DAS PERSISCHE PAPAGEIENBUCH
ARTUR WOLF VERLAG . WIEN
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Alle Rechte vorbehalten.
Copyright 1922 by Artur Wolf Verlag, Wien.
Druck der Gesellschaft für graphische Industrie, Wien VI.
VOM ORIENT UND DER ROMANTIK
Wer in der Kunstbetrachtung nicht lediglich die äußerliche Wertung
leerer Formelemente sieht, wie sie einer schalen Lehre vom Schönen
genügen mag, in die auch Natur' und Zufallsgestaltung einbezogen
ist, sondern ihr Wesen in den geistigen und Gefühlsmomenten erkennt,
der muß, ehe er sich am Scheideweg der Aufbruchsstätte entschließen
darf, zuvor eine schwere Frage in ihrer Bedeutung erkennen und sie
— für sich — lösen, um dann unbeirrt auf dem eingeschlagenen Weg
weiterschreiten zu können. Nicht mehr und nicht weniger soll er ent"
scheiden als die Frage: Ist die Seele aller Menschen einheitlich oder
vielfältig; die Seele als die Sphäre, in der sich Fühlen, Erkennen und
Wollen abspielen kann, wenn äußere Wirkungen sich geltend machen?
Wird — mit der Einschränkung, die die »Gleichheit' bei allem Lebenden
zu erfahren hat — der gleiche Anstoß dieselben Folgeerscheinungen
überall haben? Ist die Freude, die Furcht, der Schrecken und die
Liebe eines Europäers unserer Zeit gleich den Seelenregungen eines
Inkas längst entschwundener Epochen? Können wir uns in die
Grausamkeit eines Negers einfühlen? Spricht die Seele des Menschen
aller Zeiten und Zonen zu den anderen in einer Sprache nur und ent'
rissen sich die Herzen der Verwirrung des babylonischen Turmbaus? . . .
Und können wir ein Kunstwerk so betrachten wie sein Schöpfer,
wenn er es beurteilen will, nachdem der Rausch des Schaffens vorbei
ist? . . . Unerhört kühn ist es, diese Fragen zu bejahen, und dennoch
müssen wir es freudig tun, wollen wir in die Kunst in ihrer Gesamt"
heit eindringen, da uns das Nein, und bedeutete dieses auch nicht die
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völlige Scheidung aller Menschen voneinander, sondern etwa im Sinne
Oswald Spenglers nur Gruppierung in wenige große Klassen, zwänge,
an ungeheuren Schätzen vorbeizugehen und sie für uns abzulehnen,
oder auf Treu und Glauben das hinzunehmen, was uns Vertreter jener
anderen Seelenrichtung melden, bis uns die eherne Folgerichtigkeit
dorthin führt, nur für das eigenste Werk Verständnis sich anzumaßen
und im Narrentum expressionistischer Theorie alles gläubig zu über-'
nehmen, was der andere ,aus der Tiefe seiner anders gearteten und
unkritisierbaren Psyche' geschaffen hat.
Unsere Seele sei der Maßstab alles Seelischen über alle Weiten
räumlicher und zeitlicher Entrücktheit, womit freilich nicht die Be'
rechtigung einer Betrachtungsart ausgesprochen ist, die nach Hegelscher
Methode jeden geschichtlichen Gegenbeweis für ersonnene Gesetze
überhört und übersieht und namentlich an der kindlichen Annahme
angeborener Auffassungen festhält. Es gibt nichts, was der Mensch seit
je als ,schön' betrachtet hätte, jedwede Kunstrichtung ist das Ergebnis
zahlloser Entwicklungsstufen und das Verständnis für sie ist die
Krönung ernsten Studiums und innigen Einlebens — und nur in der
Fähigkeit, dieses zu erreichen, erweise sich die Richtigkeit unserer
These von der Einheitlichkeit der Psyche, denn sie muß das fremde
Werk in sich aufgehen lassen können, als hätte sie es selbst geschaffen ;
oder sie muß es ablehnen, wie wir uns weigern eine Speise zu ge"
nießen, die unserem Geschmack nicht zusagt. Mit einem anderen Bild
veranschaulicht, sei uns jedwedes Kunstwerk, ja jedes /Werk' ein
Spiegel, in dem wir uns selbst sehen, und zeigt dieser Spiegel nicht
klar und rein, so prüfe man, ob nicht das eigene Auge die Schuld trägt,
zuerst — und wer sich selbst strenge erforscht und gerichtet hat, der
darf dann kühn das Glas der Trübung zeihen oder falscher Brechung.
Stets bedeutet unsere Fragestellung Beziehung des Fremden auf uns,
niemals Aufgehen der eigenen Seele in anders Geartetem.
Versuchen wir die Kunst des Orients so zu verstehen, so verwirrt
uns wohl zuerst die Fülle der Bilder und Farben und die Stärke der
Motive, ehe wir durch das dichte Gerank in die Halle des Dorn'
röschenschlosses treten, das uns lieb und vertraut ist. Es gilt aber das
eng verschlungene Rosengewirr zu durchschreiten, ohne uns an den
Dornen blutig zu reißen, ja, unser Ziel ist, an seinem Blühn und
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Duften Freude zu gewinnen und das bunte Bild in unserem Herzen
zu bewahren. In seiner äußeren Welt muß es uns gelingen, das große
Geheimnis des Orients zu lösen.
Ungeheure Massen und Weiten erstehen vor unseren Blicken, und
das Walten des Urgesetzes der Dimension, das jeder Festlegung noch
entbehrt, ist ungehemmt. Der einzelne Tropfen hängt frei und besitzt
Zugfestigkeit, die der Wassermenge nicht eignet; die Kapillarkraft
des Haarrohrs wird im Nu zunichte, wenn die Weite die geheimnis'
volle Grenze übertritt, und verkehrt sich zur kommunizierenden
Wirkung; so bannt auch die Masse der Menschen das Individuum
und umkrallt es; was kein einzelner bewußt erkannte, fühlte, wollte,
wird zur mächtigen Seelenregung der Gesamtheit. Nicht das Gering'
fügigste ist es, was auch bei uns so geschah und geschieht: Tracht
und Sitte, Krieg und Religionsfanatismus sind Erscheinungen, die,
jeder materialistischen Geschichtsauffassung Hohn sprechend, ihre
Wurzel allein in der Masse finden, mag auch der Zufall einen Menschen
zum Wortführer gemacht haben. Und doch sind wir in Europa stets
Individuen gewesen, jeder auf sich und seine Zunächststehenden an"
gewiesen, und Herrennaturen, wie sie nur ein Nietzsche wünschen
konnte. — Die Üppigkeit des Orients hat anderes gezeitigt: er ver'
weichlichte die Menschen, die er in unzählbaren Scharen hervor'
brachte, weil er sie leicht ernähren konnte, doch ließ er auch die
Feinde seiner Bewohner furchtbar werden und sich vermehren. Wie
die Gewächse in ihren Wäldern sich ineinanderschlingen und eine
untrennbare Einheit bilden, so verschmolz auch die Menschenwelt dort
zu einem unindividuellen Ganzen. Die Namen, die sich aus ihr er'
heben, sind willkürlich gewählt, und, soweit geschichtliche Gewißheit
der Prüfstein ist, erkennen wir erstaunt die Kluft zwischen Wahrheit
und Dichtung. Wie unbedeutend und wertlos war Harun er'Raschid,
den Tausendundeine Nacht zum Edelsten und Weisesten gemacht
hat! Wer kennt die Namen der Baumeister der gewaltigen Bauten,
deren Ruinen wir noch bestaunen? Aber wir wissen von orientalischen
Königen, dünkelhaften Popanzen, die Steininschriften zu Palimpsesten
wandelten, um die Bedeutung ihrer Scheinmacht der Ewigkeit zur
Erinnerung zu geben. Legende und Fabel vernichtete das, was an
Wahrheit von dem Leben ihrer Dichter und Weisen überliefert war . . .
Gemeingut und Gemeingeist ist das Zeichen des Ostens.
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So wird uns der unglaubliche Siegeslauf des Buddhismus, des Islam bc
greiflich, so verstehen wir indisches Fakirtum mit seiner überwältigenden
Massensuggestion. Wie die Bildhauer die Fassaden der Tempel mit
Figurengewirr übersäten, wie die Miniaturenmaler jeden freien Raum
mit Arabesken erfüllten, so lückenlos schließen sich die Gedanken des
Volkes aneinander. — Unendliche Fülle, unsagbares Beengtsein er'
zwingen die Formen der bildenden Kunst wie der Dichtung, noch
ihre Schriften zeigen den Stempel dieses Zwangs. So bleiben die
einstigen Motive mit unerhörter Zähigkeit über die Flucht der Jahr'
hunderte und nicht im Großen kann und darf der Meister wirken,
in feinerem Ziselieren, in gewählteren Worten liegt sein Ziel.
Auch in Europa gab es Epochen, die in ihren Erscheinungen sich
dem Wesen des Orients näherten. Hatte eine Zeit gewährt, in der die
Zerrissenheit des Individualismus grausam geherrscht hatte, so fand
der Geist vieler seine Zuflucht allein im Zusammenschluß und in der
Pietät für das Gewesene, die im stolzen Streben nach dem Neuen
vergessen worden war. Einen einheitlichen Namen gab die Geschichte
allen diesen Perioden nicht und sie hat sie auch nie gemeinsam be"
trachtet; und doch sind sie bezeichnend für das Ausklingen aller
Zeitalter, in denen der Geist des technischen und geistigen Wunder"
landes Europa zu schwer belastet war. Sie sind die Stunden in der
Ewigkeit, die der Ruhe und Erholung gehören, dem wohligen Lauschen
auf alte Geschichten in der Abendkühle des Sommers, am wärmenden
Ofen, wenn es draußen friert. — Da entsteht der griechische Roman
als Abschied vom Hellenentum — die Trouveres durchziehen das
Land und erzählen vom König Artus und dem heiligen Gral — da
erblüht die blaue Blume im dunklen Tannenforst Deutschlands. Poesie
und Leben zu vereinen ist der Traum dieser Stunden, ehe die harte
Arbeit von neuem die Bilder der Dämmerung zerflattern heißt. So
ist es auch nicht verwunderlich, daß die ewige Ruhe des Ostens sich
gern zu solchen Festen einstellte und unerkannt, im fremden Gewand,
als geliebter Märchenerzähler einzog, bis Dichter der deutschen Romantik,
die auch die Gründer des Sanskritstudiums und damit der Wissen'
schaft vom Orient wurden, den Gast in seiner reichen Tracht in
unsre Mitte luden.
Ein Schriftwerk, das den Orient durchwandert hat und immer wieder
verjüngt und erneut worden ist, bringe ich heute in freier Neugestaltung,
nacherzählt und umgeformt, verkürzt bald und bald erweitert, wie die
zahlreichen Fassungen den Märchenkranz um meine Erinnerung
schlangen: Das Papageienbuch.
Eine Reihe erhaltener indischer Bearbeitungen weist auf die noch
unentdeckte erste Sammlung all dieser Geschichten, die der originelle
Rahmen birgt, im Sprachgebiet des Sanskrit, und auch der Geist, der
in ihnen lebt, läßt nicht zweifeln, daß indische Erzähler zuerst ent'
zückten Lauschern berichteten, wie der kluge Sittich durch die Anmut
seiner Rede und den Reiz seiner Märchen die Untreue seiner Herrin
verhinderte und die Ehre seines Gebieters wahrte. Bald mag dieses
Schatzkästlein an den Hof der kunstliebenden persischen Könige gelangt
sein. Die erste Übersetzung, die statt der indischen siebzig Nächte nur
mehr zweiundfünfzig enthielt, scheint indessen roh, ungeschickt und
weitschweifig gewesen zu sein, so daß man den Dichter Sijai eddin
Nechschebi, den Zeitgenossen HaftY und Saadis, von dem uns noch
ein Roman bekannt ist mit dem Titel „Gükriz" (Rosenregen) und ein
erotisches Werk „Lezzet en^nisa" (Lust des weiblichen Geschlechtes),
aufforderte, das Werk „in einer kürzeren Übertragung, einer wohl'
verketteten Entwicklung, guten Anordnung und schönen Darstellung"
neu zu bearbeiten. So berichtet er selbst in der Einleitung zu seinem
Papageienbuch, das uns in Handschriften bewahrt ist. Als Zeitpunkt
der Verfassung seines Werkes gibt er in den letzten Versen des Buches
das Jahr 730 der Hedschra (1329 nach Christus) an.
In diesem Buche fand das Thema seine vollendete künstlerische
Lösung, aus der die Bearbeitungen der späteren Zeit alles schöpften.
So kamen die vielgestaltigen Märchen wieder in indische Dialekte,
aus ihr floß die durch Georg Rosen und Moriz Wickerhauser im
Deutschen bekannt gewordene türkische Fassung. Aber auch in persi'
scher Sprache wurde Nechschebis Dichtung in einen schmucklosen
Auszug gebracht, als die schönen Redekünste nicht mehr im alten
Ansehen standen. Mohamed Kaderi ist der sonst unbekannte Name
des Autors dieser Darstellung und sein Buch, das der Übersetzer
nur der Belehrung junger Studenten gewidmet nennt, brachte Francis
Gladwin mit englischer Version 1801 in Kalkutta in sehr hübscher
Ausstattung heraus. Carl Jakob Ludwig Iken gab davon 1822 bei Cotta
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eine deutsche Übersetzung, wobei er „dem Englischen auf das aller"
genaueste folgte," wie J. G. L. Kosegarten, der diese Ausgabe mit wert'
vollen Zusätzen bereicherte, vielleicht etwas boshaft bemerkt.
Der einzige Dichtername, der aus den vielen Unbenannten und Un*
bekannten ragt, war mein Halt, soweit die Freiheit nicht mein Ziel
war. Sein Verdienst ist die Kunst der Darstellung, die den bekannten
indischen Parallelen fehlt und die im Türkischen wieder ausartete,
und die Abkehr von zwecklosen Unanständigkeiten, die seine Originale
überwucherten. Nur in einem wesentlichen Punkte der Haupterzählung
kehrte ich mich gänzlich von Nechschebi ab und seinen Quellen zu :
als Meimun bei ihm erfährt, daß Chodscheste ihm in Gedanken untreu
war, tötet er sie und beschließt sein Leben als Mönch, nachdem er
dem Papagei als Lohn für seine Tat die Freiheit geschenkt hat. —
Sollte der weise Vogel nur das gewollt haben, so hätte ihm wohl seine
Einsicht auch andere Wege gewiesen, und warum sollte er gegen sein
Versprechen seiner Herrin treulos sein? Und warum soll der edle
Prinz sein höchstes Glück verlieren ? Ein Märchen ende in Seligkeit,
das ist sein letztes Ziel ! Gib nur den schlechten Umgang mit deinen
Freundinnen auf, holde Chodscheste, und sei fortan deinem Gatten
treu, bis der Zerstörer des Lebens und der Freuden euch beide mit
sich nimmt! Bedachter Tat nur folge die Strafe, nicht vergessenen
bösen Gedanken, wie es uns die milde Lehre der Inder kündet.
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®
Im Namen Allahs, des Erbarmungsvollen, aller Gnade Reichsten!
Laß deinem Getreuen gelingen zu passen
das heutige Wort zu dem uralten Hort;
es gilt, alte Lauten hell klingen zu lassen
und Perlen aufs Neue zu Ringen zu fassen.
WARUM DER KLUGE PAPAGEI DER SCHÖNEN
CHODSCHESTE DIE MÄRCHEN ERZÄHLTE
Vor vielen Jahrhunderten herrschte über das mächtige Iran ein
Schah, der alle Fürsten der Erde an Glanz und Reichtum überragte,
und sein Name war Ahmed. Siegreich waren seine tapferen Heere
aus allen Kämpfen heimgekehrt und hatten ihm den Tribut der Welt
zu den Füßen des Thrones gelegt. Waltete so auch sichtbar die
Gnade Allahs, des einzigen Gottes, über ihm, so bedrückte doch ein
tiefes Weh sein Herz, denn nicht Sohn noch Tochter nannte er sein,
Erben seiner Größe und seines Andenkens, die weil doch alle, die ihm
dienten, sich der Tugend und Schönheit ihrer Kinder erfreuen durften.
Unermüdlich lag er darum vor seinem Herrn, dem Schöpfer des Welt"
alls, im Gebet, und endlich erbarmte sich der Allerbarmer seiner und
schenkte ihm einen Knaben, dessen strahlende Holdseligkeit das Herz
des Vaters mit der Wonne des Paradieses erfüllte. Und um den
Widerhall seiner Freude rings in seinem Lande überall zu vernehmen,
ließ er seine Schatzhäuser öffnen und Gold und Juwelen ausstreuen;
er begnadigte die Gefangenen und ließ Feste rüsten, an denen seine
Untertanen teilnehmen sollten und alle Fremden, die in seinem Reiche
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weilten, so daß zwei Monde lang kein Hauch der Betrübnis die Ruhe
der Glückseligkeit stören mochte.
Eine zweite Sonne war für Ahmed am Himmel aufgegangen, deren
Glanz die Nacht nicht brach und Verfinsterung nicht bedrohte, und
er gab seinem Sohn den Namen Meimun, der Glückliche, um zu
der Schönheit, die aus seinem Antlitz leuchtete, den Segen des Glückes
zu bannen. Und der Knabe wuchs heran, schlank und stark wie ein
Zweig, und ward von den besten Meistern in allen Wissenschaften
und Künsten unterwiesen, so daß er bald alle Gebote des Glaubens
kannte, die mannigfachen Regeln der Sprache beherrschte, das offen"
sichtliche und das verborgene Leben auf der Erde verstand und die
Bewegungen und Zeichen der Gestirne lesen konnte und es im Wett"
streit mit den Weisesten aufnehmen mochte. Als ihm dann auch
alles vertraut ward, was ein Herrscher wissen muß: Kriegskunst und
Waffen gebrauch, Gesetzeskunde und die hohe Staatsweisheit, da sah
sein Vater die Zeit gekommen, ihm eine Gattin zu geben, und er
ließ seine Wezire nachforschen, welche die edelste und schönste Jung"
frau auf der Erde wäre, damit er sie seinem Erben zuführe.
Nun war die holdeste Prinzessin zu jener Zeit Chodscheste, die mit
Recht ,die Beseligende* geheißen war, deren Stirn nach den Worten
der Dichter den Mond beschämte und deren dunkle Augen die Sterne
überstrahlten. Diese vermählte der König seinem Sohn; und als die
beiden einander angetraut waren und sich ihre Blicke zum erstenmal
trafen, da wurden auch ihre Herzen vom Zauber der Liebe umstrickt,
daß sie fortan unzertrennlich waren.
Da geschah es einmal, daß sie gemeinsam den Bazar besuchten, um
zu besehen, was die Kauf leute feilhatten. Da hörten sie, wie ein Vogel"
händler einen Papagei ausrief, für den er tausend Goldstücke ver"
langte. Der Prinz wandte sich lachend an seine junge Gattin und
sagte: „Wer anderer als ein Narr wollte einen Vogel um diesen
Preis kaufen, damit ihn morgen die Katze frißt!" Der Papagei aber
sprach bei sich: Wie gerne möchte ich diesem edlen Prinzen an"
gehören und seiner reizenden Gattin, und nur ihnen geziemt es,
meine Herren zu sein und meiner Weisheit teilhaftig zu werden, und
meine Würde erheischt es, in ihrem Hause zu weilen. Darum er"
widerte er den Worten Meimuns: „Erhabener Königsohn, bedenke
nicht den Preis, ehe du weißt, was dir für ihn geboten wird, und
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vergiß nicht, daß Geld und Gut durch Klugheit rasch wieder zu gc
winnen sind, während das Glück und das Leben allein unwieder'
br in glich ist. Willst du meinen Worten Glauben schenken, so höre
mich an : durch meine Einsicht in das Verborgene und mein Wissen
um die Zukunft wird dir Segen und Reichtum zuteil werden, daß du
die Stunde preisen sollst, in der du mich gekauft hast." Diese Rede
gefiel Meimun so, daß er dem Verkäufer befahl, den Vogel in seinen
Palast zu bringen und dort den verlangten Preis in Empfang zu nehmen.
Der Sittich bekam im Schlafgemach des jungen Paares einen
wundervollen goldenen Käfig, und die seltensten Leckerbissen und
kühles duftendes Wasser waren für ihn bereit. Als nun abends
Meimun und Chodscheste die Kammer betreten hatten und keiner
der Eunuchen oder Sklaven erlauschen konnte, was er sprach, begann
der weise Vogel: „Prinz, du sollst bald den Preis, den du für mich
zahltest, vielfach zurückerhalten: In drei Tagen werden Handelsleute
aus Bagdad in dieser Stadt eintreffen, um alles Rosenöl aufzukaufen.
Komm diesen zuvor und erhandle im geheimen den ganzen Vorrat,
damit du dann allein den Preis stellen kannst, der das Fünffache
dessen sein mag, den du dafür gegeben hast." Der Prinz tat, wie ihm
der Papagei geraten hatte, und kaufte für viele tausend Goldstücke, was
nur an Rosenöl zu erhalten war. Und wirklich kamen am vorher-
gesagten Tage die fremden Kaufleute und suchten vergebens in der
ganzen Stadt die Ware, um derentwillen sie so weit gezogen waren,
bis man sie zu Meimun führte, der von ihnen leicht die geforderte
Summe erhielt.
Allabendlich gab so der weise Vogel, dessen Name Zeban^awer
(Zunge der Weisheit) war, dem Königssohn kluge Ratschläge oder
erzählte ergötzliche Geschichten, so daß ihn sein Herr und seine
Gemahlin gar lieb gewannen. Und damit er untertags nicht von
Langeweile geplagt würde, kaufte Meimun das schönste bunte Weib-'
chen, das am Markte zu finden war. Nun verging die Zeit in mv
getrübter Freude für die beiden Paare, bis der Königssohn sich nach
dem Wunsche seines Vaters und dem Rat des Papageis anschickte,
eine Reise in die weiten Provinzen Irans zu machen, um zu sehen,
ob die Statthalter und Kadis ihre Pflicht erfüllten, um Ungerechte
abzusetzen und Gerechte zu erhöhen, und zugleich um die Sicherheit
des Reiches, die Wachen der Grenzstädte zu prüfen.
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Chodscheste wollte den Geliebten nicht ziehen lassen, weinend und
klagend hielt sie Meimun mit ihren Armen umfangen, und auch das
Herz des Prinzen war schwer, da er von ihr auf Monde Abschied
nehmen sollte, die er bisnun für Augenblicke nicht verlassen hatte.
Zärtlich sprach er zu ihr und doch fest, wie es dem Ritter geziemt:
„Sonne meines Glückes, trübe deinen Glanz nicht durch Tränen.
Lang dünkt dich die Zeit meines Fernseins nun, da sie vor dir liegt,
sie wird dir aber gar kurz erscheinen, wenn sie vergangen ist und
wenn ich dich wieder an mein Herz ziehen kann. Laß dir die Stunden
durch die köstlichen Geschichten kürzen, die dir unser Sittich erzählen
wird, laß dir von ihm raten, wenn dich Zweifel bedrücken, und traue
ihm und folge seinen Worten, wie ich es zu meinem Wohl stets
getan habe." Scherzend rief er noch dem Vogel zu, der schweigend
auf seiner Stange saß: „Hüte dies Haus, mein weiser Freund!" Dann
eilte er aus dem Gemach und schwang sich in den Sattel auf sein
stolzes Roß, und fort sprengte die Reiterschar im Blinken ihrer
Lanzenspitzen, der Blick des Prinzen aber blieb rückwärts gewandt,
bis Palast und Stadt seinem Auge entschwanden.
Voll Sehnsucht und Betrübnis blieb Chodscheste im Schlosse. Von
Mund und Wangen wich das Lächeln, der Schlaf wollte sich nicht
mehr auf ihre Augen legen, bitter schmeckten die Speisen, die sie
widerwillig zum Munde führte; und halb nur drangen die schönsten
Erzählungen Zeban^awers in ihr Ohr, weil sie horchte, ob nicht
Pferdegestampf die Rückkehr ihres Gemahls verkünde. Lange ver'
harrte sie so in Schwermut und klagte zum Klang der Laute in
Liedern das Leid der Trennung. Allmählich aber empfing sie wieder
ihre Freundinnen und begann, sich am Gespräch mit ihnen zu er"
heitern. Nun konnte es dabei nicht fehlen, daß leichtsinnige Reden
die keuschen Worte übertönten, denn die Gedanken der Flatterhaftig'
keit und Untreue sind untrennbar vom Wesen der Frauen. Und
langsam drang das Gift der bösen Wünsche in Chodschestes Seele,
aber es kam nicht von ungefähr: ein Prinz aus einem fernen Lande
war gekommen und hatte Chodscheste in der Blüte ihrer Schönheit
erblickt, als sie einsam auf der Terrasse ihres Palastes gewandelt war,
und die Liebe hatte ihn alsogleich mit solcher Macht ergriffen, daß
all sein Sinnen nur mehr darauf gerichtet war, mit ihr vereinigt zu
werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte er durch viele Geschenke
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eine von ihren Gespielinnen gewonnen, und deren listigem Tun
folgten halb unbewußt die anderen. „Wie rasch entschwindet doch
die Jugend und die Schönheit, die zur Wollust laden, allzuspät
kommt das Leid ob versäumter Stunden der Freude mit peinigender
Reue." So sprachen sie zu der Betrübten, und dann lispelten sie, als
sollte sie es nicht vernehmen: „Meimun freilich durchstreift nun
Städte und Länder, um nach den schönsten Frauen auszuschauen,
Küsse zu geben und zu empfangen und in den Armen der Holdesten
der Heimat und seiner Gattin zu vergessen."
Als die schlaue Mittlerin des Fremden sah, daß Unsicherheit sich
im Busen Chodschestes zu regen begann, fügte sie es, daß auch sie
bei einem Feste jenes Prinzen ansichtig ward und so dem Zauber
seiner Anmut und seines Glanzes erlag. Nun schien es leichte Mühe,
die verlassene Gattin dem Buhlen zuzuführen, und bald gelang es
der listigen Freundin, ihren anfänglichen Widerstand zu brechen und
ihr Versprechen zu erhalten, daß sie unter dem sicheren Schleier der
Nacht in seine Umarmung eilen werde.
Da die Dämmerung einbrach, schmückte sie sich auf das sorgsamste,
dann trat sie an den Käfig des Vogelpärchens. Das Männchen schlief
bereits, das Weibchen aber schaukelte sich noch fröhlich in den
Ringen. Da sprach sie bei sich : Ich will mich mit ihr über mein Vor"
haben beraten, da sie mein Liebesverlangen besser verstehen wird als
er. Und sie begann: „Nun hast du mich lange genug traurig gesehen;
heute soll mein Leid enden: so wie mein Gatte mich an der Brust
fremder Frauen vergißt, will ich heute bei meinem Geliebten Selig'
keit gewinnen." Der Vogel aber erwiderte ihr: „Schäme dich, solche
"Worte nur zu sprechen ! Wie dürftest du gar eine so schändliche Tat
wirklich begehen, die alles Böse übertrifft, was ihr Menschen kennt !"
Da ergriff Chodscheste blinder Zorn, sie öffnete das Gitter, um das
Papageienweibchen herauszuholen und ihm den Hals umzudrehen;
doch kaum war dieses der Absicht seiner Herrin innegeworden, als
es ihren Händen entwischte und auf flatternden Schwingen entflog.
Nun tat der einsichtige Zeban^awer seine Augen auf, als hätte ihn
dieses Geräusch erweckt — in Wahrheit hatte er sein Schlafen nur vor"
getäuscht, um es geschehen zu lassen, wie es geschehen mußte, denn
das "Wissen um den Plan seiner Herrin wohnte in seinem Geist und
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kluger Rat auf seiner Zunge — er sah dem Vogel nach, der in die
unendliche Weite entschwebte, und sprach sodann : „Welcher Undank
beherrscht doch die, die ihren Wohltäter in der Not verlassen! Gräme
dich indessen nicht, Chodscheste, daß diese Dumme dich verließ,
taugt doch Frauenrat nicht zu gefahrvollem Tun, und nur wer die
Sprache der Liebe versteht, hat Geltung vor dem Herrn der Schöpfung,
wie es einstmals Bajazid Bustami in der Predigt den Gläubigen wies." „So
berichte mir, wie dies war," bat die Schöne, und der Papagei enthüllte ihr
BAJAZID BUSTAMIS LEHRE VOM WESEN DER LIEBE.
„Stets wenn er, erfüllt vom Geist des Glaubens, in der Moschee die
Lehre verkündete, umdrängte ihn das Volk, um die Perlen seiner
Weisheit zu sammeln und Rat und Trost zu erlangen. Einmal trat
an ihn ein Mann heran, der Trug im Sinne führte, und rief ihm
zu: „Hort der Frommen, erweise mir die Gnade, mir meinen Esel
wiederzubringen, der mir entlaufen ist." Der Weise durchschaute
seine Bosheit, doch versprach er ihm Erfüllung seines Wunsches und,
um ihm und allen Gläubigen rechte Mahnung zu geben, wandte er
sich in seiner Rede an die Gemeinde und fragte: „Wer ist unter
euch, den Liebe nie erfaßte?" Da erhob sich ein Greis und ver-
kündete : „Mir, Herr, ist die Liebe fremd geblieben, daß ich nur das Wort
kenne und nicht seinen Sinn." Der Prediger aber breitete seine Arme
aus und pries den Allmächtigen, der die Geheimnisse löst, und sprach :
„Sehet, das ist der Esel, den jener verlor; Gott gab ihn ihm wieder!"
Dann fuhr der Papagei fort: „Vertraue dich mir, meiner Weisheit,
meiner Treue und Einsicht an, die alles zu gutem Ende führen
wird, wie es selbst in verzweifelter Lage mein Vorbild tat: der
Sittich des Feruch Beg, der den Ehemann wieder der untreu
gewesenen Gattin versöhnte." „Erzähle mir doch, teurer Zeban"
awer, wie sich diese Geschichte begab," sagte Chodscheste. „Das
will ich gerne tun," erwiderte er, „denn nur aus wohlgewählten
Beispielen und wahren Geschichten kannst du lernen, wie du
dich in Abenteuern und Verwicklungen verhalten sollst. Höre an,
WIE DER TREUE PAPAGEI DIE GATTEN NEU VERSÖHNTE.
Feruch Beg, ein Kaufmann in Indien, hatte von seinem Vater einen
meiner Ahnen geerbt, der an Verstand alle Menschen seiner Zeit
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weit übertraf und an Treue zu seinem Herrn und seiner Gemahlin
keinen fand, der ihm gleichgekommen wäre. Und sein Herr liebte
ihn wie einen Bruder. Nun brachte es sein Beruf mit sich, daß er
die Waren seiner Heimat in fremde Länder bringen mußte, um sie
gegen die Kostbarkeiten der Fremde einzutauschen, und so kam es,
daß er auf reichbeladenen Schiffen über die Meere fuhr und mit
Karawanen die Wüsten durchmaß und seine Frau einsam zurückließ.
Ein junger Emir, der an Schönheit und Reichtum die Zierde des
Hofes war, verliebte sich in sie und brachte ihr lindernden Trost in
ihrer Verlassenheit. Und niemand anderer war Zeuge der Nächte, die
in Lust und Liebesgeplauder dahingingen, als der Papagei. — Als
der Herr wieder heimkehrte, berichtete ihm der kluge Vogel alles,
was sich zugetragen hatte, doch verschwieg er ihm weislich, was seine
Frau getan hatte, denn er wollte ihr Vertrauen nicht trügen. Von
den Nachbarn aber kamen dem Kaufherrn Gerüchte zu, und so sehr
er sich verstellte, faßte die Frau doch Verdacht und sann bei sich:
Nur der Papagei kann mich verraten haben! denn sie wußte nicht,
daß Liebe und Rosenduft sich stets selbst verraten. Deshalb ergriff
sie ihn in nächtlicher Weile und riß ihm alle Federn aus; als sie
nun glaubte, daß er sicherlich tot wäre, warf sie ihn in den Bach
und erzählte: „Die Katze hat den Vogel geholt!" Die Kühle der Fluten
aber erweckte die Lebensgeister des Sittichs wieder, die fast entwichen
waren, und als ihn die Wellen ans Ufer trugen, verbarg er sich in
den Höhlen der Begräbnisstätte, um ohne Sorgen vor den Raubtieren
der Erde und der Luft zu genesen und von den Opfergaben der
Gläubigen zu leben.
Als aber Feruch Beg merkte, daß der Papagei, den er so liebte, ver'
schwunden war, und er die Reden seiner Frau vernahm, zweifelte er
nicht mehr an ihrer Schuld und verstieß sie. Verhöhnt und vertrieben
von allen, ging sie nun verzweifelnd auf das Leichenfeld, wo der Vogel
weilte, und beschloß zu sterben. Der Papagei aber erkannte sie und
sprach ungesehen aus dem Dunkel einer Gruft zu ihr: „Zerstöre das
Leben nicht, das dir der Herr gegeben hat! Sühne deine Schuld in
vierzigtägigem Gebet, dann sollst du wieder mit deinem Gatten vereint
werden." Die Frau gehorchte dem Befehl, den ihr der Himmel gesandt
zu haben schien, und als die Frist ihrer Buße verstrichen war, trat
der Vogel vor sie und sagte: „Ich bin es, den du schuldlos vernichten
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wolltest und der dich wieder dem Leben gab und dir Rettung verhieß,
der Wohltaten allein eingedenk, die du ihm erwiesest. Heute noch
soll mein Versprechen sich erfüllen." Damit flog er geradewegs zu
Feruch Beg, der ihn voll Freude und Verwunderung empfing; und
als dieser ihn um seine Schicksale befragte, berichtete er ihm: „Als
ich aus meinem Käfig entschwand, da hatte mich eine Katze gefressen
und ich war tot. Da du aber deine Frau in Ungerechtigkeit von dir
wiesest und sie vierzig Tage im Gebet vor dem Allerbarmer lag, um
seine Gnade zu gewinnen, ließ er mich vom Tode auferstehen, damit
ich für ihre Unschuld zeuge. Eile ohne Säumen zum Friedhof und
nimm deine Gattin wieder in Ehre und Liebe auf !" Da schwang sich
Feruch Beg unverweilt auf ein schnelles Roß und eilte zu seiner Gc
mahlin, um ihr Verzeihen zu erflehen. Und fortan lebten sie im vollsten
Frieden des Glückes.
So darfst auch du getrost auf meine Treue bauen; zögere darum
nicht und fliege in die Arme deines Geliebten \" Als aber Chodscheste
das Haus verlassen wollte, hatte die Morgenröte, ihrer Pflicht getreu
wie der Papagei des Märchens, die Flur des Himmels zu einem Rosen-'
garten gewandelt und die Liebessehnende mußte der kommenden
Nacht warten.
Von peinvollem Liebesverzichte zu heilen
verlangte Chodscheste ihr pochendes Herz;
da zwang sie des Sittichs Geschichte, zu weilen,
bis dämmernd der Tag kam, zum Lichte zu eilen.
Langsam nur schwanden Chodscheste die Stunden des lichten, liebe'
wehrenden Tages ; endlich aber sank der Ball der Sonne im Westen,
und als das Flimmern der Sterne und der Glanz der Mondsichel den
Himmel schmückten, trat die Holde, angetan mit prächtigen Gewändern
und kostbaren Kleinodien, zum Käfig, in dem der Papagei saß, und
begann: „Als du mir gestern rietest, zu meinem Geliebten zu eilen,
war ich daran, deinen Worten zu folgen; als ich aber im endlosen
Harren Zeit fand, deinen Reden nachzusinnen, ward ich besorgt, denn
wie sollte ich nicht fürchten müssen, von dir getäuscht zu werden,
wenn du dich erbietest, meinen Gatten mit Lügen zu betören?" Da
entgegnete Zeban^awer : „Du betrübst mein Herz, schwarzlockige Herrin,
durch dein Mißtrauen. Weißt du nicht, daß der Prophet die Lüge
selbst guthieß, dient sie frommem Ziel? Vermöchte ich dich doch
durch die Kraft meiner Rede zu überzeugen, daß ich mein Leben für
dich und deine Liebe willig opfern wollte, wie es König Bikermadschit
nach den Berichten der Alten tat!" Diese Worte machten Chodscheste
neugierig und sie bat den Vogel: „Laß mich hören, was du von diesem
König wohl weißt!" denn sie vergaß ihre Absicht bei der Geschichte
VOM KÖNIG BIKERMADSCHIT UND DEM DERWISCH.
„In Behilsan war einmal ein König; dieser hatte eine Tochter von so
himmlischem Liebreiz, daß es nicht verwunderlich ist, daß sich ein
wandernder Derwisch in sie verliebte, der doch alles Weltliche von
sich abgelegt hatte. Vergebens versuchte er seine Seele von ihrem
Bilde zu befreien. Als aber die Lohe der Sehnsucht nur immer höher
19
emporschlug, sandte er zum König die Botschaft: „Gib mir deine
Tochter zur Gattin, denn die Liebe achtet nicht des Standes und des
Reichtums." Der Fürst wollte ihn in seinem Grimm hinrichten lassen»
sein Wezir aber riet ihm: „Töte ihn nicht, denn der Herr, dem er
dient, könnte dich dafür strafen ; laß uns eine List gegen ihn ins Werk
setzen." Zu diesem Zwecke hieß er den Derwisch vor sich bringen und
sprach zu ihm: „Dein Wunsch soll erfüllt werden, doch heischt der
Vater der Prinzessin eine Elefantenlast Goldes als Brautgabe." So
wollte er den Bettler, dem ja nur ein zerrissener Mantel zu eigen
war, durch die Forderung des Unmöglichen abweisen. Der Arme
wendete sich in der Not seines Herzens an den Großkönig Biker'
madschit, dem alle Schätze der Welt Untertan waren, fiel ihm zu
Füßen und klagte ihm sein Leid. Da befahl der Edelmütige äugen"
blicklich den stärksten Elefanten mit reinem Golde zu beladen und
gab ihn dem Derwisch zum Geschenk. Hoffnungsfroh zog dieser wieder
nach Behilsan und forderte für die bedungene Leistung das Mädchen.
Bestürzt sprach der König nun zu seinem Wezir: „Wie töricht war
doch dein Rat! Warum bedachtest du nicht, daß der Großkönig keinem,
der in Liebesbanden schmachtet, eine Bitte versagt ? Wie willst du den
Derwisch nun abweisen?" Da erwiderte der Wezir, der sich auf seine
Schlauheit viel zugute tat: „Laß mich nur zu Ende führen, was ich
begonnen habe, und sei unbesorgt!" Und er sagte zu dem Bettler:
„Heil dir, künftiger Eidam des Königs von Behilsan und kommender
Beherrscher dieses Reiches ! Nach Recht und Brauch hast du den Braut"
schätz entrichtet, so daß du nur noch eine Probe zu bestehen hast,
um zu den ersehnten Würden zu steigen: die deiner sieghaften
Kraft: Bring uns das Haupt Bikermadschits, des Königs der Könige!"
— Leidbedrückt und bekümmert ging der Derwisch wieder zu seinem
Wohltäter und berichtete ihm, wie er betrogen worden war. Da ent"
gegnete ihm der Fürst, dessen Großmut die Sonne aller Menschen"
tugenden war: „Sei von mir keines Truges gewärtig; nie soll ein
Liebender von mir ziehen, dem ich nicht zur Erfüllung verholfen
habe. Hundertmal hätte ich schon mein Haupt dem Glücke eines
Menschen geopfert ; heute kam die Stunde. Mein Kopf ist dein ! Nimm
aber einen Rat von mir an : Führe mich lebend, gefesselt, zu deinem
König und künde ihm, daß du auch die zweite Bedingung vollbracht
hast, sonst sucht er etwa neue Ausflüchte und ich bin nicht mehr am
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Leben, um für dich zu sorgen. Erst wenn du alles erreicht hast, dann
trenne mein Haupt vom Leibe und lege es als Preis der Liebe vor
seine Füße." Dieser Rede gehorchend, führte der Bettler den Großkönig
gebunden nach seiner Heimatstadt und trat mit ihm in den Thron'
saal. Überwältigt von dieser Seelengröße aber warf sich der König
von Behilsan und sein Wezir vor dem Edelsten der Sterblichen nieder
und ließ allsogleich die Prinzessin holen; und ihr Vater übergab sie
Bikermadschit und sprach : „Dein Eigen ist meine Tochter ; vermähle
sie dem, den du ihr erwählt hast!"
Wundersamer noch ist indessen die zweite Tat, die von diesem
Fürsten in den Büchern berichtet wird. „Verschweige mir auch diese
nicht/ sagte da die zärtliche Chodscheste und Zeban^awer erzählte,
WIE BIKERMADSCHIT SEIN LEBEN AUFS SPIEL SETZTE.
Er hatte einen Freund, der ein leidenschaftlicher Spieler war und im
Rausch seinerVerblendungbald alles hingegeben hatte, was sein war, und so
lieb die Würfel dem Spieler sind, selbst diese nicht mehr besaß. Von Scham
vor dem König und seinen Angehörigen erfüllt, verließ er heimlich mit
seiner treuen Frau die Stadt. Als sie aber erst wenige Meilen gewandert
waren, fand er einige Burschen beim Spiel sitzend und er konnte sich nicht
enthalten, zu ihnen zu treten und wieder sein Glück zu versuchen. Er
verlor aber und sollte nun den Gesellen den Einsatz zahlen. In seiner
Not ließ er ihnen seine Frau als Pfand und machte sich auf, zum
letztenmal Geld von der Gnade des Großkönigs zu erbitten. Als er
so seines Weges zog, kam er um Mitternacht an einen Brunnen. Er
blickte hinab und sah erstaunt einen Prunksaal, in dem ein Mädchen
von so berückender Schönheit auf einem Ruhebette lag, daß er seine
Augen nicht von ihr wenden konnte; vor ihr aber stand ein ge<-
waltiger Kessel, in dem Öl brodelte, und unter diesem lohte ein
mächtiges Feuer, davor saß ein Greis, der voll Bangen in die siedenden
Fluten starrte. Als er ihnen seinen Segenswunsch zugerufen hatte,
streifte die Jungfrau eines ihrer gleißenden Armbänder ab und warf
es ihm zu. Er barg das Kleinod rasch in seinem Gewand und eilte
zur Stadt in der Hoffnung, aus dem Erlös des Schmuckstückes seine
Spielschuld bezahlen zu können. Als die Juweliere im Bazar ihre
Läden geöffnet hatten, bot er einem das Armband zum Kaufe an;
doch kaum hatte dieser das unschätzbare Juwel gesehen, das ihm der
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in Lumpen gekleidete Mann reichte, ließ er ihn ergreifen und vor den
König bringen, denn er glaubte, es wäre aus dem Schatzhaus des
Fürsten geraubt. Der König war gar erstaunt, als er seinen Freund
in Bettlerkleidung in den Händen der Häscher vor sich sah, und ließ
sich seine Erlebnisse berichten. — Begierig, das Geheimnis im Brunnen
zu enträtseln, begab sich Bikermadschit mit seinem Gefährten in der
folgenden Nacht dahin, ließ sich dort hinab und bot der Jungfrau wie
dem Alten seinen Gruß. Dann fragte er das Mädchen: „Sag mir doch,
wer du bist und welches Bewandtnis es mit diesem Manne hat?" Da
hieß sie ihn niedersitzen und begann zu sprechen: „Ich bin die
Tochter des Feenkönigs und dieser Mann ward vor langer Zeit von
brennender Liebe zu mir erfaßt, als er mich einstmals im Silberschein
des Mondes auf blumiger Au tanzen sah. Mich bewegte sein heißes
Werben und ich wollte sein Flehen erhören. Ehe aber ein Irdischer
sich in Liebe uns nahen darf, muß sein Leib in wallender Glut ge"
läutert sein von der Schwäche der Menschen. Angst hält ihn nun ab,
die Probe zu bestehen, und doch kann er auch von seiner Liebe nicht
lassen ; und ich vermag es nicht, ihn in Verzweiflung zu stürzen. So
gingen Jahrzehnte um Jahrzehnte dahin, daß sein Haupthaar bleichte
und sein Leib verfiel, ohne daß er meine Umarmung genossen hätte
und daß ich das Glück der Vereinigung mit ihm erfahren konnte."
Als der König diese Geschichte treuer und hoffnungsloser Liebe
vernommen hatte, stürzte er sich kühn in das furchtbare Sieden des
Kessels, tauchte im Feuer der Fluten unter und ging wieder unver"
sehrt daraus hervor wie Gold, dem keines der Elemente Schaden
bringen kann. Da fiel die Feenprinzessin zu seinen Füßen nieder und
sprach: „Du hast mich durch deinen Mut und durch die Zauberkraft
der Glut gewonnen und dieser hat mich für ewig verloren." König
Bikermadschit aber hob sie sanft zu sich empor und erwiderte ihr:
„Glaube nicht, daß Liebesraub der Zweck meines Tuns war! Willst
du mir angehören, da ich durch das Feuer Gast des Feenreiches gc
worden bin, so sollst du meine Tochter sein; Gattin aber soll dich
der nennen, der in Liebe zu dir so lange verharrte. Nur um ihm
Mut zu geben, warf ich mich in den Rachen des Schreckens; denn
wäre ich von den Flammen vernichtet worden, dann nur hätte seine
Furcht Berechtigung." Beseligt von diesen Worten tauchte nun auch
der Greis in den schäumenden Kessel und erhob sich aus ihm in
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neugewonnener Jugendschönheit. Der König vermählte sie einander,
gab seinem Freunde, dem Spieler, die Summe, mit der er seine Frau
wieder befreien konnte und noch genug zu sorglosem Leben, und war
glücklich im Glücke der Vereinten.
So gilt auch mir mein Leben nichts vor der Kühlung deiner Liebes'
flammen. Eile froh und getrost zu deinem Geliebten mit meinem
Segen, daß höchste Seligkeit dein Herz erfülle." Mit diesen Worten
beschloß der Papagei seine Geschichten. Aber das Dunkel der Nacht
war dem Licht des Frührots gewichen und Chodscheste mußte wieder
harren, bis von neuem Dämmerung werden sollte.
Was gilt doch dem Edlen Erhaltung des Lebens,
erkauft er mit ihm eines anderen Glück;
es wird ihm das Opfer Gestaltung des Gebens
und nichts ist der Tod als Entfaltung des Strebens.
„Zögere nun nicht, rotwangige Herrin, mit der Verwirklichung
deiner Absicht," so begrüßte der Sittich Chodscheste, als wieder die
silberne Nacht herabgesunken war, „denn es könnte geschehen,
daß dein Gemahl zurückkehrte, ehe du deinen Geliebten beglückt
hättest und dich die Reue faßte wie die Frau des Königssohnes von
Benares." „Warum geschah dies?" fragte die Liebliche. „Verschweige
mir nichts, lieber Papageil" Und sie ließ sich neben dem Käfig
nieder, Zeban^awer aber spreizte sich auf seiner Stange und erzählte
VON DER JUNGEN FRAU UND DEM KLUGEN SCHAKAL.
„Da Allah die Menschen nach unenträtselbaren Planen werden läßt,
kam es, daß niemand häßlicher auf der Erde war als der Sohn des
Beherrschers von Benares, von niedrigerer Wesensart und ohne jeden
Vorzug des Geistes. Als er aber mannbar geworden war, gab ihm sein
Vater das holdeste Mädchen der Stadt zur Frau, die Tochter eines
Kaufmanns, die an der Seite dieses Gatten ihre Schönheit und Jugend
vertrauerte und keinen Augenblick anderes ersehnte als die Befreiung
von ihm. Nun saß sie einstmals nachdenklich auf der Terrasse ihres
Palastes, da vernahm sie wunderlieblichen Gesang und als sie sich
vorneigte, erblickte sie einen Jüngling, der in ihren Augen, obgleich
er nur ein gemeiner Sänger war, der von Haus zu Haus zog, um von
der Mildtätigkeit der Menschen und der Ausgelassenheit der Gelage
zu leben, gleichsam wie der Vollmond erschien, so daß sie sich äugen'
blicklich in ihn verliebte. Sie stieg alsbald hinab zu ihm und ergoß
sich in Klagen über ihr Geschick und bat ihn zuletzt, sie mit sich
24
zu nehmen, wohin immer er ziehen möge. Der Jüngling zeigte sich
ihrem Vorschlag geneigt und sie wanderten miteinander in die Ferne.
Einige Tagereisen hatten sie zurückgelegt; schon war der Sänger der
Frau überdrüssig geworden, doch umso begieriger nach dem reichen
Schmuck, den sie trug, als sie an einen breiten Strom gelangten,
durch den keine Furt führte und den kein Nachen übersetzte. Da
sagte der Hinterlistige zu der Frau : „Hier kann nur meine Schwimm"
kunst helfen ; gib mir deine Kleider und Kostbarkeiten, damit ich sie
zuerst hinübertrage, dann will ich dich sicher auf meinem Rücken an
das andere Ufer bringen." Die Liebebetörte gab arglos seinen Worten
Glauben und harrte nun nackt und bloß seiner Rückkehr; er aber
war froh mit seiner Beute entwischt. — Zu spät erst erkannte sie,
daß jener sie betrogen hatte, und sank weinend am Strande nieder.
Als sie so in Verzweiflung um sich sah, erblickte sie einen Schakal,
der mit einem großen Knochen im Maul dahergelaufen kam, um in
der Kühle sein Mahl zu verzehren. Kaum hatte er aber zu fressen
angefangen, bemerkte er einen fetten Fisch im Wasser aufspringen,
dem lief er nach, aber freilich er konnte ihn nicht fangen. Wie er
sich indes wieder an seinen Knochen machen wollte, war auch dieser
fort, denn ein Hund hatte ihn geholt. Da mußte die Frau in all ihrer
Trauer herzlich lachen und verspottete den dummen Schakal. Dieser
bat aber sie, ihm zu erzählen, wie es gekommen wäre, daß sie nackt
am einsamen Ufer stünde. Und als er ihre Geschichte vernommen
hatte, lachte er noch viel mehr und sagte: „Wie durftest du mich
verhöhnen, da wir beide einander gar nichts vorwerfen können; ist
doch mein Knochen dein Gatte und dein Liebhaber mein Fisch! Es
ist wohl ein alter Satz, daß der Bucklige gern des Buckligen spottet,
weil er ja seinen eigenen Mangel nicht zu sehen vermag. Und als
einmal zwei solche Toren über einen Steg gingen, der unter ihnen
zerbrach, so daß beide in den Bach fielen, lachte jeder so über den
andern, daß ihnen das Wasser in Mund und Nase drang und sie
jämmerlich ertrinken mußten." Aus diesen Worten des Schakals wurde
die Frau seiner Klugheit inne und sie begann : „Nur Gott selbst kann
dich in meiner Not zu mir gesandt haben, daß du mich aus Schmach
und Verderben rettest. Hab Erbarmen mit mir und leihe mir deine
Weisheit!" So flehentlich sprach sie, daß das Tier gerührt wurde und
sagte: „Bleibe hier, bis die Reiter kommen, die dein Gatte nach dir
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ausgesendet hat; stelle dich dann wahnsinnig und täusche alle durch
dein Verhalten. Ist erst einige Zeit verstrichen, so lasse deinen Mann
glauben, daß du wieder geheilt bist, und er wird dich freudig auf"
nehmen, ohne etwas von deiner Schuld zu ahnen." Und so geschah
es auch.
Nur selten winkt indessen so Befreiung von der Reue, wie es dir
DIE GESCHICHTE VON DER DUMMHEIT DES KATERS
weisen mag: Im äußersten China lebte in einer Wüste ein Löwe, der
schon so alt war, daß seine Zähne Löcher hatten. Legte er sich nach
seinem Mahl nieder, um zu schlafen, so kamen die zahllosen Mäuse
herbei, die sich dort aufhielten, und nagten an den Speiseresten, die
in seinem Mund waren, so daß er nicht mehr ruhig schlafen konnte.
Als er sich einmal in seinem Hofstaat über diese Plage beklagte,
meinte der Wolf, der das Amt seines Wezirs versah: „Du teilst nur
das Los, das auch den mächtigen Kalifen von Bagdad traf." Da bat
ihn der König der Tiere, ihm doch diesen Fall zu berichten, und so
erzählte der Wolf:
„Einmal war der Kalif im eifrigen Gespräch mit dem Imam Schafii
über die Lehren des Propheten und die Überlieferung. Weil aber
Sommer war, quälten ihn die Fliegen und sie ließen sich durch kein
Mittel verjagen. Da wandte sich der Beherrscher der Gläubigen
an den Weisen und fragte ihn: „Wozu erschuf Gott in seiner Weis-
heit die Fliegen, die doch allen Geschöpfen nur zur Last sind
und niemand nützen?" Der Gelehrte gab ihm diese Erwiderung:
„Siehe, es war dem Allmächtigen Zweck, den Großen der Erde die
Lehre zu geben, daß ihre Kraft an Kleinem brechen mag." Und zum
Beweise dessen erzählte er ihm auch noch die wundersame Geschichte,
WIE DER ELEFANT DEN KLEINSTEN TIEREN ERLAG.
„Der Elefant hatte einmal einen Baum im Walde so erschüttert,
daß aus dem Nest eines Zaunkönigs, der dort wohnte, die Eierchen
herabfielen und zerbrachen. Da weinte das arme Vöglein und flog zu
seinem Freund, dem Specht, um auch ihn zur Rache zu laden. Da
sie sich aber miteinander keinen Rat gegen das Ungetüm wußten,
begaben sie sich selbander zur Biene, die die Meisterin der Klugheit
ist. Und diese entwarf einen Kriegsplan zur Vernichtung des Bösen.
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Zaunkönig, Biene und Specht wanderten dann zum Frosch, um auch
ihn in ihre List und ihren Anschlag einzuweihen. Dann flog die Biene
zum Elefanten und wich mit unaufhörlichem leisen Summen nicht
mehr von seinem Ohr, so daß er zuletzt wütend wurde; jetzt hatte
der Specht leichtes Spiel, ihm die beiden Augen auszuhacken. Blind
und toll raste nun der Riese im Wald umher, bis ihn der Durst
zu peinigen begann. Da ließ sich der Frosch vernehmen und der Ele^
fant eilte zu dem vermeintlichen Sumpf; er stürzte aber in eine
tiefe Grube, an deren Rand sich der Grüne gesetzt hatte, um aus
Leibeskräften zu quaken; dabei brach er sich den Rüssel und starb."
Der Weise aber findet mannigfache Hilfe," so schloß der Wolf. „Ein
treuer Diener deiner Macht harrt seit langen Jahren deines Befehls:
die Katze. Gib ihr da» Amt eines Burgvogtes und vertraue ihr die
Wache deines Schlafes an!" Dieser Rat gefiel dem Löwen und er
bekleidete die Katze mit der neuen Würde. Der König der Tiere
konnte von nun an wieder ruhig schlafen, denn sobald die Mäuse
sahen, daß die Katze den Löwen behütete, flohen sie in Entsetzen.
So ward der König seinem Burgvogt wohlgeneigt und erhöhte seinen
Rang. Sie aber war schlau und tötete die Mäuse nicht, sondern hielt
sie nur in Schrecken, denn wenn ich die Mäuse ausgerottet hätte, so
dachte sie bei sich, wäre mein Amt nicht mehr von Nutzen und man
entließe mich in Ungnade.
Als in dieser Weise eine lange Zeit verstrichen war, brachte die
Katze eines Tages ihren Sohn vor das Angesicht des Löwen und
sprach zu ihm: „Willst du mir gestatten, für kurze Zeit zu verreisen,
in der mein Sohn meiner Pflichten walten soll?" Der König gewährte
diese Bitte und die Katze begab sich fort. Als der junge Kater aber
ihr Amt versah, brachte er alle Mäuse um, deren er nur habhaft
werden konnte; und weil diese ihrer übergroßen Vorsicht entwöhnt
waren, hatte er sie allesamt umgebracht, ehe noch die Katze heinv
kehrte. Als sie aber kam und erkannte, was geschehen war, bedauerte
sie tief, ihren Sohn nicht in das Geheimnis ihrer Stellung eingeweiht
zu haben und der Kater mußte seine Tat bitter bereuen, doch war
es zu spät: die Katze wurde entsetzt und ihr ganzes Geschlecht war
wieder geringgeschätzt wie vorher."
Als der Papagei seine Erzählung beendet hatte, begann das Gold
des Tages weithin zu leuchten und Chodscheste war gezwungen,
27
wieder einen ganzen Tag träumend und im Gespräch mit ihren
Freundinnen zu verbringen und die Nacht zu erwarten.
Es war noch Chodscheste gefangen genommen
von all der Geschichten verwirrendem Spiel,
im Eifer hatten die Wangen geglommen,
da war schon das Frührot mit Prangen gekommen.
Wieder breitete ein Abend seine mächtigen dunklen Schwingen
aus, um den Flug über die Weiten der Erde aufzunehmen. Im
Dämmern leuchtete nur Chodscheste im Glanz der Juwelen, die sie
zu ihrem Gang angelegt hatte. Sie dachte mit einem kurzen Gruß
an Zeban^awer vorüberzuschweben und in die Arme dessen zu sinken,
der nach den Versicherungen der Freundinnen in Liebe zu ihr ver"
ging. Und der Papagei sprach zärtlich zu ihr: „Geh deines Weges
im Schutze Allahs und genieße die Seligkeit, zu der du geschaffen
wardst. Doch vergiß niemals die Besonnenheit und Schlauheit, die
den Frauen eignet, wenn dich ein Ungemach bedrohen sollte, so wie
sich auch Pelenk'Firib verschlagen und klug aus den Klauen des
Tigers rettete." Da blieb die Schönheitsbegnadete am Käfig stehen
und sagte zu dem weisen Vogel: „Laß mich diese Lehre rasch ver'
nehmen, damit ich im Augenblick der Not ihrer denken kann."
„Du tust wohl daran, anmutige Gebieterin," entgegnete der Sittich,
„rechte Beispiele vor Augen zu behalten." Und damit begann er
DIE ERZÄHLUNG VON PELENK-FIRIB UND DEM TIGER.
„In einer Stadt lebte einmal ein Mann, der ein zanksüchtiges, böses
Weib hatte, das nichts verstand, als ihren Mann und alle Leute zu
schmähen und ihren stets keifenden Mund zu gebrauchen. Eines
Tages schalt sie ihr Mann darum und im Zorn nahm sie ihre beiden
Kinder und lief mit ihnen fort. Auf ihrem Weg kam sie durch eine
Wüste und dort geschah es, daß ein furchtbarer Tiger gegen sie an'
sprang und sie mit ihren Kleinen zu zerreißen drohte. Sie erschrak,
29
verlor aber den Kopf nicht und bedachte: das ist die Strafe des
Himmels für meine Missetaten; wenn ich aber aus dieser Not emv
komme, will ich wieder zu meinem Mann zurückkehren und ihm
hinfort gehorsam sein. Und sie nahm ihre Zuflucht zur List und
sagte zu dem wilden Tiere: „Höre meine Worte, bevor du uns zer'
fleischest!" Der Tiger hielt im Sprunge ein und fragte sie erstaunt:
„Was hast du mir denn zu sagen?" und die Frau erwiderte ihm:
„Weißt du nicht, daß der König dieses Gebietes ein entsetzlicher
Löwe ist, dem die Leute alltäglich als Tribut drei Menschen senden ?
Heute bin ich mit meinen Kindern die Speise des Löwen. Vergehe
dich also nicht an dem, was dem Fürsten gehört, der dich vernichten
kann. Willst du dich aber sättigen und dann eiligst vor dem Groll
des Entsetzlichen entfliehen, so nimm meinen Vorschlag an und be"
gnüge dich mit der Hälfte meines Leibes und mit einem meiner
Söhnchen." Der Tiger war gar verwundert über ihre Hochherzigkeit,
sie aber sagte: „Ist nicht der Lohn der Edelmütigkeit das Paradies
und nicht Erbarmen mit dem Hungernden die höchste Tugend? Und
wie gering ist das Geschenk von Geld und Gut, wie kostbar hin-'
gegen das des Lebens, wie die Geschichte von dem treuen Wächter
des Königs von Tabaristan zu erkennen gibt." Und sie berichtete ihm
diese Geschichte, die wert wäre, mit goldenen Buchstaben in die
Chroniken eingetragen zu werden, so daß der Tiger entzückt war und
es nicht übers Herz brachte, ihr ein Leid zuzufügen, so daß er von
seiner sicheren Beute ließ und, andere Speise zu suchen, fortlief. Die
Frau aber wandte sich, Gott dankend dafür, daß er sie befreit hatte,
langsam ihrem Heimatdorfe zu.
Inzwischen hatte der Tiger den Fuchs getroffen und ihm sein Er'
lebnis berichtet; dieser aber lachte ihn aus. „Du Tor," rief er, „der
den Spruch bewahrheiten will, daß die Tapfersten die Leichtgläubigsten
sind! Wie konntest du dich von einer Menschenfrau, die doch der
Gipfel alles Truges ist, so narren lassen? Du hast dein Mitleid am
unrechten Orte walten lassen und deine Furcht vor dem Löwen, der
hier herrschen soll, ist zwecklos, denn ich habe nie von ihm gehört,
so vertraut ich auch mit allem bin, was hier vorgeht. Folge darum
meinem Rat und laß uns rasch dieses Weib wieder suchen, damit wir
beide von ihrem leckeren Fleisch satt werden." Da der Tiger aber
noch immer von Angst erfüllt war und auch dem Fuchs mißtraute,
30
dessen Hinterhältigkeit er wohl kannte, dieser aber den Fraß nicht
fahren lassen wollte, den die Wüste ihm bot, so sagte er endlich:
„Willst du meiner treuen Gefolgschaft ganz sicher sein und nicht
befürchten müssen, daß ich in der Gefahr entlaufen möchte, so binde
doch mein rechtes Bein an dein linkes!" Das flößte dem Tiger Ver'
trauen ein und er tat nach diesem Rat. Sie liefen miteinander zurück,
dorthin, woher der Tiger gekommen war, und holten die Frau nicht
weit von der Stelle, von wo sie umgekehrt war, ein.
Als die Frau jetzt der doppelten Gefahr gewahr wurde, die in den
Gestalten der Meister der wilden Kraft und der boshaften List nahte,
ließ sie doch den Mut nicht sinken und sprach im nimmer verzagen'
den Glauben an den Allmächtigen und seinen Propheten zu ihren
Kindern die Worte: „Seht doch, wie meine Zauberkraft ihre Wirkung
tut: gehorsam meinen Beschwörungen eilt der Tiger herbei, um sein
Herz zu unserem Mahl selbst anzubieten und sein Fell, damit wir
weich gelagert seien beim Schmaus, und er bringt den Fuchs mit
sich, damit wir sein Blut trinken und unsere trockene Kehle laben
können. u Solche und noch viele so hochfahrende Reden führte sie,
und weil ihre Stimme dabei ruhig und stolz klang, faßte dabei auch
den Fuchs das Entsetzen und er raunte dem Tiger zu: „Warum
locktest du mich an diesen Ort des Schreckens, indem du mir von
einer barmherzigen und weichmütigen Frau erzähltest, da dieses Weib
doch der Abschaum aus dem Tale der Verdammten ist und ein böser
Geist, der sich in Menschengestalt verwandelt hat, um uns zu ver'
nichten. Fliehen wir, so rasch wir können \* Und die beiden nahmen
in aller Eile Reißaus, doch hinderten sie die zusammengebundenen
Beine in ihrer Flucht, der Tiger schleifte den Fuchs indessen so mit
sich, daß diesem Leib und Glieder von den Steinen zerrissen wurden
und er sich schon dem Tode nahe fühlte. Da gab ihm die Todes'
angst noch einen Rettungsgedanken und er begann zu seinem Gesellen:
„Dir allein danke ich mein Leben, denn du hast mich aus der Nähe
dieser Teufelin fortgebracht; was wollen wir aber tun, wenn sie uns
auf den Spuren des Blutes, das aus meinen Wunden niederfließt,
verfolgt?" Da war der Tiger glücklich, ihn von sich lösen zu können.
Der Fuchs fuhr nun rasch in die nächste Höhle, der Tiger aber lief,
so lange sein Atem hielt und bis er vor Erschöpfung umsank. —
Unversehrt erreichte die Frau ihr Heim wieder und man nannte sie
31
um des Erfolges ihrer Schlauheit willen von nun an nur mehr Pelenk"
Firib (Tigerschreck).
Und doch ist die Tat dieser Frau, die nur ihr Leben und das ihrer
Kinder aus der drohenden Gefahr befreite, weit weniger groß, als die,
WIE DIE EDLE FRAU DIE EHRE IHRES GATTEN RETTETE.
In der Stadt, in der sie mit ihrem Mann, einem reichen Kaufherrn,
lebte, war auch eine Frau, die alle Männer in die Netze ihres Liebes"
Verlangens zog ; endlich gelang es dieser auch durch ihre Verlockungen
jenen Kaufmann zu einem Stelldichein in einem entlegenen Tempel
zu bewegen. Sie ruhten nun dort Brust an Brust und das lüsterne
Weib stillte seine Lust. Doch hatten beide der Stadtwächter nicht ge"
dacht, da ja die Liebe die Sinne verwirrt, und diese wurden auf'
merksam und schlössen das Heiligtum ein, um das Paar am kommen"
den Morgen vor den Richter zu schleppen. Als die Frau des Kauf"
manns Kunde davon erhalten hatte, zögerte sie nicht einen Augen"
blick, zu seiner Befreiung von der Schmach einen listigen Plan ins
Werk zu setzen : Sie zog mit ihren Dienerinnen unter Trommelschall
und Saitenspiel zu dem Tempel und bestach dort die Hüter mit Geld,
sie einzulassen, indem sie zu ihnen sprach : „Ich will nur ein Gelübde
erfüllen, das ich in großer Gefahr abgelegt habe und das mich zwingt,
gerade in der heutigen Nacht in diesem Tempel ein Opfer darzu"
bringen. Habe ich aber meine Pflicht erfüllt, so will ich sogleich
wieder fortgehen." So überlistete sie die Wächter; dann betrat sie
den Raum, in dem ihr Gatte und die Buhlerin weilten, gab dieser
die Kleidung, in der sie selbst gekommen war, hieß sie sich darein"
hüllen und jagte sie dann hinaus. Sie blieb aber bei ihrem Gemahl,
und als morgens die Leute des Königs kamen, um sie mit sich zu
nehmen, erkannten sie voll Beschämung, daß sie den Kaufmann mit
seiner eigenen Gattin gefangen gehalten hatten, und baten sie, Ver"
gebung an ihnen zu üben."
Als der Papagei so weit in seiner Erzählung gekommen war, sagte
er: „Nun mußt du aber eilen, um zu deinem Geliebten zu gehen,
der im Leid der Trennung vergeht." Und Chodscheste erhob sich, um
das Ziel ihrer Wünsche zu erreichen; da vernahm sie das Krähen
des Hahnes und das Zwitschern der anderen Vögel, die den nahenden
Morgen jubelnd verkündeten. So war auch in dieser Nacht ihre Sehn"
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sucht nicht erfüllt worden und sie mußte warten, bis wieder die
Sterne am Himmel erscheinen wollten.
Wer wollte die Schliche der Frauen vermessen,
ergründen und zählen, so sagte voll List
der Sittich und warb ihr Vertrauen, — indessen
ließ er sie das nahende Grauen vergessen.
Schritt für Schritt führten wieder die Rosse des Himmels den Wagen
der Sonne gegen Untergang und die Schatten dehnten sich wie ge*
spenstige Spinnen über die Erde, bis die Dämmerung mit einem
Male ihrem Treiben Einhalt gebot und die ganze Welt in ihren
schützenden Schleier hüllte. Zu dieser Zeit eilte Chodscheste zu ihrem
Papagei und begann ihn mit diesen Worten anzureden: „Treuerund
weiser Zeban^awer, du hast mit den Geschichten, die du in der ver'
gangenen Nacht mir erzähltest, zu dem schweren Kummer, der mich
in der ungestillten Sehnsucht nach meinem Geliebten bedrückt, noch
ein Leid gefügt, das mich den langen Tag über peinigte." „Edelste
Herrin," erwiderte der Sittich, „womit habe ich dich unbewußt gc
kränkt, daß du so zu mir sprichst, der doch mit ganzer Seele nur
dein Glück bereiten und bewahren will?" „Ich werde dir Glauben
schenken, wenn du das, was du verbrachst, gut zu machen versprichst,"
sagte die Anmutige. „Hör mich an: als du gestern von Pelenk'Firib
und dem Tiger berichtetest und nur mit kurzen verbergenden Worten
DIE GESCHICHTE VON DER TREUEN SCHILDWACHE
erwähntest, versank ich vor Verlangen, sie zu vernehmen, in Unmut.
Erweise mir darum die Freude, sie jetzt vor mir neu erstehen zu
lassen, da der Abend erst anbricht, damit ich dann in heiterem Sinn
in die Arme des Liebsten eilen kann."
„Freudig will ich deinen Wunsch erfüllen," war die Erwiderung
des klugen Vogels, „und du magst von diesem Manne lernen, An'
hänglichkeit und Treue, Zärtlichkeit und Aufopferung zu üben, so
34
daß die Neigung, die dein Geliebter für dich hegt, nimmer ende und
du ihm immer teurer werdest. Vernimm nun, was vor langen Jahren
geschah und von den Weisen der Vorzeit überliefert worden ist:
Der König von Tabaristan saß einstmals in seiner Herrlichkeit auf
seinem Thronsitz bei einem erhebenden Feste, zu dem sich alle Prinzen
und Großen des Reiches, die Weisen und Gottgelehrten eingefunden
hatten; die leckersten Speisen und duftende Getränke waren in un--
sagbarer Fülle vor ihnen aufgestellt, daß sie in ihrem Ergötzen und
ihrer Lust kaum wahrnahmen, wie ein Fremdling unter sie trat, bis
er vor dem Fürsten stand. Verwundert blickte dieser auf ihn und
fragte ihn um Herkunft und Begehr. Der Ritter entgegnete nun:
„Lange Jahre war ich im Dienste des Emirs von Chodschend, dem
ich in Treue mit meinen Künsten diente. Und glaube mir, König,
ich verstehe viele und preisliche Werke zu verrichten: niemand vermag
mich im Fechten zu überwinden, den härtesten Stein durchdringt
mein Pfeil aus weiter Ferne, die Löwen büßten meinen Mut und
meine Stärke und mein Herz kennt nimmer Furcht und Zagen. Da
mein Herr indessen meine Tugenden nicht zu werten wußte, verließ
ich ihn und ich zog zu dir, der du den Ruhm der Freigebigkeit und
Mildtätigkeit, des Edelmutes und der Herzensgröße unter den Menschen
führst. Darum wende ich mich mit der Bitte an dich : laß mich einer
deiner Diener sein!" Als der König diese Rede vernommen hatte,
fühlte er sich in seinem Herzen zu ihm hingezogen und nahm ihn
in seinen Dienst. Er gab ihm das Amt eines Wächters seines Palastes
und setzte ihm einen reichlichen Sold aus.
Lange Zeit erfüllte der Ritter schlicht und getreu seine Pflicht, daß
der König seiner fast vergaß. Eines Nachts aber wurde der Herrscher
durch schwere Träume und bange Ahnungen aus seinem Schlafe
geweckt, so daß er auf die Terrasse seines Schlosses trat, um die
Kühle der Luft zu atmen und seine Brust von dem Drucke zu be"
freien. Er rief den Wächter an, der wie eine Säule stand, ohne dem
Schlaf Gewalt über sich zu gewähren; der Ritter wandte sich
zum Fürsten, beugte sich vor ihm nieder und fragte nach seinem
Geheiß. In diesem Augenblick ließ sich aus weiter Ferne eine klagende
Stimme vernehmen, die die Worte wiederholte: „Ach, nun muß ich
ziehen! Wer wollte mir beistehen, daß ich noch weilen darf!" Der
König war begierig, zu erfahren, was diese Stimme wollte, und befahl
3* 35
dem Ritter, dem Schall nachzugehen und ihm zu berichten, was er
erfahren hätte. Unverweilt machte sich der Wächter auf, den Befehl
auszuführen. Den Fürsten erfaßte aber das Verlangen, das Verhalten
und die Treue seines Dieners zu prüfen, und so folgte er ihm un'
gesehen in kurzer Entfernung.
Der Mann schritt wacker aus und erreichte, als er manche Meile
gegangen war, eine Frauengestalt, die auf der Landstraße hinwandelte
und unter quellenden Tränen ausrief: „Ach, nun muß ich ziehen!
Wer wollte mir beistehen, daß ich noch weilen darf?" „Wer bist du,
schönste Frau, die je mein Auge sah?" fragte sie der Ritter. „Und
welchen Dienst begehrst du mit deinen geheimnisvollen Worten?"
Und die weinende Frau erwiderte ihm: „Siehe, ich bin das Leben
des Königs von Tabaristan. Und hohem Ratschluß folgend, muß ich
scheiden, denn seines Erdenwandels Tage sind zu Ende." Als der
Wächter diese Worte hörte, wollte sein Herz vor Leid zerspringen,
und er fiel zu den Füßen des Frauenbildes nieder und sprach flehend
zu ihr: „O, verlaß uns nicht! Du kannst nicht unerbittlich sein ; sag
mir, durch welches Opfer wir dich halten können !" Ernst entgegnete
sie ihm: „Wenn du selbst das Leben deines Sohnes dem Himmel
gibst für das des Königs, so darf ich wiederkehren und Tabaristan
wird sich noch lange seines Herrschers freuen." Diese Worte ließen
den Ritter vor Freude beben, er sprang auf und rief: „Weile nur
die kurze Frist, bis ich meinen Sohn vor dich geführt habe; so wie
mein Leben gehört seines dem Fürsten, und willig wollen wir es ihm
darbringen."
Damit eilte er in Windeseile zu seinem Haus und nahm seinen
Sohn mit sich und erzählte ihm alles, was sich zugetragen hatte, mit
fliegendem Atem. Und das Kind erwiderte seinem Vater : „Mit gutem
Grund hast du mein Opfer versprochen, und ich segne mein Geschick,
diesem edlen Fürsten dienen zu dürfen. Ist er doch das Glück und
das Heil vieler Tausender von Menschen; wie dürfte das armselige
Leben eines Knaben dagegen gewertet werden. Wie wahr sprach Fosail
ben ejas: /Ware eines meiner Gebete der Erhörung gewiß, so spräche
ich es für den König!' und als man ihn fragte: , Warum willst du
es nicht für dich verwenden?' sagte er: , So käme nur mir allein der
Nutzen zu; erhört der Himmel aber den König, so kommt das Heil
auf alle Welt!'"
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Und als sie bei der Fee des Lebens angelangt waren, band der Ritter
die Hände und Füße seines Sohnes wie der Prophet Abraham — Friede
sei mit ihm! — die des seinen, und zog sein Schwert, um ihn zu
töten. Da faßte die Frau nach seiner Hand und hielt ihn, und hold'
selig lächelnd sprach sie: „Halt ein! Der Allmächtige sah deinen
Willen und nahm ihn in seiner Gnade für das Werk. Viele Jahre
darf ich nun weiter bei euch weilen und eurem König dienen, denn
du brachst mit deiner Treue den Bann. Nun zieh mit meinem Segen
und in Frieden heim mit deinem Sohn." Nach diesen Worten entschwand
sie seinen Blicken. Und der Ritter führte voll Seligkeit sein Kind in
sein Haus, der König aber begab sich in sein Schloß und erwartete
die Rückkunft des Wächters. Und alsbald trat dieser vor ihn und bc
grüßte ihn im Namen des allerbarmenden und gnädigen Gottes, der
alleinzig im Himmel thront. Der König hieß ihn berichten, was es
für eine Bewandtnis mit dem Klagen gehabt hätte, und der Ritter hub
an zu erzählen: „Ein wunderliebliches Weib war es, das ich auf der
Landstraße traf, die ihrem Gatten entlaufen war, der sie mißhandelt
hatte. Weinend klagte sie ihr Leid den Lüften. Sanft und väterlich
sprach ich ihr zu und geleitete sie in ihr Haus, wo ich sie wieder
mit ihrem Gatten aussöhnte. Nun wird sie ihn nimmermehr verlassen!"
Da erkannte der König, daß der Ritter ebenso weise wie treu war,
und sprach huldvoll zu ihm: „Was du getan hast, blieb mir nicht
verborgen, denn ich folgte dir auf deinen Wegen und vernahm, was
du sprachst, und erkannte das Juwel deines Herzens. Ich weiß es wohl,
daß du mein Leben gerettet hast, und will dir es lohnen und deinem
Sohn, der deiner würdig ist. Zur höchsten Würde will ich dich er'
heben und den Segen des stolzesten Reichtums auf dich häufen."
Und da es Tag geworden war, berief der Fürst die Großen und
Würdenträger seines ganzen Reiches zusammen und schilderte ihnen
das Abenteuer der Nacht, so daß Staunen und Freude die Seelen aller
ergriff. Und dann ernannte er den Ritter zu seinem Wezir zur Rechten
und übergab ihm die Schlüssel aller seiner Schätze und das Siegel
seiner Herrschaft zur Verwahrung. — Und so wie damals, als der
Ritter als armer Fremdling genaht war, ließ er ein herrliches Fest
feiern und ein frohes Gelage rüsten; und alle, die dereinst auf den
unbekannten Ankömmling herab geblickt hatten, beugten sich nun vor
seiner Macht und priesen ihn ob seiner Tugenden."
37
taCrtich, mahlte der Papagei, und hingerissen von der
L.ebl.chke« semer Rede und von den Bildern, die er vor™ au£
ste.genl.efi i vergaß Chodscheste alles über dem Lauscnen so d"ß
Endfwa" * M°rgen ^ GemaCh erhdlte' * die Erzählung au
Damit er Chodscheste erfreue, erzählte
Zebaivawer gerne von edelster Tat,
da er wie der Ritter die Treue erwählte,
daß nimmer dU Herrin die Reue zerquälte.
Unbekümmert um Leid oder Freude der Menschen rollt das Rad
der wechsellosen Zeit, die Stunde, die du ersehnst, naht nicht anders
als die, deren Kommen du mit Beben entgegensiehst. Und so ließen
die Gluten der Sonne, die bedächtig ihre Bahn zog, das Liebesfeuer
von Chodschestes Seele zwiefach brennen, bis sie sich endlich zur
Ruhe neigte und scheidend mit blutroten Strahlen die Welt grüßte.
Nun eilte die holde Herrin zu ihrem Papagei und begann : „Sag mir,
Treuer, was ist es, das die Vereinigung zwischen mir und meinem
Freunde wehrt, obgleich kein anderer Gedanke mehr in meinem Busen
Raum hat? Ich fürchte, daß das Schicksal unserem Bunde unhold ist und
mir die Lust in seinen Armen neidet." Zeban'awer aber entgegnete
ihr : „Klage das Geschick nicht an, denn es ist machtlos im Streit gegen
beharrliche Liebe und kann ihrer Kraft nicht widerstehen, wenn sich
beide Liebende mit gleicher Treue ergeben sind, wie es denn auch
DER JÜNGLING VON BAGDAD UND SEIN MÄDCHEN
erwies." „"Wie hat sich dieses zugetragen?" fragte die Liebeskranke,
und der Vogel erzählte ohne Säumen folgende Geschichte:
„Im herrlichen Bagdad lebte einmal ein reicher und schöner Jüngling,
der bei einem Gastmahl von den Reizen und der hohen Kunst einer
Lautenspielerin so ergriffen worden war, daß er sie um den ersten
Preis, den ihr Eigentümer forderte, kaufte und von dieser Zeit an
nur noch für sie lebte. Was nur ihr Wunsch werden konnte, hatte
er schon lange erfüllt, und durfte er von ihren Augen den strahlenden
39
Schimmer der Liebe lesen, so dünkte ihn das köstlicher als alles,
was die Dichter in ihren Büchern geschrieben hatten. Da mochte es
freilich nicht fehlen, daß im Verlauf der Zeit seine Habe immer mehr
abnahm, und als er das letzte, was er noch besaß, verkauft hatte, um
sie die Armut nicht fühlen zu lassen, war er zum Bettler geworden.
Er beriet sich mit Freunden und diese gaben ihm den Rat, sich als
fahrender Musiker auszugeben und mit seinem Mädchen die Gesell'
schaffen der Großen zu unterhalten. Da wandte er sich von diesen
Unverständigen ab, die ihm zumuteten, auf unehrenhafte Weise seinen
Unterhalt zu erwerben, und kehrte bedrückt nach Hause zurück. Als
ihn sein Mädchen in Trauer versunken sah, drang sie in ihn, daß
er den Grund seines Kummers berichte, und so erfuhr sie, wie es um
ihn stand. Obgleich nun auch sie ihn innig liebte und nicht glaubte,
das Trennungsleid ertragen zu können, sagte sie dennoch zu ihm:
„Du besitzest ja noch ein Eigentum, durch dessen Verkauf du hin"
reichend Geld bekommen kannst, um deinen Reichtum wieder auf'
bauen zu können: deine Sklavin. Gib mich dem, der dir das meiste
für mich bietet." Und in der Verblendung der Not führte sie der
Jüngling wirklich auf den Markt und hieß den Makler sie ausbieten.
Ein vornehmer Mann aus Basra, der sich gerade dort befand, war
von der Schönheit und den Fertigkeiten des Mädchens so eingenommen,
daß er alle anderen überbot, und so fiel es ihm für fünfhundert Gold"
dinare zu. Der Kadi schrieb den Vertrag, und es war zu spät, vom
Vertrag zurückzutreten, als der Bagdader den Beutel mit den Gold'
stücken in der Hand hielt und sie fortführen sah, die ihm das
Köstlichste im Leben war, so tapfer sie auch ihr Leid verbarg, um
das ihres Liebsten nicht zu erhöhen.
Verstört und unfähig eines Gedankens wanderte nun der Jüngling
in der Stadt herum, bis ihn zuletzt die Müdigkeit erfaßte und er in
eine Moschee trat, um dort auf den Matten zu ruhen. Mit seinem
ganzen Reichtum unter dem Haupt entschlummerte er und so un'
barmherzig umfing ihn der Schlaf, daß er nicht gewahr wurde, wie
ihm ein Gauner den Beutel stahl. So war er denn wieder dem Elend
preisgegeben, als er erwachte; er zerriß sein Gewand und bestreute
sich mit Asche, er fand kein Ende seines Jammerns und weil ihm
kein Pfad der Rettung winkte, suchte er Zuflucht im Tod und warf
sich in die Fluten des Tigris. Die Leute, die dieses sahen, wußten
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aber nicht, daß er das Sterben als Erlösung erwünscht hatte, sondern
zogen ihn wieder aus dem Wasser. Ein freundlicher Greis nahm ihn
in sein Haus, ließ sich von ihm seine Schicksale berichten und tröstete
ihn sodann mit warmen Worten: „Verzweifle nicht an dem guten
Ende des bösen Geschickes! Wie die Welle, die dich töten sollte,
aufsteigt und niederfällt, so wechselt auch das Glück. Darum wirf
dein Leben nicht von dir, denn auf den tiefen Sturz muß wieder die
Seligkeit folgen/' Und dann versah er ihn mit allem, was seine eigene
Armut bieten konnte, und entließ ihn mit seinem Segen zu der
Wanderung, die er antrat.
Auf den Spuren seiner Geliebten zog der Jüngling aus und kam
so an das Meeresufer, wo er ein prächtig ausgerüstetes Schiff erblickte,
das unzweifelhaft dem Käufer seiner Sklavin gehören mußte. Da
verdang er sich dem Obersten der Schiffer, denn ihr nur nahe zu
sein, deuchte ihm schon Befreiung aus seiner tiefsten Pein ; er kleidete
sich in Gewänder, wie sie Bootsleute tragen, und harrte, daß der
Herr des Schiffes und sein Mädchen kämen. — Und nicht lange
währte es, so nahte ein stolzer Zug von Reitern und Kamelen, die
mit den herrlichsten Gütern beladen waren, und riesige schwarze
Sklaven trugen eine Sänfte, der jetzt die Ersehnte entstieg, um sich
auf das Schiff zu begeben. Aber ihre Wangen waren bleich und
Tränen hingen an ihren seidigen Wimpern; gebeugt war ihr Haupt
und ihr lieblicher Mund stumm. Als sie ihr Herr unter den Baldachin
geleitet hatte, der über dem kostbarsten Lager aufgerichtet war, sprach
er zu ihr: „Warum willst du nicht vom Seufzen und Klagen lassen;
warum quälst du dein eigenes Herz, dem nur Vergessen frommen
kann? Ergreife die Laute, damit duldeinen Schmerz vergessest und
zugleich uns erfreuest!" Widerstrebend nahm das Mädchen die Laute
und ließ sie ertönen, bis sie, endlich selbst fortgerissen von den
Tönen, die aus ihren Saiten strömten, ein Liebeslied zu singen begann,
daß sich die Herzen aller erhoben; ihr Sehnen aber wuchs, als sie
dessen dachte, vor dem sie diese Lieder oft gesungen hatte, daß ihr
mit einemmal die Laute entfiel und sie in tiefe Ohnmacht sank.
Indessen man sie mit duftenden Essenzen zu laben suchte, nahm ihr
Geliebter in der Tracht der Schiffsleute das Instrument vom Boden
auf und stimmte es nach einer Weise, die nur er und die Sängerin
kannte, um ihr so heimlich seine Anwesenheit zu verkünden.
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Bald schlug sie wieder die Blicke auf, die kühlende Luft des Wassers
erfrischte ihre brennenden Augen. Der Edle aus Basra hieß Speisen
und Getränke auftragen, damit er im Kreise seiner Freunde bei der
Fahrt in der funkelnden Nacht ein heiteres Mahl an Bord nähme.
Und als die Fröhlichkeit aufstieg, sagte er wieder zu dem Mädchen:
„Fühlst nicht auch du die Freude, die aus den strahlenden Sternen
auf uns niedersinkt? Laß zu ihrem Preis ein Lied zum Saitenklang
ertönen!" Da griff sie gehorsam und schweigend nach der Laute;
doch kaum hatte das Stäbchen die Saiten berührt, als sie in höchster
Erregung aufsprang und rief: „Wo ist er, der meinem Leben Balsam
gibt? Wo ist mein heißgeliebter Freund? Kein anderer als er gab
dieser Laute ihre Stimmung V Da sagte ihr Herr: „Gebe es Allah,
daß er in unserer Mitte weilt, damit er deinen Kummer stille," und
er rief den Befehlshaber der Schiffsleute und fragte ihn: „Ist ein
fremder Mann unter deinen Leuten?" Und dieser fiel im zu Füßen
und entgegnete: „Verzeih, wenn ich Unrecht tat, heute nahm ich
einen unbekannten Burschen in meinen Dienst, damit er den andern
helfen könne. Befiehlst du es aber, so wollen wir den unnützen
Gesellen in die Wellen werfen, wenn er Schlimmes angerichtet hat."
Der Edle ließ nun den Jüngling vor sich bringen und sah ihn vom
Schmerz der Trennung und der Liebe befallen und vom Ungemach
erniedrigt. Als er sodann seine Geschichte vernommen hatte, erhob
er seine Rechte zum Himmel, als riefe er den bleichen Mond zum
Zeugen und die unzählbare Schar der Sterne, und sprach: „Freuet
euch beide, denn das Ende eurer Leiden ist gekommen! Wie dürfte
ich der Macht der Liebe nicht gewähren, was sie heischt? Sobald
unser Fuß wieder den festen Boden Basras fühlt, will ich das Mädchen
freigeben, damit sie deine Gattin werde, denn so, wie ich sie von
dir empfing, gebe ich sie dir zurück, als hättest du sie meiner Treue
anvertraut. Und deine Armut soll für immer entschwunden sein. —
Doch nun laßt hellen Jubel erschallen und bannt die Klagen und
Tränen!" Und als die beiden sich lange in den Armen gelegen waren,
faßte das Mädchen wieder die Laute und schlug die Saiten, daß die
Seligkeit der Welt aus ihnen zu dringen schien; die Sonne erhob
sich, ihr zu lauschen und die Vögel jauchzten mit ihr und selbst die
Fischlein sprangen aus den Wellen empor und rasch durchschnitt
das Schiff die Wogen, dem heißersehnten Ziele zugewandt.
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Als eine Reihe von Tagen in Lust und Heiterkeit verstrichen war,
legte das Schiff an einer Insel an und alle eilten, nach langer Ent'
behrung von neuem das Grün der Auen zu begrüßen. Den Jüngling
aber lockte es tiefer in die Pracht hinein, um aus bunten Blumen
der Geliebten einen Strauß zu binden. Froh eilte er hernach zum
Ufer — da sah er das Schiff in weiter Ferne dahingleiten ; die Schiffer
hatten diese Tücke geplant, weil er, der Unbedeutende in ihrer Mitte,
zu ungeahntem Glück emporgestiegen war. So war er wieder in die
Tiefe des Grams versenkt und getrennt von seinem Mädchen, verfolgt
vom Verhängnis. Nur der Gedanke, Basra zu erreichen, stand vor
seinem Sinn, und als seine Verzweiflung aufs höchste gestiegen war,
nahmen ihn denn Fischer auf, die in jenem Teil des Meeres ihre
Netze ausgeworfen hatten, und brachten ihn nach der Stadt seiner
Wünsche. Doch wie unermeßlich groß war sie ! Tagelang irrte er dort
umher, um ein Zeichen von ihr zu erhalten, einen aus dem Gefolge ihres
Herrn zu sehen. Er blieb ohne Erfolg, und er war nahe daran, Hungers
zu sterben. Da erbarmte sich der Herr des*Himmels seiner und ließ
ihn einen Kaufmann finden, der ihm das Anerbieten stellte: „Willst
du die Rechnung meiner Einnahmen und Ausgaben führen, so sollst
du täglich einen Dirhem erhalten und sorglos leben." Was konnte
er anderes tun, als dankbar in den Vorschlag willigen. Und nun
erfüllte er lange Zeit treu seine Pflicht, bis der Kaufmann sah, daß
man auf seine Zuverlässigkeit bauen könne und ihm seine Tochter
zur Frau gab und die Hälfte seines Gewinnes. Aber er blieb traurig.
Eines Morgens trat da ein Mann in den Laden, um Spezereien zu
kaufen, und auf den ersten Blick erkannten sie einander: es war ein
Freund des vornehmen Mannes, der mit ihm auf dem Schiffe gewesen
war. Der führte nun den Jüngling eilig in dessen Haus, wo er aufs
herzlichste willkommen geheißen wurde. Und jener sprach zu ihm:
„Preis sei Allah, der dich errettete, denn wisse : als wir damals am
Strand der Insel lagen, berichteten mir die Leute, daß du von einem
wilden Tier zerrissen worden seist, und bekümmert entschlossen wir
uns, allein die Heimreise zu vollenden. Und als wir hier anlang"
ten, gab ich dein Mädchen frei, wie ich es gelobt hatte, und fragte
sie, was ich für sie tun sollte, da ich ja doch nicht alles halten
konnte, was ich verheißen hatte. Und sie bat mich, ein Grabmal
aufführen zu lassen, darein dein Name gemeißelt wurde, und dort
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verweilt sie seit jenem Tag im Gebet, in schwarze Schleier gehüllt."
Doch schon hatte auch sie die Botschaft der Freude ereilt und um
nimmer voneinander zu scheiden, umarmten sie sich in jubelnder
Glückseligkeit. — Und mehr ist nun nicht zu berichten, als daß die
leuchtende Sonne nimmer für sie vom Firmament wich, bis die Nacht
kam, die alle Sterblichen umfängt, wenn ihre Tage nach den ewigen
Gesetzen beschlossen sind. — So mag das Geschick auch dräuen, treue
Liebe erhebt sich kühn aus allen Fährnissen und leitet zum seligen
Ziel. — Darum sollst auch du nicht zagen und klagen, denn die
wahre Liebe deines Herzens wird sich aus den bangen Sorgen leuchtend
erheben. — Eile nur, damit dein Geliebter nun nicht länger harren
möge!" Doch als Chodscheste seinen "Worten folgen wollte, war wieder
die Welle des Tages aus dem Wogental der Nacht emporgerollt und
es hieß sich bescheiden, bis die neue Dämmerung einbrechen wollte.
Sie eilte in sehnender Qual zu der Schwelle;
da hemmte sie wieder das Werden des Tags,
der schon aus dem Düster sich fahl zu der Helle
erhob wie das flüssige Tal zu der Welle.
Das Gezwitscher der Vögel verstummte allmählich in den Zweigen
und der Lärm des Tages neigte sich zur Ruhe. Das leuchtende Blau
des Himmels ward matter und dunkler, und aus diesem Schleier
begannen die Gestirne hervorzulugen, und die wachsende Mondessichel
durcheilte ihre Bahn. Als nun der Papagei Chodscheste sich schmücken
sah, sprach er zu ihr: „Laß nicht wieder eine Nacht nutzlos vorüber''
gehen, ohne den Traum deines Sehnens geträumt zu haben» sonst
wird dein Gatte zurückkehren, ehe du das Ziel deiner Wünsche erreicht
hast, und du wirst beschämt vor deinem Geliebten stehen wie der Edel'
mann vor der Kriegersfrau." „Laß mich doch diese Geschichte hören,"
bat die Anmutige und Zeban^awer öffnete den Mund zu der Erzählung
VON DER UNVERWELKBAREN ROSE DER KEUSCHHEIT.
„In einer Stadt des unendlichen indischen Reiches lebte ein Krieger,
der eine schöne und liebevolle Frau besaß, die er Tag und Nacht
nicht verließ, so daß er keinem Erwerb nachgehen konnte und endlich
auch das letzte zusetzte, was er hatte. Obgleich seine Frau gar be*
scheiden war und sich in der Liebe zu ihm mit dem wenigsten
begnügte, sagte sie doch eines Tages zu ihm : „Sag, Geliebter, wovon
sollen wir leben, wenn du deinem Beruf nicht nachgehst, da die
letzten Heller ausgegeben sind? Willst du nicht wieder einen Dienst
suchen?" Der Mann erwiderte nur : „Die Liebe zu dir ist es, die mich
am Hause festhält. Wie könnte ich mich von dir auch nur einen
Augenblick trennen?" Die kluge Frau erkannte aber aus seinen
Worten, daß er sie darum nicht verlassen wollte, weil er für ihre
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Treue fürchtete, und sagte : „Lieber Mann, sei meinetwegen unbesorgt
und glaube mir, daß nichts den Sinn tugendsamer Frauen von ihrem
Wege ablenken kann, doch daß auch kein Mann seine Frau von der
Untreue abhalten kann, wenn ihr Sinn danach steht." Und sie erzählte
ihm die Geschichte von dem Gatten, der von aller Eifersucht geheilt
war:
„Ein Prinz hatte eine Gemahlin, die vor allen Frauen an Liebreiz
strahlte wie die Sonne unter den Himmelslichtern ; doch kannte er
Eifersucht nicht und wehrte ihr nichts zu tun, was sie begehrte. Da
sie aber sah, wie andere Gatten ihre Frauen bewachten und hüteten
und dennoch stets in der Furcht lebten, betrogen zu werden, war sie
ob seiner unerschütterlichen Ruhe gar erstaunt. Einmal sprach sie zu
ihrer Milchschwester, ihrer liebsten und treuesten Freundin, von dem
verwunderlichen Gleichmut ihres Gemahls; da sagte das Mädchen,
das Schelmereien über alles liebte: „Willst du ihn auf die härteste
Probe stellen?" Und als die Prinzessin ihr zustimmte, verkleidete sich
die Jungfrau als Mann und begann mit ihr zu kosen, als ihr Gatte
das Gemach betrat. Aber auch jetzt geriet er nicht in Zorn, obgleich
sie sahen, daß Furcht nicht der Anlaß seines Verhaltens sein konnte,
und sprach gelassen zu dem vermeintlichen Jüngling: „Erhebe dich,
Freund, denn ich habe größere Rechte!" Nun lachten die beiden
Frauen hellauf und erzählten dem Prinzen, warum sie dieses Spiel
gespielt hätten, baten ihn aber, doch den Grund zu nennen, der ihn
die scheinbare Untreue seiner Frau so leicht ertragen ließ. Der Prinz
hieß Speisen und Wein bringen und als sie bei fröhlichem Gelage
saßen, hub er an, ihnen zu berichten: „Als ich einmal allein und
unbewaffnet im wilden Wald wandelte, sah ich einen furchtbaren
Elefanten mit einer Sänfte auf seinem Rücken eilend gegen mich
herankommen. Da ich nicht wußte, was er im Sinne hatte und in
der Tollwut sich losgerissen zu haben schien, erstieg ich einen hohen
Baum. Gerade im Geäst dieses Baumes streifte der Riese den Trag'
stuhl von seinem Nacken und begann zu grasen. Ich aber erblickte
in den Polstern der Sänfte eine reizende Frau, die mir zuwinkte ; ich
kletterte zu ihr herab und ließ mich neben ihr nieder. Wir plauderten
miteinander und während in meinem Herzen der Wunsch erwachte,
sie zu küssen und zu umarmen, sah ich auch sie mich mit verliebten
Seitenblicken betrachten, so daß wir bald dem gleichgerichteten Ver"
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langen erlagen und in seliger Vereinigung ruhten. Dann griff die
Schöne in ihre Tasche und entnahm ihr eine seidene Schnur, in die
viele Knoten geschlungen waren, um noch einen zu den andern zu
knüpfen. Ich forschte nach der Bedeutung ihres Tuns und sie gab
mir lachend diese Erwiderung: „Der Elefant, auf dem ich hieher kam,
ist mein Gatte, ein gewaltiger Yogin und Zauberer, der diese Gestalt
annahm und in Wüsten und Urwäldern herumstreift, um mich in
seiner übergroßen Eifersucht zu bewachen. Mit seiner Vorsicht ver'
lockte er mich aber zur listigen Untreue, und zum Gedenken so vieler
wonnesamer Stunden, die ich in den Armen fremder Männer genoß,
knüpfe ich diese Knoten in die Schnur, und heute durfte ich den
hundertsten schlingen, denn du bist der hundertste, der mich in
heißer Liebe umfing." Nach einer Weile kehrte der Elefant zurück;
ich verbarg mich in den Zweigen und er nahm unbesorgt den Trag-*
stuhl wieder auf seinen Rücken und trabte fort. Dieses Abenteuer
hatte mich aber gelehrt, die Unvernunft der Eifersucht zu durch'
schauen und gab mir für immer die Ruhe des Herzens, die ihr
erkannt und erprobt habt."
„Ich hoffe," so schloß die Frau ihre Worte, „daß du nun auch alle
Besorgnisse ablegst und bei einem Großen die Dienste nimmst, die
dein Beruf mit sich bringt. — Damit du aber auch ferne von mir
stets ein Zeichen meiner Treue besitzest, so nimm diesen Strauß
blühender Rosen und wisse, daß sie frisch und duftig bleiben werden,
solange ich nur deiner gedenke; siehst du sie aber welken, so habe
ich dir die Treue gebrochen." Der Mann nahm dieses Zeichen an und
begab sich sogleich zu einem jungen Emir, um in die Reihen seiner
Krieger aufgenommen zu werden. Der Edelmann warb ihn und er
zog nun mit dessen Scharen überallhin mit, wo dieser seinen Wohn"
sitz aufschlug. Immer trug er aber die Rosen an seiner Brust, die
wie am ersten Tage Frische und Wohlgeruch bewahrten. Und auch
die Winterszeit, in der die Blumen und Blüten der Gärten und Felder
allesamt dorrten und abfielen, vermochte sie nicht zu berühren, so
daß sich sein Gebieter darüber verwunderte und den Krieger vor sich
rufen ließ. Und als dieser vor ihm erschien, fragte er ihn: „Sag mir
doch, wie du zu dieser Jahreszeit alltäglich einen frischen Rosenstrauß
erhalten kannst?" Und der Mann erwiderte: „Ebendiese Rosen nahm
ich aus der Heimat mit; sie sind das Sinnbild der Keuschheit meiner
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Frau, die ich dort zurückließ." Da lachte der Emir und dachte, daß
diese Frau wohl eine Hexe sein müßte, und wollte nimmermehr an
die Wahrheit dieses Zeichens glauben.
Da ihm die Sache aber keine Ruhe ließ, rief er einen seiner Pagen,
der durch Gewandtheit und List schon so manches Wunderbare ver"
richtet hatte, und befahl ihm: „Begib dich zu der Frau dieses Kriegers
und suche sie zu verführen. Ist dir dieses gelungen, so kehre rasch
zurück, damit wir sehen, ob die Blumen trügen oder Rechtes künden."
Der Jüngling machte sich auf den Weg und als er in jene Stadt gc
kommen war, ließ er nichts unversucht, um alles über die Frau in
Erfahrung zu bringen ; er konnte aber nicht mehr erkunden, als daß
sie einsam in ihrem Hause wohnte; und so richtete er sein Augen'
merk darauf, seine Absicht durch eine Kupplerin zu erreichen, und
aus dem Munde der lockeren Gesellen der Stadt erfuhr er auch den
Namen einer solchen. Er ging zu ihr und versprach ihr reichen Lohn,
wenn sie ihm jene Frau gefügig machte. Die Unterhändlerin der Liebe
machte sich an diese heran, aber die Frau des Kriegers war zu klug,
als daß sie nicht die Alte hätte irreführen können. Sie tat, als ob sie
langsam von ihren Verlockungen verführt würde und sagte endlich
zu ihr : „ Vor allem mußt du den Jüngling zu mir bringen." Als aber
der Page kam, sagte sie heimlich zu ihm: „Vertraue der Kupplerin
nicht, denn vor ihr ist kein Geheimnis sicher! Geh mit ihr fort, gib
ihr etwas Geld und sprich zu ihr : „Dich kann kein Vorwurf treffen,
aber ich will von dieser Frau nichts mehr wissen, denn ihre Gestalt
und Schönheit trog aus der Ferne." Und komme dann allein und
verstohlen zu mir, damit unsere Liebe nicht offenkundig wird." Dieser
Rat gefiel dem Pagen und er handelte nach ihren Worten. Die Frau
stellte indessen ein Bett über die Öffnung eines ausgetrockneten
Brunnens in ihrem Hause und befestigte das Lager mit haltlosen
Bändern. Als der Jüngling in der Dämmerung zu ihr kam, lud sie
ihn zärtlich ein, sich darauf niederzulassen; und kaum streckte er
sich aus, als er schon in die Tiefe versank. Während er unten schrie,
verlachte ihn die Frau und befahl ihm, alles zu erzählen, was ihn zu
ihr geführt hatte. In der Hoffnung, durch die Wahrheit die Befreiung
zu gewinnen, verschwieg er nichts ; aber er mußte dennoch in seinem
Brunnen bleiben und lebte verzweifelt und kümmerlich von dem,
was ihm die Frau an Nahrung und Trunk hinunterließ.
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Als der Page allzulange fernblieb, sandte der Emir dessen Bruder,
der ihm an Schlauheit nicht nachstand, mit dem gleichen Befehl
fort. Der treuen Frau gelang es aber, ihn in derselben Weise zu fangen
wie den anderen, so daß jetzt die Brüder miteinander trübselig in der
Grube saßen. Nachdem wieder eine Weile verstrichen war und auch
der zweite Page ausblieb, erkannte der Edelmann, daß ein Unheil
geschehen war, und beschloß, selbst nachzuforschen. Darum bot er
sein Gefolge wieder auf und zog in die Stadt, aus der der Krieger
stammte. Dieser eilte sogleich, als sie ihre Zelte aufgeschlagen hatten,
in sein Haus, umarmte sein Weib in der überquellenden Freude des
Wiedersehens nach langer Trennung und gab ihr den Rosenstrauß
zurück mit den Worten: „Du hast das Wunder der Keuschheit voll'
bracht; nie wieder will ich an dir Zweifel hegen." Als sie aber die
glückliche Nacht der Wiedervereinigung gefeiert hatten, sagte die Frau
zu ihrem Mann: „Lade deinen Herrn heute zum Mahl zu dir und
versprich ihm, daß er bei dir die Antwort auf eine schwere Frage
finden wird." Erstaunt nahm der Krieger diesen Auftrag entgegen,
doch tat er, wie ihm seine Frau geheißen hatte. Und der Edelmann wil'
ligte gern ein, obgleich auch er den Sinn ihrer Worte nicht verstand.
Die Frau hatte eilig die beiden Pagen aus der Tiefe des Brunnens
gezogen und sprach zu ihnen: „Ich habe heute Gäste und wünsche,
daß ihr als Mädchen aufwartet, da ich keine Dienerinnen habe ; dann
will ich euch freigeben und ihr sollt ziehen, wohin ihr wollt." —
— Als die Stunde des Mahles gekommen war, trugen die Brüder, in
Frauenkleider gehüllt, die Speisen auf; der Krieger wunderte sich
wohl, woher sie kämen, doch sprach er kein Wort. Der Emir aber,
der seine beiden Diener nicht erkennen konnte, weil sie sich durch
die lange Zeit ihres Verweilens in der dunklen Tiefe verändert hatten,
fragte die Frau: „Sag doch, welche Übeltaten haben diese Mädchen
begangen, daß ihre Haare geschoren wurden?" Da entgegnete sie
lachend: „Sie büßen das Verbrechen eines anderen!" und erzählte
nun der Reihe nach, wie sich alles begeben hatte. Auch die Brüder
fielen jetzt ihrem Herrn zu Füßen, gaben sich ihm zu erkennen und
bezeugten die Wahrheit dessen, was er von der Frau erfahren hatte.
— Beschämt gestand der Edelmann sein Unrecht und bat um Ver*
gebung; er erhöhte den Krieger zum Hauptmann seines Gefolges und
zu seinem Tischgenossen.
4 49
Hüte dich darum, teure Herrin, gleichfalls die Gluten der Bc
schämung vor deinem Geliebten zu erfahren und zaudere nicht, ihn
zu beglücken." Als der Vogel aber mit seiner Geschichte zu Ende
war, hatte auch die Nacht ihr Ende gefunden ; der Mond war zu der
Ruhestätte seiner Bahn gelangt und die Sterne verblaßten vor dem
Nahen des Tages. Wieder hatte Zeban^awer seinen Plan zum Erfolge
geführt durch seine Weisheit und die Lieblichkeit seiner Rede; der
Plan Chodschestes aber war wieder für eine Nacht mißglückt und sie
mußte bis zur kommenden Nacht ausharren.
Und wieder verlangte im glühenden Kosen
Chodscheste zu ruhn, doch der Sittich erfand
zur Freude der liebeslustsprühenden Losen
die Mär von den nimmer verblühenden Rosen.
In schwarzem Gewand mit silbernem Schmuck, umgeben von ihrem
glänzenden Gefolge, zog die Herrin Nacht empor; schon nahten im
sieghaften Aufzug die Scharen, die vor ihr einherziehen, um den
freien Weg zu bahnen, die blutrot gepanzerten vorerst, denen in immer
dunkleren Rüstungen die folgenden nacheilten. Da war es wieder die
Zeit für Chodscheste, sich bei dem Papagei Rat und Zuspruch zu
holen, ehe sie ginge. Und wieder lobte der listige Vogel ihre Absicht
und sprach: „Wunderliebliche Herrin, stille dein Verlangen in der
Vereinigung mit dem Geliebten und fürchte nichts, denn ich weiß
wohl, daß du deinesgleichen an Klugheit nicht findest und gewiß so
weise und überlegt zu erwidern weißt wie in gar gefahrvoller Lage
DIE GEISTVOLLE TOCHTER DES WEZIRS VON KIRMAN\
„Laß mich nicht unbelehrt und unberaten von dir gehen, teurer
Zeban^awer," bat Chodscheste. Darum hub der Sittich an:
„Der Fürst von Kirman wandelte einstmals in den Gärten seines
Palastes mit seiner strahlendschönen Gemahlin; und die Sklavinnen
brachen von den Blumen, die in überreicher Fülle dort sprießten, und
wanden Sträuße aus den Rosen, Hyazinthen, Veilchen, Narzissen,
Tulpen und wie die Blüten alle heißen mögen. Als aber der Blick
der Königin auf die Gewinde gefallen war, wandte sie sich ab und
verschleierte ihr Antlitz. Verwundert fragte ihr Gatte nach der Bc
deutung ihres Tuns und sie erwiderte ihm : „Wie dürfte ein anderes
Auge als das deine auf mir ruhen, edler Herr? Und mir wars, als
schaute die Narzisse auf mich wie der freche Blick eines fremden
*• 51
Mannes." Beglückt von der Keuschheit seiner Gattin zog sie der König
liebevoll an sich und geleitete sie sodann zum Mahle; doch als sie
noch verschleiert den Saal betrat, begann ein gebratener Vogel, der
auf dem Tische stand, so hell zu lachen, daß man ihn in der ganzen
Stadt vernahm. Niemand aber konnte den Grund dieses Lachens er'
finden, obgleich der Fürst im Verlangen nach solcher Erkenntnis Gc
lehrte und Derwische, Astrologen und Zeichendeuter rief. Da befahl
er seinem Wezir : „Künde du mir, warum der Vogel gelacht hat, oder
du mußt sterben \u Dieser bat um fünf Tage Frist, damit er die Ur'
sache erforschen könnte, und diese Bitte ward ihm gewährt. In Ver"
zweiflung begab er sich nach Hause, denn er sah den schimpflichen
Tod vor sich, weil er nicht wußte, wie er die Antwort finden sollte.
So sah ihn seine Tochter, die in inniger Liebe an ihrem Vater hing,
und bat und flehte, er möge ihr doch verraten, warum seine Stirne
kraus und seine Augen trüb wären. Nun erzählte er ihr genau, was
sich zugetragen hatte. Das Mädchen umschlang ihn aber in heller
Freude und rief: „Sei unverzagt, Vater, und laß Furcht und Trauer !
Eile zum König und künde ihm, daß ich die Lösung geben werde."
Da lebte der edle Wezir von neuem auf, kehrte rasch wieder zum
König zurück und berichtete ihm alle ihre Worte. Hoch erfreut hieß
er sie vor sich bringen. Als die Jungfrau aber in den Saal des Fürsten
getreten war und Gruß und Segenswunsch gesprochen hatte, redete
sie ihn an : „Deiner Weisheit übertrug der Schöpfer des Himmels und
der Erde Entscheidung und Lösung aller Zweifel. Warum suchst du
fremde Hilfe? — Bestehst du aber auf deinem Befehl, so vernimm
meine Erwiderung: Der Vogel lachte, weil deine Gattin verschleiert
nahte." Nach diesen Worten verließ sie die Halle und der König
versank in Nachdenken, denn ihn dünkte diese Antwort nicht weniger
geheimnisvoll als das rätselhafte Lachen selbst. Schlaflos durchwachte
er die Nacht und befahl am folgenden Tage die Tochter des Wezirs
wieder zu sich. Und dann bat er sie, den Knoten zu lösen, den sie
selbst geschürzt hatte. Sie aber entgegnete ihm: „Wenn du, edler
Fürst, das Geheimnis selbst nicht zu lösen vermochtest, so freue dich
darob ; doch dringe nicht in mich, den Schleier zu heben, der die Er-'
kenntnis verhüllt. Ist doch nicht der geringste der hundert Namen
Allahs ,der Verhüller', denn oft bringt Wissen Leid im unabänder"
liehen Lauf des Geschickes. Und bittere Reue ist das Los derer, die
52
verschlossene und verbotene Tore freventlich gewaltsam öffnen." Und
sie wußte mit klugen Worten und lehrenden Beispielen aus ver'
gangenen Zeiten die klare Antwort hinauszuschieben.
So handelte das Mädchen, bis der fünfte Tag gekommen war, der
über Leben und Tod ihres Vaters entscheiden sollte. Da sprach sie
zum Fürsten : „Wenn du darauf beharrst» die volle Wahrheit zu ver'
nehmen, so wird heute der Abend nicht anbrechen, ohne daß du
deinen Wunsch erfüllt siehst. Doch gib mir zuvor Erlaubnis, eine
Frage an dich zu richten!" Gern willigte der König darein, und so
sprach sie: „Gulfischan, dein treuer Vertrauter, schmachtet im Ge'
fängnis; gib mir Bescheid, warum du ihn in Ketten legen ließest."
Und der König erwiderte : „Einstmals fanden sich Gesandte des Kaisers
bei mir ein und wurden mit hohen Ehren empfangen. Zu ihrer Er'
heiterung ließ ich die Meister des Saitenspiels und des Gesanges an
meinen Hof rufen; vor ihnen turnierten die kühnsten Recken auf
schäumenden Rossen mit Speer und Schwert ; was Kirman an Wunder'
barem und Seltsamem barg, sollten sie zu ihrer Freude schauen. Und
so kam es, daß ich eines Tages auch Gulfischan, meinen Vertrauten,
einlud, denn er besitzt die Gabe, stets, wenn er lacht, Blumen aus
seinem Munde zu streuen, so daß ihn gleichsam ein blühender Blumen'
garten umgibt. Als er aber vor den fremden Gästen erschien, war
sein Mund verschlossen und er ließ mich beschämt vor jenen, die
nun an der Wahrheit meiner königlichen Worte Zweifel hegen
mochten. Darum hieß ich ihn ins Gefängnis werfen." „Und du erfuhrst
nicht, weshalb Gulfischan nicht lachte?" fragte die Jungfrau wieder,
und als der König sein Haupt verneinend schüttelte, fuhr sie fort:
„Wisse, daß du ungerecht gehandelt hast, da du straftest, ohne zu
verhören. Willst du wissen, warum der Vogel lachte, so muß ich
wissen, was der Grund war, der deinem Freunde das Lachen im
Munde verschloß. Staunend wirst du erkennen, daß die gleiche Ur'
sache Gegensatz und Gegensatz veranlassen kann." Augenblicklich ließ
der Herrscher den Gefangenen befreien, ihn baden und in prächtige
Gewänder kleiden und hernach in den Diwan führen. Und als er nun
kam und zu seinen Füßen niederfiel, um seiner Gnade zu danken,
befahl er ihm, zu berichten, warum er an jenem verhängnisvollen
Tage sein Geheiß nicht befolgt hätte. „Nimmer hätte ich davon gc
sprochen," erwiderte Gulfischan, „denn eigenstes Leid verberge der
53
Weise in der Tiefe des Herzens. Doch da ich deine Gebote nie miß"
achten will, so sei mein Geheimnis offenbart: Glaube mir, König,
auch damals wollte ich dir gehorsam sein, doch ich vermochte es
nicht, denn lähmender Kummer lag auf meiner Seele, wußte ich doch,
daß zu der Zeit, da ich vor deinem Angesichte stand, meine Gattin
mit einem fremden Mann buhlte."
Als der Fürst diese Erwiderung vernommen hatte, schlug er zart
mit einer Blume, die er in der Hand hielt, im Scherz die Königin,
die an seiner Seite saß, als wollte er sagen: „Sieh, wie böse Frauen
auf der Erde wandeln, indes du auch den Blick einer Narzisse nicht
ertragen kannst!" Sie aber tat, als ob sie durch diesen Schlag in Ohn'
macht fiele. Kaum war dieses aber geschehen, öffnete Gulfischan seinen
Mund zu herzlichem Lachen, so daß ein Regen von Blumen zur Erde
sank. Doch der König ergrimmte und rief: „Gesteh, was dich zum
Lachen brachte!" Und jener sprach: „Wie dürfte ich das sagen, da
mich dann dein Zorn noch härter treffen wird." Da sicherte ihm der
Fürst Freiheit von jeder Strafe zu, wenn er die reine Wahrheit spräche,
und so begann er: „Als ich in der Tiefe des Gefängnisses lag, schleppte
ich mich an das Fenster, durch das die Freiheit hereinlachte, und
schaute tränenden Auges hinaus. Und ich konnte mich davon auch
nicht losreißen, als die Nacht einfiel. Wie nun Dunkel die Welt
umzog, bot sich mir ein sonderbares Schauspiel, denn ein wunderbar
schönes Weib nahte zögernd und furchtsam dem letzten deiner
Elefantentreiber und umschlang ihn in heißer Liebe ; er schalt sie in'
dessen und schlug sie grausam mit seiner Peitsche, da sie ihn hätte
warten lassen. Mit Schmeichelworten und Kosen besänftigte sie ihn
aber und tat der harten Schläge auch nicht Erwähnung, während nun
deine Gattin von dem leichten Streich der Blume in Ohnmacht fiel.
Darüber mußte ich lachen, denn — jenes Weib war die Königin!
Und du mußt auch jetzt noch die Striemen an ihrem Leibe erkennen
können." — Nichts vermochte mehr die Schuldigen zu retten und
bald war das Urteil über die beiden untreuen Frauen, die des Königs
und die Gulfischans, sowie über ihre beiden Liebhaber gesprochen.
Leben und Ehre des Wezirs aber waren gerettet und er dankte beides
der Klugheit seiner Tochter. Und obgleich der Fürst hinfort alle
Frauen mied, schenkte er ihr allein seine Freundschaft und die Huld
seines Vertrauens und richtete sich stets nach ihrem weisen Rat.
54
Da ich nicht zweifle, daß auch du die richtigen Worte zu finden
weißt, magst du dich kühn in jede Gefahr begeben. Glaube mir aber,
daß es immer besser ist, selbst wenig zu reden und so im Verborgenen
zu bleiben, aus den Worten des anderen aber dessen Seele zu er'
forschen. " „Wie mag das geschehen?" fragte eifrig die liebreizende
Chodscheste, und der Papagei erklärte ihr : „Das Herz des Menschen,
das unsichtbar in seiner Brust schlägt, offenbart sich in den Gedanken,
die zur Erscheinung in Tat und Wort drängen. Bergen aber auch die
Handlungen noch viel des Geheimnisvollen, so sind Worte und Reden
das offenkundige Buch der Seelen für den, der darin zu lesen versteht,
versuchte der Gegner auch sich zu verschleiern und zu verhüllen,
wie es die wundersame Geschichte von dem Kleinod weist, dessen
Dieb die Königstochter aus seinen Reden entlarvte." „Laß mich doch
auch diese Geschichte hören, damit ich mein Herz erfreue und mich
belehre," bat Chodscheste. Doch ehe Zeban^awer mit der Erzählung
beginnen konnte, war Morgen geworden und die Dienerinnen kamen,
um die Gebieterin zum Morgengebet zu holen. So ward die Erfüllung
dieser Freude wie die der Liebessehnsucht wieder verschoben.
Und wieder im wohlverhohlenen Wachen
bewahrte der Sittich Chodscheste vor Leid,
obgleich zu der Schutzbefohlenen sprachen
die Blüten von seinem verstohlenen Lachen.
Es war zur allabendlichen Stunde, daß Chodscheste im Glanz ihrer
strahlenden Jugend gleichermaßen wie der glitzernden Kleinodien am
Käfig des weisen und redekundigen Papageien stand und mit Entzücken
DIE GESCHICHTE VOM SPRUCH DER KAISERSTOCHTER
vernahm, die der Vogel in der vergangenen Nacht eingeleitet hatte.
„Es war einmal ein Lumpensammler, der sein armseliges Leben
damit fristete, daß er in den Kehrichthaufen stöberte und, was etwa
noch brauchbar war, auslas, um es für sich zu verwenden, es gegen
Speisen einzutauschen oder für wenige Heller zu verkaufen, mit denen
er die Notdurft einiger Tage stillte. Nach dem unerforschlichen Rat"
Schluß des Schöpfers aber war es ihm bestimmt, einmal im Abfall
einen Edelstein zu finden, dessengleichen auch in den Schatzkammern
der Könige nicht verwahrt wurde. Niemand getraute sich, den Stein
von ihm zu kaufen, und niemand war auch imstande, seinen Wert
zu schätzen. Freunde, die es gut mit ihm meinten, gaben ihm darum
diesen Rat: „Der Besitz dieses Juwels kann dir keinen Nutzen bringen,
denn man wird dir die Wahrheit nicht glauben und dich endlich des
Raubes bezichtigen, so daß du zu dem Stein auch dein Leben verlierst.
Nur ein richtiger Weg steht dir offen : begib dich zum Kaiser und biete
ihm das Kleinod, das keinem anderen ziemt, zum Geschenk an, dann
wirst du in seiner Großmut und Freigebigkeit reichen Lohn finden."
Da der Arme ein kluger Mann war, folgte er den wohlgesinnten Worten
und machte sich auf die Reise.
56
Einige Tage schon war er allein seines Weges gewandelt, als er
mit vier Männern zusammentraf, die das gleiche Ziel zu erreichen
suchten. So ergab es sich denn, daß sie sich einander anschlössen. Einer
der vier erspähte aber einmal das Kleinod bei ihrem Reisegefährten
und berichtete seinen Gesellen davon, die den Entschluß faßten, den
Edelstein um jeden Preis an sich zu bringen. Wie nun der Lumpen'
sammler nach einem langen Marsch ermüdet im tiefen Schlaf lag,
bot sich ihnen die erwünschte Gelegenheit zum Diebstahl. Sie hielten
es aber für klüger, ihre Beute nicht etwa mit sich zu nehmen und davon'
zulaufen, sondern sie blieben einfach dort, als ob nichts geschehen wäre.
Kaum erwacht, vermißte der Beraubte sogleich seinen Schatz und
zweifelte nicht daran, daß er in der Gesellschaft der Diebe war ; doch
sprach er zu sich : Wenn ich sie nun geradezu ihres Verbrechens bc
schuldige, werden mich die Elenden einfach totschlagen. Ich will darum
warten, bis wir zum Herrschersitz des Kaisers gekommen sind.
Nach diesem Plan ließ er sich nichts merken, freundschaftlich wie
bisher verkehrte er mit den Dieben und stellte sich völlig arglos.
Sobald sie aber in der Residenz angelangt waren, brachte er seine
Anklage wahrheitsgetreu vor den Fürsten. Dieser hieß die Reise'
begleiter des Mannes herbeiführen und hielt ihnen das Verbrechen
vor, dessen sie bezichtigt waren. Sie aber leugneten mit frechen Stirnen
ihre Tat. Der Kaiser befahl daher, den Ankläger wie die Beschuldigten
festzuhalten, denn er wollte in Gerechtigkeit den Verleumder nicht
weniger bestrafen als den Räuber ; doch wie sollte es ihm glücken, in
das Dunkel des Falles das Licht des Rechtes zu tragen? Worte standen
allein gegen Worte und kein Beweis bot sich [ihm zur Entscheidung.
Darüber versank der Herrscher in tiefes Nachdenken und seine
Stirne verdüsterte sich in vergeblichem Sinnen. — Er hatte aber eine
Tochter, die an Schönheit wie an Geistesgaben vor allen Frauen seines
Reiches stand; und als diese ihren Vater bedrückt von schweren
Sorgen fand, ließ sie ihm nicht eher Ruhe mit zärtlichen Worten
und Schmeicheleien, bis er ihr alles erzählt hatte, was ihm zum ernsten
Richterspruch vorgelegt worden war. Die Kaiserstochter freute sich
darob und rief: „Laß mich die Richterwürde und die Richterpflichten
in diesem ungelösten Streite führen. Ich werde das Geheimnis lüften
und durch eine List die richtige Entscheidung fällen!" Sobald ihr
Vater darein gewilligt hatte, befahl sie, die vier des Diebstahls an'
57
geklagten Männer in ihren Palast zu bringen. Sie schmückte sich zu
ihrem Empfang und ließ Speisen, Wein und Süßigkeiten auftragen,
Tänzerinnen und Musiker kommen, so daß die vier Schelme zu
träumen glaubten. Herzlich hieß die Prinzessin sie willkommen und
weckte mit den Blicken, die sie auf sie warf, in ihnen den Glauben,
daß die Macht der Liebe ihre Befreiung erwirkt hätte. Dann sprach
sie zu ihnen: „Ich habe die Gewißheit, daß euch kein Verbrechen
und keine Schuld zur Last liegt, sondern erkannte aus euren Mienen,
daß ihr edle, weitgereiste Männer seid, von deren Weisheit ich manches
lernen möchte. Darum rettete ich euch vor der Folter, die mein Vater
über euch verhängen wollte, und nahm ihm das Versprechen ab, den
Mann hinrichten zu lassen, der euch verleumderisch anklagte. Seid
darum fröhlich und erheitert auch mich durch eure Fröhlichkeit.
Esset und trinket nach eurer Lust, lauschet der Musik und ergötzt
mich mit Geschichten."
Die Räuber dünkten sich im Paradies und schwelgten in den Speisen
und Getränken wie im Anblick der Prinzessin. Zu den wundersamsten
Melodien der Lauten und Flöten schwatzten sie ihre ungereimten Ge'
schichten und der Richterin kam in den Sinn, wie die Weisen in
Ispahan dereinstens die Wahrheit aus der Wirkung der Musik ge'
lesen hatten: dort war der Schah verblichen und hatte nur ein
Söhnlein, das noch an der Brust der Mutter lag, als Thronerben
hinterlassen, das freilich noch nicht durch Worte und Taten erweisen
konnte, ob es würdig wäre, einmal den Thron zu besteigen. Da ließen
die Gelehrten das Königskind mit vielen anderen in einen weiten
Saal tragen, darin Meister mannigfache Weisen und Lieder spielten.
Und sie erkannten aus der Freude des Prinzen dessen dereinstige
Größe und bestimmten nach den Regungen der Lust bei den anderen
die Männer, die ihm als Wezir, Feldherr und Schatzmeister zur Seite
stehen sollten. Die Kinder, die zu den Klängen der Instrumente ihr
Schreien aber nicht ließen, befahlen sie aus dem Kreis des zukünftigen
Herrschers zu entfernen. — Darum ergriff Mißtrauen ihre Seele und
sie fühlte die Kraft, die entscheidende Probe zu erzwingen. „Mit
Staunen und Freude," so begann sie, „vernahm ich eure Reden, die
eure Bewandtnis mit weiten Vergangenheiten und fernen Stätten, eure
Einsicht und Erfahrung zeigten. Ist es euch recht, so will nun ich
euch eine Geschichte erzählen, die mit einer schweren Frage endet,
58
deren Lösung euch wohl leicht fallen wird ; mir ward aber die Antwort
nicht klar. Die Geschichte vernahm ich vor gar langer Zeit und
dennoch klingt sie mir noch im Ohr, als wäre es gestern gewesen. —
Höret zu!" Geschmeichelt horchten die Gesellen, als sie nun anhub
VON DER SCHÖNEN DILEFRUZ UND IHRER TREUE:
„Zur Frühlingszeit war es einmal, da die Gefilde und Wälder im
Hochzeitsschmuck prangten, daß eine Schar anmutiger Mädchen in
einem blühenden Garten lustwandelte. Die Königin der Gespielinnen
war sonder Zweifel ein dunkellockiges Mägdelein, dessen Augen Feuer
sprühten, das die Herzen aller entzündete, so daß sein Name ,Dilefruz'
sich bewahrheitete; sie war das Töchterchen des reichsten Kaufherrn
in dieser Stadt, die Mazandaran hieß. — Im Anblick der knospenden
Blumen öffneten sich die Augen der Jungfrauen weit und sie wett'
eiferten, die schönsten Blumen zu brechen, bis Dilefruz' Blick an
einer Rose haften blieb, die stolz im Schutz des Dornengeranks wie
eine Fürstin unnahbar im Eunuchengefolge strahlte. Umsonst war
alles Bemühen, sie zu pflücken, so daß ihr Verlangen nur noch heißer
wurde und sie endlich den Gärtner rief, er möge ihr die Knospe
bringen. „Wirst auch du mir meinen Wunsch erfüllen," fragte der
Bursche, „wenn ich deine Sehnsucht stille ?" und unbedacht nickte sie
im Eifer Bejahung. Da holte er die Rose vom Zweig und sprach:
„Gerechten Lohn fordere ich: ich gab dir die Blüte, die dir an Schönheit
und Duft gleicht; daher sei die Knospe deiner Jugend mein. Wenn
der Abend deiner Hochzeit genaht ist, soll der erste Tropfen des
Rosenöls der Umarmung mein Haupt salben!"
Es währte nicht lange, so freite ein edler Jüngling um Dilefruz und
mit Freuden ward sie ihm von ihrem Vater zugesagt. Er brachte die
Brautgabe und die Vermählung wurde mit Pracht und Glanz gefeiert.
Zur Stunde aber, als das junge Paar zum erstenmal das HochzeitS"
gemach betrat, wehrte die Gattin dem zärtlichen Kosen des Gatten
und berichtete ihm von der Fessel des unbesonnen gegebenen Ver'
Sprechens. Da erwiderte er ihr: „Ziehe, Geliebte, mit dem Segen
des Himmels, der dich ungekränkt zurückleite! Nimmer hindere
mein Zwang Erfüllung heiliger Zusage!" — Zagend enteilte die ge'
zierte Braut und die Namen Gottes lagen auf ihren Lippen. Als sie
aber durch die Dunkelheit schritt, sprang plötzlich ein hungriger Wolf
59
gegen sie an. Ihres Todes gewiß, streckte sie die Arme flehend zu ihm
und rief ihm zu: „Gib mir Frist, bis ich gelöst habe, was ich versprach!
Dann will ich deine Beute sein!" Und die Treue wirkte das Wunder,
daß das Herz des wilden Tieres Erbarmen fand und der Wolf in die
Tiefen des Waldes zurücklief. — Doch sollte das Ungemach des
schweren Ganges noch nicht zu Ende sein, denn mit einemmal stand
ein Räuber vor ihr, bereit, sie zu morden, um der kostbaren Geschmeide
habhaft zu werden, die sie angetan hatte. Bangend und kühn zugleich
redete sie ihn an und bat ihn, sie im Hochzeitsgewande zu dem ziehen
zu lassen, dem sie sich angelobt hatte, um nach ihrer Rückkehr den
Schmuck aus ihren Händen zu empfangen. Und als der Bösewicht
von der Tat des Gatten vernommen hatte und von der Barmherzigkeit
des Wolfes, neigte auch seine Seele sich zur Milde und er hieß sie
unbesorgt ihres Weges ziehen. — So gelangte sie zu dem Garten und
fand den Burschen ihrer harrend. „Treu meinem Worte bin ich jung"
fraulich zu dir gegangen," hub sie an. „Nach Herzenspein und Todes'
angst stehe ich vor dir, entlassen von meinem Gemahl, verschont vom
wilden Wolf und unverletzt von den Händen des Räubers, zu lösen,
was mich bindet!" Da fiel der Gärtner zu ihren Füßen hin und be'
deckte sie mit Küssen. Und weinend sprach er: „Verzeih mir, Hohe,
Tugendreine, den Frevel, den ich an dir verübte ! Wie dürfte ich dem
Walten des gerechten Himmels trotzen und, was er schüvzte, mit
meinen Händen nur berühren? Laß dich von mir zu deinem Haus
und zu deinem Gatten führen, damit ich jeden Schrecken von deinem
Pfade wehre!" Und er führte sie voll Ehrfurcht unberührt zu ihrem
Gemahl, um hernach wieder zu seinen Blumen zu eilen, damit auch
sie keine fremde Hand rauh vom Zweige breche. — Zu Glück und
Seligkeit war Dilefruz heimgekehrt und nach allem Leid ruhte sie
in den Armen ihres Gatten, der eine wohlverschlossene Perle an ihr fand.
Nun sagt mir, ihr Erfahrenen und Klugen," so endete die Kaisers'
tochter die Geschichte, „wem soll der Preis des Edelmutes und der
Seelengröße gehören?"
„Nimmermehr dem Ehemann I" rief der erste. „"Welche Torheit war
es doch, die Braut aus seinen Armen ziehen zu lassen, damit sie ein
unsinniges Versprechen halte. Der Zufall allein brachte sie ihm un*
gekränkt zurück, doch hätte er Reue und Schande verdient." Da fiel
ihm der zweite in die Rede: „Törichter noch war gewiß der Wolf!
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Wie konnte er seine Beute fahren lassen, die Gott zu seiner Nahrung
gesendet hatte. Er mag wohl alt und schwach gewesen sein, sonst
hätte er niemals so gehandelt." „Ich glaube, edle Prinzessin," fuhr der
dritte fort, „Wahnsinn muß den Räuber ergriffen haben, daß er von
dem Reichtum ließ, den ihm das Schicksal in den Schoß warf. Einmal
nur kommt das Glück, dann gilts, es zu halten." Der vierte aber
sagte : „Die Krone der Unvernunft gebührt dem Gärtner. Nach Recht
war die Jungfrau, geschmückt mit den holdesten Reizen, zum Liebes^
genusse ladend, in seiner Hand. Warum ließ er von ihr, wenn nicht
Verblendung seinen Geist verhüllt hätte?"
So ging die Rede hin und wider; von Größe und Edelmut ver*
mochte keiner zu sagen. Nun war die Richterin ihres gerechten Urteils
sicher. Sie entließ die Männer und als sie der Kaiser am folgenden
Tage in den Diwan lud, dieweil sie glaubten, es gälte den Lumpen^
sammler ob seiner Verleumdung zu verdammen, und heiteren Herzens
in ihrer Bosheit hineilten, ließ der Herrscher den, der den Räuber
den dümmsten genannt hatte, ergreifen und man fand bei ihm das
Kleinod verborgen, so wie die Prinzessin es ihrem Vater vorausgesagt
hatte, denn ihr war seine höchste Gier aus seinen Worten offenbar
geworden. Jetzt mochte Leugnen nimmer nützen. Die vier Diebe
büßten ihre Tat mit dem Leben, der Lumpensammler aber erfreute
sich der Gnade und der Wohltaten des Kaisers bis an sein Ende und
er ließ nicht ab, die Weisheit der Prinzessin zu preisen.
Vielfache Lehre, geliebte Herrin," sprach Zeban^awer, „liegt in dieser
Geschichte, die ich vor dir ausgebreitet habe. Und prägtest du sie
deinem Herzen ein, so fandest du die Rosenkette, mit der du das
Glück binden kannst, daß es dich nimmer verlasse. Eile zu seliger
Umarmung, wie sie Dilefruz nach all den Schrecken und Mühen fand !"
Als aber Chodscheste aufsah, lag das Gold der leuchtenden Sonne auf
der Erde und blendete die Augen, die im Dämmer der Märchenwelt
geöffnet gewesen waren. Wieder hatte das Glück und die Weisheit
des Sittichs ihr eine Nacht geraubt.
Es birgt das Geheimnis der Worte der Macht
Vollendung — der listige Vogel so sprach —
wie zaubererschlossene Horte der Schacht —
da pochte der Tag an der Pforte der Nacht!
61
Wie das Licht der Lampe rot blakend verglimmt, wenn das Öl
zur Neige geht, verblaßte auch wieder ein Tag und im Palast Meimuns
suchten Dienerinnen und Diener die Lagerstätte der Ruhe. Nur Chod'
scheste wachte in sorgenden Gedanken und nahm nun wieder ihre
Zuflucht zu Zeban^awer, um seinen Rat zu erfragen. „Teurer Papagei,"
redete sie ihn an, „du hast in deiner Liebe zu mir schweres Bangen
in mein Herz gesenkt, denn noch weiß ich nicht, wie ich meinen Gc
liebten aus seinen Worten erkennen soll. Darf ich mich doch nicht
mit der klugen Kaiserstochter messen, von der du mir berichtet hast.
Gib mir darum ein Mittel, wie ich im trauten Beisammensein mit
ihm, aus dessen Mund ich ja noch kein Wort vernommen habe, die
Prüfung anstellen kann, um die untrügliche Erkenntnis seiner Seele
zu gewinnen." „Nichts ist leichter als das," entgegnete ihr der Vogel.
„Behalte nur wohl das, was ich dir jetzt erzählen werde, im Gedächtnis
und wiederhole getreu vor deinem Geliebten, sitzest du an seiner Seite,
DIE GESCHICHTEN MIT DEN UNGELÖSTEN RÄTSELN
und seine Antworten werden sein Denken und Fühlen vor dir offenbar
werden lassen:
In Kabul war ein reicher Kaufmann, der eine wunderschöne Tochter
mit Namen Zühra hatte. So viele Jünglinge sich aber auch um sie
bewarben, sie wollte keinem von diesen als Gattin folgen, denn sie
hatte ihren Sinn auf einen Gemahl gelenkt, der in einer Kunst oder
"Weisheit alle Menschen überragte. Wie aber nichts auf der Welt
62
eiligeren Lauf in die Weite nimmt als das Gerücht der Schönheit
und Unnahbarkeit, die Lockung des Erstrebenswerten und mühsam
zu Erkämpfenden, so kamen bald von allen Ländern der Erde die
Freier nach Kabul. Und so geschah es, daß einmal sich drei Jünglinge
zugleich einfanden, um Zühras Hand zu gewinnen. Gastfreundlich
nahm sie der Kaufmann auf und fragte sie nach erquickendem Bad
und fröhlichem Mahl um die Art der Künste und Wissenschaften,
die sie verständen. „Niemand auf der Welt kann sich mit mir in
der Schärfe und Weite des Blickes messen. Alles, was sich begibt und
begab, ersieht mein Auge, es durchdringt jedes Verborgensein und
wird von der Ferne nicht gehemmt." So sagte der erste. Der zweite
sprach: „Ich erwarb durch unermüdliche Versenkung in die Ge'
heimnislehren die Kunst, jederzeit ein hölzernes Pferd in meinen
Dienst rufen zu können, das über die Erde und durch die Lüfte wie
der Wind dahinfährt und mit Gedankenschnelle zu jedem gewünschten
Ziel trägt." „Und ich," so redete der dritte, „bin der beste Bogen'
schütze unter allen Sterblichen, dessen Pfeil nimmer fehlt."
Erstaunt vernahm der Vater Zühras von den hohen Künsten der
Werber und befahl, seine Tochter zu rufen, damit sie entscheide, wer
der würdigste Gatte für sie sei. Schrecken im Angesicht aber kamen
die ausgesendeten Sklaven zurück: Zühra war entschwunden und
keine Spur von ihr aufzufinden! Nun wandte der erste der drei
Freier sein Auge nach allen Weltrichtungen und erschaute sie mit
der Wundergabe seines Blickes: „Eine Peri hat deine Tochter ent'
führt und läßt sie auf dem unbesteigbaren Gipfel des Wolkenberges,
um den die Wogen des Weltmeeres branden, von einem furchtbaren
Drachen bewachen." „Nun mögt auch ihr beide eure Künste weisen,"
sagte der Kaufherr. „Rufe du dein Zauberroß zum Luftritt herbei,
und du, Bogenschütz, besteige es und eile zum Pfeilkampf mit dem
Ungeheuer, damit Zühra befreit aus eurer Mitte ihren Gatten wähle."
Kaum hatte er seine Worte beendet, spaltete sich der Boden auf die
Beschwörung des zweiten Jünglings und goldgesattelt und 'gezäumt
stand das Pferd vor ihnen, das nur des Atems entbehrte, um der
schönste der Renner Arabiens zu sein. Kühn schwang sich der dritte
Jüngling auf seinen Rücken und ein Augenblick entführte ihn durch
sausende Stürme und dichte Wolken dorthin, wo der flammen'
speiende Drache die Hut hielt. Da spannte er seinen Bogen und von
63
der klirrenden Sehne sprang der Pfeil, um lebenraubend in das Herz
des Ungetüms zu dringen. So befreite er die Jungfrau und brachte
sie heim zu ihrem beglückten Vater. — Wen sollte Zühra nun er"
kiesen, da doch nur durch das Zusammenwirken der drei Freier
ihre Rettung möglich war?
Ein Prinz von Babylon erschaute einmal in einem heiligen Tempel
beim Fest der Ernte ein Mädchen, dessen Angesicht wie das leuch"
tende Gestirn der Vollmondnacht, umschlossen vom Dunkel ihrer
Lockenpracht, war und dessen Gestalt der schlanken und freien
Zypresse glich. Ihr Anblick nahm sein Herz gefangen, und er ge"
lobte im Rausch seiner Liebe der Gottheit, der die Stätte geweiht
war, sein Leben, wenn er die Jungfrau durch ihre Huld zur Gattin
erhielte. Es fügte sich aber, daß der Vater des Mädchens die Werbung
des Königssohnes annahm und ihm sein Kind vermählte. Der Prinz
suchte seine Gattin heim, und auch ihr Herz öffnete sich inniger Liebe
zu ihrem Gemahl. So schwanden ihnen im Fluge Tage und Nächte,
verkürzt von süßester Wonne, bis der Königssohn seines Gelübdes
gedachte. Ohne zu zaudern ging er darum in jenes Heiligtum, beugte
sich in dankbarem Gebet vor dem Bildnis des Gottes und warf sich
sodann so in sein Schwert, daß sein Haupt, losgetrennt vom Leib,
zu den Füßen des Standbildes hinsank. — Als der Prinz den Seinen
aber fernblieb, machte sich sein vertrauter Freund auf, nach ihm zu
forschen, und fand ihn alsbald leblos hingestreckt auf dem Boden
des Tempels. Da verließ ihn die Lust am Dasein, und in der Sehn"
sucht nach der Vereinigung mit dem treuen Gefährten mancher Jahre
im Jenseits legte auch er seinen Kopf als Opfer vor die Gottheit. —
Bange Gedanken hatten indessen die junge Gattin des Prinzen bc
schlichen, und in Sorge und Ungewißheit eilte sie zu dem Heiligtum,
in dem sie ihren Gemahl zuerst gesehen hatte, um Trost und Heil
im Gebete zu suchen. Doch kaum war sie in den Tempel getreten,
fiel ihr Blick auf die beiden Entseelten, und nicht das Zögern einer
Herzschlagdauer hemmte sie, das Schwert, das glitzernd und blut"
befleckt vor ihr lag, zu fassen und gegen die eigene Brust zu richten,
um ihrem geliebten Gatten in den Tod zu folgen. Da vernahm sie
die machtvollen Worte des Gottes : „Töte dich nicht, denn auch dein
Gatte und sein Freund sollen wieder zum Leben erwachen, wenn
du nur wieder ihre Köpfe an ihre Körper fügst." Im Taumel der Wonne
64
und getrieben von jagender Eile vertauschte da die Gattin des Königs'
sohnes die Häupter, lebendig und heil sprangen beide auf; doch nun
entspann sich ein Streit zwischen dem Rumpf des Prinzen mit dem Kopf
seines Freundes und seinem Haupt auf dem fremden Leib, wem die
Gattin gehöre, und jeder wußte genugsam Gründe für sein besseres
Recht anzuführen, wie ich es wohl nicht genauer schildern muß.
Doch gilt es, die richtige Lösung zu finden!
Ein Kaufmann in Indien, mit Namen Mansur, der ein holdes und
keusches Weib sein eigen nannte, die das Glück seines Lebens war,
mußte einstmals in wichtigen Handelsgeschäften eine weite Reise
machen, so daß seine Gattin gar lange allein in ihrem Hause weilte.
Diesen Zeitpunkt ersah ein Bösewicht in dieser Stadt, der seine
schamlosen Augen zu der Krone der Frauen erhoben hatte, um ihrer
habhaft zu werden. Und da ihn kein anderes Mittel zum Ziele
führte, so viele er auch versuchte, trat er endlich in den Dienst eines
frommen Mannes, der in Gebet und Kasteiung an heiligem Flußufer
wohnte und mit seiner Macht alles wirkte, was man von ihm erbat.
Fari, so hieß der Gottlose, lauschte begierig den täglichen Sprüchen
Und Gesängen des Einsiedlers, als gälte es auch ihm, die himmlische
Seligkeit zu gewinnen, allein sein Sinn war anderem zugewandt!
Arglos unterwies ihn der Alte in allem seinen Wissen und oftmals
sprach er zu ihm: „Was dein Wunsch nur ersinnen kann, wirst du
durch deine Gebete erlangen; hüte dich aber, deine Kraft zu Bösem
zu mißbrauchen, denn dann wirst du ins tiefste Leid stürzen." Un*
besorgt um diese Warnungen verließ der Elende aber den Heiligen,
als er sich im Besitz des Zaubers wußte; er tat seine Sprüche und
war im gleichen Augenblick durch seinen Wunsch an Gestalt, An"
gesicht und Bewegung Mansur so ähnlich, daß ihn kein Mensch von
diesem hätte unterscheiden können.
Er eilte zu dem Hause des Verreisten. Auf sein Pochen öffnete
ihm der Haushofmeister das fest verschlossene Tor und fiel fast vor
Verwunderung um, als er seinen fern geglaubten Herrn allein vor
sich sah. Dann aber begrüßte er ihn in hellem Jubel und forschte
nach dem Grunde seiner frühen Heimkehr. Fari hatte aber alles wohl
vorausbedacht und entgegnete ihm: „Als ich hunderte Meilen von
hier mit meinem Zuge durch ein wüstes Tal marschierte, um den
Weg zu verkürzen, überfielen uns Räuber und zwangen uns zu hartem
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Kampf. Aber unser Wehren war vergebens, alle meine Knechte fielen
und die kostbaren Waren und Lasttiere wurden eine Beute der Wege
lagerer. Der Herr des Himmels gab nur mir die Gnade der Rettung,
und so bin ich nackt und geplündert wieder heimgewandert. " Der
treue Diener führte ihn zur Gebieterin des Hauses, deren Gatten er
vor sich zu sehen glaubte; und Seligkeit im Antlitz trat ihm die
Herrin entgegen und umarmte ihn. Fari berichtete auch ihr seine
erfundenen Schicksale und sie erwiderte ihm : „Preis sei dem, der das
Kreisen der Himmel lenkt, daß er dir dein Leben bewahrte; mag
Gut und Geld dahin sein, noch blieb dir genug, um neuen Reich'
tum daraus zu schaffen. Und liegt doch auch das Glück nicht im
Besitz!" Unter solchen Reden verweilten sie im traulichen Gemach.
Sooft ihr forschender Blick an dem Manne hing, vermochte sie nicht
zu zweifeln, daß ihr Gatte heimgekehrt sei, lauschte sie aber ihrem
Herzen, so war es ihr, als wäre ein Fremder in ihr Haus gedrungen.
Tagelang versagte sie sich ihm darum, obgleich er nicht von ihr
wich und ihre Seelenqualen anfachte. Und zuletzt ward sie wirklich
krank in der steten Pein der Zerrissenheit, so daß sie sich nicht
mehr von ihrem Lager erhob. Fari ließ aber nicht ab, sie mit seinen
Liebkosungen zu bedrängen.
So ging die Zeit dahin, bis mit einemmal der wahre Mansur mit
dem Troß seiner Karawane eintraf. Unverweilt schritt dieser durch
die weiten Säle seines Hauses in die Kammer seiner Gattin, um ihr
den Gruß seiner Wiederkehr zu bringen, als er die Herrin krank und
blaß im Bette fand und ihr zu Häupten einen Fremden, der ihm wohl
selbst Zug um Zug glich. Voll Zorn faßte er seinen Doppelgänger am
Kragen und schrie ihn an: „Was hast du hier zu suchen, frecher Geselle;
schere dich augenblicklich fort, sonst sollst du dieses Haus nicht lebend
verlassen!" Fari aber gab ihm in nichts nach: er packte Mansur am Bart
und begann ihn zu prügeln und Schimpf und Hohn auf ihn zu werfen.
Erschreckt von dem tobenden Lärm stürzten Diener und Knechte herbei
und wußten sich keinen Rat, denn jeder der beiden Streitenden befahl
ihnen als Herr des Hauses, den anderen vor die Tür zu setzen, und
sie konnten nur stehen und staunen, denn beide waren ja doch Mansur !
Auch die Nachbarn liefen zusammen, und schließlich führte man sie
beide vor den Kadi, daß er Recht spreche. Wie sollte aber der Richter
entscheiden, wer Mansur und welcher der Betrüger war?"
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Der Papagei verstummte. Chodscheste war nachdenklich und schwieg.
Endlich aber sprach sie: „Du mußt mir die Lösung der drei Fragen
geben, damit ich meinen Liebsten prüfen kann. Ich selbst vermag
sie nicht zu beantworten." „Willst du nicht mit deinen Freundinnen
Rats pflegen, süße Gebieterin," sagte der Vogel, „die Geschichten sind
wohl wert, bedacht zu werden. — Und sieh nur um dich: wieder
ist der helle Tag angebrochen und Müdigkeit liegt auf meinen
Lidern, daß sich meine Augen schließen. — Sei aber unbesorgt! Ehe
du diesen Abend zu deinem Buhlen gehst, sollst du die rechten Ant'
worten haben."
Versuchte der Sittich Chodscheste zu lehren?
Er suchte ein anderes Ziel: er verstand,
der Herrin, der Treueste, Beste, zu wehren,
den Rücken dem heimischen Neste zu kehren.
Den langen Tag hindurch gaukelten vor Chodschestes Sinn ver"
wirrende Bilder: die beiden Männer mit den vertauschten Köpfen,
Mansur und Fari, der eine wie das treue Spiegelbild des anderen, der
junge Bogenschütz auf dem Zauberpferd im Kampf mit dem Drachen,
und alle diese Männergestalten umschwebten liebeheischend anmutige
Frauen. Die Rätsel lösen konnte sie aber nicht und auch ihre
Freundinnen schwiegen verlegen um die Entscheidung, so gerne sie
sonst redeten. Voll Begierde nach den richtigen Antworten suchte sie
nach dem Einfall der Nacht ihren Zeban^awer auf und dieser begann
zu ihr, heimliches Lachen in den Augen: „Holdeste Gebieterin, ich
lese in deinen Mienen, daß du die Schleier des Geheimnisses nicht
gelüftet hast. Höre deshalb auf meine Worte und achte darauf, ob
auch dein Geliebter so zu antworten weiß. Ist er klug und gerecht,
so wird er dir künden, wie der Richter den Fall Mansurs entschied.
Er sprach nämlich: „Zutiefst in das Herz der Menschen versenkt ist
die Erinnerung an die Hochzeitsnacht. Jeder von euch beiden, der
Mansur zu sein behauptet, berichte mir, ungehört von dem anderen,
was er in dieser Nacht mit der Geliebten sprach, was er der Gattin
zur Morgengabe gab und was sich sonst begab. Und der, dessen Worte
mit denen der Frau übereinstimmen werden, ist der wahre Mansur
und der andere soll mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt
werden!" Und daß er damit die Wahrheit fand, braucht wohl nicht
erst erzählt zu werden. — Ist dein Liebster edelmütig und treu, so
wird er dir sagen, wen Zühra zum Gatten wählte, als sie vor den
drei Freiern stand. Der Zauberer des Blicks und der Besitzer des
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Rosses taten nicht mehr, als sie zu jedem Zweck mühelos nach ihrer
Fertigkeit getan hätten. Nur der Schütz, der sein Leben kühn und
opferfreudig in Gefahren stürzte, um die Geliebte zu retten, verdient
sie als Gattin heimzuführen. — Und soll er die Probe dafür bestehen»
daß nicht Sinnlichkeit ihn beherrscht, sondern die hohe Liebe des
Geistes, so muß er dem Manne die Gemahlin zusprechen, der auf
seinen Schultern das Haupt des Prinzen trug. — Erprobtest du deinen
Buhlen so, dann darfst du ihm wohl sonder Sorgen vertrauen, und
dein Herz mag frei von aller Furcht sein, daß es dir ergehen könnte,
WIE ES DEN LIEBHABERN DER HOLZJUNGFRAU ERGING."
Schon hatte sich Chodscheste zur Tür gewendet; auf diese Worte
aber wandte sie sich wieder zu dem Papagei, ließ sich auf dem kissen'
bedeckten Lager nieder und bat: „Erzähle mir diese wunderbare Ge'
schichte!" Der Vogel ließ sich nicht lange bitten und begann:
„Vier Männer, die auf einer Reise waren, hatten sich zum Schutz
gegen wilde Tiere und Räuber zusammengetan und wanderten ein-
trächtig miteinander. Der eine war ein Goldschmied, der zweite
ein Schneider, der dritte ein Mönch und der vierte ein Zimmermann.
Als sie einmal in einem dichten Wald von dem Dunkel der Nacht
überholt wurden, beschlossen sie dort zu rasten und bestimmten, daß
abwechselnd jeder der vier Wache halten sollte. Zuerst fiel das Los
auf den Zimmermann. Um seine Müdigkeit zu verscheuchen, nahm
er sein Beil und begann aus dem Stamm eines Baumes, der vom
Sturm niedergerissen dort lag, ein Mädchen zu schnitzen, und er
versah es in seiner Kunstfertigkeit mit allen Reizen. Er war gerade
fertig mit seinem Werk, als die Stunde gekommen war, da ihn der
Goldschmied ablösen sollte. Dieser hatte kaum die liebreizende Bild"
säule erblickt, als er daran ging, auch sein Geschick zu zeigen. Er
fügte Gold, Edelsteine mannigfacher Art und Perlen zusammen und
verfertigte so eine Halskette, Arm' und Fußspangen, Ohrringe und
Kopfputz und legte alles sorgsam dem Bild an. Nach ihm hielt der
Schneider Wache und weil ihm das wunderhübsche geschmückte
Mädchen von Holz gefiel, griff er unverweilt nach seinem Werkzeug,
um ihr Kleider zu nähen. Und diese waren von solcher Schönheit
und Pracht, daß eine Königsbraut nicht festlicher angetan im Hochzeits'
zuge schreitet. Und dennoch war sie nur eine Puppe ohne Bewegung
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und Leben! Als nun den Mönch die Pflicht des Wachens traf, ward
sein Herz von ihrer Lieblichkeit bewegt, daß er sich anschickte, ihr
durch sein Wissen das pulsende Leben und den warmen Atem zu
geben. Mit Feuer, Wasser und Sprüchen beschwor er die geheimnis'
vollen Mächte und, als die Sonne sich am Himmel erhob, stand die
Jungfrau, schön wie der junge Tag, holdselig lächelnd und süß redend
vor ihm und seinen erwachten Reisegefährten.
Nun begann ein erbitterter Streit zwischen ihnen, wem das Mädchen
gehöre. „Ich habe sie aus dem ungeformten Holzklotz geschaffen!"
rief der Zimmermann. „Wie könnte man zweifeln, daß sie mein ist?"
„Ich habe sie mit Kleinodien geziert, wie der Bräutigam die Braut;
darum gebührt sie mir allein !" warf der Goldschmied ein; der Schneider
aber ließ sich vernehmen: „Ich war es, der ihr das gab, wessen die
keusche Braut zuerst bedarf, das Hochzeitskleid und den Schleier,
drum soll sie keines anderen Gattin werden!" „Was schwätzt ihr da
in toller Überhebung eurer Berufe!" schloß aber der Mönch. „Was
war sie, ehe ich ihr das Leben einhauchte, als ein Bild aus wertlosem
Holz. Wer darf mir die Braut streitig machen?" Mit solchen Reden
fanden sie kein Ende ihres Zwiespalts, denn keiner wollte auf die
Jungfrau Verzicht leisten. Als jetzt ein Wanderer des Weges kam,
traten sie auf ihn zu, berichteten ihm, was der Grund ihres Zer'
würfnisses wäre, und baten ihn: „Sprich du ein Urteil, damit wir
uns ihm fügen können." Sowie der Mann aber das Mädchen erblickt
hatte, lohte auch sein Herz im Brand der Liebe und er sagte zornig
zu den Vieren: „Dieses Weib ist meine rechtmäßige Gattin, die ihr
mir entführt habt. Und nun wollt ihr, daß ich sie euch übergebe!
Macht euch auf, ihr Schelme, und folgt mir zum Vogt, damit er
entscheide!" So eilten sie zu der nächsten Stadt und zankten sich
unermüdlich den ganzen langen Weg. Als sie aber vor dem Vogt
standen und dieser die Jungfrau sah, rief er aus: „Ihr seid alle fünf
zu eurem Verderben vor mich getreten, denn nun soll euren Übel'
taten die Strafe folgen. Diese Frau ist die Gattin meines Bruders,
der mit ihr eine Reise unternahm ; gewiß habt ihr ihn erschlagen und
sie geraubt. Wer soll eure unsinnigen Geschichten glauben, daß aus
Holz ein Mädchen wird?" Damit ließ er sie von seinen Knechten er"
greifen und vor den Kadi bringen. Doch ergriff auch diesen beim
Anblick der bezaubernden Jungfrau das Verlangen, sie zu besitzen, so
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daß er sagte: „Redet die Wahrheit an dieser Stätte des Gerichtes!
Gesteht, wo ihr das Mädchen fandet, das meine Sklavin ist, die ich
mit all den Kleidern und Schmuckstücken beschenkte, und die mir
vor kurzem entlief!"
„Wenn du selbst Ansprüche stellst, darfst du nach den Gesetzen die
Entscheidung nicht fällen!" riefen wie aus einem Munde die sechs
Kläger, die ja wußten, daß er sein Recht mißbrauchen wollte. Ein
alter Mann, der in der Versammlung anwesend war, erbat sich das
Wort und sprach: „Unweit von hier ist ein heiliger Feigenbaum, der
,der Baum der Entscheidung' mit Recht genannt wird, denn jeder
Streit, den Menschen nicht schlichten können, findet bei ihm das
wahrhafte Urteil. Wendet euch darum an diesen unbescholtenen
Richter!" Das taten denn der Kadi, der Vogt, der Wanderer, der Gold"
schmied, der Schneider, der Mönch und der Zimmermann und sie
zogen mit der Jungfrau und vielen anderen hinaus zu dem Wunder'
bäum. Vor ihm wiederholten sie alles, worauf sie ihr Recht gründeten,
und harrten jetzt seines Spruches. Da klaffte mit einemmal ein
mächtiger Riß im Stamm, behende lief das Mädchen in den Spalt
und der Baum schloß sich wieder um sie, so daß sie, zurückgekehrt
zu dem Stoff, dem sie entstammte, für immer entschwunden war. —
So hatte wohl der schwere Rechtsstreit seine weise Lösung gefunden,
beschämt aber standen die sieben Männer vor dem Holz und er'
kannten, daß das Mädchen sie auch nie geliebt hätte. Und der Mönch,
der in den Geschehnissen der Vergangenheit wohl bewandert war,
sagte: „Uns hat die Torheit der Liebe hingerissen, daß wir der Über'
legung nicht Raum gaben, darum geschah uns füglich das gleiche, wofür
DER KÖNIG KAMRU UND SEIN GEFANGENER PAPAGEI
ein warnendes Beispiel ist." Da baten ihn alle, diese Geschichte zu
Nutz und Frommen derer, die sich belehren lassen, nicht zu ver'
schweigen; im Kreis um ihn nahmen sie Platz und er hub an:
„Auf einem hohen Baum des Urwalds lebte ein alter Papagei mit
seinen Jungen, der sich im Laufe der Jahre nebst vielem anderen
Wissen auch die Kenntnis aller Kräuter, Wurzeln und Beeren an'
geeignet hatte und ihre Heilkraft verstand. Der hatte seine Kinder
wohl oftmals gewarnt, sich den Blicken böser Menschen, die den
Wald durchstreiften, zu zeigen, doch sie waren ungehorsam in ihrer
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Unerfahrenheit und lockten durch die Pracht ihres Gefieders einen
Vogelsteller an; der warf sein Netz über den Baum und sie waren
alle gefangen. Da sagte der Alte: „Nachdem nun das Unheil über
uns hereingebrochen ist, nützt es nicht mehr, von Geschehenem zu
reden, doch befolgt jetzt mein Geheiß, wenn euch euer Leben wert
ist: stellt euch tot, dann wird euch der Jäger ohne Vorsicht aus dem
Nest werfen; mich allein soll er ergreifen; ich werde schon Wege
finden, aus der Gefangenschaft zu entkommen. Ihr aber fliegt alle auf
einmal fort!" Der kluge Plan gelang und schon wollte der Vogel"
fänger in seinem Zorn dem alten Vogel, der ihm wertlos schien, den
Hals umdrehen, als dieser zu ihm in wohlgesetzter Rede sprach:
„Handle nicht vorschnell und unüberlegt! Die jungen Vögel hätten
dir keinen Nutzen gebracht, denn du wärest gezwungen, sie um wenige
Groschen zu verkaufen, von denen du nur kurze Zeit hättest leben
können ; mit mir aber, den du fingst, hast du einen Schatz gewonnen,
für den du viele hunderte Dinare erhalten wirst, so daß du genug
für dein Leben haben wirst. Wisse, daß ich der beste Meister der
Arzneikunde bin, der jedwede Krankheit zu heilen versteht." Da freute
sich der Jäger, denn er gedachte ihn zu seinem König zu bringen,
der seit langem an einem schweren schmerzenden Leiden darnieder'
lag, das keiner Kunst der Ärzte weichen wollte. Dort hoffte er viel
Geld für den gefangenen Vogel zu erhalten. Geradenwegs lief er zum
königlichen Schloß und bot dem Fürsten das Tier mit den Worten
an : „Nach unsäglichen Mühen fand ich, was dich von deiner Krankheit
befreien soll: dieser Papagei ist der kundigste Arzt, der alle Heil'
mittel kennt." Freudig befahl der Herrscher dem Jäger zehntausend
Dinare auszubezahlen und nahm den Vogel zu sich. Und dieser bc
fragte ihn mit der Einsicht des Verständigen nach allen Zeichen und
Erscheinungen seines Leidens und gab ihm von nun an alltäglich die
Gewächse, Früchte und Blüten an, aus denen er Tränke und Salben
bereiten ließ, die allmählich seine Schmerzen linderten, so daß er den
Papagei mit allen Ehren und Liebkosungen überhäufte. Dieser war
aber in seinem Sinn dennoch draußen im fernen grünen Wald bei
den Seinen und er beklagte im stillen unaufhörlich die Fessel der
Gefangenschaft und sann auf Befreiung. Darum sprach er eines
Tages zum Fürsten: „Zur Hälfte habe ich bisher nur deine Krankheit
geheilt; nun aber gilt es aus geheimnisvollen Wurzeln noch eine
72
Arznei zu bereiten, die dir die volle Gesundheit wieder geben könnte.
Kein Mensch vermöchte indessen diese Wurzeln zu finden. Laß mich
darum selbst von Bergeshöhen und aus dem Waldesdunkel das Nötige
herbeischaffen/' Den König befiel kein Argwohn, er befreite den Vogel
aus dem Käfig — und sah ihn nie wieder, denn er war zu seinen
Kindern heimgeflogen und fiel nimmer in das Netz eines Fallen"
stellers. — Unklug hat der König Kamru gehandelt, nicht zuerst die
Treue des Papageis zu erproben, denn die Ahnung hätte ihn belehren
sollen, daß er wieder zu seinem Neste heimkehren wollte — so wie
die uns entschwundene Jungfrau zu ihrer Heimat."
Drum prüfe du, Chodscheste, den, dem du vertrauen willst, daß
du nicht leidbedrückt und reuevoll erkennen mußt, du habest dich
getäuscht. — Was ich in deinem Dienste für dich tun konnte, habe
ich getan — und meine Treue hab ich wohl tausendmal bewiesen
— nun mag dich deine Klugheit und dein rechtes Fühlen weiter
leiten!"
Wieder hatte Chodscheste der Flucht der Zeit nicht acht gehabt;
als sie die Augen erhob, spielten die strahlenden Lichter der Morgen"
röte mit den Juwelen auf ihren Armen, als wollten sie sie necken ob
versäumter Wonnen. Da" alle anderen Lebewesen erwachten, sank sie
in tiefen Schlaf und auch der Papagei ruhte von der Müdigkeit der
durchwachten Nacht. Allzubald sollte ja wieder das Dämmern Chod"
scheste zu verbotener Lust und ihn zu weisem Erzählen laden!
Und mochte die Lust ihr gleich winken, dem schlauen
gefiederten Weisen gelang seine List:
sie wollte enteilen bei sinkendem Grauen —
da grüßte der Tag sie mit blinkendem Blauen.
Wie die Wagschalen des Weltalls erschienen, sich gegenüberstehend
am Bogen des Himmels, im Westen die scheidende Sonne und im
Osten der emporstrebende Mond, sie, die Hüter und Schützer der
sterblichen Menschen, im Königskleid von rotem Gold und blauem
Silber. Unweigerlich wollte Chodscheste heute dem Drängen ihres
Herzens folgen und glückstrahlend grüßte sie den Vogel, um Abschied
von ihm zu nehmen. Heiter gleich ihr redete sie der Papagei an:
„Eile, du fürstliche Herrin, zu dem, den deine Seele ersehnt, und
genieße die Liebe, die das Recht der Jugend und der Schönheit und
ihre Pflicht zugleich ist. Vergiß nur nicht in der Wollust der Sinne
den Sinn der Frau, der, Listen zugeneigt, aus allen Fährnissen den
rechten Weg zu wählen weiß, den Weg, auf dem euch allen Schahrara
voran geschritten ist." „Sag, wer war Schahrara und wie wars, was
sie tat ?" fragte schmeichelnd Chodscheste, und Zeban^awer berichtete,
WIE SCHAHRARA DEN GATTEN DURCH IHRE LIST BETROG.
„Im Lande Khorasan, in Nischabur, der weitgerühmten Stadt,
lebte ein unsäglich reicher Kaufmann mit seiner Frau, die Schahrara,
,die Zierde der Stadt', genannt war. Und in der Tat war ihre
Schönheit ihrem Namen gerecht, so daß sie viele Jünglinge um'
schwärmten; und sie war stets bereit, Liebe mit Liebe zu lohnen. Es
war ihr Lebenswandel den Nachbarn auch kein Geheimnis, nur der
arglose Gatte wußte nichts, bis zuletzt die bösen Reden doch an sein
Ohr kamen. Da bedachte er: Ich will der Wahrheit schon auf die
Spur kommen ! Ist mein Weib wirklich untreu, so soll sie verstoßen
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werden. — In diesen Gedanken schützte er eine Reise vor und ver*
barg sich sodann hinter einem Vorhang in ihrem Schlafgemach. So
harrte er des Kommenden; und es währte nicht lange, als er auch
seine Frau mit einem fremden Manne eintreten sah, und die Ader
des Zorns schwoll auf seiner Stirn. Eine ungewohnte Bewegung ließ
den Teppich, der ihn deckte, die Falten rühren, daß es der vorsichtigen
Schahrara nicht entgehen konnte. Nun zauderte sie nicht, das drohende
Böse zum Guten zu wenden, und mit einem heimlichen Winken,
das der junge Mann wohlverstand, redete sie zu ihm: „Aus deinen
Blicken sehe ich, daß du verwundert bist, in das verwehrte Heiligtum
der Frau geführt zu werden. Doch höre, was ich dir zu sagen habe:
Ein Traumgesicht, das ich dreimal geschaut habe, offenbarte mir, daß
meinem edlen Gatten Gefahr drohe. Zweimal flehte ich im Traum
vergebens die Erscheinung an, mir den Weg zu seiner Rettung zu
weisen; erst in der dritten Nacht entgegnete mir der Traum gott: „Es
ist ein schweres Opfer, das ich von dir heische, damit das Leben
deines Gemahls nicht vergehe; willst du es auf dich nehmen?" Und
als ich ihm zu. Füßen sank und die Befolgung beschwor, verkündete
er mir: „Ein böser Dämon haust in deinem Gemach, der den Tod
deines Mannes herbeizuführen sucht, und nur ein reiner Jüngling
kann ihn bannen. Teilst du mit ihm in keuscher, schwesterlicher
Liebe eine ganze Nacht das Lager, so ist der Unhold und seine
unheilvolle Macht beschworen." Darum rief ich dich zu mir und wage
dich zu bitten, mir zur Erfüllung meines Gelübdes beizustehen." „Es
sei, wie du sagtest," erwiderte der Buhle, und sie ließen sich zum
Schlafe nieder, das Schwert des Jünglings zwischen sich. — Alles das
sah und hörte der betrogene Ehemann in hellem Entzücken, und als er
meinte, daß beide in tiefem Schlaf lägen, schlich er sich leise davon,
denn er vermochte nicht länger gebückt und beengt in seinem Versteck
zu verweilen. — Als Schahrara seine Schritte vernommen hatte, tat
sie das Schwert zur Seite . . . und sie entließ den Jüngling frühmorgens
nach seliger Nacht. Der Mann hatte nur diesen Augenblick abgewartet,
um wieder sein Haus zu betreten wie nach vollendeter Reise; und
er schloß sein Weib in inniger Herzlichkeit an seine Brust und küßte
sie vieltausendmal. „Mein liebes, teures Weib," so sprach er dann
zu ihr, „der Himmel segne dich für das, was du an mir getan hast."
Und als sie ihn mit gespieltem Staunen anblickte, fuhr er fort — und
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welcher Dummkopf spräche nicht gern von seiner Klugheit — : „Glaube
mir, daß ich in tiefe Geheimnisse Einblick habe; ich kenne so auch
gar wohl die unendliche Treue, die du hegst, und deine übergroße
Liebe zu mir. Darum lache ich auch der Kurzsichtigen, der Boshaften,
die dich verleumden. Ist es doch immer die edelste Frau, die die
Zungen der Neiderinnen zu Feinden hat. Aber ich weiß es doch
besser!" Still und mit züchtig gesenkten Blicken stand Schahrara da;
und nun war es ihr gewiß, daß ihr die Freiheit jeder Wollust fürderhin
gesichert war, der hohe Lohn für ihre große List. —
Noch wunderbarer und lehrreicher als diese ist freilich die Geschichte
VON DER FRAU, DIE DEN MANN DER UNTREUE ZIEH,
die sich nach den Berichten alter Bücher dereinst in einer andern
Stadt begeben hat: Da lebte ein junges Weiblein, das die Zeit einer
Abwesenheit ihres Mannes nützen wollte, süße Früchte von fremden
Bäumen zu naschen. Ihre Botin und Mittlerin war ein altes Weib,
das jeden hübschen jungen Mann aufzufinden und zu verlocken ver'
stand. Nun ereignete es sich, daß ihr Mann um die Zeit des späten
Abends zurückkehrte und nicht mehr in sein eigenes Haus gehen
wollte, so daß er sich entschloß, die Nacht im Chan der Kaufleute
zu verbringen. Die Unterhändlerin, die gerade dort war, machte sich
an ihn heran und erbot sich, ihm ein reizendes Mädchen zum Zeit'
vertreib zu bringen. Und er stimmte zu. — Als die Frau aber geputzt
und gesalbt dorthin kam und ihren Mann erblickte, war sie nicht
etwa erschrocken und ratlos ; nein, sie begann sofort zu schreien und
zu jammern: „Ihr Nachbarn, kommt herbei und seht die Schmach,
die mir mein Gatte antut; vor kurzer Zeit verreiste er und gab als
Vorwand an, daß ihn Geschäfte riefen. Jetzt weiß ich, daß er nur um
Dirnen nachzulaufen diese Stadt verlassen hat. Und als er heimkehrte,
eilte er nicht zu seiner sehnsuchtsvoll harrenden Frau, hier in diesem
Gasthof lungert er und sendet Kupplerinnen aus, die ihm verworfene
Weiber zuführen sollen. Da ich dies hörte, überwand ich meine Scham
und kam, verkleidet als Dirne, hierher, um zu erfahren, ob das
Unerhörte, was mir berichtet ward, wahr wäre. Kommt nun mit mir
zum Richter, daß er die Fessel löst, die mich an diesen Elenden
bindet." Mit Mühe versöhnten die Leute die Frau, das Recht lag offen
auf ihrer Seite und der Vorwurf aller traf den Mann. —
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Und nicht weniger schnell bedacht und fertig mit ihren Worten war
DIE FRAU, DIE STAUB STATT ZUCKER HEIMBRACHTE.
Das geschah so : Sie hatte von ihrem Mann Geld erhalten, um Zucker
dafür zu kaufen. Der Krämer wog ihr das Gewicht zu und nahm
das Geld und die Frau knüpfte sorgsam das Erstandene in ihr Tuch.
Unterdessen begann der Kaufmann ihr zu schmeicheln und wie sie
freundlich dazu lächelte, ließ er es auch an Liebkosungen nicht fehlen
und hatte endlich leichtes Spiel, sie zu verbotener Lust in seine
Kammer zu führen. Während der Herr aber fort war, vertauschte
der Bursche des Krämers, der im Laden geblieben war, den Zucker
im Tuch mit Sand und verknotete es wieder, wie es gewesen war.
Arglos brachte sie dann das Bündel nach Hause; als ihr Mann es
aber öffnete und wertlosen Staub von der Straße darin fand, schalt
er zornig seine Frau: „Was für Streiche sind denn das? Willst du
mich zum besten halten?" Die Listige war indes rasch gefaßt. „Zürne
mir nicht, u sagte sie ohne Zögern, „ich bin ohne Schuld. Höre mich
nur an: Als ich schon fast beim Kaufmann war, raste ein wild'
gewordener Ochs auf mich zu, so daß ich fortlief; dabei kam ich zu
Fall und verlor die Münzen, die ich sorglich in der Hand hielt. Lange
suchte ich sie wieder, ich konnte sie aber nicht finden. Da hielt ich es für
das beste, all den Sand in mein Tuch zu binden, damit wir hier weiter
suchen können." Da mußte der Mann hellauf lachen ; er vergaß nicht nur
seinen Zorn, sondern küßte seine Frau noch ab und sagte : „Du dummes
Kind, was macht es denn, daß du die paar Heller verloren hast. Mußtest
du dir darum die viele Mühe geben, den Staub aufzulesen und heim"
zutragen?" So ward ihr noch Mitleid für ihr Tun zuteil! —
So verschlagen aber auch alle diese gehandelt hatten, so war doch gewiß
DER TRUG, DEN DIE FRAU EINES BAUERN ERFAND,
um der Schande zu entgehen und den Ruhm der Keuschheit zu
gewinnen, nicht geringer: Diese hatte einen jungen Mann kennen
gelernt, mit dem sie sich vergnügen wollte; darum forderte sie ihn
auf, um Mitternacht über den Zaun ihres Hofes zu steigen und unter
dem großen Baum, der dort stände, ihr Kommen zu erwarten. Sobald
sie ihren Mann nun schnarchen hörte, erhob sie sich und eilte in die
Arme ihres Liebsten. Der Zufall wollte es, daß eben in dieser Nacht
77
der Vater des Mannes das Haus verlassen müßte ; der sah die beiden
beieinander schlafen und nahm in seiner Entrüstung der Frau heimlich
die Spangen von den Füßen und bedachte: Am Morgen soll das
Gericht entscheiden und dieses wird mein Zeuge sein! — Die Frau
erwachte bei der Berührung und faßte schnell ihren Plan. Sie hieß
ihren Buhlen den Weg, den er gekommen war, wieder zurück zu
nehmen und schärfte ihm ein, am Morgen des nächsten Tages gewiß
am Begräbnisplatz vor der Stadt zu sein, sich wahnsinnig zu stellen
und sie in dieser Verstellung zu umarmen. Dann ging sie schnell zu
ihrem Mann, der ruhig schlief, weckte ihn und sprach: „Laß uns im
Freien schlafen; hier ist es zu heiß." Sie lagerten sich an derselben
Stelle, auf der sie kurz vorher ihren Gatten betrogen hatte. Als er
wieder eingeschlafen war, weckte sie ihn noch einmal und klagte
ihm: „Soeben kam dein Vater hierher und nahm mir die Ringe von
den Knöcheln. Wie durfte er dies tun, ist er gleich dein Vater? Du
mußt ihn morgen deshalb zur Rede stellen, denn die Beschämung, die
er mir angetan hat, ist übergroß." Das versprach er und forderte, als
sich alle erhoben hatten, die Spangen von seinem Vater zurück und
sparte selbst Vorwürfe nicht. Der Alte beharrte aber auf seiner Anklage
und so sagte die schlaue Frau : „Du weißt, daß auf dem Begräbnisplatz
das Bildnis eines Dämons mit gespreizten Beinen steht, zwischen
denen nur der unversehrt durchschreiten darf, der die reine Wahrheit
spricht. Ich will mich diesem Gottesurteil unterwerfen. Kommt alle
mit mir!" Sie gingen darauf allesamt in den Tempel, verrichteten
dort ihre Gebete und dann machte sich der Zug, dem sich viel Volk
angeschlossen hatte, auf zu jener Bildsäule, als mit einemmal der
Jüngling, der mit wirrem Haar und rollenden Augen nicht anders
als ein Irrer anzusehen war, sich zu der Frau drängte und sie um'
halste. Sie hub zu schreien an und die Leute packten den Wahn'
sinnigen und schleppten ihn fort. Dann trat die Listige an das
Steinbild, hob ihre Arme empor und redete sodann vor allem Volke :
„Himmlischer Rächer, lasse mich zugrunde gehen, wenn ich je von
einem anderen Manne umfangen worden bin als von meinem Gemahl
— und von dem Tollen, der mich jetzt umschlang!" Und nach diesen
Worten schritt sie stolz durch den engen Weg, und der Gott ließ sie
unversehrt, getäuscht von ihr wie all die anderen. So wußte sie vor
aller Welt den Ruhm der gattentreuen Frau davonzutragen. —
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Wohl hundert solcher Schliche wüßte ich zu melden, allein die
Zeit ist da, daß du selbst die List erprobst, in der ich dich unterwies.
Eile frohgemut zu deinem Liebsten!" — Aber auch diese Nacht war
an ihrem Ende; die Weltenwage hatte sich verkehrt und wo die
Sonne abends niedergegangen war, verblich der Mond, und wo dieser
zum Himmel aufgestiegen war, begann es zu tagen, so daß wieder
Stunden bangen Harrens für Chodscheste anbrachen.
Der Sittich erzählte von Tücken und Schlichen,
von Listen und Heucheln und ewigem Trug,
Chodscheste vernahms mit Entzücken, und blichen
indes auch die Sterne im Rücken und wichen.
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In der schattigen Halle ihres Palastes hatte Chodscheste den Tag
mit ihren Freundinnen verplaudert, und heute wollte sie gewiß nicht
wieder dem Zauber der Märchen Zeban^awers nachgeben, denn das
Herzeleid des Geliebten, das die Frauen ihr geschildert hatten, ließ
ihre entbrannte Seele in neuen Flammen lodern. Darum schmückte
sie sich jetzt mit den prächtigsten Gewändern und ihren kostbarsten
Edelsteinen und wollte schon grußlos ihren Papagei verlassen, als ihr
schelmischer Sinn sie bewegte, dem treuen, weisen Vogel mit einer
Neckerei ihren gefestigten Willen kundzutun. So begann sie: „Mein
lieber Zeban^awer, du hast dich nächtelang gemüht, mich mit be'
lehrenden Geschichten zugleich zu bilden und zu ergötzen; höre zum
Dank für deine Märchen nun eine solche Erzählung von mir an, die:
WIE DER BEDUINE DEN KALIFEN MAMUM ZURECHTWIES
und ihn damit klüger machte." „Ich vergehe vor Sehnsucht, diese Ge'
schichte zu vernehmen," erwiderte der Sittich, und die Prinzessin begann:
„Eines Tages trat im Diwan ein Beduine vor den Kalifen Mamun
und redete ihn mit solchen Worten an: „Allah kränze dein Haupt
mit der Fülle des Segens, Fürst aller Gläubigen, und strafe die Bösen,
die dir feind sind, mit ewiger Vernichtung! Höre, warum ich wagte,
den Stufen deines Thrones zu nahen! Wie Mohamed es den Be'
kennern der einzig wahren Lehre offenbarte, will ich zur hochheiligen
Kaaba und zum Grabesgarten des Propheten wallen. Wie soll ich
aber die weite Reise unternehmen, da mich die härteste Armut drückt?"
„Sei guten Mutes," war die Antwort des Kalifen, „denn dich trifft
80
auch der Hauch der Sünde nicht, wenn du die Wallfahrt unterläßt,
da dir die Mittel mangeln." Da blickte ihn der Mann eine Weile
schweigsam an, dann aber sagte er lächelnd: „Sei bedankt, Kaufe,
für die Belehrung, die du mir zuteil werden ließest; doch glaube,
daß auch mir dieser Satz der Lehre unseres heiligen Glaubens wohl'
bekannt war und daß ich darum nicht zu deinen Füßen sank. In
dieser "Weise wollte ich dir nur meine Armut klagen und hoffte, daß
dein Reichtum sie vertreiben wird!" Von diesen Worten war der
Fürst überwunden und bedachte den Mann mit reichen Gaben. —
Mich dünkt, du gleichest dem Kalifen, lieber Papagei, denn ist auch
niemals eine Lehre zu verwerfen und zu tadeln, so ist sie doch um'
sonst gesprochen, wenn sie das Ziel nicht trifft. Wie viel du mir
auch gabst, hast du mich doch von meinem Liebsten durch lange
Nächte ferngehalten."
Mit tränenumflorter Stimme sagte der Papagei darauf: „Wie du
doch mich und meine Treue verkennst, strahlende Gebieterin ! Meine
Weisheit sollte dir auf dem gefahrvollen Pfad, den du schreiten
willst, das schützende Geleite geben, denn du bist noch jung und un'
erfahren, indes mich das wechselvolle Leben und die Unterweisung
großer Lehrer erzogen haben, das Drohen des Schicksals von ferne
zu erkennen und ihm zu entgehen. — Wer nicht vor der Tat die
Lehre in sich aufnahm, für den kommt sie nachher zu spät, wie es
Bahram an sich erfahren mußte." „Was wars doch, was ihm geschah?"
fragte Chodscheste, der Vogel aber sprach : „Laß dein Ziel nicht wieder
aus dem Auge, um zwecklosen Geschichten zu lauschen, damit mich
nicht wieder dein Vorwurf treffe. Fliege wie der Pfeil des Liebes'
gottes zu der Stätte, wo dir höheres Glück winkt!" Nun gereute es
die Schöne, den weisen Zeban^awer erzürnt zu haben, und sie sagte
kosend zu ihm: „Nimm den Scherz doch nicht ernst, den ich mit
dir spielte! Welcher größere Meister aller Weisheit als du wäre zu
finden, dem ich mich in jedem anvertrauen dürfte? Wer wüßte an'
mutiger und reizvoller zu erzählen, so daß das Herz in Lust erbebt?
Sei nicht allzu hart zu mir und laß mich zu meiner Freude hören,
WIE ES BAHRAM ZU SEINEM EIGENEN LEID ERGING!"
„Kann doch auch ich deiner süßen Stimme nicht widerstehen," ent'
gegnete der Papagei, „so daß ich dir auch diesen Wunsch erfüllen muß.
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In Balch lebten vor vielen, vielen Jahren einmal vier Freunde, begüterte
Jünglinge, die sich Treue und Freundschaft für alle Zeit geschworen
hatten. Nach dem Ratschluß des Schicksals war es ihnen aber be-
schieden, daß sie zu gleicher Zeit bettelarm werden sollten. Um wieder
das entschwundene Glück zu gewinnen, zogen sie miteinander aus ihrer
Vaterstadt fort und kamen endlich an einen Ort, wo ein weiser Ein'
siedler wohnte, der in die Geheimnisse und Zauber des Weltalls ein'
gedrungen war. Diesem erzählten sie ihr Geschick und wußten ihn
so einzunehmen, daß er Mitleid mit ihnen hatte und jedem von ihnen
einen Wunderstein gab ; dazu sprach er : „Heftet diese Siegel an eure
Turbane und ziehet weiter ; dort aber, wo die Steine zu Boden fallen,
grabt in der Erde, und das, was euch die Tiefe schenkt, soll euch gc
hören." So entließ er sie, und die Freunde wanderten dahin. Als sie
eine einsame Gegend durchquerten, fiel mit einemmal der Stein des
ersten nieder, und als sie gruben, lag eine große Kupfermine vor
ihnen. Da sagte der, der durch den Zauber ihr Eigentümer geworden
war, zu seinen Gefährten: „Laßt uns alle hier verweilen und dem
mühevollen Wandern entsagen. Für uns alle ist hier Reichtum genug,
den wir brüderlich teilen wollen/4 Die anderen mochten aber nicht
auf diesen Vorschlag hören und verließen ihn. Dem zweiten war
eine Silbergrube beschieden, die ihm sein Talisman eröffnete. Auch
dieser lud die Freunde ein, das reiche Eigentum mit ihm zu teilen,
doch auch er mußte allein zurückbleiben. Die beiden letzten zogen
wieder ein gutes Stück in die Welt hinein, bis der Stein des dritten
sich von seinem Turban löste und ihn eine stattliche Goldmine er"
schließen ließ. „Bleib bei mir/ sagte dieser zu seinem einzigen Gc
nossen, „kein Metall ist edler als das Gold. Laß uns nur den fürst"
liehen Schatz in gleiche Hälften teilen." So sehr er aber auch den Freund
zu überreden suchte, es gelang ihm nicht. Bahram, so hieß der vierte,
träumte jetzt nur von einer Mine unschätzbarer Steine und zog allein
ins Ungewisse weiter. Nachdem er viele Meilen zurückgelegt hatte,
fiel auch das Siegel, das sein Schicksal bedeutete. Er begann an dieser
Stelle zu graben und zu schürfen, bis er nach unendlichem Bemühen
inne ward, daß ihm wohl Steine beschieden waren, doch keineswegs
kostbare, sondern nur die Blöcke, die der Boden überall birgt. Da
faßte ihn die schmerzlichste Reue, und er rief aus: „Warum folgte
ich nur dem Rate meiner treuen Freunde nicht ?" Bekümmert lenkte er
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seine Schritte wieder zurück, doch vermochte er seine Gefährten
nicht mehr zu finden, und als er auch die Stadt des weisen Ein'
Siedlers wieder erreicht hatte, mußte er erfahren, daß der Alte sie
verlassen hätte. Hilflos und verloren fristete er sein unglückliches
Leben hinfort als Bettler.
Einmal berichtete er einem anderen Bettler von seinem unseligen
Geschick. Da erzählte ihm dieser, um ihn zu trösten, die Geschichte
VON DEN ZAUBERERN UND DEM ERWECKTEN GREIF,
die ihm zugestoßen war und ihn zu dem gemacht hatte, was er nun
war : „Mit drei Genossen war ich als Jüngling in einem weit ent'
legenen Land Schüler eines gewaltigen Zaubermeisters, der uns schon
mannigfaltige Sprüche und Künste gelehrt hatte. Wir vier dünkten
uns in der geringen Wissenschaft, die wir so in uns aufgenommen
hatten, schon überaus weise und ersehnten den Augenblick, wo wir fern
vom Meister unsere Kräfte erproben konnten. Als uns dieser einmal mit'
einander in den Wald geschickt hatte, daß wir Holz nach Hause
brächten, fanden wir dort einen ungeheuren Knochen, den wir ratlos
bestaunten. Da sagte der eine: „Ich will doch versuchen, das ganze
Knochengerüst dieses Tieres aus diesem Überbleibsel hervorzuzaubern."
Und er begann seine Beschwörungen, so daß auf einmal das Skelett
eines riesigen Vogels vor uns lag. „Ich will die Muskeln und Ein'
geweide dazu schaffen," rief der andere und entzündete ein mächtiges
Feuer, über dem er nun murmelte und sang. Und so wuchs der un'
geheure Luftbewohner heran, daß wir bei seinem Anblick zitterten.
Der dritte wollte indessen nicht zurückstehen und sprach : „Seht meine
Kunst, mit der ich den abgebalgten Leib mit der Zier seiner Federn
bedecken werde." Er beugte sich zur Erde, nahm ein Flaumfederchen
auf, das dort lag, blies es mit seinem Odem an, und als er eine
Weile mit unbewegtem Leib und geschlossenen Augen dagestanden
war, hatte der Greif sein Federkleid wieder erhalten, daß es den An'
schein gab, als hätte ihn der Tod vor einem Augenblick erst ereilt.
Da quälte mich die Sucht, es den Gefährten zuvorzutun, und ich ver'
maß mich, dem toten Körper Leben einzuflößen. Vergebens warnten mich
die Freunde und bestürmten mich, die gefahrvolle Tat sein zu lassen.
Aber der Neid und die Eitelkeit saßen in meinem Herzen, und ich
begann meinen Zauber. Langsam kehrten Wärme und Bewegung in
83
6»
den Leib des Ungetüms zurück, und plötzlich schüttelte es seine
furchtbaren Schwingen und streckte seine entsetzlichen Fänge gegen
mich aus — die drei Genossen waren längst in ihrer Furcht ent'
laufen und hatten sich zu ihrem Glück gerettet — nun wollte auch
ich das Heil vor meinem eigenen Tun in der Flucht finden, doch
der Greif war schneller, er schlug die unwiderstehlichen Krallen in
meine Schultern und erhob sich dann mit mir in die Wolkenhöhe
des Himmels, bis mir die Sinne schwanden. Als ich wieder zu mir
kam, lag ich mit zerschmetterten Gliedern und blutbedeckt in einer
Einöde und mochte den Gedanken nicht mehr zu fassen, daß ich dem
Tod entgehen könnte. Doch Allah sandte mir Hilfe, daß ich meine
Verblendung und meine Überhebung über den Rat meiner Freunde
in dem unseligen Leben eines Krüppels büße, denn eine vorüber'
ziehende Karawane nahm mich auf und brachte mich hieher. — So
sind wir Söhne einer gleichen Schuld und gleicher Strafe, die in
unseren Herzen eingebrannt bleibt."
Da weinte Bahram und erwiderte dem anderen: „Was kann mir
heute die Belehrung nützen ? Sie ist mir nicht Trost, sondern Wühlen
in der Wunde. Dem Glücklichen sollst du die Unterweisung geben,
damit er einen Führer in bangen Zweifeln hat und nicht der harten
Schule des Geschickes bedarf, die ihn vernichtet hat, ehe sie ihn
lehrte, denn die Entscheidungsstunde naht nur einmal im Leben/'
Präge darum diese Geschichte vor allem deiner Seele ein, holdeste
Herrin, damit du nicht untergehst, wenn der Augenblick des Ent'
Schlusses an dich herantritt. — Und sei nicht betrübt, daß wieder
die Dunkelheit dem Lichte gewichen ist, bevor ich endete, denn diese
Nacht gab dir Unwiederbringliches, indes dir die Liebe deines Buhlen
nicht schwinden wird, ja heller lodern muß, angefacht von der Sehn'
sucht."
Schon glomm es vom Osten im flirrenden Tagen,
als seine Belehrung der Sittich beschloß,
daß Weisen die nimmermehr irrenden Sagen
die Richtschnur verleihn in verwirrenden Lagen.
Beengend sank Düster über die Erde herab ; auf schleichenden Sohlen
und huschenden Flugs begann das Getier der Nacht auszuschwärmen,
das Leben der Heimlichkeit und Tücke anzuheben, das wohl auch
von ihnen die Menschen erlernten, die vor den Blicken der Nachbarn
bangen. — Es war die Zeit, die Chodscheste nützen wollte, den Gang
zu ihrem Geliebten zu wagen, wenn auch Besorgnis vor dem Dunkel
auf Straßen und Plätzen sie befangen hielt. Um sich Trost und
Sicherheit zu holen, trat sie zu ihrem treuen Papagei: „Du selbst
gabst mir deine Einwilligung, daß ich meinen Liebsten aufsuche.
Nun rate mir weise: soll ich allein durch die schweren Schatten der
Nacht zu ihm eilen — soll mich meine Zofe hingeleiten?" Da ent'
gegnete ihr Zeban^awer: „Kein Mitwisser geziemt zu heimlichem
Tun! Und hüte dich wohl, von deiner Liebe auch nur zu sprechen.
Das leichte Wort hat Flügel und es kann dich verraten, so daß du
ins Verderben stürzest, wenn du nicht die Klugheit anwendest, so
WIE ZARIFA SICH AUS DER SCHWERSTEN NOT RETTETE."
„Erzähle mir das!" bat Chodscheste, und der Papagei folgte rasch
der erwünschten Aufforderung:
„In Tus lebte ein reicher Mann mit Namen Sejjar, der von allen Segnun'
gen des Glückes nur einer entbehrte, so daß er gar traurig war : eines
Kindes. Vergebens hatte er alle Priester und Weisen der Welt be'
fragt, wie ihm Nachkommen beschieden sein könnten, bis ein großer
Arzt aus Griechenland ihm zuletzt einen Trank braute, den er seiner
Gattin geben sollte, ehe er sie nach seiner Rückkehr zum erstenmal
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wieder umarmte und sich mit ihr in weihevoller Lust einigte.
„Damit aber das Kind, das sich hernach im rechten Ablauf der
Monde in ihrem Schoß regen wird, stark und schön und glück'
begünstigt werde, sollst du alle die Gelüste, die deine Frau in ihrer
Schwangerschaft befallen werden, ihr wohl zu erfüllen behilflich
sein!" So beendete er seine Belehrung, und Sejjar nahm dankerfüllt
von ihm Abschied, bestieg ein schnelles Schiff und reiste mit gutem
Winde heimwärts; so erreichte er ohne Aufenthalt sein Heim, wo
er seine Gattin seiner in Sehnsucht harrend fand.
Voll Freude und Hoffnung folgte er sodann den Weisungen des
gelehrten Griechen, und als das wechselnde Gestirn der Nacht wieder
in voller Rundung auf sie niedersah, durfte Zarifa ihrem Gemahl
von den ersten Zeichen des werdenden Glückes berichten. Nun geschah
es, daß sie, die Trägerin der Wunscherfüllung Sejjars, die Begierde
in sich fühlte, vom Fleisch eines Pfauen zu essen. Es war aber in
ganz Tus ein einziger Pfau, das Lieblingstier des Königs, der an der
Farbenpracht seines Rades solchen Gefallen gefunden hatte, daß er
keinen Tag hingehen ließ, ohne sich an seinem Spiele zu ergötzen.
Sejjar gedachte indessen des Befehls, den ihm der Arzt gegeben
hatte, und besprach mit Zarifa einen klugen Plan, wie sie ungefährdet
und ungesehen den Vogel fangen könnten. Und sie begaben sich
nächtlicherweile in den Park des königlichen Palastes, in dem er
nistete, ergriffen den Schlafenden und drehten ihm sogleich den Hals
um, daß er nicht sein widriges Geschrei erheben könnte, nahmen ihn
mit sich und brieten sein Fleisch ; den Balg, die Eingeweide und die
Knochen vergruben sie hernach, damit niemand etwas finden konnte.
— Jetzt war Zarifa von solcher Seligkeit erfaßt, daß sie es nicht lassen
konnte, ihrer Pflegeschwester, wenn auch nur mit wenigen Worten,
das Geheimnis zuzuflüstern, das sie besser in ihrem Busen geborgen
hätte. Denn der König war nicht so bald von dem Verschwinden des
Pfaues unterrichtet worden, als er Befehl gab, überall bei Trommel'
schlag zu verkünden, daß jeder, der ihm Nachricht von dem Vogel
brächte, tausend Dinare als Lohn empfangen sollte, der Frevler aber
zu schmählichem Tode geführt werden würde.
Die Wahrheit des alten Wortes: Vertrau nur dir und dem Geschick
und hüte dich vor Wort und Blick! sollte sich wieder weisen. Die
Pflegeschwester Zarifas, die alles nur deren hingebungsvoller Liebe
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dankte, war gleichwohl von bohrendem Neid gegen das Glück der
Edlen erfüllt und hoffte nun die Zeit gekommen, die Verhaßte zu
verderben. Sie eilte allsogleich zum König und berichtete ihm, was
sie wußte. Dieser war aber ein Spiegel der Gerechtigkeit, darum sprach
er zu ihr, nachdem er mit sich zu Rate gegangen war : „Kein Richter
fälle die Entscheidung ohne Beweise ! Darum laß die Beschuldigte die
Worte vor mir wiederholen, die sie sprach." Und zu diesem Zwecke
ließ er eine große Kiste herbeischaffen, setzte sich hinein und befahl
ihr, ihn so in das Haus jener zu bringen.
Zwei Lastträger luden den König auf ihren Rücken und folgten
der Verräterin. Diese übergab die Kiste Zarifa und bat sie, ihr bestes
Hab und Gut, das sie darein verpackt hätte, in Obhut zu nehmen
und tat, als ob sie sich zu einer Pilgerfahrt rüste. Dabei brachte sie
schlau die Rede auf den getöteten Pfau und sagte: „Liebste, willst du
mir nicht noch einmal erzählen, wie sich alles begab, denn die Sache
ist gar zu unterhaltend." Zarifa war indes durch alle diese Umstände
mißtrauisch geworden und sah, daß es jetzt galt, begangene Fehler
durch Klugheit zu verbessern. Vielleicht hatte aber ein zweiter gehorcht?
Leugnen war so wohl nicht das Rechte ! Darum fing sie an : „Denke
dir nur : es war dunkel und ich ging lange Hand in Hand mit Sejjar,
bis wir in einen herrlichen Garten kamen ; dort flog uns der schillernde
Vogel entgegen und ich faßte ihn fest und würgte ihn, bis er tot war.
Dann brachten wir ihn nach Hause, bereiteten ihn und ich genoß sein
Fleisch, um mein Gelüst zu befriedigen. — Da krähte auf einmal
der Hahn und ich erwachte aus diesem sonderbaren Traum, der mir
von guter Vorbedeutung für mein Kind erscheint." Entsetzt fragte
die Schwester: „Was du mir erzähltest, war nur ein Traum?"
„Ei freilich," entgegnete lachend Zarifa, „du wirst doch wohl nicht
glauben, daß ich den Pfau umbringen konnte, da mir doch die Tötung
einer Fliege ein Verbrechen ist. Wie konntest du nur so ungereimt
das Traumgesicht für Wahrheit halten?"
In Furcht vor Strafe entfloh die Böse; der König wußte aber den
Augenblick zu erfassen, da niemand mehr in dem Gemache war, und
begab sich in seinen Palast. Dann hielt er Gericht ab und verkündete
vor allen, was er hier und dort vernommen hatte. Er verbannte die
Verräterin ob ihrer boshaften Verleumdung und erhöhte Zarifa und
ihren Gemahl. Vielleicht sah der weise König aber doch die Wahrheit,
87
denn er forschte nicht mehr nach seinem Pfau und nahm wohl für
dessen vergängliche Schönheit die unvergängliche Erkenntnis, daß man
Geheimnisse im Grab des eigenen Herzens ruhen lasse.
Ich will dir aber zu deiner Warnung noch die lehrreiche Geschichte
VOM TÖPFER, DER DEN KRIEGSHELDEN SPIELTE,
erzählen, die dir zeigen soll, daß nicht nur das gesprochene Wort zum
Verderben werden kann, sondern auch das verheimlichte. Höre: In
China lebte ein Töpfer, der wie viele seiner Landsleute dem Genuß
des berauschenden Haschisch frönte. Als er einmal zu viel davon
genossen hatte, fiel er im Schlaf der Trunkenheit unter seine irdenen
Töpfe und Krüge und zerschnitt sich jämmerlich dabei. Er genas
allerdings wieder, aber sein Gesicht und seine Brust blieben von
Narben so zerrissen, als wäre er von Schwerthieben und Speerstößen
zerfleischt worden. Da man ihn in seiner Heimat darum neckte, kehrte
er ihr den Rücken und machte sich auf die Wanderung. An den
Blicken aller Fremden merkte er bald, daß er als großer Kriegsheld
galt und tat beileibe nichts, um diesen Anschein zu zerstören. Und
als er zur Residenz eines gewaltigen Königs gekommen war, zögerte
er nicht, vor dessen Angesicht zu treten und sagte kühn: „Viele
Worte sind nicht meine Sache. Ich kam hieher, um in deinen Diensten
zu wirken ; ich bitte dich, teile mir das Amt zu, für das ich dir recht
erscheine." Der Fürst sah die Narben an ihm und zweifelte nicht,
daß er sie im tapferen Kampfe davongetragen hätte und in männlicher
Bescheidenheit der Worte sparte. So nahm er ihn in sein Heer auf
und bekleidete ihn bald mit der Würde des obersten Feldherrn.
Eine Weile mochte dies wohl währen, doch sollte sich der Unbestand
der Unwahrheit erweisen wie bei dem Schakal, der ins Färberfaß
gefallen war und farbenprächtig wie kein anderes Tier zurückgekehrt,
sich zum Beherrscher des Waldes aufgeworfen hatte, zuletzt daran
zugrunde ging, daß er seine Stimme laut werden ließ, als die anderen
seines Geschlechtes ihr häßliches Heulen anstimmten. So mußte auch
der Töpfer entlarvt werden, als der König dem übermütigen Dräuen
eines Feindes Halt gebieten wollte und befahl, das Heer gegen ihn
zu rüsten und ihm den Krieg anzusagen. Da erschrak der feige Ge'
seile zutiefst und sprach in seiner Not zu seinem Fürsten: „Entbinde
mich von meinem Amt und meiner Pflicht, denn ich bin kein Krieger,
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sondern ein Töpfer, der nicht in der Schlacht, sondern im mv
geschickten Fall die Wunden erlitt, deren Narben mein Gesicht
zeichnen." Da mußte der König zuerst lachen, dann aber sprach er:
„Habe ich dich erhöht, so darf ich dich jetzt nicht erniedrigen, denn
es heißt: ,Es steht dir frei, den Anfang zu bedenken, doch dann ists
Pflicht, die Tat zum Ziel zu lenken/ Und du bist in derselben Lage.
Hättest du rechtzeitig gesprochen, so wäre dir dieses Ungemach erspart
geblieben. Jetzt gibt es kein Schwanken mehr, du mußt deine Pflicht
tun und sollst lernen, durch den Willen über dich selbst hinaus"
zuwachsen." — Bebend zog der gezwungene Feldherr in den Kampf
und er verzweifelte so an seinem Leben, daß er allen voran in die
Feinde drang und viele erschlug, ehe er selbst den Tod eines Helden
starb. Keiner fand sich, der seinen Ruhm geschmälert hätte, denn sein
Werk war der herrliche Sieg, und er wurde mit den höchsten Ehren
bestattet. — Was hatte er freilich davon, er, der ruhmloses Leben
dem Tode vorgezogen hätte; das war die Strafe für das nicht ge"
sprochene Wort.
Und der Geschichtschreiber, der dieses Begebnis aufgezeichnet hat,
damit die Nachwelt sich daran bilde, fügt ihm noch hinzu: Dereinstens
war das Pferd ein gar verachtetes Tier, doch ein Kaiser erkannte
DIE LEBENWAHRENDE KLUGHEIT DES HENGSTES
als er ihm den Rat der Schweigsamkeit gab, daß er ihn zum edlen
Gefährten des Menschen erhob. Und das kam so: Der Kaiser lust"
wandelte einst durch seinen Garten, als er zwei Schlangen verschiedener
Art beim Spiele sah und wahrnahm, daß das Weibchen das fremde
Männchen immer mehr zu buhlerischer Lust verlockte, bis es erlag.
Da griff er zu seinem Schwert, um die unkeusche Schlange zu er"
schlagen, doch sie entglitt ihm und die Schärfe traf nur die letzten
Ringe ihres Schwanzes. Sie erzählte dann zu Hause, daß der Kaiser
sie im Schlaf hätte meuchlerisch ermorden wollen, und ihr Gemahl
beschloß Rache zu üben und den Frevler mit dem Gift seines Bisses
zu töten. Und darum schlich das Männchen der Schlange in das Schlaf"
gemach des Königs, wo es sich unter Blumen versteckte. Dort hörte
es nun, wie der Kaiser das Liebeswerben seiner Gemahlin zurück"
wies, indem er ihr erzählte, was er erlebt hatte, und mit den Worten
schloß: „Sollte ich da nicht in der Erkenntnis weiblicher Wollust
89
allen Verkehr mit den Frauen meiden? — Heute verstand ich erst den
unbewußt tiefen Sinn in den Worten jener Frau, die ihrem Mann
auftrug, die Halfter ihres Kamels mit starker Hand zu führen, „denn,"
so sagte sie, „wie vermöchte ich das eigensinnige Reittier mit meiner
schwachen Kraft zu meistern, da sein Sinn stets nach den blauen
Fernen gerichtet ist und es von der Alltäglichkeit des geraden Weges
abzieht." Ist doch das Tier nur das Bild des wankelmütigen Wesens
des Weibes, dem es nimmer aus eigener Macht widerstehen kann."
Als der Fürst sodann allein war, nahte die männliche Schlange ehr'
fürchtig seinem Lager, pries ihn für die Enthüllung der Wahrheit,
die nunmehr ihren Zorn gegen ihn in Liebe und die Liebe zu seinem
Weibchen in Haß verwandelt hätte, und sagte : „Das Höchste, was ich
dir schenken kann, ist die Gabe, die Sprache der Tiere zu verstehen.
Nimm dies als das Zeichen meines Dankes hin! Doch hüte dich, zu
einem Menschenkind davon zu sprechen, sonst müßtest du im selben
Augenblick sterben." Dann eilte die Schlange fort, und als der Kaiser
nun den Rufen der Eulen und dem Gesang der Nachtigall lauschte,
konnte er entzückt verstehen, was sie redeten. — Am folgenden Morgen
trat seine Gattin wieder zu ihm und schmeichelte und koste ihn,
damit er wieder gut sei. Da hörte er ein Paar von Turteltauben mit'
einander sprechen. „Warum stößt. der Kaiser sein treues Weib von
sich?" fragte sie und der Täuberich erwiderte: „Er ist so dumm wie
alle Menschen. Wie oft sagte ich dir schon, daß ich weiser und
mächtiger bin als selbst der Kaiser!" Erschrocken rief die Taube:
„Sprich doch nicht so! Er versteht unsere Sprache und wird dich
sicherlich wegen deiner Vermessenheit töten lassen!" Da girrte er
aufflatternd zum Kaiser: „Verzeihemir, erhabener Herrscher, was ich
sagte. Doch was kann es deiner Macht schaden, wenn so ein kleines
Tier wie ich vor seinem Weibchen prahlt." Darüber mußte der Kaiser
nun so lachen, daß er fast umgefallen wäre. Seine Gattin aber glaubte,
er wolle sie verhöhnen und drohte ihm: „Wenn du mir nicht sagst,
was der Grund deines Lachens war, so werde ich mich zur Stunde
umbringen." Er suchte sie zu besänftigen und küßte sie, er wollte sie
überzeugen, daß die Antwort sein Tod wäre, doch sie ließ nicht ab,
ihn zu drängen, so daß er sich entschloß, ihr Rede zu stehen. Und
damit führte er sie hinaus in den Garten, wo sie einsam wären. Als
er aber am Brunnen des Palastes vorbeikam, sah er dort einen Hengst
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und eine Stute weiden. Und sie sagte zu ihrem Männchen: „Bringe
mir doch die Kräuter, die so verlockend im inneren Rande des
Brunnens wachsen, sonst müßte ich mich hineinstürzen." Da ging er
hin und sah hinab und dann erwiderte er ihr : „Wollte ich dir holen,
was du begehrst, so wäre es mein gewisser Tod, und du gingest auch
leer aus. Darum bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als dich selbst
hineinzuwerfen! Ich will es dem Kaiser nicht nachtun, der töricht
sprechen will, wo Schweigen Pflicht ist." — Dieses Wort ergriff den
Fürsten und er widerstand nun allem Bitten und Flehen seiner Gc
mahlin und rettete nicht nur sein Leben für dieses Mal, sondern er
gewann auch für alle Zukunft die weiseste Lehre, die ihm fortan die
Stütze seiner Herrschaft war.
Hast du dieses erwogen, so eile zu deinem Freunde und erfreue
dich seiner Liebe." Und Chodscheste lenkte ihre Schritte zur Tür,
doch als sie öffnete, wehte ihr die erfrischende Luft des Morgens ent-
gegen und die Sänger des Tages begrüßten sie, verstand sie auch nicht,
was ihr Tönen bedeutete. So galt es denn noch einen Tag die Er'
füllung ihrer Sehnsucht zu erharren.
Du trittst vor das Tor, und der Schimmer umfängt
dich hell wie die Weisheit, die nächtlich dir ward:
Wer klüglich verschweigt, was ihn immer umdrängt,
der wirkt, daß Verhängnis ihn nimmer umzwängt.
Auf der blauen Au des Himmels wechselten die Herden weißer Lämmer
mit denen roter Kühe und nun waren es schwarze Böcke, die ihre
Possen auf dem dunkel gewordenen Gefilde des Firmaments trieben,
doch sie alle überwachte die Ewigkeit als unermüdlicher Hirt und seine
Hunde, die den tollen Scharen nachjagten, waren die Stürme der Höhe.
Als Chodscheste in der Morgenfrühe nach durchwachter Nacht
entschlafen war, hatte sie ein Traumgesicht gehabt, das ihr die Zukunft
zu künden schien, denn wahr ist nach den Worten der Weisesten,
was der Schlaf am Morgen zeigt. Aber sie hatte vergeblich der Deutung
nachgesonnen und trat darum jetzt in banger Erwartung vor den
Käfig Zeban^awers und bat den klugen Vogel: „Enthülle mir heute
deine Weisheit in der Lösung eines Traumes, der mich ängstigt:
ich sah ein weißes Täubchen einen gewaltigen Drachen verfolgen,
und flog auch dieser in der höchsten Not in stürmender Flucht, so
ward er doch erreicht — und denke nur: das kleine Vögelchen ver"
schlang das Untier, als wäre es nie gewesen. — Was mag die
Prophezeiung sein, die dieses Bild mir brachte?" Es lastete kein
Zweifel auf der Seele des Papageis, daß dieser Traum das Ende des
Chodscheste bedräuenden Geschickes und das Gelingen seiner pflicht'
getreuen Tat besage, war doch auch so ein grauses Tier durch schwache
Kraft vernichtet worden. Diese Erkenntnis barg er indessen in seinem
Herzen und schritt zum letztenmal den schweren Weg der List. „Dir
lacht das Glück," begann er nach kurzem Bedenken, „du selbst bist
das Täubchen und der Drache ist das Leid, das dich bedrückte und
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verfolgte, bis du aus deiner Herzensflucht zum Angriff übergingst
und Siegerin der Sorgen wardst, die spurlos schwanden. Nun kann
dich nichts mehr von der Seligkeit trennen, die dir mit Allahs hohem
Beistand naht, wie einst dem edlen König von Adschin. Willst du
DIE GESCHICHTE VOM WUNDERSAMEN SCHICKSAL
hören?" „Mit tausend Freuden," erwiderte Chodscheste, und so hub
der Papagei an:
„Der mächtige König von Adschin, der herrlichen Stadt im weiten
Lande Indien, jagte einstmals in den Wäldern seines Reiches, als ihn ein
seltsames und wunderbares Wild auf seine Spuren zog. Nach langer
Verfolgung streckte er es mit einem sichern Pfeilschuß, und als er in
freudiger Bewunderung das Geschöpf besah, brach er in die Worte aus:
„Kann wohl ein Mädchen so hold und zierlich sein in dieser Welt? Und
wäre sie ein Kind von Menschen, so möge sie meine zweite Gattin
werden!" Da sagte sein Wezir, der im Jagdgefolge weilte und dem
von allem, was da lebt, untrügliches Wissen eigen war: „König, es
gibt ein Land, in dem die Blüte aller Jungfrauenschönheit sprießt,
allein die herrlichste im Strauß seiner Knospen ist die Tochter des
Beherrschers dieses Reiches: sie ist der Edelstein in der Krone der
Frauen, sie ist die strahlende Gebieterin der Anmut. Und wisse: die
Stadt, in der sie lebt, ist Medinet al Kar, die weit von hier liegt
hinter der Öde des Weltmeers." Diese Worte drückten den Stachel
verzehrender Liebe in den Busen eines Jägers in der Schar des Königs;
doch dieser selbst gab nur besonnenen Gedanken Raum und achtete
nicht weiter der Rede seines Kanzlers.
Am gleichen Tage geschah es aber, daß die erste Gemahlin des
Fürsten in ihrer Kammer vor dem Spiegel stand und bei dem Anblick
ihrer Reize ausrief: „Welche Frau der Welt mag mich an Lieblichkeit
übertreffen und welcher Herrscher an Macht meinen Gemahl?" Kaum
hatte sie so gesprochen, als helles Lachen an ihr Ohr drang. Es war
ein Vöglein, das in das Gemach geflogen war und hoch vom Sims
herab nun sprach: „Es gibt wohl einen, der an Kraft vor deinem
Gatten steht, das ist der Fürst von Medinet al Kar, und vor der
Schönheit seines Töchterchens mußt selbst du dich beugen!" Un'
verweilt berichtete die Königin ihrem Gemahl dieses Erlebnis. Und
als ihm nun dieses Zeugnis die Wahrheit der Worte bestätigte, die
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sein Wezir gesprochen hatte, faßte er den Entschluß, dorthin zu
wandern und die Prinzessin zu freien.
Im Kleide eines wandernden Derwisches zog der stolze König von
Adschin aus, um die Braut zu gewinnen. Keiner seines mutigen
Gefolges sollte die Gefahren mit ihm teilen. Unbemerkt nur, in eine
Mücke verwandelt, wozu ihm der Zauber gegeben war, folgte ihm
jener Jäger, von dem ich dir schon erzählt habe ; und sein Ziel war,
die Königstochter selbst zu erringen. — Lange Tage schritt der König
seinen Weg entlang, bis er endlich an das Ufer des Ozeans gelangte,
wo er geduldig einen ganzen Tag blieb. Dort traf ihn der treue
Vasall des Meeres, der Westwind, und eilte, als er das Begehr des
Fürsten vernommen hatte, zu seinem König, ihm die Botschaft zu
bringen. Da verließ der Gott des Ozeans alsbald seinen Palast in der
unausdenklichen Tiefe der Fluten und begab sich in menschlicher
Gestalt zu dem Harrenden. Und er umarmte ihn und sagte: „Edler
König, heische von mir, was immer dein Wunsch ist, den ich erfüllen
werde, soweit meine Macht nur reicht." Da bat ihn der Herrscher
von Adschin: „Gewähre mir den einzigen Wunsch und führe mich
nach Medinet al Kar l" Der Beherrscher der Gewässer erwiderte ihm :
„Bis zu dieser Stadt selbst erstreckt sich mein Gebiet nicht, denn sie
liegt tief im Binnenland, umgrünt von duftenden Wäldern. Ist es dir
aber recht, so sollen dich meine Diener ans jenseitige Ufer dahin
führen, von wo du nur wenige Wochen mehr von deinem Ziel ent'
fernt bist!" Der König im Pilgerkleid war damit einverstanden und
reiste auf dem Rücken einer mächtigen Woge in schneller Fahrt zum
anderen Strand. Dort nahm er dankbar Abschied von der Welle und
wanderte voll Sehnsucht der angegebenen Richtung zu.
Am vierten Tage seiner Fahrt sah er sich in einem lieblichen
blumenübersäten Tal, das silberne Bäche durchrieselten. Als er nun
am Rande einer kühlen Quelle sich erfrischte und rastete, traten mit
einemmal zwei Jünglinge vor ihn, begrüßten ihn ehrfürchtig und
sprachen zu ihm: „Du bist der gottgesandte Schiedsrichter unseres
Bruderzwistes. Denn zwei wunderbare Dinge hinterließ uns der Vater,
als er starb, und wir sind nicht imstande, selbst zu entscheiden, und
hadern im ewigen Streit. — Hier dieser Ring besitzt die Gabe, an
jeden Ort, und wäre er noch so fern, im Nu zu tragen, wenn man
ihn dreht und nur den Namen seines Zieles nennt. Und dieses
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Schwert hier ist in nie besiegbarer Macht jedes Feindes Tod. —
Entscheide du, wir werden uns deinem Schiedsspruch willig fügen!"
Da erhob sich der König und sprach in listiger Erwägung: „Lauft
um die Wette bis zu jenem Palmenbaum! Es sei der Schnellere der
Herr des Schwertes, denn er bedarf der Eigenschaft des Ringes weniger.
Dann kämpfet miteinander; und laßt dem Stärkeren den Reif, denn
seine Kraft macht ja das Schwert entbehrlich! Beginnet jetzt den
Lauf!" Die beiden Knaben schürzten ihr Gewand und flogen wie der
Windstoß übers Feld. Der König achtete indessen ihrer nicht, er
gürtete in Eile das Zauberschwert um seine Lenden und streifte den
Ring an seinen Finger. Schnell drehte er den Stein nach innen und
sprach das Wort: „Medinet al Kar!" Und in Gedankenschnelle war
er vor dem Schloß in dieser Stadt.
Nun hatte sich auch dort Wunderbares ereignet: Die Schönheit"
strahlende Königstochter hatte im Traum den Fürsten von Adschin
gesehen und war in heißer Liebe zu ihm entbrannt. Die Sterndeuter
und Schriftgelehrten hatten die Horoskope gestellt und dem König
verkündet, daß der Geliebte seines Kindes verkleidet als Freier auf
der Reise zu seinem Lande sei ; und als ihr Herrscher sie nun fragte :
„Woran soll ich ihn erkennen, wenn er ohne königliche Pracht hier
einzieht?" sagten sie: „Laß die Tore des Palastes von den furcht"
barsten Löwen bewachen ; er, der sie kühn mit einem Streich erlegen
wird, das ist der König von Adschin."
Brüllend und mit aufgerissenen gähnenden Rachen traten daher
dem Fürsten im Derwischgewand die Ungetüme entgegen, als er durch
die Tore des Palastes schreiten wollte; furchtlos zückte er da sein
Zauberschwert und erschlug sie alle mit einem Hieb. Nun eilten die
Großen und Würdenträger von Medinet al Kar auf den Mann im
härenen Pilgerkleid zu, beugten sich tief vor ihm und begrüßten ihn
mit seinem rechten Namen, um ihn sodann erstaunt zu ihrem
Herrscher zu geleiten. Und dieser hieß ihn zu seiner Rechten auf
seinem Thron niederzusitzen und erwies ihm die höchsten Ehren.
Dann berichteten sie einander, was sich begeben hatte, und schon am
folgenden Tage wurde die Hochzeit des edlen Paares mit strahlendem
Festesglanz gefeiert. Der König von Adschin suchte seine junge Gattin
heim und Monde schwanden ihnen wie Stunden der Lust. Als aber
statt Blüten schwere Früchte an den Bäumen hingen, ward der Eidam
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des Fürsten von Medinet al Kar inne, daß er schon allzulange seinem
Reich fern war und bat den Vater seiner Gattin für sich und sein
holdes Weib um Gewährung der Heimkehr. Und als er innigen
Abschied genommen hatte, umschlang er seine Gemahlin, drehte den
Ring und wünschte sich wieder zu der Quelle, wo er die wunder"
mächtigen Erbstücke von den Jünglingen genommen hatte. Hier traf
er sie auch an und wollte ihnen Wehr und Reif zurückstellen, indem
er sprach: „Glaubt nicht, daß schnöde Habsucht und betrügerischer
Geist mich geleitet haben, euch Unrecht zu tun; mir schwebte nur
die Erfüllung meiner reinen Sehnsucht vor Augen. Nehmt darum
mit der Bitte um Vergebung und dem tiefst gefühlten Dank zurück,
was ich ohne euren Willen entlehnte." Da entgegneten ihm die beiden
Jünglinge : „Wisse, wir entstammen dem Geisterreich und sind durch
den Zwang unseres Geschlechtes gebunden, niemals in Menschen"
werke tätig einzugreifen ; doch wollten wir die Zauberstücke, die nun
dein Eigen seien, in deine Hände bringen und wählten in der Kenntnis
deiner Weisheit diese List. — Und nicht uns sollst du mit Dank
bedenken, nur ihn, der das All erschuf und dich und uns gebildet
hat. Doch da du die Zierde der Edelmütigen bist, sollst du noch
einen Gottesnamen von uns lernen, mit dessen Kraft du in jeden
Körper, den du wählst, einzugehen gerüstet sein wirst." — Da aber
der verräterische Jäger in der Pein seiner vergeblichen Liebe nicht
vom König gewichen war und verborgen in der Gestalt des kleinsten
Wesens auf Ränke sann, ward auch er in dieses Geheimnis eingeweiht.
Nachher schwanden aber die beiden guten Geister, und der König
vollendete mit Hilfe seines Ringes die weite Reise in sein Heimatland
in einem Augenblick und wurde mit seiner neuen Gattin, deren
Schönheit nur Wonne und nicht Neid erwecken konnte, von seiner
ersten Gemahlin und seinen Großen, den Kriegern seines Heeres
und von allen Untertanen mit herzlichstem Jubel empfangen. Und
er nahm die Herrschaft wieder machtvoll an sich und sprach Recht
und erließ Gebote, wie es das Wirken großer Fürsten ist.
Eines Tages aber faßte ihn wieder Verlangen nach der männlichen
Jagd, und er ritt mit seinen Getreuen in den tiefen Wald. Eine Anti"
lope sprang vor ihm auf und, sie zu verfolgen, gab er seinem Roß
die Zügel frei und stob dem seltenen Wilde nach, so daß er bald
allein war, doch ließ dies seinen Eifer nicht erlahmen. Als er endlich
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das prächtige Tier erlegt hatte und sah, daß keiner seines Gefolges
in der Nähe war, kam ihm der Gedanke, den Gottesnamen zu et"
proben, den er im Tal der Blumen gelernt hatte, und er begab sich in
den Leib der Antilope. Diesen Augenblick hatte der Elende, der ihm
noch stets als Mücke folgte, nur erwartet; im Nu hatte er seine Seele
in den Körper des Königs versenkt, schwang sich auf den Renner
und sprengte zu den Freunden des Fürsten, die in ihm unbedenklich
ihren Herrn sahen.
Der König war aber kaum des niedrigen Verrates gewahr geworden
als er den Leib der Antilope mit dem eines toten Kolibris vertauschte
und voraus zum fürstlichen Schlosse flog. Dort flatterte er durch die
Fenster des Harems, und als er seine junge Gattin allein fand, zur
Laute Liebeslieder singend, die ihm galten, berichtete er ihr kurz,
was sich ereignet hatte, und hieß sie Sorge tragen, daß der tückische
Knecht den edlen Leib seines Fürsten wieder verlasse. — Als nun
der Verräter sicher und selbstbewußt in das Gemach der Königin
trat, um sie endlich in Besitz zu nehmen, sprach sie zu ihm: „Gc
denkst du noch der Kunst, die dich die beiden Geistersöhne lehrten,
als wir durch das Tal von Medinet al Kar heimkehrten: in jeden
Leib eingehen zu können? Laß mich einmal dieses Schauspiel sehen!"
„Das ist leichtes Spiel," erwiderte der Jäger und befahl einen alten
Gaul zu holen und ihn zu töten. Dann ging er vor den Augen der
Königin in ihn ein, und das tote Pferd lebte wieder. Ehe er aber
noch denken konnte, war der wahre König seines Körpers wieder
habhaft geworden, und der Böse war verdammt, als schlechter Acker'
gaul zu Tode geplagt zu werden.
Der König aber lebte fortan in Glück und Seligkeit, wie sie auch
dir dein Traum verkündet hat. Drum begib dich nun unbesorgt in
die Arme deines Buhlen!"
Noch lag über Tälern und Hügeln der Lande
im Dunkel der Ferne Gefunkel der Sterne;
da dachte Chodscheste, frei zügelnder Bande
zum Buhlen zu eilen auf Flügeln der Schande.
Schon schickte sich Chodscheste an, das Haus zu verlassen, um
ihren Geliebten an ihr Herz zu schließen, als lautes Rufen und Jubel
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den Palast erfüllten: Meimun ist heimgekehrt! Und die Türe tat sich
auf, und er betrat das Gemach; verwundert sah er aber auf, als sich
seine Gattin, mit Putz und Schmuck wie zu einem Fest angetan,
ihm zu Füßen warf und ihn schluchzend umschlungen hielt. „Gc
liebte," rief er, „sprich, was dir geschah ?" Doch die Tränen, die un'
versiegbar strömten, beraubten sie der Worte. Da wandte sich der
Prinz an den treuen Papagei, und dieser entgegnete ihm nun : „Segen
sei auf deiner Heimkehr, Meimun, die zur rechten Zeit kam, ehe
noch Unehre sich auf dein Haus legte. Allzulange weiltest du deiner
jungen Gattin fern, daß nicht lüsterne Worte und Wünsche ihrem
Herzen fremd bleiben konnten." Und schon schwollen die Adern
auf der Stirn des Edlen, und seine Hand tastete nach dem breiten
Schwert, das ihm vom Gürtel hing. „Horche auf alles, was ich dir
zu künden habe, Herr/' fuhr aber Zeban^awer ruhig und besonnen
fort. „Nur Gedanken regten sich im Busen Chodschestes nach dem
Bösen, doch sprach sie kein Wort, das die Sitte verletzte, und tat
keinen Blick, der die Treueste reuen dürfte. Dir und ihr getreu,
ließ ich vom Abenddämmern bis zum Frührot den Springquell meiner
Geschichten vor ihr aufsteigen, daß sie vergessen mußte, was sie
wollte. Wie mit "Worten die Freundinnen ihre Seele erregten, stillte
ich wieder mit Worten ihre Unrast; sie war ein Spielball nur zwischen
den Reden des Tages und den Reden der Nacht; genugsam ist sie
durch ihre Herzenspein bestraft."
Und wie jetzt Meimun die weinende Chodscheste an sich zog und
mit einem heißen Kuß das Siegel der Versöhnung und Verzeihung
auf ihre weiße Stirne drückte, hub der Papagei wieder an: „Eine
Lehre nur ziehet aus dem Geschehen, das für ewig vergessen sei:
daß nichts trügerischer ist als der Schein der Freundschaft und daß
nur der Umgang mit anderen der Born alles Bösen ist, so wie die
Palme aus dem Paradies die süßesten Früchte trug, als sie allein stand,
und schlechte gab, als sich fremde Bäume zu ihr gesellten. „Wie gerne
wollte ich diese Geschichte vernehmen," sagte Meimun, und so begann
Zeban-awer zu erzählen:
„In Indien herrschte dereinst ein frommer und großmütiger König,
dem Allah als Lohn für seine gottgefälligen Taten eine Palme aus
dem Garten des Himmels geschenkt hatte. So süß waren deren Früchte
wie die keines Baumes sonst auf der weiten Erde, und wer sie nur
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kostete, ward von jedweder Krankheit geheilt. In seiner Güte spendete
der König mit vollen Händen von diesem Gut, doch ließ er zuvor
die Kerne durchbohren, in denen sich der Samen barg, damit sie
niemand aussäen könnte, denn dies war die Bedingung, die Allah
seiner Gabe gesetzt hatte. Ein Feind aber neidete dem Herrscher
diesen Schatz und wollte ihn vernichten. So sandte er auf den Rat
seines Wezirs einen Mann dorthin, der ein gar geschickter Gärtner
war ; der schlich sich listig in die Gunst und das Vertrauen aller, bis
es ihm gelang, Nimbabäume und Paggaschlinggewächse um den
Wunderbaum zu pflanzen. Da wurden die Früchte alsbald bitter und
verloren ihre Heilkraft, und niemand vermochte die Ursache dieser
Veränderung zu erkennen. Nun hatte aber jener Inderfürst einen
Kanzler, der Prophetengabe besaß und Einsicht in die Geheimnisse
des Alls, und dieser ließ die giftigen Gewächse aus dem königlichen
Garten roden und fortan trug der Wunderbaum wieder die köstlichen
zauberwirkenden Früchte."
Alle die dunklen Wolken, die gewitterdrohend das Firmament um"
zogen hatten, waren geschwunden, in leuchtendem Blau erstrahlte der
Himmel des Glückes. Selig vereint lebten Meimun und Chodscheste noch
lange und Allah schenkte ihnen Kinder, die der Eltern Ebenbilder waren.
Und hochgeehrt blieb der weise Papagei ihr Berater, bis sie alle der
weise Ratschluß des Geschickes zu den Freuden im Jenseits rief.
So schließt das Papageienbuch. Der Kiel
des Rohrs ward stumpf und es entsinkt der Stiel
der Hand, als wollte sie der Schreibkrampf lähmen.
Euch gibt dies Buch im reichen Märchenspiel,
daraus des Lebens Richtschnur euch zu nehmen,
des klugen Rates und der Lehren viel;
es bringt den Trost für alles Liebesgrämen,
befolgt ihr nur, was euch darin gefiel.
Indes: zu einem müßt ihr euch bequemen,
ihr Fraun am Euphratstrand, am reichen Nil,
in Indien, im Wunderlande Yemen,
und ihr auch in des Abendlands Exil:
soll euch nicht höhre Weisheit arg beschämen,
Lust oder Neugier sei des Herzens Ziel!
* 99
EIN NAC HWORT
VON DER SYMPHONIE DER DICHTUNG
Wohl jeder, der hiehergelangt ist und rückschauend dem Zauber
nachsinnt, der diese Dichtung über Raum und Zeit getragen hat, mag
nach den Gesetzen forschen, deren Walten dieses Buch bezeugt. Weil
ich nun selbst, ans Ende vieler solcher Schöpfungen gelangt, mit den
Gedanken spielte, die sie wachgerufen hatten, so will ich den Versuch
wagen, des Rätsels Lösung, die ich mir selbst gab, wiederzugeben,
wohlbewußt, daß wahrer Zauber nicht wie Gaukelspiel verschwindet,
wenn man sein Wesen durchschaut hat.
Es drängt uns, Söhne unserer Zeit und unseres Landes, zum
Gleichnis aller Dichtung die bildende Kunst zu nehmen, von Szenen
und gezeichneten Figuren, von Bilderreichtum und von Farben zu
sprechen. Es liegt uns ferne, zur geheimnisvollsten und doch höchsten
Kunst, zur Musik, die Annäherung der Poesie zu suchen. Uns ist es
ein leeres Wort geworden, von der Musik der Worte zu reden, so
leer, wie zumeist von der Tonkunst selbst »gehandelt' wird, die eben
das Stiefkind aller Ästhetik geblieben ist. — Nur die Kinder, die
stets im Geist vergangener Zeiten leben, tragen noch in den jagenden
Epochen, die uns geboren haben, den Sinn der Ahnen in sich: die
unstillbare Freude an der Wiederholung, die gerade das Wesen der
Musik ist. Nur darum liegt auch in dem Satz Geist, der die Musik
„die Welt nocheinmal" nennt, denn auch sie ist unermüdlich und
nimmer ermüdend nichts anderes als eine ewige Variation zu einem
100
gegebenen Thema. Und kein Wort ist schöner als das von der
Sphärenharmonie. Alles das weiß das Kind allein und das Altern läßt
es uns vergessen, wenn wir gepeitscht nach Neuem drängen. Wie uns
nur noch das alte Lied, die alte Melodie nicht ermüdet, sondern die
Lust dem Reiz des Vertrauten erliegt, wird das kindliche Gemüt immer
wieder die bekannten Märchen fordern, und die Stilistenkunst der
Ausdrucksmannigfaltigkeit verführt es nicht. — Und wollte man selbst
all dieses leugnen, so müßte man darum bei der Betrachtung von
Fragen der Kunst zur kindlichen Seele als einem Spiegelbild ein'
facherer Zeiten blicken, weil niemals entwickelte Stadien richtige
Forschung zulassen, so wie man vor der Entdeckung der Protoplasma"
zelle vom Leben und seinen Formen auch nichts ahnte.
Gleichwie das Kind empfindet der Orientale den musikalischen Wert
der Rede, die zum Gesang wurde oder aus ihm entstand. Noch heute
rezitiert der Inder seine uralten heiligen Dichtungen in jahrhundertelang
geübtem Steigen und Fallen der Stimme; die komplizierten Rhythmen
seiner Versarten sind wohl gleichfalls nur so zu erfassen und manche
Zukunftsmusik der Forschung darf man in ihrer vollen Erkenntnis
ahnen. Vielleicht ist auch der Reim aus diesem Geist geboren, zumal
der kunstvoll gefügte, wie ich ihn persischen Vierzeilern nachzuahmen
versuchte, wenn auch freilich mit den Änderungen, die mir für die
deutsche Sprache angemessen schienen. — Künftigen glücklicheren Zeiten
bleibt allerdings die Lüftung des großen Geheimnisses aus diesem
Reigenspiel von Rechenmeisterschaft und Seelenkunde vorbehalten.
So liegen alle diese Werke vor mir als Adagio con variazioni,
umspielt von vielen, vielen Seitenfiguren und doch machtvoll und
klar festhaltend an dem Hauptthema, das die ersten Bogenstriche an'
gaben, zurückkehrend nach aller Durchführung zu ihm und endigend
in der ersehnten erlösenden Tonika.
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Vom Orient und der Romantik 5
Warum der kluge Papagei der schönen Chodscheste die Märchen
erzählte 11
Bajazid Bustamis Lehre vom Wesen der Liebe . 16
Wie der treue Papagei die Gatten neu versöhnte 16
Vom König Bikermadschit und dem Derwisch 19
Wie Bikermadschit sein Leben aufs Spiel setzte 21
Von der jungen Frau und dem klugen Schakal 24
Die Geschichte von der Dummheit des Katers 26
Wie der Elefant den kleinsten Tieren erlag 26
Die Erzählung von Pelenk'Firib und dem Tiger 29
Wie die edle Frau die Ehre ihres Gatten rettete 32
Die Geschichte von der treuen Schildwache 34
Der Jüngling von Bagdad und sein Mädchen 39
Von der unverwelkbaren Rose der Keuschheit 45
Die geistvolle Tochter des Wezirs von Kirman 51
Die Geschichte vom Spruch der Kaiserstochter 56
Von der schönen Dilefruz und ihrer Treue 59
Die Geschichten mit den ungelösten Rätseln 62
Wie es den Liebhabern der Holzjungfrau erging 69
Der König Kamru und sein gefangener Papagei 71
Wie Schahrara den Gatten durch ihre List betrog 74
Von der Frau, die den Mann der Untreue zieh 76
Die Frau, die Staub statt Zucker heimbrachte 77
Der Trug, den die Frau eines Bauern erfand 77
Wie der Beduine den Kalifen Mamum zurechtwies 80
Wie es Bahram zu seinem eigenen Leid erging 81
Von den Zauberern und dem erweckten Greif 83
Wie Zarifa sich aus der schwersten Not rettete 85
Vom Töpfer, der den Kriegshelden spielte 88
Die lebenwahrende Klugheit des Hengstes 89
Die Geschichte vom wundersamen Schicksal 93
Ein Nachwort: Von der Symphonie der Dichtung 100
- . ftiHi ^ jyb'J
PK Tuti-namah
6550 Das persische j^apageienbuch
T815
1922
PLEASE DO NOT REMOVE
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY