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Full text of "Das persische Papageienbuch. Nacherzählt"

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DAS  PERSISCHE  PAPAGEIENBUCH 


ARTUR   WOLF    VERLAG    .    WIEN 


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&550 


Alle  Rechte  vorbehalten. 

Copyright  1922  by  Artur  Wolf  Verlag,  Wien. 

Druck  der  Gesellschaft  für  graphische   Industrie,   Wien  VI. 


VOM      ORIENT     UND      DER      ROMANTIK 

Wer  in  der  Kunstbetrachtung  nicht  lediglich  die  äußerliche  Wertung 
leerer  Formelemente  sieht,  wie  sie  einer  schalen  Lehre  vom  Schönen 
genügen  mag,  in  die  auch  Natur'  und  Zufallsgestaltung  einbezogen 
ist,  sondern  ihr  Wesen  in  den  geistigen  und  Gefühlsmomenten  erkennt, 
der  muß,  ehe  er  sich  am  Scheideweg  der  Aufbruchsstätte  entschließen 
darf,  zuvor  eine  schwere  Frage  in  ihrer  Bedeutung  erkennen  und  sie 
—  für  sich  —  lösen,  um  dann  unbeirrt  auf  dem  eingeschlagenen  Weg 
weiterschreiten  zu  können.  Nicht  mehr  und  nicht  weniger  soll  er  ent" 
scheiden  als  die  Frage:  Ist  die  Seele  aller  Menschen  einheitlich  oder 
vielfältig;  die  Seele  als  die  Sphäre,  in  der  sich  Fühlen,  Erkennen  und 
Wollen  abspielen  kann,  wenn  äußere  Wirkungen  sich  geltend  machen? 
Wird  — mit  der  Einschränkung,  die  die  »Gleichheit' bei  allem  Lebenden 
zu  erfahren  hat  —  der  gleiche  Anstoß  dieselben  Folgeerscheinungen 
überall  haben?  Ist  die  Freude,  die  Furcht,  der  Schrecken  und  die 
Liebe  eines  Europäers  unserer  Zeit  gleich  den  Seelenregungen  eines 
Inkas  längst  entschwundener  Epochen?  Können  wir  uns  in  die 
Grausamkeit  eines  Negers  einfühlen?  Spricht  die  Seele  des  Menschen 
aller  Zeiten  und  Zonen  zu  den  anderen  in  einer  Sprache  nur  und  ent' 
rissen  sich  die  Herzen  der  Verwirrung  des  babylonischen  Turmbaus? . . . 
Und  können  wir  ein  Kunstwerk  so  betrachten  wie  sein  Schöpfer, 
wenn  er  es  beurteilen  will,  nachdem  der  Rausch  des  Schaffens  vorbei 
ist?  .  . .  Unerhört  kühn  ist  es,  diese  Fragen  zu  bejahen,  und  dennoch 
müssen  wir  es  freudig  tun,  wollen  wir  in  die  Kunst  in  ihrer  Gesamt" 
heit  eindringen,  da  uns  das  Nein,  und  bedeutete  dieses  auch  nicht  die 

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völlige  Scheidung  aller  Menschen  voneinander,  sondern  etwa  im  Sinne 
Oswald  Spenglers  nur  Gruppierung  in  wenige  große  Klassen,  zwänge, 
an  ungeheuren  Schätzen  vorbeizugehen  und  sie  für  uns  abzulehnen, 
oder  auf  Treu  und  Glauben  das  hinzunehmen,  was  uns  Vertreter  jener 
anderen  Seelenrichtung  melden,  bis  uns  die  eherne  Folgerichtigkeit 
dorthin  führt,  nur  für  das  eigenste  Werk  Verständnis  sich  anzumaßen 
und  im  Narrentum  expressionistischer  Theorie  alles  gläubig  zu  über-' 
nehmen,  was  der  andere  ,aus  der  Tiefe  seiner  anders  gearteten  und 
unkritisierbaren  Psyche'  geschaffen  hat. 

Unsere  Seele  sei  der  Maßstab  alles  Seelischen  über  alle  Weiten 
räumlicher  und  zeitlicher  Entrücktheit,  womit  freilich  nicht  die  Be' 
rechtigung  einer  Betrachtungsart  ausgesprochen  ist,  die  nach  Hegelscher 
Methode  jeden  geschichtlichen  Gegenbeweis  für  ersonnene  Gesetze 
überhört  und  übersieht  und  namentlich  an  der  kindlichen  Annahme 
angeborener  Auffassungen  festhält.  Es  gibt  nichts,  was  der  Mensch  seit 
je  als  ,schön'  betrachtet  hätte,  jedwede  Kunstrichtung  ist  das  Ergebnis 
zahlloser  Entwicklungsstufen  und  das  Verständnis  für  sie  ist  die 
Krönung  ernsten  Studiums  und  innigen  Einlebens  —  und  nur  in  der 
Fähigkeit,  dieses  zu  erreichen,  erweise  sich  die  Richtigkeit  unserer 
These  von  der  Einheitlichkeit  der  Psyche,  denn  sie  muß  das  fremde 
Werk  in  sich  aufgehen  lassen  können,  als  hätte  sie  es  selbst  geschaffen ; 
oder  sie  muß  es  ablehnen,  wie  wir  uns  weigern  eine  Speise  zu  ge" 
nießen,  die  unserem  Geschmack  nicht  zusagt.  Mit  einem  anderen  Bild 
veranschaulicht,  sei  uns  jedwedes  Kunstwerk,  ja  jedes  /Werk'  ein 
Spiegel,  in  dem  wir  uns  selbst  sehen,  und  zeigt  dieser  Spiegel  nicht 
klar  und  rein,  so  prüfe  man,  ob  nicht  das  eigene  Auge  die  Schuld  trägt, 
zuerst  —  und  wer  sich  selbst  strenge  erforscht  und  gerichtet  hat,  der 
darf  dann  kühn  das  Glas  der  Trübung  zeihen  oder  falscher  Brechung. 
Stets  bedeutet  unsere  Fragestellung  Beziehung  des  Fremden  auf  uns, 
niemals  Aufgehen  der  eigenen  Seele  in    anders  Geartetem. 

Versuchen  wir  die  Kunst  des  Orients  so  zu  verstehen,  so  verwirrt 
uns  wohl  zuerst  die  Fülle  der  Bilder  und  Farben  und  die  Stärke  der 
Motive,  ehe  wir  durch  das  dichte  Gerank  in  die  Halle  des  Dorn' 
röschenschlosses  treten,  das  uns  lieb  und  vertraut  ist.  Es  gilt  aber  das 
eng  verschlungene  Rosengewirr  zu  durchschreiten,  ohne  uns  an  den 
Dornen  blutig  zu  reißen,   ja,   unser  Ziel  ist,   an   seinem   Blühn  und 

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Duften  Freude  zu  gewinnen  und  das  bunte  Bild  in  unserem  Herzen 
zu  bewahren.  In  seiner  äußeren  Welt  muß  es  uns  gelingen,  das  große 
Geheimnis  des  Orients  zu  lösen. 

Ungeheure  Massen  und  Weiten  erstehen  vor  unseren  Blicken,  und 
das  Walten  des  Urgesetzes  der  Dimension,  das  jeder  Festlegung  noch 
entbehrt,  ist  ungehemmt.  Der  einzelne  Tropfen  hängt  frei  und  besitzt 
Zugfestigkeit,  die  der  Wassermenge  nicht  eignet;  die  Kapillarkraft 
des  Haarrohrs  wird  im  Nu  zunichte,  wenn  die  Weite  die  geheimnis' 
volle  Grenze  übertritt,  und  verkehrt  sich  zur  kommunizierenden 
Wirkung;  so  bannt  auch  die  Masse  der  Menschen  das  Individuum 
und  umkrallt  es;  was  kein  einzelner  bewußt  erkannte,  fühlte,  wollte, 
wird  zur  mächtigen  Seelenregung  der  Gesamtheit.  Nicht  das  Gering' 
fügigste  ist  es,  was  auch  bei  uns  so  geschah  und  geschieht:  Tracht 
und  Sitte,  Krieg  und  Religionsfanatismus  sind  Erscheinungen,  die, 
jeder  materialistischen  Geschichtsauffassung  Hohn  sprechend,  ihre 
Wurzel  allein  in  der  Masse  finden,  mag  auch  der  Zufall  einen  Menschen 
zum  Wortführer  gemacht  haben.  Und  doch  sind  wir  in  Europa  stets 
Individuen  gewesen,  jeder  auf  sich  und  seine  Zunächststehenden  an" 
gewiesen,  und  Herrennaturen,  wie  sie  nur  ein  Nietzsche  wünschen 
konnte.  —  Die  Üppigkeit  des  Orients  hat  anderes  gezeitigt:  er  ver' 
weichlichte  die  Menschen,  die  er  in  unzählbaren  Scharen  hervor' 
brachte,  weil  er  sie  leicht  ernähren  konnte,  doch  ließ  er  auch  die 
Feinde  seiner  Bewohner  furchtbar  werden  und  sich  vermehren.  Wie 
die  Gewächse  in  ihren  Wäldern  sich  ineinanderschlingen  und  eine 
untrennbare  Einheit  bilden,  so  verschmolz  auch  die  Menschenwelt  dort 
zu  einem  unindividuellen  Ganzen.  Die  Namen,  die  sich  aus  ihr  er' 
heben,  sind  willkürlich  gewählt,  und,  soweit  geschichtliche  Gewißheit 
der  Prüfstein  ist,  erkennen  wir  erstaunt  die  Kluft  zwischen  Wahrheit 
und  Dichtung.  Wie  unbedeutend  und  wertlos  war  Harun  er'Raschid, 
den  Tausendundeine  Nacht  zum  Edelsten  und  Weisesten  gemacht 
hat!  Wer  kennt  die  Namen  der  Baumeister  der  gewaltigen  Bauten, 
deren  Ruinen  wir  noch  bestaunen?  Aber  wir  wissen  von  orientalischen 
Königen,  dünkelhaften  Popanzen,  die  Steininschriften  zu  Palimpsesten 
wandelten,  um  die  Bedeutung  ihrer  Scheinmacht  der  Ewigkeit  zur 
Erinnerung  zu  geben.  Legende  und  Fabel  vernichtete  das,  was  an 
Wahrheit  von  dem  Leben  ihrer  Dichter  und  Weisen  überliefert  war  .  .  . 
Gemeingut  und  Gemeingeist  ist  das  Zeichen  des  Ostens. 

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So  wird  uns  der  unglaubliche  Siegeslauf  des  Buddhismus,  des  Islam  bc 
greiflich,  so  verstehen  wir  indisches  Fakirtum  mit  seiner  überwältigenden 
Massensuggestion.  Wie  die  Bildhauer  die  Fassaden  der  Tempel  mit 
Figurengewirr  übersäten,  wie  die  Miniaturenmaler  jeden  freien  Raum 
mit  Arabesken  erfüllten,  so  lückenlos  schließen  sich  die  Gedanken  des 
Volkes  aneinander.  —  Unendliche  Fülle,  unsagbares  Beengtsein  er' 
zwingen  die  Formen  der  bildenden  Kunst  wie  der  Dichtung,  noch 
ihre  Schriften  zeigen  den  Stempel  dieses  Zwangs.  So  bleiben  die 
einstigen  Motive  mit  unerhörter  Zähigkeit  über  die  Flucht  der  Jahr' 
hunderte  und  nicht  im  Großen  kann  und  darf  der  Meister  wirken, 
in  feinerem  Ziselieren,  in  gewählteren  Worten  liegt  sein  Ziel. 

Auch  in  Europa  gab  es  Epochen,  die  in  ihren  Erscheinungen  sich 
dem  Wesen  des  Orients  näherten.  Hatte  eine  Zeit  gewährt,  in  der  die 
Zerrissenheit  des  Individualismus  grausam  geherrscht  hatte,  so  fand 
der  Geist  vieler  seine  Zuflucht  allein  im  Zusammenschluß  und  in  der 
Pietät  für  das  Gewesene,  die  im  stolzen  Streben  nach  dem  Neuen 
vergessen  worden  war.  Einen  einheitlichen  Namen  gab  die  Geschichte 
allen  diesen  Perioden  nicht  und  sie  hat  sie  auch  nie  gemeinsam  be" 
trachtet;  und  doch  sind  sie  bezeichnend  für  das  Ausklingen  aller 
Zeitalter,  in  denen  der  Geist  des  technischen  und  geistigen  Wunder" 
landes  Europa  zu  schwer  belastet  war.  Sie  sind  die  Stunden  in  der 
Ewigkeit,  die  der  Ruhe  und  Erholung  gehören,  dem  wohligen  Lauschen 
auf  alte  Geschichten  in  der  Abendkühle  des  Sommers,  am  wärmenden 
Ofen,  wenn  es  draußen  friert.  —  Da  entsteht  der  griechische  Roman 
als  Abschied  vom  Hellenentum  —  die  Trouveres  durchziehen  das 
Land  und  erzählen  vom  König  Artus  und  dem  heiligen  Gral  —  da 
erblüht  die  blaue  Blume  im  dunklen  Tannenforst  Deutschlands.  Poesie 
und  Leben  zu  vereinen  ist  der  Traum  dieser  Stunden,  ehe  die  harte 
Arbeit  von  neuem  die  Bilder  der  Dämmerung  zerflattern  heißt.  So 
ist  es  auch  nicht  verwunderlich,  daß  die  ewige  Ruhe  des  Ostens  sich 
gern  zu  solchen  Festen  einstellte  und  unerkannt,  im  fremden  Gewand, 
als  geliebter  Märchenerzähler  einzog,  bis  Dichter  der  deutschen  Romantik, 
die  auch  die  Gründer  des  Sanskritstudiums  und  damit  der  Wissen' 
schaft  vom  Orient  wurden,  den  Gast  in  seiner  reichen  Tracht  in 
unsre  Mitte  luden. 


Ein  Schriftwerk,  das  den  Orient  durchwandert  hat  und  immer  wieder 
verjüngt  und  erneut  worden  ist,  bringe  ich  heute  in  freier  Neugestaltung, 
nacherzählt  und  umgeformt,  verkürzt  bald  und  bald  erweitert,  wie  die 
zahlreichen  Fassungen  den  Märchenkranz  um  meine  Erinnerung 
schlangen:  Das  Papageienbuch. 

Eine  Reihe  erhaltener  indischer  Bearbeitungen  weist  auf  die  noch 
unentdeckte  erste  Sammlung  all  dieser  Geschichten,  die  der  originelle 
Rahmen  birgt,  im  Sprachgebiet  des  Sanskrit,  und  auch  der  Geist,  der 
in  ihnen  lebt,  läßt  nicht  zweifeln,  daß  indische  Erzähler  zuerst  ent' 
zückten  Lauschern  berichteten,  wie  der  kluge  Sittich  durch  die  Anmut 
seiner  Rede  und  den  Reiz  seiner  Märchen  die  Untreue  seiner  Herrin 
verhinderte  und  die  Ehre  seines  Gebieters  wahrte.  Bald  mag  dieses 
Schatzkästlein  an  den  Hof  der  kunstliebenden  persischen  Könige  gelangt 
sein.  Die  erste  Übersetzung,  die  statt  der  indischen  siebzig  Nächte  nur 
mehr  zweiundfünfzig  enthielt,  scheint  indessen  roh,  ungeschickt  und 
weitschweifig  gewesen  zu  sein,  so  daß  man  den  Dichter  Sijai  eddin 
Nechschebi,  den  Zeitgenossen  HaftY  und  Saadis,  von  dem  uns  noch 
ein  Roman  bekannt  ist  mit  dem  Titel  „Gükriz"  (Rosenregen)  und  ein 
erotisches  Werk  „Lezzet  en^nisa"  (Lust  des  weiblichen  Geschlechtes), 
aufforderte,  das  Werk  „in  einer  kürzeren  Übertragung,  einer  wohl' 
verketteten  Entwicklung,  guten  Anordnung  und  schönen  Darstellung" 
neu  zu  bearbeiten.  So  berichtet  er  selbst  in  der  Einleitung  zu  seinem 
Papageienbuch,  das  uns  in  Handschriften  bewahrt  ist.  Als  Zeitpunkt 
der  Verfassung  seines  Werkes  gibt  er  in  den  letzten  Versen  des  Buches 
das  Jahr  730  der  Hedschra  (1329  nach  Christus)  an. 

In  diesem  Buche  fand  das  Thema  seine  vollendete  künstlerische 
Lösung,  aus  der  die  Bearbeitungen  der  späteren  Zeit  alles  schöpften. 
So  kamen  die  vielgestaltigen  Märchen  wieder  in  indische  Dialekte, 
aus  ihr  floß  die  durch  Georg  Rosen  und  Moriz  Wickerhauser  im 
Deutschen  bekannt  gewordene  türkische  Fassung.  Aber  auch  in  persi' 
scher  Sprache  wurde  Nechschebis  Dichtung  in  einen  schmucklosen 
Auszug  gebracht,  als  die  schönen  Redekünste  nicht  mehr  im  alten 
Ansehen  standen.  Mohamed  Kaderi  ist  der  sonst  unbekannte  Name 
des  Autors  dieser  Darstellung  und  sein  Buch,  das  der  Übersetzer 
nur  der  Belehrung  junger  Studenten  gewidmet  nennt,  brachte  Francis 
Gladwin  mit  englischer  Version  1801  in  Kalkutta  in  sehr  hübscher 
Ausstattung  heraus.  Carl  Jakob  Ludwig  Iken  gab  davon  1822  bei  Cotta 

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eine  deutsche  Übersetzung,  wobei  er  „dem  Englischen  auf  das  aller" 
genaueste  folgte,"  wie  J.  G.  L.  Kosegarten,  der  diese  Ausgabe  mit  wert' 
vollen  Zusätzen  bereicherte,  vielleicht  etwas  boshaft  bemerkt. 

Der  einzige  Dichtername,  der  aus  den  vielen  Unbenannten  und  Un* 
bekannten  ragt,  war  mein  Halt,  soweit  die  Freiheit  nicht  mein  Ziel 
war.  Sein  Verdienst  ist  die  Kunst  der  Darstellung,  die  den  bekannten 
indischen  Parallelen  fehlt  und  die  im  Türkischen  wieder  ausartete, 
und  die  Abkehr  von  zwecklosen  Unanständigkeiten,  die  seine  Originale 
überwucherten.  Nur  in  einem  wesentlichen  Punkte  der  Haupterzählung 
kehrte  ich  mich  gänzlich  von  Nechschebi  ab  und  seinen  Quellen  zu : 
als  Meimun  bei  ihm  erfährt,  daß  Chodscheste  ihm  in  Gedanken  untreu 
war,  tötet  er  sie  und  beschließt  sein  Leben  als  Mönch,  nachdem  er 
dem  Papagei  als  Lohn  für  seine  Tat  die  Freiheit  geschenkt  hat.  — 
Sollte  der  weise  Vogel  nur  das  gewollt  haben,  so  hätte  ihm  wohl  seine 
Einsicht  auch  andere  Wege  gewiesen,  und  warum  sollte  er  gegen  sein 
Versprechen  seiner  Herrin  treulos  sein?  Und  warum  soll  der  edle 
Prinz  sein  höchstes  Glück  verlieren  ?  Ein  Märchen  ende  in  Seligkeit, 
das  ist  sein  letztes  Ziel !  Gib  nur  den  schlechten  Umgang  mit  deinen 
Freundinnen  auf,  holde  Chodscheste,  und  sei  fortan  deinem  Gatten 
treu,  bis  der  Zerstörer  des  Lebens  und  der  Freuden  euch  beide  mit 
sich  nimmt!  Bedachter  Tat  nur  folge  die  Strafe,  nicht  vergessenen 
bösen  Gedanken,  wie  es  uns  die  milde  Lehre  der  Inder  kündet. 


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Im   Namen   Allahs,  des   Erbarmungsvollen,   aller   Gnade   Reichsten! 

Laß  deinem  Getreuen  gelingen  zu  passen 
das  heutige  Wort  zu  dem  uralten  Hort; 
es  gilt,  alte  Lauten  hell  klingen  zu  lassen 
und  Perlen  aufs  Neue  zu  Ringen  zu  fassen. 

WARUM  DER  KLUGE  PAPAGEI  DER  SCHÖNEN 
CHODSCHESTE    DIE    MÄRCHEN    ERZÄHLTE 

Vor  vielen  Jahrhunderten  herrschte  über  das  mächtige  Iran  ein 
Schah,  der  alle  Fürsten  der  Erde  an  Glanz  und  Reichtum  überragte, 
und  sein  Name  war  Ahmed.  Siegreich  waren  seine  tapferen  Heere 
aus  allen  Kämpfen  heimgekehrt  und  hatten  ihm  den  Tribut  der  Welt 
zu  den  Füßen  des  Thrones  gelegt.  Waltete  so  auch  sichtbar  die 
Gnade  Allahs,  des  einzigen  Gottes,  über  ihm,  so  bedrückte  doch  ein 
tiefes  Weh  sein  Herz,  denn  nicht  Sohn  noch  Tochter  nannte  er  sein, 
Erben  seiner  Größe  und  seines  Andenkens,  die  weil  doch  alle,  die  ihm 
dienten,  sich  der  Tugend  und  Schönheit  ihrer  Kinder  erfreuen  durften. 
Unermüdlich  lag  er  darum  vor  seinem  Herrn,  dem  Schöpfer  des  Welt" 
alls,  im  Gebet,  und  endlich  erbarmte  sich  der  Allerbarmer  seiner  und 
schenkte  ihm  einen  Knaben,  dessen  strahlende  Holdseligkeit  das  Herz 
des  Vaters  mit  der  Wonne  des  Paradieses  erfüllte.  Und  um  den 
Widerhall  seiner  Freude  rings  in  seinem  Lande  überall  zu  vernehmen, 
ließ  er  seine  Schatzhäuser  öffnen  und  Gold  und  Juwelen  ausstreuen; 
er  begnadigte  die  Gefangenen  und  ließ  Feste  rüsten,  an  denen  seine 
Untertanen  teilnehmen  sollten  und  alle  Fremden,  die  in  seinem  Reiche 

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weilten,  so  daß  zwei  Monde  lang  kein  Hauch  der  Betrübnis  die  Ruhe 
der  Glückseligkeit  stören  mochte. 

Eine  zweite  Sonne  war  für  Ahmed  am  Himmel  aufgegangen,  deren 
Glanz  die  Nacht  nicht  brach  und  Verfinsterung  nicht  bedrohte,  und 
er  gab  seinem  Sohn  den  Namen  Meimun,  der  Glückliche,  um  zu 
der  Schönheit,  die  aus  seinem  Antlitz  leuchtete,  den  Segen  des  Glückes 
zu  bannen.  Und  der  Knabe  wuchs  heran,  schlank  und  stark  wie  ein 
Zweig,  und  ward  von  den  besten  Meistern  in  allen  Wissenschaften 
und  Künsten  unterwiesen,  so  daß  er  bald  alle  Gebote  des  Glaubens 
kannte,  die  mannigfachen  Regeln  der  Sprache  beherrschte,  das  offen" 
sichtliche  und  das  verborgene  Leben  auf  der  Erde  verstand  und  die 
Bewegungen  und  Zeichen  der  Gestirne  lesen  konnte  und  es  im  Wett" 
streit  mit  den  Weisesten  aufnehmen  mochte.  Als  ihm  dann  auch 
alles  vertraut  ward,  was  ein  Herrscher  wissen  muß:  Kriegskunst  und 
Waffen  gebrauch,  Gesetzeskunde  und  die  hohe  Staatsweisheit,  da  sah 
sein  Vater  die  Zeit  gekommen,  ihm  eine  Gattin  zu  geben,  und  er 
ließ  seine  Wezire  nachforschen,  welche  die  edelste  und  schönste  Jung" 
frau  auf  der  Erde  wäre,  damit  er  sie  seinem  Erben  zuführe. 

Nun  war  die  holdeste  Prinzessin  zu  jener  Zeit  Chodscheste,  die  mit 
Recht  ,die  Beseligende*  geheißen  war,  deren  Stirn  nach  den  Worten 
der  Dichter  den  Mond  beschämte  und  deren  dunkle  Augen  die  Sterne 
überstrahlten.  Diese  vermählte  der  König  seinem  Sohn;  und  als  die 
beiden  einander  angetraut  waren  und  sich  ihre  Blicke  zum  erstenmal 
trafen,  da  wurden  auch  ihre  Herzen  vom  Zauber  der  Liebe  umstrickt, 
daß  sie  fortan  unzertrennlich  waren. 

Da  geschah  es  einmal,  daß  sie  gemeinsam  den  Bazar  besuchten,  um 
zu  besehen,  was  die  Kauf  leute  feilhatten.  Da  hörten  sie,  wie  ein  Vogel" 
händler  einen  Papagei  ausrief,  für  den  er  tausend  Goldstücke  ver" 
langte.  Der  Prinz  wandte  sich  lachend  an  seine  junge  Gattin  und 
sagte:  „Wer  anderer  als  ein  Narr  wollte  einen  Vogel  um  diesen 
Preis  kaufen,  damit  ihn  morgen  die  Katze  frißt!"  Der  Papagei  aber 
sprach  bei  sich:  Wie  gerne  möchte  ich  diesem  edlen  Prinzen  an" 
gehören  und  seiner  reizenden  Gattin,  und  nur  ihnen  geziemt  es, 
meine  Herren  zu  sein  und  meiner  Weisheit  teilhaftig  zu  werden,  und 
meine  Würde  erheischt  es,  in  ihrem  Hause  zu  weilen.  Darum  er" 
widerte  er  den  Worten  Meimuns:  „Erhabener  Königsohn,  bedenke 
nicht  den  Preis,   ehe  du  weißt,  was  dir  für   ihn  geboten  wird,  und 

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vergiß  nicht,  daß  Geld  und  Gut  durch  Klugheit  rasch  wieder  zu  gc 
winnen  sind,  während  das  Glück  und  das  Leben  allein  unwieder' 
br  in  glich  ist.  Willst  du  meinen  Worten  Glauben  schenken,  so  höre 
mich  an :  durch  meine  Einsicht  in  das  Verborgene  und  mein  Wissen 
um  die  Zukunft  wird  dir  Segen  und  Reichtum  zuteil  werden,  daß  du 
die  Stunde  preisen  sollst,  in  der  du  mich  gekauft  hast."  Diese  Rede 
gefiel  Meimun  so,  daß  er  dem  Verkäufer  befahl,  den  Vogel  in  seinen 
Palast  zu  bringen  und  dort  den  verlangten  Preis  in  Empfang  zu  nehmen. 

Der  Sittich  bekam  im  Schlafgemach  des  jungen  Paares  einen 
wundervollen  goldenen  Käfig,  und  die  seltensten  Leckerbissen  und 
kühles  duftendes  Wasser  waren  für  ihn  bereit.  Als  nun  abends 
Meimun  und  Chodscheste  die  Kammer  betreten  hatten  und  keiner 
der  Eunuchen  oder  Sklaven  erlauschen  konnte,  was  er  sprach,  begann 
der  weise  Vogel:  „Prinz,  du  sollst  bald  den  Preis,  den  du  für  mich 
zahltest,  vielfach  zurückerhalten:  In  drei  Tagen  werden  Handelsleute 
aus  Bagdad  in  dieser  Stadt  eintreffen,  um  alles  Rosenöl  aufzukaufen. 
Komm  diesen  zuvor  und  erhandle  im  geheimen  den  ganzen  Vorrat, 
damit  du  dann  allein  den  Preis  stellen  kannst,  der  das  Fünffache 
dessen  sein  mag,  den  du  dafür  gegeben  hast."  Der  Prinz  tat,  wie  ihm 
der  Papagei  geraten  hatte,  und  kaufte  für  viele  tausend  Goldstücke,  was 
nur  an  Rosenöl  zu  erhalten  war.  Und  wirklich  kamen  am  vorher- 
gesagten Tage  die  fremden  Kaufleute  und  suchten  vergebens  in  der 
ganzen  Stadt  die  Ware,  um  derentwillen  sie  so  weit  gezogen  waren, 
bis  man  sie  zu  Meimun  führte,  der  von  ihnen  leicht  die  geforderte 
Summe  erhielt. 

Allabendlich  gab  so  der  weise  Vogel,  dessen  Name  Zeban^awer 
(Zunge  der  Weisheit)  war,  dem  Königssohn  kluge  Ratschläge  oder 
erzählte  ergötzliche  Geschichten,  so  daß  ihn  sein  Herr  und  seine 
Gemahlin  gar  lieb  gewannen.  Und  damit  er  untertags  nicht  von 
Langeweile  geplagt  würde,  kaufte  Meimun  das  schönste  bunte  Weib-' 
chen,  das  am  Markte  zu  finden  war.  Nun  verging  die  Zeit  in  mv 
getrübter  Freude  für  die  beiden  Paare,  bis  der  Königssohn  sich  nach 
dem  Wunsche  seines  Vaters  und  dem  Rat  des  Papageis  anschickte, 
eine  Reise  in  die  weiten  Provinzen  Irans  zu  machen,  um  zu  sehen, 
ob  die  Statthalter  und  Kadis  ihre  Pflicht  erfüllten,  um  Ungerechte 
abzusetzen  und  Gerechte  zu  erhöhen,  und  zugleich  um  die  Sicherheit 
des  Reiches,  die  Wachen  der  Grenzstädte  zu  prüfen. 

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Chodscheste  wollte  den  Geliebten  nicht  ziehen  lassen,  weinend  und 
klagend  hielt  sie  Meimun  mit  ihren  Armen  umfangen,  und  auch  das 
Herz  des  Prinzen  war  schwer,  da  er  von  ihr  auf  Monde  Abschied 
nehmen  sollte,  die  er  bisnun  für  Augenblicke  nicht  verlassen  hatte. 
Zärtlich  sprach  er  zu  ihr  und  doch  fest,  wie  es  dem  Ritter  geziemt: 
„Sonne  meines  Glückes,  trübe  deinen  Glanz  nicht  durch  Tränen. 
Lang  dünkt  dich  die  Zeit  meines  Fernseins  nun,  da  sie  vor  dir  liegt, 
sie  wird  dir  aber  gar  kurz  erscheinen,  wenn  sie  vergangen  ist  und 
wenn  ich  dich  wieder  an  mein  Herz  ziehen  kann.  Laß  dir  die  Stunden 
durch  die  köstlichen  Geschichten  kürzen,  die  dir  unser  Sittich  erzählen 
wird,  laß  dir  von  ihm  raten,  wenn  dich  Zweifel  bedrücken,  und  traue 
ihm  und  folge  seinen  Worten,  wie  ich  es  zu  meinem  Wohl  stets 
getan  habe."  Scherzend  rief  er  noch  dem  Vogel  zu,  der  schweigend 
auf  seiner  Stange  saß:  „Hüte  dies  Haus,  mein  weiser  Freund!"  Dann 
eilte  er  aus  dem  Gemach  und  schwang  sich  in  den  Sattel  auf  sein 
stolzes  Roß,  und  fort  sprengte  die  Reiterschar  im  Blinken  ihrer 
Lanzenspitzen,  der  Blick  des  Prinzen  aber  blieb  rückwärts  gewandt, 
bis  Palast  und  Stadt  seinem  Auge  entschwanden. 

Voll  Sehnsucht  und  Betrübnis  blieb  Chodscheste  im  Schlosse.  Von 
Mund  und  Wangen  wich  das  Lächeln,  der  Schlaf  wollte  sich  nicht 
mehr  auf  ihre  Augen  legen,  bitter  schmeckten  die  Speisen,  die  sie 
widerwillig  zum  Munde  führte;  und  halb  nur  drangen  die  schönsten 
Erzählungen  Zeban^awers  in  ihr  Ohr,  weil  sie  horchte,  ob  nicht 
Pferdegestampf  die  Rückkehr  ihres  Gemahls  verkünde.  Lange  ver' 
harrte  sie  so  in  Schwermut  und  klagte  zum  Klang  der  Laute  in 
Liedern  das  Leid  der  Trennung.  Allmählich  aber  empfing  sie  wieder 
ihre  Freundinnen  und  begann,  sich  am  Gespräch  mit  ihnen  zu  er" 
heitern.  Nun  konnte  es  dabei  nicht  fehlen,  daß  leichtsinnige  Reden 
die  keuschen  Worte  übertönten,  denn  die  Gedanken  der  Flatterhaftig' 
keit  und  Untreue  sind  untrennbar  vom  Wesen  der  Frauen.  Und 
langsam  drang  das  Gift  der  bösen  Wünsche  in  Chodschestes  Seele, 
aber  es  kam  nicht  von  ungefähr:  ein  Prinz  aus  einem  fernen  Lande 
war  gekommen  und  hatte  Chodscheste  in  der  Blüte  ihrer  Schönheit 
erblickt,  als  sie  einsam  auf  der  Terrasse  ihres  Palastes  gewandelt  war, 
und  die  Liebe  hatte  ihn  alsogleich  mit  solcher  Macht  ergriffen,  daß 
all  sein  Sinnen  nur  mehr  darauf  gerichtet  war,  mit  ihr  vereinigt  zu 
werden.  Um  dieses  Ziel  zu  erreichen,  hatte  er  durch  viele  Geschenke 

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eine  von  ihren  Gespielinnen  gewonnen,  und  deren  listigem  Tun 
folgten  halb  unbewußt  die  anderen.  „Wie  rasch  entschwindet  doch 
die  Jugend  und  die  Schönheit,  die  zur  Wollust  laden,  allzuspät 
kommt  das  Leid  ob  versäumter  Stunden  der  Freude  mit  peinigender 
Reue."  So  sprachen  sie  zu  der  Betrübten,  und  dann  lispelten  sie,  als 
sollte  sie  es  nicht  vernehmen:  „Meimun  freilich  durchstreift  nun 
Städte  und  Länder,  um  nach  den  schönsten  Frauen  auszuschauen, 
Küsse  zu  geben  und  zu  empfangen  und  in  den  Armen  der  Holdesten 
der  Heimat  und  seiner  Gattin  zu  vergessen." 

Als  die  schlaue  Mittlerin  des  Fremden  sah,  daß  Unsicherheit  sich 
im  Busen  Chodschestes  zu  regen  begann,  fügte  sie  es,  daß  auch  sie 
bei  einem  Feste  jenes  Prinzen  ansichtig  ward  und  so  dem  Zauber 
seiner  Anmut  und  seines  Glanzes  erlag.  Nun  schien  es  leichte  Mühe, 
die  verlassene  Gattin  dem  Buhlen  zuzuführen,  und  bald  gelang  es 
der  listigen  Freundin,  ihren  anfänglichen  Widerstand  zu  brechen  und 
ihr  Versprechen  zu  erhalten,  daß  sie  unter  dem  sicheren  Schleier  der 
Nacht  in  seine  Umarmung  eilen  werde. 

Da  die  Dämmerung  einbrach,  schmückte  sie  sich  auf  das  sorgsamste, 
dann  trat  sie  an  den  Käfig  des  Vogelpärchens.  Das  Männchen  schlief 
bereits,  das  Weibchen  aber  schaukelte  sich  noch  fröhlich  in  den 
Ringen.  Da  sprach  sie  bei  sich :  Ich  will  mich  mit  ihr  über  mein  Vor" 
haben  beraten,  da  sie  mein  Liebesverlangen  besser  verstehen  wird  als 
er.  Und  sie  begann:  „Nun  hast  du  mich  lange  genug  traurig  gesehen; 
heute  soll  mein  Leid  enden:  so  wie  mein  Gatte  mich  an  der  Brust 
fremder  Frauen  vergißt,  will  ich  heute  bei  meinem  Geliebten  Selig' 
keit  gewinnen."  Der  Vogel  aber  erwiderte  ihr:  „Schäme  dich,  solche 
"Worte  nur  zu  sprechen !  Wie  dürftest  du  gar  eine  so  schändliche  Tat 
wirklich  begehen,  die  alles  Böse  übertrifft,  was  ihr  Menschen  kennt !" 
Da  ergriff  Chodscheste  blinder  Zorn,  sie  öffnete  das  Gitter,  um  das 
Papageienweibchen  herauszuholen  und  ihm  den  Hals  umzudrehen; 
doch  kaum  war  dieses  der  Absicht  seiner  Herrin  innegeworden,  als 
es  ihren  Händen  entwischte  und  auf  flatternden  Schwingen  entflog. 
Nun  tat  der  einsichtige  Zeban^awer  seine  Augen  auf,  als  hätte  ihn 
dieses  Geräusch  erweckt  —  in  Wahrheit  hatte  er  sein  Schlafen  nur  vor" 
getäuscht,  um  es  geschehen  zu  lassen,  wie  es  geschehen  mußte,  denn 
das  "Wissen  um  den  Plan  seiner  Herrin  wohnte  in  seinem  Geist  und 

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kluger  Rat  auf  seiner  Zunge  —  er  sah  dem  Vogel  nach,  der  in  die 
unendliche  Weite  entschwebte,  und  sprach  sodann :  „Welcher  Undank 
beherrscht  doch  die,  die  ihren  Wohltäter  in  der  Not  verlassen!  Gräme 
dich  indessen  nicht,  Chodscheste,  daß  diese  Dumme  dich  verließ, 
taugt  doch  Frauenrat  nicht  zu  gefahrvollem  Tun,  und  nur  wer  die 
Sprache  der  Liebe  versteht,  hat  Geltung  vor  dem  Herrn  der  Schöpfung, 
wie  es  einstmals  Bajazid  Bustami  in  der  Predigt  den  Gläubigen  wies."  „So 
berichte  mir,  wie  dies  war,"  bat  die  Schöne,  und  der  Papagei  enthüllte  ihr 

BAJAZID  BUSTAMIS  LEHRE  VOM  WESEN  DER  LIEBE. 

„Stets  wenn  er,  erfüllt  vom  Geist  des  Glaubens,  in  der  Moschee  die 
Lehre  verkündete,  umdrängte  ihn  das  Volk,  um  die  Perlen  seiner 
Weisheit  zu  sammeln  und  Rat  und  Trost  zu  erlangen.  Einmal  trat 
an  ihn  ein  Mann  heran,  der  Trug  im  Sinne  führte,  und  rief  ihm 
zu:  „Hort  der  Frommen,  erweise  mir  die  Gnade,  mir  meinen  Esel 
wiederzubringen,  der  mir  entlaufen  ist."  Der  Weise  durchschaute 
seine  Bosheit,  doch  versprach  er  ihm  Erfüllung  seines  Wunsches  und, 
um  ihm  und  allen  Gläubigen  rechte  Mahnung  zu  geben,  wandte  er 
sich  in  seiner  Rede  an  die  Gemeinde  und  fragte:  „Wer  ist  unter 
euch,  den  Liebe  nie  erfaßte?"  Da  erhob  sich  ein  Greis  und  ver- 
kündete :  „Mir,  Herr,  ist  die  Liebe  fremd  geblieben,  daß  ich  nur  das  Wort 
kenne  und  nicht  seinen  Sinn."  Der  Prediger  aber  breitete  seine  Arme 
aus  und  pries  den  Allmächtigen,  der  die  Geheimnisse  löst,  und  sprach : 
„Sehet,  das  ist  der  Esel,  den  jener  verlor;  Gott  gab  ihn  ihm  wieder!" 

Dann  fuhr  der  Papagei  fort:  „Vertraue  dich  mir,  meiner  Weisheit, 
meiner  Treue  und  Einsicht  an,  die  alles  zu  gutem  Ende  führen 
wird,  wie  es  selbst  in  verzweifelter  Lage  mein  Vorbild  tat:  der 
Sittich  des  Feruch  Beg,  der  den  Ehemann  wieder  der  untreu 
gewesenen  Gattin  versöhnte."  „Erzähle  mir  doch,  teurer  Zeban" 
awer,  wie  sich  diese  Geschichte  begab,"  sagte  Chodscheste.  „Das 
will  ich  gerne  tun,"  erwiderte  er,  „denn  nur  aus  wohlgewählten 
Beispielen  und  wahren  Geschichten  kannst  du  lernen,  wie  du 
dich  in  Abenteuern  und  Verwicklungen  verhalten  sollst.   Höre  an, 

WIE  DER  TREUE  PAPAGEI  DIE  GATTEN  NEU  VERSÖHNTE. 

Feruch  Beg,  ein  Kaufmann  in  Indien,  hatte  von  seinem  Vater  einen 
meiner   Ahnen   geerbt,   der   an  Verstand   alle  Menschen  seiner  Zeit 
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weit  übertraf  und  an  Treue  zu  seinem  Herrn  und  seiner  Gemahlin 
keinen  fand,  der  ihm  gleichgekommen  wäre.  Und  sein  Herr  liebte 
ihn  wie  einen  Bruder.  Nun  brachte  es  sein  Beruf  mit  sich,  daß  er 
die  Waren  seiner  Heimat  in  fremde  Länder  bringen  mußte,  um  sie 
gegen  die  Kostbarkeiten  der  Fremde  einzutauschen,  und  so  kam  es, 
daß  er  auf  reichbeladenen  Schiffen  über  die  Meere  fuhr  und  mit 
Karawanen  die  Wüsten  durchmaß  und  seine  Frau  einsam  zurückließ. 
Ein  junger  Emir,  der  an  Schönheit  und  Reichtum  die  Zierde  des 
Hofes  war,  verliebte  sich  in  sie  und  brachte  ihr  lindernden  Trost  in 
ihrer  Verlassenheit.  Und  niemand  anderer  war  Zeuge  der  Nächte,  die 
in  Lust  und  Liebesgeplauder  dahingingen,  als  der  Papagei.  —  Als 
der  Herr  wieder  heimkehrte,  berichtete  ihm  der  kluge  Vogel  alles, 
was  sich  zugetragen  hatte,  doch  verschwieg  er  ihm  weislich,  was  seine 
Frau  getan  hatte,  denn  er  wollte  ihr  Vertrauen  nicht  trügen.  Von 
den  Nachbarn  aber  kamen  dem  Kaufherrn  Gerüchte  zu,  und  so  sehr 
er  sich  verstellte,  faßte  die  Frau  doch  Verdacht  und  sann  bei  sich: 
Nur  der  Papagei  kann  mich  verraten  haben!  denn  sie  wußte  nicht, 
daß  Liebe  und  Rosenduft  sich  stets  selbst  verraten.  Deshalb  ergriff 
sie  ihn  in  nächtlicher  Weile  und  riß  ihm  alle  Federn  aus;  als  sie 
nun  glaubte,  daß  er  sicherlich  tot  wäre,  warf  sie  ihn  in  den  Bach 
und  erzählte:  „Die  Katze  hat  den  Vogel  geholt!"  Die  Kühle  der  Fluten 
aber  erweckte  die  Lebensgeister  des  Sittichs  wieder,  die  fast  entwichen 
waren,  und  als  ihn  die  Wellen  ans  Ufer  trugen,  verbarg  er  sich  in 
den  Höhlen  der  Begräbnisstätte,  um  ohne  Sorgen  vor  den  Raubtieren 
der  Erde  und  der  Luft  zu  genesen  und  von  den  Opfergaben  der 
Gläubigen  zu  leben. 

Als  aber  Feruch  Beg  merkte,  daß  der  Papagei,  den  er  so  liebte,  ver' 
schwunden  war,  und  er  die  Reden  seiner  Frau  vernahm,  zweifelte  er 
nicht  mehr  an  ihrer  Schuld  und  verstieß  sie.  Verhöhnt  und  vertrieben 
von  allen,  ging  sie  nun  verzweifelnd  auf  das  Leichenfeld,  wo  der  Vogel 
weilte,  und  beschloß  zu  sterben.  Der  Papagei  aber  erkannte  sie  und 
sprach  ungesehen  aus  dem  Dunkel  einer  Gruft  zu  ihr:  „Zerstöre  das 
Leben  nicht,  das  dir  der  Herr  gegeben  hat!  Sühne  deine  Schuld  in 
vierzigtägigem  Gebet,  dann  sollst  du  wieder  mit  deinem  Gatten  vereint 
werden."  Die  Frau  gehorchte  dem  Befehl,  den  ihr  der  Himmel  gesandt 
zu  haben  schien,  und  als  die  Frist  ihrer  Buße  verstrichen  war,  trat 
der  Vogel  vor  sie  und  sagte:  „Ich  bin  es,  den  du  schuldlos  vernichten 

2  17 


wolltest  und  der  dich  wieder  dem  Leben  gab  und  dir  Rettung  verhieß, 
der  Wohltaten  allein  eingedenk,  die  du  ihm  erwiesest.  Heute  noch 
soll  mein  Versprechen  sich  erfüllen."  Damit  flog  er  geradewegs  zu 
Feruch  Beg,  der  ihn  voll  Freude  und  Verwunderung  empfing;  und 
als  dieser  ihn  um  seine  Schicksale  befragte,  berichtete  er  ihm:  „Als 
ich  aus  meinem  Käfig  entschwand,  da  hatte  mich  eine  Katze  gefressen 
und  ich  war  tot.  Da  du  aber  deine  Frau  in  Ungerechtigkeit  von  dir 
wiesest  und  sie  vierzig  Tage  im  Gebet  vor  dem  Allerbarmer  lag,  um 
seine  Gnade  zu  gewinnen,  ließ  er  mich  vom  Tode  auferstehen,  damit 
ich  für  ihre  Unschuld  zeuge.  Eile  ohne  Säumen  zum  Friedhof  und 
nimm  deine  Gattin  wieder  in  Ehre  und  Liebe  auf !"  Da  schwang  sich 
Feruch  Beg  unverweilt  auf  ein  schnelles  Roß  und  eilte  zu  seiner  Gc 
mahlin,  um  ihr  Verzeihen  zu  erflehen.  Und  fortan  lebten  sie  im  vollsten 
Frieden  des  Glückes. 

So  darfst  auch  du  getrost  auf  meine  Treue  bauen;  zögere  darum 
nicht  und  fliege  in  die  Arme  deines  Geliebten  \"  Als  aber  Chodscheste 
das  Haus  verlassen  wollte,  hatte  die  Morgenröte,  ihrer  Pflicht  getreu 
wie  der  Papagei  des  Märchens,  die  Flur  des  Himmels  zu  einem  Rosen-' 
garten  gewandelt  und  die  Liebessehnende  mußte  der  kommenden 
Nacht  warten. 

Von  peinvollem  Liebesverzichte  zu  heilen 
verlangte  Chodscheste  ihr  pochendes  Herz; 
da  zwang  sie  des  Sittichs  Geschichte,  zu  weilen, 
bis  dämmernd  der  Tag  kam,  zum  Lichte  zu  eilen. 


Langsam  nur  schwanden  Chodscheste  die  Stunden  des  lichten,  liebe' 
wehrenden  Tages ;  endlich  aber  sank  der  Ball  der  Sonne  im  Westen, 
und  als  das  Flimmern  der  Sterne  und  der  Glanz  der  Mondsichel  den 
Himmel  schmückten,  trat  die  Holde,  angetan  mit  prächtigen  Gewändern 
und  kostbaren  Kleinodien,  zum  Käfig,  in  dem  der  Papagei  saß,  und 
begann:  „Als  du  mir  gestern  rietest,  zu  meinem  Geliebten  zu  eilen, 
war  ich  daran,  deinen  Worten  zu  folgen;  als  ich  aber  im  endlosen 
Harren  Zeit  fand,  deinen  Reden  nachzusinnen,  ward  ich  besorgt,  denn 
wie  sollte  ich  nicht  fürchten  müssen,  von  dir  getäuscht  zu  werden, 
wenn  du  dich  erbietest,  meinen  Gatten  mit  Lügen  zu  betören?"  Da 
entgegnete  Zeban^awer :  „Du  betrübst  mein  Herz,  schwarzlockige  Herrin, 
durch  dein  Mißtrauen.  Weißt  du  nicht,  daß  der  Prophet  die  Lüge 
selbst  guthieß,  dient  sie  frommem  Ziel?  Vermöchte  ich  dich  doch 
durch  die  Kraft  meiner  Rede  zu  überzeugen,  daß  ich  mein  Leben  für 
dich  und  deine  Liebe  willig  opfern  wollte,  wie  es  König  Bikermadschit 
nach  den  Berichten  der  Alten  tat!"  Diese  Worte  machten  Chodscheste 
neugierig  und  sie  bat  den  Vogel:  „Laß  mich  hören,  was  du  von  diesem 
König  wohl  weißt!"    denn  sie  vergaß  ihre  Absicht  bei  der  Geschichte 

VOM   KÖNIG   BIKERMADSCHIT   UND   DEM  DERWISCH. 

„In  Behilsan  war  einmal  ein  König;  dieser  hatte  eine  Tochter  von  so 
himmlischem  Liebreiz,  daß  es  nicht  verwunderlich  ist,  daß  sich  ein 
wandernder  Derwisch  in  sie  verliebte,  der  doch  alles  Weltliche  von 
sich  abgelegt  hatte.  Vergebens  versuchte  er  seine  Seele  von  ihrem 
Bilde  zu  befreien.  Als  aber  die  Lohe  der  Sehnsucht  nur  immer  höher 

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emporschlug,  sandte  er  zum  König  die  Botschaft:  „Gib  mir  deine 
Tochter  zur  Gattin,  denn  die  Liebe  achtet  nicht  des  Standes  und  des 
Reichtums."  Der  Fürst  wollte  ihn  in  seinem  Grimm  hinrichten  lassen» 
sein  Wezir  aber  riet  ihm:  „Töte  ihn  nicht,  denn  der  Herr,  dem  er 
dient,  könnte  dich  dafür  strafen ;  laß  uns  eine  List  gegen  ihn  ins  Werk 
setzen."  Zu  diesem  Zwecke  hieß  er  den  Derwisch  vor  sich  bringen  und 
sprach  zu  ihm:  „Dein  Wunsch  soll  erfüllt  werden,  doch  heischt  der 
Vater  der  Prinzessin  eine  Elefantenlast  Goldes  als  Brautgabe."  So 
wollte  er  den  Bettler,  dem  ja  nur  ein  zerrissener  Mantel  zu  eigen 
war,  durch  die  Forderung  des  Unmöglichen  abweisen.  Der  Arme 
wendete  sich  in  der  Not  seines  Herzens  an  den  Großkönig  Biker' 
madschit,  dem  alle  Schätze  der  Welt  Untertan  waren,  fiel  ihm  zu 
Füßen  und  klagte  ihm  sein  Leid.  Da  befahl  der  Edelmütige  äugen" 
blicklich  den  stärksten  Elefanten  mit  reinem  Golde  zu  beladen  und 
gab  ihn  dem  Derwisch  zum  Geschenk.  Hoffnungsfroh  zog  dieser  wieder 
nach  Behilsan  und  forderte  für  die  bedungene  Leistung  das  Mädchen. 
Bestürzt  sprach  der  König  nun  zu  seinem  Wezir:  „Wie  töricht  war 
doch  dein  Rat!  Warum  bedachtest  du  nicht,  daß  der  Großkönig  keinem, 
der  in  Liebesbanden  schmachtet,  eine  Bitte  versagt  ?  Wie  willst  du  den 
Derwisch  nun  abweisen?"  Da  erwiderte  der  Wezir,  der  sich  auf  seine 
Schlauheit  viel  zugute  tat:  „Laß  mich  nur  zu  Ende  führen,  was  ich 
begonnen  habe,  und  sei  unbesorgt!"  Und  er  sagte  zu  dem  Bettler: 
„Heil  dir,  künftiger  Eidam  des  Königs  von  Behilsan  und  kommender 
Beherrscher  dieses  Reiches !  Nach  Recht  und  Brauch  hast  du  den  Braut" 
schätz  entrichtet,  so  daß  du  nur  noch  eine  Probe  zu  bestehen  hast, 
um  zu  den  ersehnten  Würden  zu  steigen:  die  deiner  sieghaften 
Kraft:  Bring  uns  das  Haupt  Bikermadschits,  des  Königs  der  Könige!" 
—  Leidbedrückt  und  bekümmert  ging  der  Derwisch  wieder  zu  seinem 
Wohltäter  und  berichtete  ihm,  wie  er  betrogen  worden  war.  Da  ent" 
gegnete  ihm  der  Fürst,  dessen  Großmut  die  Sonne  aller  Menschen" 
tugenden  war:  „Sei  von  mir  keines  Truges  gewärtig;  nie  soll  ein 
Liebender  von  mir  ziehen,  dem  ich  nicht  zur  Erfüllung  verholfen 
habe.  Hundertmal  hätte  ich  schon  mein  Haupt  dem  Glücke  eines 
Menschen  geopfert ;  heute  kam  die  Stunde.  Mein  Kopf  ist  dein !  Nimm 
aber  einen  Rat  von  mir  an :  Führe  mich  lebend,  gefesselt,  zu  deinem 
König  und  künde  ihm,  daß  du  auch  die  zweite  Bedingung  vollbracht 
hast,  sonst  sucht  er  etwa  neue  Ausflüchte  und  ich  bin  nicht  mehr  am 
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Leben,  um  für  dich  zu  sorgen.  Erst  wenn  du  alles  erreicht  hast,  dann 
trenne  mein  Haupt  vom  Leibe  und  lege  es  als  Preis  der  Liebe  vor 
seine  Füße."  Dieser  Rede  gehorchend,  führte  der  Bettler  den  Großkönig 
gebunden  nach  seiner  Heimatstadt  und  trat  mit  ihm  in  den  Thron' 
saal.  Überwältigt  von  dieser  Seelengröße  aber  warf  sich  der  König 
von  Behilsan  und  sein  Wezir  vor  dem  Edelsten  der  Sterblichen  nieder 
und  ließ  allsogleich  die  Prinzessin  holen;  und  ihr  Vater  übergab  sie 
Bikermadschit  und  sprach :  „Dein  Eigen  ist  meine  Tochter ;  vermähle 
sie  dem,  den  du  ihr  erwählt  hast!" 

Wundersamer  noch  ist  indessen  die  zweite  Tat,  die  von  diesem 
Fürsten  in  den  Büchern  berichtet  wird.  „Verschweige  mir  auch  diese 
nicht/   sagte  da  die  zärtliche  Chodscheste  und  Zeban^awer  erzählte, 

WIE  BIKERMADSCHIT  SEIN  LEBEN  AUFS  SPIEL  SETZTE. 

Er  hatte  einen  Freund,  der  ein  leidenschaftlicher  Spieler  war  und  im 
Rausch  seinerVerblendungbald  alles  hingegeben  hatte,  was  sein  war,  und  so 
lieb  die  Würfel  dem  Spieler  sind,  selbst  diese  nicht  mehr  besaß.  Von  Scham 
vor  dem  König  und  seinen  Angehörigen  erfüllt,  verließ  er  heimlich  mit 
seiner  treuen  Frau  die  Stadt.  Als  sie  aber  erst  wenige  Meilen  gewandert 
waren,  fand  er  einige  Burschen  beim  Spiel  sitzend  und  er  konnte  sich  nicht 
enthalten,  zu  ihnen  zu  treten  und  wieder  sein  Glück  zu  versuchen.  Er 
verlor  aber  und  sollte  nun  den  Gesellen  den  Einsatz  zahlen.  In  seiner 
Not  ließ  er  ihnen  seine  Frau  als  Pfand  und  machte  sich  auf,  zum 
letztenmal  Geld  von  der  Gnade  des  Großkönigs  zu  erbitten.  Als  er 
so  seines  Weges  zog,  kam  er  um  Mitternacht  an  einen  Brunnen.  Er 
blickte  hinab  und  sah  erstaunt  einen  Prunksaal,  in  dem  ein  Mädchen 
von  so  berückender  Schönheit  auf  einem  Ruhebette  lag,  daß  er  seine 
Augen  nicht  von  ihr  wenden  konnte;  vor  ihr  aber  stand  ein  ge<- 
waltiger  Kessel,  in  dem  Öl  brodelte,  und  unter  diesem  lohte  ein 
mächtiges  Feuer,  davor  saß  ein  Greis,  der  voll  Bangen  in  die  siedenden 
Fluten  starrte.  Als  er  ihnen  seinen  Segenswunsch  zugerufen  hatte, 
streifte  die  Jungfrau  eines  ihrer  gleißenden  Armbänder  ab  und  warf 
es  ihm  zu.  Er  barg  das  Kleinod  rasch  in  seinem  Gewand  und  eilte 
zur  Stadt  in  der  Hoffnung,  aus  dem  Erlös  des  Schmuckstückes  seine 
Spielschuld  bezahlen  zu  können.  Als  die  Juweliere  im  Bazar  ihre 
Läden  geöffnet  hatten,  bot  er  einem  das  Armband  zum  Kaufe  an; 
doch  kaum  hatte  dieser  das  unschätzbare  Juwel  gesehen,  das  ihm  der 

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in  Lumpen  gekleidete  Mann  reichte,  ließ  er  ihn  ergreifen  und  vor  den 
König  bringen,   denn   er   glaubte,   es  wäre   aus  dem   Schatzhaus  des 
Fürsten  geraubt.  Der  König  war  gar  erstaunt,   als  er  seinen  Freund 
in  Bettlerkleidung  in  den  Händen  der  Häscher  vor  sich  sah,  und  ließ 
sich  seine  Erlebnisse  berichten.  —  Begierig,  das  Geheimnis  im  Brunnen 
zu  enträtseln,  begab  sich  Bikermadschit  mit  seinem  Gefährten  in  der 
folgenden  Nacht  dahin,  ließ  sich  dort  hinab  und  bot  der  Jungfrau  wie 
dem  Alten  seinen  Gruß.  Dann  fragte  er  das  Mädchen:  „Sag  mir  doch, 
wer  du  bist  und  welches  Bewandtnis  es  mit  diesem  Manne  hat?"  Da 
hieß  sie   ihn  niedersitzen    und  begann  zu  sprechen:     „Ich  bin   die 
Tochter  des  Feenkönigs  und  dieser  Mann  ward  vor  langer  Zeit  von 
brennender  Liebe  zu  mir  erfaßt,  als  er  mich  einstmals  im  Silberschein 
des  Mondes  auf  blumiger  Au  tanzen  sah.    Mich  bewegte  sein  heißes 
Werben  und  ich  wollte  sein  Flehen  erhören.   Ehe  aber  ein  Irdischer 
sich  in  Liebe  uns  nahen  darf,   muß  sein  Leib  in  wallender  Glut  ge" 
läutert  sein  von  der  Schwäche  der  Menschen.  Angst  hält  ihn  nun  ab, 
die  Probe  zu  bestehen,  und  doch  kann  er  auch  von  seiner  Liebe  nicht 
lassen ;  und  ich  vermag  es  nicht,  ihn  in  Verzweiflung  zu  stürzen.  So 
gingen  Jahrzehnte  um  Jahrzehnte  dahin,  daß  sein  Haupthaar  bleichte 
und  sein  Leib  verfiel,  ohne  daß  er  meine  Umarmung  genossen  hätte 
und  daß  ich  das  Glück  der  Vereinigung  mit  ihm   erfahren  konnte." 
Als   der   König   diese   Geschichte    treuer    und    hoffnungsloser   Liebe 
vernommen  hatte,  stürzte  er  sich  kühn  in  das  furchtbare  Sieden  des 
Kessels,  tauchte  im  Feuer  der  Fluten  unter  und  ging  wieder  unver" 
sehrt   daraus  hervor   wie  Gold,   dem   keines    der   Elemente  Schaden 
bringen  kann.  Da  fiel  die  Feenprinzessin  zu  seinen  Füßen  nieder  und 
sprach:  „Du  hast  mich  durch  deinen  Mut  und  durch  die  Zauberkraft 
der  Glut  gewonnen  und  dieser  hat  mich  für  ewig  verloren."   König 
Bikermadschit  aber  hob  sie  sanft  zu  sich  empor   und  erwiderte  ihr: 
„Glaube  nicht,  daß  Liebesraub  der  Zweck  meines  Tuns  war!    Willst 
du  mir  angehören,  da  ich  durch  das  Feuer  Gast  des  Feenreiches  gc 
worden  bin,  so  sollst  du  meine  Tochter  sein;   Gattin   aber  soll  dich 
der  nennen,    der  in  Liebe  zu  dir   so  lange  verharrte.    Nur   um   ihm 
Mut  zu  geben,   warf  ich  mich  in  den  Rachen  des  Schreckens;    denn 
wäre  ich  von  den  Flammen  vernichtet  worden,  dann  nur  hätte  seine 
Furcht  Berechtigung."  Beseligt  von  diesen  Worten  tauchte  nun  auch 
der  Greis  in  den  schäumenden  Kessel   und  erhob   sich   aus   ihm   in 
22 


neugewonnener  Jugendschönheit.  Der  König  vermählte  sie  einander, 
gab  seinem  Freunde,  dem  Spieler,  die  Summe,  mit  der  er  seine  Frau 
wieder  befreien  konnte  und  noch  genug  zu  sorglosem  Leben,  und  war 
glücklich  im  Glücke  der  Vereinten. 

So  gilt  auch  mir  mein  Leben  nichts  vor  der  Kühlung  deiner  Liebes' 
flammen.  Eile  froh  und  getrost  zu  deinem  Geliebten  mit  meinem 
Segen,  daß  höchste  Seligkeit  dein  Herz  erfülle."  Mit  diesen  Worten 
beschloß  der  Papagei  seine  Geschichten.  Aber  das  Dunkel  der  Nacht 
war  dem  Licht  des  Frührots  gewichen  und  Chodscheste  mußte  wieder 
harren,  bis  von  neuem  Dämmerung  werden  sollte. 

Was  gilt  doch  dem  Edlen  Erhaltung  des  Lebens, 
erkauft  er  mit  ihm  eines  anderen  Glück; 
es  wird  ihm  das  Opfer  Gestaltung  des  Gebens 
und  nichts  ist  der  Tod  als  Entfaltung  des  Strebens. 


„Zögere  nun  nicht,  rotwangige  Herrin,  mit  der  Verwirklichung 
deiner  Absicht,"  so  begrüßte  der  Sittich  Chodscheste,  als  wieder  die 
silberne  Nacht  herabgesunken  war,  „denn  es  könnte  geschehen, 
daß  dein  Gemahl  zurückkehrte,  ehe  du  deinen  Geliebten  beglückt 
hättest  und  dich  die  Reue  faßte  wie  die  Frau  des  Königssohnes  von 
Benares."  „Warum  geschah  dies?"  fragte  die  Liebliche.  „Verschweige 
mir  nichts,  lieber  Papageil"  Und  sie  ließ  sich  neben  dem  Käfig 
nieder,  Zeban^awer  aber  spreizte  sich  auf  seiner  Stange  und  erzählte 

VON  DER  JUNGEN  FRAU  UND  DEM  KLUGEN  SCHAKAL. 

„Da  Allah  die  Menschen  nach  unenträtselbaren  Planen  werden  läßt, 
kam  es,  daß  niemand  häßlicher  auf  der  Erde  war  als  der  Sohn  des 
Beherrschers  von  Benares,  von  niedrigerer  Wesensart  und  ohne  jeden 
Vorzug  des  Geistes.  Als  er  aber  mannbar  geworden  war,  gab  ihm  sein 
Vater  das  holdeste  Mädchen  der  Stadt  zur  Frau,  die  Tochter  eines 
Kaufmanns,  die  an  der  Seite  dieses  Gatten  ihre  Schönheit  und  Jugend 
vertrauerte  und  keinen  Augenblick  anderes  ersehnte  als  die  Befreiung 
von  ihm.  Nun  saß  sie  einstmals  nachdenklich  auf  der  Terrasse  ihres 
Palastes,  da  vernahm  sie  wunderlieblichen  Gesang  und  als  sie  sich 
vorneigte,  erblickte  sie  einen  Jüngling,  der  in  ihren  Augen,  obgleich 
er  nur  ein  gemeiner  Sänger  war,  der  von  Haus  zu  Haus  zog,  um  von 
der  Mildtätigkeit  der  Menschen  und  der  Ausgelassenheit  der  Gelage 
zu  leben,  gleichsam  wie  der  Vollmond  erschien,  so  daß  sie  sich  äugen' 
blicklich  in  ihn  verliebte.  Sie  stieg  alsbald  hinab  zu  ihm  und  ergoß 
sich  in  Klagen  über  ihr  Geschick  und  bat  ihn  zuletzt,  sie  mit  sich 

24 


zu  nehmen,  wohin  immer  er  ziehen  möge.  Der  Jüngling  zeigte  sich 
ihrem  Vorschlag  geneigt  und  sie  wanderten  miteinander  in  die  Ferne. 
Einige  Tagereisen  hatten  sie  zurückgelegt;  schon  war  der  Sänger  der 
Frau  überdrüssig  geworden,  doch  umso  begieriger  nach  dem  reichen 
Schmuck,   den  sie  trug,  als  sie    an  einen    breiten  Strom  gelangten, 
durch  den  keine  Furt  führte   und  den  kein  Nachen  übersetzte.  Da 
sagte  der  Hinterlistige  zu  der  Frau :  „Hier  kann  nur  meine  Schwimm" 
kunst  helfen ;  gib  mir  deine  Kleider  und  Kostbarkeiten,  damit  ich  sie 
zuerst  hinübertrage,  dann  will  ich  dich  sicher  auf  meinem  Rücken  an 
das  andere  Ufer  bringen."  Die  Liebebetörte  gab  arglos  seinen  Worten 
Glauben   und  harrte  nun  nackt  und  bloß  seiner  Rückkehr;   er  aber 
war  froh  mit  seiner  Beute  entwischt.  —  Zu  spät  erst  erkannte  sie, 
daß  jener  sie  betrogen  hatte,  und  sank  weinend  am  Strande  nieder. 
Als  sie  so  in  Verzweiflung  um  sich  sah,  erblickte  sie  einen  Schakal, 
der  mit  einem  großen  Knochen  im  Maul  dahergelaufen  kam,  um  in 
der  Kühle  sein  Mahl  zu  verzehren.  Kaum  hatte  er  aber  zu  fressen 
angefangen,  bemerkte  er  einen  fetten  Fisch  im  Wasser  aufspringen, 
dem  lief  er  nach,  aber  freilich  er  konnte  ihn  nicht  fangen.  Wie  er 
sich  indes  wieder  an  seinen  Knochen  machen  wollte,  war  auch  dieser 
fort,  denn  ein  Hund  hatte  ihn  geholt.  Da  mußte  die  Frau  in  all  ihrer 
Trauer  herzlich  lachen  und  verspottete  den  dummen  Schakal.  Dieser 
bat  aber  sie,  ihm  zu  erzählen,  wie  es  gekommen  wäre,  daß  sie  nackt 
am  einsamen  Ufer  stünde.   Und  als  er  ihre  Geschichte  vernommen 
hatte,   lachte  er  noch  viel  mehr  und  sagte:   „Wie  durftest  du  mich 
verhöhnen,  da  wir   beide  einander  gar  nichts  vorwerfen  können;  ist 
doch  mein  Knochen  dein  Gatte  und  dein  Liebhaber  mein  Fisch!  Es 
ist  wohl  ein  alter  Satz,  daß  der  Bucklige  gern  des  Buckligen  spottet, 
weil  er  ja  seinen  eigenen  Mangel  nicht  zu  sehen  vermag.   Und  als 
einmal  zwei  solche  Toren  über  einen  Steg  gingen,  der  unter  ihnen 
zerbrach,  so  daß  beide  in  den  Bach  fielen,  lachte  jeder  so  über  den 
andern,   daß   ihnen  das  Wasser   in  Mund  und  Nase   drang  und  sie 
jämmerlich  ertrinken  mußten."  Aus  diesen  Worten  des  Schakals  wurde 
die  Frau  seiner  Klugheit  inne  und  sie  begann :  „Nur  Gott  selbst  kann 
dich  in  meiner  Not  zu  mir  gesandt  haben,  daß  du  mich  aus  Schmach 
und  Verderben  rettest.    Hab  Erbarmen  mit  mir  und  leihe  mir  deine 
Weisheit!"  So  flehentlich  sprach  sie,  daß  das  Tier  gerührt  wurde  und 
sagte:  „Bleibe  hier,  bis  die  Reiter  kommen,  die  dein  Gatte  nach  dir 

25 


ausgesendet  hat;  stelle  dich  dann  wahnsinnig  und  täusche  alle  durch 
dein  Verhalten.  Ist  erst  einige  Zeit  verstrichen,  so  lasse  deinen  Mann 
glauben,  daß  du  wieder  geheilt  bist,  und  er  wird  dich  freudig  auf" 
nehmen,  ohne  etwas  von  deiner  Schuld  zu  ahnen."  Und  so  geschah 
es  auch. 
Nur  selten  winkt  indessen  so  Befreiung  von  der  Reue,  wie  es  dir 

DIE  GESCHICHTE  VON  DER  DUMMHEIT  DES  KATERS 

weisen  mag:  Im  äußersten  China  lebte  in  einer  Wüste  ein  Löwe,  der 
schon  so  alt  war,  daß  seine  Zähne  Löcher  hatten.  Legte  er  sich  nach 
seinem  Mahl  nieder,  um  zu  schlafen,  so  kamen  die  zahllosen  Mäuse 
herbei,  die  sich  dort  aufhielten,  und  nagten  an  den  Speiseresten,  die 
in  seinem  Mund  waren,  so  daß  er  nicht  mehr  ruhig  schlafen  konnte. 
Als  er  sich  einmal  in  seinem  Hofstaat  über  diese  Plage  beklagte, 
meinte  der  Wolf,  der  das  Amt  seines  Wezirs  versah:  „Du  teilst  nur 
das  Los,  das  auch  den  mächtigen  Kalifen  von  Bagdad  traf."  Da  bat 
ihn  der  König  der  Tiere,  ihm  doch  diesen  Fall  zu  berichten,  und  so 
erzählte  der  Wolf: 

„Einmal  war  der  Kalif  im  eifrigen  Gespräch  mit  dem  Imam  Schafii 
über  die  Lehren  des  Propheten  und  die  Überlieferung.  Weil  aber 
Sommer  war,  quälten  ihn  die  Fliegen  und  sie  ließen  sich  durch  kein 
Mittel  verjagen.  Da  wandte  sich  der  Beherrscher  der  Gläubigen 
an  den  Weisen  und  fragte  ihn:  „Wozu  erschuf  Gott  in  seiner  Weis- 
heit die  Fliegen,  die  doch  allen  Geschöpfen  nur  zur  Last  sind 
und  niemand  nützen?"  Der  Gelehrte  gab  ihm  diese  Erwiderung: 
„Siehe,  es  war  dem  Allmächtigen  Zweck,  den  Großen  der  Erde  die 
Lehre  zu  geben,  daß  ihre  Kraft  an  Kleinem  brechen  mag."  Und  zum 
Beweise  dessen  erzählte  er  ihm  auch  noch  die  wundersame  Geschichte, 

WIE  DER   ELEFANT  DEN  KLEINSTEN  TIEREN  ERLAG. 

„Der  Elefant  hatte  einmal  einen  Baum  im  Walde  so  erschüttert, 
daß  aus  dem  Nest  eines  Zaunkönigs,  der  dort  wohnte,  die  Eierchen 
herabfielen  und  zerbrachen.  Da  weinte  das  arme  Vöglein  und  flog  zu 
seinem  Freund,  dem  Specht,  um  auch  ihn  zur  Rache  zu  laden.  Da 
sie  sich  aber  miteinander  keinen  Rat  gegen  das  Ungetüm  wußten, 
begaben  sie  sich  selbander  zur  Biene,  die  die  Meisterin  der  Klugheit 
ist.  Und  diese  entwarf  einen  Kriegsplan  zur  Vernichtung  des  Bösen. 

26 


Zaunkönig,  Biene  und  Specht  wanderten  dann  zum  Frosch,  um  auch 
ihn  in  ihre  List  und  ihren  Anschlag  einzuweihen.  Dann  flog  die  Biene 
zum  Elefanten  und  wich  mit  unaufhörlichem  leisen  Summen  nicht 
mehr  von  seinem  Ohr,  so  daß  er  zuletzt  wütend  wurde;  jetzt  hatte 
der  Specht  leichtes  Spiel,  ihm  die  beiden  Augen  auszuhacken.  Blind 
und  toll  raste  nun  der  Riese  im  Wald  umher,  bis  ihn  der  Durst 
zu  peinigen  begann.  Da  ließ  sich  der  Frosch  vernehmen  und  der  Ele^ 
fant  eilte  zu  dem  vermeintlichen  Sumpf;  er  stürzte  aber  in  eine 
tiefe  Grube,  an  deren  Rand  sich  der  Grüne  gesetzt  hatte,  um  aus 
Leibeskräften  zu  quaken;  dabei  brach  er  sich  den  Rüssel  und  starb." 

Der  Weise  aber  findet  mannigfache  Hilfe,"  so  schloß  der  Wolf.  „Ein 
treuer  Diener  deiner  Macht  harrt  seit  langen  Jahren  deines  Befehls: 
die  Katze.  Gib  ihr  da»  Amt  eines  Burgvogtes  und  vertraue  ihr  die 
Wache  deines  Schlafes  an!"  Dieser  Rat  gefiel  dem  Löwen  und  er 
bekleidete  die  Katze  mit  der  neuen  Würde.  Der  König  der  Tiere 
konnte  von  nun  an  wieder  ruhig  schlafen,  denn  sobald  die  Mäuse 
sahen,  daß  die  Katze  den  Löwen  behütete,  flohen  sie  in  Entsetzen. 
So  ward  der  König  seinem  Burgvogt  wohlgeneigt  und  erhöhte  seinen 
Rang.  Sie  aber  war  schlau  und  tötete  die  Mäuse  nicht,  sondern  hielt 
sie  nur  in  Schrecken,  denn  wenn  ich  die  Mäuse  ausgerottet  hätte,  so 
dachte  sie  bei  sich,  wäre  mein  Amt  nicht  mehr  von  Nutzen  und  man 
entließe  mich  in  Ungnade. 

Als  in  dieser  Weise  eine  lange  Zeit  verstrichen  war,  brachte  die 
Katze  eines  Tages  ihren  Sohn  vor  das  Angesicht  des  Löwen  und 
sprach  zu  ihm:  „Willst  du  mir  gestatten,  für  kurze  Zeit  zu  verreisen, 
in  der  mein  Sohn  meiner  Pflichten  walten  soll?"  Der  König  gewährte 
diese  Bitte  und  die  Katze  begab  sich  fort.  Als  der  junge  Kater  aber 
ihr  Amt  versah,  brachte  er  alle  Mäuse  um,  deren  er  nur  habhaft 
werden  konnte;  und  weil  diese  ihrer  übergroßen  Vorsicht  entwöhnt 
waren,  hatte  er  sie  allesamt  umgebracht,  ehe  noch  die  Katze  heinv 
kehrte.  Als  sie  aber  kam  und  erkannte,  was  geschehen  war,  bedauerte 
sie  tief,  ihren  Sohn  nicht  in  das  Geheimnis  ihrer  Stellung  eingeweiht 
zu  haben  und  der  Kater  mußte  seine  Tat  bitter  bereuen,  doch  war 
es  zu  spät:  die  Katze  wurde  entsetzt  und  ihr  ganzes  Geschlecht  war 
wieder  geringgeschätzt  wie  vorher." 

Als  der  Papagei  seine  Erzählung  beendet  hatte,  begann  das  Gold 
des  Tages  weithin  zu  leuchten   und   Chodscheste    war    gezwungen, 

27 


wieder   einen   ganzen  Tag  träumend   und   im   Gespräch    mit  ihren 
Freundinnen  zu  verbringen  und  die  Nacht  zu  erwarten. 

Es  war  noch  Chodscheste  gefangen  genommen 

von  all  der  Geschichten  verwirrendem  Spiel, 

im  Eifer  hatten  die  Wangen  geglommen, 

da  war  schon  das  Frührot  mit  Prangen  gekommen. 


Wieder  breitete  ein  Abend  seine  mächtigen  dunklen  Schwingen 
aus,  um  den  Flug  über  die  Weiten  der  Erde  aufzunehmen.  Im 
Dämmern  leuchtete  nur  Chodscheste  im  Glanz  der  Juwelen,  die  sie 
zu  ihrem  Gang  angelegt  hatte.  Sie  dachte  mit  einem  kurzen  Gruß 
an  Zeban^awer  vorüberzuschweben  und  in  die  Arme  dessen  zu  sinken, 
der  nach  den  Versicherungen  der  Freundinnen  in  Liebe  zu  ihr  ver" 
ging.  Und  der  Papagei  sprach  zärtlich  zu  ihr:  „Geh  deines  Weges 
im  Schutze  Allahs  und  genieße  die  Seligkeit,  zu  der  du  geschaffen 
wardst.  Doch  vergiß  niemals  die  Besonnenheit  und  Schlauheit,  die 
den  Frauen  eignet,  wenn  dich  ein  Ungemach  bedrohen  sollte,  so  wie 
sich  auch  Pelenk'Firib  verschlagen  und  klug  aus  den  Klauen  des 
Tigers  rettete."  Da  blieb  die  Schönheitsbegnadete  am  Käfig  stehen 
und  sagte  zu  dem  weisen  Vogel:  „Laß  mich  diese  Lehre  rasch  ver' 
nehmen,  damit  ich  im  Augenblick  der  Not  ihrer  denken  kann." 
„Du  tust  wohl  daran,  anmutige  Gebieterin,"  entgegnete  der  Sittich, 
„rechte    Beispiele   vor   Augen   zu  behalten."   Und  damit  begann  er 

DIE  ERZÄHLUNG  VON  PELENK-FIRIB  UND  DEM  TIGER. 

„In  einer  Stadt  lebte  einmal  ein  Mann,  der  ein  zanksüchtiges,  böses 
Weib  hatte,  das  nichts  verstand,  als  ihren  Mann  und  alle  Leute  zu 
schmähen  und  ihren  stets  keifenden  Mund  zu  gebrauchen.  Eines 
Tages  schalt  sie  ihr  Mann  darum  und  im  Zorn  nahm  sie  ihre  beiden 
Kinder  und  lief  mit  ihnen  fort.  Auf  ihrem  Weg  kam  sie  durch  eine 
Wüste  und  dort  geschah  es,  daß  ein  furchtbarer  Tiger  gegen  sie  an' 
sprang  und  sie  mit  ihren  Kleinen  zu  zerreißen  drohte.   Sie  erschrak, 

29 


verlor  aber  den  Kopf  nicht  und  bedachte:  das  ist  die  Strafe  des 
Himmels  für  meine  Missetaten;  wenn  ich  aber  aus  dieser  Not  emv 
komme,  will  ich  wieder  zu  meinem  Mann  zurückkehren  und  ihm 
hinfort  gehorsam  sein.  Und  sie  nahm  ihre  Zuflucht  zur  List  und 
sagte  zu  dem  wilden  Tiere:  „Höre  meine  Worte,  bevor  du  uns  zer' 
fleischest!"  Der  Tiger  hielt  im  Sprunge  ein  und  fragte  sie  erstaunt: 
„Was  hast  du  mir  denn  zu  sagen?"  und  die  Frau  erwiderte  ihm: 
„Weißt  du  nicht,  daß  der  König  dieses  Gebietes  ein  entsetzlicher 
Löwe  ist,  dem  die  Leute  alltäglich  als  Tribut  drei  Menschen  senden  ? 
Heute  bin  ich  mit  meinen  Kindern  die  Speise  des  Löwen.  Vergehe 
dich  also  nicht  an  dem,  was  dem  Fürsten  gehört,  der  dich  vernichten 
kann.  Willst  du  dich  aber  sättigen  und  dann  eiligst  vor  dem  Groll 
des  Entsetzlichen  entfliehen,  so  nimm  meinen  Vorschlag  an  und  be" 
gnüge  dich  mit  der  Hälfte  meines  Leibes  und  mit  einem  meiner 
Söhnchen."  Der  Tiger  war  gar  verwundert  über  ihre  Hochherzigkeit, 
sie  aber  sagte:  „Ist  nicht  der  Lohn  der  Edelmütigkeit  das  Paradies 
und  nicht  Erbarmen  mit  dem  Hungernden  die  höchste  Tugend?  Und 
wie  gering  ist  das  Geschenk  von  Geld  und  Gut,  wie  kostbar  hin-' 
gegen  das  des  Lebens,  wie  die  Geschichte  von  dem  treuen  Wächter 
des  Königs  von  Tabaristan  zu  erkennen  gibt."  Und  sie  berichtete  ihm 
diese  Geschichte,  die  wert  wäre,  mit  goldenen  Buchstaben  in  die 
Chroniken  eingetragen  zu  werden,  so  daß  der  Tiger  entzückt  war  und 
es  nicht  übers  Herz  brachte,  ihr  ein  Leid  zuzufügen,  so  daß  er  von 
seiner  sicheren  Beute  ließ  und,  andere  Speise  zu  suchen,  fortlief.  Die 
Frau  aber  wandte  sich,  Gott  dankend  dafür,  daß  er  sie  befreit  hatte, 
langsam  ihrem  Heimatdorfe  zu. 

Inzwischen  hatte  der  Tiger  den  Fuchs  getroffen  und  ihm  sein  Er' 
lebnis  berichtet;  dieser  aber  lachte  ihn  aus.  „Du  Tor,"  rief  er,  „der 
den  Spruch  bewahrheiten  will,  daß  die  Tapfersten  die  Leichtgläubigsten 
sind!  Wie  konntest  du  dich  von  einer  Menschenfrau,  die  doch  der 
Gipfel  alles  Truges  ist,  so  narren  lassen?  Du  hast  dein  Mitleid  am 
unrechten  Orte  walten  lassen  und  deine  Furcht  vor  dem  Löwen,  der 
hier  herrschen  soll,  ist  zwecklos,  denn  ich  habe  nie  von  ihm  gehört, 
so  vertraut  ich  auch  mit  allem  bin,  was  hier  vorgeht.  Folge  darum 
meinem  Rat  und  laß  uns  rasch  dieses  Weib  wieder  suchen,  damit  wir 
beide  von  ihrem  leckeren  Fleisch  satt  werden."  Da  der  Tiger  aber 
noch  immer  von  Angst  erfüllt  war   und  auch    dem  Fuchs  mißtraute, 

30 


dessen  Hinterhältigkeit  er  wohl  kannte,  dieser  aber  den  Fraß  nicht 
fahren  lassen  wollte,  den  die  Wüste  ihm  bot,  so  sagte  er  endlich: 
„Willst  du  meiner  treuen  Gefolgschaft  ganz  sicher  sein  und  nicht 
befürchten  müssen,  daß  ich  in  der  Gefahr  entlaufen  möchte,  so  binde 
doch  mein  rechtes  Bein  an  dein  linkes!"  Das  flößte  dem  Tiger  Ver' 
trauen  ein  und  er  tat  nach  diesem  Rat.  Sie  liefen  miteinander  zurück, 
dorthin,  woher  der  Tiger  gekommen  war,  und  holten  die  Frau  nicht 
weit  von  der  Stelle,  von  wo  sie  umgekehrt  war,  ein. 

Als  die  Frau  jetzt  der  doppelten  Gefahr  gewahr  wurde,  die  in  den 
Gestalten  der  Meister  der  wilden  Kraft  und  der  boshaften  List  nahte, 
ließ  sie  doch  den  Mut  nicht  sinken  und  sprach  im  nimmer  verzagen' 
den  Glauben  an  den  Allmächtigen  und  seinen  Propheten  zu  ihren 
Kindern  die  Worte:  „Seht  doch,  wie  meine  Zauberkraft  ihre  Wirkung 
tut:  gehorsam  meinen  Beschwörungen  eilt  der  Tiger  herbei,  um  sein 
Herz  zu  unserem  Mahl  selbst  anzubieten  und  sein  Fell,  damit  wir 
weich  gelagert  seien  beim  Schmaus,  und  er  bringt  den  Fuchs  mit 
sich,  damit  wir  sein  Blut  trinken  und  unsere  trockene  Kehle  laben 
können. u  Solche  und  noch  viele  so  hochfahrende  Reden  führte  sie, 
und  weil  ihre  Stimme  dabei  ruhig  und  stolz  klang,  faßte  dabei  auch 
den  Fuchs  das  Entsetzen  und  er  raunte  dem  Tiger  zu:  „Warum 
locktest  du  mich  an  diesen  Ort  des  Schreckens,  indem  du  mir  von 
einer  barmherzigen  und  weichmütigen  Frau  erzähltest,  da  dieses  Weib 
doch  der  Abschaum  aus  dem  Tale  der  Verdammten  ist  und  ein  böser 
Geist,  der  sich  in  Menschengestalt  verwandelt  hat,  um  uns  zu  ver' 
nichten.  Fliehen  wir,  so  rasch  wir  können  \*  Und  die  beiden  nahmen 
in  aller  Eile  Reißaus,  doch  hinderten  sie  die  zusammengebundenen 
Beine  in  ihrer  Flucht,  der  Tiger  schleifte  den  Fuchs  indessen  so  mit 
sich,  daß  diesem  Leib  und  Glieder  von  den  Steinen  zerrissen  wurden 
und  er  sich  schon  dem  Tode  nahe  fühlte.  Da  gab  ihm  die  Todes' 
angst  noch  einen  Rettungsgedanken  und  er  begann  zu  seinem  Gesellen: 
„Dir  allein  danke  ich  mein  Leben,  denn  du  hast  mich  aus  der  Nähe 
dieser  Teufelin  fortgebracht;  was  wollen  wir  aber  tun,  wenn  sie  uns 
auf  den  Spuren  des  Blutes,  das  aus  meinen  Wunden  niederfließt, 
verfolgt?"  Da  war  der  Tiger  glücklich,  ihn  von  sich  lösen  zu  können. 
Der  Fuchs  fuhr  nun  rasch  in  die  nächste  Höhle,  der  Tiger  aber  lief, 
so  lange  sein  Atem  hielt  und  bis  er  vor  Erschöpfung  umsank.  — 
Unversehrt  erreichte  die  Frau  ihr  Heim  wieder  und  man  nannte  sie 

31 


um  des  Erfolges  ihrer  Schlauheit  willen  von  nun  an  nur  mehr  Pelenk" 
Firib  (Tigerschreck). 

Und  doch  ist  die  Tat  dieser  Frau,  die  nur  ihr  Leben  und  das  ihrer 
Kinder  aus  der  drohenden  Gefahr  befreite,  weit  weniger  groß,  als  die, 

WIE  DIE  EDLE  FRAU  DIE  EHRE  IHRES  GATTEN  RETTETE. 

In  der  Stadt,  in  der  sie  mit  ihrem  Mann,  einem  reichen  Kaufherrn, 
lebte,  war  auch  eine  Frau,  die  alle  Männer  in  die  Netze  ihres  Liebes" 
Verlangens  zog ;  endlich  gelang  es  dieser  auch  durch  ihre  Verlockungen 
jenen  Kaufmann  zu  einem  Stelldichein  in  einem  entlegenen  Tempel 
zu  bewegen.  Sie  ruhten  nun  dort  Brust  an  Brust  und  das  lüsterne 
Weib  stillte  seine  Lust.  Doch  hatten  beide  der  Stadtwächter  nicht  ge" 
dacht,  da  ja  die  Liebe  die  Sinne  verwirrt,  und  diese  wurden  auf' 
merksam  und  schlössen  das  Heiligtum  ein,  um  das  Paar  am  kommen" 
den  Morgen  vor  den  Richter  zu  schleppen.  Als  die  Frau  des  Kauf" 
manns  Kunde  davon  erhalten  hatte,  zögerte  sie  nicht  einen  Augen" 
blick,  zu  seiner  Befreiung  von  der  Schmach  einen  listigen  Plan  ins 
Werk  zu  setzen :  Sie  zog  mit  ihren  Dienerinnen  unter  Trommelschall 
und  Saitenspiel  zu  dem  Tempel  und  bestach  dort  die  Hüter  mit  Geld, 
sie  einzulassen,  indem  sie  zu  ihnen  sprach :  „Ich  will  nur  ein  Gelübde 
erfüllen,  das  ich  in  großer  Gefahr  abgelegt  habe  und  das  mich  zwingt, 
gerade  in  der  heutigen  Nacht  in  diesem  Tempel  ein  Opfer  darzu" 
bringen.  Habe  ich  aber  meine  Pflicht  erfüllt,  so  will  ich  sogleich 
wieder  fortgehen."  So  überlistete  sie  die  Wächter;  dann  betrat  sie 
den  Raum,  in  dem  ihr  Gatte  und  die  Buhlerin  weilten,  gab  dieser 
die  Kleidung,  in  der  sie  selbst  gekommen  war,  hieß  sie  sich  darein" 
hüllen  und  jagte  sie  dann  hinaus.  Sie  blieb  aber  bei  ihrem  Gemahl, 
und  als  morgens  die  Leute  des  Königs  kamen,  um  sie  mit  sich  zu 
nehmen,  erkannten  sie  voll  Beschämung,  daß  sie  den  Kaufmann  mit 
seiner  eigenen  Gattin  gefangen  gehalten  hatten,  und  baten  sie,  Ver" 
gebung  an  ihnen  zu  üben." 

Als  der  Papagei  so  weit  in  seiner  Erzählung  gekommen  war,  sagte 
er:  „Nun  mußt  du  aber  eilen,  um  zu  deinem  Geliebten  zu  gehen, 
der  im  Leid  der  Trennung  vergeht."  Und  Chodscheste  erhob  sich,  um 
das  Ziel  ihrer  Wünsche  zu  erreichen;  da  vernahm  sie  das  Krähen 
des  Hahnes  und  das  Zwitschern  der  anderen  Vögel,  die  den  nahenden 
Morgen  jubelnd  verkündeten.  So  war  auch  in  dieser  Nacht  ihre  Sehn" 

32 


sucht  nicht   erfüllt   worden   und   sie  mußte   warten,   bis   wieder   die 
Sterne  am  Himmel  erscheinen  wollten. 

Wer  wollte  die  Schliche  der  Frauen  vermessen, 
ergründen  und  zählen,  so  sagte  voll  List 
der  Sittich  und  warb  ihr  Vertrauen,  —  indessen 
ließ  er  sie  das  nahende  Grauen  vergessen. 


Schritt  für  Schritt  führten  wieder  die  Rosse  des  Himmels  den  Wagen 
der  Sonne  gegen  Untergang  und  die  Schatten  dehnten  sich  wie  ge* 
spenstige  Spinnen  über  die  Erde,  bis  die  Dämmerung  mit  einem 
Male  ihrem  Treiben  Einhalt  gebot  und  die  ganze  Welt  in  ihren 
schützenden  Schleier  hüllte.  Zu  dieser  Zeit  eilte  Chodscheste  zu  ihrem 
Papagei  und  begann  ihn  mit  diesen  Worten  anzureden:  „Treuerund 
weiser  Zeban^awer,  du  hast  mit  den  Geschichten,  die  du  in  der  ver' 
gangenen  Nacht  mir  erzähltest,  zu  dem  schweren  Kummer,  der  mich 
in  der  ungestillten  Sehnsucht  nach  meinem  Geliebten  bedrückt,  noch 
ein  Leid  gefügt,  das  mich  den  langen  Tag  über  peinigte."  „Edelste 
Herrin,"  erwiderte  der  Sittich,  „womit  habe  ich  dich  unbewußt  gc 
kränkt,  daß  du  so  zu  mir  sprichst,  der  doch  mit  ganzer  Seele  nur 
dein  Glück  bereiten  und  bewahren  will?"  „Ich  werde  dir  Glauben 
schenken,  wenn  du  das,  was  du  verbrachst,  gut  zu  machen  versprichst," 
sagte  die  Anmutige.  „Hör  mich  an:  als  du  gestern  von  Pelenk'Firib 
und  dem  Tiger  berichtetest  und  nur  mit  kurzen  verbergenden  Worten 

DIE   GESCHICHTE  VON  DER  TREUEN  SCHILDWACHE 

erwähntest,  versank  ich  vor  Verlangen,  sie  zu  vernehmen,  in  Unmut. 
Erweise  mir  darum  die  Freude,  sie  jetzt  vor  mir  neu  erstehen  zu 
lassen,  da  der  Abend  erst  anbricht,  damit  ich  dann  in  heiterem  Sinn 
in  die  Arme  des  Liebsten  eilen  kann." 

„Freudig  will  ich  deinen  Wunsch  erfüllen,"  war  die  Erwiderung 
des  klugen  Vogels,  „und  du  magst  von  diesem  Manne  lernen,  An' 
hänglichkeit  und  Treue,   Zärtlichkeit  und  Aufopferung   zu   üben,  so 

34 


daß  die  Neigung,  die  dein  Geliebter  für  dich  hegt,  nimmer  ende  und 
du  ihm  immer  teurer  werdest.  Vernimm  nun,  was  vor  langen  Jahren 
geschah  und  von  den  Weisen  der  Vorzeit  überliefert  worden  ist: 

Der  König  von  Tabaristan  saß  einstmals  in  seiner  Herrlichkeit  auf 
seinem  Thronsitz  bei  einem  erhebenden  Feste,  zu  dem  sich  alle  Prinzen 
und  Großen  des  Reiches,  die  Weisen  und  Gottgelehrten  eingefunden 
hatten;  die  leckersten  Speisen  und  duftende  Getränke  waren  in  un-- 
sagbarer  Fülle  vor  ihnen  aufgestellt,  daß  sie  in  ihrem  Ergötzen  und 
ihrer  Lust  kaum  wahrnahmen,  wie  ein  Fremdling  unter  sie  trat,  bis 
er  vor  dem  Fürsten  stand.  Verwundert  blickte  dieser  auf  ihn  und 
fragte  ihn  um  Herkunft  und  Begehr.  Der  Ritter  entgegnete  nun: 
„Lange  Jahre  war  ich  im  Dienste  des  Emirs  von  Chodschend,  dem 
ich  in  Treue  mit  meinen  Künsten  diente.  Und  glaube  mir,  König, 
ich  verstehe  viele  und  preisliche  Werke  zu  verrichten:  niemand  vermag 
mich  im  Fechten  zu  überwinden,  den  härtesten  Stein  durchdringt 
mein  Pfeil  aus  weiter  Ferne,  die  Löwen  büßten  meinen  Mut  und 
meine  Stärke  und  mein  Herz  kennt  nimmer  Furcht  und  Zagen.  Da 
mein  Herr  indessen  meine  Tugenden  nicht  zu  werten  wußte,  verließ 
ich  ihn  und  ich  zog  zu  dir,  der  du  den  Ruhm  der  Freigebigkeit  und 
Mildtätigkeit,  des  Edelmutes  und  der  Herzensgröße  unter  den  Menschen 
führst.  Darum  wende  ich  mich  mit  der  Bitte  an  dich :  laß  mich  einer 
deiner  Diener  sein!"  Als  der  König  diese  Rede  vernommen  hatte, 
fühlte  er  sich  in  seinem  Herzen  zu  ihm  hingezogen  und  nahm  ihn 
in  seinen  Dienst.  Er  gab  ihm  das  Amt  eines  Wächters  seines  Palastes 
und  setzte  ihm  einen  reichlichen  Sold  aus. 

Lange  Zeit  erfüllte  der  Ritter  schlicht  und  getreu  seine  Pflicht,  daß 
der  König  seiner  fast  vergaß.  Eines  Nachts  aber  wurde  der  Herrscher 
durch  schwere  Träume  und  bange  Ahnungen  aus  seinem  Schlafe 
geweckt,  so  daß  er  auf  die  Terrasse  seines  Schlosses  trat,  um  die 
Kühle  der  Luft  zu  atmen  und  seine  Brust  von  dem  Drucke  zu  be" 
freien.  Er  rief  den  Wächter  an,  der  wie  eine  Säule  stand,  ohne  dem 
Schlaf  Gewalt  über  sich  zu  gewähren;  der  Ritter  wandte  sich 
zum  Fürsten,  beugte  sich  vor  ihm  nieder  und  fragte  nach  seinem 
Geheiß.  In  diesem  Augenblick  ließ  sich  aus  weiter  Ferne  eine  klagende 
Stimme  vernehmen,  die  die  Worte  wiederholte:  „Ach,  nun  muß  ich 
ziehen!  Wer  wollte  mir  beistehen,  daß  ich  noch  weilen  darf!"  Der 
König  war  begierig,  zu  erfahren,  was  diese  Stimme  wollte,  und  befahl 

3*  35 


dem  Ritter,  dem  Schall  nachzugehen  und  ihm  zu  berichten,  was  er 
erfahren  hätte.  Unverweilt  machte  sich  der  Wächter  auf,  den  Befehl 
auszuführen.  Den  Fürsten  erfaßte  aber  das  Verlangen,  das  Verhalten 
und  die  Treue  seines  Dieners  zu  prüfen,  und  so  folgte  er  ihm  un' 
gesehen  in  kurzer  Entfernung. 

Der  Mann  schritt  wacker  aus  und  erreichte,  als  er  manche  Meile 
gegangen  war,  eine  Frauengestalt,  die  auf  der  Landstraße  hinwandelte 
und  unter  quellenden  Tränen  ausrief:  „Ach,  nun  muß  ich  ziehen! 
Wer  wollte  mir  beistehen,  daß  ich  noch  weilen  darf?"  „Wer  bist  du, 
schönste  Frau,  die  je  mein  Auge  sah?"  fragte  sie  der  Ritter.  „Und 
welchen  Dienst  begehrst  du  mit  deinen  geheimnisvollen  Worten?" 
Und  die  weinende  Frau  erwiderte  ihm:  „Siehe,  ich  bin  das  Leben 
des  Königs  von  Tabaristan.  Und  hohem  Ratschluß  folgend,  muß  ich 
scheiden,  denn  seines  Erdenwandels  Tage  sind  zu  Ende."  Als  der 
Wächter  diese  Worte  hörte,  wollte  sein  Herz  vor  Leid  zerspringen, 
und  er  fiel  zu  den  Füßen  des  Frauenbildes  nieder  und  sprach  flehend 
zu  ihr:  „O,  verlaß  uns  nicht!  Du  kannst  nicht  unerbittlich  sein ;  sag 
mir,  durch  welches  Opfer  wir  dich  halten  können !"  Ernst  entgegnete 
sie  ihm:  „Wenn  du  selbst  das  Leben  deines  Sohnes  dem  Himmel 
gibst  für  das  des  Königs,  so  darf  ich  wiederkehren  und  Tabaristan 
wird  sich  noch  lange  seines  Herrschers  freuen."  Diese  Worte  ließen 
den  Ritter  vor  Freude  beben,  er  sprang  auf  und  rief:  „Weile  nur 
die  kurze  Frist,  bis  ich  meinen  Sohn  vor  dich  geführt  habe;  so  wie 
mein  Leben  gehört  seines  dem  Fürsten,  und  willig  wollen  wir  es  ihm 
darbringen." 

Damit  eilte  er  in  Windeseile  zu  seinem  Haus  und  nahm  seinen 
Sohn  mit  sich  und  erzählte  ihm  alles,  was  sich  zugetragen  hatte,  mit 
fliegendem  Atem.  Und  das  Kind  erwiderte  seinem  Vater :  „Mit  gutem 
Grund  hast  du  mein  Opfer  versprochen,  und  ich  segne  mein  Geschick, 
diesem  edlen  Fürsten  dienen  zu  dürfen.  Ist  er  doch  das  Glück  und 
das  Heil  vieler  Tausender  von  Menschen;  wie  dürfte  das  armselige 
Leben  eines  Knaben  dagegen  gewertet  werden.  Wie  wahr  sprach  Fosail 
ben  ejas:  /Ware  eines  meiner  Gebete  der  Erhörung  gewiß,  so  spräche 
ich  es  für  den  König!'  und  als  man  ihn  fragte:  , Warum  willst  du 
es  nicht  für  dich  verwenden?'  sagte  er:  , So  käme  nur  mir  allein  der 
Nutzen  zu;  erhört  der  Himmel  aber  den  König,  so  kommt  das  Heil 
auf  alle  Welt!'" 
36 


Und  als  sie  bei  der  Fee  des  Lebens  angelangt  waren,  band  der  Ritter 
die  Hände  und  Füße  seines  Sohnes  wie  der  Prophet  Abraham  —  Friede 
sei  mit  ihm!  —  die  des  seinen,  und  zog  sein  Schwert,  um  ihn  zu 
töten.  Da  faßte  die  Frau  nach  seiner  Hand  und  hielt  ihn,  und  hold' 
selig  lächelnd  sprach  sie:  „Halt  ein!  Der  Allmächtige  sah  deinen 
Willen  und  nahm  ihn  in  seiner  Gnade  für  das  Werk.  Viele  Jahre 
darf  ich  nun  weiter  bei  euch  weilen  und  eurem  König  dienen,  denn 
du  brachst  mit  deiner  Treue  den  Bann.  Nun  zieh  mit  meinem  Segen 
und  in  Frieden  heim  mit  deinem  Sohn."  Nach  diesen  Worten  entschwand 
sie  seinen  Blicken.  Und  der  Ritter  führte  voll  Seligkeit  sein  Kind  in 
sein  Haus,  der  König  aber  begab  sich  in  sein  Schloß  und  erwartete 
die  Rückkunft  des  Wächters.  Und  alsbald  trat  dieser  vor  ihn  und  bc 
grüßte  ihn  im  Namen  des  allerbarmenden  und  gnädigen  Gottes,  der 
alleinzig  im  Himmel  thront.  Der  König  hieß  ihn  berichten,  was  es 
für  eine  Bewandtnis  mit  dem  Klagen  gehabt  hätte,  und  der  Ritter  hub 
an  zu  erzählen:  „Ein  wunderliebliches  Weib  war  es,  das  ich  auf  der 
Landstraße  traf,  die  ihrem  Gatten  entlaufen  war,  der  sie  mißhandelt 
hatte.  Weinend  klagte  sie  ihr  Leid  den  Lüften.  Sanft  und  väterlich 
sprach  ich  ihr  zu  und  geleitete  sie  in  ihr  Haus,  wo  ich  sie  wieder 
mit  ihrem  Gatten  aussöhnte.  Nun  wird  sie  ihn  nimmermehr  verlassen!" 

Da  erkannte  der  König,  daß  der  Ritter  ebenso  weise  wie  treu  war, 
und  sprach  huldvoll  zu  ihm:  „Was  du  getan  hast,  blieb  mir  nicht 
verborgen,  denn  ich  folgte  dir  auf  deinen  Wegen  und  vernahm,  was 
du  sprachst,  und  erkannte  das  Juwel  deines  Herzens.  Ich  weiß  es  wohl, 
daß  du  mein  Leben  gerettet  hast,  und  will  dir  es  lohnen  und  deinem 
Sohn,  der  deiner  würdig  ist.  Zur  höchsten  Würde  will  ich  dich  er' 
heben  und  den  Segen  des  stolzesten  Reichtums  auf  dich  häufen." 

Und  da  es  Tag  geworden  war,  berief  der  Fürst  die  Großen  und 
Würdenträger  seines  ganzen  Reiches  zusammen  und  schilderte  ihnen 
das  Abenteuer  der  Nacht,  so  daß  Staunen  und  Freude  die  Seelen  aller 
ergriff.  Und  dann  ernannte  er  den  Ritter  zu  seinem  Wezir  zur  Rechten 
und  übergab  ihm  die  Schlüssel  aller  seiner  Schätze  und  das  Siegel 
seiner  Herrschaft  zur  Verwahrung.  —  Und  so  wie  damals,  als  der 
Ritter  als  armer  Fremdling  genaht  war,  ließ  er  ein  herrliches  Fest 
feiern  und  ein  frohes  Gelage  rüsten;  und  alle,  die  dereinst  auf  den 
unbekannten  Ankömmling  herab  geblickt  hatten,  beugten  sich  nun  vor 
seiner  Macht  und  priesen  ihn  ob  seiner  Tugenden." 

37 


taCrtich,  mahlte  der  Papagei,  und  hingerissen  von  der 
L.ebl.chke«  semer  Rede  und  von  den  Bildern,  die  er  vor™  au£ 
ste.genl.efi i    vergaß   Chodscheste   alles  über   dem  Lauscnen    so  d"ß 

Endfwa"  *  M°rgen  ^  GemaCh  erhdlte'  *  die  Erzählung  au 

Damit  er  Chodscheste  erfreue,  erzählte 
Zebaivawer  gerne  von  edelster  Tat, 
da  er  wie  der  Ritter  die  Treue  erwählte, 
daß  nimmer  dU  Herrin  die  Reue  zerquälte. 


Unbekümmert  um  Leid  oder  Freude  der  Menschen  rollt  das  Rad 
der  wechsellosen  Zeit,  die  Stunde,  die  du  ersehnst,  naht  nicht  anders 
als  die,  deren  Kommen  du  mit  Beben  entgegensiehst.  Und  so  ließen 
die  Gluten  der  Sonne,  die  bedächtig  ihre  Bahn  zog,  das  Liebesfeuer 
von  Chodschestes  Seele  zwiefach  brennen,  bis  sie  sich  endlich  zur 
Ruhe  neigte  und  scheidend  mit  blutroten  Strahlen  die  Welt  grüßte. 
Nun  eilte  die  holde  Herrin  zu  ihrem  Papagei  und  begann :  „Sag  mir, 
Treuer,  was  ist  es,  das  die  Vereinigung  zwischen  mir  und  meinem 
Freunde  wehrt,  obgleich  kein  anderer  Gedanke  mehr  in  meinem  Busen 
Raum  hat?  Ich  fürchte,  daß  das  Schicksal  unserem  Bunde  unhold  ist  und 
mir  die  Lust  in  seinen  Armen  neidet."  Zeban'awer  aber  entgegnete 
ihr :  „Klage  das  Geschick  nicht  an,  denn  es  ist  machtlos  im  Streit  gegen 
beharrliche  Liebe  und  kann  ihrer  Kraft  nicht  widerstehen,  wenn  sich 
beide  Liebende  mit  gleicher  Treue  ergeben  sind,  wie   es  denn  auch 

DER  JÜNGLING  VON  BAGDAD  UND  SEIN  MÄDCHEN 

erwies."  „"Wie  hat  sich  dieses  zugetragen?"   fragte  die  Liebeskranke, 
und  der  Vogel  erzählte  ohne  Säumen  folgende  Geschichte: 

„Im  herrlichen  Bagdad  lebte  einmal  ein  reicher  und  schöner  Jüngling, 
der  bei  einem  Gastmahl  von  den  Reizen  und  der  hohen  Kunst  einer 
Lautenspielerin  so  ergriffen  worden  war,  daß  er  sie  um  den  ersten 
Preis,  den  ihr  Eigentümer  forderte,  kaufte  und  von  dieser  Zeit  an 
nur  noch  für  sie  lebte.  Was  nur  ihr  Wunsch  werden  konnte,  hatte 
er  schon  lange  erfüllt,  und  durfte  er  von  ihren  Augen  den  strahlenden 

39 


Schimmer  der  Liebe  lesen,  so  dünkte  ihn  das  köstlicher  als  alles, 
was  die  Dichter  in  ihren  Büchern  geschrieben  hatten.  Da  mochte  es 
freilich  nicht  fehlen,  daß  im  Verlauf  der  Zeit  seine  Habe  immer  mehr 
abnahm,  und  als  er  das  letzte,  was  er  noch  besaß,  verkauft  hatte,  um 
sie  die  Armut  nicht  fühlen  zu  lassen,  war  er  zum  Bettler  geworden. 
Er  beriet  sich  mit  Freunden  und  diese  gaben  ihm  den  Rat,  sich  als 
fahrender  Musiker  auszugeben  und  mit  seinem  Mädchen  die  Gesell' 
schaffen  der  Großen  zu  unterhalten.  Da  wandte  er  sich  von  diesen 
Unverständigen  ab,  die  ihm  zumuteten,  auf  unehrenhafte  Weise  seinen 
Unterhalt  zu  erwerben,  und  kehrte  bedrückt  nach  Hause  zurück.  Als 
ihn  sein  Mädchen  in  Trauer  versunken  sah,  drang  sie  in  ihn,  daß 
er  den  Grund  seines  Kummers  berichte,  und  so  erfuhr  sie,  wie  es  um 
ihn  stand.  Obgleich  nun  auch  sie  ihn  innig  liebte  und  nicht  glaubte, 
das  Trennungsleid  ertragen  zu  können,  sagte  sie  dennoch  zu  ihm: 
„Du  besitzest  ja  noch  ein  Eigentum,  durch  dessen  Verkauf  du  hin" 
reichend  Geld  bekommen  kannst,  um  deinen  Reichtum  wieder  auf' 
bauen  zu  können:  deine  Sklavin.  Gib  mich  dem,  der  dir  das  meiste 
für  mich  bietet."  Und  in  der  Verblendung  der  Not  führte  sie  der 
Jüngling  wirklich  auf  den  Markt  und  hieß  den  Makler  sie  ausbieten. 
Ein  vornehmer  Mann  aus  Basra,  der  sich  gerade  dort  befand,  war 
von  der  Schönheit  und  den  Fertigkeiten  des  Mädchens  so  eingenommen, 
daß  er  alle  anderen  überbot,  und  so  fiel  es  ihm  für  fünfhundert  Gold" 
dinare  zu.  Der  Kadi  schrieb  den  Vertrag,  und  es  war  zu  spät,  vom 
Vertrag  zurückzutreten,  als  der  Bagdader  den  Beutel  mit  den  Gold' 
stücken  in  der  Hand  hielt  und  sie  fortführen  sah,  die  ihm  das 
Köstlichste  im  Leben  war,  so  tapfer  sie  auch  ihr  Leid  verbarg,  um 
das  ihres  Liebsten  nicht  zu  erhöhen. 

Verstört  und  unfähig  eines  Gedankens  wanderte  nun  der  Jüngling 
in  der  Stadt  herum,  bis  ihn  zuletzt  die  Müdigkeit  erfaßte  und  er  in 
eine  Moschee  trat,  um  dort  auf  den  Matten  zu  ruhen.  Mit  seinem 
ganzen  Reichtum  unter  dem  Haupt  entschlummerte  er  und  so  un' 
barmherzig  umfing  ihn  der  Schlaf,  daß  er  nicht  gewahr  wurde,  wie 
ihm  ein  Gauner  den  Beutel  stahl.  So  war  er  denn  wieder  dem  Elend 
preisgegeben,  als  er  erwachte;  er  zerriß  sein  Gewand  und  bestreute 
sich  mit  Asche,  er  fand  kein  Ende  seines  Jammerns  und  weil  ihm 
kein  Pfad  der  Rettung  winkte,  suchte  er  Zuflucht  im  Tod  und  warf 
sich  in  die  Fluten   des  Tigris.   Die  Leute,   die  dieses  sahen,   wußten 

40 


aber  nicht,  daß  er  das  Sterben  als  Erlösung  erwünscht  hatte,  sondern 
zogen  ihn  wieder  aus  dem  Wasser.  Ein  freundlicher  Greis  nahm  ihn 
in  sein  Haus,  ließ  sich  von  ihm  seine  Schicksale  berichten  und  tröstete 
ihn  sodann  mit  warmen  Worten:  „Verzweifle  nicht  an  dem  guten 
Ende  des  bösen  Geschickes!  Wie  die  Welle,  die  dich  töten  sollte, 
aufsteigt  und  niederfällt,  so  wechselt  auch  das  Glück.  Darum  wirf 
dein  Leben  nicht  von  dir,  denn  auf  den  tiefen  Sturz  muß  wieder  die 
Seligkeit  folgen/'  Und  dann  versah  er  ihn  mit  allem,  was  seine  eigene 
Armut  bieten  konnte,  und  entließ  ihn  mit  seinem  Segen  zu  der 
Wanderung,  die  er  antrat. 

Auf  den  Spuren  seiner  Geliebten  zog  der  Jüngling  aus  und  kam 
so  an  das  Meeresufer,  wo  er  ein  prächtig  ausgerüstetes  Schiff  erblickte, 
das  unzweifelhaft  dem  Käufer  seiner  Sklavin  gehören  mußte.  Da 
verdang  er  sich  dem  Obersten  der  Schiffer,  denn  ihr  nur  nahe  zu 
sein,  deuchte  ihm  schon  Befreiung  aus  seiner  tiefsten  Pein ;  er  kleidete 
sich  in  Gewänder,  wie  sie  Bootsleute  tragen,  und  harrte,  daß  der 
Herr  des  Schiffes  und  sein  Mädchen  kämen.  —  Und  nicht  lange 
währte  es,  so  nahte  ein  stolzer  Zug  von  Reitern  und  Kamelen,  die 
mit  den  herrlichsten  Gütern  beladen  waren,  und  riesige  schwarze 
Sklaven  trugen  eine  Sänfte,  der  jetzt  die  Ersehnte  entstieg,  um  sich 
auf  das  Schiff  zu  begeben.  Aber  ihre  Wangen  waren  bleich  und 
Tränen  hingen  an  ihren  seidigen  Wimpern;  gebeugt  war  ihr  Haupt 
und  ihr  lieblicher  Mund  stumm.  Als  sie  ihr  Herr  unter  den  Baldachin 
geleitet  hatte,  der  über  dem  kostbarsten  Lager  aufgerichtet  war,  sprach 
er  zu  ihr:  „Warum  willst  du  nicht  vom  Seufzen  und  Klagen  lassen; 
warum  quälst  du  dein  eigenes  Herz,  dem  nur  Vergessen  frommen 
kann?  Ergreife  die  Laute,  damit  duldeinen  Schmerz  vergessest  und 
zugleich  uns  erfreuest!"  Widerstrebend  nahm  das  Mädchen  die  Laute 
und  ließ  sie  ertönen,  bis  sie,  endlich  selbst  fortgerissen  von  den 
Tönen,  die  aus  ihren  Saiten  strömten,  ein  Liebeslied  zu  singen  begann, 
daß  sich  die  Herzen  aller  erhoben;  ihr  Sehnen  aber  wuchs,  als  sie 
dessen  dachte,  vor  dem  sie  diese  Lieder  oft  gesungen  hatte,  daß  ihr 
mit  einemmal  die  Laute  entfiel  und  sie  in  tiefe  Ohnmacht  sank. 
Indessen  man  sie  mit  duftenden  Essenzen  zu  laben  suchte,  nahm  ihr 
Geliebter  in  der  Tracht  der  Schiffsleute  das  Instrument  vom  Boden 
auf  und  stimmte  es  nach  einer  Weise,  die  nur  er  und  die  Sängerin 
kannte,  um  ihr  so  heimlich  seine  Anwesenheit  zu  verkünden. 

41 


Bald  schlug  sie  wieder  die  Blicke  auf,  die  kühlende  Luft  des  Wassers 
erfrischte  ihre  brennenden  Augen.  Der  Edle  aus  Basra  hieß  Speisen 
und  Getränke  auftragen,  damit  er  im  Kreise  seiner  Freunde  bei  der 
Fahrt   in  der  funkelnden  Nacht  ein  heiteres  Mahl  an  Bord  nähme. 
Und  als  die  Fröhlichkeit  aufstieg,  sagte  er  wieder  zu  dem  Mädchen: 
„Fühlst  nicht  auch  du  die  Freude,  die  aus  den  strahlenden  Sternen 
auf  uns  niedersinkt?  Laß  zu  ihrem  Preis  ein  Lied  zum  Saitenklang 
ertönen!"    Da   griff  sie   gehorsam  und   schweigend   nach   der  Laute; 
doch  kaum  hatte  das  Stäbchen  die  Saiten  berührt,  als  sie  in  höchster 
Erregung  aufsprang  und  rief:  „Wo  ist  er,  der  meinem  Leben  Balsam 
gibt?   Wo   ist  mein  heißgeliebter  Freund?   Kein  anderer   als  er  gab 
dieser  Laute  ihre  Stimmung V   Da  sagte  ihr  Herr:    „Gebe   es  Allah, 
daß  er  in  unserer  Mitte  weilt,  damit  er  deinen  Kummer  stille,"  und 
er   rief  den  Befehlshaber   der   Schiffsleute  und  fragte   ihn:   „Ist   ein 
fremder  Mann  unter  deinen  Leuten?"  Und  dieser  fiel  im  zu  Füßen 
und  entgegnete:   „Verzeih,  wenn  ich  Unrecht   tat,  heute  nahm  ich 
einen  unbekannten  Burschen  in  meinen  Dienst,  damit  er  den  andern 
helfen  könne.   Befiehlst   du   es   aber,    so  wollen  wir   den  unnützen 
Gesellen  in  die  Wellen  werfen,  wenn  er  Schlimmes  angerichtet  hat." 
Der  Edle  ließ  nun  den  Jüngling  vor  sich  bringen  und  sah  ihn  vom 
Schmerz  der  Trennung  und  der  Liebe  befallen  und  vom  Ungemach 
erniedrigt.  Als  er  sodann  seine  Geschichte  vernommen  hatte,  erhob 
er  seine  Rechte  zum  Himmel,  als  riefe  er  den  bleichen  Mond  zum 
Zeugen  und  die  unzählbare  Schar  der  Sterne,  und  sprach:    „Freuet 
euch  beide,  denn  das  Ende  eurer  Leiden  ist  gekommen!  Wie  dürfte 
ich   der  Macht  der  Liebe  nicht   gewähren,   was   sie  heischt?   Sobald 
unser  Fuß  wieder  den  festen  Boden  Basras  fühlt,  will  ich  das  Mädchen 
freigeben,  damit  sie   deine  Gattin  werde,  denn  so,  wie  ich  sie  von 
dir  empfing,  gebe  ich  sie  dir  zurück,  als  hättest  du  sie  meiner  Treue 
anvertraut.  Und  deine  Armut  soll  für  immer  entschwunden  sein.  — 
Doch  nun  laßt  hellen  Jubel  erschallen   und  bannt  die   Klagen  und 
Tränen!"  Und  als  die  beiden  sich  lange  in  den  Armen  gelegen  waren, 
faßte  das  Mädchen  wieder  die  Laute  und  schlug  die  Saiten,  daß  die 
Seligkeit  der  Welt  aus  ihnen  zu  dringen  schien;   die  Sonne  erhob 
sich,  ihr  zu  lauschen  und  die  Vögel  jauchzten  mit  ihr  und  selbst  die 
Fischlein   sprangen   aus   den  Wellen   empor  und  rasch   durchschnitt 
das  Schiff  die  Wogen,  dem  heißersehnten  Ziele  zugewandt. 
42 


Als  eine  Reihe  von  Tagen  in  Lust  und  Heiterkeit  verstrichen  war, 
legte  das  Schiff  an  einer  Insel  an  und  alle  eilten,  nach  langer  Ent' 
behrung  von  neuem  das  Grün  der  Auen  zu  begrüßen.  Den  Jüngling 
aber  lockte  es  tiefer  in  die  Pracht  hinein,  um  aus  bunten  Blumen 
der  Geliebten  einen  Strauß  zu  binden.  Froh  eilte  er  hernach  zum 
Ufer  —  da  sah  er  das  Schiff  in  weiter  Ferne  dahingleiten ;  die  Schiffer 
hatten  diese  Tücke  geplant,  weil  er,  der  Unbedeutende  in  ihrer  Mitte, 
zu  ungeahntem  Glück  emporgestiegen  war.  So  war  er  wieder  in  die 
Tiefe  des  Grams  versenkt  und  getrennt  von  seinem  Mädchen,  verfolgt 
vom  Verhängnis.  Nur  der  Gedanke,  Basra  zu  erreichen,  stand  vor 
seinem  Sinn,  und  als  seine  Verzweiflung  aufs  höchste  gestiegen  war, 
nahmen  ihn  denn  Fischer  auf,  die  in  jenem  Teil  des  Meeres  ihre 
Netze  ausgeworfen  hatten,  und  brachten  ihn  nach  der  Stadt  seiner 
Wünsche.  Doch  wie  unermeßlich  groß  war  sie !  Tagelang  irrte  er  dort 
umher,  um  ein  Zeichen  von  ihr  zu  erhalten,  einen  aus  dem  Gefolge  ihres 
Herrn  zu  sehen.  Er  blieb  ohne  Erfolg,  und  er  war  nahe  daran,  Hungers 
zu  sterben.  Da  erbarmte  sich  der  Herr  des*Himmels  seiner  und  ließ 
ihn  einen  Kaufmann  finden,  der  ihm  das  Anerbieten  stellte:  „Willst 
du  die  Rechnung  meiner  Einnahmen  und  Ausgaben  führen,  so  sollst 
du  täglich  einen  Dirhem  erhalten  und  sorglos  leben."  Was  konnte 
er  anderes  tun,  als  dankbar  in  den  Vorschlag  willigen.  Und  nun 
erfüllte  er  lange  Zeit  treu  seine  Pflicht,  bis  der  Kaufmann  sah,  daß 
man  auf  seine  Zuverlässigkeit  bauen  könne  und  ihm  seine  Tochter 
zur  Frau  gab  und  die  Hälfte  seines  Gewinnes.  Aber  er  blieb  traurig. 

Eines  Morgens  trat  da  ein  Mann  in  den  Laden,  um  Spezereien  zu 
kaufen,  und  auf  den  ersten  Blick  erkannten  sie  einander:  es  war  ein 
Freund  des  vornehmen  Mannes,  der  mit  ihm  auf  dem  Schiffe  gewesen 
war.  Der  führte  nun  den  Jüngling  eilig  in  dessen  Haus,  wo  er  aufs 
herzlichste  willkommen  geheißen  wurde.  Und  jener  sprach  zu  ihm: 
„Preis  sei  Allah,  der  dich  errettete,  denn  wisse :  als  wir  damals  am 
Strand  der  Insel  lagen,  berichteten  mir  die  Leute,  daß  du  von  einem 
wilden  Tier  zerrissen  worden  seist,  und  bekümmert  entschlossen  wir 
uns,  allein  die  Heimreise  zu  vollenden.  Und  als  wir  hier  anlang" 
ten,  gab  ich  dein  Mädchen  frei,  wie  ich  es  gelobt  hatte,  und  fragte 
sie,  was  ich  für  sie  tun  sollte,  da  ich  ja  doch  nicht  alles  halten 
konnte,  was  ich  verheißen  hatte.  Und  sie  bat  mich,  ein  Grabmal 
aufführen   zu    lassen,  darein   dein  Name    gemeißelt  wurde,  und  dort 

43 


verweilt  sie  seit  jenem  Tag  im  Gebet,  in  schwarze  Schleier  gehüllt." 
Doch  schon  hatte  auch  sie  die  Botschaft  der  Freude  ereilt  und  um 
nimmer  voneinander  zu  scheiden,  umarmten  sie  sich  in  jubelnder 
Glückseligkeit.  —  Und  mehr  ist  nun  nicht  zu  berichten,  als  daß  die 
leuchtende  Sonne  nimmer  für  sie  vom  Firmament  wich,  bis  die  Nacht 
kam,  die  alle  Sterblichen  umfängt,  wenn  ihre  Tage  nach  den  ewigen 
Gesetzen  beschlossen  sind.  —  So  mag  das  Geschick  auch  dräuen,  treue 
Liebe  erhebt  sich  kühn  aus  allen  Fährnissen  und  leitet  zum  seligen 
Ziel.  —  Darum  sollst  auch  du  nicht  zagen  und  klagen,  denn  die 
wahre  Liebe  deines  Herzens  wird  sich  aus  den  bangen  Sorgen  leuchtend 
erheben.  —  Eile  nur,  damit  dein  Geliebter  nun  nicht  länger  harren 
möge!"  Doch  als  Chodscheste  seinen  "Worten  folgen  wollte,  war  wieder 
die  Welle  des  Tages  aus  dem  Wogental  der  Nacht  emporgerollt  und 
es  hieß  sich  bescheiden,  bis  die  neue  Dämmerung  einbrechen  wollte. 

Sie  eilte  in  sehnender  Qual  zu  der  Schwelle; 
da  hemmte  sie  wieder  das  Werden  des  Tags, 
der  schon  aus  dem  Düster  sich  fahl  zu  der  Helle 
erhob  wie  das  flüssige  Tal  zu  der  Welle. 


Das  Gezwitscher  der  Vögel  verstummte  allmählich  in  den  Zweigen 
und  der  Lärm  des  Tages  neigte  sich  zur  Ruhe.  Das  leuchtende  Blau 
des  Himmels  ward  matter  und  dunkler,  und  aus  diesem  Schleier 
begannen  die  Gestirne  hervorzulugen,  und  die  wachsende  Mondessichel 
durcheilte  ihre  Bahn.  Als  nun  der  Papagei  Chodscheste  sich  schmücken 
sah,  sprach  er  zu  ihr:  „Laß  nicht  wieder  eine  Nacht  nutzlos  vorüber'' 
gehen,  ohne  den  Traum  deines  Sehnens  geträumt  zu  haben»  sonst 
wird  dein  Gatte  zurückkehren,  ehe  du  das  Ziel  deiner  Wünsche  erreicht 
hast,  und  du  wirst  beschämt  vor  deinem  Geliebten  stehen  wie  der  Edel' 
mann  vor  der  Kriegersfrau."  „Laß  mich  doch  diese  Geschichte  hören," 
bat  die  Anmutige  und  Zeban^awer  öffnete  den  Mund  zu  der  Erzählung 

VON  DER  UNVERWELKBAREN  ROSE  DER  KEUSCHHEIT. 

„In  einer  Stadt  des  unendlichen  indischen  Reiches  lebte  ein  Krieger, 
der  eine  schöne  und  liebevolle  Frau  besaß,  die  er  Tag  und  Nacht 
nicht  verließ,  so  daß  er  keinem  Erwerb  nachgehen  konnte  und  endlich 
auch  das  letzte  zusetzte,  was  er  hatte.  Obgleich  seine  Frau  gar  be* 
scheiden  war  und  sich  in  der  Liebe  zu  ihm  mit  dem  wenigsten 
begnügte,  sagte  sie  doch  eines  Tages  zu  ihm :  „Sag,  Geliebter,  wovon 
sollen  wir  leben,  wenn  du  deinem  Beruf  nicht  nachgehst,  da  die 
letzten  Heller  ausgegeben  sind?  Willst  du  nicht  wieder  einen  Dienst 
suchen?"  Der  Mann  erwiderte  nur :  „Die  Liebe  zu  dir  ist  es,  die  mich 
am  Hause  festhält.  Wie  könnte  ich  mich  von  dir  auch  nur  einen 
Augenblick  trennen?"  Die  kluge  Frau  erkannte  aber  aus  seinen 
Worten,   daß   er  sie   darum  nicht  verlassen  wollte,   weil  er  für  ihre 

45 


Treue  fürchtete,  und  sagte :  „Lieber  Mann,  sei  meinetwegen  unbesorgt 
und  glaube  mir,  daß  nichts  den  Sinn  tugendsamer  Frauen  von  ihrem 
Wege  ablenken  kann,  doch  daß  auch  kein  Mann  seine  Frau  von  der 
Untreue  abhalten  kann,  wenn  ihr  Sinn  danach  steht."  Und  sie  erzählte 
ihm  die  Geschichte  von  dem  Gatten,  der  von  aller  Eifersucht  geheilt 
war: 

„Ein  Prinz  hatte  eine  Gemahlin,  die  vor  allen  Frauen  an  Liebreiz 
strahlte  wie  die  Sonne  unter  den  Himmelslichtern ;  doch  kannte  er 
Eifersucht  nicht  und  wehrte  ihr  nichts  zu  tun,  was  sie  begehrte.  Da 
sie  aber  sah,  wie  andere  Gatten  ihre  Frauen  bewachten  und  hüteten 
und  dennoch  stets  in  der  Furcht  lebten,  betrogen  zu  werden,  war  sie 
ob  seiner  unerschütterlichen  Ruhe  gar  erstaunt.  Einmal  sprach  sie  zu 
ihrer  Milchschwester,  ihrer  liebsten  und  treuesten  Freundin,  von  dem 
verwunderlichen  Gleichmut  ihres  Gemahls;  da  sagte  das  Mädchen, 
das  Schelmereien  über  alles  liebte:  „Willst  du  ihn  auf  die  härteste 
Probe  stellen?"  Und  als  die  Prinzessin  ihr  zustimmte,  verkleidete  sich 
die  Jungfrau  als  Mann  und  begann  mit  ihr  zu  kosen,  als  ihr  Gatte 
das  Gemach  betrat.  Aber  auch  jetzt  geriet  er  nicht  in  Zorn,  obgleich 
sie  sahen,  daß  Furcht  nicht  der  Anlaß  seines  Verhaltens  sein  konnte, 
und  sprach  gelassen  zu  dem  vermeintlichen  Jüngling:  „Erhebe  dich, 
Freund,  denn  ich  habe  größere  Rechte!"  Nun  lachten  die  beiden 
Frauen  hellauf  und  erzählten  dem  Prinzen,  warum  sie  dieses  Spiel 
gespielt  hätten,  baten  ihn  aber,  doch  den  Grund  zu  nennen,  der  ihn 
die  scheinbare  Untreue  seiner  Frau  so  leicht  ertragen  ließ.  Der  Prinz 
hieß  Speisen  und  Wein  bringen  und  als  sie  bei  fröhlichem  Gelage 
saßen,  hub  er  an,  ihnen  zu  berichten:  „Als  ich  einmal  allein  und 
unbewaffnet  im  wilden  Wald  wandelte,  sah  ich  einen  furchtbaren 
Elefanten  mit  einer  Sänfte  auf  seinem  Rücken  eilend  gegen  mich 
herankommen.  Da  ich  nicht  wußte,  was  er  im  Sinne  hatte  und  in 
der  Tollwut  sich  losgerissen  zu  haben  schien,  erstieg  ich  einen  hohen 
Baum.  Gerade  im  Geäst  dieses  Baumes  streifte  der  Riese  den  Trag' 
stuhl  von  seinem  Nacken  und  begann  zu  grasen.  Ich  aber  erblickte 
in  den  Polstern  der  Sänfte  eine  reizende  Frau,  die  mir  zuwinkte ;  ich 
kletterte  zu  ihr  herab  und  ließ  mich  neben  ihr  nieder.  Wir  plauderten 
miteinander  und  während  in  meinem  Herzen  der  Wunsch  erwachte, 
sie  zu  küssen  und  zu  umarmen,  sah  ich  auch  sie  mich  mit  verliebten 
Seitenblicken  betrachten,  so  daß  wir  bald  dem  gleichgerichteten  Ver" 

46 


langen  erlagen  und  in  seliger  Vereinigung  ruhten.  Dann  griff  die 
Schöne  in  ihre  Tasche  und  entnahm  ihr  eine  seidene  Schnur,  in  die 
viele  Knoten  geschlungen  waren,  um  noch  einen  zu  den  andern  zu 
knüpfen.  Ich  forschte  nach  der  Bedeutung  ihres  Tuns  und  sie  gab 
mir  lachend  diese  Erwiderung:  „Der  Elefant,  auf  dem  ich  hieher  kam, 
ist  mein  Gatte,  ein  gewaltiger  Yogin  und  Zauberer,  der  diese  Gestalt 
annahm  und  in  Wüsten  und  Urwäldern  herumstreift,  um  mich  in 
seiner  übergroßen  Eifersucht  zu  bewachen.  Mit  seiner  Vorsicht  ver' 
lockte  er  mich  aber  zur  listigen  Untreue,  und  zum  Gedenken  so  vieler 
wonnesamer  Stunden,  die  ich  in  den  Armen  fremder  Männer  genoß, 
knüpfe  ich  diese  Knoten  in  die  Schnur,  und  heute  durfte  ich  den 
hundertsten  schlingen,  denn  du  bist  der  hundertste,  der  mich  in 
heißer  Liebe  umfing."  Nach  einer  Weile  kehrte  der  Elefant  zurück; 
ich  verbarg  mich  in  den  Zweigen  und  er  nahm  unbesorgt  den  Trag-* 
stuhl  wieder  auf  seinen  Rücken  und  trabte  fort.  Dieses  Abenteuer 
hatte  mich  aber  gelehrt,  die  Unvernunft  der  Eifersucht  zu  durch' 
schauen  und  gab  mir  für  immer  die  Ruhe  des  Herzens,  die  ihr 
erkannt  und  erprobt  habt." 

„Ich  hoffe,"  so  schloß  die  Frau  ihre  Worte,  „daß  du  nun  auch  alle 
Besorgnisse  ablegst  und  bei  einem  Großen  die  Dienste  nimmst,  die 
dein  Beruf  mit  sich  bringt.  —  Damit  du  aber  auch  ferne  von  mir 
stets  ein  Zeichen  meiner  Treue  besitzest,  so  nimm  diesen  Strauß 
blühender  Rosen  und  wisse,  daß  sie  frisch  und  duftig  bleiben  werden, 
solange  ich  nur  deiner  gedenke;  siehst  du  sie  aber  welken,  so  habe 
ich  dir  die  Treue  gebrochen."  Der  Mann  nahm  dieses  Zeichen  an  und 
begab  sich  sogleich  zu  einem  jungen  Emir,  um  in  die  Reihen  seiner 
Krieger  aufgenommen  zu  werden.  Der  Edelmann  warb  ihn  und  er 
zog  nun  mit  dessen  Scharen  überallhin  mit,  wo  dieser  seinen  Wohn" 
sitz  aufschlug.  Immer  trug  er  aber  die  Rosen  an  seiner  Brust,  die 
wie  am  ersten  Tage  Frische  und  Wohlgeruch  bewahrten.  Und  auch 
die  Winterszeit,  in  der  die  Blumen  und  Blüten  der  Gärten  und  Felder 
allesamt  dorrten  und  abfielen,  vermochte  sie  nicht  zu  berühren,  so 
daß  sich  sein  Gebieter  darüber  verwunderte  und  den  Krieger  vor  sich 
rufen  ließ.  Und  als  dieser  vor  ihm  erschien,  fragte  er  ihn:  „Sag  mir 
doch,  wie  du  zu  dieser  Jahreszeit  alltäglich  einen  frischen  Rosenstrauß 
erhalten  kannst?"  Und  der  Mann  erwiderte:  „Ebendiese  Rosen  nahm 
ich  aus  der  Heimat  mit;  sie  sind  das  Sinnbild  der  Keuschheit  meiner 

47 


Frau,  die  ich  dort  zurückließ."  Da  lachte  der  Emir  und  dachte,  daß 
diese  Frau  wohl  eine  Hexe  sein  müßte,  und  wollte  nimmermehr  an 
die  Wahrheit  dieses  Zeichens  glauben. 

Da  ihm  die  Sache  aber  keine  Ruhe  ließ,  rief  er  einen  seiner  Pagen, 
der  durch  Gewandtheit  und  List  schon  so  manches  Wunderbare  ver" 
richtet  hatte,  und  befahl  ihm:  „Begib  dich  zu  der  Frau  dieses  Kriegers 
und  suche  sie  zu  verführen.  Ist  dir  dieses  gelungen,  so  kehre  rasch 
zurück,  damit  wir  sehen,  ob  die  Blumen  trügen  oder  Rechtes  künden." 
Der  Jüngling  machte  sich  auf  den  Weg  und  als  er  in  jene  Stadt  gc 
kommen  war,  ließ  er  nichts  unversucht,  um  alles  über  die  Frau  in 
Erfahrung  zu  bringen ;  er  konnte  aber  nicht  mehr  erkunden,  als  daß 
sie  einsam  in  ihrem  Hause  wohnte;  und  so  richtete  er  sein  Augen' 
merk  darauf,  seine  Absicht  durch  eine  Kupplerin  zu  erreichen,  und 
aus  dem  Munde  der  lockeren  Gesellen  der  Stadt  erfuhr  er  auch  den 
Namen  einer  solchen.  Er  ging  zu  ihr  und  versprach  ihr  reichen  Lohn, 
wenn  sie  ihm  jene  Frau  gefügig  machte.  Die  Unterhändlerin  der  Liebe 
machte  sich  an  diese  heran,  aber  die  Frau  des  Kriegers  war  zu  klug, 
als  daß  sie  nicht  die  Alte  hätte  irreführen  können.  Sie  tat,  als  ob  sie 
langsam  von  ihren  Verlockungen  verführt  würde  und  sagte  endlich 
zu  ihr :  „ Vor  allem  mußt  du  den  Jüngling  zu  mir  bringen."  Als  aber 
der  Page  kam,  sagte  sie  heimlich  zu  ihm:  „Vertraue  der  Kupplerin 
nicht,  denn  vor  ihr  ist  kein  Geheimnis  sicher!  Geh  mit  ihr  fort,  gib 
ihr  etwas  Geld  und  sprich  zu  ihr :  „Dich  kann  kein  Vorwurf  treffen, 
aber  ich  will  von  dieser  Frau  nichts  mehr  wissen,  denn  ihre  Gestalt 
und  Schönheit  trog  aus  der  Ferne."  Und  komme  dann  allein  und 
verstohlen  zu  mir,  damit  unsere  Liebe  nicht  offenkundig  wird."  Dieser 
Rat  gefiel  dem  Pagen  und  er  handelte  nach  ihren  Worten.  Die  Frau 
stellte  indessen  ein  Bett  über  die  Öffnung  eines  ausgetrockneten 
Brunnens  in  ihrem  Hause  und  befestigte  das  Lager  mit  haltlosen 
Bändern.  Als  der  Jüngling  in  der  Dämmerung  zu  ihr  kam,  lud  sie 
ihn  zärtlich  ein,  sich  darauf  niederzulassen;  und  kaum  streckte  er 
sich  aus,  als  er  schon  in  die  Tiefe  versank.  Während  er  unten  schrie, 
verlachte  ihn  die  Frau  und  befahl  ihm,  alles  zu  erzählen,  was  ihn  zu 
ihr  geführt  hatte.  In  der  Hoffnung,  durch  die  Wahrheit  die  Befreiung 
zu  gewinnen,  verschwieg  er  nichts ;  aber  er  mußte  dennoch  in  seinem 
Brunnen  bleiben  und  lebte  verzweifelt  und  kümmerlich  von  dem, 
was  ihm  die  Frau  an  Nahrung  und  Trunk  hinunterließ. 
48 


Als  der  Page  allzulange  fernblieb,  sandte  der  Emir  dessen  Bruder, 
der  ihm  an  Schlauheit  nicht  nachstand,  mit  dem  gleichen  Befehl 
fort.  Der  treuen  Frau  gelang  es  aber,  ihn  in  derselben  Weise  zu  fangen 
wie  den  anderen,  so  daß  jetzt  die  Brüder  miteinander  trübselig  in  der 
Grube  saßen.  Nachdem  wieder  eine  Weile  verstrichen  war  und  auch 
der  zweite  Page  ausblieb,  erkannte  der  Edelmann,  daß  ein  Unheil 
geschehen  war,  und  beschloß,  selbst  nachzuforschen.  Darum  bot  er 
sein  Gefolge  wieder  auf  und  zog  in  die  Stadt,  aus  der  der  Krieger 
stammte.  Dieser  eilte  sogleich,  als  sie  ihre  Zelte  aufgeschlagen  hatten, 
in  sein  Haus,  umarmte  sein  Weib  in  der  überquellenden  Freude  des 
Wiedersehens  nach  langer  Trennung  und  gab  ihr  den  Rosenstrauß 
zurück  mit  den  Worten:  „Du  hast  das  Wunder  der  Keuschheit  voll' 
bracht;  nie  wieder  will  ich  an  dir  Zweifel  hegen."  Als  sie  aber  die 
glückliche  Nacht  der  Wiedervereinigung  gefeiert  hatten,  sagte  die  Frau 
zu  ihrem  Mann:  „Lade  deinen  Herrn  heute  zum  Mahl  zu  dir  und 
versprich  ihm,  daß  er  bei  dir  die  Antwort  auf  eine  schwere  Frage 
finden  wird."  Erstaunt  nahm  der  Krieger  diesen  Auftrag  entgegen, 
doch  tat  er,  wie  ihm  seine  Frau  geheißen  hatte.  Und  der  Edelmann  wil' 
ligte  gern  ein,  obgleich  auch  er  den  Sinn  ihrer  Worte  nicht  verstand. 

Die  Frau  hatte  eilig  die  beiden  Pagen  aus  der  Tiefe  des  Brunnens 
gezogen  und  sprach  zu  ihnen:  „Ich  habe  heute  Gäste  und  wünsche, 
daß  ihr  als  Mädchen  aufwartet,  da  ich  keine  Dienerinnen  habe ;  dann 
will  ich  euch  freigeben  und  ihr   sollt  ziehen,  wohin  ihr  wollt."   — 

—  Als  die  Stunde  des  Mahles  gekommen  war,  trugen  die  Brüder,  in 
Frauenkleider  gehüllt,  die  Speisen  auf;  der  Krieger  wunderte  sich 
wohl,  woher  sie  kämen,  doch  sprach  er  kein  Wort.  Der  Emir  aber, 
der  seine  beiden  Diener  nicht  erkennen  konnte,  weil  sie  sich  durch 
die  lange  Zeit  ihres  Verweilens  in  der  dunklen  Tiefe  verändert  hatten, 
fragte  die  Frau:  „Sag  doch,  welche  Übeltaten  haben  diese  Mädchen 
begangen,  daß  ihre  Haare  geschoren  wurden?"  Da  entgegnete  sie 
lachend:  „Sie  büßen  das  Verbrechen  eines  anderen!"  und  erzählte 
nun  der  Reihe  nach,  wie  sich  alles  begeben  hatte.  Auch  die  Brüder 
fielen  jetzt  ihrem  Herrn  zu  Füßen,  gaben  sich  ihm  zu  erkennen  und 
bezeugten  die  Wahrheit  dessen,  was  er  von  der  Frau  erfahren  hatte. 

—  Beschämt  gestand  der  Edelmann  sein  Unrecht  und  bat  um  Ver* 
gebung;  er  erhöhte  den  Krieger  zum  Hauptmann  seines  Gefolges  und 
zu  seinem  Tischgenossen. 

4  49 


Hüte  dich  darum,  teure  Herrin,  gleichfalls  die  Gluten  der  Bc 
schämung  vor  deinem  Geliebten  zu  erfahren  und  zaudere  nicht,  ihn 
zu  beglücken."  Als  der  Vogel  aber  mit  seiner  Geschichte  zu  Ende 
war,  hatte  auch  die  Nacht  ihr  Ende  gefunden ;  der  Mond  war  zu  der 
Ruhestätte  seiner  Bahn  gelangt  und  die  Sterne  verblaßten  vor  dem 
Nahen  des  Tages.  Wieder  hatte  Zeban^awer  seinen  Plan  zum  Erfolge 
geführt  durch  seine  Weisheit  und  die  Lieblichkeit  seiner  Rede;  der 
Plan  Chodschestes  aber  war  wieder  für  eine  Nacht  mißglückt  und  sie 
mußte  bis  zur  kommenden  Nacht  ausharren. 

Und  wieder  verlangte  im  glühenden  Kosen 
Chodscheste  zu  ruhn,  doch  der  Sittich  erfand 
zur  Freude  der  liebeslustsprühenden  Losen 
die  Mär  von  den  nimmer  verblühenden  Rosen. 


In  schwarzem  Gewand  mit  silbernem  Schmuck,  umgeben  von  ihrem 
glänzenden  Gefolge,  zog  die  Herrin  Nacht  empor;  schon  nahten  im 
sieghaften  Aufzug  die  Scharen,  die  vor  ihr  einherziehen,  um  den 
freien  Weg  zu  bahnen,  die  blutrot  gepanzerten  vorerst,  denen  in  immer 
dunkleren  Rüstungen  die  folgenden  nacheilten.  Da  war  es  wieder  die 
Zeit  für  Chodscheste,  sich  bei  dem  Papagei  Rat  und  Zuspruch  zu 
holen,  ehe  sie  ginge.  Und  wieder  lobte  der  listige  Vogel  ihre  Absicht 
und  sprach:  „Wunderliebliche  Herrin,  stille  dein  Verlangen  in  der 
Vereinigung  mit  dem  Geliebten  und  fürchte  nichts,  denn  ich  weiß 
wohl,  daß  du  deinesgleichen  an  Klugheit  nicht  findest  und  gewiß  so 
weise   und   überlegt  zu  erwidern  weißt  wie  in  gar  gefahrvoller  Lage 

DIE  GEISTVOLLE  TOCHTER  DES  WEZIRS  VON  KIRMAN\ 

„Laß  mich  nicht  unbelehrt  und  unberaten  von  dir  gehen,  teurer 
Zeban^awer,"  bat  Chodscheste.   Darum  hub  der  Sittich  an: 

„Der  Fürst  von  Kirman  wandelte  einstmals  in  den  Gärten  seines 
Palastes  mit  seiner  strahlendschönen  Gemahlin;  und  die  Sklavinnen 
brachen  von  den  Blumen,  die  in  überreicher  Fülle  dort  sprießten,  und 
wanden  Sträuße  aus  den  Rosen,  Hyazinthen,  Veilchen,  Narzissen, 
Tulpen  und  wie  die  Blüten  alle  heißen  mögen.  Als  aber  der  Blick 
der  Königin  auf  die  Gewinde  gefallen  war,  wandte  sie  sich  ab  und 
verschleierte  ihr  Antlitz.  Verwundert  fragte  ihr  Gatte  nach  der  Bc 
deutung  ihres  Tuns  und  sie  erwiderte  ihm :  „Wie  dürfte  ein  anderes 
Auge  als  das  deine  auf  mir  ruhen,  edler  Herr?  Und  mir  wars,  als 
schaute  die  Narzisse   auf  mich    wie   der  freche  Blick   eines  fremden 

*•  51 


Mannes."  Beglückt  von  der  Keuschheit  seiner  Gattin  zog  sie  der  König 
liebevoll  an  sich  und  geleitete  sie  sodann  zum  Mahle;  doch  als  sie 
noch  verschleiert  den  Saal  betrat,  begann  ein  gebratener  Vogel,  der 
auf  dem  Tische  stand,  so  hell  zu  lachen,  daß  man  ihn  in  der  ganzen 
Stadt  vernahm.  Niemand  aber  konnte  den  Grund  dieses  Lachens  er' 
finden,  obgleich  der  Fürst  im  Verlangen  nach  solcher  Erkenntnis  Gc 
lehrte  und  Derwische,  Astrologen  und  Zeichendeuter  rief.  Da  befahl 
er  seinem  Wezir :  „Künde  du  mir,  warum  der  Vogel  gelacht  hat,  oder 
du  mußt  sterben  \u  Dieser  bat  um  fünf  Tage  Frist,  damit  er  die  Ur' 
sache  erforschen  könnte,  und  diese  Bitte  ward  ihm  gewährt.  In  Ver" 
zweiflung  begab  er  sich  nach  Hause,  denn  er  sah  den  schimpflichen 
Tod  vor  sich,  weil  er  nicht  wußte,  wie  er  die  Antwort  finden  sollte. 
So  sah  ihn  seine  Tochter,  die  in  inniger  Liebe  an  ihrem  Vater  hing, 
und  bat  und  flehte,  er  möge  ihr  doch  verraten,  warum  seine  Stirne 
kraus  und  seine  Augen  trüb  wären.  Nun  erzählte  er  ihr  genau,  was 
sich  zugetragen  hatte.  Das  Mädchen  umschlang  ihn  aber  in  heller 
Freude  und  rief:  „Sei  unverzagt,  Vater,  und  laß  Furcht  und  Trauer ! 
Eile  zum  König  und  künde  ihm,  daß  ich  die  Lösung  geben  werde." 
Da  lebte  der  edle  Wezir  von  neuem  auf,  kehrte  rasch  wieder  zum 
König  zurück  und  berichtete  ihm  alle  ihre  Worte.  Hoch  erfreut  hieß 
er  sie  vor  sich  bringen.  Als  die  Jungfrau  aber  in  den  Saal  des  Fürsten 
getreten  war  und  Gruß  und  Segenswunsch  gesprochen  hatte,  redete 
sie  ihn  an :  „Deiner  Weisheit  übertrug  der  Schöpfer  des  Himmels  und 
der  Erde  Entscheidung  und  Lösung  aller  Zweifel.  Warum  suchst  du 
fremde  Hilfe?  —  Bestehst  du  aber  auf  deinem  Befehl,  so  vernimm 
meine  Erwiderung:  Der  Vogel  lachte,  weil  deine  Gattin  verschleiert 
nahte."  Nach  diesen  Worten  verließ  sie  die  Halle  und  der  König 
versank  in  Nachdenken,  denn  ihn  dünkte  diese  Antwort  nicht  weniger 
geheimnisvoll  als  das  rätselhafte  Lachen  selbst.  Schlaflos  durchwachte 
er  die  Nacht  und  befahl  am  folgenden  Tage  die  Tochter  des  Wezirs 
wieder  zu  sich.  Und  dann  bat  er  sie,  den  Knoten  zu  lösen,  den  sie 
selbst  geschürzt  hatte.  Sie  aber  entgegnete  ihm:  „Wenn  du,  edler 
Fürst,  das  Geheimnis  selbst  nicht  zu  lösen  vermochtest,  so  freue  dich 
darob ;  doch  dringe  nicht  in  mich,  den  Schleier  zu  heben,  der  die  Er-' 
kenntnis  verhüllt.  Ist  doch  nicht  der  geringste  der  hundert  Namen 
Allahs  ,der  Verhüller',  denn  oft  bringt  Wissen  Leid  im  unabänder" 
liehen  Lauf  des  Geschickes.  Und  bittere  Reue  ist  das  Los  derer,  die 
52 


verschlossene  und  verbotene  Tore  freventlich  gewaltsam  öffnen."  Und 
sie  wußte  mit  klugen  Worten  und  lehrenden  Beispielen  aus  ver' 
gangenen  Zeiten  die  klare  Antwort  hinauszuschieben. 

So  handelte  das  Mädchen,  bis  der  fünfte  Tag  gekommen  war,  der 
über  Leben  und  Tod  ihres  Vaters  entscheiden  sollte.  Da  sprach  sie 
zum  Fürsten :  „Wenn  du  darauf  beharrst»  die  volle  Wahrheit  zu  ver' 
nehmen,  so  wird  heute  der  Abend  nicht  anbrechen,  ohne  daß  du 
deinen  Wunsch  erfüllt  siehst.  Doch  gib  mir  zuvor  Erlaubnis,  eine 
Frage  an  dich  zu  richten!"  Gern  willigte  der  König  darein,  und  so 
sprach  sie:  „Gulfischan,  dein  treuer  Vertrauter,  schmachtet  im  Ge' 
fängnis;  gib  mir  Bescheid,  warum  du  ihn  in  Ketten  legen  ließest." 
Und  der  König  erwiderte :  „Einstmals  fanden  sich  Gesandte  des  Kaisers 
bei  mir  ein  und  wurden  mit  hohen  Ehren  empfangen.  Zu  ihrer  Er' 
heiterung  ließ  ich  die  Meister  des  Saitenspiels  und  des  Gesanges  an 
meinen  Hof  rufen;  vor  ihnen  turnierten  die  kühnsten  Recken  auf 
schäumenden  Rossen  mit  Speer  und  Schwert ;  was  Kirman  an  Wunder' 
barem  und  Seltsamem  barg,  sollten  sie  zu  ihrer  Freude  schauen.  Und 
so  kam  es,  daß  ich  eines  Tages  auch  Gulfischan,  meinen  Vertrauten, 
einlud,  denn  er  besitzt  die  Gabe,  stets,  wenn  er  lacht,  Blumen  aus 
seinem  Munde  zu  streuen,  so  daß  ihn  gleichsam  ein  blühender  Blumen' 
garten  umgibt.  Als  er  aber  vor  den  fremden  Gästen  erschien,  war 
sein  Mund  verschlossen  und  er  ließ  mich  beschämt  vor  jenen,  die 
nun  an  der  Wahrheit  meiner  königlichen  Worte  Zweifel  hegen 
mochten.  Darum  hieß  ich  ihn  ins  Gefängnis  werfen."  „Und  du  erfuhrst 
nicht,  weshalb  Gulfischan  nicht  lachte?"  fragte  die  Jungfrau  wieder, 
und  als  der  König  sein  Haupt  verneinend  schüttelte,  fuhr  sie  fort: 
„Wisse,  daß  du  ungerecht  gehandelt  hast,  da  du  straftest,  ohne  zu 
verhören.  Willst  du  wissen,  warum  der  Vogel  lachte,  so  muß  ich 
wissen,  was  der  Grund  war,  der  deinem  Freunde  das  Lachen  im 
Munde  verschloß.  Staunend  wirst  du  erkennen,  daß  die  gleiche  Ur' 
sache  Gegensatz  und  Gegensatz  veranlassen  kann."  Augenblicklich  ließ 
der  Herrscher  den  Gefangenen  befreien,  ihn  baden  und  in  prächtige 
Gewänder  kleiden  und  hernach  in  den  Diwan  führen.  Und  als  er  nun 
kam  und  zu  seinen  Füßen  niederfiel,  um  seiner  Gnade  zu  danken, 
befahl  er  ihm,  zu  berichten,  warum  er  an  jenem  verhängnisvollen 
Tage  sein  Geheiß  nicht  befolgt  hätte.  „Nimmer  hätte  ich  davon  gc 
sprochen,"   erwiderte   Gulfischan,  „denn  eigenstes  Leid  verberge   der 

53 


Weise  in  der  Tiefe  des  Herzens.  Doch  da  ich  deine  Gebote  nie  miß" 
achten  will,  so  sei  mein  Geheimnis  offenbart:  Glaube  mir,  König, 
auch  damals  wollte  ich  dir  gehorsam  sein,  doch  ich  vermochte  es 
nicht,  denn  lähmender  Kummer  lag  auf  meiner  Seele,  wußte  ich  doch, 
daß  zu  der  Zeit,  da  ich  vor  deinem  Angesichte  stand,  meine  Gattin 
mit  einem  fremden  Mann  buhlte." 

Als  der  Fürst  diese  Erwiderung  vernommen   hatte,   schlug  er  zart 
mit  einer  Blume,  die  er  in  der  Hand  hielt,  im  Scherz  die  Königin, 
die  an  seiner  Seite  saß,   als  wollte  er  sagen:   „Sieh,  wie  böse  Frauen 
auf  der  Erde  wandeln,  indes  du  auch  den  Blick  einer  Narzisse  nicht 
ertragen  kannst!"  Sie  aber  tat,  als  ob  sie  durch  diesen  Schlag  in  Ohn' 
macht  fiele.  Kaum  war  dieses  aber  geschehen,  öffnete  Gulfischan  seinen 
Mund  zu  herzlichem  Lachen,  so  daß  ein  Regen  von  Blumen  zur  Erde 
sank.  Doch  der  König  ergrimmte  und  rief:    „Gesteh,   was  dich  zum 
Lachen  brachte!"    Und  jener  sprach:    „Wie  dürfte  ich  das  sagen,   da 
mich  dann  dein  Zorn  noch  härter  treffen  wird."  Da  sicherte  ihm  der 
Fürst  Freiheit  von  jeder  Strafe  zu,  wenn  er  die  reine  Wahrheit  spräche, 
und  so  begann  er:  „Als  ich  in  der  Tiefe  des  Gefängnisses  lag,  schleppte 
ich  mich  an  das  Fenster,   durch   das   die  Freiheit  hereinlachte,   und 
schaute  tränenden  Auges  hinaus.   Und   ich  konnte  mich  davon   auch 
nicht  losreißen,   als   die  Nacht  einfiel.    Wie   nun   Dunkel   die  Welt 
umzog,  bot  sich  mir  ein  sonderbares  Schauspiel,  denn  ein  wunderbar 
schönes    Weib    nahte    zögernd    und   furchtsam    dem   letzten    deiner 
Elefantentreiber  und  umschlang  ihn  in  heißer  Liebe ;  er  schalt  sie  in' 
dessen  und  schlug  sie  grausam  mit  seiner  Peitsche,   da  sie  ihn  hätte 
warten  lassen.  Mit  Schmeichelworten  und  Kosen  besänftigte  sie  ihn 
aber  und  tat  der  harten  Schläge  auch  nicht  Erwähnung,  während  nun 
deine  Gattin  von  dem  leichten  Streich  der  Blume  in  Ohnmacht  fiel. 
Darüber   mußte   ich   lachen,   denn  —   jenes  Weib   war   die  Königin! 
Und  du  mußt  auch  jetzt  noch  die  Striemen  an  ihrem  Leibe  erkennen 
können."    —   Nichts  vermochte  mehr   die  Schuldigen  zu  retten  und 
bald  war  das  Urteil  über  die  beiden  untreuen  Frauen,  die  des  Königs 
und  die  Gulfischans,   sowie   über   ihre   beiden  Liebhaber  gesprochen. 
Leben  und  Ehre  des  Wezirs  aber  waren  gerettet  und  er  dankte  beides 
der  Klugheit  seiner  Tochter.    Und   obgleich   der   Fürst  hinfort   alle 
Frauen  mied,  schenkte  er  ihr  allein  seine  Freundschaft  und  die  Huld 
seines  Vertrauens  und  richtete  sich  stets  nach  ihrem  weisen  Rat. 
54 


Da  ich  nicht  zweifle,  daß  auch  du  die  richtigen  Worte  zu  finden 
weißt,  magst  du  dich  kühn  in  jede  Gefahr  begeben.  Glaube  mir  aber, 
daß  es  immer  besser  ist,  selbst  wenig  zu  reden  und  so  im  Verborgenen 
zu  bleiben,  aus  den  Worten  des  anderen  aber  dessen  Seele  zu  er' 
forschen. "  „Wie  mag  das  geschehen?"  fragte  eifrig  die  liebreizende 
Chodscheste,  und  der  Papagei  erklärte  ihr :  „Das  Herz  des  Menschen, 
das  unsichtbar  in  seiner  Brust  schlägt,  offenbart  sich  in  den  Gedanken, 
die  zur  Erscheinung  in  Tat  und  Wort  drängen.  Bergen  aber  auch  die 
Handlungen  noch  viel  des  Geheimnisvollen,  so  sind  Worte  und  Reden 
das  offenkundige  Buch  der  Seelen  für  den,  der  darin  zu  lesen  versteht, 
versuchte  der  Gegner  auch  sich  zu  verschleiern  und  zu  verhüllen, 
wie  es  die  wundersame  Geschichte  von  dem  Kleinod  weist,  dessen 
Dieb  die  Königstochter  aus  seinen  Reden  entlarvte."  „Laß  mich  doch 
auch  diese  Geschichte  hören,  damit  ich  mein  Herz  erfreue  und  mich 
belehre,"  bat  Chodscheste.  Doch  ehe  Zeban^awer  mit  der  Erzählung 
beginnen  konnte,  war  Morgen  geworden  und  die  Dienerinnen  kamen, 
um  die  Gebieterin  zum  Morgengebet  zu  holen.  So  ward  die  Erfüllung 
dieser  Freude  wie  die  der  Liebessehnsucht  wieder  verschoben. 

Und  wieder  im  wohlverhohlenen  Wachen 
bewahrte  der  Sittich  Chodscheste  vor  Leid, 
obgleich  zu  der  Schutzbefohlenen  sprachen 
die  Blüten  von  seinem  verstohlenen  Lachen. 


Es  war  zur  allabendlichen  Stunde,  daß  Chodscheste  im  Glanz  ihrer 
strahlenden  Jugend  gleichermaßen  wie  der  glitzernden  Kleinodien  am 
Käfig  des  weisen  und  redekundigen  Papageien  stand  und  mit  Entzücken 

DIE  GESCHICHTE  VOM  SPRUCH  DER  KAISERSTOCHTER 

vernahm,  die  der  Vogel  in  der  vergangenen  Nacht  eingeleitet  hatte. 

„Es  war  einmal  ein  Lumpensammler,  der  sein  armseliges  Leben 
damit  fristete,  daß  er  in  den  Kehrichthaufen  stöberte  und,  was  etwa 
noch  brauchbar  war,  auslas,  um  es  für  sich  zu  verwenden,  es  gegen 
Speisen  einzutauschen  oder  für  wenige  Heller  zu  verkaufen,  mit  denen 
er  die  Notdurft  einiger  Tage  stillte.  Nach  dem  unerforschlichen  Rat" 
Schluß  des  Schöpfers  aber  war  es  ihm  bestimmt,  einmal  im  Abfall 
einen  Edelstein  zu  finden,  dessengleichen  auch  in  den  Schatzkammern 
der  Könige  nicht  verwahrt  wurde.  Niemand  getraute  sich,  den  Stein 
von  ihm  zu  kaufen,  und  niemand  war  auch  imstande,  seinen  Wert 
zu  schätzen.  Freunde,  die  es  gut  mit  ihm  meinten,  gaben  ihm  darum 
diesen  Rat:  „Der  Besitz  dieses  Juwels  kann  dir  keinen  Nutzen  bringen, 
denn  man  wird  dir  die  Wahrheit  nicht  glauben  und  dich  endlich  des 
Raubes  bezichtigen,  so  daß  du  zu  dem  Stein  auch  dein  Leben  verlierst. 
Nur  ein  richtiger  Weg  steht  dir  offen :  begib  dich  zum  Kaiser  und  biete 
ihm  das  Kleinod,  das  keinem  anderen  ziemt,  zum  Geschenk  an,  dann 
wirst  du  in  seiner  Großmut  und  Freigebigkeit  reichen  Lohn  finden." 
Da  der  Arme  ein  kluger  Mann  war,  folgte  er  den  wohlgesinnten  Worten 
und  machte  sich  auf  die  Reise. 

56 


Einige  Tage  schon  war  er  allein  seines  Weges  gewandelt,  als  er 
mit  vier  Männern  zusammentraf,  die  das  gleiche  Ziel  zu  erreichen 
suchten.  So  ergab  es  sich  denn,  daß  sie  sich  einander  anschlössen.  Einer 
der  vier  erspähte  aber  einmal  das  Kleinod  bei  ihrem  Reisegefährten 
und  berichtete  seinen  Gesellen  davon,  die  den  Entschluß  faßten,  den 
Edelstein  um  jeden  Preis  an  sich  zu  bringen.  Wie  nun  der  Lumpen' 
sammler  nach  einem  langen  Marsch  ermüdet  im  tiefen  Schlaf  lag, 
bot  sich  ihnen  die  erwünschte  Gelegenheit  zum  Diebstahl.  Sie  hielten 
es  aber  für  klüger,  ihre  Beute  nicht  etwa  mit  sich  zu  nehmen  und  davon' 
zulaufen,  sondern  sie  blieben  einfach  dort,  als  ob  nichts  geschehen  wäre. 
Kaum  erwacht,  vermißte  der  Beraubte  sogleich  seinen  Schatz  und 
zweifelte  nicht  daran,  daß  er  in  der  Gesellschaft  der  Diebe  war ;  doch 
sprach  er  zu  sich :  Wenn  ich  sie  nun  geradezu  ihres  Verbrechens  bc 
schuldige,  werden  mich  die  Elenden  einfach  totschlagen.  Ich  will  darum 
warten,  bis  wir  zum  Herrschersitz  des  Kaisers  gekommen  sind. 

Nach  diesem  Plan  ließ  er  sich  nichts  merken,  freundschaftlich  wie 
bisher  verkehrte  er  mit  den  Dieben  und  stellte  sich  völlig  arglos. 
Sobald  sie  aber  in  der  Residenz  angelangt  waren,  brachte  er  seine 
Anklage  wahrheitsgetreu  vor  den  Fürsten.  Dieser  hieß  die  Reise' 
begleiter  des  Mannes  herbeiführen  und  hielt  ihnen  das  Verbrechen 
vor,  dessen  sie  bezichtigt  waren.  Sie  aber  leugneten  mit  frechen  Stirnen 
ihre  Tat.  Der  Kaiser  befahl  daher,  den  Ankläger  wie  die  Beschuldigten 
festzuhalten,  denn  er  wollte  in  Gerechtigkeit  den  Verleumder  nicht 
weniger  bestrafen  als  den  Räuber ;  doch  wie  sollte  es  ihm  glücken,  in 
das  Dunkel  des  Falles  das  Licht  des  Rechtes  zu  tragen?  Worte  standen 
allein  gegen  Worte  und  kein  Beweis  bot  sich  [ihm  zur  Entscheidung. 
Darüber  versank  der  Herrscher  in  tiefes  Nachdenken  und  seine 
Stirne  verdüsterte  sich  in  vergeblichem  Sinnen.  —  Er  hatte  aber  eine 
Tochter,  die  an  Schönheit  wie  an  Geistesgaben  vor  allen  Frauen  seines 
Reiches  stand;  und  als  diese  ihren  Vater  bedrückt  von  schweren 
Sorgen  fand,  ließ  sie  ihm  nicht  eher  Ruhe  mit  zärtlichen  Worten 
und  Schmeicheleien,  bis  er  ihr  alles  erzählt  hatte,  was  ihm  zum  ernsten 
Richterspruch  vorgelegt  worden  war.  Die  Kaiserstochter  freute  sich 
darob  und  rief:  „Laß  mich  die  Richterwürde  und  die  Richterpflichten 
in  diesem  ungelösten  Streite  führen.  Ich  werde  das  Geheimnis  lüften 
und  durch  eine  List  die  richtige  Entscheidung  fällen!"  Sobald  ihr 
Vater  darein  gewilligt  hatte,  befahl  sie,   die  vier   des  Diebstahls  an' 

57 


geklagten  Männer  in  ihren  Palast  zu  bringen.  Sie  schmückte  sich  zu 
ihrem  Empfang  und  ließ  Speisen,  Wein  und  Süßigkeiten  auftragen, 
Tänzerinnen  und  Musiker  kommen,  so  daß  die  vier  Schelme  zu 
träumen  glaubten.  Herzlich  hieß  die  Prinzessin  sie  willkommen  und 
weckte  mit  den  Blicken,  die  sie  auf  sie  warf,  in  ihnen  den  Glauben, 
daß  die  Macht  der  Liebe  ihre  Befreiung  erwirkt  hätte.  Dann  sprach 
sie  zu  ihnen:  „Ich  habe  die  Gewißheit,  daß  euch  kein  Verbrechen 
und  keine  Schuld  zur  Last  liegt,  sondern  erkannte  aus  euren  Mienen, 
daß  ihr  edle,  weitgereiste  Männer  seid,  von  deren  Weisheit  ich  manches 
lernen  möchte.  Darum  rettete  ich  euch  vor  der  Folter,  die  mein  Vater 
über  euch  verhängen  wollte,  und  nahm  ihm  das  Versprechen  ab,  den 
Mann  hinrichten  zu  lassen,  der  euch  verleumderisch  anklagte.  Seid 
darum  fröhlich  und  erheitert  auch  mich  durch  eure  Fröhlichkeit. 
Esset  und  trinket  nach  eurer  Lust,  lauschet  der  Musik  und  ergötzt 
mich  mit  Geschichten." 

Die  Räuber  dünkten  sich  im  Paradies  und  schwelgten  in  den  Speisen 
und  Getränken  wie  im  Anblick  der  Prinzessin.  Zu  den  wundersamsten 
Melodien  der  Lauten  und  Flöten  schwatzten  sie  ihre  ungereimten  Ge' 
schichten  und  der  Richterin  kam  in  den  Sinn,  wie  die  Weisen  in 
Ispahan  dereinstens  die  Wahrheit  aus  der  Wirkung  der  Musik  ge' 
lesen  hatten:  dort  war  der  Schah  verblichen  und  hatte  nur  ein 
Söhnlein,  das  noch  an  der  Brust  der  Mutter  lag,  als  Thronerben 
hinterlassen,  das  freilich  noch  nicht  durch  Worte  und  Taten  erweisen 
konnte,  ob  es  würdig  wäre,  einmal  den  Thron  zu  besteigen.  Da  ließen 
die  Gelehrten  das  Königskind  mit  vielen  anderen  in  einen  weiten 
Saal  tragen,  darin  Meister  mannigfache  Weisen  und  Lieder  spielten. 
Und  sie  erkannten  aus  der  Freude  des  Prinzen  dessen  dereinstige 
Größe  und  bestimmten  nach  den  Regungen  der  Lust  bei  den  anderen 
die  Männer,  die  ihm  als  Wezir,  Feldherr  und  Schatzmeister  zur  Seite 
stehen  sollten.  Die  Kinder,  die  zu  den  Klängen  der  Instrumente  ihr 
Schreien  aber  nicht  ließen,  befahlen  sie  aus  dem  Kreis  des  zukünftigen 
Herrschers  zu  entfernen.  —  Darum  ergriff  Mißtrauen  ihre  Seele  und 
sie  fühlte  die  Kraft,  die  entscheidende  Probe  zu  erzwingen.  „Mit 
Staunen  und  Freude,"  so  begann  sie,  „vernahm  ich  eure  Reden,  die 
eure  Bewandtnis  mit  weiten  Vergangenheiten  und  fernen  Stätten,  eure 
Einsicht  und  Erfahrung  zeigten.  Ist  es  euch  recht,  so  will  nun  ich 
euch  eine  Geschichte  erzählen,   die  mit  einer   schweren  Frage  endet, 

58 


deren  Lösung  euch  wohl  leicht  fallen  wird ;  mir  ward  aber  die  Antwort 
nicht  klar.  Die  Geschichte  vernahm  ich  vor  gar  langer  Zeit  und 
dennoch  klingt  sie  mir  noch  im  Ohr,  als  wäre  es  gestern  gewesen.  — 
Höret  zu!"    Geschmeichelt  horchten  die  Gesellen,   als  sie  nun  anhub 

VON  DER    SCHÖNEN  DILEFRUZ   UND  IHRER  TREUE: 

„Zur  Frühlingszeit  war  es  einmal,  da  die  Gefilde  und  Wälder  im 
Hochzeitsschmuck  prangten,  daß  eine  Schar  anmutiger  Mädchen  in 
einem  blühenden  Garten  lustwandelte.  Die  Königin  der  Gespielinnen 
war  sonder  Zweifel  ein  dunkellockiges  Mägdelein,  dessen  Augen  Feuer 
sprühten,  das  die  Herzen  aller  entzündete,  so  daß  sein  Name  ,Dilefruz' 
sich  bewahrheitete;  sie  war  das  Töchterchen  des  reichsten  Kaufherrn 
in  dieser  Stadt,  die  Mazandaran  hieß.  —  Im  Anblick  der  knospenden 
Blumen  öffneten  sich  die  Augen  der  Jungfrauen  weit  und  sie  wett' 
eiferten,  die  schönsten  Blumen  zu  brechen,  bis  Dilefruz'  Blick  an 
einer  Rose  haften  blieb,  die  stolz  im  Schutz  des  Dornengeranks  wie 
eine  Fürstin  unnahbar  im  Eunuchengefolge  strahlte.  Umsonst  war 
alles  Bemühen,  sie  zu  pflücken,  so  daß  ihr  Verlangen  nur  noch  heißer 
wurde  und  sie  endlich  den  Gärtner  rief,  er  möge  ihr  die  Knospe 
bringen.  „Wirst  auch  du  mir  meinen  Wunsch  erfüllen,"  fragte  der 
Bursche,  „wenn  ich  deine  Sehnsucht  stille  ?"  und  unbedacht  nickte  sie 
im  Eifer  Bejahung.  Da  holte  er  die  Rose  vom  Zweig  und  sprach: 
„Gerechten  Lohn  fordere  ich:  ich  gab  dir  die  Blüte,  die  dir  an  Schönheit 
und  Duft  gleicht;  daher  sei  die  Knospe  deiner  Jugend  mein.  Wenn 
der  Abend  deiner  Hochzeit  genaht  ist,  soll  der  erste  Tropfen  des 
Rosenöls  der  Umarmung  mein  Haupt  salben!" 

Es  währte  nicht  lange,  so  freite  ein  edler  Jüngling  um  Dilefruz  und 
mit  Freuden  ward  sie  ihm  von  ihrem  Vater  zugesagt.  Er  brachte  die 
Brautgabe  und  die  Vermählung  wurde  mit  Pracht  und  Glanz  gefeiert. 
Zur  Stunde  aber,  als  das  junge  Paar  zum  erstenmal  das  HochzeitS" 
gemach  betrat,  wehrte  die  Gattin  dem  zärtlichen  Kosen  des  Gatten 
und  berichtete  ihm  von  der  Fessel  des  unbesonnen  gegebenen  Ver' 
Sprechens.  Da  erwiderte  er  ihr:  „Ziehe,  Geliebte,  mit  dem  Segen 
des  Himmels,  der  dich  ungekränkt  zurückleite!  Nimmer  hindere 
mein  Zwang  Erfüllung  heiliger  Zusage!"  —  Zagend  enteilte  die  ge' 
zierte  Braut  und  die  Namen  Gottes  lagen  auf  ihren  Lippen.  Als  sie 
aber  durch  die  Dunkelheit  schritt,  sprang  plötzlich  ein  hungriger  Wolf 

59 


gegen  sie  an.  Ihres  Todes  gewiß,  streckte  sie  die  Arme  flehend  zu  ihm 
und  rief  ihm  zu:  „Gib  mir  Frist,  bis  ich  gelöst  habe,  was  ich  versprach! 
Dann  will  ich  deine  Beute  sein!"  Und  die  Treue  wirkte  das  Wunder, 
daß  das  Herz  des  wilden  Tieres  Erbarmen  fand  und  der  Wolf  in  die 
Tiefen  des  Waldes  zurücklief.  —  Doch  sollte  das  Ungemach  des 
schweren  Ganges  noch  nicht  zu  Ende  sein,  denn  mit  einemmal  stand 
ein  Räuber  vor  ihr,  bereit,  sie  zu  morden,  um  der  kostbaren  Geschmeide 
habhaft  zu  werden,  die  sie  angetan  hatte.  Bangend  und  kühn  zugleich 
redete  sie  ihn  an  und  bat  ihn,  sie  im  Hochzeitsgewande  zu  dem  ziehen 
zu  lassen,  dem  sie  sich  angelobt  hatte,  um  nach  ihrer  Rückkehr  den 
Schmuck  aus  ihren  Händen  zu  empfangen.  Und  als  der  Bösewicht 
von  der  Tat  des  Gatten  vernommen  hatte  und  von  der  Barmherzigkeit 
des  Wolfes,  neigte  auch  seine  Seele  sich  zur  Milde  und  er  hieß  sie 
unbesorgt  ihres  Weges  ziehen.  —  So  gelangte  sie  zu  dem  Garten  und 
fand  den  Burschen  ihrer  harrend.  „Treu  meinem  Worte  bin  ich  jung" 
fraulich  zu  dir  gegangen,"  hub  sie  an.  „Nach  Herzenspein  und  Todes' 
angst  stehe  ich  vor  dir,  entlassen  von  meinem  Gemahl,  verschont  vom 
wilden  Wolf  und  unverletzt  von  den  Händen  des  Räubers,  zu  lösen, 
was  mich  bindet!"  Da  fiel  der  Gärtner  zu  ihren  Füßen  hin  und  be' 
deckte  sie  mit  Küssen.  Und  weinend  sprach  er:  „Verzeih  mir,  Hohe, 
Tugendreine,  den  Frevel,  den  ich  an  dir  verübte !  Wie  dürfte  ich  dem 
Walten  des  gerechten  Himmels  trotzen  und,  was  er  schüvzte,  mit 
meinen  Händen  nur  berühren?  Laß  dich  von  mir  zu  deinem  Haus 
und  zu  deinem  Gatten  führen,  damit  ich  jeden  Schrecken  von  deinem 
Pfade  wehre!"  Und  er  führte  sie  voll  Ehrfurcht  unberührt  zu  ihrem 
Gemahl,  um  hernach  wieder  zu  seinen  Blumen  zu  eilen,  damit  auch 
sie  keine  fremde  Hand  rauh  vom  Zweige  breche.  —  Zu  Glück  und 
Seligkeit  war  Dilefruz  heimgekehrt  und  nach  allem  Leid  ruhte  sie 
in  den  Armen  ihres  Gatten,  der  eine  wohlverschlossene  Perle  an  ihr  fand. 

Nun  sagt  mir,  ihr  Erfahrenen  und  Klugen,"  so  endete  die  Kaisers' 
tochter  die  Geschichte,  „wem  soll  der  Preis  des  Edelmutes  und  der 
Seelengröße  gehören?" 

„Nimmermehr  dem  Ehemann  I"  rief  der  erste.  „"Welche  Torheit  war 
es  doch,  die  Braut  aus  seinen  Armen  ziehen  zu  lassen,  damit  sie  ein 
unsinniges  Versprechen  halte.  Der  Zufall  allein  brachte  sie  ihm  un* 
gekränkt  zurück,  doch  hätte  er  Reue  und  Schande  verdient."  Da  fiel 
ihm  der  zweite  in  die  Rede:    „Törichter  noch  war  gewiß  der  Wolf! 

60 


Wie  konnte  er  seine  Beute  fahren  lassen,  die  Gott  zu  seiner  Nahrung 
gesendet  hatte.  Er  mag  wohl  alt  und  schwach  gewesen  sein,  sonst 
hätte  er  niemals  so  gehandelt."  „Ich  glaube,  edle  Prinzessin,"  fuhr  der 
dritte  fort,  „Wahnsinn  muß  den  Räuber  ergriffen  haben,  daß  er  von 
dem  Reichtum  ließ,  den  ihm  das  Schicksal  in  den  Schoß  warf.  Einmal 
nur  kommt  das  Glück,  dann  gilts,  es  zu  halten."  Der  vierte  aber 
sagte :  „Die  Krone  der  Unvernunft  gebührt  dem  Gärtner.  Nach  Recht 
war  die  Jungfrau,  geschmückt  mit  den  holdesten  Reizen,  zum  Liebes^ 
genusse  ladend,  in  seiner  Hand.  Warum  ließ  er  von  ihr,  wenn  nicht 
Verblendung  seinen  Geist  verhüllt  hätte?" 

So  ging  die  Rede  hin  und  wider;  von  Größe  und  Edelmut  ver* 
mochte  keiner  zu  sagen.  Nun  war  die  Richterin  ihres  gerechten  Urteils 
sicher.  Sie  entließ  die  Männer  und  als  sie  der  Kaiser  am  folgenden 
Tage  in  den  Diwan  lud,  dieweil  sie  glaubten,  es  gälte  den  Lumpen^ 
sammler  ob  seiner  Verleumdung  zu  verdammen,  und  heiteren  Herzens 
in  ihrer  Bosheit  hineilten,  ließ  der  Herrscher  den,  der  den  Räuber 
den  dümmsten  genannt  hatte,  ergreifen  und  man  fand  bei  ihm  das 
Kleinod  verborgen,  so  wie  die  Prinzessin  es  ihrem  Vater  vorausgesagt 
hatte,  denn  ihr  war  seine  höchste  Gier  aus  seinen  Worten  offenbar 
geworden.  Jetzt  mochte  Leugnen  nimmer  nützen.  Die  vier  Diebe 
büßten  ihre  Tat  mit  dem  Leben,  der  Lumpensammler  aber  erfreute 
sich  der  Gnade  und  der  Wohltaten  des  Kaisers  bis  an  sein  Ende  und 
er  ließ  nicht  ab,  die  Weisheit  der  Prinzessin  zu  preisen. 

Vielfache  Lehre,  geliebte  Herrin,"  sprach  Zeban^awer,  „liegt  in  dieser 
Geschichte,  die  ich  vor  dir  ausgebreitet  habe.  Und  prägtest  du  sie 
deinem  Herzen  ein,  so  fandest  du  die  Rosenkette,  mit  der  du  das 
Glück  binden  kannst,  daß  es  dich  nimmer  verlasse.  Eile  zu  seliger 
Umarmung,  wie  sie  Dilefruz  nach  all  den  Schrecken  und  Mühen  fand !" 
Als  aber  Chodscheste  aufsah,  lag  das  Gold  der  leuchtenden  Sonne  auf 
der  Erde  und  blendete  die  Augen,  die  im  Dämmer  der  Märchenwelt 
geöffnet  gewesen  waren.  Wieder  hatte  das  Glück  und  die  Weisheit 
des  Sittichs  ihr  eine  Nacht  geraubt. 

Es  birgt  das  Geheimnis  der  Worte  der  Macht 
Vollendung  —  der  listige  Vogel  so  sprach  — 
wie  zaubererschlossene  Horte  der  Schacht  — 
da  pochte  der  Tag  an  der  Pforte  der  Nacht! 

61 


Wie  das  Licht  der  Lampe  rot  blakend  verglimmt,  wenn  das  Öl 
zur  Neige  geht,  verblaßte  auch  wieder  ein  Tag  und  im  Palast  Meimuns 
suchten  Dienerinnen  und  Diener  die  Lagerstätte  der  Ruhe.  Nur  Chod' 
scheste  wachte  in  sorgenden  Gedanken  und  nahm  nun  wieder  ihre 
Zuflucht  zu  Zeban^awer,  um  seinen  Rat  zu  erfragen.  „Teurer  Papagei," 
redete  sie  ihn  an,  „du  hast  in  deiner  Liebe  zu  mir  schweres  Bangen 
in  mein  Herz  gesenkt,  denn  noch  weiß  ich  nicht,  wie  ich  meinen  Gc 
liebten  aus  seinen  Worten  erkennen  soll.  Darf  ich  mich  doch  nicht 
mit  der  klugen  Kaiserstochter  messen,  von  der  du  mir  berichtet  hast. 
Gib  mir  darum  ein  Mittel,  wie  ich  im  trauten  Beisammensein  mit 
ihm,  aus  dessen  Mund  ich  ja  noch  kein  Wort  vernommen  habe,  die 
Prüfung  anstellen  kann,  um  die  untrügliche  Erkenntnis  seiner  Seele 
zu  gewinnen."  „Nichts  ist  leichter  als  das,"  entgegnete  ihr  der  Vogel. 
„Behalte  nur  wohl  das,  was  ich  dir  jetzt  erzählen  werde,  im  Gedächtnis 
und  wiederhole  getreu  vor  deinem  Geliebten,  sitzest  du  an  seiner  Seite, 

DIE  GESCHICHTEN  MIT  DEN  UNGELÖSTEN  RÄTSELN 

und  seine  Antworten  werden  sein  Denken  und  Fühlen  vor  dir  offenbar 
werden  lassen: 

In  Kabul  war  ein  reicher  Kaufmann,  der  eine  wunderschöne  Tochter 
mit  Namen  Zühra  hatte.  So  viele  Jünglinge  sich  aber  auch  um  sie 
bewarben,  sie  wollte  keinem  von  diesen  als  Gattin  folgen,  denn  sie 
hatte  ihren  Sinn  auf  einen  Gemahl  gelenkt,  der  in  einer  Kunst  oder 
"Weisheit   alle  Menschen   überragte.     Wie   aber  nichts   auf  der  Welt 

62 


eiligeren  Lauf  in  die  Weite  nimmt  als  das  Gerücht  der  Schönheit 
und  Unnahbarkeit,  die  Lockung  des  Erstrebenswerten  und  mühsam 
zu  Erkämpfenden,  so  kamen  bald  von  allen  Ländern  der  Erde  die 
Freier  nach  Kabul.  Und  so  geschah  es,  daß  einmal  sich  drei  Jünglinge 
zugleich  einfanden,  um  Zühras  Hand  zu  gewinnen.  Gastfreundlich 
nahm  sie  der  Kaufmann  auf  und  fragte  sie  nach  erquickendem  Bad 
und  fröhlichem  Mahl  um  die  Art  der  Künste  und  Wissenschaften, 
die  sie  verständen.  „Niemand  auf  der  Welt  kann  sich  mit  mir  in 
der  Schärfe  und  Weite  des  Blickes  messen.  Alles,  was  sich  begibt  und 
begab,  ersieht  mein  Auge,  es  durchdringt  jedes  Verborgensein  und 
wird  von  der  Ferne  nicht  gehemmt."  So  sagte  der  erste.  Der  zweite 
sprach:  „Ich  erwarb  durch  unermüdliche  Versenkung  in  die  Ge' 
heimnislehren  die  Kunst,  jederzeit  ein  hölzernes  Pferd  in  meinen 
Dienst  rufen  zu  können,  das  über  die  Erde  und  durch  die  Lüfte  wie 
der  Wind  dahinfährt  und  mit  Gedankenschnelle  zu  jedem  gewünschten 
Ziel  trägt."  „Und  ich,"  so  redete  der  dritte,  „bin  der  beste  Bogen' 
schütze  unter  allen  Sterblichen,  dessen  Pfeil  nimmer  fehlt." 

Erstaunt  vernahm  der  Vater  Zühras  von  den  hohen  Künsten  der 
Werber  und  befahl,  seine  Tochter  zu  rufen,  damit  sie  entscheide,  wer 
der  würdigste  Gatte  für  sie  sei.  Schrecken  im  Angesicht  aber  kamen 
die  ausgesendeten  Sklaven  zurück:  Zühra  war  entschwunden  und 
keine  Spur  von  ihr  aufzufinden!  Nun  wandte  der  erste  der  drei 
Freier  sein  Auge  nach  allen  Weltrichtungen  und  erschaute  sie  mit 
der  Wundergabe  seines  Blickes:  „Eine  Peri  hat  deine  Tochter  ent' 
führt  und  läßt  sie  auf  dem  unbesteigbaren  Gipfel  des  Wolkenberges, 
um  den  die  Wogen  des  Weltmeeres  branden,  von  einem  furchtbaren 
Drachen  bewachen."  „Nun  mögt  auch  ihr  beide  eure  Künste  weisen," 
sagte  der  Kaufherr.  „Rufe  du  dein  Zauberroß  zum  Luftritt  herbei, 
und  du,  Bogenschütz,  besteige  es  und  eile  zum  Pfeilkampf  mit  dem 
Ungeheuer,  damit  Zühra  befreit  aus  eurer  Mitte  ihren  Gatten  wähle." 
Kaum  hatte  er  seine  Worte  beendet,  spaltete  sich  der  Boden  auf  die 
Beschwörung  des  zweiten  Jünglings  und  goldgesattelt  und  'gezäumt 
stand  das  Pferd  vor  ihnen,  das  nur  des  Atems  entbehrte,  um  der 
schönste  der  Renner  Arabiens  zu  sein.  Kühn  schwang  sich  der  dritte 
Jüngling  auf  seinen  Rücken  und  ein  Augenblick  entführte  ihn  durch 
sausende  Stürme  und  dichte  Wolken  dorthin,  wo  der  flammen' 
speiende  Drache  die  Hut  hielt.  Da  spannte  er  seinen  Bogen  und  von 

63 


der  klirrenden  Sehne  sprang  der  Pfeil,  um  lebenraubend  in  das  Herz 
des  Ungetüms  zu  dringen.  So  befreite  er  die  Jungfrau  und  brachte 
sie  heim  zu  ihrem  beglückten  Vater.  —  Wen  sollte  Zühra  nun  er" 
kiesen,  da  doch  nur  durch  das  Zusammenwirken  der  drei  Freier 
ihre  Rettung  möglich  war? 

Ein  Prinz  von  Babylon  erschaute  einmal  in  einem  heiligen  Tempel 
beim  Fest  der  Ernte  ein  Mädchen,  dessen  Angesicht  wie  das  leuch" 
tende  Gestirn  der  Vollmondnacht,  umschlossen  vom  Dunkel  ihrer 
Lockenpracht,  war  und  dessen  Gestalt  der  schlanken  und  freien 
Zypresse  glich.  Ihr  Anblick  nahm  sein  Herz  gefangen,  und  er  ge" 
lobte  im  Rausch  seiner  Liebe  der  Gottheit,  der  die  Stätte  geweiht 
war,  sein  Leben,  wenn  er  die  Jungfrau  durch  ihre  Huld  zur  Gattin 
erhielte.  Es  fügte  sich  aber,  daß  der  Vater  des  Mädchens  die  Werbung 
des  Königssohnes  annahm  und  ihm  sein  Kind  vermählte.  Der  Prinz 
suchte  seine  Gattin  heim,  und  auch  ihr  Herz  öffnete  sich  inniger  Liebe 
zu  ihrem  Gemahl.  So  schwanden  ihnen  im  Fluge  Tage  und  Nächte, 
verkürzt  von  süßester  Wonne,  bis  der  Königssohn  seines  Gelübdes 
gedachte.  Ohne  zu  zaudern  ging  er  darum  in  jenes  Heiligtum,  beugte 
sich  in  dankbarem  Gebet  vor  dem  Bildnis  des  Gottes  und  warf  sich 
sodann  so  in  sein  Schwert,  daß  sein  Haupt,  losgetrennt  vom  Leib, 
zu  den  Füßen  des  Standbildes  hinsank.  —  Als  der  Prinz  den  Seinen 
aber  fernblieb,  machte  sich  sein  vertrauter  Freund  auf,  nach  ihm  zu 
forschen,  und  fand  ihn  alsbald  leblos  hingestreckt  auf  dem  Boden 
des  Tempels.  Da  verließ  ihn  die  Lust  am  Dasein,  und  in  der  Sehn" 
sucht  nach  der  Vereinigung  mit  dem  treuen  Gefährten  mancher  Jahre 
im  Jenseits  legte  auch  er  seinen  Kopf  als  Opfer  vor  die  Gottheit.  — 
Bange  Gedanken  hatten  indessen  die  junge  Gattin  des  Prinzen  bc 
schlichen,  und  in  Sorge  und  Ungewißheit  eilte  sie  zu  dem  Heiligtum, 
in  dem  sie  ihren  Gemahl  zuerst  gesehen  hatte,  um  Trost  und  Heil 
im  Gebete  zu  suchen.  Doch  kaum  war  sie  in  den  Tempel  getreten, 
fiel  ihr  Blick  auf  die  beiden  Entseelten,  und  nicht  das  Zögern  einer 
Herzschlagdauer  hemmte  sie,  das  Schwert,  das  glitzernd  und  blut" 
befleckt  vor  ihr  lag,  zu  fassen  und  gegen  die  eigene  Brust  zu  richten, 
um  ihrem  geliebten  Gatten  in  den  Tod  zu  folgen.  Da  vernahm  sie 
die  machtvollen  Worte  des  Gottes :  „Töte  dich  nicht,  denn  auch  dein 
Gatte  und  sein  Freund  sollen  wieder  zum  Leben  erwachen,  wenn 
du  nur  wieder  ihre  Köpfe  an  ihre  Körper  fügst."  Im  Taumel  der  Wonne 

64 


und  getrieben  von  jagender  Eile  vertauschte  da  die  Gattin  des  Königs' 
sohnes  die  Häupter,  lebendig  und  heil  sprangen  beide  auf;  doch  nun 
entspann  sich  ein  Streit  zwischen  dem  Rumpf  des  Prinzen  mit  dem  Kopf 
seines  Freundes  und  seinem  Haupt  auf  dem  fremden  Leib,  wem  die 
Gattin  gehöre,  und  jeder  wußte  genugsam  Gründe  für  sein  besseres 
Recht  anzuführen,  wie  ich  es  wohl  nicht  genauer  schildern  muß. 
Doch  gilt  es,  die  richtige  Lösung  zu  finden! 

Ein  Kaufmann  in  Indien,  mit  Namen  Mansur,  der  ein  holdes  und 
keusches  Weib  sein  eigen  nannte,  die  das  Glück  seines  Lebens  war, 
mußte  einstmals  in  wichtigen  Handelsgeschäften  eine  weite  Reise 
machen,  so  daß  seine  Gattin  gar  lange  allein  in  ihrem  Hause  weilte. 
Diesen  Zeitpunkt  ersah  ein  Bösewicht  in  dieser  Stadt,  der  seine 
schamlosen  Augen  zu  der  Krone  der  Frauen  erhoben  hatte,  um  ihrer 
habhaft  zu  werden.  Und  da  ihn  kein  anderes  Mittel  zum  Ziele 
führte,  so  viele  er  auch  versuchte,  trat  er  endlich  in  den  Dienst  eines 
frommen  Mannes,  der  in  Gebet  und  Kasteiung  an  heiligem  Flußufer 
wohnte  und  mit  seiner  Macht  alles  wirkte,  was  man  von  ihm  erbat. 
Fari,  so  hieß  der  Gottlose,  lauschte  begierig  den  täglichen  Sprüchen 
Und  Gesängen  des  Einsiedlers,  als  gälte  es  auch  ihm,  die  himmlische 
Seligkeit  zu  gewinnen,  allein  sein  Sinn  war  anderem  zugewandt! 
Arglos  unterwies  ihn  der  Alte  in  allem  seinen  Wissen  und  oftmals 
sprach  er  zu  ihm:  „Was  dein  Wunsch  nur  ersinnen  kann,  wirst  du 
durch  deine  Gebete  erlangen;  hüte  dich  aber,  deine  Kraft  zu  Bösem 
zu  mißbrauchen,  denn  dann  wirst  du  ins  tiefste  Leid  stürzen."  Un* 
besorgt  um  diese  Warnungen  verließ  der  Elende  aber  den  Heiligen, 
als  er  sich  im  Besitz  des  Zaubers  wußte;  er  tat  seine  Sprüche  und 
war  im  gleichen  Augenblick  durch  seinen  Wunsch  an  Gestalt,  An" 
gesicht  und  Bewegung  Mansur  so  ähnlich,  daß  ihn  kein  Mensch  von 
diesem  hätte  unterscheiden  können. 

Er  eilte  zu  dem  Hause  des  Verreisten.  Auf  sein  Pochen  öffnete 
ihm  der  Haushofmeister  das  fest  verschlossene  Tor  und  fiel  fast  vor 
Verwunderung  um,  als  er  seinen  fern  geglaubten  Herrn  allein  vor 
sich  sah.  Dann  aber  begrüßte  er  ihn  in  hellem  Jubel  und  forschte 
nach  dem  Grunde  seiner  frühen  Heimkehr.  Fari  hatte  aber  alles  wohl 
vorausbedacht  und  entgegnete  ihm:  „Als  ich  hunderte  Meilen  von 
hier  mit  meinem  Zuge  durch  ein  wüstes  Tal  marschierte,  um  den 
Weg  zu  verkürzen,  überfielen  uns  Räuber  und  zwangen  uns  zu  hartem 

6  65 


Kampf.  Aber  unser  Wehren  war  vergebens,  alle  meine  Knechte  fielen 
und  die  kostbaren  Waren  und  Lasttiere  wurden  eine  Beute  der  Wege 
lagerer.  Der  Herr  des  Himmels  gab  nur  mir  die  Gnade  der  Rettung, 
und  so  bin  ich  nackt  und  geplündert  wieder  heimgewandert. "  Der 
treue  Diener  führte  ihn  zur  Gebieterin  des  Hauses,  deren  Gatten  er 
vor  sich  zu  sehen  glaubte;  und  Seligkeit  im  Antlitz  trat  ihm  die 
Herrin  entgegen  und  umarmte  ihn.  Fari  berichtete  auch  ihr  seine 
erfundenen  Schicksale  und  sie  erwiderte  ihm :  „Preis  sei  dem,  der  das 
Kreisen  der  Himmel  lenkt,  daß  er  dir  dein  Leben  bewahrte;  mag 
Gut  und  Geld  dahin  sein,  noch  blieb  dir  genug,  um  neuen  Reich' 
tum  daraus  zu  schaffen.  Und  liegt  doch  auch  das  Glück  nicht  im 
Besitz!"  Unter  solchen  Reden  verweilten  sie  im  traulichen  Gemach. 
Sooft  ihr  forschender  Blick  an  dem  Manne  hing,  vermochte  sie  nicht 
zu  zweifeln,  daß  ihr  Gatte  heimgekehrt  sei,  lauschte  sie  aber  ihrem 
Herzen,  so  war  es  ihr,  als  wäre  ein  Fremder  in  ihr  Haus  gedrungen. 
Tagelang  versagte  sie  sich  ihm  darum,  obgleich  er  nicht  von  ihr 
wich  und  ihre  Seelenqualen  anfachte.  Und  zuletzt  ward  sie  wirklich 
krank  in  der  steten  Pein  der  Zerrissenheit,  so  daß  sie  sich  nicht 
mehr  von  ihrem  Lager  erhob.  Fari  ließ  aber  nicht  ab,  sie  mit  seinen 
Liebkosungen  zu  bedrängen. 

So  ging  die  Zeit  dahin,  bis  mit  einemmal  der  wahre  Mansur  mit 
dem  Troß  seiner  Karawane  eintraf.  Unverweilt  schritt  dieser  durch 
die  weiten  Säle  seines  Hauses  in  die  Kammer  seiner  Gattin,  um  ihr 
den  Gruß  seiner  Wiederkehr  zu  bringen,  als  er  die  Herrin  krank  und 
blaß  im  Bette  fand  und  ihr  zu  Häupten  einen  Fremden,  der  ihm  wohl 
selbst  Zug  um  Zug  glich.  Voll  Zorn  faßte  er  seinen  Doppelgänger  am 
Kragen  und  schrie  ihn  an:  „Was  hast  du  hier  zu  suchen,  frecher  Geselle; 
schere  dich  augenblicklich  fort,  sonst  sollst  du  dieses  Haus  nicht  lebend 
verlassen!"  Fari  aber  gab  ihm  in  nichts  nach:  er  packte  Mansur  am  Bart 
und  begann  ihn  zu  prügeln  und  Schimpf  und  Hohn  auf  ihn  zu  werfen. 
Erschreckt  von  dem  tobenden  Lärm  stürzten  Diener  und  Knechte  herbei 
und  wußten  sich  keinen  Rat,  denn  jeder  der  beiden  Streitenden  befahl 
ihnen  als  Herr  des  Hauses,  den  anderen  vor  die  Tür  zu  setzen,  und 
sie  konnten  nur  stehen  und  staunen,  denn  beide  waren  ja  doch  Mansur ! 
Auch  die  Nachbarn  liefen  zusammen,  und  schließlich  führte  man  sie 
beide  vor  den  Kadi,  daß  er  Recht  spreche.  Wie  sollte  aber  der  Richter 
entscheiden,  wer  Mansur  und  welcher  der  Betrüger  war?" 

66 


Der  Papagei  verstummte.  Chodscheste  war  nachdenklich  und  schwieg. 
Endlich  aber  sprach  sie:  „Du  mußt  mir  die  Lösung  der  drei  Fragen 
geben,  damit  ich  meinen  Liebsten  prüfen  kann.  Ich  selbst  vermag 
sie  nicht  zu  beantworten."  „Willst  du  nicht  mit  deinen  Freundinnen 
Rats  pflegen,  süße  Gebieterin,"  sagte  der  Vogel,  „die  Geschichten  sind 
wohl  wert,  bedacht  zu  werden.  —  Und  sieh  nur  um  dich:  wieder 
ist  der  helle  Tag  angebrochen  und  Müdigkeit  liegt  auf  meinen 
Lidern,  daß  sich  meine  Augen  schließen.  —  Sei  aber  unbesorgt!  Ehe 
du  diesen  Abend  zu  deinem  Buhlen  gehst,  sollst  du  die  rechten  Ant' 
worten  haben." 

Versuchte  der  Sittich  Chodscheste  zu  lehren? 
Er  suchte  ein  anderes  Ziel:  er  verstand, 
der  Herrin,  der  Treueste,  Beste,  zu  wehren, 
den  Rücken  dem  heimischen  Neste  zu  kehren. 


Den  langen  Tag  hindurch  gaukelten  vor  Chodschestes  Sinn  ver" 
wirrende  Bilder:  die  beiden  Männer  mit  den  vertauschten  Köpfen, 
Mansur  und  Fari,  der  eine  wie  das  treue  Spiegelbild  des  anderen,  der 
junge  Bogenschütz  auf  dem  Zauberpferd  im  Kampf  mit  dem  Drachen, 
und  alle  diese  Männergestalten  umschwebten  liebeheischend  anmutige 
Frauen.  Die  Rätsel  lösen  konnte  sie  aber  nicht  und  auch  ihre 
Freundinnen  schwiegen  verlegen  um  die  Entscheidung,  so  gerne  sie 
sonst  redeten.  Voll  Begierde  nach  den  richtigen  Antworten  suchte  sie 
nach  dem  Einfall  der  Nacht  ihren  Zeban^awer  auf  und  dieser  begann 
zu  ihr,  heimliches  Lachen  in  den  Augen:  „Holdeste  Gebieterin,  ich 
lese  in  deinen  Mienen,  daß  du  die  Schleier  des  Geheimnisses  nicht 
gelüftet  hast.  Höre  deshalb  auf  meine  Worte  und  achte  darauf,  ob 
auch  dein  Geliebter  so  zu  antworten  weiß.  Ist  er  klug  und  gerecht, 
so  wird  er  dir  künden,  wie  der  Richter  den  Fall  Mansurs  entschied. 
Er  sprach  nämlich:  „Zutiefst  in  das  Herz  der  Menschen  versenkt  ist 
die  Erinnerung  an  die  Hochzeitsnacht.  Jeder  von  euch  beiden,  der 
Mansur  zu  sein  behauptet,  berichte  mir,  ungehört  von  dem  anderen, 
was  er  in  dieser  Nacht  mit  der  Geliebten  sprach,  was  er  der  Gattin 
zur  Morgengabe  gab  und  was  sich  sonst  begab.  Und  der,  dessen  Worte 
mit  denen  der  Frau  übereinstimmen  werden,  ist  der  wahre  Mansur 
und  der  andere  soll  mit  Schimpf  und  Schande  aus  der  Stadt  gejagt 
werden!"  Und  daß  er  damit  die  Wahrheit  fand,  braucht  wohl  nicht 
erst  erzählt  zu  werden.  —  Ist  dein  Liebster  edelmütig  und  treu,  so 
wird  er  dir  sagen,  wen  Zühra  zum  Gatten  wählte,  als  sie  vor  den 
drei  Freiern  stand.     Der  Zauberer  des   Blicks  und   der  Besitzer   des 

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Rosses  taten  nicht  mehr,  als  sie  zu  jedem  Zweck  mühelos  nach  ihrer 
Fertigkeit  getan  hätten.  Nur  der  Schütz,  der  sein  Leben  kühn  und 
opferfreudig  in  Gefahren  stürzte,  um  die  Geliebte  zu  retten,  verdient 
sie  als  Gattin  heimzuführen.  —  Und  soll  er  die  Probe  dafür  bestehen» 
daß  nicht  Sinnlichkeit  ihn  beherrscht,  sondern  die  hohe  Liebe  des 
Geistes,  so  muß  er  dem  Manne  die  Gemahlin  zusprechen,  der  auf 
seinen  Schultern  das  Haupt  des  Prinzen  trug.  —  Erprobtest  du  deinen 
Buhlen  so,  dann  darfst  du  ihm  wohl  sonder  Sorgen  vertrauen,  und 
dein  Herz  mag  frei  von  aller  Furcht  sein,  daß  es  dir  ergehen  könnte, 

WIE  ES  DEN  LIEBHABERN  DER  HOLZJUNGFRAU  ERGING." 

Schon  hatte  sich  Chodscheste  zur  Tür  gewendet;  auf  diese  Worte 
aber  wandte  sie  sich  wieder  zu  dem  Papagei,  ließ  sich  auf  dem  kissen' 
bedeckten  Lager  nieder  und  bat:  „Erzähle  mir  diese  wunderbare  Ge' 
schichte!"  Der  Vogel  ließ  sich  nicht  lange  bitten  und  begann: 

„Vier  Männer,  die  auf  einer  Reise  waren,  hatten  sich  zum  Schutz 
gegen  wilde  Tiere  und  Räuber  zusammengetan  und  wanderten  ein- 
trächtig  miteinander.  Der  eine  war  ein  Goldschmied,  der  zweite 
ein  Schneider,  der  dritte  ein  Mönch  und  der  vierte  ein  Zimmermann. 
Als  sie  einmal  in  einem  dichten  Wald  von  dem  Dunkel  der  Nacht 
überholt  wurden,  beschlossen  sie  dort  zu  rasten  und  bestimmten,  daß 
abwechselnd  jeder  der  vier  Wache  halten  sollte.  Zuerst  fiel  das  Los 
auf  den  Zimmermann.  Um  seine  Müdigkeit  zu  verscheuchen,  nahm 
er  sein  Beil  und  begann  aus  dem  Stamm  eines  Baumes,  der  vom 
Sturm  niedergerissen  dort  lag,  ein  Mädchen  zu  schnitzen,  und  er 
versah  es  in  seiner  Kunstfertigkeit  mit  allen  Reizen.  Er  war  gerade 
fertig  mit  seinem  Werk,  als  die  Stunde  gekommen  war,  da  ihn  der 
Goldschmied  ablösen  sollte.  Dieser  hatte  kaum  die  liebreizende  Bild" 
säule  erblickt,  als  er  daran  ging,  auch  sein  Geschick  zu  zeigen.  Er 
fügte  Gold,  Edelsteine  mannigfacher  Art  und  Perlen  zusammen  und 
verfertigte  so  eine  Halskette,  Arm'  und  Fußspangen,  Ohrringe  und 
Kopfputz  und  legte  alles  sorgsam  dem  Bild  an.  Nach  ihm  hielt  der 
Schneider  Wache  und  weil  ihm  das  wunderhübsche  geschmückte 
Mädchen  von  Holz  gefiel,  griff  er  unverweilt  nach  seinem  Werkzeug, 
um  ihr  Kleider  zu  nähen.  Und  diese  waren  von  solcher  Schönheit 
und  Pracht,  daß  eine  Königsbraut  nicht  festlicher  angetan  im  Hochzeits' 
zuge  schreitet.  Und  dennoch  war  sie  nur  eine  Puppe  ohne  Bewegung 

69 


und  Leben!  Als  nun  den  Mönch  die  Pflicht  des  Wachens  traf,  ward 
sein  Herz  von  ihrer  Lieblichkeit  bewegt,  daß  er  sich  anschickte,  ihr 
durch  sein  Wissen  das  pulsende  Leben  und  den  warmen  Atem  zu 
geben.  Mit  Feuer,  Wasser  und  Sprüchen  beschwor  er  die  geheimnis' 
vollen  Mächte  und,  als  die  Sonne  sich  am  Himmel  erhob,  stand  die 
Jungfrau,  schön  wie  der  junge  Tag,  holdselig  lächelnd  und  süß  redend 
vor  ihm  und  seinen  erwachten  Reisegefährten. 

Nun  begann  ein  erbitterter  Streit  zwischen  ihnen,  wem  das  Mädchen 
gehöre.    „Ich  habe  sie  aus  dem  ungeformten  Holzklotz  geschaffen!" 
rief  der  Zimmermann.   „Wie  könnte  man  zweifeln,  daß  sie  mein  ist?" 
„Ich  habe  sie  mit  Kleinodien  geziert,  wie  der  Bräutigam  die  Braut; 
darum  gebührt  sie  mir  allein !"  warf  der  Goldschmied  ein;  der  Schneider 
aber  ließ  sich  vernehmen:    „Ich  war  es,  der  ihr  das  gab,  wessen  die 
keusche  Braut  zuerst  bedarf,   das   Hochzeitskleid  und   den   Schleier, 
drum  soll  sie  keines  anderen  Gattin  werden!"  „Was  schwätzt  ihr  da 
in  toller  Überhebung  eurer  Berufe!"   schloß   aber  der  Mönch.    „Was 
war  sie,  ehe  ich  ihr  das  Leben  einhauchte,  als  ein  Bild  aus  wertlosem 
Holz.  Wer  darf  mir  die  Braut  streitig  machen?"  Mit  solchen  Reden 
fanden   sie   kein  Ende  ihres   Zwiespalts,   denn  keiner  wollte  auf  die 
Jungfrau  Verzicht  leisten.    Als   jetzt   ein  Wanderer  des  Weges  kam, 
traten   sie  auf  ihn  zu,   berichteten  ihm,   was   der   Grund   ihres  Zer' 
würfnisses  wäre,  und  baten  ihn:    „Sprich   du  ein  Urteil,  damit  wir 
uns  ihm  fügen  können."  Sowie  der  Mann  aber  das  Mädchen  erblickt 
hatte,  lohte  auch  sein  Herz  im  Brand  der  Liebe  und  er  sagte  zornig 
zu  den  Vieren:    „Dieses  Weib  ist  meine  rechtmäßige  Gattin,  die  ihr 
mir  entführt  habt.    Und   nun  wollt   ihr,   daß   ich  sie  euch  übergebe! 
Macht  euch  auf,   ihr   Schelme,   und   folgt  mir   zum  Vogt,   damit  er 
entscheide!"     So   eilten  sie  zu  der  nächsten  Stadt  und  zankten  sich 
unermüdlich  den  ganzen  langen  Weg.    Als   sie   aber   vor  dem  Vogt 
standen  und  dieser  die  Jungfrau  sah,  rief  er  aus:  „Ihr  seid  alle  fünf 
zu  eurem  Verderben  vor  mich  getreten,   denn   nun  soll  euren  Übel' 
taten  die  Strafe  folgen.    Diese  Frau   ist  die  Gattin   meines  Bruders, 
der  mit  ihr  eine  Reise  unternahm ;  gewiß  habt  ihr  ihn  erschlagen  und 
sie  geraubt.  Wer  soll  eure  unsinnigen  Geschichten  glauben,   daß  aus 
Holz  ein  Mädchen  wird?"  Damit  ließ  er  sie  von  seinen  Knechten  er" 
greifen  und  vor  den  Kadi  bringen.     Doch   ergriff  auch   diesen  beim 
Anblick  der  bezaubernden  Jungfrau  das  Verlangen,  sie  zu  besitzen,  so 

70 


daß  er  sagte:  „Redet  die  Wahrheit  an  dieser  Stätte  des  Gerichtes! 
Gesteht,  wo  ihr  das  Mädchen  fandet,  das  meine  Sklavin  ist,  die  ich 
mit  all  den  Kleidern  und  Schmuckstücken  beschenkte,  und  die  mir 
vor  kurzem  entlief!" 

„Wenn  du  selbst  Ansprüche  stellst,  darfst  du  nach  den  Gesetzen  die 
Entscheidung  nicht  fällen!"  riefen  wie  aus  einem  Munde  die  sechs 
Kläger,  die  ja  wußten,  daß  er  sein  Recht  mißbrauchen  wollte.  Ein 
alter  Mann,  der  in  der  Versammlung  anwesend  war,  erbat  sich  das 
Wort  und  sprach:  „Unweit  von  hier  ist  ein  heiliger  Feigenbaum,  der 
,der  Baum  der  Entscheidung'  mit  Recht  genannt  wird,  denn  jeder 
Streit,  den  Menschen  nicht  schlichten  können,  findet  bei  ihm  das 
wahrhafte  Urteil.  Wendet  euch  darum  an  diesen  unbescholtenen 
Richter!"  Das  taten  denn  der  Kadi,  der  Vogt,  der  Wanderer,  der  Gold" 
schmied,  der  Schneider,  der  Mönch  und  der  Zimmermann  und  sie 
zogen  mit  der  Jungfrau  und  vielen  anderen  hinaus  zu  dem  Wunder' 
bäum.  Vor  ihm  wiederholten  sie  alles,  worauf  sie  ihr  Recht  gründeten, 
und  harrten  jetzt  seines  Spruches.  Da  klaffte  mit  einemmal  ein 
mächtiger  Riß  im  Stamm,  behende  lief  das  Mädchen  in  den  Spalt 
und  der  Baum  schloß  sich  wieder  um  sie,  so  daß  sie,  zurückgekehrt 
zu  dem  Stoff,  dem  sie  entstammte,  für  immer  entschwunden  war.  — 
So  hatte  wohl  der  schwere  Rechtsstreit  seine  weise  Lösung  gefunden, 
beschämt  aber  standen  die  sieben  Männer  vor  dem  Holz  und  er' 
kannten,  daß  das  Mädchen  sie  auch  nie  geliebt  hätte.  Und  der  Mönch, 
der  in  den  Geschehnissen  der  Vergangenheit  wohl  bewandert  war, 
sagte:  „Uns  hat  die  Torheit  der  Liebe  hingerissen,  daß  wir  der  Über' 
legung  nicht  Raum  gaben,  darum  geschah  uns  füglich  das  gleiche,  wofür 

DER  KÖNIG  KAMRU  UND  SEIN  GEFANGENER  PAPAGEI 

ein  warnendes  Beispiel  ist."  Da  baten  ihn  alle,  diese  Geschichte  zu 
Nutz  und  Frommen  derer,  die  sich  belehren  lassen,  nicht  zu  ver' 
schweigen;  im  Kreis  um  ihn  nahmen  sie  Platz  und  er  hub  an: 

„Auf  einem  hohen  Baum  des  Urwalds  lebte  ein  alter  Papagei  mit 
seinen  Jungen,  der  sich  im  Laufe  der  Jahre  nebst  vielem  anderen 
Wissen  auch  die  Kenntnis  aller  Kräuter,  Wurzeln  und  Beeren  an' 
geeignet  hatte  und  ihre  Heilkraft  verstand.  Der  hatte  seine  Kinder 
wohl  oftmals  gewarnt,  sich  den  Blicken  böser  Menschen,  die  den 
Wald  durchstreiften,  zu  zeigen,  doch  sie  waren  ungehorsam  in  ihrer 

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Unerfahrenheit  und  lockten  durch  die  Pracht  ihres  Gefieders  einen 
Vogelsteller  an;  der  warf  sein  Netz  über  den  Baum  und  sie  waren 
alle  gefangen.  Da  sagte  der  Alte:  „Nachdem  nun  das  Unheil  über 
uns  hereingebrochen  ist,  nützt  es  nicht  mehr,  von  Geschehenem  zu 
reden,  doch  befolgt  jetzt  mein  Geheiß,  wenn  euch  euer  Leben  wert 
ist:  stellt  euch  tot,  dann  wird  euch  der  Jäger  ohne  Vorsicht  aus  dem 
Nest  werfen;  mich  allein  soll  er  ergreifen;  ich  werde  schon  Wege 
finden,  aus  der  Gefangenschaft  zu  entkommen.  Ihr  aber  fliegt  alle  auf 
einmal  fort!"  Der  kluge  Plan  gelang  und  schon  wollte  der  Vogel" 
fänger  in  seinem  Zorn  dem  alten  Vogel,  der  ihm  wertlos  schien,  den 
Hals  umdrehen,  als  dieser  zu  ihm  in  wohlgesetzter  Rede  sprach: 
„Handle  nicht  vorschnell  und  unüberlegt!  Die  jungen  Vögel  hätten 
dir  keinen  Nutzen  gebracht,  denn  du  wärest  gezwungen,  sie  um  wenige 
Groschen  zu  verkaufen,  von  denen  du  nur  kurze  Zeit  hättest  leben 
können ;  mit  mir  aber,  den  du  fingst,  hast  du  einen  Schatz  gewonnen, 
für  den  du  viele  hunderte  Dinare  erhalten  wirst,  so  daß  du  genug 
für  dein  Leben  haben  wirst.  Wisse,  daß  ich  der  beste  Meister  der 
Arzneikunde  bin,  der  jedwede  Krankheit  zu  heilen  versteht."  Da  freute 
sich  der  Jäger,  denn  er  gedachte  ihn  zu  seinem  König  zu  bringen, 
der  seit  langem  an  einem  schweren  schmerzenden  Leiden  darnieder' 
lag,  das  keiner  Kunst  der  Ärzte  weichen  wollte.  Dort  hoffte  er  viel 
Geld  für  den  gefangenen  Vogel  zu  erhalten.  Geradenwegs  lief  er  zum 
königlichen  Schloß  und  bot  dem  Fürsten  das  Tier  mit  den  Worten 
an :  „Nach  unsäglichen  Mühen  fand  ich,  was  dich  von  deiner  Krankheit 
befreien  soll:  dieser  Papagei  ist  der  kundigste  Arzt,  der  alle  Heil' 
mittel  kennt."  Freudig  befahl  der  Herrscher  dem  Jäger  zehntausend 
Dinare  auszubezahlen  und  nahm  den  Vogel  zu  sich.  Und  dieser  bc 
fragte  ihn  mit  der  Einsicht  des  Verständigen  nach  allen  Zeichen  und 
Erscheinungen  seines  Leidens  und  gab  ihm  von  nun  an  alltäglich  die 
Gewächse,  Früchte  und  Blüten  an,  aus  denen  er  Tränke  und  Salben 
bereiten  ließ,  die  allmählich  seine  Schmerzen  linderten,  so  daß  er  den 
Papagei  mit  allen  Ehren  und  Liebkosungen  überhäufte.  Dieser  war 
aber  in  seinem  Sinn  dennoch  draußen  im  fernen  grünen  Wald  bei 
den  Seinen  und  er  beklagte  im  stillen  unaufhörlich  die  Fessel  der 
Gefangenschaft  und  sann  auf  Befreiung.  Darum  sprach  er  eines 
Tages  zum  Fürsten:  „Zur  Hälfte  habe  ich  bisher  nur  deine  Krankheit 
geheilt;  nun  aber  gilt  es  aus  geheimnisvollen  Wurzeln  noch  eine 
72 


Arznei  zu  bereiten,  die  dir  die  volle  Gesundheit  wieder  geben  könnte. 
Kein  Mensch  vermöchte  indessen  diese  Wurzeln  zu  finden.  Laß  mich 
darum  selbst  von  Bergeshöhen  und  aus  dem  Waldesdunkel  das  Nötige 
herbeischaffen/'  Den  König  befiel  kein  Argwohn,  er  befreite  den  Vogel 
aus  dem  Käfig  —  und  sah  ihn  nie  wieder,  denn  er  war  zu  seinen 
Kindern  heimgeflogen  und  fiel  nimmer  in  das  Netz  eines  Fallen" 
stellers.  —  Unklug  hat  der  König  Kamru  gehandelt,  nicht  zuerst  die 
Treue  des  Papageis  zu  erproben,  denn  die  Ahnung  hätte  ihn  belehren 
sollen,  daß  er  wieder  zu  seinem  Neste  heimkehren  wollte  —  so  wie 
die  uns  entschwundene  Jungfrau  zu  ihrer  Heimat." 

Drum  prüfe  du,  Chodscheste,  den,  dem  du  vertrauen  willst,  daß 
du  nicht  leidbedrückt  und  reuevoll  erkennen  mußt,  du  habest  dich 
getäuscht.  —  Was  ich  in  deinem  Dienste  für  dich  tun  konnte,  habe 
ich  getan  —  und  meine  Treue  hab  ich  wohl  tausendmal  bewiesen 
—  nun  mag  dich  deine  Klugheit  und  dein  rechtes  Fühlen  weiter 
leiten!" 

Wieder  hatte  Chodscheste  der  Flucht  der  Zeit  nicht  acht  gehabt; 
als  sie  die  Augen  erhob,  spielten  die  strahlenden  Lichter  der  Morgen" 
röte  mit  den  Juwelen  auf  ihren  Armen,  als  wollten  sie  sie  necken  ob 
versäumter  Wonnen.  Da"  alle  anderen  Lebewesen  erwachten,  sank  sie 
in  tiefen  Schlaf  und  auch  der  Papagei  ruhte  von  der  Müdigkeit  der 
durchwachten  Nacht.  Allzubald  sollte  ja  wieder  das  Dämmern  Chod" 
scheste  zu  verbotener  Lust  und  ihn  zu  weisem  Erzählen  laden! 

Und  mochte  die  Lust  ihr  gleich  winken,  dem  schlauen 

gefiederten  Weisen  gelang  seine  List: 

sie  wollte  enteilen  bei  sinkendem  Grauen  — 

da  grüßte  der  Tag  sie  mit  blinkendem  Blauen. 


Wie  die  Wagschalen  des  Weltalls  erschienen,  sich  gegenüberstehend 
am  Bogen  des  Himmels,  im  Westen  die  scheidende  Sonne  und  im 
Osten  der  emporstrebende  Mond,  sie,  die  Hüter  und  Schützer  der 
sterblichen  Menschen,  im  Königskleid  von  rotem  Gold  und  blauem 
Silber.  Unweigerlich  wollte  Chodscheste  heute  dem  Drängen  ihres 
Herzens  folgen  und  glückstrahlend  grüßte  sie  den  Vogel,  um  Abschied 
von  ihm  zu  nehmen.  Heiter  gleich  ihr  redete  sie  der  Papagei  an: 
„Eile,  du  fürstliche  Herrin,  zu  dem,  den  deine  Seele  ersehnt,  und 
genieße  die  Liebe,  die  das  Recht  der  Jugend  und  der  Schönheit  und 
ihre  Pflicht  zugleich  ist.  Vergiß  nur  nicht  in  der  Wollust  der  Sinne 
den  Sinn  der  Frau,  der,  Listen  zugeneigt,  aus  allen  Fährnissen  den 
rechten  Weg  zu  wählen  weiß,  den  Weg,  auf  dem  euch  allen  Schahrara 
voran  geschritten  ist."  „Sag,  wer  war  Schahrara  und  wie  wars,  was 
sie  tat  ?"  fragte  schmeichelnd  Chodscheste,  und  Zeban^awer  berichtete, 

WIE  SCHAHRARA  DEN  GATTEN  DURCH  IHRE  LIST  BETROG. 

„Im  Lande  Khorasan,  in  Nischabur,  der  weitgerühmten  Stadt, 
lebte  ein  unsäglich  reicher  Kaufmann  mit  seiner  Frau,  die  Schahrara, 
,die  Zierde  der  Stadt',  genannt  war.  Und  in  der  Tat  war  ihre 
Schönheit  ihrem  Namen  gerecht,  so  daß  sie  viele  Jünglinge  um' 
schwärmten;  und  sie  war  stets  bereit,  Liebe  mit  Liebe  zu  lohnen.  Es 
war  ihr  Lebenswandel  den  Nachbarn  auch  kein  Geheimnis,  nur  der 
arglose  Gatte  wußte  nichts,  bis  zuletzt  die  bösen  Reden  doch  an  sein 
Ohr  kamen.  Da  bedachte  er:  Ich  will  der  Wahrheit  schon  auf  die 
Spur  kommen !  Ist  mein  Weib  wirklich  untreu,  so  soll  sie  verstoßen 

74 


werden.  —  In  diesen  Gedanken  schützte  er  eine  Reise  vor  und  ver* 
barg  sich  sodann  hinter  einem  Vorhang  in  ihrem  Schlafgemach.  So 
harrte  er  des  Kommenden;  und  es  währte  nicht  lange,  als  er  auch 
seine  Frau  mit  einem  fremden  Manne  eintreten  sah,  und  die  Ader 
des  Zorns  schwoll  auf  seiner  Stirn.  Eine  ungewohnte  Bewegung  ließ 
den  Teppich,  der  ihn  deckte,  die  Falten  rühren,  daß  es  der  vorsichtigen 
Schahrara  nicht  entgehen  konnte.  Nun  zauderte  sie  nicht,  das  drohende 
Böse  zum  Guten  zu  wenden,  und  mit  einem  heimlichen  Winken, 
das  der  junge  Mann  wohlverstand,  redete  sie  zu  ihm:  „Aus  deinen 
Blicken  sehe  ich,  daß  du  verwundert  bist,  in  das  verwehrte  Heiligtum 
der  Frau  geführt  zu  werden.  Doch  höre,  was  ich  dir  zu  sagen  habe: 
Ein  Traumgesicht,  das  ich  dreimal  geschaut  habe,  offenbarte  mir,  daß 
meinem  edlen  Gatten  Gefahr  drohe.  Zweimal  flehte  ich  im  Traum 
vergebens  die  Erscheinung  an,  mir  den  Weg  zu  seiner  Rettung  zu 
weisen;  erst  in  der  dritten  Nacht  entgegnete  mir  der  Traum gott:  „Es 
ist  ein  schweres  Opfer,  das  ich  von  dir  heische,  damit  das  Leben 
deines  Gemahls  nicht  vergehe;  willst  du  es  auf  dich  nehmen?"  Und 
als  ich  ihm  zu.  Füßen  sank  und  die  Befolgung  beschwor,  verkündete 
er  mir:  „Ein  böser  Dämon  haust  in  deinem  Gemach,  der  den  Tod 
deines  Mannes  herbeizuführen  sucht,  und  nur  ein  reiner  Jüngling 
kann  ihn  bannen.  Teilst  du  mit  ihm  in  keuscher,  schwesterlicher 
Liebe  eine  ganze  Nacht  das  Lager,  so  ist  der  Unhold  und  seine 
unheilvolle  Macht  beschworen."  Darum  rief  ich  dich  zu  mir  und  wage 
dich  zu  bitten,  mir  zur  Erfüllung  meines  Gelübdes  beizustehen."  „Es 
sei,  wie  du  sagtest,"  erwiderte  der  Buhle,  und  sie  ließen  sich  zum 
Schlafe  nieder,  das  Schwert  des  Jünglings  zwischen  sich.  —  Alles  das 
sah  und  hörte  der  betrogene  Ehemann  in  hellem  Entzücken,  und  als  er 
meinte,  daß  beide  in  tiefem  Schlaf  lägen,  schlich  er  sich  leise  davon, 
denn  er  vermochte  nicht  länger  gebückt  und  beengt  in  seinem  Versteck 
zu  verweilen.  —  Als  Schahrara  seine  Schritte  vernommen  hatte,  tat 
sie  das  Schwert  zur  Seite  . . .  und  sie  entließ  den  Jüngling  frühmorgens 
nach  seliger  Nacht.  Der  Mann  hatte  nur  diesen  Augenblick  abgewartet, 
um  wieder  sein  Haus  zu  betreten  wie  nach  vollendeter  Reise;  und 
er  schloß  sein  Weib  in  inniger  Herzlichkeit  an  seine  Brust  und  küßte 
sie  vieltausendmal.  „Mein  liebes,  teures  Weib,"  so  sprach  er  dann 
zu  ihr,  „der  Himmel  segne  dich  für  das,  was  du  an  mir  getan  hast." 
Und  als  sie  ihn  mit  gespieltem  Staunen  anblickte,  fuhr  er  fort  —  und 

75 


welcher  Dummkopf  spräche  nicht  gern  von  seiner  Klugheit  — :  „Glaube 
mir,  daß  ich  in  tiefe  Geheimnisse  Einblick  habe;  ich  kenne  so  auch 
gar  wohl  die  unendliche  Treue,  die  du  hegst,  und  deine  übergroße 
Liebe  zu  mir.  Darum  lache  ich  auch  der  Kurzsichtigen,  der  Boshaften, 
die  dich  verleumden.  Ist  es  doch  immer  die  edelste  Frau,  die  die 
Zungen  der  Neiderinnen  zu  Feinden  hat.  Aber  ich  weiß  es  doch 
besser!"  Still  und  mit  züchtig  gesenkten  Blicken  stand  Schahrara  da; 
und  nun  war  es  ihr  gewiß,  daß  ihr  die  Freiheit  jeder  Wollust  fürderhin 
gesichert  war,  der  hohe  Lohn  für  ihre  große  List.  — 
Noch  wunderbarer  und  lehrreicher  als  diese  ist  freilich  die  Geschichte 

VON  DER  FRAU,  DIE  DEN  MANN  DER  UNTREUE  ZIEH, 

die  sich  nach  den  Berichten  alter  Bücher  dereinst  in  einer  andern 
Stadt  begeben  hat:  Da  lebte  ein  junges  Weiblein,  das  die  Zeit  einer 
Abwesenheit  ihres  Mannes  nützen  wollte,  süße  Früchte  von  fremden 
Bäumen  zu  naschen.  Ihre  Botin  und  Mittlerin  war  ein  altes  Weib, 
das  jeden  hübschen  jungen  Mann  aufzufinden  und  zu  verlocken  ver' 
stand.  Nun  ereignete  es  sich,  daß  ihr  Mann  um  die  Zeit  des  späten 
Abends  zurückkehrte  und  nicht  mehr  in  sein  eigenes  Haus  gehen 
wollte,  so  daß  er  sich  entschloß,  die  Nacht  im  Chan  der  Kaufleute 
zu  verbringen.  Die  Unterhändlerin,  die  gerade  dort  war,  machte  sich 
an  ihn  heran  und  erbot  sich,  ihm  ein  reizendes  Mädchen  zum  Zeit' 
vertreib  zu  bringen.  Und  er  stimmte  zu.  —  Als  die  Frau  aber  geputzt 
und  gesalbt  dorthin  kam  und  ihren  Mann  erblickte,  war  sie  nicht 
etwa  erschrocken  und  ratlos ;  nein,  sie  begann  sofort  zu  schreien  und 
zu  jammern:  „Ihr  Nachbarn,  kommt  herbei  und  seht  die  Schmach, 
die  mir  mein  Gatte  antut;  vor  kurzer  Zeit  verreiste  er  und  gab  als 
Vorwand  an,  daß  ihn  Geschäfte  riefen.  Jetzt  weiß  ich,  daß  er  nur  um 
Dirnen  nachzulaufen  diese  Stadt  verlassen  hat.  Und  als  er  heimkehrte, 
eilte  er  nicht  zu  seiner  sehnsuchtsvoll  harrenden  Frau,  hier  in  diesem 
Gasthof  lungert  er  und  sendet  Kupplerinnen  aus,  die  ihm  verworfene 
Weiber  zuführen  sollen.  Da  ich  dies  hörte,  überwand  ich  meine  Scham 
und  kam,  verkleidet  als  Dirne,  hierher,  um  zu  erfahren,  ob  das 
Unerhörte,  was  mir  berichtet  ward,  wahr  wäre.  Kommt  nun  mit  mir 
zum  Richter,  daß  er  die  Fessel  löst,  die  mich  an  diesen  Elenden 
bindet."  Mit  Mühe  versöhnten  die  Leute  die  Frau,  das  Recht  lag  offen 
auf  ihrer  Seite  und  der  Vorwurf  aller  traf  den  Mann.  — 
76 


Und  nicht  weniger  schnell  bedacht  und  fertig  mit  ihren  Worten  war 
DIE  FRAU,  DIE  STAUB  STATT  ZUCKER  HEIMBRACHTE. 

Das  geschah  so :  Sie  hatte  von  ihrem  Mann  Geld  erhalten,  um  Zucker 
dafür  zu  kaufen.  Der  Krämer  wog  ihr  das  Gewicht  zu  und  nahm 
das  Geld  und  die  Frau  knüpfte  sorgsam  das  Erstandene  in  ihr  Tuch. 
Unterdessen  begann  der  Kaufmann  ihr  zu  schmeicheln  und  wie  sie 
freundlich  dazu  lächelte,  ließ  er  es  auch  an  Liebkosungen  nicht  fehlen 
und  hatte  endlich  leichtes  Spiel,  sie  zu  verbotener  Lust  in  seine 
Kammer  zu  führen.  Während  der  Herr  aber  fort  war,  vertauschte 
der  Bursche  des  Krämers,  der  im  Laden  geblieben  war,  den  Zucker 
im  Tuch  mit  Sand  und  verknotete  es  wieder,  wie  es  gewesen  war. 
Arglos  brachte  sie  dann  das  Bündel  nach  Hause;  als  ihr  Mann  es 
aber  öffnete  und  wertlosen  Staub  von  der  Straße  darin  fand,  schalt 
er  zornig  seine  Frau:  „Was  für  Streiche  sind  denn  das?  Willst  du 
mich  zum  besten  halten?"  Die  Listige  war  indes  rasch  gefaßt.  „Zürne 
mir  nicht, u  sagte  sie  ohne  Zögern,  „ich  bin  ohne  Schuld.  Höre  mich 
nur  an:  Als  ich  schon  fast  beim  Kaufmann  war,  raste  ein  wild' 
gewordener  Ochs  auf  mich  zu,  so  daß  ich  fortlief;  dabei  kam  ich  zu 
Fall  und  verlor  die  Münzen,  die  ich  sorglich  in  der  Hand  hielt.  Lange 
suchte  ich  sie  wieder,  ich  konnte  sie  aber  nicht  finden.  Da  hielt  ich  es  für 
das  beste,  all  den  Sand  in  mein  Tuch  zu  binden,  damit  wir  hier  weiter 
suchen  können."  Da  mußte  der  Mann  hellauf  lachen ;  er  vergaß  nicht  nur 
seinen  Zorn,  sondern  küßte  seine  Frau  noch  ab  und  sagte :  „Du  dummes 
Kind,  was  macht  es  denn,  daß  du  die  paar  Heller  verloren  hast.  Mußtest 
du  dir  darum  die  viele  Mühe  geben,  den  Staub  aufzulesen  und  heim" 
zutragen?"  So  ward  ihr  noch  Mitleid  für  ihr  Tun  zuteil!  — 

So  verschlagen  aber  auch  alle  diese  gehandelt  hatten,  so  war  doch  gewiß 

DER  TRUG,  DEN  DIE  FRAU    EINES  BAUERN  ERFAND, 

um  der  Schande  zu  entgehen  und  den  Ruhm  der  Keuschheit  zu 
gewinnen,  nicht  geringer:  Diese  hatte  einen  jungen  Mann  kennen 
gelernt,  mit  dem  sie  sich  vergnügen  wollte;  darum  forderte  sie  ihn 
auf,  um  Mitternacht  über  den  Zaun  ihres  Hofes  zu  steigen  und  unter 
dem  großen  Baum,  der  dort  stände,  ihr  Kommen  zu  erwarten.  Sobald 
sie  ihren  Mann  nun  schnarchen  hörte,  erhob  sie  sich  und  eilte  in  die 
Arme  ihres  Liebsten.  Der  Zufall  wollte  es,  daß  eben  in  dieser  Nacht 

77 


der  Vater  des  Mannes  das  Haus  verlassen  müßte ;  der  sah  die  beiden 
beieinander  schlafen  und  nahm  in  seiner  Entrüstung  der  Frau  heimlich 
die  Spangen  von  den  Füßen  und  bedachte:  Am  Morgen  soll  das 
Gericht  entscheiden  und  dieses  wird  mein  Zeuge  sein!  —  Die  Frau 
erwachte  bei  der  Berührung  und  faßte  schnell  ihren  Plan.  Sie  hieß 
ihren  Buhlen  den  Weg,  den  er  gekommen  war,  wieder  zurück  zu 
nehmen  und  schärfte  ihm  ein,  am  Morgen  des  nächsten  Tages  gewiß 
am  Begräbnisplatz  vor  der  Stadt  zu  sein,  sich  wahnsinnig  zu  stellen 
und  sie  in  dieser  Verstellung  zu  umarmen.  Dann  ging  sie  schnell  zu 
ihrem  Mann,  der  ruhig  schlief,  weckte  ihn  und  sprach:  „Laß  uns  im 
Freien  schlafen;  hier  ist  es  zu  heiß."  Sie  lagerten  sich  an  derselben 
Stelle,  auf  der  sie  kurz  vorher  ihren  Gatten  betrogen  hatte.  Als  er 
wieder  eingeschlafen  war,  weckte  sie  ihn  noch  einmal  und  klagte 
ihm:  „Soeben  kam  dein  Vater  hierher  und  nahm  mir  die  Ringe  von 
den  Knöcheln.  Wie  durfte  er  dies  tun,  ist  er  gleich  dein  Vater?  Du 
mußt  ihn  morgen  deshalb  zur  Rede  stellen,  denn  die  Beschämung,  die 
er  mir  angetan  hat,  ist  übergroß."  Das  versprach  er  und  forderte,  als 
sich  alle  erhoben  hatten,  die  Spangen  von  seinem  Vater  zurück  und 
sparte  selbst  Vorwürfe  nicht.  Der  Alte  beharrte  aber  auf  seiner  Anklage 
und  so  sagte  die  schlaue  Frau :  „Du  weißt,  daß  auf  dem  Begräbnisplatz 
das  Bildnis  eines  Dämons  mit  gespreizten  Beinen  steht,  zwischen 
denen  nur  der  unversehrt  durchschreiten  darf,  der  die  reine  Wahrheit 
spricht.  Ich  will  mich  diesem  Gottesurteil  unterwerfen.  Kommt  alle 
mit  mir!"  Sie  gingen  darauf  allesamt  in  den  Tempel,  verrichteten 
dort  ihre  Gebete  und  dann  machte  sich  der  Zug,  dem  sich  viel  Volk 
angeschlossen  hatte,  auf  zu  jener  Bildsäule,  als  mit  einemmal  der 
Jüngling,  der  mit  wirrem  Haar  und  rollenden  Augen  nicht  anders 
als  ein  Irrer  anzusehen  war,  sich  zu  der  Frau  drängte  und  sie  um' 
halste.  Sie  hub  zu  schreien  an  und  die  Leute  packten  den  Wahn' 
sinnigen  und  schleppten  ihn  fort.  Dann  trat  die  Listige  an  das 
Steinbild,  hob  ihre  Arme  empor  und  redete  sodann  vor  allem  Volke : 
„Himmlischer  Rächer,  lasse  mich  zugrunde  gehen,  wenn  ich  je  von 
einem  anderen  Manne  umfangen  worden  bin  als  von  meinem  Gemahl 
—  und  von  dem  Tollen,  der  mich  jetzt  umschlang!"  Und  nach  diesen 
Worten  schritt  sie  stolz  durch  den  engen  Weg,  und  der  Gott  ließ  sie 
unversehrt,  getäuscht  von  ihr  wie  all  die  anderen.  So  wußte  sie  vor 
aller  Welt  den  Ruhm  der  gattentreuen  Frau  davonzutragen.  — 
78 


Wohl  hundert  solcher  Schliche  wüßte  ich  zu  melden,  allein  die 
Zeit  ist  da,  daß  du  selbst  die  List  erprobst,  in  der  ich  dich  unterwies. 
Eile  frohgemut  zu  deinem  Liebsten!"  —  Aber  auch  diese  Nacht  war 
an  ihrem  Ende;  die  Weltenwage  hatte  sich  verkehrt  und  wo  die 
Sonne  abends  niedergegangen  war,  verblich  der  Mond,  und  wo  dieser 
zum  Himmel  aufgestiegen  war,  begann  es  zu  tagen,  so  daß  wieder 
Stunden  bangen  Harrens  für  Chodscheste  anbrachen. 

Der  Sittich  erzählte  von  Tücken  und  Schlichen, 
von  Listen  und  Heucheln  und  ewigem  Trug, 
Chodscheste  vernahms  mit  Entzücken,  und  blichen 
indes  auch  die  Sterne  im  Rücken  und  wichen. 


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In  der  schattigen  Halle  ihres  Palastes  hatte  Chodscheste  den  Tag 
mit  ihren  Freundinnen  verplaudert,  und  heute  wollte  sie  gewiß  nicht 
wieder  dem  Zauber  der  Märchen  Zeban^awers  nachgeben,  denn  das 
Herzeleid  des  Geliebten,  das  die  Frauen  ihr  geschildert  hatten,  ließ 
ihre  entbrannte  Seele  in  neuen  Flammen  lodern.  Darum  schmückte 
sie  sich  jetzt  mit  den  prächtigsten  Gewändern  und  ihren  kostbarsten 
Edelsteinen  und  wollte  schon  grußlos  ihren  Papagei  verlassen,  als  ihr 
schelmischer  Sinn  sie  bewegte,  dem  treuen,  weisen  Vogel  mit  einer 
Neckerei  ihren  gefestigten  Willen  kundzutun.  So  begann  sie:  „Mein 
lieber  Zeban^awer,  du  hast  dich  nächtelang  gemüht,  mich  mit  be' 
lehrenden  Geschichten  zugleich  zu  bilden  und  zu  ergötzen;  höre  zum 
Dank  für  deine  Märchen  nun  eine  solche  Erzählung  von  mir  an,  die: 

WIE  DER  BEDUINE  DEN  KALIFEN  MAMUM  ZURECHTWIES 

und  ihn  damit  klüger  machte."  „Ich  vergehe  vor  Sehnsucht,  diese  Ge' 
schichte  zu  vernehmen,"  erwiderte  der  Sittich,  und  die  Prinzessin  begann: 

„Eines  Tages  trat  im  Diwan  ein  Beduine  vor  den  Kalifen  Mamun 
und  redete  ihn  mit  solchen  Worten  an:  „Allah  kränze  dein  Haupt 
mit  der  Fülle  des  Segens,  Fürst  aller  Gläubigen,  und  strafe  die  Bösen, 
die  dir  feind  sind,  mit  ewiger  Vernichtung!  Höre,  warum  ich  wagte, 
den  Stufen  deines  Thrones  zu  nahen!  Wie  Mohamed  es  den  Be' 
kennern  der  einzig  wahren  Lehre  offenbarte,  will  ich  zur  hochheiligen 
Kaaba  und  zum  Grabesgarten  des  Propheten  wallen.  Wie  soll  ich 
aber  die  weite  Reise  unternehmen,  da  mich  die  härteste  Armut  drückt?" 
„Sei   guten  Mutes,"   war  die  Antwort   des  Kalifen,   „denn  dich  trifft 

80 


auch  der  Hauch  der  Sünde  nicht,  wenn  du  die  Wallfahrt  unterläßt, 
da  dir  die  Mittel  mangeln."  Da  blickte  ihn  der  Mann  eine  Weile 
schweigsam  an,  dann  aber  sagte  er  lächelnd:  „Sei  bedankt,  Kaufe, 
für  die  Belehrung,  die  du  mir  zuteil  werden  ließest;  doch  glaube, 
daß  auch  mir  dieser  Satz  der  Lehre  unseres  heiligen  Glaubens  wohl' 
bekannt  war  und  daß  ich  darum  nicht  zu  deinen  Füßen  sank.  In 
dieser  "Weise  wollte  ich  dir  nur  meine  Armut  klagen  und  hoffte,  daß 
dein  Reichtum  sie  vertreiben  wird!"  Von  diesen  Worten  war  der 
Fürst  überwunden  und  bedachte  den  Mann  mit  reichen  Gaben.  — 
Mich  dünkt,  du  gleichest  dem  Kalifen,  lieber  Papagei,  denn  ist  auch 
niemals  eine  Lehre  zu  verwerfen  und  zu  tadeln,  so  ist  sie  doch  um' 
sonst  gesprochen,  wenn  sie  das  Ziel  nicht  trifft.  Wie  viel  du  mir 
auch  gabst,  hast  du  mich  doch  von  meinem  Liebsten  durch  lange 
Nächte  ferngehalten." 

Mit  tränenumflorter  Stimme  sagte  der  Papagei  darauf:  „Wie  du 
doch  mich  und  meine  Treue  verkennst,  strahlende  Gebieterin !  Meine 
Weisheit  sollte  dir  auf  dem  gefahrvollen  Pfad,  den  du  schreiten 
willst,  das  schützende  Geleite  geben,  denn  du  bist  noch  jung  und  un' 
erfahren,  indes  mich  das  wechselvolle  Leben  und  die  Unterweisung 
großer  Lehrer  erzogen  haben,  das  Drohen  des  Schicksals  von  ferne 
zu  erkennen  und  ihm  zu  entgehen.  —  Wer  nicht  vor  der  Tat  die 
Lehre  in  sich  aufnahm,  für  den  kommt  sie  nachher  zu  spät,  wie  es 
Bahram  an  sich  erfahren  mußte."  „Was  wars  doch,  was  ihm  geschah?" 
fragte  Chodscheste,  der  Vogel  aber  sprach :  „Laß  dein  Ziel  nicht  wieder 
aus  dem  Auge,  um  zwecklosen  Geschichten  zu  lauschen,  damit  mich 
nicht  wieder  dein  Vorwurf  treffe.  Fliege  wie  der  Pfeil  des  Liebes' 
gottes  zu  der  Stätte,  wo  dir  höheres  Glück  winkt!"  Nun  gereute  es 
die  Schöne,  den  weisen  Zeban^awer  erzürnt  zu  haben,  und  sie  sagte 
kosend  zu  ihm:  „Nimm  den  Scherz  doch  nicht  ernst,  den  ich  mit 
dir  spielte!  Welcher  größere  Meister  aller  Weisheit  als  du  wäre  zu 
finden,  dem  ich  mich  in  jedem  anvertrauen  dürfte?  Wer  wüßte  an' 
mutiger  und  reizvoller  zu  erzählen,  so  daß  das  Herz  in  Lust  erbebt? 
Sei  nicht  allzu  hart  zu  mir   und   laß  mich  zu  meiner  Freude  hören, 

WIE  ES  BAHRAM  ZU  SEINEM  EIGENEN  LEID  ERGING!" 

„Kann  doch  auch  ich  deiner  süßen  Stimme  nicht  widerstehen,"   ent' 
gegnete  der  Papagei,  „so  daß  ich  dir  auch  diesen  Wunsch  erfüllen  muß. 

81 


In  Balch  lebten  vor  vielen,  vielen  Jahren  einmal  vier  Freunde,  begüterte 
Jünglinge,  die  sich  Treue  und  Freundschaft  für  alle  Zeit  geschworen 
hatten.  Nach  dem  Ratschluß  des  Schicksals  war  es  ihnen  aber  be- 
schieden,  daß  sie  zu  gleicher  Zeit  bettelarm  werden  sollten.  Um  wieder 
das  entschwundene  Glück  zu  gewinnen,  zogen  sie  miteinander  aus  ihrer 
Vaterstadt  fort  und  kamen  endlich  an  einen  Ort,  wo  ein  weiser  Ein' 
siedler  wohnte,  der  in  die  Geheimnisse  und  Zauber  des  Weltalls  ein' 
gedrungen  war.  Diesem  erzählten  sie  ihr  Geschick  und  wußten  ihn 
so  einzunehmen,  daß  er  Mitleid  mit  ihnen  hatte  und  jedem  von  ihnen 
einen  Wunderstein  gab ;  dazu  sprach  er :  „Heftet  diese  Siegel  an  eure 
Turbane  und  ziehet  weiter ;  dort  aber,  wo  die  Steine  zu  Boden  fallen, 
grabt  in  der  Erde,  und  das,  was  euch  die  Tiefe  schenkt,  soll  euch  gc 
hören."  So  entließ  er  sie,  und  die  Freunde  wanderten  dahin.  Als  sie 
eine  einsame  Gegend  durchquerten,  fiel  mit  einemmal  der  Stein  des 
ersten  nieder,  und  als  sie  gruben,  lag  eine  große  Kupfermine  vor 
ihnen.  Da  sagte  der,  der  durch  den  Zauber  ihr  Eigentümer  geworden 
war,  zu  seinen  Gefährten:  „Laßt  uns  alle  hier  verweilen  und  dem 
mühevollen  Wandern  entsagen.  Für  uns  alle  ist  hier  Reichtum  genug, 
den  wir  brüderlich  teilen  wollen/4  Die  anderen  mochten  aber  nicht 
auf  diesen  Vorschlag  hören  und  verließen  ihn.  Dem  zweiten  war 
eine  Silbergrube  beschieden,  die  ihm  sein  Talisman  eröffnete.  Auch 
dieser  lud  die  Freunde  ein,  das  reiche  Eigentum  mit  ihm  zu  teilen, 
doch  auch  er  mußte  allein  zurückbleiben.  Die  beiden  letzten  zogen 
wieder  ein  gutes  Stück  in  die  Welt  hinein,  bis  der  Stein  des  dritten 
sich  von  seinem  Turban  löste  und  ihn  eine  stattliche  Goldmine  er" 
schließen  ließ.  „Bleib  bei  mir/  sagte  dieser  zu  seinem  einzigen  Gc 
nossen,  „kein  Metall  ist  edler  als  das  Gold.  Laß  uns  nur  den  fürst" 
liehen  Schatz  in  gleiche  Hälften  teilen."  So  sehr  er  aber  auch  den  Freund 
zu  überreden  suchte,  es  gelang  ihm  nicht.  Bahram,  so  hieß  der  vierte, 
träumte  jetzt  nur  von  einer  Mine  unschätzbarer  Steine  und  zog  allein 
ins  Ungewisse  weiter.  Nachdem  er  viele  Meilen  zurückgelegt  hatte, 
fiel  auch  das  Siegel,  das  sein  Schicksal  bedeutete.  Er  begann  an  dieser 
Stelle  zu  graben  und  zu  schürfen,  bis  er  nach  unendlichem  Bemühen 
inne  ward,  daß  ihm  wohl  Steine  beschieden  waren,  doch  keineswegs 
kostbare,  sondern  nur  die  Blöcke,  die  der  Boden  überall  birgt.  Da 
faßte  ihn  die  schmerzlichste  Reue,  und  er  rief  aus:  „Warum  folgte 
ich  nur  dem  Rate  meiner  treuen  Freunde  nicht  ?"  Bekümmert  lenkte  er 

82 


seine  Schritte  wieder  zurück,  doch  vermochte  er  seine  Gefährten 
nicht  mehr  zu  finden,  und  als  er  auch  die  Stadt  des  weisen  Ein' 
Siedlers  wieder  erreicht  hatte,  mußte  er  erfahren,  daß  der  Alte  sie 
verlassen  hätte.  Hilflos  und  verloren  fristete  er  sein  unglückliches 
Leben   hinfort  als  Bettler. 

Einmal  berichtete  er  einem  anderen  Bettler  von  seinem  unseligen 
Geschick.  Da  erzählte  ihm  dieser,  um  ihn  zu  trösten,  die  Geschichte 

VON  DEN  ZAUBERERN  UND  DEM  ERWECKTEN  GREIF, 

die  ihm  zugestoßen  war  und  ihn  zu  dem  gemacht  hatte,  was  er  nun 
war :  „Mit  drei  Genossen  war  ich  als  Jüngling  in  einem  weit  ent' 
legenen  Land  Schüler  eines  gewaltigen  Zaubermeisters,  der  uns  schon 
mannigfaltige  Sprüche  und  Künste  gelehrt  hatte.  Wir  vier  dünkten 
uns  in  der  geringen  Wissenschaft,  die  wir  so  in  uns  aufgenommen 
hatten,  schon  überaus  weise  und  ersehnten  den  Augenblick,  wo  wir  fern 
vom  Meister  unsere  Kräfte  erproben  konnten.  Als  uns  dieser  einmal  mit' 
einander  in  den  Wald  geschickt  hatte,  daß  wir  Holz  nach  Hause 
brächten,  fanden  wir  dort  einen  ungeheuren  Knochen,  den  wir  ratlos 
bestaunten.  Da  sagte  der  eine:  „Ich  will  doch  versuchen,  das  ganze 
Knochengerüst  dieses  Tieres  aus  diesem  Überbleibsel  hervorzuzaubern." 
Und  er  begann  seine  Beschwörungen,  so  daß  auf  einmal  das  Skelett 
eines  riesigen  Vogels  vor  uns  lag.  „Ich  will  die  Muskeln  und  Ein' 
geweide  dazu  schaffen,"  rief  der  andere  und  entzündete  ein  mächtiges 
Feuer,  über  dem  er  nun  murmelte  und  sang.  Und  so  wuchs  der  un' 
geheure  Luftbewohner  heran,  daß  wir  bei  seinem  Anblick  zitterten. 
Der  dritte  wollte  indessen  nicht  zurückstehen  und  sprach :  „Seht  meine 
Kunst,  mit  der  ich  den  abgebalgten  Leib  mit  der  Zier  seiner  Federn 
bedecken  werde."  Er  beugte  sich  zur  Erde,  nahm  ein  Flaumfederchen 
auf,  das  dort  lag,  blies  es  mit  seinem  Odem  an,  und  als  er  eine 
Weile  mit  unbewegtem  Leib  und  geschlossenen  Augen  dagestanden 
war,  hatte  der  Greif  sein  Federkleid  wieder  erhalten,  daß  es  den  An' 
schein  gab,  als  hätte  ihn  der  Tod  vor  einem  Augenblick  erst  ereilt. 
Da  quälte  mich  die  Sucht,  es  den  Gefährten  zuvorzutun,  und  ich  ver' 
maß  mich,  dem  toten  Körper  Leben  einzuflößen.  Vergebens  warnten  mich 
die  Freunde  und  bestürmten  mich,  die  gefahrvolle  Tat  sein  zu  lassen. 
Aber  der  Neid  und  die  Eitelkeit  saßen  in  meinem  Herzen,  und  ich 
begann  meinen  Zauber.  Langsam  kehrten  Wärme  und  Bewegung  in 

83 

6» 


den  Leib  des  Ungetüms  zurück,  und  plötzlich  schüttelte  es  seine 
furchtbaren  Schwingen  und  streckte  seine  entsetzlichen  Fänge  gegen 
mich  aus  —  die  drei  Genossen  waren  längst  in  ihrer  Furcht  ent' 
laufen  und  hatten  sich  zu  ihrem  Glück  gerettet  —  nun  wollte  auch 
ich  das  Heil  vor  meinem  eigenen  Tun  in  der  Flucht  finden,  doch 
der  Greif  war  schneller,  er  schlug  die  unwiderstehlichen  Krallen  in 
meine  Schultern  und  erhob  sich  dann  mit  mir  in  die  Wolkenhöhe 
des  Himmels,  bis  mir  die  Sinne  schwanden.  Als  ich  wieder  zu  mir 
kam,  lag  ich  mit  zerschmetterten  Gliedern  und  blutbedeckt  in  einer 
Einöde  und  mochte  den  Gedanken  nicht  mehr  zu  fassen,  daß  ich  dem 
Tod  entgehen  könnte.  Doch  Allah  sandte  mir  Hilfe,  daß  ich  meine 
Verblendung  und  meine  Überhebung  über  den  Rat  meiner  Freunde 
in  dem  unseligen  Leben  eines  Krüppels  büße,  denn  eine  vorüber' 
ziehende  Karawane  nahm  mich  auf  und  brachte  mich  hieher.  —  So 
sind  wir  Söhne  einer  gleichen  Schuld  und  gleicher  Strafe,  die  in 
unseren  Herzen  eingebrannt  bleibt." 

Da  weinte  Bahram  und  erwiderte  dem  anderen:  „Was  kann  mir 
heute  die  Belehrung  nützen  ?  Sie  ist  mir  nicht  Trost,  sondern  Wühlen 
in  der  Wunde.  Dem  Glücklichen  sollst  du  die  Unterweisung  geben, 
damit  er  einen  Führer  in  bangen  Zweifeln  hat  und  nicht  der  harten 
Schule  des  Geschickes  bedarf,  die  ihn  vernichtet  hat,  ehe  sie  ihn 
lehrte,  denn  die  Entscheidungsstunde  naht  nur  einmal  im  Leben/' 

Präge  darum  diese  Geschichte  vor  allem  deiner  Seele  ein,  holdeste 
Herrin,  damit  du  nicht  untergehst,  wenn  der  Augenblick  des  Ent' 
Schlusses  an  dich  herantritt.  —  Und  sei  nicht  betrübt,  daß  wieder 
die  Dunkelheit  dem  Lichte  gewichen  ist,  bevor  ich  endete,  denn  diese 
Nacht  gab  dir  Unwiederbringliches,  indes  dir  die  Liebe  deines  Buhlen 
nicht  schwinden  wird,  ja  heller  lodern  muß,  angefacht  von  der  Sehn' 
sucht." 

Schon    glomm    es   vom  Osten   im   flirrenden  Tagen, 
als  seine  Belehrung  der  Sittich  beschloß, 
daß  Weisen  die  nimmermehr  irrenden  Sagen 
die  Richtschnur  verleihn  in  verwirrenden  Lagen. 


Beengend  sank  Düster  über  die  Erde  herab ;  auf  schleichenden  Sohlen 
und  huschenden  Flugs  begann  das  Getier  der  Nacht  auszuschwärmen, 
das  Leben  der  Heimlichkeit  und  Tücke  anzuheben,  das  wohl  auch 
von  ihnen  die  Menschen  erlernten,  die  vor  den  Blicken  der  Nachbarn 
bangen.  —  Es  war  die  Zeit,  die  Chodscheste  nützen  wollte,  den  Gang 
zu  ihrem  Geliebten  zu  wagen,  wenn  auch  Besorgnis  vor  dem  Dunkel 
auf  Straßen  und  Plätzen  sie  befangen  hielt.  Um  sich  Trost  und 
Sicherheit  zu  holen,  trat  sie  zu  ihrem  treuen  Papagei:  „Du  selbst 
gabst  mir  deine  Einwilligung,  daß  ich  meinen  Liebsten  aufsuche. 
Nun  rate  mir  weise:  soll  ich  allein  durch  die  schweren  Schatten  der 
Nacht  zu  ihm  eilen  —  soll  mich  meine  Zofe  hingeleiten?"  Da  ent' 
gegnete  ihr  Zeban^awer:  „Kein  Mitwisser  geziemt  zu  heimlichem 
Tun!  Und  hüte  dich  wohl,  von  deiner  Liebe  auch  nur  zu  sprechen. 
Das  leichte  Wort  hat  Flügel  und  es  kann  dich  verraten,  so  daß  du 
ins  Verderben   stürzest,   wenn   du   nicht   die  Klugheit  anwendest,   so 

WIE  ZARIFA  SICH  AUS  DER  SCHWERSTEN  NOT  RETTETE." 

„Erzähle   mir   das!"   bat   Chodscheste,   und   der  Papagei  folgte  rasch 
der  erwünschten  Aufforderung: 

„In  Tus  lebte  ein  reicher  Mann  mit  Namen  Sejjar,  der  von  allen  Segnun' 
gen  des  Glückes  nur  einer  entbehrte,  so  daß  er  gar  traurig  war :  eines 
Kindes.  Vergebens  hatte  er  alle  Priester  und  Weisen  der  Welt  be' 
fragt,  wie  ihm  Nachkommen  beschieden  sein  könnten,  bis  ein  großer 
Arzt  aus  Griechenland  ihm  zuletzt  einen  Trank  braute,  den  er  seiner 
Gattin  geben  sollte,  ehe  er  sie  nach  seiner  Rückkehr  zum  erstenmal 

85 


wieder  umarmte  und  sich  mit  ihr  in  weihevoller  Lust  einigte. 
„Damit  aber  das  Kind,  das  sich  hernach  im  rechten  Ablauf  der 
Monde  in  ihrem  Schoß  regen  wird,  stark  und  schön  und  glück' 
begünstigt  werde,  sollst  du  alle  die  Gelüste,  die  deine  Frau  in  ihrer 
Schwangerschaft  befallen  werden,  ihr  wohl  zu  erfüllen  behilflich 
sein!"  So  beendete  er  seine  Belehrung,  und  Sejjar  nahm  dankerfüllt 
von  ihm  Abschied,  bestieg  ein  schnelles  Schiff  und  reiste  mit  gutem 
Winde  heimwärts;  so  erreichte  er  ohne  Aufenthalt  sein  Heim,  wo 
er  seine  Gattin  seiner  in  Sehnsucht  harrend  fand. 

Voll  Freude  und  Hoffnung  folgte  er  sodann  den  Weisungen  des 
gelehrten  Griechen,  und  als  das  wechselnde  Gestirn  der  Nacht  wieder 
in  voller  Rundung  auf  sie  niedersah,  durfte  Zarifa  ihrem  Gemahl 
von  den  ersten  Zeichen  des  werdenden  Glückes  berichten.  Nun  geschah 
es,  daß  sie,  die  Trägerin  der  Wunscherfüllung  Sejjars,  die  Begierde 
in  sich  fühlte,  vom  Fleisch  eines  Pfauen  zu  essen.  Es  war  aber  in 
ganz  Tus  ein  einziger  Pfau,  das  Lieblingstier  des  Königs,  der  an  der 
Farbenpracht  seines  Rades  solchen  Gefallen  gefunden  hatte,  daß  er 
keinen  Tag  hingehen  ließ,  ohne  sich  an  seinem  Spiele  zu  ergötzen. 

Sejjar  gedachte  indessen  des  Befehls,  den  ihm  der  Arzt  gegeben 
hatte,  und  besprach  mit  Zarifa  einen  klugen  Plan,  wie  sie  ungefährdet 
und  ungesehen  den  Vogel  fangen  könnten.  Und  sie  begaben  sich 
nächtlicherweile  in  den  Park  des  königlichen  Palastes,  in  dem  er 
nistete,  ergriffen  den  Schlafenden  und  drehten  ihm  sogleich  den  Hals 
um,  daß  er  nicht  sein  widriges  Geschrei  erheben  könnte,  nahmen  ihn 
mit  sich  und  brieten  sein  Fleisch ;  den  Balg,  die  Eingeweide  und  die 
Knochen  vergruben  sie  hernach,  damit  niemand  etwas  finden  konnte. 
—  Jetzt  war  Zarifa  von  solcher  Seligkeit  erfaßt,  daß  sie  es  nicht  lassen 
konnte,  ihrer  Pflegeschwester,  wenn  auch  nur  mit  wenigen  Worten, 
das  Geheimnis  zuzuflüstern,  das  sie  besser  in  ihrem  Busen  geborgen 
hätte.  Denn  der  König  war  nicht  so  bald  von  dem  Verschwinden  des 
Pfaues  unterrichtet  worden,  als  er  Befehl  gab,  überall  bei  Trommel' 
schlag  zu  verkünden,  daß  jeder,  der  ihm  Nachricht  von  dem  Vogel 
brächte,  tausend  Dinare  als  Lohn  empfangen  sollte,  der  Frevler  aber 
zu  schmählichem  Tode  geführt  werden  würde. 

Die  Wahrheit  des  alten  Wortes:  Vertrau  nur  dir  und  dem  Geschick 
und  hüte  dich  vor  Wort  und  Blick!  sollte  sich  wieder  weisen.  Die 
Pflegeschwester  Zarifas,   die   alles   nur   deren  hingebungsvoller  Liebe 

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dankte,  war  gleichwohl  von  bohrendem  Neid  gegen  das  Glück  der 
Edlen  erfüllt  und  hoffte  nun  die  Zeit  gekommen,  die  Verhaßte  zu 
verderben.  Sie  eilte  allsogleich  zum  König  und  berichtete  ihm,  was 
sie  wußte.  Dieser  war  aber  ein  Spiegel  der  Gerechtigkeit,  darum  sprach 
er  zu  ihr,  nachdem  er  mit  sich  zu  Rate  gegangen  war :  „Kein  Richter 
fälle  die  Entscheidung  ohne  Beweise !  Darum  laß  die  Beschuldigte  die 
Worte  vor  mir  wiederholen,  die  sie  sprach."  Und  zu  diesem  Zwecke 
ließ  er  eine  große  Kiste  herbeischaffen,  setzte  sich  hinein  und  befahl 
ihr,  ihn  so  in  das  Haus  jener  zu  bringen. 

Zwei  Lastträger  luden  den  König  auf  ihren  Rücken  und  folgten 
der  Verräterin.  Diese  übergab  die  Kiste  Zarifa  und  bat  sie,  ihr  bestes 
Hab  und  Gut,  das  sie  darein  verpackt  hätte,  in  Obhut  zu  nehmen 
und  tat,  als  ob  sie  sich  zu  einer  Pilgerfahrt  rüste.  Dabei  brachte  sie 
schlau  die  Rede  auf  den  getöteten  Pfau  und  sagte:  „Liebste,  willst  du 
mir  nicht  noch  einmal  erzählen,  wie  sich  alles  begab,  denn  die  Sache 
ist  gar  zu  unterhaltend."  Zarifa  war  indes  durch  alle  diese  Umstände 
mißtrauisch  geworden  und  sah,  daß  es  jetzt  galt,  begangene  Fehler 
durch  Klugheit  zu  verbessern.  Vielleicht  hatte  aber  ein  zweiter  gehorcht? 
Leugnen  war  so  wohl  nicht  das  Rechte !  Darum  fing  sie  an :  „Denke 
dir  nur :  es  war  dunkel  und  ich  ging  lange  Hand  in  Hand  mit  Sejjar, 
bis  wir  in  einen  herrlichen  Garten  kamen ;  dort  flog  uns  der  schillernde 
Vogel  entgegen  und  ich  faßte  ihn  fest  und  würgte  ihn,  bis  er  tot  war. 
Dann  brachten  wir  ihn  nach  Hause,  bereiteten  ihn  und  ich  genoß  sein 
Fleisch,  um  mein  Gelüst  zu  befriedigen.  —  Da  krähte  auf  einmal 
der  Hahn  und  ich  erwachte  aus  diesem  sonderbaren  Traum,  der  mir 
von  guter  Vorbedeutung  für  mein  Kind  erscheint."  Entsetzt  fragte 
die  Schwester:  „Was  du  mir  erzähltest,  war  nur  ein  Traum?" 
„Ei  freilich,"  entgegnete  lachend  Zarifa,  „du  wirst  doch  wohl  nicht 
glauben,  daß  ich  den  Pfau  umbringen  konnte,  da  mir  doch  die  Tötung 
einer  Fliege  ein  Verbrechen  ist.  Wie  konntest  du  nur  so  ungereimt 
das  Traumgesicht  für  Wahrheit  halten?" 

In  Furcht  vor  Strafe  entfloh  die  Böse;  der  König  wußte  aber  den 
Augenblick  zu  erfassen,  da  niemand  mehr  in  dem  Gemache  war,  und 
begab  sich  in  seinen  Palast.  Dann  hielt  er  Gericht  ab  und  verkündete 
vor  allen,  was  er  hier  und  dort  vernommen  hatte.  Er  verbannte  die 
Verräterin  ob  ihrer  boshaften  Verleumdung  und  erhöhte  Zarifa  und 
ihren  Gemahl.  Vielleicht  sah  der  weise  König  aber  doch  die  Wahrheit, 

87 


denn  er  forschte  nicht  mehr  nach  seinem  Pfau  und  nahm  wohl  für 
dessen  vergängliche  Schönheit  die  unvergängliche  Erkenntnis,  daß  man 
Geheimnisse  im  Grab  des  eigenen  Herzens  ruhen  lasse. 
Ich  will  dir  aber  zu  deiner  Warnung  noch  die  lehrreiche  Geschichte 

VOM    TÖPFER,    DER    DEN    KRIEGSHELDEN   SPIELTE, 

erzählen,  die  dir  zeigen  soll,  daß  nicht  nur  das  gesprochene  Wort  zum 
Verderben  werden  kann,  sondern  auch  das  verheimlichte.  Höre:  In 
China  lebte  ein  Töpfer,  der  wie  viele  seiner  Landsleute  dem  Genuß 
des  berauschenden  Haschisch  frönte.  Als  er  einmal  zu  viel  davon 
genossen  hatte,  fiel  er  im  Schlaf  der  Trunkenheit  unter  seine  irdenen 
Töpfe  und  Krüge  und  zerschnitt  sich  jämmerlich  dabei.  Er  genas 
allerdings  wieder,  aber  sein  Gesicht  und  seine  Brust  blieben  von 
Narben  so  zerrissen,  als  wäre  er  von  Schwerthieben  und  Speerstößen 
zerfleischt  worden.  Da  man  ihn  in  seiner  Heimat  darum  neckte,  kehrte 
er  ihr  den  Rücken  und  machte  sich  auf  die  Wanderung.  An  den 
Blicken  aller  Fremden  merkte  er  bald,  daß  er  als  großer  Kriegsheld 
galt  und  tat  beileibe  nichts,  um  diesen  Anschein  zu  zerstören.  Und 
als  er  zur  Residenz  eines  gewaltigen  Königs  gekommen  war,  zögerte 
er  nicht,  vor  dessen  Angesicht  zu  treten  und  sagte  kühn:  „Viele 
Worte  sind  nicht  meine  Sache.  Ich  kam  hieher,  um  in  deinen  Diensten 
zu  wirken ;  ich  bitte  dich,  teile  mir  das  Amt  zu,  für  das  ich  dir  recht 
erscheine."  Der  Fürst  sah  die  Narben  an  ihm  und  zweifelte  nicht, 
daß  er  sie  im  tapferen  Kampfe  davongetragen  hätte  und  in  männlicher 
Bescheidenheit  der  Worte  sparte.  So  nahm  er  ihn  in  sein  Heer  auf 
und  bekleidete  ihn  bald  mit  der  Würde  des  obersten  Feldherrn. 

Eine  Weile  mochte  dies  wohl  währen,  doch  sollte  sich  der  Unbestand 
der  Unwahrheit  erweisen  wie  bei  dem  Schakal,  der  ins  Färberfaß 
gefallen  war  und  farbenprächtig  wie  kein  anderes  Tier  zurückgekehrt, 
sich  zum  Beherrscher  des  Waldes  aufgeworfen  hatte,  zuletzt  daran 
zugrunde  ging,  daß  er  seine  Stimme  laut  werden  ließ,  als  die  anderen 
seines  Geschlechtes  ihr  häßliches  Heulen  anstimmten.  So  mußte  auch 
der  Töpfer  entlarvt  werden,  als  der  König  dem  übermütigen  Dräuen 
eines  Feindes  Halt  gebieten  wollte  und  befahl,  das  Heer  gegen  ihn 
zu  rüsten  und  ihm  den  Krieg  anzusagen.  Da  erschrak  der  feige  Ge' 
seile  zutiefst  und  sprach  in  seiner  Not  zu  seinem  Fürsten:  „Entbinde 
mich  von  meinem  Amt  und  meiner  Pflicht,  denn  ich  bin  kein  Krieger, 

88 


sondern  ein  Töpfer,  der  nicht  in  der  Schlacht,  sondern  im  mv 
geschickten  Fall  die  Wunden  erlitt,  deren  Narben  mein  Gesicht 
zeichnen."  Da  mußte  der  König  zuerst  lachen,  dann  aber  sprach  er: 
„Habe  ich  dich  erhöht,  so  darf  ich  dich  jetzt  nicht  erniedrigen,  denn 
es  heißt:  ,Es  steht  dir  frei,  den  Anfang  zu  bedenken,  doch  dann  ists 
Pflicht,  die  Tat  zum  Ziel  zu  lenken/  Und  du  bist  in  derselben  Lage. 
Hättest  du  rechtzeitig  gesprochen,  so  wäre  dir  dieses  Ungemach  erspart 
geblieben.  Jetzt  gibt  es  kein  Schwanken  mehr,  du  mußt  deine  Pflicht 
tun  und  sollst  lernen,  durch  den  Willen  über  dich  selbst  hinaus" 
zuwachsen."  —  Bebend  zog  der  gezwungene  Feldherr  in  den  Kampf 
und  er  verzweifelte  so  an  seinem  Leben,  daß  er  allen  voran  in  die 
Feinde  drang  und  viele  erschlug,  ehe  er  selbst  den  Tod  eines  Helden 
starb.  Keiner  fand  sich,  der  seinen  Ruhm  geschmälert  hätte,  denn  sein 
Werk  war  der  herrliche  Sieg,  und  er  wurde  mit  den  höchsten  Ehren 
bestattet.  —  Was  hatte  er  freilich  davon,  er,  der  ruhmloses  Leben 
dem  Tode  vorgezogen  hätte;  das  war  die  Strafe  für  das  nicht  ge" 
sprochene  Wort. 

Und  der  Geschichtschreiber,  der  dieses  Begebnis  aufgezeichnet  hat, 
damit  die  Nachwelt  sich  daran  bilde,  fügt  ihm  noch  hinzu:  Dereinstens 
war   das  Pferd   ein  gar   verachtetes  Tier,   doch   ein   Kaiser   erkannte 

DIE  LEBENWAHRENDE    KLUGHEIT    DES     HENGSTES 

als  er  ihm  den  Rat  der  Schweigsamkeit  gab,  daß  er  ihn  zum  edlen 
Gefährten  des  Menschen  erhob.  Und  das  kam  so:  Der  Kaiser  lust" 
wandelte  einst  durch  seinen  Garten,  als  er  zwei  Schlangen  verschiedener 
Art  beim  Spiele  sah  und  wahrnahm,  daß  das  Weibchen  das  fremde 
Männchen  immer  mehr  zu  buhlerischer  Lust  verlockte,  bis  es  erlag. 
Da  griff  er  zu  seinem  Schwert,  um  die  unkeusche  Schlange  zu  er" 
schlagen,  doch  sie  entglitt  ihm  und  die  Schärfe  traf  nur  die  letzten 
Ringe  ihres  Schwanzes.  Sie  erzählte  dann  zu  Hause,  daß  der  Kaiser 
sie  im  Schlaf  hätte  meuchlerisch  ermorden  wollen,  und  ihr  Gemahl 
beschloß  Rache  zu  üben  und  den  Frevler  mit  dem  Gift  seines  Bisses 
zu  töten.  Und  darum  schlich  das  Männchen  der  Schlange  in  das  Schlaf" 
gemach  des  Königs,  wo  es  sich  unter  Blumen  versteckte.  Dort  hörte 
es  nun,  wie  der  Kaiser  das  Liebeswerben  seiner  Gemahlin  zurück" 
wies,  indem  er  ihr  erzählte,  was  er  erlebt  hatte,  und  mit  den  Worten 
schloß:    „Sollte   ich   da   nicht   in  der  Erkenntnis  weiblicher  Wollust 

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allen  Verkehr  mit  den  Frauen  meiden?  —  Heute  verstand  ich  erst  den 
unbewußt  tiefen  Sinn  in  den  Worten  jener  Frau,  die  ihrem  Mann 
auftrug,  die  Halfter  ihres  Kamels  mit  starker  Hand  zu  führen,  „denn," 
so  sagte  sie,  „wie  vermöchte  ich  das  eigensinnige  Reittier  mit  meiner 
schwachen  Kraft  zu  meistern,  da  sein  Sinn  stets  nach  den  blauen 
Fernen  gerichtet  ist  und  es  von  der  Alltäglichkeit  des  geraden  Weges 
abzieht."  Ist  doch  das  Tier  nur  das  Bild  des  wankelmütigen  Wesens 
des  Weibes,  dem  es  nimmer  aus  eigener  Macht  widerstehen  kann." 

Als  der  Fürst  sodann  allein  war,  nahte  die  männliche  Schlange  ehr' 
fürchtig  seinem  Lager,  pries  ihn  für  die  Enthüllung  der  Wahrheit, 
die  nunmehr  ihren  Zorn  gegen  ihn  in  Liebe  und  die  Liebe  zu  seinem 
Weibchen  in  Haß  verwandelt  hätte,  und  sagte :  „Das  Höchste,  was  ich 
dir  schenken  kann,  ist  die  Gabe,  die  Sprache  der  Tiere  zu  verstehen. 
Nimm  dies  als  das  Zeichen  meines  Dankes  hin!  Doch  hüte  dich,  zu 
einem  Menschenkind  davon  zu  sprechen,  sonst  müßtest  du  im  selben 
Augenblick  sterben."  Dann  eilte  die  Schlange  fort,  und  als  der  Kaiser 
nun  den  Rufen  der  Eulen  und  dem  Gesang  der  Nachtigall  lauschte, 
konnte  er  entzückt  verstehen,  was  sie  redeten.  —  Am  folgenden  Morgen 
trat  seine  Gattin  wieder  zu  ihm  und  schmeichelte  und  koste  ihn, 
damit  er  wieder  gut  sei.  Da  hörte  er  ein  Paar  von  Turteltauben  mit' 
einander  sprechen.  „Warum  stößt. der  Kaiser  sein  treues  Weib  von 
sich?"  fragte  sie  und  der  Täuberich  erwiderte:  „Er  ist  so  dumm  wie 
alle  Menschen.  Wie  oft  sagte  ich  dir  schon,  daß  ich  weiser  und 
mächtiger  bin  als  selbst  der  Kaiser!"  Erschrocken  rief  die  Taube: 
„Sprich  doch  nicht  so!  Er  versteht  unsere  Sprache  und  wird  dich 
sicherlich  wegen  deiner  Vermessenheit  töten  lassen!"  Da  girrte  er 
aufflatternd  zum  Kaiser:  „Verzeihemir,  erhabener  Herrscher,  was  ich 
sagte.  Doch  was  kann  es  deiner  Macht  schaden,  wenn  so  ein  kleines 
Tier  wie  ich  vor  seinem  Weibchen  prahlt."  Darüber  mußte  der  Kaiser 
nun  so  lachen,  daß  er  fast  umgefallen  wäre.  Seine  Gattin  aber  glaubte, 
er  wolle  sie  verhöhnen  und  drohte  ihm:  „Wenn  du  mir  nicht  sagst, 
was  der  Grund  deines  Lachens  war,  so  werde  ich  mich  zur  Stunde 
umbringen."  Er  suchte  sie  zu  besänftigen  und  küßte  sie,  er  wollte  sie 
überzeugen,  daß  die  Antwort  sein  Tod  wäre,  doch  sie  ließ  nicht  ab, 
ihn  zu  drängen,  so  daß  er  sich  entschloß,  ihr  Rede  zu  stehen.  Und 
damit  führte  er  sie  hinaus  in  den  Garten,  wo  sie  einsam  wären.  Als 
er  aber  am  Brunnen  des  Palastes  vorbeikam,  sah  er  dort  einen  Hengst 

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und  eine  Stute  weiden.  Und  sie  sagte  zu  ihrem  Männchen:  „Bringe 
mir  doch  die  Kräuter,  die  so  verlockend  im  inneren  Rande  des 
Brunnens  wachsen,  sonst  müßte  ich  mich  hineinstürzen."  Da  ging  er 
hin  und  sah  hinab  und  dann  erwiderte  er  ihr :  „Wollte  ich  dir  holen, 
was  du  begehrst,  so  wäre  es  mein  gewisser  Tod,  und  du  gingest  auch 
leer  aus.  Darum  bleibt  dir  wohl  nichts  anderes  übrig,  als  dich  selbst 
hineinzuwerfen!  Ich  will  es  dem  Kaiser  nicht  nachtun,  der  töricht 
sprechen  will,  wo  Schweigen  Pflicht  ist."  —  Dieses  Wort  ergriff  den 
Fürsten  und  er  widerstand  nun  allem  Bitten  und  Flehen  seiner  Gc 
mahlin  und  rettete  nicht  nur  sein  Leben  für  dieses  Mal,  sondern  er 
gewann  auch  für  alle  Zukunft  die  weiseste  Lehre,  die  ihm  fortan  die 
Stütze  seiner  Herrschaft  war. 

Hast  du  dieses  erwogen,  so  eile  zu  deinem  Freunde  und  erfreue 
dich  seiner  Liebe."  Und  Chodscheste  lenkte  ihre  Schritte  zur  Tür, 
doch  als  sie  öffnete,  wehte  ihr  die  erfrischende  Luft  des  Morgens  ent- 
gegen und  die  Sänger  des  Tages  begrüßten  sie,  verstand  sie  auch  nicht, 
was  ihr  Tönen  bedeutete.  So  galt  es  denn  noch  einen  Tag  die  Er' 
füllung  ihrer  Sehnsucht  zu  erharren. 

Du  trittst  vor  das  Tor,  und  der  Schimmer  umfängt 
dich  hell  wie  die  Weisheit,  die  nächtlich  dir  ward: 
Wer  klüglich  verschweigt,  was  ihn  immer  umdrängt, 
der  wirkt,  daß  Verhängnis  ihn  nimmer  umzwängt. 


Auf  der  blauen  Au  des  Himmels  wechselten  die  Herden  weißer  Lämmer 
mit  denen  roter  Kühe  und  nun  waren  es  schwarze  Böcke,  die  ihre 
Possen  auf  dem  dunkel  gewordenen  Gefilde  des  Firmaments  trieben, 
doch  sie  alle  überwachte  die  Ewigkeit  als  unermüdlicher  Hirt  und  seine 
Hunde,  die  den  tollen  Scharen  nachjagten,  waren  die  Stürme  der  Höhe. 

Als  Chodscheste  in  der  Morgenfrühe  nach  durchwachter  Nacht 
entschlafen  war,  hatte  sie  ein  Traumgesicht  gehabt,  das  ihr  die  Zukunft 
zu  künden  schien,  denn  wahr  ist  nach  den  Worten  der  Weisesten, 
was  der  Schlaf  am  Morgen  zeigt.  Aber  sie  hatte  vergeblich  der  Deutung 
nachgesonnen  und  trat  darum  jetzt  in  banger  Erwartung  vor  den 
Käfig  Zeban^awers  und  bat  den  klugen  Vogel:  „Enthülle  mir  heute 
deine  Weisheit  in  der  Lösung  eines  Traumes,  der  mich  ängstigt: 
ich  sah  ein  weißes  Täubchen  einen  gewaltigen  Drachen  verfolgen, 
und  flog  auch  dieser  in  der  höchsten  Not  in  stürmender  Flucht,  so 
ward  er  doch  erreicht  —  und  denke  nur:  das  kleine  Vögelchen  ver" 
schlang  das  Untier,  als  wäre  es  nie  gewesen.  —  Was  mag  die 
Prophezeiung  sein,  die  dieses  Bild  mir  brachte?"  Es  lastete  kein 
Zweifel  auf  der  Seele  des  Papageis,  daß  dieser  Traum  das  Ende  des 
Chodscheste  bedräuenden  Geschickes  und  das  Gelingen  seiner  pflicht' 
getreuen  Tat  besage,  war  doch  auch  so  ein  grauses  Tier  durch  schwache 
Kraft  vernichtet  worden.  Diese  Erkenntnis  barg  er  indessen  in  seinem 
Herzen  und  schritt  zum  letztenmal  den  schweren  Weg  der  List.  „Dir 
lacht  das  Glück,"  begann  er  nach  kurzem  Bedenken,  „du  selbst  bist 
das  Täubchen   und  der  Drache  ist  das  Leid,   das  dich  bedrückte  und 

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verfolgte,  bis  du  aus  deiner  Herzensflucht  zum  Angriff  übergingst 
und  Siegerin  der  Sorgen  wardst,  die  spurlos  schwanden.  Nun  kann 
dich  nichts  mehr  von  der  Seligkeit  trennen,  die  dir  mit  Allahs  hohem 
Beistand  naht,  wie   einst   dem   edlen   König  von  Adschin.  Willst  du 

DIE   GESCHICHTE    VOM   WUNDERSAMEN   SCHICKSAL 

hören?"  „Mit  tausend  Freuden,"  erwiderte  Chodscheste,  und  so  hub 
der  Papagei  an: 

„Der  mächtige  König  von  Adschin,  der  herrlichen  Stadt  im  weiten 
Lande  Indien,  jagte  einstmals  in  den  Wäldern  seines  Reiches,  als  ihn  ein 
seltsames  und  wunderbares  Wild  auf  seine  Spuren  zog.  Nach  langer 
Verfolgung  streckte  er  es  mit  einem  sichern  Pfeilschuß,  und  als  er  in 
freudiger  Bewunderung  das  Geschöpf  besah,  brach  er  in  die  Worte  aus: 
„Kann  wohl  ein  Mädchen  so  hold  und  zierlich  sein  in  dieser  Welt?  Und 
wäre  sie  ein  Kind  von  Menschen,  so  möge  sie  meine  zweite  Gattin 
werden!"  Da  sagte  sein  Wezir,  der  im  Jagdgefolge  weilte  und  dem 
von  allem,  was  da  lebt,  untrügliches  Wissen  eigen  war:  „König,  es 
gibt  ein  Land,  in  dem  die  Blüte  aller  Jungfrauenschönheit  sprießt, 
allein  die  herrlichste  im  Strauß  seiner  Knospen  ist  die  Tochter  des 
Beherrschers  dieses  Reiches:  sie  ist  der  Edelstein  in  der  Krone  der 
Frauen,  sie  ist  die  strahlende  Gebieterin  der  Anmut.  Und  wisse:  die 
Stadt,  in  der  sie  lebt,  ist  Medinet  al  Kar,  die  weit  von  hier  liegt 
hinter  der  Öde  des  Weltmeers."  Diese  Worte  drückten  den  Stachel 
verzehrender  Liebe  in  den  Busen  eines  Jägers  in  der  Schar  des  Königs; 
doch  dieser  selbst  gab  nur  besonnenen  Gedanken  Raum  und  achtete 
nicht  weiter  der  Rede  seines  Kanzlers. 

Am  gleichen  Tage  geschah  es  aber,  daß  die  erste  Gemahlin  des 
Fürsten  in  ihrer  Kammer  vor  dem  Spiegel  stand  und  bei  dem  Anblick 
ihrer  Reize  ausrief:  „Welche  Frau  der  Welt  mag  mich  an  Lieblichkeit 
übertreffen  und  welcher  Herrscher  an  Macht  meinen  Gemahl?"  Kaum 
hatte  sie  so  gesprochen,  als  helles  Lachen  an  ihr  Ohr  drang.  Es  war 
ein  Vöglein,  das  in  das  Gemach  geflogen  war  und  hoch  vom  Sims 
herab  nun  sprach:  „Es  gibt  wohl  einen,  der  an  Kraft  vor  deinem 
Gatten  steht,  das  ist  der  Fürst  von  Medinet  al  Kar,  und  vor  der 
Schönheit  seines  Töchterchens  mußt  selbst  du  dich  beugen!"  Un' 
verweilt  berichtete  die  Königin  ihrem  Gemahl  dieses  Erlebnis.  Und 
als  ihm  nun  dieses  Zeugnis  die  Wahrheit  der  Worte  bestätigte,  die 

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sein  Wezir  gesprochen  hatte,  faßte  er  den  Entschluß,  dorthin  zu 
wandern  und  die  Prinzessin  zu  freien. 

Im  Kleide  eines  wandernden  Derwisches  zog  der  stolze  König  von 
Adschin  aus,  um  die  Braut  zu  gewinnen.  Keiner  seines  mutigen 
Gefolges  sollte  die  Gefahren  mit  ihm  teilen.  Unbemerkt  nur,  in  eine 
Mücke  verwandelt,  wozu  ihm  der  Zauber  gegeben  war,  folgte  ihm 
jener  Jäger,  von  dem  ich  dir  schon  erzählt  habe ;  und  sein  Ziel  war, 
die  Königstochter  selbst  zu  erringen.  —  Lange  Tage  schritt  der  König 
seinen  Weg  entlang,  bis  er  endlich  an  das  Ufer  des  Ozeans  gelangte, 
wo  er  geduldig  einen  ganzen  Tag  blieb.  Dort  traf  ihn  der  treue 
Vasall  des  Meeres,  der  Westwind,  und  eilte,  als  er  das  Begehr  des 
Fürsten  vernommen  hatte,  zu  seinem  König,  ihm  die  Botschaft  zu 
bringen.  Da  verließ  der  Gott  des  Ozeans  alsbald  seinen  Palast  in  der 
unausdenklichen  Tiefe  der  Fluten  und  begab  sich  in  menschlicher 
Gestalt  zu  dem  Harrenden.  Und  er  umarmte  ihn  und  sagte:  „Edler 
König,  heische  von  mir,  was  immer  dein  Wunsch  ist,  den  ich  erfüllen 
werde,  soweit  meine  Macht  nur  reicht."  Da  bat  ihn  der  Herrscher 
von  Adschin:  „Gewähre  mir  den  einzigen  Wunsch  und  führe  mich 
nach  Medinet  al  Kar  l"  Der  Beherrscher  der  Gewässer  erwiderte  ihm : 
„Bis  zu  dieser  Stadt  selbst  erstreckt  sich  mein  Gebiet  nicht,  denn  sie 
liegt  tief  im  Binnenland,  umgrünt  von  duftenden  Wäldern.  Ist  es  dir 
aber  recht,  so  sollen  dich  meine  Diener  ans  jenseitige  Ufer  dahin 
führen,  von  wo  du  nur  wenige  Wochen  mehr  von  deinem  Ziel  ent' 
fernt  bist!"  Der  König  im  Pilgerkleid  war  damit  einverstanden  und 
reiste  auf  dem  Rücken  einer  mächtigen  Woge  in  schneller  Fahrt  zum 
anderen  Strand.  Dort  nahm  er  dankbar  Abschied  von  der  Welle  und 
wanderte  voll  Sehnsucht  der  angegebenen  Richtung  zu. 

Am  vierten  Tage  seiner  Fahrt  sah  er  sich  in  einem  lieblichen 
blumenübersäten  Tal,  das  silberne  Bäche  durchrieselten.  Als  er  nun 
am  Rande  einer  kühlen  Quelle  sich  erfrischte  und  rastete,  traten  mit 
einemmal  zwei  Jünglinge  vor  ihn,  begrüßten  ihn  ehrfürchtig  und 
sprachen  zu  ihm:  „Du  bist  der  gottgesandte  Schiedsrichter  unseres 
Bruderzwistes.  Denn  zwei  wunderbare  Dinge  hinterließ  uns  der  Vater, 
als  er  starb,  und  wir  sind  nicht  imstande,  selbst  zu  entscheiden,  und 
hadern  im  ewigen  Streit.  —  Hier  dieser  Ring  besitzt  die  Gabe,  an 
jeden  Ort,  und  wäre  er  noch  so  fern,  im  Nu  zu  tragen,  wenn  man 
ihn   dreht    und    nur   den   Namen   seines   Zieles   nennt.   Und   dieses 

94 


Schwert  hier  ist  in  nie  besiegbarer  Macht  jedes  Feindes  Tod.  — 
Entscheide  du,  wir  werden  uns  deinem  Schiedsspruch  willig  fügen!" 
Da  erhob  sich  der  König  und  sprach  in  listiger  Erwägung:  „Lauft 
um  die  Wette  bis  zu  jenem  Palmenbaum!  Es  sei  der  Schnellere  der 
Herr  des  Schwertes,  denn  er  bedarf  der  Eigenschaft  des  Ringes  weniger. 
Dann  kämpfet  miteinander;  und  laßt  dem  Stärkeren  den  Reif,  denn 
seine  Kraft  macht  ja  das  Schwert  entbehrlich!  Beginnet  jetzt  den 
Lauf!"  Die  beiden  Knaben  schürzten  ihr  Gewand  und  flogen  wie  der 
Windstoß  übers  Feld.  Der  König  achtete  indessen  ihrer  nicht,  er 
gürtete  in  Eile  das  Zauberschwert  um  seine  Lenden  und  streifte  den 
Ring  an  seinen  Finger.  Schnell  drehte  er  den  Stein  nach  innen  und 
sprach  das  Wort:  „Medinet  al  Kar!"  Und  in  Gedankenschnelle  war 
er  vor  dem  Schloß  in  dieser  Stadt. 

Nun  hatte  sich  auch  dort  Wunderbares  ereignet:  Die  Schönheit" 
strahlende  Königstochter  hatte  im  Traum  den  Fürsten  von  Adschin 
gesehen  und  war  in  heißer  Liebe  zu  ihm  entbrannt.  Die  Sterndeuter 
und  Schriftgelehrten  hatten  die  Horoskope  gestellt  und  dem  König 
verkündet,  daß  der  Geliebte  seines  Kindes  verkleidet  als  Freier  auf 
der  Reise  zu  seinem  Lande  sei ;  und  als  ihr  Herrscher  sie  nun  fragte : 
„Woran  soll  ich  ihn  erkennen,  wenn  er  ohne  königliche  Pracht  hier 
einzieht?"  sagten  sie:  „Laß  die  Tore  des  Palastes  von  den  furcht" 
barsten  Löwen  bewachen ;  er,  der  sie  kühn  mit  einem  Streich  erlegen 
wird,  das  ist  der  König  von  Adschin." 

Brüllend  und  mit  aufgerissenen  gähnenden  Rachen  traten  daher 
dem  Fürsten  im  Derwischgewand  die  Ungetüme  entgegen,  als  er  durch 
die  Tore  des  Palastes  schreiten  wollte;  furchtlos  zückte  er  da  sein 
Zauberschwert  und  erschlug  sie  alle  mit  einem  Hieb.  Nun  eilten  die 
Großen  und  Würdenträger  von  Medinet  al  Kar  auf  den  Mann  im 
härenen  Pilgerkleid  zu,  beugten  sich  tief  vor  ihm  und  begrüßten  ihn 
mit  seinem  rechten  Namen,  um  ihn  sodann  erstaunt  zu  ihrem 
Herrscher  zu  geleiten.  Und  dieser  hieß  ihn  zu  seiner  Rechten  auf 
seinem  Thron  niederzusitzen  und  erwies  ihm  die  höchsten  Ehren. 
Dann  berichteten  sie  einander,  was  sich  begeben  hatte,  und  schon  am 
folgenden  Tage  wurde  die  Hochzeit  des  edlen  Paares  mit  strahlendem 
Festesglanz  gefeiert.  Der  König  von  Adschin  suchte  seine  junge  Gattin 
heim  und  Monde  schwanden  ihnen  wie  Stunden  der  Lust.  Als  aber 
statt  Blüten  schwere  Früchte  an  den  Bäumen  hingen,  ward  der  Eidam 

95 


des  Fürsten  von  Medinet  al  Kar  inne,  daß  er  schon  allzulange  seinem 
Reich  fern  war  und  bat  den  Vater  seiner  Gattin  für  sich  und  sein 
holdes  Weib  um  Gewährung  der  Heimkehr.  Und  als  er  innigen 
Abschied  genommen  hatte,  umschlang  er  seine  Gemahlin,  drehte  den 
Ring  und  wünschte  sich  wieder  zu  der  Quelle,  wo  er  die  wunder" 
mächtigen  Erbstücke  von  den  Jünglingen  genommen  hatte.  Hier  traf 
er  sie  auch  an  und  wollte  ihnen  Wehr  und  Reif  zurückstellen,  indem 
er  sprach:  „Glaubt  nicht,  daß  schnöde  Habsucht  und  betrügerischer 
Geist  mich  geleitet  haben,  euch  Unrecht  zu  tun;  mir  schwebte  nur 
die  Erfüllung  meiner  reinen  Sehnsucht  vor  Augen.  Nehmt  darum 
mit  der  Bitte  um  Vergebung  und  dem  tiefst  gefühlten  Dank  zurück, 
was  ich  ohne  euren  Willen  entlehnte."  Da  entgegneten  ihm  die  beiden 
Jünglinge :  „Wisse,  wir  entstammen  dem  Geisterreich  und  sind  durch 
den  Zwang  unseres  Geschlechtes  gebunden,  niemals  in  Menschen" 
werke  tätig  einzugreifen ;  doch  wollten  wir  die  Zauberstücke,  die  nun 
dein  Eigen  seien,  in  deine  Hände  bringen  und  wählten  in  der  Kenntnis 
deiner  Weisheit  diese  List.  —  Und  nicht  uns  sollst  du  mit  Dank 
bedenken,  nur  ihn,  der  das  All  erschuf  und  dich  und  uns  gebildet 
hat.  Doch  da  du  die  Zierde  der  Edelmütigen  bist,  sollst  du  noch 
einen  Gottesnamen  von  uns  lernen,  mit  dessen  Kraft  du  in  jeden 
Körper,  den  du  wählst,  einzugehen  gerüstet  sein  wirst."  —  Da  aber 
der  verräterische  Jäger  in  der  Pein  seiner  vergeblichen  Liebe  nicht 
vom  König  gewichen  war  und  verborgen  in  der  Gestalt  des  kleinsten 
Wesens  auf  Ränke  sann,  ward  auch  er  in  dieses  Geheimnis  eingeweiht. 

Nachher  schwanden  aber  die  beiden  guten  Geister,  und  der  König 
vollendete  mit  Hilfe  seines  Ringes  die  weite  Reise  in  sein  Heimatland 
in  einem  Augenblick  und  wurde  mit  seiner  neuen  Gattin,  deren 
Schönheit  nur  Wonne  und  nicht  Neid  erwecken  konnte,  von  seiner 
ersten  Gemahlin  und  seinen  Großen,  den  Kriegern  seines  Heeres 
und  von  allen  Untertanen  mit  herzlichstem  Jubel  empfangen.  Und 
er  nahm  die  Herrschaft  wieder  machtvoll  an  sich  und  sprach  Recht 
und  erließ  Gebote,  wie  es  das  Wirken  großer  Fürsten  ist. 

Eines  Tages  aber  faßte  ihn  wieder  Verlangen  nach  der  männlichen 
Jagd,  und  er  ritt  mit  seinen  Getreuen  in  den  tiefen  Wald.  Eine  Anti" 
lope  sprang  vor  ihm  auf  und,  sie  zu  verfolgen,  gab  er  seinem  Roß 
die  Zügel  frei  und  stob  dem  seltenen  Wilde  nach,  so  daß  er  bald 
allein  war,  doch  ließ  dies  seinen  Eifer  nicht  erlahmen.  Als  er  endlich 

96 


das  prächtige  Tier  erlegt  hatte  und  sah,  daß  keiner  seines  Gefolges 
in  der  Nähe  war,  kam  ihm  der  Gedanke,  den  Gottesnamen  zu  et" 
proben,  den  er  im  Tal  der  Blumen  gelernt  hatte,  und  er  begab  sich  in 
den  Leib  der  Antilope.  Diesen  Augenblick  hatte  der  Elende,  der  ihm 
noch  stets  als  Mücke  folgte,  nur  erwartet;  im  Nu  hatte  er  seine  Seele 
in  den  Körper  des  Königs  versenkt,  schwang  sich  auf  den  Renner 
und  sprengte  zu  den  Freunden  des  Fürsten,  die  in  ihm  unbedenklich 
ihren  Herrn  sahen. 

Der  König  war  aber  kaum  des  niedrigen  Verrates  gewahr  geworden 
als  er  den  Leib  der  Antilope  mit  dem  eines  toten  Kolibris  vertauschte 
und  voraus  zum  fürstlichen  Schlosse  flog.  Dort  flatterte  er  durch  die 
Fenster  des  Harems,  und  als  er  seine  junge  Gattin  allein  fand,  zur 
Laute  Liebeslieder  singend,  die  ihm  galten,  berichtete  er  ihr  kurz, 
was  sich  ereignet  hatte,  und  hieß  sie  Sorge  tragen,  daß  der  tückische 
Knecht  den  edlen  Leib  seines  Fürsten  wieder  verlasse.  —  Als  nun 
der  Verräter  sicher  und  selbstbewußt  in  das  Gemach  der  Königin 
trat,  um  sie  endlich  in  Besitz  zu  nehmen,  sprach  sie  zu  ihm:  „Gc 
denkst  du  noch  der  Kunst,  die  dich  die  beiden  Geistersöhne  lehrten, 
als  wir  durch  das  Tal  von  Medinet  al  Kar  heimkehrten:  in  jeden 
Leib  eingehen  zu  können?  Laß  mich  einmal  dieses  Schauspiel  sehen!" 
„Das  ist  leichtes  Spiel,"  erwiderte  der  Jäger  und  befahl  einen  alten 
Gaul  zu  holen  und  ihn  zu  töten.  Dann  ging  er  vor  den  Augen  der 
Königin  in  ihn  ein,  und  das  tote  Pferd  lebte  wieder.  Ehe  er  aber 
noch  denken  konnte,  war  der  wahre  König  seines  Körpers  wieder 
habhaft  geworden,  und  der  Böse  war  verdammt,  als  schlechter  Acker' 
gaul  zu  Tode  geplagt  zu  werden. 

Der  König  aber  lebte  fortan  in  Glück  und  Seligkeit,  wie  sie  auch 
dir  dein  Traum  verkündet  hat.  Drum  begib  dich  nun  unbesorgt  in 
die  Arme  deines  Buhlen!" 

Noch  lag  über  Tälern  und  Hügeln  der  Lande 
im  Dunkel  der  Ferne  Gefunkel  der  Sterne; 
da  dachte  Chodscheste,  frei  zügelnder  Bande 
zum  Buhlen  zu  eilen  auf  Flügeln  der  Schande. 

Schon  schickte  sich  Chodscheste  an,  das  Haus  zu  verlassen,  um 
ihren  Geliebten  an  ihr  Herz  zu  schließen,  als  lautes  Rufen  und  Jubel 

97 


den  Palast  erfüllten:  Meimun  ist  heimgekehrt!  Und  die  Türe  tat  sich 
auf,  und  er  betrat  das  Gemach;  verwundert  sah  er  aber  auf,  als  sich 
seine  Gattin,  mit  Putz  und  Schmuck  wie  zu  einem  Fest  angetan, 
ihm  zu  Füßen  warf  und  ihn  schluchzend  umschlungen  hielt.  „Gc 
liebte,"  rief  er,  „sprich,  was  dir  geschah  ?"  Doch  die  Tränen,  die  un' 
versiegbar  strömten,  beraubten  sie  der  Worte.  Da  wandte  sich  der 
Prinz  an  den  treuen  Papagei,  und  dieser  entgegnete  ihm  nun :  „Segen 
sei  auf  deiner  Heimkehr,  Meimun,  die  zur  rechten  Zeit  kam,  ehe 
noch  Unehre  sich  auf  dein  Haus  legte.  Allzulange  weiltest  du  deiner 
jungen  Gattin  fern,  daß  nicht  lüsterne  Worte  und  Wünsche  ihrem 
Herzen  fremd  bleiben  konnten."  Und  schon  schwollen  die  Adern 
auf  der  Stirn  des  Edlen,  und  seine  Hand  tastete  nach  dem  breiten 
Schwert,  das  ihm  vom  Gürtel  hing.  „Horche  auf  alles,  was  ich  dir 
zu  künden  habe,  Herr/'  fuhr  aber  Zeban^awer  ruhig  und  besonnen 
fort.  „Nur  Gedanken  regten  sich  im  Busen  Chodschestes  nach  dem 
Bösen,  doch  sprach  sie  kein  Wort,  das  die  Sitte  verletzte,  und  tat 
keinen  Blick,  der  die  Treueste  reuen  dürfte.  Dir  und  ihr  getreu, 
ließ  ich  vom  Abenddämmern  bis  zum  Frührot  den  Springquell  meiner 
Geschichten  vor  ihr  aufsteigen,  daß  sie  vergessen  mußte,  was  sie 
wollte.  Wie  mit  "Worten  die  Freundinnen  ihre  Seele  erregten,  stillte 
ich  wieder  mit  Worten  ihre  Unrast;  sie  war  ein  Spielball  nur  zwischen 
den  Reden  des  Tages  und  den  Reden  der  Nacht;  genugsam  ist  sie 
durch  ihre  Herzenspein  bestraft." 

Und  wie  jetzt  Meimun  die  weinende  Chodscheste  an  sich  zog  und 
mit  einem  heißen  Kuß  das  Siegel  der  Versöhnung  und  Verzeihung 
auf  ihre  weiße  Stirne  drückte,  hub  der  Papagei  wieder  an:  „Eine 
Lehre  nur  ziehet  aus  dem  Geschehen,  das  für  ewig  vergessen  sei: 
daß  nichts  trügerischer  ist  als  der  Schein  der  Freundschaft  und  daß 
nur  der  Umgang  mit  anderen  der  Born  alles  Bösen  ist,  so  wie  die 
Palme  aus  dem  Paradies  die  süßesten  Früchte  trug,  als  sie  allein  stand, 
und  schlechte  gab,  als  sich  fremde  Bäume  zu  ihr  gesellten.  „Wie  gerne 
wollte  ich  diese  Geschichte  vernehmen,"  sagte  Meimun,  und  so  begann 
Zeban-awer  zu  erzählen: 

„In  Indien  herrschte  dereinst  ein  frommer  und  großmütiger  König, 
dem  Allah  als  Lohn  für  seine  gottgefälligen  Taten  eine  Palme  aus 
dem  Garten  des  Himmels  geschenkt  hatte.  So  süß  waren  deren  Früchte 
wie  die  keines  Baumes  sonst  auf  der  weiten  Erde,   und  wer  sie  nur 

98 


kostete,  ward  von  jedweder  Krankheit  geheilt.  In  seiner  Güte  spendete 
der  König  mit  vollen  Händen  von  diesem  Gut,  doch  ließ  er  zuvor 
die  Kerne  durchbohren,  in  denen  sich  der  Samen  barg,  damit  sie 
niemand  aussäen  könnte,  denn  dies  war  die  Bedingung,  die  Allah 
seiner  Gabe  gesetzt  hatte.  Ein  Feind  aber  neidete  dem  Herrscher 
diesen  Schatz  und  wollte  ihn  vernichten.  So  sandte  er  auf  den  Rat 
seines  Wezirs  einen  Mann  dorthin,  der  ein  gar  geschickter  Gärtner 
war ;  der  schlich  sich  listig  in  die  Gunst  und  das  Vertrauen  aller,  bis 
es  ihm  gelang,  Nimbabäume  und  Paggaschlinggewächse  um  den 
Wunderbaum  zu  pflanzen.  Da  wurden  die  Früchte  alsbald  bitter  und 
verloren  ihre  Heilkraft,  und  niemand  vermochte  die  Ursache  dieser 
Veränderung  zu  erkennen.  Nun  hatte  aber  jener  Inderfürst  einen 
Kanzler,  der  Prophetengabe  besaß  und  Einsicht  in  die  Geheimnisse 
des  Alls,  und  dieser  ließ  die  giftigen  Gewächse  aus  dem  königlichen 
Garten  roden  und  fortan  trug  der  Wunderbaum  wieder  die  köstlichen 
zauberwirkenden  Früchte." 

Alle  die  dunklen  Wolken,  die  gewitterdrohend  das  Firmament  um" 
zogen  hatten,  waren  geschwunden,  in  leuchtendem  Blau  erstrahlte  der 
Himmel  des  Glückes.  Selig  vereint  lebten  Meimun  und  Chodscheste  noch 
lange  und  Allah  schenkte  ihnen  Kinder,  die  der  Eltern  Ebenbilder  waren. 
Und  hochgeehrt  blieb  der  weise  Papagei  ihr  Berater,  bis  sie  alle  der 
weise  Ratschluß  des  Geschickes  zu  den  Freuden  im  Jenseits  rief. 

So  schließt  das  Papageienbuch.  Der  Kiel 
des  Rohrs  ward  stumpf  und  es  entsinkt  der  Stiel 
der  Hand,  als  wollte  sie  der  Schreibkrampf  lähmen. 
Euch  gibt  dies  Buch  im  reichen  Märchenspiel, 
daraus  des  Lebens  Richtschnur  euch  zu  nehmen, 
des  klugen  Rates  und  der  Lehren  viel; 
es  bringt  den  Trost  für  alles  Liebesgrämen, 
befolgt  ihr  nur,  was  euch  darin  gefiel. 
Indes:  zu  einem  müßt  ihr  euch  bequemen, 
ihr  Fraun  am  Euphratstrand,  am  reichen  Nil, 
in  Indien,  im  Wunderlande  Yemen, 
und  ihr  auch  in  des  Abendlands  Exil: 
soll  euch  nicht  höhre  Weisheit  arg  beschämen, 
Lust  oder  Neugier  sei  des  Herzens  Ziel! 
*  99 


EIN    NAC  HWORT 
VON     DER     SYMPHONIE     DER     DICHTUNG 

Wohl  jeder,  der  hiehergelangt  ist  und  rückschauend  dem  Zauber 
nachsinnt,  der  diese  Dichtung  über  Raum  und  Zeit  getragen  hat,  mag 
nach  den  Gesetzen  forschen,  deren  Walten  dieses  Buch  bezeugt.  Weil 
ich  nun  selbst,  ans  Ende  vieler  solcher  Schöpfungen  gelangt,  mit  den 
Gedanken  spielte,  die  sie  wachgerufen  hatten,  so  will  ich  den  Versuch 
wagen,  des  Rätsels  Lösung,  die  ich  mir  selbst  gab,  wiederzugeben, 
wohlbewußt,  daß  wahrer  Zauber  nicht  wie  Gaukelspiel  verschwindet, 
wenn  man  sein  Wesen  durchschaut  hat. 

Es  drängt  uns,  Söhne  unserer  Zeit  und  unseres  Landes,  zum 
Gleichnis  aller  Dichtung  die  bildende  Kunst  zu  nehmen,  von  Szenen 
und  gezeichneten  Figuren,  von  Bilderreichtum  und  von  Farben  zu 
sprechen.  Es  liegt  uns  ferne,  zur  geheimnisvollsten  und  doch  höchsten 
Kunst,  zur  Musik,  die  Annäherung  der  Poesie  zu  suchen.  Uns  ist  es 
ein  leeres  Wort  geworden,  von  der  Musik  der  Worte  zu  reden,  so 
leer,  wie  zumeist  von  der  Tonkunst  selbst  »gehandelt'  wird,  die  eben 
das  Stiefkind  aller  Ästhetik  geblieben  ist.  —  Nur  die  Kinder,  die 
stets  im  Geist  vergangener  Zeiten  leben,  tragen  noch  in  den  jagenden 
Epochen,  die  uns  geboren  haben,  den  Sinn  der  Ahnen  in  sich:  die 
unstillbare  Freude  an  der  Wiederholung,  die  gerade  das  Wesen  der 
Musik  ist.  Nur  darum  liegt  auch  in  dem  Satz  Geist,  der  die  Musik 
„die  Welt  nocheinmal"  nennt,  denn  auch  sie  ist  unermüdlich  und 
nimmer  ermüdend  nichts  anderes  als  eine  ewige  Variation  zu  einem 

100 


gegebenen  Thema.  Und  kein  Wort  ist  schöner  als  das  von  der 
Sphärenharmonie.  Alles  das  weiß  das  Kind  allein  und  das  Altern  läßt 
es  uns  vergessen,  wenn  wir  gepeitscht  nach  Neuem  drängen.  Wie  uns 
nur  noch  das  alte  Lied,  die  alte  Melodie  nicht  ermüdet,  sondern  die 
Lust  dem  Reiz  des  Vertrauten  erliegt,  wird  das  kindliche  Gemüt  immer 
wieder  die  bekannten  Märchen  fordern,  und  die  Stilistenkunst  der 
Ausdrucksmannigfaltigkeit  verführt  es  nicht.  —  Und  wollte  man  selbst 
all  dieses  leugnen,  so  müßte  man  darum  bei  der  Betrachtung  von 
Fragen  der  Kunst  zur  kindlichen  Seele  als  einem  Spiegelbild  ein' 
facherer  Zeiten  blicken,  weil  niemals  entwickelte  Stadien  richtige 
Forschung  zulassen,  so  wie  man  vor  der  Entdeckung  der  Protoplasma" 
zelle  vom  Leben  und  seinen  Formen  auch  nichts  ahnte. 

Gleichwie  das  Kind  empfindet  der  Orientale  den  musikalischen  Wert 
der  Rede,  die  zum  Gesang  wurde  oder  aus  ihm  entstand.  Noch  heute 
rezitiert  der  Inder  seine  uralten  heiligen  Dichtungen  in  jahrhundertelang 
geübtem  Steigen  und  Fallen  der  Stimme;  die  komplizierten  Rhythmen 
seiner  Versarten  sind  wohl  gleichfalls  nur  so  zu  erfassen  und  manche 
Zukunftsmusik  der  Forschung  darf  man  in  ihrer  vollen  Erkenntnis 
ahnen.  Vielleicht  ist  auch  der  Reim  aus  diesem  Geist  geboren,  zumal 
der  kunstvoll  gefügte,  wie  ich  ihn  persischen  Vierzeilern  nachzuahmen 
versuchte,  wenn  auch  freilich  mit  den  Änderungen,  die  mir  für  die 
deutsche  Sprache  angemessen  schienen.  —  Künftigen  glücklicheren  Zeiten 
bleibt  allerdings  die  Lüftung  des  großen  Geheimnisses  aus  diesem 
Reigenspiel  von  Rechenmeisterschaft  und  Seelenkunde  vorbehalten. 

So  liegen  alle  diese  Werke  vor  mir  als  Adagio  con  variazioni, 
umspielt  von  vielen,  vielen  Seitenfiguren  und  doch  machtvoll  und 
klar  festhaltend  an  dem  Hauptthema,  das  die  ersten  Bogenstriche  an' 
gaben,  zurückkehrend  nach  aller  Durchführung  zu  ihm  und  endigend 
in  der  ersehnten  erlösenden  Tonika. 


INHALTSVERZEICHNIS 

Seite 

Vom  Orient  und  der  Romantik 5 

Warum  der  kluge  Papagei  der  schönen  Chodscheste  die  Märchen 

erzählte 11 

Bajazid  Bustamis  Lehre  vom  Wesen  der  Liebe  .    16 

Wie  der  treue  Papagei  die  Gatten  neu  versöhnte 16 

Vom  König  Bikermadschit  und  dem  Derwisch 19 

Wie  Bikermadschit  sein  Leben  aufs  Spiel  setzte 21 

Von  der  jungen  Frau  und  dem  klugen  Schakal 24 

Die  Geschichte  von  der  Dummheit  des  Katers 26 

Wie  der  Elefant  den  kleinsten  Tieren  erlag 26 

Die  Erzählung  von  Pelenk'Firib  und  dem  Tiger 29 

Wie  die  edle  Frau  die  Ehre  ihres  Gatten  rettete 32 

Die  Geschichte  von  der  treuen  Schildwache 34 

Der  Jüngling  von  Bagdad  und  sein  Mädchen 39 

Von  der  unverwelkbaren  Rose  der  Keuschheit 45 

Die  geistvolle  Tochter  des  Wezirs  von  Kirman 51 

Die  Geschichte  vom  Spruch  der  Kaiserstochter 56 

Von  der  schönen  Dilefruz  und  ihrer  Treue 59 

Die  Geschichten  mit  den  ungelösten  Rätseln 62 

Wie  es  den  Liebhabern  der  Holzjungfrau  erging 69 

Der  König  Kamru  und  sein  gefangener  Papagei 71 

Wie  Schahrara  den  Gatten  durch  ihre  List  betrog 74 

Von  der  Frau,  die  den  Mann  der  Untreue  zieh 76 

Die  Frau,  die  Staub  statt  Zucker  heimbrachte 77 

Der  Trug,  den  die  Frau  eines  Bauern  erfand 77 

Wie  der  Beduine  den  Kalifen  Mamum  zurechtwies 80 

Wie  es  Bahram  zu  seinem  eigenen  Leid  erging 81 

Von  den  Zauberern  und  dem  erweckten  Greif 83 

Wie  Zarifa  sich  aus  der  schwersten  Not  rettete 85 

Vom  Töpfer,  der  den  Kriegshelden  spielte 88 

Die  lebenwahrende  Klugheit  des  Hengstes 89 

Die  Geschichte  vom  wundersamen  Schicksal 93 

Ein  Nachwort:  Von  der  Symphonie  der  Dichtung 100 


- .  ftiHi    ^  jyb'J 


PK  Tuti-namah 

6550  Das  persische  j^apageienbuch 

T815 

1922 


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