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Full text of "Das Studium der hebräischen Sprache in Deutschland vom Ende des XV. bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts"

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Presented  to  the 

LIBRARY  ofthe 

UNIVERSITY  OF  TORONTO 

by 


DR.    OSCAR  SINGER 

AND 

DR.  WILLIAM  SINGER 


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TUDIUM 


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Hebräischen  Sprache. 


Das  S 


tudium 


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EBRÄISCHEN     SpRACHE 


Deutschland 


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vom  Ende  des  xv.  bis  zurMjtte  des  xyi.  Jahrhunderts. 


Von 

A 


Ludwig  Geiger 


Breslau  1870. 


ScHLETTER^SCHE    BUCHHANDLUNG 
ji.  ^KUTSCH. 


Inhalt. 

Seite. 

Vorbemerkung VII 

1.  Verhältniss  des  hebräischen  Sprachstudiums  zu  der  geistigen  und 

religiösen  Bewegung  der  Zeit 1 

2.  Die  Vorgänger  Reuehlin's 18 

3.  Johannes  Keuehlin      23 

4.  Johannes  Böschenstein  und  Matthäus  Adrianus 41 

5.  Die  Schüler  des  Elias  Levita.  —  Sebastian  Münster  und  Paul  Fagius  55 

6.  Die  Universitäten 89 

7.  Die  Schulen      „ 123 

8.  Schluss      '...." 129 

Nachträge ' 132 


Vorbemerkung. 

Urne  Geschichte  der  wissenschaftlichen  Ausbildung  der 
hebräischen  Sprache,  ihrer  Grundzüge,  ihrer  Regeln,  will  ich 
nicht  geben.  Dazu  ist  der  Stoff  zu  gering,  zu  wenig  Originales, 
das  geschaffen  wurde,  fast  nur  häufiges  Betreten  des  einmal  ein- 
geschlagenen Weges,  ohne  rechte  Entwicklung  und  Veränderung. 
Das  ist  auch  nicht,  was  eine  Betrachtung  der  allmählichen  Aus- 
breitung hebräischer  Sprachkenntniss  in  Deutschland  so  überaus 
interessant  und  lehrreich  macht ;  was  das  Interesse  weckt,  das  ist 
vielmehr  der  enge  Zusammenhang,  in  dem  das  Studium  der 
hebräischen  Sprache  mit  den  geistigen  Richtungen  der  Zeit,  mit 
Humanismus  und  Reformation,  steht. 

Dass  ich  mich  nicht  mit  einer  Aufzählung  der  Manu  er  be- 
gnügt habe,  die  sicli  in  dieser  Beziehung  ausgezeichnet  haben, 
sondern  über  ihr  Leben  Manches,  bald  mehr,  bald  weniger,  mit- 
getheilt  habe,  wird,  wie  ich  hoffe,  keiner  Entschuldigung  bedürfen. 
Zarncke  sagt  einmal  (Einleitung  zu  Sebastian  Brants  Narren- 
schiff p.  IX.  A.  1)  in  Betreff  einzelner  Humanisten,  dass  „ihre 
Lebensschicksale  gleichsam  eine  Verkörperung  ihrer  geistigen 
Thätigkeit  sind1';  dasselbe  gilt  auch  von  einem  Theile  der 
Männer,  deren  Studium  auf  eine  Erforschung  und  Verbreitung  der 
hebräischen  Sprache  gerichtet  war.  Aber  von  dem  Fehler, 
jedes  Mannes,  von  dessen  Leistungen  zu  reden  ist,  Leben  und 
Schicksale  zu  erzählen,  so  wenig  sie  auch  mit  dessen  wissenschaft- 
licher Thätigkeit  in  Zusammenhang  stehen,  hoffe  ich  mich  frei- 
gehalten zu  haben. 


Vin  Vorbemerkung. 

Die  Betrachtung  erstreckt  sich  nur  bis  zu  Ende  des  soge- 
nannten  Reformationszeitalters,  ohne  enge  Festsetzung  von  Grenz- 
jahren; die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  ist  von  der  ersten 
völlig  abhängig.  Von  Bedeutung  wird  die  Zeit  erst  dann,  wenn 
am  Ende  des  16.  und  Anfang  des  17.  der  ältere  Buxtorf  eine 
neue  Aera  hervorruft. 

Zum  grossen  Theil  ist  die  Arbeit  in  Paris  entstanden.  Wa 
die  Schätze,  auch  die  handschriftlichen,  der  dortigen  kaiserlichen 
Bibliothek  boten,  halte  ich  eingesehen.  Von  deutschen  Bibliotheken 
habe  ich  die  hiesige,  die  Darmstädter,  Heidell  »erger,  Bonner  und 
Göttinger,  Einiges  aus  der  Münchener  und  BöcMngs  Sammlung 
in  Bonn  benutzt.  Das  daraus  Gewonnene  schien  mir  hinreichend. 
um  ein  Bild  zu  gelten.  Schriften,  die  ich  nicht  selbst  gesehen, 
habe  ich  meist  nur  dann  anführen  zu  müssen  geglaubt,  wenn 
ich  Kenntniss  von  ihnen  aus  Büchern  schöpfen  konnte,  in  denen 
auch  der  Inhalt  besprochen  wurde,  oder  sie  in  zeitgenössischen 
Schritten,  wie  Neanders  Erotemata  u.  A.,  angeführt  fand.  Denn 
bibliographische  Verzeichnisse  wollte  ich  nicht  liefern. 

üebrigens  kann  ich  auch  für  diesen  Theil  der  Arbeit  auf  die 
Angaben  von  Steinschneider  im  Catalogus  librorum  hebraeorum 
in  bibliotheca  Bodlejana,  Berolini  1852 — 1860,  verweisen.  Von 
Werth  wäre  es  für  mich  gewesen,  wenn  mir  dessen  Schrift:  Biblio- 
graphisches Handbuch  über  theoretische  und  praktische  Literatur 
für  hebräische  Sprachkunde,  Leipzig  1859,  die  Recension  über  die- 
selbe von  Gildemeister  in  der  Zeitschrift  der  deutsch -morgen- 
ländischen Gesellschaft,  Bd.  XIV,  Leipzig  1860,  S.  297— 308, 
und  Steinschneiders  "T>3]pn.  Hebräische  Bibliographie.  Blätter 
für  neuere  und  ältere  Literatur  des  Jüdenthums,  8  Bde.,  Berlin  1858 
bis  1865,  früher  bekannt  geworden  wäre,  als  nachdem  meine  Arbeit 
abgeschlossen  und  zum  grössten  Theil  gedruckt  war.  So  konnte 
daran    nur  Einiges  in  den  Nachträgen  berichtigt  und  ergänzt  werden. 

Frankfurt  a.  M.,  21.  Novhr.   1869. 

Der  Verfasser. 


I. 

Verhältniss  des  hebräischen  Sprachstudiums  zu  der 
geistigen  und  religiösen  Bewegung  der  Zeit 

Man  nennt  nicht  mit  Unrecht  die  Zeit  des  ausgehenden 
15.  und  des  beginnenden  16.  Jahrhunderts  die  Periode  der 
Wiederbelebung  der  Wissenschaften.  Aus  langem  Schlafe 
wurde  mit  den  übrigen  auch  die  hebräische  Sprache  wieder 
ans  Licht  gezogen.  Die  Bücher  der  Bibel,  die  in  dieser  Sprache 
geschrieben  waren  und  die  auch  die  Kirche  als  heilige  ver- 
ehrte, waren  bisher  nur  in  der  lateinischen  Uebersetzung  und 
zwar  auch  nur  den  Geistlichen  bekannt,  deun  den  Laien  waren 
sie  zu  lesen  verboten.  Die  Kenntniss  der  Sprache  blieb  bei 
den  Juden;  sie,  das  ganze  Mittelalter  hindurch  gedrückt  und 
gehetzt,  gelangten  in  Deutschland  nur  zu  geringer  wissen- 
schaftlichen Ausbildung  und  schriftstellerischen  Thätigkeit  in 
derselben. 

Die  Christen  begehrten  ihre  Unterweisung  nicht.  Die 
Unwissenschaftlichkeit  des  Zeitalters,  das  in  einem  barbari- 
schen Latein  genügenden  Behelf  erblickte,  war  zu  gross,  um 
Sehnsucht  nach  der  „heiligen"  Sprache  zu  erwecken;  dazu  kam 
der  Hass  gegen  die  Juden :  man  wollte  von  Denen,  die  man  im 
Leben  verachtete,  auch  wissenschaftlich  keine  Förderung  er- 
fahren. Man  brauchte  das  ganze  Mittelalter  hindurch  —  in 
Deutschland  freilich  am  wenigsten,  da  besass  man  andere, 
wirksamere  Mittel,  mehr  in  Frankreich,  Italien,  Spanien  — 
das  Hebräische  meistens  zur  Bekehrung  der  Juden.  Da  wur- 
den Disputationen  veranstaltet,  auf  der  einen  Seite  die  Juden, 
die  ängstlich  jedes  Wort  ihrer  Schriften    zu  vertheidigen  ent- 

Ge  ig  er  ,  Studium.  [ 


'2  Verhältnis  Ses  hebräiscnen  Sprachstudiums 

schlössen  waren,  trotz  Kerkerqualen  und  Scheiterhaufen,  auf 
der  anderen  Uebergetretene,  die  ihre  im  Schosse  des  Juden- 
tums gewonnene  Kenntniss  der  Sprache  zum  Angriff  gegen 
ihre  früheren  Glaubensgenossen  verwerteten.  Lernte  je  ein 
Christ  Hebräisch,  so  geschah  es  durch  Vermittelung,  mit  Hülfe 
solcher  getauften  Juden,  ohne  dass  es  wirklich  einer  zu  tieferer 
und  genauerer  Kenntniss  gebracht  hätte. 

Jeder,   der  die  Geschichte  des  15.  und  16.  Jahrhunderts 
kennt,  weiss,  dass  trotz  allen  freien  Sinnes,  der  hier  erwachte 
und  gepflegt  wurde,  der  Hass  gegen  das  Judenthum  noch  zu 
den  Dingen  gehörte,  die  man  als  Erbe  des  Mittelalters  über- 
kommen   hatte.      Aber    eines    war    gesehwunden:    die    Un- 
wissenschaftlichkcit.    Wie  befreit  aus  Fesseln  und  Banden 
stürzte  man  sich  auf  Alles,  was  man  erhaschen  konnte,  jedi 
Wissenschaft  wurde  gepflegt,  jede  Kunst  geübt,  jede  Sprache 
gelernt.     Eine  gewaltige  Reaction    trat    fast    in   allen  Dingei 
hervor,  so  auch  hier.     Mit  Eifer  und  Ernst  wurde  die  hebräi 
sehe  Sprache  betrieben,  ihre  Denkmale  erforscht,  hier  glaubt« 
man  nun  den  Quell  aller  Offenbarung  gefunden  zu  haben. 

Die  lateinische  Sprache  war  die  gelehrte  Umgangssprache 
sie  musste  Jeder   kennen,    der  auf  wissenschaftliche  Bitdun. 
Anspruch  machen  wollte;   am  Anfange   der  Periode,    die  im 
hier  beschäftigt,    war    das   Griechische    hinzu   gekommen   - 
man  bezeichnete   sie  kurzweg  mit   utraque   lingua;   jetzt  wa 
das  Studium  des  Hebräischen  mit  in  die  Reihe  aufgenommr 
worden,    trium  linguarum   peritus   zu   sein,    galt   als   chrem 
Bezeichnung,  die  gern  Jeder  sich  erwarb.    Man  hatte  am  Ent 
des  15.  Jahrhunderts  angefangen    auch   in  den  Schulen  Gri< 
chisch  zu  lehren,    jetzt    trat   das  Hebräische   als  Unterricht 
Gegenstand  hinzu;  collegia  trilinguia  gehörten  nun  zu  den  b 
liebten   Einrichtungen:    ich    erinnere    nur    an    das    Collegiu 
Buslidianum,  um  das  sich   Erasmus  viel  Mühe  gab'). 

Und  nun  wurde  es  auch  auf  den  Universitäten  aufg 
nonnnen.  Als  Petrus  Moscllanus  1518  in  Leipzig  Griechis 
zu  lehren  anfing,  da  ermahnte  er  in  dem  Schreiben,  mit  de 
er  seine  Eröffnungsrede  dem  Herzog  Georg  von  Sachsen  /. 
schickte:   nun  möge  er  auch,   nachdem    er  für  andere  Lehr 

*)  Näher  darauf  wird  bei  Matthäus  Adriänus  einzugehen  sein. 


eu  der  geistigen  arid  religiösen  Bewegung  der  Zeit.  !$ 

gesorgt,  einen  senden,  der  das  Hebräische,  die  heilige  Sprache, 
lehren  könne,  damit  Niemand  etwas  vermisse,  was 
zu  einer  wohl  eingerichteten  Universität  gehöre1); 
und  im  Verlaufe  der  Rede  meint  er,  es  gebe  keine  wissen- 
schaftliche Beschäftigung.,  die  nicht  aus  der  Kenntniss  der 
Sprachen,  namentlich  des  Griechischen  und  Hebräischen,  För- 
derung erhalte,  ja  jede  bleibe  mangelhaft  und  dunkel,  wenn 
eine  von  diesen  fehle2).  Man  kann  sagen,  die  Verehrung 
steigerte  sich  mit  jedem  Tage.  Seinen  Jüngern  flösste  der 
Meister  —  wem  ist  es  nicht  bekannt,  dass  dies  Reuchlin  war? 
—  immer  mehr  Fleiss  zur  Erlernung  der  Sprache  und  mit  der 
Erlernung  immer  grössere  Hochachtung  und  Liebe  ein. 

Es  sei  erlaubt  ein  Beispiel  zu  bringen.  Georg  Wicel  — 
als  eifriger  Gegner  Luthers  bekannt  -  hoffte  1532  etwa  als 
Professor  der  hebräischen  Sprache  nach  Erfurt  berufen  zu 
werden.  Er  hatte  eine  Rede  bereits  ausgearbeitet  „zum  Lobe 
der  hebräischen  Sprache" ;  da  der  Ruf  nicht  an  ihn  kam ,  so 
gab  er  die  Rede  im  Druck  heraus 3).    Die  hebräische  Sprache 


!)  1.  Aug.  1518  De  variarum  linguarum  cognitione  (über  die  Eede  selbst 
vgl.  Schmidt:  Petrus  Mosellanus  Leipzig  1867,  S.  30  ff.)  Postremo  cum  ex  Cle- 
mentina sanctione  didicisses,  in  publicis  scholis  trium  linguarum  doctores  foven- 
dos,  ne  hie  tuae  Academiae  quiequam  deesset,  iam  in  tertium  annum  ntrinsque 
Linguae  professores  et  sumptu  tuo  foves,  et  autoritate  tueris.  Nee  dubita- 
mus,  quin  brevi,  ubi  per  aliquam  occasionem  licuerit,  et  sanetae,  hoc  est 
Hebraicae  linguae  magistrum  tua  celsitudo  nobis  sit  procuratura .  ut 
posthac  nemo  quiequam,  quod  ad  instruetissimum  gymnasium 
attinet,    sit  hie  desideraturus. 

2)  D  2  (Baseler  Ausgabe  1519  p.  27)  nullam  esse  literariam  professio- 
nem,  quae  non  cum  ex  aliarum  linguarum,  tum  vero  maxime  Graecae  et 
Hebraicae  cognitione  lucem  aeeipiat,  tum  nullam  disciplinam  non  fore  man- 
cam  et  tenebrosam,  si  altera  harum  desit.  Ich  will  nicht  verschweigen,  dass 
Andere  in  diese  Werthsehätzung  —  namentlich  in  das  Betonen  der  Noth- 
wcndiglceit  dieser  Kenntniss  —  nicht  einstimmten.  Rudolf  Agrikola  sagt 
in  dem  Schriftchen  De  formando  studio  über  die  sacrae  literae:  quarum 
cognitio  magis  ad  ornamentum  animi  nostri,  honestamque  voluptatem,  quam 
ad  necessaiüum  utique  usum  pertineat.  Wicel  in  der  gleich  anzuführenden 
Rede  meint  auch:  partim  ut  quae  non  ita  multum  utilitatis  afferat ,  partim 
quae  habeat  plurimum  dif ficultatis ,  nihil  voluptatis  aut  gratiae.  Das  seien 
die  Gründe,  quae  abhorreant  ab  ca  addiscenda.  Aber  er  hält  das  freilich 
•für  unrecht. 

3)  Oratio  in  laudem  Eebraicae  linguae.  Autore  Georgio  Vicelio, 
MDXXXIIII.    11  BU.  SO.     (Aus    der  Münchener  Bibl.)     Widmungsbrief  an 

1* 


4  Verhältnis)  des  bebräücnen  Sprachstudiums 

—  so  ist  etwa  der  Grundgedanke  —  sei  vor  allen  würdig 
mit  Eifer  betrieben  zu  werden,  von  Moses  leite  sie  ihren  Ur- 
sprung ab,  Gott  selber  habe  sie  geredet,  Christus  und  die 
Apostel  hätten  sich  ihrer  bedient.  Er  wolle  den  classischeu 
Studien  nicht  zu  nahe  treten,  aber  der  heiligen  Sprache  müss- 
ten  sie  uachstehen.  Ihre  Kenntnis«  besitze  Yortheile,  kleine 
und  grosse,  zum  Kampf  gegen  die  Ungläubigen,  zur  Stützung 
des  eigenen  Glaubens,  ja  selbst  zum  Gebete1)- 

Kann  es  uns  da  wundern,  wenn  bei  diesem  nicht  etwa 
auf  den  einen  Mann  beschränkten,  sondern  fast  unter  dem 
ganzen  Kreis  der  Humanisten  und  Reformatoren  verbreiteten 
Enthusiasmus  —  von  den  bedeutenderen  Gelehrten  in  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrb.  ist  mir  nur  von  Erasinus  bekannt,  dass 
er  fast  oder  gar  kein  Hebräisch  verstand2)  —  auch  eine 
Reaction  sich  zeigte,  wenn  sich  ein  Streben  kundgab,  die 
classischeu  Studien  mehr  in  den  Vordergrund  zu  stellen,  ihnen 


Bernardus  Gualtherus  20;  März  1534:  oratidnem...  quam  Erphurdiae,  si  per 
quorundum  invidiam  Rudimenta  hebraica  tradere  licuisset,  in  Academia 
anl  e  sesquiannium  am  plins  pub  lice  habiturus  fueram..  tibi  dono. 

i)  Um  nicht  die  ganze  Hede  abzuschreiben,  citire  ich  nur  zwei  Steiler : 
Quo  nam  dialecto  egressae  sunt  dei  Hebraeorum  dulcissimae  promissiones, 
blandissima  solatia,  iustissimae  minae,  denique  potentissima  quaeque  verba 
ad  patres Hebraeos,  nisiHebraea?...  und:  Mirum  dictu  est,  quanto  vehemen- 
tius  soletur  atque  veneretur  precans  hebraice,  quam  si  quis  graece  aut  latine 
precetur.  Vim  vividam  addunt  tibi  voces  sacratissimae,  adeoque  sonus  ille. 
Als  Beweis,  dass  diese  Meinung  nicht  vereinzelt  blieb,  vielmehr  last  ein 
Jahrhundert  noch  fortwirkte,  citire  ich  eine  Stelle  des  Bartholomaeus  Sche- 
raeus  in  Itincrarium  in  Psalterium  Davidis  Hebraeum.  Witeb.  1612.:  Anti- 
qua et  prima  omniüm  est  lingua  hebraea,  est  saneta  et  illabata,  et  statim 
in  paradiso,  et  postea  extra  cum  in  rudi  et  nondum  habitato  mundo  sonare 
coepit,  et  vult  aecurate  exeoli  ac  conservari  in  vitam  aeternam  usque. 

2)  De  Hebraicis  literis  nihil  arrogo  mihi,  quas  primoribus  dumtaxat 
gustavi  labris.  Erasmus  an  Reuchlin  in:  Epistolae  illustrium  virorum  ad 
Beuchlinum.  Bagenoae  1519  s  3b.  Den  Grund,  warum  er  es  nicht  gelernt 
habe,  <,ribt  er  an:  Coeperam  ei  Hebraica  attingere,  verum  peregrinitate  ser- 
niDiiis  deterritus,  simul  quod  nee  aetas,  aec  Lngenium  hominis  pluribus  rebus 
pariter  sufficit,  destiti.  Angeführt  bei  Hess:  Erasmus  von  Rotterdam  I. 
s.  107  Anm.  *  Vgl.  auch  Raumer:  Geschichte  der  Pädagogik  I.  S.  95.  Was 
andere  bedeutende  Humanisten  anbetrifft,  so  überschreibt  /..  l'>.  Thomas  Vena- 
torius  ein  Gedicht  an  Pirckheimer :  Bilibaldo  Pirckheimer,  Hebraeae,  Graecae 
ac  Latinae  linguae  vir«»  eruditissimo(Bilib.Pirckh.  *  >pp,  ed.<  roldast  Francof.  1610 
p.  46);  Mutian  Lässt  sich  von  Heinrich  Drban  Reuchhris  hebräische  Grammatik 
kauten  (Manuscript  der Mutian'schen  Briefe  in  der  Krankt.  Stadtbild.  Pol.  20a). 


zu  dei  tfci^t ijjrcn  and  religiösen  Bewegung  dei  Zeit.  0 

den  Platz  wieder  zu  erringen,  den  sie  wenige  Jahrzehnte  vor- 
her eingenommen  hatten?  Da  ist  eine  bezeichnende  Acussc- 
rung,  die  in  klagendem  Ton  Heinrich  Loriti  Glareanus  an 
Pirckheimer  schreibt:  wie  die  Kenntnis*  der  griechischen 
Sprache  wieder  hergestellt  werden  könnte,  das  sehe  er  nicht; 
schreien  ja  die  Leute,  Griechisch  und  Lateinisch  zu  studiren, 
sei  nicht  nothwendig,  es  sei  genug,  wenn  man  Hebräisch  verstehe 
und  Deutsch ') ;  da  beschwert  sich  Erasmus  bei  Melanchton, 
dass  man  öffentlich  zu  Strassburg  und  an  anderen  Orten  lehre, 
man  brauche  jetzt  keine  Wissenschaften  und  keine  Sprachen 
mehr  zu  lernen  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Hebräischen2). 

Das  ist  —  wenn  den  Ausdruck  zu  gebrauchen  gestattet 
ist  —  die  Klage  des  untergehenden  Humanismus;  die  Refor- 
mation war  über  ihn  hinweggeschritten,  in  ihrem  Gefolge  hatte 
das  Studium  des  Hebräischen  neue  Pflege  gefunden.  Denn 
neben  der  erwachenden  Wissenschaftlichkeit  war  ein  Haupt- 
grund zum  Studium  der  Sprache  die  theologische  Rich- 
tung der  Zeit.  Man  ging  auf  die  Bibel  zurück,  aus  ihr  nur 
wollte  man  Belehrung  schöpfen,  nur  aus  ihr  konnte  eine 
Widerlegung  der  gegnerischen  Ansichten  gegeben  werden. 
Was  Wunder,  dass  man  nach  der  Ursprache  verlangte,  sie 
bei  Uebersetzungen  in  die  Muttersprache  zu  Grunde  legte. 

Es  hat  schon  vor  Luther  deutsche  Bibelübersetzungen  ge- 
geben, keine  hatte  die  rechte  Zeit  und  das  rechte  Wort  so 
zu  treffen  gewusst  wie  die  seine.  Allzubedeutend  war  Luthers 
Kenutniss  des  Hebräischen  freilich  nicht,  bei  der  Bibelüber- 
setzung bediente  er  sich  der  Hülfe  des  hebräischkundigen  Johann 
Forster,  bei  seinen  Kommentaren  musste  ihm  der  jeweilige 
Professor  der  hebräischen  Sprache  in  Wittenberg  zur  Hand 
^chen;i).  Aber  an  unzähligen  Stellen  seiner  Schriften  betont 
er  die  Notwendigkeit  hebräischer  Sprachkeimtuiss. 


& 


i)  Pirckheimeri  Opera  ed.  Goldast,  Francofurti  1610,  p.  B14.  Egout... 
graecae  linguae  notitia  restituatur ,  plane  non  video.  Et  tarnen  lii  magno 
boatu  elamitant  non  esse  graece  (sie)  latinove  studendum,  sat  esse,  si  hebraice 
ac  germanice  sciamus. 

2)  Angeführt  bei  Döllinger:  Die  Reformation  (Regensburg  1846)  I. 
S.  437,  Anm.  54. 

3)  Ein  hebr.  Buch,  das  ihm  Anisdorf  geschickt  hatte,  übergibt  erAuro- 
gallus:  excedit  enim  vires  meas,  s.  de  Wette:  Luthers  Briefe  II,  S.  612,  und 
schreibt  seinen  Inhalt  nach  dessen  Angabe  a.  a,  0.  8.  625.  Er  sagt  einmal  selbst 


6  Verhältnis  des  hebräischen  Sprachstadiums 

Doch  macht  sich  ein  Umstand  schon  hier  bemerklich. 
Dem  Theologen  war  die  Sprachkcnntniss  nicht  mehr  die 
Hauptsache.  Er  brauchte  sie  nur  als  Mittel,  um  mit  ihr  aus- 
gerüstet die  Bibel  verstehen,  zu  seinen  Zwecken  benutzen  zu 
können.  Da  war  ihm  denn  bedenklich,  dass ,  um  die  Bibel 
recht  begreifen  zu  können,  man  sich  nicht  auf  den  Urtext  be- 
schränken konnte,  sondern  die  jüdischen  Commentatoren,  die 
Rabbinen,  zum  Studium  mit  herbeiziehen  musste.  Den  Kab- 
binen ist  nicht  zu  trauen,  das  ist  ein  Satz,  der  sich  durch 
alle  seine  Erklärungen  hindurchzieht.  Er  meint,  sie  haben 
die  Schrift  verdreht  und  gefälscht,  um  ihre  Träumereien  und 
Einbildungen  zu  erweisen.  Er  warnt  daher  vor  ihrem  Ge- 
brauch, ja  er  geht  so  weit,  den  Juden  nur  grammatische 
Kenntniss  zuzuschreiben  und  auch  diese  nur  in  beschränktem 
Maasse1),  Sacherklärnng,  Verständniss  des  wahren  Inhalts  sei 
bei  ihnen  nicht  zu  finden,  „so  müssen  wir's  thun,  die  Christen 
sind,  als  die  den  Verstand  Christi  haben,  ohne  wel- 
chen auch  d  i  e  K  u  n  s  t  d  e  r  S  p  r  a  c  h  c  n  i  c  h  t  s  i  s t 8)".  Schon 


von  sich:  Denn  ob  ich  mich!  wol  für  einen  vollkommenen  Hebräer  nicht  halte, 
:so  düncket  mich  doch  gäntzlich  etc.  Walch.:  Luthers  Werke  I,  901.  In 
einem  handschriftlichen  Briete  Luthers  an  Capito  (die  Notiz  verdanke  ich  der 
gütigen  Mittheilung  des  Herrn  Notar  Karseh  in  Hornbach)  prid.  Cal.  Maias 
1520  schreibt  Luther,  dass  er  mit  Melanchthon  um  hundert  Göldgulden 
hebräisch  lerne. 

!)  Man  kann  leichtlich  sagen,  dass  die  ebräische  Sprache  noch  nie 
wieder  aufgekommen  ist,  und  die  Juden  nicht  wissen  können  virtutem  om- 
niuni  voeabuloruin  acut  res  ostendit,  viel  weniger  wissen  sie  vim  Phrasis, 
figurarum  et  idiotiamomm.  Luthers  Werke  ed.  Walch  111,  2865  fg.,  nament- 
lich vgl.  auch  II,  2246. 

2)  Walch  XIV,  II).  Dafür,  dass  sich  die  Grammatik  der  Frkenntniss 
der  Sachen  unterordnen  muss,  eine  bezeichnende  Stelle  Walch  1.  1511  and 
de  Wette,  Luthers  Briefe  V,  S.  89—93.  Warnnng  vor  den  Rabbinen  ent- 
halten, ohne  dass  ich  die  Beispiele  häufen  will,  Walch  III,  2899,  1.  546  IV. 
Wen  erinnert  nicht  der  Satz  »So  sehen  wir,  dass  die.Grammatici. . .  theo- 
logische Sachen  nicht  verstehen«:  an  das  Wort  der  Kölner  Dunkelmänner: 
Non  miruni  si  Jurista  (Reuchlin)  non  attigerit  theologicas  subtilitates. 
Stellen  gegen  die  Rabbinen,  wie  II,  L458:  »Es  sind  die  verruchtesten  Leute 
und  werden  vom  Teufel  gefangen  gehalten  und  besessen«  sind  nichts  seltenes. 
vgl.  I,  2042  das.  1514  u.  A.  m.  Beiläufig  bemerke  ich,  dass  der  liier  und 
im  Folgenden  zum  Ausdruck  kommende  llass  gegen  die  Rabbinen  ein  be- 
wusster  oder  unbewusster  Gegensatz  gegen  die  Reuchlin'schen  Ansichten  ist. 
Reuchlin  sagt  (Augenspiegel  Fol.  XI 111',  wo  freilich  zunächst  die  Frage  zu 
erörtern  war,  ob  die  Coinmentare  verbrennenswerthe  Bücher  seien  oder  nicht, 


',u  der  geistigen  und  religiösen  Bewegung  dei  Zeit,  7 

die  früheren  UcbcrsctziiDgcn  hielt  er  für  verderbt,  die  70  Dol- 
metscher sind  die  „allerboshaftestcn  Leute  gewesen,  die  den 
König  Ptolemänm  Philadclphum  nur  zum  Narren  haben  woll- 
ten"; dass  sie  auf  Eingebung  des  heiligen  Geistes  übersetzt 
hätten,  will  er  nicht  glauben').  Er  ist  freilich  in  seiner  Kritik 
nicht  cousequent  genug.  Bald  giebt  er  den  Rabbinen  zu,  die 
Grammatik  spreche  zwar  für  sie,  aber  „weil  sie  nicht  wissen, 
quid  rei,  hilfet  und  fördert  sie  es  ^ichts,  dass  sie  wissen, 
quid  noniinis"  und  erklärt  es  der  Sache  nach  -'),  bald  weist 
er  sie  nach  der  Grammatik  zurecht. 

Der  Grundzug  dieser  Methode  findet  sich  aber  nicht  blos 
bei  Luther,  er  ist  ein  durchgängiger  bei  der  ganzen  Theologie 
der  Zeit,  zunächst  natürlich  bei  den  Anhängern  Luthers,  bei 
den  Reformatoren.  Ich  will  in  Beziehung  auf  ihre  Stellung 
gegenüber  den  Rabbinen  nur  auf  zwei  Punkte  aufmerksam 
machen :  Johann  Forster  oder  Förster,  mit  dem  wir  uns  später 
noch  werden  zu  beschäftigen  haben,  gab  1557  ein  hebräisches 
Lexikon  heraus,  er  hielt  es  für  nothwendig  hinzuzufügen,  nicht 
aus  den  Erdichtungen  der  Rabbinen,  aus  den  Schätzen  der 
heiligen  Schrift  selbst  sei  es  genommen3),  und  als  einige 
Jahre  darauf  Victormus  Strigclius  ein  in  Gutachtenform  ge- 
haltenes Urtheil  über  die  Uebersetzungen  der  Bibel  abgab, 
da  hielt  er  die  chaldäische  für  geeignet,  die  Nichtigkeiten  der 
Juden  zurückzuweisen;  die  der  Gegenwart  angehörenden  Ueber- 
setzungen aber,  ausser  der  lutherischen,  wie  die  Münsters  u.  A., 
die,  meinte  er,  dürften  nur  von  Hebräischkundigen  benützt 
werden,  weil  sie  oft  mehr  mit  den  Commentarien  der  Rabbinen 


das  Gutachten  sich  aber  von  dieser  besonderen  bald  zur  Beantwortung  der 
allgemeinen  Frage  erhebt) :  Ich  sag  auch  vnd  hab  des  meinen  anseger ,  dass 
sich  unsere  doctores  und  lerer  der  balligen  schritt  zu  verstentnus  des  texts 
inn  der  bibel  saer  und  last  sollicher  commenten,  glosen,  und  usslegungen 
müsseut   gebrauchen,    wöllent    sie    vor    anfechtung    fremds     glaubens    wul 

beston sollich  commentarien  kan  und  mag    die    christenlich    kirch  nit 

von  handen  lassen,  dau  sie  behaltten  die  hebräische  sprach  in  der  aigen- 
schaft  übung,  dero  die  hailig  schritt  nit  kan  mangeln,  besonder  in  alten 
testament. 

i)  Walch  VI,  1146  ff. 

2)  Walch  I,  493. 

3)  Non  ex  Eabinorum  commentis . .  sed  ex  ipsis  thesauris  SS.  bibliorum 
depromtum. 


8  Verhältnis  'le?  hebräischen  Sprachstudiums 

als  der  Erklärer  der  wahren  Kirche  übereinstimmten1).  Aber 
dieser  allgemeine  Hass  gegen  die  Rabbinen  ist  nieht  das 
Grnndprincip,  er  ist  nur  ein  Ausfluss  des  Gedankens,  von  dem 
man  beim  Studium  der  hebräischen  Sprache  geleitet  wurde, 
des  Gedankens,  seine  Theologie,  die  man  —  es  wurde  lächer- 
lich erscheinen,  wenn  man  nicht  so  gedacht  hätte  —  allein 
für  die  berechtigte  hielt,  in  der  Bibel  bestätigt  zu  finden.  Da 
mussten  die  rabbinischen  Gommentare,  die  ihrerseits  die  Grund- 
lehren des  Judcnthums  vertheidigen  wollten,  ein  Hinderniss 
bilden,  —  mau  stiess  sie  weg. 

Und  wie  die  Reformatoren,  so  brauchten  auch  ihre  Gegner 
die  hebräische  Sprache  zur  Stütze  ihrer  Theologie.  Eine  Rede 
Georg  Wieeis  ist  schon  erwähnt:  sie  mag  auch  in  dieser  Hin- 
sicht berührt  werden.  Auch  er  glaubte  aus  der  heiligen 
Schrift  Beweise  für  die  Wahrheit  seiner  Theologie  zu  ziehen, 
aber  er  warnte  vor  den  täglich  neu  erstehenden  Erklärern 
der  Schrift,  nur  wenn  man  mit  genügender  Kenntnis»  der 
Sprache  verschen  sei,  könne  man  die  Schrift  ohne  Gefahr 
benutzen2).  Aber  nicht  bloss  ein  rechtes  Verständniss  der 
Bibel  erschliesse  diese  neugewonnene  hebräische  Sprachkennt- 
niss,  sie  bringe  erst  die  rechte  Sicherheit  über  die  Wahrheit 
des  christlichen  Glaubens  hervor.  Wie  im  Allgemeinen,  so 
im  Besonderen,  wie  dem  Christen  überhaupt  Beweise  für  sei- 
nen rechten  Glauben,    so    gebe    sie   dem  Prediger  in   seinen 


*)  De  versionibus  Bibliorum  Judicium. 

Chaldaica  versio  est  luculenta  paraphrasis  textus  Ebraici  et  prodest  ad 

refutandaa  cavillationes   recentium  Judaeorura Reliquae    versionea   ut 

D.  Münsteri,  Castalionis  et  similes,  etsi  non  sunt  contemnendae ,  tarnen  quia 
interdum  magis  congruunt  i'uni  Rabbinorum  Commentariis  quam  cum  narra- 
fcione  interpretum  verae  ecclesiae,  magno  iudicio  et  non  nisi  a  peritis  Linguae 
sanetae  legendae  sunt. 

Vietorinus  Strigelius  anno  1565,  2(1.  Sept.  Lipsiae,  angeführt  boi 
Olearius,  Scrinium  antiquarium,  Arnstadt  1698,  p.  177  sq. 

2)  Die  Stelle,  die,  nacl  einer  lobenden  Erwähnung  des  in  allen  Fächern 
der  Wissenschaft  sich  zeigenden  löblichen  Eifers,  bezeichnend  genug  mit  den 
Worten  eingeleitet  wird  »Theologiae  sola  frigel  schola«  lautet:  Cotidie  exo- 
riuntur  novi  scripturae  interpretes  quoram  quisque  pro  suae  partis  coramodo 
sacras  literas  h'ansfert,  in  quibus  lustrandis  nisi  catus  (sie!  wahrscheinlicli 
cautus)  t'ueris,  ilico  in  errorem  praeeeps  eas  oportet.  Si  munitus  sis  huius 
linguae  scieutia,  pergrassari  vales  absque  allo  insidiosi  serjtentis  periculo, 


zn  der  geistigen  and  religiösen  Bewegung  der  Zeit.  ;) 

Reden  Stütze  und  Unterlage,  mache  geschickt  zum  literari- 
schen Kampfe,  namentlich  gegen  die  Juden.  Und  wer  die 
Sprache  nicht  kenne,  Alles  müsse  er  glauben,  was  ihm  auf- 
gedrungen werde.1) 

Doch  kann  man  nicht  sagen,  dass  in  der  katholischen 
Partei  diesclhe  Ucbereinstinimung  der  Ansichten  herrschte  wie 
in  der  evangelischen.  Wicel  gehörte  zu  denen,  die  einer  Re- 
form der  Kirche  innerhalb  des  katholischen  Glaubens  nicht 
abgeneigt  waren,  —  die  strengeren,  z.  B.  Joh.  Eck,  unterschie- 
den sich  von  ihnen  auch  in  der  Ansicht  über  das  Hebräische. 
Ein  Gegner  Ecks,  Andr.  Oslander,  hatte  bei  einer  Gelegenheit, 
die  wir  nicht  weiter  verfolgen  können,  behauptet,  „Gott  habe 
nicht  gewollt,  das  der  Juden  buecher  verbrent  wurden  der 
Christenheit  zu  gut,  damit  durch  hebräische  sprach  die  Chri- 
sten wider  zum  rechten  verstand  jhrs  glaubens  möchten 
kummen".  Das  läugnete  Eck,  denn  da  der  rechte  Verstand 
des  Glaubens  seiner  religiösen  Auffassung  nach  gar  nicht  ver- 
loren war,  so  bedurfte  es  keiner  Wiedergewinnung  desselben. 
Auch  sei  die  Sprache  für  die  christliche  Kirche  keine  heilige, 
die  Evangelien  seien  nicht  in  ihr  geschrieben,  mit  Ausnahme 
des  Briefes  an  die  Hebräer  und  des  Evangeliums  Matthäi ;  die 
Kirchenväter  hätten  sich  der  Sprache  nicht  bedient,  und  wäh- 
rend es  wohl  eine  lateinische,  griechische,  indianische,  arabi- 
sche, wendische  Messe  gebe,  habe  von  einer  hebräischeu 
Messe  noch  Niemand  gehört.  Interessant  ist  aber  namentlich, 
wie  er  das  Argument  gegen  die  Reformatoren  wendet  und 
ihnen,  die  von  dem  Wcrthe  der  hebräischen  Sprache  so  viel 
redeten,  vorwirft,  dass  sie  dieselbe  durchaus  nicht  in  der  Weise 
pflegten,  wie  sie  es  thun  müssteu,  im  Gegentheil  „allain  zu- 
weilen zu  einem  hoffertigen  bracht  und  unnützen  Spiegel- 
fechten" gebrauchten2).     Der  Vorwurf  ist   freilich   ungerecht- 


!)  Das  im  Text  Gesagte  steht  zerstreut  an  vielen  Stellen  der  Rede, 
eine  führe  ich  an:  Non  umquam  vidisti  Hebraeum  aenei  muri  instar  invic- 
tum  stare  in  conflictu,  quoties  ad  huius  linguae  praesidium  oecurrerit?  Qui 
posset  honio  Christianus  de  Judaeo  victoriam  reportare,  nisi  praesidiis  sanetae 
linguae? 

2)  Die  ganze  Auseinandersetzung  findet  sich  ziemlich  ausführlich  in 
Ecks  Schrift:  Ains  Juden  buechlins  Verlegung.  Ingolstat  MDXXXXI.  P  4h  bis 
Q  2b. 


10  Verhältnis«  des  hebräischen  Sprachstudiums 

fertigt.  Das  ist  zwar  richtig,  dass  die  Reformation  die  Kennt- 
niss  der  hebräischen  Sprache  nicht  wieder  ins  Leben  rief. 
Das  war  früher  geschehen:  zu  dieser  schöpferischen  Thätig- 
keit  hätten  die  Reformatoren,  deren  ganzes  Streben  mehr  ein 
den  Wissenschaften  ab-  als  zugeneigtes  ist,  weder  Sinn  noch 
Zeit  gehabt.  Aber  da  das  Studium  ihren  Zwecken  diente,  er- 
griffen sie  es,  und  in  der  theologischen  Rührigkeit,  die  sich 
in  Folge  der  Reformation  in  Deutschland  entfaltete,  wurde 
das  Studium  ein  allgemein  verbreitetes. 

Wenn  Eck  und  die  strenge  katholische  Partei,  deren 
Haupt  er  war,  in  dieser  Weise  keineswegs  die  hebräische 
Sprache  als  heilige  ansah,  ihr  nicht  dieselbe  Verehrung  an- 
gedeihen  liess,  mit  der  die  Reformatoren  sie  gepflegt  hatten, 
-  so  zeigt  sich  diese  verschiedene  Betrachtungsweise  auch 
in  etwas  Praktischem.  Wir  haben  gesehen,  Luther  hatte  der 
Rabbinen  Commentare  verachtet,  aber  er  übersetzte  die  Bibel 
nach  dem  Urtext;  Eck  ahmte  ihm  im  Ersten  nach,  aber  er 
verdolmetschte  die  Bibel  „wie  die  gesungen,  gelesen,  ge- 
braucht und  angenommen  ist  je  und  je  von  der  haiigen  latei- 
nischen kirchen",  es  kümmerte  ihn  nicht  „wie  es  in  Jüdisch, 
Kriechisch  oder  Chaldaisch  laut",  denn  auch  die  Juden  stimmten 
nicht  überein.  Auch  selbst  im  Aeusserlichen  wollte  er  sich 
nur  der  Annahme  der  Kirche  fügen,  uud  die  biblischen  Namen 
nicht  in  ihrer  hebräischen  Fassung:  Chava,  Hanah,  Cham, 
Gralgal,  sondern  in  der  lateinischen  Form  bringen1)- 

Freilich  schon  vor  dem  theologischen  Kampfe,  der  seit 
Luthers  Auftreten  mindestens  anderthalb  Jahrhunderte  fast 
vollständig  den  Geist  des  deutschen  Volkes  beherrschte,  war 
diese  Ansicht  aufgetreten ,  die  hebräische  Sprache  zum  Be- 
weise der  Wahrheit  des  Christenthums  zu  benutzen.  Das  ist 
freilich  keine  in  Deutschland  erstandene  Richtung,  sie  wurde 
aus  Italien  hierher  verpflanzt.  Man  grub  in  den  Schätzen  des 
Judenthums,  man  wollte,  da  mau  nun  der  fast  verloren  ge- 
gangenen Kcnntniss  der  Sprache  wieder  theilhaftig  geworden 
war,  auch  Alles  in  sich  aufnehmen,  was  in  ihr  vorhanden 
war,  --so  stiess  man  auf  die  Kabbalah. 


])  Einleitung  in  die  Bibelübersetzung  1536  abgedruckt  bei  Wiedemann: 
Dr.  Johann  Eck,  Regensburg  1865,  S.  618. 


zu  'Vr  tr>i^t iiron  um!  religiösen  Bewegung  der  Zeit.  1  1 

Die  Kabbalah1)  —  das  Empfangene  —  ist  die  jüdische 
Gekeimlehrc,  die  als  theoretische  in  den  Worten  und  Vor- 
schriften der  Bibel  und  des  Talmuds  einen  tieferen  als  den 
gewöhnlichen  Wortsinn  zu  finden  glaubt,  als  praktische  durch 
gewisse  Formeln  und  Künste  den  Menschen  Einfluss  auf  das 
Geisterreich  und  Gott  selbst  zuzuschreiben  sucht, 

Sie  hatte  unter  den  Juden  des  Mittelalters  zwar  dem  Cha- 
rakter der  Zeit  gemäss  grosse  Verehrung  erlangt,  aber  unter 
den  wirklich  wissenschaftlich  Strebenden  wenig  Gönner  ge- 
funden. 

Dagegen  wurde  sie  unter  den  Christen  von  Gelehrten  er- 
fasst,  die  ein  wirklich  tiefer  Forschergeist  und  Wissensdurst 
trieb.  Zuerst  in  Italien  von  Johann  Picus,  Grafen  von  Miran- 
dula  2),  der  in  Florenz  am  Hofe  des  Lorenz  von  Medici  lebte. 
Picus  lernte  sie  durch  einen  von  Constantinopel  nach  Italien 
eingewanderten  Juden  Jochanan  Aleman  kennen3).  Picus  hatte 
sich  kaum  ein  wenig  mit  ihr  bekannt  gemacht,  als  er  in  ihr 
eine  Begründung  der  christlichen  Lehre  zu  erkennen  glaubte. 
Er  meinte  die  Dreieinigkeit,  die  Fleischwerdung  des  Wortes, 
die  Ankunft  des  Messias,  die  Erbsünde  u.  s.  w.  in  ihr  wieder- 
zufinden, was  Paulus  und  Dionysius  gesagt,  was  man  bei 
Hieronymus  und  Augustinus  lesen  könne,  werde  in  allen 
diesen  Schriften  bestätigt.  „Man  denkt  Plato  und  Pythagoras 
zu  hören,  deren  Lehren  den  christlichen  so  nahe  verwandt 
sind,  kurz  die  Juden  können  nicht  mehr  wagen  ihre  Glaubens- 
sätze als  abweichend  von  den  uusrigen  darzustellen  *)".    Darin 


*)  Ueber  den  Ursprung  der  Kabbalah,  der  hier  nicht  untersucht  werden 
kann,  hat  Grätz,  Geschichte  der  Juden  Bd.  VII,  S.  442 — 458,  eine  ausführ- 
liche Auseinandersetzung  gegeben,  auf  die  ich  verweise. 

*)  geb.  146-2,  gest.  1494  MCCCCLXXXXini  anno  redemptionis  nostrae, 
Dum  ipse  seeundum  et  trigesinmm  aetatis  annuin  impleret ,  Florentiaeque 
moraretur ,  insidiosissima  correptus  est  febre.  Vita  Joh.  Pici  de  Mirandula 
per  Jo.  Franciscuni  Galeotti  Pici  tiliuni  vor  des  Ersteren  Werken  s.  1.  1504 
a  iiij  b. 

3)  s.  die  hebräische  Quelle  bei  Grätz  a.  a.  0.  Bd.  VIII,  S.  254,  Anni.  1; 
in  der  vita  Jo.  Pici  finde  ich  dies  nicht  erwähnt. 

4)  Vidi  in  illis  (nämlich  in  den  kabbalistischen  Büchern)  Religionem 
non  tarn  mosaicam  quam  christianam ,  Ibi  trinitatis  mysterium,  ibi  verbi 
incarnatio,  ibi  messiae  divinitates,  ibi  de  peccato  originali,  de  illius  per 
Christum  expiatione ,  de  celesti  Hierusalem ,  de  casu  daemonum ,  de  ordinibus 


12  Verhältnis  des  hebräischen  Sprachstudiums 

sind  ihm  auch  die  Späteren  nachgefolgt  und  namentlich  haben 
unter  den  christlichen  Gelehrten  Deutschlands  solche  kabba- 
listische Grübeleien  Eingang  gefunden. 

Durch  Picus'  Bemühungen  war  es  wohl  gelungen,  dass 
Papst  Sixtus  IV.  einige  kabbalistische  Bücher  ins  Lateinische 
übersetzen  lassen  wollte,  und  Picus  erzählt,  dass  drei  Bücher 
wirklich  übersetzt  wurden  l).  Und  Picus  Einfrass  ist  es  ferner 
zuzuschreiben,  dass  die  Kabbalah  Eingang  in  Deutschland 
fand  durch  Johann  Keuch lin.  Im  Jahre  1494  erschien 
sein  Werk:  Capnion  vel  de  verbo  mirifico.  Den  Zweck  dieser 
später  so  berühmt  gewordenen  Schrift  gibt  er  in  der  Wid- 
mung an  Johann  von  Dalburg,  Bischof  von  Worms,  dessen 
Freundschaft  er  seit  lange  genoss,  und  dessen  Bibliothek  ihm, 
wie  früher,  so  auch  bei  diesem  Werke  gute  Dienste  geleistet 
hatte,  mit  den  Worten  an2):  er  habe  gewagt,  auf  den  Rath 
und  die  Ermahnung  trefflicher  Männer  gestützt,  in  die  tiefen 
Dunkel  der  verborgenen  Worte  einzudringen,  die  Geheimnisse 
der  ältesten  Philosophie  aufzudecken,  und  die  Namen  zu  er- 
klären, mit  denen  Pythagoräer,  Juden  und  Christen  ihre  hei- 
ligen Gegenstände  bezeichneten-1). 


angelorum,  de  purgatoriis,  de  inferorum  poenis.  Eadem  legi  quae  apud 
Paulum  et  Dionysium,  apud  Hieronymum  et  Augustinum  quotidie  legimus. 
In  liis  vero  quae  speetant  ad  philosopliiam  Pythagoram  prorsus  audias  et 
Platonem  quorum  decreta  ita  sunt  fidei  Chri&tianae  affinita,  ut  Augustinus 
Qostei  immensas  deo  gratias.  agat,  quod  ad  eins  manus  pervenerint  libri 
platonicorum.  In  plenum  nulla  est  renne  de  re  nobis  cum  Hebraeis  con- 
troversia,  de  qua  ex  libris  Cababstarum  ita  redargui  convincique  non  pos- 
sint,  ut  ne  angulus  quidem  reliquus  sit  in  quem  se  condaut.  Job.  Picus  in 
Oratio  de  hominis  dignitate  in  den  Opera  J.  P.  Pol.  90a. 

')  Hi  libri  Syxtus  quartus  Pontifex  maximus  qui  hunc  sul>  quo  vivimus 
foeüciter  [nnocentium  VIII.  proxime  antecessit,  maxima  cum  studioque  euravit 
ut  in  publicam  fidei  uostrae  utibtatem  latinis  üteris  mandarentur.  Jamque 
cum  ille  decessit  tres  ex  illi.s  pervenerant  ad  latinos  a.  a.  0. 

2)  Er  rühmt  seine  inennarabilem  variarum  literarum  peritiam,  cuius 
testis  est  bibliotheca  illa  tua,  latinis,  graecis  et  bebraicis  voluminibus  referta. 
TJnus  Germanie  nostre  thesaurus,  quo  sum  uti  sobtus  semper  pro  animi  mei 
sententia.  De  verbo  mirifico  a  "Ja. 

3)  Tantas  tenebras  et  tarn  obfuscatä  sacratorum  immo  seci'etorum  ver- 
borum  latibula  Lngredi,  et  quasi  de  adytis  oraculorum  et  vetustissimae  philo- 
sopbiae  penetrabbus,  exponere  nostro  saeculo,  quantum  memoria  suppetit, 
uui versa  ferme  nomina,  quibus  superiori  aetatc  sapientes  homines  et  mira- 
culosis  operationibus  praediti  utebantur  in  sacris,  sive  pythagorica  fuerunt  et 


zu  der  geistigen  und  religiösen  Bewegung  der  Zeit,  13 

Die  äussere  Einkleidung  der  Schrift  ist  die,  dass  der 
Gegenstand  an  drei  Tagen  durchgesprochen  wird,  an  deren 
jedem  einer  der  Betheiligten  das  Hauptwort  fuhrt:  Sidonius, 
ein  Philosoph,  zuerst  für  einen  Epikuräer  gehalten,  von  dem 
man  später  findet,  dass  er  keiner  Schule  angehört  *),  Baruchias, 
ein  Jude,  und  Capnion  (die  gräcisirte  Form  des  Namens 
Reuchlin). 

Das  vcrbum  mirificum  ist,  wie  Capnio  am  dritten  Tage 
auseinandersetzt,  JHSVH,  nichts  anders  als  das  alttestameut- 
liche  JHVII  (d.  h.  die  Cousonanten  des  sog.  Tetragrammatons, 
des  Gottesnamens  Jehovah)  mit  Hineinsetzung-  eines  S2). 

Ein  tieferes  Eindringen  in  die  kabbalistischen  Ideen  und 
eine  grössere  Durchbildung  derselben  verrathen  die  drei  Bücher 
über  kabbalistische  Kunst,  Leo  X.  gewidmet,  die  erst  1517 
erschienen  sind3). 

Die  äussere  Einkleidung  ist  die ,  dass  Philolaus  der  Jün- 
gere, ein  Pythagoräer,  Marranus,  ein  Mahometaner,  nach 
Frankfurt  kommen,  um  sich  mit  dem  Juden  Simon,  einem 
kabbalahkundigen  Manne,  zu  unterreden.  Dass  Reuchlin  sich 
nicht  selbst  unter  den  Unterrednern  anführt,  hat  seinen  Grund 
sicherlich  darin,  dass  in  der  Schrift  mehrmals,  so  namentlich 
am  Anfang  des  2.  Buches,  auf  den  Reuchlin'schen  Streit  Rück- 
sicht genommen  wird,  der  damals  noch  immer  an  dem  päpst- 
lichen Hofe  Gegenstand  der  Verhandlung  war,  und  R.  nament- 
lich Philolaus  und  Marranus  sich  sehr  heftig  über  die  Kölner 


vetustiorum    philosophorum    sacramenta,    sive    Hebraeorum  Chaldaeorumque 
barbara  memoracula,   seu  Christianorum   devota  supplicia,   quae   de   illorum 
libris  atque  Unguis  in  hoc  opere  prompta  cernere  licet,  a.  a.  0. 
!)  Deinde  inventus  in  nullius  vevba  jurasse.  a  2  b. 

2)  Diese  Idee  wurde  dann  bildlich  von  Reuchlins  Drucker  Thomas 
Anshelm  Badensis  ausgeführt,  der  von  nun  an  über  seinem  Druckerzeichen 
in  einigen  Reucblinschen  Schriften  die  Buchstaben  JHVH  mit  dem  hinein 
verschlungenen  S  führte. 

3)  Joannis  Reuchlin  Phorcensis  LL.  Doc.  De  arte  cabbalistica  libri  tres 
Leoni  X  dicati.  Am  Schluss:  Hagenau  apud  Thomam  Anshelmum.  Mense 
Martio  MDXVII.  Ich  möchte  nur  beiläufig  hier  auf  einen  Umstand  aufmerk- 
sam machen :  Das  Werk  de  verbo  mirifico  hat  3  Theile,  3  sich  unterredende 
Personen,  3  Tage,  an  denen  der  Gegenstand  durchgesprochen  wird ;  ganz  die- 
selbe Gliederung  hat  de  arte  cabbalistica,  die  Rudimenta  hebraica  zerfallen 
ebenfalls  in  3  Bücher.  Sollte  hierin  nicht  auch  eine  Art  Zahlenspielerei,  der 
R.  eine  tiefere  Bedeutung  unterschob,  gesucht  werden? 


J4  Verh&Hnias  des  hebräischen  Sprachstudiums 

und  ihre  Schlechtigkeit  aussprechen  lässt.  Freilich  ist,  seiner 
ganzen  Gesinnung  nach,  in  dem  Philolaus  Reuchliu  unschwer 
zu  erkennen. 

Bleiben  wir  einen  Augenblick  stehen:  Man  sollte  nieinen, 
die  beiden  Richtungen,  die  wir  unterschieden  haben,  wären 
so  entgegengesetzt  gewesen,  dass  sie  nur  in  verschiedenen 
Personen  zum  Ausdruck  hätten  gelangen  können.  Auf  der  einen 
Seite  die  tiefe  Ehrfurcht  vor  der  hebräischen  Sprache,  ihrem 
Alterthnm,  ja  selbst  dem  Volke,  das  die  alten  Schätze  ge- 
wahrt hatte;  auf  der  anderen  bittere  Erregung  gegen  das 
letztere,  als  Veruntreuer  ihres  Gutes,  Benutzen  der  gewonne- 
nen Kenntniss  recht  eigentlich  gegen  die  Juden,  um  die 
Wahrheit  des  eigenen  Glaubens  zu  beweisen. 

Und  doch  waren  sie  vereint.  Es  ist  eben  bemerkt  wor- 
den, wie  Reuchlin  in  seiner  Kabbalistik  einen  Juden  Simon 
als  Redenden  einführt.  Da  ist  denn  lehrreich  zu  sehen,  in 
welcher  Weise  von  ihm  gesprochen  wird.  Seine  Gelehrsam- 
keit wird  gerühmt,  die  tief  und  gründlich,  nicht  blendend  und 
glitzernd,  zwar  der  farbenreichen  Blüthen  entbehrt,  aber  durch 
Früchte  ergötzt.  Die  ganze  Nacht  hätte  ich  bei  ihm  sein 
können,  sagt  einer  der  Fremden,  so  gross  war  mein  Wunsch 
ihn  zu  hören,  sein  Antlitz  zu  sehen,  und  da  muss  der  un- 
glückliche Sabbath  dazwischen  kommen.  Das  allein  erschien 
ihnen  störend,  sonst  gefiel  ihnen  Alles  an  diesem  Manne.  Und 
ein  solcher  Mann,  gute  Götter,  ist  ein  Jude,  von  Juden  ge- 
boren, ernährt,  erzogen  und  unterrichtet,  von  einem  Volke, 
das  von  allen  Andern  für  barbarisch,  abergläubisch,  niedrig, 
verworfen  und  fern  von  dem  Glänze  aller  Wissenschaften  ge- 
halten wird  ')• 

Kann  es  uns  da  wundern,  wenn  bei  diesem  Stande  der 
Dinge  die  Gegner  der  wissenschaftlichen  Richtung,  die  sich 
mit  Eifer  dem  hebräischen  Studium  zuwendete,  oder  die  per- 
sönlichen Feinde   irgend  eines   Mannes,    der   sich   mit   dieser 


i)  I>i.'  letzte  Stelle  zu  Anfang  des  2.  Buches  lautet:  DU  böni,  homc-Ju- 
daeus,  es  Judaeis  ortus,  alitus,  educatus  et  edoctus,  quae  natio  ubique  gen- 
tiuin  barbara,  superstitiosa,  vilis,  abieeta  e1  a  splendore  omnium  bonarum 
artium  aliena  est  habita.  Näher  auf  das  7erhältrriss  der  damaligen  Gelehrten 
zu  den  Juden  einzugehen  ist  hier  nicht  der  Ort. 


zu  der  geistigen  und  religiösen  Bewegung  der  Zeit.  15 

Sprache  beschäftigte,  ihn,  am  ihm  empfindlichen  Schaden  oder 
Kränkung  zuzufügen,  des  Judaisirens  beschuldigten,  wie  der 

beliebte  Ausdruck  lautete?  Man  hat  gesagt,  und  Reuchlin 
hat  es  selbst  gelegentlich  einmal  ausgesprochen  J) ,  dass  der 
ganze  so  berühmt  gewordene  Streit  mit  den  Kölnern  von 
letzteren  nur  angefangen  wurde,  weil  man  in  dem  durch 
Reuchlin  angeregten  und  hauptsächlich  vertretenen  hebräischen 
Studium  eine  Gefahr  für  sich  erblickte.  Mag  auch  die  Ansicht 
sich  nicht  beweisen  lassen:  manchmal  schien  es  wirklich,  als 
wenn  die  Geister  in  einer  ähnlichen  Strömung  sich  bewegen 
wollten.  Es  war  nichts  Seltenes,  dass  den  Vertretern  des 
Studiums  der  Vorwurf  entgegengeworfen  wurde,  sie  seien 
Juden  der  Gesinnung  nach2);  ja  man  verstieg  sich  bei  vielen, 
die  ihre  christliche  Abstammung  gut  beweisen  mochten,  so 
weit,  sie  getaufte  Juden  zu  schelten!  Und  doch,  das  Studium 
ging  nicht  unter,  es  wurde  mit  grösserem  Eifer  immer  be- 
trieben. Denn  eben,  um  in  das  Verfahren  des  Mittelalters 
hinein  zu  gerathen,  die  Sprache  zu  vernachlässigen,  weil  man 
das  Volk  nicht  achtete,  davor  schützte  einmal  das  Bedürfniss 
der  Philosophen  und  Theologen  und  —  was  ich  nicht  gering 
anschlage  —  die  Wissenschaftlichkeit  des  Zeitalters,  das  Wehen 
einer  neuen  Zeit,  die  sich  überall  ankündigte,  auch  hier. 

Ehe  wir  die  einzelnen  Personen  betrachten,  denen  das 
Verdienst  einer  Neubelebung  und  allmählichen  Ausbreitung 
des  hebräischen  Studiums  gebührt,  und  ihre  Leistungen,  soll 
noch  eine  Bemerkung  gemacht  werden.  Sie  hängt  mit  einer 
obigen   zusammen.     Aus   Hass    gegen    die  Juden    hatte    man 


x)  Doch  sagt  er  freilich:  Forte  inter  alia  qnod  nie  viderent  hac  aetate 
in  Germaniam  semina  hebraicarum  litcrarum  . . .  iecisse.  Brief  an  Jacob  Faber 
31.  Aug.  1513. 

2)  Die  stärkste  Aeusserung  dieser  Art  erzählt  Conrad  v.  Heresbach  von 
einem  Mönche:  es  will  noch  eine  andere  Sprache  (neben  der  griechischen) 
aufkommen,  die  hebräische ;  wer  diese  lernt,  wird  sicher  ein  Jude.  Angeführt 
bei  Schnurrer:  Biogr.  u.  lit.  Nachr.  von  den  Lehrern  d.  hehr.  Lit.  in  Tübin- 
gen, S.  1.  —  Als  eine  Gefahr  für  den  Katholicismus  betrachtet  es  später  der 
Jesuit  Gretser,  der  meinte:  Ingolstadt  sei  dreimal  in  Gefahr  gewesen  den 
alten  Glauben  zu  verlieren,  1)  als  man  den  Erasmus  berief,  2)  als  Reuch- 
lin dort  die  alten  Sprachen  lehrte,  3)  als  man  Melanehthon  hinziehen 
wollte.  Vgl.  Meuser:  Johann  Eck  in  Dieringer:  Katholische  Zeitschrift  für 
Wissenschaft  und  Kunst.     1846,  I,  S.  97.   Anm.  1. 


J£J  Verh&ltniBS  iea  hebräischen  Sprachstudiums 

früher  eine  Beschäftigung  mit  ihrer  Sprache  verachtet:  jetzt 
war  man  anderer  Ansicht  geworden-,  schon  des  Unterrichts 
der  Juden  sich  zu  bedienen  schien  verderblich:  auch  in  dieser 
Beziehung  war  jetzt  ein  Fortschritt  erkennbar1).  Freilich,  es 
gab  nicht  allzuviel  Juden  in  Deutschland.  Die  Verfolgungen, 
die  bis  in  das  sechszchnte  Jahrhundert  hinein  dauerten,  hatten 
gründlich  unter  ihnen  aufgeräumt:  nur  in  einzelnen  Städten 
gab  es  noch  grosse  Gemeinden.  Die,  die  sonst  sich  fanden, 
waren,  wie  Keuchlin  klagt,  theils  unwissend,  theils  meinten  sie 
es  sei  ein  thalmudisches  Verbot  Christen  zu  unterrichten  *).  Und 
dann,  wenn  auch  unter  den  Christen  die  Abneigung  von  früher 
nicht  mehr  vorhanden  war  von  den  Juden  zu  lernen,  allzu- 
bercitwillig  that  man  es  auch  nicht,  und  als  Keuchlin  seine 
Grammatik  schrieb,  da  konnte  er  in  der  Vorrede,  in  der  ei- 
sernen Bruder  zum  Studium  der  Sprache  ermunterte,  mit  Recht 
sagen:  er  solle  es  schon  deshalb  lernen,  weil  die  jungen 
christlichen  Theologen  es  uicht  so  gern  von  Juden,  als  von 
ihnen  beiden,  empfangen  wollten8). 

Erschwerte  so  die  Seltenheit  der  Lehrer  das  Studium, 
so  waren  auch  anfangs  die  Lehrmittel  von  grosser  Seltenheit. 
Die  erste  Bibel  wurde  bekanntlich   erst  1488   gedruckt,    und 

i)  Die  einzelnen  Beispiele,  wo  Christen  von  Juden  im  Hebräischen 
unterrichtet  wurden,  werden  an  passendem  Orte  erwähnt  werden. 

2)  Reuchlin,  Vorrede  des  3.  Buches  der  Rudimenta  hebraica  an  seinen 
Bruder  Dionysius:  er  habe  ihn  griechisch  lernen  lassen,  nun  nolui  etiam 
huic  decori  tuo  deesse,  quin  Hebraica  nunc  sacerdos  addisceres,  praeserthn 
cum  Qostrates  Judaei  vel  invidia,  vel  imperitia  dueti  Christianuni  neminem 
in  eonun  lingua  erudire  velint  idqne  recusant  cuiusdam  Rabi  Ami  auetori- 
tate,  qui  in  Tbalmud  ita  dixit:  Non  explanantur  verba  legis  cniquam  gen- 
tili  eo  quod  scriptum  est:  qui  adnuntiat  verba  sua  Jacob,  praeeepta  sua  et 
iudicia  sua  Israel,  non  fecit  similiter  omni  genti. 

8)  Reuchlin  sagt:  Etecte  vero  speraverim  quoslibet  religionis  Christianae 
studiosos  non  tarn  übenter  a  Judaeis  quam  abs  te  sacerdote  et  a  memet 
ipso  ista  suseipere  Rudimenta  hebraica.  Sehr  begreiflich  ist.  dass,  da  man 
der  Juden  als  Lehrer  sich  nicht  gern  bediente,  und  geborene  Christen,  die 
man  als  Lehrer  hätte  gebrauchen  können,  kaum  vorhanden  waren,  man  sich 
an  die  getauften  Juden  wandte.  Als  der  Abt  Leonhard  im  Kloster  Ottcn- 
beuren  einen  hebr.  Lehrer  für  seine  Klostergenossen  von  Reuchlin  verlangte, 
bat  er  gradezu  um  einen  getauften  Juden  (8.  Oct.  1508):  si  quenquam  noveria 
Sebraeorum  fönte  baptismatia  renatum  qui  hanc  provinciam  subiret  me  per 
litteras  certiorem  reddas  (Schelhorn,  Amoenitates  bistoriae  eccleaiasticae  et 
literariae,  Frankfurt    17:'.s,  p.  594). 


zu  dor  geistigen  und  religiöser  Bewegung  der  Zeit.  17 

und  es  (lauerte  noch  einige  Jahre,  bis  sie  nach  Deutschland 
kam.  Reuchlin  hatte  seinen  Bruder  Dionysius  nach  Italien 
gesendet,  um  Griechisch  zu  lernen  (1491).  Johannes  Streler, 
der  ihn  begleitete,  gab  sich  Mühe,  eine  Bibel  für  Reuchlin  zu  er- 
langen. Nachdem  er  Anfangs  sein  Suchen  gar  nicht  belohnt  sah, 
fand  er  eine  unvollständige  Bibel,  die  er  nicht  kaufen  mochte; 
nach  Neapel  wandte  er  sich,  um  Erkundigungen  einzuziehen, 
denn  andere  gedruckte  Exemplare  gebe  es  nicht x).  Als  Conrad 
Pellikan  im  Jahre  1500  eine  in  Italien  gedruckte  hebräische 
Bibel  zu  Gesicht  bekam,  betrachtete  er  es  für  ein  grosses 
Glück-),  und  noch  fast  10  Jahre  später,  als  Nikolaus  Eilen- 
bog, ein  Freund  Reuchlins,  auf  dessen  Antrieb  Hebräisch 
lernte ,  wurde  eine  hebräische  Bibel,  die  er  zum  Behufe  seines 
Studiums  von  Conrad  Peutinger  lieh,  wie  eine  grosse  Kost- 
barkeit angesehen  und  demgemäss  behandelt3). 

Aber  schon  am  Anfang  des  Jahrhunderts  fing  es  an  anders 
zu  werden.  Thomas  Anshelm  zu  Pforzheim,  dann  zu  Tübingen, 
dann  zu  Hagenau,  der  Drucker  der  Reuchlin'schen  Werke, 
hatte  recht  gute  hebräische  Typen.  Blieb  er  auch  einige  Jahre 
vereinzelt,  allmählich  fanden  sich  Nachfolger,  und  wenn  merk- 
würdigerweise noch  in  der  1518  erschienenen  hebräischen 
Grammatik  Böschensteins  für  die  hebräischen  Stellen  ein  leerer 
Raum  gelassen  und  dieselben  später  mit  der  Hand  ausgefüllt 


*)  Streler  an  Reuchlin  (1491)  Epp.  ill.  vir.  a  4b:  Bibliam  hebraicam 
haetenus  habere  non  possum.  (Anfang  1492)  a.  a.  0.  E  a.:  Nullam  adhuc 
possum  habere  bibliam  hebraicam,  nisi  uuam  quae  est  Bononiae,  quae  tarnen 
earet  aliquot  quaternionibus,  quam  coemere  nolo.  Si  tarnen  posthac  ad  nos 
adveherentur  aliqua,  satisfacerem  voluntati  tuae.  (29.  Juni  1492)  a  4b  sq.: 
De  Biblia  hebraica  ero  certior,  cum  Holtzhuser  venerit  ex  regno  Neapolitano, 
alia  non  sunt  impressa. 

-)  Sehnnrrer  a.  a.  0.  S.  3. 

3)  Die  Briefe,  in  denen  darüber  verhandelt  wird,  stehen  als  Anhang 
zu  Peutingers  Sermones  convivales,  hgg.  von  Zapf.  Augsburg  1789.  Der- 
selbe Nikolaus  Ellenbog  suchte  noch  im  J.  1512  vergeblich  eine  griechische 
Bibel  zu  kaufen  und  wandte  sich  an  Reuchlin:  Velim  itaque  ut  siquam 
.enalem  noveris.  literis  me  certiorem  reddas.  Epp.  ill.  vir.  h  4.  Da  mag 
freilich  mit  in  Anschlag  gebracht  werden,  dass  Ellenbog  in  Ottenbeuren, 
fern  vom  Büchermarkte,  lebte.  Schon  vorher  hatte  sich  sein  Abt  Leonhard 
in  derselben  Angelegenheit  an  Reuchlin  gewandt.  S.  d.  o.  S.  16,  A.  3,  an- 
geführte Stelle. 

Geiger,  Studium.  2 


IS  l'i''  Vorgänger  EtenchliM. 

.sind,  80  hat  schon  Förstemann *)  bemerkt,  dass  in  einer  Rede 
Melanchthons ,  die  vor  der  Grammatik  in  derselben  Offizin  ge- 
druckt wurde,  .sieh  hebräische  Typen  finden;  Bald  war  es 
allgemein,  und  Vicel  meint,  jetzt  seit  der  Erfindung-  der  Buch- 
druekerkunst  sei  es  ein  leichtes  auch  hebräische  Bücher 
überallhin  zu  verbreiten2). 

So  war  denn  Alles  vorhanden :  die  Sprache  war  —  wir 
dürfen  den  Ausdruck  gebrauchen  —  wieder  entdeckt,  das 
Bedürfnis*  war  da,  die  wiedergewonnene  Kenntniss  zu  erhalten 
und  weiter  zu  entwickeln,  Lehrer  fanden  sich  und  Lehrmittel 
wurden  in  genügender  Anzahl  geboten  und  Schüler  strömten 
in  grosser  Anzahl  hinzu,  um  das  Gebotene  sich  anzueignen. 


IL 

Die  Vorgänger  Reuchlins. 

Die  ersten  Anfänge    sind    freilich    ziemlich    unbedeutend: 
ich  kann  nur  einige  Namen  nennen,  ohne  glänzende  Leistungen 


!)  Corpus  Reformatorum  cd.  Bretschneider,  I.  col.  54,  Anm.  **  Der 
Drucker  war  Johann  Grünberg  in  Wittenberg ,  der  übrigens  auch  nicht  lange 
vereinzelt  blieb.  Schon  im  folgenden  Jahre  meldete  sich  Melchior  Lotter  als 
Drucker  nach  Wittenberg,  und  sein  Gesucli  wurde  von  Andreas  Carlstadt 
hei  Spalatin,  dem  vielvermögenden  Rathe  des  Churfürsten  von  Sachsen,  unter- 
stützt, denn  gloriam  Wittenbergi  futuram  maiorem,  si  tarn  Graeca  quam 
Kebraica  imprimerentür.  Der  Brief  findet  sicli  bei  J.  G.  Olearius :  Scrinium 
antiquarium,  Jena  u.  Arnstadt  1698,  p.  49.  Oh  gleich  damals  dem  Gesuch 
willfahrt  ist,  weiss  ich  nicht,  jedenfalls  finden  wir  nicht  lange  später  den 
Lotter  in  Wittenberg.  —  Dass  die  hebräischen  Drucke  in  Italien  früher  sind 
als  die  deutschen,  ist  aus  oben  S.  17,  Anm.  I  zu  entnehmen.  Vgl.  übrigens 
die  genaue  Nachweisung  für  die  hebräischen  Druck,'  hei  de  Rossi  Annales 
hebraeo-  typographici  saec.  XV.  Der  berühmte  Drucker  Aldus  Manutius  scheint. 
keinerlei  hebräische  Drucke  aus  seiner  Officin  hervorgebracht  zu  haben;  wenig- 
stens schreibt  er  nach  Aufzählung  einer  Anzahl  lateinischer  und  griechischer 
Schriftsteller,  die  bei  ihm  erschienen  waren,  an  Beuchlin:  De  hebraicis  nun 
est  impressum  qoicquam  (Venetiis  18.  Aug.  1502),  Epp.  dar.  vir.  g  8  b  und 
unter  der  Aufzählung  seiner  berühmten  Verlagswerke  finde  ich  Kein  hebräi- 
sches.   Vgl.  .Metz.  Geschichte  des  Buchhandels,  Darmstadt  1835,  1,  S. 281  ff. 

-i  Die  Früheren  quin  et  librorum  Sebraicorura  copia  carnerunt,  iion- 
dum  videlicet  reperta  chalcographiae  arte,  qua  levi  aegotio  plunmi  libri  cir- 
cumquaque  diffunduntur. 


Die  Vorgänger  Beuchlins.  19 

anzuführen,  Namen  von  Männern,  die  man  daher  weniger  ihrer 
Werke  wegen,  als  um  der  Priorität  willen  als  Vorgänger 
R  euch  lins  wird  bezeichnen  können. 

In  Tübingen  wird  zuerst  von  Hebräischkundigen  berichtet, 
die  beiden  Theologen  Conrad  Summen  hart  und  Paul 
Script oris  als  solche  bezeichnet,  beide  in  ihrer  Art  treffliche 
Männer,  von  grosser  Gelehrsamkeit,  beide  Theologen,  aber  Feinde 
der  Scholastik,  die  sie,  namentlich  der  letztere,  mit  unermüd- 
lichem Eifer  bekämpften.  Der  erstere  erzählt,  dass  er  selbst 
mit  mehreren  anderen  in  Tübingen  von  einem  Wilhelm  Ray- 
mundi,  Professor  der  Theologie,  einem  in  der  lateinischen, 
griechischen,  hebräischen,  ja  sogar  chaldäischen  und  arabischen 
Sprache  sehr  bewanderten  Mann,  Unterricht  in  der  hebräischen 
Sprache  erhalten  habe *).  Aber  beide  haben  die  gewonnene 
Kenntniss  nicht  allzusehr  zu  verwerthen  gewusst,  wenigstens 
ist  kein  schriftliches  Denkmal,  worin  sie  dieselbe  gezeigt 
hätten,  auf  uns  gekommen,  und  sei  es  durch  die  Ungunst  der 
Zeiten,  sei  es  durch  ihre  Unlust  oder  Unfähigkeit  zu  erklären, 
sie  haben  keine  Schüler  ausgestellt,  die  ihren  Namen  für  die 
Zukunft  bekannt  machen  könnten. 

Das  muss  nur  ein  wenig  beschränkt  werden,  denn  von 
einem  wird  allerdings  berichtet,  er  habe,  wenn  auch  nicht 
gradezu  ihren  Unterricht,  so  doch  von  ihnen  Anleitung  und 
Ermunterung  empfangen,  Hebräisch  zu  studiren:  von  Conrad 
Pellikan2).  Es  ist  interessant,  wie  dieser  dem  geistlichen 
Stande  angehörige  Mann,  der  später  in  wissenschaftlicher  und 
religiöser  Beziehung  eine  nicht  unbedeutende  Rolle  spielte  — 


!)  Schnurrer,  Nachrichten  von  den  Lehrern  der  hebräischen  Lite- 
ratur in  Tübingen.  S.  2.  Als  erster  Besitzer  einer  hebräischen  Biblio- 
thek wird  Johannes  Behaim  (Vater  des  Lorenz  Behaim,  Freund  Reuch- 
lins  und  Pirckheimers )  erwähnt,  a.  1490  Joannes  Beham  Ulmensis,  primus 
omnium  in  Germania  Hehr.  Lexicon  et  libros  aliquot  Grammaticos  a  Judaeis 
comparavit ,  quibus  Capnioni ,  Pellicano  et  aliis  profuit.  M.  Crusius  Annales 
Suevici  (1595)  pars  III,  lib.  IX,  cap.  III,  p.  489.  Doch  bemerke  ich,  dass 
bereits  1494  Beuchlin  Dalburgs  grossartige  Bibliothek  auch  für's  Hebräische 
rühmt,  s.  o.  S.  12,  Anm.  2. 

2)  Das  sagt  er  selbst  in  der  Vorrede  zu  seiner  Bibel,  wo  er  von  Sum- 
menhart sagt:  quo  nihil  praestantius  habuit  ordo  Minorum,  den  Scriptoris 
als  Theologorum  decus  et  Tubingensis  scholae  tunc  columen  bezeichnet,  vgl. 
Crusius  a.  a.  0.  p.  513. 

2* 


■2()  Die  Vorgänger  Beuchlins. 

er  war  ein  Freund  Zwingiis  und  auch  Anhänger  seiner  reli- 
giösen Richtung  — ,  danach  strebte,  sich  eine  Kenntniss  der 
hebräischen  Sprache  zu  verschallen.  Aller  Hülfsmittel  beraubt, 
ist  das  erste,  was  ihm  in  die  Hand  lallt  1 14!>9),  ein  Commentar 
des  Nikolaus  de  Lyra  zu  einigen  Schriften  des  alten  Testa- 
ments. Die  hebräischen  Wörter,  die  vorkommen,  sucht  er  ver- 
mittelst der  gegebenen  lateinischen  Uebersetzung  zu  verstehen, 
die  einzelnen  Buchstaben  sich  einzuprägen,  so  andere  Worte, 
in  denen  sie  wieder  vorkommen,  sich  zusammen  zu  setzen. 
So  geht  er  schrittweise  weiter,  mit  unsäglicher  Mühe  verschatVt 
er  sich  eine  gewisse  Geläufigkeit  im  Lesen,  erkennt,  zum  Theil 
durch  Errathen,  die  Bedeutung  der  Worte,  und  hält  sich  für 
vorbereitet  genug  im  folgenden  Jahre,  nachdem  er  auch  eine 
hebräische  Bibel  erlangt  hatte,  sich  eine  kleine  Grammatik 
und  ein  Wörterbuch  zusammenzustellen,  freilich  einstweilen 
nur  zum  Privatgebrauch,  die  indess  bei  seinen  Freunden  in 
zahlreichen  Abschriften  circuliren.  Wie  es  aber  mit  seinen 
grammatikalischen  Kenntnissen  ausgesehen  haben  mag,  geht 
daraus  hervor,  dass  er  sich  gar  nicht  erklären  konnte,  wieso 
im  Hebräischen  die  Verba  so  selten  in  der  ersten  Form  des 
Präsens  erschienen,  die  er  für  die  Grundform  hielt.  Reuchlin, 
den  er  1500  Gelegenheit  zu  befragen  hatte,  klärte  ihn  erst 
auf,  dass  dies  gar  nicht  die  Grundform  sei. 

So  ist  er  nicht  ganz  unter  die  Vorgänger  Beuchlins  zu 
rechnen,  da  er  auch  sonst,  wie  es  scheint,  Belehrung  von 
diesem  suchte,  wenigstens  empfiehlt  ihn  Jodocus  Gallus  an 
Reuchlin,  er  bittet  diesen,  ihn  im  Hebräischen  zu  unterrichten 
-  liegt  in  dem  Wunsch,  den  er  beifügt,  es  wäre  ihm  lieber, 
wenn  er  im  Griechischen  seine  Unterweisung  begehrte,  eine 
Spur  von  der  Missachtung  gegen  die  Sprache  der  Juden1)? 
Doch  mag  er  unter  diesen  ersten  Kennern  seinen  Platz  finden, 
weil  er  von  Anfang  an  seinen  eignen  Weg  ging,  und  er  der 
Erste  unter  den  Deutschen    war,    der   ein   kleines  Schriftchen 


i)  Jodocus  Gallus  Rubeaquensis  (Ruffach,  aus  demselben  Orte,  aus  dem 
auch  Pellikan  stammte  und  in  dem  er  lange  Zeit  die  Stelle  eines  Guardians 
verwaltete)  au    Reuchlin,   28.  Febr.  1501 :   Conradam   meum   Pellicanum   tri 

tacis  fovi.-as  uro  sive  licbvaeas  seu  quod  malo  graecas  literas  ex  te  discere 
cupiat.     (Epp.  Ol.  vir.  e  üb  sq.) 


Dio  Vorgänger  Benohline  21 

über  das  Vers  tändniss  der  hebräischen  Sprache  veröffentlichte  '). 
Für  Reuchlin ,  dem  er  doch  nur  Ratli  und  Unterstützung,  nicht 
vollen  Unterricht  und  Einführung  in  das  neue  Studiengebiet 
verdankte,  bewahrte  er  eine  rührende  Zuneigung.  Er  besuchte 
ihn  während  seiner  letzten  Krankheit  im  Bade  Liebenzell,  und 
als  Reuchlin  gestorben  war,  da  geschah  es  auf  Pellikäns 
Veranlassung,  dass  Erasraus  seine  bekannte  Apotheose  schrieb1'). 

Weiter  zurück  als  Pellikan,  der  uns  schon  an  die  Grenz- 
scheide des  15.  und  16.  Jahrhunderts  versetzt  hat,  führt  uns 
Sebastian  Murr  ho  aus  Colmar,  ein  Schüler  Dringenbergs 
in  Schlettstadt,  ein  Freund  Wimphelings  und  Keuchlins,  dessen 
Kenntniss  des  Hebräischen  uns  gerühmt  wird,  ohne  dass  wir 
viel  mehr  als  das  Zeugniss  der  Zeitgenossen  darüber  besässen3), 
fahren  uns  zwei  andere  Männer,  deren  Namen  bekannter  sind: 
Johann  W  es  sei  und  Rudolf  Agrikola. 

Agrikola  ist  einer  der  ausgezeichnetsten  Humanisten ;  seine 
Hauptbedeutung  liegt  in  der  Verbreitung  der  Kenntniss  der 
griechischen  Sprache,  die  er  sich  angelegen  sein  Hess,  in  der 
Begeisterung ,  mit  der  er  das  classische  Alterthum  und  dessen 
Schätze  betrachtete,  in  der  vielfachen  Anregung,  die  er  als 
Lehrer  für  alle  Wissenszweige  seinen  Schülern  zu  geben  ver- 
stand. Seine  Kenntniss  des  Hebräischen  war  wohl  nicht  sehr 
gross,  er  hatte  es  ziemlich  jung  von  Wessel  gelernt;  in  seinen 
letzten  Lebensjahren  war  er  darauf  gekommen,  die  fast  ver- 
gessenen Studien  wieder  vorzunehmen.  Verstehe  ich  seine 
Worte  richtig,    mit  denen    er    diesen  Entschluss    an   Reuchlin 


J)  1503  erschien  von  ihm  De  modo  legendi  et  intelligendi  Hebraea. 
Das  Vorhergehende  im  Text  stützt  sich  zum  Theil  auf  Schnurrer  a.  a.  Ü. 
S.  3  ff.  Seine  späteren  Leistungen  werden  weiter  unten  gewürdigt  werden.  — 
Trotz  der  Priorität  seiner  Leistung  ist  man  doch  gewohnt,  Reuchlin  und 
seinem  Werke  seiner  Bedeutung  wegen  den  ersten  Rang  einzuräumen.  Sein  in 
Sebastian  Münster,  der,  wie  er  selbst  erzählt,  ein  Schüler  Pellikäns  war, 
stellt  es  so  dar  in  seiner  Vorrede  zum  Opus  grammaticum  consummatum. 

2)  Diese  Nachricht  giebt  Pellikan  selbst  in  seinem  Chron.  Msc.  zum 
Jahre  1523,  das  ich  sonst  nicht  kenne,  diese  Stelle  nur  aus  S.  Hess:  Eras- 
mus  von  Rotterdam ,  Zürich  1790,  I,  S.  215,  weiss :  Inveni  in  Thermis  Cel- 
lensibus  prope  Hirsaugiam  sese  lavantem  infirmum  D.  Joannen»  Reuchlin  . . 
eum  ultimo  vidi,  nam  statim  diem  obiit  supremum  . .  Rediens  autem  Basileam 
et  Erasmo  narrans  de  obitu  et  colloquio,  occasionem  praestiti  colloqttio  Uli: 
De  apotheosi  Reuehlini. 

3)  Vgl.  unten  S.  25  und  Anm.  1. 


22  Die  Vorgänger  ßeuchlins. 

mittheilt  und  motivirt,  bo  suchte  er  in  dieser  Kenntniss  etwas 

Positives,  das  ihm  bisher  abging  und  dessen  Mangel  er  er- 
kannte1)- So  wollte  er  denn  die  Tage  seines  Alters,  wie  er 
sieh  ausdrückt,  obgleich  er  damals  in  den  besten  Jahren  stand 
—  freilich  ereilte  ihn  kaum  zwei  Jahre  darauf  der  Tod  —  der 
heiligen  Sprache  widmen  und  mit  ihreui  »Studium  das  eifrige 
\.v*cn  der  göttlichen  Gebote  verbinden-)- 

Wir  haben  schon  früher  die  Vermischung  der  Theologie 
und  des  hebräischen  Sprachstudiums  bemerkt,  und  war  es  bei 
Agrikola  freier  Mannesentschluss,  dass  er,  die  Gebiete  seines 
Studiums  fast  ganz  umändernd,  sich  dieser  Richtung  zuwandte, 
mi  war  es  bei  Johann  W  es  sei  durch  die  von  Jugend  an 
feste  Gestaltung  seines  Strebens  bestimmt.  Er  ist  einer  der 
Bedeutendsten  von  den  vielen  geisteskräftigen  Männern  in 
Deutschland,  die  man  sich  gewöhnt  hat  als  Vorläufer  der  Refor- 
mation zu  bezeichnen.  Die  Befreiung  aus  den  Fesseln  der 
Scholastik  im  Leben  und  Glauben  ist  zum  grossen  Theile  sein 
Verdienst,  und  wenn  er  auch  vielfach  noch  in  mystisches 
Sinnen  sich  vertieft,  so  ist  seine  ganze  Auffassung  der  Reli- 
gion eine  freie  und  befreiende  8).  —  Seine  wissenschaftlichen 
Kenntnisse  waren  viel  umfassend,  wenn  sie  auch  vielfach  ab- 


i)  Der  Brief  (Nov.  1483)  findet  sich  Epp.  ill.  vir.  i  3b  sq.  Per  Anfang 
der  zur  Mittheilung  etwas  zu  langen  Stelle  lautet:  At  ego  qui  mihi  sterilem 
haue  arenam  excolendam  sumpsi  nisi  aliquid  amplius  quam  vulgus  solet  coner 
quid  erit  quo  a  segniciae  nomine  haec  mea  studia  defendam  — 

2)  Ueher  Agrikola  will  ich  eine  Bemerkung  des  Paulus  Jovius  mit- 
theilen, nicht  etwa,  weil  ich  glaube,'  dass  das  in  ihr  Berichtete  als  wahr  anzu- 
nehmen sei,  sondern  um  an  diesem  Beispiele  die  Art  der  unter  den  Huma- 
nisten gebräuchlichen  Lobpreisungen  zu  zeigen:  Hausisti  enim  Hebraicas 
Graecasque  literas  usque  adeo  stupenda  celeritate,  ut  nequaquam  Groningiae 
in  ultima  Frisia,  sed  Hierosolymis  Athenisque  natus  ac  educatus  a  doctissimis 
crederere.  (Erasmi  Opera  ed.  Lugd.  Bat.  1703  vol.  I,  col.  808.)  Als  Schüler 
des  Agrikola  im  Hebräischen  wird  Celtis  genannt  in  der  zeitgenössischen  von 
der  societas literaria Rhenana  herausgegebenen  vita  C.  Celtis:  Motus  l'ama — 
R.  A.  Heidelbergam  adiit,  ibique  orätoriam  et  pocticam  cum  linguae  graecae 
et  hebraicae  praegustamentis  liausit.  Von  der  besonderen  Kenntniss  Celtis' 
im  Hebräischen  ist  nichts  bekannt;  in  seiner  Schrift  De  situ. .  Norimbergae 
kommen  einige  hebräische  Wert.'  vor,  ich  erinnere  mich  nicht  mehr,  in 
«reichem  Zusammenhange. 

3)  Eine  ausführliche  Biographie  hat  Ullmann  gegeben:  Reformatoren 
vor  der  Reformation  (Hamburg  1842)  II,  S.  285    685. 


tohannes  Reuchlin.  23 

hängig  waren  von  seiner  theologischen  Richtung:  ihr  verdankt 
er  auch  die  Kenntnis*  des  Hebräischen.  Ol)  er  es  während 
seiner  Studienzeit  in  Heidelberg  von  Mönchen  gelernt,  die  eine 
Zeit  lang  im  Morgenlande  sieh  aufgehalten  hatten,  wie  sein 
ältester  fast  zeitgenössischer  Biograph  berichtet '),  oder  ob  er 
es  von  getauften  Juden  gelernt,  wie  Spätere  wollen,  bleibt 
ungewiss.  Schriftliche  Denkmale  seiner  Beschäftigung  mit 
dieser  Sprache  hat  er  nicht  hinterlassen;  den  Rudolf  Agrikola 
hat  er  darin  unterrichtet,  vielleicht  auch  Andere2). 


III. 

Johannes  Reuchlin. 

Schon  in  dem  vorigen  Abschnitt  ist  uns  der  Name  Keuch-, 
lins  an  vielen  Stellen  begegnet.  Die  Erweckung  des  hebräi- 
schen Sprachstudiums  und  die  ersten  Schritte  zu  der  Ausbildung 
desselben  sind  zu  eng  mit  ihm  verknüpft,  als  dass  nicht  bei 
jedem  Schritt,  den  man  thut,  eine  Spur  von  ihm  sich  zeigte. 
Bei  dieser  Lage  der  Dinge  muss  es  gestattet  sein  über  alle 
Fragen,  die  über  Keuchlins  Studien  in  dieser  Sprache  Licht 
verbreiten,  sich  klar  zu  werden  und  Untersuchungen  zuführen, 
die  an  sich  höchst  geringfügig  erscheinen,  eine  gewisse  Be- 
deutung nur  durch  das  Ziel  erlangen,  zu  dessen  Erreichung 
auch  sie  hinstreben. 

Die  Frage  nach  Reuchlins  Lehrern  soll  zuerst  ihre  Erle- 
digung finden.  Die  früher  oft  vorgetragene  Behauptung,  Johann 
Wessel  sei  sein  Lehrer  gewesen,  hoffe  ich  an  anderen  Orten 
genügend  zurückgewiesen  zu  haben;  Agrikola  sagt  gradezu, 
Wessel  habe  ihn  von  diesem  Studium  abgeschreckt3).  Aus 
diesen  Worten  muss  man  allerdings  noch  ein  zweites  entneh- 


*)  Hardenberg :  a  monachis  qui  vixerant  in  transmarinis  regionibus,  an- 
geführt bei  üllmann  S.  314,  Anm.  4. 

2)  Ueber  Wessel  und  Reuchlin  vgl.  das  Folgende. 

3)  vgl.  meine  Abhandlung:    Ueber  Melanchthons  Oratio...   Frankfurt 
1868.    S.  47...  52,  unsere  Stelle  S.  50,  Anm.  2. 


24  Johannes  Benchlin. 

inen,  dass  Reuchlin  schon  in  den  ersten  Jahren  seines  Studiums1) 
Lust  zu  der  Sprache  gehabt  hat,  deren  Erforschung  er  sich 
in  seinem  späteren  Lehen  fast  ausschliesslich  hingab.  Und, 
wenn  ich  auch  früher  nicht  geneigt  war  dieses  anzunehmen, 
ein  Selbststudium  Keuchlins  in  dieser  Sprache  muss  behauptet, 
selbst  eine  gewisse  Stufe,  zu  der  Reuchlin  durch  eisernen 
Fleiss  sicli  emporarbeitete,  muss  angenommen  werden.  Denn 
so  sehr  man  auch  die  Worte  beschränken  will,  mit  denen 
Agrikola  bereits  im  Jahre  1483  Keuchlins  Kenntnisse  im  Hebräi- 
schen preist  —  und  dass  die  Beschränkung  gestattet  ist,  wird 
Jeder,  dem  die  Art  und  "Weise  der  Humanisten,  bei  ihren 
Lobsprüchen  aus  einer  Mücke  einen  Elephanten  zu  machen, 
bekannt  ist,  zugeben  —  so  viel  wird  immer  übrig  bleiben, 
dass  Keuchlins  Beschäftigung  mit  der  hebräischen  Sprache 
bereits  für  den  Anfang  der  achtziger  Jahre  feststeht2).  Denn 
weiter  dürfen  wir  nicht  zurückgehen,  man  darf  als  sicher  an- 
nehmen, dass  es  auf  den  Universitäten  von  ihm  nicht  in  den 
Bereich  seiner  Studien  gezogen  wurde.  Grade  für  diese  Zeit 
hat  er  so  genaue  und  zuverlässige  Berichte  über  die  Gegen- 
stände seiner  wissenschaftlichen  Beschäftigung  hinterlassen, 
dass  er,  falls  das  Hebräische  damals  dazu  gehört  hätte,  gewiss 
nicht   davon    geschwiegen    haben    würde.     Für    die   achtziger 


*)  Denn  er  war  zu  Paris  (und  nur  hier  allein  kann  das  persönliche, 
später,  so  weit  man  sieht,  nicht  fortgesetzte  Zusammentreffen  mit  Wessel 
stattgehabt  nahen,  vgl.  meine  Abhandrang  S.  -17,  Amn.  3),  wo  er  sich  1 173/7  I 
und  1-177/78  aufhielt,  18  resp.  22  Jahre  alt. 

2)  Die  Stelle  Agrikolas  lautet:  Quin  tu  quoque,  qui  contraria 
sentis,  nescio  an  aeerrimis  nie  faeibus  extimules,  turpe  namque  fuerit  mihi 
vol  nolle  id  vel  non  posse  pereipere  in  hoc  studiorum  ocio,  quod  tu  tantis 
tanque  diversis  districtus  studiis  discere  potuisti.  Sie  folgt  gleich  nach  den 
oben  S.  22,  A.  1,  angezogenen  Worten.  Was  die  Worte:  tu  quoqne,  qtü  con- 
traria sentis,  bedeuten,  ist  nicht  ganz  klar.  Sie  können  'lern  Wortsinn  nach 
bezeichnen,  dass  Et.  der  Meinung  Agrikolas,  es  sei  für  ihn  gut  und  noth- 
wendig  die  hebräische  Sprache  und  biblische  Studien  zu  betreiben,  nicht 
beistimme;  aber  das  würde  zu  Eteuchlins  Denkart,  wie  sie  uns  wenigstens 
bald  darauf  bestimmt  genug  entgegentritt,  Dicht  passen.  Mir  scheinen  die 
Worte  mehr  darauf  hinzuweisen ,  dass  ß.  von  der  Einwirkung  Wessels  auf 
Agr.'s  erwachende  Neigungen  nicht  überzeugt  war;  er  halte  selbst  feine 
Anregung,  im  Gegentheil  Zurückweisung  von  ihm  erfahren:  was  Wunder, 
dass  er  glauben  mochte,  W.  habe  sich  \.  gegenüber  in  derselben  ablehnen- 
den Weise  verhalten. 


Johannes  Reuchlin.  25 

Jahre  aber  liegt  noch  ein  anderes  Anzeichen  vor,  aus  dem 
eine  Stutze  meiner  obigen  Behauptung  gezogen  werden  kann, 
das*  Reuchlins  Streben  nach  der  Erlernung  der  hebräischen 
Sprache  ein  grosses,  der  Grad  seiner  Kenntniss  aber  in  dieser 
Zeit  nur  ein  geringer  gewesen  sein  kann.  An  Sebastian  Murrho 
hatte  sich  Reuchlin  im  Jahre  1487  gewandt,  er  möge  ihm  einen 
Pentateuch  zu  verschaffen  suchen,  aber  in  Uebersetzung.  Viel- 
leicht wollte  Reuchlin  —  das  sei  allerdings  nur  als  Vermuthung 
hingestellt  —  sich  das  Verständniss  des  hebräischen  Textes 
(den  er  handschriftlich  besass?)  dadurch  aneignen.  Aber 
Murrho  konnte  seinem  Wunsche  nicht  entsprechen,  er  besass 
nur  das  2.  Buch  Mose  und  gab  ihm  Nachricht  davon,  um  seine 
Sehnsucht  nach  Moses  zu  steigern  '). 

Aber  alles  dies  sind  Anfänge  und  mussten  solche  bleiben, 
denn  es  fehlte  Reuchlin  das,  was  er  später  so  vielen  nament- 
lich im  Hebräischen  geworden  ist:  ein  Lehrer2).     Und  diesen 


!)  Das  im  Text  Gesagte  kann  ich  nicht  als  sicher  hinstellen.  Der  Brief 
Reuchlins  fehlt  uns,  der  Brief  Murrhos  ist  an  sich  nicht  ganz  verständlich. 
Die  Stelle  (Epp.  ill.  vir.  h  4)  lautet:  Moysen  .  .  ad  te  missum,  uti 
desyderas  et  quidein  flagranter  fecissem,  si  totus  apud  nie 
interpretatus  foret,  sed  quum  solum  Exodum  haheam...  Curabo  optime 
Doctor,  ut  brevi  Moyses  neque  tibi  neque  mihi  desit.  Partem  libri  tabellario 
huic  ostendi  non  quod  me  fingere  putes,  sed  ut  desyderium  tuuni  in  Moysen 
crescere  faciam.  Diese  handschriftlichen  Stücke  des  Pentateuchs,  die  Sebastian 
Murrho  besass,  sind,  wie  es  scheint,  nicht  erhalten  gebliehen.  Ich  finde 
eine  Notiz,  dass  Conrad  Leontorius  dem  Bruno  Amorbach  einmal  einige  Blätter 
des  Pentateuch  mit  beigeschriebener  wörtlicher  deutscher  Uebersetzung  schenkte, 
die  er  .  .  von  Sebastian  Murrho  hatte  erhalten  können.  Fechter,  Bonifacius 
Amorbach  in  Beiträge  zur  Vaterland.  Gesch.  Basel  1843.  2.  Band,  S.  179, 
Anm.  15.  Der  hier  und  schon  oben  (S.  21)  erwähnte  Sebastian  Murrho 
nennt  sieh  auf  seinem  Commentar  zu  Baptista  Mantuanus:  Hebraicae, 
Graecae,  Latinaeque  linguarum  Interpres  doctissimus.  (Strassburg  1501  in 
4  °. )     Vgl.  Panzer :  Annales  typographici  vol.  VI,  p.  27. 

2)  Den  Anstoss  zu  Reuchlins  hebräischen  Studien  hat  man  gern  in  der 
Kabbalah  gesucht  und  darin  einen  vorwiegenden  Einfluss  des  Grafen  Picus 
von  Mirandula  zn  finden  geglaubt.  Inwieweit  letzteres  Wahrheit  enthält, 
habe  ich  in  meiner  ob.  a.  Abb.  S.  G5,  Anm.  5  zu  zeigen  versucht  (vgl.  auch 
oben  S.  12);  dass  ersteres  falsch  ist,  geht  daraus  hervor,  dass  R.'s  Beschäfti- 
gung mit  der  hebräischen  Sprache  in  die  80er  Jahre  hinaufreicht,  die  kabba- 
listischen Neigungen  frühestens  1490  zu  setzen  sind.  —  Dass  am  Ende  der 
80er  Jahre  Reuchlins  hebr.  Kenntniss  nicht  so  hervorragend  war,  dafür  mag 
auch  ferner  bemerkt  werden,   dass  derselbe  Leontorius,   der  im  Jahre  1494 


26  Johannes  Eenchlin. 

zu  finden  war  allerdings  schwer  genug.  Denn  in  Wttrtemberg, 
wo  er  von  1481  an,  nachdem  er  von  seinem  Aufenthalte  an 
verschiedenen  Universitäten  (Freiburg,  Basel,  Paris,  Orleans, 
Poitiers)  zurückgekehrt  war,  sich  aufhielt,  gab  es  kaum  eine 
nennenswerthe  Zahl  von  Juden  l)  und  von  diesen  war  keiner 
im  Stande,  Keuchlins  Sehnsucht  zu  befriedigen.  Sein  Wunsch 
ging  erst  in  Erfüllung,  als  er  im  Jahre  1492  von  Eberhard 
im  Bart,  dem  er  bereits  seit  1481  als  Rath  diente,  an  den 
Hof  Kaisers  Friedrich  III.  geschickt  wurde.  Dort  fand  er  den 
Jakob  Jehiel  Loans,  den  Leibarzt  des  Kaisers,  der  bei  diesem 
seiner  hohen  Kunst  wegen  in  Ansehen  stand,  aber  mit  der 
Kenntniss  seines  Berufes  auch  ein  gediegenes  Wissen  in  der 
hebräischen  Sprache  verband. 

Er  wurde  Reuchlins  Lehrer.  Es  lässt  sich  nicht  läugnen : 
dieses  erste  Begegniss  Reuchlins  mit  dem  jüdischen  Arzte  ist  ein 
welthistorischer  Moment.  Reuchlin  war  ein  Kind  seiner  Zeit,  er 
hat  sich  in  vielen  Dingen  von  den  Fesseln,  die  der  Zeitgeist 
einem  Jeden  auferlegt,  nicht  freizumachen  gewusst,  vielleicht 
nicht  einmal  zu  befreien  gesucht.  Er  hatte  bisher  wohl  Juden 
gesehn;  zogen  sie  doch  überall  in  Deutschland  umher,  wo  eine 
Handelsgelegenheit  sie  anzog,  wo  ein  Bedürfniss  sie  hintrieb. 
Aber  in  welcher  Gestalt  sind  sie  ihm  erschienen!  In  sonderbarem 
Aufzuge,  der  sie  schon  äusserlich  von  der  sie  umgebenden  Welt 
schied,  mit  einer  eigentümlich  gemischten  Sprache,  die  nur 
ihnen  recht  verständlich  war,  mit  einem  (leiste,  der  nur  am 
Irdischen,  an  Gewinn  und  Handel  zu  kielten  und  für  das 
Höhere  keinen  Sinn  zu  haben  schien.  Hier  trat  ihm  ein  An- 
deres entgegen,  ein  Spross  desselben  Volkes,  das  ihm  so  ver- 
ächtlich erschienen  war  und  seinen  bisherigen  Erfahrungen 
nach  nicht  wohl  anders  hatte  erscheinen  können,  und  dabei 
ein  Mann,  am  Hofe  geehrt,  in  Wissenschaften  unterrichtet  und 
in  die  Gemeinschaft  der  Gebildeten  willig  aufgenommen.  Dass 
von    diesem  Augenblick    an  Reuchlins  Ansichten    über  Juden 


(Widmungsbrief  an  Jak.  Wimpheling  vor  Reuchlins  De  verbo  mirifico)  dessen 
Kenntnisse  nicht  genug  zu  rühmen  weiss,  in  einem  Briefe  vorn  Jahre  MÖi* 
nur  von  dem  Griechischen  und  Lateinischen  berichtet. 

!)  Einige  Bestimmungen  über  sie  in  dieser  Zeit  sind  zusammengestellt 
bei  Wächter:  Würtembergisches  Privatrecht,  Band  [,  S.  100  ff. 


Johannes  Reuchün.  2  i 

sich  von  den  Vorurtlicilcn  der  Zeit  losgerissen  hatten,  kann 
man  nicht  sagen;  aber  sie  sind  milder  als  die  der  meisten 
seiner  Zeitgenossen,  und  die  Einzelnen  aus  dem  Volke  konnte 
ei  ihrer  Eigenschaften  wegen  achten,  wenn  er  auch  stets  sich 
erinnerte,  dass  sie  Juden  waren.  Es  war  schon  viel,  dass 
er  jede  Gelegenheit  ergriff',  von  Juden  zu  lernen,  überall  sie 
aufzusuchen,  freilich  —  vergisst  er  nicht  hinzuzufügen  —  so 
weit  es  einem  Christen  erlaubt  ist 1). 

Seinem  ersten  Lehrer,  von  dem  wir  übrigens  sonst  nichts 
wissen2),  bewahrte  er  treue  Zuneigung;  mir  ist  wahrscheinlich, 
dass  er  ihn  in  dem  Juden  Simon5)  hat  zeichnen  wollen.  In 
einem  Briefe,  den  er  ihm  neun  Jahre  nach  empfangenem  Un- 
terrichte zusandte,  versicherte  er  ihn  seiner  fortdauernden 
Anhänglichkeit4). 

Ueber  den  Unterricht  selbst  besitzen  wir  wenige  Notizen, 
die  uns  über  die  Art  uud  Weise  desselben  und  über  die  Gegen- 
stände, die  er  uinfasste,  gar  nichts  mittheilen  und  auch  über 
die  Dauer  desselben  nicht  rechtes  Licht  verbreiten.  Dass  er 
am  25.  Sept.  1492  begann,  wissen  wir  aus  einer  uns  von  Mai 
aufbewahrten  Notiz  Reucklins5),  am  18.  Oct.  erfolgte  die  Be- 
stätigung des  Esslinger  Vertrages  durch  den  Kaiser,  deren- 
wegen  Reuchlin  nach  Linz  geschickt  worden  war 6).  Es  lässt 
sich  annehmen,  dass  Reuchlin,  um  seinem  Fürsten  von  dem 
Erfolg  seiner  Gesandtschaft  zu  berichten,  nach  erlangter  Be- 
stätigung bald  nach  Stuttgart  reiste7),  von  da  ist  er  aber  wie- 
der nach  Linz,  wahrscheinlich  im  ersten  Viertel  des  folgenden 
Jahres,  zurückgekehrt.     Auch  Loans  war  eine  kurze  Zeit  ab- 


l\  Einleitung  zu  seinem  Buche :  De  accentibus  et  orthographia  Fol.  III  b. 
...  Doctissimum  quenque  hebraicorum  auetorare  praeeeptorem  solitus,  cum 
Lpsis  quoque  Apellis  congressus,  quatenus  homini  Christiano  phas  esset. 

2)  Denn  was  Grätz,  Geschichte  der  Juden,  IX.  S.  55,  sagt,  ist  nur 
Vermuthung. 

3)  s.  o.  S.  14. 

-1)  Der  Brief,  hebräisch  geschrieben  1.  Nov.  1501,  Epp.  111.  vir.  ma. 
5)  Maius  vita  Keuchlini  (Durlach  1687)  p.  541. 
«)  Chmel,  Kegesten  Friedrichs  IV,  S.  793,  Nr.  8855. 
7)  Am  24.  Oct.  war  er  noch  in  Linz  und  erhielt  daselbst   vom   Kaiser 
die  Pfalzgrafenwürde.     (Das  Diplom   abgedruckt  in  Epp.  111.  vir.  m  4h  sq.) 


28  Johannes  Reuchlin. 

wesend  gewesen,  und  ehe  Reuchlin  nach  Linz  ging,  hatte  er 
sich  hei  seinem  Freunde  Petrus  Bonomus  erkundigt,  oh  sein 
Lehrer  zurückgekehrt  sei,  dann  ist  er  wohl  bald  nach  Linz 
gegangen;  heim  Tode  des  Kaisers  Friedrich  III.  am  19.  Aug. 
1  1:93  war  er  dort.  Staatsgeschäfte  hatten  ihn,  so  viel  wir 
wissen,  nicht  hingezogen,  sein  Wissensdurst  hatte  ihn  hinge- 
trieben ]). 

Man  kann  nicht  sagen,  dass  Reuchlins  erstes  kabbalisti- 
sches Werk  eine  Frucht  dieser  hebräischen  Studien  ist,  denn 
die  dazu  nöthige  Kenntniss  mochte  er  sich  ganz  gut  aus  den 
ihm  in  anderer  Weise  zugänglichen  Büchern  erworben  hüben2) 
und  speciell  hebräische  Studien  zeigt  das  Buch  gar  nicht. 

In  seinem  Erlernen  der  Sprache  hatte  Reuchlin  aber  mit 
diesem  ersten  bedeutenden  Schritte  nicht  abgeschlossen.  Wie 
weit  er  in  den  nächsten  Jahren  sich  fortgebildet,  liisst  sich 
nicht  sagen;  die  bürgerlichen  Unruhen,  die  bald  darauf  Wür- 
temberg  ergriffen  und  ihn  zwangen  das  Land  zu  verlassen, 
mögen  ihn  nicht  sehr  zu  ruhiger  Thätigkeit  haben  gelangen 
lassen.  Von  Heidelberg  aus,  wo  er  sich  niedergelassen  hatte, 
ging  er  1498  im  Auftrage  des  Churfürsten  von  der  Pfalz  nach 
Rom,  und  bei  dieser  zweiten  Gesandtschaft  war  es,  wo  er 
auch  zum  zweiten  Male  einen  Lehrer  für's  Hebräische  erlangte. 
Es  war  wieder  ein  Jude:  Obadja  Sforno  aus  Cesena,  ein  clas- 
siscli  gebildeter  Mann,  Arzt  und  Philosoph,  der  neben  dem 
Unterricht  in  der  hebräischen  Sprache  auch  Reuchlins  Eifer 
für  die  Kabbalah  noch  mächtiger  angeregt  haben  mag3).  Auch 
über  ihn  spricht  sich  Reuchlin  mit  voller  Befriedigung  aus 
und  gedachte  seines  treuen  Unterrichts,  wenn  er  auch  ihm 
nicht  die  Anerkennung  zollte  wie  Loans,  und  Sforno,  vielleicht 


i)  1 ) i . ■  Chronologie'  dieser  Jahre  kann  nur  nach  der  Reuchlin'schen  Brief- 
sammlung hergestellt  werden  \i\u\  ist,  da  liier  die  Paten  oichl  immer  zu- 
verlässig sind,  schwierig.  Ohne  mich  in  das  weitere  Detail  einzulassen,  führe 
ich  den  Brief  des  Petrus  Bonomus  an,  der  vom  '2.  März  1492  datirt,  aher 
gewiss  vom  2.  März  1493  ist;  die  Stelle  über  Loans  schon  hei  Grätz  a.  a.  0. 
IX,  S.  92,  .\.  1,  dem  die  chronol.  Schwierigkeit  entgeht.  Dass  Reuchlin  heim 
Tode  des  Kaisers  zugegen  war,  sagt  er  in  der  Einleitung  zur  Defensio  contra 
'  !alumniatores  Colonienses  ( L513). 

2)  s.  o.  S.  1  I.   Anm.  1. 

3)  vgl.  Grätz  a,  a.  0.   IX,  S.  50  und  94. 


Johannes  Beuchlin.  *2.» 

anders  als  jener,  sieh  seine  Mühe  hoch  genug  vergelten  Hess  1). 
Ausser  diesen  beiden  wissen  wir  keinen  anzugeben,  der  Reuehlin 
im  Hebräischen  unterrichtet  hätte;  er  mag  noch  hie  und  da 
von  Manchen  etwas  aufgegriffen  haben2),  aber  im  Ganzen  war 
er  jetzt  fertig-,  er  konnte  auf  eigenen  Füssen  stehen,  um  in 
dem  ganzen  grossen  Gebiete  sich  immer  heimischer  zu  machen 
und  das,  was  er  mit  Midie  sich  angeeignet  hatte,  auch  andern 
mitzutheilen. 

Schon  im  Jahre  1498 3)  hatte  er  in  Heidelberg  begonueu 
zu  unterrichten,  es  hatte  nicht  öffentlich  geschehen  dürfen, 
das  hinderte  die  Wuth  der  Mönche.  Es  ist  kein  Zweifel: 
hätte  Reuehlin  nach  einer  Universitätsstellung  verlangt,  er 
hätte  sie  bald  erhalten,  aber  er  wollte  sie  nicht,  er  fühlte  sich 
in  seiner  amtlichen  Stellung  behaglicher,  die  Mussestunden 
ungestört  der  Wissenschaft  zu  widmen  schien  ihm  genug. 
Selbst  als  er  seine  öffentliche  Stellung  aufgegeben  hatte  und 


')  Melanchthon  erzählt  in  der  Oratio  continens  historiam  Capnionis, 
Eeuchlin  habe  pro  singulis  horis  singulos  aureos  bezahlen  müssen.  Mutian 
schreibt,  er  habe  Doctori  verpo  pro  unius  dictionis,  quae  obscura  erat,  enar- 
ratione  X  aureos  gegeben  (Strauss,  Ulrich  von  Hütten,  I,  S.  190,  A.  3). 
Reuehlin  spricht  nur  von  einem  grave  impendimn.  —  Während  dieses  Aufent- 
haltes in  Rom  hatte  Reuehlin  auch  vielfache  Gelegenheit  hebräische  Bücher 
zu  erwerben ,  handschriftliche  Notizen  in  einigen  seiner  Bücher  weisen  darauf 
hin;  vielleicht  bezieht  sich  darauf  auch  eine  Stelle  aus  einem  Briefe  des 
Lorenz  Behaim  an  Reuehlin  vom  20.  Juli  1515  (Epp.  111.  vir.  Cb):  Tantus 
enim  meus  est  in  te  amor,  quem  suavi  amicitia  tibi  Romae  cum  pariter 
iremus  Hebraicos  inter  Judaeos  libros  percontando  comparasti.  In  der  Karls- 
ruher Hofbibliothek,  befindet  sich  Kimchis  Wörterbuch  (Neapel  1490 j,  das 
er  damals  kaufte,  worin  von  Reuchlins  Hand  Folgendes  eingeschrieben :  Hunc 
librum  David  Kimhei  (!)  cum  commentariis  super  quatuor  emi  ego  Joannes 
Reuehlin  Phorcensis  Doctor  aureis  tribus  reu.  Rome.  Prid.  Id.  Junias  Anno 
1498,  ebenso  das  Targum  Jonathan^  u.  a. 

2)  So  wollte  er  noch  151G  bei  Johannes  Potken  in  Köln  sich  im  Chal- 
däischen  vervollkommnen.  Dieser  schreibt  an  Reuehlin  13.  Sept.  1516  (Epp. 
111.  vir.  vi).  Quod  autem  scribis,  lata  pro  te  sententia  (nämlich  im  Streite 
Reuchlins  mit  den  Kölnern)  te  Coloniam  peregre  iturum,  ad  meam  in  lingua 
quam  edere  coepi  chaldia  eruditionem ,  plurimum  gaudeo  quod  sententiam  vel 
iam  latam,  vel  propediem  ferendam  spero.  Ob  aus  der  Reise  und  dem  Unter- 
richt etwas  geworden  ist,  kann  ich  nicht  finden.  Petrus  Galatin  nennt  Potken 
seinen  Lehrer  im  Chaldäischen :  an  Reuehlin   (Juni  1515)   Epp.  111.  vir.  C  4. 

3)  Für  Reuchlins  öffentliche  Lehrthätigkeit  auch  im  Hebräischen  ver- 
weise ich  auf  meinen  Aufsatz  in  Langbeins  Pädagogischem  Archiv  1868. 
S.  481-493. 


30  Johann»  BeucMin. 

ihn  der  Herzog  von  Sachsen  dringend  bat  an  der  Universität 
"Wittenberg  den  hebräischen  Lehrstuhl  einzunehmen,  schlug  er 
ihn  aus,  und  erst  als  ihm  durch  äussere  Umstände  sein  Stutt- 
garter Aufenthalt  verleidet  war  und  er  sich  nach  Ingolstadt 
begeben  hatte,  um  dort  in  dem  Umgange  der  Gelehrten  die 
Kühe  zu  finden,  nach  der  er  sich  sehnte,  erst  da  nahm  er  die 
Stelle  eines  Universitätslehrers  au  und  versammelte  eine  grosse 
Menge  Zuhörer  um  sich,  vor  der  er  die  Grammatik  des  Kimchi 
erklärte  l).  Und  noch  einmal  in  seinem  letzten  Lebensjahre  hatte 
er  in  Tübingen  die  hebräische  Sprache  gelehrt;  hier,  wo  wir 
die  ersten  Spuren  hebräischer  Kenntniss  in  Deutsehland  be- 
merkt haben,  bestieg  Reuchlin  als  erster  öffentlicher  Lehrer 
den  Lehrstuhl  -). 


i)  Von  Reuchlins  Schülern  in  Ingolstadt  ist  hauptsächlich  Johannes 
Forster  zu  erwähnen,  der  uns  später  beschäftigen  wird,  ausserdem  Johannes 
Eck,  der  bekannte  unermüdliche  Kämpfer  für  den  Katholicismns.  Derselbe 
hatte  in  ähnlicher  Weise  wie  Reuchlin  eine  jede  Gelegenheit  benutzt,  sich 
die  Kenntniss  der  hebräischen  Sprache  zu  verschaffen,  er  hatte  während  seiner 
Studienzeit  in  Freiburg  bei  dem  Carthäuser  Gregor  Reisch,  später  bei  Joh. 
Böschenstein,  dann  hei  Reuchlin  gelernt,  er  hatte  den  getauften  Juden  Pater 
Staffelsteiner  zu  Rathe  gezogen.  selbst  den  Unterricht  des  jüdischen  Gelehr- 
ten Elias  Levita  nicht  gescheut.  26  Jahre  hat  er  nach  seinem  eigenen  Ge- 
ständniss  der  Beschäftigung  mit  dieser  Sprache  gewidmet,  und  er  rühmt  sich 
wohl  mit  Recht  seiner  Kenntniss  derselben,  lieber  dieselbe  geschrieben  hat 
er  nicht,  wenn  man  nicht  ein  von  ihm  angelegtes,  handschriftlich  in  der 
k.  k.  Hofbibliothek  in  Wien  vorhandenes  Regestum  super  lexico  hebraico 
Capnionis  (1521)  und  eine  ebenda  befindliche  Epitome  super  grammatica 
hebraica  Farinarü  vulgo  Kimhi  Ingolstadii  tradita  (nämlich  von  Reuchlin) 
et  ah  EcMo  auditore  aeeepta  —  was  von  den  Grammaticalia  hebraica  et 
graeca,  die  sich  gleichfalls  da  belinden  sollen,  zu  halten  ist,  kann  ich,  da 
jede  weitere  Nachweisung  fehlt,  nichtsagen,  —  als  selbständige  Werke  be- 
trachten will,  nur  in  seinen  Predigten  und  Bibelerklärungen  sie  vielfach  be- 
nutzt. Vgl.  die  gründlichen  Nachweisungen  bei  Dr.  Wiedemann:  Johann 
Eck,  Regensburg  1865,  S.  23— 25,  namentlich  die  Anmerkungen,  und  S.  G15. 

2)  Zu  den  Schülern  in  Tübingen  gehörte  Jakob  Gruerius.  Er  schreibt 
an  \ik.  Ellenbog  29.  Juli  1526:  Sunt  et  mihi  collectanca  quaedam  in  ge- 
oesim,  librum  ruth  et  aliquot  psalmos  quae  a  Joanne  Capnione,  viro  in  re 
hebraea  et  primo  et  facile  doctissimo,  cum  Tubingae  hebraea  et  graeca 
publice  profiteretur,  ad  calamura  dictitans,  magno  cum  Labore  exeripsi,  ex- 
cripta  adhuc  mecum  habeo,  ceu  pignora  et  monumenta  fidi  mei  praeeeptoris 
Capnionis.  Hamm  si  petieris  olim  copiam  faciam  quoque  tibi.  Dass  Ellen- 
bog dieses  Anerbieten  nicht  ausschlug,  ist  natürlich.  Collecfanea  tarnen  quae 
Capnione  illo  doctissimo  praeeeptore  studiosus  auditor  collegisti  ad  me  des 
precor.  in  die  Sixti  1  •">:'.(;.     Die  I'.riefe   in   Nie  Kllenbogü  Epistolarum  libri  IX. 


Fohannes  Renchlin.  31 

Aber  während  er  in  Stuttgart  lebte,  ohne  ein  Lehramt  zu 
bekleiden,  hat  er  Einzelne  in  die  Sprache  eingeführt.  Wir 
haben  schon  oben  gesehen,  wie  er  dem  Conrad  Pellikan  mit 
seinem  Rathe  behiilflich  war;  dass  er  Johann  von  Dalburgs 
Lehrer  im  Hebräischen  war,  wird  freilich  ohne  Beweis  be- 
richtet. Aber  gewiss  ist  es,  dass  Melanchthon,  Keuchlins  Gross- 
neffe, wie  er  überhaupt  dem  Alten  für  seine  Bildung  und  Er- 
ziehung so  viel  verdankte,  auch  das,  was  er  im  Hebräischen 
kannte,  von  diesem  gelernt  hatte'),  und  die  Jünglinge,  die, 
wie  Melanchthon  erzählt,  in  seiner  Gemeinschaft  gern  und  oft 
zu  dem  „greisen  Vater"  von  Tübingen  nach  Stuttgart  wall- 
fahrteten 2),  mögen  auch  dazu  Anregung  von  ihm  erhalten  haben. 
Und  auch  andere  strömten  ihm  zu,  Christoph  Schilling  aus 
Luzern3),  ein  Jüngling,  dessen  auch  Cornelius  Agrippa  von 
Nettesheim  rühmend  gedenkt4);  Johannes  Oekolainpad,  der, 
nachdem  er  seine  Studien  in  Heidelberg  beendet  hatte,  nach 
Stuttgart  eilte,  um  die  Kenntniss  des  Hebräischen  aus  der 
Quelle  zu  schöpfen,  aus  der  sie  ihm  am  reinsten  floss5); 
Johannes  Cellarius ,  der  die  Verehrung  für  seinen  Lehrer  auch 
dadurch  zeigte,  dass  er  ihm  ein  Werk,  das  später  noch  zu 
besprechen  ist,  dedicirte  und  in  einer  Vorrede  sein  Lob  in  be- 
redtesten Worten  aussprach G);  Bartholomäus  Caesar,  dessen 
wir  in  anderm  Zusammenhang  nochmals  werden  gedenken 
müssen,    der    mit  einer  Empfehlung  des  Lorenz   Behaiin    zu 


üb.  IV,  ep.  47,  48,  fol.  132  sq.  (Cod.  8643  der  Bibl.  Imper.  in  Paris,  vol.  I). 
Schüler  R/s  in  Ingolstadt  ist  ferner  Jacob  Ceporinus,  später  Prof.  des  Hebr. 
in  Zürich  (s.  u.).  Vgl. Ersehn.  Gruber:  Realencyclopädie,  Sect.  I,  Th.  15,  S.57. 

*)  Camerarins  in  der  vita  Melanchthonis  sagt  es  freilich  nicht  aus- 
drücklich, sondern  nur  (ed.  Strobel,  p.  70)  Hebraicae  linguae  . . .  quam  a  d  o  - 
lescens  discere  non  negligenter  ineeperat. 

2)  Davon  spricht  Manlius  Locorum  connnunium  collectanea  (Basil.  1563) 
nach  Melanchthons  eigenen  Erzählungen  an  vielen  Stellen. 

s)  Reuehlin  erwähnt  ihn  in  dein  Schlussworte  des  Werkes  De  accentibus 
et  orthographia ,  bei  dem  er  ihm  einen  kleinen  Dienst  leistete. 

4)  Agr.  ab  Nettesheim  Opera  (1739)  II,  p.  733:  Legi  ego  nuper  in  fine 
operis  integerrimi  viri  Johannis  Capnionis  intitulati  de  accentibus  mentionem 
eiusdem  Christophori,  gaudeoque  permultum  tarn  digno  diseipulo  tarn  ex- 
cellentissimum  Cuiitigisse  praeeeptorem. 

5)  Herzog,  Leben  Oekolampads,  I,  S.  107. 

6)  Isagogieon  in  hebraeas  literas.    Hagenoae  1518. 


32  Johannes  ßeuchlin. 

Reuclilin  reiste,  in   der    das    bezeichnende   Wort    vorkommt] 
er    ginge    zu    ihm,    dürstend  nach   der   Quelle    der  Erkennt- 

uiss1);    und    viele    andere,    deren   Kamen    nicht    überliefert 
sind2). 

Und  konnte  Reuchlin  mit  dem  mündlichen  Worte  nich* 
Belehrung  geben,  dann  suchte  er  auf  andere  Weise  den  die 
lvenntniss  der  Sprache  liegehrenden  nützlich  zu  sein.  Von 
vielen  Seiten  wandte  man  sieh  an  ihn,  er  möge  einen  Lehrer 
für  das  Hebräische  schicken.  Es  ist  schon  berichtet  worden  ', 
wie  der  Abt  Leonhard  von  Ottenbeuren  darum  bat  (1508), 
hauptsächlich,  wie  es  scheint,  für  den  Nikolaus  Ellenbog,  einen 
in  den  Wissenschaften  bewanderten  Mönch  seines  Klosters. 
Reuchlin  konnte  dem  Wunsch  nicht  alsbald  entsprechen,  1510 
war  er  im  Stande  einen  hebräischkundigen  getauften  Juden 
zu  schicken;  nachdem  dieser  einen  Monat  hindurch  unterrichtet 
hatte,  musste  er  das  Kloster  verlassen.  Ellenbug  wandte  sich 
an  Conrad  Peutiuger,  um  diesen  Lehrer  mit  Hülfe  und  Rata 
zu  unterstützen1)-  Aber  nicht  blos  in  die  Klöster  drang  die 
von  Reuchlin  gegebene  Anregung,  auch  in  die  militärischen 
Kreise.  Hieronymus  von  Eudorff,  doctor  et  miles,  Rath  des 
Kaisers,  Beamter  seiner  Hofhaltung,  wie  er  sich  selbst  nennt, 
hatte  sich  vom  Hofe  des  Kaisers  auf  sein  Landgtitchen  be- 
geben. Er  hatte  Sehnsucht  nach  den  heiligen  Wissenschaften 
und  hätte   am   liebsten  Reuchlin  selber  bei  sich  gesehn.     Da 


!)  In  dem  oben  S.  29,  Anm.  1  angeführten  Briefe:  At  nunc  quia  fcuus 
discipulus  amicusque  mens  Bartholomaeus  Caesar  ad  fcuam  exceUentiam,  uti 
sitibundus,  ad  scientiarum  fontem  proficiscitur. . . 

2)  Eine  Stelle  ßeuchlins  über  seine  Schüler  (Vorrede  zu  seinen  Septem 
psalmi  poenitentiales.  Tübingen  1512)  verdient  angeführt  zu  werden:  Cuius 
exercitü  diseipulos  uonnullos  nulla  tarnen  mercede  sed  gratuito  feci 
partieipes,  partiin  gratos  qui  praeeeptori  suo  delntuin  honorem  perquam  reve- 
renter  exhibent  partim  vero,  ut  acerbe  audio,  supreme  ingratos 
quibus  deum  iudicem  propono  et  nisi  resipuerint  vindicem  opto.  Ob  unter 
die  Zahl  der  ersteren  .Simon  Sun  leid  zu  rechnen  ist?  Jakob  Ziegler  schreibt 
an  Erasmus:  Codicem  Cypriani  ego  vidi  concreditum  Simoni  Sunfeldo,  doctori 
Medicinae,  homini  Hebraea,  Graeca  et   Latina  Lingua  docto,  et  cui  est  ad 

Capni in  Qostrum  antiqua  familiaritas.    Rom.  16.  Febr.  1522,  OperaEräsmi 

CLugd.  Bat.  1706)  vol.  III,  col.  1699.     Epist.  (Appendix)  uro.  CCCXX. 

3)  S.  oben  S.  16,  Anm.  3. 

4)  Per  Brief  in  C.  Peutingeri  Sermones  convivalea  ed.  Zapf.  Aug  burc 
L789  uro.   Vil,  p.    Ms  8q. 


fohannea  Renchlin.  )53 

das  nicht  anging,  bat  er  um  einen  Lehrer,  den  Renchlin  zu 
dieser  Thätigkeit  vorbereitet  hätte *).  Und  selbst  die  höchsten 
Kreise  verschmähten  es  nicht  seinen  Beistand  zu  verlangen. 
Es  ist  erzählt  worden,  dass  der  Churfürst  von  Sachsen  ihm 
den  hebräischen  Lehrstuhl  in  Wittenberg  anbot;  als  er  ihn 
für  sich  ablehnte,  bat  er  ihn  wenigstens,  einen  andern,  der 
ihm  geeignet  schien,  für  diese  Stelle  vorzuschlagen2). 

Und  auch  in  anderer  Weise  verlangte  man  seinen  Rath. 
Wie  er  im  Lateinischen  und  Griechischen,  wie  er  in  der  Theo- 
logie als  Autorität  galt,  an  den  man  sich  in  zweifelhaften 
Fällen  wandte,  dessen  Gutachten  man  bei  schwierigen  Fragen 
einholte,  so  wandte  sich  Peutinger  an  ihn,  um  zu  erfahren, 
ob  der  5.  Mos.  cap.  14  erwähnte  pygargus  nicht  vielmehr  py- 
gardus  heisse,  ob  er  eine  Adlerart  sei  oder  ein  vierfüssiges 
Thier3),  will  Johannes  Stoifler,  der  bekannte  Astrologe,  wissen, 
ob  bobel  und  bovel  hebräische  Worte  sind 4),  fragt  ein  Wolfgang 
praepositus  in  Ror  über  schwierige  Stellen  in  Reuchlins  Werk 
de  verbo  merifico  an5),  fordert  ihn  Johannes  Amorbach  auf, 
ihm  bei  seiner  Ausgabe  des  Hieronymus  für  die  Dinge,  die 
Kenntniss  des  Hebräischen  nöthig  machen,  behülflich  zu  sein e), 
und  Andere  verlangen  Anderes7).  Alle  diese  kleinen  Züge 
mögen  nicht  für  mehr  gelten,  als  sie  wirklich  sind:  sie  sollen 
nur  dazu   dienen,   die  Wirksamkeit  Reuchlins,    die    in   ihren 


x)  An  Reuchlin  31.  Jan.  1509  (Epp.  111.  vir.  i  a.b.)  Ich  führe  nur  eine 
kleine  Stelle  an:  Sed  ctulcissime,  mi  pater,  cum  caream  docentis  vivae  vocis 
oraculo  obsecro  ut  unum  mihi  mittas  quem  forte  instituisti  pro  cura  huiusce 
rei.  Der  Lehrer  soll  auch  reiten  können,  um  ihn  und  sein  Söhnchen  auf 
Reisen  zu  begleiten;  dafür  soll  er  Unterhalt  und  Kleider  bekommen  und 
Gehalt,  so  viel  Reuchlin  für  ihn  verlange. 

2)  Reuchlins  Brief  an  den  Churfürsten  vom  7.  Mai  1518,  auf  den  in 
andenn  Zusammenhang  zurückzukommen   ist. 

3)  12.  Dec.  151*2  Epp.  111.  vir.  e  4  sq.  Reuchlins  Antwort  folgt  gleich 
ilarauf. 

4)  8.  Apr.  1502.   Epp.  111.  vir.  i  b  sq. 

5)  1501.   Epp.  ill.  vir.  h  4. 

6)  27.  Juni  1509  Epp.  ill.  vir.  g  1 1)  sq. 

7)  Auch  seine  im  Hebräischen  ebenso  gut  als  in  anderen  wissenschaft- 
lichen Fächern  ausgestattete  Bibliothek  veranlasste  zu  Bitten,  vgl.  oben 
S.  17,  Anm.  3.  Georg  Simler  bittet  dringend  um  einen  hebräischen  Psalter 
20.  Juni  1509.    Epp.  ill.  vir.  i  2a. 

Geiger,  Studium.  3 


34  Johannes  Eteuchlin. 

grossen  Zügen  so  bekannt  ist,  auch  für  das  Kleine  und  Ein- 
zelne zu  beleuchten  J). 

Die  grösseren  Werke  und  Arbeiten,  die  er  auf  unserem 
Gebiete  hinterlassen,  sollen  im  Folgenden  erwähnt  werden. 
Zuerst  erschienen  seine  Rudiments  Linguae  hebraicac,  1506, 
hebräische  Grammatik  und  Wörterbuch.  Reuchlin  war  sich 
bewusst,  damit  einen  neuen  Weg-  zu  betreten,  und  wie  er  am 
Schluss  des  Werkes  die  stolzen  Worte  von  sich  aussprach : 
Exegi  monumentum  aerc  pereimius,  so  kehrt  das  Selbst- 
bewusstseiu,  als  Erster  auf  diesem  schwierigen  Pfade  voran- 
zugehn,  noch  an  vielen  Stellen  wieder-).  Gleichsam  zur  Ver- 
teidigung, dass  er  das  Werk  überhaupt  unternommen,  führt 
er  eine  Constitution  Papst  Clemens'  V.  an,  die  die  Beschäfti- 
gung mit  der  hebräischen  Sprache  gestatte;  und  wie  wenig 
vorbereitet  er  die  Leser  seines  Werkes  glaubt,  zeigt  er  da- 
durch an,  dass  er  sie  wiederholt  crmahnt,  das  Werk  nicht 
wie  andere  von  der  linken  zur  rechten,  sondern  von  der 
rechten  zur  linken  Seite  zu  lesen3).  Er  theiltc  das  Werk  in 
drei  Theile:  der  erste  umfasstc  Erläuterungen  über  Buchstaben, 
Silben,  Redewendungen,  enthielt  alle  Worte  von  Anfang  des 
Alphabets  bis  zum  Buchstaben  k ;  der  zweite  setzte  das  Wort- 
verzeichniss  vom  1  bis  zum  Ende  des  Alphabets  fort,  indesfl 
nur  die  biblischen  Ausdrücke,  ohne  die  Sprache  des  Talmuds 
und  der  Rabbinen  zu  berücksichtigen  und  ohne  auch  für  die 
ersteren  Anspruch  auf  Vollständigkeit  zu  machen.  Der  letzte 
Theil  handelte  von  der  Grammatik;    er  sollte  den,    der  übei 


!)  Wie  sehr  man  nach  seinem  Tode  seinen  Beistand  vermisste,  dafür 
mag  Folgendes  als  Zeugniss  dienen.  Nikolaus  Gerbclius  —  ein  Pforzheimer, 
wie  Ecuehlin  —  schreibt  an  Johann  Schwehel:  Quod  adeo  avide  studi 
Hebraica  seetaris  recte  atqne  optime  facis.  öbi  enim  melius  divinum  spiri- 
tum  pereipies  quam  in  ea  Lingua  qua  primo  hominem  animarc  voluit?  Ego 
sane  nulla  re  egeo  ad  iil  studium,  quam  Capnionis  opera.  Nee 
est  quod  plurium  librorum  copiam  desideres,  mea  sententia:  nam  tota  res  in 
veteri  Testamento  conferendo  consistit.  1523  in:  Centuria  Epistolarum  theolo- 
gicarum  ad  Johannem  Schwebelium.    Zweibrücken  151)7.  uro  IS.  p.  49  sq. 

2)  z.  B.  in  der  Vorrede  zum  1.  Buch:  Quod  qunm  ante  me  inter  Latinos 
nemo  fecisse  appareat,  spero  inde  gratiam  band  medioerem  et  apud  posteros 
laudem  absqne  invidia  non  intermorituram  consequi. 

3)  Tn  der  Einleitung  zum  1.  Buch  und  am  Schluss  des  Werkes  inen 
paar  Versen,  die  anfangen  :  I  !anon.  Non  esi  liber  legendus  hie  ceii  ceteri  u.s.v. 


Johannes  Reuchlin.  35 

die  Bedeutung  der  "Worte  unterrichtet  sei,  nun  in  den  Stand 
setzen,  in  ihren  Theilen  kunstvoll  gestaltete  Sätze  und  Rede- 
wendungen zu  bilden.  Als  Vorbild  folgte  er  dem  Sepher  Michlol 
des  Kimchi,  einem  Buche,  das  ihm  beim  Erlernen  der  Sprache 
gute  Dienste  geleistet  hatte.  Er  hatte  nach  besten  Kräften 
gearbeitet.  Schätze  des  "Wissens  zusammengerafft  und  geordnet 
und  war  von  einem  Geiste  geleitet  worden,  der  nicht  starr 
an  dem  Ueberlieferten  klebte ,  sondern  sich  von  dem  Falschen, 
was  frühere  Zeiten  gelehrt  hatten,  zu  befreien  suchte.  Grade 
das,  meinte  er,  werde  ihm  wohl  Feindschaft  eintragen,  dass 
er  es  oft  gewagt  die  Uebersetzungen  der  Früheren  zu  tadeln, 
eines  Hieronymus,  dessen  Schriften  vom  Papst  Gelasius  als 
beilig  aufgenommen,  eines  Nikolaus  de  Lyra,  der  als  treuer 
Erklärer  allen  Gläubigen  bekannt  sei.  Aber  dasselbe  Recht, 
das  Hieronymus  gegen  die  Uebersetzung  der  70,  das  Lyra 
gegen  die  des  Hieronymus,  das  Paul  von  Burgos  gegen  Lyra 
angewendet  habe,  das  stehe  auch  ihm  gegen  jene  zu,  er  ver- 
ehre sie  auf's  Höchste,  aber  die  Wahrheit  gehe  ihm  über  Alles  ')• 
Seine  Anstrengungen  in  dem  Buche 2)  wurden  anerkannt. 


!)  Die  letztere,  oft  angeführte  schöne  Stelle  lautet:  Quanquam  eniin 
Hieronymum  sanetum  veneror  ut  angelum,  et  Lyram  colo  ivt  magistrum, 
tarnen  adoro  veritatem  ut  deum  in  der  Vorrede  zum  3.  Buch. 

2)  Eine  neue  Ausgabe  veranstaltete  Sebastian  Münster,  Basel  15: ">7, 
über  die  später  zu  sprechen  ist;  einen  Auszug  des  Lexikons  gab  Theodoricus 
Martinus  Alostensis  in  seinem  Dictionarium  Hebraicum  (o.  0.  u.  J.  in  4°. 
Bibl.  imp.  Par.  X,  99.)  Er  sagt  selbst  auf  dem  Titel:  Redeginius  in 
Enchiridion,  lectores  optimi,  primitiva  vocabula  sive  radices  hebraiearum 
dictionum .  quae  a  Capnione  diligenter  et  diffuse  traetantur,  cuius  ideo  ubique 

ferme  verba  apposuimiis,  quod  ingeniöse  in  alienis  libris  videri  noluimus 

Das  Blich  enthält  nichts  als  die  Stämme  mit  den  abgeleiteten  Worten,  alles 
unpunktirt,  daneben  Angabe  ihrer  Bedeutung  in  möglichster  Kürze,  kein 
Wort  nimmt  mehr  als  eine  Zeile  ein.  Dann  folgen  unter  dem  Titel:  Utilis 
quaedam  et  succineta  in  Hebraeas  literas  introduetio  ganz  kurze  Bemerkungen 
über  die  Buchstaben  und  eine  Tabelle  des  Verbums.  Der  Schluss  des  Ganzen 
mag  hier  folgen:  Kon  esse  ignorandum  statuo,  vocabula  in  dictionario  meo 
posita  nihil  existimari  deberi  nisi  formas,  typos,  exemplaria  et  ideas  nondum 
singnlarizatas,  ideo  nee  opns  esse  punetis  in  dictionario  nee  vocabula  necesse 
fore  seeundum  notata  illic  pnneta  pronunciari.  Deinde  memineris  velim,  in- 
tegra  verba  res  vel  actiones  significantia  (non  dico  consignificativa )  trito  more 
ternis  literis  constare  praeter  admodum  pauca,  quapropter,  si  abundantiam 
videris,  subtrahe,  sin  defeetnm,  adde.  Sunt  itaque  literae  in  prineipio  vel  ob- 
mutesci-nte^  aleph  et  iod  vel  deficientes  nun,    lamed,  jod.    In    medio   vero 

3* 


36  Johannes  Benchlin. 

von  allen  Beurtheilern  der  Zeit  und  Reuchlins  Leistungen  wird 
dies  Werk  als  ein  grundlegendes  betrachtet.  Bei  diesem  einen 
Werke  blieb  Rcuchlin  nicht  stehen,  in  verschiedenen  anderen 
hat  er  die  Früchte  seiner  Beschäftigung  mit  der  hebräischen 
»Sprache  niedergelegt.  An  die  Rudimenta  schloss  sich  ein 
zweites  an,  das  einzelne  Theile  der  Grammatik  näher  erläu- 
tern sollte:  über  Accente  und  Orthographie.  In  drei  Büchern 
sollte  es  die  Regeln  für  die  Aussprache  lehren ,  in  dem  ersten 
die  des  grammatischen,  im  zweiten  des  rhetorischen,  im  dritten 
die  des  musikalischen  Accents  auseinandersetzen.  Der  soge- 
nannte grammatische  Accent,  die  Betonung  in  der  gewöhn- 
lichen Rede,  wurde  nach  seinen  verschiedenen  Arten  im  Nomen, 
Adjectivuni  und  Verbum  gelehrt,  für  die  Regeln  der  Musik 
folgten  einige  Notenbcilagen,  die  das  Gesagte  deutlich  machen 
sollten  l). 

Auch  andere  kleinereWerke  sollen  nicht  übergangen  werden. 
Schon  im  Jahre  1512  hatte  er,  im  Auschluss  an  seine  Rudi- 
mente, wie  um  die  hier  nur  theoretisch  gegebenen  gram- 
matischen Lehren  praktisch  auseinanderzusetzen,  die  7  Bus-; 
Psalmen  herausgegeben,  dem  hebräischen  Text  eine  wortgetreue 
Uebersetzung  folgen  lassen  und  daran  Erklärungen  ange- 
schlossen, die  weniger  dazu  bestimmt  waren,  die  Schwierig- 
keiten, die  der  Sinn  bot,  zu  lösen,  als  die  grammatischen 
Fragen  bis  in's  Einzelnste  zu  erörtern2).  Mit  diesen  Studien 
hing  auch  ein  anderes  Werkchen  zusammen,  das  kurz  erwähnt 
sein  mag,  eine  Uebersetzung  der  Erklärungen  des  Athanasius 


alepb,  iod,  wau,  in  fine  autem  aleph  et  he  et  si  qua  sit  litera  geminata. 
Ili  sunt  modi,  quibus  tales  tlcfectus  reparare  valebis.  Finis.  (Dieses  Stiu-k 
wird  als  von  Eeuchlin  geschrieben  angegeben.) 

i)  Das  Werk  De  accentilms  et  ortbograpbia  Linguae  Hebraicae..  libri 
tres  erschien,  dem  Cardinal  Hadrian  gewidmet,  Eagenau  bei  Thomas  Anshelm 
1518.  —  l)ass  die  Angabe  Köhlers  (Beiträge  zurLit.-  u.  Kunstgesch.,  2. Tb., 
Leipzig  1794,  S..3),  Benchlin  habe  ein  hebr.  Wörterbuch  onter  dem  Titel 
Breviloquus  herausgegeben,  auf  einer  Verwechselung  mit  R.'s  lateinischem 
Lexikon  beruht,  bedarf  keines  weiteren  Beweises. 

2)  Joannis  Beuchlir  ....  in  septem  psalmos  poenitentiales  hebraicos 
interpretatio.  Tübingen,  Anshelm  L512.  Das  Fehlen  bibliographischen  Details 
in  diesem  Abschnitt  bitte  ich  damit  zu  entschuldigen,  dass  eine  in  Vor- 
bereitung begriffene  Biographie  Reuchlins  auch  hierüber  das  Nöthige  an- 
geben wird. 


Johannes  Reuchlin,  o7 

zu  den  Psalmen,  ohne  Zuthat  Reuchlin's  (1515).  Eine  andere 
Arbeit  war  die  Uebersetzung  eines  hebräischen  Gedichtes,  die 
silberne  Schüssel  des  Joseph  Ezobi  in  Perpignan,  eines  Hoch- 
zeitsgedichts, das  dieser  für  seinen  Sohn  Samuel  verfasst 
hatte  (1512  *). 

In  hebräischer  Sprache  selbst  hat  Reuchlin  nur  sehr 
Weniges  geschrieben ;  die  Anführung  eines  von  ihm  verfassten 
hebräischen  Werkes  beruht  auf  einer  Verwechselung 2).  Einige 
Briefe  von  ihm  in  dieser  Sprache  sind  vorhanden,  an  seinen 
früheren  Lehrer  Jakob  Loans,  an  den  Leibarzt  Leo's  X.,  Bonet 
de  Lates,  in  dem  er  um  dessen  Mitwirkung  in  seinem  Pro- 
cesse  gegen  die  Kölner,  namentlich  um  die  Geltendmachung 
seines  Einflusses  beim  Papste  bat,  ein  Promemoria  in  diesem 
Streite,  das  im  Wesentlichen  nur  eine  Umschreibung  dieses 
Briefes  ist:;).  Ein  anderer  hebräischer  Brief  ist  verloren,  nur 
das  Antwortschreiben  des  Jakob  Margoles,  Vorstehers  der 
jüdischen  Gemeinde  in  Piegensburg,  ist  erhalten,  aus  dem 
hervorgeht,  dass  Reuchlin  sich  an  ihn  einiger  kabbalistischen 
Werke  wegen  gewandt  hatte4). 

Nach  Betrachtung  der  Leistungen 5)  sei  es  gestattet,  einen 
kurzen  Blick  zu  werfen  auf  die  Art,  in  der  die  Zeitgenossen 
Reuchlin's  Studien  betrachteten.  Und  da  kann  man  wohl 
sagen:  sie  strömten  über  von  Lob.  Es  war  ein  ganz  neues 
Gebiet,  das  Reuchlin  ihnen  erschloss,  und  wie  sie  sich  gern 
seiner  sicheren  Leitung  in  demselben  anvertrauten,  so  Hessen 
sie  es  an  sich  nicht  fehlen,  seine  Verdienste  ihm  selbst  und 
der   Welt    gegenüber    in   das    richtige  Licht    zu   stellen.     So 


Jl  Vgl.  F.  Delitzsch:  Zur  Geschichte  der  jüdischen  Poesie.  S.  66. 

2)  Serapeum  etc.  von  E.  Naumann,  1868,  Nr.  13,  S.  193  fg.  Eben- 
sowenig, wie  diese  Schrift,  dürfen  Reuchlin  die  Tabulae  XX.  institutionum 
in  linguam  S.  Basileae  1554.  Compendium  Grammaticae  Hebr.  Wittenberg 
1581,  zugeschrieben  werden,  wie  Herzog  Athenae  Rauricae  p.  458  dies  thut. 

3)  Ueber  den  Brief  an  Loans,  s.  o.  S.  27,  Anm.  4.  Die  beiden  letzten 
Schriftstücke  hat  Grätz  a.  a.  0.  IX,  Noten,  S.  XVII — XX.  abdrucken  lassen. 

4)  Ueber  diesen  Brief  (Epp.  ill.  vir.  m  b  sq.)  undatirt  und  die  Ver- 
wirrung, die  Grätz  in  Betreff  des  Briefschreibers  angerichtet  hat,  vergl. 
Dr.  M.  Wiener  in  Frankel :  Monatsschrift  für  Geschichte  und  Wissenschaft 
des  Judenthums,  1868,  S.  345  sqq. 

5)  Reuchlin's  kabbalistische  Werke  sind  oben  (S.  12—14)  bereits  als 
eine  Folge  der  hebräischen  Studien  im  Allgemeinen  zur  Genüge  gewürdigt. 


38  Johann«  Reuchlin. 

nennt  ihn  Heinrich  Bebel  einen  Manu,  dem  man  gegenwärtig 
in  der  Kenntniss  des  Hebräischen  selbst  vor  jedem  Juden, 
geschweige  denn  vor  einem  Christen  den  Vorrang  geben 
müsse l),  ja  seit  Hieronymus  sei  kein  solcher  Mann  anfge 
standen,  weder  in  Deutschland,  noch  in  Frankreich,  noch  in 
Italien.  Nicht  blos  die  griechische  Sprache  habe  er  wieder 
erweckt,  sagt  der  Hirsauer  Mönch  Nikolaus  Basellius,  auch 
die  hebräische  ziehe  er  nun  aus  dem  Staube  hervor.  Die 
ganze  Gelehrtengemeinde  müsse  ihm  unendlichen  Dank  sagen, 
da  er  eine  solche  Last  auf  seine  Schultern  nehme,  die  Juden 
müssten  sich  beschämt  zurückziehen,  in  der  Kenntniss  ihrer 
eigenen  Sprache  besiegt,  die  Theologen  müssten  ihm  den 
Kranz  reichen,  da  er  die  heiligen  Schriften  in  ihrem  alten 
Glänze  habe  auferstehen  lassen2).  Durch  seine  Verthcidigung 
der  jüdischen  Bücher  gegen  Pfefferkorn's  Angriffe  galt  er  als 
der  Erretter  der  Lehre  jener  Bücher,  ohne  deren  Kenntniss 
uns  ewige  Nacht  umhüllt,  ewige  Verdammniss  uns  umgibt 3). 

Es  gab  nur  Wenige,  die  nicht  diese  Bewunderung  theilten, 
die  nicht  in  die  allgemeine  Lobpreisung  einstimmten,  das 
waren  fast  nur  die  Kölner  Gegner  Reuchlin's,  vor  allem  Johann 
Pfefferkorn,  Letzteren  hatte  Reuchlin  freilich  empfindlich 
genug  gekränkt;  er  hatte  ihm  gesagt,  er  sei  ein  durchaus 
unwissender  Mensch  und  verstünde  kein  Hebräisch.  Das  ver- 
suchte ihm  Pfefferkorn  mit  gleicher  Münze  zurückzugeben. 
Reuchlin  hatte4)  ehrlich  genug  gestanden,  er  hätte  den 
Thalmud  nicht  erwerben  und  erlernen  können;  dieses  Gcständ- 
niss  griff  Pfefferkorn  begierig  auf5),  er  sprach  ihm  Kenntniss 
der  jüdischen  Gesetze  und  Schriften  kurzweg  ab6)  und  er- 
klärte den  Ruhm,  den  die  Juden  Reuchlin  als  einem  in  ihrer 
Sprache  und  ihrem  Schriftthum  Erfahrenen  zuerkannten,  nicht 
als  auf  Reuchlin's  wirkliche  Verdienste    gegründet,    sondern 


i)  Epp.  111.  vir.  fl). 

2)  14.  Sept.  1501  Epp.  ill.  vir.  h  iia  sq. 

3)  Acgidius  Viterbiensis  an  Reuchlin  1516.  Epp.  ill.  vir.  H  üi  1'  q. 
■i)  Augenspiegel,  fol.  XLb. 

■r>)  Brantspiegell  (Köln  1512)  l>  I  .-> :  Aber   in  dem  hat   er  -wai  gereth 
das  er  keyn  verstant  des  Thalmndts  hat». 
(51  liaihlt  Spiegel  (15J1)  fl  '-'• 


Johannes  Reuehlin.  .'{!) 

als  eine  Folge  der  jüdischen  Gewohnheit  „wer  sie  berümpt, 
den  berümen  sie  wider,  und  wer  jn  dient,  dem  dienen  sie 
wider  l).u  Die  natürliche  Consequenz  von  Pfefferkorn's  Vor- 
wurf, Reuehlin  verstände  kein  Hebräisch2),  war,  dass  er  er- 
klärte, die  unter  seinem  Namen  ausgegangenen  hebräischen 
Werke  seien  gar  nicht  von  ihm;  er  habe  sie  sieh  von 
einem  gelehrten  Juden  machen  lassen,  und  nur  seinen  Namen 
dazugesetzt,  „gleich  als  ob  du  werst  ein  grosser  gelerter 
Doctor  unnd  lerer  der  Hebreyscher  tzungen8)."  Gegen  diese 
Vorwürfe  hat  sich  Reuehlin  vertheidigt,  aber  wir  erkennen 
den  Ungrund  der  Beschuldigung  an,  auch  ohne  die  Vertei- 
digung gehurt  zu  haben. 

Er  hatte  sich  gegen  diese  Anschuldigungen  vertheidigt, 
weil  die  Beschäftigung  mit  der  hebräischen  Sprache  ihm  eine 
Herzenssache  war.  Er  war  stolz  darauf,  sie  wiedererweckt 
zu  haben,  nicht  weil  er  reichen  Lohn  dafür  erwartete,  sondern 
weil  er  im  Stande  gewesen,  den  Studien  seiner  Zeitgenossen 
eine  neue  Richtung  zu  geben.  Zu  dieser  Leistung  fühlte  er 
sich  gleichsam  berufen;  die  Juden,  die  einzigen  Lehrmeister 
der  Sprache,  seien  bald  ganz  aus  Deutschland  verbannt,  man 
müsse  fürchten,  dass  mit  ihnen  die  Kenntniss  der  hebräischen 
Sprache  verschwinde  und  jede  Gelegenheit  aufhöre,  sich  die- 
selbe zu  verschaffen  '-).  Es  war  ihm  die  heilige  Sprache;  mit 
ihrer  Erschliessung  meinte  er  der  Theologie  einen  wesent- 
lichen Dienst  geleistet  zu  haben  und  beklagte  sich  bitter, 
dass  das  von  den  Kölner  Theologen  nicht  anerkannt  wurde5); 
erst  durch  sie,  lehrte  er,  könne  man  in  den  Stand  gesetzt 
werden,  die  tiefe,  verschlossene  Wissenschaft  der  Philosophie 
zu  ergründen  6). 


i)  a.  a.  0.  C  2b. 

2)  Er  sagt  einmal,  Reuehlin  verstünde  nicht  soviel,  „das  du  (Reuehlin) 
eyn  Epistel  auss  dem  Latein  in  die  Hebreysche  sprach  oder  auss  dem  He- 
breyschen  in  das  Latein  möchst  übersetzen."  Pf.  Eyn  mitleydliche  claeg 
vber  alle  claeg  etc.  (1521)  Gl. 

3J  Eyn  mitleydliche  claeg  F  4  b. 

4)  De  Eudimentis  hebraicis,  Einleitung  zum  1.  Buch. 

5)  An  Arnold  v.  Tungern,  28.  Octbr.  1511.  Epp.  ill.  vir.  p  ii  fg.,  ähn- 
lich in  der  Vorrede  zu  Septem  psalmi  pocnitcntinles  1.  August  1512. 

6)  Eud.  hehr.,  Schluss  des  3.  Buches. 


40  Johannes  Beuchlin. 

Und  dennoch,  obwohl  es  sein  Liebstes  war,  sieh  dem 
Studium  dieser  Sprache  ganz  zu  weiheu,  erkannte  er  gar  wol, 
welches  Vorurtheil  noch  gegen  die  Beschäftigung  mit  dersel- 
ben herrschte,  und  als  Pfefferkorn  ihm  einmal  vorwarf,  er 
habe  sich  gern  vor  Fürsten  und  Herren  seiner  Kenntniss  ge- 
rühmt, da  hatte  er  nicht  Unrecht,  wenn  er  der  Zurückweisung 
dieses  Vorwurfs  die  Bemerkung  hinzufügte,  ein  solches  Prahlen 
„hett  mir  vil  mer  zu  verclaincrung  gediennt,  dann  zu  ainem 
lob1)."  Und  fast  am  Ende  seines  Lebens,  1518,  als  er  sein 
zweites  grösseres  Werk  dem  Cardinal  Hadrian  zueignete, 
musste  er  es  aussprechen:  Nicht  Durst  nach  Gold  habe  ihn 
dazu  getrieben,  die  hebräischen  Geheimnisse  zu  lernen,  nicht 
eitle  Ruhmsucht,  im  Gegentheil,  er  habe  diese  Studien  ver- 
bergen müssen,  weil  man  sie  eines  hochgestellten  Mannes 
für  unwürdig  hielte  -). 

Dass  dieses  Vorurtheil  für  die  Folgezeit  ganz  geschwun- 
den ist,  das  wird,  wenn  auch  die  Leistungen  Keuchlin's  jetzt 
nicht  mehr  mit  derselben  hohen  Bewunderung  angesehen  wer- 
den, wie  früher,  stets  das  Verdienst  Beuchlin's  bleiben3). 


!)  Reuchlims  Augenspiegel  (1511)  fol.  XXXVb. 

2)  Xulla  me  fames  auri  adegit  ad  hebraica  mysteria  diseenda,  nulla 
inanis  gloria  sitis,  ea  enim  studia  tum  celanda  vulgo  erant,  ut  quae  in  tänta 
dignitate  constituto  viderentur  indecentia. 

s)  Wie  sehr  die  Tübinger  Universität  Beuchlin's  Verdienste  um's  He- 
bräische zu  schätzen  wusste,  zeigt  Folgendes:  Am  18.  April  1728  bei  Ge- 
legenheit eines  Examens  von  24  Studirenden  veröffentlicht  Uecanus  et  col- 
legiutn  Facultatis  Philosophicae  einen  Anschlag  (ein  Folioblatt  in  der  k. 
Stuttgarter  Bibl.  eingelegt  in  die  Handschrift  Hist.  560),  in  dem  über  die 
hebräischen  Lehrer  in  Tübingen  gesprochen  wird.  Tübingen  sei  in  der  Re- 
formationszeit den  übrigen  Universitäten  überhaupt  vorangegangen,  in  einer 
Zeit,  wo  hebraea  legere  propemodum  haeresis  erat.  Das  erste  hebräische 
Buch,  Psalmi  poenitentiales  VII,  sei  dort  gedruckt  (1512,  der  Ansehlag  gibt 
fälschlich  an  1522),  sed  etiam  de  constituendo  et  vocando  Professore  harum 
linguarum  scrium  est  actum.  Quis  vero  voearetur  alius  quam  hujus  litera- 
turae  felicissimus  Restaurator  atque  adversus  ignarum  et  rudissimum  istius 
äetatis  Monachorum  pecus  fortissimus  Vindex,  incomparabilis  Reuchlinua,  vel, 
ut  appellari  amabat,  Capnio,  qui  licet  Juris  Consultus,  Cornea  Palatiniis, 
Consiliariu3  Caesareus  et  maxime  Würtemhergicus  atque  ad  Mimmas  Baepe 
Aulas  Legatus,  tanto  tarnen  linguae  sanetae  flagravit  amore,  ut  eam  maxiiiia 
diligentia  multoque  pretio  Vindobonae  et  Eomae  a  Judacis  didicerit,  in 
scriptis  suis  doctissimis,  lexico  maxime,  propagaverit,  et  cum  in  Bojorum 
Angelopoli,  tum  hie  Tubingae  A.  MDXXI.  primus  publice  fuerit  profeaaus, 


Johann  Böschenstein  und  Matthäus  Adrianus.  41 

IV. 

Johann  Böschenstein  und  Matthäus  Adrianus. 

Das  Vorurtheil,  als  sei  ein  Jeder,  der  sich  mit  dem  Stu- 
dium der  hebräischen  Sprache  abgebe,  ein  Jude,  als  weiche 
er  von  christlichem  Wege,  von  christlichen  Anschauungen  ab, 
hat  sich  namentlich  gegen  die  beiden  Männer  gerichtet,  deren 
Lebensschicksale  und  Leistungen  uns  im  Folgenden  beschäf- 
tigen sollen. 

Matthäus  Adrianus  war  ein  geborener  Jude  aus 
Spanien.  Ob  er  selbst  bei  der  Vertreibung  der  Juden  aus 
Spanien  (1492)  dies  Land  verlassen  hat,  oder  von  einer  spa- 
nischen Familie  stammt,  lässt  sich  nicht  entscheiden ;  Reuchlin 
nennt  ihn  einmal  Hispanus1),  das  ist  der  Beweis  für  seine  spa- 
nische Herkunft,  dass  er  ein  getaufter  Jude  gewesen,  dafür 
liegen  sichere  Zeugnisse  genug  vor  -).  Er  hatte  in  seiner  Jugend, 
wie  jeder  andere  Genosse  seines  Glaubens,  sich  ohne  Zweifel 
die  nothwendigen  Kenntnisse  in  der  „heiligen  Sprache"  er- 
worben; aber  sein  eigentliches  Studium  sollte  es  nicht  werden, 
er  war  Arzt  und  ist  es  ohne  Zweifel  auch  sein  Leben  hin- 
durch geblieben;  noch  1517  beglückwünscht  Erasmus  den 
kranken  Peter  Aegidius,  dass  er  einen  Arzt  (Adrianus)  zum 
Freunde  habey). 

Wann  und  wo  Adrianus  geboren,  in  welcher  Weise  ei- 
sern Leben  zugebracht  bis  zu  dem  Augenblick,  wo  er  uns 
zuerst  begegnet,  können  wir  nicht  sagen ;  auch  von  da  an,  wo 
wir  die  erste  sichere  Spur  von  ihm  besitzen,  können  wir  keine 
Annalen  seines  Lebens  liefern,   wir  sind  auf  fragmentarische 


!)  Er  sagt  von  einer  Schrift  Pfefferkorns  (einer  Uebersetzung  des  Ave 
Maria  u.  s.  w.  in's  Hebräische),  sie  sei  von  Adriano  Hispano  iuste  reprehensa. 
Reuchlin  an  die  Pariser  Fakultät  19.  Juni  1514.  Epp.  ill.  vir.  v  3  b. 

^J  Erasmus  schreibt  an  Aegidius  Buslidius:  Adrianus  genere  Hebraeus, 
sed  religioue  iam  olim  <  'hristianus.  Erasrai  Opera  ed.  Lugd.  Bat.  vol.  III. 
col.  353.  u.  a.  m. 

3)  Er.  Opp.  a.  a.  0.  Epist.  CCXL.  col.  236.  17.  April  1517. 


42  Johann  Böschenstein  und  Matthäus  Adrianns. 

Notizen  angewiesen,  die  aller  Orten  haben  aufgelesen  werden 
müssen.  Nach  Conrad  Pellikans  Weggang  (1501» V  1510V),  der 
dem  gelehrten  Buchdrucker  Johann  Amorbach  in  Basel  für 
den  Unterricht  seiner  Söhne  im  Hebräischen  und  für  die  Her- 
ausgabe des  Hieron vmus  nützlich  gewesen  war,  nahm  Amor- 
bach den  Adrianns  in  sein  Haus  auf.  Er  war  von  Renchlin 
und  Pellikan  warm  empfohlen.  Wie  er  deren  Bekanntschaft 
gemacht,  darüber  fehlen  uns  die  Nachrichten;  Pellikan  hat  er 
im  Hebräischen  unterrichtet,  und  der  Schüler  rühmt  den  Lehrer 
ungemein:  „Er  habe  von  ihm  mehr  gelernt,  als  von  irgend 
einem  Andern,  und  viele  Nächte  schlaflos  mit  ihm  zugebracht"  *). 
Sein  Antheil  an  der  Herausgabc  des  Hieronynms  lässt  sieh 
nicht  bestimmen,  dass  er  aber  im  hebräischen  Unterricht  für 
die  drei  Sühne  Amorbach's,  Bruno,  Basilius  und  Bonifacins, 
Treffliches  geleistet,  beweisen  spätere  Zeugnisse 2),  auch  wissen 
wir,  dass  er  mit  ihnen  weiter  in  freundschaftlicher  Verbindung 
geblieben  ist5).  Einige  Jahre  wird  er  wol  in  Amorbach's 
Hause  oder  jedenfalls  in  Basel  geblieben  sein;  gegen  das 
Jahr  1513  wurde  von  ihm  Wolfgang  Fabritius  Capito  in  der 
hebräischen  Sprache  unterrichtet.  Dass  der  Unterricht  von 
Erfolg  begleitet  gewesen,   meldet  Sebastian  Münster,   freilich 


Für  Adrians  Stellung  bei  Amorbacb  vgl.  Fechter:  Bonifacins  Amor- 
bach  in:  Beitrage  zur  vaterländ.  Gesch.  Basel   1843.  2.Bd,  S.  17;»  fg. 

2)  Erasmus  rühmt  die  tres  doctissimos  jnvenes  fratres  Amorbacchios, 
Hebraicarum  quoque  literarnm  pulchre  doctos,  an  den  Cardinal  Grimanus 
31.  März  1515.  Kr.  Opp.  III.  col.  143;  vgl.  auch  Praefatio  in  Augustinum 
(1529)  col.  1249;  ähnlich  an  Leo  X.  col.  154.  In  diesem  Briefe,  der  Wid- 
mung der  Ausgabe  des  Hieronymus  an  den  l'apst,  bezieht  sich  aber  die 
Stelle:  Quod  idem  (nämlich  die  Verbesserung  der  vielen  Fehler)  factum  es\ 
.1  in  Bebraicis:  verum  obx  öfveu  Qrjciua,  ut  Graecum  habet  proverbium, 
quod  eas  literas  ipse  primoribus  modo  labris  degnstarim  (col.  153),  wol  auf 
Reuchlin,  von  dem  es  dann  bei  Aufzählung  der  Mitarbeiter  lieisst:  Inter 
quos  est  eximius  ille  vir  Joannes  Reuchlinus  Phorcensis,  trium  linguarum 
Graecae,  Latinae  et  Hebraicae  pene  ex  aequo  peritus,  ad  baec  in  nullo  doc- 
trinae  genere  non  versatus,  ita  ut  cum  primia  certare  possit.  Unde  merito 
virum  hunc  ceu  phoenicem  et  unicum  suum  decus  tota  suspicil  ac  veneratur 
Germania  (col.  154). 

•"•)  Bruno  schreibt  an  Bonifacins  (1519):  Babes  Matthaeum  Badrianum, 
idara  in  litteris  hebraicis  praeeeptorem  nostrum,  virum  optimum  qui  te 
non  secus  ac  filium  amat,  Fechter  a.  a.  0. 


Johann  Böschenstein  and  Matthäus  Adriana  Kl 

nennt  er  den  Adrianus  einen  difficilis  praeeeptor l) ;  ob  «las 
auf  seine  Lehrmanier  oder  auf  seine  Umgangsformen,  die,  wie 
wir  noch  sehen  werden,  allerdings  nicht  Jedem  annehmbar 
schienen,  sich  bezieht,  ist  ungewiss. 

1513  wandte  sich  Adrianus  —  die  Veranlassung  dazu  ist 
unbekannt  —  nach  Heidelberg.  Er  lehrte  hier  Hebräisch  bis 
L516,  wie  es  scheint,  ohne  öffentliche  Lehrthätigkeit,  nur 
privatim2).  Gewiss  sind  Viele  von  ihm  während  dieser  Zeit 
zu  diesem  Studium  angeregt  oder  in  demselben  gefordert 
worden,  von  dem  später  so  bekannten  Theologen  Johann 
Brenz  ist  es  sicher,  dass  er  hier  1514  seinen  Unterricht  an- 
gefangen hat3),  ebenso  von  Johannes  Oekolampad 4) . 

So  wenig  wir  wissen,  welche  Veranlassung  ihn  nach 
Heidelberg  getrieben  hat,  so  unbekannt  ist  es  uns  auch,  was 
ihn  zum  Verlassen  dieser  Universität  bewog.  Wenn  es  richtig 


!)  Sebastian  Münster,  Vorrede  zu  Opus  grammaticum  consummatum : 

Circa  animm  Christi  1513  Wolfg.  Capito ....  nactus  copiam  cuiusdam  Judaei 
baptizati ,  Matthaei  seil.  Adriani ,  coepit  et  ipse  sub  difficili  tarnen  prae- 
ceptore,  feliciter  hebraicari.  Wo  der  Unterricht  stattgefunden  hat,  lässt  sich 
freilich  nicht  bestimmen.  Adrianus  mag  man  sich  bis  gegen  Ende  15f3  in 
Basel  denken ;  aber  nach  der  Darstellung  Baum's  (Capito  und  Butzer,  Elber- 
feld  1860,  S.  12 — 17)  ist  Capito  1512 — 1515  in  Bruchsal  gewesen  und  erst 
im  Mai  1515  nach  Basel  gekommen.  Dagegen  Folgendes  geltend  zu  machen 
scheint  bedenklich.  In  der  Leydener  Ausgabe  der  Briefe  des  Erasmus  (vom 
Jahre  1706,  Opera  Tom.  III),  die  wegen  der  Unzuverlässigkeit  ihrer  Brief- 
daten  berüchtigt  ist,  findet  sich  ein  Brief  des  Erasmus  an  Henricus  Bovillus 
vom  31.  August  1513  (col.  129,  uro.  CXLVIIL),  worin  er  schreibt:  Fabricius 
Capito  in  insiguem  Theologiae  cognitionem  in  Basiliensis  Ecclesiae  Collegium 
cooptatus,  nbi  publicum  concionatorem  agit.  Danach  müsste  also  die  Be- 
rufung schon  vorher,  vielleicht  gegen  Anfang  1513,  erfolgt  sein.  Erasmus 
fahrt  fort:  vir,  praeter  alias  egregias  diseiplinas  trium  linguarum  non  vul- 
gariter  peritus,  graecae,  latinae  et  hebraicae;  domique  vita  tarn  integra, 
moribus  tarn  piis,  ut  nihil  unquam  viderim  incorruptius.  Die  Stelle  würde 
ihrerseits  zu  dem  Schlüsse  führen,  dass  Capito  schon  vor  dem  Unterrichte 
Adrians  ein  tüchtiger  Hebräer  gewesen  sei. 

2)  Vgl.  Hautz,  Geschichte  der  Universität  Heidelberg.  1.  Band.  S.  370. 

3)  Beyschlag,  Leben  des  Brenz,  p.  330.  Einen  Beweis  seiner  Kennt- 
niss  legt  er  in  einem  Briefe  an  Pirckheüner  ab,  dem  er  schreibt:  Veneran- 
dnm  certe  ac  propemodum  divinum  apud  nie  Bilibaldi  nomen  nam  i"?2*tf  'SS 
BPH  bbrv,  (Proverb.  XII,  8)  abgedruckt  bei  Freytag:  Epistolae  virorum  doc- 

■  tonnn  (Leipzig  1831)  p.  3. 

4)  Herzog,  Leben  Oekolampad's  (Basel  1813)  I.  S.  107,  wo  der  Lehrer 
unrichtig  Matthäus  Adriani  genannt  wird. 


44  Johann  Böschenstein  und  ifatthäus  Adrianns, 

ist,  dass  er  schon  1516  Heidelberg  verlassen  hat,  bo  sind  wir 
wieder  für  ein  Jahr  ohne  Nachricht:  1517  treffen  wir  ihn  in 
Liittich.  Hier  hatte  er  den  Berselius,  einen  Freund  des  Eras- 
mus,  zu  grosser  Zufriedenheit  des  Schülers  einen  Monat  lang 
im  Hebräischen  unterrichtet:  .jetzt  trieb  ihn  die  Lust,  den 
Erasmns  kennen  zu  lernen,  nach  Löwen;  Berselius  gab  ihm 
einen  Empfehlungsbrief  mit  (17.  September  1517),  wünscht 
aber  sehr,  der  Ueberbringer  möge  zu  ihm  zurückkehren1). 
Aber  dieser  Wunsch  sollte  nicht  in  Erfüllung  gehen.  Ein 
reicher  Freund  des  Erasmus,  Hieronymus  Buslidius,  war  ge- 
storben und  hatte  in  seinem  Testamente  zur  Errichtung  eines 
collegium  trilingue  eine  Summe  von  mehr  als  20,000  Franken 
vermacht 2);  dem  Erasmus  war  die  Einrichtung  desselben,  die 
Wahl  der  Professoren  übertragen  worden.  Schon  am  26.  Octbr. 
meldet  Erasmus  einem  Freunde,  ein  vorzüglich  gelehrter  He- 
bräer, Matthäus,  sei  da3).  Er  schickte  ihn  alsbald  dem 
Aegidius  Buslidius,  dem  Bruder  des  Verstorbenen,  zu,  dein  er 
wol  gefiel.  Um  ihn  dem  Buslidius  zu  empfehlen,  konnte 
Erasmus  kaum  genug  Worte  finden :  kein  Anderer  sei  in  der 
Kenntniss  des  Hebräischen  mit  ihm  zu  vergleichen,  das  meine 
nicht  er  allein,  alle  Gelehrten  Deutschlands  und  Italiens  be- 
zeugten dies.  Er  sei  so  gelehrt  und  in  jeder  Beziehung  aus- 
gezeichnet, dass  man  seine  Ankunft  als  eine  günstige  Schickung 
Gottes  betrachten  müsse;  man  dürfe  ihn  nicht  loslassen,  er  würde 
ihn  halten,  und  sollte  er  ihn  auf  eigene  Gefahr  annehmen  *).  Zur 
Zeit,  als  er  dies  schrieb  (Novbr.  1517),  hatte  Matthäus  noch  nicht 
seinen  festen  Wohnsitz   in  Löwen  genommen5).    Aber  schon 


!)  BerseliusDesiderioErasinu  in  Opp.  Er.  III.  col.  1633  (Epist.  CLXXXVTLI 
appendix)  17.  Sept.  1517. 

2)  Er.  Budaeo:  Destinata  enim  sunt  huic  negotio  plus  viginti  fran- 
corum  millia.  22.  Febr.  1518.  Opp.  III.  col.  305  epist.  CCCV. 

3)  Thomae  Lupseto  Opp.  111.  col.  1638.  Epist.  CXCV1  (Append.). 

•i)  Opp.  IH,  col.  353,  Epist.  CCCXXXVIII.  Das  Datum.  IS.  Od.  1518, 
ist  gewiss  falsch,  es  muss  heissen  1517. 

5)  Pro  Hebraeo  benigne  comiterque  aeeepto  agereni  tibi  irratias.  orna- 
■!■■  Buslidi,  ni  magis  liberet  gratulari  tibi  cui  ultro  obtigerit  ille  votis 
omnibus  exoptandus  ad  hoc  uegotii,  quod  band  dubii  fcoid  genti  Buslidianae 
faraam  ac  decus  pariei  nunquam  intermoriturum,  quodque  studia  omnia  variis 
modis  collapsa  restituet.  Neque  deeruirl  in  caetris  Gymnasiis,  qni  pulcher- 
rimum  hoc  institutum  aemulentur  .  .  .  Matthaeus  nonduni  huc  commigravit. 


Johann  Böschenstein  und  Matthäus  Adrianos.  45 

am  30.  November  war  er  da ;  Erasmus  meldet  dem  Grafen 
von  Neuenaar,  dass  Matthäus,  der  Freund  Reuchlin's, 
den  auch  er  kenne,  bei  ihnen  eingezogen  sei '),  und  theilt  die 
freudige  Botschaft  von  der  Aufnahme  seines  Lehrers  dem 
Fabritius  Capito  mit  -).  Und  an  den  vielen  Stellen  seines  so 
ausgedehnten  Briefwechsels  vergisst  er  nie,  so  oft  er  unseres 
Adrianus  Erwähnung  thut,  ihn  mit  einem  ehrenden  Beinamen 
zu  versehen,  seine  Kenntnisse  als  nach  seinem  und  anderer 
gelehrten  Leute  Urtheil  ausgezeichnete  zu  preisen3). 

Und  wirklich  schien  anfänglich  Alles  vortrefflich  zu  gehn; 
wir  kannten  bisher  nur  zwei  Sprachen,  jetzt  lernen  wir  drei, 
konnte  Erasmus  bereits  am  6.  März  1518  melden.  Matthäus 
unterrichtet  lediglich  in  seiner  Sprache,  eine  hebräische 
Partei  schaart  sich  um  ihn,  deren  Führer  Martin  Dorpe  ist, 
bald  wirst  Du  ein  neues  Zeitalter  anbrechen  sehn 4).  Aber 
schon  am  13.  März,  wo  Erasmus  dem  Oekolampad  mittheilte, 
dass  Adrian  auf  Lebenszeit  angestellt  sei,  und  dass  Alles 
zur  Zufriedenheit  von  Statten  gehe5),  schreibt  er  auch  dem 
Capito  über  ein  Begegniss,  das  er  seinetwegen  mit  ihm  gehabt 
habe  und  das,  wie  es  scheint,  in  Geldangelegenheiten  zwi- 
schen Capito  und  Adrian  seinen  Grund  gehabt  hat.  Mit  der 
ebenso  leicht  vergänglichen,  wie  schnell  auflodernden  Freund- 
schaft des  Erasmus  war  es  nun  vorbei,  schon  jetzt,  meint  er, 
Adrian  werde  wegziehn,  wie  das  seine  Gewohnheit  sei,  auch 
aus  Middelburg  sei  er  bereits  früher  wegen  Schulden  fortge- 
zogen6); seine  Geldgier  tadelt  auch  Dorpius  in  einem  etwas 


Ornatissimo  viro  Domino  Aegidio  Buslidio  .  .  Erasmus.  Opp.  Ei'.  III.  col. 
1653.  Epist.  App.  CCCXXXII. 

>)  Er.  Opp.  III.  col.  1644  Epist.  CCX.  (Append). 

2)  6.  Deck-.  1517.  a.  a.  0.  col.  1646.  Ep.  CCXV. 

3)  z.  B.  col.  270  epist.  CCLXXY.,  col.  319  epist.  CCCXIY.,  col.  382, 
epist.  CCCLXVIIL,  col.  1654  epist.  (append.)  CCXXXIV. 

*)  Petro  Barbirio  Opp.  III,  col.  307.  Epist.  CCCVII. 

5)  a.  a.  0.  III,  col.  1675,  epist.  CCLXXII  (append.) 

G)  De  Mattheo  dicam  quod  rideas.  Inviserat  ille  nos  .  .  ego  ne  mihi 
tarn  occnpato  molestus  esset,  mitto  tuas  literas  ad  illum  scriptas:  redit  ab 
atrio  minister,  nuntians  illum  tribus  dmvtaxat  velle  convenirej  annuo,  ad- 
scendit,  exhibet  epistolam,  rogat  uti  sibi  praelegam,  nam  deesse  conspicillam, 
lego  semipeviodum,  et  mox  ad  illum  versus,  non  admodum  blandum,  inquam, 
exordium,  praestat  ut  ipse  perlegas;   imo,  inquit,   cupio  te  ista  seire;   pergo 


4()  Johann  Böschenstein  and  Uattnäu     Idrianns. 

späteren  Briefe,  wo  er  zugleich  als  Grund  der  Unzufriedenheit 
des  Adrianus  die  schlechte  Ausbezahlung  des  Gehaltes  an- 
gibt ]).  Unterdess  hatte  sich  Adrianus  über  den  Brief  des 
Capito  keineswegs  beruhigt,  er  zürnte  gewaltig  und  sagte,  er 

sei  von  Capito  aufs  Aergste  beleidigt  worden  -).  Lange  hielt 
er  es  nicht  mehr  aus,  freilieh  weder  die  Geldverhältnisse  noch 
der  kleinliche  Streit  mit  Capito  mochten  ihn  zum  Weggehen 
von  Löwen  veranlasst  haben,  letzterer  um  so  weniger,  da 
Capito  nicht  an  demselben  Ort.  lebte  —  der  wahre  Grund  ist 
wol  in  dem  Gegensatz  zu  suchen,  der  auch  den  Erasmus  von 
Löwen  vertrieb,  in  dem  die  freiere  humanistische  Partei  sich 
gegen  die  Anhänger  der  scholastischen  befand.  Sie  hatten, 
wie  berichtet  wird,  dem  Adrianus  von  Anfang  an  Widerstand 
entgegengesetzt,  mit  der  Zeit  wurde  das  eher  ärger  als  besser, 
und  als  Adrianus  gar  in  einer  öffentlichen  Rede  den  h. 
Hieronymus  als  einen  gewöhnlichen  Menschen  darstellte,  er- 
reichte die  Wuth  seiner  Gegner  ihren  Höhepunkt:  einer  der 
Professoren,  der  später  als  Gegner  Luthers  so  bekannt  ge- 
wordene Latomus,  gab  eine  Schmähschrift  gegen  ihn  heraus 
und  Adrian  musste  Löwen  verlassen3)- 

Er  wandte  sich  nach  Wittenberg.  Schon  am  7.  November 
1519  hatte  sich  Luther  an  Spalatin  gewandt,  ihm  das  Gesuch 
Adrians  geschickt,  in  Wittenberg  das  Hebräische  zu  lehren, 
und  zur  Berücksichtigung  empfohlen,    und  am  7.  December 


iussus:  cum  duriora  semper  succederent,  moneo  ut  solus  ipse  legat;  ille  orare 
tri  legere  pergam;  perlego,  ridens  Interim:  ille  longam  incoeptat  apologiam, 
clamitans  omnia  esse  falsissima,  imo  te  sibi  debere.  Ego,  quoniam  eram 
oecupatissiraus,  rogo  u1  eam  fabulam  in  aliud  fcempus  differat.  Ait  se  tibi 
■     pondisse:  minatur  sese,  quae  in  tua  Grammatica  doeuisti,  reprehensurum 

oia.    Opinor  hominem  hinc  discessurura   \\i    solet:  nam  ex  Middell 

cum  summo  fcumultu  discessit  ob  aes  alienum. 

Opp.  111.  col.  1675.  Epist.  CCLXXII  (App.). 

i)  DorpiusErasmoinEr.Opp.III.  col. 332.  Epist. CCCXXm.  I4.julil518. 

2)  Erasmus  Capitoni.  Opp.  III.  col.  1682  nro.  CCLXXXIX  (Append.) 
L9.  Octbr.  1518. 

3)  Das  Letzte  nach  Köhler:  Beyträge  zur  Ergänzung  der  deutseben 
Kunst-  und  Literaturgeschichte,  Leipzig  1794.  Th.  2,  S.  14— 17.  Die  Stelle 
über  Bieronymus  lautet:  Homo  erat  II.,  multa  neseivit,  alieubi  dormitavit, 
,,,  iedam  ca  a  praeteriil     -  multa  depravata  sunt. 


Johann  Böschenstein  und  Matthän     Llrianns.  47 

wiederholt  er  die  Bitte1).  Bald  waren  die  Unterhandlangen 
im  Gange;  für  00  oder  100  Gulden  jährliche  Besoldung  war 
Adrian  bereit,  die  Stelle  anzunehmen.  So  leicht  scheint  der 
( 'hurfürst  aber  sich  nicht  dazu  haben  verstehen  zu  wollen, 
und  erst  auf  die  dringende  Mahnung  Luthers,  ihn  wenigstens, 
um  die  Schande  zu  vermeiden,  auf  ein  Jahr  zu  nehmen,  sonst 
würde  er  nach  Leipzig  oder  nach  Frankfurt  a.  0.  gehen,  er- 
folgte die  Anstellung  (16.  April  1520 2).  Ein  sehr  freundliches 
Verhaltniss  scheint  trotz  der  grossen  Mühe,  die  Luther  sich 
gab,  ihn  nach  Wittenberg  zu  ziehen,  trotz  der  grossen  Aner- 
kennung, die  er  seinen  Fähigkeiten  zollte,  zwischen  ihm  und 
dem  neuen  Ankömmling  nicht  geherrscht  zu  haben;  wenn 
Luther  auch  in  verschiedenen  Dingen  ihm  behülflich  war,  ihm 
zu  seiner  plötzlich  geschlossenen  Heirath  (13.  Januar  1520) 
alles  Glück  wünscht,  so  beklagt  er  sich  doch  ziemlich  bitter 
darüber,  dass  Hadrian  ihm  ziemlich  viel  zu  scharfen  mache3). 
Noch  nicht  vier  Monate  später  war  das  Verhaltniss  vollständig- 
gelöst:  Adrian  wüthet,  schreibt  Luther  (3.  Oktober),  und  sucht 
eine  Gelegenheit,  fortzugehn.  Ich  habe  ihm  nichts  gethan, 
dennoch  verfolgt  er  mich,  will  mich  das  Evangelium  lehren, 
er  der  nicht  einmal  seinen  Moses  versteht  4).  Und  kaum  einen 
Monat  darauf  war  die  Feindschaft  offen  ausgebrochen,  Adrian 
hatte  sich  der  Lehre  Luthers,  dass  nur  der  Glaube  etwas  ver- 
möge und  die  guten  Werke  ohne  Kraft  seien,  widersetzt. 
Einen  ganz  ungelehrten  Menschen  in  der  Theologie  nennt  er 
ihn,  vollständig  unnütz  und  gleich  zu  entlassen5),  und  wäh- 
rend   er    sich   früher    sehr    bemüht    hatte,    den  Adrian  nach 


*)  de  Wette:  Luthers  Briefe,  Sendschreiben  und  Bedenken,  I,  S.  365. 
366.  373.  Wenn  bereits  am  6.  Decbr.  1519  Petrus  Mosellanus  von  Meissen 
aus  an  Julius  Pflug  schreibt:  »Churfürst  Friedrich  verschreibt  jetzt  Mat- 
thäum  Hadrianum,  den  stattlichsten  hebräischen  Medicum  unserer  Zeit,  aus 
Löwen  nach  Wittenberg,«  Luthers  Werke  ed.  Walch,  Band  XV.  p.  1425,  so 
ist  entweder  das  Datum  falsch,  oder  Mosellan  berichtet  etwas  als  sicher, 
worüber  die  Unterhandlungen  kaum  begonnen  waren. 

2)  de  Wette,  Luthers  Briefe,  I,  S.  420.  440  fg.  Die  erfolgte  Anstel- 
lung meldet  auch  Melanchthon  an  Johann  Hess  und  Lange  in  Corpus  Re- 
formaturum  ed.  Bretschneider  vol.  I,  p.  161.  168. 

3)  de  Wette,  I,  S.  442.  445.  449.  454. 

4)  de  Wette,  I,  S.  492. 

5)  4.  Novbr.  1520,  de  Wette,  I,  S.  522. 


48  Johann  Böschenstfiin  und  Matthäus  Adrianus. 

Wittenberg  zu  ziehu,  verschafft  er  ihm  jetzt  (17.  Februar  1521) 
gern  die  erbetene  Entlassung,  und  freut  sich,  von  diesem 
Menschen  befreit  zu  sein 1). 

So  ist  er  aus  Wittenberg  fortgezogen,  möglich  dass  er 
sich  nach  Leipzig  gewandt  hat,  wie  Luther  verniuthete 2). 
Ein  talentvoller  Mensch,  von  vielem  Wissen  und  freier  An- 
schauung in  Leben  und  Glauben,  der  es  wol  weniger  seiner 
Unverträglichkeit  zuzuschreiben  hatte,  dass  er  nirgends  eine 
feste  Stätte  linden  konnte,  sondern  den  kleinlichen  Nachstel- 
lungen, die  ihm  seine  Gegner  bereiteten,  die  es  nicht  zu  ver- 
gessen schienen,  dass  er  ein  Jude  war3). 

Von  seinen  Schülern  ist  noch  Sebastianus  Nucenus  zu 
erwähnen,  der  in  Löwen  bei  ihm  hörte  und  der  uns  noch 
später  beschäftigen  wird;  von  hebräischen  Schriften  findet 
sich  nur  eine  Uebersetzung  der  Oratio  dominica  erwähnt4). 

Ungleich  bedeutender  als  Adrian  ist  Johann  Bö  scheu- 
ste in,  der  durchaus  nichts  gethan  zu  haben  scheint,  um  deu 
Hass  zu  verdienen,  mit  dem  man  ihn  verfolgt  hat.  Man  hat 
ihn  häufig  den  zweiten  Wiedererwecker  der  hebräischen 
Sprache  genannt  und  ohne  Zweifel  verdient  er  nach  Reuchlin 
einen  hervorragenden  Platz.  Böschenstein5)  war  1472  in 
Esslingen  geboren.  Er  lernte  —  ob  in  seiner  Vaterstadt  oder 
anderswo,  ist  nicht  bekannt  —  von  Juden  das  Hebräische 
und  das  hat  wol  hauptsächlich  die  Veranlassung  gegeben, 
ihm  vorzuwerfen,  er  sei  ein  geborener  Jude.     Wir  lassen  ihn 


i)  de  Wette,  I,  S.  560. 

2)  Vgl.  auch  Wii'dciiianii :  Dr.  Johann  Eck,  Regensburg  1865,  S.  177, 
Anm.  G2,  der  aber  fälschlich  einen  Brief  auf  Sylvias  Egranus  hezieht.  der 
auf  unsern  Adrianus  zu  deuten  ist.  Egranus  war  noch  1527  mit  Luther 
hefreundet,  nach  Di'illinger:  Die  Reformation,  I,  S.  132  fg. 

3)  So  schreibtMelanchthon  an  Spaktin  (22.  Febr.  1521):  De  Wittemberga 
hoc  tempore  nihil  oovi  scribere  possum.  Nam  de  Adriano  ^ev8oj{p(ox«p,  sive 
mavis  Hebraeo,  ex  aliis  Lntelliges.    Corp.  Ref.  I,  p.  359. 

4)  Vgl.  Genaueres  in  meiner  Bemerkung  im  Serapeum  1868,  Nro.  13. 
S.  197,  Anm.  2.  Seine  [ntoduetio  ad  Lingnam  Hebraicam,  Basileae  1518 
in  8°  and  Haganoae  1519,  in  4°,  erwähn!  WolfF:  Bibliotheca  Hebraea  IV. 
S.  273. 

•r»)  Eine  Biographie  hat,  Köhler:  Beyträge  zur  deutschen  Kunst-  und 
Literaturgeschichte.  Leipzig  17!»  1.  2.  Theü,  S.  1—23,  gegeben. 


Johann  BSschenstoin  nnd  Matthäus  Adrian  os.  49 

selbst  erzählen1).  „Hat  sieh  aber  begeben,  das  ein  gaistlich 
person  mich  dargeben,  ich  seye  ain  getaufften  Jud,  und  mein 
vatter  sey  ain  hochgelerter  Raby  undern  Juden  gewesen,  da- 
rumb  sey  ich  wider  die  Bilder  und  Gemäl,  das  man  sy  nit 
machen  oder  brauchen  soll  etc.  Des  muss  ich  mich  (Gott 
verzeyhe  mirs)  verantwurten,  nit  von  meinen  wegen,  sonder 
meiner  freuudtschafft  und  meinen  nachkumenden  gepluet  zu 
gut.  Und  ich  sag  also,  mein  lieber  vater  sälig  ains  gar  alten 
geschlechts  der  stat  Stain  am  Reyu  underhalb  Costenz  ge- 
boren und  herkommen,  ist  gut  Heinrich  Böschenstein  und 
noch  heut,  auff  Datum  diser  schrifft,  meines  vatters  bruders 
suu  gut  Klöwe  Böschenstain  und  Batt  Böschenstain,  noch 
disen  tag  zu  Stain  vischer  seind,  heuslich  und  Burgerlich  da 
wouend.  Das  red  ich  nit  darumm,  ob  ichjoch  (wie  der  Bru- 
der von  mir  sagt)  ains  Juden  sun  were,  mich  dester 
verwürflicher  vor  got  schätzen,  dann  ich  wayss  das 
got  kein  person  besonder  ansieht,  aber  ainyeder,  der  got 
furcht  und  würkt  die  gerechtikeit,  er  sey  welches  geschlechts 
oder  volks  er  wolle,  der  ist  angenem  got  dem  herren,  aber 
ich  muss  dannocht  meinen  nachkommen  zu  gut  disen  argk- 
won  umbstossen" 2).  Und  an  einer  andern  Stelle  desselben 
Schriftchens:  „Also  (nämlich  den  reinen  christlichen  Glauben) 
haben  mich  meine  frummen  altern,  vatter  und  mein  liebe 
mutter  gelert,  die  frumm  geborn  Christen  seind  gewesen,  das 
ich  mit  ainem  Ersamen  Rat  der  stat  Esslingen,  und  der  stat 
Stayn  in  Schweytz,  genugsam  beweysen  mag.    Auch  hab  ich 


i)  Das  Folgende  ist  entnommen  aus:  Ain  diemietige  Versprechung: 
Durch  Johann  Böschenstain,  geborn  von  Christenlichen  altern,  ausz  der  stat 
Esslingen,  wider  etlich  die  von  jm  sagen,  Er  seye  von  Jüdischem  stammen, 
und  nit  von  gebornen  Christen  herkommen,  Zugesannt  dem  Christenlichen 
seynen  lieben  Bruder  Andree  Oslander,  Prediger  zu  Nürnberg,  der  samlung 
sant  Lorentzen  Pfarr  genandt  s.  1.  e.  a  5  Bll.  in  4°,  auch  abgedruckt  bei 
Hummel:  Neue  Bibliothek  von  alten  und  seltenen  Büchern,  Nürnberg  1775, 
I,  S.  415  fg.,  der  es  wol  mit  Becht  ins  Jahr  1523  setzt,  in  'welchem  Osian- 
der  Pfarrer  zu  St.  Lorenz  in  Nürnberg  wurde.  Ueber  Oslander  vgl.  unten. 
;r  die  sgaistlich  person"  ist,  von  der  Buchenstem  tadelnd  spricht,  ist  nicht 
annt. 
2)  Dass  er  auch  von  Juden  gehasst  sei,  weil  er  ihre  Sprache  gelernt 
.  'gibt  er  in  dem  unten  anzuführenden  Briefe  an  Keuchlin  an;  als  einzige 
'"^    Lhme  nennt  er  seinen  Lehrer  Moses  Möllin  aus  Weissenburg. 

Oeiger,  Studium.  4 


;>()  Johann  Böschenstein  und   Matthäus  Adrianns. 

darnach  getreuwe  fhimme  Christglaubige  schulmayster  gehapt 
an  vil  orten,  auch  auff  Hohenschulen  bey  frnmmen  gelerten 
raännern  die  schrifft  gelernt."  Er  kannte  den  Grund  des  gegen 
ihn  gerichteten  Vorwurfs  ganz  gut  und  spricht  sich  am  Schluss 
darüber  so  aus:  „Allerliebster  Andrea,  dises  hab  ich  dir  zuge- 
schribeu,  das  ich  wayss,  dich  auch  mit  sollich  gleicher  that 
augetascht  und  verletzet  von  aynem  Phariseyschen  menschen 
mit  unwarheit,  wir  müssen  entgelten  der  Hebray  sehen 
hayligen  sprach,  so  wir  von  Christenlichen  altern  geborn, 
und  diser  (bey  vns  ungewonlichen)  hayligen  zungen  ain 
wenig  bericht  seynd,  von  unverstandnen  menschen  verhasst 
werden." 

Trotz  dieses  energischen  Dementis,  das  Böschenstein  dem 
über  ihn  verbreiteten  böswilligen  Gerüchte  entgegensetzte,  er- 
hielt es  sich  doch  und  selbst  Sebastian  Münster  gab  sich, 
vielleicht  durch  kleinliehen  Neid  dazu  bewogen,  zur  Verbrei- 
tung desselben  her.  Zu  der  Angabe,  dass  Böschenstein  ein 
getaufter  Jude  gewesen,  fügt  er  den  neuen  Vorwurf  hinzu, 
dass  er  zu  den  getauften  Juden  gehört  habe,  „die  am  An- 
fange des  erwachenden  Studiums  privatim  aber  ohne  Erfolg 
die  heilige  Sprache  lehrten,  da  sie  kein  lateinisch  verstanden ; 
Böschenstein  namentlich  habe  seinen  Schülern  viel  Geld  abge- 
nommen, aber  nichts  gelehrt.  Zeugen  sind  die,  die  ihn  gehört 
haben" *).  Den  letzten  Vorwurf  ebenso  absolut  zu  verneinen, 
wie  den  ersten,  ist  aus  Maugel  an  Zeugnissen  nicht  möglich; 
die  drei  Männer,  von  denen  es  hauptsächlich  bekannt  ist,  dass 
sie  Böschensteins  Unterricht  im  Hebräischen  genossen  haben, 
Caspar  Amman,  Johann  Eck  und  Sebastian  Sperantius,  haben 
sich  allerdings  nicht  über  ihn  beklagt-). 


!)  Fuerunt  et  in  exordio  huius  nascentis  stüdii  quidam  baptizati 
Judaei,  qui  privatim  sed  sine  fructu  docuerunt  sacram  linguam,  carentes 
latinae  cognitione,  inter  quos  Joannem  Auchsenstein  numerandum  censeo, 
qui  levato  mnlto  aere  a  discipulis  nihil  docuit.  Testes  sunt  qui  illum  audie- 
runt.  Sebastian  Münster,  Vorrede  zum  Opus  grammaticum  consummatum 
Die  Corrumpirung  des  Namens  Böschensteifi  in  »Auchsenstein«  darf  ni< 
Wunder  nehmen;  in  gleicher  Weise  komim-n   ßossensthenius  u.  A.  vor. 

2)  Ueber  Johann   Eci   s.  o.  S.  30,    A.  1,    über  Caspai  Amman  n> 
Sebastian   Sperantius  war  Bischof  von  Brixen   und  stand   mit    Reuchl»»      ' 

Briefwechsel.     Diese  und   viele  andere  nennt  Böscheustein  als  seine  Seh»  " 

-'• 


Johann  Böschenstein  nnd  Sfatthäu    adriantis.  .>  I 

Auch  sonst  ist  es  nicht  sehr  wahrscheinlich,  denn  er  war 
als  Lehrer  sehr  gesucht,  und  wenn  ihm  das  Glück  nirgends 
hin  folgte,  so  war  das  dicht  die  Schuld  seines  Mangels  an 
Fähigkeit.  Nachdem  er  in  Esslingen  (?),  seiner  Vaterstadt,  das 
Hebräische  gelehrt,  aber  hier  Verfolgungen  von  den  Feinden 
der  Aufklarung  zu  erleiden  gehabt  hatte  und  sogar  ins  Ge- 
fängnis* geworfen  worden  war'),  ging  er  1514  nach  Augsburg 
und  setzte  hier  seine  gewaltsam  unterbrochene  Thätigkeit 
fort,  ohne  sich  auch  hier  den  Vorwürfen  wegen  seiner  Ab- 
stammung und  sonstigen  gehässigen  Anklagen  entziehen  zu 
können.  Dann  gehörte  er  Ingolstadt  eine  kurze  Zeit  an  — 
wol  nicht  als  Universitätslehrer,  1518  kam  er  nach  Witten- 
berg. Melanchthon  hatte  bald  nach  seiner  Ankunft  in  Witten- 
berg auch  hebräisch  zu  lehren  augefangen,  doch  freut  er  sich 
über  die  Berufung  Böschensteins:  er  wolle  ihm  gerne  den 
bisher  innegehabten  Platz  einräumen,  ihn  in  seiner  Aufgabe 
soviel  als  möglich  unterstützen,  um  ihm  zum  Schreiben  uud 
Herausgeben  Zeit  zu  lassen 2).   „Von  Böschenstein  gefällt  Alles 


in  einem  Briefe  an  Reuchlin,  2.  Juni  1514,  mit  welchem  er  ihm  eine  kleine 
Schrift  widmet.  Dieselbe  führt  den  Titel :  niVTK  lölK  OBD  CONTENTA 
IN  HOC  LIBELLO  NVPER  a  Joanne  hoeschenstein  esslingensi  edita 
Elementale  introcluctorim  in  hebreas  literas  teutonice  et  hebraice  legen- 
das  u.  s.  w.  Am  Ende:  Auguste  ex  officina  Erhardi  oeglin  mense  Maio 
Anno  MDXIIII,  3  Bogen  ä  4  Bll.  in  4=0. 

Dieses  sehr  seltene  Schriftchen  (ich  habe  es  aus  der  Heidelberger 
Bibliothek  benutzt)  wird  als  das  erste  in  Augsburg  gedruckte  hebräische 
Buch  angeführt.  Es  enthält  ausser  der  kurzen  Anweisung  j  üdisch  -  deutsch 
zu  schreiben,  dem  ersten  von  christlicher  Seite  gemachten  Versuche  dieser  Art, 
das  eigentlich  hebräische  Alphabet;  Begeln  über  das  Sehewa  und  die  Punkte; 
die  Zehngebote,  das  Vaterunser,  Ave  Maria,  Credo,  Magnificat  und  einige 
Stücke  aus  den  Evangelien  hebräisch,  lateinisch  und  deutsch.  In  dem  Briefe 
sagt  er,  dass  er  das  Schriftchen  auf  Verlangen  seiner  Schüler,  namentlich 
aber  auf  dringendes  Bitten  Reuchlins  veröffentlicht  habe. 

!)  Brief  an  Reuchlin:  Nam  quod  scis  rae  similis  fortuna  multos  annos 
agitavit,  quando  scilicet  a  rabidis  indigne  laceratus  et  in  carceremconiectusfui. 

^)  Melanchthon  an  Spalatin,  Anfang  September  1518.  Corpus  Refor- 
matorum  I,  col.  44  fg.  Das  Album  Academiae  Wittebergensis  ed.  Förste- 
inann  p.  77  erwähnt  zwischen  dem  2.  und  5.  November  1518  unter  den 
Eingeschriebenen  ■  Johannes  boschenstein  de  Esslingen  Privilegiatus  Cesaree 
Maiestatis  Pbr.  Hebraice  ligue  (!)  interpres  Dioc.  Constancien.;  aber  das 
Datum  muss.  wenn  man  nicht  annehmen  will,  B.  habe  sich  einige  Monate 
nach  seiner  Anstellung  einschreiben  lassen,  irrig  sein. 

4* 


52  Jobann  Böachenstein  und  Matthäus  adrianus. 

sehr  wohl",  schreibt  er  an  seinen  Freund  Spalatin  '  |,  begleitet 
die  Grammatik  Böschensteins  mit  einem  kurzen  Nachwort  und 
beeilt  sich,  dieselbe  an  Spalatin  und  an  den  Churfürsten  von 
Sachsen  zu  schickeu  8).  Im  Anfang  des  nächsten  Jahres 
empfiehlt  er  ihn  an  Christoph  Scheurl  in  Nürnberg  (wohin 
Böschenstein  vielleicht  im  Auftrage  der  Universität  ging)  mit 
dem  Zusätze,  dass  es  ein  trefflicher  Mann  sei3).  Aber  im 
April  verliess  Böschensteiu  die  Universität,  weshalb?  ist  da- 
mals nicht  klar  gewesen  und  ist  es  heute  noch  weniger. 
Man  bedauerte  seiner  Kenntnisse  wegen  ihn  verloren  zu  haben, 
aber  Luther  vergisst  ihm  nicht  einen  kleinen  Fusstritt  mit- 
zugeben, indem  er  ihn  unsern  Böschenstein  nennt,  „dem  Namen 
nach  ein  Christ,  in  der  That  aber  ein  Erzjude/'1)  und  Me- 
lanchthon  erzählte  boshaft  genug  1550  Folgendes  über  ihn:"') 
„Wir  hatten  vor  30  Jahren  einen  Professor  des  Hebräischen 
hier,  der  sagte:  was  soll  ich  thunV  ich  kann  anderswo  leben, 
wo  ich  mich  besser  stehe.  Ich  fragte,  welchen  Ort  er  meine. 
Er  antwortete :  ich  könnte  in  Regensburg  unter  den  Juden  frei 
leben.  Einmal  ging  ich  des  morgens  der  Gesundheit  wregen 
in  ihrem  Tempel  spazieren.  Da  kam  eine  alte  Frau,  gab  mir 
einen  Batzen  und  bat  mich  für  sie  eine  Messe  zu  lesen  (!), 
ebenso  eine  zweite  und  eine  dritte,  so  kann  ich  die  Woche 
sechs  Batzen  verdienen." 

Von  Wittenberg  begab  sich  Böschenstein  nach  Augsburg, 
aber  er  blieb  hier  nur  kurze  Zeit;  er  kam  nach  Heidelberg, 
wo  sein  Aufenthalt  gleichfalls  nur  ein  ziemlich  vorübergehen- 
der war  —  von   seiner    traurigen  Existenz    daselbst   ist  an 


i)  14.  September,  Corp.  Kef.  I,  col.  45. 

2)  16.  Dcccmbcr  1518,  1.  c.  1,  col.  56. 

3)  26.  Januar  1519:  Joannem  Boeschenstain  egregie  doctum  in  hebraicia 
meo  privatim,  dein  et  publico  Universitatis  nomine,  tibi  com- 
mendo.     Bonus  vir  est.  1.  c.  I,  col.  61. 

-»)  An  Job.  Lang,  4  post  Judica  1519:  de  Wette,  Luthers  Briefe  I.  L'54 
deutsch  bei  Walcb,  Lutbers  Werke,  Band  15.  Anhang  S.  99  ff. 

5)  Narationcs  iueundae  et  utiles  ex  praelectionibus  .  .  .  Philippi  Me- 
lancbtbonis,  trüber  handschriftlich  im  Besitz  von  J.  G.  Schelhorn,  angeführt 
in  dessen  Ergötzlichkeiten  aus  der  Kirchenhistorie  und  Literatur,  1763, 
11.  Band,  S.  737.  Der  Name  Böschensteins  ist  nicht  genannt,  aber  schon 
Schelhorn  hat  ihn  ergänzt. 


Johann  Böschensteii  and  Matthäus  Adrianus.  ,)3 

anderm  Orte  zu  sprechen.  Ueber  sein  späteres  Schicksal  fehlen 
die  Nachrichten,  er  starb  60  Jahr  alt. 

Seine  schriftstellerischen  Leistungen  können  nur  theil- 
weise  in  den  Bereich  der  Betrachtung  gezogen  werden.  In 
Wittenberg  veröffentlichte  er  1518  eine  hebräische  Grammatik  l), 
bei  der  bekanntlich  die  typographische  Merkwürdigkeit  zu 
erwähnen  ist,  dass  für  die  zahlreich  vorkommenden  hebräischen 
Wörter,  ganze  Tabellen  u.  s.  w.  ein  leerer  Raum  gelassen 
und  dieselben  nur  hineingeschrieben  sind.  Böschenstein  wid- 
mete sein  Werk  dem  Churfürsten  von  Sachsen.  Der  höchste 
Ruhm  sei  der  der  Wissenschaften,  er,  der  Fürst,  habe  ihn 
sich  dadurch  erworben,  dass  er  auf  seiner  Universität  die 
drei  Sprachen  lehren  lasse,  was  bis  dahin  unerhört  sei.  Er 
müsse  daher,  setzt  er  mit  einer  gewissen  stolzen  Wohlgefällig- 
keit hinzu,  als  der  erste  öffentliche  Lehrer  ihm,  der  zuerst 
einen  Hebräer  an  eine  Universität  berufen,  sein  Werk  widmen. 
Zwanzig  Jahre  lang  habe  er  bereits  privatim  diese  Sprache 
gelehrt,  welches  Glück  für  ihn,  sie  nun  öffentlich  vortragen 
zu  können!  Dieses  glückliche  Bewusstsein  erhebe  ihn  über  all 
den  Neid,  dem  er  bisher  ausgesetzt  gewesen  sei,  die  Verfol- 
gungen, die  er  bisher  zu  dulden  gehabt  habe.  „Die  Juden 
hassten  mich,  weil  ich  eine  Wissenschaft  lehrte,  die  bisher 
den  Christen  unbekannt  war;  von  ungelehrten  und  ungebildeten 
Priestern  wurde  ich  beschuldigt  mit  Juden  umzugehn,  wäh- 
rend ich  mich  ihrer  nur  soweit  bediente,  um  ihre  wilden 
Weinstöcke  in  den  Weinberg  des  Herrn  zu  tragen"  2). 


!)  Hebraicae  Grammaticae  institutiones  studiosis  sanete  lingue  a  D. 
Johann  Boschenstain  C.  M.  C.  collecte.  (Das  Büchlein  geht  von  links  nach 
rechts)  4  Bogen  ä  4  Bll.  in  40.  Auf  der  letzten  Seite  kurzes  Nachwort 
Melanchthons ;  darunter :  Wittenbergii  in  officina  Joannis  Grunenbergii  Anno 
doniini  MDXVIII.  Förstemann  (in  der  Anmerkung  zu  Corp.  Bef.  I,  col.  54) 
meint,  die  Buchstaben  C.  M.  C.  hätten  Bezug  auf  Böschensteins  Titel: 
Kaiserl.  Maiestat  gefreieter  hebräisch.  Zungenmeister. 

2)  Vgl.  o.  S.  49,  A.  1.  Die  letzte  Stelle,  die  wie  die  vorhergehenden  ziem- 
lich stark  ruhmredig  ist,  lautet:  Odio  Judaeis  eram  quod  literas  publicarem 
hactenus  vulgo  Christiano  ignotas,  a  plerisque  indoctis  et  male  imbutis  sacrificis 
criminabar  iudaice  consuetudinis  quibuscum  eatenus  conversatus  sura  qnatenus 
feraces  eis  vites  auferrem  in  vineam  doniini  conserendas.  Den  Schluss  bildet 
ein  schönes  Lob  Beuchlins :  Omnium  autem  quae  vel  hactenus  scripsi,  aut  scrip- 
turus  aliquando  sum,  clarissimum  virum  D.  Joannen!  Reuchlin  Juris  divini 


o4  Johann  Bosch«  ■  kthäne  Adrianus 

Die  Grammatik  ist  eine  eigenthümliche  Verbindung  prak- 
tischer und  theoretischer  Lehrmethude.  Nach  der  Aufzählung 
der  Buchstaben  wird  die  Eintheilung  derselben,  die  Conso- 
nanten,  Vokale,  dann  das  Schewa  behandelt;  darauf  folgt  unter 
dem  Titel:  Incipit  Genealogia  Marie  virginis  ex  qua  homo 
natus  est,  Hex  regum  Hiesus  IT&'E  yti'irp  deus  optimns  maxi- 
mus,  die  hebräischen  Namen  der  Glieder  dieser  Geschlechter- 
reihe von  Adam  an,  und  die  folgenden  5  Blätter  sind  mit  der 
Erklärung  dieser  Worte,  die  zwei  geschriebene  Seiten  aus- 
machen, angefüllt,  in  der  jeder  einzelne  Buchstabe,  jedes 
Zeichen,  die  Zusammensetzung  der  Silben  u.  s.  w.  ausein- 
andergesetzt wird.  Dem  eigentlich  grammatischen  Theil  Ars 
grammatica  ist  der  bei  weitem  kleinere  Theil  des  Büchleins 
eingeräumt,  er  bespricht  die  Redetheile,  die  Deklination,  die 
Artikel,  die  Zahlwörter,  die  Bezeichnung  derselben  mit  Buch- 
staben, die  Pronomina,  endlich  das  Verbuni,  wo  pakad  als 
Paradigma  zu  den  ziemlich  kurz  gehaltenen  Tabellen  gegeben 
wird.  (Die  Ausdrücke  Kai,  Niphal  u.  s.  w.  finden  sich  nicht, 
statt  dessen  wird  Prima  conjugatio,  passivum  primae  u.  s.  w. 
gesagt.)  Zum  Schluss  wird  nochmals  eine  kurze  Uebersicht 
der  Buchstaben  und  der  Vokalzeichen  gegeben. 

In  Augsburg  veranstaltete  Böschensteiu  eine  Ausgabe  der 
Grammatik  des  Moses  Kimchi,  er  hatte  von  dem  Verleger 
Sigismund  Grimm  den  Auftrag  erhalten,  die  Fehler,  von  denen 
die  vorhandenen  Exemplare  des  Buches  wimmelten,  zu  be- 
seitigen J).  Jedenfalls  verstand  er  sich  auf  diese  Arbeit  besser 
als  auf  die  Uebersetzung  biblischer  Bücher  ins  Deutsche,  seine 
Uebersetzung  der  Klage  Jeremias  und  des  9.  Cap.  Daniels 8) 


ac  humani  consultum,  qui   primus  ex   latinis  de   Bebraicis   literis   scribere 

adorsus  est,  et  patronum  et  iudicem,  nt  Bemper  veneratus  mihi,  ita  nunc 
quoque  dico  et  veneror.  Auch  bei  einigen  Krklürungen  in  der  Grammatik 
findet  sich  der  Zusatz:  Secundum  praeceptorem  nostrum  1>.  Reuchlin. 

*)  Rudimenta  Hebraica  Mosche  Kimchi  a  J.  Boeschensteinio  cevisa. 
Augsburg  1520.    Vgl.jWolf:  Bibliotheca  hebraea  vol.  III,  p.  810. 

2)  Die  klage  Jeremie  über  Jerusalem,  mit  sampt  dem  gepet  Daüieüs 
am  9.  Kap.  auss  dem  warhafFfcigem  Text ,  nran  wort  zu  wort  verteutschl 
durch  Johann  Böschensteiu,  K,  Ma.  gefreyter  lehrer  der  Hebrayschen  Zungen, 
1529  in  8", 


Schulet  des  Elia«  Levita    Paul  Fagiu:   and  Sebastian  Münster,  55 

ist  in  einem  so  jämmerlichen  Deutsch  abgefassl ,  dass  mau 
Schelhorn1)  nicht  Unrecht  geben  kann,  wenn  er  nach  Mitthei- 
lung einiger  Proben  ausruft:  Wer  sieht  nicht  hieraus,  dass 
zwischen  unseres  theuren  Lutheri  und  Böschensteins  Ueber- 
setzung  ein  so  grosser  Unterschied  als  zwischen  Tag  und 
Nacht  sei. 


Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul  Fagius 
und  Sebastian  Münster. 

Wir  haben  bereits  mehrfache  Beispiele  davon  gehabt  und 
werden  noch  einigen  begegnen,  dass  Christen  von  Juden  im 
Hebräischen  unterrichtet  wurden;  oft  sind  uns  die  Namen  der 
jüdischen  Lehrer  überliefert,  manchmal  auch  nicht,  selten 
waren  es  Männer  von  irgendwelcher  Bedeutung,  Keiner  hatte 
sich  als  Schriftsteller  ausgezeichnet.  Ein  Anderes  ist  es  bei 
Elias  Levita:  er  ward  der  jüdische  Lehrer  der  Christen- 
heit. Eigentlich  gehört  er  nicht  in  den  Rahmen  unserer  Dar- 
stellung; nur  seiner  Lehrthätigkeit  hätte  kurz  gedacht  werden 
müssen.  Aber  die  wissenschaftlichen  Arbeiten  seiner  beiden 
hauptsächlichen  Schüler  Fagius  und  Münster  —  von  denen 
übrigens  nicht  feststeht,  wann  sie  seinen  Unterricht  genossen 
—  knüpfen  sich  zu  eng  an  ihn  an,  kehren  immer  wieder  auf 
ihn  zurück,  bald  durch  Herausgabe,  bald  durch  Uebersetzun- 
gen  seiner  Werke,  so  dass  es  unmöglich  ist,  ihn  aus  unserer 
Darstellung  zu  entfernen. 


!)  J.  G.  Schelhorn  1.  c.  (s.  oben  S.  52,  A.  5)  II,  S.  615  lg.  —  Eine  Zu- 
sammenstoppeluug  von  Stellen  des  alten  und  neuen  Testaments  ist  Böschen- 
steins Schrift,  die,  wie  es  scheint,  sehr  selten  ist  (Böckings  Bibl.  in  Bonn). 
Ain  getreuwe  ermanung  zu  allem  volck  geistlichs  und  weltlichs  Stands  der 
Crystenlichen  kirchen,  aufrur  unnd  zwytraeht  zu  verhüten.  0.  0.  u.  J. 
6  Bll.  in  4°.  Er  nenne  seinen  Namen  in  dieser  Schrift  nur  ,,So  mir  aber 
meiner  person  noch  vil  unnbillichs  auffgelegt,  auch  änderst  und  in  annder 
gestalt  aussgelegt  wird,  dann  mein  verstand  ist." 


56  Di     3chfilei  ■       Elia    Levita,  Paul  Fagius  und  Sebastian  Monster. 

Eliah  bcn  Ascher  ha-Levi,  auch  Aschkenasi 
(Deutscher),  nach  seinen  Werken :  Bachur,  Tisckbi,  von  den 
Christen  Elias  Levita  genannt,  war  in  Neustadt  an  derAisch 
bei  Nürnberg  geboren  1472  J),  hatte  seine  Erziehung  wol  in 
Deutschland  genossen  und  war  vermuthlich  seiner  Ausbildung 
wegen  nach  Italien  gegangen.  Wir  treffen  ihn  1504 — 1509  in 
Padua,  wo  er  das  Hebräische  lehrte,  dann  in  Venedig  bis  1512, 
wo  freilich  die  Blüthe  der  jüdischen  Typographie  noch  nicht 
vorhanden  war,  die  erst  durch  Bomberg  gezeitigt  werden  sollte, 
später  in  Korn.  Hier  lernte  er  den  Cardinal  Egidio  (Petrus 
Aegidius  von  Viterbo(?)  Freund  und  Gönner  Reuchlins)  kennen, 
wurde  in  seinem  Hause  aufgenommen  und  unterrichtete  ihn 
im  Hebräischen  und  empfing  von  ihm  mannigfache  Belehrung 
im  Griechischen  und  in  den  profanen  Wissenschaften '-').  Nach 
14jährigem  Aufenthalt  vertrieb  ihn  aus  Rom,  wie  fast  zwanzig 
Jahre  vorher  aus  Padua,  die  Eroberung  der  Stadt  (1527);  er 
selbst  zog  aus,  aller  seiner  Habe,  auch  seiner  Bücher,  be- 
raubt. Nun  nahm  er  seinen  bleibenden  Wohnsitz  in  Venedig, 
unterbrach  seinen  ruhigen,  ganz  der  eifrigen  schriftstellerischen 
Thätigkeit  gewidmeten  Aufenthalt  nur  für  ein  paar  Jahre,  als 
er  im  Jahre  1541  dem  Pviife  des  Fagius  nach  Isny  folgte,  und 
starb  in  Venedig,  das  er  wie  seine  Vaterstadt  liebt,  in  der  er 
sterben  wolle3),  1549,  77  Jahre  alt. 

Levita  war  der  Lehrer  der  Christenheit:  das  wurde  ihm 
zum  Vorwurf  angerechnet;  dass  er  bei  dem  Cardinal  Egidio 
gewohnt,   als  Verbrechen  ausgegeben.    Er  bekannte  es  stolz 


i)  Man  hat  an  dieser  Angabe  vielfach  gezweifelt  und  gesagt,  Elias  sei  in 
Italien  geboren.  Mir  seheint  in  dieser  Hinsicht  das  bisher  unbeachtete  Zeugniss 
Münsters  entscheidend  (Vorrede  zum  Opus  granrmaticum  consummatum) :  Intet 
hos  omnes  excitavit  Dominus  et  in  Italia  Judaeum  quendam  qui  tarnen  aatus 
fuerat  in  Germania,  in  Nova  scilicet  civitate  super  amne  Eyschj  haud  pro- 
cul  a  Nurmberga,  Eliam  nomine.  Die  folgenden  Lebensnachrichten  gibt 
Elias  selbst  in  einer  der  Vorreden  zu  seinem  Buche  miDÖfi  mra  "ibd 
und  zerstreut  an  anderen  Stellen.  Kritische  Feststellung  einiger  Einzel- 
heiten gibt  de  Kossi:  Historisches  Wörterbuch  der  jüdischen  Schriftsteller, 
übersetzt  von  Hamberger,  Leipzig  1839,  S.  178—183. 

2)  Das  betont  er  besonders  in  seiner  hebräischen  prosaischen  Vorrede 
zu  seinem  Werke  Tischbi. 

3)  de  Rossi  a.  a.  0.  S.  178. 


Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul  Fagine  nnd  Seba  fcian  Monster.  57 

und  rühmte  sich  dessen1).  Noch  könne  er  sagen:  Preis  dem 
Herrn,  ich  bin  ein  Hebräer,  ich  ebrfiirchte  Gott,  der  Himmel 
und  Erde  geschaffen.  Die  Lehrer  hätten  nur  verboten,  den 
Christen  die  Geheimnisse  des  Schöpfungswerkes,  des  gött- 
lichen Wagens  zu  lehren,  die  7  noachitischen  Gebote  aber 
hätten  sie  ausdrücklich  erlaubt;  wie  sei  es  aber  möglich 
darin  zu  unterrichten,  wenn  man  nicht  vorher  den  Schülern 
die  hebräische  Sprache,  in  der  diese  Gebote  geschrieben 
wären,  beibrächte?  Nicht  blos  einen  habe  er  die  hebräische 
Sprache  gelehrt,  sondern  eine  grosse  Zahl  Schüler  gehabt, 
und  alle  diejenigen,  welche  wieder  von  diesen  gelernt,  wolle 
er  als  seine  Schüler  anerkennen.  Diese  Mittheilung  ergänzt 
Fagius2),  wenn  er  berichtet,  dass  Levita  zahlreiche  Schüler 
gehabt,  aber  nicht  blos  unbedeutende  Leute,  sondern  die  her- 
vorragendsten Männer  unter  denselben  gezählt,  Cardinäle, 
Bischöfe,  Gelehrte  an  allen  Orten.  Alle  würden  wünschen, 
dass  seine  Jahre  stets  sich  erneuerten;  das  wäre  ein  grosser 
Vortheil  für  Alle,  Juden  und  Christen,  die  sich  mit  der  hei- 
ligen Sprache  beschäftigten.  Mit  welchem  Beifall  sein  Unter- 
richt aufgenommen  wurde,  das  zeigen  die  verschiedenen  Be- 
rufungen, die  er  von  mehreren  Seiten,  unter  Anderm  auch 
vom  König  von  Frankreich  nach  Paris,  erhielt;  er  schlug  sie 
aber  aus3). 

In  welcher  Weise  ihn  die  deutschen  Gelehrten  betrach- 
teten —  und  dieser  Gesichtspunkt  ist  jetzt  für  uns  von  haupt- 
sächlicher Wichtigkeit  —  zeigt  am  besten  die  ausführliche 
Schilderung,  die  Paul  Fagius  von  ihm  entworfen  hat4): 
„Levita  ist  ein  ausgezeichneter  Grammatiker,  eine  seltene 
Eigenschaft   bei   den   Juden   überhaupt,    besonders    bei   den 


!)  Das  Folgende  aus  seiner  oben,  S.  56  Anm.  1,  angeführten  Vorrede. 

2)  In  seiner  gleich  näher  zu  besprechenden  lateinischen  Vorrede  zu 
Levita's  Tischbi. 

3)  Hebräische  prosaische  Vorrede  Levita's  zum  Tischbi,  vgl.  Frensdorff» 
Aus  dem  Sefer  Hasichronot  von  Elias  Levita  in  Frankeis  Monatsschrift  für 
Geschichte  und  Wissenschaft  des  Judenthums,  1863,  XII,  S.  18  und  Anm.  3. 

4)  Lateinische  Vorrede  zum  Tischbi  Isnae  in  Algavia  MDXXXXI.  Das 
Werk  selbst  wird  später  betrachtet  werden.  Die  im  Text  gegebene  Ueber- 
setzung  macht  keinen  Anspruch  auf  Wörtlichkeit,  sondern  nur  auf  treue  Wieder- 
gabe des  Sinnes. 


Do  Die  Schüler  dee  Eliac  U  rita,  Paul  Fagiue  and  Sebastian  ttünster. 

deutschen,  sein  ganzes  Leben  hat  er  damit  zugebracht,  um 
sich  diese  Kenntnisse  anzueignen.  Die  Werke  bewährter 
Schriftsteller  hat  er  alle  gelesen,  von  seinem  Verständniss 
derselben  in  seinen  eigenen  Schriften  ruhmvolles  Zeugniss 
abgelegt.  Aus  diesen  Schriften  haben  Alle  geschöpft,  die  sich 
mit  hebräischer  Sprache  beschäftigt;  die  in  derselben  gegen- 
wärtig verbreiteten  Kenntnisse  sind  sein  Verdienst,  das  die 
Schüler  laut  und  ohne  Erröthen  anerkennen.  Wie  die  he- 
bräische, so  kennt  er  auch  die  chaldäische  Sprache,  die  chal- 
däischen  Bibelübersetzer  hat  er  mit  Fleiss  und  Sorgfalt  ge- 
lesen, eine  Frucht  dieser  Studien  ist  sein  chaldäisches 
Wörterbuch  *).  In  der  Bibel,  mit  der  sieh  die  übrigen  Juden, 
die  ihre  Zeit  meist  auf  thalmudische  Spielereien  und  andere 
Nichtigkeiten  verwenden,  kaum  beschäftigen,  ist  er  so  gelehrt, 
dass  er  nicht  nur  den  Anfang  aller  biblischen  Bücher,  sondern 
auch  einzelne  Verse,  Redensarten,  Zeichen,  Accente  u.  A.  m.  im 
Gedächtniss  hat,  was  bei  einem  so  bejahrten  Manne  durchaus 
wunderbar  erscheint.  Gerade  dieses  Alter  gibt  dem  verdienten 
Manne  ein  nicht  geringes  Ansehen,  es  empfiehlt  seine  Gelehr- 
samkeit als  eine  in  vielen  Jahren  erprobte,  zeigt  das,  was  er  aus 
seiner  Rüstkammer  hervorholt,  nicht  als  neu  entstanden,  son- 
dern als  wohl  und  vielfach  überlegt  und  durchgesprochen,  als 
fest  und  solid  begründet.  Von  einem  solchen  Mann  muss 
man  lernen,  von  ihm,  der,  obgleich  er  Jude,  dem  christlichen 
Glauben  nicht  feindlich  gegenübersteht,  nicht  spöttisch  wie 
die  übrigen  seiner  Glaubensgenossen  über  Christus  sich  aus 
drückt,  der  ausser  seinen  positiven  Kenntnissen  einen  reichen 
Schatz  von  Erfahrung  besitzt  und  alles  dies  bereitwillig  und 
mit  wunderbarer  Geschicklichkeit  mitzutheilen  versteht.  Nur 
ist  zu  fürchten,  dass  das  hohe  Greiscnaltcr  diesen  Mann  eines 
Tages  unversehens  aus  unserer  Mitte  herausreisst,  bis  dahin 
aber  muss  man  Gott  danken,  der  ihn  so  lange  erhalten  und 
der  todbringenden  Parze  noch  nicht  gestattet  hat  seinen 
Lebensfaden    abzuschneiden.      Vor  Allen    bin   ich    für    diese 


i)  (ut)  ex  illis  Lexicon  Chaldaicum  doctissimum  et  utiliasimum ,  cui 
nomen  JÖJTinö  fecit,  collegcrit,  quod  propediem  in  communem  utilitatem 
omnium  studiosonun  Linguae  sanetae  n""K  (ern  nJTT  CS',  (so  Gott  will)  exeudi 
cuarbinras.    Es  erschien  noch  in  demselben  Jahre  1541, 


Die  Schälet  des  Elias  Levita,  faul   Fagiut  und  Sebastian  Münster,  59 

Wohlthat  verpflichtet,  denn  mir  war  vergönnt,  nicht  nur  die 
Schriften  dieses  Mannes  zu  lesen,  sondern  ihn  selbst  in  der 
Nähe  zu  haben,  als  Gast  aufzunehmen,  mit  ihm  zu  plaudern» 
Mund  an  Mund,  wie  der  Hebräer  sagt,  mit  ihm  zu  verhandeln ; 
mit  seinem  Rath  und  seiner  Hülfe,  die  Elias,  dieser,  obgleich 
ein  Jude,  denuoch  seiner  ausgezeichneten  Gelehrsamkeit  und 
seiner  wunderbaren  Milde  und  Freundlichkeit  alles  Lobes 
würdige  Mann,  so  gern  ertheilt,  meine  hebräische  Druckerei r) 
zu  beginnen.  Mir  liegt  es  daher  besonders  ob,  die  des 
hebräischen  Studiums  Beflissenen  zu  ermahnen,  diesen  Manu 
zu  loben  und  zu  preisen,  dass  er  nach  Deutschland  ge- 
kommen, um  den  Dank  gegen  sein  Vaterland2)  durch  seine 
Schriften  abzutragen,  die  er  in  ihm  veröffentlicht,  der,  obgleich 
von  vielen  Jahren  gedrückt,  nicht  die  verdiente  Ruhe  aufsucht, 
sondern  Tag  und  Nacht  unaufhörlich  den  hebräischen  Studien 
obliegt  ....  Noch  eins,  lieber  Leser,  wenn  Du  in  diesem 
Buche  einige  jüdische  Spöttereien  antriffst,  so  wisse,  dass  sie 
nicht  von  Elias  angeführt  sind,  um  sie  zu  billigen  oder  ihnen 
Glauben  beizumessen,  wie  er  selbst  an  einer  Stelle  deutlich 
bezeugt3),  sondern  dass  diese  Stellen  nur  der  Erklärung 
wegen  beigefügt  sind.  Ich  habe  daher  in  meiner  Ueber- 
setzung  diese  Stellen  ausgelassen.  Du  sollst  aus  ihr  nur  die 
hebräische  Sprache  kennen  lernen,  nicht  den  jüdischen  Glau- 
ben billigen." 

Die  letzte  Stelle  namentlich  ist  überaus  interessant,  das 
Ganze  aber  zeigt,  wie  sehr  ein  Jude  durch  seine  Kenntnisse 
nicht  nur,  sondern  auch  vermöge  seiner  Persönlichkeit  im 
Stande  war,  Achtung  und  Verehrung  seitens  der  Christen  sich 
zu  verschaffen.  Auch  Sebastian  Münster  hegte  die  grösste 
Verehrung  vor  seinem  Meister,  beide  wetteiferten,  die  he- 
bräisch geschriebenen  Schriften  des  gelehrten  Juden  durch 
Uebersetzung  einem  weiteren  Kreise  zugänglich  zu  machen. 
Levita  freute  sich  seiner  Jünger,   und  wenn   er  Münster  auf- 


!)  Ueber    die    hebräische   Druckerei,    die  Fagius     in    Isny    errichtete, 
siehe  unten. 

2)  Vgl.  oben  S.  56,  Anm.  1. 

3)  Ut  alicubi  etiani  manifesto  testatur.  Mir  ist  die  Stelle,  auf  die  hier 
angespielt  wird,  nicht  bekannt. 


60  Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Fanl  Fagius  rfnd  Sebastian  Münster. 

forderte  eine  seiner  Schriften  zu  übersetzen1),  so  ehrte  er 
den  Fagius  mit  seinem  Besuche,  arbeitete  wacker  in  seiner 
Gemeinschaft  und  gab  ihm  grosse  Lobsprüche,  er  verdiene, 
dass  auf  ihn  angewendet  werde  was  man  über  Maimonides 
gesagt  habe:  Von  Paulus  bis  Paulus  stand  keiner  auf,  wie 
Paulus 2). 

Elias  Levita  war  im  Leben  und  in  der  Wissenschaft  von 
der  grössten  Bescheidenheit.  Ein  stiller,  emsiger  Arbeiter, 
will  er  aus  seinem  einmal  gewählten  Arbeitsfelde,  der  Gram- 
matik und  der  Massorah,  nicht  herausgehen  5  bei  seinem  ersten 
etymologischen  Interpretationsversuche  entschuldigt  er  sich 
wegen  seines  Wagnisses.  Es  habe  einmal  ein  Schuhmacher 
einen  Maler  auf  einen  Fehler  im  Zeichnen  von  Schuhen  auf- 
merksam gemacht,  da  habe  dieser  den  Fehler  dankend  ver- 
bessert; dadurch  kühner  geworden,  habe  der  Schuhmacher 
auch  an  den  Knieen  etwas  aussetzen  wollen,  da  habe  ihn 
der  Maler  mit  Schande  und  Spott  weggejagt.  Er  fürchte,  es 
werde  ihm  auch  so  gehen,  es  werde  Jemand  zu  ihm  sprechen: 
Was  willst  Du  hier  Elias?  gehe  und  sprich  über  Grammatik 
und  Massorah,  aber  hüte  Dich  in  Fremdes  Dich  einzulassen, 
unbekannte  rabbinische  Wurzeln  zu  erklären3).  Wenn  er  in 
seinen  Werken  auf  etwas  Philosophisches,  Kabbalistisches  zu 
sprechen  kommt,  so  weist  er  es  als  nicht  in  sein  Fach 
schlagend  ab,  keineswegs  aus  Verachtung,  wie  er  z.  B.  von 
der  Kabbalah  sagt:  Ich  bin  nicht  würdig  ihren  Inhalt  zu  er- 
örtern, denn  ob  meiner  Sünden  habe  ich  diese  Wissenschaft 
nicht  gelernt,  und  die  Kenntniss  dieser  Heiligen  weiss  und 
begreife  ich  nicht.  Namentlich  in  seinem  Werke  Tischbi  tritt 
dieser  Standpunkt  hervor.  Tischbi  (oder  Thisbite,  Beinamen 
des  Propheten  Eliah,  an  Zahlenwerth  =  712)  enthält  die  Er- 
klärung von  712  rabbinischen  Wörtern.  Es  wurde  von  Fagius 
herausgegeben  und  mit  einer  lateinischen  Vorrede  und  Ueber- 
setzung  versehen1).    Levita  erzählt,  wie  er  nach  Beendigung 


*)  Das  berichtet  Münster  in  der  Einleitung  zu  Levita's  Syv*  Basel  1527. 
2)  Prosaische  hebräische  Vorrede  zum  Tischbi. 
:!)  Poetische  hebräische  Vorrede  zum  Tischbi. 

4)  Opusculum   recens   hebraicum    a    doctissimo   Hebraeo    Elia   Levita 
Germano  Grammatico  elaboratura,  cui  titulum  fecit  "SttTi  i.  e.  Tischbi,  in 


Die  Schüler  dos  Elias  Levita,  Paul  Fagius  und  Sebastian  Münster.  61 

des  Buches  eiueu  Druckort  gesucht  habe  und  es  nach  Bologna 
zu  Bomberg  habe  schicken  wollen,  da  sei  ihm  aus  Deutsch- 
land die  freudige  Kunde  gekommen,  ein  Christ  habe  eine 
hebräische  Druckerei  gegründet,  erbitte  sich  seinen  Beistand 
dazu  und  wolle  seine  Werke  drucken.  In  dem  Werke  wollte 
i?r  keineswegs,  wie  das  talmudische  Lexikon,  der  'Aruch,  alle 
talmudischen  und  midraschischen  Ausdrücke  zusammenstellen, 
sondern  nur  solche,  bei  denen  er  etwas  Neues  zu  sagen 
wüsste.  Zu  jeder  Wurzel  habe  er  Erläuterungen  aus  den 
chaldäischen  Bibelübersetzungen,  Beweise  aus  anderen  Spra- 
chen, dem  Griechischen,  Lateinischen  und  Italienischen,  bei- 
gebracht. Wie  er  in  kabbalistischen  Dingen  zu  Werke  geht, 
haben  wir  schon  gesehen;  hören  wir,  wie  er  philosophische 
und  allgemeine  Religionsbegriffe  erklärt.  Bei  dem  Wort 
Jon  üb)V :  „zwischen  den  Neueren  ist  ein  Streit  über  die  Zeit 
der  künftigen  Welt.  Einige  sagen,  sie  bedeute  das  Leben 
der  Seele,  das  gleich  nach  dem  Tode  beginne,  Andere,  sie 
sei  die  Zeit  des  Messias,  die  Dritten,  sie  sei  die  Zeit  der 
Wiedererweckung  der  Todten.  Jeder  bringt  Beweise  zur 
Unterstützung-  seiner  Meinung  herbei,  ich  bin  nicht  würdig-, 
mich  unter  die  Schaar  dieser  Weisen  zu  mischen;  wer  die 
Frage  genau  ergründen  will,  der  sehe  die  Erklärung  Isaak 
Abarbanells  nach".  Auf  dasselbe  kommt  er  auch  bei  dem 
Worte  Ni:6  "Pnj?  zurück,  wo  er  den  Unterschied  dieses  und 
des  ersteren  ebensowenig  wie  die  wahre  Bedeutung  dieser 
Ausdrücke  entscheiden  will.  Bei  DT1D'  „die  Meinung  der 
Alten,  das  Paradies  habe  vier  Eingänge  gehabt,  als  An- 
deutung des  himmlischen  Viergespanns,  will  ich  nicht  er- 
örtern".    Auch  von  Thalmudischem   spricht    er  mit    gleicher 


quo  712  vocum  quae  sunt  partim  Hebraicae,  Clialdaicae,  Arabicae,  Graecae 
et  Latiuae,  queque  in  Dictionariis  non  facile  inveniuntur,  et  a  Rabbinis 
tarnen  Hebraeorum  in  scriptis  suis  passim  usurpantur:  origo,  etymon,  et 
verus  usus  docte  ostenditnr  et  explicatur  per  Paulum  Fagiurn  in  gratiam 
studiosorum  linguae  Sanctae  latinitate  donatum.  Rationem  Tituli  invenies 
in  Praefatione  autboris.  Impressum  Isnae  in  Algavia,  Anno  MDXXXXJ. 
(Vorreden  und  Schlussseiten  unpaginirt)  278  SS.  in  4».  Eine  Ausgabe  mit 
hebräischem  Titel  ohne  lateinische  Vorrede  und  Uebersetzung  erschien  Basel 
1601,  200  Bll.  in  40. 


o2  Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul  Fagitii  n  Münster. 

zurückhaltender  Ehrerbietung,  obwohl  er  geistreiche  Wortspiele 
Hebt,  Seine  jüdische  Hoffnung  verbirgt  er  nicht,  wenn  er  bei  "HT! 
die  Erwartung  ausspricht,  dass  vor  1560  der  Messias  erschei- 
nen werde.  In  schlichter  Weise  bespricht  er  Christliches. 
Bei  w:  „Die  Christen  sagen,  ihr  Messias  sei  auf  Befehl  des 
Engels  Gabriel  Jesus  genannt  worden,  weil  er  alle  Welt  er- 
lösen sollte  (W'T1  er  wird  helfen,  erlösen).  Andere  meinen, 
er  habe  zufällig'  so  geheissen,  wie  Viele  in  jener  Zeit."  Fagius, 
der  sonst  sich  fast  von  jedem  Zusatz  enthielt,  fügte  hier  hinzu: 
„Ich,  Paulus  Fagius,  Uebersetzer  dieses  Buches,  will  zur  Ehre 
Christi,  unseres  Erlösers,  die  Stelle  anführen,  die  sich  in  dem 
Werke  des  Josephus,  Sohnes  Gorions,  findet:  Zu  jenen  Zeiten 
lebte  Jesus,  ein  weiser  Mann,  wenn  man  ihn  überhaupt 
Mensch  nennen  darf,  der  viele  Wunder  that  und  allen  Men- 
schen die  Wahrheit  verkündete.  Er  war  der  Messias,  der 
viele  Juden  und  Christen  um  sich  schaarte,  den  Pilatus  in 
Folge  der  Anklage  einiger  Angesehenen  unseres  Volkes  ans 
Kreuz  schlagen  Hess.  Die  ihm  angehangen  hatten,  Hessen 
aber  nicht  von  ihm,  er  erschien  ihnen  drei  Tage  darauf  wie- 
der lebend  und  that  all  das  Wunderbare,  das  die  Propheten 
von  ihm  vorhergesagt  hatten.  Sein  Name  besteht  bis  auf  den 
heutigen  Tag  und  seine  Anhänger  werden  „Messianische"  ge- 
nannt. Ebenso  einfach  spricht  er  über  NE©  Petrus '),  über 
H2U  Nazarener,  Christ2)  U.A.  Bald  nach  dem  Tischbi  wurde 
der  Methurgemau,  ein  targumisehes  Wörterbuch,  herausgegeben, 
das  Fagius  gleichfalls  mit  einer  lateinischen  Vorrede  versah3). 


!)  Hier   macht    er   die   sprachliche  Bemerkung,    dass,    wie  Petra  im 
bischen,   so  Pereda   im   Italienischen    und  im  Targum  Stein  bedeute, 

ein  neues  Beispiel  der  Aehnlichkeü  dieser  drei  Sprachen,    von  der  er  schon 

in  der  Einleitung  gesprochen. 

2)  In  diesem  Artikel  sind  die  Worte  DO-ÖKÖf!  D*UTl  WO«  D"K"up  "pkl 
D'HSrfl  lma  wol  nur  aus  Versehen  unühersetzl  gehliehen. 

3)  Der  Methurgemau  erschien  unter  dem  Titel:  Lexicon  Chaldaicum 
authore  Eliia  Levita  quo  nullam  hactenus  a  quoquam  absolutius  aeditum  est; 
omnibus  Heliraeae  linguae  studiosis  inprimis  et  utile  et  aecessarium,  Ex- 
cnsnm  Isnae  Anno  MOXXXX1.  Mense  Augusto.  Ausser  der  Vorrede  findet 
•leh  im  Buche  seihst  keine  Bemerkung  des  Fagius.  Anführen  will  ich  auch 
ein    Büchlein:    Nomenclatoj    Eliae    Levitae    ed.   J.  Drnsius,  Prankerae    1652 


Die  Schill. 'i-  des  Elias  Levita,  Paul   Fagine  and  Sebastian  Ifün  6H 

Die  eigentlich  grammatischen  Werke  Levita's  sind  ziemlich 
/nhlreich.  Schon  während  .seines  Aufenthalts  in  Padua  be- 
schäftigte er  sich  mit  der  Herausgabe  der  kurzen  Grammatik 
des  Moses  (älteren  Bruders  und  Lehrers  des  David)  ben  Joseph 
Kimchi  '),  die  ihm  damals  von  einem  Betrüger  entwendet  und 
unter  falschem  Namen  veröffentlicht  wurde  und  die  er  selbst 
erst  fast  40  Jahre  später  herausgab2);  um  diese  Zeit  trifft 
auch  die  Ausgabe  von  David  Kimchi's  Grammatik  und  Wörter- 
buch 3). 

Sein  erstes  eigenes  grammatisches  Werk  war  eine  unter  dem 
Titel  "VirD  veröffentlichte  Grammatik,  zu  deren  Abfassung  er 
„durch  einen  gotterweckten  Mann",  wie  er  sagt,  veranlasst 
worden  sei,  den  Cardinal  Egidius  nämlich,  dem  er  auch  die 
Schrift  gewidmet  hat  (Rom  1517),  die  damals  und  noch  lange 
später  als  eins  der  vortrefflichsten  Lehrbücher  über  diesen 
Gegenstand  gerühmt  wurde  und  durch  die  üebersetzung  Mün- 
sters eine  weite  Verbreitung  erhielt4).  Eine  speciellere  gram- 
matische Schrift,  das  nZDTin  "1SD  über  gemischte,  unregel- 
mässige Formen,  erschien  bereits  1518 5)  und  wurde  mit  Er- 


in  8°,  wo  in  47  SS.  (S.  48  — 240  sind  Anmerkungen  des  Joh.  Drusius)  eine 
Anzahl  Wörter  getheilt  in  Substantiva ,  Verba  und  eine  dritte  Klasse,  die 
alles  übrige  enthält,  nach  dem  Alphabet  der  lateinischen  Worte  lateinisch 
und  hebräisch  mitgetheilt  werden  (der  Heransgeber  hat  noch  griechisch  hin- 
zugefügt), dann  einige  Grussformeln.  Die  Worte  mischen  sich  in  der  bun- 
testen Reihe,  ohne  jedes  System;  es  ist  durchaus  nicht  ersichtlich,  wozu  das 
Ganze  hat  dienen  sollen. 

i)  nsnn  'tyatw  ^bnn » 

2)  Venedig  bei  Bomberg  1546.  Noch  1652  wurde  in  Mantua  eine  neue 
Ausgabe  davon  veranstaltet.  Die  Zusätze  des  Elias  scheinen  nicht  sehr  be- 
deutend zu  sein. 

3)  '^PP  und  D^itHtf  beide  bei  Bomberg  in  Venedig,  letzteres  Marche- 
schwan  1547.  Die  Anmerkungen  des  Elias  stehen  mit  kleinerem  Druck  in 
den  Text  eingerückt,  am  Anfange  einer  jeden  .TKK<"onttH  Vrbto  "lOK*  Die 
am  Rande  stehende  lateinische  üebersetzung  der  einzelnen  Worte  ist  wol 
von  Fagius.    548  Spalten  in  Folio. 

4J  Nur  ein  Auszug  befindet  sich  handschriftlich  in  dem  Cod.  1251 
(fonds  hebreu)  der  Pariser  Bibliothek,  fol.  1— -8. 

5J  In  Rom;  der  Titel  lautet:  ."6ö  bü  pHpl  wa  bbo  nasim  TfiO 
:-navc  ff-iBD  on»in  mKS  "WK  naaniöl  mt  Es  gibt  zahlreiche  spätere  Aus- 
gaben, z.  B.  1548;  handschriftlich  findet  es  sich  im  Cod.  1251  (Paris)  fol.  12 
bis  49. 


64  Uie  Schüler  dos  Elias  Levita,  Paul  Fagins  um!  Sol>a*tian  Münster. 

laubniss  Leo's  X.  gedruckt ]).  Nach  beliebter  Weise  des  Levita 
machen  Gedichte  den  Anfang  und  Schluss  des  Buches,  die 
unregelinässigen,  .schwer  zu  erklärenden  Worte,  die  in  dem- 
selben einer  Besprechung  unterzogen  werden,  sind  alphabetisch 
geordnet.  Das  Werkchen  erschien  von  Münster  in  lateinischer 
Uebersetzung 2),  die,  wie  er  selbst  sagt,  sich  meist  wörtlich  au 
den  hebräischen  Text  anschliesst,  von  dem  er  nur  die  Ein- 
leitung mittheilt;  weitere  Zusätze  enthält  diese  Uebersetznng 
nicht.  Auch  in  diesen  seinen  eigenen  Werken  folgt  Elias 
seinem  Meister  David  Kinichi,  macht  ihn  zum  Alleinherrscher, 
bringt  nicht  neue  Ideen,  sondern  stellt  in  einfacher,  für  Beleh- 
rung bestimmter  Form  den  vorhandenen  Stoff  zusammen. 

Bedeutender  als  diese  grammatischen  Leistungen  ist  das, 
was  er  über  die  Accentlehre  und  die  Massorah  geschrieben 
hat.  Die  dahin  gehörigen  Schriften  DJ?::  2V£  und  moan  miDQ 
wurden  bald  nach  ihrem  Erscheinen  von  Münster  ins  Latei- 
nische übersetzt,  der  ihre  Bedeutung  wol  erkannte;  aber  wenn 
er  auch  ausdrücklich  die  vorzüglichen  Dienste  hervorhebt,  die 
Elias  damit  der  Wissenschaft,  speciell  Denen,  die  sich  mit 
Hebräisch  beschäftigen,  geleistet  habe,  so  meint  er  doch, 
Elias  habe  in  dem  zweiten  der  angeführten  Werke  Vieles  ge- 
schrieben, wras  mehr  dem  Aberglauben  seines  Volkes  als  uns 
diene3).  Wir  müssen  freilich  sagen,  dass  gerade  dieses 
zweite  Werk  epochemachend  gewesen  ist,  dass  dieses  erst 
die  Massorah,    diese  wichtige,   unentbehrliche  Handhabe  für 


ij  Im  Nachwort:  ,Y"T  +WVT1  püT?  'WBK  lMttK  rYfflhS  HH  naCH  DBT1 

♦  mhsb  vsv  rwa  yefflSM  vnra 

2)  naS'Tin  "iBD  Composita  verborum  et  nominura  Hebraicorum,    Opus 
rere  insigne  atque  utile  Hcbraicac  Gramniaticae  studiosis  in    primis  neces 
sariurn,  Romae  Eliae  Levitae  autore  editurn  et  uuper  per  Sebastianum  Rlun 

terura  latinitate  donatum.    Basileae  An.  MDXXV  mense  Nbvemb.  Aa  .  .  . 
Kk  ä  8  l'.ll.,  LI.  ä  3  BEL  in  8<>. 

3)  Aus  diesem  Grunde  übersetzte  er  aueb  das  Werk  Masoretb  nicht 
ganz,  sondern  gab  nur  den  Inhalt  der  einzelnen  Capitel  an.  Die  hebräischen, 
von  Elias  veranstalteten  Ausgaben  erschienen  Venedig  1538,  Masoreth  87  SS. 
Tuw  Tiiain  35  SS.  in  4°,  die  Münster'sche  hat  zum  Titel:  Accentuum  he- 
braicorum über  onus  ab  Elia  Judaeo  aeditus  ei  tarn  diu  desideratus.  Etem 
über  Traditionum  ...  Inline  redditus  per  Sebast.  Muns!  im.  Basileae  apud 
Benricum  Petrum  1539.  109SS.  lateinisch;  Jt  ■  • .  K  ä  8  Bll.,  und  noch  ein 
unpaginirter  Bogen  ä  G  Bll.,  hebräisch,  kl.  8°. 


Die  Schfiler  des  Elias  Levita,  Paul  Fagius  und  Sebastian  Munster.  (!."> 

Kritik,  und  Feststellung  des  biblischen  Textes,  zugänglich 
liuu'hte,  durch  verständiges  Studium  derselben  neue  Blicke 
eröffnete,  neue  Ansichten  ans  Licht  brachte,  die  noch  bis 
heute  uieht  zur  vollkommenen  Erkenntniss  gelaugt  sind.  Zur 
Ergänzung  und  Ausführung  verfasste  er  eine  mächtige  maso- 
rethische  Concordanz  —  in  der  einen  Vorrede  zum  Schriftchen 
Masoreth  sagt  er,  er  habe  zwanzig  Jahre  daran  gearbeitet  — 
die  pur  handschriftlich,  freilich  ganz  druckfertig,  vorhanden,  aber 
ungedruekt  uud  ziemlich  unbekannt  geblieben  ist ' ).  Die  Con- 
cordauz  verzeichnet  in  peinlichster  Sorgfalt  die  Beispiele  aller 
einzelnen  Formen,  z.  B.  bei  den  Verben  in  den  einzelnen  Zeiten 
jede  Person  mit  den  ihnen  anzuhängenden  Suffixen,  lässt  aber, 
wie  ein  bewährter  Kenner  der  Massorah  bemerkt,-)  den  ebenso 
wichtigen  Theil,  welcher  Accente,  Wortverbindungen,  Vers 
formen  behandelt,  ausser  Acht.  In  dein  Werkeheu  Masoreth 
gab  Levita  in  der  dritten  Vorrede  Bemerkungen  über  die  Neu 
heit  der  Punktation:  sie  sollte,  meinte  er,  nicht  zugleich  mit 
dem  biblischen  Texte  dem  Moses  überliefert  worden  sein; 
Vocal-  und  Accentzeichen  überhaupt  nicht  vor  der  Zeit  des 
babylonischen  Talmud  existirt  haben,  sondern  erst  durch  die 
Lehrer  in  Tiberias  aufgekommen  sein ;  Bemerkungen,  die,  weit 
entfernt  gleich  zur  Annahme  zu  gelangen,  zu  heftigen  Kämpfen 
Anlass  gaben,  in  Uebermaass  missbraucht  wurden,  bis  man 
erst  allmälich  zur  richtigen  Anwendung  kam.  Münster  sagt,  er 
habe  in  dieser  Vorrede  vieles  Seltene  und  Vorzügliche  gefun- 
den, wunderbare  Auseinandersetzungen  über  die  Punktation, 
die  Buchstaben  des  Alphabets  und  die  Accentzeichen,  er  habe 
daher  diese  Vorrede  vollständig  übersetzt,  da  sie  einen  Inbe- 
griff der  hebräischen  Sprachlehre  enthalte5). 

Paul  Fagius  haben  wir  als   Freund    und    Schüler  dv± 
Levita  kennen  gelernt.     Er  würde,  wenn  er  nicht  auch  selbst 


i)  Die  Handschrift,  2  voll,  in  fol.,  der  erste  p-K)  514,  der  zweite  (ft-b)  60G 
Bll.  enthaltend,  befindet  sich  in  der  kaiserl.  Bibl.  in  Paris  (Cod.  134.  135 
fonds  hebreu.)     Der  Titel  lautet  -irre  nfcö  bzn  r^Ztr,  tfjMÖ  .rt&htt  n-rc 

trrtHöto  n-ran?  -nüies  nbacfl  .rftfteb  pnjrn  .niwa»  tjö  .rfati  p  hat  Die  Ein- 
leitung zu  dem  Werke,  ohne  Beschreibung  der  Handschrift,  ist  mitgetheilt 
von  Frensdorff  a.  a.jflöd 

2)  Frensdorf  a.  a.  0. 

3)  Münster  in  der  lateinischen  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe. 

feiger,  Studium.  5 


Mi  Die  Schaler  des  Elias  LeviU,  Panl  Fagius  and  Sebastian  Honster. 

.schriftstellerisch  aufgetreten  wäre,  dadurch  Bedeutung-  verdie- 
nen, dass  er  eine  hebräische  Druckerei  gründete,  aus  der  eine 
Anzahl  Werke  des  Levita  hervorgingen.  Das  geschah  in  Isnv, 
wo  Fagius  (geb.  1504)  lange  als  Schulmeister  lebte  und  wohin 
er  nach  einer  Unterbrechung,  während  der  er  Professor  der 
hebräischen  Sprache  in  Strassburg  war,  15:J7  zurückkehrte. 
Die  Errichtung  der  Druckerei  verdankte  er  dem  Peter  Büffler, 
Bürger  in  Isny,  den  er  in  der  Vorrede  zu  dem  ersten  Werke, 
das  seine  Presse  verlies»  (1541) J)  rühmte  als  einen  sehr  frei- 
gebigen Maecenas,  als  einen  sehr  redlichen  und  frommen 
Mann,  der  wegen  des  besonderen  Eifers,  mit  dem  er  allen 
Gelehrten  nachgehe  und  auf  dieses  fromme  Werk  seine  ganze 
Thätigkeit  verwende,  unsterbliches  Lob  bei  aller  Nachwelt 
verdiene-).  Fagius  ist  ein  Schüler  des  Kapito,  dessen 
Nachfolger  er  in  Strassburg  wird.  Von  seinen  eignen  Schülern 
ist  Johann  Drakonites  zu  nennen,  den  wir  in  Wittenberg 
treffen  werden,  Martin  Crusius,  der  erzählt 3),  ihn  in  Strass- 
burg gehört  zu  haben,  Jakob  Hart  mann  und  Jakob  Velo- 
cianus,  dem  Ersteren  widmet  er  seine  Ausgabe  des  Tischbi, 
der  Letztere  hat  Elias'  poetische  Vorrede  dazu  übersetzt,  beide 
nennt  er  sehr  gelehrt  im  Hebräischen.  Fagius  ging  1549  nach 
England  und  starb  daselbst  in  Cambridge  am  12.  Nov.  1549 
in  demselben  Jahre,  wie  Elias  Levita. 

Fagius'  Werke  sind  zum  Theil  Uebersetzungeu  und  Aus- 
gaben von  Schriften  Anderer,  zum  Theil  eigene  Schriften. 
Von  der  ersten  Klasse  haben  wir  die  der  Lcvita'sehen  schon 
betrachtet,  einige  andere  müssen  erwähnt  werden.  Es  ist 
natürlich,  dnss  Fagius  sowie  Münster  von  ihrem  jüdischen 
.Meister  Eines  namentlich  lernten:  Achtung  und  Wcrthschälzung 
der  jüdischen  Rabbinen,  ihrer  Leistungen  in  Grammatik  und 
Erklärung  biblischer  Bücher.  Fagius  gab  den  Commentar  des 
David  Kimchi  zu  den  ersten  10  Davidischen  Psalmen,  hebräi- 


i)  Der  Tischbi  des  Elias  Levita. 

2)  Liberalissinras  Maecenas  qtii  per  instituenda  ofücina  kypogpraphica 
eaque  Heitren  sumptus  liberalisaime  exponit,  nempe  I».  Petrus  Bufflerus  civis 
fsnensia  et  honestissimus  et  piissimus  qui  ob  singulare  Studium,  » j u< >  prose- 
quitur  omnes  doctos  et  in  ipsam  pietatera  promovendam  totus  Lncumbit,  aeter- 
uam  landem  apud  onraem  meretux  posteritatem. 

3)  Amiales  Suevici  (1595)  Pats  III.  lib.  IX.  cap.  XIII.  p.  525. 


Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul  Fagiua  und  Sebastian  Münster.  ö7 

sehen  Text  mit  lateinischer  Uebersetzung,  heraus  J),  der  sich 
dem  Texte  wörtlich  ansehliesst,  aber  ohne  der  lateinischen 
Sprache  Zwang*  anzutlum.  Er  habe  die  Uebersetzung  veran- 
staltet, damit  daraus  hervorgehe,  welche  Bedeutung  die  Schriften 
der  Rabbiuen  für  die  Erklärung  der  h.  Schrift  hätten.  In  dieser 
Beziehung  sei  seinem  Urtheile  zufolge  David  Kimchi  einer  der 
hervorragendsten,  der  die  wörtliche  Bedeutung  und  Eigentüm- 
lichkeit glücklicher  als  Andere  erfasst  zu  haben  scheine.  „Denn 
wenn  auch  die  jüdischen  Commentatoren  auf  Christus,  der  das 
einzige  Ziel  der  heiligen  Schrift  ist,  wenig  oder  gar  keine 
Rücksicht  nehmen,  ja  sogar  oft  ihn  absichtlich  bekämpfen,  so 
glaube  ich  doch  nicht,  dass  ihre  Werke  deswegen  ausser  Acht 
zu  lassen  oder  gar  völlig  zu  vernichten  sind,  wie  Einige  thöricht 
und  unsinnig  verlangen.  Denn  sie  enthalten  Vieles,  was 
nicht  mit  Christus  in  Zusammenhang  steht  und  doch  denen, 
die  die  heiligen  Orakel  des  alten  Testamentes  lesen,  sehr 
nützen  kann,  besonders  die  Erläuterung  des  Textes  nach  seinem 
buchstäblichen,  grammatischen  und  historischen  Sinn.  Unter 
den  Schriftstellern  dieser  Art  ist  David  Kimchi  vielleicht  der 
bedeutendste." 

Doch  wies  er  die  Gelegenheit  nicht  ab,  den  christlichen 
Standpunkt  in  diesen  Studien  hervortreten  zu  lassen :  er  über- 
setzte ein  „Buch  des  Glaubens  und  der  Wahrheit",  das,  wie 
er  angiebt,  vor  langen  Jahren  ein  Jude  herausgegeben  habe, 
um  zu  zeigen,  dass  der  christliche  Glaube  vollkommen  sei  und 
auf  der  Grundlage  der  alten  heiligen  Schrift  stehe,  und  zum 
Beweise,  dass  das  Buch  von  einem  geborenen  Juden  geschrie- 
ben sei,  macht  er  auf  den  reinen  hebräischen  Stil  aufmerksam, 
den  Niemand  leicht  so  schreibeu  könne,  wenn  er  nicht  in  dieser 


ij  BrrYfi  Commentariuin  hebraicum  Rabbi  David  Kimchi  in  decem  primos 
psalmos  davidicos,  cum  versione  latina  e  regione  pro  exercitamento  omnibus 
hebraicae  linguae  studiosis  quibus  ad  legenda  Hebraeorum  commentaria  ani- 
mus  est.  Per  Paulum  Fagium.  Constantiae  MDXEIIII  a— e  a  6  Ell.  f  ä 
4  Bll.  in  Fol.  Die  Schrift  beginnt  ohne  jede  Einleitung  und  geht  von  links  nach 
rechts.  Zuerst  werden  die  einzelnen  Psalmen  ganz  mitgetheilt,  dann  folgt  der 
Cpmmentar ;  die  erklärten  Worte  sind  gross  gedruckt,  das  Hebräische  durchgängig 
punktirt.  Eigene  Bemerkungen  des  Fagius  finden  sich  nicht,  die  im  Texte 
angeführten  Stellen  sind  aus  einem  Schlussworte  ad  lectorem  zu  entnehmen. 

5* 


68  l>io  Schüler  den  Elias  Levita,  I'.ml  Fagius  und  Sebastian  Hünuter. 

Sprache  erzogen  sei  ').    Er  gab  ferner  hebräische  G-ebete  heraus 

hui  den  Kitas  zu  zeigen  -),  dem  auch  Jesus  sieb  angeschlossen 
habe,  und  einen  kleineu  Traktat  eines  bekehrten  Juden,  der 
lehre,  warum  sieb  die  Juden  scheuen,  dem  christlichen  Glauben 
beizutreten,  selbst  wenn  sie  dessen  Wahrheit  erkennen3). 

Sonst  hat  Fagius  keine  blossen  Uebersetzungen  angefer 
tigt,  sondern  Werke  mit  einzelnen  Bemerkungen  oder  ganzen 
Commentaren  begleitet  herausgegeben.  Am  kürzesten  iasste 
er  sieb  in  seinen  Bemerkungen  zu  den  Sprüchen  der  Väter,4) 
in  denen  er  sieb  ganz  sachlich  und  objektiv  verbielt  und 
zwischen  kurzen  Sinneserklärungen  \\\u\  Lösung  grammatischer 
Schwierigkeiten  abweebselt.  Uie  Sprüche,  die  er  hier  dem 
lateiniseb  gebildeten  Publikum  vorlegte,  sebätzte  er  sehr  hoch; 
in  eiuem  hebräischen  Gedichtchen,  das  seiner  lateinischen  Ein- 
leitung folgt,  nennt  er  sie  tausendjährige  Worte,  Sprüche  der 
Weisen,  gegraben  in  die  Herzen,  aus  denen  man  schöpfen  solle, 
um  aus  ihnen  guten  Wandel  zu  lernen.  Schon  auf  dem  Titel 
der  Schrift  drückt  er  sieb  rühmend  genug  über  den  folgenden 
Inhalt  aus.  In  ähnlicher  Weise  ist  auch  die  Ausgabe  der 
Sprüche  des  Sirach  und  des  Tobias  veranstaltet.  Die  lateinische 


!)  Die  drei  folgenden  Schriften  habe  ich  nicht  gesehen,  sie  sind  mir  nur 
aus  der  Anführung  in  Michael  Neanders  Erotemäta  p.  248  bekannt.  Liber 
fidei  se\i  veritatis,  preciosus  bonus  et  iucundns,  quem  doctus  quidam  [srahe- 
lites  ante  multos  annos  edidit  ad  comprobandum,  fidem  Christianorum  per- 
fectarn  esse  et  niti  super  fundamentum  sacrae  veteris  scripturae:  Lrapressuin 
[snae  1542  in  4;   Hebraice  chartis  IG  item  Latine  Paulo  Fagio   interprete. 

2)  Precationes  Bebraicae  vielleicht  zusammen  erschienen  mit 

'■•>  Parvus  tractatulus  ex  libro  fidei  Judaei  cuiusdam  ad  Christianismum 
conversi  ante  anmis  200  in  quo  obiter  ostendit  causas  aliquot  propter  quas 
tnulti  Judaei  etiamsi  veritatem  agnoscant  ad  fidem  nostram  accedere  verentur. 
Chartae  sunt  4  ibidem  impressae  anno  L542  in  4°.  cum   translatione  Fagii. 

•')  Sententiac  vore  elegantes,  piae,  mireque  cum  ad  linguam  discendam, 
tum  animum  pietate  excolendum  utiles,  veterum  sapientum  Eebraeorum  quas 
r:2K  plB  id  est  Capitula,  aut  si  mavis  Apophtegmata  Patrum  nominanl  in 
Latinum  versae  scholiisque  illustratae  per  Paulum  Fagium  in  gratiam  stu- 
diosorum  Linguae  sanctae.  Excusum  [snae,  in  Algavia  oppido  imperial] 
Anno  MDXXXXI.  Die  aus  Fagius1  Druckerei  hervorgegangenen  Schriften 
haben  alle  (als  Druckerzeichen)  einen  in  Rahmen  eingeschlossenen  Baum,  an 
dessen  vier  Seiten  Inschriften  stehen,  an  der  einen  Seite  gewöhnlich  die 
bebräische:  MS  "HB  KttTö  SUö  f?»  f»  Bier  findet  sieh  noch  folgende:  Trpn 
»OTlBft  c-n  pb  Tnö  KW  rbv:r\  mwaa   Die  Seiirin  hat  151  Seiten  in  4«.    Die 

Vorrede  ist  datirt  :    Isnae    12  Cal.  Apr.    1541. 


Schüler  d<  s  Elias  Levita,  Paul  Fagius  and  Sebastian  Münster.  (>!' 

Uebersetzung  ist  mit  Sorgfall  angefertigt,  die  Bemerkungen  zu 
.Ion  Sprüchen  ohne  besonderen  Werth.  In  der  Einleitung  zu 
der  Ausgabe  des  Tobias,  bei  der  kein  Commentar  sich  findet, 
bemerkt  er,  dass  er  den  hebräischen  Text,  den  er  vorlege,  aus 
einem  alten  constantinopolitanischen  Drucke  genommen  habe. 
Auch  in  diesem  Buche  finden  sich  ein  paar  hebräische  Versehen, 
in  denen  Fagius  Geschicklichkeit  in  Handhabung  der  Sprache 
und  in  Befolgung  der  poetischen  Regeln  zeigt l). 

Dem  Beispiel  des  Elias  Levita  folgend,  der  als  erster  auch 
die  chaldäische  Sprache  mit  in  sein  Studiengebiet  zog,  wenn 
auch  hier  sein  Ruhm  das  Gebiet  als  erster  betreten  zu  haben 
grösser  ist,  als  der  wirkliche  Werth  seiner  Leistungen,  be- 
schäftigte sich  auch  Fagius  mit  dem  Chaldäischen.  Als  Frucht 
dieser  Beschäftigung  liegt  der  erste  Band  des  Targum  des 
Onkelos  vor-).  Ausgaben  der  Bibel  gebe  es  zwar  genug,  meint 
er,  aber  um  sie  recht  zu  verstehen,  müsse  man  auf  ihre  ersten 
Uebersetzungen  zurückgehn,  unter  diesen  sei  die  chaldäische 
nach  der  Septuaginta  die  älteste  und  daher  für  die  richtige 
Auflassung  der  Bibel  von  grösster  Bedeutung.  Die  chaldäischen 
Uebersetzungen  empfehle  daher:  1.  ihr  Alter,  Onkelos  sei  der 
Sohn  der  Schwester  des  Kaisers  Titas  gewesen,  Jonathan  ben 
Usiel,  von  dem  das  Targum  zu  den  Propheten  herrühre,  habe 
200  Jahre  vor  der  Zerstörung  des  Tempels  geschrieben.    Ueber 

i.)  X"TC  |3«  Sententiae  morales  Ben  Syrae  vetustissimi  authoris  Hebraei 
qui  a  Judaeis  nepos  Hieremiae  prophetae  fuisse  creditur,  cum  succineto  commen- 
tario.  Tobias  Hebraice,  ut  is  adhuc  hodie  apud  Judaeos  invenitur  omnia  es 
hebraeo  in  Latinum  translata  in  gratiam  studiosorum  linguae  sanetae  per 
Paulum  Fagium  Isnae  MDXLII.  Am  Ende  der  Sprüche  Siracbs  folgt  nocli 
tin  besonderer  hebraeischer  und  lateinischer  Titel  für  Tobias.  A  .  .  H  ä  4  Bl. 
und  A  .  .  F  ä  4  Bl.  in  40. 

2)  Thargum,  hoc  est  Paraphrasis  Onkeli  Cbaldaica  in  Sacra  Biblia.  Ex 
Cbaldaeo  in  Latinum  fidelissime  versa,  additis  in  singula  fere  capita  succin- 
tis  Annotationibus.  Autore  Paulo  Fagio  .  .  .  Tomas  I.  Argentorati  Anno 
154G.  (Diese,  wie  schon  die  oben  S.  67,  Anm.  1  mitgetheilte  Angabe  des 
Druckorts  zeigt  wol,  dass  die  Druckerei  zu  Isny  nur  sehr  kurz  bestanden 
hat.)  a  .  .  z,  A  .  .  S  ä  6  Bl.  in  Fol.,  das  letzte  Blatt  leer.  Am  Ende: 
Argentorati  per  Georgium  Machaeropolum  mense  Martio,  Anno  MDXLVI. 
Das  Werk  ist  dem  Pfalzgrafen  Friedrich  gewidmet:  in  der  Widmung  erzählt 
er,  dass  er  in  Heidelberg  studirt  habe,  und  nennt  als  seine  Lehrer  Martin 
Frecht  und  Johann  Brenz ;  wir  erinnern  uns,  dass  letzterer  seinerseits  Schüler 
des  Matthäus  Adrianus  im  Hebräischen  war  (s.  o.  S.  43  und  Anm.  3). 


70  Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul  Fagins  and  Sebastian Mfli 

die  Frage,  ob  beide,  wie  Viele  nach  der  Autorität  des  Petrus 
Galatinus  behaupten,  eine  chaldäische  Uebersetzung  der  gan- 
zen Bibel  geschrieben  haben,  oder  ob,  wie  Andere  wollen, 
Onkelos  mit  Aquila,  Jonathan  mit  Theodotion  zu  identificiren 
sei,  möchte  er  nicht  entscheiden;  2.  die  Leichtigkeit,  mit  ihnen 
die  Dunkelheiten  des  hebräischen  Textes  aufzuhellen;  3.  die 
Autorität,  die  die  Juden  dem  Targum  beimessen,  indem  sie 
ihm  nicht  geringeren  Glauben  schenken,  als  dem  hebräischen 
Texte  selbst,  so  dass  sie  nicht  besser  von  ihren  Irrthümern 
überzeugt  werden  können,  als  durch  die  chaldäische  Ueber- 
setzung x).  In  der  Uebersetzung  habe  er  keine  Eleganz  er- 
strebt, wer  die  verlange,  möge  Cicero,  nicht  Moses  zur  Hand 
nehmen.  In  den  Noten  habe  er  die  manchmal  dunkle  und 
schwierige  Sprache  des  Textes  erklärt,  die  Abweichungen  der 
chaldäischen  Uebersetzung  vom  biblischen  Texte  gezeigt, 
Parallelstellen  namentlich  aus  dem  jerusalemischen  Targum 
herangezogen,  die  jüdischen  Gebräuche  erläutert,  aber  immer 
nur  das  angemerkt,  was  ihm  einigen  Nutzen  zu  haben  schiene. 
Daher  habe  er  auch  aus  jüdischen  Schriften  nicht  kindische 
Fabeln  und  abergläubische  Spottreden  beigebracht,  sondern 
werthvolle  Auseinandersetzungen;  gottlose  Irrthümer  habe  er 
mit  Eifer  bekämpft. 

In  der  That  leisten  die  Anmerkungen  das,  was  dieses 
vorläufige  Programm  verspricht.  Ausfälle  gegen  die  Juden 
oder  Zurückweisung  ihrer  gottlosen  Irrthümer,  um  mit  Fagius 
zu  reden,  kommen  ziemlich  selten  vor  und  sind,  wenn  sie 
vorkommen,  in  ziemlich  objektivem  Tone  gehalten:  so  zu 
Deut.  4,  IG,  wo  er  den  gegen  die  Christen   erhobenen  Vor- 


M  Er  fährt  fort:  Dieses  Chaldäische  sei  dasselbe,  wie  das  Syrische,  das 
zu  Zeiten  Christi  vernacula  lingua  foit.  [mo  adhuc  hodie  quatuor  Evange- 
listarum  in  hac  lingua  scripta  extant,  cuius  rei  fidelissimum  fcestem  profero 
praedarissimum  doctissimumque  virum  DD.  Albertum  Widmanstadiurn  a  con- 
silüs  Illustrissimo  Principi  Duci  Bavariae  qui  hunc  thesaurum  secum  recon- 
ilituia  habet,  mihique  per  amantissimas  quas  ad  me  dedit  literas  spem  fecil 
t'ore  aliquando  ut  hie  thesaurus  in  lucem  prodeat.  Diese  Hoffnung  sollte  in 
Erfüllung  gehen.  Widmanstadt,  der  später  in  den  Dienst  des  Kaisers  über- 
trat und  uns  noch  als  Lehrer  des  Hebräischen  in  Wien  begegnen  wird,  gab 
Novum  testamentum  Syriace,  Wien  1555,  heraus.  Auch  er  betont  in  der  Ein- 
leitung zu  diesem  Werke,  wie  nothwendig  das  Syrisch:'  zum  Verständnis 
des  hebräischen  Texte 


Die  Schüler  ili---  Elias  Levita,  Paul  Fagius  and  Sebastian  Hün  71 

wurf,  als  beteten  sie  Bilder  an,  für  ungerechtfertigt  erklärt; 
Deut.  30,  3,  wo  er  die  Beziehung  dieser  Stelle  auf  eine  künf- 
tige Befreiung  der  Juden  durch  einen  Messias  nicht  gelten 
lassen  will  und  die  Nichtigkeit  dieser  Hoffnung  überhaupt 
nachzuweisen  sich  bemüht.  Oft  giebt  er  ausfuhrliche  nicht 
unwichtige  und  ziemliche  Gelehrsamkeit  verrathende  Ausein- 
andersetzungen, über  die  Gelübde  zu  Numeri  30,  2;  über  die 
Todtengebräuche  zu  Deut.  14,  1 ;  ein  ander  Mal,  wo  er  die 
dreizehn  Grundsätze  (D'HpJ?)  mittheilt,  übersetzt  und  erläutert, 
zu  Deut.  5,  4,  wo  er  eine  Stelle  aus  dem  Sacrificium  Isaak  des 
Rabi  Isaac  Aramaei  anführt.  Seine  Kenntniss  der  Rabbinen 
ist  nicht  gering,  namentlich  die  Bibelerklärungen  des  David 
Kimchi  führt  er  an  und  nimmt  auch  auf  dessen  liber  Radicum 
Rücksicht,  häufig  citirt  er  R.  Salomo  (Kaschi)  und  hie  und  da 
andere  weniger  bekannte.  Kirchenväter  citirt  er  verhältniss- 
mässig  sehr  selten,  dagegen  erwähnt  er  Neuere,  wie  Augusti- 
nus Steucho,  Petrus  Galatinus  in  seinem  Werke  De  arcanis 
catholicae  veritatis,  die  Complutenser  Bibelausgabe  und  die 
Sebastian  Münsters  *). 

Ein  rein  exegetisches  Werk  ist  seine  Erklärung  der  vier 
ersten  Capitel  der  Genesis  2).  Er  habe  dieses  Schriftchen  ver- 
öffentlicht, sagt  er  in  der  Widmung  an  Johannes  Marbach, 
um  dadurch  zu  zeigen,  wie  viel  Werth  das  Yerständniss  der 
hebräischen  Sprache  für  die  Theologie  besitze,  namentlich  der 
hebräischen  Worte,  in  denen  der  heilige  Geist  seine  göttlichen 
Orakel  der  Welt  offenbarte.  Es  wäre  eine  Schande  für  einen 
Theologen,  wenn  er  diese  Sprache,  die  Quelle  einer  reinen 
Theologie,  aus   der  alle  Uebersetzungen   der  Bibel  geflossen 


J)  Ob  ein  zweiter  Bauet  dieses  Werkes  erschienen,  ist  mir  nicht  bekannt. 
Kr  beabsichtigte  ihn  jedenfalls,  am  Schlüsse  der  Einleitung  bemerkt  er,  er 
weide  einen  zweiten  Band,  der  die  Propheten  enthalten  solle,  veröffentlichen, 
wenn  dieser  erste  gut  aufgenommeu  werde;  aus  dem  werde  man  erkennen, 
wieviel  Licht  die  chaldäischen  Uebersetzung  auf  die  Christus  betreffenden 
Prophezeiungen  werfe.  Am  Sehluss  des  gleich  zu  besprechenden  Werkes 
Exegesis  spricht  er  von  seinem  Plane,  die  ganze  chaldäische  Bibel  mit  latei- 
nischer Uebersetzung  herauszugeben. 

2)  z-Mz  BrfnKe  *t  bv  nnftra  "iee  c"£r  *-b  atfan  tj-h  bv  nfeön  törve 

Id  est  Exegesis  sive  Expositio  dictionum  hebraicarum  lateralis  et  simplex 
in  quatuor  capita  Geneseos  pro  studiosis  linguae  Hebraicae  per  Paulum  Fagium  . 
Isnae  mense  Augusto  MDXLII.     A  .  .  V  ä  4  Bl.  oder  154  S.  in  4°. 


('2  Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul   I  Sebastian  Münster. 

seien,  nicht  verstehe.  Nicht  Alles  freilich  müsse  man  blind 
aufnehmen.  „Ja  die  scheinen  mir  nicht  nur  thöricht,  sundern 
gottlos  zu  sein,  die  meinen,  in  den  Schritten  der  Juden  sei 
Nichts  zu  verwerfen,  sondern  Alles  anzunehmen;  denn  das 
ist  einer  der  hauptsächlichsten  Gründe  der  bejammernswerthen 
Blindheit  dieser  zweimal  elenden  Juden,  dass  sie  alle  Träume 
und  Erdichtungen  der  Rabbinen  gleich  wie  göttliche  Orakel 
aufnehmen  und  verehren,  und  nicht  unterscheiden  zwischen 
den  Einflüsterungen  des  Lügengeistes  und  denen  des  Geistes 
der  Wahrheit.  Aber  ebenso  thöricht  handeln  die,  welche  die 
rabbiniseben  Commentare  gänzlich  vernichten  wollen,  ja  ich 
wage  zu  behaupten,  dass  Keiner,  ohne  sie  gelesen  zu  haben 
und  von  ihnen  unterstützt  zu  werden,  jemals  zu  einer  gründ- 
lichen Kenutniss  der  hebräischen  Sprache  gelangen  kann."  ]) 
Er  begreife,  dass  Vieles  von  ihrer  Lektüre  abschrecke,  „die 
lächerlichen,  thörichten,  gottlosen  Fabeln",  die  in  ihnen  ent- 
halten seien,  und  er  denke  daran,  wie  man  diesem  Uebel 
abhelfen  möchte.  Das  könne  geschehen,  wenn  man  aus  den 
vielen  und  zwar  hauptsächlichsten  Commentaren  einen  machte, 
mit  Beseitigung  der  jüdischen  Thorheiten  und  Spöttereien  und 
Beibehaltung  des  Werthvollen,  dann  würden  weit  mehr  zu 
deren  Studium  angelockt  werden  und  die  Furcht  völlig  schwin- 
den, dass  das  Studium  der  heiligen  Sprache  untergehe  *). 

Die  Einrichtung  des  AVerkes  ist  die,  dass  voran  ein  klei- 
nes Stück,  gewöhnlich  nur  der  Theil  eines  Verses,  mit  grossen 
hebräischen   Buchstaben   steht,    darunter   die   wörtliche  latei- 


M  Die  letztere  Stelle  lautet:  [ta  quoque  temere  et  Lmprudenter  mihi 
üli  facere  videntur  qui  bebraeorum  cominentaria  in  Universum  exibilanda  et 
explodenda  Ludicant,  cum  hoc  ausim  affirmare,  neminem  sine  illorum  lectione 
et  adminiculo  ad  solidam  bebraicae  Linguae  cognitionem  onquam  perventurum. 

2)  Am  Ende  dieser  Widmung  ein  kurzes  hebräisches  Gebet;  am  Ende 
des  Werkes  ein  hebräisches  Gedichtchen  nach  der  beliebten  Weise  des  Pagius. 
Am  Sclilnss  des  Buches  der  Baum  mit  den  beiden,  S.  68,  A.  I  erwähnten  Um- 
schriften. Vor  diesen  Endformeln  stehen  auf  den  Letzten  Blättern,  wir 
Fagius  selbst  in  einer  kurzen  Vorbemerkung  angiebt,  um  den  Raum  zu  füllen, 
einige  Verse  der  im  Werke  erklärten  4  Capitel:  der  hebräische  Text,  die  latei- 
nische l  Übersetzung,  die  chakläische  Paraplirase  und  deren  Iateinisclio  Wieder- 
gabe. Den  chaldäischen  Texl  bat  er,  wie  er  sagt,  aus  der  Venediger,  nichl 
:■  Complutensischen  Ausgabe  genommen. 


l»i.-  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul   Fagius  iiad  Sebastian   Uüi  ,  !> 

nische  Uebersetzung,  dann  folgt  die  Erklärung.  Diese  ist 
natürlich  sehr  weitläufig,  geht  auf  alles  Einzelne  mit  grosser 
Ausführlichkeit  ein.  Zur  Erläuterung  dienen  zahlreiche  Bibel- 
stellen, Citate  aus  den  chaldäischen  Uebersetzungen ,  dem 
Onkeloa  und  dem  jerusalemischen  Targum;  von  Kabbinen  ist 
hier  sein  hauptsächlicher  Führer  David  Kimchi,  andere  wer- 
den seltener  angeführt,  wie  Raschi,  Abenesra,  Nachmanides, 
author  Hizkuni  (p.  44),  häufig  findet  sich  das  unbestimmte 
veteres  Hebraei  dieunt  u.  A.  Hindeutungen  auf  seinen  christ- 
lichen Standpunkt  kommen  wenige  vor;  zu  elohim  (1,  1)  merkt 
er  an  „die  Unsern  schliessen  daraus  das  Mysterium  der  Drei- 
einigkeit'^, aber  ohne  dass  er  selbst  hier  ein  bestimmtes  l'r- 
theil  fällt,  dagegen  17  (p.  26),  um  die  Worte  „wir  wollen  den 
Menschen  schaffen"  zu  erklären,  meint  er,  die  Juden  brächten 
hier  allerlei  Erklärungen  bei,  um  nur  nicht  die  heilige  Drei- 
einigkeit anerkennen  zu  müssen ;  2,  4  (p.  36)  sagt  er,  ni"6in 
werde  sonst  immer  ohne  Waw  in  der  zweiten  Silbe  (defective) 
geschrieben,  ausser  hier  und  Ruth  (Cap.  4,  18);  als  Grund 
giebt  er  an:  „wie  die  Unsrigen  erklären",  dass  alle  „Ge- 
schlechter" unvollkommen  seien,  ausser  dem  ersten  Menschen- 
geschlechte  und  dem  Geschlechte  des  Messias,  das  dem  Flei- 
sche nach  von  der  Familie  Perez  stamme. 

Endlich  ist  noch  seine  hebräische  Grammatik1)  zu  erwähnen. 
Er  gab  sie,  wie  er  sagt,  auf  Bitten  einiger  Schüler  heraus,  denen 
er  nicht  widerstehen  konnte;  obwohl  es  schon  viele  hebräische 
Lehrbücher  gebe,  so  glaube  er  mit  den  seinigen  doch  auf  Be- 
achtung Anspruch  machen  zu  können,  weil  er  sich  vielfach 
mit  der  Herausgabe  und  Uebersetzung  alter  hebräischer  Gram- 
matiken beschäftigt  habe.  Nach  Durchnahme  der  verschiede- 
nen Schriftweisen  des  Hebräischen,  wobei  auch  auf  das  Jüdisch- 
deutsche  Rücksicht  genommen  wird,  werden  die  Buchstaben 
sehr  ausführlich  durchgenommen,  zugleich  mit  Angabe  ihrer 
Bedeutung  als  Präpositionen  u.  s.  w.  Dem  Verbuni  wird  ein 
grosser  Platz   eingeräumt.     Vor   dem  Paradigma  werden   all 


!)  Compendiaria  isagoge  in  linguain  hebraeam  authore  Paulo  Fagio  Con- 
stantiae  Anno  MDXLI1I.  Am  Ende:  Constantiae  exeudebat  Jacobus  Ranivora, 
anno  a  Christo  natu  MDXLIII  mense  Septembri.  A  .- .  T  ä  4  ßl.  in  4<\ 


/4  l>ie  Schalet  des  ;  -  -  ster. 

gemeine  Regeln  über  Person,  Geschlecht,  Zahl  gegeben:  dem 
Paradigma  folgt  die  Umschreibung  solcher  lateinischer  For- 
men, die  im  Hebräischen  durch  eine  einlache  Form  nicht  aus- 
gedrückt werden  können:  Präsens,  Optativ,  die  Conjunktive 
aller  Zeiten.  Dann  folgt  das  Nomen  (die  Deklination  freilich 
ganz  getrennt  davon  am  Ende  der  Schrift)  mit  Tabellen  für 
die  Comparation,  Zahlwörter  und  Pronomina.  Den  dritten  Ab- 
schnitt bilden  die  Adverbien,  die  nach  einzelnen  Kategorien 
in  Tabellen  aufgezählt  werden,  nebst  Präpositionen  und  Inter- 
jektionen. Einzelne  Regeln  werden  mit  den  Ausdrücken  der 
alten  Grammatiker  in  hebräischer  »Sprache  gegeben.  Im  Nach- 
wort nimmt  er  auf  seine  Scholien  zur  Genesis  Rücksicht; 
dieser  oder  ähnlicher  müsse  man  sich  bedienen  und  durch 
fleissiges  Bibellesen  sich  in  den  gelernten  grammatischen  Re- 
geln befestigen. 

Die  Thätigkeit  des  Fagius  war,  wie  wir  sehen,  eine  nicht 
geringe.  Er  war  ein  emsiger,  stiller  Arbeiter,  ohne  grosse  Ori- 
ginalität, aber  von  treuer  Hingabe  an  sein  Werk,  das  er  in 
vielen  Beziehungen  förderte  und  ausbaute. 

Einen  bedeutenderen  Platz  in  der  Anerkennung  sowohl 
der  Mit-  als  der  Nachwelt  nimmt  Sebastian  Münster  ein. 
Er  verdient  es  auch,  denn  er  war  ein  Mann  von  staunens- 
werther  Vielseitigkeit,  und  wenn  wir  bedenken,  dass  derselbe 
Mann,  der  für  die  Verbreitung  und  Ausbildung  des  hebräi- 
schen Sprachstudiums  im  zweiten  Viertel  des  16.  Jahrhunderts 
ebenso  thätig  gewesen  ist,  wie  Reuchlin  im  ersten,  auch 
Schöpfer  einer  ganz  neuen  Wissenschaft,  der  Kosmographie, 
geworden  ixt,  dass  er  ausserdem,  fern  davon,  sein  Leben  in 
ruhiger  Stille  zuzubringen,  viel  Kraft  in  kleineren  und  grösse- 
ren Streitigkeiten  zubrachte,  so  erreicht  unsere  Bewunderung 
einen  hohen  Grad.  Er  war  1489  in  Ingelheim  geboren,  war, 
als  er  das  Mannesalter  erreicht  hatte,  Professor  des  Hebräi- 
schen in  Heidelberg  geworden,  dann  nach  Basel  gekommen, 
wo  er  am  23.  Mai  1552  sein  Leben  beschloss.  Seine  Lehr- 
thätigkeit  muss  keine  geringe  gewesen  sein,  aber  wenn  wir 
nicht  Einzelne,  denen  er  seine  Schriften  widmet,  als  seine 
Schüler  bezeichnen  wollen,  so  sind  uns  solche  völlig  unbe- 
kannt. Er  lehrte  gern,  wenn  es  auch  nur  eine  Redensart 
sein  mag,  die  er  dem  Andreas  Masius  schreibt:    „Ich  beneide 


Luvita,  Paul  ]  Mi  7.> 

Euch  nicht,  die  Ihr  behauptet  mich  in  der  Kenntniss  des 
Hebräischen  zu  übertreffen;  ruhmvoll  erscheine  ich  mir,  dass 
ich  Dir  und  vielen  Andern  die  Handhabe  geboten,  jene  hei- 
lige und  wahrhaft  göttliche  Sprache  zu  erlernen"  l).  Denn  in 
Wirklichkeit  mochte  er  nicht  gern  Jemanden  dulden,  der  ihm 
den  Rang  streitig  machen  könnte,  er  liebte  es  alle  die,  die 
vor  ihm  und  gleichzeitig  mit  ihm  das  Studium  betrieben  hat- 
ten, oft  mit  scharfem  Worte  zu  kritisiren,  stellte  gern  sich  als 
den  Dritten  dar,  neben  Reitchlin  und  Pellikan,  der  das  He- 
bräische Studium  wahrhaft  gefördert  und  auf  seinen  Höhepunkt 
gebracht  hätte2),  und  verachtete  seine  Gegner,   die  begierig 


i)  Widmung  der  Uebersetzung  von  Levita's:  Acceutuum  hebraicorum 
über  unus.  In  derselben  wird  Masius  aulicus  genannt,  der  keinen  bestimmten 
Sitz  habe,  bald  in  Löwen,  bald  in  Luzern,  dann  in  Spanien,  später  in  Oester- 
reich,  nun  beim  Eeichstag  in  Frankfurt  sich  aufhalte.  Es  ist  interressant, 
dass  von  einem  solchen  gesagt  wird :  Laudo  et  modestiam  tuam,  qui  cum  eo 
perveneris,  ut  ex  tempore  hebraice  scribere  valeas  quicquid  velis,  non  erubescis 
te  nuncupare  "TOD  (mein  Schüler).  Die  im  Text  angeführte  Stelle  lautet: 
Nee  invideo  vobis  illam  fortunam,  qui  mihi  in  heb.  studio  preire  contenditis. 
Gloriosus  videor  mihi  esse ,  quod  tibi  et  multis  aliis  ansam  prebui  ad  istud 
sacrosanetum  et  vere  divinum  Studium.  Basileae  mense  Augusto  1539.  Viel- 
leicht kann  man  die  Folgenden,  von  denen  er  sagt,  sie  hätten  ihm  hebräisch 
geschrieben,  als  seine  Schüler  bezeichnen :  der  obengenannte  Andreas  Masius, 
Jacob  Jonas  (?),  Oswald  Schreckenfuchs,  Petrus  a  Wormaria,  Johannes  Harius, 
Theodorikus  a  Gorinchen,  Nikolaus  Winmann  (Vorrede  zu  seinem  Lexicon 
trilingue). 

2)  Die  bemerkenswerthe  Stelle  lautet  (Vorrede  zum  Opus  consummatum) : 
Primus  omniuin  qui  nostro  aevo  colere  et  plantare  coepit  hebraicam  linguaru, 
fuit  doctissimus  vir  Johan.  Eeuchlin  sive  Capnion,  de  unguis  et  bonis  literis 
apud  nostros  bene  meritus,  quippe  qui  multa  post  se  eruditionis  suae  reli- 
quit  monumenta.  Huic  fere  coaevus  fuit  in  hoc  sacro  studio,  licet  aetate 
multo  iunior,  incomparabilis  illc  vir,  dominus  Conradus  Pellicamis,  najn  simul 
eodem  tempore  et  in  eodem  gyinnasio  Thubingensi  hi  duo  magni  viri 
hebraismo  operäm  Lmpenderunt,  usi  etiam  ad  hoc  mutuis  offieiis.  His  ego 
Töbfl  tertius  accessi,  anno  scilicet  Christi  1509.  Translatus  enim  ad  D.  Pelli- 
caimm  indefesso  studio  sub  fidelissimo  praeeeptore  prima  imbibi  rudiinenta 
ac  mox  aninium  appuli  ad  Biblieas  historias.  Aus  dem  oben  AngeführtL".i 
ist  nur  der  Irrthum  von  dem  gleichzeitigeu  Wirken  Pellikan's  und  Reuchlin's 
in  Tübingen  zu  entfernen.  Als  P.  1481  in  Tübingen  war.  war  P.  noch  ein 
Kind,  und  1521/22,  wo  R.  hier  als  Professor  der  hebräischen  Sprache  lehrte, 
war  P.  lange  von  hier  fort,  vergl.  über  P.  oben  S.  19  fg.  und  unten  (Tübingen). 
Auch  von  mutua  officia  zwischen  beiden  Männern  ist  nichts  bekannt,  als  dass 
Eeuchlin  dem  Pellikan  für  sein  Studium  des  Hebräischen  behülflich  war. 
Als   vierten   in   der  Reihe   der   ums  Hebräische   verdienten  Männer  nennt 


I  {\  Die  Schalet  des  I  Panl  Fagius  und  Sebastian  Münster. 

danach  suchten,  einen  Fehler,  den  er  gemacht  hatte,  zu  ent- 
decken1). Aber  die  .Missgunst,  der  er  nicht  ganz  entging, 
war  keineswegs  das  Grefiihl,  mit  dem  man  im  Allgemeinen 
seine  Leistungen  aufnahm:  er  hatte  viel  Bewunderer,  die  von 
ihm   wie   Johannes  Eck   sagten,    dass   kaum  jemals  Einer  in 


Minister  den  Capito.  Dann  fahrt  ei  fort:  Quo  tempore  et  rnulti  alii  docti 
viri  per  Germanian)  et  [taliam  amore  huius  linguae  excitati  brevi  adeo  pro- 
fecerunt,  ut  editis  libris  laudem  non  vulgarem  apud  posteros  meruerint,  tnter 
quos  praeeipui  sunt  Johannes  Oecolampadius,  Casparus  Ammon  ins,  cuius  tarnen 
labor  in  publicum  nun  prodiit,  Udalrichus  Zwinglius,  Matthaens  Aurogallus 
.  .  .  quibus  multd  alii  successerunt  et  eo  osque  in  huius  linguae  studio  per- 
venerunt  ut  publice  in  academiis  hebraismum  profiteantur  obscurarintque  sua 
eruditione  suorum  praeeeptorum  nomina  quibus  ego,  sicut  debeo,  hanc  foeli- 
citatfin  minime  invideo.  Ueber  Aurogallus  s.  u.  Wittenberg,  über  Oekolampad 
und  Zwingli  s.  u.  Basel  und  Zürich :  die  Kenntniss  der  beiden  letzteren  im 
Hebräischen  war  nicht  allzu  bedeutend,  jedenfalls  geringer,  als  die  einer  grossen 
Anzahl  der  nmlti  alii,  die  auch  eine  namentliche  Aufzählung  verdient  hätten. 
Caspar  Ammon,  Provinzial  in  Laugingen,  scheint  ein  tüchtiger  Hebräisch- 
kundiger  gewesen  zu  sein,  vergl.  einen  Brief  des  Aegidius  von  Viterbo  an 
ihn  vom  15.  Dec.  1513  in  Henke  und  Bruns  Annales  Literarii.  Helmstädt  17cS-j, 
vol.  I.  p.  193  sq.,  und  einen  Brief  des  Wolfgang  Etychardus  ürbano  Regio 
sincero  evangelii  doctori  amico  suo  cärissimo,  worin  die  Stelle  vorkommt: 
Dr.  Caspar,  Augustinianus  monachus,  cui  in  hebraeis  literis  primatum  etiam 
a  te  audivi  tribuere,  nuper  hie  (Ulm)  l'uit,  petiitque  hospitium:  quod  et 
denegatum  (sie,  wol  nun  den.?)  est  ei.  Qui  egregium  quoddam  opus  ad 
hebraeas  literas  ediscendas  .  .  Basileam  chalcographis  raisisse  dicitur, 
cuius  simile  mundus  non  videt  antea.  Briefcodex  des  Wblfg.  Etychardus  in 
der  Hamburger  Stadtbibl.  No.  503.  Ich  verdanke  die  Notiz  einer  gütigen 
Mittheilung  meines  Freundes  l>r.  Alfred  Stern  in  Carlsruhe.  Ammon  lebt 
aoeb  1523;  in  diesem  Jahre  widmet  ihm  Böschenstein  sein  Buch:  das  gebet 
Salomonis  vom  driten  buch  der  künig  geteutscht  von  wort  zu  wort  nach  dem 
hebräischen  buch. 

!)  Vorrede  zur  lateinischen  und  hebräischen  Ausgabe  von  Elias  Levita's 
CFilff  Basileae  apud  Joannem  Probenium.  Anno  MDXXVH.  a  .  .  1  ä  S  Hl.. 
in.  ä  10  Bl.  in  kl.  8°.  Levita  selbst  habe  ihn  aufgefordert,  sagt  er  in  der 
Widmung  an  Johannes  Erasmus  Probenius,  den  Sohn  seines  Verlegers,  dann 
habe  auch  Johannes  Eck  ihn  dazu  ermuntert.  Ad  quod  promptum  quidem 
nie  exhibui  parviducens  etiam  quorundam  ingratitudinem  qui  cum  nihil  in 
publicum  aedant,  gloriosum  tarnen  sibi  ducant,  si  alios  de  literarum  studiis  bene 
meritos lacerent  et traducant :  cuiusmodi  ego  quendam  novi  qui  mavult 
Munsteri  esse  calumniator quam  pius interpres et candidus excusator,  publicus 
conviciator,  quam  secretus  monitor,  si  quando  lapsus  est  in  Hebraismo,  nempe 
lingua  illa  extranea  et  quae  Latinis  auribus  hactenus  omnino  incognita  fuit, 
ut  non  mirum  sit,  si  propagatores  eius  quandoque  hallucinari  contingat  et  a  scopo 
aberrare,  quousque  altiores  Lnter  Christianos  haec  ipsa  lingua  radices  figat. 


I>ic  Schüler  dea  Elias  Levita,  Paul  Fagius  and  Sebastian  Münster.  77 

Deutschland  so  vertrau!  mit  der  hebräischen  Sprache  gewesen 

sei,  wie  er '). 

Fagius  hatte  wol  seine  Werke  manchmal  mit  hebräischen 
Versehen  begleitet,  am  Schlüsse  seiner  Einleitungen  einen 
lange  ausgeführten  Gedanken  in  ein  paar  kurze  hebräische 
Worte  zusammengefasst,  (»der  einen  bekannten  hebräischen 
Vers  hie  und  da  angeführt;  ganz  anders  Münster.  Nicht  nur, 
dass  er  dem  Johann  Oekolampad  eine  kurze  hebräische  Grab- 
schrift und  einen  längeren  poetischen  hebräischen  Nachruf 
widmete-),  ist  fast  keines  seiner  Werke,  namentlich  die  Wid- 
mungen und  Einleitungen,  ohne  hebräische  Stellen,  hat  er  seine 
Bibel  mit  einer  langen  hebräisch  geschriebenen  Vorrede  ver- 
sehen und  eine  eigene  hebräische  Schrift  verfasst.  Nur  aus 
diesem  Grunde  verdient  dieselbe  hier  eine  Erwähnung-,  denn 
ihr  Inhalt  ist  nicht  da7,u  angethan,  ihr  in  unserer  Darstellung 
einen  Platz  einzuräumen.  „Der  Messias  der  Christen  und 
Juden"  3)   soll   aus   den  prophetischen  Stelleu   erweisen,   dass 


*)  Die  Stelle  Eek's  ist  auch  sonst  interessant,  und  mag  darum  hier 
eine  Stelle  linden  :  Super  Aggaeo  Propheta  Jo.  Eekii  Commentarius.  Solingen 
1538.  4°.  (L  6b.)  Nam  cum  Munsterus  frequenti  studio  et  diligentia 
nmi  poenitenda  tantum  in  Hebraeis  literis  pröfecerit,  quantum  rix  alius  in 
Germania  et  cum  Judaeis  sermone  patrio  ausus  sit  congredi,  verebar  ne  Judaei 
supra  modum  eaptiosi  nobis  Christianis  insultarent:  Ecce  hie  vester  Rabi 
Munsterus,  qui  pluiimum  doctus  in  lingua  saneta  apud  nos  i'amatur,  religiosus 
ex  divi  Francis«  online,  unde  reputatior  apud  tos  Nazarenos  habetur. 

ä)  Beides  steht  im  Oecolampadii  et  Zwinglii  epistolae.  Basileae  1536 
in  40,  8  3. 

3)  ITtt'Ö  Messias  Christianorum  et  Judaeorum  Hebraice  et  Latine.  Sebast. 
Munsterus.  Describitur  in  hoc  libro  ex  prophetis  Christus  totius  mundi  verus 
salvator:  et  item  larvatus  ille  Judaeorum  Meschias  qui  a  gente  illa  in  hunc 
usque  diem  frustra  expeetatur.  Videbis  lector  quam  portentosae  et  absurdae 
de  Christo  opiniones  siut  apud  hanc  exeoeeatam  gentem  et  quam  violenter 
sacram  interpretentur  scripturam.  Basileae  a]>ud  Henricuin  Petrum.  153  pag,  S. 
lat.  Am  Ende :  Basileae  per  Henricuin  Petrum  Mense  Augusto  Anno  MDXXX1X. 
Dann  hebräischer  Text,  rechts  beginnend,  paginirt  n  ■  •  X  a  8  Bl.,  mit  der- 
selben Unterschrift  am  Ende  wie  oben  und  mit  dem  Titel:  iTD'CT»  Christiani 
hominis  cum  Judaeo  pertinaciter  prodigiosis  suis  opinionibus  et  scripturae 
violentis  interpretationibus  addicto  colloquium  per  Sebastianum  Munsternm. 
Ist  das  die  zweite  Auflage,  oder  die  Schrift  9  Jahre  ungedruckt  geblieben V 
Ziemlich  am  Anfang  des  hebräischen  Textes  findet  sich :    "ISCD  nKT  ITTlX  ^Kl 

.nr*  nn  ;-  at"i  =  ♦•»•wn  vnrb  m  p°sb  tfmr\  n*r-Qia  rwa  bn  tm  na  aroa 

29U  =  1530  n.Ch.   Aus  der  Widmung  (Basel,  1.  Juli  1539)  Joanni  a  Panizonibus, 
Caesareo  adHelvetios  legato,  eine  Stelle,  die  an  Pfefferkorn  erinnert :  Dici  nequit 


7cv  Die  Schüler  des  Klin^  Levita,  l'aul  Fagios  und  Sebastian  Munster. 

Christus  der  wahre  Erlöser  der  ganzen  Welt  ist  und  der  ver- 
hüllte Messias  der  Juden,  den  sie  bis  auf  den  heutigen  Tag- 
vergeblich erwarten;  soll  die  schrecklichen  und  thörichten  bei 
diesem  verblendeten  Volke  über  Christus  verbreiteten  Mei- 
nungen und  seine  gewaltsame  Erklärung  der  heiligen  Schritt 
zeigen.  Seit  den  dreissig  Jahren,  in  denen  er  sich  mit  He- 
bräisch beschäftige  (die  Schrift  ist  153!)  veröffentlicht,  also  seit 
1509,  s.  o.  S.  75  Anm.  2)  und  die  jüdischen  Schriften  lese, 
seien  ihm  überall  Vcrläumdungen  und  Beleidigungen  gegen 
die  Christen  entgegengetreten,  die  frommen  Ohren  unerträglich 
seien,  Beleidigungen,  mit  denen  die  Juden  die  Schrift  zerfleischen 
und  fälschen,  namentlich  die  Propheten,  die  sie  mit  ihren  ver- 
kehrten Deutungen  peinigen,  wie  ihre  Vorfahren  den  Erlöser 
Christus  selbst.  Oft,  aber  immer  vergeblich,  habe  er  und  sein 
Lehrer  Pellikan  mit  ihnen  zu  disputiren  angefangen;  so  wolle 
er  denn  in  diesem  Büchlein  Alles  zusammenstellen,  was  sie 
ihrem  Messias  andichten  und  Schlimmes  über  die  Christen 
reden.  Der  Inhalt  der  Schrift,  die  in  Form  einer  Unterredung 
zwischen  einem  Christen  und  Juden  abgefasst  ist,  entzieht 
sich,  wie  gesagt,  hier  unserer  Erörterung;  das  Hebräische, 
in  dem  die  Schrift  abgefasst ,  und  dem  die  lateinische 
Oebersetzung  beigegeben  ist,  „weil  doch  nicht  Alle  mit  der 
hebräischen  Sprache  vertraut  sind",  ist  leicht  und  fliessend 
und  verräth  grosse  Gewandtheit. 

Als  Uebersetzer  Levita'scher  Werke  haben  wir  Münster  be- 
reits kennen  gelernt,  auch  sonst  entfaltete  er  in  dieser  mehr 
unselbstständigen  Art  eine  nicht  unbedeutende  Thätigkeit.  Die 
Reuchliii'sehen  Rudimente1)  gab  er  neu  heraus  in  fast  ganz  ver- 
änderter Gestalt.  Die  Grammatik,  die  er  sehr  abkürzte,  tässte  das 
erste,  das  Lexikon,  das  bei  Reuchlin  zwei  Bücher  eingenommen 
hatte,  das  zweite  Buch.  Viele  eigene  Bemerkungen  gab  er  hinzu 
(sie  sind  mit  kleineren  Charakteren  gedruckt,  voran  steht 
immer  der  Name   Münster),    die    nieist    sehr    kurz    sind   und 


quam  horrenda  convitia  autor  libri  Nizachon  coniieiat  in  servatorem  nostrum 
qui  ex  professo  contra  omnia  saneta  aostra  virulento  anüno  scripsit. 

»)  VTpn  fltiba  WJfttJltf  rtoW  bSTjpFljOTB  IBta«  Dann  aocb  sehr  langer 
lateinischer  Titel.  Basileae  per  Eenricum  Petrnm  Mense  Martio  Amin 
MDXXXVII.    418  S.  fol. 


Dil  Schulet  des  Elias  Levita,  Paul  Fagins  and  Sebastian  Münster.  7!^ 

manche  Bogen  hindurch  ganz  fehlen.  Für  die  Grammatik  be- 
diente er  sich,  wie  er  sagte,  der  Noten  aus  Levitas  Lehr- 
büchern; im  Wörterbuch  bemühte  er  sich  zu  den  blossen 
Wurzeln  auch  die  abgeleiteten  Worte  hinzuzufügen  und  das 
von  Reuchliu  zufällig  Ausgelassene  zu  ergänzen.  Ein  anderes 
hebräisches  Lexikon  l),  hauptsächlich  eine  Abkürzung  des 
grossen  Wörterbuchs  von  David  Kimchi,  stellte  er  zusammen, 
was  aber  erst  nach  seinem  Tode  herausgegeben  worden  zu 
sein  scheint.  Es  ist  eine  Aneinanderreihung  der  Stämme,  meist 
mit  Beifügung  der  Derivata,  die  zahlreichen  angeführten  Bibel- 
steilen  sind  weder  hebräisch  noch  lateinisch  citirt,  sondern  nur 
kurz  der  Ort  angegeben,  wo  sie  zu  linden  sind.  Das  am  Schlüsse 
stehende  Verzeichniss  der  in  dem  Werke  benutzten  Autoren 
verräth  grosse  Gelehrsamkeit,  es  enthält  ausser  Bibel,  Talmud 
und  den  Targumim  und  natürlich  Kimchi:  Raschi  (Jarchi),  Aben- 
esra,  Levi  ben  Gerson,  Saadias,  von  Neueren  Levita  und 
viele  Andere.  Ausgabe  und  Uebersetzung  eines  anderen  Werk- 
chens,  der  Sphaera  Mundi,  veröffentlichte  Münster,  die  lateini- 
sche Uebersetzung  ist  von  Oswald  Schreckenfuchs,  die  An- 
merkungen schrieb  Münster 2).  Ebenso  rührt  die  Ausgabe  des 
hebräischen  Matthäusevangeliums  von  ihm  her  und  dessen  la- 
teinische Uebersetzung;  er  besass  nur  ein  unvollständiges 
Exemplar  des  in  schlechtem,  von  Barbarismen  strotzenden 
hebräisch  geschriebenen  Schriftchens  und  glaubte  sich  berech- 
tigt die  Lücken  auszufüllen'"*).  Ein  Schriftchen  anderer  Art 
gab  er  unter  dem  Titel  „Logik  Rabbi  Simeons"  heraus4),  das 


!)  ö*nTJ3  El?  S'ttHipn  "lös  Dictionarium  hebraicum,  ultimo  ab  autore 
Sebastiane»  Munstero  recognitmp  et  ex  Babinis  praesertim  ex  Badicibus  David 
Kimchi  auetum  et  locupletatmn  MDLXIIII.  Am  Ende:  Basileae  perFrobenium 
et  Episeopiuni.  Anno  MDLXIIII.  Mense  Febr.  a  . .  z,  A  . .  Z.aa  . .  qq.  ä8Bl.in8°. 

2)  Sphaera  mnndi  et  arithmetica  hebräisch  und  lateinisch.  Basel  1546  in  4°. 
Ich  kenne  diese  Angabe  nur  aus  Michaud,  Biographie  universelle.  T.  XXIX.  p.  574. 

aj  Fides  Christianorum  saneta,  reeta  et  perfecta  atque  indubitata  et 
tides  Judaeorum:  accedit  lex  Dei  nova  quae  ut  doctrina  et  vita  Christi,  sive 
Evangelium  Domini  nostri  Jesu  Christi  seeundum  Mattbaeum,  hebräisch  und 
lateinisch.  Basel  1537  fol.  Diese  und  das  vorhergehende  Schriftchen  werden 
von  Michaud  a.  a.  0.  als  sehr  selten  bezeichnet. 

4)  pyatr  "2n  ESrn  bv  pnrw  Logica  Sapientis  Rabi  Simeonis  per  Seba- 
stianum  Munsterum  Latine  juxta  Hebraismum  versa:  quac  Hebraeorum 
commentaria  legere  volentibus  non  tarn  utilis  est  quam  necessaria.    Basileae 


80  Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul  Fagins  and  Sebastian  Monster. 

aber  von  Maimonides  herrühren  soll 1).  Die  Uebersetzung  des 
Buches  sei  ihm  sehr  schwer  geworden,  bemerkt  er,  haupt- 
sächlich der  philosophischen  Ausdrücke  wegen;  eine  Ueber- 
setzung ähnlicher  Werke,  aus  denen  er  sich  Raths  erholen 
könne,  existire  nicht,  und  die  ungebildeten  Juden,  die  in 
Deutschland  lebten,  hätten  ihm  keine  befriedigende  Auskunft 
geben  können;  einer,  der  für  sehr  gebildet  und  gelehrt  gelte, 
and  den  er  gefragt,  habe  noch  weniger  gewusst  als  er  selbst. 
Daher  seien  Errthümer  unvermeidlich.  Wir  müssen  dieses 
offene  Bekenntniss  annehmen,  das  gewiss  zur  Entschuldigung 
vieler  Fehler  dienen  kann,  die  philosophischen  Ausdrücke  sind 
o  verwickelt  und  erklären  sieh  oft  sowenig  aus  sich  selbst, 
dass  bei  einem  ersten  Versuche  sie  sich  zu  erläutern,  die 
Arbeit  Münsters  hohe  Anerkennung  statt  bitteren  Tadels  ver- 
dient 2). 

Aueh  einige  biblische  Bücher  übersetzte  er  und  fügte 
ihnen  Anmerkungen  bei,  so  Jesajas;  in  Betreff  der  Anmer- 
kungen tadeln  Einige  seine  Kühnheit,  rabbinische  Conjecturen 
als  sieher  hinzustellen  !);  ebenso  Koheleth ,  als  er  noch  in 
Heidelberg  war,  hauptsächlich  auf  Anrathen  des  Martin  Precht 4); 
dann  das  hohe  Lied  ■'),  das  ihm  zuerst  zu  schwer  schien,  das 
er  aber  dann  auf  Bitten  einiger  Freunde  herausgab.  Die  An- 
merkungen enthalten  meist  grammatikalische  Erklärungen,  nur 
einige  wenige  Anderes,  z.  B.  eine,  wo  sein  christlicher  Stand- 


apud  Jo.  Frob.  Anno  MDXXVII.  Ort  und  Jahresangabe  nochmals  am  Ende 
a  .  .  ir  ä  8  151.,  h  ä  6  ßl.  in  8°.  Die  Widmung  Joanni  Campensi,  sacrae 
Hebraeae  Linguae  eximio  apud  Lovanium  professori  datirt  Bas.  Cal.  Nov. 
Anno  1526. 

1 1   Michaud  a.  a.  0.  nach  Richard  Simon  Lettres  choisies  tom.  IV.  p.  40  sq. 

'-')  Diesen  hat  Richard  Simon  a.a.O.  in  reichem  Maasse  gegen  Münster 
laut  worden  lassen.  Kr  sagt:  Munster  ne  faisait  presque  aucun  pas  sans 
tomber,  il  etait  an  pauvre  liomme  lorsqu'il  se  melaii  de  traduire  d'autres 
livres  que  ri',|X  ''''  'M  Bible,  ou  quelques  rabbins  grammairiens,  dans  l'inter- 
pretation  desquels  il  a  öle  aide  par  Elias  Levita. 

:i)   Nach  Michaud  a.  a.  <>. 

>j   Das  sagt  ei'  in  der  Vorrede  zu  der  folgenden  Schrift. 

:<)  D'TB??  TB>  Canticum  Canticorum  Salomonis  Latine  iuxta  Eebraicum 
per  Sebastianum  Munsterum  translatum  atque  annotationibus  aliquol  neu 
contextum  nihil  illustratum (?)  a  . .  d  ä  S  Dl.  in  xo.  Am  Ende:  Basileae  apud 
Joan.  Fn.h.     Anne  MDXXV. 


Die  Sohftler  äaa  Elina  Lerita,  Paul  Fagina  and  Sebastian  Münster.  öl 

punkt  hervortritt.  Zu  Cap.  6:  R.  Salomo  erklärt,  sechszig 
Königinnen,  das  sind:  Abraham  und  seine  59  Nachkommeu, 
achtzig  Kebsweiber:  Noah  und  seine  Nachkommen  bis  auf 
Abraham.  .  .  .  Von  allen  diesen  Nationen  war  eine  schöner, 
vollkommener  und  dem  Bräutigam  angenehmer  als  die  übrigen, 
nämlich  die  israelitische  Synagoge  zur  Zeit  des  zweiten  Tem- 
pels. Wenn  dieser  Jude,  sagt  Münster,  dies  von  der  christ- 
lichen Kirche  schriebe,  die  zur  Zeit  des  zweiten  Tempels  au- 
fiug,  so  würde  ich  ihm  gerne  glauben.  —  Uebrigens  war  Mün- 
sters Hauptzweck  grammatische  Noten  zu  schreiben,  die  nur 
zur  Erklärung  des  Textes  dienen  sollten;  im  Titel  seiner 
Ausgabe  der  Sprüche  sagt  er  dies  ausdrücklich J).  In  den 
Anmerkungen  folge  er  dem  Beispiele  Reuchlin's  in  seiner  Er- 
klärung der  sieben  Busspsalmen,  „aus  der  wol  ein  sieben- 
jähriger Knabe  hebräisch  lernen  könne;"  er  beschränke  frei- 
lich die  Arbeit  ein  wenig  und  gehe  nur  in  den  ersten  Capiteln 
auch  auf  das  Kleinste  und  Geringfügigste  ein,  begnüge  sich 
aber  bei  den  späteren  mit  der  Berücksichtigung  der  wirklichen 
Schwierigkeiten.  In  der  That  sind  die  Anmerkungen  voll- 
ständig elementar,  die  einzelnen  Formen  werden  erklärt  und 
dabei  die  allgemeinen  Sprach-  und  grammatikalischen  Regeln 
eingeprägt,  ohne  jeden  gelehrten  Apparat,  höchstens  mit  Ver- 
weisung auf  Reuchlin's  und  Münster's  eigene  Grammatik.  Von 
Uebersetzungen  biblischer  Bücher  ist  noch  die  der  Psalmen 
bekannt,  die  aber  ohne  Anmerkungen  erschienen-). 

Bei   der  Ausgabe   und  Uebersetzung   einzelner   biblischer 
Bücher  blieb    er    aber  nicht   stehen,    er   wagte    sich   an   das 


*)  Die  erste  1525  erschienene  Auflage  habe  ich  nicht  gesehen,  die  zweite 
hat  zum  Titel :  Tn  |2  ntiTtf  'b'i'p  Proverbia  Salomonis  iam  denuo  iuxta  He- 
braicani  veritatem  translata  et  Annotation ibus  grammaticis  illu- 
strata  authore  Sebastiano  Munstero.  Anno  MDXLVIII.  a. . .  t  ä  8  Bll.  in  8°. 
Am  Ende :  Basileae  per  Hieronymum  Frobenium  et  Nicolaum  Episcopium 
anno  millesimo  quingentesimo  fpuadragesimo  octavo.  Am  Anfang  das  Vorwort 
Münster's  zur  ersten  Auflage  (15  kal  Jun.  1524),  und  das  inhaltlose  Pelli- 
kan's  zur  zweiten. 

2)  Ich  kenne  nur  die  Ausgabe :  Liber  Psalmorum  Davidis  Prophetae  et 
Regis  Ad  hebraicam  veritatem  a  Sebastiano  Munstero  quam  diligentissime 
versus  in  dem  Werke:  Liber  precum  publicarum  seu  Ministerii  Ecclesiastici 
administrationis  Sacramentorum.  Fol.  188..  299.  Am  Ende:  Londini  Excudebat 
Thomas  Vautrollerius  1574. 

Geiger,  Studium.  b 


82  Die  Schüler  des  Elias  Lcvita,  Paul  Fagius  und  Sebastian  Kttnster. 

grosse,  bisher  noch  nicht  versuchte  Werk  einer  Ausgabe  der 
ganzen  Bibel  mit  rebersetzung  >).  Hätte  Münster  weiter 
nichts  gethan,  als  eine  Ausgabe  des  hebräischen  Textes  ver- 
anstaltet, so  verdiente  er  schon  unter  den  Gelehrten,  die  wir 
hier  behandeln,  einen  achtungswerthen  Platz;  so  aber,  da  er 
mit  Sorgfalt  das  mächtige  Werk  genau  übersetzte,  keinen 
Finger  breit,  sagte  er,  solle  die  Uebersetzung  vom  Texte  ab- 
weichen, „alle  Bücher  und  jedes  einzelne  Wort  abwog,  hin 
und  her  wendete,  die  Commentare  der  Kabbinen  durchforschte 
und  die  besten  auswählte",  mag  man  ihm  glauben,  dass  seine 
Arbeit  eine  ungeheure  war.  Wenn  auch  schon  Reuchlin  mit 
kühnem  Muthe  Irrthümer  der  lateinischen  Uebersetzung  des 
Hieronymus  aufgedeckt  hatte,  wenn  auch  Andere  für  eine  An- 
zahl biblischer  Bücher  eine  andere  Uebersetzung  an  Stelle 
der  angenommenen  zu  geben  versucht  hatten,  so  war  es 
immerhin  ein  nicht  geringes  Wagniss,  nun  an  Stelle  der  gan- 
zen von  der  Kirche  gleichsam  heilig  gesprochenen  Fassung 
eine  neue  zu  setzen.  Münster  sagte  sich  selbst,  dass  mau 
sich  mit  diesem  Beginnen  leicht  glühendem  Hasse  aussetzte  ->, 


!)  Der  Titel  dieses  grossen  Werkes  lautet  typographisch  genau:  ">H(5ö 
(in  einer  Einfassung:)    D**ain  fwbl  KtylW  ÜB    WHgl  3TOÖ5  üMpp  "iec' l'Z^X" 

"ö  "T  t  bv  b'ü2.  -rm  riß™  csn;  |  {TDnp$  ü"fm  epics  bv  "TXg  »n*  bei 
:  MäSTl  KWBS  EN  TIBI  LECTOR  i  H E  BKAI C  A  B I B  L  I  A  LATIN  E  PLA- 
NEQVENÜVA  SEBAST.MVNSTERI  tralatione  post  omneis  omnium  hactenus 
uhiuis  gentium  aeditiones  evulgata  et  quoad  fieri  potuit,  hebraicae  ueritati 
conformata:  adiectis  insuper  e  Rabinorum  commentariis  annotationibns  haud 
poeni-  tendis  pulchre  &  vocea  ambiguas  &  obscu-  riora  quaeq.  elueidantibus. 
vol.  I  Pent.  Jos.  Jud.  Sani.  Reg.  vol.  II  Prophet.  Psalt.  Prov.  Ili.  Dan. 
Chron.  Cant.  Ruth.  Thren.  Eccl.  (vol.  II  unter  dem  eig.  Titel):  Ili  sacri  & 
canonici  libri,  amice  Lector,  sie  adHebraicam  veritatem  genuina  versione  in 
latinum  sunt  tradueti,  ut  ne  quidem  ad  latum  unguem  ab  ea  dissideant.  | 
Quilms  practerca  in  locis  &  sententiis  obscurioribus  opera  SEBASTIAN] 
MVNSTERI  non  parum  accessit  lucis  per  Annotationes  |  quas  vel  exHebraeorum 
conimentariis,  vcl  ex  pro-  |  batioribus  latinis  scriptoribua  adiecit. 

in  fol.  vol.  I  12  unpagg.  foll.  365  foll.  vol.  II   pag.  fol.  366    7(.>.">. 

Am  Ende  von  vol.  I:  BASILEAE  EX  OFFIOINA  BEBELIANA,  IM 
PEN-iDIIS  MICHAELIS  [SENGBJNI1    KT  BENBICI  PETE]  |  1534. 

von  vol.  II:  BASILEAE  KX  OFFICINA  BEBELIANA,  IM  PENDIIS 
Michaelis  Isengrinii  et  Eenrici  Petri     1535. 

2)  In  der  letzten  Einleitung,  drr  <'ig< .- i 1 1 liehen  Sfbast  iani  Miinsteri  in  vetua 
Testamentum  praefatio  ist  eine  lange  Abhandlung  überschrieben:  An  Bie- 
ronymus  vulgatae  aeditionis  fuerit  autor? 


Die  Sohftlei  des  Elias  Levita,  I'.iul  Fagius  und  Sebastian  Uftnstei  83 

aber  mich  tröstet,  sagt  er,  mein  Bewusstsein,  dass  ich  diese 
Arbeit  nicht  aus  Ruhmsucht  oder  aus  Lust  an  Tadel  gegen 
die  Alten,  denen  wir  sogar  sehr  viel  Dank  schuldig  sind,  da 
sie,  besonders  bei  dem  fast  vollständigen  Maugel  an  Büchern, 
Alles  geleistet  haben,  was  sie  leisten  konnten,  unternommen 
und  nichts  anderes  beabsichtigt  habe,  als  den  hebräischen 
Text,  wie  er  nach  den  rabbinischen  Commentaren  festgestellt 
werde,  zu  geben.  .  .  .  Freilich,  und  hiermit  kommt  er  auf 
seine  und  Fagius'  Lieblingsthese,  halte  er  nicht  alles,  was  er 
in  diesen  Commentaren  finde,  nach  Art  gewisser  Leute  für 
Orakel,  sondern  prüfe  das  Gelesene,  hauptsächlich  hüte  er 
sich  die  kabbalistischen  Schwärmereien  anzunehmen,  die  diese 
Schriften  so  oft  verunstalten;  oft  aber  seien  sie,  selbst  wenn 
sie  sich  in  Dunkel  und  Irrthum  befänden,  Führer  zum  Rich- 
tigen. In  einer  eigenen,  mit  Aufwand  von  grosser  Gelehr- 
samkeit geschriebenen,  Abhandlung  in  einer  der  Einleitungen 
behandelt  er  die  These,  dass  die  jüdischen  Commentare  nicht 
zu  verachten  seien.  Hieronjmms  habe  nur  eine  unpunktirte 
hebräische  Bibel  besessen;  um  sie  zu  verstehen,  habe  er  sich 
der  Hülfe  von  Juden  bedient,  denn  Kenntniss  ihrer  Sprache 
und  deren  Eigenthümlichkeiten  sei  den  Juden  nie  fremd  ge- 
worden, „wenn  sie  auch  das  hauptsächliche  Ziel  der  heiligen 
Schrift  verkennen,  das  uns  Christus  und  die  Apostel  gezeigt 
haben".  Der  Haupttheil  der  Abhandlung  richtet  sich  gegen 
Augustin  Steucho,  dem  er  das  Verkehrte  seiner  Auffassung 
nachweist,  R.  Salomo  habe  fast  alle  seine  Erklärungen  aus 
Hieronymus  genommen  ').  Unter  den  Autoren  und  Werken, 
die  er  zu  Rathe  gezogen  habe,  nennt  er  Raschi,  David  Kimchi, 
Abenesra,  R.  Menachem,  Abraham  Hispanus,  Verfasser  des 
Fasciculum  Myrrhe,  „Seder  Olam"  2) ,  Moses  Gerundensis, 
„Arba  Tura".    Als  richtige  Art  des  Verständnisses  der  Bibel, 


J)  Ueber  R.  Salomo  (Raschi)  sagt  er  einmal:  R.  Salomon  qui  inter 
recentiores  antiquior  est,  nam  fuit  ante  quadringentos  annos,  id  quod  ex 
Judaeis  Wonnaeiensibus  haben,  ubi  aliquamdiu  commoratus  est,  cum  alioqui 
natione  Gallus  fuerit. 

2)  Aus  diesem  Buche  führt  er  am  Ende  seiner  Bibelausgabe  hebr.  mit 
lat.  Ueliers.  an:  Catalogus  et  successio  regura  Jehuda  et  Jerusalem  ostendens 
quando  et  sub  quibus  regibus  vixerint  singuli  prophetae  et  quid  memorabile 
contigerit  sub  Ulis.     Sunt  autem  haec  huc  relata  ex  Sedar  olam  minori. 

6* 


$4  D'1*  .Schüler  des  Elias  Levita,  Paul  Fa^ius  und  Sebastian  Münster. 

als  Zweck  ihrer  Lektüre  stellt  er  hin,  Christus  keimen  und 
verstehen  zu  lernen.  In  der  ziemlich  ausführlichen  hebräi- 
schen Vorrede  vor  dem  ersten  Band  hebt  er  diesen  Stand- 
punkt ganz  ausschliesslich  hervor,  preist  Christus,  tadelt  die 
Irrthümer  der  Judeu  und  ermalmt  sie,  dem  rechten  Worte  und 
der  rechten  Lehre  des  Propheten  zu  folgen  und  ihren  falschen 
Weg  zu  verlassen.  „Denn  die  Propheten",  wie  er  dies  in  der 
Vorrede  zum  zweiten  Hand  hervorhebt,  die  übrigens  eine  sehr 
schöne  Würdigung  der  prophetischen  Literatur  enthält,  „geben 
fast  nur  Weissagungen  über  Christus  und  die  Zukunft  seiner 
Lehre".  —  Der  hebräische  Druck  ist  sehr  deutlich,  etwas  schiefer 
liegend  als  der  gegenwärtig  gebräuchliche,  die  Anmerkungen 
sehr  kurz  und  ziemlich  ohne  Bedeutung. 

Nächst  diesen  Arbeiten  nehmen  die  grammatischen  und 
lexikographischen  eine  hervorragende  Stelle  in  der  wissen- 
schaftlichen Thätigkeit  Münster's  ein.  Ein  hebräisches  aus 
den  Rabbinen  gezogenes  Lexikon  ist  bereits  erwähnt,  wir 
haben  ausserdem  ein  chaldäisches  und  ein  dreisprachiges  zu 
behandeln.  Letzteres  l)  ist  eigentümlich  genug:  die  lateinischen 
Worter  sind  alphabetisch  geordnet,  daneben  stehen  die  griechi- 
schen, zuletzt  die  hebräischen,  oft  vier,  fünf  und  mehr  für 
einen  lateinischen  Ausdruck,  so  dass  ein  Wort  sich  zwei  und 
mehrere  Male  findet,  da  auf  die  Nuancen  der  Bedeutung  durch- 
aus keine  Rücksicht  genommen  wird.  Den  Schluss  macht 
ein  kleines  viersprachiges  Lexikon,  in  dem  auch  das  Chaldäi- 
sche  (Rabbinensprache)  mit  in  den  Bereich  der  Betrachtung 
gezogen  ist.  Die  eigentliche  Praefatio  enthält  einige  specielle 
Regeln  für  das  Hebräische:  dass  es  keine  zusammengesetzten 
Verba  habe,  dass  im  Gegensatz  zum  Lateinischen  die  loca 
reruni  meistens  umschrieben  werden  müssten 2),  dass  die  Deri- 


i)  Tfßfish  Z'h'V  Dictionarium  trilingue  in  quo  scilicet  latinifl  vocabulis  in 
ordinem  alphabeticum  digcstis  respondent  Graeca  et  Hebraica.  Hebraicis 
adiecta  sunt  magistralia  et  Chaldaica:  Sebastiani  Mausten  opera  et 
labore  congestum, 

Una  cum  cius  Appendiec  de  Hebraicis  rocabulis  tropis  et,  modis  loquendi, 
tarn  apud  grarmuaticos  et  logicos  quam  apud  phüosophos  et  mathematicos 
quibus,  etsi  in  Bibliis  aut  Cbaldaieis  nusquani  invenies.  tarnen  ipsi  ßabbini 
passim  in  suis  utuntur  libris.    Basilea  per  Henricum  Petri. 

*)  z.  B.  fTPian  »VS  für  balneum. 


Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Paul  Fagins  and  Sebastian  Münster  85 

vata  durch  einfache  Nomina  mit  vorangesetzter  Präposition 
ausgedrückt  würden  n.  8.  w.  Werthvoll  ist  namentlich  der  An- 
hang, der  unter  verschiedenen  Aufschriften  eine  grosse  Anzahl 
rabbinischer  Ausdrücke  für  Grammatik,  Logik  und  Philosophie, 

Mathematik,  Astronomie  und  eine  ziemliche  lieihe  von  Redens 
arten  der  wissenschaftlichen  Sprache  enthält.  Das  chaldäische 
Lexikon  ist  nur  eine  Zusammenstellung  chaldäischer  Wörter  aus 
dem  alten  thalmudischen  Wörterbuch:  Aruch,  den  chaldäischen 
Bibelübersetzungen  und  den  rabbinischen  Commentaren  ').  Von 
grammatischen  Büchern  ist  seine  Conjugationstafel 2)  zu  rein 
praktischem  Gebrauche  bestimmt:  es  sind  Tabellen  für  alle 
Formen  der  regelmässigen  und  unregelmässigen  Verba,  aber 
nicht  sehr  übersichtlich  geordnet,  danach  Tabellen  für  De- 
klination der  Nomina,  Verzeichnisse  der  Incleklinabeln  und  der 
unregelmässigen  Wörter. 

Seine  hebräische  Grammatik  ist  kein  selbständiges  Werk,  son- 
dern, wie  schon  der  Titel  angiebt,  aus  verschiedenen  Schriften 
des  Elias  Levita  zusammengestellt.  Sie  ist  ziemlich  ausführ- 
lich und  durchaus  elementar,  verhält  sich  bei  schwierigen 
Fragen,  bei  neuen  von  Levita  zuerst  aufgestellten  wissen- 
schaftlichen Thesen  durchaus  objeetiv.  So  wird  die  von  die- 
sem ausgesprochene  Behauptung,  die  Vokalzeichen  rührten 
nicht  von  Moses  her,  sondern  seien  viel  späteren  Ursprungs, 
mitgetheilt,  aber  auch  die  entgegenstehenden  Ansichten  wer- 
den angeführt,  ohne  dass  Münster  eine  Entscheidung  zu  geben 
versucht.  Nichtsdestoweniger  ist  das  Buch  sehr  brauchbar, 
zwei  Auflagen  sind  bei  Lebzeiten  des  Verfassers  erschienen, 
jetzt  ist  es  sehr    selten  geworden3).     Einige  Anhänge   über 


i)  ynv  Dictionariurn  Chaldaicum ,  non  tarn  ad  Chaldaicos  interpretes 
quam  Rabinorum  intelligenda  commentaria  necessarium :  per  Sebast.  Mun- 
ster um  ex  Baal  Aruch  et  Chald.  bibliis  atque  Hebraeorum  peruscniin 
congestum. 

Basileae  apud  Jo.  Fro.  Anno  MDXXVII. 

2)  D"r?3n  nb  Tabula  omnium  hebraicarum  coniugationum  iuxta  octo 
verborum  classes  pulchre  in  ordinem  digesta.  2T.  Basileae.  A...C.  äSBll.  in 8". 

3)  Ich  habe  es  nach  langem  vergeblichen  Suchen  in  der  Darmstädter 
Hofbibliothek  gefunden.  Die  erste  Auflage  ist  ohne  Titelblatt  und  ohne  jede 
Vorrede,  sie  beginnt :  Grammatica  hebraica  absoluta.  Am  Ende :  Basileae  per 
Henricum  Petri  Mense  Martio  Anno  MDXLII.  in  8°.  Die  zweite  Auflage  hat 
den  Titel;  tb&il  pnp-ir,  rzvbn  Opus  grammaticum  consummatum  ex  variis 


86  Die  Schüler  des  Elias  Levita,  Patü  Fagins  and  Sebastian  dünstet. 

Abkürzungen,  Accente,  Metren  n.  s.  w.  erhöhen  den  Werth 
des  Buches. 

Neben    dieser    hebräischen  Grammatik    ist  er    als  erster 
Verfasser  eines   grammatischen   chaldäischen  Lehrbuches    zu 

erwähnen  l).  Mit  Stolz  weist  er  darauf  hin,  dass  er  der  Erste 
sei,  der  ein  solches  Werk  unternehme.  Reuchlin  klage  über 
die  Mühen  seiner  Arbeit  bei  der  Herausgabc  seines  ersten 
hebräischen  Buches,  während  er  doch  Lehrer  gehabt,  die 
Unterstützung  gelehrter  Juden  genossen,  aus  den  Büchern 
des  Mosis  und  David  Kimchi  habe  schöpfen  können;  mit  wie 
viel  mehr  Recht  könne  er  über  seine  Schwierigkeiten  und 
Mühseligkeiten  sich  beschweren,  da  er  keines  dieser  Ilülfs- 
mittel  gehabt  habe.  Die  dazu  nöthigen  Kenntnisse  habe  er, 
wie  er  sagt,  von  seinem  Lehrer  Elias  Levita  erhalten,  er  habe 


Elianis  libris  co  nein  na  tum,  complectons  scilicet  Elementarinm  abso- 
lut um.  Numerandi  rationem,  Pronominum  declinationes ,  Verborum  iutegraa 
conjugationes,  Artificium  subiieiendorum  affixorum,  Nominum  varias  formulaa 
et  nmtationes,  Consignificativorum  Explicationes,  Magistrates  abbreviationes, 
Aecentmun  traetationem,  Metrorum  compositionem.  AuthoreSebastianoMunstero. 
Am  Ende:  Basileae  per  Henricam  Petri  Mense  Augusto  An.  MDLVI.  in  8°. 
Dieser  Auflage  gebt  eine  ziemlich  ausführliche  Einleitung  voran:  Clarissimo 
atque  praestantissimo  viro  domino  Joanni  M.(arbach?)  amico  candido  Sebast. 
Munst.  S.D.,  von  der  einzelne  Stücke  z.Tli.  nach  Citaten  Anderer  schon  vielfach  im 
Obigen  angeführt  worden  sind.  Am  Anfange  betont  er,  er  habe  schon  manche 
Schriften  des  Levita  übersetzt,  trotzdem  habe  es  ihm  und  seinen  Freunden 
geschienen,  als  wenn  in  dieser  Wissenschaft  noch  eine  grosse  Lücke  bestehe.  I  tiese 
habe  er  nun  durch  eine  die  mannigfachen  Levita'schen  Schriften  zusammen- 
fassende Grammatik  ausfüllen  wollen.  Der  zweiten  Auflage  ist  der  hebräische 
Text  und  die  Uebersetzung  des  Tobias  beigegeben,  den  er  von  Oswald 
Schreckenfuchs  aus  Memmingen  erhalten  hatte;  wie  bekannt,  hatte  auch 
Fagius  schon  dieses  Schriftchen  veröffentlicht.  Schreckenfuchs  hegleitete  die 
Ausgabe  mit  einem  nichtssagenden  hebräischen  Briefe. 

i)  nxntprn  ik  "an^  P?V*?  P*"'i?*!  Chaldaica  grammatica,  antehac  a  nemine 
attentata,  sed  iam  primum  per  Sebastianum  Munsterum  conscripta  et  aedita, 
non  tarn  ad  Chaldaicos  interpretes  quam  Hebraeorum  commentarios  intelli- 
gendos,  Hebraicae  Linguae  studiosis  utilissima. 

Item  in  C"C'"T2,  hoc  est  commentaria  Bebraeorum 

Eegulae  aliquot  generales 

Modi  loquendi  Hebraici  plurimi 

Abbreviaturae  Hebraicae  generales,  nee  non  plurimae  speciales  ei  latine 
et  Hebraice  explicatae 

Per  rundem  Sebastianum   Munsterum. 

Basilea  apud  Jb.  Fro.  Anno  MDXXVII. 


Die  Scholar  des  Elias  Levita,  Paul  Fagius  and  Sebastian  Uünster.  87 

die  Beschäftigung  mit  dieser  Sprache  für  nothwendig  gehalten, 
denn  die  Vertrautheit  mit  ihr  trage  viel  dazu  bei,  das  Hebräi- 
sche, selbst  das  Biblische,  reebt  zu  verstehen.  „Die  Juden  in 
ihrem  Dahindämmern  und  ihrer  krassen  Unwissenheit  belasten 
diese  heilige  »Sprache  mit  Barbarei  und  beflecken  sie  mit 
Schmutz,  während  sie  doch  die  heiligen  Propheten,  die  biblischen 
Schriftsteller  so  rein  überliefert  haben."  Die  Grammatik  ist 
sehr  ausführlich,  hier  bedarf  es  mir  ihrer  kurzen  Erwähnung; 
einige  Uebungsstücke  aus  dem  Deuteronomium,  Josua,  Jeremia, 
Ezeehiel,  den  Psalmen  sind  mit  ihrer  lateinischen  Uebersetzung 
angehängt.  Andere  Beigaben  sind  zerstreut  uns  bereits  in 
anderen  Schriften  begeguet,  den  Schluss  machen  zwei  he- 
bräische aber  inhaltlose  Anreden  an  den  Leser. 

Ausser  den  bereits  besprochenen  Schriften  Münster's, 
Uebersetzungen,  Erklärungen  biblischer  Schriften,  Wörter- 
büchern und  grammatischen  Werken  bleibt  nur  noch  Weniges 
zu  erwähnen  übrig:  ein  hebräisches  Kalendarium,  das  er 
namentlich  als  nützlich  für  Historiker  und  Astronomen  er- 
klärte l) ,  ein  Schriftchen  theologischen  und  geschichtlichen 
Inhalts,  in  dem  er  neben  den  13  Glaubensartikeln  des  Mai- 
monides  die  10  Gefangenschaften  Israels  (4  unter  Sanherib, 
4  unter  Nebukadnezar,  1  unter  Vespasian,  1  unter  Hadrian), 
die  Geschicke  Israels  in  denselben  und  in  der  Zwischenzeit 
erzählte,  und  eine  Ausgabe  nebst  lateinischer  Uebersetzung 
des  jüdischen  Geschichtschreibers  Josippon  gab-),  und  end- 
lich  eine  Schrift,    in  der  er  die  613  Ge-  und  Verbote3)  der 


!)  Aus  M.  Neandri  Erotemata  p.  256.  Sebastiani  Munsteri  Kalendarium 
Hebraieum,  ex  Hebraeornm  penetralibus  iam  recens  editum  quod  non  tarn 
Hebraicae  studiosis  quam  historiographis  et  astronomiae  peritis  subservire 
poterit.     Frobenius  1527  in  4".  vgl.  die  Nachträge. 

2j  |  harw  r—,:  -ri?  I  "X'n  rrzn  — i— — 1 1  an&a  !TTtWJ  vhe  Tredecim  arti- 
culi  fidei  Judaeorum  item  compendium  elegans  historiarom  Josephi,  complectens, 
Acta  LXX  Interpretum,  Gesta  Machabaeoruin ,  facta  Herodum,  Excidium 
Hierosolymitanum,  item  decem  captivitates  Judaeorum.  Haec  per  Sebastiauuni 
Mnnsterum  et  Hebraeis  et  Latinis  legenda  exarantur,  anno  Christi  MDXXIX. 

Am  Ende:  Wormatiae  apud  Petriun  Schütter. 

Die  Angabe  ist  aus  Weller:  Altes  aus  allen  Theilen  der  Geschichte, 
Chemnitz  1766  II,  S.  1(»4 — 118. 

3)  JTWlfl  ntOtfi  Catalogus  omnium  praeceptonim  legis  mosaicae  quae  ab 
Hebraeis  sexcenta  et  tredecim  numerantur  cum  succinctaKabiuoruiu  expositione 


öö  Die  Universitäten. 

Juden  zusammenstellte  und  ihnen  einen  lateinischen  Auszug 
beigab.  Ganz  habe  er  es  nicht  übersetzen  wollen,  um  das 
Werk  nicht  allzusehr  anzuschwellen,  schon  aus  diesem  Auszug 
werden  die  des  Hebräischen  unkundigen  Leser  ersehen,  bis 
zu  welchem  Grade  von  Wahnsinn  und  Verblendung  die  Juden 
sich  verstiegen  hätten. 


VI. 

Die  Universitäten. 


Damit,  dass  einzelne  Männer  sich  dem  Studium  der  he- 
bräischen Sprache  hingaben,  war  aber  nicht  genug  geschehen; 
um  wirklich  in  die  Reihe  der  Wissenschaften  zu  treten,  musste 
es  an  den  Stätten  eine  Pflege  finden,  wo  sich  alles  zusammen- 
drängte, was  in  der  wissenschaftlichen  Beschäftigung  des 
Zeitalters  eine  Rolle  einnahm :  auf  den  Universitäten.  Und 
wirklich  ist  auf  fast  allen  wichtigeren  deutschen  Universitäten 
von  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  an  das  Hebräische  als 
Lehrgegenstand  aufgenommen  worden.  Es  wird  am  besten 
sein,  wenn  wir,  mit  annähernder  Bestimmung  der  Zeitfolge, 
die  einzelnen  Universitäten  durchnehmen. 

Der  Churfürst  Ruprecht  II.  von  der  Pfalz  hatte,  dem  Bei- 
spiele vieler  anderer  Fürsten  seiner  Zeit  folgend,  in  seiner 
Hauptstadt  Heidelberg  eine  Judenverfolgung  veranstaltet  (1391). 
Die  Universität,  der  er  die  von  den  Juden  zurückgelassenen 
Bücher  überliess,  betrachtete  dieselbe  nicht  grade  als  ein 
werthvolles  Geschenk;  sie  verkaufte  dieselben  und  hielt  nur 
ein  Exemplar  des  Talmud  zurück  ').  Kaum  ein  Jahrhundert 
später  aber  war  Heidelberg  der  erste  Ort,  an  dem  von 
Reuchlin    Hebräisch  gelehrt  wurde,    wenn   es    auch    heinilich 


et  additione  traditionum  quibus  irrita  fecerunt  mandata  dei.  Haec  Sebast. 
Munsterus  utriusque  linguae  Latinae  et  Hebraicae  studiosis  legenda  Lmpartit. 
Basileae  excudebat  Henricus  Petrus,  a. ..i  ä  ß  IUI.,  k  ä  5  1311.  Am  Ende: 
Excudebat  Henricus  Petrus  Mense  Martio  Anno  MDXXXTTI.  Dann  folgi  der 
hebräische  Text  mit  besonderem  hebr.  and  lat.  Titel  tt\..K  ä  8  Ell.  in  8°. 
'j  llautz.  Gescbichte  der  Universität  Heidelberg.  1.  S.  225, 


Die  OniversitÄten.  8!) 

geschehen  musste.  Als  regelmässigen  Professor  der  hebräischen 
Sprache  können  wir  auch  Matthäus  Adrianus  nicht  betrachten, 
von  dem  wir  gesehen  haben,  dass  er  in  Heidelberg  gelehrt  hat. 
Aber  das  Bedürfniss,  einen  ordentlichen  Professor  für  dieses 
Fach  anzustellen,  machte  sich  bald  geltend.  Es  war  überhaupt 
ein  neues  Streben  in  die  Universität  eingezogen,  man  wollte 
den  übrigen  nicht  nachstehen,  suchte  neue  Kräfte  zu  ge- 
winnen, z.  B.  den  Erasmus,  und  blickte  fast  neidisch  auf 
Tübingen,  das  Keuehlin  besitze  (1521  x).  In  einer  besonderen 
Eingabe  wTandte  man  sich  in  demselben  Jahre  an  den  Chur- 
fürsten,  er  möge  Böschenstein,  der  mit  gewichtigen  Empfeh- 
lungen Keuchlin's,  Caspar  Ammon's,  Oekolampad's  in  Betreff 
seiner  Kenntnisse  nach  Heidelberg  gekommen  war,  als  Lehrer 
der  hebräischen  Sprache  anstellen  und  ihm  ein  Gehalt  be- 
stimmen; für  letzteres  begnügte  man  sich  sogar  mit  dem  be- 
scheideneren Vorschlag,  die  4  Fakultäten  sollten  kleine  Bei- 
träge zum  Unterhalt  des  neuen  Professors  bewilligen  r).  Gegen 
letzteren  billigen  Vorschlag  konnte  der  Churfürst  nicht  wol 
etwas  einwenden,  er  selbst  wollte  freilich  nichts  beisteuern, 
und  da  die  Beiträge  der  Fakultäten,  der  artistischen  und.  der 
Universität  je   10,    der  juristischen  5 — 6,    der  medicinischen 


1)  Der  Dekan  und  die  Artistenfakultät  machten  eine  Eingabe  beim 
Chnrfürsten ,  in  der  sie  um  Berufung  des  Erasmus  baten.  Sie  sagten  darin 
aber  Keuehlin :  Etsi  non  desint  et  huic  nostrae  universitati  fama  et  doctrina 
non  ignobiles,  attainen  non  tales.  ut  possint  in  publicum  tarn  repente  prod- 
ire  admiratione  tanta,  ut  solent  qui  editis  iam  multis  voluminibus  Illustres 
evaserunt:  qualis  est  e  milibus  unus  Doctor  Joannes  Eeuchlinus,  ex  publico 
stipendio  Tybingensium  conduetus  grecae  et  hebraicae  linguae  professor,  quod 
haec  scheda  his  literis  iuclusa  indicat.  Nach  den  Akten  abgedruckt  bei  Haut/. 
I,  S.  369,  Anm.  25. 

2)  Quandoquidein  Jo.  Boeschenstein  Eslingensis  hebraeae  linguae  iusi- 
gniter  auditus,  aliquorum  (quibus  respublica  nostrae  universitatis  nonparum 
curae  esset)  preeibus  victus,  ad  nos  divertisset,  suae  vero  non  vulgaris  audi- 
tionis  nobilium  aliquot  Gennaniae  aeädemiarum ,  atque  Joannis  Eeuchlini, 
iurium,  Joannis  Oecolampadii  et  Casparis  Ammard  Theol.  Doctorum  aliorum- 
que  doctissimorum  hominum  non  poenitenda  attulisset  testimonia  . . .  petit 
facultas  artium,  ut  sua  dementia  apud  Gynmasii  nostri  proceres  illi  ipsi 
Stipendium  pro  linguae  hebraeae  professione  constitni  demandaret  aut,  si 
ipsum  modo  fieri  non  posset,  saltem  ad  tempus  hie  ex  publicis  quatuor  faciü- 
tatum  aerariis  aleretur,  donec  reformatio  studiorum  inchoaretur.  (1521)  Hautz, 
I,  S.  371,  Anm.  29. 


90  Die  Universitäten. 

1 — 2  Goldgulden,  zum  Fristen  des  Lebens  nicht  hinreichten, 
so  verliess  Böschensteio  bereits  im  August  1522  die  Uni- 
versität l).  Der  Lehrstuhl  blieb  2  Jahre  unbesetzt-,  15-24  wurde 
Sebastian  Münster  zum  Professor  angenommen,  sein  Gehalt 
betrug  jährlich  25  Gulden;  die  5  Gulden  jährliche  Erhöhung. 
die  man  ihm  1526  bestimmte,  mögen  ihm  auch  nicht  sonderlich 
gefallen  haben,  schon  1527  verliess  er  Heidelberg-).  Die 
Nachfolger,  die  man  ihm  gab,  waren  höchst  unbedeutend,  die 
Universitätsakten  wissen  nichts  mehr  von  ihnen  als  ihre  Namen, 
es  lohnt  sich  kaum  sie  aufzuzählen :  Georg  Sibold  von  Ketters- 
hausen  1529,  Valentin  Kleymann  1531,  Valentin  Mikrander 
und  Johann  Koller  1538 3).  Für  eine  Reihe  von  Jahren  nach 
dem  Abgange  des  Letzteren  lassen  sich  aber  nicht  einmal 
Namen  nennen,  erst  1551  wurde  der  Lehrstuhl  durch  den 
getauften  Juden  Paul  S  taffei  st  a  in  e  r  4)  besetzt.  Glänzend 
war  die  Stelle  grade  nicht :  für  das  erste  Jahr  erhielt  er  50  Gulden 
Gehalt,  1555  wurde  ihm  eine  Zulage  von  30  Gulden  gewährt.  Das 
Programm,  in  welchem  der  Rektor  der  Universität  zu  seiner 
ersten  Vorlesung  einlud,  ist  noch  erhalten,  danach  sollte  der 
neue  Professor  Bibelerklärung  und  grammatikalische  Ausein- 
andersetzungen vereinigen.  Das  Ziel  der  Vorlesungen  sollte 
sein,  die  Hörer  zum  Verstäudniss  der  schwierigen  Sprache, 
die  Viele  von  philologischer  Lektüre  zurückhalte,  zu  führen 
und  in  ihnen  eine  Liebe  zu  jener  sehr  alten  Theologie  zu 
erwecken5).  Wie  lange  Staffelstainer  in  Heidelberg  gelehrt,  ist 
ebenso  unbekannt,  als  der  Erfolg,  der  seinen  Unterricht  begleitete. 
Hatte  Reuchlin  in  Heidelberg  das  hebräische  Studium 
eingeweiht,  so  war  er  es  auch,  an  den  sich  der  Churfürst  von 


i)  Hautz  I,  S.  371  fg. 

2)  a.  a.  0.  S.  374.  Es  wäre  interessant  über  die  Lehrthätigkeit  dieser 
beiden  bedeutenden  Männer  Genaueres  zu  wissen. 

3)  Hautz  I,  S.  378  fg. 

4)  Derselbe,  der  uns  als  Lehrer  Johann  Eck's  (s.  S.  30,  Anin.  I)  be- 
gegnet ist? 

•r')  Idein  hie  ausjiicabitur  cras  ab  ennarratione  celebris  dilti  quod  de 
mundi  duratione  in  domo  Heliae  sonuisse  fcraditur.  Grammatica  deineeps 
traetabit  corapendia  ac  praeeepta  e  scriptura  petitis  exemplis  illustrabit  idque 
curabit  sedulo,  ut  ad  phrasin,  qniae  multos  a  philologicis  lectionibus  arcet, 
adsuefleri  auditor  possü  vetnstissimamqtie  iUam  paulatim  amare  theologiam, 
Haut/,  I.  s.  428  fg. 


Die  Universitäten  91 

Sachsen  wandte,  als  er  an  seiner  Universität  Wittenberg 
dem  hebräischen  und  dem  griechischen  Studium  Eingang  ver- 
schallen wollte.  Reuchlin  fühlte  sich  nicht  kräftig  genug  im 
hohen  Alter  diese  Last  zu  übernehmen;  für  das  Griechische 
empfahl  er,  wie  bekannt,  seinen  Grossneffen  Melanchthon, 
und  auch  für  die  Besetzung  der  hebräischen  Professur  machte 
er  seine  Vorschläge.  Von  Oekolampadius,  den  er  empfahl, 
mnsste  er  zugleich  berichten,  die  Baseler  hätten  ihn  bereits 
genommen;  Paul  Ritius1),  der  Leibarzt  des  Cardinais  von 
Gurk,  der  sich  namentlich  durch  seine  kabalistiscken  Werke 
einen  Namen  gemacht  hat,  schien  ihm  „zu  fest  und  wohl  zu 
stehen",  um  ihm  eine  Aenderung  seiner  Stellung  anzubieten; 
als  dritten  zu  der  Stelle  Geeigneten  nannte  er  Conrad  Pelli- 
kan:  er  glaubte,  wenn  seine  Oberen,  die  Barfüsser,  zustimm- 
ten, würde  es  leicht  sein  ihn  für  den  Lehrstuhl  in  Witten- 
berg zu  gewinnen.  „Man  fände  vielleicht  sonst,"  schliesst  er, 
„getaufte  Juden,  wer  dess  gute  Erfahrung  hätte;  aber  für- 
wahr, wenn  sie  nicht  in  lateinischer  Zunge  gelehrt  sind,  so 
könnten  sie  uns  künstlicher  Weise  in  Regeln  nicht  lehren; 
denn  in  teutschen  Landen  empfaken  die  Juden  ihre  Sprach 
allein  aus  gewöhnlichem  Brauch,  das  aber  uns  nicht  so  mög- 
lich ist,  sondern  wir  müssen  das  Hebräische  erstlich  durch 
Kegeln,  und  darnach  durch  viel  Lesen  der  Bücher  gleichwie 
die  lateinischen  und  griechischen  Zungen  überkommen"-). 
Es  ist  nicht  sicher,  ob  der  Churfürst  diese  Vorschläge  in  der- 
selben Weise  billigte,  wie  er  dem  Plane,  Melanchthon  nach 
Wittenberg  zu  ziehen,  seine  Zustimmung  gab;  jedenfalls  ist 
seine  Antwort  nicht  erhalten.  Aber  nachdem  Melanchthon 
seine  Stelle  angetreten  hatte,  suchte  man  ihm  einen  Collegen 
für  das  Hebräische  zu  geben 3).    Denn  um  Lehrer  der  Jugend 


!)  Von  ihm  sagt  Erasmus,  der  überhaupt  von  seiner  wissenschaftlichen 
Tüchtigkeit  und  seinen  sonstigen  trefflichen  Eigenschaften  entzückt  ist:  Is 
demnin  vere  mihi  videtur  Israelitam  agere,  suoque  cognoniini  pulchre 
respondere,  cujus  omnis  voluptas,  omnis  cura  omne  otium  ac  negotium  in 
divinis  literis.  Erasmus  Ricardo  Bartolino  10.  März  1516.  Opp.  III  col.  190 
Epist.  CCX. 

2)  Reuchlin  an  den  Churfürsten  Friedrich  von  Sachsen  7.  Mai  1518. 
in  Corpus  Eeformatorum  ed.     Bretschneider  vol.  I,  nro.  14,  coli.  27—31. 

3)  Hütten  schreibt  in  demselben  Jahre  au  einen  Freund  von  dieser  ihm 
bekannt  gewordenen  Absicht.     Vergl.  Bücking,  Hutteni  opera  vol.  I,  p.  187, 


.'_  Die  Universitäten. 

im  Hebräischen  zu  werden,  dazu  waren  weder  die  Kenntnisse 
Luther's  noch  die  Melanchthon's  hinreichend.  Der  Letztere 
namentlich  beschäftigte  sich  zwar  viel  mit  Hebräisch,  er  Hess 
gleich  in  der  ersten  Zeit  seines  Wittenberger  Aufenthaltes 
hebräische  Bibeln  von  Leipzig  herbeischaffen,  damals  ein  seltener 
Schatz,  wegen  dessen  Erlangung  er  sich  beglückwünschen 
konnte  3),  er  war  weniger  in  seiner  schriftstellerischen  Thätig- 
keit  als  in  seinen  Vorlesungen  bei  Erklärung  biblischer 
Bücher  bemüht,  die  Nothwendigkeit  des  Zurückgehens  auf  den 
hebräischen  Text  hervorzuheben,  er  war  ein  grosser  Verehrer 
der  hebräischen  Sprache  und  billigte,  da  er  sich  nichts  heil- 
sameres, wahreres,  feineres  und  höheres  denken  konnte  als 
diese  Studien,  die  Ansicht  derer  keineswegs,  die  dieselben 
für  thöricht  und  roh  erklärten 2).  Die  Pflege  des  Hebräischen 
in  Wittenberg  schien  ihm  ein  hoher  Ruhm  der  Universität-, 
er  datirt  eine  Vorrede  3)  aus  der  Wittenberger  Akademie,  „wo 
durch  die  Gnade  des  Aveisesten  Mäcenas  aller  Gelehrten,  des 


i)  An  Spalatin  (Sept.)  1518  und  an  Christoph  Scheurl  24.  Sept.  1518. 
Corp.  Ref.  vol.  I,  coli.  43,  48. 

2)  An  Johann  Hess  17.  April  1520,  Corp.  Ref.  I,  vol.  158.  Hier  ist 
auch  eine  Rede  anzuführen,  die  er  über  Nothwendigkeit  und  Nutzen  des 
hebräischen  Sprachstudiums  schrieb,  Corp.  Ref.  vol.  XI,  col.  867 — 877,  De 
studio  linguae  Ebreae  (1549),  die  aber  ziemlich  unbedeutend  ist.  Er  freue 
sich,  nicht  vor  Ungebildeten  zu  reden;  aber  selbst  bei  Gebildeten  gelte  die 
hebräische  Sprache  für  barbarisch.  Diese  ziehen  lateinisch  und  griechisch 
bei  weitem  vor.  Freilich,  wenn  man  Eleganz  der  Sprache,  angenehme  Er- 
zählung verlange,  dann  sei  es  besser,  sich  im  Herodot  zu  vertiefen,  quam 
legere  Thalmudicos  libellos,  in  quibus  et  tempora  mundi  manifeste  errore 
mutilata  sunt  et  tantum  est  insulsitatis,  ut  Alexandrum  somnient  gessisse 
bellum  cum  Dario  filio  Hystaspis  qui  successit  Cambysi;  sei  es  nützlicher, 
von  der  Weisheit  des  Thcmistokles,  von  der  Gerechtigkeit  des  Aristides  sich 
unterhalten  zu  lassen,  quam  legere  fanaticos  furores  ben  Cosban.  Das  sei 
allerdings  wahr:  Literatur  und  Philosophie  hätten  in  den  griechischen  and 
lateinischen  Schriftstellern  ihre  ausgezeichnetsten  Vertreter  gefunden,  sed 
in  ecclesia  Dei  carere  li-ngua  Ebrea  non  possumus.  Da  genügten 
auch  Uebersetzungen  nicht,  obwol  manche,  wie  Luther's  Bibelübersetzung, 
unendlichen  Werth  hätten:  man  miisste  an  den  Text  selbst  herangehn,  der, 
oft  schwierig  und  dunkel,  eignes  Nachdenken  und  eifrige  Wahrheitsliebe  ver- 
lange. Trotz  seiner  Schwierigkeit  nehme  aber  doch  das  Studium  der  hebräi- 
schen Sprache  nicht  so  in  Anspruch,  dass  nicht  auch  Zeit  für  die  Beschäfti- 
gung mit  andern  Wissenschaften  übrig  bleibe. 

s)  Zu  der  von  Luther  herausgegebenen  Erklärung    von  Pauli   epistola 
ad  Galatas. 


Die  Universitäten.  9){ 

cliurfürsten  Friedrich,  die  rechten  Studien  in  den  3  Sprachen 
Lateinisch,  Griechisch  und  Hebräisch  umsonst  gelehrt  wer- 
den"1) 5  er  entschloss  sich  sogar  einmal,  als  ein  Lehrer  für 
diese  Sprache  fehlte-),  kurze  Zeit  auch  dieses  Amt  zu  ver- 
walten, aber  er  fühlte  doch  selbst  am  besten,  dass  ihm  zur 
vollen  Uebernahme  dieser  Thätigkeit  die  Fähigkeit  fehlte. 

Man  suchte  also  einen  Professor  für  das  Hebräische.  Es 
ist  vou  vornherein  klar,  dass  die  Stellung  eines  solchen,  in- 
mitten eines  vorzugsweise  theologischen  Lehrkörpers ,  neben 
Männern,  wie  Luther  und  Melanchthon,  die  nicht  nur  durch 
den  Grad  ihrer  Kenntnisse,  sondern  durch  den  eigen- 
thümlich  hervorragenden  Platz,  den  ihnen  die  Bewunde- 
rung ihrer  Berufsgenossen  zuerkannt  hatte,  eine  Art  Ober- 
aufsicht über  Alles  ausübten,  was  unter  ihren  Augen  vor- 
ging; es  ist  klar,  dass  die  Stellung  eines  Lehrers  der  Sprache, 
deren  richtiges  Verständniss  die  Grundlage  ihrer  ganzen 
Theologie  bildete,  eine  schwierige  war,  und  dass  ein  selb- 
ständiger Geist,  der  sich  in  seiner  Lehrmethode  und  in  seinen 
Ansichten  nicht  beschränken  lassen  wollte,  hier  schwer,  wenn 
nicht  gar  unmöglich,  eine  Wirksamkeit  auszuüben  im  Stande 
war.  Hierin  mag  wol  der  Grund  liegen,  dass  es  ziemlich 
lange  dauerte,  bis  man  den  rechten  Mann  gefunden  hatte, 
dass  eine  Anzahl  Versuche  fruchtlos  blieben,  und  dass,  wenig- 
stens in  den  ersten  Jahrzehnten,  keiner  in  Wittenberg  dauernd 
die  hebräische  Sprache  gelehrt  hat,  der  unter  den  Kennern  der- 
selben einen  bedeutenden  Rang  einnimmt.  Diese  Behauptungen 
können  freilich  nur  Vermuthungeu  bleiben,  die  zerstreuten 
Quellen,  die  wir  zu  Rathe  ziehen  können,  erlauben  uns  keine 
sicheren  Schlüsse. 

Von  Johannes  Böschenstein,  der  als  erster  die  Stelle  ein- 
nahm, ist  schon  in  anderm  Zusammenhang  gesprochen;  nach 
ihm  ist  von  einem  Bartholomäus  Caesar  die  Rede. 
Luther,  der  jeden  neuen  Ankömmling  mit  grossen  Lobsprüchen 
empfing,  um  dieselben  freilich  oft  bald  genug  mit  bittereu 
Schmähungen    zu    vertauschen,    sagt  von    ihm  —  es   ist    die 


»)  1519  C.  R.  I,  col.  125. 

2)  21.  Mai  1519  a.a.O.  col,  81:  Interim  ego  psalterium  praelego,  dum 
doctior  aliquis  conducitur. 


94  ">''  Universitäten. 

einzige  Stelle,  in  der  er  von  ihm  spricht,  iu  den  Briefen  Me- 
lanchthon's  findet  sieb  gar  keine  Erwähnung  des  Mannes  — : 
er  habe  eine  lateinische  Rede  von  ihm  gehört,  untermischt 
mit  Hebräischem,  die  habe  ihm  sehr  gefallen;  es  scheine  ihm, 
wenn  man  diesen  gewinnen  könne,  werde  sich  der  Weggang 
Böschenstein's  ertragen  lassen.  Gott,  auf  die  Pllege  unserer 
Studien  bedacht,  hat  auch  ohne  uns  gesorgt  ]).  Einige  inter- 
essante Details  geben  einige  Briefe  des  Andreas  Carlstadt. 
Danach  verdankt  Caesar  die  Aufmerksamkeit,  die  man  ihm 
zuwandte,  der  Empfehlung  des  Böschenstein.  Dieser  habe 
seine  allgemeine  Gelehrsamkeit,  seine  specielle  gründliche 
Kenntniss  der  hebräischen  Sprache  hervorgehoben,  zu  deren 
Erlernung  er  viele  Jahre  hindureb  grossen  Fleiss  angewendet 
und  namentlich  Beuchlin's  Unterricht  sich  zu  Nutzen  gemacht 
habe.  Plötzlich  aber  habe  Böschenstein  sein  Urtheil  über  ihn  ge- 
ändert, seinen  eignen  Eutschluss,  von  Wittenberg  fortzugehen, 
habe  er  aufgegeben,  ihm  sei  an  Gelehrsamkeit  doch  Keiner  in 
Deutschland  zu  vergleichen;  was  aber  Caesar  anbetreffe,  so 
stehe  er  in  seiner  Kenntniss  dem  Melanchthon  um  Vieles  nach. 
Auch  andere  Schmähungen  habe  er  auf  Caesar  gehäuft,  den  er 
früher  mit  Lobsprüchen  überschüttet  habe;  vielleicht  sei  auch 
das  Gerücht,  die  Leipziger  wollten  Caesar  für  sich  gewinnen, 
nur  von  ihm  erfunden,  um  sich  des  unbequemen  Gegners  zu 
entledigen.  Die  Wittenberger  Studenten  seien  aber  sehr 
begierig,  ihn  als  Lehrer  zu  erhalten;  Spalatin  möge  Alles 
thun,  um  diese  Wünsche  zu  befriedigen.  Sie  gingen  frei- 
lich nicht  in  Erfüllung:  Carlstadt  schreibt,  Caesar  wolle 
nicht  kommen,  und  kann  sich  die  Sinnesänderung  nicht  er- 
klären 2). 

Nach  Caesar  war  es  Johann  Cellarius  Gnostopoli- 
tanus,  den  man  nach  Wittenberg  ziehen  wollte.  Er  war  in 
Heidelberg  früher  gewesen  und  wollte  jetzt   in   Leipzig   die 


!)  Luther  an  Spalatin  11.  Januar  1519  bei  de  Wette:  Luther's  Briefe, 
Sendschreiben  und  Bedenken I,  S.  ül<>.  Ueber Böschenstein  lautet  die  Stelle: 
ideoque  nobis  visum  est,  quando  ille  veteranus  oranino  maturat  recessum, 
hoc  assnmto  in  vicem  illius,  recessus  eius  feratur. 

2)  Die  Briefe,  für  die  der  im  Text  gegebene  Auszug  genügen  mag, 
finden  sich  in  J.  Gr.  Olearius:  Scrinium  antiquarium.  Arnstadt  1682,  p.  12  sq., 
45,  p.  5'J— 5(j;  sec.  ler.  post  epiphan,  Reminiscere  und  Die  Felicia  1519. 


Die    I    IIIMT-lt.ltrh.  !'.> 

hebräische   Sprache   lehren;    Luther  und  Melanchthoo    zeigen 

sieh  gleich  eifrig  ihn  zu  gewinnen J).  Aber  wenige  Wochen 
darauf  schreibt  Melanchthou:  Der  Hebräer,  den  sie  hätten, 
wolle  nicht  lehren,  abgeschreckt  durch  die  Schwierigkeit  des 
Psalters,  den  er  nun  schon  binnen  Jahresfrist  erklärt  habe  2). 
Das  scheint  sich  auf  Cellarius  zu  beziehen.  Möglicherweise 
war  das  nicht  der  wirkliche  Grund,  bekanntlieh  stand  Cel- 
larius bei  der  Leipziger  Disputation  auf  Eck's  Seite 3)  und  es 
wird  Niemand  den  Wittenbergern  verargen  können,  dass  sie 
sich  hüteten,  einem  erklärten  Feinde  Eingang  bei  sich  zu  ver- 
schaffen. Noch  unglücklicher  war  der  Versuch,  den  man  mit 
Matthäus  Adrianus  machte,  der,  wie  oben  genauer  erzählt 
ist,  nach  sehr  kurzer  Thätigkeit  in  vollem  Unfrieden  aus  Witten- 
berg schied. 

Erst  1521  wurde  ihm  ein  Nachfolger  gegeben.  Matthäus 
Aurogallus,  ein  Böhme,  hatte  einige  Jahre  in  Wittenberg 
studirt,  er  war  Melanchthon  und  Luther  bekannt  geworden, 
beiden  erschien  er  zur  Besetzung  der  vakanten  Professur  ge- 
eignet, vielleicht  ebensosehr,  weil  man  ihn  als  einen  getreuen 
Anhänger  kannte,  als  seiner  Befähigung  wegen4).  Melanch- 
thon berichtet,  dass  er  ihn  aus  dem  Stegreif  Vieles  aus  dem 
Hebräischen  habe  übersetzen  und  erklären  sehen5).  Luther 
bediente  sich  seiner  Unterstützung  bei  der  Bibelübersetzung ,!). 
Von  seinen  Schülern  und  von  seiner  Lehrthätigkeit   in  dieser 


!)  Melanchthon  an  Spalatin  "21.  Mai  1519,  Corpus  Reformatorum  I, 
col.  81;  Luther  an  Spalatin  22.  Mai  1519  bei  de  Wette:  Luther's  Briefe  etc. 
I,  S.  278.    Ueber  Cellarius  vgl.  unten:  Leipzig. 

2)  G.  Spalatino  29.  Juli  1519  Corp.  Ref.  I,  col.  104  fg. 

3)  Darum  bezweifelt  Förstemann,  der  Verfasser  der  Anmerkungen  in  den 
ersten  Bänden  des  Corp.  Ref.,  dass  diese  Stelle  sich  auf  Cellarius  beziehe. 

4)  Luther  an  Spalatin  19.  März  1521,  de  Wette  I,  S.  574;  Melanchthon 
an  denselben  21.  März  1521  Corp.  Ref.  I,  col.  3G2  sq. 

5)  Mel.  a.  a.  0. :  Ipse  vidi  ex  tempore  multa  enarrantem  ac  reddentera 
de  Hebraeis.  Eine  andere  kurze  Bemerkung  desselben  an  denselben  14.  Juni 
1521:  Inprimis  Aurogallum  praeficiendum  hebraeis  scholis.  Corp.  Ref.  I, 
col.  397. 

6)  Melanchthon  sagt  in  der  Vita  Crucigeri  (Declamationes,  alte  Auf- 
gabe, Tom.  III,  p.  305) :  Etsi  Lutherus  Ebream  linguam  probe  callebat,  tarnen 
quia  collationem  iudiciorum  sciebat  non  aspernandam  esse,  adhibuit  viros  in 
ea  lingua  praeclare  eruditos  Aurogallum,  Crucigerum  et  Forsterum.  Hos  et 
iudices  in  obscuris  locis  et  suae  fidei  et  diligentiae  testes  haberi  voluit. 


96  Die  Universitäten. 

Sprache,  die  er  bis  zu  seinem  Tode  10.  November  1543 x) 
fortsetzte,  ist  sonst  nichts  bekannt.  Die  hebräische  Gramma- 
tik2), die  er  geschrieben  hat,  erfüllt  den  Zweck  eines  Leit- 
fadens vollkommen.  Nach  den  Regeln  für  das  Lesen  der 
Buchstaben ,  Silben  und  Wörter  folgen  Beispiele  für  die  Ac- 
cente,  Tabellen  für  die  Zahlen,  Pronomina,  Substantiva,  danach 
die  Conjugation  und  die  Regeln  für  die  übrigen  Redetheile: 
Advcrbia,  Conjugationen,  Interjektionen.  Der  hebräischen 
Grammatik  folgt  ein  ungemein  dürftiger  Abriss  der  Eigeuthiim- 
lichkeiten  des  Chaldäischen,  dann  eine  ziemliche  Anzahl  von 
einer  nicht  nach  alphabetischer  Reihenfolge  und  überhaupt 
ohne  jedes  System  zusammengestellten  Anzahl  von  Abbre- 
viaturen, den  Schluss  macht  das  „Lied  Moses"  in  hebräischer 
Sprache.  Wie  gesagt,  die  Grammatik  ist  ein  guter  Leitfaden 
und  sie  ist  schon  früh  wegen  ihrer  Bequemlichkeit  und  Nütz- 
lichkeit für  die  Studirenden  gerühmt  worden3). 

Nach  Aurogallus'  Tode  wurde  die  Professur  dem  Lukas 
Edenberge r  übertragen;  ein  Stück  des  Briefes,  in  dem 
Luther  denselben  dem  Churfürsten  Johann  Friedrich  empliehlt, 
ist  interessant  genug,  um  erkennen  zu  lassen,  was  Luther  bei 
seinen  Candidaten  hauptsächlich  suchte:  ,,E.  K.  F.  G.  wolle 
die  hebräische  Lektion  dem  M.  Lukas  Edenberger  leihen  und 
befehlen,  nicht  allein  desshalb,  dass  er  sich  zu  dieser  Zeit 
schwerlich  behilft,  .  .  sondern  dass  er  E.  K.  F.  G.  und  uns  Allen 
wol  bekannt,  dass  er  treu  und  fleissig,  auch  ernstlich  ist  über 
der  reinen  Lehre,  welclis  alls  vonnothen  ist  dem,  der  hebräisch 
lesen    soll.     Denn  viel   Ebraisten   sind,    die   mehr    rabinisch, 


!)  Vgl.  Scriptor.  publ.  propos.  ;i  Professorib.  in  Academia  Witeberg 
(1559).   T.  I,  p.  72  und  Bisniark  an  der  Anmerk.  '.\  anzuführender!  Stelle. 

*)  Ich  kenne  nur  eine  spätere  Auflage:  Grammatica  hebraeae  chaldae- 
aeque  linguae  a  Mattlieo  Aurogallo  in  lueem  aedita,  pluribusque  in  Iuris  ab 
autore  emendata  et  aueta.  Basileae  apud  Henricum  Petrum.  Anno  AIDXXXIX. 
A...L.  ä  8B11.  in  16°  (169S.).  Von  S.  142—159:  De  chaldaeae  et  hebraeae 
linguae.  Die  Abkürzungen  unter  dem  Titel:  Abbreviationes  quibus  Judaei  in 
commentariis  super  veteris  instrumenti  Bibliis  passim  iisi  sunt. 

3)  Nach  der  kurzen  Lebensbeschreibung  des  Aurogallus  in  Bisniark : 
Vita  et  Res  Gestae  praeeipuorum  Theologorum  Liber  primus  Continens  vitam 
et  res  gestas  Theol.  Viteb.  Halae  Saxonum  Kill  Bl.  1  I  and  -:  <irain- 
maticam  hebraicam  quoque  edidit,  quam  alieubi  D.  Selneccerus  ob  facilitatem 
et  utilitatem  studiosis  sanetae  Linguae  commendat. 


Die  Universitäten.  97 

denn  christlich  sind,  und  doch  die  Wahrheit  ist,  wer  nicht 
Christum  sucht  und  sieht  in  der  Bibel  und  ehrüischer  Sprache, 
der  siebet  nichts  und  redet  wie  der  Blinde  von  der  Farbe"  '). 

Von  Edenberg's  wissenschaftlichen  Leistungen  und  seiner 
Lehrthätigkeit  ist  Nichts  bekannt-).  Auch  war  sein  Aufenthalt 
in  Wittenberg  nur  kurz,  ebenso  wie  der  seines  Nachfolgers, 
des  durch  seine  spätere  theologische  Thätigkeit  so  bekannt 
gewordenen  Matthias  Flacius  Illyrikus.  Er  war  nach 
Wittenberg  gekommen  hauptsächlich  zum  Studium  des  Griechi- 
schen und  Hebräischen.  Melanchthon  erkannte  die  grossen 
Fähigkeiten  des  jungen,  kaum  24jährigen  Mannes,  man  machte 
ihn  zum  Professor  der  hebräischen  Sprache;  nur  viermal 
wöchentlich  sollte  er  lesen,  man  setzte  ihm  dafür  einen  Gehalt 
von  100  Goldgulden  aus.  Er  erklärte  die  Schriften  des  alten 
Testaments  mit  vieler  Anerkennung;  aber  nicht  lange  hielt 
es  ihn,  1547  nach  der  Capitulation  Wittenbergs  wanderte  er 
mit  den  übrigen  Professoren  aus,  aber  diese  kehrten  ohne 
ihn  zurück3). 

Ihm  folgte  Johann  Forster,  nach  Böschenstein  wol 
der  beste  Schüler  Reuchlin's.  Er  hatte  seinen  Lehrer  eine 
kurze  Zeit,  wie  es  scheint,  in  Ingolstadt  vertreten  (1521), 
dann  hatte  er  hauptsächlich  auf  dem  theologischen  Kampf- 
platz sich  geübt  und,  nach  einem  Zeugniss  Melanchthons 4), 
seiner  Neigung  nicht  ausschliesslich  der  Beschäftigung  mit  der 
hebräischen  Sprache  zugewendet.  Desselben  Empfehlung 5) 
hatte  er  es  zu  danken,  dass  er  1537  eine  Anstellung  als  Pro- 

*)  Luther  an  den  Churfürsten  Johann  Friedrich,  bei  de  Wette  V,  S.  606, 
3.  December  1543. 

2)  Nur  findet  sich  schon  aus  dem  Jahre  1548  von  Edenberger  eine  — 
übrigens  unbedeutende  —  (Praelectio)  in  Ebraeam  Grammaticam  in:  Scripta 
publ.  propos.  in  Acad.  Witteb.  (1560)  Tom  I,  D  3  sq. 

3)  Ueber  Flacius  s.  die  Nachträge. 

4)  Er  schreibt  an  Camerarius:  Forstemium  (Forsteruni)  iudico  esse 
modesto  ingenio  praeditum,  et  in  sacris  literis  mediocriter  versatum,  neque, 
ut  multi  dTtstpoxaXot,  qui  se  Hebraicis  literis  dedidere,  nimium  delectari  suo 
studio.  Angeführt  bei  Strobel:  Vermischte  Beiträge  zur  Geschichte  und  Lite- 
ratur. Nürnberg  1775,  in  den  ausführlichen  Mittheilungen  über  Forster, 
S.  129—160. 

5)  Ebenso  wie  der  Luther's,  vergl.  Schnurrer:  Nachrichten  von  den 
Lehrern  der  hebr.  Literatur  in  Tübingen,  der  auch  erzählt,  dass  Forsters 
Gehalt  200  fl.  betrug.     Verschiedenes  über  Forster  s.  in  den  Nachträgen. 

Geiger,  Studium.  7 


98  Die  Universitäten. 

fessor  der  hebräischen  Sprache  und  Theologie  in  Tübingen 
erhi-elt;  von  hier  seiner  lutheranischen  Gesinnungen  wegen 
den  Reforinirten  verdächtig  geworden  und  entlassen,  war  er 
9  Jahre  in  durchaus  praktisch- theologischen  Aemtern  thätig. 
Erst  1549  kam  er  nach  Wittenberg,  zuerst  ohne  Amt;  man 
wusste  noch  nicht,  ob  Flacius  Illyrikus  zurückkehren  werde, 
der  Wittenberg  verlassen  hatte,  um,  wie  er  sagte,  nicht  einer 
Veränderung  des  Gottesdienstes  beizuwohnen.  Als  Gehalt 
wurden  Forster  300  Goldgulden  versprochen,  eine  für  jene 
Zeit  recht  respektable  Summe J).  Von  seinen  Schülern  ist 
hauptsächlich  Lälius  Soccinus  zu  nennen2),  der  sich  freilich 
weniger  durch  seine  Kenntniss  des  Hebräischen,  als  durch 
seine  theologische  Wirksamkeit  bekannt  gemacht  hat.  Forster 
starb  nach  einer  7jährigen  glücklichen  Lehrthätigkeit  im  Jahre 
15563).  Das  Werk,  das  seineu  Namen  hauptsächlich  bekannt 
gemacht  hat,  ist  sein  hebräisches  Lexikon4).  Es  ist  nöthig, 
dass  wir  bei  demselben  verweilen,  und  dass,  ehe  wir  seinen 
Inhalt  zergliedern,  wir  Forster's  Ansichten,  die  er  bei  Ab- 
fassung des  Werkes  zu  Grunde  legte,  ein  wenig  nachgehn. 
In  einem  Worte  kann  man  es  ausdrücken:  in  ihm  prägte  sich 
mit  am  schärfsten  und  schroffsten  die  Gesinnung  aus,  die 
Luther  über  die  hebräische  Sprache  und  ihre  Behandlung  ge- 
hegt und  seinen  Schülern  eingeflösst  hatte.  „Die  Kenntniss 
der  hebräischen  Sprache",  beginnt  er,  „ist  der  Kirche  nöthig 


*)  Die  letzten  Angaben  aus  einem  Briefe  Melanchthon's  an  den  Fürsten 
Georg  von  Anhalt  29.  März  1549,  Corpus  Reformatoruni  vol.  VII,  p.  356. 

2)  a.  a.  0.,  i>.  632. 

3)  Camerarius  vita  Melanchtlionis,  ed.  Strobel,  p.  320,  der  bei  dieser  Ge- 
legenheit über  ihn  sagt:  Joannes  Forsterns,  hebraicafum  literarum  inprirois  peri- 
tus,  qui  varia  et  duriore  aliquando  fortuna  conflictatus  tandem  Wittenbergae 
consederat,  doctrina  sua  Academicam  illaro  communitatem  augens  atque  ornans. 

*)  Der  typographisch  genaue  Titel  dieses  wichtigen  Werkes  lautet: 
DICTIONARIVM  j  HEBRAICVM  NOVVM ,  NON  EX  RA  |  BINORVM 
COMMENTIS  NEC  EX  NOSTRATIVM  DOCTORVM  I  stulta  imitatione 
descriptum,  sed  ex  ipsis  thesauris  sacrorum  Bibliorum  |  et  eorundem  accurata 
locorum  collatione  depromptum,  cum  phrasibus  j  scripturae  Veteris  et  Novi 
Testamenti  diligenter  annotatis.  || 

Autore  Joanne  Forstero  Augustano,  sacrae  Theologiae  Doctore,  ac, 
Hebraicae  linguae  professore  in  Academia 
Vuitebergensi. 
Froben's  Buchdruckerzeichen    BASILEAE    MDLV11. 


Die  Universitäten.  99 

und  sorgfältig-  aus  den  Quellen  geschöpfte  Wörterbücher  sind 
die  Schatzkammern,  in  denen  die  Sprache  aufgewahrt  wird." 
Aber  was  sind  die  Quellen?  Sind  es  die  Rabbinen?  Hören 
wir  Forster's  Antwort:  „Viele  Jahre  nach  dem  Wieder- 
erwachen des  Evangeliums  habe  ich  gesehen,  dass  ebenso 
wie  in  den  Synagogen  und  Schulen  der  Juden,  so  bei  den 
Christen  beim  Uebersetzen  und  Erklären  der  h.  Schrift  die 
rabbinischen  Commentare  gleichsam  wie  heilige  Mysterien 
Gottes  von  allen  mit  grösster  Dehmuth  und  Verehrung  ange- 
betet werden.  Daher  konnten  wir  den  wahren  Sinn  der  hei- 
ligen Schrift  nicht  erlangen."  Dieser  traurige  Zustand  der 
Dinge  habe  ihn  zur  Abfassung  seines  Lexikons  veranlasst. 
Es  seien  bisher  schon  von  Christen  Werke  geschrieben  wor- 
den, aber  sie  haben  keinen  Werth ;  bei  ihnen  sei  Christi  Wort 
eingetroffen:  „Wenn  ein  Blinder  einen  Blinden  führt,  so 
straucheln  sie  beide."  „Und  blind  sind  die  Führer  wirklich; 
sie  haben  kein  Licht,  keine  Kenntniss  von  Gott,  keinen  Geist, 
keine  wirkliche  und  gründliche  Bekanntschaft  mit  irgend 
einer  Wissenschaft  oder  Kunst,  kein  Verständniss  der  Sprachen, 
nicht  einmal  der  hebräischen"  l).  Aber  eine  solche  Finsterniss 
dürfe  nicht  fortdauern,  die  christliche  Religion  habe  nöthig, 
dass  sie  zerstreut  werde.  „Sie  muss  der  Sprache  eine  be- 
sondere Pflege  angedeihen  lassen,  die  die  erste  und  älteste 
ist,  in  welcher  die  Gottheit,  Vater,  Sohn  und  heiliger 
Geist,  diesen  wunderbaren  Schauplatz  der  Welt  und  alle  Ge- 
schöpfe in  ihr  geschaffen  hat,  in  der  die  ganze  Dreieinigkeit 
gleichsam  im  Bilde  sich  dargestellt  hat. . .  Durch  diese  Sprache 
war  der  Sohn  Gottes  allein  wirksam,  mit  ihr  schenkte  er  den 
Elendgestorbenen  neues  Leben.  In  ihr  nannte  Adam  alle 
Thiere,  alle  Vögel  und  Fische  mit  Namen,  als  sicherstes 
Zeichen,  dass  sie  die  passendste  und  geeignetste  ist,  um  die 
Natur  der  Dinge  auszudrücken.  —  Bis  zum  babylonischen 
Thurmbau  gab  es  keine  andere  Sprache,  als  diese ;  nach  die- 


*)  Darauf  folgen  mehr  positive  Anklagen :  Dicat  mihi  universa  ipsorum 
Synagoga,  comportatis  omnihus  suis  libris,  quid  proprie  hoc  nomen  rnp'' 
significet  et  quae  sit  ipsius  etymologia,  similiter  ]TW*.  ipN,  *pö.  pK.  Dann 
giebt  er  68  Regeln  zum  leichteren  Verständniss  der  hebräischen  Sprache, 
über  die  Buchstaben  und  ihre  Bedeutung,  über  die  Deklination  und  den  Ge- 
brauch der  Substantiva,  über  Conjugation  und  Verba. 

7* 


100  ßi*  Universitäten, 

sein  Ereigniss  folgte,  hervorgerufen  durch  den  schrecklichen 
Zorn  Gottes,  zum  unglaublichen  Schaden  der  Kirche,  Ver- 
schiedenheit und  Verwirrung  der  Sprachen,  in  der  dennoch 
Gott  diese  Sprache  rein  und  unverderbt  in  dein  heiligen  Heber 
und  seiner  Familie  erhalten  hat  bis  Lot,  von  Lot  bis  Abraham 
und  seiner  Nachkommenschaft,  um  ihm  in  dieser  Sprache 
jene  Verheissung  zu  verkünden  über  seinen  gesegneten  Sa- 
men, welcher  ist  unser  Herr  Jesus  Christus". 

Man  sieht,  es  ist  nicht  leicht  möglich  in  überschwäng- 
licheren  Ausdrücken  sich  zu  ergehen.  Neben  der  Heiligkeit 
der  Sprache  wird  aber  auch  ihr  Nutzen  hervorgehoben,  einmal 
gegen  die  Juden,  „um  die  von  den  Rabbinen  hervorgebrachten 
Verschlechterungen  zu  erkennen,  die  den  Worten  innewohnende 
Bedeutung,  ihren  wahren  Sinn  zu  zeigen  und  gegen  die  Spötte- 
reien Jener  zu  vertheidigen",  dann  auch  gegen  die  alten  Ueber- 
setzungen,  um  beurtheilen  zu  können,  wie  gotteslästerlich  und 
abergläubisch  es  ist,  was  sie  über  Christi  Verdienst  enthalten. 
Auf  die  Rabbinen  kommt  er  immer  wieder  zurück.  Wenn  er 
in  schönen  Worten  zeigt,  dass  nur  die  hebräische  Sprache 
allein  den  wahren  Gott  lehre  und  die  wahre  Gottesverehrung, 
dass  sie  allein  Furcht  und  Treue,  Gehorsam  und  Geduld,  Be- 
scheidenheit und  Ergebung  vorschreibe,  dann  fehlt  der  Nach- 
satz nicht:  aber  hüte  Dich  vor  den  Lehrsätzen  der  Rabbineu, 
die  voll  von  Schmutz  und  Schändlichkeit  sind;  wenn  er  in 
einem  Gebete  Gott  bittet,  die  Liebe  zur  hebräischen  Sprache 
immer  stärker  werden  zu  lassen,  dann  vergisst  er  nicht  zu 
bemerken:  um  sie  von  den  Irrthümern  der  Juden  zu  reinigen. 

Aber  er  bemüht  sich  sehr  die  Meinung  nicht  aufkommen 
zu  lassen,  als  kenne  er,  der  das  Studium  der  jüdischen  Er- 
klärer sehr  abrathe,  dieselben  selbst  nicht.  „Wenn  es  einen 
gibt,  der  seine  Fähigkeiten  an  den  Rabbinen  verschwendet, 
der  sie  in  seinem  Hause  auf  eigene  Kosten  als  Lehrer  unter- 
halten ,  der  sich  oft  und  lange  in  ihren  Synagogen  herum- 
getrieben und  ihre  Commentare  fleissig  gelesen  hat,  dann  ist 
es  Forster,  und  dennoch  habe  ich  nichts  Ausgezeichnetes, 
nicht  was  besonderen  Lobes  werth  wäre,  davongetragen." 

Sein  Lexikon,  recht  eigentlich  eine  Frucht  dieser  Rab- 
binenverachtung,  ist  daher  entsetzlich  einseitig.  All  das  Gute, 
was   er  aus  jüdischen   Comnieutatoreu,    Grammatiken   ziehen 


Die  Universitäten,  ]()  1 

konnte,  bat  er  bei  Seite  geworfen,  man  kann  sagen,  er  kennt 
nur  die  Bibel  und  Beine  eigene  hermeneutische  Fertigkeit,  die 
alten  Schriftsteller,  soweit  sie  in  Sacherklärung  in  Betracht  zu 
ziehen  waren,  und  die  Kirchenväter,  obwol  er  sich  auch  ent- 
schieden dagegen  verwahrt  (schon  im  Titel  des  Lexikons), 
in  kindischer  Nachahmung  ibneu  zu  folgen.  Von  seinem 
Lehrer  Reuchlin  bat  er  viel  gelernt,  namentlich  in  der  äusseren 
Eintheilung,  obwol  ja  der  Weg,  den  er  folgte,  ganz  versebic- 
den  ist  von  dem,  den  der  Lehrer  eingeschlagen  hatte.  Er 
gedenkt  desselben  mit  vieler  Liebe.  Nachdem  er  ihn  als  sei- 
nen Lehrer  gerühmt  und  erzählt  hat,  dass  er  seinerseits  von 
Wessel  den  ersten  Unterricht  empfangen  hatte,  fährt  er  fort: 
Ich  erwähne  gern  diese  Männer,  damit  die  Nachwelt  diese 
Wohlthat  Gottes  im  Auge  behalte,  dass  jene,  schon  so  früh 
wie  von  göttlicher  Eingebung  getrieben,  sich  der  Verbreitung 
dieser  Sprache  hingegeben  haben. 

Man  hat  das  Lexikon  wegen  seiner  durchgängigen  Rück- 
sichtnahme auf  die  Bibel  eine  gute  Bibeleinleitung  genannt; 
vielleicht  dürfte  der  Ausdruck  Bibelconcordanz  noch  passen- 
der den  Werth  oder  in  jedem  Falle  die  Eigentümlichkeit  des 
Werkes  bezeichnen.  Unter  eine  jede  Stammwurzel  werden 
sämmtliche  Formen  eingereiht,  in  der  "diese  Wurzel  sich 
findet,  die  Conjugation  des  Verbums  und  die  Hauptzeiten  jeder 
einzelnen  Conjugation  und  die  von  dem  Verbum  abgeleiteten 
Nomina.  Die  Stämme,  die  numerirt  sind:  1 — 1758,  sind  natür- 
lich nach  ihren  Anfangsbuchstaben  eingetheilt;  am  Anfange 
einer  jeden  dieser  22  Abtheilungen  steht  ein  Bibelvers,  der  mit 
dem  zu  besprechenden  Buchstaben  beginnt;  am  Ende  derselben 
sind  die  zu  jedem  Buchstaben  gehörigen  Quadrilitera,  soweit 
sie  nicht  unter  den  dreibuchstabigen  Wurzeln  ihren  Platz  ge- 
funden haben,  und  Peregrina  zusammengestellt.  Bei  den  ein- 
zelnen Wörtern  wird  oft  nur  ganz  kurz  die  Bedeutung  ange- 
geben, oft,  wenn  grammatische  Schwierigkeiten  oder  sonstige 
Unregelmässigkeiten  sich  finden,  dieselben  ausführlich  er- 
läutert und  eine  Masse  Beispiele  aus  dem  alten  Testament  zu 
ihrer  Erklärung  angefügt,  deren  Nutzen  freilich  dadurch,  dass 
sie  nur  lateinisch  und  nicht  hebräisch  gegeben  werden,  fast 
illusorisch  gemacht  wird.  Zur  Erklärung  der  Worte  wird  die 
chaldäische   Uebersetzung,    werden   griechische,    lateinische, 


102  Die  Universitäten. 

auch  deutsche  Worte  angefahrt;  zur  Analogie  viele  Stellen 
aus  dem  neuen  Testament;  zur  Sacherklärung,  wie  bereits 
bemerkt,  einige  Classiker,  einige  Kirchenväter,  von  Neueren 
Nikolaus  von  Lyra.  Die  jüdischen  Commentatoren  sind,  wie 
es  sich  von  selbst  versteht,  ausgeschlossen,  nur  R.  Salomo 
findet  sich  einigemal  erwähnt.  So  wenig  Freund  der  Juden 
und  ihrer  Commentatoren  auch  Forster  war,  die  Gerechtigkeit 
rauss  man  ihm  widerfahren  lassen,  dass  er  sein  Lexikon  nicht 
mit  Polemik,  mit  Schimpfreden  gegen  diese  füllte.  Man  sieht 
doch  fast  an  jedem  Schritte,  den  er  thut,  dass  es  ihm  in 
tiefem  Ernst  um  die  Erforschung  der  Wahrheit  zu  thun  ist, 
so  beschränkt  auch  der  Standpunkt  ist,  von  dem  aus  er  die 
Wissenschaft  betrachtet. 

Eine  kurze  Zeit  (1557  fg.)  verwaltete  Paul  Eber  die 
Professur,  der  schon  früher  einmal  zur  Aushülfe  einge- 
treten war1). 

Am  18.  März  1560  hielt  Heinrich  Moller  seine  Antritts- 
rede als  Professor  der  hebräischen  Sprache  in  Wittenberg 2).  Da 
sonst  keine  Leistungen  dieses  Mannes  erwähnt  werden,  er 
auch  (s.  das  Fgde.)  nur  kurze  Zeit  sein  Amt  verwaltet  zu 
haben  scheint 3),  so  mag  es  erlaubt  sein  die  Rede  etwas  näher 
zu  betrachten.  „Durch  eine  besondere  Wohlthat",  beginnt  der 
Verfasser,  „hat  Gott  der  Kirche  immer  Männer  zu  Theil  wer- 
den lassen,  bald  mehr,  bald  weniger,  die  der  hebräischen 
Sprache  kundig  waren."  Die  Kenntniss  derselben  sei  zwar 
durch  die  Schuld  der  faulen  und  unwissendeu  Mönche  des 
Mittelalters  fast  verschwunden,  aber  nie  völlig.  Auf  einer 
Synode4)  sei  bestimmt  worden,  das  Hebräische  solle  auf  den 
Universitäten  gelehrt  werden,  dann  haben  Nikolaus  von  Lyra, 


!)  Vergl.  Nachträge  zu  8.  97,  Anni.  .".. 

2)  Adhortatio  ad  cognoscendam  linguam  hebraeam  n  Mag.'  Henrico 
Mollero  Hamburg.,  hebraico  Professore;  habita  d.  18.  Martii  1560.  zuletzt 
gedruckt  in  Corpus  Reformatorum  (Melanchthonis  Opera),  vol.  XII,  col.  385 
bis  392. 

3)  Ich  finde  ihn  noch  erwähnt  in  dem  Witten iberger  Lektionskatalog 
von  1561  :  M.  Henricus  Moller  enarrabit  textuni  hebraicum  minoruin  pro- 
phetarum  bei  Strobel:  Neue  Beiträge  zur  Literatur  des  16.  Jahrhunderts 
1790  I,  S.  126. 

4)  Dem  Wiener  Concil  1312. 


Die  Universitäten  ]()!> 

Paul  von  Burgos,  Petrus  Galatinus  ')  die  Kenntniss  fortgepflaDzt. 
Dieselbe  sei  für  die  Kirche  so  nothwendig,  „dass  die'  Studiren 
den  der  Theologie  durch  strenge  Befehle  der  Regierung  an- 
gehalten werden  mtissten  sie  sich  anzueignen"2).  Seien  ihnen 
dagegen  die  Quellen  fremd,  so  folgen  daraus  verschiedene 
Nachtheile:  die  heiligen  Schriften  würden  nicht  gelesen  wer- 
den; durch  ihre  Unkenntniss  würden  Zweifel  über  den  Willen 
Gottes  hervorgerufen,  der  in  diesen  Schriften  seinen  Ausdruck 
gefunden;  man  müsste  sich  an  Uebersetzungen  halten,  die, 
wenn  sie  schlecht  und  mit  mangelndem  Verständniss  der 
Phrasen  und  Bilder  abgefasst  seien,  schiefe  und  unrichtige 
Deutungen  enthalten3);  Polemik  könne  nur  dann  richtig  geführt 
werden,  wenn  man  in  das  einzugehen  wisse,  was  in  den 
Quellen  stehe.  Daher  müsse  man  sich  bemühen  ein  Ver- 
ständniss der  Quellen  herbeizuführen.  „Um  diese  Gewissheit 
über  die  Meinungen  der  prophetischen  und  apostolischen 
Schriften  in  den  Gemüthern  hervorzurufen  und  durch  diese 
Gewissheit  ein  eifriges  Lesen  der  Schriften  zu  erzielen,  inuss 
man  diese  Sprache  lernen,  weil  die  Kirche  unmöglich  be- 
stehen kann,  wenn  die  prophetischen  und  apostolischen  Bücher 
verachtet  werden"  4). 

Am  Anfang  der  sechsziger  Jahre  war  Johannes  Dra- 
konites  in  Wittenberg.  Als  Schüler  des  Paul  Fagius  hatte 
er  dessen  trefflichen  Kenntnisse  in  sich  aufzunehmen  ge- 
wusst.  Er  trug  sich  mit  grossen  Planen :  er  wTollte  eine  Biblia 
Pentapla  herausgeben,   die  er  als  Aufgabe  seines  Lebens  be- 


i)  Petrus  Galatinus  oiu  gelehrter  Italiener,  ein  Freund  Reuchlin's. 
Wie  wenig  historisch  die  Auffassung  Moller's  ist,  liegt  auf  der  Hand; 
Galatinus  hätte  sich  seihst  am  wenigsten  einen  directen  Nachfolger  der 
mittelalterlichen  Interpreten  des  A.  T.  genannt,  sondern  willig  als  Schüler 
Reuchlin's  bekannt. 

2)  Guhernatorum  severitate  opus  esset,  ut  cogerent  eos,  cpui  aluntur 
ut  Ecclesiae  doctrinam  discant,  adiungere  ad  id  Studium  linguam  Graecam 
et  Ebream,  col.  386. 

3)  Darauf  folgt  eine  längere  Auseinandersetzung  über  die  Irrthümer 
der  Juden  und  über  die  Missverständnisse  der  Griechen  und  Römer  in  ihren 
Uebersetzungen,  mit  zahlreichen  Beispielen. 

4)  Ut  igitur  et  certae  sint  mentes  de  sententia  propheticorum  et 
apostolicorum  scriptorum,  et  horuni  lectio  propter  certitudinem  magis  appe- 
tatur,  lingua  haec  discenda  est,  quia  ubi  spernuntur  libri  prophetici 
et  apostolici,  ibi  Ecclesiam  esse  impossibile  est.   col.  391. 


104  Di«  üniversil 

trachtete,  an  verschiedenen  Orten  Schritte  that,  um  thätige 
Beihülfe,  namentlich  Geldunterstützung  zu  finden,  von  Zeit  zu 
Zeit  Bruchstücke  jener  Ausgabe  veröffentlichte,  um  das  Inter- 
esse der  gelehrten  Welt  zu  erregen  und  wachzuhalten.  Aber 
nachdem  er  durch  das  bereitwillige  Entgegenkommen  des 
Churfürsteu  August  von  Sachsen  zu  seinem  Ziele  gelangt 
schien,  starb  er  1565  und  das  kaum  begonnene  Werk  hatte 
sein  Ende  erreicht1).  Man  hatte  in  Wittenberg  überhaupt 
keine  Zeit  mehr  zu  wissenschaftlicher  Beschäftigung.  Schor 
nach  Luther's  Tode  hatten  fast  nur  theologische  Streitigkeiten 
die  Gemüther  beschäftigt,  die  Federn  in  Bewegung  gesetzt; 
nachdem  mit  Melanchthon's  Tode  (1560)  der  letzte  Dänin 
einer  zuletzt  freilich  sehr  wankenden  Autorität  gebrochen 
war,  gingen  die  Wissenschaften  in  dem  allgemeinen  Trubel 
theologischen  Zankes  völlig  unter. 


Das  Andenken  Reuchlin's  wird  bei  jedem  Schritte  wach- 
gerufen, den  wir  thun.  Auch  in  Ingolstadt  ist  er  es,  der 
zuerst  als  öffentlicher  Lehrer  im  Hebräischen  unterrichtete. 
Wie  weit  sein  Schüler  Forst  er  ihn  ersetzte,  ist  nicht  bekannt. 
Nach  ihm  scheint  überhaupt  ein  besonderer  Lehrer  für  das 
Hebräische  nicht  angestellt  gewesen  zu  sein.  Unter  den  Auf- 
trägen, die  dem  berühmten  Joh.  Eck  bei  seiner  dritten  Reise 
nach  Rom  mitgegeben  wurden,  fignrirt  auch  der,  er  solle  für 
die  Universität  Ingolstadt  neben  der  Erlaubniss  einige  griechi- 
sche Präceptores  zu  halten  auch  die  erlangen,  einen  Professor 
des  Hebräischen  zu  haben2).  Man  sieht  aber  nicht,  ob  und 
inwieweit  diesem  Auftrage  entsprochen  worden  ist.  Eck  selbst 
war  ein  tüchtiger  Kenner  des  Hebräischen,  aber  es  ist  nicht 
bekannt,  ob  er  auch  specielle  Vorlesungen  über  die  hebräi- 
sche Sprache  gehalten  hat,    die  er  bei  seinen  theologischen 


!)  Der  Churfürst  hatte  den  Superintendenten  Paul  Eber  mit  der  Fort- 
setzung beauftragt,  der  aber  freilieh  nicht  der  geeignete  Mann  dazu  war. 
lieber  Drakonites  vergl.  Strieder:  Hessische  Gelehrtengeschichte  III,  S.  194 
bis  212. 

2)  Wiedemann :  Dr.  Johann  Eck,  Eegensburg  1SC5.  S.  186. 


Die  Universitäten.  105 

wol  berücksichtigen  mochte.  Als  zerstreute  Notiz  findet  sich 
nur,  dass  Wilhelm  Uelin  1536 — 1543  in  Ingolstadt  das  He- 
bräische gelehrt  hat '). 


Wir  begleiten  Rcuchlin  auch  auf  dem  letzten  Schritte 
seiner  Laufbahn2).  Er  war  1521  von  Ingolstadt  nach  Tü- 
bingen gegangen.  Wir  haben  schon  gesehen,  dass  bereits 
an  der  Wende  des  Jahrhunderts  sich  hier  Männer  gefunden 
hatten,  die,  des  Hebräischen  kundig,  gern  bereit  waren  ihre 
Kenntniss  Andern  mitzutheilen  3);  aber  den  Namen  eines 
öffentlichen  Lehrers  verdient  erst  Reuchlin.  Sein  Nachfolger 
war  Robert  Wakfeld.  Er  blieb  zwar  eine  Reihe  von  Jah- 
ren in  Tübingen,  bis  1530,  aber  er  gehört  seiner  Geburt  und 
seiner  Erziehung  nach  England  an  und,  was  er  schriftstelle- 
risch leistete,  kam  auch  mehr  seinem  Heimatslande  —  er 
lehrte  bis  zu  seinem  Tode  1534  in  Oxford  —  zu  Gute4).  Die 
Art  und  Weise,  in  der  man  seinen  Nachfolger  Jakob  Jonas 
behandelte,  zeigt  einen  sehr  traurigen  Verfall  der  Achtung, 
die  man  einem  Lehrer  einer  so  oft  als  heilig  gepriesenen 
Sprache  hätte  entgegenbringen  sollen.  Seine  erste  Anstellung 
vom  1.  Mai  1528  (?)  war  auf  ein  halbes  Jahr  mit  einem  Ge- 
halte von  15  Gulden;  dafür  sollte  er  täglich  eine  Stunde  lesen. 
Dann  trieb  man  die  Munificenz  so  weit,  ihm  für  ein  Jahr 
50  Gulden  zu  bewilligen,  freilich  mit  der  Bedingung,  sich  für 
jede  Stunde,  die  er  versäumte,  1/4  Gulden  abziehen  zu  lassen. 
Er  resignirte  bald  darauf  auf  die  Stelle  (1533),  bat  aber 
doch,  man  möchte  sie  ein  Jahr  lang,  so  lange  wollte  er  fort 
bleiben,  unbesetzt  lassen.  Indess  hielt  er  selbst  es  für  ge- 
rathener  den  unwürdigen  Verhältnissen  zu  entsagen,  und  von 


*)  Sclmurrer:  Nachrichten  von  den  Lehrern  der  hebräischen  Literatur 
in  Tübingen. 

2)  Ich  folge  für  Tübingen  als  Hauptquelle  dein  in  der  vor.  Anni.  und 
auch  früher  vielfach  erwähnten  Buche  von  Schnurrer.  Es  beschreibt  in 
ziemlicher  Ausführlichkeit  das  Leben  aller  Nachfolger  Reuchlin's,  und 
während  es  so  viel  Unniithiges  für  uns  bietet,  enthält  es  auch  Alles,  was 
für  unsern  Zweck  von  Werth  ist. 

3)  s.  oben  S.  19. 

4)  Schnurrer,  S.  67—70. 


jOfo  Die  Universitäten 

dem  König  Ferdinand  sich  mit  einer  hohen  amtlichen  Stellung 
betrauen  zu  lassen.  Dabei  traf  er  in  Wien  wieder  mit  seinem 
früheren  Schüler  Widm  an  Stadt  zusammen,  der  ihm  in  der 
Yusgabe  der  syrischen  Uebersetzung  des  neuen  Testaments 
ein  schönes  Denkmal  gesetzt  hat1).  Von  Wilhelm  Uelin, 
der  ihm  folgte  und  der  später  in  Ingolstadt  seine  Thatig- 
keit  fortsetzte,  ist  gar  nichts  bekannt;  von  seinem  Nach- 
folger Johann  Forster,  den  man  in  anderer  Weise  be- 
handelt als  den  armen  Jonas,  ist  bereits  an  anderm  Orte 
gesprochen.  Nur  für  kurze  Zeit  kann  Tübingen  einen  Mann 
für  sich  in  Anspruch  nehmen,  der  weniger  durch  seine  Lei- 
stungen, als  durch  die  Meister  Sebastian  Münster  und  Elias 
Levita,  denen  er  seine  Kenntnisse  verdankt,  bekannt  ist: 
Erasmus  Oswald  Schreckenfuchs.  Er  war  1549-)  zum 
Professor  der  hebräischen  Sprache  vorgeschlagen  und  ging, 
trotzdem  der  Senat  ihn  zu  ernennen  verweigerte,  doch  hin 
und  ertheilte  einige  Jahre  hindurch  privatim  Unterricht.  In 
Freiburg  lehrte  er  dann  als  Professor  die  Mathematik,  neben- 
bei auch  Hebräisch;  es  scheint,  dass  er,  auch  sonst  seinem 
Lehrer  Münster  folgend,  diese  beiden  Studiengebiete  ver- 
einigte, wenigstens  deuten  Uebersetzungen  zweier  hebräischer 
Werke,  die  Astronomie  und  Mathematik  behandeln,  die 
Sphaera  Mundi  des  R.  Abraham  Hispanus  und  die  Arithmetik 
des  R.  Elija,  darauf  hin.     1556  hatten  in  Tübingen  die  fürst- 


*)  Auch  diese  Worte  —  sie  finden  sich  in  der  Widmung  des  angege- 
benen Buches  an  König  Ferdinand,  Wien  5.  Id.  .Tun.  1555  —  bei  Schnurrer 
(S.  75):  quod  .  .  .Jonas,  quo  tempore  cum  in  Suevorum  gymnasio  utramque 
linguam  (hier  ist  mit  diesem  Ausdruck  hebräisch  und  griechisch  gemeint) 
celebritate  magna  docentem  erudit  ionines  venerabantur,  mihi  iam  tum  adoles- 
centi  stimulos  admoverit. 

2)  Als  2.  Lehrer  der  Schule  in  Memmingen  stand  er  mit  dem  Otten- 
beurer  Mönche  Nikolaus  Ellenbog  in  Verbindung,  der  ihn  u.  A.  einmal  an- 
fragte, ob  in  allen  Exemplaren  der  Bibel  der  Vers,  der  mit  dem  Buchstaben 
N  u  n  anfangen  sollte,  fehlte.  Dieser  verglich  das  Targum,  consului  etiarn  Maso- 
reth,  de  quo  an  audieris  nescio,  quod,  ut  paucis  scias,  omniumtumversuum  tum 
dictionum  tum  literarum  insuper  etiam  omnium  apiculorum,  vel  additiones  \<  1 
defectum  IppÖTlW  summo  studio  et  observatione  tarn memiuit  quam  rationem  ha- 
bet. Auch  liier  fand  er  nichts ;  um  Ellenbog's  Zweifel  ganz  zu  zerstreuen,  ob  die 
Auslassung  des  Verses  einer  Nachlässigkeit  der  Abschreiber  zuzuschreiben  sei, 
saherauchRabiiiorumopinioues  praecipue  R  Salomonis  nach.  Der  Brief  schJiesst: 
D-bttD  rb»  m  fNic.EUenb.Epist.vol.ni,  üb.  IX,  fol.  162,  Cod. lat. Paris.  8643.) 


Die  Unirei  i  107 

liehen  Visitatoren  den  Antrag  gemacht,  „es  sollte  dahin  ge- 
sehen werden,  dass  ein  geschickter  und  gelehrter  Bebräeus 
zu  Wege  gebracht  werde,  sonderlieh  aber  möchten  Kektor  und 
Regenten  bedacht  sein,  ob  und  wie  Schreckenfuchs  vonFrei- 
burg  hierher  zu  dieser  Lektur  gebracht  werden  könnte."  Doch 
erfolgte  kein  Schritt  darauf,  obwol  Schreckenfuchs  erst  1575 
starb.  Ausser  den  schon  erwähnten  Schriften  hat  er  noch 
eine  Ausgabe  der  chaldäischen  Uebersetzung  des  hohen 
Liedes  und  des  Predigers :)  veranstaltet,  der  er  ein  hebräi- 
sches Druckfehlerverzeichniss  voranschickt  und  als  Anhang 
eine  hebräische  Leichenrede  auf  seinen  Lehrer  Sebastian 
Munster  mitgab.  Nur  zu  bedauern  ist,  dass  die  Rede, 
der  ein  gewisses  Geschick  in  der  Diktion  nicht  abzuspre- 
chen ist,  ihrem  Inhalt  nach  so  völlig  werthlos  ist,  für  das 
Leben  dessen,  dein  sie  gilt,  kaum  den  kleinsten  Beitrag 
liefert,  während  grade  Schreckenfuchs,  wie  kein  anderer,  be- 
rufen gewesen  wäre,  das  Leben  seines  Lehrers  zu  schreiben, 
für  das  uns  nun  leider  die  Quellen  abgehen. 


Der  Zeit  nach  hätte  Leipzig  einen  Platz  vor  Ingolstadt 
und  Tübingen  verdient.  Schon  im  Jahre  1518  hatte  Mosel- 
lanus  in  einer  Eede  erklärt,  wie  der  Fürst  daran  denke  eine 
Professur  des  Hebräischen  zu  schaffen,  damit  Nichts  an  einer 
vollkommenen  Universität  fehle2);  in  demselben  Jahre  hören 
wir  von  dem  Plane,  BartholomäusCäsar,  der  in  Wittenberg 
nicht  ankommen  konnte,  für  Leipzig  zu  gewinnen;  1519  will 
Johann  Cellarius  dort  lehren3).    Von  seinen  wissenschaft- 


i)  Basel  1553.  285  S.  in  8».  Ein  hebräischer  Brief  ist  oben,  S.  85, 
A.  3,  angeführt. 

2)  S.  o.  S.  3,  Anm.  1. 

3)  Corpus  Reformatoruni  I,  col.  81  sq.  Melanchthon  schreibt  an  Spa- 
latin  21.  Mai  1519:  Heri  nobisenm  fuit  Hebraicus  quidam  (später:  Joanni 
Cellario  nomen  est)  medioeriter  eruditus  et  aliquamdiu  in  negotio  grammatico 
versatns  Heydelbergae  antea  professus  elenienta  sßpaixd  et  iam  Lipsiae  prae- 
lecturus  .  .  .  Hat  er  in  Leipzig  schon  damals  gelehrt,  so  geschah  das  wol  auf 
eigne  Hand,  denn  in  dem  „Lehr-  und  Stundenplan  für  alle  Fakultäten  von 
1519"  (vgl.  Zarncke,  Statutenbücher  S.  34  fg.)  findet  sich  keine  bebräisene 
Lektion  aufgeführt. 


108  Die  Universitäten. 

liehen  Leistungen  ist  sein  Isagogicon  zu  erwähnen  ').  Es  ist  ein 
Leitfaden  für  die  Studirenden ,  aber  nicht  etwa  um  sie  mit 
der  ganzen  hebräischen  Sprache,  sondern  nur  um  sie  genau 
mit  den  Buchstaben  bekannt  zu  machen.  Besonders  lang  ver- 
weilt er  bei  den  Vokalzeichen,  bei  den  Schwierigkeiten  der 
einzelnen  Buchstaben,  die  sich  inmitten  eines  Wortes,  nament- 
lich in  der  Conjugation  leicht  verändern,  oder  Neigung  zur 
Verstärkung  durch  Dagesch  u.  a.  zeigen ,  spricht  über  die 
hauptsächlichsten  Satzzeichen  wie  Athnach,  über  die  Zahl- 
zeichen, für  die  eine  Tabelle  folgt.  Ein  paar  Seiten  Abkür- 
zungen machen  den  Schluss,  aber  man  fragt  vergebens,  wel- 
ches eigenthümliche  Princip  ihre  Zahl  und  ihre  Ordnung  be- 
stimmt hat2).  Auch  dass  Bernhard  Ziegler  in  Leipzig 
hebräisch  gelehrt  hat,  wissen  wir,  aber  es  ist  weder  bekannt, 
wann,  noch  mit  welchem  Erfolge  er  seinen  Unterricht  ertheilt 
hat.  Nach  Melanchthon's  Urtheil,  der,  so  lange  Ziegler  in 
Wittenberg  war,  sich  mit  ihm  oft  über  die  Schwierigkeit  dieser 
Sprache  unterhielt3),  war  er  ein  überaus  fähiger  Mann;  keiner, 
meinte  Melanchthon,  in  Wittenberg  und  in  Leipzig  sei  ihm 
vorzuziehen,  namentlich  da  er  seine  Fähigkeiten  zum  Nutzen 
der  Kirche  verwende,  und  mit  grosser  Geschicklichkeit  die 
prophetischen  Schriften  erläutere4).     Sonst  begegnen  wir  nur 


J)  Isagogicon  Joannis  Cellarii  Gnostopolitanae  in  hebraeas  literas 
omnibus  hebraicarum  literarum  candidatis  non  minus  utile  quam  necessarium. 
Die  beigegebenen  Gedichte  Eeuchlin's,  Melanchthon's,  Hakus1,  der  Widmungs- 
brief an  Eeuchlin  tragen  das  Datum  1519,  a...e  ä  4  Bll.  in  4°.  Am  Ende: 
Ex  Neocademia  Anshelmiana  Hagenoae.  Thomas  Anshelm  war  bekanntlich 
auch  der  Drucker  Reuchlin'scher  Werke. 

2)  Abbrevationes  perpulchre  scitu  quibus  frequentissime  Hebrei  utuntur. 

3)  Multumque  et  saepe  collocutus  est  de  eius  linguae  difficili  et  obscura 
traetatione. . .  Camerarius  Vita  Melanchthonis  ed.     Strobel  p.  70. 

4)  Das.  in  einem  Anm.  m  angeführten  Buche:  Tanta  est  vis  ingenii 
in  Zieglero  ut  neminem  in  his  duobus  Academiis  ei  proponendum  ducam 
et  haue  vim  naturae  confert  ad  Ecclesiae  utilitatem,  magna  dexteritate  illu- 
strat  prophetica  scripta.  Nach  einer  Mittheilung  des  Herrn  Prof.  Zarncke 
übertrug  am  I.Juni  1542  Herzog  Moritz  die  Lektion  der  hebräischen  Sprache 
an  B.  Ziegler.  (Vgl.  Zarncke:  Urkundliche  Quellen,  S.  543,  Nro.  '28,  abgedruckt 
bei  Brandes,  Beiträge  zur  Charakteristik  des  Herzogs  Moritz,  S.  32.)  Die 
Stellung  des  hebräischen  Professors  war  eine  eigenthümliche,  sie  schwebte 
in  der  Mitte  zwischen  der  theologischen  und  philosophischen  Fakultät  (Gretschel, 
Die  Universität  Leipzig,  S.  101). 


f>io  ünivereititen.  \Q\) 

noch  einer  Notiz  aus  dem  Jahre  L524,  dass  der  Herzog  Georg 
von  Sachsen  die  Bezahlung  des  Gehaltes  für  den  Professor 
der  griechischen  und  hebräischen  Sprache  eingestellt  habe *). 
Die  Männer,  die  uns  in  Leipzig  begegnet  sind,  waren 
selbst  unter  ihren  Zeitgenossen  kaum  allzusehr  bekannt;  in 
Basel  begegnen  wir  dagegen  Männern,  die  eine  grosse  Be- 
deutung während  ihres  Lebens  besasseu  und  deren  Verdienste 
auch  heute  noch  unsere  Anerkennung  verdienen:  Johannes 
Oekolampad  und  Wolfgang  Fabritius  Capito.  Sie 
hatten  sich  beide  nach  tüchtigen  Lehrern  formen  köuneu. 
Ersterer  war  ein  Schüler  Reuehlin's,  letzterer  des  Matthäus 
Adriauus.  Schon  1515  rühmte  man  des  Oekolampad's  he- 
bräische Kenntnisse.  Johann  Sapidus  empfiehlt  den  jungen 
Oekolampad  an  Erasmus  als  einen,  der  mit  dem  Verständ- 
niss  des  Griechischen  und  der  Theologie  eine  nicht  gewöhn- 
liche Kenntniss  des  Hebräischen  verbinde2),  und  vielleicht 
hatte  diese  Empfehlung  zur  Folge,  dass  Erasmus  sich  seiner 
Hülfe  bei  der  Ausarbeitung  der  Anmerkungen  zum  neuen 
Testamente  bediente,  „um  darauf  aufmerksam  zu  machen,  wie 
weit  die  im  neuen  Testamente  vorkommenden  alttestament- 
lichen  Anführungen,  sie  seien  nun  aus  der  Septuaginta  oder 
aus  dem  hebräischen  Grundtext  geschöpft,  von  diesem  ab- 
weichen oder  mit  demselben  übereinstimmen" 3).  Vielleicht 
durch  die  gemeinschaftliche  Arbeit  mit  Erasmus  augeregt, 
beschäftigte  er  sich  mit  Hieronymus  und  gab  mit  seinem 
Freunde  Johann  Brenz 4)  einen  Index  zu  H's  Werken  heraus 
mit  Erklärung  der  darin  vorkommenden  griechischen  und  he- 
bräischen Wörter5)  (1520).  Er  war  Professor  der  Theologie 
in  Basel  geworden,  als  solcher  lehrte  er  auch  seit  1523  he- 
bräisch; die  erste  Vorlesung  war  eine  Erklärung  des  Jesajas. 
In  einem  Briefe  an  Caspar  Hedio  lobt  er  diesen  sehr,  dass  er 


J)  vgl.  meine  Eecension  über  J.  G.  Schmidt:  Petrus  Moseila  ms,  Gott. 
gel.  Änz.  1868,  S.  1539. 

2)  Erasrni   Opera   (ed.  Lugd.  Bat.    1706),    toin  III,    col.   1543,    Epist. 
App.  XXXII,  Sehlettstadt  15.  Sept.  1515. 

3)  Herzog:  Lehen  Johann  Oekolampad's.    Basel  1843,  1.  Band,  S.  120. 

4)  Einen  Schüler  Adrians,  s.  o.  S.  43,  A.  3. 

5)  Herzog,  a.  a.  0.  I,  S.  123. 


l\Q  Die  Universitäten. 

sich  mit  Hebräisch  beschäftige,  bedauert,  dass  er  selbst  zu 
wenig  Müsse  habe,  um  seine  Kenntnisse  darin  zu  erweitern. 
„Unangenehm  erscheint  diese  Sprache  gegenüber  dem 
hochtrabenden  Wesen  der  lateinischen  und  der 
Verweichlichung  der  griechichen  Sprache.  Es  ist 
aber  eine  heilige  Sprache  und  für  die  heiligen  Studien  höchst 
nützlich.  Ihre  Vernachlässigung  hat  viel  Ketzereien  und  Irr- 
thümer  veranlasst.  So  wie  Du  ein  wenig  fortgeschritten  bist, 
wirst  Du  mit  Bewunderung  wahrnehmen,  in  welch'  klarem 
Licht  dasjenige  strahlt,  was  Dir  jetzt  noch  dunkel  vorkommt. 
Aber  ich  ermahne  Dich  und  die  Ermahnung  ist  wahrlich  nöthig: 
Sei  nicht  nach  jüdischer  Weise  neugierig.  Die  Schrift  hat 
ihre  wichtigen  Stelleu,  diese  suche  auf  und  sammle  sie"  1). 

Oekolampad  hielt  nicht  lange  den  hebräischen  Unterricht 
in  seinen  Händen.  Der  ruhige  Fortgang  der  Universität  war 
durch  die  politischen  und  religiösen  Unruhen  eine  Zeit  lang 
unterbrochen  svorden;  in  der  neuen  von  dem  Baseler  Refor- 
mator entworfenen  Universitätsordnung  (1529),  die  der  Wieder- 
eröffnung voranging,  wurde  bestimmt,  dass  in  den  theologi- 
schen Vorlesungen  auch  über  das  alte  Testament  gelesen 
werden  solle,  dass  aber  ausserdem  ein  Professor  der  hebräi- 
schen Sprache  Grammatik  lesen  und  einige  Bibelverse  er- 
klären solle  mit  Beachtung  der  Wurzeln,  der  Deklination  und 
Conjugation  -).  In  Folge  dessen  wurden  noch  1529  Versuche 
gemacht,  den  Bartholomäus  Wolfhard  nach  Basel  zu 
ziehen  und  neben  der  theologischen  Stellung,  die  man  ihm 
zudachte,  ihn  auch  zu  veranlassen  den  hebräischen  Unter- 
richt zu  übernehmen;  aber  der  Versuch  missglückte,  weil,  wie 
es  scheint,  Wolfhard  eine  jede  andere  Beschäftigung  als  Be- 
einträchtigung  seines   theologischen  Berufes   ansah3).     Seine 


i)  Die  Briefstelle  ist  wörtlich  entnommen  ans  Herzog  a.  a.  0.  I,  S. 
223  fg. ,  der  weder  die  lateinischen  Worte,  noch  den  Ort,  wo  er  die  Stelle 
gefanden  hat,  angibt. 

2)  Herzog  a.  a.  0.  II,  S.  176. 

3)  2  Briefe  Oekolampad's  an  "Wolfhard  bei  Herzog  (Anhang-)  II,  S.  297  fg. 
In  dem  /.weiten,  10.  Mai  1529,  schickt  er  ihm  seine  Berufung  zu,  obwol 
Wolfhard  noch  nicht  zugesagt  hatte,  und  sehreibt  dabei:  Quamvis  auteni 
Hebraicae  linguae  professio  iniungatur,  occasionem  serviendi  Christo  minime 
dei'uturain.     Von  Wolfhard's    religiösem   Eifer   habe   ich    interessante   Belege 


Die  Universitäten. 

Weigerung  ist  Dicht  zu  beklagen,  denn  an  seine  »Stelle  kam 
Sebastian  Münster  nach  Basel,  dem  er  seine  grosse  segens- 
reiche Wirksamkeit  bis  zu  seinem  Tode  1552  zu  Gute  kom- 
men Hess. 

Wolfgang  Fabritius  Capito  war  eigentlich  nie  Pro- 
fessor in  Basel,  aber  seine  wissenschaftliche  Thatigkeit  iD 
der  hebräischen  Sprache  fällt  in  die  Zeit,  da  er  als  Stifts- 
prediger in  Basel  wirkte  (1515 — 1519),  und  ist  daher  am  besten 
hier  zu  behandeln.  Sein  Lehrer  war  Matthäus  Adrianus,  bei 
dem  er  sich  auch  später  in  wissenschaftlichen  Fragen  Baths 
erholte1);  da  er  kein  öffentliches  Lehramt  bekleidete,  so  hat 
er  auch  natürlich  wenig  Schüler  gehabt,  HartmaDn  von  Hallwill, 
deiner  seine  Grammatik  widmete,  hat  er  privatim  im  Hebräischen 
unterrichtet;  aber  auchP.Fagius  rühmte  ihn  als  Lehrer.  Capito's 
Grammatik  ist  eine  der  ausführlichsten  aus  jener  Zeit,  aber,  wie 
mir  scheint,  für  den  Unterricht  nicht  so  brauchbar,  wie  andere; 
in  der  Mitte  finden  sich  oft  den  Zusammenhang  unterbrechende 
Abschweifungen  über  die  chaldäische  Sprache,  über  die  Ver- 
dienste Reisch's,  Potken's,  Ritius'  u.  A.m.  Das  erste  Buch  enthält 
die  Regeln  über  die  Buchstaben,  ihre  Theilung,  über  die  Vo- 
kale und  die  Eigenthümlichkeiten  der  einzelnen,  über  die  Be- 
deutung und  Werth  der  Vokalzeichen,  über  die  Accente,  zu- 
letzt eine  ziemliche  Reihe  alphabetisch  geordneter  Abkürzun- 
gen und  Zahlzeichen;  das  zweite  Buch  handelt  über  Conju- 
gation  und  Deklination  und  giebt  für  Beides  sehr  ausführliche 
Tabellen.     Das  Buch  erschien  in  mehrfachen  Auflagen  (1518, 


in  einigen  Briefen  gefunden,  in  denen  er  die  neue  Lehre  gegen  seinen  väter- 
lichen Freund  Nikolaus  Eilenbog,  der  der  alten  Kirche  treu  geblieben  war, 
vertheidigt.  Sie  sind  in  Paris  handschriftlich  in  der  Briefsainnilung  des  Letz- 
teren aufbewahrt.    Cod.  lat.  8643.  Bibl.  Imp. 

J)  Eine  solche  Belehrung,  ebenso  wie  eine  von  Caspar  Amnion,  ist  in 
dem  gleich  anzuführenden  Buche  (H  2  b)  mitgetheilt.  Ueber  Capito  und 
Adrianus  vgl.  oben  S.  43,  Anm.  1,  und  S.  45. 

2)  Ueber  die  ersten  nur  unvollständigen  Ausgaben  vgl.  Baum:  Capito 
und  Butzer,  Elberfeld  1860,  S.  577  fg.  Die  erste  vollständige  war:  V.  Fa- 
britii  Capitonis  Hagenoii  Theologiae  Doctoris  et  Concionatoris  Basiliensis, 
Hebraicarum  institutionum  libri  duo.  In  inelyta  Germaniae  Basilea.  A..Z, 
Aa..Ii  ä  4  Bll.  in  4°.  Am  Ende:  Basileae  apud  Jo.  Frobenium  mense  Ja- 
nuario  Anno  MDXVIII. 


112  Die  Universitäten. 

1525,  1531)  und  hatte  sich  grossen  Beifalls  zu  erfreuen1). 
Von  sonstiger  wissenschaftlicher  Thätigkeit  Capito's  für  die 
hebräische  Sprache  ist  aber  nichts  zu  berichten,  ausser  einer 
Ausgabe  des  hebräischen  Psalters 2).  Er  trug  sich  mit  dem 
Plane,  ein  hebräisches  Lexikon  herauszugeben;  schon  seit 
1516,  noch  1519  erinnert  man  ihn  daran3),  aber  es  wurde 
nichts  daraus.  Er  meinte,  wenn  er  nur  Geld  hätte  und  schön 
lateinisch  schreiben  könnte,  dann  wolle  er  wol  im  Hebräischen 
so  Ausgezeichnetes  leisten,  dass  ihn  auch  der  gelehrteste  Jude 
nicht  leicht  übertreffen  könnte4).  Aber  jedenfalls  war  seine 
Armuth  weniger  Schuld  daran,  dass  er  seine  schriftstellerische 
Thätigkeit  für  das  Hebräische  unterbrach,  als  die  theologischen 
Kämpfe,  die  seine  Zeit  in  Anspruch  nahmen.  Gauz  gab  er  die 
Beschäftigung  damit  doch  nicht  auf;  noch  1528  berichtet  er 
Zwingli  von  seinen  hebräischen  Studien5). 


J)  Martin  Dorpius  schreibt  an  Erasmus:  Fabritius  (Capito)  acutissimis 
HeLraicoruni  rudimentorum  institutionibus,  linguam  quam  discunt,  sanctam 
quantopere  illustravit.  H.Juli  1518.  Erasmi  Opp.  III,  col.  331,  Epist.  CCCXXIII. 
Vgl.  aucli  Baum  a.  a.  0.,  S.  24. 

2)  Sie  erschien  1516.  Vgl.  Baum,  S.  578,  der  die  Ausgabe  auch  nicht 
gesellen  hat  und  ihre  Beschreibung  nach  Biederer  gibt. 

3)  Otho  Brunfels  schreibt  an  ihn :  Hebraica  studia  mea  ad  annum  ferine 
intermissa  ob  frequentes  meas  infirniitates,  rursum  incipio  tractare.  Fac  ut 
Pictionarium  hebreum  quod  nobis  pollicitus  es,  prodeat  in  lucem.  15.  Febr. 
1519.  Widmungsschreiben  des  Schriftchens:  Confutatio  Sophistices  et  Quae- 
stionum  curiosarum ,  ex  Origine ,  Cypriano ,  Nazianzeno  .  .  .  Selestadii  apud 
Lazarum  Schürerum  .  .  .  Mai  1520  (Aus  Bücking's  Bibliothek  in  Bonn).  Ob 
Capito's  libellus  de  annotationibus  Hebraeorum  erschienen  ist,  um  dessen 
Zusendung  Erasmus  bittet  (Lachnero  et  Frobenio  1517,  Opp.  III,  col.  1655, 
Epist.  App.  CCXXXVI),  oder  ob  hier  eine  Verwechselung  des  Erasmus  vor- 
liegt, weiss  ich  nicht. 

4)  Capito  an  Erasmus  (2.  Sept.  1516):  Comparo  mihi  suppellectilem 
latinae  linguae  ex  tuis  potissimum  operibus,  utinam  satis  mundam  et  copiosam. 
Editurus  aliquando  Lexicon  Hebraicum  gestientem  reprimit  inopia  qui  nove- 
rim  quam  nihil  agat  in  tarn  sterili  loco  rudis  Lndustria,  divitiis  Ulis  destituta. 
Quod  si  mihi  proprietas  foret  et  elegantia  verborum,  nie  confiderem  in 
Hebraeo  praestiturum  quod  non  facile  posset  vel  doctissimus  Judaeorum. 
(Erasmi  Opp.  III,  col.  1568,  Epist.  App.  LXXV.) 

5)  Capito  Zwinglio :  Hebraea  vetera  perlustro  quarum  eruditio  hac  nostra 
vulgari  diversissima  est.  Opera  Zwinglii  ed.  Schuler  &  Schulthess  II,  p.  209, 
ultima  Julii  1528. 


!>!•■  Universitäten.  113 

Neben  Basel  war  Zürich  einer  der  hervorragendsten 
geistigen  Mittelpunkte  der  Schweiz;  wie  dort  Oekolampad 
wirkte,  so  war  hier  Zwingli  reformaturisch  umgestaltend  thätig. 
Trotz  der  Vorwürfe,  die  ihm  Joh.  Eck  machte,  als  verstünde 
er  kein  Hebräisch1),  scheint  er  sich  doch  eine  ziemlich  ge- 
diegene Kenntniss  dieser  Sprache  erworben  zu  haben,  haupt- 
sächlich durch  den  Unterricht  des  Jakob  Ceporinus  (Wisen- 
danger),  der  selbst  1522  in  Zürich  öffentlich  Hebräisch  zu 
lehren  beginnt,  Aber  wie  alles  Theologische,  so  nahm  Zwiugli 
auch  das  Lesen  des  hebräischen  Textes  und  dessen  Ueber- 
setzuug  ins  Lateinische  für  sich  in  Anspruch;  erst  als  ihm  die 
Last  zu  schwer  wurde,  überliess  er  es  seinem  Lehrer  Ce- 
porinus2). Als  dieser  indess  im  nächsten  Jahre  starb, 
fühlte  man  doch  das  Bedürfniss,  einen  eigenen  Professor  der 
hebräischen  Sprache  zu  haben.  Conrad  Pellikan,  der 
den  an  ihn  gerichteten  Ruf  gern  annahm,  -  -  und  der  uns  be- 
reits von  früher  her  bekannt  ist  —  hatte  auch  in  Basel,  wo 
er  Professor  der  Theologie  wrar,  viel  für  Verbreitung  der  he- 
bräischen Sprache  gethan;  als  seine  Schüler  werden  Joh. 
Frisius  und  Sebastian  Guldibeck  genannt.  Am  26.  Febr.  1526 
traf  er  in  Zürich  ein,  am  1.  März  begann  er  seine  Vorlesungen. 
Aehnlich  wie  Münster  gehört  er  für  sein  ganzes  Leben  nun 
derselben  Universität  an,  er  stirbt  erst  am  6.  April  1556.  Von 
seinen  literarischen  Verdiensten  ist  zum  Theil  schon  oben  ge- 
sprochen. Ausgaben  verschiedener  Bücher  der  Bibel  mit  Com- 
mentaren  werden  von  ihm  erwähnt,  aber  es  scheint,  dass  sie 
ebenso  wie  die  einen  mächtigen  Folianten  grosse  Erklärung 
zum  Pentateuch  auf  den  hebräischen  Text  keine  Rücksicht 
nimmt  und  zu  seiner  Erklärung  nichts  Neues  hinzubriugt3). 
Sein  Lexikon,  bei  dessen  Anfertigung  er  sich  auch  der  Bei- 
hülfe eines  gelehrten  Jünglings  Marci  Heilandi  bedient  haben 


!)  z.  B. :  „man  sieht,  das  Zwingli  nit  kan  die  puerilia,  der  kinder  ding 
in  Hebreisehen,  das  er  se)Tcht  gelert  ist  im  Hebreischen."  Eck's  Verlegung 
der  Disputation  zu  Bern  1528.  S.  91. 

2)  J.  J.  Hottinger,  Helvetische  Kirchengeschichten,  III.  Theil,  Zürich 
1708.  S.  52,  99,  233. 

3)  Hottinger  a.  a.  0.,  S.  121,  289  fg.,  824.  In  der  Pariser  Bibliothek 
habe  ich  in  dem  Werke  u.  d.  T. :  Commentaria  Bibliorum  Tiguri  1532,  257  Bll. 
in  Fol.,  nur  die  Erklärungen  des  Pentateuch  gefunden. 

Geiger,  Studium. 


114  r>ic  Üniversitäteit. 

soll,  wird  häufig  angeführt,  ebenso  wie  seine  1540  erschienene 
Grammatik1).  Eine  poetische  hebräische  Grabschrift  widmete 
er  seinem  Freunde  und  Meister  Zwingli..2)  Mit  einer  merk- 
würdigen Aeusserung  begrüsste  er  die  lutherische  Bibelüber- 
setzung': er  habe  sie  mit  dein  hebräischen  Text  verglichen 
und  sie  gefalle  ihm  ausserordentlich,  weil  nun  nur  noch  die 
Lehrer  nöthig  hätten  den  Text  nachzusehn s).  Pellikan's  Nach- 
folger war  Petrus  Martyr.  Ein  interessanter  Mann:  ge- 
borener Italiener  hatte  er  sich  in  früher  Jugend,  durch  seinen 
Drang  theologische  Kenntnisse  zu  erwerben  getrieben,  die 
hebräische  Sprache  mit  Hülfe  eines  Juden  zu  eigen  gemacht, 
hatte  dann  als  Prior  in  Lukka  einen  eigenen  Professor  fürs 
Hebräische,  den  Einanuel  Tremellius4),  angestellt  und  von 
seinen  Kenntnissen  für  sich  so  viel  als  möglich  zu  profitiren  ge- 
sucht, hatte  sich  dann,  da  er  sich  der  Reformation  anschloss, 
in  Italien  nicht  mehr  halten  können,  war  nach  Strassburg  ge- 
gangen, wo  ihn  der  Ruf  nach  Zürich  traf.  Er  lehrte  hier  bis 
zu  seinem  Tode,  12.  Dec.  1562  ■r>).  Von  seiner  literarischen 
Wirksamkeit  ist  mir  nichts  bekannt. 


Fast  zu  gleicher  Zeit  wie  in  Zürich  wagte  ein  kühner 
Mann  in  Köln  mit  dem  Ertheilen  von  hebräischem  Unterricht, 
mit  öffentlichen  Vorlesungen  über  diese  Sprache  aufzutreten 
(1525),  in  Köln,  avo  das  Andenken  an  jenen  berühmten  Kampf 
gegen  die  jüdischen  Bücher  noch  lebhaft  genug  vorhanden 
war,  wo  überhaupt,  die  freie  Wissenschaft  noch  kaum  ange- 
fangen hatte  eine  Stätte  zu  finden,  wo  die  weltlichen  und 
geistlichen  Machthaber,  wo  die  Leiter  der  Universität  mit  con- 
sequenter   Strenge    an    dem   Alten    festhielten    in    Lehre    und 


!)  In  den  meisten  Gelehrtenlexicis  und  biographischen  Werken,  z.  B.  bei 
Pantaleon,  Prosopographiae  heronm.    Basileae  1566,  p.  III,  p.  119. 

2)  Die  Gvabschrift  nimmt  als  Test  Ps.  112,  V.  li.  7.  Sie  findet  sich 
in  Oecolampadii  et  Zwinglii  Epistolarum  libri  IV,  153(5  in  Fol.,  am  Anfang. 

3)  Pellikan  an  Thomas  Blaurer:  et  vehementissime  placet,  ut  minor 
posthac  necessitas  sit  investigandi  hebraicam  veritatem  nisi  tantura  Prae- 
ceptoribus,  angeführt  bei  Hottinger  a.  a.  0.  S.  121. 

4)  Ueber  Em.  Tremellius  vgl.  unten  S.  128. 

5)  Hottinger  a.  a.  0.  Si  7f>.">  lt.  860. 


1  ii(j  Universitäten.  115 

Leben  und  wo  bis  dabin  unter  der  Bürgerschaft,  unter  der  stu- 
direndcn  Jugend,  sich  zwar  manchmal  ein  freierer  Geist  geregt, 
williges  Aufnehmen  der  von  Aussen  hereingetragenen  Ideen 
sich  gezeigt,  aber  nie  stark  genug  bewiesen  hatte,  am  die 
festen  den  Geist  umklammernden,  umspannenden  Fesseln  zu 
sprengen.  Der  Mann,  der  hier  versuchte  eine  Sprache  zu 
lehren,  die  weit  mehr,  als  anderer  Orten,  unter  den  herrschen- 
den Kreisen  Kölns  als  gefährlich,  als  ketzerisch  betrachtet 
wurde,  verband  damit  eine  offene  Ketzerei,  er  suchte  in  sei- 
nen akademischen  Vorträgen  die  lutherische  Lehre  in  die 
Geister  der  Jugend  einzuschmuggeln.  Der  Mann  war  Theodor 
Fabritius.  Ein  trefflieber,  achtungswerther  Mann,  der  eigner 
Anstrengung  Alles  verdankte,  was  er  geworden  war.  15  Jahre 
war  er  ohne  jeden  Unterriebt  aufgewachsen,  da  fand  er  einen 
Gönner,  der  sieb  seiner  annahm,  ihn  in  die  Schule  schickte. 
Aber  seine  Sehnsucht  trieb  ihn  nach  Wittenberg;  dadurch  ent- 
fremdete er  sich  seinen  Beschützer.  Er  studirte  Theologie  und 
hebräische  Sprache.  In  bitterer  Armuth  bielt  er  es  4  Jahre  aus, 
sein  Bett  war  Stroh,  seine  Nahrung  Wasser  und  Brot,  selten 
hatte  er  etwas  Besseres,  Wein  niemals.  Erst  im  fünften  Jahre 
verbesserte  sich  seine  äussere  Lage  durch  die  erworbene 
Keuutniss  des  Hebräischen,  die  ihn  von  da  an  befäbigte  durch 
Unterricht  Geld  zu  erlangen1).  In  Köln  hatte  er  mit  seinen 
Vorlesungen  sofort  einen  grossen  Hörerkreis  um  sich  ver- 
sammelt, man  sog  gierig  das  Gift  ein,  das  er  spendete.  Kaum 
waren  seine  Bemühungen  um  Verbreitung  der  evangelischen 
Lehre,  und  noch  mehr  der  Erfolg,  von  dem  seine  Anstren- 
gungen begleitet  wurden,  bekannt  geworden,  so  verbot  ibm 
der  Rektor  Theodorich  Schiderich  mit  den  übrigen  Uuiversitäts- 
oberen  jede  Vorlesung  an  der  Universität;  als  er  fortfuhr 
Privatvorlesungen  zu  halten,  wurde  ihm  1527  jedes  Lehren 
untersagt  und  er  aus  der  Stadt  gejagt  2).  Von  da  vertrieben 
war  er  nach  Hessen  gegangen,  aber  nur  in  theologischen 
Aemtern  tbätig  gewesen.  Er  verliess  Hessen,  da  seine  religiöse 
Ueberzeugung  ihm  nicht  gestattete   die  Doppelehe  des  Land- 


*)  Cornelius:   Die  münsterischen  Humanisten  (Münster  1851),  S.  31  ff. 
2)  Bianco:  Die  alte  Universität  Cöln  I,  S.  403.' 


116  \i\"  tTnivei    ■ 

grafen  Philipp  zu  billigen,  und  starb  als  Superintendent  in 
Zeitz  1570  ]).  Wie  gern  er  seine  hebräischen  Studien  betrieb, 
zeigt  z.  B.,  dass  er  in  einem  Briefe  an  den  Landgrafen  sich 
„der  Hebräer"  unterschreibt2).  Von  seineu  literarischen  Ar- 
beiten werden  zwei  genannt,  die  diesen  Studien  ihre  Ent- 
stehung verdanken:  die  Institutiones  grammaticae  in  liuguam 
sanctam  Coloniae  1528,  die  mehrere  Auflagen  erlebten,  und 
Tabulae  duae  de  nominibus  Hebraeorum  una,  altera  de  ver- 
bis,  Basileae  1545 ö).  —  Was  Köln  betrifft,  so  findet  sich  eine 
Nachricht,  dass  bei  der  dortigen  Universität  eine  Lectio  he- 
braica  sich  bis  zum  Jahre  1626  befand,  welche  erst  durch 
den  Beschluss  vom  2(J.  April  desselben  Jahres  einging1). 
Es  ist  freilich  nicht  bekannt,  wann  diese  Lectio  gegründet 
wurde,  und  nur  zum  Theil,  wer  die  Nachfolger  des  Fabritius 
gewesen  sind,  wenn  es  deren  überhaupt  gleich  nach  seinem 
Fortgange  gegeben  hat5). 


Soweit  war  es  nun  doch  in  dem  Bewusstsein  aller  derer, 
die  es  mit  der  Wissenschaft  ernst  nahmen,  gekommen,  dass, 
als  man  in  Marburg  im  Jahre  1526  an  die  Gründung  einer 
Universität  ging,  die  freilich  recht  eigentlich  dem  Bedürfnisse 
des  protestantischen  Hessens  entsprechen  sollte,  es  sich 
last  von  selbst  verstand,  neben  den  Lehrern  der  griechischen 
und  lateinischen  Sprache  einen  Professor  des  Hebräischen  zu 
berufen.  Der  erste,  dem  mau  dieses  Amt  anvertraute,  war 
Sebastian  Nucenus,  ein  geborener  Holländer,  ein  Schüler 
des  Adrianus,  der  in  Löwen  auch  nach  seines  Lehrers  Fort- 
gang fleissig  das  Hebräische  betrieben,  dann  in  Löwen  und 
Gent  Vorlesungen  gehalten,  sich  durch  seine  freien  Ansichten 


x)  Cornelius  a.  a.  0. 

2)  Der  Brief  ist  bei  Cornelius  im  Anhang  mitgetheilt,  er  behandelt  eine 
rein  private  Angelegenheit. 

3)  Erscli  und  C ruber  Bealencyclopädie,  1.  Sektion,  Bd.  40,  Th.  2,  S.  55. 
Worauf  sich  die  Angabe  gründet,  dass  Fabritius  auf  ein  Jahr  1543  als 
Professor  der  hebräischen  Sprache  nach  Wittenberg  gegangen  ist,  weiss 
ich  nicht. 

4J  Bianco:  Die  alte  Universität  Göln  I,  S.  358. 
5)  Vgl.  die  Nachträge. 


Die  Universitäten.  117 

den  Mass  der  Mönche  zugezogen  hatte,  nach  Wittenberg  ge- 
gangen war,  dort  freudig  die  Gelegenheit  ergriffen  hatte  sich 
im  Hebräischen  weiter  zu  vervollkommnen  und  dem  an  ihn 
gelangten  Kufe  nach  Marburg  als  Professor  gern  folgte.  Wenige 
Jahre,  nachdem  er  seine  Stellung  angenommen  hatte,  auch  ein 
Schriftchen  —  wol  als  Leitfaden  für  seine  Vorlesungen  --  über 
hebräische  Grammatik  M  veröffentlicht  hatte,  war  ihm  sein  Amt 
verleidet,  — •■  vielleicht  wegen  der  geringen  Zahl  seiner  Schüler 
—  er  warf  sich  auf  die  Jurisprudenz  und  nahm  wenige  Monate 
vor  seinem  Tode,  der  am  LS.  April  1536  erfolgte,  das  Amt 
eines  Kaths  und  Beisitzers  am  Hofgericht  an2).  Sein  Nach- 
folger war  JohannesLonicerus,  der  bereits  in  Frankfurt  a.O. 
hebräisch  unterrichtet  hatte  und  nun  länger  als  30  Jahre,  von 
1536  bis  zu  seinem  Tode  20.  Juni  1569,  das  Lehramt  der  he- 
bräischen Sprache  in  Marburg  verwaltete 3).  Trotz  dieser  langen 
Amtsdauer  hat  er  keine  Schrift  über  die  hebräische  Sprache 
hinterlassen,  nicht  einmal  irgend  ein  Zeugniss  seiner  Beschäfti- 
gung mit  hebräischer  Literatur  oder  Geschichte  der  Juden,  man 
müsste  denn  eine  lateinische  Uebersetzung  der  Schrift  Luther's, 
„dass  Jesus  Christus  ein  geborener  Jude  sei",  dahin  rechnen  4). 


i)  De  literarum,  vocuin  et  accentuum  hebraicorum  natura  s.  de  prima 
sermonis  hebraici  lectione  libellus  ex  optimis  quibusque  Eabinorum  com- 
mentariis  studiose  collectus.  Accessit  de  servientium  literarum  offieiis  per 
Augustum  Sebastianum  Nucenum  compendium.     Marpurgi  1532  in  8°. 

2)  Strieder,  Hessisches  Gelehrtenlexikon,  X.  Band,  S.  104— 106.  Beiläufig 
bemerke  ich,  dass  Nucenus  zuerst  ein  Freund  des  fruchtbaren  Dichters  und 
Epigrammatikers  Euricius  Cordus  (vgl.  z.  B.  Euricii  Cordi  Opera  poetica, 
Helmstedt  1615,  p.  403)  später  sein  bitterer  Feind  wurde  (vgl.  Krause :  Eu- 
ricius Cordus.     Hanau  1863,  S.  102). 

3)  Strieder  a,  a.  0.  VIII,  S.  75—85. 

4)  Die  von  ihm  herausgegebene  Schrift:  Divinae  scripturae  veteris  novae- 
que  omnia,  Argentorati  W.  Cephalus  1526  in  8°,  ist  nichts  als  eine  Text- 
ausgabe der  griechischen  Bibel.  Bemerkenswerth  ist  höchstens,  dass  an  dem 
Buchdruckerzeichen  sich  neben  einem  griechischen  und  lateinischen  Verse 
auch  der  hebräische  fW*  ppi  "Mö  T^B  Hin"  findet.  Verschweigen  will  ich 
nicht,  dass  in  dem  oben  Anm.  2  angeführten  Gedicht  steht:  atque  diserte 
Lonicere,  Graiarum  nova  fama  literarum.  Das  geht  allerdings  auf  die  Zeit 
vor  1536;  oder  sollte  Lonicerus  später  die  griechische  mit  der  hebräischen 
Professur  vereinigt  haben  V 


118  Die  Universitäten. 

Die  Universität  Wien  sank  tief  herab,  .seitdem  der  Humanis- 
mus seine  lebenskräftige  Thätigkeit  hatte  einstellen  müssen, 
seitdem  jedes  wissenschaftliche  Streben  vor  der  religiösen  Be- 
wegung zurückgetreten  war.  Es  ist  nicht  unsere  Aufgabe  zu  unter- 
suchen, ob  dieses  Weichen  des  wissenschaftlichen  Sinnes  eine 
nothwendige  Consequenz  des  Protestantismus  gewesen,  oder  ob 
es  hervorgegangen  war  aus  einer  bedauerlichen  Starrheit  der  An- 
hänger der  alten  Kirche,  die,  fest  hangend  an  den  Lehrsätzen  ver- 
gangener Jahrhunderte,  auch  von  der  veralteten  Sitte,  mit  der  die 
Wissenschaft  früher  betrieben  war,  nicht  abgehen  zu  dürfen  mein- 
ten: in  Wien  scheint  Beides  zusammengewirkt  zu  haben.  Ernstliche 
Anstrengungen  zu  einer  Hebung  der  Universität  wurden  erst  durch 
die  Reform  von  1554  versucht,  aber  auch  diese  wurden  in  der 
Folgezeit  durch  die  Kämpfe,  in  denen  die  Jesuiten  mit  den  bis- 
herigen Leitern  der  Universität  um  die  Herrschaft  rangen,  fast  illu- 
sorisch gemacht.  Dass  bei  dieser  Lage  der  Dinge,  bei  diesem 
Zustand  des  wissenschaftlichen  Lebens  überhaupt,  von  der  Pflege 
des  hebräischen  Studiums  sich  nicht  besonders  Rühmenswerthes 
sagen  lässt,  ist  natürlich1).  Im  Jahre  1520  hatte  der  Bischof 
Joh.  Fabri  von  Wien  in  einer  Unterrichtsanstalt,  die  er  in  dem 
ihm  vom  Kaiser  geschenkten  Magdalenenkloster  errichtet  hatte, 
die  13  Stipendiaten,  die  daselbst  ein  Unterkommen  fanden, 
einem  Präsidenten  unterstellt,  der  Magister  artium  und  trilinguis, 
also  auch  des  Hebräischen  kundig  sein  musste  2);  für  die  Univer- 
sität war  erst  1 533  A  n  t  o  n  i  u  s  M  a  r  g  a r  i  t  h  a  als  erster  Professor 
der  hebräischen  Sprache  berufen  worden3),  am  13.  Okt.  1541 


!)  Nebenbei  sei  bemerkt,  dass  auf  dem  Wiener  Coneil  1312  die  Be- 
stimmung getroffen  wurde,  dass  die  hebräische,  arabische  und  syrische  Sprache 
am  Sitze  des  römischen  Hofes,  in  Paris,  Oxford,  Bologna,  Salamanca  gelehrt 
werden  dürften. 

2)  Rudolf  Kink.  Geschichte  der  k.  Universität  Wien  1854  1.  I,  S.  -J44, 
Anm.  283.  Auch  für  die  obigen  allgemeinen  Bemerkungen  ist  die  Darstellung 
dieses  völlig  nach  Akten  gearbeiteten  Buches  benutzt  worden. 

3)  Für  dies  und  das  Folgende  zum  Theil  Kink  a.a.O.,  S.  '-'To.  Anm.  324. 
Dass  Margaritha,  wie  dort  angegeben  wird,  Professor  in  Tübingen  war, 
ist  wohl  ein  Irrthum ,  wenn  er  sich  auch  vielleicht  eine  Zeitlang  daselbst 
aufgehalten  haben  mag,  wie  auch  Kallenhärk  :  Oesterr. Zeitschr.  für  Geschichte 
und  Staatskunde  1837,  S.  18,  berichtet.  Margaritha  war  auch  nicht  der 
Sohn  des  Rahiner  Samuel,  sondern  des  Jakob  Margolith  in  Regensburg,  s.o. 
S.  37  und  Anm.  4. 


Die  Universitäten.  110 

wurde  der  Italiener  i;van/,  Stankarus1)  berufen,  schon  1546 
aber  musste  er  wegen  Ketzerei  --  wol  bemerkter  Hinneigung 
zum  Protestantismus  -  abtreten,  ob  gleich  darauf  Andreas 
Plank  ihm  gefolgt  ist,  an  dessen  Stelle  1552 — 1554  Johann 
Sylvester  als  öffentlicher  Lehrer  der  hebräischen  Sprache 
trat,  lasst  sich  nicht  entscheiden.  Der  letztere  hat  eine  hebräi- 
sche Grammatik  geschrieben  und  damit  verbunden  eine  Aus- 
gabe des  Propheten  Jonas  mit  lateinischer  Uebersetzung  ver- 
anstaltet2). Wilhelm  Po  stell  hat  in  Wien  gelehrt,  wie  es 
seheint,  mit  Sylvester  zu  gleicher  Zeit;  obgleich  er  das  hohe 
Gehalt  von  200  fl.  bezog,  machte  er  sich  bereits  1.  Mai  1554 
aus  dem  Staube;  und  der  gelehrte  Joh.  Alb.  Wi  dm  anstatt 
wird  als  nieder -österreichischer  Regierungskanzler  und  seit 
1554  Superintendent  der  Universität  kaum  Zeit  gefunden 
haben  als  Lehrer  thätig  zu  sein3). 


Ein  gleiches  Schauspiel  des  Verfalles  wie  Wien  bot  im 
Anfang  der  dreissiger  Jahre  auch  Erfurt.  Der  Humanismus  mit 
der  Reformation  hatte  zwar  zeitweilig  triumphirt,  aber  sein 
Sieg,  mit  Gewalt  erkämpft,  wurde  in  Zügellosigkeit  benutzt; 
Rohheit  und  Unwissenschaftlichkeit  herrschte  an  der  Stätte, 
wo  früher  eine  geistige  Regsamkeit  gewaltet  hatte,  auf  die 
ganz  Deutschland  mit  Stolz  hinsah.  Man  machte  in  Erfurt 
häufig  Anstrengungen,  die  versunkene  Grösse  wieder  herzu- 
stellen; bei  einem  solchen  Versuche  dachte  man  auch  daran, 
einen  Lehrer  für  das  Hebräische  zu  berufen,  die  Wahl  fiel 
auf  Georg  Wicel.  Die  characteristische  Rede,  die  Wicel 
für  den  Antritt  seines  Amtes  vorbereitet  hatte,  ist  oben  schon 
vielfach  benutzt.  In  derselben  zeigte  er,  was  er  von  seinen 
Schülern  verlangte:  „Ich  will  nicht  hebräische  Briefe,  nicht 
hebräische  Reden,  nur  das  will  ich,  dass  Du  Dich  an  die 
hebräische   Bibel  gewöhnst,    dass  Du  Dich   mit  den   Phrasen 


!)" Melanchthon  sagt  von  ihm:  Stankarus  ...  ist  in  Ebräischer Sprach 
wohl  gelahrt.  1553,  Corp.  Reform.  VIII,  col.  166. 

2)  Institutiones  Grammatices  Ebreae  1552.  Die  beiden  Namen  giebtKal- 
tenbäck  an  a.  a.  0.  S.  29.  Kink  spricht  nicht  davon.  Ueber  Plank  vgl.  die  Nachträge. 

3)  Widmanstatt's  Verdienste  für  die  syrische  sind  hier  ebensowenig  wie 
die  Postell's  (eines  Franzosen)  für  die  arabische  Sprache  näher  zu  erörtern, 


IZ\J  Die  Universitäten. 

und  Eigenheiten  vertraut  machst,  dass  Du  den  Text  so  gründ- 
lich kennen  lernst,  um  den  Werth  der  Übersetzungen  beur- 
theilen  zu  können."  Zu  einein  gründlichen  Studium  der  he- 
bräischen Sprache  locke  auch  die  stattliche  Reihe  derer,  die 
sich  in  demselben  bereits  ausgezeichnet  haben,  Hieronymus, 
Origenes,  Nicolaus  von  Lyra,  Paulus  von  Burgos,  Galatimis, 
Reuchlin,  die  alle  Mangel  an  Büchern  litten,  während  jetzt 
es  ein  Leichtes  sei  die  Bücher  überallhin  zu  verbreiten;  von 
den  Neueren  Pellikan,  Münster,  Capito,  Aurogallus,  Margarita, 
und  alle  die,  welche  die  ganze  Bibel  oder  Theile  derselben  aus 
dem  Urtexte  übersetzt  haben  x).  Doch  zu  seiner  Berufung  kam 
es  nicht.  Wicel  war  aus  einem  eifrigen  Reformator  ein  noch 
eifrigerer  Katholik  geworden;  die  Wittenberger  mochten  nicht 
dulden,  dass  ein  so  gefährlicher  Gegner  in  Erfurt  festen  Fuss 
fasste,  wo  es  ihnen  schon  ohnedies  sauer  genug  gemacht  wurde, 
den  schwer  errungenen  Sieg  zu  behaupten.  Sobald  Luther  und 
Justus  Jonas  von  den  Bemühungen  Wicels  und  seinen  Aus- 
sichten hörten,  suchten  sie  die  Sache  rückgängig  zu  machen. 
„  Jonas  reisete  selbst  nach  Erfurt,  um  den  Rath  wider  ihn  ein- 
zunehmen und  ihn  selbst  beim  Volke  äusserst  verhasst  zu 
machen.  Luther  schickte  an  die  dasigen  evangelischen  Prediger 
ein  Schreiben,  worin  er  sie  vor  Wiceln  ausdrücklichst  warnte."  2). 
Wizels  Kenntnisse  im  Hebräischen  lassen  sich  natürlich  nach 
dieser  Rede  nicht  beurtheilen,  sonst  hat  er  kaum  ein  Denkmal 
seiner  Beschäftigung  mit  dieser  Sprache  hinterlassen.  An  der 
Universität  Erfurt  hat  man  später  nicht  mehr  den  Versuch  ge- 
macht, die  hebräische  Sprache  zum  Lehrgegenstande  zu  erheben. 


x)  Oratio  in  landein  Hebraicae  linguae.  Autore  Georgio  Vicelio 
MDXXXIIII.  am  Ende. 

2)  Vgl.  Strobel,  Beiträge  zur  Literatur  des  16.  Jahrhunderts,  1786 
2.  Band,  S.  318.  —  Ueber  den  steten  Kampf  der  protestantischen  und  ka- 
tholischen Eichtung  auf  der  Universität  Erfurt  vgl.  das  treffliebe  Werk  von 
F.  W.  Kampschulte:  Die  Universität  Erfurt  u.  s.  w.  2  Band.  Tun  hebtäischefi 
Studien  hört  man  sonst  sehr  wenig  auf  der  Universität  Erfurt.  Von  Petrejus 
Aperbach  ist  hauptsächlich  bekannt,  dass  er  sich  mit  solchen  abgegeben  habe: 
Cordi  est  huic  hebraica  diseiplina  atque  ideo  tuam  pietatem  et  Janum  Reuchlin 
sive  Capnionem,  nihil  tarnen  minus  quam  Capnionem,  salutare  constituit. 
schreibt  über  ihn  Mutian  an  Trithemius  o.  J.  5.  idus  sextiles  (Mutian'sches 
Briefmanuscript  nro.  341,  fol.  215  sq.),  vgl.  auch  Kampschulte. 


i  lie  Universitäten  1  2  1 

Den  Schluss  unserer  Betrachtung  machen  zwei  Universi- 
täten im  Norden  Deutschlands:  Königsberg  und  Rostock. 
Die  Königsberger  Universität  wurde  1543  gegründet:  schon 
in  den  ersten  Jahren  ihres  Bestehens  1546  findet  sich  ein 
Professor  der  hebräischen  Sprache  Andreas  Wesseling ' ) 
—  1551.  In  seiner  Eröffnungsrede  legte  er  den  Nutzen  und 
die  Notwendigkeit  der  hebräischen  Sprache  dar,  wies  auf 
seine  schon  früher  erprobte  Fähigkeit  im  Unterrichten  dieser 
Sprache  hin,  und  verhiess  in  dieser  neuen  Stellung  den  be- 
währten Weg  nicht  zu  verlassen.  Er  wollte  die  hebräische 
Grammatik  vortragen  und  die  hier  gegebenen  theoretischen  Er- 
örterungen durch  Erklärung  der  Psalmen  praktisch  belegen2). 
Sein  Nachfolger  Franz  Stankarus  verwaltete  sein  Amt 
kaum  zwei  Jahre  lang,  um  Johann  Sciurus  Platz  zu  machen, 
der  früher  Professor  der  griechischen  Sprache  gewesen  war 


*"■)  Für  Königsberg  kann  ich  leider  nur  Arnold**  Historie  der  Königsberger 
Universität,  Königsberg  1746,  2  Theile,  folgen;  unsere  Stelle  II.  S.  356 — 360. 

2)  Oratio  de  studiis  linguae  ebraicae  in  Corpus  Eeformatorum  vol.  XI 
(1843),  col.  708—715.  Ich  citire  einige  Stellen  daraus:  Quid  enim  mira- 
bilius  est  quam  hanc  linguain  gentis  Ebraeae,  natam  procul  ad  Euphratem, 
seu  Jordanem,  nunc  ab  nomine  Germano  hie  doceri  in  littore  maris  Balthici, 
inter  Germanos,  Sarmatas,  et  alias  gentes,  quae  prorsus  alienissimae  a  lite- 
rarum  eultura  fuerunt?  .  .  .  Fidelissimi  autem  interpretes  linguam  Ebraicam 
etiam  senes  didicerunt,  quia  iudicabant  lectionem  Ebraicam  consulendum 
esse,  ut  Hieronymus,  Lyranus,  Burgensis :  et  nostro  tempore  Galatinus,  Com- 
plutensis  (!),  Wesselus,  Capito  (das  ist  jedenfalls  ein  Druckfehler  für  Capnio, 
wie  nicht  bloss  die  Stellung  zwischen  Wessel  und  Agrikola  zeigt.,  sondern 
auch  der  Umstand,  dass  Keuchlin  sich  wirklich  erst  in  seinem  Alter  gründliche 
Kenntnisss  d.  Hebräischen  angeeignet  hat,  wie  er  selbst  berichtet,  (s.  u.  S.123,  A.  1 .) 
während  dies  bei  Capito  durchaus  nicht  der  Fall  ist),  Eudolphus  Agricola  et 
multi  alii.  (Ueber  Wessel  und  Agrikola  s.  o.  S.  21  ff.)  .  .  .  Neque  haec  ita  dico, 
quasi  non  errent  etiam  saepe  illi,  quibus  lingua  Ebraea  ita  nota  est  ut  Judaei, 
etsi  grammaticam  suam  bene  callent,  tarnen  flagitiose  hallucinantur  in  tota 
Prophetarum  enarratione.  .  .  .  Und  am  Schluss:  De  me  non  prolixe  dicam, 
callere  me  linguam  propheticam  medioeriter,  multi  norunt  in  iis  Academiis 
(wo  Wesseling  früher  gelehrt  hat,  darüber  habe  ich  mir  keine  Kenntniss  ver- 
schaffen können),  in  quibus  antea  docui,  ubi  et  diligentiara  et'fidem  auditori- 
bus  probavi.  Spero  igitur  me  recte  et  utiliter  facturum  officium  in  hac 
Academia:  tradam  Grammaticam  Ebraeam  et  adiungam  Psalmorum  enarra- 
tionem,  ut  exempla  lectionis,  vocabula  et  phrasin  proponam.  Haec  simpli- 
cissima  docendi  ratio  doctis  viris  etiam  in  aliis  Academiis  probatur.  Sequar 
autem  sententias  probatas  nostrae  Ecclesiae,  quas  solas  et  veras  et  nativas 
esse  non  dubito.  .  . 


122  Die  Universitäten. 

und  nun  theologische  und  hebräische  Vorlesungen  mit  einander 
verband.  Die  Professur  der  hebräischen  Sprache  gehörte  zur 
philosophischen  Fakultät;  in  den  Statuten  rindet  sich,  dass 
der  Professor  im  Sommer  die  bist.  Bücher  des  A.  Testaments, 
im  Winter  die  5  Bücher  Mosis  erklären  solle  *).  Erst  1553  dachte 
man  daran,  eine  Professur  für's  Hebräische  zu  errichten. 
Andreas  Wesseling,  von  Melanchthon  empfohlen2),  be- 
kleidete als  erster  die  Stelle.  In  seinem  langen  Wirken,  er 
starb  erst  am  4.  Januar  1577,  „trug  er  nicht  wenig  dazu  bei, 
die  alttestamentlichen  Studien,  die  damals  nur  von  Wenigen 
in  ihrer  Bedeutung  erkannt  waren,  wieder  in  ihre  Rechte  ein- 
zusetzen und  emporzubringen".  Selbst  noch  am  Ende  seines 
Lebens  dachte  er  an  die  ihm  liebgewordenen  Studien.  In 
seinem  Testamente  bestimmte  er  ein  Stipendium  für  drei 
Studirende  der  Theologie,  denen  er  das  Studium  der  hebräi- 
schen Sprache  besonders  zur  Pflicht  machte 3).  Mit  ähnlichem 
Eifer  wie  er  wirkte  sein  Nachfolger  Henning  Adendorp, 
der  freilich  nur  vorübergeh end  lehrte,  und  N  i  e  o  1  a  u  s  G  o  n  i  ä  u  s , 
der  bereits  seit  1570  um  Verbreitung  hebräischer  Studien 
bemüht  war  und  als  Professor  bis  1589  seine  Anstrengungen 
eifrig  fortsetzte,  Er  hatte  in  Wittenberg  studirt  und  dort  von 
Juden  Unterricht  genossen  l). 


i)  Arnoldt  a.  a.  0.  II,  S.  346,  347. 

2)  Melanehthon  an  Herzog  Albrecht,  Job.  Drakonites,  Joh.  Aurifaber 
10.  Sept.  1552  Corp.  Ref.  vol.  VII,  col.  1066— 1070, 

3)  Krabbe,  Die  Universität  Rostock  im  15.  und  16.  Jahrhundert. 
S.  548  fg. 

4)  Krabbe  a.a.O.,  S.  731  fg.  —  Beiläufig  sei  erwähnt,  dass  auf  der  1559 
gestifteten  Universität  Jena  auch  bald  ein  Professor  des  Hebräischen  thätig 
war.  In  dem  Lektionskatalog  von  1564  heisst  es:  Ubiorem  linguae  Ebreae 
Cognitionen!  ex  praelectionibus  Aedonis  (!)...  studiosi  petent  bei  Strobel. 
Neue  Beiträge  zur  Literatur  des  16.  Jahrhunderts.   4.  Bd.,  S.  70. 


:bn)en,  123 

VII. 

Die  Schulen. 

Das  Hebräische  wird  heutzutage  in  den  Schulen  keines- 
wegs als  obligatorischer  Gegenstand  gelehrt,  die  dazu  be- 
stimmten Unterrichtsstunden  werden  fast  ausschliesslich  von 
denen  besucht,  die  die  theologische  Laufbahn  wählen  und  die 
hebräische  Sprache  zu  ihrem  Studiuni  nöthig  zu  haben  glauben. 
Anders  in  der  Zeit,  mit  der  wir  uns  hier  beschäftigen.  Der 
einmal  erwachte  Eifer  für  diese  früher  ungekannten  Studien 
bewirkte,  dass  man  ernstlich  die  Frage  erwog,  ob  dieselben 
auch  für  die  Jugend  geeignet  seien,  und  dass  diejenigen, 
welche  die  Frage  bejahend  entschieden,  wirklich  in  den 
Schulen  hebräisch  lehrten. 

Eeuchlin  hatte  einmal  gesagt,  dass  alle  diejenigen,  die 
nach  den  Aposteln  mit  ihrer  Kenntniss  des  Hebräischen  der 
Kirche  genützt,  dieselbe  sich  erst  im  vorgerückteren  Alter  er- 
worben hätten »).  Es  scheint  fast,  als  ob  das  nun  ein  ver- 
breitetes Yorurtheil  gewesen  sei,  man  könne  das  Hebräische 
nicht  in  der  Jugend  erlernen.  Dagegen  wurde  aber  doch  viel 
Widerspruch  laut.  Fagius  widmet  eines  seiner  Bücher2) 
einigen  Schülern  und  ermahnt  sie  mit  den  übrigen  Wissen- 
schaften auch  das  Hebräische  in  früher  Jugend  zu  erlernen. 
,,Denn  ich  stimme  keineswegs  denen  bei,  die  meinen,  erst 
nach  Aufnahme  aller  Fächer  der  Wissenschaft  und  Kunst,  in 
reiferem  Alter,  soll  man  die  hebräische  Sprache  kosten,  als 
wenn  sie  nicht  auch  ihre  Zeit  verlangte,  und  es  nicht  ebenso 
nützlich  ja  nothwendig  sei,  sich  ihr  von  Anfang  an  in  gleicher 
Weise  hinzugeben,  wie  den  übrigen  Sprachen" 3).    Auch  Johann 


1)  Nemo  fenne  omniuni  post  apostolos  orthodoxam  ecclesiam  hebraieis 
literis  illustravit  qui  non  eas  in  proveeta  aetate  discere  coeperlt.  Einl.  z. 
3.  B.  der  Paid.  hebr. 

2)  Sententiae  vere  elegantes  1541. 

3)  Auf  denselben  Gedanken  kommt  er  auch  in  der  Widmung  der  Schrift: 
Sententiae  morales  ben  Pyra,  Isnae  1 542,  an  Gasparus Heidelinus  zurück:  als 
Patrone  suche  er  Männer  qui  sua  opera  sanetam  linguam  hebraeam  apud 
studiosos  eius  promoveant  mecumque  pomeria  eius  ampliare  studeant.    Dazu 


124  Die  Schulen. 

Forster  hatte  warm  diesen  Grundsatz  vertheidigt l).  Grade 
die  Jugend,  meinte  er,  müsse  an  das  Studium  der  hebräi- 
schen Sprache  gewöhnt  werden,  nachdem  sie  die  Anfangs- 
gründe der  lateinischen  und  griechischen  gelernt  habe,  damit 
sie  die  heilige  Schrift  besser  verstehen  lerne  und  das  Licht 
des  Wortes  Gottes  der  Nachwelt  übergeben  werde,  nicht  er- 
lösche, sondern  dieses  Studium  ihm  gleichsam  zur  Nahrung 
diene.  Namentlich  für  die  Jugend  biete  diese  Sprache  einen 
unermesslichen  Vortheil.  Alles  was  in  ihr  geschrieben  worden, 
sei  heilig  und  rein,  während  die  Denkmäler  der  übrigen 
Sprachen  soviel  Anstössiges  enthielten,  dass  die  Jugend  leicht 
daran  strauchle." 

Diese  Ansichten  theilte  auch  Michael  Ne  and  er,  er  gab 
ihnen  eine  bestimmte  praktische  Richtung,  formulirte  sie  in 
einem  förmlichen  Unterrichtsplan  und  hat  sie  in  der  Schule 
von  Ilfeld,  der  er  in  so  glänzender  Weise  vorstand,  zur  Aus- 
führung gebracht.  Man  solle,  meint  er 2),  als  hebräische  Lehr- 
bücher „das  Opus  consummatum  Münsteri  und  Eliae  Levitae 
Grammaticen  nehmen",  den  hebräischen  Unterricht  bei  einem 
Knaben  erst  beim  16.  Jahre  beginnen,  und  auch  dann  nur 
täglich  2  Blättchen  ,,in  Hebraeis  tabulis"  ihn  lernen  lassen, 
um  sie  in  einem  Jahre  zu  Ende  zu  bringen.  „Darnach  —  um  ihm 
nun  selbst  das  Wort  zu  lassen  —  möchte  man  ihm  pro  exemplo 
praeceptorum  Grammatice  exponiren,  parvum  Catechismum 
Lutheri  hebreum,  item  Evangelia  hebrea  oder  etwa  Genesin, 
dieweil  diese  Bücher  und  alle  Libri  historici  in  der  Bibel  viel 
leichter  seien,    denn   Davidis,  Salomonis    und   der  Propheten 


sei  namentlich  Heidelinus  der  geeignete  Mann  qui  scholae  Lindaviensi  praeest 
eoque  iuventutem  suae  disciplinae  concreditam  in  hebraea  etiam  lingua  magna 
cum  ingenii  felicitate  erudire  potest. 

!)  In  der  Vorrede  zu  seinem  Lexikon,  die  so  ziemlich  Alles  enthält, 
was  er  über  die  hebräische  Sprache  dachte:  In  primis  autem  iuventus  post- 
quam  fundamenta  jecit  linguae  Latinae  tum  Graecae,  assuefacienda  est  ad 
hoc  studium  Hebreae  linguae,  ut  sacram  scripturam  rectius  intelligere  discat 
et  ad  posteritatem  transmittatur  nee  extinguatur  lux  verbi  dei  sed  studio 
linguae  hujus  accendatur  et  tanquam  pabulo  alatur.  Von  den  übrigen  Sprachen 
quaelibet  suum  habeant  contagium  quo  iuventus  facile  infici  queat. 

2)  Das  Folgende  ist  genommen  aus  seinem  „Bedenken,  wie  ein  Knabe 
zu  leiten  und  zu  unterweisen",  auch  mitgetheilt  bei  K.  Schmidt:  Geschichte 
der  Pädagogik  III,  S.  139  fg. 


Die  Schulen.  125 

Bücher,  welche  sehr  schwer  auch  was  die  Gramniaticam  be- 
langt. Es  ist  aber  Hebraea  lingua  nicht  allein  den  Theologis 
nutz,  sondern  auch  nöthig  allen  Studiosis,  worauf!'  sie  auch 
jr  leben  lang  gedenken  zu  beharren,  dieweil  sie  alnia  mater 
ist  oinnium  linguaruin,  omnibus  aetatibus,  omnium  gentium, 
welche  alle  aus  jrem  Leib  gekoinnien,  denen  sie  allen  gibt 
und  wiederum!»  von  keiner  Sprache  etwas  nimpt  oder  ent- 
lehnt. Und  keine  Sprache  in  der  weit  so  ungeschälten,  die 
nicht  vocabula  hebraea  von  der  Mutter  als  zu  jrem  Erbtheil 
behalten." 

Er  hat  in  seiner  Schule  das  Hebräische  selbst  gelehrt, 
und  das  Buch,  das  er  anfänglich  zu  eigenem  Nutzen  zusammen- 
stellte, dann  als  er  sich  überzeugt  hatte,  es  gereiche  auch  den 
seiner  Pflege  Anvertrauten  zum  Vortheil1),  herausgegeben2). 
Das  Buch  verräth  vollständig  seinen  Zweck  als  Schulbuch. 
Es  ist  in  Fragen  und  Antworten  getheilt,  die  zum  Auswendig- 
lernen bestimmt  scheinen.  Die  6  Theile  enthalten  die  Grund- 
züge der  hebräischen  Grammatik;  der  erste  handelt  über  die 
Buchstaben  im  Allgemeinen,  über  die  Zeichen  Dageseh,  Schewa, 
über  die  Besonderheiten  der  einzelnen  Buchstaben;  der  zweite 
über  das  Verbum,  über  seine  einzelnen  Conjugationen,  über 
das  regelmässige  und  unregelmässige,  die  gegebenen  Kegeln 
durch  zahlreiche  Tabellen  erläuternd;  der  dritte  über  das 
Nomen;  der  vierte  ist  eine  Ergänzung  zu  zwei  und  drei,  er 
bespricht  die  Schwächung  und  Veränderung  der  Vokale  im 
Verbum  und  im  Nomen.  Die  übrigen  Satztheile  bilden  den 
Inhalt  des  5.  und  6.  Theils,  im  fünften  werden  die  Präpositionen, 
Zahlwörter,  im  sechsten  Pronomina,  Adverbien  und  Conjnnctio- 
nen,  behandelt,  am  Schluss  einige  Regeln  über  Accente,  Metrum 


*)  S.  24  der  Vorrede  des  gleich  zu  nennenden  Buches. 

2J  Sanctae  linguae  hebraeae  Erotemata  .  .  .  Omnia  vero  ita  absoluta 
brevitate,  facilique  ordine  traetata,  ut  non  modo  tyrones  Grammaticae  he= 
braeae  praeeepta  inde  nullo  cum  negocio  intra  paucas  septimanas  addiscere 
possint,  sed  etiam  perfectiores  iam  ibidem  inveniant  quod  ipsos  iuvare 
queat.  Accesserunt  ad  finein  dieta  veterum  Rabinorum  de  JESV  MESSIA 
mundi  salvatore.  Item  Catalogus  librorum  quomndam  praeeipuorum  in 
lingua  Hebraea,  Chaldaea,  Aethiopica,  Arabica,  Graeca  et  Latina :  Omnia  in 
gratiam  studiosorum  linguae  sanctae  a  Michaele  Neandro  Soraviense  edita. 
Basileae  apud  Joannem  Oporinum.  Am  Ende :  1556  mense  Augusto.  153  S.  in  8°. 


126 


Die    ■<  hnteit 


beigefügt.  Die  Erwähnung  von  vier  Abbreviaturen  ist  seltsam 
genug,  da  sie  weder  so  selten  nocb  so  häufig  sind,  um  einen 
besonders  hervorragenden  Platz  zu  verdienen 1). 

Die  bereits  im  Titel  angegebenen  Zusätze,  die  streng- 
genommen zu  der  Grammatik  gar  nicht  gehören,  sind  einmal 
Dicta  quaedam,  ein  interessantes  aber  durchaus  seltsames  Ge- 
misch von  Sätzen  und  Aussprüchen  aus  Bibel,  Targum,  Rabbineu 
und  christlichen  auch  neueren  Schriftstellern,  z.  B.  eine  Stelle  des 
Flacius  Illyricus  über  Jehova,  eine  Anzahl  Auszüge  aus  dem 
Werke  des  Peter  Galatin:  De  arcanis  catholicae  veri- 
tatis  ü.  s.  w. ;  dann  unter  der  Aufschrift  Catalogus  ein  Ver- 
zeichniss  von  hebräischen  Bibeln,  von  griechischen  und  lateini- 
schen Ausgaben  des  alten  und  neuen  Testaments.  Das  Yer- 
zeichniss  ist  keine  trockene  Aufzählung,  es  ist  begleitet  von 
vielen  Bemerkungen,  Stücken  aus  der  Einleitung  einiger  Bücher, 
z.  B.  bei  der  Bibel  des  Chimenes,  bei  dem  Psalterium  octaplum 
des  Augustinus  Justinianus,  bei  Bomberg's  Targum  (1517),  für 
das  ein  genaues  Inhaltsverzeichnis«  folgt,  ebenso  bei  Fagius' 
Ausgabe  des  Targum.  Auf  die  Bibelausgaben  folgen  die 
Editionen  einzelner  Bücher  und  Traktate,  worunter  namentlich 
des  Fagius'  Sententiae  patrum  ausführlicher  besprochen  werden; 
bunt  durcheinander  werden  darauf  die  Schriften  von  Levita, 
Reuchlin,  Münster  und  einer  grossen  Zahl  Anderer  aufgezählt, 
gewiss  nicht  ein  vollständiges  bibliographisches  Verzeichniss 
aller  erschienenen  Schriften,  aber  eine  gute  Hinweisung  auf 
viele  seltene  und  fast  ganz  unbekaunte.  Zuletzt  wird  eine 
vollständige  Aufzählung  der  Traktate  des  Talmud  gegeben, 
einige  Schriften  des  Rambam  und  Alphes;  den  Schluss  machen 
Stücke  aus  Reuchlin's  Kabbalah,  aus  einer  Schrift  Theodor 
Bibliander's,  Sentenzen  aus  den  Sprüchen  der  Väter  mit  la- 
teinischer Uebersetzung  und  Hinzuziehung  deutscher  Sprüch- 
wörter zur  Analogie. 

Ein  nicht  minder  berühmter  Schulmann,  als  Michael 
Neander  es  war,  Johannes  Sturm,  theilte  nicht  die  An- 
sicht, das  Hebräische  als  ebenso  berechtigten  Gegenstand,  wie 
die  übrigen  Sprachen,  in  die  Schulen  einzuführen.    Mau  muss 


i)  Es   «in«!   JYSHK'Dl'WH  fbä  "PH  ton  ♦  bysn  ÜTV   —  die   Anfangs- 
buchstaben der  Namen  der 7 Planeten;  Kfi ":rv;ttK  pr  02  res.:  rvrin  und  nait  :m 


bie  Schulet.  127 

freilich  bedenken,  dass  Hauptziel  des  Strassb.  Pädagogen  war, 
seine  Schüler  in  der  Sprache  Cicero's  reden  zu  lassen,  in  den 
Anschauungen  der  Römer  und  Griechen  zu  erziehen;  da  konnte 
sieb  für  das  Hebräische  allerdings  keine  Stelle  linden.  Und  wie 
seine  Einrichtungen  überhaupt  zum  guten  Theil  typisch  für  die 
Gymnasien  der  späteren  Zeit  bis  auf  unsere  Tage  geworden 
sind,  so  tindet  sich  bereits  bei  ihm  der  Vorschlag,  die  he- 
bräische  Sprache  höchstens  als  fakultativen  Lehrgegenstand 
aufzunehmen,  mit  dem  eigenthümlichen  Zusatzgrunde  neben 
dem  bereits  erwähnten,  dass  er  seine  Schüler  nicht  zwingen 
wolle  eine  Sprache  zu  treiben,  die  er  selbst  bis  zu  seinem 
59.  Jalire  leider  zu  erlernen  versäumt  babe,  in  der  er  freilich 
nun,  nachdem  er  sie  olme  fremde  Hülfe  zu  erlernen  begonnen 
habe,  das  Uebrige  leicht  sich  anzueignen  hoffe '). 

Es  wäre  ein  zeitraubendes  und  sehr  unfruchtbares  Ge- 
schäft; alle  Schulen  aufzuzählen,  die  in  gleicher  Weise,  wie  der 
Sturm'sche  Plan  das  will,  dem  Hebräischen  keinen  rechten 
Platz  unter  den  Lebrgegenständeu  anwiesen;  erwähnt  sei  nur, 
dass  in  einigen  aus  jener  Zeit  bekannten  Schulpläueu  das 
Hebräische  nicht  aufgeführt  wird :  in  dem  Frankfurter,  der  von 
dem   Dichter   und  Philologen  Jakob  Micyllus   herrührt  -),   und 


i)  Joau.  Sturmii  Classicarum  Epistolarum  libri  III  sive  Scholae  Argenti- 

nenses  restitutae.  Argentorati  MDLXV,  fol.  47 — 49.  Joannes  Sturmius  Eliae 
Hyberi  amico,  interpreti  Hebraeo.  Linguae  Hebraieae  institutionell)  in  curiis 
consulto  non  proposuimus  primum  quia  multum  profecisse  illum  arbitror,  qui 
ante  sextum  deeimum  aetatis  annum,  facultatem  duarum  linguarum  mediocrem 
assecutus  est :  una  cum  dicendi  disserendique  doctrina :  et  praeter  catecliesin 
Ecclesiae,  in  curiis  etiam  Evangelia  et  apostolorum  cog-novit  epistolas  et 
psalmodiis  exercitatus  est  et  reliquos  sacros  libros,  in  quotidianis  collegii 
recitationibus :  saepe  per  illos  annos  quibus  in  curiis  docentur,  possent  reco- 
gnoscere.  Deinde  quia  consilium  meum  est,  sermonis  Hebraici  grammaticam 
extra  ordinem  tradi:  aliqui  earum  horarum  quibus  in  classicis  tribubus  non 
docetur:  et  cuivis  concessum  est  quod  velit  extra  ordinem  discere,  modo 
liberale  sit,  et  moribus  non  officiat,  et  cursum  non  impediat  in  studio  classi- 
corum.  Postremo  tametsi  poeniteat  me  huius  Linguae  Studium  usque  in  hunc 
annum  quinquagesimum  nonum,  distulisse :  tarnen  nolim  alios  cogere  ut  faciant 
quod  ipse  non  feci.  Hortor  tarnen  omnes,  ut  ad  duas  illas  classium  linguas  etiam 
banc  adiieiant  (?),  meo  exemplo :  qui  superiore  proxima  estate  ea  fundainenta 
absque  doctore  posui  hujus  sermonis :  ut  absque  ope  et  voce  magistri  sperera 
quod  reliquum  est  brevi  posse  in  boc  curriculo  perficere. 

-)  Vgl.  J.  Classen:  Jakob  Micyllus.  Frankfurt  1858.    S.  147  ff. 


128  1»"  Selinlen. 

dem  Basler,  der  jedenfalls  unter  Mitwirkung  Oecolampad's 
entstanden  ist1);  die  Schule  in  Zwickau  soll  nach  dem  Titel 
des  Schulplans  zwar  „auf  drey  Hauptsprachen,  Hebrayscli, 
Griechisch  und  Lateinisch  gestellt"  sein,  aber  in  dem  Schul- 
plane selbst  wird  auf  Hebräisch  gar  keine  Rücksicht  ge- 
nommen 2). 

Dagegen  hatte  in  gleicher  Weise,  wie  Neander  in  Ilfeld, 
der  berühmte  Paul  Fagius  in  seiner  Schule  zu  Isny  das 
Hebräische  gelehrt;  hatte  im  Jahre  1527  der  Ulm  er  Rath  dem 
Michael  Brodhag  den  Befehl  ertheilt,  „dass  dem  jetzigen 
Provisor,  der  in  bayden  sprachen  hebreysch  und  kriechisch 
für  ander  berompt  und  erfarn  die  schul  zu  verleyhen  und  dem- 
selben jnu  seinen  aiden  zu  geben  wer,  die  knaben  getrewlich 
Inn  latein  und  obgemelten  bayden  sprachen  zu  undterweisen 
unnd  zu  lernen,  damit  sy  jnn  denselben  auch  geübt  und  erfarn 
werden"3);  war  Andreas  Oslander  1520  in  Nürnberg  als 
Lehrer  der  hebräischen  Sprache  angestellt  worden4).  Emanuel 
Tremellius,  der  uns  schon  als  Lehrer  des  Petrus  Martyr 
begegnet  ist0),  war  in  den  fünfziger  Jahren  erster  Lehrer  der 
Schule  in  Hornbach  und  hat  gewiss  dort  seine  Kenntniss 
des  Hebräischen  zu  verwerthen  gewusst.  Er  trat  auch  schrift- 
stellerisch auf  in  einem  hebräisch  geschriebenen  Schriftchen  6). 


1)  Vgl.  das  angeführte  Bucli  von  Herzog  II,  S.  173  IV'. 

2)  Ordnung'  dess  Na  wen  Studii  vnd  jetzt  aufgerichten  Collegij  jn  Fürst- 
licher Stadt  Zwickau.  1523.  10B11.  in  4°,  wieder  abgedruckt  bei  Weller: 
Altes  aus  allen  Theileu  der  Geschichte  1766.  II,  8.  678  ff. 

3)  Weyermann :  Nachrichten  von  Ulmischen  Künstlern  und  Gelehrten, 
Ulm  1798  I,  S.  84. 

4)  Will,  Nürnberger  Gelehrtenlexikon.  Zusätze  von  Nopitzsch  Bd.  VII, 
S.  68  ff.  Daselbst  auch :  „Oslander  lernte  1529  von  dem  Juden-Schulmeister 
Wölfflein  zu  Schnaitach  chaldäisch."  Ueber  seine  ersten  hebräischen  Studien 
theilt  Jo.  Manlius:  Locoruin  communiuin  collectio  (ed.  1560)  p.  532  unter 
dem  Titel :  Osiandri  ingeniosum  inventum,  Folgendes  mit :  Oslander  scribens 
Hebraicum  Alphabetum  invertebat  chartam:  tunc  in  altera  facie  chartae  erat 
Graecum  Alphabetum. 

5)  S.  o.  S.  114. 

6)  IT  nTO  -sjan  "IM  (152  S  in  12°)  o.  0.  24.  Elul  1554,  314  nach  der 
kleinen  Zahl.  Die  lateinische  Vorrede  ist  datirt:  Argentorati  III  Idus 
Aprilis  Anno  MDLIIII  .  .  .  Die  zweite  im  Text  angeführte  Stelle  lautet: 
Nam  id  summa  diligentia,  maxima  sollicitudine  in  hac  scriptione  cavi,  ut 
de  faece  Rabinorum  verba  et  phrases  non  haurirem,   sed  illud,  quantum  res 


ScUi  120 

Diese  Sprache  wählte  er  hauptsächlich  der  Juden  wegen,  „denn 
obgleich  heute  das  israelitische  Volk  unserer  Religion  feindlich 
ist,  so  unterlässt  es  doch  nicht,  Alles  zu  lesen,  was  von  uns 
hebräisch  geschrieben  wird,  um  Alles  zu  -wissen,  was  wir  zu 
ihren  Grünsten  oder  gegen  sie  urtheilen,  in  welchen  Punkten 
wir  mit  ihnen  über  die  Gottesverehrung  und  die  Frömmigkeit 
uneins  sind."  Aber  freilich  der  Sprache  der  Rabbinen  wolle 
er  sich  nicht  bedienen,  oder,  um  mit  Tremellius  zu  reden: 
..Aus  dem  Schmutze  der  Rabbinen  will  ich  die  Worte  und 
Phrasen  nicht  schöpfen,  sondern,  soweit  der  Stoff  es  gestattet, 
die  Redegattung  anwenden,  in  der  die  göttlichen  Aussprüche 
in  den  heiligen  Büchern  geschrieben  sind."  Die  Schrift  war 
hier  nur  zu  erwähnen,  weil  des  Tremellius  als  Lehrer  gedacht 
werden  sollte,  auf  den  Inhalt  näher  einzugehn,  der  vollständig 
theologischer  Art  ist,  würde  die  Grenzen  dieser  Arbeit  über- 
schreiten. 


YIII. 

Schluss. 


Wir  haben  das  Erwachen  und  die  allmähliche  Ausbreitung 
des  hebräischen  Sprachstudiums  vom  Anfang  bis  in  die  sechs- 
ziger  Jahre  des  16.  Jahrhunderts  verfolgt,  haben  den  Wider- 
willen, der  sich  zuerst  gegen  seine  Aufnahme  kund  gab,  die 
Begeisterung,  mit  der  man  sich  dann  ihm  zuwandte,  das  ruhige 
Vorwärtsschreiten,  mit  dem  man  den  einmal  betretenen  Weg 
verfolgte,  betrachtet,  indem  wir  die  einzelnen  Universitäten, 
die  Schulen,  durchgingen,  bedeutendere  Männer  besonders  nach 
ihren  Leistungen  kennen  zu  lernen  suchten.  Ein  fester  End- 
punkt ist  nicht  gefunden.  Der  neue  Aufschwung,  den  das 
Studium  durch  Buxtorf  nahm,  gehört  einer  späteren  Epoche 
an1);    die  Zeit,  die  das  Ende  unserer  Betrachtung  bildet,  ist 


patiebatur,  genus  orationis  adhibui,  qnod  Divina  oracula  fuerunt  in  sacris 
volummibus  conscripta. 

*)  Es  ist  interessant  zu  sehn,  di^s  am  Ende  des  von  uns  besprochenen 
Zeitraum-:  doch  in  Manchen  das  Bewusstsein  herrschend  war,  es  bleibe  noch 

Geiger,  Studium.  9 


130  rfcbl"  ; 

eine  Zeit  des  Sinkens,  eine  Zeit,  die  höchstens  im  Stande  ist, 
das  früher  Vorhandene  zu  fahren,  nicht  fähig,  Neues  zu  pro- 
duciren;  eine  Zeit,  in  der  die  theologische  Fehde  die  Geister 
Aller  derer  gefangen  nimmt,  die  etwas  mehr  verlangen,  als 
den  kleinen  täglichen  Bedürfnissen  des  Lebens  nachzugehn, 
sie  aber  so  in  Anspruch  nimmt,  um  zu  jeder  wissenschaftlichen 
Beschäftigung  untauglich,  zu  jedem  freien  Gedankenaufschwung 
unfähig  zu  machen. 

Der  Charakter  einer  Zeit  prägt  sich  in  allen  Ereignissen 
aus,  die  in  ihr  einen  Platz  einnehmen;  der  eben  geschilderte 
traurige  Charakter  der  Zeit,  die  wir  verlassen  haben,  zeigt  sich 
auch  in  einem  unsern  Gegenstand  berührenden  Ereigniss,  das 
wenig  bekannt  ist1).  Der  Talmud  war  seit  dem  gegen  ihn 
hervorgerufenen  Sturm  im  zweiten  Jahrzehnt  des  16.  Jahr- 
hunderts, der  ihm  fast  den  Untergang  kostete,  in  Deutschland 
unter  den  Christen  wenig  bekannt  geworden,  und  der  geringen 
Kenntniss  entsprach  seine  geringe  Verbreitung.  Ambrosius 
Froben  in  Basel  will  1579  den  Talmud  drucken  lassen;  da 
den  Juden  der  Eintritt  in  die  Stadt  nicht  erlaubt  ist,  so  er- 
sucht er,  ihm  zu  gestatten,  einen  hineinzunehmen,  „dieweil 
dieses  Werk  eine  besondere  Art  habe,  deren  die  Druckergesellen 
bisher  nicht  genugsam  geübet  und  der  Sprachen  unerfahren." 
Aber  der  Kaiser  Rudolf  II.  erklärt  durch  ein  Schreiben,  der 
Talmud  sei  gegen  den  Glauben  und  die  christliche  Religion; 
er  untersagt  den  Druck.  ,,Ein  gründlicher  Bericht  wird  an 
deu  Kaiser  abgesandt,  gezeigt,  dass  Censur  und  Universitäl 
das  Werk  gestattet  habe;  aber  die  erlangte  Concession  ist 
nur  ein  Exemplar  solcher  talmudischer  Bücher  dem  Kaiser 
zur  Durchsicht  zu  schicken."  Aber  nachdem  er  es  erhalten, 
schickt  der  Kaiser  keine  Antwort;  auf  ein  Schreiben  des 
Bürgermeisters  und  Raths  vom  25.  Juli  1579  verlangt  er  die 
Vernichtung  des  Buches,  „da  im  Talmud  die  heilige  Dreüültig- 


viel  zu  thun  übrig:  Matthias  Flacius  Illyricus  zählt  1562  unter  drei  Dingen, 
die  zur  Vollendung  der  Kirche  noch  fehlten,  auf:  separata  et  pkna  aliqna 
hebraeae  linguae  illustratio.  Angeführt  bei  Baur:  Die  Epochen  der  kirch- 
liehen Geschichtsschreibung.    Tübingen  1852.  S.  13,  Amn.  1. 

!)  Die  im  Text  gegebene  Erzählung  folgt  der  gut  nach  den  Quellen 
gearbeiteten  Darstellung  v.Streuber :  Beiträge  zur  Basler  Buchdruckergeschichte 
in  den  Beiträgen  zur  vaterländischen  Geschichte.  Basel  III.  Bd.l84(>,  S. 83  sqq. 


luss.  131 

keit  und  unser  einiger  Erlöser  und  Seligmacher  Jesus  Christus 
geschmäht  werde." 

Neue  Bitte  Frobens,  die  von  einem  Gutachten  der  Uni- 
versität unterstützt  wird:  im  Talmud  seien  herrliche,  nützliche 
und  wohlgegründete  Lehren  begriffen,  Felder  und  Irrthtimer 
kämen  auch  in  den  Evangelien  und  alten  Schriftstellern  vor, 
die  doch  gedruckt  seien,  Reuchiin  und  Galatin  haben  ihn 
gleichfalls  vertheidigt,  die  darin  vom  Kaiser  Maximilian  unter- 
stützt worden  seien.  Doch  erst  1588  wurde  der  Talmud  ge 
druckt,  beide  Parteien  erklärten  sich  mit  der  Censur  des  In- 
quisitors Dr.  Markus  Märinus  zufrieden,  die  das  Ihrige  that '). 

Es  bedurfte  dieses  Beispiels  nicht,  um  zu  zeigen,  wie  viele 
Vorurtheile  man  dem  Studium  dieser  Sprache  entgegentrug; 
wir  haben  deren  genug  bemerkt.  Auch  das  ist  klar,  das 
Studium  wer  nicht  immer  durch  einen  wissenschaftlichen  Eifer 
hervorgerufen ;  es  diente  der  Theologie  und  wurde  oft  in  ihrem 
Dienste  missbraucht,  aber  im  Gaüzen  war  es  das  ernste  Stre- 
ben nach  Wahrheit,  das  seinen  Begründer  und  auch  den 
grössten  Theil  seiner  Nachfolger  beseelte. 


!)  Ueher  die  Wirksamkeit   dieser  Censur  vgl.  z.  B.  die  lehrreichen  Be- 
merkungen hei  Em.  Deutsch:    Der  Talmud  (Berlin  1869)  S.  6  fg. 


Nachträge, 


Zu  S.  6  fg.  Einige  characteristische  Aeusserungen  Luthers  über  die 
hebräische  Sprache  finden  sich  in  seinen  Tischreden  (ed.  Förstemanh  und 
Bindseil.  4.  Band.  Berlin  1848.  S.  5G8— 572),  von  denen  nur  einige  Stellen 
hervorgehoben  werden  sollen.  „Die  ebräische  Sprache  ist  für  andern  wol 
einfältig,  aber  majestätisch  und  herrlich,  schlecht  (d.  h.  schlicht)  und  wenig 
von  Worten,  aber  da  viel  hinter  ist;  also,  dass  ihr  es  keine  nachthun  kann"  . . . 
„Die  ebräische  Sprache  ist  die  allerbeste  und  reichste,  in  Worten,  bettelt 
nicht,  hat  ihre  eigene  Farbe"  . . .  „Ich  kann  weder  Griechisch,  noch  Ebräisch, 
ich  will  aber  dennoch  einem  Ebräer  und  Griechen  ziemlich  begegnen.  Aber 
die  Sprachen  machen  für  sich  keinen  Theologen,  sondern  sind  nur  eine 
Hülfe"...  „Da  M.  Forstemius  viel  sagte  von  Nutz  und  Herrlichkeit  der 
ebräischen  Sprache  „„die  jtzt  doch  sehr  verachtet  würde,  vielleicht  aus 
einer  Impietät  und  gottlosem  Wesen,  oder  aus  Verzweifelung,  dass  man  daran 
verzagte,    und  gab   für,    man  könnte  sie   am   besten  aus   der  Grammatica 

lernen"",  da  sprach  D.  M.  L Ich  hab  mer  Ebräisch  gelernt,  wenn  ich 

im  Lesen  einen  Ort  und  Spruch  gegen  dem  andern  gehalten  habe,  denn 
wenn  ichs  nur  gegen  der  Grammatica  gerichtet  habe.  Wenn  ich  jünger 
wäre,  so  wollte  ich  diese  Sprache  lernen,  denn  ohne  sie  kann  mau  die  h. 
Schrift  nimmermehr  recht  verstellen  .  . .  Ich  bin  kein  Ebräer  nach  der  Gram- 
matica und  Kegeln,  denn  ich  lasse  mich  nirgend  an  binden,  sondern  ich 
gehe  frei  hindurch . . .  Lyra  ist  für  andere  der  beste  Ebräer  gewest,  und  ein 
fleissiger  Dohnetscher  des  alten  Testaments.  Wenn  ich  wiederum  wollte  in 
der  ebräischen  Sprache  studiren,  so  wollte  ich  die  reinsten  und  besten 
Grammaticos  für  mich  nehmen  und  lesen,  als  David  Kimchi,  Mose  Kimchi, 
welche  die  reinesten  sind;  danach  wollte  ich  Mosen  lesen,  darum,  dass  der- 
selbige  gar  eigentlich  von  Dingen  redet;  nach  dem  wollte  ich  den  Psalter 
und  die  Sprüche  Salomonis  lesen  und  zuletzt  die  Propheten,  die  brauchen 
vil  verblümter  Wort  und  Rede."  Der  liier  erwähnte  Forstemius  ist  der  oben 
S.  97  ff.  besprochene  Johann  Forster. 

Zu  S.  7.  Dagegen  stellten  die  Katholiken  das  Ansehen  der  Septuaginta 
sehr  hoch.  Der  Nürnberger  Reformator  Andreas  Osiander  war  in  seiner 
Schrift  Coniecturae  de  fine  mundi  (1544)  in  der  Berechnung  der  Jahre 
zwischen  Adam  und  Noah  der  jüdischen  Angabe  (1G5G  Jahre)  gefolgt  und 
hatte   die  griechische   (2242  Jahre)   ausser  Acht  gelassen;   in  seiner  Wider- 


Nachtrage.  133 

legung  der  Schrift  sagt  der  eifrige  Katholik  Cochläus:  Terfcui  heh 
nituntur  Judaei  bostes  Christi  ei  vos  Catholicae  fidei  reprehensores  ei  bostes 
äae:  Lutherani,  Zwingliani  ei  Anabaptistae.  LXXI1  interpretes  marimae 
semper  fuerant  in  ecclesia  Christi  authoritatis  a  temporihua  usqueApostolorum, 
quibus  nixi  sunt  antiquae  ecclesiae  Doctores  onines  usque  ad  nimm  Hierony- 
mum  qui  sua  translatione  hanc  de  annis  primae  aetatia  diversitatem  in- 
vezisse  creditur.  Quod  si  res  aequa  trutinetur  lihra  (quamquam  difficile  est 
pronuntiare,  utra  lectiormm  praeponderare  deheat)  raultis  respectibns  apud 
ecclesiae  filios  potior  videri  poterit  lectio  ei  sententia  LXX1I  interpretum. 
J.  Cochlaeus:  In  quatuor  Andreae  Osiandri  coniectoras  de  fine  mundi.  1545  D  1. 

Zu  S.  17.  Für  die  Seltenheit  und  Kostbarkeil  hebräischer  Bibeln  in 
damaliger  Zeit  noch  zwei  Notizen.  Trithemius  uberlässl  seine  ganze  Biblio- 
thek dem  Kloster  Spanheim  und  nimmt  nur  eine  kleine  gedruckte  hebräische 
Bibel  mit  sich  (Epistolae  p.  384.  Jacobo  Kymolano  16.  Aug.  1507.).  1518  wird 
eine  hebräische  Bibel  nach  unserm  Geld  für  49  Thlr.  10  Sgr.  und  1520  eine 
solche  mit  Commentaren  für  86  Thlr.  10  Sgr.  verkauft.  Beide  Notizen  aus 
Oskar  Hase:  Die  Koburger,  Buchhändlerfamilie  zu  Nürnberg.  Leipzig  1869. 
S.  78,  A.  2.    S.  84. 

Zu  S.  18.  Von  Wichtigkeit  würde  es  sein,  wenn  die  von  Steinschneider, 
Bibliographisches  Handbuch  S.  156.  Nro.  2290  angeführte  Schrift :  J.  C.  Ulrich 
De  Lingua  hebr.  inter  Christianos  ante  Reuchlinum  culta.  Halis. . .  ?  [Handschr. 
Notiz  v.  Gesenius]  bekannt  wäre. 

Zu  S.  26.  Unbeachtet  geblieben  ist  der  Spott  der  Lamentationes 
obscurorum  virorom  (I.  14)  gegen  Loans:  Sigillum  autem  quod  vieles,  mihi 
commodato  dedit  Jacobus  Johel  Judeus  quinquies  circumeisus,  et  bonus 
Reuchlinista. 

Zu  S.  30,  Anm.  1.  Ueber  seine  hebräischen  Studien  spricht  Eck  in  der 
Epistola  de  ratione studiorum,  Ingolstadt  1543  in  4°  (B  la):  Audivi  tunc  (als 
er  Levita's  Schüler  war)  Rhomae  etiam  Sancten  Pagninum  et  Achacium  pro- 
fessores  Hebraismi;  in  Chaldaeo  praeter  versionem  in  Pentatheucon  Complu- 
tensem  usus  sum  Magistro  Munstero,  qui  prae  ceteris  egregie  emulatur  et 
assequitur  Heliam,  trimestri  quoque  Judaeo  Loto  usus  sum  praelectore.  Recte 
disi  me  usum,  quia  cum  utriusque  grammaticae  esset  asymbolus,  nihil  prae- 
stare  poterat  praeter  usum. 

Zu  S.  30,  Anm.  2:  und  Nicolaus  Apelles  aus  Egweil,  der  1522  Professor 
der  Theologie  in  Ingolstadt,  1532  Prediger  in  Marburg  wird  und  1545  stirbt. 
Vgl.  Mederer,  Annales  Ingolstadiensis  Academiae.  Pars  I.  Ingoist.  1782. 
p.  116.   196. 

Zu  S.  32,  Anm.  '-.  Eine  Zeit  lang,  als  der  Streit  mit  den  Kölnern  ihn 
ganz  in  Anspruch  nahm,  Hess  er  in  seinem  Unterricht  eine  Pause  eintreten. 
Mutian  schreibt  an  ihn:  Quod  si  vacatione  recuperata  docere  velles  quae 
cumulatissime  didicisti,  mitterem  ad  te  optimos  auditores.  Nuper  Crocus 
Britannus . .  cum  apud  me  quiesceret  et  Grocinum  et  Aleandruin  et  nescio 
quos  magistros  laudaret,  deesse  sibi  dixit  hebraicam  sapientiam,  quam  omni 
via  prosequi  vellet.  13.  Sept.  1516.  (Epp.  ill.  vir.  z  iiia)  Pächard  Crokus, 
ein  Engländer,  während  einiger  Jahre  Professor  des  Griechischen  in  Leipzig, 
scheint  später,  nach  seiner  Rückkehr  nach  England,  noch  hebräisch  gelernt 
zu  haben,  wenigstens  wird  ihm  ein  hebräisch  geschriebenes  Gutachten  zu- 
geschickt und  vorausgesetzt,   dass  er  darüber  ein   Urtheil  abgeben  könne. 


134  Nacht: 

Mittheilung  Wrights  in  Geiger:  Jüdische  Zeitschrift  für  Wissenschaft  und 
Lehen  V.  S.  216. 

Zu  S.  35.  Ebenso  wie  Reuchlin  mit  grossem  Freimuthe  die  Mängel 
der  alten  lateinischen  Bibelübersetzung  tadelt,  thut  es  auch  sein  Freund  und 
Vertheidiger  Peter  Galatin.  In  seinem  mannigfach  interessanten  Werke  De 
arcanis  catholicae  veritatis  (1518),  das  die  Wahrheiten  des  christlichen 
Glaubens  aus  dem  Talmud  und  andern  jüdischen  Büchern  beweisen  soll,  und 
in  Form  von  Gesprächen  zwischen  dem  Verfasser,  Reuchlin  und  dessen  Haupt- 
feind Hochstraten  geschrieben  ist,  sagt  Galatin  einmal  (fol.  LXX):  Et  hoc 
est,  quod  dictum  est:  Osculamini  filium;  iiucusque  traditio.  Worauf  Hoch- 
straten: Editio  nostra:  appraehendite  disciplinam  hie  habet;  und  Galatinus 
entgegnet:  Author  nostrae  editionis  aeepuivocatione  vocabulorum  deeeptus, 
multa  longe  aliter  transtulit  quam  veritas  hebraica  habeat.  Licet  enim  haec 
dictio  „Bar"  quandoque  filium,  quandoque  disciplinam  sive  doctrinam.  quan- 
doque frumentum,  quandoque  purum  sive  mundum,  quandoque  electum 
significet  etc. 

Zu  S.  35,  Anm.  2.  Der  Herausgeber  dieses  —  nach  einem  Exemplar 
der  Hamburger  Stadtbibliothek  von  J.  L.  Hoffmann  in  Steinschneiders 
hebräischer  Bibliographie  1.  Band.  Berlin  1858.  S.  107  beschriebenen  — 
Lexikons  ist,  wie  H.  a.  a.  0.  angibt,  der  Buchhändler  Dirck  Härtens  aus 
Aalst,  der  zu  Löwen,  wo  er  auch  Professor  der  lateinischen  und  hebräischen 
Sprache  gewesen  sein  soll,  in  seiner  Druckerei  schon  1518  hebräische  Lettern 
besass.     Das  angeführte  Buch  soll  in  Löwen  1520  gedruckt  sein. 

Zu  S.  43,  Anm.  1.  Die  in  der  mir  erst  später  bekannt  gewordenen 
Originalausgabe  zwischen  Capito  und  nactus  stehenden  Worte  „factus  in 
oppido  Bruchsellensi  verbi  clei  praeco  "  machen  meine  Anmerkung  überflüssig. 
Wie  lange  Adrian  in  Bruchsal  (oder  [vorher  oder  nachher'?]  in  Middelburg 
s.  o.  S.  45,  Anm.  6)  sich  aufgehalten,  ist  nicht  zu  bestimmen. 

Zu  S.  46,  Anm.  3.  Die  Rede  Adrians  erschien  u.  d.  T.:  Oratio  de 
linguarum  laude,  Lovanii  hahita  (A.  1519)  40.  Wittenb.  Jo.  Grunenberg. 
152(1  4  Ell.  Die  Angabe  ist  aus  Steinschneider:  Bibliographisches  Hand- 
buch S.  3,  der  hinzufügt:  Im  Epilog  beisst  es:  ,, Habita  fuit  haec  oratio 
in  Colleg.  Buslidiano  Lovan.  non  alio  studio  quam  ut  trium  linguarum  peritia 
commendaretur  Theologiae  studiosis"  etc. 

Zu  S.  48.  Auf  Adrian  ist  wol  auch  folgende  Stelle  der  Universitäts- 
matrikel von  Freiburg  zu  beziehen  (22.  Jan.  1521):  Commissum  Doctori 
Joanni  (Lonicero)  theologo,  ut  Wittenb ergam  pro  Magistro  Lova- 
niensi  hebraice  docto  scribat,  quo  veniente  conveniatur  cum  eo  ad  proham. 
Mitgetheilt  in  Schreiber:  Geschichte  der  Universität  zu  Freiburg  (1859) 
2.  Band,  S.  212,  Anm.  ** 

Zu  S.  48,  Anm.  4.  Die  im  Serapeum  a.  a.  0.  gegebene  Notiz  ist  nach 
Steinschneider,  Bibliographisches  Handbuch  S.  2  zu  berichtigen.  Das  Schrift- 
chen mit  der  Widmung  an  J.  L.  (Jakob  Lemp?  den  bekannten  Tübinger 
Theologen,  dem  auch  Reuchlin  seine  Septem  psalmi  poenitentiales  (s.  o.  S.  36, 
Anm.  2)  gewidmet  hatte),  in  der  Adrian  „ausdrücklich  als  Veranlassung  des 
Schriftchens  angibt,  dass  Jemand  [in  dem  Schriftchen  selbst  nochmals: 
quas  transtulit  quiclam]  die  Gebete  ins  Lateinische  auf  eine  den  Genius  der 
hebräischen  Sprache  beleidigende  Art  übersetzt  habe."  Dieser  „Jemand" 
ist  ohne  Zweifel  Johannes  Pfefferkorn  s.o.  S.  41,  Anm,  1, 


tfochtr&ge.  135 

Zu  S.  54.  Gildemeister  |  i.  d.  Ztsch.  d.  deutsch -morgenl.  Ges.  1860, 
Bd.  XIV,  S.  301)  führt  folgende  Schrifl  Böschensteins  an:  Contenta  libelli. 
Precatio  ad  divam  Virginem  Behraica  per  Jo.  Boschenstain  i  aersa  qui 
linguae  proprietatem  pocius  quam  elegantiam  do-  cere  voluit  Epistola 
ad  ßenerendissimum  Vuiennensem  Episcopum.  Confessio  Judeorum  coram 
dno  cooli  &  terre  in  die  propiciationis  Leuit  23.  Psalmus  1!)  Pro  rege. 
A.  E.  Exciisuni  Augustae  Vind.  in  offic.  Sigism.  Grymm  Medici  ac  M.  Vuirsung 
Anno  MDXXI.     6  Bll.  in  4«. 

Zu  S.  55.  Böschensteins  deutsche  Uebersetzung  des  Büchlein  Ruth,  an 
die  einige  hebräische  Todtengebete  mit  deutscher  üebertragung  angehängt 
sind.  Nürnberg  1525  in  4"  schliesst  sich  derjenigen  der  Klagelieder  würdig 
an  oder  übertrifft  sie  noch:  vgl.  Eüederer,  Nachrichten  zur  Kirchen-,  Bücher- 
und  Gelehrtengeseh.  2.  Band.  Alfdorf  1765.  8.  375—381.  Ueber  Böschen- 
stein ist  noch  nachzutragen  der  Artikel  bei  Erhard:  Gesch.  des  Wiederauf- 
blühens wissenschaftl.  Bildung  in  Teutschland.  Magdeburg  1832.  III, 
S.  332  —  340,  der  aber,  ausser  der  bibliographischen  Zusammenstellung,  für 
unsern  Zweck  ohne  sonderlichen  Werth  ist,  und  die  Abhandlung  von  Wiede- 
mann  in  der  Oesterreichischen  Vierteljahrsschrift  für  katholische  Theologie 
1863,  S.  70  —  88,  die  mir  leider  nur  aus  einer  Anführung  bekannt  ist. 

Zu  S.  64,  Anm.  3.  Von  dieser  Schrift  spricht  er  in  dem  von  ihm 
herausgegebenen  Targum  Onkeli  zu  Deut.  4,  16:  Quibus  cum  Judaeus  doctus 
quidam  ante  ducentos  annos  ad  fidein  Christianam  conversus  in  libello  11  - 
braico  quem  contra  illos  pro  nostra  religione  scripsit  quemque  ipse  superio- 
ribus  annis  latine  factum  in  lucem  edi  curavi,  non  inepte  respondeat,  causas 
pias  ostendens,  cur  Christiani  in  templis  suis  imaginem  habeant,  —  putavi 
pio  lectori  rem  non  ingratam  facturum,  si  verba  ejus  hie  recenseam  quae  in 
gratiam  studiosorum  linguae  sanetae  primum  hebraice,  dein  latine  referam. 
Darauf  folgen  drei  Foliospalten  aus  dieser  Schrift,  hebräisch  mit  lateinischer 
Uebersetzung. 

Zu  S.  68,  Anm.  4.  Auf  manchen  Büchern,  z.  B.  der  Ausgabe  der  Sprüi  he 
der  Väter,  befindet  sich  bei  dem  Baume  noch  eiu  Storch,  der  Frösche  verzehrt. 
Crusius  (Annales  Suevici  1595  Pars  III,  p.  679),  der  das  bemerkt,  fügt  hinzu: 
propter  affinitatem  nimirum  Jacobi  Froschesseri,  qui  et  ipse  typogrophiam 
haue  iuverit.  Froschesser  (Ranivora)  druckte  selbst  später  ein  Werk  des  Fagins. 
s.S.  73,  Anm.  1. 

Zu  S.  73.  Dieselbe  Bemerkung  über  Toldot  findet  sich  bereits  bei 
Reuchlin:     De  verbo  mirifico  1494  (ed.  1514,  g.  5a). 

Zu  S.  76.  Anm.  1.  Hierher  gehört  auch  eine  Stelle  aus  der  Widmung 
der  Schrift  Logica  Rabi  Simeonis  an  Joannes  Campensis,  Professor  in  Löwen: 
Scis,  quam  pauci  hodie  in  nostra  sint  Germania  qui  libris  velint  iuvare  He- 
braicum  Studium  retracti  fortassis  et  deterriti  quorundam  sycophantarum 
conviciatrice  lingua.  Ego  autem  ptfc'bs  Hihi  et  plane  rerum  peritia  parum 
doctus  ut  audaculus  saepius  in  publicum  prorumpo,  cum  interim  tu,  Pelli- 
canus,  Aurogallus,  Jacobus  Jonas,  et  multi  alii  Hebraicae  linguae  professores 
apud  vestros  delitescatis  qui  haue  provinciara  longe  felicius  et  gloriosius 
subire  valeretis. 

Zu  S.  87,  Anm.  1.  Das  hier  angeführte  Werk  (mir  nachträglich  aus 
der  Gott.  Univ.-Bibl.  bekannt  geworden),  200  paginirte  Seiten,  3  unpag.  Bll. 
am  Anfang  und  8  am  Schluss  in  4°,    gehört  nur  insoweit  in   den  Bereich 


136  HacMrlge. 

unserer  Betrachtung,  als  es  ans  hebräischen  Quellen  geschöpft  isf  und  eine 
reiche  Kenntnis*  der  Sprache  zeigt;  der  Gegenstand  seihst  liegt  unserer  Be- 
artheilung  zu  fern.  Sein-  interessani  sind  einige  Worte,  die  Münster  in  dg) 
Widmung  an  Bernhard,  Episcopus  Tridentinus,  braucht:  Siqnidemtu  unus  es 
pientissime  praesul,  cui  non  modo  ego,  verum  et  omnes  sacrae  Linguae  cm- 
äidati,  ad  quos  rneae  pervenerini  lucuhrationes,  quas  in  Eebraismo  molioj, 
plurimura  dehent;  quippe  qui  prineipem  nostrum  [den  König  Ferdinand^ 
male  persuasum,  quasi  scripta  mea  nunquam  nun  perniciosis  sub- 
servirent  tumultihus,  suspicione  liberasti,  adeo  ul  liberalitatem  etiam 
se  dignam  senserim. 

Zu  S.  97,  Amin.  3.  Vgl.  Wilhelm  Preger,  Matthius  Flacius  Ulyrikus  und 
seine  Zeit,  2  Bände.  Erlangen  1859  und  1861.  IS.  21  fg.,  23,  37.  Schriften 
aber  das  Hebräische  sind  von  ihm  nicht  bekannt.  Eine  Frucht  seiner  Witten- 
berger Vorlesungen  ist  wo!  nur  die  bei  Preger  i!  S.  548  angeführte  Schrift: 
Argumenta  Psalmorum  sexaginta  distributis  ordine  versuum  sententiis,  dietata 
a  M.  Flaeio  Illyrico  in  Academia  Witebergensi.  Phil.  Melanchthon.  8°.  Francofi 
ex  off.  Petr.  Brubachii  1550.  250  pagg.  Preger  sagt:  „scheint  von  Me- 
lanchthon dem  Drucke  übergehen";  wahrscheinlich  hat  dieser  aber  auch  An- 
theil  am  Inhalt,  denn  während  Flacius  in  Wittenberg  war.  gab  ihm  Mel. 
„ungebeten  die  Summarien  zu  den  Psalmen,  die  er  öffentlich  zu  erklären 
gedachte".  I  S.  24.  Paul  Grell  schreibt  in  der  Dedikation  einer  späteren  Auf- 
lage des  Büchleins,  die  er  besorgte :  Hos  in  Psalmos  60  commentariolos  breves 
quidem,  sed  utilissimos  et  doctrina  multiplici  refertos  ante  annos  aliquot 
(Melanchthon)  ingratissimo  cuidam  diseipulo  et  hosti  suo  (Flacio)  praescripsit. 
(Witeb.  1561)  bei  Strobel:  Neue  Beiträge  z.  Lit,  bes.  d.  16.  Jahrb.  1790  I, 
S.  1(51.  —  In  der  Zeit  zwischen  Flacius1  Weggang  und  Forster's  Ankunft 
mag  Paul  Eber  die  Stelle  provisorisch  innegehabt  haben :  er  wird  in  einem 
Verzeichniss  der  Wittenberger  Professoren  von  15 17  als  Lehrer  des  Hebräischen 
angegeben  bei  Strobel:  Ratzenbergers  geheime  Geschichte  von  den  Chur-  und 
Sächsischen  Höfen.  1775.  S.  86,  Anm.  68.  In  demselben  Jahre  (1547)  schreibt 
auch  Caspar  Cruciger  in  seinem  Anschlag:  Adiungam  autem  et  Ebraicae 
Knguae  Grammaticen  et  Enarrationem  vel  Psalmorum  vel  Proverbiorum  Sa- 
loinonis,  23.  Oktober  1547  in  Corpus  Reformatorum  ed.  Bretschneider  vol.  VI 
col.  712. 

Zu  S.  1<»2.  Die  Abhandlung  vom  Licent.  Förster :  „Jobann  Forster, 
ein  Bild  aus  der  Reformationszeit",  in  der  Zeitschrift  für  historische  Theo- 
logie 1861»  S.  2l<) — 238,  ist  für  unsern  Zweck  ohne  Werth.  Das  Lexiken  Forster's 
wird  zweimal  S.  21!)  u.  237  nur  kurz  erwähnt:  die  Mittheilung,  dassForster 
„1515  in  Ingolstadt  den  berühmten  Reuchlin  hörte"  und  dass  er  „mit  Reuchlin 
in  näherem  mehrjährigen  Verkehr  stand",  möchte  schwer  zu  beweisen  sein. 
Neben  der  oben  S.  L32  erwähnten  Aeusserung  vgl.  ferner:  „Magister Forste- 
mius  klagte  D.  M.  Luther,  dass  sein  Predigtamt  ihm  säur  und  schwer  an- 
käme, und  alle  seine  Predigten  ihme  zu  eng  wären,  auch  würde  er  oft  irre 
drinne,  er  wollte,  dass  er  noch  bei  seiner  alten  Profession  (näml.  der  hehr. 
Professur)  gehliehen  wäre."  Luthers  Tischreden  hgg.  von  Förstemann, 
Bd.  2.  Leipz.  1845.  S.  371.  Gegen  Forster's  Lexikon  wandte  sich  Johann 
Isaak  in  folgender  Schrift:  mivJ~  Mediationes  hebraicae  inartem  grammati- 
cam  per  integrum  librum  Ruth  explicatae,  una  cum  aliarum  rerum  nonnullis 
accessionibus,   hujus  linguae  tyronibus   cum    primis    utilibus   ac   aecessarü 


Naehl  137 

Luthore  Johanne  Isaac,  amplissimi  Sexiatus  Coloniensis  publice  Professor  e-.  .  . 
Ldiecta  sunt  quaedam  .  .  .  contra  confusissimurn  I>.  Johannia  Fürsten,  quan- 
oque  Profe8soris  Wittenbergensis  Lezicon  . . .  Coloniae  es  officina  typogra- 
»hica  Jacobi  Soteris.  Anno  MDLV1II.  52  S.  in  4°.  Die  Bemerkungen  gegen 
i'orster  beginnen  S.  41.  Er  habe  sein  Buch  schon  beendet  gehabt,  dasei 
hm  F.'s  Lexikon  zugekommen.  Cuius  etiam  frontispicio  adieeta  praefatio 
iuris  quibusdam  convitiis  tarn  Christianos  ounies  <|iii  in  hoc  genere  stiidiorum 
ycelluerunt,  quam  Judaeos  onerabat,  qnorom  omnium  in  rebus  perquirendis 
olertiain.  in  adinventis  aestimandis  fidem  atque  artificiosam  industriam 
tactenus  in  Hebraea  lingua  nihil  quiequam  laude  dignum  praestitisse,  Bed 
>er  solum  Pursterum  haue  linguam  esse  et  a  sordibus  repurgatam  ei  quasi 
»ostliminio  Cristianorum  commodis  restitutani  praedicabat,  aliaque  multa  non 
ine  multorum  ignominia  gravissima  iaetabat.  Er  habe  sich  zuerst  gegen- 
iber  dieser  Frechheit  kaum  massigen  können  und  sofort  eine  Gegenschrift 
eröffentlichen  wollen;  als  er  aber  gehört.  Forster  sei  gestorben,  habe  er 
liesen  Plan  aufgegeben,  ne  vel  cum  larvis  certare  (quod  dici  solet)  vel  mor- 
uum  mordere  videremur.  Aber  ganz  schweigen  wolle  er  auch  nicht,  denn 
■orster  zähle  Anhänger:  sein  Sohn  und  Lorenz  Humfrid  erklären,  in  hoc 
tudiorum  genere  unum  Fursterum  omnes  a  tergo  reliquisse.  —  Die  Wider- 
egungen  beschränken  sich  auf  Einzelheiten:  H1?'?  sei  nicht  gen.  fem.,  sondern 
nasc.;  TVnilO  sei  kein  sing.,  sondern  plur.j  TAH  Gen.  cap.  4  sei  nicht  tut., 
ondern  praet;  pH  sei  nicht  von  ppn  abzuleiten  u.  s.  w. ;  bei  jeder  einzelnen 
fegenbemerkung  wird  die  freche  Unwissenheit  Forster's  gegeisselt.  Dieses 
Jemühen  tritt  namentlich  am  Schluss  hervor :  Quaenam  est  igitur  in  Furstero 
am  insolens  eruditionis  ostentatio?  quod  non  tarn  incredibile  hominis  iudi- 
ium  quod  se  absque  Rabbinorum  subsidio  consecutum  gloriatur?  Illene  sibi 
tabbinorum  scripta  undequaque  perspeeta  in  Judaeormn  synagogis  se  versatum, 
omi  Judaeorum  multa  consuetudine  non  sine  rei  familiaris  singulari  iactura 
sum  fatetur,  quam  ne  vidisse  quidem  Rabbinorum  (praeter  unius  aut  alterius) 
cripta  argumenta  certissima  docent?  quem  nunquam  feliciter  in  hisce  studiis 
ersatum  sua  ipsius  monumenta  declarant?  quae  mihi  quidem  prorsus  hanc 
aspicionem  afferunt,  ut  existimem,  si  quisquam  fuit,  qui  linguam  Hebraeam 
iidicio  suo  conturbavit,  Fursterum  fuisse;  si  quisquam  fuit,  qui  sua  inter- 
iretatione  linguae  integritatem  laesit,  Fursterum  fuisse;  si  quisquam  fuit, 
ui  horum  studiorum  fundamenta  errore  convulsit,  firmamenta  audacia  labe- 
aetavit,  Fursterum  fuisse  . . .  Die  Schrift  enthält  sonst  den  hebräischen  Text 
M  die  lateinische  Uebersetzung  des  Buches  Ruth  und  u.  d.  T.  Hebraicae 
leditationes  kurze  Erklärungen  und  längere  Bemerkungen  nachKimchi  gegen 
'astalio. 

Zu  S.  107:  Schon  1521  wurde  in  Freiburg  Johannes  Lonicerus 
uf  vorübergehende  Zeit  Lehrer  der  hebräischen  Sprache,  ihm  folgte 
lichael  Däle  von  Aach  1522—1531.  Nach  ihm  kam  Johannes  Moli- 
oris,  der  aber,  durch  sein  Amt  als  Vierherr  am  Münster  in  seinen  Vor- 
esungen  gehindert,  die  Professur  an  Johann  Härtung  abgiebt  (1546). 
L,  eigentlich  Professor  des  Griechischen,  erklärt  zwar,  er  habe  sich  lange 
licht  mit  dem  Hebräischen  beschäftigt,  liest  aber  doch.  Indess  muss  er  sich 
•ald,  obwohl  die  philosophische  Fakultät  alle  Diejenigen,  die  Magister  wer- 
ten wollen,  auf  die  Notwendigkeit  des  Hebräischen  aufmerksam  macht  (1548;, 
iber  den  geringen  Besuch  der  Vorlesungen  beklagen;    ein  Mangel,   der  wol 

Geiger,  Studium.  ' ' ' 


138  Nachträge. 

weniger  an  der  Interesselosigkeit  der  Schüler,  als  an  der  Unfähigkeit  des 
Lehrers  lair  und  unter  dem  uns  bereits  bekannten  Oswald  Schrecken- 
fuchs (1552 — 1575)  nicht  mehr  empfunden  wurde.  Vgl.. Schreiber,  Geschichte 
der  Universität  zu  Freiburg  i.  Br.  1.  Band  1857,  S.  89;  2.  Band  1859.  S.  198, 
200  u.  Anm.,  S.  212,  213  fg.  u.  Aiiin.,  S.  255. 

Zu  S.  116.  Später  war  Johann  Isaak  Professor  des  Bebräischen  in 
Köln,  ein  getaufter  Jude,  den  wir  bereits  in  seinem  Auftreten  gegen  Förster 
betrachtet  haben  (s.  o.  S.  136  fg.).  Erbat  auch  eine  hebräische  Grammatik  ge- 
schrieben, deren  zweite  Auflage  (vgl.  Steinschneider,  Bibliographisches  Hand- 
buch, S.  68,  No.  975)  mir  vorliegt;  dass  die  Autlage  eine  umgearbeitete  ist, 
sagt  der  Verfasser  in  der  Epistola  dedicatoria  an  Bernhardns  Morrien.  Sie 
hat  zum  Titel:  D'Tü?  jiC'p  Perfectissiina  bebraea  grammatica,  commodo 
admodum  ordine  in  tres  libros  distincta.  Quorum  primus  simpliciora  tantum 
docet,  secundus  perfectiora  et  graviora  paulo:  tertius  difticillima  quaeque 
absolutissime  et  accuratissime  tradit,  Authore  Johanne  Isaac,  amplissimi  Se- 
natus  Coloniensis  publico  Professore  .  .  .  Coloniae.  Ex  oificina  typographica 
Jacobi  Soteris.  Anno  MDLVII.  6  unpag.  und  152  S.  in  4«;  auf  der  letzten 
Seite  ein  hebräisches  Gedicht  und  Errata.  Im  lateinischen  Ausdruck  hat  ihm, 
wie  er  sagt,  Stefan  Mumius  aus  Zwoll  nachgeholfen.  Ueber  die  Accente, 
bemerkt  er,  fasse  er  sich  sehr  kurz  (wirklich  giebt  er  pg.  119—122  nur  wenige 
Notizen  weil  Andreas  Balenus,  Professor  in  Löwen,  ein  Buch  darüber  sehreiben 
wolle.  [Das  ist  entweder  nicht  erschienen,  oder  hat  ihm  nicht  genügt, 
wenigstens  hat  der  Titel  der  4.  Auflage  unserer  Grammatik  (Antwerpen  1564, 
vgl.  Steinschneider  a.  a.  0)  et  aucta  nominatim  diffuso  de  accentibus  trao- 
tatu.]  Sonst  ist  er  gegen  die  Zeitgenossen  nicht  von  dieser  zartfühlenden 
Zurückhaltung;  wenn  er  sie  citirt,  so  geschieht  es  nur,  um  sie  tadelnd  zu 
widerlegen.  So  weist  er  ihre  Meinung  zurück,  das  fl  in  np"!2J  u.  a.  sei  ein 
he  heemanticum  mit  folgender  einleitender  Bemerkung :  Ideoque  hie  quaedam 
non  reprehendendi  libidine,  neque  ostentandi  voluntate,  sed  veritatis  demon- 
strandae  causa  breviter  inserenda  videntur,  a  qua  Grammatici  fere  omnes  qui 
hac  nostra  aetate,  etiam  in  universitatibus  celeberrimis,  scribimt,  hac  in  re 
maxime  aberrasse  mihi  visi  sunt  (p.  37) ;  fertigt  den  Abraham  de  Balmes  kurz 
ab,  der  seiner  Behauptung:  WtVD  sei  nach  der  Ansicht  aller  Grammatiker 
eigentlich  C"iz'V  zu  schreiben,  widersprochen  (p.  107);  tadelt  den  von  Münster, 
den  er  übrigens  hujus  linguae  alioquin  satis  peritus  nennt,  ausgesprochenen 
Satz:  vor  Gutturalen  stehe  das  Schwa  mobile,  in  ziemlich  wegwerfender  Weise: 
Verum  id  esse  falsissimum,  tarn  est  manifestum,  ut  probatione  non  indigeat 
(p.  129  fg.),  und  verwirft  zwei  Behauptungen  des  Pariser  Professors  Quin- 
quarboreus  (p.  139  und  161).  Nur  von  Elias  Levita  nimmt  er  willig  auf, 
ebenso  von  den  früheren  jüdischen  Grammatikern  und  Commentatoren :  den 
Kimchis ;  die  Affixe  gebe  er,  sagt  er  gradezu  (p.  109),  nach  dem  'b'ZV  "prra 
rnn  des  Moses  K.  (s.  o.  S.  36);  B,aschi,  Aben  Esra;  gelegentlich  führt  er 
an  liber  Cosdrae  p.  119,  Aben  Tibbon,  Moses  Hanakdan  p.  123,  1!.  Jona 
p.  148;  von  ihnen  angewendete  grammatische  Ausdrücke,  selbst  hebräisch 
gefasste  Regeln  braucht  er  gern,  z.  B.  p.  45.  Nur  einmal  spricht  er  einen 
heftigen  Tadel  gegen  die  alten  Grammatiker  aus.  Er  wendet  sich  gegen  die 
Meinung  derer,  die  behaupten,  ein  Hophal  könne  nur  von  den  Verben  vorkommen, 
die  sich  mit  dieser  Form  in  der  Bibel  finden,  und  sagt:  Quam  bonis  rationibus 
utantur,  docti  iudicent,  mihi  sane  non  vacat  contra  ineptias  cuiusvis  disputare. 


Nachtrage.  139 

Hoc  tarnen  dico,  istos  multo  magia  videri  cum  ratione  Lnsanire,  quam  qui 
nullum  voeabulum  Latinum  admittunt,  quod  apud  Ciceronem  haud  extet,  cum 
scripta  Ciceronis  multa  et  varia  sint,  Biblia  vero  exigua,  ut  in  iis  non  omnia 
Hebraica  contineri  queant  (p.  141). 

Auch  auf  das  Arabische  nimmt  er  Rücksicht:  p.  11,  39,  123;  an  letzter 
Stelle  findet  sich  ein  gedrucktes,  allerdings  ziemlich  verunglückt  ausgefallenes 
arabisches  Wort;  dagegen  finde  ich  nur  eine  Berücksichtigung  des  Chal- 
däisehen  p.  142.  Der  christliche  Standpunkt  tritt  nur  einmal  hervor  und 
da  schwach  genug:  Für  die  Regel,  dass  V  im  Rabbinischen  häufig  für  "HPK 
gebraucht  werde,  gibt  er  das  Beispiel:  "naCDM  W  btS  "Ol  .TTTlfi  p  VWWV 
quod  Job.  b.  Per.  praeceptor  fuit  JESV  NAZABENI,  p.  44. 

Die  drei  Bücher  der  Grammatik  sind  drei  Stufen.  Das  erste  Buch  ist 
die  Elementargrammatik ;  als  merkwürdig  sei  daraus  der  Abschnitt  de  literis 
heemanticis,  d.  h.  die  sechs  Buchstaben,  die  im  Worte  TCÖtn  vorkommen  und 
die  vorn  oder  hinten  an  Wörter  angefügt  werden  können ,  hervorgehoben. 
Das  zweite  Buch  enthält  die  unregelmässigen  Verba,  dann  die  fünfsilbigen 
und  andere  unregelmässige  Nomina,  die  Zahlen,  Affixe  an  Verba  und  Präpo- 
sitionen und  kurze  Bemerkungen  über  Präpositionen.  Das  dritte  Buch  ent- 
hält Zusätze  und  Ergänzungen  zu  fast  allen  in  den  früheren  Theilen  gegebe- 
nen Regeln,  die  für  den  ersten  Gebrauch  der  Sprache  noch  nicht  nothwendig 
erschienen. 

Zu  S.  120.  Wizel  hat  ausserdem  geschrieben :  Idiomata  quaedam  linguae 
sanctae  in  scripturis  veteris  testamenti  observata.  Moguntiae  1542.  76  S.  und 
1  Bl.  in  80.     Vgl.  Steinschneider,  Bibliogr.  Handb.     S.  149,  No.  2155. 

Zu  S.  119.  Anm.  2.  Sein  Werk:  Institutiones  Grammatices  Ebreae, 
authore  D.  Andrea  Planco.  His  subnectitur  Jonas  Propheta,  cum  versione 
Latina  .  .  Viennae  Austriae  excudebat  Egidius  Aquila.  Anno  DMLII.  ist 
schon  deshalb  zu  erwähnen,  weil  es  der  erste  gute  hebräische  Druck  in  Wien 
ist.  Vgl.  Denis:  Wiens  Buchdrucker -Geschichte  bis  MDLX.  Wien  1782. 
S.  498 — 5(X).  (In  einem  das.,  S.  412,  angeführten  Schriftchen  vom  J.  1544, 
dessen  Verf.  Joh.  Sylvester  Pannonius  sich  Professor  hebraicarum  literarum 
publicus  nennt,  kommen  zwar  auch  hebräische,  aber  sehr  schlechte  Typen 
vor.)  Nach  Denis  sei  bemerkt,  dass  unsere  Grammatik,  die  am  Ende  auf 
die  Arbeiten  der  beiden  Kimchi,  des  Elias  Levita,  Reuchlins,  Münsters, 
Aurogallus',  Biblianders  [als  auf  ihre  Quellen?]  verweist,  die  Sprache  in 
vier  Theilen :  Orthographia,  Etymologia,  Syntaxis  und  Prosodia  behandelt,  und 
dass  die  Uebersetzung  des  Jonas,  die  dem  Text  gegenübersteht,  ziemlich 
wörtlich  ist.  Plankus  wird  1554  als  Dekan  der  medicinischen  Fakultät 
genannt;  andere  Werke  über  hebräische  Sprache  sind,  nach  Denis,  nicht  sicher 
ihm  angehörig. 

Zu  S.  127.  Wie  unter  den  Pädagogen  jener  Zeit  Erasmus  überhaupt 
einen  Platz  verdient,  so  soll  er  auch  in  unserer  Frage  gehört  werden.  In 
seinem  Dialogus  de  recta  latini  graecique  sermonis  pronunciatione  (Opera  ed. 
Lugd.  Bat.  vol.  L,  col.  923  fg.),  heisstes:  Ursus.  Quid  de  lingua  Hebraica? 
Leo.  Eam,  quoniam  nee  admodum  late  patet,  et  ut  apparet,  nee  ab 
ipsis  Hebraeis  satis  tenetur  Iudaeis  ac  Theologis  relinquerem.  Simulque 
vereor,  ne  quid  Judaismi  cum  literis  imbibat  puer.  U.  Eadem 
opera  verere,  ne  quid  Paganismi  imbibat  ex  Homero,  Demosthene,  Virgilio 
et  Cicerone.  L.    Et  hoc  pro  viribus  curabitur.  —  Es  sei  bei  dieser  Gelegen- 


140  Nachträge. 

heit  gestattet,  einiges  über  Erasmus  zu  sagen,  was  zur  Ergänzung  von  oben 
S.  4,  A.  2  dienen  kann.  1516  wollte  er  hebräisch  lernen.  Johannes  Colet 
schreibt  an  ihn :  .  .  .  .  agnoscens  etiam  te,  qui  es  mecum  par  aetate  et  annis, 
nunc  Hebraicis  literis  te  dare.  13.  October  1516.  Opp.  vol.  III..  col.  1573. 
Epist.  (App.)  LXXXIV.  Aber  noch  1.  December  1519  schreibt  er,  vielleicht 
in  Betreff  eines  neuen  Professors  an  Adrians  Stelle :  De  Hebraeo  non  possum 
judicare,  sed  consulam  eos,  qui  sine  dubio  possunt.  1.  c.  col.  523,  epist. 
CCCCLXXX.  Unwissenheit,  die  sich  breit  machte,  verspottete  er  auch  hier. 
Er  erzählt  eine  Geschichte  von  einem  Theologen,  der  vor  dem  König  von 
England  das  kühne  "Wort  sprach,  das  Griechische  könne  er  nicht  verachten, 
weil  es  vom  Hebräischen  abstamme,  und  der  wegen  dieser  Behauptung  von 
Hofe  weggejagt  worden  (Petro  Mosellano,  1519,  I.e. col. 408,  epist.  CCCLXXX.), 
und  von  einem  Professor  der  Theologie,  der  später  Bischof  geworden  sei,  und 
der  die  weise  Behauptung  vorbrachte,  Paulus  habe  an  die  Corinther  hebräisch 
geschrieben  (Martino  Lipsio,  5.  Sept.  1528,  1.  c.  col.  1108,  epist.  DCCCCLXXIX). 
Wir  haben  schon  oben  gesehen  (S.  43.  A.  1).  dass  er  Capito's  Kenntniss  des 
Hebräischen  sehr  hoch  schätzte;  dennoch  hätte  er  lieber  gesehen,  dass  er 
sich  mit  anderen  Studien,  z.  B.  dem  Griechischen,  beschäftige.  Eine  bezeich- 
nende Stelle  darüber  mag  hier  Platz  finden:  Optarim  te  propensiorem  ad 
Graeca  quam  ista  Hebraica,  licet  ea  non  reprehendam;  video  gentem  eam 
frigidissimis  fabulis  plenam,  nihil  fere  nisi  fumos  quosdam  objicere,  Talmud, 
Cabalam,  Tetragrammaton,  Portas  Lucis,  inania  nomina:  Scoto  malim  infec- 
tum  Christum  quam  istis  naeniis.  Italia  multos  habet  Judaeos,  Hispania 
vix  habet  Christianos  .  .  .  Atque  utinam  Christianorum  ecclesia  non  tantum 
tribueret  veteri  testamento  quod  cum  quo  tempore  datum  umbris  constet, 
Christianis  literis  pene  antefertur;  interim  utcumque  defiectimus  a  Christo 
qui  vel  unus  nobissufficiebat  (13.  März  1518, 1.  c.col.  1675,  epist.  (app.)  CCLXXII.) 
Zu  S.  128  u.  A.  4.  Auch  Melancht.  benutzte  seine  Kenntniss  d.  Hebräischen : 
Peto  ab  Osiandro  Babinorum  i^y^jeis  de  lege  Judaica,  qua  frater  mortui 
fratris  uxorem  ducere  iubetur.  An  Veit  Dietrich,  9.  Februar  1536.  Corpus 
Keformatum  III,  col.  30.  Um  von  dem  Juden  -  Schulmeister  Wölfflin  chal- 
däisch  zu  lernen,  muss  Osiander,  da  den  Juden  der  Eingang  in  die  Stadt 
verboten  war,  den  Kath  um  die  Erlaubniss  bitten,  denselben  in  sein  Haus 
zu  nehmen.  Vgl.  Andreas  Würfel:  Nachricht  von  der  Juden -Gemeinde  zu 
Nürnberg.     1775.     S.  96. 


Berichtigungen: 


S.  1",  Z.  1  streiche  „und". 

S.  30,  Z.  3  lies:  „es"  statt  „ihn". 

S.  33,  Z.  6  v.  u.  lies:  „mirifico"  statt  „merifico". 

S.  58,  A.  1  lies:  „curabimus"  statt  „cuarbimus". 

S.  89,  Z.H.  v.o.  lies:  „Aininan's"  statt  „Arninon's" 


Druck  von  Heinrich  Lindner  in  Breslau. 


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