrt  ein  tololier  Anfwand 
unnatnrjichen  Seharfsinn«  nöthig,  da  die  histonsclie  fiel« 
tong  dieser  Ereählong  nicht  allein  für  uns,  die  wir  keine« 
wirklieb  Auferstandenen,  mithin  auch  keinen  haben,  der 
gen  Himmel  gefahren  sein  könnte,  sondern  an  sich  ond 
anf  jedem  Standpunkte  ^  S'*"^  besonders  se^weeb  verbüift 
ist.  Matthias  and  Jobannes,  der  gewiibnUchen  Vorstel- 
lang  nach  die  beiden  Angenaengen  unter  den  BvaDgelisteoi 
erwähnen  ihrer  nieht;  nur  Markus  und  Lukas  i^eriehteo 
dieselbe;  während  auch  ia  den  fibrigen  N.  T. liehen Schri^ 
ten  bestimmte  Hin  Weisungen  anf  sie  fehlen.  Uoeh  eben 
dieses  fehlen  der  Himmelfahrt  im  Obrigen  N.  T.  läognen 
die  orthodoxen  Ausleger.  Wenn  Jesus  bei  Matthfios  C^ 
64.)  For  Gericht  rersicher^,  von  jetst  an  werde  man  des 
Menschen  Sohn  sur  Rechten  der  Kraft  Gottes  sitzen  sehen; 
so  sei  hiebei  doch  wohl  auch  eine  Erhebung  dahin,  mithin 
eine  Himmelfahrt,  voransgesetet ;  wenn  er  bei  Johannes 
C3,  13.)  sage,  keiner  sei  in  den  Himmel  gestiegen,  nafser 
dem  vom  Himmel  gekommenen  Menschensohne ,  usd  ein 
andermal  (6,  62.)  die  Jünger  darauf  verweise,  dafs  sie  iha 
einst  dahin  würden  aufsteigen  sehen,  wo  er  vorher  gewe- 
sen sei;  ferner,  wenn  er  am  Morgen  nach  der  Anferste» 
hang  erkläre,  noch  nicht  ea  seinem  Vater  aufgestiegen  so 
sein ,  aber  demnächst  sich  dahin  eu  erheben  (20,  ]7.> :  so 
könne  es  deutlichere  Hinweisungen  auf  die  Himmelfahrt 
nicht  wohl  geben ;  ebenso,  wenn  die  Apostel  in  den  Acten 
ao  oft  von  Erhöhung  Jesu  sur  Rechten  Gottes  aprechea 
(2,  St'i.  5)  31.  vgl.  7,  56.)  I  und  Paulus  ihn  als  araßag 
vn€Qcc%'(o  ndvTWv  iwv  sqccvwv  (Epb'.  4,  «10),  Petma  als 
noQevS-Bis  dg  sqovov  darstelle  (1.  Petr.  3,  22.):  so  könne 
kein  Zweifel  sein,  dafs  sie  nicht  alle  von  seiner  Himmel- 
fahrt gewufst  haben  *)•    Alle  diese  Stellen  jedoch,  mitAus- 


1)  SsxLSii ,   bei  KüiNÖL ,    s.  a.  O:  S.  221 ;    Olshavskk  ,   S.  591  i- 
Vgl.  GsiiSBACii ,    iocorum  N.  T.    ad   ssceasianem  Christi  ia 


Fttofte«  KaptteL    f.  141. 


TU 


mibiiie  et^vA  der  einsigen  Joh,  0^  C%  ^  welab^  ▼on  einen 

O'eioQaiP  av€ißaivona  %0¥  vaw  %ö  avd'Qiami  spricht,   ent* 

halten  nnr  fiberheupt  seine  Erhebung  in  den  Uimmely  obn« 

Andetttnng ,   dals  sie  ein  äufseres ,   sichtbares  ^  ma4  •  war 

von  den  Jangem  mitangesobantes  Faet^ni  geweseiit  .^Vielr 

nsebr,  wenn  wir  1.  Kor*  15,  5  ff«  finde« ^  wte-Panlns  di« 

ihm  eu  Theil  gewordene  Erscheinung  JesUi   wflqbe  4silga 

nach  der  voraossetalioben  Himmelfahrt  stattfai^ly    ndt^^e^ 

CJbristepbanien  vor  dieser  Epoche   so  ohne   al|#  Gnterbfea 

ebnog  oder  Andeutung   irgend  eines  Unter^^biiSi^  pnsi^ 

senste|iC;:  ao  mufs  man  sweifeln,  nioht  bioTs,  ob/i^le  .ä^ 

sc^ieinttngen ,  die  er  anfser  der  aeinigen  ai^äbit.|..  ^pt|  4i^ 

Uimmelfahrt  fallen  ^,  sondern,  ob  der  Apostel  ö|ierbalii^4 

von  einer  Himmelfahrt  als  finfserem,  den  irdischen  Wandet 

des  Auferstandenen  beschliefsenden  Factum  ^waf^gi^fm^nCife 

haben    könne?   In   Beang   auf  den  Verfassen  des    vierten 

Evangeliums  aber  swingt  uns  bei  seiner  Bildersprache. das 

O'swQ^e  so  wenig  als  das  oijjea&e  in  Besog    auf  die  Über 

Ihm  auf*    nnd  absteigenden  Engel,  1)  S2,  ihm  ein  AVissen 

um  die  sichtbare  Himmelfahrt   Jesu  aueuschreiben,    voi| 

welcher  er  am  Schlosse  seines Etangelioms  nichts, e|r^4Übll& 

Die  Ausleger  freilich  habea  s|ch  alie  erdefikliche  Mühe 

gegeben,  das  Fehlen  einer  Eraäblnng  von  der  Himmelfahrt 

im- ersten  und  vierten  Evangelium  auf  eine,  der  Anctoritflt 

dieser  Schriften,   wie  der  geschichtlichen   Geltung  Janer 

Thatsache,  unsohädiiche  Weise  an  erklären.    Die  Himmel* 

fahrt  Jesu  au  eraäblen ,  soll  den  Evangelisten ,   %^elche  sie 

versohweigeii,  theils  als  unnöthig ,  tbeils  als  unmöglich  er^ 

achienen  sein.     Als   unnöthig  entweder  an   nnd  für  sieh, 

wegen  der  mindä^n  Wichtigkeit  des  Ereignisses  ^) ;   oder 


coeliuB  spectsntium  syllage.    Ia  s.  opusc.  acad.  ed.  Gablbr, 
Vol.  2>  S.  484  ff. 

2)  ScHivicKaNBUMrajiy  über  den  Urspr.  u.  s«  f.  S.  19. 

3)  Olsiuosbii  y  S.  593  f*     ' 


712  Dritler  Abtohoitt. 

mit  Rtickslcbt  müf  die  evan^üflcb«  Ueberlieferang,  dnrdi 
welche  sie  allgeaein  bekannt  war  ^>;  Johannes  inbesondere 
toll  sie  ans  Markos  omi  Lukas  Toraossetsen  *);  oder  end- 
lich sollen  aie  dieselbe ,  als  nicht  mehr  snm  irdiscben  hk> 
ben  Jesu  gehörig,  in  ihren  Schriften,  die  nar  derBeschrei* 
bnng  dieses  Lebens  gewidmet  waren,  fibergangen  habest 
Allein  nnih  Leben  Jesn ,  ond  ewar  namentlioh  so  dca 
rithselhaftte,  wie  er  es  nach  derROckkehr  ansdenGrake 
gefllihrt  haben  soll ,  gehörte  die  Himmelfahrt  so  nothwei- 
d^f  al*  St^klnfiponkt,  dafs  dieselbe,  gleichviel,  ob  allg^ 
mein'' ii^kannt" oder  nicht,  ob  wichtig  oder  onwiehtig,  seb« 
iiä  dtoa  Aalbetie^en  Interesses  willen ,  das  auch  de^  nnp- 
bildete' lliBhriftsteller  hat.,  seiner  Krcählung  einen  Scblofi 
so  gei»en,  Von  Jedem  Evangelienschreiber,  der  von  denet- 
ben  wolste,  am  Ende  seines  Berichts,  wenn  auch  nocbn 
anm^tavirisch,  erwähnt  werden  mnfste,  am  den  sonderbarea 
Eindruck  su  vermeiden,  welchen  das  erste,  ond  noch  neb 
das  vierte  Evangeliam,  als  in*8  Unbestimmte  anslaofende 
Ersäblnngen ,  machen.  Daher  sollen  nnn  der  erste  wi 
der  vierte  Evangelist  einen  Bericht  fiber  die  Himmslfahrt 
Jeao  aoch  gar  nicht  ffir  möglich  gehalten  haben ,  indea 
die  Augenneogen,  so  lange  sie  ihm  aoch  naelisaheo,  doch 
oor  sein  Bmporaohweben  auf  ^er  Wolke,  nicht  aber  seinei 
Eingang  In  den  Himmel  ond  sein  Platsnehmeo  snr  Reeh- 
len  Gottes  haben  mit  ansehen  können  ^»  Allein  in  der 
Vorstellongsweise  der  alten   Welt,  welcher  der  flioiBei 


4)  Selbst  FBiTXSCNty'.esoiattet  am  Scfaluaae  seines  Geicbifts, 
schreibt  in  Matth.  p,  835 :  Matihaeus  Jepk  in  coeUun  Mm 
tum  commemoravit,  guippe  nemini  ignaium^ 

5)  MiCHAiLit,  a.  a.  O.    S.  352. 

6)  Die  Abhandlung :  warum  haben  nicht  alle  Evangelisten  die 
Himmelfahrt  Jesu  auadrticklich  miterzäblt  ?  in  Flatt's  Ma|i* 
zin,  8,  S.  67. 

7)  Die  zulctat  angeführte  Abb.  des  FtArr'sckea  Magazias. 


Fflnfte«  Kapitel.    S^  141.  71.^ 

nfiher  war  ala  oha,  .galt  ein  Aofifalireo  io  die  Wolken  aobon 
fflr  eine  wirkliohe  Hluiaelfahrt  ^  wie  wir  an  den  Ersib- 
iungen  roD  Romnlaa  und  Elia«  sehen« 

üas  bienach  nnläagbare  Nichtwissen  der  genannteii 
Efaogellen  nm  die  Himmelfahrt  nun  aber  mit  der  neueren 
Kritiii  des  ersten  ETangelinms  diese^  als  Zeleiien  niebt- 
apostoliseben  Ursprungs  cum  Vorwarf  au  machen  ^j,  ist 
hier  am  so  weniger  am  Ort,  da  das  fragliche  Ereignifa 
nicht  blofs  durch  das  Stillsebweigen  nweier  Evangelisteui 
sondern  aocb  durch  die  Nichtübereinstimmang  derer,  die 
es  berichten,  verdächtig  wird,  Markus  stimmt  nicht  mit 
Lukas,  Ja  dieser  nicht  mit  sich  selbst  fiberein«  Nach  dem 
Berichte  des  ersterenhat  es  den  Anschein,  als  hiitte  Je« 
SQs  unmittelbar  von  dem  Mahle,  bei  welchem  er  den  Eil- 
fen  erschien,  also  von  einem  Hause  in  Jerusalem  aus,  sieh 
in  den  Hiwmel  erhoben ;  denn  das  dyaxeifiivoig  —  iffava- 
^ih/  xal  ioveldva^-^  xai  elnsv  •— .  Ö  fdv  «v  KvQiogy  /ict« 
%6  XaiSjaui  avTcHSj  aveXi^q^ij  x,  t«  X.  h£ngt  unmittelbar  so- 
sammen ,  und  es  IXlst  sich  hier  nur  mit  Gewalt  eine  Orts» 
Veränderung  und  Zwischenseit  einschieben  ^.  Freilich  ist 
eine  Himmelfahrt   vom  Zimmer   aos  nicht  gut  sich  voren«  ^ 

stellen,  daher  läfst  sie  Lukas  im  Freien  vor  sich  gehen« 
Die  üifferena  in  der  Ortsangabe,  dafs  er  im  Evangelium 
Jesum  mit  den  Jfingern  t(os  tig  Bti&avlav  hinausgehen 
läfst ,  in  den  Acten  aber  die  Seene  auf  das  oqoq  fo  xalB- 
^€voy  iXuiuiva  verlegt,    kann  dem  Lukas  nicht  als  Wider^  •* 

Spruch  angerechnet  werden,  da  Bethanien  am  Oelberge 
lag  '^);  wohl  aber  die  bedeutende  Abweichung  in  der  Zeit- 
angabe, dafs  in  seinem  Evangelium,  wie  bei  Markus,  es 
den  Anschein  bat,  als  wäre  die  Himmelfahrt  noch  am  näm- 
lichen Tage  mit  der  Auferstehung  erfolgt:  wogegen  in  der 


8)  SmncKBnBVRfsa,  a.  a.  O.  S«  19  f. 

9)  Wie  X.  B.  Huiii»t  thut,  p.  208  f.  217. 
10)  Doch  vergl.  ob  WsWs  zu  A.  G.  1,  12* 


714 


Dritter  Absohnitt. 


A.  O«  nosdrtfokllch  bemerkt  ist,  dafi  beide  Erfolge  dvreh 
eine  Frint  von  40  Tagen  getrennt  geweaeti.  Ke  let  scboii 
angemeriit  worden ,  dafa  die  letztere  Zeitbeatimmang  dea 
Lukas  in  der  Zwischenseit  swischen  der  Abfasaong  d«s 
Evangelioms  u^d  der  A.  G.  sagekomnien  Sein  mufa.  Von 
Je  mehreren  lürscheioangen  des  Auferstandenen  man  sieb 
ersfihlte,  und  an  Je  yersohiedenere  Orte  man  sie  verlegte: 
desto  weniger  reichte  fernerbin  die  kurse  Frist  eines  Ta> 
ges  fiBr  den  Wandel  des  Auferstandenen  auf  der  Erde  sv; 
data  aber  die  nothwendig  gewordisne  längere  Zeit  gerade 
auf  40  Tage  festgesetzt  wurde,  hatte  in  der  Rolle  seinen 
Grund,  weiche  bekanntlich  diese  Zahl  in  der  Jüdische« 
und  bereits  aoch  in  der  christlichen  Sage  splelteu  Wie 
das  Volk  Israel  40  Jahre  in  der  Wüste,  Moses  40  Tags 
auf  dem  Sinai  gewesen  war,  er  und  Elias  40  Tage  ge- 
fastet, und  Jesus  selbst  vor  der  Versuchung  so  lange  ia 
der  Wüste  ohne  Nahrung  sich  aufgehalten  hatte;  wie  alle 
diese  geheimnifsvollen  Mittelsustände  and  Durcbg^angs- 
perioden  durch  die  Zahl  40  bestimmt  waren:  ao  bot  sie 
sich  gatiz  besouders  auch  zur  Bestimmung  der  mysteriö- 
sen Zwischenzeit  zwischen  Jesu  Auferstehung  und  Uim- 
melfahrt  dar  *0. 

Was  die  Schilderung  des  Vorgangs  selber  betrifft,  ss 
könnte  man  das  Schweigen  des  Markus  und  Lukas  im 
Evangelium  ?on  Wolke  und  Engeln  lediglich  der  Kurse 
ihrer  Erzählungen  zuschreiben  wollen;  doch  da  Lukas  am 
Schlüsse  seines  EFangeliums  das  Verbalten  der  Jünger, 
wie  sie  dem  in  den  Himmel  entrückten  Jesus  fbfsfallige 
Verehrung  gebracht,  und  mit  grofser  Freude  sich  nach  der 
Stadt  zurückbegeben  haben,  umstSndiich  genug  ercühlt; 
so  würde  er  ohne  Zweifel  die  ihnen  durch  Engel  su  Tbeii 


11)  S.  Band  1»  $.  55,  und  die  dort;  S.  483,  Anm.  8»  angeführtes 
Schriftsteller.  Die  Rücksicht  auf  eine  Danielische  Rechnmi^ 
bei  Paolvs,  ca.  Haadh.  ^,  b,  S.  925*  scheint  jnir  zu  künstHcli. 


Ffiofl««  Kapilel.    {•  Ul.  715 

gewordene  &nnde  ab  ikichcrtpn  Vrond  ihrer  Freud«  be* 
(iierklich  gemaeht  haben,  wenn,  er  schon  bei  Abfasaang sei- 
ner ersten  Sckrifl  etwas  von  derselben  gewufet  b&fte;  es 
icheint  sieh  hiemach  vielmehr  dieser  Zug  alloiählig  in  der 
üeberlieferfing  aasgebildet  sn  haben,  am  anch  diesem  ieta» 
ten  Punkte  des  Lebens  Jesar  seine  Ehre  ansatbun,  vnd  das 
n  neu  längliche  menschliche  Zeagnifs  fiber  seine  Erhebang 
in  den  Himmel  durch  sweier  himmlischen  Zeugen  Mund 
bekrfiftigt  werden  au  lassen. 

Wie  hienach  diejenigen,  welche  von  einer  Himmelfahrt 
Jean  wofsteti,  diese  in  Besag  auf  die  näheren  Umstände 
sich  keineswegs  auf  dieselbe  Weise  Torstcllten:  mo  mala 
88  fiberhaopt  vom  letaten  Scfalqsse  des  Lebens  Jesu  aweier» 
lei  Vorstellongsweisen  gegeben  haben,  indem  die  Einen 
diesen  Schlufs  als  eine  siohtbare  Himmelfahrt  dachten,  die 
Andern  nicht  ^^.  Wenn  Matthäos  Jesnm  vor  Gericht  seine 
Erhebang  aar  Rechten  der  göttlichen  Kraft  vorhersagen 
C26^  M.^j  und  nach  seiner  Aoferstehung  ihn  versichern 
Ififst,  dafs  ihm  nun  naaa  i^scia  iv  öQavw  xai  im  yijg  ge* 
geben  sei  (28,  18.);  dennoch  aber  von  einer  sichtbaren 
Himmelfahrt  nichts  hat,  vielmehr  Jesa  die  Versicherang 
in  den  Mund  legt:  iyai  fied^  vfuSv  el^i  ndaag  ras  i^fieQag 
Vütg  T/Jff*  ainrei^iag  tö  cumog  C V.  20.)  •  •<>  Wögt  Wer  offen- 
bar die  Vorstellung  aum  Grande,  dafs  Jesus,  ohne  Zwei- 
fel schon  bei  der  Auferstehung,  nnsichtbar  cum  Vater  auf- 
gestiegen, EUgletch  ansichtbar  immer  um  die  Seinigen  sei, 
und  aus  dieser  Verborgenheit  heraus  sich,  so  oft  er  es  nö- 
thig  finde,  in  Christophanien  offenbare;  dieselbe  Anschan- 
ongsweise    gibt    sich   beim   Apostel  Paulus   aa  erkennen, 


12)  Hierüber  vgL  betondertAMHOii ,  Ascensas  J.  C.  in  coelam 
bistoria  biblica.  In  s.  opusc  nov.  p.  43  IT.  Fortbildung  des 
Christenth.  2,  1«  S.  IS  ff.;  auch  Kaisia,  bibl.  Theol.  i,  S. 
83  ff.;  DS  Wina,  «xeg.  Haadb.  1,  1,  S.  247;  Wams,  die 
•vaag.  Geicli.  2,  S.  375  ff. 


/ 


716  Dritter  AbsohnitU 

wenn  er  1  Kor.  15.  die  llini  sa  Tbeil  gewordene  Krschei- 
nung   des   bereits  in   den  Himmel   erhobenen  Ghrieto»  mit 
den   froheren  ohne  Weiteres   in   Kine  Reihe  stellt;    anek 
der  Verfasser  des   vierten   EvangeUnms  und   die   ObrigM 
H.  T.lieben  Schriftsteller  setaea  nar  das  voraas,  waa  naek 
dem  nlessianisohen :  xa^a  ix  de^uSv  fifi,  Ps«  110,  1.  ▼onm- 
*gesetat  werden  mobte:  dafs  Jesns  sieh  aar  Rechten  Gsc- 
tes  erhoben  habe,   ohne  tiber  das  Wie  etwas  sa    besti» 
men ,   oder  sich  die  Adffahrt  dahin  als  eine  sichtbare  vor 
Bostelien.      Doch   mufste   es  der    nrchristiicben    Pbantasif 
sehr  nahe  liegen,   diese  Erbebang  auch  aom  gülnsendes 
Scbaaspiele  aasziimalen.    Liefs  man  den  Messias  Jeans  aa 
einem  so  erhabenen  Ziele  angekommen  sein :  so  wollte  mai 
ihm  aach  auf  dem  Wege  dahin  gleichsam  nachsehen.    Er- 
wartete man  seine  einstige  Wiederknnflb  vom  Himmel  nach 
Daniel   als  sichtbares  Herabliommen   in   den  Wolken:  &• 
ergab  es  sieb  von  selbst,   seinen  Hingang  aam  Himmel  ais 
sichtbares  Aafsteigen  aaf  einer  Wolke   vorsostellen,   wd 
wenn   Lukas    die  beiden   Weifsgekieideteü ,  welche    nacft 
der  Wegnahme  Jesu  au  den  Jüngern  traten,   sagen  l£lk; 
STog  6  ^Irflsg^  6  avakr^q>x>s}g  ag>^  vftaiv  eig  %w  nqcevovy  mit^ 
ilevae^ai ,   ov  tqouov  eO'edaaad'e  avrov  noQevofdercv  elg  im 
SQoi'ov  (A.  6.  1,  II.):   so   darf  man   diefs  nur  nmkehrec; 
um   die    Genesis   der   Vorstellnng    von    der    Himmelfahrc 
Jesu   au  haben;   indem  nämlich  geschlossen   wurde:   wie 
Jesns  dereinst  vom  Himmel  wiederkommen  wird^  so 
er  wohl  aoch  dabin  gegangen  sein  *3). 

Neben  diesem  Haoptmolnente  treten  die  A.  T.li« 
Vorgänge,  welche  die  Himmelfahrt  Jesu  an  der  Hinwff> 
nähme  des  Henoch  (l.Mos.  5,  24.  vgl/ Sir«  44,  16.  49,  Ifc 
Hebr.  II,  5.)  nnd  besonders  an  der  Himmelfahrt  des  Elk 
(2.  Kön.  2,  II.  vgl.  Sir.  48,  9  I.  Macc.2,  58.)  hat,  samist 
den  griechischen  und  römischen  Apotheosen  eines  Herakks 


13)  So  such  Uasb,  L.  J.  §,  150. 


I 


Fanft«s  Kapitel,     f.  141.  71T 

Hnd  Romulus,  in  den  Hintergrund  sorilolK.  Ob  ron  den 
leteteren  die  Verfasser  des  aweiten  und  dritten  Evange- 
üoms  Kunde  liatten,  steht  dahin;  die  Notis  von  Henoch 
ist  KU  unbestimmt;  bei  Elia  al>er  eignete  sich  der  Flam- 
mcnwageA  mit  den  Fenerrossen  fOr  den  milderen  Geist 
Christi  nicht;  statt  dessen  die  bergende  Wolke  und  das 
die  Abschiedsonterhaltnng  unterbrechende  Entrfiektwerden 
AUS  der  späteren  Darstella ng  der  Wegnahme  des  Moses 
genommen  eu  sein  scheinen  kann ,  welche  Übrigens  in  itn- 
dern  Stfleken  wieder  bedeutend  abweicht  *^).  Auch  aus 
der  Geschichte  des  Elia  erklärt  sich  doch  Tielleicht  Ein 
Zug  in  der  Ersählang  der  A.  G«  Als  nämlich  Elias  vor 
seiner  Hinwegnahme  von  seinem  Diener  Elisa  gebeten 
wurde  y  ihm  sein  7WEV(.ia  in  verdoppeltem  Maafse  surfick- 
suiassen:  knfipfte  der  Prophet  die  Gewähriirtg  dieses  Wun- 
sches an  die  Bedingung:  icof  idjjg  fte  dvaXafißavofdevaif  am 
aa,  xal  egai  aoi  UtidS"  xal  iav  /nfjjö/njj  yhr/cai  (V.  9  f. 
LXX.);  woraus  erhellen  könnte,  warum  Lukas  (A.  6. 1,  9.) 
anf  das  ßXenomav  cnkiSv  imjQQr^  Gewicht  legt :  weil  näm- 
lich gemäfs  dem  Vorgange  mit  Elia  diefs  erfordert  eu  wer* 
den  schien,  wenn  die  Schaler  den  Geist  des  Meisters  be- 
kommen sollten« 


14)  Joseph.  Antiq«  4|  8^  48.  heittt   es   von  Moset :  ^Aane^oftivB  St 

ahpv^tor  vntq  aurS  gayroq  atparC^trai  Mccra  nvog  q^^Mtyyo^j  CT  habe 
aber  absichtlich  geschrieben ,  er  sei  gestorben ,  damit  man 
nicht  seiner  Trefflichkeit  wegen  behaupten  mbfhte^  er  habe 
sich  7T^;  t6  &ttoy  begeben«  Philo  aber,  de  Vita  Mosis,  ^PP* 
ed.  Mange]r,  Vol.  2j"p.  179  9  lättt  bloss  die  Seele  des  Moses 
_  sich  «in  den  Himmel  erheben. 


mm 


Schlussaliluuidlung. 


Die  dognuitisclie  Bedeatung  des  Lebens  Jesi. 

S«     142. 

Nothwendiger  Uebergang  der  Kxitüi  in  das  Dogma. 

Durch  die  firgebnbse  der  bisherigen  Unteraochnng  Int 
ouD,  wie  es  scheint  ^  der  gröfste  und  wichtigste  Theii  foa 
demjenigen,  wus  der  Christ  von  seinem  Jesus  glaubt,  fer- 
nichtet ,  alle  Ermantemngen ,  die  er  ans  diesem  manben 
schöpft,  sind  ihm  entasogen,  alle  Tröstungen  geranlit;.  Der 
nnendlicho  Schatz  von  Wahrheit  und  Leiien,  aif  welcbfa 
seit  achteehn  Jahrhunderten  diß  Menschheit  sich  groisge- 
hfihrt,  sciieirit  hiemit  verwüstet,  das  £rhaben&#e  io  des 
Staub  gestüreti  Gott  seine  Gnade,  dem  Menschen  seiae 
Würde  genommen,  das  Band  swischen  Himmel  ond  ilrde 
Berriü^en  au  sein.  Alit  Abscheu  wendet  sich  von  so  ud* 
geheurem  Frevel  die  Fröinmiglieit  ab,  und  aus  der  uiteod 
liehen  Selbatgewifaheit  ihres  Glaubens  heraus  that  sie  den 
Machtspru^h;  eine  freche  Kritik  möge  versuchen  9  was  sie 
wolle,  dennoch  bleibe  Alles,  was  von  Christo  die  Schrift 
aussage  und  die  Kirche  glaube,  ewig  wahr,  und  dorfa 
liein  Jota  davon  fallen  gelassen  werden.  80  ergibt  sieh 
am  Schlüsse  der  Kritik  von  Jesu  Lebensgeschichte  die 
Aufgabe,  das  kritisch  Vernichtete  dogmatisch  wiederfaer- 
BUfttellen. 

Diese  Aufgabe  scheint   Bunächft  nnr  eine  Fordema| 


SehlorsabbRodlang.    $.  US.  719 

de«  GliubSgeo  an  den  Kritiker  sa  miii,  Jedem  dieser  bei* 
den  för  sieh  aber  sich  nicht  an  stellen :  der  GiSabige  als 
solcher,  scheint  es,  bedarf  keiner  Wiederherstellong  tie» 
(ilaubcns,  weil  dieser  in  ihm  durch  keine  Kritik  vernich* 
tet  worden  ist;  der  Kritiker  als  solcher  nicht,  weil  er  diese 
Vernichtung  ertragen  kann.  So  gewinnt  es  das  Ansehen, 
ala  ob  der  Kritiker,  wenn  er  ans  dem  Brande,  den  seine 
Kritik  angerichtet,  doch  das  Dogma  noch  retten  will,  für 
•einen  Standpunkt  etwas  Onwabres  ontemähme,  sofern  er, 
was  ihm  selbst  kein  Kleinod  ist,  aua  Accommodation  an 
den  Glauben  als  solches  behandelt;  in  Becug  auf  den 
Standpunkt  de»  Gläubigen  aber  etwas  Deberflüssiges ,  in- 
dem er  sich  mit  der  Rettung  von  etwas  bemüht,  was  für 
den,  welchem  es  angehört,  gar  nicht  gefkhrdet  ist. 

Dennoch  verhält  es  sich  bei  näherer  Betrachtong  an- 
ders» Wenn  gleich  nicht  entwickelt ,  so  ist  doch  an  sich 
in  jedem  Glanben,  der  noch  nicht  Wissen  ist,  der  Zweifel 
mitgesetet;  der  gläubigste  Christ  hat  doch  die  Kritik  ah 
verborgenen  Rest  des  Unglaubens ,  oder  besser  als  negati* 
Ten  Keim  des  Wissens ,  in  sich ,  und  nur  aus  dessen'  be- 
atäodiger  Niederhaltung  gehf  ihm  der  Glaube  hervor,  der 
also  auch  in  ihm  wesentlich  ein  wiederhergü«tellter  ist. 
Ebenso  aber,  wie  der  Gläubige  an  sich  Zweifler  oder  Kri- 
tiker, ist  auch  nmgekelirt  der  Kritiker  an  sich  der  uläu- 
bige.  Sofern,  er  sich  nämlich  vom  -Natorrlisten  und  Frei- 
geint  unterscheidet,  sofern  seine  Kritik  im  Geiste  des  neun- 
sehnten Jahrhunderts  wuraelt ,  und  nicht  in  früheren :  ist 
er  mit  Achtung  vor  jeder  Religion  erfüllt,  und  namentlich 
des  Inhalts  der  höchsten  Religion,  der  christlichen,  als 
identisch  mit  der  höchsten  philosophischen  Wahrheit  sich 
bewofst,  und  wird  also,  nachdem  er  im  Verlaufe  der  Kri* 
Cik  durehaos  nur  die  Seite  des  Unterschieds  jieiner  lieber- 
Bseugnng  vom  christlichen  Geschichtsglanben  hervorgekehrt 
bat,  das  BedMrfnUs  fühlen,  nun  ebenso  auch  die  Seite  der 
Identität  an  ihrem  Rechte  an  bringen. 


120 


SchlufcabhaiidluDg.    $.  142. 


Zonficbst,  lodern. DRsere  Kritik  surar  io  aller  AuRlhr 
llchkeit  vollcogen  worden,  aber  nanmehr  an  demBewur»!- 
sein  vorttbergegangen  ist,  fAllt  ile  demselben  wieder  av 
Einfachheit  des  nnentwickelten  Zweifels  cnsaaiiDen,  gegei 
weichen  sich  das  glanbige  Bewafstseln  mit  einem  ebm» 
einfachen  Veto  kehrt,  and  nach  ZarOckweisong  desaelbo 
das  Geglaubte  in  unverkammerter  FfiUe  wieder  auabreit«. 
Indem  aber  hiemit  die  Kritik  nur  beseitigt,  nicht  fiberwsi- 
den  ist,  wird  das  Geglaubte  nicht  wahrhaft  Fermittelt,  ssn- 
dern  bleibt  in  seiner  Dn  mittel  barkeit.  Scheint  so,  indes 
gegen  diese  Unmittelbarkeit  abermals  die  Kritik  sieh  keb- 
ren  muPs,  der  eben  vollendete  Procefs  sich  zu  wiederto- 
len,  und  wir  com  Anfang  der  Untersoehong  ^nrflekgewor 
fen  au  sein :  so  thut  sich  doch  augleich  ein  Unterschied 
hervor,  welcher  die  Sache  welter  fOhrt.  Bisher  war  Ge^ 
genstand  der  Kritik  der  christliche  Inhalt,  wie  er  in  da 
evangelisoHen  Urkunden  als  Geschichte  Jesu  vorliegt:  obd 
dieser  durch  den  Zweifel  in  Anspruch  genommen  ist,  re* 
flectirt  er  sich  In  sich,  sucht  eine  Freistitte  im  Inoem  der 
Gläubigen,  wo  er  aber  nicht  als  blofse  Geschichte,  aonden 
als  in  sich  refleetirte  Geschichte,  d.  h«  als  Bekeontnifs  und 
'Dogma,  vorhanden  ist.  Erwacht  daher  allerdings  aaeh  g^ 
gen  das  in  seiner  Unmittelbarkeit  auftretende  Dogma,  wii 
gegen  Jede  Unmittelbarkeit,  die  Kritik  als  Negativltfit  und 
Streben  nach  Vermittlung :  so  ist  diese  doch  nicht  m^. 
wie  bisher,  historiicbe,  sondern  dogmatische  Kritik,  ns^ 
erst  durch  beide  hiodurchgegangeo ,  ist  der  Glaube  wahr 
haft  vermittelt,  oder  cum  Wissen  geworden. 

Dieses  sweite  Stadium,  welches  der  Glaube  sa  doKii- 
laufen  hat ,  müfste  eigentlich  ebenso ,  wie  daa  erstf, 
Gegenstand  eines  eigenen  Werkes  aein:  hier  soll  ea  asr 
In  seinen  Grundsilgen  veraeichnet  werden,  um  die  faüto- 
risohe  Kritik  nicht  ohne  Aussicht  auf  Ihr  letatea  Ziel  ab- 
cnbrechen,  welches  erat  Jenseits  der  dogmaUaehen  li^t. 


SchlufiabhaBdlong.    %  143.  7'U 

S.     14S. 

Die  Christologie  des  orthodoxen  Sjstems. 

Der  dogmatiiohe  Gehalt   des  Lebens  Jeaa  In    teiirar 
Uamittelbarkeit  featgehalteo,  ond  aof  dleaem  Bodeo  anfge*   . 
kiidet,  ist  die  orthodoxe  Lehre  ?oa  Christo. 

Ihren  (irnndsflgen  naeh  findet  sie  sieh  sehen  im  N.  T. 
Die  Wnrsel  des  Glanbena  an  Jesnm  war  die  UeberEengnng 
iron  seiner  Aoferstehnng.  Der  Getödtete,  schien  es,  wenn 
loch  noch  so  grofs  einst  im  Lehen ,  könne  der  Messiaa 
nicht  gewesen  srin:  die  wvndenrolle  Wiederibelehnng  he- 
mes  um  so  atlrkeri  dafs  er  es  war.  Durch  die  Anferwe-  ' 
ßkang  ans  dem  Schattenreich  befreit,  und  engleich  fiher 
die  Sphäre  irdischer  Menschheit  hinausgelioben ,  war  er 
Don  in  die  himmlischen  Regionen  Torsetct,  hatte  seinen 
nessianiseben  Sit^  nur  Rechten  Gottes  eingenommen  (A.  G. 
Ij  91  ff.  3,  15  ff,  5,  30  ff.  und  sonst).*  Non  evsehien  sein 
Fod  als  Haopttheil  seiner  messianischen  Bestimmnng;  nach 
Jes.  53.  hatte  er  ihn  filr  die  Sfinden  des  Volks  und  der 
Menschheit  erlitten  (A.  6.  S,  32  ffi.  vgl.  Matth.  20,  28. 
Joh.  1,  29,  36.  1.  Job.  2,  2.)s  sein  «m  Krenae  vergosse- 
nes BInt  wirkte  wie  dasjenige,  welohes  am  Versdhnnnga- 
Feste  der  Hohepriester  gegen  den  Dediel  der  Bnndeslade 
iprengte  CR^in«  ^y  25.);  er 'war  das  reine  Lamm,  durch 
lessen  Blut  dieGlänbigen  losgekauft  sind  (1  Petr.  1, 18 f.); 
ier  ewige^  sfindlose  Hohepriester,  der  durch  Darbringung 
leines  mgenen  Leibes  mit  Kinemmale  bewirkt  hat,  was  die 
jüdiscben  Priester  durch  unendlich  wiederholte  Thieropfer 
nicht  anssnriehten  im  Stande  waren  (Hebr*  10,  10  ff.  n.  s.). 
Aber  auch  von  jeher  schon  konnte  der  Jetst  nur  Rechten 
Gottes  erhöhte  Messias  kein  gewöhnlicher  Mensch  gewe- 
sen sein :  nicht  blofs  war  er  mit  dem  göttlichen  Geiste  in 
höherem  MaaCs ,  als  Je  ein  Prophet ,  gesalbt  (A.  G<  4,  27. 
10,  38w),  und  hatte  durch  Wunder  und  Zeichen  sich  als 
göttliehen  Gesandten  erwiesen  (A.  G.  2, 22.) :  sondern,  wie 
DaaLebtm  Jesu  Ue  Aufl.  iL  Band,  46 


7ii  Sehiufaabbsndlung.    Si  14S. 

man  ei  sich  nnn  voritellen  mochte,  war  er  entweder  Qbe^ 
lUitlirlich  durch  den  heiligen  tieist  eraeogt  (Mattb.  a. 
Lue.  1.))  oder  alt  Gotres  Wei^^beit  and  Wort  in  einen  i^ 
disehen  Leib  berabgekommen  (Job*  l.)*  Da  ^  schon  fw 
aeinem*  nentchiichen  Auftreten  im  Scboofae  dea  Vatert,  ia 
göttlicher  Majestät,  gewesen  war  (Job*  17|  5.):  »o  war 
sein  Herabkommen  in  die  Menscbenwelt  und  beaondsn 
seine  Hingabe  in  den  sehmaebvoUen  Tod  eine  Erntedri- 
gnngy  die  er  aus  freiem  Triebe  anm  Besten  der  Menscbm 
auf  sich  nahm  (Phil*  2,  5flf).  Der  Auferstandene  und  aan 
Himmel  fiefabrene,  wie  er  einst  zur  Auferweekung  dsr 
Todten  und  anm  Geriebte  wiederkehren  wird  (A.  6. 1,  IL 
17.  31*):  00  nimmt  er  auch  jetzt  schon  irls  Theilhaber  ai 
der  Weitregierung  CMatth.  28,  180  der  Gemeinde  sieh  tat 
(Rdm.  8,  34.  1.  Job.  2,  1.) ,  und  wie  jetst  an  der  Web- 
regiernngy  so  bat  er  auch  schon  an  der  Weltschopfaag 
Tbeil  genommen  (Job.  1,  3,  10.  KoL  1,  15  fO*  Aufser 
dem  wurden  nnn  noch  alle  mfiglicben  einselnen  ZOge  da 
in  der  Volkserwartung  entworfenen  Messiasbildes  mit  a»- 
thigen  oder  beliebigen  Abiinderungen  auf  Jesnm  Ober]^ 
tragen;  auch  von  der  einmal  angeregten  Phantaaie  neue 
ErsKblnngen  binaugedlchtet. 

Welebe  Fülle  ?on  beseligenden  und  erhabenen,  ermun- 
ternden nnd  tröstlichen  Gedanken  flofs  der  ersten  Gemeinde 
ans  diesen  Vorstellungen  über  ihren  Christus!  Ooreh  ib 
Sendung  des  Sohnes  Gottes,  in  die  Welt,  durch  seine  Hia- 
gäbe  ffir  die  Welt  in  den  Tod,  sind  Himmel  und  Er^ 
Teraöbnt  (2  Kor.  5,  18  tt.  Eph.  I,  10.  Kol.  1,  20.);  dordi 
diese  höchste  Aufopferung  ist  den  Menschen  die  Liebs 
Gottes  sieher  verbargt  (Rom.  5,  8  ff.  8,  31  ff.  1  Job«  4,  9.), 
nnd  die  freudigste  Hoffnung  ihnen,  eröffnet.  Ist  der  Sski 
Gottes  Mensch  geworden :  so  sind  die  Menschen  seias 
Brfider,  als  solche  gleichfalls  Kinder  Gottes^  und  Miterbea 
Christi  an  dem  Sohatae  göttlicber  Seligkeit  CRöm.  S,  16  t 
99  ).    Das  knechtische  Verhültnifs  der  Menschen  an  Gott, 


Schiufsiibbandlttng.    $•  US.  7*iS 

uie  es  unter  Aem  tietetee  lUttfaod,  hat  ao^ebfirt;  an  die 
Stelle  der  FurohC  vor  den  Strafen,  mit  welchen  dat  Gesets 
drohtei  ist  Liebe  getreten  (Rom.  8,  ;15.  GaL  4,  1  ff.)  Vom 
Flache  des  Gesetses  tind  die  Glfinbigen  dadurch  loage* 
kauft,  dafs  Christut  sich  fiir  sie  demselben  hingab,  indem 
er  eine  Tode^art  erduldete,  auf  welche  das  Geseta  den 
Flach  gelegt  hat  CGal.  3,  13.)*  Nun  haben  wir  nicht  mehr 
das  Unmdgliche  sn  leisten,  däfs  wir  alle  Forderungen  des 
Gesetzes  erffillen  müfsten  (Gal.  3,  10  f.)  —  «ine  Aufgabe, 
welche  der  Erfahrung  aufolge  Lein  ^ensch  löst  (Rom.  1, 
IS— 3,  20.)*  seiner  sandigen  Natur  nach  keiiver  lösen  kann 
(Köin.  5,  12  £),  und  welche  deo^  der  sie  su  lösen  strebt, 
tiur  immer  tiefer  in  den  unseligsten  Kampf  mit  sich  selbst 
verwickelt  (Rom.  7,  7  ff.)«  sondern  wer  an  Christum 
glaubt,  der  versöhnenden  Kraft  seines  Todes  vertraut,  der 
ist  von  Gott  begnadigt;  nicht  durch  Werke  und  eigene 
Leistungen,  sondern  umsonst  durch  die  freie  Gnade  Gottes 
wird  der  Mensch,  der  sich  ihr  hingibt,  vor  Gott  gerecht, 
wodurch  nugleich  alle  Selbsterhebung  ausgeschlossen  ist 
(llöra.  ;S,  31  ff.).  Indenw  Jas  mosaische  Gesets,  dem  er  mit 
ChrUto  gestorben  ist,  den  Gläubigen  nicht  mehr  verbinden 
ksnn  CR^ra«  7,^  1  ff.),  indem  namentlich  durch  das  ewige 
und  vellgttitige  Opfer  Christi  der  Jüdische  Opfer  und  Prie- 
sterdienst aufgehoben  ist  (Hehr.))  ist  die  Scheidewand  ge- 
fallen, welche  Juden  und  Heiden  trennte:  diese,  sonst  fern 
und  fremd  der  Theok ratio,  gottverlassen  und  boffhnngslos 
in  der  Welt,  sind  aur  Theilnahme  an  dem  neuen  GotCiss- 
bände  herbeigerufen,  und  ihnen  freier  Zutritt  snm  vftter- 
liphen  Gott  verschafft  worden;  so  dafs  nunmehr  die  bei- 
den, sonst  feindlich  getrennten  Thelle  der  Menschhitt  In 
Frieden  mit  einander  Glieder  am  Leibe  Christi,  am  geisti- 
gen  Bau  aeiner  Gemeinde  sind  (Eph.  2,  11  ff).  Jener 
rechtfertigende  Glaube  an  den  Tod  Christi  aber  ist  wo- 
sentlich  sngleich  ein  geistiges  mit  ihm  Sterben,  nft^lleh 
ein  Absterben  der  Sttnde,  uud  wie  Cbristua  aas  dem  Tode 

4«* 


724  Sohlafsabhandlong.     S*  14S# 

ca  neaem  aiwterblicheiii  Leben  aaferstiindeii  Itt:  eo  soll 
auch  der  an  ihn  ütäabige  aoa  dem  Tod  der  Sfinde  m,n  d- 
nem  neuen  Leben  der  Gerechtigkeit  und  Heiligkeit  anfe^ 
stehen,  den  alten  Menschen  abthun,  und  einen  neuen  an* 
Eiehen  (Rom.  6,  1  ff.)«  Dazu  steht  ihm  Christus  sellist  wk 
seinem  Geiste  bei,  welcher  diejenigen,  die  er  beseelt,  mk 
geistigem  Streben  erfüllt,  und  immer  mehr  Fon  der  Knecht- 
schaft der  Sfinde  frei  macht  (Rom.  8,  1  ff.).  Ja  nieb 
blf^fs  geistig  Jetct,  sondern  einst  auch  leiblich,  werden  dit- 
Jenigen,  in  welchen  der  Geist  Christi  wolnt,  dnreh  ihs 
belebt,  indem  Gott  durch  Christum  am  Ende  dieses  Web- 
lanfs  ihre  Leiber  auferwecken  wird,  wie  er  den  Leik 
Gliristi  anferweckt  hat  (Rom.  8,  11  )•  Christus,  den  die 
Bande  det  Todes  und  der  Unterwelt  nicht  halten^  koantce 
(A.  6.  2,  24.)}  hat  beide  auch  fDr  uns  besiegt,  und  dea 
GlXubigen  die  Furcht  vor  diesen,  höchsten  Mächten  der 
Endlichkeit  benommen  (Rom.  8 ,  38  f.  1  Kor.  15 ,  55  ft 
Hehr.  2,  14  f.).  Seine  Auferweckung,  wie  sie  seinen  Toi 
erst  die  versöhnende  Kraft  verleiht  (Rom.  4,  25.)  9  m  ist 
sie  zugleich  die  Bflrgschaft  unserer  eigenen  künftigen  Aufer- 
stehung, unseres  Antheils  an  Christo  in  einem  künftigen  Le- 
ben, in  seinem  messlanischen  Reiche,  sn  dessen  Seligkeit 
er  bei  seiner  Wiederkunft  alle  die  Seinigen  einffihren  wird 
(1  Kor.  15.).  inawischen  aber  dfirfen  wir  uns  getrdateni 
an  ihm  einen  Ffirsprecher  bei  Gott  e»  haben,  der  ans  eige- 
ner Erfahrung  von  der  SchwAohe  und  Gebrechlichkeit  der 
Blenschennatur,  die  er  selbst  angesoget  hatte,  und  in  der 
er  in  allen  Stocken  versucht  wurde,  doch  ohne  SOnde» 
weifs,  wie  vieler  Nachsicht  und  NachhöllSs  wir  bedfirfea 
(Hebr.  2,  17  f.   4,  15  f.> 

Den  Reiehthum  dessen,  was  der  Glaulie  an  Christs 
hatte,  in  bestimmte  Formeln  Eusammensufasseu ,  war  sei- 
nen Anhängern  schon  frfihe  BedttrfnUs.  Sie  priesen  iha 
als  XQigog  6  dnoi^aytov^  nGlkw  dh  9tal  iye^etg^  og  xoc  S^a^ 
iv  de^ig  t3  O-eöi  os  xal  ivnr/xuvu  vniQ  tjijuav  (Rom.  8, 34); 


SchlafaabhaDdlnng.    $•  143.  725 

oder  genauer  hlefs  er  )l  X.  6  KvQiog^  yevofdivog  ix  aTtiofia- 
tog  Juvid  fcara  auQxa^  OQUJd-elg  tiog  ^sS  iv  dwa^et  uaxa 
7iYiv(.ia  ayiwüvnjQ  i^  avagaoeios  vexQ(Sv  C^öm«  1,  3  £.)}  und 
ab  dag  ofiolofyofdviog  fifya  r^g  evcpßdag  fivgijQiaif  wurden 
die  Wahrheiten  hingestellt:  &edg  iq>avBqia^  iv  aa(m^  idi-  ^ 
xaitidjjMv  nvevfÄOtfif  wq^d-tj  ayyikoig^  ixrjQvx&ij  iv  adveat^y 
intgev^f]  iv  xocftq^^  dvtXijg>9'i]  iv  do^f]  (!•  Tim.  3j  16  )• 

Anschliefsend  an  die  Tanfformel  (Mattb.  28,  19.)} 
welehe  dvrch  die  Znsammenstellnng  ?on  Vater,  Sohn  und 
Geist  gleiohiam  ein  Fachwerk  darbot,  um  den  nenen  Glau- 
ben in  dasselbe  einsnordnen,  bildete  sich  in  der  Kirche 
der  ersten  Jahrhunderte  die  sogenannte  regula  fidei  ans, 
welche  in  verschiedenen  Formen,  bald  summarisoheri  bald 
aosf fihrlicher ,  popnlXrer  oder  subtiler,  sich  liei  den  ?er* 
schiedenen  VAtern  findet  0  9  und  nach  ihrer  popolSren 
Form  endlich  Im  sogenannten  apostolischen  Symbol  nur 
Rahe  kam,  welches,  in  der  Gestalt,  in  welcher  es  auch 
▼on  der  «vangeUschen  Kirche  aufgenommen  worden  ist' 
in  aweiten,  ausführlichsten,  Artikel  rem  Sohn  folgende 
Glanbensmomente  hervorhebt:  et  (credo)  in  JeswM  Chri- 
stum, fitium  ejus  (Deipatris)  unicum,  Domimm  nostrum; 
qui  canceptus  est  de  spiritu  sancto ,  natus  ex  Maria  vir- 
gine;  passus  9ub  Pontio  Pilato,  crucifixus,  mortuus  et 
sepultns,  descendit  ad  iafema;  tertia  die  resurr exit  a 
mortuis,  ascenMt  ad  coelos,  sedet  ad-  deztram  Dei  patris 
onnUpotentis  ;  inde  veuturus  est,  judicare  vivos  et  mortuos. 

Neben  dieser  volksmftfsigen  Form  des  Glaubensbekennt- 
nifses  in  Besng  auf  Christum  ging  aber  sogleich  die  Aus- 
bildung einer  schArferen  theologischen  Fassnpg  desselben 
her,  veranlafst  durch  die  Oifferensen  und  Streitigkeiten, 
welche  sieh  frfihseitig  Ober  einzelne  Punkte  deiselben  her- 
vorthaten.  Das  Gmndthema  des  cliristlichen  Glaubens^  dai : 


1)  Iren.  adv.   hier.  1,  10.    Tertull.  de    praescr.   hacr,   i3,   adv. 
Frax,  2y  de  veland«  virg,  1.    Orig*  de  principp.  proocm,  4* 


726  Sobluraabhandlung.     $.  14S. 

o  l(y/0(i  accQ^  fcV^wo,  oder:  i^eog  iq^ave^^  iv  caQjäy 
von  allen  Seifen  gefährdet ,  indem  bald  die  Gottheit ,  bald 
die  Menschheit,  bald  die  wahre  Vereinigung  beider  in  An* 
«prnch  genommen  würd«-. 

Diejenigen  cwar,  welehei  wie  die  Ebroniten,  die  Gott- 
heit, oder,  wie  die  doketischen  Gnostifcer,  die  Mensohb^ 
€hri8ti  dorohaua  aufhoben ,  schlössen  sich  sn  entaehieden 
von  der  christlichen  Gemeinschaft  aus^  weiche  ihtarseiti 
den  Grundsatz  festhielt : '  dafs  edei  top  (aböIttiv  &e5  re  »s 
dv^QWTiwv  diu  idlas  nQog  exanQug  obaiair^rog  £ig.q>üJar 
xal  ofiovoiap  Kfp  afiq>oieQös  away^ytlv^  xcd  &etf  ^h  nagc- 
g^aai  tov  avd-Qixmov ,  dv&QcmoiS  de  ywaQiaai  rar  ^£or  *> 
Aber  wenn  etwa  blofs  die  VolUtfindigkeit  der  einen  oder 
der  andern  Natur  gelffugnet  wurde;  wenn  Arius  wohl  eia 
göttliches,  aber  geschaffenes  und  dem  höchsten  Gott  onter- 
geordnetes  Wesen  in  Christo  Mensch  geworden  aein  lieCs, 
wenn  derselbe  Christo  swar  einen  menschlichen  Leib  «^ 
achrieb ,  in  welchem  aber  die  Stelle  der  Seele  eben  jenes 
höhere  Wesen  eitigienommen  habe,  und  Apollinaris  anfscr 
dem  Leib  auch  noch  die  Seele  Jesu  wahrhaft  menacbüch 
sein ,  %ind  nur  an  die  Stelle  des  dritten  Princips  im  Meii- 
achen,  des  vag,  das  göttliche  Wesen  treten  liefs:  so  konnte 
aolchen  Ansichten  schon  eher  ein  Schein  des  Christlichen  ge> 
geben  werden.  Dennoch  wies  das  Bewufstsein  der  Kirefa« 
sowohl  die  arianische  Vorstellung  von  einem  in  Jesa 
Mensch  gewordnen  Untergott  neben  andern  minder  we- 
aentlichen  Gründen  auch  defswegen  snrficiL,  weil  auf  diese 
Weise  in  Christo  nicht  das  anschaubare  Ebenbild  'der  Gott- 
heit erschienen  wXre');  als  die  arianisch-apollinaristisdis 
von  einer  der  menschlichen  xfjvxv  ^^^^  ^^  menachlicheo 
v5g  ermangelnden  Menschennatur  Christi  unter  Anderen 
aus  dem  Grunde,   weil  nur  durch  die  Vereinigung  mit  ei* 


2)  Iren.  adv.  haer.  3,  18,  7. 

3)  Atkanas.  contra  Arianes  erat«  2,  33* 


Soblaraabbaiiillang.   $.  14S.  7«r 


ocr  gansen    und  ?ollsUlndIgen  MeDSohennator  diese   naefa 
allen  Tbellea  habe  erlöst  werden  können  0* 

Doeh  es  kennte  nieht  blofs  die  eine  oder  andere  Seite 
Im  Wesen  Christi  znrfickgestellt ,    sondern  auoh  in  Besag 
auf  ihre  Vereinignng  mit  ihm ,    nnd  svf  ar  wieder  auf  ent» 
gegeiigesetate  Weise,  gefehlt  werden.    Die  ahdfiohtige  Be* 
geisternng  Vieler  glanbte,  das  neogeschiangene  Band  swi* 
sehen  Hioiniel  und  Erde  nicht  eng  genug  ansamiüenaiebei^ 
sn  iLönnen,  in  Christo   wollten   sie  Gottheit  mnd  Mensch- 
heit nicht  mehr  nnterscheideni  und  erkannten  In  llmi>'  wie 
er  als  Eine  Person  erschienen  war,  anch  nor  Eine  Matdr,- 
die  des   fleischgewordenen  Gottessohnes,   an.   ^Oer  ßeson«' 
nenheit  Anderer  war   eine  solche  Vermischnng  die  Göttli- 
chen nnd  Menschlichen  anstöfsig,  es  schien  ihnen  frevel- 
haft, sn  sagen,  dafs  eine  menschliche  Motter  Gott  geboren 
habe:    nur  den  Menschen  liabe  sie  geboren,  .welchen. sich 
der  Sohn  Gottes  sum   Tempel   anserwähtt  hatte,   und  es 
seien  in  Christo  zwei  Natitren   zwar  der  Verehrong  nach 
verknüpft,  aber  dem  Wesen  nach  noch  immer  verschieden. 
Der  Kirche  schien   auf  beide  Weise    das   Mysterium    der 
Menschwerdung  gef&hrdet :  -worden  beide  Naturen  bleibend 
getrennt  gehalten,  so  war  die  Vereinigung  des  Götjtli^en 
und  Menschlichen,  der  innerste  Lebenspnnkt  des  Christen- 
tbums,  serstört;  wurde  eine  Vermisehong  angenommen,  so 
war  keine. von  .beiden  Naturen  als  solche  einer  Vereinigung 
mit  der  andern  fähig,   somit  gleichfalls  keine  wahre  Ein- 
heit beider  erreicht.     Beide  Meinungen  wurden  daher,  die 
letztere  in  Eutyches,  für  die  erstere  nicht  ebenso  mit  Recht 
NodtorinSi  verdammt,   nnd  nachdem  schon  im  nicfinischen 
Symbol  die  wahre  Gottheit  Christi  festgesetat  worden  war, 
nunmehr  im  chalcedonensischen  auch  seine  wahre  und  voll- 
stfiodjge  Menschheit,  nnd  die  Vereinignng  beider  Naturen 


4)  Gregor.  Nax.  Or,  51.  p*  740«  B. :  rö  ya^  an^iXrjniw  i9fQa:%guiov 
9  Sk  ijrtatctt  r*a  Setp^  tSto  uat  uw^ercu» 


N 


\ 


Sfihlarsabbalidlang«     $.  Itf. 

in  Einer  ansertrennten  Person,  festgestellt  ')•  Und  als  sieb 
später  ttber  den  Willen  in  Christo  eine  ähnliche  Differeas 
hervorstellfee,  wie  ttber  seine  Natur :  so  wurde  anf  dieaeibs 
Weise  entschieden  |dsfs  in  Christo  als  den  Gottmeneehes 
Bwei  unterschiedene  Willen ,  aber  nicht  aneins ,  sond^ra 
der  menschliche  dem  götlliehen  sich  unterordnend ,  anaa« 
nehmen  sAien  0«. 

Den  Smitigkeiten  über  das  Sein  und  Wesen  Christi 
gegenfiber  ging  die  Entwicklung  der  andern  Seite ,  der 
Lehre  von  seinem  Thnn  und  Wirken,  Terhältnifamfifäg 
a^iU  und  friedlieh  vor  sich.  Die  umfassendste  Ansebauiy 
davon  wer  ^ie,  dafs  der  Sohn  Gottes  durch  Annahme  der 
Menschettoatnr   diese,  geheiligt   und   v^göttlicht    habe  Ot 


mm-mm 


ä)  —  ira  jwrl  tcw  tgurov  oftoloyetv  vtoy  rov   xv^u»  ^ftäv  V.  X. 

onarrti   htdManofter  ^   riXttßv  tot  avror  er  ^amfti^  «ol  T»2e»or  rar 
tmtw  ly  w^^miortjri  y   &sor  uhf&ag  aml  ar&^mnoy   ahj&*Sf  rar  orror 

9ta\  o/toiatior  %w  auroy  ^/tur  xara  r^r  ar^gtanoTtpra^  Mora  Twarra  o^aa 
^fHV  x^i  afiafTÜxi*  7t^  auürtufr  /itr  rx  tS  7rorr^(  yfmjS-irra  xan 
T^jy  S'fOTf^ay  in  ht^artar  9h  rwv  ^fit^Sv  rw  ovror  S^*  i/iSg  Km  At 
TTT  ^/uer^^ar  atart^ftay  ex  JMaQiaq  r^g  na^^rs  r^g  ^turoxa  xarra  r^ 
^S^MmoTt^Oy  $ya  xai  rov  owtov  Xfi^or,  tHOVy  tci(Hory  fawfjytwJi^  ^^  ^ 
fuctur  aovyx^^f*  ar^Tmag,  aSutt^ttg^  axfo^^ag  yru^o/seroir'  üafo 

r^g  IStonprog  ixar^^g  fuaiwg^    «a«  tlg  $r  n^offenrar  «ol  /ttanr  mogaem 

xal  tw  ctvToy  war  »a\  /ioroytv^y  S'Sor  loyor ,  ttv^ioy  ^Z  X. 
6)  Die  6te  SKomenische  Synode  zu  Confetantinopel  setste  fest: 

Svo  ipvauea  StXijjuaTa  »x  vnerarrCay  ^^  aÜ'  sno/itrop  to  arS'^Jttfer 
airS  S'iltjfda  -~  »ak  vnoraaaoftfvw  rf  &eCu  avrS  xcä  navtt^trt»  99» 
X^ftari. 

7)  AthanaS.    de  incarn.  54:    airog  Irtp^^^ont^ey  y   Tra    ^u^Tg  ^iporroDf- 

Sta/4ty.  Hilar«  Fictav.  de  trin.  2»  24:  humtmi  generU  comm 
Det  fiUus  natus  ex  virgine  e$t  r-  ut  hwno  fadu»  ex  virgiat 
naiuram  in  se  eamis  acdperet,  perque  hujnt  adnäxiiemU 
societaiem  sanctificalum  fn  eo  univeni  generis  humutni  ecr^ 


Sohlufsabbandlung.    $.  143.  729 

wobei  nameniliob  die  Ertbeilang  der  UneterbllchkelC  her-  . 
vorgeiioben  worde  ^ :  and  in  geqiathlicher  WeUe  fafste 
man  diefe  VerbXltnifii  auch  so,  Uotc  babe  durch  den  an« 
▼orLommenden  Liebeebewei«  |  der  in  der  Sendung  «eines 
Sohnes  liege,  die  Hensoben  aufs  krSftigste  cur  Gegeniiebe 
erwecitt  *}•  An  dieser  Einen  grofsen  Wiritung  des  Er» 
scbeinens  Christi  wurden  aber  auch  einselne  Seiten  her» 
rorgehoben:  auf  seine  heilsaaie  Lehre,  sein  erhabenes  Bei« 
spiel  anfmerksam  gemacht  ^^)  >  besonders  aber  auf  den  ge« 
waltsamen  Tod,,  den  er  erduldet  hatte.  Gewicht  gelegt. 
Der  Regtitt  der  Stallvertretung,  der  schon  im  N.  T.  gege* 
l>en  war,  wurde  welter  ausgeführt:  der  Tod  Jesu  bald  als 
ein  LSsegeld  betrachtet,  welches  er  dem  Teufel  für  die 
durch  die  Sflnde  seiner  Gewalt  verfallene  Menschheit  ge- 
geben habe,  bald  sollte  Gott  dadurch  die  Schuld  abgetra« 
gen,  und  er  in  den  Stand  gesetst  worden  sein,  un besehe* 
det  seiner  Wahrhaftigkeit  die  der  Sflnde  gedrohten  Stra- 
fen der  Menschheit  au  erlassen,  well  Christus  $ie  auf  sich 
genommen  hatte  ^0*  Diese  letatere  Vorstellung  wurde 
durch  Ansslm  in  seinmr  Schrift:  Cur  Dens  komo,  an  der 
bekannten  Satisfactionstheorie  ausgebildet,  durch  welche 
Bugleich  die  Lehre  von  dem  Erlösungsgeschaft  Christi  mit 
der  von  seiner  Person  in  die  engste  Verbindung  gesetst 
wurde.  Der  Mensch  ist  Gott  vollstXndigen  Gehorsam 
icbuldig;  der  Sfinder  aber  —  und  diefs  sind  alte  Men- 
ichen  -  entsiebt  Gott  die  schuldige  Leistung  und  Ehre« 
Da  nun  Gott  eine  Beleidigung  seiner  Ehre  vermöge  seiner. 
3erechtigkeit  nicht  dulden   kann :  so  muls  entweder  der 


pus  ewisteret.  Andere 'Aeusserungen  der  Art  •.  bei  Musschbr, 
Dogmengetch»,  hertusgegeben  von  C'öixn  >  1  >   $•  97.  Amn.  10. 

8)  s.  bei  MihiscMSR,  %.  96,  Ann.  5.  S.  423  t 

9)  Augustio.  de  catechiz.  mdib.  7. 

10)  s.  MUksciusi  $.  96. 

11)  Ders  \.  97. 


734»  Sohlursabbandliiiig.    $•  143« 

Mensch  freiwIlHg  Gott  wiedergeben,  was  Gottes  Ist^  Ja  aar 
GenuglbDuiig  ihm  noch  mehr  leisten  |  als  er  ihm  enteogea 
hHt;  oder  mufs  Gott  dem  Menschen  mit  Gewalt  nehmen) 
was  des  Menschen  ist,  d*  h.  die  Gifickseligkeit ,  so  der  er 
geschaflfen  ist,  ihm  Eur  Strafe  entsiehen.  J^nes  so  tban 
ist  der  Mensch  nicht  im  Stande;  denn  da  er  alles  Gate, 
was  er  thun  kann,  Gott  schuldig  ist,  am  nicht  in  Sonde 
an  verfallen,  so  kann  er  nichts  Gutes  fibrig  halben,  usi 
durch  diesen  Ueberschufs  die  begangene  Sttnde  so  de- 
cken. Dafs  andrerseits  Gott  durch  ewige  Strafen  sich 
Genngtlftinng  verschaiFe,  dagegen  ist  seine  nnverfinderlich« 
Gfite,  kraft  welcher  er  den  zur  Seligkeit  bestimmten  Men- 
schen anch  wirklich  cn  dieser  fahren  will.  Diefs  kana 
aber  vermöge  der  göttlichen  Gerechtigkeit  nicht  gesebefaeo, 
wenn  nicht  Genugthuung  ffir  den  Menschen  geleistet,  und 
nach  Maafsgabe  dessen,  was  Gott  entsogen  worden  ist, 
ihm  etwas  gegeben  wird ,  das  gröfser  ist ,  als  Alles  aofser 
Gott.  Diefs  aber  ist  nur  Gott  selbst,  and  da  andrerseits 
für  den  Menschen  nur  der  Mensch  genagthun  kann:  so 
mufs  es  eip  Gotfmensch  sein,  der  die  Genugthuung  leistet 
Diese  kann  niber  nicht  in  thfitigem  Gehorsam,  in  sfindio* 
sem  Leben  bestehen,  weil  diefs  jedes  vernflnftige  Wesea 
Gott  fär  sich  selbst  schon  schuldig  ist ;  aber  den  Tod,  der 
Sünden  Sold ,  auf  sich  zu  nehmen ,  ist  der  Sttndloae  oicht 
schuldig,  und  besteht  also  die  Geougthunng  flBr  dieSfinde 
der  Menschen  im  Tode  des  Gottmenschen,  dessen  Beloh- 
nung, weil  er  als  Eins  mit  Gott  nicht  selbst  belofint  wer- 
den kann,  der  Menschheit  eu  Gute  kommt« 

Dieses  altkirchlicho  Lehrsystem  über  die  Person  and 
Thfitigkeit  Christi  ging  auch  in  die  BekenntnifssclirifteB 
der  Intheriechen  Kirche  über,  und  wurde  von  den  Theo* 
logen  derselben  noch  künstlicher  ausgebildet  ^^«     Die  Per- 


12)  Vgl.  Form.  Concord.,  Epit.  und  Sol.  decl.  VIII.  p.  605  iL  uui 
76l  0^.  cd.  Hask.    Cubmmz.)    de  duabus  naturU  in  Christo  li- 


I 

0 


Btshlnfsabhaifdiun^.    $.   143.  7S1 

in  Christi  betreffend,  warde  an  der  Vereinigung  derf5t.t- 
jhen  und  menschiielien  Matur  in  Einer  Person  f«8tgehal- 
n :  Im  Acte  derselben,  der  vnitio  persanaliSß  welche  mit 
sr  EinpfiKagnifs  sasammenfieii  war  es  die  göttliche  Nator 
98  Solines  tiotteSy  welche  die  menschliche  zor  Einheit  ih- 
»r^PersSnlichlieit  aufnahm;  der  Zustand  dea  Vereinigt* 
»ins,  die  unio  personalis y  sollte  weder  eine  wesentlicbe^ 
oob  auch  biofs  eine  accidentelle ,  auch  keine  mystische, 
1er  moralische ,  am  wenigsten  eine  nur  verbale ,  Sondern 
ine  reale  und  llbernatflriiche,  ihrer  Dauer  nach  aber  eine, 
vrige  Vereinigung  sein.  Vermdge  dieser  Verbindung  mit 
er  göttlichen  kommen  der  menschlichen  Natur  in  Christo 
ewisse  elge^tbfl milche  VorsOge  sii :  namentlich ,  was  an* 
fichst  als  Mangel  erscheint,  fittr  sich  unpersönlich  au  sein, 
nd  nur  in  der  Vereinigung  mit  der  göttlichen  Natur  Pei^ 
Snlichkeit  an  haben;  femer  Sfindlosigkeit ,  nnd  die  Mög« 
chkeit,  nicht  au  sterben.  Doch  anfser  diesen  eigenthöm* 
leben,  bat  die  menschlfcbe  Natur  Christi  in  ihrer  Vereini* 
ung  mit  der  göttlichen  auch  gewisse  von  dieser  geliehene 
^orcOge.  Das  Verhtfltnifs  der  beiden  Naturen  ist  nffmlich 
icht  ein  todtes  und  finfserllches,  sondern  eine  gegenseitige 
lurebdringung,  neQixuoqrioig;  nicht  die  Verbindung  cweier 
usammengeleimten  Bretter,  sondern  wie  von  Feuer  und 
letaU  im  glOhenden  Eisen,  oder  wie  im  Menschen  von 
ielb  nnd  Seele.  Diese  contanaiio  naturamm  fintsert  sich 
Is  communicatio  idiomatum^  kraft  welcher  die  mensch- 
lebe  Natur  an  den  Voraflgen  der  göttlichen ,  die  göttliche 
n  den  die  Erlösung  betreffenden  ThStigkeiten  der  mensch- 
ichen  Theil  nimmt.  Dieses  Verbfiltnifs  spricht  sich  in  den 
iropositionibtis  personalibus  und  idiomaticis  aus;  Jenes 
lätse,  in  welchen  das  Concretum  der  einen  Natur,  d.  h. 


■ 

bcllus ,  und  loci  thcol. ,  loc.  2 ,  de  filio  ;  GiRHAaD  y  II.  th.  1 , 
p.  640  AT.  (ed.  i615.)  >  Quinstidt  y  theol.  didsct.  polexr.  F.  3* 
c.  3.    Vgl.  DM  Wsm,  btbl.  Dogm.  %.  64  ff. 

s 


m  fichlafsabhaodliiDg.     t-  l^ 

die  eine  Natoi«,  «ofem  lie  in  der  Person  Christi  l^egriffes 
ist,  Ton  dem  der  andern  prfidleirt  wird,  wie  1.  Kor.  15,47.: 
4er  Ewelte  Adam  ist  der  Sohn  des  Höebsten ;  dieses  Sstce, 
in  welchen  theiis  Bestimmnngen  der  einen  oder  anden 
Matur  auf  die  ganse  Person  (genus  idiamaiicum} ,  theih 
Thfitigkeitender  gansen  Person  auf  die  eine  oder  anden 
Matur  (genua  apotelesmaticumj ,  theiis  endlich  Auribate 
der  einen  Natur  auf  die  andere  fibergetragen  werden,  was 
aber  nur  yon  der  göttlichen  auf  die  mensohliohey  sieht  um- 
gelMbrt,  möglich  ist  (genus  avchematicum)* 

In  der  Bewegung  seiner  Person  mit  ihren  swei  Nata- 
ren  durch  die  versehiedeneo  Momente  des  Krldsangawerfci 
hat  Christus  nach  dem  an  Phil.  1,  6  ff*  anschiiefaeDdoi 
Ansdrnoii  der  Dogmatilier  einen  cweifachen  Znstand ,  ste- 
(ffm  eximmitianis  und  exaUatUmü,  durolilanfen.  Sofera 
seine  mMsehliche  Natur  In  ihrer  Vereinigung  mit  der  got^ 
liehen  gleich  bei  der  Empfingnifs  In  den  Mitbesitu  gott» 
lieber  Eigenschaften  kam,  aber  yon  diesen  während  aeinsi 
Evdenlebens  keinen  susammenhAngenden  Gebrauch  machte^ 
so  wird  dieses  irdische  Lebefi  Jesu  bis  cum  Tod  and  Bs- 
grAbnifs  als  ein  Stand  der  Erniedrigung  mit  ?erschiedeneii 
Stationen  betrachtet,  wogegen  mit  der  Auferstebunfr,  oder 
schon  mit  der  Höllenfahrt,  der  Stand  der  Erhöhung  ein- 
trat, welcher  mit  der  Messio  ad  dextram  patris  seine  Voll- 
endung erreichte. 

Was  das  Werk  Christi  betrifft,  so  schreibt  ihm  dis 
Dogmatik  unserer  Kirche  ein  dreifaches  Amt  su.  Als  Prt- 
phet  hat  er  die  höchste  Wahrheit,  den  göttlichen  Erlä- 
sungsratbschlnfs,  unter  BekrAftigung  durch  Wunder,  der 
ttenschheit  geoffenbart,  nnd  ist  ffir  deren  Verkfindiguog 
noch  immer  besorgt;  als  Boherpriester  hat  er  theiis  in  sei» 
nem  unsträflichen  Wandel  das  Gesetz  an  unserer  Statt  er- 
füllt (obedientia  activajy  theiis  in  seinem  Leiden  und  Toi 
die  Strafe  getragen,  die  uns  gebohrte  {obedientigr  passm), 
nnd   vertritt    uns  nun   fortwährend    bei  dem  Vater;  ah 


Sohlufsabhandlnng.    {•  144.  733 

KOnig  Mdlich  regiert  er  die  Welt  ond  Itiibeeondere  die 
Kirehe,  wetehe  er  ans  den  Klaipfcn  der  Brde  sar  Herr« 
lirhkeit  des  Himmels  führen,  und  durch  Auferstehang  und 
Weltgericht  rollenden  wird. 

§.    144. 
Bestreitung  der  kirohlicben  Lehre  ron  Christo. 

In  der  Lehre  Fon  der  Person  Christi  gingen  schon  die 
Reformirten  nicht  so  weit  wie  die  Lutheraner  mit ,  Indem 
sie  deren  lotste,  kühnste  Folgerung  aus  der  Vereinigung 
des  Göttlichen  und  IMenschllehen  in  Ihr,  die  communicatio 
idiomatum,  nicht  sugaben.  Die  lutherischen  Dogmatiker 
leihst  liefsen  die  Eigenschaften  der  menschlichen^  Hatur 
sieh  nicht  an  die  göttliche,  und  von  dieser  wenigstens 
nicht  alle  Kigensehaften,  wie  s.  B.  nicht  die  Ewigkeit,  an 
die  menschliche  sich  mlttheUeu  ^) ;  was  die  Reformirten 
■n  der  Einwendung  yeranlafste ;  die  Mittheilung  der  Eigen- 
tehaften  mflsse  eine  gegenseitige  und  ToUstlndlge  sein, 
oder  sei  sie  gar  keine  3  übrigens  werde  auch  schon  durch 
die  blofs  einseitige  liltthellung  von  Eigenschaften  einer 
unendliehen  Natur  an  eine  endliche  diese  nicht  minder  In 
ihrem  Wesen  aufgehoben,  als  Jene,  wenn  sie  von  dieser 
Eigensebaften  annehmen  müfste  *)^  Wenn  sich  hiegegen 
die  lutherischen  Dogmatiker  dadurch  sn  decken  suchten, 
dafs  sie  die  eine  Natur  die  Eigenschaften  der  andern  nur 
10  weit  mitbesitaen  liefsen,  uti  per  suam  indolempotest*}: 
10  war  bledurch  die  commiaiicalto  idiomatum  In  der  That 


1)  i«  die  dem  locus  de  pers.  et  offic.  Chr.  angehXngte  Oratio 
bei  Gsiuumo,  a.  s.  O«  p.  719  iP. 

2)  s.  GsattAED,  U.  tb.  i  ,  p.  685  ff»;  Mikwii»»ks ,  Instit  symb. 
i.  71  f. 

3)  RaiMUJio ,  Vorles.  Über  die  Dogm.,  S.  354«  Gemäss  dem  von 
den  Reformirten  gegen  die  Lutheraner  geltend  gemachten 
Grundsstxe  :  NuUä  natura  in  se  tpsam  recipit  contradtctorta 
Plaxck,  Gescb.  des  protest,  Lehrbegriffb^  Bd.  B,  S.  782. 


1 

734  Scfalur«abh«ndlang. '  $.  I44. 

aafgehbben  j  wie  sie  denn  aoeh  selbst  von  den  orthodovn 
Dogmatikem  nach  Reinhard  fast  durchaus  anfgegi>b»n 
worden  ist.  \ 

Aher  auch  die  einfache  Wnrael  dieses  verwiekekn 
Idlomentaascbes,  die  Vereinigung  der  göltlichen  und  mensel»- 
licbeii  Natur  au  Kiner  Person,  traf  der  Widersproci. 
Schon  die  Socinianer  llogdeten  sie,  weil  swei  Natorro, 
deren  jede  fttr  sich  schon  eine  Person  anstpache,  sob«I 
wenn  ihnen  so  entgegengesetate  Eigenschaften  Bukomoieiu 
wie  hier  die  eine  unsterblich,  die  andere  steriilich,  die  eise 
aqfangslos,  die  lindere  entstanden  sein  solle,  sich  nicht  n 
einer  Person  vereinigen  können  ^) ;  und  ihnen  stimnien  die 
Rationalisten  bei|  indem  sie  noch  besonders  hervorbebca^ 
theils  dafs  die  kirchlichen  Formeln,  durch  welche  jene 
Vereinigung  bestimmt'  werden  solle,  fast  durchaos  asr 
verneinend  seien,  und  die  Sache  nicht  anschaulich  »•> 
eben ,  theils  dafs  an  einem  Christus ,  der  mit  Hälfe  «- 
ner  inwobnenden  göttlichen  Matur  dem  Bösen  widentsa- 
den  und  sich  ^hne  Sfinde  erhalten  bitte,  der  von  aolcbef 
Ilfilfe  verlassene  Mensch  kein  wahrhaftes  Vorbild  hakcs 
könnte  ^).  , 

Das  Wesentliche  und  Haltbare  der  rationaliatischn 
Einwürfe  gegen  diese  Lehre  hat  am  schfirfsten  ScblbieI' 


4)  Fsusti  SociiM  de  Christi  natura  dixputatio.  Opp.  BibL  h 
Fol«  1 ,  p.  784 ;  Catech.  Racoir.  Q.  96  ff.  Vgl.  MAmaBnua. 
iostit.  symb.  ^.  96.  Auch  Spikosa^  ep.  2f.  ad  Oldenburg.  Of|}. 
ed.  Gfköabr,  p.  55G,  tagt :  Quod  guaedam  ecelexiae  kis  addaaif 
quod  Deus  naiuram  humanam  assumpserit,  mtomui  ejcpmtL 
me,  quid  dicani,  nescire;  Uno,  ut  vemni  fa(ear,  mtm  mtasi 
abstirde  mihi  logui  videntur;  quam  si  qvismihidicerei,  qßtd 
etradus  naturant  guadrati  induerit. 

6)  (RöHK)  Briefe  über  dön  Rationaliamus,  S.  378  ff.  \  Waescni- 
ti%^y  Intt.  tbeol.  f.  128;  BuBTScuKSiDia ,  Handb.  der  Dogr. 
2.  §.  137  ff.;  auch  Hakt,  Relig«  innerhalb  der  Gränzen  der  blosse« 
Vernunft,  2te8  Stücke  2ter  Abtchn.  b.)* 


» 


f 


Schlufsabhandiung.     §.144.^  7S$ 

MACHER  SQsamaieDgesfdlt y  ond  auch  bierin,  ^ie  io  Fielen 
Sttioked,  die  negative  Kritik  >des  kirchlichen  Dogma  can 
Ab^chlafs  geffibrt  *>  Vor  Aiiem  findet  er  bedenklich,  dab 
durcb  den  Ausdruck :  göttliche  und  menschliche  Natur, 
Göttlichen  und  Menschliches  unter  eine^  Kategorie  gestellt 
vrerde,  und  nwar  unter  die  Kategorie  Ton  Natur ,  was 
doch  wesentlich  nur  ein  beschrinktos,  hn  Gegensats  be- 
griffenes Sein  bedeute«  Dann  aber,  statt  dafs  sonst  Eine 
Matur  vielen  Eioselnwesen  oder  Personen  gemeinsam  sei, 
solle  hier  umgekehrt  Eine  Person  an  swei  verschiedenen 
Maturen  Theil  haben«  Sei  nun  Person  eine  stetige  Lebens- 
einheit,  Natur  aber  der  Inbegriff  von  Gesetaen,  nach  wel- 
chen die  LebensBustande  sich  verlaufen:  so  sei  nicht  zu 
begreifen ,  wie  zwei  durchaus  verschiedene.  Systeme  von 
Liebensznständen  in  Einen  Mittelpunkt  ausaiuraeniaufen 
können.  Besondere  klar  wird  nach  Schlbiermachkr  diese 
Undenkbarkeit  in  der  Behisuptung  eines  nweifacben  Wil- 
leos in  Christo,  welchem  man  folgerichtig  auch  einen  dop- 
pelten Verstand  zur  SeitiB  stellen  mjfiCsto,  wobei  dann,  wie 
Verstand  und  Wille  die  Persönlichkeit  s^smachen,  die 
Zerspaltnng  Christi  in  nwei  Personen  entschieden  würe. 
Zwar  sollen  die  beiden  Willen  immer  dasselbe  wollen: 
allein  theils  gibt  diefs  nur  moralische,  liicht  persönliche 
Einheit ,   theils  ist   es   von  göttlichem   und*  menschlichem 


6)  GUubenslcbre ,  2^  §^.  9€~98.  —  Indem  ich  diese  Scuuiir- 
MACHaii'sche  Kritik  aU  vollkommen  berechtigt  anerkenne, 
stelle  ich  mich  in  directen  Widerspruch  mit  dem  Urtheil  von 
RosBKKRARZ ,  welchcT  ( Jshrb.  für  wiss«  Hrit^ ,  183l.  Dec« 
S.  935—410  y,seinen  Unwillen  nicht  zurückhalten  kann  über 
die  theologisch  seichte  und  philologisch  kleinlichte  Manier, 
mit  welcher  Schlbikrmachbr  in  diesem  Lehrstück  das  Haupt- 
dogma des  christlichen  Glaubens  yon  der  Menschwerdung 
Gottes  zu  untergraben  sucht.^*  Die  Verwechslung ,  auf  wel- 
cher 'dieses  Urtheil  beruht,  wird  sich  weiter  unten  von  selbst 
suldecken. 


796  Sohlnrsabhandlung.    t*  144. 

Willen  nichl  einmal  in5fflich,  indea  ein  mensehlieher  Wil- 
le,  der  wesentlloh  nnr  EinceJnes  nnd  Eines  am  des  Andm 
willen  will)  mit  e^nem  göUlicben,  dessen  Gegenstand  im 
tianse  in  seiner  Entwicklung  ist,  so  wenig  das  Glekli^ 
wollen  kann,  als  ein  discurslTer  mensehlioher  Verstand  mk 
dem  intuitiven  göttlieben  dasselbe  denken;  woraus  Bogioek 
von  selbst  hervorgeht,  dafs  eine  Hittliellang  der  Eigrs- 
schaften  awischen  den  beiden  Naturen  sieb  nicht  sinneb- 
men  Iftfst. 

Einer  ähnlichen  Kritik  entging  auch  die  Lehre  tm 
der  Thätigkeit  Christi  nicht.  Abgesehen  von  dem,  was  ia 
formeller  Hinsieht  gegen  die  Eintbeilung  derselben  in  ik 
drei  Aemter  eingewendet  wurde,  waren  es  im  prophotiaekes 
hauptsächlich  die  Begriffe  von  Ofienbarong  und  Wunder, 
die  man  In  Anspruch  nahm,  weil  sie  weder  obJeeUv  mit 
richtigen  Vorstellungen  von  Clott  und  Welt  in  ihrem  gegeo- 
seitigen  Verhähnirs,  noch  subjectiv  mit  den  Gesetseo  dei 
menschlichen  Erkenntnifsvermögens  sich  su  vertragen  aehis- 
nen.  Unmöglich  könne  der  vollkommene  Gott  eine  Natur 
geschaffen  haben,  die  von  Zeit  au  Zeit  einer  anfserordentlh 
eben  Nachhflife  des  Schöpfers  bedfirfte,  noch  insbeeonden 
eine  menschliche  Natur,  die  nicht  durch  Entfaltung^  ib 
niitgegelkenen  Anlagen  ihre  Bestimmung  su  erreichen 
möchte;  unmöglich  könne  der  Unveränderliche  beld  auf 
diese»  bald  auf  Jene  Weise,  das  einemal  mittelbar,  das  as- 
dremal  unmittelbar,  auf  die  Welt  einwirken,  sondern  im- 
mer nur  auf  die  gleiche,  nämlich  an  sich  nnd  auf  das  Game 
anmittelbar,  ffir  uns  aber  und  auf  das  EiuEelne  aüCtelbar. 
Eine  Unterbrechung  des  Naturansammenhangs  nnd  der 
Entwicklung  der  Menschheit  durch  unmittelbares  Kingreh 
fen  Gottes  anennehmen,  hiefse  allem  vernünftigen  DenlEea 
entsagen ;  im  einselnen  Fall  aber  sei  eine  Offenbarung  and 
Wunder  als  solche  nicht  einmal  auverläfsig  bu  erkeonea, 
weil,  um  sicher  au  sein,  dafs  gewisse  Ersoheinuagen  aidic 
aus  den  Kräften  der  Natur  und  den  Anlagen  des  mensch- 


Schliirsiibhaiidlnng.    $.     144.  7S7 

liehen  Ueisteft  banrorgegangeo  seieOi  eine  ?oUetAndige  Kennt« 
ni£i  Ton  diesen,  ond  wie  weit  sie  reiehen,  erfordert  wfir^ 
de,  deren  der  Mensch  sich  nicht  rfihmen  liann  ')• 

Doch  der  Uanptanstofs  wurde  Ton  dem  hohenprlester^ 
Uclien  Amte  Jesu,  an  der  Lehre  Ton  der  Versöhnung,  ge«> 
nommen.  Zunächst  w^  es  die  anthropopatbische  Pfirbung, 
welclie  de^n  Verhiltntis'  Gottes  snr  SOnde  der  Menschen 
im  Anselmisehen  System  gegeben  war,  was  Einwurfe  her* 
Forrufen  mofste.  Wie  'es  dem  Menschen  wobl  anstehe« 
Beleidigungen  ohne  Rache  an  Ferseihen:  so,  meinte  Socik^ 
könne  auch  Oott  ohne  Oenngthnnng  die  Beleidigungen  ^ 
welche  ihm  die  Mensöhen  durch  ihre  Sauden  uufKgen, 
rergeben  ^).  Dieser  Einwurf  wurde  von  Hugo  GrotiuS 
durch  die  Wendung  ^beseitigt,  dafs  nicht  gleichsam  in  Pol* 
ge  persihilicher  Beleidigung,  sondern  um  die  Ordnung  der 
moralischen  Welt  unrerletst  su  erbalten ,  oder  vermöge 
seiner  jusiitia  recttnia,  Gott  die  Sfinden  nicht  ohne  iie* 
nogthunng  vergeben  könne  ^',  Indefs,  die  Nothwendigkeit 
einer  Oenogthuung  auch  sugegeben,  schien  doch  der  Tod 
Jesu  eine  solche  nicht  sein  eu  können«  Während  Anselm^ 
and  noch  entschiedener  Thomas  von  Aquino  *^ ,  von  cfiner 
iatisf actio  superabnndans  sprachen  ,^  läugnete  Socim,  dafs 
Christas  auch  nur  gleichviel  Strafe  getragen  habe,  als  die 
Menschen  verdient  hätten;  denn  die  Menschen  hätten,  fe* 
der  einseluQ,  den  ewigen  Tod  verdient,  folglich  hättto 
ebensoviele  Stellvertreter  als  Sünder  den  ewigen  Tod  er* 


7)  SrnioxA,  tract«  theo]«  polit  c«  6«  p«  133*  ^d*  GtHSstJi,  und 
ep.  23«  sd  Oldenburg«  p;  558  f*  Briefe  über  den  Rat,  4ter^ 
5ter,  6tcr,  12ter4    WietCHciöBm,  §§«  H,  12«    Schisibiuucmbr, 

W-  ^^*  *7.   * 

8)  Frselect.  theoh  c*  15« 

9)  In  dem  Werk :  defentio  fidei  catb«  de  satlsfsctione  Cbr«  sdv. 

.     F«  SoCtHVM« 

10)  Summa,  P«  3«  Q«  48«  A.  ?« 
Dum  Lehen  Jeni  Ue  Aufi.  //.  Band*  ^'^ 


738  Sohlofsabbandlang.    $.  144. 

leiden  mttMen :  wogegen  nnn  der  einsige  Cbristat  \U 
den  seiUieben  Tod,  tiberdiefs  eis  Eingaiig  ser  höebei 
Herrlichkeit,  erduldet  babe,  und  swar  niebt  nit  koi 
gtfttlichen  Natur,  dafa  man  sagen  kdnnte,  dieses  Lais 
bebe  nnendlicben  Werth,  sondern  mit  seiner  menscbiidM 
Wenn  hiegegen  aobon  frflher  dem  Tkomas  gegenSber  Iki 
ScoToa  ^^)j  und  nun  wieder  nwisohen  den  Ortbodoxes  ul 
den  Socinianem  Grotios  und  die  Arminianer  den  Aaiscf 
ergriflfen,  an  sich  nwar  sei  Christi  Verdienst  endlieh  f 
wesen,  wie  das  Snbjeot  desselben,  seine  nenscbliche  Si* 
tnr,  und  daher  cur  Genugthnnng  f&r  die  Sttnden  der  Wik 
nnsureiehend,  aber  Gott  habe  es  ans  freier  Gnade  Ar » 
•reichend  aeceptirt:  so  folgte  aus  der  Einräumung ,  difc 
Gott  mit  nnnnlinglicher  Genugthnnng  sich  begnfigan,  ala 
einen  Theil  der  Schuld  ohne  Genngthnung  vergeben  i» 
ne,  nothwendig,  dafs  er  auch  die  ganse  so  au  f ergebe 
im  Stande  sein.  mOsse.  Doch  auch  abgesehen  von  lUa 
diesen  näheren  Bestimmungen  wurde  die  Gmndvortteiliiil 
selbst,  dafs  Jemand  fiSr  Andere  SOndenstrafen  auf  vA 
nehmen  könne,  als  eine  rohe  Uebertragung  niedrigerer  Vcr 
hältnisse  auf  höhere  angegriflfen.  Jäittliche  VerschiiMaspi 
seien  keine  transmissibeln  Verbindlichkeiten,  es  vertnb 
sich  mit  ihnen  nicht ,  wie  mit  Geldschulden ,  wo  es  <ki 
Gläubiger  gleichgflltig  ist,  wer  sie  besahlt,  wenn  lies« 
überhaupt  beaahlt  werden ;  der  SOndenatrafe  aei  ai  ni^ 
mehr  wesentlieh,  eben  nur  Aber  den  ferhängt  au  wenki) 
der  sich  ihrer  schuldig  gemacht  hat  '^.  Kann  bit^nssb  ^ 
sogenannte  leidende  Gehorsam  Christi  kein  stellvertrecei- 
der  gewesen  sein :  so  noch  weniger  der  thätige,  da  er  ^ 
aen  als  Mensch  für  sich  selbst  schon  sn  leisten  sehiUJI 
war  **). 

11)  Conun.  in  Sentt.  L.  3*  Dist.  i9. 

11)  s.  ausser  Socw  besonders  Kaut,   Relig.  innerhalb  der  Grii« 

ccn  der  blossen  Vernunft,  2tes  Stück,  Jter  Abscbn.,  c> 
W  TttuAssy  der  thätige  Gehör ssm  Christi  untersucht.    1761» 


■^ 


SchiarsabhaDdlong.    $•  145.  'YW 

In  Betreff  des  königlichen  Amtes  Chijetl  t#ftt  die  BeS- 
lung  aaf  «eine  einstige  Wiederkanft  enm^Qerieht  im  Bü- 
vnfatgein  der  Gemeinde  in  dem  MeaCse  nnrflelt,  als  die  IkUt 
Icht  von  einer  gleich  na^h  dem  Tode  jedes  Einzelnen  toü» 
tAndig  eintretenden  Vergeltung  erstarkte,  wifdureb  Jener 
Jigemeine  Gerlobtsact  als  ttberflassig  eracheiiieo  mnfstn  ^)» 

$.     145. 
Die  Christologie  des  l^stieasUtmus. 

An  die  Stelle  des  kirchlichen  Dogma  von  Christus, 
einer  Person  and  seinel»  Wirksamkeit,  welches  sie  als  in 
loh  widersprechendes,  nntEloses,  ja  der  Fähren  morali- 
lehen  Religiositfit  schfidliohes  verwarfen,  setsten  nun  die 
Istionalisten  eine  Lehre,  welche,  mit  Vermeidiing  jener 
kVidersprflche ,  Jesnm  doch  noch  als  eine  in  gewissem 
}inne  göttliehe  Erscheinung  festliaiten,  ja,  recht  erwogen, 
hn  weit  erhabener  hinstellen,  und  dabei  die  krfifdgsteii 
lntriel»e  su  praktischer  Frömmigkeit  enthalten  sollte  ^). 

Ein  ^tlHcher  Gesandter,  ein  besonderer  Liebling  nrtd 
Pflegling  der  Gottheit,  sollte  Jesus  bleiben,  sofern  er 
lorch  die  Veranstaltung  der  Vorsehung  mit  einem  ausge* 
seiehneten  Maafse  •  geistiger  Vorsfige  anägerflstet,  unter  ein 
i^olk  und  in  ein  Zeitalter' versetst,  und  sein  Lebensgang  so 
geleitet  wurde,  wie  es  seiner  Entwicklung  eu  dem,  was 
iv  werden  sollte,  am  gttnstigsten  war;  sofern  namentlich 
(erade  diejenige  Todesart  ober  ihn  berbeigeffihrt  wurde, 
welche  die  Wiederbelebung,  von  der  das  Gedeihen  seines 
raneen  Werkes  abhing,  möglich,  und  CmstXnde,  welche 
iieselbe  wirklich  machten.  Glaubt  hiemit,  auf  seine  na^ 
lörliche  K^^iriibüng  und  seine  ffofseren  Schicksale  gesehen, 
lie  rationalistisehe  Vorstellung  von  Christo  hinter  der  or» 


l4)  WsetCHtiDBRy  $•  |99« 

1)  Vgl.  cum  Felgcnden  besonders  die  Briefe  über  den  Ration«, 
lismus,  S.  S71  ff.;  WessciisiDsn,  §<.  128.  13^.  140. 

47  • 


9411  SohlursabbaiidioDg.    |.  145. 


ikodoxen  aklhl  weaentUcb  surfickBobleiben,  indem  er  aieii 
4br  dar  erbab^nece  Mensch  ist,  der  Je  aof  Krdte  waodelii, 
-•Id  Uero«)  In  dessen  Sohicbsalen  sieh  die  Vorsehoog  ii 
höchsten  Grade  verherriiebl  hat:  so  glaubt  sie,  wenn  »il 
ilie  Innere  Kntwieklang  ond  freie  Thätigkeit  Jesu  geaebei 
Wird^  die  hireiittebe  Lehre  wesentlich  eu  fiberbieten.  Witt- 
rend  der  kirchliche  Christus  ein  unfreies  Automat  sei,  da« 
sen  Menschheit  als  todtes  Organ  des  Göttlichen  sieh  rtf- 
halte,  sittlich.  FoUkommen  handle,  weil  sie  nicht  sttmiiga 
könne  I  und  ebendefswegen  weder  sittliches  Verdienst  habei, 
noch, Gegenstand  der  Achtung  und  Verehrung  sein  koaoe: 
habe  nach  ;ri|tionalisti8cher  Ansicht  die  Gottheit  in  Jeiu 
jiur  die  natürlichen  Bedingungen  dessen,  was  er  irerda 
sollte^  g^^gt)  da(s  er  es  aber  wirklich  wurde,  sei  d« 
/Kesnltat  seine)?  freien  Selhstthfttlgkeit  gewesen.  Sei» 
bewundernswürdige  Weisheit  habe  er  sieb  durch  sweek- 
mäfsige  Anwendung  seiner  Verstandeskräfte  und  gecriuea* 
hafte  Benfitauttg  der  ihm  eu  Gebot  stehenden  Hfilfsmittel, 
affine  sittliche  Gröfse  durch  eifrige  Ansbilduog  seiner  m«- 
ralischen  Anlagen ,  Beaähmung  seiner  slnnlifshen  ^eigiu- 
gen  und  Leidenschaften ,  und  aarte  Folgsamkeit  gegen  die 
Stimme  seines  Gewissens ^  erwarben,  und  eben  nur  hie* 
auf  beruhe  dias  Erhabene  seiner  Persönlicbkait ,  das  & 
mnnternde  seines  Vorbildes* 

Die  Thätigkeit  Jesu  anlangend,  hat  er  aieh  asi  die 
Menschheit  ror  Allem  dadurch  verdient  gemaeht,  dabtf 
ihr  eine  Religionslehre  mittheilte,. welcher  um  ihrer  Reti* 
beit  und  TreSliehkeit  willeip  mit  Recht  eine  gewisse  gfitf* 
liehe  Kraft  und  Wfirde  Bugeschriebea  wird ,  und  dafi  tf 
diese  durch  das  gläaaende  Beispiel  seines  eigenen  Waoddf 
auf  die  wirksamste  Weise  erläuterte  und  bekräftigte.  0^ 
ses  prophetische  Amt  Christi  ist  bei  Soeinianern  uad  ib- 
tionalisten  der  Mittelpunkt  seiner  Thätigkeit,  auf  welch« 
sie  alles  Andere ,  namentlich  was  die  Kircbenlehre  wrt^ 
dem  hohenpriesterlicheu  Amte  begreift,  immer  wieder  ff* 


SobUrsabbiodJttng.  $•  HS«  741 

fiokftthreB.  Der  sogenannte  tbaende  .Oeboreem  bei  hier 
hnebin  nor  als  Beispiel  Wertb{  aber  aiieb  der  Tod  Jesn 
olhe  die  Silndenvergebang  nor  durah  Vermhtlnng  der^Bee« 
erung  bewirken^  entweder  so,  da(s  er  als  Beslqgelmig  «et» 
er  Lehre ,  und  Vorbild  anf opfernder  PfliohtnrfiÜlnng , i  den 
'ogendeifer  belebe,  oder  so^  dab  er  als  SeWelet.derCiiebe 
lottes  an  den  Meniehen,  seiner  Geneigtheit^-  dMi  Qtrfies* 
BrCen  an  Tergeben,  den  sitelichBn  Miith  eeh^be  ^  -  '  : 
Wenn  Christas  nieht  mehr  geweeen  ist.  nnd  g^ap  batj 
Is  diese  rationalistisebe  Lehre  Ihn. sein  nnd  thwe.llifilt:  aoi 
ieht  man  nieht,  wie  die  FrdmmIgiMit  dann  k^mmiy  ibyq 
II  ihrem  besondem  Gegenstände  an  machen^  ifnd^dll^'Deg) 
latik,  eigene  Sfitae  Ober  ihn  ai|ftn#telleiv  WirUieh.bM 
en  daher  conseqnente  Ratioaalisten  nngesta)Nianc^:Wfas|4ia 
rthodoxe  Dogmatik  Christologie  nenne  y  trtite-  iln  jTatiena'* 
ifttitohen  System  gar  nieht  als  ein  integrirender  Theil  deer 
elben  auf,  da  dieses  System  swar  ana  #iner JR^digieni  be* 
tehe^  die  Christas  gelehrt  baboi  nieht  aber  ans  einer^  4ß* 
en  Objeet  er  selbst  wäre.  Heifse  Christologie  Messias- 
)hre :  so  sei  diese  nnr  eine  Hfllfslehre  für  die  Joden  gp^ 
'e«en ;  aber  auch  im  edleren  Sinn ,  als  Lehne  vfOQ  deas 
eben,  den  Thaten  nnd  Schicksalen  Jesn  als  göttlichen 
esandten  ,  gehöre  sie  nieht  snm  Glanbenssystem ,  da  all- 
emeine  religiöse  Wahrheiten  mit  den  Vorstellnngen  über 
ie  Person  dessen,  der  sie  anerst  ausgesprochen,  ebenso- 
wenig Busammenhlngen ,  als  man  in  dem  System  der 
BiBNiz  -  WoLrisehen ,  oder  KANTisehen ,  oder  FiCBTa^eeben 
udScHaLUKo'sohen  Philosophie  als  philosophische  Sfttae  daa^ 
^nige  anfiitcdie,  was  man  ron  der  Persönlichkeit  ihrer  Ur» 
eher  au  halten  habe.  Nor  aar  Religionsgesehichte,  nicht 
Br  Religion  könne  das  die  Person  nnd  Wirluamkeit  Jes» 
etreifende  gehören,  und  der  Religionslehre  nnr  entweder 


2)  s.  die,  rerschiedenen  Ansichten  bei  Bsstschnsioiii,  Dogai,  2) 
S.  353.  i  syttematiiehe    Entwicklung,  ^.  107. 


742  »olilaCftiibbandlang.    §•  146. 

als  gesohiehdiobe  Einleitang  vomngetoblokt,  oder  aU  e^ 
lioterndar  Nachtvag  beigegeben  werden  ^  Hienaeb  baut 
aeboD' BwKS  in  aeinen  Lineamentan  die  Chriatologie  tk 
aeUbstotiiidigen  Haiipttheil  der  Uogmatik  anfgehoben,  aai 
ale  der  AnCbreplilogie  ats  Unterabibeiiang  beigegeben. 

flleflurbb  tritt  nan  aber  der  RationaUsmua  in  ofiTeaea 
Wideratreit  mit  dem  ehristliehen  Olaalieny  indem  er  dai> 
Jenige,  Uraa  dt^m  der  Mittelponlit  nnd  EclLstein  iat,  dit 
Lebi^  TM  Cbriitnai  in*  dta  Hintergrond  eh  rfleken,  ja 
afna  der*D6gmatik'  tfa  irerbannen  foehtt  Ebendanit  aiicr 
lalf  aoob  die  CnKolängiiebkelt  des  rationalistischen  Systemi 
entS^Medett',*  weil  es  das  nicht  leistet,  was  Jede  Glanben*- 
M»e^  leli^enr  soUt  dem  Glauben,  der  ihr  Gegenstand  ist, 
«Mlkfr'dM'Miqaateti  Ansdirack  au  geben,  nnd  ihn  awei- 
tenalnit  dei^*Wlsseni0ebaft  in  ein  —  sei  es  positlrea,  oder 
Hflgatvres  —  ferbiltniTs  s«  setaen.  Hier  nnn  ist  Aber  desi 
BeatrebMi ,' d«n  Olanben  mit  der  Wissenschaft  in  Einklang 
sH'brtngen,  der  Ansdi^ck  desselben  verkammeH:  denn 
ein  Christus,  nnr  als  ansgeaelchneter  Mensch,  macht  swar 
dem  Begreifen  keine  Sohwierigkeit,  aber  ist  nicht  der- 
jenige, tfn'Weleben  die  Kirche  glaubt, 

f    14«. 

Eioe  «klektitche  Christologie.    SciujiuikMAcaBm, 

Beide  Uelielstinde  nu  vermelden,  und  die  Lehre  toi 
Christo  ohne  BeeintrKebtigung  des  Glaubens  so  sa  fasseo^ 
dafs  die  Wissenschaft  ihr  niobt  den  Krieg  so  erfdirea 
branobt  ^j,  ist  nun  daa  Bestreben  desjenigen  Theolegea 
geweaen ,  welober  einerseita  die  negative  Kritik  des  Ratia- 
naliamus  gegen  die  Kirchenlehre  vollstSndig  in  aich  aaf- 


S)  R»UR,  Briefe,  S.  36.  405  ff. 

■ 

t)  ScRLSiBEBKAGiim ,    Über  seine  GUubenslehre ,   an  Dr.    L2an. 
Zweites  Sendschreiben»    Studien  2,  3,  S.  48|  IT. 


Beiilafsakhandlang.    $•   146. 


74S 


genommoDi  Ja  noch  geiohirft|  andrerteiti  aber  doob  iiooh 
das  We»entliabe  des  positiv  ehristiiohen  OehalteSy  der  den 
Rationalismas  Tarieren  gegangen  war,  festsahalten  rer« 
sueht  haly  nnd  daher  Vielen  in  der  letaten  Zeit  der  Retter 
aus  der  Knge  des  Supranataralismos  und  der  Leere  des 
Rationaliamos  geworden  ist.  Jene  Vereinfaobong  des  Glau- 
bens bringt  ScHLKtSRUACHBa  dadnreh  an  Stande ,  dars  er 
weder  protestantisch  von  der  Sehriftiehre ,  noch  auch  ka« 
tholiaoh  von  den  Restimnnngen  der  Kirche  ausgeht,  &m 
er  aof  beide  Weise  einen  bestimnit  entwickelten  Inhalt 
bekommen  würde,  der,  in  frfiheren  Jahrhunderten  ent* 
standen,  mit  der  heutigen  Wissenschaft  ^ch  nothwendig 
verwiokeln  mlirste:  sondern  er  geht  vom  christlichen  Be« 
wulstaein ,  von  der  inneren  Erfahrung  aus,  die  Jeder  Aber 
das,  was  er  am  Christenthum  hat,  in  sich  selber  macht, 
nnd  bekommt  so  einen  Sto£F,  der  als  Gefühltes  ein  minder 
KestimiDtes  ist,  dem  daher  durch  dialektische  Entwicklung 
leichter  eine  Form  gegeben  werden  kann,  welche  den 
Forderongen  der  Wissensobaft  genngthut. 

Als  Glied  der  christlichen  Gemeinde  *-  diefs  ist  dei^ 
Ausgangspunkt  der  ScBLEiERMACHSR'sohen  Christologie*)  — 
bin  ich  mir  der  Aufhebung  meiner  Sllndhafkigkeit  und  der 
Mltthetlung  schlechthiniger  Vollkommenheit  bewufst,  d.  h. 
ich  faliie  in  dieser  Gemeinschaft  die  fiinfldsso  eines  sfind- 
losen  und  vollkommenen  Priacips  auf  mich.  Diese  Kin- 
flOsso  können  von  der  christlichen  Gemeinschafc  nicht  in 
der  Art  ausgelien,  dafs  die  Wechselwirkung  ihrer  Mit- 
glieder sie  hervorbrSchte ;  denn  in  Jedem  einseinen  von 
diesen  ist  Sflnde  und  Unrollkommenheit  gesetst,  und  das 
Ziisammenwiriien  von  Unreinen  hat  nie  etwas  Reines  cum 
Resultate.  Sondern  der  Eiiiflufs  eines  Solchen  mufs  es 
sein,  der  einestlieils  Jene  Saadlosigkeit  und  Vollkommen« 
heit  als  persönliche  Eigenschaften  besafsj^  und  anderntheils 


\^ 


2)  GUubenUelire ,  2y  %$.  92— 105< 


.     ♦ 


744 


SSeblarsubliiipillmig.     $.  149. 


mit  der  chrisUiöheo  Gemeinschaft  in  einem  VerhiltBib 
steht,  vermöge  dessen  diese  Eigenschaften  von  ihm  sieb 
ihr  mittheileu  können :  d.  h. ,  da  Tor  dieser  Mittheiiii| 
die  christliche  Gemeinschaft  als  solche  nicht  vorhandM 
gewesen  sein  liann,  ihr  Stifter  war*  Waa  wir  in  ans  ab 
Christen  bewirkt  finden,  daraas  scbliefsen  wir,  wie  immr 
von  der  Wirkung  auf  die  Ursache  geschlossen  wird,  aif 
die  Wirksamkeit  Christi  yorOcfc,  and  ans  aetner  Wirk* 
aamkeit  auf  seine  Person ,  welche  die  FChIgkeit  gebik 
haben  mufs,  solches  aa  bewirken, 

Nüher  ist  nan,   was  wir  in  der  christlichen  Gesieiii- 
sohaft  in  ons  finden,   eine  KrXftignng  des  Gottesbewsh» 
aeius  in  seinem   VerhSltnifs   snm   ainnlioben,    d,  h.  wir 
finden  ea  vns  erleichtert,  di^  Uebermacht  der  SionlieUdt 
in  ans  an   brechen,   alle  Eipdrficke,   die  wir  empfaogai, 
aaf  das  religiöse  Gefühl  ao  beeiehen,   nnd   hinwiedena 
alle  Th&tigkeiten   aas  demselben   hervorgebea  *Bn  Issses. 
Nach  dem  Obigen  ist  die(a  die  Wirkung  Christi  aaf  vm^ 
welcher  die  Kriftigbeit  seines  Gottesbewolstseins  ans  mh* 
theilt,    von  der  Knechtschaft  der  Sinnlichkeit  and  Sfinde 
uns.  befreit ,   und  hiemit  der  Erlöser  ist.     In  dem  GefoU 
des  gekräftigten  Gottesbewnfstseins,  welches  der  Christ  ii 
der  Gemeinschaft  mit  seinem  Erlöser  hat,  werden  die  Bea- 
mungen   seines   natürlichen    und   geselligen   Lebens  niciit 
sogleich  als  Hemmangen   des  Gottesbowuftflaeins  eBpfta* 
den;   sie   anterbrechep  nicht  die  Seligkeit,   welche  er  is 
aeinem  innersten  religiösen  Leben  geniefst;  was  man  sont 
Uebel  and  göttliche  Strafen  nennt,   ist  es  fttr  ihn  nkk, 
und  insofern  es  Christus  ist,   der  ihn  durch  Aufoabne  ii 
die  Gemeinschaft  seiner  Seligkeit  hievon  befreit,  könnt 
diesem  neben  der  erlösenden  auch  die  versöhnende  Tbitig- 
keit   au.   —  Hienach  allein  ist  denn    auch  die  kirohlida 
Lehre   von   dem   dreifachen   Amte  Christi  Jiu   versteheo* 
Prophet   ist   er,    sofern   er  nllsht  anders,    als  riorch  dsi 
Wort;  durch  S^Ib^tdarstellmig  ttberhaiipt,  4ie  Meaü^t^Nt 


Schlursabbandlang,    $.  UC«  745 

n  «ieh  sieben  konnte  i  so  dfifs  4or  Hkuptgegenstand  sol- 
ar Lehre  eben  seine  Person  war;  Hoberpriester  nnd  nu* 
letch  Opfer  Ut  er,  sofern  er,  der  Sändlose,  ans  dessen 
dasein  sich  daher  auch  kein  Uebei  entwickeln  konnte,  in 
te  Gemeinschaft  des  aindlicben  Lebens  der  Menschheit 
[ntrat,  nnd  die  in  .demselben  eraengten  Uebel  auf  sich 
alnii^  iini  aofort  uns  in  die  Gemeinschaft  seines  sQndlo- 
Bu  and  seftgoa  Lebens  anfannebmen,  d.  b. ,  SOnde  and 
febel  aach  in  nnd  Ar  uns  aufacheben,  und  ans  vor  Gott 
ein  darsnstelien;  KSnig  endlich  ist  er,  sofernv  er  diese 
«gnongen  eben  .  in  Form  '^kiM%  Gemeinwesens,  dessen 
lanpt  er  ist,  an  die  Menschheit  bringt 

Ana  diesem  nun,  was  Cbristua  wirkt,  ergibt  sich^ 
ras  er  gewesen  ist.  Verdanken  wir  ihm  die  immer  stel* 
ende  Kräftigung  unseres  Gottesbewnfstseins:  so  mofs  diefs 
n  ihm  in  absoluter  Ki*fiftigkeit  gewesen  sein,  jo  dafs  ee, 
der  Got't  in  Form  des  Bewofstseins,  das  aliein  Wirksame 
n  ihm  war;  nnd  dieb  ist  der  Sinn  des  kirchlichen  Ana» 
irucks,  dafs  Gott  in  Christo  Mensch  geworden  ist.  Wirlift 
srner  Christus  in  uns  die  immer  vollständigere  Ueber* 
vindung  der  Sinnlichkeit:  so  mufs  diese  in  ihm  schlechthin, 
iberwunden  gewesen  sein,  in  keinem  Augenblick  seinea 
icbens  kann  das  sinnliche  Bewurstsein  dem  Gottesbewnf st- 
ein den  Sieg  streitig  gemacht,  nie  ein  Schwanken  und 
kämpf  in  ihm  stattgefunden  haben ,  d*  b,  die  menschliche 
*iatur  in  ihm  war  unsttnc^lich,  und  ewar  in  dem  strenge^ 
an  Sinn,  dafs  er,  vermöge  dea  wesentlichen  Debergewichta 
ler  höheren  Kräfte  in  ihm  über  die  niederen,  unmöglich 
ündigen  konnte.  Ist  «er  durch  diese  Eigenthümlichkeit 
eines  Wesens  das  Urbild,  welchem  seine  Gemeinde  sich 
mmer  nur  annähern,  .nie  Aber  dasselbe  hinauskommen 
Lann :  so  mufs  er  doch  —  sonst  könnte  Ewbchen  ihm  nnd 
ins  keine  wahrhafte  Gemeinschaft  stattfinden  —  unter  den 
[ewöhnliohen  Bedingungen  des  menschlichen  Lebens  itich 
•ntwickelt   haben,  das  Urbildliche  Auls  in  ihm  voUkom- 


746  ttoblDftabhandluQg,     S«  IM' 

meu  gesolitchclioh  geworden  sein.  Jeder  leiner  getehlehi- 
liehen  Momente  sogleloh  das  Drbtidlicbe  in  eleb  getragen 
haben  f  und  dieb  ist  der  elgeneiiohe  Sinn  der  kirctüiebea 
Formel,  daf«  die  gttttiiehe  und  menscbliehe  Natur  io  iba 
nn  Biner  Person  rereinigt  gewesen  seien. 

Nur  so  weit  llfst  sich  die  Lehre  von  Christo  ans  der 
Inneren  Erfahrung  des  Christen  ableiten,  nnd  so  weit 
widerstreitet  sie,  nach  Schl^ikemachkr,  aneb  der  Wtsseo- 
aehaft  nicht:  was  im  kirchlichen  Dogma  darüber  hinans- 
gebt,  —  nnd  gerade  das  ist  es,  was  die  Wissenschsift  an- 
fechten mofs  —  wie  namentlich  die  fibernatürliche  Emen* 
gnng  Jesu  und  seine  Wunder,  auch  die  Thatsaclien  der 
Anferstehung  und  Himmelfahrt,  so  wie  die  Vorhersagmi. 
gen  von  seiner  Wiederknnft  eom  Gerichte,  können  nickt 
als  eigentliche  Bestandtheile  der  Lehre  von  Christo  auf« 
gestellt  werden.  Denn  derjenige,  von  dessen  Einwirkong 
nns  alle  Kräftigung  unseres  Gottesliewnistseins  komast, 
kann  Christus  gewesen  sein,  anch  wenn  er  nicht  leibfieb 
attferstand  nnd  in  den  Himmel  sieh  erhob  n.  s«  f.:  ao  deb 
wir  diese  Tbatsachen  nicht  defswegen  glauben,  weil  sie 
In  unserer  Inneren  Erfahrung  mitgesetat  wfiren,  aondem 
nur  weil  sie  in  der  Schrift  stehen ;  also  nicht  sowohl  nf 
fttligiSse  und  dogmatische,  als  vielmehr  nur  auf  hbto- 
rische  Weise. 

Gewifs  ist  diese  Christelogie  eine  sehr  schdiie  Ea^ 
Wicklung,  und  in  ihr,  wie  wir  später  sehen  werden,  dss 
Möglichste  geleistet,  um  die  Vereinigung  des  Gdttliebea 
und  Menschlichen  in  Christo  als  einem  Individnun  anaebsa- 
llch  SU  machen  ^;  allein  wenn  dieselbe  Beides,  aowehi 
den  Glauben  nnverkfirst,  als  die  Wissenschaft  nnverletit 


1)  Auch  hier  befinde  ich  mich  im  Gegenssts  gegen  RotsKuiss, 
welcher  a.  a.  O.  die  ScHLBiBHMACusa^tche  Ghrittologie  eine 
gequXlte  Entwicklung  nennt. 


Schlnfsabhandlang.    f.  146.  747 

so  erhalten  «eliit:  00  mufs  gesagt  werden,  dafs  sie  sich 
in  Beidem  tXasebt  ^. 

Der  Widerstreit  mit  der  Wissensehaft   knfipft  sieh 
snnXehat  an  die  Fermel,  In  <}hri8tiis  sei   das  Drbildliebe 
sngleieh  geschichtiteb  gewesen.    Oafs   diefs  ein   gefkhril- 
eher  Ponkt  sei,   ist  ScHLKiBRBfACHaa'n  selbst  niebt  entgan- 
gen*    Kaum  hat  er  den   beseiehneten  Sats  aufgestellt,  so 
sagt  ar  sieb   aoeh  «eben,    wie  sebwer  es  an  denken  Ist, 
dala  das  Drbildliebe  in  einem  gescbichtlieben  Kidaelwesen 
YoUständlg  aar  Wirkliehkelt  gekommen  sein  sollte,  da  wir 
das  Urbild  sonst  nie  In  einer  einseinen  Erscbeinnng,  son- 
dern, nnr  in  einem   gansen  Kreise  von  soleben,   die  sieb 
gegenseitig  ergftnsen ,  verwirklicht  finden.     Zwar  soll  nun 
die  UrbildÜcbkeit  Christi  keineswegs  auf  die  tausenderlei 
Besiebongen  des  menschlich- n  Lebens  sich  erstrecken,  so 
dafs  er  auch  filr  alles  Wissen,   oder  alle  Kunst  und  Ge- 
sckiekliehkelt,    die  sich  In  der  menschlichen  Gesellscbafit 
entwickelt,   urbildiicb  sein  mfifste,   sondern  nur  fttr  das 
Gebiet   des^  Gottesbewufstseins :    allein   diefs  Indert ,  wie 
ScBMiD   mit  Recht  bemerkt,   nichts,   da  auch  das  Gottes« 
bewttfstneln  In   seiner  Entwicklung   und  Erscheinung  den 
Bedingungen  der  Endlichkeit  und  UnTollkommenheit  unter» 
worfen    Ist,    und    wenn  auch  nur  In  diesem  Gebiete  das 
Ideal  In    einer  eineeinen  historisohen   Person  als  wirklich 
anerkannt  werden  soll,   diefs  nicht  geschehen  kann,  ohne 
die  Gesetse  der  Matnr  durch  Annahme  eines  Wunders  eu 
dufchbrechen.    Doch  diefs  schreckt  ScHLEiBRMAcHER*n  kei- 
neswegs  Eurllck,  sondern   eben   hier,    meint  er,   sei  der 
elnslge  Ort,  wo  die  cbristlicbe  Glanbenslebre  dem  Wun- 


4)  IHest  ist  such  Jbereits  in'  ien  hamhsflesten  Beurtkeiiangen 
des  ScMLannMAcaaa'schen  Systems  sum  Bewusstsein  gekom- 
men ;  vgl.  Bjumss^  Über  SciasixRaucuBii^s  Glaubenslehre ',  H. 
ScHMio ,  über  Scia.  Glaubensl.  S.  263  ff.  f  Baur,  die  christl. 
Gaosis,  S.  626  ff.  >   und  die  angcf.  Recens.  von  Rosskkaaaz. 


749  Sohlurtabhandlung«    %•  IM» 

der  In  sich  Raom  gaben  milssey  indeat  die  Bntstehoii 
der  Person  Christi  nar  als  Ergebnifs  eines  sehöpferiseiici 
gdtüiehen  Aotes  begriffen  werden  kSnne.  Zwar  soll  du 
das  Wonderbare  opr  auf  deo  ersten  Eintritt  Christi  in  dk 
Reihe  des  Daseienden  besohrl^nlKt  werden,  nnd  seine  gUM 
weitere  Entwicklung  allen  Bedingangen  des  endlichen  0^ 
aeina  unterworfen  gewesen  sein:  aber  diefs  Ziigestlndni& 
kann  den  Rits,  der  dureh  Jene  Behauptung  in  die  pn« 
wissenschaftliche  Weltansicht  gemaeht  ist,  nioht  beilei, 
und  am  wenigsten  können  vage  Analogien  etwas  helfen, 
wie  die:  so  gut  es  nooh  Jetat  möglich  sei,  da(s  Msterii 
sieh  balle  und  im  unendlichen  Raum  au  rotiren  beginne^ 
mtfsse  die  Wissenschaft  auch  eInrXomen,  es  gebe  eine  E^ 
aoheinnng  im  tiebiet  des  geistigen  Lebens,  die  wir  sbm 
so  nur  als  reinen  Anfang  einer  höheren,  geistigen  Lebeoi* 
entwicklong  erkiftren  können  % 

Zumal  man  durch  di^se  Vergleichuttg  an  das  erinnert 
wird,  was  Braniss  besonders  geltend  gemacht  hat,  d»fs 
es  den  Gesetaen  aller  Entwicklung  auwider  würe,  des 
Anfangspunkt  einer  Reihe  als  ein  Gröfstes  su  denken,  sn' 
also  hier  in  Christo,  dem  Stifter  des  Gesammtlebens,  dat 
die  Kräftigung  des  Gottesbewufsteeins  cum  Zwecke  bat, 
die  Krfiftigfceit  desselben  als  schlech(;hinige  vorsostellen, 
was  doph  nur  das  unendliche  Ziel  der  Entfaltong  da 
von  ihm  gestifteten  Gesammtlebens  Ist.  Zwar  gibt  ancti 
ScBLSiaaitfACHBR  in  gewissem  Sinn  eine  Perfectibilitfit  dei 
Christenthums  au:  aber  nicht  Ober  daa  Wesen  Christi  hin- 
aus, sondern  nur  Aber  seine  Erscheinung.  O.  h»,  die  Be- 
dingtheit nnd  UnroUkommenheit  der  VerhiÜtnisse  Chrifd, 
der  Sprache,  in  welcher  ef  sich  ausdrfickte,  der  Natio- 
nalität, innerhalb  deren  er  stand,  habe  auch  aein  Deokes 
und  Thuq  af&cirt,  aber  nur  *dl9  Aufsenseito:  der  innere 
Kern  desselben  sei  dennoch  wahrhaft  nrbildlich  geimea; 


5)  Im  2ten  Sendschreiben. 


Sehluraabhandlong.    S«  IM.  749 

and  wenn  nun  die  Cbristeabelt  in  ihrer  FovCenCwickluog 
in  Lehre  und  Leben  Ismer  mehr  Jene  temporellen  und  na- 
tionalen Sehranken  niederwerfO|  in  welchen  Jean  Thnn  und 
Reden  sieh  bewegte :   so  sei  dlefa  kein  Hiuansgehen  fiber 
Cbristnoi,  aondem  nnr  eine  um   so  follatlndigere  Darie- 
l^ng  aeinee  inneren  Weaena*    Allein,  wie  Scbmio  grilnd- 
iieh  naohgewiesen  bat,  ein  gesebiebtlicbea  IndiTidnum  ist 
eben  nnr  das,  was  von  ibm  ersobeint,  sein  innere«  Wesen 
^wird  in  seinen  Reden  und  Handlongen  erkannt,  an  seiner 
l£igentbOniliebkeit  gehört  die  Bedingtheit  doreb  Zeit-  und 
\olksTerhIltniase  mit,  und  was  hinter  dieser  Erscheinung 
als  An  sich  snriiokliegt ,   ist   nicht  das   Wesen  dieses  In- 
dividuums, sondern  die  allgemeine  menschliche  Natur  Ober- 
haupt,'welche  in  den  £inaelnen  durch  Individoalicfit,  Zeit 
nnd  Umstände  beschränkt,  enr  Wirklichkeit  kommt.  Uvber 
die  geschichtliche  Erscheinung  Christi  hinausgehen,  hei&t 
also  nicht  uum  Wesen  Christi  sich  erheben,  sondern  aur 
Idee  der  Menschheit  (Iberbaopt,   und   wenn  es  Christus 
noch   sein  soll,   dessen    Wesen   sich  darstellt, 'wenn   mit 
Wegwerfung  des  Temporeüen  und  Nationalen  das  Wesent- 
liche aas  seiner  Lehre  nnd  seinem  Leben  fortgebildet  %%ird: 
so  könnte  es  nicht  schwer  falten,  durch  ähnliche  Abstrac- 
tion  auch  einen  Socrates  ab  denjenigen  darsnstellen,  Ober 
welchen  in   dieser   Weise   nicht    hinausgegangen   werden 
lidnne. 

Wie  aber  weder  Oberhaupt  ein  Individuum,  noch  Ins- 
besondere ein  geschichtlicher  Anfangspunkt  Euglelch  urbild- 
lieh  sein  liann:  so  will  auch,  Christum  bestimmt  als'Men- 
8chei|  gefafst,  die  urbudl^he  Entwicklang  und  Beschaf- 
fenheit, wdehe  ihm  ScuLBiiRMAcnBR  suschreibt,  mit  den 
Gesetsen  des  BMuscbllchen  Daseins  sich  nicht  vertragen. 
Die  Unsflndlichkrit ,  als  DnmdgUehkeit  des  BOndlgens  ge- 
fafst, wie  sie  in  Christo  gewesen  sein  soll,  ist  eine  mit 
der  mensclilicben  'Natur  gans  unvereinbare  Eigenschaft , 
da  dem  Menschen  vermöge  sein^  von  sinnlichen  wie  ver- 


750  SohlnTiiAbhandlong.    S*  14II. 

Dfinftigen  Antrieben  bewegten  Fretbeit  die  Mdgllehkcit  4ei 
SOndigene  wesentlich  iah     Und  wftnn  Cbrbtae  eoger  tm 
«Uem  innern  Kampf,  von  jeder  Sohwanhang  des  geistigtt 
Lebens  awiachen  tiat  ond  Böae,   frei  gewesen  «ein  aell: 
so  könnte  er  vollends  keta  Menseh  wie  wir  gewesen  aeia« 
da    die   Wechsel wirkang,    in    welcher    berm    Menaehca 
sowohl  die  innere  Geisteskraft  flberhaopt  mit  der  aef  sis 
einwirkenden  .Aaraenwelt,  als  insbesondere  die  hdliere,  re- 
ligiössittliche   Kraft    mit    der    sinnliehen  Oeiateatbfitigksh 
steht,   noth wendig  als  Kampf  enr  Krscheinang  kommt  *> 
So  wenig  aber  auf  dieaer  Seite  der  Wisseaaehafit ,  st 
wenig  thnt  die  in  Rede  stehende  Christologie  anf  der  an- 
dern Seite  dem  Glanben  genug.   Dm  von  denjenigen  Panktts 
abausehen,  wo  sie  für  die  kirchlichen  Bestimmongen  wenij^ 
stens  annehmliche  Surrogate  eu  bieten  weifa,  Ober  weleb« 
sich  jedoch  gleichfalls  streiten  liefse,   ob  sie  völligen  Er 
aate  gewähren  ') ,    tritt  diefs  am  schreiendsten  in  der  Be- 
hauptung hervor,   die^  Thatsachen  der  Auferatebung  md 
Himmelfahrt    gehören    nicht  wesentlich   aum   ehriatUehes 
Glauben.    Wllhrend  doch  der  Glaube  an  die  Anferatehvag 
Christi  der  Grundstein  ist,   ohne  welchen  die  ehriadidM 
Gemeinde  sich   nicht  hätte  aufbauen   können ;   aaeh  Jetit 
noch  der  christliche  Festcyclus,   die  ftufsere  Oaratellaag 
des  christlichen  Bewuf«tseins ,    keine  tödtlichere  VeratA» 
melung  erleiden  könnte,  ala  wenn  ans  demselben  daa  Oste^ 
fest  ausgebrochen  würde ;    überhaupt  im  Glauben  der  Ge- 
meinde der  gestorbene  Christus  nicht  sein  könnte,   wsi 
er  ist,    venn  er  nicht  augleich   der   Wiedererstaadaas 

wire. 

Zeigt  Mch  an  der  SGHLSiBRMACHaa'schen  Lehre  von  iet 
Person  und  den  Zuständen  Christi  besonders  ihre  doppda 
UnaniängÜchkeit,  in  Beang  auf  Kirchenglanben  nnd  Wii- 


€)  ScHMiOy  a.  A.  O« 

7)  Vgl.  RotaRKRAss,  a.  a.  Q.  S.  9S5  tf^ 


SoblufaabbandlBng«    §.   146.  '      751 


•enschaft :  lo  wirdani  der  Lehre  von  der  WirkaamkellCbri* 
ati  erfaelieiii  daCii  did  dem  enteren  nur  co  weil  ^enog  an 
tliun,  al«  hier  geaehieht^  Mo'aoleher  Widerapmeh  g^geo 
die  Grandaütae  der  letaleren  gar  nieht  nötblg,  aondern  ein 
leichteres  Verfahren  BifSglich  war.  Nfimlich  blofs  auf  den 
RQckachluCi  von  der  innern  Erfahmng  dea  Christen,  ala  der 
WirlLnng,  anf  die  Peraon  Christi,  als  die  Ursaehe,  gegrfln- 
flet,  steht  die  ScuLKiKRMACHER*sche  Chrtstologie  anf  schwa- 
chen Fafsen,  indem  nicht  bewiesen  werden  liann,  dafs 
{ene  innere  Erfahrung  nur  dann  sich  erklären  lasse,  wenn 
ein  solcher  Christus  wirklich  gelebt  hat».  ScHLBnaMACHsa 
seihst  hat  den  Ans  weg  bemerkt,  dars  man  Ja  sagen  kdnn« 
te,  nnr  veranlarst  durch  Jesu  ralatire  Vortreffliehkelt  habe 
die  Gemeinde  ein  Ideal  absointer  Vollkommenheit  entwor- 
fen und  anf  den  historischen  Christus  fibei^etr^gen,  ans 
welchem  sie  nun  fortwährend  ihr  Gottesbewnrstsein  stärke 
und  neu  belebe:  doch  diesen  Ausweg  soll  die  Bemerkung 
abschneiden,  die  sündhafte  Menschheit  halw  veraidge  des 
Zusammenhangs  von  Willen  nnd  Verstand  ^gar  nicht  das 
Vermögen,  ein  fleciienloses  Urbild  au  eraengen.  Aliein, 
i^ie  treffend  bemerkt  worden  ist,  wenn  Schlsiermachbr 
für  die  Entstebnng  seines  wirklichen  Christus  ein  Wunder 
postulirt:  so  könnten  }a  wir  für  die  Cntstehnng  des  Ideab 
von  einem  Christus  in  der  menschlichen  Seele  dasselbe 
'Reoht  in  Anspruch  nehmen  ">  Indefs,  es  ist  gar  nicht 
einmal  wahr,  dafs  die  sündhafte  menschliehe  Natur  cur 
Ersengung  eines  sündlosen  Urbilds  unfähig  ist.  Wird  un- 
ter diesem  Ideal  nnr  die  allgemeine  Vorstellung  verstau* 
den :  so  ist  vielmehr  mit  dem  Bewofstsein  der  Unvollkom- 
menheit  nnd  Sündhaftigkeit  die  Vorstellung  des  Vollkom- 
menen nnd  Sündlosen  ebenso  nothwendig  gegeben,  wie 
mit  dem  der  Endlichkeit  die  dw  Unendlichen,  indem  beide 


8)  BAua,  s.  a.  O.  S.  653. 


T52  Schlnr^abhandlong.     $.  146. 

Vorstelloifgen  tiob  gegenseitig  bedingen,  die  eine  ohne  dit 
andere  gar  nicht  möglieh  ^bt*  lat  aber  die  conerete  A» 
fflhrnng  des  Bildes  mit  den  einaelnen  Zögen  gemeint:  m 
kahn  man  zugeben,  dafs  einem  sündhaften  Individanm  ud 
Zeitalter  diese  Ansmainng  nicht  fleciienlos  gelingen  lians; 
allein  dessen  ist  ein  solclies  Zeitalter,  weil  es  selbst  niek 
darfiber  hinaus  istj  sich  nicht  bewnfst,  und  «renn  in 
Bild  nur,  sUsaenhaft  ansgeffihrt  ist,  nnd  der  Belenchta«« 
noch  viel  Spielranm  Iftfst  t  so  kann  es  leicht  aneli  von  ei- 
ner spftterenj  scharfsichtiger  gewordenen  2^it,  so  langt 
sie  den  guten  Willen  der  gflnstigsten  Beleacbtang  hat,  neel 
als  fleckenlos  betrachtet  werden« 

Biemit  sehen  wir,  was  an  dem  Vorwarf  ist,  der 
SCBLEiERMACHER^n  sd  angehalten  machte,  dafs  aein  Chii- 
atas  kein  historischer,  sondern  ein  idealer  sei:  er  lat  aa- 
gerecht,  wenn  auf  die  Meinung  Schlpiermachxr*«  geeekes 
wird,  denn  er  glaubte  steif  nnd  fest,  der  Christas,  wie 
er  ihn  construirte ,  habe  wirklich  so  gelebt ;  aber  gercebt 
ist  er  einerseits  in  Besag  auf  den  geschichtliebeo  Thatbe- 
stand,  weil  ein  solcher  Christus  Immer  nur  in  der  Idee 
vorhanden  gewesen  ist,  in  welchem  Sinne  freilich  den 
kirchlichen  System  derselbe  Vorwarf  noch  stärker  gemaebc 
werden  mOlste,  weil  sein  Christus  noch  viel  weniger  en- 
stirt  haben  kann;  gerecht  endlich  rflcksiohtlich  der  Cor« 
sequena  des  Systems,  indem,  am  ^as  aa  bewirken,  vns 
ScRLEiBRMACHER  ihn  bewirken  läfst,  kein  anderer  Christae 
ndthig,  und  nach  den  ScHLBiERMACHBR*schen  Grnndaltsca 
aber  das  Verhftltnirs  Gottes  nur  Welt,  des  UebernatOrliclKB 
aum  Natürlichen,  auch  kein  andrer  möglieh  ist,  als  eis 
idealer  —  und*  in  diesem  Sinne  trifft  der  Vorwarf  die 
ScHLEiERMACHBR'sche  Glaubenslehre  specifisch,  ds  nach  des 
Prämissen  der  Kirchenlehrer  allerdings  ein  historiaeker 
Christas  sowohl  mffglich  als  nothwendig  war« 


Sohlar<abhAndiong.    .$.  147«  75) 

I 

§.     147. 

Die  Ghri8tologie ,  tymbolitch  gewendet.     Haky.     di  W«m. 

Iflt  hiemlt  der  Versooh  gescheitert,  das  Urbildliehe 
in  Christo  mit  dem  Oeschiohtllchen  Easammenso halten :'  90 
seheiden  sieh  diese  beiden  Elemente,  das  letEtere  fAllt  alA 
DatOrliches  Resldanm  za  Boden,  das  erstere  aber  steigt  als 
reines  Snblimat  in  den  Aether  der  Ideenwelt  empor.  Ge« 
scbiofatiioh  kann  Jesus  nichts  Anderes  gewesen  sein,  als 
eine  Bvrar  sehr  ansgeeeichnete ,  aber  darum  doch  der  Be« 
schrXnktheit  alles  Endlieben  unterworfene  Persönlichkeit: 
vermöge  dieser  ausgeseichneten  Persönlichkeit  aber  regte 
er  das  religiöse  Gefühl  so  mfichtig  an,  dafs  dieses  in  ihm 
ein  Ideal  der  Frömmigkeit  anerkannte;  wie  denn  Ober« 
hanpt  eine  historische  Thatsaohe  oder  Person  nur  dadurch 
Grundlage  einer  positiven  Religion  werden  kann ,  dafs  sie 
in  die  Sphfire  des  Idealen  erhoben  wird  ^). 

Schon  Spinoza,  hat  diese  Unterscheidung  gemacht  in 
der  Behauptung,  den  historischen  Christus  zu  kenneu,  sei 
cur  Seligkeit  nicht  nothwendig,  wohl  aber  den  idealen  ^ 
die  ewige  Weisheit  Gottes  nfimlich,  welche  sich  in  allen 
Uingen,  im  Besondern  im  menschlichen  Gemüth,  und  al« 
lerdings  in  ausgezeichnetem  Grad  in  Jefu  Christo  geoffen« 
hart  habe,  und  welche  allein  den  Menschen  belehi^e,  was 
wahr  und  falsch,  gut  und  böse  sei  ^). 

Auch   nach  Kant   darf  es    nicht  zur  Bedingung  der 


1)  So  ScHnnD,  a.  a,  0.  S.  367. 

2)  Ep.  21.  ad  Oldenburg.  Opp.  cd.  Gförik,  p.  556:  _  ^ico, 
ad  aalutem  non  esse  omnino  neeesse,  Christum  secundum  car^ 
nem  nosceres  sed  de  aeterno  tiio  filio  Dei,  A.  e,  Det  aetema 
saptentia,  guae  sese  in  omnibus  rebus ,  et  maxtme  in  mente 
hunuma,  et  omnium  ma^cime  in  Christo  Jesu  manifestavit, 
ionge  aliter  sentiendum*  Natn  nemo  absgue  hoc  ad  statum 
beatitudinis  potest  pervenire,  utpote  quae  sola  docet,  quid 
verum  et  falsunty  bonum  et  malum  sit* 

IhiH  Leben  Jesu  Ue  Aufl.  U,  Band.  48 


754  Sohlnfs^bhandlnng.    §•  147. 

Seligkeit  gemacht  werden ,  dafs  man  glaube,  es  habe  elt> 
mal  einen  Menschen  gegeben,  der  durch  seine  Heiligkeii 
ond  sdn  Verdienst  sowohl  fflr  sich  als  auch  für  alle  » 
dem  gennggethan  habe;  denn  davon  sage  nns  die  \tf- 
nnaft  nichts;  wohl  aber  sei  es  allgemeine  Menscbenpflieht, 
an  dem  Ideal  der  moralischen  Vollkommenheit,  welches  n 
der  Vernunft  liege,  sich  eu  erheben,  und  durch  desm 
Vorhaltung  sich  sittlich  krfiftigen  eu  lassen :  nur  sn  die- 
sem moralischen,  nicht  sii  jenem  hiaterischen  Glaoben  sei 
der  Mensch  Terpfllchtet  ^). 

Auf  dieses  Ideal  sucht  nun  Kant  die  einzelnen  Zfige 
der  biblischen  und  kirchlichen  Lehre  von  Christo  usus- 
deuten«  Uie  Menschheit  oder  das  vernfinftige  Weltweses 
überhaupt  in  seiner  ganzen  sittlichen  Vollkommenheit  ist 
es  allein,  was  eine  Welt  zum  Gegenstande  des  göttltcheB 
Rathschlusses  und  zum  Zweck  der  Schöpfung  machen  kam: 
diese  Idee  der  gottwohlgefälligen  Menschheit  ist  in  Gott 
Ton  Ewigkeit  her,  sie  geht  von  seinem  Wesen  aas,  oad 
ist  insofern  kein  erschaffenes  IMng,  sondern  sein  eingebof- 
ner  Sohn,  das  Wort,  durch  welches,  d.  h«  um  dessen  «ed- 
len. Alles  gemacht  ist,  in  welchem  Gott  die  Welt  geliek 
hat.  Sofern  von  dieser  Idee  der  moralischen  Vollkoeiflien- 
heit  der  Mensch  nicht  selbst  der  Urheber  ist,  sondern  sie 
in  ihm  Platz  «genommen  hat,  ohne  dafs  man'  begriffe,  wis 
seine  JNatnr  für  sie  habe  empffinglich  sein  können :  ao  UTst 
sich  sagen,  dals  Jenes  Urbild  vom  Himmel  zu  uns  heralb> 
gekommen  sei,  dafs  es  die  Menschheit  angenommen  hsW, 
und  diese  Vereinigung  mit  nns  kann  als  ein  Stand  der 
Erniedrigung  des  Sohnes  Gottes  angesehen  werden.  Die- 
ses Ideal  der  moralischen  Vollkommenheit,  wie  sie  in  ei- 
nem von  Bedürfnissen  und  Neigungen  abhängigen  Welt- 
wesen möglich  ist,   können  wir  uns  nicht  anders  verstal- 


3)  Religion  innerhalb  der  Granxen  der  blossen  Vernunft ,  drit- 
tes Stüch,  Ite  Abthl.  VII.  ^ 


SchlorsabbftDdlaDg.    {•  147.  755 

# 

leoy  als  in  t'orm  eines  Menseben,  und  swsr,  weil  wir  uns 
von  der  Starke  eineir  Kraft ,  nnd  se  anch  der.  sittlicbea 
Gesinirang,. keinen  Begriff  naehen  können,  als  wenn  wir 
sie  mit  Hindernissen  ringend,  nnd  anier  den  gröfseen  An« 
fechtungeH  dennooh  aberwindend  uns  verstellen,  eines  sei« 
eben  Menschen,  der  nicht  allein  alle  Menscbenpflicht  selbst 
ansauOben,  nnd  dnreh  Lehre  and  Beispiel  das  Gute  in 
grofstoiögliebeni  Dmfai^  um  sich  her  ansanbreiten,  sondern 
auch ,  obgleich  dareh  die  st&rksten  Anlockungen  versueht, 
dennoch  alle  Leiden  bis  sum  schmfiblichsten  Tode  noi  des 
Weltbesten  wiUen  nn  fibernebmen  bereitwillig  wXre. 

Diese  Idee  hat  ihre  ReaÜt£t  in  praküscher  Besiehnng 
voUstftndig  in  sich  selbst,  nnd  es  bedarf  keines  Beispiels 
in  der  Erfahmng,  am  dieselbe  nnm  Terbindenden  Vorbild 
far  ans  sn  machen,  da  sie  als  solches  schon  in  unserer 
Vernunft  liegt.  Auch  bleibt  dieses  Urbild  wesentlich  nur 
in  der  Vernunft,  weil  ihm  kein  Beispiel  in  der  fiufseren 
Erfahrung  adfiquat  sein  kann,  als  welche  das  Innere  der 
Gesinnung  nicht  aufdeckt,  sondern  darauf  nur  mit  schwan. 
keiider  Gewilsbeit  scbliefsen  Iftfst.  Da  jedoch  diesem  ür- 
bilde  alle  Menschen  gemXTs  sein  sollten,  und  folglich  es 
auch  können  mfissen:  so  bleibt  immer  möglich,  dafs  in 
der  Erfahrung  ein  Mensch  rorkomme,  der  durch  Lehre 
Lebenswandel  und  Leiden  das  Beispiel  eines  gottwohlge' 
fälligen  Menschen  gebe;  doch  anch  in  dieser  iLrscheinung 
des  Gottmenschen  wäre  nicht  eigentlich  das,  was  von  Ihm 
in  die  Sinne  fällt,  oder  durch  Erfahrung  erkannt  werden 
kann,  Object  des  seligmachenden  Glaubens,  sondern  das 
in  unserer  Vernunft  liegende  Urbild,  welches  wir  Jener  K^^ 
srheinung  iintei^legten,  weil  wir  sie  demselben  gemäfs  Dm. 
den ,  aber  freilich  immer  nur  in  soweit,  als  diefs  in  äus- 
serer Erfahrung  erbannt  werden  kann.  WeH  wir  alle 
obwohl  natfirlich  ereengte  Menschen,  uns  verbunden  un* 
daher  im  Stande  ffihlen,  selbst  solche  Beispiele  absugeben : 
«o  haben  wir  keine  Ursache,   in  jenem  musterhaften  JMen- 

48* 


r^' 


7M  SebiarsabbandloBg.    f.  147. 

sehen  einen  fibernatllrlicb  emeugten  so  erblleken;  eben* 
eowenig  hat  er  an  seiner  Beglaabignng  Wunder  nötfaig, 
sondern  neben  dem  moraiisehen  Glauben  an  die  idee  ist 
nur  noeh  die  historisehe  Wabrnehuinng  erforderlieh,  dab 
sein  Lebenswandel  ihr  gemäfs  sei,  am  ihn  als  Beispid 
derselben  an  beglaubigen» 

Derjenige  nun,  weleher  sieh  einer  solchen  aormliscilai 
Gesinnnng  bewnfst  ist,  dafs  er  gegrflndetes  Vertrauen  saf 
sich  setsen  kann,  er  wfirde  anter  Ibnlioben  Versachangen 
and  Leiden ,  wie  sie  an  dem  Urbilde  der  Henscliheit  ab 
Probierstein  seiner  moraiisehen  Gesinnnng  vorgesfellt  wer> 
den,  diesem  unwandelbar  anhängig  und  in  trener  Nachfol* 
ge  ähnlich  bleiben,  ein  solcher  Mensch  allein  ist  befogti 
sieh  für  einen  Gegenstand  des  göttlichen  Wohlgefalleas 
SB  halten.  Dm  au  solcher  Gesinnung  sieh  za  erheben, 
mufs  der  Mensch  vom  Bösen  ausgehen ,  den  alten  Alenscbci 
aussieben,  sein  Fleisch  kreuaigen;  eine  Umänderung,  wsl* 
che  wesentlich  mit  einer  Reihe  von  Schmersen  und  Lei- 
den verbanden  ist.  Diese  hat  der  alte  Mensch  ala  Strafe« 
verdient:  sie  treffen  aber  den  neuen,  indem  der  Wiederge* 
borene,  der  sie  auf  sich  nimmt,  nur  noch  physisch,  seinem 
empirischen  Charakter  nach,  als  Sionenwesen,  der  ahe 
bleibt)  moralisch  aber,  als  intelligibles  Wesen,  in  seiner 
veränderten  Gesinnung,  ein  neaer  Mensch  geworden  ist 
Sofern  er  nun  in  der  Sinnesänderung  die  Gesinnung  d« 
Sohnes  Gottes  in  sich  aufgenommen  hat,  so  kann,  was  ei> 
gentlich  ein  Stellvertreten  des  alten  Menschen  für  den  neoes 
Xst^f  als  Stellvertretung  des  Sohnes  Gottes »  wenn  man  die 
Idee  personifiolrt,  vorgestellt,  und  gesagt  werden,  dieser 
, selbst  trage  ffir  den  Menschen,  für  alle,  die  an  ihn  prak- 
tisch glauben,  als  Stellvertreter  die  Stfndenschald,  tbse 
durch  Leiden  und  Tod  der  hdchsten  Gerechtigkeit  als  Ei^ 
.loser  genug,  und  mache  als  Sach Verwalter,  dals  sie  lioffBS 
können,  vor  dem  Richter  als,  gerechtfertigt  au  erMhaincO} 
indem  das  Leiden,    welches   der  neue  Mensch,  Indem  sr 


Sehlaraabhandlong.    f.  147.  ^     757 

item  alten  abtdrbt,  In  Laben  fortwlhrend  llbernehaien  mofij 
an  den  ReprieeNtanten  dei^  Menschheit  ab  ein  für  allemal 
erlittener  Tod  yergestellt  wird  ^. 

Auch  Kant,  wie  ScnLBiBRMACHXE,  deeedn  Chrietelogie 
fiberhanpt  in  manehen  Besiebnngen  an  die  KANTitehe  er- 
ianert/)^  kommt  in  der  Aneignung  der  kirchlichen  Cbri- 
8tologie  nni^  bis  «um  Tode  Christi :  von  seiner  Anferstehnng 
und  Himmelfahrt  aber  sagt  er,  sie  können  nnr  Religion 
innerhalb  der  Grinsen  der  blofsen  Vemnnfik  nicht  benlltat 
werden ,  weil  sie  auf  Materialitit  aller  Weltwesen  ftthren 
wQrden«  Wie  er  Indefs  auf  der  andern. Seite  diese  Tha^ 
sschen  doch  wieder  als  Symbole  von  Vemnnftideen ,  als 
Bilder  des  fingangs  in  den  Sita  der  Seligkeit,  d.  h.  in  die 
Gemeinschaft  mit  allen  Guten ,  gelten  Itfst:  so  hat  noch 
bestimmter  Tuftruhk  erklärt,  ohne  die  Aofemtebung  wflr* 
de  die  Geschichte  Jesu  sich  in  ein  widriges  £nde  verlie» 
ren,  das  Auge  sich  mit  Wehmuth  und  Widerwillen  von 
einer  Begebenheit  abwenden,  in  welcher  das  Muster  der 
Menschheit  als  Opfer  unheiliger  Wuth  fiele,  nnd  die 
Scene  sich  mit  einem  eben  so  unschlildigen,  als  schmersii« 
ehen  Tod  beschlörse ;  es  mfisse  der  Ausgang  dieser  Geschich- 
te mit  der  ErfOilung  der  Erwartung  gekrönt  sein,  nu  wel* 
eher  sich  die  moralische  Betrachtung  eines  jeden  nnwidei^ 
Stehlich  hingeaogen  fohle:  mit  dem  Debergang  in  eine  ver- 
geltende Unsterblichkeit  ^)« 

Auf  ftbnliche  Weise  schrieb  db  Wbttb,  wie  Jeder 
Geschichte,  und  insbesendttre  der. Religionsgeschichte,  so 
auch  der  evangelisehen ,  einen  symbolischen,  idealen  Cha- 
rakter SU,  vermöge  dessen  sie  Ausdruck  und  Abbild  des 
menschlichen  Geistes  und  seiner  Thitigkeiten  sei.  Die  Ge- 
schichte von  der  wunderbaren  Eraengung  Jesu  stelle  den 


4)  a.  a.  O.  Stea  Stttck,  Iter  Abachn.  3tea  StUck^  ite  Abtblg.   ^ 

5)  Wie  dicaa  ßiUR  nacbweiat,  chriatl.  Gnoaia,  S.  660  ff. 

6)  Cenaur  des  cbriatl.  protcstaotiscben  Lehrbegriffa,   5;  S.  180* 


758  Soblttfaftbbandlanf.     §.  147* 

götdiohen  Prspning  der  ReJigioB  dar;  die  Ersiblanga 
¥on  seinen  Wahdertbaten  die  selbatstiDdige  Kraft  d« 
Menschengeistes  and  die  erhabene  Lebre  des  geistipi 
Selbstrertraaens ;  seine  Auferstehnng  sei  das  Bild  in 
Siegtf  der  Wabrbeit,  das  Vorzeicben  des  kfinftig  so  Toi- 
endenden  Triumphs  des  Guten  fiber  das  Bdse;  seine  Hia- 
melfahrt  das  Symbol  der  ewigen  Herrlicbeit  der  Religkii 
Uie  religiösen  Ghnindideen ,  welche  Jesus  in  seiner  Lehn 
ausgesprochen ,  drflcken  sich  ebenso  klar  in  seiner  G»- 
sohichte  aus«  Sie  ist  Ausdruck  der  Begeisterung,  iaim 
muthyollen  Wirken  Jesu  und  der  siegreichen  Gewalt  so- 
nor Erscheinung;  der  Eesignation,  in  sdnem  Kampf  nit 
der  Bosheit  der  Menschen,  der  Wehmuth  seiner  wamet- 
den  Reden,  und  ?or  Allem  in  seinem  Tode;  Cbristiua 
Krens  ist  das  Bild  der  durch  Aufopferung  gelfinterta 
Menschheit:  wir  sollen  uns  alle  mit  ihm  kreuEigen,  aa 
mit  ihm  bu  neuem  Leben  aufeustehen.  Endlich  die  Idee 
der  Andacht  ist  der  Grundton  der  Geschichte  Jesu ,  inum 
jeder  Moment  seines  Lebens  dem  Gedanken  an  seinen  hin» 
lischen  Vater  gewidmet  ist  ')• 

Besonders  klar  hatte  schon  Irfiber  HoasT  diese  syaibt- 
lische  Ansicht  von  der  Geschiobte  Jesu  ausgesproeiMai 
Ob  Alles,  was  von  Christo  ernfihlt  wird,  sagt  er,  geota 
so  als  Geschichte  vorgefallen  ist,  das  iLann  uns  jetat  sien* 
lieh  gleichgfiltig  sein,  auch  können  wir  ea  nicht  mehr  ans* 
mftteln*  Ja,  wenn  wir  es  uns  gestehen  wollen,  so  ist  dca 
gebildeten  Theil  der  Zeitgenossen  dasjenige,  was  den  alt- 
gläubigen Christen  heilige  Geschichte  war,  nur  noch  Fabd: 
die  Erzählungen  von  Christi  übernatdrllcher  Geburt,  vm 
seinen  Wundern,  seiner  Auferstehung  und  Himmelfahrt, 
mQssen,  als  den  Gesetzen  unseres  ErkenntnU8verai$ge« 
widersprechend ,  verworfen  werden.  Aber  man  fasse  ae 
nur  nicht  mehr  blofs  verständig ,   als  Geschichte ,  sooderi 

7)  Religion  und  Theologie ,   2ter  Abschnitt,  Hap.  3.     Vgl.  bibl 
Dogmatik;  §.  255',  Kirchliche,  $.  64  ff. 


Soblufsabliandlong.    {.   147«  759 

mit  fJellihl  «nd   PhantMie,  als  Oichtnng/aof:    $o  wird 
mao   finden,  dafs  niehto  in  diesen  EnäUungen  willkQ^ 
lieh  geniaebt  ist,   sondern  Alles  seine  Anknflpfangspankta 
in  den  TieCiten  and  Oettrerwandten  des  menschlichen  6e* 
mOthes  hat.    Von  diesem  Standpnnkt  ans  betrachtet,  Ufst 
sich  an  die  Oeschichte  Christi  Alles   anknüpfen,   was  für 
das  reltgtöse  Vertranen  wichtig,   fflr  den  reinen  Sinn  he« 
lebend ,   Ar  das  aarte  Gefdhl  ansiahend  ist     Es  jst  Jene 
Iweschichte  eine  heilig  schöne  Dichtung  des  allgemeinen 
Menschengeschlechts ,  in  der  sich  alle  Bedttrfnisse  unseres 
reiigiSsen  Triebs  vereinigen,  und  diefs  ist  eben  die  höchste 
Khre  nnd  der  stftrkste  Beweis  fttr  die  allgemeine  GOltig» 
keit  des   Christenthuma.    Die  Gesehlchto  des  EFangeUums 
ut  im  Grunde  die  Geseliichte  der  idealisch  gedachten  all- 
gemeinen Menschennatar,  'und  aeigt  uns  in  dem  Leben  des 
Ki'naigen,  was  dar  Mensch  sein  soll,  nnd  mit  ihm  yerhnn^ 
den   dnroh   Befolgung  sdner  Lehre    und  seinea  Beispiels 
wirklich  werden  kann.    Dabei  wird  nicht  gelfiugnet,  dafs 
dem  Paulas,   Johannes,  Matthftns  and  Lnlus  das  That« 
Bliebe  nnd  gewisse  Geschichte  war,  was  uns  jetat  nur  noch 
als  beilige  Dichtung  erscheinen  kann.    Aber  es  war  ihnen 
auf  ihrem  Standpunkt   ans  eben  dem  Innern  Grunde  heili« 
ge  Thatsache  und  Geschichte,  aus  welchem  es  uns  jetat  auf 
unserem  Standpunkt  heilige  .Mythe  und  Dichtung  ist.    Nur 
die  Ansichten  sind  verschieden:  die  menschliche  Natur, 
nnd   in   ihr  der  religiöse  Trieb,    bleibt  immer  derselbe. 
Jene  Mfinner  bedurften  in  ihrer  Welt,  anr  Belebung  der 
religiösen  und  moralischen  Anlagen,  in  den  Menschen  ihrer 
Zeit,   Geschichten  und  Thatsa^hen ,'^ deren  innersten  Kern 
aber  Ideen  bildeten:  uns  sind  die  Thatsacben  veraltet  und 
Bweifelhaift  geworden,  und  nur  noch  um  der  snm  Grande 
liegenden  Ideen  willen  die  Ersiblungen  davon  ein  Gegen- 
stend  der  Verehrung  0* 

8)  idcen   über  Mythologie  u.  s.  w.   in  Hbhki's  neuem  Magazin^ 
6,  S.  ^h^  IT.     Vgl.  Usnxa^s  Museum,  3)  S.  455* 


760  SohlarsabbandUng.    f.  147. 

Diese  Ansieht  traf  sanäehst  von  Seiten  «les  kirohlicheB 
Bewofetseins  der  Vdrvmrf ,  dafs  sie  statt  des  Reidithoni 
gtfttlieiler  Realitfit,  wie  sie  der  Glaube  in  der  Geeehidile 
CHrlsti  findet,  eine  Sammlung  ieerer  Ideen  und  Ideale  qs» 
terschlebe,  statt  ein  trestreiehes  Sein  za  gewähren,  « 
bei'm  drüekenden  Sollen  bewenden  lasse.  Für  die  tiewifi- 
beit,  dafs  Gott  sieh  einmal  wirkiioh  mit  der  menaeliliekcs 
'Hatnr  yfereinigt  hat,  bietet  die  Anmahnang  schlechten  b- 
aatB,  dafs  der  Mensch  gSitlicben  Sinnes  werden  aolle;  Ar 
die  Serohignng,  welche  dem  Glfinbigen  die  dardi  Clvi- 
stum  vollbrachte  Erlösung  gewfihrt,  ist  ihm  die  Versa» 
schanlichnng  der  PQicht  l&ein  Aequivalent,  sieh  selbst  tob 
4er  Sfinde  losaumadien.  Ans  der  versöhnten  Welt,  ts 
welche  ihn  das  <}hristenthum  versetst ,  wird  der  Mensek 
durch  diese  Ansicht  in^eine  unversöhnt^  sarttekgeworfes, 
ans  einer  seligen  in  eine  unselige;  denn  wo  die  Versob> 
Dung  erst  en  vollbringen,  die  Seligkeit  erst  an  erringn 
ist,  da  ist  vor  der  Hand  noch  Feindschaft  und  DnseJig 
keit«  Und  swar  ist  die  Hoffnung,  aus  dieser  je  gans  her- 
aussukommen,  nach  den  Principlen  dieser  Ansicht,  welek 
nur  Idee  nnr  eine  unendliche  Ann£bcrnng  kennt ,  eiof 
ttfuschende;  denn  das  nur  im  endlosen  Progrefs  so  £rret- 
chende  ist  in  der  That  ein  DnerreiohSAres. 

Doch  nicht  allein  der  Glaube,  sondern  auch  die  Wis- 
aenschaft  in  ihrer  neuesten  Entwicklung  iiat  diesen  Staad- 
punkt  unzureichend  befunden.  Sie  hat  erliiinnt,  dala,  dit 
Ideen  aum  blofsen  Sollen  mächen,  dem  kein  Sein  entspre- 
che, sie  aufbeben  hmfse:  wie  das  Dnendllebe  als  UeiiieB- 
des  Jenseits  des  Endlichen  festhalten ,  es  v^srendlicben ;  sts 
hat  begriffen ,  dafs  das  unendliche  im  Stkcen  und  Wis- 
deranf heben  des  Endlichen  sich  selbst  erhfih,  die  Idee  is 
der  Gesammtheit  ihrer  Erscheinungen  sich  verwirklieht, 
dafs  nichts  werden  kann,  waf  nicht  an  sich  schon  ist: 
also  auch  vom  Menschen  sich  nicht  verlangen  lüfst,  sitH 
mit  Gott  an  versöhuen   und  göttlichen  Sinnes  su  werden. 


8chlar«abhiindJong.    f.  148.  7«1 

wenn    diese  Venfthoniig   nad  Vereioigiing   nieht  an  dch 


"chon  Tollbraeht  iel* 


f.    148. 

Die  apeculative  Ghrittologie. 

Schon  Kant  hatte  gesagt  9  das  gute  Prinoip  sei  nicht 
blofe  SD  einer  gewifsen  Zeit,,  sondern  Tom  Ursprung  des 
menschlichen  Geschlechts  an  onsichtjbarerweise  vom  Bim- 
mel in  die  Menschheit  herabgekommen,  und  Schellino 
stellte  den  Sats  auf:  die  Menschwerdung  Gottes  ist  eine 
Menaofawerdang  von  Ewigkeit  '3.  Aber  während  der  e^- 
stere  onter  jenem  Aosdrocii  nur  die  moralische  Anlage 
▼erstanden  hatte,  welche  mit  ihrem  Ideal  nnd  ihrem  Sollen 
von  jeher  dem  Menschen  eingepflanzt  gewesen  sei :  verstand 
der  letztere  unter  dem  menschgewordenen  Sohn  tiottes  das 
Endliche  selbst,  wie  es  im  Menschen  anm  Bewufstsein 
iLommt ,  und  in  seinem  Unterschied  von  dem  Unendlichen^ 
mit  dem  es  doch  Eins  ist,  als  ein  leidender  *nnd  den  Ver- 
hältnlssen  der  Zeit  unterworfener  Gott  erscheint. 

In  der  neuesten  Philosophie  ist  diefs  welter  so  aus- 
geführt worden^.  Wenn  Gott  als  Geist  ausgesprochen 
wird,  so  liegt  darin,  da  auch  der  Mensch  Geist  ist,  bereits, 
dafs  beide  an  sich  nicht  verschieden  sind.  Itäher  ist  in 
der  Erkenntnifs  Gottes  als  Geistes,  da  der  Geist  wesentlich 
diefs  ist,  in  der  Unterscheidung  seiner  von  sich  identisch 
mit  sich  su  bleiben,  im  Andern  seiner  sich  selbst  au  haben, 
diefs    enthalten,   daCs  Gott  nicht   als  sprödes    Unendliche 


1)  Vorlesungen  über  die  Methode  des  academiscfaen  Studiums, 
S.  192. 

2)  Hisbl's  Phänomenologie  des  Geistes ,  S.  561  ff.  *,  desselben 
Vorlesungen  über  die  Fhilos.  der  Relig.  2,  S.  234  ff.  Mar- 
HKjKRKB,  Grundlehren  der  cLristl.  Dogmatik,  8.  174  ff.  Bo<» 
siifXRANZ,  Encyklopädie  der  theol.  Wissenschaften,  8.  38  ff, 
148  ff.    Vgl.  meine  Streitschriften,  3tes  Heft,  8    76  ff.       » 


TM  Sehlorsabhandlang.    $.  14». 

dar  We^  2ani  ffimraei  sii  finden  tein;  dai  Steriben  da 
JLebensfCiPBtBti  bt  da«  Leben  de«  Sterbliehen«  Schon  dnrt 
aein  Kingehen  in  die  Welt  ala  Gottmenaeh  neigte  rteh  G« 
mit  der  Welt  rersolint:  nSber  aber.  Indem  er  atariiMi 
aeine  Matärlichkeit  abatr^fte,  aeigte  er  den  Weg,  wie  » 
die  Veraöhnong  ewig  sn  Stande  bringt:  nSmlieh  darefc 
Entftufgerong  snr  NatfirHobkeit  und  Wiederanfhebong  iler 
aelben  ideiitiaeh  mit  sieh  sn  bleiben,  Insefem  der  Td 
des  Goltmentcben  nur  Anfbebung  «einer  EntlnCsemng  ni 
i«t  er  in  der  Tbat  Erhöhung  und  RffcUebr  sn  Gott,  whl 
ao  folgt  auf  den  Tod  wesentlieb  die  Anferatehong  ao^ 
flUmmelfjihrt. 

indem  der  Gettmenseh,  imieber  wfthrend  seine«  U 
bens  den  mit  ihm  Lebenden  «Innliob  als  ein  Anderer  g^ 
genüberstaiid,  durch  den  Tod  ihren  Sinnen  entnomwi 
wird,  geht  er  in  ihre  VorsteUnng  und  Erinnerung  cii, 
wird  somit  die  in  ihm  gesetate  Einheit  dea  Göttlichen  lad 
Menschliehen  allgemeines  Bewnfstsein,  und  die  Gemeindr 
mnfe  die  Momente  seine«  Lebens,  welche  er  Xofserfiel 
durchlief,  in  «ich  auf  geistige  Weise  wiederholen.  la 
HatOrlichen  sich  schon  vorfindend,  mnfs  der  Glaabige, 
wie  Christus,  dem  Matfirlichen  —  aber  nur  innerlieh,  vni 
er  liurserlich  *--  sterben,  gebtig,  wie  Christus  leibliefa, 
sich  l(reusigen  und  begratien  lassen,  um  durch  AnfhelNnif 
der  Natürlichkeit  mit  sich  als  Geist  identisch  sn  seb, 
und  an  Christi  Seligkeit  und  Herrlichkeit  Anthell  nht 
kommen. 

§.    149. 

i 

Letztes  Dilemms. 

Hiemit  scheint  auf  hQhere  Weise,  ana  dem  Begrift 
Gottes  und  des  Menschen  in  ihrem  gegenseitigen  Verfallt- 
nifs  heraus,  die  Wahrheit  der  kirchlichen  VorsteUnng  fis 
Christus  bestlligty  und  so  aum  orthodoxen  Standpuaktt, 
wiewohl  auf  umgekehrtem  Wege^  suriickgelenkt  au  seii^ 


SohUraabhaD^lung.    %.   149*  7C5 

le  nlnlifoh  dort  aas  der  Richtigkeit  der  evangeUeehen 
Bschichte  die  Wahrheit  der  kirchlichen  Begriffe  von 
firiatas  dedncirt  wnrde:  eo  hier  ans  der  Wahrheit  der 
Bgrltle  die  Richtigkeit  der  Historie.  Das  Vernünftige  ist 
loh  wirklich,  die  Idee  nieht  ein  KANTisches  Sollen  blols, 
mdern  ehenso  ein  Sein;  als  Vernanftidee  nachgewiesen 
Iso  mofs  die  Idee  der  Einheit  der  göttlichen  and  mensch- 
oben  Natar  anch  ein  geschkhtliches  Dasein  haben.  Die 
linheit  Gottes  mit  dem  Menschen,  sagt  daher  Marhsinb- 
E  *),  ist  in  der  Person  Jean  Cliristi  offenbar  und  wirk- 
ch  als  ein  Oeschehensein ;  in  ihm  war,  nach  Rosenkranz^ 
lie  göttliche  Macht  Aber  die  Nator  coneentrirt,  er  konnte 
licht  anders  wirken,  als  wunderbar,  ond  das  Wunder^ 
hlin,  was  ans  befremdet,  war  ihm  natttrlieh;  seine  Auf- 
iratehung,  sagt  Conradi  ^j,  ist  die  nothwendige  Folge  der 
i^ollendnng  seiner  Persönlichkeit,  und  darf  so  wenig  be- 
remden,  dafs  es  vielmehr  befremden  mfifste,  wenn  sie 
sieht  erfolgt  wäre« 

Allein  sind  denn  durch  diese  Dednction  die  Wider- 
iprttohe  gelöst,  welche  an  der  kirchlichen  Lehre  von  der 
Person  und  Wirksamkeit  Christi  sich  herausgestellt  hnhen? 
Man  darf  nur  mit  dem  Tadel,  welchen  gegen  iia  Schlrisr- 
iiAci]SR*scbe  Kritik  der  kirchlichen  ,ChristoIogie  Rosenkranz 
In  seiner  Recension  ausgesprochen  hat,  dasjenige  vt*rglei- 
chen,  was  der  letstere  in  seiner  Encyhlop&die  an  die 
Stelle  setEt:  so  wird  man  finden,  dals  durch  die  allgemei** 
nen  Sstze  von  Einheit  der  göttlichen  und  menschlichen 
Matur  die  Erscheinitng  einer  Person,  in  welcher  diese 
Einheit  auf  ausschliefseade   Weise  individuell  vorhanden 


1)  Dogmakik,  $.  326. 

2}  Encyklopädie,  S.  160. 

3)  SelbatbewuMtaein  uod   Offenbarung,   S.  293  f.    Vgl.  BAoni, 

in  den  Receat.  des  L.  J.,  Jahrbücher  f.  wiss.  Kritik,   ISST), 

Mai,  S.  6d9  ff. 


766  SchlufsabbaDdlung.    $.  149. 

geweMD  wäre,  nicht  ImMlRdedton  denkbarer  winL  Vk^^ 
ich  nur  denken  kann^  daf»  der  gSttliehe  Gelit  in  9tmr 
Entänfaemiig  nnd  Erniedrigung  der  menachlicbe ,  und  4n 
menschliche  in  teiner  Einkehr  in  sich  und  Brh^mng  ibs 
sich  der  göttliche  ist:  so  kann  ich  mir  defswegen  neeb 
nicht  vorstellen  I  wie  göttliche  nnd  menschlielie  Natnr  dk 
versehiedenen  nnd  doch  ▼erbnndenen  Bestandtbeile  &buh 
geschichtlichen  Person  ansgemaeht  haben  können;  wesii 
ich  den  Geist  der  Menschheit  in  seiner  Einlidt  mi^  da 
göttlichen  im  Verlauf  der  Wel^sehichte  Immer  Tollftia 
diger  als  die  Macht  Aber  die  Matur  sich  bethfttigen  sehe 
so  ist  dies  etwas  gann  Anderes,  als  einen  einseinen  Me» 
sehen  für  einseine  willkAi4iche  Handlungen  nsit  soldici 
Macht  ansgeritstet  sn  denken;  vollends  ans  der  Wahrbert 
dals  die  aufgehobene  'NatOrlichkeit  dos  Auferstehen  ^ 
Geistes  sei|  v^lrd  die^  leibliche  Auferstehung  rtoes  la&t 
dnnms  niemals  folgen* 

Hiemit  wären  wir  also  wieder  auf  den  KAKTiscbn 
Standpunkt  suHtckgesunken ,  den  wir  selbst  nngenfkged 
befunden  hsben;  denn  wenn  der  Idee  keine  Wirkliebkek 
Bukommt,  so  ist  sie  leeres  Sollen  und  Ideal.  Aller  hekei 
wir  denn  alle  Wirklichkeit  der  Idee  auf?  Keinesw^; 
sondern  nur  diejenige,  welche  ans  den  Primissen  skb 
folgt  0.  Wenn  der  Idee  der  Einbeit  von  gottlicher  m^ 
menschlicher  Natur  Realität  sugesehrieben  wird,  hef^ 
diefs  soviel ,  dafs  sie  einmal  in  einem  Individanm ,  vie 
vorher  nnd  hernach  nicht  melu^^  wirklich  geworden  seil 
mfisse?  Das  ist  Ja  gar  nicht  die  Art,  wie  die  Idee  üA 
realisirt,  in  Ein  Exemplar  ihre  ganse  Falle  anscnschortrsi 
und  gegen  alle  andern  zu  geläen  ^);  in  jenem  Einen  M 
vollständig,  in  allen  fibrigen  sber  immer  nur  nnvoliscän^ 


4)  Vgl.  hiecn  meine  Streittchrificn,  }.  Heft,  S.  68  ff.  f2S. 

5)  Hieinit  ist  die  Erläuterung  im  angeführten  Hefte  der  Strci* 
Schriften,  S.  119.  su  vergleichen. 


dchlorsabhandlaDg.    §.  Utf.  767 

»sndrllckeii :  sondern  in  einer  JUanchfalUgkeit  von  Exem* 
jiren,  die  eich  gegenteilig  ergSnsen,  im  Wechsel  sich 
(teender  nnd  wiederanfhebender  Individuen,  liebt  sie  ih* 
in  Reiehthum  aussnbreiten«  Und  das  soll  keine  wahre 
Wirklichkeit  der  Idee  sein  ?  die  Idee  der  Kinbeit  von  gfftt- 
oher  nnd  mensehlioher  Natnr  wäre  nicht  vielmehr  in  on- 
ndlioh  höherem  Sinn  eine  reale ,  wenn  ich  die  ganse 
[enschfaeit  als  ihre  Verwirkliehnng  begreife,  als  wenn  ich 
inen  einEclnen  Menschen  als  solche  aassondere?  Eine 
lensehwerdung  Gottes  von  Ewigkeit  nicht  eine  wahrere^ 
In  eine  in  einem  abgeschlossenen  Punkte  der  Zeit? 

Das  ist  der  Schlüssel  der  ganeeo  Christologie,  dafs 
Is  Snbject  der  Prädicate,  welche  die  Kirche  Christo  bel- 
ogt, statt  eines  Individonms  eine  Idee,  aber  eine  reale, 
licht  KANTisch  unwirkliche,  gesetnt  wird.  In  einem  In- 
lividunra,  einem  Gottmenschen,  gedacht,  widersprechen 
ich  die  Eigenschaften  und  Functionen,  welche  die  Kir« 
henlehre  Christo  suscbreibt:  in  der  Idee  der  Gattung 
timmen  sie  susammem  Oie  Menschheit  ist  die  Vereini- 
;ang  der  beiden  Naturen,  der  mensohgewordene  Gott:  der 
;ar  Endlichkeit  entäulserte  unendliche,  und  der  seiner 
Jnendlichkeit  sich  erinnernde  endliche  Geist;  sie  ist  das 
(.ind  der  sichtbaren  Mutter  nnd  des  nnsichrbaren  Vaters: 
len  Geistes  nnd  der  Natnr;  sie  ist  der  Wnnderthfirer:  so- 
*Bm  im  Verlauf  der  Menschengeschichte  der  Geist  sieh 
immer  vollstfindiger  der  Natnr,  im  Menschen  wie  anfser 
lemselben,  bemichtigt,  diese  ihm  gegenüber  num  macht- 
onen Material  seiner  Thätigkeit  heruntergesetat  wird  O9 
lie  ist  der  Unsfindliehe:  sofern  der  Gang  ihrer  Entwick- 
ung ein  tadelloser  ist,  die.  Verunreinigung  immer  nnr  am 
[ndividoom  klebt,  in  der  Gattung  aber  und  ihrer  Geschichte 
lafgehoben  ist;   sie  ist  der  Sterbende,  Auferstehende  und 


6)  Auch  bieia  ist  eiae  ErUuterung  in  den  StreiUchriflen ,  3, 
S.  166  f*9  nschiusehen. 


768  Schlufaabhandiung.     §    149.^ 

geo  Himmel  Fahrendet  sofern  Ihr  aas  der  Negation  ihrrr 
Natflrlichkeit  immer  höheres  geistiges  Leben,  ans  der  Ar.^ 
hebi^ng  ihrer  Endlichkeit  als  persönlichen,  nationalen  v4 
weltlichen  Geistes  ihre  Einiglieit  mit  dem  mieDdiidn 
Geiste  des  Himmels  hervorgeht.  Daroh  den  Glanlmi  m 
diesen  Christus,  namentlich  an  s^en  Tod  und  aeine  Aa(- 
erstehang,  wird  der  Mensch  vor  Gott  gerecht:  d«  b.  dorck 
die  Belebung  der  Idee  der  Menschheit  In  sich  ,  namenilkli 
nach  dem  Momente,  dsfs  die  Negation  d«p  NatOrlichkfli 
nud  Sinnlichkeit,  welche  selbst  schon  Negation  des  Geist» 
ist,  also  die  Negation  der  Negation,  der  einclge  W«< 
cum  wahren  geistigen  Leben  fffr  den  Menschen  aei,  via 
auch  der  Einaelne  des  gottmensehlichen  Lebens  der  Gi^ 
tong  theilhaftig  0*  ^ 

Diefs  allein  ist  der  absolute  Inhalt  der  Cbristolog«: 
dafs  dieser  an  die  Person  und  Geschichte  eines  Eintekei 
geknüpft  erscheint,  gehört  nur  aor  geschichtlichen  Fora 
derselben*  Schleiermachkr  hat  gana  Recht  gehabt,  wen 
er  ssgte,  es  ahne  ihm,  dafs  bei  der  speculativen  Ansi^ 
fOr  die  geschichtliche  Person  des  Erlösers  nicht  viel  neb 
als  bei  der  ebionitischen ,  Obrlg  bleibe  ^.  Die  atnniidtt 
Geschichte  des  Individuums ,  sagt  Hboel,  ist  nur  der  A» 
gang»pnnkt  filr  den  Geist.  Indem  der  Glaube  von  der 
sinnliehen  Weise  anfiSngt,  *  hat  er  eine  seitliche  Geaehieffe 
vor  sich;  was  er  fflr  wahr  hllit,  ist  Xofsere,  gewdhnlkl« 
Begebenheit,    und   die   Bejglaubigimg   ist  die   hiatoriseiw, 


7)  Hierin  liegt  schon  die  Widerlegnag  des  Vorwurfs,  welcki 
ScHALLKR  (der  liistorischc  Christus  und  die  Philosoplite,  & 
64  ff.)  der  oben  dsrgelegten  Ansicht  gemacht  hat,  alt  Ithzi; 
sie  nur  eine  substanxielle  ^  nicht  auch  eine  penöniiche  £]> 
heit  des  Menschen  mit  Gott.  Die  in  der  Anlage  drr  Gattü.-^ 
tn  sich  vorhandene  Einheit  ist  von  jeher  in  den  £iDze*Bfc, 
nach  dem  verschiedenen  Masse  ihrer  religiösen  Eotwicklcui. 
fUr  sich  mithin  die  substanziolle  Einheit  in  verscbicden^ 
Graden  zur  persönlichen  Vereinigung  geworden. 


Sehiofsabbftiidlutig.   J.  149.  769 

Jurlstbche  Welse ,  eltt  Faetliift  diireh  slnnUehe  6«vr!fsbelt 
and  moralisobe  ZaTerltfrt^kelt  der  Zengen  mn  constatiren. 
Indem  non  aber  der  Geist  von  diesem  Aeofseren  Veran« 
iassang  nimmt ,  die  Idee  der  mit  Gott  einigen  Menscbheit 
sich  snm  Be^ufstsein  so  bringen,  ond  nnn  in  Jener  Ge» 
schiebte  die  Bewegong  dieser  Idee  anscfaaat:  bat  sich  der 
Gegenstand  vollkommen  verwandelt,  ist  ans  einem  sinnlich 
empirischen  an  einem  geistigen  nnd  göttlichen  geworden, 
der  nicht  mehr  in  der  Geschichte,  sondern  in  der  Philo« 
Sophie  seine  Beglaubigong  hat.  Durch  dieses  Hlnausgeben 
ober  die  sinnliche  Geschichte  aar  absolnten  wird  Jene  als 
das  Wesentliche  anfgehoben,  cnm  Untergeordneten  herab' 
gesetzt,  über  welchem  die  geistige  Wahrheit  aof  eigenem 
Boden  steht,  com  fernen  Traumbilde,  das  nnr  noch  in 
der  Vergangenheit,  ond  nicht,  wie  die  Idee,  in  dem  sich 
schlechthin  gegenwftrtigen  Geiste  vorhanden  ist®).  Schon 
Luther  hat, die  leiblichen  W ander  gegen  die  geistlichen, 
als  die  rechten  hoben  Miraiiel,  herabgesetat:  ond  wir. soll- 
ten uns  für  einige  Kranlienbeilnngen  in  Galllfta  aof  h&here 
Weise  interessiren  können,  als  f&r  die  Wunder  des  Ge* 
mQthslebens  nnd  der  Weltgeschichte,  fflr  die  in's  Unglaub- 
liche ateigende  Gewalt  des  Menschen  Aber  die  Matnr,  fOr 
die  uDwiderstehlicbe  Macht  der  Idee,  welcher  noch  so 
grofse  Massen  des  Ideenlosen  keinen  dauernden  Wider- 
stand  entgegenaasetaen  vermögen?  uns  sollten  vereinaelte, 
ihrer  Materie  nach  unbedeutende  Begebnisse  mehr  sein, 
als  das  universellste  Geschehen ,  einzig  delswegen ,  weil 
wir  bei  diesem  die  Natflrlichkeit  des  Hergangs^  wenfi  nicht 
begreifen,  doch  voraussetaen ,  bei  Jenen  aber  das  Gegen* 
tbeil?  Das  wire  dem  bessereg  Bewufstsein  unserer  Zeit 
ins  Angesicht  widersprochen |  welches  ScBLSisRMAcBBa 
richtig  und  abscbliefsend  so  ansgedrfiekt  bat:  aus  dem 
Interesse  der  Frimaiigkeit  könne  nie  mehr  das  Bedlirfnifs 


8)  Zweites  Sendschreiben. 

Das  Lebern  Jesu  Ite  Aufl.  iL  Band.  49 


no  Sobluftabhandlong«   {«  150. 

entstehen^  e{ne  Thatsacbe  so  aufsnfassen ,  da(k  durch  i 
Abhängigkeit  von  Gott  ihr  Bedingtsein  durch  den  Mata- 
susammenbang  aufgehoben  würde,  da  wir  fiber  die  Mei- 
nung binausaeien,  als  ob  die  göttliche  Ailmaciit  eich  gro- 
£ser  seigte  in  der  Unterbrechung  des  MatnrftU8ammenhao|i, 
als  in  den  geordneten  Verlauf  desselben  ^)«  Ebenso,  weoa 
wir  das  Menschwerden,  Sterben  und  Wiederanferstehes^ 
das:  duplex  negatio  affirmaty  als  den  ewigen  Kreislaof. 
den  endlos  sich  widerholenden  Puisschiag  des  gottlichei 
Lebens  wissen,  was  kann  an  einem  einzelnen  Factnoi) 
welches  diesen  Procefs  dazu  blofs  sinnlich  darstellt,  noch 
basondera  gelegen  sein?  Zur  Idee  im  Factum,  snr  GattaD| 
im  Individuum,  will  unsere  Zeit  in  der  Chriatologie  g^ 
fnbrt  sein:  eine  Dogmatik,  welche  im  Locus  von  Christ» 
bei  ihm  als  Individuum  stehen  bleibt,  ist  keine  Dogmatil, 
sondern  eine  Predigt. 

S.    150. 

Vermittlungsversuche.     Schluss. 

Allein,  wenn  aw'ar  allerdings  die  wissenschafcUcb 
Christologie  Über  Jesus  als  Person  hinaosaugehen  hat:  » 
wird  sie  doch  in  einer  Hinsicht  immer  auch  wieder  n 
hm  snrÜckkjebren  müssen.  An  der  Spitze  aller  Handlan- 
gen, somit  auch  der  welthistorischen,  stehen  Individaeo 
al^die  das  Substantielle  verwirklichenden  SnbjectiFitfiten  ^), 
überhaupt  sind  alle  die  verschiedenen  Richtungen^  In  irei- 
che  der  Reichthum  des  göttlichen  Lebens  m  der  Mensch- 
heit sich  auseinandersetzt,  wie  Kunst,  Wissenschaft  u.s.f. , 
durch  grofse  Individuen  vertreten  ^ ;  insbesondere  auf  den 


9)  Vorlesungen  über  die  Fhilosophie  der  Religion  2,  S.  263  1 
Vergl.  die  Zusammehstellung  d^r  verscliiedenea  Aosiprücb 
Hb«il8  über  die  Person  ^  Christi  und  die  evsngeUscbe  Ge- 
schichte uk  meinen  Streltschriflen,  5.  Heft,, von  S.  76 

1)  Haeai^  Rechtsphilosophie,  %.  348.  S.  443. 

2)  Vgl.  meine  Streitschriften,  3,  S.  70. 


Sohläfsabhandlnng.   S^  ISO«  771 

Felde  d^  Religion  sind,  wenigstens  Innerhalb  des  monoi* 
thelsHschen  Gebietes,  sonst  alle  nenen  Epoehen  und  eigen« 
tbflnillchen  Gestaltvngen  an  henronragende  PersSnIIehkelten 
geknfipft:  —  nnr  das  Christenthnm  sollte  eine' Ausnahme 
von  diesem  Typus  maehen  ?  die  gewaltigste  geis^ge  Sch5- 
pfnng  ohne  nachweisbaren  Drbeber  nur  das  ErgrtMilfs  des 
Znsammenstorsee  serstrenter  Krfifte  ond  Ursachen  sein?  ^ 
'  Diese  rön  ihr  niemals  gelfingnete  Seite 'der  Sache  ans« 
drOekHeh  henrorsnkefaren,  ist  die  Kritik  auf  willkommene 
Weise  durch  yersehiedene  Stimmen  reranlafst  worden  'j. 
In  Folge  dieser  Reflexion  tritt  Jesus  in  die  Kategorie  der 
hochbegabten  Individuen ,  welche  auf  den  '  verschiedenen 
Lebens  •  Gebieten  die  Entwicklung  des  Geistes  in  der 
Menschheit  eu  höheren  Stufen  an  erheben  berufen  sind; 
Individuen,  welche  wir  auf  den  aufserreligiösen  Feldern^ 
iiamenelich  auf  denen  der  Kunst  und  Wissenschaft,  alsCto^' 
rtie*8  an  beaeichnen  pflegen.  Freilich  ist  hiemit'  Christuri 
loeh  nicht  wieder  in  das  eigentlich  christliche fleiligtfinm, 
tondern  nur  erst  in  die  Kapelle  des  Alexander  Severus  ein- 
refdhrC:,  wo  er  neben  Orpheus  und  Homer,  neliM  Moses 
licht  nur,  sondern  auch  neben  Muhämmed,  zu  stehen 
Lommt,  fa  wo  er  die  Gesellschaft  von  Alexander  und  Ci- 
lar,  von  Rapbael  und  Moeart  nicht  verschmflhen  darf. 
Swar  wird  nun  diese  beunruhigende  Zusammenstellnng 
heiiweise  wieder  aufgehoben  durch  die  doppelte  Ceber« 
ßgang,  dafs  erstlich  unter  den  ^verschiedenen  Gebieten, 
D  welchen  die  ^ttverwandte  Schöpferkraft  des  Genie's 
ich    entfalten  kann ,    das  der  Religion   nicht   blofs  nnbe- 


3)  Ui.utAiiH,  in  seiner  Reccns.  des  L.  J. ,  in  den  theoL  Studien 
u.  Kritiken,  I956,  S.  813iF.,  n.  imAntwortschreiJben.  S.  26ff.; 
SciiwaizBR,  das  Leben  Jesu  ^on  Strauss,  im  Verhältuiss  zur 
ScMLBiBRMACHKR^schen  Dignität  des  .Religionsstifters ,  theol. 
Stud.  u.  Kr.  iSS?,  S.  465;  Sciullku  ,  der  historische  Chri- 
stus u.  die  Philosophie ,  S.  96  ff.  Womit  zu  vergl.  meine 
Streitschriften,  a.  a.  0.  u.  S.  149  ff. 

49* 


979  Stcbluf8«bban4lfiiig.    §.  150, 

«tlniQil  «Ib  lUt  rornebinsta  aiMnaa^teht ,  •ohAbm  genwr 
•icb  i|i«  dfin  Jibrig^Q  wie  der  Mittelpunkt  fiom  Omkreiee  Ttf» 
bXlt»  iofer^  ^1  der  Beligion  allein  der  gdtrlicbB  GeUt  iki 
ilien«ob|i«^eo,  Ubl  niHaittelliaren  Selbstbewofttsein,  «nf  aUci 
en^erU:  j&ebieteo  darob  irgi^nd  eine  Vermlttiaiig  —  ?« 
Gediiafc^n ,  Bildern ,  Farbeq ,  Tönen  n.  a.  f.  nahe  tritt, 
weftifegen  vom  ReÜgienagtlfter  in  gans  andaraaa  Sime, 
als  ^ofl^  l)|cbier|  Pbiioeopben  n.  dgl»  gesagt  werden  ksiifi, 
dafs  Gott  sieb  in  ibm  offenbare;  wosn  aU  Zweirea  bmI 
daa  kommt,  dafa  aaeb  innerhalb  dea  religiöaeo  Gekiec« 
Cbriatoa,  als  Urheber  der  hdobgten  Religion ,  die  Obrig« 
Religionsatifter  überragt. 

Allein  I  wenn  auch  In  dem  obersten  Gebtete  geiat]^ 
Lebeoa»  Im  Felde  der  innigsten  Vereinigung  göttUcbeii  tsA 
iiven«q}ilfobe9  Wesens,  Cbristoa  onter  Allen,  welebe  suf 
demselbea  genialisch- sehöpferiseh  anfgetreten  aind^  «la  der 
Gröfiite  dasteht:  ao  gilt  diefa  nur  von  dem  bisberigeo  Ve^ 
laaf  der  Dtng^ ;  fftr  die.  Zukonfit ,  scbeiot  ea ,  liaiien  wir 
keine  BOrgaebaft,  ob  nicht,  wenn  gleich  die  Cluriateiüick 
kelnea  Andern  wartet,  doch  noch  ein  Anderer  komaei 
werde ^  der  4ch  an  Christo  als  Gleicher,  oder  gar  als  \St 
barer  ?erhielte«  Wie  auf  Thaies  und  Parmenidea,  Sokn- 
tea  and  Piato,  und  innerhalb  dea  religiösen  Gelnetea  selbe 
auf  Moses.  Christus  folgte;  wie  die  Möglichkeit,  dafs  d<s 
bisher  aufgetretenen  Genien  die  Zukunft  ebenbürtige,  jt 
selbst  flberlegene,  cur  Seite  oder  voranstellen  möge,  ii 
allen  andern  Fischern  Torauageaetat  wird:  so  iat  diesetts 
Möglichkeit,  scheint  es,  aach  auf  dem  Felde  der  Reiigids 
nicht  absuläugnen.  Zwar,  wie  jedes  Volk  ttberbaupt  ssias 
gesetaten  Zeitrünma  des  8teigens,  der  Bliithe  und  das  Ver» 
fallea  hftt:  ao  gibt  es  einen  Zeitpunkt,  von  wo  ab  aoch  ia 
den  verschiedenen  Gebieten  seines  geistigen  Lebens  kdae 
böheren  Offenbarungen  mehr  au  erwarten  sind,  soadn« 
auf  das  goldene  Zeitalter  das  silberne,  eherne  u*  s.  w.  fei* 
gen;  allein  der  Typus  des  LebensverlauCs  einer  einaelaes 


Schlarsfibhandlang.   %.  150.  Ttt 

INntioii  kann  nfcht  entgegengehalten  werden  9  wo  ei  ilob 
mim  die  Religiooi  des  Geraeintame  Fieler  Vdlker,  handelt  Da« 
«her  ist  allerdings  wahr,  dafs  weder  innerhalb  der  Sohrao« 
l^e  der  Volkseinheit,  noeh  aneh  abgesehen  von  derselben, 
die  folgenden  Genien  eines  Gebietes  «a  den  früheren  notb» 
ivendig  immer  als  die  höheren  sieh  verhalten  ^  ihr  Untere 
schied  oft  nur  ein  qualitativer,  nicht  immer  sagleich  ein 
quantitativer  ist;  wie  denn  sohwerlieh  Jemand  sagen  wird, 
Sophokles  sei  ein  grösserer  Dichter  als  Bomer,  Cftsar  oder 
üapoleon  ein  grösserer  Feldherr  als  Alezander  gewesent 
indefs  ist  hier  doch  das  Genaaere  dieses,  dafs  diese  8pä* 
teren  «war  niohl  vermöge  des  Mafses  ihrer  Begabung  oder 
persönlichen  Leistung  über  den  Frfiheren  stehen,  wohl 
aber  insofern,  als  ihnen  das  Vermichtnifa  nicht  nur  dey 
früheren  Heroen  ihres  Faches ,  sondern  überhaupt  die  gei- 
stige Errungenschaft  der  Zeitrüume,  welche  zwischen  ihnen 
«od  ,den  Früheren  innelagen,  nur  Benütaung  und  Verar- 
beitnng  au  Gebote  stand.  So  ist  Napoleon  freifieh  wohl 
liein  grösseres  miiitfirisches  Genie  su  nennen,  als  CiUar! 
aber  er  hat  doch  höhere  strategische  Probleme  gelöst,  wel- 
che au  Cüsar's  Zeiten  theils  noch  nicht  gestellt,  theils  aua 
Hangel  an  Mitteln  unlösbar  waren;  ebenso  ivenig  wird 
.man  von  Shakespeare  behaupten  wollen,  weder  dafs  er  ein 
grösseres  DIehtergenie  als  Homer  oder  Sophokles  gewesen, 
noch  dass  seine  Werke  an  künstlerischer  Vollendung  ülier 
denen  der  beiden  Griechen  stehen:  dennoch  aber,  sofern 
es  ein  entwickelteres  Bewnfstsein  der  Menschheit  war,  wel- 
ches der  Brite  poetisch  verarbeitete,  tiefere  oder  doch 
verschluDgenere  Probleme,  welehe  er  so  lösen  hatte,  steht 
er  inaofern  höher,  —  wie  wiedernm  in  eben  dieser  Rück- 
aicht  Göthe  über  Shakespeare;  und  jedenfalls  stünde  ein 
seleher  spftterer  Genius  den  später  lebenden  Geschlechtem 
nfiher,  würe  ihrer  geistigen  Entwicklungsstufe  viarwandter, 
mithin  com  Vorbild  und  Anschliefsnogspunkt  geeigneter ^ 
als  der  frühere:  folglich  auch  ein  voranaaetalich  ap&ter  noeh 


; 


774  SohlafaabhftndlQDg.    S*  150* 

kommender,  wenn  gleich  an  sieh  nicht  höher  begabter  r- 
ligiöser  Genins  den  spiter  Lebenden  Frommen  nCher  uä 
verwandter  als  Christus; 

Allerdings  indefs  gibt  es  Gebiete,  auf  welchen  wir  & 
kfinftige  Hervorbringung  eines  Höheren  oder  aneh  narGld- 
chen  mit  dem  bereits  Herrorgebraehten  nicht  blos  ini^ 
halb  eines  gewifsen  Volkes,  sondern  in  der  Henschhdt 
Oberhaupt,  für  alle  Zeiten  unbedenklich  in  Abrede  steilen. 
Ein  solches  Gebiet  ist  im  Bereiche  der  Kunst  in  der  Bild- 
hauerei vorhanden.  Hier  kann  selbst  der  begabteste  Kflost- 
1er  yernOnftigerweise  nicht  hoffen,  die  Antike  eu  übertref- 
fen, oder  auch  nur  sn  erreichen.  Freilich  liegt  diefs  ebeo 
nicht  sowohl  an  der  Begabung,  als  vielmehr  an  den  lufte- 
ren  Verhftltnissen,  welche  in  ^Griechenland  die  Anscbsaung 
des  schönen  menschlichen  Körpers  auf  eine  Weise  bejfin- 
Stigmen,  deren  Wie<{erkelir  undenkbar  ist.  Sollen  wir  nun 
aetsen ,  ebenso  machen  die  Verhältnisse  der  Jetzigen  o«f 
könftigen  Menschheit,  das  ZnrQcktreten  des  GefBbIs- «od 
Phantasie-Lebens,  dieser  unstreitigen  Geburtsstitte  der  R^ 
ligion,  hinter  dem  reflectirenden  Verstände,  eine  feroere 
Productivltüt  auf  dem  religiösen  Gebiete  undenkbar?  Diefs 
w&re  bedenklich,  sofern  wenigstens  bei  dem  gewählten  Bei- 
spiele dem  Erlöschen  der  Prodnctivitfit  auch  ein  Zarfick- 
treten  des  Interesse's  an  einer  Kunst  zur  Seite  geht,  wei- 
che^  wie  sie  an  Reich thum  des  geistigen  Gehaltes  e.  B.  nit 
der  Poesie  nicht  sn  wetteifern  vermag,  so  auch  der  fort' 
schreitenden  Menschheit  nicht  mehr  dieselbe  höchste  Be- 
friedigung, wie  den  Griechen,  gewähren    kann. 

Um  daher  die  beunruhigende  Möglichkeit ,  von  wel- 
cher wir  reden,  mit  der  Wurzel  ausaureifsen,  wäre  aa  der 
£igenthfimlichkeit  der  religiösen  Persönlichkeit  und  Seh^ 
pfung  Jesu  selbst  nachzuweisen ,  dafs  etwas  Höheres  rieh 
nicht  denken  lasse,  und  ebenso  aus  der  Natur  der  Saebe 
selbst  wäre  hernach  die  Undenkharkeit  eines  kfinftigeo  aoch 
nur  Gleichen  daraathud. 


\ 


Schlafsabbandlnog.    S-  ISa  77S 

» 

In  ersterer  Hinsieht  nun  war  der  Gegenaatc  dee  Menseli«. 

liohen  und  Göttliehen,  wie  er  in  Jedem  nenscbiiehea  "Amf 

wurstoein  gesetet  ist,  am  sthfirfaten  aber  im  Bev^ufstsein 

des  israelitischen  Volkes  vorhanden  war,  im  Selbstbewnfst- 

aein  Jesu  nach  den  drei  ersten  Evangelien  dahin  aufgelöst, 

dafa  er  Gott  als  seinen  Vater,  Gottes  Sache  als  die  seinige 

wnbte,   den  Vater  vollkommen  zu  erkennen  sich  bewubt 

i^ar,  and  seinen  Willen  in  dem  göttlichen  anfgehen  iiels; 

nacli  Johannes  sprach  er  ansdröcklioh   seine  Einheit  mi( 

dem  Vater  aus,  nnd  stellte  sich  als  die  sichtbare  Oflfenba« 

ruDg  desselben  dar;   nach  beiden  Darsiellungen  war  dleC» 

ohnehin  nicht  blofses  Vorgel>en,  aber  anch  nicht  blos  eib 

yorflbergehender  Aufschwang  des  Gemilthes  Jesu  in  ein* 

seinen  erhöhten  Angenblicken,  sondern  sein  ganaes  Lebea 

und  alle  seine  Reden   und  Handlungen  waren  von  diesev 

Bewufstsein  als  von  ihrer  Seele   durchdrungen.    Ist  nun 

die  Religion  das  im  menschlichen  Geiste  lebendig  geworde« 

ne  VerhSltnlfs  awischen  Gott  und  dem  Menschen :  so  stei« 

gen  die  Stufen  des  religiösen  JLebens  von  der  dumpfen  Be* 

wnfstlosigkeit   Ober  diesen   Unterschied   durch  die  immer 

mehv  sich  entwickelnde  Entzweiung  und  die  unvollkommen 

nen   Versuche,   sie  ansang leichen ,  in  den  Naturreligioneu 

und  der  Gesetzesreligion,  zur  voUkommenen-Ueberwindung, 

des  Zwiespalts  in  der  selbstbewafäten  geistigen  Einheit  auf, 

welche  demnach  das  Ziel  der  religiösen  Entwicklung,  die 

unllberstelgbare  höchste  Stufe  ist.    War  also  diese  Einheit 

in  Christo  vorhanden:   so  ist  in  religiö<er  Beziehung  för 

alle  Zeiten  nicht  Ober  ihn  hinaus  zu  gelangen ;  sc  sehr  auch 

auf  andern  Gebieten  des  geistigen  Lebens ,  z.  B.  im  phiU^ 

sophischen  Denken,^  in  Erfbrschung  Und  Beherrschung  des 

Natur  u«  s.  w.,   ttber  den  Standpunkt  seiner  Zeit,  dessen 

Schranken  in  diesen  Beziehungen  anch  er  theilte,  indessen 

schon  hinausgeschritten  worden  sein  und  kfinfitg  noch  hin» 

ansgesehritten  warden  mag.  i. 


i 


n<  Sohluftabhaiidlaog.    $.  150. 

Allein   Ist  dann  (Im  GirflBhl  qnd  anailteelbare  Selke- 
{Mwwfstselni  welches  allerdings  der  nffebste  Site  nnd  Hai 
dar  Religion  Ist»  wirklich  89    follkomiDen  anabhfingig  tm 
den   fibrigen  geistigen  Tbitigkeiten  nnd  deren  jewali^ 
Entwicklungsstufe  I  namentlich  von  der  Aasbildnnif  des  rs- 
flaetirenden   Denkens   and   der  doreh    dasselbe   bedingtiefl 
Weltansehannng?  Schwerlich  wird  Jemand  bebaopten  wol- 
len, das  Höchste  in  der  Religfon,  jene  Einh^l  des  GoCfÜ- 
eben  nnd  Menschlichen  im  anmittelbaren  Selbstbevrafstsein, 
wire  auch  an  erreichen  gewesen  innerhalb  des  Poljrbeis» 
mus:  and  doch  ist  der  Fortschritt  ?on  diesem  cum  Mona- 
theismas  nicht  durch  eine  Krhdhung  des  GefAhls,  aondem 
darch  Schirfung  des  J)enkens  und  Erweiterung  der  Welt- 
anschaanng  herbeigeffihrt.     Ebenso  können   innerhalb  dei 
monotheistischen  Gebietes  die  Vorstellungen  yon  rermlttelff- 
den  Engeln,   von  einem  den  göttlichen  Planen  widerstre- 
lienden  Tenfei,  von  einer  mit  seinem  ordentlichen,  natUHi- 
eben  Wirben  nicht  susammenfallenden,  dieses  nicht  aeitea 
durebkitonsenden,  ausserordentlichen  Wirksamkeit  Gottes, 
von  einem  seitliehen  Anfang  und  einstigen  Abschlolä  des 
Weltverlanfs,  —  dergleichen  dem  objectiven  Ucmken  enge- 
liörige  Vorstellungen  können  unmöglich  ohne  trübende  Rftek* 
Wirkung  auf  das  Otfilbl  sein,  innerhalb  dessen  sich  die  re- 
ligiöse Einheit  des  Göttlichen  und  Menschlichen  votlsiebea 
soll:   nnd  von  Zeiten  nnd  Bildungsstufen   mithin,    welche 
jene  Schlacken  aus  sich  ausgeschieden,  muft  sieb  aoeb  ei- 
ne reinere  Gestaltung  {euer  Einheit  erwarten  lasaen.    Da 
Jedoch  diese  Einheit  der  von  Christus  errungene  wesendi- 
die  Boden  ist,  ober  welchen  die  Frömmigkeit  ihrer  Natar 
nach  sieb  unmöglich  auf  einen  höheren  erbeben  Imnn,  ds 
alle  ferneren  WeiterbildungiBn  der  Religion  sich  mehr  nur 
formell  verbalten  mflssen:   so  können  die  religiösen  Fort« 
aebritte  kfinfUg  wie  schon  bisher  nicht  von  ferne  mehr  in 
dem  Grade  als  Epochen  auftreten,   wie  der  Riesenaebritt, 


Sohlnfiabhaadlaag.    f.  IM.  717 

nai  wtkliea  Jatas  Aa  Meatehhctt  avf  der  Baha  ihrer  re» 
lifUtaeo  EnCwieklang  irorwirts  gebracht  hat  Auab  ist  seit- 
her die  Einheit  Gottes  and  des  Mensehea  in  iceinem  menseli« 
lieben  Selbstbewafstsein  mehr  mit  solcher  scböpferischea 
Drilriftigkeit  «ofgetreten,  dals  es,  wie  bei  ihm,  sein  gan« 
aes  Leben  gleichmifsig  und  ohne  l>emerkbare  Trfibnng 
dnrohdrangen  and  Terldflrt  bitte;  and  io  weit  batderSata 
seine  Richtigkdt,  dafs  der  Anfangsponkt  einer  Reibe  in  den 
(iebietaa  des  geistigen  Lebens  wohl  anch  als  Urdfstes  aa 
denken  sei;  nimllob  nicht  als  absolut Oröfstes,  dessen  Lei- 
stung in  keiner  Hinsicht  mehr  einer  Verrollkomninang  ft- 
big  wtfre;  wohl  aber  in  dem  Sinne,  dals  eine  Idee  bei  ih- 
rem ersten  Hervortreten  am  kräftigsten  so  sein  pflegt,  ond 
am  hXofigsten  Ihre  ersten  Trfiger  mit  der  Allgewalt  durch- 
dringt, welche  diesellien  an  dem  macht,  was  man  neuer* 
lieh  plastische  Figuren  genannt  hat 

Aber  warum,  wenn  auch  kein  Höherer  nach  Christo 
zu  erwarten  steht,  warum  sollte  sich  nicht  denken  lassen, 
dafs  Einer,  Ja  dafs  Viele  nach  ihm  und  durch  ihn  dieselbe 
absolute  Stufe  des  religiösen  Lebens  erreichen  könnten? 
Man  wende  nicht  ein,  wenn  sie  durch  ihn  diese  Stufe  er- 
reichen,  so  stehen  sie  schon  insofern  unter  ihm.  Denn  im 
Reiche  des  Religiösen,  wie  des  Sittlichen  kann  Keiner  fflr 
den  Andern  etwas  vollbringen ,  sondern  der  Zweite,  Dritte,' 
Zehnte,  der  eine  Oemflthsverfessung  oderThat  in  sich  sur 
Wirklichkeit  bringt,  hat  dieselbe  geistige  Arbelt  co  voll- 
bringen, wie  der  Erste.  Noch  lurserlicher  und  in  der 
That  gar  keiner  Widerlegung  werth  ist  die  Beruhigung, 
es  sei  aur  Stiftung  des  Reiches  Gottes  auf  Erden  nur  Ein 
Gottmenseh  erforderlich,  Ja  eine  Hehrheit  derselben  w8re 
sogar  aweckwidrig,  da  der  Eine  nothwendig  den  Eindruck 
des  Andern  schwichen,  denselben  von  einem  absoluten  und 
nnvergleichlichen  aum  blos  relativen  heruntersetcen ,  über- 
dem  die  Eiabeit  der  OlFenbarnng  und  die  Bestimmang  der 

au  Einem  Gottesreiebe  dadarch  ans  den  Augen 


ns  Behlarsabbattdlan«.    S.  190. 

gerftoki  wetden  mttfste  ^.  Maoh  elMr  madtn  WoDdaif 
ist  in  dem  SOndeofaU  and  dem  MlfBTerhfiltnlaaey  woria  ii 
Folge  desselben  die  Menaebheit  ea  ibrer  Idee  stobt ,  de 
Grand  bu  soehea,  wefsbelb  4as  mensehUobe  Geschteclit  j»- 
nes  sein  Urbild,  die  ToUeadele  Darstellang.der  Persdniiek- 
iieit  des  gttttUcbea  koyo^  in  der  GesUit  creatfirUcber  Pe^ 
aönÜcbkeit,  nar  Einmal,  noi;  iif  einem  äinaigen.  seiner  la- 
dividaen  erreichen  konnte  *};  allein  die  weitere  AasfSlh 
rang  dieses  Gedankens  l&lst.  die  Saobe  so  dunkel  wiedk* 
aer  Anfang,  und  daa  Ganae  hfingt  dnreh  die  Anknfipfonf 
an  einen  Sündenfaii  als  selbs^verschaldete  Tbat  des  menieh- 
lichen  Gescblechts,  welche  d^nl]laGh  möglioherweise  tneh 
m&fste  m  vermeiden  gewesen  sein,  in  der  Luft.  Oflbnbtf 
also  hat  es  mit  diesem  Beweise  seine  eigenthOmiiehe  Schwi»- 
rigkelt:  in  der  That  jedoch  ängstigt  man  sich  hier  mit  Trio- 
men  ab  und  schlägt  sich  mit  Schatten  hemm ,  sofern  ji 
.fiberali  yon  keiner  wirklich  gegebenen  firfahrnng,  sondern 
nur  von  abstraoten  Möglichkeiten  dje  Rede  ist.  Aof  der- 
gleichen  Grübeleij^n  des  Verstandes  braucht  die  Religion 
sich  so  wenig  einzulassen,  als  ein  vernOnftiger  Mann  dorth 
die  Berechnungen  der  Möglichkeit  eines  ZasammenstofMiis 
der  Erde  mit  einem  vorüberwandelnden  Kometen  sich  schre- 
cken läfst;  die  geschäftige  Reflexion  ist  in  so  lange  schlecht- 
weg cur  Ruhe  su  verweisen ,  als  «ie  nicht  im  Stande  ist, 
in  der  Wirldichkeit  eine  Person  aufeuseigen,  welche  in 
reljgiöjBer  Hinsicht  neben  Jesum  sich  su  etelleo  den  Mntb 
und  das  Recht  hätte« 

_  Mit  Beiseitestellung  also  der  Begriffe  von  Unsfindlieh- 
keit  und  schlechthinlger  Vollkommenheit  als  unvollsieUMt* 
rer,  fassen  wir  Christum  als  denjenigen,  in  dessen  Seibit- 
bewufstsein  die  Einheit  des  Göttlichen  und  Mensohliehen 
ffuerst  und  mit  einer  Energie  aufgetreten  ist,   welche  in 


4)  Hbrh,  Hsuptthatsachen,  TUb.  Zeitschr.  1836,  3,  S.  33  f. 

5)  WsissB,  die  evang.  Oescbiphte,  2y  8.  536. 


N 


Schlaffubhan'dlv-iig.    %.  150. 


T79 


dem  ganseo  Umfange  aelnes  Gemfitbes  nnd  Lebens  alle  Rem« 
mongen  dieser  Einheit  bis  sum  verschwindenden  Minimum 
sorOckdrXngte;  der  Insofern  eiosig  i^ad  nnerreicbt  in  der 
Weltgesehichte  steht;  ohne  dafs  jedoch  das  von  ihm  an- 
erat  errungene  and  aosgesprocbene  religiöse  Bewnfstsein 
sieh  im  Einseinen  der  Läuterung  und  Weiterbildung  durch 
die  fortschreitende  Entwicklung  des  menschlichen  Geistes 
entziehen  dürfte  0* 


6)  Vergleiche  zu  diesem  SchlMSsparagraphen  meine  Abhandlifng : 
Vergängliches  und  Bleibendes  im  Cbristenthum,  im  3tcn  Hefte 
des  Freihafens  für  1838. 


Das  Leben   Jesu  Zfe  AvfI.  ff.  Bavti. 


&0 


R  e  g^  i  s  t  e  i|^ 

der  erilntorten  evaogellsohen  Absobnltte. 


(Die  rVmische  Ziffer  bedeutet  den  Band,  ^e  ara}>iBclie  dieSeitenzikM 


1,  I— 17 

22  f. 
25 

2,  1-25 

22.  25 

5,  1 
2-*l2 

13—17 

4,  I— il 
12 

13-17 
18-22 
25 

24 

5-7 

5,  17 

6,  1-18 

8,  1-4 

.    5-13 
14.  15 
16 

•  19.  20 
21.  22 
18.  23 

28-54 

9,  1-8 

9-13 


a  t  t  h  H  o  t. 

li  156-180.211-222 

I>  181—211.  222—235 

I,  197—205 

I;  235-246 

I,  279—521 

I»  314  ff*  327  ff. 

I,  571  f. 

ly  582-394.  416-424 

I,  431-^451 

I,  456-489 

ly    415  f. 

I,  490.  507-525 

Ij  585-596 

h  491  ff- 

I,  745.    II,  10.  59 

h  654-653 

I,  560  ff. 

1,557 

^        II,  71-76 

II,  113-129 

11,55 

II,  10 

I,  358 

.     I,  590  f. 

II,  187-194 
II,  31-47 
II,  59-66 

I,  606-6t2 


-27 


9,  14-17  I,  4Ä  6üt 

15  II>^ 

18.  19.  23-26     II,  145-^51 

166  f.  184-1« 
U,  103-llJ 
11,85-« 
I,  751  ff.  H,  n 

1, 6i5 

'     I,  614-Ö1 

I,  567-575.  5lÖf. 

I,  €53-657 

1,513 

1,653  f.  743 

1,395-402 

1,420  ff' 

I,  657  f. 

I,  6Mf. 

12,  1-8    I,  525.  557.  565. 7li 
9-13  1,557.711.  II,  l3a-» 


20-22 
27—51 

52-34 
55 

56-38 
10,  1-4 
5.  6 

7-42 
23 

11>  t 

2-6 
7-19 
20-24 
25-30 


14 

15—21 

22-45 

58.  89 
39.  40 
43-45 
46-50 
13,  1-53 


11,399 

I,  swff. 

I,  751-75: 

II,  3C 

n,  555-3S7 

U,  13  f 

I,  757-7Ö 

I,  659-60 


54-58        I,  236  ff.  507-515 


R  o  g  i  •  t  e  r. 


4,  1.  a 
3— la 
15— af 

22-33 
34.  35 
36 

15, 1— ao 

21—28 

29-39 

16,  1-4 
5—13 
13-17 

la— ao 

21-03 
24^26 
27.  28 

17,  1-15 
1 

14—21 
21 

82.  25 
24—27 

18,  1—20 

al-55 

19i  1 

a— la 

13-15 

16—26 
27-30 

20,  1~I6 
17—19 
20-28 

29-34 

21,  1-11 
12.^  13 
14-17 
18-22 
25-27 
28-32 


II,  17 

,       I,  425-429 

II,  212-235 

II,  194-205 

1,523 

II,  102 

I,  561  f.  695 
I,  568  ff.  11,54.129 

II,  212-218 

I,  751-7^ 

II,  213.  229 
I,  531 

If  595.  620 
n,  550  ff. 

I,  723 
I,  528.  II,  373 

U,  268—292 

I,  515.  620  ff. 

n,  47-55 

II,  12 
Ilt  521  ff. 

II,  208-212 
I,  666.  679-684.  762 

—  767 

I,  665 

II,  293  f. 

I,  68>f. 

I,  766  f. 

I,  672 

I,  551.  554  ff. 

I,  665 

II,  321  ff. 

I,  762-766 
II,  86-88 

II,  299-518 
I,  767—773 

II,  515  f.  599 

II,  252-268 

I,  419.  686 

I,  665 


961 

I,  672ff 

n,  399  f. 

I,  676-670 

I,  686-692 

I,  692-697 

I,  605  f. 

25,  1-13.  31-46. 

^  II,  562-591 

1^  672-676 

I»  321  ff: 

11,400 

I,  775-787 

II,  405-422 

II,  425-429 

II,  429-4'70 

II,  454-464 

II,  471-499 

II,  «10-507 

II,  507-516 

U,  516-525 

U,  512 

II,  539 

II»  625-639 

II,  639-555 

55.  56.II,  555-582 

II,  583-595 

II,  574  f. 

II,  604-^11 

28,  4.  II  -  «5-    "t 
611—620 

I,  620-659 

U,  639-660 

U,  696ff. 


a  r  k  u  •.' 

1,  2-8    1»  5Ö2fl^  417  ff.  450  ff. 
9_,t  1,435-451 

12.  13  1»  456-482 

14.  15         I>  376.  4ld.  490 
16-20  I>  585-596 


21,  33-44 
45.46 

22,  1—14 
15-46 

23,  1—36 
37 

24,  1-51. 

25,  14-30 

26,  1.  2 
5-5 
6—15 
14—16 

17-19 
20-29 
30-55 
36-46 
47-56 
57-68 
69-75 

27,  1 
2 

5-10 
11-31 
32-50. 
50-54 
55.  56 
57-61 
62-66 

« 

28,  t-10 
16.  17 
13-JO 


7m 


Regiater« 


29-52 
3X  33 
34 

40-43 

3-ia 

5 

13—17    . 

f6-A 

23-^26 
St  1-5 

6 

13-19 

20 

Sl.  31-56 

M^50 
4^1-34 

55-41     . 
5)  1-50 


U,  27-31 

n,  55 

1,747 

h  547.    II,  10.  29 

II,  71T-76 

I,  747 

II,  59r-66 

II,  66-71 

I,  686-612 

I,  42X  612  f« 

I,  526.  557.  711 

Ily  133-14Q 

II,  399 

I»  614-631 

I,  748 

I,  757-759 

I,  754  ff. 

I,  659-663 

II,  187-194 

II,  31-47 


31-^23.  35-43    II,  145-153. 

165  ff. 
II,  103-112 
I,  236  ff.  507-515 
I,  653-657 


S4-r54 

6,  1-6 

7-13 

14-15 

.  17-2» 


45-53 
54-56 
7,  1-23 


II,  17 

I,  425-429 

II,  212-235 

II,  194*205 

II,  102 

I,  561  f.  695 


24-30  I,  568  ff.  II,  54.  129 

II,  88-95 

II,  212-235 

I,  751  ff.    II,  3  f. 

11,  213.  229 

II,  68-95 

I,  531.  545  ff. 

U,  321  ff. 

II,  373 


31-37 

8,  1—9 
10—13 
14*-21 
22-26 
27-e 
31  ff. 

9«  1 


■*■ 


9,  2-13 
14—29 
30-33 
33-50 

10,  1 
2—12 
13—16 
17-27 
28-31 
32-34 
35-45 
46-51 

11,  1—11 
12—14. 
15—17 

18.  19 
27-33 

12>  1-12 

13-40 
13,  1-57 
14|  1.  2 
3-0 
10.  H 
12-16 
17-21 
22-25 
26-31 
52—42 
43—52 
55-65 
66-72 

15,  1-20 
21-37. 
38.  59 
42-47 

16,  1-8 

9-14 
i5-i6 

19.  20 


U,  265-9R 
U,  47-53 

1,  6)3ff.  679fi^762i 
U,  193f 

l,7tti 

1,  551.  554 

U,33ll 

^      1,  763-7M 

U,8(M3 

11,  306-516 

20^26  U,  253-2» 

1,  767-7:3 

11,399^ 
1,  419. 6tt 
l,6l£ 
I,  W-fffi 
.       U,  362-S9t 
11,4011 
1,  773-:» 
U,  405-43: 
U,  423-4» 
U,  454-4^ 
U,  46^-470 
U,  423--429 
U,  471-4« 
11,499-507 
U,  507-511 
11,  516-52S 
U,  539-55$ 
40.  4l   U,  555-681 
U,  55S-595 
ir,  604-611 
U,  620-63»  i 
U,  639-6»  I 
II,  696-7i>l 

II,  7o»-:i' 


Register. 


763 


L  u  k  a  t. 

*,   5— aS  1,  127—155 

26—38  1, 181-211.  222-235 
39—56  1»  047—055 

57— fiip  1,  127-155 

3,  1—5  I,  254-266.  328  ff. 
6—20        1,  235 ft  266-279 


81 

aa— sa  4o 
a4 

99 

41—52 
3,  1 


l,  277  ff. 
li  514-327 
li  358 
I,  327—541 
1,  545-354 
I,  571-382 


a**l8  I,  382—394«  416-404 
19.  20  1,  425—429 

21.  23  1^  435-456 

aS  1,  571  ff. 

a4— 38  !•  156—160. 211-222 


1-13 

14.  13 
16—30 
31—37 

38.  59 

1—12 

12—14 

18—26 

20 

27—32 

33—39 


I,  456-489 
1»490 
l,  fip7-5l5 
U|  27-51 
11,  55 
h  596-606 
U,  71-76 
il,  54-66 
U,  66-71 
1,  606-612 
I9  432.  612  f. 


6,  1—5      1,  525.  557.  565.  711 

Uy  133-140 

11,399 

1,  614-631 

1,  634-655 

11>  U5— 129 


6—10 
11 

12—16 
20-49 
7,  1—10 


11-17  U,  152-154. 167-169. 
175^178.  184—199 
18-23  I,  395-408 

24-35  1,  420  ff. 

36-50  I,  773-787 


8,  1-i 
4-15 
16-18 
19-21 
22-25 
36-39 
40-42.  49- 

43-48 
9i  1—6 

7-9 
10-17 

18-21 
22 
27 

28-56   . 
37-43 
44.45 
46-48 
48.  50 

51-5» 
57.  58 
•9-62 

10,  1.  17 
2-12 
13-15 
22-24 
25-29 
30-37 
38-43 

11,  1-4 
6-8 
9—13 
14-32 
24-26 
27.  28 
29.  30 
33-36 
37—52 
53.  54 


1»  618 

If  663 

I,  643ff. 

I,  757-762 
11,  187-194 

11,  51-47 

-56  U,  145-152. 

166  f.  184-I86 

II,  103—112 
1,  653—657 

U,  17.  vgl.  544 

U,  212-235 

1,  531.  620s 

U,  321  ff. 

11,  573 

U,  268-292 

W.  47-53 

U«321ffl. 

h  762-766 

1,  681 C 

I,  673  ff. 

1,358 

1,  S90f. 

1,  631  -633 

1,  655-656 

1,  657  f. 

I,  658f. 
1,  689-692 

1,  665 

1,  787 

1,  647-649 

1,  666 

1,  651 

1,  751-757 

U,  f3f. 

11,  759-7^2 

U,  355-357 

1,  6«4f.  £50 

1,  693-696 

II,  399 


784 


Register. 


IS,  1 

»-34 
55-46 

49-59 
13,  i-5 
6-9 
10-17 
18-al 
a3-a7 

78,  29 
31—53 
34*35 
lAi  1-6 

7-11 

16-34 

15,  1—32 

16,  1-13 
14-31 

17,  6 
11 

ia-19 

JO-37 

i8,  1-8 

9-14 
15-17 

18-27 

51-54 
S5-43 

19,  1-iO 
11-37 
28-40 
42-^44 

45-48 
20>  1-8 
9—16 
17-19 
20-44 
45-47 
21,  5-36 


1,748 

1,  665 

1,  650 

U,  565 

1,  6(6.  756 

U,  66  f. 

U,  366-268 

U,  158 

1,  663f. 

I,  651 

1,  567 

U,  399 

1,  505 

11,  157  f.. 

1,  693-696 

1,  676-679 

1,666 

l,  666-670 

l,  670-672 

11,  267  f. 

11,  394 

U,  76-79 

U,  563  ff. 

1,  666 

1,  666 

I,  766f. 
1,  673 

U,  521  ff. 

11,  80-88 

I,  613  f. 

I,  673-676 

II,  399-3i8 
U,  363.  384  ff. 

1,  767-773 

,  1,  419 

1,  672 

II,  399  f. 
1,  686-689 

1,  692 
n,  363-391 


33,  1 
5- 
7- 
14- 
21- 
34- 
39- 

47- 
54- 

63- 

33,  1- 

36- 

44. 
50- 

24,  1- 
15- 
16. 
35- 

47- 
50- 


3  11,« 

6  11,  M)5i 

15  U,  423-4» 

20  U,  429  f.  445  ff.  Ml 


-35  11,  4S4-46» 
-58         1,  769  f-    U,^2 

-46  11,  470-499 

-55  11,  499-W? 

-63  U,  516-513 

-71  II,  507-516 

35  U,  539- 5S 

-49  U,  555-5» 

45  U,583-S9> 

-56  lli  604-611 

12  11,  6J0-ÖJ 

-43  U,639-«e 


51.  59—42  11,  660-77« 
-37.  33.45  f*  VL,mi 
-49  U,  6%-% 

-53  Uf  704-"^ 

Johannes. 


1,  14 

15.  19-50 
51.  55 
33-54 
57-52 

3-11 

13 

13-17 

18-22 

23—35 
5,  1-31' 

33-56 
4,  1-5 

4-42 

26 

43-45 

46-54 


1,  309.  4S} 

1,3W«^ 
l,  588-394 
I,  435-«6 
1,584-596 

1,  457i. 

U,  235-252 

I,  492.  S07 

I,  767-77J 

U,  546-355 

1,699 

I,  699-7« 

1,405-4« 

1,  491.  499 

1,575-5« 

1,531.545 

I,  733-726 

U,  115-12^ 


Register. 


5,  I 

16.  l8 
17—47 

6,  1—13 
14.  15 
16-35 
06-71 
6a 

64.  70.  71 
68.  69 

7,  1 

10—13 

14.  15 

16-38 

20 

31 

33-36 

40-46 
^      41.  4a 

47—53 
Ö,  t-ll 

ia-59 

28 
48  f. 
57 
58 
59 

9,  1-3 
4—41 

10,  l-a9 
17  f. 

50-59 
40-4a 


1,  516 

'    11,  140^145 

U,  399  f. 

1,  710-714 

II,  2ia-235 

1,  548 

U,  194-005 

I,  714-717 

1,  558 

U,  405-422 

1,  544-  620 

I,  493.  499 

1,  a4a.  493 

1,  750 

1,  360 

I,  7l7f. 

U,  400 

U,  2 

1,  712 

1,  750 

1,  337 

h  699 

I,  787 

I,  717  f. 

11,308 

U,  10 

1,  519 

1,  538 

U,  400 

11,  66-71 

II,  95—102 
i,  718-721 

11,  329 
1,  536  f.    11,  400      I 

i,  493J  499     i 


fO,  41 

11,  1—44 
45-53 
54 
55-57 

12,  1-8 
9-19 
00-30 
3t '36 
44-50 

13,  1.  2 
3-20 


785 

11,5 

U,  154-186 

11,401-405 

1,  493.  499 

U«401 

I,  775-787 

u»  299-318 

U,  488  ff. 

11»  328 

1,  721  f. 

u,  429  ff* 
n,  443—454 


10.  18.  21-38  II,  454—464 


20 

23-26 
14-17 

14,  18  ff.  1(^6  ff. 
31 

15,  1-5 

17,  5 

18,  1-11 
12—27 

.     28-40 

19,  1-16 
•  17—30 

31-37 
38-42 
20»  1-18 
19—29 
21-23 


1,  726  f. 

U.  456  ff. 

11,443  ff. 

11,  358  f. 

I.  727  -729 

1,  719 

1,538 

n»  499-506 

11,  507-529 

II,  539- 54A 

H,  552-555 

11,  555-582 
11,  595-604 
II,  604-6U 
11,  620—639 
11,639-660 
11.  699-704 


21,  1-14  I,  664.   11.  205-207 

7  1,  623f. 

15-19  11,  663  f. 

20-23  1,  625.    U,  393  f. 


D  r  a  c  k  f  e  h  1  e  r« 


Im    erttcn    Bande. 

Seite  549.  ^cilc  7.  Ut  nich  „dtrüber**   ciniascliiebeii :  „begreif 

lieh  machl^^ 


Im    iwelten    Bande. 

Beile  675.  2cilc  5.  der  Anm.  statt  mVwjpJi-"  ««  '«»««  »>V»/'» 
.      —        -     J^  «t.  „ihn*«  t.  L  „ihm«* 

4.  at.  „wirklich*«  i.  l.  „wieder«« 
.    18.  8t  „geben««  a.  l.  „gäben«« 


r 


677. 
679. 
68S. 
717. 


766. 
f77» 


5,  ▼.  u.  8t.  ,,«»-««  a,  i.  „«-" 
5.  der  Amnerfc.  war  nvo^  nicht  darchscbossen  f 

drucken. 

7.  st.  „Illla8se«f  a.  1.  „Maase«« 

8.  tat  pach  für  sich  ein  Gomma  so  setxea 
5.  statt  y^s««  tp  h  ft»i9^** 


R^f>^  »cix  «Hny