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Full text of "Das Liebeskonzil, eine Himmels-Tragödie in fünf Aufzügen"

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Das 


D 8 
Diebeskonzil. 


Eine Bimmels Tragödie 
fünf Aufzügen 


Oskar Panisse, 


Zürich. 
Verlags-Magazin (3. Schabelitz). 
1895, 


Dem Andenken 


Mukten's. 


„Es iſt got gefellig geweſen in unſern 
tagen kranckheiten zu ſenden (als wol zu achten 
iſt) die unſern vorfaren unbekant ſeint geweſen. 
Da bey haben gejagt die der heiligen geſchriſt 
obligen, das die blatteren uß goß zorn kumen 
ſeint, und got damit unſere böſen berden ftraffe 
und peynige.“ 

Ulrichen von Hutten eins teutſchen Ritters 
Von den Frantzoſen oder blatteren 1519. 


„Die Dea, quae causae nobis post 
saecula tanta 
Insolitam peperere luem? ...“ 
Fracastoro, Syphilis sive de morbo 
Gallico. 1509. 


Perlonen. 


Gott Vater. 

Chriſtus. 

Maria. 

Der Teufel. 

Das Weib. 

Ein Cherubim. 

Erſter 

Zweiter [Engel. 

Dritter 

Helena 

Phryne 

Heloiſe Geſtalten aus dem Totenreich. 

Agrippina 

Salome 

Rodrigo Borgia, Alexander VI., Papſt. 

Girolama Borgia, vermählt mit Ceſarini Mutter 
Iſabella Borgia, vermählt mit Matuzzi unbekannt. 
Pier Luigi Borgia, Herzog von Gandia 
Don Giovanni Borgia, Graf von Celano 
Ceſare Borgia, Herzog von Romagna \ 
Don Joffre Borgia, Graf von Cariati 
Dona Lucrezia Borgia, Herzogin von Biſaglie 
Laura Borgia 
Giovanni Borgia 
Die Vanozza, me 5 
Julia Farneſe, vermählt mit Orſini, e 
Aleſſandro Farneſe, ihr Bruder, Kardinal. 


von der 
Vanozza. 


Kinder des Papſtes 


— — D2 


von Julia 
0 
Farneſe, ver⸗ 


noch minderjährig 
mählte Orſini. 


Ba Fr 


Dona Sancia, Schwiegertochter des Papſtes, vermählt mit 
Don Joffre. 

Adriana Mila, Vertraute des Papſtes, Erzieherin feiner Kinder, 

Francesco Borgia, Erzbiſchof von Coſenza 

Luigi Pietro Borgia, Kardinal-Diakon Neffen des 

Collerando Borgia, Biſchof von Monreale Papſtes. f 

Rodrigo Borgia, Kapitän der päpſtlichen Garde 

Giovanni Lopez, Biſchof von Perugia 

Pietro Caranza, Geheimkämmerer Vertraute 

Juan Marades, Biſchof von Toul, Geheimintendant ) des 

Giovanni Vera da Ereilla, | Mitglieder des Papſtes. 

Remolina da Ilerda, heiligen Kollegiums 2 

Burcard, Ceremonienmeiſter des Papſtes. 

Ein Prieſter. 

Erſter 

Zweiter Edelmann. 

Dritter 

Puleinello > 

Colombina Saufpieier, 

Eine Courtiſane. 


Der heilige Geiſt, Erzengel, ältere und jüngere Engel, Amoretten; 

— Maria Magdalena, Apoſtel, Märtyrer, barmherzige Schweſtern, 

ein Bote; — Tiere, Fratzen, Geſtalten von Toten; — Geiſtliche 

Würdenträger, päpſtliche Hofbeamte, Geſandte, römiſche Damen, 

Cavaliere, Courtiſanen, Schauſpieler, Sänger, Kämpfer, Soldaten, 
Volk. 


Zeit: Frühjahr 1495, das erſte, hiſtoriſch beglaubigte Datum 
vom Ausbruch der Luſtſeuche. 


Erſter Aufzug. 


Erſte Seene. 

Der Himmel; ein Thronſaal; drei Engel in ſchwanenweißen, 
federdaunartigen Anzügen mit enganliegenden, gamaſchenähnlichen 
Kniehoſen, Wadenſtrümpfen, kurzen Amoretten-Flügeln, weißgepu— 
derten, kurz-geſchnittenen Haaren, weißen Atlas-Schuhen; fie haben 
Flederwiſche in der Hand zum Abſtauben. 

Erſter Engel. Heut ſteht ER wieder ſpät auf. 

Zweiter Engel. Seid froh! Dieſes Gehuſt', dieſes 
waſſerblaue Geklotz', dieſes Schleimfließen, Fluchen, 
Spucken den ganzen Tag — man kommt zu keinem 
geſunden Augenblick. 

Dritter Engel. Ja, es iſt merkwürdig daher— 
oben! 

Erſter Engel. A propos! Sit der Thron feſt— 
gemacht? 

Zweiter Engel. Ja, um Gottes Willen! Iſt 
der Thron feſtgemacht? Er wackelte geſtern. 

Dritter Engel. Wer wackelte geſtern? 

Erſter Engel. Der Thron, dummes Gänschen! 

Dritter Engel (verwundert). Der Thron? — 
Warum wackelt der Thron? 


Erſter Engel. Enfin, er wackelt eben. 
1 


ES 


Dritter Engel. Wie? Wackelt denn hier her— 
oben überhaupt etwas? 

Erſter und zweiter Engel (laut auflachend). Ha, 
ha, ha, ha! — 

Dritter Engel (immer ernfter und erſtaunter). Ja, 
warum wackelt der heilige Thron? 

Erſter Engel (emergiih). Dummes Gänschen! 
Weil hier ſo wie ſo alles aus dem Leim geht und 
lidſchäftig wird, Götter und Möbel, Franzen und 
Tapeten. 

Dritter Engel (innerlich erbeben). Gott, wenn 
das meine Mutter wüßte! 

Zweiter Engel (ſirnrunzelnd und höhniſch). Deine 
Mutter? — Was willſt Du denn mit Deiner Mutter, 
Fratz? 

Dritter Engel. Ach, fie ließ doch heute die 
ſechzigſte Seelenmeſſe für mich leſen! 

Erſter und zweiter Engel (mit wachſender Verwun— 
derung). Für Dich?! — (Beide laut auflachend.) Ja, wie 
alt biſt denn Du? 

Dritter Engel (fi beſinnend und dann mit Pathos 
eitierend). „Vor Gott find tauſend Jahre wie ein Tag, 
und ein Tag wie tauſend Jahre!“ — 

Erſter und zweiter Engel (ihr abwinkend umd fie 
zur Raiſon bringend; ſehr breit). Ja, ja, ja — is ſchon 
recht; das wiſſen wir ſchon! — Aber wie alt wart 
Du denn drunten? 

Dritter Engel (eindlich). Knapp vierzehn Jahre! 

Erſter Engel (lachend). Und da brauchſt Du 
Seelenmeſſen? 


* 


Dritter Engel Gaghaft). Ach, Ihr wißt ja nicht, 
ich bin ja geſtorben! 

Erſter und zweiter Engel (aoch lauter lachend). 
Ha, ha, ha! Hi, Hi! — No, natürlich, ſonſt wärſt 
Du ja nicht hier! — 

Dritter Engel (in unverrückbarem Ernſt). Ach, Ihr 
wißt ja nicht, ich bin ja in Sünden geſtorben! 

Erſter und zweiter Engel auf's neue lachend). 
Das auch noch! — Du armer Schlucker, was haſt 
Du denn gethan? — 

Dritter Engel (ftodt, ſchaut mit ihren ſtarren Augen 
ihre Genoſſinnen an und faltet die Hände). 

Zweiter Engel chöhniſch). Haft Deine Schulauf— 
gabe nicht gelernt? — Haſt Kleckſe in Dein Schreib— 
heft gemacht? 

Dritter Eugel (immer in ängſtlich-geſpannter Haltung). 
Ach, mir wird ſo bang; — nicht wahr, Ihr ſagt es 
nicht weiter?! — 

Erſter und zweiter Engel ſſich ausſchüttend vor 
Lachen). Was? Da heroben; und nichts weiter 
ſagen?! 

Dritter Engel (erſtaun'p). Was? Ihr wißt es 
ſchon? 

Erſter Engel. Nein! Aber ſag's nur heraus; 
wir erfahren's doch! 

Zweiter Engel. Alſo friſch! Was war's? 

Dritter Engel. Ach, mich hat ein großer 
Mann — erdrückt! 

Erſter Engel (betonend). Erdrückt? 

Dritter Engel. Oder vergiftet! 


27.2 


Zweiter Engel (ebeufo betonend). Vergiftet? 

Dritter Engel (naiv). Ich weiß nicht mehr, 
wie die Mutter ſagte. 

Erſter Engel (mit wachſendem Erſtaunen). Ja, war 
denn die Mutter dabei? 

Dritter En gel (mit glänzenden Augen erzählend). Die 
war im Nebenzimmer; — aber die Thüre war halb 
offen; — da kam ein großer, alter Mann herein; 
— die Mutter hatte geſagt, ich ſollte alles geſchehen 
laſſen; — der Mann ſei der Rektor der Schule, 
und ſei ſehr ſtreng; — und wenn ich in allem ge— 
horſam ſei; — käme ich unter die Erſten; — und 
der große, alte Mann — 

Erſter und zweiter Engel (drängend). Nun, der 
große, alte Mann ... 

Dritter Engel (foxtfahrend). . . . war ſehr ſtark. 

Erſter und zweiter Engel (fi gegenſeitig an— 
ſchauend und die Kleine imitierend). Der große, alte Mann 
war ſehr ſtark! 

Zweiter Engel. So ſteht's im Ollendorf) 
auch. 

Erſter Engel (die Kleine aufrüttelnod. Nun, was 
that denn der große, alte Mann? 

Dritter Engel cherausbrechend). Er erdrückte mich 
und vergiftete mich, und beſpie mich mit ſeinem 
heißen Atem, und wollte in meinen Leib ein— 
dringen . .. 1 

Erſter und zweiter Engel (die Hände zuſammen⸗ 


) Bekannte Schulgrammatik. 


— 


ſchlagend, mit verſtellter Verwunderung). Was? — Und die 
Mutter kam Dir nicht zu Hülfe? 

Dritter Engel. Die ſtand an der Thürfpalte 
und ſagte immerfort: „Sei nur brav Lilli, ſei nur 
brav, Lilli!“ 

Zweiter Engel. Nun, und dann? 

Dritter Engel. Dann lag ich ſchluchzend auf 
dem Bett. 

Erſter Engel. Und dann? 

Dritter Engel (fi beſinnend). . . . ich hörte dann 
noch die Mutter mit dem Manne reden... 

Zweiter Engel. Was ſprachen ſie? 

Dritter Engel (ſich tief beſinnend). . . . ich weiß 
es nicht mehr; . . . ſie waren ſchon im Nebenzimmer: 

ich hörte noch die Zahl fünfhundert . . . 

Erſter Engel. Und dann? 

Dritter Engel ſſich immer länger befinnend). . . . die 
Mutter kam herein .. . ſie ſagte, nun hätten fie 
viel Geld, und könnten luſtig und vergnügt für 
immer leben . .. (die Gedanken gehen ihm aus). 

Erſter Engel (drängend). Und dann? — 

Zweiter Engel (ebenſo). Und dann? Und dann? 

Dritter Engel (fait verklärtbö. Dann — bin ich 
geſtorben. 

Erſter und zweiter Engel (fahren, die Hände 
über dem Kopf zuſammenſchlagend, mit einem ſchrillen, lang an— 
haltenden, mädchenhaft-gilfenden Ton, wie, um eine innere Er— 
regung ausſtrömen zu laſſen, auseinander, und wie zwei Kreiſel, 
pfeifend, in der weiteſten Rundung im Saal herum; die Dritte 
noch immer in ſtarr verklärter Stellung.) 


FE 


Erſter Engel (nach längerm Umherſauſen, atemlos). 
Und da läßt Dir jetzt Deine Mutter für das viele 
Geld Seelenmeſſen leſen?! 

Dritter Engel (veinerlich ängſtlich). Ich bin ja in 
Sünden geſtorben! 

Zweiter Engel Leindringlicher). Für die 500 Mark 
oder Thaler oder Franken läßt dir jetzt Deine Mutter 
Seelenmeſſen leſen?! 

Dritter Engel (mißverftehendenaiv). ... für einen 
Teil des Geldes. 

Zwei ältere Engel (kommen ſchnell hereingeſtürzt 
mit dem Ruf). EN kommt! — ER kommt! — St 
alles parat? — (Die Drei fahren auseinander und machen 
ſich an die Arbeit.) 

Erſter Engel. Um Gottes willen, ſeht, ob 
der Thron feſt iſt! (Einer der Engel macht ſich am Thron 
zu ſchaffen. Andere Engel kommen inzwiſchen, bringen Decken, 
Polſter, Kiſſen und dergl.) 

Zweiter Engel chopſt auf den Thron und probiert 
ihn nach allen Seiten). Alles fix! 

Erſter Engel Gum Dritten, der noch zu ſcheu iſt, Hand 
anzulegen und verwundert dem ganzen Treiben zuſchaut). Du, 
davon mußt Du mir noch mehr erzählen. — Jetzt 
ſtell' Dich zu uns her! 

Die zwei ältern Engel die bisher außen an der 
Thüre Wache geſtanden haben, kommen jetzt, wie oben, eilfertig 
zurück, übermäßig mit den Armen fuchtelnd, und mit dem gleichen 
Rufe). ER kommt! — ER kommt! — Man hört draußen 
ſchlappendes und ſchleppendes Geräuſch.) 


Zweite Scene. 


Die Vorigen; Gott Vater, ein Greis im höchſten Lebens— 
alter mit ſilberweißen Haaren, ebenſo Bart, hellblauen wäſſerigen 
Glotzaugen, thränengefüllten Augenſäcken, gebeugten Hauptes, ky— 
photiſchen Rückengrats, kommt in langem, talarartigem, mißfarbig— 
weißem Gewande, von zwei Cherubim rechts und links geſtützt, 
huſtend und bruſtraſſelnd, ſchwerfällig tappend und nach vorn ge— 
neigt, hereingeſchlappt; zwei Engel ſtehen am Thron und halten 
ihn; die Uebrigen ſtürzen auf die Kniee, wenden das Geſicht zur 
Erde und breiten die Arme aus; hinter Gott Vater ein endloſes 
Cortége von Engeln, Seraphim, Thürſtehern, Aufwärtern, alles weib— 
lich, oder geſchlechtslos, mit teils alltäglich - gelangweilten, teils 
fürwitzigen, teils ängſtlich-beſorgten Geſichtern; ſowie einige nonnen— 
artig gekleidete barmherzige Schweſtern mit Medizinflaſchen, Decken, 
Spucknäpfen u. drgl. — Sie geleiten Gott Vater langſam vorſichtig 
zum Thron, helfen ihm die zwei Stufen hinauf, indem ſie unten 
ſeine Beine faſſen und hinaufheben, drehen ihn dann oben um, und 
laſſen ihn langſam auf den im älteſten byzantiniſchen Stil gehal— 
tenen, mit reichem Moſaik verzierten Sitz nieder, indem zwei vorne, 
zwei hinten und je einer an den beiden Seiten ihn teils ſtützen, 
teils in Empfang nehmen; ein letzter Engel trägt die Krücken nach. 


Gott Vater (finft mit einem verzweifelnd von ſich ſtoßen— 
den, lebensſatt rauhen Exſpirations-Seufzer auf den Thron nieder). 
Ach! — (Gloßt dann ſtarr und beweguungslos, aber ſchwer ath— 
mend, vor ſich hin). 

(Alle Engel, auch die bisdahin gekniet geweſenen, in haſtig 
hin⸗ und herlaufender Bewegung.) 

Cherubim (in flüfternd-drängendem Befehlston). Die 
Fußbank! 

Ein Engel (bringt eilig das Gewünſchte). Die Fuß— 
bank! 

Cherubim (die Fußbank unterſetzend; wie oben). Die 
Wärmeflaſche! 


3 


Ein Engel (bringt fi), Die Wärmeflaſche. 

Cherubim (wie oben). Den Fußſack! 

Ein Engel (eilig). Den Fußſack. 

Cherubim (wie oben). Die Steppdecke! 

Ein Engel (bringt fie, eilig). Die Steppdecke. 

Cherubim (wie oben). Die Schlummerrolle! 

Ein Engel (bringt fi). Die Schlummerrolle. 

Cherubim (wie oben). Den Rückenwärmer! 

Ein Engel (bringt ein ſechsfach zuſammengelegtes weiches 
Flanellſtück'). Den Rückenwärmer! 

Cherubim (immer haftiger befehlen). Die Arm— 
polſter! 

Ein Engel (bringt zwei Hohlkiſſen für die Armlehnen). 
Die Armpolſter. 

Cherubim (wie oben). Das Foulard! 

Ein Engel (bringt ein kirſchrotes Seidentuch)ß. Das 
Foulard. 

Während der Cherubim das Tuch um den Hals des Greiſen 
windet, hört man 

Gott Vater (unartikuliert-rauh ſtöhnen und jammern). 
Aeh! — Aeh! — Aeh! — Aeh! — 

Verſchiedene Engel. Wo fehlt's? — Was 
iſt? — Helft! Helft! Wo fehlt's? — 

Gott Vater (mit vorgebeugtem Kopfe weiterftöhnend). 
Aeh! — Aeh! — Aeh! — Aeh! — 

Alle Engel (ſammeln fi in großer Beſtürzung um den 
Thron; einige knieen nieder und ſchauen ängſtlich geſpannt auf 
Gott Vater). Helft! — Helft! — Wo fehlt's? — Wo 


S 


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fehlt 3? — Göttliche Majeſtät, wo fehlt's? — Er 
ſtirbt uns! — Holt Maria! — Holt den Mann! — 
Helft! — Helft! — 

Gott Vater (weiterftöhnend; wird engoudiert im Geſicht; 
aus den Augenſäcken rollen große Thränen infolge der Anſtrengung). 
Aeh! — Aeh! — Schu! — Schpu! — Schpu! — 

Ein Engel (ſpringt auf, triumphierend, mit heller, lauter 
Stimme). Die Spuckſchale! 

Alle En ge [ (aufipringend, in klirrendem Diskant, erlöſend). 
Die Spuckſchale!! 

Sie eilen zu einem Tiſch, wo Medizinflaſchen, Weinkaraffen, 
Bisquit⸗Gläſer u. drgl. ſtehen, und bringen eine roſa-xote Kryſtall— 
Vaſe. 

Gott Vater (aäuſpernd, kollernd, ſich abmühend, erleich— 
tert ſich endlich). 

Ein Engel nimmt die Spuckſchale zurück, trägt ſie, von An— 
deren begleitet, feierlich nach hinten; ein anderer Engel wiſcht dem 
Alten mit einem ſeidenen Tuch den Bart ab; dann ſtehen alle 
Anweſenden, dicht geſammelt, erwartungsvoll um Gott Vater herum. 
— Dieſer ſchaut erſt lange mit glaſig-ſtarren Blicken im Kreiſe herum, 
packt dann plötzlich mit zitternden Händen die Krücken, die ihm im 
Schoß liegen, und ſtößt ſie mit unerwartetem Ruck und heiſerem, 
fürchtenmachendem, fingierten Gebrüll gegen die Engel vor: „Wuh! 
— Ruh! —“ Die Engel fahren kreiſchend auseinander und fliehen 
zu den Thüren hinaus. — Nur ein Cherubim bleibt zurück, der 
knieend, mit in den Händen vergrabenem Geſicht, ſich vor ihm nieder— 
wirft. — Lange Pauſe. — 


e 


Dritte Seene. 

Gott Vater. Ein Cherubim; dieſer, ein geſchlechtsloſer 
Engel, gefitticht, weiß, ſehr ſchön von Angeſicht, im Charakter des 
Antinous; kniet während der ganzen Scene. 

Gott Vater (achdem er lange auf ihn herabgeſehen; 
ſehr ruhig; mit tief genommenem Bariton). Rollt die Erde 
noch in ihren Sphären? — 

Cherubim (die Augen aufſchlagend, feierlich). Die Erde 
rollt in ihren Sphären! — (Paufe.) 

Gott Vater (wie oben). Iſt die Sonne ſchon 
aufgegangen? — 

Cherubim Gögeand). Die Sonne ſteht, heiligſter 
Vater! 

Gott Vater Kuhig- unbekümmert). Steht die 
Sonne? — Ach ſo, ich hab' vergeſſen. — Ich ſehe 
ſie ja faſt nicht mehr! — 

Cherubim. Was machen Deine Augen, ehr— 
würdiger Vater! — 

Gott Vater. Schlecht! — Schlecht! — Gott, 
ich bin alt geworden! — 

Cherubim (feierlich). Vor Dir find tauſend Jahre 
wie ein Tag! — 

Gott Vater. Ja, ja; aber ſchließlich gehen die 
auch herum! 

Cherubim. Du wirſt wieder beſſer werden, 
göttlicher Greis! 

Gott Vater. Nein, ich werde nicht wieder beſſer 
werden! (Ausbrechend.) Gott, iſt das ſchrecklich, alt zu 
ſein! Gott, wie iſt das ſchrecklich, als Alter auch 


noch ewig leben zu müſſen! — Gräßlich, ein blinder 
Gott zu ſein! 

Cherubim. Du wirſt wieder ſehend werden, 
göttlichſter, heiligſter Vater! — 

Gott Vater bbeſtimmt). Nein, ich werde nicht 
wieder ſehend werden! — Ich werde immer älter, 
zerbrechlicher und elender! Gott, wenn ich ſterben 
könnte! 

Cherubim (ſanft). Du wirſt nicht ſterben! — 
Du kannſt nicht ſterben! — Du ſollſt nicht 
ſterben! — 

Gott Vater (gerührt, leiſe weinend). . . . Ach, meine 
Glieder, ſie ſind gekrümmt, verſchwollen, waſſer— 
ſüchtig, kontrakt, verdorben . . . (ſtreicht die Kniee hinab.) 

Cherubim (rutſcht ganz nahe zu ihm hin, legt ſeinen 
Kopf auf das eine Knie und ſtreichelt mit der Hand das andere; 
leiſe wimmernd, mit tiefer Teilnahme, den Alten kindlich imitierend). 
Deine Glieder ſind gekrümmt, — ſind geſchwollen, 
— ſind waſſerſüchtig, — find kontrakt, — ſind ver— 
dorben . .. Ach! — Ach! — 

Gott Vater (intenfiver weinend). Meine Füße ſind 
vergichtet, verknorpelt, brennend vor Schmerzen, 
zuckend und zerriſſen . . . 

Cherubim (rnutſcht hinunter auf die Füße des Alten, 
liebkoſt ſie, weint und jammert). Deine Füße ſind vergichtet, 
— ſind verknorpelt, — ſind brennend vor Schmerzen, 
— zucken und ſind zerriſſen ... Ach! — Ach! — 

Gott Vater (bricht in heftiges, ſchmerzhaftes Schluchzen 
aus). Ach! — Ach! — 

Cherubim (ftürzt ſich ganz zu Boden und umſchlingt 


1 
beide Füße, fein Geſicht in denfelben ſchluchzend verbergend). Ach, 
mein Gott! Mein Gott! — 

Gott Vater (will ſich gerührt vorbeugen, ſtreckt beide 
Arme nach dem Knaben aus, kann ihn aber nicht erreichen, wäh— 
rend dicke Thränen auf den Kopf des Cherubim herabtropfen). 

Cherubim (effen gewahr, ſchnellt empor und bringt 
ſich, in halb-knieender Stellung den Körper des Alten umſchließend, 
ihm entgegen). 

Gott Vater (ergreift in heftiger Leidenſchaft den Kopf 
des Knaben mit beiden Händen, drückt ſein naß-verſchwommenes 
Geſicht an deſſen Wangen, und küßt, von Schluchzen unterbrochen, 
brünſtig deſſen Stirne, Augen, Haare. Beide, in Thränen aufs 
gelöſt, ruhen, während der heftige Ausbruch des Alten zu verſiegen 
beginnt, in ſtummer Umarmung aneinander. — In dieſem Augen— 
blick klopft es draußen.) 

Cherubim (fährt empor). Es iſt jemand draußen! 

Gott Vater (mid). Sieh, wer es iſt! 

Cherubim (achdem er ſich an der Thüre flüſternd er— 
kundigt, kommt zurück). Ein geflügelter Bote iſt draußen, 
der will Dir Nachricht bringen; er thut ſehr eilig. 

Gott Vater gleichgültig). Laß ihn herein! — 


Vierte Seene. 

Die Vorigen; ein gefittichter, auch an den Füßen geflügelter 
Bote von reiferem Charakter, kommt in Begleitung zweier Engel 
in großer Erregung herein). 

Bote (finft in den Staub und küßt den Boden; richtet ſich 
dann knieend auf). Herr, ich komme aus Italien; aus 
Neapel; Gräßliches muß ich Dir berichten; der 


Pfuhl der Sünde ſtinkt bis da herauf; alle Bande 
der Sittlichkeit find gelöſt; man hohnlacht Deiner 
heiligen, am Berge Sinai von Dir ſelbſt gegebenen 
Gebote; die Stadt, vom Franzoſenkönig belagert, 
ergibt ſich den entſetzlichſten Greueln; Weiber laufen 
mit entblößtem Buſen frech-lüſtern durch die Straßen; 
die Männer funkeln wie Böcke; ein Laſter folgt dem 
andern; das Meer brandet bis in ihre Gaſſen; die 
Sonne hat ſich ſchon verdunkelt; aber fie achten 
weder irdiſcher noch himmliſcher Zeichen; die Unter— 
ſchiede der Stände ſind aufgehoben; der König 
bricht ins Lupanar; und der Facchino dringt zu 
den feilen königlichen Metzen in den Palaſt; Hunde 
und Spielhähne haben ihre Brunſtzeit, aber die 
Neapolitaner ſind das ganze Jahr Tiere; die 
ganze Stadt ein kochender Keſſel der Leidenſchaft; 
Italien iſt das liebes-wahnwitzigſte unter den 
Völkern Europas; aber Neapel iſt in Italien, was 
Italien unter den Völkern; die Belagerung hat 
den Rauſch der Geſchlechter bis zum Wahnſinn 
geſteigert; kein Alter wird geſchont, keiner Jugend 
ſich erbarmt; Zeugungs-Glieder in unermeßlicher 
Größe werden als Gottheiten in feſtlichem Aufzug 
durch die Straßen geführt, von Reigen junger 
Mädchen begleitet, und wie allmächtige Idole an— 
gebetet. Und in Deiner Kirche ſah ich den Prieſter 
vor dem Altar mit einer feilen Dirne . .. 

Gott Vater (der den Gang der Erzählung mit wach— 
ſendem Erſtaunen zugehört, erhebt ſich, ſeines Zornes nicht mehr 
mächtig, mit äußerſter Kraft-Anſtrengung vom Thron, und reckt 


— 1 


die geballte Fauſt). Ich will ſie zerſchmettern! — 
(Alles ſtürzt zu Boden und verbirgt das Antlitz.) 

Cherubim (mit flehender Geberde). Thu’ das nicht, 
lieber, heiliger Vater; — — — du haſt ja ſonſt 
keine Menſchen mehr! — 

Gott Vater (der den Cherubim lange mit offenem 
Munde angeſtarrt, ſich beſinnend, zuſammenknickend). Ja ſo, — 


richtig, — ich hab' vergeſſen (vollends auf den Thron 
zurückſinkend), das Erſchaffen iſt ja vorbei; — ich bin 
zu alt; — und meine Kinder können es nicht. — 


Cherubim (naiv). Beruhige dich, göttlicher Greis! 
— Du wirſt dein drohendes Geſicht aus den Wolken 
zeigen und den Neapolitanern eine Zornes-Rede 
halten; ſie werden dann ſchaudern. 

Gott Vater. Sie werden nicht ſchaudern! — 
Sie verlachen mich ja! — Sie wiſſen, daß ich nur 
reden kann. Sie wiſſen, daß ſie da unten unter 
ſich ſind; freien, lieben und haſſen können, und mich 


nicht mehr brauchen. — — (Auffahrend.) Aber Du 
(zum Boten) rufe mir meine Tochter, die allerſeligſte 
Jungfrau, — und auch meinen Sohn magſt du 


rufen, — und die Cherubim und Würgengel mögen 
ſich für meinen göttlichen Befehl bereit halten; — 
und auch dem Teufel laß ich vermelden, er möge 
ſich zu mir bemühen: wir wollen ein Konzil halten, 
und beraten, was in dieſer gräßlichen Sache zu 
thun iſt. 

Bote und alle übrigen Engel bis auf den Cherubim 
unter großem Geräuſch ab. — Der Cherubim bemüht ſich um 
den erſchöpften Alten, bettet ihn aufs neue auf dem Thron, rückt 
Fußſchemel und Wärmeflaſche zurecht, knüpft ihm das Foulard, 


wiſcht ihm Geſicht und Bart ab, und ſchmiegt ſich zuletzt zu feiner 
Füßen, während der Alte deſſen Hand ergreift und in der ſeinen 
ruhen läßt. — Stumme Scene. 


Fünfte Seene. 


Die Vorigen. Maria, von einer Schar jugendlich amo— 
rettenhaft gekleideter Engel, die ihr vorauseilen und ihr Blumen 
ſtreuen, ſowie von erwachſenen Engels-Knaben, die Lilienſtengel 
tragen, gefolgt und begleitet, kommt in hochmütig⸗-ſtolzer Haltung, 
eine kleine goldene Krone auf dem Haupte, in einem blauen, ſtern— 
beſäeten Kleid, welches vorne das weiß-ſeidene Untergewand er— 
blicken läßt, durch die Haupt-Thüre herein, macht in Front von 
Gott Vater, von deſſen Thrones-Stufen ſich der Cherubim in— 
zwiſchen zurückgezogen, eine ſteife, hofmäßige Verbeugung und be— 
gibt ſich dann auf einen zweiten, in der Zwiſchenzeit von dienſt— 
baren Engeln, etwas entfernt von Gott Vater, ebenfalls an der 
Wand zurechtgerichteten Thron, der, mit hoher Rücklehne, im Stile 
ſich der Zeit der Minneſänger anpaßt. Sie verweilt dort während 
des Folgenden, von ihrem Engels-Chor umgeben, ausſchließlich mit 
Herrichtung ihrer Toilette, Benutzung eines kleinen Spiegels, ſowie 
Selbſt⸗Beſprengung mit wohlriechenden Wäſſern beſchäftigt. — 
Ein weiches Geflüſter ſchalkhafter, augenſchmeißender Amoretten 
macht ſich um ihn vernehmbar. — Währenddem unterhalten ſich 
auf der entgegengeſetzten Seite, links im Vordergrund, die drei 
aus der erſten Scene bekannten Engel. 


Erſter Engel. Der Mann kommt. 

Zweiter Engel (in die Hände patſchend.. Der 
Mann, der Mann kommt. 

Dritter Engel (aufhorchend ernſthafö). Der Mann? 
Wer iſt der Mann? — 


Zweiter Engel. Ach, der Mann — du kleines 
Aeffchen — das iſt der Mann! 

Erſter Engel (belehrend). Das iſt der ſchönſte, 
der zarteſte, der zuckrigſte Mann; der einzige Mann 
im Himmel; das iſt der Mann. 

Dritter Engel (neugierig). Iſt er jung? 

Erſter Engel. Wie eine Palme. 

Dritter Engel (mach einigem Beſinnen). Iſt er 
jünger, wie der alte Mann dort? 

Erſter und zweiter Engel (fi) gegenfeitig ins Wort 
fallen). Hunderttauſendmal jünger! 

Dritter Engel (nach weiterem Beſinnen). Iſt er 
jünger, wie die ſchöne Frau dort? 

Erſter und zweiter Engel (wie oben). Tauſend— 
mal, tauſendmal jünger! 

Dritter Engel (wieder befinnend). Iſt er jünger 
wie der garſtige alte Mann drunten auf der Erde? 

Eriter und zweiter Engel (wie oben). Unend— 
lich oftmal viel jünger! 

Dritter Engel (fd) erwärmend). Iſt er ſchön? 

Zweiter Engel. Weiß wie Elfenbein! 

Dritter Engel. Iſt er ſchlank? 

Erſter Engel. Wie eine Tanne! 

Dritter Engel. Was hat er für Augen? 

Zweiter Engel. Wie eine Gazelle! 

Dritter Engel. Wie ſpricht er? 

Erſter Engel (beſinnend). Wie eine Acolsharfe! 

Aber traurig, traurig! 

Dritter Engel (eilnahmsvoll). Warum iſt er 
traurig, der Mann? 


ee 


Zweiter Engel. Er iſt ja verwundet! 

Dritter Engel (ſtumm- verwundert fragend). 

Erſter Engel. Sie haben ihn ja in die Hände 
geſtochen! 

Zweiter Engel. Und durch die Füße! 

Erſter Engel. Und in die Seite hinein! 

Zweiter Engel. Und von der Stirn unter 
den Haaren herab fließen Blutstropfen! 

Dritter Engel (der mit wachſender Verwunderung zu— 
gehört). Aber er lebt? 

Erſter und zweiter Engel. Er lebt! 

Man hört draußen das Sich-Nahen eines Zuges. Eine Schar 
junger, mädchenhafter Engel ſtürzt voraus. 

Erſter und zweiter Engel. Der Mann 
kommt! 

Dritter Engel (feife repetiereno ). Der Mann 
kommt. (Sie treten etwas zurück, um Platz zu machen.) 

Die vorauseilenden Engel szwitſchernd, kichernd). 
Der Mann! Der Mann! 

Chriſtus, mit geſtreckten, nach vorn übereinandergeſchlagenen 
Armen (Eece-homo-Stellung), kommt im weißen Talar mit über— 
geſchlagenem Purpur⸗Mantel, als König der Juden, geſenkten Kopfes 
und mit tief⸗trauriger Miene ſkandierten Schrittes herein, umgeben 
von meiſt älteren Engeln, die Kreuz und Marterwerkzeuge tragen; 
in ſeinem Gefolge Apoſtel, Märtyrer, Maria Magdalena, Klage— 
weiber. Er iſt ſehr jugendlich, blaß mit dunklen Haaren, leichtem 
Flaumbart, eine hoch aufgeſchoſſene, ätheriſche Erſcheinung; auch 
das Gefolge hat den Charakter tiefſter Niedergeſchlagenheit und 
Hinfälligkeit. Die jüngeren Engel drängen ſich mit feurigen Blicken 
um ihn, ſuchen ſeinen Gewandſaum zu berühren. Er begibt ſich, 
gleichgültig von Gott Vater beobachtet und gänzlich unbeachtet von 
Maria, ſelbſt in ſeiner Paſſivität von niemanden Notiz nehmend, 


> 


- 


— 


zu einem für ihn inzwiſchen aufgeſchlagenen, etwas abſeits von den 
andern ſtehenden Thron, der die primitive Geſtalt eines jüdiſchen 
Lehrſtuhls hat. Dort läßt er ſich, feine Eecechomo-Stellung bei— 
behaltend, in großer Apathie nieder, während ſich ſein Gefolge um 
ihn gruppiert. 

Nachdem alles ſich verſammelt und die Engels-Gruppen in. 
der Front von den drei Thronen, wo ſie den ganzen Vordergrund 
einnehmen, ſich knieend niedergelaſſen: N 

Gott Vater (feierlich mit tiefem Pathos). Sind Wir 
alle verſammelt? — 

Im nächſten Augenblick fährt ein feuriger Streifen pfeifend 
wie eine Rakete oben am Gewölbe quer durch den Saal, in der 
Ferne klirrend verhallend: der heilige Geiſt. — Alles blickt mit 
feierlicher Geſte, die Engel die Hände auseinanderſpreitend, nach 
oben; nur Maria ſchaut, den Kopf nachläſſig auf die linke Thron- 
lehne geſtützt, gleichgültig vor ſich hin; während Chriſtus, die Arme 
über der Bruſt kreuzend, das Haupt noch tiefer ſenkt und ſo längere 
Zeit in tiefer Zerknirſchung verweilt. 

Gott Vater (nad einer Pauſe, während der alle in die 
frühere Stellung zurückkehren). Wir haben Euch hieher 
berufen, um Euren Rat in einer ſchweren, entſetz— 
lichen Sache zu vernehmen. — Die Menſchen haben 
ſich, meine Gebote mißachtend, in götzendieneriſcher, 
ſelbſt-zerſtörender Weiſe den ſchrecklichſten Ausſchwei— 
fungen, den fürchterlichſten Greueln hingegeben. In 
einer Stadt — in Aſien — in — in — wo war es 
nur gleich? . . . 

Cherubim (in nächſter Nähe von Gott Vater mit empor⸗ 
gefalteten Händen). In Neapel, heiligſter Vater. — 

Gott Vater ſſich erinnernd). In Neapel haben 
ſie unter gänzlicher Verſchiebung der die Scham 
garantierenden Kleider ſich wie Tiere, mit rück— 
ſichtsloſer Verachtung der für die fleiſchlichen Inſtinkte 


geſetzten Schranken und Vorbehalte, vermiſcht, und 
jo den göttlichen Zorn . . . 

Maria (einfallend, leichthinz. Ach ja, ich hab' davon 
gehört. 

Gott Vater (erftaunt aufhorchen.. Wie? Was 
iſt das? 

Maria (wie oben). Ja, ich kenne die Affäre. 
Der Bote war zuerſt bei mir . . . (hält ſich plötzlich den 
Mund zu, als wolle ſie's zurücknehmen). 

Gott Vater bblaß vor Zorn, will auffahren, ſucht den 
Boten unter den Verſammelten, blickt dann wieder ſchnaubend zu 
Maria hinüber). 

Cheru bim (mit ſtummer Geberde, bittet den Alten, ſich 
zu bemeiſtern, und hält unverwandt in ſeinem Bitten an). 

Gott Vater (chluckt es hinunter, bitter) ... Dann 
ſeid Ihr alle orientiert. Kämpft noch längere Zeit mit 
feiner Erregung.) — — Die ſchrecklichſte Strafe haben 
Wir bei Uns beſchloſſen . . . 

Maria (dazwiſchenfahrend). Das Geſindel wird nie 
beſſer. d 

Chriſtus blickt matt auf, mit ſchwindſüchtiger Stimme und 
gläſernem Aug’, nachlallend). Nein, — das — Geſindel 
— wird nie beſſer. 

Die Engel (unter fi, ſich anftoßend). Der Mann! 
Der Mann! — 

Maria Magdalena (bittr). Was haben fie denn 
gethan? 

Maria (kurz). Ich ſag' Dir's nachher! Koſchone— 
rieen, wie gewöhnlich. 

Gott Vater (erbof). Wir wollen ſie verderben! 


Bere: are 


Chriſtus (wie oben). Ja, ja, — wir wollen fie 
verderben! 

Chorus der Apoſtel, Märtyrer, Engel 
(bedauernd). Ah! — Ah! — 

Chriſtus (icht orientiert). Hä? 

Maria (kurz, imperatoriſch) Nein, nein! Das geht 
nicht! Wir müſſen ſie doch haben. 

Chriſtus (nachſprechend). Ja, — ja, — wir müſſen 
ſie haben. 

Gott Vater (fh in der Minorität fühlend, zornig). 
Müſſen wir ſie haben? — Ich will ſie ausrotten, 
dieſe Scheuſale. — Will — will — will wieder eine 
ſchöne Erde haben mit Tieren im Walde... N 

Maria (spöttiſc). Wenn wir Tiere haben, müſſen 
wir Menſchen auch haben. 

Maria Magdalena (teilnahmsvol). Die Sünde 
dient zur Läuterung. 

Gott Vater. Sie freſſen die Sünde wie ſüßen 
Kuchen, bis ſie platzen, bis ſie faulen. 

Maria (rocken). Die Begattung müſſen wir ihnen 
ſchließlich laſſen. — Ein Stückchen Wolluſt muß man 
ihnen gönnen — ſonſt hängen ſie ſich am nächſten 
Baum auf. Der Alte ſchaut immer zorniger, ſprühender her⸗ 
über.) Bei der Nacht! Bei der Nacht! — Im Früh⸗ 
jahr! — Zu gewiſſen Zeiten! — Wenn der Mond 
ſcheint! — Mit Maß und Ziel! . .. 

Gott Vater (immer zorniger). Ich will ſie er⸗ 
ſchlagen wie zwei geile Hunde — in ihrem ſchönſten 
Rauſch! . . . (Große Bewegung in der Verſammlung. Die 
jüngeren Engel blicken ſich ſtaunend an.) 


= I AN! 


Maria (troden). Wer macht dann die Menſchen? 

Während die Apoſtel ſich eifrig unterhalten und eine peinliche 
Empfindung durch den ganzen Saal geht, ſtarrt der Alte mit 
glühendem Kopfe ſchwer keuchend vor ſich hin; er wird immer 
dunkler im Geſicht, kollert und raſſelt; ein Erſtickungsanfall ſcheint 
im Anzuge zu ſein; er fuchtelt mit den Armen herum; wirft 
Decken und Krücken von ſich; ſtöhnt und brüllt; man eilt ihm zu 
Hülfe: bringt Spuckſchale, Flaſchen mit ätheriſcher Flüſſigkeit; 
Maria iſt beſorgt aufgeſprungen; Chriſtus, vor Schwäche ſitzen 
bleibend, blickt mit lechzenden, glaſigen Augen herüber; große 
Verwirrung. Der Alte weiſt aber alle Hülfe und Unterſtützung 
mit wilder Geberde von ſich, nimmt alle Kraft zuſammen und brüllt 
mit furchtbarer Anſtrengung. 

Gott Vater. Ich will ſie zerſchmeißen — 
zertreten — im Mörſer meines Zornes — 
zerſchmettern (it im Begriffe, ſich zu erheben und zu einem 
allmächtigen, unwiderruflichen, mit der That identiſchen Schlag 
auszuholen). 

Cherubim ſſtürzt in dieſem Moment hervor, wirft ſich vor 
dem Alten hin, mit flehender Stimme). Heiligſter, göttlichſter 
Vater, morgen iſt Oſtern! — Drunten eſſen ſie 
das Paſſah-Mahl! 

Chor der Apoſtel, Märtyrer, älteren Engel 
(einfallend). Sie eſſen das Paſſah-Mahl. 

Gott Vater (der innegehalten). Was eſſen ſie? — 

Cherubim und die Andern. Sie eſſen das 
Paſſah-Mahl! 

Gott Vater (blidt verwundert um fih). Das Paſſah— 
Mahl eſſen ſie? 

Chor der Apoſtel. Sie eſſen das Oſterlamm! 

Cherubim. Sie eſſen das Abendmahl? 

Gott Vater (ich beſinnend ). Das Abendmahl? 


Zu > 


Cherubim. Sie eſſen das Fleiſch und Blut 
Chriſti! 

Gott Vater (etwas wärmer). Mein Sohn, fie 
eſſen Dich! 

Chriſtus (mit matter Stimme). Ja, fie eſſen mich. 

Maria (mit gemachter Zärtlichteit). Mein lieber Sohn, 
den ich in meinem Leibe getragen habe! 

Chriſtus (eindlich. Den Du in Deinem Leibe 
getragen haſt. 

Gott Vater (mnechaniſch). Den ſie in ihrem Leibe 
getragen hat. N 

Die jüngeren Engel (unter fid, flüſternd). Der 
Mann! — Der Mann! — 

Maria (wie oben). Dich eſſen ſie! 

Chriſtus (wie oben). Mich eſſen ſie. 

Gott Vater (wie oben). Ihn eſſen fie. 

Chriſtus (auffahrend). Ja, und trotzdem werden 
Wir da heroben immer elender und ſchwächer! — 
Es iſt entſetzlich! (Hüften). Mich eſſen fie, und werden 
wieder geſund und ſündenfrei. Und Wir gehen immer 
mehr zu Grund. Erſt freſſen ſie ſich drunten mit 
Sünden voll, bis zum Platzen, und dann genießen 
ſie mich, und gedeihen, und werden ſündenfrei, und 
dick und fett; und Wir werden mager und elend. 
Ah! dieſe vermaledeite Rolle! Ich möchte einmal 
den Spieß umkehren und mich ſatt eſſen, und ſie 
darben laſſen! (Bricht in einen ſchwindſüchtigen Huſten aus.) 

Maria (auffpringend und zu ihm hineilend, beforgt). Mein 
Gott, mein Sohn, vergiß nicht, Du biſt unverletzlich, 


— 23 


göttlich, unaufzehrbar, in alle Ewigkeit derſelbe! 
(Legt ſein Haupt an ihre Bruſt und liebkoſt ihn.) 

Chriſtus ſſchluchzt heftig an der Bruſt Maria). 

Die jüngeren Engel (unter fih flüſternd)!. Der 
Mann! Der Mann! — 

Gott Vater (mach einer Pauſe, viel ruhiger geworden, 
zu Cherubim). Wer feiert denn da drunten jetzt alles 
Paſſah⸗Mahl? — 

Cherubim (einfalend).. Die Chriſten, heiliger 
Vater! Deine Gläubigen, göttlicher Meiſter; Deine 
Kinder, die auf Dich hoffen; die Frommen, die 
Katholiſchen, die alleinſeligmachende Kirche, Deine 
Prieſter, die Biſchöfe, der Papſt! — 

Gott Vater (gernglaubend, freundlich)ß. So! — Das 
wollen wir doch einmal anſehen! 

Maria glücklich, daß ein Ausweg gefunden). Ja, das 
wollen wir uns einmal anſehen! (Zu Chriſtus) Komm, 
mein Sohn, wir wollen uns das einmal anſehen, 
das wird Dich zerſtreuen! 

Große Erleichterung in der ganzen Verſammlung; die kom— 
pakten Gruppen löſen ſich auf; jüngere Engel verlaſſen den Saal; 
dienſtbare Geiſter machen ſich an den Thronen zu ſchaffen, um 
alles wieder in prächtige, geſchmückte Ordnung zu bringen; alles 
mediziniſche Geräte wird entfernt; dafür werden eigentümliche große 
Dreifüße während des Folgenden hereingebracht; die Gruppen der 
Apoſtel, Märtyrer, Engel, barmherzigen Schweſtern entfernen ſich in 
feierlicher Ordnung; ſo daß zuletzt nur die drei Gottheiten, der 
Cherubim und einige ältere Engel zurückbleiben. 

Gott Vater (der bequem auf ſeinem Thron in halb— 
liegender Stellung gebettet iſt, in tief-ſonorem, feierlichem Ton). 


Bringt Uns die Räucherbecken und Kohlenpfannen, 


ra 


und erzeuget in Uns Allwiſſenheit und Allgegen- 
wärtigkeit! — 

Die Dreifüße werden in die Mitte des Saales geſtellt, mit 
einer braunen Drogue, gemiſcht mit Sandelholz, beſchickt, und dann 
angezündet; die Thüren werden geſchloſſen; die dienſtbaren Engel 
entfernen ſich, als letzter der Cherubim. Man ſieht die drei Gott⸗ 
heiten, während ſich die Dampfwolken verbreiten, langſam zurüd- 
ſinken und die Augen ſchließen. Während dem fällt der Vorhang. 


— 


Zweiter Aufzug.) 


Ein Prunkſaal im päpſtlichen Palaſt in Rom, den im Hinter- 
grunde Arkaden mit darüber befindlicher Gallerie im Rundbogenſtil 
abſchließen; der Saal iſt rückwärts als an die Privatkapelle des 
Papſtes ſtoßend gedacht, mit der eine Kommunikation von der hohen 
Gallerie aus durch Offnen der daſelbſt befindlichen Fenſter möglich 
iſt, derurt, daß die Gallerie mit dem Sänger-Chor der Kapelle 
etwa in gleicher Höhe liegend iſt. — Die ganze linke Seite (von 
der Bühne aus) nehmen der Papſt mit ſeiner Familie, der päpſt— 
liche Hofſtaat und die tafelnden Gäſte ein, wo reich- beſetzte Tiſche 
mit koſtbarem Service und hellen, auffallend hohen, dreiarmigen 
Kandelabern zu ſehen ſind. Die ganze Mitte und rechte Seite, 
mit Ausnahme einiger zu äußerſt rechts ſich bildenden unterhal— 
tenden Gruppen, bleibt frei für die ſpäteren Evolutionen und 
Maskeraden. — Es iſt gegen Abend und der erſte Oſtertag 1495; 
die Speiſen werden eben abgetragen. Der Papſt iſt in dem be— 
quemen, wenig auffälligen Koſtüm eines Hausprälaten (violett mit 
Sammet) gekleidet und trägt ein rundes Sammetkäppchen; alle 
übrigen in reichen Koſtümen. — Glänzende Dienerſchaft; fort— 
währendes Hin- und Hergehen; rege Unterhaltung; wiederholtes 
Gelächter; im Hintergrund unter den Arkaden eine Muſik; die 
Gallerie mit Zuſchauern, Leuten aus dem Volk beſetzt; die Gruppen 
im Saal bilden ſich, tauſchen Neuigkeiten aus, und zerſtreuen ſich 
wieder. — Außer dem Papſt (Rodrigo Borgia, Alexander VI.), 


) Burcardi (päpſtlicher Ceremonienmeiſter Alexanders VI.) 
Diarium, nouvelle édition par Thuasne. 3 vols. Paris 1885. 


1 


einem Sechziger, ſeine neun Kinder Girolama, Iſabella, 
Pier Luigi, Don Giovanni, Graf von Celano, Ceſare, 
Don Gioffre, Lucrezia, fünfzehnjährig, blond, heiter und 
kindlich, Laura und Don Giovanni Borgia, ein Knabe; ſeine 
Schwiegertöchter und Schwiegerſöhne, darunter Dona Sancia, 
Gemahlin Don Gioffre's; ſeine Neffen und Verwandten, darunter 
Collerando Borgia, Almoſenier, Biſchof von Coria und 

Nonreale, Francesco Borgia, Erzbiſchof von Coſenza, 
Schatzmeiſter des Papſtes, Luigi Pietro Borgia, Kardinal 
Diakon von Santa Maria, Rodrigo Borgia, Kapitän der 
päpſtlichen Garde; ſeine Vertrauten, darunter Giovanni Lopez, 
Biſchof von Perugia, Pietro Caranza, Geheimkämmerer, 
Giovanni Vera da Ercilla und Remolina da Ilerda, 
Mitglieder des heiligen Kollegiums, Juan Marades, Biſchof 
von Toul, Geheimer Intendant; des Papſtes zwei Maitreſſen, 
die frühere, Vanozza, 53jährig; die jetzige, Julia Farneſe, 
21jährig; dieſe mit ihrem Gemahl Orſini, und ihrem Bruder, 
dem Kardinal Aleſſandro Farneſe; ſeine Vertraute Adriana 
Mila, Erzieherin ſeiner Kinder; Burcard, Ceremonienmeiſter 
des Papſtes; Erzbiſchöfe, Biſchöfe, Kardinäle, päpſtliche Würden⸗ 
träger, römiſche Damen, Soldaten und Dienerſchaft, Leute aus dem 
Volke; ſpäter Courtiſanen und Schauſpieler. 


Don Gioffre. Hat dieſer Spanier heute nicht 
wieder langweilig gepredigt? 

Der Papſt. Schrecklich, es war nicht zum An— 
hören. 

Dona Saneia gu Lucrezia). Ich habe Dir immer 
Zeichen hinübergemacht, aber Du haſt mich nicht ver— 
ſtanden. 

Luerezia (cchläfrig). Ach Pietro hat mich doch 
immer mit dem Fuß geſtoßen. 

Don Gioffre. Der Spanier hat Seine Hei— 
ligkeit auch nicht verſtanden; er predigte immer zu; 


u 


und Seine Heiligkeit gaben doch deutliche Zeichen der 
Unzufriedenheit. 

Der Papſt. Er kommt aus Valencia; die 
Kerle ſind dort jo bockſteif; wenn Einer anfängt, 
hört er nimmer auf: jede Empfindung wird eine 
Rakete, jedes Wort ein Knüppel. Gelächter.) 

Francesco Borgia, der Biſchof. Aber ehrlich 
Mühe hat er ſich gegeben. 

Der Papſt. Ehrlichkeit iſt immer eine Unge— 
ſchicklichkeit. 

Don Gioffre. Und das Volk glotzte herauf, 
wie mit Geiſteraugen, wütend, beſeſſen, verſchlingend. 

Don Giovanni. Weil Dona Sancia immer 
wiſperte und kicherte. 

Dona Sanecia. Nein, weil Lucrezia immer 
Confetti aß. 

Lucrezia. Nein, weil Laura eingeſchlafen war 
und ſchnarchte. 

Don Gioffre. Ich glaube die Perlen der ſchönen 
Farneſe ſtachen ihm in die Augen. 

Francesco Borgia, der Biſchof. Konnte das 
Volk das alles ſehen? 

Lucrezia. Wir ſaßen doch alle oben im Chor, 
rechts und links vom Altar. 

Der Papſt. Nein, Kinder, das iſt es nicht! 
Ihr dürft lachen und ſcherzen, Perlen tragen und 
Confetti eſſen. Aber ich ſah einige Dominikaner 
unter ihnen ſitzen; es ſind Florentiner von San 
Marco, Schüler des Savonarola, dieſes Ruheſtörers. 


u 


Sie wiegeln mir das Volk auf, und ſchwatzen, und 
machen geiſterhafte Augen . .. 

Don Gioffre. Warum entfernt man die Tage— 
diebe nicht? 

Francesco Borgia. Sie ſind in Miſſion hier. 
Sie konferieren mit ihrem General. 

Don Giovanni. Oho, ſind wir hier auch ſchon 
ſo weit, daß man den Frauen den Schmuck vom 
Körper reißt, auf einen Haufen wirft und verbrennt? 

Don Gioffre. Wird ſich Eure Heiligkeit noch 
länger von dem Florentiner Narren Geſetze diktieren 
laſſen? 

Der Papſt (6zwinkernd). Wir luden ihn ein. — 
Er kommt nicht. 

Don Giovanni. Wie, er weigert den Ge— 
horſam? 

Der Papſt. Der Medizäer ſchützt ihn. — 
Lorenzo iſt bußfertig geworden, und fragt täglich 
bei Savonarola an, ob er noch Ausſicht habe, in 
den Himmel zu kommen. 

Luerezia. Wer iſt Savonarola, santo papa? 

Der 5 apſt. Er erlaubt Euch nicht, Confetti zu 
. und Perlen zu tragen. Gelächter.) 

Don Gioffre. Gibt es kein Mittel . . .? Haben 
wir kein Kirchengift mehr? 

Ceſare (finfter, trocken). Später! — 

Ein Gruppe Edelleute zu äußerſt rechts (von der Bühne aus). 

Erſter Edelmann (flüfternd). Ihr wißt, man 
fand heute Nacht den Herzog von Biſaglie im 
Tiber? 


29. — 


Zweiter Edelmann. Ja, er iſt ertrunken. 

Dritter Edelmann. Ja, und mit drei ſchweren 
Wunden dazu! 

Erſter Edelmann. Er ſoll ſchwer betrunken 
Nachts den Vatikan verlaſſen haben . . . 

Dritter Edelmann. Es iſt gegenwärtig immer 
gefährlich, Nachts den Vatikan zu verlaſſen, einerlei 
in welchem Zuſtand . . . beſonders, wenn man der 
Gemahl der ſchönen Luerezia iſt. 

Zweiter Edelmann. Ihr meint . . .? 

Dritter Edelmann. Ich meine, daß der Herzog 
von Biſaglie geſtern Abend in Gegenwart ſeiner 
Gemahlin Luerezia und ihres Bruders Don Ceſar 
erdroſſelt wurde. — (Erſter und zweiter Edelmann fahren 
auseinander.) 

Zweiter Edelmann. Aber die tiefen Wunden? 

Dritter Edelmann. Rühren von einem Über— 
fall her, den vor vier Wochen eine Bande Maskierter 
auf ihn am Petersplatz machte, und von denen der 
Herzog die Unverſchämtheit hatte, geneſen zu wollen. 
(Beide erſchrecken auf's neue.) 

Erſter Edelmann. Aber ſeht Lucrezia; ſie iſt 
heiter, wie am Hochzeitstag. 

Dritter Edelmann. Sie iſt ein Kind! Seine 
Heiligkeit machte ſie dieſen Morgen zur Fürſtin von 
Nepi und ſchickte ihr einen großen Korb mit Confetti. 

Zweiter Edelmann. Und weiß der Papſt von 
dem Sachverhalt? 

Dritter Edelmann. Alexander VI. weiß nichts; 
Rodrigo Borgia weiß alles. 


9 


Erſter Edelmann. Und was wird er thun? 

Dritter Edelmann. Er wird eine Seelen— 
meſſe für den in den Tiber gefallenen Herzog leſen, 
und den Fürſten von Ferrara benachrichtigen, daß 
Luerezia frei iſt. — 

Vom Hintergrund her ertönt eine Tanzweiſe. Die drei 
Edelleute gehen auseinander. Man ſieht im Hintergrunde Paare 
tanzen. Die Tafel iſt inzwiſchen abgeräumt und hinausgetragen 
worden. Die ganze Geſellſchaft ſetzt und lagert ſich auf Tabourets 
und Kiſſen. Der Platz in der Mitte iſt nun noch größer geworden. 
Die Gruppen bleiben nicht unbeweglich. Man ſteht auf, geht zu 
andern, plauſcht, trinkt und nippt von den dargebotenen Süßig— 
keiten, und kehrt auf ſeinen Platz zurück. Von den tanzenden 
Paaren haben inzwiſchen einige pauſiert. Einige der Damen 
kommen erhitzt und glühend nach vorn. Der Papſt nimmt einem 
der Diener einen Korb Confetti ab und wirft von denſelben den 
Damen in den Buſen. Heiteres Gelächter unten und von der 
Gallerie herab. Das Muſikſtück hat aufgehört. 

Der Papſt. Wo ſtecken unſere Buffoni! — 
Laßt ſie herein! — Und Wir, Wir laſſen uns hier 
nieder (nach links weiſend, wo die Plätze ſich befinden; zu Luerezia). 
Komm, mein Kindchen! 

Puleinello tritt auf mit Colombina und ſeinem Gefolge. Sie 
führen ein mimiſches Spiel auf. Puleinello im weißen Puderkoſtüm 
mit Ledergurt, Halskrauſe, Düten-Mütze und ſchwarzer Halb-Maske, 
die Pritſche in der Hand, apoſtrophiert erſt mit tiefen Verbeugungen, 
Grimaſſierungen und Verdrehungen das Publikum; währenddem ſucht 
er ſich plötzlich zu erdroſſeln, hält die Hände ſo, als wenn es fremde 
wären, ächzt und ſtöhnt und will ſterben. Colombina kommt von 
hinten vor, erſchrickt ſcheinbar, kann es nicht ſehen und hält die 
Hände vors Geſicht. Der Papſt verſteht die Anſpielung und droht 
mit dem Finger. Darauf laſſen ſie ab, und das eigentliche Spiel 
beginnt in dem Sinne, daß Colombina, die junge Frau des alten 
Pantalone, von Pulcinello entführt, und der Ehemann betrogen 


ze 


wird. Wiederholtes Gelächter während des Spiels und lebhafte 
Unterhaltung. 

Der Papſt (während des Spiels zu Luerezia, die zu 
ſeinen Füßen auf einem Kiſſen Platz genommen, ſchmeichelnd). 
Mein Herzchen, Du hätteſt eigentlich heute einen 
Trauertag; Dein ſchöner Herzog iſt ſo plötzlich ge— 


ſtorben. 

Luerezia (eindlich). Ach ja, er iſt in den Tiber 
gefallen. 

Der Papſt (bedauernd). Du haſt ihn wohl gern 
gehabt? 


Luerezia (wie oben). Ach ja, recht ſehr! 

Der Papſt. Sei nur zufrieden, wir haben ſchon 
wieder einen neuen für Dich! 

Lucrezia (lebhaft. So ſchön, wie mein Herzog? 

Der Papſt. Schöner noch, mein Kätzchen. 

Während im Spiel Colombina und Puleinello ſich hinter 
Pantalone laut küſſen, und dieſer, ſich plötzlich umkehrend, eine 
Ladung weißen Puders im Geſicht empfängt, und unbeholfen hin— 
und hertaumelt, was von allen Seiten mit lautem Gelächter begrüßt 
wird, tritt der Ceremonienmeiſter 

Burcard (auf den Papſt zu). Eure Heiligkeit, die 
Veſper hat in der Kapelle begonnen; die Kirche iſt 
gedrängt voll und das Volk erwartet am Oſtertag 
Euren Segen! 

Der Papſt. Wir wollen das Spiel ſehen; auch 
hat Uns der Tod Unſeres lieben Schwiegerſohns zu 
plötzlich erſchüttert. — Man öffne (auf die Gallerie weiſend) 
dort die Fenſter, und ſage dem Volke, daß ich von 
der loggia dort der Veſper beiwohne. (Der Ceremonien— 
meiſter ab.) 


Fr, ar 


Gleich darauf ſieht man oben die Fenfter zwiſchen den Rund- 
bögen der Gallerie, wo das Volk ſteht, rückwärts vom Innern 
der Kirche aus, ſich öffnen, ſo daß man einen Einblick auf Fries, 
Gebälk, Statuen und angezündete Kronleuchter erhält. — Wäh⸗ 
rend dem nimmt das Spiel ſeinen Fortgang. Wie Puleinello 
mit der Pritſche dem verwirrt hin- und herlaufenden Pantalone 
nacheilt und auf ihn losſchlägt, und Colombina, ſich verſteckend, 
hinter Puleinello drein eilt, hört man plötzlich aus den Fenſtern 
über der Gallerie in wehmütig⸗ſchmerzlichem Ton ein mehrſtimmiges 
Graduale fingen. 

Chor. De profundis clamavi ad te Domine; 
Domine exaudi vocem meam; Fiant aures tuae 
intendentes in vocem deprecationis meae; Si ini- 
quitates observaveris Domine, quis sustinebit? 
Speravit anima mea in Domino; A custodia matu- 
tina usque ad noctem; quia apud Dominum miseri- 
cordia et copiosa apud eum redemptio. Et ipse 
redimet nos ex omnibus iniquitatibus nostris. !) 

Schon bei den erften Tönen iſt das Volk oben auf der 
Gallerie ſcheu von den Fenſtern zurückgewichen, und hat ſich, ſich 
bekreuzend, halb gegen das Innere der Kirche gewendet. Unten 
ſieht man, mehr gegen den Hintergrund, einige ernſte Geſichter und 
verlegene Mienen. Aber der Papſt mit ſeiner Familie bleibt heiter 
und das Spiel nimmt, wenn auch etwas gezwungen, feinen 
Fortgang. 

Kurz nach dem Graduale geht auch das Spiel zu Ende. Der 
Papſt gibt der Muſik ein Zeichen, und dieſe beginnt ein neues 
Muſikſtück, zu dem im Hintergrund die Paare tanzen. Puleinello 
1) Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir; Herr, höre meine 
Stimme; laß Deine Ohren merken auf die Stimme meines 
Flehens; So Du willſt, Herr, Sünde zurechnen, Herr, wer wird 
beſtehen? Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgen⸗ 
wache zur andern; Denn bei dem Herrn iſt die Gnade, und viel 
Erlöſung bei ihm; Er wird uns erlöſen von allen unſeren Sünden. 


EIER. 


und feine Truppe verabſchieden ſich unter tiefen und grotesken 
Bücklingen. Man wirft ihnen Goldſtücke zu. Der Papſt winkt 
Colombina zu ſich hin, der er die Backen ſtreichelt und ihr ein 
beſonderes Geldgeſchenk in die Hand drückt, worauf fie ſich mit 
einem Handkuß verabſchiedet. 

Der Papſt (nachdem die Muſik geendet, klatſcht in die— 
Hände). Wo ſind unſre Schönen? 

Auf dies Zeichen öffnet ſich im Hintergrund der Gallerie ein 
Vorhang und zwölf Courtiſanen von auserleſener Schönheit be— 
treten, durch leichte, durchſichtige Gewänder verhüllt, den Saal, und. 
nehmen rechts im Vordergrund Aufſtellung; der Papſt mit den 
Herren und Damen ſeiner Umgebung gehen auf ſie zu, muſtern ſie, 
und bewillkommnen ſie unter ſcherzenden Redensarten. 

Der Papſt (nachdem er fie alle gemuftert, erſtaunt). Wo— 
it die Bignaccia!)? 

Eines der Mädchen (nachdem erſt alle verlegen ge— 
ſchwiegen). Sie iſt zu Karl?) nach Neapel. 

Der Papſt. Wie? Geht Ihr auch zu Unſern 
Feinden über? 

Der Papſt mit ſeinem Gefolge zieht ſich wieder nach links 
zurück, wo es ſich, wie früher, auf Tabourets und Kiſſen gruppiert; 
Lucrezia auf dem Schoß ihres Vaters, von dieſem geſchmeichelt; 
Diener ſtellen die großen, dreiarmigen, helles Licht verbreitenden 
Kandelaber, die früher auf der Tafel ſtunden, in die Mitte des 
Saales auf den Boden. Auf ein Zeichen durch Klatſchen in die 
Hände werfen die Mädchen ihre Gewänder ab; päpftliche Diener, 
hinter den Herrſchaften ſtehend, werfen aus Körben über die Köpfe 
der Zuſchauer hinweg Kaſtanien in die Mitte des Saales, auf die 
ſich die Mädchen ſtürzen und ſich um ſie raufen. Helles Gelächter. 
Es bildet ſich ein Kreis um die auf dem Boden kämpfenden 


1) eine berühmte Hetäre ihrer Zeit, die ſpäter hingerichtet wurde. 
2) Karl VIII. von Frankreich, der kurz vorher Neapel einge— 
nommen hatte. 
3 


us "ae ae 


Mädchen. Auch von der Gallerie, wo ſich inzwiſchen das Volk 
wieder zuſammengedrängt hat, erſchallt lautes Gelächter. Sobald 
eine Ration Kaſtanien aufgeleſen iſt, welche die Courtiſanen nach 
rechts neben ihre Gewänder ſorgfältig auf einen Haufen legen, 
werden neue Kaſtanien aufgeworfen und der gleiche Kampf beginnt 
von neuem. — Eines der Mädchen, deſſen Haare alle aufgelöſt 
ſind, kommt einem der Kandelaber zu nahe und fängt Feuer. Der 
Papſt ſpringt auf — während Luerezia zu Boden gleitet — und 
erſtickt das Feuer mit ſeinen Gewändern. e 

Der Papſt (als fi zeigt, daß die Kleine keinen Schaden 
gelitten, züchtigt fie mit der Hand). Diesmal, Du Schlingel, 
konnteſt Du die Reife in's Jenſeits antreten! Cachen.) 

Die Courtiſane. Du hätteſt mich im Fegfeuer 
nicht länger brennen laſſen als hier, santo papa! 
(Erneutes Gelächter, in das der Papſt miteinſtimmt.) 

Als die Kaſtanien alle verteilt, wird gezählt, und je nach der 
Zahl der geſammelten an die Mädchen Preiſe verteilt. Ein neues 
Muſikſtück beginnt, und die Diener reichen Erfriſchungen. Laute 
Unterhaltung im ganzen Saal, vornehmlich über die Qualitäten der 
Mädchen. 

Als das Muſikſtück ſchweigt: 

Der Papſt (tlatſcht aufs neue in die Hände). Jetzt 
laßt unſere Athleten herein. 

Auf der andern Seite der Gallerie treten von hinter einem 
Vorhang zwei nackte kräftige Männer ein, die zu den Mädchen 
geführt, ſich an deren Aublick berauſchen, um dann, auf ein weiteres 
Zeichen, den Zweikampf zu beginnen.!) Alles drängt ſich um das 
Schauſpiel unter Aufmunterungen und Beifalls-Zeichen. Auch die 
Mädchen verfolgen mit allem Intereſſe den Kampf. Als der 
Sieger ſeinen Gegner unter lautem Beifall geworfen, tritt er auf die 


) battaglie d'amore, Liebeskämpfe, hießen dieſe Schauſpiele 
am Hofe Alexander's VI. f 


— 88 


Courtiſanen zu, wählt ſich unter Scherzreden aller Anweſenden die 
Schönſte, und verläßt mit ihr den Saal. Der Unterlegene geht 
allein fort. Darauf betritt ein zweites Paar den Saal. — Die 
Aufregung unter den Zuſchauenden ſteigert ſich von Minute zu 
Minute. Beifallsworte und aufſtachelnde Bemerkungen werden mit 
immer größerer Teilnahme und Leidenſchaft dazwiſchen geworfen. 
— Als der Fünfte ſeinen Gegner unter lautem Geſchrei und Bei— 
fallsklatſchen geworfen, und er eben ſeine Wahl trifft, ertönt in 
tiefernſten, tragiſchen Tönen vom Innern der Kirche der Schluß— 
geſang der Veſper: 
Veni sancte Spiritus.) 


Veni sancte Spiritus 
Et emitte coelitus 
Lucis tuae radium. 
Veni pater pauperum 
Veni dator munerum 
Veni lumen cordium. 
Sine tuo nomine 

Nihil est in homine, 
Nihil est innoxium. 
Lava quod est sordidum, 
Riga quod est aridum, 
Sana quod est saucium. 
O lux beatissima 

Reple cordis intima 
Tuorum fidelium. 


) Komm, heiliger Geiſt, und entſende himmelher den Strahl 
Deines Lichts. Komm, Vater der Armen, Geber der Güter, Er— 
leuchter unſerer Herzen. Ohne Deine Klarheit ſind wir Menſchen 
leer, nichtig und ſchuldbeladen. Waſche uns rein von Sünden; 
Erfriſche die, die da vertrocknet ſind; Und heile die Verwundeten. 
O göttliches Licht, erfülle die Herzen Deiner Frommen! 


a 


Eine peinliche Stille ift nach den erſten Akkorden eingetreten. 
Das Volk auf der Gallerie iſt wieder entſetzt zurückgewichen, um 
den Platz vor den Fenſtern freizumachen. Ein Teil der Anweſenden 
verläßt den Saal. — Indeſſen iſt ſchon der ſechſte Kämpfer mit 
ſeinem Partner eingetreten. Der Papſt gibt durch einen Wink den 
Befehl zur Fortſetzung des Spiels, an dem ſeine Familie und 
Vertrauten mit ärgerlichen Mienen über die eingetretene Störung 
teilnehmen, und das bis zum ſiebenten Kämpfer unter der Begleitung 
des Kirchengeſangs feinen Fortgang nimmt. — Nach Schluß des 
letzteren wird die Stimmung wieder etwas wärmer und das, 
Intereſſe reger. Der Kreis um die Kämpfenden ſchließt ſich wieder. 
In der Kirche ſieht man die Kronleuchter verlöſchen und die Fenſter 
von Innen ſich zumachen. — Das Spiel geht weiter. 

Beim neunten Kämpfer ſtürzt ein Boote in den Saal und. 
flüſtert in erregter Weiſe mit den im Hintergrund Stehenden. Die 
Bewegung ſetzt ſich nach vorne fort. Man hört Rufe: Was iſt 
los? — Was gibt's? — 

Rodrigo Borgia Kapitän der päpſtlichen Garde). 
Der franzöſiſche König, Eure Heiligkeit, iſt, von 
Neapel zurückkehrend, im Anmarſch auf Rom und 
nur noch wenige Miljen entfernt. 


Der Papſt (aufſtürzend, erregt). Zum Teufel! — 
Auf nach Orvieto! — Die Spanier und Catalaneır 
ſollen Uns begleiten! — Nehmt Unſere Kaſſen und 
Koſtbarkeiten mit! — Die Damen ſollen ſich rüſten; 
auf Gepäck und Maultiere verzichten; wir reiſen alle 
zu Pferd! Pallavieini bleibt als Gouverneur der 
Stadt mit einem Teil der Truppen zurück. Er 
empfange den König mit allen Ehren, aber drohe 
ihm in Unſerem Namen, als einem ungehorſamen 
Sohn der Kirche, den Bannfluch an, wenn er länger 
als vierundzwanzig Stunden auf Unſerem Gebiet 


ERST 2 


verweilt. — Ceſare übernimmt die Bedeckung Unſeres 
Zuges. — Vergeßt die goldenen Meßgeräte nicht! 
Fort! (Alles in großer Erregung ab.) 

Die Mädchen (ihre Gewänder anlegend, jauchzend). 
Carlo kommt! — Carlo kommt! — 


(Der Vorhang fällt.) 


Erſte Scene. 

Im Himmel; ein vertraufihes Kabinett in Blau. Interims⸗ 
thron, einfach und bequem. Gott Vater, Maria, Chriſtus, 
der Teufel; erſtere drei auf ihren Stühlen; letzterer in ſchwarzem, 
enganliegenden Koſtüm, ſehr ſchlank, mit pointiertem Geſicht, ganz 
raſiert, mit verwitterten, abgelebten, gelb-verärgerten Zügen, in 
ſeinen Bewegungen an einen feineren Juden erinnernd, auf einen 
Fuß ſich ſtützend, den andern aufziehend, vor ihnen aufrecht. 

Gott Vater (ent und kurz). Freund, Wir haben 
Dich rufen laſſen. — Es handelt ſich um einen 
jpeciellen Auftrag, der . . . (ſtockt) . . . beſondere Ge— 
ſchicklichkeit erheiſcht; — — ich weiß, Du denkſt viel 
— (Teufel verbeugt ſich) — könnteſt Du nicht ... (ſockt) 

es handelt ih, ä . . . ein Weſen, ä . . . ein Ding, 
welches . . . ä, ein Einfluß, — der imſtande wäre, 
— die — Uns in ihrem Begehren anekelnde, gänz— 
lich verwahrloſte Menſchheit — (Teufel macht eine ver— 
ſtändnis⸗innige, vornehm-bedauernde Bewegung) .. . ä, wieder 
auf den Pfad der Tugend . . . ä, und der wahren 
Sittlichkeit . . . in empfindlich-ſtrafender Weiſe zurück— 
zuführen, . . . ä, fo daß . .. ä. . . (zu Chriſtus gewendet) 
mein lieber Sohn, ſag' Du's ihm; — Ich kann mit 


„ 


Worten nicht recht umgehn; — Ich habe immer nur 
gehandelt, — nie viel Worte gemacht. — 
Chriſtus (fi mühſam aufrichtend, nach einigem Beſinnen, 


flißend),. Mein Herr! — — Wir gedächten Ihre 
Hülfe in Anſpruch zu nehmen — in einer Sache, 
— die Ihnen ebenſo großen Vorteil einbringen 
ſol, wie uns ſelbſt, — — ich meine, — die Ihnen 


die Menſchheit — hinſichtlich ihrer irdiſchen Sphäre 
keineswegs entfremden ſoll, — ich ſage dies aus— 
dricklich, um jeden Verdacht bei Ihnen nach dieſer 
Richtung hin gleich von vornherein zu zerſtreuen — 
(Teufel macht eine verbindlich-abwehrende Handbewegung, als ſei 
ihn ähnliches nie in den Sinn gekommen) — im Gegenteil, 
die — Ihnen dieſe Sphäre in noch ausgiebigerer 
Veiſe als bisher — unterwerfen ſoll: — es handelt 
ſich um einen Kompromiß, — um ein Übereinkommen 
hinſichtlich der Verſchiebung der Grenzen — unſerer 
beiderſeitigen, bisherigen Gewalten, — die keinem 
der beiden kontrahierenden Teile zu nahe treten 
ſoll, — und wobei Wir auf Ihre bewährte Ge— 
ſchicklichkeit, Ihren Scharfſinn, Ihren Takt, Ihr — 
verſöhnliches Entgegenkommen, Ihre — Bildung, — 
Ihre — Ihre — — (fängt zu hüſteln an, wird kurzatmig, 
ſtöhnt und keucht, fällt röchelnd zurück, die Augen treten hervor, 
die Stirne wird ſchweißig, er bekommt einen aſthmatiſchen Anfall). 


Maria (Herbeifpringend, während der Teufel ſehr vornehm 
eine reſervierte Verlegenheit heuchelty)̃. Schone Dich, mein 
Sohn, — Du ſollteſt nie reden, — Du wirſt ſchlechter, 
— Du biſt leidend, — (zum Teufel gewendet, verbindlich), 
mein lieber Freund, wir bedürfen Deiner Hülfe, — 


a 


es iſt ja nicht nötig, daß man erfährt, daß Du es 
biſt, der die Sache inſceniert (der Teufel macht eine al⸗ 
wehrend⸗beruhigende Bewegung) — bitte, ſteh' uns bei, — 
es ſoll Dein Schade nicht ſein (zwinfert ihn an) — Du 
verſtehſt (winkt gegen Gott Vater ab, in dem Sinne, daß dider 
taub, alt und gebrechlich, und ihr nichts in den Weg lege — der 
Teufel verbeugt ſich —) — es handelt ſich in Kürze um 
folgendes: Durch eine unglückliche Einflüſterung 
Geigt auf den Alten hin) bewogen, wohnten wir eiter 
Scene im päpſtlichen Palaſt zu Rom bei, in den 
Gemächern des Papſtes . . . wie heißt er gleich ... 

Teufel (werbindfid, einfallend). Ah, Alexander, der 
Sechſte feines Namens, Rodrigo Borgia — — 

Maria. Ganz recht, dieſes Borgia, — ach, ER 
war ſkandalös, es war gräßlich, — das war ein 
Paſſahmahl! . .. 

Gott Vater plötzlich hervorkollernd, in breiteſter Un⸗ 
flätigkeit). Pfui Daifel! — Pfui Daifel! — Pfui 
Daifel! — 

Chriſtus (erwacht aus feiner Schwäche, fällt ein, fait 
tonlos). Ja, — pfui Daiwel! — pfui Daiwel! ... 

Teufel (in großer Verwirrung, ärgerlich, unangenehm be— 
rührt). . . . Ich bitte . . . unter dieſen Umſtänden ... 
darf ich wohl verzichten, . . . fernerhin hier ... 
(will ſich, nach rückwärts ſchreitend, zurückziehen.) 

Gott Vater (vedreffierend zum Teufel gewendet). 
Mein Gott! — Nein! — Sie waren nicht ge— 
meint... 

Teufel (itint), Ah, doch . . . 

Gott Vater. Nein, nein! — Alſo nochmals 


Ele 


nein! — Es war nicht ſo; . . . es fuhr Uns heraus 
. . . die alte Gewohnheit . . . Ich vergaß . . . 

Teufel (kommt zurück, vornehm verſohnlich, bitter lächelnd, 
ſchnellt mit der einen Hand ein Stäubchen vom andern Ärmel). 
bitte 

Maria. Nein, nein, mein Freund, Du biſt der 
Unſere; von Verſtimmung kann keine Rede ſein; 
Wir bedürfen Deiner Hülfe zu notwendig; und 
(ſehr laut zum Alten hinüber, anzüglich) eine Beleidigung 
Unſeres viellieben Vetters, Unſeres Alliierten, Un— 
ſeres freundlich geliebten Bruders, werden Wir in 
keiner Weiſe zulaſſen (Teufel verbeugt ſich ſehr verbindlich) — 
mit einem Wort alſo, die Sache iſt die: Von einer 
an höchſter Stelle chinüberdeutend); in Ausſicht genom— 
menen gänzlichen Vernichtung des Menſchengeſchlechts 
aus höheren Gründen abſehend, haben Wir beſchloſſen, 
eine empfindliche, ſündflutartige Rache zu nehmen, und 
brauchen daher jemand, ein Ding, einen Einfluß, eine 
Gewalt, eine Perſon, ein Gift, ein Etwas, welches 
die Unflätigkeit der Menſchen, beſonders der Neapo— 
litaner und Römer, in geſchlechtlicher Beziehung — 
ah fi donc! — (gießt etwas Eau de Cologne auf ein Spitzen— 
tuch, und hält es ſich vor, — ſcheint leiſe zu ſchnupfen — ſchielt 


über dem Taſchentuch zum Teufel hinüber) — ah! es wird 
mir beſſer (fortfahrend) — welches die Beſtialität der 


Männer und Weiber in jenen lediglich der Fort— 
pflanzung dienenden, und nur in dieſer Begrenzung 
ihnen gewährleiſteten Beziehungen und nötig erſchei— 
nenden Berührungen und Vermiſchungen — ah, c'est, 
terrible! (ſchnupft wieder Eau de Cologne) — enfin — 
eindämmen ſoll! — Du verſtehſt! — 


3 


Teufel (in ſonorem Baß — etwas theatraliſch). — Ich 
verſtehe. — 

Gott Vater (follernd). Ja, ja, — eindämmen 
ſoll! — 

Chriſtus (mit ſchwindſüchtiger Stimme). Ja, ja, — 
eindämmen ſoll! — 

Teufel (nach einigem Beſinnen). Soll es ſehr em— 
pfindlich ſein? — 

Maria (ihr Spitzentuch dem Teufel entgegenſtreckend, heftig, 
nickend — ſozuſagen für die andern mitnickend). In der That, 
es ſoll ſehr empfindlich ſein. 

Gott Vater (guet glaſig herüber; ſcheint nicht ganz ver— 
ſtanden zu haben; ächzt ſchließlich zuſtimmend, mit fettem Räuſperton). 
Ja, ja! — | 

Chriſtus (noch immer im Anfall liegend, ſich langſam er— 
holend, hauchend). Ja, ja! — 

Teufel (fteht die ganze Zeit mit geſenktem Kopf, ſich be⸗ 
ſinnend, zwei Finger an die Lippen gelegt). Soll die Sache 
direkt auf den Fuß folgen? — 

Maria. Freilich, freilich ſoll ſie das! 

Gott Vater (wie oben). Freilich! — Freilich! — 

Chriſtus (will feine zwei „freilich“ ſagen, lommt aber zu 
ſpät, und kollidiert mit der folgenden Rede der Maria, die nichts— 
deſtoweniger fortfährt, mit ihrem Taſchentuch beſchwichtigend gegen 
ihren Sohn abwehrend, der lechzenden Blicks jeder ihrer Be— 
wegungen folgt). 

Maria Gum Teufel). Du biſt auf dem richtigen 
Weg, mein Freund, Du biſt Unſeres Wohlgefallens 
ſicher! 

Teufel (mit einem kurzen trockenen Blick auf Maria, dann 
wieder in ſeine Meditation von vorhin verſinkend; — nach langer 


er 


Paufe, während der man nur das Röcheln von Chriftus hört, 
eigentümlich betonend, und ſkandieren)j. — Dann — müßte 
man den Stachel, — das Gift, — ä — das 
Etwas (den Finger wie zum Hindeuten erhebend) — in die 
Sache ſelbſt, — in die — hm! (fi anzüglich räu— 
ſpernd); — in die Beziehung ſelbſt legen! — 

Maria (ehr weltmänniſch). C'est charmant! — 
C'est charmant! — 

Gott Vater dbeerſteht nicht recht, ſchaut mit großen kuglich— 
fließenden Augen herüber, und wiederholt mehr im Tonfall, als im 
Verſtändnis, Marias Worte). Ja, — ja, ja. — 

Chriſtus (will es auch wiederholen, bringt es aber nicht 
heraus, iſt ſelbſt darüber erſchrocken, ſchaut ſich ängſtlich, erſt zu 
Gott Vater, dann zu Maria hin um, und produziert endlich ein 
rhythmiſches, unartikuliertes) A, — a, — a! — 

Teufel (nachdem er dieſe Leiſtung bei Chriſtus mit einem 
kühlen, ſeine Überlegung nicht weiter ſtörenden, Blick verfolgt, fort— 
fahrend, ſehr betonend)d. Man müßte die Sekretion 
beim Geſchlechtsakt vergiften! — 

Maria. Ah, wie das? — Das wird intereſſant! 
(Rückt auf ihrem Stuhl zurecht.) 

Gott Vater und Chriſtus die diesmal doch etwas. 
verſtanden zu haben ſcheinen, halten ihre Köpfe glotzend auf den 
Teufel gerichtet). 

Teufel (den eben geborenen Gedanken wiederholend, wie um 
ihn ſich ſelbſt nochmals in den Weg zu legen). Man müßte 
die Sekretion beim Geſchlechtsakt vergiften! 

Maria. Du meinſt den Samen? (Hält ſich das 
Taſchentuch einen Augenblick vor den Mund, als ſchlucke fie etwas. 
Unangenehmes hinunter.) 

Teufel (einfallen). Nein, nein! — Nicht den 
Samen; nicht das Ei; — ſonſt würde die Nach— 


1 


kommenſchaft darunter leiden, und, verſchlechtert und 
gewitzigt, nicht mehr zu haben ſein! — Die ſoll aber 
auch dran kommen! — Nein, Samen und Ei ſollen 
unberührt bleiben, damit die Erzeugung der Menſchen 
ruhig weitergeht. — Aber der Thäter, der ſorglos 
mit ſeinem Inſtinkt drauf los Fahrende, ſoll durch 
ein kleines Neben-Produkt vergiftet werden, durch ein 
Etwas, welches gleichzeitig mit Samen und Ei pro— 
duziert wird, und welches, wie bei den Schlangen, 
nicht mehr auf den Beſitzer, aber auf ſeinen Gegen— 
part, auf ſein Vis-à-vis in der ſexuellen Frangaise 
— pardon! — wenn ich mich ſo ausdrücken darf, 
— (Maria hebt zum Zeichen des Verſtändniſſes die Augenbrauen 
hinauf) anſteckend wirkt; — ſo daß der Mann das 
Weib, oder das Weib den Mann, im günſtigſten 
Fall ſie ſich beide infizieren können, — nichts ahnend, 
— ganz im Taumel verloren, — ja in der Täuſchung 
des höchſten Glücks — (macht eine Handbewegung zu Maria, 
ob er verſtanden ſei, die dieſe mit dem Spitzentuch freudig und 
verſtändnisinnig aufnimmt) — ſo daß ſie lallend wie Kinder 
in die ſcheußliche Brühe hineintappen!!! 

Maria. C'est glorieux! — C'est charmant! 
— C'est diabolique! — Mais comment? ... 

Gott Vater und Chriſtus (glogen ruhig weiter). 

Teufel. Ah, Madame, das laſſen Sie meine 
Sorge ſein! — 


Maria. Gut! Aber unter einer Bedingung. 
Was Du auch mit den Menſchen anfangſt, ſie müſſen 
erlöſungs-bedürftig bleiben! — 


ea 


Teufel (mit großer Beherrſchung). Erlöſungs-be— 
dürftig bleiben ſie. 

Maria. Sie müſſen auch erlöſungs-fähig 
bleiben! — 

Teufel (mit den Armen, wie ein Verkäufer, bis zur 
Schulterhöhe aufwippend). Erlöſungs-fähig, — nachdem 
ich ſie vergiftet, — auf beſonderen Wunſch vergiftet, 
— das dürfte kaum ſein. — 

Maria on ihrem Thron ſpringend, in die Nähe von Gott 
Vater und Chriſtus eilend). Ja, dann tft die ganze Sache 
umſonſt! — Wenn wir die Menſchen nicht mehr 
erlöſen können, was ſoll denn dann die ganze Ein— 
richtung?! — 

Gott Vater und Chriſtus (Heben verzweifelnd die 
Hände empor; Chriſtus, der ſich etwas erholt, folgt von jetzt an 
wieder mit regerer Teilnahme). 

Teufel (dreht ſich mit ſardoniſchem Lächeln auf dem rechten 
Fuß⸗Abſatz herum, und hebt, mit künſtlichem Bedauern, wie ein 
Handelsjude, die Achſeln hoch). 

Peinlicher Moment. Das Geſchäft ſcheint nicht zu ſtande 
kommen zu wollen. — Pauſe. 

Maria (um alle zu divertieren, geht langſam auf ihren 
Platz zurück, und frägt plötzlich, mit freundlicher Stimme, den 
Teufel). A propos! Wie geht's denn mit Deinem 
Fuß? — 

Teufel (auf die Diverſion eingehend). Oh, — ſo ſo! 
— Nicht beſſer, — aber auch nicht gerade ſchlechter! 
— Mein Gott (auf ſein kurzes Bein ſchlagend) — der wird 
nicht mehr anders! — Miſemaſchin'! — 

Maria (etwas leiſer). Das iſt von Deinem Fall? 

Teufel (verſtändnisvoll, lange ſtumm und ernſt nickend)! 


ER. Rd 


Maria ſ(ſehr freundlich), Nun, und ſonſt — was 
macht die Großmutter? 

Teufel (ebenſo). Die Lilith! — Oh, danke, — 
recht gut! 

Maria. Und die Kleinen? 

Teufel. Danke! Danke! — Alles wohlauf! — 

Neue Pauſe. — Maria, unentſchloſſen, geht endlich auf Gott 
Vater zu, mit dem ſie einige Zeit leiſe ſpricht. — Darauf 

Gott Vater (oftentativ orientiert). Voyons! Voyons! 
mein Freund, Du mußt doch etwas machen können, 
was die Menſchheit vergiftet, ohne ſie ganz zu Grunde 
zu richten! — Wir wollen ſie dann wieder erlöſen! 
Nicht wahr, mein Sohn? 
Chriſtus. Wir wollen ſie dann wieder erlöſen! 
Maria. Wir müſſen ſie wieder erlöſen! 
Teufel. Der Auftrag iſt dann zu kompliziert! 
— Es ſoll unflätig und liebenswürdig und giftig 
zu gleicher Zeit ſein! — Wenn ich ſie in ihren ge— 
heimen, amoroſen Beziehungen ſogleich und heftig 
treffen ſoll, und ſie in dieſem Moment vergiften ſoll, 
dann muß die Seele auch mit! — Denn die 
Seele ſteckt da mit drin! — 

Gott Vater (erſtaunt). Die Seele ſteckt da mit 
drin? 

Chriſtus (ebenfo, aber mehr mechanisch repetierend). Die 
Seele ſteckt da mit drin? — 

Maria (affirmativ, und halb für ſich ſelbſt, wie ſich er⸗ 
innernd). Die Seele ſteckt da mit drin! — 

Teufel (nad) einer Pauſe zu Gott, etwas ſpöttiſchj. Mein 
Gott, Du biſt ja der Schöpfer! Weißt Du nichts? 


ie. 


Gott Vater (unwillig). Wir — ä — erichaffen 
jetzt nicht mehr. — Wir ſind müde! — Auch gehört 
dies Gebiet des Irdiſchen und der Sinnlichkeit in 
Deine Sphäre. — Alſo beſinne Dich, wie Du es 
anrichteſt; beflecke die Seele, aber ſie muß wieder 
herſtellbar ſein! 

Chriſtus (mod immer ſchwach, will das Letzte wiederholen, 
kommt aber nur bis) Beflecke — die — Seele . .. 

Teufel (zu Gott Vater). Es ſoll fie zur Liebe an— 
reizen, ſagſt Du, und ſie gleichzeitig vergiften? 

Gott Vater. Natürlich, ſonſt beißen ſie ja 
nicht an! 

Chriſtus (aufatmend). In der Wolluſt ſind ſie 
blind, hab' ich gehört. 

Maria. Mit Speck fangt man Mäuſe! 

Gott Vater. Suche in Deinem Hexpenkeſſel! 
Es iſt ja allerlei Zeug darin; in Deiner Hölle haſt 
Du ſo manches aufgeſpeichert; biſt doch ein Meiſter 
in ſolchen Kompoſitionen! — Kreire, braue, zeuge, 
miſche was zuſammen! — 

Maria. Es muß allerdings ſehr verlockend ſein. 
— Womöglich 'was Frauenzimmerartiges. 

Chriſtus. Ja, ſehr verlockend ſein. 

Teufel (mit einem Gedanken beſchäftigt). Lüſtern und 
zerſtörend ſoll es zugleich ſein, ſagt Ihr? — Und 
doch die Seele nicht definitiv zerſtörend? 

Alle drei Gugleich und untereinander). Lüſtern — 
zerſtörend — verlockend — giftig — wollüſtig 
grauſam — Hirn und Adern verbrennend — 


Gott Vater. Aber nicht die Seele! — Wegen 
der Zerknirſchung! — Wegen der Verzweiflung! — 

Teufel (feinen Gedankengang plötzlich beenden). Halt, 
da hab' ich 'was! — Will mal mit der Herodias 
reden! — chalblaut für ſich) lüſtern und zerſtörend zu— 
gleich! — (laut) Ich bring’ etwas! — 


Maria. Gott ſei Dank! : 
Teufel (fh zum Gehen wendend). Ich glaub', ich 
hab's! 


Gott Vater. Bravo! Bravo! 

Maria. Bravo! Bravo! 

Chriſtus. Bravo! Bravo! 

Alle Drei (fi freudig erhebend, fo weit es geht; leiſe in 
die Hände ſchlagend). Bravo, Teufel, bravo! Braviſſimo! 

Teufel (ſich empfehlend und im Abgehen ein Schnippchen 
ſchlagend). Ich komm' bald wieder! (Ab. — Draußen, wie 
er die Thüre öffnet, erblickt er einige jüngere Engel, die gelaujcht 
haben. Er packt den Nächſten beim Flügel, und zauſt ihn tüchtig. 
Dieſer läuft, mit den andern, unter ſchrecklichem Geſchrei davon. — 
Der Teufel, ſieht man, öffnet draußen eine Fallthür, durch die er 
hinabſteigt, und die er hinter ſich ſchließt. (Die drei Gottheiten 
verſchwinden bei der folgenden Verwandlung in die rechten Seiten— 
Couliſſen.) 


Zweite Seene (Verwandlung). 


Das Himmels-Kabinett ſteigt langſam nach oben; die Scene 
wird dunkler, und macht einem tonnenartigen, nach unten ſich ver— 
längernden, düſteren, mit grauen Quadern ausgemanerten Tunnel 
Platz, der ſich wie das Innere eines Turmes oder Ziehbrunnens. 
ſcheinbar bis ins Unendliche nach abwärts erſtreckt, und an 


— 49 — 


deſſen hinterem Ende eine morſche, verbarrikadierte, vielfach aus— 
gebeſſerte Holzſtiege ſich befindet. Auf dieſer ſieht man bald darauf 
den Teufel nicht ohne Mühe, ächzend, ſich am Geländer feſt ein— 
haltend, hinabſteigen, während die gleichzeitig nach oben rückende 
Scene ihn im Auge behalten läßt. Phantaſtiſche Vögel und Ungeheuer, 
die teils auf Stangen ſitzen, teils in Hohlräumen des Mauerwerks 
lagern, pfauchen und krächzen ihm mit heiſerem Ruf ihren Gruß 
entgegen. — Nach einiger Zeit mündet dieſer brunnenartige Gang in 
einen größeren, finſteren, kellerartigen Raum, der durch ein thraniges 
Ollicht nur teilweiſe erhellt iſt und in dem zunächſt nichts weiter 
zu erkennen iſt, als ein aus Binſen und Flechtwerk roh zurecht— 
gerichtetes Lager rechts im Vordergrund. Die Ollampe iſt auf der 
andern Seite und mehr im Hintergrund. Der Teufel, der müde 
und humpelnd angekommen, geht einige Schritte ſeufzend hin und 
her, geht dann nach hinten; man hört eine ſchwere Truhe auf— 
ſchlagen; er entledigt ſich ſeines engen, ſchwarzen Gewandes, das 
er ſäuberlich in einen der Kaſten legt, um in einem aus Tierfellen 
zuſammengeflickten, warmhaltenden Flaus bald darauf nach vorn 
zu kommen. Er ächzt wiederum erſt einige Schritte hin und her, 
wie nicht wiſſend, wohin er ſich wenden ſolle, und ſetzt ſich endlich 
quer auf ſein Binſenlager, zieht die Füße an und vergräbt die 
Hände tief in das Wollhaar des Kopfes, Stirn und oberen Teil 
des Geſichtes auf dieſe Weiſe verdeckend. 


Teufel mit ſich vedend). Da hockſt du nun, Hund, 
wieder allein, und heimgekehrt zu dir; weltver— 
laſſen und verachtet; zurückgekehrt von der Audienz; 
Ahnen-loſer Geſelle ohne Reſpekt und Reputation; 
und haſt wieder einmal geſehen die goldausgelegten 
Gemächer der Hohen und Vornehmen. Und du 
biſt immer und bleibſt der Lump, der Spitzbub, der 
krumme Kerl. Und Die da droben, die dürfen thun, 
was ſie wollen, es mag noch ſo platt, niedrig oder 
gemein ſein, es iſt immer edel und vornehm, weil 

4 


BE ae 


es in den Gemächern des Nobeltums paſſiert. 
Und du magſt thun, was du willſt — und wenn 
du mit dem Kopfe dich bis zum andern Ende der 
Erde wühlteſt, — es iſt immer niedrig und gemein 
und ſchuftig. — GPauſe; überlegt.) Wenn du ein Graf 
wäreſt, dann wäre auch dein krummes Bein gräflich. 
Und wenn du nur ein Thürſteher da droben wäreſt, 
dann wäre auch dein Kopf und deine Gedanken 
himmliſch und engelhaft, wie dein Kleid, das du 
dann trügeſt. Aber ſo biſt und bleibſt du ein Hund! 
— Nur wenn du für ſie was thun ſollſt, was ſie 
ſelbſt nicht können, oder was für ſie zu ſchmutzig 
iſt, dann lächeln ſie dir und ſagen: „Mein Freund! 
Mein Freund!“ Aber wenn die Audienz vorbei, 
mußt du wieder herunter in Staub und Kot, und 
dann heißt's „Pfui Deifel! Pfui Deifel!“ — Und 
jo biſt du ein erdgeborener, gebückter und verzerrter 
Kerl dein Leben lang, und humpelſt herum mit 
deinem Fuß, und friſſeſt Arger und Grimm in dich 
hinein! — — 

Und doch! — Und doch biſt du mehr! Biſt, 
mehr als dieſe Firlefanz-Leute in ihrem Glück und 
Wolkenbau! Steckſt mitten in der Welt; und in 
deinem Kopf ſtecken die Gedanken der Erde! Und 
wenn du hier allein biſt, allein mit deinem Erd— 
geruch, und dein Kopf ſich illuminiert, dann entſteht 
in dieſem vergrämten Kopf, mitten in der Verzweif— 
lung, ein Funken, ein Gift, eine Kraft, die wie ein 
Blitz, zündend und wetternd, durch die Welt fährt, 
und die Hülſenköpfe in ihrem Wolken-Heim erbeben 


\ 


ER mE 


macht. — Und braucht keine Tiaren zu tragen, keine 
Ambroſia noch Sekt zu trinken, und ſcheppernd und 
glänzend dich zu zeigen, um glücklich zu ſein. Biſt 
ſo glücklich; glücklich, wie die andern nicht glücklich 
ſein können! Glücklich in dieſem Erdenloch, in 
dieſem koſtbaren Tunnel, dieſem Hauch von Irdiſch— 
keit und Würze, dieſem Welt-Geruch, der dich kräf— 
tigt und ſtählt, und Gedanken erzeugt, und zur 
Arbeit zwingt. — Und brauchſt keine Ahnen und 
Vergangenheits-Regiſter; biſt blank und ſauber; 
darfſt von neuem beginnen; brauchſt nicht nichts 
zu thun; die Arbeit ſind deine Ahnen! Deine 
Ahnen produzierſt du in die Zukunft! — Arbeit! 
Arbeit! — (ipringt auf) Alſo denn auf zur Arbeit! 

(Er geht längere Zeit auf und ab, bleibt wiederholt ſtehen 
und ſinnt nach.) 

„Alſo verführeriſch ſoll es ſein, das Ding, — 
na natürlich, ſonſt beißen ſie nicht an“; — „etwas 
n ſagte Maria; — ſehr gut! 
— Die Frauenzimmer kennen ihr Geſchlecht immer 
am beſten. — Aber giftig ſoll es auch ſein; darin 
liegt ja die Strafe; und ſie ſollen das Gift nicht 
merken, es hinunter ſchlucken wie Syrup; — ſehr 
gut! — das läßt ſich machen. — Aber es ſoll dabei 
Seele und Leib vergiftet werden; aber nicht defi— 
nitiv; nur bis zur Verzweiflung, bis zum Wahnſinn; 
ſie wollen alſo ſehen, wie ſich die Menſchheit krümmt 
und bricht; wie ſie ihre Seelen ausleeren, wie einen 
Magen; — ich verſtehe; — die Seele ſoll aber wieder 
reparierbar ſein, — „erlöſungsfähig“, wie ſie jagen; 


AT FT: 


— na, die Freude kann ich ja ihnen für's Erſte 
laſſen; ihnen und ihnen; — vom Leib haben ſie 
nichts geſagt; ſehr gut! — Als ob ſich das trennen 
ließe! — Wenn ich den Leib toll und voll verſeucht 
habe, und der ganze Kerl zum Teufel fährt — ah 
pardon — kaput geht, dann möchten ſie die Seele, 
nachdem ſie ſchon auf dem Weg zu mir iſt, noch 


erlöſen! — Die Barmherzigkeit! — Na, das wird 
ſich ja finden. — (Geht wieder ſchweigend und nachdenklich 


auf und ab.) Was ſoll das nun aber für ein Gift ſein? 
Welches ruiniert, und doch wieder nicht ruiniert? — 
Mit organiſchen und chemiſchen Giften komm' ich da 
nicht aus! — Auch kann ich da nicht quantitativ 
vorgehen. Die ſchluckten ja und ſchluckten das Zeug 
hinunter — beſonders, da es ſo ſüß iſt — und 
pardauz lägen ſie da! Ich kann da nicht doſieren. 
Ich kann doch kein ellenlanges Rezept an die Bett— 
lade kleben: pro dosi ſoundſoviel! — Das muß alſo 
ein feines, neues und ganz beſonderes Gift ſein! — 
Welches weder den Geber noch den Nehmer ſogleich 
vergiftet! — Das muß dann ein feines, ſchleichendes, 
langſam wirkendes Ding ſein, welches ſich ruhig 
weitervererbt, und in einigen lebenden Exemplaren 
immer friſch zu haben iſt! — Dann — ſoll das 
Gift ſich an das höchſte Entzücken des Menſchen 
anſchließen, an den Liebestaumel, an das naivſte 
und köſtlichſte Glück, welches ſie beſitzen: damit es 
ſicher zu allen dringt! — Ja, das heißt, das war 
eigentlich mein Gedanke! — Keine Verſchiebung des 
geiſtigen Eigentums! — Na ja! — Wie nun weiter? 


anne 


— Woher nimmſt du das Gift? — (überlegt, bleibt ftehen) 


Na, aus dir. — (kühl) Gibt es denn etwas Gif— 
tigeres, die Adern durchdringenderes, als du jelbit? 
— Sehr gut! — Was weiter? — Wie wirſt du's 


nun anſtellen? — (überfegend, fehr langſam, mit vorgeſtrecktem 
Zeigfinger ſich vordiktierend Du mußt das Gift, 
welches an ſich vielleicht zu ſtark iſt und töt— 
lich wäre, erſt organiſch abſchwächen, und 
dann in einer lebenden Perſon verwirk— 
lichen! (paticht in die Hände) Hopla, das iſt's — Noch, 
einmal: Du mußt das Ding erſt organiſch jo 
mild machen, daß es ihre Mägen und Leber 
zunächſt gut vertragen, und es gleichzeitig 
in einem Lebeweſen, das ihnen gleich ſei, 
perſonifizieren! — Sakerlot! — Und zweitens: 
dieſes Lebeweſen muß ein Weib ſein! und das 
Gift muß durch die bekannten Schläuche geleitet 
werden! — Und drittens: dieſes Weib muß ſchön 


ſein; und ich ihr Vater! — Sapriſti! (reibt ſich die 
Hände) Kommen wir auch einmal zum Zeugen! — 
(Geht lange erregt auf und ab.) ... Nun, und wenn ich 


dies Kunſtwerk fertig bringe, was krieg' ich dann 
dafür? — Freund, nimm dich in acht! Dieſe Ge— 
legenheit kommt nicht wieder! Jetzt hole die lang 
aufgeſpeicherten Speiſezettel deiner Wünſche hervor! 
— (befinnt ſich) — — Dieſe Stiege da (ſchaut nach oben) 
muß er mir reparieren. Das Gerümpel. Wenn ich 
da mal ausgleite, und breche mir den Fuß, dann 
bin ich ein ganzer Krüppel. — Dann, dieſe Fall— 
thüre da oben, die iſt meiner unwürdig. Da ſtoß 


ich mich ſchon lange daran. Das ſoll ein ſchöner, 
freier Zugang werden, mit einem Geländer daran, 
und ein paar Teppichen. — Dann, dieſe Audienz— 
meierei habe ich ebenfalls ſchon lange ſatt. — Wird 
der Zugang oben frei, muß ich auch freien Zugang 
haben! Ich muß ſtets unangemeldet kommen können. 
— Er kam ja auch ſtets unangemeldet zu mir her— 
unter. — Dann (ſehr beſtimmt) muß Er mir meine 
Bücher frei drucken laſſen zu dürfen, und ihre breiteſte 
Cirkulation im Himmel und auf Erden erlauben. 
Das muß ich unbedingt haben. Ohne das gehe ich 
gar nicht an die Arbeit. (Ausbrechend.) Wenn jemand 
denkt, und darf ſeine Gedanken nicht mehr Andern 
mitteilen, das iſt die gräßlichſte aller Foltern. — 
Dieſes reinſte Entzücken, dieſer Tropfen Luſt, der 
Fäſſer voll Bitterkeit genießbar macht, daß Andere 
das nachdenken, was du vorgedacht haſt, — iſt das 
ſo ſchwer zu begreifen?! — Alſo das iſt Numero 
Eins! — Dann — muß hier die Ventilation beſſer 
werden. — (Glotzt lange an der Decke herum) ... Eigentlich 
könnt' ich mir das Ding hier mit Goldleiſten aus— 
ſchlagen laſſen. — Ach, — es wird doch nicht heller. 

„Wie wär's, wenn Er mich zum Graf machte? 
— Graf Miraviglioso! Oder gleich ganz italieniſch: 
Conte di Miravoglioso; Signor Conte di Mira- 
viglioso. — Pfui, ſchäm' dich! Haſt du nicht ge— 
ſagt, du willſt ein ehrlicher Kerl bleiben? — Nun 
ja; ich wollte ja nur auf ganz kurze Zeit das tolle 
Empfinden haben, ganz ohne Grund Etwas zu ſein. 
Nur auf acht Tage. — Ich kann ihn ja dann meinem 


Ausgeher Schenken. — . . . Ein paar Orden könnt' 
ich mir bei dieſer Gelegenheit geben laſſen! — Dazu 
iſt es wieder nicht hell genug da herunten. An der 
Beleuchtung fehlt es hier überhaupt. — Was noch? 
— Etwas beſſere Garderobe! Dieſes ſpaniſche 
Koſtüm trag' ich nun ſchon ſeit Philipp II. Es iſt 
unerhört. Und nur meine ganz außerordentliche 
Peinlichkeit erlaubt mir noch, überhaupt oben zu 
erſcheinen. — Dann, um Gottes Willen, etwas 
Mobiliar. Ein paar Pfund Roßhaar werde ich doch 
noch wert ſein. Und ein paar warme Decken. — 


Weiter! — Etliche Borten an meine Kleider; we— 
nigſtens Lieutenants-Rang! — Dann: Einreihen, 


wenigſtens in die letzte Hofrangklaſſe; mein Gott, 
ich helfe doch den Leuten in ganz außerordentlicher 
Weiſe. — Ferner: ein kleines „von“ —, und die 
Möglichkeit einer ſtandesgemäßen Verbindung mit 
einer der Engel-Klaſſen; Gott, ſo ein zartes Ge— 
ſchöpfchen, neben mir, 's wär' ja zum Entzücken; ſie 
mag ſo dünn und jung ſein, wie ſie will; ich richt' 
ſie mir ſchon her! — Was noch? — Ein goldenes 
Portepée, n Kammerherrntitel, ein kleines Krönlein, 
in Herzogskragen oder . . . (hält plötzlich inne, greiſt ſich mit 
beiden Händen an die Stirn und ſchreit in tieriſcher Weiſe hinaus). 
Ah! — Ah! — Bleib’ fort! (Er hält die Hände weit von ſich 
wie um etwas wegzuſtoßen, das auf ihn eindringt, und weicht 
zurück.) Ah! — Es kommt! — Es hat mich! — Du 
Hund, hab ich dir nicht geſagt, wenn du über die 
Schnur hauſt, packt es dich! — Pfui Teufel! 
(ſpuckt aus, wie um etwas aus ſeinem Innern zu entfernen) 
Pfui Deifel! — Es kommt! — Der Ekel, — er 


Ir Bene 


hat mich! — Pfui! — Pfui! — Oh, es iſt zu ſpät! 
— Ekel! Ekel! Verdammte Sauce! — — Teufel! 
weißt du nicht mehr? — Weißt du nicht, daß du nur in 
der Entbehrung, im Finſtern, nur unter der Marter 
gedeihſt? — Und dann will der Kerl ſtolz ſein! — 
Ah, — ah — Er macht Würgbewegungen, ſchleppt ſich bis zu 
ſeinem Lager, wirft ſich dort auf den Bauch, wälzt ſich in Krämpfen, 
reißt aus der Matratze Stroh heraus, macht einen Knebel und 
ſteckt ihn ſich mit ingrimmigem Behagen in den Mund; — wird 
dann allmählich etwas ruhiger, liegt bewegungslos da, und ſcheint 
zu ſchlafen. — Lange Pauſe.) 

Währenddem hat ſich im Hintergrund an der Rückwand des 
Gewölbes die Scene wie aufgeklärt; die Schicht wird heller und 
heller; zuletzt durchſichtig; es ergiebt ſich eine, wie es ſcheint, un— 
ermeßliche Perſpektive; allmählich ſchwindet auch der letzte trübe, 
Schleier, und man erblickt ein ungeheures Totenfeld, auf dem eine 
ſchier unfaßbare Zahl, wie es ſcheint, lauter Weiber, in Leibes— 
geſtalt, mit fahlen Gewändern, die einen hockend, die andern hin— 
geſtreckt, teils die Arme aufgeſtützt, teils das Geſicht in den Arm— 
falten vergraben, wie ſchlafend dortliegen; das Ganze übergoſſen 
von einem kalten, flirrenden, mondlichtähnlichen Schimmer. — 
Tiefe Stille. — 

Teufel (wacht langſam auf, hebt ſich mit den Händen auf— 
ſtützend matt empor; wie er ſich umwendet und erblickt die Scene, 
fährt er plötzlich zum Sitzen auf, reißt ſich den Knebel aus dem 
Mund). Ah! — Ihr ſeid mir vorausgeeilt, Gedanken! 
(Betrachtet lange mit Entzücken die Scene). Ihr habt Euch 
verwirklicht, meine guten Gedanken! — Und die ge— 
meinen ſind mir in den Magen gefahren, und haben 
mich krank gemacht; — ſo iſt's recht! — — Du haſt 
gebüßt, — und biſt jetzt wieder ein ehrlicher Kerl! 
— (Legt ſich, noch immer etwas erſchöpft, wieder in eine mehr 
ruhende Stellung zurück, aber ſo, daß er die Scene im Auge be— 


en 


hält — matt und langſam). Welche von dieſen wähl' ich 
mir jetzt aus als Mutter für mein glorioſes Ge— 
ſchöpf? — . .. Schön! — Verführeriſch! — Sinn— 
lich! — Giftig! — Hirn und Adern verbrennend! — 
Ahnungslos! — Tollpatſchig! — Grauſam! — Be— 
rechnungslos! — Seelenſchmutzig! — Naiv! — 
(Lange Pauſe.) 

Er erhebt ſich dann zum Sitzen und ruft mit halblauter, aber 
klarer Simme, in ſanftem Ton: 

Helena — von Sparta — des Priamus Ge— 
liebte — Trojaniſche Königin! — — (Im Hintergrund 
erhebt ſich aus der Reihe der Schlafenden langſam eine Geſtalt 
mit langem ſchleppendem Mantel, der um die Taille durch einen 
mit der Stoff-⸗Farbe gleichen Strick zuſammen gehalten, kommt 
langſam, wie ſchlaftrunken, mit geſchloſſenen Augen, den Licht— 
ſchimmer, der ihr aus dem Totenreiche anhaftet, beibehaltend nach 
vorn und bleibt vor dem Teufel ſtehen.) 

Teufel. Du biſt damals mit dem jungen Laffen, 
dem Trojaner-Prinzen, auf und davon, und haſt 
deinen Mann, den König, zurückgelaſſen; rein aus 
Verliebtheit? — (Helena verneint ſchwerfällig mit dem Kopfe.) 
Was? nicht einmal verliebt? — Aus Neugierde? — 
(Sie ſcheint ſich zu beſinnen; nickt dann wie ſchlaftrunken.) — Nur, 
weil es dir gefallen hat? — (Helena nickt.) — Ohne 
etwas zu denken? — (nidt) — Juſtament? (wartet und 
nickt dann) — Und als dann der Krieg ausbrach, da 
dachteſt du? — (mit mechaniſch, beſinnt ſich aber dann und 
verneint). — Dachteſt dir: Es iſt nun einmal jo! 
(nickt und betont). — Geh', leg' Dich wieder ſchlafen 
armes, dummes Ding! — (Sie wartet einen Moment, 
dreht ſich dann langſam um und geht zurück auf ihren Platz, wie 
ſie gekommen.) 


u 7 on 


Teufel (mad) einer Pauſe, mit der gleichen hellen, ſanften 
Stimme). Phryne — aus Athen — glatteſte aller 
Hetären — komm'! (Von dem Totenfeld erhebt ſich aus einer 
andern Reihe ein Weib im gleichen Anzuge wie die erſte und 
kommt näher.) Blaſſeſte aller Zauberinnen, du haſt 
tauſende von Männern in dein Garn gelockt, ſie 
arm und elend gemacht, ihnen Geld und Gedanken 
geraubt, — haſt Philoſophen genarrt, — Richter 
beſtochen, — Staatsgeſetze umgeſtoßen, — Krieg 
angezettelt, — Reichtümer angehäuft, — haſt dich 
als Göttin geriert, — dich anbeten laſſen, — haſt 
dein Vaterland verhöhnt, — wollteſt deinen Namen 
wie eine ſchmutzige Reklame auf die Mauern Thebens 
ſetzen — und dafür bezahlen, — haſt dich nackt vor 
allem Volk gezeigt, — in Korinth dir Tempel und 
Statuen bauen laſſen, — haſt fortgehurt, bis deine 
Haare weiß wurden — und wurdeſt ſchließlich in 
einem Tempel, in den du dich geflüchtet, wie ein 


unreines Tier erſchlagen ? — iickt ſtumm wiederholt auf 
alle Fragen). — Warum? — Aus Liebe? (verneint.) — 


Aus Leidenschaft? (verneint). — Aus Laune? — (nidt). 
— Weil du ſchöner und blaſſer warſt, als alle an— 
dern? (nicktṽ. — Haft gar nichts dabei gedacht? — 
(verneint). — Ließeſt den Dingen ihren Lauf? — (bejaht). — 
Geh', du harmloſes Kind, du biſt unſchuldig! — 
(Geht langſam und ſchweigend ab, wie die erſte.) 

Teufel (nach einer Pauſe, wie oben). Heloiſe, — 
Aebtiſſin von Paraclet — Latiniſtin des 12. Jahr- 
hunderts! — Eine dritte Geſtalt erhebt ſich aus dem Totenfeld 
und kommt im gleichen Anzug, wie die vorigen näher.) Du haſt 


ſtudiert, — und haft geliebt, — und haft Kinder 
gebracht, — und haſt deinen Lehrer, Abälard, die 
Leuchte des Jahrhunderts, verführt, — und deine 
Familie in Spott und Schande gejagt, — bis ſie 
dir deinen Geliebten zum Kapaun machten, — und 
dich zur Nonne, — und haſt dann deinen verſchnit— 
tenen Abälard fortgeliebt, — und ihm brünſtige 
Briefe geſchrieben — bis man dich zur Abtiffin 
machte; — und als Abtiſſin haſt du weiter ſtudiert, 
und ihn weiter geliebt, und weiter — wenigſtens 
in der Phantaſie — Kinder gebracht, und mit deinem 
längſt abgekühlten Freund imaginative Scheußlich— 
keiten begangen, die man ſelbſt in der Hölle nicht 
ſagen darf, — und haſt ihm geſchrieben: lieber wolleſt 
du des Abälard Hure, als des Kaiſers rechtmäßige 
Gattin ſein; — und als er ſtarb, haſt du dir ſeine 
Leiche kommen laſſen, und haſt ihn immer noch ge— 
liebt, und ihn mit deinen eigenen Händen begra— 
ben; — und dann haſt du ihn noch zwanzig Jahre 
auf Koften deiner Phantaſie weiter geliebt; — bis 
du ſelbſt ſtarbſt? — (hat zu allen Fragen ſtumm genickt) — 
Warum? — Aus Liebe? — (bejaht heftig) — Aus 
reiner Liebe? — (bejaht intenſiv) — Kind, du biſt ja 
ſchon für den Himmel reif! — Halte dich parat, 
wenn die Poſaune ertönt, kommſt du zuerſt dran! 
— Inzwiſchen geh', und ſchlaf weiter! — Geſtalt 
geht ab). 

Teufel (für fih). Ich hab' doch verdammt wenig 
Grandioſes in der Hölle; muß mir 'mal 'n Scheu— 
ſal holen! — bbeſinnt ſich, dann nach einer Pauſe) Agrip— 


— 0 


pina, — Mutter, Gemahlin und Mörderin von 
Kaiſern, — und Gemordete eines Kaiſers, — komm'! — 
(Eine Geſtalt erhebt ſich aus anderer Gegend.) — Du haſt etwas 
viel auf dem Kerbholz, Freundin; — mit 14 Jahren 
heirateteſt du deinen Mann, und läßt dich herbei, 
ihm nach neun Jahren eines der größten Scheuſale, 
den Nero, zu gebären? — Dafür kannſt du nichts! 
— Tröſte dich, wir haben jetzt eine Schule, die dir 
nachweist, daß du auch für die andern Sachen nichts. 
kannſt; nur iſt dieſe Lehrmeinung noch nicht bis 
zum Himmel gedrungen. — Du vernachläſſigſt alſo 
deinen Mann, und gibſt dich dem Lepidus hin; — 
das war damals ſo Sitte! — dann verbindeſt du 
dich mit deinem Freier, um deinen Bruder, den 
Kaiſer Caligula, zu ermorden; — es gelingt 
nicht! — dafür kannſt du wieder nichts, — d. h. 
du warſt nicht geſchickt genug! — Endlich wird aber 
Caligula doch ermordet, — wie das damals ſo 
Sitte — und du wirſt wieder hoffähig; — du ver— 
ſuchſt dann vergeblich einige andere vornehme Römer 
zu kapern, bis ſich endlich der reiche Advokat Paſſi— 
mus — den ich für geſcheiter gehalten hätte — 
herbeiläßt, und mit dir eine zweite Ehe eingeht; du 
vergifteſt ihn dann, und beerbſt ihn! — doch das 
haben ſchon andere vor dir gemacht; das war damals 
ſo Sitte! — dein folgendes Stückchen war dagegen 
ſchon viel origineller: du ſpielſt ſo geſchickt hinterm 
Vorhang — von deiner Villa aus — daß du die 
Kaiſerin Meſſalina von ihrem Gemahl, dem Kaiſer 
Claudius, abſchlachten läſſeſt, heirateſt dann ſelbſt 


— 61 — 


den Kaiſer Claudius und wirſt Kaiſerin! — Was dann 
folgte, der von dir inſeenierte Selbſtmord des Lucius 
Silanus, die Verbannung ſeiner Schweſter Junia 
und die Verbannung der Lollia Paulina, deren 
Kopf du dir nachträglich aus der Verbannung zu— 
rückholen läſſeſt, waren mehr Nebenabfälle; du folg— 
teſt darin den Sitten deiner Zeit. — Dann ver— 
ſchaffſft du dir den Beinamen „Auguſtas, die Heilige, 
läſſeſt deinen Sohn Nero von deinem neuen Ge— 
mahl, Kaiſer Claudius, adoptieren, läſſeſt ihn dann 
mit der Tochter dieſes Kaiſers Claudius, Oeta— 
via, vermählen, vergifteſt dann dieſen Kaiſer, deinen 
Gemahl, und rufſt deinen Sohn Nero zum Kaiſer 
aus. — Das war nämlich damals ganz neu! — Du 
vergifteſt dann noch ein paar Konſuln, Prokonſuln 
und Nebenbuhlerinnen, und wirſt letzlich von deinem 
eigenen Sohn Nero ermordet! — (Die Geſtalt hat auf 
alle Fragen ſtummnickend geantwortet.) — Hör' mal, Agrip— 
pina, du biſt eine ganz ſcharmante Perſon, aber ich 
vermiſſe in deinem ganzen Thun den eigentlich künſt— 
leriſchen Impuls — die Naivität; — alles hängt 
ab von deinem maßloſen Ehrgeiz! — Das iſt krank— 
haft! — Das wird auf die Dauer langweilig! — 
Wir faſſen die Sachen jetzt anders auf! — Nicht 
ein ſchöner Mord in deiner ganzen Geſchichte! — 
Ich kann dich wirklich nicht brauchen! — Geh' nur 
und leg' dich wieder ſchlafen! — Schlaf ſanft! (Ge— 
ſtalt ab.) 

Teufel (mach einigem Ueberlegen, für fih). Jetzt hab' 
ich noch eine Nummer, die Herodias; — aber halt, 


— 62 


ich nehm’ ſtatt der Mutter lieber die Tochter! (ruf 
Salome, — ſchöne, junge Tänzerin, — komm' zu 
mir! — (Weit hinten erhebt ſich eine ſchlanke, jugendliche Er— 
ſcheinung, und kommt näher, eine freundliche, heitere Erinnerung 
auf ihrem Geſicht.) — Sag' mir einmal, mein hübſches 
Kind, du warſt damals auf dem Bankett bei Hero— 
des zugegen? — (bejaht) — Und da tanzteſt du? — 
(bejaht) — Warum tanzteſt du? — (Sie weiß es nicht) — 
Nun, du tanzteſt eben, weil junge hübſche Mädchen 
überhaupt gern tanzen, — und weil du Tanzſtunde 
gehabt hatteſt? — (bejaht) — Und du ſandeſt Beifall? 
— (nit) — Und Herodes ſagte dir, du ſollteſt dir 
was ſchenken laſſen? — (ickt) — Und du ließeſt dir 
einen Kopf ſchenken? — (ickt) — Einen Menſchen— 
kopf? — (bejaht) — Einen lebenden Menſchenkopf? 
— (bejaht) — Weshalb? — (fie weiß es nicht) — Zum 
Spielen? — (fie zandert und bejaht ſchließlich) — Und 
Herodes ſchickte dich mit dem Henker ins Gefängnis, 
und der ſchneidet dir dort einen Kopf ab? — (mid) — 
Das war der Kopf des Johannes? — (bejaht gleich- 
gültig) Der ward dir auf eine Platte gelegt, und du 
kamſt dann damit herein in den Bankett-Saal? — 
(nickt) — Das Blut lief wohl in der Platte herum, 
— und machte ſie ſchließlich ganz voll? — (ickt) — 
Es netzte deine Finger? — (bejaht lebhaft) — War dir 
das angenehm, oder unangenehm? — bbejaht) — 
Ja, was? — Angenehm oder unangenehm? — 
(ſie reibt die Hände gegen einander) — Es kitzelte dich? — 
(bejaht ſehr deutlich) — Du haſt wohl ſehr feine Fin— 
ger? — (feine Antwort) — Und dann, — dann ſchenkteſt 


Een, 


du den Kopf deiner Mutter? — (bejaht) — Wa— 


rum? — Guckt mit den Achſeln) — Er war eben ſchom 
tot? — (niet traurig) — Und du wollteſt doch einen 
lebenden haben? — (bejaht) — Ja, die abgeſchnit— 


tenen Menſchenköpfe halten ſich nicht lang! — — 
Sag' mal, haſt du einen von den Leuten gern ge— 
habt, was man jagt, lieb? — (weiß nicht, was ſagen, 
und verneint ſchließlich), — Den Herodes? — (verneint) 
— Den Johannes? — (verneint) Deine Mutter? 
— Guckt mit den Achſeln und verneint) — Aber deinen 
abgeſchnittenen Kopf, den hatteſt du gern? — 
bejaht ſehr deutlich). 

Teufel (ipringt plötzlich auf). Kind, du biſt mein 
Fall! — (geht auf ſie zu) Aus dir läßt ſich noch 'was 
machen! — (er ſchließt ſie, halb von rückwärts kommend, leicht 
in ſeine Arme.) Du ſollſt mir heut' in mein Schlaf— 
gemach folgen! 

Die Geſtalt (hört man tief und vernehmlich ftöhnen). 

Während des Folgenden fallen über dem Totenfeld wie im 
Vordergrund ſchwarze, anfangs noch durchſichtige Flöre und Schat— 
ten herab, die die ganze Scene immer mehr verdüſtern. 

Teufel (die Geſtalt janft mit ſich nach rechts fortführend). 
Wir haben große Dinge mit dir vor! — Du ſollſt 
die Ahnin eines grandioſen Geſchlechtes werden, an 
das kein Ariſtokrat hinankann! — Deine Nachkom— 
men werden weder blaues noch rotes, ſondern weit 
merkwürdigeres Blut in ihren Adern führen. — Und 
Du wirſt die Mutter ſein. — Deine Qualitäten 
ſind einzig in meinem großen, ungeheuren Reich! — 
Selbſt oben, bei Hof, ſieht man unſere Verbindung, 


ä 


mit gnädigem Wohlwollen! — (er verſchwindet mit ihr; 
die Stimme klingt immer entfernter.) Morgen ſchon darfſt 
du zu deinen Schweſtern zurück! — Unſer heißes 
Temperament läßt Schaffen und Entſtehen ſich in 
unglaublich kurzer Zeit vollenden! — Zeugen und 
Gebären rückt durch unſere Gewalten in wenige Stun— 
den zuſammen! — Komm', mein Kind, komm'! — 

Das Totenfeld iſt jetzt verſchwunden. Die Flöre fallen nun 
auch im Vordergrund immer dichter; ſo daß die Scene bald ganz 
verdunkelt ift. — Man hört in der Ferne noch einen gellen, weib— 
lichen Schrei! — Dann wird es ſchwarze Nacht, und der Vor— 
hang fällt. 


Vierter Hufua. 


Im Himmel. Ein koſtbar ausgeſtattetes Gemach in Roſa. 
Maria, vornehm geſchmückt auf ihrem Thron, umgeben von meiſt 
jüngern Engeln in lichter, farbiger Tracht, die an den Stufen des 
Thrones teils ſitzen, teils in maleriſcher Stellung liegen. Einer 
derſelben hat ein Buch in der Hand und lieſt aus Boccaccio in 
monotoner, breiter, ſchulmädchenartiger Stimme vor. 

Engel (lieſt) „. . . Agilulf, der König der Longo— 
barden, befeſtigte, gleich ſeinen Vorgängern in 
Pavia, der Hauptſtadt der Lombardei, ſeinen Thron 
durch Vermählung mit Teudolinga, der Witwe 
Auterichs, der ebenfalls König der Longobarden ge— 
weſen war. Dieſe Gattin war ſehr ſchön, verſtändig 
und ehrbar, der aber dennoch ein Liebhaber einſt 
einen ſchlimmen Streich ſpielte. Als nämlich durch 
die Tapferkeit und den Verſtand des Königs Agilulf 
der lombardiſche Staat glücklich und ruhig geworden 
war, geſchah es, daß ein Reitknecht der genannten 
Königin, ein Menſch, was die Abſtammung anbe— 
trifft, von höchſt ärmlichen Umſtänden, ſonſt aber 
über ſein ſchmähliches Geſchäft hoch erhoben, und 
von Perſon ſchön und groß wie der König, ſich über 
alle Maßen in die Königin verliebte. Da jedoch 


9 


8 


ſein niedriger Stand ihn keineswegs verhinderte, 
einzuſehen, daß dieſe ſeine Liebe außer allen Grenzen 
der Möglichkeit und Schicklichkeit liege, ſo offenbarte 
er ſich als ein verſtändiger Mann niemandem und 
wagte nicht einmal, ſich der Königin ſelbſt nur durch, 
einen Blick zu entdecken. Obgleich er nun gänzlich, 
hoffnungslos war, ſo that er ſich doch bei ſich ſelbſt 
etwas darauf zu Gute, daß er ſeine Gedanken fu 
hoch hatte ſteigen laſſen und, vom Liebesfeuer ganz, 
entzündet, gab er ſich Mühe, es allen ſeinen Ka— 
meraden in allem, von dem er glaubte, daß es der 
Königin gefallen könnte, zuvor zu thun. Dadurch 
geſchah es, daß die Königin, wenn ſie ausritt, weit 
lieber das Pferd ritt, das dieſer wartete, als ein 
anderes, und dies rechnete ſich jener zur höchſten 
Gnade, ging alsdann nicht vom Steigbügel weg, 
und ſchätzte ſich glücklich, wenn er ihre Kleider be— 
rühren durfte. — Aber wie wir dies häufig ſehen, 
daß die Liebe um ſo Ka wird, je mehr ſich die 
Hoffnung verringert . 

Maria (anierberend). Ja, kriegen denn die Zwei 
ſich noch nicht? — 

Leſender Engel (fd). — — Ich weiß nicht, 
Immerwährende Jungfrau. 

Maria. Sieh 'mal, wie viel Seiten die Ge 
ſchichte noch hat? 

Leſender Engel Gählt ſorgfältig nach). Noch zwan⸗ 
zig, Allerſeligſte Gottesmutter. 

Maria. Das iſt ſchrecklich lang; kann man 
denn da nichts überſchlagen? (Läßt ſich das Buch geben.) 


Te 


— Na, ich glaube, jetzt wird's etwas lebhafter. Lies 
mal zu! (Gibt ihm das Buch zurück.) 

Leſender Engel (ie oben). „. . . Je mehr ſich die 
Hoffnung verringert, ſo geſchah es auch bei dieſem 
armen Reitknecht, der ſein verborgenes Verlangen, 
das von keiner Hoffnung gelindert war, kaum mehr 
ertragen konnte, und oft, da er ſich von dieſer Liebe 
nicht losmachen konnte, den Entſchluß faßte, zu 
e 

In dieſem Augenblick iſt das Weib, ein junges, blühendes 
Weſen in ſchwarzen Haaren, mit ſchwarzen, tiefliegenden Augen, 
in denen eine verzehrende, aber noch nicht aufgeſchloſſene Wolluſt 
verborgen liegt, in ganz weißem Gewand zaghaft auf die Schwelle 
getreten; Alles iſt beſtürzt und, wie geblendet über den neuen An— 
kömmling, in die Höhe gefahren; die Engel ſtarr und wie unent— 
ſchloſſen, was zu thun, die Blicke auf das Weib gerichtet. 

Maria diie ſich erhoben hat, imperatoriſch). Wer iſt 
dieſe Perſon? — (als keine Antwort erfolgt) Wer hat Dich 
herein gelaſſen? — Woher kommſt Du? — Kommſt 
Du von drunten? — Biſt Du eine Geftorbene? — 
Oder was Beſſeres? — Eine Heilige? — Was 
willſt Du hier? — Mir Konkurrenz machen? — 
Mit welchem Recht . . .? (fängt zu zittern an). 

In dieſem Augenblick kommt der Teufel hinter dem Weib 
herein, atemlos, als habe er ſich verſpätet, macht eine tiefe Reverenz 
vor Maria. 

Teufel. Gnädige Frau, — (das Weib vorftellend) 
meine Tochter? 

Die Engel fahren kreiſchend nach links ab. 

Maria (die Thronſtufen hinabſteigend, mit dem Ausdruck 
höchſter Verwunderung). Ah! — 


Fu 


Teufel (den Eindruck abwartend; dann nach einer Paufe). 
Ich hoffe, ſie gefällt Dir? 

Maria (zögernd, ihre Eindrücke ſammelud). Gefallen? 
— Nein, dazu iſt ſie zu ſchön. Dieſes Bieſt ſchlägt 
Alles im Himmel und auf Erden. — Ich erwartete 
ein Scheuſal. 

Teufel. Gnädige Frau, damit . . . 

Maria (unterbrehend, zornig)ß. ‚Gnäd'ge Frau! — 
Gnäd'ge Frau! — Ich bin die Immerwährende 
Jungfrau und Allerſeligſte Gottesmutter! — Merk' 
Dir's! (Mit einem Blick auf das Weib.) 

Teufel (sehr devot, halblaut.) Dieſe feinen Unter— 
ſchiede erfaßt Die noch nicht. — Sie iſt wie ein 
Kind. 

Maria. Wie, ſpricht ſie nicht? 

Teufel. Gott bewahre! 

Maria. Sie ſpricht keine Sprache? 

Teufel. Sie ſpricht die Sprache, die alle 
Weiber ſprechen, die Sprache der brennendſten Ver— 
führung. 

Maria. Ich meine, Du biſt über unſer Pro— 
gramm hinausgeſchritten. — Was ſoll dieſe ſuperbe 
Perſon ...? — 

Teufel. Ich mußte ſie in irgend einer Art . . . 

Maria (einfallend),. Wenn ich das wollte, konnte. 
ich einen meiner Engel, ich konnte ſelbſt . . . 

Teufel. Oh, ſchönſte Frau, nimmermehr; Ihr 
habt vergeſſen . . . 

Maria. Ja, ja! — Ganz richtig! — Jawohl! 
— — Aber warum jo blendend? — Das reine 


— 69 — 


Entzücken! (um Teufel gewendet halblau). Kann man 
ſich hier 'was vergeben? 

Teufel. Du kannſt ſie glatt bewundern, noch 
weiß ſie gar nichts. 

Maria dberſchlingt das Weib mit ihren Blicken, geht dann. 
in einer plötzlichen Wallung auf ſie zu, und küßt ſie). 

Das Weib fährt faſt erſchrocken zurüc). 

Maria (überwältigt). Das volle Entzücken! — 
Wie ein Kind! — 

Teufel (mit komiſchem Pathos). „Rein aus der Hand 
des Schöpfers hervorgegangen!“ — 

Maria (empfindet den Stich). Oh — buffone! — 
Wo haſt Du ſie her? 

Teufel (ſehr geſpreizty). Gewiſſe Geheimniſſe Un— 
ſerer Fabrikation können Wir nicht mitteilen; — 
indes — die Mutter kann ich Dir nennen. 

Maria. Ah! 

Teufel. Eine gewiſſe Salome, — die ſchöne 
Köpferin, — die ſich mit einer Schnellung ihres 
Tanzbeins einen warmen Menſchenkopf holte. 

Maria ſſich befinnend), Haben Wir die nicht her— 
oben? 

Teufel (trocken). Nein, nein! — Solche Perſonen 
habt Ihr nicht heroben. 

Marta (verfunfen in der Geſtalt). . .. ſolche Perſonen 
habt Ihr nicht heroben . . .! Und fo blendend! — 

Teufel. Was Du ſiehſt, hat ſie von der Mutter. 

Maria. Von ihr. 

Teufel c(garkaſtiſch). Und noch einiges, was Du 
nicht ſiehſt! — 


DE 


Maria (zu ihm hinüberſchauend, verftändnisvoll). Ja⸗ 
wohl! — Sonſt? — 

Teufel. Die Qualitäten des Vaters kommen 
erſt ſpäter zum Vorſchein; — — wenn ſie Trug 
hat. 

Marie: Das glaub’ ich! 

Teufel. Ich war in meiner glorioſen Stim— 
mung! 

Maria die ſich von der Geſtalt nicht trennen kann). Und 
dieſes keuſche Entzücken, dieſes unvergleichliche Auge, 
dieſer Impuls voll überirdiſcher Luſt, dieſer Gedanke 
von übermenſchlicher Güte und Mitleid ſoll die Men— 
ſchen, ſagſt Du, vergiften und verderben? . . . 

Teufel (ehr beſtimmt). Das ſoll es! 

Maria. Soll es das? — Kann es das? — 

Teufel (höhniſch). Kann es das? — Ich ſag' 
Dir, das in ihr verſchloſſene Gift iſt ſo ſtark: nach 
vierzehn Tagen ſoll der, der ſie berührt, mit Augen 
wie Glasklicker in die Welt ſchauen; ſeine Gedanken 
gerinnen ihm, und er ſchuappt nach Hoffnungsluft, 
wie ein trocken gewordener Fiſch; nach ſechs Wochen 
betrachtet er ſeinen Körper und fragt: Bin das Ich?; 
die Haare fallen ihm aus, die Wimpern fallen ihm 
aus, die Zähne fallen ihm aus; Gebiß und Gelenke 
werden wackelig; nach drei Monaten iſt er an ſeiner 
Menſchenoberfläche durchlöchert, wie ein Sieb, und 
er ſpekuliert an den Schaufenſtern herum, ob man 
etwa eine neue Menſchenhaut kaufen kann; die Ver— 
zweiflung rinnt ihm nicht nur im Herzen zuſammen, 


9 


ſondern läuft ihm ſtinkend auch zur Naſe heraus; die 
Freunde begucken ſich gegenſeitig, und wer in der 
erſten Phaſe der Vergiftung iſt, lacht den aus, der 
ſich in der dritten oder vierten befindet; nach einem 
Jahr fällt ihm die Naſe in den Suppenteller, und 
er läuft zum Kautſchukhändler, um eine neue zu 
kaufen; dann verzieht er, geht an einen andern Ort, 
wechſelt das Handwerk, wird mitleidig und ſenti— 
mental, thut keinem Tierlein 'was zuleide, ent— 
wickelt moraliſche Geſinnungen, ſpielt mit den Mück— 
lein in der Sonne und beneidet die jungen Bäume 
im Frühling; er wird katholiſch, — wenn er prote— 
ſtantiſch war; und proteſtantiſch, — wenn er katho— 
liſch war: nach zwei, drei Jahren liegen ihm die 
Leber und die großen Drüſen wie Mörſer im Leib 
und er denkt auf lockere Speiſen; dann gimpelt's ihm 
im einen Aug', nach einem weiteren Vierteljahr iſt es 
zu; nach fünf, ſechs Jahren beginnt ein Zucken und 
Schießen im Körper auf und ab, wie ein Feuerwerk; 
er geht noch ſpazieren, und fleißig ſieht er nach, ob 
die Füße noch unter dem Leib hervorkommen; noch 
etwas ſpäter zieht er es vor, im Bett zu bleiben; 
er liebt die Wärme; nach acht Jahren etwa nimmt 
er ſich eines Tags einen Knochen aus dem eigenen 
Gebäu, beriecht ihn, und ſchmeißt ihn voll Grauſen 
in die Ecke; er wird dann fromm, frömmer, am 
frömmſten; er liebt die Marokin-Bände mit Gold— 
ſchnitt und einem Kreuz darauf; und nach zehn 
Jahren liegt er ſchlank dort, ein verwelktes Skelett, 
mit gähnend gegen den Plafond aufgeſperrtem 


ee 


Maul, das ‚Warum‘ fragt und ftirbt. — — Die 
Seele gehört dann Euch! — 

Maria (fi voll Abſcheu wegwendend). Ah! 

Teufel (verwundert). Was? — Habe ich meine 
Sache nicht gut gemacht? — War die Arbeit nicht 
ſo beſtellt? — 

Maria (die Hände vor dem Geſicht, ſchluchzend)!. Ach, 
die armen Menſchen! 

Teufel (einfallend) ... bleiben erlöſungsbe— 
dürftig und erlöſungsfähig! — 

Marta (die fi) wieder umgewendet, ſtarrt mit offenen 
Augen das Weib an, in deren Anblick fie verſunken bleibt. Das 
Weib in der urſprünglichen naiven, feiner unbewußten, ſchönheits— 
vollen Haltung). 

Man hört draußen ein Geräuſch, wie von Kommenden. 

Maria eerwachend, und zur Thüre eilend). Nein, nie— 
mand ſoll herein! — (nachdem fie vor der Thüre die Kom— 
menden erblickt) Nein, mein Sohn ſoll nicht herein; 
kann nicht herein, darf nicht herein; — Gurückkehrend, 
wild). Schaff' mir das Weib aus dem Haus! — 
Thu' mit ihr, was Du willſt; aber fort, fort! — 
Augenblicklich! — 

Teufel cbittend). Liebe Maria, Immerwährende 
Jungfrau, Allerſeligſte Gottesgebärerin, ich hätte 
noch einige Wünſche, ich denke, ich verdiene doch, . . . 
Du weißt 

Maria (eilfertig). Ja, ja, — Du ſollſt Deine 
Stiege haben; — aber nur fort, fort! — 

Teufel (larmoyant). Und Gedankenfreiheit! — 


ee I 


Maria. Freund, Du denkſt nur viel zu viel! 
— Ich will mir's überlegen, was ich befürworten 
kann; — aber jetzt fort! — 

Teufel (mit einem ſchweren Seufzer, verbeugt ſich tief vor 
Maria, geleitet dann mit großer Vornehmheit das Weib nach 
außen, wohin er ſie vorantreten läßt). 

Maria ſſcchaut ſtarr mit offenem Munde den Gehenden nach). 


(Der Vorhang fällt.) 


— ůů 


Fünfter Aufzug. 


Erſte Seene. 


Rom. Ein Saal im päpſtlichen Palaſt; zur Rechten (von 
der Bühne aus) iſt an der Wand ein temporärer Altar errichtet, 
an dem ein Prieſter amtiert; zur Linken bis gegen die Mitte der 
Bühne reichend, ſtehen Armſeſſel, zum Teil mit Betpulten davor, auf 
denen der Papſt mit feiner Familie, darunter Ceſare und Lucrezia 
Borgia, die Vanozza und Julia Farneſe mit den Mitglie⸗ 
dern des heiligen Kollegiums, Biſchöfen und Erzbiſchöfen, Almoſe— 
nieren, dem Ceremonienmeiſter Burcard, dem Kapitän der päpft- 
lichen Garde und andern zum unmittelbaren Gefolge des Papſtes 
Gehörigen, Platz genommen; zu äußerſt links, hinter den Stühlen, 
ſtehen dichtgedrängt und ohne das Ende des Saales auf dieſer 
Seite erkennen zu laſſen, teils Geiſtliche, teils niedere Beamte des 
päpſtlichen Hofſtaates und ganz hinten auch etliche von der Diener— 
ſchaft, welche alle mit größerer oder geringerer Aufmerkſamkeit der 
heiligen Handlung folgen. Erleuchtet wird der ganze Raum lediglich 
von den vier großen Kerzen, die am Altar brennen, ſo daß die 
entfernter gelegenen Teile in Halbdunkel gehüllt find. Im Hinter- 
grund befindet ſich ein einziges großes Portal, welches offen ſteht. 


Prieſter am Altar (den man längere Zeit hantieren ge— 
ſehen und flüſtern gehört hat). Hoc est enim Corpus 
meum. ) — (das Flüſtern und Ziſcheln geht weiter). — — 
Hic est enim Calix Sanguinis mei, novi et æterni 


) Denn dies iſt mein Leib. 


N 1 


testamenti; mysterium fidei; qui pro vobis et pro 
multis effundetur in remissionem peccatorum!). 

Während mitten unter den Zuhörern, die teils knieen, teils 
ſtehen, der Papſt mit überſchlagenen Knieen und im Schoß ge— 
kreuzten Händen, wie es ſcheint, gleichgültig dort ſitzt, geht unter 
den Übrigen, beſonders unter den weiblichen Mitgliedern, ein leb⸗ 
haftes Plauſchen und Austauſchen von Meinungen einher, welches 
von den rückwärts Stehenden wiederholt durch ein diskretes ‚Pit!‘ 
unterbrochen wird. 

Prieſter (am Altar) ... Hostiam puram, hostiam 
sanctam, hostiam immaculatum . . . 5) 

Lucrezia (teilt aus einer Tüte Confetti an ihre jün— 
geren Geſchwiſter aus. 

Prieſter (am Altar) ... Panem sanctum vita 
tern, et Calicem 122 1 Per pense) 

Die Jüngeren ſcheinen ſich um die Confetti zu ſtreiten; einiges 
fällt zu Boden; ſie eilen ſich, es aufzuheben; man hört Raufen 
und Schimpfwörter; Stühle werden gerückt; die Damen benehmen 
ſich um die Kleinen; die Herren mahnen zur Ruhe; der Papſt 
ſchaut hinüber und lächelt; von rückwärts wiederholte ‚Pit — Pſt!“ 

Prieſter (am Altar, mit lauter Stimme) ... Per om- 
nia secula sæculorum. “) 

Die Anweſenden (mechaniſch murmelnd). Amen. 

Ceſare iſt von ſeinem Stuhl aufgeſtanden und begibt ſich 
hinter die Lehnen ſeines Vaters, des Papſtes, zu dem herüberge— 
beugt er ſich längere Zeit halblaut unterhält; die Damen fangen 


1) Denn dies iſt der Kelch meines Blutes, des neuen und 
ewigen Bundes — das Geheimnis des Glaubens — welches für 
euch und für viele vergoſſen wird zur Vergebung der Sünden. 

2) Die reine Hoſtie, die heilige Hoſtie, die makelloſe Hoſtie. 

3) Das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des 
immerwährenden Heils. 

) Von Ewigkeit zu Ewigkeit. 


* 


ebenfalls unter ſich ein halblautes Geſpräch an; die Kleinen, wieder 
beruhigt, molfern an ihren Confetti. 
Prieſter (am Altar halblaut). Agnus Dei, qui tollis 


peccata mundi ...) 

Bei dieſen Worten iſt das Weib plötzlich auf die Schwelle 
des rückwärtigen Portals getreten. Hinter ihr ſieht man eine 
ſchwarze Geſtalt verſchwinden. Sie iſt in der gleichen naiv⸗zauber⸗ 
haften Attitude wie oben im Himmel und trägt dasſelbe weiße, 
jugendlich-züchtige Gewand wie damals, von dem eine von der 
Beleuchtung der Kerzen unabhängige Helle auszugehen ſcheint. 

Prieſter (vollendet)... miserere nobis!) 

Sofort entſteht eine heftige Erregung und große allgemeine 
Unruhe unter allen Anweſenden, deren Blicke ſtarr gegen die Thüre 
gerichtet ſind, und unter denen ein bald unentwirrbares Gemiſch 
von ſtaunenden Ausrufen von ſeiten der Männer, von Ver⸗ 
wünſchungen von ſeiten der Frauen hin- und hergeht. — 

Prieſter (am Altar, wie oben). Agnus Dei, qui 
tollis peccata mundi, miserere nobis! ... 

Die Unruhe wächst immer mehr; der Garde-Kapitän iſt einige 
Schritte gegen das Portal zu getreten; die Dienerſchaft drängt ſich 
von dieſer Seite immer ſtärker gegen die Mitte des Saales. 

Prieſter (am Altar). Agnus Dei, qui tollis pec- 
cata mundi, dona nobis pacem.“) 

Der Papſt iſt ebenfalls aufgeſtanden und ſchaut ſtarr gegen 
die Thüre, wo das Weib in regungsloſer Haltung verharrt; Grup⸗ 
pen bilden ſich und pflegen in erregter Weiſe Meinungs-Austauſch. 
Der Ceremonienmeiſter Burcard iſt von hinten vorgekommen, um 
ſich mit dem Papſt zu benehmen, der ihm aber kein Gehör ſchenkt. 
Man hört die Kleinen ſchreien. 

1) Lamm Gottes, das du trägſt die Sünden der Welt... 

2) Erbarme dich unſer! — 

3) Lamm Gottes, das du trägſt die Sünden der Welt, ſchenk 
uns Frieden. 


Prieſter (vollendet und fagt ſein) Dominus vobis- 
m!!) (deffen Antwort: „Et cum spiritu tuo‘?) nicht 
yr vernommen wird). 

Man hört jetzt aus der Menge Rufe, wie: ‚Wer ift die?‘ — 
her kommt die?? — ‚Eine Neapolitanerin!! — „Schafft fie 
1s! — „Halt! Halt!! — Man hört die Stimme des Papſtes: 
honung! Schonung!‘ — 

Prieſter (am Altar, wendet ſich um, ſieht erſchrocken die 
wirrung, jagt aber fein) Ite missa est?) — (und erteilt 
uf, ohne daß ſich noch jemand um ihn kümmert, den Segen). 

Nunmehr verlaſſen alle ihre Plätze und drängen gegen die 
ire zu; die Männer zunächſt, die Frauen wie zurückgeſchoben; 
Papſt, umgeben von ſeinem Sohn Ceſare, dem Ceremonien— 
ter und dem Garde-Kapitän, führt das Weib vornehm bewill— 
mend unter großem Nachdrängen von ſeiten der Männer, unter 
en Ausrufen und Verwünſchungen von anderer Seite, etwas 
n die Mitte des Saals. — Der Prieſter hat ſich inzwiſchen 
Altar verbeugt und iſt rechts abgegangen; ein Sakriſtan iſt 
mmen und löſcht vorſchriftsmäßig die vier großen Kerzen aus. — 
dem ſo entſtandenen Halbdunkel, in dem das Weib wie ma— 
beleuchtet herausglänzt, ſieht man noch, wie die Männer wie 
gegen die helle Geſtalt losſtürzen, die der Papſt jetzt feſt unter 
Arm genommen hat, während der Garde-Kapitän den Degen 
t, Burcard die großen mächtigen Arme, wie zur Ruhe mahnend, 

emporhebt, und Ceſare wie wütend gegen die Eindringenden 

ſich ſchlägt. Die Betſtühle werden umgeworfen; man ſieht 
inzelt Dolche in der Luſt blitzen; im Hintergrund halb erſticktes 
bergeſchrei. „He, Hülfe!“ — Ich bin's nicht!! — Ich bin die 
che“ — ‚Waffen! — „Soldaten! — Man hört Lucrezia's 
nme: Ceſare! — Ceſare! — Mio papa — zu Hülfe!“ — 
ließlich drängt die Gruppe mit dem Weib und dem Papſt in 

1) Der Herr ſei mit Euch. 

2) Und mit deinem Geiſt. 

3) Soviel wie: die Meſſe iſt vorbei. 


— 


ihrer Mitte zur Thüre hinaus; Alles wie wild nachſtürzend; die 
Frauen kreiſchend zu beiden Seiten ab; — der Vorhang fällt. 


Schluß ⸗Scene. (Verwandlung.) 


Eine Straße in Rom vor dem päpſtlichen Palaſt. Trübe, 
naßkalte Morgendämmerung; an einer Ecke ein tiefherabgebranntes 
flackerndes Ol-Licht. — Totenſtille. N 

Eine Thüre am päpſtlichen Palaſt öffnet ſich leiſe und heraus⸗ 
tritt das Weib, die Röcke knapp zugebunden, die halb entblößte 
Bruſt vor der Kälte ſchützend, mit verwirrten Haaren und hohl- 
äugigen Blicks, übernächtig und abgeſchlagen; macht die Thüre 
leiſe hinter ſich zu; ſchlürft einige Schritte vorwärts; fie hat zweier- 
lei Pantoffel an, beide zu groß; in den Ohren und am Hals 
Brillantſchmuck; ſchaut ſich ſcheu und vorſichtig um; da bricht der 

Teufel (der bis dahin ungeſehen längs einer Dachrinne in. 
Schatten geſtanden, haſtig hervor, auf ſie zu, gebieteriſch). Jetzt 
zu den Kardinälen! Dann zu den Erzbiſchöfen! 
Dann zu den Geſandten! Erſt zu den Geſandten 
der italieniſchen Staaten; dann zu den fremdherr— 
lichen Geſandten! Dann zum Camerlengo! Dann 
zu den Neffen des Papſtes! Dann zu den Biſchöfen! 
Dann durch alle Klöſter durch! Dann zu dem übri— 
gen Menſchenpack! — Tummle dich und halte die 
Rangordnung ein! — (Weib langſam ab.) 


(Der Vorhang fällt). 
(Schluß.) 


— . — 


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Oskar 


Pandi z za, 


LG 


Das Liebeskonzil. 


P1936kx 


University of Toronto 
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Dean 


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