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Full text of "Das unterrichtswesen im Deutschen Reich; aus anlass der Weltausstellung in St"

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Das 


Unterrichts  wesen 


im  Deutschen  Reich 


Aus  Anlaß  der  Weltausstellung  in  St.  Louis  unter  Mitwirkung 
zahlreicher  Fachmänner  herausgegeben 


W.  LEXIS 


I.  BAND 
Die  Universitäten 


BERLIN 

Verlag  von  A.  Asher  &  Co. 

1904 


Die 


Universitäten 


im  Deutschen  Reich 


Unter  Mitwirkung  zahlreicher  Universitätslehrer  herausgegeben 


W.  LEXIS 


BERLIN 

Verlag  von  A.  Asher  &  Co. 

1904 


SEINER  MAJESTÄT 
DEM  DEUTSCHEN  KAISER 


^^^0\ 


Vorwort. 


Gemäß  der  Willensmeinung  Seiner  Majestät  des  Kaisers  wird 
das  Deutsche  Reich  sich  bestreben,  auf  der  Weltausstellung  in  St.  Louis 
einen  seiner  Kulturentwicklung  entsprechenden  Platz  einzunehmen. 
Allerdings  ist  die  deutsche  Industrie  wegen  der  großen  Entfernung 
und  anderer  Schwierigkeiten  nicht  in  der  Lage,  sich  an  der  neuen 
Ausstellung  auch  nur  annähernd  in  gleichem  Umfange  zu  beteiligen, 
wie  an  der  großen  Pariser  Weltschau  von  1900.  Aber  der  Wett- 
bewerb der  Völker  äußert  sich  nicht  nur  in  den  materiellen  Erzeug- 
nissen ihrer  produktiven  Tätigkeit;  er  tritt  auch  hervor  in  der  Schulung 
und  Ausbildung  der  geistigen  Kräfte,  die  leitend  oder  untergeordnet 
zusammenwirken  müssen,  um  die  Produktivität  des  volkswirtschaftlichen 
Organismus  zu  unterhalten  und  zu  steigern.  Daher  hat  das  Unter- 
richtswesen seine  wohlberechtigte  Stelle  auf  den  Weltausstellungen 
gefunden  und  so  hat  auch  für  die  von  St.  Louis  die  Preußische 
Unterrichtsverwaltung  unter  Mitwirkung  der  Regierungen  anderer 
Bundesstaaten  es  übernommen,  das  deutsche  Schulwesen  in  allen 
seinen  Stufen  und  Zweigen  durch  wissenschaftliche  Einzelausstellungen 
und  durch  eine  reiche  Sammlung  geeigneter  Gegenstände,  wie  Lehr- 
mittel, Modelle,  Pläne,  graphische  Tafeln,  Beschreibungen  usw.,  soweit 
es  auf  diesem  Wege  möglich  ist,  zur  Darstellung  zu  bringen. 

Auch  das  vorliegende,  auf  Anregung  des  Preußischen  Herrn 
Kultusministers  Dr.  Studt  entstandene  Werk  ist  bestimmt,  als  Beitrag 
der  Deutschen  Unterrichtsausstellung  in  St.  Louis  zu  dienen.    Es  hatte 


IV  Vorwort. 

sich  einer  ausgiebigen  materiellen  Unterstützung  von  Seiten  der 
Königlich  Preußischen  Unterrichtsverwaltung  zu  erfreuen  und  schuldet 
auch  anderen  Regierungen  Dank  für  wohlwollende  Förderung,  jedoch 
ist  es  nicht  als  eine  amtliche  Veröffentlichung  anzusehen  und  daher  sind 
die  von  den  einzelnen  Mitarbeitern  geäußerten  Ansichten  immer  nur 
als  Ausdruck  ihrer  persönlichen  Meinung  aufzufassen. 

Der  gegenwärtige  erste  Band  betrifft  die  Universitäten  und 
entspricht  also  dem  von  mir  bei  Gelegenheit  der  Weltausstellung  zu 
Chicago  herausgegebenen  Werk:  „Die  Deutschen  Universitäten** 
(Berlin  1 893).  Während  aber  dieses  sich  vorzugsweise  mit  den  Leistungen 
der  Universitäten  auf  dem  Gebiete  der  wissenschaftlichen  Forschung 
befaßte,  wird  hier  hauptsächlich  ihr  Lehrbetrieb,  ihre  Wirksamkeit 
als  höchste  wissenschaftliche  Unterrichtsanstalten  behandelt  und  außer- 
dem für  jede  Universität  eine  kurze  historisch-statistische  Skizze  bei- 
gefügt. 

Der  letzte  Abschnitt,  der  sich  auf  die  privaten  hochschulartigen 
Veranstaltungen  bezieht,  greift  in  ein  anderes  Gebiet  über,  das  aber 
doch  w-ohl  an  dieser  Stelle  seinen  passendsten  Anschluß  findet. 

Gewisse  Ungleichmäßigkeiten  und  Unebenheiten  ließen  sich 
nicht  vermeiden  und  mögen  durch  die  große  Zahl  der  Mitarbeiter  und 
die  Kürze  der  zu  Gebot  stehenden  Zeit  entschuldigt  werden. 

Göttingen,  im  März  1904. 

W.  Lexis. 


Inhalt. 


Seite 
V^orworl III 

Einleitung. 

I.  Überblick  über  die  geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen 
Universitäten  mit  besonderer  Rücksicht  auf  ihr  Verhältnis  zur 
Wissenschaft  von  Dr.  F.  Paulsen,    o.  Prof.  an  der  Universität  in  BerHn         3 

Vorbemerkung 3 

I.  Abschnitt.     Das   Mittelalter 5 

IL  Abschnitt.     Das  16.  und  17.  Jahrhundert 12 

III.  Abschnitt.     Das  18.  Jahrhundert 17 

IV.  Abschnitt.     Das  19.  Jahrhundert 23 

II.  Übersicht  der  gegenwärtigen  Organisation  der  deutschen  Uni- 
versitäten von  Dr.  W.  Lexis,  Geh.  Kegierungsrat  und  o.  Prof.  an  der 
Universität  in  Gottingen 39 

I.  Abteilung. 

Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb  der  Fakultäten. 

I.  Evangelisch-theologische  F'akultät  von  Dr.  D.  G.  Kawerau,  o.  Prof. 

an  der  Universität  in  Breslau 61 

II.  Katholisch-theologische  Fakultät    von    Dr.  .\lb.  Ehrhard,    o.  Prof. 

an  der  Universität  in  Straßburg 77 

I.  Die  Universitätsfakultäten 77 

1.  Statistik  77.  2.  Rechtliche  Stellung  78.  3.  Unterschied  von  den 
übrigen  theologischen  Bildungsanstalten  79.  4.  Die  einzelnen  theo- 
logischen Lehrstühle  80.  5.  Studienordnung  82.  1/6.  Die  praktischen 
L'bungen  der  theologisch-wissenschaftlichen  Seminare.  Preisfragen  83. 
7.  Prüfungen.  Promotionsordnung  85.  8.  Habilitationsordnung  91. 
II.  Die  Lyzeen 94 

III.  Die  bischöflichen  theologischen  I^hranstalten 98 

IV.  Die  praktischen  Priesterseminare  100 


VI  Inhalt. 

Seite 

III.  Die  juristische  Fakultät: 

I.  Der  Lehrbetrieb  von  Dr.  Heinrich  Titze,  a.  o.  Professor  an  der  Uni- 
versität in  Göttingen 102 

n.  Das    bürgerliche    Gesetzbuch    und    das  Kechtsstudiuin    von  Dr.  Josef 

Kohler,  o.  Prof.  an  der  Universität  in  Berlin 122 

IV.  Die  medizinische  Fakultät  von  Dr.  A.  Wassermann,  a.  o.  Prof.  an  der 
Universität  in  Berlin 127 

Das  medizinische  Universitätsstudium 130 

Studienplan  für  Mediziner 135 

Nachtrag.     Praktisches  Jahr 148 

Ärztliches  Fortbilduiigswesen 153 

Erster  Anhang.       Der  Studiengang  der  Zahnärzte  im  Deutschen  Reiche     157 
Das     Frauenstudium     der     Medizin     an    deutschen 
Universitäten      .  " 157 

Zweiter  Anhang,     Lber  die  bei  der  medizinischen  Doktorpromotion  zu 

stellenden  Minimalforderungen  von  W.  Lexis    .     .     158 

V.  Philosophische  Fakultät 159 

Vorbemerkung 159 

I.  Philosophie.      Psychologie.      Pädagogik    von   Dr.  Rudolf  Lehmann 
Professor   am  Luisenstädtischen  Gymnasium    und  Privatdozent   an  der 

Universität  in  Berlin 163 

II.  Klassische  Philologie    von  Dr.  Friedrich  Leo,    Geh.    Regierungsrat 

und  o.  I*rof.  an  der  Universität  in  Gottingen 172 

IIL  Deutsche  Philologie    und  Literaturgeschichte  von  Rudolf  Lehmann     179 
IV.  Englische    und    romanische  Philologie    von    Dr.  A.  Brandl,  o.  Prof. 

an  der  Universität  in  Berlin 185 

V.  Semitische  und  andere  orientalische  Sprachen  von  Dr.  Eduard  S  ach  au. 

Geh.  Regierungsrat  und  o.  Prof.  der  Universität  in  Berlin      ....     193 
VI.  Sanskrit  von  Dr.  F.  Kielhorn,    Geh.  Regierungsrat   und  o.  Prof.  an 

der  Universität  in  Göttingen 199 

VII.  Vergleichende    Sprachwissenschaft    von    Dr.    Jakob    Wackernagel, 

o,  Prof.  an  der  Universität  in  Göttingen 202 

VlII.  Geschichte.     Kunstgeschichte  von  Dr.  Karl  Brandi,  o.  IVof.  an  der 

Universität  in  Göttingen 208 

IX.  Staatswissenschaften  von  W.  Lexis 219 

X.  Geographie  nebst  Meereskunde  und  Ethnographie  von  Dr.  Hermann 

Wagner,  Geh,  Regierungsrat  und  o.  Prof.  der  Ihiiversilät  in  Göttingen     225 

1.  Der  Lehrkörper  und  die  Zuhörerschaft 225 

2.  Der  Lehrbetrieb 228 

3.  Geographische  Übungen 230 

4.  Die  geographischen  Institute 234 

5.  Historische  Geographie 240 


Inhalt.  VII 

Seite 

6.  Meereskunde  und  Geophysik 240 

7.  Anthropologie  und  Ethnographie 241 

XI.  Mathematik,  Physik,  Astronomie    von    Dr.    Felix  Klein,    Geh.    Re- 
gierungsrat und  o.  Prof.  an  der  Universität  in  Göltingen 243 

I.  Physik 243 

II.  Astronomie  (nebst  Geonomie) 253 

III.  Mathematik     . 259 

XII.  Chemie  von  Dr.  O.  Wallach,  Geh.  Regierungsrat  und  o.  Prof.  an  der 

Universität  in  Gottingen 267 

XIII.  Physikalische  Chemie  von  Dr.  W.  N ernst,  o.  Prof.  an  der  Universität 

in  Göttingen 271 

XI \*.  Mineralogie.     (Geologie.     Paläontologie    von    Dr.    ¥.  Frech,    o.  Prof. 

an  der  Universität  in  Breslau 274 

X\'.  Botanik    und  Zoologie  von  Dr.  J.  Reinke,    Geh.  Regierungsrat    und 

o.  Prof.  an  der  Universität  in  Kiel 280 

XVI.  I^ndwirtschaft  von  Th.  Freiherr  von  der  Goltz,  Geh.  Regierungs- 
rat,  Direktor  der    Akademie   Bonn-Poppelstorf  und    o.  Prof.    an    der 

Universität  in  Bonn 290 

XV'II.  Forstwirtschaft  von  Dr.  M.  Endres,    o.  Prof.    an    der  Universität    in 

München 301 

1.  (leschichtliches 301 

2.  I^hrbetrieb  an  der  Universität  München 307 

II.  Abteilung. 

Die  einBeinen  Universitäten. 

I.  Die  Königlich  Preußische  Friedrich-Wilhelms-Universität    ru    Berlin 
von  Dr.  L.  von  Bortkiewicz,  a.  o.  Prof.  an  der  Universität  in  Berlin  und 

W.  Lexis 313 

1.  Geschichtliche  Übersicht 313 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 322 

3.  Statistische  Übersichten 327 

Anhang.     1.  Das  Seminar  für  Orientalische  Sprachen  von  Eduard  Sachau  330 

2.  Andere  wissenschaftliche  Anstalten  von  W.  Lexis       .     .     .  334 

II.  Die  Königlich  Preußische  Rheinische    Friedrich-Wilhelms-Uni- 
versität  zu  Bonn 336 

1.  Geschichtliche  Übersicht  von  W.  Lexis 336 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903)  von  Dr.  E.  (ioihein,  o.  Prof. 

an  der  Universität  in  Bonn 340 

3.  Statistische  Übersichten 344 

III.  Die  Königliche  Universität  Breslau  von  Dr.  Julius  Wulf,    o.    Prof. 

an  der  Universität  in  Breslau 347 

1.  Geschichtliche  Übersicht 347 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 353 

3.  Statistische  t^ersichtcn 360 


VIII  Inhalt. 

Seite 

IV.    Die    Königlich     Preußische    Georg-August-Universität     in    Göt- 
tingen von  W,  Lexis 363 

1.  Geschichtliche  Übersicht 363 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 367 

3.  Statistische  Übersichten 375 

V.    Die    Königlich    Preußische    Universität    Greifswald    von    Dr.     f. 

Seh m öle,  a.  o.  Prof.  der  Universität  in  Greifewald 378 

1.  Geschichdiche  Übersicht 378 

2.  Gegenwärtiger  Zustand   (Sommer  1903) 384 

3.  Statistische  Übersichten 390 

VI.    Die  Königlich   Preußische   Friedrichs-Universitäi  Halle- Witten- 
berg von  Dr.  J.  Conrad,  Geh.  Kegierungsrat  und  Prof.  an  der  Universität 

in  Halle 392 

1.  Gründung  und  Entwicklung        392 

2.  Frequenzverhältnis 3% 

3.  I^hrbetrieb  und  I^hrkräfte 397 

4.  Institute 399 

5.  Finanzielle  Verhältnisse 406 

VII.    Die    Königliche    C'hristian-Albrechts-Universität     Kiel    von     Dr. 

Georg  Adler,  a.  o.  Prof.  an  der  Universität  in  Kiel 409 

1.  Geschichdiche  Übersicht 409 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 413 

3.  Statistische  Übersichten 417 

VIII.    Die    Königlich    Preußische    Albertus-Universität    /u  Königsberg 

in  Preußen    von  Dr.  K.  Diehl,  o.  Prof.    an    der   l'niversität   in    Königsberg  420 

1.  Geschichtliche  Übersicht 420 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 425 

3.  Statistische  Übersichten 427 

IX.    Die    Königlich    Preußische    Universität   zu    Marburg  i.  H,  von  Dr. 

\V,  Troeltsch,  o.  Prof.  an  der  Universität  in  Marburg 429 

1.  Geschichtliche  Übersicht 429 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 437 

3.  Statistische  Übersichten 442 

X.    Die  Königliche  Universität  Münster  i.  \V.  von  Dr.  M.  von  Hecke!, 

o.  Prof.  an  der  Universität  in  Münster     '. 444 

1.  Geschichtliche  Übersicht 444 

2.  Gegenwärtiger  Zustand .     .     .     .     ^ 447 

3.  Statistische  Übersichten 450 

XL    Die    Königlich    Bayerische    Ludwig-Maximilians-Universitäl    zu 

München    von    Dr.  G.  von  Mayr,    l'nterstaatssekretär  z.  D.   und   o.  Prof. 

an  der  Universität  in  München 452 

1.  ( Jeschichdiche  Übersicht 452 

2.  (iegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 458 

3.  Statistische  Übersichten 4^ 


Inhalt.  IX 

Seite 
XII.    Die     Königlich     Bayerische     Julius-Maximilians-Universität     zu 
Würzburg  von  Dr.  Georg  Schanz,    Hofrat    und  Prof.    an    der  Universität 

in  Würzburg 469 

1.  Geschichtliche  Übersicht 469 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 477 

3.  Statistische  Übersichten 483 

Literatur 486 

XIII.    Die    Königlich    Bayerische  Friedrich-Alexanders-Universität  zu 

Erlangen  von  Dr.  K.  Th.  Eheberg,  o.  Prof.  an  der  Universität  in  Erlangen  488 

1.  GeschichtUche  Übersicht 488 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 4% 

3.  Statistische  Übersichten 501 

XIV.    Die  Königlich  Sächsische  Universität  Leipzig  von  Dr.  W.  Stieda, 

o.  I*rof.  an  der  Universität  in  Leipzig 503 

1.  Gründung  und  erste  Entwicklung 503 

2.  Frequenzverhältnisse 505 

3.  Ältere  Zustände 506 

4.  Neuere  Entwicklung  und  Finanzverhältnisse 507 

5.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 51 1 

6.  Akademische  Institute 513 

XV.    Die    Königl.    Württembergische    Eberhard-Karls-Universität    zu 
Tübingen    von    Dr.    L.    von    Jolly,    o.    Professor    an    der   Universität  in 

Tübingen 535 

1.  Geschichtliche  Übersicht 535 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 536 

3.  Statistische  Übersichten 541 

XVI.  Die  Großherzoglich  Badische  Ruprechi-Carls-Universität  zu 
Heidelberg  von  Dr.  E.  Leser,  a.  o.  Prof.  an  der  Universität  in  Heidel- 
berg        543 

1.  Geschichtliche  Übersicht 543 

2.  Gegenwärtiger  Zustand       .     .     .     .    * 544 

3.  Statistische  Übersichten 549 

XVII.  Die  Großherzoglich  Badische  Albert  -  Ludwigs  -  Universität  in 
Freiburg  i.  B.  von  Dr.  Carl  Johannes  Fuchs,  o.  Prof.  an  der  Univer- 
sität in  Freiburg 552 

1.  Geschichtliche  Übersicht 552 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 555 

3.  Statistische  ÜT>ersichten 559 

XV'III.  Die  Großherzoglich    Hessische    Ludwigs-Universität    zu  Gießen 

von  Dr.  M.  Biermer,  o.  Prof.  an  der  Universität  in  Gießen 562 

1.  Geschichtliche  Übersicht 562 

2.  Gegenwärtiger  Zustand 567 

3.  Statistische  Übersichten 573 


X  Inhalt. 

Seite 

XIX.    Die  Großherzoglich  und  Herzoglich  Sächsische   Gesamt-Üniver- 
sität  Jena  von  Dr.  J.  Pierstorff,  Geh.  Hofrat  und  o.  Prof.  der  Universität 

in  Jena 575 

1.  Geschichtliche  Übersicht 575 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903) 579 

3.  Statistische  Übersichten 588 

XX.    Die      Großherzoglich     Mecklenburg  -  Schwerinsche     Universität 

Rostock    von    Ad.  Hofmeister,    Bibliothekar  der  Universität   in   Rostock  591 

1.  Geschichtliche  Übersicht 591 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  der  Universität 594 

3.  Statistische  Übersichten 597 

XXI.  Die    Kaiser  Wilhelms-Universität    zu  Straßburg  von  Dr.   S.  Haus- 
mann, Universitätssekretär  in  Straßburg 599 

1.  Geschichtliche  Übersicht 599 

2.  Gegenwärtiger  Zustand 601 

3.  Statistische  Übersichten 605 

XXII.  Sonstige  öffentliche  akademische  .\nslalten 607 

a)  Die  katholisch-theologischen  Lyzeen: 

1 .  Das  Königliche  Lyzeum  Hosianum  zu  Braunsberg  von  Dr.  F.  D  i  1 1  r  i  c  h , 
Dompropst  in  Frauenburg,  früher  Professor  in  Braunsberg     .     .     .  607 

2.  Die  bayerischen  Lyzeen 613 

b)  Die  bischöflichen  Kerikalseminare 613 

c)  Die  Kaiser  Wilhelm  -  Akademie  für  das  militärärztliche  Bildungswesen 

in  Berlin  von  Dr.  J.  Ziehen,  Oberstudiendirektor  in  Berlin       .     .     .  614 

d)  Die  Königliche  Akademie  zu  Posen  von  Professor  Dr.  Hans  Norren- 
berg,   Hilfsarbeiter  im  Kgl.  Kultusministeriiun  in  Berlin 618 

e)  Die  wissenschaftlichen  Anstalten  und  das  Vorlesungswesen  in  Hamburg  622 

f)  Das  Königliche  Institut  für  experimentelle  Therapie  in  Frankfurt  a.  M. 
von  Dr.  Heinrich  Bleicher,  Direktor  des  städtischen  statistischen 
Bureaus  und  Professor  an  der  Akademie  für  Sozial-  und  Handelswissen- 
schaften   in  Frankfurt  a.  M 628 

g)  Die  Cölner  Akademie  für  praktische  Medizin 631 

h)   Die  Akademien  der  Wissenschaften 631 

XXIII.  Private  Anstalten  und  Stiftungen  für  höhere  Bildung 633 

Einleitung           633 

1.    Berlin 633 

a)  Vereinigung  für  staatswissenschaftliche  Fortbildung  von  L.  Julius- 
berg,  Amtsgerichtsrat  in  Spandau 633 

b)  Volkshochschule  Humboldt- Akademie  von  Dr.  Otto  Warschauer 
Professor  und  Privatdozentan  der  Technischen  Hochschule  in  Berlin  640 

c)  Verein  für  volkstümliche  Kurse  von  Berliner  Hochschullehrern  von 
demselben 642 

d)  Die  Lessing-Hochschule  von  demselben 644 

Die  Freie  Hochschule        „             „ 644 


Inhalt.  XI 

Seite 

f)    l)a.s  Viktoria-Lyzeum  von  demselben 645 

fj)   Mädchen-    und    F'rauengruppen    für    soziale    Ililfsarbeit    zu    Berlin 

von  demselben 646 

h)  Nachtrag:    I^hranstalt  für  die  Wissenschaft  des  Judentums    .     .     .  655 

2.  Krankfurt  a.  M 647 

a)  Die  Senckenbergische  Stiftung 647 

b)  Die  Senckenbergische  naturlorschende  ( leselLschaft 648 

c)  Der  Physikalische  Verein 648 

d)  Das  freie  deutsche  Hochstift 648 

3.  Dresden 649 

Die  Gehestiftung 649 

Anhang 652 

1.  Gesamtzahl  der  Studierenden  nach  Fakultäten  auf  allen  (22)  Universitäten 

des  Deutschen  Reichs 652 

2.  (Gesamtzahl  der  Dozenten  an  den  deutschen  Universitäten,  Winter  1891/92 

und  Winter  1899/1900 653 

3.  ibersicht  der  Zahl  der  Studierenden  an  den  verschiedenen  Arten  von 
Hochschulen  in  Deutschland,  1869—1899 653 

4.  ( Jesamtsumme  der  ordentlichen  Aasgaben  für  die  deutschen  Universitäten  654 


EINLEITUNG. 


I.  F.  Paulsen,  Oberblick  über  die  geschichtliche  Entwicklung 
der  deutschen  Universitäten  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
ihr  Verhältnis  zur  Wissenschaft. 

IL   W.  Lexis,    Obersicht   der   gegenwärtigen    Organisation    der 
deutschen  Universitäten. 


Dms  UBtcrrichUweten  im  Deat^chen  Reich.    I. 


I.    Überblick  über  die  geschichtliche  Entwicklung  der 

deutschen  Universitäten  mit  besonderer  Rücksicht  auf 

ihr  Verhältnis  zur  Wissenschaft. 

Vorbemerkung. 

Die  folgenden  Blätter  nehmen  nicht  in  Anspruch  mehr  zu  sein 
als  ein  einleitender  Überblick  über  den  Entwicklungsgang  der 
deutschen  Universitäten,  hauptsächlich  in  ihrem  Verhältnis  zur  Wissen- 
schaft und  zum  wissenschaftlichen  Unterricht,  allerdings  ihrem  wesent- 
lichen Verhältnis.  Über  Gründung,  Geschichte  und  Bestand  der 
einzelnen  Universitäten  unterrichten  die  nachstehenden  Einzeldar- 
stellungen. Eine  ausgeführtere  Behandlung  des  gesamten  deutschen 
Universitätswesens  in  seinem  gegenwärtigen  Bestand  und  seiner 
geschichtlichen  Entwicklung  findet  der  geneigte  Leser  in  meinem 
Buch:  Die  deutschen  Universitäten  und  das  Universitätsstudium,  das 
im  gleichen  Verlag  wie  dieses  Werk  im  Jahre  1902  erschienen  ist. 
Es  ist  die  Ausführung  einer  Skizze,  die  dem  aus  Anlaß  der  Chicago- 
Ausstellung  von  1893  entstandenen,  von  W.  Lexis  redigierten  Werk 
über  die  deutschen  Universitäten  vorangeschickt  war. 

Gliederung  der  Geschichte  der  deutschen  Universitäten. 
Wenn  man  die  Gliederung  der  Universitätsgeschichte  aus  ihrem 
Verhältnis  zur  Wissenschaft  und  zur  wissenschaftlichen  Forschung 
herleitet,  dann  ergibt  sich  zunächst  die  Teilung  in  zwei  große  Ab- 
schnitte. Der  erste,  größere  umfaßt  die  Zeit  von  ihrer  Entstehung 
im  12.  Jahrhundert  bis  zum  Ausgang  des  17.  Jahrhunderts,  der  zweite 
das  18.  und  19.  Jahrhundert.  In  dem  ersten  Zeitabschnitt  waren 
die  Universitäten  in  erster  Linie  Schulen,  die  der  Überlieferung  und 
Aneignung  eines  festen  Wissenschaftsbestandes  dienten;  an  ihnen 
fand  die  Aufnahme  und  Verarbeitung  der  antiken  Philosophie  und 
Wissenschaft,  seit  dem  16.  Jahrhundert  der   gesamten   Literatur   und 

1* 


4  Einleitung. 

Geistesbildung  des  klassischen  Altertums  statt.  In  dem  zweiten  Zeit- 
abschnitt sind  die  Universitäten,  vor  allem  in  Deutschland,  die  Haupt- 
träger der  zur  vollen  Selbständigkeit  emporgestiegenen  modernen 
Philosophie  und  Wissenschaft  geworden. 

Jeder  der  beiden  großen  Zeitabschnitte  zerfallt  wieder  in  zwei 
Unterabschnitte,  sodaß  wir  auf  folgende  Vierteilung  kommen. 

Erster  Abschnitt.  Das  Mittelalter.  Auf  dem  Boden  der 
universellen  Kirche  und  ihres  Geisteslebens  erwachsend,  bringen  die 
Universitäten  in  diesem  Zeitalter  die  abendländische  Völkerwelt  unter 
die  bildende  Zucht  der  griechischen  Philosophie  und  Wissenschaft, 
vor  allem  des  aristotelischen  Systems;  sie  dienen  femer  der  wissen- 
schaftlichen Durchbildung  der  Kirchenlehre  und  des  Kirchenrechts 
und  vermitteln  die  Kenntnis  des  römischen  Rechts  und  der  antiken 
Medizin. 

Zweiter  Abschnitt.  Das  16.  und  17.  Jahrhundert.  Es 
ist    das    Übergangszeitalter    zwischen    Mittelalter    und    Neuzeit:    das 

16.  Jahrhundert  die  Zeit  der  Renaissance  und  Reformation,  das  17. 
die  Zeit  der  Entstehung  des  modernen  Staats  und  der  modernen 
Gesellschaft,  und  gleichzeitig  der  modernen  Philosophie  und  Natur- 
wissenschaft. An  den  Bewegungen  des  16.  Jahrhunderts  haben  die 
Universitäten    bedeutenden    Anteil;    nicht    ebenso    sehr   an    der    des 

17.  Jahrhunderts:  die  neue  Philosophie  und  Naturwissenschaft  ist 
nicht  innerhalb  ihrer  Mauern  geboren.  Die  Folge  war,  daß  sie  hinter 
der  Zeit  zurückblieben  und  in  Mißachtung  sanken. 

Dritter  Abschnitt.  Das  18.  Jahrhundert.  Es  ist  das  Zeit- 
alter der  Rezeption  der  modernen  Philosophie  und  Wissenschaft  durch 
die  deutsche  Universität,  zugleich  das  Zeitalter  des  Übergangs  von 
dem  alten  Prinzip  der  gebundenen  Lehmorm  zu  dem  Prinzip  der 
Denk-  und  Lehrfreiheit.  Die  Anleitung  zu  selbständigem  Denken 
und  die  Befruchtung  mit  philosophischen  Ideen  trat  im  Unterricht  als  die 
höchste  Aufgabe  hervor.  Die  deutsche  Universität  hat  in  diesem  Zeitalter 
nicht  nur  die  Führung  im  geistigen  Leben  unseres  Volks,  sondern 
zugleich  in  der  Entwicklung  des  Hochschulwesens  der  europäischen 
Völken\'elt  gewonnen. 

Vierter  Abschnitt  Das  19.  Jahrhundert  Es  ist  das  Zeit- 
alter des  Vordringens  der  Einzelwissenschaften  und  der  Organisierung 
der  wissenschaftlichen  Forschung.  Die  naturwissenschaftliche  und 
ebenso  die  historische  Forschung  emanzipiert  sich  von  aller  philoso- 
phischen oder  theologischen  Dogmatik,  um  in  rastloser  Einzel- 
arbeit   Tatsachen    zu    sanmieln    und    zu    verarbeiten.      Die    deutsche 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  5 

Universität  behält  dabei  die  Führung,  sie  zieht  die  Forscher  an  sich, 
schult  die  Kräfte  und  organisiert  die  Arbeit.  In  ihrem  Unterricht 
tritt  diese  Wendung  in  der  Ausbildung  des  Seminarwesens  hervor; 
die  Anleitung  zu  selbständiger  Teilnahme  an  der  wissenschaftlichen 
Arbeit  gilt  als  die  vornehmste  Aufgabe  des  Lehrers. 


ERSTER  ABSCHNITT. 
Das  Mittelalter. 

Die  ältesten  deutschen  Universitäten  sind  erst  im  1 4.  Jahrhundert 
entstanden,  und  zwar  nicht  auf  dem  Boden  des  heutigen  Reichs, 
sondern  zu  Prag  (1348)  und  Wien  (1365),  denen  sich  dann  als  älteste 
Universitäten  im  gegenwärtigen  Reichsgebiet  Heidelberg  (1386),  Köln 
(1388),  Erfurt  (1392),  und  am  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  noch 
Leipzig  (1409)  und  Rostock  (1419)  anschlössen.  Um  dieselbe  Zeit 
wurden  auch  in  den  östhchen  und  nördlichen  Reichen  die  ersten 
Universitäten  gegriindet.  Eine  zweite  Gründungsepoche  folgte  gegen 
Ausgang  des  Mittelalters,  als  die  Renaissance  schon  ihren  Siegeszug 
durch  die  Länder  Europas  begonnen  hatte.  Ihr  verdanken  die 
Universitäten  zu  Greifswald  (1456),  Basel  (1460),  Freiburg  i.  B.  (1460). 
Ingolstadt  (1472),  Trier  (1472),  Mainz  (1477),  Tübingen  (1477),  Witten- 
berg (1502),  Frankfurt  a.  O.  (1506)  ihr  Dasein. 

Dem  Norden  und  Osten  Europas,  dem  sich  also  in  dieser  Hin- 
sicht auch  Deutschland  einordnet,  war  der  Süden  und  Westen  in  der 
Errichtung  von  Universitäten  lange  vorangegangen.  Die  ältesten 
Universitäten  Frankreichs,  Italiens,  Spaniens  und  Englands  stammen 
aus  dem  Ende  des  12.  und  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts.  Die 
französischen  und  italienischen  Universitäten,  vor  allem  die  Pariser, 
die  seit  langem  von  zahlreichen  Deutschen  besucht  worden  war,  sind 
für  die  deutschen  Gründungen  vorbildlich  gewesen. 

An  der  wissenschaftlichen  Bewegung  der  Zeit  hatte  übrigens  das 
deutsche  Volk  auch  schon  vor  der  Gründung  von  Universitäten 
bedeutsamen  Anteil  genommen.  Albert  der  Große,  der  Erneuerer 
des  Aristoteles,  der  erste  große  Systembildner  im  13.  Jahrhundert, 
stammte  aus  Schwaben.  Und  Köln  war  längst  ein  wichtiger  Sitz  der 
theologischen  und  philosophischen  Studien,  ehe  es  von  Urban  VI. 
den  Stiftbrief  für  ein  Studium  generale  erhielt;  außer  Albertus 
Magnus  selbst  haben  seine  Lieblingsschüler  Thomas  von  Aquino  und 
Duns  ScotuSy  die  Begründer  der  beiden  in  der  Folge  sich  befehdenden 


5  Einleitung. 

Sekten  der  Thomisten  und  Scotisten,    hier  in  den  Ordensschulen  der 
Dominikaner  und  Franziskaner  gelernt  und  gelehrt. 

Die  Entstehung  der  Universitäten  hat  ihren  Grund  in  dem 
mächtigen  Strom  wissenschaftlichen  Lebens,  der  seit  dem  1 1 .  Jahr- 
hundert die  abendländische  Völkerw^elt  zu  durchfluten  begann.  Die 
alten  Kloster-  und  Domschulen  vermochten  das  neue  reichere  Leben 
nicht  mehr  zu  fassen;  so  entstanden  die  neuen  „hohen  Schulen"  als 
Trägerinnen  in  Frankreich  vor  allem  der  neuen  Philosophie  und 
Theologie,  in  Italien  zuerst  der  neuen  Rechtswissenschaft  und  Medizin. 

Die  ursprüngliche  Gestalt  der  neuen  Hochschule  war  die  freie 
Genossenschaft  von  Lehrenden  und  Lernenden.  Indem  sie  von  der 
geistlichen  und  weltlichen  Gewalt  mit  Privilegien  und  Exemtionen 
begabt  wurde,  gewann  sie  die  Form  einer  öffentlich-rechtlichen 
Korporation.  Als  solche  führte  sie  den  Namen  universitas;  als 
Lehranstalt  hieß  sie  Studium  generale.  Als  universitas  (sc.  magistro- 
rum  et  scholarium)  besaß  sie  vor  allem  das  Recht  der  Selbstverw^altung 
und  der  Gerichtsbarkeit  über  ihre  Glieder;  als  Studium  generale 
das  Recht  zu  lehren  und  die  gelehrten  Grade  zu  erteilen,  den  Grad 
des  baccalarius,  des  licentiatus  und  des  magister  oder  doctor. 
Das  Studium  generale  teilt  sich  in  Fakultäten,  ihre  Normalzahl  vier: 
die  Fakultät  der  Theologie,  der  Rechtswissenschaft,  der  Medizin  und 
der  „freien  Wissenschaften"  (artes  liberales).  Die  universitas  teilte 
ihre  Glieder  nach  ihrer  Herkunft  in  „Nationen",  landsmannschaft- 
liche Verbände  für  die  Zwecke  der  Verwaltung.  An  der  Spitze  der 
Nationen  stehen  Prokuratoren,  die  Vorsteher  der  Fakultäten  heißen 
Dekane,  das  Haupt  der  Universität  ist  der  Rektor,  alle  auf  Zeit  aus 
der  Mitte  der  Verbände  gewählt. 

Die  deutschen  Universitäten  sind  nicht  spontan  als  freie 
Genossenschaften  entstanden,  sondern  von  Anfang  an  als  privilegierte 
Lehranstalten  gegründet  worden.  Bei  der  Errichtung  eines  Studium 
generale  wirkten  in  der  Regel  die  weltliche  und  geistliche  Gewalt 
zusammen.  Die  Landesherrschaft  oder  die  Stadt  gewährte  die  äußeren 
Mittel  und  die  Korporationsrechte,  die  römische  Kurie  verlieh  durch 
die  Errichtungsbulle  das  Recht,  in  den  verschiedenen  Fakultäten  zu 
lehren  und  die  Grade  zu  erteilen.  Der  Entstehung  entsprechend,  tritt 
auch  in  der  Organisation  der  deutschen  Universitäten  von  Anfang  an 
das  autoritative  Moment  stärker  hervor;  die  Einteilung  in  Nationen 
hat  hier  nur  bei  den  ersten  Gründungen  bestanden;  die  Fakultäten 
als  die  Verbände  der  Lehrenden  wurden  hier  auch  die  Träger  der 
Korporationsrechte, 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  7 

Der  Wissenschaftsbetrieb  an  den  mittelalterlichen  Universi- 
täten hatte  einen  wesentlich  anderen  Charakter  als  gegenwärtig:  er 
war  in  der  Hauptsache  auf  Aneignung  und  systematische  Durchbildung 
gegebener  und  anerkannter  Wahrheiten  gerichtet.  Das  war  mit  der 
gesamten  Kulturlage  gegeben.  Die  abendländischen  Völker  fühlten 
sich  das  ganze  Mittelalter  hindurch  als  Empfangende,  als  Schüler  des 
Altertums,  von  dem  ihnen  alle  geistigen  Lebensinhalte  kamen:  vor 
allem  die  Religion  und  ihre  Lehre,  in  heiligen  Büchern  niedergelegt, 
von  großen  und  heiligen  Männern  der  Kirche  auch  lehrhaft  be- 
arbeitet, ebenso  aber  auch  die  Philosophie  und  die  Wissenschaften, 
die  Literatur  und  die  Geschichte  und  selbst  die  Sprache.  In  der 
Sprache  und  der  literarischen  Darstellung  mehr  als  bestenfalls 
glücklicher  Nachahmer  der  Alten  zu  sein,  lag  für  die  mittelalterliche 
Gelehrtenwelt  außerhalb  des  Bereichs  möglichen  Ehrgeizes.  Und 
dasselbe  gilt  beinahe  auch  für  die  Wissenschaften;  der  Jünger  ist 
nicht  über  seinen  Meister,  das  ist  das  herrschende  Gefühl.  In  den 
philosophischen  Wissenschaften  war  seit  dem  13.  Jahrhundert  Aristo- 
teles der  große  und  allgemein  anerkannte  Lehrer;  seine  Schriften 
wurden  überall  als  die  Textbücher  gebraucht,  aus  denen  man  die 
Wissenschaften  schöpfte  und  lernte.  Sie  werden  als  die  geltende 
Autorität  angeführt,  namentlich  in  den  Naturwissenschaften,  in  ähn- 
licher Weise  wie  in  der  Theologie  die  heilige  Schrift;  das  „ut  ait 
philosophus"  steht  neben  dem  „ut  est  in  sacra  pagina". 

Vollendet  wurde  der  Charakter  des  gebundenen,  unter  der 
Herrschaft  der  Autorität  stehenden  Wissenschaftsbetriebs  durch  das 
Verhältnis  zu  dem  Gegenstand,  der  das  tiefste  Interesse  erregte,  zur 
Glaubenslehre.  War  in  der  Theologie,  der  Wissenschaft  vom 
Glaubensinhalt,  die  Bewegung  einerseits  am  lebendigsten  und  die 
Selbsttätigkeit  am  größten,  so  war  andererseits  das  Denken  hier  am 
strengsten  und  förmlichsten  durch  die  Autorität  gebunden,  zunächst 
durch  die  Schrift  als  Offenbarung  Gottes  selbst,  dann  durch  die 
Kirche  als  die  berufene  Auslegerin  der  Schrift.  Und  neben  den 
Dogmen,  worin  die  Kirche  den  Inhalt  der  Glaubenslehre  mit  unfehl- 
barer Autorität  feststellte,  stand  das  Kirchenrecht,  worin  sie  mit 
gleicher  Autorität  ihre  Rechtsverhältnisse  und  Rechtsansprüche  dar- 
legte. So  waren  die  beiden  wichtigsten  Gegenstände,  der  Glaube 
und  das  Recht,  der  freien  Gedankenbildung  entzogen;  der  Habitus 
der  Unterordnung  unter  die  Autorität  war  hier  strengste  Forderung. 
Zugleich  erhielten  von  hier  aus  die  übrigen  Wissenschaften,  alle  Teile 
der  theoretischen  wie  der  praktischen  Philosophie,   letzte  Richtlinien: 


8  Einleitung. 

die  Zusammenstimmung  der  Logik  und  Physik,  der  Ethik  und  Po- 
litik mit  jenen  absolut  festgestellten  Punkten  des  kirchlichen  Lehr- 
und  Rechtssystems  mußte  von  vornherein  als  das  notwendig  zu  er- 
reichende Ziel  ins  Auge  gefaßt  werden;  auf  jeden  Fall  wußte  jeder 
Denker,  daß  über  seine  Lehre  von  hier  aus  geurteilt  werden  A^oirde. 

Es  ist  begreiflich,  daß  bei  dieser  Lage  der  Dinge  die  wissen- 
schaftliche Tätigkeit  der  mittelalterlichen  Universitäten  der  Erweiterung 
der  Erkenntnis  selbst  nur  sehr  bescheidenen  Gewinn  gebracht  hat. 
Im  Grunde  standen  Philosophie  und  Wissenschaft  am  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  noch  auf  derselben  Stelle,  wo  sie  im  13.  Jahrhundert 
begonnen  hatten;  Aristoteles  und  seine  großen  Kommentatoren, 
Albertus,  Thomas,  Duns  Scotus,  sie  waren  ständige  Lehrer  geblieben. 

Dem  Wissenschaftsbetrieb  entspricht  der  Unterrichtsbetrieb: 
es  handelte  sich  um  einüben  und  lernen.  Nicht  die  Anleitung  zu 
selbständigem  Denken  oder  zu  eigener  wissenschaftlicher  Forschung 
ist  die  Absicht,  sondern  Darbietung  eines  festen  Wissenschafts- 
bestandes zu  sicherer  Aneignung.  Die  beiden  Formen  des  Unter- 
richts sind  die  Vorlesung  und  die  Disputation.  Die  Vorlesung  hat 
den  Lehrstoff  in  faßlicher  Form  darzubieten,  die  Disputation  für  Ein- 
übung und  Fähigkeit  der  Verwertung  zu  sorgen. 

Der  Vorlesung  liegt  ein  Textbuch  zugrunde.  In  der  artistischen 
Fakultät  werden  vor  allem  die  aristotelischen  Bücher,  natürlich  in 
lateinischer  Übersetzung,  als  Lehrbücher  gebraucht.  Ebenso  werden 
aber  auch  dem  medizinischen  Unterricht  kanonische  Textbücher  zu- 
grunde gelegt.  Und  in  den  beiden  oberen  Fakultäten  sind  die  eigent- 
lichen Textbücher  in  den  Rechtsbüchern  und  in  den  heiligen  Schriften 
gegeben,  in  der  Theologie  werden  noch  die  Sentenzen  des  P.  Lom- 
bardus  regelmäßig  gebraucht.  Die  Aufgabe  des  Lehrers  ist  die 
Wort-  und  Sacherklärung,  wofür  ihm  natürlich  die  Kommentare  der 
Meister  zur  Verfügung  stehen,  die  er  wieder  braucht  und  kommen- 
tiert. Da  eigene  Wissenschaft  hierfür  nicht  eigentlich  vonnöten 
ist,  so  kann  jeder  Magister  über  jedes  Buch  seiner  Fakultät  lesen, 
weshalb  die  Textbücher  vielfach  umgehen  oder  ausgelost  werden. 

In  den  Disputationen  wird  die  gelernte  Wissenschaft  gebraucht, 
um  Schwierigkeiten  aufzulösen  und  Streitfragen  zu  entscheiden.  Die 
Übungsdisputationen,  zu  denen  die  Lehrer  und  Scholaren  durch  die 
Statuten  überall  streng  verpflichtet  werden,  haben  die  Aufgabe,  in 
diesen  Hauptgebrauch  der  Wissenschaft  ihre  Jünger  einzuführen  und 
sie  darin  zu  üben.  Es  werden  darin  von  einem  Magister  Thesen 
aufgestellt,   von    andern    Magistern    der   Reihe    nach   Einwendungen 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  Q 

dagegen  erhoben,  und  diese  Einwendungen  unter  Mithilfe  des 
präsidierenden  Lehrers  zu  widerlegen  ist  das  Geschäft  des  Scholaren, 
eine  Übung,  die  sicherlich  nicht  ungeeignet  war,  Präsenz  des  Wissens, 
rasche  und  sichere  Auffassung  von  Argumenten  und  Schlagfertigkeit 
in  der  Erwiderung  hervorzubringen. 

Der  Studiengang  des  Scholaren  war  eng  gebunden,  Vorlesungen 
und  Übungen  vorgeschrieben,  der  Erfolg  wurde  durch  die  Prüfungen 
für  die  Grade  kontrolliert.  Nicht  minder  war  das  Leben  durch  Ord- 
nungen und  Vorschriften  aller  Art  geregelt;  der  Scholar,  wenigstens 
der  artistischen  Fakultät,  und  sie  machte  auf  den  deutschen  Univer- 
sitäten in  der  Regel  den  weitaus  größten  Teil  des  Bestandes  aus, 
wohnte  unter  Aufsicht  der  Magister  im  „Kollegium**  oder  in  einer 
„Burse";  die  ganze  Lebensordnung  und  Zeiteinteilung  war,  wie  in 
einem  Schulintemat,  durch  die  Statuten    bis    ins    einzelne  festgestellt. 

Man  sieht,  die  deutsche  Universität  des  Mittelalters  glich  im 
Unterricht  und  in  den  ganzen  Lebensverhältnissen  viel  mehr  als  un- 
serer heutigen  Universität  einer  Gelehrtenschule  tnit  Internat.  Ein 
amerikanisches  College  ist  vielleicht  unter  den  Anstalten  der  Gegen- 
wart am  meisten  geeignet,  uns  von  dem  Leben  unserer  alten  Uni- 
versitäten eine  Vorstellung  zu  geben,  nur  daß  die  allgemeinen 
Kulturverhältnisse  dem  ganzen  Dasein  einen  andern  Zuschnitt  gaben. 
Dem  entsprach  auch  das  Lebensalter  der  Scholaren;  als  Normalalter 
beim  Eintritt  in  die  artistische  Fakultät  wird  etwa  das  15. — 17.  Jahr 
anzusetzen  sein.  Auch  das  Ziel  war  ein  ähnliches;  es  handelte  sich 
für  die  große  Mehrzahl  nicht,  wie  jetzt,  um  die  Absolvierung  eines 
fachwissenschaftlichen  Kursus  zur  Erlangung  eines  Amtes,  sondern  in 
erster  Linie  um  die  Gewinnung  einer  allgemeinen  Bildung.  Ein  großer 
Teil  der  Studierenden  vollendete  nicht  einmal  den  Kursus  der  arti- 
stischen Fakultät,  man  verließ  die  Universität  sehr  gewöhnlich  nach 
Absolvierung  der  ersten  Hälfte  des  Kursus,  dessen  wesentlicher  Inhalt 
die  artes  formales,  Grammatik,  Rhetorik,  Dialektik  und  die  Ele- 
mente der  Physik  waren,  mit  dem  Grade  des  baccalarius  artium 
geschmückt,  oft  wohl  auch  ohne  diesen.  Nur  ein  kleiner  Teil  ging 
weiter  und  erwarb  nach  Vollendung  der  zweiten  Hälfte  des  Kursus, 
der  die  realen  Disziplinen,  Mathematik  und  Kosmologie,  Metaphysik 
und  Ethik  umfaßte,  den  Grad  eines  Magisters.  Es  waren  meist  solche, 
die  für  die  gelehrte  Laufbahn  sich  bestimmten;  sie  blieben  dann  an 
der  Universität,  um  einerseits  in  der  artistischen  Fakultät  zu  lehren, 
(die  Statuten  verpflichteten  den  jungen  Magister  vielfach  zu  einer 
mindestens   zweijährigen  Dozententätigkeit)  andererseits  in  den  oberen 


10  Einleitung. 

Fakultäten  zu  studieren  und  die  Grade  zu  erwerben.  Die  weitere 
Laufbahn  führte  dann,  wenn  nicht  das  akademische  Lehramt  in  einer 
oberen  Fakultät  dauernd  festhielt,  in  der  Regel  in  eine  höhere  kirch- 
liche Stellung.  In  den  Kapiteln  waren  vielfach  eine  bestimmte  Zahl 
von  Stellen  für  Doktoren  der  Theologie  oder  der  Rechte  vorbe- 
halten. 

Die  mittelalterlichen  Universitäten,  ihr  Wissenschafts-  und  Unter- 
richtsbetrieb sind  in  der  nachfolgenden  Periode,  dem  Zeitalter  der 
Renaissance  und  Reformation,  Gegenstand  der  wegwerfendsten  Verur- 
teilung geworden.  In  den  „Briefen  der  dunklen  Männer"  ist  all  der 
Ingrimm  und  all  die  Verachtung  ausgeschüttet,  womit  die  neue  Bil- 
dung von  der  alten  und  abgelebten  sich  abwendete.  Wenn  man  den 
Verfassern  dieser  Briefe,  Crotus  und  Hütten,  glauben  will,  so  war 
verbohrter  und  verdummender  Formalismus  und  Haß  gegen  die 
schönen  Wissenschaften,  verbunden  mit  schmutziger  Armut  und 
moralischer  Verkommenheit,  das  Lebenselement,  worin  sich  die  alten 
Universitätsgelehrten  bewegten  und  wohl  fühlten. 

Eine  historische  Betrachtung  wird  sich  natürlich  dieses  Urteil 
nicht  ohne  Vorbehalt  aneignen.  Zwar,  für  den  Fortschritt  der  Wissen- 
schaft als  solcher  haben  die  mittelalterlichen  Universitäten  nicht  viel 
geleistet,  auf  die  Ursachen  wurde  schon  hingewiesen:  das  Schüler- 
bewußtsein, die  innere  Gebundenheit  durch  die  Autoritäten,  deren 
Folge  die  äußere  Bindung  war.  Dagegen  kann  es  keinem  Zweifel 
unterliegen,  daß  diese  Anstalten  für  die  intellektuelle  Bildung  und 
Schulung  der  abendländischen  Völkerwelt  außerordentlich  Bedeutendes 
geleistet  haben.  Die  allgemeine  wissenschaftliche  Kultur  hat  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Mittelalters  große,  ja  erstaunliche  Fortschritte  ge- 
macht. Ich  erinnere  nur  daran,  daß  am  Ausgang  des  15.  Jahr- 
hunderts kaum  eine  Stadt  ohne  eine  gelehrte  Schule  und  ohne  Lehrer 
war,  die  auf  einer  Universität  wenigstens  eine  elementare  wissen- 
schaftliche Bildung  empfangen  hatten.  Ferner  daran,  daß  das  Be- 
dürfnis nach  literarischen  Hilfsmitteln  sich  so  ausgebreitet  hatte,  daß 
die  Buchdruckerkunst  erfunden  werden  konnte  und  mußte,  um  ihm 
Befriedigung  zu  verschaffen.  War  alles  dies  in  erster  Linie  das  Werk 
der  Universitäten,  so  wird  man  sagen  dürfen,  daß  ihnen  vor  allem 
das  Verdienst  zukommt,  den  Boden  bereitet  zu  haben,  worin  die 
reiche  Saat  der  modernen  Wissenschaft  in  den  folgenden  Jahrhunderten 
erwachsen  ist. 

Dabei  mag  man  denn  einräumen,  daß  der  scholastische  Wissen- 
schafts- und  Unterrichtsbetrieb  beim  Ausgang  des  Mittelalters  Spuren 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  \  ] 

von  Erstarrung  und  Senilität  erkennen  läßt,  wie  sie  einzutreten 
pflegen,  wenn  bestimmte  Gedanken  und  Methoden  lange  Zeit  eine 
ausschließende  Herrschaft  behaupten.  War  an  sich  die  Scholastik 
einseitig  auf  logizistische  Arbeit  und  rein  formale  Verstandeskultur 
gerichtet,  bei  starker  Vernachlässigung  der  Realkenntnisse,  sowohl 
der  Natur  als  der  Geschichte,  und  mit  fast  vollkommener  Gleich- 
gültigkeit gegen  literarische  und  ästhetische  Bildung,  so  mußte  sie, 
in  beständiger  Inzucht  sich  fortpflanzend,  zuletzt  in  Geistlosigkeit, 
Leerheit  und  öden  Formalismus  herabsinken;  und  ein  in  endlosen 
Quästionen  und  Kommentationen  sich  fortschleppender  Unterricht  konnte 
Tür  eine  Jugend,  der  eben  die  Augen  für  andere  Dinge  aufzugehen 
begannen,  unerträglich  werden. 

Will  man  die  Empfindungen  des  jugendlichen  Humanisten  gegen 
den  alten  Universitätsbetrieb  verstehen,  dann  lese  man  eine  lehr- 
reiche, aus  eigener  Anschauung  geschöpfte  Beschreibung  des  Hoch- 
schulunterrichts, wie  er  noch  gegenwärtig  an  der  muhammedanischen 
Universitäts-Moschee  El  Azhar  zu  Kairo  stattfindet,  von  A.  Heidborn.*) 
Wir  haben  hier  im  ganzen  dieselben  Wissenschaften,  denselben 
Studiengang  und  Betrieb  wie  an  unseren  mittelalterlichen  Universi- 
täten. Die  Wissenschaften  werden  in  zwei  Gruppen  geteilt,  Ziel- 
Wissenschaften  und  Mittel- Wissenschaften  genannt.  Die  erste  Gruppe 
bilden  die  Theologie  (Dogmatik,  Moraltheologie,  Koranexegese,  Tra- 
ditionslehre) und  die  Rechtswissenschaft;  zu  der  anderen  gehören: 
Syntax,  Grammatik,  Rhetorik,  Logik,  Metrik,  Algebra.  Dazu  kommen 
als  „nicht  übliche"  (fakultative)  Wissenschaften  in  der  ersten  Gruppe: 
Geschichte  des  Islams,  in  der  zweiten:  Geometrie,  Länderkunde, 
Mathematik.  Der  Student  hat  zuerst  den  Kursus  der  „Mittel- Wissen- 
schaften" zu  durchlaufen,  dann  erst  darf  er  sich  dem  Studium  der 
Religions-  und  der  Gesetzeswissenschaft  zuwenden.  Man  sieht,  es  ist 
ganz  dasselbe  Schema,  wie  an  den  mittelalterlichen  Universitäten: 
erst  die  „freien  Wissenschaften",  vor  allem  die  artes  formales, 
Grammatik,  Rhetorik,  Dialektik,  dann  erst  die  Theologie  oder  die 
Rechtswis-senschaft.  Der  artistische  Kursus  war  allerdings,  dank  dem 
griechischen  Erbe,  das  in  Gestalt  des  aristotelischen  Systems  vom 
Abendlande  angeeignet  ist,  reicher,  vor  allem  um  die  „philosophischen 
Wissenschaften"  der  Physik  und  Kosmologie,  der  Metaphysik  und 
Ethik.  Doch  gehörten  diese  vielfach  auch  zu  den  „nicht  üblichen" 
Wissenschaften,    wenigstens  für  den  Durchschnittsstudenten.     Ebenso 

*)  Preuft.  Jahrbücher,  herausgeg.  von  H.  Delbrück,  April  1903. 


12  Einleitung. 

können  wir  in  der  Moschee  die  Form  des  mittelalterlichen  Unterrichts 
studieren;  die  Aufgabe  hier  wie  dort  Überlieferung  eines  festen  Be- 
standes der  „Wissenschaft"  ohne  alle  Kritik  und  Selbständigkeit.  Der 
Professor  „liest",  d.  h.  erklärt  eines  der  kanonischen  Bücher,  die 
unter  die  sämtlichen  Lehrer  verteilt  werden;  sein  Geschäft  ist 
Glossieren,  Kompilieren,  Kommentieren,  erst  den  Text,  dann  den 
Kommentar,  darauf  den  Kommentar  zum  Kommentar  und  nochmals 
den  Kommentar  zum  Kommentar  des  Kommentars.  „Die  Kommen- 
tare sind  natürlich  alle  verschiedener  Ansicht,  überbieten  sich  in  scharf- 
sinnigen Deutungen  und  schleppen  die  Gründe  dafür  auf  enggedruckten 
Folioseiten  in  einer  Fülle  herbei,  daß  der  Leser  zuletzt  vor  lauter 
Kommentieren  vergißt,  was  eigentlich  kommentiert  wird";  und  das 
Ende  ist,  daß  der  „Geist  durch  die  ver^^'orrene  Darstellung,  die  end- 
losen Haarspaltereien  und  Spitzfindigkeiten  erschlafft,  jede  Spannkraft 
verliert  und  am  Ende  ein  wüstes  Durcheinander  in  den  Köpfen 
herrscht".  Man  meint  einen  Humanisten  oder  Luther  über  den 
„Sophistenmist"  der  hohen  Schulen  ihrer  Zeit  schelten  zu  hören. 


ZWEITER  ABSCHNITT. 

Das  16.  und  17.  Jahrhundert. 

Der  Einschnitt,  der  die  Neuzeit  vom  Mittelalter  trennt,  ist 
natürlich  auch  in  der  Geschichte  der  Universitäten  zu  erkennen. 
Wenn  auch  die  moderne  Universität  vom  16.  und  17.  Jahrhundert 
noch  nicht  geschaffen  worden  ist,  so  ist  doch  der  Grund  zu  ihrer 
Möglichkeit  im  Zeitalter  der  Renaissance  und  der  Reformation  gelegt 
worden.  Durch  den  gleich  gerichteten  und  gleichzeitigen  Stoß  dieser 
beiden  großen,  sonst  so  heterogenen  Bewegungen  ist  die  unbedingte 
Herrschaft  des  allgemeinen  Geistes  über  das  Individuum  gebrochen 
und  die  Einzelpersönlichkeit  frei  gemacht  worden.  Die  Renaissance 
hat,  indem  sie  dem  persönlichen  Empfinden  und  seinem  Ausdruck 
eine  bisher  unerhörte  Wichtigkeit  gab,  das  Selbstgefühl  und  Selbst- 
vertrauen des  Individuums,  nicht  selten  ins  Maßlose,  gesteigert  und 
dadurch  die  subjektive  Vernunft  auf  sich  selbst  gestellt.  Die  Refor- 
mation hat,  aus  dem  starken  religiösen  Empfinden  eines  Einzigen 
hervorbrechend,  die  Mediatisierung  des  Glaubens  und  Gewissens  durch 
die  alte  Kirche  aufgehoben  und  den  einzelnen  in  seiner  Beziehung 
zu  Gott  auf  sich  selbst  gestellt.  Die  letzten  Konsequenzen  aus 
der   neuen   Lage    der    Dinge     hat    der    deutsche    Geist    allerdings 


Gescfaicbdiche  Entwicklimg  der  deutschen  Universitäten.  i3 

erst  im  2^italter  der  Aufklärung  und  des  Neuhumanismus  zu  ziehen 
gewagt. 

Indem  ich  den  äußeren  Gang  der  Bewegung  ak  bekannt  vor- 
aussetze, die  beinahe  gelungene  Eroberung  der  deutschen  Universitäten 
durch  die  humanistische  Bewegung  in  den  beiden  ersten  Jahrzehnten 
des  16.  Jahrhunderts,  den  Niedergang  des  gesamten  Studien wesens 
unter  dem  Einfluß  der  kirchlichen  und  sozialen  Revolution  im  dritten 
Jahrzehnt,  die  allmähliche  Wiederherstellung  und  Neugründung  pro- 
testantischer Universitäten  seit  dem  Ende  des  dritten  Jahrzehnts 
(Marburg  1527,  Königsberg  1544,  Jena  1558,  Heknstedt  1576),  die 
sich  anschließende  Wiederherstellung  und  Neugründung  katholischer 
Universitäten  unter  dem  herrschenden  Einfluß  des  rasch  aufsteigenden 
Jesuitenordens  (Dillingen  1549,  Würzburg  1582),  deute  ich  nur  mit 
einigen  Strichen  die  Zustände  an,  wie  sie  nach  der  vorläufigen  Kon- 
solidierung der  Verhältnisse  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
sich  gestalteten. 

Die  allgemeine  Lage  ist  charakterisiert  durch  die  kirchliche 
Spaltung.  Die  alte  interstaatliche  und  internationale  Einheit  des 
Universitätswesens,  wie  sie  auf  dem  Boden  der  einen  und  allgemeinen 
Kirche  erwachsen  war,  fiel  auf  protestantischem  Gebiet  der  territorial- 
landesldrchlichen  Zersplitterung  zum  Opfer;  jedes  Gebiet  strebte  sich 
als  konfessionelle  Einheit  abzuschließen  und  legte  darum  Wert  darauf, 
für  seine  Theologen  und  Lehrer  eine  zuverlässige  Hochschule  inner- 
halb der  Landesgrenzen  zu  haben.  Auf  katholischem  Gebiet  blieb 
die  Einheit  der  Kirche  erhalten,  und  in  der  internationalen  Gesell- 
schaft Jesu  entstand  eine  Organisation,  die  das  Hochschulwesen  aller 
Länder  nach  gleichen  Prinzipien  gestaltete  und  leitete.  Doch  hat  der 
wissenschaftliche  Verkehr  die  frühere  Internationalität,  wie  sie  auch 
im  persönlichen  Austausch  von  Lehrenden  und  Lernenden  stattfand, 
seitdem  nicht  wieder  erreicht,  was  denn  freUich  auch  mit  der  stärkeren 
Differenzierung  der  Nationen  und  ihrer  Kultur  zusammenhängt. 

Der  zweite  charakteristische  Zug  ist  der  zunehmende  Einfluß 
des  Staats.  Die  Sache  geht  von  den  protestantischen  Ländern  aus, 
wo  die  weltliche  Gewalt  die  Kirchengewalt  als  Annexum  an  sich 
brachte  und  damit  zugleich  das  Schulregiment.  Für  die  neue  Zeit 
war  übrigens  diese  Säkularisierung  des  Unterrichtswesens,  von  der 
Universität  bis  zur  Volksschule,  ohne  Zweifel  eine  Notwendigkeit; 
die  Kirche  hatte  seit  der  großen  Erschütterung  das  unbefangene 
Verhältnis  zur  Wissenschaft,  das  sie  während  des  Mittelalters  im 
ganzen  besaß,    eingebüßt;    auf  beiden  Seiten  begegnen  wir  jetzt   bei 


i4  Einleitung. 

den  kirchlichen  Autoritäten  nur  allzu  oft  engherzigem  Mißtrauen. 
Die  weltliche  Gewalt  hat  im  ganzen  im  Sinne  der  Freiheit  und  des 
Fortschritts  gewirkt,  namentlich  seitdem  die  neuen  Naturwissenschaften 
auch  ökonomische  Vorteile  in  Aussicht  zu  stellen  begannen. 

Endlich  ist  noch  bemerkenswert,  daß  jetzt  die  beiden  oberen 
Fakultäten,  die  theologische  und  juristische,  auch  in  Hinsicht  auf  die 
Frequenz  mehr  und  mehr  das  Übergewicht  erlangten.  Es  hängt  mit 
zwei  Umständen  zusammen:  der  eine  ist,  daß  die  Universitätsbildung 
allmählich  zur  regelmäßigen  Voraussetzung  für  die  Erlangung  eines 
geistlichen  oder  weltlichen  Amts  wurde.  Der  andere  ist  die  bessere 
Gestaltung  des  Gelehrtenschulwesens,  sodaß  die  philosophische  Fakultät 
mehr  und  mehr  aufhörte.  Schule  für  Knaben  zu  sein.  Vor  allem 
ging  der  elementare  Sprachunterricht  jetzt  ganz  auf  die  Schule  über; 
die  Universität  konnte  sich  auf  den  wissenschaftlichen,  den  allgemein 
wissenschaftlichen  und  den  fachwissenschaftlichen  Unterricht  konzen- 
trieren. 

Zugleich  stieg  damit  das  durchschnittliche  Lebensalter  der 
Studierenden.  Und  das  hatte  wieder  zur  Folge,  daß  die  Lebens- 
ordnungen andere  wurden:  aus  dem  alten  Scholaren  wurde  im  Verlauf 
des  16.  und  17.  Jahrhunderts  der  moderne  Student.  Und  zwar  ist 
es  vor  allem  der  Jurist,  der  seinen  Typus  bestimmt.  An  die  Stelle 
des  Klerus,  der  im  Mittelalter  den  „ersten  Stand"  darstellte,  trat  der 
Hofadel  als  neuer  Herrenstand;  der  „Kavalier"  nach  spanisch-franzö- 
sischem Zuschnitt  wurde  das  Urbild  des  vornehmen  Mannes. 

Was  den  Wissenschafts-  und  Unterrichtsbetrieb  anlangt,  so  ent- 
fernte   er   sich    in    diesem  Zeitalter    doch    noch    nicht  allzuweit  vom 
Mittelalter. 
|.  Die    herrschende    Wissenschaft    blieb    die    Theologie.      Durch 

die  Reformation  waren  die  theologischen  Interessen,  die  zeitweilig  vor 
den  stürmisch  vordringenden  „schönen  Wissenschaften"  zurück- 
gewichen waren,  wieder  in  die  vorderste  Reihe  gerückt;  der  Kampf 
der  Konfessionen  beherrschte  in  dem  dreigeteilten  Deutschland  alle 
Gemüter.  Auf  allen  Universitäten  war  die  „Reinheit  der  Lehre"  die 
große  Frage.  Dies  herrschende  Interesse  übte  auch  auf  die  übrigen 
Wissenschaften,  besonders  auf  die  historisch-philologische  Forschung, 
bestimmenden  Einfluß;  sie  stand  in  den  deutschen  Universitäten 
mehr  als  anderswo  im  Dienst  der  konfessionellen  Kriegführung. 
Die  Theologie  selbst  aber  hatte  durchaus  die  Richtung  auf  die 
Dogmatik.  So  sehr  man  des  reinen  Luthertums  sich  berühmte,  so 
hatte  hierin  doch    die   Richtung   des  Melanchthonschen  Geistes   den 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  i5 

Sieg    davongetragen,    die    übrigens    auch   die   Richtung   des   älteren 
Luther  war. 

Die  philosophische  Fakultät  behielt  im  wesentlichen  die 
Stellung,  die  sie  im  Mittelalter  als  artistische  Fakultät  innegehabt 
hatte,  die  Stellung  einer  allgemein-wissenschaftlichen  Vorschule  für 
die  oberen  Fakultäten,  besonders  die  theologische.  Im  Vordergrund 
ihres  Unterrichts  stehen  die  philosophischen  und  die  philologischen 
Disziplinen,  beide  haben  engste  Beziehung  zur  Theologie. 

Der  philosophische  Unterricht  seit  dem  vierten  Jahrzehnt 
war  unter  dem  bestimmenden  Einfluß  Melanchthons  allmählich  in 
das  Geleise  einer  modifizierten  und  modernisierten  scholastischen 
Philosophie  wieder  eingebogen,  aus  dem  ihn  herauszubringen  die 
Renaissance  und  anfangs  auch  die  Reformation  einen  so  kräftigen 
Anlauf  genommen  hatte.  Aristoteles  war  wieder  zum  herrschenden 
Schulphilosophen  geworden,  von  dessen  Lehre  abzugehen  auch  wohl 
geradezu  durch  die  Statuten,  wie  in  Helmstädt,  untersagt  war. 
Melanchthon  hatte  die  Weisung  gegeben:  „Wird  Aristoteles  beiseite 
gelegt,  dann  wird  eine  große  Verwirrung  in  den  Wissenschaften  die 
Folge  sein,  denn  er  allein  ist  der  Meister  im  methodischen  Denken." 
In  dieser  Absicht  also  wurde  die  Philosophie  getrieben,  als  Schule 
des  formalen  Denkens.  Für  die  inhaltliche  Bestimmung  der  Welt- 
anschauung aber  gibt  es  noch  andere  Quellen;  sie  werden  durch  die 
Theologie  erschlossen. 

Neben  dem  philosophischen  Unterricht  bot  die  Fakultät  einen 
„philologischen"  Unterricht;  er  bildete  den  Niederschlag,  den  der 
Humanismus  zurückgelassen  hatte.  Dieser  Unterricht  war  freilich  von 
dem  heutigen  philologischen  Betrieb  sehr  verschieden;  es  handelte 
sich  dabei  nicht  um  philologische  Textbearbeitung,  oder  um  die  Ein- 
führung in  die  Altertumswissenschaft,  oder  auch  um  die  Einführung 
in  den  Geist  des  Altertums,  sondern  um  die  Anleitung  zur  Nach- 
bildung der  Werke  der  alten  Literatur,  oder  nach  der  Idee  der 
Renaissance  um  die  Wiederbelebung  der  antiken  Literatur.  Die 
Form  des  Unterrichts  war  daher  auf  den  Universitäten  im  wesent- 
lichen die  gleiche  wie  auf  den  Schulen:  Anleitung  zur  Imitation,  in  • 
Prosa  und  in  Versen.  Die  Lehrer  führten  ihren  Namen:  Professoren 
der  Dichtkunst,  der  Beredsamkeit,  nicht  umsonst;  ak  die  Nachkommen 
humanistischer  Poeten  und  Oratoren  lehrten  sie  nach  dem  Muster  der 
Alten  lateinische,  und  wohl  auch  griechische.  Reden  (declamationes) 
und  Gedichte  machen,  wie  sie  denn  auch  selbst  diese  Kunst  übten 
und    öffentliche    Probeleistungen    bei    festlichen    Gelegenheiten    vor- 


16  Einleitung. 

zuführen  nicht  ermangelten.  Wir  haben  in  diesen  Übungen  etwas 
wie  eine  Nachbildung  der  antiken  Rhetorenschulen.  Am  besten  ge- 
diehen sie  in  den  Jesuitenschulen,  wo  sie  auch  am  längsten  sich 
hielten.  Sie  scheinen  überhaupt  dem  romanischen  Geist  gemäßer 
zu  sein  als  dem  germanischen.  In  dem  Klima  des  protestantischen 
Nordens  gedeiht  das  Grübeln,  das  Forschen,  vielleicht  auch  das 
Kämpfen  besser  als  Deklamation  und  Prunkberedsamkeit.  Auch  die 
lateinische  Sprache,  das  Organ  der  Prunkberedsamkeit,  verliert  auf 
der  deutschen  Zunge  Ton  und  Musik. 

Die  griechische  Sprache  stand  hinter  der  lateinischen  weit 
zurück,  so  weit  als  die  neugriechische  Literatur  hinter  der  neu- 
lateinischen. War  im  16.  Jahrhundert  noch  etwas  von  dem  Enthusiasmus 
vorhanden,  den  die  Neuentdeckung  des  griechischen  Altertums  im 
Zeitalter  der  Renaissance  erregt  hatte,  so  ging  im  17.  Jahrhundert 
der  Unterricht  mehr  und  mehr  auf  einen  bloßen  Schulbetrieb  haupt- 
sächlich für  die  Zwecke  der  Theologie  zurück. 

In  der  juristischen  Fakultät  vollzog  sich  in  diesem  Zeitalter 
eine  bedeutsame  Wandlung,  man  kann  sie  bezeichnen  als  ihre 
Säkularisation.  Das  Römische  Recht  wurde  in  Deutschland  jetzt 
geltendes  Recht;  es  trat  in  den  Vordergrund  des  Studiums  gegen- 
über dem  Kirchenrecht;  das  Absehen  des  Studiums  richtete  sich  auf 
eine  staatliche  Stellung.  Damit  trat  nun  auch  an  den  Herrenstand 
als  solchen  die  Notwendigkeit  eines  gelehrten  Studiums  heran,  die 
ihm  im  Mittelalter  noch  fem  gelegen  hatte.  Seit  der  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  wird  der  Adel  auf  den  deutschen  Universitäten 
häufiger.  Im  Unterricht  drängte  die  Form  der  systematischen 
Darstellung  die  alte  Form  der  fortlaufenden  Textinterpretation  zurück. 

Die  medizinischen  Fakultäten  blieben  der  Bedeutung  und  der 
Frequenz  nach  an  letzter  Stelle.  Erst  gegen  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts begann  unter  dem  Einfluß  der  vorgeschritteneren  italienischen 
und  niederländischen  Medizin  eine  Epoche  aufsteigender  Entwicklung. 
Sie  steht  in  engem  Zusammenhang  mit  der  Entwicklung  der 
modernen  Naturwissenschaft,  über  die  ich  nun  noch  ein  Wort 
hinzufüge. 

Während  auf  den  Universitäten  die  alte  scholastische  Physik  und 
Kosmologie  im  Anschluß  an  die  Aristotelischen  Texte  vorgetragen 
wurde,  erhob  sich  im  wesentlichen  außerhalb  ihrer  Kreise  und  von 
ihnen  abgelehnt  jene  moderne  mathematisch -naturwissen- 
schaftliche Forschung,  die  allmählich  zur  vollständigen  Umgestaltung 
des  Weltbildes  geführt  hat.     Die  Namen  Copemicus,  Galilei,    Kepler, 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  ^7 

Descartes,  Pascal,  Hobbes,  Spinoza,  Leibniz,  Locke,  Newton  bezeichnen 
den  Siegeslauf  der  neuen  Wissenschaft  und  Philosophie.  Die 
Universitäten,  die  noch  vollständig  im  Bann  des  theologischen 
Denkens  standen,  blieben  davon  beinahe  unberührt,  nur  daß  sie  hie 
und  da  zur  Abwehr  gegen  Eindringlinge  sich  aufgerufen  fanden.  Die 
Folge  war,  daß  die  moderne  Philosophie  zu  einer  den  Universitäten 
feindlichen  Macht  wurde  und  die  weitere,  daß  diese  einer  fortge- 
schritteneren Bildung  als  überlebte  Anstalten  erschienen.  Die  moderne 
Philosophie  hat  sich  in  den  Kreisen  der  vornehmen  Bildung,  an  den 
Höfen  und  in  der  großen  Welt  zuerst  durchgesetzt,  im  Bunde  mit 
der  höfisch-modernen  Literatur,  die  auf  französischem  Boden  in  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  entstand.  Die  Universitäten 
standen  am  Ende  dieses  Jahrhunderts  bei  Leuten  von  weltmännischer 
Bildung,  wie  Leibniz  oder  Locke,  in  demselben  Geruch,  wie  am 
Ausgang  des  Mittelalters:  Hüterinnen  einer  veralteten  pedantischen 
Schulphilosophie  und  einer  verschimmelten  Schulliteratur  in  einer 
toten  Sprache  zu  sein.  Man  nehme  die  „Deutsche  Monatsschrift" 
des  Chr.  Thomasius  zur  Hand,  es  ist  in  der  Hauptsache  eine  Satire 
auf  die  Universitäten,  eine  Umsetzung  der  Epistolae  obscurorum  virorum 
ins  Alamodische  des  17.  Jahrhunderts,  wobei  freilich  das  Salz  der 
unvergänglichen  Briefe  meist  verloren  gegangen  ist,  nur  der  Hohn 
ist  geblieben. 


DRITTER  ABSCHNITT. 
Das  18.  Jahrhundert. 

Das  18.  Jahrhundert  ist  für  das  deutsche  Volk  ein  Zeitalter 
mächtigen  Aufschwunges.  Aus  der  tiefen  Erniedrigung,  in  die  das 
17.  Jahrhundert  in  politischer  wie  in  geistiger  Hinsicht  Deutschland 
hinabgestoßen  hatte,  hob  es  sich  wieder  zu  selbständiger  Stellung 
und  Bedeutung  in  der  europäischen  Völkerwelt  empor.  Zwei  Männer, 
die  in  ewiger  strahlender  Jugendschönheit  vor  unserm  Auge  stehen, 
steUen  uns  diesen  Aufschwung  in  seinen  beiden  Stufen  dar:  der 
jugendliche  König  Friedrich  von  Preußen  und  der  junge  Goethe: 
jener  Vertreter  der  Aufklärung,  dieser  der  neuen,  der  deutschen 
Renaissance. 

Die  Universitäten  haben  an  diesem  Aufschwung  deutschen 
Wesens  wichtigen  Anteil  gehabt.  Indem  sie  der  modernen  Philosophie 
und    Wissenschaft    ihre    Tore    auftaten    und   bald    zu   ihren    eigent- 

Dm  Uattnrichttwttcn  im  Denuchen  Reich.    I.  2 


18  Einleitung. 

liehen  Pflanzstätten  wurden,  haben  sie  im  Verlauf  des  Jahrhunderts 
eine  führende  Stellung  im  deutschen  Geistesleben  gewonnen.  Am 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  blickte  das  deutsche  Volk  mit  freudigem 
Stolz  auf  seine  Universitäten.  Es  ist  die  Zeit,  da  die  Kantische 
Philosophie  von  der  fernen  Universität  im  Osten  aus  ihren  Sieges- 
lauf antrat,  nichts  geringeres  verheißend,  als  die  Weltanschauung  auf 
eine  neue  und  sichere  Grundlage,  die  Vernunft  selbst,  zu  stellen. 
Um  dieselbe  Zeit  warf  das  französische  Volk  seine  Universitäten,  die 
den  Emeuerungsprozeß  durchzumachen  nicht  die  innere  Kraft  be- 
sessen hatten,  zum  alten  Eisen.  Und  über  Oxford  und  Cambridge 
lächelten  auch  in  England  die  fortgeschrittenen  wie  über  ein  Stück 
fossil  gewordenen  Mittelalters. 

Der  Ausgangspunkt  der  Bewegung  war  die  neue  branden- 
burgisch-preußische Universität  Halle  (1694).  Chr.  Thomasius  und 
A.  H.  Francke  gehören  zu  ihren  geistigen  Gründern,  der  eine  der 
Repräsentant  der  modernen  höfisch-französischen  Bildung,  der  andere 
der  bedeutendste  wissenschaftliche  Vertreter  des  in  seinem  Ursprung 
heterodoxen  und  in  gewissem  Sinne  auch  modern  gerichteten  Pietis- 
mus. Der  glorreichste  Mann  der  neuen  Universität  war  aber  der 
Philosoph  Chr.  Wolff,  mit  ihm  bestieg  die  moderne  Philosophie,  im 
Bunde  mit  der  modernen  Mathematik  und  Naturwissenschaft,  das 
Katheder.  Die  zweite  Neugründung  war  Göttingen  (1737),  die 
Universität  des  mit  der  englischen  Welt  in  naher  Verbindung  stehenden 
Hannover,  bald  die  Hochschule  modemer  Wissenschaft  und  welt- 
männischer Bildung  für  die  vornehme  Gesellschaft. 

Der  Gesamtcharakter  der  Entwicklung  dieser  Epoche  wird 
bezeichnet  durch  das  Stichwort  des  Rationalismus.  Es  findet  die 
definitive  Säkularisierung  des  wissenschaftlichen  Geistes,  die  Los- 
lösung der  Philosophie  und  Wissenschaft  von  der  theologischen 
Dogmatik  statt.  In  starker  Reaktion  gegen  den  alten  autoritativen 
Positivismus  stellt  sich  die  Vernunft  auf  sich  selbst,  damit  die  letzte 
Konsequenz  der  Reformation  ziehend:  es  gibt  keine  Instanz,  keinen 
Menschen  und  kein  heiliges  Buch,  die  der  Vernunft  in  Sachen  von 
wahr  und  unwahr,  von  gut  und  böse  autoritative  Weisungen  zu 
geben  berufen  wäre. 

Und  zwar  ist  es  der  Rationalismus  in  seiner  eigentlichsten  Form, 
der  in  Deutschland,  im  Gegensatz  zu  dem  von  England  her  nach 
Frankreich  vordringenden  Empirismus,  die  Richtung  des  philosophischen 
Denkens  bestimmt:  die  Vernunft  ist  vermögend  aus  sich  selbst  ein 
System  notwendiger  und  ewiger  Wahrheiten  hervorzubringen,  sowohl 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  19 

in  der  theoretischen  als  in  der  praktischen  Philosophie,  dort  das 
System  der  „natürlichen  Theologie",  hier  das  System  der  Vernunft- 
moral und  des  Naturrechts.  Durch  die  Vemunftreligion  wird  der 
Glaube  und  die  Weltanschauung,  durch  Moral  und  Naturrecht  das 
private  und  öffentliche  Leben  zureichend  bestimmt. 

Die  Zuversicht  der  Vernunft  zu  sich  selbst  und  ihrem  Beruf, 
alle  Dinge  auf  Erden  rational  zumachen,  ist  niemals  größer  gewesen, 
als  da  Chr.  Wolff  seine  „Vernünftigen  Gedanken"  schrieb.  Es  ist 
die  geschichtliche  Wirkung  jener  gewaltigen  Erfolge,  in  denen  die 
Vernunft  seit  der  Tat  des  Copernicus  durch  Mathematik  und  Experi- 
ment die  Wissenschaft  von  den  Dingen  am  Himmel  und  auf  der 
Erde  erobert  hatte;  mit  prometheischem  Stolz  empfindet  man,  daß 
dem  Menschen  keine  Wahrheit  geschenkt  wird,  daß  er  sie  selber 
erobern  muß,  und  daß  allein  die  selbsteroberte  Wahrheit  für  ihn 
Wert  hat.  Mit  dem  Gefühl  des  lange  Betrogenen,  aber  nun  endlich 
Gewitzigten,  wendet  man  sich  von  den  alten  Autoritäten  ab;  im 
ecraser  Tinfame,  dem  Refrain  der  Briefe,  die  Voltaire  und  Friedrich 
der  Große  austauschen,  entladet  sich  der  Haß  und  die  Geringschätzung, 
womit  die  „Aufklärung"  auf  die  vorigen  Zeiten  der  Finsternis  und 
Barbarei,  auf  den  immer  noch  nicht  ganz  ausgekehrten  Aberglauben 
des  Mittelalters  zurückblickte. 

Am  Ende  dieses  Zeitalters  steht  Kant;  seine  Philosophie  löst 
die  Wolffische  in  der  Herrschaft  über  die  Schule  ab,  auch  sie  doch 
durchaus  rationalistisch.  Kant  ist  mit  Wolff  völlig  einig  in  dem 
Glauben  an  die  Souveränität  der  Vernunft,  nur  daß  er  der  „praktischen" 
Vernunft  die  Suprematie  zuerkennt.  Die  „spekulative"  Vernunft,  die 
mit  immanent  erzeugten  Gedanken  die  Wirklichkeit  selbst,  nicht  bloß 
die  Erscheinungswelt  glaubt  erfassen  zu  können,  überschreitet  die  dem 
Menschen  gesteckten  Grenzen.  Dagegen  bleibt  es  das  ewige  Recht 
der  Vernunft  allein  aus  sich  heraus  über  das,  was  gut  und  böse,  was 
wahr  und  unwahr  ist,  zu  entscheiden  und  die  Wirklichkeit  im  Wissen, 
im  Handeln  und  im  Glauben  durch  Vemunftideen  zu  bestimmen. 
Dieses  Recht  aufgeben  wäre  Verrat  an  der  Menschenwürde,  an  der 
Würde  des  Vemunftwesens.  „Freunde  des  Menschengeschlechts",  so 
apostrophiert  Kant  seine  Zeitgenossen  in  einem  Aufsatz  aus  dem 
Jahre  1786,  als  eben  erste  Anzeichen  eines  kommenden  Umschwungs 
am  Horizont  sichtbar  wurden  (das  Regiment  Friedrich  Wilhelms  11. 
stand  vor  der  Tür),  „Freunde  des  Menschengeschlechts  und  dessen, 
was  ihm  am  heiligsten  ist!  Nehmt  an,  was  euch  nach  sorgfaltiger 
und  aufrichtiger  Prüfung  am  glaubwürdigsten  scheint,    es  mögen  nun 

2* 


20  Einleitung. 

Fakta,  es  mögen  Vemunftgründe  sein ;  nur  streitet  der  Vernunft  nicht 
das,  was  sie  zum  höchsten  Gut  auf  Erden  macht,  nämlich  das  Vor- 
recht ab,  der  letzte  Probierstein  der  Wahrheit  zu  sein." 

Das  sind  die  Anschauungen,  in  denen  das  18.  Jahrhundert  lebt; 
sie  bilden  die  Voraussetzung,  von  der  in  seiner  zweiten  Hälfte  der 
gesamte  Wissenschaftsbetrieb  ausgeht,  von  der  auch  der  wissenschaft- 
liche Unterricht  seine  Impulse  erhält.  Daß  auch  unsere  klassische 
Literatur  auf  dieser  Grundlage  erwachsen  ist,  ist  aller  Welt  bekannt. 
Am  sichtbarsten  ist  der  Einfluß  der  Philosophie  auf  die  Theo- 
logie und  den  Unterricht  der  theologischen  Fakultäten.  Der  theo- 
logische Rationalismus  ist  die  Folgeerscheinung  des  philosophi- 
schen. Die  alte  supranaturalistische  Theologie  ist  in  beständigem 
Zurück\\'eichen  vor  der  neuen  vernunftmäßigen.  Schon  der  Pietismus 
hatte  die  Grundlagen  der  alten  starren  Dogmatik  gelockert,  indem  er 
das  subjektive  Moment  im  Glauben  betonte.  In  der  Folge  wird  in  der 
dogmatischen  Theologie  der  Schwerpunkt  immer  mehr  von  der 
biblischen  in  die  philosophische  Begründung  des  Glaubens  verlegt; 
A.  H.  Francke  weicht  Chr.  Wolff;  die  Vernunftbeweise  für  das  Dasein 
Gottes  und  die  Unsterblichkeit  der  Seele  erreichen  ihr  höchstes  An- 
sehen. In  der  historischen  Theologie  beginnt  die  „Kritik"  ihr  Werk; 
sie  zeigt,  indem  sie  dem  geschichtlichen  Ursprung  der  heiligen  Bücher 
nachgeht,  ihre  menschlich-zeitliche  Bedingtheit;  sie  bringt  sie  aus  der 
exzeptionellen  Stellung,  worin  sie  auch  der  Protestantismus  gelassen, 
ja,  die  er  im  Begriff  der  Inspiration  aufs  äußerste  zugespitzt  hatte,  in 
den  allgemeinen  geschichtlichen  Zusammenhang  hinein  und  nimmt 
ihnen  damit  den  Charakter  absolut  normativer  Wahrheit.  Die  Prüfung 
'  der  Zeugnisse  auf  ihre  Glaubwürdigkeit  wird  nun  zu  einer  notwendigen 
Aufgabe.  In  Samuel  Reimarus,  dem  Verfasser  der  „Vornehmsten 
Wahrheiten  der  natürlichen  Religion"  und  der  „Schutzschrift  für  die 
vernünftigen  Verehrer  Gottes",  deren  Herausgabe  Lessing  in  den  Streit 
mit  Götze  verwickelte,  sind  beide  Seiten  der  rationalistischen  Theo- 
logie dargestellt.  In  der  weiteren  Entwicklung  wird  der  Begriff  der 
„Offenbarung"  selbst  erweitert  und  neu  geformt:  Gottes  Offenbarung 
nicht  eingeschränkt  auf  jenen  Kanon  heiliger  Bücher,  sondern  fort- 
gehend durch  die  ganze  Menschheitsgeschichte;  alles  Gute  und  Hohe, 
alles  Schöne  und  Wahre  Offenbarung  Gottes  durch  die  Menschen- 
natur.    So  Herders  Theologie  und  Goethes. 

In  der  Rechtswissenschaft  erscheint  der  Rationalismus  in  der 
Herrschaft  des  Naturrechts.  Neben  der  Vemunftreligion  stehend, 
nimmt  das  Naturrecht  in  Anspruch,  ein  System  von  reinen  Vernunft- 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  21 

Wahrheiten  zu  sein,  wodurch  die  Beziehungen  des  Menschen  zum 
Menschen  allgemein  und  notwendig  normiert  werden.  Die  großen 
Namen  sind  hier  Pufendorf,  Wolff,  Kant.  Die  Quelle  des  Naturrechts 
ist  die  Vernunft,  seine  Grundlage  die  Vernunftmoral,  seine  Bestim- 
mung: das  positive  Recht  neu  zu  gestalten,  vor  allem  das  öffentliche 
Recht  und  die  Rechtsordnungen  in  Einklang  mit  den  Forderungen 
der  Vernunft  zu  bringen.  Die  Reformen  im  Gebiet  des  Strafrechts, 
des  Strafprozesses,  womit  Friedrich  II.  seine  Regierung  begann,  das 
preußische  Landrecht,  das  sein  Vermächtnis  war,  die  große  Umge- 
staltung des  ständischen  Rechts  in  ein  staatliches,  die  Josef  II.  in  den 
österreichischen  Landen  durchführte,  das  österreichische  bürgerliche 
Gesetzbuch,  das  alles  sind  Früchte  des  Naturrechts.  Dieselben  Ideen 
von  einem  absolut  gerechten  Recht,  das  aus  der  Natur  des  Menschen 
als  eines  mit  vernünftigem  Willen  begabten  und  mit  dem  Charakter 
des  Selbstzweckes  ausgestatteten  Wesens  fließe,  von  dem  Staat  als 
einer  auf  Vertrag  beruhenden  Gesellschaft,  deren  Aufgabe  die  Ver- 
wirklichung jenes  Rechts  sei,  führten  in  Frankreich  zu  dem  Versuch 
einer  vollkommenen  Neubildung  aller  Rechtsordnungen  in  der  Revo- 
lution. 

Auch  im  Universitätsunterricht  spielte  das  Naturrecht  eine  wich- 
tige Rolle.  Es  erschien  als  eine  notwendige  Aufgabe  des  jungen 
Rechtsgelehrten,  nicht  bloß  zu  wissen,  was  Recht  ist,  oder  gar  zu 
wissen,  was  einst  Recht  war,  sondern  was  Recht  sein  soll:  die  Lehre 
vom  „Gerechten"  die  Grundlage  aller  Wissenschaft  vom  Recht. 
Neben  dem  Naturrecht  entwickelten  sich  im  18.  Jahrhundert  die 
Staatswissenschaften  und  die  Staatengeschichte,  mit  Statistik,  Staats- 
ökonomie und  Veru'altungsrecht,  als  Unterrichtszweige  der  juristischen 
und  der  philosophischen  Fakultät.  Der  moderne  Staat  suchte  in 
ihnen  sich  selbst  und  seine  Aufgaben  zu  begreifen  und  zugleich  seine 
Beamten  mit  der  notwendigen  Kenntnis  der  Wirklichkeit  auszustatten. 
Und  die  Beschäftigung  mit  dem  öffentlichen  Recht  führte  dann  not- 
wendig auch  zur  Behandlung  des  deutschen  Rechts  und  seiner  Ge- 
schichte. So  verlor  das  Römische  Recht  die  Alleinherrschaft,  die  es 
bis  dahin,  wenn  wir  von  dem  Kirchenrecht  absehen,  besessen    hatte. 

Für  die  Entwicklung  der  Medizin  im  18.  Jahrhundert  ist  dcts^ 
Eindringen  der  Naturwissenschaft  und  ihrer  Methoden  von  cnt- 
.scheidender  Bedeutung.  Im  Unterricht  begann  das  Textbuch 
der  Beobachtung  und  dem  eigenen  Denken  zu  weichen.  Die 
Italiener,  Niederländer  und  Engländer  waren  darin  vorangegangen. 
Sammlungen  und  Anstalten  wurden  zur  notwendigen  Ausstattung  der 


22  Einleitung. 

medizinischen  Fakultät,  vielfach  zuerst  durch  private  Initiative  ge- 
schaffen. Auch  der  Unterricht  der  Studierenden  wurde  mehr  und 
mehr  auf  Anschauung  und  Selbsttätigkeit  gestellt,  vor  allem  wurde 
die  Anatomie  zur  ersten  Grundlage  des  Studiums  gemacht.  Ebenso 
begann  der  klinische  Unterricht  sich  zu  entwickeln,  wieder  zunächst 
in  der  Form  der  privaten  Tätigkeit  Einzelner. 

Die  philosophische  Fakultät  behielt,  so  sehr  ihre  Bedeutung 
im  Aufsteigen  war,  ihre  alte  Stellung  im  Rahmen  des  Universitäts- 
unterrichts: sie  blieb  die  „untere"  Fakultät,  deren  wesentliche  Auf- 
gabe die  allgemein  wissenschaftliche  Vorbildung  für  die  Fachstudien 
in  den  oberen  Fakultäten  war.  Auch  die  beiden  Unterrichtszweige 
blieben  dieselben,  der  philosophische  und  der  philologische.  Inner- 
lich erfuhren  allerdings  beide  wesentliche  Umgestaltungen. 

Der  philosophische  Vortrag  emanzipierte  sich  innerlich  und 
äußerlich  von  dem  überkommenen  scholastischen  Lehrbetrieb.  Aristo- 
teles und  die  aristotelischen  Textbücher  wurden  beiseite  gelegt,  der 
systematische  Vortrag  nach  den  Prinzipien  der  modernen  Philosophie 
trat  an  die  Stelle.  Die  Dienstbarkeit  gegen  die  Theologie  wurde, 
nicht  ohne  zähen  Widerstand  der  alten  Herrin  —  ich  erinnere  an  die 
erbitterten  Kämpfe,  die  Wolff  in  Halle  mit  den  Francke  und  Lange  zu 
bestehen  hatte  —  aufgehoben.  Dafür  stand  die  neue  Philosophie  in 
engem  Bunde  mit  der  modernen  Mathematik  und  Naturwissenschaft, 
wie  denn  Wolff  und  Kant  als  akademische  Lehrer  und  als  Schrift- 
steller auch  diese  Wissenschaften  vertreten  haben.  Die  Lehrfreiheit, 
die  libertas  philosophandi  setzte  sich  vollständig  durch,  was  frei- 
lich gelegentliche  Rückfalle  nicht  ausschloß,  wie  es  noch  am  Ende 
des  Jahrhunderts  Kant  und  Fichte  erfuhren.  Das  Ziel,  das  der  Unter- 
richt sich  setzte,  war  die  Anleitung  zu  selbständigem  Vernunftge- 
brauch, im  besonderen  die  Fähigkeit,  die  Einzelwissenschaften  aus 
letzten  Prinzipien  zu  beurteilen  und  ihnen  ihre  Stellung  und  Bedeutung 
unter  den  menschlichen  Lebensaufgaben  zu  bestimmen. 

Nicht  minder  bemerkenswert  ist  die  Wandlung,  die  im  Gebiet 
des  philologischen  Unterrichts  freilich  erst  gegen  den  Schluß  des 
Jahrhunderts  sich  vollzog.  An  die  Stelle  des  längst  abgestorbenen 
althumanistischen,  auf  Imitation  abzielenden  Betriebs  trat  die  neu- 
humanistische  Form  des  Altertumsstudiums:  sein  Zweck  die  all- 
gemein menschliche  Bildung  durch  den  Verkehr  mit  den  Alten,  in 
denen  die  schönste  und  vollkommenste  Menschheitsbildung  sich  uns 
darstelle.  Diese  Wandlung  bedeutete  zugleich,  daß  die  Griechen 
nun  in  die  erste  Linie  traten;    war    die    erste  Renaissance    italienisch 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  23 

und  lateinisch,  so  ist  die  zweite  deutsch  und  griechisch.  Die  Göttingor 
Universität  mit  ihren  Philologen  Gesner  und  Heyne  hat  diesen  Wandel 
zuerst  angebahnt;  in  F.  A.  Wolf  tritt  dann  die  neue  Altertumswissen- 
schaft in  vollendeter  Gestalt  und  vollendetem  Selbstbewußtsein  uns 
entgegen.  Im  engsten  Bunde  mit  der  neuen  klassischen  Literatur  in 
deutscher  Sprache  hat  die  neuhumanistische  Philologie  tiefgehen- 
den Einfluß  auf  die  geistige  Bildung  des  deutschen  Volkes  erlangt. 
Die  Vorlesungen  von  Heyne,  Wolf,  Boeckh,  Hermann  wurden  von 
Studierenden  aller  Fakultäten  besucht.  Und  in  den  jetzt  aufkommen- 
den philologischen  Seminaren  (das  zu  Göttingen  von  Gesner  begrün- 
dete, von  Heyne  ausgebildete  ist  das  erste)  bildeten  sich  die  Gelehrten 
und  Lehrer  zu  Mitarbeitern  und  Forschern  im  Gebiet  der  Alters- 
tumswissenschaften  aus.  Von  den  Universitäten  drang  der  neuhuma- 
nlstische  Unterricht  in  die  Gelehrtenschulen  ein,  sie  haben  das  ganze 
folgende  Jahrhundert  hindurch  unter  dem  herrschenden  Einfluß  des 
Neuhumanismus  oder  doch  der  durch  ihn  zu  dominierender  Stellung 
gelangten  Philologie  gestanden. 

Zu  en^'ähnen  ist  noch,  daß  mit  dem  Durchdringen  der  modernen 
Philosophie  und  der  Wendung  im  Betrieb  der  alten  Sprachen  die 
deutsche  Sprache  zur  Unterrichtssprache  der  Universität  wurde.  Das 
Latein  blieb  in  einigen  Fach  Vorlesungen  und  im  Prunkgebrauch  beim 
öffentlichen  Auftreten.  Natürlich  blieb  es  auch  die  Sprache  der  Dis- 
putation, die  übrigens  ihren  lebendigen  Gebrauch  in  eben  dem  Maße 
einbüßte,  als  die  neue  Philosophie  und  der  neue  Wissenschaftsbetrieb 
sich  durchsetzte. 


VIERTER  ABSCHNITT. 
Das  19.  Jahrhundert. 

Dem  18.  Jahrhundert,  das  sich  mit  Stolz  das  philosophische 
nannte,  folgt  das  historische  Jahrhundert,  wie  man  jenem  gegenüber 
das  19.  bezeichnen  kann:  das  Historische,  das  Wort  in  seinem 
ursprünglichen,  weiteren  Sinne  genommen,  erlangt  gegenüber  dem 
Rationalen,  das  Tatsächliche  und  Positive  gegenüber  der  Vernunftidee 
stärkere  Geltung.  Stand  das  18.  Jahrhundert  und  sein  Wissenschafts- 
betrieb im  Zeichen  des  Rationalismus,  so  steht  das  19.  im  Zeichen 
des  Historizismus,  der  Tatsachenerforschung. 

Wird  nach  den  Ursachen  der  Wandlung  gefragt,  so  wäre 
zunächst  auf  den  ungeheuren  Stimmungsrückschlag  hinzuweisen,  wo- 


24  Einleitung. 

mit  die  große  französische  Revolution  endete.  Im  Rausch  begonnen 
und  durchgeführt,  mit  Enthusiasmus  auch  in  Deutschland  als  der 
Anbruch  der  Herrschaft  der  Vernunft  auf  Erden  begrüßt,  machte 
ihr  Verlauf  und  ihr  endlicher  Ausgang  in  den  Militärdespotismus 
einen  niederschmetternden  Eindruck;  die  Vernunft  schien  der  Auf- 
gabe, an  die  sie  so  zuversichtlich  herangetreten  war,  der  Aufgabe: 
die  menschlichen  Lebensordnungen  auf  notwendige  Gedanken,  statt 
auf  Gewalt  und  Überlieferung  zu  gründen,  nicht  gewachsen.  Das 
Scheitern  der  Revolution  führte  zur  Restauration,  der  Wiederher- 
stellung der  historischen  Mächte.  Es  befestigte  sich  die  Überzeugung, 
daß  positive,  durch  die  Überlieferung  sanktionierte,  durch  die  Macht 
gesicherte,*  durch  die  Gewohnheit  lieb  oder  erträglich  gemachte  Ord- 
nungen eine  Notwendigkeit  für  geschichtliches  Leben  seien.  Man 
begann  zu  sehen,  daß  mehr  Vernunft  in  dem  geschichtlich  Gewordenen 
sei,  als  das  Zeitalter  der  Aufklärung  angenommen  hatte,  mehr  Ver- 
nunft, als  in  dem  zufalligen  und  subjektiven  Denken  staatgründender 
Philosophen. 

So  kam  es  zur  Wiederaufrichtung  der  alten  Staatsordnungen; 
so  auch  zur  Wiederherstellung  des  Kirchenwesens,  das  die  Revolution, 
den  Forderungen  der  Aufgeklärten  folgend,  definitiv  abgetan  zu  haben 
meinte.  Vor  allem  erhob  sich  die  katholische  Kirche  wieder  zu  einer 
Weltmachtstellung;  auf  das  Autoritätsprinzip  gegründet,  führte  sie 
das  Prinzip  bis  zur  äußersten  Konsequenz  durch  und  bot  sich  nun  allen 
der  Autorität  und  der  Anlehnung  bedürftigen  Mächten  als  sichere 
Stütze  an.  Auch  die  protestantische  Kirche  versuchte  in  ähnlicher 
Bewegung  die  Schrift  und  das  Dogma  gegen  die  Kritik  und  den 
Subjektivismus  im  Glauben  und  Lehren  wieder  zu  befestigen;  die 
Aufklänmg  verächtlich  machen  und  den  Rationalismus  totsagen  war 
ein  Geschäft,  d;is  in  den  neuen  Kirchenzeitungen  mit  unermüdlichem 
Eifer  betrieben  wurde. 

Der  äußere  Umschwung,  der  zur  Restauration  führte,  war  aber 
durch  einen  inneren  Umschlag  in  der  Stimmung  und  Denkweise 
schon  vorbereitet,  es  ist  der  Umschlag,  der  von  der  Aufklärung  zur 
Romantik  führte;  er  hatte  mit  J.  J.  Rousseau  begonnen.  Der  Über- 
schwang des  CilaulKMis  an  die  Vernunft  und  die  Bildung  wich  einem 
neuen  Glauben  an  die  „Natur",  die  Gefühlsseite,  das  Irrationale  erhob 
sich  gegen  den  einseitigen  Intellektualismus  der  Aufklärung.  In 
Humann  und  Herder  haben  wir  den  Rousseauismus  auf  deutschem 
BiKlcn;  auch  der  junge  Goethe  ist  von  solchen  Gefühlen  und  Stim- 
mungen durchdrungen.     Die    Liebe    zum  Ursj>rünglichen,    X'olfcstüm- 


eschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  25 

liehen,  Ungebildeten,  Ungemachten  im  Gegensatz  zu  dem  Gemachten, 
Bewußten,  Vernünftigen,  Allzuvernünftigen  ist  die  gemeinsame  Grund- 
stimmung, aus  der  das  neue  Zeitalter  geboren  ist.  Vielleicht  kann 
man  sagen,  es  liegt  eine  Art  Naturgesetzmäßigkeit  in  diesem  Um- 
schwung; es  wechseln  regelmäßig  Zeiten  des  vorherrschenden  Intel- 
lektualismus, der  Vemünftigkeit,  des  wissenschaftlichen  Denkens,  der 
Prosa,  mit  Zeiten,  in  denen  das  Gefühl,  das  künstlerische  Schaffen 
und  Empfinden,  die  Poesie  und  Phantasie  das  Übergewicht  im  geistigen 
Leben  haben. 

Ich  versuche  nun  die  Einwirkung  dieses  so  vorbereiteten  und 
dann  durch  den  Lauf  der  geschichtlichen  Dinge  gesteigerten  Stim- 
mungsumschlags auf  das  wissenschaftliche  und  philosophische 
Denken  anzudeuten. 

Im  Zeitalter  des  Rationalismus  herrschte  die  logisch-mathematische 
Denkweise:  die  Demonstration  das  Werkzeug,  ewige  Wahrheiten 
das  Ziel.  Im  19.  Jahrhundert  bricht  sich,  zunächst  in  den  Geistes- 
wissenschaften, die  historisch-genetische  Denkweise  Bahn:  ihr 
Werkzeug  die  geschichtliche  Forschung,  ihr  Ziel  das  Verstehen  des 
Wirklichen  aus  seinem  Werden. 

Der  Wandel  ist  sichtbar  auf  allen  Gebieten  der  geisteswissenschaft- 
lichen Forschung.  Was  man  in  der  Rechtswissenschaft  die  „historische 
Schule"  nennt  im  Gegensatz  zur  naturrechtlichen  oder  philosophischen, 
das  läßt  sich  überall  in  gleicher  Weise  nachweisen.  So  in  der  Sprach- 
wissenschaft: das  18.  Jahrhundert  hatte  die  Sprache  als  eine  Erfindung, 
als  ein  ausgedachtes  Werkzeug  für  die  Gedankenmitteilung  angesehen, 
sie  als  solche  erklären  erschien  als  die  Aufgabe  der  Sprachwissen- 
schaft, und  als  die  Aufgabe  der  Grammatik,  sie  zu  ihrem  Zweck 
durch  genaue  Feststellung,  jenachdem  auch  durch  Verbesserung  ganz 
tauglich  zu  machen.  Die  neue  Sprachwissenschaft  der  Humboldt, 
Grimm,  Bopp  erkennt  in  der  Sprache  ein  organisches  Wesen  mit 
innerer  Gesetzmäßigkeit  der  Entwicklung.  Die  Aufgabe  der  Gram- 
matik ist  nicht,  der  Rede  Normen  zu  geben,  sondern  der  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Sprache  nachgehen  und  die  Bildungsgesetzc, 
die  in  ihr  walten,  erkennen.  Anomalien,  Mundarten,  die  dem  18.  Jahr- 
hundert so  verhaßt  waren,  werden  jetzt  als  Zeugnisse  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  besonders  interessant.  Derselbe  Gegensatz  tritt 
in  der  Religionswissenschaft  hervor.  Das  18.  Jahrhundert  ist  ganz 
dogmatisch  gerichtet,  natürlich  philosophisch-dogmatisch;  es  geht  auf 
allgemeine  und  ewige  Wahrheiten  aus,  für  das  Positive  und  Besondere 
der  geschichtlichen  Religion    hat  es    nur    bescheidenes  Interesse  und 


26  Einleitung. 

• 

noch  weniger  Anerkennung:  im  Grunde  handelt  es  sich  darum,  all 
das  Zufallige,  womit  die  geschichtlichen  Religionen  inkrustiert  sind, 
abzustreifen,  um  allein  die  rein  rationale  Religion,  den  reinen  Vernunft- 
glauben als  das  einzig  Wesentliche  und  Wertvolle  übrig  zu  behalten. 
Im  19.  Jahrhundert  gewinnen  die  positiven  Religionen,  die  sich  in  der 
Wirklichkeit  wieder  durchsetzen,  auch  in  der  Wissenschaft  das  vor- 
herrschende Interesse;  die  Versuche  eine  „natürliche"  oder  „philo 
sophische"  Religion  zu  schaffen,  weichen  dem  Bestreben,  die  einzelnen 
Religionen  in  ihrem  geschichtlichen  Werden  zu  verstehen:  Religion, 
wirkliche  Religion,  das  ist  die  zugrunde  liegende  Anschauung,  war 
niemals  etwas  Gemachtes  und  zu  irgend  einem  Behuf  Ausgedachtes, 
sondern  ein  Erlebnis  des  Gesamtgeistes,  dessen  Wirklichkeit  und 
Bedeutung  auch  von  denen  zu  erkennen  und  anzuerkennen  Ist,  die 
daran  persönlich  nicht  teilhaben. 

In  diesen  Zusammenhang  fügt  sich  die  „historische  Rechts- 
schule" ein.  Im  Gegensatz  zum  18.  Jahrhundert,  das  auch  den  Staat 
und  das  Recht  zu  den  gemachten  und  ausgedachten  Dingen  zählte: 
entsteht  nicht  der  Staat  durch  Vertrag  und  wird  das  Recht  nicht 
durch  Gesetzgebung  gemacht?  ist  es  nicht  die  große  Aufgabe  der 
Zeit,  das  positive  Recht,  das  ebenso  wie  die  positive  Religion  durch 
allerlei  irrationale,  aus  Unverstand  und  Gewalt  entsprungene  Zutaten 
verunstaltet  wird,  zu  reinigen  und  aus  dem  Vernunftrecht  zu  bessern? 
im  Gegensatz  zu  dieser  rationalistischen  Auffassung  betrachtet  die 
neue  Rechtsschulc,  die  Schule  der  Savigny  und  Eichhorn,  das  Recht 
und  den  Staat  als  eine  Art  organischer  Wesen,  die  sich  im  Zu- 
sammenhang des  ganzen  Volkslebens,  im  Zusammenhang  mit  Sitte 
und  Religion,  mit  Wirtschaft  und  Verkehr,  mit  innerer  Notwendigkeit 
bilden  und  fortentwickeln.  Daher  es  denn  ein  absolutes  und  allge- 
meines Recht,  ein  ewiges  Vernunftrecht  nicht  gibt  und  geben  kann, 
sondern  nur  nationale  und  geschichtliche  Rechts-  und  Staatsbildungen. 
Und  die  Aufgabe  der  Rechtswissenschaft  ist  nun  eben,  dies  positive 
Recht  in  seinem  geschichtlichen  Werden  zu  verfolgen,  das  Recht  der 
Gegenwart  als  eine  Phase  in  dem  Prozeß  der  Rechtsentwicklung  der 
Jahrhunderte  zu  verstehen;  von  der  anmaßlichen  Vorstellung,  als  ob 
sie  das  Recht,  das  richtige  Recht,  erst  hervorzubringen  habe,  wird 
sie  sich  fern  halten. 

Derselbe  Zug  ließe  sich  auch  in  der  Entwicklung  der  National- 
ökonomie nachweisen;  die  dogmatische  Form  der  Betrachtung  ist 
auch  hier  durch  die  historische  mehr  und  mehr  ergänzt  oder  ersetzt 
worden;  die  Formen  des  wirtschaftlichen  Lebens  sind  wandelbar  und 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  27 

darum  auch  seine  Gesetze  nicht  ewige  Wahrheiten.  Oder  in  der  Kunst- 
wissenschaft: die  Regeln  der  alten  dogmatischen  Ästhetik  haben  ihren 
Kurs  verloren,  und  auch  die  Verehrung  abspluter  Muster  des  Schönen, 
wie  sie  der  neuhumanistische  Enthusiasmus  in  der  griechischen  Kunst 
und  Dichtung  erblickte,  ist  mit  dem  Wachstum  der  geschichtlichen 
Erkenntnis  der  historischen  Betrachtung  und  damit  dem  Relativismus 
der  Würdigung  gewichen. 

Mit  diesem  Wandel  in  der  Denlo\'eise,  mit  der  Hinwendung  vom 
Dogmatischen  zum  Historischen  hängt  nun  die  gewaltige  Ausdehnung 
zusammen,  die  im  19.  Jahrhundert  die  historische  und  philologische 
Forschung  gewonnen  hat.  Von  romantischen  Empfindungen  und 
Ideen,  von  der  Liebe  zur  Vergangenheit,  zum  Ursprünglichen,  Alter- 
tümlichen, Volkstümlichen,  von  der  Übersättigung  mit  Aufklärung 
und  Überkultur  ausgehend,  hat  sie  mehr  und  mehr  zur  nüchternen, 
systematisierten,  arbeitsteiligen  Sammlung  und  kritischen  Bearbeitung 
alles  Quellenmaterials  sich  gewendet.  Mit  einem  Eifer  und  einer 
Hingebung  ohne  Gleichen  haben  die  deutschen  Universitäten  sich  ans 
Werk  gemacht,  alle  Seiten  menschlicher  Lebensbetätigung  bei  allen 
Völkern  der  Erde  zu  erforschen  und  darzustellen.  Das  Ziel,  das  der 
Arbeit,  bewußt  oder  unbewußt,  vorschwebt,  ist  eine  Wissenschaft 
von  der  menschlichen  Kultur,  worin  der  gesamte  Lebensinhalt  des 
Menschengeschlechts  nach  seiner  ganzen  Länge,  Breite  und  Tiefe 
seine  Darstellung  findet. 

Ich  füge  noch  hinzu,  daß  die  Spuren  dieser  neuen  Denkweise 
auch  in  der  Philosophie  und  in  den  Natur^\'issenschaften  erkennbar 
sind.  In  der  Philosophie  ist  es  die  spekulative  Richtung,  die  man  als 
die  „historisierende"  bezeichnen  kann.  Die  „organische"  Betrachtung 
tritt  an  die  Stelle  der  mechanistischen,  der  Pantheismus  an  die  Stelle 
des  anthropomorphischen  Theismus.  Die  Wirklichkeit  wird  nicht  als 
das  Kunstprodukt  einer  extramundanen  Intelligenz,  sondern  als  ein 
sich  von  innen  heraus  entwickelndes  organisches  Leben  angeschaut. 
Die  Geschichte,  in  der  sich  dieser  organische  Charakter  der  Wirk- 
lichkeit sichtbar  darstellt,  wird  nach  rückwärts  verlängert  in  die 
Natur:  die  Natur  Erscheinung  eines  verborgenen  Lebens,  das  sich  zur 
Entfaltung  und  Selbsterfassung  drängt.  Schelling  und  Hegel,  aber 
auch  Schopenhauer  gehen  hierin  auf  gleichen  Wegen.  Und  was  hier 
als  ideelle  Entwicklung  von  Wirklichkeitsstufen  konstruiert  wird,  das 
wird  dann  allmählich  von  den  Naturwissenschaften  selbst  als  realer  und 
zeitlicher  Prozeß  nachgewiesen.  Kein  Zweifel,  die  Naturansicht  ist 
im  I9.  Jahrhundert    „historisiert"    w^orden.     Das  18.  Jahrhundert   sah 


28  Einleitung. 

in  der  Natur  vorwiegend  eine  starre,  bestehende  Ordnung,  das  kos- 
mische System  ein  ewig  dauerndes,  von  ewigen  Kräften  nach  ewigen 
Gesetzen  getriebenes  Uhr\\'erk,  die  Erde  eine  starre  KugeV  auf  der 
ewig  gleiche  Prozesse  sich  wiederholen,  im  besonderen  ewig  gleiche 
Lebensformen  der  Pflanzen-  und  Tierwelt  sich  in  beständiger  Wieder- 
holung erneuern.  Ich  brauche  nicht  auszuführen,  wie  sehr  die 
Naturwissenschaften  seit  den  Tagen,  da  Kant  und  Herder  in  ersten 
Anläufen  die  entwicklungsgeschichtliche  Betrachtung  versuchten,  das 
Weltbild  in  diesem  Sinne  umgestaltet  haben:  die  Formen  der  Lebe- 
wesen nicht  starre  Typen,  sondern  sich  wandelnde  Gestalten,  die 
gegenwärtige  Gestalt  der  Erde  bloß  eine  Phase  in  ihrer  Entwicklung, 
eine  Miene  gleichsam  in  ihrem  ewig  beweglichen  Angesicht,  ja  das 
kosmische  System  selbst  für  den  Blick  der  Ewigkeit  bloß  eine  augen- 
blickliche Konstellation.  —  Was  hindert  zu  denken,  daß  auch  die 
„Naturgesetze"  nicht  ewige  Wahrheiten,  sondern  „historische  Kate- 
gorien" sind?  zu  denken,  daß  die  Wirklichkeit  Wandlungen  erfahrt 
wie  in  Hinsicht  auf  die  Formen,  so  auch  in  Hinsicht  auf  die  „Gesetze"? 
Oder  zu  denken,  daß  die  Begriffe,  wodurch  der  menschliche  Ver- 
stand die  Dinge  denkt,  nicht  die  einzig  möglichen  und  nicht  die 
letzten  sind,  deren  er  fähig  ist?  Ist  doch  auch  unsere  Raumanschauung 
nur  eine  unter  den  denkbaren  und  demnach  unsere  Geometrie  nur 
eine  unter  den  möglichen. 

Will  man  die  Wandlungen  in  der  Denkweise  während  der  Neu- 
zeit in  schematisierender  Übersicht  sich  vorstellen,  so  kann  man  sagen: 
im  16.  und  1 7.  Jahrhundert  herrschte  noch  die  thcologisch-positivistische 
Richtung,  die  auf  ewige  Wahrheiten  ausging,  aus  übernatürlicher 
Offenbarung  sie  ableitend;  es  folgte  im  18.  Jahrhundert  die  rationa- 
listische Denkweise,  auch  sie  auf  ewige  Wahrheiten  gerichtet,  aber  sie 
aus  der  Vernunft  ableitend;  im  19.  Jahrhundert  hat  eine  positivistische 
Denkweise  in  neuer  Form,  die  historisch-genetische,  das  Übergewicht 
erlangt;  sie  suchte  der  Wahrheit  durch  Beobachtung  und  Deutung 
der  gegebenen  Tatsachen  sich  zu  nähern,  sich  bescheidend,  daß  es 
für  den  Menschen  nur  relative  Wahrheit  gibt. 

Wir  wenden  uns  zu  den  Uni  vcrsitäten  und  ihrer  Entwicklung 
im   19.  Jahrhundert. 

Der  Beginn  einer  neuen  Epoche  wird  auch  hier  bezeichnet  durch 
eine  Anzahl  von  Neugründungen  oder  Erneuerungen,  die  einer  Neu- 
gründung gleichkommen.  Der  neugeborene  preußische  Staat  er- 
richtete die  Universitäten  zu  Berlin  (UU)9),  Breslau  ('811),  Bonn 
(1818);  im  Süden  wurden  Heidelberg  (1803),  Würzburg  (1803)  und 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  29 

München  (1826,  an  Stelle  der  alten  bairischen  Landesuniversität 
Ingolstadt)  auf  völlig  neuem  Fuß  eingerichtet.  Die  letzte  Neugründung 
ist  Straßburg  (1872).  Charakteristisch  ist,  daß  die  Großstädte,  die 
früher  gemieden  wurden,  jetzt  als  Sitze  der  Universität  bevorzugt 
werden.  Es  hängt  mit  ihrer  neuen  Bestimmung  zusammen.  Als  Sitze 
der  wissenschaftlichen  Arbeit  bedürfen  sie  der  Institute  und  Samm- 
lungen aller  Art,  die  nur  die  Großstadt  bieten  kann. 

Denn  das  ist  nun  der  herrschende  Zug  in  der  jüngsten  Ent- 
wicklung: die  Universitäten  stellen  mehr  und  mehr  als  ihre  Haupt- 
aufgabe in  den  Mittelpunkt  die  Erweiterung  der  wissenschaftlichen 
Erkenntnis  durch  Erforschung  der  geschichtlichen  und  natürlichen 
Wirklichkeit,  sie  sind  und  wollen  sein  in  erster  Linie  Werkstätten 
der  Wissenschaft.  Sie  haben  sich  von  der  Schule  entfernt  und  der 
Akademie  angenähert.  Die  Professoren  fühlen  sich  nicht  bloß  und 
nicht  zuerst  als  Lehrer,  sondern  als  wissenschafthche  Forscher,  und 
im  Unterricht  sehen  sie  lieber  auf  Anleitung  zur  wissenschaftlichen 
Arbeit,  als  auf  allgemeinwissenschaftliche  und  berufliche  Ausbildung, 
die  im  18.  Jahrhundert  fast  noch  das  einzige  Ziel  war. 

Eine  Folge  dieser  Entwicklung  ist  die  außerordentlich  starke 
Vermehrung  der  Lehrstühle  und  das  erstaunliche  Wachstum  der 
wissenschaftlichen  Institute.  Beides  tritt  besonders  in  der  philo- 
sophischen und  daneben  in  der  medizinischen  Fakultät  hervor;  in 
ihnen  ist  die  Zahl  der  Professuren  regelmäßig  auf  das  Doppelte  bis 
Vierfache,  hin  und  wieder  auch  noch  darüber  hinaus  gewachsen.  Und 
ihre  Institute  machen  jetzt  den  Hauptposten  im  Etat  einer  Universität 
aus.  Die  beiden  „oberen"  Fakultäten  sind  in  dieser  Hinsicht  weit 
zurückgeblieben;  ein  Hinweis  darauf,  daß  sie  an  der  Erweiterung  der 
wissenschaftlichen  Arbeit  nicht  in  dem  Maße  Anteil  haben;  die 
Vorbildung  für  die  praktischen  Lebensberufe  steht  hier  im  Mittel- 
punkt und  beschränkt  das  Wachstum  in  die  Breite;  der  Vortrag, 
und  das  Studium  der  Religions-  und  der  Rechtswissenschaft  hält 
sich  im  ganzen  innerhalb  der  Grenzen  dessen,  was  für  die  Aus- 
stattung der  Geistlichen  und  Juristen  für  das  Amt  als  wichtig  er- 
achtet wird. 

Bemerkenswert  ist  noch,  daß  auch  die  Wissenschaft,  die  der 
philosophischen  Fakultät  den  Namen  und  früher  auch  den  Inhalt  ge- 
geben hat,  die  Philosophie,  an  dem  Wachstum  der  Lehrstühle  keinen 
Anteil  gehabt  hat,  es  fallt  ausschließlich  auf  die  beiden  großen 
Arbeitsgebiete  der  wissenschaftlichen  Forschung:  die  Naturwissen- 
schaften mit  der  Mathematik,  und  die  Geschichte  und  Philologie.     Es 


30  Einleitung. 

tritt  darin  unmittelbar  die  Verschiebung  des  Interesses  vom  Rationalen 
zum  Historischen  hervor. 

Die  Vermehrung  der  Lehrstühle  hat  stattgefunden  in  der  Form 
der  fortschreitenden  Teilung  und  Spezialisierung  der  Arbeits-  und  der 
Unterrichtsgebiete.  Im  1 8.  Jahrhundert  war  noch  in  allen  Fakultäten 
die  Verbindung  mehrerer  Fächer  in  einer  Hand  gewöhnlich,  in  der 
theologischen  und  juristischen  Fakultät  vielfach  in  der  Form,  daß 
jeder  Professor  über  alle  oder  wenigstens  über  die  meisten  Fächer 
seiner  Fakultät  las;  auch  der  Wechsel  der  Lehrstühle  war  häufig, 
selbst  das  Aufsteigen  in  eine  besser  dotierte  Stelle  der  oberen 
Fakultäten  nicht  selten.  Im  19.  Jahrhundert  hat  eine  fortschreitende 
Einengung  stattgefunden;  der  Historiker,  der  Philolog  und  so  der 
Chemiker  oder  Physiker  umfaßt  nicht  mehr  das  ganze  Gebiet  seiner 
Wissenschaft,  sondern  beschränkt  sich  auf  einen  oft  engen  Ausschnitt. 

Die  Folge  dieser  Entwicklung  ist  eine  erstaunliche  Steigerung 
der  Herrschaft  über  das  engere  Gebiet  und  seine  Methoden.  Ohne 
Zweifel  verdankt  die  deutsche  Wissenschaft  ihre  Überlegenheit  auf 
vielen  Gebieten  der  außerordentlich  fortgeschrittenen  Arbeitsteilung. 
Die  Konzentrierung  auf  einen  engeren  Kreis  von  Problemen,  die  dem 
Forscher  dadurch  möglich  gemacht  wird,  ist  eine  der  Bedingungen 
der  Fruchtbarkeit  der  Arbeit.  Auf  der  anderen  Seite  ist  nicht  zu 
verkennen,  daß  diese  fortschreitende  Spezialisierung  auch  ihre  bedenk- 
lichen Folgen  hat.  Im  engem  Kreis  verengert  sich  der  Sinn,  das 
Wort  findet  wohl  auch  in  diesem  Gebiet  Bestätigung;  und  nicht  nur 
die  persönliche  Geistesbildung  leidet  darunter  Schaden,  sondern  auch 
die  Art  des  Wissenschaftsbetriebs;  sie  wird  leicht  kleinlich  und  hand- 
werksmäßig und  verliert  sich  wohl  auch  ins  Ziellose.  Im  großen 
fruchtbar  ist  doch  nur  die  Arbeit,  welche  die  wissenschaftlichen  Pro- 
bleme in  ihren  weiten  Zusammenhängen  auffaßt,  die  Tatsachen  aus 
den  verschiedenen  Gebieten  mit  philosophischem  Geist  zusammensieht. 

Noch  sichtbarer  sind  die  Gefahren,  die  dem  Universitätsunterricht 
daraus  erwachsen.  Der  Student  wird  genötigt,  um  eine  Übersicht 
über  das  Ganze  eines  Fachs  zu  gewinnen,  eine  große  Anzahl  von 
SpezialVorlesungen  über  einzelne  Teile  zu  hören,  Vorlesungen  wohl 
auch  bei  verschiedenen  Lehrern,  die  von  sehr  verschiedenen  Gesichts- 
punkten ausgehen.  Hat  das  für  den  selbständigen  und  begabten 
jungen  Mann  etwas  Erregendes  und  Bildendes,  so  bringt  ein  anderer 
aus  seinem  Universitätskursus  nichts  als  eine  Menge  unzusammen- 
hängender Bruchstücke  und  einen  wirren  Kopf  davon.  Oder  er  be- 
schränkt sich  von  Anfang  an  auf  eine  Spezialität   und   büßt  darüber 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  31 

die  Universalität  des  Interesses  und  der  menschlichen  Bildung  ein, 
die  der  schönste  Ertrag  des  alten  akademischen  Unterrichts  war;  in 
dem  „philosophischen  Jahrhundert",  dem  Zeitalter  Wolffs  und  Kants, 
war  hierauf  in  erster  Linie  das  Studium  gerichtet.  Daß  in  dieser 
Richtung  die  Wirksamkeit  der  deutschen  Universität  im  Abnehmen 
begriffen  sei,  ist  eine  durch  das  19.  Jahrhundert  immer  wiederkehrende 
Klage. 

Dennoch  wird  in  Deutschland  niemand  daran  denken,  diese 
Kntwicklung  der  Dinge  rückgängig  zu  machen.  Es  bleibt  die  Idee 
des  Universitätsunterrichts,  den  Studierenden  zur  selbständigen  Er- 
fassung, und  wenn  möglich  an  irgend  einem  Punkt  zur  selbständigen 
Teilnahme  an  der  wissenschaftlichen  Arbeit  zu  führen.  Der  Mut  und 
die  Fähigkeit,  selbst  zu  sehen,  zu  prüfen,  zu  untersuchen,  erscheint 
uns  so  sehr  als  die  wertvollste  Frucht  der  akademischen  Jahre,  daß 
wir  jene  Mängel  und  Nachteile  mit  in  den  Kauf  nehmen,  überzeugt, 
daß,  wenn  nur  wissenschaftliches  Leben  an  einem  Punkt  erwacht  ist, 
es  sich  in  der  Folge  von  selbst  ausbreiten  und  zu  einem  Ganzen  ge- 
stalten werde.  Die  Überwindung  des  bloßen  Schülerhabitus  gegen 
die  Wissenschaft  bleibt  die  allgemeine  Zumutung,  wenn  wir  auch 
wissen,  daß  nicht  alle  ihr  zu  entsprechen  imstande  sind.  Kein 
Zweifel,  es  könnte  für  die  bloßen  Schülernaturen  in  mancher  Hin- 
sicht besser  gesorgt  sein,  wir  tun  es  nicht,  weil  wir  es  nicht  für 
einen  Gewinn  ansehen,  wenn  es  auf  Kosten  der  Höherstrebenden 
geschehen  müßte. 

Mit  dem  Ziel  des  akademischen  Unterrichts,  daß  er  zu  wissen- 
schaftlicher Selbsttätigkeit  führen  müsse,  ist  eine  Voraussetzung  ge- 
geben: die  Lehr-  und  Lernfreiheit.  Die  Denk-  und  Lehrfreiheit  ist  im  ; 

18.  Jahrhundert  im  ganzen  als  das  Grundrecht  der  deutschen  Universität 
anerkannt;  Einbrüche  durch  Gebote  und  Verbote,  durch  Vorschriften  und 
Regulative  von  selten  der  Staatsregierung,  wie  sie  im  1 8.  Jahrhundert 
noch  in  ausgedehntem  Maße  stattfanden,  sind  gegenwärtig  so  gut  wie 
ganz     abgestellt.      Eine    so    große    Freiheit,    wie    am   Ausgang    des 

19.  Jahrhunderts,  hat  der  Universitätslehrer  zu  keiner  Zeit  gehabt;  er 
empfangt  seinen  Lehrauftrag  aus  der  Hand  der  Regierung,  aber  er 
legt  ihn  sich  selber  aus,  er  bestimmt  Form  und  Inhalt  seiner  Lehre 
durchaus  selbständig.  Ein  Einfluß  auf  die  Richtung  der  Ansichten 
wird  höchstens  bei  der  Auswahl  für  die  Stellen  versucht,  am  meisten 
natürlich  in  den  Fächern,  wo  die  Interessen  der  öffentlichen  Mächte 
am  unmittelbarsten  berührt  werden,  in  der  Theologie,  in  den  Staats- 
wissenschaften, und  etwa  noch  in  der  Philosophie. 


32  Einleitung. 

Der  Lehrfreiheit  entspricht  die  Lernfreiheit.  Da  es  nicht  mög- 
lich ist,  zu  wissenschaftlicher  Arbeit  zu  zwingen,  oder  ihr  eine  ge- 
bundene Marschroute  vorzuschreiben,  so  überläßt  die  Unterrichtsver- 
waltung die  Einrichtung  der  Studien  im  wesentlichen  dem  Ermessen 
des  einzelnen,  besonders  in  der  philosophischen  Fakultät.  Das  öffent- 
liche Interesse  wird  gegen  Mißbrauch  der  Freiheit  durch  die  Staats- 
prüfungen geschützt,  die  denn  allerdings,  zum  Teil  auch  ausdrücklich, 
auf  den  Studiengang  zurückwirken. 

Wir  werfen  noch  einen  Bilck  auf  die  einzelnen  Fakultäten  und 
beginnen    mit    der    philosophischen. 

Die  große  Veränderung  ihrer  Gesamtstellung  innerhalb  des  aka- 
demischen Wesens  ist  mit  der  Entwicklung  der  Universität  zur 
Werkstätte  der  wissenschaftlichen  Forschung  gegeben:  sie  ist  damit  in 
die  vorderste  Reihe  gerückt.  Sie  hat  aufgehört  als  bloße  Vorschule 
für  die  berufswissenschaftlichen  Studien  in  den  „oberen"  Fakultäten 
zu  gelten,  vielmehr  erscheint  in  ihr  das  eigentliche  Ziel  der  akade- 
mischen Tätigkeit,  die  wissenschaftliche  Forschung,  am  reinsten.  Man 
könnte  sogar  sagen:  eigentlich  seien  die  übrigen  Fakultäten  bloß  Ab- 
leger der  philosophischen,  nur  aus  praktischen  Rücksichten  sei  ihnen 
ein  besonderes  Forschungsgebiet  überwiesen,  der  theologischen  und 
juristischen  je  ein  Ausschnitt  aus  der  Geschichte,  der  medizinischen 
ein  Stück  der  Natur;  im  Grunde  seien  alle  Gebiete  wissenschaftlicher 
Forschung  im  Umkreis  der  philosophischen  Fakultät  gesetzt  und  diese 
daher  in  Wahrheit  die  umfassende  und  obere.  Diese  ihre  neue  Stel- 
lung kommt  übrigens  auch  darin  zur  Erscheinung,  daß  die  meisten 
bekannten  und  berühmten  Namen  im  19.  Jahrhundert  ihr  angehören; 
die  Namen  der  großen  Philosophen,  Philologen,  Historiker,  Natur- 
forscher sind  in  aller  Munde,  während  in  den  früheren  Jahrhunderten 
die  großen  Theologen  und  Juristen  diesen  Vorzug  hatten.  Die  rein 
theoretische  Wissenschaft  ist  in  der  Schätzung  der  Welt  gestiegen. 
Freilich  hat  sie  die  Welt  mit  erstaunlichen  Ergebnissen  beschenkt, 
Ergebnissen  auch,  die  nicht  bloß  theoretischen  Wert  haben.  Das  gilt 
besonders  von  den  Naturwissenschaften.  Und  von  hieraus  ist  denn 
die  phüosophische  Fakultät  auch  zur  Vorbüdungsanstalt  für  praktisch- 
technische Berufe  geworden,  so  vor  allem  für  das  Gebiet  der  tech- 
nischen Chemie. 

Noch  für  einen  andern  gelehrten  Beruf  hat  die  philosophische 
Fakultät  die  Vorbildung  übernommen,  das  ist  das  Lehramt  an  den 
höheren  Schulen,  das  sich  im  Lauf  des  19.  Jahrhunderts  vom  geist- 
lichen Amt  als  besonderer  Lebensberuf  losgelöst  hat     Der  Fakultät 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  33 

wäre  damit  also  die  Rolle  eines  Lehrerseminars  zugefallen.  Allerdings 
hat  sie  dieser  Aufgabe  kaum  durch  besondere  Veranstaltungen  sich 
angepaßt,  vielmehr  faßt  sie  dieselbe  so,  daß  sie  den  künftigen  Gym- 
nasiallehrern eine  rein  gelehrte  Bildung  bietet,  als  ob  es  sich  um  ihre 
Ausbildung  zu  eigentlichen  Gelehrten  oder  wissenschaftlichen  Forschern 
handle.  Die  Philologen  sind  hierin  vorangegangen,  die  übrigen  Gruppen, 
die  Historiker,  die  Mathematiker,  die  Naturforscher,  sind  allmählich 
gefolgt.  Die  besonderen  Anstalten  für  die  Ausbildung  von  Gelehrten 
sind  die  wissenschaftlichen  Seminare.  Ihre  Bestimmung  ist  die  Ein- 
führung in  die  wissenschaftliche  Arbeit,  die  Überlieferung  der  wissen- 
schaftlichen Methoden.  Die  Dissertationen,  die  aus  der  Arbeit  im 
Seminar  hervorzugehen  pflegen,  stellen  erste  Proben  der  Fähigkeit 
IT*  vor,  an  der  Forschung  sich  zu  beteiligen.  Durch  diese  Anstalten 
führt  nun  regelmäßig  der  Bildungsweg  der  Lehrer  unserer  höheren 
Schulen. 

Die  Unterrichtsverwaltungen  haben  diesen  Gang  der  Dinge  still- 
schweigend oder  ausdrücklich  gebilligt;  sie  haben  immer  anerkannt, 
daß  für  den  Lehrer  an  einer  Gelehrtenschule  eine  wirklich  wissen- 
schaftliche Ausbildung  das  erste  sei,  was  nottut.  Durch  die  Prüfungs- 
ordnungen und  neuerdings  durch  die  Ausbildung  pädagogischer 
Seminare  an  den  Gymnasien  haben  sie  daneben  die  notwendigen 
Forderungen  an  die  pädagogische  Ausbildung  der  Lehrer  zu  sichern 
gesucht.  Diese  Seite  der  Aufgabe  tritt  naturgemäß  in  dem  Maße 
stärker  hervor,  als  unter  den  „höheren**  Schulen  die  Zahl  derer,  die 
nicht  „Gelehrtenschulen"  sind,  immer  mehr  zugenommen  hat.  Es  ist 
nicht  zu  verkennen,  daß  die  Schwierigkeiten,  die  hieraus  entspringen, 
im  Wachsen  sind.  Daß  die  alten  Gymnasialprofessorcn  wirkliche 
Gelehrte  seien,  erschien  als  eine  selbstverständliche  Forderung;  aber 
können  und  müssen  alle  Lehrer,  die  in  den  unzähligen  unteren  und 
mittleren  Klassen  unserer  „höheren**  Schulen,  jetzt  auch  die  sechs- 
klassigen  Realschulen  einbegriffen,  die  Elemente  lehren,  wirkliche 
Gelehrte  sein? 

Bemerkenswert  ist  die  Rückwirkung  dieser  Entwicklung  auf  die 
Philosophie  und  ihre  Stellung  im  akademischen  Unterricht.  Bis  ins 
18.  Jahrhundert  war  die  Philosophie  das  Hauptstück:  Logik,  Physik, 
Metaphysik,  Ethik,  Naturrecht,  das  waren  die  Fächer,  die  das  Haupt- 
gewicht auf  der  Tafel  der  alten  facultas  artium,  aber  auch  noch 
der  philosophischen  Fakultät  zur  Zeit  Wolffs  und  Kants  ausmachten. 
Mit  der  au&teigenden  Entwicklung  der  wissenschaftlichen  Forschung 
ist  die  Philosophie  ins  Gedränge  gekommen;  sowohl  in  dem  Reich  der 

Dm  Ualcnichlfw«Ma  im  Deutichen  Reich.    L  3 


'^  Einleitung. 

Wissenschaften  als  im  Universitätsunterricht  hat  sie  an  Bedeutung 
eingebüßt.  Die  Wissenschaften  haben  sich  entwöhnt,  eine  philoso- 
phische Grundlegung  für  notwendig  anzusehen;  die  Einzelforschung 
geht  ihren  Weg,  unbekümmert  darum,  ob  und  wie  sie  sich  einem 
Gesamtbau  der  Erkenntnis  einfügt.  Und  ebenso  glauben  sehr  zahl- 
reiche Jünger  der  Wissenschaft  jedes  Studium  der  Philosophie  für 
entbehrlich  halten  zu  dürfen.  Unter  den  Juristen  und  Medizinern 
wird  es  schon  als  eine  Ausnahme  gelten  dürfen,  daß  einer  einmal 
eine  philosophische  Vorlesung  hört,  oder  ein  philosophisches  Buch 
liest,  es  sei  denn  Haeckels  Welträtsel.  Ob  diese  Ausschaltung  der 
Philosophie  einen  Verlust  für  die  wissenschaftliche  und  menschliche  Bil- 
dung bedeutet?  Ich  zweifle  nicht  daran.  Ob  eine  Zeit  kommen 
wird,  wo  die  Philosophie  auch  im  akademischen  Unterricht  wieder 
die  ihr  gebührende  Bedeutung  gewinnen  wird?  Ich  hoffe  und  glaube 
es.  Am  Ende  lernen  wir  noch  von  den  amerikanischen  Colleges 
die  Philosophie  in  Ehren  halten. 

Was  die  übrigen  Fakultäten  anlangt,  so  zeigt  die  Entwicklung 
einen  im  großen  gleichgerichteten  Verlauf:  am  Anfang  des  Jahr- 
hunderts standen  sie  unter  dem  dominierenden  Einfluß  der  Philosophie, 
der  Kantischen,  Schellingschen,  Hegekchen.  Seit  dem  großen  Bankrott 
der  spekulativen  Philosophie  gewann  die  Richtung  auf  Empirie  und 
Historie,  neben  einem  politisch-kirchlichen  Positivismus,  die  Herrschaft. 
So  in  der  Theologie:  seit  den  20  er  und  30  er  Jahren  ist  der  philo- 
sophische Rationalismus  mehr  und  mehr  auf  der  einen  Seite  dem 
Bestreben  gewichen,  den  alten  Satzungsglauben  wieder  herzustellen; 
es  führte  in  der  katholischen  Kirche  zur  päpstlichen  Unfehlbarkeit,  in 
der  protestantischen  zu  der  Forderung,  daß  die  Wissenschaft  um- 
kehren müsse.  Auf  der  andern  Seite  setzte  die  historisch-kritische 
Forschung  ihre  Arbeit  mit  wachsendem  Eifer  und  Erfolg  fort  und 
zog  zugleich  die  letzte  Konsequenz:  die  heiligen  Urkunden  der  Offen- 
barung werden  als  Erzeugnisse  des  menschlichen  Geistes,  als  Denk- 
mäler rein  immanent-geschichtlicher  Entwicklung  betrachtet.  Dabei 
findet  dies  Verhältnis  statt,  daß  der  restaurierte  statutarische  Supra- 
naturalismus  zunächst  innerhalb  der  Kirche  und  der  Gemeinde,  die 
historisch-kritische  Forschung  dagegen  auf  den  Universitäten  ihren 
Ort  hat.  Starke  Spannungen  zwischen  den  kirchlichen  Mächten  und 
der  Universitätstheologie  sind  die  Folge,  Spannungen,  deren  Lösung 
auf  der  kirchlich-konfessionellen  Seite  dadurch  erstrebt  wird,  daß  man 
die  Besetzung  der  theologischen  Professuren  der  staatlichen  Gewalt 
zii  entwinden    und  der    Kontrolle  der  kirchlichen  Autorität  zu  unter- 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Universitäten.  35 

werfen  trachtet,  wie  es  innerhalb  des  Katholizismus  geltendes  Recht 
ist.  Auf  Seiten  der  Universitätstheologie  wird  dagegen  die  Lösung 
des  Konflikts  von  der  fortschreitenden  Anpassung  des  religiösen  Be- 
wußtseins an  die  gesicherten  Ergebnisse  der  wissenschaftlichen  For- 
schung erwartet.  Dabei  gilt  eine  allgemeine  Voraussetzung:  daß  der 
alte  falsche  Intellektualismus  in  der  Auffassung  und  Begründung  des 
religiösen  Glaubens  mehr  und  mehr  einem  Voluntarismus  im  Sinne 
des  kantischen  Primats  der  praktischen  Vernunft  weichen  werde.  In 
dem  Maße,  als  die  „Schriftbeweise"  und  die  „Vernunftbeweise"  für  den 
Glauben  an  Kredit  einbüßen,  wird  das  wirkliche  Fundament  aller 
Religion  hervortreten:  die  Notwendigkeit,  der  Welt-  und  Lebens- 
anschauung, wofür  die  Wissenschaft  keinen  Abschluß  findet,  eine  ein- 
heitliche Fassung  durch  „Vernunftideen"  zu  geben. 

In  der  Jurisprudenz  vollzog  sich  die  Loslösung  von  der 
Herrschaft  des  Naturrechts  oder  des  philosophischen  Rationalismus 
durch  die  historische  Rechtsschule,  mit  der  übrigens  die  Hegeische 
Philosophie  mehr  im  Verhältnis  der  Verwandtschaft  als  des  Gegen- 
satzes in  den  allgemeinen  Anschauungen  stand,  auch  sie  überzeugt, 
daß  das  Recht  und  der  Staat  nicht  durch  subjektive  Vernunft  aus- 
gedacht und  gemacht  werde,  sondern  als  ein  organisches  Erzeugnis 
des  Gesamtgeistes  sich  entwickele.  Auf  den  Universitäten  kam  jetzt 
die  historische  Erforschung  des  Rechts  zur  Blüte;  auch  das  praktische 
Rechtsstudium  wurde  wesentlich  auf  das  historische  Studium,  zunächst 
des  römischen  Rechts  gegründet.  Die  wissenschaftliche  Forschung 
wendete  sich  mit  gleicher  Liebe,  wie  dem  römischen,  so  auch  dem 
deutschen  Recht  zu;  und  diese  germanistische  Richtung  ist  nicht  ohne 
Einfluß  auch  auf  die  Rechtsbildung  geblieben.  Mit  der  neuen 
romantischen  Liebe  zum  Altdeutschen  und  der  darin  wurzelnden 
historischen  Forschung,  andererseits  mit  dem  politischen  Liberalismus, 
worin  der  alte  Rationalismus  einen  Nachtrieb  hervorbrachte,  sich 
mannigfaltig  berührend,  hatsiebesondersdieEntwicklung  des  öffentlichen 
Rechts  mitbestimmt;  der  genossenschaftliche  Gedanke  im  Recht,  der 
einen  Grundzug  der  germanischen  Rechtsbildung  im  Gegensatz  zum 
romanischen  Staatsabsolutismus  bildet,  ist  von  ihr  mit  Anlehnung  an 
England,  wo  das  deutsche  Recht  niemals  durch  das  römische  Recht 
verdrängt  worden  war,  wieder  zur  Geltung  gebracht  worden.  Auch 
das  neue  bürgerliche  Recht,  das  mit  dem  neuen  Jahrhundert  in 
Geltung  getreten  ist,  zeigt  überall  die  Spuren  dieses  Einflusses.  Für 
das  Rechtsstudium  hat  diese  neue  Kodifizierung  des  Rechts  die  Folge, 
daß  das  römische  Recht  seine  alte  Herrschaft   in   einigem  Maße  ein- 

3* 


36  Einleitung. 

gebüßt  hat,  daß  die  Gegenwart  mit  ihren  Verhältnissen  und  Forderungen 
sich  stärker  zur  Geltung  bringt.  Wenn  dabei  denn  auch  die  soziale 
und  philosophische  Betrachtung  des  Rechts  wieder  breiteren  Boden 
gewinnt,  so  ist  zu  hoffen,  daß  diese  Wendung  auch  der  Belebung 
des  Interesses  der  Studierenden  am  Gegenstand  sich  förderlich  er- 
weisen wird. 

Die  medizinischen  Wissenschaften,  die  am  Anfang  des  Jahr- 
hunderts starken  Einfluß  von  der  neuen  Naturphilosophie,  deren 
Hauptvertreter  Schelling  war,  erfahren  hatten,  wendeten  sich,  nicht 
ohne  ein  Gefühl  bitterer  Enttäuschung,  dessen  Nachwirkungen  bis  auf 
diesen  Tag  zu  spüren  sind,  in  den  30  er  Jahren  von  der  Philosophie 
ab  zur  exakten  naturwissenschaftlichen  Forschung.  Vor  allem  eman- 
zipierte sich  die  Physiologie  von  den  vitalistischen  Gedanken  und  warf 
sich  der  mechanistischen  Naturauffassung  in  die  Arme.  Sofern  diese 
Auffassung  auf  intensive  Ausnutzung  der  Beobachtung  und  des  Experi- 
ments hinführte,  muß  sie  als  eine  gesunde  und  notwendige  Reaktion 
gegen  die  zur  Bequemlichkeit  neigende,  leicht  bei  Worterklärungen 
sich  beruhigende  spekulative  Richtung  betrachtet  werden.  Es  ist  kein 
Zweifel,  daß  die  Medizin  der  exakten  Forschung,  zu  der  sie  unter  der 
Führung  jener  Anschauung  sich  wendete,  die  gewaltigen  Fortschritte 
verdankt,  die  Wissenschaft  und  Praxis  seitdem  gemacht  haben.  Die 
Bedeutung,  welche  die  Medizin  im  19.  Jahrhundert  für  das  Volksleben 
gewonnen  hat,  kommt  in  dem  gewaltigen  Wachstum  der  medizinischen 
Fakultäten  in  Hinsicht  sowohl  auf  die  Zahl  der  Lehrer  und  Studierenden 
als    auf  die  Ausdehnung  der  Institute  und  Kliniken  zur  Erscheinung. 

Die  Übersicht  läßt  überall  dieselbe  Wendung  erkennen:  vom 
Rationalen  und  Doktrinalen  zum  Historischen  und  Faktischen.  Und 
der  Unterricht  ist  dieser  Wendung  gefolgt;  statt  zur  Aneignung  eines 
fertigen  Systems  führt  er  jetzt  mehr  auf  die  Tatsachen  und  ihre 
wissenschaftliche  Bearbeitung  hin.  Womit  denn  eine  Erscheinung 
zusammenhängt,  die  in  allen  Fakultäten,  am  meisten  in  der  philo- 
sophischen und  medizinischen  sich  zeigt:  die  zunehmende  Ausdehnung 
der  Studienzeit.  Die  Doktrin  ist  kurz,  die  Welt  der  Tatsachen  un- 
endlich. Und  eine  weitere  Wirkung  ist,  daß  es  sich  immer  mehr  als 
notwendig  herausgestellt  hat,  dem  theoretischen  Studium  noch  eine 
besondere  Einführung  in  die  Praxis  folgen  zu  lassen.  Wie  für  die 
Juristen,  so  ist  jetzt  auch  für  Gymnasiallehrer,  Geistliche  und  Ärzte  in 
den  meisten  Staaten  Deutschlands  ein  praktischer  Vorbereitungsdienst 
angeordnet,  der  zwischen  dem  Abschluß  des  Universitätsstudiums  mit 
der  wissenschaftlichen  Prüfung  und  dem  Beginn  der  Berufstätigkeit  liegt. 


Geschichtliche  Entwicklung  der  deutschen  Univereitäten.  37 

Hier  möchte  ich  noch  auf  einen  Zug,  der  in  jüngster  Zeit  hervor- 
tritt, mit  einem  Wort  hinweisen:  die  unmittelbare  Berührung  mit  der 
Wirklichkeit,  wozu  unsere  Studierenden  und  Gelehrten  Gelegenheit 
und  Veranlassung  in  ihrem  Studium  und  Beruf  finden,  wächst  immer 
mehr  in  die  Breite.  In  allen  Gebieten  wird  die  buchmäßige  Bekannt- 
schaft mit  den  Tatsachen,  die  früher  in  weitem  Umfang  genügen 
mußte,  man  denke  an  Kants  Studium  der  physischen  Geographie 
und  Anthropologie,  durch  die  anschauliche  ergänzt  und  vertieft.  Die 
erstaunliche  Erweiterung  des  Anschauungskreises,  worin  der  Mensch 
der  Gegenwart,  dank  der  jüngsten  Ausbildung  der  Verkehrsmittel, 
lebt,  kommt  auch  den  Studien  zugute.  Es  wird  kaum  ein  Forschungs- 
gebiet geben,  das  nicht  zu  Studienreisen  die  Aufforderung  enthielte: 
der  Naturforscher,  der  Techniker,  der  Geograph,  der  Biolog  empfindet 
sie  vielleicht  am  unmittelbarsten.  Aber  auch  der  Historiker,  der 
Philolog  verläßt  die  Studierstube,  um  das  Land  mit  Augen  zu  sehen, 
wo  die  Begebenheiten  sich  zutrugen,  wo  die  Sprache  gesprochen 
wird,  denen  seine  wissenschaftliche  Arbeit  gilt.  Und  auch  für  Ärzte, 
Juristen  und  Geistliche  wird  die  persönliche  Kenntnisnahme  anderer 
Länder  und  Völker,  ihrer  Verhältnisse  und  Einrichtungen,  mehr  und 
mehr  zu  einer  als  selbstverständlich  vorauszusetzenden  Sache.  Die 
seit  dem  Ausgang  des  Mittelalters  immer  mehr  differenzierten  National- 
kulturen wachsen  gegenwärtig  immer  mehr  zu  einer  die  Verschieden- 
heit nicht  aus-,  sondern  einschließenden  Weltkultur  zusammen. 

Ich  schließe  diese  Skizze  mit  einer  Bemerkung  über  die  Stellung 
der  Universitäten  im  öffentlichen  Leben.  Im  19.  Jahrhundert  sind 
die  Universitäten  zu  einer  Macht  im  nationalen  und  politischen  Leben 
des  deutschen  Volkes  geworden.  Lange  Zeit  besaß  die  Nation,  nach 
dem  Verlust  des  Schattens  politischer  Einheit  im  alten  Kaisertum, 
überhaupt  kaum  eine  Darstellung  ihrer  Einheit  in  einer  öffentlichen 
Institution,  denn  der  deutsche  Bund  stellte  eben  die  Vielheit  und 
Selbständigkeit  der  deutschen  Staaten  dar,  sie  zu  erhalten,  war  seine 
eigentliche  Bestimmung.  In  dieser  Zeit  wuchsen  die  Universitäten, 
zwischen  denen  der  beständige  Austausch  von  Lehrern  und  Studie- 
renden das  Gefühl  einer  lebendigen  Einheit  schuf,  in  die  Rolle  des 
nationalen  Instituts  hinein.  Schon  als  Trägerinnen  der  geschicht- 
lichen Forschung,  die  unter  dem  Einfluß  der  Romantik  zur  Ver- 
senkung in  die  Vergangenheit  und  zur  verherrlichenden  Bewun- 
derung der  einstigen  Größe  des  deutschen  Volkes  führte,  wurden 
sie  in  einer  politisch  trostlosen  Gegenwart  zugleich  zu  Pflegerinnen 
der  nationalen  Zukunftshoffnungen.     Die  deutsche  Burschenschaft,  die 


38  Einleitung. 

aus  der  großen  Volkserhebung  der  Freiheitskriege  erwuchs,  umschlang 
Nord  und  Süd  mit  dem  Band  der  großen  Liebe  zum  einheitlichen 
Vaterland;  sie  trug  die  Ideen  von  Einheit  und  Freiheit,  von  Kaiser 
und  Reich  in  alle  Kreise  des  Volks.  Zugleich  wurden  die  Universi- 
täten zu  schützenden  Burgen  freiheitlicher  Gesinnung  gegenüber  der 
kirchlichen  und  politischen  Reaktion,  die  seit  den  20er  Jahren  immer 
stärker  einsetzte;  Erklärungen  und  Festreden  von  Professoren  wurden 
in  der  dumpfen  Stille  jener  Tage  zu  politischen  Ereignissen.  Kein 
Wunder,  daß  im  Jahre  1848,  das  dem  deutschen  Volk  die  Erfüllung 
seiner  Hoffnungen  bringen  zu  sollen  schien,  Professoren  und  Studenten 
überall  in  vorderster  Reihe  standen.  Der  Ausgang  der  Bewegung  ent- 
sprach nicht  den  enthusiastischen  Hoffnungen,  womit  sie  begonnen 
hatte.  Die  Idee  hatte  die  Rechnung  ohne  die  Macht  gestellt.  Erst  als 
sie  die  Macht  für  ihren  Dienst  gewann,  oder  vielmehr  als  ein  genialer 
Staatsmann  ihrer  sich  bemächtigte,  erreichte  sie,  freilich  auf  paradoxe 
Weise,  ihre  Verwirklichung.  Die  Universitäten  stehen  seitdem  unter 
den  Faktoren,  auf  denen  das  politische  Leben  des  deutschen  Volks 
beruht,  nicht  mehr  in  der  ersten  Reihe.  Darnach  darf  man  sagen :  sie 
sind  auch  gegenwärtig  eine  Macht  in  unserem  öffentlichen  Leben. 
Zwar,  das  verfassungsmäßig  berufene  Organ  dessen,  was  man  den 
Volkswillen  oder  die  öffentliche  Meinung  nennt,  ist  heute  die  gewählte 
Volkvertretung.  Aber  hinter  dieser  von  den  Parteien  gewählten  Volks- 
vertretung steht  eine  ungewählte,  darum  doch  nicht  unberufene:  das  ist 
die  akademische  Welt,  die  in  den  Universitäten  ihren  Mittelpunkt  hat. 
Und  es  ließe  sich  wohl  die  Behauptung  wagen,  daß  diese  Welt  in  ihrer 
Gesamtheit  auch  heute  noch  die  trcueste  und  tiefste  Darstellung  dessen 
ist,  was  das  deutsche  Volk  im  innersten  bewegt. 

Friedrich    Paulsen. 


II!  Übersicht  der  gegenwärtigen  Organisation  der 
deutschen  Universitäten. 


1.  Die  deutschen  Universitäten  sind  ausschließlich  staatliche 
Anstalten.  Es  stände  allerdings  nichts  im  Wege,  daß  von  Stadt- 
gemeinden oder  privaten  Stiftern  Hochschulen  nach  dem  Vorbilde 
der  Universitäten  gegründet  würden,  aber  diese  Anstalten  würden 
nicht  die  Berechtigungen  haben,  die  den  Universitäten  gesetzlich  zu- 
erkannt sind,  und  sie  würden  sie  nur  durch  besondere  Bewilligung 
erlangen  können.  Die  Verleihung  akademischer  Grade  ist  nicht  das 
wichtigste  dieser  Rechte;  von  weit  größerer  Bedeutung  ist  es,  daß 
für  die  Anstellung  im  Kirchendienst*),  im  richterlichen  und  höheren 
Verwaltungs-  und  Schuldienst,  für  die  Zulassung  zur  Rechtsanwalt- 
schaft, für  den  Betrieb  der  Praxis  als  Arzt  das  Studium  an  einer 
deutschen  Universität  als  notwendige  Voraussetzung  vorgeschrieben  ist. 

Die  Universitäten  sind  juristische  Personen  des  öffentlichen 
Rechts;  sie  haben,  wie  das  preußische  Landrecht  ausdrücklich  erklärt, 
die  Rechte  privUegierter  Korporationen.  Ihre  innere  Verfassung  ist 
für  jede  Universität  und  ihre  Fakultäten  durch  die  aus  sehr  ver- 
schiedenen Zeiten  stammenden  landesherrlichen  Privüegien  und 
Statuten  und  ergänzende  Ministerialerlasse  geregelt. 

Alle  Universitäten  besitzen  ein  bedeutendes  Gebrauchsvermögen 
in  Gestalt  von  Gebäuden,  Sammlungen  usw.,  außerdem  auch 
Stiftungskapitalien  zu  Stipendienzwecken  oder  zur  Versorgung  der 
Hinterbliebenen  der  Professoren.  Einige  haben  aber  auch,  wie 
Greifswald,  ein  beträchtliches  Ertrag  bringendes  Vermögen,  aus  dem 
ein   erheblicher  Teü   ihrer  Unterhaltskosten  bestritten   wird.     Andere 

•)  Nur  für  die  Ausbildung  der  katholischen  Geistlichen  gibt  es  außer  den 
theologischen  Fakultäten  besondere  Anstalten,  die  ab  den  erstereu  gleichberechtigt  aner- 
kumt  sind. 


40  Einleitung. 

erhalten  Zuschüsse  aus  selbständigen  öffentlichen  Fonds,  die  be- 
sonderen Zwecken  gewidmet  sind,  wie  z.  B.  Göttingen  aus  dem 
hannoverschen  Klosterfonds.  Als  eigener  Erwerb  kommen  nament- 
lich die  Einnahmen  aus  den  Kliniken  und  gewisse  Gebühren  in 
Betracht.  Der  weitaus  größte  Teil  der  gesamten  Universitätskosten 
jedoch  wird  durch  unmittelbare  staatliche  Zuschüsse  gedeckt. 

2.  Die  Universitäten  stehen  unmittelbar  unter  demjenigen 
Ministerium  ihres  Staates,  das  die  Verwaltung  des  Unterrichts wesens 
zu  fuhren  hat,  also  in  Preußen  unter  dem  Ministerium  der  geistlichen, 
Unterrichts-  und  Medizinalangelegenheiten,  in  Bayern  unter  dem  der 
Kirchen-  und  Schulangelegenheiten,  in  Sachsen  unter  dem  des  Kultus 
und  öffentlichen  Unterrichts,  in  Württemberg  unter  dem  des  Kirchen- 
und  Schulwesens  usw.  Als  Kommissar  des  Ministeriums  ist  an  den 
preußischen  Universitäten  mit  Ausnahme  von  Berlin  ein  Kurator  be- 
stellt, der  namentlich  die  wirtschaftlichen  Angelegenheiten  der  Anstalt, 
die  "Bausachen,  teilweise  auch  das  Stipendienwesen  verwaltet  und 
die  Korrespondenz  der  Universitätsorgane  mit  dem  Ministerium 
vermittelt.  Infolge  der  Bundestagsbeschlüsse  von  1819  waren  an  die 
Stelle  der  Kuratoren  „außerordentliche  Regierungsbevollmächtigte" 
mit  wesentlich  weitergehenden  Aufsichtsbefugnissen  gesetzt  worden, 
im  Jahre  1848  aber  wurden  die  Ausnahmegesetze  von  1819  durch 
die  Bundesversammlung  aufgehoben  und  in  Preußen  die  Tätigkeit 
der  Kuratoren  wieder  auf  die  ihnen  durch  eine  Verordnung  vom 
Jahre  1808  übertragenen  Funktionen  beschränkt.  In  Berlin  ist  der 
größte  Teil  der  Kuratorialgeschäfte  dem  Ministerium  selbst  vorbe- 
halten und  das  übrige  einem  aus  Rektor  und  Universitätsrichter 
bestehenden  Kuratorium  übertragen.  In  den  Universitätsstädten,  die 
Sitz  eines  Oberpräsidenten  sind,  also  in  Breslau,  Königsberg  und 
Münster,  ist  dieser  zugleich  Kurator  mit  einem  Rat  als  Vertreter. 
Außerhalb  Preußens  haben  die  Universitäten  Jena  und  Straßburg 
Kuratoren,  letztere  in  der  Person  des  Staatssekretärs  mit  einem 
Ministerialrat  als  Stellvertreter.  Eine  ähnliche  Stellung  wie  die 
Kuratoren  in  Preußen  nehmen  ein  in  Leipzig  der  Regierungsbevoll- 
mächtigte, in  Tübingen  der  Kanzler,  in  Rostock,  wo  der  Großherzog 
von  Mecklenburg-Schwerin  den  Kanzlertitel  führt,  der  Vizekanzler. 

Der  oberste  Vertreter  der  Universität  ist  der  Rektor  oder  an 
einigen  Universitäten  der  Prorektor,  nämlich  dort,  wo  der  Landesherr 
oder,  wie  in  Göttingen,  ein  Prinz  des  Königlichen  Hauses  die  Ehren- 
stellung als  Rector  magnificentissimus  einnimmt.  Der  Rektor  oder 
dirigierende  Prorek-tor  wird  nach  einem  an  den  einzelnen  Universitäten 


Gegenwärtige  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  41 

verschiedenen  Verfahren  von  der  Gesamtheit  der  ordentlichen 
Professoren  (in  Göttingen  von  einem  auch  die  außerordentlichen 
Professoren  mit  umfassenden  Plenum)  aus  ihrer  Mitte  auf  ein  Jahr 
gewählt,  jedoch  bedarf  die  Wahl  der  landesherrlichen  Bestätigung. 
Der  Rektor  führt  die  laufenden  Geschäfte  und  hat  den  Vorsitz  im 
Senat  und  den  sonstigen  Ausschüssen.  An  den  meisten  Universitäten 
besteht  der  Senat  außer  dem  Rektor  aus  dessen  Vorgänger,  den 
Dekanen  der  Fakultäten,  den  von  den  ordentlichen  Professoren 
besonders  auf  ein  Jahr  gewählten  Senatoren  und  dem  Universitäts- 
richter; an  mehreren  jedoch  (Göttingen,  Marburg,  Jena,  Erlangen, 
Tübingen)  bildet  die  Gesamtheit  der  ordentlichen  Professoren  den 
Senat  und  neben  diesem  besteht  ein  besonders  gewählter  Verwaltungs- 
und ein  Rechtspflege-  oder  Disziplinarausschuß,  die  zusammen  die 
Funktionen  des  engeren  Senats  an  anderen  Universitäten  ausüben. 
Auch  in  Gießen,  Heidelberg,  Freiburg  gibt  es  neben  dem  engeren 
Senat  einen  weiteren  und  ebenso  unter  verschiedenen  Namen  (General- 
konzil, Konsistorium,  akademisches  Konzil)  in  Halle,  Königsberg, 
Kiel,  Greifswald,  Rostock. 

3.  Die  Universitäten  sind  nach  den  Hauptzweigen  der  Wissen- 
schaften, die  sie  zu  pflegen  haben,  in  Fakultäten  geteilt,  deren  Zahl 
ursprünglich  bekanntlich  vier  betrug,  gegenwärtig  aber  an  mehreren 
Universitäten  größer  ist,  während  Münster  ausnahmsweise  nur  drei 
Fakultäten  besitzt.  An  vier  Universitäten  (Bonn,  Breslau,  Tübingen, 
Straßburg)  bestehen  evangelische  und  katholische  theologische  Fakul- 
täten nebeneinander,  während  sich  in  Münster,  München,  Würzburg 
und  Freiburg  nur  katholische  und  an  den  übrigen  Universitäten  nur 
evangelische  theologische  Fakultäten  finden.  Von  der  philosophischen 
Fakultät  ist  in  Tübingen,  Straßburg,  Heidelberg  eine  selbständige 
mathematisch-naturwissenschaftliche  und  in  Tübingen  außerdem  noch 
eine  staatswissenschaftliche  Fakultät  abgezweigt.  Ebenso  besteht  in 
München  eine  besondere  Staats  wirtschaftliche  Fakultät.  In  Straßburg 
wurde  1872  statt  der  juristischen  eine  rechts-  und  staatswissenschaft- 
liche Fakultät  gegründet;  dasselbe  ist  1902  in  Münster  geschehen  und 
in  Würzburg  und  Freiburg  ist  die  juristische  Fakultät  in  eine  rechts- 
und  staatswissenschaftliche  umgewandelt  worden. 

Die  Fakultäten  im  engeren  Sinne  setzen  sich  aus  den  ihnen 
angehörenden  ordentlichen  Professoren  zusammen,  im  weiteren  Sinne 
aber  werden  die  Fakultäten  durch  die  Gesamtheit  der  Lehrer  und 
Studierenden  des  betreffenden  wissenschaftlichen  Gebietes  gebildet. 
Die    Fakultäten    führen    die   Aufsicht    über   den  Unterricht    in  ihren 


42  Einleitung. 

Lehrfächern  und  sind  für  den  regelmäßigen  Betrieb  und  die  Voll- 
ständigkeit desselben  verantwortlich.  Im  Falle  der  Erledigung  einer 
Professur  ist  es  ihnen  teils  nach  Herkommen,  teils  ausdrücklich  nach 
ihren  Statuten  gestattet,  der  Regierung  geeignete  Persönlichkeiten 
für  die  Nachfolge  vorzuschlagen.  Die  Zulassung  von  Privatdozenten 
nach  Maßgabe  der  Habilitationsordnung  ist  ebenfalls  Sache  der 
Fakultäten.  Auch  die  Verleihung  der  akademischen  Würden,  wenn 
diese  auch  unter  der  Autorität  der  gesamten  Universität  stattfindet, 
steht  ausschließlich  den  Fakultäten  zu.  Zur  Leitung  ihrer  Geschäfte 
wählt  jede  Fakultät  aus  ihrer  Mitte  auf  je  ein  Jahr  einen  Dekan.  Die 
Wahl  Ist  meistens  dem  Ministerium  anzuzeigen. 

Der  Lehrkörper  der  Universitäten  setzt  sich  zusammen  aus 
ordentlichen  Professoren,  Honorarprofessoren,  außerordentlichen  Pro- 
fessoren, Privatdozenten  "und  Lektoren,  wozu  noch  technische  Lehrer 
und  Exerzitienmeister  kommen.  An  manchen  Universitäten  sind  auch 
„beauftragte  Dozenten"  tätig,  die  nicht  zur  akademischen  Lehrerschaft 
gehören  und  in  der  Regel  nur  für  solche  Fächer  zugezogen  werden, 
die  in  dem  gewöhnlichen  Lehrbetrieb  nicht  vertreten  sind. 

4.  Die  ordentlichen  Professoren  werden  auf  Antrag  des  Mini- 
steriums, das  in  der  Regel  die  Vorschläge  der  Fakultät  berücksichtigt, 
vom  Landesherrn  ernannt.  Sie  sind  Staatsbeamte,  nehmen  aber  doch 
in  mancher  Beziehung  eine  besondere  Stellung  ein.  Sie  bilden  den 
eigentlichen  ständigen  Lehrkörper  der  Universität  und  haben  in  der 
Regel  allein  die  in  Frage  kommenden  Wahlrechte.  Aus  ihrer  Mitte 
geht  auch  der  Vertreter  hervor,  den  die  Universitäten  nach  Maßgabe 
der  geltenden  Verfassungsbestimmungen  in  den  Landtag  ihres  Staates 
entsenden. 

Jeder  ordentliche  Professor  erhält  einen  Lehrauftrag  für  ein  be- 
stimmtes Gebiet,  ist  aber  berechtigt,  über  alle  in  den  Bereich  seiner 
Fakultät  fallenden,  nach  den  Statuten  einiger  Universitäten  auch  über 
alle  anderen  Fakultäten  angehörenden  Fächer  Vorlesungen  zu  halten. 
Ausdrücklich  verpflichtet  ist  er  in  der  Regel  nur  zur  Ankündigung 
einer  öffentlichen  (unentgeltlichen)  Vorlesung  (oder  statt  dieser  einer 
unentgeltlichen  Übung  als  Privatissimum)  und  einer  Privatvorlesung. 
Die  öffentlichen  Vorlesungen,  die  in  älterer  Zeit  die  Hauptaufgabe 
der  Professoren  bildeten,  werden  gegenwärtig  meistens  nur  in  1  oder 
2  Stunden  wöchentlich  gehalten. 

Das  Diensteinkommen  der  Professoren  ist  in  ganz  anderer  Weise 
geregelt,  als  das  der  übrigen  Beamten.  Außer  einer  festen  Besoldung 
bezichen    sie  Honorar   für   ihre  Privatvorlesungen    und  Gebühren  für 


Gegenwärtige  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  43 

Promotionen  und  andere  Prüfungen.  Rektorat  und  Dekanat  bringen 
noch  besondere  Einnahmen. 

Die  Besoldung  der  ordentlichen  Professoren  ist  in  Preußen  im 
Jahre  1897  nach  dem  Prinzip  der  Dienstalterszulagen  neugeordnet 
worden.  Sie  beginnt  in  Berlin  mit  4800  M.,  an  den  übrigen  Univer- 
sitäten mit  4000  M.  und  steigt  an  der  ersteren  Universität  in  6,  an 
den  anderen  in  5  vierjährigen  Altersstufen  bis  7200  bzw.  6000  M. 
Außerdem  erhalten  die  Professoren  einen  Wohnungsgeldzuschuß,  der 
in  Berlin  900  M.,  an  den  übrigen  Universitäten  je  nach  der  Größe 
der  Stadt  660  oder  540  M.  beträgt.  Ferner  ist  ein  Dispositionsfonds 
von  175000  M.  jährlich  vorhanden,  aus  dem  besonders  ausgezeichneten 
Lehrern  und  Forschern,  namentlich  bei  Gelegenheit  von  Berufungen, 
persönliche  Zulagen  gewährt  werden.  Das  sogenannte  normale  Maximum 
(in  Berlin  9400  M.,  an  den  übrigen  Universitäten  7800  M.  außer  dem 
Wohnungsgeld)  darf  jedoch  nur  mit  königlicher  Genehmigung  über- 
schritten werden.  Übrigens  haben  sich  nicht  alle  im  Jahre  1897  im 
Amte  stehenden  Professoren  dem  neuen  System  unterworfen,  da  damit 
zugleich  die  Annahme  des  unten  zu  erwähnenden  Honorarabzugs  ver- 
bunden sein  mußte.  Auch  für  die  Zukunft  kommen  die  Bestimmungen 
über  die  Dienstalterszulagen  für  die  Professoren  der  Medizin,  die  zu- 
gleich ärztliche  Praxis  betreiben,  nicht  zur  Anwendung. 

In  Bayern*)  beträgt  das  gesetzliche  Gehalt  der  ordentlichen 
Professoren  nach  den  Bestimmungen  von  1892  im  Anfang  4560  M. 
und  es  steigt  nach  je  5  Jahren  die  drei  ersten  Male  um  je  360  M.  und 
später  um  je  180  M.  Dazu  kommt  ein  Wohnungsgeldzuschuß  von 
540  M.,  der  aber  bei  Honorareinnahmen  von  mehr  als  1200  M.  oder 
einem  das  normale  um  mehr  als  1200  M.  übersteigenden  Gehalt  ent- 
sprechend vermindert  wird  bis  zum  gänzlichen  Wegfall.  Aus  be- 
sonderen Gründen  werden  persönliche  Zulagen  gewährt. 

In  Tübingen  bestehen  nach  dem  Gesetz  vom  27.  Juli  1899  seit 
dem  1.  April  1899  für  die  ordentlichen  Professoren  Gehaltsstufen  von 
4000,  4500,  5000,  5500  und  6000  M.  mit  Aufsteigen  in  dreijährigen 
Perioden.  Außerdem  wird  ein  Wohnungsgeld  von  300  M.  gewährt. 
Die  tatsächlichen  Gehälter,  namentlich  der  von  auswärts  berufenen 
Professoren,  sind  durch  persönliche  Zulagen  oft  bedeutend  erhöht,  so 
daß  das  Durchschnittsgehalt  mit  Einschluß  des  Wohnungsgeldes  etwa 
7200  M.  beträgt. 


*)  Wegen  des  folgenden  vgl.  die  Schrift   von  Hiermer,    Die  Rechtsverhiiltnissf  der 
dettUchen  Universitätsprofessoren,  Gießen  1903.     (Als  Manuskript  gedruckt.) 


44  Einleitung. 

In  Sachsen  werden  die  Gehälter  der  Leipziger  Professoren  von 
Fall  zu  Fall  festgesetzt.  In  der  theologischen  und  philosophischen 
Fakultät  gibt  es  gegenwärtig  Ordinarien  mit  3000  M.  Gehalt,  während 
der  Höchstbetrag  in  der  ersteren  12380  und  in  der  letzteren  11000  M. 
erreicht.  In  der  juristischen  Fakultät  bewegen  sich  die  Gehälter 
zwischen  5600  und  1 1  900  M. ,  in  der  medizinischen  zwischen  4500 
und  10  000  M.  Dazu  kommt  vom  1.  Juli  1904  ab  noch  ein  allerdings 
nur  sehr  geringer  Wohnungsgeldzuschuß. 

An  den  badischen  Universitäten  gibt  es  ebenfalls  keine  feste 
Gehaltsskala.  Die  tatsächlichen  Gehälter  der  Ordinarien  bewegen 
sich  zwischen  3000  und  10  600  M.  Der  Durchschnitt  beträgt  in 
Heidelberg  mit  Einschluß  des  Wohnungsgeldes  von  760  M.  7340  M., 
in  Freiburg  5991  M. 

Auch  in  Straßburg  bestehen  weder  Normalgehälter  noch  Dienst- 
alterszulagen. Bei  der  Gründung  der  Universität  wurden  den  Ordinarien 
Gehälter  von  6600  bis  13  500  M.  bewilligt,  jedoch  hatte  Ve  bis  Vo 
von  diesen  Beträgen  den  Charakter  von  Aktivitätszulagen.  Einzelne 
von  jenen  anfanglichen  hohen  Besoldungen  stehen  noch  in  Kraft;  die 
in  den  letzten  zehn  Jahren  angestellten  Ordinarien  aber  erhalten  in 
der  Regel  nur  5—6000  M. 

In  Gießen  beträgt  nach  dem  hessischen  Gesetz  vom  9.  Juni  1 898 
das  Anfangsgehalt  4500  M.  und  es  findet  in  5  vierjährigen  Perioden 
eine  Steigerung  bis  6500  M.  statt.  Wohnungsgeldzuschuß  gibt  es  in 
Hessen  nicht. 

In  Jena  ist  seit  1902  nach  der  Aufhebung  der  Steuerprivilegien 
der  Professoren  und  mit  Hilfe  eines  von  der  Carl  Zeiß-Stiftung  zur 
Verfügung  gestellten  Zuschusses  von  jährlich  30  000  M.  eine  Gehalts- 
skala nach  den  preußischen  Sätzen  eingeführt,  jedoch  ohne 
Wohnungsgeld. 

In  Rostock  ist  das  Anfangsgehalt  4200  M.  und  es  folgen  dann 
zweimal  nach  zwei  Jahren,  später  nach  je  vier  Jahren  Zulagen  von  je 
400  M.  bis  zu  dem  Höchstgehalt  von  6600  M. 

5.  Was  die  Vorlesungshonorare  betriflft,  so  wird  zu  deren 
Gunsten  geltend  gemacht,  daß  die  Professoren  dadurch  zu  eifrigerer 
Lehrtätigkeit  angespornt  und  von  einer  allzu  überwiegenden  Be- 
schäftigung mit  wissenschaftlicher  Forschung  abgehalten  würden; 
daß  ihre  Stellung  eine  größere,  im  Interesse  der  Wissenschaft 
liegende  Selbständigkeit  erhalte;  daß  es  angemessen  und  wünschens- 
wert sei,  daß  große  Gelehrte  von  Weltruf  durch  hohe  Honorar- 
einnahmen auch  äußerlich  zu  einer  glänzenden  Lage  gelangen  könnten. 


Gegenwärtige  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  45 

Diesen  Argumenten  steht  aber  entgegen,  daß  die  Honorareinnahmen 
hauptsächlich  durch  das  Fach  bedingt  sind,  daß  in  gewissen  Fächern, 
wie  z.  B.  Astronomie  oder  Sanskrit,  auch  die  ausgezeichnetsten  Ge- 
lehrten und  Forscher  niemals  erhebliche  Kollegiengelder  beziehen 
können,  daß  überhaupt  die  Verteilung  dieser  Einnahmen  außer- 
ordentlich ungleichmäßig  ist  und  sich  keineswegs  lediglich  nach  den 
wissenschaftlichen  Verdiensten  der  einzelnen  Professoren  regelt.  In 
Österreich  sind  daher  1897  die  Honorare  verstaatlicht  worden  mit 
gleichzeitiger  Erhöhung  der  Gehälter.  In  Preußen  hat  man  ein  so 
radikales  Vorgehen  vermieden,  dagegen  im  Zusammenhang  mit  der 
oben  angeführten  Neuordnung  der  Besoldungen  eine  Reform  des 
Honorarwesens  durchgeführt,  durch  die  eine  gewisse  Ausgleichung 
bewirkt  wird.  Auf  Grund  eines  Vermerks  in  der  Besoldungsvorlage 
fließen  die  Honorare  der  etatsmäßigen  (ordentlichen  und  außerordent- 
lichen) Professoren,  soweit  sie  nach  Abzug  der  Quästurkosten  für  die 
Ordinarien  3000  M.,  in  Berlin  4500  M.  übersteigen,  zur  Hälfte  in 
die  Staatskasse.  Für  die  bereits  angestellten  Professoren  findet  diese 
Vorschrift  nur  mit  ihrer  Zustimmung  Anwendung.  Durch  einen 
Vermerk  zu  dem  Staatshaushaltsetat  von  1897  wurde  ferner  bestimmt, 
daß  diese  Honorarabzüge  zu  einem  besonderen  Ausgabefonds  ver- 
einigt werden  sollen,  aus  dem  jährliche  Zuschüsse  an  etatsmäßige 
(ordentliche  und  außerordentliche)  Professoren  mit  geringen  Neben- 
einnahmen gezahlt  werden.  Durch  einen  Vermerk  im  Staatshaus- 
haltsetat von  1902  ist  die  Verwendung  dieses  Fonds  näher  dahin  be- 
stimmt, daß  die  Honorare  und  sonstigen  in  Anrechnung  kommenden 
Nebeneinnahmen  —  namentlich  Promotionsgebühren  —  für  alle  etats- 
mäßigen Professoren  auf  800  M.  zu  ergänzen  sind  und  daß  der  übrig 
bleibende  Teil  des  Fonds  verwendet  werden  kann  zu  besondern  Zu- 
lagen für  Professoren  auf  bestimmte  Zeit,  zur  Gewährleistung  be- 
stimmter Honorareinnahmen  bei  Berufungen  und  —  bis  zur  Höhe 
von  20  000  M.  —  zu  Unterstützungen  für  Universitätslehrer  aller  Kate- 
gorien. Die  bereits  angestellten  Professoren  mit  hohen  Honorar- 
einnahmen haben  sich  dem  neuen  System  natürlich  nicht  unterworfen, 
und  so  gab  es  im  Jahre  1900  unter  502  Ordinarien  20  mit  10000 
bis  15000  M.,  6  mit  15  bis  20000  M.,  5  mit  20  bis  30  000  M.  und 
3  mit  mehr  als  30000  M.  Honorar.  Von  den  übrigen  deutschen 
Staaten  ist  bisher  noch  keiner  dem  Beispiel  Preußens  gefolgt. 

Was  die  Höhe  der  Honorare  betrifft,  so  ist  im  Jahre  1898  in 
Preußen  verfügt  worden,  daß  die  bisherigen  Sätze  (für  Voriesungen 
ohne   Experimente   meistens   5   Mark   für   die  Wochenstunde)   nicht 


46  Einleitung. 

Überschritten  werden  dürfen.  An  den  meisten  übrigen  Universi- 
täten sind  ebenfalls  Höchstbeträge  festgesetzt.  Unbemittelten  Studie- 
renden werden  die  Honorare  bei  einem  Teile  der  Universitäten  auf 
eine  Reihe  von  Jahren  gestundet,  bei  den  übrigen  (in  Preußen  nur 
in  Marburg)  ganz  oder  auch  nur  zur  Hälfte  erlassen. 

Nach  Abrechnung  der  Honorarabzüge  und  Anrechnung  der 
Honorarzuschüsse  und  der  Gebührenanteile  betrug  das  gesamte 
Diensteinkommen  von  502  ordentlichen  Professoren  an  den  preußischen 
Universitäten  fürs  Jahr  1900  durchschnittlich  11  735  M.  Von  diesen 
hatten  30  weniger  als  6000  M.,  128  zwischen  6  und  8000  M.,  114 
zwischen  8  und  10000  M.,  65  zwischen  10  und  12  000  M.,  73  z\;v'ischen 
12  und  15000  M.,  55  zwischen  15  und  20  000  M.,  18  zwischen  20 
und  25  000  M.,  9  zwischen  25  und  30  000  M.,  7  zwischen  30  und 
40  000  M.,  3  über  40  000  M.  Diensteinkommen. 

Die  ordentlichen  Honorarprofessoren  haben  den  Rang  der 
ordentlichen  Professoren,  beziehen  aber  in  ihrer  besonderen  Eigen- 
schaft kein  Gehalt  und  sind  zum  Halten  von  Vorlesungen  berechtigt, 
aber  nicht  verpflichtet,  sofern  sie  nicht  etwa  als  außerordentliche 
Professoren  den  höhern  Titel  erhalten  haben.  Häufig  sind  diese  Pro- 
fessoren höhere  Beamte  in  anderen  Stellungen  oder  auch  im  Ruhe- 
stande. An  den  badischen  Universitäten  und  in  Straßburg  kommt 
auch  der  einfache  Titel  Honorarprofessor  vor,  der  dort  dem  Extra- 
ordinariat übergeordnet  ist,  während  er  in  München  diesem  nachsteht. 

6.  Unter  den  außerordentlichen  Professoren  sind  etatsmäßige 
und  nicht  etatsmäßige  zu  unterscheiden.  Die  ersteren  sind  mit 
festem  Gehalt  dauernd  angestellt  und  dienen  teils  zur  Ergänzung  des 
Unterrichts  in  Hauptfächern,  teils  zur  Vertretung  solcher  Fächer,  für 
die  an  der  betreffenden  Universität  oder  überhaupt  noch  kein  Ordi- 
nariat besteht. 

Die  nicht  etatsmäßigen  Extraordinarien  beziehen  kein  Gehalt, 
manche  haben  indes  einen  Lehrauftrag  und  erhalten  dann  eine  Re- 
muneration. Früher  erfolgte  die  Ernennung  zum  unbesoldeten  außer- 
ordentlichen Professor  als  eine  Aufmunterung  und  Anerkennung  für 
Privatdozenten,  die  sich  bewährt  hatten.  In  Preußen  jedoch  sind  in 
der  neueren  Zeit  solche  Ernennungen  immer  seltener  geworden  und 
Privatdozenten  mit  guten  Erfolgen  erhalten  jetzt  in  der  Regel  ein- 
fach den  Titel  Professor.  Durch  den  in  Preußen  für  Münster  ein- 
geführten Titel  eines  „außerordentlichen  Honorarprofessors"  entsteht 
eine  besondere  Kategorie  von  Titularprofessoren. 

Die  etatsmäßigen  außerordentlichen  Professoren  haben  in  Preußen 


Gegenwärtige  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  47 

Gehälter  von  2000  bis  4000  M.,  in  Berlin  von  2400  bis  ^800  M.,  wo- 
bei die  Steigerung  in  fünf  bezw.  sechs  vierjährigen  Zeitabschnitten 
um  je  400  M.  stattfindet.  Außerdem  erhalten  sie  denselben  Wohnungs- 
zuschuß, wie  die  ordentlichen  Professoren.  Ihre  Honorareinnahmen 
sind  oft  geringfügig  und  selten  von  bedeutender  Höhe  und  an  den 
Fakultätsgebühren  haben  sie  nur  ausnahmsweise  einigen  Anteil.  Ge- 
rade aus  diesem  Grunde  aber  kann  man  sagen,  daß  ihnen  durch  die 
Bestimmungen  über  die  Verwendung  der  Honorarabzüge  gewisser- 
maßen eine  Honorargarantie  von  800  M.  gewährt  ist,  da  ihnen  in 
der  Regel  nicht,  wie  den  Ordinarien,  anderweitige  Gebühren  darauf 
angerechnet  werden. 

In  Bayern  ist  das  Anfangsgehalt  der  außerordentlichen  Professoren 
3180  M.  und  es  steigt  in  derselben  Weise,  wie  das  der  Ordinarien 
periodisch  anfangs  um  360  und  später  um  180  M.  Das  Wohnungs- 
geld beträgt  für  sie  nur  420  M.  und  fallt  unter  denselben  Bedingungen 
weg,  wie  bei  den  Ordinarien. 

In  Tübingen  beginnt  das  Gehalt  der  außerordentlichen  Professoren 
mit  2400  M.  und  steigt  in  5  dreijährigen  Stufen  um  je  300  M.  bis 
3900  M.     Das  Wohnungsgeld  beträgt  nur  200  M. 

In  Sachsen,  Baden  und  Elsaß-Lothringen  bestehen  auch  für  die 
Gehälter  der  außerordentlichen  Professoren  keine  festen  Normen. 
An  den  beiden  badischen  Universitäten  betragen  sie  durchschnittlich 
3685  M.  mit  Einschluß  des  Wohnungsgeldes  von  620  M.  In  Straß- 
burg wurden  sie  bei  der  Gründung  der  Universität  in  der  Regel  auf 
3000  M.  nebst  einer  Zulage  von  600  M.  gesetzt  und  sie  werden  dort 
auch  jetzt  noch  einen  ähnlichen  Stand  haben. 

In  Gießen  steigen  die  Gehälter  der  Extraordinarien  von  2500  M. 
in  5  vierjährigen  Perioden  bis  4000  M.  Wohnungsgeldzuschüsse 
werden  nicht  gewährt.  In  Jena  gehen  sie  in  fünf  Stufen  von  2000 
bis  4000  M.  In  Rostock  beginnen  sie  mit  2400  M.  und  steigen  zuerst 
nach  drei,  dann  nach  vier  Jahren  um  je  300  M.  bis  zu  dem  Höchst- 
gehalt von  3600  M. 

7.  Die  etatsmäßigen  (ordentlichen  und  außerordentlichen)  Pro- 
fessoren unterliegen  in  Preußen  nicht  den  für  die  übrigen  Beamten 
geltenden  Bestimmungen  über  die  Pensionierung,  sondern  sie  werden 
im  Falle  der  Dienstunfähigkeit  mit  vollem  Gehalt  nebst  Wohnungs- 
geldzuschuß und  Anteil  an  den  Fakultätsgebühren  vom  Halten  der 
Vorlesungen  entbunden.  Diese  Bevorzugung  hängt  zum  Teil  damit 
zusammen»  daß  ein  Teil  des  Diensteinkommens  der  Professoren  aus 
Koliegiengeldem  besteht,   die   mit   dem  Aufhören   der  Lehrtätigkeit 


48  Einleitung. 

wegfallen.  In  Jena  und  Rostock  sind  die  Professoren  ebenso  gestellt. 
In  Leipzig  können  die  Professoren  nur  auf  ihren  Antrag  pensioniert 
werden  und  die  Höhe  der  Pension  wird  dann  durch  Übereinkunft 
zwischen  dem  Ministerium  und  dem  Antragsteller  festgesetzt.  In 
Straßburg  findet  eine  Emeritierung  statt,  die  der  Professor  verlangen 
kann,  wenn  er  65  Jahre  alt  ist  oder  ihm  die  Leitung  seines  Instituts 
entzogen  wird.  Er  behält  dann  sein  eigentliches  Gehalt,  aber  die  Vö 
bis  i/e  betragende  Zulage  wird  abgezogen.  In  Bayern,  Württemberg, 
Baden  und  Hessen  gelten  für  die  Professoren  hinsichtlich  der  Pensio- 
nierung dieselben  Bestimmungen,  wie  für  die  übrigen  Beamten.  In 
Bayern  werden  dabei  die  Kollegiengelder  als  „Nebenbezüge"  betrachtet 
und  deshalb  wird  der  Pensionssatz  im  ersten  Jahrzehnt  des  Dienstes 
um  V?»  ini  zweiten  um  Vs  erhöht.  Übrigens  findet  die  Pensionierung 
tatsächlich  nur  auf  Verlangen  des  betreffenden  statt.  In  Tübingen 
werden  als  Entschädigung  für  die  Kollegiengelder  dem  Gehalte  bei 
der  Pensionsberechnung  2000  M.  zugezählt,  doch,  darf  die  Pension 
den  Höchstbetrag  von  6000  M.  nicht  überschreiten. 

8.  Was  die  Fürsorge  für  die  Hinterbliebenen  der  etatsmäßigen 
Professoren  betrifft,  so  bestehen  an  den  preußischen  Universitäten  von 
alters  her  noch  Witwenkassen  mit  zum  Teil  bedeutendem  Vermögen; 
es  werden  aber  seit  1889  keine  Beiträge  von  den  Mitgliedern  mehr 
erhoben,  sondern  der  Staat  schießt  zu  den  Vermögenserträgen  noch 
soviel  hinzu,  daß  die  festgesetzten  Witwen-  und  Waisenpensionen 
ausgezahlt  werden  können.  Diese  betragen  ohne  Rücksicht  auf  die 
Dienstzeit  des  Verstorbenen  für  die  Witwe  eines  ordentlichen  Pro- 
fessors 1650  M.,  für  die  eines  außerordentlichen  1300  M.,  für  das 
erste  Kind  (bis  zum  vollendeten  21.  Jahr  oder  zur  Verheiratung) 
480  M.,  für  jedes  folgende  300  M.;  für  eine  Ganzwaise  720  M.,  für 
jede  folgende  480  M. 

An  einigen  preußischen  Universitäten  bestehen  auch  durch 
Stiftungen  und  Beiträge  unterhaltene  HUfskassen  oder  besondere 
Unterstützungsfonds. 

In  Bayern  beträgt  die  Pension  für  die  Witwe  eines  Ordinarius 
1000  bis  1400,  für  die  eines  Extraordinarius  700— 1000  M.  Auch  die 
Waiscngelder  sind  niedriger  als  in  Preußen.  Den  Professoren  steht 
jedoch  frei,  mit  Entrichtung  der  vorgesehenen  Beiträge  dem  allgemeinen 
Staatsdiener-Unterstützungsverein  beizutreten  und  dadurch  erhebliche 
Wit^\'enpensionszuschüsse  zu  erhalten. 

In  Württemberg  und  Baden  werden  die  Witwen-  und  Waisen- 
pensionen teUs  aus  einer  Pensionskasse,   zu  der  die  Professoren  Bei- 


Gegenwärtige  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  49 

träge  leisten  müssen,  teils  durch  Staatszuschüsse  gedeckt.  In  Straß- 
burg betragen  die  aus  der  Landeskasse  zu  zahlenden  Pensionen  für 
die  Witwen  der  ordentlichen  und  außerordentlichen  Professoren,  je 
nach  dem  Gehalt  des  Verstorbenen,  960  bis  1600  M.  und  für  jede 
Waise  320  M. 

In  Leipzig  besteht  eine  Universitätswitwenkasse  mit  eigenem 
Vermögen,  jedoch  werden  keine  Beiträge  von  den  Professoren  erhoben 
und  der  Staat  schießt  etwaige  Fehlbeträge  zu.  Die  Pension  beträgt 
für  die  Witwe  eines  ordentlichen  Professors  1800  M.,  für  die  eines 
außerordentlichen  1000  M.  oder  Vs  des  von  dem  Verstorbenen  zuletzt 
bezogenen  Gehalts,  wenn  dies  mehr  ist.  Für  jedes  Kind  beträgt  die 
Pension  bis  zum  Alter  von  18  Jahren  Vö  ^^^  }^^^  Doppelwaise  '^/iq 
der  der  Wittwe  zustehenden  Summe.  Außerdem  besteht  in  Leipzig 
eine  auf  Beiträgen  beruhende  „Hilfs-  und  Töchterpensionskasse",  die 
gegenwärtig  den  Witwen  der  Ordinarien  300  M.,  denen  der  Extra- 
ordinarien 200  M.  Pensionszuschuß  gewährt. 

In  Hessen  und  Mecklenburg  gelten  für  die  Professoren  die 
allgemeinen  Bestimmungen  für  die  Reliktenversorgung  der  Beamten. 
Beiträge  werden  nicht  erhoben.  In  Jena  besteht  eine  Witwen-  und 
Waisenversorgungskasse  mit  Beiträgen  der  Professoren,  die  900  M. 
Witwengeld,  für  das  erste  minderjährige  Kind  200  M.,  für  das  zweite 
150  M.,  für  jedes  folgende  100  M.,  für  Ganzwaisen  in  gleicher  Weise 
bzw.  600,  150  und  100  M.,  jedoch  zusammen  nicht  mehr  als  1050  M. 
gewährt. 

9.  Die  Professoren  der  deutschen  Universitäten  stehen  hinsicht- 
lich ihrer  Disziplinarverhältnisse  unter  den  für  die  übrigen  Beamten 
in  ihrem  Staate  geltenden  Bestimmungen.  Nur  in  Jena  ist  diese 
Frage  offen  geblieben,  weil  diese  Universität  zwar  im  Großherzogtum 
Sachsen -Weimar  liegt,  aber  auch  von  den  drei  sächsischen  Herzog- 
tümern mit  unterhalten  wird.  Ohne  Disziplinarverfahren  und  ohne 
ihre  Zustimmung  können  die  Professoren  in  Preußen  nicht  auf  andere 
Stellen  versetzt  werden,  da  nach  §  %  des  Disziplinargesetzes  vom 
21.  Juli  1852  die  §§  87  bis  95  dieses  Gesetzes,  die  die  Versetzung 
und  Pensionierung  anderer  Beamten  im  Interesse  des  Dienstes  be- 
treffen, auf  Universitätslehrer  keine  Anwendung  finden. 

9.  Die  Privatdozenten*)  sind  Lehrer,  die  nach  der  Erfüllung  be- 
stimmter Bedingungen  unter  der  Autorität  der  Universität  zu  selb- 
ständiger Tätigkeit    an    derselben  zugelassen  sind.     Sie  können  nicht 


*)  V^.  Daude,  die  Recfatsverhöltnisse  der  Privatdozenten.     Berlin  18%. 
Das  Untcnichttwcten  im  Deottchen  Reich.    I.  4 


50  Einleitung. 

nur  die  Räumlichkeiten  der  Universität  benutzen,  sondern  es  werden 
auch  die  bei  ihnen  gehörten  Vorlesungen  den  Studierenden  ebenso 
angerechnet,  als  wenn  sie  bei  einem  ordentlichen  Professor  gehört 
worden  wären.  Sie  erheben  auch  Kollegiengelder  in  gleicher  Weise 
wie  die  Professoren,  würden  aber  in  Preußen,  wenn  deren  Betrag  über 
die  festgesetzten  Grenzen  hinausgehen  sollte,  natürlich  nicht  den  nur 
für  die  etatsmäßigen  Professoren  vorgeschriebenen  Abzug  zu  tragen 
haben.  Zuweilen  erhalten  sie  einen  Lehrauftrag  und  dann  auch  eine 
Remuneration,  jedoch  haben  sie  keinerlei  Anspruch  auf  solche  Be- 
günstigung, die  ihnen  auch  jederzeit  wieder  entzogen  werden  kann. 
An  den  preußischen  und  auch  an  anderen  Universitäten  können 
Privatdozenten  auch  Stipendien  erhalten.  Im  preußischen  Unterrichts- 
budget sind  zu  diesem  Zwecke  60  000  M.  eingestellt.  Der  einzelne 
soll  im  ganzen  nicht  mehr  als  6000  M.  erhalten,  und  diese  Summe 
wird  in  der  Regel  auf  fünf  Jahre  verteilt.  Bei  befriedigenden  Lei- 
stungen erhält  der  Privatdozent  in  Preußen  nach  einigen  Jahren  vom 
Minister  den  Titel  Professor,  ohne  daß  er  jedoch  damit,  wie  im  Falle 
der  Ernennung  zum  unbesoldeten  Extraordinarius  oder  zum  außer- 
ordentlichen Honorarprofessor,  in  eine  andere  Kategorie  der  Univer- 
sitätslehrer eintritt. 

Die  Zulassung  eines  Privatdozenten  auf  Grund  der  erfüllten  Ha- 
bilitationsleistungen hängt  in  Preußen  lediglich  von  der  Fakultät  ab. 
Dem  Minister  hat  diese  nur  eine  Anzeige  zu  erstatten  und  dabei 
auch  nähere  Angaben  über  den  Lebenslauf,  den  Studiengang  und  die 
wissenschaftlichen  Arbeiten  des  neuen  Dozenten  zu  machen.  Der 
Bewerber  hat  indes  seiner  Meldung  bei  der  Fakultät  auch  eine  Be- 
scheinigung des  Kuratoriums  beizulegen,  daß  seiner  Habilitation  nichts 
im  Wege  stehe.  Auch  in  Straßburg  ist  die  Erteilung  der  venia 
legendi  lediglich  Sache  der  Fakultät.  In  Gießen  verleiht  sie  der  Rektor 
nach  Zustimmung  des  Senats  und  dem  Ministerium  wird  dann  An- 
zeige gemacht.  An  den  badischen  Universitäten,  in  Leipzig  und  in 
Rostock  hat  das  Ministerium  die  Genehmigung  zu  erteilen.  In  Jena 
ist  auf  Antrag  des  Senats  Genehmigung  der  Zulassung  durch  die 
fürstlichen  Erhalter  der  Universität  erforderlich  und  in  Bayern  und 
Württemberg  erfolgt  die  endgültige  Zulassung  durch  den  König.  In 
Bayern  werden  die  Privatdozenten  auch  vereidigt.  Dennoch  aber 
werden  sie  selbst  dort  nicht  als  Beamte,  sondern  nur  als  „Staats- 
dienst-Aspiranten** angesehen.  Obwohl  sie  aber  nirgendwo  Beamten- 
eigenschaft haben,  so  unterstehen  sie  doch  der  Disziplinargewalt  der 
Fakultät  und  anderer  Instanzen  und  namentlich  kann  ihnen  bei  Pflicht- 


Gegenwärtige  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  51 

Verletzungen  oder  anstößigem  Verhalten  die  venia  legendi  entzogen 
werden.  Die  Bestimmungen  über  die  Disziplinarverhältnisse  waren 
früher  auch  nach  den  Statuten  der  einzelnen  Fakultäten  der  preußi- 
schen Universitäten  verschieden;  jetzt  aber  sind  sie  durch  das  Gesetz 
vom  17.  Juni  1898  einheitlich  geregelt,  und  zwar  in  der  Art,  daß  das 
Gesetz  vom  21.  Juli  1852  über  die  Dienstvergehen  der  nicht  richter- 
lichen Beamten  mit  den  Abänderungen  nach  dem  Gesetz  vom 
9.  April  1879  in  einer  Anzahl  seiner  Paragraphen  auch  auf  die 
Privatdozenten  Anwendung  findet,  „wenn  sie  die  Pflichten  verletzen, 
die  ihnen  ihre  Stellung  auferlegt,  oder  wenn  sie  durch  ihr  Verhalten 
in  und  außer  ihrem  Berufe  sich  der  Achtung,  des  Ansehens  oder  des 
Vertrauens,  die  ihre  Stellung  erfordert,  unwürdig  erweisen".  Die 
Disziplinarstrafen  sind  Ordnungsstrafen  und  Entziehung  der  Eigen- 
schaft als  Privatdozent.  Die  entscheidende  Disziplinarbehörde  erster 
Instanz  ist  die  Fakultät,  Gegen  ihre  Entscheidung  steht  die  Berufung 
an  das  Staatsministerium  offen,  das  jedoch  erst  nach  Einholung  des 
Gutachtens  des  Disziplinarhofes  seinen  Beschluß  fassen  kann. 

Wer  sich  an  den  katholisch-theologischen  Fakultäten  habilitieren 
will,  bedarf  dazu  auch  der  Genehmigung  seines  Bischofs.  Was  die 
Anforderungen  bei  der  Habilitation  betrifft,  so  bestehen  sie  ziemlich 
gleichförmig  darin,  daß  der  Bewerber  den  Doktorgrad  der  betreffen- 
den Fakultät  oder  als  Theologe  mindestens  den  Licentiatengrad  be- 
sitzen, eine  wissenschaftliche  Arbeit  ab  Habilitationsschrift  vorlegen 
und  eine  Probevorlesung  in  der  Fakultät  halten  muß,  an  die  sich 
unter  dem  Namen  coUoquium  eine  mündliche  Prüfting  in  seinem 
Fache  anschließt.  Zum  Schluß  hat  er  dann  noch  eine  öffentliche 
Antrittsvorlesung  zu  halten.  Die  Meldung  zur  Habilitation  ist  erst 
zwei  oder  drei  Jahre  nach  der  vorgeschriebenen  Universitätsstudien- 
zeit zulässig;  die  medizinischen  Fakultäten  verlangen  auch  die  Bei- 
bringung der  Approbation  ab  Arzt. 

Die  Berechtigung  des  Privatdozenten  zum  Halten  von  Vor- 
lesungen erstreckt  sich  nur  auf  das  Fach,  für  das  er  habilitiert  ist. 
An  einigen  Universitäten  sind  die  Privatdozenten  verpflichtet,  in 
jedem  Semester  eine  Vorlesung  oder  Übung  anzukündigen.  An  den 
preußischen  Universitäten  ist  dies  nicht  der  Fall;  hier  bedürfen  sie 
auch  nicht,  wie  die  Professoren,  bei  mehr  ab  dreitägiger  Abwesenheit 
von  der  Universitätsstadt  eines  Urlaubs,  müssen  jedoch  dem  Rektor 
und  dem  Dekan  Anzeige  davon  machen.  Wenn  ein  Privat- 
dozent für  zwei  Semester  auf  ergangene  Aufforderung  keine  Vor- 
lesung angezeigt  hat,  so  wird  seine  Berechtigung  an  den  preußbchen 

4* 


52  Einleitung. 

Universitäten  suspendiert,  an  anderen  erlischt  sie  gänzlich.  Früher 
enthielten  die  Statuten  einiger  preußischen  Fakultäten  die  Bestimmung, 
daß  die  venia  legendi  nach  vier  Jahren  erlöschen  solle,  wenn  sie  nicht 
verlängert  würde;  diese  Beschränkung  ist  jedoch  schon  1859  aufge- 
hoben worden. 

10.  Die  Lektoren  sind  ursprünglich  Lehrer  der  neueren  Sprachen, 
die  einen  mehr  schulmäßigen,  praktischen  Unterricht  zu  erteilen  haben. 
In  der  neueren  Zeit  hat  sich  ihre  Aufgabe  vielfach  mehr  wissenschaft- 
lich gestaltet,  indem  sie  zur  Ergänzung  des  Unterrichts  der  betreffen- 
den ordentlichen  Professoren  verwendet  werden.  Sie  werden  vom 
Minister  angestellt,  jedoch  nicht  fest,  sondern  meistens  nur  auf  kurze  Zeit 
mit  der  Möglichkeit  der  Verlängerung,  und  erhalten  daher  auch  keine 
Besoldung,  sondern  nur  eine  Remuneration,  für  ihre  Privatvorlesungen 
auch  Honorar.  An  einigen  Universitäten  finden  sich  auch  Lehrer 
von  mehr  technischen  Fächern,  wie  Stenographie,  die  ebenfalls  als 
Lektoren  bezeichnet  werden.  Musik  und  Zeichnen  sind  nicht  selten 
durch  Lehrer  mit  dem  Range  von  außerordentlichen  Professoren  ver- 
treten. 

Die  Assistenten  haben  keine  selbständige  Lehrtätigkeit,  sondern 
sind  nur  Hilfsorgane  des  Professors.  Jedoch  werden  sie  in  den 
Seminaren  zuweüen  unter  der  Autorität  des  Professors  mit  der  Leitung 
von  Übungen  für  Anfanger  betraut. 

Als  sogenannte  Exerzitienmeister  finden  sich  an  allen  Universi- 
täten Fechtlehrer,  an  den  meisten  auch  Reit-  und  Tanzlehrer. 

1 1 .  Als  eigentliche  Studierende  der  Universitäten  sind  nur  die- 
jenigen zu  betrachten,  die  immatrikuliert  sind.  Außer  ihnen  gibt  es 
berechtigte  Hörer  und  Hospitanten  oder  Gastzuhörer,  die  vom  Rektor 
zum  Hören  einzelner  Vorlesungen  mit  Zustimmung  des  Lehrers  zu- 
gelassen sind.  Die  normale  Bedingung  der  Immatrikulation  ist  der 
Besitz  des  Reifezeugnisses  einer  neunklassigen  höheren  Lehranstalt. 
Früher  waren  an  den  meisten  Universitäten  nur  die  Abiturienten 
der  Gymnasien  zur  vollen  Immatrikulation  berechtigt.  In  Preußen 
gewährte  ein  Ministerialerlaß  vom  7.  Dezember  1870  auch  den 
Abiturienten  der  Realschulen  I.  Ordnung  (der  späteren  Realgymnasien) 
dieses  Recht,  jedoch  mit  Beschränkung  auf  die  philosophische  Falcultät, 
und  diese  wurden  jetzt  auch  zur  Oberlehrerprüfung  in  Mathematik, 
Naturwissenschaften  und  neueren  Sprachen  zugelassen.  Das  gleiche 
Zugeständnis  inbezug  auf  die  Immatrikulation  und  die  Erwerbung  der 
Lehrbefähigung  in  Mathematik  und  Naturwissenschaften  erhielten  die 
Abiturienten  der  Oberrealschulen  auf  Grund  des  Königlichen  Erlasses 


Gegenwärtige  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  53 

vom  1.  Dezember  1891.  Der  Königliche  Erlaß  vom  26.  November 
1900  stellte  dann  den  Grundsatz  der  Gleichwertigkeit  der  von  den 
drei  Anstaltsarten  vermittelten  allgemeinen  Bildung  auf  und  es  wurden 
daraufhin  auch  die  Abiturienten  der  deutschen  Realgymnasien  und 
der  preußischen  oder  der  mit  diesen  gleichgestellten  deutschen  Ober- 
realschulen nicht  nur  zum  Studium  aller  Zweige  des  höheren  Lehr- 
fachs, sondern  auch  zum  Eintritt  in  die  juristische  Fakultät  zuge- 
lassen, wobei  es  ihnen  auf  eigene  Verantwortung  überlassen  bleibt, 
sich  die  nötigen  Kenntnisse  in  den  alten  Sprachen  zu  verschaffen. 
Die  Regelung  der  ärztlichen  Prüfung  ist  Reichssache  und  ist  zuletzt 
durch  Bundesratsbeschluß  vom  28.  Mai  1901  erfolgt.  Hiernach  wird 
auch  das  Reifezeugnis  eines  deutschen  Realgymnasiums  für  das  ganze 
Reich  als  genügend  für  die  Zulassung  zum  medizinischen  Studium 
anerkannt,  also  die  Kenntnis  des  Griechischen  nicht  mehr  unbedingt 
verlangt.  Die  Oberrealschul-Abiturienten  jedoch  können  nicht  ohne 
weiteres  zur  ärztlichen  Prüfung  zugelassen,  in  Preußen  auch  nicht 
sofort  bei  den  medizinischen  Fakultäten  eingeschrieben  werden, 
sondern  müssen  zuvor  in  einer  Ergänzungsprüfung  die  Kenntnis  des 
Lateinischen  in  dem  von  den  Realgymnasiasten  geforderten  Maße 
nachweisen.  Übrigens  können  ihnen  die  vorher  medizinischen  und 
verwandten  Studien  gewidmeten  Universitätssemester  auf  die  vorge- 
schriebene Studienzeit  angerechnet  werden.  Nur  für  das  Studium  der 
Theologie,  der  evangelischen  wie  der  katholischen,  bleibt  auch  in 
Preußen  das  Reifezeugnis  eines  humanistischen  Gymnasiums  not- 
wendige Bedingung.  Im  Interesse  der  Realabiturienten  sind  jetzt  an 
den  preußischen  Universitäten  Vorkurse  im  Griechischen  und  für  das 
Studium  der  römischen  Rechtsquellen  eingerichtet.  Was  die  übrigen 
Bundesstaaten  betrifft,  so  ist  in  Bayern  nur  die  Berechtigung  der 
Realgymnasiasten  für  das  Studium  der  Medizin  erweitert  worden. 
Oberrealschulen  gibt  es  in  Bayern  nicht.  Abiturienten  von  Industrie- 
schulen werden  bei  besonders  gutem  Zeugnis  zum  Studium  von 
Mathematik  und  Naturwissenschaften  immatrikuliert.  Abiturienten  von 
Oberrealschulen  anderer  Bundesstaaten  werden  für  die  Fächer  imma- 
trikuliert, in  denen  sie  in  ihrer  Heimat  zu  einer  Fachprüfung  zu- 
gelassen werden.  In  Sachsen  werden  die  Abiturienten  der  Real- 
gymnasien und  der  Oberrealschulen  zur  Immatrikulation  für  alle  Fakul- 
täten, aber  nicht  zur  juristischen  Staatsprüfung  zugelassen.  In  Tübingen 
können  Abiturienten  von  Realgymnasien  für  alle  Fakultäten  mit  Aus- 
nahme der  theologischen  immatrikuliert  werden,  Abiturienten  von 
Oberrealschulen  aber  für  die   juristische,    staatswissenschaftliche  und 


54  Einleitung. 

theologische  Fakultät  nur  dann,  wenn  sie  in  einem  Revers  anerkennen, 
daß  sie  keinen  Anspruch  auf  Zulassung  zu  einer  württembergischen 
Staatsprüfung  haben.  Durch  Unterzeichnung  eines  solchen  Reverses 
können  Realgymnasiasten  auch  Zutritt  zur  theologischen  Fakultät 
erhalten.  Weitere  Angaben  über  die  Berechtigungen  der  höheren 
Lehranstalten  finden  sich  in  dem  diese  behandelnden  Teile. 

Neben  der  vollen  Immatrikulation  gibt  es  eine  sogenannte  „kleine" 
Immatrikulation,  für  die  das  Reifezeugpiis  nicht  gefordert  wird,  sondern 
nur  ein  anderweitiger  Nachweis  einer  für  das  Hören  von  Vorlesungen 
genügenden  BUdung.  Nach  den  in  Preußen  darüber  geltenden 
Bestimmungen  ist  für  diese  Immatrikulation  die  Erlaubnis  des  Kurators 
erforderlich,  die  zunächst  nur  für  vier  Semester  erteüt  wird,  dann  aber 
noch  auf  zwei  Semester  ausgedehnt  werden  kann.  Es  ist  nur  die 
Einschreibung  bei  der  phüosophischen  Fakultät,  und  zwar  in  einem 
besonderen  Album  gestattet. 

Ausländer  können  in  allen  Fakultäten  immatrikuliert  werden, 
wenn  sie  eine  als  genügend  erachtete  Vorbüdung  nachweisen.  Gewisse 
Kategorien  von  Personen,  namentlich  Staats-  und  Gemeindebeamte 
und  Gewerbetreibende,  können  überhaupt  nicht  immatrikuliert  werden, 
auch  wenn  sie  das  Reifezeugnis  besitzen. 

In  solchen  Universitätsstädten,  wo  zugleich  andere  hochschul- 
artige Anstalten  bestehen,  sind  deren  Studierende  auch  zum  Hören 
der  Vorlesungen  an  der  Universität  berechtigt,  so  namentlich  in  Berlin 
die  Studierenden  der  technischen  Hochschule,  der  Bergakademie,  der 
landwirtschaftlichen  Hochschule,  der  mUitärischen  Kaiser  Wilhelms- 
Akademie.  Dazu  kommen  die  Gastzuhörer  im  engeren  Sinne,  die 
vom  Rektor  die  nötige  Erlaubnis  erhalten  haben.  Als  solche  werden 
auch  angestellte  Staats-  und  Gemeindebeamte  und  Gewerbetreibende 
mit  dem  nötigen  Bildungsgrad  zugelassen.  Ausgeschlossen  dagegen 
sind  diejenigen,  die  der  Immatrikulation  fähig  sind,  aber  sich  nicht 
immatrikulieren  lassen  wollen,  femer  Gymnasiasten  und  andere  Schüler. 

Bis  vor  wenigen  Jahren  waren  in  Preußen,  zuletzt  noch  durch 
einen  Ministerialerlaß  vom  9.  August  1886,  auch  Frauen  nicht  nur 
von  der  Immatrikulation,  sondern  auch  von  dem  Hospitieren  ausge- 
schlossen. Durch  einen  Ministerialerlaß  vom  16.  Juni  18%  jedoch 
wurden  sie  unter  bestimmten  Voraussetzungen  als  Gastzuhörerinnen 
zugelassen  und  sie  können  trotz  der  fehlenden  Immatrikulation,  wenn 
die  übrigen  Bedingungen  erfüllt  sind,  auch  den  phüosophischen,  medi- 
zinischen und  juristischen  Doktorgrad  erlangen.  Durch  Bundesrats- 
beschluß vom  20.  April  1899  ist  auch  für  das  ganze  Reich  bestimmt 


Gegenwirdge  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  55 

worden,  daß  den  Frauen,  die  die  ärztliche  Prüfung  ablegen  wollen,  die 
Zeit  ihres  Hospitierens  auf  die  vorgeschriebene  Studienzeit  ange- 
rechnet werden  soll.  In  Leipzig  werden  sie  nur  als  Hospitantinnen 
und  bisher  nicht  zur  Promotion  zugelassen.  In  Tübingen  be- 
dürfen Frauen  zum  Hören  von  Vorlesungen  der  Zustimmung  des 
Dozenten  und  der  Genehmigung  des  Ministeriums  auf  Antrag  des 
Senates.  Über  ihre  Zulassung  zur  Promotion  entscheiden  die  Fakul- 
täten. Bisher  hat  nur  eine  Frauenpromotion  in  der  naturwissen- 
schaftlichen Fakultät  stattgefunden.  In  Baden  und  Bayern  können 
Frauen,  die  das  Reifezeugnis  besitzen,  gleichberechtigt  mit  den  männ- 
lichen Studierenden  immatrikuliert  werden. 

12.  Die  akademische  Gerichtsbarkeit,  der  die  Studierenden 
unterstehen,  ist  jetzt  lediglich  auf  Disziplinarsachen  beschränkt.  In 
älterer  Zeit  war  sie  sehr  ausgedehnt  und  erstreckte  sich  nicht  nur  auf 
die  Studierenden,  sondern  auch  auf  die  Professoren  und  Beamten  der 
Universität  und  deren  Familien.  Durch  die  Reichsjustizgesetzgebung 
\\'urde  die  den  Universitätsgerichten  noch  gebliebene  beschränkte 
strafrechtliche  Kompetenz  aufgehoben  und  die  Disziplinargewalt  der 
Universitäten  wurde  in  Preußen  neu  geregelt  durch  das  Gesetz  vom 
29.  Mai  1879,  betreffend  die  Rechtsverhältnisse  der  Studierenden  und 
die  Disziplin  auf  den  Landesuniversitäten  usw. 

13.  Außer  den  Honoraren  für  die  Privatvorlesungen  haben  die 
Studierenden  gewisse  Gebühren  zu  entrichten,  die  in  die  Universitäts- 
kasse fallen,  so  Auditoriengelder,  Institutsgebühren  (von  denjenigen 
zu  bezahlen,  die  die  staatlichen  medizinischen  und  naturwissenschaft- 
lichen Institute  benutzen),  Praktikantenbeiträge  (für  diejenigen  Übungen 
zu  leisten,  bei  denen  ein  Materialverbrauch  durch  die  Teilnehmer  zu 
Lasten  der  Universität  stattfindet).  Für  diese  (übrigens  mäßigen)  Ge- 
bühren findet  nicht,  wie  fiir  die  Honorare,  Stundung  oder  Erlaß  statt. 
Für  bedürftige  Studierende  bestehen  Stipendien,  an  manchen  Universi- 
täten in  großer  Zahl  und  auf  Grund  eines  bedeutenden  Stiftungsvei- 
mögens.  Internate  für  Studierende  kommen  bei  den  katholischen 
theologischen  Fakultäten  vor,  jedoch  nicht  als  eigentliche  Universitäts- 
anstalten, sondern  als  bischöfliche  Konvikte.  In  Tübingen  besteht 
auch  ein  evangelisch-theologisches  Internat,  das  berühmte  Stift. 

Um  die  Studierenden  zu  eigenen  wissenschaftlichen  Versuchen 
zu  ermuntern,  werden  von  allen  Fakultäten  Preisaufgaben  gestellt. 
Die  Preise  sind  teils  staatlich,  teils  auf  Stiftungen  begründet. 

Der  gewöhnliche  Abgang  von  der  Universität  findet  durch 
Exmatrikulation    mit    Erteilung    des    Abgangszeugnisses    statt.      Als 


56  Einleitung. 

Strafmaßregel  kommt  die  Entfernung  von  der  Universität  (consilium 
abeundi)  und  der  Ausschluß  vom  Universitätsstudium  überhaupt 
(Relegation)  vor.  An  den  meisten  Universitäten  zieht  eine  sechs- 
monatliche freiwillige  Abwesenheit  von  der  Universitätsstadt  den 
Verlust  des  akademischen  Bürgerrechts  nach  sich.  Wer  in  einem 
Semester  nicht  wenigstens  eine  Privatvorlesung  annimmt,  verliert 
dieses  Semester  von  seiner  Studienzeit  und  kann  auch  aus  der  Zahl 
der  Studierenden  gestrichen  oder  disziplinarisch  von  der  Universität 
entfernt  werden. 

14.  Gewissermaßen  den  theoretischen  Abschluß  des  Universitäts- 
studiums bildet  die  Erwerbung  der  akademischen  Grade.  Eine 
praktische  Bedeutung  haben  diese  in  Deutschland  nur  noch  für  die- 
jenigen, die  sich  der  akademischen  Laufbahn  widmen  wollen,  da 
die  zugehörigen  Prüfungen  nicht,  wie  in  Frankreich  und  anderen 
Ländern,  zugleich  als  Staatsprüfungen  für  den  Eintritt  in  die  gelehrten 
Berufe  gelten.  Man  kann  Geistlicher,  Richter,  Rechtsanwalt,  Arzt, 
Gymnasiallehrer  werden,  ohne  einen  akademischen  Titel  zu  besitzen. 
Nur  bei  einigen  nicht  staatlich  geregelten  Berufen,  wie  z.  B.  dem  der 
technischen  Chemiker,  dient  die  Erwerbung  des  Doktorgrades  als 
Ausweis  über  die  wissenschaftliche  Ausbildung.  Im  übrigen  erklärt 
sich  die  große  Zahl  von  Doktorpromotionen,  die  noch  immer  alljähr- 
lich stattfinden,  durch  das  Ansehen,  das  dieser  Titel  von  alters  her 
in  der  öffentlichen  Meinung  genießt,  und  durch  die  in  Deutschland 
sehr  verbreitete  Vorliebe  für  Titel  überhaupt,  bei  den  Ärzten  auch 
durch  das  Bestreben,  sich  noch  schärfer  von  den  Kurpfuschern  zu 
unterscheiden.  Nur  bei  den  theologischen  Fakultäten  gibt  es  noch 
zwei  akademische  Grade,  den  niederen  des  Lizentiaten  und  den 
höheren  des  Doktors.  Bei  den  übrigen  hat  sich  nur  der  Doktorgrad 
erhalten,  und  die  in  der  philosophischen  Fakultät  noch  in  der  neueren 
Zeit  vorkommende  Vorstufe  des  „magister  liberalium  artium"  ist  jetzt 
ebenfalls  fast  gänzlich  verschwunden.  In  Bonn  besteht  allerdings 
noch  eine  Magisterprüfung  neben  der  eigentlichen  Doktorprüfung, 
sie  ist  aber  mit  der  letzteren  unzertrennlich  verbunden  und  kann 
nicht  allein  abgelegt  werden. 

Der  Lizentiatcngrad  genügt  in  den  theologischen  Fakultäten 
auch  zur  Habilitation  als  Privatdozent.  Die  Doktorwürde  wird  hier 
meistens  nur  honoris  causa,  d.  h.  ohne  Prüfung  und  ohne  Gebühren 
an  anerkannte  Gelehrte  oder  sonst  besonders  verdiente  Männer 
verliehen. 

Das  Promotionswesen  ist  teils  durch  die  Statuten    der  einzelnen 


Gegenwärtige  Organisation  der  deutschen  Universitäten.  57 

Fakultäten,  teik  durch  besondere  vom  Ministerium  genehmigte 
Promotionsordnungen  geregelt.  Noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  war 
die  Erlangung  des  Doktorgrades  bei  einigen  Fakultäten  in  miß- 
bräuchlicher Weise  übermäßig  leicht  gemacht,  so  daß  die  Zahlung  der 
Gebühr  fast  als  die  Hauptsache  erschien.  Bei  einzelnen  war  Promotion 
„in  absentia"  zulässig,  nämlich  ohne  mündliche  Prüfung,  lediglich 
auf  Grund  einer  eingesandten  Arbeit,  die  nicht  gedruckt  zu  werden 
brauchte.  Bei  anderen  war  nur  ein  mündliches  Examen  erforderlich, 
andere  verlangten  zwar  außerdem  eine  schriftliche  Arbeit,  aber  nicht 
deren  Veröffentlichung  durch  den  Druck.  Auch  hinsichtlich  der 
Vorbildung  der  Kandidaten  waren  die  Anforderungen  zum  Teil  unge- 
nügend. In  der  neueren  Zeit  sind  in  dieser  Beziehung  wesentliche 
Reformen  durchgeführt  worden,  namentlich  durch  die  Bemühungen 
der  preußischen  Unterrichts  Verwaltung,  die  Vereinbarungen  mit  den 
Regierungen  der  übrigen  Bundesstaaten  über  gewisse  Minimal- 
forderungen bei  der  Promotion  zustande  gebracht  hat.  Ein  Doktor- 
titel, der  nicht  auf  Grund  einer  mündlichen  Prüfung  und  einer  ge- 
druckten Dissertation  erworben  ist,  wird  in  Preußen  überhaupt  nicht 
anerkannt.  Diese  Forderungen  werden  jetzt  auch  von  fast  allen 
nichtpreußischen  Fakultäten  unbedingt,  nur  von  einzelnen  noch  mit 
der  Zulassung  von  Ausnahmen  gestellt.  Ebenso  wird  nicht  nur  von 
allen  preußischen,  sondern  auch  von  den  meisten  nichtpreußischen 
Fakultäten  unbedingt  das  Reifezeugnis  einer  neunklassigen  Lehranstalt 
verlangt,  wobei  sich  aber  der  Umfang,  in  dem  außer  den  Abiturienten 
der  Gymnasien  auch  die  der  Realgymnasien  und  der  Oberrealschulen 
zugelassen  werden,  in  der  neuesten  Zeit  immer  mehr  erweitert  hat. 
Der  früher  allgemein  übliche  feierliche  Promotionsakt  mit  öffentlicher 
Disputation  ist  an  den  meisten  Universitäten  aufgehoben. 

W.  Lexis. 


ERSTE  ABTEILUNG. 

LEHRGEBIET  UND   LEHRBETRIEB   DER  FAKULTÄTEN. 


I.  Evangelisch-Theologische  Fakultät.*) 


1.  Seitdem  im  Kriege  von  1870/71  Straßburg  als  deutsche  Uni- 
versität zum  Deutschen  Reiche  zurückgekommen  ist,  ist  die  Zahl  der 
evangelisch-theologischen  Fakultäten  unverändert  geblieben.  Durch 
die  Straßburger  ist  ihre  Zahl  auf  17  gehoben  worden,  von  denen 
die  Mehrzahl  (9)  Preußen  angehören  (in  den  älteren  Provinzen: 
Berlin,  Bonn,  Breslau,  Greifswald,  Halle,  Königsberg;  dazu  in  den  neuen 
Provinzen  Göttingen,  Kiel  und  Marburg);  außerdem  in  Bayern  Er- 
langen, in  Sachsen  Leipzig,  in  Württemberg  Tübingen,  in  Baden 
Heidelberg,  in  Hessen  Gießen,  für  beide  Mecklenburg  Rostock  und 
für  die  thüringischen  Staaten  Jena.  Diese  Fakultäten  sind  nach 
ihrer  Organisation  und  ihrer  Stellung  zur  Unterrichtsverwaltung  den 
anderen  Fakultäten  gleichartig.  Sie  sind  Einrichtungen  des  Staates 
unter  seiner  Aufsicht  und  Leitung,  zwar  zum  Zwecke  der  Vorbildung 
der  künftigen  Geistlichen  der  evangelischen  Kirchengemeinschaften 
gegründet  und  daher  deren  Bedürfnissen  dienend,  aber  so,  daß  sie 
dem  kirchlichen  Organismus  nicht  eingegliedert  sind.  Ihre  allge- 
meine Beziehung  zur  Kirche  findet  darin  einen  Ausdruck,  daß  die 
Erteilung  ihrer  Grade  (Licentiaten-  und  Doktorgrad)  unter  einem  Ge- 
löbnis geschieht,  das  teils  nur  auf  die  Heilige  Schrift,  teils  auf  die 
publica  doctrina  der  evangelischen  Kirche,  teils  auch  auf  die  Be- 
kenntnisschriften abgelegt  wird;  aber  eine  Aufsicht  über  die  Lehre 
der  Dozenten  findet  kirchlicherseits  nicht  statt.  Die  Berufung  der 
Professoren  erfolgt  wie  in  den  anderen  Fakultäten  auf  Vorschlag  der 
theologischen  Fakultät  durch  die  Unterrichtsverwaltung  bezw.  den 
Landesherm.    Eine   Mitwirkung   des   Kirchenregimentes  findet  dabei 


*)  Da  der  Verfasser  aus  eigner  Anschauung  nur  die  preußischen  Universitäten  kennt, 
so  wonen  such  die  nachfolgenden  Ausführungen  zunächst  die  Verhältnisse  der  evangelisch- 
tlieolaglichen  Fakultäten  in  Preußen  zur  Darstellung  bringen. 


62  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

z.  B.  in  Preußen  (ältere  Provinzen)  nur  in  soweit  statt,  daß  der  evan- 
gelische Oberkirchenrat  bei  der  ersten  Berufung  in  eine  Professur  ein 
Votum  über  die  vom  Minister  in  Aussicht  genommene  Persönlichkeit 
abzugeben  hat;  fällt  dieses  aus  kirchlichen  Gründen  ablehnend  aus, 
so  entscheidet  der  Landesherr,  falls  der  Minister  an  der  Berufung 
festhält,  ob  diese  zum  Vollzuge  kommt  oder  nicht.  In  kirchlichen 
Kreisen  Preußens  ist  zur  Zeit  eine  starke  Strömung  vorhanden, 
welche  für  die  synodalen  Faktoren  (Generalsynodalvorstand)  eine  ge- 
setzliche Mitwirkung  an  der  Berufung  der  theologischen  Lehrer  er- 
streiten möchte.  In  den  Kreisen  der  akademischen  Dozenten  selbst 
ist  mit  verschwindenden  Ausnahmen  das  Urteil  darüber  einmütig, 
daß  eine  solche  Neuerung  nicht  nur  die  ebenbürtige  Stellung  der 
Professoren  der  evangelischen  Theologie  ihren  Kollegen  aus  andern 
Fakultäten  gegenüber  beeinträchtigen,  sondern  auch  zu  einer  wenig 
heilsamen  Bevorzugung  der  den  synodalen  Majoritäten  genehmen 
Richtungen  der  Theologie  führen  würde.  Ein  gewisser  Ausgleich 
gegen  die  Gefahr,  daß  in  einer  Fakultät  ein  bestimmtes  Fach  in  einer 
zu  einseitigen  und  berechtigte  Interessen  der  Kirche  schädigenden 
Weise  vertreten  wird,  bietet  sich  der  Unterrichtsverwaltung  darin, 
daß  sie,  wo  ein  solcher  Notstand  nach  ihrem  Urteil  zu  bestehen 
scheint,  vorübergehend  für  dasselbe  Fach  auch  einen  Vertreter  anderer 
Richtung  beruft.  Auf  diese  Weise  wird  weder  die  freie  Entwicklung 
der  theologischen  Richtungen  gehindert,  noch  auch  der  Freiheit  des 
Studenten  in  der  Wahl  seiner  Lehrer  Zwang  angetan.  Auf  ver- 
schiedene Weise  beteiligen  sich  in  Preußen  die  Professoren  der  Theo- 
logie auch  direkt  an  den  kirchlichen  Arbeiten.  Einmal  wird  in  der 
Regel  in  jedes  Konsistorium  auch  ein  Professor  der  Theologie  als 
ordentliches  Mitglied  berufen.  Außerdem  werden  in  die  theologischen 
Prüfungskommissionen  auch  da,  wo  die  erste  theologische  Prüfung 
nicht  überhaupt  den  Fakultäten  übertragen  ist,  theologische  Pro- 
fessoren durchs  Kirchenregiment  als  Mitglieder  zugezogen.  Endlich 
bestimmt  in  Preußen  die  Synodalordnung,  daß  zu  jeder  Provinaal- 
synode  die  betreffende  theologische  Fakultät  eins  ihrer  Mitglieder 
entsendet,  wobei  den  Provinzen,  in  deren  Mitte  sich  keine  theolo- 
gische Fakultät  befindet  (Westpreußen,  Posen,  Westfalen)  die  Fakultät 
einer  Nachbarprovinz  (Königsberg,  Breslau,  Bonn)  zugewiesen  ist,  und 
zur  Generalsynode  entsenden  sämtliche  in  ihrem  Bereiche  befind- 
lichen theologischen  Fakultäten  je  einen  Vertreter.  Wo  in  früheren 
Zeiten  mit  einzelnen  theologischen  Professuren  noch  Pfarrämter  der 
Landeskirche  organisch  verbunden  waren,   ist  wenigstens  in  Preußen 


Evangelisch-Theologische  Fakultät  63 

dieser  Zusammenhang  neuerdings  gelöst  worden.  Und  wo  einzelne 
Professoren  im  Interesse  des  akademischen  Gottesdienstes  zu  Univer- 
sitätspredigem  ernannt  werden,  unterstehen  diese  als  solche  auch  nur 
der  Aufsicht  der  Staatsbehörde,  nicht  der  der  Kirchenbehörde.  Auf 
diese  Weise  erscheinen  die  theologischen  Fakultäten  zwar  als  Organe 
zum  Besten  der  evangelischen  Kirche,  aber  unabhängig  von  dem 
Organismus  der  rechtlich  verfaßten  Kirche,  entsprechend  der  Be- 
deutung und  Art  der  evangelischen  Theologie,  die  zwar  alle  ihre 
Arbeit  für  die  Kirche  treibt,  aber  für  die  Ausrichtung  ihres  Berufes 
keinerlei  Bevormundung  und  Einschränkung  durch  die  jeweilen  in 
der  empirischen  Kirche  tonangebenden  und  machtausübenden  Geister 
verträgt. 

2.  Wie  in  andern  Wissenschaften,  so  hat  sich  auch  in  der  Theo- 
logie beim  Wachstum  und  der  Vertiefung  der  einzelnen  Arbeitsge- 
biete eine  fortgesetzte  Arbeitsteilung  und  zugleich  eine  Vermehrung 
des  zu  bewältigenden  Stoffes  als  unabweislich  herausgestellt.  Erstere 
hat  dahin  geführt,  daß  je  länger  je  mehr  für  die  einzelnen  Fächer 
besondere  Lehrstühle  errichtet  werden  mußten  und  daß  der  Übergang 
eines  Dozenten  wie  in  früheren  Zeiten  von  einem  Fach  zu  einem 
anderen  nur  noch  zu  den  Ausnahmen  gehören  kann.  Nur  die  neu- 
testamentliche  Exegese  wird  noch  in  vielen  Fällen  von  den  Vertretern 
anderer  Fächer  nebenher  in  Vorlesungen  gepflegt.  Zum  ordnungs- 
mäßigen Bestände  einer  Fakultät  werden  daher  jetzt  mindestens 
5  ordentliche  Professuren  gerechnet  (für  Altes  Testament,  Neues 
Testament,  Kirchengeschichte,  systematische  und  praktische  Theologie). 
Doch  haben  die  meisten  Fakultäten  darüber  hinaus  noch  eine  sechste, 
einige  auch  eine  siebente  und  achte  ordentliche  Professur,  wobei  ent- 
weder einzelne  Fächer  dauernd  doppelt  besetzt  sind,  oder  die  über- 
zähligen Professuren  dazu  dienen,  je  nach  dem  augenblicklichen  Be- 
dürfnis bald  das  eine,  bald  das  andere  Fach  mit  einem  zweiten 
Vertreter  zu  versorgen.  Einzelne  Disziplinen  werden  von  Vertretern 
verschiedener  Fächer  als  ihnen  zugehörig  in  Anspruch  genommen, 
z.  B.  Symbolik  und  Dogmengeschichte  vom  Kirchenhistoriker  und 
vom  Systematiker;  Geschichte  des  apostolischen  Zeitalters  vom  Exe- 
geten  des  Neuen  Testaments  und  vom  Kirchenhistoriker  u.  a.  m.  Die 
Lehrtätigkeit  der  Ordinarien  findet  ihre  Ergänzung  durch  die  Arbeit 
von  Extraordinarien  und  Privatdozenten.  Erstere  bekleiden  feste,  etats- 
mäßige Stellen  gleich  den  Ordinarien,  haben  wie  diese  einen 
Lehrauftrag  für  ein  bestimmtes  Fach ,  gehören  aber  nicht  der 
Fakultät  im  engeren  Sinne  an.    Teils  sind  ihnen   die   gleichen  allge- 


64 


Lehrgebiet  und  T^hrbctiieb. 


meinen    Fächer   wie   den  Ordinarien    zugewiesen,    um    eine    reichere 
Auswahl  von  Vorlesungen^  z,  B.  in  den  biblischen  Wissenschaften,  zu 
ermöglichen;  teils  erhalten  sie  einen  Lehrauftrag  speziellerer  Art,  um 
ein  besonderes  Gebiet  aus  einer  der  großen  theologischen  Disziplinen, 
wie  z.  B.    die    christliche  Archäologie    oder   die  Missions  Wissenschaft, 
fachmännisch  zu  vertreten.     Die  Privatdozenten    habilitieren    sich   für 
ein  bestimmtes  Fach,  wenn  sie  sich  durch  Erwerbung  des  Lizentiaten- 
grades  und  Erfüllung  der  besonderen  wissenschaftlichen  Habilitations- 
leistungen vor  der  Fakultät  genügend  ausgewiesen  haben;  sie  erwerben 
damit  die  Erlaubnis,  Vorlesungen    und  Übungen    in    ihrem  Fache    zu 
halten,  haben  aber  als   solche    keinen    festen    Lehrauftrag,    erwerben 
auch  keinen  Rechtsanspruch    darauf,    in    eine  Professur   befördert   zu 
werden.     Nur  wenn  ihnen  ausnahmsweise  ein  Lehrauftrag  erteilt  wird, 
pflegen  sie  eine  bestimmte  Rcnumcration  zu  erhalten ;  im  übrigen  sind 
zu  ihrer  Erleichterung  Stipendien  vorhanden.     Außerdem    kommt    es 
vor,  daß  Männer  in  angesehener  kirchlicher  Stellung  und  von  höherem 
Lebensalter,  die  sich  wissenschaftlich  betätigt  und  einen  akademischen 
Grad  erworben  haben,  wenn    sie    das  Recht,  Vorlesungen  zu    halten, 
begehren,  dieses  in  der  Form  erhalten,  daß  sie  zu  Honorarprofessoren 
ernannt  werden.     Sie  erlangen  damit  den  Rang  eines  Ordinarius,  ohne 
jedoch  Glieder  der  Fakultät  zu  werden;  sie  beziehen    als  solche  teein 
Gehalt,  sind  aber  auch  nicht    zu  einem  bestimmten  Lehrpensum  ver- 
pflichtet.    Durch  diese  Erweiterungen  des  Lehrkörpers  sieht  sich  der 
Student  meist  vor  eine  Auswahl  mannigfaltiger  Vorlesungen  aus  dem- 
selben   Fache    gestellt;    er    kann    verschiedene    Lehrweisen,    Gaben, 
Richtungen,  Persönlichkeiten  bei  seinem  Studium  kennen  lernen,  ver- 
gleichen, prüfen  und  eventuell    nach    eigener  Entscheidung   zwischen 
ihnen  die  Führung  sich  wählen,  deren  Einwirkung  er  sich  aufschließt. 
Das  Anwachsen  des  Stoffes  und    die    damit    gebotene  Vermeh- 
rung der  Vorlesungen j  ihre  Ausdehnung  über  mehrere  Semester  und 
die  Vermehrung  ihrer  Stundenzahl  bringt  die  Schwierigkeit  mit  sich, 
daß  die  übliche  Semesterzahl  nicht  mehr  ausreichen    will,    damit  der 
Student   das   ihm  Gebotene    und    für   seine  Ausbildung  Erforderliche 
bewältigen  kann.     In    Preußen   werden    vom   Theologie-Studierenden 
mindestens  6  Semester  des  Studiums  auf  einer    deutschen  Universität 
gefordert.    Tatsächlich   erkennt    die  Mehrzahl   der  Studierenden,  daß 
sie    mit    dieser    Zahl    nicht    mehr    auszukommen    vermag,    und    ein 
siebentes  Semester^  in  nicht  wenigen  Fällen  eine  noch  größere  Zahl, 
ist  bereits  üblich  geworden.     Die  Bemühungen  auf  der  Generalsynode 
von  1897,  auch  kirchengesetzhch  das  siebente  Semester  obligatorisch 


j 


Evangelisch-Theologische  Fakultät.  65 

ZU  machen,  sind  zur  Zeit  noch  gescheitert.  Andere  Landeskirchen 
sind  darin  der  preußischen  voraus  (in  Bayern  z.  B.  und  in  Württem- 
bei^  sind  8  Semester  für  das  Studium  vorgeschrieben). 

3.  Der  Unterricht,  den  die  akademischen  Lehrer  den  jungen 
Theologen  erteilen,  geschieht  teils  durch  Vorlesungen,  teils  durch 
wissenschaftliche  und  praktische  Seminariibungen.  Die  Vorlesungen 
zerfallen  in  private  und  öffentliche,  von  denen  letztere  unentgeltlich 
gehalten  werden.  Diese,  meist  ein-  oder  zweistündig,  bieten  im 
wesentlichen  Ergänzungen  zu  den  privaten,  den  Hauptvorlesungen. 
Letztere  haben  zum  Teil  wegen  des  anwachsenden  Stoffes  eine  Aus- 
dehnung bis  auf  6  Stunden  wöchentlich  erfahren.  In  ihnen  werden 
die  wichtigeren  Disziplinen  in  zusammenhängendem  Vortrage  vom 
Dozenten  gelehrt.  Die  Art  dieses  Vortrages  ist  je  nach  dem  Stoff 
und  nach  der  Eigenart  des  Dozenten  überaus  verschieden.  Trägt  der 
eine  am  Katheder  sitzend  oder  stehend  sein  ausgearbeitetes  Heft  vor, 
so  spricht  ein  anderer  ganz  frei  und  bindet  sich  dabei  vielleicht  auch 
nicht  an  den  festen  Platz  seines  Katheders.  Der  eine  legt  einen 
Leitfaden,  meist  einen  von  ihm  selbst  verfaßten,  zugrunde,  ein  anderer 
verliert  viel  2^it  damit,  daß  er  einen  solchen  paragraphenweise  den 
Zuhörern  diktiert  und  dann  in  angeschlossenen  Ausführungen  das 
Diktat  näher  erläutert;  wieder  andere  verschmähen  diese  Leitfaden- 
form und  geben  lediglich  zusammenhängenden  Vortrag,  wobei  sie 
ihren  Hörern  überlassen,  wieviel  oder  wiewenig  davon  sie  zu  Papier 
bringen  wollen.  Dieses  Nachschreiben  wird  tatsächlich  in  sehr  ver- 
schiedener Weise  geübt.  Unter  denen,  welche  des  Stenographierens 
kundig  sind,  meinen  manche,  einen  besonderen  Vorteil  davon  zu 
haben,  wenn  sie  den  Vortrag  des  Dozenten  unverkürzt  zu  Papier 
bringen  und  nach  Hause  tragen,  verlieren  aber  nur  zu  leicht  den 
Eindruck,  den  gerade  das  Persönliche  im  Vortrage  im  Unterschied 
von  einem  gedruckten  Lehrbuch  zu  geben  imstande  ist.  Das  Nach- 
schreiben eines  zusammenhängenden  Vortrages  in  gewöhnlicher 
Schrift  bringt  die  Nötigung  mit  sich,  beim  Zuhören  zwischen  Wich- 
tigem und  weniger  Wichtigem  zu  unterscheiden  und  im  Augenblick 
das  Gehörte  kurz  zusammenzufassen,  kann  somit  für  einen  verständigen 
Hörer  eine  wertvolle  geistige  Schulung  werden.  Einzelne  versichern, 
daß  sie  den  reichsten  Gewinn  davon  hätten,  wenn  sie  möglichst 
wenig  nachschrieben  und  nur  mit  gespannter  Aufmerksamkeit  dem 
Worte  des  Dozenten  zu  folgen  suchten.  Immerhin  ist  ein  gewisses 
Maß  von  Nachschrift  als  Stütze  für  das  Gedächtnis  erwünscht.  Die 
Auswahl   der  Vorlesungen  ist  den  Studierenden  überlassen  und  eine 

Da«  UtttOTriefattweten  im  Deuuchen  Reich.    L  5 


56  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Kontrolle  über  die  Regelmäßigkeit  des  Besuchs  findet  nicht  statt. 
Feste  Vorschriften  über  die  Zahl  der  zu  hörenden  Vorlesungen  be- 
stehen wenigstens  in  Preußen  nicht,  es  kann  aber  bei  der  Meldung 
zum  theologischen  Examen  eine  solche  beanstandet  werden,  wenn 
sich  in  dem  eingereichten  Verzeichnis  der  gehörten  Vorlesungen  auf- 
fallige Lücken  vorfinden.  In  Bayern  besteht  noch  die  Bestimmung, 
daß  jeder  Theologe  8  wenigstens  vierstündige  Vorlesungen  aus  dem 
Gebiete  der  philosophischen  Fakultät  und  außerdem  Kirchenrecht 
gehört  haben  muß;  in  Württemberg  wird  von  jedem,  der  sich  zum 
Examen  melden  will,  gefordert,  daß  er  3  im  engeren  Sinne  philoso- 
phische, außerdem  4  alttestamentliche  (darunter  mindestens  2  exege- 
tische) und  5  neutestamentliche  (darunter  mindestens  3  exegetische) 
sodann  Kirchen-  und  Dogmengeschichte,  Kirchenrecht,  Homiletik  und 
Katechetik,  Ethik  und  Dogmatik  gehört  habe.  Sehr  viel  genauer 
noch  ist  der  Studiengang  derer  geordnet,  welche  im  Stift  zu  Tübingen 
Aufnahme  finden,  doch  ist  auch  hier  in  neuerer  Zeit  die  Zahl  der 
obligatorischen  Pensen  beschränkt  und  dafür  dem  einzelnen  StifUer 
unter  Beratung  mit  seinem  Repetenten  und  unter  Genehmigung  des 
Inspektorates  des  Stiftes  die  Wahl  der  übrigen  Vorlesungen  frei- 
gelassen. Aber  auch  da,  wo  Zwangskollegia  nicht  existieren,  hat 
sich  observanzmäßig  eine  opinio  communis  unter  den  Studierenden 
über  das,  was  zu  hören  unentbehrlich  sei,  und  auch  im  ganzen  übei 
die  Reihenfolge  im  Studium  gebildet.  Dazu  kommt,  daß  außer  dei 
persönlichen  Beratung,  welche  die  Dozenten  in  allen  Fällen,  in  denen 
sie  darum  angegangen  werden,  bereitwillig  den  Studierenden  er- 
teilen, noch  auf  eine  doppelte  Weise  Anleitung  zu  einer  angemessener 
Vorlesungswahl  gegeben  wird:  einmal  durch  die  Vorlesung  übei 
Theologische  Enzyklopädie  und  Methodologie,  die  dem  Anfängei 
einen  ersten  Überblick  über  das  Ganze  der  Theologie  und  seine 
Teile  und  Anleitung  zum  Betriebe  seines  Studiums  geben  will,  unc 
außerdem  dadurch,  daß  die  Fakultäten  dem  neu  immatrikulierter 
Studenten  eine  kurze  gedruckte  Anleitung  und  Beratung  in  die  Hanc 
zu  geben  pflegen.  Dadurch  ist  freilich  nicht  ausgeschlossen,  da£ 
mancher  Anfanger  in  den  ersten  Semestern  durch  ungeschickte  Vor 
lesungswahl  sich  das  Studium  erschwert  und  Zeit  verschwendet 
Beklagenswerter  noch  ist,  daß  mancher  während  seiner  ganzer 
Studienzeit  bei  der  Überlegung  darüber,  was  er  hören  solle,  über  die 
banausische  Frage:  braucht  man  das  notwendig  zum  Examen?  nichi 
hinauswächst.  Eine  Kontrolle  über  den  Fleiß  der  Zuhörer  findet  nui 
insoweit  statt,   als  alle  diejenigen,   welche  Stipendien  oder  Freitische 


Evangelisch-Theologische  Fakultät.  67 

beziehen  wollen,  in  jedem  Semester  durch  besondere  Diligenzprüfungen 
sich  über  das  erfolgfreiche  Hören  einer  oder  zweier  Vorlesungen  aus- 
drücklich ausweisen  müssen,  sowie  dadurch,  daß  der  Dozent  be- 
rechtigt ist,  im  Falle  besonders  auffölligen  Unfleißes  am  Schluß  des 
Semesters  seine  Bescheinigung  über  das  Anhören  seiner  Vorlesung 
zu  verweigern,  ein  Recht,  von  dem  doch  nur  sehr  selten  Gebrauch 
gemacht  wird.  Naturgemäß  ist  auch  nicht  schon  mit  dem  regel- 
mäßigen Anhören  einer  Vorlesung  ein  bleibender  Gewinn  aus  der- 
selben gesichert.  Dieser  hängt  ja  zugleich  ab  —  bei  manchen  Vor- 
lesungen (exegetischen)  schon  von  der  Gewissenhaftigkeit  der  Vor- 
bereitung des  Zuhörers  auf  dieselbe,  in  allen  Fällen  aber  von  der 
Gründlichkeit,  mit  der  hernach  das  Gehörte  durchgearbeitet  und  an- 
geeignet wird.  Beides  aber  ist  lediglich  dem  freien  WUlen  des 
Studenten,  dem  Ernst,  mit  dem  er  das  Gebotene  für  sich  selber 
fruchtbar  machen  will,  überlassen.  Darum  ist  der  Erfolg  dieser 
ganzen  Seite  der  akademischen  Tätigkeit  ein  sehr  verschiedenartiger. 
Wesentlich  anders  verläuft  der  Studiengang  der  Mi^lieder  des 
Tübinger  Stiftes.  Bei  diesen  findet  eine  fortgesetzte  Kontrolle  ihres 
Fleißes  und  ihrer  Fortschritte  durch  Repetitorien  und  durch  schrift- 
liche und  mündliche  Semestralprüftmgen  statt.  Dadurch  wird  er- 
reicht, daß  der  durchschnittliche  Büdungsstand  höher  ist  als  da,  wo 
das  Prinzip  der  Freiheit  des  Studierenden  befolgt  wird. 

4.  Neben  den  Vorlesungen  bekommen  für  die  AusbUdung  des 
Studenten  die  Seminarübungen  eine  immer  höhere  Bedeutung.  Diese 
zerfallen  in  praktische  und  in  wissenschaftliche  Übungen.  Erstere 
dienen  unmittelbar  der  Vorbereitung  auf  die  künftige  Praxis  des 
Theologen.  Einrichtungen  zu  diesem  Zwecke  sind  an  unsem  Fakul- 
täten z.  T.  erheblich  älter  als  die  Errichtung  der  wissenschaftlichen 
Seminare.  Es  bestehen  allgemein  homiletische  und  katechetische 
Seminare,  daneben  an  größeren  Fakultäten  auch  homiletische  Pro- 
seminare. In  letzteren  wird  teils  durch  Analyse  gedruckter  Predigten, 
teils  durch  Dispositionsübungen  die  eigene  Predigtarbeit  des  Anfangers 
vorbereitet;  in  den  homUetischen  Seminaren  werden  dann  über 
gegebene  Texte  vollständige  Predigten  ausgearbeitet,  in  besonderen 
Seminai^ottesdiensten  gehalten  und  dann  im  Kreise  der  Seminarmit- 
glieder teils  durch  diese  selbst,  teils  durch  den  Leiter  des  Seminars 
nach  Inhalt  und  Form  besprochen.  Diese  Seminargottesdienste  bieten 
zugleich  Gelegenheit,  die  künftige  Tätigkeit  als  Liturg  zu  üben,  womit 
an  einzelnen  Orten  auch  Übungen  im  liturgischen  Gesang  verknüpft 
sind.     In  den  katechetischen  Seminaren  werden   in  ähnlicher  Weise 

5* 


58  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Katechesen  über  Bibeltexte  oder  über  Katechismusstücke  ausgearbeitet, 
vor  einer  Knabenabteilung  gehalten  und  dann  in  gemeinsamer  Be- 
sprechung nach  Inhalt  und  Form  erörtert.  Natürlich  können  diese 
Seminare,  in  denen  der  einzelne  im  Semester  in  der  Regel  nur  einmal 
Gelegenheit  findet,  eine  praktische  Probe  abzulegen,  ihren  Mitgliedern 
noch  keine  Sicherheit  in  der  Handhabung  dieser  praktischen  Aufgaben 
verschaffen.  Sie  haben  aber  den  Wert,  daß  nicht  nur  die  Scheu  vor 
der  ersten  öffentlichen  Probe  hier  überwunden  werden  muß,  sondern 
vor  allem  darin,  daß  der  Anfanger  auf  Fehler  aufmerksam  gemacht, 
vor  falschen  Wegen  gewarnt  werden  kann  und  daß  er  lernt,  die  in 
den  Vorlesungen  ihn  gelehrten  Regeln  der  Homiletik  und  Katechetik 
jetzt  bei  seinen  eigenen  Leistungen  und  denen  seiner  Seminargenossen 
als  kritischen  Maßstab  anzuwenden.  Zur  Einführung  in  die  Praxis  ist 
auch  zu  rechnen,  daß  neuerdings  an  zahlreichen  Fakultäten  Veran- 
staltung getroffen  ist,  die  Studierenden  durch  Exkursionen  nach  An- 
stalten der  inneren  Mission  und  Stätten  sozialer  Wohlfahrtseinrichtungen 
mit  der  reichen  Entfaltung  des  charitativen  Lebens  und  mit  den  Auf- 
gaben, welche  die  sozialen  Nöte  der  Gegenwart  stellen,  auf  dem 
Wege  der  Anschauung  und  der  fachmännischen  Information  bekannt 
zu  machen. 

Die  wissenschaftlichen  Seminare  haben  in  den  letzten  Jahrzehnten 
immer  mehr  an  Bedeutung  gewonnen;  der  Fx)rtschritt,  den  an  unsem 
Universitäten  die  philologischen  und  historischen  Seminare  der  philo- 
sophischen Fakultät  in  methodischer  Beziehung  gemacht  haben,  ist 
auch  den  theologischen  Seminaren  zugute  gekommen.  In  der  Regel 
leitet  jeder  Ordinarius  der  biblischen  Wissenschaften,  der  historischen 
und  der  systematischen  Theologie  eine  Seminarabteilung,  in  der  er 
eine  kleine  Zahl  von  Mitgliedern  in  die  Methode  wissenschaftlichen 
Arbeitens  auf  seinem  Gebiete  einführt.  In  gemeinsamen  Sitzungen 
werden  in  konversatorischer  Form  bestimmte  Stoffe  behandelt,  an 
ihnen  Probleme  der  wissenschaftlichen  Forschung  aufgewiesen  und 
ein  methodisches  Eindringen  in  den  Stoff  und  die  sich  erhebenden 
Fragen  gelehrt.  Daneben  wird  in  der  Regel  jedem  Seminarmitgliede 
das  Thema  für  eine  schriftliche  Arbeit  gestellt  und  diese  dann  vom 
Leiter  des  Seminars  zensiert  und  besprochen.  Der  Erfolg  dieser 
Übungen  hängt  natürlich  in  hohem  Maße  von  der  pädagogischen 
Begabung  des  Leiters  ab,  von  dem  Maße,  in  dem  er  es  versteht, 
alle  zu  lebendiger  Teilnahme  an  der  gemeinsamen  Besprechung  heran- 
zuziehen, von  der  Klarheit  und  Lehrhaftigkeit,  womit  er  die  Probleme 
aufzustellen  und  zu    methodischem  Arbeiten  anzuleiten  versteht.*    Zu 


Evangelisch-Theologische  Fakultät.  59 

diesen  Seminarübungen  melden  sich  die  Strebsamsten  und  Eifrigsten 
unter  den  Studenten.  Hier  schließt  sich  um  den  Lehrer  der  engere 
Kreis  derer,  denen  es  nicht  nur  um  die  Aneignung  des  Stoffes  für 
die  Examina,  sondern  um  die  Anleitung  zu  selbständigem  Arbeiten 
und  Urteilen  zu  tun  ist.  An  größeren  Fakultäten  erhebt  sich  aber 
die  Schwierigkeit,  daß  namentlich  bei  einem  besonders  anregenden 
Dozenten  die  Zahl  der  Anmeldungen  zu  seinem  Seminar  weit  größer 
ist,  als  der  Charakter  seminaristischer  Übungen  dabei  zu  beschäftigen 
möglich  macht.  Für  diese  Seminare  sind  jetzt  immer  allgemeiner 
besondere  Räume  in  den  Universitäten  ausgesondert,  in  denen  zugleich 
die  Seminarbibliotheken  Aufstellung  finden.  Für  die  Vermehrung  und 
Ausstattung  dieser  Bibliotheken  sind  in  neuerer  Zeit  meist  in  dankens- 
werter Weise  reichliche  Mittel  zur  Verfügung  gestellt  worden,  sodaß 
eine  ganze  Reihe  von  Fakultäten  jetzt  den  Studierenden  eine  wohl- 
eingerichtete Handbibliothek  zu  täglichem  Gebrauch  bereit  halten 
kann.  Diese  Bibliotheken  werden  in  der  Regel  als  Präsenzbibliotheken 
behandelt,  wodurch  der  Student  veranlaßt  wird,  sich  seinen  Arbeits- 
platz in  den  Seminarräumen  selbst  zu  suchen,  wo  er  stets  alles,  was 
er  zur  Vorbereitung  und  für  seine  eigenen  Arbeiten  braucht,  zur 
Hand  hat.  Es  ist  unzweifelhaft  von  Wert,  daß  der  theologisch  inter- 
essierte Student  hier  Gelegenheit  findet,  in  der  einfachsten  Weise 
seinen  Einblick  in  die  Literatur  täglich  zu  erweitern,  auch  die  Schriften, 
die  in  der  Vorlesung  genannt  worden  sind,  hier  selber  einsehen  zu 
können.  Freilich  steht  es  wohl  damit  im  Zusammenhange,  daß  der 
Trieb,  schon  während  der  Studienzeit  eine  eigene  Handbibliothek 
sich  zu  beschaffen,  bei  unsern  Studenten  in  der  Abnahme  begriffen  ist. 
5.  Außer  den  Beziehungen,  in  die  der  Dozent  mit  den  Studierenden 
durch  seine  Vorlesungen  und  Seminarübungen  tritt,  gibt  es  nun  noch 
einen  mannigfaltig  abgestuften  engeren  Verkehr  zwischen  beiden  Teilen. 
Wohl  jeder  akademische  Lehrer  hat  den  Wunsch,  auch  über  die 
offiziellen  Beziehungen  hinaus  wenigstens  einem  Teil  seiner  Zuhörer 
persönlich  näher  zu  treten.  Dazu  bieten  zunächst  die  regelmäßigen 
Sprechstunden  Gelegenheit,  in  denen  der  Student  mit  seinen  Anliegen 
vertrauensvoll  zu  seinem  Lehrer  kommen  kann.  Darüber  hinaus 
werden  nach  persönlicher  Neigung  und  Begabung  die  verschiedensten 
Wege  eingeschlagen,  um  einen  persönlichen  Verkehr  herbeizuführen. 
Der  eine  begnügt  sich  mit  gelegentlicher  Einladung  seiner  Zuhörer 
oder  Seminarmitglieder  in  sein  Haus  und  seine  Familie,  wobei  dann 
der  gesellige  Verkehr  im  Vordergrunde  steht.  Andere  versuchen  es 
durch  regelmäßige  offene  Abende  in  ihrem  Hause,    bei   denen    dann 


70  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

in  freier  Form  über  theologische,  kirchliche,  religiöse  Fragen  gesprochen 
wird.  Wieder  andere  versammeln  einen  festen  kleineren  Kreis  regel- 
mäßig in  ihrem  Hause  zu  einem  Privatissimum,  in  welchem  eine 
theologische  Schrift  gemeinsam  gelesen  oder  Exegese  getrieben  oder 
wissenschaftliche  Themata  diskutiert  werden.  Hier  schafft  sich  jeder 
die  seiner  Art  am  meisten  zusagende  Form.  Aber  gerade  in  diesen 
freien  Beziehungen  zwischen  Dozent  und  Student,  in  denen  dem  letzteren 
Gelegenheit  gegeben  wird,  das  Urteil  seines  Lehrers  über  die  Fragen 
des  Tages,  über  die  religiösen  und  kirchlichen  Probleme  der  Zeit  zu 
hören,  ihn  auch  als  christliche  Persönlichkeit  kennen  zu  lernen,  knüpft 
sich  das  festeste  Band  zwischen  ihnen  und  hier  empfängt  der  durch 
die  wissenschaftlichen  Fragen  so  häufig  in  Unruhe  versetzte,  von 
Zweifeln  angefochtene,  in  seiner  Berufswahl  wohl  gar  unsicher  werdende 
junge  Theologe  ein  kräftiges  und  heilsames  Gegengewicht  gegen  das, 
was  ihn  beunruhigt. 

Freilich  wird  es  manchem  Studenten  sehr  schwer,  mit  dem,  was 
unfertig  und  unklar  in  seinem  Innern  vorgeht,  seinen  akademischen 
Lehrern  sich  zu  erschließen.  Viel  leichter  geht  er  im  Kreise  der 
KommUitonen  aus  sich  heraus.  Daher  stellt  sich  überall  das  Bedürfnis 
ein,  daß  sich  die  Studierenden  untereinander  in  fachwissenschaftlichen 
Vereinen  zusammenschließen.  An  unsern  theologischen  Fakultäten 
gibt  es  daher  überall  besondere  theologische  Vereine,  häufig  ihrer 
mehrere  nebeneinander  an  derselben  Universität.  Diese  unterscheiden 
sich  dann  von  einander  entweder  nach  verschiedenen  Richtungen,  in- 
dem in  dem  einen  mehr  die  kritisch  gestimmten,  im  andern  die 
konservativ  gerichteten  jungen  Theologen  sich  zusammenfinden,  oder 
danach,  daß  der  eine  Verein  lediglich  eine  wissenschaftliche,  der  andere 
daneben  auch  eine  korporative  Vereinigung  zur  Pflege  der  Freund- 
schaft und  des  studentischen  Lebens  sein  will.  Gelegentlich  besteht 
auch  der  Unterschied,  daß  die  einen  die  Teilnahme  der  Dozenten  an 
ihren  wissenschaftlichen  Besprechungen  wünschen  und  erbitten,  die 
andern  dagegen  grundsätzlich  unter  sich  bleiben  wollen.  In  diesen 
Vereinen  wird  regelmäßig  in  der  Form  von  Referat  und  Korreferat 
über  die  vom  Referenten  aufgestellten  Thesen  debattiert,  wenn  nicht 
einer  der  Dozenten  auf  den  Wunsch  des  Vereins  ihnen  einen  Vortrag 
hält,  an  den  dann  eine  freie  Debatte  sich  anschließt.  Es  liegt  in  der 
Natur  der  Sache,  daß  bei  den  Referaten  der  Studierenden  in  diesen 
Vereinen  die  Themata  aus  dem  Gebiete  der  biblischen  Einleitung  und 
biblischen  Theologie  das  Übergewicht  haben.  In  etwas  anderer  Weise 
bieten  die  Studentenverbindungen,    welche   christliche  Prinzipien    ver- 


Evangelisch-Theologische  Fakultät.  71 

folgen  (Wingolf  und  Schwarzburgbund),  ihren  theologischen  Mitgliedern 
auch  eine  Förderung  inbezug  auf  ihre  innere  Entwicklung  für  den 
künftigen  Beruf.  Der  enge  Zusammenschluß  von  Studenten  älterer 
und  jüngerer  Semester  in  derselben  Verbindung  bietet  den  älteren 
reichliche  Gelegenheit,  im  persönlichen  Verkehr  den  jüngeren  auch 
in  Fragen  des  Studiums  mit  ihrem  Rate  zu  dienen,  und  je  enger  und 
ernster  der  brüderliche  Verkehr  genommen  wird,  um  so  mehr  ist 
nahegelegt,  auch  auf  die  innere  Entwicklung  fördernden  Einfluß  zu 
üben.  Von  besonderem  Werte  können  aber  auch  die  Konvikte  werden, 
die  jetzt  an  einer  größeren  Zahl  unserer  Universitäten  teils  vom  Staate 
selbst  errichtet  sind,  teils  aus  privaten  Stiftungen  hervorgegangen  sind, 
aber  auch  in  letzterem  Falle  meist  in  bestimmte  engere  oder  weitere 
Beziehungen  zu  unsem  Fakultäten  gestellt  sind.  Das  größte,  älteste 
und  eigenartigste  dieser  Konvikte  ist  das  Tübinger  Stift,  das  für  die 
ganze  Studienzeit  seine  Mitglieder  aufnimmt  und  unter  dem  Inspektorate 
mehrerer  Professoren,  von  denen  einer  die  Stelle  des  Ephorus  bekleidet, 
und  der  Tätigkeit  von  Repetenten  den  Studiengang  vom  Anfang  bis 
zum  Abschluß  des  Studiums  üben^acht,  leitet  und  durch  die  ver- 
schiedensten Übungen  im  Stifte  selbst  wirksam  unterstützt.  Die  andern 
Konvikte  gewähren  meist  nur  für  eine  beschränkte  Zahl  von  Semestern 
den  Studierenden  Aufnahme  und  einen  Teil  ihrer  Beköstigung.  Ein 
jüngerer  tüchtiger  Theologe,  nicht  immer  zugleich  Dozent,  verwaltet 
das  .Amt  eines  Inspektors  des  Konviktes  mit  der  Verpflichtung, 
bestimmte,  meist  exegetische  Übungen  mit  den  Konviktualen  zu  halten. 
Dazu  kommt  der  persönliche  Verkehr  des  Inspektors  mit  letzteren 
und  ihr  eigener  Verkehr  unter  einander  als  die  tägliche  Gelegenheit 
zu  mannigfacher  Förderung  inbezug  auf  die  Studien  und  alles,  was 
an  Fragen  das  Herz  bewegt. 

6.  Das  theologische  Studium  findet  für  eine  kleinere  Zahl  den 
Abschluß  in  der  Lizentiatenprüfung.  und  zwar  nicht  nur  für  solche, 
welche  sich  dem  akademischen  Beruf  widmen  möchten,  sondern  auch 
für  solche,  die  ein  besonderes  Interesse  an  einzelnen  Disziplinen  der 
Theologie  gewonnen  und  durch  energisches  Studium  zu  selbständigem 
Mitarbeiten  an  den  Problemen  vorgeschritten  sind.  Die  theologischen 
Fakultäten  sind  die  einzigen,  die  sich  noch  aus  der  alten  Universitäts- 
verfassung den  doppelten  akademischen  Grad  des  Lizentiaten  und  des 
Doktors  erhalten  haben.  Für  die  Meldung  zu  diesem  Examen  ist  die 
Vorlage  einer  selbständigen  und  die  Wissenschaft  fördernden  theolo- 
gischen Arbeit  erforderlich,  deren  Drucklegung  in  Preußen  durchweg 
und    auch    im    übrigen    Deutschland    meistens    verlangt    wird.      Das 


72  Lchrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Lizentiatenexamen  wird  von  den  Ordinarien  der  Fakultät  in  allen 
Hauptfächern  vorgenommen;  dann  wird  auf  Grund  einer  öffentlichen 
Disputation  über  Thesen  das  Diplom  erteilt.  Die  meisten  Fakultäten 
können  nach  ihren  Statuten  in  besonderen  Fällen  auch  honoris  causa 
den  Lizentiatengrad  verleihen;  es  geschieht  das  im  ganzen  nur  selten, 
und  zwar  namentlich  dann,  wenn  Männer  des  geistlichen  Standes  oder 
des  Schulamtes  durch  literarische  Leistungen  sich  ausgezeichnet  haben, 
ohne  doch  nach  Lebensalter  und  Lebensstellung  bereits  für  die  Er- 
teilung des  theologischen  Doktors  qualifiziert  zu  sein.  Auch  der 
Doktor  der  Theologie  kann  nach  den  Statuten  der  meisten  Fakultäten 
von  solchen,  die  den  Lizentiatengrad  besitzen,  nach  Ablauf  einer 
meist  näher  bestimmten  Reihe  von  Jahren  rite  auf  Grund  eines  Aus- 
weises ihrer  wissenschaftlichen  Qualifikation  erworben  werden.  Die 
näheren  Bestimmungen  über  das  Maß  und  den  Umfang  der  dabei  zu 
stellenden  Anforderungen  gehen  dabei  in  den  Fakultätsstatuten  ziem- 
lich weit  auseinander;  daher  erklärt  es  sich,  daß  Doktorpromotionen 
dieser  Art  fast  nur  bei  einigen  wenigen  Fakultäten  vorkommen,  die 
dafür  bekannt  sind,  geringere  Anforderungen  zu  stellen.  In  den 
meisten  Fällen  wird  der  theologische  Doktor  jetzt  honoris  causa  aus 
Anlaß  größerer  wissenschaftlicher  Leistungen  oder  auch  an  Männer 
in  höheren  kirchlichen  Stellungen  oder  von  hervorragenden  kirchlichen 
Verdiensten  verliehen.  Da  Ehrenpromotionen  Einstimmigkeit  er- 
fordern, können  Fakultäten,  in  denen  recht  verschiedene  Richtungen 
unter  den  Ordinarien  vertreten  sind,  in  die  Lage  kommen,  zeitweise 
überhaupt  nicht  solche  Promotionen  vollziehen  zu  können,  weil  die 
erforderliche  Einstimmigkeit  fehlt.  Oft  hilft  man  sich  dann  aber  auch 
durch  Kompromisse,  indem  die  Vertreter  der  einen  Richtung  nur 
unter  der  Bedingung  einem  Vorschlage  von  der  andern  Seite  her  zu- 
stimmen, daß  ihnen  gleichzeitig  die  Promotion  einer  ihnen  genehmen 
Persönlichkeit  zugestanden  wird.  So  erklären  sich  manche  in  weiteren 
Kreisen  Überraschung  erweckenden  gleichzeitigen  Promotionen  von 
recht  ungleichartigen  Persönlichkeiten. 

7.  Die  Mehrzahl  der  Studenten  kommt  aber  nicht  zum  Lizentiaten- 
examen, sondern  sucht  den  Abschluß  der  Studien  nur  in  den  vor- 
geschriebenen Examina  fürs  kirchliche  Amt.  Die  deutschen  Landes- 
kirchen schreiben  fast  ausnahmslos  eine  doppelte  theologische  Prüfung 
vor,  von  denen  die  erstere  überwiegend  wissenschaftlichen,  die  andere 
auch  praktischen  Charakter  haben  soll.  In  den  preußischen  Prüfungs- 
ordnungen kommt  das  in  der  Weise  zum  Ausdruck,  daß  zwar  die 
allgemeinen  theologischen  Fächer  in  beiden   Prüfungen    die   gleichen 


Evangelisch-Theologische  Fakultät.  73 

sind,  aber  nur  im  ersten  Examen  eine  Prüfung  in  Philosophie  und 
nur  im  zweiten  eine  solche  in  Pädagogik  stattfindet  und  außerdem 
in  letzterem  der  Prüfung  in  den  praktischen  Fächern  der  doppelte 
Umfang  und  eine  erhöhte  Bedeutung  gegeben  ist.  Homiletische  Proben 
werden  bei  beiden  Examina,  katechetische  mitunter  nur  beim  zweiten 
Examen  abgelegt.  Der  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache,  der  früher 
bei  einer  der  beiden  wissenschaftlichen  Arbeiten  und  außerdem  auch 
bei  einzelnen  Klausuren  und  bei  einem  Teil  der  mündlichen  Prüfung 
vorgeschrieben  war,  ist  jetzt  beseitigt;  als  Ersatz  dafür  ist  nur  noch  eine 
Probe  im  Übersetzen  aus  einem  lateinischen  Text  ins  Deutsche  einge- 
stellt worden.  Ks  entspricht  das  dem  Rückgang  im  schriftlichen  und 
mündlichen  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache,  wie  ihn  die  Umgestaltung 
des  Gymnasialwesens  herbeigeführt  hat.  Freilich  ist  auch  die  Fähigkeit, 
einen  lateinischen  Text  sicher  und  gewandt  zu  übersetzen,  jetzt  bei 
vielen  Elxaminanden  betrübend  gering.  Beide  Prüfungen  werden  vor 
kollegialisch  zusammengesetzten  Kommissionen  abgelegt;  auch  in 
Schleswig-Holstein,  wo  bis  vor  kurzem  das  erste  Examen  nur  vom 
Generalsuperintendenten  abgehalten  wurde,  ist  neuerdings  eine 
Prüfungskommission  dafür  eingesetzt  worden.  Dabei  besteht  aber 
der  Unterschied,  daß,  während  das  zweite  Examen  allgemein  bei 
den  Kirchenbehörden  liegt  und  nur  meist  einzelne  Professoren  als 
Examinatoren  zugezogen  werden,  die  erste  Prüfung  hie  und  da  im 
Auftrage  der  Kirchenbehörden  von  Kommissionen,  die  aus  den 
Ordinarien  der  Fakultät  zusammengesetzt  sind,  abgehalten  wird. 
Letztere  Einrichtung  besteht  in  Preußen  noch  in  Halle  und  Königs- 
berg, aber  auch  z.  B.  in  Leipzig,  Gießen,  Tübingen  und  Straßburg. 
Durch  letztere  Einrichtung  ist  den  Fakultäten  die  Gelegenheit  gegeben, 
den  Erfolg  ihrer  Arbeit  regelmäßig  zu  kontrollieren;  es  ist  auch  nur 
natürlich,  daß  Prüfungen  dieser  Art,  von  lauter  Fachleuten  in  ihrem 
Fache  abgehalten,  viel  reiner  und  sicherer  das,  was  der  Student  auf 
der  Universität  an  Theologie  gelernt  hat,  zur  Erscheinung  bringen 
können,  als  jene  Prüfungen  durch  Mitglieder  der  Kirchenbehörden, 
die  nur  in  seltenen  Fällen  auch  Fachleute  auf  dem  Gebiete  sind,  das 
ihnen  zur  Prüfung  zugewiesen  ist.  Dabei  erhebt  sich  dann  freilich 
die  Schwierigkeit,  daß  Examinanden,  die  an  anderen  Universitäten 
studiert  haben,  denen  gegenüber  im  Nachteil  sind,  welche  die  Prüfung 
vor  den  ihnen  bekannten  Universitätslehrern,  deren  Unterricht  sie 
genossen  haben,  ablegen.  Auch  lehrt  die  Erfahrung,  daß  einzelnen 
Professoren  über  der  fortgesetzten  Beschäftigung  mit  ihrem  Fach  und 
seinen  Spezialfragen    der  sichere  Maßstab  für  das  Maß    des  Wissens, 


74  Lchrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

das  zu  einer  guten  theologischen  Allgemeinbildung  erforderlich  ist, 
abhanden  kommt.  Ist  hier  die  Gefahr  vorhanden,  daß  die  An- 
forderungen gelegentlich  zu  hoch  geschraubt  werden,  so  droht  auf 
der  anderen  Seite  der  noch  empfindlichere  Schaden,  daß  durch  zu 
wenig  fachmännisch  gebildete  Examinatoren  das  Niveau  der  Prüfung 
herabgedrückt  wird,  und  daß  durch  Examinatoren,  die  dem  gegen- 
wärtigen Stande  der  theologischen  Disziplinen  und  ihrem  gegen- 
wärtigen Betrieb  an  der  Universität  fern  stehen,  das  Interesse  aller 
derjenigen  Studierenden,  die  ihr  Studium  im  Blick  aufs  Examen  be- 
treiben, für  das,  was  die  Dozenten  ihnen  bieten,  beeinträchtigt  wird. 
Wird  nun  der  Erfolg  der  akademischen  Ausbildung  an  den  Examens- 
ergebnissen gemessen,  so  ergibt  sich,  daß  immer  nur  eine  Minderzahl 
so  weit  gefördert  ist,  daß  sie  selbständiges  theologisches  Verständnis 
und  Urteil  und  ein  tieferes,  unverlierbares  Interesse  an  den  Aufgaben 
und  Problemen  der  Theologie  gewonnen  hat.  Größer  ist  die  Zahl 
derer,  die  ein  befriedigendes  Maß  theologischer  Kenntnisse  erworben 
haben,  noch  größer  freilich  die  Zahl  derer,  bei  denen  auch  die  Kennt- 
nisse lückenhaft  und  unsicher  sind  und  von  denen  man  voraussetzen 
kann,  daß  sie  zur  theologischen  Wissenschaft  stets  nur  ein  ganz 
äußerliches  Verhältnis  behalten  werden.  Dieses  teilweise  ungünstige 
Ergebnis  ist  aber  nicht  ein  Vorwurf  gegen  den  Betrieb  des 
akademischen  Unterrichts;  es  erklärt  sich  z.  T.  aus  der  Verschieden- 
heit der  Begabung  und  geistigen  Anlage,  z.  T.  aus  übel  angewandter 
Studienzeit,  z.  T.  auch  aus  den  minderwertigen  Motiven,  die  manchen 
grade  zum  Studium  der  Theologie  geführt  haben.  Auch  wird  man 
nicht  behaupten  können,  daß  die  Prüfungsergebnisse  in  der  Gegen- 
wart ungünstiger  als  in  früheren  Zeiten  geworden  seien.  Zwar  liegt 
es  zutage,  daß  das  Interesse  an  einzelnen  Disziplinen,  besonders 
der  Philosophie,  erheblich  zurückgegangen  ist,  und  die  Prüfungs- 
anforderungen mögen  hier  geringer  geworden  sein;  dafür  haben  aber 
besonders  die  historischen  und  prak^sch-theologischen  Fächer  ihre 
Anforderungen  gegen  früher  erheblich  gehoben,  und  das  Maß 
positiven  Wissens,  das  in  den  Prüfungen  gefordert  wird,  ist  allmählich 
gewachsen. 

8.  Die  Vorbildung,  welche  die  Universität  den  künftigen  Dienern 
der  Kirche  bietet  und  bieten  kann,  umfaßt  nur  einen  Teil  dessen, 
was  diese  für  eine  fruchtbare  Ausübung  des  Amtes  bedürfen,  im 
wesentlichen  die  wissenschaftliche  Rüstung  dafür;  weder  vermag 
sie  noch  fühlt  sie  sich  berufen,  unmittelbar  in  die  Praxis  einzuführen 
und  auf  diese  zu  präparieren,  noch  kann  sie  ihrerseits  die    religiösen 


Evangelisch-Theologische  Fakultät.  75 

Voraussetzungen  schaffen,  die  den  einzelnen  subjektiv  für  den  Dienst 
in  der  Kirche  befähigen.  Muß  erstere  Anleitung  —  abgesehen  von 
dem,  was  die  praktisch-theologischen  Seminare  bieten  —  besonderen 
kirchlichen  Veranstaltungen  (Lehrvikariat,  Predigerseminar)  überlassen 
bleiben,  so  muß  letzteres  das  Gut  sein,  das  der  Student  der  Theologie 
bereits  mitbringt;  und  wie  dieses  durch  keine  Wissenschaft  erzeugt 
werden  kann,  so  ist  es  auch  nicht  unmittelbar  Aufgabe  des  theologischen 
Unterrichts,  das  religiöse  Leben  zu  pflegen.  Freilich  besteht  an  fast 
allen  Universitäten  die  Einrichtung,  daß  einer  oder  mehrere  der 
theologischen  Professoren  zugleich  nebenamtlich  Universitätsprediger 
sind  und  in  akademischen  Gottesdiensten  den  Studierenden  Gelegen- 
heit bieten,  ihre  wissenschaftlichen  Lehrer  zugleich  in  der  Ausübung 
der  Verkündigung  des  göttlichen  Wortes  kennen  zu  lernen  und  von 
ihnen  religiöse  Anregung  zu  erhalten.  Aber  an  den  akademischen 
Lehrvortrag  selbst  wird  billigerweise  nur  die  Forderung  gestellt,  daß  er 
das  Ziel  aller  theologischen  Arbeit,  der  Kirche  und  dem  Glauben  zu 
dienen,  fest  im  Auge  behält  und  daß  er  mit  piädagogischer  Weisheit 
und  Takt  in  die  den  Anfangern  zunächst  oft  so  befremdliche  und  sie 
beunruhigende  wissenschaftliche  und  kritische  Behandlung  der  Bibel 
hineinführt;  zugleich  ist  zu  wünschen,  daß  der  theologische  Lehrer 
in  der  ganzen  Art  seines  Wirkens  seinen  Schülern  den  starken  Ein- 
druck en\'eckt,  daß  die  religiösen  Stoffe,  die  er  behandelt,  ihm  selbst 
Werte  für  sein  eigenes  Leben  bedeuten.  Es  ist  natürlich,  daß  die 
einzelnen  Dozenten  der  hohen  Aufgabe  ihres  Berufes  nur  in  ver- 
schiedenem Maße  gerecht  werden.  Der  Tatsache,  daß  hier  die  Wirk- 
samkeit einzelner  die  Entwicklung  manches  Studenten  ungünstig 
beeinflußt  hat,  steht  aber  auch  die  andere  erfreuliche  gegenüber,  daß 
es  auch  der  Gegenwart  nicht  an  den  Dozenten,  und  zwar  ver- 
schiedenster Richtungen  und  Schattierungen,  fehlt,  die  ebenso  wissen- 
schaftlich fördernd  wie  in  religiöser  Beziehung  sichere  Führung  bietend, 
einen  tiefgreifenden  segensreichen  Einfluß  ausüben.  Ernste  Kämpfe 
und  schwere  innerliche  Auseinandersetzungen  können  dem  heute  zum 
Studium  der  evangelischen  Theologie  sich  wendenden  jungen  Manne 
nicht  erspart  werden:  das  bringt  die  Lage  dieser  Wissenschaft, 
insonderheit  der  Bibelwissenschaft,  und  der  bestehende  Widerstreit 
der  Weltanschauungen,  mit  denen  die  Theologie  sich  auseinander- 
setzen muß,  unabweislich  mit  sich;  dazu  wirken  auf  den,  der  zu  den 
Füßen  verschiedener  theologischer  Lehrer  sitzt,  bei  der  Eigenart  der 
protestantischen  Theologie  auch  oft  recht  weit  auseinander  führende 
Anschauungen  ein  und  können  auf  den  in  der  Entwicklung  Begriffenen 


76  Lehrgebict  und  Lehrbetrieb. 

wohl  ven^irrend  -  wirken  und  den  Eindruck  hervorbringen,  als  ob 
alles  im  Fluß  begriffen,  nirgends  fester  Boden  zu  finden  sei.  Die 
Erfahrung  lehrt,  daß  einzelne  unter  diesem  Eindruck  sich  überhaupt 
von  der  Theologie  oder  wenigstens  von  dem  Entschluß,  ein  kirch- 
liches Amt  zu  erstreben,  wieder  abkehren.  Andere,  die  sich  vor  der 
ernsten  Arbeit  scheuen,  aus  den  verschiedenen  empfangenen  An- 
regungen durch  angestrengtes  Forschen  zu  einer  selbständigen  Er- 
kenntnis hindurchzudringen,  wählen  den  bequemen  Weg,  nach  ihrer 
Universitätszeit  einfach  Anschluß  an  die  kirchliche  Tradition  zu  suchen 
und  den  ganzen  derzeitigen  Betrieb  der  theologischen  Wissenschaft 
als  einen  seelengefahrlichen  Irrweg  fortan  zu  betrachten.  Aber  es 
fehlt  auch  nicht  an  denen,  die,  obgleich  sie  noch  in  vielen  Beziehungen 
als  Unfertige  und  Suchende  die  Universität  verlassen,  den  Wahrheits- 
sinn und  die  ernste  Auseinandersetzung  mit  den  Problemen  und  dazu 
die  Anleitung  zu  methodischer  Erkenntnis,  die  sie  bei  ihren  Lehrern 
fanden,  als  ihren  Gewinn  fürs  Leben  und  fürs  Amt  mit  hinwegnehmen 
und  die  dann  auch  unter  zunehmender  Erfahrung  lernen,  einen  voll 
befriedigenden  Einklang  zwischen  Theologie  und  kirchlichem  Amt 
zu  finden. 

D.  G.  Ka  we  r  au. 


II.  Katholisch-Theologische  Fakultät. 


Die  Bildungsanstalten  für  den  katholischen  Klerus  zerfallen  so- 
wohl in  Preußen  als  in  den  übrigen  Teilen  des  Deutschen  Reiches  in 
vier  Kategorien: 

I.  Die  den  Landesuniversitäten  einverleibten  katholisch-theo- 
logischen Fakultäten;  II.  die  Lyzeen;  IIL  die  bischöflichen  theo- 
logischen Lehranstalten;  IV.  die  praktischen  Priesterseminare. 

I.  Die  Universitätsfakultäten. 

1.  Statistik.  Bis  zum  1.  Oktober  1903  gab  es  in  Deutschland 
7  katholisch-theologische  Fakultäten,  und  zwar  an  den  Universitäten 
Bonn,  Breslau,  Freiburg  im  Breisgau,  München,  Münster,  Tübingen 
und  Würzburg.  Der  Lehrkörper  dieser  Fakultäten  bestand  im  Sommer- 
semester 1903  aus  51  ordentlichen  Professoren,  13  außerordentlichen, 
1  Honorarprofessor  und  10  Privatdozenten,  zusammen  75  Dozenten. 
Die  Zahl  der  in  denselben  immatrikulierten  Studenten  belief  sich  in 
demselben  Semester  auf  31 1  in  Bonn,  300  in  Münster,  299  in  Breslau, 
205  in  Freiburg,  191   in  Tübingen,  113  in  Würzburg,  zusammen  1580. 

Mit  dem  1.  Oktober  1903  trat  die  infolge  einer  Konvention 
zwischen  dem  Deutschen  Kaiser  und  dem  apostolischen  Stuhle  vom 
5.  Dezember  1902  und  nach  Zustimmung  der  gesetzgebenden  Faktoren 
für  Elsaß-Lothringen  gegründete  neue  katholisch-theologische  Fakultät 
an  der  Kaiser  Wilhelmsuniversität  Straßburg  ins  Leben.  Damit  ist 
die  Zahl  der  katholisch-theologischen  Fakultäten  im  Deutschen  Reiche 
auf  8  gestiegen. 

Der  Lehrkörper  der  jüngsten  Fakultät  besteht  zur  Zeit  aus 
7  ordentlichen  und  1  außerordentlichen  Professor,  und  es  sind  an  ihr 
bereits  etwa  170 — 180  Theologen  inskribiert,  von  denen  die  aller- 
meisten der  Diözese  Straßburg  angehören.     Die  Vorgeschichte  ihrer 


78  Lchrgebict  und  Lehrbetrieb. 

Gründung  geht  auf  mehr  als  ein  Jahrzehnt  zurück;  der  Verlauf  der- 
selben und  die  Art  und  Weise,  wie  es  endlich  zur  Gründung  selbst 
kam,  bietet  mannigfaches  Interesse  und  ist  in  hohem  Grade  geeignet, 
die  Stellung  der  katholisch-theologischen  Fakultäten  im  heutigen 
Kulturleben  des  Deutschen  Reiches  und  besonders  ihre  Bedeutung  für 
das  katholische  Geistesleben  zu  illustrieren.  Der  Augenblick,  diese 
Vorgeschichte  näher  zu  schildern,  ist  jedoch  noch  nicht  gekommen. 
Sie  wird  eine  reizvolle  Aufgabe  des  zukünftigen  Geschichtsschreibers 
der  Universität  Straßburg  bilden. 

2.  Rechtliche  Stellung.  Aus  ihrer  Zugehörigkeit  zum  Uni- 
versitätskörper ergibt  sich  unmittelbar,  daß  die  genannten  Fakultäten 
Staatsanstalten  sind  und  daß  ihre  rechtliche  Stellung  wesentlich  die- 
selbe ist  wie  diejenige  der  übrigen  Universitätsfakultäten,  mit  denen 
sie  gleiche  Rechte  und  gleiche  Pflichten  zur  Universitas  litterarum 
zusammenschließen.  Sie  werden  somit  aus  Staatsmitteln  unterhalten 
und  die  Ernennung  ihrer  Dozenten  erfolgt  durch  die  Staatsregierung 
nach  denselben  Normen,  welche  für  die  übrigen  Fakultäten  maßgebend 
sind.  Auch  die  akademischen  Würden  als  Rektor  und  Senator  sind 
ihnen  zugänglich. 

Außer  ihrem  akademischen  Charakter  besitzen  die  katholisch- 
theologischen Fakultäten  auch  einen  kirchlichen  vermöge  ihres  Lehr- 
gegenstandes, ihres  praktischen  Zweckes  und  ihres  Verhältnisses  zur 
kirchlichen  Autorität.  Dementsprechend  kommt  den  Bischöfen,  inner- 
halb deren  Diözesen  die  einzelnen  katholisch-theologischen  Fakultäten 
liegen,  eine  Mitwirkung  bei  der  staatlichen  Ernennung  der  Theologie- 
professoren zu.  Die  juristische  Formulierung  dieses  bischöflichen 
Rechtes  der  Mitwirkung  ist  in  den  einzelnen  Staaten  verschieden. 
Für  die  theologischen  Fakultäten  an  den  preußischen  Universitäten 
Bonn  und  Breslau  gilt  die  Bestimmung,  daß  niemand  zum  Professor 
ernannt  oder  zur  Ausübung  des  Lehramtes  zugelassen  wird  ohne 
vorherige  Rückfrage  bei  dem  Bischof,  und  daß  dieser  berechtigt  ist, 
wegen  begründeter  Einwendungen  gegen  die  Lehre  oder  den  priester- 
lichen Wandel  des  Vorgeschlagenen  die  Anstellung  oder  Zulassung 
desselben  abzulehnen.  Der  Artikel  3  des  Abkommens  mit  der  Kurie 
betreffs  der  Errichtung  der  katholisch-theologischen  Fakultät  in  Straß- 
burg knüpft  die  Ernennung  der  Professoren  an  das  vorherige  Ein- 
vernehmen mit  dem  Bischof  von  Straßburg.  An  den  drei  genannten 
Fakultäten  haben  außerdem  die  Professoren  vor  ihrem  Antritt  das 
Glaubensbekenntnis  nach  den  Formen  und  Regeln  der  Kirche  in  die 
Hände   des  Dekans   der   Fakultät   abzulegen.    Nach   den   Fakultäts- 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  79 

Statuten  von  Bonn  und  Breslau,  die  nach  Artikel  4  der  Konvention 
mit  der  römischen  Kurie  in  diesem  Punkte  auch  fiir  Straßburg  gelten, 
wird  dem  Bischöfe  der  Fakultät  gegenüber  auch  in  der  Ausübung  des 
Lehramtes  eine  gewisse  autoritative  Stellung  zuerkannt  und  steht  ihm 
ein  Aufsichtsrecht  über  die  Mitglieder  der  Fakultät  in  ihrer  Eigen- 
schaft als  katholische  Geistliche  zu,  vermöge  deren  er  in  Fällen,  in 
denen  gegen  diese  Eigenschaft  verstoßen  ist,  mit  Vorwissen  des  vor- 
gesetzten Ministeriums  die  geeignete  Zurechtweisung  eintreten  zu 
lassen  berechtigt  ist. 

Der  Artikel  5  der  mehrfach  erwähnten  Konvention  für  Straßbürg 
enthält  die  neue  Bestimmung,  daß,  falls  durch  die  kirchliche  Autorität 
der  Beweis  geliefert  wird,  daß  ein  Theologieprofessor  wegen  mangeln- 
der Rechtgläubigkeit  oder  infolge  gröblichen  Verstoßes  im  priester- 
lichen Wandel  als  unfähig  angesehen  werden  muß,  sein  Lehramt 
fortzusetzen,  eine  Ersatzprofessur  einzurichten  sei  und  der  betreffende 
Professor  sich  nicht  mehr  an  den  Geschäften  der  Fakultät  zu  beteiligen 
habe.  Davon  bleiben  die  Rechte  der  Theologieprofessoren,  die  sich 
aus  ihrer  Eigenschaft  als  staatliche  Beamte  nach  den  allgemeinen 
Bestimmungen  ergeben,  gänzlich  unberührt,  so  daß  die  Änderung  des 
kirchlichen  Standpunktes  die  Möglichkeit  der  Absetzung  vollständig 
ausschließt.  Die  neue  Bestimmung  kann  auch  nicht  als  ein  unbe- 
rechtigter Eingriff  in  die  Lehrfreiheit  der  katholischen  Theologie- 
professoren betrachtet  werden,  da  sie  einerseits  einen  vollgültigen 
Beweis  für  das  Vorhandensein  der  einem  Professor  zur  Last  gelegten 
Beschuldigungen  seitens  der  kirchlichen  Autorität  fordert,  die  in  diesem 
Falle  nur  die  höchste  Stelle  sein  kann,  andererseits  nur  die  Konse- 
quenzen zieht,  die  sich  aus  dem  kirchlichen  Verhalten  des  betreffenden 
Professors  von  selbst  ergeben. 

3.  Unterschied  von  den  übrigen  theologischen  Bildungs- 
anstalten. Von  diesen  unterscheiden  sich  die  theologischen  Fakultäten 
zunächst  durch  ihren  staatlichen  Charakter,  den  nur  die  staatlichen 
Lyzeen  in  Preußen  (Braunsberg)  und  in  Bayern  (vergleiche  weiter 
unten)  mit  ihnen  gemeinsam  haben.  Ein  zweiter  Unterschied  liegt  in 
dem  ausschließlichen  Recht  der  Promotion  in  der  Theologie,  das  auch 
die  staatlichen  Lyzeen  entbehren.  Dieses  Recht,  verbunden  mit  dem 
Rechte  der  Aufnahme  von  Privatdozenten  in  ihren  Lehrkörper, 
begründet  den  wesentlichen  Vorzug  der  theologischen  Fakultäten. 
Andere  Vorzüge  sind  begründet  in  ihrer  Zugehörigkeit  zu  der  Uni- 
versität und  dem  dadurch  gebotenen  persönlichen  Umgang  mit  den 
Vertretern  der  übrigen  Wissenschaften,  in  ihrer  reicheren  Ausstattung 


Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 


mit  Lehrstühlen,  Lehrmitteln  und  anderen  wissenschaftlichen  Attri- 
buten, endlich  in  ihrer  Aufgabe,  neben  der  Ausübung  des  Lehramtes 
und  der  dadurch  vermittelten  Einführung  der  Studierenden  in  die 
Anfangselemente  der  Theologie,  der  wissenschaftlichen  Forschung  im 
ganzen  Bereiche  der  biblischen,  historischen,  systematisch-theoretischen 
und  praktischen  Theologie  zu  dienen. 

Infolgedessen  werden  sie  nicht  bloß  von  den  angehenden 
Diözesantheologen  besucht,  sondern  auch  von  Studierenden  anderer 
Diözesen  Deutschlands,  namentlich  von  solchen,  die  nach  Absolvierung 
der  vorgeschriebenen  Studienjahre  eine  höhere  wissenschaftliche  Aus- 
bildung in  der  Theologie  zu  erlangen  suchen,  den  theologischen 
Doktorgrad  erstreben  und  sich  auf  die  akademische  Lehrtätigkeit  vor- 
bereiten wollen.  Unter  diesen  „älteren  Semestern"  befinden  sich 
manchmal  auch  Ausländer,  Franzosen,  Italiener,  Griechen  usw. 

4.  Die  einzelnen  theologischen  Lehrstühle.  Weder  die 
Zahl  der  Lehrstühle  noch  die  der  Dozenten  ist  an  den  einzelnen 
Fakultäten  gleich.    Im  Sommersemester  1903  dozierten 

7  ordentl.  Professoren,  3  außerordentl.,  1   Privatdozent, 
1  ..  1  „ 


in 

Bonn 

7  orde 

Breslau 

8 

Freiburg 

7 

München 

9 

Münster 

7 

Tübingen 

6 

Würzburg 

7 

3 
1 
4 

1 


1 

2 
3 


Für  Bonn  und  Breslau  kommt  noch  je  ein  Honorarprofessor  hinzu. 

Vergleicht  man  diese  Zahlen  mit  denjenigen  der  evangelisch- 
theologischen Fakultäten,  so  fällt  die  unverhältnismäßig  geringere 
Anzahl  von  außerordentlichen  Professoren  und  Privatdozenten  auf  den 
ersten  Blick  auf.  Die  Armut  an  Privatdozenten  ist  besonders  zu  be- 
klagen, erklärt  sich  aber  wenigstens  zum  Teil  aus  der  fast  ebenso 
großen  Armut  an  Extraordinariaten.  Diese  Verhältnisse  günstiger  zu 
gestalten,  vor  allem  im  Interesse  der  theologischen  Spezialforschung, 
darf  daher  als  eine  der  dringendsten  Aufgaben  der  theologischen 
Fakultäten  für  die  nächste  Zukunft  bezeichnet  werden. 

Die  Vergleichung  der  einzelnen  Lehrstühle  an  den  verschiedenen 
Fakultäten  ergibt  folgendes  Resultat: 

1.  Der  gemeinsame  Bestand  an  ordentlichen  Lehrstühlen  umfaßt  5  Haupt- 
disziplinen  der  Theologie:  Alt-  und  neutestamentliche  Einleittmg  und 
Exegese,  Kirchengeschichte,  Dogmatik  und  MoraL 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  81 

2.  Für  das  Kirchenrecht  besteht  ein  Ordinariat  an  jeder  Fakultät  mit  Ausnahme 
von  Bonn,    wo  es  in  der  theologischen  Fakultät    überhaupt  nicht  vertreten  ist. 

3.  Die  Pastoraltheologie  besitzt  einen  ordentlichen  Lehrstuhl  in  Bonn  (z.  Z. 
vertreten  durch  einen  Extraordinarius),  Breslau,  Freiburg,  München  imd  Münster, 
während  sie  in  Tübingen  und  Würzburg  mit  dem  m  oral  theologischen  Lehr- 
stuhl verbunden  ist. 

4.  Für  die  Apologetik  bestehen  ordentliche  Lehrstühle  in  Bonn,  München  und 
Würzburg,  außerordentliche  in  Breslau  und  Freiburg.  In  Münster  ist  sie  ver- 
bunden mit  der  Moraltheologie,  in  Tübingen  mit  der  Dogmatik. 

5.  Für  die  Dogmengeschichte  besteht  nur  in  München  ein  eigener  ordent- 
licher Lehrstuhl  verbunden  mit  Symbolik  und  Pädagogik.  In  Münster  ist  sie 
einem  Extraordinariat  zugeteilt;  in  Würzburg  erscheint  sie  als  Nebenfach  des 
Kirchenhistorikers. 

6.  Von  den  Hauptfächern  der  Theologie  sind  außerdem  durch  Extraordinarien 
vertreten: 

a)  die  neutestamentliche  Exegese  in  Bonn, 

b)  die  Dogmatik  in  Verbindung  mit  Apologetik  und    (ak   2.  Extraordi- 
nariat) mit  Pastoral  in  Münster, 

c)  die    Kirchengeschichte   in  Verbindung    mit   Patrologie    in    Freiburg, 
mit  Dogmengeschichte  und  Patrologie  in  Münster. 

7     Die  übrigen  Extraordinariate  verteilen  sich  auf  folgende  Disziplinen: 

a)  Neutestamenüiche  2^itgeschichte  (Freiburg), 

b)  Patrologie  in  Freiburg  mit  kirchenhistorischen  Spezialitäten, 

in  München  mit  christlicher  Archäologie, 

in  Münster  mit  Kirchengeschichte  und  Dogmengeschichte, 

c)  Semitische  Sprachen  und  Literaturen  in  Würzburg, 

d)  Christliche    Gesellschaftslehre    in  Münster    (neuestens  zum  Ordinariat 
erhoben). 

8.  Mit  mehreren  ordentlichen  Lehrstühlen  sind  eine  Reihe  von  Nebenfächern 
verbunden,  deren  Vertretimg  dem  Ordinarius  obliegt,  dem  sie  zugewiesen  sind. 

Im  einzelnen  sind  es  folgende: 

1.  Vergleichende  Religionswi^nschaft  (Würzburg), 

2.  Enzyklop>ädie  der  theologischen  Wissenschaften  (Freiburg), 

3.  Theologische  Einleitimgswissenschaft  (W^ürzburg), 

4.  Biblische  Hermeneutik  (Bonn,  München,  Münster,  Würzburg), 

5.  Biblisch-orientalische  Sprachen  (an  aUen  Fakultäten), 

6.  Biblische  Archäologie  (an  allen  Fakultäten), 

7.  Symbolik  (München,  Würzburg), 

8.  Patrologie   (Breslau,  Tübingen,  Würzburg), 

9.  Christliche  Archäologie  (Münster,  Würzburg), 

10.  Chrisüiche  Kunstgeschichte  (Bonn,  Würzburg), 

11.  Chrisdiche  Sozial  Wissenschaft  (Würzburg). 

12.  Pädagogik  (Freiburg  und  München), 

9.  Für  die  Straßburger  Fakultät  bestimmte  Artikel  2  der  Konvention  folgende 
I^hrgegenstände :  1.  Philosophisch-theologische  Propädeutik,  2.  Apologetik. 
3.  Dogmatik,  4.  Moraltheologie,  5.  Kirchengeschichte,  6.  Exegese  des 
Allen  Testamentes,  7.  Exegese  des  Neuen  Testamentes,  8.  Kanonisches 
Recht,  9.  Pastoraltheologie,  10.  Kirchliche  Archäologie.  Es  entsprechen 
ihnen  aber  nur  8  Lehrstühle,  indem  die  philosophisch-theologische  Propädeutik 
und  die  kirchliche  Archäologie  als  Nebenfacher  behandelt  werden.  Das 
Kirchenrecht  wird  zur  Zeit  durch  einen  Extraordinarius  versehen. 

Dm»  Unterrichts  Wesen  im  Deutschen  Reich.    I.  6 


82  Lehigebiet  und  Lehrbetrieb. 

5.  Studienordnung.  Theoretische  Vorlesungen.  Der 
Unterrichtsbetrieb  der  Fakultäten  ist  wesentlich  bestimmt  durch  ihre 
doppelte  Aufgabe  der  theologischen  Ausbildung  des  Klerus  der 
Diözese,  innerhalb  welcher  sich  die  betreffende  Universität  befindet, 
und  der  praktischen  Pflege  der  theologischen  Wissenschaft  durch  die 
Heranbildung  von  theologischen  Fachgelehrten.  Da  nun  für  die 
wissenschaftliche  Ausbildung  des  Klerus  in  sämtlichen  Diözesen,  in 
welchen  theologische  Fakultäten  sich  befinden,  ein  akademisches 
Triennium  gesetzlich  festgelegt  ist,  so  ergibt  sich  für  die  Fakultäten 
die  Notwendigkeit  von  selbst,  innerhalb  dieser  Zeit  den  Vortrag  der 
Hauptfächer  der  Theologie  sowie  der  Nebenfächer,  soweit  diese  von 
der  betreffenden  Diözesanbehörde  für  ihre  Theologen  vorgeschrieben 
sind,  zum  Abschlüsse  zu  bringen.  Die  Überzeugung,  daß  drei  Jahre 
nicht  genügen,  um  die  theologische  Wissenschaft  in  ihrem  heutigen 
Umfange  auch  nur  in  elementarer  Weise  geistig  zu  verarbeiten,  darf 
wohl  als  ein  allgemeines  bezeichnet  werden,  und  es  ist  dringend  zu 
wünschen,  daß  ein  viertes  akademisches  Jahr  für  die  katholischen 
Theologen  allgemein  eingeführt  werde.  Dies  ist  in  Straßburg  und 
an  einigen  bayerischen  Lyzeen  bereits  der  Fall.  In  Breslau  ist  das 
akademische  Triennium  durch  ein  7.  Semester  erweitert. 

Infolge  verschiedenartiger  Verhältnisse  gibt  es  keine  gleiche 
Studienordnung  für  alle  Fakultäten;  doch  ist  wenigstens  der  Studien - 
gang  der  angehenden  Theologen  im  wesentlichen  derselbe.  Das 
erste  Jahr  ist  überall  dem  Studium  der  Philosophie  und  Apologetik 
gewidmet,  das  besonders  in  Bayern  auch  durch  Anhörung  von  philo- 
sophischen, historischen  und  naturwissenschaftlichen  Vorlesungen  an 
der  philosophischen  Fakultät  gefördert  wird.  Außerhalb  Bayerns 
werden  auch  die  theologischen  Studien  in  dem  ersten  Jahre  be- 
gonnen. Das  Studium  der  theologischen  bezw.  biblischen  Einleitungs- 
wissenschaften  und  der  Kirchengeschichte  läuft  daher  an  den  meisten 
Fakultäten  parallel  mit  demjenigen  der  Philosophie  resp.  der  philo- 
sophischen Propädeutik  und  der  Apologetik,  beginnt  aber  spätestens 
mit  dem  3.  Semester.  Mit  diesem  setzt  das  Studium  der  Dogmatik, 
Moral,  alt-  und  neutestamentlichen  Exegese  ein,  1  — 2  Semester  später 
dasjenige  des  Kirchenrechts  und  der  Pastoraltheologie. 

Die  Beschränkung  der  Studienzeit  auf  3  Jahre  zieht  namentlich 
den  großen  Nachteil  nach  sich,  daß  nicht  bloß  den  Neben-,  sondern 
auch  manchen  Hauptfächern  der  Theologie  nur  je  2  Semester  ge- 
widmet werden  können.  Doch  erstreckt  sich  an  den  meisten  Fakul- 
täten   wenigstens   das   Studium    der   Dogmatik,    der   Moral    und  der 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  83 

Kirchengeschichte  auf  3 — 4-  Semester.  Die  Verhältnisse  sind  im 
einzelnen  auffallend  verschieden.  So  werden  z.  B.  der  Moraltheologie 
in  Bonn  2,  in  Breslau  3,  in  Münster  4  Semester,  also  die  doppelte 
Zeit  wie  in  Bonn  gewidmet.  In  Würzburg  sind  4  Semester  für  die 
Apologetik  angesetzt,  während  sie  überall  anderswo  nur  2  in  An- 
spruch nehmen  darf.  In  Breslau  entfallen  auf  die  Dogmatik  3  Semester; 
in  Münster  und  Straßburg  sind  dafür  6  vorgesehen.  In  Freiburg  und 
Tübingen  hat  sich  sogar  der  Gebrauch  bis  zur  Gegenwart  erhalten, 
sämtlichen  Hauptfächern  nur  je  2  Semester  zu  widmen;  doch  ist 
jüngst  in  Freiburg  das  Studium  der  Dogmatik  auf  4  Semester  aus- 
gedehnt Worden. 

Sämtliche  Theologiestudierenden  sind  von  ihrer  Diözesanautorität 
aus  verpflichtet,  alle  Privatvorlesungen  zu  hören,  welche  die  Haupt- 
fächer der  Theologie  und  die  von  derselben  Autorität  als  für  die 
Aufnahme  in  das  praktische  Priesterseminar  erforderlich  bezeichneten 
Nebenfächer  behandeln.  Die  Vorlesungen  über  die  Hauptfächer  ge- 
schehen in  4 — 5,  selten  in  6  Stunden  wöchentlich.  Die  Nebenfächer 
beanspruchen  in  der  Regel  wöchentlich  nur  2  Stunden;  doch  sind 
diese  auch  mit  1 — 3  stündigen  Vorlesungen  vertreten,  wie  es  auch 
3stündige  Vorlesungen  über  Hauptfächer  gibt  (besonders  in  Münster). 

Frei  ist  der  Besuch  der  sogenannten  Publica,  meist  einstündige 
theologische  Vorlesungen,  die  für  einen  weiteren  Kreis  von  Hörern 
sowohl  aus  der  theologischen  als  den  übrigen  Fakultäten  bestimmt 
sind  und  auch  von  nicht  immatrikulierten  Personen  besucht  werden 
können.  Die  Abhaltung  solcher  öfTentlichen  Vorlesungen  über  theo- 
logische Fragen,  die  im  Vordergrunde  des  Tagesinteresses  stehen  oder 
durch  die  Bedeutung  ihres  Inhaltes  geeignet  sind,  die  Teilnahme 
gebildeter  Kreise  zu  wecken,  ist  in  den  letzten  Jahren  an  den  meisten 
Fakultäten  eingeführt  worden  und  hat  sich  als  sehr  lebensfähig  er- 
wiesen. 

6.  Die  praktischen  Übungen  der  theologisch-wissen- 
schaftlichen Seminare.  Preisfragen.  A.  Während  die  theore- 
tischen Vorlesungen  im  wesentlichen  der  theologischen  Ausbildung 
des  Seekorge-Klerus  in  den  betreflTenden  Diözesen  dienen,  bezwecken 
die  praktischen  Übungen  der  sogenannten  wissenschaftlichen  Semi- 
nare die  HeranbUdung  von  theologischen  Fachgelehrten.  Diese  Se- 
minare gehören  zu  den  wissenschaftlichen  Anstalten  der  Universitäten, 
an  denen  sie  bestehen;  sie  besitzen  einen  eigenen  Vorstand,  eigene 
Lokale  und  einen  Jahresetat  für  die  Seminarbibliothek  und  an 
einzdnen  Fakultäten  für  Stipendien,  die  den  Mitgliedern  der  Seminare 


84  Lchrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

zugänglich  sind.  Der  Vorstand  ist  regelmäßig  der  Ordinarius  des 
betreffenden  Faches;  neben  dem  Vorstand  besitzt  nur  das  homiletische 
Seminar  in  München  einen  Assistenten.  Die  äußere  Organisation  der 
Seminare  ist  insofern  verschieden,  als  an  einzelnen  Universitäten  jedes 
theologische  Seminar  für  sich  besteht,  während  an  anderen  das 
„katholisch-theologische  Seminar"  in  mehrere  Abteilungen  zerfallt. 
Die  innere  Organisation  eines  jeden  Seminars  bezw.  einer  jeden  Ab- 
teilung ist  Sache  des  betreffenden  Vorstandes,  der  die  praktischen 
Übungen  nach  freiem  Ermessen  in  jedem  Semester  bestimmt.  Die 
praktischen  Übungen  sind  bald  ein-,  bald  zweistündig  in  der  Woche. 
Nach  dem  Stande  des  Sommersemesters  1903  gestalteten  sich  die 
Seminarverhältnisse  an  den  einzelnen  Fakultäten  wie  folgt: 

1.  In  Bonn  ist  das  „katholisch-theologische  Seminar"  in  ein  wissenschaftliches 
und  ein  katechetisch-homiletisches  eingeteilt.  Das  wissenschaftliche  zerfallt  in 
5  Abteilungen  flir  Altes  und  Neues  Testament,  Kirchengeschichte,  Dogmatik 
und  Moraltheologie.  Ihre  Übungen  sind  zweistündig  und  in  der  alljährigen 
Chronik  der  Universität  Bonn  wird  ein  kurzer  Bericht  über  ihre  Tätigkeit  von 
jedem  Vorstand  gegeben.  Außerhalb  des  Seminars  wurden  im  S.-S.  1903 
Übungen  auf  dem  Gebiete  der  Patrologie  imd  der  Apologetik  abgehalten. 

2.  Das  ,,katholisch-theologrische  Seminar"  in  Breslau  hat  4  Abteilungen  für 
Altes  und  Neues  Testament,  Kirchengeschichte  und  Dogmatik.  Die  Übungen 
sind  einstündig,  fiir  das  Neue  Testament  in  zwei  Kursen,  einem  für  Anfanger, 
dem  andern  fiir  Fortgeschrittene.  Über  die  Tätigkeit  der  einzelnen  Abteilungen 
wird  ebenfalls  in  der  alljährigen  Chronik  der  Universität  berichtet.  Das  Ver- 
zeichnis der  Vorlesungen  für  das  S.-S.  1903  erwähnt  außerdem  ein  kano- 
nistisches  Konversatorium,  ein  Re[>etitorium  der  Pastoraltheologie,  ein  moral- 
theologisches Konversatorium,  ein  dogmatisches  Repetitorium  und  dogmen- 
geschichtliche Übungen  in  je  einer  Stunde:  eine  Einrichtung,  die  offenbar  auch 
das  Gros  der  Studierenden  ins  Auge  faßt  und  als  Ergänzung  der  theoretischen 
Vorlesimgen  für  sämtliche  ITieologen  nachahmenswerte  Vorteile  bietet. 

3.  Frei  bürg  besitzt  5  von  einander  unabhängige  Seminare:  ein  kirchenhistorisches, 
archäologisches,  exegetisches  (Altes  Testament),  homiletisches  und  kanonistisches. 
Die  Errichtung  eines  dogmatischen  steht  bevor.  Die  Übungen  sind  zwei- 
stündig mit  Ausnahme  des  exegetischen  Seminars. 

4.  München  weist  nur  2  Seminare  auf,  ein  homiletisches  und  ein  kirchen- 
historisches. Das  erstere  in  2  Kursen  mit  je  einer  Stimde,  das  letztere  mit 
1 — 2  Stunden.  Für  das  Alte  und  das  Neue  Testament,  Dogmatik,  Patrologie 
und  Moraltheologie  sind  einstündige  praktische  Übungen  z.  T.  abwechselnd 
vorgesehen. 

5.  Das  theologische  Seminar  von  Münster  hat  7  Abteilungen:  für  Kirchenrecht, 
Pastoral theologie,  Kirchengeschichte,  Exegese  des  Alten  und  des  Neuen  Testa- 
ments, Moraltheologie  und  Dogmatik.  Die  Übungen  sind  einstündig.  Über  die 
Tätigkeit  der  einzelnen  Abteilungen  wird  in  der  Chronik  der  Universität  be- 
richtet.    Im  S.-S.  1903  wurde  auch  ein  soziales  Seminar  angekündigt. 

6.  Unter  den  Universitätsinstituten  von  Tübingen  figuriert  kein  katholisch-theo- 
logisches Seminar.  Teils  im  Winter-,  teils  im  Sommersemester  werden  aber 
exegetische,  kirchenhistorische,  apologetisch-dogmatische,  kirchenrechdiche, 
pädagogische  und  homiletische  Übungen  in  je  einer  Stunde  vorgenommen. 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  85 

7.  Würzburg  hat  3  Seminare:  ein  kirchenhistorisches,  ein  patristisches  und  ein 
homiletisches,  letzteres  mit  2  Kursen,  einem  Unter-  und  einem  Oberkurs.  Die 
Übungen  sind  wöchentlich  zweistündig.  Dazu  kommen  ein  exegetischer 
Übungskurs  für  das  Alte  und  Neue  Testament  (zweistündig)  und  ein  Apolo- 
geticum  practicum  (einstündig). 

8.  In  Straßburg  ist  das  katholisch-theologische  Seminar  im  Prinzip  als  einheit- 
liches Institut  errichtet  und  umfaßt  vorläufig  4  Abteilungen:  für  Apologetik, 
Dogmatik,  Neues  Testament  und  Kirchengeschichte. 

B.  Demselben  Zwecke  der  tieferen  Ausbildung  in  einzelnen 
Fächern  der  Theologie  dienen  auch  die  Preisfragen,  die  alljährlich 
von  den  einzelnen  Fakultäten  gestellt  werden  und  die  nur  selten 
keine  Bearbeitung  finden.  Bonn,  Breslau,  Freiburg,  München  und 
Wiirzburg  stellen  jedes  Jahr  nur  eine  Preisfrage,  Münster  jedoch 
zwei,  aus  der  wissenschaftlichen  und  aus  der  praktischen  Theologie, 
Tübingen  sogar  drei,  eine  wissenschaftliche,  eine  homiletische  und 
eine  katechetische.  Wo  nur  eine  Preisfrage  gestellt  wird,  wechseln 
die  Hauptfacher  der  Theologie  jedes  Jahr  ab;  dasselbe  gilt  für  die 
wissenschaftliche  Preisfrage  in  Münster  und  Tübingen.  Es  kommt 
auch  vor,  daß  eine  nicht  oder  nicht  genügend  gelöste  Preisfrage  für 
das  folgende  wiederholt  und  zugleich  eine  neue  hinzugefügt  wird. 

Der  Preis  selbst  ist  in  den  einzelnen  Fakultäten  verschieden. 
Er  besteht  entweder  in  einer  Geldsumme,  die  auch  zwischen  ver- 
schiedenen Bearbeitern  verteilt  werden  kann,  oder  in  der  Anerkennung 
der  preisgekrönten  Arbeit  als  Inauguraldissertation  und  dem  Rechte 
auf  unentgeltliche  Promotion  in  der  Theologie  (München,  Würzburg). 

7.  Prüfungen.  Promotionsordnung.  A.  Sämtliche  Fakul- 
täten nehmen  am  Schlüsse  eines  jeden  Semesters  oder  jedes 
Studienjahres  oder  auch  in  weiteren  Zeiträumen  ihren  Hörern  in  den 
Hauptfächern  der  Theologie,  soweit  sie  Gegenstand  der  Vorlesungen 
waren,  ein  Examen  ab,  jedoch  nicht  in  ihrer  Eigenschaft  als  Fakul- 
täten, sondern  im  Auftrag  der  betreflfenden  Diözesanbehörde.  Die 
näheren  Bestimmungen  dieser  allgemeinen  Prüfungen  sind  infolge- 
dessen sehr  mannigfaltig,  je  nach  den  Verhältnissen  einer  jeden 
Diözese.  So  sind  z.  B.  in  Breslau  bloß  2  Prüfungen  vorgeschrieben; 
die  erste  nach  dem  4.  Semester  erstreck-t  sich  auf  Philosophie,  Apo- 
logetik, Exegese  und  Kirchengeschichte,  die  zweite  am  Ende  des 
7.  Semesters  auf  Dogmatik,  Moral,  Kirchenrecht  und  Pastoral. 

Neben  den  Semestral-  oder  Annualprüfungen,  die  meistens 
nur  mündlich  sind,  gibt  es  ein  sog.  Examen  Philosophicum  am  Ende 
des  ersten  akademischen  Studienjahres,  von  dessen  Ausgang  die  Auf- 


86  Lehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

nähme  in  das  Priesterseminar  und  der  Genuß  der  materiellen  Vorteile 
desselben  verbunden  ist,  z.  B.  in  Würzburg.  In  den  Diözesen,  in 
welchen  das  Priesterseminar  nicht  in  der  Universitätsstadt  liegt  oder 
das  praktische  Priesterseminar  von  dem  theologischen  Konvikte 
getrennt  ist,  findet  am  Schlüsse  des  akademischen  Studiums  das 
sogenannte  Examen  pro  introitu,  zur  Aufnahme  in  das  praktische 
Priesterseminar  statt,  das  schriftlich  und  mündlich  ist  und  sich  auf 
sämtliche  obligatorischen  Fächer  der  Theologie  erstreckt.  Dieses 
Examen  wird  je  nach  den  lokalen  Bestimmungen  von  den  Fakultäts- 
professoren, gewöhnlich  aber  von  einer  gemischten,  d.  h.  aus 
Professoren  und  anderen  Geistlichen  bestehenden  bischöflichen 
Kommission  abgenommen.  Die  Beteiligung  der  Fakultätsprofessoren 
an  dieser  gemischten  Kommission  ist  manchmal  sehr  gering.  In  den 
Diözesen,  welche  weder  eine  theologische  Fakultät  noch  eine  mit 
dem  praktischen  Priesterseminar  verbundene  theologische  Lehranstalt 
besitzen,  ist  die  Kommission  für  das  Examen  pro  introitu  rein 
bischöflich.  Von  den  Kandidaten  wird  aber  die  Vorlage  von  Prüfungs- 
zeugnissen über  die  obligatorischen  Fächer  der  Theologie  verlangt, 
die  sie  bei  den  Fakultätsprofessoren  abgelegt  haben.  Aus  diesem 
Grunde  beteiligten  sich  auch  die  auswärtigen  Hörer  an  den  Semestral- 
prüfungen  an  den  Fakultäten,  legen  dieselben  aber  privatim  ab, 
während  die  Semestralprüfungen  der  einheimischen  Theologen  meistens 
in  Gegenwart  des  Bischofs  oder  seines  Stellvertreters  sowie  der  Vor- 
stände der  praktischen  Priesterseminare  stattfinden. 

B.  Die  von  den  theologischen  Fakultäten  als  solchen  abge- 
nommenen Prüfungen  beziehet!  sich  auf  die  Erlangung  der  akademischen 
Grade  des  Lizentiates  und  des  Doktorates  in  der  Theologie  und 
werden  durch  die  Promotionsordnung  näher  geregelt.  Da  eine 
jede  Fakultät  ihre  eigene  Promotionsordnung  aufzustellen  berechtigt 
ist  und  die  geltenden  Bestimmungen  zeitlich  weit  auseinander  liegen, 
so  ergeben  sich  auch  hier  manche  Abweichungen  im  einzelnen,  wenn 
auch  die  wesentlichen  Bestimmungen  überall  die  gleichen  sind.  Über- 
einstimmung und  Abweichungen  sind  aus  folgendem  ersichtlich. 

I.  Das  Lizentiat. 

1.  Für  die  Erwerbung  der  Grades  eines  Lizendaten  in  der  Theologie  enthalten 
nur  die  Promotionsordnungen  von  Bonn,  Breslau,  Münster  und  Tübingen,  sowie  die  noch 
im  Stadium  der  Beratung  befindliche  von  Strafiburg,  spezielle  Bestimmungen. 

2.  Nach  der  neuen  Promotionsordnong  von  Bonn  (29.  Dezember  1902)  unter- 
scheiden sich  die  beiden  Grade  in  den  Voraussetzungen  ihrer  Verleihung  nur  dadurch, 
dafi  bei  der  Promotion  zum  Doktor  der  Theologie  an  die    wiueiischaftlichen  Leistungen 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  87 

des  Kandidaten  höhere  Anforderungen  gestellt  werden  Insbesondere  wird  dabei  in 
der  mündlichen  Prüfung  genauer  auf  diejenigen  speziellen  Fächer  eingegangen, 
denen  sich  der  Bewerber  vorzugsweise  gewidmet  hat.  Die  Promotionsordnung  von 
Tübingen  (15.  Januar  1902)  verlangt  von  dem  Bewerber  um  das  Lizentiat  im 
Unterschiede  von  dem  Doktorexamen  eine  Dissertation  im  Gegensatze  zu  der  größeren 
wissenschaftlichen  Abhandlung  über  eine  wichtige  theologische  Frage,  die  für  das 
Doktorat  vorgeschrieben  ist  und  die  entweder  schon  gedruckt  sein  muß  oder  nach  der 
Promotion  gedruckt  werden  soll. 

3.  Die  Promotionsordnung  von  Breslau   (13.  September  1840)    fordert    von    dem 
Kandidaten : 

a)  Das  Zeugnis  der  Reife  eines  Gymnasiums,  drei  Jahre  Universitätsbesuch,  bezw. 
ein  Jahr,  wenn  er  an  einem  bischöflichen  Seminar  studiert  hat,  den  Empfang 
einer  der  höheren  Weihen  wenigstens  vor  der  Aushändigung  des  Diploms, 
einen  lateinisch  abgefaßten  Lebenslauf  mit  ausführlicher  Darlegung  seiner 
wissenschaftlichen  Bildung  und  seiner  theologischen  Spezialstudien. 

b)  Eine  lateinische  Abhandlung  über  einen  selbstgewählten  theologischen  Gegen- 
stand. 

c)  Eine  mündliche  Prüfung,  die  erweisen  soll,  daß  er  einen  genauen  und  gründ- 
lichen Überblick  über  das  ganze  Gebiet  der  dogmatischen,  exegetischen  und 
historischen  Theologie  (teils  in  lateinischer,  teils  in  deutscher  Sprache),  und  in 
wie  weit  er  auf  einem  oder  dem  anderen  dieser  Gebiete  eine  eindringendere, 
auf  die  nötigen  Grundlagen  gestützte,  selbständige  Kenntnis  besitzt.  Für  die 
bestandene  Prüfung  gibt  es  drei  Noten:  cum  laude,  magna  cum  laude,  summa 
cum  laude,  wovon  die  letzte  nur  einstimmig  erteilt  werden  kann.  Wird  sie 
nicht  bestanden,  so  kann  sich  der  Kandidat  nach  Verlauf  der  Zeit  wieder 
melden,  die  ihm  festgesetzt  wird. 

d)  Eine  öffentliche  Disputation,  die  nie  länger  als  2  Monate  nach  bestandener 
mündlicher  Prüfung  aufgeschoben  und  nie  erlassen  werden  darf,  über  lateinisch 
geschriebene  und  vom  Dekan  genehmigte  Thesen. 

e)  Nach  beendigter  Disputation  und  nach  Ablegung  des  Glaubensbekenntnisses 
erfolgt  die  Promotion  durch  den  Dekan  und  die  Überreichung  des  Diploms. 

4.  Davon  unterscheidet  sich  die  Promotionsordnung  von  Münster  (12.  November 
1832)  dadurch,  daß  sie 

a)  von  dem  Kandidaten  kein  Gymnasialabsolutorium  noch  den  Empfang  einer 
Weihe  fordert,  wohl  aber  entweder  vorzügliche  Zeugnisse  oder  Proben  seines 
Fleißes  und  seiner  Kenntnisse,  außerdem  ein  von  seinen  bisherigen  Vorgesetzten 
ausgestelltes  testimonium  monmi, 

b)  ein  mündliches  Tentamen  durch  den  Dekan  als  Bedingung  für  die  Eröffnung 
des  Promotionsverfahrens  vorsieht, 

c)  bestimmt,  daß  das  Thema  der  schriftlichen  Abhandlung  immer  von  der  Fakultät 
gegeben  oder  gebilligt  werde, 

d)  den  Inhalt  der  mündlichen  Prüfung  nicht  näher  angibt, 

e)  endlich  einen  feierlichen  Promotionsakt  aasschließt. 

5.  Die  Gebühren  betragen  in  Bonn  300,  in  Breslau  und  Münster  150,  in 
Tübingen  230  M. 

II.    Das  Doktorat. 

Dieser  Grad  wird  von  allen  Fakultäten  erteilt.  Die  Promotionsordnung  von 
Freibuig  stammt  aus  dem  Jahre  1902,  die  von  Würzburg  ist  vom  26.  Juli  1899  datiert. 
Diejenige  Ton  Mönchen  trägt  kein  Datum. 


ß8  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

1.  Vorbedingungen. 

a)  Das  Reifezeugnis  eines  deutschen  humanistischen  Gymnasiums  wird  verlangt 
von  Bonn,  Breslau,  Freiburg,  Tübingen  und  Würzburg.  Mit  Genehmigung  des 
Ministers  läßt  Bonn  auch  das  Reifezeugnis  einer  anderen  deutschen  oder  einer  außer- 
deutschen höheren  Lehranstalt  zu,  Würzburg  nur  dasjenige  einer  dem  deutschen 
humanistischen  Gymnasium  gleichstehenden  ausländischen  Lehranstalt,  ohne  der 
Genehmigung  des  Ministers  zu  bedürfen. 

b)  Ein  mehrjähriges  Studium  der  Theologie  und  zwar  in  Bonn  5  Jahre, 
wovon  3  auf  einer  deutschen  Universität,  bezw.  1  Jahr,  wenn  der  Kandidat 
seine  Ausbildung  auf  einer  anderen  anerkannten  deutschen  theologischen 
Lehranstalt  erhalten  hat  (mit  Genehmigung  des  Ministers  kann  das  Studium 
auf  einer  außerdeutschen  Universität  oder  anderen  theologischen  Lehranstalt 
für  ausreichend  erachtet  werden);  in  Breslau  3  Jahre  auf  einer  Universität 
bezw.  1  Jahr,  wenn  das  Studium  an  einem  bischöflichen  Seminar  vorausgeht, 
in  Freiburg  3  Jahre  auf  einer  Universität  oder  einer  öffentlichen,  staatlich 
und  kirchlich  anerkannten  Lehranstalt  unter  Vorlage  sämtlicher  theologischen 
Studienzeugnisse,  welche  die  Absolvierung  dieses  Trienniums  mit  vorzüglichem 
Fleiße  und  Erfolg  bekunden ;  in  München  4  Jahre  Universitätsstudium  oder  an 
einer  approbierten  öffentlichen  Lehranstalt  mit  urkundlich  erwiesenem  vorzüglichen 
Fleiß  und  Erfolg;  in  Münster  3  Jahre  auf  einer  Universität;  in  Würz  bürg 
ein  4  jähriges  akademisches  Studium,  wovon  3  Jahre  Theologie,  speziell 
für  die  Inländer  4  Jahre  an  einer  Universität  oder  einem  Lyzeum  mit  dem  Nach- 
weis des  Besuches  von  wenigstens  8  ordentlichen  philosophischen  Vorlesungen. 

c)  Der  Empfang  einer  höheren  Weihe,  näherhin  des  Subdiakonats,  wird  in 
München  und  Würzburg  vor  dem  Examen,  in  Bonn  bei  besonderen  Gründen 
wenigstens  vor  der  Disputation  und  Promotion,  in  Breslau  (für  fremde  Diözesanen) 
imd  in  Freiburg  wenigstens  vor  der  Aushändigung  des  Diploms  verlangt. 

d)  Ein  Sittenzeugnis  von  dem  Diözesanbischof  bezw.  von  dem  bischöflichen 
Ordinariat  in  Breslau,  Freiburg,  München,  Tübingen  und  Würzburg,  in  Münster 
von  den  bisherigen  Vorgesetzten  des  Kandidaten. 

e)  Ein  lateinisch  geschriebenes  curriculum  vitae  mit  der  mehr  oder  weniger 
ausführlichen  Darstellung  des  Bildungsganges  an  allen  Fakultäten  vor  dem 
Promotionsverfahren,  in  München  jedoch  erst  vor  der  Eröffnung  der  öffent- 
lichen Disputation. 

0  Münster  verlangt  außerdem  den  Nachweis  der  vorherigen  En^-erbung  des 
Grades  eines  Lizeutiaten  der  katholischen  Theologie  oder  eines  Doktors  der 
Philosophie  auf  einer  inländischen  Universität. 

2.  Inauguraldissertation.  Als  erste  Leistung  des  Kandidaten  ist  an  allen 
Fakultäten  die  Vorlage  einer  lateinisch  (Breslau,  Münster)  bezw.  lateinisch  oder  deutsch 
abgefaßten  Abhandlung  über  einen  selbstgewählten  Gegenstand  aus  dem  Gesamtgebiete 
der  Theologie  vorgeschrieben,  mit  der  V^ersicherung  an  Eidesstatt,  daß  er  sie  selb- 
ständig verfaßt  habe  (Bonn,  Breslau,  Münster,  Freiburg  [wenn  es  verlangt  wird]).  Diese 
Dissertation  muß  in  Bonn  mindestens  5,  in  Würzburg  4,  in  München  3  Druckbogen  füllen, 
eine  wichtige  Frage  besprechen  (Tübingen),  ihr  Thema  quellenmäßig,  mit  hinlänglicher 
Literaturkenntnis,  wissenschaftlich  behandeln  (hreiburg).  In  Freiburg  und  Tübingen  kann 
sie  schon  vor  der  Vorlage  gedruckt  sein;  an  den  anderen  Fakultäten  kann  sie  erst  nach 
der  Approbation  durch  die  Fakultät  in  Druck  gegeben  werden,  muß  aber  gedruckt  sein 
vor  der  öffentlichen  Disputation  (Bonn:  wenigstens  3  Bogen  derselben,  Breslau,  Münster) 
oder  vor  der  Aushändigung  des  Diploms  (Freiburg:  wenigstens  2  Bogen  derselben» 
München,  Würzburg)  bezw.  nach  der  Promotion  (Tübingen).  Für  Würzburg  tritt  noch 
die    Bestimmung    hinzu,    daß   die    Drucklegung   binnen   zwei   Jahren    nach  bestandenem 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  89 

Rigorosum  erfolgen  muß,  widrigenfalls  die  aus  der    vorgelegten  Arbeit  und  aas  dem  be- 
standenen Examen  erworbenen  Rechte  auf  Erwerbung  des  Doktorgrades  verfallen. 

Von  der  gedruckten  Dissertation  sind  in  Bonn  240,  in  Freiburg  10  gebundene,  in 
München  30»  wenn  sie  10  Bogen  und  mehr,  70,  wenn  sie  weniger  als  10  Bogen  umfaßt, 
in  Würzburg  150  Exemplare  (bei  bedeutenderem  Umfang  eine  geringere  Anzahl)  an  die 
Fakultät  oder  an  das  Universitätssekretariat  abzuliefern. 

3.  Schriftliche  Prüfung.  Außer  der  vorgelegten  Inauguraldissertation  ver- 
langen Bonn,  Breslau,  München  und  Würzburg  eine  schriftliche  Prüfung,  die  der  münd- 
lichen vorausgeht.  In  Bonn  findet  sie  nach  jedesmaliger  näherer  Bestimmung  der 
Fakultät  statt.  In  Breslau  legt  jeder  ordenüiche  Professor  einige  Fragen  aus  seinen 
I^hriachem  dem  Kandidaten  durch  den  Dekan  zur  schriftlichen  Beantwortung  vor,  welche 
derselbe  im  Hause  des  Dekans  unter  dessen  Aufsicht  zu  bearbeiten  hat,  worauf  die 
schrifdichen  Arbeiten  bei  der  Fakultät  in  Umlauf  gesetzt  werden.  In  München  besteht 
die  schriftliche  Prüfung  in  der  Bearbeitung  der  von  den  einzelnen  Professoren  be- 
stimmten Themata,  wobei  nur  die  heilige  Schrift,  das  Tridentinuni  und  das  Corpas 
juris  canonici  zur  Verwendung  kommen  dürfen.  Würz  bürg  bestimmt  als  CJegenstand 
derselben  je  eine  Frage  aus  der  Apologetik  oder  Dogmatik,  Moral,  Exegese  des  Alten 
oder  des  Neuen  Testaments,  Kirchengeschichte  und  Kirchenrecht.  Hier  und  in  München 
müssen  die  schriftlichen  Arbeiten  in  zwei  Tagen  fertiggestellt  sein. 

4.  Mündliche  Prüfung.  Diese  bildet  überall  die  zweite  Hauptleistung  des 
Kandidaten.  Sie  erstreckt  sich  überall  auf  folgende  Fächer  der  Theologie,  alt-  und 
neutestamentliche  Einleitung  und  Exegese,  Kirchengeschichte,  Dogmatik,  Moral  und 
Kirchenrecht.  Als  weitere  Fächer  treten  hinzu:  Hebräisch,  Apologetik,  Pastoral theologie 
(Homiletik,  Katechetik,  Liturgik)  in  Bonn,  Freiburg  (nebst  Chaldäisch),  München  (nebst 
den  biblischen  Hilfsdisziplinen),  Würzburg  (nebst  der  Grammatik  des  Chaldäischen,  Syrischen, 
Arabischen).  Die  Promotionsordnung  von  Münster  führt  keine  Fächer  namentlich  auf; 
nach  der  von  Breslau  schließt  sich  die  mündliche  Prüfung  zunächst  an  die  schrifdichen 
Arbeiten  des  Kandidaten  an,  geht  dann  auf  andere  Fächer  und  Materien  über  und  behandelt 
in  genauerer  Weise  die  Fächer,  denen  sich  der  Kandidat  vorzugsweise  gewidmet  hat. 
Letztere  Bestimmung  wurde  mit  Recht  in  der  neuen  Promotionsordnung  von  Bonn  zur 
Geltung  gebracht. 

Die  Dauer  des  mündlichen  Examens  beträgt  mindestens  4 — 6  Stunden.  In  Münster 
geschieht  sie  in  lateinischer  Sprache;  in  Bonn  und  Breslau  entscheidet  die  Fakultät, 
welche  Sprache  in  Verwendung  kommt.  Die  übrigen  Fakultäten  haben  darüber  keine 
näheren  Bestinmiungen,  wenden  aber  regelmäßig  nur  die  deutsche  Sprache  an. 

Abweichend  von  den  übrigen  Fakultäten  gestatten  Freiburg  und  München  eine 
Teilung  des  mündlichen  Examens.  In  Freiburg  kann  es  innerhalb  eines  Jahres  in  2  bis 
4  Abteilungen  abgelegt  werden  in  folgender  Reihenfolge:  a)  biblische  Disziplinen; 
b)  Kirchengeschichte  imd  Geschichte  der  christlichen  Literatur;  c)  Dogmatik  und  .\po- 
logetik,  Moral;  d)  Kirchenrecht,  Homiletik,  Katechetik  und  Liturgik.  In  München  sind 
zwei  Stationen  zulässig:  a)  Kirchengeschichte,  alt-  und  neutestamentliche  Einleitung  und 
Exegese,  Apologetik;  b)  Kirchenrecht,  Moral,  Dogmatik  und  Pastoral. 

Nach  vollständig  abgelegtem  und  bestandenem  Examen  entscheidet  die  Fakultät 
mit  Stimmenmehrheit  über  die  Gesamtnote.  Bonn  hat  4  Gesamtnoten:  1.  rite,  2.  cum 
laude,  3.  magna  cum  laude,  4.  summa  cum  laude;  Freiburg  ebenfalls  4:  cum  laude,  nmlta 
c.  1.,  insigni  c.  1.,  summa  c.  1.;  München  nur  3:  insignis,  prorsus  insignis,  eminens;  Würz- 
burg ebenüalls  nur  3:  cum  laude,  magna  c.  l.,  summa  c.  1.  Die  Promotionsordnungen 
▼on  Breslau,  Münster  und  Tübingen  geben  keine  Gesamtnoten  an.  Freiburg  und  München 
ertdlen  sie  erst  nach  der  Promotion  mit  Rücksicht  auf  die  gesamte  wissenschaftliche 
Leistung  des  Promovierten. 

Wird  die  Prüfung  nicht  bestanden,  so  lassen  Bonn,  Breslau,  Freiburg  und  Würz- 


90  Lehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

burg  eine  einmalige  Wiederholung  derselben  zu,  frühestens  nach  6  Monaten  (Bonn, 
Freiburg),  oder  innerhalb  Jahresfrist  (Würzburg)  oder  nach  Verlauf  der  Zeit,  welche  dem 
Kandidaten  festgesetzt  wird  (Breslau).  Nach  der  Promotionsordnung  von  Würzburg  ist 
das  Examen  nicht  bestanden  bei  völliger  Unbekanntschaft  mit  einem  der  theologischen 
Hauptfacher  oder  bei  ungenügenden  Kenntnissen  in  einem  derselben  d.  i.  in  Apologetik, 
Dogmatik,  Moral theologie,  Exegese  des  Alten  und  des  Neuen  Testaments,  Kirchen- 
geschichte, Kirchenrecht,  oder  auch  in  der  hebräischen  Sprache.  Sie  verlangt  auch,  daß 
das  mündliche  Examen  binnen  drei  Jahren  nach  der  Approbation  der  Dissertation  abgelegt 
werde,  widrigenfalls  die  ausgesprochene  Zulassung  zu  demselben  hinfallig  wird. 

Zu  bemerken  ist  noch,  daß  in  Breslau  die  mündliche  Prüfung  bei  Kandidaten,  die 
bereits  im  vollen  Mannesalter  sind  oder  in  einem  fixierten  Amte  stehen,  in  ein  Colloquium 
verwandelt  werden  darf,  während  in  Freiburg  ausnahmsweise  bei  solchen  Bewerbern, 
welche  im  vorgerückten  Lebensalter  stehen,  ein  höheres  Kirchen-  oder  Lehramt  bekleiden 
und  ihre  wissenschaftliche  Bildung  durch  gediegene,  im  Druck  erschienene  theologische 
Schriften  hinlänglich  erwiesen  haben,  Dispens  von   den  Examina  rigorosa  eintreten  kann. 

5.  öffentliche  Disputation.  Mit  Ausnahme  von  Freiburg  und  Tübingen 
fordern  die  Promotionsordnungen  von  dem  Kandidaten  als  dritte  Hauptleistung  eine 
öffentliche  Disputation. 

In  Bonn  hat  sie  mindestens  zwölf  dem  Gesamtgebiete  der  Theologie  entnommene 
und  nach  Gutheißimg  der  Fakultät  gedruckte  Thesen  zum  Gegenstand;  ob  sie  lateinisch 
oder  deutsch  stattfindet,  bestimmt  die  Fakultät.  In  Breslau  wird  sie  in  lateinischer 
Sprache  geführt;  die  Zahl  der  lateinisch  geschriebenen  und  vom  Dekan  genehmigten 
Thesen  ist  aber  hier  nicht  bestimmt.  In  München  hat  der  Kandidat  aus  sämtlichen 
Hauptfächern  der  Theologie  mit  Einschluß  ihrer  Hilfswissenschaften  Thesen  auszuwählen 
und  zwar  in  jedem  Fache  wenigstens  5,  im  ganzen  nicht  unter  70;  sie  sind  in  lateinischer 
Sprache  abzufassen  und  nach  erlangter  Gutheißung  dem  Drucke  zu  übergeben.  In 
Münster  sind  im  Unterschiede  von  dem  Lizentiatenexamen  keine  Thesen  vorgesehen; 
vielmehr  hat  der  Kandidat  seine  Dissertation  in  lateinischer  Sprache  zu  verteidigen. 
Würz  burg  fordert,  wenn  nicht  die  Fakultät  aus  triftigen  Gründen  von  dem  öffentlichen 
Disputationsakt  überhaupt  dispensiert,  mindestens  24  Thesen,  die  vorher  sämtlichen 
ordenüichen  Professoren  zur  Approbation  vorzulegen  sind,  und  außerdem  den  Vortrag 
eines  von  dem  Kandidaten  gewählten  theologischen  Themas  (der  sog.  quaestio  promovendi). 
In  München  erfolgt  der  Vortrag  dieser  lateinisch  abzufassenden  und  vorher  dem  Dekan 
vorzulegenden  quaestio  inauguralis  nach  der  Promotion. 

6.  Promotionsakt.  Den  Schluß  des  ganzen  Verfahrens  bildet  ein  feierlicher 
Promotionsakt,  der  sich  unmittelbar  an  die  öffentliche  Disputation  anschließt,  dort  wo 
diese  stattfindet.  Der  Grad  der  Feierlichkeit  dieses  Aktes  ist  verschieden.  Die 
Promotionsordnung  von  Tübingen  verliert  darüber  kein  Wort.  In  Freiburg  tritt  die 
Promotion  in  Kraft  durch  die  Überreichung  des  Diploms.  München  und  Würzburg 
besitzen  einen  feierlichen  Promotionsakt,  der  aber  in  ihren  Promotionsordnungen  nicht 
näher  angegeben  ist.  Diejenige  von  Münster  spricht  von  einer  feierhchen  Doklor- 
promolion  durch  den  Dekan  oder  einen  zu  dieser  Handlung  ernannten  Prodekan,  nach- 
dem dem  Kandidaten  der  vorgeschriebene  Doktoreid  durch  den  Sekretär  der  Universität 
vorgelesen  und  von  ihm  mit  den  herkömmlichen  Förmlichkeiten  und  symbolischen  Hand- 
lungen abgeleistet  worden.  In  Bonn  erfolgt  die  Promotion,  nachdem  der  Vorsitzende 
zuvörderst  dem  Kandidaten  in  feierlicher  Weise  das  katholische  Glaubensbekenntnis  ab- 
genommen hat.  Er  ernennt  und  proklamiert  den  Kandidaten  zu  der  Würde  eines  Doctor 
ss.  Theologiae  (bezw.  Licentiatus  ss.  theol.).  Zugleich  überreicht  der  Promotor  ihm  das 
von  dem  Dekan  unterschriebene,  mit  dem  Fakultätssiegel  versehene  Diplom,  welches  durch 
Anschlag  am  schwarzen  Brett  bekannt  gemacht  wird.  Eine  Danksagung  des  Promovierten 
macht  den  Beschluß  der  Feierlichkeit 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  91 

Am  feierlichsten  vollzieht  sich  die  Promotion  in  Breslau,  nachdem  der  Dekan 
oder  dessen  Stellvertreter  nach  einer  angemessenen  Einleitung  dem  Kandidaten  das 
GUuibensbekenntnis  abgenommen  hat.  Das  geschieht  vor  einem  zur  Seite  des  Katheders 
anf  einem  mit  weißem  Tuch  belegten  Tische  zwischen  zwei  brennenden  Wachskerzen 
aufjgestellten  Kruzifix.  Der  Promovendus  kniet  und  der  Dekan  stellt  sich  neben  ihn. 
Nach  Ablegung  des  Glauben.sbekenntnisses  besteigt  der  Dekan  den  oberen  Katheder  und 
ernennt  und  proklamiert  den  Kandidaten  feierlich  zu  der  Würde  eines  Doctor  ss.  theologiae 
mit  der  Übergabe  der  Symbole:  der  hl.  Schrift,  des  Doktorhutes  und  Doktorringes. 
Während  dies  geschieht,  stellen  sich  die  Pedelle  mit  den  Universitätsszeptern  zu  beiden 
Seiten  des  Katheders.  Hierauf  Überreichung  des  Diploms  und  Danksagung  des  Promo- 
vierten wie  in  Bonn. 

7.  Promotionsgebühren.  Bezüglich  der  Taxen  genüge  die  Bemerkung,  daß 
sie  in  Bonn,  Breslau,  München  und  Würzburg  300,  in  Freiburg  310,  in  Tübingen  320, 
in  Münster  70  Taler  in  Gold  betragen. 

8.  Promotion  honoris  causa.  Sämtliche  Fakultäten  besitzen  und  üben  das 
Recht,  Männern  von  ausgezeichneten  Verdiensten  um  die  theologische  Wissenschaft  oder 
um  die  Kirche  den  Doktorgrad  honoris  causa  zu  erteilen.  Der  motivierte  Antrag  dazu 
muß  von  einem  ordentlichen  Professor  der  Fakultät  (Bonn,  Breslau)  bezw.  von  zwei 
ordentlichen  Professoren  (Münster)  gestellt  und  mit  Einstimmigkeit  angenommen  werden. 
Die  übrigen  Promotionsordnungen  enthalten  darüber  keine  näheren  Angaben.  Diejenige 
von  Breslau  sagt  ausdrücklich,  daß  der  Doktoi^rad  honoris  causa  auch  einem  Laien  er- 
teilt werden  kann;  jedoch  muß  in  diesem  Fall  in  dem  Diplom  bemerkt  werden,  daß  die 
erteilte  Würde  kein  Recht  auf  Doktion  der  Theologie  begründe. 

8.  Habilitationsordnung.  Die  Ausübung  des  bedeutsamsten 
Rechtes  der  theologischen  Fakultäten,  Privatdozenten  in  ihren  Lehr- 
körper aufzunehmen,  ist  ebenfalls  durch  eine  Reihe  von  Bestimmungen 
geregelt,  welche  die  Habilitationsordnung  ausmachen.  Die  Daten 
derselben  sind:  für  Bonn:  18.  Oktober  1834,  für  Breslau:  13.  September 
1840,  für  Münster:  12.  November  1832,  für  Tübingen:  28.  Februar 
1883,  für  Würzburg:  25.  Juli  1842. 

1.  Vorbedingungen.  Außer  jenen  Vorbedingungen,  welche  die  Fakultäten  von 
den  Bewerbern  um  die  theologische  I.izentiaten-  bezw.  Doktorwürde  verlangen,  hat  der 
Kandidat,  um  die  Zulassung  zur  Habilitation  zu  erwirken,  folgendes  zu  leisten: 

a)  Den  Nachweis  des  rite  erworbenen  Lizentiaten-  resp.  Doktorgrades  auf 
einer  deutschen  Universität,  an  einigen  Fakultäten  unter  Vorlage  des  Diploms 
(Bonn,  Freiburg)  und  der  gedruckten  Inauguraldissertation  (München,  Münster) 
oder  seiner  bisherigen  Schriften  überhaupt  (Freiburg).  Für  die  Licentia  docendi 
in  dem  kanonischen  Recht  begnügt  sich  Freiburg  mit  dem  Doktorgrad  des 
kanonischen  Rechtes,  verpflichtet  aber  einen  solchen  Dozenten  dazu,  innerhalb 
der  nächsten  4  Semester  sich  den  theologischen  Doktorgrad  zu  erwerben. 
Bonn  und  Breslau  sehen  ftir  die  Kandidaten,  die  an  einer  ausländischen  resp. 
nichtpreußischen  Universität  promoviert  haben,  die  Nostrifikation  ihres  Grades 
vor  mittels  eines  Colloquiums  resp.  bei  den  Lizentiaten  eines  Examens  (Bonn), 
wenn  sie  sich  aus  den  vorgelegten  wissenschaftlichen  Arbeiten  von  ihrer  ge- 
lehrten Tüchtigkeit  nicht  hinlänglich  überzeugt.  München  verlangt  von  seinen 
eigenen  Doktoren  die  erste  oder  zweite  Note,  von  den  auswärtigen  die  erste 
und  außerdem  ein  auf  sein  Hauptfach  gerichtetes  Colloquium. 

b)  Den  Nachweis,  daß  seit  der  Vollendung  des  akademischen  Trienniums  wenigstens 
zwei  Jahre   weiteren    theologischen   Studien   gewidmet   wurden    (Bonn, 


92  Lehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Breslau,  Freiburg,  Münster).  In  München  muß  der  Kandidat  außerdem  ein 
halbes  Jahr  in  der  praktischen  Seeborge  gewirkt  haben,  so  zwar,  daß  wenigstens 
sechs  Jahre  auf  die  Erfüllung  aller  dieser  Vorbereitungen  verwendet  worden 
sind. 

c)  Die  Vorlage  der  Genehmigung  seines  Bischofs  (Breslau)  und  des  Kuratoriums 
(Bonn  und  Breslau). 

d)  Den  Nachweis  über  seine  gegenwärtige  Lebensstellung  bezw.  seine  kirchliche 
Amtstätigkeit  (Freiburg). 

2.  Habilitationsschrift.  Sämtliche  Fakultäten  verlangen  als  erste  Haupt- 
leistung des  Kandidaten  die  Vorlage  einer  gehaltvollen  Abhandlung  in  lateinischer  oder 
deutscher  Sprache  aus  dem  Gebiete,  fiir  welches  er  sich  habilitieren  will,  und  die  mit  der 
Inauguraldissertation  nicht  identisch  sein  darf.  In  Bonn,  Breslau,  Münster,  Tübingen 
kann  sie  schon  gedruckt  sein;  in  München  und  Würzburg  muß  sie  vor  dem  Drucke  von 
der  Fakultät  approbiert  sein.  Bonn  und  Münster  können  davon  dispensieren,  wenn  bereits 
andere  bedeutende  wissenschaftliche  I^istungen  vorliegen.  Tübingen  kann  eine  früher 
verfaßte  und  gednickte  Schrift  oder  eine  größere  in  einer  Zeitschrift  erschienene  Ab- 
handlung als  Habilitationsschrift  gelten  lassen,  wenn  sie  die  innere  Qualifikation 
dazu  besitzt. 

3.  Colloquium.  In  Freiburg,  Münster  imd  Tübingen  findet  das  CoUoquium  vor 
der  Probevorlesung,  in  Bonn,  Breslau  nach  derselben  statt;  in  Tübingen  kann  es  auch 
nach  derselben  wieder  aufgenommen  werden.  In  Frei  bürg  dauert  es  in  der  Regel 
1  — 2  Stunden  und  erstreckt  sich  zunächst  und  vor  allem  auf  das  vom  Petenten  vertretene 
Fach;  jedoch  kann  jeder  der  anwesenden  Ordinarien  Fragen  aus  seiner  Fachwissenschaft 
stellen.  Es  kann,  besonders  bei  den  Kandidaten,  die  in  Freiburg  selbst  promoviert  haben, 
davon  dispensiert  werden.  In  Breslau  bezieht  sich  das  Colloquium  auf  den  Inhalt  der 
Probevorlesung  und  obliegt  zuerst  und  hauptsächlich  dem  entsprechenden  Fachprofessor; 
es  können  aber  auch  die  übrigen  Fakultätsmitglieder  daran  teilnehmen.  In  Bonn  kann 
dem  Kandidaten,  der  innerhalb  dreier  Monate  bei  der  Fakultät  selbst  eine  akademische 
Würde  erlangt  hat,  das  Colloquium  erlassen  werden,  falls  in  der  Promotionsprüfung  be- 
reits der  vollständige  Beweis  für  die  wissenschaftliche  Befähigung  des  Kandidaten  zum 
akademischen  Lehramte  geliefert  wiurde. 

4.  Öffentliche  Disputation.  In  München  und  Würzburg  tritt  an  die 
Stelle  des  Colloquiums  eine  öffenthche  Disputation,  in  welcher  der  Kandidat  seine 
Habilitationsschrift  zu  verteidigen  hat.  Breslau  verlangt  nebst  Probevorlesung  und 
Colloquium  eine  öffentliche  Disputation  in  lateinischer  Sprache  über  eine  von  dem 
Kandidaten  geschriebene  und  mit  Genehmigung  der  Fakultät  zum  Druck  beförderte 
lateinische  Abhandlung;  davon  können  aber  diejenigen,  die  innerhalb  der  drei  letzten 
Jahre  in  Breslau  selbst  promoviert  wurden,  dispensiert  werden. 

5.  Probevorlesung.  An  sämtlichen  Fakultäten  bildet  sie  die  zweite  Haupt- 
leistung, von  der  niemals  dispensiert  wird.  Sie  findet  teils  vor  versammelter  Fakultät, 
teils  öfientlich  statt  und  ist  stets  dem  Fache  entnommen,  für  das  die  Habilitation  erstrebt 
wird.  Die  Bestimmung  des  'ITiemas  derselben  ist  verschieden.  In  Bonn  wird  es  dem 
Kandidaten  von  der  Fakultät  aufgegeben.  In  Breslau  wählt  die  Fakultät  ein  Thema  aus 
von  dreien,  die  der  Bewerber  in  Vorschlag  gebracht  hat.  Bezieht  sich  die  Habilitation 
auf  mehrere  theologische  Zweige,  so  kann  die  Fakultät  mehr  als  eine  Probevorlesung  ab- 
halten lassen.  In  München  legt  umgekehrt  die  Fakultät  dem  Kandidaten  drei  Themata 
vor;  davon  hat  er  eines  auszuwählen  und  innerhalb  3  Tagen  einen  öffentlichen  Vortrag 
von  wenigstens  einer  halben  Stunde  darüber  zu  halten.  In  Münster  kann  das  Thema 
der  Probevorlesung,  die  öffentlich  ist,  entweder  von  der  Fakultät  gegeben  oder  mit  ihrer 
Zustimmung  von  dem  Kandidaten  gewählt  werden.    In  Tübingen  hinwiederum  legt  der 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  93 

Kandidat  der  Fakultät  einige  Themata  vor.  Die  Wahl  der  Fakultät  muß  ihm  8  Tage  vor 
der  Vorlesung,  die  auch  hier  öfientlich  ist,  angezeigt  werden.  Diese  soll  das  Thema  in 
der  Weise  eines  für  die  Studierenden  des  betreffenden  Faches  verständlichen  und  geeigneten 
Lehrvortrages  behandeln,  der  nicht  abgelesen  werden  darf,  sondern  vielmehr  in  einer  im 
wesenthchen  frei  gehaltenen  Rede  bestehen  muß.  In  Würzburg  bestimmt  die  Fakultät 
ein  Thema,  über  das  der  Kandidat  innerhalb  drei  Tagen  nach  dessen  Empfang  einen 
öffentlichen  Vortrag  in  deutscher  Sprache  von  wenigstens  einer  halben  Stunde  halten  muß. 
Bonn  verlangt  außerdem,  daß  der  zugelassene  Privatdozent  binnen  3  Monaten  eine  öffentliche 
Antrittsvorlesung  über  ein  selbst  gewähltes,  aber  von  der  Fakultät  genehmigtes  Thema  in 
deutscher  Sprache  halte.  Freiburg  hat  keine  näheren  Bestimmungen  über  die  Probe- 
vorlesung, die  hier  vor  versammelter  Fakultät  stattfindet. 

6.  Rechte  und  Pflichten  der  Privatdozenten.  Spezielle  Bestimmungen 
darüber  haben  nur  die  HabiHtationsordnungen  von  Bonn,  Breslau  und  Frei  bürg.  Die 
letztere  bestimmt,  daß  die  Zulassung  bloß  ein  Recht  zu  Vorlesungen  über  diejenigen 
Disziplinen  gewährt,  für  welche  die  Venia  legendi  erteilt  wurde,  und  daß  die  Privat- 
dozenten zu  diesem  Zwecke  die  Ankündigung  ihrer  Vorlesungen,  Repetitorien  usw.  dem 
Dekan  anzureichen  haben.  Sie  gibt  dem  Ordinarius  bezw.  der  Fakultät  das  Recht  des 
Einspruches  gegen  die  Abhaltung  eines  vom  Studienplan  vorgeschriebenen  Pfiichtkollegs 
durch  einen  Privatdozenlen ,  diesem  selbst  aber  das  Recht,  die  Entscheidung  des 
Ministeriums  anzurufen.  Für  die  übrigen  Rechte  und  Pflichten  der  Privatdozenten  ver- 
weist sie  auf  die  allgemeinen  Verordnungen. 

Die  Bonner  Habilitationsordnung  sieht  zunächst  eine  stufenweise  Zulassung  der 
Privatdozenten  zu  den  verschiedenen  Fächern  der  Theologie  vor,  wenn  sie  bloß  Lizenliaten 
sind  (zuerst  exegetische  oder  historische,  erst  nach  drei  Jahren  dogmatische  und  praktische 
Theologie),  die  ak  antiquiert  betrachtet  werden  darf.  Daß  die  Zahl  der  Privatdozenten 
nicht  mehr  als  6  betragen  darf,  Dispens  des  Ministeriums  vorbehalten,  ist  eine  Bestimmung, 
die  leider  ziemlich  gegenstandslos  ist.  Im  übrigen  stimmen  die  Habilitationsordnungen 
von  Bonn  und  Breslau,  abgesehen  von  näher  geregelten  Einzelheiten,  wesentlich  mit 
den  zwei  ersten  Bestimmungen  von  Freiburg  überein.  Sie  erwähnen  aber  überdies  ein 
näheres  Beau6>ichtigungsrecht  sowohl  über  die  akademischen  I^istungen,  als  über  den 
Lebenswandel  ihrer  Privatdozenten  sowie  das  Recht,  sie  zu  Stipendien  und  Remunerationen 
beim  Ministerium  in  Vorschlag  zu  bringen,  andererseits  bei  Verstößen  Ordnungsmittel 
anzuwenden  und  die  Venia  legendi  überhaupt  zurückzunehmen.  Die  Breslauer  Ordnung 
betont  ausdrücklich ,  daß  Ansprüche  auf  eine  Professur  für  die  Privatdozenten  durch  ihre 
akademische  Wirksamkeit  keineswegs  begründet  werden.  Erfreidicher  ist  die  der  Bonner 
Fakultät  zustehende  Befugnis,  einen  Privatdozenten,  der  sich  mindestens  drei  Jahre  hindurch 
besonders  bewährt  hat,  dem  Ministerium  zu  einer  außerordentlichen  Professur  in  Vorschlag 
zu  bringen. 

7.  Habilitationsgebühren.  Die  Habilitation  ist  in  Bonn,  Breslau,  Freiburg 
für  die  Kandidaten,  die  an  denselben  Fakultäten  promoviert  wurden,  unentgeltlich;  in 
Münster  belaufen  sie  sich  auf  25  Thaler  in  Gold,  ebenso  in  Bonn  imd  Breslau  für  aus- 
wärtige Kandidaten,  in  Freiburg  für  Auswärtige  auf  100  M.,  in  München  für  alle  Kan- 
didaten auf  150  M. 

8.  Die  Erteilung  der  Venia  legendi  geschieht  in  Bonn,  Breslau  und 
Münster  durch  die  Fakultät  selbst  bezw.  durch  Majoritätsbeschluß  derselben.  In  Bonn 
ist  der  Beschluß  durch  den  Kurator  dem  Minister  anzuzeigen.  Die  Frei  burger  Fakultät 
gewährt  das  Gesuch  und  legt  es  durch  den  Senat  dem  Ministerium  zur  Erteilung  der 
Genehmigung  vor.  In  Tübingen  berichtet  die  Fakultät  an  den  Senat  und  dieser  be- 
antragt die  Erteilung  der  Venia  legendi  durch  das  Ministerium.  In  München  und 
Warzburg  ist  die  Aufnahme  als  Privatdozent  auch  nach  Erfüllung  aller  Vorbedingimgen, 
die  von  den  genannten  Fakultäten  begutachtet  wird,  dem  König  vorbehalten. 


94  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

IL  Die  Lyzeen. 

Gewissermaßen  eine  Mittelstellung  zwischen  den  theologischen 
Universitätsfakultäten  und  den  theologischen  Lehranstalten  an  den 
Priesterseminaren  bilden  die  Lyzeen.  Ihr  Verhältnis  zu  den  ersteren 
wurde  schon  oben  angedeutet;  den  letzteren  voraus  besitzen  sie  den 
Vorteil  der  organischen  Verbindung  mit  einer  philosophischen  Fakultät 
bezw.  Sektion,  wodurch  ihren  Hörern  die  Gelegenheit  geboten  ist, 
sich  auch  in  den  Profanwissenschaften  tiefere  Kenntnisse  zu  verschaffen 
und  ihren  geistigen  Horizont  überhaupt  zu  erweitem. 

1.  Für  Preußen  kommt  nur  das  Lyceum  Hosianum  in 
Braunsberg  in  Frage,  das  zwei  Fakultäten  umfaßt,  eine  theologische 
und  eine  philosophische.  In  der  theologischen  wirkten  im  Studien- 
jahre 1902/03  4  ordentliche  Professoren,  1  Extraordinarius  und  2  Privat- 
dozenten, in  der  philosophischen  4  ordentliche  Professoren  und  ein 
Lektor  für  die  polnische  Sprache.  Beide  dienen  fast  ausschließlich  der 
wissenschaftlichen  Heranbildung  des  Klerus  der  Diözese  Ermland,  für 
die  in  Braunsberg  außerdem  ein  praktisches,  zugleich  als  Konvikt 
dienendes  Priesterseminar  besteht.  Das  Promotionsrecht  besitzt  das 
Lyzeum  nicht,  wohl  aber  kann  es  Privatdozenten  aufnehmen.  Die 
theologische  Fakultät  besitzt  5  Lehrstühle  für  Exegese  des  Alten 
und  des  Neuen  Testamentes,  Kirchengeschichte  und  Kirchenrecht, 
Dogmatik,  Moraltheologie,  theologische  Hilfswissenschaften.  Die 
Pastoraltheologie  wird  in  dem  Priesterseminar  doziert.  Die  philo- 
sophische Fakultät  hat  nur  4  Lehrstühle:  Philosophie  und  Pädagogik, 
klassische  Philologie,  Geschichte,  Mathematik  und  Naturwissenschaften. 
Die  Studienzeit  umfaßt  drei  Jahre.  Im  ersten  Jahre  werden  die 
Hörer  in  der  philosophischen  Fakultät  immatrikuliert  und  hören  deren 
Vorlesungen,  in  erster  Linie  Philosophie  und  Pädagogik.  Zugleich  werden 
die  biblischen  Einleitungen  und  die  Apologetik  an  der  theologischen 
Fakultät  gehört.  Am  Schluß  des  philosophischen  Jahres  hat  jeder  Hörer 
in  der  Philosophie  und  Pädagogik  sowie  in  den  erwähnten  theologischen 
Fächern  ein  Examen  abzulegen  behufs  Übergangs  in  die  theologische 
Fakultät.  In  den  zwei  folgenden  Jahren  wird  der  ganze  Lehrstoff 
der  theoretischen  Theologie  gehört,  und  zwar  Dogmatik,  Moral  und 
neutestamentliche  Exegese  während  4,  alttestamentliche  Exegese, 
Kirchengeschichte  und  Kirchenrecht  in  3  Semestern.  Seminarübungen 
finden  nicht  statt,  wohl  aber  einige  Repetitionen.  Am  Ende  eines 
jeden  Semesters  werden  Semestralprüfungen  in  je  zwei  Fächern  ab- 
gehalten,   am  Ende    des   4.  Semesters    ein  Examen  über  den  ganzen 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  95 

Lehrstoff  behufs  Aufnahme  in  das  praktische  Seminarjahr.  Mit  dem 
kirchenhistorischen  Lehrstuhl  ist  eine  christlich-archäologische  Samm- 
lung verbunden. 

2.  In  Bayern  bestehen  6  Lyzeen*)  in  Bamberg,  Dillingen 
(Diözese  Augsburg),  Eichstätt,  Freising  (Erzdiözese  München-Freising), 
Passau  und  Regensburg.  Sie  sind  staatliche  Lehranstalten  im 
Range  der  bayerischen  Landesuniversitäten,  mit  Ausnahme  des 
Lyzeums  zu  Eichstätt.  Dieses  ist  bischöflich.  Der  Bischof  von 
Eichstätt  ernennt  daher  die  Professoren,  zeigt  aber  die  vollzogene 
Ernennung  dem  Ministerium  an,  die  von  dem  König  bestätigt  wird. 
Das  jährliche  Budget  fallt  dem  bischöflichen  Seminar  zur  Last.  Dieser 
Charakter  des  Lyzeums  bedingt  aber  keinen  Unterschied  in  der 
Organisation,  dem  Studienplan,  den  Bedingungen  der  Aufnahme  der 
Studierenden  von  den  staatlichen  oder  königlichen  Lyzeen  und  braucht 
daher  im  folgenden  nicht  weiter  berücksichtigt  zu  werden. 

Die  bayerischen  Lyzeen  werden  in  den  ministeriellen  Satzungen 
für  die  Studierenden  an  denselben  (vom  1.  Juni  1891)  als  Spezial- 
schulen für  das  philosophische  und  das  katholisch -theologische 
Studium  bezeichnet  und  haben  als  solche  vorzugsweise  den  Zweck, 
die  akademische  Bildung  zum  geistlichen  Beruf  für  diejenigen  zu  ver- 
mitteln, welche  nicht  eine  Universität  besuchen.  Jedes  derselben  zer- 
fällt in  2  Sektionen,  eine  theologische  und- eine  philosophische,  die 
den  Universitätsfakultäten  in  Rang  und  Besoldung  gleichstehen.  An 
der  Spitze  steht  ein  lebenslänglicher  Rektor  und  der  Lehrerrat.  Die 
Teilung  der  Professoren  in  ordentliche  und  außerordentliche 
richtet  sich  nicht  nach  den  Lehrstühlen,  sondern  beruht  auf  gesetz- 
lichen Bestimmungen,  die  eine  bestimmte  Anzahl  von  ordentlichen 
Lyzealprofessuren  vorsehen,  in  deren  Genuß  die  Professoren  nach 
Maßgabe  ihres  Dienstalters  eintreten. 

Seit  1900  bestehen  an  jedem  Lyzeum  6  theologische  Lehr- 
stühle: 1.  für  alttestamentliche  Einleitung  und  Exegese,  2.  für  neu- 
testamentliche  Einleitung  und  Exegese,  3.  für  Kirchengeschichte,  4.  für 
Dogmatik  und  Apologetik,  5.  für  Moraltheologie,  6.  für  Kirchenrecht 
und  bayerisches  Verwaltungsrecht,  während  früher  alt-  und  neu- 
testamentliche  Exegese,  Kirchengeschichte  und  Kirchenrecht  zu  je 
einer  Professur  vereinigt  waren. 

*)  Mehrere  Mitteilungen  hierüber  verdanke  ich  der  Freundlichkeit  der  Herren 
Professoren  Pfleilschifter  in  Freiburg,  A.  Weber  in  Regensburg  und  A.  Knecht  in 
Bamberg.  —  Vgl.  W.  Hess,  Geschichte  des  k.  Lyceums  Bamberg  unter  besonderer 
Berücksichtigung  der  allgemeinen  Verhältnisse  der  bayerischen  Lyceen,  Bamberg  1903. 


96  Lehrgebict  und  Lehrbetrieb. 

In  Freising  tritt  ein  7.  Lehrstuhl  für  Pastoraltheologie  hinzu,  die 
in  Bamberg  mit  der  Moraltheologie  verbunden  ist,  während  sie  an 
den  übrigen  staatlichen  Lyzeen  nicht  vertreten  ist,  sondern  in  dem 
praktischen  Priesterseminar  doziert  wird.  Das  Lyzeum  zu  Eichstätt 
besitzt  auch  einen  Lehrstuhl  für  Pastoraltheologie,  vereinigt  aber  alt- 
und  neu  testamentliche  Exegese  noch  zu  einer  Professur. 

Mit  fast  jedem  der  erwähnten  Lehrstühle  sind  ein  oder  mehrere 
Nebenfächer  in  verschiedenartiger  Weise  verbunden,  sodaß  noch 
folgende  theologische  Fächer  an  den  Lyzeen  vertreten  sind: 

Theologische  Enzyklopädie  (Bamberg,  Freising,  Regensburg), 
Religionsphilosophie  (Regensburg),  biblisch-orientalische  Sprachen 
(an  allen  Lyzeen),  biblische  Archäologie  (an  allen  Lyzeen),  biblische 
Hermeneutik  (an  allen  Lyzeen),  Patrologie  (an  allen  Lyzeen),  christ- 
liche Kunstgeschichte  (Regensburg),  Pädagogik  (Bamberg,  Freising, 
Passau,  Regensburg),  Didaktik  (Passau,  Bamberg),  Katechetik  (Eich- 
stätt), Homiletik  (Eichstätt),  Liturgik  (Eichstätt). 

Die  philosophische  Sektion  hat  an  allen  Lyzeen  wenigstens 
folgende  4  Lehrstühle:  1.  Philosophie,  2.  Geschichte  und  klassische 
Philologie,  3.  Naturwissenschaften  und  Chemie,  4.  Physik  und  Mathe- 
matik. In  Eichstätt  bestehen  zwei  Lehrstühle  für  Philosophie: 
1.  Theoretische  Philosophie;  2.  Praktische  Philosophie,  Religions- 
philosophie, Geschichte  der  Philosophie.  In  Freising  sind  die  zwei 
Lehrstühle  für  Naturwissenschaften  und  Mathematik  ersetzt  durch 
folgende  drei:  1.  Anthropologie,  Zoologie,  Botanik;  2.  Physik, 
Geometrie  und  Astronomie;  3.  Chemie,  Mineralogie,  Geologie. 

Der  Unterricht  der  Theologen  an  den  Lyzeen  umfaßt  3  bezw. 
4  Jahre,  wovon  das  erste  dem  philosophischen,  die  übrigen  dem  theo- 
logischen zu  widmen  sind.  Während  des  ersten  Jahres  hat  jeder 
Theologe  wenigstens  4  ordentliche  (4 — östündige)  Vorlesungen  aus 
dem  Lehrkreise  der  philosophischen  Sektion  in  jedem  Semester  ord- 
nungsgemäß zu  hören.  Die  Wahl  dieser  Vorlesungen  ist  freigegeben, 
es  wird  jedoch  jedem  Theologen  anempfohlen  im  Interesse  seiner 
allgemeinen  wissenschaftlichen  Ausbildung,  wenigstens  je  eine  Vor- 
lesung aus  den  Hauptfachern  der  allgemeinen  Wissenschaften  (Philo- 
sophie, Philologie,  Geschichte,  Mathematik,  Physik,  Chemie  und  be- 
schreibende Naturuassenschaften)  zu  hören.  Den  Studierenden  der 
Theologie  steht  es  außerdem  frei,  während  der  Zeit  ihres  Fachstudiums 
neben  den  theologischen  Fach  Vorlesungen  auch  philosophische  Vor- 
lesungen zu  hören,    wie    es   umgekehrt    den  Studierenden  des  philo- 


Katholisch-Theologische  Fakultät  97 

sophischen  Kurses  unbenommen  ist,  auch  theologische  Vorlesungen 
zu  besuchen. 

Die  theologische  Studienordnung  ist  insofern  an  den  einzelnen 
Lyzeen  verschieden,  als  an  einigen  das  dritte  theologische  Jahr  noch 
zur  Lyzealstudienzeit  gerechnet  wird,  während  es  an  den  anderen  schon 
dem  praktischen  Priesterseminar,  das  in  Eichstätt  mit  dem  Lyzeum 
verbunden  ist,  angehört  und  bereits  dem  Studium  der  praktischen 
Theologie  (Pastoraltheologie,  Homiletik,  Liturgik,  Katechetik)  mit 
Repetitionen  über  das  Eherecht,  das  Bußsakrament,  die  Sakramenten- 
lehre überhaupt  gewidmet  wird.  Ersteres  ist  der  Fall  in  Eichstätt, 
Freising  und  Regensburg,  wo  somit  ein  4.  theologisches  (im  ganzen 
ein  5.  Studien-)  Jahr  im  praktischen  Priesterseminar  hinzukommt. 
Diese  Lyzeen  befinden  sich  somit  in  diesem  Punkte  in  einer  günstigeren 
Lage  als  die  meisten  Universitätsfakultäten. 

Der  Studiengang,  d.  h.  die  Aufeinanderfolge  des  Studiums  der 
einzelnen  Disziplinen,  ist  demjenigen  der  Fakultäten  an  den  Univer- 
sitäten ungefähr  gleich  und  mag  an  dem  Beispiel  von  Freising 
illustriert  werden: 

1.  theolog.  Jahr:  Enz>-klopädie  und  Methodologie  der  theologischen  Wissenschaft, 
2  Stunden  (Wintersemester) ;  Biblische  Geographie  und  Archäologie,  3  Stunden  (Sommer- 
semester); Hebräische  Sprachlehre,  2  Stunden  nebst  Einführung  ins  Biblisch- Aramäische, 

1  Stunde  (Wintersemester),  in  die  samaritanische  Sprache,  1  Stunde  (Sommersemester), 
Einleitung  in  das  Alte  Testament,  2  Stunden  (Wintersemester);  Einleitung  in  das  Neue 
Testament  mit  biblischer  Hermeneutik,  2  Stunden  (Wintersemester);  Exegese  des  Alten 
Testamentes,  2  Stunden  (W^inter-  und  Sommersemester);  Exegese  des  Neuen  Testamentes, 

2  Stunden  (Winter-  und  Sonmiersemester) ;  Kirchengeschichte,  5  Stunden  (Winter-  und 
Sommersemester);  Patrologie,  1  Stunde  (Winter-  und  Sommersemester);  Dogmatik; 
6  Stunden  (Winter-  und  Sommersemester). 

2.  theologisches  Jahr:  Exegese  des  Alten  und  des  Neuen  Testaments,  Kirchenge- 
schichte, Patrologie  und  Dogmatik  mit  dem  1.  Jahr;  außerdem  Moral theologie,  5  Stunden 
in  beiden  Semestern ;  Kirchenrecht,  4  Stunden  in  beiden  Semestern ;  Pädagogik,  2  Stunden 
(Wintersemester) . 

3.  theologisches  Jahr:  Erklärung  ausgewählter  Partien  aus  dem  neuen  Testament, 
1  Stunde  in  beiden  Semestern;  Dogmatik  mit  dem  1.  und  2.  Jahr;  Kirchenrecht  mit  dem 
2.  Jahr;  Moraltheologie  3  Stunden  in  beiden  Semestern;  Pastoraltheologie,  5  Stunden  in 
beiden  Semestern;  Pädagogik  mit  dem  2.  Jahr  im  Wintersemester,  außerdem  2  Stunden 
im  Sommersemester  für  den  3.  Kurs  allein. 

Wissenschaftliche  Seminare  besitzen  die  Lyzeen  nicht;  doch 
werden  praktische  Übungen  insbesondere  exegetischer,  kirchen- 
geschichtlicher und  kirchenrechtlicher  Natur  an  fast  allen  Lyzeen  in 
wachsender  Anzahl  vorgenommen.     Preisfragen  werden  nicht  gestellt. 

Nach  den  allgemeinen  Satzungen  findet  am  Ende  des  philo- 
sophischen Jahres  eine  Prüfung  statt  zum  Behufe  des  Übertritts  in  das 
theologische  Studium.     Diese  Prüfung   sowie    die    übrigen  Prüfungen 

Das  l/Dterrichtsweten  im  Deutschen  Reich.    1.  7 


9B  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

der   Theologiestudierenden  (Semestral-  und  Absolutorialexamen)  sind 
durch  besondere  Bestimmungen  geregelt. 

Die  Zahl  der  Studierenden  an  den  bayerischen  Lyzeen  betrug 
im  Wintersemester  1902/03  mit  Ausnahme  der  Hörer  719,  im  letzten 
Sommersemester  691. 

III.    Die  bischöflichen  theologischen  Lehranstalten. 

1.  Neben  den  Universitätsfakultäten  und  den  Lyzeen  bestehen 
in  Deutschland  noch  7  theologische  Lehranstalten*)  in  Fulda, 
Mainz,  Metz,  Paderborn,  Pelplin  (für  die  Diözese  Culm),  Posen  und 
Trier,  die  dem  Bischof  der  betreffenden  Diözese  unterstehen,  aber  von 
den  Staaten,  innerhalb  deren  Grenzen  sie  liegen  (Preußen,  Hessen 
und  das  Reichsland)  und  die  verschiedenartige  Verpflichtungen  privat- 
rechtlicher Natur  ihnen  gegenüber  zu  erfüllen  haben,  als  solche  an- 
erkannt werden.  Die  Ernennung  der  an  denselben  wirkenden  Pro- 
fessoren der  Theologie  steht  dem  Bischof  zu;  in  Preussen  und  Hessen 
muß  aber  der  zu  Berufende  die  Fähigkeit  besitzen,  Theologie  an 
einer  Universität  zu  lehren.  Die  Anstalten  selbst  unterstehen  nur  der 
allgemeinen  Aufsicht  des  Staates,  wonach  Statuten,  Hausordnung, 
Namen  der  Leiter  und  Lehrer  dem  Ministerium  mitzuteilen  sind.  Sie 
sind  fast  alle  mit  dem  praktischen  Priesterseminar  der  betreffenden 
Diözese  verbunden  (mit  Ausnahme  von  Paderborn  und  Posen). 

2.  Für  die  Aufnahme  der  Studierenden  in  die  genannten 
theologischen  Lehranstalten  gelten  in  Preußen  und  Hessen  dieselben 
Bestimmungen  wie  für  die  Fakultäten  und  Lyzeen,  insbesondere  die 
Forderung  des  Reifezeugnisses  eines  deutschen  humanistischen  Gym- 
nasiums, das  auch  eine  Vorbedingung  bildet  für  die  Anstellungsfahig- 
keit  im  praktischen  Kirchendienste. 

3.  Die  Zahl  der  Lehrstühle  beträgt  in  Pelplin  und  Posen  5,  in 
Fulda,  Mainz  und  Trier  7,  in  Metz  und  Paderborn  8,  steht  somit  der- 
jenigen der  Fakultäten  und  Lyzeen,  mit  Ausnahme  von  Pelplin  und 
Posen,  nicht  nach.  Auf  diese  Lehrstühle  verteilen  sich  überall  neben 
der  Philosophie  folgende  Hauptfächer  der  Theologie:  Apologetik, 
Exegese    des    Alten    und    des  Neuen  Testaments,  Kirchengeschichte, 


*)  Die  theologische  Lehranstalt  in  Strasburg  ist  seit  dem  1.  Oktober  1903  aufge- 
hoben und  durch  die  katholisch-theologische  Fakultät  an  der  Universität  Straßburg  ersetzt. 
Als  praktisches  Priesterseminär  sowie  als  Konvikt  für  die  Theologfiestudierenden  der 
Diözese  besteht  aber  das  ehemalige  „GroOe  Seminar**  von  Straßburg  noch  fort. 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  99 

Dogmatik,    Moral,    Kirchenrecht    und   Pastoral    (das    letzte    fehlt    in 
Paderborn  und  Posen).    Außerordentliche  Lehrstühle    fehlen    überall. 

Die  Nebenfacher  der  Theologie  sind  in  geringerer  Zahl  ver- 
treten, während  die  systematischen  Hauptfacher,  Dogmatik  und  Moral, 
fast  überall  mit  größerer  Ausführlichkeit  behandelt  werden  als  an  den 
Universitäten.  Die  Studienzeit  beträgt  in  der  Regel  8,  an  einigen 
Anstalten  10  Semester  mit  Einschluß  des  letzten  praktischen  Jahres. 
Der  Studiengang  weist  keinen  wesentlichen  Unterschied  von  dem  der 
bereits  besprochenen  Anstalten  auf;  das  erste  Jahr  ist  entweder  ganz 
oder  vorzugsweise  dem  Studium  der  scholastischen  Philosophie  ge- 
widmet. Darauf  folgen  die  exegetischen,  historischen,  theoretisch- 
systematischen und  endlich  die  praktischen  Fächer.  Wissenschaftliche 
Seminarübungen  sind  nicht  vorhanden;  dafür  ist  aber  das  Prüfungs- 
wesen in  der  Regel  sehr  ausgebildet,  insofern  nicht  bloß  Semestral- 
prüfungen  abgehalten  werden,  sondern  auch  Veranstaltungen  getroffen 
sind,  während  des  Semesters  den  Eifer  der  Studierenden  anzufeuern 
und  ihre  Leistungen  zu  kontrollieren.  Dazu  kommen  noch  umfassen- 
dere Prüfungen,  wie  z,  B.  in  Mainz  für  die  Einleitung  in  die  heilige 
Schrift  und  Hebräisch  am  Ende  des  2.,  für  Philosophie  am  Ende  des 
4.,  für  Kirchengeschichte  am  Ende  des  5.,  für  Dogmatik,  Moral, 
Exegese  und  Kirchenrecht  am  Ende  des  6.  und  8.  Semesters. 

4.  Wenn  nun  auch  der  Lehrgegenstand  sowie  der  Unterrichts- 
gang der  bischöflichen  Seminare  denjenigen  der  Fakultäten  gleich  sind, 
so  unterliegt  doch  keinem  Zweifel,  daß  Seminar-  und  Universitäts- 
bildung sich  von  einander  bedeutend  unterscheiden.  Diese  Unter- 
schiede bilden  die  Voraussetzung  für  die  Kontroverse  über  den 
relativen  Wert  beider  Arten  der  wissenschaftlichen  Ausbildung  des 
katholischen  Klerus  in  Deutschland,  die  seit  den  70er  Jahren  des  vorigen 
Jahrhunderts  nicht  mehr  zur  Ruhe  gekommen  ist.  Von  den  Freunden 
wie  von  den  Gegnern  der  Seminarbildung  ist  dabei  oft  über  das  Ziel  hinaus- 
geschossen worden.  Man  wird  am  ehesten  zu  einem  objektiven  Urteil 
gelangen,  wenn  man  die  Eigenschaft  der  bischöflichen  Seminare  als 
theologische  Lehranstalten  von  ihrem  Charakter  als  Priestererziehungs- 
anstalten trennt,  und  wenn  man  die  Institutionen,  Seminare  und  Fakul- 
täten von  den  Personen  unterscheidet,  die  an  ihnen  wirken.  Von  diesem 
Standpunkte  aus  leuchtet  ein,  daß  die  Seminare  als  theoretische  Lehr- 
anstalten den  Fakultäten  nachstehen  und  nur  als  ein  Ersatz  für  das 
Fehlen  der  letzteren  angesehen  werden  können.  Tatsächlich  bestehen 
auch  jetzt  nur  noch  in  jenen  Diözesen  theoretische  Seminare,  inner- 
halb   deren    Grenzen    sich    keine    Universität    befindet.    Die    Abge- 

7* 


100  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

schlossenheit  derselben  und  der  völlige  Mangel  an  geistiger  Berührung 
mit  den  Organen  der  profanwissenschaftlichen  Bildung,  ihre  geringe 
Ausstattung  mit  Lehrmitteln  und  wissenschaftlichen  Instituten  bedeuten 
Nachteile,  die  durch  die  Vorteile  der  Seminarbildung  in  erziehlicher 
Beziehung  um  so  weniger  aufgewogen  werden  können,  als  diese  Vor- 
teile sich  mit  der  Universitätsbildung  harmonisch  vereinigen  lassen. 
Die  geringe  Anteilnahme  der  Theologen  der  betreffenden  Diözesen 
an  dem  akademischen  Leben  der  theologischen  Fakultäten,  im  Ver- 
gleiche mit  dem  Umstände,  daß  die  akademisch  gebildeten  katho- 
lischen Laien  aus  denselben  Diözesen  alle  die  Universität  besucht 
haben,  bedeutet  weitere  Nachteile,  die  in  Wirklichkeit  für  das  katho- 
lische Geistesleben  in  Deutschland  größer  sind,  als  sie  von  den  ein- 
seitigen Freunden  der  Semtnarbildung  empfunden  zu  werden  pflegen. 
Dabei  ist  zu  beachten,  daß  die  Zahl  der  Alumnen  der  Priesterseminare 
jährlich  700  übersteigt. 

IV,   Die  praktischen  Priesterseminare. 

1.  Jede  deutsche  Diözese  besitzt  in  wesentlicher  Erfüllung  des 
Tridentinischen  Seminardekretes  (vom  15.  Juli  1563)  ein  praktisches 
Priesterseminar,  in  welchem  die  Theologiestudierenden  in  dem 
letzten  Studienjahre  ihre  unmittelbare  Vorbereitung  und  letzte  praktische 
Ausbildung  zum  Empfang  der  Priesterweihe  erhalten.  Als  besondere 
Anstalt  bestehen  die  praktischen  Priesterseminare  in  den  Diözesen 
Breslau,  Freiburg  (in  St.  Peter),  Hildesheim,  Köln,  Limburg,  Münster, 
Osnabrück,  Paderborn,  Posen  (in  Gnesen),  Rottenburg  und  Speier,  von 
denen  Hildesheim,  Limburg,  Osnabrück  und  Speier  überhaupt  keine 
theologische  Lehranstalt  besitzen.*)  In  den  Diözesen  Culm  (in  Pelplin), 
Fulda,  Mainz,  Metz  und  Trier  sind  sie  mit  den  theologischen  Lehr- 
anstalten verbunden.  In  Bayern  dienen  sie  zugleich  als  Konvikte  für 
die  an  den  Lyzeen  studierenden  Theologen,  desgleichen  in  Braunsberg, 
sowie  in  Straßburg  und  Würzburg  für  die  Theologen,  welche  die 
theologische  Fakultät  besuchen.  Für  die  Theologiestudierenden  an 
den  übrigen  theologischen  Fakultäten,  Bonn,  Breslau,  Freiburg,  München 
(Georgianum),  Münster  (Borromäum)  und  Tübingen  (Wilhelmsstift) 
sowie    in    Paderborn    und    Posen    existieren   eigene    Konvikte    unter 


*)  In  dem  Königreich  Sachsen  besteht  weder  eine  katholisch-theologische  Lehr- 
anstalt noch  ein  praktisches  Priesterseminar.  Die  Stelle  des  letzteren  vertritt  jedoch  das 
Wendische  Priesterseminar  zu  Prag. 


Katholisch-Theologische  Fakultät.  iOI 

besonderer,  von  dem  Diözesanbischof  eingesetzter  Leitung  mit  einem 
Direktor  an  der  Spitze  und  einigen  Repetenten  (in  Tübingen  7). 
In  Bonn  ist  jüngst  ein  zweiter  Konvikt  errichtet  worden. 

2.  Infolge  dieser  verschiedenartigen  Verhältnisse  ist  das  Unter- 
richtsfeld der  praktischen  Priesterseminare  nicht  scharf  noch  ein- 
heitlich abgegrenzt.  Im  großen  und  ganzen  bildet  die  priesterliche 
Erziehung  und  die  praktische  Einführung  in  den  Kirchendienst  ihre 
Aufgabe.  Wo  sie  aber  zugleich  als  Konvikte  für  die  Theologie- 
studierenden während  der  Zeit  ihrer  theoretischen  Studien  dienen  und 
namentlich  dort,  wo  sie  mit  der  bischöflichen  theologischen  Lehranstalt 
verbunden  sind,  erstreckt  sich  ihre  Tätigkeit  auch  über  ihre  begriff- 
lichen Grenzen  hinaus.  In  Preußen  insbesondere  können  die  Bischöfe 
in  ihren  Seminaren  auch  solche  Vorlesungen  halten  lassen,  die  in  das 
Lehrgebiet  der  Fakultät  gehören.  Diese  selbständigen  Vorlesungen 
haben  in  der  Regel  die  Pastoraltheologie  mit  Homiletik,  Katechetik 
und  Liturgik  zum  Gegenstande;  die  Sakramentenlehre  und  das  Ehe- 
recht sowie  die  Einführung  in  die  Verwaltung  des  Bußsakramentes 
treten  oft  dazu.  Überall  werden  katechetische,  homiletische  und 
liturgische  Übungen  vorgenommen. 

3.  Der  Vorstand  der  Priesterseminare  wird  überall  von  dem 
Diözesanbischof  ernannt;  in  Preußen  besteht  die  Anzeigepflicht  an  das 
Ministerium.  Der  Vorstand  besteht  in  der  Regel  aus  einem  Regens 
(Rektor,  Direktor,  Präses)  und  einem  Subregens;  vielfach  kommt  noch 
einer  oder  der  andere  Dozent  oder  Repetent,  Präfekt  oder  Spiritual, 
sowie  ein  Choral-  und  Kirchengesanglehrer  dazu.  Eine  Ausnahme 
macht  das  Priesterseminar  in  Köln,  in  dem  neben  dem  Regens  und 
Subregens,  die  Pastoral  und  Exegese  dozieren,  ein  Professor  der 
Dogmatik  und  Moral,  sowie  ein  Professor  des  Kirchenrechts  wirken. 

Albert   Ehrhard. 


III.  Die  juristiBche  Fakultät. 


L  Der  Lehrbetrieb. 

1.  Als  im  Jahre  1893  berufene  Vertreter  der  deutschen  Rechts- 
wissenschaft für  die  Universitäts-Ausstellung  in  Chicago  ein  Bild  von 
unserem  akademischen  juristischen  Unterricht  entwarfen,  standen  noch 
im  Mittelpunkt  des  gesamten  Lehrbetriebes  die  Vorlesungen  über  das 
sogenannte  gemeine  oder  Pandektenrecht.  In  ihnen  wurde  das  am 
Ausgang  des  Mittelalters  in  Deutschland  rezipierte,  seitdem  durch 
Theorie  und  Praxis  fortgebildete,  modernisierte  Römische  Privatrecht 
vorgetragen.  Diese  zentrale  Stellung  im  Lehrplan  war  dem  Römi- 
schen Recht  nicht  nur  an  den  Universitäten  derjenigen  Bundesstaaten 
eingeräumt,  für  die  es,  wenn  auch  nur  subsidiär,  als  noch  geltendes 
Recht  in  Frage  kam,  sondern  auch  an  den  Hochschulen  derjenigen 
Staaten,  in  denen  es  zufolge  privatrechtlicher  Kodifikationen  seine 
formelle  Geltung  verloren  hatte  (wie  im  größten  Teile  von  Preußen, 
im  Königreich  Sachsen  und  im  Großherzogtum  Baden).  Die  gleich- 
mäßige Pflege  des  Römischen  Rechtes  an  allen  deutschen  Universi- 
täten hatte,  von  dessen  inneren  Vorzügen  ganz  abgesehen,  den  einen 
nicht  hoch  genug  anzuschlagenden  Vorteil,  daß  trotz  der  bunten 
Mannigfaltigkeit  der  auf  deutschem  Boden  geltenden  Rechtsquellen 
und  der  dadurch  für  den  Verkehr  geschaffenen  Rechtszerrissenheit  die 
Einheit  des  Rechtes  wenigstens  für  die  Wissenschaft  und  für  den 
Unterricht  gewahrt  blieb. 

Am  18.  August  18%  wurde  „Das  Bürgerliche  Gesetzbuch  für 
das  Deutsche  Reich**  erlassen,  welches  am  1.  Januar  1900  in  Kraft 
getreten  ist.  Diese  bedeutsame  Rechtsumwälzung,  die  der  deutschen 
Nation  das  seit  Jahrhunderten  ersehnte  einheitliche  Privatrecht  brachte, 
mußte  natürlich  auch  für  den  Rechtsunterricht  einschneidende  Ver- 
änderungen im  Gefolge  haben.  Um  seine  den  neuen  Verhältnissen 
entsprechende  Umgestaltung  zu  beraten,  traten  im  März  1896  ordent- 


Die  juristische  Fakultät:    I.  Der  Lehrbetrieb.  i03 

liehe  Professoren  von  fast  allen  deutschen  Juristenfakultäten  in 
Eisenach  zusammen.  Das  Ergebnis  der  dort  gefaßten  Beschlüsse  war, 
daß  von  nun  an  die  Vorlesungen  über  das  Bürgerliche  Gesetzbuch 
(B.  G.  B.)  in  den  Mittelpunkt  des  juristischen  Unterrichtes  treten  sollten. 
Durch  die  Erlasse  der  preußischen  Ministerien  der  Justiz  und  des  Unter- 
richts vom  18.  Januar  1897  wurden  die  Pandektenvorlesungen  alten 
Stiles  aus  dem  Lehrplan  der  preußischen  Universitäten  beseitigt  und  das 
gleiche  geschah  aus  ähnlichen  Erwägungen  an  den  übrigen  Universitäten. 
Selbstverständlich  ist  damit  das  Römische  Recht  nicht  überhaupt  aus 
dem  akademischen  Unterricht  verwiesen.  Man  war  vielmehr  der 
Überzeugung,  daß  das  B.G.B.,  selbst  ja  bloß  ein  Produkt  der  geschicht- 
lichen Entwicklung,  nur  mit  Hilfe  genauer  Kenntnis  seiner  historischen 
Grundlagen  erfaßt  und  verstanden  werden  könne.  Die  geschichtliche 
Basis  des  Gesetzbuchs  aber  ist  eine  zweifache:  einmal  ruht  es  auf  dem 
rezipierten  Römischen  Recht  und  sodann  auf  dem  einheimischen 
deutschen  Recht,  soweit  dieses  sich  nach  der  Rezeption  neben  dem 
Römischen  Recht  behauptet  hat.  Daher  sollten  schon  nach  den  Eise- 
nacher  Beschlüssen  dem  Unterricht  im  B.  G.  B.  propädeutische  Vor- 
lesungen über  dessen  römischrechtliche  und  dessen  deutschrechtliche 
Grundlagen  vorangehen.  In  diesen  Vorlesungen  sollen  vor  allem  die 
Grundzüge  und  die  Geschichte  des  römischen  und  älteren  deutschen 
Privatrechts  dargestellt  werden.  Daneben  soll  aber  auch  die  Ge- 
schichte der  Rechtsquellen  und  des  öffentlichen  Rechtes  beider 
Völker  (insbesondere  des  Staats-  und  Prozeßrechtes)  zum  Gegenstand 
des  Vortrags  gemacht  werden.  Diese  propädeutischen  Vorlesungen, 
die  sich  je  über  ein  Semester  erstrecken,  nehmen  durchschnittlich  je 
acht  bis  zehn  Wochenstunden  für  sich  in  Anspruch:  davon  entfallen 
je  vier  oder  fünf  auf  die  Vorlesung  über  die  „Grundzüge"  oder  das 
„System"  des  Privatrechts;  und  je  eine  gleiche  Anzahl  von  Stunden 
auf  die  Vorlesung  über  die  anderen  („äußeren")  Zweige  der  Rechts- 
entwicklung, die  man  schlechthin  unter  dem  Titel  „Rechtsgeschichte" 
zusammenzufassen  pflegt.  Neben  diese  rechtshistorischen  Vorlesungen 
stellen  die  preußischen  Erlasse  an  die  Spitze  des  Rechtsunterrichts  ein 
einleitendes  Kolleg  allgemeiner  Natur,  das  den  Anfanger  mit  den  Auf- 
gaben des  Rechts  und  der  Rechtswissenschaft  und  mit  der  Systematik 
und  den  Grundbegriffen  beider  bekannt  machen,  ihm  eine  gedrängte 
Übersicht  über  den  Hauptinhalt  der  einzelnen  juristischen  Disziplinen 
verschaffen  und  die  bestmögliche  Einrichtung  des  Studiums  erörtern 
soll.  Sonach  ist  jetzt,  da  die  Regierungen  der  einzelnen  Bundesstaaten 
im  wesentlichen  im  gleichen  Sinne  vorgegangen  sind,  der  Unterricht 


104  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

im  Bürgerlichen  Gesetzbuch  auf  einem  dreischichtigen  Fundamente 
aufgebaut:  auf  der,  in  den  Lektionskataiogen  gewöhnlich  unter  dem 
Namen  „Einführung  in  die  Rechtswissenschaft"  oder  „Rechtsenzyklo- 
pädie" auftauchenden,  durchschnittlich  zwei  bis  vier  Wochenstunden 
ausfüllenden  Einleitungsvorlesung;  femer  auf  der  „Römischen 
Rechtsgeschichte"  und  dem  „System  des  Römischen  Privatrechts"; 
und  endlich  auf  der  „Deutschen  Rechtsgeschichte"  und  den  „Grund- 
zügen des  Deutschen  Privatrechts." 

Die  Ablösung  der  Pandektenvorlesung  durch  das  B.  G.  B.  be- 
deutet nicht  bloß  einen  Wechsel  im  Gegenstande  des  Unterrichts. 
Vielmehr  ist  auch  die  Art  der  Aufgabe  eine  andere  geworden.  Der 
Lehrer  des  Pandektenrechtes  war  nicht  imstande,  die  Rechtssätze,  die 
er  vortrug,  unmittelbar  vor  seinen  Zuhörern  aus  den  Quellen  zu 
schöpfen:  wie  die  Erscheinungsform  des  gemeinen  Rechts  infolge 
seines  eigentümlich  beschaffenen  Quellenmaterials  überhaupt  eine 
wesentlich  literarische  geworden  war,  so  mußte  sich  auch  der 
akademische  Lehrer  darauf  beschränken,  die  Rechtssätze  gleichsam 
in  präparierter  Gestalt  wiederzugeben.  Bei  dieser  Art  der  Darstellung 
war  es  nur  natürlich,  daß  das  quellenmäßige  d.  h.  das  quellenmäßig 
nachweisbare  Recht  und  das  von  der  Wissenschaft  im  Wege  der 
Auslegung  aus  ihm  gewonnene  Recht  für  den  Zuhörer  unterschiedslos 
in  einander  übergingen.  Jetzt  hingegen  hat  der  Student  die  Quelle 
vor  sich,  der  das  Recht,  in  dem  er  unterrichtet  wird,  entnommen 
ist.  Klar  und  scharf  vermag  er  daher  jederzeit  das  gesetzte  Recht 
von  dem  wissenschaftlichen,  aus  ihm  abgeleiteten  Recht  zu  unter- 
scheiden. Und  nicht  nur  das:  er  nimmt  an  dieser  wissenschaftlichen 
Arbeit  gewissermaßen  teil.  Der  Lehrer  braucht  ihm  nicht  mehr  die 
fertige  Frucht  der  Auslegung  in  den  Schoß  zu  legen:  er  kann  das 
Produkt  vor  den  Augen  der  Schüler  sich  entwickeln  lassen,  indem  er 
den  in  seinem  Wortlaut  fixierten  Rechtssatz  vor  seinen  Zuhörern  aus- 
einanderfaltet und  mit  Hilfe  der  bekannten  Regeln  der  Interpretation 
die  latenten  Rechtssätze  ans  Licht  zieht.  So  bekommt  der  Student 
heutzutage  in  der  Privatrechtsvorlesung  nicht  nur  den  RechtsstoflT  in 
systematischer  Form  vorgetragen;  er  wird  nicht  nur  bekannt  gemacht 
mit  den  einzelnen  Rechtsbegriffen  und  Instituten  nebst  den  sich  an 
sie  knüpfenden  Kontroversen:  sondern  er  bekommt  vor  allem  täglich 
Unterricht  in  der  schwierigen  und  für  ihn  so  wichtigen  Kunst  der 
Auslegung  eines  modernen  Gesetzbuchs.  Denn  eine  Kunst  ist  es, 
aus  einer  Kodifikation  unter  Wahrung  ihres  Charakters  als  eines  ge- 
schlossenen Ganzen  und  ohne  Verstoß  gegen  den  Wortlaut  der  ein- 


Die  juristische  Fakultät:    I.  Der  Lehrbetrieb.  ^05 

zelnen  Paragraphen  diejenigen  Rechtssätze  abzuleiten,  die  den  Bedürf- 
nissen des  Lebens  und  der  Billigkeit  am  meisten  entsprechen. 

Die  Zahl  der  Wochenstunden,  die  dem  Unterricht  im  B.  G.  B. 
auf  den  deutschen  Universitäten  gewidmet  sind,  beträgt,  auf  ein 
Semester  berechnet,  etwa  achtzehn  bis  zwanzig.  Davon  entfallen  auf 
die  einzelnen  Bücher  des  B.  G.  B.  (Allgemeiner  Teil,  Recht  der 
Schuldverhältnisse,  Sachenrecht,  Familienrecht,  Erbrecht)  je  nach  deren 
Umfang,  Bedeutung  und  Schwierigkeit  je  drei,  vier  oder  auch  fünf 
Stunden.  Doch  wird  der  gesamte  im  B.  G.  B.  enthaltene  Rechtsstoff 
von  den  Studierenden  fast  nie  in  einem  einzigen  Semester  absolviert. 
Vielmehr  verteilt  er  sich  nach  den  Studienplänen  der  meisten  Fakul- 
täten auf  zwei  Semester  dergestalt,  daß  die  Studenten  in  dem  einen 
Halbjahr  den  Allgemeinen  Teil  und  das  Obligationenrecht,  in  dem 
anderen  Semester  die  übrigen  Abschnitte  des  B.  G.  B.  hören.  Dabei 
ist  an  manchen  Universitäten  der  Unterricht  so  organisiert,  daß  jeder 
Teil  des  B.  G.  B.  in  einem  selbständigen  Kolleg  zur  Darstellung 
kommt,  so  daß  die  Studierenden  zunächst  die  ersten  beiden  Abschnitte 
und  im  folgenden  Semester  die  letzten  drei  Abschnitte  jeweilig 
nebeneinander  hören.  Dieses  Verfahren  ist  aus  pädagogischen 
Gründen  nicht  empfehlenswert.  Das  Richtige  ist  vielmehr,  falls  der 
gesamte  Rechtsstoff  bloß  auf  zwei  Semester  verteilt  werden  soll,  den 
Al^emeinen  Teil  und  das  Obligationenrecht  in  dem  einen,  das 
Sachen-,  Familien-  und  Erbrecht  in  dem  andern  Halbjahr  in  je  einer 
einheitlichen  Vorlesung  (die  einzelnen  Teile  also  hintereinander)  vor- 
zutragen. Das  Beste  freilich  wäre  (wenn  es  auch  vorläufig  noch  mit 
Rücksicht  auf  die  Kürze  der  gesamten  Studienzeit  nicht  durchführbar 
ist),  den  Unterricht  im  B.  G.  B.  nicht  nur  auf  zwei,  sondern  auf  drei 
Semester  zu  verteilen,  indem  man  das  Sachenrecht  als  eine  selb- 
ständige Vorlesung  loslöste  und  allein  in  einem  besonderen  Semester 
traktierte. 

Das  B.  G.  B.  enthält  nicht  das  gesamte  in  Deutschland  geltende 
Privatrecht.  Es  gibt  neben  ihm  noch  Reichsspezialgesetze  privat- 
rechtlichen Inhalts,  und  in  den  einzelnen  Bundesstaaten  hat  sich  auch 
Landesprivatrecht,  wenn  auch  nur  in  bescheidenem  Umfang  erhalten. 
Ob  sie  dieses  im  B.  G.  B.  nicht  kodifizierte  Privatrecht  zum  Gegen- 
stand besonderer  Vorlesungen  machen  oder  an  den  geeigneten  Stellen 
dem  System  des  B.  G.  B.  eingliedern  wollen,  darüber  haben  die  ein- 
zelnen Fakultäten  bzw.  Dozenten  mehr  oder  weniger  selbständig  zu 
befinden.  Die  Praxis  der  einzelnen  Universitäten  ist  in  dieser  Be- 
ziehui^   verschieden.     Nur   hinsichtlich   einer    bestimmten   Art    von 


i06  I^hrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Sonderprivatrecht,  nämlich  hinsichtlich  des  Handelsrechtes,  ist  der 
Unterricht  auf  allen  Hochschulen  gleichmäßig  geregelt:  das  im 
Handelsgesetzbuch  vom  10.  Mai  1897  kodifizierte  Recht  des  Kaufmanns- 
standes wird  stets  in  einer  eigenen,  die  übrigen  privatrechtlichen 
Kollegien  ergänzenden,  durchschnittlich  vierstündigen  Vorlesung  vor- 
getragen. Herkömmlich  wird  dieser  Vorlesung  noch  das  Wechsel- 
recht und  das  sogenannte  Schiffahrtsrecht  (See-  und  Binnenschiffahrts- 
recht) angegliedert.  — 

Der  Unterricht  im  Privatrecht  stellt  nur  die  eine  Hälfte  des 
Rechtsstudiums  dar:  die  andere  wird  ausgefüllt  von  den  Disziplinen 
des  öffentlichen  Rechtes.  Zu  ihnen  gehört  das  Strafrecht,  das  Prozeß- 
recht, das  Verwaltungsrecht,  das  Staatsrecht,  das  Kirchenrecht  und 
das  Völkerrecht. 

Dem  Unterricht  im  Strafrecht  (womit  zunächst  nur  das  materielle 
Strafrecht  gemeint  ist)  liegt  das  Reichsstrafgesetzbuch  vom  15.  Mai 
1871  zugrunde.  Die  nicht  im  Strafgesetzbuch  enthaltenen  zahlreichen 
Reichsgesetze  strafrechtlichen  Inhalts  werden,  soweit  es  ihre  Bedeutung 
erfordert,  mit  berücksichtigt.  Das  quantitativ  sehr  umfangreiche, 
qualitativ  aber  nicht  sehr  bedeutsame  Landesstrafrecht  ist  für  ge- 
wöhnlich nicht  Gegenstand  des  akademischen  Unterrichts.  Die  wöchent- 
liche Stundenzahl,  die  auf  die  Strafrechtsvorlesung  entfallt,  ist  auf 
den  einzelnen  Universitäten  verschieden:  sie  beträgt  in  minimo  vier, 
in  maximo  acht  Stunden.  Wenn  man  zwischen  beiden  Extremen 
wählen  soll,  ist  ohne  Zweifel  dem  letzteren  der  Vorzug  zu  geben. 
Denn  da  allein  die  allgemeinen  Lehren  des  Strafrechts  (die  vom 
BegriflT  und  den  Erscheinungsformen  des  Verbrechens,  vom  Zweck 
und  den  Arten  der  Strafe  handeln),  auch  wenn  sie  ohne  übertriebene 
Breite,  nur  in  einer  ihrer  theoretischen  Bedeutsamkeit  und  ihrer 
praktischen  Wichtigkeit  entsprechenden  Weise  vorgetragen  werden, 
Stoff  genug  für  eine  vier-  und  selbst  mehrstündige  Vorlesung  bieten, 
so  ist  die  Folge  der  Beschränkung  der  gesamten  Strafrechtsvorlesung 
auf  vier  Wochenstunden,  daß  der  besondere  Teil,  der  die  Darstellung 
der  einzelnen  Delikte  enthält,  entweder  unerledigt  bleibt  oder  doch 
nur  eine  kursorische,  unzulängliche  Behandlung  erfahrt.  Empfehlens- 
wert und  der  Eigenart  des  Stoffes  durchaus  entsprechend  dürfle  es 
sein,  das  Strafrecht  von  vornherein  auf  zwei  Vorlesungen  zu  verteilen, 
von  denen  die  eine,  die  umfangreichere,  in  etwa  vier  bis  fünf  Wochen- 
stunden die  allgemeinen  Lehren,  die  andere,  etwa  zweistündige,  die 
einzelnen  Delikte  zur  Darstellung  zu  bringen  hätte.  Beide  Vorlesungen 
könnten  nebeneinander,  würden  aber  noch  besser  hintereinander  gehört 


Die  juristische  Fakultät:    I.  Der  Lehrbetrieb.  i07 

werden.  Bekanntlich  ist  das  Strafrecht  in  den  letzten  Jahrzehnten 
der  Schauplatz  bedeutsamer,  zum  Teil  noch  unausgetragener  Kämpfe 
gewesen.  Der  älteren,  sogenannten  „klassischen"  Schule  mit  ihrer 
rein  dogmatischen  Methode  trat  eine  jüngere  Richtung  gegenüber, 
welche  vorwiegend  die  sozialen  und  kriminal-politischen  Aufgaben  des 
Strafrechts  betonte.  Der  Kampf  der  Geister,  so  bedeutsam  er  für 
die  Wissenschaft  vom  Kriminalrecht  war  und  noch  ist,  hat  für  den 
akademischen  Unterricht  keine  wesentlichen,  nach  außen  hin  sichtbaren 
Veränderungen  im  Gefolge  gehabt.  Nur  daß  man  jetzt  mehr  als  früher 
neben  der  strafrechtlichen  Hauptvorlesung  Spezialkollegien  begegnet, 
die  sich  ex  professo  mit  der  politischen  Seite  des  Strafrechts  beschäftigen: 
wie  etwa  Vorlesungen  über  Kriminalpolitik,  Kriminalanthropologie 
und  "Psychologie,  Gefangniswesen,  Aetiologie  des  Verbrechens  usw. 
Das  Prozeßrecht  ist  im  Lehrplan  der  deutschen  Universitäten 
vertreten  durch  die  beiden  Vorlesungen  über  Zivilprozeß  und  Straf- 
prozeß. Auch  hier  hat  der  akademische  Unterricht  zufolge  der  beiden 
großen  prozeßrechtlichen  Kodifikationen  des  Deutschen  Reiches  festen 
Boden  unter  sich.  Die  wöchentiiche  Stundenzahl,  die  auf  die  beiden 
Prozesse  verwendet  wird,  schwankt  beim  Zivilprozeß  zwischen  vier 
und  sieben,  beim  Strafprozeß  zwischen  vier  und  fünf  Stunden.  Der 
hohe  Aufschwung,  den  die  Prozeßrechtswissenschaft,  namentlich  die 
des  Zivüprozesses  in  den  letzten  Jahrzehnten  genommen,  hat  natur- 
gemäß auch  dem  Universitätsunterricht  frische  Impulse  zugeführt. 
Eme  Schwierigkeit,  mit  welcher  der  Lehrer  des  Prozeßrechtes  zu 
kämpfen  hat,  besteht  zweifellos  darin,  daß  er  Materien  vortragen 
muß,  deren  Regelung  im  einzelnen  eng  mit  der  Einrichtung,  dem 
Geschäftsgang  und  der  Organisation  bestimmter  Behörden,  also  viel- 
fach mit  rein  technischen  und  formalen  Dingen  zusammenhängt,  für 
die  dem  Studenten  das  volle  Verständnis,  zum  mindesten  die  konkrete 
Anschauung  fehlt.  In  erfolgreicher  Weise  ist  diesem  Übelstand  zum 
TeU  durch  treffliche  Ausgaben  von  gedruckten  Aktenstücken  ab- 
geholfen worden,  welche  nach  dem  Muster  der  in  der  Praxis  üblichen 
Formulare  das  gesamte  Aktenmaterial  eines  fingierten  Prozesses  nebst 
allen  dazu  gehörigen  Formalien  in  einer  den  Bedürfnissen  des  aka- 
demischen Unterrichtes  angepaßten  Weise  dem  Studierenden  vor 
Augen  führen.  —  Von  der  Zivilprozeßvorlesung  werden  häufig  zum 
Zwecke  ihrer  Entiastung  die  sogenannten  „besonderen  Verfahrens- 
arten" (Urkunden-  und  Wechselprozeß,  Arrest  und  einst^\'eilige  Ver- 
fugungen, Mahnverfahren  usw.)  oder  auch  das  Recht  der  Zwangs- 
voUstreckui^  als  ein  selbständiges,  ein-  bis  zweistündiges  Kolleg  ab- 


■JOS  I^hrgcbiet  und  Lehrbetrieb. 

gesondert.  Eine  Ergänzung  der  prozeßrechtlichen  Vorlesungen  bildet 
femer  die  ebenfalls  ein-  bis  zweistündige  Vorlesung  über  Konkursrecht 
und  Konkursverfahren. 

Strafrecht  und  Prozeßrecht  dienen  vor  allem  der  Aufrecht- 
erhaltung der  Rechtsordnung.  Deren  Schutz  und  Verwirklichung 
aber  ist  eine  der  vornehmsten  Aufgaben  des  Staates.  Da  nun  die 
Lehre  von  den  Funktionen  des  Staates  zum  Staatsrecht  gehört,  so 
kann  man  sehr  wohl  jene  Materien  als  Teile  des  Staatsrechtes  be- 
zeichnen. Aber  um  der  besonderen  Gesichtspunkte  willen,  von  denen 
sie  beherrscht  sind,  haben  sie  sich  von  dem  eigentlichen  Staatsrecht 
losgelöst  und  zu  selbständigen  wissenschaftlichen  Disziplinen  entwickelt. 
Das  gleiche  ist  von  dem  Verwaltungsrecht  zu  sagen;  nur  hat  sich 
hier  die  Abtrennung  vom  Staatsrecht  erst  in  jüngerer  Zeit  vollzogen. 
Verwaltung  ist  die  gesamte  auf  die  positive  Förderung  der  Staats- 
und Volksinteressen  gerichtete  Tätigkeit.  Man  pflegt  sie  einzuteilen 
in  innere,  auswärtige,  Militär-,  Finanz-  und  Justizverwaltung.  Alle 
diese  staatlichen  Funktionen  werden  also,  wenigstens  in  ihren  Details, 
nicht  in  der  eigentlichen  Staatsrechtsvorlesung,  sondern  in  dem  be- 
sonderen Verwaltungsrechtskolleg  dargestellt.  Und  zwar  ist  hier, 
entsprechend  dem  bundesstaatlichen  Charakter  des  Deutschen  Reiches, 
über  das  Veru'altungsrecht  sowohl  des  Reiches  als  auch  mindestens 
desjenigen  Bundesstaates  zu  handeln,  dem  die  betreffende  Universität 
angehört.  Regelmäßig  wird  aber  daneben  auch  noch  das  Ver- 
waltungsrecht der  übrigen  größeren  Bundesstaaten  berücksichtigt. 
An  Zeit  stehen  dieser  Disziplin  vier  bis  sechs  Wochenstunden  zur 
Verfügung.  Im  Hinblick  auf  die  außerordentliche  Wichtigkeit  der 
Materie  und  die  immer  komplizierter  werdende,  sich  stets  wieder  auf 
neue  Gebiete  erstreckende  Ver^\'altungstätigkeit  des  Staates  dürfte  die 
genannte  Zeit  eher  zu  karg  als  zu  reichlich  bemessen  sein. 

Der  eigentlichen  Staatsrechtsvorlesung  fallt  die  Aufgabe  zu, 
vom  Gebiete  und  von  den  Gliedern,  von  der  Organisation  und  den 
Organen  des  Staates  zu  handeln.  Von  den  Funktionen  des  Staates 
kommt  hier,  da  die  Einzelheiten  des  Rechtsschutzes  und  der  Ver- 
waltung, wie  gezeigt,  den  Gegenstand  besonderer  Vorlesungen  bilden, 
nur  die  Gesetzgebung  ausführlich  zur  Darstellung.  Man  hat  mit 
Rücksicht  auf  den  eben  geschilderten  Inhalt  das  Staatsrecht  auch 
als  Verfassungsrecht  bezeichnet.  Ähnlich  wie  das  Verwaltungsrecht 
hat  es  sich  mit  Reichsrecht  und  mit  Landesrecht  zu  beschäftigen. 
Zu  diesem  doppelten  positiven  Rechtsstoff  tritt  noch  das  all- 
gemeine Staatsrecht  hinzu,  welches  über  den  Begriff  und  das  Wesen 


Die  juristische  Fakultät:    L  Der  Lehrbetrieb.  f  QQ 

des  Staates,  seine  verschiedenfachen  Erscheinungsformen,  über  die 
Geschichte  des  Staatsrechtes  usw.  Aufschluß  gibt.  Die  Art  und 
Weise,  wie  die  einzelnen  Dozenten  diese  dreifache  Materie:  Allge- 
meines Staatsrecht,  Reichs-  und  Landesstaatsrecht  gruppieren,  ist 
äußerst  verschieden.  Einige  fassen  sie  in  einer  einheitlichen  Vor- 
lesung zusammen.  Andere  wiederum  tragen  die  einzelnen  Teile  je 
in  einem  selbständigen  kürzeren  Kolleg  vor.  Oder  es  werden  Reichs- 
und Landesstaatsrecht  mit  einander  vereinigt  und  lediglich  das  all- 
gemeine Staatsrecht  getrennt  gelesen.  Aber  auch  die  Kombination 
des  allgemeinen  Staatsrechts  mit  Reichsrecht  oder  mit  Landesrecht 
kommt  vor.  Bei  dieser  Mannigfaltigkeit  der  Gruppierungen  ist  die 
Zahl  der  insgesamt  auf  das  Staatsrecht  entfallenden  Wochenstunden 
an  den  einzelnen  Universitäten  natürlich  verschieden  groß.  Normaler- 
weise nimmt  die  Disziplin  in  dem  ihr  gewidmeten  Semester  fünf  bis 
sechs  Stunden  wöchentlich  in  Anspruch. 

Das  Kirchenrecht,  das  im  Lehrplan  der  Universitäten  als  vier- 
bis  sechsstündige  Vorlesung  erscheint,  hat  zufolge  der  konfessionellen 
Verhältnisse  des  Deutschen  Reiches  sowohl  das  Recht  der  katholischen 
wie  das  der  evangelischen  Kirche  darzustellen. 

Das  Völkerrecht  wird  gewöhnlich  zwei-  bis  vierstündig  vor- 
getragen. — 

Bisher  sind  im  wesentlichen  nur  die  Hauptfacher  des  akade- 
mischen Unterrichts,  d.  h.  nur  diejenigen  Disziplinen  namhaft  gemacht 
worden,  deren  Kenntnis  für  eine  abgeschlossene  juristische  Ausbildung 
unter  allen  Umständen  erforderlich  ist.  Daneben  wird  aber  in  jedem 
Semester  von  den  Universitätslehrern  noch  eine  ganze  Reihe  von 
SpezialVorlesungen  angekündigt  über  solche  Materien,  die  in  den 
Hauptvorlesungen  entweder  gar  keine  oder  doch  keine  genügende 
Berücksichtigung  finden.  Dahin  gehört  z.  B.:  Internationales  Privat- 
recht, Versicherungsrecht  (und  zwar  sowohl  das  sogenannte  Privat- 
versicherungsrecht wie  das  Arbeiterversicherungsrecht),  Eisenbahn-, 
Post-  und  Telegraphenrecht,  Militärstrafrecht,  Preßrecht,  Kolonial- 
recht, vergleichende  Rechtswissenschaft,  RechtsphUosophie,  Politik, 
Geschichte  der  Rechtswissenschaft,  Rechtsgeschichte  eines  einzelnen 
Bundesstaates  oder  gar  einer  einzelnen  Provinz  oder  auch  eines 
ausländischen  Staates,  Entstehungsgeschichte  einzelner  Kodifikationen 
und  vieles  andere  mehr.  — 

Die  Vorlesungen  über  Nationalökonomie  und  Finanzwissenschaft, 
über  gerichtiiche  Medizin  und  forensische  Psychiatrie,  die  der  Stu- 
dierende der   Rechte  neben  den  spezifisch  juristischen    Kollegien  be- 


i  tO  Lehigebiet  und  Lehrbetrieb. 

suchen  soll,  stellen  keinen  Zweig  des  eigentlichen  Rechtsunterrichtes 
dar  und  bleiben  darum  bei  der  hier  zu  gebenden  Übersicht  außer 
Betracht.  — 

2.  Die  bisher  charakterisierten  systematischen  Vorlesungen 
bilden  den  Schwerpunkt  des  Rechtsunterrichtes.  Ihr  besonderer 
Wert  im  Gegensatz  zum  rein  literarischen  Studium  liegt  natürlich  in 
der  anregenden,  lebendigen  Wirkung  des  gesprochenen  Wortes. 
Sodann  aber  auch,  wenigstens  soweit  es  sich  nicht  um  ins  Detail 
gehende  Spezialvorlesungen  handelt,  in  der  konzentrierten  und  doch 
•  wissenschaftlichen  Form,  in  welcher  den  Studierenden  der  Rechts- 
stoff dargeboten  wird.  Daher  das  Bestreben  der  Studenten,  in  den 
Besitz  eines  möglichst  guten  und  vollständigen  Kollegienheftes  zu  ge- 
langen. Ihnen  durch  die  Art  des  Vortrages  die  Niederschrift  eines 
solchen  zu  ermöglichen,  ist  eine  vom  Dozenten  nicht  zu  verab- 
säumende Aufgabe.  Auf  welche  Methode  er  ihr  gerecht  werden 
will,  das  bleibt  seiner  Individualität  überlassen.  Für  den  Vortrag  des 
Lehrers  ist  freilich  die  stete  Rücksichtnahme  auf  das  Zustande- 
kommen des  „Kollegheftes"  ein  gewisser  Hemmschuh.  Um  sich  von 
ihm  frei  zu  machen,  händigen  einzelne  Rechtslehrer  den  Studierenden 
entweder  das  ganze  Kollegheft  oder  große  Teile  davon  in  Druck- 
bogen aus.'  Diese,  in  gewisser  Hinsicht  ideale  Lehrmethode  hat 
natürlich  auch  eine  Reihe  von  nicht  zu  unterschätzenden  Nachteilen 
im  Gefolge.  Eine  für  Lehrende  und  Lernende  gleich  nützliche,  auf 
den  deutschen  Universitäten  vielfach  geübte  Gepflogenheit  ist  es,  den 
Studierenden  bei  Beginn  des  Semesters  einen  gedruckten  „Grundriß" 
in  die  Hand  zu  geben.  Dieser  Grundriß  enthält  die  Kapitel-  und 
Paragraphenüberschriften  der  betreffenden  Vorlesung;  in  Gestalt  eines 
Inhaltsverzeichnisses  also  die  Einteilung  des  darzustellenden  Systems. 
Mittels  solchen  Grundrisses  sind  die  Studenten  rascher  in  dem  Lehr- 
gebäude zu  Hause  und  dem  Dozenten  verschafft  er  die  Möglichkeit, 
im  Bedarfsfalle  von  einzelnen  Stellen  des  Systems  auf  andere  zu  ver- 
weisen. 

Eine  wertvolle  und  fast  unentbehrliche  Ergänzung  der  syste- 
matischen Vorlesungen  sind  die  sogenannten  Übungen,  die  jetzt  an 
allen  deutschen  Universitäten  abgehalten  werden.  Im  Gegensatz  zu  den 
Vorlesungen,  in  denen  sich  die  Studenten  rein  rezeptiv  verhalten, 
findet  in  den  Übungen  zwischen  Lehrer  und  Schüler  ein  Gedanken- 
austausch in  Form  von  Frage  und  Antwort  statt.  Zudem  dienen 
die  Übungen  dazu,  einzelne  Materien,  die  in  den  Vorlesungen  nicht 
mit  einer  ihrer  Bedeutung  entsprechenden  Gründlichkeit  erledigt  werden 


Die  juristische  Fakultät:   I.  Der  Lehrbetrieb.  i  ji 

konnten,  weiter  auszubauen  und  zu  vertiefen.  Die  Übungen  kommen 
in  vierfach  verschiedener  Form  vor:  einmal  als  Quellenlektüre  bezvv. 
-exegese,  mag  es  sich  dabei  um  die  Interpretation  einer  Quelle  des 
Römischen  oder  des  Kanonischen  oder  des  älteren  deutschen  Rechtes 
oder  um  die  Erläuterung  eines  modernen  Gesetzes  handeln.  Sodann 
gibt  es  „Konversatorien"  (auch  Repetitorien  oder  Examinatorien 
genannt),  in  welchen  einzelne  Rechtsfragen  oder  auch  ganze  Rechts- 
gebiete in  rein  mündlicher  Form  erörtert  werden.  Den  wichtigsten 
Zweig  der  Übungen  stellen  die  Praktika  dar.  Hier  werden  praktische 
Rechtsfälle  (entweder  fingierte  oder  dem  Leben  entnommene)  zur 
schriftlichen  Bearbeitung  und  Entscheidung  aufgegeben  und  die 
eingereichten  Arbeiten  von  den  Professoren  korrigiert  und  zensiert 
und  mit  den  Studierenden  in  eingehender  Weise  besprochen.  Es  wird 
hier  also  vor  allem  die  Rechtsanwendung  geübt,  die  Subsumption 
konkreter  Tatbestände  unter  die  in  den  systematischen  Vorlesungen 
erlernten  Rechtssätze.  Gleichzeitig  sollen  hier  die  Studenten  in  der 
für  den  Anfanger  nicht  leichten  Kunst  des  schriftlichen  juristischen 
Gedankenausdrucks  unterwiesen  werden.  Es  liegt  auf  der  Hand, 
welche  hohe  Bedeutung  diesen  Praktika  für  die  juristische  Schulung 
und  die  ganze  methodische  Ausbildung  innewohnt.  Sie  werden  denn 
auch  an  allen  Fakultäten  mit  immer  größerem  Eifer  betrieben  und 
von  den  Studierenden,  welche  sich  der  Nützlichkeit  dieses  Übungs- 
zweiges sehr  wohl  bewußt  sind,  außerordentlich  gern  und  zahlreich 
besucht.  Das  Praktikum  wird  gewöhnlich  einmal  in  der  Woche,  und 
zwar  in  zwei  unmittelbar  aufeinander  folgenden  Stunden  abgehalten. 
Es  bedienen  sich  dieses  Übungszweiges  alle  wichtigeren  Disziplinen 
die  sich  überhaupt  für  diese  Art  des  Unterrichtes  eignen:  darnach 
gibt  es  Praktika  vor  allem  im  Bürgerlichen  Recht,  im  Handelsrecht, 
im  Strafrecht  und  im  Prozeßrecht;  aber  auch  im  Staats-  und  Ver- 
waltungsrecht fangt  man  an,  sie  einzurichten. 

Endlich  sind  noch  die  „seminaristischen  Übungen"  zu  er- 
wähnen. Mit  dem  Worte  Seminar  wird  ein  doppelter  Begriff  ver- 
bunden. In  dem  hier  verstandenen  Sinne  bedeutet  es  die  regelmäßige 
Zusammenkunft  einer  Anzahl  junger  Juristen,  die  unter  der  Leitung 
eines  Professors  an  die  Erörterung  von  schwierigeren  wissenschaftlichen 
Fragen  herantreten.  Vielfach  wollen  diese  Übungen  nicht  nur  die 
juristische  Ausbildung  der  Teilnehmer,  sondern  die  Wissenschaft  selbst 
unmittelbar  fordern.  Zu  erreichen  sucht  man  diese  Zwecke  dadurch, 
daß  die  Mitglieder  des  Seminars  über  ihnen  gestellte  Themata  Vor- 
träge  halten,   an    die  sich  dann  eine  Diskussion  anschließt;    oder   es 


112  Lehigebiet  und  Lehrbetrieb. 

werden  seitens  einzelner  Teilnehmer  wissenschaftliche  Fragen  schriftlich 
bearbeitet  und  diese  mehr  oder  minder  umfongreichen  Abhandlungen 
zur  Grundlage  für  die  mündliche  Besprechung  des  betreffenden  Gegen- 
standes gemacht.  Infolge  der  höheren  Ziele,  welche  sich  diese 
seminaristischen  Übungen  stecken,  vermögen  nur  die  begabteren 
Studenten  an  ihnen  teilzunehmen;  andrerseits  aber  werden  sie  gerade 
wegen  ihres  höheren  Niveaus  auch  vielfach  von  Leuten  besucht,  die 
das  juristische  Studium  schon  absolviert  haben,  sich  aber  in  einzelnen 
Zweigen  noch  weiter  ausbilden  wollen.  Einzelne  Seminare  pflegen 
die  in  ihnen  angefertigten  Arbeiten,  oder  doch  wenigstens  die  besseren 
unter  ihnen  zu  veröffentlichen.  Besonders  bekannt  sind  die  Abhand- 
lungen des  kriminalistischen  Seminars  zu  Berlin  und  des  staatswissen- 
schaftlichen Seminars  zu  Heidelberg.  Einen  eigentümlichen  Charakter 
hat  das  Seminar  für  Versicherungswissenschaften  an  der  Göttinger 
Universität.  Seinen  Leitern  ist  die  Befugnis  verliehen,  unter  staatlicher 
Autorität  Prüfungen  im  Versicherungsrecht  und  den  übrigen  Disziplinen 
der  Versicherungswissenschaft  abzuhalten  und  über  den  Ausfall  der 
Prüfungen  Zeugnisse  auszustellen,  so  daß  den  Examinierten  gewisser- 
maßen die  Eigenschaft  von  geprüften  Versicherungssachverständigen 
zukommt.  Ein  Recht  auf  Anstellung  im  Staats-  oder  Privatdienst 
eru'ächst  den  Betreffenden  zwar  aus  solcher  Prüfung  nicht.  Rs  liegt 
aber  in  der  Natur  der  Sache,  daß  bei  der  Stellenvergebung  im  Ver- 
sicherungswesen mit  Vorliebe  diejenigen  berücksichtigt  werden,  die 
über  die  geeignete  Vorbildung  ein  vom  Leiter  des  Versicherungs- 
seminars ausgestelltes  Zeugnis  vorzulegen  vermögen. 

Neben  der  bisher  verwendeten  Bedeutung  wird  aber  von  Seminar 
auch  noch  in  einem  anderen  Sinne  geredet.  Die  deutschen  Fakultäten 
stellen  nämlich  ihren  Studierenden  eine  je  nach  den  verfügbaren  Mitteln 
größere  oder  kleinere  Fachbibliothek  nebst  den  zur  Benutzung  der 
Bücher  an  Ort  und  Stelle  notwendigen  Arbeitsräumen  unentgeltlich 
zur  Verfügung.  Und  diese  Institution  heißt  ebenfalls  Seminar.  Hier 
bedeutet  also  Seminar  nicht  eine  besondere  Art  des  juristischen 
Unterrichts,  sondern  einen  Inbegriff  von  Lehrmitteln.  Während  nun 
„seminaristische  Übungen"  nicht  an  allen  juristischen  Fakultäten 
abgehalten  werden,  finden  sich  juristische  Seminare  in  der  letzteren 
Bedeutung  des  Wortes  jetzt  an  allen  deutschen  Universitäten.  Manche 
haben  sogar  mehrere  juristische  Seminare,  indem  mitunter  für  die 
Disziplinen  mit  „seminaristischen  Übungen"  ein  besonderes  Seminar 
eingerichtet  ist. 

Fast  alle    deutschen  Juristenfakultäten    geben    den  Studierenden 


Die  juristische  Fakultät:    I.  Der  Lehrbetrieb.  üS 

gleich  bei  der  Immatrikulation  gedruckte  Ratschläge  in  die  Hand,  wie 
das  Studium  am  zweckmäßigsten  einzurichten  sei.  Wenn  auch  diese 
Vorschläge,  wie  natürlich,  in  Einzelheiten  divergieren,  so  laufen  sie 
doch  in  der  Hauptsache  sämtlich  darauf  hinaus,  daß  der  Student 
während  der  ersten  Hälfte  seiner  Studienzeit  vor  allem  die  privat- 
rechtlichen Disziplinen  (Römisches  Recht,  Älteres  Deutsches  Recht, 
Bürgerliches  Gesetzbuch)  pflegen  soU,  während  die  zweite  Hälfte  am 
besten  auf  den  weiteren  Ausbau  der  erworbenen  privatrechtlichen 
Kenntnisse  und  auf  das  Studium  des  öffentlichen  Rechts  verwendet 
wird.  Selbstverständlich  hat  durchweg  das  Studium  des  materiellen 
Rechts  dem  Studium  des  Prozeßrechts,  der  Besuch  der  systematischen 
Vorlesungen  der  Teilnahme  an  den  Übungen  voranzugehen.  — 

3.  Deutschland  zählt  zur  Zeit  einundzwanzig  Juristenfakultäten, 
von  denen  die  Heidelberger  (gegründet  1386)  die  älteste,  die  Mün- 
sterer (gegründet  1902)  die  jüngste  ist.  Die  an  den  Fakultäten  wir- 
kenden Lehrer  (mögen  sie  nun  ordentliche  oder  außerordentliche 
Professoren  oder  Privatdozenten  sein)  sind  fast  alle  Theoretiker  d.  h. 
Männer,  deren  Beruf  ausschließlich  von  der  Lehrtätigkeit  und  der 
wissenschaftlichen  Forschung  ausgefüllt  wird.  Nur  selten  wird  ein 
Praktiker  nebenamtlich  als  Professor  angestellt  oder  ein  Professor 
nebenamtlich  als  Praktiker  beschäftigt.  Wohl  aber  haben  die  aka- 
demischen Lehrer  vielfach  (wenn  auch  keineswegs  notwendigerweise) 
vor  ihrem  Eintritt  in  die  Lehrtätigkeit  längere  oder  kürzere  Zeit  im 
praktischen  Staatsdienst  gearbeitet. 

Je  nach  den  Disziplinen,  die  sie  vertreten,  scheiden  sich  die 
Rechtslehrer  in  ZivUisten,  Kanonisten,  Kriminalisten,  Prozessualisten 
und  Publizisten.  Für  die  Zivilisten  war  früher  der  Gegensatz  von 
Romanisten  und  Germanisten  von  einschneidender  Bedeutung.  Seit- 
dem im  Privatrecht  die  dogmatische  Arbeit  dank  dem  B.  G.  B. 
eine  einheitliche  geworden  ist,  kommt  die  Unterscheidung  in  der 
Hauptsache  nur  noch  für  die  rechtsgeschichtliche  Forschung  in  Be- 
tracht. Im  übrigen  bezeichnet  die  obige,  den  Unterrichtsfachern  ent- 
nommene Einteilung  der  Rechtslehrer  nur  diejenige  Disziplin,  der 
sich  der  einzelne  Dozent  als  seinem  speziellen  Forschungsgebiete  zu- 
gewendet hat  und  in  der  er  darum  in  erster  Linie  zu  Hause  ist. 
Keineswegs  begreift  jene  Nomenklatur  eine  auch  hinsichtlich  der 
Lehrtätigkeit  strikte  durchgeführte  Arbeitsteilung  in  sich.  Vielmehr 
werden  hier,  da  nicht  für  jedes  Fach  ein  Spezialvertreter  angestellt 
werden  kann,  bei  der  Aufstellung  des  Lehrplanes  verschiedene  Kom- 
binationen   eingegangen.     So    muß    der   Kriminalist   regelmäßig   das 

Das  Unterrichtawesen  im  Deutschen  Reich.    I.  R 


1  i  4  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Prozeßrecht,  der  Prozessualist  vielfach  das  Strafrecht  oder  das  Kirchen- 
recht, der  Kanonist  das  Staatsrecht  oder  das  Völkerrecht,  der  Publizist  das 
Kirchenrecht  mitübernehmen.  Vereinzelt  wird  auch  von  Zivilisten  Staats- 
recht oder  Kirchenrecht  gelesen.  Eine  sehr  fruchtbare,  durch  die  innere 
Zusammengehörigkeit  der  Materien  sich  von  selbst  empfehlende  Verbin- 
dung ist  die  des  Zivilrechtes  mit  dem  Zivilprozeßrecht.  —  Die  Lehrer  der 
Nationalökonomie  gehören  nicht  der  juristischen,  sondern  regelmäßig 
der  philosophischen  Fakultät  an.  Nur  an  vier  Universitäten  (Freiburg, 
Münster,  Straßburg,  Würzburg)  sind  die  Lehrer  der  Rechtswissen- 
schaft und  die  Lehrer  der  sogenannten  „Staatswissenschaften**  zu  einer 
einheitlichen  „Rechts-  und  Staatswissenschaftlichen  Fakultät**  vereinigt. 
An  zwei  Universitäten  (München,  Tübingen)  findet  sich  eine  beson- 
dere staatswirtschaftliche  bezw.  staatswissenschaftliche  Fakultät.   — 

Was  die  Schüler  des  Rechtsunterrichtes  betrifft,  so  widmen  sich 
die  weitaus  meisten  dem  Studium  der  Rechte  in  der  ausgesprochenen 
Absicht,  nach  seiner  Absolvierung  in  öffentliche  Dienste  zu  treten, 
worunter  hier  sowohl  der  höhere  Staats-  und  Gemeindedienst  wie  die 
Anwaltstätigkeit  verstanden  sein  soll.  Bei  dieser  Berufswahl  ist  das 
Studium  der  Jurisprudenz  obligatorisch.  Neben  diesen  Berufsjuristen 
gibt  es  aber  auch  Studierende  der  Rechte,  welche  die  auf  der  Uni- 
versität erworbenen  Rechtskenntnisse  in  privaten  Diensten  zu  ver- 
werten hoffen:  etwa  als  Bankbeamte,  als  Angestellte  von  Versiche- 
rungsgesellschaften, als  juristische  Berater  kaufmännischer  oder  indu- 
strieller oder  landwirtschaftlicher  Unternehmungen,  als  Journalisten  usw. 
Schließlich  finden  sich  auch  solche,  die  lediglich  zur  Vervollständigung 
und  Erweiterung  ihrer  allgemeinen  Bildung  einige  Semester  Juris- 
prudenz studieren. 

Bis  vor  kurzem  wurden  in  ganz  Deutschland  nur  diejenigen  zum 
Rechtsstudium  zugelassen,  die  sich  im  Besitze  des  Reifezeugnisses 
eines  Gymnasiums  befanden,  d.  h.  die  vorgeschriebene  humani- 
stische Vorbildung  genossen,  insbesondere  sich  ein  bestimmtes  Maß 
von  Kenntnissen  in  den  alten  Sprachen  erworben  hatten.  Die  Mehr- 
zahl der  Bundesstaaten  hält  auch  jetzt  noch  an  diesem  Prinzipe  fest. 
Hingegen  ist  es  aufgegeben  worden  von  Preußen  durch  eine  im 
Jahre  1902  erlassene  Ministerialbekanntmachung,  welche  zwar  das 
Gymnasium  noch  als  die  geeignetste  Anstalt  zur  Vorbildung  für  den 
juristischen  Beruf  bezeichnet,  aber  außer  den  Gymnasialabiturienten 
auch  solche  Studierende  zum  Rechtsstudium  zuläßt,  die  das  Zeugnis 
der  Reife  eines  deutschen  Realgymnasiums  oder  einer  preußischen 
Ober-Realschule,  also  von  Anstalten  erworben  haben,  welche  die  alten 


Die  juristische  Fakultät:    I.   Der  Lehrbetrieb.  üS 

Sprachen  nicht,  bezw.  nur  in  geringem  Umfange  kultivieren.  Um 
diesen  Abiturienten  mit  mehr  oder  minder  ausschließlich  realistischer 
Vorbildung  Gelegenheit  zu  geben,  sich  die  mangelnde,  für  die  Quellen- 
lektüre aber  notwendige  Kenntnis  der  alten  Sprachen  nachträglich  zu 
verschaffen,  sind  an  den  preußischen  Universitäten  seitens  der  Unter- 
richtsbehörde besondere  Kurse  eingerichtet  worden.  Ob  die  preußische 
Neuerung  gegenüber  dem  bisherigen  Zustand  einen  Fortschritt  be- 
deutet, darüber  läßt  sich  natürlich  jetzt  noch  kein  Urteil  fallen.  Wie 
übrigens  verlautet,  soll  auch  im  Königreich  Württemberg  die  Absicht 
bestehen,  die  Realgymnasiasten  zum  juristischen  Studium  zuzulassen. 
4.  Eine  Maximalfrist  ist  dem  Studenten  für  seine  juristische  Aus- 
bildung auf  der  Universität  nicht  gesetzt.  Er  kann  die  Studienzeit 
so  weit  ausdehnen,  wie  er  will.  Hingegen  ist  für  diejenigen,  die 
nach  Absolvierung  ihrer  Universitätsstudien  in  den  öffentlichen  Dienst 
eintreten  wollen,  eine  Minimalfrist  vorgesehen.  Sie  müssen  nämlich 
mindestens  sechs  (im  Großherzogtum  Baden  sieben,  im  Königreich 
Bayern  sogar  acht)  Semester  studiert  haben,  ehe  sie  sich  zur  ersten 
Staatsprüfung  melden  können.  Daß  die  ganze  Zeit  auf  einer 
deutschen  Universität  verbracht  worden  ist,  wird  nicht  verlangt, 
auch  das  Studium  auf  einer  ausländischen  Hochschule,  falls  deren 
Organisation  unseren  Einrichtungen  ungefähr  entspricht,  zählt  bei  der 
Fristberechnung  mit.  Nur  verlangt  das  deutsche  Gerichtsverfassungs- 
gesetz, daß  mindestens  drei  Semester  dem  Rechtsstudium  auf  einer 
deutschen  Universität  gewidmet  sind.  Vielfach  liegen  die  jungen 
Juristen  während  der  Studienzeit  ihrer  einjährigen  Militärdienstpfiicht 
ob.  Es  gibt  in  Deutschland  keine  einheitlichen  Bestimmungen  darüber, 
ob  solchenfalls  das  Militärjahr  in  die  für  das  Rechtsstudium  vor- 
geschriebene Minimalfrist  einzurechnen  ist.  Vier  Bundesstaaten  ver- 
bieten, die  andern  gestatten  die  Anrechnung  ausdrücklich.  Da  der 
Student  während  seines  Militärjahres,  das  mit  Recht  die  volle  Mannes- 
kraft in  Aaspruch  nimmt,  zum  Studieren  notorisch  nicht  kommt,  so 
ist  es  nur  folgerichtig,  die  Dienstzeit  auf  das  akademische  Triennium 
bezw.  Quadriennium  nicht  anzurechnen.  Freilich  bleiben  dadurch  die 
militärpflichtigen  Studenten  in  der  juristischen  Laufbahn  hinter 
ihren  der  Dienstpflicht  aus  gesundheitlichen  Gründen  nicht  unter- 
liegenden Kommilitonen  notwendiger^\'eise  um  ein  volles  Jahr  zurück. 
Dieser  Ungerechtigkeit  läßt  sich,  wenigstens  zum  Teil,  dadurch  be- 
gegnen, daß  bei  der  Berechnung  des  Dienstalters  der  Beamten  die 
auf  die  Erfüllung  der  aktiven  Militärpflicht  verwendete  Zeit  mit  in 
Ansatz  gebracht  wird,  eine  Einrichtung,  die  in  einzelnen  Bundesstaaten 

a* 


'I  '1 5  I^hrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

jetzt  schon  für  diejenigen  Fälle  getroffen  ist,  wo  Studierende  im  Hin- 
blick auf  das  in  die  Studienzeit  hineinfallende  Militärjahr  freiwillig  ihr 
Rechtsstudium  um  die  entsprechende  Anzahl  von  Semestern  ver- 
längern. — 

Wie  der  deutsche  akademische  Unterricht  überhaupt,  so  gründet 
sich  auch  der  Rechtsunterricht  auf  das  Prinzip  der  sogenannten 
Lemfreiheit.  Diese  bedeutet  für  die  Studierenden  der  Rechte 
keineswegs  die  Befugnis,  selbst  darüber  zu  bestimmen,  ob  sie  sich 
überhaupt  juristische  Kenntnisse  und  was  für  welche  sie  sich  aneignen 
wollen.  Eine  solche  Freiheit  haben  wenigstens  diejenigen  Juristen, 
die  nach  Vollendung  ihrer  Studien  in  den  Staatsdienst  eintreten 
wollen,  zweifellos  nicht.  Denn  bevor  sich  ihnen  die  Pforten  des 
letzteren  öffnen,  müssen  sie,  wie  schon  angedeutet,  in  einer  Prüfung 
den  Besitz  der  erforderlichen  Rechtskenntnisse  dartun.  Für  die  Mehr- 
zahl der  juristischen  Studenten  besagt  die  Lemfreiheit  vielmehr  nur, 
daß  sie  bis  zu  dem  Tage,  wo  sie  sich  vor  der  staatlichen  Prüfungs- 
behörde über  den  Umfang  der  erworbenen  Kenntnisse  auszuweisen 
haben,  weder  einem  unmittelbaren  Arbeitszwang,  wie  er  seitens  der 
Schule  auf  die  Schüler  ausgeübt  wird,  noch  einer  regelmäßigen  Kon- 
trolle hinsichtlich  ihres  Fleißes  oder  der  Art  und  Weise  ihres 
Studiums  unterliegen.  Sondern  man  überläßt  es  ihnen  als  er- 
wachsenen Männern,  selbst  darüber  zu  befinden,  wie  und  wann  und 
wo  sie  sich  während  ihrer  Studienzeit  das  für  ihren  künftigen  Beruf 
notwendige  Wissen  aneignen  wollen. 

Eine  sehr  wesentliche  Ausnahme  von  diesem  Grundsatz  ist  vor 
einigen  Jahren  im  Königreich  Bayern  eingeführt  worden.  Hier  werden 
nämlich  die  Studierenden  der  Rechte  nach  Ablauf  des  Quadrienniums 
nur  dann  zur  ersten  juristischen  Staatsprüfung  zugelassen,  wenn  sie 
sich  während  ihrer  Studienzeit,  und  zwar  nach  einem  Studium  von 
mindestens  drei  Semestern,  der  sogenannten  „Zwischenprüfung"  er- 
folgreich unterzogen  und  nach  deren  Ablegung  noch  wenigstens  drei 
weitere  Semester  studiert  haben.  Diese  Zwischenprüfung  (in  Österreich 
schon  seit  mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  rechtens)  verfolgt  den 
Zweck,  die  erste  Prüfung  von  einem  Teile  des  Prüfungsstoffes  zu  ent- 
lasten, „die  Kandidaten  zu  einem  systematischen  Studiengange  sowie 
dazu  anzuhalten,  daß  sie  schon  beim  Beginne  der  Studienzeit  sich  den 
fleißigen  Besuch  der  Vorlesungen  und  das  gründliche  Studium  des 
Gehörten  angelegen  sein  lassen,  endlich  dahin  zu  wirken,  daß  die 
dem  juristischen  Studium  nicht  gewachsenen  Kandidaten  schon  in 
einem  möglichst  frühen  Zeitpunkte  zu  der  Einsicht  von  der  Notwendig- 


Die  juristische  Fakultät :    I.    Der  Lehrbetrieb.  ^  ^  7 

keit  gebracht  werden,  einen  anderen  Beruf  zu  wählen".  Gegenstände 
der  (rein  mündlichen)  Zwischenprüfung  sind  die  römische  Rechts- 
geschichte und  das  System  des  römischen  Privatrechts,  die  deutsche 
Rechtsgeschichte  und  die  Grundzüge  des  deutschen  Privatrechts.  Es 
ist  hier  nicht  der  Ort,  in  eine  nähere  Erörterung  über  die  Zweck- 
mäßigkeit bezw.  Notwendigkeit  der  Zwischenprüfungen  einzutreten. 
Der  vorjährige  deutsche  Juristentag  in  Berlin  hat  sich  ex  professo 
mit  dieser  Frage  beschäftigt  und  hat  das  Institut  nahezu  einmütig 
veru'orfen.  Und  in  der  Tat  kann  man  bei  vorurteilsfreier  Erwägung 
aller  hier  in  Betracht  kommenden  Dinge  nicht  leugnen,  daß  die  Ziele, 
die  sich  die  Zwischenprüfung  setzt,  von  ihr  nicht  erreicht  werden,  sie 
die  erhofften  Vorteile  also  nicht  hat,  dagegen  aber  mit  vielen  und 
gewichtigen  Nachteilen  verbunden  ist. 

Abgesehen  von  der  bayerischen  Zwischenprüfung  werden  auch 
sonst  in  Deutschland  Ausnahmen  von  dem  Grundsatz  der  Lern- 
freiheit gemacht.  So  räumen  eine  Reihe  von  Bundesstaaten  (darunter 
auch  Preußen)  dem  mit  der  Leitung  der  ersten  juristischen  Staats- 
prüfung beauftragten  Beamten  die  Befugnis  ein,  denjenigen  Kandidaten, 
die  nach  Ausweis  der  Universitätszeugnisse  ihr  Studium  so  wenig 
methodisch  eingerichtet  haben,  daß  es  als  ein  ordnungsmäßiges 
Rechtsstudium  nicht  angesehen  werden  kann,  die  Zulassung  zur 
Prüfung  zu  verweigern.  Es  verlangt  hier  also  der  Staat  nicht  nur, 
daß  der  Kandidat  beim  Eintritt  in  die  Praxis  bestimmte  Kenntnisse 
besitze,  sondern  auch,  daß  er  sie  sich  auf  methodische  Weise  er- 
worben habe.  Der  indirekte  Zwang,  der  hierdurch  auf  die  Studierenden 
ausgeübt  wird,  ihr  Studium  zweckmäßig  einzurichten,  ist  freilich  in 
Wirklichkeit  rein  formaler  Natur.  Denn  wenn  er  auch  seiner  Idee 
nach  darauf  hinwirken  soll,  daß  die  Studierenden  die  juristischen 
Vorlesungen  in  einer  durch  ihren  Inhalt  bedingten  Aufeinanderfolge 
besuchen,  so  kann  sich  doch  zufolge  unserer  Universitätseinrichtungen 
der  Vorsitzende  der  Prüfungskommission  aus  den  ihm  vor  der 
Zulassung  zum  Examen  unterbreiteten  Papieren  lediglich  darüber 
informieren,  ob  die  Kandidaten  während  ihrer  Studienzeit  die  er- 
forderlichen Kollegien  in  sinngemäßer  Reihenfolge  belegt  haben. 
Da  die  Kontrolle  sich  also  in  der  Hauptsache  auf  die  Feststellung 
dieser  Formalien  beschränkt  (deren  Feststellung  übrigens  nicht  ent- 
behrt werden  kann,  wenn  man  nicht  überhaupt  das  Erfordernis  des 
Universitätsstudiums  preisgeben  will),  so  tut  jener  dem  Studierenden 
hinsichtlich  des  Studienganges  auferlegte  Zwang  dem  Prinzip  der 
Lemfreiheit  nur  wenig  Eintrag.    Mit  einem  Punkte  allerdings  verhält 


]\Q  I^ehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

es  sich  anders.  Das  preußische  Prüfungsregulativ  und  auch  die 
Regulative  einiger  anderen  Bundesstaaten  bestimmen,  daß  ein  Rechts- 
studium in  der  Regel  nur  dann  als  „methodisch"  angesehen  werden 
könne,  wenn  der  Prüfling  sowohl  in  der  ersten  wie  in  der  zweiten 
Hälfte  seiner  Studienzeit  ein  Praktikum  im  Bürgerlichen  Recht  und 
gegen  deren  Schluß  überdies  ein  zivilprozessuales  Praktikum  besucht 
habe.  Da  die  Teilnahme  an  diesen  Übungen  nicht  durch  deren 
bloßes  Belegen,  sondern  nur  durch  ein  von  dem  betreffenden 
Dozenten  ausgestelltes,  den  erfolgreichen  Besuch  bescheinigendes 
Zeugnis  nachgewiesen  werden  kann,  da  außerdem  die  in  dem 
Praktikum  gelieferten  Arbeiten  dem  Gesuch  um  Zulassung  zur  Staats- 
prüfung beizulegen  sind,  so  bekommt  hier  der  auf  die  Juristen  während 
ihres  Studiums  ausgeübte  indirekte  Zwang  einen  reellen  Inhalt  und 
stellt  insoweit  eine  wirkliche  und  gar  nicht  unbedeutende  Ausnahme 
von  der  dem  Studenten  im  übrigen  gewährten  Lernfreiheit  dar. 
Darum  ist  von  den  Verteidigern  der  letzteren  das  Institut  der  „Zwangs- 
praktika** vielfach  angegriffen  worden.  Dabei  ist  aber  die  ganze 
Einrichtung  gerade  von  ihren  Gegnern  in  ihrer  Tragweite  stark 
überschätzt  worden:  die  Abschaffung  oder  Beibehaltung  der  Zwangs- 
praktika gehört  durchaus  nicht  zu  den  wichtigsten  den  Rechts- 
unterricht betreffenden  Fragen.  Sicher  ist  ja,  daß  sie  in  dem  auf 
dem  Prinzip  der  Freiheit  und  der  Selbstbestimmung  aufgebauten 
akademischen  Unterricht  etwas  fremdartiges  darstellt.  Andererseits 
besteht  doch  etwas  ähnliches  in  dem  für  den  Mediziner  obligatorischen 
Besuch  der  Kliniken  und  es  läßt  sich  auch  nicht  verkennen,  daß 
schon  manche  Studenten,  die  sich  sonst  fern  von  den  Hörsälen  auf 
unwissenschaftlichem,  hier  nicht  näher  zu  charakterisierenden  Wege 
die  erforderlichen  Examenskenntnisse  angeeignet  hätten,  durch  die 
Zwangspraktika  noch  rechtzeitig  dem  wissenschaftlichen  Studium  ge- 
wonnen worden  sind.  Nur  würde  sich  dieser  Erfolg  auch  auf  andere 
Weise,  nämlich  durch  eine  zweckentsprechende  Umgestaltung  der 
ersten  juristischen  Staatsprüfung  erreichen  lassen.  Diese  ist  heutzu- 
tage dringend  reformbedürftig.  Solange  aber  diese  Reform  nicht 
erfolgt  ist,  wird  man  auf  die  nützlichen  Wirkungen  der  Zwangs- 
praktika nicht  ohne  weiteres  verzichten  können.  Eine  Frage  für  sich 
ist  es  natürlich,  ob  es  sich  empfiehlt,  die  Zwangspraktika  auf  einzelne 
ausgewählte  Disziplinen  zu  beschränken,  und  wenn  ja,  ob  die  gegen- 
wärtig in  dieser  Hinsicht  getroffene  Auswahl  die  richtige  ist. 

Was  die  erste  juristische  Staatsprüfung,  die  nach  Abschluß  des 
Rechtsstudiums  zu  bestehen  ist,  selbst  betrifft,    so  zerfallt  sie  in  allen 


Die  juristische  Fakultät:    I.   Der  T^hrbetrieb.  119 

deutschen  Bundesstaaten  in  einen  schriftlichen  und  in  einen  münd- 
lichen Teil.  Die  schriftliche  Probeleistung  besteht  entweder  in  der 
Anfertigung  mehrerer  kleinerer  Klausurarbeiten  oder  einer  größeren 
häuslichen  Arbeit,  die  innerhalb  einer  bestimmten  Frist  fertig  zu 
stellen  ist.  Die  mündliche  Prüfung  erstreckt  sich  auf  das  gesamte 
private  und  öffentliche  Recht,  einschließlich  der  rechtshistorischen 
Disziplinen;  in  einzelnen  Bundesstaaten  auch  auf  die  Grundlehren  der 
Nationalökonomie  und  der  Finanzwissenschaft.  Selbstverständlich 
kann  von  dieser  Stoffmenge  in  jedem  Examen  bloß  ein  verschwindend 
kleiner  Teil  durchgenommen  werden,  zumal  für  die  mündliche 
Prüfung  eines  Kandidaten  nur  die  knappe  Zeit  von  etwa  einer 
Stunde  und  nicht  einmal  die  allerorten  zur  Verfügung  steht.  Als 
Examinatoren  werden  in  einigen  Staaten  ausschließlich  Professoren, 
in  anderen  Staaten  ausschließlich  Praktiker  berufen;  in  Preußen  setzt 
sich  die  Prüfungskommission  sowohl  aus  Praktikern,  wie  aus  Theore- 
tikern zusammen. 

Nach  abgelegtem  Examen  tritt  der  Studierende  (oder  „Rechts- 
kandidat", wie  er  vor  der  Prüfung  heißt)  in  den  Staatsdienst  und 
zwar  zunächst  in  den  sogenannten  Vorbereitungsdienst  ein.  Hier 
soll  er  sich  in  der  praktischen  Handhabung  und  Verwertung  der  auf 
der  Universität  erworbenen  theoretischen  Kenntnisse  üben.  Das 
Nähere  über  diesen  Vorbereitungsdienst  gehört  nicht  hierher.  Nur 
soviel  mag  bemerkt  sein,  daß  er  von  Rechtswegen  mindestens  drei 
Jahre  dauern  muß,  tatsächlich  in  den  meisten  Staaten  vier  Jahre 
dauert  und  daß  er  wiederum  durch  ein  Examen:  durch  die  soge- 
nannte „zweite"  oder  „große"  Staatsprüfung  abgeschlossen  wird. 

Der  Erwerb  des  juristischen  Doktortitels  ist  für  den  Eintritt  in 
den  Staatsdienst  weder  erforderlich  noch  genügend.  Tatsächlich  gibt 
es  eine  Menge  von  hohen  und  höchsten  Beamten,  die  diesen  Titel 
nicht  besitzen.  Andererseits  hat  er  noch  keinen,  der  ihn  erworben, 
von  den  Staatsexamina  befreit.  Obligatorisch  ist  er  nur  für  die- 
jenigen, die  selbst  einmal  die  Dozentenlaufbahn  einschlagen  wollen. 
Besonderen  Wert  hat  er  sodann  für  solche,  die  nach  Vollendung 
ihrer  Studien  nicht  in  den  Staatsdienst  eintreten,  sondern  sich  gewerb- 
licher Tätigkeit  oder  anderen  Berufsarten  zuwenden.  Für  sie  bedeutet 
das  Doktorexamen  den  Abschluß  ihrer  juristischen  Studien  und  der 
Doktortitel  gleichsam  das  öffentliche  Zeugnis  über  die  genossene 
akademische  Bildung.  Irgendwelche  greifbaren  Rechte  sind  mit  dem 
Doktortitel  gegenwärtig  nicht  mehr  verbunden;  er  ist  also  ein  reiner 
Titel,   aber  ein  Titel,    der  infolge  seines  hohen  geschichtlichen  Alters 


120  I^hrgebiet  und  I^ehrbelrieb. 

noch  immer  ein  großes  Ansehen  genießt  und  darum  trotz  der  nicht 
unbeträchtlichen  Kosten,  die  mit  ihm  verknüpft  sind,  noch  viel  begehrt 
wird.  Seine  Verleihung  erfolgt  nicht  durch  den  Staat,  sondern  durch 
die  Fakultäten.  Diese  haben  auch  die  Voraussetzungen  aufzustellen, 
unter  denen  er  erworben  werden  kann.  Die  Erfordernisse  dafür  sind 
an  den  einzelnen  Universitäten  verschieden.  Doch  werden  überall  als 
Mindestleistung  eine  schriftliche  Arbeit  und  das  Bestehen  einer  münd- 
lichen Prüfung  (sogen.  Rigorosum)  verlangt.  Die  schriftliche  Arbeit 
muß  eine  „Dissertation**  d.  h.  eine  selbständige  rechtswissenschaftliche 
Abhandlung  über  ein  frei  gewähltes  Thema  sein;  eine  „Exegese**  d.  h. 
die  schriftliche  Interpretation  einer  oder  mehrerer  Quellenstellen  wird 
heute  nirgends  mehr  als  ausreichend  erachtet.  Einzelne  Fakultäten 
verlangen  aber  Dissertation  und  Exegesen.  Die  Dissertation  muß 
nach  ihrer  Approbation  gedruckt  werden.  Erst  dann  erfolgt  die 
Promotion.  Diese  geschieht  an  einigen  Universitäten  durch  formlose 
Zustellung  des  Doktordiploms;  an  manchen  Orten  aber  besteht  sie 
in  einer  öffentlichen,  mit  althergebrachten  Zeremonien  verbundenen 
Feier.  In  Erinnerung  an  die  seinerzeit  durch  die  Rezeption  des 
römischen  und  des  kanonischen  Rechtes  hervorgerufene  Zweiteilung 
der  Rechtswissenschaft  und  des  Rpchtsunterrichtes  wird  auch  heute 
noch,  obwohl  jene  Zwiespältigkeit  längst  der  Geschichte  angehört, 
durchweg  der  Titel  eines  Doctor  utriusque  juris  verliehen. 

5.  Im  Verlaufe  der  Darstellung  sind  mehrfach  Punkte  berührt 
worden,  wo  die  gegenwärtige  Gestaltung  des  Rechtsunterrichtes  ver- 
besserungsbedürftig erscheint.  Von  der  Mehrzahl  der  Universitäts- 
lehrer wird  namentlich  die  Verlängerung  der  Studienzeit  als  dringend 
notwendig  angesehen.  Sie  weisen  darauf  hin,  daß  das  Triennium,  an 
dem  jetzt  noch  die  meisten  Bundesstaaten  festhalten,  aus  einer  Zeit 
stamme,  wo  der  akademische  Unterricht  auch  nicht  annähernd  mit  der 
Stoffmasse  belastet  war,  die  gegenwärtig  von  ihm  bewältigt  werden  muß. 
Sind  doch  die  Disziplinen  des  öffentlichen  Rechtes  seit  den  letzten 
Dezennien  in  stetem  Wachstum  begriffen,  sodass  sie  gegen  früher  an 
Umfang  ganz  außerordentlich  zugenommen  haben.  Sodann  hat  das 
B.  G.  B.  dem  Privatrechtsunterricht  eine  Fülle  von  neuen  Aufgaben 
gestellt.  Und  die  Übungen  beanspruchen  jetzt  im  juristischen  Lehrplan 
einen  Raum,  wie  nie  zuvor.  Man  macht  weiter  geltend,  daß  die  Juristen 
während  ihrer  Studienzeit  neben  den  Hauptdisziplinen  womöglich  noch 
die  eine  oder  die  andere  Spezial Vorlesung  hören  sollen,  ja  daß  es  im 
Interesse  ihrer  allgemeinen  Bildung  wünschenswert  erscheint,  daß  sie 
ab    und    zu    auch    Kollegien    aus    den    Wissenszweigen    der    andern 


Die  juristische  Fakultät:    1.    Der  I^hrbelrieb.  121 

Fakultäten  besuchen;  femer,  daß  selbst  der  fleißigste  Student  erst 
eine  Reihe  von  Erfahrungen  gesammelt  haben  muß,  ehe  er  mit  wirk- 
lichem Erfolg  zu  arbeiten  vermag;  und  man  erinnert  schließlich  daran, 
daß  die  Universitätsjahre  nicht  nur  der  geistigen  und  juristischen 
Ausbildung,  sondern  vor  allem  auch  der  Charakterentwicklung  der 
jungen  Leute  dienen.  So  glaubt  man  den  Schluß  nicht  von  der 
Hand  weisen  zu  können,  daß  für  das  Rechtsstudium  selbst  sieben 
Semester  nicht  ausreichend  sind,  daß  vielmehr  an  dem  (durch  kein 
Militärjahr  zu  verkürzenden)  Quadriennium  als  dem  erstrebenswerten 
Ziele  festgehalten  werden  müsse.  Und  dieses  Ziel  läßt  sich  in- 
sofern leicht  erreichen,  als  heutzutage  der  privatrechtliche  Unter- 
richt in  ganz  anderer  Weise  wie  früher  auf  die  künftige  Praxis  vor- 
bereitet, sodaß  jetzt  der  staatliche  Vorbereitungsdienst  von  manchen 
ihm  ehemals  zufallenden  Aufgaben,  entlastet  ist  und  darum  unbedenk- 
lich eine  Verkürzung  seiner  Dauer  verträgt. 

Heinrich    T  i  t  z  c. 


n.    Das  bürgerliohe  Gesetzbuch  und  das  Bechtsstudiiim. 

Seitdem  das  bürgerliche  Gesetzbuch  in  den  Mittelpunkt  der 
zivilrechtlichen  Studien  gerückt  ist,  haben  diese  einen  ganz  anderen 
Charakter  angenommen ;  zwar  nicht  in  der  Art,  daß  wir  es  je  als  die 
richtige  Methode  betrachten  könnten,  so  wie  in  romanischen  Ländern, 
das  Gesetzbuch  Artikel  für  Artikel  zu  kommentieren  und  in  seinen 
Worten  die  alleinige  und  höchste  Erleuchtung  zu  finden.  Vielmehr 
bleiben  wir  dabei,  daß  die  Darstellung  des  Rechts  eine  systematische 
sein  muß  und  daß  die  Gesetzesworte  nur  gleichsam  die  Wegweiser 
sind,  die  uns  zeigen,  in  welcher  Richtung  wir  die  Prinzipien  der 
Rechtsordnung  zu  finden  haben.  Nie  und  nimmer  werden  wir  außer 
acht  lassen,  daß  ein  Gesetzbuch  nur  eine  geschichtliche  Äußerung  des 
Menschengeistes  ist,  die  mit  Gegenwart  und  Zukunft  zusammenhängt, 
und  daß  ohne  Blick  in  die  Vergangenheit  und  in  die  Zukunft  ebenso- 
wenig eine  Erfassung  des  Rechts  möglich  ist,  wie  ohne  ein  tieferes 
Studium  des  Gegenwärtigen  und  ohne  eine  gründliche  Erforschung 
der  Rechtsideen,  die  im  Gesetze  ihre  Verwirklichung  gefunden  haben. 
Insofern  werden  wir  niemals  vergessen,  daß  wir  Jahrzehnte  des 
Pandektenstudiums  hinter  uns  haben;  und  wessen  Geist  systematisch 
geschult  ist,  der  wird  sich  nie  mehr  mit  einer  bloßen  Kommentier- 
arbeit begnügen  können ;  insbesondere  für  den  Unterricht  wäre  nichts 
verderblicher,  als  eine  solche  Vereinzelung  und  eine  zusammenhangs- 
lose Darstellung  von  Paragraphen  zu  Paragraphen,  worin  der  geistige 
Gehalt  nicht  zur  Geltung  käme. 

Das  ist  selbstverständlich.  Nach  der  anderen  Seite  aber  mußte 
das  Studium  einen  wesentlich  verschiedenen  Inhalt  gewinnen.  Der  bis- 
herige Stand  des  bürgerlichen  Rechtes  war  für  die  Hörer  ein  möglichst 
ungünstiger.  Nur  ein  Teil  der  Rechtsbeflissenen  kam  dazu,  das 
gemeine  Recht,  das  er  in  den  Pandekten  hörte,  auch  wirklich  im 
Rechtsleben  zur  Anwendung  zu  bringen.  Der  Jurist  des  preußischen 
Landrechts  mußte,    wenn    er   zur  Praxis   kam,    in   ein   ganz   anderes 


Die  juristische  Fakultät:    II.   Das  bürgeriiche  Gesetzbuch.  -123 

Rechtsgebiet  hinüberspringen,  und  der  französisch- rechtliche  Jurist 
fand  in  der  Pandektenlehre  vielfach  mehr  ein  Hemmnis  als  ein 
Fordernis  für  das  Verständnis  und  die  Anwendung  seines  geltenden 
Rechts.  Das  war  ein  erheblicher  Mißstand.  Zwischen  Theorie  und 
Praxis  gähnte  ein  ungeheurer  Zwiespalt,  und  es  trat  der  ungesunde 
Zustand  ein,  daß  der  Jurist,  um  tauglich  zu  werden  für  seine  praktische 
Tätigkeit,  damit  anfangen  mußte,  einen  großen  Teil  dessen  zu  ver- 
lernen, was  er  in  den  Auditorien  gehört  hatte.  Wir  wissen  aus 
eigener  Erinnerung,  wie  sehr  wir  darunter  gelitten  haben  und  wie 
schwer  es  war,  eine  doppelte  Buchführung  des  Rechts  zu  halten  und 
im  einen  Falle  zu  vergessen,  was  das  heimische,  im  anderen,  was  das 
römische  Recht  gesagt  hatte.  Wer  von  dem  Rechte  im  Innersten 
erfüllt  sein  soll,  der  muß  sich  auf  das  eine  Recht  konzentrieren 
können;  zwei  Rechte  nebeneinander,  so  sehr  sie  für  die  Rechts- 
vergleichung interessant  sind,  sind  für  den  praktischen  Juristen  vom 
Übel.  Hätte  man  in  den  Ländern  des  preußischen  oder  französischen 
Rechts  sich  auf  ein  vorbereitendes  Studium  des  römischen  Rechts 
beschränkt  und  das  Hauptgewicht  auf  das  geltende  Recht  gelegt,  dann 
wären  bessere  Ergebnisse  erzielt  worden.  Allein  das  hätte  zu  einer 
noch  größeren  Zerstückelung  des  Rechtsstudiums  geführt;  die  Uni- 
versitäten wären  mehr  und  mehr  partikularisiert  worden,  und  die 
Verbindung,  welche  die  deutschen  Juristen  noch  vereinigte,  nämlich 
das  Studium  des  gemeinen  Rechtes,  hätte  aufgehört,  die  Segnung  des 
einigenden  Unterrichts  zu  verbreiten. 

Das  ist  nun  mit  einem  Schlage  anders  geworden;  wir  verlegen 
nun  in  ganz  Deutschland  den  Nerv  des  juristischen  Studiums  in  das  aus 
dem  Reichsrecht  hervorgehende  bürgerliche  Recht,  dem  gegenüber 
die  landesrechtlichen  Bestimmungen  als  nebensächlich  zurücktreten. 
Damit  haben  wir  das  eine  gewonnen :  die  Verbindung  des  praktischen 
mit  dem  theoretischen  Studium;  und  das  einigende  Band,  das  uns 
verknüpft,  finden  wir  nicht  mehr  in  einem  gedachten  Ideal,  sondern 
in  einer  wirklichen  und  auf  dem  Boden  der  Wirklichkeit  stehenden 
Rechtsordnung.  Wir  rechnen  mit  wirklichen  Werten,  nicht  mehr  mit 
einem  fingierten  Bankogelde. 

Aber  auch  nach  anderer  Seite  hin  sind  große  Fortschritte  zu 
verzeichnen.  Das  sogenannte  Pandektenrecht  hatte  neben  seiner  Größe 
und  der  Gewalt  seines  Gedankengehaltes  doch  eine  Menge  schwacher 
Züge.  Eine  Reihe  von  Institutionen  war  byzantinischer  Art  und 
stammte  aus  einer  Denksphäre,  die  den  greisenhaften  und  verflachenden 
Zug    aufweist,    der    im    6.    Jahrhundert    das    Leben     von    Byzanz 


124  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

charakterisierte.  Mit  einer  großen  Nüchternheit  war  eine  unerhörte 
Verschwommenheit  und  Unklarheit  verbunden.  Und  aus  dieser  Zeit 
stammen  nicht  etwa  unbedeutende  Zutaten,  sondern  sehr  wichtige 
Institute  des  Pandektenrechts;  darum  kein  Wunder,  daß  man  über 
viele  Dinge  gar  nicht  zur  Klarheit  kommen  konnte,  und  viele,  viele 
Kontroversen  aus  den  geistesarmen  Erzeugnissen  entsprangen,  die 
jene  Zeit  charakterisierten,  wo  man  zwar  antiquarisch  einer  gewissen 
Renaissance  huldigte,  sich  aber  nicht  mehr  mit  ihrem  Geist  erfüllen 
konnte.  Sehr  wesentliche  Einrichtungen,  namentlich  des  Erbrechts, 
aber  auch  des  Schuld-  und  Pfandrechts  entsprangen  jener  Zeit,  und 
die  Darstellung  des  Rechtszustandes,  der  in  dem  unfruchtbaren  Erd- 
boden von  Byzanz  wurzelte,  erschöpfte  einen  guten  Teil  unserer  Kräfte. 
Das  ist  nun  mit  einem  Schlag  weggefallen;  wir  werden  zwar  auch 
das  justinianeische  Recht  in  unseren  geschichtlichen  Darstellungen 
nicht  außer  acht  lassen  können,  schon  darum,  weil  es  einen  erheb- 
lichen Einfluß  auf  die  mittelalterliche  Rechtsentwicklung  ausgeübt  hat, 
allein  wir  stehen  ihm  als  einem  historischen  Erzeugnis  gegenüber  und 
brauchen  hieraus  unsere  juristische  Erleuchtung  nicht  zu  holen. 

Dazu  kommt,  daß  ehedem  das  theoretische  Pandektenrecht  sich 
kaum  mit  den  in  der  Praxis  des  gemeinen  Rechts  geübten  Satzungen 
deckte,  denn  die  Praxis  hatte  noch  einen  guten  Teil  deutscher  Ge- 
danken aus  alter  Zeit  beibehalten  und  wollte  sie  sich  nicht  ausreden 
lassen.  Das  führte  zu  einem  verderblichen  Zwiespalt.  Eine  Ver- 
bindung zwischen  Theorie  und  Praxis,  wie  sie  das  Ideal  des  Rechts- 
lebens darstellt,  war  absolut  undenkbar.  Das  drückte  natürlich  auf 
das  ganze  Rechtsstudium;  der  Theoretiker  galt  als  der  Theoretiker, 
der  Praktiker  als  der  Praktiker.  Zwar  wurde  durch  die  Recht- 
sprechung der  Spruchkollegien  noch  einigermaßen  die  Verbindung 
hergestellt,  aber  auch  das  hörte  seit  dem  Jahre  1879  auf  Die 
Berücksichtigung  von  Rechtssprüchen  aus  der  Praxis  beschränkte  sich 
auf  die  Entscheidungen  des  Reichsgerichts  und  einiger  weniger  Ober- 
landesgerichte, und  von  einer  lebendigen  Berührung  zwischen  Leben 
und  Wissenschaft  war  keine  Rede. 

In  dieser  Beziehung  ist  nun  ein  gründlicher  Wandel  eingetreten. 
Unser  Recht,  wie  wir  es  lehren,  hängt  nicht  mehr  in  der  Luft,  son- 
dern entspricht  demjenigen,  in  welchem  unsere  Praxis  sich  mühend 
abringt.  Die  Probleme,  die  uns  die  Praxis  bietet,  werden  sofort  von 
der  Theorie  erfaßt  und  wiedergegeben,  und  wenn  etwa  eine  Ent- 
scheidung der  vereinigten  Senate  des  Reichsgerichts  in  einer  Zivil- 
sache erfolgt,   so   darf  sie  in  den  Hörsälen    nicht  unberührt  bleiben. 


Die  juristische  Fakultät:    II.   Das  bürgerliche  Gesetzbuch.  125 

Der  außerordentliche  Fortschritt,  den  das  Handelsrecht  gemacht  hatte, 
seitdem  durch  das  Handelsgesetzbuch  eine  Verbindung  zwischen 
Wissenschaft  und  Rechtsleben  hergestellt  war,  mußte  auch  das  Zivil- 
recht erfassen,  und  so  lehren  wir  ein  Recht  für  die  Praxis  und 
schöpfen  aus  der  Praxis  Anregung  für  unsere  Lehren.  Nunmehr 
können  wir  auch  hoffen,  viel  mehr  für  die  praktische  Verwirklichung 
des  Rechts  zu  tun,  als  früher,  und  was  wir  mit  den  Hilfsmitteln  des 
theoretischen  Studiums  erlangen,  kann  unmittelbar  für  die  Recht- 
sprechung und  damit  für  das  Wohl  des  deutschen  Volkes  bedeutsam 
werden.  Das  alles  wird  natürlich  dem  akademischen  Vortrage  zu- 
gute kommen,  er  wird  nicht  mehr  formlos  in  Abstraktionen  weilen, 
noch  auch  seine  Beispiele  aus  fernen  Zeiten  und  völlig  verschiedenen 
Lebensanschauungen  holen,  wie  z.  B.  bei  Vangerow,  der  stets  auf 
Titius  und  Gajus  exemplifizierte,  sondern  es  sind  wesentlich  Inter- 
essen der  Gegenwart,  die  unseren  Vortrag  beleben. 

Nun  werden  auch  die  Hilfswissenschaften  des  bürgerlichen  Rechts 
ganz  anders  zur  Geltung  kommen;  so  auf  der  einen  Seite  die  öko- 
nomischen Studien,  denn  sie  werden  uns  zeigen,  wie  die  Bewegungen 
der  Volkswirtschaft  sich  im  Rechte  spiegeln  und  die  praktische  Be- 
tätigung des  Gesetzesrechts  beeinflussen;  darum  kann  niemand  heut- 
zutage das  Schuldrecht  oder  das  Hypotheken  recht  fruchtbringend  zur 
Darstellung  bringen  ohne  Kenntnis  der  ökonomischen  Entwicklung 
und  ihrer  Bestrebungen  und  Ziele.  Auf  der  anderen  Seite  wird  auch 
die  Anknüpfung  an  die  Geschichte  eine  ganz  andere  sein.  Wir 
werden  das  römische  Recht  unbefangen  studieren,  wenn  wir  es  nicht 
mehr  anzuwenden  brauchen;  denn  nun  können  wir  es  als  eine  ge- 
schichtliche Erscheinung  verstehen  mit  allen  seinen  Vorzügen  und 
Schwächen,  und  sind  nicht  genötigt,  künstlich  das  eine  oder  andere 
hineinzudeuten,  um  es  praktisch  brauchbar  zu  machen  und  unseren 
Gerichten  ein  für  die  gesundeRechtsprechung  verwendbares  Material  zu 
bieten;  wir  bedürfen  nicht  mehr  einer  duplex  inierpretatiOy  nicht  mehr 
des  Gegensatzes  zwischen  einer  richtigen  und  einer  brauchbaren 
Auslegung  der  römischen  Quellen;  wir  müssen  nicht  mehr  gewaltsam 
die  einzelnen  Sprüche  des  Corpus  juris  auf  das  Prokrustesbett  legen, 
wir  können  kecklich  anerkennen,  daß  auch  römische  Juristen  ver- 
.schiedener  Ansicht  gewesen  sind  und  daß  auch  römische  Juristen  geirrt 
haben.  Wir  werden  nicht  mehr  einseitig  an  das  Recht  Papinians 
anknüpfen,  sondern  die  ganze  mittelalterliche  Entwicklung  muß 
uns  ihre  Züge  enthüllen,  und  die  germanischen  Ideen,  die  auf  allen 
Gebieten    des   mittelalterlichen    Rechts    so    mächtig    hervorsprießen. 


i26  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

werden  für  das  Verständnis  unseres  heutigen  Rechts  von  Bedeutung 
sein. 

Nun  wird  auch  das  deutsche  Privatrecht  eine  andere  Bedeutung 
gewinnen;  denn  wir  erkennen  in  dem,  was  früher  als  ein  Sonderrecht 
dargestellt  worden  ist,  die  Quelle  einer  großen  Reihe  von  Instituten 
unseres  gegenwärtigen  bürgerlichen  Rechts  und  sind  jetzt  fern  davon, 
im  deutschen  Recht  nur  einen  Nebenbau  zu  erblicken,  der  etwa  von 
dem  Pandektenrecht  überwölbt  und  in  den  Schatten  gestellt  würde; 
denn  das  bürgerliche  Gesetzbuch  enthält  im  wesentlichen  deutsches, 
nicht  romanisches  Recht. 

Zu  alledem  tritt  noch  der  einigende  Zug  des  Studiums.  Was 
früher  das  Pandektenrecht  nur  mangelhaft  vermochte,  kann  das 
bürgerliche  Gesetzbuch  nun  in  vollem  Maße  leisten.  Alle  deutschen 
Juristen  haben  sich  an  der  einen  Quelle  zu  nähren  und  gewinnen  auf 
einem  und  demselben  Gebiete  ihre  Lebenskraft;  und  dies  ist  nicht 
ein  Idealrecht,  das  man  mehr  oder  minder  im  Leben  zu  vergessen 
hätte,  sondern  es  ist  eben  das  wirkliche  Recht,  das  den  theoretischen 
Juristen,  den  Richter  und  den  Anwalt,  vereint.  Dieselben  Fragen  des 
Rechts  werden  in  den  Gerichtssälen  erörtert  und  durchhallen  die 
Hörsäle,  und  nicht  mehr  tritt  neben  das  einheitliche  Studium  der 
partikularisierende  Zug,  der  früher  die  Juristen  und  die  Rechtsgebiete 
trennte.  Bis  zu  Ende  der  Studien  und  bis  in  die  Praxis  hinein  ver- 
folgen wir  dieselben  Bahnen,  und  der  Freizügigkeit  des  Studiums  wird 
in  Bälde  auch  eine  Freizügigkeit  im  praktischen  Dienst  folgen  müssen. 
Wir  sind  Optimisten;  wir  haben  aber  auch  das  Recht,  es  zu  sein. 

Josef   K  o  h  1  e  r. 


IV.  Die  medizinische  Fakultät. 


Der  medizinische  Unterricht  an  den  deutschen  Universitäten 
berücksichtigt  als  Leitpunkt  vor  allem  den  Umstand,  daß  der  ärztliche 
Beruf  zu  gleicher  Zeit  die  Beherrschung  einer  Wissenschaft  und  einer 
Kunst  erfordert.  So  nötig  für  den  Praktiker  unter  allen  Umständen 
die  vollkommene  Beherrschung  der  medizinisch-technischen  Kunst  ist, 
so  kann  es  andererseits  doch  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  nur  die 
Wissenschaft  den  Arzt  weit  über  das  Niveau  des  einfachen  empi- 
rischen Technikers  emporhebt.  Nur  diese  letztere  befähigt  ihn,  sich 
gegenüberjeder  der  unzähligen  Situationen  in  pathologischen  Zuständen 
die  richtige  Vorstellung  zu  machen,  im  einzelnen  Falle  aus  seiner  wissen- 
schaftlichen Beurteilung  und  Auffassung  heraus  das  Richtige  zu  treffen 
und  so  nicht  schematisch  nach  einem  vorgefaßten  und  eingelernten 
allgemeinen  Heilplan,  sondern  nach  einem  tur  die  jeweiligen  indi- 
viduellen Verhältnisse  wissenschaftlich  aufgebauten  System  seine 
therapeutischen  Anordnungen  zu  treffen.  Dazu  kommt  noch,  daß 
gerade  für  den  Arzt  in  seiner  Stellung  als  Berater  und  Vertrauens- 
mann von  Familien  und  einzelnen  der  ethische  und  psychische  Einfluß, 
den  er  ausüben  soll,  ein  wichtiger  Faktor  ist,  beides  Eigenschaften, 
die  gleichfalls  eine  umfassende  Bildung  erfordern.  Dieser  Grundsatz, 
daß  der  ärztliche  Beruf  in  gleichem  Maße  ein  gelehrter  wie  ein  tech- 
nischer ist,  beherrscht,  wie  gesagt,  die  gesamte  Ausbildung  der  Ärzte, 
wie  sie  im  Deutschen  Reiche  üblich  ist. 

In  dem  Unterrichte  des  deutschen  Mediziners  und  in  den  An- 
forderungen, die  an  ihn  gestellt  werden,  damit  er  die  Approbation 
als  Arzt  für  das  Deutsche  Reich  erlangen  kann,  sind  durch  die 
Prüfungsordnung  für  Ärzte  vom  28.  Mai  1901  große  Veränderungen 
gegenüber  den  früheren  Vorschriften  eingetreten.  Einerseits  die 
mächtigen  Fortschritte,  welche  die  medizinische  Wissenschaft  auf  allen 
Gebieten  im  letzten  Jahrzehnt  gemacht  hat,  andererseits  die  sehr  er- 
höhten Anforderungen,  welche  Staat,  Gemeinden  und  Privatpatienten 
sowie    besonders    auch     die    im    Deutschen    Reiche    so     ungemein 


f28  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

ausgebildete  soziale  Gesetzgebung  mit  ihrem  hochentwickelten 
Krankenkassen-  und  Invaliditätswesen  an  den  Arzt  stellen,  machten 
es  zur  gebieterischen  Forderung,  die  bisher  übliche  medizinische  Aus- 
bildung zu  erweitem  und  demgemäß  die  Studienzeit  zu  verlängern. 
Die  Veränderungen,  welche  in  dieser  Beziehung  gegenüber  den  früheren 
Bestimmungen  eingetreten  sind,  betreffen  fast  alle  Einzeldisziplinen 
der  Medizin,  ja  sogar  bereits  die  Vorbildung,  die  von  dem  Stu- 
dierenden der  Medizin  bei  seinem  Übertritt  von  der  höheren  Schule 
zur  Universität  verlangt  wird. 

Essoll  daher  im  folgenden  geschildert  werden,  wie  der  Studien- 
gang des  Mediziners  sich  nach  diesen  neuen  Bestimmungen  vollzieht. 
Allerdings  wird  es  dabei  an  manchen  Punkten  nicht  möglich  sein,  hier 
bereits  die  definitive  Gestaltung  der  betreffenden  Organisation  zu 
geben,  da  in  dem  Augenblick,  wo  dieses  geschrieben  wird,  manche 
wichtige  Fragen  sich  noch  im  Stadium  der  Beratung  befinden. 

Was  zunächst  die  Vorbildung  der  Mediziner  betrifft,  so  war 
früher  eine  der  Zulassungsbedingungen  zu  den  ärztlichen  Prüfungen 
das  Zeugnis  über  die  erfolgreiche  Absolvierung  eines  humanistischen 
deutschen  Gymnasiums.  Andererseits  besitzen  wir  im  Deutschen 
Reiche  neben  den  humanistischen  noch  die  Realgymnasien  und  Ober- 
realschulen. In  allen  diesen  drei  höheren  Schulen  bedarf  es  eines 
neunjährigen  Besuches,  ehe  das  Zeugnis  der  Reife  an  ihnen  erlangt 
wird.  Betreffs  der  verschiedenen  Lehrpläne  dieser  Schulen  kann  ich 
auf  Band  11  dieses  Werks  verweisen.  Der  wesentliche  Unterschied 
zwischen  ihnen  besteht  darin,  daß,  wie  schon  der  Name  sagt,  das 
humanistische  Gymnasium  größeren  Nachdruck  auf  die  altklassischen 
Studien  legt,  während  am  Realgymnasium  Griechisch  überhaupt 
nicht  gelehrt  wird,  dafür  aber  auf  die  neueren  Sprachen  sowie  aui 
Mathematik  und  die  Naturwissenschaften,  besonders  Physik  und  Chemie, 
bedeutend  mehr  Lehrstunden  verwendet  werden,  als  am  humanistischen 
Gymnasium.  In  der  Oberrealschule  ist  auch  das  Latein  durch  andere 
Lehrfacher  ersetzt. 

Die  Vertreter  der  Realgymnasien  befürworteten  nun  seit  Jahren, 
daß  die  Abiturienten  dieser  Anstalten  zum  medizinischen  Studium 
zugelassen  würden.  Indessen  erhob  sich  anfangs  in  ärztlichen  Kreisen 
gegen  diesen  Wunsch  lebhafter  Widerspruch,  hauptsächlich  mit  der 
Begründung,  daß  alles  vermieden  werden  müsse,  was  das  Ansehen 
der  Ärzte  als  Angehörige  der  gelehrten  Stände  zu  schmälern  imstande 
sei.  Als  eine  solche  Schmälerung  müsse  aber  der  Versuch  betrachtet 
werden,    die   Zöglinge   einer   für   die    übrigen  gelehrten  Stände,  also 


Die  medizinische  Fakultät.  129 

z.  B.  das  Studium  der  Jurisprudenz,  nicht  als  ausreichend  anerkannten 
Schule  zum  Studium  der  Medizin  zuzulassen.  Die  Ärzte  hielten  des- 
halb an  dem  Standpunkt  fest,  daß  die  Abiturienten  der  Realgymnasien 
nur  dann  zum  medizinischen  Studium  zugelassen  werden  sollten,  wenn 
auch  die  übrigen  Fakultäten,  insbesondere  die  juridische,  ihnen  ihre 
Pforten  öffnen  würden. 

Durch  den  Allerhöchsten  Erlaß  vom  26.  November  1900  wurde 
das  Prinzip  der  Gleichwertigkeit  der  drei  höheren  Lehranstalten  auf- 
gestellt und  in  der  vom  Bundesrat  erlassenen  ärztlichen  Prüfungsord- 
nung vom  28.  Mai  1901  ist  infolgedessen  das  Reifezeugnis  eines  deutschen 
Realgymnasiums  hinsichtlich  der  Zulassung  zur  Prüfung  dem  eines 
deutschen  humanistischen  Gymnasiums  gleichgestellt  worden.  Die 
Abiturienten  der  Oberrealschulen  jedoch  müssen  sich  noch  einer  Er- 
gänzungsprüfung im  Latein  unterziehen. 

Die  soeben  erwähnten  Befürchtungen,  welche  die  Gegner  dieser 
Maßregel  geäußert  haben,  sind  dadurch  wohl  überwunden,  daß  in 
Preußen  den  Abiturienten  der  Realgymnasien  und  sogar  der  Ober- 
realschulen gleichzeitig  auch  das  juristische  Studium  freigegeben 
wurde. 

Der  Punkt,  daß  durch  die  geringere  Pflege  der  alten  Sprachen  etwa 
das  Verständnis  für  die  medizinischen  Kunstausdrücke  leiden  könnte, 
ist  durch  die  Bestimmung  der  neuen  Prüfungsordnung  berücksichtigt, 
welche  lautet:  „Es  ist  darauf  zu  achten,  daß  der  Kandidat  sprach- 
liches Verständnis  für  die  medizinischen  Kunstausdrücke  besitzt."  Auch 
ist  der  Lehrplan  des  Realgymnasiums  seiner  erweiterten  Aufgabe 
mehr  angepaßt  worden. 

Was  nun  den  eigentlichen  Studiengang  des  Arztes  betrifft, 
so  sind  auch  in  diesem  durch  die  neue  Prüfungsordnung  bedeutende 
Veränderungen  eingetreten.  Bisher  war  die  Ausbildung  der  Ärzte  aus- 
schließlich auf  die  Universitäten  beschränkt.  Sofort  im  Anschluß  an  die 
Beendigung  des  Universitätsstudiums  konnte  sich  der  Studierende  der 
ärztlichen  Staatsprüfung  unterziehen  und  erhielt  nach  Bestehen  der- 
selben die  Approbation  als  Arzt  für  das  Gebiet  des  Deutschen 
Reiches.  Das  ist  jetzt  anders  geworden.  Bereits  seit  längerer  Zeit 
waren  die  maßgebenden  Kreise,  sowohl  die  Behörden  wie  die  Ver- 
treter des  ärztlichen  Standes  selbst,  die  Ärztekammern,  zu  der  Über- 
zeugung gelangt,  daß  die  rastlos  fortschreitende  Medizin  mit  ihren  zahl- 
reichen Einz^ldisziplinen,  die  der  auf  der  Höhe  stehende  Arzt  wissen- 
schaftlich und  technisch  beherrschen  muß,  ein  zu  großes  Gebiet  dar- 
stellt»  als    daß    es   durch   das   Universitätsstudium  genügend  kennen 

Dm»  Unurrichtswetcn  im  Deutschen  Reich.    I.  9 


i30  Lehrgebiet  und  I^hrbe trieb. 

gelernt  werden  könnte.  Es  wurde  daher  in  Erwägungen 
eingetreten,  ob  nicht  nach  Beendigung  des  Universitätsstudiums 
von  dem  angehenden  Arzte  erst  noch  eine  gewisse  Zeit  der 
praktischen  Tätigkeit  unter  einer  vom  Staate  anerkannten 
Leitung  gefordert  werden  solle,  ehe  die  Approbation  erteilt 
wird.  Diese  Erwägungen  wurden  in  bejahendem  Sinne  beantwortet, 
und  somit  verlangt  die  neue  Prüfungsordnung  vor  Erteilung  der 
Approbation  erst  noch  die  erfolgreiche  Ablegung  des  sogen,  prak- 
tischen Jahres. 

Ein  weiterer  wichtiger  Fortschritt  in  der  Ausbildung  der  deutschen 
Ärzte  ist  im  Laufe  der  letzten  Jahre  durch  die  sehr  ausgebreitete 
Organisation  des  ärztlichen  Fortbildungswesens  entstanden.  Be- 
hörden und  Ärzte  hatten  sich  von  der  Notwendigkeit  überzeugt,  das 
Fortbildungswesen  für  den  Arzt  gründlich  zu  reformieren.  Das  heute 
schon  für  den  einzelnen  kaum  zu  bewältigende  Gesamtgebiet  der 
Medizin  dehnt  sich  täglich  aus,  so  daß  es  für  den  in  der  Praxis 
stehenden  Arzt  fast  unmöglich  ist,  wenn  er  auf  sich  selbst  angewiesen 
bleibt,  seine  medizinischen  Kenntnisse  fortdauernd  auf  der  erforder- 
lichen Höhe  zu  halten.  Vielmehr  muß  dem  Arzte  diese  Gelegenheit 
in  bequemer,  unentgeltlicher  Weise  geboten  werden,  um  auf  diesem 
Wege  das  wissenschaftliche  Niveau  der  deutschen  Ärzteschaft  dauernd 
auf  der  größtmöglichen  Stufe  zu  erhalten  und  besonders  das  wissen- 
schaftliche Veralten  derjenigen  Ärzte,  die  schon  lange  Zeit  in  der  Praxis 
stehen  und  damit  den  eigentlich  schaffenden  Stätten  der  Wissenschaft 
entrückt  sind,  zu  verhüten.  Die  Erfüllung  dieser  Aufgabe  erstrebt 
das  Zentralkomitee  für  das  ärztliche  Fortbildungswesen  in  Preußen, 
dessen  Bestrebungen  in  gleicher  Weise  in  den  übrigen  Bundesstaaten 
durchgeführt  werden. 

Somit  gliedert  sich  die  gesamte  medizinische  Ausbildung  im 
Deutschen  Reich  in  1.  das  medizinische  Universitätsstudium, 
2.  Absolvierung  des  praktischen  Jahres  und  3.  das  ärztliche 
Fortbildungswesen.  Von  diesen  drei  Abschnitten  fällt  nur  der 
erste    in    das    ausschließliche   Bereich    der   medizinischen    Fakultäten. 

Das  medizinische  Universitätsstudium. 

Das  medizinische  Universitätsstudium,  für  das  früher  9  Semester 
erforderlich  waren,  muß  sich  nach  den  neuen  Bestimmungen  auf  10 
Semester  erstrecken.  Diese  Verlängerung  der  Studienzeit  an  Uni- 
versitäten   wurde    von    sämtlichen    medizinischen    Fakultäten,    Ärzte- 


Die  medizinische  Fakultät.  J31 

kammem  und  den  Regierungen  der  Bundesstaaten  übereinstimmend 
für  notwendig  erachtet.  Die  genannte  Studienzeit  wird  durch  ein 
Examen,  die  sogen,  ärztliche  Vorprüfung,  in  2  Perioden  geteilt, 
von  denen  die  erste  dem  Studium  der  allgemeinen  naturwissenschaft- 
lichen und  theoretisch  medizinischen  Fächer  gewidmet  ist.  Die 
ärztliche  Vorprüfung  kann  frühestens  innerhalb  der  letzten  6  Wochen 
des  fünften  Studienhalbjahres  abgelegt  werden.  Erst  nach  vollstän- 
diger erfolgreicher  Ablegung  dieses  Examens  tritt  der  Studierende 
in  die  zweite  Periode  seines  medizinischen  Universitätsstudiums  ein, 
die  dem  Studium  der  eigentlich  praktischen  Fächer  dient. 
Diese  Periode  muß  mindestens  noch  vier  volle  Halbjahre  um- 
fassen. Nach  dieser  Zeit  erst  wird  der  Studierende  zur  medi- 
zinischen Staatsprüfung  zugelassen.  Damit  die  klinischen  Halb- 
jahre vollkommen  für  die  praktischen  Studien  ausgenutzt  werden, 
ist  bestimmt,  daß  die  Zeit  des  Militärdienstes  auf  die  Semester, 
welche  zwischen  Vorprüfung  und  Staatsprüfung  liegen,  nicht 
angerechnet  werden  darf.  Es  muß  demnach  der  Studierende  seinen 
halbjährigen  Militärdienst  mit  der  Waffe,  wenn  er  ihn  während  seiner 
Universitäts-Studienzeit  und  nicht  erst  nach  Beendigung  derselben 
absolvieren  will,  in  ein  Semester  vor  der  ärztlicTien  Vorprüfung  ver- 
legen. Er  muß  fernerhin  dieser  Dienstpflicht  in  einer  Universitäts- 
stadt genügen  und  während  derselben  immatrikuliert  sein. 

Die  erste,  5  Halbjahre  umfassende  Studienperiode  ist,  wie  schon 
erwähnt,  dem  Studium  der  allgemeinen  Naturwissenschaften  und  der 
theoretisch-medizinischen  Fächer  gewidmet.  Es  sind  dies  Anatomie, 
Physiologie,  Physik,  Chemie,  Zoologie  und  Botanik.  Das  Testat  über 
diese  Vorlesungen  ist  obligatorisch,  um  überhaupt  zu  der  ärztlichen 
Vorprüfung  zugelassen  zu  werden. 

Was  zunächst  das  Studium  in  der  Anatomie  betrifft,  so  muß 
der  Studierende  2  Halbjahre  an  den  Präparierübungen  und  V2  J^hr 
an  den  mikroskopisch-anatomischen  Übungen  teilgenommen  haben. 
Die  Anforderungen,  welche  hinsichtlich  anatomischer  Kenntnisse 
bei  der  ärztlichen  Vorprüfung  gestellt  werden,  sind  gegen  früher 
bedeutend  erhöht  worden.  Dies  wurde  dadurch  ermöglicht,  daß 
bis  zu  dieser  Prüfung  ein  Semester  Studiums  mehr  gegenüber  den 
früheren  Bestimmungen  vorgeschrieben  ist.  Bei  der  Vorprüfung  muß 
der  Studierende  sich  darüber  ausweisen,  daß  er  die  deskriptive 
Anatomie,  Situs  sowie  die  Technik  des  anatomischen  Präparierens, 
die  Technik  und  die  Diagnose  histologischer  Präparate  vollkommen 
beherrscht.    Auch   müssen   ihm   die   Grundzüge   der  Embryologie 

9* 


132  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

bekannt  sein.  Das  Studium  der  topographischen  Anatomie, 
das  seinem  ganzen  Wesen  nach  mehr  mit  den  praktisch- 
klinischen Fächern  zusammenhängt  und  dem  daher  von  den  Studie- 
renden ein  größeres  Verständnis  und  Interesse  entgegengebracht 
wird,  wenn  sie  sich  bereits  mit  klinischen  Studien  beschäftigen,  ist 
aus  diesen  Gründen  in  die  zweite  Studienperiode  nach  der 
ärztlichen  Vorprüfung  verlegt.  Was  den  Lehrbetrieb  in  den  ana- 
tomischen Instituten  angeht,  so  ergibt  sich  dieser  aus  den  An- 
forderungen, die  im  Examen  an  die  Studierenden  gestellt  werden, 
von  selbst.  Er  gliedert  sich  in  Vorlesungen  und  praktische  Übungen. 
Die  Vorlesungen  umfassen  das  gesamte  Gebiet  der  deskriptiven 
Anatomie,  wobei  jeder  einzelne  Punkt  des  Vortrags  an  frischen  oder 
an  konservierten  Präparaten  und  Modellen  demonstriert  wird.  Die 
hauptsächlichste  anatomische  Tätigkeit  des  Studierenden  findet  in- 
dessen im  Präpariersaal  statt  Jeder  Studierende  hat  dortselbst 
von  den  gesamten  Körpergegenden  ein  Muskel-,  Gefäß-  und 
Nervenpräparat  herzustellen.  Sowohl  während  der  Anfertigung  des 
Präparates,  die  unter  der  Leitung  des  Direktors  sowie  der  Prosektoren 
bezw.  Assistenten  erfolgt,  als  insbesondere  bei  der  Abgabe  des  fer- 
tigen Präparates  wird  der  Studierende  auf  den  Zusammenhang  und 
die  anatomische  Lage  der  einzelnen  Teile  aufmerksam  gemacht,  um 
ihn  so  eine  genaue  Kenntnis  des  anatomischen  Baues  des  menschlichen 
Organismus  sich  aneignen  zu  lassen.  Das  gleiche  Lehrverfahren  wird 
im  allgemeinen  bei  den  mikroskopisch-histologischen  Kursen 
beibehalten,  in  denen  die  Studierenden  vor  allem  die  Technik 
der  Anfertigung  mikroskopischer  Präparate  und  die  Kenntnis  des 
Baues  der  normalen  menschlichen  Gewebe  zu  erlernen  haben.  In 
den  neueren  anatomischen  Instituten  stehen  den  Studierenden 
fernerhin  noch  Repetitionssäle  zur  Verfügung,  in  denen  kon- 
servierte Präparate  und  Modelle  der  gesamten  Körpergegenden  und 
Organe  vorhanden  sind,  um  das  Gehörte  und  Gesehene  von  Zeit 
zu  Zeit  wieder  an  der  Hand  der  Präparate  wiederholen  zu  können.  Es 
wird  demnach  bei  der  Ausbildung  des  deutschen  Arztes  von  Anbeginn 
an  auf  das  Studium  der  Anatomie  als  auf  die  Grundlage  jedes  ärzt- 
lichen Wissens  und  Könnens  der  allergrößte  Nachdruck  gelegt,  und 
seitens  der  Unterrichtsverwaltung  wird  dies,  insofern  die  bestehenden 
anatomischen  Institute  zur  Erfüllung  dieser  Aufgabe  nicht  mehr  aus- 
reichen, durch  die  Errichtung  neuer  anatomischer  Institute  beziehungs- 
weise durch  die  Erweiterung  der  bestehenden  in  jeder  Hinsicht  gefördert. 
Neben    der  Anatomie   hat   sich   der  Studierende   während    der 


Die  medixinische  Fakultät.  <33 

ersten  Periode  seines  medizinischen  Studiums  von  eigentlich  medizi- 
nischen Fächern  eingehend  mit  der  Physiologie  zu  beschäftigen. 
Auch  betreffs  dieser  Wissenschaft  sind  durch  die  neue  Prüfungs- 
ordnung von  1901  die  Anforderungen  bedeutend  erhöht  worden. 
Während  sich  früher  das  Studium  der  Physiologie  im  allgemeinen 
nur  auf  das  Hören  der  physiologischen  Vorlesungen  beschränkte, 
muß  sich  der  Studierende  jetzt  während  eines  Semesters  an  einem 
physiologischen  Praktikum  beteiligen  und  mit  der  physiolo- 
gischen Chemie  vertraut  machen.  Der  Unterricht  in  der  Physiologie 
gliedert  sich  dementsprechend  in  die  Vorlesungen  über  die  gesamte 
physikalische  und  chemische  Physiologie,  die  durch  zahlreiche  Expe- 
rimente und  Demonstrationen  dem  Verständnis  der  Studierenden 
näher  gebracht  werden,  sowie  in  praktisches  Arbeiten  in  einem  phy- 
siologischen Kurs.  In  diesem  letzteren  sollen  die  Teilnehmer  durch 
eigenes  Arbeiten  und  Sehen  sich  ein  physiologisches  Denken  erwerben. 
Daneben  sollen  sie  sich  daran  gewöhnen,  die  für  den  praktischen 
Arzt  wichtigen  physiologischen  Apparate,  Sphygmographen  und  andere 
graphisch  arbeitende  Präzisions  -  Instrumente  zu  handhaben,  feine 
Messungen  und  Ablesungen  vorzunehmen,  kurz,  das  Arbeiten  mit 
subtilen  und  komplizierten  Apparaten  zu  beherrschen  und  sich  dabei 
auch  durch  geeignete  Tierexperimente  von  der  funktionellen  Tätigkeit 
des  lebenden  Organismus  ein  Bild  zu  entwerfen. 

In  den  allgemein  naturwissenschaftlichen,  für  den  Medi- 
ziner wichtigen  Fächern  sind  die  Anforderungen  in  der  Chemie 
gegen  früher  nicht  unbeträchtlich  erhöht  worden.  Während  sich 
bisher  auch  in  der  Chemie  das  Studium  nur  auf  das  Hören  von 
Vorlesungen,  die  für  die  eigentlichen  Chemiker  und  Mediziner  die 
gleichen  waren,  beschränkte,  ist  heute  für  die  Zulassung  zur  ärztlichen 
Vorprüfung  der  Nachweis  zu  liefern,  daß  der  Studierende  ein  Halb- 
jahr lang  an  einem  praktisch -chemischen  Kurse  selbständig 
arbeitend  teilgenommen  hat.  Diese  Forderung,  die  sowohl  seitens 
der  Fakultäten  wie  seitens  der  Ärzteschaft  erhoben  wurde,  ist  um  so 
mehr  berechtigt,  als  die  Chemie  von  Jahr  zu  Jahr  für  das  Verständnis 
wichtigster  Vorgänge  im  erkrankten  Organismus  und  damit  für  den 
praktischen  Arzt  an  Wichtigkeit  gewinnt.  Die  praktischen  Kurse  in 
der  Chemie  sollen  ako  vor  allem  das  tiefere  Eindringen  in  die  che- 
mischen Vorgänge  des  Organismus  ermöglichen,  was  durch  den 
bloßen  Besuch  der  theoretischen  Vorlesungen  über  anorganische  und 
organische  Chemie  ohne  selbständiges  Arbeiten  im  Laboratorium  nicht 
möglich  ist.    Allerdings  müssen  diese  praktisch-chemischen  Kurse  für 


134  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Mediziner  auch  ganz  besonders  dem  Bedürfnisse  des  Arztes  Rechnung 
tragen  und  sich  daher  von  den  Kursen  für  Chemiker  durchaus  unter- 
scheiden. Dies  ist  dadurch  gewährleistet,  daß  von  nun  an  der  che- 
mische Unterricht  für  Chemiker  und  Mediziner,  wenigstens  soweit  er 
das  praktische  Arbeiten  betrifft,  nicht  mehr  gemeinschaftlich  ist, 
sondern  daß  für  die  letzteren  eigene  Kurse  abgehalten  werden,  in 
denen  vor  allem,  neben  der  organischen  Chemie  als  Grundlage,  die 
physiologische  Chemie  praktisch  bearbeitet  wird, 

Das  Studium  der  Physik,  die  gleichfalls  für  die  ärztliche  Vor- 
prüfung einen  obligatorischen  Prüfungsabschnitt  bildet,  beschränkt 
sich  dagegen  auf  das  bloße  Hören  von  Vorlesungen  aus  der  gesamten 
Experimentalphysik. 

Auch  aus  den  Gebieten  der  Zoologie  und  Botanik,  über 
deren  Studium  sich  der  Mediziner  bei  der  ärztlichen  Vorprüfung  aus- 
zuweisen hat,  beschränken  sich  die  Anforderungen  auf  das  für  den 
Arzt  besonders  Wichtige.  Dies  sind  in  der  Zoologie  vor  allem 
vergleichende  Anatomie  und  Physiologie,  in  der  Botanik  die  Grund- 
züge der  Anatomie  und  Physiologie  der  Pflanzen  sowie  ein  allge- 
meiner Überblick  über  das  Pflanzenreich,  namentlich  mit  Rücksicht  auf 
die  medizinisch  wichtigen  Pflanzen,  Dieses  Ziel  wird  durch  das  Hören 
der  betreffenden  Vorlesungen  erreicht.  Die  Teilnahme  an  praktischen 
Kursen  in  den  drei  zuletzt  genannten  naturwissenschaftlichen  Fächern 
wird  nicht  gefordert. 

Das  wissenschaftliche  Gebiet,  welches  die  Studierenden  der  Me- 
dizin an  deutschen  Hochschulen  während  der  ersten  Studienperiode 
bis  zur  Ablegung  der  ärztlichen  Vorprüfung  zu  bewältigen  haben, 
ist  demnach  ein  recht  großes,  sodaß.  5  Halbjahre  Studiums  für  diesen 
Zweck  nicht  zu  hoch  gegriffen  sind.  Von  dem  gewiß  unanfechtbaren 
Grundsatz  ausgehend,  daß  gerade  diese  Lernepoche  für  die  allge- 
mein naturwissenschaftliche  Grundlage  des  Arztes  maßgebend  ist, 
wird  auf  sie  der  größte  Nachdruck  gelegt.  Um  dem  jungen  Studie- 
renden, der  die  Universität  bezieht,  eine  richtige  Einteilung  seiner 
Zeit  für  den  zu  bewältigenden  Stoff  zu  ermöglichen,  ist  seitens 
der  meisten  Fakultäten  die  Einrichtung  getroffen,  daß  ein  von  der 
Fakultät  aufgestellter  Studienplan  überreicht  wird.  Derselbe  enthält  die 
Angaben  darüber,  in  welcher  Reihenfolge  der  Student  die  Vorlesungen 
und  praktischen  Übungen  am  vorteilhaftesten  belegt.  Als  Beispiel 
eines  solchen  Planes  sei  der  von  der  Berliner  medizinischen  Fakultät 
ausgearbeitete  Studienplan  hier  beigefügt.  Die  ia  den  oberen  Reihen 
stehenden    Vorlesungen     und    Kurse    sind    diejenigen,    an    welchen 


Die  medizinische  Fakultät. 


135 


der  Studierende  teilgenommen  haben  und  über  welche  er  sich  aus- 
weisen muß,  um  zu  der  ärztlichen  Vorprüfung  zugelassen  zu  werden. 
Die  in  den  unteren  Reihen  genannten  und  durch  kleineren  Druck  ge- 
kennzeichneten Vorlesungen  sind  solche,  welche  nicht  vorgeschrieben 
sind,  aus  denen  eine  Auswahl  zu  treffen  die  Fakultät  den  Studierenden 
freistellt. 

Studienplan  für  Mediziner,  die  ihr  Studium  mit  dem  Sommer- 
semester beginnen^). 

I.  Semester  !  n.  Semester 

Sommer 
Physik  I. 

Osteologie  und  Syndesmologie. 

Allgemeine  Anatomie. 

Botanik. 

Mathematische  Vorlesungen. 
Meteorologie. 
Anthropologie. 
Zellenlehre. 


m.  Semester 

Sommer 
Mikroskopische  Übungen. 
Physiologie  I. 
Organische  Chemie. 
Chemische  Übungen. 


V.  Semester 

Sommer 

Embryologische  Übungen. 

Physiologische  Übungen. 

Mikroskopische  oder  Chemische 
Übungen 

Allgemeine  Pathologie  oder  Pa- 
thologische Anatomie. 

Physiologische  Übungen. 


Winter 

Anorganische  Chemie. 

Physik  IL 

Menschliche  Anatomie. 

Präparierübungen  I. 

Botanik. 

Zoologie. 

Neurologie  und  Angiologie. 

Mineralogie  und  Oeologie. 
Physikalische  (jeographie. 
Logik  und  Psychologie. 

IV.  Semester 

Winter 

Präparierübungen  II. 
Physiologie  IL 
Entwicklungsgeschichte     und 

vergleichende  Anatomie. 
Physiologische  Chemie. 
Chemische  Übungen. 
Mikroskopische  Übungen. 

In  den  letzten  drei  Semestern 
außerdem : 
Spezial- Vorlesungen  aus  dem  Gebiete 
Anatomie  und  Physiologie. 
Zootomische,  botanische  Übungen. 
Spezielle  Botanik. 

Besondere  chemische  Übungen  und  histo- 
logische Kurse  für  Geüblere. 


I 


1)  Wird  das  Stadium  im  Wintersemester  begonnen»  so  werden  dieselben  Vorlesungen 
in  anderer  Verteilung  gehört. 


136  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Nach  Ablegung  der  ärztlichen  Vorprüfung  beginnt  das  eigent- 
lich praktische  und  klinische  Universitätsstudium.  Dieses 
muß  sich,  wie  schon  erwähnt,  zum  mindesten  noch  auf  volle  vier 
Studiensemester  nach  bestandener  Vorprüfung  erstrecken,  wobei  die 
Bestimmung  eingeführt  ist,  daß  dasjenige  Halbjahr,  in  welchem  die 
ärztliche  Vorprüfung  vollkommen  bestanden  ist,  nur  dann  gezählt 
werden  darf,  wenn  dieses  Examen  innerhalb  der  ersten  sechs 
Wochen  nach  dem  offiziellen  Semesterbeginn  vollständig  absolviert 
wurde.  Durch  diese  Vorschriften  ist  erreicht,  daß  von  der  gesamten 
Studienzeit  mindestens  4  Halbjahre  ausschließlich  auf  das  Studium 
der  praktischen  Fächer,  besonders  auf  den  Besuch  der  Kliniken,  ver- 
wendet werden  müssen.  Die  hier  angegebene  Zahl  von  vier  kli- 
nischen Semestern  ist  das  Mindestmaß,  was  vorgeschrieben  ist.  Da 
indessen  die  gesamte  Studienzeit  an  Universitäten  10  Halbjahre  um- 
fassen muß,  und  ein  sehr  großer  Teil  der  Studierenden  die  ärztliche 
Vorprüfung  bereits  am  Ende  des  V.  bezw.  in  den  ersten  6  Wochen 
des  VI.  Semesters  ablegt,  so  erhöht  sich  in  den  meisten  Fällen  die 
Zahl  der  klinischen  Semester  in  Wirklichkeit  auf  fünf. 

Auch  für  die  zweite  Studienperiode  sind  die  wissenschaftlichen 
Anforderungen  und  Vorschriften,  um  am  Ende  derselben  zu  der 
ärztlichen  Staatsprüfung  zugelassen  zu  werden,  erhöht  worden. 
Diese  ärztliche  Hauptprüfung  umfaßt  nach  den  neuen  Be- 
stimmungen folgende  Abschnitte:  1.  die  Prüfung  in  der  patholo- 
gischen Anatomie  und  allgemeinen  Pathologie,  2.  die  medizinische 
Prüfung,  3.  die  chirurgische  Prüfung,  4.  die  geburtshilflich  -  gynä- 
kologische Prüfung,  5.  die  Prüfung  in  der  Augenheilkunde,  6.  die 
Prüfung  in  der  Irrenheilkunde,  7.  die  Prüfung  in  der  Hygiene.  Dabei 
besteht  jedoch  jeder  einzelne  dieser  Hauptabschnitte  noch  aus 
mehreren  einzelnen  Unterfachern,  so  z.  B.  setzt  sich  die  medizinische 
Prüfung  aus  zwei  Teilen  zusammen,  aus  der  eigentlichen  internen 
Medizin  und  der  Pharmakologie.  In  der  chirurgischen  Prüfung  ist 
neben  der  eingehenden  Prüfung  in  Chirurgie  noch  die  Prüfung  in 
topographischer  Anatomie  enthalten.  Die  Prüfungen  in  den  klinischen 
Spezialfachern,  Hals-  und  Nasenkrankheiten,  Ohrenkrankheiten,  Haut- 
und  Geschlechtskrankheiten,  können  dem  chirurgischen  oder  dem 
medizinischen  Hauptteil  der  Staatsprüfung  zugewiesen  werden.  Bei 
den  einzelnen  Prüfungsfächern  sind  weiterhin  die  Geschichte  der 
betreffenden  Disziplin  und,  soweit  solche  vorhanden,  die  Beziehungen 
derselben  zur  gerichtlichen  Medizin  nicht  unberücksichtigt  zu  lassen. 
Um  zu  der  Hauptprüfung  zugelassen  zu  werden,  ist  ein  Ausweis 


Die  medizinische  Fakultät.  137 

vorgeschrieben,  daß  der  Studierende  während  seiner  Studienzeit  1 .  je 
zwei  Halbjahre  hindurch  an  der  medizinischen,  chirurgischen  und  geburts- 
hilflichen Klinik  als  Praktikant  regelmäßig  teilgenommen,  vier  Kreißende 
in  Gegenwart  des  Lehrers  oder  der  Assistenten  selbständig  entbunden 
hat;  2.  je  ViJ^ihr  die  Klinik  für  Augenkrankheiten,  die  medizinische  Poli- 
klinik, die  Kinderklinik  oder  -Poliklinik,  die  psychiatrische  Klinik  sowie 
die  Spezialkliniken  oder  Polikliniken  für  Hals-  und  Nasen-,  für  Ohren-, 
für  Haut-  und  syphilitische  Krankheiten  regelmäßig  besucht  und  am 
praktischen  Unterricht  in  der  Impftechnik  teilgenommen  und  die  zur 
Ausübung  der  Impfung  erforderlichen  technischen  Fähigkeiten  und 
Kenntnisse  über  Gewinnung  und  Erhaltung  der  Lymphe  er\\'orben; 
'X  je  eine  Vorlesung  über  topographische  Anatomie,  Pharmakologie 
und  gerichtliche  Medizin  gehört  hat. 

Das  eigentlich  klinische  Studium  beginnt  beim  deutschen 
Studierenden  der  Medizin  allgemein  mit  dem  Unterricht  in  der  all- 
gemeinen Pathologie  und  pathologischen  Anatomie.  Diese 
Disziplin  bildet  den  Übergang  von  den  theoretischen  und  natur- 
wissenschaftlichen zu  den  praktischen  Fächern.  Analog  wie  die 
Kenntnis  der  normalen  Anatomie  die  Grundlage  bilden  muß,  um  die 
Lebenstätigkeit  des  Organismus  bei  normalem  Zustande  der  Zellen 
zu  verstehen,  so  muß  ein  genaues  Eindringen  in  die  pathologische 
Anatomie  den  Arzt  befähigen,  sich  jederzeit  über  das  Leben  bei 
krankhaft  veränderten  Zellen  Rechenschaft  zu  geben,  entsprechend 
der  Virchow'schen  Definition,  daß  Krankheit  nichts  anderes  ist  als 
ein  Lebensprozeß  bei  pathologisch  veränderten  Zellen.  Dieses  Ziel 
wird  an  den  deutschen  Universitäten  erreicht  durch  Vorlesungen  und 
praktische  Kurse  aus  dem  Gebiete  der  allgemeinen  Pathologie  und 
speziellen  pathologischen  Anatomie.  In  den  Vorlesungen  wird 
jeder  einzelne  Punkt,  den  der  Vortragende  erörtert,  durch 
Demonstration  zahlreicher  frischer  und  konservierter  pathologischer 
Präparate  belegt,  weiterhin  werden  die  dabei  in  Frage  kommenden 
feineren  Veränderungen  der  Gewebe  teils  durch  mikroskopische 
Präparate,  teils  durch  Demonstration  von  Mikrophotogrammen  mittels 
Projektionsapparate  erläutert.  Zu  diesem  Behufe  besitzt  jedes  patho- 
logische Universitätsinstitut  eine  größere  Sammlung  makroskopischer 
und  mikroskopischer  Präparate  und  ist  mit  den  nötigen  Demon- 
strationsmitteln, Vorlesungsmikroskopen,  Skioptikon,  zum  Teil  auch 
mit  Epidiaskop,  das  die  Projektion  undurchsichtiger  Gegenstände  ge- 
stattet, ausgerüstet. 

Die  praktischen  Kurse    in   der  pathologischen  Anatomie  be- 


^38  I^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

halten  fast  insgesamt  noch  den  von  Rudolf  Virchow  eingeführten 
Lehrbetrieb  bei  und  zerfallen  demgemäß  in  einen  demonstrativen 
Kurs  der  pathologischen  Anatomie  in  Verbindung  mit  An- 
leitung zu  pathologischen  Sektionen  und  in  einen  prak- 
tischen Kurs  der  pathologischen  Histologie.  In  dem  ersteren 
erlernen  die  Studierenden  vor  allem  die  Technik  pathologischer 
Obduktionen  sowie  die  pathologisch-anatomische  Diagnose  an  der 
Leiche.  Der  Lehrbetrieb  ist  so  eingerichtet,  daß  jeder  Teilnehmer 
die  kunstgerechte  Eröffnung  und  Untersuchung  der  Haupthöhlen  des 
Körpers  und  der  in  ihnen  befindlichen  Organe  übt.  Daneben 
werden  in  den  demonstrativen  Kursen  möglichst  viele  frische 
pathologisch  -  anatomische  Leichenpräparate  demonstriert,  die  Stu- 
dierenden in  dem  Erkennen  der  pathologischen  Zustände  an  den- 
selben unterwiesen,  weiterhin  wird  der  innere  Zusammenhang 
der  Veränderungen  an  den  verschiedenen  Organen  erörtert, 
um  so  das  Zustandekommen  und  den  Ablauf  des  Krankheitsprozesses, 
die  Abhängigkeit  des  einen  Organs  von  dem  andern  in  kompli- 
katorischer  Hinsicht  dem  Verständnis  näher  zu  bringen.  Der  zweite 
praktische  Kurs,  derjenige  der  pathologischen  Histologie,  beschäftigt 
sich  ausschließlich  mit  der  pathologisch-mikroskopischen  Technik.  Bei 
diesen  Übungen  hat  sich  der  angehende  junge  Arzt  die  Technik  der 
mikroskopischen  Untersuchung  sowie  vor  allem  die  mikroskopische 
Diagnose  pathologischer  Präparate  anzueignen.  Neben  der  Be- 
rücksichtigung der  verschiedenen  Färbemethoden  wird  dabei  besonders 
darauf  gesehen,  daß  die  Teilnehmer  lernen,  mit  den  einfachsten  Hilfs- 
mitteln, Rasiermesser  oder  Doppelmesser,  von  einem  frischen  Geweb- 
stücke einen  mikroskopischen  Schnitt  anzufertigen  und,  sei  es  ungefärbt, 
sei  es  mit  Anwendung  der  einfachen  Färbemethoden  eine  rasche 
mikroskopische  Diagnose  zu  stellen.  Es  geschieht  dies  hauptsächlich 
in  der  Absicht,  um  den  Arzt  zu  befähigen,  auch  unter  den  einfachsten 
Verhältnissen,  ohne  daß  ihm  ein  Speziallaboratorium  zur  Verfügung 
steht,  eine  wichtige  Diagnose,  z.  B.  auf  die  Gut-  oder  Bösartigkeit 
einer  Neubildung  zu  stellen. 

Für  die  eigentlichen  klinischen  Studien  bildet  das  Zentrum 
auf  deutschen  Universitäten  das  Studium  der  inneren  Medizin. 
Der  medizinische  Unterricht  an  deutschen  Hochschulen  befolgt  den 
Grundsatz,  daß  die  Medizin  eine  einheitliche  Wissenschaft  ist  und  die 
Richtschnur,  die  bei  dem  Studiengang  des  Mediziners  innegehalten 
wird,  ist  deshalb  die,  in  allen  medizinischen  Disziplinen  gleichmäßig 
gut  ausgebildete  Ärzte  heranzuziehen,  sich  dagegen  von  jeder  Züchtung 


Die  medizinische  Fakultät.  <39 

von  Spezialisten  während  des  Universitätsstudiums  freizuhalten.  Alle 
Disziplinen  sollen  organisch  ineinander  greifen,  und  von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  wird  die  innere  Medizin  als  die  Mutter  aller 
übrigen  praktisch-klinischen  Fächer  betrachtet. 

Der  Lehrbetrieb  in  der  inneren  Medizin  zerfällt  in  den 
Besuch  der  klinischen  Vorlesungen  und  in  die  Teilnahme  an 
praktischen  Kursen.  Die  klinische  Vorlesung  ist  die  Zentral- 
stelle für  Erlernung  der  gesamten  Disziplin,  die  Kurse  dienen  nur 
als  Ergänzung  der  Klinik,  um  den  Studierenden  die  Möglichkeit 
zu  geben,  sich  die  klinischen  Untersuchungsmethoden  durch  eigene 
Übung  vollständig  anzueignen.  Die  Art  der  klinischen  Vorlesung 
schwankt  natürlich  an  den  einzelnen  Universitäten  je  nach  der  Indi- 
vidualität des  Lehrers,  doch  ist  allgemein  das  Prinzip  festgehalten, 
daß  in  jeder  klinischen  Vorlesung  möglichst  mehrere  Kranke  vor- 
gestellt werden,  wobei  am  Krankenbett  Anamnese,  Ätiologie,  die 
genaue  klinische  Untersuchung,  Diagnose,  Differentialdiagnose,  Prognose 
und  einzuschlagende  Therapie  erörtert  werden.  Im  Anschluß  daran 
folgt  eine  Besprechung  der  betreffenden  Krankheit,  der  dabei  mög- 
lichen Komplikationen  und  Nachkrankheiten,  mit  Berücksichtigung  der 
topographisch-anatomischen,  physiologischen,pathologisch-anatomischen 
resp.  bakteriologischen  Verhältnisse.  Bei  der  Auswahl  der  klinisch 
vorzustellenden  Kranken,  über  welche  genaue  Listen  geführt  werden, 
wird  darauf  geachtet,  daß  innerhalb  eines  Studienjahres  möglichst  alle 
für  den  Arzt  wichtigen  Krankheiten  wenigstens  einmal  zur  ausführlichen 
klinischen  Vorstellung  und  Besprechung  kommen.  Gelegentlich  der  Vor- 
stellung eines  jeden  Kranken  wird  ein  Studierender  als  sogenannter 
Praktikant  aufgerufen.  Dieser  begibt  sich  an  das  Krankenbett  und 
nimmt  nun  unter  Leitung  des  Dozenten  die  Anamnese  auf,  unter- 
sucht den  Kranken  und  stellt  die  Diagnose.  Über  diese  Tätigkeit 
erhält  der  betreffende  Studierende  am  Ende  des  Semesters  ein  Testat, 
den  sogenannten  Praktikantenschein.  Für  die  Zulassung  zur  Staats- 
prüfung ist  der  Nachweis  erforderlich,  daß  er  mindestens  zwei  Halb- 
jahre in  dieser  Art  als  Praktikant  an  der  Klinik  teilgenommen  hat. 
Der  Praktikant  soll  den  Patienten,  bei  dem  er  praktiziert  hat,  auch 
in  der  Folgezeit  während  seines  Krankenhausaufenthaltes  besuchen 
und  beobachten.  Auf  diese  Weise  soll  jeder  Studierende  unter 
Leitung  und  Aufsicht  sich  von  dem  Krankheitsverlauf  und  von 
der  Wirkung  der  eingeschlagenen  Therapie  durch  Augenschein  über- 
zeugen. Tritt  bei  einem  der  klinisch  vorgestellten  Patienten  der  Tod 
ein,  so  ist  es  an  manchen  Universitäten  üblich,  daß  die  Studierenden 


140  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

der  Obduktion  beiwohnen,  woran  sich  seitens  des  Klinikers  nach 
Feststellung  der  pathologisch-anatomischen  Diagnose  eine  epikritische 
Besprechung  des  Falles  anschließt.  An  anderen  Universitäten  be- 
schrankt sich  dies  nur  auf  die  Mitteilung  der  pathologisch-anatomischen 
Diagnose  und  die  darauf  folgende  klinische  Epikrise.  Um  den  Stu- 
dierenden fortlaufend  Gelegenheit  zu  geben,  sich  von  dem  Verlauf  der 
Krankheit  der  vorgestellten  Patienten  zu  überzeugen  und  nicht  nur  allein 
die  in  der  klinischen  Vorlesung  besprochenen,  sondern  alle  übrigen 
in  der  Klinik  vorhandenen  Kranken  zu  sehen,  ist  die  Einrichtung 
getroffen,  daß  mindestens  einmal  wöchentlich  unter  der  Leitung  des 
Professors  klinische  Visite  auf  den  Krankensälen  gemacht  wird.  Im 
übrigen  steht  es  auch  sonst  den  Studierenden,  die  den  Wunsch  aus- 
sprechen, jederzeit  frei,  an  der  klinischen  Visite  der  Assistenten  auf 
den  Krankensälen  teilzunehmen.  Auch  in  den  Kursen,  Auskultations- 
und Perkussionskurs,  klinisch-diagnostischen  Kursen,  Kursen 
der  klinisch  -  bakteriologischen  und  klinisch  -  chemischen 
Unters uchungsmethoden  wird  den  Studierenden  möglichst  reich- 
lich Gelegenheit  gegeben,  an  Kranken  die  ärztlichen  Untersuchungs- 
methoden kennen  zu  lernen.  Besonders  eingehend  wird  femer  in 
der  Klinik  die  Therapie  behandelt  und  zwar  in  ihrem  vollständigen 
Umfange.  Neben  der  eigentlich  medikamentösen  Therapie  wird  ein 
großer  Wert  darauf  gelegt,  den  zukünftigen  Arzt  auch  mit  den  Me- 
thoden der  allgemein  physikalischen  und  diätetischen  Therapie 
vertraut  zu  machen.  Dahin  gehören  die  Massage,  die  Hydro- 
therapie, die  Übungstherapie,  Mechanotherapie,  Elektro- 
therapie, Lichttherapie  usw.  Gerade  diese  Seite  der  Therapie, 
die  unzweifelhaft  in  vielen  Fällen  vorzügliche  Heilresultate  aufzu- 
weisen hat,  wurde  früher  von  den  Medizinern  etwas  vernachlässigt, 
und  dies  mag  zum  Teil  der  Grund  dafür  sein,  daß  sich  vornehm- 
lich dieser  therapeutischen  Zweige  die  kurierenden  Nichtärzte,  d.  h. 
die  Kurpfuscher,  angenommen  haben.  Mit  Recht  sahen  daher 
sowohl  Behörden  wie  Ärzteschaft  als  eines  der  wirksamsten  Mittel, 
um  dem  Kurpfusche rtum  zu  begegnen,  die  möglichst  gründliche 
Ausbildung  der  Ärzte  in  diesen  therapeutischen  Methoden  an.  Dem 
entspricht  auch  die  Forderung  der  ärztlichen  Staatsprüfung,  welche 
besonderen  Nachdruck  auf  die  Kenntnis  dieser  Heilmethoden  legt. 
An  den  größeren  Universitäten  bestehen  zur  praktischen  Erlernung 
derselben  eigene  Anstalten,  so  in  Berlin  die  Universitätsanstalt  für 
Hydrotherapie,  diejenige  für  Massage  und  für  Mechanotherapie. 
Ebenso  wird    die    im    letzten  Jahrzehnt   mächtig  aufgeblühte  und  für 


Die  medizinische  Fakultät.  141 

den  Arzt  so  wichtig  gewordene  experimentelle  Therapie,  welche 
die  Organotherapie,  die  Serumtherapie,  Bakteriotherapie  um- 
faßt, in  der  inneren  Klinik  eingehend  erörtert  und  berücksichtigt.  An 
einzelnen  Universitäten  bestehen  auch  für  dieses  Fach  besondere  Pro- 
fessuren. Unterstützt  wird  die  Ausbildung  in  der  inneren  Medizin,  die, 
wie  schon  erwähnt,  die  Achse  des  ärztlichen  Wissens  bilden  soll,  durch 
die  Tätigkeit  der  medizinischen  Poliklinik.  Der  grundlegende 
Unterschied  zwischen  Klinik  und  Poliklinik  ist  der,  daß  in  der  letzteren 
die  Kranken  ambulant  behandelt  werden,  es  sich  demnach  vor  allem 
um  leichtere  Fälle,  entsprechend  den  späterhin  in  der  ärztlichen 
Sprechstunde  zu  behandelnden  Kranken,  handelt.  Stellt  es  sich  bei 
der  Untersuchung  heraus,  daß  die  Krankheit,  wegen  welcher  der 
Patient  die  Poliklinik  aufsuchte,  für  eine  ambulante  Behandlung  zu 
schwer  ist,  so  wird  der  betreffende  Kranke  der  medizinischen  Klinik 
überwiesen.  An  manchen  Universitäten  übernimmt  indessen  die 
medizinische  Poliklinik  auch  die  Behandlung  der  Kranken  in  ihren 
Wohnungen,  wobei  der  Arzt  der  Poliklinik  von  einem  oder  mehreren 
Studierenden  bei  seinen  Besuchen  begleitet  wird.  Der  Lehrbetrieb 
in  der  Poliklinik  lehnt  sich  im  allgemeinen  an  den  in  der  Klinik 
befolgten  an,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  entsprechend  der  ge- 
wöhnlich leichteren  Natur  der  Krankheitsfälle  die  Besprechung  des 
Einzelfalles  nicht  eine  derartige,  das  gesamte  Krankheitsgebiet  um- 
fassende ist  wie  bei  der  klinischen  Vorstellung.  Auch  hier  wird 
jedem  Praktikanten  ein  Patient  zugewiesen,  bei  welchem  er  auf  Grund 
seiner  Untersuchung  die  Diagnose  zu  stellen  und  dem  Leiter  der 
Poliklinik  mitzuteilen  hat.  Dieser  kontrolliert  vor  dem  Auditorium 
die  von  dem  Studierenden  gestellte  Diagnose  und  bespricht  im  An- 
schluß daran  kurz  den  Fall  sowie  die  einzuschlagende  Therapie.  Der 
Praktikant  hat  sich  die  gesamte  Zeit  über,  während  welcher  sein 
Patient  die  Poliklinik  besucht,  mit  diesem  unter  Leitung  zu  beschäf- 
tigen. Auf  diese  Art  und  Weise  erhält  jeder  Studierende  innerhalb 
eines  Semesters  Gelegenheit,  eine  große  Anzahl  von  Patienten  unter 
Leitung  selbständig  zu  untersuchen  und  zu  behandeln.  Durch  die 
Besuche  in  den  Wohnungen  der  Kranken  soll  dem  angehenden  Arzt 
Gelegenheit  gegeben  werden,  sich  mit  den  Lebensverhältnissen  und 
Gewohnheiten  der  ärmeren  Bevölkerung  vertraut  zu  machen,  sich  an 
den  Verkehr  mit  Kranken  und  deren  Angehörigen  zu  gewöhnen, 
endlich  zu  lernen,  mit  einfachen  und  billigen  Hilfsmitteln  therapeutisch 
einzugreifen.  Neben  der  eingehenden  Beschäftigung  mit  der  eigent- 
lichen inneren  Klinik  wird  von  der  neuen  Prüfungsordnung  auch  der 


J42  Lchrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Nachweis  verlangt,  daß  der  Studierende  noch  ein  Halbjahr  lang  als 
Praktikant  speziell  an  einer  Kinderklinik  oder  -Poliklinik  teil- 
genommen hat.  Diese  Forderung  erscheint  um  so  gerechtfertigter, 
als  die  Erfahrung  immer  mehr  zeigt,  daß  die  Untersuchung  und  Be- 
handlung erkrankter  Kinder  in  so  wichtigen  Punkten  von  den  bei 
Erwachsenen  obwaltenden  Verhältnissen  abweicht,  daß  eine  besonders 
gründliche  Ausbildung  in  der  Pädiatrie  für  jeden  Arzt  unerläßlich  ist. 

Die  Wichtigkeit  der  Pharmakologie  und  Toxikologie  verlangt 
es,  daß  der  Arzt  auch  diese  Disziplin  eingehend  beherrscht.  Dem- 
zufolge wird  von  dem  Studierenden  der  Medizin  gefordert,  daß  er 
den  Besuch  dieser  Vorlesung  nachweist.  In  ihr  wird  die  Wirkung 
der  praktisch  wichtigen  Arzneimittel  und  Gifte  im  Tier-Experiment 
vorgeführt,  das  Zustandekommen  dieser  Wirkung  physiologisch  erklärt, 
die  Reinheitsprüfung  der  Arzneimittel  und  der  Nachweis  von  Giften 
erörtert.  Hand  in  Hand  damit  gehen  Übungen  in  der  Rezeptierkunde, 
im  kunstgerechten  Zusammenstellen  verschiedener  Arzneidrogen  und 
der  Anwendung  der  Antidote  bei  Vergiftungen. 

Das  zweite  Hauptfach  während  der  praktischen  Studienperiode 
bildet  die  Chirurgie.  Auch  der  Studienbetrieb  dieser  Disziplin  ist 
im  großen  und  ganzen  wie  derjenige  der  inneren  Medizin  gegliedert, 
d.  h.  er  zerfallt  in  den  Besuch  der  chirurgischen  Klinik  bezw.  Poliklinik 
und  in  die  Teilnahme  an  praktischen  Kursen.  Der  Mittelpunkt  des 
gesamten  chirurgischen  Studiums  ist  die  chirurgische  Klinik. 
Der  Lehrbetrieb  in  ihr  ist  derart,  daß  vor  den  Augen  der  Studierenden 
die  Diagnose  und  die  Indikation  zur  Operation  gestellt  und  diese 
letztere  sodann  vorgenommen  wird,  wobei  ebenfalls,  wie  in  der 
medizinischen  Klinik,  ein  Studierender  als  Praktikant  aufgerufen  wird. 
Vor  der  Operation  und,  soweit  es  angängig  ist,  während  sowie  nach 
Beendigung  derselben  erörtert  der  Operateur  vor  dem  Auditorium 
die  Einzelheiten  des  Krankheitsfalles  sowie  insbesondere  die  einzelnen 
Phasen  der  Operation  mit  Berücksichtigung  der  topographisch- 
anatomischen Verhältnisse.  Die  Schwierigkeit,  die  gerade  beim 
Unterricht  in  der  Chirurgie  darin  besteht,  einem  größeren  Kreise  von 
Zuschauem  die  jedesmaligen  Stadien  der  Operation  sichtbar  zu  machen, 
wird  teils  durch  die  Benützung  von  Operationsmoulagen,  welche  in 
ihrer  Aufeinanderfolge  den  Gang  einer  bestimmten  Operation  genau 
wiedergeben,  teils  dadurch  umgangen,  daß  abwechselnd  eine  Anzahl 
von  Studierenden  an  den  Operationstisch  herantreten.  Von  der 
Benutzung  kinematographischer  Aufnahmen  wird  an  deutschen 
Universitäten   wenig  Gebrauch  gemacht.    Die   gesamte  Vorbereitung 


Die  medizinische  Fakultät.  i43 

sowohl  des  Kranken  wie  der  Ärzte  zur  Operation,  also  das  Waschen 
und  Desinfizieren,  wird  vor  den  Augen  der  Studierenden  vorgenommen, 
um  diese  so  in  die  Grundlage  jeder  chirurgischen  Tätigkeit,  in  die 
Asepsis  und  Antisepsis,  einzuführen.  Auch  die  gesamte  Einrichtung  der 
klinischen  Operationssäle  ist  nach  den  Grundsätzen  der  Aseptik 
getroffen. 

Neben  dem  Besuche  der  chirurgischen  Klinik  dienen,  wie  schon 
er\\'ähnt,  praktische  Kurse  zur  chirurgischen  Ausbildung.  Der 
wichtigste  von  diesen  ist  der  Operationskurs  an  der  Leiche.  In 
ihm  fuhren  die  Studierenden  unter  der  Leitung  des  Professors  der 
Chirurgie  sämtliche  typischen  und  klassischen  Operationen  aus. 
Außerdem  finden  Kurse  der  chirurgischen  Diagnostik  und 
Therapie,  Verbandkurse,  Kurse  in  orthopädischer  Technik 
statt. 

Das  dritte  klinische  Hauptfach  umfaßt  die  Geburtshilfe  und 
Gynäkologie.  Die  Unterrichtsmethode  schließt  sich  auch  hier  eng 
an  die  bei  den  vorhergehenden  klinischen  Fächern  geschilderte  an. 
Es  besteht  demnach  der  Unterricht  in  der  für  den  praktischen  Arzt 
so  wichtigen  Geburtshilfe  aus  den  Vorlesungen  über  Geburtshilfe  und 
aus  der  praktischen  Tätigkeit  auf  dem  Kreißsaal.  Daneben 
bestehen  praktische  Übungskurse  der  geburtshilflichen  Ope- 
rationslehre am  Phantom  sowie  Touchierkurse  an  Schwangeren. 
Besonderer  Wert  wird  dabei  auf  die  Erlernung  der  Methoden  der 
strengsten  Aseptik  gelegt.  Der  Unterricht  in  der  Gynäkologie 
ist  vollkommen  analog  dem  in  der  Chirurgie  angeordnet,  indem  in 
der  gynäkologischen  Klinik  vor  dem  Auditorium  die  Untersuchung, 
Stellung  der  Diagnose  und  Indikation  geübt  und  die  Operation  selbst 
unter  Erörterung  aller  einschlägigen  Verhältnisse  ausgeführt  wird. 
Außerdem  werden  besondere  gynäkologische  Untersuchungs- 
kurse in  der  gynäkologischen  Poliklinik  abgehalten.  Da  gerade 
bei  der  Erlernung  der  Geburtshilfe  eigene  praktische  Übung  und  Er- 
fahrung die  Hauptsache  ist,  so  ist  an  den  geburtshilflich-gynäkologischen 
Kliniken  eine  für  die  Studierenden  sehr  wertvolle  Einrichtung  getroffen. 
Diese  besteht  darin,  daß  abwechselnd  eine  Anzahl  Studierender  eine 
bestimmte  Zeit,  gewöhnlich  einen  Monat  oder  auch  länger,  in  der  Klinik 
wohnen  und  zu  den  in  der  Klinik  und  Poliklinik  vorkommenden 
Geburten  unter  der  Aufsicht  eines  Assistenten  zugezogen  werden.  Es  sind 
dies  die  sogenannten  „Hauspraktikanten".  Diese  Einrichtung  ermöglicht 
es,  daß  der  größte  Teil  der  Studierenden  einer  beträchtlichen  Anzahl 
und  besonders  auch  den  in  der  Nacht  eintretenden  Geburten  anwohnen 


144  Lehrgebiet  and  Lehrbetrieb. 

und  sich  so  schon  auf  der  Universität  eine  nicht  unbedeutende  ge- 
burtshilfliche Erfahrung  aneignen  können. 

Die  vierte  Klinik,  deren  Besuch  durch  die  Prüfungsordnung 
vorgeschrieben  ist,  ist  diejenige  für  Augenkrankheiten.  In  dieser 
Spezial-Klinik  wird  bei  der  Ausbildung  das  Ziel  erstrebt,  daß  der 
Studierende  die  für  jeden  praktischen  Arzt  wichtigen  Kenntnisse  über 
Augenkrankheiten  sich  aneignet.  Bei  den  vielseitigen  engen 
Beziehungen  zwischen  Veränderungen  des  Augenhintergrundes  und 
allgemeinen  Krankheitserscheinungen  ist  noch  speziell  vorgeschrieben, 
daß  der  Studierende  sich  mit  der  Untersuchung  mittels  des  Augen- 
spiegels vertraut  gemacht  haben  muß.  Es  werden  deshalb  an  jeder 
Universität  noch  besondere  praktische  Augenspiegelkurse  abge- 
halten. 

Eine  sehr  wichtige  Er\\^eiterung  hat  der  medizinische  Unterricht 
dadurch  erfahren,  daß  nach  der  neuen  Prüfungsordnung  auch  der 
Besuch  und  das  Praktizieren  in  einer  psychiatrischen  Klinik 
vorgeschrieben  ist.  Die  Zunahme  der  Geisteskrankheiten  sowie  die 
Tatsache,  daß  die  Frühdiagnose  derselben  sehr  häufig  sowohl  thera- 
peutisch wie  besonders  auch  juridisch  wichtig  ist,  haben  es  unab- 
weislich  gemacht,  daß  jeder  Arzt  über  ein  genügendes  Maß  von 
Kenntnissen  in  der  Psychiatrie  verfügen  muß.  Dem  ist  in  dem 
Unterrichtsgange  des  deutschen  Mediziners  jetzt  Rechnung  getragen, 
indem  er  die  psychiatrische  Klinik  während  mindestens  eines  Halb- 
jahres besucht  haben  muß.  Die  Unterrichtsmethode  in  ihr  schließt 
sich  eng  an  die  oben  bei  Besprechung  des  Unterrichts  in  der  inneren 
Klinik  gegebene  Darstellung  an. 

Wenngleich,  wie  schon  oben  hervorgehoben,  die  gesamte  an 
deutschen  Universitäten  übliche  medizinische  Ausbildung  nach  dem 
Grundsatz  angeordnet  ist,  daß  sie  in  allen  Disziplinen  eine  gleich- 
mäßige und  für  die  Bedürfnisse  des  allgemein  praktischen 
Arztes  berechnet  sein  soll,  so  hat  sich  doch  die  Notwendigkeit  her- 
ausgestellt, daß  auch  jeder  Arzt  und  nicht  nur  der  Spezialist  über  ein 
gewisses  Maß  von  Spezialkenntnissen  in  der  Medizin  verfügen  muß. 
Denn  jeder  Arzt  muß  vorkommendenfalls  rechtzeitig  zu  erkennen 
vermögen,  wo  eine  spezialistische  Behandlung  nötig  ist,  und  anderer- 
seits sind  sehr  viele  Ärzte,  besonders  die  auf  dem  Lande  praktizierenden, 
häufig  nicht  in  der  Lage,  immer  einen  geeigneten  Spezialisten  zum 
Konsilium  heranziehen  zu  können.  Von  diesen  Erw^ägungen  aus- 
gehend, wird  von  jedem  Studierenden  nunmehr  gefordert,  daß  er 
mindestens  ein  halbes  Jahr  lang  die  Klinik  für  Hals-  und  Nasen-, 


Die  medizinische  Fakultät.  ^45 

diejenige  für  Ohren-  sowie  die  für  Haut-  und  Geschlechts- 
Krankheiten  regelmäßig  besucht  hat.  Den  soeben  gegebenen  Aus- 
einandersetzungen entsprechend  ist  der  Unterricht  in  diesen  Kliniken 
so  geregelt,  daß  er  vor  allem  die  Bedürfnisse  des  praktischen  Arztes 
im  Auge  behält,  sich  also  von  jeder  Ausbildung  von  Spezialisten  in 
diesen  Fächern  fernhält.  Die  Aneignung  der  nötigen  praktischen 
Kenntnisse  und  technischen  Fertigkeiten  in  den  genannten  Disziplinen 
vermitteln  wiederum  die  betreffenden  praktischen  Übungskurse.*) 

Die  ausgebreitete  soziale  Gesetzgebung  des  Deutschen  Reiches 
erfordert  in  überaus  zahlreichen  Fällen,  beispielsweise  bei  Ent- 
schädigungsfragen infolge  Unfallverletzung,  bei  Regelung  von  Kranken- 
kassenangelegenheiten usw.,  die  Mitwirkung  des  Arztes  und  zwar 
häufig  in  gutachtlicher  Form  vor  den  Gerichten.  Hierzu  kommt,  daß 
die  deutschen  Gerichte  nicht  nur  allein  das  Recht  haben,  die  be- 
sonderen Gerichts-  und  beamteten  Ärzte  sondern  jeden  approbierten 
Arzt  als  Sachverständigen  aufzufordern.  Diese  Einrichtungen  stellen 
an  den  Arzt  hinsichtlich  der  gerichtlich-medizinischen  Kenntnisse  und 
der  Erfahrung  im  Abgeben  von  Gutachten  sehr  bedeutende  Ansprüche. 
Es  hat  sich  deshalb  als  nötig  erwiesen,  auch  die  gerichtliche 
Medizin  in  dem  Studiengange  noch  besonders  zu  berücksichtigen. 
Deshalb  muß  jeder  Studierende  mindestens  ein  halbes  Jahr  lang  eine 
Vorlesung  über  gerichtliche  Medizin  angehört  haben.  An  den  meisten 
Hochschulen  wird  außerdem  in  den  Kliniken  die  Begutachtung  von 
Unfallverletzungen  noch  besonders  geübt. 

Treu  dem  Grundsatze,  daß  eine  der  vornehmsten  Aufgaben  des 
Arztes  in  der  Prophylaxe  der  Krankheiten  besteht,  wird  von 
dem  deutschen  Arzte  eine  gründliche  Ausbildung  in  der  Hygiene 
und  Bakteriologie  gefordert.  Diese  erstreckt  sich  vor  allem  darauf, 
den  Studierenden  in  die  Ursache,  die  bakteriologische  Diagnose  und 
Prophylaxe  der  ansteckenden  Krankheiten,  also  in  die  Lehre  von  den 
pathogenen  Mikroorganismen  einzuführen,  ihm  die  nötigen  Kennt- 
nisse über  die  Versorgung  mit  gesundem  Trinkwasser  und  anderen 
Nahrungsmitteln,  über  die  Regelung  der  Abwässerbeseitigung,  über 
Wohnungs-,  Kleidungs-  und  Schulhygiene  zu  geben,  kurz,  über 
alle    die    Fragen,    die    für    ihn   späterhin    als    ärztlichen    Berater    von 

*)  Die  eigentlich  spezialistische  Ausbildung  in  einer  medizinischen  Disziplin  wird 
bis  jetzt  (s.  unten  Absatz  über  die  geplanten  Akademien  für  praktische  Medizin)  aus- 
schliefilich  durch  längeres  Verweilen  als  Assistenz-  oder  \'olontärarzt  auf  der  betrefienden 
Speziaiklinik  bezw.  Poliklinik  erworben. 

DtLM  UnierHchctwesen  im  Deutschen  Reich.    I.  10 


146  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Familien  oder  Gemeinden  wichtig  sind.  Infolge  der  im  Deutschen 
Reiche  reichsgesetzlich  eingeführten  obligatorischen  Schutzpocken- 
Impfung  und  Wiederimpfung  ist  weiterhin  für  jeden  Arzt  die  ge- 
naueste Kenntnis  der  Schutzpocken-Impfung  sowie  der  Gewinnung 
und  Konservierung  der  Lymphe  erforderlich.  Es  muß  daher  jeder 
Studierende  an  einem  Impfkurs  teilgenommen  haben. 

Wenn  ich  nun  noch  hinzufüge,  daß  die  Studierenden  abwechselnd 
für  eine  gewisse  Zeit  als  sogenannte  Amanuenses  oder  Famuli  zu 
dem  inneren  Dienste  auf  allen  Kliniken  zugelassen  werden,  bei 
welcher  Gelegenheit  sie  sich  mit  den  gesamten  praktischen  Unter- 
suchungs-  und  Heilmethoden  an  den  Patienten  vertraut  machen 
können,  so  ist  zu  ersehen,  welche  Fülle  von  Lemgelegenheit  dem 
Studierenden  der  Medizin  an  deutschen  Hochschulen  geboten  ist. 
Es  ist  klar,  daß  eine  solche  Aufgabe,  wie  sie  der  Lehrbereich  der 
medizinischen  Fakultät  darstellt,  das  Vorhandensein  der  entsprechenden 
Lehrkräfte  und,  nicht  zu  vergessen,  das  Vorhandensein  von  entsprechend 
ausgestatteten  Instituten  erfordert.  Auch  in  dieser  Beziehung  ist  im 
letzten  Jahrzehnt  seitens  der  Unterrichtsverwaltung  Großes  geleistet 
worden. 

Bei  der  hervorragenden  Wichtigkeit,  die,  wie  wir  gesehen  haben, 
im  medizinischen  Unterrichte  den  Demonstrationen  zukommt,  wird 
von  Projektionsapparaten  sowie  von  allen  zur  Verfügung  stehenden 
ärztlichen  Lehrmitteln  der  weitestgehende  Gebrauch  gemacht. 
Die  Unterrichtsverwaltung  hat  in  richtiger  Erkenntnis  dafür,  daß 
gerade  beim  Unterricht  in  der  Medizin  das  gesprochene  Wort  erst 
durch  das  Sehen  des  in  Behandlung  stehenden  Gegenstandes  dem 
Studierenden  zum  bleibenden  Eigentum  gemacht  wird  und  daß  gerade 
die  Ausbildung  des  Gesichts-  und  Formensinnes  eine  der 
wichtigsten  Aufgaben  des  medizinischen  Unterrichts  darstellt,  in  den 
letzten  Jahren  keine  Opfer  gescheut,  um  die  Unterrichtsinstitute  der 
medizinischen  Fakultäten  entsprechend  den  Bedürfnissen  und  den  Fort- 
schritten der  W^issenschaft  zu  vervollständigen.  So  besitzen  die  meisten 
Institute,  die  neueren  insgesamt,  makrophotographische  und  zum 
Teil  mikrophotographische  Apparate  und  Ateliers,  weiterhin 
Projektionsapparate,  und  zumindest  jede  medizinische  Fakultät 
verfügt  über  eine  Einrichtung  für  die  Aufnahme  von  Röntgen- 
photographien.  An  der  Berliner  Universität  ist  für  diese  letztere 
für  die  Medizin  so  wichtige  Untersuchungsmethode  sogar  ein  eigenes 
Institut  errichtet.  Eine  große  Anzahl  neuer  Lehrstühle  wurde  geschaffen, 
mustergültige  Bauten  für  die    medizinischen  Fakultäten    wurden    aus- 


Die  medizinische  Fakultät.  "147 

geführt.  Den  Forderungen  der  Asepsis  wurde  in  weitestem  Maße 
durch  die  Errichtung  neuer  chirurgischer  und  gynäkologischer 
Operationssäle  Rechnung  getragen,  überall  das  Prinzip  durchgeführt,  daß 
die  medizinischen  Universitäts-Institute  ein  zusammengehöriges  Ganze 
bilden  sollen,  wie  dies  beispielsweise  musterhaft  bei  den  Neubauten  der 
medizinischen  Fakultät  in  Breslau  erreicht  ist.  Die  klinischen  An- 
stalten, die  den  Ansprüchen  des  Unterrichts  nicht  mehr  genügten, 
wurden  oder  werden  völligem  Um-  bezw.  Neubau  unterzogen;  ich 
erinnere  in  dieser  Beziehung  nur  an  den  Neubau  der  Charite  zu 
Berlin.  Wenn  wir  also  auch  wohl  zugestehen  müssen,  daß  bei  dem 
heutigen  Unterrichtsbetriebe  an  den  deutschen  medizinischen  Fakul- 
täten die  Anforderungen,  die  an  den  Studierenden  gestellt  werden, 
sehr  große  sind,  so  muß  demgegenüber  andererseits  betont  werden, 
daß  die  Lehrmittel  und  die  Lerngelegenheit  die  gegenwärtig  größt- 
mögliche Stufe  der  Vollkommenheit  erreicht  haben.  Die  nachfolgenden 
Tabellen  mögen  ein  Beispiel  dafür  geben,  in  welcher  Weise  die  Ber- 
liner medizinische  Fakultät  die  Zeiteinteilung  der  fünf  klinischen  Se- 
mester vorschlägt.  (Anfang  des  ganzen  Studiums  im  Sommer  voraus- 
gesetzt.) 

VI.  Semester.  |  vn.  Semester. 

Winter.  '  Sommer. 

I 

Pathologische     Anatomie     oder     |     Spezielle  Pathologie  und  Therapie, 
allgemeine  Pathologie.  i     Geburtshilfe. 


Spezielle  Pathologie  und  Therapie. 
Akiurgie. 


Allgemeine  Chirurgie. 
Medizinische  u.  chirurgische  Klinik 


Knochenbrüche  U.Verrenkungen.  als  Auskultant. 

Arzneimittellehre  u.  Balneologie.  Topographische  Anatomie  (oder 

Auskultation  und  Perkussion.  im  IX.  Sem.). 

Physiologische     und    patholog.     Chemie;  '       Formulare. 

Toxikologie.  ,       Theoretische    Vorlesungen    über    spezielle 

Pharmakologische       und       toxikologische  Kapitel  der  Inneren  Medizin,  Chirur- 

Übungen.  gie,    (Jeburtshilfe    und    Gynäkologie, 

'i'opographisch  -  anatomische    Präparier-  Syphilis,  Haut-  u.  Ner\enkrankheiten. 

Übungen. 

Vm.  (Winter-),  IX.  (Sommer-),  X.  (Winter-)  Semester. 

1.  Vorlesungen:  Spezielle  Chirurgie  —  Gynäkologie.  Gesund- 
heitspflege (Erster  und  Zweiter  Teil).  Geschichte  der  Medizin, 
Ophthalmologie.     Gerichtliche  Medizin. 

2.  Besuch  der  medizinischen,  chirurgischen,  geburtshilflich- 
gynäkologischen    Klinik,     der    Augenklinik,    der     Klinik     für 

10* 


148  I^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Kinderkrankheiten,  sowie  der  medizinischen  Poliklinik,  der 
psychiatrischen  und  Nervenklinik,  der  Kliniken  bezw.  Poli- 
kliniken für  Hals-  und  Nasenkrankheiten,  für  Hautkrankheiten 
und  Syphilis  und  für  Ohrenheilkunde. 

3.  Pathologisch-anatomischer   Kursus.     Pathologisch-histologische 
Übungen.     Hygienisch-bakteriolischer  Kursus. 

4.  Geburtshilflicher,  chirurgischer,  ophthalmologischer  Operations- 
Kursus.     Impf-Kursus.     Laryngoskopie.     Verbandlehre. 
Topographische  Anatomie. 

Klinische  diagnostische  Kurse.     Elektrotherapie. 
Zahnheilkunde.  Topographisch-anatomische  Präparier-Übungen. 

NACHTRAG. 

a)   Praktisches  Jahr. 

Wie  bereits  eingangs  erwähnt,  haben  es  die  maßgebenden  Kreise, 
Unterrichtsverwaltung,  Fakultäten  und  die  Vertretung  der  Ärzteschaft, 
für  nötig  erachtet,  daß  der  Mediziner,  ehe  er  die  Approbation  erhält, 
nach  Beendigung  des  Universitätsstudiums  noch  eine  Zeit  lang  eine 
weitere  praktische  Tätigkeit  unter  der  Leitung  erfahrener  Ärzte  ent- 
falte. Die  Frage  nach  der  Durchführbarkeit  dieses  Planes  war  der 
Gegenstand  langer  Beratungen,  und  vollständig  festgelegt  ist  diese 
Organisation  auch  jetzt  noch  nicht.  Die  nachfolgende  Schilderung 
kann  deshalb  nicht  die  definitiven  Ergebnisse  der  Beratungen  über 
diesen  Gegenstand  bringen,  da  diese  im  gegenwärtigen  Augenblicke 
noch  fortdauern,  sondern  sie  soll  nur  ein  Bild  ent\\^erfen,  wie  die 
Durchführung  dieser  speziell  praktischen  Ausbildung  des  angehenden 
Arztes,  die  nicht  mehr  in  das  Bereich  der  medizinischen  Fakultät 
fällt,  gedacht  ist.  Ein  Vorbild  für  eine  derartige  Einrichtung  hatte 
man  bei  der  seit  langem  üblichen  Ausbildung  derjenigen  Ärzte,  welche 
für  den  Sanitätsdienst  in  der  deutschen  Armee  mit  Ausnahme  der 
bayerischen  Armeekorps  bestimmt  sind.  Für  diese  angehenden  Militär- 
ärzte besteht  in  Berlin  die  Kaiser  Wilhelms- Akademie*)  für  das 
militärärztliche  Bildungswesen,  in  welche  Studierende  der  Medizin 
unter  gewissen  Bedingungen  aufgenommen  werden  können.  Sie 
genießen  dort  die  mannigfachsten  Vergünstigungen,  indem  der  größte 
Teil    von    ihnen    gegen    sehr  geringe  Entschädigung  in  dem  mit  der 


*)  Näheres  über  die  Akademie  im  Anhang  dieses  Bandes.  A.  d.  R. 


Die  medizinische  Fakultät.  149 

Akademie  verbundenen  Internat  Wohnung  und  Verpflegung  erhält. 
Die  Studienkosten  werden  für  sie  von  der  Akademie  bestritten,  sie 
erhalten  besondere  Nachhilfe  durch  zahlreiche  zu  der  Akademie 
kommandierte  Stabsärzte.  Die  Gegenleistung  seitens  der  Studierenden 
besteht  nur  darin,  daß  sie  sich  verpflichten,  entsprechend  der  Länge 
ihres  Aufenthalts  in  der  Akademie  eine  gewisse  Zeitlang  der  Armee 
als  Sanitätsoffiziere  anzugehören.  Der  Hauptvorteil  indessen,  den  die 
Studierenden  der  Kaiser  Wilhelms-Akademie  gegenüber  den  übrigen 
Medizinern  genießen,  ist  die  seit  langem  übliche  Gepflogenheit,  daß 
die  Angehörigen  der  Kaiser  Wilhelms-Akademie  nach  Beendigung 
ihres  Universitätsstudiums  und  vor  Ablegung  der  ärztlichen  Staats- 
prüfung ein  Jahr  lang  als  Unterärzte  zum  Charite-Krankenhaus  in 
Berlin  kommandiert  werden.  Dortselbst  verbleiben  sie  je  zwei  oder 
drei  Monate  auf  jeder  einzelnen  Klinik  bezw.  dem  Pathologischen 
Institut.  Ihre  Tätigkeit  ist  daselbst  eine  rein  praktische.  Sie  unter- 
suchen alle  Kranken,  führen  Krankenjournale  und  Diätzettel,  machen 
du  jour-Dienst,  nehmen  unter  der  Kontrolle  der  Assistenten  die 
chemischen  und  bakteriologischen  Krankenuntersuchungen  vor,  so 
daß  sie  also  Gelegenheit  haben,  sich  während  dieses  Jahres  mit  dem 
praktischen  Betriebe  auf  jeder  einzelnen  Klinik  vertraut  zu  machen. 
Diese  Einrichtung  hat  sich  so  sehr  bewährt,  daß  sich  die  Überzeugung 
von  der  Notwendigkeit,  für  alle  übrigen  Mediziner  eine  derartige 
Einrichtung  zu  treffen,  herausgebildet  hat. 

Diesem  Bedürfnisse  soll  nun  mit  der  für  alle  angehenden  Ärzte 
obligatorischen  Einführung  des  sogenannten  praktischen  Jahres  nach- 
gekommen werden.  Die  Hauptschwierigkeit  für  die  Einrichtung  des 
praktischen  Jahres,  während  dessen,  wie  gesagt,  der  Praktikant  unter 
der  Leitung  eines  autoritativen  und  allgemein  anerkannten  Praktikers 
stehen  soll,  schien  in  der  Auswahl  der  für  diesen  Zweck  geeigneten 
Krankenanstalten  zu  bestehen.  Indessen  ließ  sich  diese  Schwierigkeit 
leichter  überwinden,  als  man  anfangs  glaubte.  Besitzen  doch  die 
zahlreichen  großen  Städte  des  Deutschen  Reiches  musterhaft  ein- 
gerichtete Krankenanstalten,  an  deren  Spitze  fast  ausschließlich  hervor- 
ragende Mediziner,  zum  Teil  frühere  Angehörige  des  Lehrkörpers 
von  Universitäten  stehen.  Die  Ermächtigung  zur  Aufnahme  von  Prak- 
tikanten soll  nur  an  bestimmte  Krankenanstalten  erteilt  werden.*) 
Weiter  soll  die  Höchstzahl  von  Praktikanten,  welche  an  einer  autori- 

*)  Inzwischen  ist  das  Verzeichnis  der  Krankenanstalten  und  medizinischen  Institute 
des  Deotschen  Reiches,  welche  das  Recht  haben,  Praktikanten  zwecks  Ableistung  des 
praktischen  Jahres  aufininehmen,  amtlich  veröffentlicht  worden. 


150  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

siertcn  deutschen  Krankenanstalt  aufgenommen  werden  kann,  von  der 
Landesbehörde  entsprechend  der  Größe  des  betreffenden  Instituts  fest- 
gesetztwerden. Es  ist  somit  durch  diese  Bestimmungen  die  Berechtigung, 
Praktikanten  behufs  Ableistung  des  praktischen  Jahres  aufzunehmen, 
nicht  in  das  Belieben  jeder  Krankenanstalt  gestellt,  sondern  diese  muß 
vielmehr  dazu  von  der  Zentralbehörde  autorisiert  sein.  Diese  Einrichtung 
ist  deshalb  getroffen,  damit  die  Zentralbehörde  sicher  sein  kann,  daß 
die  zukünftigen  Ärzte  während  des  praktischen  Jahres  nur  unter  durch- 
aus sachverständiger  und  wissenschaftlich  anerkannter  Leitung  sich 
befinden. 

Was  die  speziellen  Vorschriften  über  die  Art  der  Ableistung  des 
praktischen  Jahres  angeht,  so  ist  bestimmt,  daß  die  Wahl  der  An- 
stalt dem  Kandidaten  freistehen  soll,  daß  indessen  ein  mehr  als  zwei- 
maliger Wechsel  der  Anstalt  während  des  Jahres  nur  mit  Genehmigung 
der  für  die  Approbation  zuständigen  Zentralbehörde  zulässig  ist. 
Weiterhin  ist  bestimmt,  daß  mit  Rücksicht  auf  die  besondere 
Wichtigkeit  der  internen  Medizin  für  den  praktischen  Arzt  der 
Praktikant  sich  mindestens  V.s  Jahr  auf  einer  inneren  Abteilung 
praktisch  betätigen  muß.  Nach  Ableistung  des  praktischen  Jahres 
ist  dem  Praktikanten  ein  Zeugnis  über  die  Absolvierung  des- 
selben auszustellen,  in  dem  besonders  bemerkt  werden  soll,  daß  der 
Praktikant  ausreichendes  Verständnis  für  die  Aufgaben  und  Pflichten 
des  ärztlichen  Berufs  gezeigt  hat.  Es  soll  also  das  praktische  Jahr 
nicht  allein  zur  Aneignung  der  direkt  praktischen  Kenntnisse  und 
technischen  Fertigkeiten  verwendet  werden,  sondern  auch,  um  dem 
Praktikanten  die  allgemein  ethischen  Pflichten  des  ärztlichen  Berufs 
und  des  kollegialen  Verkehrs  zum  Bewußtsein  zu  bringen,  d.  h.  in 
jeder  Beziehung  auf  die  Hebung  des  ärztlichen  Standes  hinzuwirken. 
Die  Erteilung  des  Zeugnisses  ist  an  die  Bedingung  gebunden,  daß 
der  Praktikant  während  des  praktischen  Jahres  beflissen  gewesen  ist, 
seine  praktischen  Kenntnisse  und  Fähigkeiten  zu  vertiefen  und  fort- 
zubilden. Auch  ist  in  dem  Zeugnis  die  Art  der  Beschäftigung  des 
Praktikanten  eingehend  zu  würdigen  und  besonders  zu  bemerken, 
welchen  Teil  der  bezeichneten  Zeit  der  Praktikant  vorzugsweise  der 
Behandlung  der  inneren  Krankheiten  gewidmet  hat.  Erst  nach  dem 
Erhalt  dieses  Zeugnisses  kann  dann  der  Kandidat  bei  seiner  zustän- 
digen Zentralbehörde  den  Antrag  auf  Erteilung  der  Approbation 
stellen,  wobei  er  noch  den  Nachweis  zu  führen  hat,  daß  er  mindestens 
zwei  öffentlichen  Impfungs-  und  ebenso  vielen  Wiederimpfungsterminen 
beigewohnt  hat. 


Die  metlizinische  Fakultät.  151 

Das  praktische  Jahr  und  die  dadurch  entstehenden    neuen    y\n- 
sprüche  an  Städte  und  medizinische  Institute,  die  mit  der  bisher  aus- 
schießlich  auf  die    Universitäten    beschränkten  Ausbildung    der  Ärzte 
nichts  weiter  zu  tun  hatten,  haben  es    mit   sich    gebracht,    daß    voll- 
kommen   neue    medizinische  Unterrichtsanstalten    in    der  Bildung  be- 
griffen sind.     Es  sind    dies    die  Akademien    für    praktische    Me- 
dizin.    Ich  würde  die  vorliegende  Schilderung   nicht   für   vollständig 
halten,    wenn    ich    nicht    auch    diese    wichtigen  Organisationen,    die 
erst     in     der    Bildung    begriffen    sind    und     über     deren     definitive 
Gestaltung  daher  noch  nichts  Endgültiges  berichtet  werden    kann,    in 
da5  Bereich  der  Darstellung   zöge*).      Die    rechtliche    Stellung    einer 
Akademie  für  praktische  Medizin  ist  so  gedacht,    daß    sie    eine  Ver- 
anstaltung der  betreffenden  Stadt  sein  soll,    indes  unter  der  Aufsicht 
des  Ministers    der    geistlichen,    Unterrichts-    und    Medizinalangelegen- 
heiten steht.     Die    Aufgaben,    welche    die    Akademie    für    praktische 
Medizin  verfolgen  soll,  sind  folgende:  1.  den  Kandidaten  der  Medizin 
nach  zurückgelegtem    Staatsexamen,  d.  h.    den  Praktikanten  Gelegen- 
heit zur  Ablegung  des  praktischen  Jahres  zu    bieten;    2.   Gelegenheit 
zur  Ausbildung  in  den  ärztlichen  Spezialfächern  zu  geben;  3.  in  Ver- 
bindung mit  dem  Zentralkomitee  für  das  ärztliche  Fortbildungswesen 
Fortbildungskurse   für   praktische    Ärzte    zu    veranstalten,    4.    in    der 
Krankenpflege  auszubilden;  5.  Samariterkurse  abzuhalten;  6.  die  prak- 
tische   Medizin    nach    der   wissenschaftlichen    Seite  zu  fördern.     Jede 
Akademie    muß    mindestens    5    ordentliche    Mitglieder    besitzen.     Zu 
ordentlichen  Mitgliedern  der  Akademie  können  nur   solche  Personen 
ernannt  werden,  die  bei  einer   der   Akademie    zugewiesenen    Anstalt 
in    leitender   Eigenschaft    angestellt    sind.     Dadurch  ist  gewährleistet, 
daß  jede  Akademie  zum  mindesten    über    fünf  medizinische  Institute 
verfügen  muß,  welche  Hauptfacher  der  praktischen  Medizin  repräsen- 
tieren.    Unter  diesen    muß  eine    Krankenanstalt    für    innere    Medizin, 
pathologische  Anatomie,    Chirurgie,  Geburtshilfe    und  ein  Institut    für 
Hygiene  vertreten  sein. 

Aus  den  hier  gegebenen  Daten  ist  klar  zu  ersehen,  daß  die 
Akademien  sich  scharf  von  den  medizinischen  Fakultäten  der  Uni- 
versitäten unterscheiden  werden.  Während  kein  Studierender  Arzt 
werden  kann,  ohne  durch  10  Semester  an  der  Universität  dem  Studium 
obgelegen  zu  haben,  ist  der  Besuch  einer  Akademie  in  sein  Belieben 

•)  In  Düsseldorf  ist  die  Gründung  einer  Akademie  (in  Verbindung  mit  dem  Bau 
eines  neuen  Krankenhauses)  endgültig  beschlossen  worden.  Ebenso  in  Köln.  In 
Frankfurt  a.  M.  wird  sie  von  den  städtischen  Behörden  vorbereitet. 


J52  I^hrgebiet  und  I^hrbetricb. 

gestellt.  Er  kann  ebenso  gut  wie  an  der  medizinischen  Akademie  an 
irgend  einer  anderen  autorisierten  deutschen  Krankenanstalt  sein  prak- 
tisches Jahr  ableisten.  Es  soll  sich  also  die  Tätigkeit  der  Akademie, 
soweit  sie  den  Unterricht  vor  der  Approbation  betrifft,  ausschließlich 
nur  auf  die  praktische  Fortbildung  der  auf  der  Universität  gesammelten 
medizinischen  Kenntnisse  beschränken,  und  für  die  approbierten  Ärzte 
soll  sie  eine  Ergänzung  zu  den  Bestrebungen  des  Zentralkomitees  für 
das  ärztliche  Fortbildungswesen  bilden.  Diesem  letzteren  Umstände 
ist  auch  dadurch  Rechnung  getragen,  daß  in  das  Kuratorium  jeder 
Akademie  für  praktische  Medizin  ein  Vertreter  des  Ztentralkomitees 
für  das  ärztliche  Fortbildungswesen  und  umgekehrt  ein  Mitglied  der 
betreffenden  Akademie  in  das  Zentralkomitee  delegiert  werden  soll. 
Die  Aufgaben  der  Akademien  für  praktische  Medizin  sind,  wie 
ersichtlich,  sehr  weite  und  dankbare  und  beim  richtigen  Erfassen 
derselben  werden  diese  Anstalten  unzweifelhaft  eine  ungemein  segens- 
reiche Tätigkeit  zugunsten  der  Ärzte  entwickeln  können.  Ganz  be- 
sonders für  den  Praktikanten  wird  die  Ableistung  des  praktischen 
Jahres  an  einer  Akademie  gegenüber  dem  Aufenthalt  an  einer  isolierten 
Krankenanstalt  vorzuziehen  sein,  denn  die  geistige  Anregung,  die 
Möglichkeit  der  wissenschaftlichen  Fortbildung  ist  an  einer  Akademie 
mit  ihren  zahlreichen  Fachinstituten  und  Fachlehrern  in  weit  höherem 
Maße  gegeben  als  im  anderen  Falle.  Ob  den  Akademien  in  weiterer 
Zukunft  nicht  noch  andere  Aufgaben  erwachsen,  etwa  in  der  Richtung, 
daß  sie  das  Recht  erhalten,  besondere  Spezialisten- Approbationen  zu 
erteilen,  muß  die  Ent^'icklung  dieser  Anstalten  lehren.  Die  Zahl  der 
im  Deutschen  Reiche  zu  errichtenden  Akademien  für  praktische  Me- 
dizin ist  noch  in  keiner  Weise  festgelegt.  In  erster  Linie  hängt  dies 
von  den  Stadtverwaltungen  ab,  die  sich  bereit  erklären,  ihre  be- 
stehenden medizinischen  Anstalten  in  den  Dienst  einer  Akademie  zu 
stellen  bezw.  neue  Anstalten  zu  diesem  Zweck  zu  errichten.  Es  ist 
indessen  nicht  zu  bezweifeln,  daß  bei  der  so  oft  bewährten  und  ge- 
zeigten Opferwilligkeit  der  deutschen  Städte  für  kulturelle  Aufgaben 
dies  in  genügender  Weise  geschehen  dürfte,  umsomehr  als  wieder 
eine  derartige  Einrichtung  auf  das  geistige  und  wissenschaftliche  Leben 
in  der  betreffenden  Stadt  in  vorteilhaftester  Weise  zurückwirken  wird. 


Die  medizinische  Fakultät.  ^53 

b)  Ärztliches  Fortbildungswesen. 

Das  ärztliche  Fortbildungswesen  im  Deutschen  Reiche  verdankt 
seine  Begründung  Ihrer  Majestät  der  hochseligen  Kaiserin 
Friedrich.  Diese  alle  geistigen  Interessen  so  sehr  fördernde  Fürstin 
gab  die  Anregung,  unentgeltliche  Fortbildungskurse  für  die  deutsche 
Ärzteschaft  ins  Leben  zu  rufen.  Zwecks  Verwirklichung  dieses 
Gedankens  bildete  sich  im  Herbst  1900  unter  der  Mitwirkung  des 
Königlichen  Preußischen  Ministeriums  der  geistlichen,  Unter- 
richts- und  Medizinalangelegenheiten  das  Zentralkomitee 
für  das  ärztliche  Fortbildungswesen,  das  in  Berlin  seinen  Sitz 
hat.  Ebenso  wie  für  die  Durchführung  des  praktischen  Jahres  hatte 
man  im  Deutschen  Reiche,  speziell  in  Preußen,  auch  für  die  Art 
der  Organisation  des  ärztlichen  Fortbildungswesens  ein  Vorbild  in 
dem  bereits  bestehenden  Fortbildungswesen  für  Militärärzte 
und  Medizinalbeamte.  Für  die  Fortbildung  dieser  beamteten 
Ärzte  hatte  die  Staatsven^altung  schon  seit  langen  Jahren 
dadurch  gesorgt,  daß  für  sie  von  Zeit  zu  Zeit  an  den  größeren 
wissenschaftlichen  Instituten  und  Kliniken  der  deutschen  Hoch- 
schulen unentgeltliche  Fortbildungskurse  abgehalten  wurden.  Die 
Dauer  dieser  Kurse  beträgt  gewöhnlich  ca.  4  Wochen.  Die 
Organisation  ist  so  getroffen,  daß  jeder  beamtete  Arzt  der  Militär- 
und  Zivilverwaltung  während  seiner  aktiven  Tätigkeit  mehrmals  ein 
Kommando  zu  einem  Fortbildungskurse  erhält.  In  Preußen  verteilen 
sich  diese  Kurse  für  beamtete  Ärzte  auf  die  Universitätsinstitute.  In 
Bayern  besteht  zu  diesem  Zwecke  für  die  Sanitätsoffiziere  eine  ständige 
besondere  Einrichtung,  der  sogenannte  Operationskurs  zu  München. 
Er  umfaßt  neben  Feldsanitätswesen,  Chirurgie,  innere  Medizin, 
Psychiatrie,  Hygiene,  Augen-  und  Ohrenheilkunde. 

Abgesehen  von  diesen  Kursen  ist  für  Militärärzte  und  in  be- 
schränkterer Weise  auch  für  die  beamteten  Ärzte  der  ZivUverwaltung 
im  gesamten  Deutschen  Reiche  die  Einrichtung  getroffen,  daß  eine 
Anzahl  derselben  auf  längere  Zeit,  oft  mehrere  Jahre,  als  Assistenten 
an  die  großen  medizinischen  Institute  abkommandiert  werden.  Dieses 
Fortbildungswesen  der  beamteten  Ärzte  hat  sich  so  sehr  bewährt, 
daß  es  in  jeder  Beziehung  dem  Zentralkomitee  für  das  ärztliche  Fort- 
bildungswesen in  Preußen  als  Vorbild  für  seine  Bestrebungen  zu- 
gunsten der  praktischen  Ärzte  dienen  könnte. 

Als  das  Zentralkomitee  seine  Tätigkeit  begann,  fand  es  in  dieser  Be- 
ziehung ein  großes,  ja,  wir  dürfen  wohl  behaupten,  ein  fast  unbearbeitetes 


154  Lehrgebiet  und  I/chrbetrieb. 

Feld  vor.  Denn  gerade  für  die  Fortbildung  der  die  weit  über- 
wiegende Masse  aller  Ärzte  bildenden  praktischen  Ärzte  war  bis  da- 
hin von  einer  Zentralstelle  aus  nichts  geschehen.  Es  bedeutet  daher 
das  Einsetzen  der  Tätigkeit  des  Zentralkomitees  eine  segensreiche 
Umwälzung  auf  dem  wichtigen  Gebiete  der  Fortbildung  des  deutschen 
Arztes,  eine  Tätigkeit,  die  in  ihren  Leistungen  für  die  Hebung  des 
Wissensniveaus  der  deutschen  Ärzteschaft  nicht  hoch  genug  veran- 
schlagt werden  kann. 

Daher  lieh  auch  die  preußische  Unterrichtsverwaltung  von  An- 
fang an  dem  Zentralkomitee  weitgehende  Unterstützung  und  Förderung. 
Diese  drückt  sich  darin  aus,  daß  dem  Zentralkomitee  für  die  Ab- 
haltung seiner  Kurse  und  Vorträge  nicht  nur  allein  die  der  Unterrichts- 
verwaltung unterstehenden  Institute  und  Hörsäle  zur  Verfügung  ge- 
stellt werden,  sondern  daß  auch  alljährlich  in  den  Etat  der  preußischen 
Unterrichtsverwaltung  ein  Fonds  für  das  ärztliche  Fortbildungswesen 
eingestellt  wird.  Demgemäß  ist  das  ärztliche  Fortbildungswesen  so, 
wie  es  jetzt  besteht,  das  Produkt  des  Zusammenwirkens  von  staat- 
licher und  privater  Initiative. 

Die  Tätigkeit  des  Zentralkomitees  geht  vor  allen  Dingen  von  dem 
Gedanken  aus,  daß  die  Fortbildungsmöglichkeit  dem  Arzte  unentgelt- 
lich und  ohne  Störung  seines  Berufes  geboten  werden  muß.  In  diesen 
Bestrebungen  fand  das  Zentralkomitee  das  weitestgehende  Entgegen- 
kommen seitens  der  deutschen  Universitätslehrer,  der  Vorstände  der 
wissenschaftlichen  Institute  und  der  Krankenhausleiter.  Es  war  auf 
diese  Weise  möglich  innerhalb  sehr  kurzer  Zeit  in  einer  großen  Zahl 
deutscher  Städte  das  Fortbildungswesen  in  Angriff  zu  nehmen.  Das- 
selbe wird  in  zwei  Formen  gehandhabt:  1.  in  der  Form  von  Vorträgen 
über  einzelne  wissenschaftliche  Fragen  oder  über  ein  gesamtes  medi- 
zinisches Gebiet,  so  daß  in  letzterem  Falle  jeder  Vortrag  mit  dem 
folgenden  zusammenhängt  und  die  gesamte  Vortragsreihe  das  be- 
treffende Gebiet  vollständig  erschöpft.  Die  zweite,  weit  wichtigere 
Art  des  Fortbildungswesens  besteht  in  dem  Abhalten  von  Fort- 
bildungskursen. Jeder  einzelne  dieser  Kurse  dauert  2 — 3  Monate 
mit  gewöhnlich  zwei  Stunden  in  der  Woche.  Die  Kurse  umfassen 
alle  Fächer  der  Medizin  einschließlich  der  Spezialfacher,  so  daß  der 
Arzt  sich  in  jeglicher  medizinischen  Disziplin  fortbilden  kann.  Alle 
Vorträge  und  Kurse  werden  unentgeltlich  gehalten  und  sind  entweder 
in  die  Mittags-  oder  in  die  Abendstunden  verlegt,  um  die  Teilnehmer 
in  der  Ausübung  ihrer  Praxis  in  keiner  Weise  zu  behindern.  Wie 
sehr    diese  Einrichtung   einem  Bedürfnis  der  praktischen  Ärzte  nach- 


Die  nietlizinische  Fakultät.  I55 

kam  und  wie  groß  das  wissenschaftliche  Streben  der  deutschen  Ärzte- 
schaft ist,  geht  aus  den  Beteiligungsziffern  hervor,  welcher  sich  Vor- 
träge und  Kurse  in  der  kurzen  Zeit  ihres  Bestehens  zu  erfreuen  hatten. 
Das  Zentralkomitee  hat  seine  Organisation  bereits  über  24  Städte 
Preußens  ausgedehnt.  In  allen  diesen  Städten  bestehen  lokale  Ver- 
einigungen, die  mit  dem  Zentralkomitee  in  organischer  Verbindung 
stehen.  Auch  in  den  übrigen,  außerpreußischen  Bundesstaaten,  so 
in  Bayern,  Baden,  Braunschweig,  Sachsen-Coburg-Gotha,  Sachsen, 
Hessen,  Hamburg,  Württemberg,  Elsaß -Lothringen,  Mecklenburg- 
Schwerin,  ist  das  ärztliche  Fortbildungswesen  in  regen  Fluß  gekommen, 
indem  sich  auch  dort  überall  Komitees  gebildet  haben,  welche  für 
die  Abhaltung  von  Fortbildungskursen  sorgen. 

Dementsprechend  hat  sich  die  Notwendigkeit  herausgestellt,  für 
das  ärztliche  Fortbildungswesen  einen  zentralen  Stützpunkt  zu  errichten. 
In  erster  Linie  schien  es  erforderlich,  in  Berlin  eine  Sammlung  von 
ärztlichen  Lehrmitteln  zu  besitzen,  die  es  gestattet,  den  lokalen 
Vereinigungen  die  nötigen  Lehr-  und  Demonstrationsmittel  für  ihre 
Fortbildungskurse  leihweise  zur  Verfügung  zu  stellen.  Auf  solche 
Weise  nur  ist  es  zu  ermöglichen,  daß  auch  in  kleineren  Städten,  die 
nicht  über  große  medizinische  Institute  verfügen,  die  dem  Fort- 
bildungswesen dienenden  Vorträge  dennoch  durch  die  neuesten 
Lehrmittel  der  Wissenschaft  unterstützt  werden. 

Diese  Bestrebungen  des  Zentralkomitees  konnten  rascher  ver- 
wirklicht werden,  als  man  angenommen  hatte.  Durch  die  reichen 
Spenden  einer  großen  Zahl  opferbereiter  Förderer  der  Wissenschaft 
erhielt  das  Zentralkomitee  ein  bedeutendes  Kapital,  aus  dem  eine 
Stiftung  für  das  ärztliche  Fortbildungswesen  gebildet  wurde.  Zum 
Andenken  an  die  erlauchte  Urheberin  des  gesamten  Fortbildungs- 
wesens in  Preußen  erhielt  diese  Stiftung  den  Namen  „Kaiserin 
Friedrich-Stiftung  für  das  ärztliche  Fortbildungswesen". 
Die  „Kaiserin  Friedrich-Stiftung"  bezweckt,  die  auf  die  wissenschaft- 
liche Fortbildung  der  Ärzte  gerichteten  Bestrebungen  in  jeder  Be- 
ziehung zu  fördern  und  zu  dem  Behufe  insbesondere  ein  eigenes 
Haus,  das  Kaiserin  Friedrich-Haus  für  das  ärztliche  Fort- 
bildungswesen, als  Mittel-  und  Stützpunkt  dieser  Bestrebungen  zu 
errichten  und  zu  erhalten.  In  diesem  Kaiserin  Friedrich-Hause  soll 
die  staatliche  Sammlung  ärztlicher  Lehrmittel,  die  also,  wie 
aus  dem  Namen  hervorgeht,  staatliches  Eigentum  wird,  dauernd  Auf- 
nahme finden.  Auch  sollen  hier  die  erforderlichen  Verwaltungsräume 
für  das  Zentralkomitee    sowie    in   geeignete    Demonstration s-  und 


156  I^hrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Hörsäle,  Bibliothek  und  Sammlungszimmer,  ferner  sonstige 
der  ärztlichen  Fortbildung  dienende  Einrichtungen  untergebracht 
werden. 

Aus  dieser  Organisation  des  Fortbildungswesens,  die  zum  Teil, 
wie  schon  erwähnt,  noch  nicht  vollkommen  durchgeführt,  sondern  in 
der  Art,  wie  wir  sie  hier  schildern,  erst  im  Werden  begriffen  ist, 
geht  die  Wichtigkeit  derselben  für  die  deutsche  Ärzteschaft  von 
selbst  hervor.  In  seinen  Bestrebungen  entspricht  es  den  in  manchen 
Ländern,  so  in  Amerika  und  in  England  bestehenden  Postgraduate 
Medical  Schools,  in  seiner  Organisation  geht  es  weit  über  diese 
hinaus.  Es  ist  daher  nicht  zu  bezweifeln,  daß  das  Fortbildungswesen 
der  gesamten  Ärzteschaft  und  damit  der  Wissenschaft  und  der 
leidenden  Menschheit  zum  größten  Nutzen  gereichen,  und  daß  es 
besonders  in  Anbetracht  der  allerhöchsten  Förderung,  die  ihm  Seine 
Majestät  der  Kaiser  und  König  huldvollst  entgegenbringt,  sich 
ununterbrochen  zu  weiterer  Blüte  entwickeln  wird. 

Damit  sind  wir  am  Ende  des  langen  und  vielseitigen  Studien- 
ganges des  deutschen  Arztes  angelangt.  Es  ist  ein  Studiengang,  der 
den  Studenten  auf  breiter  allgemeiner  und  wissenschaftlicher  Grund- 
lage in  die  Medizin  einführt,  ihn  durch  die  Kliniken  und  die  der 
praktischen  Medizin  dienenden  Institute  der  medizinischen  Fakultäten 
zu  dem  eigentlichen  ärztlichen  Berufe  erzieht,  um  dann  den  nach 
Ableistung  des  praktischen  Jahres  approbierten  Arzt  mittels  des  Fort- 
bildungswesens stets  auf  der  Höhe  der  fortschreitenden  Wissenschaft 
zu  erhalten.  Auf  allen  diesen  Etappen  erblicken  wir  den  medizinischen 
Unterricht  sich  streng  auf  dem  Boden  der  exakten  Naturwissenschaften 
bewegen.  Nie  darf  er  indessen  dabei  den  Grundsatz  verlieren,  der  in 
den  ersten  Worten  dieses  Aufsatzes  enthalten  ist,  daß  der  Arzt  zu  gleicher 
Zeit  eine  Wissenschaft  und  eine  Kunst  beherrschen  muß.  Die  letztere 
besteht  darin,  daß  er  das  für  den  einzelnen  Fall  geeignete  Vorgehen 
aus  seinem  wissenschaftlichen  Besitze  schöpfen  kann,  daß  er  bei  voller 
Wertschätzung  der  Empirie  doch  kein  Schematiker,  kein  Routinier 
sein  darf.  Kr  muß  eben  ein  Arzt  sein,  d.  h.  ein  Mann,  der  versteht 
und  bereit  ist,  in  jedem  einzelnen  Falle  mit  Aufopferung  seiner 
ganzen  Kräfte,  nach  einem  wissenschaftlichen  Plane  seine  Kunst  aus- 
zuüben, eingedenk  des  Grundsatzes,  daß  es  sich  für  ihn  stets  darum 
handelt,  das  höchste  Gut  zu  erhalten,  was  es  in  diesem  Leben  gibt: 
die  menschliche  Gesundheit. 


Die  medizinische  Fakultät.  157 

ERSTER  ANHANG. 
a)  Der  Studiengang  der  Zahnärzte  im  Deutschen  Beiehe. 

Den  Titel  „Zahnarzt" '  dürfen  im  Deutschen  Reiche  nur  die- 
jenigen führen,  welche  sich  der  zahnärztlichen  Staatsprüfung  unter 
zogen  und  die  Approbation  erhalten  haben.  Die  Zulassung  zu  dieser 
Prüfung  ist  bedingt  durch  den  Nachweis:  1.  der  Reife  für  die  Prima 
eines  deutschen  Gymnasiums  oder  Realgymnasiums,  2.  mindestens  ein- 
jähriger praktischer  Tätigkeit  bei  einer  zahnärztlichen  höheren  Lehr- 
anstalt oder  einem  approbierten  Zahnarzt,  3.  eines  zahnärztlichen 
Studiums  von  mindestens  4  Halbjahren  auf  Universitäten  des  Deutschen 
Reiches. 

Das  Universitätsstudium  der  Zahnärzte  erstreckt  sich  in  allgemein 
wissenschaftlichen  Fächern  auf  Anatomie  und  Physiologie,  allgemeine 
Pathologie,  Therapie  und  Pharmakologie  einschließlich  der  Toxikologie. 
Diese  Vorlesungen  hören  die  Studierenden  der  Zahnheilkunde  ge- 
meinsam mit  den  übrigen  Medizinern.  Außerdem  beschäftigen  sie 
sich  während  ihres  Universitätsstudiums  speziell  mit  der  Zahnheil- 
kunde. Für  dieses  Fach  bestehen  an  den  größeren  deutschen  Uni- 
versitäten eigene  Institute  für  Zahnheilkunde,  an  den  kleineren  wird 
dieses  Fach  von  einem  dazu  autorisierten  praktischen  Zahnarzt  ver- 
treten. Der  Lehrbetrieb  in  den  Instituten  für  Zahnheilkunde  erstreckt 
sich  auf  folgende  drei  Hauptabteilungen :  1 .  Abteilung  für  Extraktion, 
2.  Abteilung  für  Zahnkonservierung,  3.  Abteilung  für  Ersatzstücke 
und  Prothesen.  Die  Tätigkeit  in  den  speziell  zahnärztlichen  Insti- 
tuten ist  von  Anbeginn  eine  durchaus  praktische.  Die  Studierenden 
lernen  unter  Anleitung  des  Lehrers  alle  zahnärztlichen  Verrichtungen 
und  operativen  Eingriffe  am  Lebenden  ausführen.  In  der  Abteilung 
für  Prothesen  wird  die  Anatomie  und  Chirurgie  des  Gaumens  und 
der  Kiefer  speziell  für  die  Zwecke  des  Zahnarztes  eingehend  be- 
handelt. 


b)  Das  Frauenstudium  der  Medizin  an  deutschen  Universitäten. 

Die  Vorschriften  für  das  Frauenstudium  an  deutschen  medizi- 
nischen Fakultäten  sind  noch  nicht  in  einheitlicher  Weise  geregelt. 
Ks  bestehen  in  dieser  Hinsicht  in  den  einzelnen  Bundesstaaten 
große  Verschiedenheiten.  An  den  preußischen  Universitäten  ist  die 
Immatrikulation  von  Frauen  für  die  medizinische  Fakultät  nicht  gestattet. 
Sic  können  nur  als  Hörerinnen  an  den  Vorlesungen  teilnehmen.     Die 


i58  I^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Zulassung  als  Hörerin  wird  abhängig  gemacht  von  der  Vorbildung. 
Sofern  diese  genügt,  wird  seitens  des  Rektorates  ein  Erlaubnisschein 
zur  Annahme  von  Vorlesungen  ausgestellt;  derselbe  muß  in  jedem 
Semester  erneuert  werden. 

Neben  diesem  Rektorats-Erlaubnisscheine  bedürfen  indessen  die 
Hörerinnen  alsdann  noch  in  jedem  Falle  der  .schriftlichen  Einwilligung 
des  einzelnen  Dozenten  für  die  Teilnahme  an  seinen  Vorlesungen. 
In  anderen  Bundesstaaten,  wie  in  Bayern,  Elsaß-Lothringen,  ist  in 
neuester  Zeit  die  Frage  des  Frauenstudiums  dahin  geordnet,  daß 
diejenigen  Damen,  welche  die  Reife  eines  deutschen  Gymnasiums 
oder  Realgymnasiums  nachweisen,  ebenso  wie  die  männlichen 
Studierenden  immatrikuliert  als  ordentliche  Studierende  den  Vor- 
lesungen beiwohnen  und  den  Prüfungen  sich  unterziehen  können. 

A.   W  a  s  s  c  r  m  a  n  n. 


ZWEITER    ANHANG. 

über  die  bei  der  medizinischen  Doktorpromotiun  zu  stellenden  Minimal- 
\       f orderungen  ist  im  Jahre  1898  zwischen  den  beteiligten  Bundesregierungen    eine   Ver- 
einbarung getroffen  worden,  deren  wesentlicher  Inhalt  folgender  ist. 

1.  Inländer  haben  dasjenige  Keifezeugnis  beizubringen,  das  für  die  Zulassung  zur 
Approbationsprüfung  nötig  ist  (also  das  eines  deutschen  Gymnasiums  oder  Realgymnasiums). 

Bei  Ausländem  ist  das  Zeugnis  über  eine  gleichwertige  Schulbildung    erforderlich. 

2.  ¥ÜT  die  Dissertation  ist  zu  fordern,  daß  sie 

a)  eine  wissenschaftlich  beachtenswerte  —  zur  Aufnahme  in  eine  wissen- 
schafdiche  Zeitschrift  geeignete  —  Abhandlung  sein  muß  und 

b)  unter  Bekanntgabe  des  Beurteilers  durch  den  Druck  zu  veröffentlichen  ist. 

3.  Für  die  mündliche  Prüfung  ist  zu  fordern : 

a)  die  Anwesenheit  von  mindestens  drei  Mitgliedern    der  medizinischen    Fakultät; 

b)  der  Kandidat  hat  nachzuweisen,  daß  er  in  mindestens  einem  Ilauptfache  der 
Medizin  eingehende  wissenschaftliche  Studien  gemacht  und  in  mindestens  zwei 
anderen  Hauptfächern  sich  eine  allgemeine  medizinische  Bildung,  wie  sie  bei 
der  Approbalionsprüfung  verlangt  wird,  erworben  hat.  Wenn  der  Kandidat  die 
Approbationsj)rüfung  bereits  bestanden  hat,  so  fällt  dieser  letzlere  Nachweis  fori; 

c)  die  Prüfung  ist  öffentlich  abzuhalten. 

Über  die  erfolgte  Promotion  werden  die  Hauptpunkte  nach  einem  einheitlichen 
Formular  in  jecjem  Halbjahre  veröffentlicht. 

Auf  Cirund  weiterer  Vereinbarungen  Murde  im  Jahre  1900  festgesetzt,  daß  die  Zu- 
lassung von  Inländern  zur  Promotion  in  der  Kegel  erst  erfolgen  darf,  wenn  sie  die  Apj)ro- 
baiion  als  Arzt  für  das  Deutsche  Reich  erlangt  haben. 

Die  mündliche  Prüfung  darf  der  Einreichung  der  Dissertation  nicht  \orangehen. 

Ks  handelt  sicli  hier  nur  um  Minimalforderungen  uhd  die  Proniotionsordnungen 
der  einzelnen  Fakultäten  sind  zum  Teil  strenger  gefaßt. 

1.. 


V.   Philosophische  Fakultät. 


Vorbemerkung. 

Die  mittelalterliche  Artistenfakultät,  die  Vorläuferin  der  heutigen 
philosophischen  Fakultät,  hatte  nur  die  Aufgabe,  den  Studierenden 
die  für  den  Eintritt  in  eine  der  drei  „oberen  Fakultäten"  erforder- 
liche allgemeine,  insbesondere  philosophische  Vorbildung  zu  gewähren. 
Gegenwärtig  aber  umfaßt  die  philosophische  Fakultät  die  selbständigen 
fachmäßigen  Vertreter  aller  der  zahlreichen  Wissenschaften,  die  nicht 
dem  Spezialgebiet  der  anderen  Fakultäten  angehören.  Allerdings 
fallen  in  diesen  Kreis  auch  Fächer,  die  dem  Theologen,  Juristen  oder 
Mediziner  als  Hilfswissenschaften  unentbehrlich  oder  wenigstens  sehr 
nützlich  sind,  aber  sie  werden  als  Selbstzweck  betrieben  und  nicht 
lediglich  aus  Rücksicht  auf  das  praktische  Bedürfnis  der  genannten 
gelehrten  Berufe.  Andererseits  aber  hat  die  philosophische  Fakultät 
auch  den  für  gewisse  Berufsklassen  bestimmten  Fachunterricht  in 
Händen.  Hierher  gehört  vor  allem  die  Ausbildung  der  Studierenden, 
die  sich  dem  höheren  Lehramt,  sei  es  der  humanistischen,  sei  es  der 
mathematisch-naturwissenschaftlichen  Richtung  widmen  wollen.  Bei 
allen  preußischen  Universitäten  bestehen  auch  wissenschaftliche 
Prüfungskommissionen  —  in  die  übrigens  nicht  ausschließlich  Universitäts- 
lehrer berufen  werden  —  um  das  von  den  Lehramtskandidaten  abzu- 
legende Examen  „pro  facultate  docendi"  abzuhalten.  Ferner  sind  die 
Pharmazeuten  und  die  Nahrungsmittelchemiker,  für  die  ebenfalls 
Prüfungskommissionen  bei  den  Universitäten  eingesetzt  sind,  auf  die 
philosophische  Fakultät  angewiesen.  In  den  chemischen  Laboratorien 
der  Universitäten  arbeiten  auch  stets  Studierende  —  und  sie  bilden 
oft  die  Mehrzahl  —  die  sich  dem  praktischen  Berufe  als  Techniker 
widmen  wollen.  Ebenso  wird  die  wissenschaftliche  Ausbildung  der 
Landwirte  durch  Lehrkräfte  und  Institute  der  philosophischen  Fakultät 
vermittelt. 


i60  I^hrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Bei  der  außerordentlich  großen  Ausdehnung  des  Bereichs  der 
modernen  philosophischen  Fakultät  und  bei  der  zunehmenden  Ver- 
schiedenheit der  Anschauungen  der  Vertreter  der  humanistischen  und 
der  realistischen  Wissenschaften  ist  die  Frage  mehr  und  mehr  in  den 
Vordergrund  getreten,  ob  nicht  eine  Zerlegung  der  Riesenfakultät  in 
wenigstens  zwei  selbständige  Teile  zweckmäßig  sei.  An  einigen 
Universitäten  ist  das  bereits  geschehen :  zuerst  in  Tübingen,  wo  schon 
1863  neben  der  humanistischen  Fakultät,  die  den  Namen  „philoso- 
phische" behielt,  eine  „natur^\'issenschaftliche"  (zu  der  auch  die 
mathematischen  Fächer  gehören)  errichtet  wurde.  In  Straßburg  wurde 
bei  der  Neugründung  der  Universität  1872  der  philosophischen  Fakultät 
ebenfalls  eine  „mathematische  und  naturwissenschaftliche"  zur  Seite 
gestellt,  und  auch  in  Heidelberg  hat  sich  eine  „naturwissenschaftlich- 
mathematische" von  der  philosophischen  Fakultät  abgezweigt.  An 
den  bayerischen  Universitäten  ist  die  philosophische  Fakultät  in  zwei 
selbständige  Sektionen  geteilt.  An  den  übrigen  Universitäten  und 
namentlich  an  allen  preußischen  ist  die  Feinheit  der  philosophischen 
Fakultät  bisher  aufrecht  erhalten  worden,  obwohl  es  an  Reibungen, 
namentlich  wegen  der  Promotionsbedingungen,  nicht  gefehlt  hat. 
Nur  in  Marburg  besteht  eine,  äußerlich  allerdings  nicht  kenntlich 
gemachte  Teilung  in  zwei  Sektionen,  die  in  Promotionsangelegenheiten 
selbständig  sind. 

Auch  die  staatswissenschaftliche  Fakultät  in  Tübingen  und  die 
Staats  Wirtschaft  liehe  in  München  können  wenigstens  teilweise  als 
Abzweigungen  der  philosophischen  Fakultät  betrachtet  werden,  da  die 
Mehrzahl  der  zu  ihnen  gehörenden  Fächer  sich  an  den  meisten  anderen 
Universitäten  in  dieser  letzteren  Fakultät  finden.  Die  Tübinger 
Fakultät.  1881  ebenfalls  als  Staats  wirtschaftliche  bezeichnet,  wurde 
schon  1817  gegründet;  sie  umfaßt  zwei  ordentliche  Professuren  für 
die  wirtschaftlichen  Staatswissenschaften,  zwei  für  Forstwissenschaft, 
eine  für  Landwirtschaft,  außerdem  aber  auch  drei  für  Verw^altungs- 
recht,  Staatsrecht  und  andere  Zweige  des  öffentlichen  Rechts.  In 
der  staatswirtschaftlichen  Fakultät  in  München  ist  außer  der  Volks- 
wirtschaftslehre, Finanzwissenschaft  und  Statistik  nur  die  Forstwissen- 
schaft nebst  einigen  natunvissenschaftlichen  Fächern  vertreten.  An 
einigen  Universitäten  (in  Münster,  Würzburg  [wo  von  1822  bis  1878  eine 
besondere  staatswissenschaftliche  Fakultät  bestand],  Freiburg  und  Straß- 
burg) sind  übrigens  die  wirtschaftlichen  Staatswissenschaften  der  „rechts- 
und  staatswissenschaftlichen"  Fakultät  zugeteilt. 

Die  abgezweigten  Fakultäten  verleihen  ebenfalls   einen  Doktor- 


Philosophische  Fakultät:  Vorbemerkurig.  161 

grad  (Dr.  rer.  nat.,  Dr.  rer.  pol.  oder  oec.  pol.),  der  prinzipiell  dem 
der  philosophischen  Fakultät  gleichgeachtet  wird,  wenn  auch  dieser 
wegen  seines  historischen  Charakters  tatsächlich  beliebter  ist.  Wenn 
früher  einige  philosophische  Fakultäten  —  wie  auch  einige  juristische 
und  medizinische  —  sich  mit  gar  zu  geringen  wissenschaftlichen  An- 
forderungen bei  der  Doktorpromotion  begnügten,  so  hat  in  der 
neueren  Zeit  in  dieser  Hinsicht  eine  durchgreifende  Änderung  zum 
Bessern  stattgefunden.  Es  ist  dies  hauptsächlich  dem  Vorgehen  der 
preußischen  Unterrichtsverwaltung  zu  verdanken,  die  „in  dem  Be- 
streben, dem  Doktorgrad  der  deutschen  philosophischen  und  natur- 
wissenschaftlichen Fakultäten  seine  geschichtlich  begründete  Bedeutung 
in  wissenschaftlicher  und  sozialer  Beziehung  zu  wahren",  eine  Ver- 
ständigung mit  den  übrigen  beteiligten  Bundesregierungen  darüber 
herbeiführte,  daß  in  allen  Promotionsordnungen  der  genannten  Fakul- 
täten gewisse  Mindestforderungen  aufzustellen  seien.  Der  Inhalt  dieser 
im  Jahre  1901   zustandegekommenen  Vereinbarung  ist  folgender: 

I.  Der  Doktorgrad  darf  nur  auf  (Jrund  einer  durch  den  Druck  veröffentlichten 
Dissertation  und  einer  mündlichen  Prüfung  verliehen  werden. 

Eine  promotio  in  absentia  ßndet  unter  keinen  Umständen  statt.  Die  Ehren- 
promotion, promotio  honoris  causa,  bleibt  unberührt. 

II.  Von  der  Dissertation  ist  zu  verlangen,  daß  sie  wissenschaftHch  beachtenswert 
ist  und  die  Fähigkeit  dartut,  selbständig  wissenschaftlich  zu  arbeiten. 

III.  Die  Zulassung  zur  Promotion  ist  an  den  Nachweis  der  Reife  einer  deutschen 
neunstutigen  höheren  Lehranstalt  und  eines  dreijährigen  Universitätsstudiums  zu  knüpfen. 

Die  Zulässigkeit  von  Ausnahmen  von  dem  Erfordernisse  der  Reife  (Abs.  1)  ist 
durch  die  Promotionsordnimgen  zu  regeln  und  möglichst  zu  beschränken. 

Dabei  soll  als  Voraussetzung  gelten,  daß  entweder 

1.  die  Gleichwertigkeit  der  Vorbildung  mit  derjenigen  auf  einer  deutschen  neun- 
stuHgen  höheren  I^hranstalt  durch  ausländische  Zeugnisse  gesichert  erscheint, 
oder 

2.  der  Mangel  dieser  gleichwertigen  Vorbildung  ersetzt  wird  durch  die  Einreichung 
einer  als  hervorragende  Leistung  anzusehenden  Dissertation. 

Die  Zulassung  darf  in  dem  letzteren  Falle  nur  auf  einstimmigen  Beschluß  der 
F'akultät  oder  Fakultätssektion  und  unter  Gutheißung  des  vorgeordneten  Ministeriums 
erfolgen. 

Die  Promotionsordnungen  können  darüber  bestimmen,  ob  und  inwieweit  bei  Kan- 
didaten der  naturwissenschaftlich-mathematischen  Fächer  die  Stucüenzeit  an  technischen 
oder  anderen  deutschen  Hochschulen  abgelegt  werden  darf. 

IV.  Die  Gleichmäßigkeit  der  Zensierung  ist  anzustreben  und  tunlichst  in  der 
Welse  zu  regeln,  daß  nur  folgende  Prädikate  erteilt  werden: 

bestanden  (rite) 

gut  (cum  laude) 

sehr  gut  (magna  cum  laude) 

ausgezeichnet  (summa  cum  laude). 

pat  Unterrichtowdten  im  Deutschen  Reich,   l.  11 


162  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

V.  Die  erfolgten  Promotionen  sollen  halbjährlich  im  Reichsanzeiger  nach  einem 
bestimmten  Formulare  in  tabellarischer  Form  veröffentlicht  werden.  Zu  diesem  Zwecke 
werden  die  beteiligten  Ministerien  dafür  Sorge  tragen,  daß  die  ausgefüllten  Formulare 
bezüglich  des  Sommerhalbjahrs  bis  zum  1.  Dezember,  bezüglich  des  Winterhalbjahrs  bis 
zum  1.  Juni  an  die  Redaktion  des  Reichsanzeigers  unter  äußerlicher  Kenntlichmachung 
als  „Philosophische  Promotionssache"  eingesandt  werden. 

Künftige  Änderungen  der  geltenden  Promotionsordnungen  an  den  philosophischen 
Fakultäten  und  den  naturwissenschaftlichen  Fakultäten  zu  Heidelberg,  Straßburg  und 
Tübingen  werden  sich  die  beteiligten  Ministerien  durch  Übersendung  von  Druckabzügen 
mitteilen. 

Diese  Vereinbarung  war  spätestens  bis  zum  1.  Oktober  1902 
durchzufuhren,  und  die  Fakultäten  hatten  also  nötigenfalls  ihre  Pro- 
motionsordnung entsprechend  abzuändern.  Da  es  sich  aber  eben  nur 
um  Minimalforderungen  handelte,  so  lag  kein  Gr^ind  vor,  unter  die 
bei  den  einzelnen  Fakultäten  bereits  geltenden  oder  für  nötig  erach- 
teten strengeren  Bedingungen  herabzugehen.  Die  Promotions- 
bedingungen sind  daher  auch  in  der  Tat  von  mehreren  Fakultäten 
schärfer  gefaßt  worden. 


I.  Philosophie.    Psychologie.    Pädagogik. 

1 .  Wer  etwa  vor  einem  Menschenalter  die  philosophischen  Hör- 
säle deutscher  Universitäten  kennen  gelernt  hat  und  sie  nach  längerer 
Zwischenzeit  heute  wieder  betritt,  der  wird  die  Wahrnehmung  machen, 
daß  sich  ihre  äußerliche  Physiognomie  gänzlich  verändert  hat.  Da- 
mals mit  wenigen  Ausnahmen  Leere  und  Öde,  gewöhnlich  wenige 
Zuhörer  und  diese  zumeist  nur  unter  dem  Zwange  der  Prüfungs- 
ordnung zusammengekommen,  ohne  lebhafteres  Interesse  folgend, 
oft  nach  dem  Diktat  des  Dozenten  mühsam  und  mechanisch  mit- 
schreibend. Heute  die  meisten  Auditorien  gefüllt,  ja  oft  überfüllt 
und,  wie  schon  der  Augenschein  lehrt,  mit  teilnehmenden  Hörern, 
die  den  verschiedensten  Fakultäten,  vielfach  außerakademischen 
Kreisen  angehören  und  mithin  nicht  durch  den  Druck  des  Examens, 
sondern  durch  eigenes  Bedürfnis  und  Interesse  zu  hören  angetrieben 
werden.  Dem  Eindruck,  daß  die  Universitätsphilosophie  in  den 
letzten  Jahrzehnten  einen  mächtigen  Aufschwung  genommen  hat, 
wird  sich  niemand  entziehen  können. 

Den  Anstoß  zu  dieser  Wandlung  hat,  wie  für  die  philosophische 
Wissenschaft  überhaupt,  so  insbesondere  für  den  Universitätsunterricht, 
die  Wiederbelebung  des  Kantstudiums  in  den  70  er  Jahren  des  vorigen 
Jahrhunderts  gegeben.  Hierdurch  ist  der  Inhalt  und  die  Methode  des 
Philosophierens  umgewandelt  und  es  sind  Grundsätze  zur  Geltung 
gebracht  worden,  die  denen  der  vorangegangenen  Epoche  vielfach 
entgegengesetzt  sind  und  deren  Einfluß  der  philosophische  Universitäts- 
unterricht seine  heutige  Blüte  verdankt.  Versuchen  wir  es,  die 
charakteristischen  Eigentümlichkeiten  dieser  Entwicklung  und  ihrer 
Folgen  in  kurzen  Zügen  wiederzugeben. 

Die  nächste  und  natürlichste  Wirkung  des  Rückgangs  auf  Kant 
mußte  sein,  daß  die  von  diesem  Philosophen  behandelten  Probleme, 
die    erkenntnistheoretisch-kritischen   also,    in    den    Mittelpunkt 

11* 


164  I -ehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

des  wissenschaftlichen  Interesses  wie  des  akademischen  Unterrichts 
traten.  Zunächst  ist  es  die  Kantische  Philosophie  selber,  deren 
allgemeine  Richtung  und  Bedeutung  sowohl,  wie  ihre  einzelnen  Teile 
immer  wiederkehrende  Gegenstände  der  Vorlesungen  und  Seminar- 
übungen bilden:  sowohl  die  Vorlesungsverzeichnisse  wie  die  Doktor- 
dissertationen der  verschiedenen  Universitäten  beweisen  das.  Dabei  ist 
aber  bemerkenswert,  daß  der  Standpunkt,  den  die  einzelnen  Uni- 
versitätslehrer dieser  Philosophie  gegenüber  einnehmen,  durchaus 
nicht  der  gleiche  ist.  Eine  Kantische  Schule  im  eigentlichen 
Sinne  wird  nur  von  einer  kleinen  Gruppe  von  Philosophen  gebildet, 
die  ihren  Mittelpunkt  in  Marburg  hat.  Hier  wird  ein  unmittelbarer 
Anschluß  an  den  Standpunkt  Kants  gesucht,  freilich  auch  hier  nicht 
im  dogmatischen,  sondern  im  methodischen  Sinne:  nicht  sowohl  der 
Inhalt  seiner  Lehre,  als  die  Art  seines  kritischen  Verfahrens  erscheint 
als  das  vorbildliche  und  verbindliche  Prinzip  der  wissenschaftlichen 
Philosophie.  Weitaus  die  meisten  Universitätslehrer  aber  streben  ein 
loseres  Verhältnis  zum  Kritizismus  an;  und  während  sie  einen  Teil 
seiner  Grundsätze  übernehmen,  erheben  sie  doch  auch  vielfach  Ein- 
schränkungen und  Einwürfe:  die  Lehre  Kants  erscheint  hier  nicht 
sowohl  als  der  Mittel-,  wie  als  der  Ausgangspunkt  des  erkenntnis- 
theoretischen Studiums. 

Im  engsten  Zusammenhang  mit  diesem  Aufschwung  der  Erkenntnis- 
theorie steht  die  Neubelebung  der  logischen  Studien.  An  Stelle  der 
alten  aristotelischen  Logik,  wie  sie  noch  vor  einem  Menschenalter  viel- 
fach gelesen  wurde,  oder  einer  Fortbildung  derselben  ist  jetzt  überall  die 
moderne  Behandlungsart  getreten,  welche  den  Problemen  der  induk- 
tiven Logik  mehr  Gewicht  zuerkennt,  als  dem  System  der  deduktiven, 
und  sie  in  einem  methodologisch-kritischen  Sinne  behandelt.  Die 
Vorlesungen  über  die  Gegenstände  haben  daher  ein  erneutes  Interesse 
gewonnen.  Die  Logik  gehört  überall  zu  dem  festen  Bestand  der 
akademischen  Lehrpläne  und  erscheint  meistens  mit  der  Erkenntnis- 
theorie zu  einem  Kursus  verbunden.  Gleichwohl  ist  der  Fortschritt 
der  letzteren  nicht  die  einzige,  vielleicht  nicht  einmal  die  wesentlichste 
Ursache  für  die  Reform  der  Logik  gewesen.  Vielmehr  treffen  hier 
noch  andere,  nicht  minder  wesentliche  Einflüsse  zusammen,  um  be- 
fruchtend auf  ein  Gebiet  einzuwirken,  das  Jahrhunderte  lang  nicht 
mehr  ertragsfahig  erschien  und  nun  plötzlich  ein  neues  reiches  Leben 
zeitigt.  Das  ist  einmal  der  Aufschwung  der  Naturwissenschaften  seit 
der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts.  Dieser  Einfluß,  der  wie  auf  allen 
Gebieten  des  Lebens  und   der  Wissenschaft,    so    auch    auf  dem    der 


Philosophische  Fakultät:   Philosophie.  Psychologie.  Pädagogik.  1(>5 

Universitätsphilosophie  sich  geltend  gemacht  hat,  ist  für  die  Logik 
insofern  von  Bedeutung  geworden,  als  er  eine  Reihe  von  methodo- 
logischen Problemen  in  den  Mittelpunkt  des  Interesses  gerückt  hat, 
die  teils  unmittelbar  aus  den  Naturwissenschaften  hervorgewachsen, 
teils  aber  aus  der  Einwirkung  hervorgegangen  sind,  welche  die  natur- 
geschichtliche Betrachtung  auf  andere  Gebiete,  besonders  Geschichte 
und  Nationalökonomie  ausgeübt  hat.  Die  Erörterung  von  Begriffen 
wie  Kausalität,  Gesetz,  Kraft  usw.  hat  hierdurch  eine  neue  Unter- 
lage und  neue  Schwungkraft  erhalten,  und  hier  liegt  recht  eigentlich 
der  Schwerpunkt,  in  dem  Logik  und  Erkenntnistheorie  zusammen- 
treffen. Endlich  kommt  gerade  hier  als  ein  kaum  minder  wichtiges 
Moment  der  Einfluß  der  ausländischen  Philosophie,  speziell  der  eng- 
lischen und  besonders  J.  Stuart  Mills  in  Betracht.  Es  findet  denn 
auch  dieser  Denker  und  manche  ver^^'andte  Erscheinung  in  den 
logischen  und  erkenntnistheoretischen  Vorlesungen  vielfach  Berück- 
sichtigung. Allerdings  kann  es  auffallen,  daß  wir  bis  jetzt  so  gut 
wie  gar  keine  Vorlesungen  zu  verzeichnen  haben,  die  der  Entwicklung 
der  neueren  englischen  und  französischen  Philosophie  speziell  gewidmet 
sind;  indessen  deuten  manche  Anzeichen  darauf  hin,  daß  diese 
Lücke  demnächst,  wenigstens  an  den  größeren  Universitäten,  aus- 
gefüllt werden  wird. 

Haben  wir  bisher  die  positive  Seite  des  Einflusses,  den  das 
Kantstudium  und  die  kritische  Erkenntnistheorie  auf  die  Universitäts- 
lehre ausgeübt  hat,  ins  Auge  gefaßt,  so  ist  nun  auch  eine  negative 
Wirkung  dieser  Studien  nicht  minder  bemerkenswert.  Diese  äußert 
sich  in  dem  Zurücktreten  der  philosophischen  Systematik,  vor  allem 
der  Metaphysik  und  der  ihr  zunächst  verwandten  Gebiete,  wie  der 
Naturphilosophie.  Vorlesungen  über  diese  Gegenstände  werden 
zur  Zeit  innerhalb  der  philosophischen  Fakultäten  Deutschlands  — 
von  den  theologischen  ist  hier  nicht  die  Rede  —  nur  ausnahmsweise 
angekündigt  und  auch  wo  es  geschieht,  ist  zumeist  anzunehmen,  daß 
nicht  sowohl  ein  metaphysisches  System  überliefert,  als  die  erkenntnis- 
theoretische Grundlegung  für  allgemeine  metaphysische  Anschauungen 
angebahnt  werden  soll.  Im  Zusammenhang  damit  steht,  was  für  das 
Ausland  vielleicht  eine  besonders  auffallende  Erscheinung  sein  dürfte, 
daß  wir  zur  Zeit  keine  philosophischen  Schulen  auf  unseren  Univer- 
sitäten unterscheiden  und  daß  selbst  die  einflußreichsten  Universitäts- 
lehrer ihre  Schüler  nicht  in  einem  engeren  Sinne  an  ihre  Lehre  binden. 
In  dieser  Hinsicht  bildet  der  gegenwärtige  Zustand  der  Universitäts- 
phiiosophie  den  denkbar  schärfsten  Gegensatz  gegen  die  Verhältnisse 


166  I^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts,  wo  die  Hegeische  Schule 
fast  überall  unbestritten  herrschte  und  nur  auf  einigen  Lehrstühlen 
durch  das  Herbartsche  System  abgelöst  wurde.  Heute  würde  es 
schwer  sein,  die  Universitätslehrer  ihrem  Standpunkt  nach  auch  nur 
zu  Gruppen  zusammenzufassen,  und  man  kann  höchstens  eine  oder 
die  andere  Richtung  mit  einiger  Deutlichkeit  von  den  übrigen  aus- 
sondern, so  etwa  neben  der  oben  erwähnten  streng  Kantischen  eine 
andere,  welche  den  Fortschritt  von  Kant  zu  Fichte  als  vorbildlich 
ansieht  und  daher  auch  wohl,  wenngleich  nur  mit  halbem  Rechte, 
als  Neufichteanismus  bezeichnet  wird. 

Wenn  nun  gleichwohl  die  heutige  Universitätsphilosophie  keines- 
wegs den  Eindruck  der  Zersplitterung  und  Zerfahrenheit  macht,  ja, 
wenn  ihr  im  Gegenteil  ein  entschieden  einheitlicher  Charakter  auf- 
geprägt ist,  wenn  zumal  jene  persönliche  Polemik,  die  in  früherer 
Zeit  der  Philosophie  so  viel  Spott  und  Mißachtung  zugezogen  hat, 
vom  Katheder  wie  aus  den  Büchern  so  gut  wie  ganz  verschwunden 
ist,  so  liegt  der  Grund  in  der  Einheitlichkeit  des  Interesses,  das  sich 
fast  überall  gleichmäßig  bestimmten  Problemen  zugewandt  hat,  und 
in  der  Einheit  des  wissenschaftlichen  Geistes,  mit  dem  diese  Probleme 
behandelt  werden.  Die  eine  Reihe  derselben,  die  erkenntnistheoretische 
und  logische,  haben  wir  bereits  betrachtet,  die  zweite  nicht  minder 
hervortretende  bietet  die  Geschichte  der  Philosophie. 

In  demselben  Maße  nämlich,  wie  die  systematische  Spekulation 
zurückgegangen  ist,  ist  die  geschichtliche  Behandlung  der  Philosophie 
in  den  Vordergrund,  ja  in  den  Mittelpunkt  des  akademischen  Unter- 
richts getreten,  und  jedem,  der  irgend  ein  Vorlesungsverzeichnis  auf- 
schlägt, muß  es  auffallen,  daß  der  größere  Teil  der  philosophischen 
Kollegien  diesem  Gegenstande  gewidmet  ist.  Dabei  behandelt  nur 
der  kleinere  Teil  der  Vorlesungen  einzelne  Abschnitte  der  Entwicklung 
oder  gar  einzelne  Denker  und  ihre  Systeme;  die  meisten  fassen  die 
gesamte  Geschichte  der  Philosophie  zusammen,  oft  allerdings  aus 
Zweckmäßigkeitsgründen  über  mehrere  Semester  verteilt.  Schon 
hieraus  ergibt  sich ,  daß  in  diesen  Vorlesungen  nicht  eine  enge 
Betrachtungsart  herrscht,  die  nur  das  einzelne  sieht,  noch  ein  aus- 
schließlicher philologischer  Geist,  dem  es  nur  um  Feststellung  des 
tatsächlichen  Materials  zu  tun  ist.  Und  in  der  Tat  darf  man  sagen, 
daß  mit  der  Ausdehnung  dieses  Studiums  seine  Vertiefung  gleichen 
Schritt  gehalten  hat.  Die  bei  uns  übliche  Betrachtung  beschränkt 
sich  nicht  auf  das  Einzelne  und  Äusserliche,  sondern  sie  sucht  überall 
den  gro&en  inneren  Zusammenhang  zu  erfassen  und  in  der  Geschichte 


Philosophische  Fakultät:    Philosophie.  Psychologie.  Pädagogik.  167 

des  Denkens  die  innere  Verwandtschaft  und  die  Wechselwirkung  fest- 
zustellen, welche  dieselbe  mit  der  allgemeinen  Entwicklung  der  Kultur 
und  des  menschlichen  Geisteslebens  verbindet.  Sie  sucht  der  nationalen 
und  zeitlichen  Bestimmtheit  einerseits,  dem  allgemein  menschlichen 
andererseits,  dem,  was  im  Individuellen,  und  dem,  was  im  Wesen  des 
Denkens  überhaupt  wurzelt,  gleichmäßig  gerecht  zu  werden:  kurz,  diö 
Geschichte  der  Philosophie  erweitert  sich  —  wenigstens  dem  vor- 
schwebenden Ideale  nach  —  zu  einer  allgemeinen  Geistesgeschichte. 
Diesen  Standpunkt  der  Betrachtung  finden  wir  oft  schon  äußerlich 
zum  Ausdruck  gebracht,  indem  etwa  „Geschichte  der  Philosophie  mit 
Berücksichtigung  der  allgemeinen  Geisteskultur"  oder  ähnliches  an- 
gekündigt wird.  Aber  auch  da,  wo  das  nicht  geschieht,  darf  man 
im  allgemeinen  annehmen,  daß  dieser  Zusammenhang  ausgiebig  be- 
rücksichtigt wird.  Andererseits  wird  über  der  zunehmenden  Ver- 
tiefung der  allgemeinen  Betrachtungsart  doch  auch  die  Erforschung 
des  einzelnen  keineswegs  vernachlässigt:  im  Gegenteil  macht  sich 
überall  das  Bestreben  bemerkbar,  die  Fehler  früherer  Epochen  der 
deutschen  Philosophie,  die  über  allzu  kühnen  und  eigenmächtigen 
Ideenkonstruktionen  den  Boden  des  Tatsächlichen  unter  den  Füßen 
verloren  hat,  zu  vermeiden  und  die  Erkenntnis  der  allgemeinen 
Zusammenhänge  auf  die  eindringende  Durchforschung  des  Einzel- 
materials zu  begründen.  Dies  tritt  begreiflicher^\'eise  weniger  in  den 
zusammenfassenden  Vorlesungen,  als  in  den  Seminarübungen  und  den 
daraus  hervorgehenden  Arbeiten,  namentlich  den  Doktordissertationen 
zutage.  Diese  beschäftigen  sich  zum  größten  Teil  mit  geschichtlichen 
Aufgaben,  und  hier  sind  es  denn  die  kleineren  Einzelfragen  tatsäch- 
licher Natur,  die  zu  ihrem  Rechte  kommen. 

Wie  diese  intensive  Arbeit  an  der  Geschichte  der  Philosophie 
mit  dem  Zurücktreten  der  systematischen  Spekulation  in  engem  Zu- 
sammenhange steht,  so  nötigt  sie  dem  akademischen  Lehrer,  der  sich 
ihr  widmet,  eine  gewisse  Resignation  auf.  F>  wird  zunächst  darauf 
verzichten  müssen,  seine  persönliche  Weltanschauung  zur  Geltung  zu 
bringen,  und  sich  damit  begnügen,  seine  Schüler  zu  einer  vertieften  Er- 
fassung der  geschichtlichen  Erscheinungen  zu  erziehen.  Die  Universitäts- 
philosophie begibt  sich  somit  in  einem  Teil  gerade  ihrer  hervor- 
ragendsten Vertreter  des  Anspruchs,  den  sie  früher  allgemein  erhoben 
hat,  eine  positive  Weltanschauung  zu  lehren  und  die  Geistesverfassung 
ihrer  Schüler  nach  allen  Richtungen  hin  zu  bestimmen.  Umsomehr 
wird  sie  freilich  durch  die  Methode  ihrer  Betrachtungen  vorbildlich 
für  die  anderen  Wissenschaften  und  übt  somit  doch  einen  mittelbaren 


168  I^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Einfluß  allgemeiner  Art  aus.  Aber  es  gibt  doch  auch  einige  unter 
den  akademischen  Lehrern,  die  vor  dem  Versuche  nicht  zurück- 
schrecken, gerade  auf  die  umfassende  Betrachtung  der  philosophischen, 
wie  der  allgemeinen  Geistesentwicklung  eine  positive  Weltansicht  zu 
gründen  und  in  einem  umfassenden  System,  etwa  den  „Wahrheitsgehalt 
jder  Religionen"  und  die  Werte,  welche  „die  Lebensanschauungen  der 
großen  Denker"  gezeitigt  haben,  zur  Geltung  zu  bringen.  Und 
einzelne  dieser  Versuche  haben  einen  bedeutsamen  Einfluß  nicht  nur 
auf  akademische,  sondern  auch  auf  weitere  Kreise  der  gebildeten 
Deutschen  gewonnen. 

Man  könnte  versucht  sein,  es  mit  diesen  Bestrebungen  in  Zu- 
sammenhang zu  bringen,  wenn  die  Vorlesungen  über  Ethik  und 
namentlich  über  Ästhetik  ebenfalls  einen  neuen  Aufschwung  ge- 
nommen haben  und  sichtlich  in  der  Zunahme  begriffen  sind.  Allein 
es  sind  hier  doch  im  wesentlichen  andere  Einflüsse  wirksam.  Die 
heutige  Ethik  empfangt  ihre  bestimmenden  Anregungen  zumeist  von 
sozialwissenschaftlichen  Ideen  und  Fragen.  Die  Vorlesungen  behandeln 
die  Moralwissenschaft,  wie  bisweilen  schon  die  Ankündigungen  zeigen, 
zumeist  ausschließlich  oder  doch  vorwiegend  im  Zusammenhang  mit 
den  sozialen  Bewegungen  und  Problemen,  bisweilen  unmittelbar  auf 
Grund  des  Materials,  das  die  Volkswirtschaftslehre  liefert.  In  der 
Ästhetik  aber  kommen  in  erster  Reihe  Gesichtspunkte  und  Methoden 
zur  Geltung,  die  der  Psychologie  zu  verdanken  sind.  Die  moderne 
Ästhetik  ist,  seit  der  entscheidenden  Anregung,  die  Fechners  berühmte 
„Vorschule"  gegeben  hat,  aus  einer  systematisierenden  und  normativen 
Wissenschaft  zu  einer  induktiven  und  auf  psychologischer  Grundlage 
vorschreitenden  Forschung  geworden,  und  nur  in  diesem  .Sinne  wird 
sie  auf  deutschen  Universitäten  gelehrt. 

2.  Hierdurch  werden  wir  zur  Psychologie  und  somit  in  das- 
jenige Gebiet  geführt,  wo  der  Einfluß  der  Naturwissenschaften  am 
stärksten  und  entschiedensten  hervortritt.  Hätten  wir  hier  die  all- 
gemeine Bedeutung  zu  schildern,  die  der  Anschauungsweise  und 
Methode  der  modernen  Psychologie  überhaupt  zukommt,  so  hätten 
wir  diesen  Gesichtspunkt  freilich  früher  erörtern,  ihn  vielleicht  an  die 
Spitze  dieses  ganzen  Abschnitts  stellen  und  mehrfach  darauf  zurück- 
kommen müssen.  Denn  wie  für  die  moderne  Geisteswissenschaft 
überhaupt,  so  ist  auch  für  die  Philosophie  der  Einfluß,  der  hier  er- 
wächst, ein  vielfach  bestimmender  geworden.  Da  es  sich  aber  hier 
nur  um  die  besondere  Gestaltung  und  Stellung  der  Psychologie  als 
Universitätslehrfach  handelt,  so  entspricht  es  den  tatsächlichen  Verhält- 


Philosophische  Fakultät:    Philosophie.  Psychologie.  Pädagogik.  \(fl 

nissen,  wenn  wir  ihr  einen  bestimmten  Sonderplatz  zuweisen.      Denn 
immer   entschiedener   hat  —  wie   in    anderen    Ländern,    so   auch  in 
Deutschland  —  die  Psychologie    eine  Sonderstellung'  gegenüber  den 
anderen  philosophischen  Disziplinen  angestrebt  und  errungen.    Immer- 
mehr hat  sie  sich  von  der  Philosophie  als  einem  Ge.samtkomplex  los- 
gelöst und  ihre  besondere  Aufgabe  ins  Auge  gefaßt.    Diese  Aufgabe 
erblickt  sie  bekanntlich  in  der   Anwendung   exakt    naturwissenschaft- 
licher Gesichtspunkte  und  Methoden  auf  das  psychologische  Geschehen, 
zumal   in    der   Ausbildung   des   Experiments    und    der  Messung   auf 
diesem  Gebiete.      Daher   treten    denn    auch  in  den  Vorlesungen  die 
allgemeinen  philosophischen  und  besonders  metaphysischen  Probleme, 
die  man  früher  mit  dem  Begriff  der  Psychologie  zu  verbinden  pflegte, 
durchaus    zurück.      Dafür   werden    die    körperlichen  Grundlagen    des 
Seelenlebens,     die   Physiologie    der    Sinne.sorgane ,    die    Fragen    der 
Psychophysik  im  engeren  und  weiteren  Sinne  des  Wortes,  die  exakten 
Methoden  der  psychologischen  Forschung  eingehend  erörtert  und  die 
einzelnen  Abschnitte  der  Seelenlehre  nach  dieser  Richtung  behandelt. 
Dabei  ruht,    wie  bei   einer  werdenden  Wissenschaft  experimentellen 
Charakters  natürlich  ist,  der  Schwerpunkt  des  psychologischen  Studiums 
nicht  sowohl  in  den  Vorlesungen,  denen  vielmehr  ein  vorbereitender 
oder   zusammenfassender    Charakter   eignet,    als   auf  der    Arbeit    im 
Laboratorium.     Die  Studierenden  zu  eigener  Arbeit,  insbesondere  zu 
exakter  Beobachtung  und  zum  F^xperiment  anzuleiten,  betrachten  wohl 
ausnahmslos  alle  heutigen  Lehrer  der  Psychologie  als  ihre  eigentliche 
Aufgabe;    demgemäß    besitzen    die    meisten    größeren    Universitäten 
psychologische  Institute,  die  neben  den  Hörsälen  eigene  Arbeitsräume 
und    eine    mehr  oder  minder  ausgedehnte  Sammlung  von  Apparaten 
besitzen.     Sie  sind  freilich  zumeist  noch  in  den  Anfangen  und  .sehen 
einer   allmählichen  Erweiterung   entgegen.      Über    die    näheren    Ein- 
richtungen,   die  Arten    der  Apparate    usw.    wird    es  nicht  nötig  sein, 
amerikanische  Leser  zu  unterrichten:   ihre  Gelehrten  haben  in  dieser 
Hinsicht  soviel  von  den  Deutschen  gelernt  und  übernommen,  daß  sie 
jetzt    bereits    vielfach    zu  Lehrmeistern    für    uns'  geworden  sind,  und 
jedenfalls  bildet  die  exakte  Psychologie  eins  der  Gebiete,    wo  ameri- 
kanische   und    deutsche    Universitätswissenschaften    sich    am    meisten 
berühren. 

Eine  weitere  notwendige  Folge  der  exakten  Methode,  mit  der 
die  Psychologie  auf  den  heutigen  Universitäten  betrieben  wird,  ist 
eine  gewisse  Loslösung  von  den  übrigen  Geisteswissenschaften.  Sie 
nimmt  eine  Art  Sonderstellung  zwischen  diesen  und  den  Naturwissen- 


170  [^hr^ehieL  und  T^hrbetrieb.  ^^^^^I^^^l 

Schäften  ein  und  Iml  sich  insbesondere  der  Physiologie  angenähert; 
sie  erscheint  mit  der  Philosophie  bisweilen  nur  durch  eine  Pcrsonal- 
nnion  verbunden,  und  hier  und  da  wird  *iie  bereits  von  Dozenten  der 
medizinischen  Fakultät  gelehrt,  ein  Verhältnis»  das  man  nur  als  natürlich 
bezeichnen  kann.  Nur  vereinzelt  erscheint  dit.^  Psycholujjie  als  Grund- 
läge  der  GcistcM^vissen  sc  haften  in  den  Vorlesungsverzeichnissen;  nur 
auf  die  Ästhetik  macht  sich,  wie  oben  schon  gesagt,  ein  deutlicher 
Kinfiuß  geltend.  Aber  selbst  z.  H.  im  Betriebe  der  Pädagogik  tritt 
dieser  Kinfluß  lan^e  nicht  so  stark  her\-or,  wie  amerikanische  Leser 
es  vermutlich  erw^arten.  Wir  haben  zwar  einige  ZeiUchriften,  die  sich 
die  Verbindung  dieser  beiden  Gebiete  zür  Aufgabe  gemacht  haben, 
einige  wissenschaftliche  Ge.se  Ilse  haften,  die  den  gleichen  Zielen  zu- 
streben; und  auch  in  dei^  Ferienkursen,  die  auf  manchen  Universitäten 
für  Lehrer  und  Lehrerinnen  der  verschiedenen  Gattungen  gehalten 
werden,  finden  wir  Vorlesungen  dieser  Richtung.  Der  eigentliche 
akademische  Unterricht  aber  ist  auf  den  meisten  Universitäten  von 
diesen  Bestrebungen  fast  ganz  unberührt  geblieben,  was  nach  dem 
gegenwärtigen  Stande  beider  Wissenschaften  auch  durchaus  gerecht- 
fertigt erscheint. 

3.  Die  Pädagogik,  wie  sie  auf  den  meisten  Universitäten  gelehrt 
wird,  zeigt  vielmehr  eine  analoge  charakteristische  Wandlung,  wüe  sie 
die  Philosophie  erfahren  hat.  Die  historische  Behandlung  tritt  überall 
in  den  Vordergrund:  Geschichte  der  Pädagogik,  meistens  3—4  Stunden 
in  der  Woche  gelesen,  gehört  zum  festen  Bestand  aller  Vorlesungs- 
verzeichnisse; sie  fallt  gewöhnlich  als  Nebenaufgabe  einem  der 
Professoren  der  Philosophie  zu.  Die  systematische  Pädagogik  dagegen, 
besonders  in  dem  strengen  Sinne  der  Hcrbartschen  Schule^  ist  nur 
auf  einigen  bestimmten  Universitäten  zu  Hause  und  hat  namentlich  in 
Jena  einen  nun  schon  seit  lange  festen  Mittelpunkt.  Die  eigentliche 
pädagogische  Ausbildung  der  Oberlehrer  findet  bekanntlich,  in  Preußen 
wenigstens,  erst  nach  der  Universitätszeit  und  der  Staatsprüfung  statt. 
Gleichwohl  fehlt  es  nicht  ganz  an  Vorlesungen,  welche  die  Didaktik 
der  einzelnen  Lehrfächer  behandeln  oder  zu  einer  allgemeinen  theore- 
tischen Vorbereitung  auf  daii  Schuiamt  dienen.  Diese  Vorlesungen 
aber  werden  zumeist  von  Schulmännern  gehalten,  die  im  Nebenamt 
oder  nach  ihrer  P^meritierung ,  sei  es  als  Honorarprofessoren,  sei  es 
als  Privatdozenlen,  ihre  Erfahrungen  fiir  den  akademischen  Unterricht 
venverteu.  Diese  Einrichtung  hängt  mit  dem  Umstände  zusammen^ 
daß  es  auf  den  deutschen  Universitäten,  mit  Ausnahme  einer  oder 
zweier,  keine  Lehrstühle  für  Pädagogik  gibt,  die  Erziehungslchrc  somit 


Philosophische  Fakuhät:    Philosophie.  Psychologie.  Pädiigogik.  171 

nicht  ZU  den  Universitätswissenschaften  zählt,  und  Arbeiten  auf  diesem 
Gebiete  nicht  das  Anrecht  auf  die  Erwerbung  des  Doktortitels  ver- 
leihen. Diese  für  Ausländer  zumeist  sehr  befremdliche  Tatsache  ist 
aus  der  geschichtlichen  Entwicklung  der  deutschen  Fakultäten  zu 
verstehen.  Den  gegenwärtigen  Verhältnissen  der  Wissenschaft  und 
des  Lebens  entspricht  sie  freilich  nicht,  und  es  steht  daher  zu  erwarten, 
daß  diese  Lücke  unserer  Universitäten  über  kurz  oder  lang  ausgefüllt 
werden  wird. 

Diese  letztere  Betrachtung  führt  uns  zu  einigen  Äußerlichkeiten 
des  Lehrbetriebes,  die  bisher  übergangen  sind  und  die  nunmehr  am 
Schlüsse  nachgeholt  werden  müssen.  Bekanntlich  haben  die  meisten 
philosophischen  Fakultäten  zwei  ordentliche  Lehrstühle  für  Philosophie, 
nur  die  ganz  großen  drei,  die  Psychologie  mit  eingeschlossen.  Dem 
steigenden  Bedürfnis  ist  man  vielfach  durch  eine  oder  mehrere  außer- 
ordentliche Professuren  entgegengekommen.  Auch  sonst  spiegelt  sich 
in  der  äußeren  Gestaltung  des  Unterrichts  die  innerliche  Neubelebung 
der  Universitätsphilosophie  wieder.  Dem  allgemeinen  Interesse  der 
Studierenden  verschiedener  Fakultäten  kommen  öffentliche  Vorlesungen 
über  allgemeine  Gebiete  und  Fragen  entgegen.  Zugenommen  haben 
in  der  letzten  Zeit  namentlich  die  Kollegien  zur  Einführung  in  das 
Studium  der  Philosophie,  nach  denen,  wie  ihre  Frequenz  beweist,  ein 
entschiedenes  Bedürfnis  vorliegt.  Das  zeitraubende  und  veraltete 
Diktieren,  das  noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  in  den  philosophischen 
Lehrsälen  heimisch  war,  ist  zumeist  aufgegeben;  die  Dozenten  geben 
statt  dessen  bisweilen  ihren  Zuhörern  die  not\\'endigen  Notizen  in 
Gestalt  eines  gedruckten  Grundrisses  in  die  Hand:  gerade  für  die 
Philosophie  die  durchaus  geeignete  Form  der  belehrenden  Überlieferung, 
da  das  intensive  Durchdenken  derWorte  des  Lehrers,  das  hier  erforderlich 
ist,  durch  die  Bemühungen  mitzuschreiben  empfindlich  gestört  wird. 
Anleitungen  zu  philosophischen  Arbeiten  endlich  werden  auch  in  Form 
von  Übungen  und  Kolloquien  auf  allen  Universitäten  erteilt,  wenn  es 
auch  etatsmäßige  Universitätsseminare  für  diesen  Zweck  nur  vereinzelt 
gibt  (in  Straßburg  z.  B.  befindet  sich  ein  solches  und  für  Berlin  ist 
es  im  Bau).  So  dürfen  wir  denn  auch  auf  einen  Nachwuchs  von 
Gelehrten  rechnen,  der  die  Errungenschaft  der  letzten  Jahrzehnte 
nicht  nur  festhält,  sondern  noch  steigert  und  weiterentwickelt,  um  den 
alten  Ruhm  der  deutschen  Philosophie  zu  wahren. 

Rudolf   Lehmann. 


n.  Klassische  Philologie. 

Der  junge  Studierende  der  klassischen  Philologie  findet  sich, 
wenn  er  auf  die  Universität  kommt,  einer  I^ge  gegenüber,  die  er- 
hebliche Anforderungen  an  sein  Urteil  und  seine  moralischen  Fähig- 
keiten stellt.  Nur  die  Richtung  wird  ihm  gezeigt,  seinen  Pfad  muß 
er  sich  suchen.  Es  gibt  für  den  Philologen  keinen  Studienplan  und 
keine  Zwangsvorlesung;  jede  Einrichtung  solcher  Art  würde  dem 
Betriebe  der  philologischen  und  historischen  Studien,  wie  er  den 
deutschen  Universitäten  eigen  ist,  ans  Leben  gehen.  Ja  es  ist  ganz 
denkbar,  daß  ein  Philologe  durch  die  Universität  und  die  Examina 
geht,  ohne  eine  Vorlesung  zu  hören  (belegen  müßte  er  freilich  jedes 
Semester  eine),  und  sich  eine  vollständige  Ausbildung  selber  aus  den 
Büchern  holt.  Leicht  wird  freilich  der  Fall  nicht  eintreten;  vielmehr 
wird  jeder  junge  Philologe  persönlichen  Verkehr  mit  einem  Lehrer 
suchen,  denn  er  muß  bald  merken,  daß  darin  das  Heil  seiner 
Studien  liegt. 

Die  Professoren  der  klassischen  Philologie  an  deutschen  Uni- 
versitäten sind  als  Professoren  nicht  Gräcisten  oder  Latinisten.  Solche 
Spezies  ist  bisher,  auch  unter  den  Privatdozenten,  nur  vereinzelt  auf- 
getreten und  hat  sich  zum  Glück  nicht  fortgepflanzt.  Der  Professor 
bekommt  bei  seiner  Anstellung  den  Lch rauftrag  für  klassische  Philo- 
logie, (1.  h.  für  griechische  und  römische  Philologie  in  ihrer  Ver- 
einigung und  Einheit;  auch  eine  Fakultät  wird  sich  nicht  so  leicht 
finden,  die  die  venia  legendi  für  griechische  oder  römische  Philologie 
gesondert  erteilte.  Die  Sonderung  vollzieht  sich  zumeist,  soweit  der 
Zusammenhang  der  Dinge  das  erlaubt,  in  der  Forschungsarbeit  und 
Produktion,  und  es  ist  keine  l*'rage,  daß  die  persönliche  Richtung  des 
Gelehrten  in  der  Einwirkung  des  Lehrers  auf  den  wissenschaftlich 
arbeitenden  Studenten  zur  Geltung  kommt.  Ferner  liegt  es  in  der 
Natur  der  Sache,  daß  der  Professor  das  Ciebiet,  auf  dem  er  produktiv 
ist,  bei  der  Wahl  seiner  W)rlesungen    bevorzugt,    und    daraus    ergibt 


Philosophische  Fakultät:  Klassische  Philologie.  ^73 

sich  weiter,  daß  man  an  jeder  Universität  einen  auf  das  Griechische 
und  einen  auf  das  Römische  vorzugsweise  gerichteten  Professor  neben- 
einander zu  stellen  sucht.  Aber  wenigstens  an  den  Seminaren  wird 
ein  solcher  Unterschied  nicht  gemacht;  da  fällt  jedem  Direktor 
Semester  um  Semester  das  Griechische  so  gut  wie  das  lateinische  zu. 

Dieser  Gesichtspunkt  ist  zugleich  für  die  Ausbildung  jedes  Stu- 
denten bestimmend :  sie  muß  sich  auf  das  Griechische  und  Lateinische 
gleichmäßig  erstrecken.  Das  ist  auch  eine  der  wenigen  Normen,  die 
für  die  Examina  gelten :  sowohl  für  die  Promotionsprüfung  als  für  das 
Staatsexamen  wird  die  Verbindung  beider  Fächer,  d.  h.  die  eine 
klassische  Philologie  verlangt. 

Der  Student  findet,  wie  bemerkt,  keine  bestimmte  Folge  von 
Vorlesungen,  die  ihm  ein  Gebiet  der  Wissenschaft  nach  dem  andern 
in  berechneter  Stufenreihe  aufschließen  und  stofflich  vertraut  machen. 
Er  muß  hören,  was  in  jedem  Semester  geboten  wird.  Für  jedes  ein- 
zelne Semester  werden  die  Dozenten  in  der  Regel  eine  Auswahl  sich 
ergänzender  Vorlesungen  zusammenbringen;  oft  wird  auch  zwischen 
zwei  oder  mehreren  Semestern  eine  Art  von  Zusammenhang  der 
Gegenstände  hergestellt  werden.  Wichtiger  ist,  daß  derselbe  Gegen- 
stand nicht  so  leicht  innerhalb  dreier  oder  vier  Jahre  zweimal  be- 
handelt wird,  daß  also  jeder  Student  während  seiner  Studienzeit,  auch 
wenn  er  die  ganze  an  einer  Universität  zubringt,  durch  die  Vor- 
lesungen in  eine  große  Zahl  verschiedener  Gebiete  eingeführt  wird, 
die  sich  allmählich  zusammenschließen. 

Jeder  Professor  liest  im  Semester  ein  oder  auch  zwei  Privat- 
kollegien; diese  behandeln  ent\\'eder  eine  Disziplin,  wie  Grammatik, 
Metrik,  Literaturgeschichte,  Mythologie,  oder  die  Exegese  eines  Schrift- 
stellers. Für  die  Form  gilt,  daß  eine  Vorlesung  kein  Essay  und  ein 
Kolleg  kein  Buch  ist;  für  den  Stoff,  daß  er  in  eine  Vorlesung  nur 
soweit  gehört,  als  er  für  den  Zusammenhang  oder  die  Demonstration 
unerläßlich  ist.  Der  Student  soll  seinen  Stoff  nicht  im  Kolleg  er- 
halten, er  soll  angeleitet  werden,  ihn  in  der  alten  und  neuen  Literatur 
und  in  den  Denkmälern  zu  suchen.  Der  wichtigere  Zweck  des  philo- 
logischen Kollegs  ist,  die  Gedanken  zu  zeigen,  die  den  Stoff  zu- 
sammenhalten, den  historischen  Zusammenhang  der  Dinge  nachzu- 
weisen. Ein  solches  Kolleg  kann  gar  nicht  anders  als  auf  Grund 
eigener  produktiver  Arbeit  gelesen  werden,  und  es  wirkt  nur  dann 
lebendig,  wenn  es  die  Arbeit  reproduziert:  nicht  in  darstellender  Form, 
nicht  in  Resultaten,  sondern  in  der  Behandlung  einzelner  Probleme 
nach   den  Methoden,    die   der  Gegenstand    verlangt.    Darum   ist   die 


^74  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

geringste  Forderung  an  ein  philologisches  Kolleg,  daß  der  Gegenstand 
stofflich  umspannt  werde;  die  Hauptforderung,  daß  der  Student  in 
Stand  gesetzt  werde,  jede  Frage,  die  sich  auf  dem  Gebiete  erheben 
kann,  wissenschaftlich  anzufassen.  Die  exegetischen  Vorlesungen  er- 
öffnen dem  Studenten  das  Verständnis  für  einen  Text,  einen  Autor, 
eine  Gattung;  sie  werden  zugleich  eine  Fülle  kleiner  Untersuchungen 
enthalten  und  auf  das  Ganze  des  Kunstw^erkes  wie  der  schrift- 
stellerischen Persönlichkeit  gerichtet  sein.  Vor  allem  sollen  sie  zur 
Lektüre  reizen.  Überhaupt  muß  der  Student  immer  die  Empfindung 
haben,  daß  auf  seine  Mitarbeit  gerechnet  wird,  daß  ihm  die  Vor- 
lesung nur  dann  etwas  hilft,  wenn  er  mitarbeitet.  Die  Vorlesung  darf 
nie  auf  ein  niedriges  Niveau  der  Kenntnisse  und  auf  den  Durch- 
schnittsverstand eingerichtet  sein;  der  Student  muß  von  Anfang  an 
den  Eindruck  gewinnen,  daß  er  sich  zum  Verständnis  der  Vorlesung 
hinaufzuarbeiten  hat,  er  muß  mit  der  Zeit  aus  der  Leichtigkeit  des 
Verständnisses  und  dem  damit  verbundenen  Vergnügen  die  innere 
Gewähr  erhalten,  daß  er  fortgeschritten  ist. 

Die  Vorlesung  ist,  so  behandelt,  ein  unentbehrlicher  Teil  des 
philologisch-historischen  Unterrichts;  es  ist  bloße  Verkennung  der 
Sache,  wenn  neuerdings  versucht  worden  ist,  die  Vorlesungen  außer 
einigen  vorgetragenen  Leitfaden,  die  überhaupt  vom  Übel  sind,  durch 
praktische  Übungen  zu  ersetzen. 

Die  Mitarbeit,  die  dem  Kolleg  gegenüber  vom  Studenten  ge- 
fordert wird,  hat  den  Zweck,  daß  er  sich  durch  Lektüre  der  griechischen 
und  römischen  Literatur  ein  Fundament  schaffe,  Untersuchungen  her- 
vorragender Gelehrter  kennen  lerne,  seinen  Sinn  für  Fragestellung 
schärfe  und  sein  Urteil  übe.  Das  Seminar  dagegen  will  den  Studenten 
zum  selbständigen  Ergreifen  wissenschaftlicher  Aufgaben  anleiten. 

Das  Seminar  hat  eine  Vorstufe,  das  Proseminar;  dieses  steht 
mit  dem  Seminar  unter  gleicher  Direktion  und  wird  in  der  Regel 
von  den  Direktoren,  hier  und  da  ganz  oder  zum  Teil  von  einem 
jüngeren  Dozenten  geleitet.  Wo  die  Direktoren,  semestenveise  ab- 
wechselnd, die  Übungen  des  Proseminars  in  die  eigene  Hand  nehmen, 
tun  sie  das  in  der  Überzeugung,  daß  es  für  die  Ergänzung  des 
Seminars  und  damit  für  den  Studienbetrieb  überhaupt  von  größter 
Wichtigkeit  ist,  die  Arbeit  der  jungen  Philologen  von  Anfang  an  zu 
verfolgen  und  den  Zeitpunkt  zu  bestimmen,  an  dem  sie  für  das 
Seminar  reif  sind.  An  den  meisten  Universitäten  ist  seit  einigen 
Jahren,  d.  h.  seit  die  Wirkung  der  Lehrpläne  von  189  t  sich  in 
der    ungenügenden    Vorbildung    der   jungen    Philologen    bemerklich 


Philosophische  Fakultät:  Klassische  Philologie.  175 

macht,  mit  dem  Proseminar  ein  schulmäßiger  Unterricht  in  der 
griechischen  und  lateinischen  Sprache  verbunden.  Seit  dieses  Bedürfnis 
sich  eingestellt  hat,  haben  auch  die  meisten  Seminare  Assistenten 
erhalten,  denen  die  Leitung  solcher  Übungen  zufallt. 

Als  Hauptübung  wird  im  Proseminar  die  Interpretation  eines 
abwechselnd  griechischen  oder  lateinischen  Textes  getrieben,  mit  dem 
Zwecke,  den  Studenten  zur  eigenen  wissenschaftlichen  Lektüre  anzu- 
leiten. Er  soll  hier  erfahren,  wie  man  eine  Überlieferung  konstatiert, 
beurteilt,  herstellt,  interpretiert,  sprachliche  und  metrische  Erscheinungen 
bemerkt,  mit  welchen  Hilfsmitteln  man  den  Dingen  zu  Leibe  geht; 
er  soll  das  Wichtige  vom  Unwichtigen  sondern  lernen  und  lernen, 
daß  auch  das  Kleine  bedeutend  sein  kann.  Eigene  Arbeiten  werden 
nicht  überall  im  Proseminar  verlangt;  aber  an  Gelegenheit  und  An- 
leitung dazu  wird  es  nirgend  fehlen,  schon  um  zu  vermeiden,  daß 
die  Meldung  zum  Seminar  mit  der  Unsicherheit  des  ersten  Versuches 
zusammenfalle. 

Die  philologischen  Seminarien  sind  seit  ihrer  Begründung  durch 
Gesner  und  Heyne  in  Göttingen  und  ihrer  Ausgestaltung  durch 
F.  A.  Wolf  in  Halle,  G.  Hermann  in  Leipzig,  Ritschi  in  Bonn  wohl 
überall  im  wesentlichen  von  gleicher  Art.  Das  Seminar  ist  das 
Zentrum  des  philologischen  Unterrichts  an  der  Universität.  Es  ist 
ein  mit  eigener  Bibliothek,  für  deren  Ergänzung  ein  jährlicher  Fonds 
besteht,  und  Arbeitsräumen  ausgestattetes  Institut.  Für  dje  Biblio- 
theken ist  seit  einigen  Jahren  in  Preußen  die  allgemeine  Einrichtung 
getroffen,  daß  die  Bücher  nicht  verliehen  werden,  sondern  im  Seminar 
selbst  zu  benutzen  sind;  in  Göttingen  wenigstens  hat  sich  diese  Ein- 
richtung durchaus  bewährt.  Die  Bibliothek  soll  nicht  über  den  Um- 
fang einer  reichen  Handbibliothek  hinauswachsen,  also  dem  Studenten 
niemals  die  Benutzung  der  Universitätsbibliothek  entbehrlich  erscheinen 
lassen;  aber  sie  soll  an  Ausgaben,  Sammlungen,  Zeitschriften,  Hand- 
büchern, Monographien  ein  stattliches  Material  für  beständige  Arbeit 
auf  allen  philologischen  Gebieten  enthalten. 

Das  Seminar  nimmt  nur  eine  beschränkte  Zahl  von  ordentlichen 
Mitgliedern  (10  bis  12)  auf  Bei  den  Übungen  zuzuhören  ist  jedem  erlaubt; 
Honorar  wird  weder  im  Seminar  noch  Proseminar  bezahlt.  Zu  Anfang 
jedes  Semesters  findet  Konkurrenz  um  die  freigewordenen  Stellen 
statt.  Die  Bewerber  reichen  eine  nach  eigener  Wahl  angefertigte 
Arbeit  ein;  die  besten  werden  ausgewählt,  es  können  aber  auch 
Stellen  frei  bleiben.  Die  Übungen  werden  von  beiden  Direktoren 
geleitet,    von  jedem    in  zwei  wöchentlichen  Stunden.     Der  eine  läßt 


176  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

einen  griechischen,  der  andere  einen  lateinischen  Text  interpretieren. 
Während  im  Proseminar  Texte  gewählt  werden,  die  nicht  zu  große 
formale  und  materielle  Schwierigkeiten  bieten,  wird  man  für  das 
Seminar  solche  auswählen,  deren  wissenschaftliche  Behandlung  nicht 
ohne  eindringende  Arbeit  möglich  ist.  Bei  der  Interpretation  selbst 
wird  alles  Notizenhafte  und  nur  Stoffliche  femgehalten ;  das  Ziel  ist 
das  auf  kritischer  Feststellung  und  grammatischer  Interpretation  des 
Textes  beruhende,  bis  zum  erreichbaren  Ende  vordringende  Verständnis. 
Ein  Interpret  ist  für  jede  Sitzung  bestimmt,  aber  möglichst  allgemeine 
Disputation  erwünscht.  Gesprochen  wird  bei  allen  Übungen  des  Semi- 
nars lateinisch.  Gleichfalls  in  der  Form  der  Disputation  findet  die  Be- 
sprechung der  Arbeiten  statt.  Jedes  Mitglied  liefert  im  Semester  eine 
selb.ständig  ausgeführte  Untersuchung,  deren  Gegenstand  entweder 
(wie  es  seit  einer  Reihe  von  Jahren  in  Bonn  geschieht)  durch  einen 
bestimmten  für  das  Semester  angegebenen  Stoffkreis  begrenzt  oder 
ganz  freigegeben  oder,  wie  es  am  häufigsten  geschehen  wird,  nach 
Besprechung  mit  einem  Lehrer  auf  dessen  Rat  hin  gewählt  ist.  Diese 
Arbeiten  veranlassen  den  Einzelnen,  in  mehrere  Gebiete  einzudringen 
und  große  oder  kleine  Probleme  aus  eigener  Anschauung  kennen  zu 
lernen,  sie  führen  allmählich  dazu,  sich  an  einer  Stelle  heimisch  zu 
machen  und  anzubauen.  So  wachsen  aus  den  Seminararbeiten  die 
Dissertationen  heraus. 

Das  Seminar  rechnet  in  noch  beträchtlich  stärkerem  Maße  als 
die  Vorlesung  auf  die  eigne  Arbeit  des  Studenten.  Daneben  aber 
weist  es  ihn  beständig  auf  den  .persönlichen  Verkehr  mit  seinen 
Lehrern  hin.  Es  ist  dafür  gesorgt,  daß  der  Student,  der  auch  nur 
die  gewiesenen  Wege  geht,  den  seinen  nicht  verfehle. 

Feines  wird  der  philologische  Student  nie  von  seinen  Lehrern 
hören:  nämlich  daß  er  sein  Studium  darauf  einrichten  solle,  ein 
Examen  zu  machen.  Im  Gegenteil:  es  ist  das  Kriterium  eines  richtig 
geführten  Studiums,  daß  das  Examen  wie  jeder  andere  Teil  des  Weges 
schließlich  gleichsam  von  selbst  genommen  wird.  Die  Hauptsache, 
das  Können,  ist  erworben ;  der  Bestand  des  Wissens  wird  noch  einmal 
überblickt  und  die  fühlbaren  Lücken  ausgefüllt.  Das  Examen  ist 
doppelt:  erstens  das  Fakultätsexamen,  die  Doktorprüfung,  deren 
liauptteil  die  Dissertation  ist  und  die  auch  in  der  mündlichen  Prüfung 
wenigstens  im  Hauptfach  einen  ausgesprochen  wissenschaftlichen 
Charakter  haben  soll;  denn  die  Promotion  bedeutet,  daß  der  junge 
Gelehrte  wissenschaftlich  freigesprochen  und  als  jedem  Fachgenossen 
gleichberechtigt  anerkannt  wird.     Zweitens  das  Staatsexamen,  das  den 


Philosophische  Fakultät:  Klassische  Philologie.  177 

Weg  zum  Berufe  und  zur  Anstellung  an  Schulen  eröffnet  und  dem- 
nach den  Bestand  an  Wissen  darlegen,  vor  allem  aber  lebendige 
Sprachkenntnis,  Textverständnis,  Umfang  und  Intensität  der  Lektüre 
nachweisen  soll.  Die  Bestimmungen  gehen  für  das  Doktorexamen 
gamicht,  für  das  Staatsexamen  nur  soweit  ins  Einzelne,  daß  dem 
Kandidaten  die  wichtigsten  Gesichtspunkte  angegeben  werden. 
Promotions-  und  Staatsprüfung  haben  nur  insofern  etwas  miteinander 
gemein,  als  der  Staat  als  wissenschaftlichen  Ausweis  die  von  einer 
Fakultät  angenommene  Dissertation  gelten  läßt ;  und  als,  bei  normalen 
Verhältnissen,  die  Examinatoren  hier  wie  dort  dieselben  Personen 
sind.  Dies  letzte  Moment  ist  von  entscheidender  Wichtigkeit.  Denn 
die  Zufälligkeiten  und  Unberechenbarkeiten,  die  mit  jedem  Examen 
verbunden  sind,  die  von  äußeren  Umständen  wie  von  den  Persönlich- 
keiten des  Examinanden  und  des  Examinators  abhängen  können, 
machen  jedes  Urteil  unsicher,  das  nicht  durch  eine  außerhalb  des 
Prüfungslokals  gewonnene  Überzeugung  von  den  Eigenschaften  und 
Kenntnissen  des  Kandidaten  gestützt  wird.  Auch  in  dieser  Hinsicht 
ist  das  Examen  nur  der  natürliche  Abschluß  der  vorhergegangenen 
Arbeit.  Jeder  Kandidat  hat  es  in  der  Hand,  sich  von  seinen  Lehrern 
prüfen  zu  lassen;  und  die  Folgerung  liegt  auf  der  Hand,  daß  jede 
Exameneinrichtung,  die  den  Kandidaten  zwingt  sich  von  Fremden 
prüfen  zu  lassen,  wenigstens  auf  dem  hier  betrachteten  Gebiet  un- 
zweckmäßig ist. 

Diese  ganze  Darlegung  hat  sich  auf  den  um  das  philologische 
Seminar  konzentrierten  Unterricht  beschränkt.  Es  folgt  aus  dem 
Begriffe  der  philologischen  Wissenschaft  und  bedarf  keiner  besonderen 
Erörterung,  daß  die  Ausbildung  keines  Philologen  vollständig  ist,  der 
sich  nicht  mit  Archäologie  beschäftigt  hat.  Aber  die  Bedingungen 
des  archäologischen  Unterrichtsbetriebes  sind  naturgemäß  von  so 
eigner  Art,  daß  von  diesen  hier  zu  reden  nicht  unternommen  werden 
konnte.  Leichter  fügt  sich  dem  hier  Dargelegten  ein,  was  von  dem 
Betriebe  der  alten  Geschichte,  der  allgemeinen  Sprachwissenschaft  und 
anderer  akademisch  gesonderter,  in  den  Kreis  des  Philologen  gehöriger 
Fächer  zu  sagen  wäre.*) 


*)  Besondere  Ordinariate  für  Archäologie  und  für  alte  Geschichte,  die  früher  nur 
an  den  größten  Universitäten  bestanden,  sind  in  den  letzten  Jahrzehnten  auch  an  den 
meisten  anderen  errichtet  worden.  In  Preußen  wird  nur  in  Königsberg  die  Archäologie 
noch  durch  einen  ordentlichen  Professor  vertreten,  der  auch  eigentlich  philologische  Vor- 
lesungen hält  In  Münster  besteht  für  dieses  Fach  nur  ein  Extraordinariat.  Ebenso  in 
Erlangen,  jctxt  auch  in  Jena,  nachdem  ein  ordentlicher  Honorarprofessor  seine  Vorlesungen 

Das  Ui»t«rrichuw«sen  im  Deuuchen  Reich.    L  i2 


^78  Lehrgebiet  und  I^hrbetriel). 

Wenn  man  das  Ganze  überblickt,  so  wird  man  finden,  daß  der 
Unterrichtsbetrieb  in  der  klassischen  Philologie  dem  Studenten  eine 
vollkommene  Freiheit  der  Bewegung  läßt,  die  nur  durch  Tradition, 
durch  das  Schwergewicht  bestehender,  mit  Leben  erfüllter  Einrichtungen, 
durch  Beispiel  und  persönliche  Anleitung  beschränkt  oder  reguliert 
ist.  In  einem  solchen  Betriebe  kann  sich  freilich  nur  zurechtfinden, 
wen  Anlage  und  Neigung  zu  diesem  Studium  führen;  das  mag  be- 
denken, wer  zu  wählen  oder  zu  raten  hat.  Die  Gefahr  besteht,  wie 
überhaupt  an  unsem  Universitäten,  daß  ein  Student  seine  Zeit  zu- 
bringt, ohne  etwas  zu  lernen;  niemand,  der  die  Medaille  von  vom 
ansieht,  wird  um  dieser  Kehrseite  willen  die  Studienfreiheit,  wenigstens 
in  den  Fächern,  die  wissenschaftliche,  nicht  technische  Ausbildung 
verlangen,  beschränken  wollen.  Das  eigne  Suchen  und  Finden  übt 
eine  erstaunliche,  Geist  und  Moral  stärkende  Wirkung,  die  später  in 
der  Ausübung  des  Berufes  beständig  fortwirkt.  Damit  ist  auch  ein 
anderer  Einwurf  beseitigt,  den  man  bisweilen  erheben  hört,  nämlich 
daß  der  Student  sich  zum  Zwecke  seiner  Dissertation  zu  sehr  spezialisiert 
und  die  allgemeine  Ausbildung,  auch  die  allgemeine  Bildung,  zu  kurz 
kommen  läßt.  Das  ist  ein  Fehler,  wo  es  geschieht;  aber  es  ist  aus- 
zugleichen und  oft  nicht  zu  vermeiden.  Denn  nur  durch  die  Beschränkung 
gelingt  es  den  meisten,  sich  zu  vertiefen.  Ein  Lehrer,  der  sein  Leben 
lang  nur  auswendig  gelernt  hat,  ist  besser  als  ein  Ignorant,  aber  kein 
guter  Lehrer.  Wer  sich  an  einem  Punkte  den  Eingang  in  die 
Wissenschaft  erkämpft  hat,  wird  ihre  Pforten,  wo  er  anklopft,  offen 
finden  und  seine  Person  wird  die  Schule,  an  der  er  arbeitet,  immer 
wieder  mit  frischem  Leben  erfüllen. 

eingestellt  hat.  Auch  in  Tübingen  wird  das  Fach  noch  von  den  (Ordinarien  der  Philo- 
logie mit  vertreten.  Neben  den  ordentlichen  Professoren  halten  gegenwärtig  in  Berlin 
und  Leipzig  auch  Extraordinarien  und  in  München  ein  Honorarprofessor  archäologische 
Vorlesungen.  Die  alte  (ieschichte  wird  in  Berlin  von  zwei  ordentHchen  Professoren,  an 
den  übrigen  preußischen  Universitäten,  mit  Ausnahme  von  Münster,  wo  sie  nur  durch  ein 
Kxlraordinariat  vertreten  ist,  von  einem  Ordinarius  gelehrt.  \'on  den  übrigen  Universitäten 
liaben  nur  Würzburg,  Gieikn  und  Rostock  keine  selbständige  Vertretung  dieses  Fachs 
und  in  Tübingen  besteht  nur  ein  Extraordinariat.  Außerordentliche  Professoren  lesen 
neben  den  ordentlichen  in  Berlin   und  Leipzig.  A.  d.  K. 

Friedrich    L  c  o. 


m.  Deutsche  Philologie  und  Literaturgeschichte. 

Als  Karl  Weinhold  vor  10  Jahren  in  dem  Universitätswerke  für 
Chicago  über  die  germanische  Philologie  berichtete,  sprach  er  gegen 
Ende  seines  Aufsatzes  von  den  Professuren  für  neuere  deutsche 
Literatur  als  einer  im  Werden  begriffenen  Einrichtung.  Heute  hat  sich 
die  Verdoppelung  der  germanistischen  Lehrstühle  auf  allen  deutschen 
Universitäten  durchgesetzt.  Fast  überall  finden  wir  zwei  ordentliche 
Professuren,  zumeist  mit  geschiedenen  Lehraufgaben,  eine  für  ältere,  eine 
für  neuere  deutsche  Sprache  und  Literatur.  Dementsprechend  zerfallen 
auch  die  germanistischen  Seminare,  die  es  jetzt  an  allen  deutschen 
Universitäten  gibt,  überall  in  zwei  Abteilungen,  die  von  den  beiden 
Professoren  geleitet  werden.  Diese  Teilung  ist  eine  notwendige  Folge 
der  fortschreitenden  Ausdehnung  des  Gebietes  einerseits,  der  zu- 
nehmenden Spezialisierung  der  Forschung  andererseits.  Ob  sie  sich 
freilich  nicht  natürlicher  und  organischer  gestaltet  hätte,  wenn  sie  statt 
nach  Zeitabschnitten  vielmehr  nach  sachlichen  Gesichtspunkten  vor 
sich  gegangen  wäre  und  jetzt  etwa  je  eine  Professur  für  Deutsche 
Sprache  und  eine  für  Literaturgeschichte  bestände,  das  ist  eine  Frage, 
die  wir  hier  nicht  zu  erörtern  haben.  Tatsächlich  hat  sich  die 
Scheidung  nach  dem  chronologischen  Gesichtspunkt  durchgesetzt. 
Immerhin  gibt  es  auch  heute  noch  eine  Reihe  von  Gelehrten,  welche 
die  beiden  großen  Epochen  der  literarischen  und  sprachlichen  Ent- 
wicklung so  beherrschen,  daß  sie  in  ihren  Vorlesungen  beide  zu  be- 
handeln fähig  sind,  und  jedenfalls  wird  eine  umfassendere  Kenntnis 
beider  Epochen  von  jedem  Dozenten  vorausgesetzt;  eine  Anzahl  von 
Fakultäten  macht  die  Erlaubnis  zum  Lesen  ausdrücklich  von  dem 
Nachweis  einer  solchen  Kenntnis  abhängig. 

Der  Unterricht  in  der  altdeutschen  Philologie,  wie  wir  uns 
der  Kurze  halber  ausdrücken  wollen,  kann  nun  schon  auf  eine  stattliche 
Tradition  zurückblicken,  in  deren  Bahnen  er  lebendig  und  riistig  vor- 

12* 


^80  I^hi^ebiet  und  I^hrbetrieb. 

wärtsschreitet.  Er  behandelt  die  ältere  deutsche  Literatur  im  ganzen 
Umkreis  der  verschiedenen  Gesichtspunkte,  die  das  Vorbild  der  Alter- 
tumswissenschaften uns  eröffnet  hat,  und  die  wir  nach  eben  diesem 
Vorbilde  mit  dem  Namen  Philologie  zusammenzufassen  pflegen :  die 
literarische  Überlieferung  wird  exegetisch,  kritisch,  sprachlich  und 
literarhistorisch  behandelt,  und  die  Bearbeitung  erstreckt  sich  auf 
alle  Epochen  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters.  Freilich  werden  die- 
selben, wie  natürlich,  nicht  alle  in  gleichem  Maße  berücksichtigt. 

Für  altnordische  Sprache  und  Literatur,  die  nicht  überall  gelehrt 
wird,  haben  einige  größere  Universitäten  außerordentliche  Professuren, 
Kiel  sogar  ein  Ordinariat.  Dies  steht  freilich  vereinzelt,  ebenso  wie  in 
Bonn  das  Extraordinariat  für  Niederländisch  und  Niederdeutsch ;  gleich- 
wohl wird  die  Pflege  des  Niederdeutschen,  auf  den  norddeutschen 
Universitäten  wenigtens,  keineswegs  vernachlässigt.  Gotisch  wird  viel- 
fach von  dem  Vertreter  der  allgemeinen  Sprachwissenschaft  gelesen, 
ebenso  aber  auch  von  dem  Germanisten,  dem  die  seminaristischen 
Übungen  in  dieser  Sprache  regelmäßig  zufallen.  Im  Mittelpunkt  des 
gesamten  Studiums  stehen  wie  billig  das  Althochdeutsche  und  das 
Mittelhochdeutsche,  und  zwar  tritt  das  letztere  am  meisten  hervor 
und  nimmt  in  den  Vorlesungsverzeichnissen  den  breitesten  Platz  ein. 
Dies  hat  einmal  einen  praktischen  Grund:  auf  vielen,  wenn  auch  leider 
noch  immer  nicht  auf  allen  höheren  Schulen  wird  mittelhochdeutsche 
Lektüre  getrieben,  und  die  Prüfungsordnung  verlangt  daher  von  den 
Kandidaten  und  Kandidatinnen  für  das  höhere  Lehrfach  durchweg 
die  Kenntnis  dieses  Idioms,  während  das  Studium  der  früheren 
Epochen  durch  eingehendere  Kenntnis  auf  philosophischem  Gebiete 
ersetzt  werden  kann ;  daher  ist  denn  die  Nachfrage  der  Hörer  gerade 
nach  diesen  Vorlesungen  besonders  stark.  Andererseits  aber  fuhren 
auch  sachliche  Gründe  zu  dem  gleichen  Resultat.  Bekanntlich  ist  die 
mittelhochdeutsche  Literatur  bei  weitem  ausgedehnter  als  die  alt- 
deutsche und  bietet  daher  der  Belehrung  und  dem  Studium  ein  weit 
größeres  Feld. 

Denn  das  oft  wiederholte  Wort  eines  berühmten  Altertum- 
forschers, daß  die  Interpretation  stets  den  Kernpunkt  des  philo- 
logischen Studiums  bilden  müsse,  hat  sich  die  altdeutsche  Philologie  mit 
Recht  zu  eigen  gemacht.  Schon  in  den  Vorlesungen,  die  zur  Einführung 
in  die  verschiedenen  Epochen  dienen,  pflegt  mit  der  sprachlichen  Be- 
lehrung von  vornherein  Lektüre  und  Interpretation  verbunden  zu  sein. 
Die  wichtigsten  mittelhochdeutschen  Werke  aber  werden  in  regelmäßigen 
eigenen   Vorlesungen    behandelt,    so    namentlich    das  Nibelungenlied, 


Philosophische  Fakultät:    Deutsche  Philologie  und  Literaturgeschichte.  181 

Walter  von  der  Vogelweide,  Hartman  von  Aue  und  Wolfram  von 
Eschenbach.  Vor  allem  finden  in  den  Seminaren  regelmäßige  Inter- 
pretationen an  altdeutschen,  namentlich  aber  an  mittelhochdeutschen 
Texten  statt.  Mit  denselben  verbindet  sich  nach  innerer  Notwendig- 
keit und  altem  philologischen  Herkommen  die  Textkritik,  zu  deren 
Übung  die  Überlieferung  der  mittelalterlichen  Literaturwerke  reichlich 
Gelegenheit  gibt.  An  diese  wiederum  schließt  sich  die  sogenannte 
höhere  Kritik,  die  vor  allem  an  der  Eigenart  und  der  Entstehung  der 
großen  Volksepen  reichen  Stoff  findet. 

Auf  dieser  Grundlage  fußt  nun  einerseits  der  literargeschichtliche 
Unterricht.  Die  Geschichte  der  älteren  deutschen  Literatur  wird 
überall  regelmäßig  gelesen.  Bisweilen  faßt  eine  Vorlesung  die  älteren 
Perioden  zusammen ;  häufiger  noch  erscheint  die  mittelhochdeutsche 
Epoche  gesondert  für  sich.  Jedenfalls  aber  ist  in  dem  ganzen  Lehr- 
betrieb dafür  gesorgt,  daß  es  weder  an  einer  methodischen  und 
sorgfaltigen  Einführung  in  die  einzelnen  Erscheinungen  noch  an  der 
zusammenlassenden  Übersicht  über  das  Ganze  fehlt. 

In  enger  Beziehung  zur  Literaturgeschichte  steht  einerseits 
Mythologie  und  Heldensage,  andererseits  die  Kenntnis  der  deutschen 
Altertümer  in  Sitte,  Recht  und  Kunst.  Die  notwendige  Belehrung 
hierüber  wird  zuweilen  mit  Literaturgeschichte  und  Interpretation  ver- 
bunden, doch  werden  beide  Stoffe  auch  in  eigenen  Vorlesungen  be- 
handelt. Hier  ist  der  Punkt,  wo  sich  die  Germanistik  mit  der  Volks- 
kunde berührt,  die  ihrerseits,  soweit  sie  das  germanische  Gebiet 
betrifft,  nicht  als  besonderer  Gegenstand  von  Vorlesungen  zu  erscheinen 
pflegt  und  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Wissenschaft  auch  noch 
nicht  wohl  erscheinen  kann. 

Ferner  erfordert  die  philologische  Interpretation  nun  aber  ein- 
gehende Belehrungen  über  die  Sprache,  die  Erklärung  dichterischer 
Werke  auch  solche  über  Metrik.  Beide  Gegenstände  werden  daher 
in  eigenen  Vorlesungen  behandelt.  Besonders  die  Grammatik  der 
deutschen  Sprache  ist  überall  regelmäßig  Gegenstand  der  Behand- 
lung, —  auch  hier  wieder  teils  einer  mehr  übersichtlichen,  die 
ganze  Entwicklung  zusammenfassenden,  teils  einer  eingehenden  und 
sondernden,  die  dann  namentlich  die  vergleichende  Kenntnis  der 
Mundarten  und  ihrer  Geschichte  anbahnt.  Im  Zusammenhang 
hiermit  steht  häufig  die  Behandlung  der  Phonetik,  deren  Be- 
deutung ja  freilich  nicht  auf  das  Gebiet  der  germanischen  Sprachen 
beschränkt  ist,  die  vielmehr  auf  die  allgemeine  Sprachwissenschaft 
hinüberweist.     Auch   die   Arbeiten,    welche   den   einzelnen  Seminar- 


182 


T^lirgcbicl  und  T^hrhetri^b. 


niitglitidern  neben  den  gemeinsamen  Übungen  zuerteilt  und  im  Laufe 
des  Semesters  besprochen  werden,  behandein  sehr  häufig,  vielleicht 
In  den  meisten  Fällen,  sprachliche  Erscheinungen  und  Fragen,  wie 
diese  denn  auch  ein  oft  wiederkehrendes  Thema  der  Doktordisser- 
tationen bilden.  Eben  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Sprach- 
künde  wird  es  besonders  anschaulich,  worin  der  Wert  dieser  Arbeiten, 
der  in  jüngster  Zeit  nicht  selten  unterschätzt,  ja  überhaupt  bestritten 
worden  ist,  beruht.  Sie  bilden  keineswegs  nur  specimina  eruditionis 
fiir  die  einzelnen  Verfasser  —  als  solche  brauchten  sie  nicht  gedruckt 
7u  werden  — ,  sie  trag^en  auch  in  oft  mühsamer  und  zeitraubender 
Einzeiarbeit  das  Material  zusammen,  dessen  der  Forscher  bedarf^  wenn 
er  die  Lösung  umfassenderer  Probleme  unternehmen  will,  und  das  zu 
sammeln  und  zu  sichten  keines  einzelnen  Menschen  Zeit  und  Kraft 
ausreichen  würde. 

Die  Lehrtätigkeit  der  altdeutschen  Philologie  pflegt  die  Sprach- 
geschichte in  ihrem  ganzen  Umfang  zu  umfassen  und  sich  somit  auch 
auf  die  neueren  Epochen  auszudehnen.  In  der  Tat  Ist  eine  Scheidung 
der  sprachwissenschaftlichen  Belehrung  nach  Zeitabschnitten  kaum 
durchfi'thrbar.  Außerdem  aber  ist  der  Wunsch,  den  Weinhold  in  dem 
oben  angeführten  Aufsätze  aussprach,  daß  die  Professuren  für  neuere 
deutsche  Literatur  .,auch  die  Aufgabe  übernehmen  müßten,  die 
grammatischen  und  lexikalischen  Untersuchungen  über  die  neuere 
Sprachperiode  fest  zu  fuhren",  im  allgemeinen  nicht  in  Erfüllung  ge- 
gangen, soweit  er  wenigstens  Vorlesungen  und  Übungen  betrifft,  über- 
haupt haben  die  Vertreter  der  neueren  deutschen  Literatur- 
wissenschaft d^n  Kreis  von  Aufgaben  enger  begrenzt,  den  sie,  wenn 
nicht  ihren  eigenen  Forschungen,  so  doch  ihrer  Lehrtätigkeit  gezogen 
haben.  Entschiedener  und  einseitiger  steht  hier  die  Literatur- 
geschichte im  Mittelpunkt  des  akademischen  Betriebes.  Die  großen 
Vorlesungen,  welche  eine  Übersicht  über  die  ganze  Entwicklung  der 
neueren  Literatur,  meist  bis  zu  Göthes  Tode,  geben,  bilden  gewöhnlich 
eine  Reihe  von  Semestern  durchlaufend,  die  Richtlinie  des  Studiums, 
und  auch  für  die  Arbeiten  der  modernen  Seminarabteilungen  sind  im 
allgemeinen  li t er argesch  ich t liehe  Gesichtspunkte  maßgebend.  Ge- 
meinsame t^bungen  nach  Art  der  Interpretationen  in  den  äheren  Ab- 
teilungen  fehlen  hier  oft  ganz.  Die  einzelnen  an  die  Seminaristen 
verteilten  und  nachher  in  der  Sitzung  besprochenen  Aufgaben  be- 
handehi  zum  Teil  sprachliche  und  stilistische  Beobachtungen  an 
bestimmten  Schriftstellern,  öfter  aber  untersuchen  sie  die  Stoffquellen 
einzelner    Dichtungen    oder    vergleichen    verschiedene    Behandlungen 


Philosophische  Fakultät:    Deutsche  Philologie  und  Literaturgeschichte.  183 

desselben  Stoffes  oder  Motivs,  verschiedene  Gestalten  desselben 
Werkes  und  ähnliches.  Gelegentlich  werden  auch  wohl  einmal  text- 
kritische Untersuchungen  angestellt ;  allein  die  Natur  der  Sache  bringt 
es  mit  sich,  daß  dieselben  auf  diesem  Gebiete  nicht  von  gleichem 
Belang  sind,  wie  auf  dem  der  älteren  Literatur.  Denn  wenn  auch 
in  der  gedruckten  Überlieferung  manches  einzelne  der  Verbesserung 
bedürftig  ist,  so  handelt  es  sich  hier  doch  niemak,  wie  dort,  um  die 
Lesbarmachung  des  Textes  und  die  Wiederherstellung  eines  ver- 
dorbenen größeren  Zusammenhangs.  Eigentlich  archivalische  Studien 
aber  kann  man  mit  Studenten  selbstverständlich  nicht  oder  doch  nur 
ausnahmsweise  anstellen,  da  Originalhandschriften  im  allgemeinen 
nicht  zum  Lehrbetriebe  benutzt  werden  können.  Auffallend  ist  es 
jedoch,  daß  auch  die  Interpretation  im  engeren  Sinne,  die  Erklärung 
der  Dichtungen  nach  sachlichen  und  ästhetischen  Gesichtspunkten  im 
Betriebe  der  neueren  Literatur  sehr  zurücktritt.  Nicht  nur  scheint 
diese  Art  von  Tätigkeit  in  den  Seminaren  keinen  Platz  zu  finden, 
sondern  auch  Vorlesungen  zu  diesem  Zweck  werden  nur  vereinzelt 
gehalten.  Das  Wort  Scherers,  der  es  als  „die  höchste  Aufgabe  einer 
jeden  kunstmäßigen  Interpretation"  bezeichnete,  „den  Entstehungs- 
prozeß des  Werkes  in  der  Seele  des  Autors  zu  erforschen**,  ist  für 
den  ganzen  Lehrbetrieb  der  neueren  Literatur  maßgebend  geworden, 
und  auch,  wo  über  einzelne  Werke,  wie  besonders  häufig  über  den 
Faust,  Vorlesungen  angekündigt  werden,  ist  es  fast  ausschließlich  die 
Entstehungsgeschichte,  oder  doch  die  Erklärung  nach  biographisch 
genetischen  Gesichtspunkten,  die  gemeint  ist.  Diese  Einseitigkeit  ist 
zum  Teil  aus  einer  Reaktion  gegen  frühere  Epochen  der  Literatur- 
geschichtsschreibung zu  erklären.  Die  ästhetische  Interpretation  mo- 
demer Dichtungen  war  in  der  zweiten  Hälfte  des  abgelaufenen  Jahr- 
hunderts nicht  mit  Unrecht  in  Mißkredit  gekommen,  denn  in  den 
vorhergehenden  Jahrzehnten  war  vielfach  geistreiche  Subjektivität  und 
Willkür  statt  der  sachlichen  Erklärung  und  des  eindringenden  Ver- 
ständnisses hervorgetreten,  in  der  Literatur  sowohl  wie  in  öffentlichen 
Vorträgen,  die  sich  freilich  mehr  an  das  weitere  Publikum  als  an 
akademische  Kreise  zu  wenden  pflegten.  Demgegenüber  stellte 
Scherer  mit  Recht  die  Forderung  gründlicher  Sachkenntnis  und  philo- 
logischer Genauigkeit  bei  der  Behandlung  der  neueren  Literatur  auf 
und  übertrug  damit  den  Begriff  der  wissenschaftlichen  Literaturge- 
schichte erst  auf  dieses  Gebiet.  Er  begründete  so  die  Methode  des 
akademischen  Betriebes,  die  heute  auf  allen  Lehrstühlen  herrscht. 
Auf&llend   freilich   bleibt   es  darum   doch,   daß  die  künstlerische  Er- 


^g4  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

klärung  der  klassischen  deutschen  Dichtungen  in  unseren  Hörsälen 
keine  Stätte  findet.  Wo  es  ausnahmsweise  der  Fall  ist,  da  sind  es 
fast  stets  ästhetisch  gebildete  Philosophen,  nicht  Literarhistoriker  von 
Fach,  die  es  unternehmen,  diese  Lücke  auszufüllen.  Niemand  aber 
wird  meinen,  daß  eine  solche  Erklärung  überflüssig  wäre,  zumal  in 
einer  Literatur,  die  so  stark  von  philosophischen  Ideen  durchtränkt 
ist,  die  so  tief  in  geschichtlich  bestimmten  Weltanschauungen  wurzelt, 
mit  einem  Wort,  die  dem  sachlichen  Verständnis  soviel  Schwierig- 
keiten zu  bewältigen  gibt,  wie  die  klassische  Dichtung  der  Deutschen. 

Denn  der  klassischen  Epoche  unserer  Literatur  wendet  sich  der 
akademische  Lehrbetrieb  mit  Recht  hauptsächlich  zu.  Göthes  Werke 
vor  allen  werden  behandelt,  und  hier  wiederum  ist  es  ganz  besonders 
der  Faust,  der,  wie  er  heute  eines  der  Hauptgebiete  der  gelehrten 
Forschung  über  Göthe  ist,  so  auch  das  am  regelmäßigsten  wieder- 
kehrende Thema  für  literaturgeschichtliche  Spezialvorlesungen  bildet. 
Neben  Göthe  tritt  Schiller  besonders  hervor  und  sodann  die  roman- 
tische Periode.  Verhältnismäßig  spärlich  werden  die  nachklassischen 
Erscheinungen  berücksichtigt.  Vorlesungen  über  die  spätere  Literatur 
des  19.  Jahrhunderts  fehlen  zwar  nicht,  werden  aber  meist  öffentlich 
oder  doch  mit  geringer  Stundenzahl  gelesen ;  Seminarübungen  über 
die  Literatur  der  neusten  Zeit  oder  gar  der  Gegenwart  kommen  nur 
ausnahmsweise  vor,  mit  Recht;  denn  was  noch  nicht  historisch 
geworden  ist,    gehört  auch  noch  nicht  der  Geschichtswissenschaft  an. 

Alles  zusammengenommen  wird  man  sagen  dürfen:  es  hat  lange 
gedauert,  bis  die  deutsche  Philologie,  die  Wissenschaft  von  unserer 
eigenen  Literatur  und  Sprache,  sich  die  ihr  gebührende  Stellung  auf 
den  deutschen  Universitäten  errungen  hat.  Jetzt  aber  nimmt  sie  diese 
Stellung  ein,  und  damit  ist  uns  ein  hoffnungsfroher  Ausblick  auf  die 
Ausfüllung  der  noch  gebliebenen  Lücken,  auf  eine  lebendige  und 
reiche  Weiterentwicklung  in  der  Zukunft  gesichert. 

Rudolf  Lehmann. 


IV.  Englische  und  romanische  Philologie. 

Das  neusprachliche  Studium  ist  eine  Wissenschaft  und  zugleich 
eine  Fertigkeit.  Dieser  Doppelcharakter  des  Faches  verlangte  um  so 
dringender  nach  Berücksichtigung,  je  mehr  sich  die  modernen  Ver- 
kehrsmittel entwickelten.  Rs  genügt  nicht  mehr,  Shakespeare  oder 
Moliere  zu  lesen.  Mit  jedem  Schnelldampfer,  der  nach  den  englisch 
sprechenden  Ländern,  mit  jedem  Schnellzug,  der  nach  Frankreich 
eingelegt  wird,  wächst  das  Bedürfnis  mündlicher  Verständigung.  Der 
internationale  Briefschreibedrang  hat  schon  unsere  Schülerkreise  er- 
faßt. In  allen  akademischen  Fächern  und  höheren  Erwerbszweigen 
ist  der  Ruf  laut :  unsere  Leute  brauchen  die  Sprachen  des  Westens  zu 
täglicher  und  praktischer  Handhabung.  Die  Universitäten  mußten  so 
gebieterische  Kulturansprüche  der  Gegenwart  berücksichtigen.  Dabei 
ergab  sich  eine  Reihe  pädagogischer  Neuerungen  wie  kaum  auf 
einem  anderen  Unterrichtsgebiete,  und  noch  sind  sie  lange  nicht  ab- 
geschlossen. 

Die  wissenschaftliche  Grundlage  ist  im  neusprachlichen  Univer- 
sitätsbetrieb, wie  er  sich  seit  drei  Jahrzehnten  entwickelte,  entschieden 
festgehalten  worden.  Es  widerspräche  deutschem  Geiste,  den  Blick 
nur  auf  das  unmittelbar  Nützliche  zu  richten  und  die  Wesensfragen 
auf  sich  beruhen  zu  lassen.  Selbst  der  Studierende,  so  mühsam  er 
sich  auch  in  die  tieferen  Probleme  einarbeitet,  ist  von  ihrer  Unent- 
behrlichkeit  für  den  künftigen  Lehrer  überzeugt.  Die  Prüfungs- 
vorschriften schweben  ihm  zwar  meist  in  erster  Linie  vor;  doch  hat 
er  zugleich  Schulerfahrung  genug,  um  zu  wissen,  daß  ein  Lehrer  ohne 
gründliche,  über  den  Werktagsbedarf  hinausgehende  Bildung  in  der 
Klasse  einen  schlechten  Stand  hätte.  Er  fühlt,  daß  für  ihn,  den  schon 
etwas  älteren  Knaben,  die  rein  nachahmende  Methode  nicht  mehr 
ausreicht,  um  sich  richtige  Aussprache  und  Wortfügung  anzueignen. 
Völlig  klar  sind  sich  die  Unterrichtsbehörden  darüber,  daß  wer  z.  B.  das 


186  T^hrgebiet  und  I^hrbctrieb. 

Englische  auf  den  Gymnasien  dem  bloßen  Privatunterricht,  also  zumeist 
dem  Zufall  und  den  Parlierkünstlem  überlassen  wollte,  verzichten 
würde  auf  die  unmittelbare  Einführung  unserer  bildungsfähigsten 
Jugend  in  die  Kunst  und  Seelenerkenntnis  Shakespeares,  auf  die 
Einsicht  in  den  sprachlichen  Zusammenhang  zwischen  den  kontinen- 
talen und  überseeischen  Germanenstämmen,  auf  die  gründliche  Er- 
fassung der  in  der  englischen  Literatur  erw^achsenen  Kulturgedanken, 
wie  sie  nur  ein  wissenschaftlich  vorbereiteter  Lehrer  vermitteln  kann. 
Auch  die  neusprachlichen  Oberlehrer  in  Amt  und  Würden  sehen  oft 
mit  Vergnügen,  wie  sie  scheinbar  abgelegene  Kenntnisse  zu  nützen 
vermögen,  um  den  Unterricht  zu  beleben  und  ihre  geistige  Über- 
legenheit —  die  beste  Grundlage  aller  Disziplin  —  zu  behaupten. 
Ständen  sie  an  geistigem  Fonds  hinter  den  Kollegen  zurück,  so  be- 
kämen sie  sofort  eine  Geringschätzung  zu  spüren,  die  auf  den  ganzen 
Studienzweig  abfärben  würde.  Deutschland  ist  nicht  in  der  Lage, 
sich  irgend  eine  Rückständigkeit  in  der  Ausbildung  seiner  geistigen 
Vorarbeiter  zu  gestatten.  Der  bestvorbereitete  Lehrer  ist  auf  diesem 
wie  auf  jedem  Gebiete  für  die  Schule  gerade  gut  genug. 

Kern  der  neusprachlichen  Lehrervorbildung  ist  die  historische 
Grammatik.  Der  Lateinlehrer  mag  sie  sich  sparen,  denn  er 
hat  es  mit  einer  früh  gefestigten  Schriftsprache  zu  tun,  die  ohne 
VVesensänderung  durch  die  Denkmäler  mittlerer  und  neuerer  Zeit 
hindurchgeht.  Nicht  viel  anders  liegen  die  Verhältnisse  im  Griechischen. 
Wer  aber  nur  modernes  Französisch  oder  Englisch  kann,  dem  sind  alle 
Denkmäler  dieser  Völker  vor  der  Renaissance  verschlossene  Bücher. 
Er  sieht  nicht  in  jene  reiche  Periode  der  französischen  Literatur, 
worin  diese,  ein  halbes  Jahrtausend  vor  Moliere,  für  alle  abend- 
ländischen Völker  die  höfischen  Formen  schuf  und  aussandte.  Er 
hört  nicht  die  Rhapsodien,  in  denen  die  Angelsachsen,  fast  ein  Jahr- 
tausend vor  Shakespeare,  uns  die  Sangeskunst  der  Germanen  voll- 
tönend erhalten  haben.  Seinem  literarischen  Unterricht  wird  die  Tiefe 
fehlen;  noch  mehr  seinem  grammatischen  jenes  anregende  Interesse, 
das  sich  immer  einstellt,  wenn  der  Lehrer  die  französischen  Wörter, 
Schreibungen  und  Fügungen  ans  Lateinische,  die  englischen  ans 
Deutsche  anzuknüpfen  vermag.  Selbst  die  Aussprachlehre  zieht  Vor- 
teil aus  der  historischen  Grammatik;  diese  lehrt  z.  B.,  daß  französisch  o 
nur  dann  geschlossen  lautet,  wenn  dahinter  ein  Konsonant  ausfiel;  oder 
daß  englisches  ou,  ow  nur  dann  [au]  lautet,  wenn  es  einem  deutschen 
au  oder  u  entspricht,  wie  in  house  —  Haus,  now  —  nun,  sonst  aber  [ou]. 
Darum  liest  jeder  neusprachliche  Professor  an  den  deutschen  Univer- 


Philosophische  Fakultät:    Englische  und  romanische  Philologie.  \f\^ 

sitäten  sein  altfranzösisches  oder  altenglisches  Kolleg,  erläutert  die 
systematische  Darstellung  der  früheren  Sprachverhältnisse  durch 
Interpretationen  von  Texten,  stellt  seinen  Schülern  möglichst  viele 
Ausgaben  und  Wörterbücher  in  die  Seminarbibliothek  und  leitet  in 
den  Seminarübungen  ihre  Arbeitsversuche  auf  diesem  schwierigen 
Felde.  Nur  die  frühere  Ausschließlichkeit  dieses  Betriebes  ist  ge- 
schwunden, nicht  seine  Bedeutsamkeit. 

Hinzugekommen  ist  eine  ausgedehntere  und  regere  Forschung 
literargeschichtlicher  Art.  Am  dringendsten  riefen,  sobald  es  neuere 
Philologien  gab,  die  mittelalterlichen  Denkmäler  nach  Aufhellung;  sie 
waren  ohne  gelehrte  Bemühung  schlechterdings  nicht  verständlich; 
ihnen  wurde  daher  die  erste  Arbeit  zugewendet.  Aber  schon  sind 
in  Trübners  Grundrissen  die  englischen  und  französischen  Autoren 
bis  zur  Renaissance  herab  behandelt,  Morf  und  Birch-Hirschfeld  haben 
das  sechzehnte  Jahrhundert  auf  dem  Pariser  Boden  dargestellt,  fast 
jeder  namhafte  Anglist  beteiligt  sich  am  Streben,  den  Werdeprozeß 
Shakespeares  und  des  romantischen  Dramas  überhaupt  aufzuhellen. 
So  wird  für  eine  wirkliche  Wissenschaft  vom  schöngeistigen  Schaffen 
der  jüngsten  Jahrhunderte  der  Acker  vorbereitet.  Man  will  die 
neueren  Autoren  nicht  mehr  bloß  nennen,  ihre  Werke  aufzählen, 
ihre  Lebensdaten  vorlesen;  das  ist  nur  Literaturkunde,  oft  noch  ver- 
dorben durch  ein  ästhetisches  Aburteilen  und  Schönreden,  das  nur  den 
gesunden  Wahrheitssinn  unserer  Jugend  ankränkelt  oder  zu  einem 
Lächeln  reizt.  Literaturgeschichte  soll  die  Zusammenhänge  zwischen 
dem  Leben  und  dem  Schaffen  der  Autoren  aufdecken,  die  Entwicklung 
der  Ideen  und  der  Kunstformen  verfolgen,  im  Dichtwerk  die  Stimmung 
des  Autors  und  seiner  Zeit  herausempfinden  lehren,  und  hiermit  der 
tieferen  und  wärmeren  Interpretation  der  poetischen  Denkmäler 
vorarbeiten.  Wir  wären  weiter  darin,  wenn  unsere  Universitäten  mehr 
neusprachliche  Lehrkräfte  besäßen.  Aber  so  lange  für  die  vielen 
romanischen  Sprachen  und  Literaturen  ein  einziger  Professor  bestellt 
ist,  desgleichen  für  Angelsächsisch,  Chaucer,  Shakespeare  und  die 
weitere  phonetische  und  poetische  Betätigung  des  Germanenstammes, 
aer  in  125  Millionen  geistig  regsamer  Menschen  über  alle  Meere  aus- 
gedehnt ist,  auch  nur  ein  Professor,  darf  man  einen  raschen  Ausbau 
dieser  Fächer  nicht  er\\'arten.  Auch  fehlt  es  den  Universitäts- 
bibliotheken zum  Bedauern  ihrer  Leiter  oft  an  dem  nötigsten  Material 
für  die  letzten  Jahrhunderte.  Die  vorhandenen  Mittel  sind  wesentlich 
für  die  älteren  Disziplinen  festgelegt.  Die  Bibliothekare  sind  durch 
ihre  Vorbildung   noch   selten    mit  den  französischen   und   englischen 


188  Lehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Bedarfs-  und  Kaufsverhältnissen  bekannt.  Die  Seminarbibliotheken 
müssen  sich  mit  einigen  hundert  Mark  jährlich  behelfen.  So  bleibt, 
beim  besten  Willen  der  Beteiligten,  oft  eine  schwere  Bücherarmut,  die 
bei  der  Beurteilung  von  Dozenten-  und  Schüler -Arbeiten  auf  diesen 
Gebieten  zu  berücksichtigen  ist.  Das  Ausborgen  einzelner  Bände 
von  reicheren  Bibliotheken  reicht  für  bestimmte  Themen,  aber  nicht 
für  den  täglichen  Gebrauch  aus.  Neugegründete  amerikanische  Univer- 
sitäten haben  in  solchen  Bibliotheksdingen ,  gerade  weil  ihnen  die 
Traditionen  fehlen,  einen  großen  Vorteil.  Trotz  ungünstiger  Be- 
dingungen ist  aber  deutlich  zu  beobachten,  wie  die  Dissertationen 
über  neuere  Autoren  an  Zahl  bei  uns  zunehmen  und  in  der  Fragestellung 
methodischer  werden. 

Von  dem  frischen  Zuge,  der  durch  das  wissenschaftliche  Studium 
der  Fremdsprachen  geht,  zeugt  eine  Reihe  Sammlungen  von  Doctor- 
schriften,  wetteifernd  von  verschiedenen  Universitäten  aus  begründet, 
um  über  das  nötige  Maß  hinausgewachsene  Dissertationen  ohne  be- 
sonderen Schaden  für  die  fleißigen  Verfasser  an  die  Öffentlichkeit  zu 
bringen.  Den  von  Wilhelm  Scherer  in  Straßburg  ins  Leben  gerufenen 
„Quellen  und  Forschungen"  folgten  in  solcher  Art  die  Englischen 
Sprach-  und  Literaturdenkmale  des  16.— 18.  Jahrhunderts  von  Vollmöller- 
Göttingen  1883,  die  Wiener  Beiträge  zur  (deutschen  und)  englischen 
Philologie  von  Schipper  1886,  die  Erlanger  Beiträge  zur  englischen 
Philologie  von  Vanihagen  1 889,  die  Münchener  Beiträge  zur  romanischen 
und  englischen  Philologie  von  Breymann,  Koppel  und  Schick  1890, 
die  Literarhistorischen  Forschungen  von  Schick  und  Waldberg-Heidel- 
berg 1897,  die  Studien  zur  englischen  Philologie  von  Morsbach- 
Göttingen  1897,  die  l^onner  Beiträge  zur  Anglistik  von  Trautmann  1898, 
Palästra  von  Brandl  und  Erich  Schmidt-Berlin  1898,  Forschungen  zur 
englischen  Sprache  und  Literatur  von  Kölbing-Breslau  1899,  Marburger 
Beiträge  zur  englischen  Philologie  von  Vietor  1900,  •  Anglistische 
Forschungen  von  Hoops-Heidelberg  1901,  Kieler  Studien  zur  englischen 
Philologie  von  Holthausen  1901.  Man  mag  über  den  Wert  solcher 
Anfangerarbeiten  denken  wie  man  will,  auf  jeden  Fall  ist  die  Tatsache 
ersichtlich,  daß  die  neusprachlichen  Wissenschaften  gegenwärtig  in 
einem  reichen  Frühling  stehen,  und  zwar  entflUlt  der  überwiegende 
Teil  der  Schriften  auf  Literaturgeschichte  vom  16.  Jahrhundert  abwärts. 

Als  Fertigkeit  ist  die  mündliche  und  schriftliche  Beherrschung 
von  Fremdsprachen  zu  bezeichnen.  Gutes  Englisch  und  Französisch 
sprechen  zu  lernen  ist,  sobald  Ohr  und  Zunge  die  Kindeselastizität 
verloren  haben,  also  vom  14.  oder  15.  Jahre  an,  eine  für  die  meisten 


Philosophische  Fakultät:    Englische  und  romanische  Philologie.  189 

Menschen  sehr  schwere  Aufgabe.  Zu  ihrer  Bewältigung  gehört  etwas 
Phonetik,  viel  Übung  und  sehr  viel  Selbstkontrolle,  also  auch  eine 
Charaktereigenschaft.  All  das  scheinen  sich  die  Latein-  und  Deutsch- 
philologen in  der  Regel  nicht  zuzutrauen  und  meiden  daher  das 
ihnen  wissenschaftlich  so  nahe  liegende  Studium  des  Französischen 
oder  Englischen,  während  derjenige,  der  energisch  will,  gewöhnlich 
sogar  zwei  Fremdsprachen  lernt,  wenn  auch  selten  beide  in  gleicher 
Vollkommenheit.  Die  Rücksicht  auf  die  Fertigkeit  wirkt  hiermit  bei 
der  Berufswahl  der  Studierenden  sogar  gewichtiger  als  die  bei  ihnen 
vorhandenen  wissenschaftlichen  Vorbedingungen,  weil  eben  heutzutage 
jeder  Anfänger  einsieht,  daß  er  ohne  ordentliche  Aussprache  nicht 
weiter  kommt.  Gut  schreiben  ist  noch  schwerer;  das  kann  nicht 
einmal  der  geborene  Franzose  oder  Engländer,  wenn  er  es  nicht 
von  klein  auf  und  in  vielen  Schulstunden  gelernt  hat.  Hierin  bleibt 
daher  der  Deutsche  oft  bedenklich  zurück,  und  doch  verlangt  man 
heutzutage  vom  neusprachlichen  Lehrer,  daß  er  wenigstens  einfachere 
Sätze  tadellos  baue  und  idiomatische  Briefe  abfasse. 

Betreffs  solcher  Fertigkeit  sind  die  vorhandenen  Einrichtungen 
noch  sehr  im  Stadium  der  Entwicklung. 

Um  für  gute  Aussprache  zu  sorgen,  mußten  die  Anglisten  und 
Romanisten  zunächst  der  Phonetik,  dieser  Hilfsdisziplin  jeder  Philo- 
logie, eine  besondere  Pflege  zuwenden.  Wenn  der  Studierende  die 
Fremdlaute,  z.  B.  englisches  thy  nicht  von  selbst  trifft,  so  muß  zunächst 
sein  Fehler  entdeckt  werden.  Dazu  bedarf  es  keiner  Stimmgabeln 
und  keiner  Kehlkopfanatomie,  aber  doch  einer  soliden  Kenntnis  der 
möglichen  Zungen-  und  Lippenstellungen ;  eine  Maschine  genügt  nicht, 
sonst  brauchte  man  einfach  in  einer  Abteilung  des  Seminars  einen 
Phonographen  aufzustellen.  Man  muß  sogar  viel  Übung  darin  besitzen, 
um  von  den  heimatlichen  Lauten  auf  die  fremden  mit  Ausschluß  von 
Fehlgriffen  überzuleiten.  Ferner  empfiehlt  es  sich,  für  die  Feinheiten 
des  Accents  die  Fassungskraft  des  Ohres,  die  eine  verhältnismäßig 
vage  ist,  durch  die  weit  genauere  des  Auges  zu  unterstützen,  indem 
man  Transskriptionen  machen  und  lesen  läßt,  in  Sweets  Art.  Im 
Englischen  wenigstens,  wo  die  Stärkeunterschiede  der  Vokale  große 
Veränderungen  in  Klang  und  Quantität  nach  sich  ziehen,  ist  ohne 
phonetische  Umschrift  kaum  auszukommen.  Einfache  Zeichen  genügen; 
je  weniger  neuerfundene  Hieroglyphen,  desto  besser.  Endlich  müssen 
die  Sätze  so  lange  geübt  und  nochmals  geübt  werden,  bis  sie  nicht 
bloß  richtig,  sondern  fließend  herauskommen.  Drill  ist  die  Hälfte  des 
phonetischen    Unterrichts;    vielleicht    die    größere  Hälfte;    sicher    die 


^90  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

anstrengendere.  In  solches  Aussprachelehren  kann  sich  jetzt  der 
Professor  fast  an  jeder  deutschen  Universität  mit  einem  Lektor  teilen, 
der  in  der  Regel  ein  geborener  Franzose  oder  Engländer  ist,  was 
den  Vorteil  hat,  daß  der  Studierende  den  idiomatischen  Accent  hört. 
Weil  aber  ein  solcher  Lektor  nicht  aus  eigner  Erfahrung  wissen 
kann,  welche  spezielle  Schwierigkeiten  der  Deutsche  bei  der  Er- 
lernung der  betreffenden  Sprache  zu  überwinden  hat,  auch  selten  ein 
gründliches  Studium  der  Phonetik  durchgemacht  hat,  so  pflegt  der 
Professor  immer  noch  mitzuhelfen.  Wie  viel  Zeit  und  Energie  hier- 
durch den  höheren  Aufgaben  des  Universitätsunterrichts  entzogen 
wird,  ist  leicht  zu  ermessen.  Eigentlich  gehören  diese  Dinge  auf  die 
mittleren  Schulen.  Was  würde  aus  der  klassischen  Philologie  werden, 
wenn  die  Mehrzahl  ihrer  Hörer  nicht  mehr  die  Kenntnis  des  La- 
teinischen und  Griechischen  auf  die  Universität  mitbrächte?  Sind 
einmal  die  neusprachlichen  Lehrkräfte  an  den  Gymnasien,  Real- 
gymnasien und  Oberrealschulen  so  weit  gehoben,  daß  sie  nur  mehr 
Abiturienten  mit  gutem  Französisch  und  Englisch  auf  die  Universität 
entsenden  —  erstrebt  wird  es  vielfach  mit  großem  Eifer  — ,  so  wird 
der  Universitätsunterricht  erst  volle  Früchte  bringen.  Darin  liegt 
gegenwärtig  die  Hauptschwierigkeit. 

Um  ein  Sprechen  in  größerem  Umfange  und  freierer  Weise 
den  Studierenden  beizubringen,  werden  Konversationsübungen  ge- 
halten. An  kleineren  Universitäten  richtet  sie  ein  rühriger  Lektor  von 
selbst  ein.  An  größeren  wurde  neuestens  mit  eigenen  Kursen  dieser 
Art  begonnen  (Berlin  und  Göttingen),  die  nur  6  bis  8  Teilnehmer 
umfassen  und  von  gebildeten  Angehörigen  der  betreffenden  Sprache 
geleitet  werden.  Nur  Studierende,  die  schon  über  richtige  Aus- 
sprache und  Syntax  verfügen,  werden  aufgenommen.  Um  ihrem 
Mangel  an  Wortvorrat  abzuhelfen,  gibt  der  Leiter  bestimmte  Teile 
eines  Vokabulars  zum  Lernen  oder  Bücher  über  den  Konversations- 
gegenstand der  nächsten  Stunde  zum  Lesen  auf  Je  sorgfaltigere 
Vorbereitung,  desto  mehr  Erfolg.  Auch  eine  Menge  Wissen  über 
die  Verhältnisse  und  Sitten  des  Landes,  nützliche  Winke  zum  Reisen 
und  Anregungen  zu  moderner  Lektüre  werden  dabei  gegeben. 

Zur  Beförderung  des  schriftlichen  Gedankenausdrucks  dienen 
Übungen  im  FLssayschreiben,  die  speziell  dem  Lektor  zufallen.  Dieser 
Teil  des  neusprachlichen  Unterrichts  ist  bisher  wohl  der  schwächste. 
Gewiß  auch  der  schwierigste.  Um  in  einer  fremden  Sprache  kompli- 
ziertere Gedanken  richtig  niederzuschreiben,  muß  man  im  Knaben- 
alter   durch   Jahre   unter   dem    vollen  Einfluß  jener  Sprache    gelebt 


Philosophische  Fakultät:    Englische  und  romanische  Philologie.  191 

und  in  ihr  denken  gelernl:  haben.  Früher  wurden  viele  Dissertationen 
englisch  oder  französisch  geschrieben;  das  hat  jetzt  aufgehört,  obwohl 
es  auf  neusprachlichem  Gebiete  so  natürlich  schien,  wie  die  Abfassung 
einer  lateinischen  Dissertation  für  einen  Latinisten.  Tatsächlich  ist 
es  nämlich  ungleich  schwieriger,  weil  jeder  gebildete  Franzose 
oder  Engländer  als  ciceronianischer  Richter  aufstehen  kann.  Hoffent- 
lich kommen  wir  trotzdem  allmählich  zu  einer  freieren  Stil- 
beherrschung. I 

Als  Schlußglied  in  der  praktischen  Ausrüstung  eines  neusprach- 
lichen Lehrers  aber  ist  die  Auslandreise  zu  bezeichnen.  Sprechen 
und  Schreiben  kann  man  von  einzelnen  Ausländem  daheim  lernen; 
aber  ein  voller  und  lebendiger  Eindruck  fremdländischer  Kultur 
ist  nur  in  der  Fremde  zu  gewinnen.  Das  humane  Wirken  eines 
Dickens  lernt  man  erst  im  Gewühl  der  City  begreifen,  die  Poesie 
eines  Walter  Scott  erst  vor  den  Schlössern  Schottlands.  Was  die 
Auslandreise  bedeutet,  ergibt  sich  am  schlagendsten,  wenn  man  sich 
bei  den  Studierenden  erkundigt,  was  sie  veranlaßte,  die  schwierigen, 
mit  vielen  Korrekturen  belasteten  neusprachlichen  Fächer  zu  er- 
greifen: meist  waren  es  die  Erzählungen  eines  tüchtigen  Lehrers,  der 
sich  selbst  an  Seine  und  Themse  umgesehen  hatte.  Bereits  haben 
einsichtige  Regierungen  und  Stadtvertretungen  eine  Anzahl  Reise- 
stipendien fiir  neuphilologische  Lehrer  gestiftet.  Mit  der  Zeit  muß 
es  aber  zur  Regel  werden,  daß  niemand  eine  Fremdsprache  an  einer 
höheren  Schule  lehren  darf,  der  nicht  bereits  eine  Auslandreise  ge- 
macht hat. 

Wissenschaft  und  Fertigkeit  sind  hier  gesondert  behandelt 
worden.  In  der  Wirklichkeit  aber  gilt  das  Prinzip,  daß  sie  sich 
möglichst  durchdringen  sollen.  Der  Professor  verschmäht  es  nicht, 
sich  um  eine  gute  Aussprache  zu  bemühen  und  sie  bei  Seminar- 
übungen, manchmal  auch  in  der  Vorlesung  zu  zeigen ;  in  der  historischen 
Grammatik  erklärt  er  die  moderne  Schreibung,  und  in  der  Literatur- 
geschichte findet  er  hundertfachen  Anlaß,  auf  Realien  einzugehen. 
Der  gute  Lektor  kümmert  sich  um  Phonetik  und  historisch  klare 
Formulierung  von  Syntaxregeln  und,  wenn  er  moderne  Autoren  be- 
handelt, um  literarhistorische  Methodik.  Das  Marschieren  der  beiden 
ist  getrennt,  ihr  Schlagen  vereinigt. 

Schließlich  mag  wohl  die  Frage  aufgeworfen  werden,  zu  welchem 
Zwecke  der  Deutsche  sich  so  gründlich  in  Fremdsprachen  vertieft, 
während  Engländer  und  auch  —  allerdings  nicht  mehr  wie  früher  — 
Franzosen    durch    das    Beharren    bei    der    eigenen    Sprache    andere 


192  Lehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Völker  zwingen,  diese  zu  lernen?  Ohne  Zweifel  wirken  hier  auch 
praktische  Rücksichten  mit.  Aber  vor  allem  wollen  wir  uns  als  An- 
gehörige eines  alten  Kulturvolkes  der  westländischen  Geistesfrüchte 
erfreuen,  durch  französischen  Witz  und  Beobachtungsrealismus  unser 
Wesen  ergänzen,  in  Shakespeare  und  Byron,  Bums  und  Carlyle  unser 
eigenes  Gemüt  wiederfinden,  alle  künstlerischen,  wissenschaftlichen 
und  sozialen  Fortschritte  verfolgen  und  uns  so  vor  dem  Laster  be- 
wahren, das  Carlyle  mit  Grund  am  schärfsten  bekämpft  hat:  vor 
dem  Philistertum. 

A.  Brandl. 


V.  Semitische  und  andere  orientalisohe  Sprachen. 

Das  Hebräische  ist  der  Ausgangspunkt  der  orientalischen  Studien 
an  deutschen  Universitäten.  Hervorgegangen  aus  der  geistigen  Be- 
wegung der  Renaissance  und  der  Reformation,  ist  die  Vertretung  des 
Hebräischen  jetzt  eine  ständige  Einrichtung  im  Universitätsunterricht, 
und  zwar  geht  die  Entwicklung  schon  seit  längerer  Zeit  dahin,  daß 
diese  Disziplin  ganz  den  theologischen  Fakultäten  überlassen  wird, 
während  die  philosophischen  Fakultäten  sie  nur  mehr  ausnahmsweise 
und  mehr  gelegentlich  berücksichtigen.  Dafür  sind  die  letzteren  die 
Pflegestätten  aller  übrigen  Studien  über  den  Orient,  speziell  den  semi- 
tischen, wie  über  ganz  Westasien  und  Ägypten  im  weitesten  Um- 
fange geworden. 

Was  gemeinhin  als  das  Alte  Testament  bezeichnet  wird,  sind 
die  nach  Inhalt  und  Ursprung  sehr  verschiedenartigen  Reste  der 
israelitischen  Literatur,  die  schon  um  die  Zeit  von  Christi  Geburt 
den  jüdischen  Gelehrten  in  Jerusalem,  die  sie  zu  einem  Kanon,  zu 
einer  Art  National-Kodex  vereinigten,  in  einer  mit  der  heutigen  genau 
übereinstimmenden  Form  vorlagen.  Ihr  Verständnis  bot  schon  damals 
Schwierigkeiten,  hauptsächlich  aus  dem  Grunde,  weU  das  Hebräische 
etwa  im  Zeitalter  der  Makkabäer-Könige  als  Volkssprache  ausgestorben 
war,  indem  ein  anderes,  allerdings  stammverwandtes  Idiom,  das 
Aramäische,  seine  Stelle  eingenommen  hatte.  Frühzeitig  hat  daher  die 
Interpretation  des  Alten  Testaments  Hilfe  gesucht  bei  den  ältesten 
Übersetzungen,  bei  der  griechischen  der  Septuaginta,  aber  auch  bei 
den  aramäischen  Targumin  und  der  syrischen  Peschittä. 

Zum  Studium  des  Hebräischen,  in  dem  auch  die  althebräischen 
sowie  die  in  einem  nahverwandten  Idiom  geschriebenen  phönizischen 
Inschriften  berücksichtigt  werden  müssen,  gesellt  sich  dasjenige  des 
Aramäischen,  einer  nordsemitischen  Sprache,  deren  älteste  Denkmäler 
aus   dem   achten    und    neunten  vorchristlichen  Jahrhundert   stammen 

Das  UnterrichuweteD  im  Deutschen  Reich.    I.  13 


i94  I^hrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

und  deren  jüngste  Ausläufer  noch  in  der  Gegenwart  als  Volkssprachen 
existieren.  Es  ist  das  Verdienst  amerikanischer  Missionare,  das  jetzt 
von  den  Nestoriapern  in  Kurdistan  gesprochene  Neuaramäisch  ent- 
deckt zu  haben.  Der  Bibelforscher  muß  sich  mit  den  aramäisch  ge- 
schriebenen Teilen  der  Bücher  Esra  und  Daniel  bekannt  machen,  und 
wird  gut  daran  tun,  auch  den  aramäischen  Inschriften  einige  Auf- 
merksamkeit zu  widmen.  Nach  dem  Aussterben  des  Hebräischen 
wurden  für  das  Verständnis  des  jüdischen  Volkes  Übersetzungen  in 
aramäischer  Volksmundart,  die  sogenannten  Targumin,  angefertigt, 
eine  Literatur,  deren  Entstehung  und  Verarbeitung  sich  über  6  bis  7 
Jahrhunderte  nach  Christi  Geburt  erstreckt.  Im  engsten  Zusammenhang 
mit  den  Targumin  steht  die  älteste  christliche  Übersetzung  des  Alten 
Testamentes,  die  in  den  Kreisen  des  Christentums  zu  Edessa  in  Nord- 
mesopotamien vermutlich  im  Zeitalter  der  Antonine  entstanden  ist. 
Der  edessenische  Dialekt  dieser  Version,  das  Syrische,  ist  die  Sprache 
einer  großen  Literatur  geworden,  welche  in  ihren  Hauptwerken 
nationalen  Charakters  dem  Zeitraum  vom  zweiten  bis  zum  siebenten 
Jahrhundert  nach  Christi  Geburt  angehört. 

Das  Syrische  als  die  älteste  Sprache  des  asiatischen  Christentums 
hat  eine  weite  Verbreitung  gefunden,  in  allen  Semiten-Ländern  und 
ostwärts  weit  darüber  hinaus  bis  in  die  Mongolei  und  China.  Es  ist 
die  wichtigste  Sprache  für  die  Philologia  orientalis  christiana^  die 
gegenwärtig  als  eine  besondere  Disziplin  gepflegt  zu  werden  beginnt. 
Will  man,  was  ich  für  durchaus  zeitgemäß  erachte,  die  Erforschung 
des  asiatischen  Christentums  zu  einer  Sonderwissenschaft  erheben,  so 
ist  das  Studium  der  syrischen  Sprache  und  Literatur  ihr  Fundament ; 
um  aber  ihren  Anforderungen  im  ganzen  Umfange  gerecht  zu  werden, 
ist  ein  sehr  großer  Apparat  sprachlicher  Kenntnisse  erforderlich,  ab- 
gesehen vom  Syrischen  die  Kenntnis  des  Arabischen,  Koptischen  und 
Äthiopischen,  des  Armenischen  und  Georgischen.  Bibel  und  Apo- 
kryphen, ferner  einige  Literaturdenkmäler  der  ältesten  Zeiten,  die  auf 
Bardesanes  zurückgehende  Schrift  über  freien  Willen  oder  Vorher- 
bestimmung durch  die  Planeten  in  Form  eines  platonischen  Dialogs, 
einige  Apologien  aus  altchristlicher  Zeit,  das  Geschichtswerk  des  bis- 
her sogenannten  Josua  Stylit  es  behaupten  im  akademischen  Unterricht 
eine  hervorragende  Stelle, 

Für  das  wissenschaftliche  Studium  der  hebräischen  Grammatik 
ist  die  Kenntnis  des  Arabischen  unerläßlich.  Während  wir  von  der 
alten  Sprache  Israels  im  Grunde  nur  spärliche  Bruchstücke  kennen 
\xt\t\  keine  Vorstellung  davon  haben,    wie    sie  für  die  Bcdürfni5vse  des 


Philosophische  Fakultät:    Semitische  und  andere  orientalische  Sprachen.  i95 

praktischen  Lebens  im  Munde  von  Bauern  und  Hirten,  Handwerkern 
und  Händlern  ausgeprägt  war,  liegt  die  arabische  Sprache  vor  uns  in 
der  ganzen  Fülle  ihrer  grammatischen  Formen  wie  in  dem  unüberseh- 
baren Reichtum  ihres  Wortschatzes,  die  klassische  Sprache  einer 
großen  Literatur,  und  in  der  Gregenwart  weiterlebend  in  vielfach  ver- 
schiedenen Dialekten  im  Munde  von  Millionen.  Mögen  im  einzelnen 
die  Ansichten  der  Gelehrten  über  das  relative  Alter  hebräischer  und 
arabischer  Bildungen  auseinander  gehen,  darüber  aber  besteht  allseitige 
Übereinstimmung,  daß  man  für  die  wissenschaftliche  Erforschung  des 
Hebräischen  das  Arabische  braucht,  aber  auch  umgekehrt  für  die 
Erforschung  des  Arabischen  das  Hebräische. 

Der  Koran  ist  das  Hauptobjekt  des  akademischen  Studiums,  und 
wer  sich  in  ihn  vertiefen  will,  wird  der  Führung  eines  einheimischen 
Kommentators  nicht  entraten  können.  Daneben  empfiehlt  sich  auch 
die  Beschäftigung  mit  einem  Dichter  des  arabischen  Heidentums,  für 
dessen  Verständnis  man  in  erster  Linie  wieder  eines  einheimischen 
Kommentars  bedarf.  Die  Sprache  der  Kommentar-Literatur  setzt 
aber  Vertrautheit  mit  der  Terminologie  der  Grammatik  voraus,  und 
aus  diesem  Grunde  muß  auch  die  Lektüre  eines  nationalarabischen 
grammatischen  Werkes  in  den  Studienkreis  einbezogen  werden. 

Darüber  hinaus  geht  die  arabische  Philologie  ihre  eigenen  Wege. 
Sie  leitet  an  zur  Beschäftigung  mit  den  ältesten  Geschichtswerken, 
den  Meisterwerken  der  Philologie  und  der  schönen  Literatur,  indem 
sie  die  Besonderheiten  der  verschiedenen  Stilarten  lehrt.  An  manchen 
Universitäten  wird  auch  eine  Einführung  in  die  arabische  Paläographie 
gegeben,  und  werden  nachklassische  Literaturdenkmäler  wie  1001  Nacht 
sowie  neuarabische  Texte  zur  Vorlage  exegetischer  Vorlesungen  ge- 
wählt. Daß  auch  die  Geschichte  des  Islams,  ferner  Literaturgeschichte, 
Theologie  und  Recht  des  Islams  berücksichtigt  werden,  ergibt  der 
natürliche  Verlauf  dieser  Studien. 

Das  Äthiopische,  die  klassische  Sprache  der  Literatur  des 
habessinischen  Christentums,  wird  an  mehreren  Universitäten  regel- 
mäßig gelehrt.  Während  die  Sprache  dem  Arabischen  nahe  verwandt 
ist,  hat  die  Literatur  seit  langem  besonders  dadurch  das  Interesse 
der  Gelehrten  auf  sich  gelenkt,  daß  sie  reich  ist  an  Apokryphen, 
welche  wie  zum  Beispiel  das  Buch  Henoch  in  der  älteren  orienta- 
lischen Literatur  einen  wichtigen  Platz  einnehmen.  Das  dem 
habessinischen  verwandte  südarabische  Altertum  ist  im  Lehrplan 
einiger  Universitäten  durch  Vorlesungen  über  sabäische  und  andere 
Inschriften  vertreten. 

13* 


196  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Seit  einigen  Decennien,  seitdem  Eberhard  Schrader  das  Studium 
der  Keilschrift  in  Deutschland  eingebürgert  hat,  beginnt  es  sich  über 
die  deutschen  Universitäten  zu  verbreiten  und  ist  bereits  an  mehreren 
derselben  im  ganzen  Umfange  vertreten.  Hebräisch  und  Babylonisch- 
Assyrisch  sind  verwandte  Sprachen  von  gleichem  Stamme,  und  die 
hebräische  und  babylonisch-assyrische  Literatur  sind  zu  einem  großen 
Teil  gleichalterig.  Die  historischen  Beziehungen  des  kleinen  Israels 
zu  den  gewaltigen  Reichen  der  Babylonier  und  Assyrer  sind  bekannt; 
die  geistigen  Beziehungen  dieser  Völker  zu  einander,  ihre  gegenseitige 
Beeinflussung  in  Religion  und  Kultur  bilden  einen  der  wichtigsten 
Gegenstände  des  modernen  Studiums.  Das  Hebräische  hat  den 
Hauptschlüssel  zum  Verständnis  der  Sprache  der  Anwohner  des 
Euphrat  und  Tigris  geliefert,  und  jetzt  erhält  die  Literatur  und  ge- 
samte Kultur  der  Hebräer  reiches  Licht  von  dorther  zurück. 

Abgesehen  von  aller  Rücksicht  auf  die  Bibel  verfolgt  die  Keil- 
schriftphilologie ihre  besonderen  Aufgaben;  sie  gibt  eine  Einführung 
in  das  Wesen  und  die  über  mehrere  Jahrtausende  sich  erstreckende 
Geschichte  der  Schrift,  in  das  Verständnis  der  Stile  der  verschiedenen 
Literaturgattungen,  wie  auch  eine  Anleitung  zu  historischen,  religions- 
geschichtlichen und  archäologischen  Studien.  Für  den  Keilschrift- 
forscher, der  mit  den  Originaldenkmälern  Fühlung  zu  gewinnen 
wünscht,  bieten  die  Tontafelsammlungen  des  Königlichen  Museums  zu 
Berlin  vortrefiTliches  und  reiches  Material. 

Während  das  Studium  der  Kultur  der  Völker  am  Euphrat  und 
Tigris  das  neueste  Glied  in  der  Kette  der  Universitätsstudien  bildet, 
ist  dasjenige  der  Sprache  und  Kultur  des  alten  Ägypten  schon  in 
den  vierziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  in  Deutschland  einge- 
führt und  gegenwärtig  an  mehreren  Universitäten  wie  Berlin,  Bonn, 
Heidelberg,  Leipzig,  München  und  Straßburg  regelmäßig  vertreten. 
Denkmäler  der  Sprache  und  Schrift  in  den  verschiedensten  Wand- 
lungen, welche  die  Jahrtausende  gezeitigt  haben,  von  den  ältesten 
Pyramidentexten  bis  zu  den  jüngsten  Urkunden  aus  römischer  Kaiser- 
zeit, bilden  die  Gegenstände  der  Universitätsvorlesungen,  und  in  Ver- 
bindung damit  die  koptische  Sprache  und  Literatur,  die  von  dem 
ägyptischen  Christentum  gepflegt  wurde,  bis  auch  hier  wie  in  Palästina, 
Syrien  und  weiter  ostwärts  seit  der  Okkupation  des  Landes  durch  die 
Araber  das  Arabische  die  ältere  einheimische  Sprache  verdrängte. 
Für  den  Ägyptologen  wie  für  den  Assyriologen  ist  es  wichtig,  früh- 
zeitig mit  den  Denkmälern  selbst  vertraut  zu  werden,  so  daß  Samm- 
lungen ägyptischer  Altertümer    eine    wesentliche  Hilfe   des   Studiums 


Philosophische  Fakultät:    Semitische  und  andere  orientalische  Sprachen.         1Q7 

bedeuten.  Geschichtliche,  religions-  und  kunstgeschichtliche  Studien 
sind  in  der  ägyptologischen  Literatur  reich  vertreten  und  werden 
auch  im  Universitätsunterricht  neben  der  Einführung  in  das  Ver- 
ständnis der  Sprache  überall  berücksichtigt. 

Von  den  anderen  Sprachen,  die  im  westlichen  Asien  gesprochen 
werden  und  durch  ihre  Literatur  einen  besonderen  Anspruch  auf 
Beachtung  haben,  gehören  das  Neupersische  und  das  Armenische  dem 
indogermanischen  Kreise  an  und  kommen  hier  nicht  näher  in  Betracht. 
Das  Neupersische  als  die  Sprache  eines  wichtigen  Bruchteils  der 
muhammedanischen  Welt  hat  ein  großes  Maß  seines  Wortschatzes 
aus  dem  Arabischen,  der  lingua  classica  des  Islams,  entlehnt,  und 
wichtige  Gebiete  seiner  Literatur  stehen  unter  arabischem  Einfluß. 
Die  armenische  Literatur  ist  nach  Form  und  Inhalt  der  gleichzeitigen 
syrischen  und  griechischen  verwandt. 

In  ähnlich  nahen  Beziehungen  zum  Arabischen  wie  das  Neu- 
persische steht  auch  das  Türkische,  die  dritte  Literatursprache  des 
Islams,  der  westlichste  Repräsentant  eines  außerordentlich  weit  ver- 
breiteten Sprachengeschlechts,  welches  das  Zentrum  Asiens  beherrscht 
und  sich  von  dort  in  zahlreichen  Sonderformen  nach  West,  Nord  und 
Ost  ausdehnt.  Die  Literatur  des  Osmanisch-türkischen  beginnt  im 
dreizehnten  Jahrhundert  und  verdankt  das  Wesentlichste  arabischen 
Vorbildern.  Die  neuesten  Entdeckungen  im  chinesischen  Ostturkestan, 
die  Ausgrabung  von  Bildwerk-  und  Literaturdenkmälern  aus  der 
wenig  bekannten  Epoche  der  Übertragung  des  Buddhismus  von  Indien 
und  Tibet  nach  China  und  dem  fernen  Osten  stellen  der  wissenschaft- 
lichen Forschung  neue  wichtige  Aufgaben  und  werden  ohne  Zweifel 
dazu  beitragen,  auch  diesen  Zweig  asiatischer  Studien  in  nachhaltiger 
Weise  zu  fördern.  Der  Osten  Asiens,  das  Chinesische,  Tibetische 
und  Mongolische  ist  im  Lehrplan  der  Universitäten  Berlin  und  Leipzig 
vertreten. 

Für  den  Studierenden,  der  sich  mit  selbständiger  wissenschaft- 
licher Arbeit  zu  beschäftigen  wünscht,  bieten  die  Sammlungen  von 
Handschriften  und  Denkmälern  namentlich  in  Berlin,  Göttingen, 
Leipzig,  München  und  Straßburg  ein  willkommenes  Material.  Die' 
Vermehrung  der  Beziehungen  zum  semitischen  Orient,  wie  sie  von 
mehreren  Gesellschaften,  der  deutschen  Palästina -Gesellschaft,  dem 
Berliner  Orient-Komitee,  der  deutschen  Orient-Gesellschaft,  den  seit 
der  Anwesenheit  Kaiser  Wilhelms  in  Palästina  gegründeten  evange- 
lischen und  katholischen,  der  weiteren  Erforschung  des  heiligen  Landes 
gewidmeten  Anstalten  in  Jerusalem   unterhalten  werden,   üben   einen 


i98  I^ehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

anregenden  und  befruchtenden  Einfluß  auf  alle  verwandten  Studien  aus. 
Als  ein  besonders  erfreulicher  Fortschritt  ist  es  zu  begrüßen,  daß 
zwei  Universitäten,  Göttingen  und  Leipzig,  mit  der  Einrichtung  orien- 
talischer, mit  Studienbibliotheken  ausgerüsteter  Seminare,  wie  sie  seit 
langem  für  die  Studierenden  der  klassischen,  germanischen  und  neu- 
sprachlichen Philologie  bestehen,  vorangegangen  sind. 

Es  ist  hier  und  da  wohl  der  Versuch  gemacht  worden,  dem 
Studenten  bei  seinem  Eintritt  in  die  Universität  einen  sorgfältig  aus- 
gearbeiteten Studienplan  zu  übergeben,  der  ihn  beraten  soll,  welches 
die  beste  Reihenfolge  der  von  ihm  zu  betreibenden  Studien  und  die 
beste  Verteilung  des  Studiums  über  die  ihm  zur  Verfügung  stehende 
Anzahl  von  Semestern  ist,  indessen  dies  ist  nicht  allgemeine  Praxis 
geworden.  Gemäß  akademischer  Freiheit  trifft  der  Studierende  seine 
eigene  Wahl,  wobei  ihm  freilich  der  Rat  der  akademischen  Lehrer, 
wenn  er  ihn  in  Anspruch  nimmt,  nie  fehlen  wird.  Bei  deutschen 
Studierenden  pflegt  das  auf  dem  Gymnasium  erlernte  Hebräisch  die 
Grundlage  semitischer  Studien  zu  bilden,  und  eine  solche  Grundlage 
vorausgesetzt,  darf  für  die  Dauer  des  Studiums  wohl  die  Zeit  von 
sieben  bis  acht  Semestern  als  Mittelmaß  bezeichnet  werden.  An 
dieser  Stelle  möchte  ich  nicht  unterlassen  darauf  hinzuweisen,  daß 
unsere  amerikanischen  Schüler  im  allgemeinen  die  Zeit,  die  sie  an 
deutschen  Universitäten  dem  Studium  des  Orients  zu  widmen  ge- 
denken, nach  meiner  Erfahrung  etwas  zu  kurz  bemessen. 

Wie  für  den  Studenten  gilt  auch  für  den  Dozenten  die  akade- 
mische Freiheit.  Er  wird  darauf  Wert  legen,  alle  Hauptgebiete  seiner 
Disziplin  in  geeigneter  Gruppierung  und  Reihenfolge  zu  vertreten, 
wobd  er  allerdings  mit  dem  Übelstande  zu  kämpfen  hat,  daß  er 
bereits  mehrere  Monate  vor  Anfang  des  betreffenden  Semesters,  wo 
er  noch  nicht  wissen  kann,  welche  Zuhörer  sich  einfinden  werden, 
seine  in  demselben  zu  haltenden  Vorlesungen  und  Übungen  für  den  zu 
druckenden  Index  lectionum  feststellen  muß. 

Die  Zahl  der  Dozenten,  welche  im  Sommersemester  1903  an 
deutschen  Universitäten  orientalische  Sprachen  inklusive  Hebräisch 
in  dem  in  dieser  Skizze  behandelten  Umfange  lehrten,  betrug  94,  von 
denen  57  den  philosophischen  Fakultäten  angehörten .*) 

Eduard  Sachau. 

*)  Über  das  orientalische  Seminar  in  Berlin  s.  den  Anhang  zu  dem  Artikel  über 
die  Berliner  l'niversität. 


VI.  Sanskrit.  .  . 

Unter  den  deutschen  Universitäten    ist  Bonn    die    erste,    an  der 
die  Sanskritstudien  Aufnahme  in  den  Lehrplan   gefunden  haben.     Im 
Sommer    1819   kündigte    A.  W.   von   Schlegel   zum    erstenmal   eine 
Vorlesung  über  indische  Altertümer  und  Literatur   an,    in   der  Folge 
regelmäßig   Anfangsgründe   des  Sanskrit,    Erklärung   des  Rämayana, 
des  Hitopadesa,  der  Bhagavadgitä  usw.     Heute  wird  das  Sanskrit  an 
jeder  der  21  deutschen  Universitäten,   an   allen    zusammen  von  mehr 
als  40  Dozenten  gelehrt.     Von    dieser  Zahl   dürften   jedoch    etwa  15 
genauer   als    Lehrer   der   vergleichenden   Sprachwissenschaft    zu    be- 
zeichnen sein,  während  anderseits  an  einigen  Universitäten  die  eigent- 
lichen Sanskritisten  durch  Lehrauftrag  verpflichtet  sind,  auch  die  ver- 
gleichende  Sprachwissenschaft    in    Vorlesungen    zu    behandeln.     Die 
Zahl  der  Studierenden,  die  sich  mit  Sanskrit  beschäftigen,  ist  an  den 
verschiedenen  Universitäten   sehr   verschieden.      Überall   können    nur 
wenige    sich    dem   Studium    der   indischen    Philologie    ausschließlich 
widmen  und   die  Lehrer  des  Sanskrit   haben    deshalb    nur   vereinzelt 
Gelegenheit,    Spezialisten    auszubilden.      Die  Anzahl   der    klassischen 
Philologen,    Germanisten,    Studierenden    der    neueren  Sprachen  usw., 
die   wenigstens   die  Anfangsgründe    des  Sanskrit  erlernen    und  einen 
flüchtigen  Blick  in  die  Kulturwelt  Indiens  werfen  wollen,   wechselt  je 
nach   dem  Werte,    der   der   fremden  Disziplin    von   den  Lehrern  der 
klassischen    Philosophie    usw.     beigemessen     wird.       Zur    Zeit     des 
klassischen  Philologen  G.  Curtius,  der  sehr  zur  Erlernung  des  Sanskrit 
ermunterte,    hatte    der    Sanskritist    Brockhaus    in    Leipzig    mehr    als 
40  Zuhörer  in  seinem  grammatischen  Kolleg,  während  ausgezeichnete 
Lehrer  anderer,  selbst  großer  Universitäten   sich   mit   3    oder   4   be- 
gnügen mußten.     Noch    heute  sind  die  Verhältnisse   wesentlich    die- 
selben;  neben  25  Zuhörern  in  München   finden   wir   anderwärts  ver- 
schwindend kleine  Zahlen. 

Die  Tätigkeit  des  Lehrers  wird  bedingt  durch  die  Art  der 
Schüler,  die  seine  Vorlesungen  besuchen.  Wäre  er  unabhängig  von 
äußeren   Verhältnissen,   so   würde   der   Sanskritist   wohl   überall    zu- 


200  Lehrgebiet  und  I^hrbctrieb. 

nächst  einen  bestimmten  Kursus  von  drei  oder  vier  Semestern  durchzu- 
führen suchen,  dessen  Ziel  eine  im  ganzen  sichere  Beherrschung  des 
klassischen  Sanskrit  und  eine  allgemeine  Bekanntschaft  mit  der  Ideen- 
welt der  klassischen  Zeit  sein  würde.  In  diesem  Kursus  würden  der 
Reihe  nach  die  Anfangsgründe  mit  Übungen  im  Übersetzen  aus 
dem  Sanskrit  ins  Deutsche  und  vice  versa,  epische  Stücke  und  Fabeln, 
schwerere  Prosa,  einige  Gesänge  verschiedener  Kunstgedichte  mit 
leichten  einheimischen  Kommentaren,  und  ein  Drama  zu  be- 
handeln sein.  Reifere  Schüler  würden  dann  nach  Umständen  in 
das  eine  oder  andere  Gebiet  der  eigenartigen  wissenschaftlichen 
Literatur  Indiens,  den  Veda,  das  Studium  der  Inschriften,  des 
Präkrit  und  Päli  usw.  eingeführt  werden.  Da  aber  die  meisten 
Zuhörer  nur  wenig  Zeit  für  das  Sanskrit  erübrigen  und  sich 
selten  länger  als  zwei  Semester  damit  beschäftigen  können,  so 
nehmen  in  Wirklichkeit  die  für  Anfänger  gehaltenen  Vorlesungen, 
die  Elemente  der  Grammatik  und  die  Erklärung  leichter  Texte,  im 
Lehrplane  den  bei  weitem  größten  Raum  ein.  Hierbei  ist  zu  be- 
merken, daß  mit  Rücksicht  auf  die  Zwecke  der  Zuhörer  in  den  Vor- 
lesungen über  Grammatik  die  Ähnlichkeiten  zwischen  dem  Sanskrit 
und  den  verwandten  Sprachen  gewöhnlich  auch  von  den  eigentlichen 
Sanskritisten  mehr  oder  weniger  hervorgehoben  werden.  Die  Er- 
klärung der  Texte  findet  von  Anfang  an  in  der  Form  von  Übungen 
statt,  für  die  der  Schüler  sich  vorzubereiten  hat;  und  wo  aus  dem 
Deutschen  ins  Sanskrit  übersetzt  wird,  werden  schriftliche  Arbeiten 
verlangt,  durch  die  die  grammatischen  Regeln  und  Formen  dem 
Gedächtnis  am  besten  eingeprägt  werden.  Als  erstes  Lehrbuch  der 
Grammatik  und  für  die  Lektüre  leichter  Texte  wird  meistens  Stenzlers 
Elementarbuch  der  Sanskrit-Sprache,  umgearbeitet  von  Pischel,  an 
einigen  Universitäten  Geigers  Elementarbuch  benutzt;  für  Übungen 
besonders  zum  Übersetzen  ins  Sanskrit  dient  Bühlcrs  Leitfaden  für 
den  F^lementarkursus.  Zur  Vervollständii^ung  der  grammatischen 
Kenntnisse  wird  namentlich  für  sprachverglcichcndc  Zwecke  Whitneys 
Grammatik  empfohlen.  Wo  die  in  den  Handbüchern  gegebenen 
Texte  nicht  ausreichen  sollten,  wird  in  der  Regel  Böhtlingks  Sanskrit- 
Chrestomathie  zu  Hilfe  genommen,  wobei  dann  für  die  Präparation 
Cappellers  Sanskrit-Wörterbuch  benutzt  wird.  Im  ganzen  wird  der 
fleißige  Zuhörer  —  und  an  Fleiß  fehlt  es  nicht  —  nach  zwei 
Semestern  mit  den  Elementen  des  Sanskrit  vertraut  und  imstande 
sein,  einen  leichten  Text  ohne  besondere  Hilfe  des  Lehrers  zu  er- 
klären. —  Für  die  nächsten  Semester  bieten  die  Vorlesungsverzeich- 


Philosophische  Fakultät:    Sanskrit.  20) 

nisse  eine  lange  Reihe  von  hier  nicht  einzeln  aufzuführenden  Schrift- 
werken aus  allen  Gebieten  besonders  der  sogenannten  schönen  Lite- 
ratur, deren  Erklärung  auch  hier  in  konversatorischer  Form  vor  sich 
geht  und  an  den  Zuhörer  große  Anforderungen  stellt.  Dabei  wird 
dem  Studierenden  Gelegenheit  gegeben,  sich  einen  Einblick  in  ge- 
wisse Zweige  der  wissenschaftlichen  Literatur,  in  erster  Linie  das 
System  der  indischen  Grammatik  und  das  Alamkärasastra,  zu  ver- 
schaffen, ohne  die  ein  Verständnis  der  einheimischen  Kommentare, 
deren  Wert  immer  mehr  anerkannt  wird,  unmöglich  ist.  Zugleich 
wird  er  bei  der  Erklärung  der  Dramen  in  das  Studium  des  Prakrit 
eingeführt.  Im  übrigen  fehlt  es  für  die  oft  sehr  kleine  Zahl  der  noch 
weiter  Fortgeschrittenen  nicht  an  Vorlesungen,  in  denen  gemäß  den 
SpezialStudien  und  Neigungen  der  Lehrer  die  indische  Grammatik, 
einzelne  Systeme  der  indischen  Philosophie,  das  indische  Recht,  Epi- 
graphik,  Prakrit  und  Päli  usw.,  immer  zusammen  mit  der  Erklärung 
entsprechender  Texte,  besonders  gelehrt  werden.  An  die  Vorlesungen 
über  Werke  der  klassischen  Literatur  schließen  sich  ferner  exegetische 
Vorlesungen  über  den  Ved  a,  besonders  den  Rigveda  und  ausgewählte 
Abschnitte  der  Brähmanas,  in  denen  bei  ersterem  zunächst  gewöhn- 
lich Hillebrandts  Vedachrestomathie  zugrunde  gelegt,  später  M. 
Müllers  Ausgabe  des  Rigveda  mit  dem  indischen  Kommentare  be- 
nutzt wird.  Neben  den  exegetischen  Vorlesungen  werden  endlich 
auch  solche  über  Literatur-,  Kultur-,  Religionsgeschichte,  Altertümer 
usw.  gehalten,  doch  nehmen  sie  im  Lehrplan  einen  bescheidenen 
Raum  ein  und  sind  zum  Teil  auch  für  Nicht-Sanskritisten  berechnet. 
Der  Studierende  soll  durch  den  Unterricht  zu  selbständiger 
wissenschaftlicher  Arbeit  befähigt  werden,  als  deren  Grundbedingungen 
in  erster  Linie  eine  sichere  Kenntnis  der  Sprache  und  aus  eigener 
Lektüre  gewonnene  möglichst  ausgedehnte  Bekanntschaft  mit  der 
indischen  Literatur  zu  betrachten  sind.  Diese  können  nur  durch  aus- 
dauernden Fleiß  erworben  werden,  und  das  Studium  wird  noch  er- 
schwert dadurch,  daß  die  notwendigen  Hilfsmittel  oft  sehr  teuer  und 
nicht  leicht  zu  beschaffen  sind.  Glücklicherweise  suchen  die  Uni- 
versitätsbibliotheken ihren  Bestand  an  Werken  der  indischen  Philologie 
immer  mehr  zu  vergrößern  und  gestatten  ihre  Benutzung  in  liberalster 
Weise  auch  außerhalb  der  Bibliotheksräume.  Außerdem  sind  in  den 
letzten  Jahren  an  einigen  Universitäten  Seminare  mit  besonderen 
Handbibliotheken  für  Sanskritisten  errichtet  worden,  und  es  ist  zu  er- 
warten, daß  diese  nützliche  Einrichtung  bald  eine  allgemeine  sein  wird. 

F.  K  i  e  1  h  o  r  n. 


VII.  Vergleichende  Spraohwissensohaft. 

Die  vergleichende  Grammatik  der  indogermanischen  Sprachen 
(auch  als  [vergleichende]  Sprachwissenschaft  schlechthin  oder  als  indo- 
germanische Sprachwissenschaft  bezeichnet)  hat,  wie  jede  neue,  nicht 
auf  altem  Herkommen  beruhende  Disziplin,  nur  langsam,  zum  Teil  spät, 
an  den  deutschen  Universitäten  Vertretung  geftmden.  Den  Anfang 
machte  Berlin.  1821  .erhielt  daselbst  Franz  Bopp  (1791—1867),  der 
durch  sein  1816  erschienenes  „Konjugationssystem"  die  indogerma- 
nische Sprachwissenschaft  inauguriert  und  sich  durch  diese  Arbeit  und 
durch  seine  Ausgabe  des  Nala  (1820)  als  Kenner  des  Sanskrit  ausge- 
wiesen hatte,  auf  Antrag  der  philosophischen  Fakultät  ein  neu  er- 
richtetes Extraordinariat  für  das  Fach  „der  orientalischen  Literatur 
und  der  allgemeinen  Sprachkunde".  Die  Berufung  war  zwar  veran- 
laßt durch  die  Entdeckung  des  Sanskrit  und  die  Erkenntnis  der  Be- 
deutung, die  dieses  für  die  Erschließung  der  Sprachenzusammenhänge 
(ja  wie  man  glaubte,  für  die  des  Ursprungs  der  Sprachen)  hatte.  Aber 
die  Form  des  Lehrauftrags  hielt  sich  an  Altüberkommenes.  All- 
gemeine Sprachwissenschaft,  sei  es  im  Sinne  der  philosophischen 
Grammatik,  sei  es  im  Sinne  einer  in  ungemessene  Weite  gehenden 
Sprachenkunde,  war  so  gut  als  die  orientalische  Philologie  bereits  an 
den  deutschen  Universitäten  vertreten,  freilich  ohne  daß  dafür  beson- 
dere Professuren  bestanden  hätten;  es  wurde  da  und  dort  auch  zu 
Bopps  Zeiten  noch  in  alter  Weise  darüber  gelesen.  Bopp  selbst  ging  zu- 
nächst nicht  über  seinen  Lehrauftrag  hinaus.  Mittelpunkt  seines  Unter- 
richts (wie  auch  seiner  damaligen  wissenschaftlichen  Arbeit)  war  das 
Altindische  schlechthin.  Daneben  las  er  wiederholt  Arabisch  und 
Persisch  (auch  Texte!),  ferner  als  öffentliche  Vorlesung  für  einen 
weiteren  Hörerkreis  mehrmals  , »Allgemeine  Sprachengeschichte". 

Erst  im  Jahre  1830  tat  er  den  großen  Schritt  „Vergleichende 
Grammatik  der  sanskritischen,  griechischen,  lateinischen  und  gotischen 
Sprache"   anzukündigen,    und    den  Stoff,    mit  dem  er  eben  für  seine 


Philosophische  Fakiihät:   Vergleichende  Sprachwissenschaft.  20.'^ 

gedruckte  „Vergleichende  Grammatik  des  Sanskrit,  Send  usw.'*  be- 
schäftigt war,  auch  zum  Gegenstand  des  Unterrichts  zu  machen.  Mit 
sicherem  Takt  zog  er  hier  den  Kreis  enger  und  verglich  mit  dem 
Sanskrit,  das  sich  ihm  als  Grundlage  der  Darstellung  von  selbst  ver- 
stand, nur  solche  Sprachen,  für  die  er  allgemeinere  Kenntnis  voraus- 
setzen konnte.  Von  da  an  war  sein  Unterricht  anders  gestaltet. 
Arabisch  und  Persisch  überließ  er  nun  den  Fachleuten.  Jene  Haupt- 
vorlesung aber  wiederholte  er  in  regelmäßiger  Wiederkehr,  nur  daß 
er  etwa  bei  der  Ankündigung  die  Bezeichnung  etwas  variierte.  Ein 
paarmal  tat  er  den  weitern  Schritt  (nach  dem  Vorgange  Potts  und 
der  Germanisten),  eine  einzelne  indogermanische  Sprache  komparativ 
zu  behandeln;  so  zuerst  1836  mit  der  Vorlesung  „Griechische 
Etymologie  mit  Vergleichung  des  Sanskrit".  Ähnlich  später  über 
Gotisch  und  Deutsch,  Griechisch  und  Latein,  Neupersisch.  Bei  alle- 
dem war  Bopps  Wirksamkeit,  auch  nachdem  er  (1825)  Ordinarius  ge- 
worden war,  zwar  von  allgemeiner  Anerkennung  getragen,  aber  immer 
sehr  beschränkt.  Spezialschüler  hatte  er  nur  wenige.  Die  be- 
deutendsten, Rosen  und  Stenzler,  haben  ausschließlich  als  Indologen 
gearbeitet. 

Erst  auf  Bopps  Vorgang  hin  wurde  vergleichende  Grammatik 
auch  anderwärts  in  den  Kreis  des  akademischen  Unterrichts  aufge- 
nommen. Zuerst  in  Bonn,  wo  als  Lehrer  des  Sanskrit  seit  1818 
August  Wilhelm  von  Schlegel,  später  auch  sein  Schüler  Christian 
Lassen  wirkte;  Lehrer  und  Schüler  Bopps  Antagonisten,  in  vielem 
ihm  ebenbürtig,  zum  Teil  überlegen.  Ein  Jahr  nach  Bopp  kündigte 
Lassen,  der  zuvor  neben  den  SanskritcoUegia  bloß  „Allgemeine 
Sprachenkunde"  (oder  „-geschichte")  vorgetragen  hatte,  „Vergleichende 
Grammatik  des  Sanskrit  und  der  damit  verwandten  Sprachen"  an, 
und  diese  Vorlesung  gehörte  fortan  zum  Pensum  des  Bonner  Indologen. 
Von  Lassen,  der  sie  oft  wiederholte,  übernahmen  sie  seine  Nach- 
folger; selbst  Gildemeister,  obwohl  zugleich  Vertreter  der  semitischen 
Philologie,  hat  sie  mehrmals  angekündigt.  Es  wurde  mit  der  Vor- 
lesung offenbar  ein  tatsächlich  vorhandenes  Bedürfnis  befriedigt;  denn 
den  eigenen  Studien  Lassens  und  Gildemeisters  entsprach  sie  nicht. 
In  ihren  Schriften  trugen  sie  zum  Auft)au  der  vergleichenden  Gram- 
matik nichts  bei.  Immerhin  hat  Lassen  durch  seine  Kritik  Bopps, 
seine  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  des  Mittelindischen,  seine  Teilnahme 
an  der  Erschließung  des  Altpersischen  und  des  Umbrischen  sich 
über  seine  hohe  Befähigung  für  geschichtliche  Sprachforschung  aus- 
gewiesen« 


204  l^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Ebenso  lolgten  dem  Beispiele  Bopps  seine  jüngeren  Genossen 
und  Schüler.  Vor  allem  Friedrich  August  Pott  (1802—1887),  der 
1831  in  Berlin  neben  Bopp  als  Dozent  zu  lehren  begann,  zuerst  über 
allgemeine  Sprachlehre  und  als  Erklärer  antiker  Autoren;  dann  aber 
gleich  auch  nach  Bopps  neuer  Weise,  aber  mit  eigentümlicher 
Variation  sich  auf  einzelne  Sprachen  beschränkend  (z.  B.  „Etymologie 
und  Syntax  der  griechischen  Sprache**),  andererseits  auf  die  Völker- 
kunde übergreifend:  „Ethnographisch-linguistische  Übersicht  der  zum 
Sanskritsprachstamm  gehörigen  Völker**.  1834  bot  ihm  Halle  ein 
I^ehramt  und  wurde  dadurch  ein  dritter  Sitz  des  sprachvergleichenden 
Unterrichts.  Wie  Pott  in  seinen  Schriften  ganze  Welten  von  Sprachen 
mit  rastlosem  Spürsinn  durchwanderte,  zog  er  sich  auch  als  akade- 
mischer Lehrer  keineSchranken;  selbst  „Hieroglyphisch**  und  Chinesisch 
nahm  er  in  den  Kreis  seiner  Vorlesungen  auf. 

Lange  in  bescheidener  Stellung,  ja  zurückgesetzt  und  gehemmt, 
wirkte  in  Göttingen  seit  Ende  der  dreissiger  Jahre  Theodor  Benfey 
(geb.  1809,  gest.  1881).  Anders  als  in  Bopps  Unterricht  waltete  in 
dem  seinigen  bis  zuletzt  die  Sanskritphilologie  vor.  Über  Sprach- 
wissenschaft las  er  nicht  regelmäßig  und,  wenn  er  es  tat,  immer 
zusammenfassend,  sei  es  über  allgemeine  Fragen  des  Sprachlebens, 
sei  es  über  das  Ganze  oder  über  Teüe  der  vergleichenden  Grammatik. 
Er  ging  hier  oft  sehr  genau  auf  kleine  F^inzelheiten  ein;  aber  historische 
Spezialgrammatik  trug  er  nie  vor,  auch  nicht  die  des  Sanskrit.  Zu 
breitem  Wirken  nicht  veranlagt,  hat  Benfey  durch  seinen  philologisch 
fundierten  und  höchst  ideenreichen  Unterricht  der  eigentlichen  Sprach- 
wissenschaft vielleicht  mehr  tätige  Mitarbeiter  zugeführt,  als  irgend 
einer  der  Vorgenannten. 

Eine  zweite  Periode  in  der  Geschichte  des  sprachwissenschaft- 
lichen Unterrichts  wird  durch  die  Namen  August  Schleicher 
(1821—1868)  und  Georg  Curtius  (1820—1885)  bezeichnet.  Ein  Neues 
ist  ihnen  gemeinsam,  daß  sie  Indogermanisten  waren,  ohne  Indologen 
(oder  überhaupt  Orientalisten)  zu  sein.  Curtius  hat  nie  über  Sanskrit 
gelesen.  Schleicher  war  zwar  vom  orientalischen  Studium  ausge- 
gangen, und  sowohl  in  seiner  Bonner  Venia,  als  in  seinem  Prager 
Lehrauftrag  war  das  Indische  mitgenannt.  Aber  in  der  letzten  Zeit 
seines  Wirkens,  in  Jena  (von  1857  an),  ließ  er  das  Indische,  für  das 
er  auch  als  Schriftsteller  nicht  viel  übrig  hatte,  beiseite;  es  schien 
ihm  wohl  genügend  ausgebeutet  zu  sein.  Dafür  kamen  bei  ihm  zuerst 
mehrere  von  den  Vorgängern  höchstens  in  wissenschaftlichen  Unter- 
suchungen, nie  im  Unterricht  berücksichtigte  indogermanische  Sprachen, 


Philosophische  Fakultät:  Vergleichende  Sprachwissenschaft.  205 

vorzüglich  die  slawischen,  zu  ihrem  Rechte.  Zumal  in  seinen  letzten 
Jahren  las  er  fast  ausschließlich  über  diese.  Ein  zweites,  worin 
Schleicher  von  den  früheren  abwich,  war  die  straffere  Methode  der 
Vergleichung;  er  ging  nicht  wie  Bopp  und  dessen  Genossen  vom 
Sanskrit,  sondern  von  der  zu  konstruierenden  Ursprache  aus.  Sein 
aus  den  Vorlesungen  über  vergleichende  Grammatik  hervorgegangenes 
Kompendium,  ein  Buch,  das  eine  neue  Epoche  der  Sprachwissenschaft 
bezeichnet,  gibt  von  diesem  seinem  Verfahren  ein  Bild.  Endlich 
gebührt  ihm  der  Ruhm,  zuerst  sprachwissenschaftliche  Übungen 
abgehalten  zu  haben  (von  1859  an). 

An  wissenschaftlicher  Bedeutung  Schleicher  nicht  von  ferne 
gleichkommend,  hat  Curtius  ihn  an  Weite  der  akademischen  Wirk- 
samkeit wesentlich  übertroffen.  Curtius  war  der  erste  klassisch-philo- 
logische Universitätslehrer,  der  sich  Kenntnis  des  Sanskrit  und  Bopps 
Resultate  und  Methode  angeeignet  hatte  und  dies  für  den  akademischen 
Unterricht  in  Griechisch  und  Latein  zu  verwerten  wußte.  Er  vertrat 
diese  Weise  schon  als  Dozent  in  Berlin  (1846 — 1849),  aber  am  vollsten 
kam  sie  zur  Geltung  während  seines  klassisch-philologischen  Ordinariats 
in  Leipzig  (1862—1885),  wo  er,  zumal  in  den  siebziger  Jahren,  in  seinen 
Vorlesungen  über  lateinische  und  griechische  Grammatik  und  über 
Elemente  der  Sprachwissenschaft  Scharen  von  Zuhörern  um  sich 
sammelte,  wie  vielleicht  nie  ein  Indogermanist  vor-  oder  nachher.  Dieser 
Erfolg  beruhte  vornehmlich  auf  dem  von  Curtius  auch  in  seinen 
Schriften  bewährten  didaktischen  Geschick,  vermöge  dessen  er  alles 
Unabgeklärte  und  alles  wirklich  oder  scheinbar  Unwesentliche  (freilich 
damit  auch  manche  tiefere  Einsicht  und  feinere  Forschung)  von  seiner 
ruhig,  dahinfließenden,  klaren  Darstellung  fern  hielt  und  sich  völlig 
auf  den  Standpunkt  ausschließlich  klassisch-philologisch  gebildeter 
Hörer  zu  versetzen  vermochte.  Rühmende  Erwähnung  verdienen 
auch  die  von  ihm  lange  Jahre  hindurch  geleiteten,  halb  seminaristisch 
organisierten  sprachwissenschaftlichen  Übungen.  Die  von  Curtius  heraus- 
gegebenen zehn  Bände  Studien  zur  griechischen  und  lateinischen 
Grammatik,  worin  er  die  Forschungen  der  tüchtigsten  Schüler  zusammen- 
stellte, waren  ein  Zeugnis  seiner  Fähigkeit,  Mitarbeiter  heranzubilden. 

In  den  siebziger  Jahren  war  die  Überzeugung  von  der  Not- 
wendigkeit sprachwissenschaftlichen  Unterrichts  allgemein  geworden. 
Die  Resultate  der  jungen  Wissenschaft  waren  durch  Curtius'  Hand- 
bücher und  Unterricht  den  klassischen  Philologen,  durch  Max  Müllers 
glänzend  geschriebene  Vorlesungen  über  die  Wissenschaft  der  Sprache 
auch  weitern  Kreisen  nahe  gebracht.     Die  Forschung  selbst  war  durch 


206  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

die  Stellung  neuer  Probleme  mächtig  angeregt;  ihr  Gebiet  durch  die 
Erschließung  bis  dahin  verkannter  oder  wenig  gepflegter  Sprachen, 
durch  das  Aufblühen  neuer  Disziplinen,  wie  der  Phonetik  und  der 
von  Delbrück  nach  wirkungslosem  Vorgang  andrer  in  Wissenschaft 
und  Unterricht  eingeführten  vergleichenden  Syntax,  bedeutend  er- 
weitert. Eine  Reihe  junger  Talente  wandte  sich  diesem  Studium  zu. 
So  entschloß  man  sich  vielerorts,  den  akademischen  Unterricht  nach 
dieser  Seite  auszubauen. 

Noch  Schleicher  hatte  in  Jena  nur  durch  seine  persönliche  Be- 
deutung und  durch  die  besondere  Gunst  und  Einsicht  einzelner  das 
Amt  eines  Lehrers  der  Sprachwissenschaft  erworben,  und  auch  dies 
mit  der  doppelten  Einschränkung,  daß  er  zugleich  germanische 
Philologie  zu  vertreten  hatte,  und  daß  er  nicht  in  die  Reihe  der 
ordentlichen  Fakultätskollegen  einrückte.  Und  noch  1868  wollte  man 
an  einer  großen  deutschen  Universität  Sprachwissenschaft  schlechtweg 
so  wenig  als  ein  wissenschaftliches  Fach  anerkennen,  daß  man  aus 
diesem  Grund  einem  ausgezeichneten  Bewerber  die  Venia  verweigerte. 
Nun  wurde  es  anders.  1872  wurde  in  Berlin  neben  die  alte  einst  für 
Bopp  gestiftete  Sanskritprofessur  ein  Lehrstuhl  für  Sprachwissenschaft 
gestellt,  den  zuerst  der  scharfsinnige  Keltologe  Ebel,  dann  von 
1876—1901  Johannes  Schmidt  einnahm,  ein  zwar  nicht  für  die  Menge, 
aber  für  die  Vorbereiteten  und  Begabten  höchst  wirkungsvoller  Lehrer. 
Ebenso  erhielt  bei  der  Neugründung  der  Universität  Straßburg 
der  sprachwissenschaftliche  Unterricht  von  vornherein  seine  Stelle; 
Max  Müller  kam  von  Oxford  herbei,  um  ihn  durch  einen  Vortrag 
über  die  Resultate  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  zu  eröffnen. 
Andere  Universitäten  folgten  teils  unmittelbar  (so  Heidelberg,  wo  der 
auch  um  Indologie  und  Sprachwissenschaft  verdiente  Germanist  Holtz- 
mann  bereits  1853  Vorlesungen  über  vergleichende  Grammatik  ein- 
geführt hatte),  teils  in  den  nächsten  Jahrzehnten;  zuletzt  1902  Rostock. 

So  ist  gegenwärtig  die  indogermanische  Sprachwissenschaft 
wenigstens  dem  Namen  nach  an  allen  deutschen  Universitäten  ver- 
treten; und  zwar  in  folgender  Abstufung,  für  die  namentlich  die  Ab- 
grenzung gegenüber  der  Sanskritphilologie  in  Betracht  kommt:  Je 
ein  Ordinariat  für  beide  Disziplinen  besitzen  die  Universitäten  Berlin, 
Göttingen,  Halle,  Leipzig,  Straßburg;  ein  Ordinariat  und  ein  Extra- 
ordinariat die  Universitäten  Bonn,  Breslau,  Freiburg,  Heidelberg, 
Königsberg,  Marburg,  wobei  der  Ordinarius  meist  Lehrauftrag  für 
beide  Fächer  hat,  dem  Extraordinarius  bald  die  spezielle  Vertretung 
der  indischen  Philologie,    bald    die    der  Sprachwissenschaft  zukommt. 


Philosophische  Fakultät:   Vergleichende  Sprachwissenschaft.  207 

Nur  einen  Vertreter  für  beide  Fächer  haben  die  Universitäten  Kiel, 
München,  Münster,  Tübingen,  Würzburg  sowie  (in  der  Form  von 
Extraordinariaten)  Greifswald  und  Rostock.  Die  Zahl  der  Privat- 
dozenten des  Fachs  ist  verhältnismäßig  gering. 

Die  indogermanistischen  Vorlesungen  sind  mannigfaltig  gestaltet, 
teils  allgemein  einführend  und  über  die  Hauptaufgaben  und  Probleme 
orientierend,  teils  (und  diese  besonders  von  Johannes  Schmidt  ent- 
schieden und  ausschließlich  befolgte  Praxis  scheint  jetzt  vorzuherrschen) 
auf  eine  einzelne  Sprache  (vorzüglich  Griechisch,  Latein,  Gotisch)  be- 
schränkt, sie  durch  Vergleichung  erklärend,  an  ihr  die  linguistische 
Erkenntnis  exemplifizierend.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  durch  diese 
mehr  spezialistischen  Vorlesungen  die  Indogermanisten  in  Arbeits- 
gemeinschaft mit  den  Vertretern  der  betreffenden  Philologien  treten. 
Ja  der  Austausch  geht  noch  weiter.  Mehrere  Indogermanisten  lesen 
teils  auftrag^emäß,  teils  weil  es  in  der  Richtung  ihrer  Studien  liegt, 
auch  über  rein  philologische  Gegenstände,  z.  B.  über  Homer.  Um- 
gekehrt wiederholt  sich  die  Erscheinung,  die  für  die  Entwicklung  der 
Wissenschaft  charakteristisch  war,  daß  nämlich  die  wichtigste  Arbeit 
für  sprachwissenschaftliche  Prinzipienlehre  und  für  Phonetik  von 
Germanisten  geleistet  wurde,  in  freilich  viel  geringerem  Maße  auch  im 
Unterricht.  Und  für  die  Umgestaltung  der  Sprachwissenschaft  in  den 
siebziger  Jahren  waren  die  Vorlesungen  des  allerdings  von  der  Sprach- 
vergleichung ausgegangenen  Slawisten  Leskien  von  entscheidender 
Bedeutung.  —  Daß  Deutschland  nur  eine  keltische  und  nur  drei 
slavische  Professuren  besitzt  (die  erstere  in  Berlin,  die  letzteren  in 
Berlin,  Breslau,  Leipzig),  und  man  daher  im  übrigen  für  diese  Sprachen 
wie  fürs  Litauische  auf  die  Indogermanisten  angewiesen  ist  und  diese 
nicht  alle  dafür  aufzukommen  vermögen,  sei  nur  anhangsweise  erwähnt. 

Fast  allgemein  eingeführt  sind  sprachwissenschaftliche  Übungen. 
In  Gießen,  Göttingen  und  Leipzig  ist  ihr  Betrieb  durch  die  Ein- 
richtung von  Seminarien,  d.  h.  von  Arbeitsräumen  und  Hand- 
bibliotheken, gefördert  worden. 

Jakob    Wackernagel. 


VUL  Geschichte. 

Kunstgeschichte. 

Die  neuere  deutsche  Geschichtswissenschaft  muß  als  das 
Gemeingut  aller  humanistischen  Disziplinen  betrachtet  werden.  An 
der  Verfeinerung  der  Methoden  wie  an  der  Vermehrung  der  Quellen, 
an  der  Forschung  und  an  der  Darstellung  haben  Theologen  und 
Juristen,  Philosophen  und  Nationalökonomen,  Philologen  und  Historiker 
im  engeren  Sinn  gleichmäßig  Anteil.  Mit  dem  Geschichtsunterricht 
an  den  deutschen  Universitäten  steht  es  heute  nicht  anders. 

Alle  deutschen  Universitäten  haben  mehrere  Professoren  und 
Dozenten,  die  sich  Historiker  schlechthin  nennen.  Aber  neben  ihnen  be- 
handeln zahlreiche  Vertreter  der  übrigen  humanistischen  Disziplinen  auch 
ihrerseits  Abschnitte  aus  der  Geschichte  und  ihren  Hilfswissenschaften. 
Oft  wird  kaum  ein  Unterschied  zu  verspüren  sein  zwischen  den  Vor- 
lesungen der  Theologen  und  Historiker  oder  der  Juristen  und 
Historiker  über  einzelne  Perioden  oder  Seiten  des  geschichtlichen 
Lebens.  Gewisse  Stoffe*),  etwa  die  Geschichte  der  Universitäten 
selbst,  werden  je  nach  Neigung  von  Theologen,  Philosophen,  Philo- 
logen und  Historikern  gelesen.  Die  ägyptischen  Papyri  oder  die 
deutschen  Rechtsquellen  des  Mittelalters  werden  von  Juristen,  Philo- 
logen und  Historikern  traktiert;  Philologen  und  Kunsthistoriker 
schließen  ihre  Untersuchungen  an  Goethes  italienische  Reise  oder 
Dürers  Briefe,  an  Dante  oder  Petrarca  an.  Und  dabei  werden  überall 
in  verwandter  Weise  die  Grundsätze  der  Quellenforschung,  der  Kritik 
und  der  Interpretation  gelehrt. 

Neben  der  Behandlung  gleicher  Quellen  und  gleicher  Probleme 
herrscht  freilich   in    noch    höherem    Grade    die    Arbeitsteilung.      Alle 

*)  Diese  und  die  späteren  Angaben  über  Vorlesungen  und  Übungen  nach  den 
ofHziellen  Verzeichnissen. 


Philosophische  Fakultät:    Geschichte.  209 

humanistischen  Disziplinen  haben  große  Gebietsstücke  der  Geschichte 
für  sich  entdeckt  und  okkupiert.  Fast  das  gesamte  geistige  Leben 
der  Vergangenheit  ist  Gegenstand  gesonderter  Einzelwissenschaften 
geworden  und  wird  mit  diesen  an  den  Universitäten  behandelt.  Die 
Theologen  lesen  die  Geschichte  der  Religionen,  des  Islam,  des 
Buddhismus,  häufiger  die  jüdische  Geschichte,  in  regelmäßigen  Kursen 
die  Geschichte  der  christlichen  Kirche.  Die  Kirchengeschichte  der 
apostolischen  Zeit,  des  Altertums,  des  Mittelalters,  der  Neuzeit  und 
des  XIX.  Jahrhunderts  gehören  zu  dem  festen  Programm  aller 
theologischen  Fakultäten.  Ebenso  regelmäßig  werden  an  allen 
Universitäten  von  den  Juristen  Vorlesungen  über  römische  und  deutsche 
Rechtsgeschichte  gehalten,  von  den  Nationalökonomen  über  Finanz- 
und  Wirtschaftsgeschichte.  Literatur-  und  Kunstgeschichte  erweitem 
sich  von  der  Künstlergeschichte  zu  allgemeineren  Darstellungen  der 
inneren  und  äußeren  Kultur  einzelner  Perioden.  Philosophen  lesen 
die  Geschichte  der  Pädagogik  und  des  Unterrichts,  und  neben  der 
Darstellung  der  großen  Systeme  geben  auch  sie  gelegentlich  ein  Bild 
von  den  Wandlungen  der  Weltanschauung  in  der  Popularphilosophie. 
Hätte  die  Militärwissenschaft  einen  Platz  auf  unseren  Hochschulen, 
so  würde  man  auch  von  ihren  Vertretern  die  gesonderte  Behandlung 
der  Kriegsgeschichte,  die  jetzt  auf  den  geschlossenen  Kriegsakademien 
gelehrt  wird,  vernehmen.  Die  Musikgeschichte  hat  wenigstens  an 
vielen  Universitäten  ihre  Pflege  in  regelmäßigen  Vorlesungen. 

Aus  dieser  zunehmenden  Bereicherung  und  Aufteilung  der 
historischen  Wissenschaft  hat  sich  mit  Notwendigkeit  eine  nähere 
Präzisierung  der  Geschichte  als  Fachwissenschaft  und  eine  Verengung 
des  Kreises  ihrer  Adepten  ergeben. 

Unzweifelhaft  hat  von  alters  her  und  bis  heute  alle  bedeutende 
Geschichtsbetrachtung  an  die  großen  öffentlichen  Angelegenheiten 
angeknüpft,  mochten  dieselben  nun  mehr  sakral  oder  mehr  bürgerlich 
bestimmt  sein.  Als  aber  die  neuere  Zeit  in  jenen  Einzeldisziplinen 
neben  der  politischen  Geschichte  auch  die  Geschichte  des  geistigen 
Lebens,  der  Literatur,  der  Kunst,  der  Wirtschaft,  des  Privatrechts  und 
der  sogenannten  Altertümer  geschaffen  hatte,  ergab  sich  doch  die 
Frage,  wie  der  Historiker  sich  zu  dieser  ungeheueren  Erweiterung  des 
Stoffes  zu  stellen  habe.  Es  entstand  ein  Streit  über  das  eigentliche 
Arbeitsgebiet  der  Geschichte.  Auf  der  einen  Seite  wurde  man 
geneigt,  die  bunte  Fülle  der  Ideen,  die  von  den  historisch  gerichteten 
Geisteswissenschaften  ausstrahlten,  sozusagen  als  das  Spektrum  des 
reinen  Lichtes  der  Geschichte  zu  betrachten,  ihre  Einheit  als  Kultur- 

Dms  Uaterricbtswesen  im  Deutschen  Reich.    I.  14 


210  I^hrgebiet  und  I^hrbelrieb. 

geschichte  im  höchsten  Sinne  anzustreben.  Auf  der  anderen  Seite 
suchte  man  gerade  im  Gegensatze  zu  den  herangewachsenen  Einz^l- 
disziplinen  das  staatliche  Leben  der  Vergangenheit  um  so  nachdrück- 
licher als  den  Inbegriff  aller  Geschichte  herauszustellen.  Zum  minde- 
sten sollte  hier  die  Geistesgeschichte,  wie  dort  die  politische  Geschichte 
in  den  höheren  Begriff  eingeschlossen  werden.  Ein  lehrreicher 
Meinungsaustausch.  Auszutragen  sind  solche  Dinge  in  dieser  Allge- 
meinheit nicht,  so  wenig  wie  die  viel  erörterte  Streitfrage,  ob  in  den 
historischen  Darstellungen  mehr  die  vorzüglich  bekannten  Handlungen 
der  großen  Männer  oder  die  Massenerscheinungen  herausgearbeitet 
werden  sollen.  Die  Zeiten  und  die  Quellen  sind  verschieden  geartet, 
und  für  die  Darstellung  gibt  es  unendlich  viele  Kombinationen  der 
Mittel.  Die  Individualitäten  haben  ihre  Neigungen  und  Talente,  und 
die  Blüte  unserer  Wissenschaft  wurzelt  in  der  Kraft  der  Individualität. 
Manche  unter  unseren  Historikern  neigen  zur  Literärgeschichte,  zur 
Kunstgeschichte  oder  zur  Wirtschaftsgeschichte;  andere  wären  besser 
Theologen  oder  Juristen  geworden,  und  nicht  wenige  sind  durch  die 
Quellenstudien  derartig  in  Anspruch  genommen,  daß  sie  sich  durch 
nichts  vom  Philologen  unterscheiden.  Die  methodische  Forschung 
ist  ihnen  allen  gemeinsam ;  in  der  Darstellung  aber  äußert  sich,  neben 
der  geschichtsphilosophischen  Auffassung,  die  größere  oder  geringere 
Neigung  zu  einer  Seite  des  geschichtlichen  Lebens,  zur  Isolierung 
oder  zur  Zusammenfassung  der  Erscheinungen.  Austausch  der  Er- 
gebnisse und  Vertiefung  der  Erkenntnis  durch  die  reicheren  Mittel  wird 
überall  angestrebt.  Aber  als  Kern  der  Geschichtswissenschaft  im 
engern  Sinn  gilt  in  der  Tat  noch  immer  die  eben  anderweitig  nicht 
vertretene  Geschichte  des  staatlichen  Lebens;  und  in  merkwürdiger 
Umkehrung  des  Prozesses,  der  sich  bei  den  übrigen  humanistischen 
Disziplinen  vollzogen  hat,  wird  den  Historikem  in  der  Politik  die 
entsprechende  systematische  Wissenschaft  zugestanden.  Sie  lesen 
freilich  die  Politik  als  System  jetzt  selten,  beschäftigen  sich  aber  um 
so  häufiger  in  Vorlesungen  und  Übungen  mit  der  Geschichte  der 
politischen  Theorien. 

Nicht  ohne  ursächlichen  Zusammenhang  mit  der  geschilderten 
Entwicklung  hat  sich  der  Kreis  der  Hörer  für  die  eigentlichen  Histo- 
riker verengt.  Während  die  Mediziner  ihre  allgemein  natiywissen- 
schaftliche  Vorbildung  nach  wie  vor  in  der  philosophischen  Fakultät 
finden,  suchen  die  Theologen  und  Juristen  (außer  in  Bayern)  ihre 
allgemein  historische  Schulung  nur  zu  sehr  in  den  eigenen  geschlossenen 
Fakultäten.    Sie  begnügen  sich,  ohnehin  stark  in  Anspruch  genommen, 


Philosophische  Fakultät :    Geschichte.  211 

meistens  mit  der  Rechts-  und  Kirchengeschichte;  und  das  um  so 
mehr,  als  ihnen  auch  die  Geheimnisse  der  Quellenforschung  an  den 
für  sie  brauchbaren  Materialien  des  eigenen  Faches  dargestellt  werden. 
Die  Folge  davon  ist,  daß  die  Fachhistoriker  außer  für  ihren  eigenen 
Nachwuchs  an  Archiven  und  Universitäten  fast  ausschließlich  für  die 
angehenden  Lehrer  an  den  höheren  Schulen  dozieren.  Darin  liegt 
natürlich  die  Gefahr  einer  unmittelbaren  Relation  zwischen  dem  Uni- 
versitäts-  und  dem  reglementierten  Schulunterricht.  Es  hat  wirklich 
nicht  an  den  gröbsten  Forderungen  in  dieser  Hinsicht  gefehlt,  und 
sonst  verständige  Männer  haben  allen  Ernstes  gewünscht,  daß  die 
Universität  unmittelbar  auf  den  Schulunterricht  vorbereiten  möge.  Ein 
unberechtigter  Eingriff  in  die  pädagogische  Selbstbestimmung  der 
Schule!  Die  Universität  glaubt  auch  der  Schule  am  besten  zu  dienen, 
wenn  sie  dem  späteren  Lehrer  seinen  Stoff  wissenschaftlich  erschließt, 
damit  er  dereinst  an  seinem  Platze  mit  eigenem  Urteil  und  vorbild- 
licher Unbefangenheit  wirke. 

Immerhin  fehlt  es  keineswegs  an  Relationen  zwischen  dem  Unter- 
richt an  den  Universitäten  und  demjenigen  au  öcn  höheren  Schulen. 
Die  Gebiete,  die  auf  den  Sciiuleir  behandelt  werden,  stehen  auch  auf 
de»-  UnhnCTsitaten  im  Vordergrund,  vorzüglich  die  griechische  und 
römische,  die  deutsche  und  die  preußische  Geschichte;  ja  sie  bilden 
in  ihrer  periodischen  Wiederkehr  durchaus  die  festen  Größen  im 
Lehrplan  der  Universitäten.  Auch  die  Richtung  auf  die  politische 
Geschichte  wird  wesentlich  gestärkt  durch  die  Bedürfnisse  der  Schule. 
Umgekehrt  üben  die  Veränderungen  in  der  Weltanschauung,  im  Ge- 
schmack und  im  politischen  Leben  ihre  Wirkung  im  ganzen  leichter 
auf  den  Universitätsunterricht  und  im  allgemeinen  erst  durch  diesen 
auf  die  Schule.  Solche  Wirkungen  lassen  sich  schon  in  kurzen  Zeit- 
räumen beobachten.  Bevorzugte  Themata  der  früheren  Generationen 
sind  zurückgetreten  und  neue  dafür  aufgenommen;  oder  es  ist  den 
alten  Stoffen  wenigstens  ein  moderner  Aufputz  gegeben.  Vergleicht 
man  auch  nur  eine  Zusammenstellung  der  Vorlesungen  und  Übungen 
aus  den  letzten  zehn  Jahren,  so  fallen  schon  charakteristische  Verän- 
derungen in  die  Augen.  Statt  der  für  das  Mittelalter  früher  fast 
dominierenden  Vorlesung  über  allgemeine  und  deutsche  Verfassungs- 
geschichte heute  ein  starkes  Hervortreten  der  Sozial-  und  Wirtschafts- 
geschichte; es  ist  zu  vermuten,  daß  der  Inhalt  der  Vorlesungen  sich 
nicht  in  dem  Maße  geändert  hat,  wie  ihre  Titel;  aber  daß  es  statt 
^^Französische  und  englische  Geschichte"  jetzt  heißt  „Vergleichende  fran- 
zösisch-englische Sozial-  und  Verfassungsgeschichte**    ist  bezeichnend. 

14* 


212  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Unter  den  Vorlesungen  aus  der  neueren  Geschichte  mehren  sich  die- 
jenigen über  die  englische  See-  und  Kolonialmacht,  über  Kolonial- 
politik und  Handelsgeschichte,  über  die  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika  und  ihre  Wirtschaft.  Sogar  auf  dem  Gebiet  des  Altertums 
begegnet  man  der  Sozialgeschichte  und  den  sozialen  Theorien;  un- 
verkennbar ist  auch  hier  die  Bevorzugung  der  universalen  Stoffe, 
Alexander,  Hellenismus,  Römische  Kaiserzeit,  vor  der  engeren  Ge- 
schichte der  alten  Republiken. 

So  ist  die  Geschichtswissenschaft  an  den  deutschen  Universitäten 
im  Prinzip  ganz  umfassend  und  frei ;  in  der  Praxis  aber  für  ihre  Fach- 
vertreter durch  eine  Reihe  von  Faktoren  näher  bedingt  und  bestimmt. 
Der  Unterricht  sucht  seinen  allgemeinen  Charakter  zu  wahren;  tat- 
sächlich liegt  sein  Nachdruck  auf  der  entsprechenden  wissenschaft- 
lichen Vorbildung    des    künftigen  Lehrers  an    den    höheren  Schulen. 

Dem  Unterricht  dienen  von  alters  her  Vorlesungen  und  Übungen. 
Das  äußerlich  Charakteristische  der  Vorlesungen  ist  die  einheitliche 
Behandlung  eines  abgeschlossenen,  meist  umfassenderen  Stoffes,  das 
innerlich  Charakteristische  die  zusammenhängende,  im  einzelnen  vor- 
bereitete Erörterung  oder  Erzählung  durch  den  Dozenten.  Das 
Charakteristische  der  Übungen  liegt  in  der  Wechselwirkung  zwischen 
dem  Dozenten  und  den  Studierenden  in  Frage  und  Antwort,  Vortrag 
und  Diskussion.  Die  Vorteile  der  Übungen,  die  einigermaßen  allem 
sonstigen  Unterricht  zu  vergleichen  sind,  liegen  auf  der  Hand.  Sie 
geb^n  dem  Dozenten  einen  Maßstab  für  die  Wirkung  seiner  Vorlesungen 
und  Besprechungen,  sie  bringen  ihn  in  nähere  persönliche  Berührung 
mit  den  Studierenden  und  geben  diesen  selbst  die  Möglichkeit  metho- 
discher Produktion.  Es  ist  auch  keine  Frage,  daß  die  Vorlesungen 
nicht  mehr  eigentlich  die  Bücher  zu  ersetzen  haben,  seitdem  Hand- 
bücher und  andere  Hilfsmittel  massenhaft  vorhanden  sind.  Gleichwohl 
behalten  die  Vorlesungen  ihren  unersetzlichen  Wert,  und  die  Forde- 
rung, sie  einzuschränken  zugunsten  vermehrter  Übungen,  ist  einst- 
weilen ziemlich  allgemein  abgelehnt  worden.  Der  Wert  der  einheit- 
lichen zusammenhängenden  Erörterung  eines  Stoffes  durch  die  lebendige 
Persönlichkeit  des  Vortragenden  ist  weder  durch  Bücher  noch  durch 
Übungen  zu  ersetzen. 

Immerhin  gehen  schon  für  die  jüngeren  Studierenden  Vorlesungen 
und  Übungen  neben  einander  her.  Ein  bestimmter  Lehrgang  besteht 
nicht.  Am  ehesten  liegt  noch  in  den  Übungen  ein  Aufsteigen  vom 
Leichteren    zum    Schwereren,    da   an    den    meisten  Universitäten  die 


Philosophische  Fakultät:    Geschichte.  213 

Scheidung  in  historisches  Proseminar  und  Historisches  Seminar  durch- 
geführt ist.  Die  historischen  Proseminare  oder  die  Übungen  für  An- 
fanger werden  von  jüngeren  Professoren  oder  Privatdozenten  gehalten; 
sie  erfordern  meist  zwei  Stunden  wöchentlich  und  sollten,  wie  die 
Seminare,  stets  in  besonderen,  mit  Handbibliothek  ausgestatteten 
Räumen  abgehalten  werden.  Denn  eine  wesentliche  Aufgabe  der 
Proseminare  liegt  darin,  die  Anfänger  mit  den  Hilfsmitteln  der  Wissen- 
schaft vertraut  zu  machen;  es  geschieht  das  bald  systematisch,  bald 
nach  Gelegenheit  des  Ganges  der  Übungen.  Diese  selbst  schließen 
sich  an  die  wichtigsten  Arten  von  Geschichtsquellen  an;  mittelalter- 
liche Quellen  werden  für  die  Propädeutik  wegen  der  einfacheren 
historischen  und  der  besonders  ergiebigen  quellenkritischen  Verhältnisse 
bevorzugt.  Die  Quellen  werden  gelesen  und  interpretiert;  ihre  Über- 
lieferungsgeschichte wird  dargelegt,  die  Mittel  der  Kritik  und  die 
Anlässe  zur  Kritik,  die  in  Überlieferung  oder  Entstehung  der  Quellen 
liegen,  werden  besprochen  und  die  Anwendungen  auf  ver^^^andte  Fälle 
gesucht  In  leichteren  Beispielen  werden  auch  historische  Probleme 
selbst  unter  Heranziehung  und  Vergleichung  der  für  ihre  Lösung  in 
Betracht  kommenden  Quellen  vorgeführt.  Die  Studierenden  erhalten 
fortgesetzt  Gelegenheit  zur  Äußerung,  unter  Umständen  auch  zu 
kleineren  Referaten  oder  schriftlichen  Arbeiten.  Besondere  Prüfungen 
gibt  es  nicht. 

Erst  vorgeschrittene  Studenten,  etwa  des  4.  oder  5.  Semesters, 
werden  in  die  eigentlichen  historischen  Seminare  aufgenommen. 
Während  die  Anfangerübungen  in  der  Regel  allgemein  zugänglich 
sind,  haben  die  Seminare  den  Charakter  der  Privatissima.  Der  Pro- 
fessor nimmt  nur  diejenigen  auf,  die  ihm  nach  ihrer  Vorbildung  und 
nach  ihrem  Streben  dazu  geeignet  erscheinen ;  die  Zahl  der  Teilnehmer 
soll  nicht  zu  groß,  ihre  Vorbildung  annähernd  gleichwertig  sein.  Ein 
gewisses  Maß  von  Kenntnissen  in  der  Quellenkunde  und  in  der 
allgemeinen  Verfassungsgeschichte,  eine  gewisse  Bekanntschaft  mit 
der  historischen  Literatur  und  die  Grundlagen  der  historischen 
Methode  werden  vorausgesetzt.  Der  Zweck  der  Seminarübungen  ist 
überall  derselbe:  die  jungen  Historiker  zu  selbständigem  Urteil  gegen- 
über Literatur  und  Quellen  und  damit  zu  eigenen  wissenschaftlichen 
Arbeiten  zu  erziehen.  Mit  Vorliebe  werden  deshalb  in  den  Seminaren 
Kontroversen  oder  solche  Fragen  gewählt,  die  bis  dahin  überhaupt 
noch  nicht  eingehender  behandelt  worden  sind;  am  lebendigsten 
gestalten  sich  die  Übungen,  wenn  der  Leiter  des  Seminars  Aus- 
schnitte aus  den  eigenen  in  der  Entstehung  begriffenen  Arbeiten  mit 


214  Lchrgebict  und  Lehrbetrieb. 

seinen  Schülern  behandelt  und  durch  den  Eifer  des  Forschers  die 
Wärme  des  Lehrers  erhöht.  Indessen  ist  die  Anlage  der  Seminar- 
übungen nach  der  Eigenart  des  Leitenden  überaus  verschieden.  Die 
einen  sind  eintönig,  aber  stofflich  wohl  durchdacht,  andere  bei  ge- 
ringerer Gründlichkeit  spannend  und  in  hohem  Grade  anregend.  Die 
Freizügigkeit,  die  an  unseren  Universitäten  herrscht,  und  der  freie 
Wettbewerb  selbst  an  den  einzelnen  Hochschulen  bringt  die  Studie- 
renden in  forderlichem  Wechsel  bald  unter  die  eine,  bald  unter  die 
andere  Einwirkung. 

So  verschieden  wie  die  Individualität  der  Lehrer  und  die  Praxis 
der    Seminarleitung    ist    die    äußere    Einrichtung    unserer    Seminare. 
Besondere  Räume  mit  entsprechender  Handbibliothek  und  sonstigen 
Arbeitseinrichtungen,  den  Mitgliedern  des  Seminars  täglich  zugänglich, 
gibt    es    jetzt    an    allen    deutschen    Universitäten.     Aber    neben    den 
prächtigen,    gut    ausgestatteten    und    zureichend    dotierten    Seminaren 
etw'a    der    Universitäten    Leipzig    und    Straßburg   gibt  es    noch  recht 
rückständige   Einrichtungen,  und   es  liegt  zutage,  daß  die  Versorgung 
der   historisch- philologischen    Seminare    zur    Zeit    nicht    entfernt    ver- 
glichen   werden    kann    mit    der    glänzenden    Ausstattung    der    natur- 
wissenschaftlichen Institute.     Bei  den  letzteren  geht  eben  das  wissen- 
schaftliche Bedürfnis  der  Dozenten  mit  den  Erfordernissen  des  Unter- 
richts Hand  in  Hand,    während   unsere  Arbeit  doch   nur  an  die  Güte 
der  öffentlichen  Bibliothek  und  so  gut  wie  gar  nicht  an  die  Vortreff"- 
lichkeit  des  Seminars  gebunden   ist.     Allein    so    erklärlich    die    unzu- 
längliche Ausstattung  vieler  Seminare  ist,  so   erwünscht  ist  ihre  Ver- 
besserung im  Interesse  des  Unterrichts.     Insbesondere  vermag  der  an 
reicheres  Demonstrationsmaterial  gebundene   Unterricht  in   den  histo- 
rischen Hilfswissenschaften  fast  durchweg  nicht  die  Erfolge  zu  erzielen, 
die  dem   Stande  dieser  Wissenschaften    bei   uns  entsprechen  würden. 
Die  Regierungen  haben   diesen  Dingen  seit  einigen  Jahren  ihre  Auf- 
merksamkeit zugewandt,    und   die  Versuche,    einstweilen   durch  Ver- 
einigung der  Lehrmittel  und   Lehrkräfte  an   der  einen   oder  anderen 
Universität  abzuhelfen,  stehen   in   enger  Beziehung  zu  der  öfters  auf- 
getretenen Idee  besonderer  Anstalten  für  die  Vorbildung  der  Archivare. 
Bibliothekare  und  Mitarbeiter  an  gelehrten  Instituten,  etwa  nach  dem 
Vorbild   der  Ecole   des  chartes   zu   Paris  oder  des  histituts  für  öster- 
reichische Geschichtsforschung  in  Wien.     Die  vor  zehn  Jahren   durch 
H.  V.  Sybel  an   der  Universität  Marburg  ins  Leben  gerufene  Archiv- 
schule hat  sich  freilich  in  ihrer  Isoliertheit  kaum  behauptet,  geschweige 
denn  in  jener  Richtung  fortentwickelt. 


Philosophische  Fakultät:    Geschichte.  215 

Aus  der  Erziehung  in  den  Seminaren  gehen  die  selbständigen 
wissenschaftlichen  Arbeiten  hervor,  die  bei  genügender  Reife  aLs 
Dissertationen  zur  Erwerbung  des  Doktorgrades  dienen  können.  In 
einem  guten  Seminar  haben  die  Studenten  Anregung  genug,  sich 
selbst  die  Themata  zu  stellen;  bei  der  Ausarbeitung  werden  sie  in 
freiem  Verkehr  von  ihrem  .Lehrer  vielfach  eingehend  beraten.  Fragen 
der  literarischen  Form  zum  Beispiel  werden  weniger  systematisch  als 
in  solchen  Besprechungen  zwischen  dem  Lehrer  und  dem  einzelnen 
Schüler  erörtert. 

Die  historischen  Vorlesungeif  sind  auf  den  ersten  Blick  von  einer 
fa.st  venvirrenden  Vielseitigkeit;  bei  näherem  Zusehen  ergeben  sich 
aber  doch  sehr  bestimmt  die  regelmäßig  wiederkehrenden  Hauptstoffe. 
Diese  werden  in  den  großen  wöchentlich  vierstündigen  Vorlesungen 
behandelt.  An  der  Spitze  der  Vorlesungen  erwartet  man  vielleicht 
die  Geschichtsphilosophie;  sie  erscheint  ab  und  an  im  Lehrplan  der 
Philosophen.  Die  Historiker  gehen  auf  die  Prinzipienfragen  entweder 
in  der  vielfach  verbreiteten  Einführung  in  das  Studium  der  Geschichte 
oder  lieber  noch  im  Zusammenhang  der  Vorlesungen  bei  passender 
Gelegenheit  ein.     Von  der  Politik  als  System  war  schon  die  Rede. 

Quellenkunde  wird  für  das  Altertum  und  die  Neuzeit  nicht  allzu 
häufig,  dagegen  mit  einer  gewissen  Regelmäßigkeit  für  das  Mittelalter 
gelesen.  An  der  historischen  Geographie  beteiligen  sich  begreiflicher- 
weise Historiker  und  Geographen;  die  Landeskunde  von  Italien  ist 
am  meisten  beliebt,  daneben  die  Geographie  von  Palästina  und  von 
Mitteleuropa;  historisch-geographische  Institute  bestehen  in  Berlin 
und  in  Leipzig.  Fast  überall  wird  in  gewissen  Intervallen  über 
Chronologie  und  Kalcndcr\\'esen  vorgetragen,  teils  von  Historikern, 
teils  von  Astronomen.  Aus  dem  Gesamtgebiet  der  Paläographic 
pflegen  die  alten  Historiker  die  Papyruskunde  und  die  Epigraphik. 
Historiker  und  Philologen  teilen  sich  in  die  Paläographie  der  Hand- 
schriften, wobei  die  orientalischen  und  griechischen  Handschriften 
zurückstehen;  dafür  erstreckt  sich  die  lateinische  und  deutsche  Paläo- 
graphie an  mehreren  Universitäten  auch  auf  die  Handschriften  des 
XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts.  Die  Paläographie  der  Urkunden  wird 
in  die  diplomatischen  Übungen  einbezogen,  die  sehr  mit  Recht  häufiger 
angekündigt  werden,  als  die  systematischen  Vorlesungen  über  Diplo- 
matik.  Archivlehre  traktiert  man  systematisch  in  Marburg  und  in 
Straßburg,  Bibliothekskunde  in  Göttingen  und  Leipzig.  Obwohl  an 
mehreren  Universitäten  nach  alter  Sitte  Münzkabinette  bestehen, 
begegnen  Vorlesungen  über  Numismatik  spärlich. 


216  Lehigebiet  und  Lehrbetrieb. 

Allgemeine  Weltgeschichte,  eine  Zeitlang  aus  dem  Lehrplan  der 
Universitäten  fast  verschwunden,  tritt  jetzt  gelegentlich  gern  als  ver- 
gleichende Sozialgeschichte  wieder  auf.  Aus  der  Geschichte  des 
Altertums  sind  zunächst  Vorlesungen  über  den  alten  Orient,  über 
ägyptische  Geschichte  und  Kultur,  über  Armenien  und  über  die  älteste 
griechische  Kultur  zu  verzeichnen.  Etwas  .regelmäßiger  erscheint  die 
eigentlich  griechische  Staatsgeschichte,  insbesondere  das  Zeitalter  des 
Perikles ;  in  gesteigerter  Häufigkeit  die  Zeit  Alexanders  und  die  Kultur 
der  hellenistischen  Zeit.  Mehr  noch  als  die  griechische  Geschichte 
wird  die  römische  in  einzelnen  ?\bschnitten  gelesen:  bis  zu  den 
punischen  Kriegen,  von  den  Gracchen  bis  auf  Cäsar,  am  meisten 
die  Geschichte  der  römischen  Kaiserzeit;  die  Hauptabschnitte  überall 
und  einigermaßen  regelmäßig.  In  der  Übergangszeit  begegnen 
sich  alte  und  mittelalterliche  Historiker  in  der  Behandlung  der 
germanischen  Urgeschichte  und  der  römisch-germanischen  Kriege. 
Das  eigentliche  Mittelalter  wird  meist  in  zwei  Hälften  zerlegt  mit  der 
Scheidung  am  Ende  des  XII.  Jahrhunderts  oder  um  1250.  Indessen 
sehr  viel  häufiger  als  die  allgemeine  Geschichte  des  Mittelalters  liest 
man  noch  immer  die  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit  oder  nur 
einen  Teil  derselben,  mit  Vorliebe  die  Hohenstaufenzeit.  Daneben 
gehören  zu  den  geläufigsten  Vorlesungen  die  Geschichte  der  Kreuz- 
züge und  die  Geschichte  des  Städtewesens,  beide  von  kleinerem 
Umfange.  Die  früher  ganz  unvermeidliche  Verfassungsgeschichte  ist, 
wie  es  scheint,  vielfach  durch  die  modernere  Wirtschaftsgeschichte 
verdrängt  oder  wenigstens  ergänzt;  außerdem  bevorzugt  die  Verfassungs- 
geschichte im  Gegensatz  zu  früher  die  jüngeren  Jahrhunderte  vor  den 
älteren.  Kirchliche  Verfassungsgeschichte,  Kulturgeschichte  des  Mittel- 
alters und  Geschichte  der  mittelalterlichen  Weltanschauung  werden  an 
einigen  Universitäten,  Kultur  und  Geschichte  der  Renaissance  fast 
überall  dargestellt. 

Die  allgemeine  Geschichte  der  Renaissance  wird  auch  als  Ein- 
leitung zur  Reformationsgeschichte  gelesen ;  diese  selbst  erscheint  bald 
als  deutsche,  bald  als  europäische  Geschichte  und  gehört  zu  den 
regelmäßigsten  Vorlesungen  überhaupt.  Gegenreformation  und 
Religionskriege,  das  Zeitalter  von  1648 — 1789,  dann  die  Revolutions- 
und die  napoleonische  Zeit,  endlich  das  XIX.  Jahrhundert,  bezeichnen 
die  gebräuchlichsten  Zeitabschnitte;  im  einzelnen  mannigfache  Ver- 
schiedenheiten, zumal  in  den  Bezeichnungen.  Die  napoleonische  Zeit 
oder  die  Freiheitskriege  werden  gern  für  sich  herausgehoben,  das  XIX. 
Jahrhundert  auch  sonst  vielfach  zerlegt,    insbesondere  in  die  Zeit  vor 


Philosophische  Fakultät:    Geschichte.  217 

und  nach  1848.  Verbreitet  ist  die  gesonderte  Darstellung  der  Ver- 
fassungsgeschichte des  XIX.  Jahrhunderts.  Kleinere  Vorlesungen 
werden  einzelnen  Kriegen,  der  Geschichte  der  Parteien,  der  politischen 
Ideen,  vorzüglich  dem  Sozialismus  gewidmet.  Die  Beschränkung  auf 
die  deutsche  oder  gar  auf  die  preußische  Geschichte  ist  auch  bei 
größeren  Vorlesungen  verbreitet;  im  übrigen  fehlt  es  nicht  an  Ver- 
suchen, die  ganze  deutsche  oder  die  ganze  preußische  Geschichte  in 
einer  einzigen  Vorlesung  zusammenzufassen.  Für  die  außerdeutsche 
Staatengeschichte  ist  das  sogar  das  normale.  Nur  die  italienische 
Geschichte  bleibt  meist  auf  das  Mittelalter  und  die  Renaissance 
beschränkt.  Die  englische  Geschichte  und  diejenige  der  Vereinigten 
Staaten  pflegt  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Sozial-  und  Wirt- 
schaftsgeschichte gelesen  zu  werden,  die  französische  entweder  im 
Überblick  oder  von  der  Renaissance  bis  zur  Revolution.  Russische 
Geschichte  wird  besonders  an  der  Universität  Berlin  regelmäßig  gelehrt. 
Eine  Analogie  zu  der  preußischen  Geschichte  auf  preußischen  Uni- 
versitäten ist  die  bayerische,  sächsische  und  mecklenburgische  Geschichte 
an  den  betreffenden  Landesuniversitäten.  Eigentlich  landschaftliche 
Geschichte,  etwa  Schlesiens,  des  Ermlands,  Hessens  oder  Lothringens 
findet  man  überraschend  selten  angezeigt. 

Die  Technik  der  sogenannten  Vorlesungen  ist  schon  insofern 
sehr  verschieden,  als  alle  Abstufungen  zwischen  dem  ganz  freien  Vortrag 
und  der  wirklichen  Vorlesung  eines  ausgearbeiteten  Manuskripts  vor- 
kommen; das  häufigste  wird  sein  der  freie  Vortrag  im  Anschluß  an 
ein  wenigstens  stofflich  genau  disponiertes  Heft.  Noch  weniger  gleich- 
mäßig ist  die  innere  Anlage  der  historischen  Vorlesungen:  abgerundete 
Bilder  im  Vortragsstil,  zusammenhängende  Erzählung,  raisonnierende 
Entwicklung,  Wechsel  zwischen  erzählenden  und  quellenkritischen 
Abschnitten,  Auswahl  einzelner  Probleme,  —  aber  heutigen  Tages 
wohl  nirgends  mehr  Anschluß  an  ein  Lehrbuch  oder  an  eine  bestimmte 
Darstellung.  Nur  ausnahmsweise  werden  etwa  Quellen  im  Zusammen- 
hang der  Vorlesung  gemeinsam  gelesen.  Den  einen  kommt  es  darauf 
an,  unter  Berücksichtigung  aller  neueren  Forschungen  ein  möglichst 
eindrucksvolles  Bild  zu  geben,  den  anderen,  über  den  gegenwärtigen 
Stand  der  einzelnen  Fragen  genau  zu  unterrichten.  Die  Meinungen 
der  Fachgenossen  selbst  gehen  stark  auseinander;  hier  wird  mehr  nach 
gelehrtem  Wissen  und  methodischer  Erziehung,  dort  mehr  nach 
politischer  oder  philosophischer  Durchdringung  gestrebt;  wenn  nicht 
alles  täuscht,  ist  die  letztere  Richtung  wieder  im  Aufsteigen.  — 


218  Lchrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

In  nächster  Beziehung  zur  allgemeinen  Geschichte  des  Mittel- 
alters und  der  Neuzeit  steht  die  neuere  Kunstgeschichte,  die  gelegentlich 
sogar  von  denselben  Dozenten  vertreten  wird  und  sich  ausgesprochen 
oft  zur  Kunst-  und  Kulturgeschichte  er^^eitert.*)  Die  bevorzugten 
Gebiete  sind  italienische  Kunst,  vornehmlich  der  Renaissance,  nieder- 
ländische Kunst  und  deutsche  Kunst  des  Mittelalters,  des  XVL  und 
des  XIX.  Jahrhunderts.  Gern  strebt  die  Kunstgeschichte  in  der 
Beschränkung  auf  einzelne  Stätten  auch  nach  der  lokalgeschichtlichen 
Färbung.  Die  Vorlesungen  werden  an  den  meisten  Universitäten 
durch  die  Anwendung  des  Skioptikons  erheblich  unterstützt  und  er- 
freuen sich,  ebenso  wie  die  Erklärung  der  Kunst>\'erke  in  Sammlungen 
und  auf  Exkursionen,  zur  Zeit  der  lebhaftesten  Teilnahme  der 
Studierenden. 

Es  ist  für  das  gegenwärtige  deutsche  Geistesleben  sehr  be- 
zeichnend, daß  neben  einzelnen  sozialpolitischen  Vorlesungen  fast  nur 
noch  die  kunsthistorischen  in  bedeutenderem  Umfange  Studierende 
aus  allen  Fakultäten  vereinigen.  In  den  Zeiten  unserer  Väter  nahm 
die  Geschichte  eine  derartig  beherrschende  Stellung  als  allgemeines 
Bildungsipittel  ein.  Für  die  in  ihren  geistig  regsamsten  Elementen 
stark  schöngeistig  geartete  Jugend  unserer  Tage  ist  die  Kunstgeschichte 
und  etwa  noch  die  neuere  Literaturgeschichte  dafür  eingetreten.  Die 
Gründe  für  die  Wandlung  liegen  unter  anderm  auch  in  der  innem 
Entwicklung  der  Geschichtswissenschaft.  Eine  Periode  angestrengtesten 
und  stellenweise  ausschließlichen  Quellenstudiums  liegt  hinter  uns;  die 
Sorge  um  das  Detail  der  Forschung  hat  von  großen  Darstellungen 
und  größer  angelegten  Vorlesungen  lange  genug  abgehalten.  Viel- 
leicht ist  der  Ticfpunki:  der  Bedeutung  der  Geschichte  für  die  ge- 
bildete Gesellschaft  schon  überwunden  und  die  unverkennbare  Neigung 
der  jüngeren  Historiker,  wieder  stärker  auf  das  nationale  Leben  ein- 
zuwirken, schon  als  der  Anfang  eines  neuen  Aufschwungs  zu  be- 
trachten. 

B  r  a  n  d  i. 


*)  Ordemlii'he  Professuren  für  milllcrc  und  neuere  Kunst^esrhichle  wuren  vor  einem 
Vierleljiihrhunderl  noch  eine  SelteTiheil,  jetzt  aber  sind  sie  etwa  bei  der  Hälfte  der  Uni- 
versitäten vorhanden.  In  Preußen  ist  das  Fach  nur  in  Marburjr,  Oreifswald  und  Halle 
bloÜ  durch  ein  K\trai»rdinarial  vertreten.  In  Münster  vertritt  ein  außerordentlicher 
Professor  den  nicht  lebenden  r^niinarius.  Außerhalb  Preußens  bestehen  nur  in  I^eipzig 
Tiibinj^en  und  I  leidclber«:^  onlentliclie  Profosuren.  In  (iießen  lie-^t  der  Pr()fes.sor  der 
Archiiolojj^ie  auch  über  neuere  Kunstgeschichte.  In  Würzburg  ist  diese  gegenwärtig  gar  nicht 
und  in  Erlangen  ist  sie  nur  durch  einen  Privatdozenten  vertreten.  A.  d.  R. 


IX.   Staatswissenschaften. 

Der  Begriff  der  Staats\\'issenschaften  wird,  soweit  es  sich  um  das 
Lehrgebiet  der  philosophischen  Fakultät  handelt,  enger  gefaßt,  als  es 
dem  sonst  üblichen  Sprachgebrauch  entspricht.  In  Rob.  von  Mohls 
„Enzyklopädie  der  Staatswissenschaften"  z.  B.  finden  wir  als  Bestand- 
teile dieser  Gruppe  von  Wissenschaften:  allgemeine  Staatslehre, 
öffentliches  Recht,  umfassend  philosophisches  Staatsrecht,  Verfassungs- 
recht, Ver^'altungsrecht  und  Völkerrecht,  ferner  Staats-Sittenlehre, 
Staatskunst  oder  Politik,  Staatsgeschichte  und  Statistik.  In  dieser 
Liste  fehlen  nun  aber  gerade  diejenigen  Wissenszweige,  die  den 
wesentlichen  Inhalt  der  Staatswissenschaften  in  dem  hier  in  Betracht 
kommenden  Sinne  bilden:  theoretische  Volkswirtschaftslehre,  Volks- 
wirtschaftspolitik, wirtschaftliche  Verwaltungslehre,  Finanzwissenschaft 
oder  Staatswirtschaftslehre  im  engeren  Sinne,  wirtschaftliche  Gesell- 
schaftslehre und  Sozialpolitik.  Auch  die  Statistik  wird  zu  diesen 
Staatswissenschaften  gerechnet,  aber  nicht  in  dem  Sinne  Mohls  als 
Staatenkunde,  sondern  als  methodische  Hilfswissenschaft  zur  ex- 
akten Darstellung  der  wirtschaftlichen  und  gesellschaftlichen  Massen- 
erscheinungen. Es  steht  natürlich  nichts  im  Wege,  diese  Wissen- 
schaften mit  den  von  Mohl  aufgeführten  zu  einem  großen  Kreise 
zusammenzufassen,  dessen  Inhalt  die  gesamte  Betätigung  des  staatlich 
geordneten  Gesellschaftslebens  bildet,  und  nach  diesem  Gesichtspunkt 
ist  z.  B.  annähernd,  wenn  auch  noch  mit  einigen  Zugaben,  das  Lehr- 
gebiet der  staatswissenschaftlichen  Fakultät  in  Tübingen  abgegrenzt. 
Aber  in  dem  Bereich  der  philosophischen  Fakultät  finden  die  öffent- 
lich -  rechtlichen  Disziplinen  keinen  Platz,  und  hier  erscheinen  die 
Staatswissenschaften  als  die  modernen  Nachfolger  der  alten  Kameral- 
wissenschaft.  Diese  war  nach  Zincke  (1755)  „die  gelehrte  und 
praktische  Wissenschaft,  um  alle  Nahrungsgeschäfte  gründlich  zu  er- 
kennen, kraft  dieser  Erkenntnis  gute  Polizei  einzuführen  und  die 
Nahrung  des  Landes  immer  florisanter  zu  machen,  solchergestalt  das 
bereiteste  Vermögen  der  Regenten  und  Staaten  nicht  nur  immer  besser 


220  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

ZU  gründen  und  zu  erhalten  und  gerecht  und  weislich  zu  vermehren, 
sondern  es  auch  mittels  kluger  Einnahmen  und  Ausgaben  wohl  zu 
verwalten."  Neben  Wirtschaftspolizei  —  oder  Volkswirtschaft5p)olitik  — 
und  praktischer  Finanzwissenschaft  wurde  auch  die  Privatwirtschaftslehre 
und  die  Technik  der  Landwirtschaft,  der  Forstwirtschaft,  des  Berg- 
baus und  der  Gewerbe  in  diesen  Wissenskomplex  gezogen,  während 
von  einer  allgemeinen  volkswirtschaftlichen  Theorie  noch  gar  nicht 
die  Rede  war.  Die  ersten  besonderen  Lehrstühle  der  Kameral- 
wissenschaft  wurden  1727  an  den  Universitäten  Halle  und  Frank- 
ftirt  a.  O.  errichtet,  und  während  des  ganzen  achtzehnten  Jahrhunderts 
blieb  diese  praktisch-technische  Richtung  in  Deutschland  vorwaltend. 
Dann  erst  begann  man  unter  dem  Einfluß  des  Smithschen  Werks 
mit  bescheidenen,  wenig  selbständigen  theoretischen  Versuchen  und 
Rau  trennte  endlich  (1825)  grundsätzlich  die  privatnirtschaftliche  und 
technische  von  der  öffentlichen  und  politischen  Ökonomie.  Aber  die 
sich  immer  mehr  nach  englischem  Vorbilde  entwickelnde  Volkswirt- 
schaftslehre war  nur  die  Lehre  von  den  durch  die  Massenwirkung 
der  privatwirtschaftlichen  Faktoren  entstehenden  wirtschaftlichen  Ge- 
samterscheinungen, und  man  war  zunächst  geneigt,  diesen  Prozeß  als 
einen  von  unabänderlichen  Naturgesetzen  beherrschten  aufzufassen. 
Unter  dem  Einfluß  der  modernen  sozialen  Bewegung  aber  ist  die 
Wissenschaft  über  diesen  Standpunkt  hinausgeführt  worden:  Das 
gesellschaftliche  Leben,  selbst  nur  nach  seiner  wirtschaftlichen  Seite 
betrachtet,  geht  nicht  einfach  in  die  Tauschwirtschaft  auf;  es  erzeugt 
in  sich  Kräfte  und  Reaktionen,  die  auch  wieder  auf  die  wirtschaftliche 
Ordnung  neugestaltend  zurückwirken.  So  hat  sich  über  der  alten 
Volkswirtschaftslehre  eine  sozialökonomische  Wissenschaft  ge- 
bildet, der  auch  die  Aufgabe  zufällt,  das  Verhältnis  des  Staates  zur 
Volkswirtschaft  auf  exaktem,  erfahrungsmäßigem  Wege  einer  neuen 
Untersuchung  zu  unterziehen. 

An  einigen  Universitäten  sind  die  wirtschaftlichen  und  sozialen 
Staatswissenschaften  der  juristischen  Fakultät  zugewiesen,  und  damit 
fallt  eigentlich  der  Grund  weg,  den  Begriff  in  der  Weise  zu  be- 
schränken, wie  es  durch  die  Zugehörigkeit  jener  Fächer  zur  philo- 
sophischen Fakultät  bedingt  ist.  In  der  Tat  werden  ja  bei  den 
Prüfungen  für  den  staatswissenschaftlichen  Doktorgrad  in  den  rechts- 
und  staatswissenschaftlichen  Fakultäten  auch  die  Fächer  des  öffent- 
lichen Rechts  mit  herangezogen.  Man  kann  zugunsten  dieser  Gruppie- 
rung anführen,  daß  die  Mehrzahl  der  Studierenden  der  Nationalökonomie 
und  Finanzwissenschaft  doch  immer  Juristen  seien    und  daß  für  diese 


Philosophische  Fakultät:  Staatswissenschaften.  221 

allein  jene  Fächer   auch   bei   den  Staatsprüfungen    vorkämen.     Diese 
Erwägungen  haben  ihre  Berechtigung;   jedoch  darf  man  andererseits 
nicht    übersehen,    daß   die   wirtschaftlichen  Staatswissenschaften  nach 
Charakter    und    Methode    von     der     Rechtswissenschaft     wesentlich 
verschieden  sind.     Sie  sind  ihrer  Natur  nach  nicht  deduktiv,  sondern 
induktiv;    sie   haben   nicht   die  Aufgabe,    aus  ihrem  Stoff  allgemeine 
Begriffe  abzuleiten    und   diese  in    ein    logisches  System    einzuordnen, 
sondern  sie  sollen  den    kausalen   Zusammenhang   der  erfahrungs- 
mäßigen Erscheinungen  untersuchen  und  diesen  in  allgemeinen  Sätzen 
ausdrücken.    Die  Begriffe  dienen    ihnen  nur   zur  zusammenfassenden 
Bezeichnung   gewisser  Gruppen  von  Erscheinungen,    nicht   aber,    um 
Schlüsse  daraus   zu    ziehen,    und    bei   der   Abgrenzung   der   Begriffe 
können   sie   einfach    nach   Zweckmäßigkeitsgründen    verfahren.     Der 
Begriff  des  Geldes  z.  B.  kann  enger  oder  weiter  gefaßt  werden,  für 
die  Volkswirtschaftslehre  aber  kommt  es  vor  allem  darauf  an,  was  als 
Geld  wirkt,  insbesondere  bei  der  Preisbildung.    Auch  die  wirtschaft- 
liche   Gesetzgebung    wird    in    der   Volkswirtschaftslehre    unter  einem 
ganz  anderen  Gesichtspunkt  behandelt,    wie    in   dem    wirtschaftlichen 
Verwaltungsrecht,  nämlich  wesentlich  kritisch  und  politisch,  mit  Rück- 
sicht   auf  ihre    Zweckmäßigkeit    und    ihre    erfahrungsmäßig   zu    er- 
forschende   Wirkung.     So  stehen    die   Wirtschaftswissenschaften    hin- 
sichtlich ihrer  Methode  den  historischen  Wissenschaften   und   selbst 
den  Naturwissenschaften    näher,    als   der   Rechtswissenschaft.     Ihrem 
Stoffe  nach  aber  bilden  sie  eine  notwendige  Ergänzung  der  letzteren, 
denn  sie  lehren  die  sachliche  Seite  der  gesellschaftlichen  Beziehungen 
kennen,   die    im    Vermögensrecht   ihre  Ordnung   finden.    Die  Frage 
aber,  welcher  Fakultät  sie  zuzuweisen  seien,    hat  im  ganzen  nur  eine 
untergeordnete  Bedeutung. 

Das  Studium  der  wirtschaftlichen  Staatswissenschaften  hat  an 
deutschen  Universitäten  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts einen  bedeutenden  Aufschwung  genommen.  Um  die  Mitte 
der  fünfziger  Jahre  waren  sie  an  keiner  Universität  durch  mehr  als 
ein  Ordinariat  vertreten,  in  Bonn  sogar  nur  durch  einen  außerordent- 
lichen Professor,  da  Dahlmann,  wenn  er  auch  über  „Politik"  las,  nicht 
als  Nationalökonom  anzusehen  war.  Gegenwärtig  aber  finden  wir  in 
Berlin  und  München  drei  ordentliche  Professuren,  an  den  übrigen 
Universitäten  aber  mit  Ausnahme  von  Breslau  (wo  jedoch  früher 
ebenfalls  zwei  Ordinarien  lehrten),  Greifswald,  Marburg,  Würzburg, 
Erlangen,  Gießen,  Jena  und  Rostock  je  zwei  Ordinariate.  Femer 
gehören   in   Berlin   zwei   ordentliche    Honorarprofessoren  (Statistiker) 


222  I-ehrgehiet  und  Lehrbetrieb. 

und  drei  außerordentliche  Professoren  dieser  Gruppe  an.  In  Breslau 
vertritt  ein  außerordentlicher  Professor  den  zweiten  Ordinarius,  und 
auch  in  Greifswald,  Marburg,  Erlangen,  Jena  steht  ein  außerordent- 
licher Professor  neben  dem  Ordinarius.  Auch  in  Bonn,  Kiel  und  Straß- 
burg finden  wir  für  das  Fach  noch  je  einen  außerordentlichen  Professor, 
in  Heidelberg  zwei,  in  München  einen  Honorarprofessor.  Die  Zahl 
der  Privatdozenten  betrug  im  Sommer  1903  16,  nämlich  7  in  Berlin, 
1  in  Breslau,  1  in  Halle,  1  in  München,  1  in  Erlangen,  {\  in  Leipzig, 
1   in  Tübingen,    1   in  Gießen. 

Den  ständigen  Grundstock  der  staatswissenschaftlichen  Vor- 
lesungen bilden,  wie  seit  Rau  üblich  geworden,  die  theoretische  und 
die  praktische  Nationalökonomie  und  die  Finanzwissenschaft.  Von 
der  zweiten  werden  jedoch  häufig  einzelne  Abschnitte,  wie  Geld-  und 
Bankpolitik,  Handelspolitik,  Versicherungswesen  usw.  abgegrenzt  und 
selbständig  in  kleineren  Kollegien  behandelt.  Außerdem  weisen  die 
Vorlesungsverzeichnisse  SpezialkoUegien  über  Geschichte  der  National- 
ökonomie, über  die  soziale  Frage,  die  sozialistischen  Theorien,  den 
Arbeiterschutz,  über  Wirtschafts-,  Verwaltungs-,  Handels-  und  Kolo- 
nialgeschichte auf.  Die  Wirtschaftsgeschichte  wird  auch  mehr  und 
mehr  von  Dozenten  der  allgemeinen  Geschichte  berücksichtigt  und 
dürfte  mit  der  Zeit  an  den  größeren  Universitäten  ein  selbständiges 
Fachgebiet  werden.  Was  die  Statistik  betrifft,  so  gibt  es  bisher  in 
Deutschland  noch  kein  ihr  ausschließlich  gewidmetes  Ordinariat, 
denn  auch  in  München  hält  der  dieses  Fach  speziell  vertretende 
ordentliche  Professor  außerdem  regelmäßig  nationalökonomische  Vor- 
lesungen. Berlin  hat  zwei  ordentliche  Honorarprofessoren  für  Statistik, 
außerdem  einen  außerordentlichen  Professor  mit  einem  besonderen 
Lehrauftrag  für  mathematische  Statistik.  In  Göttingen  ist  ebenfalls 
ein  außerordentlicher  Professor  (Mathematiker)  mit  V\>rlesungen  und 
Übungen  in  der  mathematischen  Statistik  und  der  Versicherungs- 
mathematik beauftragt.  Auch  wird  dort  regelmäßig  jährlich  eine 
Vorlesung  über  Ökonomik  und  Statistik  des  Versicherungswesens  ge- 
halten. In  Leipzig  liest  ein  außerordentlicher  Professor  über  Statistik. 
Kleinere  Vorlesungen  über  einzelne  Gebiete  der  Statistik,  wie 
Bevölkerungsstatistik  oder  volkswirtschaftliche  Statistik  des  Deutschen 
Reichs,  finden  sich  in  der  Regel  an  mehreren  Universitäten  an- 
gekündigt. 

.Auch  die  Vorlesungen  über  die  den  Staatswissenschaften  nächst- 
verwandten phüosophischen  und  historischen  Wissensgebiete,  wie 
Soziologie,    Kulturgeschichte,    Philosophie    der    Geschichte,    wie     sie 


Philosophische  Fakultät:  Staats  Wissenschaften.  223 

namentlich  in  Berlin,  Leipzig,  Kiel  gehalten  werden,  sind  hier  zu  er- 
wähnen. 

Als  Studierende  der  Staatswissenschaften  stehen,  wie  schon  oben 
bemerkt,  in  erster  Reihe  die  Juristen.  Wenn  aber  auch  die  Unent- 
behrlichkeit  einer  volkswirtschaftlichen  Vorbildung  für  den  Rechts- 
anwalt wie  für  den  Richter  kaum  bestritten  werden  dürfte,  so  ist  doch 
das  Maß  von  Kenntnissen,  das  die  Studierenden  bei  ihrem  Abgange 
von  der  Universität  wirklich  mitnehmen,  bei  sehr  vielen  entschieden 
unzulänglich.  Es  muß  dies  namentlich  von  den  preußischen  Juristen 
ges^  werden,  weil  diese  sich  gar  zu  sehr  durch  die  minimalen  An- 
forderungen beeinflussen  lassen,  die  im  ersten  Examen  in  der  Volks- 
wirtschaftslehre an  sie  gestellt  werden.  In  den  süddeutschen  Bundes- 
staaten wird  auch  in  der  juristischen  Prüfung  —  ganz  abgesehen  von 
der  „kameralistischen"  in  Württemberg,  Baden  und  früher  in  Hessen 
(wo  sie  jetzt  in  verbesserter  Form  wieder  eingeführt  werden  soll)  — 
weit  mehr  verlangt.  In  Baden  und  in  Hessen  z.  B.  gehört  die 
Nationalökonomie  auch  für  die  Juristen  zu  den  Hauptfachern,  in 
denen  sowohl  eine  mündliche  wie  eine  schriftliche  Prüfung  statt- 
findet. Auch  die  höheren  Verwaltungsbeamten  haben  in  Preußen 
nicht  immer  eine  genügende  staatswissenschaftliche  Ausbildung, 
und  die  Erkenntnis  dieser  Tatsache  hat  zur  Gründung  der 
„Vereinigung  für  staatswissenschaftliche  Fortbildung"  in  Berlin  ge- 
führt, die  vielleicht  den  Keim  einer  künftigen  „Veru^altungsakademie** 
in  sdch  trägt. 

Neben  den  Juristen  machen  aber  auch  die  Historiker  in  manchen 
staatswissenschaftlichen  Vorlesungen,  namentlich  solchen  mit  geschicht- 
lichen Unterlagen,  einen  nicht  geringen  Teil  der  Zuhörerschaft  aus. 
Wenn  auch  die  Einseitigkeit  der  Marxschen  „materialistischen  Geschichts- 
auflassung"  zutage  liegt,  so  ist  es  doch  unzweifelhaft,  daß  auch 
der  Verlauf  der  politischen  Entwicklungsgeschichte  der  Völker  in 
.seinen  inneren  Zusammenhängen  nicht  richtig  erkannt  und  beurteilt 
werden  kann,  ohne  wissenschaftliche  Einsicht  in  die  bei  ihr  mitwir- 
kenden ökonomischen,  namentlich  durch  Klasseninteressen  gegebenen 
Triebkräfte.  Mit  Recht  ist  auch  in  den  neuen  preußischen  Lehr- 
plänen für  die  höheren  Schulen  Berücksichtigung  der  Wirtschafts- 
geschichte vorgeschrieben  worden,  und  demnach  müssen  sich  auch 
die  künftigen  Lehrer  der  Geschichte  für  die  Erfüllung  dieser  Aufgabe 
bei  ihren  Universitätsstudien  vorbereiten. 

Auch  für  die  Studierenden  der  Landwirtschaft  bildet  die  theo- 
retische und  praktische  Volkswirtschaftslehre    einen    Theil    ihres  Prü- 


224  I^hrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

fungsprogramms,  wenn  sie  das  landwirtschaftliche  Diplom  erlangen 
wollen.  Höhere  Anforderungen  in  dieser  Wissenschaft  werden  bei 
der  Prüfung  der  Landwirtschaftslehrer  gestellt.  Auch  die  Studierenden 
der  Forstwirtschaft  haben  sich  in  ihrer  Universitätsstudienzeit  näher 
mit  den  Staatswissenschaften  zu  beschäftigen. 

In  dem  Diplomexamen  für  Versicherungsverständige,  das  in  dem 
Göttinger  Seminar  für  Versicherungswissenschaft  abgelegt  werden 
kann,  finden  sich  ebenfalls  theoretische  und  praktische  National- 
ökonomie als  Prüfungsfacher. 

In  der  neueren  Zeit  haben  die  Staatswissenschaften  sich  auch 
als  ein  besonderes  Berufsstudienfach  herausgebildet.  Die  Handels- 
kammern und  die  immer  zahlreicher  werdenden  wirtschaftlichen  Inter- 
essenverbände bedürfen  insgesamt  einer  beträchtlichen  Zahl  wissen- 
schaftlich gebildeter  Angestellter,  die  insbesondere  gründliche  volks- 
wirtschaftliche Kenntnisse  besitzen  müssen,  und  so  bereiten  sich  viele 
Studierende  von  vornherein  für  Laufbahnen  dieser  Art  vor.  Es  sind 
dies  zu  einem  großen  Teil  Juristen,  die  sich  durch  das  enorme  An- 
schwellen der  Zahl  der  Referendare  von  dem  juristischen  Berufs- 
studium abschrecken  lassen.  Sie  erwerben  häufig  den  juristischen 
Doktorgrad,  unterziehen  sich  auch  manchmal  der  ersten  juristischen 
Prüfung,  promovieren  aber  außerdem  meistens  in  den  staatswissen- 
schaftlichen Fächern  oder  verschaffen  sich  einen  anderweitigen  Aus- 
weis, wie  das  Diplom  für  Versicherungsverständige,  über  ihre  speziellere 
Ausbildung  in  diesen  Fächern.  Manche  treten  auch  von  vornherein 
als  Studierende  der  „Kameralia"  ein,  hören  dann  aber  ebenfalls  eine 
Reihe  juristischer  Vorlesungen. 

In  dem  Lehrbetrieb  der  Staatswissenschaften  haben,  wie  auch 
in  dem  fast  aller  anderen  Wissenschaften,  die  seminaristischen  Übungen 
seit  einigen  Jahrzehnten  eine  eingreifendere  Wirkung  erlangt,  als  die 
Vorlesungen.  Solche  Übungen  werden  an  allen  Universitäten  gehalten, 
auch  wo  ausnahmsweise  ein  förmlich  konstituiertes  staatswissenschaft- 
liches Seminar  mit  einer  besonderen  Dotation  nicht  besteht.  Neben 
Referaten  und  Diskussionen  umfassen  die  Übungen  vielfach  auch  die 
Besprechung  größerer  wissenschaftlicher  Arbeiten  vorgerückter  Teil- 
nehmer, die  geeignet  sind,  als  Doktordissertationen  verwendet  zu 
werden,  oder  auch  in  besonderen  Sammlungen,  wie  sie  von  mehreren 
Seminarleitern  herausgegeben  werden,  zu  erscheinen. 

W.  L  e  X  i  s. 


X.  Qeogrsphie 

nebst  Meereskunde  und  Ethnographie. 

Einleitung.  Erst  seit  einem  Menschenaher  erfreut  sich  die  Erdkunde  an  den 
deutschen  Hochschulen  einer  ausgiebigen  V'ertretung.  Während  der  ersten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts  wirkte  zwar  in  Berlin  ein  Mann,  der  als  Geograph  dieser  Wissenschaft 
für  seine  Zeit  den  Stempel  aufzudrücken  verstand,  Carl  Ritter  (1822 — 1859),  aber  er 
hat  keine  eigentliche  Schule  gebildet.  Und  gerade  zur  Zeit  seines  Todes  nahm  die  neu- 
erwachte Periode  geographischer  Entdeckungen  das  Interesse  w^eiter  Kreise  derart  in  An- 
spruch, datt  die  Sorge  für  die  wissenschaftliche  Verarbeitung  der  Ergebnisse  noch  eine 
Zeitlang  zurücktrat.  Aber  kaum  waren  einige  Jahrzehnte  verstrichen,  so  drängte  die  Fülle 
neuen  Beobachtungsstofles  zu  ihrer  Gestaltung,  und  auch  die  akademischen  Kreise  be- 
gannen —  hier  früher,  dort  später  —  die  Notwendigkeit  einer  selbständigen  Vertretung 
für  das  Fach  der  Geographie  in  ihrer  Mitte  zu  erkennen.  Dennoch  und  trotz  ihres  „ehr- 
würdigen Alters"  würde  dieselbe  wohl  noch  länger  um  ihre  Einreihung  unter  die  älteren 
Schwesterdisziplinen  haben  ringen  müssen,  wie  dies  so  manchen  neu  sich  abzweigenden 
Wissenschaften  beschieden  ist,  wenn  nicht  die  unmittelbaren  Folgen  der  neuen  Erschließung 
des  Erdballs,  der  Raum  und  Zeit  überwindenden  Erfindungen,  das  Heraustreten  Deutsch- 
lands aus  den  engen  Fesseln  eines  Kontinentalstaates  und  sein  wachsender  Anteil  am 
Welthandel  auch  die  Unterrichtsverwaltungen  einzelner  Staaten,  vor  allem  Preußens  und 
Sachsens,  die  Augen  geöffnet  hätte  über  den  schreienden  Gegensatz  der  geographischen 
Bildung  unseres  Volkes  und  der  Stellung,  welche  das  Deutschtum  auf  dem  Erdball  all- 
mählich gewonnen.  Für  die  Art  und  Weise  des  Betriebes  der  heutigen  geographischen 
Unterweisung  an  den  deutschen  Hochschulen  und  die  Ausgestaltung  der  entsprechenden 
Einrichtungen  ist  daher  von  besonderer  Bedeutung,  daß  man  geographische  Professui^n 
zu  Beginn  der  siebenziger  Jahre  wie  auch  später  in  erster  Linie  im  Interesse  einer 
besseren  Ausbildung  von  geographischen  ?^achlehrem  an  höheren  Schulen  errichtete.  Aber 
ganz  in  gleicher  Weise  wie  andere  aus  den  nämlichen  Gründen  dem  Universitätsbetrieb 
einverleibte  Fächer  hat  auch  die  Geographie  alsbald  die  Aufgabe  reiner  Wissen- 
schaftspflege und  der  Erziehung  einer  jüngeren  Generation  wissenschaftlicher  Mitarbeiter 
fest  ins  Auge  ge&ßt.  Und  die  Bestrebungen  der  geographischen  Vertreter,  zu  letzterem 
Zweck  reichere  Mittel  zu  erhalten,  haben  die  verschiedenen  Universitätsinstitute  aus  kleinen 
Anfiingen  allmählich  zu  beachtenswerten  wissenschaftlichen  Arbeitsstätten  anwachsen 
lassen.    Doch  ist  diese  letztere  Entwicklung  noch  durchaus  im  Fluß. 

1.  Der  Lehrkörper  und  die  Zuhörerschaft.  Was  zunächst 
den  Lehrkörper  betrifft,  so  beginnt  die  neue  Phase  der  Pflege  geo- 
graphischer Studien  an  den  deutschen  Hochschulen  mit  der  Errichtung 
einer  eigenen  Professur  für  Erdkunde  in  Leipzig  i.  J.  1871.  Bald 
folgte  Preußen  mit  dem  Entschluß,  solche  an  allen  acht  preußischen 
Universitäten  zu  schaffen  (seit  1 873),  wenn  auch  zunächst  nicht  übeniU 

Das  UatMiichuweten  im  Deutschen  Reich.    1.  t5 


226  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

als  Ordinariate.  In  Süddeutschland  schuf  man  gleichzeitig  Lehrstühle 
nur  in  Straßburg  und  an  der  technischen  Hochschule  in  München. 
Die  übrigen  süddeutschen  Universitäten  folgten  dem  Beispiel  weit 
später,  meist  erst  im  letzten  Jahrzehnt  des  vergangenen  Jahrhunderts, 
und  zwar  zunächst  nur  mittelst  Errichtung  von  außerordentlichen 
Professuren.  Zur  Zeit  entbehrt  jedoch  außer  Rostock  keine  Uni- 
versität des  Deutschen  Reiches  eines  eigenen  besoldeten  Lehrstuhles 
der  Erdkunde.  In  Berlin  (seit  1889)  und  Leipzig  (seit  1899)  ist  das 
Fach  bereits  mehrfach  besetzt,  indem  dort  ein  eigenes  Ordinariat,  hier 
ein  Extraordinariat  für  historische  Geographie  besteht.  An  den  tech- 
nischen Hochschulen  Münchens  und  Dresdens  ist  die  Erdkunde  schon 
seit  Jahrzehnten  vertreten.  Von  den  neuen  Handelshochschulen  hat 
allein  Cöln  eine  eigene  Professur  für  Geographie.  Aber  das  Interesse, 
welches  das  geographische  Studium  fast  überall  gefunden  hat,  bot 
bald  Anlaß  zur  Habilitierung  jüngerer  Gelehrter  für  das  Fach  der 
Erdkunde  an  einzelnen  Universitäten,  wo  sie  meist  energisch  mit  in 
den  Lehrbetrieb  eingriffen.  So  kommt  es,  daß  man  innerhalb  des 
Deutschen  Reiches  an  den  oben  genannten  25  Hochschulen  bereits 
41  Vertreter  der  Geographie  zählt.  Darunter  befinden  sich  17  Ordi- 
narien, 9  Extraordinarien  und  15  Dozenten;  letztere  verteilen  sich 
auf  10  Hochschulen. 

Eine  Ergänzung  findet  das  geographische  Studium  durch  die 
Vorlesungen  und  Übungen  einer  Reihe  von  mehr  oder  weniger  nah- 
verwandten Fächern.  Soweit  dabei  jedoch  schon  länger  eingebürgerte 
Disziplinen,  wie  Astronomie,  Geologie,  Statistik  und  Nationalökonomie 
in  Frage  kommen,  schließen  wir  sie  bei  den  folgenden  Betrachtungen 
aus.  Wo  es  sich  aber  um  neuerdings  sich  abzweigende  oder  zur 
selbständigen  Vertretung  gelangte  Fächer,  wie  z.  B.  Geophysik  auf 
der  einen,  Anthropologie  und  Ethnographie  auf  der  anderen  Seite, 
handelt,  soll  ihrer  im  Anschluß  an  das  Hauptthema  kurz  gedacht 
werden. 

Die  Hörerschaft.  Für  das  Verständnis  des  heutigen  Gesamt- 
betriebes der  Erdkunde  an  den  deutschen  Hochschulen  ist  die  Zu- 
sammensetzung des  Publikums,  welches  die  akademischen  Geographen 
im  Durchschnitt  vor  sich  sehen  und  zum  geographischen  Studium  an- 
zuleiten haben,  von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung.  Allerdings 
teilt  die  Erdkunde  mit  den  meisten  anderen  in  den  philosophischen 
(oder  natunvissenschaftlichen)  Fakultäten  vertretenen  Fächern  die  Er- 
fahrung, daß  weitaus  die  Mehrzahl  des  Zuhörerkreises  beabsichtigt, 
sich  später  dem  Lehrfach  an  höheren  Schulen  zuzuwenden.    Ein  prak- 


Philosophische  Fakultät:    Geographie.  227 

tischer  Beruf  steht  ihr  zur  Zeit  nur  in  beschränktem  Maße  offen.  Die 
Aussichten,    das   Leben    künftig  ausschließlich    und    berufsmäßig   der 
Wissenschaft  der  Geographie  widmen  zu  können,  sind  bei  uns  gering, 
wenngleich  im  Wachsen    begriffen,    einerseits  durch  die  Vermehrung 
der   akademischen    Lehrstühle,    andererseits     durch    den    vermehrten 
Bedarf  an  wissenschaftlichen  Kräften  innerhalb  der   großen    kartogra- 
phischen Anstalten.     Man  wird  hier  ziemlich  scharf  zwischen  wissen- 
schaftlichen und  rein  technischen  Kartographen  unterscheiden  können. 
An  den  höheren  Schulen  ist  die  Geographie  —  und  hierin  wird  zum 
mindesten  für  absehbare  Zeit  eine  Änderung  wohl  nicht  eintreten  — 
ein  mit  wenigen  Stunden  bedachtes  Nebenfach.   Reine  Fachlehrer  der 
Erdkunde  finden  an  diesen  daher  keinen  Platz.     Ist  in    Norddeutsch- 
land, zum  Glück   seit   kurzem    (in    Preußen    seit    1898)  die  Zahl  von 
Lehrfächern,  deren  Beherrschung    ein    Kandidat    des    höheren  Schul- 
amts behufs  Anstellung  nachweisen  muß,  auch  beschränkt  worden,  so 
gehören  doch  noch  immer  mindestens  deren' drei  zum  Bestehen  einer 
Prüfung.     In  Norddeutschland  ist    die    früher    bestehende  unbedingte 
Verknüpfung  des  geographischen  mit  dem  historischen  Studium  schon 
seit  1887  abgestreift,  und  es  können  sich  Historiker,  Alt-    und    Neu- 
philologen, Mathematiker  und  Naturwissenschaftler  frei  die  Geographie 
als  eines  ihrer  Haupt-  oder  Nebenfächer  wählen.     In  Süddeutschland, 
speziell  in  Bayern,  werden  überhaupt  nur  Reallehrer,  die  gleichzeitig 
geschichtliche  und  germanistische  Studien  getrieben   haben,    zu  einer 
Fachpriifung  in  der  Geographie  zugelassen.     Wie  dem  auch  sei,    der 
geographische  Dozent  findet  infolge  dieser  Verhältnisse  ein  nach  Vor- 
bildung und  wissenschaftlichem  Interessenkreis  ungleichartiges  Publikum 
vor  sich.     Früher  fast  ausschließlich    auf  Jünger   der    rein  historisch- 
philologischen  Fächer   angewiesen,    sieht    er,    seit  das  geographische 
Studium  in  besagter  Richtung  freigegeben    ist,    wenigstens    in    Nord- 
deutschland Mathematiker,  Physiker,  Biologen  in    steigender   Zahl   in 
seinen  Hörsaal  ziehen.     Aber  auf  einen    gleichmäßigen  Vorstellungs- 
kreis und  eine  etwa    erwünschte   gleichmäßige  naturwissenschaftliche 
Vorbildung  kann  er  im  allgemeinen    heute   weniger   als   vor  zwanzig 
Jahren  rechnen.    Die  komplexe  Natur   der   Erdkunde    als  ein    Band 
zwischen  Natur-  und  Geisteswissenschaften  spiegelt  sich  also  ganz  un- 
abhängig von  den  etwaigen  methodischen    Auffassungen    des   akade- 
mischen Lehrers  der  Geographie  in  dem  Kreis  seiner  Schüler  wieder. 
Er  muß,  wenn  er  Erfolge  haben   will,    diesem    Umstände   Rechnung 
tragen.     Der  ungemeine  Vorteil  gegenüber  früheren   Zeiten    ist,    daß 
trotz   dieses  Verhältnisses  die  Erdkunde  nach   allen   Seiten   den.An- 

15* 


228  Lchrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Spruch  zurückweisen  kann,  lediglich  als  Hilfswissenschaft  einer  anderen 
Disziplin  Dienste  zu  leisten.  Wer  sich  bei  uns  ihrem  Studium  zu- 
wendet, wird  aus  dem  Gesamtbetriebe  bald  erkennen,  daß  er  sie  um 
ihrer  selbst  willen  zu  treiben  und  sich  in  die  vielseitige  Eigenart  ihrer 
Lehren  einzuarbeiten  hat. 

2.  Der  Lehrbetrieb.  Der  Kreis  der  geographischen  Vor- 
lesungen hat  sich  im  Laufe  der  Jahrzehnte  erweitert;  ihre  Form  hat 
sich  abgeklärt.  Eine  ausgesprochene  Bevorzugung  der  allgemeinen  Erd- 
kunde, die  sich  im  Anfang  naturgemäß  zeigte,  um  den  engen  An- 
schluß an  die  sich  mächtig  entwickelnden  Naturwissenschaften, 
besonders  die  Geologie  und  Meteorologie,  zu  vollziehen,  ist  einer 
gleichmäßigeren  Verteilung  auf  allgemeine  und  spezielle  Erdkunde, 
welche  letztere  bei  uns  den  Namen  Länderkunde  angenommen  hat, 
gewichen.  Aber  auch  innerhalb  der  ersteren  läßt  sich  eine  mehr 
systematische  Behandlung  der  einzelnen  Zweige,  als  sie  anfangs  üblich 
war,  feststellen.  Da  die  weitaus  größte  Zahl  von  Hochschulen  nur 
einen  Vertreter  des  Faches  hat,  so  suchen  viele  unter  diesen  im 
Laufe  eines  Zyklus  von  4 — 8  Semestern  eine  Gesamtübersicht  über 
das  Wissensgebiet  zu  geben.  Je  mehr  die  Hochschule  Provinzial- 
universität  mit  dauernd  daselbst  verweilender  Hörerschaft  ist,  um  so 
länger  wird  der  Zyklus  ausgesponnen.  In  Halle  und  Straßburg 
besteht  z.  B.  ein  solcher  von  zwei  Jahren,  in  Königsberg  von  vier. 

Die  Behandlung  ist  eine  verschiedene,  je  nachdem  die  Dozenten 
die  allgemeine  Erdkunde  im  weiteren  oder  engeren  Sinne  fassen. 
Ursprünglich  wurden  die  entsprechenden  Vorlesungen  nur  auf  den 
Bereich  der  allgemeinen  physikalischen  Erdkunde  ausgedehnt,  und 
noch  heute  beschränkt  sich  ein  Teil  der  Fachvertreter  auf  die  Mor- 
phologie der  festen  Erdoberfläche,  die  Ozeanographie  und  die  Klima- 
tologie.  Im  Durchschnitt  werden  diesen  Lehren  zwei  vierstündige 
KoUegia  gewidmet.  Einige  Geographen  schlössen  früher  grundsätzlich 
die  mathematische  Geographie  und  auch  die  Geophysik  des  Erdballs 
von  ihren  Vorlesungen  aus,  weil  sich  die  Erdkunde  nur  mit  der  Erd- 
oberfläche zu  beschäftigen  habe.  Von  anderen  geschah  es  tatsächlich, 
weil  ihnen  die  mathematischen  Grundlagen  dieses  Teiles  ferner  lagen. 
Doch  ist  nach  dieser  Seite  eine  entschiedene  Wendung  in  den  letzten 
Jahren  eingetreten.  Teils  haben  manche  Geographen  die  Notwendig- 
keit erkannt,  ihre  Zuhörer,  denen  vielfach  die  räumlichen  Anschau- 
ungen fehlen,  auch  in  den  altgepflegten  Zweig  der  mathematischen 
Geographie,  wenn  auch  mehr  in  propädeutischer  Weise,  einzuführen; 
teils  hat  das  allgemeine  Interesse  für  Geophysik  zugenommen.    Somit 


Philosophische  Fakultät:    Geographie.  229 

erfordern  ihre  Errungenschaften  auch  innerhalb  der  Erdkunde  größere 
Berücksichtigung. 

Gerirtge  Pflege  findet  bis  jetzt  in  diesen  Vorlesungen  die  Bio- 
geographie. In  erster  Linie  wohl,  weil  die  Fülle  positiver  Kenntnisse 
von  Pflanzen-  und  Tierformen,  die  zur  Belebung  und  Begründung  der 
Darstellung  erforderlich  ist,  bei  der  Mehrzahl  der  geographischen 
Zuhörer  nicht  vorausgesetzt  werden  kann.  Im  Anschluß  an  die 
Klimatologie  wird  jedoch  die  Vegetation  der  Erde  eingehender  berück- 
sichtigt. 

Als  neuere  Errungenschaft  kann  andererseits  die  Einbeziehung 
der  allgemeinen  Anthropogeographie  in  den  Vorlesungszyklus  einzelner 
HochsdhuUehrer  angesehen  werden.  Durch  sie  knüpft  die  Unter- 
weisung wieder  ein  engeres  Band  mit  der  Völkerkunde,  von  der  man 
sich  stark  abgewendet  hatte,  aber  in  einer  wesentlich  geläuterten, 
d.  h.  den  geographischen  Gesichtspunkt  in  den  Vordergrund  stellenden 
Art  und  Weise.  Der  eigentlichen  Anthropologie  und  Völkerkunde 
den  Menschen  sei  es  nach  Seite  der  körperlichen  Eigentümlichkeit, 
sei  es  in  seinen  geselligen  Gruppierungen  und  der  vielseitigen  kultu- 
rellen Entwicklung  überlassend,  sucht  die  Anthropogeographie  Art 
und  Ursachen  seiner  Verbreitung  über  die  Erdoberfläche  und  seinen 
Einfluß  auf  die  Umgestaltung  des  Erdbodens  zu  verfolgen.  Zur  Zeit 
finden  auf  6 — 8  Universitäten  bereits  zwei-  bis  vierstündige  Vorlesungen 
über  diesen  methodisch  noch  wenig  durchgebUdeten  Zweig  der  Erd- 
kunde statt.  Und  als  neueste  Phase  muß  das  Auftauchen  vereinzelter 
w-irtschafts-geographischer  Vorlesungen  im  Anschluß  an  den  Gesamt- 
rahmen gelten.  Wer  auf  diese  >yeise  das  Gesamtgebiet  der  allgemeinen 
Erdkunde  zu  behandeln  unternimmt,  pflegt  dem  Gegenstand  mindestens 
eine  vierstündige  Vorlesung  während  drei  Semester  zu  widmen. 

Was  die  länderkundlichen  Vorlesungen  betrifft,  so  ist  bemerkens- 
wert, daß  die  eingehende  Darstellung  eines  kleineren  Gebietes  noch 
zu  den  Seltenheiten  gehört.  Noch  ganz  vereinzelt  finden  sich  solche 
über  die  heimatliche  Provinz  der  betreffenden  Hochschule.  Man  kann 
auf  —  meist  einstündige  —  Vorlesungen  über  Schlesien  (Breslau), 
Baden  (Freiburg),  Bayern  (München),  Hessen  (Gießen)  usw.  hinweisen. 
Im  Vordergrund  stehen  Vorlesungen  je  über  Deutschland  (Mittel- 
europa) und  das  übrige  Europa.  Solche  werden  von  manchen  Dozenten 
in  kleinere  zwei-  bis  dreistündige  Vorlesungen  während  mehrerer 
Semester  zerlegt.  Einen  der  anderen  Erdteile  daneben  in  einer 
Hauptvorlesung  eines  Semesters  abzuhandeln,  ist  das  Übliche,  wenn 
auch  hier  und  da  auf  den  kulturgeographisch  besonders  interessanten 


230  ehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Erdteil  Asien  deren  zwei  verwandt  werden.  Umgekehrt  wird  mehr- 
fach über  die  drei  südlichen  Kontinente  in  einer  einzigen  eine  kurze 
Übersicht  gegeben.  Irgend  ein  Zwang  besteht  für  den  Dozenten  in 
keiner  Weise.  Die  Gestaltung  seines  Unterrichts  ist  ihm  völlig  über- 
lassen. Und  während  einzelne  Professoren  alle  Erdteile  in  den  Bereich 
ihres  Vorlesungszyklus  ziehen,  beschränken  sich  andere  durchaus  nur 
auf  Europa,  gleichsam  als  Probe  der  Behandlung  eines  länderkundlichen 
Themas  überhaupt. 

Ergänzend  treten  zu  diesen  Hauptvorlesungen  kleinere  über  aus- 
gewählte Kapitel  aus  der  allgemeinen  Erdkunde  oder  der  Länder- 
kunde, wie  z.  B.  über  die  Alpen,  die  deutschen  Schutzgebiete,  die 
Geschichte  der  Erdkunde  in  einzelnen  Hauptperioden  oder  ihbetreff 
einzelner  Erdteile  usw. 

Die  Behandlung  der  Themata  innerhalb  der  Vorlesungen  ist 
sicher  mannigfach  verschieden  und  pflegt  eng  mit  der  Vorbildung 
und  dem  besonderen  Arbeitsfeld  des  Dozenten  zusammenzuhängen, 
entzieht  sich  im  übrigen  dem  Urteil  der  Außenstehenden.  Ein 
Wechsel  der  Universität  während  der  Studienzeit  wird  daher  ganz 
besonders  für  den  Geographen  zu  empfehlen  sein.  Im  allgemeinen 
dürfte  der  Tenor  der  Vorlesungen  weit  mehr  auf  die  ernstliche  Ein- 
führung in  das  wissenschaftliche  Studium  der  Erdkunde  zugespitzt 
sein,  als  auf  bloße  Anregung  und  Verbreitung  geographischer  Kennt- 
nisse. Letzterer  Zweck  steht  bei  den  meist  einstündigen  öffentlichen 
Vorlesungen  über  ein  leichtverständliches  und  allgemeiner  inter- 
essierendes Thema  im  Vordergrund. 

3.  Geographische  Übungen.  Die  Zeit  der  Errichtung 
geographischer  Professuren  fallt  bereits  in  die  Periode  akademischer 
Unterweisung,  wo  die  Wichtigkeit  praktischer  Kurse,  welche  die 
Hörer  zur  Selbsttätigkeit  anregen,  auch  für  die  Gebiete  der  Geistes- 
wissenschaften allgemein  erkannt  war.  Dementsprechend  waren 
seminaristische  Einrichtungen  bereits  in  den  benachbarten  Disziplinen 
üblich.  Es  beschränkte  sich  daher  von  Anfang  an  kaum  ein  Fach- 
vertreter der  Erdkunde  allein  auf  Vorlesungen,  sondern  eröffnete 
gleichzeitig  für  einen  kleinen  Kreis  sogenannte  „geographische 
Übungen".  Zunächst  fehlte  es  für  diese  ebenso  an  praktischen  Er- 
fahrungen wie  für  die  Gestaltung  erdkundlicher  Vorlesungen  überhaupt. 
Wohl  die  meisten  älteren  Dozenten  haben  die  verschiedenartigsten 
Versuche,  diese  Übungen  wirklich  nutzbringend  einzurichten,  an- 
gestellt. Die  jüngeren  konnten  dann  von  diesen  Erfahrungen  das 
Beste  auswählen. 


Philosophische  Fakultät:    Geographie.  231 

Mehrfache  Anwendung  fand  das  in  historischen  oder  philo- 
logischen Seminaren  übliche  '  Verfahren  gemeinsamer  Lektüre  eines 
geographischen  Klassikers  oder  schwieriger  Kapitel  aus  diesem  oder 
jenem  Buche,  oder  auch  der  Besprechung  neuerer  Erscheinungen  der 
geographischen  Literatur,  wobei  die  Teilnehmer  abwechselnd  das 
Referat  übernehmen.  Erfahrungsmäßig  haben  davon  nur  wenige 
schon  weiter  Fortgeschrittene  wirklichen  Nutzen.  Solche  KoUoquia 
haben  daher  nur  zeitweise  an  einzelnen  Universitäten  geblüht. 

Häufiger  wird  die  Selbsttätigkeit  in  der  Form  angeregt,  daß  in 
den  Übungen  über  gegebene  oder  selbstgewählte  Themata  zusammen- 
hängende Vorträge  der  Teilnehmer  gehalten  werden,  an  die  sich 
dann  nach  Möglichkeit  Diskussionen  schließen.  Diese  letzteren  werden 
um  so  belehrender  sein,  je  reifer  die  Seminaristen  und  je  mehr  sie 
mit  dem  fraglichen  Thema  bekannt  sind.  Die  in  dieser  Form  in 
Berlin  abgehaltenen  KoUoquia  sind  zu  einer  Berühmtheit  geworden, 
da  sich  an  denselben  stets  auch  ältere,  längst  in  ihrer  Ausbildung 
fertige  Geographen  beteiligen,  welche  an  den  kleineren  Universitäten 
meist  fehlen.  Auf  Grund  eingehender  Studien  aufgebaut,  gestalten 
sich  diese  Vorträge  oft  zu  druckfertigen  Abhandlungen.  Abgesehen 
davon,  daß  in  denselben  wohl  besonderer  Wert  darauf  gelegt  wird, 
daß  der  Vortragende  seine  Darstellung  möglichst  durch  An- 
schauungsmittel, eventuell  nach  eigenen  Entwürfen,  unterstützt,  haben 
sie  ebensowenig  wie  die  erstgenannten  etwas  Spezifisches,  um  an 
dieser  Stelle  länger  bei  ihnen  zu  venveilen. 

Ein  Teil  der  geographischen  Professoren  hat  begonnen,  seine 
Schüler  in  praktischen  Kursen  noch  enger  zur  Selbsttätigkeit  zu  er- 
ziehen. Ein  eigenartiges  Feld  bietet  hierzu  die  Kartographie.  Das 
Verständnis  von  der  Entstehung,  dem  Entwurf  des  Kartenbildes  und 
damit  seines  Wesens  versucht  man  in  besondern  „kartographischen 
Übungen"  zu  erwecken.  Anfangs  auf  ganz  wenige  Universitäten 
beschränkt,  an  denen  mathematisch  vorgebildete  Professoren  die 
Geographie  lehrten,  hat  sich  dieser  Zweig  der  Unterweisung  in  den 
letzten  Jahren,  ähnlich  wie  die  größere  Pflege  der  mathematischen 
Geographie,  stark  verbreitet.  Mehrfach  überläßt  der  Fachvertreter 
dieses  Feld  jungem  Dozenten.  Es  handelt  sich  in  diesen  Übungen 
um  Erwerbung  der  Fähigkeit,  die  wichtigsten  Kartenprojektionen  selbst 
zu  entwerfen,  und  nachmals  die  Netze  mit  den  üblichen  karto- 
graphischen Zeichen  in  Situation  und  Geländezeichnung,  in  Farbe  und 
Schrift  auszufüllen,  also  um  die  Elemente  für  selbständige  Herstellung 
einer   sauberen  Kartenskizze,  sei  es  in  Hand-  oder  Wandkartenform. 


232  Lehrgebiet  und  T^hrbctrieb. 

Für  Anfanger  geschieht  dies  in  gemeinsamen  Unterrichtsstunden,  in 
denen  alle  Teilnehmer  stückweise  die  gleichen  Netze  ent>\'erfen  oder 
dieselben  Übungszeichnungen  verschiedener  Art  herstellen.  Ein 
späterer  Kursus  versieht  die  gereiften  Schüler  je  mit  besonderen 
Aufgaben  vom  einfachen  Übertragen  des  wichtigsten  Inhalts  einer 
Originalkarte  —  z.  B.  allgemein  physikalischen  oder  statistischen 
Inhalts  -  auf  eine  Umrißkarte  großen  Maßstabes  bis  zur  Kon- 
struktion eines  Itinerars  und  der  kritischen  Verarbeitung  verschiedenen 
literarischen  oder  kartographischen  Materials  in  Gestalt  einer  Karte. 
Selbstverständlich  fehlt  es  zur  Ausbildung  von  fertigen  Kartographen, 
die  auch  nirgends  beabsichtigt  wird,  an  Zeit. 

An  jene  Übungen  reihen  sich  solche,  die  beginnen,  einzelnen 
geographischen  Instituten  den  Charakter  von  naturwissenschaftlichen 
Laboratorien  zu  verleihen,  wo  jeder  seinen  festen  Arbeitsplatz  hat 
und  die  nötigen  Utensilien  erhält,  während  Übungsinstrumente  in 
größerer  Zahl  zur  Verfügung  stehen.  In  erster  Linie  .stehen  hierbei 
alle  kartometrischen  Aufgaben  mittels  Kurvimetem  und  Plani- 
metern,  bei  denen  eine  kleine  Gruppe  von  Teilnehmern  zur  gegen- 
seitigen Kontrolle  sich  vereinigt,  ferner  die  Herstellung  von  Reliefs 
und  Modellen,  von  Profilen  und  Demonstrationstafeln  usw.  usw. 

Die  Anleitung  zu  selbständigen  wissenschaftlichen 
Arbeiten  wird  gleichfalls  an  manchen  Universitäten  auf  dem  Wege 
solcher  praktischen  Übungen  gegeben,  indem  den  Teilnehmern  die 
Pcststcllung  einer  einzelnen  wissenschaftlichen  Tatsache  auf  Grund 
eingehenden  Quellenstudiums  in  steigendem  Umfang  und  von  zu- 
nehmender Schwierigkeit  auferlegt  wird.  Der  Hauptnutzen  liegt  dann 
in  der  schriftlichen  Zusammenfassung  der  Resultate,  welche  der  Dozent 
eingehend  rezensiert  und  mit  dem  Bearbeiter  bespricht.  Daraus 
entwickeln  sich  dann  größere  Arbeiten,  die  in  der  Form  von  Vor- 
trägen, von  Prüfungsarbeiten  oder  Doktordissertationen  ihren  Abschluß 
finden  und  in  letzterem  Falle  auch  der  Prüfung  durch  die  Öffentlichkeit 
unterbreitet  werden.  Bereits  ist  die  Zahl  tüchtiger,  der  Wissenschaft 
zum  Vorteil  gereichender  Arbeiten,  die  aus  den  verschiedenen 
geographischen  Universitätsinstituten  jährlich  hervorgehen,  eine  be- 
trächtliche. Und  Deutschland  verfügt  heute  schon  über  einen  er- 
klecklichen Stab  von  geographischen  Mitarbeitern  unter  den  Fachlehrern 
der  F>dkunde  an  den  höheren  .Schulen. 

Noch  ist  einer  besonderen  Art  der  Unterweisung  zu  gedenken, 
die  allerdings  nur  an  den  wenigen  Universitäten  gepflegt  wird,  an 
denen    die    geographischen    Fachvertreter     praktische    F2rfahrung    im 


Philosophische  Fakultät:    Geographie.  233 

geographischen  Unterricht  an  höheren  Schulen  in  ihr  neues  Amt 
mitbrachten.  Mit  Rücksicht  auf  die  künftige  Verwendung  der  großen 
Mehrzahl  der  geographischen  Hörer  im  Schuldienst,  halten  einzelne 
Hochschullehrer  kleinere  Vorlesungen  über  die  Methodik  der  Erd- 
kunde, speziell  des  geographischen  Unterrichts  und  seine 
Hilfsmittel.  Oder  sie  lassen  die  älteren  Kandidaten  in  den  Übungen 
Proben  für  die  praktische  Behandlung  eines  Kapitels  aus  dem  Unter- 
richtsstoffe der  Schulen  vorführen,  die  dann  kritisiert  werden 
(Halle,  Göttingen,  Münster);  oder  auch  Demonstrationen  an  einzelnen 
Lehrapparaten  der  mathematischen  Geographie  wie  Tellurien  und 
Lunarien  bilden  den  Gegenstand  dieser  schulgeographischen  Übungen. 
Insbesondere  wird  in  denselben  auch  die  Handhabung  des  Karten- 
zeichnens in  Schulen  erörtert  und  die  Fertigkeit  im  Entwurf  von 
Kartenskizzen  an  der  Wandtafel  geübt. 

Beobachtungen  im  Freien  und  Exkursionen.  Als  einen 
wesentlichen  Fortschritt  darf  man  es  ansehen,  daß  die  Verlegung  ein- 
zelner Beobachtungen  ins  Freie  im  Rahmen  der  geographischen 
Übungen  an  Ausdehnung  gewinnt.  Die  beiden  Gesichtspunkte,  nach 
denen  der  künftige  Fachlehrer  der  Geographie  seine  Schüler  möglichst 
selbst  zur  Beobachtung  der  ihn  umgebenden  Landschaft  anhalten  soll, 
lassen  sich  im  Anfangsstudium  gut  mit  der  Anleitung  zu  Beobach- 
tungen und  zu  topographischen  Aufnahmen  auf  Forschungsreisen 
vereinigen.  Sind  erst  die  Grundlagen  gelegt,  so  können  sich  für  die 
gereifteren  jungen  —  namentlich  die  mathematisch  besser  vorgebildeten 
—  Leute  schwierigere  Aufgaben  nach  strengeren  Methoden  leicht  an- 
schließen. Das  Letztere  kann  dann  Spezialisten,  wie  Astronomen  und 
Geodäten,  überlassen  werden.  Die  ganze  Fülle  der  Orientierung  auf 
dem  Horizont  nach  Winkel-  und  Entfernungsschätzungen  oder  mittels 
Messungen  mit  einfachsten  Instrumenten,  die  Routenaufnahme  mit 
Kompaß  und  Schrittzählung  oder  Uhr,  der  Entwurf  von  Panoramen, 
die  Anstellung  von  Höhenmessungen  kommt  hierbei  in  Betracht.  Das 
Lesen  der  topographischen  Karte  im  Gelände  gehört  zu  den  ersten 
Elementen.  Daran  reihen  sich  die  zahlreichen  Beobachtungen  über 
die  Bodenformen,  die  Wirkungen  der  Tektonik  oder  der  Erosion  und 
Abtragung  durch  Eis,  fließendes  Wasser  und  Luft  usw\  Auf  diesem 
Gebiet  berühren  sich  die  Interessen  des  Geographen  mit  denen  des 
Geologen,  weshalb  manche  Vertreter  der  F>dkundc  sich  mit  ihren 
Zuhörern  den  Exkursionen  ihrer  geologischen  Kollegen  gelegentlich 
anschließen,  wenn  auch  die  während  des  Weges  anzustellenden  geo- 
gr2^[>hischen  (topographischen)  Beobachtungen    häufig   die    rasche  Er- 


2'M  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

reichung  eines  geologischen  Aufschlusses  verhindern.  Auch  der 
richtige  Standpunkt  für  photographische  Aufnahmen  innerhalb  einer 
I^ndschaft  oder  gegenüber  einem  zu  fixierenden  Einzelphänomen 
muß  gelehrt  werden.  In  Beziehung  auf  die  Verteilung  des  mensch- 
lichen Anbaus  und  verschiedene  wirtschafts-geographische  Fragen 
kann  im  allgemeinen  ein  halbtägiger  Ausflug  von  der  einzelnen 
Universitätsanstalt  aus  nicht  viel  BeobachtungsstofT  liefern.  In  dieser 
Erkenntnis  haben  sich  mehrtägige  geographische  Exkursionen,  ja 
selbst  längere  Reisen,  die  sich  vom  Binnenland  bis  an  die  Seeküsten 
oder  in  das  Hochgebirge  der  Alpen  erstrecken,  an  einzehien  Univer- 
sitäten, wie  z.  B.  in  Greifswald,  Gießen,  Breslau,  Bonn,  Münster, 
München,  eingebürgert  und  tragen  dort  außerordentlich  zur  Belebung 
des  geographischen  Interesses  bei  der  Zuhörerschaft  bei.  Der  Besuch 
der  wichtigsten  geographischen  Anstalten  Mitteldeutschlands  wird  geni 
mit  solchen  Ausflügen  in  typische  Landschaften  verbunden.  Noch 
fehlt  es  meist  an  genügenden  Unterstützungen  aus  Staatsmitteln,  um 
auch  unbemittelten  Studierenden  die  regelmäßige  Teilnahme  an 
diesen  instruktiven  Exkursionen  zu  ermöglichen. 

4.  Die  geographischen  Institute.  Als  vor  einem  Menschen- 
alter die  Geographie  als  eigenes  Lehrfach  an  deutschen  Universitäten 
Aufnahme  fand,  wurde  den  Vertretern  eine  geringfügige  Summe  — 
meist  jährlich  250 — 3(K)  M.  -  zur  Verfügung  gestellt  zur  allmählichen 
Beschaffung  eines  ,, geographischen  Apparates*'.  Es  fehlte  noch  voll- 
kommen an  Erfahrung  über  die  Bedürfnisse  eines  fruchtbringenden 
akademischen  Unterrichts  in  der  Erdkunde.  Man  hatte  von  seiten 
der  Unterrichtsverwaltung  wohl  ausschließlich  dabei  Anschauungsmittel 
für  die  Vorlesungen  nach  Art  der  im  Schulunterricht  gebrauchten 
im  Auge.  Ein  Stamm  von  Wandkarten  und  Globen  dürfte  daher 
wohl  überall  den  ersten  Grundstock  zu  den  Sammlungen  innerhalb 
der  einzelnen  Apparate  gebildet  haben.  Indessen  ergab  sich  sofort, 
wie  unvollkommen  das  Material  an  gedruckten  Wandkarten  für  die 
vorliegenden  Zwecke  war,  und  in  welchem  Umfang  es  zunächst  galt, 
dasselbe  rein  für  die  akademischen  Vorlesungen  zu  ergänzen.  Denn 
diese  hatten  selbstverständlich  sowohl  die  allgemeine  physikalische 
Geographie  als  die  Länderkunde  in  weit  intensiverer  und  ein- 
gehenderer W^eise  zu  berücksichtigen,  als  dies  im  Schulunterricht  an- 
gängig ist.  Aber  während  die  älteren  historischen  und  j^hilologischen 
Seminare  gleichzeitig  zur  Beschaffung  einer  ausgiebigen  I  landbibliothek 
die  doppelten  und  dreifachen  Mittel  erhielten,  reichten  die  für  die 
Erdkunde    ausgeworfenen    kaum    zur  Anschaffung  einiger  Hand-  und 


Philosophische  Fakultät:    Geographie.  235 

Nachschlagebücher,  geschweige  denn  zur  Haltung  der  wichtigsten 
geographischen  Zeitschriften  aus.  Wo  nun  gleich  von  Anfang  an 
kartographische  Kurse  und  andere  praktische  Übungen  der  oben  ge- 
schilderten Art  geplant  waren,  wären  die  Bestrebungen  der  geo- 
graphischen Fach  Vertreter  vergeblich  gewesen,  wenn  nicht  die  Unter- 
richtsverwaltungen fast  überall  mit  namhaften  Zuschüssen  außerordent- 
licher Natur  in  dankenswertester  Weise  eingegriffen  hätten.  Einzelne 
Universitäten  haben  sich  durch  Einführung  fester  Beiträge  von  Seiten 
der  regelmäßigen  Benutzer  der  Einrichtungen  die  Möglichkeit  ver- 
schafft, ihre  geographischen  Institute  glänzend  auszustatten.  In  diesem 
Punkt  steht  Leipzig  an  der  Spitze. 

Als  erstes  Bedürfnis  stellte  sich  überall  das  Verlangen  nach 
eigenen,  für  die  Zwecke  des  geographischen  Unterrichts  eingerichteten 
Räumen  dar.  Für  die  meisten  Hochschulen  ist  die  anfängliche  Be- 
drängnis nach  dieser  Richtung  wohl  beseitigt.  Die  geographischen 
Apparate  oder  Seminare  fanden  während  des  letzten  Jahrzehnts  in 
den  Neubauten  eigener  Seminargebäude  oder  in  freigewordenen 
Räumen  älterer  Institute  zweckmäßigere  Unterkunft.  Aber  bis  heute 
haben  es  nur  wenige  zu  ausgiebigen,  in  sich  abgeschlossenen  Räumlich- 
keiten gebracht.  Leipzig  erfreut  sich  deren  schon  seit  dem  völligen 
Umbau  des  Paulinums  im  Jahre  1896.  Ganz  neuerdings  erst  ist 
Berlin  durch  die  räumliche  Vereinigung  des  geographischen  Instituts 
mit  dem  neu  begründeten  Institut  für  Meereskunde  und  ebenso 
Göttingen  durch  einen  Anbau  der  K.  Bibliothek  im  engen  Anschluß 
an  die  bisher  daselbst  der  Geographie  zugewiesenen  Räume  in  den 
Besitz  der  gewünschten  Erweiterung  gekommen.  In  Berlin  teilen  sich 
das  geographische  Institut  und  das  für  Meereskunde  in  ein  ganzes 
Stockwerk,  das  dem  Museum  für  Meereskunde  aufgebaut  ist,  wozu 
der  Vorteil  einer  gemeinsamen  Bibliotheksgallerie  noch  hinzutritt. 
Freiburgs  Institut  hat  1901  in  einem  neuen  Gebäude  zugleich  mit 
Geologie,  Mineralogie  und  Mathematik  Unterkunft  gefunden;  auch 
Greifswald  verfügt  über  4  bis  5  Räume.  Die  Bedürfnisse  eines  solchen 
geographischen  Instituts,  wie  sie  bei  Neueinrichtung  der  obengenannten 
zutage  getreten  und  in  der  Hauptsache  verwirklicht  sind,  lassen 
sich  etwa  wie  folgt  zusammenfassen.  Ein  der  jeweiligen  Frequenz 
entsprechender,  geräumiger  Hörsaal,  der  mit  zahlreichen  verschieb- 
baren Wandtafeln,  umfangreichen  Aufhängevorrichtungen,  großem 
Demonstrationstisch  und  Projektionsapparat  ausgestattet  ist.  Wo- 
möglich sollte  er  dem  Geographen  bezw.  den  geographischen  Do- 
zenten ausschließlich    zur  Verfügung  stehen.     Soweit    sich  Kolloquien 


236  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

oder  seminaristische  Übungen  auf  Vorträge  und  Diskussionen  be- 
schränken, kann  dieser  Hörsaal  auch  hierfür  Verwendung  finden. 
Neben  einem  kleineren  Direktorial-,  bezw.  einem  Assistentenzimmer  wird 
weiter  mindestens  ein  geräumiges  Sammlungszimmer  erforderlich  sein. 
Die  Mehrzahl  der  vom  Geographen  benötigten  Demonstrationsobjekte 
ist  sperriger  Natur  und  beansprucht  ausgiebigen  Raum.  Zwar  lassen 
sich  lose  Kartenblätter  in  großer  Zahl  in  geeigneten  Schränken  unter- 
bringen, aber  Wandkarten,  Globen,  Tellurien  und  namentlich  Reliefs 
erfordern  Platz,  um  instruktiv  zu  wirken.  Nur  Berlin  verfügt  wohl 
jetzt  über  einen  größeren  Bestand  von  Reliefs.  Helle  und  geräumige 
Korridore  können  zur  Aufstellung  von  Kartenschränken  benutzt 
werden,  wenn  sie  einigermaßen  abgeschlossen  sind.  —  Wie  alle 
Seminare  in  erster  Linie  eines  für  den  ganzen  Tag  den  Studierenden 
zugänglichen  Lesesaals  bedürfen,  in  dem  die  Seminarbibliothek  zumeist 
gleichzeitig  Aufstellung  findet,  so  nicht  minder  das  geographische. 
Derselbe  muß  jedoch  behufs  ausgiebiger  Ausnutzung  von  Karten  be- 
sonders geräumig  und  licht  sein.  Wo  aber  die  Kartographie  systema- 
tischer gepflegt  wird,  kann  dies  zweckmäßigerweise  nur  in  einem 
eigenen  Zeichensaale  geschehen,  der  mit  besondern  Zeichentischen 
nebst  allem  Zubehör  ausgestattet  ist.  Ein  solcher  Saal  kann  abge- 
sehen von  den  Stunden,  wo  regelmäßige  Übungen  abgehalten  werden, 
als  eigentlicher  Arbeitsraum  für  die  Weiterstrebenden  benutzt  werden. 
Die  Größe  eines  solchen  Zeichensaals  dürfte  sich  weniger  nach  der 
allgemeinen  Frequenz  geographischer  Hörerschaft  richten,  als  nach 
der  Zahl  von  Teilnehmern,  welche  der  Leiter  kartographischer 
Übungen  glaubt  gleichzeitig  beaufsichtigen  zu  können.  Bei  dem 
Wert,  den  man  heute  auf  Projektionsbildcr  legt,  werden  kleine  Neben- 
räume für  photographische  Zwecke  erforderlich  sein. 

Wie  angedeutet  sind  in  der  geschilderten  Weise  bis  jetzt  nur 
wenige  geographische  Institute  ausgestattet,  aber  daß  man  dergleichen 
bereits  an  vier  oder  fünf  Hochschulen  besitzt,  beweist  den  großen 
Umschwung,  der  sich  dank  dem  Aufschwung  des  geographischen 
Studiums  seit  seiner  Einführung  in  den  Anschauungen  vollzogen  hat. 
Es  ist  also  wohl  nur  eine  Frage  der  Zeit,  wann  anderen  Universi- 
täten die  gleichen  Vergünstigungen  gewährt  werden. 

Was  nun  die  Demonstrations-  und  Sammlungsgegenstände 
innerhalb  der  geographischen  Institute  betrifft,  so  haben  sich  die  Be- 
dürfnisse zu  reicherer  Ausstattung  nach  jeder  Richtung  erweitert. 
Es  erscheint  dabei  nicht  notwendig,  daß  der  Bestand  überall  der 
gleiche    ist,    da   je    nach    Neigung    und    Arbeitsrichtung    des    Fach- 


Philosophische  Fakultät:    Geographie.  237 

Vertreters  oder  je  nach  bestimmten  Vorbedingungen  der  eine  oder 
andere  Zweig  der  vielumfassenden  Erdkunde  eine  größere  Pflege 
findet.  In  der  Tat  haben  sich  bereits  eine  Reihe  bemerkenswerter  Spe- 
zialitäten gebildet. 

Das  zeigt  sich  vielfach  schon  innerhalb  des  Bereichs  von  De- 
monstrationsmitteln für  Vorlesungszwecke.  In  manchen  In- 
stituten hat  sich  neben  den  Wandkarten  möglichst  großen  Maßstabes, 
die  im  In-  oder  Auslande  publiziert  sind,  ein  großer  Bestand  von 
handschriftlichen  Wandkarten  oder  besser  Übertragungen  mannig- 
facher Verbreitung5^rscheinungen  auf  Umrißkarten  der  Erde  oder 
einzelner  Länder,  ebenso  von  Wandtafeln  und  Profilen  ausgebildet. 
Manche  Dozenten  sorgen  dafür,  daß  während  der  Vorträge  jeder 
Hörer  die  entsprechenden  Handkarten  vor  sich  hat,  was  den  er- 
forderlichen und  öfters  zu  erneuernden  Bestand  an  solchen,  die  man 
im  allgemeinen  den  Hand-  oder  Schulatlanten,  gelegentlich  auch 
größeren  Kartenwerken  entnimmt  oder  selbst  in  autographischen 
Skizzen  entwirft,  leicht  auf  Tausende  von  Exemplaren  anwachsen 
läßt.  Die  Ergänzung  der  Anschauungsmittel  durch  größere  geogra- 
phische Charakterbilder  oder  durch  Photographien  muß  neuerdings 
durch  die  ungleich  instruktiveren  Lichtbilder  erfolgen.  Einzelne  In- 
stitute verfügen  bereits  über  einen  großen  Reichtum  an  Diapositiven 
und  in  der  Mehrzahl  geht  man  zur  Selbstanfertigung  solcher  über, 
was  eigene  Vorrichtungen  in  den  Räumen  des  Instituts  erfordert. 

Die  Apparate  zur  Erläuterung  der  Lehren  der  astronomischen 
Geographie  werden  sich  nicht  auf  die  in  Schulen  üblichen  Tellurien 
beschränken  dürfen.  Manche  Dozenten  betrachten  es  als  eine  Auf- 
gabe der  entsprechenden  Institutssammlung,  Serien  solcher  Apparate 
verschiedener  Konstruktion  einzuverleiben,  um  sie  auf  ihre  Ver>\'end- 
barkeit  zu  prüfen  und  den  späteren  Lehrern  der  Erdkunde  die  zweck- 
mäßigsten empfehlen  zu  können.  Das  gilt  auch  insbesondere  von 
allen  Arten  von  Globen. 

Die  Bedeutung,  welche  die  Geomorphologie  für  die  Erdkunde 
in  den  letzten  Jahrzehnten  gewonnen,  hat  abgesehen  von  der  Be- 
schaffung typischer  Reliefs,  wie  der  bekannten  Heim'schen  u.  a.,  die 
doch  immer  nur  wenige  Erscheinungen  zur  anschaulichen  Darstellung 
bringen  können,  zur  Anlegung  einer  eigenartigen  Gesteinssammlung 
geführt.  Abgesehen  von  Handstücken  der  gebirgsbildenden  Felsarten, 
verleibt  man  solche  ein,  die  alle  Arten  und  Stadien  der  Quetschungs-, 
Verbiegungs-,  Verwitterungs-,  Abschleifungs-,  Ablagerungs-  usw.  Er- 
scheinungen veranschaulichen.     In  einigen  Instituten  haben  derartige 


238  Lehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Sammlungen  schon  einen  fast  über  die  einfachen  Demonstrations- 
zwecke hinausgehenden  Umfang  angenommen. 

Die  Unterweisung  in  der  Klimatologie,  der  Fluß-,  Seen-  und 
Meereskunde  erfordert  einen  Stock  von  Modellen  und  Beobachtungs- 
instrumenten einfacher  Art,  der  sich  nach  Zahl  und  Qualität  ver- 
mehren muß,  sobald  Anwendung  der  letzteren  auf  Exkursionen  ge- 
zeigt werden  soll.  Es  ist  verständlich,  daß  das  Institut  in  Kiel,  an 
dessen  Spitze  ein  namhafter  Ozeanograph  steht,  seine  Instrumenten- 
sammlung nach  der  meereskundlichen  Seite  z.  B.  durch  teure  Tief- 
seemeßapparate  erweitert  hat,  welche  binnenländische  Hochschulen 
niemals  zur  Verwendung  bringen  könnten. 

Eine  Tendenz,  die  Demonstrationssammlungen  auf  ethnogra- 
phische Gegenstände  auszudehnen,  scheint  zur  Zeit  bei  geographischen 
Instituten  in  geringem  Grade  zu  bestehen,  wohl  aber  hat  man  dort, 
wo  man  die  Wirtschaftsgeographie  betont,  insbesondere  die  Ausbreitung 
der  Kulturpflanzen  und  Nutztiere  mehr  in  die  Betrachtung  ge- 
zogen wird,  Produktensammlungen  anzulegen  begonnen.  Doch 
scheinen  die  Räume  und  Mittel  nirgends  zu  einer  systematischen 
Ausgestaltung  derselben  auszureichen. 

Äußerst  verschiedenartig  dürfte  zur  Zeit  noch  der  Bestand  an 
geographischen  Utensilien  und  Instrumenten  im  engeren 
Sinne  bei  den  einzelnen  Instituten  sein.  Bei  vielen  verbietet  der 
Mangel  an  Mitteln  eine  ausreichende  Beschaffung,  aber  die  Ver- 
schiedenheit hängt  auch  mit  der  besonderen  Pflege  dieses  oder  jenes 
Zweiges  praktischer  Betätigung  in  den  einzelnen  Anstalten  zusammen. 
Nicht  unbedeutend  ist,  was  nach  dieser  Hinsicht  die  kartographischen 
Übungen  an  allen  Arten  zeichnerischer  Utensilien  erfordern.  Die 
gewöhnlichen  Reißzeuge  und  Lineale  reichen  meist  nicht  aus.  Haar-, 
Proportions-,  Ellipsen-,  Stangen-  usw.  Zirkel,  feine  Transporteure, 
Storchschnäbel,  Kurvenlineale,  Schablonenmesser  und  -Pinsel  und 
ähnliches  müssen  in  ausreichender  Zahl  vorhanden  sein.  Ein  Spezi- 
fikum  geographischer  Instrumentensamnilung  sind  alle  kartometrischen 
Instrumente.  Nicht  allein  zu  Übungszwecken  bedarf  man  einer 
größeren  Anzahl  von  Kurvimetern  und  Planimetern  usw.,^  sondern 
womöglich  auch  um  alle  Systeme  nach  ihren  Fehlerquellen  prüfen 
zu  können.  Die  geographischen  Universitätsinstitutc  scheinen  dafür 
nach  gewisser  Richtung  der  richtige  Ort  zu  sein. 

Wenn  die  astronomische  Ortsbestimmung  nach  schärferen  Me- 
thoden dem  Astronomen  überlassen  werden  kann  und  demnach  die 
geographischen  Institute  nur  einiger  Übungsinstrumente  bedürfen,    so 


Philosophische  Fakultät:    Geographie.  239 

wird  überall  dort,  wo  einzelnen  jungen  Geographen  die  einfachen 
Beobachtungsmethoden  beigebracht  werden  sollen,  die  Forschungs- 
reisende anzustellen  pflegen,  wiederum  ein  eigenartiger  Stock  von 
Instrumenten  je  in  größerer  Anzahl  benötigt  sein.  Solche  für  Routen- 
aufnahmen und  für  Höhenmessungen  kommen  in  erster  Linie  in 
Betracht.  Bis  jetzt  findet  sich  ein  größerer  Bestand  nur  in  wenigen 
Instituten. 

Damit  haben  wir  uns  schon  stark  von  den  Bedürfnissen  geo- 
graphischer Seminare  entfernt,  wie  sie  in  älterer  Zeit  geplant  waren. 
Weitaus  die  größten  Beträge  der  verfügbaren  Mittel  werden  wohl 
überall  auf  die  Beschaffung  einer  Handbibliothek  verwendet  werden. 
Der  Umfang  derselben  ist  dennoch,  wie  es  scheint,  sehr  verschieden. 
Weniger  weil  die  Mittel  verschieden  bemessen  sind  —  einen  gewissen 
Bestand  an  Hand-  und  Lehrbüchern  der  Erdkunde  und  benachbarter 
Wissenschaften  dürften  alle  Seminarbibliotheken  haben  — ,  als  weil 
lokale  Vergünstigungen  eine  Beschränkung  erlauben.  Das  gilt  z.  B. 
für  einzelne  Orte  am  Sitz  einer  geographischen  Gesellschaft,  welche, 
wie  in  Greifswald  und  Gießen,  ihre  im  Austausch  gewonnene  Bi- 
bliothek im  geographischen  Institut  zur  Aufstellung  bringen,  oder  für 
solche  wie  Göttingen,  wo  das  Institut  sich  in  dem  Gebäude  der 
Universitätsbibliothek  befindet,  sodaß  deren  Bestände  jederzeit  leicht 
zugänglich  sind.  Leipzig  verfügt  bereits  über  eine  stattliche  geogra- 
phische Bibliothek.  In  Berlin  haben  das  Geographische  Institut  und 
das  Institut  für  Meereskunde  eine  gemeinsame  Handbibliothek.  Zu 
den  unentbehrlichsten  Büchern  eines  geographischen  Lesezimmers 
gehören  aber  neben  den  Handbüchern  unbedingt  eine  Reihe  unserer 
wichtigsten  geographischen  Zeitschriften,  vor  allem  auch  einige  aus- 
ländische, die  trotzdem  aus  Mangel  an  Mitteln  noch  vielfach  in 
denselben  fehlen.  Die  großen  Handatlanten  müssen  des  Vergleichs 
wegen    sämtlich    in    älteren    und    neueren  Ausgaben   vorhanden  sein. 

Weit  schwieriger  ist  es  bei  beschränkten  Mitteln  das  wichtigste 
Studienobjekt  des  wissenschaftlichen  Geographen,  die  Landkarten- 
sammlung, auf  dem  Laufenden  zu  erhalten.  Nach  dieser  Hinsicht 
sind  die  einzelnen  Institute  noch  äußerst  verschieden  gestaltet.  Göttingen 
erscheint  mit  seinem  Bestand  von  rund  28  000  Karten  besonders  be- 
vorzugt. Dies  verdankt  das  dortige  Institut  dem  Umstand,  daß  die 
sämtlichen  der  Universitätsbibliothek  gehörigen  Einzelkarten  —  ca. 
20000  —  im  Jahre  1885  dem  Institut  zur  Verwaltung  und  Eru^eiterung 
durch  die  eigene  Sammlung  übergeben  wurden.  Daher  konnte  hier 
leichter  der  Bestand  an  topographischen  Karten  europäischer  Staaten 


240  Lehrgebiet  und  Lehxbetrieb. 

ZU  annähernder  Vollständigkeit  ergänzt  werden.  An  Seekarten 
dürfte  Berlin  mit  der  Zeit  den  größten  Bestand  besitzen.  Ganz 
systematisch  eine  solche  Sammlung  zu  ergänzen,  würde  große  Mittel 
erfordern.  Diese  müßten  mindestens  so  bemessen  sein,  daß  man 
bei  wissenschaftlichen  Arbeiten  einzelner  Hörer  das  jeweilig  erforder- 
liche Material  beschaffen  kann. 

Überblickt  man  das,  was  heute  an  Unterrichts-  oder  Sammlungs- 
material wenigstens  in  den  älteren  geographischen  Universitätsinstituten 
aufgespeichert  Ist,  so  kann  man  trotz  fühlbarer  Lücken  nicht  wohl 
anders  urteilen,  als  daß  dem  allseitigen  Studium  der  Erdkunde  in 
erfreulicher  Weise  durch  das,  was  die  Studierenden  heute  vorfinden, 
Vorschub  geleistet  wird. 

5.  Historische  Geographie.  Die  Pflege  der  historischen  Geographie  ist 
in  Deutschland  erst  jüngst  in  ein  neues  Stadium  getreten.  Zwar  bestand  in  Berlin  eine 
eigene  Professur  dafür  schon  seit  1889.  Als  v.  Richthofen  damals  nach  Berlin  berufen 
ward,  trat  formell  eine  Teilung  der  Aufgaben  zwischen  ihm  und  Heinrich  Kiepert  ein, 
der  schon  nach  C.  Ritters  Tode  den  I^hrstuhl  des  letzteren  inne  hatte.  Kiepert  galt 
seitdem  als  Vertreter  der  historischen,  v.  Richthofen  als  der  der  physischen  Erdkunde. 
Beide  hatten  getrennte  Fonds  und  Einrichtungen.  Im  Jahre  1900  ward  nach  Kieperts 
Tode  die  Trennung  noch  schärfer  durchgeführt.  Mit  großen  Mitteln  stattete  man  durch  Be- 
schaffung einer  Bibliothek  und  schöner  Arbeitsräume  ein  „Seminar  für  historische  Geo- 
graphie*' aus.  Es  zerfällt  in  drei  .Abteilungen :  für  alte  Geographie,  historische  Geographie 
des  Mittelalters  und  der  Neuzeit,  und  für  orientalische  Geographie.  Die  Oberleitung  ist 
mit  dem  Ordinariat  für  alte  Geographie  verknüpft.  Ein  Assistent  steht  dem  I^iter  zur 
Seite.  Die  Übungen  der  beiden  anderen  Abteilungen  werden  von  Privatdozenten  abge- 
halten. In  ähnlicher  Weise  besteht  in  I^ipzig  seit  1899  ein  „Institut  für  historische  Geo- 
graphie" im  engen  Anschluß  an  das  dortige  historische  Seminar,  dessen  Direktor  neben 
dem  Professor  der  bist.  Geographie  Mitdirektor  des  neuen  Instituts  ist.  Die  räumliche  Nach- 
barschaft gestattet  die  Mitbenutzung  der  reichhaltigen  Bibliothek  des  historischen  Seminars. 
Der  ersten  Abteilung  ist  die  Pflege  der  alten  Geographie  unter  Leitung  des  Professors 
der  historischen  (Geographie  zugewiesen,  die  der  mittelalterlichen  und  neuzeitlichen  histo- 
rischen Erdkunde  untersteht  dem  Professor  der  neueren  Geschichte.  Die  Übungen  leitet 
ein  Assistent.  In  Verbindung  mit  dem  Institut  besteht  die  auf  Anr^[ung  des  Gesamt- 
vereins deutscher  (ieschichts-  und  Altertumsvereine  begründete  „Zentralstelle  für  Grund- 
karten". Es  sind  dies  I ^ndschaftskarten  im  Maßstab  1  :  100000,  welche  außer  dem  Fluß- 
netz nur  Namen  und  Gemarkungsgrenzen  der  Ortschaften  enthalten;  ihre  Herstellung 
wurde  zuerst  von  dem  Tübinger  Rechtsgelehrten  Fr.  Thudichum  angeregt. 

Die  Übungen  in  den  historisch-geographischen  Instituten  gleichen  im  ganzen  den- 
jenigen in  historischen  Seminaren.  Lektüre  und  Interpretation  geographischer  Schrift- 
steller wird  vorwiegend  getrieben;  die  Eigenart  liegt  in  der  geographischen  Auslegung 
auch  des  historischen  Quellenmaterials.  Es  ist  keine  Frage,  daß  von  diesen  Ausgangs- 
punkten aus  für  ein  lange  brachliegendes  Feld  neue  Mitarbeiter  werden  gewonnen  werden, 
wenn  auch  selbstredend  die  Erdkunde  dabei  vorzugsweise  Hilfswissenschaft  der  Ge- 
schichte bezw.  Kulturgeschichte  bleiben  wird. 

6.  Meereskunde  und  Geophysik.  Nach  der  naturwissenschaftlichen  Seite 
sind  im  Deutschen  Reiche  bis  jetzt  zwei  neue  Institute  in  unmittelbare  Verbindung  mit 
der  Erdkunde  gebracht,  indem  sie  der  Leitung   von    Professoren    der    Geographie    unter- 


Philosophische  Fakultät:    Geographie.  241 

stellt  sind,  das  1899  in  Berlin  errichtete  Institut  für  Meereskunde  und  die  Erdbebenwarte 
in  Straßburg. 

Das  erstere  soll  die  „Meereskunde  einerseits  in  geographischer  und  nalur^'issen- 
schaftlicher,  anderseits  in  historisch-volkswirtschaftlicher  Hinsicht  in  Vorlesungen,  Übungen 
und  Arbeiten  fördern",  zugleich  aber  Verständnis  für  das  Maß  und  die  praktische  Be- 
deutung des  Seewesens  für  Deutschland  in  weiten  Kreisen  verbreiten.  Aufler  den  erfor- 
derlichen Anschauungsmitteln,  einer  umfassenden  Bibliothek  und  Kartensammlung  soll  dem 
Zweck  ein  eigenes  Museum  für  Meereskunde  dienen,  das  nicht  nur  das  gesamte  Instru- 
mentarium, sondern  auch  die  Ausnutzung  des  Meeres  durch  die  Schiffahrt  und  den  Hafen- 
bau usw.  veranschaulicht.  Das  Museum  nimmt  die  beiden  unteren  Stockwerke  desselben 
Gebäudes  ein,  in  dem  sich  oben  das  Institut  für  Meereskunde  und  das  geographische  be- 
finden. Für  ersteres  ist  daher  ein  Stab  von  Beamten  in  zwei  Abteilungsvorstehem, 
mehreren  Kustoden,  Assistenten  usw.  angestellt.  Das  Museum  ist  erst  in\  Entstehen, 
doch  sind  bereits  eine  große  Reihe  von  Apparaten,  Schifismodellen,  Abbildungen  usw. 
aus  den  entsprechenden  seemännischen  Anstallen  in  Kiel,  Hamburg  (Seewarte)  usw.  zur 
Füllung  des  Museums  nach  Berlin  überführt.  Im  Winter  werden  Vorlesungszyklen  für 
weitere  Kreise  von  einer  großen  Zahl  von  Gelehrten  aus  Berlin  und  aus  der  Feme  abge- 
halten, die  sich  auf  alle  Zweige  der  Meereskunde  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  er- 
strecken. 

Die  Straßburger  Erdbebenwarte,  seit  kurzem  zur  Kaiserlichen  Zentralstation  für 
Erdbebenforschung  in  Deutschland  erhoben,  ist  dort  1900  auf  Anregung  des  Vertreters 
der  Geographie  größtenteils  durch  Reichsmittel  errichtet  und  steht  unter  dessen  I^itung, 
jedoch  ohne  organische  Angliederung  an  das  Straßburger  geographische  Seminar.  Für 
den  Fall,  daß  der  Plan,  eine  internationale  seismologische  Assoziation  zu  errichten,  ge- 
lingt —  die  vorbereitenden  Beratungen  fanden  in  Straßburg  im  Jahre  1901  und  1903  statt 
— ,  ist  die  dortige  Station  auch  zur  Zentral-  und  Sammebtelle  für  internationale  Erd- 
bebenbeobachtungen ausersehen.     I^hrinstitut  ist  die  Station  zur  Zeit  nicht. 

Auch  an  einigen  anderp  Universitäten  hat  man  jüngst  der  Geophysik  eigene 
Arbeitsstätten  bereitet,  aber  von  dem  Gedanken  ausgehend,  daß  es  sich  in  erster  Linie 
um  einen  Zweig  der  angewandten  höheren  Physik  handelt,  hat  man  sie  unter  l^itung 
gewiegter  Physiker  gestellt.  Die  großartigen  Königlichen  Obsen-atorien  für  Astrophysik, 
Meteorologie  und  Geodäsie  in  Potsdam  stehen  außerhalb  des  Rahmens  der  Hochschulen. 
Ein  eigenes  geophysikalisches  Institut  ist  in  Göttingen  1901  errichtet  und  mit  umfang- 
reichen eigenen  Baulichkeiten  ausgestattet.  Dort  werden  bis  jetzt  vorwiegend  seismome- 
trische,  erdmagnetische  und  luftelektrische  Untersuchungen  getrieben.  Doch  diese  Ein- 
richtungen fallen  damit  bereits  außerhalb  der  Grenzen  dieses  Berichtes  und  finden  in  dem 
über  den  Betrieb  der  Physik  (s.  S.  243)  Erwähnung. 

7.  Anthropologie  und  Ethnographie.  Obwohl  gelegentlich  kleine 
V^orlesungen  über  anthropologische  Fragen  schon  seit  längerer  Zeit  an  deutschen  Uni- 
versitäten gehalten  werden  —  und  zwar  fast  ausschließlich  von  Anatomen  — ,  bestehen  zur 
Zeit  nur  einige  eigene  Lehrstühle  für  diese  Wissenschaft.  Am  längsten  ist  München  da- 
mit ausgestattet,  und  zwar  mit  einem  Ordinariat,  dem  auch  ein  eigenes  Institut  und  eine 
ausgedehnte  anthropologisch  -  prähistorische  Sammlung  untersteht.  Die  Mehrzahl  der 
kleinen  Schädelsammlungen,  wie  auch  die  berühmte  Blumenbachsche  in  Göttingen,  sind 
Bestandteile  der  anatomischen  Museen. 

In  Preußen  hat  man  seit  kurzem  zwei  außerordentlichen  Professoren  einen  Lehr- 
auftrag für  Anthropologie  (neben  Ethnographie)  gegeben,  in  Berlin  im  Bereich  der  philo- 
sophischen, in  Breslau  in  dem  der  medizinischen  Fakultät.  Ph)-sische  Anthropologie  wird 
somit  jetzt  in  zusammenhängenden  Vorlesungen  an  drei  Hochschulen  Deutschlands  be- 
handelt, kraniometrische  oder  allgemein  anthropometrische  Übungen  außerdem  von  ver- 
schiedenen Mitgliedern  der  medizinischen  Fakultäten  angestellt. 

Das  Unterrichttweten  im  Deutschen  Reich.      I.  16 


242  Lchrgebiel  und  l^hrbetrieb. 

Die  allgemeine  Völkerkunde  ward  früher  häufiger  von  einzelnen  Geographen 
in  den  Kreis  der  Vorlesungen  gezogen;  jetzt  geschieht  es  nur  noch  an  wenigen  Universi- 
täten. Eine  eigentliche  Pflege,  wie  sie  nur  an  der  Hand  eines  ausgedehnten  Beobachtungs- 
materials geübt  werden  kann,  ist  neueren  Datums  und  naturgemäß  auf  den  Sitz  größerer 
Samjnlungen  beschränkL  Die  Anregung  zu  einem  Aufschwung  des  Studiums  ging  in 
erster  Linie  vom  Völkermuseum  in  Berlin,  sodann  von  Leipzig  aus.  Für  uns  kommt 
weniger  die  Ausbildung  von  Museumsbeamten,  als  die  rein  wissenschaftliche  Pflege  in 
Betracht.  Diese  drängte  auch  hier  auf  Errichtung  eigener  Lehrstühle.  In  Berlin 
erhielten  1899  nicht  weniger  als  drei  Ethnographen  festen  Lehrauftrag,  denen  sich 
bald  noch  einige  Dozenten  zugesellten,  wogegen  der  Nestor  deutscher  Ethno- 
graphen, Bastian,  allmählich  auf  seine  Lehrtätigkeit  verzichtete.  Ein  besoldetes  Extra- 
ordinariat für  Ethnographie  ist  ebenso  seit  kurzem  in  Leipzig  dem  Abteilungsvorstand  am 
Grassi-Museum  (Städtisches  Museum  für  Völkerkunde)  übertragen  und  ein  ebensolches 
in  Freiburg  i.  B.  errichtet.  Hier  steht  das  Museum  für  Urgeschichte  und  Ethnographie 
unter  der  Leitung  des  Anatomen  und  Geologen.  Noch  drei  andere  Hochschulen  haben 
kleine,  zum  Teil  wertvolle  ethnographische  Sammlungen,  ohne  daß  deren  Vorstände  dem 
Studium  der  Völkerkunde  durch  Vorlesungen  und  Demonstrationen  unmittelbar  Vorschub 
leisteten.  Diejenige  in  Göttingen,  in  ihrem  Grundstock  noch  aus  Blumenbachscher  Zeit 
stammend,  steht  unter  Leitung  des  dortigen  Zoologen.  Das  ethnographische  Museum  in 
Jena  hat  den  Geographen  zum  Vorstand,  dasjenige  in  Kiel  einen  Oberlehrer  am  Gym- 
nasium. Die  bedeutenden  Sammlungen  in  München,  Bremen,  Hamburg,  Lübeck  und 
anderen  Städten  sind  mit  Lehrinstituten  nicht  verbunden. 

Während  einzelne  obiger  Dozenten  sich  auf  Vorlesimgen  über  allgemeine  Ethno- 
graphie beschränken,  ziehen  andere  die  spezielle  Völkerkunde  eines  bestimmten  geo- 
graphisch abgegrenzten  Gebietes  vor.  Afrika  und  Ozeanien  sind  bis  jetzt  bevorzugt. 
Einer  der  Berliner  Dozenten  beschränkt  sich  auf  mexikanische  Fragen.  Am  orientalischen 
Seminar  der  Beriiner  Universität  werden  auch  zuweilen  völkerkundliche  Vorlesungen  ge- 
halten. Innerhalb  der  Museen  finden  nach  Art  der  Seminare  ethnographische  Übungen 
für  Anfänger  und  für  Fortgeschrittene  statt,  sodaß  sich  das  Bedürfnis  nach  eigenen  Räumen 
und  besonderen  Einrichtungen  daneben  noch  wenig  fühlbar  gemacht  hat.  Den  Museen 
kommen  die  Arbeiten  der  vorgeschrittenen  Schüler  unmittelbar  zugute.  Die  Mehrzahl 
der  letzteren  sucht  in  die  Laufbahn  des  Museumsbeamten  einzurücken. 

Das  Typische  der  einzelnen  ethnographischen  Sammlungen  hier  zu  schildern  geht 
über  den  Rahmen  des  Berichts. 

Hermann  Wagner. 


XI.  Mathematik,  Physik,  Astronomie. 

In  dem  Sammelwerke  über  die  deutschen  Universitäten,  welches 
anläßlich  der  Unterrichtsausstellung  in  Chicago  vor  nunmehr  10  Jahren 
herausgegeben  wurde,  sind  Mathematik,  Physik  und  Astronomie,  wie 
billig,  je  von  fachmännischer  Seite  bearbeitet,  und  Referent  hatte  also 
nur  den  Bericht  über  die  Mathematik  übernommen;  —  handelte  es 
sich  doch  damals  darum,  für  die  einzelnen  Disziplinen  getrennt  die 
grundlegende  Ent\\'icklung  von  Beginn  des  verflossenen  Jahrhunderts 
an  in  ihren  charakteristischen  Zügen  darzustellen.  Die  Berichter- 
stattung, welche  jetzt  für  die  Weltausstellung  in  St.  Louis  gewünscht 
wird,  hat  es  insofern  leichter,  als  sie  sich  nur  über  den  Zeitraum 
eines  Dezenniums  zu  erstrecken  braucht  und  überall  an  die  genannten, 
für  Chicago  ausgearbeiteten  Berichte  anknüpfen  kann.  Überdies  hat 
sich  die  Aufgabe  etwas  verschoben,  indem  die  Wechselbeziehungen 
zwischen  den  verschiedenen  Disziplinen  mehr  in  den  Vordergrund  des 
Interesses  getreten  sind:  man  wünscht  sich  ein  einheitliches  Bild,  oder 
doch  ein  umfassendes  Bild  von  der  neben  einander  stattfindenden  Ent- 
wicklung der  Nachbarwissenschaften  zu  machen.  Erwägungen  dieser 
Art  sind  es  gewesen,  welche  den  Referenten  bestimmten,  dem  Wunsche 
der  Redaktion  entsprechend,  dieses  Mal  außer  Mathematik  auch 
Physik  und  Astronomie  in  den  Bereich  seiner  Berichterstattung  zu 
ziehen.  Die  Physik  möge  dabei  voranstehen,  weU  sie  in  dem  ver- 
flossenen Dezennium  die  glänzendste  Neuentwicklung  aufweist,  und 
die  Mathematik,  bei  der  es  sich  in  dem  in  Betracht  kommenden  Zeit- 
räume mehr  um  Abklärung  und  neue  Grundlegung  handelt,  möge  den 
Schluß  machen. 

I.  Physik. 

1.  Die  außerordentlichen  Fortschritte,  deren  sich  die  Physik  im 
letzten  Jahrzehnt  erfreuen  durfte,  sind  innere  und  äußere  zugleich; 
sowohl  die  theoretische  Forschung  als  die  praktische  Geltung  der 
Wissenschaft  hat  eine  ungeahnte  Entwicklung  genommen;  in  beiderlei 

16* 


244  l^hrgebict  und  Lehrbetrieb. 

Richtung  ist  deutsche  Arbeit  in  hervorragender  Weise  beteiligt.  Bei 
dem  knappen  Räume,  der  uns  zur  Verfugung  steht,  werden  wir  von 
vornherein  darauf  verzichten  müssen,  den  Gegenstand  nach  seiner 
Viekeitigkeit  darzulegen;  wir  können  einen  Stoff  nicht  auf  wenige 
Seiten  zusammendrängen,  den  die  Berichte  des  1900  abgehaltenen 
internationalen  Pariser  physikalischen  Kongresses  in  4  Bänden  behandelt 
haben.  Wir  sind  vielmehr  von  vornherein  darauf  angewiesen,  nur 
einiges  Wenige,  besonders  Charakteristische  hervorzuheben.  Welche 
theoretischen  Forschungen  bei  einer  solchen  Betrachtungsweise  vor 
anderen  zu  bevorzugen  sind,  dürfte  keinem  Zweifel  unterliegen:  es 
sind  diejenigen  Entdeckungen  und  Überlegungen,  welche  eine  tief- 
gehende Umwandlung  unserer  Ideen  über  die  Rolle  des  Lichtäthers 
und  die  Beziehungen  zwischen  Materie  und  Äther  zur  Folge 
gehabt  haben.  Von  ihnen  mag  hier  zunächst  die  Rede  sein;  auf  die 
mehr  praktischen  Fragen  kommen  wir  später  zurück. 

Flin  kurzer  historischer  Rückblick  wird  uns  am  raschesten  orien- 
tieren. Wir  werden  voranstellen  dürfen,  daß  die  ganze  Bewegung,  über 
die  zu  berichten  ist,  immer  noch  als  Nachwirkung  der  unvergleich- 
lichen Tätigkeit  des  großen  englischen  Forschers  Faraday  anzusehen 
ist.  Wir  werden  dann,  um  uns  zu  den  Leistungen  speziell  der  deut- 
schen Physiker  zu  wenden,  in  erster  Linie  Wilhelm  Webers  maß- 
gebende Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Elektrodynamik  nennen,  ferner 
aber  Hittorfs  ausgezeichnete  Untersuchungen.  An  Faraday  anknüpfend, 
hat  derselbe  zunächst  die  Gesetze  der  Elektrolyse  in  neuer  Bestimmt- 
heit herausgearbeitet,  dann  aber  die  elektrischen  Entladungen  in  luft- 
verdünnten Räumen  als  erster  genauen  Studien  unterworfen  und  insbe- 
sondere die  Haupteigenschaften  der  heute  sogenannten  Kathoden- 
strahlen entdeckt.  Zwanzig  Jahre  später,  kurz  vor  Beginn  unserer 
Berichtsperiode,  folgen  die  bahnbrechenden  Untersuchungen  von 
Hertz  (1888;.  Was  Faraday  und  Maxwell  vorausschauend  erkannt 
hatten:  daß  der  raumerfüllende  Äther  der  Träger  der  elektromagne- 
tischen Fernwirkungen  sei  und  daß  die  Lichtwellen  nur  einen  beson- 
deren Fall  durch  den  Äther  sich  fortpflanzender  elektromagnetischer 
Störungen  vorstellen,  das  wurde  durch  die  Hertzschen  Versuche,  so- 
zusagen, zur  handgreiflichen  Gewißheit.  Freilich  schienen  die  elektri- 
schen Wellen  und  die  optischen  Wellen  zunächst  noch  durch  einen 
Unterschied  der  Größenordnung  getrennt.  Hier  haben  zahlreiche  Ar- 
beiten des  verflossenen  Jahrzehnts  erfolgreich  eingesetzt,  sodaß  der 
Zwischenraum  zur  Zeit  beinahe  überbrückt  ist.  Von  deutscher  Seite 
haben  hierzu  die  interessanten  Forschungen  von  Rubens  (Berlin)  über 


Philosophische  Fakultät:    Mathematik,  Physik,  Astronomie.  245 

die  infraroten  Strahlen  großer  Wellenlänge   wohl  am  meisten    beige- 
tragen. 

Aber  die  Vorgänge  im  reinen  Äther  sind,  sozusagen,  nur  die 
eine  Seite  der  Sache.  Die  andere  betrifft  die  Verknüpfung  des 
Äthers  mit  der  Materie,  wobei  sowohl  die  Vorgänge  bei  der  elektro- 
statischen I^dung  und  der  elektrischen  Leitung  ponderabler  Körper 
erklärt  v\erdcn  müssen,  als  die  Emission  elektrischer  Wellen,  speziell 
der  Lichtquellen.  Helmholtz  hatte  schon  1881  in  einem  zu  Ehren 
Faradays  gehaltenen  Vortrage  hervorgehoben,  daß  die  Leitung  der 
Elektrizität  in  Elektrolyten  nur  durch  die  Annahme  einer  ato- 
mistischen  Struktur  der  an  die  Körperteilchen  gehefteten  Elektrizität 
verstanden  werden  kann:  die  Elektrolyse  geht  so  vor  sich,  als  wenn 
die  wandernden  Atome  der  ponderablen  Materie  (die  Ionen)  jeder 
mit  einem  elektrischen  Atom  (einem  Elektron,  wie  man 
heute  sagt),  oder  doch  einer  bestimmten  Zahl  solcher  Atome, 
behaftet  wären.  Diese  Grund  Vorstellung  wurde  dann  von  der 
physikalischen  Chemie  aufgenommen  und  weiter  ent^\^ickelt.  Von 
Seiten  der  Physiker  begann  man,  in  Verallgemeinerung  des  Ansatzes, 
die  elektrische  Leitung  in  Gasen  und  Metallen  als  eine  Bewegung 
nicht  nur  von  Ionen,  sondern  auch  von  freien  Elektronen  anzusehen. 
Diese  Annahme,  welche  gewi.ssermaßcn  eine  Rückkehr  zu  den 
Wilhelm  Weberschen  Anschauungen  ist,  steht  trotzdem  mit  der  für 
den  freien  Äther  geltenden  MaxwelLschen  Theorie  nicht  in  Wider- 
spruch, sofern  man  noch  hinzufügt,  daß  die  Elektronen  nur  durch 
Vermittlung  des  Äthers  als  in  diesem  bewegte  elektrische  Ladungen 
aufeinander  wirken*).  Sie  gestattet  zugleich,  die  LichtemLssion  (und 
Absorption;  ponderabler  Körper  in  plausibler  Weise  zu  deuten, 
nämlich  durch  Schwingungen  der  in  den  Körpern  enthaltenen 
Elektronen.  Diese  ganze  Auffassungsweise  (die  sogenannte  Elektro- 
nentheorie) i.st  allmählich  von  verschiedenen  Seiten  herangebracht 
worden;  es  ist  unmöglich,  einen  einzelnen  Namen  zu  nennen.  Indem 
sie  eine  einheitliche  Auffassung  des  Gesamtgebietes  elektrischer  und 
optischer  Vorgänge  ermöglicht,  hat  sie  von  vornherein  etwas  Be- 
stechendes. Trotzdem  würde  sie  kaum  die  allgemeine  Geltung 
erlangt   haben,    deren    sie    sich    heute  erfreut,  wäre  nicht  eine  Reihe 

*)  Ref.  ragt  hier  geni  ein,  daß  ihm  W.  Weber  1869  oder  1871  gelegendich 
erläuterte,  nach  (laußscher  Ansi-hauung  stehe  hinler  der  gewöhnlichen  Mechanik,  die  von 
tlen  auf  die  Moleküle  wirkenden  Kräften  handele,  eine  höhere  Mechanik,  nämlich  die 
I^hre  von  der  Fortpflanzung  der  Kräfte  im  Räume.  Die  Maxwellsche  Theorie 
in  modemer  Interpretation  kann  offenbar  als  Ausgestaltung  dieser  Ciaußschen  Auffassung 
angesehen  werden. 


246  Lchrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Überraschender  Entdeckungen  hinzugekommen,  die  einerseits  das 
Gebiet  der  physikalischen  Forschung  in  ungeahnter  Weise  en^eiterten, 
andererseits  aber  sich  zwanglos  in  die  genannte  Auffassung  ein- 
fügten. Merkwürdigerweise  fallen  diese  alle,  oder  doch  ihr  Bekannt- 
werden, in  dasselbe  Jahr  1896. 

Es  war  bei  der  fünfzigjährigen  Jubelfeier  der  Berliner  physi- 
kalischen Gesellschaft,  am  6.  Januar  1896,  daß  Röntgen  (Würzburg, 
jetzt  München)  zum  ersten  Male  einem  größeren  Kreise  von  Physikern 
von  den  X-Strahlen  und  deren  wunderbaren,  jetzt  überall  bekannten 
Eigenschaften  Nachricht  gab  (diese  X-Strahlen  entstehen,  wie  wir  jetzt 
weissen,  überall  da,  wo  Kathodenstrahlen  auf  Hindernisse  stoßen). 
Im  Verfolg  dieser  Mitteilung  findet  Becquerel  (Paris)  wenige  Monate 
später,  daß  es  bestimmte,  wie  es  jetzt  scheint,  weitverbreitete 
Substanzen  gibt,  welche  die  Eigenschaft  der  Radioaktivität  besitzen, 
d.  h.  unausgesetzt  Strahlen  aussenden,  die  in  vielfacher  Hinsicht  den 
Kathodenstrahlen  ähneln.  Endlich  aber  publiziert,  unabhängig  davon, 
Zeeman  (Amsterdam)  im  Oktober  und  November  in  der  Amster- 
damer Akadamie  die  Entdeckung,  daß  die  von  einem  leuchtenden 
Körper  emittierten  Lichtstrahlen  bestimmter  Wellenlänge  sich  in  mehrere 
polarisierte  Strahlen  verschiedener  Wellenlänge  spalten,  sobald  der 
Körper  in  ein  Magnetfeld  gebracht  wird;  gemeinsam  mit  H.  A.  Lorentz 
(Leiden)  konnte  er  die  Erklärung  dieses  Phänomens  ohne  weiteres 
der  Elektronentheorie  der  Lichtemission  entnehmen.  Die  heute  geltende 
Erklärung  der  Röntgenstrahlen  ist  dadurch  vorbereitet  worden,  daß 
Crookes  (London)  bereits  1879  die  Kathodenstrahlen  als  Inbegriff" 
mit  großer  Geschwindigkeit  parallel  zu  einander  geschleuderter  Teilchen 
aufgefaßt  hatte.  E.  Wiechert  (damals  Königsberg,  jetzt  Göttingen) 
ist  der  erste,  der  dementsprechend  die  Röntgenstrahlen  als  unregel- 
mäßige Erschütterungen  im  Äther  erklärte,  welche  durch  den  Anprall 
der  geschleuderten  Teilchen  an  Hindernisse  entstehen  (April  1896). 
Er  begründet  ferner  als  erster  die  Auffassung,  daß  es  sich  in  den 
Kathodenstrahlen  um  Elektronen  handelt,  die  sich  selbständig  mit  sehr 
viel  kleinerer  Masse,  als  den  chemischen  Atomen  zukommt,  bewegen, 
und  deren  Geschwindigkeit  der  Lichtgeschwindigkeit  vergleichbar  ist 
(Januar  1897).  Diese  Auffassungsweise  und  die  in  ihr  beschlossenen  Re- 
sultate sind  sehr  bald  von  anderer  Seite  durch  andere  Methoden,  vielfach 
unabhängig,  wiedergefunden  worden.  Es  ergeben  sich  dabei  die  merk- 
würdigsten Bestätigungen ;  insbesondere  stimmt  die  auf  diesem  Wege 
sich  ergebende  Masse  des  einzelnen  Elektrons  mit  derjenigen,  w^elche  sich 
aus   dem  Zeeman-Phänomen    ableiten    läßt,    vortrefflich    überein  (ca. 


Philosophische  Fakultät:    Mathematik,  Phpik,  Astronomie.  247 

9nnn  ^^^  Wasserstoffatoms).  —  Die  Erklärung   der  Becquerelstrahlen 

endlich  spielt  auf  chemisches  Gebiet  hinüber  und  scheint  dort  eine 
grundsätzliche  Umgestaltung  der  geltenden  Vorstellungsweise  von  der 
Un Veränderlichkeit  der  chemischen  Elemente  zu  verlangen.  Aber 
eben  deshalb  können  wir  auf  die  wunderbaren  Tatsachen,  welche  im 
Anschluß  an  Becquerels  ursprüngliche  Entdeckung  allmählich  bekannt 
wurden,  die  Entdeckung  des  Radiums  durch  das  Ehepaar  Curie 
(Paris,  1898)  usw.,  hier  nicht  eingehen;  auch  der  Chemiker  könnte 
nur  in  vorsichtigster  Form  berichten,  da  jeder  Tag  neue  Überraschungen 
bringen  kann.  In  physikalischer  Hinsicht  sind  die  Becquerektrahlen 
offenbar  mit  den  Kathodenstrahlen  enge  ven^^andt. 

Soweit  unser  Bericht  über  die  neuen  Tatsachen  und  die  unmittelbar 
durch  sie  begründeten  neuen  Auffassungen.  Wir  fügen  noch  hinzu,  daß 
wir  auch  auf  dem  engen  von  uns  berührten  Gebiete  sehr  unvoll- 
ständig gewesen  sind.  Wir  haben  z.  B.  bei  den  Kathodenstrahlen 
die  ausgezeichneten  Arbeiten  von  Goldstein,  von  Hertz  selbst,  von 
Lenard  und  anderen  deutschen  Physikern  nicht  genannt,  von  aus- 
ländischen Autoren,  wie  J.  J.  Thomson  (Cambridge)  usw.  ganz  zu 
schweigen.  Wir  haben  die  grundlegenden  Untersuchungen  einer 
Reihe  jüngerer  deutscher  Forscher,  die  sich  auf  die  Temperatur- 
strahlung des  sogenannten  schwarzen  Körpers  beziehen,  ebensowenig 
en^'ähnt,  wie  die  anderen,  welche  die  Gesetzmäßigkeiten  der  Spektral- 
linien und  ihren  Zusammenhang  mit  dem  Zeeman-Effekt  betreffen. 
Aber  wir  müssen  abbrechen,  um  nun  zunächst  der  Wandlungen  und 
Weiterbildungen  zu  gedenken,  welche  die  mathematische  Theorie 
der  physikalischen  Erscheinungen  in  dem  von  uns  betrachteten  Zeit- 
räume erfahren  hat. 

2.  Maxwell  hatte  seine  Untersuchungen  über  die  Ausbreitung 
elektromagnetischer  Wirkungen  im  Äther  bekanntlich  ursprünglich  an 
konkrete  Vorstellungsweisen  betreffend  die  Konstitution  des  Äthers 
angeknüpft,  hat  dann  aber  in  seinem  grundlegenden  Werke  von  1873 
alle  besonderen  Ansätze  zurückgeschoben  und  nur  eine  allgemeine 
Schilderung  der  in  die  Beobachtung  fallenden  Verhältnisse  durch 
geschickt  gewählte  Differentialgleichungen  gegeben.  Dieses  Verfahren, 
welches  man  als  phänomenologisch  zu  bezeichnen  pflegt,  ver- 
zichtet zugunsten  unmittelbar  erreichbarer  klarer  Resultate  auf  tiefer 
gehende,  aber  hypothetische  Spekulationen;  es  ist  ein  eminent 
praktisches  und  zugleich  in  mathematischer  Hinsicht  besonders 
elegantes    Verfahren.      Die    deutschen    Physiker   haben     zu    Anfang 


248  I^hrgebiet  und  I^hrl>etrieb. 

der  Berichtsperiode  dem  phänomenologischen  Ansatz  besondere 
Sympathie  entgegengebracht.  Ein  glänzend  geschriebenes  Bei- 
spiel geben  Hertz'  eigene  theoretische  EntA\icklungen  zur  Elektro- 
dynamik (1890).  Auch  W.  Voigt  in  seinem  umfassenden 
„Kompendium  der  mathematischen  Physik"  (2  Bände,  1895/96),  wie 
in  seinen  zahlreichen  sonstigen  Arbeiten,  bevorzugt  die  phänomeno- 
logische Methode,  welche  unter  seinen  Händen  vielfach  die  Resultate 
noch  nicht  angestellter  Versuche  vorauszusagen  vermochte.  Aber  in 
dem  Maße,  als  die  Betrachtung  der  Ionen  und  Elektronen  für  die  all- 
gemeine Auffassung  wesentlicher  wird,  entsteht  ein  Umschwung. 
Jetzt  ist  es  wieder  die  Molekulartheorie,  welche,  natürlich  in  zeit- 
gemäßer Umgestaltung,  in  den  Vordergrund  rückt;  die  Differential- 
gleichungen der  physikalischen  Probleme  erscheinen  nur  mehr  ak 
abgekürzte  Formen  von  Differenzengleichungen.  H.  A.  Lorentz' 
Studien  über  die  Elektrodynamik  bewegter  Körper  (1892)  erweisen 
sich  in  dieser  Hinsicht  als  bahnbrechend;  ihnen  reihen  sich  in 
Deutschland  zunächst  die  ursprünglich  (1894)  unabhängig  von  Lorentz 
unternommenen  theoretischen  Arbeiten  von  Wiechert  an.  Zu 
Wiecherts  zusammenfassender  Schrift  „Über  die  Grundlagen  der 
Elektrodynamik"  (1899)  wird  übrigens  binnen  kurzem  eine  Gesamt- 
darstellung der  Theorie  von  H.  A.  Lorentz  selbst  im  fünften  Bande 
der  mathematischen  Enzyklopädie  treten.  (Näheres  betreffend  die 
Enzyklopädie  siehe  unter  Mathematik.)  Im  übrigen  partizipieren 
Physiker  aller  Nationen  an  dem  Ausbau  der  in  Betracht  kommenden 
Ansätze;  ich  nenne  von  Engländern  insbesondere  Heaviside, 
Larmor,  J.  J.  Thomson,  von  Franzosen  Poincare. 

Vom  allgemeinen  Gesichtspunkte  aus  interessant  ist  insbesondere 
die  Wandlung,  welche  die  Behandlungsweise  und  die  Wertschätzung 
der  theoretischen  Mechanik  im  Kreise  der  Physiker  unter  der  Kon- 
taktwirkung der  geschilderten  Entwicklungen  erleidet.  Die  traditio- 
nelle (wohl  auf  Laplace  zurückgehende)  Meinung  ist,  daß  die  Me- 
chanik die  Grundlage  alles  physikalischen  Geschehens  sei;  sie  nimmt 
überdies  an,  daß  die  letzten  Bestandteile  der  Materie  streng  punkt- 
förmig sind  und  dementsprechend  per  distans  aufeinander  wirken. 
In  dieser  starren  P'orm  wird  die  klassische  Doktrin  während  der 
Berichtsperiode  eigentlich  nur  noch  von  Boltzniann  festgehalten,  der 
übrigens  eben  nun  seine  Ableitung  des  zweiten  Wärmesatzes  aus  den 
Voraussetzungen  der  kinetischen  (lastheorie  zur  Vollendung  bringt. 
Mehr  Sympathieen  findet  die  auf  Lord  Kelvin  zurückgehende  Tendenz, 
die  Welt  aus  kontinuierlich  ausgedehnten  Körpern  aufzubauen,  die  nur 


Philosophische  Fakultät:   Mathematik,  Physik,  Astronomie.  249 

durch  unmittelbare  Berührung  auf  einander  wirken.  Die  Mechanik 
behält  dabei  ihre  zentrale  Stellung  (an  der  übrigens  auch  Helm- 
holtz  und  Maxwell  immer  festgehalten  haben*),  aber  es  findet  doch 
eine  weitgehende  Umänderung  der  Anschauungsweisen  statt,  indem 
das,  was  gemeinhin  potentielle  Energie  genannt  wird,  durch  kinetische 
Energie  „verborgener  Bewegungen"  ersetzt  wird.  Hertz  hat  dieser 
Möglichkeit  offenbar  den  größten  erkenntnistheoretischen  Wert  bei- 
gelegt; er  hat  sie  in  seiner  posthumen  Mechanik  (1894)  in  streng 
systematischer  und  formell  vollendeter  Darstellung  zur  Durchführung 
gebracht.  Aber  bald  tritt  eine  mehr  radikale  Wendung  hervor.  Man 
will  die  Mechanik  nicht  mehr  als  Grundlage  der  Physik  gelten  lassen, 
sondern  nur  als  ein  einzelnes  Kapitel  einer  umfassenderen  Doktrin, 
der  Energetik.  Die  Energie  wird  wie  eine  Art  Substanz  angesehen, 
die  verschiedener  Erscheinungsformen  fähig  ist:  der  mechanischen, 
elektrischen,  chemischen  usw.;  die  Physik  hat  davon  Rechenschaft  zu 
geben,  nach  welchen  Gesetzen  sich  diese  Erscheinungsformen  gegebenen- 
falls untereinander  umsetzen.  Mechanik  und  Elektrizitätslehre  werden 
solchen^'eise  nebeneinander  geordnet.  Und  nun  kommt  der  letzte 
Schritt,  der  auf  Grund  der  Elektronenvorstellung  das  frühere  Ver- 
hältnis gradezu  umkehrt.  Nicht  die  Elektrizitätslehre  soll 
mechanisch,  sondern  die  Mechanik  elektrisch  verstanden 
werden.  Was  wir  gemeinhin  ponderable  Materie  nennen,  wird  als 
ein  Aggregat  von  Elektronen  gedeutet,  die  einzeln  nur  elektromagne- 
tische Masse  besitzen,  d.  h.  in  einer  bestimmten  Weise  mit  dem 
umgebenden  Äther  verkettet  sind.  Die  Grundgesetze  der  alten  Me- 
chanik, also  Newtons  „leges  motus",  desgleichen  die  allgemeine 
Gravitation,  sollen  als  Folge  der  Ma.xwellschen  Gleichungen  für  ge- 
eignet aufgebaute  Elektronenaggregate  abgeleitet  werden. 

Fassen  wir  zusammen,  so  werden  wir  sagen  können,  daß 
unter  dem  Einfluß  der  e.xperimentellcn  Fortschritte  auch 
die  mathematische  Physik  in  eine  jugendlich  vorwärts 
drängende  Periode  ei'ngetreten  ist.  Dies  gilt  nicht  nur  für  die 
Elektrizitätslehre,  sondern  für  ziemlich  alle  Teile  des  großen  von  der 
Theorie  zu  umfassenden  Gebietes.  Da  ist  zunächst  wenig  Zeit,  die 
mathematischen  Formulierungen  konsequent  zu  studieren,  man  ist 
zufrieden,    die  Probleme  durch  kühnen  Ansatz    wechselnd    zu    fassen 

*)  Helmholtz,  der  1893  als  Delegierter  Deutschlands  auf  dem  Chicagoer  physi- 
kalischen Kongreß  noch  eine  so  große  Rolle  spielte,  Ist  bald  heniach  (am  8.  September 
1894)  gestorben;  ich  ven^eise  beiläufig  auf  die  von  Königsberger  herausgegebene, 
jetzt  in  3  Bänden  vollendet  vorliegende,  inhaltreiche  wissenschaftliche  Biographie. 


250  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

und  die  eine  oder  andere  überraschende  Folgerung  zu  ziehen.  Ein 
glänzendes  Beispiel  wird  durch  die  Behandlung  der  Gesetze  der  Licht- 
emission bis  hin  zu  ihrer  Vereinigung  mit  der  Moleculartheorie  ge- 
geben (W.  Wien,  Planck,  H.  A.  Lorentz).  Eine  gewisse  Ana- 
logie mit  der  Zeit,  wo  Fresnels  divinatorische  Begabung  die  wesent- 
lichen Gesetze  der  Undulationstheorie  des  Lichtes  erfaßt,  aber  C auch y 
die  exakten  Grundlagen  derselben  noch  nicht  ent^\ickelt  hatte,  scheint 
unverkennbar.  Wird  für  die  mathematische  Physik  demnächst  ein 
neuer  Cauchy  erstehen,  der  die  in  die  Halme  geschossene  Frucht  in 
die  sicheren  Gewahrsame  folgerechter  mathematischer  Überlegung 
einsammelt? 

3.  Wir  haben  nun  noch  der  nicht  minder  bemerkenswerten 
Entwicklung  zu  gedenken,  welche  der  Physik  während  unserer 
Berichtsperiode  in  praktischer  Hinsicht  zuteil  geworden  ist.  Unter 
allgemeinen  Gesichtspunkten  interessant  ist  bereits,  daß  die  physi- 
kalische Forschung  einen  sehr  viel  mehr  internationalen  Charakter 
erhalten  hat,  als  sie  früher  besaß;  es  tritt  dies  in  unserem  bisherigen 
Berichte  ohnehin  deutlich  hervor  und  braucht  also  hier  nicht  besonders 
ausgeführt  zu  werden.  Wir  müssen  aber  mit  einigen  Worten  der 
besonderen  Entwicklung  gedenken,  welche  die  Beziehung  der 
Physik  zur  Technik  gewonnen  hat. 

Diese  Beziehung  zur  Technik  ist  allgemein  erkennbar  hervor- 
getreten, als  vor  nun  etwa  20  Jahren  die  Elektrotechnik  ihren 
Siegeslauf  begann.  Die  Beziehung  ist  dort  in  der  Tat  eine  besonders 
enge,  ohne  weiteres  verständliche.  Aber  schon  lange  vorher 
hatten  hervorragende  Ingenieure  erkannt,  daß  alle  anderen  Zweige 
der  ausführenden  Technik,  insbesondere  des  Maschinenbaues,  ebenso 
physikalische  Probleme  einschließen,  wie  die  Konstruktion  der  Dynamo- 
maschinen oder  die  Verlegung  elektrischer  Kabel,  —  daß  es,  ebenso 
wie  es  eine  technische  Chemie  gibt,  eine  technische  Physik  geben 
müsse.  An  der  technischen  Hochschule  zu  München  hat  dann  dieser 
Gedanke  durch  Bauschinger  und  Linde  bereits  im  Laufe  der 
70er  Jahre  zur  Einrichtung  besonderer  Versuchsanstalten  für  Festig- 
keitslehre und  Thermodynamik  geführt.  Praxis  und  Theorie  werden 
durch  derartige  Einrichtungen  gleichzeitig  gefördert,  letztere  darum, 
weil  die  Verschiedenheit  der  äußeren  Abmessungen  und  der  Neben- 
bedingungen Erscheinungen  hervortreten  läßt,  welche  dem  gewöhn- 
lichen Laboratoriumsversuche  fremd  sind.  Ein  vortreffliches  Beispiel 
für  die  Leistungsfähigkeit  der  technischen  Physik  nach  beiden  Seiten 
hin  gibt  der  ausgezeichnete  Luftverflüssigungsapparat,  mit  welchemLinde 


Philosophische  Fakultät:   Mathematik,  Physik,  Astronomie.  251 

1895  hervortrat.  Man  hatte  bis  dahin  die  Abweichung,  welche 
zA\'ischen  dem  tatsächlichen  thermodynamischen  Verhalten  der  atmo- 
sphärischen Luft  und  dem  idealen  Schema  des  Mariotte-Gay  Lussacschen 
Gesetzes  besteht,  als  etwas  beiläufiges  betrachtet;  hier  ist  sie  mit 
größtem  praktischen  Erfolge  zum  Prinzip  der  Konstruktion  gemacht. 
Nach  anderer  Seite  hat  das  Bedürfnis  der  Technik  nach  einheitlichen 
oder  doch  vergleichbaren  und  zuverlässigen  Maßen  von  jeher  einen 
Berührungspunkt  mit  der  Physik  abgegeben.  Die  außerordentlichen 
Vorteile,  welche  die  Physik  aus  dieser  Beziehung  gewonnen  hat, 
liegen  auf  der  Hand.  Die  internationale  Meterkonvention  führte  bald 
nach  ihrer  Gründung  (1875)  zur  Einrichtung  der  Präzisionslaboratorien 
in  Breteuil  bei  Paris.  Der  Pariser  elektrische  Kongreß  von  1881 
fixiert  die  elektrischen  Einheiten  und  veranlaßt  dadurch  neue,  zuver- 
lässige Bestimmungen  der  fundamentalen  elektrischen  Konstanten. 
Einen  weiteren  wichtigen  Schritt  in  der  genannten  Richtung  bedeutet 
die  1887  unter  wesentlicher  Mitwirkung  von  Werner  Siemens 
erfolgte  Gründung  der  physikalisch-technischen  Reichsanstalt  zu  Berlin, 
deren  erster  Präsident  Helmholtz  wurde.  Hier  werden  auf  den  ver- 
schiedensten Gebieten  der  Physik  dauernd  systematische  Messungen 
durchgeführt,  welche  der  Technik  und  der  Theorie  gleichmäßig  zu- 
gute kommen.  Die  besondere  Leistungsfähigkeit  unserer  elektrischen 
Privatindustrie  nach  seiten  der  Konstruktion  vorzüglicher  physikalischer 
Meßinstrumente  mag  ebenfalls  erwähnt  werden.  Wir  können  diese 
Aufzählung  hier  nicht  noch  weiter  fortsetzen,  so  vieles  Interessante 
noch  zu  nennen  wäre.  Die  allgemeine  Wertschätzung  der  technischen 
Physik  tritt  u.  a.  in  der  Berücksichtigung  zutage,  welche  die  physi- 
kalischen Methoden  in  den  elektrotechnischen  Instituten  und  den 
neugegründeten  Ingenieurlaboratorien  unserer  technischen  Hochschulen 
finden.  Neben  ihnen  stehen  längst  ausgedehnte  Forschungslaboratorien 
und  Studiengesellschaften  der  Privatindustrie,  deren  ETrgebnisse  das 
Publikum  mit  steigender  Teilnahme  begleitet.  Um  nur  einige  Bei- 
spiele aus  dem  Gebiet  der  angewandten  Elektrizitätslehre  zu  nennen, 
so  erinnere  ich  an  die  durch  systematische  Arbeit  gewonnenen  letzt- 
jährigen Fortschritte  der  elektrischen  Bahnen,  der  elektrischen  Be- 
leuchtung, der  Telephonie,  der  drahtlosen  Telegraphie  und  der 
Röntgenapparate.  Auch  die  großen  Fortschritte  im  Bau  optischer 
Instrumente  sind  wesentlich  durch  theoretische  Studien  bedingt. 

4.  Die  Physik  ist,  um  es  kurz  zu  sagen,  eine  Großmacht  des 
modernen  Lebens  geworden.  Der  theoretischen  Forschung  fließen 
von  dort  aus  neben  immer  neuen,  umfassenderen  Aufgaben  und  un- 


252  I^hrgebiet  und  I>ehrbetneb. 

geahnten  Erleichterungen  der  experimentellen  Arbeit  auch  reiche, 
materielle  Mittel  zu;  die  physikalische  Wissenschaft  als  solche  kann 
sich  des  gewonnenen  Fortschritts  und  ihres  erweiterten  Geltungs- 
bereiches nur  freuen.  Wir  müssen  aber  im  gegenwärtigen  Bericht 
den  Gegenstand  auch  von  einem  etwas  spezielleren  Standpunkte  aus 
sehen,  nämlich  vom  Standpunk-te  des  Universitätsbetriebes.  Es 
ist  nicht  zu  leugnen,  daß  hier  aus  der  modernen  Entwicklung  große 
Schwierigkeiten  entstanden  sind.  Es  gilt,  in  Forschung  und  Unter- 
richt mit  der  neuzeitlichen  Entwicklung  Schritt  zu  halten,  insbesondere 
den  Studierenden  die  allseitige  Bedeutung  der  heutigen  Physik  in 
geeigneter  Form  vorzuführen.  Hierzu  aber  sind  sehr  viel  umfassendere 
instrumentelle  Einrichtungen  und  also  auch  viel  reichere  Mittel 
erforderlich  als  früher.  In  dem  Berichte  für  Chicago  wurde  der 
weitgehenden  staatlichen  Fürsorge  gedacht,  deren  sich  die  physi- 
kalischen Institute  an  den  deutschen  Universitäten  erfreuen  dürfen. 
Diese  staatliche  Fürsorge  hat  während  der  diesmaligen  Berichtsperiode 
keineswegs  nachgelassen,  sondern  könnte  mit  neuen  glänzenden  Ziffern 
belegt  werden.  Aber  die  Verhältnisse  sind  so  außerordentliche,  daß 
man  daneben  gern  nach  anderweitiger  Hilfe  Umschau  halten  wird. 
Gilt  es  doch  namentlich  auch,  neue  Einrichtungen  auszuproben 
(deren  allgemeine  Einführung  erst  befürwortet  werden  kann,  wenn 
der  Versuch  gelungen  ist).  Die  Industrie,  welche  durch  ihre  rapide 
Entwicklung  die  Schwierigkeiten  geschaffen  hat,  scheint  in  hohem 
Maße  interessiert,  hier  selbst  helfend  einzugreifen.  Ein  solches  Vor- 
gehen der  Industrie  ist  seither  aus  Göttingen   und  Jena  zu  berichten. 

In  Göttingen  hat  sich  aus  Vertretern  erster  Firmen  der  deutschen 
Großindustrie  eine  besondere  Vereinigung  zur  Förderung  der 
angewandten  Physik  und  Mathematik  gebildet,  die  sich  an- 
gelegen sein  läßt,  den  Unterricht  und  die  Forschungsarbeit  in  tech- 
nischer Physik  und  in  technischer  Mathematik  zunächst  an  der 
Göttinger  Universität  fortschreitend  zu  unterstützen,  —  die  Blüte, 
deren  sich  die  physikalisch-mathematischen  Studien  zur  Zeit  an  der 
Göttinger  Universität  erfreuen,  ist  durch  das  Eingreifen  dieser  Ver- 
einigung jedenfalls  mit  veranlaßt.  Für  die  Universität  Jena  aber  (bei 
der  von  Hause  aus  nur  geringe  staatliche  Mittel  zur  Verfügung 
stehen)  ist  Abbes  an  Ort  und  Stelle  geschaffene  großherzige  Stiftung, 
das  Zcißsche  optische  Institut,  die  Quelle  geradezu  einer  ganz 
neuen  Entwicklung  geworden,  an  der  die  Physik  in  erster  Linie 
partizipiert. 

5.  Zum  Schluß  möge  noch  einiges  Wenige  über  das  System  der 


Philosophische  Fakultät:    Mathematik,  Physik,  Astronomie.  25^i 

physikalischen  Universitätsvorlesungen  gesagt  werden.  Die 
bisherige  Form  derselben  ist  in  dem  Bericht  für  Chicago  ausführlich 
geschildert.  Inzwischen  scheinen  sich  in  manchem  Betracht 
Änderungen  vorzubereiten.  Die  höheren  physikalischen  Vorlesungen 
richteten  sich  früher  fast  ausschließlich  an  die  Lehramtskandidaten 
der  Mathematik  und  Physik  und  hatten  daher  einen  wesentlich 
mathematisch-physikalischen  Charakter.  Durch  die  Verschiebung  der 
allgemeinen  Verhältnisse  aber  wird  es  offenbar  immer  mehr  not- 
wendig, daß  auch  höhere  experimentelle  Vorlesungen  gehalten  werden. 
Andererseits  kann  man  fragen,  ob  der  jetzige  Zuschnitt  der  ein- 
leitenden Vorlesung  über  Experimentalphysik  noch  von  längerem 
Bestände  sein  wird.  Diese  Vorlesung  richtet  sich  herkömmlicherweise 
an  eine  sehr  ausgedehnte  Zuhörerschaft  (Naturwissenschaftler  aller 
Art,  Mediziner,  Pharmazeuten  usw.).  Dementsprechend  glaubte  man 
bei  ihr  von  den  Zuhörern  bislang  nur  sehr  geringe  Vorkenntnisse 
voraussetzen  zu  dürfen,  während  doch  die  höheren  Schulen  nach- 
gerade vielfach  eine  ziemlich  weitgehende  Vorbereitung  liefern.  Es 
liegt  also  eine  Inkongruenz  vor.  Endlich  wünscht  man  ausführ- 
lichere Vorlesungen  über  angewandte  Physik.  Einige  weitere  An- 
gaben hierüber  folgen  unten  bei  Besprechung  der  mathematischen 
Vorlesungen. 

II.  Astronomie  (nebst  Geonomie). 

1.  Im  folgenden  soll  nicht  nur  von  Astronomie  im  engeren 
Sinne  die  Rede  sein,  sondern  ebensowohl  von  den  Wissenschaften, 
welche  die  Eigenschaften  des  Erdkörpers  mit  mathematischen  und 
physikalischen  Hilfsmitteln  studieren,  also  von  der  Geodäsie  (dieses 
Wort  im  weitesten  Sinne  genommen)  und  den  verschiedenen  Zweigen 
der  Geophysik;  es  möge  gestattet  sein,  diesen  Komplex  von  Wissen- 
schaften unter  dem  Namen  der  Geonomie  der  Astronomie  als  ge- 
schlossenes Ganze  gegenüberzustellen. 

Da  gerade  vom  physikalischen  Unterricht  die  Rede  war,  dürfen 
wir  gleich  einige  Bemerkungen  über  den  Unterricht  in  den  nunmehr 
zu  besprechenden  Disziplinen  vorausschicken  (unter  selbstverständ- 
licher Beschränkung  auf  die  Verhältnisse  an  den  deutschen  Univer- 
sitäten). Astronomie  und  Geonomie  richten  sich  in  ihren  all- 
gemeinsten Ergebnissen  an  das  Interesse  aller  Gebildeten.  Daher 
sind  an  unseren  Universitäten  von  je  Vorlesungen  über  populäre 
Astronomie    für    Studierende    aller    Fakultäten     gehalten    worden. 


254  I>ehrgebiet  und  I^ehrbelrieb. 

ebenso  kurze  Vorlesungen  über  Meteorologie  usw.  Daneben  standen 
bis  zur  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  vielfach  astronomische  und  geo 
dätische  Vorlesungen  und  Übungen  für  Lehramtskandidaten  der 
Mathematik  und  Physik.  Diese  Vorlesungen  sind  aber  in  dem  Maße 
zurückgetreten,  als  sich  unter  der  Herrschaft  mehr  spezialisierter 
Examensbestimmungen  die  Studien  in  reiner  Mathematik  und 
mathematischer  Physik  weitergehend  entwickelten.  Bei  den 
unten  folgenden  Bemerkungen  über  die  mathematischen  Vorlesungen 
wird  sich  ergeben,  daß  neuerdings  wieder  eine  Rückströmung  be- 
merkbar ist.  Im  großen  und  ganzen  ist  es  zur  Zeit  aber  doch  so, 
daß  für  die  Sternwarten  und  die  ihnen  parallel  stehenden  Universitäts- 
institute die  Ausbildung  von  Fachmännern  als  einzige  Unterrichts- 
aufgabe übrig  geblieben  ist.  Die  Entwicklung  hat  also  gerade  den 
umgekehrten  Weg  genommen,  wie  bei  der  Experimentalphysik.  —  Wir 
verlassen  hiermit  diesen  Gegenstand  (über  den  man  länger  philo- 
sophieren könnte)  und  wenden  uns  zu  einem  summarischen  Bericht 
über  die  wissenschaftlichen  Fortschritte,  welche  die  hier  in  Betracht 
kommenden  Disziplinen  während  der  Berichtsperiode  auf  deutschem 
Boden  realisiert  haben. 

Für  die  Fortschritte  der  Astronomie  ist  in  erster  Linie 
zweifellos  die  Zahl  und  Ausrüstung  der  bestehenden  Sternwarten 
wesentlich.  Die  deutsche  Wissenschaft  hat  in  dieser  Hinsicht,  wie 
bekannt,  mit  besonderen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen,  weil  die  reichen 
Mittel  fehlen,  die  ihr  in  England  und  Amerika,  zum  Teil  auch  in 
Frankreich,  von  privater  Seite  zur  Verfügung  gestellt  werden,  die 
Fürsorge  des  Staates  aber,  bei  den  vielen  Ansprüchen,  denen  sie 
nach  anderer  Seite  gerecht  werden  muß,  notwendig  in  bestimmte 
Grenzen  eingeschlossen  bleibt.  Immerhin  sind  auch  bei  uns  innerhalb 
der  Berichtsperiode  einige  erfreuliche  Fortschritte  in  der  hiermit  be- 
zeichneten Richtung  gemacht  worden.  An  Stelle  der  früheren  Karlsruher 
Sternwarte  ist  eine  neue  Sternwarte  auf  dem  Königsstuhl  bei  Heidel- 
berg getreten  (1897  bezw.  1898),  die  in  zwei  Abteilungen,  eine 
astrometrische  und  eine  astrophysikalische,  je  unter  einer  besonderen  . 
Direktion  stehend,  zerlegt  ist.  Zahlreiche  andere  Sternwarten  wurden 
modernisiert  oder  doch  mit  neuen  Instrumenten  ausgestattet.  Das 
hervorragendste  Ereignis  in  dieser  Hinsicht  ist  die  Fertigstellung  und 
Aufstellung  des  großen  Refraktors  im  Potsdamer  astrophysikalischen 
Institute  (für  den  Reichsmittel  in  ungewöhnlicher  Höhe  zur  Ver- 
fügung gestellt  waren,  1899).  Im  Zusammenhang  mit  dieser  Aui- 
zählung  darf  hier  der  Leistungen  unseres  astronomischen  Instrumenten- 


Philosophische  Fakultät:   Mathematik,  Physik,  Astronomie.  255 

baues  rühmend  gedacht  werden.  Neue  Aufgaben  wurden  derselben 
insbesondere  durch  das  Eintreten  der  Photographie  in  die  astronomische 
Praxis  gestellt.  Repsold  (Hamburg)  hat  die  konstruktive  Ausbildung 
der  photographischen  Refractoren  und  Meßapparate  in  derselben 
Vollendung  geleistet,  die  er  bei  den  Meßinstrumenten  der  älteren 
Astronomie  (Heliometer,  Meridiankreis)  erreicht  hatte.  Die  optische 
Seite  findet  durch  hervorragende  Firmen,  wie  Schott  und  Zeiß  (Jena) 
und  St  ein  heil  (München),  vermöge  konsequenter  Ausbildung  der 
mathematischen  und  physikalischen  Methoden  nach  den  verschiedensten 
Seiten  hin  ebenfalls  glänzende  Förderung. 

Ein  großer  Teil  der  Tätigkeit  an  unseren  Sternwarten  wird 
selbstverständlich  nach  wie  vor  durch  die  systematischen  Arbeiten 
absorbiert.  Von  den  großen  Untersuchungen,  die  in  dieser  Hinsicht 
im  vorigen  Bericht  genannt  wurden,  ist  jetzt  das  Zonenunternehmen 
der  astronomischen  Gesellschaft  für  die  Sterne  der  nördlichen  Halb- 
kugel zur  vollen  Durchführung  gelangt.  Dafür  sind  andere  weitaus- 
schauende Arbeiten  begonnen,  so  die  Zusammenstellung  aller  vor- 
handenen Fixstembeobachtungen  zu  einer  „Geschichte  des  Fixstern- 
himmels** (Au  wers  und  Ristenpart,  Berlin)  und  eine  photometrische 
Durchmusterung  der  Sterne  (Müller  und  Kempf,  Potsdam).  Wir 
gedenken  femer  gleich  hier  des  durch  Förster  und  Helme rt 
eingerichteten  internationalen  Beobachtungssystems  für  die  Pol- 
schwankungen der  Erde,  dessen  Resultate  vom  Potsdamer  geodätischen 
Institute  alljährlich  bearbeitet  werden;  der  entscheidende  Nachweis 
für  die  Existenz  dieser  Schwankungen  ist  kurz  vor  Beginn  unserer 
Berichtsperiode  durch  Küstner  (damals  Berlin,  jetzt  Bonn)  erbracht 
worden  (1884/85  bezw.  1888). 

Das  große  Publikum  wird  sein  Interesse  naturgemäß  immer  mehr 
glücklichen  Einzelleistungen  der  astronomischen  Beobachtungskunst 
zuwenden.  In  dieser  Hinsicht  müssen  wir  vor  allem  auf  die  Ergebnisse 
der  photographischen  Methode  hinweisen,  die  unser  Weltbild  iipmer 
mehr  erweitem,  u.  a.  die  zahlreichen  Planeten-  und  Nebel-Entdeckungen 
von  Max  Wolf  (Heidelberg).  Die  spektroskopische  Beobachtung 
hat  als  hervorragendes  Resultat  die  erste  genaue  Festlegung  von 
Fixstembewegungen  im  Visionsradius  durch  Vogel  (Potsdam)  zu  ver- 
zeichnen (1888);  das  Potsdamer  astrophysikalische  Institut  hat  seit- 
dem einen  großen  Teil  seiner  Tätigkeit  diesem  Problem  erfolgreich 
gewidmet.  Von  besonderer  Bedeutung  für  die  Erkenntnis  der 
Dimensionen  unseres  Sonnensystems  (Bestimmung  der  Sonnen- 
paraliaxe)  ist  die  Auffindung  des  Eros  durch  Witt  gewesen  (Urania, 


256  I^hrgebiet  und  T^hrbetrieb. 

Berlin,  1898),  jenes  merkwürdigen  Himmelskörpers,  der  in  seiner  stark 
exzentrischen  Bahn  der  Erde  gelegentlich  näher  kommt,  als  Mars. 
Nicht  uner\^'ähnt  darf  zum  Schluß  das  genaue  Studium  der 
Saturnsmonde  durch  H.  Struve  (jetzt  Königsberg,  früher  Pulkowa) 
bleiben,  welches  zur  Aufdeckung  einer  Reihe  merkwürdiger  Regel- 
mäßigkeiten in  dem  von  diesen  Körpern  gebildeten  System  führte. 

Wir    gedenken    endlich    der  Tätigkeit    unserer  Astronomen    auf 

dem  Gebiet   der    theoretischen  Astronomie.     In  Nachwirkung   der 

Gyldenschen^  Anregungen  und  unter  dem  Einflüsse  der  Poincareschen 

Ideen    tritt    eine    fortschreitende  Verbesserung  in  den  Methoden  der 

Störungsrechnung  ein.     Andererseits  werden  durch  Seliger  (München) 

und  seine  Schule  immer  neue  Gebiete  der  Stellarastronomie  und  der 

Astrophysik    der    mathematischen    Behandlung    unterworfen.       Eine 

besonders   aussichtsreiche  Art  der  Fragestellung  zielt  auf  Verbindung 

der  astronomischen  Tatsachen    mit   den  unter  I.  besprochenen  neuen 

Auffassungsweisen    der   Physik   hin.     Die   Maxwellsche   Theorie    mit 

ihren  Weiterbildungen  belebt  sozusagen  den  Raum,    der   sich   früher 

in  toter  Leere  zwischen  den  einzelnen  Weltkörpem  zu  dehnen  schien. 

2.  Wenden  wir  uns  zurGeonomie  und  zunächst  zu  demjenigen 

Teile   derselben,    welcher   vorerst   am    meisten    von    mathematischen 

Überlegungen    durchzogen    ist,    zur   Geodäsie.      Hier   stehen,    ihrer 

wissenschaftlichen    Bedeutung     nach,     die    Arbeiten     des    Potsdamer 

Zentralinstituts  voran.   Von  General  v.  Baeyer  1869  gegründet,  steht 

dasselbe  seit  1886  unter  der  Direktion  von  Helmert,   1892  bezog  es 

sein    jetziges,     vortrefflich    ausgestattetes   Heim.     Die   hervorragende 

Stellung    des    Instituts    findet    ihren    prägnanten    Ausdruck     in     dem 

Umstände,    daß  ihm  als  Zentralstelle   die  Bearbeitung  der  Ergebnisse 

der  internationalen  Erdmessung  anvertraut  ist.    Gemäß  der  Baeyerschen 

Tradition    ist    als    allgemeines    Ziel    der    Institutsarbeiten    die    große 

Geodäsie    festgehalten,    d.    h.    eine    immer    genauere    Kenntnis    des 

Gesamterdkörpers  nach  seiten  seiner  räumlichen  Abmessungen  und 

allgemeinen  mechanischen  Eigenschaften.     Ein  spezielles  Arbeitsgebiet 

ist  zur  Zeit  die  Frage  nach  der  Verteilung    der  Schwerkraft  über  die 

Erde  hin  (absolute  und  relative  Schweremessungen,  nebst  Feststellung 

der  Lotabweichungen).     Ein  schöner  Fortschritt  in  dieser  Hinsicht  ist 

es,  daß  es  neuerdings  gelang,  exakte  Schwereniessungen  auch  auf  dem 

Ozean  vorzunehmen  (I lecker,   1901/03).  — Die  großen  geodätischen 

i\rbeiten  der  Landesvermessung  und  des  Katasterwesens,  sowie  die  mehr 

technischen  Arbeiten  und  Interessen    auf  dem  Gebiete    der  Geodäsie 

können    hier,    weil    von    dem  Zweck    des  Berichts  zu  weit  abliegend, 


Philosophische  Fakultät:   Mathematik,  Physik,  Astronomie.  257 

unmöglich  besprochen  werden.  Eine  analoge  Bemerkung  gilt  für 
die  Abgrenzung  des  nun  zu  gebenden  Berichts  über  die  mehr 
physikalischen  Teile  der  Geonomie:  wir  greifen  nur  einzelne  Punkte 
heraus,  die  durch  die  Fortentwicklung  der  Wjesenschaft  besonders  in 
den  Vordergrund  gerückt  scheinen.  Auch  so  wird  unsere  Darstellung 
hinreichend  erkennen  lassen,  daß  Deutschland  an  den  geophysikalischen 
Untersuchungen  neuerdings  hervorragend  beteiligt  ist. 

Wir  sprechen  zunächst  von  den  Erdbebenbeobachtungen. 
Ursprünglich  in  den  erdbebenreichen  Ländern,  in  Japan  und  Italien, 
entstanden,  wurden  dieselben  zuerst  von  englischer  Seite  rund  um  die 
Erde  installiert.  Deutschland  ist  erst  im  letzten  Jahrzehnt  in  den 
Kreis  dieser  Bestrebungen  eingetreten  und  hat  jetzt,  in  gewissem 
Sinne,  die  Führung  ergriffen.  Einmal,  was  die  Konstruktion  der 
Registrierinstrumente  angeht:  auf  das  Horizontalpendel  des  verstorbenen 
v.  Rebeur-Paschwitz  (1890  ff.)  folgten  die  systematisch  durch- 
gearbeiteten Apparate  vonWiechert  (von  1899  an),  welche  alle  Einzel- 
heiten der  Bodenbewegung  festzuhalten  gestatten.  Dann  aber  in 
Richtung  auf  Sammlung  des  Gesamtmaterials:  eben  nun  ist  Aussicht, 
daß  es  den  unablässigen  Bemühungen  von  Gerland  (Straßburg)  ge- 
lingen wird,  eine  umfassende  seismische  Assoziation  der  Staaten  zu- 
stande zu  bringen.  Man  hofft,  durch  die  von  allen  Seiten  zusammen- 
strömenden Beobachtungen  und  Arbeiten  immer  mehr  eine  zuverlässige 
Kenntnis  von  der  Konstitution  und  dem  noch  andauernden  Werde- 
prozeß der  Erdrinde  zu  erhalten.  Innerhalb  Deutschlands  wird  an 
Stelle  der  verschiedenen  bisherigen  lokalen  Organisationen  ein 
systematisches   Netz   von  Beobachtungsstationen  eingerichtet  werden. 

Wir  geben  ferner  einige  Bemerkungen  über  Meteorologie. 
Die  Bemühungen  der  Forscher  sind  je  länger  je  mehr  darauf  gerichtet, 
nicht  nur  am  Boden  des  Luftmeeres  zu  beobachten,  sondern  auch  in 
der  Höhe:  statt  des  bisherigen  zweidimensionalen  Beobachtungssystems 
ein  dreidimensionales  einzurichten.  Bergobservatorien,  Drachenbeob- 
achtungen und  Ballonanstiege  müssen  gleichmäßig  diesem  Zwecke 
dienen.  Hier  ist  vor  allen  Dingen  internationale  Kooperation  nötig. 
Der  Vorsitz  der  internationalen  Kommission  für  wissenschaftliche  Luft- 
schiffahrt findet  sich  in  Straßburg  (Hergesell).  Von  deutscher  Seite 
wurde  insbesondere  an  der  Ausarbeitung  der  physikalischen  Methoden 
und  ihrer  praktischen  Anwendung  Anteil  genommen  (Aßmann,  Berlin). 
Unter  den  vielen  Mittelpunkten  steht  die  mit  großen  Mitteln  arbeitende 
aeronautische  Abteilung  des  unter  Leitung  v.  Bezolds  stehenden 
preußischen  meteorologischen  Zentralinstituts  voran  (Abteilungsvorstand 

I)as  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    I.  17 


'^J|l^  Lehrgebiet  and  Lehrbetrieb. 

AUiiiüiuO  t)ie  neuen  Ergebnisse  weichen  von  dem,  was  früher  ak  aus- 
^viii4iht  Kalt,  vielfach  ab;  man  glaubt  aber  nun  auf  dem  richtigen 
\\\%\^  zu  Hein,  der  zu  einem  wirklichen,  physikalischen  Verständnisse 
sUi   tu  (U^r  Atmosphäre  sich  abspielenden  Prozesse  hinleiten  wird. 

Zu  <len  meteorologischen  Erscheinungen,  welche  früher  durchaus 
uiiViTtotändlich  geblieben  waren,  gehören  insbesondere  diejenigen  der 
l.iillt-lcktrizität.  Hier  dürfte  die  moderne  Lehre  von  den  Ionen 
und  l'-lektronen  den  Schlüssel  bieten:  die  Luft  erscheint  unter  der 
hiuwirkui^g  der  Sonnenstrahlen  und  in  ihr  enthaltener  radioaktiver 
Siiliütanzen  fortwährenden  lonisationsprozessen  unterworfen.  Die  ge- 
v\iilti)iMnen  Vorgänge  des  Gewitters  und  die  sanfteren  des  Nordlichts 
bind  vermutlich  nur  extreme  Glieder  einer  immerzu  und  überall  sich 
;(lih|iielenden  Kette  von  Prozessen.  Von  deutschen  Forschem  auf 
djc'ticm  (jcbiete  sind  neben  Exner  in  Wien  und  Ebert  in  München 
^anz  |j*-*.sonders  Elster  und  Geitel  in  Wolfenbüttel  zu  nennen. 
Wuultiriitn  geht  von  Deutschland  (Riecke,  Göttingen)  der  Plan  eines 
inlcrnatjrinalen  Beobachtungssystems  aus.  Derselbe  ist  jetzt  so  weit 
vorbereitet,  daß  er  der  nächsten  Versammlung  der  neugegründeten 
Abi>o/iation  der  Akademieen  unterbreitet  werden  soll,  welche  1904  in 
\ji\ulni\  .stattfinden  wird,  womit  diese  wissenschaftliche  Instanz  eine 
ert>te  Gelegenheit  haben  wird,  ihre  Leistungsfähigkeit  auf  geophysika- 
Ijjjrhem  Gebiete  zu  bewähren. 

Wir  berühren  endlich  die  Fragen  des  Erdmagnetismus.  Der 
l'jdinagntrtismus  ist  das  eigentliche  klassische  Gebiet  der  deutschen 
Grojihysik  von  den  Tagen  her,  wo  Gauß  und  Wilhelm  Weber 
ihm  ihre  bahnbrechende  Tätigkeit  zuwandten  (Gründung  des  „erd- 
niii^MJrtischen  Vereins'*,  1838j.  Seitdem  sind  ja  viele  Einzelheiten 
hinzugekommen.  Man  hat  die  Instrumente  wesentlich  verbessert  und 
darhin  h  früher  unbekannte  Details  der  Erscheinungen  aufgedeckt 
/J'.h<  hrnhagen,  Potsdam  1899).  Neue  Vorschläge  zur  Ausgestaltung 
iU'n  int^rriiationalen  Beobachtungssystems  sollen  eben  jetzt  von  deutscher 
.Sirjti-  an  die  Assoziation  der  Akademieen  gebracht  werden.  Dabei 
.lUht  dir  Gaußsche  Frage,  wie  weit  der  Sitz  des  Erdmagnetismus  im 
Innrni  der  ]>de  und  wie  weit  er  außerhalb  zu  suchen  sei,  noch 
innner  im  \^)rdergrunde  des  Interesses.  —  Ebenso  hat  sich  die  Gaußsche 
|)arhlrllungsv\eisc  der  allgemeinen  Verteilung  der  magnetischen  Wir- 
kung über  die  Erde  hin  durch  eine  bis  zu  Gliedern  vierter  Ordnung 
fiirtM:hreitende  numerische  Kugclfunktioncnentwickluiig  nicht  weiter- 
bilden lassen  ;  ein  Hinzunehmen  der  Glieder  fünfter  Ordnung 
hraihte    keinen    Fortschritt.     Nur    die    Zahlenweitc   der  Koeffizienten 


Philosophische  Fakultät:   Mathematik,  Physik^  Astronomie.  259 

haben  sich  dank  den  Rechnungen  verbessert,  welche  auf  Anregung 
des  verdienstvollen,  langjährigen  Leiters  der  Seewarte,  v.  Neumayer, 
unter  Benutzung  des  inzwischen  zusammengekommenen  reichen  Be- 
obachtungsmateriaLs  Ad.  Schmidt  (früher  Gotha,  jetzt  Potsdam)  1898 
ausgeführt  hat.  Und  als  es  vor  wenig  Jahren  den  rastlosen  Bemühungen 
v.  Neumayers  gelungen  war,  dalJ  das  Deutsche  Reich  eine  erste 
wissenschaftliche  Expedition  nach  den  Südpolargegenden  ausrüstete, 
deren  glückliche  Heimkehr  eben  erwartet  wird,  da  erinnerte  sich  die 
Nation  des  großen  Forschers,  der  zuerst  die  Lage  des  magnetischen 
Südpols  der  Erde  errechnet  hatte,  und  die  maßgebenden  Instanzen 
erteilten  dem  Schiffe,  welches  die  deutsche  Forschung  in  bisher  un- 
zugängliche Gegenden  hinaustragen  sollte,  den  Namen  Gauß. 

III.  Mathematik. 

1.  Um  ein  zusammenhängendes  Bild  von  dem  Stande  der  deut- 
schen Mathematik  im  Jahre  1893  zu  erhalten,  wird  es  gut  sein,  mit 
dem  in  dem  Sammelwerke  über  die  deutschen  Universitäten  gegebenen 
Bericht  des  Referenten  die  Verhandlungen  des  in  Chicago  abgehal- 
tenen mathematischen  Kongresses*)  zu  vergleichen  (bei  denen  be- 
sonders viele  deutsche  Arbeiten  vorgelegt  wurden**),  sowie  die  im 
Anschluß  an  den  Kongreß  vom  Referenten  in  Evanston  gehaltenen 
Vorträge***).  Bei  einem  solchen  Vergleich  tritt  neben  der  weit  fort- 
geführten Entwicklung  und  der  hochgesteigerten  Leistung  in  den 
einzelnen  Teilen  der  mathematischen  Wissenschaft,  von  etwa  1870  be- 
ginnend, eine  auf  Wiedervereinigung  und    innere  Verschmelzung  der- 

*)  Mathematical  Papers  read  at  the  International  Mathematical  Congress  held  in 
connection  with  the  VVorld's  C'olumbian  Exposition,  Chicago  1893  (New  York  18%). 

**)  Wir  Hnden  Beiträge  von  Burkhardt,  Dyck,  Fricke,  Heffter,  Hubert, 
Ilurwitz,  Klein,  Krause,  Franz  Meyer,  Minkowski,  Netto,  Nöther,  Frings - 
heim,  Schlegel,  Schönflies,  Study,  H.  Weber;  inhaltlich  beziehen  sich  diese  Bei- 
träge auf  die  verschiedensten  Gebiete  des  modernen  Mathematik. 

***)  'ITie  Evanston  Colloquium  (New  York  1894-).  Wir  nennen  die  folgenden  Titel: 
Clebsch;  Sophus  Lie;  On  the  real  shapc  of  algebraic  curves  and  surfaces;  Theor)-  of 
functions  and  geomctr)- ;  On  the  mathematical  character  of  space-intuition ,  and  the 
relation  of  pure  mathematics  to  the  applied  sciences;  The  transcendency  of  the  numbers 
e  and  tt;  Ideal  numbers;  'ITie  Solution  of  higher  algebraic  equatioiLs;  On  somc  recent 
advanccs  in  hyperelHj)tic  and  abeliaii  functions;  'ITie  most  recent  rcsearches  in  Non- 
Kuclidean  geomelrj-.  Ref.  halte  sich  die  Aufgabe  gestellt,  in  der  Weise  über  die  neuesten 
Fortschritte  der  Mathematik  Bericht  zu  erstatten,  daß  er  überall  an  geometrische  Interessen 
und  Anschauungen  anknüpfte;  er  hatte  diese  Aufgabe  um  so  lieber  übernommen,  als  die 
selbständige  Entwicklung  der  amerikanischen  Mathematik  die  inzwischen  glänzend  hcr\-or- 
getrcten  ist,  damals  gerade  einsetzte. 

17* 


260  I.ehrg^ebiet  und  Lehrbetrieb.  ^^^H 

selben  gerichtete  Tendenz  von  wachsender  Stärke  hervor.  Diese 
Tendenz  hat  in  dem  nunmehr  verflossenen  Jahrzehnt  gegenüber  den 
spezialistischen  BestreLuntjeri  durchaus  die  Oberhand  gewonnen:  von 
der  reinen  Mathematik  beginnend,  hat  sie  bald  auch  sämtliche  Gebiete 
der  angewandten  Mathematik  in  ihren  Bereich  gezogen  und  auf  den 
Unterricht  praktischen  Einfluß  geübt;  sie  wird  daher  den  Hauptgegen- 
stand des  folgenden  Berichtes  abgeben.  Übrigens  bestehen  neben 
dieser  neuen  Bewegung  die  früheren  Arbeitsrichtungen  selbstverständlich 
fort  und  die  von  ihnen  ausgehenden  Impulse  ziehen  immer  weitere 
Kreise.  So  hat  insbesondere,  in  Nachwirkung  der  Wei erst raßschen 
Vorlesungen,  die  Strenge  der  Darstellungsweise  und  die  Fundierung 
des  mathematischen  Lehrgebäudes  auf  einen  vorsichtig  umgrenzten 
Zahlbegriff  eine  wachsende  Verbreitung  gefunden. 

Die  äußere  Form  unseres  Berichtes  wird  übrigens  eine  andere  sein, 
wie  vorhin  bei  Physik  und  Astronomie:  wir  werden  in  erster  Linie 
eine  Zusammenstellung  nicht  charakteristischer  mathematischer  Ge- 
dankenreihen, sondern  der  ^nichtigeren  Literatur  liefern,  an  die  sich 
sachliche  Krlauterungen  mehr  beiläufig  anschließen  sollen.  Es  ge- 
schieht dies  einmal,  weil  es  nur  so  (nämlich  durch  Angabe  der  Autoren 
und  der  Titel  ihrer  Publikationen)  möglich  scheint,  auch  dem  Nicht- 
mathematiker  einen  gewissen  Einblick  in  den  Entwicklungsgang  der 
Wissenschaft  zu  geben.  Außerdem  aber  ist  der  Fortschritt  der 
Mathematik  in  der  Tat  mehr  an  die  literarische  Produktion  gebunden, 
als  etwa  derjenige  der  Naturwissenschaften;  ist  doch  die  Exposition 
der  Resultate  ein  wesentliches  Stiick  jeder  mathematischen   Leistung, 

Dem  Gesagten  zufolge  erscheint  es  als  unsere  nächste  Aufgabe, 
die  auf  deutschem  Boden  im  letzten  Jahrzehnt  eingetretene  Ent- 
wicklung der  Sammlungstendenzen  durch  Aufführung  und  Charak- 
terisierung der  hauptsächlichen  Literatur  zu  belegen.  Indem  wir  mit 
reiner  Mathematik  beginnen,  gedenken  wir  zunächst  der  Pubhka- 
tion  gewisser  umfangreicher  Monographieen,  deren  jede  2war  ur- 
sprünglich auf  Bearbeitung  eines  einzelnen  vom  Verfasser  mit  Vor- 
liebe gepflegten  Sondergebietes  ausgeht,  aber  dann  bald,  durch  die 
innere  Logik  des  Gegenstandes  getrieben,  auch  auf  Nachbargebicte 
übergreift.  Wir  nennen  zunächst  die  stattliche  Zahl  von  Bänden,  in 
denen  Lie  unter  Mitwirkung  von  Enget  und  Scheffers  seine  Theorie 
der  geometrischen  Transformationen  und  Transfer mationsgruppen 
exponiert  hat,  sodann  die  von  Schlesinger  gegebene  Darstellung 
von  Fuchs*  Unterstichungen  über  lineare  Differentialgleichungen^ 
endlich  die  Durchführung,  welche  der  langjährige  Plan  des  Referenten» 


Philosophische  Fakultät:   Mathematik,  Physik,  Astronomie.  261 

den  dieser  1 884  mit  seinen  Vorlesungen  über  das  Ikosaeder  begonnen 
hatte,  durch  Fricke  gefunden  hat,  nämlich  eine  zusammenhängende 
Darlegung  der  Theorie  eindeutiger  Funktionen  mit  linearen  Transforma- 
tionen in  sich  (elliptische  Modulfunktionen,  automorphe  Funktionen). 
Auch  die  autographierten  Vorlesungen  über  verschiedene  Gebiete 
der  Mathematik,  welche  Referent  in  den  Jahren  1891 — 97  veröffent- 
lichte, dürfen  in  diesem  Zusammenhange  genannt  werden.  Wir  er- 
wähnen ferner  die  größeren  Referate  über  einzelne  Kapitel  der  reinen 
Mathematik,  welche  die  seit  1890  bestehende  deutsche  Mathematiker- 
vereinigung in  ihren  Jahresberichten  bisher  gebracht  hat;  beispiels- 
weise fanden  Invariantentheorie,  Algebraische  Zahlkörper,  Algebraische 
Funktionen  einer  Variabelen,  Geschichte  der  synthetischen  Geometrie 
und  Cantorsche  Mengenlehre  durch  Franz  Meyer,  Hilbert,  Brill 
und  Nöther,  E.  Kötter  und  Schönflies  ihre  Bearbeitung.  Dabei 
handelt  es  sich  durchweg  nicht  nur  um  eine  äußere  Zusammenstellung 
bekannter  Resultate,  sondern  ebensosehr  um  ein  Ineinanderarbeiten 
früher  getrennter  Gedankengänge;  der  Nichtmathematiker  wird  nur 
unvollkommen  ermessen,  wie  schwierig  eine  solche  Arbeit  auf  dem 
Gebiete  der  Mathematik  gegebenenfalls  sein  kann  und  wie  sehr  auch 
bei  ihr  produktive  Tätigkeit  verlangt  wird.  Beispielsweise  enthält  ins- 
besondere der  Hilbertsche  Bericht  im  einzelnen  sehr  viel  Neues. 

Es  erscheint  zweckmäßig,  gleich  auch  auf  die  größeren  Sammel- 
arbeiten über  angewandte  Mathematik  hinzuweisen,  welche  die 
deutsche  Mathematikervereinigung  bislang  veranlaßt  hat.  Wir  ge- 
denken in  erster  Linie  der  umfassenden  Münchener  Ausstellung 
mathematischer  Instrumente  und  Modelle,  welche  Dyck  im  Auftrage 
der  Vereinigung  1893  zustande  brachte*)  und  ihres  ebenfalls  von 
Dyck  gearbeiteten  interessanten  Katalogs.  Wir  nennen  ferner  an 
Referaten:  Finster  walder,  Photogrammometrie ;  Czuber,  Wahr- 
scheinlichkeitsrechnung (wo  auch  die  Fragen  der  mathematischen 
Statistik  besprochen  werden;;  Heun,  die  kinetischen  Probleme  der 
wissenschaftlichen  Technik  (ein  erster  Versuch,  diesen  vielseitigen 
Stoff  nach  mathematischen  Gesichtspunkten  zu  ordnen);  endlich 
Burckhardt,  Entwicklung  nach  oszillierenden  Funktionen  (noch  im 
Erscheinen  begriffen;  eine  besonders  umfassende  Arbeit,  welche  zahl- 
reiche   wertvolle    Untersuchungen    aus    der    Entstehungsperiode    der 


*)  Eine  nicht  ganz  so  umfangreiche,  aber  immerhin  sehr  vielseitige  Ausstellung 
mathematischer  Instrumente  und  Modelle  bildete  in  Chicago  einen  wesentlichen  Teil  dei 
deutschen  Unterrichtsausstellung;  auch  diese  war  von  Dyck  besorgt  worden. 


262  Lehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

mathematischen  Physik  und  Astronomie,  die  so  gut  wie  vergessen 
waren,  heranzieht  und  mit  den  neueren  Anschauungsweisen  der 
Mathematiker  in  Verbindung  setzt).  Aus  dieser  bloßen  Auffuhrung 
wird  auch  der  Fenierstehende  eine  Vorstellung  von  der  Vielseitig- 
keit des  zu  bearbeitenden  Stoffes  gewinnen.  Im  Übrigen  hat  das 
Bestreben,  die  verschiedenen  Gebiete  der  Anwendungen  für  die 
Mathematiker  wieder  allgemein  zugänglich  zu  machen,  seine 
besonderen,  sehr  bedeutenden  Schwierigkeiten.  Viele  Gebiete  sind 
lange  Zeit  hindurch  den  Praktikern  allein  überlassen  gewesen, 
und  diese  pflegen,  bei  der  genauen  Kenntnis,  die  sie  von  den  Einzel- 
heiteui  der  Erscheinungen  besitzen,  und  bei  ihrem  ausschließlichen 
Interesse  für  konkrete  Fälle,  zwischen  logischer  Ableitung  und  empi- 
rischer Selbstverständlichkeit  meistens  nur  mangelhaft  zu  unterscheiden. 
Hier  ist  also  der  feste  Boden,  auf  dem  mathematische  Entu'icklungen 
fundiert  werden  können,  überhaupt  erst  herauszuarbeiten.  Anderer- 
seits gibt  es  in  den  hier  in  Betracht  kommenden  Gebieten 
mannigfach  scharfsinnig  durchgeführte  mathematische  Theorieen, 
die  den  Fehler  haben,  daß  ihre  Voraussetzungen  der  WirkHch- 
keit  nur  ungenügend  entsprechen.  Der  mathematische  Referent 
muß  in  solchen  Fällen  Fachmann  genug  sein  oder  doch  so  viel 
Fühlung  mit  Fachkreisen  haben,  um  das  Ungenügende  des  Ansatzes 
von  vornherein  zu  erkennen.  Außerdem  muß  er  große  Unbefangen- 
heit des  Denkens  besitzen.  Denn  es  ist  keineswegs  notwendig,  daß 
sich  erfolgreiche  Theorieen  der  angewandten  Mathematik  auf  den 
Pfaden  der  ihm  von  Hause  aus  gewohnten  Auffassungen  be- 
wegen. 

2.  Schwierigkeiten  haben  bei  echter  Entwicklung  immer  nur  die 
schlummernde  Tatkraft  geweckt.  So  ist  es  auch  im  vorliegenden 
VMc  gegangen.  Die  ICinzelreferatc  der  Mathematikervereinigung 
schienen  bald  niciit  mehr  zu  genügen,  vielmehr  entstand  ein  um- 
fassender Plan,  welcher  die  notwendige  Arbeit  auf  der  ganzen  Linie 
t^leichzcitig  in  (lang  bringt,  der  Plan  einer  großen  PInzyklopädie 
der  mathematischen  Wissenschaften  ,,mit  Einschluß  ihrer  An- 
wendungen*'. Die  Oberleitung  liegt  in  den  Händen  der  Akademieen 
zu  Göttingen,  Münciien  und  Wien;  die  Redaktion  der  Bände  für 
reine  Mathematik  haben  Franz  Meyer  und  Burkhardt  übernommen, 
diejenige  der  ,, angewandten"  Bände,  neben  dem  Referenten,  Sommer- 
feld, Wiechert  und  Schwarzschild.  Das  Unternehmen,  welches  z.  Z. 
etwa  zu  einem  Drittel  durchgeführt  ist,  erfreut  sich  der  tätigen 
Unterstützung  einer  sehr  großen  Zahl  von    Mitarbeitern  des  Inlandes 


Philosophische  Fakultät:   Mathematik,  Physik,  Astronomie.  263 

und  Auslandes*)  (wie  denn  eine  französische  Ausgabe  bereits  in  Vor- 
bereitung ist).  Die  verschiedenen  Gebiete  der  Mathematik  werden 
dabei  in  der  Weise  monographisch  bearbeitet,  daß  überall  die  Haupt- 
momente  der  Entwicklung  und  die  wichtigsten  bislang  erzielten  Re- 
sultate unter  Zufiigung  umfassender  Literaturnachweise  referierend 
zusammengestellt  werden. 

Es  wäre  verfrüht,  hier  über  die  Bedeutung  des  Enzyklopädie- 
unternehmens ein  Urteil  abgeben  zu  wollen.  Wenn  es  zweifellos  den 
Höhepunkt  der  hier  zu  besprechenden  Entwicklung  vorstellt,  so  steht 
es  doch  keineswegs  allein,  sondern  wird  von  einer  Reihe  sozusagen 
paralleler  Bestrebungen  begleitet.  Der  Sinn  für  Geschichte  der 
Mathematik  ist  wieder  erwacht  und  findet  mannigfache  Betätigung; 
wir  nennen  nur  Moritz  Cantors  Fundamentalwerk,  dessen  erster 
Band  zuerst  1880  erschien  und  von  dem  jetzt  bereits  die  zweite  Auf- 
lage abgeschlossen  vorliegt.  Gesammelte  Abhandlungen  und 
Vorlesungen  hervorragender  Gelehrter  sind  jetzt  in  großer  Zahl 
herausgegeben  (so  von  Weierstraß,  von  Kronecker  usw.,  auch  zu 
den  Werken  von  Gauß  und  Riemann  sind  wesentliche  Ergänzungen 
erschienen).  Die  Bibliographie  der  Mathematik  wird  von  ver- 
schiedenen Seiten  in  früher  nicht  gekannter  Vollständigkeit  bearbeitet. 
Das  Interesse  an  philosophischer  Fragestellung  kommt  wieder 
mehr  in  den  Vordergrund  (was  insofern  mit  dem  Unternehmen  der 
Enzyklopädie  harmoniert,  als  doch  auch  dieses  in  letzter  Linie  nicht 
eine  bloße  Anhäufung  von  Material,  sondern  eine  Vereinheitlichung 
der  Auffassung  anstrebt);  insbesondere  findet  die  logische  Seite  (die 
Zurückführung  der  einzelnen  mathematischen  Disziplinen  auf  bestimmte 
Axiome)  zahlreiche  Vertreter.  Noch  nie  sind  so  viele  Lehrbücher 
auch  über  spezielle  Teile  der  Mathematik  seitens  des  deutschen 
Verlags  publiziert  worden,  wie  in  den  letzten  Jahren.  Die  bestehen- 
den deutschen  Zeitschriften  haben  sich  spezialisiert  und  werden 
dadurch  den  verschiedenen  Interessen  des  mathematischen  Publikums 
in  höherem  Grade  als  bisher  gerecht.  Zu  ihnen  ist  als  neues 
Unternehmen  eine  Herausgabe  der  Jahresberichte  der  deutschen 
Mathematikervereinigung  in  Monatsheften  getreten,  welche  die 
Leser  über  die  aktuellen  Fragen  der  Wissenschaft  auf  dem  Laufenden 
erhält.     Über  die  Gesamtproduktion  des  Inlandes   und  des  Auslandes 

•)  Bis  jetzt  sind  65  Artikel  mit  rund  220  Bogen  erschienen.  Wir  Hnden  unter 
den  Autoren  zwei  Amerikaner,  nämlich  Böcher  und  Osgood  aus  C'ambridge.  Unter 
den  deutschen  Mitarbeitern  mögen  insbesondere  Pringsheim  und  Voß  genannt 
werden. 


264  Lehrgebict  und  I .ehrbetrieb. 

geben  die  Fortschritte  der  Mathematik  nun  schon  seit  35  Jahren 
alljährlich  Bericht.  An  die  internationalen  Mathematiker- 
kongresse von  Zürich  1897  und  Paris  1900  wird  sich  1904  ein  solcher 
in  Heidelberg  schließen,  veranstaltet  von  der  deutschen  Mathematiker- 
vereinigung. 

Zusammenfassend  dürfen  wir  sagen,  daß  die  Gefahr,  die  vor 
25  Jahren  nicht  ausgeschlossen  schien,  daß  nämlich  die  Mathematik 
in  eine  Reihe  getrennter  Disziplinen  zerfallen  möchte,  für  Deutsch- 
land endgültig  beseitigt  ist.  Daß  die  reine  Mathematik,  unbeschadet 
ihrer  selbständigen  Ent^^  icklung,  in  ihrem  eigenen  Interesse  mit  der 
angewandten  Mathematik  in  allseitiger  Beziehung  gehalten  werden 
muß,  ist  vielleicht  noch  nicht  in  demselben  Maße  zur  allgemeinen 
Überzeugung  geworden ;  man  hört  in  der  Tat  immer  noch  gelegentlich 
die  entgegengesetzte  Meinung  vertreten,  daß  nämlich  die  moderne 
Entwicklung  der  reinen  Mathematik  von  den  Anwendungen  direkt 
wegführe  und  in  dieser  Richtung  nicht  aufgehalten  werden  dürfe. 
3.  Wir  berichten  nunmehr  von  der  neuen  Wendung,  welche  im 
Zusammenhang  mit  den  vordringenden  enzyklopädischen  Interessen 
auf  dem  Gebiet  des  mathematischen  Universitätsunterrichtes 
Platz  gegriffen  hat.  Es  war  z.  Z.  eine  außerordentliche  pädagogische 
Leistung  des  jugendlichen  Jacobi  gewesen,  daß  er  unternahm,  durch 
seine  Vorlesungen  die  Zuhörer  zur  Mitarbeit  an  der  eigenen  wissen- 
schaftlichen Produktion  heranzuziehen  (Königsberg,  1827/42).  Aber 
jedes  noch  so  hohe  Prinzip  führt  übertrieben  zu  Absurditäten.  Jeden- 
falls ist,  in  Nachwirkung  des  Jacobischen  Beispiels,  der  höhere 
mathematische  Unterricht  vielfach  einer  unverkennbaren  Vereinseitigung 
anheimgefallen.  Hiergegen  hat  nunmehr  eine  Reaktion  eingesetzt, 
die  wieder  mehr  berücksichtigt,  daß  die  Mehrzahl  der  Studierenden 
in  erster  Linie  für  die  spätere  Ausübung  eines  bestimmten  Benifes 
tüchtig  gemacht  werden  soll.  Hoffen  wir,  daß  diese  Bewegung  nun 
nicht  ihrerseits  wieder  zu  einem  ungesunden  Extreme  führt! 
Im  Mittelpunkte  der  Bewegung  steht  auch  hier  die  Wiederbelebung 
des  Interesses  für  angewandte  Mathematik,  insbesondere,  den 
Zeitverhältnissen  entsprechend,  für  die  mathematischen  Aufgaben  der 
Technik.  Das  entscheidende  Ereignis  ist,  daß  die  preußische 
Regierung  in  die  1898  erschienene  neue  Prüfungsordnung  für  Lehr- 
amtskandidaten eine  besondere  Lchrbefähigung  für  angewandte 
Mathematik  eingesetzt  hat,  welche  durch  Anforderungen  in  dar- 
stellender Geometrie,  technischer  Mechanik,  Geodäsie  und  Wahrschein- 
lichkeitsrechnung definiert  wird.     In  derselben  Richtung    liegt    natür- 


Philosophische  Fakultät:   Mathematik,  Physik,  Astronomie.  265 

lieh  die  Herstellung  näherer  Beziehungen  zwischen  den  mathe- 
matischen und  physikalischen  oder  astronomischen  Vorlesungen  und 
der  schon  erwähnte  Wunsch  nach  besonderen  Vorlesungen  auch 
über  angewandte  Physik.  Über  den  Stand,  den  die  Bewegung  an 
verschiedenen  Universitäten  erreicht  hat,  und  über  die  Art,  wie  sie 
sich  mit  dem  mehr  spezialisierten  Unterrichtsbetriebe  auseinandersetzt, 
läßt  sich  allgemeines  kaum  sagen,  weil  zu  viele  individuelle  Ver- 
schiedenheiten, namentlich  auch  zwischen  Nord  und  Süd,  vorliegen. 
Als  ein  besonders  entwickeltes  Beispiel  wählen  wir  die  Universität 
Göttingen,  bei  der  die  Direktoren  des  mathematisch-physikalischen 
Seminars  neuerdings  ausführliche  „Ratschläge  und  Erläuterungen"  für 
die  Studierenden  der  Mathematik  und  Physik  ausgegeben  haben,  aus 
denen  man  ein  klares  Bild  von  den  zur  Zeit  dort  herrschenden  Ver- 
hältnissen erhält.  Neben  die  Vorlesungen  und  Übungen  über  reine 
Mathematik  und  reine  Physik  sind  als  eine  dritte  gleichberechtigte 
Abteilung  diejenigen  über  „Angewandte  Mathematik  und  Physik" 
gesetzt,  welche  außer  den  in  der  Prüfungsordnung  genannten  Fächern 
noch  angewandte  Thermodynamik,  angewandte  Elektrizitätslehre, 
sowie  die  gesamte  Geophysik  und  Astronomie  umfassen.  (Außerdem 
wird  über  Versicherungsmathematik  gelesen.)  Überall  ist  zwischen 
Anfangsvorlesungen,  Kursusvorlesungen  und  Spezialvorlesungcn  (be- 
ziehungsweise -LT^ungen)  unterschieden.  Nur  einige  Elementar- 
kenntnisse müssen  von  sämtlichen  Studierenden  nachgewiesen  werden, 
darüber  hinaus  bleibt  die  Wahl  und  Ordnung  der  Studien  der  be- 
sonderen Interessenrichtung  des  einzelnen  überlassen.  Dies  die  großen 
Umrisse  des  Göttinger  Systems,  dessen  spezielle  Durchführung  freilich 
nur  durch  den  Umstand  ermöglicht  erscheint,  daß  in  Göttingen  gerade 
für  Mathematik  und  Physik  eine  besonders  große  Anzahl  von  Dozenten 
und  von  mannigfachen  Institutseinrichtungen  zur  Stelle  sind. 

4.  Nach  dieser  Digression  über  die  Unterrichtsverhältnisse  kehren 
wir  noch  einmal  zur  Frage  nach  der  freien  Entwicklung  der  Wissen- 
schaft zurück.  Wir  haben  den  vorwaltenden  enzyklopädischen 
Tendenzen  billigerweise  den  Hauptteil  unserer  Berichterstattung  über 
die  letzten  zehn  Jahre  der  deutschen  Mathematik  zugewiesen.  In- 
zwischen betrachten  wir  dieselben  nur  als  einen  Durchgangspunkt. 
In  der  Tat  treten  spezifische  Ansätze  zu  Neuem  bereits  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  hervor.  Auch  für  den  Fernerstehenden  erkennbar 
ist  dies  auf  dem  Gebiete  der  Geometrie,  wo  u.  a.  Finsterwalders 
Beiträge  zur  Lehre  von  den  Flächendeformationen,  Minkowskis 
Theoreme  über  allgemeinste  konvexe  Flächen,  St u dys  systematisierende 


266  I-«hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Arbeiten,  vor  allem  aber  Hilberts  bahnbrechende  Untersuchungen 
über  die  Fundamente  der  Geometrie  in  dieser  Hinsicht  genannt 
werden  können.  In  der  Arithmetik  knüpft  eine  neue  Entwicklung 
an  den  oben  genannten  Hilbert'schcn  Bericht  über  algebraische  Zahl- 
körper an;  in  der  Algebra  mögen  die  Weiterführung  der  Kronecker- 
schcn  Ideen  über  Modulsysteme  undFrobenius'  Arbeiten  über  Gruppen- 
theorie genannt  werden.  Aber  vielleicht  ist  die  Entwicklung,  die  sich 
auf  dem  Gebiet  der  Analysis  vorbereitet,  noch  weitergreifend.  Die 
Weierstraßschc  Tradition  ist  für  die  deutschen  Mathematiker  eine 
Zeitlang  sozusagen  übermächtig  gewesen;  es  war  zunächst  im  Aus- 
lande, insbesondere  in  Frankreich,  daß  sie  ihre  Weiterbildung  fand.*) 
Jetzt  kommt  dieselbe  von  dort  in  durchgearbeiteter  Form  zurück  und 
unsere  jüngeren  Forscher  sehen  sich  in  der  Lage,  alle  die  „Weier- 
straßschen  Skrupel*',  welche  einst  den  F'ortschritt  zu  hemmen  schienen, 
im  positiven  Sinne  zu  wenden.  Ich  möchte  insbesondere  auf  Hilberts 
Arbeiten  über  Variationsrechnung  und  partielle  Differentialgleichungen 
verweisen,  die  freilich  nur  erst  (in  den  Dissertationen  zahlreicher 
Schüler)  stückw-eise  publiziert  sind.  Hieran  knüpft  sich  eine 
besondere  Perspektive.  Unser  mathematischer  Bericht  zeigt 
bis  zu  der  Stelle,  an  der  wir  uns  jetzt  befinden,  nicht  nur 
formal,  sondern  auch  inhaltlich  den  größten  Gegensatz  gegen 
die  Schilderung,  welche  wir  von  der  Entwicklung  der  physi- 
kalischen Forschung  geben  konnten.  In  der  Tat  bewegen  sich  die 
Ströme  der  beiderseitigen  Fortschritte  während  der  Berichtsperiode 
durchaus  in  getrennten  Betten.  Vielleicht  aber  ist  die  Zeit  nicht 
mehr  fern,  wo  sie  aufs  neue  zusammenfließen.  Die  Ideenbildungen 
und  Probleme  der  modernen  Physik  bedürfen,  wie  schon  oben  gelegent- 
lich gesagt,  einer  neuen  mathematischen  Ik^arbeitung:  die  innerlich 
erstarkte  Analysis  scheint  befähigt,  dieselbe  zu  leisten.  Hier  wäre 
denn  die  gegenseitige  Durchdringung  der  neuzeitlichen  reinen  und  an- 
gewandten Mathematik,  die  wir  als  eine  Hauptaufgabe  der  Zukunft 
ansehen,  an  einem  wesentlichen  Punkte  erreicht.  Die  mathematische 
Enzyklopädie  aberw  ird,  indem  sie  den  gesamten  zu  Vergleich  kommen- 
den Stoff  ordnet  und  zugänglich  macht,  für  die  in  Aussicht  genommene 
Weiterentwicklung  der  Wissenschaft  nach  allen  Richtungen  die  notwen- 
dige Vorarbeit  leisten;  die  großen  Schwierigkeiten,  welche  einem  wirklich 
umfassenden  Ik^triebe  unserer  Wissenschaft  heute  noch  entgegenstehen, 
werden  nach  ihrer  Vollendung  fortgeräumt  sein.  Felix  Klein. 

*)    Man    vergleiche    etwa    Ilurwilz'    Rede    über    die  modenien    ForlschriUe    der 
Funktionentheorie  vor  dem  Züricher  inlemationalen  Kongresse,  1897. 


Xn.  Chemie. 

Die  Pflege  der  Chemie  an  den  deutschen  Universitäten  ist  im 
allgemeinen  gleichmäßig  organisiert.  Nur  bei  einzelnen,  wie  in  Göt- 
tingen, sind  in  neuerer  Zeit  besondere  Einrichtungen  getroffen 
worden. 

Der  Unterricht  in  der  reinen  Chemie  erfolgt  in  einem*)  mit 
allen  notwendigen  Einrichtungen  versehenen,  unter  der  Leitung  eines 
Direktors  stehenden  Institut  und  gliedert  sich  in  einen  praktischen 
und  in  einen  theoretischen. 

Um  mit  dem  praktischen  Unterricht  zu  beginnen,  so  wird 
derselbe  in  verschiedenen,  gewöhnlich  räumlich  getrennten  Ab- 
teilungen erteilt,  deren  jede  vorzugsweise  für  bestimmte  Arbeiten 
(analytischer,  präparativer,  organischer,  physikalischer  usw.  Art)  ein- 
gerichtet und  der  besonderen  Leitung  eines  oder  mehrerer  Assi- 
stenten unterstellt  ist.  Auf  den  preußischen  Universitäten  ist  dem 
Institutsdirektor  neuerdings  ein  sogenannter  „Abteilungsvorsteher" 
zur  Seite  gestellt,  der  —  je  nach  den  lokalen  Verhältnissen  —  eines 
der  speziellen  chemischen  Fächer  (unorganische,  organische,  physika- 
lische Chemie)  vorzugsweise  pflegt  und  zum  Teil  auch  die  in  den 
größeren  Instituten  nicht  ganz  unerheblichen  Verwaltungsgeschäfte 
mitbesorgt.  Denn  nur  wenige  Institutsdirektoren  sind  in  der  Lage, 
für  diese  Geschäfte  einen  Subalternbeamten  zur  Verfügung  zu  haben. 

Neben  den  schon  genannten  Räumen,  welche  für  die  speziellen 
chemischen  Übungen  bestimmt  sind,  pflegt  da,  wo  es  kein  besonderes 
Institut  für  Pharmazie  gibt,  das  chemische  Institut  auch  eine  be- 
sondere Abteilung  für  den  chemischen  Unterricht  der  Pharmazeuten 
zu  besitzen. 

Außerdem  werden  im  allgemeinen  chemischen  Laboratorium 
jetzt  überall  Spezialkurse  für  die  Studierenden  der  Medizin  ab- 
gehalten. 

*)  Nur  an  den  beiden  größten  Universitäten,  Berlin  und  Leipzig,  bestehen  je  zwei 
Institute,  die  als  Parallelinstitute  aufgefaßt  werden  können. 


268  Lehrgebiet  und  I>ehrbetrieb. 

Die  frühere  Einrichtung,  daß  an  jedem  chemischen  Labora- 
torium ein  oder  mehrere  etatsmäßige  außerordentliche  Professoren 
angestellt  waren,  ist  zu  gunsten  der  Einrichtung  der  Abteilungs- 
vorsteher (aber  vielleicht  nicht  zu  gunsten  der  Entwicklung  eines 
guten  Nachwuchses  für  die  Besetzung  von  Direktorstellen)  in  Preußen 
fast  durchgehends  in  Fortfall  gekommen,  besteht  aber  noch  auf  den 
nichtpreußischen  Universitäten. 

Neben  dem  allgemeinen  chemischen  Laboratorium  besitzen 
einige  Universitäten  auch  besondere  Spezialinstitute  für  bestimmte 
Zweige  der  Chemie.  Und  zwar  für  pharmazeutische  Chemie 
(z.  B.  in  Berlin,  Breslau,  Erlangen,  Königsberg,  Leipzig,  Marburg, 
München),  für  Agrikulturchemie  (z.  B.  in  Berlin,  Bonn,  Halle, 
Königsberg,  Göttingen),  fiir  physikalische  und  Elektro-Chemie 
(in  Göttingen,  Gießen,  Leipzig).  Endlich  ist  ein  besonderes  Institut 
für  spezielle  unorganische  Chemie  neuerdings  in  Göttingen  er- 
richtet worden.  Ein  besonderes  Institut  für  chemische  Techno- 
logie besitzt  nur  die  Universität  Berlin. 

Der  theoretisch-chemische  Unterricht  konzentriert  sich 
an  den  meisten  Universitäten  gleichfalls  in  dem  allgemeinen  che- 
mischen Laboratorium,  dessen  Direktor  die  beiden  Hauptteile  der 
Chemie,  den  unorganischen  und  den  organischen,  in  einem  Jahres- 
kurs (von  5 — 6  Stunden  im  Semester)  zu  behandeln  pflegt.  Da  die 
Schulen  ihre  Abiturienten  vorzugsweise  zu  Ostern  entlassen,  so  haben 
die  Vertreter  der  allgemeinen  Chemie  die  Hauptvorlesung  für  An- 
fanger (unorganische  Chemie)  vielfach  auf  das  Sommersemester  ge- 
legt, damit  den  von  der  Schule  kommenden  Studierenden  der  Chemie 
sofort  Gelegenheit  geboten  wird,  die  grundlegenden  Vorlesungen  zu 
hören.  An  einigen  Stellen  wird  aber  daran  festgehalten,  für  die 
erste  Hauptvorlesung  das  längere  Wintersemester  zu  reservieren. 

Spezielle  Vorlesungen  aus  dem  Gebiet  der  analytischen,  un- 
organischen, organischen,  physikalischen  und  technischen 
Chemie  werden  in  der  Regel  von  Dozenten  gehalten,  welche  auch 
beim  praktischen  chemischen  Unterricht  beteiligt  sind,  wo  eigene 
Laboratorien  für  diese  Spezialfächer  vorhanden  sind,  von  den  Leitern 
dieser  Institute  und  deren  Aggregierten. 

Bezüglich  der  Studien  ei  nteilung  und  der  Zeit,  welche  sie 
auf  das  Studium  der  einzelnen  Zweige  der  Chemie  verwenden  wollen, 
überläßt  man  den  Studierenden  volle  Bestimmungsfreiheit.  Die  l^bo- 
ratoriumsvorstände  der  deutschen  Hochschulen  sind  aber  vor  einigen 
Jahren  zu  einem  Verbände  zusammengetreten,  welcher  für  die  Studie- 


Philosophische  Fakultät:    Chemie.  269 

renden  der  Chemie,  welche  ihre  Institute  besuchen,  ein  Zwischen- 
examen, das  sogenannte  „Verbandsexamen"  eingeführt  hat.  Dies 
Examen  zerfallt  in  einen  praktischen  (auf  Nachweis  genügender 
Übung  in  der  qualitativen  und  quantitativen  Analyse  gerichteten) 
Teil  und  in  einen  theoretischen,  bei  dem  allgemeine  Kenntnisse  in 
der  unorganischen  und  organischen  Chemie  verlangt  werden.  Das 
Bestehen  dieses  Zwischenexamens,  über  welches  ein  Zeugnis  aus- 
gestellt wird,  bildet  die  Voraussetzung  dafür,  daß  der  Studierende 
zur  Anfertigung  einer  Promotionsarbeit  zugelassen  wird,  deren 
Vorlegung  wiederum  die  Vorbedingung  zur  Ablegung  der  Doktor- 
prüfung bildet. 

Den  Doktorgrad  suchen  sich  alle  auf  der  Universität  ausge- 
bildeten Chemiker  zu  erwerben,  nicht  nur  diejenigen,  welche  sich 
später  der  Lehrtätigkeit,  sondern  namentlich  auch  diejenigen, 
welche  sich  der  Praxis  widmen  wollen.  Die  letzteren  bilden  die 
überwiegende  Mehrzahl  der  Chemie-Studierenden.  Denn  die  Uni- 
versitätslaboratorien betrachten  es  ebenso  wie  die  der  technischen 
Hochschulen  als  ihre  Aufgabe,  die  Chemiker  für  die  praktischen 
Zweige  der  Chemie  vorzubereiten.  Für  die  letztere  Kategorie  der 
auf  der  Universität  vorgebildeten  Chemiker  gilt  die  Erwerbung  des 
Doktorgrades  als  Ausweis  dafür,  daß  sie  sich  eine  sachgemäße  Vor- 
bildung angeeignet  haben,  da  es  ein  allgemeines  Staatsexamen  für 
Chemiker  nicht  gibt.  Nur  diejenigen,  welche  sich  später  als 
Nahrungsmittel-Chemiker  betätigen  wollen,  haben  sich  einem 
staatlichen  Examen  zu  unten^^erfen,  das  in  zwei  Abschnitte,  nämlich 
in  ein  (allgemeine  Kenntnisse  in  Chemie,  Physik  und  Botanik  vor- 
aussetzendes) Vorexamen  und  in  eine  Hauptprüfung  zerfallt. 
Die  Zulassung  zu  letzterer  (in  der  Spezialkenntnisse  in  dem  Fach 
nachzuweisen  sind)  wird  außerdem  von  dem  Nachweis  abhängig 
gemacht,  daß  der  Kandidat  mindestens  1^/2  Jahr  an  einer  staatlichen 
Anstalt  zur  technischen  Untersuchung  von  Nahrungsmitteln  tätig  ge- 
wesen ist. 

Die  Chemiker,  welche  in  den  Schulen  ihr  Fach  unterrichten 
wollen,  müssen  sich  der  allgemeinen  Lehramtsprüfung  unterziehen, 
bei  welcher  sie  außer  der  Lehrbefähigung  für  Chemie  auch  die  für 
andere  Zweige  der  Naturwissenschaft  oder  für  Mathematik  nachweisen 
müssen. 

Für  alle  Chemiker,  welche  sich  der  Doktorprüfung  oder  einer 
der  genannten  Staatsprüfungen  unterziehen  wollen,  wird  ein  Trien- 
nium    (von    dem    ein    Teil    auch    an    einer   technischen    Hochschule 


270  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

zurückgelegt  sein  kann)  ak  Minimum  der  Studienzeit  gefordert.  Ge- 
wöhnlich dehnt  sich  aber  die  Studienzeit  länger,  im  Durchschnitt  wohl 
auf  mindestens  7 — 8  Semester  aus. 

Besonders  geregelt  sind  die  Studienverhältnisse  für  die  Studie- 
renden der  Pharmazie,  welche  erst  nach  Absolvierung  einer  prakti- 
schen Lehrzeit  die  Universität  beziehen.  Man  verlangt  von  ihnen 
nur  ein  drcisemestriges  Studium,  welches  gleichfalls  durch  eine  staat- 
liche Prüfung  abgeschlossen  wird,  nach  deren  Bestehen  die  staatliche 
„Approbation  als  Apotheker"  erteilt  wird. 

Während  für  die  Zulassung  zu  allen  sonstigen  Prüfungen  die 
Absolvierung  einer  9  klassigen  höheren  Schule  die  Vorbedingung  ist, 
werden  die  Pharmazeuten  schon  auf  Grund  eines  Zeugnisses  für  die 
Befähigung  zum  einjährigen  Militärdienst  zum  Studium  und  Staats- 
examen zugelassen. 

O.  Wallach. 


XTTT.  Physikalische  Chemie. 

Bei  der  großen  Ähnlichkeit  der  Methoden  und  der  nahen  Ver- 
wandtschaft der  Ziele  von  Physik  und  Chemie  kann  eine  strenge 
Scheidung  zwischen  diesen  Wissenschaften  weder  im  Unterricht  noch 
in  der  Forschung  auf  die  Dauer  ohne  Schädigung  der  Fortentwicklung 
beider  Disziplinen  aufrecht  erhalten  werden. 

Ks  ist  auch  noch  nicht  lange  her,  daß  eine  Beherrschung  so- 
wohl der  Hilfsmittel  der  Physik  wie  der  der  Chemie  sich  in  einer 
Persönlichkeit  vereinigt  fanden.  So  erweckt  der  große  Name  Bunsens 
die  Erinnerung  an  zahlreiche  Erfolge,  die  der  Meister  nur  durch  eine 
derartige  Sicherheit  der  beiderseitigen  Forschungsmethoden  erreichen 
konnte,  daß  die  Physiker  wie  die  Chemiker  ihn  fast  mit  gleichem 
Rechte  zu  den  ihrigen  zählen. 

In  der  Regel  aber  bestand,  besonders  seit  der  zweiten  Hälfte 
des  vergangenen  Jahrhunderts,  eine  ziemlich  strenge  Arbeitsteilung 
zwischen  Physik  und  Chemie;  in  Deutschland  beschäftigte  sich  zu 
dieser  Zeit  die  Physik  bekanntlich  besonders  eifrig  mit  der  Aus- 
bildung der  Elektrizitätslehre,  während  die  Chemiker  in  der  auf- 
blühenden organischen  Chemie  ein  reiches  und  ergiebiges  Feld  ihrer 
Tätigkeit  fanden.  So  kam  es  denn,  daß  ein  großes  Gren^ebiet 
zwischen  beiden  Disziplinen  längere  Zeit  so  gut  wie  völlig  brach 
liegen  blieb. 

Eine  wesentliche  Änderung  trat  wohl  erst  einerseits  infolge  der 
Arbeiten  des  norwegischen  Mathematikers  Guldberg  ein,  der,  in  experi- 
menteller Hinsicht  von  Waage  unterstützt,  das  Gesetz  der  chemi- 
schen Massenwirkung  entwickelte,  das  gegenwärtig  eine  der  Haupt- 
stützen des  Lehrgebäudes  der  theoretischen  Chemie  bildet.  Auf  der 
andern  Seite  wandten  Willard  Gibbs  in  Nord-Amerika  und  Horstmann 
in  Deutschland  mit  großem  Erfolge  die  von  der  Physik  erbrachten 
Prinzipien  der  Wärmetheorie  auf  die  Chemie  an  und  schufen  so 
das  zur  Zeit  so  eifrig  kultivierte  Gebiet  der  chemischen  Thermo- 
dynamik. 


272  Lchrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Zumal  in  Deutschland  zogen  die  erwähnten  Arbeiten,  die  etwa 
in  dem  Zeiträume  1860  bis  1880  entstanden,  die  Aufmerksamkeit  in 
hohem  Maße  auf  sich,  besonders  seitdem  van  t*Hoff,  hauptsächlich  in 
Anlehnung  an  die  Arbeiten  des  französischen  Chemikers  Raoult,  die 
Theorie  der  Lösungen  entwickelte,  und  Arrhenius  in  Anlehnung  an 
die  Ideen  und  Versuche  von  Clausius  und  F.  Kohlrausch  die  Hypothese 
der  elektrolytischen  Dissoziation  aufstellte.  Mitte  und  Ende  der  80  er 
Jahre  gab  Ostwald  sein  berühmtes  umfassendes  Lehrbuch  der  theo- 
retischen Chemie  heraus  und  begründete  die  Zeitschrift  für  physi- 
kalische Chemie,  die  seitdem  in  selten  glücklicher  Weise  den  Sammel- 
punkt für  die  zur  Zeit  so  überaus  zahlreichen  Arbeiten  auf  diesem 
Gebiete  bildet. 

Es  erwies  sich  nun  bei  der  rasch  wachsenden  Bedeutung  der 
physikalischen  Chemie  als  durchaus  nötig,  eigene  Pflanzstätten  der 
Forschung  und  des  Unterrichts  für  dies  neu  aufblühende  Gebiet  zu 
schaffen.  Man  kann  wohl  sagen,  daß  Deutschland  hier  allen  anderen 
Nationen  vorangegangen  ist.  Das  von  Landolt  in  Berlin  geleitete 
chemische  Laboratorium,  obwohl  ursprünglich  keineswegs  ausschließ- 
lich dafür  bestimmt,  wandte  sich,  wie  bei  dem  großen  Interesse,  das 
Landolt  bereits  in  früheren  Jahren  für  Probleme  der  physikalischen 
Chemie  gezeigt  hatte,  leicht  erklärlich,  nunmehr  immer  lebhafter 
Fragen  der  theoretischen  Chemie  zu.  Von  großer  Bedeutung  ferner 
war  die  Berufung  Ostwalds  im  Jahre  1887  von  Riga  nach  Leipzig, 
woselbst  der  genannte  Forscher  bekanntlich  seit  dieser  Zeit  eine 
blühende  Lehr-  und  Forschungsstätte  der  physikalischen  Chemie  leitet. 
Schließlich  wäre  die  Berufung  van  t'Hoffs  nach  Berlin  zu  nennen 
sowie  die  Begründung  eigener  Institute  für  physikalische  Chemie  in 
Gießen,  Göttingen  und  Freiburg  i.  B.  An  einigen  anderen  Uni- 
versitäten (Breslau,  Bonn,  Heidelberg,  Kiel,  Marburg)  besitzen  die 
chemischen  Laboratorien  wenigstens  besondere  Abteilungen,  in  denen, 
in  der  Regel  unter  einem  Extraordinarius,  physikalische  Chemie 
getrieben  wird. 

Alsbald  erwies  sich  nun  wiederum  ein  spezielles  Gebiet  der  physi- 
kalischen Chemie,  nämlich  die  Elektrochemie,  besonders  wichtig. 
Die  Wirkung  des  galvanischen  Stromes,  chemische  Bindungen  zu 
lösen  und  neue  Stoffe  entstehen  zu  lassen,  hat  schon  früh  das  größte 
Interesse  erregt,  welches  sich  noch  durch  die  Erkenntnis  steigerte, 
daß  die  chemischen  Kräfte  sicherlich  wenigstens  zum  Teil  elektrischer 
Natur  sind.  Seitdem  der  Elektrotechnik  in  den  Dynamomaschinen 
die    Herstellung    mächtiger    Stromquellen    gelungen    ist,    zögerte    die 


Philo.sophische  Fakultät:  Physikalische  Chemie.  273 

chemische  Industrie  nicht,  die  Elektrolyse  auch  praktisch  zur  Her- 
stellung chemischer  Präparate  zu  ver^^'erten.  Die  besondere  Pflege 
der  Elektrochemie  in  Deutschland  zeigte  sich  einerseits  in  der  Be- 
gründung der  deutschen  elektrochemischen  Gesellschaft,  jetzt  „Bunsen- 
geselLschaft"  genannt,  die  eine  eigene  Zeitschrift  zur  Pflege  der  wissen- 
schaftlichen und  praktischen  Elektrochemie  besitzt,  und  andrerseits 
darin,  daß  eine  Anzahl  technischer  Hochschulen  eigene  Institute  für 
die  Pflege  dieses  speziellen  Zweiges  der  physikalischen  Chemie  ein- 
richtete. 

Über  die  Organisation  des  Unterrichts  auf  dem  Gebiete 
der  physikalischen  Chemie  läßt  sich  zur  Zeit  etwa  Folgendes  sagen. 
Es  ist  unbedingt  notwendig,  daß  nur  Studierende,  die  bereits  eine 
gründliche  Ausbildung  in  Physik  und  Chemie  besitzen  und  insbesondere 
bereits  praktische  Übungen  in  beiden  Fächern  absolviert  haben,  sich 
dem  Studium  der  physikalischen  Chemie  zuwenden.  Die  Vorlesungen 
dieses  Faches  können  auf  Grund  der  langjährigen  Lehrerfahrungen 
des  Verfassers  zweckmäßig  in  geeignetem  Turnus  über  folgende 
Gebiete  abgehalten  werden:  Physikalische  Methoden  der  Chemie, 
Verwandtschaftslehre,  Thermochemie,  Elektrochemie ,  Photochemie. 
Die  Übungen  erstrecken  sich  passend  auf  eine  Schulung  in  den  physi- 
kalischen Methoden  der  Chemie,  ferner  auf  elektroanalytische  und 
clektropräparative  Arbeiten.  Eine  Anzahl  Studierender  promoviert 
alljährlich  in  Deutschland  auf  Grund  einer  physiko-chemischen  Disser- 
tation, und  es  läßt  sich  nicht  verkennen,  daß  so  auch  die  jüngsten 
Fachgenossen  in  sehr  erheblichem  Maße  zur  Ausdehnung  und  Ver- 
tiefung unserer  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiete  beigetragen  haben. 

N  e  rn  s  t. 


Das  l'nterrichtswescn  im  !>*>ut*<  litn  Reich.    I.  18 


xrv.  Mineralogie.  Geologie.  Paläontologie. 

Der  wissenschaftliche  Unterricht  in  der  Mineralogie,  Geologie 
und  Paläontologie  wurzelt  in  Deutschland  ursprünglich  nicht  in 
den  Universitäten,  sondern  im  praktischen  Leben  des  Bergbaus  und 
somit  in  den  alten  Bergakademien.  Als  Goethe  Anfang  der  achtziger 
Jahre  des  18.  Jahrhunderts  die  Wiederbelebung  des  lUmenauer  Berg- 
baus plante  und  sich  —  einer  alten  Neigung  folgend  —  mit  Geologie 
und  Mineralogie  beschäftigte,  da  wandte  er  seine  Schritte  dem  Granit 
des  Brockens  und  dem  alten  Bergbau  des  Oberharzes  zu  und  trieb 
auch  auf  der  Clausthaler  Bergakademie  unter  Trebas  Leitung 
theoretische  Studien. 

Auf  den  mitteldeutschen  Universitäten,  die  ihm  näher  lagen 
(wie  Halle  und  Leipzig)  oder  seinem  Wirkungsbereiche  unterstanden 
(Jena),  gab  es  keine  Vertreter  der  mineralogischen  und  geologischen 
Wissenschaften.  Von  größerer  Bedeutung  in  wissenschaftlicher  und 
literarischer  Hinsicht  wurde  Goethes  Verbindung  mit  dem  Professor 
an  der  Freiberger  Bergakademie,  Abrah.  Gottl.  Werner,  dem  ersten 
Geologen  seiner  Zeit,  dessen  Theorien  über  Gebirgsbildung  eingehende 
Erörterung  im  zweiten  Teile  des  Faust  fanden. 

Erst  in  den  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  fallt  die  Errichtung 
der  ersten  Lehrstühle  an  deutschen  Universitäten,  deren  Ver- 
treter zunächst  noch  Chemie,  Mineralogie  und  Geologie  gleichzeitig 
vorzutragen  hatten;  die  Wissenschaft  von  den  ausgestorbenen  Lebe- 
wesen ,  die  Paläontologie,  war  —  soweit  sie  überhaupt  Berück- 
sichtigung fand  —  Sache  der  Zoologen  oder  vornehmen  Liebhaber, 
wie  der  Grafen  Münster  (1776—1844)  und  Grafen  Caspar  Stemberg 
(1761—1838)  oder  des  Freiherrn  von  Schlotheim  (1764—1832).  Auch 
der  berühmteste  und  einflußreichste  Geologe  der  ersten  Jahrzehnte 
des  verflossenen  Jahrhunderts,  Leopold  von  Buch  (1774—1852),  besaß 
zwar  als  Mitglied  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  die  Be- 
rechtigung, an  der  Universität  Vorlesungen  zu  halten,  hat  aber  nie 
von  derselben  Gebrauch  gemacht. 


Philosophische  Fakultät:   Mineralogie.  Geologie.  Paläontologie.  275 

Erst  viel  später  sind  die  bahnbrechenden  Bestrebungen  dieser 
Männer  dem  Universitätsunterricht  dadurch  zugute  gekommen,  daß 
ihre  Sammlungen  die  Kristallisationspunkte  der  Museen  bezw. 
Institutssammlungen  bildeten ;  so  kamen  die  Schlotheimsche,  Buchsche 
und  Münstersche  Sammlung  (zum  kleinen  Teil)  nach  Berlin,  während 
der  größere  Teil  der  letzteren  nach  München  gelangte. 

Der  außerordentlich  mannigfaltige  Ursprung  der  geologisch- 
mineralogischen Unterrichtsmittel,  die  verschiedenartigen  Anregungen, 
die  auf  Bestrebungen  des  Bergbaus  und  der  Bergakademien,  auf  die 
Sammlungen  unabhängiger  Liebhaber  und  die  allmählich  vorschreitende 
Ausdehnung  der  Universitäts-Lehrkanzeln  zurückgehen,  ist  der  heutigen 
Blüte  des  Unterrichtes  zugute  gekommen. 

Bei  den  im  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  errichteten  Uni- 
versitäten Berlin*)  und  Breslau  —  beide  1811  —  die  somit  den  da- 
mals vorgeschrittensten  Standpunkt  darstellten,  waren  Chemie  mit 
Mineralogie  und  Geologie  im  Lehrauftrage  vereinigt.  Dieselbe  Ent- 
wicklung sehen  wir  in  Bayern,  wo  an  der  damaligen  Universität 
I^ndshut  (1807,  später  in  München)  die  3  genannten  Wissenschaften 
zusammen  einen  Vertreter  **)  hatten. 

Eine  etwas  weiter  gehende  Trennung  sehen  wir  in  Bonn  (ge- 
gründet 1818),  wo  gleichzeitig  eine  Professur  für  Mineralogie  und 
Geologie***)  und  eine  zweite  für  Zoologie  und  Mineralogief)  errichtet 
wurde. 

Eine  ähnliche  Trennung  zeigte  u.  a.  Göttingen,  ff) 


♦)  Nach  Chr.  Samuel  Weiß  war  Gustav  Rose  seit  1826  außerordentlicher,  seit  1839 
ordentlicher  Professor  der  Mineralogie. 

♦♦)  Joh.  Nep.  Fuchs  1807—1823  in  Landshut,  1823—1856  in  München;  erst  sein 
Nachfolger  Kobell  erhielt  den  I^hrauftrag  für  Mineralogie  allein.  Ungefähr  gleichzeitig 
(1861)  erhielt  Oppel  1831  —  1865  Lehrauftrag  für  Paläontologie  und  Geologie  und  die 
Stelle  als  Konservator  der  paläontologischen  Staatssammlungen. 

***)  Ihr  Vertreter  war  Nöggerath  f  1878;  doch  erhielt  schon  1863  Gerhard  vom 
Rath  (1830 — 1888)  einen  I^ehrauftrag  für  Mineralogie  und  Geologie,  der  seinerseits  1880 
die  Leitimg  des  mineralogischen  Instituts  an  A.  v.  I.assaaJx  abgab.  In  das  Jahr  1882 
fallt  die  Errichtung  eines  Ordinariats  für  Paläontologie  und  stratigraphische  Geologie 
(Clemens  Schlüter). 

f)  Ihr  Vertreter  Goldfuß,  der  Verfasser  der  Petrefacta  Germaniae,  vorher  seit  1804 
in  ähnlicher  Stellung  in  Erlangen,  von  1818 — 1848  in  Bonn,  betonte  vor  allem  die  palä- 
ontologische Seite  seiner  Aufgabe  und  ist  der  Begründer  der  beschreibenden  Versteine- 
rungskunde der  Wirbellosen. 

ff)  Der  Zoologe  Blumenbach  trat  schon  1803  und  1816  mit  berühmt  gewordenen 
Abhandlungen  über  fossile  Wirbeltiere  hervor,  während  der  bekannte  Vuikanolog  Sartorius 
von  Waltershaasen  Mineralogie  und  Geologie  vertrat. 

18* 


276  Lehrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Erst  von  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  an  läßt  sich  die 
allmähliche  Trennung  der  nur  durch  das  äußerliche  Moment  der 
steinartigen  Beschaffenheit  des  Untersuchungsmaterials  geeinten,  in 
ihren  Untersuchungsmethoden  grundsätzlich  verschiedenen  Wissen- 
schaften Mineralogie  (mit  Kristallographie  und  Petrographie)  von  der 
Geologie  nachweisen.  Wenn  in  der  Petrographie*)  beide  einige 
Berührungspunkte  aufweisen,  so  besitzt  die  Geologie  doch  in  sich 
einen  im  wesentlichen  zwiespältigen  Charakter  und  sehr  vielseitige 
Arbeitsmethoden  mit  ihren  Formen  der  Gebirgs-  und  Hachlands- 
geologie  (geologisch-agronomische  Boden-Untersuchung).  Die  Unter- 
suchungen und  kartographischen  Aufnahmen  im  Felde  zeigen  viele 
Beziehungen  zu  Geographie.  Während  aber  die  Geschichte  der  Erde 
spezielle  Aufgabe  der  Geologie  bleibt,  ist  z.  B.  bei  der  Forschung 
über  Gletscher-,  Seen  und  Talbildung  eine  natürliche  Grenze  gegen 
die  physische  Geographie  nicht  vorhanden.  Andrerseits  zeigt  die 
Paläontologie  die  engsten  Beziehungen  zu  den  biologischen  Disziplinen 
Zoologie  und  Botanik,  vergleichender  Anatomie  und  Entwicklungs- 
geschichte. Die  mit  der  Ausbildung  der  Wissenschaften  steigenden 
Anforderungen  sind  also  besonders  umfassend  bei  den  in  Deutsch- 
land ungeteilten  Instituten  bezw.  Professuren  für  Geologie  und 
Paläontologie.**)  Sehr  viel  einheitlicher  ist  demgegenüber  Aufgabe 
und  Arbeitsmethode  der  Institutsdirektoren  für  Mineralogie:  All- 
gemeine (d.  h.  chemische  und  kristallographische)  Mineralogie  und 
systematische  Mineralogie  einerseits  und  mikroskopische  Untersuchung 
von  Mineralien  und  Gesteinen  andrerseits. 

Die  Institute,  die  Arbeitsstätten  für  die  genannten  Wissenschaften 
sind  z.  T.  noch  jüngeren  Ursprunges  als  die  Lehraufträge  und  meist 
gleich  als  integrierende  Teile  der  Universitäten  entstanden,  zuweilen 
(Berlin  und  München)  allerdings  auch  aus  den  großen  Staatsmuseen 
hervorgewachsen :  z.  B.  lag  das  alte  mineralogische  und  das  allmählich 


*)  Die  Methode  derselben  ist  physikalisch  und  chemisch,  d.  h.  die  der  Mineralogie, 
während  die  Ergebnisse  fast  ausschließlich  der  Geologie  zugute  kommen.  Die  Begründer 
der  jetzt  an  allen  Universitäten  gebräuchlichen  physikalischen  ( iesleinsuntersuchungcn 
waren  Vogelsang  (1838  —  1874,  zuerst  Privatdozent  in  Bonn,  dann  Professor  in  Delft)  und 
Zirkel  (OrdinariiLs  seit  1879  in  Leipzig).  Der  weitere  Aushau  knüpft  an  den  Namen 
Rosenbusch,  Prof.  in  Heidelberg. 

**)  Die  Verteilung  des  Lehrstofies  rtndet  meist  derart  statt,  daß  abwechselnd  Geologie 
(allgemeine  historische;  und  Paläontologie  al>  Ilauptkolleg  gelesen  wird.  Empfehlens- 
werter ist  wahrscheinlich  eine  Trennung  derart,  daß  die  allgemeine  (oder  dynamische) 
Geologie  regelmäßig  im  W.-S.,  historische  Geologie  und  Paläontologie  alternierend  in  den  S.-S. 
gelesen  wird. 


Philosophische  Fakultät:  Mineralogie.  Geologie.  Paläontologie.  277 

selbständig  werdende  paläontologische  Museum  in  Berlin  stets  im  Ost- 
flügel des  Universitätsgebäudes  und  enthielt  auch  den  Hörsaal  von 
G.  Rose  und  Beyrich.  Doch  waren  die  genannten  Professoren  nur 
in  Personalunion  auch  Direktoren  der  betreffenden  kgl.  Museen  und 
der  eigentlichen  Institute.  Erst  seit  1886,  d.  h.  bei  der  Übersiedelung 
in  den  Neubau  des  Museums  für  Naturkunde  wurden  die  Universitäts- 
vorlesungsräume  organisch  mit  den  Instituten,  den  eigentlichen  Arbeits- 
stätten und  den  Hauptsammlungen  vereinigt,  während  das  Schau- 
museum jetzt  erst  für  das  Publikum  geöffnet  wurde. 

Eine  ganz  analoge  Vereinigung  einer  großen  paläontologischen 
Staatssammlung  mit  dem  Studien-Institut  der  Universität  zeigt  München, 
wo  auch  die  Trennung  der  mit  der  Chemie  verbundenen  Mineralogie 
und  Geologie  in  ganz  analoger  Weise  erfolgte. 

Durch  diese  verständige  Vereinigung  wurden  die  Mißstände  ver- 
mieden, die  in  anderen  Weltstädten  (Paris  und  Wien)  durch  Trennung 
der  lediglich  dem  Unterricht  gewidmeten  Universitätsinstitute  und  der 
großen  naturwissenschaftlichen  Museen  bedingt  wurden. 

Eine  Anzahl  der  mittleren  Universitäten  eiferte  in  der  Aus- 
dehnung der  Sammlungen*)**)  den  beiden  genannten  Museen  nach. 
Doch  ist  wohl  nur  selten  (so  in  Breslau)  das  mit  dem  Universitäts- 
institut verbundene  geologisch-paläontologische  bezw.  mineralogische 
Museum  gleichzeitig  für  das  große  Publikum  zugänglich. 

Die  Trennung  der  Lehraufträge  ist  auch  mehrfach  nur  derartig 
durchgeführt,  daß  ein  Ordinariat  und  ein  Extraordinariat  in  unregel- 
mäßigem Wechsel  für  Mineralogie  bezw.  Geologie  und  Paläontologie 
bestimmt  wurden.  Die  Absonderung  ist  jetzt  auf  den  preußischen 
Universitäten  überall***),  auf  den  übrigen  deutschen  Universitäten  später 
mit  4  Ausnahmen  (Rostock,  Erlangen,  Gießen,  Tübingen)  durchge- 
führt.    Die  letzte  Trennung  erfolgte  in  Leipzig. 

Die  Möglichkeit,  die  zahlreichen  Aufgaben  zu  lösen,  welche  die 
Mannigfaltigkeit  der  Untersuchungsmethoden  aufstellt,  wird  ganz  wesent- 

*)  In  Tübingen  bestand  z.  B.  unter  Quenstedt  1837 — 1890  nur  eine  Sammlung, 
kein  Institut,  das  erst  unter  Branco  1891—91  angelegt,  und  unter  Koken  (seit  1895) 
wesentlich  en%eitert  wurde  (2  Assistenten,  2  Diener). 

**)  Auch  die  Entstehung  des  jetzt  in  einem  stattlichen  Neubau  untergebrachten 
Straßburger  Instituts  besitzt  ihren  besonderen  Charakter.  Den  (Grundstock  bildet  die  1872 
geschenkte  Privatsammlung  des  bei  der  Begründung  berufenen  I^hrers  (Professor  Benecke). 
Dazu  trat  1880  der  geologische  und  paläontologische  Teil  des  Straßburger  städt.  Museums. 

***)  Mit  Ausnahme  von  Münster.  Wohl  am  frühesten  —  nach  Berlin  —  erfolgte 
die  Trennung  in  Göttingen,  wo  K.  v.  Seebach  1862  zum  Extraordinarius  und  1870  zum 
Ordinarius  für  Geologie  und  Paläontologie  ernannt  wurde. 


278  I^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

lieh  durch  Privatdozenten*)  und  unbesoldete  Extraordinarien  gegeben,sind 
doch  die  Arbeiten  der  Geologie  außerordentlich  vielseitiger  geworden : 
Abgesehen  von  der  Vorlesung  liegt  der  Schwerpunkt  des  Instituts- 
betriebes auf  der  notwendigen  Anleitung  der  Praktikanten  zur  selb- 
ständigen Bestimmung  und  Präparation  von  fossilen  Pflanzen  und 
Tieren,  zum  Aufnehmen  von  geologischen  Karten,  Zeichnen  von  Pro- 
filen und  Landschaftsskizzen,  Anfertigung  von  Dünnschliffen,  Aus- 
fuhrung mechanischer  Bodenuntersuchungen,  Anwendung  des  Bohr- 
stockes und  des  Kompasses  und  Aufnahme  landschaftlicher  und  palä- 
ontologischer Photographien**).  —  Endlich  erfahrt  die  Tätigkeit  des 
Geologen  eine  fernere  Erweiterung  dort,  wo  seismische  Pendel- 
stationen mit  den  Universitätsinstituten  verbunden  sind  (Leipzig, 
Breslau,  an  letzterem  Orte  Hauptstation  mit  5  Stationen  II.  Ordnung, 
Bromberg-Gleiwitz  usw.). 

Es  mangelt  der  Raum,  die  mineralogischen  und  geologischen 
Institute  der  20  Universitäten  des  Deutschen  Reiches  eingehender  zu 
beschreiben.  Es  sei  nur  einer  Eigentümlichkeit  Königsbergs:  des  mit 
der  Universität  vereinigten,  von  den  Geologen  verwalteten  Bernstein- 
museums gedacht  und  die  kurze  Schilderung  eines  größeren  und 
eines  mittleren  Institutes  angefügt: 

Das  Berliner  Miuseum  für  Naturkunde  umfaßt  außer  den  mineralogisch- 
geologischen  Disziplinen  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie.  Besonders  glücklich  ist 
die  räumliche  I^age  zwischen  landwirtschaftlicher  Hochschule  einer-  und  der  mit  der 
Bergakademie  vereinigten  geologischen  I^andesanstalt  andrerseits  gewählt.  Der  Stu- 
dierende und  der  selbständig  arbeitende  (belehrte  hat  somit  in  einer  Weltstadt  alle  für 
seine  Zwecke  in  Betracht  kommenden  Sammlungen  in  unmittelbarster  Nähe,  ein  Vorzug, 
der  in  keiner  anderen  Stadt  ähnlicher  (iröße  Euroinas  oder  Amerikas  wiederkehrt.  Auch 
die  sehr  bedeutende  königliche  Bibliothek  befindet  sich  in  ^/^stündiger  Entfernung,  ent- 
hält jedoch  für  (Geologie  und  Mineralogie  nicht  viel  mehr  als  die  reichen  Bibliotheken 
der  Institute,  der  landwirtschaftlichen  Akademie  und  besonders  der  königlichen  geologischen 
I^ndesanstalt.  In  den  Einrichtungen  der  Raumverteilung  des  geologisch-paläontologischen 
Instituts  ist  noch  immer  die  .Schau-  und  Magazin-  (Haupt)  Sammlung  entsprechend  der 
oben  geschilderten  Entstehung  in  erster  Linie  berücksichtigt  worden.  Mineralogie  und 
IVtrographie,  sowie  Geologie  und  Paläontologie  nehmen  den  rechten  bezw.  linken  Teil 
des  großen  nach  der  Invalidenstraße  zu  gelegenen  Vorbaus  ein.  Das  Erdgeschoß  ist  in 
jedem  Falle  für  die  Schausammlung  bestimmt;  die  zwei  vorderen  Räume  enthalten  allge- 
meine und  historische  Geologie,  der  nach  hinten  neben  dem  Lichthof  befindliche  große 
Saal  enthält  die  gesammte  Paläontologie  in  systematischer  Anordnung.  Der  erste  Stock 
ist  für  die  Ilauptsammlung  bestimmt,  während  im  zweiten  Stocke  die  Arbeitsräume  für 
die  Direktoren  und  Beamten,  der  Hörsaal,  die  Bibliothek  und  die  nicht  sonderlich  aas- 
gedehnten Institutszimmer  liegen.  Innerhalb  des  zweiten  Stockes  ist  der  Verkehr  zwischen 
den  nahe  Beziehungen  aufweisenden  3  Instituten  unbeschränkt. 

*)  Die  naturgemäß  in  wechselnder  Zahl  vorhanden  sind,  z.  B.  z.  Z.  in  Tübingen  3, 
in  Breslau  4. 

**)  Es  ist  hier  die  Tätigkeit  des  Geologen  nur  kurz  skizziert. 


Philosophische  Fakultät:  Mineralogie.  Geologie.  Paläontologie.  279 

Das  geologisch-paläontologische  Institut  und  Museum  in  Breslau  geht  in  seiner 
C Gründung  auf  Ferdinand  Römer  zurück,  der  von  Ostern  1855  bis  zu  seinem  1891  er- 
folgten Tode  den  I^hrstuhl  für  Geologie  und  Mineralogie  bekleidete.  Römer  schuf  hier 
ein  in  der  Technik  der  Aufstellung  und  der  Auswahl  der  nicht  allzu  zahlreichen,  aber  tadellos 
erhaltenen  Stücke  ein  für  die  damalige  Zeit  unerreichtes  Museum.  Ein  großer  Saal  von 
ca.  120  qm  Fläche  enthielt  und  enthält  noch  jetzt  in  den  Wandschränken  die  chrono- 
logisch angeordnete  Übersicht  der  geologischen  Formationen,  während  in  den  flachen 
kommodenartigen  Auslagen  desselben  Raumes  die  ausgestorbene  Tier-  und  Pflanzenwelt, 
nach  zoologischen  und  botanischen  Gesichtspunkten  geordnet,  untergebracht  ist.  Der 
Trennung  der  I^hraufträge  für  mineralogische  Disziplinen  einerseits,  für  Geologie  und 
Paläontologie  andrerseits  folgte  1902  eine  Neugestaltung  der  entsprechenden  Institute 
sowie  eine  bedeutende  räumliche  Erweiterung  der  Museen.  Bei  der  Ausgestaltung  des 
Instituts  wurde  besonderer  Wert  auf  Beschaffung  guten  Demonstrationsmateriales  gelegt. 
Demonstrationstafeln  (z.  T.  gezeichnet,  z.  T.  photographisch  hergestellt)  als  Erläuterung 
fossiler  Tiere  und  Gebirgsdurchschnitte,  Modelle  und  ein  kleines  Instrumentarium  veran- 
schaulichen die  Wirkung  der  geologischen  Kräfte.  Ein  Skiopiikon  mit  elektrischer  Be- 
leuchtung bringt  geologisch  interessante  I^ndschaften  zur  Anschauung.  Auf  einer  matten 
Glasscheibe  erscheint  das  Projektionsbild,  während  gleichzeitig  der  Vortragende  die 
geologischen  I^itlinien  mit  bunten  Stiften  skizziert.  Ebenso  wurde,  soweit  es  der 
Raum  gestattete,  in  den  Arbeitsräumen  und  I^boratorien  durch  Verwendung  guter 
Mikroskope,  elektrischer  Beleuchtung,  der  Schneide-,  Schleif-  und  Bohrmaschinen, 
mechanischer  Waschvorrichtungen  dem  Institut  ein  möglichst  modernes  Aussehen 
gegeben.  Mit  der  Einrichtung  des  Instituts  ging  Hand  in  Hand  eine  Ausgestaltung  des 
Museums.  Zu  dem  oben  beschriebenen  Saal  trat  besonders  hinzu:  ein  größerer  Raum 
für  allgemeine  Geologie  (Ölgemälde  geologischer  Landschaften,  Modelle,  Photographien 
und  Handstücke),  während  die  Geologie  Schlesiens  in  einem  Saale  von  ca.  80  qm 
Grundfläche  mit  den  in  der  Provinz  besonders  zahlreich  gefundenen  fossilen  Wirbeltieren 
und  Steinkohlenpflanzen  vereinigt  werden  mußte.  Eine  besondere  Stätte  fand  die  tech- 
nische (Jeologie  (Kohlenbergbau,  Eisen,  Blei-  und  Zinkhüttenwesen  und  die  Steinbruch- 
industrie) in  einem  kleineren  Ecksaal.  Eine  vollständig  eingerichtete  photogra- 
phische Werkstätte  mit  Dunkelkammer  dient  zur  Herstellung  von  photographisch  auf- 
genommenen I^ndschaften,  zur  Vergrößerung  und  Verkleinerung  interessanter  geologischer 
Objekte  und  vervollständigt  die  Einrichtungen  des  Instituts. 

F.  Free  h. 


XV.  Botanik  und  Zoologie. 

Botanik  und  Zoologie  bilden  mit  den  mineralogischen  Disziplinen 
die  sogenannten  beschreibenden  Natur^\'issenschaften.  Da  jene  indes 
lebendige  Wesen  zum  Objekt  haben,  diese  aber  die  leblose  Erdrinde, 
gehen  Forschungs-  und  Unterrichtsmethoden  beider  weit  auseinander. 
Um  so  enger  sind  die  Beziehungen  zwischen  Botanik  und  Zoologie, 
sodaß  eine  einheitliche  Darstellung  ihrer  Unterrichtsmittel  und 
Forschungsanstalten  sich  aus  verschiedenen  Gesichtspunkten  empfiehlt. 

Mit  Recht  werden  Botanik  und  Zoologie  aufgefaßt  als  Teile 
einer  einheitlichen  Wissenschaft,  der  Biologie.  In  der  Anekdote, 
wonach  ein  Kandidat,  im  Examen  nach  den  Unterschieden  zwischen 
Tier  und  Pflanze  gefragt,  antwortete:  Tiere  sind  die  Dinge,  mit  denen 
sich  die  Zoologen,  Pflanzen  die,  mit  denen  sich  die  Botaniker  be- 
schäftigen, liegt  ein  tieferer ,  wohl  begründeter  Sinn.  Denn  eine 
scharfe  Grenzlinie  zwischen  Tierreich  und  Pflanzenreich  kann  nur 
konventionell  gezogen  werden;  Botanik  und  Zoologie  sind  nach  dem 
Prinzip  der  Arbeitsteilung  abgegrenzte  Disziplinen  eines  großen,  zu- 
sammenhängenden Gebietes,  der  Biologie.  Wenn  Linne  Tier-  und 
Pflanzenreich  definierte:  plantae  crescunt  et  vivunt,  animalia  crescunt, 
vivunt  et  sentiunt,  so  ist  diese  Definition  nicht  nur  längst  unhaltbar 
geworden,  sondern  heutzutage  versucht  man  überhaupt  nicht  mehr, 
eine  knappe  Definition  des  Pflanzen-  und  Tierbegriffes  zu  geben.  Je 
tiefer  die  Forschung  eindrang  bei  ihrer  Analyse  der  Lebenserschei- 
nungen, um  so  mehr  sah  sie  sich  zu  der  Anerkennung  gezwungen, 
daß  die  Grundlagen  des  Lebens  bei  Pflanzen  und  Tieren  identisch 
sind;  daß  es  bei  den  höheren  Pflanzen  und  den  höheren  Tieren  die 
Ausbildung  von  Sondereigenschaften  ist,  die  ihnen  ein  so  eigenartiges 
Gepräge  verleiht. 

Wie  die  Wissenschaft  der  Biologie  in  ununterbrochenem  Flusse 
begriffen  ist,  so  ändern  sich  auch  fortwährend  die  Methoden  des  bio- 
logischen Unterrichts   an    den    Universitäten,    da   sie   sich    den   Fort- 


Philosophische  Fakultät:  Botanik  und  Zoologie.  281 

schritten  der  Wissenschaft  und  den  jeweilig  in  ihr  herrschenden 
Gesichtspunkten  anzupassen  haben. 

Die  Botaniker  und  Zoologen  der  Periode  Linnes  und  ihre  Nach- 
folger standen  bis  etwa  zur  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  so  sehr 
unter  dem  Eindrucke  der  einen,  wichtigen  Seite  des  biologischen 
Problems,  der  Mannigfaltigkeit  und  Vielgestaltigkeit  der 
Organismen,  daß  ihre  Vertreter  auf  den  Lehrstühlen  der  Uni- 
versitäten sich  fast  ausschließlich  mit  der  Beschreibung  und  Klassi- 
fikation der  Pflanzen  und  Tiere  beschäftigten  und  in  diesem  Sinne  auch 
den  botanischen  und  zoologischen  Unterricht  handhabten,  wobei  sie 
als  Lehrmittel  lediglich  Sammlungen  konservierter  Tiere  und  Tier- 
bälge, sowie  getrockneter  Pflanzen  anstrebten;  allerdings  verfügten 
die  Botaniker  daneben  in  den  wertvollen  botanischen  Gärten,  die 
ursprünglich  zur  Kultur  von  Arzneipflanzen  angelegt  waren,  über  ein 
reiches  Material  zum  Studium  lebender  Pflanzen  und  zu  ihrer  De- 
monstrationen in  den  Vorlesungen. 

Schon  im  Geiste  Linnes  hatte  sich  eine  Unterströmung  gezeigt, 
die  ihn  das  Wort  sprechen  ließ:  plantam  non  plantas  cognoscere! 
das  Wesen  der  Pflanze  zu  erforschen,  sei  Ideal  der  Wissenschaft. 
Die  Wiederbelebung  der  Anatomie  und  Physiologie  der  Pflanzen  in 
der  ersten  Hälfte  des  neunzehnten  Jahrhunderts  brachte  indes  zu- 
nächst nur  wenige  Anhänger  dieser  Richtung  auf  die  Lehrstühle  der 
Universitäten,  und  auch  in  der  Zoologie  blieben  die  Systematiker 
überwiegend.  Da  trat  während  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts 
ein  völliger  Umschwung  ein.  In  der  Botanik  eroberten  jüngere 
Forscher,  die  der  anatomisch-physiologischen  Richtung  angehörten, 
wegen  des  steigenden  Interesses,  das  man  ihren  Arbeiten  seitens  der 
Studierenden,  der  Fakultäten  und  der  Ministerien  entgegenbrachte, 
einen  Lehrstuhl  nach  dem  andern.  An  Universitäten  mit  nur  einer 
botanischen  Professur  bekleidete  diese  höchst  selten  noch  ein 
Systematiker,  sodaß  die  Vertreter  dieser  Richtung  sich  im  wesent- 
lichen beschränkt  sahen  auf  Universitäten,  an  denen  ein  zweites 
Ordinariat  für  Botanik  besteht,  oder  auf  außerordentliche  Professuren. 

Dadurch,  daß  die  Hauptvorlesungen  über  Botanik  fortan  Männern 
der  anatomisch-physiologischen  Richtung  zufielen,  daß  diese  ihren 
Einfluß  in  den  Staatsprüfungen  und  dem  Doktorexamen  geltend 
machten,  daß  der  Nachwuchs,  d.  h.  diejenigen  Studierend'^n,  die  sich 
als  Spezialisten  der  Botanik  widmeten,  ganz  vorwiegend  sich  angezogen 
fühlte  von  den  anatomisch-physiologischen  Problemen,  wurde  im  Uni- 
versitäts-Unterricht die  Systematik   immer   mehr   in  den  Hintergrund 


282  I^hrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

gedrängt.  Durch  bereitwilliges  Eingehen  der  Regierungen  auf  die 
Anträge  der  Professoren  entstand  an  den  Universitäten  ein  pflanzen- 
physiologisches Laboratorium  nach  dem  andern,  die  dann  meist  den 
Namen  botanisches  Institut  erhielten.  In  diesen  Instituten  ist  viel  ge- 
arbeitet und  viel  geleistet  worden,  und  ihre  Begründung  begünstigte 
allerorten  bedeutsame  wissenschaftliche  Fortschritte. 

Doch  bei  der  Neigung  des  Menschen  zum  Radikalismus  trat 
bald  eine  Kehrseite  dieses  im  ganzen  heilsamen  Umschwungs  hervor. 
Die  systematische  Seite  der  Wissenschaft  wurde  an  manchen  Univer- 
sitäten über  Gebühr  vernachlässigt.  Mit  Geringschätzung  wurde  von 
ihr  und  von  den  Systematikern  gesprochen.  Es  gab  Professoren,  die 
außer  stände  waren,  ihren  Schülern  auf  Exkursionen  die  Namen  ver- 
breiteter wildwachsender  Pflanzen  zu  nennen.  Die  Studierenden 
merkten  sich  dies  schnell  und  hielten  Kenntnisse  auf  dem  Gebiete 
der  einheimischen  Flora  bald  für  etwas  Überflüssiges.  Seitens  der 
Institutsdirektoren  wurden  die  früher  allein  geschätzten  Sammlungen 
vernachlässigt  und  selbst  die  so  wertvollen  botanischen  Gärten  nicht 
nach  Gebühr  gewürdigt. 

So  erklärlich  es  war,  daß  eine  früher  unterdrückte,  dann  zum 
Siege  gelangte  wissenschaftliche  Richtung  im  Besitz  der  Macht  sich 
ihrer  Erfolge  freute,  sie  z.  T.  überschätzte,  so  konnte  ein  solcher  Zu- 
stand doch  wegen  seiner  Fehlerhaftigkeit  nicht  von  Bestand  sein. 
Eine  Gegenbewegung  blieb  nicht  aus.  Eine  Reihe  jüngerer  Kräfte  in 
der  Botanik  erkannte,  daß  man  sich  auf  dem  Wege  zu  ähnlicher 
Einseitigkeit  der  Wissenschaft  befand,  wie  früher  unter  der  Herrschaft 
der  alten  Systematik.  Es  fand  eine  Neubelebung  der  Systematik 
statt,  die  wesentlich  durch  die  Gesichtspunkte  der  Abstammungslehre 
gefördert  wurde.  Die  Systematiker  erkannten  zudem,  daß  die  Ein- 
führung anatomisch-entwicklungsgeschichtlicher  Methoden  nicht  bloß 
für  die  Bearbeitung  der  niederen,  sondern  auch  für  die  der  höheren 
Pflanzen  unentbehrlich  war,  so  daß  hierdurch  eine  Annäherung  beider 
Richtungen  befördert  wurde,  die  schließlich  zu  einem  gesunderen 
Gleichgewichtszustand  zwischen  ihnen  führte.  Auch  mußten  Physio- 
logen, die  den  neueren  systematischen  Arbeiten  ihre  AufmerksamTceit 
schenkten,  einräumen,  daß  in  diesen  nicht  weniger  wissenschaftlicher 
Scharfsinn  zu  finden  war,  als  in  den  eigenen.  Ja,  es  konnte  manche 
physiologische  Arbeit,  die  im  wesentlichen  nur  auf  einer  Anwendung  be- 
kannter chemischer  und  physikalischer  Methoden  auf  Pflanzen  bestand, 
in  dem  darin  aufgewandten  geistigen  Arbeitswert  mit  vergleichend- 
morphologischen   und  systematischen  Arbeiten    sich  nicht  messen.  — 


Philosophische  Fakultät:  Botanik  un<l  Zoologie.  283 

Die  Entwicklung  der  Zoologie  an  den  Universitäten  zeigte  einen 
ähnlichen  Verlauf.  Insofern  lagen  allerdings  die  Verhältnisse  etwas 
anders,  als  die  zur  medizinischen  Fakultät  gehörigen  Inhaber  der 
Professuren  für  Anatomie  und  Physiologie  des  Menschen  vielfach 
größere  oder  kleinere  Abschnitte  des  Tierreichs  zum  Gegenstande 
ihrer  Forschung  machten,  so  daß  auch  nach  dem  Prinzip  der  Arbeits- 
teilung die  Zoologen  mehr  bei  der  Systematik  bleiben  konnten,  sofern 
nicht  der  zoologische  Lehrstuhl  mit  einer  jener  Professuren  durch 
Personalunion  schon  verbunden  war.  Doch  hörte  letzteres  mit  der 
Zeit  ganz  auf;  die  Zoologie  erhielt  an  allen  Universitäten  selbständige, 
der  philosophischen  Fakultät  angehörige  Vertreter.  Allein  wie  in  der 
Botanik,  übte  auch  auf  die  jüngeren  Zoologen  die  anatomisch-physio- 
logische Richtung  eine  überwiegende  Anziehungskraft  aus.  Die  großen 
Fortschritte  der  Zellenlehre,  die  zunehmend  erkannte  Wichtigkeit  der 
Entwicklungsgeschichte,  der  Umstand,  daß  an  die  Erforschung  der 
niedersten  Tiere  überhaupt  ohne  Mikroskop  nicht  gedacht  werden  kann, 
endlich  die  bedeutsamen  Aufgaben  der  vergleichenden  Physiologie 
führten  die  jüngeren  Zoologen  in  ihrer  großen  Mehrheit  ins  ana- 
tomisch-physiologische Lager.  Überall  wurden  zoologische  Labo- 
ratorien errichtet,  und  das  Interesse  an  den  Museen  trat  in  den 
Hintergrund.  Nur  wo  die  persönlichen  Neigungen  des  Professors 
nach  dieser  Seite  gingen,  fanden  sie  Förderung. 

So  haben  sich  die  tatsächlichen  Zustände  der  Gegenwart  in  beiden 
Wissensgebieten  nach  und  nach  übereinstimmend  entwickelt. 

In  beiden  großen  Zweigen  der  Biologie,  in  der  Botanik  wie  in 
der  Zoologie,  dienen  als  Unterrichtsmittel  für  Vorlesungen,  Kurse 
und  Anleitung  zu  eigenen  wissenschaftlichen  Arbeiten  der  Stu- 
dierenden Sammlungen  und  Laboratorien. 

Unter  den  Sammlungen  sei  in  erster  Linie  der  für  den  Gebrauch 
der  Dozenten  und  Studierenden  innerhalb  des  Instituts  bestimmten 
Handbibliotheken  gedacht,  deren  Wichtigkeit  eine  hervorragende 
ist.  Ich  meinerseits  habe  den  Erlaß  des  Ministeriums  freudig  begrüßt, 
durch  den  ein  Ausleihen  der  Bücher  jener  Handbibliotheken  an  Do- 
zenten und  Studierende  unters^t  ist;  diese  Bücher  sollen  im  Institut 
selbst  benutzt  und  verglichen  werden;  die  Studierenden  werden  hier- 
durch daran  gewöhnt,  sich  unter  den  Augen  und  unter  Anleitung  der 
Dozenten  mit  den  Büchern  zu  beschäftigen.  Damit  ist  die  Auswahl 
der  für  die  Handbibliotheken  anzuschaffenden  Bücher  im  allgemeinen 
bestimmt:  es  kommen  in  Betracht  die  wichtigeren  Zeitschriften  und 
botanischen  oder  zoologischen  Handbücher;  an  Monographien  außer- 


284  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

dem  solche,  die  sich  auf  Spezialuntersuchungen  beziehen,  mit  denen 
Studierende  beschäftigt  sind.  Darum  empfiehlt  es  sich,  auch  Sammel- 
bände zweckmäßig  ausgewählter  Separatabdrücke  anzulegen,  die  in 
den  allgemeinen  Universitätsbibliotheken  niemals  zu  haben  sind.  So 
besitzt  das  Kieler  botanische  Institut  eine  umfangreiche  Sammlung 
von  Arbeiten  über  Algen,  wozu  als  Grundstock  der  Direktor  die  in 
seinem  Besitz  befindlichen  algologischen  Schriften  und  Separatabdrücke 
schenkte. 

Neben  den  Büchern  bildet  eine  Sammlung  von  Wandtafeln  und 
Modellen  ein  in  allen  biologischen  Instituten  vorhandenes  wichtiges 
Unterrichtsmittel.  Dann  ist  der  Sammlungen  konservierter  Tiere  und 
Pflanzen  zu  gedenken,  die  in  Gläsern  während  der  Vorlesung  herum- 
gereicht werden.  Auf  die  Konservierungsmittel  kann  hier  nicht  näher 
eingegangen  werden;  nur  sei  hervorgehoben,  daß  Pflanzen  und  Pflanzen- 
teile nicht  nur  in  einem  flüssigen  Medium,  sondern  auch  in  getrock- 
netem, häufig  auch  in  gepreßtem  Zustande  vorgewiesen  werden  können, 
wie  auch  die  getrockneten  Skelette  der  Tiere    von  Wichtigkeit  sind. 

Dann  kommen  die  Sammlungen  in  Betracht,  die  den  wissenschaft- 
lichen Untersuchungen  als  Material  dienen.  Mit  den  zoologischen 
Instituten  ist  meist  ein  kleineres  oder  größeres  Museum  verbunden; 
die  botanischen  Institute  besitzen  mehr  oder  weniger  umfassende  Her- 
barien. Hierbei  ist  es  geboten,  Vollständigkeit  der  Sammlung  nur  anzu- 
streben in  den  Richtungen,  in  denen  an  den  betreffenden  Universitäten 
besonders  gearbeitet  wird,  sonst  würde  es  bald  an  Raum  zur  Aufstellung 
fehlen.  So  verfügt  z.  B.  das  Kieler  botanische  Institut  über  eine  recht 
vollzählige  Sammlung  getrockneter  Algen.  Die  großen  Museen  der 
Berliner  Universität  bilden  insofern  eine  Ausnahme,  als  sie  darauf 
ausgehen,  möglichst  umfassende  Sammlungen  aus  allen  Zweigen  des 
Tier-  und  Pflanzenreichs  zusammenzubringen,  und  sie  auch  mit  den 
erforderlichen  Mitteln  und  Räumlichkeiten  ausgestattet  sind. 

Die  botanischen  Institute  der  Universitäten  sind  hinsichtlich  ihrer 
Sammlungen  von  Natur  aus  insofern  günstiger  gestellt  als  die  zoolo- 
gischen, weil  sie  über  die  lebenden  Museen  der  botanischen  Gärten 
verfügen.  Ursprünglich  begründet  für  den  Anbau  von  Arzneipflanzen, 
die  Arzt  und  Apotheker  auch  im  lebenden  Zustande  kennen  lernen 
.sollten,  ist  diese  einst  ausschließliche  Bestimmung  längst  zur  Neben- 
aufgabe geworden.  Seitdem  die  Botanik  sich  zu  einer  auch  in  ihrer 
äußeren  Vertretung  selbständigen  Wissenschaft  entwickelte,  seitdem 
die  botanischen  von  den  medizinischen  Lehrstühlen  getrennt  wurden, 
wurden  auch  rein  botanische    Ziele    in    den    botanischen  Gärten  ver- 


Philosophische  Fakultät:  Botanik  und  Zoologie.  285 

wirklicht.  In  der  Periode,  als  die  offizielle  Universitätsbotanik  in  den 
Händen  ausschließlicher  Systematiker  lag,  waren  jene  Ziele  naturgemäß 
systematische.  Indem  dann  der  oben  erwähnte  Umschwung  eintrat 
und  die  physiologische  Richtung  die  Oberhand  gewann,  verstieg  sich 
die  Überhebung  der  Sieger  in  ihrer  Geringschätzung  der  Mannig- 
faltigkeit der  Pflanzenformen  sogar  hier  und  da  zu  der  Behauptung, 
die  botanischen  Gärten  wären  überflüssig  geworden,  der  Staat  könne 
das  Geld  dafür  sparen.  Da  solche  Behauptungen  von  (allerdings  nur 
vereinzelten)  Fachmännern  ausgingen,  ist  es  kein  Wunder,  daß  sie 
selbst  in  den  Parlamenten  ein  Echo  fanden.  Um  so  rühmender  ist 
es  anzuerkennen,  daß  die  Staatsbehörden  klarblickend  genug  waren, 
sich  durch  dergleichen  Gerede  in  ihrer  stets  bewiesenen  Schätzung 
der  botanischen  Gärten  nicht  irre  machen  zu  lassen,  und  kein  Staats- 
mann in  Deutschland  hat  die  Hand  geboten  zu  der  Barbarei,  einen 
botanischen  Garten  zu  zerstören;  im  Gegenteil,  im  Anfang  der  sieb- 
ziger Jahre  wurde  mit  Aufwendung  bedeutender  Staatsmittel  in  Kiel 
das  Terrain  für  einen  neuen  botanischen  Garten  erworben.  Und  wie 
haben  sich  die  wissenschaftlichen  Anschauungen  seit  jener  Periode  der 
anatomisch-physiologischen  Einseitigkeit  in  der  Botanik  gewandelt! 
Heute  dürfte  es  keinen  Botaniker  mehr  geben,  der  in  den  botanischen 
Gärten  nicht  die  allerwertvollsten  Kleinode  der  Wissenschaft  erblickte. 
Man  hat  wieder  Sinn  für  die  Wunder  der  Mannigfaltigkeit  der  Pflan- 
zen gewonnen;  man  verwertet  aber  die  botanischen  Gärten  nicht  mehr 
bloß  als  Sammlungen  im  Interesse  der  Systematik,  sondern  vor  allem 
als  Sammlungen  der  Pflanzenökologie,  der  so  sehr  in  den  Vordergrund 
getretenen  Studien  über  Lebensweise  und  Anpassung  der  Pflanzen  an 
Klima,  Standort  usw.  Wie  wertvoll  ist  es  nicht,  in  den  Warmhäusern 
den  Studierenden  einen  wenn  auch  noch  so  bescheidenen  Ausschnitt 
tropischer  Vegetation  vor  Augen  führen  zu  können.  Wie  instruktiv 
sind  die  in  jedem  botanischen  Garten  vorhandenen  Sammlungen  von 
Neuholländern,  von  Sukkulenten,  von  Insektivoren,  um  das  Verständnis 
des  Zusammenhangs  zwischen  Gestalt  und  Funktion  der  Pflanzen  zu 
zeigen,  Beispiele,  die  sich  leicht  durch  viele  andere  vermehren  ließen. 
Aber  damit  ist  die  Bedeutung  der  Gärten  nicht  erschöpft.  Wir  ziehen 
in  ihnen  außerdem  reichhaltiges  Material  für  vergleichend-anatomische, 
entwicklungsgeschichtliche,  physiologische,  selbst  für  pflanzenchemische 
Studien;  ganz  abgesehen  davon,  daß  sie  das  Material  liefern,  um  die 
Vorlesungen  durch  frische  Pflanzen  zu  beleben,  die  wir  den  Stu- 
dierenden in  die  Hand  geben,  und  die  gar  zu  viel  mehr  für  die  An- 
schauung leisten,  als  konservierte  Exemplare   oder  Abbildungen,    die 


286  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

daneben  natürlich  auch  nicht  entbehrt  werden  können.  Endlich  sind 
die  botanischen  Gärten  in  unseren  Tagen  zu  wissenschaftlich  unent- 
behrlichen Versuchsfeldern  geworden  über  Rassebildung  bei  Pflanzen, 
über  die  so  wichtigen  Erscheinungen  bei  Bastardierung,  über  die  Ab- 
hängigkeit der  Pflanzenformen  von  äußeren  Einflüssen.  Es  ist  daher 
ein  schönes  Zeichen  allseitigen  Verständnisses  einer  wissenschaftlichen 
Aufgabe  bei  Fachleuten,  Regierung  und  Parlament,  daß  man  für  die 
Gründung  des  neuen  botanischen  Gartens  bei  Berlin  kein  Opfer  und 
keine  Mittel  gescheut  hat. 

Durch  ihre  vielseitige  Inanspruchnahme  führen  die  botanischen 
Gärten  unmittelbar  hinüber  zu  den  eigentlichen  Arbeitsinstituten, 
den  botanischen  und  zoologischen  Laboratorien  unserer  Uni- 
versitäten. 

Schon  die  botanischen  Laboratorien  können  besonderer  Einrich- 
tungen für  Pflanzenkulturen  zu  wissenschaftlichen  Arbeiten  nicht  ent- 
behren, Gartenland  und  Gewächshäuser  reichen  dafür  nicht  aus;  ins- 
besondere gilt  das  von  Kulturen  der  Algen,  Pilze,  Bakterien.  Aquarien, 
Wärmeschränke  (Thermostaten)  und  Kälteschränke  (mit  Eis)  sowie 
Dunkelräume  sind  unentbehrliche  Hilfsmittel.  Auch  die  Kulturen  in 
wässerigen  Nährlösungen  werden  häufig  lieber  in  den  leichter  kon- 
trollierbaren Laboratorien  ausgeführt  als  in  den  Gewächshäusern. 
Noch  wichtiger  sind  derartige  Hilfsmittel  für  die  zoologischen  Labo- 
ratorien, da  ihnen  die  Unterstützung  durch  zoologische  Gärten  meist 
fehlt,  und  die  wichtigsten  Züchtungsversuche  in  diesen  auch  nicht 
ausgeführt  werden  können.  Darum  spielen  hier  Brutöfen  für  die 
höheren,  besonders  aber  Aquarien  mit  süßem  und  salzigem  Wasser 
für  die  niederen  Tiere  eine  so  große  Rolle.  Den  zoologischen  An- 
stalten in  Helgoland,  Rovigno,  Neapel  fallt  dann  vielfach  eine  ähnliche 
Aufgabe  zu  wie  den  Gärten  für  die  botanischen  Laboratorien,  indem 
sie  wichtige  Tierformen  den  Aquarien  der  zoologischen  Institute  liefern. 

Was  im  übrigen  die  Einrichtung  der  Institute  anlangt,  soweit  sie 
als  wissenschaftliche  Laboratorien  in  Betracht  kommen,  läßt  sich  die- 
selbe gliedern  in  eine  anatomisch-morphologische  Abteilung  und  in 
eine  physiologische,  die  naturgemäß  räumlich  nicht  streng  geschieden 
zu  sein  brauchen. 

In  der  ersteren  ist  das  Mikroskop  mit  allem  Zubehör  das 
herrschende  Instrument,  von  der  einfachen  Stativlupe  bis  zu  den  voll- 
kommensten zusammengesetzten  Mikroskopen,  welche  die  auf  diesem 
Gebiete  soweit  vorgeschrittene  Technik  zu  liefern  vermag.  Zuerst 
gut  es  da  für  das  Institut  über  eine  hinreichend  große  Zahl  von  An- 


Philosophische  Fakultät:  Botanik  und  Zoologie.  287 

fänger-Mikroskopen  zu  verfugen,  mit  denen  die  Studierenden  ihre 
Übungen  beginnen.  Ein  einfaches  doch  gutes  Stativ,  dann  aber  zwei 
Objektivsysteme,  ein  schwächer,  ein  stärker  vergrößerndes,  sind  nach 
meinem  Dafürhalten  hierzu  ausreichend;  dazu  gebe  ich  dem  Anfänger 
nur  ein  Okular  in  die  Hand.  Alle  jene  Linsen  sollten  indes  mög- 
lichst tadellos  sein ;  es  gibt  keine  größere  Qual  für  Lehrer  wie  Schüler, 
als  mit  alten,  unzulänglichen  oder  verdorbenen  Linsen  zu  arbeiten. 
Daneben  wird  jedes  Institut  auch  immer  einige  stärkere  Objektiv- 
systeme für  die  Anfänger  in  Reserve  haben,  die  an  deren  Stative  an- 
geschraubt werden  können,  falls  ihnen  einmal  ein  Objekt  bei  sehr 
starker  Vergrößerung  gezeigt  werden  muß;  es  genügt  aber,  wenn  in 
solchen,  nur  ausnahmsweise  vorkommenden  Fällen  einige  wenige  In- 
strumente mit  starken  Systemen  armiert  werden,  an  welche  die  Stu- 
dierenden unter  Anleitung  des  Lehrers  herantreten.  Dem  Anfänger 
ist  immer  wieder  die  Regel  zu  betonen,  beim  mikroskopischen  Ar- 
beiten mit  möglichst  geringer  Vergrößerung  auszukommen;  an  den 
von  ihm  auszuführenden  Zeichnungen  aber  kontrollieren  die  Lehrer, 
ob  er  die  wichtigste  und  schwierigste  Seite  des  Mikroskopierens,  das 
richtige  Beobachten,  sich  angeeignet  hat. 

Außerdem  muß  jedes  Institut  danach  trachten,  eine  Anzahl  von 
Mikroskopen  zu  besitzen,  deren  Linsensysteme  ausreichend  sind,  die 
schwierigsten  mikroskopischen  Probleme  in  AngriflTzu  nehmen.  Dazu 
sind  möglichst  vollkommene,  auch  mit  Nebenapparaten  aller  Art  aus- 
gerüstete Instrumente  erforderlich.  Eis  sind  das  kostspielige  Apparate; 
aber  nur  sie  allein  bieten  in  der  Hand  des  geübten  Beobachters  Ge- 
währ für  einen  Erfolg.  Unter  den  in  Deutschland  bevorzugten  Firmen, 
die  beste  Mikroskope  liefern,  dürften  Zeiß  in  Jena,  Winckel  in 
Göttingen,  Seibert  und  Leitz  in  Wetzlar  besonders  zu  nennen  sein. 

Außer  den  Mikroskopen  selbst  kommt  dann  ein  Heer  von 
weiteren  Instrumenten  in  Betracht,  namentlich  Messer  aller  Art  mit 
Einschluß  der  oft  kompliziert  gebauten  Mikrotome;  ferner  Utensilien 
zum  Einbetten,  Färben;  Chemikalien  für  Erhärtung  und  mikrochemische 
Reaktionen.  Auf  diesem  ganzen  Gebiete  der  Mikroskopie  dürfte  die 
Einrichtung  botanischer  und  zoologischer  Laboratorien  sich  sehr  nahe 
kommen. 

Was  die  physiologische  Abteilung  biologischer  Laboratorien 
anlangt,  so  war  dieselbe  bis  vor  kurzem  in  den  zoologischen  Instituten 
gewöhnlich  unvollkommener  ausgestattet,  als  in  den  botanischen.  Dies 
hatte  seinen  Grund  darin,  daß  auch  die  vergleichende  Physiologie 
ihre  vorwiegende  Pflege  fand  in  den  zum  Bereich    der    medizinischen 


288  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Fakultät  gehörenden  physiologischen  Instituten.  Diese,  ursprünglich 
für  das  Studium  der  Physiologie  des  Menschen  bestimmt,  waren  mit 
einer  instrumenteilen  und  sonstigen  Ausrüstung  versehen,  die  auch 
zur  Beobachtung  der  Physiologie  niederer  Tiere  einlud,  ganz  abgesehen 
davon,  daß  das  Tierexperiment  aus  nahe  liegenden  Gründen  benutzt 
wird,  um  daraus  Schlüsse  zu  ziehen  auf  das  entsprechende  Verhalten 
des  menschlichen  Körpers.  In  neuerer  Zeit  indes  suchen  die  zoolo- 
gischen Institute  immer  mehr  auch  zu  selbständigen  physiologischen 
Laboratorien  zu  werden,  und  die  ungeheure  Fülle  der  Probleme,  vor 
allem  aber  die  Richtung  der  Zeit,  die  nicht  länger  die  von  uns  in  die 
Natur  hineingetragene  Sonderung  morphologischer  und  physiologischer 
Gesichtspunkte  erträgt,  sondern  die  Synthese  beider  in  einer  wahrhaft 
biologischen  Auffassung  der  Organismen  fordert,  haben  hierzu  den 
Anlaß  gegeben. 

Umfangreicher  sind  indes  immer  noch  die  physiologischen  Ab- 
teilungen der  botanischen  Laboratorien,  was,  wenn  nicht  besondere 
Lehrstühle  und  Institute  für  Pflanzenphysiologie  vorhanden  sind,  nach 
dem  soeben  Gesagten  selbstverständlich  erscheint.  Hier  dienen  wieder 
besondere  Arbeitsräume  den  Beobachtungen  der  Pflanzen  mit  physi- 
kalischen Methoden  und  den  biochemischen  Untersuchungen.  In 
ersteren  sind  Wagen,  Spektroskope,  Beobachtungsfernrohre  und  andere 
Meßinstrumente  aufgestellt,  drehen  sich  Klinostaten  zur  Untersuchung 
der  Einwirkung  von  Schwerkraft  und  Licht  im  allgemeinen,  werden  in 
verdunkelte  Räume  durch  einen  Spalt  im  Laden  mittels  eines  Helio- 
staten Bündel  Sonnenlichtes  einfallen  gelassen,  um  die  Abhängigkeit 
einzelner  wichtiger  Funktionen  des  Pflanzenlebens  von  der  Wellen- 
länge des  Lichtes  zu  untersuchen,  kurz,  die  Instrumentation  ist  eine 
wesentlich  physikalische,  und  auch  hier  wird  die  Beschaffung  mög- 
lichst vollkommener  Instrumente  angestrebt,  da  nur  sie  einen  Erfolg 
verbürgen. 

In  den  für  chemische  Arbeiten  bestimmten  Zimmern  sollte  die 
Einrichtung  eine  solche  sein,  wie  es  z.  B.  auch  im  Kieler  Institut  der 
Fall  ist,  daß  jede  Art  von  biochemischer  Untersuchung  darin  aus- 
geführt werden  kann.  Die  botanischen  Institute  müssen  in  dieser 
Hinsicht  selbständig  sein  und  auch  über  die  erforderlichen  Apparate 
der  Elementaranalyse  verfügen,  ohne  die  ein  Arbeiten  über  viele  bio- 
chemische Aufgaben  unausführbar  ist. 

Somit  wird  in  den  botanischen  Instituten  die  Möglichkeit  zu 
einem  gesunden  Fortschreiten  auf  den  Wegen  physiologischer  Forschung 
geboten,    das   zunächst   immer   ein    Arbeiten    auf  den  Gebieten    der 


Philosophische  Fakultät:  Botanik  und  Zoologie.  289 

Pflanzenphysik  und  der  Pflanzenchemie  sein  muß,  auf  deren  Fundament 
sich  erst  das  eigentliche  Lehrgebäude  einer  wirklichen  Biologie  erheben 
kann.  Die  zoologischen  Laboratorien  sind  in  ihrer  Einrichtung  den 
botanischen  durchweg  gefolgt. 

Für  die  zoologischen  und  botanischen  Institute  unserer  Uni- 
versitäten gilt  aber  ausnahmslos  der  Satz,  daß  ihre  Einrichtung 
in  gleichem  Maße  dem  Unterricht  wie  den  Fortschritten 
wissenschaftlicher  Forschung  zu  dienen  hat. 

J.  R  ei  n  ke. 


Das  L'aterrichtsweten  im  Deutschen  Reich.     1.  19 


XVI.  Landwirtschaft. 

Im  Jahre  1727  errichtete  der  preußische  König  Friedrich 
Wilhelm  I.  an  den  Universitäten  Halle  und  Frankfurt  a.  O.  die 
ersten  Lehrstühle  furKameralwissenschaftenim  Deutschen  Reiche. 
Letztere  umfaßten  nicht  bloß  die  gesamte  Volks-  und  Staatswirt- 
schaftslehre, sondern  auch  alle  Zweige  der  Privatwirtschafts- 
lehre, demnach  auch  die  Landwirtschaftslehre  sowie  das  ganze 
Gebiet  der  Technologie.  Wie  groß  das  Bedürfnis  nach  einer 
solchen  Einrichtung  war,  geht  am  deutlichsten  daraus  hervor,  daß 
dieselbe  im  Laufe  des  1 8.  Jahrhunderts  an  fast  allen  übrigen  deutschen 
Universitäten  ebenfalls  eingeführt  wurde.  In  der  Regel  gehörte  die 
Kameralwissenschaft  zu  dem  Bereich  der  in  der  philosophischen 
Fakultät  zusammengefaßten  Disziplinen;  an  einzelnen  Universitäten 
errichtete  man  aber  auch  besondere  kameralistische  bezw.  staatswirt- 
schaftliche Fakultäten.  Viele  Kameralisten  des  18.  Jahrhunderts  haben 
nicht  nur  regelmäßig  Vorlesungen  über  die  Landwirtschaft  gehalten, 
sondern  auch  mehr  oder  minder  umfangreiche  und  wertvolle  Bücher 
über  dieselbe  veröffentlicht.  Beispielsweise  mögen  Joh.  Heinr. 
Gottlob  von  Justi  und  Joh.  Beckmann  hier  erwähnt  werden.  Der 
letztgenannte  gab  ein  kurzgefaßtes  Lehrbuch  der  Landwirtschaft 
heraus  unter  dem  Titel  „Grundsätze  der  teutschen  Landwirtschaft", 
von  welchem  bei  Lebzeiten  des  Verfassers  6  Auflagen  erschienen  (in 
der  Zeit  von  1769  bis  1806). 

Albrecht  Thaer  (1752—1828),  der  Reformator  der  deutschen 
Landwirtschaft  und  Begründer  der  Landwirtschaftslehre  als  einer 
selbständigen  Wissenschaft,  erachtete  es  als  notwendig,  für  Landwirte 
besondere  Hochschulen  oder  Akademien  einzurichten,  die  mit  einem 
größeren,  zu  Demonstrations-  und  Versuchszwecken  dienenden  Guts- 
betriebe verbunden  seien.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  gründete 
er,  mit  Unterstützung  der  preußischen  Regierung,  1806  die  landwirt- 


Philosophische  Fakultät:  Landwirtschall.  29 f 

schaftliche  Akademie  zu  Möglin  in  der  Mark  Brandenburg.  Nach 
dem  Muster  dieser  wurde  dann  eine  größere  Zahl  von  landwirtschaft- 
lichen Hochschulen  in  den  verschiedensten  Teilen  des  Deutschen 
Reiches  errichtet.*)  Neben  denselben  bestanden  die  Lehrstühle  für 
Kameralwissenschaften  zwar  fort,  die  Mehrzahl  ihrer  Inhaber  aber 
behandelte  die  I^ndwirtschaft  lediglich  nur  noch  im  Rahmen  der 
Staats-  und  Volkswirtschaftslehre.  Bei  dem  Vorhandensein  besonderer 
landwirtschaftlicher  Hochschulen  schien  kein  Bedürfnis  mehr  vorzu- 
liegen, die  Landwirtschaftslehre  als  eine  besondere  Disziplin  an  den 
Universitäten  vorzutragen.  Zudem  waren  von  den  damaligen  Ver- 
tretern der  Kameralwissenschaften  nur  sehr  wenige  mit  den  großen 
Fortschritten,  welche  der  landwirtschaftliche  Betrieb  in  den  ersten 
Dezennien  des  19.  Jahrhunderts  gemacht  hatte,  genügend  vertraut. 
Friedr.  Gottlob  Schulze  (1795— 1860),  Professor  der  Kameral- 
wissenschaft  in  Jena,  war  der  erste,  welcher  die  Verlegung  des  höheren 
landwirtschaftlichen  Unterrichts  an  die  Universitäten  für  geboten  hielt 
und  selbst  durchführte,  indem  er  1826  das  jetzt  noch  bestehende  land- 
wirtschaftliche Institut  der  Universität  Jena  errichtete.  Im 
Jahre  1835  folgte  er  einem  Ruf  der  preußischen  Regierung  und 
gründete  die  mit  der  Universität  Greifswald  in  engster  Verbindung 
stehende  Staats-  und  landwirtschaftliche  Akademie  Eldena. 
Schon  1839  verließ  er  diese  aber  wieder  und  kehrte  nach  Jena  zurück, 
wo  er  das  landwirtschaftliche  Institut  neu  eröffnete,  bald  zu  hoher 
Blüte  brachte  und  bis  zu  seinem  Tode  leitete.  1847  wurden  in 
Poppeisdorf  bei  Bonn,  1851  in  Weende  bei  Göttingen  land- 
wirtschaftliche Akademien  errichtet,  welche  zwar  unter  den  land- 
wirtschaftlichen Ministerien  standen  und  eine  gesonderte  Verwaltung 
hatten,  aber  doch  in  eine  organische  Verbindung  mit  den  benach- 
barten Universitäten  gebracht  waren.  Justus  Liebig  forderte  in 
zwei  öffentlichen  Reden,  die  er  als  Präsident  der  Münchener  Akademie 
der  Wissenschaften  im  Jahre  1861  hielt,  allgemein  die  Verlegung  des 
höheren  landwirtschaftlichen  Unterrichts  an  die  Universitäten.  Zu- 
nächst wurde  ein  landwirtschaftliches  Institut  an  der  Universität  Halle 
durch  Jul.  Kühn  (1863)  errichtet.  Die  an  demselben  erzielten  Er- 
folge gaben  Veranlassung  zur  Gründung  ähnlicher  Institute  an  anderen 
Universitäten:  Leipzig  1869,  Giessen  1871,  Kiel  1873,  Königsberg 
1876,  Breslau   1881.      Die   in  Weende  bestehende  Akademie  wurde 

*)  Über  die  landwirtschaftlichen  Hochschulen   wird  in  Band  IV.  2  dieses  Werkes 
besonders  gehandelt. 

19* 


292  Lehrgebie  t  und  Lehrbetrieb. 

1872  ZU  einem  reinen  Universitätsinstitute  gemacht  und  nach 
Göttingen  verlegt.  Die  landwirtschaftlichen  Institute  bezw.  Aka- 
demien in  Jena  und  Poppeisdorf  behielten  zwar  ihre  gesonderte 
Verwaltung,  wurden  aber  enger  als  bisher  mit  der  Universität  ver- 
bunden. 

Im  nachfolgenden  sollen  lediglich  diejenigen  an  einer  Universität 
befindlichen  landwirtschaftlichen  Institute  behandelt  werden,  die  einen 
integrierenden  Bestandteil  der  Universität  bilden  und  demzufolge 
unter  Universitätsverwaltung  stehen.  Es  sind  dies  in  erster  Linie  die 
Institute  in  Breslau,  Göttingen,  Halle,  Königsberg  und  Leipzig. 
Formell  gehören  hierzu  auch  die  Institute  in  Giessen  und  Kiel, 
deren  Einrichtungen  für  den  landwirtschaftlichen  Unterricht  aber  noch 
der  im  Werke  begriffenen  Vervollständigung  bedürfen.  Von  den 
erstgenannten  gehören  vier  zum  Königreich  Preußen,  eins  zum 
Königreich  Sachsen.  In  ihrer  Organisation  und  ihrem  Lehrbetrieb 
weichen  dieselben  nur  wenig  von  einander  ab.  Das  Nachfolgende 
gilt  daher,  abgesehen  von  geringen  Abweichungen,  für  alle  fünf  In- 
stitute gemeinschaftlich. 

Die  landwirtschaftlichen  Universitätsinstitute  sind  ebenso 
wie  alle  übrigen  Universitätsinstitute  ein  Glied  des  Gesamtorganismus 
der  Universität.  Sie  bilden  den  Vereinigungspunkt  aller  Unterrichts- 
und Hilfsmittel  für  Demonstration,  Übung  und  Forschung  auf  dem 
Gebiete  der  Landwirtschaftslehre.  Die  an  ihnen  wirkenden  Dozenten 
sind  Universitätslehrer:  ordentliche  oder  außerordentliche  Professoren, 
Lektoren  oder  Privatdozenten.  Die  Studierenden  der  Landwirt- 
schaft werden  unter  den  gleichen  Bedingungen  und  in  der  gleichen 
Weise  immatrikuliert  wie  die  sonstigen  Studenten.  Zur  Aufnahme 
werden  sowohl  Inländer  wie  Ausländer  zugelassen.  Von  den 
ersteren  ohne  weiteres  diejenigen,  welche  die  vorgeschriebene  Reife- 
prüfung bei  einem  Gymnasium  oder  einem  Realgymnasium  oder  einer 
Oberrealschule  mit  Erfolg  abgelegt  haben;  solche,  bei  denen  dies 
nicht  zutrifft,  die  aber  genügende  Vorkenntnisse  besitzen,  bedürfen 
zur  Zulassung  die  Genehmigung  der  Immatrikulationskommisson  bezw. 
des  Universitätskurators.  Ausländer  werden  immatrikuliert,  wenn 
sie  über  ihre  Person  und  die  genügende  Vorbildung  sich  ausweisen 
können. 

Die  zu  einem  gründlichen  Studium  der  Landwirtschaft  nötigen 
Disziplinen  werden  teils  von  besonders  hierzu  angestellten  Dozenten, 
teils  von  solchen  gelehrt,  deren  Vorlesungen  gleichzeitig  für  Studie- 
rende anderer  Fächer  bestimmt  sind.     Zu  der  ersteren  Gruppe  gehören 


Philosophische  Fakultät:  Landwirtschaft.  293 

vor  allem  die  Vertreter  der  Landwirtschaftslehre  selbst  und  zwar 
im  engeren  Sinne  dieses  Wortes.  An  jedem  Institut  pflegen  deren 
zwei  oder  dtei  zu  sein,  entsprechend  der  Einteilung  der  Landwirt- 
schaftslehre in  eine  allgemeine  und  eine  spezielle  oder  entsprechend 
der  Dreiteilung:  Betriebslehre,  Acker-  und  Pflanzenbaulehre,  Tierzucht- 
lehre. Außerdem  zählt  zu  dieser  Gruppe  ein  Professor  der  Agri- 
kulturchemie, der  gewöhnlich  Ordinarius  ist,  ferner  je  ein  Lehrer 
für  die  Veterinärwissenschaft,  für  Maschinenkunde,  für  Melio- 
rationswesen, für  G,arten-  und  Obstbau  sowie  für  Forstwissen- 
schaft. Der  zweitgenannten  Gruppe  sind  zuzurechnen  die  für 
Physik,  Chemie,  Zoologie,  Botanik  und  Mineralogie,  ebenso 
die  für  Volkswirtschaftslehre  angestellten  Universitätsdozenten. 
Deren  Vorlesungen  sind  in  der  Regel  nicht  nur  für  die  studierenden 
Landwirte,  sondern  auch  für  sonstige  Studierende  bestimmt  und  werden 
von  allen  gemeinschaftlich  besucht.  Es  kommt  aber  auch  vor,  daß  jene 
Dozenten  besondere,  speziell  für  Landwirte  berechnete  Vorlesungen 
halten,  so  z.  B.  über  Insektenkunde,  Pflanzenkrankheiten.  Ein  Mit- 
glied der  juristischen  Fakultät  pflegt  regelmäßig  über  Landwirt- 
schaftsrecht und  Landeskulturgesetzgebung  zu  lesen.  Die  hier 
aufgezählten  Fächer  gehören,  wie  später  nachzuweisen  sein  wird,  mit 
wenigen  Ausnahmen  zu  den  obligatorischen  für  diejenigen,  welche 
sich  der  landwirtschaftlichen  Staats-  oder  der  Abgangsprüfung  unter- 
werfen wollen. 

Selbstverständlich  bleibt  es  den  Studierenden  der  Landwirtschaft 
unbenommen,  auch  Vorlesungen  über  andere  hier  nicht  genannte, 
aber  an  der  Universität  vertretene  Fächer  zu  hören.  Hiervon  wird 
nicht  ganz  selten  Gebrauch  gemacht.  Besonders  gilt  dies  von  den 
Vorlesungen  über  Geschichte  und  deutsche  Literatur,  in  geringerem 
Grade  auch  für  solche  über  Staatswirtschaftslehre  und  Philosophie. 

Die  landwirtschaftlichen  Universitätsinstitute  sind  mit  den  mannig- 
faltigsten, dem  Unterricht  und  der  Forschung  dienenden  sachlichen 
Hilfsmitteln  ausgestattet.  Je  nach  dem  speziellen  Zweck,  welchem 
diese  zu  dienen  bestimmt  sind,  lassen  sie  sich  in  verschiedene 
Gruppen  gliedern.  Manche  der  letzteren  sind  so  umfangreich,  daß 
sie  gewissermaßen  ein  eigenes,  mehr  oder  minder  selbständiges 
Institut  darstellen.  Häufig  führen  sie  auch  amtlich  die  Bezeichnung 
„Institut"  und  dementsprechend  ihre  Vorsteher  den  Titel  „Direktor" 
oder  „Dirigent".  Die  hauptsächlichsten,  für  den  landwirtschaftlichen 
Unterricht  bestimmten  sachlichen  Einrichtungen  bezw.  Institute  sind 
folgende. 


294  Lehrgebiet  und  T^hrbetrieb. 

Ein  Versuchsfeld,  welches  zur  Anstellung  von  wissenschaft- 
lichen Versuchen  und  Demonstrationen  auf  dem  Gebiete  des  Pflanzen- 
baues bezw.  der  Betriebslehre  dient.  Es  werden  dort  die  ver- 
schiedenen landwirtschaftlichen  Kulturpflanzen  gezogen,  Düngungs- 
versuche gemacht,  die  einzelnen  Fruchtfolgen  vorgeführt  und  auf  ihren 
Erfolg  geprüft;  es  wird  Samenzüchtung  getrieben,  Material  für  das 
Studium  der  Pflanzenkrankheiten  dargeboten  usw.  Im  Laufe  der 
Jahre  sind  die  Versuchsfelder  der  Institute  bedeutend  vergrößert 
worden,  und  es  geht  das  Bestreben  dahin,  sie  zu  einer  förmlichen 
Versuchswirtschaft  umzugestalten  bezw.  neben  ihnen  eine  Versuchs- 
wirtschaft einzurichten.  Es  ist  dies  eine  dem  Universitätsunterricht 
angepaßte  Nachbildung  der  mit  den  landwirtschaftlichen  Akademien 
verbundenen  Guts  wirtschaften.  Das  Versuchsfeld  oder  ein  besonderes 
hierfür  bestimmtes  Grundstück  dient  gleiclizeitig  für  die  Zwecke  des 
Unterrichtes  im  Garten-  und  Obstbau. 

Dem  speziellen  Unterricht  in  der  Tierzucht  dient  ein  land- 
wirtschaftlicher Haustiergarten  oder  Rassestall,  in  welchem 
die  verschiedenen  Rassen  der  einzelnen  landwirtschaftlichen  Haustier- 
arten gehalten,  auf  ihre  Eigenschaften  geprüft,  auch  Kreuzungs- 
versuche angestellt  werden.  An  der  Universität  Halle  hat  derselbe 
durch  Jul.  Kühn  eine  besonders  große  Ausdehnung  und  Bedeutung 
erlangt.  Alle  Universitätsinstitute  besitzen  ein  unter  dem  Dozenten 
für  Tierheilkunde  stehendes  Ticrarznei-Institut  bezw.  eine  Tier- 
klinik, durch  welche  reichliches  Material  für  den  Unterricht  in  den 
Veterinärwissenschaften  dargeboten  wird.  Die  Tierklinik  pflegt  von 
den  Pferde-  und  Viehbesitzern  der  betreffenden  Städte  und  der  Um- 
gegend stark  in  Anspruch  genommen  zu  werden. 

Auch  für  den  Unterricht  in  der  Fisch-  und  Bienenzucht  sind 
besondere  Einrichtungen  getroffen,  die  allerdings  nur  einen  kleineren 
Raum  einnehmen. 

Von  größerer  Bedeutung  ist  das  landwirtschaftlich-physio- 
logische Institut  oder  Laboratorium.  In  diesem  werden  Gegen- 
stände aus  dem  Pflanzen-  und  Tierreich  auf  ihre,  für  die  Landwirt- 
schaft nützlichen  oder  schädlichen  Eigenschaften  hin  geprüft  und 
namentlich  auch  die  auf  dem  Versuchsfeld  gewonnenen  Resultate, 
soweit  solches  nicht  auf  diesfem  selbst  schon  möglich  war,  wissenschaftlich 
festgestellt.  Es  wird  ferner  den  Studierenden  gelehrt,  wie  man  mit  ge- 
nügender Sicherheit  sowie  auf  möglichst  einfache  Weise  und  mit 
möglichst  geringen  Hilfsmitteln  chemische  und  physiologische  Unter- 
suchungen von  Dingen  vornehmen  kann,    deren  Ermittelung  für  den 


Philosophisch^  Fakultät:  T^ndwirtschaft.  295 

praktischen  I^ndwirt  von  Wichtigkeit  ist.     Derartige  Übungen  haben 
eine  besondere  Bedeutung  für  künftige  Lehrer  der  Landwirtschaft. 

Außer  dem  physiologischen  ist  noch  ein  agrikultur- 
chemisches, unter  eigener  Direktion  stehendes  Laboratorium 
vorhanden.  Beide  Institute  berühren  sich  in  ihren  Zwecken  und 
Zielen  mannigfach.  Das  letztere  beschränkt  sich  aber  wesentlich  auf 
rein  chemische  Untersuchung  landwirtschaftlich  wichtiger  Gegenstände; 
es  gibt  ferner  den  dasselbe  besuchenden  Studierenden  Anleitung  dazu, 
wie  qualitative  und  quantitative  Analysen  in  wissenschaftlich  exakter 
Weise  ausgeführt  werden  müssen. 

Entsprechend  der  großen  Bedeutung,  welche  in  den  letzten 
Jahrzehnten  die  auf  Milch-  oder  Butterproduktion  gerichtete  Rindvieh- 
haltung gewonnen  hat,  sind  an  den  landwirtschaftlichen  Universitäts- 
instituten besondere  Einrichtungen  getroffen  worden,  welche  lediglich 
den  Zweck  haben,  dem  Unterricht  und  den  Forschungen  auf 
dem  Gebiete  des  Molkereiwesens  zu  dienen.  An  einzelnen 
Universitäten  sind  dieselben  so  ausgestattet,  daß  sie  den  Charakter  von 
eigenen  Instituten  an  sich  tragen. 

Zur  Unterstützung  des  Unterrichtes  in  dem  landwirtschaftlichen 
Maschinenwesen  sind  Maschinenhallen  eingerichtet.  In  ihnen 
finden  sich  die  wichtigsten  Geräte  und  Maschinen  aufgestellt,  um  deren 
Konstruktion,  geschichtliche  Entwicklung  und  Anwendung  in  dem 
praktischen  Betrieb  zu  erläutern.  Schon  aus  eigenem  Interesse  liefern 
die  Fabriken  landwirtschaftlicher  Maschinen  ihre  neuesten  und  besten 
Erzeugnisse  gerne  unentgeltlich  an  diese  Maschinenhallen,  damit  Lehrer 
wie  Studierende  davon  Kenntnis  nehmen.  Mit  dem  Unterricht  in  der 
Maschinenkunde  steht  eine  Maschinenprüfungsstation  in  Ver- 
bindung. Dieselbe  hat  den  Zweck,  landwirtschaftliche  Maschinen  auf  ihre 
Brauchbarkeit  und  Leistungsfähigkeit  durch  unparteiische  Sach- 
verständige zu  prüfen  und  die  Ergebnisse  der  Prüfung  öffentlich  be- 
kannt zu  machen.  Sie  ist  zwar  eine  Einrichtung  der  zuständigen 
Landwirtschaftskammer,  der  Vorsitzende,  gewöhnlich  auch  noch 
ein  oder  zwei  weitere  Mitglieder  der  Prüfungskommission  pflegen  aber 
Lehrer  der  betreffenden  landwirtschaftlichen  Universitätsinstitute  zu  sein. 

Zu  den  sachlichen  Hilfsmitteln  für  den  Unterricht  gehören  noch 
Sammlungen  der  verschiedensten  Art  sowie  eüie  Bibliothek, 
deren  Benutzung  den  Studierenden  freisteht. 

Ein  landwirtschaftliches  Universitätsinstitut  zerfällt,  wie  schon 
aus  dem  Gesagten  hervorgeht,  in  eine  Anzahl  von  Zweig- 
instituten,   von   denen  jedes  unter  einem  besonderen  Direktor  oder 


296  I^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

Dirigenten  steht.  Namen  und  Wirkungskreis  der  einzelnen  Institute 
sind  bei  den  verschiedenen  Universitäten  zwar  nicht  ganz  identisch, 
aber  doch  sehr  ähnlich  und  durch  die  bereits  gemachten  Ausführungen 
genügend  deutlich  charakterisiert.  Die  amtliche  Stellung  der  einzelnen 
Institutsvorsteher  zu  einander  ist  ebenfalls  an  den  verschiedenen 
Universitäten  eine  etwas  abweichende.  Die  vorhandenen  Unterschiede 
sind  hauptsächlich  hervorgerufen  durch  die  historische  Entwicklung, 
welche  cler  landwirtschaftliche  Unterricht  an  jeder  einzelnen  Universität 
in  einer  gerade  dieser  eigentümlichen  Weise  gehabt  hat.  Sie  sind 
weniger  grundsätzlich  als  zufallig  und  werden  voraussichtlich  in 
Zukunft  sich  immer  mehr  ausgleichen.  In  der  Regel  ist  jeder 
einzelne  Institutsdirigent  innerhalb  seines  Wirkungskreises  selb- 
ständig oder  doch  nahezu  selbständig.  Es  sind  aber  Einrichtungen 
getroffen,  die  es  ermöglichen,  den  gesamten  Unterricht  für  die  I^and- 
wirte  nach  einem  einheitlichen  Plane  und  in  einer  den  Interessen  der 
Studierenden  entsprechenden  Weise  zu  gestalten.  Solches  gilt  ins- 
besondere auch  für  die  in  jedem  Semester  zu  haltenden  Vorlesungen, 
von  ihrem  Inhalt,  ihrer  Stundenzahl  und  Tagesstunde.  Vor  Schluß 
eines  jeden  Semesters  wird  ein  Stundenplan  über  die  für  Landwirte 
besonders  geeigneten  Vorlesungen  zusammengestellt  und  durch  den 
Druck  vervielfältigt. 

Die  Auswahl  und  Reihenfolge  der  in  den  einzelnen  Semestern 
zu  haltenden  Vorlesungen  wird  nach  dem  Grundsatze  bestimmt,  daß 
alle  für  das  Studium  der  Landwirtschaft  nötigen  Disziplinen  zum 
mindesten  alle  zwei  Jahre  einmal  zum  Vortrag  gelangen,  sodaß 
das  ganze  Studium  in  vier  Semestern  absolviert  werden  kann.  Zu 
einer  so  vollkommenen  Fachbildung,  wie  sie  für  das  später  zu  er- 
wähnende landwirtschaftliche  Staatsexamen  verlangt  wird,  gehören 
allerdings  6  Semester. 

Gleich  wie  alle  übrigen  Universitätsstudenten  so  haben  auch  die 
Landwirte  bezüglich  Auswahl  der  Art  und  Zahl  der  zu  hörenden 
Vorlesungen  völlige  Freiheit;  sie  brauchen  auch  bloß  die  von  ihnen 
angenommenen  Kollegia  oder  Übungen  zu  bezahlen.  Ein  Gesamt- 
honorar, wie  es  bei  den  landwirtschaftlichen  Akademien  üblich  ist, 
existiert  bei  den  Universitätsinstituten  nicht. 

Das  Studium  ist  ein  rein  wissenschaftliches,  eine  Beschäfti- 
gung mit  praktischen  landwirtschaftlichen  Arbeiten  findet  nicht  statt. 
Voraussetzung  für  einen  erfolgreichen  Besuch  der  Universität  ist  daher, 
daß  die  Studierenden  bereits  einige  Kenntnis  von  der  landwirtschaft- 
lichen   Praxis    besitzen.       Zu    einem    gründlichen    wissenschafUichen 


Philosophische  Fakultät:  landwirtschaft.  297 

Studium  gehört  allerdings  auch  das  eigene  Arbeiten  in  einem  oder 
mehreren  der  vorhandenen  Zweiginstitute  oder  I^boratorien  wie  dem 
agrikultur-chemischen  und  dem  physiologischen. 

Die  weit  überwiegende  Mehrheit  der  studierenden  I^ndwirtc 
sind  Reichsdeutsche,  also  Inländer  im  weiteren  Sinne  des  Wortes. 
Ein  nicht  ganz  geringes  Kontingent  stellt  auch  die  österreichische 
Monarchie  und  demnächst  Rußland,  letzteres  besonders  aus  seinen 
Ostseeprovinzen  und  seinen  polnischen  Landesteilen.  In  dem  letzten 
Jahrzehnt  hat  sich  die  Zahl  der  aus  den  Balkanländern  kommenden 
Studierenden  nicht  unerheblich  gemehrt.  Auch  andere  europäische 
Staaten,  wie  Schweden,  England,  Frankreich,  Griechenland, 
sind  unter  den  Studierenden  der  Landwirtschaft  vertreten.  Aus  nicht- 
europäischen  Gebieten  finden  sich  unter  ihnen  besonders  Nord-  oder 
Südamerika ner  und  Japaner.  Über  den  Zweck,  weshalb  Aus- 
länder auf  unseren  Universitäten  Landwirtschaft  studieren,  kann  im 
allgemeinen  gesagt  werden,  daß  dieselben  sich  darüber  informieren 
wollen,  was  die  deutsche  Wissenschaft  über  die  Landwirtschaft  lehrt 
und  wie  im  Deutschen  Reich  der  landwirtschaftliche  Betrieb  gehand- 
habt wird.  Der  vorstehende  Satz  kann  zwar  auch  für  die  Inländer 
Anwendung  finden;  aber  unter  diesen  lassen  sich  doch  verschiedene 
Gruppen  unterscheiden,  deren  jede  ein  besonderes  Ziel  verfolgt. 
Eine  derselben  wird  gebildet  von  jungen  Männern,  die  später  ein  er- 
erbtes oder  erkauftes  oder  gepachtetes  großes  Gut  bewirtschaften 
wollen.  Es  sind  dies  meistenteils  Söhne  von  Großgrundbesitzern  oder 
Domänenpächtern,  auch  von  wohlhabenden  Industriellen  oder  Kaufleuten. 
Ihnen  schließen  sich  in  stetig,  sowohl  absolut  wie  prozentisch  wachsender 
Zahl  Söhne  von  groß-  oder  selbst  mittelbäuerlichen  Besitzern  an, 
die  einmal  das  väterliche  oder  ein  anderes  bäuerliches  Gut  zu  über- 
nehmen hoffen.  In  mancher  Beziehung  zwischen  beiden  Gruppen 
stehen  diejenigen,  welche  aus  Mangel  an  materiellen  Mitteln  zunächst 
nur  die  Erlangung  einer  Stelle  als  Verwalter  oder  Inspektor  in  einer 
Gutswirtschaft  ins  Auge  fassen  zu  dürfen  glauben.  Viele  von  ihnen, 
namentlich  die  tüchtigeren,  werden  dann  später  Guts-Administratoren 
oder  Direktoren;  andere  sparen  im  Laufe  der  Jahre  so  viel,  daß  sie 
ein  Gut  pachten  oder  gar  kaufen  können.  Endlich  findet  sich  unter 
den  studierenden  Landwirten  noch  eine  vierte  Gruppe,  deren  Zahl 
ebenfalls  von  Jahr  zu  Jahr  wächst  und  deren  Mitglieder  sich  im  all- 
gemeinen durch  Fleiß  und  Strebsamkeit  auszeichnen.  Es  sind  dies 
junge  Leute,  welche  Lehrer  der  Landwirtschaft  werden  wollen  oder 
als  Beamte  bei  Landwirtschaftskammem  oder  sonstigen  Jandwirtschaft- 


298  I^hrgebiet  und  I^hrbetrieb. 

liehen  Vertretungskörpern  oder  auch  bei  landwirtschaftlichen  Genossen- 
schaften eine  Anstellung  zu  finden  hoffen.  Sie  alle  gehören  insofern 
zu  ein  und  derselben  Gruppe,  als  die  Erlangung  der  verschiedenen 
erstrebten  Ziele  die  vorherige  Ablegung  eines  der  noch  zu  be- 
sprechenden Examina  zur  Voraussetzung  hat.  Die  Sonderung  der 
studierenden  Landwirte  in  die  vier  genannten  Kategorien  ist  hier  nur 
gemacht  worden,  um  ein  ungefähres  Bild  davon  zu  geben,  welchen 
verschiedenen  Zwecken  der  höhere  landwirtschaftliche  Unterricht  zu 
dienen  bestimmt  ist  und  aus  welchen  Elementen  die  studierenden 
I^ndwirte  sich  susammensetzen.  Hinzugefügt  mag  noch  werden,  daß 
auch  von  Studierenden  anderer  Fakultäten,  besonders  der  juristischen, 
landwirtschaftliche  Vorlesungen  gehört  werden. 

Die  Zahl  der  studierenden  Landwirte  beziffert  sich  an  den  5  ge- 
nannten Universitätsinstituten  zusammen  im  Durchschnitt  der  letzten 
Jahre  pro  Semester  auf  etwas  über  500. 

An  allen  landwirtschaftlichen  Universitätsinstituten  ist  den  Stu- 
dierenden Gelegenheit  geboten,  durch  ein  abzulegendes  Examen  über 
den  Erfolg  ihrer  Studien  sich  auszuweisen.  Diese  Prüfungen,  deren 
es  im  ganzen  vier  gibt,  sind  sämtlich  fakultativ,  d.  h.  sie  können 
abgelegt  werden,  müssen  es  aber  nicht. 

Zunächst  steht  es  jedem  Studierenden  der  I^ndwirtschaft  frei, 
unter  den  für  die  betreffende  Universität  gültigen  allgemeinen  Bestim- 
mungen das  Doktorexamen  in  der  philosophischen  Fakultät  zu 
machen  und  hierbei  die  Landwirtschaftslehre  als  Hauptprüfungsfach 
zu  wählen. 

Fürs  zweite  kann  jeder,  der  mindestens  vier  Semester  an  der 
Universität  oder  auch  an  einer  anderen  landwirtschaftlichen  Hoch- 
schule studiert  hat,  sich  der  sogenannten  Abgangs-  oder  Diplom- 
prüfung unterziehen.  Zu  diesem  Behuf  muß  er  zwei  schriftliche 
Arbeiten  anfertigen,  für  deren  jede  ihm  vier  Wochen  Frist  gelassen 
sind;  die  eine  ist  aus  dem  Gebiet  der  Landwirtschaftslehre,  die  andere 
aus  dem  Gebiet  der  übrigen  Prüfungsfacher  zu  nehmen  und  zwar 
kann  für  die  letztere  der  Examinand  das  Fach  selbst  wählen.  Die 
mündlichjc  Prüfung  erstreckt  sich  auf  die  drei  Hauptteile  der  Land- 
wirtschaftsichre: Pflanzcnproduktions-,  Tierproduktions-  und 
Betriebslehre,  von  denen  jeder  einen  besonderen  Prüfungsgegenstand 
bildet;  ferner  auf  Physik,  Chemie,  Zoologie  und  Tierphysio- 
logie, Botanik  und  Pflanzenphysiologie,  Mineralogie  und 
Geologie,  endlich  auf  Volkswirtschaftslehre.  Als  Examinatoren 
fungieren    die    betreffenden    Universitätsdozenten.     Über    den    Ausfall 


Philosophische  Fakultät:  lÄnd Wirtschaft.  299 

der  Prüfung  wird  dem  Kandidaten  ein  Zeugnis  ausgestellt.  Dies 
verleiht  allerdings  keine  Berechtigung  zur  Erlangung  irgend  eines 
Amtes.  Indessen  ist  es  seit  etwa  einem  Jahrzehnt  Regel  geworden, 
daß  als  Lehrer  an  irgendwelchen  landwirtschaftlichen  Lehranstalten, 
als  Beamte  bei  Landwirtschaftskammern  usw.  nur  solche  angestellt 
werden,  die  durch  das  Bestehen  mindestens  der  Abgangsprüfung  an 
einem  landwirtschaftlichen  Universitätsinstitut  oder  an  einer  sonstigen 
landwirtschaftlichen  Hochschule  den  Nachweis  über  den  Erwerb  einer 
genügenden  wissenschaftlichen  Ausbildung  liefern  können.  Junge 
Landwirte,  welche  in  eine  der  obengenannten  Berufsarten  einzutreten 
beabsichtigen,  pflegen  daher  ausnahmslos  der  Abgangsprüfung  sich 
zu  unterwerfen,  falls  sie  nicht  das  größere  Examen  zu  machen  be- 
rechtigt sind.  Aber  auch  unter  den  Studierenden,  welche  künftig  als 
praktische  Landwirte  tätig  sein  wollen,  finden  sich  solche,  die  es  für 
zweckmäßig  und  nützlich  erachten,  durch  Bestehen  jener  Prüfung 
einen  Ausweis  über  den  Erfolg  ihrer  Studien  sich  zu  erwerben. 

Zu  der  Prüfung  von  Lehrern  der  Landwirtschaft  an 
Landwirtschaftsschulen,  die  auch  wohl  der  Kürze  wegen  land- 
wirtschaftliche Staatsprüfung  genannt  wird,  können  nur  die- 
jenigen zugelassen  werden,  welche  im  Besitz  des  Reifezeugnisses  von 
einem  Gymnasium,  einem  Realgymnasium  oder  einer  Oberrealschulc 
sich  befinden  und  außerdem  sechs  Semester  auf  einer  Universität  oder 
landwirtschaftlichen  Hochschule  studiert  haben.  Wer  auf  einer  der 
zweiundzwanzig  im  Deutschen  Reich  vorhandenen  Landwirtschaftsschulen 
als  Lehrer  der  Landwirtschaft  angestellt  werden  will,  muß  die  Staats- 
prüfung mit  mindestens  genügendem  Erfolge  abgelegt  haben.  Außer- 
dem pflegen  ihr  aber  alle  diejenigen  sich  zu  unterziehen,  die  den 
obengenannten  Anforderungen  an  ihre  Vorbildung  zu  entsprechen 
vermögen  und  die  auf  irgend  eine  Anstellung  im  landwirtschaftlichen 
Lehrfach,  bei  landwirtschaftlichen  Vertretungskörpern  usw.  reflektieren. 
Bei  vorhandener  Auswahl  wird  ihnen  gewöhnlich  der  Vorzug  gegeben 
vor  solchen,  die  nur  die  Abgangsprüfung  abgelegt  haben.  Die  Staats- 
prüfung wird  in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  die  Abgangsprüfung  ge- 
handhabt; beide  unterscheiden  sich  hauptsächlich  dadurch,  daß  bei 
jener  größere  Anforderungen  an  den  Examinanden  gestellt  werden. 
Für  Anfertigung  der  beiden  schriftlichen  Arbeiten  ist  eine  Frist  von 
je  sechs  Wochen  bewilligt.  Zu  den  mündlichen  Prüfungsfachern  tritt 
noch  das  Landwirtschaftsrecht  hinzu. 

Seit  einigen  Jahren  ist  den  studierenden  Landwirten  auch  die 
Möglichkeit    geboten,    ein    Examen    als   Tierzuchtinspektor   ab- 


300  I^hi|Febiet  und  I^hrbetrieb. 

zulegen.  Das  Bedürfnis  hiemach  trat  her\'or,  nachdem  die  Landuirt- 
schaftskammem  angefangen  hatten,  zur  Förderung  der  Viehzucht  in 
ihrem  Bezirk  eigene  Beamte  unter  dem  Xamen  „Tierzuchtinspektoren" 
anzustellen.  Durch  die  Prüfung  soll  der  Kandidat  nachweisen,  daß 
er  mit  den  für  den  Beruf  eines  Tierzuchtinspektors  erforderlichen 
wissenschaftlichen  Grundlagen  vertraut  ist.  Dieselbe  ^ird  in  der 
Regel  nur  von  solchen  abgelegt,  die  das  landwirtschaftliche  Abgangs- 
oder Staatsexamen  bereits  bestanden  haben.  Sie  ist  lediglich  eine 
mündliche  und  erstreckt  sich  auf  folgende  Fächer:  Anatomie  und 
Physiologie  der  Haussäugetiere,  allgemeine  und  spezielle 
Tierzuchtlehre,  Herdbuchführung.  Körungs-,  Ausstellungs-, 
Prämiierungs-,  Genossenschaftswesen,  Gesundheitspflege  und 
Tierheilkunde,  volkswirtschaftliche  Aufgaben  der  Tierzucht.*) 

*)  In  Bezug  auf  die  'nerheilkunde  sei  hier  noch  darauf  hingewiesen,  dafl  in  Gießen 
is.  den  Art.  über  diese  L'niversität)  eine  fiir  die  Ausbildung  von  llerärzten  bestimmte, 
nach  Art  der  tierärztlichen  Hochschulen  (s.  Bd.  IV.  2)  eingerichtete  Fachabteilung  be- 
steht, während  die  tierärztlichen  Institute  an  den  übrigen  Universitäten  nur  den  Zwecken 
der  Studierenden  der  Landwirtschaft  dienen.     A.  d.  Ked. 

Th.    Frhr.    von    der    Goltz. 


XVn.*  Forstwirtschaft.*) 

1.  Geschichtliches.  Von  den  Lehr-  und  Wissensgebieten,  welche 
den  jetzigen  Inhalt  der  Forstwissenschaft  ausmachen,  reicht  die  wissen- 
schaftliche Behandlung  der  Forst-  und  Jagdpolizei  am  weitesten  zurück, 
da  deren  Handhabung  einen  wichtigen  Bestandteil  der  Hoheitsrechte 
(Jagdregal,  Forsthoheit)  der  Landesherren  bildete.  Schon  im  Jahre  1560 
erschien  das  „Jag-  und  Forstrecht"  des  rheinpfalzischen  Juristen  Noe 
Meurer.  Der  Umstand,  daß  der  Vollzug  der  Forst-  und  Jagdpolizei 
den  Hofkammern  übertragen  war,  wurde  auch  die  Veranlassung  zur 
Einbeziehung  der  gesamten  Lehre  von  der  Forstv\'irtschaft  in  das 
Gebiet  der  Kameralwisaenschaften.  Ganz  wesentlich  trug  hierzu  die 
im  18.  Jahrhundert  immer  mehr  hervortretende  Betonung  des  privat- 
wirtschaftlichen Gesichtspunktes  in  der  .  Ausnutzung  der  Domanial- 
waldungen  bei.  So  kam  es,  daß  im  18.  Jahrhundert  die  Forst- 
wissenschaft nicht  nur  literarisch  von  den  Kameralisten  in  den  Sattel 
gehoben  wurde,  sondern  daß  dieselbe  auch  einen  Zweig  der  kamera- 
listischen  Vorlesungen  an  den  Universitäten  und  hohen  Kameral- 
schulen  bildete.  Da  es  vor  dem  Ausgang  des  18.  Jahrhunderts 
Berufsforstleute  mit  akademischer  Qualität  nicht  gab,  lag  auch  dieser 
forstliche  Unterricht  an  den  Universitäten  in  den  Händen  von 
Kameralisten.  Ein  solcher  bestand  nachweisbar  an  den  Universitäten 
in  Jena  (Stisser  1734),  Göttingen  (J.  Beckmann  1770),  Mainz 
(Müllenkampf  1785,  Nau),  Marburg  (J.  H.  Jung  gen.  Stilling 
1787—1803),  Heidelberg  (J.  H.  Jung  gen.  Stilling  von  1784-1787 
und  wieder  1803-1806),  Gießen  (F.  L.  Walther  1788—1824),  Frei- 
burg i.  Br.  (J.  J.  Trunk  1788),  Leipzig  (Schreber  1764),  Ingolstadt 
(Schrank  1799),  Altdorf  (Mathematiker  J.  L.  Späth  1788—1809). 

Den  hauptsächlich  aus  dem  Jägertum  sich  rekrutierenden,  den 
äußeren    Dienst   versehenden    Berufsforstleuten    blieben    wegen    ihrer 


*)  Im  übrigen  vgl.  inbetref)  des  forstwLssenschaftlichen  Unterrichts  die  .Artikel  über 
die  forstlichen  Hochschulen  in  Band  IV.  2.     A.  d.  R. 


302  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

geringen  allgemeinen  Vorbildung  die  Universitäten  verschlossen.  Für 
sie  entstanden  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  Privatforst- 
schulen, in  Preußen  und  Bayern  auch  schon  Anfänge  von  staatlichen 
Spezialschulen. 

Indessen  schon  in  den  ersten  Dezennien  des  19.  Jahrhunderts 
drängten  die  veränderten  Verhältnisse  die  Staatsregierungen  zur 
Schaffung  von  vollkommener  ausgestatteten  forstlichen  Lehrstätten. 
Der  moderne  Staat  hatte  mit  dem  alles  beherrschenden  vielseitigen 
Kameralistentum  gebrochen.  Die  Forstwissenschaft  hatte  sich  bereits 
zu  einer  Achtung  und  Beachtung  gebietenden  Stellung  empor- 
gearbeitet und  erheischte  nun  zu  ihrer  Beherrschung  den  ganzen 
Mann.  Die  höheren  und  höchsten  forstlichen  Verwaltungsstellen 
wurden  mit  Fachmännern  besetzt,  der  staatliche  Forstverwaltungsdienst 
war  zu  einem  festen,  in  seinen  einzelnen  Zweigen  systematisch  ab- 
gestuften Organismus  herausgewachsen.  Seit  der  Freigabe  der  Privat- 
forstwirtschaft in  Preußen  durch  das  Landeskulturedikt  von  1811 
verblaßte  auch  in  den  übrigen  deutschen  Staaten  der  Begriff  der 
Forstpolizei  immer  mehr,  ihre  Handhabung  wurde  immer  laxer.  Die 
dem  Berufsforstmann  gesteckten  Ziele  waren  mit  dieser  neuen  Ära 
ganz  andere  geworden.  Man  brauchte  nunmehr  Forstwirte,  die,  aus- 
gerüstet mit  den  forstlichen  Kenntnissen  ihrer  Zeit,  die  rasch 
wachsenden  Aufgaben  der  Forstwirtschaft  auf  dem  Gebiete  der 
Technik  und  der  Volkswirtschaft  zu  erfassen  und  zu  beherrschen  ver- 
standen, um  so  mehr,  als  von  nun  ab  wenigstens  in  den  größeren 
Staaten  der  Schwerpunkt  der  Tätigkeit  der  Berufsforstleute  in  der 
Verwaltung  der  Staats-  und  Domänenforsten  lag. 

Der  einheitlichen  Gestaltung  des  forstlichen  Unterrichts  stand 
aber  ein  Hindernis  entgegen,  nämlich  die  Dreiteilung  des  Forst- 
vcnvaltungsorganismus  in  einen  höheren  leitenden  Dienst  (Forst- 
meister), in  einen  mittleren  betriebstechnischen  (Revierförster)  und  in 
den  niederen  (Schutzbedienstete).  Nur  für  den  ersteren  war  eine  volle 
forst-  und  staatswissenschaftliche  Vorbildung  nötig  oder  wenigstens 
erwünscht,  für  die  Organe  des  mittleren  Dienstes  genügten  die 
empirischen  forsttechnischen  Kenntnisse,  und  der  niedere  Dienst,  der 
in  der  Regel  die  Vorstufe  für  den  mittleren  bildete,  war  als  solcher 
nicht  Gegenstand  eines  besonderen  Vorbildungssystems. 

In  richtiger  Würdigung  des  Umstandes,  daß  es  sich  beim  Unter- 
richt für  die  höheren  Forstbeamten  wie  für  das  Forstverwaltungs- 
personal überhaupt  nicht  bloß  um  die  Ausbildung  von  Forsttechnikem 
handelt,    sondern    vor    allem    um  die  Erziehung  von  staatlichen  Ver- 


Philosophische  Fakultät:  Forstwirtschaft.  303 

waltungsbeamten  mit  hoher  wissenschaftlicher  Gesamtbildung  und 
weitem  Gesichtskreis,  begründeten  schon  im  ersten  Drittel  des 
19.  Jahrhunderts  die  Staaten  Bayern,  Württemberg,  Preußen  und 
Hessen  an  den  Universitäten  forstliche  Lehrstühle,  die  ersten  drei 
Staaten  allerdings  nicht  mit  dauerndem  Erfolg. 

Bayern.  Allen  Staaten  voran  ging  Bayern.  Nachdem  die  im 
Jahre  1790  in  München  gegründete  und  1803  nach  Weihenstephan 
verlegte  Staatsforstschule  im  Jahre  1806  wieder  aufgehoben  worden 
war,  wurde  1807  der  Direktor  dieser  Schule,  Dr.  Däzel,  ursprünglich 
akademisch  gebildeter  Mathematiker,  zum  Professor  der  Forstwissen- 
schaft an  der  Universität  Landshut  ernannt.  Bei  der  Verlegung  der 
Universität  nach  München  im  Jahre  1826  siedelte  er  mit  über.  Die 
Anwärter  für  den  höheren  Forstdienst  wurden  auf  die  Universität 
verwiesen,  ohne  daß  allerdings  ein  bestimmter  Studiengang  denselben 
vorgeschrieben  war.  Wie  es  sich  dann  nach  der  Einverleibung 
Aschaffenburgs  an  Bayern  darum  handelte,  ob  die  dort  bestehende 
Forstschule  als  Staatsanstalt  belassen  werden  sollte,  unterbreitete  im 
Jahre  1817  die  General-Forstadministration  dem  König  ein  Gutachten, 
demgemäß  für  den  höheren  Forstdienst  das  Gymnasialabiturium  und 
ein  Universitätsstudium  von  sechs  Semestern  gefordert  werden  sollte. 

Dieser  weitsichtige  Vorschlag  kam  nicht  zum  Vollzug,  weil  sich 
der  König  1819  aus  politischen  Gründen  für  die  Belassung  der  Forst- 
schule in  der  Stadt  Aschaffenburg,  die  „ihre  Nahrungslosigkeit  und 
Not"  geltend  machte,  entschied.  Aber  trotzdem  hielt  man  gleich- 
zeitig auch  am  Universitätsunterricht  fest,  indem  derselbe  den  Gymnasial- 
absolventen freigestellt  blieb.  Als  im  Jahre  1832  die  Forstschule  in 
Aschaffenburg  wieder  aufgehoben  wurde,  wurde  der  Besuch  einer 
vaterländischen  Hochschule  den  Aspiranten  für  den  höheren  Forst- 
dienst zur  Pflicht  gemacht.  Praktisch  kam  hierfür  nur  die  Universität 
München  in  Betracht,  indem  zwei  Professoren  der  Aschaffenburger 
Schule  (Papius  und  Hierl)  speziell  zur  Erteilung  des  forstlichen  Unter- 
richts an  diese  Universität  versetzt  wurden.  Um  dem  Mangel  an 
Revierförstem  abzuhelfen,  erfolgte  1844  die  Wiedereröffnung  der 
Aschaffenburger  Schule,  auf  welcher  „brauchbare  Organe  für  den 
niederen  Forstdienst  aus  jungen  den  Gewerbeschulen  entstammenden 
Leuten"  herangezogen  werden  sollten.  Die  höhere  forstu'issenschaft- 
liche  Bildung  blieb  nach  wie  vor  den  Universitäten  vorbehalten.  An 
der  Universität  München  hörte  aber  von  1847/48  ab  der  forstliche 
Unterricht  zunächst  auf.  weil  derselbe  von  seiten  der  Regierung  zu- 
gunsten Aschaffenburgs  vernachlässigt  worden  war.     Indessen  schon  im 


304  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Jahre  1850  wurde  verfügt,  daß  in  Aschaffenburg  lediglich  der  eigentliche 
technische  Unterricht  erteilt  werden  soll,  die  Anwärter  des  höheren 
Forstdienstes  aber  noch  einen  sogen,  staatswissenschaftlichen  Kurs  an 
der  Universität  zu  absolvieren  haben.  Um  hierfür  gleichsam  einen 
forstlichen  Mittelpunkt  zu  schaffen,  wurde  an  der  Universität  München 
1859  wieder  eine  ordentliche  Professur  für  Forstpolitik  und  Forstrecht 
errichtet  und  auf  dieselbe  der  Forstmeister  Dr.  Karl  Roth  berufen. 

Dieser  Zustand  währte  bis  1878. 

Die  vorgetragene  historische  Skizze  bezeugt,  daß  in  dem  ganzen 
Zeitraum  von  1806  bis  1878  mit  Ausnahme  zweier  Jahre  (1848/49) 
die  bayerische  Regierung  für  den  höheren  Forstdienst  Universitäts- 
bildung gefordert  und  vorübergehend  nur  gewünscht  hat,  und  daß 
an  der  Universität  München  bez^\^  Landshut  in  der  gleichen  Epoche, 
ausgenommen  die  Zeit  von  1848 — 1859,  forstliche  Lehrstühle  zur 
Ausbildung  der  Berufsforstleute  bestanden  haben. 

Die  oben  erwähnte  Dreiteilung  der  Dienstgrade  in  der  Staats- 
forstverM'altung  hielt  in  Bayern  wie  auch  anderwärts  insofern  nicht 
stand,  als  an  den  mittleren  Dienstgrad,  jenen  der  Revierförster,  ent- 
sprechend der  Zunahme  der  Intensität  des  Betriebes,  immer  höhere 
Anforderungen  gestellt  werden  mußten.  Daher  wurde  bereits  1858 
als  Vorbedingung  für  die  Erreichung  desselben  gleichwie  für  die 
höhere  Karriere  das  Gymnasialabsolutorium  verlangt.  Damit  war 
tatsächlich  der  bisherige  Unterschied  in  der  Vorbildung  für  den 
höheren  und  mittleren  Dienst  aufgehoben.  Denn  der  höhere  Dienst- 
grad bildete  nun  nicht  mehr  die  Domäne  der  dazu  durch  die  höhere 
Vorbildung  von  vornherein  Prädestinierten.  Diese  Tatsache  einmal, 
dann  der  offenkundige  Niedergang  der  Leistungen  der  seit  1858  als 
„Zentralforstlehranstalt**  bezeichneten  Forstschule  in  Aschaffenburg, 
ferner  das  berechtigte  Verlangen  der  Forstverwaltungsbeamten,  hin- 
sichtlich ihrer  Qualifikation  in  der  öffentlichen  Meinung  nicht  als 
minderwertiger  betrachtet  zu  werden  wie  der  auf  der  Universität 
gebildete  Jurist,  Philologe,  Mediziner  usw.,  entfachten  in  den  siebziger 
Jahren  in  Bayern  eine  elementare  Bewegung  auf  Aufhebung  der 
Forstlehranstalt  in  Aschaffenburg  und  V^erlegung  des  gesamten  forst- 
lichen Unterrichts  an  die  Universität  München.  Nach  schweren 
Kämpfen  im  Landtag  wie  in  der  Tagesliteratur  kam  ein  Kompromiß 
zustande,  demzufolge  unterm  19.  Juli  1878  verfügt  wurde,  daß  der 
forstliche  Unterricht  fernerhin  in  zwei  Stufen  erteilt  wird,  zuerst  in  vor- 
bereitender Weise  innerhalb  zweier  Jahre  an  der  Forstlehranstalt 
Aschaffenburg,  dann  innerhalb  weiterer  zwei  Jahre  an  der  Universität 


Philosophische  Fakultät:  Fontwirtschaft.  305 

München  und  der  daselbst  zu  errichtenden  forstlichen  Versuchsanstalt. 
Im  Herbst  des  Jahres  1878  begann  an  der  Universität  München  der 
forstliche  Unterricht,  für  welchen  in  der  staatswirtschaftlichen  Fakultät 
sechs  ordentliche  Professuren  errichtet  wurden.  Als  Professoren 
wurden  berufen  Gustav  Heyer,  Karl  Gayer,  Franz  Baur,  Ernst  Eber- 
mayer, Robert  Hartig;  die  Professur  für  Forstpolitik  war  schon  seit 
1859  durch  Karl  Roth  besetzt.  Von  diesen  hervorragenden  Männern 
gehören  nur  mehr  Gayer  und  Ebermayer  der  Fakultät  als  nicht  mehr 
lesende  Mitglieder  an.  Nach  dem  Hingange  Roths  wurde  Julius  Lehr 
berufen  (gest.  1894). 

Württemberg.  Bei  der  Errichtung  der  staatswirtschaftlichen 
Fakultät  an  der  Universität  Tübingen  im  Jahre  1817  wurde  auch 
ein  Lehrstuhl  für  Forstwissenschaft  geschaffen  und  der  höhere  forst- 
liche Unterricht  ausschließlich  der  Universität  zugewiesen.  Außerdem 
wurde  in  Stuttgart  im  Jahre  1818  eine  niedere  Forstschule  errichtet, 
die  im  Jahre  1820  dem  1818  gegründeten  landwirtschaftlichen  Institut 
in  Hohenheim  angegliedert  wurde.  Obgleich  dasselbe  als  Mittelschule 
nur  für  die  Ausbildung  der  niederen  Forstbediensteten  eingerichtet 
und  bestimmt  worden  war,  kam  es  doch  bald  dahin,  daß  Hohenheim 
auch  als  Bildungsstätte  für  den  höheren  Forstdienst  anerkannt  wurde. 
Damit  war  das  Schicksal  des  Universitätsunterrichtes  entschieden.  Im 
Jahre  1825  wurde  der  forstliche  Unterricht  in  Tübingen  auf  eine 
enzyklopädische  Behandlung  beschränkt  und  der  spezielle  forstliche 
Unterricht  dem  Institut  Hohenheim  überwiesen.  Der  Lehrstuhl  für 
Forstwissenschaft  an  der  Universität,  dessen  Inhaber  seit  1829  auch 
der  landwirtschaftliche  Unterricht  übertragen  worden  war,  wurde  dann 
1841  ganz  eingezogen.  Denselben  nahmen  ein:  Hundeshagen 
1818—1821,  Widemann  1821—1836,  Schott  von  Schottenstein 
ia%— 1841. 

Die  in  den  siebziger  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  in  Bayern  und 
auch  anderwärts  zugunsten  der  Verlegung  des  forstlichen  Unter- 
richtes an  die  Universität  auftretende  Bewegung  schlug  auch  in 
Württemberg  ihre  Wellen  und  nach  langwierigen  Verhandlungen 
wurde  der  gesamte  forstliche  Unterricht  im  Jahre  1.881  von  der 
Akademie  Hohenheim  losgelöst  und  an  die  Universität  Tübingen 
rückverlegt.  Seitdem  bestehen  an  der  staatswissenschaftlichen  Fakul- 
tät zwei  ordentliche  Lehrstühle  für  Forstwissenschaft  (Nördlinger 
1881-1891,  Graner  1891  —  1896,  Lorey  1881—1901,  Bühler  seit  1896. 
Wagner  seit  1902).  In  der  Regel  ist  auch  noch  eine  dritte  Lehrkraft 
(außerordentlicher  Professor)  bestellt  (Speidel  bis  1902). 

Dm  Unterrichuweaen  im  Deutschen  Reich.    I.  20 


306  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

Für  die  Grund-  und  Hilfswissenschaften  bestehen  besondere  forst- 
liche Lehrstühle  nicht.  Die  forstlichen  Professoren  sind  zugleich  die 
Leiter  der  forstlichen  Versuchsanstalt. 

Preußen.  Auch  Preußen  entschied  sich  im  Jahre  1819  für 
das  Prinzip  des  forstlichen  Universitätsunterrichts.  Auf  Betreiben 
Georg  Ludwig  Hartigs,  der  schon  seit  seiner  Berufung  an  die  Spitze 
der  preußischen  Forstverwaltung  im  Jahre  1811  in  Berlin  öffentliche 
Vorlesungen  gehalten  hatte,  wurde  im  Jahre  1821  Pfeil  als  Lehrer 
der  Forstwissenschaften  an  das  neu  errichtete  Forstinstitut  in  Berlin 
berufen  und  zugleich  zum  außerordentlichen  Professor  an  der 
Universität  ernannt.  „Ohne  mit  der  Universität  vereint  zu  sein,  schloß 
sich  das  Forstinstitut  an  dieselbe  an,  um  ihre  geistigen  und  materiellen 
Hilfsmittel  zu  bienutzen."  Auf  die  Veranlassung  Pfeils  hin  erfolgte 
jedoch  1830  die  Verlegung  des  forstlichen  Unterrichts  an  die 
neu  gegründete  Forstakademie  in  (Neustadt-)Eberswalde.  In  Berlin 
hielt  noch  Theodor  Hartig  von  1831  —  1838,  von  1835  ab  als 
außerordentlicher  Professor,  an  der  Universität  forstliche  V^or- 
lesungen.  die  aber  außerhalb  der  Organisation  des  forstlichen  Unter- 
richts standen. 

Hessen.  In  Gießen  bestand  von  1825  bis  1831  eine  besondere 
Forstlehranstalt,  die  insofern  mit  der  dortigen  Universität  eine  gewisse 
Verbindung  hatte,  als  der  Unterricht  in  den  Grund-  und  Hilfswissen- 
schaften von  den  Professoren  der  Universität  erteilt  wurde  und  der 
Direktor  der  Anstalt  (J.  Gh.  Hundeshagen)  zugleich  ordentlicher 
Professor  der  Forstwissenschaft  an  der  Universität  war.  Da  diese 
Lehranstalt  aus  verschiedenen  Ursachen,  unter  denen  Kompetenz- 
streitigkeiten zwischen  den  Professoren  nicht  in  letzter  Linie  standen, 
zu  keiner  rechten  Blüte  gelangen  konnte,  wurde  sie  unterm  14.  Juni  1831 
aufgehoben  und  der  gesamte  forstwissenschaftliche  Unterricht  der 
Landesuniversität  einverleibt.  In  voller  Erkennung  der  dem  Unter- 
richte nun  zugewiesenen  Stellung,  nämlich  ,,daß  die  Lehrer  der 
einzelnen  Zweige  der  Forstwissenschaft  sowie  die  Studenten  derselben 
in  jeder  Beziehung  ganz  in  dieselben  Verhältnisse  treten  sollen,  in 
welchen  Lehrer  und  Schüler  in  anderen  Fächern  auf  der  Landes- 
universität stehen",  wurde  der  praktische  Vorbereitungskursus  vor 
dem  Ik^ginn  des  akademischen  Studiums  aufgehoben  und  für  die 
Zulassung  zum  forstlichen  Studium  der  Nachweis  der  bestandenen 
Maturitätsprüfung  verlangt.  Gerade  durch  letztere  Maßnahme,  die 
übrigens  schon  1825  formell  getroffen  worden  war,  wurde  in  Hessen 
jene  Klippe    vermieden,    an    der  um  die  damalige  Zeit  die  Versuche 


Philosophische  Fakultät:  Forstwirtschaft.  307 

aller  anderen  Staaten,  den  forstlichen  Unterricht  an  der  Universität 
zu  pflegen,  scheiterten  und  scheitern  mußten.  Ungebildete  oder  nur 
halbvorgebildete  junge  Leute  finden  an  einer  Universität  keine  Heim- 
stätte. 

Die  Verfassung  des  forstlichen  Unterrichts  ist  seit  1831  im 
wesentlichen  dieselbe  geblieben.  Für  die  forstlichen  Fächer  waren 
immer  zwei  Lehrkräfte  bestellt,  bis  1888  ein  ordentlicher  Professor 
und  ein  außerordentlicher  bezw.  ein  „zweiter**  Lehrer.  Seit  diesem 
Jahre  wurde  diese  außerordentliche  Professur  in  eine  ordentliche 
umgewandelt.  Als  ordentliche  Professoren  wirkten  Joh.  Chr.  Hundes- 
hagen 1831  (bezw^  1824— 18:W,  Cari  Gustav  Heyer  1835—1856, 
Gustav  Heyer  1857—1868,  R.  A.  Heß  seit  1868,  Kari  Wimmenauer 
seit  1888;  als  außerordentliche  Professoren  bezw.  zweite  Lehrer 
J.  Klauprecht  1832—1834,  A.  von  Klipstein  1831—1836,  H.  Zimmer 
1838—1854,  Gustav  Heyer  1854-1857,  Eduard  Heyer  1857—1873, 
Tuisko  Lorey  1873—1878,  H.  Stötzer  1879—1880,  A.  Schwappach 
1881—1886,  Th.  Nördlinger  1886—1887. 

Die  beiden  forstlichen  Lehrer  gehören  zur  philosophischen 
Fakultät  der  Universität.  Die  als  Unterrichtsmittel  dienenden  Samm- 
lungen und  der  Forstgarten  bilden  den  Inbegriff"  des  Forstinstitutes. 
Für  die  Grund-  und  Hilfswissenschaften  bestehen  keine  besonderen, 
auf  die  Bedürfnisse  des  Forstmannes  zugeschnittene  Professuren.  Mit 
dem  Forstinstitut  ist  seit  1882  eine  forstliche  Versuchsanstalt  ver- 
bunden. 

Die  forstlichen  Disziplinen  werden  je  alle  zwei  Jahre  vorgetragen. 

2.  Der  Lehrbetrieb  an  der  Universität  München.  Die 
gegenwärtige  Unterrichtsverfassung  an  den  Universitäten  Tübingen 
und  Gießen  wurde  in  der  vorausgehenden  historischen  Skizze 
dargelegt. 

Die  vollkommenste  Organisation  des  forstlichen  Universitäts- 
unterrichtes ist  an  der  Universität  München  durchgeführt.  An  der 
staatswirtschaftlichen  Fakultät  bestehen  zur  Zeit  fünf  ordentliche  und 
eine  außerordentliche  Professur  für  die  speziellen  forstlichen  und  die 
forstlich-naturwissenschaftlichen  Fächer.  Die  einzelnen  Lehrgegen- 
stände sind  auf  die  Professuren  wie  folgt  verteilt: 

1.  Ordentliche  Professur  für  forstliche  Produktionslehre  — 
Waldbau,  Fortbenutzung,  Forstschutz  (Dr.  Heinrich  Mayr 
seit  1893). 

20* 


308  Lehrgebiet  und  Lehrbetrieb. 

2.  Ordentliche  Professur  für  Forsteinrichtung,  Holzertragskunde 
und  die  forstlichen  Ingenieurfächer  (Dr.  Rudolf  Weber 
seit  1885). 

3.  Ordentliche  Professur  für  Forstpolitik,  Forstverwaltung,  Forst- 
geschichte, Waldwertrechnung  und  forstliche  Statik  (Dr.  Max 
Endres  seit  1895). 

4.  Ordentliche  Professur  für  Anatomie,  Physiologie  und  Pathologie, 
der  Pflanzen  (Dr.  Carl  Freiherr  von  Tubeuf  seit  1902). 

5.  Ordentliche  Professur  für  Bodenkunde  und  Agrikulturchemie 
(Dr.  Emil  Ramann  seit  1900). 

6.  Außerordentliche  Professur  für  angewandte  Zoologie  (Forst- 
zoologie) (Dr.  August  Pauly  seit  1896). 

Außerdem  werden  für  die  Forststudierenden  noch  speziell  vor- 
getragen: Rechtsenzyklopädie  (Prof.  Dr.  Kai;l  Freiherr  von  Stengel 
von  der  juristischen  Fakultät),  Meteorologie  und  Klimatologie  (Honorar- 
professor Direktor  Dr.  Friedrich  Erk  von  der  philosophischen  Fakultät), 
Elemente  der  höheren  Mathematik  (Privatdozent  Dr.  Brunn). 

Alle  übrigen  Fächer,  insbesondere  Nationalökonomie  und  Finanz- 
wissenschaft, dann  Geologie,  Mineralogie,  Physik  und  Mathematik 
werden  von  den  Studierenden  der  Forstwissenschaft  in  den  hierfür 
bestehenden  allgemeinen  Vorlesungen  gehört. 

Die  Universität  München  gewährt  eine  vollständige  forstwissen- 
schaftliche Ausbildung.  Die  sämtlichen  forstlichen  Disziplinen  wie 
auch  alle  Grund-  und  Hilfswissenschaften  werden  erschöpfend  innerhalb 
eines  Jahres  gelesen. 

Außer  den  Vorlesungen  finden  in  den  betreffenden  Fächern 
alljährlich  die  erforderlichen  praktischen  Übungen,  Demonstrationen 
und  Exkursionen  statt.  Hierzu  dienen  außer  den  Laboratorien, 
Sammlungen  und  Anlagen  der  Universität  und  der  Versuchsanstalt 
die  ausgedehnten  und  mannigfaltigen  Waldungen  der  Alpen,  der 
bayerisch-schwäbischen  Hochebene,  des  Donau-Tieflandes  und  des 
bayerischen  Waldes,  dann  die  Torfmoore,  die  Trift-  und  Floßanstalten 
der  Alpcnflüsse,  die  holzverarbeitenden  Industrien  Bayerns,  die 
königlichen  Wildparke.  Weitere  Lehrmittel  bieten  die  naturwissen- 
schaftlichen Sammlungen  der  Königlichen  Akademie  der  Wissen- 
schaften und  die  Stiats-  und  Universitätsbibliotheken. 

Für  alle  auf  den  bayerischen  Forstdienst  nicht  aspirierenden 
Studierenden  ist  der  vorausgehende  Besuch  von  Aschaffenburg  nicht 
erforderlich.  Diese  können  ihre  Studien  unmittelbar  an  der  Universität 
München  beginnen  und  vollenden. 


Philosophische  Fakultät:  Forstwirtschaft.  309 

Mit  dem  forstlichen  Unterricht  ist  die  forstliche  Versuchsanstalt 
verbunden.  Dieselbe  besteht  aus  fünf  völlig  selbständigen  Abteilungen 
und  bezweckt  nicht  nur  die  Pflege  der  forstwissenschaftlichen  Forschung, 
sondern  auch  die  Ergänzung  des  rein  theoretischen  Unterrichtes  durch 
praktische  Übungen,  Herstellung  von  Demonstrationsobjekten  im 
Walde  und  in  den  Laboratorien  usw.  Am  forstlichen  Versuchs- 
wesen sind  alle  Professoren  beteiligt  und  werden  von  fünf  Assistenten 
unterstützt. 

Die  forstliche  Versuchsanstalt  ist  in  zwei  großen,  sich  eng  an 
die  Universität  anschließenden  Gebäuden  untergebracht,  die  einen 
Wert  von  V2  Million  Mark  repräsentieren.  In  denselben  werden  auch 
die  forstlichen  Vorlesungen  abgehalten. 

M.  E  n  d  r  e  s. 


ZWEITE  ABTEILUNG. 

DIE  EINZELNEN  UNIVERSITÄTEN. 


Die  Königlich  Preußische  Friedrich -Wilhelms- 
Universität  zu  Berlin. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Die  Vorgeschichte  der  Berliner  Universität  beginnt  mit  den 
letzten  Jahren  des  XVIII.  Jahrhunderts.  In  der  Hauptstadt  der 
preußischen  Monarchie  waren  damals  zahlreiche  Vertreter  ver- 
schiedener Wissenszweige  versammelt.  Es  bestand  eine  Anzahl  Lehr- 
anstalten mit  mehr  oder  weniger  ausgesprochenem  hochschulmäßigen 
Charakter,  wie  vor  allem  das  CoUegium  medico-chirurgicum,  und 
daneben  wissenschaftliche  Sammlungen  mannigfacher  Art.  Außerdem 
wurden  öffentliche  Vorlesungen  fast  über  alle  Gebiete  der  Wissen- 
schaft gehalten  und  fanden  bei  einem  geistig  angeregten  Publikum 
zum  Teil  großen  Beifall.  Diese  Zustände  legten  den  Gedanken  nahe, 
das  bereits  Vorhandene  zu  einer  einheitlichen  Organisation  zusammen- 
zufassen. Dabei  wurde  aber  zunächst  nicht  an  die  Gründung  einer 
Universität  im  althergebrachten  Sinne  gedacht.  Es  sollte  vielmehr 
ein  „allgemeines  Lehrinstitut"  ohne  korporative  Rechte,  ohne  Examina, 
ohne  eigene  Gerichtsbarkeit,  überhaupt  „ohne  Zunftzwang",  ins  Leben 
gerufen  werden,  wobei  die  bisherigen  Provinzialuniversitäten,  nach 
einer  Bemerkung  des  Geheimen  Kabinettsrates  Beyme,  „für  die 
sogenannten  Brotstudien  ihre  abgesonderte  Einrichtung  würden  be- 
halten müssen".*)  Man  trug  sich  mit  dem  Gedanken,  Männer  wie 
Fichte,  Johannes  Müller,  F.  Schiller,  A.  von  Humboldt  für  die  neue 
Bildungsanstalt  zu  gewinnen  —  gleichsam  der  deutlichste  Ausdruck 
dafür,  daß  sie  nicht  nur  äußerlich  den  bestehenden  Universitäten 
nicht  gleichen,  sondern  auch  innerlich  von  den  überlieferten  Formen 
der   akademischen    Gelehrsamkeit    möglichst   frei   sein    sollte.     Diese 


*)  Rudolf  Köpke,  Die  Gründung  der    Königlichen   Friedrich- Wilhelms-Universität 
zu  Berlin.    Berlin  1860.    S.  31. 


314  I^ie  einzelnen  Universitäten. 

weitausschauenden  Pläne  wurden  indessen,  wie  es  scheint,  schon  im 
Jahre  1804,  als  sie  eben  eine  greifbarere  Gestalt  anzunehmen  be- 
gannen, fallen  gelassen,  wahrscheinlich  unter  dem  Einfluß  der 
drohenden  Gefahr  eines  Krieges  mit  Frankreich. 

Gleich  nach  dem  Tilsiter  Friedensschluß  kamen  aber  ähnliche 
Gründungspläne  wieder  auf  Den  äußeren  Anlaß  dazu  bot  der  mit 
der  Abtretung  des  Herzogtums  Magdeburg  verbundene  Verlust  der 
Universität  Halle.  Eine  von  dieser  entsandte  Deputation,  mit 
Schmalz  an  der  Spitze,  trug  am  10.  August  1807  in  Memel  dem 
Könige  die  Bitte  vor,  die  Universität  Halle  nach  Berlin  zu  verlegen. 
Der  Monarch  äußerte  sich  mit  großer  Befriedigung  über  diesen 
Schritt  der  Halleschen  Professoren,  meinte  aber,  daß  die  Erfüllung 
ihrer  Wünsche  unangenehme  Verwicklungen  mit  der  Königlich 
Westfälischen  Regierung  herbeiführen  könnte.  Es  solle  vielmehr  eine 
ganz  neue  Universität  in  Berlin  gestiftet  werden.  Durch  Kabinetts- 
order vom  4.  September  wurde  Beyme  mit  der  Leitung  der  Sache 
betraut.  Zugleich  wurde  der  Philologe  F.  A.  Wolf,  der  aus  eigenem 
Antrieb  einen  Plan  für  die  Universität  entworfen  und  nach  Memel 
gesandt  hatte,  vom  Könige  zu  weiteren  Vorschlägen  aufgefordert. 
Beyme  zog  hervorragende  wissenschaftliche  Kapazitäten  heran,  um 
über  die  Organisation  der  zu  gründenden  Universität  zu  beraten, 
darunter  Fichte,  Schleiermacher,  Hufeland.  Wie  sehr  auch  die* 
zur  Frage  geäußerten  Ansichten  sogar  in  wesentlichen  Punkten  aus- 
einandergingen, so  war  diesen  Ansichten  der  eine  Zug  gemeinsam: 
es  galt  vor  allem,  mit  der  Überlieferung  zu  brechen.  Selbst  die  Be- 
zeichnungen Universität  und  Fakultät  wurden  beanstandet,  weil  die 
alten  Übelstände  damit  unzertrennlich  verbunden  schienen.  Die  von 
Beyme  eingeleiteten  Schritte  hatten  aber  keinen  unmittelbaren  Erfolg, 
denn  schon  am  3.  Oktober  sah  er  sich  durch  den  Wiedereintritt  des 
Freiherrn  vom  Stein  in  den  Staatsdienst  veranlaßt,  seinen  Abschied 
zu  nehmen.  Das  wirkte  auf  den  Fortgang  der  Sache  bis  zu  einem 
gewissen  Grad  hemmend,  weil  Stein  hauptsächlich  aus  moral- 
pädagogischen Gründen  Bedenken  trug,  die  neue  Lehranstalt  in  der 
Hauptstadt  zu  errichten.  Auch  finanzielle  Envägungen  mochten  dem 
leitenden  Staatsmann  eine  gewisse  Zurückhaltung  in  der  Angelegenheit 
der  zu  gründenden  Universität  auferlegt  haben.  Wie  dem  auch  sei, 
das  Verhalten  der  Regierung  erzeugte  in  den  interessierten  Kreisen 
Verstimmung  und  ließ  den  Mut  Einiger  sinken.  Die  Chancen  für 
die  neue  Universität  wurden  zugleich  dadurch  in  ungünstigem  Sinne 
beeinflußt,    daß    noch    im  Dezember  1807    die  Universität  Halle   von 


Die  Königlich  Preußische  Friedrich-Wilhelms-Universität  zu  Berlin.  315 

der  Königlich  Westfälischen  Regierung  wiederhergestellt  wurde  und 
im  Mai  des  nächsten  Jahres  mit  fast  vollständigem  Lehrpersonal 
wieder  in  Tätigkeit  trat.  Dazu  kam,  daß  die  Universität  Frankfurt  a.  O. 
aus  Furcht  vor  Konkurrenz  gegen  Errichtung  einer  Universität  in 
Berlin  entschieden  Front  machte.  Schließlich  regte  sich  unter  einem 
gewissen  Teil  der  Mitglieder  der  Akademie  der  Wissenschaften  eine 
Opposition  gegen  den  Gründungsplan,  den  man  gleichsam  als  einen 
Angriff  auf  die  Würde  der  Akademie  aufzufassen  geneigt  war. 

Eine  neue  Wendung  nahm  die  Angelegenheit,  als  mit  Steins 
Abgang  der  bisherige  preußische  Gesandte  in  Rom,  Wilhelm  von 
Humboldt,  nach  Berlin  berufen  wurde,  um  an  die  Spitze  der 
Unterrichtsverw^altung  zu  treten.  Am  20.  Februar  1809  erfolgte  seine 
Ernennung  zum  Direktor  der  Sektion  für  den  Kultus  und  öffentlichen 
Unterricht.  In  richtiger  Würdigung  der  politischen  und  nationalen 
Bedeutung,  die  die  F>richtung  einer  Universität  in  der  Hauptstadt 
haben  würde,  nahm  sich  Humboldt  mit  seltener  Tatkraft  des 
Gründungsplanes  an. 

In  seinem  Schreiben  an  den  König  vom  24.  Juli  1809  erinnert 
er  diesen  zunächst  daran,  durch  die  Kabinettsorder  vom  4.  September 
1807  die  Gründung  einer  allgemeinen  und  höheren  Lehranstalt  in 
Berlin  genehmigt  zu  haben  und  fahrt  dann  fort:  „Wenn  Ew.  Königliche 
Majestät  nunmehr  diese  Einrichtung  feierlich  bestätigten  und  die 
Ausführung  sicherten:  so  würden  Sie  Sich  aufs  neue  alles,  was  sich 
in  Deutschland  für  Bildung  und  Aufklärung  interessiert,  auf  das 
Festeste  verbinden,  einen  neuen  Eifer  und  neue  Wärme  für  das 
Wiederaufblühen  Ihrer  Staaten  erregen,  und  in  einem  Zeitpunkt,  wo 
ein  Teil  Deutschlands  vom  Kriege  verheert,  ein  anderer  in  fremder 
Sprache  von  fremden  Gebietern  beherrscht  wird,  der  deutschen 
Wissenschaft  eine  vielleicht  kaum  jetzt  noch  gehoffte  Freistatt  er- 
öffnen." Aus  demselben  Schreiben  ist  zu  ersehen,  daß  der  neue 
Leiter  der  Unterrichtsverwaltung  in  bezug  auf  die  Organisation  der 
Anstalt  es  nicht  mit  jenen  hielt,  die  in  dem  Bestreben,  die  alten 
Fehler  der  Universitäten  zu  vermeiden,  ganz  neue  Bahnen  einzuschlagen 
beabsichtigten.  Was  Humboldt  im  Sinn  hat,  ist  eine  Universität  im 
althergebrachten  Sinne,  die  nur,  wie  er  sich  ausdrückt,  „von  allen 
veralteten  Mißbräuchen  gereinigt**  werden  soll.  Auch  den  Namen 
einer  Universität  müsse  die  zu  errichtende  allgemeine  Lehranstalt 
erhalten.  „In  der  Tat  und  Wirklichkeit  müßte  sie,**  meint  Humboldt, 
„welchen  Titel  man  ihr  auch  beilegen  möchte,  doch  alles  enthalten, 
was  der  Begriff  einer  Universität   mit   sich   bringt.     Sie  könnte,    von 


316  ^ic  einzelnen  Universitäten. 

richtigen  Ansichten  allgemeiner  Bildung  ausgehend,  weder  Fächer 
ausschließen,  noch  von  einem  höheren  Standpunkt,  da  die  Universitäten 
schon  den  höchsten  umfassen,  beginnen,  noch  endlich  sich  bloß  auf 
praktische  Übungen  beschränken.  Ohne  den  Namen  aber  und  ohne 
das  Recht  der  Erteilung  akademischer  Würden,  würde  sie  immer  nur 
wenige  auswärtige  Zöglinge  zählen.  Man  würde  im  Auslande  weder 
einen  bestimmten  Begriff  von  ihrer  Beschaffenheit,  noch  eigentliches 
Vertrauen  zu  ihr  haben,  und  sie  mehr  für  einen  wissenschaftlichen 
Luxus,  als  für  ein  ernstes  und  nützliches  Institut  halten." 

Humboldt  war  sich  wohl  dessen  bewußt,  daß  die  geplante 
Anstalt,  sollte  sie  ihren  hohen  Zweck  erfüllen  können,  erhebliche 
Kosten  verursachen  würde,  hielt  aber  eine  Mehrausgabe  dieser  Art 
trotz  der  wenig  befriedigenden  Finanzlage  für  durchaus  geboten. 
Nur  wären  nach  seinem  Projekte  die  zu  bewilligenden  Summen  nicht 
einfach  auf  die  Staatskassen  anzuweisen.  Die  Universität  hätte  sich 
vielmehr  durch  eigenes  Vermögen  zu  erhalten.  Es  sollten  ihr  zu 
diesem  Zwecke  Domänengüter  verliehen  und  die  hieraus  sich  ergebenden 
Ausfalle  in  den  Staatseinkünften  durch  Einziehung  katholisch-geistlicher 
Güter  in  Schlesien  und  Westpreußen  gedeckt  werden.  Durch  eine 
derartige  „von  den  Gesinnungen  der  jedesmaligen  Regierenden  unab- 
hängige Dotation"  bezweckte  Humboldt  der  zu  errichtenden  Anstalt 
„mehr  Selbständigkeit,  mehr  innere  Würde  und  größeres  Vertrauen 
beim  Ausland"  zu  verleihen.  In  demselben  oben  genannten  Schreiben 
an  den  König  stellte  Humboldt  den  Antrag,  das  Prinz  Heinrichsche 
Palais,  welches,  1 764  erbaut,  nach  dem  Tode  des  kinderlosen  Prinzen 
im  Jahre  1802  und  der  Prinzessin  im  Jahre  1808  an  die  Krone 
zurückgefallen  war,  der  Universität  zuzueignen. 

Humboldts  Vorschlägen  wurde  durch  Kabinettsorder  vom  16.  August 
in  allen  Punkten  stattgegeben.  Später  jedoch,  als  zur  Ausführung 
dieser  Kabinettsorder  geschritten  wurde,  stieß  der  Dotationsplan  bei 
den  maßgebenden  Instanzen  auf  entschiedenen  Widerstand  und  seinem 
Urheber  gelang  es  nicht  ihn  durchzusetzen.*)  Das  ist  aber  auch  die 
einzige  wichtige  Frage  gewesen,  deren  Entscheidung  nicht  in  dem 
von  Humboldt  gewünschten  Sinne  gefallen  ist. 

Seine  ganze  Energie  legte  Humboldt  daran,  für  die  Universität 
die  geeigneten  Lehrkräfte  zu  gewinnen.  Gleich  nach  Antritt  seines 
neuen  Amts  hatte  er  vom  König  für  Wolf,  Fichte,  Schleiermacher 

*)  Zu  vergleichen  über  die  Dotationsfrage  Adolph  Wagner.  Die  Entwicklung  der 
Universität  Berlin  1810—18%.    Berlin  1896.    S.  5—13. 


Die  Königlich  Preußische  Friedrich-Wilhelms-Universität  zu  Berlin.  317 

und  einige  andere  in  Berlin  weilende  und  auf  die  Eröffnung  der 
Universität  wartende  Gelehrte  Gehälter,  Gehaltserhöhungen  und 
Wartegelder  erbeten.  Für  die  drei  genannten  Professoren  sowie  für 
den  Juristen  Schmalz  erwirkte  Humboldt  beim  Minister  die  Erlaubnis, 
schon  im  Winter  1809,  ehe  die  offizielle  Eröffnung  der  Universität 
erfolgt  war,  im  Heinrichschen  Palais  Vorlesungen  zu  halten.  Es  galt 
nun,  das  Lehrpersonal  zu  vervollständigen.  Humboldt  befürwortete 
beim  König  die  Ernennung  der  einzelnen  Professoren  unter  genauer 
Angabe  ihrer  Verdienste  und  Leistungen,  eventuell  auch  ihrer 
Charaktereigenschaften,  und  entwarf  die  Berufungsschreiben  meist  mit 
eigner  Hand.  So  wurden  unter  anderen  Reil,  von  Savigny, 
Klaproth,  Rudolphi  auf  Humboldts  Vorschlag  zu  Professoren  der 
Berliner  Universität  ernannt. 

Am  14.  Juni  1810  erfolgte  die  Entlassung  Humboldts  aus  seiner 
bisherigen  Stellung,  nachdem  er  am  29.  April  den  Abschied  erbeten 
hatte,  wohl  aus  dem  Grunde,  weil  er  mit  der  allgemeinen  Politik  des 
Ministeriums  nicht  einverstanden  war. 

Seine  letzte  Tat  für  die  Universität  war,  daß  er  auf  Grund  einer  vom 
'AO.  Mai  datierten  Kabinettsorder  eine  Kommission  „zur  Einrichtung 
der  Universität"  einsetzte.  Dieser  Kommission  fiel  nun  nach  Hum- 
boldts Rücktritt  die  Aufgabe  zu,  weitere  Berufungen  vorzunehmen 
und  die  Statuten  der  Universität  auszuarbeiten.  Unter  den  neu- 
angeworbenen Professoren  mögen  hier  der  Chirurg  C.  F.  v.  Graefe, 
der  Agronom  A.  Thaer,  der  Philologe  A.  Boeckh  Erwähnung 
finden.  Was  sodann  die  eigentlichen  Organisationsfragen  anlangt,  so 
führten  die  Arbeiten  der  Kommission  über  diesen  Gegenstand,  an 
denen  namentlich  Schleiermacher  einen  besonders  regen  Anteil  nahm, 
dazu,  daß  man  dahin  einig  wurde,  die  für  die  deutschen  Universitäten 
charakteristische  Lehr-  und  Lemverfassung  in  ihren  wesentlichen 
Hauptzügen  beizubehalten.  Eine  nicht  unwichtige  Abweichung  von 
dem  Bestehenden,  die  die  Kommission  für  geboten  hielt,  betraf  die 
Frage  der  Erteilung  akademischer  Würden.  Man  verlangte  größere 
Strenge  in  dieser  Beziehung  und  schlug  für  die  philosophische  Fakultät 
eine  doppelte,  für  die  theologische  und  juristische  Fakultät  eine 
dreifache  Stufe  vor.  Nur  bei  der  medizinischen  Fakultät  sollte  es 
wegen  der  praktischen  Bedeutung  ihres  Doktortitels  beim  alten  bleiben. 
Diese  Reform  vorschlage  wurden  jedoch  bei  der  endgültigen  Regelung 
der  Promotionsfrage  nicht  akzeptiert  und  die  akademischen  Grade 
sind  bei  der  Berliner  Universität  dieselben  wie  bei  anderen  preußischen 
Universitäten.      F'emer    erschien    in    der    Frage    der    akademischen 


^(g  Die  einzelnen  Universitäten. 

Gerichtsbarkeit  eine  Anlehnung  an  die  Bestimmungen,  die  darüber  in 
anderen  Universitäten  in  Geltung  waren,  nicht  angezeigt  und  die  Frage 
wurde  in  einem  den  Anforderungen  der  Neuzeit  mehr  entsprechenden 
Sinne  geregelt. 

Auf  Grund  der  gefaßten  Kommissionsbeschlusse  überreichte  die 
Sektion  für  den  Kultus  und  öffentlichen  Unterricht  am  22.  September 
dem  König  den  Schlußbericht.  Am  28.  September  erfolgte  die 
Kabinettsorder,  die  den  Bericht  genehmigte  und  Schmalz  zum  Rektor, 
Schleiermacher,  Biener,  Hufeland  und  Fichte  zu  Dekanen  ernannte. 
Am  6.  Oktober  wurden  die  ersten  Immatrikulationen  vorgenommen, 
am  10.  konstituierte  sich  der  Senat  und  in  der  Zeit  vom  15.  Oktober 
bis  zum  15.  November  wurden  die  Vorlesungen  eröffnet. 

Das  Lehrpersonal  zählte  im  ganzen  58  Dozenten,  darunter 
24  Ordinarien,  9  Extraordinarien.  14  Privatdozenten,  6  Mitglieder  der 
Akademie  der  Wissenschaften  und  5  Lektoren  neuer  Sprachen.  Von 
den  Ordinarien  kamen  auf  die  theologische  und  juristische  Fakultät 
je  3,  auf  die  medizinische  6  und  auf  die  philosophische  12.  Die  Zahl 
der  immatrikulierten  Studierenden  betrug  im  ersten  Semester  der 
Wirksamkeit  der  Universität  256. 

Die  Statuten  der  Berliner  Universität  sind  erst  im  Juli  1816  vom 
König  genehmigt  worden.  Ihnen  schlössen  sich  im  Jahre  1838  die 
besonderen  Statuten  der  vier  Fakultäten  an.  Mit  einigen  später 
hinzugekommenen  Änderungen  von  meist  unwesentlicher  Bedeutung 
bestehen  diese  Statuten  noch  heute.*; 


Der  Grundsatz  „der  Erhaltung  und  Gewinnung  der  ersten 
Männer  jedes  Fachs**,  den  der  König  in  der  Kabinetsorder  vom 
1().  August  1809  aufstellte,  ist  für  die  Besetzung  der  Lehrstühle  der 
Berliner  Universität  stets  aufrecht  erhalten  worden.  Es  gelang  trotz 
der  beschränkten  Mittel  des  geschwächten  und  verarmten  Staates, 
schon  bei  der  Eröffnung  der  Universität  einen  höchst  ansehnlichen 
Stab  hervorragender  Lehrkräfte  zusammenzubringen,  von  denen 
mehrere  schon  oben  erwähnt  worden  sind.  Von  den  ersten  Mit- 
gliedern der  theologischen  Fakultät,  die  hauptsächlich  unter  dem  Ein- 
flüsse   Schleiermachers    (f    1834)    zusammengesetzt    war,    seien    noch 


*)  Eine  systematische  Zusammenstellung  der  für  die  JJerliner  Universität  geltenden 
Bestimmungen  bietet  Dr.  Daude  in  seinem  Werk:  Die  Königliche  Kriedrich-Wilhclms- 
Universität  zu  Berlin.     Berlin  1887. 


Die  Königlich  Preußische  Friedrich- WilhelmsrUniversität  zu  Beriin.  319 

De  Wette  und  Marheinecke  genannt,  von  den  Juristen,  unter 
denen  Savigny  die  erste  Stelle  einnahm,  noch  K.  F.  Eichhorn,  der 
schon  1817  nach  Göttingen  übersiedelte,  1832  allerdings  nach  Berlin 
zurückkehrte,  aber  hier  nur  noch  zwei  Jahre  als  Lehrer  wirkte.  Unter 
den  Medizinern  war  Hufeland  (f  18,'H)  der  namhafteste,  den  Goethe 
17%  so  ungern  als  königlichen  Leibarzt  von  Jena  nach  Berlin  hatte 
ziehen  sehen.  Der  Chirurg  Graefe  (später  geadelt)  vertrat  anfangs 
auch  das  Fach  der  Geburtshilfe.  Von  den  ersten  Professoren  der 
philosophischen  Fakultät  verdient  neben  dem  großen  Altertums- 
forscher A.  Boeckh  (f  1867)  der  Philologe  Immanuel  Bekker 
it  1871)  besondere  Hervorhebung.  Niebuhr  und  F.  A.  Wolf 
kündigten  nicht  als  Professoren,  sondern  als  Mitglieder  der  Akademie 
Vorlesungen  an.  Schleiermacher  hielt  in  dieser  Eigenschaft  auch 
philosophische  Vorlesungen.  Fichte,  der  in  der  Geschichte  der 
Philosophie  seinen  Platz  neben  Kant  und  Hegel  behauptet,  wurde 
schon  1814  durch  das  Hospitalfieber  hingerafft.  Die  Staatswissen- 
schaften vertrat  J.  G.  Hoffmann.  Von  den  Naturforschem  haben 
der  Chemiker  Klaproth,  der  Mineraloge  und  Krystallograph  Weiß, 
der  Zoologe  Lichtenstein,  der  Botaniker  Willdenow  geachtete 
Namen. 

Aus  der  Reihe  der  Nachfolger  dieser  ersten  Gruppe  kann  hier 
nur  —  mit  Ausschluß  der  Lebenden  —  eine  Anzahl  der  bedeutendsten 
hervorgehoben  werden.  So  unter  den  Theologen  Neander, 
'twesten,  Nitzsch,  Dorner,  Steinmeyer  und  als  Vertreter  der 
strengsten  Orthodoxie  Hengstenberg.  Der  ausgezeichnete  Ro- 
manist Göschen,  erster  Herausgeber  des  Gajus  in  Verbindung  mit 
J.  Bekker  und  Bethmann-Hollweg,  gehörte  der  Berliner  Univer- 
sität von  1811  (anfangs  als  Extraordinarius)  bis  1822  an.  Ferner 
seien  aus  der  juristischen  Fakultät  genannt  E.  Gans,  der  Schüler 
Hegels,  der  Germanist  Homeyer,  der  Völkerrechtslehrer  Heffter, 
der  Romanist  Puchta,  Stahl  als  Vertreter  einer  hochkonservativen 
Richtung,  der  Germanist  K.  G.  Beseler,  Rudolf  Gneist,  vor  allem 
hervorragend  auf  dem  Gebiete  des  Verwaltungsrechts,  die  Romanisten 
Bruns  und  Eck,  der  Kirchenrechtslehrer  Hinschius,  L.  Gold- 
schmidt, einer  der  bedeutendsten  Vertreter  des  Handelsrechts. 

Unter  den  Klinikern  für  innere  Medizin  hatten  Schön  lein  (in 
Berlin  von  18,'W — 1859),  Frerichs  und  Traube  großen  Ruf,  als 
Chirurgen  Dieffenbach,  Langenbeck,  v.  Bardeleben.  Die 
Gynäkologie  als  selbständiges  Fach  vertrat  zuerst  E.  von  Siebold. 
Unter   seinen    Nachfolgern  sind    Busch,    Martin,    K.  Schröder  zu 


320  I^>c  einzelnen  Universitäten. 

nennen.  Die  Augenheilkunde  lehrten  Jüngken,  später  Schweigger 
als  Ordinarius,  A.  v.  Graefe  als  Extraordinarius.  Eine  Reihe  glänzender 
Namen  erscheint  auf  dem  Gebiete  der  naturwissenschaftlich-medizi- 
nischen Fächer:  Joh.  Müller  (in  Berlin  1833—1858),  der  große  Phy- 
siologe, der  seine  Wissenschaft  auf  feste  physikalisch -chemische 
Grundlagen  führte,  zugleich  hervorragend  durch  vergleichend-ana- 
tomische Forschungen;  Dubois-Reymond,  der  sich  schon  in  jungen 
Jahren  großen  Ruf  durch  seine  Untersuchungen  über  tierische  Elek- 
trizität erwarb,  Ehrenberg  mit  seinen  bahnbrechenden  Forschungen 
über  die  mikroskopischen  Organismen,  Virchow,  der  Begründer  der 
Zellularpathologie  (inBerUn  1855—1903).  Helmholtz  (geboren  1821), 
obwohl  Mediziner  und  gleich  groß  als  Physiologe  wie  als  Physiker, 
gehörte  der  Berliner  Universität  (seit  1871)  nur  als  Professor  der 
Physik  an  und  übernahm  1888  auch  die  Leitung  der  Technischen 
Reichsanstalt  (f  1894). 

Für  die  Philosophie  bildete  die  Wirksamkeit  Hegels  (in  Berlin 
1820—1832)  die  glänzendste  Periode.  Wenn  auch  das  Hegeische 
System  als  solches  seinen  Urheber  nicht  lange  überlebt  hat,  so  hat 
sich  doch  der  Einfluß  Hegelscher  Gedanken  anregend  und  befruchtend 
auf  alle  Geisteswissenschaften  erstreckt  und  in  seinen  Nachwirkungen 
dauernd  erhalten.  Unter  Hegels  Nachfolgern  verdient  Trendelen- 
burg besondere  Hervorhebung. 

Als  Vertreter  der  klassischen  Philologie  und  Altertumskunde 
finden  wir  neben  den  Altmeistern  Boeckh  und  Bekker,  die  länger 
als  ein  halbes  Jahrhundert  der  Universität  zur  Zierde  gereichten, 
K.  Lach  mann  (f  1853),  zugleich  als  Forscher  auf  dem  Gebiet  der 
deutschen  Philologie  ausgezeichnet,  M.  Haupt  (f  1874),  der  eben- 
falls die  klassische  mit  der  germanischen  Philologie  vereinigte, 
den  Archäologen  Gerhard,  E.  Curtius,  den  Historiker  Griechenlands, 
und  vor  allem  Theodor  Mommsen  (1817  bis  1903).  Im  Bereich 
der  germanistischen  Wissenschaft  steht  obenan  J.  Grimm  und  neben 
ihm  sein  Bruder  Wilhelm  (beide  lesende  Akademiker);  ferner  sind 
Müllen  hoff,  als  glänzender  Vertreter  der  deutschen  Literaturgeschichte 
W.  Scherer    und  aus    der   jüngsten  Zeit  K.  Weinhold  anzuführen. 

Als  Orientalist  der  indogermanischen  Richtung  muß  vor  allem 
F.  Bopp  genannt  werden  (in  Berlin  von  1821  — 1867;,  ein  aus- 
gezeichneter Sanskritist,  der  zugleich  den  Grund  zu  der  vergleichenden 
Sprachwissenschaft  gelegt  hat.  Sein  würdiger  Nachfolger  war  Al- 
brecht Weber.  Von  den  Lehrern  der  semitischen  und  der 
übrigen    orientalischen    Sprachen    seien    erwähnt:     Rödiger,     Dill- 


Die  Königlich  Preußische  Friedrich-Wilhelras-Universität  zu  Berlin.  321 

mann,  der  theolog^chen  Fakultät  angehörend,  Neubegründer  der 
äthiopischen  Studien,  Lepsius,  Begründer  der  Ägyptologie  in 
Deutschland,  der  Assyriologe  Eberhard  Schrader,  Petermann,  im 
Armenischen  und  anderen  orientalischen  Sprachen  bewandert,  Schott, 
Sinologe.  Die  beiden  letzteren  waren  außerordentliche  Professoren 
und  Mitglieder  der  Akademie.  Der  erste  Ordinarius  für  vergleichende 
Sprachwissenschaft  war  Johannes  Schmidt. 

Aus  der  Zahl  der  Historiker  bedürfen  Namen  wie  F.  v.  Raum  er, 
Ranke,  Nitzsch,  Droysen,  Wattenbach,  v.  Treitschke  keiner 
weiteren  Erläuterung.  Als  Geograph  hat  Karl  Ritter  neue  Bahnen 
eröffnet,  wenn  auch  seine  Auffassung  der  „vergleichenden  Erdkunde" 
gegenwärtig  anderen  Anschauungen  Platz  gemacht  hat.  Für  die 
Volkswirtschaftslehre  war  mehrere  Jahre  G.  Hanssen  gewonnen,  der 
aber  1869  wieder  nach  Göttingen  zurückkehrte.  Dieterici,  bis  1860 
Direktor  des  statistischen  Bureaus,  gehörte  auch  als  Professor  der 
Universität  an.  Was  die  Mathematik  und  die  Naturwissenschaften 
betrifft,  so  waren  sie  in  der  ersten  Periode  der  Universität  zwar  in 
durchaus  angemessener,  aber  doch  nicht  in  gleich  hervorragender 
Weise  vertreten,  wie  manche  Zweige  der  Geisteswissenschaften.  Der 
erste  große  Mathematiker,  der  einen  Lehrstuhl  an  der  Universität  er- 
hielt, war  Lejeune-Dirichlet,  der  1831  außerordentlicher  und  1839 
ordentlicher  Professor  wurde,  1855  aber  als  Nachfolger  von  Gauß 
nach  Götjtingen  ging,  wo  er  1859  starb.  Nicht  von  geringerer  Be- 
deutung war  Jacobi,  der  seine  wissenschaftliche  Laufbahn  schon  vor 
Dirichlet  begonnen  hatte,  aber  erst  1842  als  lesender  Akademiker 
wieder  nach  Berlin  kam  (f  1851).  Auf  gleicher  Linie  mit  diesen 
Koryphäen  steht  J.  Steiner  (in  Berlin  1835 — 1864),  der  Begründer 
der  deutschen  synthetischen  Geometrie.  Als  eine  jüngere  Generation 
erscheinen  Kummer,  Kronecker,  Weierstraß,  die  beiden  ersteren 
aus  der  Schule  Dirichlets,  der  letztere  neben  Riemann  der  Schöpfer 
der  heutigen  Funktionentheorie  und  ein  von  zahlreichen  Schülern  ver- 
ehrter Meister.    L.  Fuchs  hat  die  Universität  erst  vor  kurzem  verloren. 

Als  Astronom  hat  Encke,  ein  Schüler  von  Gauß,  große  Ver- 
dienste, namentlich  um  die  Ausbildung  der  praktischen  astrono- 
mischen Rechenkunst.  Als  bedeutende  Physiker  sind  Dove  und 
Magnus  zu  nennen;  noch  größer  war  der  Ruhm  G.  Kirchhoffs,  des 
Miterfinders  der  Spektralanalyse,  der  1875  von  Heidelberg  nach  Berlin 
berufen  wurde  (f  1887).  Auf  Helmholtz  ist  schon  oben  hingewiesen. 
Auch  A.  Kundt  hat  seinen  Platz  würdig  ausgefüllt.  Namhafte  Che- 
miker   waren     Mitscherlich,    der   Entdecker    des    Isomorphismus 

Daa  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    L  21 


322  I^e  eiiudnen  Unirersitäten. 

H.  Rose,  besonders  um  die  analytische  Chemie  verdient,  Rammels- 
berg,  hauptsächlich  Mineralchemiker,  und  besonders  A.  W.  Hof- 
mann, dessen  Arbeiten  die  Grundlage  der  Anilinfarbenindustrie  ge- 
bildet haben.  Endlich  seien  hier  noch  die  Mineralogen  G.Rose  und 
Websky,  der  Geologe  Bey rieh,  die  Botaniker  Link  und  A.  Braun, 
der  Zoologe  Peters  erwähnt.  Sehr  groß  würde  auch  die  Liste  der 
bedeutenden  Gelehrten  sein,  die  als  Privatdozenten  oder  außerordent- 
liche Professoren  in  Berlin  nur  die  Anfangsstadien  ihrer  Laufbahn 
durchgemacht  haben. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

Die  theologische  Fakultät  zählt  9  ordentliche  Professoren*), 
1  ordentlichen  Honorarprofessor,  7  außerordentliche  Professoren  und 
6  Privatdozenten.  Es  besteht  ein  im  Jahre  1812  gegründetes  theo- 
logisches Seminar,  für  welches  im  Staatshaushaltsetat  von  1903  900  M. 
ausgeworfen  sind**),  außerdem  seit  1875  ein  homiletisch-katechetisches 
Seminar  (800  M.)  und  seit  1849  die  christlich-archäologische  Samm- 
lung (1050  M.). 

Zur  juristischenFakultät  gehören  13  ordentliche  Professoren***), 
4  ordentliche  Honorarprofessoren,  5  außerordentliche  Professoren  und 
9  Privatdozenten.  Es  besteht  seit  1875  ein  juristisches  Seminar 
(750  M.)  und  es  sind  im  Jahre  1887  ein  Seminar  für  deutsches  Recht 
und  1900  ein  kriminalistisches  Seminar  hinzugekommen. 

In  der  medizinischen  Fakultät  beträgt  die  Zahl  der  ordent- 
lichen Professoren  15t),  ^^^  ordentlichen  Honorarprofessoren  9,  der 
außerordentlichen  Professoren  47,  der  Privatdozenten  %  und  der 
Lektoren  (für  Mechanotherapie  und  Massage)  2.  Es  bestehen  folgende 
wissenschaftliche  Anstalten : 

1.  Das  anatomische  Institut  (41  796  M.),  hervorgegangen  aus 
dem  anatomischen  Theater,  welches  \7\'A  gegründet,  1724  dem 
CoUegium    medico-chirurgicum    übergeben    und  1810    der  Universität 


*)  Weiß,  von  der  Goltz,  Pfleiderer,  Kleinen,  Ilamack,  Graf  von  Baudissin,  Kaftan, 
liaelhgen,  Seeberg. 

**)  Die    entsprechenden  Summen  sind  für  die  nachstehend  genannten  Institute  und 
Sammlungen  in  Klammern  beigefügt. 

***)  Dernburg,  Berner,  Brunner,   Hübler,    Gierke,    von  Martitz,   Kohler,    von    Li&zt, 
Kahl,  Schollmeyer,  Ilellwig,  Kipp,  Seckel. 

f )  Olshausen,    von  Leyden,    Cxusserow,   Waldeyer,    König,    von  Bergmann,    Engel- 
mann, Liebreich,  von  Michel,  Jolly,  Orth,  Hertwig,  Rubner,  Heubner,  Kraus. 


Die  Königlich  Preußische  Friedrich-Wilhelms-Universität  zu  Beriin.  32*3 

abgetreten  worden   ist.     Das  jetzige  Gebäude    des  Instituts    ist  1865 
fertiggestellt  worden. 

2.  Das  anatomisch-biolc^ische  Institut  (1 8840  M.),  gegründet  1 888. 

3.  Das  physiologische  Institut  (50566  M.),  gegründet  1858. 

4.  Das  pathologische  Institut  (25120  M.),  gegründet  1856,  neu- 
erbaut 1899. 

5.  Das  neurobiologische  Universitätslaboratorium  (28  250  M.). 

6.  Das  pharmakologische  Institut  (18802  M.). 

7.  Die  hygienischen  Institute,  bestehend  aus  a)  dem  Hygiene- 
laboratorium (19310  M.),  1885  gegründet,  und  b)  dem  Hygiene- 
museum (20  700  M.),  1886  gegründet. 

8.  Die  praktische  Unterrichtsanstalt  für  Staatsarzneikunde  (5790  M.), 
gegründet  1832. 

9.  Die  Sammlung  chirurgisch -geburtshilflicher  Instrumente  und 
Bandagen  (1360  M.). 

10.  Das  Institut  für  Untersuchungen  mit  Röntgenstrahlen 
(11500  M.). 

11.  Die  Krankenpflegesammlung,  gegründet  1897,  und 

12.  Die    klinischen    Anstalten,    die    in    zwei  Gruppen    zerfallen. 

Die  eine  Gruppe  bildet: 

A.  Klinische    Institute,    welche   für   sich   bestehen.      Das 
sind : 

I.  Die  vereinigten  Universitätskliniken  (Einnahmen  322  890  M. 
mit  Einschluß  des  eigenen  Erwerbs).    Es  gehören  hierzu: 

a)  Das  klinische  Institut  für  Cliirurgie,  gegründet  1810, 
neuerbaut  1881, 

b)  die  Klinik  und  Poliklinik  für  Augenkrankheiten,  die  bis 
1881  eine  Abteilung  in  der  Charite  war  und  erst  zu 
dieser  Zeit  als  besondere  Anstalt  eröffnet  worden  ist,  und 

c)  die  Klinik  und  Poliklinik  für  Ohrenkrankheiten,  die  seit 
1881  besteht; 

II.  das  klinische  Institut  für  Frauenkrankheiten  und  Geburts- 
hilfe (191  070  M.),  1817  gegründet  (1893  wurde  ein  neues 
Auditorium  für  die  klinische  Vorlesung  errichtet); 

in.  die  medizinische  Poliklinik  (14610  M.),  gegründet  1810; 
IV.  die  Poliklinik   für  Hals-   und  Nasenkrankheiten    (5774  M.), 
gegründet  1887; 

21» 


324  Die  einzelnen  Universitäten. 

V.  die  Poliklinik    für    orthopädische  Chirurgie    (4000  M.),    ge- 
gründet 1890; 

VI.  die  Poliklinik  für  Lungenleidende; 

VII.  die  hydro-therapeutische  Anstalt; 

VUI.  die  mechano-therapeutische  Anstalt  (5000  M.); 

IX.  die  Massageanstalt  und 

X.  das  zahnärztliche  Institut  (50  794  M.),  gegründet  1884. 

Die  andere  Gruppe  der  klinischen  Anstalten  bilden: 

B.  Klinische  Institute,   die  mit  dem  Charitekrankenhaus 
(gegründet  1710),  in  Verbindung  stehen.  Hierzu  gehören: 

a)  die  erste  medizinische  Klinik  (6550  M.),  seit  1828  in  der 
Charite, 

b)  die  zweite  medizinische  Klinik  (6250  M.),  gegründet  1 880, 

c)  die  dritte  medizinische  Klinik,  gegründet  1888, 

d)  die  chirurgische  Klinik  (6637,50  M.),  gegründet  1817  mit 
einer  gesonderten  Nebenabteilung, 

e)  die  chirurgische  Poliklinik  (12  800  M.), 

0  die  gynäkologische  Klinik  (4470  M.),  gegründet  1878, 
g)  die  gynäkologische  Poliklinik, 
h)  die  geburtshilfliche  Klinik, 
i)  die  geburtshilfliche  Poliklinik, 
k)  die  Klinik  für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  (4350  M.), 

gegründet  1825, 
1)  die  Poliklinik  für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten, 
m)  die  Klinik  für  Kinderkrankheiten  (2550  M.),    gegründet 

1830, 
n)  die  Poliklinik  für  Kinderkrankheiten  (2700  M.), 
o)  die     Klinik      für     psychische      und     Nervenkrankheiten 

(13  832,50  M.),  besteht  seit  1798, 
p)  die  Poliklinik  für  Nervenkrankheiten, 
q)  die  Klinik  für  Hals-  und  Nasenkrankheiten  (1000  M.), 
r)  die  Klinik  für  Ohrenkrankheiten  (5350  M.)  und 
s)  die  Augenklinik  (2650  M.).*j 


*)  In  Klammem  sind  lediglich  die  Suramen  angeführt,  die  der  Universitätskasse 
zur  l^ast  fallen.  Die  Gesamtausgaben  der  Charit^  sind  im  Etat  1903  mit  1  693  391  M. 
vorgesehen.  Davon  werden  durch  Zuschuß  aus  allgemeinen  Staatsfonds  527  925  M.  und 
aus  der  Univereitätskasse  117  857,50  M.  gedeckt. 


Die  Königlich  Preußische  Friedrich- Wilhelms-Universität  zu  Beriin. 


325 


Die  philosophische  Fakultät  zählt  52  ordentliche  Professoren*), 
1 1  ordentliche  Honorarprofessoren,  51  außerordentliche  Professoren 
und  101  Privatdozenten.  Nach  den  einzelnen  Fachgruppen  verteilen 
sich  diese  215  Lehrer  wie  folgt: 


'!?■ 


Fachgrupp 


!   Ordent- 

'      liehe 

Ordinarien I  Honorar- 

I     profes- 

I      soren 


Extra- 
ordinarien 


Privat- 
dozenten , 


Philosophische  Disziplinen 

Altertumswissenschaft 

Neuere      Philologie       und      Literatur- 
geschichte  

Vergleichende  Sprachwissenschaft  und 
orientalische  Philologie 

Mittlere    und    neuere    (beschichte    und  ' 
historische  Hilfswissenschaften       .     . 

Kimstgeschichte   und  Kunstwissenschaft 

Staatswissenschaften     und     Geographie 
(auch  Ethnographie) 

Mathematik,  Astronomie,  mathematische 
Physik 

Physik,  technische  Mechanik  und  physi- 
kalische Chemie 

Chemie 

Mineralogie  und  Geologie 

Zoologie,  vergleichende  Anatomie    .     . 

Botanik  und  Pflanzenphysiologie       .     .  i 

I^ndwirtschaft 


I 


■    1' 

i    ^1 

I 
5 

I 
6 


I 


10 
11 
12 
13 
14' 


6 

11 


7 

3 

3 

7 

4 

7 

3 

7 

6 

11 

5 

8 

3 

8 

8 

15 

1 

4 

1 

4 

4 

10 

1 

— 

Es  treten  noch  hinzu:  1  lesendes  Mitglied  der  Akademie  der 
Wissenschaften  (in  Fachgruppe  3)  und  2  mit  der  Abhaltung  von 
Vorlesungen  Beauftragte  (in  den  Gruppen  2  und  9). 

Femer  5  Lektoren  für  neue  Sprachen  und  1  Lektor  für  Steno- 
graphie; als  Exerzitienmeister  1  Fecht-  und  1  Tanzlehrer. 


*)  Mommsen  f ,  Vahlen,  Schrader,  Adolf  Wagner,  Kirchhoflf,  Schmoller,  Dilthey, 
Schwendener,  Landolt,  Möbius,  Tobler,  Franz  Eilhard  Schulze,  Köhler  f ,  Sachau,  Hirsch- 
feld, Kekule  von  Stradonitz,  Stumpf,  Foerster,  Schwarz,  von  Kichthofen,  Warburg,  von 
Wilamowitz-MöUendorff,  Pischel,  Klein,  Engler,  Erich  Schmidt,  Emil  F'ischer,  Zimmer, 
Schäfer,  I^nz,  von  Bezold,  Eduard  Meyer,  Diels,  Ilelmert,  Branco,  Brandl,  Koethe, 
Frobenius,  Brückner,  Erman,  Planck,  Schottky,  Delitzsch,  Paulsen,  Wölfflin,  Wilhelm 
Schulze,  Delbrück,  Bauschinger,  Sering,  Sieglin,  Tangl,  Hintze. 


326  ^^c  einzelnen  Universitäten. 

Die  wissenschaftlichen  Institute  der  philosophischen  Fakultät 
sind  in  nachstehender  Übersicht  nach  Fachgruppen  geordnet. 

Zu  1.  Das   psychologische   Institut   (3350M.),   gegründet  1894. 

Zu  2.  Das  philologische  Seminar  (600  M.),  gegr.  1812,  und  das 
Institut  für  Altertumskunde  (3850  M.),  gegr.  1886. 

Zu  3.  Das  germanische  Seminar  (600  M.),  das  Seminar  für  ro- 
manische Philologie  (500  M.),  gegr.  1877,  und  das  Seminar  für  eng- 
lische Philologie  (500  M.),  gegr.  1877. 

Zu  4.  Das  Seminar  für  orientalische  Sprachen  (157  010  M.),  gegr. 
1887,  das  der  Universität  nur  lose  angegliedert  ist.  Von  den  Lehrern 
gehören  außer  dem  Direktor  nur  1  Extraordinarius  und  3  Privat- 
dozenten der  philosophischen  Fakultät  an.  Siehe  unten  den  beson- 
deren Artikel. 

Zu  5.  Das  historische  Seminar  (1350  M.),  gegr.  1883,  das  Se- 
minar für  historische  Geographie  (3(X)  M.),  gegr.  1899,  und  das  Se- 
minar für  osteuropäische  Geschichte  und  Landeskunde  (600  M.), 
gegr.  1902. 

Zu  6.  Der  Apparat  für  Vorlesungen  über  neuere  Kunstgeschichte 

(3000  M.). 

Zu  7.  Das  staatswissenschaftlich-statistische  Seminar  (1500  M.), 
gegr.  18%,  das  geographische  Institut  (6200  M.),  gegr.  1886,  der 
geographische  Apparat,  gegr.  1875,  und  das  Institut  für  Meereskunde 
(59250  M.),  gegr.  1900. 

Zu  8.  Das  mathematische  Seminar  (750  M.),  gegr.  1861,  das 
Seminar  zur  Ausbildung  im  wissenschaftlichen  Rechnen  und  das  In- 
stitut für  theoretische  Physik  (1920  M),  gegr.  1889. 

Zu  9.  Das  physikalische  Institut  (31  838  M.),  das  aus  der  seit 
1833  bestehenden  Sammlung  physikalischer  Apparate  entstanden  ist 
und  seit  1878  sich  in  einem  besonderen  Gebäude  befindet. 

Zu  10.  Das  erste  chemische  Institut  (78 150  M.),  gegr.  1867, 
neuerbaut  1900,  das  zweite  chemische  Institut  (19  795  M.),  gegr.  1883, 
und  das  pharmazeutische  Institut  (30  700  M.),  aus  dem  pharmazeutisch- 
chemischen Laboratorium  entstanden  und  1902  eröffnet. 

Außerdem  zu  9  und  10.  Das  technologische  Institut  (11  860  M.), 
gegr.  1873. 


Die  Königlich  Preußische  Friedrich-Wilhelms-Universität  zu  Berlin.  327 

Zu  11.  Das  mineralogisch-petrographische  Institut  und  Museum 
(20  140  M.)  und  das  geologisch-paläontologische  Institut  und  Museum 
(15  394  M.). 

Zu  12.  Das  zoologische  Institut  (19  795  M.),  gegr.  1884,  und  das 
zoologische  Museum  (125646  M.). 

Die  zu  11.  und  12.  angeführten  vier  Anstalten  sind  seit  1889  im 
Museum  für  Naturkunde    (Hausver^\'altung  57  465  M.)    untergebracht. 

Zu  13.  Der  Universitäts-Garten  (8  200  M.),  angelegt  1821,  das 
botanische  Museum  (6200  M.),  gegr.  1818,  das  botanische  Institut 
(5790  M.),  gegr.  1878,  und  das  pflanzenphysiologische  Institut, 
gegr.  1873. 

Als  allgemeine  Universitätsanstalt  ist  die  Universitäts-Bibliothek 
(77410  M.),  gegründet  1831,  zu  erwähnen. 

Schließlich  sind  anzuführen  die  wissenschaftlichen  Anstalten, 
welche  unabhängig  von  der  Universität  bestehen,  aber  für  die  Lchr- 
zwccke  der  Universität  mit  in  Betracht  kommen.  Das  sind:  Der  bo- 
tanische Garten  (172  353  M.),  der  gegenwärtig  neu  angelegt  wird,  die 
Sternwarte  (33930),  begründet  1711,  neu  erbaut  IKtö,  das  astro- 
nomische Recheninstitut  (35  140  M.),  seit  1874  als  eine  besondere  Ab- 
teilung der  Sternwarte  eingerichtet,  und  das  meteorologische  Institut, 
1847  begründet  und  bis  18f)6  mit  dem  preußischen  Statistischen 
Bureau  verbunden  gewesen.    S.  auch  den  Anhang. 


III.    Statistische  Übersichten. 
Zahl   der    Lehrer. 


I  I   Onlent-   |  Ordenü.  lj}(SSeder  oi^nV  •  '  h^L'^^'v 

■    Semester    i    ^^'      i  "°"°'"- |  de?  Aka-' :  Vhe'  1    P"^*'"       Lektoren  Vorteung. 

.™„  ^.'"iT     demieder  Profes-      do^enten  ,  Beauf-     l 

Wissensch.'  soren  '  tragte 


soren  soren 


S.  1903 

1 
89   i 

25 

1 

110 

212 

8 

S.  1878 

65 

4 

1 

61 

79 

3 

S.  1850 

57 

— 

5 

44 

59 

4 

S.  1820 

1 

30   , 

_   1 

— 

1     ""    ' 

1       1 

24 

1 

2 

328 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Bestand   an    immatrikulierten   Studierenden. 


1 

Darunter 

1 
1 

Darunter 

i       Semester 

Gesamt- 

Reichs- 

Semester 

Gesamt- 

Reichs- 

zahl 

I     ausländer 

1 

zahl 

ausländer 

i       S.  1903 

5488 

1 

1         775 

1 
W.  1879/80    ! 

3608 

222 

1     W.  1902/3 

6654 

909 

W.  1869/70    j 

2310 

278 

S.  1902 

5393 

797 

W.  1859/60 

1475 

— 

W.  1901/2 

6471 

895 

W.  1849/50 

1348 

— 

S.  1901 

5101 

755 

W.  1839/40 

1778 



W.  1900/1 

6321 

846 

W.  1829/30 

1909 

— 

S.  1900 

4890 

668 

W.  1819/20 

1  161 

— 

W.  1889/90 

5547 

595 

Von  den  909  Ausländem,  die  im  Wintersemester  1902/03  studierten,  stammten 
758  aus  Europa,  114  aus  Amerika,  36  aus  Asien  und  1  aus  Australien.  Die  europäischen 
Staaten  waren  im  einzelnen  wie  folgt  vertreten:  Rußland  329,  Österreich  91,  Schweiz  88, 
Ungarn  77,  Großbritannien  und  Irland  27,  Rumänien  26,  Frankreich,  Serbien  und  Bul- 
garien je  17,  Italien  15,  Griechenland  13,  Luxemburg,  Schweden  und  Norwegen  und  die 
Türkei  je  9,  Dänemark  5,  Niederlande  4,  Belgien  und  Spanien  je  2  und  Portugal  1. 

Die    Studierenden    nach    Fakultäten. 


Semester 

Evang.-theol. 

Juristische 

Medizinische 

Philosophische 

S.  1903 

256 

1643 

903 

2686 

W.  1902/3 

349 

2355 

1  111 

2839 

W.  1899/1900 

367 

2  261 

1265 

2267 

W.  1894/95 

473 

1617 

1  166 

1551 

1       W.  1889/90 

830 

1603 

1353 

1761 

;       W.  1879/80 

197 

1315 

475 

1621 

W.  1869/70    ; 

335 

661 

439 

875 

'       W.  1859/60 

327 

423 

313 

412 

i       \V.  1849/50 

174 

616 

212 

346 

Zahl    der    sonstigen  zum    Hören    der  Vorlesungen    Zugelassenen. 


1                Semester 

Im  Ganzen 

Darunter        ! 
Frauen 

1               S.  1903 

1087 

2%             1 

W.  1902/03 

1535 

531             1 

S.  1902 

1  131 

356            j 

'            W.  1901/02 

1557 

610            1 

S.  1901 

1032 

304 

1            W.  1900/01 

1300 

425            1 

Die  Königlich  Preußische  Friedrich-Wilhehns-Universität  zu.  Berlin. 


320 


Gesamtsumme    der   Einnahmen    der    Universität    in  Mark. 


'     Aus  eigenem     I     Aus  eigenem    ] 
Etatsjahr         i  Vermögen  und   |         Erwerb  ,    StaatszuschuO 

I       Stiftungen        |  (Kliniken  usw.)  ; 

\ ! ^ 


Summe 


1903 

12  342 

1890 

5107 

1878 

990 

1865 

483 

489827^  2904745 

323725  2005640 

117877  '       1334696 


22671 


567  207 


3406914^ 
2334472 
1453563 
590361 


Gesamtsumme    der    ordentlichen    Ausgaben    in    Mark. 


Etatsjahr 


1903 
1890 
1878 
1865 


!                         1  Für  Kon- 

uu»t;cu  uuu  1   Wohnungs-   ,  p^  i^^^j^^^^  1  ^.^^^^  ^^^^^_  1  Verwaltungs- 

Remune-      ^  geldzuschüsse ,          ^^^          ,  ^j^tzungen  '  "°^ 

rationen  an   !  für  i^hrer  u.    q„„„i„^„.^  „„  j  ,  sonstige 

Professoren  u.        ^       ,        I  Sammlungen  und  i  * 

T\        *         I       Beamte  c*«       j-  Kosten 

Dozenten                              i                         ,  Stipendien  , 


Besol- 
dungen und 

Remune- 
rationen an 


818850 
653100 
549300 
307  200 


198480 
152160 


1998  745,50  I 
1274959 


110940     I      693011 
—  210690 


8270 
1270 
1050 
1050 


I 

I      382569 

252963 

I        99262 

71  421 


Es  treten  die  außerordentlichen  Ausgaben  hinzu,  die  ganz  überwiegend  durch  Neu- 
bezw.  Um-  und  Erweiterungsbauten  sowie  durch  größere  einmalige  Aufbesserungen  und 
Ausrüstungen  der  Institute  und  Sammlungen  verursacht  werden.  Die  Gesamtsumme 
dieser  Ausgaben,  die  von  einem  Jahr  zum  andern  erhebliche  Schwankungen  aufweisen, 
stellt  sich  für  die  leUten  25  Jahre  (1879-1903)  auf  17  445361  Mark. 


L.  V.  B  o  r  t  k  i  e  w  i  c  z.     W.  L  e  x  i  s. 


ANHANG. 


1.  Das  Seminar  für  Orientalische  Sprachen. 

Das  im  Oktober  1887  eröffnete  Seminar  für  Orientalische  Sprachen 
ist  der  Universität  Berlin  angegliedert,  verfolgt  aber  wesentlich  andere 
Zwecke  als  eine  Universität,  und  zwar  lediglich  praktische.  Die  Anstalt 
soll  junge  Männer  im  Gebrauche  fremder  Sprachen  ausbilden  für 
Stellen  im  Dienste  des  Staates  und  der  Nation,  wo  solche  Kenntnis 
nützlich  und  notwendig  ist.  Hier  kommt  zunächst  der  Dienst  bei  den 
Vertretungsbehörden  des  Deutschen  Reiches,  den  Konsulaten  und 
Gesandtschaften  in  asiatischen  und  afrikanischen  Ländern  sowie  der 
Dienst  in  der  Schutztruppe  und  in  den  Verwaltungsbehörden  der 
Kolonien  in  Betracht,  und  durch  die  Verbreitung  dieser  Behörden  ist 
die  y\usdehnung  des  Unterrichts  am  Seminar  bestimmt.  Ostasien  ist 
durch  zwei  Sprachen,  das  Chinesische  und  Japanische,  Westasien 
durch  drei  Sprachen,  das  Arabische,  Persische  und  Türkische  ver- 
treten, und  da  bei  der  gewaltigen  Verbreitung  des  Arabischen  über 
viele  Völker  und  Länder  die  Sprache  in  eine  Anzahl  zum  Teil 
stark  von  einander  abweichender  Dialekte  gespaltet  ist,  ist  Fürsorge 
getroffen,  daß  die  wichtigsten  derselben,  wie  die  Dialekte  von  Marokko, 
Ägypten,  Syrien  und  Ostafrika  durch  besondere  Dozenten  vertreten 
sind.  Von  den  südasiatischen  Sprachen  wird  nur  das  Guzerati,  die 
Volkssprache  des  nordwestlichen  Indiens,  gelehrt,  weil  Tausende  von 
indischen,  aus  jener  Gegend  gebürtigen  Kaufleuten  in  Deutsch-Ost- 
afrika leben  und  daher  die  Kenntnis  ihrer  Sprache  eine  gewisse 
Bedeutung  für  einige  Zweige  der  Kolonialvenvaltung  hat.  Von  den 
eigentlich  afrikanischen  Sprachen  sind  zwei  regelmäßig  im  Lehr- 
programm der  Anstalt  vertreten,  das  Suaheli,  das  an  den  Küsten  des 
Indischen  Ozeans  und  landeinwärts  bis  in  die  Region  der  großen 
Seen  verbreitet   ist,    und  das  Haussa,    das  von  dem  Gebiete  nördlich 


Das  Seminar  für  Orientalische  Sprachen.  331 

des  Benue,  östlich  des  Niger  ausgehend  sich  über  weite  Gebiete  in 
Nordwest- Afrika  erstreckt.  Außerdem  wird  den  Schülern  der  Anstalt 
Gelegenheit  geboten,  je  nach  Bedürfnis  die  Sprache  der  Eingeborenen 
von  Deutsch-Südwestafrika,  das  Herero,  die  Sprache  der  Küsten- 
bevölkerung von  Kamerun,  das  Duala,  sowie  das  Ephe,  das  vor- 
herrschende Idiom  der  einheimischen  Bevölkerung  der  Kolonie  Togo, 
kennen  zu  lernen.  Schließlich  sind  zur  Ergänzung  der  praktisch- 
linguistischen Ausbildung  auch  einige  europäische  Sprachen  dem 
Lehrplan  angegliedert  worden,  weil  sie  für  den  Verkehr  in  asiatischen 
und  afrikanischen  Ländern  von  hervorragender  Bedeutung  sind,  das 
Russische  in  Ostasien,  das  Neugriechische  in  der  Türkei,  das 
Spanische  in  Marokko  und  das  Englische  und  Französische  überall, 
besonders  in  den  größeren  Zentren  konsularischer  und  diplomatischer 
Vertretung. 

Die  Sprachkenntnis  allein  würde  nur  in  mangelhafter  Weise  für 
eine  Betätigung  im  praktischen  Leben  qualifizieren,  wenn  sie  nicht 
verbunden  wäre  mit  ausgedehnter  Kenntnis  von  vielen  realen  Dingen, 
von  Geographie  und  Geschichte,  Sitten  und  Gebräuchen,  Religion 
und  Recht.  In  dem  Lehrplan  des  Seminars  gehen  linguistische  und 
realistische  Studien  Hand  in  Hand,  und  ist  für  ein  weitverzweigtes 
System  realistischer  Vorlesungen  Sorge  getragen.  Unter  dem  Namen 
„I^ndeskunde"  wird  die  Summe  des  Wissenswertesten  über  ein  Gebiet 
zusammen  gefaßt,  außerdem  werden  besondere  Vorlesungen  zur 
Anleitung  von  wissenschaftlichen.  Beobachtungen  auf  Reisen,  Vor- 
lesungen über  tropische  Hygiene,  über  die  Naturprodukte  der  Tropen, 
über  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  der  Kolonien,  über  Kolonial- 
und  Konsularrecht  sowie  allgemein  kolonialgeschichtliche  Vorträge 
gehalten. 

Unter  den  Schülern  des  Seminars  finden  sich  Studierende  der 
Rechtswissenschaft,  welche  sich  für  den  Dolmetscherdienst  bei  den 
Konsulaten  und  Gesandtschaften  vorbereiten  wollen,  Offiziere,  welche 
für  den  Dienst  in  der  Schutztruppe  designiert,  Beamte,  welche 
für  eine  Verwendung  in  irgend  einem  Zweige  der  Kolonialverwaltung 
in  Aussicht  genommen  sind,  und  andere,  die  für  private  Zwecke  von 
dem  im  Seminar  gebotenen  Unterricht  zu  profitieren  wünschen. 

Die  Zeit,  welche  für  das  Seminarstudium  zur  Verfügung  steht, 
ist  in  der  Regel  sehr  knapp  bemessen,  für  Herren  in  amtlichen 
Stellungen  ein  bis  zwei  Semester,  selten  aber  mehr  als  vier  Semester, 
und  hieraus  ergibt  sich  die  Notwendigkeit,  den  Unterricht  so  effektiv 
und   konzentriert    wie    möglich    zu    gestalten.     Zwei   Dozenten,    ein 


332  Die  einzelnen  Universitäten. 

deutscher  und  ein  einheimischer,  teilen  unter  sich  den  täglichen 
Unterricht  und  suchen  in  gemeinsamer  Arbeit  ein  bestimmtes  Ziel  zu 
erreichen.  Das  Ziel  muß  mit  großer  Vorsicht  gesteckt  werden;  alles 
was  innerhalb  desselben  liegt,  wird  durch  langsamen  Fortschritt  und 
durch  beständige  Repetitionen  zu  erreichen  gesucht,  und  ein  sicheres 
Weniger  einem  minder  sicheren  Mehr  vorgezogen.  Besonders  in 
der  richtigen  Umgrenzung  der  Einübung  des  mündlichen  und  schrift- 
lichen Ausdrucks  muß  sich  die  Meisterschaft  des  Dozenten  offenbaren. 
Selbst  bei  einer  viel  längeren  Dauer  des  Unterrichts  bleibt  dennoch 
vieles  übrig,  was  erst  die  lokale  Praxis  lehren  kann.  Das  erste  und 
wichtigste  Erfordernis  ist  daher,  eine  solche  sichere  Grundlage  der 
Sprachkenntnis  zu  vermitteln,  auf  der  in  loco  mit  Erfolg,  d.  h.  mög- 
lichst schnell  und  sicher  weiter  gebaut  werden  kann.  Im  übrigen 
wäre  es  aber  ganz  unmöglich,  für  jede  einzelne  der  im  Seminar  ver- 
tretenen Sprachen  einen  besonderen  Lehrplan  aufzustellen,  vielmehr 
muß  jede  einzelne  Klasse  sehen,  wie  sie  der  besonderen  Schwierigkeit 
ihrer  Aufgabe,  z.  B.  der  Erlernung  der  japanischen,  chinesischen  oder 
arabischen  Schrift  Herr  wird.  Ohne  viel  Schreiben,  viel  Sprechen 
und  noch  mehr  Hören  wird  kaum  jemand  das  dem  Seminar  gesteckte 
Lernziel  zu  erreichen  imstande  sein. 

Als  Hilfsmittel  für  den  Unterricht  kommen  zunächst  die  aus  den 
Kreisen  des  Seminars  hervorgegangenen  18  Bände  der  „Lehrbücher 
des  Seminars  für  orientalische  Sprachen",  deren  Serie  gegenwärtig 
noch  fortgesetzt  wird,  in  Betracht,  daneben  aber  eine  zahlreiche 
Literatur  in  verschiedenen  Sprachen,  vielfach  auch  gerade  solche 
Bücher,  die  in  den  betreffenden  Sprachgebieten  selbst,  wie  in  Japan, 
der  Türkei,  Persien,  gedruckt  sind  und  dort  für  Unterrichtszwecke 
verwendet  werden.  Größer  als  die  Schwierigkeit  der  Erlernung  der 
Sprache  ist  in  mehreren  Fällen  diejenige  der  Erlernung  der  Schrift. 
Die  landesübliche  Handschrift  wird  vom  Beginn  des  Unterrichts  an 
berücksichtigt,  und  für  weitere  Übung  steht  eine  große  Sammlung  von 
Originalurkunden  aller  Art  aus  den  verschiedensten  Ländern  und 
Sprachgebieten  in  der  Bibliothek  des  Seminars  zur  Verfügung. 

Die  Seminarbesucher  sind  nicht  verpflichtet,  sich  einer  Prüfung 
zu  unterziehen,  aber  derjenige  junge  Jurist,  der  die  Qualifikation  für 
den  Dolmetscherdienst  erlangen  will,  muß  außer  der  ersten  juristischen 
Staatsprüfung  auch  die  Diplomprüfung  in  der  Sprache  seiner  Klasse 
bestehen.  Diese  Prüfungen  werden  in  der  Regel  gegen  Ende  des 
Schuljahres  im  Juni  und  Juli  abgehalten.  Sie  sind  eingesetzt  durch 
eine    Ministerial- Verfügung    vom    22.    Juni    1889.     Für  jede  Sprache 


Das  Seminar  für  Orientalische  Sprachen.  333 

besteht  eine  besondere  Diplom-Prüfungskommission,  welche  in  den 
meisten  Fällen  aus  Dozenten  des  Seminars  und  einem  Vertreter  des 
Auswärtigen  Amtes  zusammengesetzt  ist.  Das  Ergebnis  der  Prüfung 
in  motivierter  Form  wird  in  einem  Diplom  dem  Kandidaten  über- 
geben. Die  große  Mehrzahl  der  Anwärter  des  Dolmetscherdienstes 
besteht  die  Prüfung  am  Ende  des  vierten  Semesters. 

Der  Eintritt  in  die  Dolmetscherklassen  des  Seminars  kann  im 
allgemeinen  nur  zum  15.  Oktober,  dem  Beginn  des  Schuljahres  und 
Wintersemesters  stattfinden,  und  zwar  empfiehlt  es  sich,  daß  der  junge 
Student  so  früh  wie  möglich  eintritt,  am  besten  im  ersten  oder  zweiten 
Semester.  Abgesehen  davon,  daß  in  diesem  Alter  das  Gedächtnis 
am  rezeptivsten  ist,  wird  durch  ein  frühes  Eintreten  auch  ein 
Zusammentreffen  der  linguistischen  mit  der  juristischen  Prüfung 
tunlichst  vermieden.  Bisher  ist  in  den  meisten  Fällen  der  reguläre 
Verlauf  der  Studien  der,  daß  nach  dem  am  Ende  des  vierten 
Semesters  bestandenen  Seminarexamen  im  siebenten  Semester  die 
Referendar-Prüfung  bestanden  wird,  wobei  allerdings  ein  reger  Fleiß, 
absolute  Regelmäßigkeit  im  Besuche  aller  Vorlesungen  und  Übungen 
sowie  eine  entsprechende  Begabung  vorausgesetzt  wird.  Der  Eintritt 
in  die  kolonial  wissenschaftlichen  Klassen  des  Seminars  kann  sowohl 
zum  15.  Oktober  wie  zum  15.  April  stattfinden. 

Das  Seminar  hat  gegenwärtig  einen  Lehrkörper  von  32  Personen. 
Der  Besuch  desselben  ist  im  Sommer  allemal  erheblich  geringer  als 
im  Winter.  Die  Gesamtzahl  der  Besucher  betrug  im  Winter  1902/03 
492,  im  Sommer  1903  229  Personen.  Viele  Schüler  der  Anstalt  sind 
in  verschiedene  Länder  Asiens  und  Afrikas  hinausgegangen  und 
betätigen  sich  in  den  Konsulaten  und  Gesandtschaften,  im  Kolonial- 
dienst des  Deutschen  Reiches  und  in  privaten  Stellungen. 

Zum  Schluß  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß  das  Seminar  sich 
an  wissenschaftlicher  Arbeit  durch  Herausgabe  eines  Jahrbuchs  unter 
dem  Namen :  „Mitteilungen  des  Seminars  für  Orientalische  Sprachen", 
von  dem  soeben  der  sechste  Band  erschienen  ist,  sowie  an  der 
Förderung  kolonialsprachlicher  Studien  durch  die  Herausgabe  eines 
„Archivs  für  das  Studium  deutscher  Kolonialsprachen",  dessen  erster 
Band:  „Lehrbuch  der  hausanischen  Sprache  (Hausa-Sp räche)  von 
A.  Mischlich"  in  diesem  Jahre  erschienen  ist,  beteiligt. 

Eduard  Sachau. 


^^34  ^-^'^  einzelnen  Universitäten. 

2.  Andere  wiBsensohaftliobe  Anstalten. 

Von  den  sonstigen  wissenschaftlichen  Anstalten  in  Berlin  und 
der  nächsten  Umgegend,  die  gänzlich  unabhängig  von  der  Universität 
bestehen,  aber  doch  nähere  innere  Beziehungen  zu  ihr  haben,  sind 
noch  folgende  anzuführen. 

1.  Die  Königliche  Akademie  der  Wissenschaften,  im 
Jahre  1700  gegründet,  besteht  aus  einer  physikalisch-mathematischen 
und  einer  philosophisch-historischen  Klasse.  Die  Zahl  der  ordentlichen 
Mitglieder  beträgt  im  ganzen  60;  außerdem  gehören  zur  Akademie 
zwanzig  auswärtige,  für  beide  Klassen  höchstens  je  100  korrespon- 
dierende Mitglieder  und  eine  Anzahl  Ehrenmitglieder.  Die  ordent- 
lichen Mitglieder  sind  zum  weitaus  größten  Teil  Professoren  an  der 
Universität,  sie  haben  aber  auch  in  ihrer  Eigenschaft  als  Akademiker 
nach  §  18  der  Statuten  die  Befugnis,  bei  der  Berliner  sowohl  wie  bei 
jeder  anderen  Universität  Vorlesungen  zu  halten.  Für  je  zwei  ordent- 
liche Mi^lieder  jeder  Klasse  sind  neben  dem  Jahresbetrag  von  900  M., 
den  sie  als  Akademiker  beziehen,  besondere  Gehälter  ausgesetzt,  und 
außerdem  kann  die  Akademie  aus  den  ihr  dazu  gewährten  Fonds 
ordentlichen  Mitgliedern  ein  besonderes  persönliches  Gehalt  auf  die 
Dauer  ihrer  Eigenschaft  als  ordentliche  Mitglieder  (die  mit  dem  Weg- 
ziehen von  Berlin  aufhört)  oder  auf  eine  anderweit  zu  bestimmende 
Zeitdauer  bewilligen.  Die  Wahl  der  ordentlichen,  auswärtigen  und 
Ehrenmitglieder  bedarf  der  Königlichen  Bestätigung.  Der  Ausgabe- 
Etat  der  Akademie  für  1903  beträgt  281  144  M.,  von  welcher  Summe 
26.3  655  M.  durch  Staatszuschuß  gedeckt  werden. 

2.  Die  Königliche  Bibliothek,  in  ihrem  Anfange  bis  1661  zu- 
rückreichend, hat  rund  1  200  000  Bände  und  'M  000  Handschriften. 
Sie  steht  unter  der  obersten  Leitung  eines  Generaldirektors,  dem 
4  Abteilungsdirektoren  untergeordnet  sind.  Außerdem  sind  48 
wissenschaftliche  Beamte  als  Oberbibliothekare,  Bibliothekare  oder 
Hilfsbibliothekare  nebst  2  Assistenten  tätig.  Die  Ausgaben  betrugen 
nach  dem  Etat  von  1903  für  Besoldungen,  Wohnungsgeldzuschuß  und 
andere  persönliche  Ausgaben  363  180  M.,  für  Bücher  und  Einbände 
140  400  M.,  für  sonstige  sächliche  Ausgaben  56324  M. 

3.  Das  Institut  für  Infektionskrankheiten,  1891  gegründet. 
Es  steht  unter  der  Leitung  eines  Direktors  (R.  Koch)  und  zerfallt  in 
vier  Abteilungen:  eine  Krankenabteilung,  eine  wissenschaftliche  Ab- 
teilung, eine  Abteilung    für    besonders    gefahrliche    Krankheiten    und 


Andere  wissenschaftliche  Anstahen.  335 

eine  chemische  Abteilung.   Ausgabeetat  für  1903:  192  320  M.,  darunter 
82  500  M.  für  Besoldungen  und  sonstige  persönliche  Ausgaben. 

4.  Das  Geodätische  Institut  auf  dem  Telegraphenberge  bei 
Potsdam  befaßt  sich  mit  Arbeiten  der  höheren  Geodäsie  und  ist  Zen- 
tralbureau der  internationalen  Gradmessung.  Das  wissenschaftliche 
Personal  besteht  aus  einem  Direktor,  5  Abteilungsvorstehem  und  7 
anderen  wissenschaftlichen  Beamten.  Ausgaben  nach  dem  Etat  von 
1903:  117003  M.,  davon  75  506  M.  für  Besoldungen  und  sonstige  per- 
sönliche Ausgaben. 

5.  Das  Astrophysikalische  Observatorium  auf  dem  Tele- 
graphenberge bei  Potsdam.  Ein  Direktor,  10  wissenschaftliche  Beamte, 
1  Assistent.  Ausgaben  nach  dem  Etat  von  1903:  99620  M.,  davon 
65  790  M.  für  Besoldungen  und  sonstige  persönliche  Ausgaben. 

6.  Das  oben  bereits  erwähnte  Meteorologische  Institut,  bestehend 
aus  dem  Zentralinstitut  in  Berlin,  detn  Meteorologisch-Magnetischen 
Observatorium  in  Potsdam  nebst  dem  Aeronautischen  Observatorium 
bei  Tegel,  steht  unter  einem  Direktor  und  hat  im  ganzen  6  Abteilungs- 
vorsteher und  9  ständige  Mitglieder.  Ausgabe-Etat  1903:  297019  M. 
Alle  angeführten  Anstalten  stehen  unter  der  Verwaltung  des  Unter- 
richtsministeriums. Von  den  Leitern  und  wissenschaftlichen  Beamten 
der  Institute  sind  mehrere  zugleich  Universitätslehrer. 

L. 


n.  Die  Königlich  Preußische  Rheinische  Friedrich- 
WUhehns-Univendtät  zu  Bonn. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Zu  Bonn  gründete  der  Kurfürst  Maximilian  Friedrich  schon  im 
Jahre  1777  eine  Akademie,  die  mit  Gütern  des  aufgehobenen 
Jesuitenordens  dai^estellt  wurde.  Er  beantrage  auch  bei  Kaiser 
Josef  II.  die  Erhebung  dieser  Anstalt  zu  einer  Universität,  aber  das 
erbetene  Privilegium  kam  erst  unter  seinem  Nachfolger  Maximilian 
Franz  an,  der  nun  die  neue  Universität  am  20.  November  1 786  feier- 
lich eröffnete.  Von  ihren  Lehrern  standen  manche  im  Ruf  des 
Febronianismus;  am  bekanntesten  ist  unter  ihnen  Eulogius  Schneider 
geworden,  freilich  nicht  durch  wissenschaftliche  Leistungen,  sondern 
durch  die  nicht  beneidenswerte  Rolle,  die  er  als  Revolutionsheld  in 
Straßburg  gespielt  hat.  Mit  dem  Einrücken  der  Franzosen  1 794  ging 
die  junge  Anstalt  zugrunde,  immerhin  hat  ihre  kurze  Existenz  doch 
wohl  et^\'as  dazu  beigetragen,  daß  unter  mehreren  sich  bewerbenden 
Städten,  zu  denen  namentlich  auch  Cöln  gehörte,  die  Wahl  auf  Bonn 
fiel,  als  es  sich  nach  dem  glücklichen  Ausgang  der  Freiheitskriege 
um  die  Errichtung  einer  neuen  rheinischen  Universität  unter  dem 
Zepter  der  HohenzoUern  handelte.  Zugunsten  Bonns  sprach  freüich 
auch  der  Umstand,  daß  in  dem  ehemals  kurfürstlichen  Stadtschloß 
und  dem  benachbarten  Poppelsdorfer  Schloß  für  den  Anfang  aus- 
reichende und  zweckmäßige  Räumlichkeiten  zur  Verfügung  standen. 
So  erschien  denn  am  18.  Oktober  1818  der  die  Stiftungsurkunde  der 
neuen  Universität  begleitende  denkwürdige  Erlaß  Friedrich  Wilhelm  III., 
in  dem  es  u.  a.  heißt: 

„Dem  Bestreben  Meiner  Vorfahren  in  der  Regierung,  durch  sorg- 
same Pflege  der  Wissenschaft  und  heilsame  Anordnungen  für  das 
Schul-  und  Erziehungswesen  eine  gründliche  Volksbildung  zu  fordern, 
habe  auch  Ich  seit  dem  Antritt  Meiner  Regierung  Mich  angeschlossen . . . 


Könipfl.  Preußische  Rheinische  Friedrich-VVilhelms-Universität  zu  Bonn.         337 

Nachdem  unterm  Beistande  des  Höchsten  Friede  und  rechtliche 
Ordnung  in  Europa  hergestellt  ist,  habe  Ich  jene  für  die  Grundlage 
aller  wahren  Kraft  des  Staats  und  für  die  gesamte  Wohlfahrt  Meiner 
Untertanen  höchst  wichtige  Angelegenheit  wieder  aufgenommen  und 
ernstlich  beschlossen,  das  ganze  öffentliche  Unterrichts-  und  Bildungs- 
wesen in  meinen  Landen  zu  einem  möglichst  vollkommenen,  der 
Hoheit  des  Gegenstandes  entsprechenden  Ziele  zu  bringen.  In  Ver- 
folgung dieses  Zwecks  habe  Ich  ....  die  Hauptgrundzüge  eines 
desfallsigen,  das  ganze  umfassenden  Planes  genehmigt  und  demnach 
auf  die  höheren  Bildungsanstalten  und  zwar  ganz  vorzüglich  in  den 
wiedergewonnenen  und  neu  erworbenen  westlichen  Provinzen  des 
Staates  meine  Aufmerksamkeit  gerichtet  und  nach  reiflicher  Er- 
wägung aller  zu  nehmender  Rücksichten  beschlossen,  jetzt  eine  neue 
Universität,  und  zwar  in  Bonn,  als  dem  angemessensten  Orte,  zu  be- 
gründen.** Der  P>laß  äußert  sich  dann  weiter  über  die  Aufgabe  und 
die  Ausstattung  der  neuen  Hochschule  und  schließt  mit  der  Er- 
klärung des  Königs,  daß  er  gesonnen  sei,  „das  Wohl  und  Gedeihen 
des  Preußischen  Staats  hauptsächlich  auf  die  sorgfaltig  geleitete  Ent- 
wicklung all  seiner  geistigen  Kräfte  auch  fernerhin  zu  gründen.** 

In  der  Stiftungsurkunde  wird  der  paritätische  Charakter  der 
Universität  dadurch  gekennzeichnet,  daß  sie  eine  evangelisch-  und 
eine  katholisch-theologische  Fakultät  erhält,  die  beide  im  Range  gleich 
sein,  in  allen  Verhältnissen  aber,  wo  es  auf  den  Vortritt  ankommt, 
Jahr  um  Jahr  abwechseln  sollen.  Ferner  wird  bestimmt,  daß  in  der 
philosophischen  Fakultät  immer  ein  ordentlicher  Professor  der  Philo- 
sophie von  katholischer  Konfession  neben  einem  solchen  von  evange- 
lischer Konfession  anzustellen  sei,  außerdem  aber  in  keiner  Fakultät, 
die  beiden  theologischen  ausgenommen,  auf  die  Konfession  der  anzu- 
stellenden Lehrer  Rücksicht  genommen  werden  solle.  Erst  unter 
Friedrich  Wilhelm  IV.  wurde  für  die  Geschichte  eine  ähnliche  doppelte 
Besetzung  wie  für  die  Philosophie  eingeführt. 

Für  das  Winterhalbjahr  1818/19  kündigten  nur  2  Professoren  in 
der  evangelisch-theologischen,  2  Professoren  und  1  Dozent  in  der 
medizinischen  und  15  Professoren  in  der  philosophischen  Fakultät 
Vorlesungen  an.  Die  katholisch -theologische  und  die  juristische 
Fakultät  traten  erst  in  dem  folgenden  Semester  in  Wirksamkeit. 

Unter  den  zuerst  berufenen  Lehrern  der  neuen  Hochschule  be- 
fanden sich  schon  nicht  wenige,  die  einen  angesehenen  Namen  bereits 
besaßen  oder  später  erworben  haben.  So  unter  den  evangelischen 
Theologen  Lücke,  Sack,  Gieseler,  unter  den  katholischen  namentlich 

Dus  Unierrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    I.  22 


338  I^^'p  einzelnen  Universitäten. 

Hermes,  Urheber  einer  Theorie  der  Erkenntnisprinzipien  der  katho- 
lischen Theologie,  die  in  Rom  nicht  gebilligt  wurde,  aber  eine  Zeit- 
lang zahlreiche  Anhänger  hatte  —  die  sogenannten  Hermesiancr  — 
zu  denen  auch  später  noch  die  Bonner  Professoren  Braun  und  Achter- 
feld gehörten,  die  aber  keine  Vorlesungen  mehr  hielten. 

Von  den  Juristen  der  ersten  Periode  sind  zu  nennen:  Mitter- 
maier,  Welcker,  Mackeldey,  Walter,  von  den  Medizinern  Nasse, 
V.  Walther  und  der  gelehrte  aber  naturphilosophisch  beeinflußte 
Harleß.  In  der  philosophischen  Fakultät  finden  wir  als  bedeutenden 
Vertreter  der  Altertumswissenschaft  F.  G.  Welcker;  E.  M.  Arndt 
als  Professor  der  Geschichte,  der  aber  bald  von  seinem  Lehramt 
suspendiert  wurde  und  erst  unter  Friedrich  Wilhelm  IV.  seine  Tätig- 
keit wieder  aufnehmen  konnte;  A.  W.  von  Schlegel,  der  als  „Pro- 
fessor litterarum  elegantium"  über  sehr  verschiedenartige  Dinge  las, 
aber  als  Begründer  der  deutschen  Sanskritphilologie  sich  hervor- 
ragende wissenschaftliche  Verdienste  erwarb;  G.  W.  Frey  tag,  der 
die  gleiche  Bedeutung  für  die  arabische  Philologie  in  Deutschland 
besitzt;  Hüllmann  als  Historiker,  der  auch  Vorlesungen  über  Staats- 
lehre hielt.  Die  Volkswirtschaftslehre  war  noch  gamicht  speziell  ver- 
treten, aber  der  Professor  der  Land-  und  Forstwirtschaft  Sturm  las 
auch  über  „Finanz-  und  Staatswirtschaft".  Von  den  Vertretern  der 
Naturwissenschaften  verdienen  besondere  Erwähnung  der  Chemiker 
Gust.  Bischof,  dessen  später  erschienenes  Handbuch  der  chemischen 
und  physikalischen  Geologie  grundlegende  Bedeutung  hatte,  der 
Geologe  und  Mineraloge  Nöggerath,  der  Botaniker  Nees  von  Esen- 
bcck,  der  Zoologe  Gold  fuß.  In  freier  Stellung  hielt  Niebuhr 
(1821^ — 1832)  geschichtliche  Vorlesungen. 

Aus  der  großen  Reihe  der  Gelehrten  und  Forscher,  die  später 
in  Bonn  gewirkt  haben,  kann  hier  —  mit  Ausschluß  der  Lebenden 
—  nur  eine  Anzahl  der  namhaftesten  Erwähnung  finden.  In  der 
evangelisch  -  theologischen  Fakultät  lehrten  u.  a.  J.  P.  Lange, 
Bleek,  Steinmeyer,  Christlieb,  A.  Ritschi  (als  Extraordinarius 
bis  1  l]()S).  Aus  der  katholisch  -  theologischen  Fakultät  sind 
zu  nennen:  Dieringer,  Floß,  K.  Martin,  später  als  Bischof 
von  Paderborn  bekannt  geworden,  Simar,  als  Erzbischof 
von  Cöln  gestorben.  Die  Professoren  Reu  seh  und  Langen 
schlössen  sich  der  altkatholischen  Bewegung  an.  Unter  den  Juristen 
war  Böckin g  hervorragend  als  Romanist  und  auch  Bluhme, 
Hälschner,  Stintzing,  v.  Meibom,  Endemann  waren  angesehene 
Gelehrte.    In  der  medizinischen  Fakultät  zeichnete  sich  Max  Schnitze 


Königl.  Preußische  Rheinische  Friedrich-Wilhelms-Universität  zu  Bonn.         339 

als  Anatom  aus.  Die  Physiologie  war  einige  Jahre  besonders  glänzend 
durch  Helmholtz  vertreten,  der  1855  nach  Bonn  berufen  wurde, 
aber  schon  1858  nach  Heidelberg  übersiedelte.  Geschätzte  Kliniker 
waren  Rühle  für  innere  Medizin,  Busch  und  Schede  für  Chirurgie, 
Veit  für  Gynäkologie. 

In  der  philosophischen  Fakultät  hat  Brandis  sich  durch  seine 
Geschichte  der  griechischen  Philosophie  verdient  gemacht.  F.  A.  Lange 
und  Überweg  haben  ihre  Laufbahn  als  Privatdozenten  der  Philo- 
sophie in  Bonn  begonnen.  Für  die  klassisch-philologischen  Studien 
war  Bonn  während  einer  Reihe  von  Jahren  ein  Zentralpunkt,  als 
neben  F.  G.  Welcker  F.  Ritschi  und  ü.  Jahn  in  ihrer  fruchtbarsten 
Wirksamkeit  standen.  Die  von  hier  ausgehende  „Ritschlsche  Schule" 
gelangte  auf  den  deutschen  Universitäten  zu  einem  führenden  Einfluß. 
Eine  allgemein  anerkannte  Autorität  auf  dem  Gebiete  der  romanischen 
Philologie  war  F.  Diez,  der  aber  als  Lehrer  nur  eine  sehr  be- 
schränkte Wirksamkeit  hatte.  Dasselbe  kann  mit  bezug  auf  die 
Sanskrit-Philologie  von  Chr.  Lassen  gesagt  werden,  dessen  Indische 
Altertumskunde  als  ein  bahnbrechendes  Werk  geschätzt  wird.  Als 
Vertreter  des  germanistischen  Fachs  wirkte  K.  Simrock,  der  als 
Dichter  in  den  weitesten  Kreisen  einen  populären  Namen  hat.  In 
der  semitischen  Philologie  war  Gildemeister  der  würdige  Nach- 
folger Freytags.  Als  Historiker  sind  Dahlmann  und  besonders 
H.  V.  Sybel  hervorzuheben,  der  letztere  auch  als  Führer  einer  zahl- 
reichen Gefolgschaft  von  Schülern.  Erster  Inhaber  eines  besonderen 
Ordinariats  für  die  wirtschaftlichen  Staatswissenschaften  war  E.  Nasse. 

Bedeutend  als  Mathematiker  war  Plücker,  der  aber  den  Lehr- 
stuhl der  Physik  übernahm  und  auch  auf  diesem  Gebiet,  namentlich 
durch  seine  die  Spektralanalyse  anbahnenden  Untersuchungen  über 
die  Geißlerschen  Röhren,  die  Wissenschaft  wesentlich  gefördert  hat. 
Auch  der  vor  kurzem  gestorbene  Mathematiker .  R.  Lipschitz  hat 
einen  hochgeachteten  Namen.  Als  ausgezeichneter  astronomischer 
Beobachter  ist  Argelander  zu  nennen,  unter  dessen  Leitung  in  den 
dreißiger  Jahren  die  Sternwarte  gebaut  wurde.  Sein  in  derselben 
Richtung  arbeitender  Nachfolger  war  Schönfeld,  dem  Krüger  folgte. 

Nach  Plückers  Tode  erhielt  Clausius,  einer  der  Begründer  der 
mechanischen  Wärmetheorie,  den  Lehrstuhl  der  Physik.  Ihm  folgte 
Hertz,  eine  der  glänzendsten  Zierden  der  deutschen  Wissenschaft, 
die  ihn  leider  in  der  Blüte  seiner  Jahre  verlieren  mußte.  Die  Chemie 
war  in  hervorragender  Weise  durch  A.  Kekule  vertreten,  den  Ur- 
heber  der    modernen    Valenztheorie.     Endlich    seien    hier   noch  der 

22* 


340  I^i^  einzelnen  Universitäten. 

Mineraloge    v.    Lasaulx,    der    Geologe   vom    Rath,    der  Botaniker 
Schacht,  der  Zoologe  Troschel  er^\'ähnt. 

Die  Ausstattung  und  Einrichtung  der  Universität,  die,  wie  oben 
bemerkt,  für  den  Anfang,  aber  eben  nur  für  den  Anfang  genügte, 
mußte  im  I^ufe  der  Zeit  mehr  und  mehr  er^\'eitert  und  vervoll- 
ständigt werden.  Ursprünglich  waren  alle  Institute  mit  Ausnahme 
der  in  Poppeisdorf  untergebrachten  naturhistorischen  Sammlungen 
in  dem  Bonner  Schloßgebäude  vereinigt,  so  namentlich  auch  die 
Anatomie  in  dem  östlichen  (später  von  dem  katholisch -theo- 
logischen Konvikt  eingenommenen)  Flügel  und  die  sämtlichen 
Kliniken  in  dem  westlichen  Flügel  und  zweiten  Stock^^'erk  des 
Mittelbaues  —  letztere  in  einer  nach  den  heutigen  BegriflFen 
gänzlich  unerträglichen  hygienischen  Verfassung.  Für  die  Ana- 
tomie mußte  schon  nach  einigen  Jahren  ein  Neubau  errichtet 
werden,  der  aber  später  sich  ebenfalls  als  unzulänglich  erwies 
und  jetzt  nach  einer  bedeutenden  Erweiterung  die  akademische 
Kunstsammlung  aufgenommen  hat.  Zahlreiche  andere  Neubauten 
sind  hinzugekommen,  und  so  ist  die  Universität  dank  der  Aufwendung 
bedeutender  Staatsmittel  jetzt  imstande,  den  hochgesteigerten  An- 
forderungen des  modernen  wissenschaftlichen  Betriebs  auch  bei  der 
außerordentlichen  Zunahme  ihrer  Frequenz  zu  genügen.  Nicht 
zum  wenigsten  aber  verdankt  sie  ihr  Wachstum  der  besonderen 
Huld,  die  ihr  das  Herrscherhaus  zugewandt  hat:  Kaiser  Friedrich  III. 
und  Kaiser  Wilhelm  II.  haben,  wie  in  jüngster  Zeit  auch  der  Kron- 
prinz, ihre  Studien  in  Bonn  gemacht  und  dadurch  den  Anlaß  ge- 
geben, daß  auch  viele  andere  fürstliche  Studierende  sich  der  schönen 
Rheinstadt  zugewandt  haben  und  deren  Anziehungskraft  auch  in 
weiteren  Kreisen  verstärkt  wurde.  W.  L  e  x  i  s. 

2.  Gegenwärtiger  Zustand.     Sommer  1903. 

Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig 
10  ordentliche*),  1  außerordentlichen  Professor,  3  Privatdozenten.  Es 
besteht  ein  theologisches  Seminar  seit  W.-S.  1819  mit  einer  Dotation 
von  400  M.,  ein  homiletisch-katechetisches  Seminar  seit  1822  und  ein 
theologisches  Stift  seit  W.-S.  1854  mit  einer  sachlichen  Dotation  von 
2225  M.  oder  4375  M.  mit  den  persönlichen  Ausgaben  in  eigenem 
Gebäude. 

*)  KaiiiphaiLsen,  Siefl'erl»  (irafe,  König,  Sachse,  Seil,  ( ioehel,  Rilschl,  Kcke, 
Mcinhold. 


Königl.  Preußische  Rheinische  Friedrich- Wilhelms-Universität  in  Bonn.  341 

Die  katholisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig 
7  ordentliche*),  1  ordentlichen  Honorarprofessor,  3  außerordentliche 
Professoren  und  2  Privatdozenten.  Es  besteht  ein  theologisches  Seminar 
seit  W.-S.  1820  und  ein  homiletisches  Seminar  seit  1845  mit  einer 
Dotation  von  600  M.  und  ein  erzbischöfliches  Konvikt  in  zwei  großen, 
eigenen  Gebäuden. 

Die  juristische  Fakultät  zählt  11  Ordinarien**),  1  Extraordi- 
narius, 4  Privatdozenten.  Sie  hat  ein  juristisches  Seminar  seit  W.-S. 
1872  rpit  einer  Dotation  von  770  M. 

Die  medizinische  Fakultät  zählt  11  Ordinarien***),  1  ordent- 
lichen Honorarprofessor,  9  außerordentliche  Professoren  und  24  Privat- 
dozenten. Es  besteht  ein  anatomisches  Institut  seit  1818  (Neubauten 
1859  und  1873)  mit  einer  sachlichen  Dotation  von  8760  M.  und  einer 
Gesamtdotation  (einschl.  persönlicher  Ausgaben)  von  17  070  M.;  ein 
physiologisches  Institut  seit  S.-S.  1859  (Neubau  W.-S.  1878)  mit 
einer  sachlichen  Dotation  von  7780  M.,  einer  Gesamtdotation  von 
14  360  M.;  ein  pathologisches  Institut  seit  1862  mit  einer  sach- 
lichen Dotation  von  6045  M.  und  einer  Gesamtdotation  von  1 0  825  M. ; 
ein  pharmakologisches  Institut,  als  pharmakologischer  Apparat 
seit  1826,  als  Institut  seit  1870  mit  einer  sachlichen  Dotation  von 
4(XX)  M.  und  einer  Gesamtdotation  von  6750  M.;  ein  hygienisches 
Institut  seit  1894  mit  einer  sachlichen  Dotation  von  4250  M.  und 
einer  Gesamtdotation  von  6450  M. 

Die  klinischen  Anstalten  umfassen 

1.  die  medizinische  Klinik  und  Poliklinik  seit  1818  (Neubau 
1882),  die  Klinik  für  Syphilis  und  Hautkrankheiten  seit  S.-S.  1882, 
die  chirurgische  Klinik  und  Poliklinik  seit  1818  (Neubau  1853),  die 
Klinik  und  Poliklinik  für  Geburtshilfe  und  Frauenkrankheiten  seit  1819 
(Neubau  1870).  Diese  4  Kliniken  haben  eine  gemeinsame  Verwaltung 
und  eine  gemeinsame  Dotation  in    der    Gesamthöhe   von   379  837  M. 

Es  bestehen  außerdem  mit  selbständiger  Verwaltung  eine  Augen- 
klinik und  Poliklinik  seit  1873  (Neubau  S.-S.  1903)  mit  einer  Gesamt- 
dotation von  38100  M.,  eine  Ohrenpoliklinik  seit  W.-S.  1877  mit 
einer  Gesamtdotation  von  1800  M.,  und  eine  psychiatrische  Klinik  seit 

*)  Kellner,  Kaulen,  Schrörs,  Kirschkamp,  Feiten,  Englert,  Esser. 
**)  V.  Schulte,  Krüger,  Hüffer,  Lorsch,  Zorn,  Zitelmann,  Cosack,  Bergbohm,  Crome, 
I^ndsberg,  Heimberger. 

***)  V.  Leydig,  Pflüger,  Köster,  Sämisch,  Binz,  Frhr.  v.  la  Valette  St.  George,  Fritsch, 
Schultze,  Pelmao,  Finkler,  Bier. 


342  I^ic  einzelnen  Universitäten. 

1882.    Diese  ist   mit   der   Provinzial-Irrenanstalt  verbunden,  der  Staat 
gewährt  nur  einen  Zuschuß  von  insgesamt  1800  M. 

Die  philosophische  Fakultät  zählt  34  Ordinarien*),  2  ordent- 
liche Honorarprofessoren ,  1 5  außerordentliche  Professoren ,  40 
Privatdozenten,  3  Lektoren.  Als  Fachgruppen  kann  man  unter- 
scheiden : 

1.  Philosophische  Gruppe:  2  Ordinarien,  1  ordentlicher  Honorar- 
professor, 2  Extraordinarien,  5  Privatdozenten.  Es  besteht  ein  psycho- 
logisches Seminar  seit  1898,  bisher  im  wesentlichen  dotiert  aus 
verfügbaren  Mitteln  des  Kuratoriums,  feste  Dotation  von  800  M.,  und 
ein  sogenanntes  Seminar  für  philosophische  Propädeutik  seit 
1902,  mit  welchem  unzutreffenden  Namen  sich  die  Anstalt  für  Aus- 
bildung der  altkatholischen  Theologen  bezeichnet.  Sachdotation 
f^M.,  Gesamtdotation  1800  M. 

2.  Altertumswissenschaft  (griechische  und  lateinische  Philologie, 
Archäologie,  alte  Geschichte):  6  Ordinarien,  3  Privatdozenten.  Ein 
philologisches  Seminar  wurde  schon  1819  gegründet;  es  hat  eine 
sachliche  Dotation  von  600  M.,  eine  Gesamtdotation  von  2250  M.; 
das  akademische  Kunstmuseum  (Sammlung  von  Altertümern 
und  Abgüssen,  Neubau  W.-S.  1884)  hat  eine  sachliche  Dotation  von 
5(X)5  M.  und  eine  Gesamtdotation  von  6256  M. 

Das  Museum  rheinischer  Altertümer  (W.-S.  1876)  ist  jetzt  mit 
dem  großen  Provinzialmuseum  verbunden.  Aus  Universitätsmittcln 
wird  nur  noch  zur  Bibliothek  ein  Zuschuß  von  240  M.  gegeben. 

3.  Neuere  Philologie  und  Literaturgeschichte  (germanische,  ro- 
manische, englische  Philologie.  Die  slavische  Philologie  ist  mit  einer 
Professur  für  Sprachvergleichung  verbunden):  5  Ordinarien,  2  Extra- 
ordinarien, 3  Privatdüzenten,  2  Lektoren.  Es  besteht  ein  germanisti- 
sches Seminar  seit  S.-S.  1879  mit  einer  Dotation  (nur  sachlich)  von 
3(X)  M.,  ein  Seminar  für  romanische  Philologie  mit  einer  sach- 
lichen Dotation  von  510  M.,  einer  Gesamtdotation  von  2250  M.,  ein 
Seminar  für  englische  Philologie  seit  S.-S.  1888  mit  einer  Dotation 
von  3(X)  M.  (nur  sachlich). 

4.  Vergleichende  Sprachwissenschaft  und  orientalische  Philologie: 
3    Ordinarien,    2    Extraordinarien,    1    Privatdozent.     Es    besteht  kein 

*)  IJücheler,  l'sener,  Li|)schiiz(i),  Jusii,  IVhr.  v.  d.  (iollz,  Nissen,  l,iisi)eyres,  Stras- 
burger, Ritter,  Wilmainns,  Aufrecht,  Kein,  Förster,  Erdmann,  Ludwig,  Schlüter,  v.  Bezold, 
Trautmann,  Jacobi,  Ixischcke,  IVym,  Golhein,  Dietzel,  Küstner,  Kortum,  .Schulte,  Eller, 
Kayser,  Litzmann,  Anschülz,  Bulbring,  Brinkmann,  Giemen,  Dyroff. 


Königl.  Preußische  Rheinische  Friedrich -WilhelmfcrUniversität  in  Bonn.         343 

Seminar,  sondern  es  werden  nur  Übungen  seitens  der  Professoren  ab- 
gehalten. 

5.  Mittlere  und  neuere  Geschichte  und  historische  Hilfswissen- 
schaften: l\  Ordinarien,  1  Ordinarius  honorarius,  4  Privatdozenten.  Es 
besteht  ein  historisches  Seminar  seit  W.-S.  1861  mit  einer  sach- 
lichen Dotation  von  800,  einer  Gesamtdotation  von  1100  M. 

6.  Kunstgeschichte  und  Musik:  2  Ordinarien,  1  Extraordinarius, 
1  Privatdozent,  1  Lektor.  Es  besteht  ein  Kabinett  für  mittel- 
alterliche und  neuere  Kunst  seit  W.-S.  1872/73,  bisher  wesentlich 
durch  besondere  Zuschüsse  fundiert,  Dotation  (nur  .sachlich)  »500  M., 
sowie  ein  musikalischer  Apparat  seit  1856  und  ein  Zeichenapparat 
seit  1876,  beide  ohne  feste  Dotation. 

7.  Staats  Wissenschaften :  2  Ordinarien,  1  Extraordinarius,  I  Privat- 
dozent. Seit  S.-S.  1888  ist  ein  staatswissenschaftliches  Seminar 
errichtet  mit  einer  Dotation  von  600  M.  (nur  sachlich). 

8.  Geographie:  1  Ordinarius,  1  Privatdozent.  Es  besteht  ein 
geographischer  Apparat  seit  W.-S.  1874/75  mit  einer  Dotation 
von  300  M.  (nur  sachlich). 

9.  Mathematik  und  Astronomie:  3  Ordinarien,  1  Extraordi- 
narius, 2  Privatdozenten.  Es  besteht  ein  mathematisches  Seminar 
seit  S.-S.  186f)  mit  einer  Dotation  von  400  M.  (nur  sachlich).  Die 
Sternwarte  ist  erbaut  1840,  ihre  Sachdotation  beläuft  sich  auf 
6020  M.,  ihre  Gesamtdotation  auf  16920  M. 

10.  Physik:  1  Ordinarius,  2  Extraordinarien,  5  Privatdozenten. 
Es  besteht  ein  physikalisches  Kabinett  seit  1819,  zum  Institut 
erweitert  seit  1876,  mit  einer  Sachdotation  von  8420  M.,  einer  Ge- 
samtdotation von  11  1 20  M. 

11.  Chemie:  1  Ordinarius,  1  Extraordinarius,  8  Privatdozenten. 
Es  besteht  ein  chemisches  Laboratorium  seit  1820,  zum  Institut 
erweitert  1854,  Neubau  1868,  mit  einer  Sachdotation  von  27  400  M. 
und  Gesamtdotation  von  43  650  M.,  sowie  ein  pharmazeutischer  Apparat 
seit  1822,  erweitert  1881,  mit  einer  Dotation  von  450  M.  (nur 
sachlich). 

12.  Mineralogie  und  Geologie:  2  Ordinarien,  1  Extraordinarius, 
1  Privatdozent.  Es  besteht  ein  mit  einem  Museum  verbundenes 
mineralogisches  und  geologisches  Institut  mit  einer  Sachdotation 
von  2630  M.  und  einer  Gesamtdotation  von  5240  M.,  und  ein  eben- 
falls mit  einem  Museum  verbundenes  geologisch -paläontologisches 
Institut  mit  einer  Sachdotation  von  1 340  M.  und  einer  Gesamtdotation 
von  3640  M.     Beide  Institute  bestehen  seit  1818  ursprünglich  ebenso 


344  l^c  einzelnen  Universitäten. 

wie  das  zoologische  und  botanische  Institut  als  Abteilungen  des  natur- 
historischen Museums. 

13.  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie:  1  Ordinarius,  4  Privat- 
dozenten. Es  besteht  seit  1818  ein  zoologisches  und  vergleichend 
anatomisches  Institut  (s.  o.)  mit  einer  Sachdotation  von  4050  M., 
einer  Gesamtdotation  von  11  100  M. 

14.  Botanik:  1  Ordinarius,  1  Extraordinarius,  2  Privatdozenten. 
Es  besteht  seit  1818  (s.  o.)  ein  botanisches  Institut,  verbunden  mit 
einem  botanischen  Garten;  mit  einer  sachlichen  Dotation  von 
21  990  M.  und  einer  Gesamtdotation  von  27  778  M. 

Mit  der  Universität  verbunden  ist  die  landwirtschaftliche  Akademie 
Poppeisdorf.  Sie  steht  jedoch  unter  dem  Ministerium  der  Landwirt- 
schaft und  empfangt  von  dort  ihre  Dotation.  Es  unterrichten  an  ihr 
11  etatsmäßige  Professoren,  von  denen  1  als  Ordinarius,  1  als  Extra- 
ordinarius, 1  als  Privatdozent  der  philosophischen  Fakultät  der  Uni- 
versität angehört.  13  Honorardozenten,  von  denen  4  als  Ordinarien, 
1  als  Privatdozent  Mitglieder  der  Universität  sind,  und  3  Privat- 
dozenten, von  denen  2  zugleich  in  der  philosophischen  Fakultät 
habilitiert  sind.     (S.  den  besonderen  Artikel  Bd.  IV.  2.) 

Die  Universitätsbibliothek,  gestiftet  1818,  zählt  rund  300  000 
Bände  und  1350  Handschriften.  Hierzu  kommen  rund  50  000  Bände 
der  Universitätsinstitute.  Es  sind  an  ihr  1  Direktor,  5  Oberbibliothekare, 
5  Unterbeamte  angestellt.  Sie  ist  mit  einer  sachlichen  Dotation  von 
36485  M.  (darunter  4W2  M.  aus  Stiftungsfonds)  und  einer  Gesamt- 
dotation von  77  375  M.  ausgestattet.  Mit  Rücksicht  auf  die  wissen- 
schaftlichen Anforderungen  einer  großen  Universität  ist  eine  Erhö- 
hung dieses  Sachfonds  dringend  zu  wünschen. 

3.    Statistische   Übersichten. 

Zahl    der    Lehrer. 


1 

1         Semester 

Ordentliche 
Professoren 

Ordentliche 

Honorar- 
professoren 

Außerordent- 
liche 
Professoren 

Privat- 
dozenten 

Lektoren 

S.  1903      . 

.  '           73 

4 

29          i 

70 

5 

S.  1878     . 

55 

0 

25 

20 

3 

S.  1850     . 

.  1           40 

0 

15 

19 

7 

1    S.  1820     . 

30 

0 

10          ! 

7 

1 

Königl.  Preußische  Rheinische  Friedrich -Wilhclms-Universi tat  in  Bonn.         345 


Zahl    der    immatrikulierten    Studierenden. 


1 

; 

Darunter     ' 

1 

i 

Darunter 

Semester 

Gesamtzahl 

1 

Reichs- 
ausländer 

Semester 

Gesamtzahl 

1 

Reichs- 
ausländer 

S.  1903   .     . 

2501 

67 

S.  1890   . 

1409 

59 

W.  1902/3     . 

2234 

70 

S.  1880   . 

1070 

— 

S.  1902   .     . 

2412 

68 

W.  1869/70 

899 

— 

W.  1901/2     . 

2091 

62 

S.  1860   . 

820 

~ 

S.  1901    .    . 

2283 

56 

W.  1850   . 

908 

W.  1900/1      . 

1837 

49 

W.  1840   . 

623 

~ 

S.  1900   .    . 

2179 

56 

W.  1830   . 

941 

_ 

S.  1895   .     . 

1 

1707 

47 

S.  1820   . 

551 

- 

Zahl    der    Studierenden    der 


Semester 

evang.-theol. 

Fakultät 

1 

1 
kathol.-theol. 

Fakultät 

juristischen 
Fakultät 

medizinischen 
Fakultät      1 

philo- 
sophischen 
Fakultät      1 

S.  1903    . 

74 

1 

311 

752 

243 

1121 

W.  1902/3 

82 

,         264 

649 

241 

998 

S.  1900    . 

89 

298 

618 

307 

867 

S.  1895   . 

81 

239 

419 

320 

648 

S.  1890   . 

130 

160 

302 

396 

421 

S.  1880   . 

84 

88 

345 

154 

428 

W.  1869/70 

62 

177 

188 

203 

269 

S.  1860   . 

60 

227 

138 

134 

26t 

W.  1850   . 

47 

215 

293 

116 

200 

Zahl   der  sonstigen  zum   Hören   der  Vorlesungen   Zugelassenen. 


^)emesle^ 


I 
Gesamt-        Darunter 


zahl 


Frauen 


'  S.  1903  .  .  178  91 

!\V.  1902/3  .  214  117 

S.  1902  .  .  153  84 

iW.  1901/2  .  197  ,    106 

S.  1901  .  .  170  81 


W.  1900/1   .    201 


I 


106 


346 


Die  einzelnen  Universitäten. 
Einnahmen    der    Universität  (nach  den  Etats). 


^  '  Aus  eigenem  Staats- 

Etatsjahr    Vermögen  u.  ;      y^^,^^^  ^^^^^ 
Stiftungen                              | 

M.  M.  I  M. 


1903 
1890 
1878 

1872 
1868 


Summa 


M. 


21779 
22  524 
16975 


264022 

190689 

90342 


86276 
71849 


1  156185 
868464 
712594 

454  942 
413332 


1441986 

1081686 

819911 

541218 
485181 


Ordentliche    Ausgaben. 


Etatsjahr 


^         Wohnungs-       Institute  u.      Konvikle  u.     Verwaltungs- 
geldzuschüsse  Sammlungen  ,    Stipendien    '        kosten 
rationen  ' 


M. 


M. 


M. 


M. 


M. 


1903 

471  910 

73824   i 

722  251 

14  055 

60825 

1890/1 

392  360 

61044 

492  394 

10429 

41246 

1878/9 

360660 

45900 

332601 

10368 

33  532 

1872 

!   255282 

— 

213953 

11850 

28  758 

1868 

237  732 

— 

174  787 

9900 

27  267 

Kinmaligt?  und  außerordenllichc  Ausgaben  in  den  25  Jahren  1878  bis  1902:  2  733  084  M. 

K.   G  o  t  h  e  i  11. 


III.   Die  Königliche  Universität  Breslau. 


1.  Geschichtliche  Übersicht. 

Die  jetzige  Universität  Breslau  ist  entstanden  durch  die  durch 
königliche  Kabinettsorder  vom  24.  April  1811  verfügte,  durch  den 
„Plan  zur  Vereinigung  der  Universität  Frankfurt  mit  der  Universität 
Breslau"  näherhin  geregelte,  am  19.  Oktober  1811  feierlich  vollzogene 
Vereinigung  der  bisherigen  Universität  zu  Frankfurt  a.  O.  (gegründet 
1506),  welche  durch  die  Stiftung  der  Universität  Berlin  ihre  ohnehin 
geringe  Lebensfähigkeit  eingebüßt  hatte  —  sie  besaß  eine  evangelisch- 
theologische und  die  drei  anderen  Fakultäten  —  mit  der  durch  Kaiser 
Leopold  I.  durch  Urkunde  vom  21.  Oktober  1702  gestifteten  und  am 
15.  November  1702  inaugurierten  „Leopoldinischen  Universität**  in 
Breslau.  Letztere  war  hervorgegangen  aus  der  im  Herbst  des 
Jahres  16»'tt^  zu  Breslau  eröffneten  Lateinschule  der  im  selben  Jahre 
in  Breslau  gegründeten  Jesuitenmission,  die  sich  durch  fortgesetzten 
Aufbau  der  höheren  Klassen  zu  einem  Gymnasium  entwickelt  hatte. 
Dieses  umfaßte  außer  den  9  untersten  Gymnasial-Klassen  noch  die 
Klassen:  4.  „Syntax**,  5.  „Poesis**,  6.  „Rhetorica",  7.  „Logica*'.  Dazu 
gesellte  sich  dann  der  die  Klassen  8.  „Physica**  (auch  Mathematik 
und  Bauwissenschaft)  und  9.  „Metaphysica**  (nebst  FIthica)  umfassende 
philosophische  Kursus.  Dazu  war  später  ein  vierjähriger  theologischer 
Kursus  eingerichtet.  Man  konnte  nun  von  philosophischer  und 
theologischer  Fakultät  sprechen.  Diese  Organisation  änderte 
sich  durch  die  das  Promotionsprivileg  und  Jurisdiktionsrechte  und  den 
Rang  einer  „Universität**  verleihende,  vorhin  er^^'ähnte  „Goldene 
Bulle*'  Leopolds  I.  nicht.  Sie  verblieb  vielmehr  die  alte  bis  zur  Auf- 
hebung des  Jesuitenordens.  Zur  Einrichtung  der  juristischen  und 
medizinischen  Fakultät  war  es  also  nicht  gekommen,  doch  wurden 
von  je  einem  weltlichen  Professor  private  Vorlesungen  über  Jus  und 
Medizin  gehalten.    An  Stelle  der  Jesuiten  trat  1 776  die  durch  königl. 


348  I)>e  einzelnen  Universitäten. 

Instruktion  vom  26.  August  d.  J.  geregelte,  aus  den  Ex-Jesuiten  be- 
stehende, mit  dem  Recht  der  Aufnahme  von  Kandidaten  des  höheren 
Lehramtes  geistlichen  Standes  versehene  Korporation  der  „Priester 
des  Schulen  -  Instituts",  welche  als  solche  bis  zum  Jahre  1800 
bestehen  blieb  und  Lehrmethode  usw.  von  früher  beibehielt.  Am 
I.  August  1801  gab  die  das  Unterrichtswesen  in  Schlesien  leitende 
„Königl.  Preuß.  Schuldirektion**  einen  neuen  Studien-  und  Erziehungs- 
plan für  die  Universität  Breslau  heraus.  P>  wurde  1811  durch  den 
„Vereinigungsplan"  (das  Grundstatut  der  neuen  Anstalt)  außer  Kraft 
gesetzt.  Damals  wurde  die  Universität  im  Sinne  der  modernen  Ent- 
wicklung organisiert. 

Breslau  ist  die  erste  paritätische  Universität  in  Preußen, 
d.  h.  besitzt  eine  katholisch-  und  eine  evangelisch  -  theologische 
Fakultät. 

Auch  in  der  philosophischen  Fakultät  war  bei  der  Gründung 
die  Besetzung  der  Lehrstühle  in  Philosophie  und  Geschichte  durch  je 
einen  katholischen  und  einen  evangelischen  Dozenten  in  Aussicht  ge- 
nommen gewesen,  zunächst  wurde  jedoch  vom  König  Friedrich  Wil- 
helm III.  nur  die  doppelte  Besetzung  des  Lehrstuhls  der  Philosophie 
verfügt.  Erst  unter  Friedrich  Wilhelm  IV.  wurde  auf  den  Antrag 
des  Breslauer  Kardinal-Fürstbischofs  Diepenbrock  1853  auch  eine 
spezifisch  katholische  Geschichts-Professur  begründet. 

y\ls  besonders  ausgezeichnete  Männer  aus  den  einzelnen  Fakul- 
täten sind,  insoweit  sie  nicht  mehr  unter  den  Lebenden  weilen,  die 
folgenden  zu  nennen. 

1.  Katholisch-theologische  Fakultät.  C.  F.  Movers  IB:W 
bis  1856,  Vertreter  der  alttestamentlichen  Exegese,  hat  sich  durch 
bahnbrechende  Forschungen  über  die  Phönizier  allgemeine  Anerkennung 
in  der  wissenschaftlichen  Welt  errungen.  Thaddäus  Anton  Dereser 
1815 — 1827  ist  durch  sein  mit  J.  Mart.  Aug.  Scholz  herausgegebenes 
großes  Bibelwerk  in  weitesten  Kreisen  bekannt  geworden.  Auch  J. 
J.  Ritter  (1830  1857  für  Kirchengeschichte),  Johann  Bapt.  Baltzer 
1 1830 — 185^Kür  Dogmatik)  verdienen  Erwähnung.  Jos.  Heinr.  Friedlicb 
1845—1895  verfaßte  u.  a.  ein  „Leben  Jesu**,  das  seinerzeit  wegen  des 
streng  positiven  Standpunktes  sehr  verbreitet  war.  Anton  The  in  er 
M824 — 1830i  wurde  bekannt  als  Führer  einer  im  Wessenbergschen 
Geiste  arbeitenden  Reformbewegung  in  Schlesien,  Reinkens  (1850 
bis   1874)  als  altkatholischcr  Bischof 

2.  Evangelisch-theologische  Fakultät.  Als  bedeutendster 
unter    den  bisher  in  Breslau    wirksam  gewordenen  Theologen    dürfte 


Die  Königliche  Universität  Breslau.  JVtO 

F.  L.  Steinmeyer  1852 — 1854  zu  bezeichnen  sein,  ein  wenn  auch 
oft  paradoxer,  doch  stets  anregender  Systematiker  der  praktischen 
Theologie,  dabei  hervorragender  Prediger  von  besonderer  Begabung 
für  tiefeindringende  Erfassung  der  Gedanken  der  heiligen  Schrift. 
Weiter  sind  zu  nennen  Joachim  Christian  Gaß  1811  — 1831,  Karl 
Friedr.  Gaupp  1844—1863,  Ed.  Meuß  1854—1893. 

3.  Juristische  Fakultät.  In  ihr  hat  C.  A.  Dominik  Unter- 
holzner 1811 — 1838  als  Systematiker  des  Pandektenrechtes  eine  her- 
vorragende Stellung  eingenommen.  Jul.  Friedr.  Heinr.  Abegg  1826 
bis  1868  ist  als  Kriminalist  von  nachhaltigem  Einfluß  gewesen.  Phil. 
F:d.  Huschke  1827—1877  war  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  der  be- 
deutendste unter  den  Historikern  und  Quellenforschern  des  römischen 
Rechts.  Wilh.  Ed.  Wilda  1842—1854  ist  zur  Berühmtheit  gelangt 
durch  sein  Werk  „Das  Strafrecht  der  Germanen",  ausgezeichnet  durch 
gelehrte  Beherrschung  der  Quellen,  zumal  der  nordgermanischen  und 
angelsächsischen,  die  hier  noch  vor  den  Werken  Konrads  von  Maurer 
mit  glänzendem  Erfolge  verwertet  worden  sind.  Weiterhin  ragt  Job. 
Flrnst  Otto  Stobbe  1859—1872  hervor,  als  der  wohl  heute  noch 
bedeutendste  Systematiker  des  deutschen  Rechts.  Friedr.  Wilh.  Herm. 
Wasserschieben  1841  — 1850,  ist  als  Quellenforscher  auf  dem  Ge- 
biete des  kanonischen  Rechts  zu  Ruf  gelangt.  Franz  Aug.  Förster, 
der  Verfasser  des  heute  noch  einen  hervorragenden  Platz  einnehmenden 
Systems  des  preußischen  Privatrechts  war  1847 — 1850  Privatdozent 
in  Breslau.  Auch  Ernst  Eck,  der  feinsinnige  Kenner  des  römischen 
Rechts,  ist  1877—1880  in  Breslau  tätig  gewesen. 

4.  Medizinische  Fakultät.  Von  Anatomen  zeichnete  sich 
A.  W.  Otto  1812—45  durch  Errichtung  einer  großen  Sammlung 
seltener  Mißbildungen  und  durch  ein  Werk  über  dieselben  aus. 
J.  E.  Purkinje  1822 — 1850,  von  Alexander  v.  Humboldt  auf  Goethes 
Anregung  an  den  Minister  empfohlen,  gehörte  zu  den  fruchtbarsten 
und  gedankenreichsten  Physiologen  seiner  Zeit  und  hat  als  solcher 
grundlegende,  auch  heute  noch  zu  Recht  bestehende  Beobachtungen 
angestellt.  Er  ist  der  Begründer  des  experimentellen  Unterrichts  in 
der  Physiologie.  Sein  Nachfolger  in  Breslau  war  Theodor  v.  Siebold, 
1850 — 53,  welcher  in  dieser  Zeit  seine  berühmten  Untersuchungen 
über  die  Bandwürmer  und  die  Parthenogenesis  anstellte.  Ihm  folgte 
C.  B.  Reichert  1853—58  und  R.  Heidenhain  1858—97,  letzterer 
ausgezeichnet  durch  eine  große  Zahl  hervorragender  Arbeiten  auf 
dem  Gebiete  der  Muskel-  und  Drüsenphysiologie.  Von  Pathologen 
hat  Julius  Cohnheim  1872—78  als  Nachfolger  Waldeyers  (1864—72) 


350  ^^»e  einzelnen  Universitäten. 

in  Breslau  gewirkt.  Hier  hat  er  u.  a.  die  bekannte  Experimental- 
untersuchung  über  Impftuberkulose  in  der  vorderen  Augenkammer 
veröffentlicht.  Von  hervorragenden  Klinikern  hat  Breslau  Friedr. 
Theod.  V.  Frerichs  1851—59  und  Herrn.  Lebert  1859—74  be- 
sessen, die  beide  die  naturwissenschaftliche  Methode  auf  dem  Ge- 
biete der  inneren  Medizin  zur  Geltung  brachten.  Als  bahnbrechender 
Chirurg  fordert  Alb.  Theod.  Middeldorpf,  1^52—68,  Erwähnung, 
als  Gynäkologe  Otto  Spiegelberg,  1865 — 81,  der  die  neueren  Er- 
rungenschaften der  gynäkologischen  Wissenschaft  für  die  Praxis 
nutzbar  machte.  Als  Vertreter  der  Ophthalmologie  in  Breslau  ist  zu 
nennen  Richard  Foerster,  1857 — %,  dessen  Arbeiten  von  grund- 
legender Bedeutung  gewesen  sind  auf  dem  Gebiete  der  Gesichtsfeld- 
messung, der  Lichtsinnprüfung,  der  Lehre  vom  Glaucom  und  vor 
allem  auch  auf  dem  Gebiete  der  Augenerkrankung  bei  Allgemein- 
leiden. Von  Psychiatern  kann  der  originelle  und  mit  glänzendem 
Formtalent  ausgestattete  Heinrich  Neumann,  1839 — 84,  nicht  über- 
gangen werden. 

5.  Philosophische  Fakultät.  Von  namhaften  Männern,  die 
an  ihr  gewirkt  haben,  seien  zunächst  als  Philosophen  und  gleichzeitig 
Naturforscher  H.  Steffens,  1811—32,  Physiker  und  Mineraloge,  und 
Nees  von  Esenbeck,  Botaniker,  1829 — 1851,  beide  Anhänger 
Schellings,  genannt. 

Von  Historikern  hat  Harald  Stenzel  1820—1854  auf  die  Stu- 
dierenden ungewöhnlichen  Einfluß  geübt.  In  der  Zeit  vor  1848  las 
er  vor  Auditorien  von  mehr  als  600  Hörern.  Er  ist  durch  seine 
„Geschichte  Deutschlands  unter  den  fränkischen  Kaisern"  einer  der 
Mitbegründer  der  Forscherschule,  die  sich  um  die  Monumenta  hist. 
Germ,  gebildet  hat,  er  hat  die  Grundlagen  einer  kritischen  Landes- 
geschichte in  Schlesien  durch  die  Scriptores  rer.  Silesiacarum  ge- 
schaffen, hat  die  bisher  noch  nicht  übertroffene  Untersuchung  über 
Anfange.  Wesen,  Entwicklung  der  aus  der  mittelalterlichen  Koloni- 
sation sich  erhebenden  deutschen  Städte  geliefert,  hat  mit  meisterhafter 
Kürze  eine  Geschichte  Schlesiens  im  Mittelalter  geschrieben,  wie  sie 
in  dieser  Art  wohl  kein  anderes  deutsches  Territorium  besitzt,  hat 
das  Breslauer  Archiv  geschaffen,  geordnet  und  es  durch  die  Be- 
ziehung desselben  zur  Universität  und  den  akademischen  Studien 
fruchtbar  gemacht,  hat  endlich  die  seit  Pufcndorf  unzweifelhaft  beste 
,.Geschischte  des  preuliischen  Staats"  bis  zum  Ausgang  Friedrichs 
des  Großen  geschrieben.  Teilweise  vor  Stenzel  hat  Ludwig  Wachler 
1815-1838    überaus    besuchte    Vorlesungen     über     Geschichte     und 


Die  Königliche  Universität  Breslau.  351 

Literaturgeschichte  gehalten.  Weiterhin  ist  Richard  Röpell,  1841 
bis  1893,  zu  nennen,  von  dessen  Geschichte  Polens  (nur  Band  I  bis 
zum  Jahre  1300)  die  wissenschaftlich-kritische  Behandlung  der  Ge- 
schichte dieses  Landes  datiert.  Vorübergehend,  1811 — 19,  ist  an  der 
Breslauer  Universität  auch  Friedr.  v.  Raum  er  tätig  gewesen,  der 
einst  hochangesehene  Verfasser  der  Geschichte  der  Hohenstaufen,  und 
später  B.  Erdmannsdoerfer  (1873 — 74). 

Die  Geographie,  deren  sich  früher  die  Vertreter  anderer  Wissen- 
schaften, der  Physiker  Steffens  (s.  oben),  der  Historiker  Kutzen 
(1831 — 49)  freiwillig  angenommen  hatten,  empfing  eine  feste  Stelleim 
Lehrplan  der  Hochschule  1863  durch  die  Berufung  Karl  Neumanns, 
der,  ein  Schüler  Karl  Ritters,  jene  eigenartige  Verbindung  von  Ge- 
schichte und  Geographie  aufwies,  die  ihn  ebensowohl  zu  einem  frucht- 
baren Lehrer  der  alten  Geschichte  wie  der  Geographie  stempelte. 
Unter  Neumann  nahm  auch  das  Studium  der  alten  Geschichte  einen 
solchen  Aufschwung,  daß  nach  seinem  Tode  je  ein  eigener  Fach- 
vertreter für  diese  und  für  die  Geographie  berufen  wurde. 

Besonders  ausgezeichnete  Vertreter  der  klassischen  Altertums- 
wissenschaft hat  die  Universität  Breslau  besessen  an  L.  F.  Heindorf, 
1811—16,  Franz  Passow,  1815—33,  dem  Begründer  des  Hand- 
wörterbuchs der  griechischen  Sprache,  Friedrich  Ritschi,  1833 — 39, 
Begründer  der  altlateinischen  Sprachwissenschaft,  Aug.  Roßbach, 
1856 — 98,  und  R.  Westphal  (1851 — 61),  zwei  ausgezeichneten 
Forschern  auf  dem  Gebiete  der  griechischen  Rhythmik  und  Metrik. 
Auch  J.  Bernays,  1853—65,  A.  Reifferscheid,  1858— a5,  Paläo- 
graph  und  Forscher  auf  dem  Boden  italischer  Mythologie,  W.  Stude- 
mund  1885 — 89,  F-ntzifferer  der  Palimpsesten  des  Plautus  und  Gajus, 
vorzüglicher  Kenner  der  Paläographie,  Meister  methodischer  Text- 
kritik, sind  hier  zu  nennen.  —  Als  Vertreter  der  orientalischen 
Sprachen,  genauer  des  Sanskrit,  verdient  A<lolf  Friedrich  Stenzler 
1832—87,  Erwähnung. 

Besondere  Aufmerksamkeit  beansprucht  der  Lehrstuhl  für 
slawische  Philologie  in  Breslau,  der  —  als  ältester  in  Preußen  —  mit 
Rücksicht  auf  die  slawischen  Verbindungen  Breslaus  hier  1842  er- 
richtet und  zunächst  durch  Celakowsky,  1842—49,  später  durch 
Cybulski,  1860—67,  ausgefüllt  gewesen  ist. 

Sehr  bedeutsam  sind  während  des  19.  Jahrhunderts  die  Lehrer 
der  Universität  Breslau  für  die  Entwicklung  der  germanischen  Philo- 
logie geworden.  Von  Errichtung  der  Universität  bis  1824  hat  Friedr. 
Heinr.    von    der    Hagen    daselbst    gewirkt.      Schüler    von    Tieck, 


352  I^Jc  einxelnen  Universitäten. 

A.  W.  Schlegel,  J.  v.  Müller,  vergegenwärtigt  er  in  seiner  Person  das 
Er^\'achsen  der  Germanistik  aus  dem  Schöße  der  Romantik.  Sein 
Nachfolger  war  1830 — 42  Heinrich  Hoffmann  (von  Fallersieben). 
Seine  großen  Verdienste  um  die  Entdeckung  und  Bekanntmachung 
altdeutscher  Handschriften  sowie  um  Herausgabe  alter  deutscher 
und  niederländischer  Sprachdenkmäler  und  um  die  Geschichte  des 
Kirchenliedes  werden  stets  gewürdigt  werden.  Gleichzeitig  hat  er 
durch  seine  heiteren,  leicht  sangbaren  Lieder  einen  allgemein  an- 
erkannten Dichternamen  envorben.  1843  wurde  er  seiner  Professur 
entsetzt.  1839 — 46  hat  als  Privatdozent  für  deutsche  Philologie 
Gustav  Freytag  in  Breslau  gewirkt,  1849 — 50  war  das  Fach  vor- 
übergehend durch  Karl  Wein  hold  und  dann  1852 — 75  durch  Hein- 
rich Rücke rt,  den  Sohn  des  Dichters  und  Orientalisten,  vertreten, 
1876 — 89  war  Karl  Wein  hold  die  Pflege  der  germanistischen 
Wissenschaft  neuerdings  anvertraut.  Kr  hat  in  fast  allen  ihren  Dis- 
ziplinen Bedeutendes  geleistet. 

Auf  dem  Gebiete  der  englischen  Philologie  hat  Eugen  Kölbing 
1873 — 99  grundlegende  Bedeutung  erlangt,  als  romanischer  Philologe 
ist  Adolf  Gaspary,  1880 — 91,  zu  nennen. 

ALs  hervorragende  Mathematiker  haben  P.  G.  Lejeune-Di- 
richlet  1827—28,  E.  E.  Kummer  1842—55,  Ferd.  Joachimsthal 
1855- -61,  H.  E.  Schroeter  1852—92  in  Breslau  gewirkt.  Letzterer 
hat  der  Universität  Breslau  das  Gepräge  einer  vorzugsweise  „geo- 
metrischen'* Universität  gegeben. 

Von  Vertretern  der  naturwissenschaftlichen  Fächer  war  Rob. 
Wilh.  Bunsen,  1850 — 52,  Professor  der  Chemje  in  Breslau.  Sein 
Nachfolger  war  K.  J.  Löwig  1853 — 89.  Von  Physikern  war  Gust. 
Rob.  Kirch  ho  ff  gemeinsam  mit  Bunsen  Entdecker  der  Spektral- 
analyse, 1850 — 54  in  Breslau.  Der  schon  als  Philosoph  genannte 
Nees  von  Esenbeck  hat  Erheblicheres  als  in  dieser  Eigenschaft  als 
Botaniker  geleistet.  Sein  Nachfolger  war  H.  Rob.  Göppert  1860  bis 
1884,  der,  einer  der  universellsten  Forscher  des  vorigen  Jahrhunderts, 
sich  große  Verdienste  um  die  Pflanzenanatomie,  Pflanzenphysiologie 
und  namentlich  um  die  Pflanzenpaläontologie  erworben  hat.  Auf  dem 
pflanzenphysiologischen  Gebiete  hat  später  Ferdinand  Cohn  1850  bis 
1898  als  Begründer  der  modernen  Bakteriologie  bleibenden  Ruhm 
gewonnen. 

Als  Systematiker  der  Zoologie  in  Breslau  sind  L.  Chr.  Graven- 
horst  1811 — 56  und  A.  E.  Grube  1856 — 81,  als  Geologen  und  Mi- 
neralogen Ferd.  Roemer  1855—91    und    Martin   Websky    1865 — 74 


Die  Königliche  Universität  Breslau.  353 

ZU  nennen,  letzterer  in  Beherrschung  des  mineralogischen  Wissens- 
gebiets bis  heute  unerreicht. 

Daß  der  Universität  als  Germanisationszentrum  für  das  östliche 
Deutschland  hervorragende  Bedeutung  zukommt,  bedarf  kaum  be- 
sonderer Erwähnung. 

Von  Einrichtungen,  über  welche  die  Universität  verfügt,  be- 
anspruchen Aufmerksamkeit  die  klinischen  Anstalten,  welche,  von 
1890  an  in  rascher  Folge  eine  nach  der  andern  neu  erbaut,  heute 
zu  den  besteingerichteten  und  reichstausgestatteten  der  ganzen  Welt 
gehören,  und  denen  mit  zu  danken  ist,  daß  Breslau  über  eine  Anzahl 
hervorragender  Mediziner  verfügt,  welche  den  lockendsten  Rufen  an 
andere  Universitäten  angesichts  der  besonders  gedeihlichen  Umstände, 
unter  denen  sie  in  Breslau  wirken,  widerstanden. 

Auch  die  besondere  Rolle,  die  der  landwirtschaftliche  Unterricht 
in  Breslau  spielt,  verdient  Hervorhebung.  Dem  weiten  Bereich  der 
Landwirtschaftswissenschaft  entsprechend  ist  in  Breslau  zum  ersten 
Male  der  Versuch  gemacht,  die  Hauptzweige  derselben  mit  besonderen 
selbständigen  Instituten  und  Fachvertretern  auszurüsten.  In  monat- 
lichen Konferenzen  treten  die  Institutsdirektoren  zu  gemeinsamer  Be- 
ratung allgemeiner  Fragen  des  Landwirtschaftsstudiums  zusammen, 
ein  alle  2  Jahre  wechselnder  Geschäftsführer  der  inneren  Verwaltung, 
der  aus  den  Institutsdirektoren  gewählt  wird,  hat  die  Vertretung  der 
Interessen  der  landwirtschaftlichen  Institute  zu  besorgen.  Das  Kol- 
legialsystem statt  der  sonst  üblichen  Direktoren  steht  also  in  An- 
wendung. Durch  diese  Organisation  unterscheidet  sich  Breslau  von 
allen  anderen  landwirtschaftlichen  Universitätsinstituten  Preußens. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  6  Ordinarien 
(1  emeritiert)*),  2  ord.  Honorarprofessoren,  2  außerord.  Professoren, 
1  Privatdozenten.  Sie  verfügt  über  das  evang.-theol.  Seminar,  1812 
ins  Leben  getreten,  und  über  das  homiletische  und  katechetische 
Seminar,  dessen  Gründung  in  das  Jahr  1827  fallt. 

Die  katholisch-theologische  Fakultät  hat  8  Ordinarien**), 
1  ord.  Honorarprofessor,  1  außerord.  Professor  und  1  Privatdozenten. 
Das  kath.-theol.  Seminar  wurde  1822  begründet. 

*)  Hahn,  Kawerau,  Cornill,  Schmidt,  Wrede,  Arnold. 

**)  Laemmer,  Koenig,  Sdralek,  Schaefer,  Krawutzcky,  Pohle,  Nikel,  Nürnberger. 
Das  Unterrichuweten  im  Deuttcben  Reich.    1.  23 


354  Die  einzelnen  Universitäten. 

Die  juristische  Fakultät  verfugt  über  7  Ordinarien*),  1  ord. 
Honorarprofessor,  2  Extraordinarien,  5  Privatdozenten.  Das  juristische 
Seminar  ist  1872  eröffnet  worden. 

Die  medizinische  Fakultät  zählt  10  Ordinarien  (1  emeritiert)**), 
14  Extraordinarien,  31  Privatdozenten  und  2  Lehrer  der  Zahnheil- 
kunde. 

Von  Instituten  der  medizinischen  Fakultät  bestand  zur  Zeit  der 
Errichtung  der  Universität  in  Breslau  hier  u.  a.  eine  Chirurgenschule 
mit  einem  anatomischen  Theater.  Zunächst  erfuhr  letzteres  eine  Er- 
weiterung. 1833 — 35  wurde  ein  neues  Anatomiegebäude  eingerichtet, 
1898  auch  dieses  durch  den  jetzt  in  Benutzung  stehenden  Neubau 
abgelöst. 

Das  physiologische  Institut  der  Universität  Breslau  nimmt  in  der 
Geschichte  der  Physiologie  eine  bemerkenswerte  Stellung  deshalb  ein, 
weil  es  die  älteste  physiologische  Anstalt  Deutschlands  ist.  1838  be- 
gründet, erhielt  es  1855  befriedigendere  Räume  angewiesen,  1899 
wurde  der  gegenwärtig  in  Verwendung  stehende  Neubau  bezogen. 

Das  pathologisch-anatomische  Institut  ist  1869  begründet,  1874 
erhielt  es  ein  für  seine  Zwecke  errichtetes  besonderes  Gebäude,  das  noch 
heute  als  Nebenanstalt  in  Benützung  steht,  während  ein  neues,  weit 
umfangreicheres  Institut  auf  dem  für  die  „medizinische  Stadt"  er- 
worbenen Gelände  1892  eröffnet  wurde. 

Die  Gründung  eines  hygienischen  Instituts  fällt  in  das  Jahr  1887. 
1890/91  erfolgte  seine  Verlegung  aus  provisorischen  Räumen  in 
reichlichere  und  besser  geeignete,  1899  bezog  es  das  auch  ihm  neu 
errichtete  Gebäude. 

Das  pharmakologische  Institut  wurde  1886  gegründet  und  er- 
hielt 1898  sein  gegenwärtiges  Heim  inmitten  der  Kliniken. 

1811  wurde  die  medizinische  Klinik  in  einer  kleinen  Abteilung 
des  Allerheiligen-Hospitals  eröffnet,  um  alsbald  ein  ihr  daselbst  er- 
richtetes Gebäude  zu  beziehen.  1892  erfolgte  die  Übersiedelung  in 
den  ihr  gewidmeten  modernen  Neubau.  (Die  Einnahmen  erreichten 
1902/03  50  443  M.) 

Eine  medizinische  Poliklinik  bestand  zunächst  von  1890 — 1892, 
nach  zehnjähriger  Unterbrechung,  1902  lebte  sie  wieder  auf.  Die 
Stadt  Breslau  gewährt  ihr  eine  Jahressubvention  von  4000  M. 


*)  Dahn,  Brie,  Leonhard,  Uscher,  Jörs,  Gretener,  lieyerle. 

**)  Fischer,  Hasse,  Ponfick,  v.  Mikulicz-Radecki,  Flügge,  Filehne,  Kästner,  ühthofl', 
Wemicke,  Hürthle. 


Die  Königliche  Universität  Breslau.  355 

Eine  chirurgische  Klinik  wurde  ak  chirurgisch-augenärztliche 
Klinik  1814  eröffnet.  1847  erfolgte  eine  erste,  1855  eine  zweite 
Übersiedelung,  1891  die  Fertigstellung  der  jetzt  benützten  neuen  Klinik. 
1896  erfolgte  eine  erste,  1902  eine  zweite  Erweiterung  derselben. 
(Die  eigenen  Einnahmen  der  Klinik  betrugen  im  letzten  Jahre 
72  564  M.) 

Eine  besondere  staatliche  Universitäts-Augenklinik  existiert  seit 
1876.  Dieselbe  wurde  damals  neu  erbaut,  1899  wurde  eine  abermals 
neue  Augenklinik  bezogen,  welche  allen  modernen  Anforderungen 
entspricht.     (Der  Etat  der  Klinik  ist  40030  M.) 

Die  Frauenklinik  besteht  seit  Gründung  der  Universität;  zuerst 
vereinigt  mit  der  Hebammenlehranstalt.  1847  schied  sie  aus  den 
Räumen  der  letzteren  aus,  1901  hat  sie  ein  selbständiges  neues 
Gebäude  bezogen.  (Der  Etat  der  Klinik  betrug  1893  etwas  über 
80  000  M.) 

Eine  Universitätsklinik  und  -Poliklinik  für  Syphilis  und  Haut- 
krankheiten wurde  1877  begründet.  1892  erhielt  sie  ihre  gegenwärtige 
reichliche  Ausstattung  in  dem  ihr  gewidmeten  Neubau.  (Die  Ein- 
nahmen der  Klinik  beliefen  sich  1902/03  auf  51  250  M.) 

Ende  1894  erfolgte  die  Eröffnung  einer  Klinik  und  Poliklinik 
für  Kinderkrankheiten,  1895  die  Verlegung  derselben  in  „definitive" 
Räume,  1902  bezog  auch  sie  einen  prächtigen  Neubau.  Ende  1895 
wurde  eine  Poliklinik  für  Nasen-,  Ohren-  und  Kehlkopfkrankheiten 
gegründet,  eine  provisorische  stationäre  Klinik  ging  18%  nach  elf- 
monatlichem Bestände  ein,  1898  wurde  die  Poliklinik  in  geeignetere 
Räume  verlegt. 

Die  psychiatrische  Klinik  war  bis  1888  in  einer  Krankenabteilung 
des  städt.  Allerheiligen-Hospitals,  von  da  bis  1.  April  1900  in  dem 
neuerbauten  städt.  Irrenhause  untergebracht,  seitdem  hat  sie  zu 
existieren  aufgehört.  Eine  Poliklinik  für  Nervenkrankheiten  ist  1888 
errichtet  worden,  sie  soll  später  mit  der  stabilen  Klinik  vereinigt 
werden.  An  sie  schließt  sich  gegenwärtig  an  besonderem  Orte  ein 
psychiatrisches  Laboratorium,  doch  soll  ein  Neubau  [der  Klinik  bis 
1906  fertig  sein.  (Die  Dotation  für  die  Poliklinik  beträgt  1095  M., 
die  für  das  Laboratorium  1000  M.,  dazu  als  Ausgaben  für  3  Assisten- 
ten 3600  M.) 

Das  zahnärztliche  Institut  der  Universität  ist  die  private  Grün- 
dung des  Privatdozenten  Dr.  Brück  (1871—1895)  aus  dem  Jahre  1872 
und  wurde  1890  vom  Staate  übernommen.  Die  jährlichen  Einnahmen 
belaufen  sich  auf  10  bis  12  000  M.) 

23* 


356  I^ic  einzelnen  Universitäten. 

Die  philosophische  Fakultät  zählt  38  Ordinarien,  (4  emeri- 
tiert)*), 13  außerordentliche  Professoren  (3  emeritiert),  21  Privatdozenten, 
6  Lektoren. 

In  der  philosophischen  Fachgruppe  sind  3  Ordinarien  und 
1  Privatdozent  tätig,  ein  Seminar  besteht  seit  1895.  Dasselbe  zerfällt 
in  eine  historisch-systematische  und  eine  psychologische  Abteilung. 
Eine  feste  Dotation  ist  dem  Seminar  nicht  ausgesetzt,  doch  empfangt 
es  regelmäßig  Zuwendungen,  gewöhnlich  400  M.  für  die  erste  und 
200  M.  für  die  zweite  Abteilung. 

Die  Altertumswissenschaft  hat  als  klassische  Philologie  und 
Archäologie  3  Ordinarien,  1  Extraordinarius,  1  Privatdozenten,  als 
Geschichte  des  Altertums  1  Ordinarius.  Das  philologische  Seminar 
wurde  1812  ins  Leben  gerufen,  das  archäologische  Museum  besteht, 
wenn  auch  unter  verschiedenen  Namen,  seit  Gründung  der  Universität. 
1829  wurde  die  Sammlung  von  Gipsabgüssen  antiker  Denkmäler  zu 
seinem  Hauptzweck  erklärt.  Das  archäologische  Seminar  wurde  in 
der  Amtszeit  des  Prof.  Roßbach  eingerichtet  und  hat  seit  1901/02  je 
eine  Abteilung  für  Anfanger  und  Fortgeschrittene.  Das  Seminar  für 
alte  Geschichte  ist  ein  Bestandteil  des  historischen  Seminars.  (Ver- 
gleiche dieses.) 

Die  Germanistik  zählt  2  Ordinarien  und  2  Privatdozenten.  Das 
germanistische  Seminar  besteht  seit  1877,  1890  wurde  es  in  eine  Ab- 
teilung für  ältere  und  eine  solche  für  neuere  deutsche  Literatur  zer- 
legt. Die  romanischen  Sprachen  sind  durch  1  Ordinarius,  1  Privat- 
dozenten und  1  Lektor  vertreten,  das  englische  durch  1  Ordinarius 
und  1  Lektor.  Das  romanische  und  das  englische  Seminar  bestehen 
seit  1876  und  empfangen  je  300  M.  Jahresdotation. 

Die  slawische  Philologie  zählt  1  Ordinarius  und  1  Lektor.  Das 
slawisch-philologische  Seminar  ist  1893  ins  Leben  getreten. 

Die  vergleichende  Sprachwissenschaft  hat  1  Ordinarius,  1  Extra- 
ordinarius und  1  Privatdozenten,  die  orientalische  Philologie  1  Ordinarius 
und  1  Extraordinarius.  Ein  Seminar  für  dieses  Studiengebiet  existiert 
nicht. 

Die  mittlere  und  neuere  Geschichte  verfügt  über  3  Ordinarien, 
1    Extraordinarius    und    1    Privatdozenten.      Das    historische    Seminar 

*)  Galle,  Meyer,  Poleck,  Nehring,  Ladenburg,  Foerster,  Kosanes,  Sturm,  Weber, 
Caro,  Partsch,  Brefeld,  Freudenthal,  Fick,  Ilillebrandt,  Kaufmann,  Wolf,  Appel,  Hintze, 
Holdefleiß,  Fraenkel,  Pax,  Fbbinghaus,  Norden,  Muther,  Koch,  von  Kiimker,  Skutsch. 
Franz,  Frech,  Uaumgartner,  Kiikenthal,  Sarrazin,  Pfeifler,  Cichoriits,  Gadamer,  Siebs, 
Kampers. 


Die  Königliche  Universität  Breslau.  357 

wurde  1843  begründet  und  in  den  70er  Jahren  in  eine  Abteilung  für 
alte  und  eine  solche  für  mittlere  und  neuere  Geschichte  zerlegt.  Die 
erste  Abteilung  erhält  aus  der  Jahresdotation  von  600  M.  200,  die 
andere  400  M. 

Die  Kunstgeschichte  hat  1  Ordinarius  und  1  Privatdozenten. 
Das  kunsthistorische  Seminar  bildet  einen  Bestandteil  des  Instituts 
für  mittelalterliche  und  neue  Kunstgeschichte.  Es  geht  in  seiner 
heutigen  Gestalt  auf  Schmarsow  (1885—1892)  zurück.*) 

Die  Staatswissenschaft  (d.  h.  die  Nationalökonomie)  wird  von 
einem  Ordinarius,  2  Extraordinarien  und  einem  Privatdozenten  ver- 
sehen, die  Geographie  von  einem  Ordinarius  und  einem  Privatdozenten. 
Das  staatswissenschaftlich-statistische  Seminar  ist  1890  gegründet,  das 
geographische  1875. 

Die  Mathematik  wird  von  2  Ordinarien,  einem  Extraordinarius 
(daneben  1  Extraordinarius  für  mathematische  Physik),  einem  Privat- 
dozenten, die  Astronomie  von  einem  Ordinarius  gelehrt.  Es  besteht 
ein  mathematisch-physikalisches  Seminar,  gegründet  18(xi  Als  Stern- 
warte dient  seit  1790  der  auf  dem  Universitätsgebäude  errichtete 
Turm  sowie  seit  1897  ein  in  der  Nähe  der  Universität  provisorisch 
errichtetes  Häuschen. 

Die  Physik  ist  durch  einen  Ordinarius  vertreten.  Ein  „physi- 
kalisches Kabinett"  existiert  seit  1849,  1866  erfolgte  der  Umzug  des 
physikalischen  Instituts  ins  Institutengebäude.  Seit  1900  verfügt  die 
Universität  über  einen  hervorragenden  Neubau  als  Heimstatt  des- 
selben. 

Die  Chemie  zählt  einen  Ordinarius,  einen  Extraordinarius  (Ver- 
treter der  physikalischen  Chemie)  und  2  Privatdozenten.  Das 
chemische  Institut  wurde,  nach  einem  Plane  Rob.  Bunsens  gebaut, 
1853  eröffnet.  Ende  der  50er  Jahre  wurde  zwecks  Vergrößerung  ein 
Umbau  vorgenommen,  ein  weiterer  erfolgte  1897,  wobei  das  Institut 
eine  Vergrößerung  um  mehr  als  das  Doppelte  erfuhr. 

Die  Pharmazie  zählt  einen  Ordinarius.     Das  bestehende  pharma- 

*)  Als  „Kunstinstitut"  der  Universität  ist  auch  das  Institut  für  Kirchenmusik 
/u  erwähnen,  dessen  Gründung  dem  Jahre  1815  angehört  und  das  seitdem  1891  reorga- 
nisiert worden  ist.  An  ihm  wird  regelmäßiger  Unterricht  durch  Vorlesungen  und  Übungen 
in  der  Harmonielehre,  im  Orgelspiel  und  musikgeschichtlichen  Dingen  erteilt.  Zwei 
Chöre,  ein  evangelischer  und  ein  katholischer,  werden  an  ihm  ausgebildet.  Seit  1833,  wo 
die  Stelle  eines  Direktors  für  das  Institut  geschaffen  wurde,  haben  diese  Stelle  6  mal 
Professoren  der  philosophischen  Fakultät,  einmal  ein  Professor  der  medizinischen  Fakultät 
eixigcnommcD. 


358  I^'c  einzelnen  Universitäten. 

zeutische  Institut  ist  1859  aus  der  bis  dahin  für  Lehrzwecke  ver- 
wendeten Universitatsapotheke  er\\'achsen  und  hat  1868  neue  ansehn- 
liche Räume  im  Institutengebäude,  die  es  jetzt  noch  inne  hat,  bezogen. 
Es  zerfallt  in  eine  chemische  und  eine  pharmakognostische  Abteilung, 
letztere  unter  Mitdirektion  des  Botanikers. 

Mineralogie  und  Geologie  haben  je  1  Ordinarius  und  je  2  Privat- 
dozenten. Ein  mineralogisches  Museum  wurde  bei  Gründung  der 
Universität  ins  Leben  gerufen,  1 866  wurde  dasselbe  in  das  Instituten- 
gebäude verlegt.  Die  jährliche  feste  Dotation  des  mineralogischen 
Instituts  beträgt  2220  M.  Die  Trennung  der  Lehraufträge  für  Mine- 
ralogie einerseits,  Geologie  und  Paläontologie  andererseits  brachte 
1902  die  Abzweigung  eines  geologisch-paläontologischen  Instituts  vom 
mineralogischen  mit  sich. 

Die  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie  hat  1  Ordinarius  und 
2  Privatdozenten,  ein  zoologisches  Museum  besteht  seit  1820.  1902 
hat  der  Neubau  eines  Gebäudes  für  dasselbe  begonnen. 

Die  Botanik  und  Pflanzenphysiologie  hat  2  Ordinarien  und 
2  Privatdozenten.  Ein  botanischer  Garten  wurde  1811  angelegt. 
Schon  1843  war  die  2^hl  der  kultivierten  Arten  10  000.  Durch 
Göppert  (1851 — 84)  erfuhr  er  eine  wesentliche  Umgestaltung.  1888 
wurde  auf  seinem  Terrain  auch  ein  botanisches  Museum  errichtet. 
Die  Gründung  des  pflanzen-physiologischen  Instituts  fällt  in  das  Jahr 
1866;  in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt,  zugleich  in  Verbindung  mit 
dem  botanischen  Museum,  besteht  er  seit  1888. 

Die  Landwirtschaft  hat  3  Ordinarien  und  2  Extraordinarien, 
daneben  die  landwirtschaftliche  Technologie  1  Extraordinarius.  1898 
wurde  das  bis  dahin  bestandene  landwirtschaftliche  Institut  als  solches 
aufgelöst.  An  seine  Stelle  traten  drei  selbständige  Spczialinstitute, 
jenes  für  landwirtschaftliche  Pflanzenproduktionslehrc,  für  landwirt- 
schaftliche Tierproduktionslehre  und  Veterinärkunde  und  der  kultur- 
technische Apparat.  Schon  1890  war  das  tier-  und  agrikultur-chemische 
Laboratorium  eröffnet  worden,  1898  wurde  es  in  ein  agrikultur- 
chcmisches  und  bakteriologisches  umgewandelt.  Auch  das  Versuchs- 
feld ist  als  ein  hervorragendes  Lehrmittel  hier  zu  envähnen. 

Eine  Sonderstellung  beansprucht  das  landwirtschaftlich-techno- 
logische Institut  (errichtet  1881)  als  Pflegestätte  der  gesamten 
chemischen  Technologie,  von  der  die  landwirtschaftliche  einen  Teil 
darstellt.  Ein  Neubau  dieses  Instituts  ist  in  Verbindung  mit  der  für 
Breslau  beschlossenen  technischen  Hochschule  in  Aussicht  genommen. 


Die  Königliche  Universität  Breslau.  359 

Die  königliche  und  Universitätsbibliothek  wurde  1811 — 1815 
begründet  durch  die  Vereinigung  der  Frankfurter  Universitätsbibliothek, 
die  in  ihren  Anfängen  in  das  16.  Jahrhundert  zurückreicht,  der  un- 
bedeutenden Breslauer  Universitätsbibliothek  und  einer  damals  gerade 
in  Bildung  begriffenen,  aus  den  Beständen  der  1810  säkularisierten 
schlesischen  Klöster  zusammengesetzten  schlesischen  Zentralbibliothek. 
Die  Eröffnung  der  vereinigten  Bibliothek  erfolgte  1815.  Die  Bibliothek 
erhält  seit  1815  Pflichtexemplare  aller  in  der  Provinz  Schlesien 
erscheinenden  Werke  und  ist  Proviftzialbibliothek  für  Schlesien  und 
Posen.  Der  Bücherbestand  umfaßt  rund  31 0000 Buchbinderbände  und 
Faszikel  (etwa  400  000  bibliographische  Bände),  darunter  3135  Inku- 
nabeln; außerdem  3700  Handschriften;  femer  ist  seit  1886  die  rund 
40000  Bände  zählende  Bibliothek  der  schlesischen  Gesellschaft  für 
vaterländische  Kultur  der  Bibliothek  zur  Verwaltung  übergeben.  Der 
Fonds  für  Vermehrung  und  Einband  der  Bücher  beträgt  (einschließ- 
lich 1400  M.  Zinsen  einer  schon  der  Frankfurter  Bibliothek  zugefallenen 
Stiftung)  27  400  M. ;  der  Fonds  für  sonstige  sächliche  Ausgaben  beträgt 
,'M60  M.  Ein  innerer  Umbau  der  Lese-  und  Geschäftsräume  fand 
zuletzt  1 892  statt.  Das  Personal  besteht  z.  Z.  aus  1  Direktor,  7  Ober- 
bibliothekaren und  Bibliothekaren,  3  wissenschaftlichen  Hilfsarbeitern, 
1  Expedienten.  3  Bibliotheksdienern  und  1   Hausdiener. 

Eine  akademische  Lesehalle  (in  den  Räumen  des  Universitäts- 
gebäudes) besteht  seit  1878/79.  Die  Einnahmen  derselben  beliefen 
sich  1902/3  auf  3888  M. 

1902  ist  ein  akademischer  Turn-  und  Spielplatz  errichtet 
worden. 

Universitätsinstitute  und  deren  Dotationen. 

1 .  Evangelisch-theologisches  Seminar  (einschließlich  homiletisches  Seminar)         1  525  M. 

2.  Katholisch-theologisches  Seminar 750   „ 

3.  Juristisches  Seminar 600   „ 

Medizinische  Fakultät. 

4.  Anatomisches  Institut 25478  „ 

5.  Physiologisches  Institut 15518  „ 

6.  Pathologisches  Institut 13422  „ 

7.  Pharmakologisches  Institut 7  160  „ 

8.  Hygienisches  Institut 10773  „ 

9.  Irrenklinik  imd  Poliklinik  für  Nervenkrankheiten 10695  „ 

10.  Poliklinik  für  Ohren-,  Nasen-  und  Halskrankheiten 6000    „ 

1 1 .  Zahnärztliches  Institut 4  000   „ 

12.  Für  den  gerichtsärztlichen  Unterricht 900  „ 


360  I^^'^  einzelnen  Universitäten. 

13.  Die  Frauen-,  Chirurgische-,  Medizinische-  und  Augenklinik  sowie  die  Klinik 
für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten,  welche  eine  gemeinsame  Ver- 
waltung haben,  zusammen 473  000  M. 

14.  Kinderklinik 27900    ,. 

Philosophische  Fakultät. 

15.  Philologisches  Seminar 2000    „ 

16.  Historisches  Seminar 600    „ 

17.  Germanistisches  Seminar 300    „ 

18.  Romanisch-englisches  Seminar 600    „ 

19.  Mathematisch-physikalisches  Seminar 300    „ 

20.  Geographisches  Seminar 300    „ 

21.  Kunsthistorisches  Seminar 600    „ 

22.  Staatswissenschaftlich-statistisches  Seminar 400    „ 

23.  Slawisches  Seminar 600    „ 

24.  Chemisches  Laboratorium 23329    „ 

25.  Pharmazeutisches  Institut 12  142    „ 

26.  Physikalisches  Institut 12  598    „ 

27.  Zoologische  Sammlungen 9529    „ 

28.  Botanischer  Garten 26  230    „ 

29.  Pflanzenphysiologisches  Institut  und  botanisches  Museum 7960    „ 

30.  Mineraliensammlung 9220    „ 

31.  Sternwarte 4  840    „ 

32.  Archäologisches  Museum 2065    „ 

33.  Landwirtschaftlich-botanischer  Garten 2000    „ 

34.  Agrikultur-chemisches  imd  Agrikultur-bakterit)logisches  Institut       .     .     .  7  4%    „ 

35.  landwirtschaftlich- technologisches  Institut 4  450    ., 

36.  landwirtschaftliches  Institut 51  879    „ 

37.  Königliche  und  Universitätsbibliothek 72  758    „ 

38.  Evangelischer  Universitätsgottesdienst 210    „ 

39.  Institut  für  Kirchenmusik 31%,, 

40.  Akademischer  Le*everein 600    ,, 

3.    Statistische   Übersichten. 


" 

Zahl 

der     L  e 

h  r  e  r 

Semester 

Ordent- 
liche 
Professoren 

Ordentliche 

Honorar- 
professoren 

Außer- 
ordentliche 
Professoren 

Privat- 
dozenten 

Lektoren*) 

S.  1903      .     . 

69 

4 

33 

59 

8 

S.   1878      .     . 

51 

2 

24 

24 

2 

S.  1850      .     . 

41 

1 

12 

20 

5 

S.  1820      .     . 

37 

— 

4 

9 

10 

*)  Kin^chlieUlich  Lehrer  der  Ziihnhcilkiuule  und   der   mit  Halten   von  X'orlesunjjen 
Beauftragten. 


Die  Königliche  Universität  Breslau. 


361 


Zahl     de 


matrikulierten     Studie 


Dar- 

Dar- 

1 
Dar-    1 

' 

(;e- 

unter 

Ge- 

unter 

(ie- 

unter    i 

Semester 

sarat- 

Reichs- 

j  Semester 

samt- 

Reichs- 

Semester 

samt- 

Reichs- ; 

7.ahl 

aus- 

1 

zahl 

aus- 

1 

1 

zahl 

aus-     1 

länder  Ij 

länder  > 

1 

länder  j 

S.  1903 

1794 

30 

W. 1900/1 

1610 

1 

,      23 

1  W . 1860 

766 

33 

W.  1902/3 

1740 

30 

,  S.    1900 

1636 

27 

\V. 1850 

823 

22     ! 

!   S.  1902 

1813 

34 

W. 1890 
1  W.1880 

1216 

'      39 

W.  1840 

631 

7 

\V.1901/2 

1750 

31 

1281 

'      15 

1  W.  1830 

1129 

28 

S.  1901 

1746 

27 

il  W.  1870 

892 

25 

1  W.  1820 

655 

p 

1 

^.ahl     der 

Studiere 

n  d  e  n     der 

.Semester 

evangelischen 

katholischen 

Rechts- 
wissenschaft 

Medizin 

g&samten 
philoso- 
phischen 

Theo 

1  o  g  i  e 

1 

Fakultät 

S.  1903    . 

61 

299 

523 

1 
204 

707 

W.  1902/3 

63 

251 

558 

204 

664 

W.  1900    . 

64 

266 

637 

222 

521 

W.  1895    . 

98 

267 

388 

320 

309 

W.  1890    . 

162 

162 

229 

305 

358 

W.  1880    . 

95 

81 

303 

249 

553 

W.  1870    . 

65 

120 

18t 

202 

324 

W.  1860   . 

•      95 

157 

124 

111 

279 

W.  1850    . 

57 

240 

272 

86 

168 

Zahl  der  sonstigen   zum   Hören  der  Vorlesungen  zugelassenen: 

S.  1903:         157       61*;  S.  1902:        154        65*) 

W.  1902/3:     243     114*)  \V.  1900/1:     177        69*) 

S.  1901:         141        46*)  \V.  1901/2:     188        79*) 


1 

Gesamtsumme  der  Einnahmen  der  Universität:          i 

Ktatsjahr 

aus  eigenem 

Vermögen  u. 

Stiftungen 

aus  eigenem 
Erwerb 
(Kliniken     j 
usw.) 

Staats- 
zuschuß 

Summe 

i         1903 

84174 

322129 

1209  272 

1615575 

1890 

68425 

79353 

884  709 

1042487 

1878 

75331 

28030 

616120 

719483 

1865 

63867 

31037      ' 

270933 

365937     , 

1850 

1       35413 

25160 

'239560 

300  f33 

*)  Darunter  Frauen. 


362 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Gesamtsumme    d 

Besoldungen  '    Wohnungs- 
und         1  geldzuschüsse 
Remune-      !  für  Lehrer  u. 
rationen            Beamte 

s  r    orde  n  t] 

ichen    Aus 

i  g  a  b  e  n  : 

Verwaltungs- 
und sonstige 
Kosten 

Ktatsjahr 

für  Institute 

und 
Sammlungen 

für  Konvikte, 

Unter- 
stützungen u. 
Stipendien 

1903 
1890 
1878 
1865 
1850 

644  079 
561340 
376469 
181008 
170514 

69012 
49193 
34  020 

i 

722845 
265294 
213988 
110705 
78289 

67  930 
59682 
47663 
45349 
31  183 

111714 
98  369 
47  343 
28875 
20599 

Außerordentliche  Ausgaben   in   den  letzten  25  Jahren  (1879  — 1903J  Gesamtsumme 
7  931591  M. 


J.  Wolf. 


IV.  Die  Königlich  Preußische  Georg- August-Universität 

in  Göttingen. 


1.  Geschichtliche  Übersicht.*) 

Die  ursprünglich  „Königl.  Großbritannische"  Georg-August- 
Universität  zu  Göttingen  wurde  von  Georg  II.  als  Kurfürst  von  Hannover 
gegründet.  Das  von  Karl  VI.  erteilte  kaiserliche  Privilegium  datiert  vom 
13.  Januar  1733;  man  hatte  für  nötig  gehalten,  ein  solches  einzuholen, 
damit  die  akademischen  Grade  der  neuen  Universität  im  ganzen  Reich 
Anerkennung  fanden  und  die  gleichen  Rechte  genössen,  wie  die  der 
älteren  Hochschulen.  Schon  im  Jahre  1734  wurden  einige  Professoren 
ernannt  und  obwohl  dieses  Lehrpersonal  noch  sehr  unzulänglich  war, 
fand  am  1.  November  1734  die  erste  Immatrikulation  statt,  zu  der 
sich  im  ganzen  148  Studierende  einstellten.  Nach  und  nach  kamen 
die  neu  berufenen  Professoren  an,  und  nachdem  auch  das  königliche 
Privilegium  am  7.  Dezember  1736  ausgestellt  worden  war,  wurde  am 
17.  September  1737  mit  großem  Gepränge  die  Eröffnungs-  und 
Einweihungsfeier  begangen. 

Göttingen  hatte  sich  von  den  Schlägen  des  dreißigjährigen 
Krieges  noch  nicht  erholt  und  war  zur  Zeit  der  Gründung  der 
Universität  trotz  seiner  Festungswerke  nichts,  als  ein  kümmerliches 
Landstädtchen,    in  dem  anfangs  für  Professoren  und  Studenten  kaum 

*)  Vergleiche  Piitter,  Versuch  einer  akademischen  Gelehrtengeschichte  der  Georg- 
Augustus-Universität  zu  Göttingen.  2  Bände.  1765  und  1788.  Fortsetzung  von  Saalfeld: 
Geschichte  der  Universität  Göttingen,  Hann.  1820.  Zweite  Fortsetzung  von  Oesterley, 
Göttingen  1837.  Über  die  Gründung  und  die  ersten  Jahre:  Rößler,  Die  Ciründung  der 
Universität  Göttingen,  1855,  Hollmann,  Fragment  einer  Geschichte  der  Georg- Augfuster 
Universität,  Göttingen  1787.  Über  die  Verhältnisse  zu  Anfang  der  vierziger  Jahre:  Die 
Universität  Gröttingen.  Leipzig  1842.  (Abdruck  aus  den  Deutschen  Jahrbüchern  für 
Wissenschaft  und  Kunst.)  Für  die  neueste  Zeit  siehe  die  seit  1888  jährlich  herausgegebenen 
Chromken,  namentlich  die  für  1889/90  (von  Hermann  Wagner). 


364  ^^c  einzelnen  Universitäten. 

Wohnungen  zu  beschaffen  waren.  Die  Ausstattung  der  neuen  Anstalt, 
die  in  den  Gebäulichkeiten  eines  ehemaligen  Klosters,  bis  dahin  für 
ein  Gymnasium  benutzt,  untergebracht  wurde,  war  äußerst  bescheiden, 
da  nur  10000  Taler  für  ihre  erste  Einrichtung  zur  Verfügung  standen. 
Für  die  jährlichen  Ausgaben  waren  nur  16600  Taler  bewilligt.  Trotz 
der  ungünstigen  äußeren  Umstände  entwickelte  sich  die  Georgia 
Augusta  rasch  zu  einer  der  angesehensten  deutschen  Universitäten, 
ja,  man  darf  sagen,  daß  sich  in  ihr  der  moderne  Typus  der  deutschen 
Universitäten  zuerst  verkörpert  hat.  Es  war  dies  vor  allem  das 
Verdienst  des  hannoverschen  Ministers  G.  A.  von  Münchhausen, 
der  bis  zum  Jahre  1771  das  Kuratorium  der  Universität  führte  und 
ihr  von  Anfang  an  seine  besondere  einsichtige  Fürsorge  widmete. 
Im  Gegensatz  zu  den  mittelalterlichen  Universitäten  und  selbst  noch 
zu  Halle,  der  damals  jüngsten  und  modernsten  Hochschule,  stand 
Göttingen  nicht  unter  der  Vorherrschaft  der  Theologie.  Den  Professoren 
war  Lehrfreiheit  gewährt,  was  auch  die  günstige  Folge  hatte,  daß 
eine  Reihe  neuer  Vorlesungen,  z.  B.  über  Statistik,  Politik,  Geographie, 
Kunstgeschichte,  Technologie,  eingeführt  wurde.  Ebenso  erfreuten 
sich  die  Göttinger  Professoren  für  ihre  Schriften  einer  Zensurfreiheit, 
wie  sie  damals  auf  keiner  anderen  Universität  zu  finden  war.  Um 
dem  Cliquenwesen  vorzubeugen  und  die  Vielseitigkeit  möglichst  zu 
befördern,  berief  v.  Münchhausen  die  Angehörigen  des  Lehrkörpers 
nicht  nur  aus  allen  TeUen  des  Deutschen  Reiches,  sondern  auch  einzelne 
aus  der  Schweiz,  aus  Holland,  sogar  aus  Schweden,  aus  Ungarn  und 
England,  und  er  suchte  vor  allem  wissenschaftlich  selbsttätige  und 
produktive  Männer  zu  gewinnen.  Auch  die  Studierenden  hatten  in 
ihrer  wissenschaftlichen  Tätigkeit  freiere  Bewegung,  die  rohen  Miß- 
bräuche des  Pennalismus  dagegen  haben  in  Göttingen  nie  Boden 
gefunden.  Daß  man  sich  mit  Erfolg  bemühte,  möglichst  viele  Grafen 
und  Edelleute  heranzuziehen,  kam  allerdings  mehr  dem  äußeren 
Ansehen,  als  dem  wissenschaftlichen  Geist  der  Universität  zustatten. 
Bezeichnend  ist  in  dieser  Beziehung,  daß  das  einzige  in  großem  Stil 
eingerichtete  Institut  aus  der  ersten  Periode  der  Universität  die  1735 
erbaute  Reitbahn  ist,  die  auch  heute  noch  einen  stattlichen  Ein- 
druck macht. 

Im  ersten  Semester  nach  der  feierlichen  Eröffnung  der  Universität, 
im  Winter  1737/38,  zählte  die  theologische  Fakultät  3,  die  juristische  7, 
die  medizinische  3,  die  philosophische  10  ordentliche  Professoren. 
Zur  theologischen  Fakultät  gehörten  außerdem  als  außerordentliche 
Professoren  2  Ordinarien  der  philosophischen  Fakultät,  und  unter  den 


Die  Königl.  Preußische  Georg-August-Universität  in  Göttingen.  365 

10  Mitgliedern  der  letzteren  wurden  auch  2  Ordinarien  der  juristischen 
(Schmauß  und  Treuer)  und  1  aus  der  medizinischen  Fakultät  (Segner) 
mitgezählt.  Unter  den  Juristen  war  der  namhafteste  Gebauer, 
der  sich  durch  eine  Ausgabe  der  Corpus  juris  verdient  gemacht  hat. 
Die  grölke  Berühmtheit  der  jungen  Universität  aber  war  Albrecht 
von  Haller,  der  ihr  von  1736 — 1753  als  Professor  der  Anatomie, 
Physiologie  und  Botanik  angehörte.  In  der  philosophischen  Fakultät 
war  der  Philologe  Gesner  die  angesehenste  wissenschaftliche  Persön- 
lichkeit. Die  Liste  hervorragender  Namen  wurde  aber  bald  vergrößert. 
Im  Jahre  1747  setzte  v.  Münchhausen  den  Kirchenhistoriker  Mosheim 
als  Kanzler  der  Universität  an  die  Spitze  der  theologischen  Fakultät. 
Noch  mehr  trug  zur  Verbreitung  des  Rufs  der  neuen  Hochschule  der 
Orientalist  D.  Michaelis  bei,  der  zwar  der  philosophischen  Fakultät 
angehörte,  aber  vermöge  seiner  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  alt- 
testamentlichen  Wissenschaft  seinen  Einfluß  besonders  auf  die  theo- 
logischen Studien  ausübte.  Großen  Erfolg  hatte  auch  Pütter  (f  1807) 
als  Staatsrechtslehrer,  der  1 747  als  außerordentlicher  Professor  eintrat 
und  bis  1805  als  Ordinarius  in  Tätigkeit  blieb.  Gesners  Nachfolger 
war  (17W)  Heyne,  der  fast  ein  halbes  Jahrhundert  —  bis  1812  — 
als  Lehrer  und  Gelehrter  fruchtbar  gewirkt  und  als  Vertrauensmann 
der  Regienmg  bei  allen  Berufungen  auch  das  Gedeihen  der  Universität 
vielfach  gefördert  hat.  In  Göttingen  und  unter  dem  Einfluß  Heynes 
und  des  von  ihm  geleiteten  Seminars  ist  überhaupt  das  selbständige, 
von  der  Theologie  unabhängige  Berufsstudium  der  Philologie  entstanden, 
und  F.  A.  Wolf  war,  wie  es  heißt,  der  erste,  der  sich  als  Studierender 
der  „Philologie"  dort  einschreiben  ließ. 

Die  Geschichte  fand  angesehene  Vertreter  in  Gatterer,  der  auch 
die  Hilfswissenschaften  lehrte,  und  Spittler.  Ihnen  folgte  Heeren, 
dessen  Wirksamkeit  schon  zum  bei  weitem  größten  Teil  in  die 
erste  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  fällt.  Schlözer,  der  Nachfolger 
Achenwalls,  des  „Vaters  der  Statistik",  war  überwiegend  Staats- 
gelehrter und  Politiker  und  hatte  als  solcher  weitreichenden  Einfluß 
durch  seine  Zeitschrift,  den  „Briefwechsel**.  Was  die  Mathematik  und 
die  Naturwissenschaften  betrifft,  so  war  Tobias  Meyer  ein  tüchtiger 
Astronom,  der  sich  durch  seine  Mondtafeln  ein  großes  Verdienst  und 
auch  die  Hälfte  eines  von  der  Royal  Society  in  London  ausgesetzten 
großen  Preises  erworben  hat.  Lichtenberg  hatte  als  Physiker  großen 
Lehrerfolg,  doch  hat  sein  Name  trotz  der  „Lichtenbergschen  Figuren" 
seinen  Hauptplatz  in  der  deutschen  Literaturgeschichte  und  dasselbe 
kann  man  von  dem  Mathematiker  Kästner  sagen.      Sehr  angesehen 


366  ^i^  einxelnen  Universitäten. 

in  den  beschreibenden  Naturwissenschaften  war  Blumenbach,  der 
nach  seiner  Ernennung  zum  außerordentlichen  Professor  (in  der 
medizinischen  Fakultät)  der  Universität  64  Jahre  angehört  hat. 

Die  Stürme  der  Kriegsperiode  am  Anfang  des  Jahrhunderts 
störten  natürlich  auch  das  Stilleben  der  Göttinger  Universität.  Einige 
Monate  stand  sie  im  Jahre  1806  unter  preußischer  Herrschaft,  von 
1807 — 1813  aber  war  sie  dem  kurzlebigen  Königreich  Westfalen  zu- 
geteilt. Nachdem  Göttingen  wieder  mit  Hannover,  nunmehr  einem 
Königreich,  vereinigt  war,  begann  für  die  Universität  eine  neue  Periode 
des  Aufschwungs,  die  sich  auch  darin  bekundete,  daß  die  Zahl  ihrer 
Studierenden  in  den  zwanziger  Jahren  ihr  Maximum  erreichte.  In 
der  theologischen  Fakultät  lehrten  Planck,  Pott,  Lücke,  in  der 
juristischen  Hugo,  K.  F.  Eichhorn,  Goeschen,  in  der  medizinischen 
M.  Langenbeck,  Osiander,  v.  Siebold;  auch  der  ausgezeichnete 
Chemiker  Wöhler,  Stromeyers  Nachfolger,  gehörte  ihr  an.  Die 
philosophische  Fakultät  besaß  in  Gauß  einen  Mathematiker  von 
unvergleichlichem  Genie.  Aber  auch  andere  Fächer  waren  glänzend 
vertreten,  so  die  Philologie  durch  Ottfried  Müller,  die  Philosophie  — 
allerdings  nur  wenige  Jahre  —  durch  Herbart.  Ein  schwerer  Schlag 
aber  traf  die  Universität,  als  im  Jahre  1837  sieben  ihrer  ausgezeichnetsten 
Lehrer  infolge  ihrer  mutigen  Haltung  in  dem  Verfassungskonflikt  kurzer 
Hand  entlassen  wurden:  es  waren  Jakob  und  Wilhelm  Grimm,  die 
Historiker  Da hlmann  und  Gcrvinus,  der  berühmte  Physiker  Wilhelm 
Weber,  Ewald,  der  Nachfolger  von  J.  G.  Eichhorn  und  Michaelis 
auf  dem  Lehrstuhl  für  das  alte  Testament,  und  der  Jurist  Albrecht. 
Die  Folgen  dieser  Gewaltmaßregel  traten  deutlich  in  den  Frequenz- 
ziffern der  nächsten  Jahre  hervor,  doch  war  die  Universität  in  den 
letzten  dreißig  Jahren  der  hannoverschen  Herrschaft  noch  immer  mit 
hervorragenden  Kräften  reichlich  ausgestattet.  So  seien  von  den 
Theologen  Ehren  feuchter,  Dorn  er,  Ritschi  (seit  1863),  von  den 
Juristen  Ribbentrop,  Zachariae,  Briegleb,  Herrmann,  Thöl, 
von  den  Medizinern  R.  Wagner,  Baum,  Henle  angeführt.  Die 
Mathematik  war  auch  nach  Gauß'  Tode  (1853)  durch  Namen  ersten 
Ranges  —  Lejeune-Dirichlet,  Riemann  —  vertreten.  W.  Weber 
wurde  1849  auf  den  Lehrstuhl  der  Physik  zurückgerufen.  In  der 
Philosophie,  in  der  Göttingen  seit  Kant  abseits  von  der  herrschenden 
Strömung  gestanden  hatte,  trat,  neben  dem  Historiker  H.  Ritter, 
Lotze  mit  selbständiger  Produk-tivität  auf.  Die  Philologie  war  durch 
K.F.Hermann,  Schneidwim,  v.  Leutsch,  Sauppe,  die  Geschichte 
des  Altertums    durch    E.  Curtius    vertreten.     Aus    der    Schule    von 


Die  Königl.  Preußische  Georg-August-Universität  in  Göttingen.  367 

Waitz  ging  eine  Reihe  angesehener  Historiker  hervor.  Röscher 
wirkte  einige  Jahre  in  Göttingen  als  Lehrer  der  Staats  Wissenschaften, 
und  auf  ihn  folgten  Hanssen  und  Helferich.  Auch  die  Wirksamkeit 
des  Mathematikers  Schering  und  der  Geologen  Sartorius  von 
Waltershausen  und  v.  Seebach  fallt  noch  zum  Teil  in  die 
hannoversche  Periode. 

Die  Vereinigung  des  Königreichs  Hannover  mit  Preußen  brachte 
die  Georgia  Augusta  in  die  Stellung  einer  Provinzialuniversität,  während 
sie  bis  dahin  die  einzige  Landesuniversität  eines  selbständigen  Staates 
gewesen  war.  Indes  hatte  dieser  Wechsel  für  die  Universität  keineswegs 
ungünstige  Folgen.  Rs  kam  allerdings  jetzt  häufiger  vor,  als  früher, 
daß  hervorragende  Mitglieder  ihres  Lehrkörpers  der  Anziehungskraft 
Berlins  nachgaben,  aber  die  Regierung  ließ  es  an  nichts  fehlen,  um 
die  Universität  auf  ihrer  vollen  Höhe  zu  erhalten  und  ihre  Ausstattung 
den  stets  steigenden  Forderungen  der  Zeit  entsprechend  zu  bereichem 
Schon  die  in  den  ersten  Jahren  der  preußischen  Herrschaft  erfolgten 
Berufungen  von  Männern  wie  Clebsch  (1868),  de  Lagarde  (1869), 
V.  Jhering  (1872)  lassen  diese  wohlwollende  Fürsorge  erkennen, 
und  in  den  beiden  letzten  Jahrzehnten  vollends  hat  Göttingen 
hinsichtlich  der  Vermehrung  der  Lehrstühle  und  der  Erweiterung  oder 
Neugründung  von  Instituten  vielleicht  mehr  Förderung  erhalten,  als 
irgend  eine  andere  preußische  Universität,  außer  Berlin. 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

I.  Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählte  im  Sommer 
1903  sieben  ordentliche  Professoren,*)  außerdeni  zwei  außerordentliche 
Professoren  und  drei  Privatdozenten.  Schon  seit  der  Gründung  der 
Universität  war  mit  ihr  ein  praktisch-theologisches  Seminar 
verbunden,  dem  1878  ein  theoretisches  Seminar  mit  Abteilungen 
für  alttestamentlichc  und  neutestamentliche  Exegese,  Kirchen-  und 
Dogmengeschichte  und  systematische  Theologie  angeschlossen  wurde. 
Außerdem  ist  mit  der  theologischen  Fakultät  noch  das  theologische 
Stift  verbunden  (1859  durch  Umwandlung  des  1765  gegründeten 
Repetentenkollegiums  entstanden),  in  dem  16  Studierende  unter  einem 
Inspektor  freie  Wohnung  haben.  Die  jährliche  Dotation  des  Seminars 
beträgt  a380  Mark. 


*)  Wiesinger  (emeritiert),  Knoke,  Bomoetik,  Tschockert,  Schürer,  Althaus,  Hassen- 
busch  (als  Nachfolger  von  H.  Schultz  •}•  berufen). 


368  Die  einzelnen  Universitäten. 

II.  Zu  der  juristischen  Fakultät  gehören  neun  Ordinarien*) 
ein  ordentlicher  Honorarprofessor**),  ein  außerordentlicher  Professor 
und  vier  Privatdozenten.  Es  gehört  zu  ihr  ein  juristisches  Seminar 
mit  einer  hauptsächlich  zur  Anschaffung  von  Büchern  dienenden 
jährlichen  Dotation  von  600  M. 

ni.  Die  medizinische  Fakultät  besteht  aus  elf  ordentlichen 
Professoren***),  einem  ordentlichen  Honorarprofessor,  sechs  außer- 
ordentlichen Professoren  und  dreizehn  Privatdozenten  nebst  einem 
Lehrer  der  Zahnheilkunde.  Die  medizinischen  Institute  sind  größten- 
teils erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  gebaut  und  allen  Anforderungen 
entsprechend.  Haller  hatte  seine  anatomischen  Arbeiten  in  einem 
dumpfen  Turme  der  Stadtmauer  beginnen  müssen.  Im  Jahre  1738 
wurde  am  botanischen  Garten  ein  Theatrum  anatomicum  errichtet, 
das  erst  1829  durch  ein  neues  Gebäude  ersetzt  wurde.  Dieses  bildet 
den  Zentralteil  des  gegenwärtigen  anatomischen  Instituts  und  ist  durch 
mehrere  bedeutende  Er^\^eiterungsbauten  dem  Bedürfnis  vollständig 
angepaßt  worden.  Die  Jahreseinnahme  des  Instituts  beträgt  19  150  M., 
woraus  auch  die  Remunerationen  des  Prosektors  und  zweier  Assistenten 
und  die  sonstigen  Personalausgaben  zu  bestreiten  sind. 

Das  physiologische  Institut,  1842  als  „physiologisch-zooto- 
misches"  gegründet,  befindet  sich  seit  1886  in  dem  gänzlich  um- 
gebauten und  zweckmäßig  eingerichteten  ehemaligen  Gymnasial- 
gebäude. Seine  Jahreseinnahmen  betragen  nach  dem  Etat  von  1^X)3 
7738  M.     Zwei  Assistenten. 

Das  pharmakologische  Institut,  1873  gegründet,  hat  seit  1891 
seinen  Sitz  in  den  nach  Eröffnung  der  neuen  Kliniken  frei  gewordenen 
Räumen  des  Ernst-August-Hospitals.  Seine  Jahresdotation  beläuft 
sich  auf  5885  M.     Ein  Assistent. 

Das  pathologische  Institut  ist  aus  einer  Sammlung  von 
Präparaten  hervorgegangen,  die  der  Kliniker  Fuchs  1842  angelegt 
hatte.  Eine  besondere  außerordentliche  Professur  für  pathologische 
Anatomie  wurde  erst  1852  geschaffen  und  diese  1876  in  eine  ordent- 
liche umgewandelt.  Ein  eigenes  pathologisches  Institut  besteht  erst 
seit  1 862.  Es  befand  sich  anfangs  in  einem  Hintergebäude  des  Ernst- 
August-Hospitals,    seit    1891    aber    ist    es    in    den    neben    den  neuen 

*)  Dove,    Frcnsdorfl",    v.    Bar,    Regelsbcrj»er,     J.    Merkel,    Khrenl)erg,    Detmold, 
V.  Hippel,  Schon. 
*♦)  Planck. 

***;  Meißner    (emeritiert),    Kbstein,    F.  Merkel,    Runge,   Braun,    Jacohj,  v.  Esmarch, 
C'ramer.  v.  Hippel,  Verwom,  Ribbert. 


Die  Königl.  Preußische  Georg-August-Universität  in  Göttingen.  369 

Kliniken  errichteten  stattlichen  Neubau  übergesiedelt.  Es  erhält  aus 
der  Universitätskasse  nach  dem  Etat  von  1903  8486  M.  Zwei 
Assistenten. 

Das  Institut  für  medizinische  Chemie  und  Hygiene  wurde 
im  Anschluß  an  die  Errichtung  einer  Professur  für  Hygiene  im 
Jahre  1883  errichtet  und  1891  in  das  freigewordene  Emst-August- 
Hospital  verlegt.     Jährliche  Dotation  6860  M.    Ein  Assistent. 

Ein  klinisches  Hospital  wurde  in  Göttingen  erst  im  Jahre  1781 
in  sehr  bescheidener  Gestalt  eröffnet.  Dagegen  erregte  die  1791 
vollendete  gynäkologische  Klinik  durch  ihre  Größe  und  Bauart  in 
ganz  Deutschland  Aufsehen.  Im  Jahre  1809  wurde  die  medizinische 
Klinik  in  ein  geeigneteres  Haus  verlegt  und  der  Klinik  für 
Chirurgie  und  Augenkrankheiten  ein  besonderes  Gebäude  an- 
gewiesen. Nach  der  Vollendung  des  Ernst-August-Hospitals  (1850) 
wurden  beide  Kliniken  in  diesem  wieder  vereinigt.  Nachdem  sich 
aber  immer  dringender  die  Notwendigkeit  von  Neubauten  heraus- 
gestellt hatte,  wurden  diese  im  Jahre  1887  in  großem  Maßstabe 
unternommen,  so  daß  mit  Einschluß  des  pathologischen  Instituts,  des 
Verwaltungsgebäudes,  des  Ökonomiegebäudes  und  des  Maschinen- 
hauses ein  ganzer  klinischer  Stadtteil  entstand.  Zuerst  konnte  (1889) 
die  chirurgische  Klinik  ihr  neues  Heim  beziehen,  dann  folgte  (1891) 
die  medizinische  Klinik  —  in  einem  ganz  selbständigen  Gebäude. 
Der  Bau  der  neuen  Frauenklinik  folgte  etwas  später  und  wurde 
18%  vollendet. 

Die  Einnahmen  der  drei  vereinigten  Kliniken  sind  für  1903  auf 
IW2  563  M.  veranschlagt,  davon  163  405  M.  Zuschuß  aus  der 
Universitätskasse.     Ein  Oberarzt  und  12  Assistenzärzte. 

Die  Augenklinik  blieb  vorläufig  noch  in  dem  1873  für  sie 
errichteten  Gebäude  neben  dem  Ernst-August-Hospital,  es  ist  aber 
jetzt  auch  für  sie  ein  Neubau  im  Anschluß  an  die  übrigen  klinischen 
Anstalten  bewilligt.  Ein  besonderes  Extraordinariat  für  Augen- 
heilkunde wurde  1868  gegründet  und  1873  zu  einem  Ordinariat  er- 
hoben. Jährliche  Einnahme  48  580  M.  mit  Einschluß  eines  Zuschusses 
von  17  261  M.  aus  der  Universitätskasse.     Vier  Assistenten. 

Für  Ohren-  und  Nasenkrankheiten  besteht  nur  eine  Poli- 
klinik unter  der  Leitung  eines  außerordentlichen  Professors,  die  mit 
jährlich  2400  M.  dotiert  ist. 

Die  psychiatrische  Klinik  ist  mit  der  1866  eröffneten 
Provinzialirrenanstalt  verbunden,  deren  Direktor  zugleich  eine  ordent- 
liche Professur  an  der  Universität  inne  hat.    Im  Jahre  1901  wurde  in 

Das  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    1.  24 


370  ^'*^  einzelnen  Universitäten. 

der  Stadt  in  einem  gemieteten  Lokal  auch  eine  Poliklinik  für  Nerven- 
kranke eingerichtet.  Die  Einnahmen  der  psychiatrischen  Klinik  und 
Poliklinik  betragen  nach  dem  Etat  von  1903  5070  M.  Zwei  Assistenz- 
ärzte. 

Das  zahnärztliche  Institut  ist  mit  1500  M.  jährlich  dotiert. 

Schon  im  Jahre  1816  wurde  ein  Institut  für  Tierarznei- 
kunde gegründet,  das  1821  seine  jetzigen  Lokalitäten  erhielt.  Der 
Direktor  gehörte  früher  der  philosophischen  Fakultät  an,  wurde  aber 
1 890  zum  ordentlichen  Honorarprofessor  an  der  medizinischen  Fakultät 
ernannt.  Die  jährlichen  Einnahmen  des  Instituts  sind  für  1903  auf 
7064  M.  veranschlagt. 

IV.  Die  philosophische  Fakultät  zählt  wegen  der  großen 
Ausdehnung  ihres  Lehrgebiets  weit  mehr  Lehrkräfte,  als  die  übrigen 
Fakultäten  zusammengenommen.  Im  Sommer  1903  gehörten  zu  ihr 
39  Ordinarien,  2  ordentliche  Honorarprofessoren,  17  außerordentliche 
Professoren,  20  Privatdozenten,  2  Lektoren.  Als  Fachgruppen  kann 
man  folgende  unterscheiden: 

1.  Die  Philosophie  ist  vertreten  durch  zwei  Ordinarien*),  zwei 
Extraordinarien  und  zwei  Privatdozenten.  Es  besteht  seit  1887  ein 
philosophisches  Seminar,  in  dem  auch  Übungen  in  der  Ex- 
perimentalpsychologie  stattfinden.  Seine  Dotation  beträgt  mit  Ein- 
schluß der  Remuneration  eines  Assistenten  1900  M. 

2.  Faßt  man  lateinische  und  griechische  Philologie,  Archäologie, 
alte  Geschichte,  lateinische  Paläographie  und  mittelalterliches  Latein 
als  eine  Gruppe  zusammen,  so  gehören  dieser  an  fünf  Ordinarien**), 
ein  ordentlicher  Honorarprofessor  und  zwei  Privatdozenten. 

Das  philologische  Seminar,  die  älteste  Anstalt  dieser  Art, 
wurde  schon  in  den  ersten  Jahren  der  Universität  von  Gesner  ge- 
gründet. Es  steht  unter  der  Leitung  von  zwei  Direktoren,  denen 
ein  Assistent  beigegeben  ist.  Für  die  Anfanger  ist  ihm  ein  Pro- 
seminar angeschlossen.  Die  früher  bestehenden  Stipendien  für  die 
ordentlichen  Mitglieder  des  Seminars  sind  seit  1890  abgeschafft  und 
die  dadurch  frei  gewordenen  Mittel  dienen  größtenteils  zur  ver- 
mehrten Anschaffung  von  Büchern.     Jahresdotation  1800  M. 

Die  Anfänge  einer  archäologisch-numismatischen  Sammlung 
gehen  schon  auf  Heyne  und  das  Jahr  1767  zurück.  Ein  archäo- 
logisches Seminar  wurde  daneben  1856  gegründet.    Mit  ihm  steht 

*)  Baumann,  (i.  K.  Müller.   —  **)  I^o,  Schwartz,  Dilthey.  Busoli,  W.  Meyer. 


Die  Königl.  Preußische  Georg- August-Universität  in  Göttingen.  371 

die  archäologisch-numismatische  Sammlung,  mit  jährlich  1880  M. 
dotiert,  unter  der  gleichen  Leitung. 

3.  Zwei  ordentliche  Professoren*)  und  zwei  Privatdozenten 
haben  den  Unterricht  in  der  germanischen  Philologie  in  Händen. 
Das  für  dieses  Fach  seit  1889  bestehende  Seminar  bezieht  jährlich 
nur  300  M. 

4.  Die  romanische  und  die  englische  Philologie  sind  durch 
je  einen  Ordinarius**)  und  je  einen  Lektor  vertreten.  Für  beide  Unter- 
richtszweige bestehen  seit  1888  besondere  Seminare,  während  sie 
ursprünglich  in  dem  1882  gegründeten  Seminar  für  neuere  Sprachen 
vereinigt  waren.     Die  Dotation  beträgt  für  beide  zusammen  500  M. 

5.  Zu  der  Gruppe  der  orientalischen  Philologie  (semitische 
Sprachen,  Arabisch,  Persisch,  Sanskrit)  und  der  vergleichenden 
Sprachwissenschaft  gehören  vier  ordentliche  Professoren***),  ein  ordent- 
licher Honorarprofessor,  zwei  außerordentliche  Professoren  und  ein 
Privatdozent.  Im  Jahre  1902  wurde  auch  ein  Seminar  für  orientalische 
Philologie  und  vergleichende  Sprachwissenschaft  gegründet. 

6.  Für  mittlere  und  neuere  Geschichte  und  historische 
Hilfswissenschaften  sind  drei  ordentliche  Professoren!)  (von  denen 
einer  auf  unbestimmte  Zeit  beurlaubt  ist)  und  ein  außerordentlicher 
Professor  bestellt.  Auch  ein  Privatdozent  ist  für  dieses  Fach  habilitiert. 
Das  historische  Seminar  wurde  1876  gegründet  und  erhält  einen 
Jahreszuschuß  von  800  M.  Außerdem  ist  ein  diplomatischer  Apparat 
vorhanden,  für  den  jährlich  150  M.  bewilligt  sind. 

7.  Mit  der  Vertretung  der  Kunstgeschichte  ist  ein  ordent- 
licher Professorft)  betraut,  neben  dem  gegenwärtig  auch  ein  Extra- 
ordinarius tätig  ist.  Als  Unterrichtsmittel  ist  eine  in  ihren  Anfängen 
bis  1795  zurückreichende  Gemälde-  und  Kupferstichsammlung  vor- 
handen, für  die  jährlich  1400  M.  ausgesetzt  sind. 

8.  Die  staatswissenschaftlichen  Fächer  lehren  zwei  ordent- 
liche Professoren ttt).  Für  mathematische  Statistik  und  Versicherungs- 
mathematik hat  ein  außerordentlicher  Professor  einen  Lehrauftrag. 
Seminaristische  Übungen  wurden  schon  lange  gehalten,  ein  förmliches 
staatswissenschaftliches  Seminar  (mit  einer  Dotation  von  jährlich  600  M.) 
aber  erst  seit  1899  errichtet.  Mit  demselben  ist  eine  „Sammelstelle 
für  Volkswirtschaftskunde*'  verbunden,  bei  der  Handelskammerberichte, 
Jahresberichte    von    Aktiengesellschaften,    spezielle   technische    Fach- 

*)  Heyne,  Schröder.  —  **)  Stimming,  Morsbach.  —  ***)  Smend,  Wellhausen,  Kielhom, 
Wackemagel.  —  •[•)  Max  Lehmann,  Kehr,  Brandi.  —  f\)  Vischer.  —  fft)  Cohn,  Lcxis. 

24* 


372  ^*^  einzelnen  Universitäten. 

Zeitschriften  und  andere  auf  dem  Wege  der  Schenkung  zu  erlangende 
Materialien  gesammelt  werden.  Seit  1895  besteht  auch  ein  spezielles 
„Seminar  für  Versicherungswissenschaft"  mit  einem  jährlichen  Zuschuß 
von  1200  M.  und  etwa  400  M.  eigenen  Einnahmen  aus  Gebühren. 

9.  Die  zuletzt  von  Wappäus  bekleidete  Professur  für  Statistik 
—  im  Sinne  von  Staatenkunde  —  wurde  1880  bei  der  Berufung  des 
gegenwärtigen  Inhabers  (H.  Wagner)  förmlich  in  eine  solche  für 
Geographie  umgewandelt  und  nunmehr  auch  der  geographische 
Apparat,  dessen  Anlegung  schon  Wappäus  begonnen  hatte,  zu  einer 
größeren  Sammlung  en\'eitert,  für  die  jährlich  300  M.  ausgesetzt  sind. 
Gegenwärtig  ist  auch  ein  Privatdozent  für  dieses  Fach  habilitiert. 

10.  Entsprechend  der  Göttinger  Tradition  findet  die  Mathematik 
auch  gegenwärtig  eine  besonders  ausgiebige  Pflege:  drei  ordentliche 
Professoren*),  zwei  Extraordinarien  und  drei  Privatdozenten  sind  in 
diesem  Fache  tätig.  Daran  schließen  sich  als  ver^\'andte  Gebiete 
Astronomie  (ein  Ordinarius**)  und  ein  außerordentlicher  Professor) 
und  Geophysik  und  Geodäsie  (ein  außerordentlicher  Professor), 
ferner  auch  mathematische  Physik,  für  die  neben  dem  Ordinariat  für 
Experimentalphysik***)  eine  besondere  ordentliche Professurf)  be- 
steht. Als  eine  Eigentümlichkeit  Göttingens  ist  bisher  noch  der  Un- 
terricht in  der  technischen  Mechanik  und  Maschinenlehre  und  in  der 
Elektrotechnik  zu  betrachten,  der  von  zwei  außerordentlichen  Pro- 
fessoren erteilt  wird.  Einen  wichtigen  Vereinigungspunkt  der  mathe- 
matisch-physikalischen Wissenschaften  bildet  das  für  diese  im  Jahre 
1852  gegründete  Seminar,  an  das  sich  auch  ein  mathematisches  Lese- 
zimmer, ein  Zeichensaal  und  eine  Sammlung  mathematischer  Instru- 
mente und  Modelle  anschließt.  Die  jährliche  Dotation  des  Seminars 
beträgt  1008  M.,  die  der  mathematischen  Sammlung  mit  Einschluß 
der  eigenen  Einnahmen  401  M. 

1 1 .  Eine  bedeutende  Ent^\'icklung  hat  in  der  neuesten  Zeit  auch 
das  physikalische  Institut  gewonnen,  für  das  jetzt  ein  den  Be- 
dürfnissen entsprechender  Neubau  bewilligt  ist.  Es  ist  aus  dem  physi- 
kalischen Kabinett  hervorgegangen,  das  17W  mit  den  von  der  Re- 
gierung angekauften  physikalischen  Apparaten  Lichtenbergs  angelegt 
wurde.  Seit  1842  befindet  es  sich  in  seinem  jetzigen  Lokal.  Es  be- 
steht gegenwärtig  aus  1 .  einer  Abteilung  für  Experimentalphysik  und 
angewandte  Elektrizitätslehre  (Elektrotechnik) ;  2.  einer  Abteilung  für 
mathematische  Physik;  3.  einer  Abteilung  für  technische  Physik,    für 

♦)  Klein.  Hubert,  Minkowski.  —   **)  Schwarzschild.  —  ***)  Riecke.  —  f)  Voijri. 


Die  Königl.  Preußische  Cieorg- August-Universität  in  Göttingen.  ^^73 

die  seit  1897  mit  dankenswerter  Unterstützung  seitens  einer  Ver- 
einigung großer  Industrieller  ein  wohlausgestattetes  Maschinenlabora- 
torium geschaffen  worden  ist;  4.  einer  Abteilung  für  Geophysik,  die 
1901  ein  besonderes  neues  Gebäude  auf  dem  Hainberge  erhalten  hat, 
wo  außer  den  von  Gauß  eingeführten  erdmagnetischen  namentlich 
regelmäßige  Beobachtungen  der  seismischen  Erscheinungen  und  der 
atmosphärischen  Elektrizität  angestellt  wurden.  Die  jährliche  Dotation 
des  physikalischen  Instituts  (mit  vier  Assistenten)  beträgt  13  230  M., 
die  des  geophysikalischen  (ein  Assistent)  7064  M.,  die  der  Sternwarte 
(aus  der  auch  der  größte  Teil  der  Gehälter  bezahlt  wird)    15  556  M. 

12.  Für  das  in  der  neuesten  Zeit  zu  immer  größerer  Bedeutung 
gelangte  Fach  der  physikalischen  Chemie  besteht  seit  1895  eine 
besondere  ordentliche  Professur*)  und  ein  Privatdozent  wirkt  ebenfalls 
auf  diesem  Gebiet.  Ein  eigenes  physikalisch-chemisches  Institut  wurde 
18%  eröffnet  und  bezieht  jährlich  8600  M. 

13.  Für  Chemie  sind  zwei  Ordinariate**)  vorhanden,  davon 
eines  mit  einem  speziellen  Lehrauftrag  für  anorganische  Chemie. 
Ein  außerordentlicher  Professor  vertritt  die  pharmazeutische  Chemie, 
ein  dritter  die  chemische  Technologie.  Dazu  kommen  noch  fünf 
Privatdozenten.  Das  chemische  Laboratorium  (mit  einem  Abteilungs- 
vorsteher und  sechs  Assistenten)  hat  einen  Ausgabeetat  von  30  471  M. 
Für  das  anorganische  chemische  Laboratorium  (ein  Assistent)  sind 
3000  M.  ausgesetzt. 

Das  agrikulturchemische  Institut  ist  mit  dem  landwirtschaftlichen 
Institut  verbunden. 

14.  Für  Mineralogie  und  Geologie  besteht  je  eine  ordentliche 
Professur***),  ebenso  für  Zoologief),  für  die  auch  zwei  Privatdozenten 
habilitiert  sind.  Die  Botanik  ist  durch  zwei  Ordinarienff)  vertreten, 
von  denen  der  eine  mit  der  Direktion  des  botanischen  Gartens,  der 
andere  mit  Leitung  des  pflanzenphysiologischen  Instituts    betraut    ist. 

Das  1 773  gegründete  „Akademische  Museum"  wurde  nach  dem 
Tode  Blumenbachs  1840  in  vier  selbständige  Abteilungen  zerlegt.  In 
dem  1877  bezogenen  und  1901  erweiterten  Neubau  befinden  sich 
gegenwärtig  das  zoologisch -anatomische  Institut  (12  010  M.,  zwei 
Wssistenten),  die  ethnographische  Sammlung  (300  M.),  das  mineralo- 
gisch-petrologische  und  das  geologisch-paläontologische  Institut  (mit 
bezw.  ()062  M.  und  53%  M.  Jahreseinnahmen  und  je  einem  Assistenten). 


*)  Nenist.  —  **)  Wallach,  Tammann.  —  ***)  Liebisch,  v.  Koenen.  —  •{•)  Khlers. 
—  tt)  Peter,  Berthold. 


374  I^c  einzelnen  Universitäten. 

Der  1739  von  Hailee  angelegte  botanische  Garten  ist  später 
mehrfach  eru'eitert  worden,  jedoch  mußte  er  andererseits  auch  ein 
Grundstück  fiir  den  Bau  des  Auditorienhauses  abgeben.  Ebenso  ist 
das  1879  vollendete  pflanzenphysiologische  Institut  und  das  neue 
Gebäude  für  das  botanische  Museum  und  die  pharmokognostische 
Sammlung  (1829)  auf  seinem  Boden  errichtet.  Die  jährlichen  Ein- 
nahmen, aus  denen  auch  die  Ausgaben  für  je  einen  Assistenten  und 
das  sonstige  Personal  zu  decken  sind,  betragen  für  den  botanischen 
Garten  26  293  M.  und  für  das  pflanzenphysiologische  Institut  4559  M. 

Das  landwirtschaftliche  Institut  war  aus  der  1857  gegrün- 
deten landwirtschaftlichen  Akademie  Göttingen  -  Weende  hervor- 
gegangen, die  1869  in  eine  Universitätsanstalt  umgebildet  wurde.  In 
den  Jahren  1871 — 73  wurden  die  jetzigen  ausgedehnten  Gebäulich- 
keiten  für  das  Institut  errichtet.  Ein  ordentlicher  Professor*)  hat  die 
Direktion  desselben,  ein  zweiter**)  ist  Direktor  des  landwirtschaftlichen 
Versuchsfeldes.  Außerdem  ist  1901  ein  landwirtschaftlich-bakte- 
riologisches Institut  unter  der  Leitung  eines  außerordentlichen 
Professors  gegründet  worden  und  femer  ist  der  Direktor  der  nicht 
zur  Universität  gehörenden  landwirtschaftlichen  Versuchsstation  zu- 
gleich außerordentlicher  Professor.  Das  bereits  erwähnte  agrikultur- 
chemische Laboratorium  wurde  schon  1851  in  kleinerem  Maßstabe 
errichtet  und  1875  in  seine  jetzigen  Räumlichkeiten  im  landwirtschaft- 
lichen Institut  übergeführt.  Für  dieses  Laboratorium  sind  im  Etat 
von  1903  5651  M.,  für  das  landwirtschaftliche  Institut  22  117  M.,  für 
das  bakteriologische  Institut  1200  M.  angesetzt. 

Das  oben  erwähnte  tierärztliche  Institut  gehört  ebenfalls  zur 
Gruppe  des  landwirtschaftlichen  Unterrichts. 

Das  wichtigste  allgemeine  Universitätsinstitut  ist  die  Universitäts- 
bibliothek. Ihr  Direktor***)  gehört  gleichfalls  als  ordentlicher  Professor 
der  Bibliothekwissenschaften  der  philosophischen  Fakultät  an. 
Außer  ihm  bilden  drei  Oberbibliothekare,  sechs  Bibliothekare  und 
neun  sonstige  wissenschaftliche  Beamten  das  Vcr^valtungspersonal. 
Die  Bibliothek  wurde  gleichzeitig  mit  der  Errichtung  der  Universität 
durch  die  Erwerbung  der  Bülowschen  Bibliothek  gegründet  und  galt 
am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  als  die  bedeutendste  wissenschaftliche 
Büchersammlung  in  Deutschland.  Ihre  Gebäulichkeiten  erfuhren  mehr- 
feich  Erweiterungen  und  durch  einen  Um-  und  Neubau  in  den  Jahren 
1878  bis  1883  erhielten  sie  ihre  gegenwärti<je  Gestalt.    Die  Bibliothek 

♦)  Meischmann.  —  **)  v.  Seelhorst.  —  ***)  Piclschmami. 


Die  Königl.  Preußische  Georg- August-Universität  in  Göltingen. 


375 


ist  unter  den  deutschen  Universitätsbibliotheken  noch  immer  die  größte 
und  reichhaltigste.  Die  Gesamtzahl  der  in  ihr  enthaltenen  Buchbinder- 
bände betrug  am  Anfang  des  Jahres  1903  513  000  und  ihr  Ausgabe- 
etat für  1903  stellt  sich  auf  100  365  M. 

Zur  Pflege  der  körperlichen  Übungen  sind  vorhanden  die  Reit- 
bahn (in  einem  schon  1735  in  seiner  jetzigen  Gestalt  errichteten  Ge- 
bäude), eine  Fechthalle  (mit  einem  Jahreszuschuss  von  1150  M.)  und 
eine  Bade-  und  Schwimmanstalt  (480  M.). 


3.  Statistische  Übersichten. 

Zahl    der   Lehrer. 


Semester 


S.  1903 

S.  1875 

S.  1855 

S.  1840 

S.  1810 

S.  1780 


Ordentliche 
Professoren 


66 
57 
45 
30 
32 
37 


Ordentliche   j       Außer- 
Honorar-      '   ordentliche    j 
Professoren   1   Professoren   | 


Privat- 
dozenten 


Lektoren 


25 
22 
21 
13 
10 
3 


41 

17 

28*) 

41 

29 

21 


*)  Die  theologischen  Repetenten  sind  nicht  mitgezählt. 


Zahl    der    immatrikulierten   Studierenden. 


Semester 


S.   1903 

W.  1902/3 

S.  1902 

W.  1901/2 

S.  1901 

W.  1900/1 

S.  1900 

S.  1895 

S.  1890 

S.  1880 

S.  1870 


( vesamtzahl 


1446 

1333 

1390 

1350 

1415 

1333 

1359 

874 

929 

985 

795 


Danmter 
Reichs- 
ausländer 


104 
91 
% 
93 
105 
116 
86 
65 
62 
49 
47 


!  I     Darunter 

Semester  Gesamtzahl  Reichs- 

I  ausländer 


S.  1865 

S.  1860 

S.  1840 

S.  1830 

S.  1823 

S.  1818 

S.  1810 

S.  1800 

S.  1790 

S.  1780 


728 

716 

693 

913 
1  547(inax.) 
1  158 

633 

688 

844 

945 


54 
44 

V 


376 


Die  eiiuEelnen  Universitäten. 
Zahl   der   Studierenden. 


Semester 

Evangelische 

1 

Rechts- 

Medizin 

Philosophische 

Theologie 

wissenschaften 

Fakoltät 

S.  1903 

101 

403 

148 

794 

W.  1902/3 

89 

420 

148 

676 

S.  1900 

136 

434 

216 

573            ' 

S.  1893 

153 

231 

219 

271 

S.  1890 

247 

196 

216 

270            " 

S.  1885 

199 

179 

204 

435 

S.  1875 

85 

376 

122 

479            j 

S.  1865 

147 

190 

1% 

2Z2             ' 

S.  1853 

129 

223 

187 

134 

S.  1840 

172 

230 

197 

74             1 

S.  1830 

232 

354 

176 

151 

Zahl    der   sonstigen    zum    Hören    von    Vorlesungen    zugelassenen 

Persone  n. 

S.  1903:  98;  W.  1902/3:  135;  S.  1902:  85;  W.  1901/2:  88;  S.  1901:  111; 
W.  1900/1 :  88. 

Unter   diesen    befanden    sich    weibliche    Studierende: 

S.    1903:    45;    W.    1902/3:    48;    S.    1902:    38;    W.    1901/2:    32:    S.  1901:  35: 
W.  1900/1:  37. 


Ordentliche    Hinnahmen  u'n  d    Ausgaben  der    l'niversitat 
(nach  dem  Staab^haashaltsetat)  in  Mark. 


1 

?:  i  n  n  a 

h  m  e  n 

Aus  besonderen 

A 

LLs  eigenem 

■ 

Ktatsjahr 

Staat  szuschuß 

Fonds  und 

?>werb 

Summa 

1 

eigenem  Ver- 

(Kliniken,  (le- 

; 

634954 

1         mögen*; 

bühren  usw.) 
211459 

'           1903 

560741 

1407154 

1895 

369  706 

613  404 

145  824 

1  128974 

1890 

1         377118 

611402 

118  328 

1  106848 

1885 

326  228 

607  168 

74  838 

1008  227 

1880 

276366 

607  276 

51162 

934  804 

1875 

208  324 

'                        610840 

819164 

1868 

127  954 

417  a% 

545  790 

*)  Hauptsächlich  aus  dem  I  lannoversrlien  KlostcrfoiKU. 


Die  Königl.  Preußische  Georg- August-Üniversi tat  in  Gottingen. 


377 


Von     den     Summen    der     Einnahmen     gleichen     Gesamtausgaben 

kommen    u.  a.    auf 


i 

1         Etatsjahr 

Besol- 
dungen und 

Remune- 
rationen der 
Professoren 
und  Lehrer 

i 

1  Wohnungs-    j 
geldzuschüsse 
i    für  Lehrer    ^ 
1          und 
1      Beamte       l 

1 

1 

Institute      | 

und          1 

Sammlungen  1 

Akademische 
Verwaltung   ^ 

1 

Stipendien 
und         i 
Unter-       , 
stüteungen    ' 

1 

1903 

1      432395 

'        55440 

729330 

53494      1 

43455       1 

1895 

389  295 

1        51444 

520676 

48  101 

43  423 

1890 

420954 

55008 

470233 

,       35552      , 

39529      ! 

I           1885 

394  395 

50400 

415455 

i       32513      , 

39636 

1880 

376095 

!       48780      , 

1      363303 

1       33693 

39521 

1875 

372  840 

49  140 

277  914 

41868 

39582      1 

1868 

246975 

1           

180977 

36  735 

39422      ' 

Die    einmaligen    und    außerordentlichen  Ausgaben    für    die    Universität    Göttingen 
l>eliefen  sich  in  den  25  Jahren  von  1879  bis  1903  auf  6018670  M. 


W.  L  e  X  i  s. 


V.  Die  Königlich  Freuflische  Universität  Oreifswald. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Unsere  Universität,  die  älteste  Preußens,  verdankt  ihre  Ent- 
stehung in  der  Hauptsache  dem  weitschauenden  Bürgermeister 
Dr.  Heinrich  Rubenow.  In  der  Hansestadt  Greifswald  lag  die 
Errichtung  eines  Studium  generale  im  zweiten  Drittel  des  15.  Jahr- 
hunderts nahe,  seitdem  die  Rostocker  Universität  in  ihr  von  1436 
bis  1443  ein  Asyl  gefunden  und  nach  der  Rückverlegung  6  ihrer 
Lehrer  zurückgelassen  hatte.  In  der  Hoffnung,  der  rasch  aufgeblühten 
Vaterstadt  mit  einer  Hochschule  eine  dem  Wandel  der  Zeiten  wider- 
stehende Unterlage  ihres  Wohlstandes  und  Ansehens  verschaffen  zu 
können,  setzte  Rubenow  freimütig  einen  großen  Teil  seines  beträcht- 
lichen Vermögens  ein,  veranlaßte  Mitbürger  zu  Stiftungen,  sicherte 
dem  Werke  die  Unterstützung  der  Stadt,  benachbarter  Klöster  und 
des  Caminer  Bischofs  und  weckte  das  lebhafte  Interesse  des  Landes- 
herrn Herzog  Wart is law  IX.  von  Pommern- Wolgast.  Zwar  war  der 
Fürst  in  dieser  Zeit  selbst  nicht  in  der  Lage,  große  unmittelbare 
Opfer  zu  bringen.  Indessen  er  verlieh  mehrere  nutzbringende  Rechte 
und  deckte  insbesondere  auch  die  erforderlichen  Gründungsformali- 
täten mit  seinem  Namen,  beispielsweise  den  vom  Papste  Calixtus  III. 
geforderten  Nachweis  eines  gesicherten  Einkommens  der  Hochschule 
in  Höhe  von  mindestens  1000  fl.  Der  Herzog  vermehrte  durch  seine 
persönliche  Teilnahme  den  Glanz  der  feierlichen  Weihung  am  1 7.  Ok- 
tober 1456  und  schenkte  zwei  kunstvolle  silbervergoldete  Szepter, 
welche  noch  heute  bei  feierlichen  Anlässen  dem  Haupte  der  Uni- 
versität vorangetragen  werden. 

Annähernd  die  Mält'te  der  Lehrstühle  war  den  Veriretern  der  Rechtsjjelehrsamkeit  ein- 
geräumt. Am  kärglichsten  bedacht  wurde  die  medizinische  Fakultät,  die  sich  mit  einem 
einzigen  ordentlichen  I^hrer  noch  bis  ins  Jahr  1559  hat  begnügen  müssen.  Insgesamt 
mögen  12  bis  15  I^hrstühle  vorgesehen  gewesen  sein.  In  den  ersten  37-2  Jahren  de> 
Bestehens  des  Studium  generale  wurden  472  Namen  von  Studierenden  in  das  Album  ein- 


Die  Königl.  I'reußische  Universität  Greifswald.  379 

getragen.  Auf  sofortigen  starken  Zulauf  aus  dem  Reiche  durfte  in  Anbetracht  der  un- 
günstigen Lage  Greifswalds  nicht  gerechnet  werden.  Trotzdem  und  trotz  mancher  Störungen 
durch  Seuchen  und  Krieg  fehlte  es  der  Universität  auch  in  ihrer  ersten  Periode  nicht  an 
glänzenden  Namen.  Als  Beispiel  sei  nur  der  damals  aufs  höchste  geschätzte  Rechtslehrer 
Petrus  Ravennas  genannt,  den  Wartislaw  X.  im  Jahre  1497  auf  der  Rückkehr  von 
seiner  Palästinareise  aus  Padua  mit  nach  Greifswald  gebracht  hat. 

Die  Kinführung  der  Reformation  in  Pommern  brachte  schon  aus  materiellen 
(iründen  für  die  Universität  eine  schwere  Krisis.  Die  in  den  30er  Jahren  des 
16.  Jahrhunderts  der  Auflösung  nahe  Hochschule  wurde  schließlich  durch  Herzog 
Philipp  I.  als  protestantische  neu  begründet.  Der  Fürst  berief  im  Jahre  1539  selbst  6 
Professoren  nach  Greifswald  und  verlieh  der  Universität  ein  neues  Statut.  Nach 
diesem  sollte  das  corj^us  academicum  sich  aus  3  Professoren  der  Theologie,  3  Juristen, 
3  Medizinern  und  8  Professoren  der  Philosophie  und  der  freien  Künste  zusammensetzen. 
Wurde  die  vorgeschriebene  Lehrerzahl  auch  noch  auf  lange  hinaus  nicht  erreicht,  so  galt 
doch  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  die  Zusammensetzung  des  I^hrkörpers 
als  eine  allen  Ansprüchen  genügende.  Der  Herzog  trug  auch  für  ausreichende  Verstärkung 
der  Universitätsmittel  Sorge,  nachdem  von  dem  Gute  und  den  Einkünften  der  Hochsclnile 
schon  bald  nach  Rubenows  gewaltsamem  Tode  manches  entfremdet  und  mit  der  Ein- 
fuhrung der  Reformation  vieles  andere  in  Fortfall  gekommen  war.  Im  Jahre  1558 
sicherte  der  Herzog  eine  feste  jährliche  Dotation  von  1200  fl.  zu,  von  denen  */e  auf  dem 
säkularisierten  Amte  Eldena  ruhten.  Die  Hochschule  nahm  einen  sehr  erfreulichen 
Aufschwung.  Die  Zahl  der  jährlich  Immatrikulierten  betrug  nun  nicht  mehr  wie  vordem  40 
bis  50,  sondern  regelmäßig  über  100,  ja  sie  überschritt  wiederholt  140  und  150. 

Die  Jahre  freudigen  Gedeihens  fanden  nur  zu  bald  ein  jähes  Ende.  Die  Stürme 
des  30  jährigen  Krieges  brachen  herein.  Sie  vernichteten  für  Jahrhunderte  gänzlich  den 
Wohlstand  Vorpommerns. 

Die  jwmmersche  Universitätsstadt  war  nach  dem  Kriege  vollständig  zusammen- 
gebrochen infolge  ungeheuerlichster  Einquartierungslasten,  Kontributionen  und  Be- 
steuerungen, verarmt  durch  die  Vernichtung  ihres  Handels,  verlassen  von  vielen  ihrer 
besten  Bürger,  bestürmt  von  Scharen  darbender,  obdachloser  Bettler. 

Nicht  minder  hat  die  Universität  selbst  in  den  langen  Kriegsjahren  gelitten.  Der 
Zugang  der  Studenten  geriet  Jahre  hindurch  so  gut  wie  ganz  ins  Stocken,  die  herzog- 
liche I>otation  blieb  ebenso  aus,  wie  die  Einnahmen  aus  eigenem  Grundbesitz. 

Im  westfälischen  Frieden  ist  dann  bekanntlich  Vorpommern,  über  das  schon  1640 
eine  schwedische  Regierung  gesetzt  war,  an  Schweden  gefallen.  Für  die  I^ndes- 
universität  aber  hat  der  letzte  Pommemherzog,  Bogislav  XIV.,  wenige  Jahre  vor  seinem 
Tode  in  einer  W^eise  gesorgt,  daß  sie  in  die  Lage  versetzt  worden  ist,  ihre  Wirksamkeit 
bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  aus  eigner  Kraft  fortzusetzen,  ungeachtet  aller  schweren 
Schickungen,  welche  dieses  unglückliche  Land  noch  fernerhin  treflfen  sollten.  Schon  im 
Jahre  1626  hatte  der  Herzog  3  Dörfer  geschenkt  zur  Schadloshaltung  für  das  Ausbleiben 
der  Dotation.  Und  um  seinen  ernsten  Willen  zu  zeigen,  der  Universität  über  die  Not 
der  Zeit  hinwegzuhelfen,  trat  Bogislav  an  sie  im  Jahre  1634  zu  ewigem  Eigentum  das 
ganze  Amt  Eldena  mit  allen  20  Dörfern  und  ihren  Feldern,  sämtlichen  Wiesen,  Mooren 
und  Wäldern,  aber  auch  mit  der  auf  ihm  ruhenden  Schuldenlast  von  36  000  fl.  ab. 
Nicht  leichten  Herzens  entschlossen  Rektor  und  Konzil  sich  damals  zur  Preisgabe  ihrer 
unmittelbaren  Ansprüche  und  zur  Annahme  eines  Besitzes,  der  fortwährend  mit  neuen 
Kriegslasten  belegt  wurde,  ohne  etwas  einzubringen;  am  wenigsten  bereitwillig  waren 
sie  zur  übernähme  der  großen  Schuld.  Sie  handelten  schließlich  in  der  klaren 
Erkenntnis,  daß  ihnen  selbst,  den  labenden,  aus  den  zugrunde  gerichteten  Besitzungen 
ein  Vorteil  nicht  erwachsen  werde ;  sie  nahmen  die  Stiftung  an  um  der  Enkel  willen,  für 
die  sie  aus  ihr  reichen  Segen  erhofften. 

Der  Wille  Herzog  Bogislavs    ist  von  den  schwedischen  Königen  geachtet  worden. 


380  l^ie  einzelnen  Universitäten. 

Das  schwedische  Szepter  waltete  milde  über  dem  deutschen  I^nde.  Den  Ständen  wurde 
weitgehendste  Selbstverwaltung  belassen,  die  Universität  erfreute  sich  vieler  Begün.«tigungen 
des  neuen  Herrscherhauses.  Ihre  Frequenz  stieg  wieder  recht  erfreulich,  insbesondere 
dank  der  Immatrikulation  zahlreicher  Skandinavier.  Schon  das  dem  Friedensschluß  vor- 
aiLsgegangene  Jahr   hatte   213  Immatrikulationen  gebracht. 

Die  „Akademie"  darf  sich,  abgesehen  von  ihrer  Bedeutung  als  I^hranstalt,  nach 
zwei  Richtungen  hin  hervorragender  Verdienste  aus  der  Zeit  der  schwedischen  Herrschaft 
rühmen:  Vor  allem  der  treuen  Pflege  deutschen  Nationalbewußtseins,  eifriger  Hochhaltung 
deutscher  Sprache  und  Art,  emsiger  Erforschung  der  pommerschen  Geschichte.  Es  ist 
das  der  Geist,  der  uns  entgegenweht  aus  den  Werken  eines  der  Besten  unseres  Volkes,  - 
der  Greifswald  seine  Ausbildung  großenteils  zu  danken  hatte  und  ihm  die  ersten  10  Jahre 
seiner  Lehrtätigkeit  gewidmet  hat:  Ernst  Moritz  Arndt. 

Die  andere  Richtung,  in  der  in  Greifswald  mit  bestem  Erfolge  gewirkt  worden  ist, 
war  der  eifrige  Austausch  deutscher  und  nordischer  Geistesarbeit,  die  Wrmittlung  der 
gelehrten  Forschung  beider  germanischen  Völker. 

Aber  dennoch  krankte  die  Hochschule.  War  schon  an  sich  die  politische  Trennung 
für  den  Besuch  aus  dem  Reiche  ungünstig  genug,  so  wußten  die  Nachbarstaaten  das 
Studium  in  Greifswald  auch  noch  direkt  zu  verwehren,  wohingegen  die  vorporamersche 
Jugend  mit  begreiflicher  Vorliebe  Reichsuniversitäten  aufsuchte.  Hinzu  kam,  daß 
Schwedisch-Pommem  sich  nicht  wie  andere  deutsche  Länder  in  längerer  Friedenszeit  von 
seinen  Wunden  erholen  durfte,  sondern  daß  auf  pommerschem  Boden  die  furchtbar  schweren 
Kriege  zum  großen  Teil  gefuhrt  werden  mußten,  in  welche  Schweden  bis  ins  letzte  Drittel 
18.  Jahrhunderts  verwickelt  worden  ist. 

Ein  Glück  war  es,  daß  das  reiche  Patrimonium  der  Universität  aller  Kriegs- 
verheerungen und  jahrelanger  Einnahmeausfälle  ungeachtet  mit  der  Zeit  steigende  Erträge 
abwarf.  Denn  für  die  Stockholmer  Regierung  war  Greifswald  trotz  allen  Wohlwollens 
der  schwedischen  Könige  doch  nur  die  entlegene  Akademie  der  mecrfemen  Provinz,  und 
die  pommerschen  Stände  ließen  es  erst  recht  an  jedem  Interesse  für  die  Hochschule  fehlen. 
Die  Einnahmesleigerung  freilich  erfolgte  auf  Kosten  des  Bauernstandes;  in  Schwedisch- 
Pommem  trat  so  gut  wie  keine  staatliche  M;ißnahm2  dem  Legen  der  Bauern  und  damit 
der  Ausbildung  der  unglückseligen  Bodenverteilung  entgegen,  unter  der  Land,  Stadt  und 
Universität  heute  gleich  schwer  zu  seufzen  haben. 

Im  ersten  Jahrzehnt  des  19.  Jahrhunderts  sollte  der  l'niversiliit  sogar  drr  X'crlust 
der  sicheren  Stütze  nicht  erspart    bleiben. 

Mitten  im  verderbenbringenden  Getümmel  der  Franzosenkriege  erklärte  zum  großen 
Schrecken  des  akademischen  Konzils  ein  Dekret  vom  17.  Dezember  1809  den  Inivcrsität?»- 
grundbesilz  für  französisches  Krongut  und  übertrug  seine  Verwaltung  der  Intendantur  in 
Stralsund.  Vier  der  wichtigsten  Güter  erhielten  (Generale  zum  Geschenk.  Und  noch  bedenk- 
licher war,  daß  die  Regierung  in  Stockholm  bald  danach  sogar  die  völlige  .\ufhebung 
der  Universität  aufs  ernstlichste  zu  erwägen  begann. 

Der  Besuch  war  seit  Jahrzehnten  ein  wenig  befriedigender  gewesen,  die  Leistungs- 
fähigkeit hatte  duBch  Abzahlungen  an  den  in  den  Kriegen  immer  aufs  neue  wieder 
kontrahierten  Schulden  seit  langem  schwer  gelitten.  Mit  dem  Neubau  des  Univcrsität>- 
gebäudes  1747 — 1750  war  die  l'niversität  bedenklich  über  ihre  Kräfie  gegangen,  ohne 
daß  das  schöne  Gebäude  die  erwartete  Anziehungskraft  ausgeübt  hätte.  Ks  mangelte  an 
den  notwendigsten  Mitteln  für  zeitgemäße  Erhaltung  und  Erweiterung  der  Institute  und 
Sammlungen.  Ebenso  wenig  war  für  die  (Gewinnung  tüchtiger  auswärtiger  Lehrkräfte 
genügende  Sorge  getragen. 

Im  Jahre  1813  waren  infolge  des  Krieges  allein  unter  den  15  ordentlichen 
Professuren  6  unbesetzt. 

Nach  dem  Abzüge  der  Franzosen  1813  trat  die  Universität  wiederum  in  ihr 
unvermindertes,  von  den  Kriegen  freilich  hart  mitgenommenes  Eigentum  ein. 


Die  Königl.  Preußische  Universität  Grcifswald.  [\Q] 

Im  Jahre  1815  übernahm  der  preußische  Staat  mit  dem  Lande 
Neuvorpommern  zugleich  die  Universität  Greifswald  mit  der  ausdrück- 
lichen Versicherung,  die  Hochschule  werde  dauernd  im  vollen  Genüsse 
ihres  derzeitigen  Besitzes  belassen  bleiben. 

Für  die  Universität  brachte  der  Wechsel  der  Herrschaft  zunächst 
noch  nicht  sehr  erhebliche  Veränderungen.  Bei  der  mißtr^ischen 
Abwehr  aller  Eingriffe  in  ihre  inneren  Angelegenheiten  und  der  eifer- 
süchtigen Wahrung  der  Rechte,  die  den  akademischen  Körperschaften 
nach  dem  (schon  1813  erfolgten)  Ausscheiden  der  Professoren  aus 
der  akademischen  Administration  noch  verblieben  waren,  konnte  das 
neue  vorgeordnete  Ministerium  bei  bestem  Willen  eine  Einwirkung 
nur  in  recht  beschränktem  Umfange  ausüben.  Zudem  war  der  erste 
größere  Versuch  einer  solchen,  die  von  Anfang  an  unglückliche 
Gründung  der  Staats-  und  landwirtschaftlichen  Akademie 
Eide  na  1834,  für  die  Universität  auf  Jahrzehnte  hinaus  statt  mit 
Vorteil  mit  herben  Enttäuschungen  und  schweren  Kosten  verbunden. 

Eine  günstige  Entwicklung  der  Universität  trat  unter  der 
Regierung  Friedrich  Wilhelms  IV.  infolge  Berufung  tüchtiger  Lehrer 
ein.  Eine  ständige  finanzielle  Beihilfe  von  nennenswerter  Höhe  ist 
dagegen  nicht  vor  dem  Jahre  1874  zu  verzeichnen  gewesen.  Erst 
im  vorletzten  Jahre  des  Bestehens  der  Akademie  Eldena  ist  darin 
ein  Wandel  eingetreten;  für  1874  sind  für  Greifswald  in  den  Unter- 
richtsetat 17  320  Tlr.  eingestellt  worden,  welche  1875  auf  120  759  Mk. 
erhöht  wurden.  Dafür  aber  brachte  das  Jahr  1876  mit  der  Auf- 
lösung der  Akademie  Eldena  die  Uebertragung  der  für  die  Aus- 
stattung des  Schmerzenskindes  unserer  Hochschule  aufgenommenen 
Schuldsumme  in  Höhe  von  300000  M.  auf  die  Universität  selbst. 
Die  Höhe  des  Staatszuschusses  ist  in  dankenswerter  Weise  gesteigert 
worden,  seitdem  der  Ausbruch  der  gegenwärtigen  Agrarkrisis  das 
vorherige  sprunghafte  Anwachsen  des  Ertrages  der  akademischen 
Liegenschaften,  eines  Grundbesitzes  von  rund  15000  ha  (darunter 
gegen  12  000  ha  Felder  und  Wiesen  und  ca.  3000  ha  Wald)  auf- 
zuhalten begonnen  hat. 

Wenn  heute  bereits  47,4  %  der  Unterhaltungskosten  vom  Staate 
aufgebracht  werden,  darf  nicht  außer  acht  bleiben,  daß  die  Auf- 
wendungen gegenüber  den  Kosten  beinahe  aller  anderen  preußischen 
Universitäten  noch  immer  recht  mäßige  genannt  werden  dürfen,  vor 
allem  auch  im  Hinblick  auf  die  relative  Neuheit  dieser  Zuwendungen. 
Noch  weniger  ist  zu  vergessen,  wieviel  an  Schutt  und  Trümmern 
an  der  Greifswalder   Hochschule  bis    in    die  jüngste   Zeit  hinein  hin- 


382  I^ie  einzelnen  Universitäten. 

wegzuräumen  war,  wie  wenig  an  wirklich  brauchbaren  Einrichtungen 
aus  schwedischer  Zeit  übernommen  werden  konnte  und  mit  wie 
kärglichen  Mitteln  hier  früher  notdürftig  hausgehalten  worden  ist 

Ihre  Lebens-  und  Ent\\icklungsfahigkeit  hat  die  Greifswalder 
Hochschule  nie  besser  bewiesen  als  in  den  Jahrzehnten,  in  denen  ihre 
medizinische  Fakultät  trotz  der  schwer  empfundenen  Unzuläng- 
lichkeit ihrer  materiellen  Hilfsmittel  den  Rang  einer  der  allerersten 
in  Deutschland  zu  behaupten  verstanden  hat.  Hier  lehrte  am  Ende  des 
18.  und  im  ersten  Jahrzehnt  des  19.  Jahrhundertsein  C.  A.  Rudolphi, 
von  1824  an  der  hochverdiente  F.  A.  G.  Berndt,  von  1843  an  der 
Chirurg  Baum,  und  dann  reihen  sich  rasch  aneinander  Namen  wie  Sitz- 
mann, Haeser,  Bardeleben,  Eichstedt,  Felix  Niemeyer,  Budge, 
Rühle,  Ziemssen,  Grohe,  Laurer,  Hueter,  Landois,  Arndt  u.a.m. 

Allbekannt  dürfte  sein,  daß  die  Greifswalder  Theologenfakultät 
sich  seit  geraumer  Zeit  eines  großen  Ansehens  zu  erfreuen  und  es  durch 
scharfe  Ausprägung  einer  bestimmten  Richtung  verstanden  hat,  recht 
zahlreiche  Besucher  aus  ganz  Deutschland  und  dem  Auslande  nach 
der  pommerschen  Küste  zu  ziehen. 

Nur  einige  Namen  seien  genannt:  Für  das  16.  Jahrhundert  der 
pommersche  Reformator  Joh.  Kniepstroh  und  der  hochgelehrte 
Jacob  Runge,  für  das  17.  Jahrhundert  der  mutige  Berthold 
Krakevitz  und  der  um  Greifswald  gleichfalls  sehr  verdiente  J.  H. 
Balthasar.  Joh.  Friedr.  Mayer,  der  berühmte  Streiter  gegen  den 
Pietismus,  markiert  den  Anfang  des  1 8.  Jahrhundert  und  dessen  Ende 
J.  G.  L.  Kosegarten;  aus  dem  19.  Jahrhundert  genüge  der  Hinweis 
auf:  Gass,  Reuter  und  Cremer. 

Minder  groß  war  bis  vor  kurzem  der  Besuch  der  juristischen  und  der 
philosophischen  Fakultät.  Von  Juristen  blickte  die  gebildete  Welt  im 
17.  Jahrhundert  auf  wenige  mit  größerer  Hochachtung,  als  auf  David 
Mevius  in  Greifswald,  im  18.  Jahrhundert  erfreute  August  in 
Balthasar  sich  eines  ungewöhnlichen  Ansehens,  im  19.  Jahrhundert 
hatte  Greifswald  Namen  wie  Gesterding,  Beseler,  Windscheid, 
Bekker,  Kariowa  und  Behrend  aufzuweisen. 

Von  den  vielen  hervorragenden  Männern  der  philosophischen 
Fakultät  seien  nur  solche  —  mit  Ausschluß  der  Lebenden  —  aus 
dem  19.  Jahrhundert  angeführt.  Von  Historikern  außer  dem  schon 
genannten  Ernst  Moritz  Arndt  ein  Christ.  Fried.  Rühs, 
Arnold  Schäfer,  Usinger,  v.  Noorden  und  Erdmannsdörfer, 
unter  den  Mathematikern  Grunert  und  Immanuel  Fuchs;  unter  den 
Naturhistorikem  sei  Bernh.  Chr.  Otto,  unter  den  Physikern  Oberbeck, 


Die  Königl.  Preußische  Universität  Greifewald.  383 

nicht  minder  sei  der  Pharmakologe  Schwanert  en\'ähnt,  dann  die 
klassischen  Philologen  Chr.  W.  Ahlwardt,  Schömann,  Jahn,  Urlichs, 
Hertz,  Kießling,  Rud.  Scholl,  Keibel  und  Susemiehl,  unter  denen 
einzelne  zwar  nicht  so  sehr  lange  in  Greifswaid  gewirkt,  hier  aber 
Bleibendes   geschaffen  haben. 

Auch  der  Germanist  Edmund  Höfer  und  der  Nationalökonom 
Baumstark  mögen  aus  der  Menge  der  Namen  mit  trefflichem  Klang 
herausgegriffen  werden. 

Die  im  Greifswalder  Lehrkörper  vorhandene  Spannkraft  kam 
erst  jüngst  wieder  zum  Ausdruck  in  der  Energie,  mit  der  hier  der 
Gedanke  einer  Ausdehnung  des  Universitätsunterrichts  auf  weitere 
Kreise  Aufnahme  gefunden  hat.  Der  hiesige  Ferienkurs,  der  zweit- 
frühest  in  Deutschland  begründete,  bewahrt  seit  1 894  eine  wachsende 
Zugkraft  ungeachtet  der  immer  schärfer  werdenden  Konkurrenz  besser 
gelegener  Hochschulen.  Er  hat  nicht  wenig  zur  Ausbreitung  des 
Respekts  vor  der  deutschen  Wissenschaft  in  den  skandinavischen 
lindern  beigetragen.  Mit  gleichem  Ernst  und  Eifer  und  früher  und 
mit  weitaus  besseren  Erfolgen  als  an  den  meisten  anderen  Hoch- 
schulen ist  hier  an  die  Einrichtung  volkstümlicher  Hochschulkurse  ge- 
gangen worden,  und  in  Verfolgung  der  gleichen  Bestrebungen  widmen 
alljährlich  hiesige  Hochschullehrer  ihre  Kräfte  nahen  und  fernen 
Städten. 

Vor  allem  hat  die  Fürsorge  der  Königl.  Unterrichtsverwaltung 
in  den  allerletzten  Jahren  sehr  dankenswerte  Verbesserungen  und 
damit  Abhilfe  gegen  manche  schmerzlich  empfundene  Mängel  ge- 
schaffen. Für  eine  ganze  Reihe  mustergültig  ausgestatteter  Kliniken, 
Institute  und  Sammlungen  ist  Sorge  getragen  worden,  anderes  ist 
im  Bau  oder  in  Vorbereitung  begriffen. 

Denn  die  Tage  sind  für  immer  dahin,  wo  es  der  Greifswalder 
Hochschule  zu  besonderem  Ruhme  gerechnet  werden  durfte,  daß  sie 
als  die  einzige  unter  den  deutschen  Universitäten  nicht  gewohnt 
sei,  sich  mit  dem  Glänze  eines  fürstlichen  Herrschemamens  zu 
schmücken.  Das  gewaltige  Anschwellen  des  Bedarfs  modemer 
Universitäten  hat  auch  die  unsre  in  engste  Abhängigkeit  von  der 
wohlwollenden  Förderung  des  mächtigen  Staatswesens  gebracht,  dem 
sie  rechtmäßiger  Weise  schon  ](kil  hätte  zufallen  sollen. 

Mit  größerer  Berechtigung  als  je  zuvor  darf  die  Universität 
Greifswald,  eines  der  Denkmäler  hanseatischen  Bürgersinns,  heute 
voller  Zuversicht  der  Zukunft  entgegenschauen. 


m^  Die  einzelnen  Universitäten. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

1.  Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  am  Ende 
des  Sommersemesters,  wo  noch  kein  Nachfolger  eingetreten  ist  in 
die  Lücke,  welche  durch  Cremers  Tod  gerissen  wurde,  5  ordentliche*), 
4  außerordentliche  Professoren  und  2  Privatdozenten.  Das  1818  be- 
gründete Seminar,  verbunden  mit  dem  theologisch-praktischen  Institut, 
bezieht  jährlich  771  M.  Daneben  besteht  die  kirchlich-archäologische 
Sammlung  ohne  feste  Dotation.  Ein  1895  anläßlich  des  25  jährigen 
Professoren-Jubiläums  Cremers  begründetes  „evangelisches  Studien- 
haus", in  welchem  Studenten  der  Theologie  Wohnung  finden,  steht 
mit  der  Universität  nicht  in  direktem  Zusammenhang. 

2.  Der  juristischen  Fakultät  gehören  7  ordentliche  Pro- 
fessoren an**),  dazu  ein  ordentlicher  Honorarprofessor,  1  Extra- 
ordinarius und  1  Privatdozent.  Das  unter  Windscheid  und  Beseler 
1856  entstandene  juristische  Seminar  bezieht  trotz  seines  starken 
Besuches  nur  450  M.  p.  a. 

3.  Die  medizinische  Fakultät  setzt  sich  zusammen  aus  11 
Ordinarien***),  8  Extraordinarien,  9  Privatdozenten. 

a)  Ein  „anatomisches  Theater"  war  schon  beim  Neubau  der 
Universität  1747 — 50  im  oberen  Stockwerk  des  Universitätsgebäudes 
eingerichtet  worden  und  ist  in  diesen  wenig  geeigneten  Räumlich- 
keiten bis  zur  Erbauung  eines  besonderen  Instituts  1853/55  belassen 
worden.  Das  neue  Gebäude  erfuhr  Enveiterungen  1868  und  1897/98. 
Das  Institut  verfügt  über  jährlich  17  681  M.  mit  Gehältern,  doch  ohne 
Wohnungsgeldzuschuß. 

b)  Das  physiologische  Institut  ist  formell  erst  1872  unter 
Landois  von  der  Anatomie  getrennt  worden.  Das  derzeitige  schöne 
Gebäude  entstand  1886/87,  seine  Gesamtdotation  beläuft  sich  ohne 
Wohnungsgeld  auf  6613  M. 

c)  Die  pathologische  Anatomie  wurde  nach  Grobes  Be- 
rufung 1859  räumlich  von  der  Anatomie  geschieden,  mit  eigenen 
Sammlungen  ausgestattet  und.  1870  in  das  für  sie  neu  errichtete 
Institutsgebäude  gelegt.     Dotation  (ohne  Wohnungsgeld)  9281   M. 

d)  Das  hygienische  Institut  ist  erst  1888  unter  Löffler  als 
ein    selbständiges  Glied    der  Universität    entstanden   und   1893    in   ein 

*)  Zückler,  Victor  Schultze,  v.  Nathusius,  HauÜleiter,  Ötlli. 
**)  Bierling,  Pescatore,  Weismann,  Stoerk,  Stampe,   Frommhold,   Sartorius. 
***)  Mosler,   Hugo   Schulz,   (Jrawitz,   l^fller,   Bonnet,   Schirmer,   Martin,   Strühing, 
Moritz,  Friedrich,  Bleibtreu. 


Die  König!.  Preußische  Universität  Greifswald.  ^^5 

angekauftes  und  umgebautes  altes  Privathaus  verlegt  worden.  Außer 
durch  Stallungen  usw.  wurde  es  190()  durch  Errichtung  eines  Pest-, 
laboratoriums  enveitert.     Dotation  (ohne  Wohnungsgeld)  6200  M. 

e)  Das  Universitätskrankenhaus  ist  aus  dem  Landeslazarett 
hervorgegangen.  Schon  von  seiner  Gründung  im  Jahre  1781  an 
hatte  das  Lazarett  gleichzeitig  dem  akademischen  Unterricht  gedient. 

Die  anfänglich  vorhandenen  20  Betten  wurden  1816  auf  14  reduziert.  In  den 
20er  Jahren  suchten  jährlich  nicht  mehr  als  36 — 40  Kranke  Aufnahme  nach,  aber  auch 
die  Zahl  der  Studierenden  der  Medizin  sank  nach  M  e  n  d  es  Abgang  1 823  bis  auf  13.  Durch 
den  um  unsere  Universität  hochverdienten  F.  A.  G.  Berndt  ist  1833  aus  vereinten 
Mitteln  der  Universität  und  der  Provinz  das  Lazarett  einem  Erweiterungsbau  unterzogen, 
eine  medizinisch-chirurgische  Abteilung  ist  angegliedert  und  eine  umfassende  Poliklinik 
eingerichtet  worden.  Schon  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  hat  ein  poliklinischer  Unter- 
richt neben  dem  I^ndeslazarett  bestanden  und  1822  war  durch  Sprengel  eine  chirurgische 
Poliklinik  eröfl'net  und  mit  seiner  privaten  Klinik  in  Verbindung  gesetzt  worden.  Die 
(irundsteinlegung  des  großen  heutigen  Clebäudes  erfolgte  im  Zusammenhang  mit  der 
Zentenarfeier  1856,  seine  Vollendung  1859.  Der  Erweiterungsbau  aus  den  Jahren  1875 
bis  1877  wurde  1888  teilweise  durch  Feuer  zerstört,  doch  bald  neu  hergestellt.  Nach 
Vollendung  der  großen  chirurgischen  Klinik  (Herbst  1903)  wird  das  seither  der  chirur- 
gischen Abteilung  dienende  Stockwerk  einem  Umbau  unterzogen  werden.  —  Außer  der 
neuen  chirurgischen  Klinik  sind  3  unter  Beihilfe  der  Stadt  und  zweier  Kreise  1894/95 
errichtete  Absonderungsbaracken  an  das  Universität^krankenhaus  angegliedert.  Gleiches 
gilt  von  der  medizinischen  und  der  chirurgischen  Poliklinik,  obschon  die 
erstere  einem  eigenen  Direktor  unterstellt  und  in  besonderem  (Gebäude  untergebracht 
ist;  sie  teilt  die  Direktion  mit  der  1887  begründeten  Poliklinik  für  Nasen-  und 
Halskrankheiten  (Sirübing).  Ebenso  ist  die  zahnärztliche  Poliklinik  in  ein 
eigenes  Haus  gelegt. 

Die  Gesamtausgabe  des  Universitätskrankenhauses  beträgt  (ohne 
Wohnungsgeld)  232  581  M.  Davon  werden  aus  eigenen  Einnahmen 
bestritten  123  371   M. 

f)  Die  geburtshilflich-gynäkologische  Klinik  und  das  Heb- 
ammeninstitut ist  durch  Haselberg  1802  eingerichtet  und  durch 
Berndt  1826  gründlich  reorganisiert  und  mit  einer  Hebammen-Lehr- 
anstalt verbunden  worden.  In  das  ihr  teilweise  eingeräumte  rissige  alte 
Haus  (das  heutige  Domizil  des  pharmakologischen  Instituts  und  des 
geographischen  Apparats)  wurde  sehr  bezeichnenderweise  1859  auch 
das    chemische  Laboratorium  gelegt. 

Unter  Pernice  ist  das  derzeitige  Gebäude  1875/77  entstanden. 
Es  wurde  bald  nach  Martins  Berufung  1900/03  einem  gründlichen 
Um-  bezw.  Erw^eiterungsbau  unterzogen.  Die  Einnahmen  belaufen 
sich  auf  58  019  M.;  darunter  sind  13  895  M.  eigene  Einnahmen. 

g)  Die  Augenklinik  ist  1874  von  der  chirurgischen  Klinik 
abgezweigt  worden.     Das    derzeitige  Gebäude  entstand  1884/87  unter 

Das  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich     1.  25 


386  1^*^  einzelnen  Universitäten. 

Schirmer.     Es  ist  1897  durch  einen   Anbau   vergrößert,  und    1900  ist 
eine   Trachombaracke  erbaut  worden. 

Die  Einnahme  beträgt  32  300  M.  (ohne  Wohnungsgeld),  unter  ihnen 
14  514,(>()M.  eigene  Einnahmen. 

h)  Die  Irrenklinik  Ist  in  ihren  Anfangen  gleichfalls  auf  den 
rührigen  F.  A.  G.  Bern  dt  zurückzuführen.  1859  wurde  ihr  das  leer- 
gewordene alte  Landeslazarett  überAviesen,  mit  dem  sie  sich  seither 
notdürftig  beholfen  hat.  Gegenwärtig  geht  ein  stattlicher  Neubau 
seiner  Vollendung  entgegen.  Ihr  Et.it  schließt  mit  37  5(X)  M.;  darin 
von  der  Universität  ein  Zuschuß  von   10  907  M. 

i)  Die  Kinderklinik  ist  1876  als  private  Anstalt  Krablers 
errichtet,  seit  1886  von  der  Universität  subventioniert  und  1897  unter 
die  akademischen  Institute  eingereiht  worden,  nachdem  zwei  zu  ihren 
Gunsten  ausgesetzte  Vermächtnisse  an  diese  Voraussetzung  geknüpft 
worden  waren. 

Ihr  Etat  balanziert  mit  1 1  272  M.,  darunter  Staatszuschuß  5440  M., 
aus  Stiftungs-  und  anderen  Fonds  ^)20  M.,  für  Kur-  und  Verpflegungs- 
kosten 4W8,50  M. 

k)  F^inc  pharmakologische  Sammlung  entstand  mit  einer 
größeren  Schenkung  Laurers  1860.  1874  ist  ein  besonderes  Institut 
in  gemieteten  Räumen  eröffnet  und  1885  das  ehemalige  Gebäude  der 
Frauenklinik  bezogen  worden.     Dotation    4300  M. 

1)  Das  gerichtlich-medizinische  Institut  besteht  seit  1888. 
Dotation  4300  M.  — 

Zur     philosophischen     Fakultät     gehören     22     Ordinarien, 
13  außerordentliche  Professoren,     10  Privatdozenten    und  2  Lektoren. 
Lehrer  der  Künste  sind  4  vorhanden. 
Fachgruppen : 

aj  die  philosophische,  vertreten  durch  2  Ordinarien*;  und 
j   Flxtraordinarius ; 

b)  die  Altertumswissenschaft  mit  4  Ordinarien**)  und  1  F'xtra- 
ordinarius. 

Das  philologische  Seminar  bestand  bereits  vor  der  Mitte  des 
19.  Jahrhunderts;  es  ist  namentlich  bekannt  geworden  in  der  Zeit, 
wo  CS  sich  der  Leitung  von  Schömann  und  Hertz  zu  erfreuen 
hatte.     Dotation  640  M. 

Das  Seminar  für  alte  Geschichte  bildet  einen  Teil  des 
historischen  Seminars;    ihm  fließt  von  dessen  Dotation  ein  Drittel  zu. 

*)  Schuppe,   Kehmke.     *"*")  Preuner,  Secck,  Gercke,  Kroll. 


Die  Kunigl.  Preußische  Universität  Greifswald.  387 

Die  akademische  Kunstsammlung  geht  in  ihren  Anfangen 
auf  private  Sammlungen  in  den  50  er  Jahren  des  1 9.  Jahrhunderts 
zurück.  Hertz  und  später  Michaelis  verwalteten  sie  im  Nebenamt,  ohne 
daß  regelmäßige  Fonds  für  sie  zur  Verfügung  gestanden  hätten. 

Das  trat  erst  ein  nach  Errichtung  einer  außerordentlichen  Pro- 
fessur  für  Archäologie  1866.     Gegenwärtige  Dotation  900  M. 

Dem  Direktor  der  akademischen  Kunstsammlung  untersteht  auch 
die  Sammlung  pommerscher  Altertümer;  sie  ist  gleichfalls  durch 
private  Zuwendungen  im  Jahre  1823  begründet  worden  und  verfügt 
über  keine  feste  Dotation. 

Gruppe  c):  Neuere  Philologie  und  Literaturgeschichte  mit 
3  Ordinarien*),  2  Extraordinarien,  1  Privatdozent,  2  Lektoren.  Das 
Germanistische  Seminar  ist  1876  begründet  worden.  Dotation 
180  M. 

Das  Seminar  für  romanische  und  englische  Philologie 
ging  aus  einem  —  1875  zuerst  staatlich  unterstützten  —  Privatseminar 
hervor.  Eine  regelmäßige  Dotation  bezieht  das  Seminar  seit  1886, 
zur  Zeit  in  Höhe  von  594  M. 

Gruppe  d):  Vergleichende  Sprachwissenschaft  und  orien- 
talische Philologie.  Seit  Zimmers  Berufung  nach  Berlin  zählt  die 
Gruppe  nur  noch  1  Ordinarius**),  2  Extraordinarien  und  1  Privatdozent. 

Gruppe  ej:  Mittlere  und  neuere  Geschichte  und  historische 
Hilfswissenschaften  werden  gelehrt  durch  2  Ordinarien***)  und  1  Privat- 
dozent. Für  das  damals  bereits  bestehende  historische  Seminar  ist 
eine  erste  Geldbewilligung  1839  erfolgt.  —  Von  der  heutigen  Ge 
samtdotation  von  600  M.  bezieht  der  Leiter  der  Abteilung  für  alte 
Geschichte  V.s- 

Gruppe  f):  Kunstgeschichte  ist  nur  durch  1  Extraordinarius 
und  1  Privatdozenten  vertreten.  (Die  akademische  Kunstsammlung, 
die  Sammlung  pommerscher  Altertümer  und  die  kirchlich-archäo- 
logische Sammlung  s.  o.!) 

Gruppe  g):  Staatswissenschaften,  Statistik  und  Geographie 
werden  vertreten  durch  2  Ordinarien f)  und  1  Extraordinarius.  — r  Das 
Staatswissenschaftliche  Seminar  entstand  1893  (C.  J.  Fuchs),  Dotation 
»WO  M.  —  Der  Apparat  für  den  geographischen  Unterricht,  der  in 
seinen    Anfangen    in    das    Jahr  1875    zurückgeht,    ist    1881    von    der 

*)  Stengel,  Reifferscheid,  Konrath.  **)  Ahlwardt.  ***)  ülmann,  Beraheim.  fj  Credncr, 
Oldenberff. 

25* 


388  l^ie  einzelnen  Universitäten. 

Bibliothek  abgesondert  und  in  einem  Teil  der  alten  Frauenklinik 
untergebracht  worden.     Dotation  300  M. 

Gruppe  h):  Mathematik,  Astronomie  und  mathematische 
Physik  sind  durch  2  Ordinarien*),  1  Extraordinarius  und  1  Privat- 
dozent vertreten. 

Das  mathematische  Seminar  ist  1872  entstanden.  Dotation 
450  M.  Das  mathematisch -astronomische  Institut,  welches  im 
physikalischen  Institut  untergebracht  ist,  ist  als  die  Fortsetzung  des 
astronomischen  Observatoriums  zu  betrachten,  in  welchem  Heinrich 
Röhl  von  1775  an  wertvolle  astronomische  Messungen  und.  Bestim- 
mungen vorgenommen  hat.     Dotation  600  M. 

Gruppe  i):  Physik,  technische  Mechanik.  1  Ordinarius**), 
2  Extraordinarien,  2  Privatdozenten.  Ein  physikalisches  Kabinett 
bestand  schon  im  18.  Jahrhundert.  Mit  dem  heutigen  stattlichen 
Gebäude  ist  1889  begonnen  worden  und  1891  konnte  das  Institut 
die  seit  1857  innegehabten  Räume  im  Kollegiengebäude  räumen. 
Seine  Dotation  beträgt  (o.  W.)  9540  M. 

Gruppe  k):  Die  Chemie  ist  durch  2  Ordinarien***),  2  Extra- 
ordinarien und  1   Privatdozenten  vertreten. 

Das  chemische  Institut  geht  —  von  älteren  ephemeren 
Gründungen  abgesehen  —  in  seinen  ersten  Anfangen  auf  eine 
Bewilligung  im  Jahre  1795  zurück.  185*^  wurde  es  in  die  oben 
erwähnte  räumliche  Vereinigung  mit  der  geburtshilflichen  Klinik 
gebracht.  Der  heutige  Bau  ist  1862  unter  Lim p rieht  vollendet 
worden.  Er  hat  sich  in  neuerer  Zeit  ebenfalls  als  unzulänglich  er- 
wiesen. Die  Vorarbeiten  eines  neuen  Instituts  sind  abgeschlossen 
und  es  steht  der  Beginn  des  Neubaus  unmittelbar  bevor.  Dotation 
14  538  M. 

Gruppe  1):  Mineralogie  und  Geologie  lehren  1  Ordinarius f; 
und  1  Extraordinarius.  Das  Mineralogische  Institut  hat  sich  aus  dem 
mineralogischen  Kabinett  entwickelt,  dessen  schon  182i^  Envähnung 
getan  wird.  Ihm  sind  im  chemischen  Institut  besondere  Räume  an- 
gewiesen. Die  Dotation  (zugleich  für  die  Sammlung  und  die  Bibliothek) 
beträgt  4375  M. 

Gruppe  m):  Zoologie  vertritt  j  Ordinariusyf )  und  j  Privatdozent. 
Nachdem  die  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  begründete  Lembkesche 
naturhistorische  Sammlung  hundert  Jahre  später  größtenteils  dem 
Feuer  übergeben  worden  war,  ist  ein  neues  zoologisches  Museum 
1834/35  in  einem  angekauften  Privathause  eingerichtet  worden.     1897 

*)    l'home,  Study.    **;  König.    ***)  Limpricht,  Auwers.    f;  Cohen,    tfj  \V.  Müller. 


Die  Königl.  Preußische  Universität  Greifswald.  389 

hat  ein  gründlicher  Um-  und  Erweiterungsbau  stattgefunden.  Dotation 
6812  M. 

Gruppen):  Botanik.  Vorhanden  1  Ordinarius*),  1  Privatdozent. 
Der  botanische  Garten  ist  1764  angelegt,  1870  wurde  das  Auditorien- 
gebäude durch  Anbau  eines  Museums  vergrößert.  Eine  Ver- 
legung des  Gartens  ist  1883  notwendig  geworden,  weil  der  Platz 
teilweise  für  die  neue  Augenklinik  verwendet  werden  sollte.  Der 
heutige  Hörsaal  entstand  1893.  Das  Institutsgebäude  erfuhr  1900 
wesentliche  Umgestaltungen.  Mit  einer  der  beiden  Erweiterungen 
des  Gartens  ist  gleichzeitig  ein  Gebäude  erworben  worden,  in  welchem 
das  pharmakognostische  Laboratorium  gesondert  untergebracht  werden 
konnte.     Dotation  17  910  M. 

o)  Landwirtschaft  wird  seit  der  Aufhebung  der  Staats-  und  landwirt- 
schaftlichen Akademie  Eldena  im  Jahre  1876  hier  nicht  mehr  gelehrt.  — 

Für  Anfange  einer  Universitätsbibliothek  sorgte  schon  der 
Universitätsgründer  Heinrich  Rubenow  durch  Hergabe  seiner 
reichen  Privatbibliothek.  Unter  den  zahlreichen  Ordnern  und  Ver- 
mehrern der  Bibliothek  sei  nur  des  verdienten  I.  C.  Dähnert  aus 
der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  gedacht.  Das  heutige 
recht  zweckmäßig  eingerichtete  Gebäude  ist  1880  in  Angriff  ge- 
nommen worden.  Zwei  Jahre  darauf  verließ  die  Bibliothek  die  im 
Kollegiengebäude  innegehabten  Räume,  vor  allem  die  vorher  von  ihr 
mitbenutzte  heutige  Aula  der  Universität.  Bereits  Ende  der  80  er 
Jahre  erwies  sich  der  verfügbare  Raum  als  völlig  unzureichend.  Dem 
Mangel  ist  durch  einen  Erweiterungsbau  aus  den  Jahren  1890/92  für 
die  erste  Zeit  abgeholfen  worden.  Dotation  56  387  M.  Davon  für 
Erwerbungen  und  sachliche  Ausgaben  26512  M  O.  W.  Bestand: 
ca.  188  000  Bände  (ohne  Schulprogramme,  Dissertationen  und 
Zeitungen),  mehr  als  800  Handschriften  und  200  Inkunabeln,  ca.  1000 
Bände  Musikalien.  Das  Verwaltungspersonal  besteht  neben  dem 
Direktor**)  aus  1  Oberbibliothekar,  3  Bibliothekaren,  1  Hilfsbibliothekar 
und  2  Volontären. 

Unter  den  Anstalten  für  körperliche  Übung  verdient  außer  dem 
akademischen  Fechtboden  vor  allem  das  geradezu  musterhafte  Uni- 
versitätsreitinstitut (Dotation  1500  M.),  dann  eine  von  der  Universität 
geschaffene  prächtige  Spielwiese  Erw^ähnung.  Den  Zuwendungen  von 
Seiten  der  Universität  und  des  Staates  hat  eine  Reihe  studentischer 
Korporationen  den  Besitz  eigener  Ruder-  und  Segelboote  zu  verdanken. 


♦)  Schutt.    *♦)  Milkau. 


390 


Die  einzelnen  Universitäten. 

3.    Statistische  Übersichten. 


I  '"               I I    '        "  "i                    ■      ' "             I 

^   ,      ,.  ,         Ordentliche  Außer-               .^  .                                      i 

Ordentliche        ,,  ,      ,.  ,  I        Pnvat-            t    i . 

Semester            _     .                    Honorar-  ordentliche  '     _^                       I Aktoren 

,    Professoren      _,     .  _^     .                    Dozenten     i 

I   Professoren  Professoren 


1      S.-S.  1903      '          46 

1 

^        25 

23 

r 

2 

.      S.-S.  1878      1          37 

— 

12 

10 

—           1 

!      S.S.  1853      '          25 

8 

10 

1 

1 

Zahl  der  im- 

Darunter 

'  Zahl  der 

im-  ' 

Darunter 

Scmester        matrikulierten 

Reichs- 

Semester        matrikulierten 

Reichs- 

Studierenden       ausländer 

Studierenden  | 

ausländer 

S.-S.  1903    !          795 

1 

37 

S.S.  1900 

788 

1 
1 

20 

W.-S.  1902/3            694 

31 

S.S.  1890 

875 

23      ; 

S.S.  1902              815 

i 

25 

S.S.  1880 

591 

4 

'  W.-S.  1901/2            717 

1 

23 

S.S.  1870 

395 

9 

S.-S.  1901              802 

23 

S.-S.  1860 

279 

? 

W.-S.  1900/1             713 

2.3 

S.-S.  1853 

204 

? 

1 

Zahl 

der  Studierenden  der 

Semester 

e> 

'.  theolog.          Ke( 

:hts-        medizinischen  philosophi.« 

»chen 

l^akultä 
117 

Lt         wisset 

jschaft          Fakultät 

-- 

Fakullä 
244 

t 

S.-S.  1903 

2 

40                    194 

W.-S.  1902/3 

103 

2 

04                    183 

204 

S.S.  1900 

184 

1 

91                    269 

144 

S.S.  1895 

255 

1 

27                   404 

92 

S.S.  1890 

274 

84                   419 

98 

S.S.  1880 

57 

82                   274 

178 

S.S.  1870 

26 

35                  251 

a3 

S.S.  1860 

30 

28                   139 

82 

S.S.  185:^ 

25 

57                    81 

41 

Zahl  der  sonstigen  zum    Hören  von  X'orlesungen    Zugelassenen: 

S.S.  1903  ...  45  W.-S.   1902/03    54  S.S.  1902  .  .  .  .'W 

W.-S.  1901/02    46         S.S.  1901  ..  .  26         W.-S.  1900/01    29 


Zahl  der  zugelassenen  weibliclien  Si u<lierenden  (bisher  ausschließlich  als 

Hospitantinnen): 

S.S.  1903  ...    6         W...S.  1902/a3    11  S.S.  1902.  .  .     3 

W.-S.  1901/02      2         S.S.  1901  ..  .    8         W.-S.  1900/01    15 


Die  Königl.  Preußische  l'niversität  Greifswald.  391 

(resamtsumme  der  ordentlichen  Einnahmen  der  Universität 
(nach  dem  Staatshaushaltsetat)  in  Mark. 


Etatsjahr 

1 

Aus  eigenem 

Vermögen  und 

Stiftungen 

Aus  eigenem 

?:n*erb 
(Kliniken  usw.) 

Staatszuschufl 

Summe 

1903 
1890 
1878 
1865 

337  847 
330651 
328  085 
255000 

209259 

63860 

70821 

2400 

493  821 
262  572 
135684 

1040927 
657084 
534  590 
257400      1 

Von  der  (iesamtsumme  der  ordentlichen  Ausgaben  entfallen  auf: 

.  .     _    .  -     -.  .  - 

Besoldungen  u.  '    Wohnungs-      ^.^  ,„^,j,^j^  ,  Für  Konvikte,  v>rwal.ungs-  ! 

Elatsjahr  '  »«"•""'"«""="    geUkuschüsse  „„^  Unterstützun-  ^„^  ^^„^^j^^  I 

der  Professoren        für  I/:hrer     ^  s^„,„„g,„        Ren  und  ^^^,^^  i 

und  Dozenten       und  Beamte    .  Stipendien 

114297  I 

40  316  i 

36845  i 

21  120  i 


(iesamtsumme  der  außerordentlichen  Ausgaben    des  Staates    in    den    letzten 

25  Jahren 3772387  M. 

Von  ihnen  entfallen  allein  auf  die  letzten  4  Jahre  seit  1900     .     .  2127a38    ,, 


1903 

328050 

42  408 

1 

5353-» 

20834 

1      1890 

255100 

33192 

307  594 

18882 

1878 

217500 

24  552 

239250 

16443 

1      1865 

128361 

— 

%741 

11178 

J.  S  c  h  m  ö  1  c. 


VI.  Die  Königlich  Preußische  Friedrichs-Universität 
Halle- Wittenberg*). 


irGründung  und  Entwicklung. 

Die  Gründung  unserer  Universität  fand  in  den  neunziger  Jahren 
des  17.  Jahrhunderts  statt.  Der  damalige  Kurfürst  Friedrich  III.  von 
Preußen  wollte  damit  den  neuerworbenen  bisherigen  geistlichen  Her- 
zogtümern von  Halberstadt  und  Magdeburg  eine  wissenschaftliche 
Stütze  geben,  um  namentlich  den  benachbarten  sächsischen  Universi- 
täten eine  Konkurrenz  entgegenzusetzen  und  die  Landeskinder  auch 
während  der  Studienzeit  dem  heimischen  Herde  zu  erhalten.  Einen 
Anhaltspunkt_dafür  fand  man  in  der  schon  ein  Jahrzehnt  früher  ge- 
gründeten Ritterakademie,  welche  bereits  eine  größere  Zahl  Zöglinge 
aus  angesehenen  Familien  in  Halle  vereinigt  hatte. 

Eine  Reihe  von  Jahren  verging,  bis  der  gefaßte  Plan  feste  Formen 
zu  erlangen  vermochte,  und  wenn  einzelne  Lehrer,  wie  vor  allem  der 
aus  Leipzig  vertriebene  hochangesehene  Jurist  Thomas! us,  schon 
Ende  der  achtziger  Jahre,  der  gleichfalls  von  der  Leipziger  Uni- 
versität verdrängte  August  Hermann  Franke  Anfang  der  neunziger 
Jahre  ihre  Lehrtätigkeit  in  Halle  begannen,  so  wurde  doch  erst  1693 
die  Kaiserliche  Genehmigung,  die  in  der  damaligen  Zeit  noch  zur 
Gründung  einer  Universität  in  deutschen  Landen  notwendig  war, 
nach  langen  schwierigen  Verhandlungen  erreicht,  und  die  Konsti- 
tuierung und  Eröffnung  am  12.  Juli  1694  vollzogen,  welcher  Tag  seit- 
dem für  den  feierlichen  Akt  der  Übernahme  des  neuen  Rektorats 
dauernd  gewählt  wurde. 

*)  Hauptquelle  ist:  Wilhelm  Schrader,  (iescbirhte  der  Kriedrichs-l'niversitäl  zu 
Halle.  Berlin  1894.  Außerdem  für  die  statisti«;c]ie  Seite:  J.Conrad,  die  Kntwicklunjj  der 
Iniversital  Halle  statistisch  verfolj;t.  Jahrb.  f.  Nationalökonomie.  N.  V.  Bd.  XI.  Ders. 
Die  Statistik  <ler  Universität  Halle  wahrend  der  200  Jahre  ihres  Bestehens.  In  der  Fest- 
schrift der  vier  Fakultäten  zur  200jährigen  Jubelfeier  der  Universität  Halle- Wittenberg. 
Halle  1894. 


Die  Königl.  Preußische  Friedrichs-Universität  Halle- Wittenberg.  393 

Eine  eigenartige  Stellung  nahm  die  neue  Universität  von  vorn- 
herein durch  die  Aufgaben  ein,  die  ihr  gestellt  wurden  und  durch  die 
Männer,  die  zur  Verfolgung  derselben  berufen  wurden.  Es  sollte  den 
in  Preußen  bestehenden  reformierten  Universitäten  und  den  Pflege- 
stätten altlutherischen  Pietismus  in  den  sächsischen  Landen  Witten- 
berg und  Leipzig,  in  Halle  eine  Stätte  des  gesunden,  mehr  freisinnigen 
Luthertums  und  des  feineren  Humanismus  gegenübergestellt  werden. 
In  der  gleichen  Weise  sollte  gegenüber  dem  bisherigen  Scholasmus 
strengere  Wissenschaftlichkeit  zur  Geltung  kommen  und  hierzu  eine 
freiere  Lehrmethode  Eingang  finden,  durch  welche  mit  Recht  von 
Pauls en  Halle  als  die  erste  moderne  Universität  bezeichnet  worden 
ist.  Mit  großer  Umsicht  wurden  hierfür  die  für  Halle  berufenen 
Männer  ausgewählt  und  mit  verhältnismäßig  großen  Opfern  gewonnen. 
Vor  allem  waren  es  der  bereits  erwähnte  Thomasius  und  der  her- 
vorragende Wittenberger  Jurist  Stryck,  welche  die  Stützen  der  neuen 
juristischen  Fakultät  wurden,  daneben  die  hervorragenden  Theologen 
Breithaupt  und  Franke,  welche  der  theologischen  Fakultät  das  mehr 
freisinnige  Gepräge  verliehen  und  damit  sofort  den  Anlaß  zu  der  hef- 
tigsten Opposition  der  Pietisten  des  In-  und  Auslandes  gaben.  Tho- 
masius hatte  schon  in  Leipzig  den  damals  unerhörten  Schritt  be- 
gonnen, Vorlesungen  in  deutscher  Sprache  offiziell  anzukündigen 
und  zu  halten,  und  setzte  dieses  mit  wachsendem  Erfolge  und  all- 
mählich immer  weiterer  Nachahmung  in  Halle  fort,  sodaß  hier  zuerst 
unter  dem  Beifall  und  Ermunterung  durch  die  preußischen  Fürsten 
die  heimische  Sprache  als  Idiom  der  Wissenschaft    akzeptiert    wurde. 

Neben  den  beiden  genannten  Fakultäten  wurden  auch  sofort  die 
medizinische  und  philosophische  Fakultät  konstituiert,  wie  das  in 
Deutschland  bereits  damals  allgemeiner  Usus  war  und  sich  bis  zur 
Gegenwart  erhalten  hat.  So  trat  sofort  eine  wohlarrondierte  und  den 
damaligen  Verhältnissen  entsprechend  ausgestattete  Universität  ins 
Leben,  der  von  Anfang  an  ein  ausschließlich  evangelischer  Charakter  bei- 
gelegt wurde,  wie  er  ihr  bis  zur  Gegenwart  in  Deutschland  erhalten 
geblieben  ist. 

Wohl  hat  auch  die  medizinische  Fakultät  bald  nach  der  Grün- 
dung hervorragende  Männer  wie  Stahl  und  Hoffmann  aufzuweisen, 
eine  allgemeinere  Bedeutung  für  die  Wissenschaft  hat  sie  aber 
doch  erst  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  durch  Reil  und  Kruken- 
berg und  in  der  neuesten  Zeit  durch  Richard  v.  Volkmann  erlangt. 

In  der  philosophischen  Fakultät  wurde  dagegen  durch  die 
Berufung  von  Christian  Wolff  1706,  als  Professor   der  Mathematik 


394  ^*c  ciiusclncn  Universitäten. 

und  Philosophie,  eine  Persönlichkeit  gewonnen,  welche  derselben  bald 
eine  hervorragende  Stellung  in  Deutschland  verlieh.  Er  faßte  die 
Religion  vom  Standpunkte  weltlicher  Nutzbarkeit  auf  und  suchte  alle 
Erscheinungen  aus  allgemeinen  Vernunft-  und  Naturgesetzen  zu  er- 
klären, wodurch  er  mit  den  Theologen  in  scharfen  Konflikt  geriet. 
Der  König  Friedrich  Wilhelm  L  faßte  seine  Lehre  irrtümlich  als  einen 
strengen  Determinismus  auf,  den  er  für  außerordentlich  schädlich  hielt, 
und  verfügte  1723  seine  Ausweisung,  ohne  darum  seinem  Wirken  in 
Deutschland  ein  Ziel  zu  setzen.  Es  war  eine  der  ersten  Taten  Fried- 
richs des  Großen,  den  Mann  wieder  zurückzurufen  und  in  seine  frühere 
Stellung  und  zwar  unter  Aufbesserung  seines  Gehalts  wieder  ein- 
zusetzen. 

Nur  noch  einmal  hat  die  Fakultät  eine  hervorragende  Bedeutung 
in  Deutschland  gewonnen  und  eine  fuhrende  Stellung  in  dem  deutschen 
Geistesleben  eingenommen,  und  zwar  durch  einen  zweiten  Wolf,  den 
bekannten  Philologen  Friedrich  August  Wolf,  der  1783  die  philo- 
logische Professur  an  unserer  Universität  übernahm,  die  ihm  durch  die 
Auflösung  der  Universität  1806  wieder  entzogen  wurde,  an  die  er 
auch  später  nicht  wieder  zurückkehren  sollte,  da  er  dann  nach  Berlin 
berufen  wurde. 

Seine  epochemachenden  Studien  über  Homer  sind  bekannt;  be- 
deutsamer war  noch  sein  Einfluß  auf  die  Erweiterung  des  philologischen 
Studiums,  welches  durch  ihn  nicht  wij  bisher  auf  die  Sprache  beschränkt, 
sondern  auch  auf  die  Kunst,  den  Staat  und  das  ganze  Leben  des 
Volkes  im  klassischen  Altcrtume  ausgedehnt  wurde.  Die  Universität 
Halle  verdankt  ihm  zwei  bedeutsame  Einrichtungen,  einmal  die  Ein- 
führung einer  Reifeprüfung  und  einer  Prüfungsbehörde  für  diejenigen 
Studenten,  welche  ohne  ausreichendes  Schulzeugnis  die  Universität 
mit  der  Absicht  benutzen  wollten,  später  eine  staatliche  Anstellung  zu 
erhalten.  Seine  zweite  Tat  war  die  Gründung  eines  philologischen 
Seminars  I7B7,  um  die  Studierenden  durch  besondere  Arbeiten  und 
Disputationen  gründlicher  wissenschaftlich  zu  schulen,  wofür  den  Mit- 
gliedern ein  geringes  Stipendium  gewährt  wurde.  Die  Regierung  ge- 
währte dazu  150  Thaler.  Wolf  hat  durch  diese  Hinrichtung  wesent- 
lich dazu  beigetragen,  die  Philologie,  welche  his  dahin  ein  Anhängsel 
der  Theologie  war,  zu  einer  selbständigen  Disziplin  zu  erheben  und 
aus  der  alten  Humanisten-F'akultät  allmählich  eine  selbständige  Fach- 
Fakultät  herauszubilden. 

Hatte,  wie  wir  sahen,  die  theologische  Fakultät  schon  im  Be- 
ginne ihrer  Tätigkeit 'einen  bedeutsamen  Platz  in  Deutschland   einge- 


Die  Königl.  Preußische  Friedrichs-Universität  Hallc-Wiltcnberg.  395 

nommen,  so  trat  sie  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  nochmals 
in  den  Vordergrund  durch  die  EntA\'icklung  des  Rationalismus,  der 
dann  verschiedene  Wandlungen  durchgemacht  hat.  Eine  wesentliche 
Bedeutung  nach  dieser  Richtung  hatte  der  Theologe  Semmler.  der 
1757  die  Leitung  des  theologischen  Seminars  übernahm.  Sein  Ein- 
fluß ging  weit  über  Halle  hinaus,  er  gründete  sich  auf  seiner  um- 
fassenden Gelehrsamkeit,  die  er  mit  gewandter  Feder  in  einer  großen 
Zahl  gelehrter  Werke  wie  in  Streitschriften  verwertete. 

Die  Blütezeit  der  theologischen  Fakultät  in  Halle  fallt  aber  in 
die  Zeit  von  1820 — 40,  wo  Männer  wie  Wegscheider  seit  1810, 
Gesenius  etwas  später,  und  Tholuck  seit  1825  ihre  Kräfte  ver- 
einigten, und  über  800  Theologen  an  die  Universität  heranzogen, 
die  hier  auch  in  der  neueren  Zeit  nie  wieder  gezählt  wurden. 
Mit  den  ersten  beiden  Männern  kam  ein  an  die  formale  Verstandes- 
tätigkeit gebundener  Rationalismus  auf.  Dem  sollte  Tholuck  nun  eine 
größere  Vertiefung  geben,  und  obgleich  er  zunächst  auf  großen 
Widerstand  stieß,  ist  ihm  diese  Aufgabe  gelungen.  Durch  seine  große 
Beredsamkeit  —  er  war  einer  der  ersten,  der  im  freien  Vortrage  auf- 
trat — ,  sein  pädagogisches  Geschick  und  durch  die  große  Wärme, 
mit  der  er  den  Studenten  entgegenkam,  erlangte  er  einen  Einfluß 
auf  seine  Schüler,  der  nur  wenigen  Lehrern  vergönnt  ist.  Seit  jener 
Zeit  hat  die  theologische  Fakultät  in  Halle  dauernd  die  erste  Rolle 
an  der  Universität  und  lange  in  Deutschland  überhaupt  gespielt. 

In  der  philosophischen  Fakultät  hat  einen  internationalen  Ruf 
besonders  Eduard  Erdmann,  als  Lehrer  der  Philosophie  gehabt, 
der  1836  hier  seine  Tätigkeit  übernahm  und  sie  erst  kurz  vor  seinem 
Tode  18%  beschloß. 

In  dem  Jahre  1817  wurde  die  sehr  zurückgegangene  Universität 
Wittenberg,  die  sich  allein  nicht  mehr  halten  konnte,  mit  der  Halle- 
schen vereinigt,  die  seitdem  beide  Namen  verbunden  führt. 

Eine  neue  Phase  der  Entwicklung  brach  für  die  Universität  durch 
die  Einrichtung  eigener  medizinischer  Kliniken  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts an,  für  welche  der  Kanzler  von  Hofmann  die  nötigen  er- 
heblichen Gelder  zu  beschaffen  wußte.  Nachdem  damit  der  Staat  es 
als  seine  Aufgabe  anerkannt  hatte,  für  eigene  wissenschaftliche  Institute 
zu  sorgen,  ging  er  darin  Schritt  für  Schritt  auch  für  die  andern  natur- 
wissenschaftlichen Disziplinen  vor.  Einen  botanischen  Garten  hatte 
man  allerdings  schon  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  einzurichten  be- 
gonnen. Wissenschaftliche  Bedeutung  erlangte  er  aber  erst  weit  später. 
Ein  eigenes  physikalisches  Institut  wurde  1 823  geschaffen,  ein  größeres 


396  I^'C  einzelnen  Universitäten. 

chemisches  Laboratorium  ist  1842  eingerichtet,  für  die  zoologischen 
Untersuchungen  wurde  eine  besondere  Stätte  erst  1890  erzielt,  wenn 
auch  eine  zoologische  Sammlung  seit  dem  18.  Jahrhundert  bestand. 
Im  Jahre  1862  kam  durch  die  Gründung  eines  größeren  landwirt- 
schaftlichen Institutes  ein  ganz  neues  Element  an  die  Universität, 
welches  sich  bald  zu  der  bedeutendsten  derartigen  Lehr-  und  Ver- 
suchsanstalt in  Deutschland  entwickeln  sollte. 

2.    Frequenzverhältnis. 

Charakteristisch  für  eine  Universität  sind  naturgemäß  die  Frequenzverhältnisse. 
Leider  sind  wir  nicht  in  der  Lage,  für  die  älteste  Zeit  ganz  genaue  Angaben  machen  zu 
können,  weil  eine  regelmäßige  Zählung  des  Bestandes  nicht  stattfand. 

Sicher  ist  es,  daß  die  Universität  sofort  mit  einigen  hundert  Studierenden  ins 
Leben  trat.  Bis  1717  stieg  die  Zahl  über  1200  und  hat  wohl  1730  mit  1258  für  das 
ganze  Jahrhundert  die  Maximalzahl  erreicht.  In  der  Mitte  des  Jahrhunderts  sank  die 
Zahl  auf  ca.  tausend  und  erhielt  sich,  natürlich  mit  bedeutenden  Schwankungen,  bis  in 
die  achtziger  Jahre  ungefähr  auf  dieser  Höhe.  In  den  Wirren  der  neunziger  Jahre  nahm 
der  Besuch,  wie  in  ganz  Deutschland,  so  auch  in  Halle  nicht  unbedeutend  ab,  stieg  aber 
im  Beginne  des  19.  Jahrhunderts  wiederum,  so  daß  wir  1805  hier  935  Studenten  vorfinden, 
die  durch  die  Aufhebung  der  Universität  (1806)  in  alle  Winde  zerstreut  wurden,  und  es 
währte  eine  geraume  Zeit,  bis  die  Frequenz  sich  nach  der  Wiedereröffnung  der  Universität 
(1809)  auf  die  frühere  Höhe  erhob.  Fast  genau  hundert  Jahre  nach  der  ersten 
Hochflut  zeigte  sich  1828/29  eine  zweite  mit  1330  Studenten.  1838/40  sank  der  Bestand 
wiederum  Hand  in  Hand  mit  der  Fbbe  im  ganzen  I^nde  auf  626,  dem  dann  in  der 
(Gegenwart  eine  Frequenz  gegenübersteht  (1700),  wie  sie  die  Universität  noch  nicht 
erlebt  hatte. 


Bestand  der 

1 

Zeit 

Immatriku- 
lierten 

Theologen 

Juristen 

Mediziner 

Philosophen  j 

1 

1775-1800 

949 

582 

319 

48 

^.  —-— 

1817-1821 

709 

395 

186 

85 

43 

1822-1831 

1101 

758 

212 

68 

63 

1832—1841 

782 

443 

112 

110 

66 

1841  —  1851 

681 

400 

120 

99 

62 

1851-1861 

672 

419 

111 

54 

88 

1861-1871 

788 

354 

51 

108 

275 

1871—1881 

988 

234 

124 

144 

489 

1881-1891 

1525 

576 

119 

278 

552 

1891-18% 

14a3 

518 

216 

231 

438 

18%- 1901 

1624 

356 

382 

229 

623 

1901-1902 

1731 

.%6 

425 

1          192 

748 

1902 

1739 

352 

454 

1          200 

733 

1902-1903 

1749 

338 

447 

189 

775 

19a3 

1741 

329          , 

436 

,          180 

7% 

Die  Königl.  Preußische  Friedrichs-Universität  Halle-Wittenberg.  397 

Nach  obigen  Angaben  ist  in  der  ersten  liälfte  des  18.  Jahrhunderts  Halle 
unter  allen  deutschen  Universitäten,  mit  Ausnahme  Jenas,  am  stärksten  besucht  gewesen, 
erst  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  wurde  Halle  von  Leipzig  überflügelt,  während  Jena 
hinter  ihr  zurückblieb. 

Ursprünglich  überwog  unbedingt  die  juristische  Fakultät,  welche  in  den  ersten 
30  Jahren  allein  54%  aller  inskribierten  Studierenden  für  sich  in  Anspruch  nahm; 
weitere  40%  waren  Theologen.  In  dem  zweiten  Viertel  des  Jahrhunderts  kehrte  sich 
aber  das  Verhältnis  um,  und  die  Universität  begann  den  Charakter  einer  überwiegend 
theologischen  Universität  anzunehmen,  den  sie  sich  bis  in  das  letzte  Dezennium  erhalten 
hat.  In  dem  ganzen  18.  Jahrhundert  blieben  die  anderen  beiden  Fakultäten  völlig  zurück ; 
die  Mediziner  haben  während  desselben  die  Zahl  von  50  bis  60  nur  ausnahmsweise  über- 
schritten. Eigentliche  Studierende  der  philosophischen  Fakultät,  d.  h.  solche,  welche  ihr 
Studium  ausschließlich  auf  die  darin  vertretenen  Fächer  beschränkten,  gab  es  bis  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts  nur  ganz  vereinzelt.  Selbst  von  1810 — 13  finden  sich  bei  immerhin 
300  Studenten  nur  6  Philosophen;  bis  in  die  fünfziger  Jahre  hinein  schwanken  sie 
/.wischen  50  und  70  und  blieben  unter  10%  der  Gesamtheit,  während  sie  schon  in  den 
siebziger  Jahren  40%,    exklusive  der  inzwischen  hinzugetretenen  I^ndwirte,    ausmachten. 

Die  Zahl  der  Hospitanten  schwankte  in  den  letzten  Jahren  zwischen  130  und  230. 
Darunter  waren  einige  weibliche  Zuhörer. 

3.    Lehrbetrieb  und  Lehrkraft. 

Einen  tieferen  Einblick  in  die  Bedeutung  der  Universität  und  die  Phasen  ihrer 
Entwicklung  als  die  bisherige  Untersuchung  der  Frequenzverhältnisse  werden  die  folgen- 
den Betrachtungen  gewähren: 

Wie  sehr  man  bei  der  Gründung  der  Universität  noch  das  pädagogische  Moment 
im  Auge  hatte,  geht  daraus  hervor,  daß  noch  im  Jahre  1730  in  Halle  in  einem  Reglement 
den  Professoren  anbefohlen  wurde,  daß  sie,  soweit  es  anginge,  die  Studenten  speisen  und 
logieren  sollten,  um  sie  auf  diese  Weise  unter  ihrer  Obhut  zu  behalten.  Indessen  wird 
sehr  bald  darüber  geklagt,  daß  die  Studenten  es  vorziehen,  selbständig  zu  wohnen  und 
bei  den  Traiteurs  sich  nach  Belieben  zu  beköstigen.  Aus  den  Akten  ergibt  sich,  daß 
noch  im  Beginne  des  18.  Jahrhunderts  einzelne  Professoren  zehn  bis  siebzehn  und  mehr 
Studenten  bei  sich  in  Pension  hatten,  wovon  Mitte  des  Jahrhunderts  nichts  mehr  nach- 
zuweisen ist. 

In  den  ersten  Zeiten  der  Universität  haben  die  Dozenten  regelmäßig  eine  sehr 
große  Zahl  von  Vorlesungen  übernommen;  drei,  selbst  acht  Stunden  den  Tag  war  nichts 
außergewöhnliches,  sodaß  noch  1755  die  Professoren  vom  Ministerium  ermahnt  werden, 
weniger  zu  lesen,  dafür  sich  aber  mehr  der  wissenschaftlichen  Schriftstellerei  zu  widmen. 
Noch  im  Jahre  1800  spricht  sich  der  Minister  v.  Massow  in  einem  Berichte  dahin  aus, 
daß  die  meisten  Professoren  über  gedruckte  Compendia  lesen  oder  ihre  Hefte  wörtlich 
diktieren.  Dagegen  steht  fest,  daß  einzelne  hervorragende  Männer,  wie  z.  B. 
Thomasius,  schon  vor  200  Jahren  nur  wenig  diktierten,  dagegen  hauptsächlich  sich  in 
freier  Rede  ergingen.  Noch  in  dem  18.  Jahrhundert  wird  es  aber  von  den  Zeit- 
genossen als  etwas  ganz  außergewöhnliches  hingestellt,  daß  Tholuck  seine  Vorlesungen 
in  freier  Rede  hielt,  was  heutigen  Tages  als  die  Regel  anzusehen  ist. 

Ursprünglich  waren  die  Professoren  verpflichtet,  die  hauptsächlichsten  Vorlesungen 
gratis  zu  halten,  als  Äquivalent  für  das  empfangene  Gehalt.  Außerdem  hielten  die 
Dozenten  Privatissima  über  Spezialien,  wofür  sie  von  den  Studierenden  besonders 
honoriert  wurden.  Schon  sehr  bald  aber  wurden  die  öflentlichen  Vorlesungen  ein- 
geschränkt und  auch  die  hauptsächlichsten  gegen  Honorarzahlung  gehalten.  Gegenwärtig 
ist  der  Professor  nur  verpflichtet,  eine  Vorlesung  publice  zu  halten.    Eine  V^erminderung 


,'198  I*»€  eiiuclnen  Universitäten. 

der  X'orlesungcn  ergab  sich  von  selbst,  sobald  die  Zahl  der  Dozenten  xunahm  und  damit 
nicht  nur  die  einzelnen  Disziplinen  durch  besondere  Dozenten  vertreten  wurden,  sondern 
auch  innerhalb  der  einzelnen  Disziplin  die  verschiedenen  Teile  bestimmten  Personen  zur 
Behandlung  zugewiesen  werden  konnten. 

Unsere  Universität  halte  nach  ihrer  vollständigen  Konstituierung  im  Jahre  1697 
im  ganzen  nur  12  Dozenten,  so  daß  auf  jeden  circa  100  Studenten  kamen,  gegenwärtig 
trotz  der  bedeutenden  Frequenz  17. 

Bis  1750  hatte  sich  der  I^hrkör|)er  auf  19  vervollständigt,  aber  erst  nach  der 
gewaltigen  Reform  der  Universität  in  den  achtziger  Jahren  durch  den  Kanzler  von  Hoffmann 
stieg  die  Zahl  auf  46,  darunter  25  Ordinarien;  1865  befanden  sich  hier  68  Dozenten, 
1885  %,  gegenwärtig  sind  es  148,  und  die  Ordinarien  haben  sich  in  der  letzten  Periode  von 
38  auf  54  vermehrt.  Die  letzten  25  Jahre  haben  den  hauptsächlichsten  Aufschwung 
gebracht,  eine  Erscheinung,  die  keineswegs  unsere  Universität  allein  betrifl't.  In  ganz 
Deutschland  gab  es  1865  1221,  jetzt  über  1800  Dozenten,  das  ist  eine  Zunahme  um  mehr 
als  die  Hälfte  in  38  Jahren. 

KiLssen  wir  die  einzelnen  Fakultäten  in  das  Auge:  Die  theologische  Fakultät 
mutite  sich  auf  unserer  l'niversität  in  der  ersten  Zeit  mit  2  Vertretern  begnügen,  der 
allerdings  die  philosophische  wirksam  zur  Seite  stand.  In  der  Mitte  des  Jahrhunderts 
sehen  wir  die  Zahl  schon  auf  5  steigen,  während  gegenwärtig  allein  7  Onlinarien  vor- 
handen sind,  und  die  Fakultät  im  ganzen  16  Vertreter  zeigt. 

Am  stärksten  besetzt  war  ursprünglich  die  juristische,  die  sofort  mit  5  Mit- 
gliedern auftrat,  während  gegenwärtig  nur  9  Ordinarien  und  im  ganzen  13  Dozenten 
darin  fungieren. 

(Janz  anders  war  die  Entwicklung  der  medizinischen  Fakultät,  die  eine  lange 
Zeit  nur  2  Männer  als  I^hrer  aufzuweisen  hatte.  Erst  gegen  ?'nde  des  18.  Jahr- 
hunderts sehen  wir  dieselbe  sich  heben,  obgleich  damals  von  derselben  nicht  nur  die 
verschiedensten  Naturwissenschaften,  wie  Botanik  und  Chemie,  sondeni  auch  Physik  (und 
eine  Zeitlang  Mathematik)  gelehrt  wurde. 

1769  hielt  Professor  Junker  hier  die  medizinische  Klinik  ab,  las  täglich  eine  Stunde 
Pharmacologie,  eine  Stunde  Experimentalchemie  und  außerdem  noch  Mineralogie.  Die 
ganze  Fakultät  bestand  aus  4  Dozenten.  Noch  im  Jahre  1801  vertrat  Meckei  Physiologie, 
Anatomie,  Chirurgie  und  Oeburtshilfe;  die  Zahl  der  Dozenten  war  auf  6  gestiegen. 
1860  belief  sie  sich  auf  5  Ordinarien  und  im  ganzen  9  Dozenten.  Heutigen  Tages  zählt 
sie  mehr  als  doppelt  so  viel:  12  Ordinarien  und  39  Dozenten.  Auch  hier  ging  die 
Entwicklung  dieser  Universität  ihren  hauptsächlichsten  Schwestern  nur  analog  von\ärts. 

Die  philosophische  Fakultät  zählte  1697  nur  3  Mitglieder,  die  allerdings  bald 
Ergänzung  erhielten;  doch  ein  halbes  Jahrhundert  mußte  vergehen,  l)is  sich  die  Z^hl  auf  6 
hob,  im  Jahre  1800  dagegen  Hnden  wir  bereits  21,  denn  gerade  hier  hatte  der  Kanzler 
von  HoH'mann  energisch  eingegrifl'en. 

\'on  den  10  Ordinarien  nahm  aber  die  Philosophie  die  volle  Hälfte  für  sich  in 
Anspruch.  Friedrich  .\ugust  Wolf  war  s.  Z.  der  einzige  \  ertreter  der  Philologie. 
Ihm  gesellte  sich  ein  Ordinariius  für  orientalische  Sprachen  zu,  ein  Historiker,  ein  Mathe- 
matiker und  ein  Nationalökonom,  der  zugleich  Naturrecht  und  allgemeine  Naturgeschichte 
las.  Es  war  damals  nur  ein  einziger  \ertretcr  der  Naturwissenschaften  in  dieser  Fakultät. 
Aber  schon  im  ersten  iJezennium  des  letzten  Jahrhunderts  wurden  Ordinariate  für  Physik, 
Chemie,  MineraK)gie  und  Zoologie  geschafl'en,  während  die  Botanik  noch  eine  Zeitlang 
ihren  Ordinarius  in  der  medizinischen  Fakultät  hatte.  Erst  sehr  langsam  wurden  den 
Sj>rachen  größere  Rechte  eingeräumt,  deren  X'erlreter  gerade  in  der  neuesten  Zeit  die 
j)hilosophische  Fakultät  so  außerordentlich  anschwellen  ließen,  daß  wir  gegenwärtig  darin 
80  Dozenten  in  Wirksamkeit  sehen  und  darunter  26  (.)rdinarien,  während  1865  erst 
20  Ordinarien  und  32  Dozenten  vorhanden  waren. 


Die  Konigl.  Preußische  Kriedrichs-Universität  Halle-Wittenberg.  39^} 

4.  Institute. 

Eine  wachsende  Bedeutung  haben  in  den  letzten  Dezennien  die 
wissenschaftlichen  Institute  an  der  Universität  gewonnen. 

1.  Das  theologische  Seminar  ist  in  moderner  Weise  1825 
eingerichtet  und  hat  eine  fortdauernde  Entwicklung  erfahren.  Dasselbe 
zerfallt  in  verschiedene  Abteilungen,  die  von  besonderen  Professoren 
geleitet  werden.  1.  Die  alttestamentliche  Abteilung,  die  im  Winter 
1902/03  17  ordentliche  Mitglieder  und  7  Hospitanten  zählte.  2.  Die 
neutestamentliche  Abteilung  mit  23  Studierenden.  'X  Die  kirchen- 
historische Abteilung  mit  21  Mitgliedern.  4.  Die  systematische 
Abteilung  mit  27  Mitgliedern.  5.  Die  homiletische  Abteilung,  die 
wieder  in  zwei  Klassen  zerfiel,  an  denen  je  1 1  Studierende  teilnahmen. 
Außerdem  besteht  ein  Proseminar,  das  der  Aufgabe  in  prolitische 
Schriftauslegung  und  historische  Schriftbenutzung  einzuführen  dient, 
unter  Eernhaltung  des.sen,  was  dem  homiletischen  Seminar  als 
Arbeitsgebiet  zugewiesen  ist.  Es  beteiligten  sich  tf)  Studierende 
daran.  Schließlich  ist  noch  die  katechetische  Abteilung  des 
theologischen  Seminars  zu  envähnen,  an  dem  38  Mitglieder  und 
2  Hörer  teilnahmen.  Im  ganzen  ist  das  Seminar  mit  2010  Mark 
dotiert. 

2.  Das  philologische  Seminar  wurde,  wie  erwähnt,  1787  von 
Fr.  Aug.  Wolf  eingerichtet.  V.s  wird  jetzt  von  drei  Ordinarien 
geleitet,  in  denen  Schriftsteller  interpretiert  und  Arbeiten  der  Mit- 
glieder besprochen  werden.  Es  beteiligten  sich  19  Mitglieder  daran. 
In  die  Leitung  des  Proseminars  (das  von  ,'iO  Studierenden  besucht 
wurde),  teilten  sich  zwei  Ordinarien.  Außerdem  fanden  in  den  beiden 
letzten  Semestern  Übungen  im  Lateinschreiben  und  Lateinsprechen 
unter  der  Leitung  eines  besonderen  Seminarassistenten  statt,  die  für 
die  Mitglieder  des  Proseminars  obligatorisch  waren,  zu  denen  abei 
auch  andere  Studenten  zugelassen  wurden.  Das  Seminar  hat  ^XX)  Mark 
zur  Verfügung. 

3.  Das  Seminar  für  deutsche  Philologie  wurde  1875  gegründet, 
1902/03  von  17  ordentlichen  und  7  außerordentlichen  Studierenden 
besucht.  Der  Leiter  Ist  der  Ordinarius  des  Faches,  während  das 
Proseminar  von  zwei  Dozenten  geleitet  wird.  Außerdem  fand  noch 
ein  althochdeutscher  Kursus  statt,  der  37  Teilnehmer  fand.  Es 
disponiert  über  300  Mark. 

4.  Neben  dem  Seminar  für  englische  Philologie,  das  1873 
gegründet    wurde    und    das    unter    der  Leitung  des  Ordinarius  steht, 


400  i^Je  einzelnen  Universitäten. 

fanden  Übungen  im  mündlichen  und  schriftlichen  Gebrauch  der  Sprache 
durch  einen  aus  England  gebürtigen  Lektor  statt.  Das  Seminar  ist 
wie  das  deutsche  dotiert.     An  dem  Seminar  nahmen  79  Mitglieder  teil. 

5.  In  dem  Seminar  für  romanische  Philologie,  welches  1877 
ins  Leben  trat,  nahmen  im  Wintersemester  1902/3  1 5  Studierende  teil  an 
der  Erklärung  romanischer  Texte.  Außerdem  fanden  texthistorische 
Übungen  statt.  Sprachübungen  wurden  von  einem  französischen  mit 
14,  von  einem  italienischen  Lektor  mit  15  Studierenden  abgehalten. 
Es  hat  300  Mark  zur  Verfügung. 

6.  Das  historische  Seminar  zerfallt  in  drei  Abteilungen:  für 
alte,  mittlere  und  neuere  Geschichte,  ohne  daß  darum  der  Leiter 
unbedingt  an  eine  bestimmte  Periode  gebunden  ist.  Jede  von  ihnen 
wird  von  einem  Ordinarius  geleitet.  Als  Lehrmittel  ist  außer  einer 
besonderen  Bibliothek  ein  paläographisch-diplomatischer  Apparat  mit 
Vorlagen  und  Übungsmaterial  vorhanden.  Zu  Aufwendungen  sind 
jährlich  800  Mark  vorhanden.  Die  Zahl  der  Mitglieder  belief  sich 
1902/03  auf  30,  17  und  20. 

7.  Das  mathematische  Seminar  wird  von  zwei  Ordinarien 
geleitet.  In  der  jetzigen  selbständigen  Gestalt  existiert  es  erst  seit  1891. 
1839  hatte  man  aber  schon  ein  zusammenfassendes  mathematisch- 
naturwissenschaftliches Seminar  gegründet,  das  den  Mitgliedern 
Anleitung  zu  eigenem  Arbeiten  geben,  besonders  aber  für  den 
späteren  Lehrerberuf  vorbereiten  sollte. 

Für  den  Unterricht  in  der  angewandten  Mathematik  sind  neuer- 
dings in  erweitertem  Maße  Modelle,  Bücher  und  sonstige  Lehrmittel 
angeschafft.  Im  letzten  Wintersemester  besuchten  es  46  Studierende. 
Es  verfügt  über  330  Mark.  Für  die  Sternwarte  sind  außerdem 
804  Mark  ausgeworfen. 

8.  Das  staatswissenschaftliche  Seminar  ist  1872  gegründet 
und  hat  allmählich  eine  umfangreiche,  namentlich  statistische  Bibliothek 
von  über  4000  Nummern  angesammelt.  Seit  1877  erscheint,  eine 
Sammlung  von  Arbeiten  des  Seminars,  die  bereits  auf  43  Bände  an- 
gewachsen ist.  Außer  den  Vorträgen  der  Mitglieder  und  Diskussionen, 
die  sich  daran  knüpfen,  werden  Exkursionen  in  Bergwerke,  Fabriken, 
Armenhäuser  usw.  abgehalten.  Semester  1902/03  zählte  es  39  Mit- 
glieder. Der  ursprüngliche  Fonds  zur  Anschaffung  von  Büchern  von 
600  Mark  ist  seit  einigen  Jahren  durch  Zuschuß  des  Kuratoriums  auf 
800  Mark  erhöht.  Als  Ergänzung  zum  Seminar  finden  Übungen  über 
die  nationalökonomischen  Grundbegriffe  für  Anfänger  und  außerdem 
statistische  Übungen  statt. 


Die  Königl.  Preußische  Friedrichs-Universität  Halle- Wittenberg.  401 

Folgende  Institute  haben  sich  im  Laufe  der  Zeit  der  Universität 
angegliedert : 

1.  Das  archäologische  Institut,  das  1841  gegründet  wurde, 
verfugt  über  ein  größeres  Museum,  für  welches  jährlich  2500  Mark 
aufgewendet  werden,  und  das  nicht  nur  den  Studenten,  sondern  auch 
dem  größeren  Publikum  zugänglich  ist.  Es  werden  in  dem  Institute 
öffentliche  und  private  Vorlesungen  gehalten,  sowie  Kurse  archäo- 
logischer Übungen. 

2.  Das  physikalische  Institut.  Ursprünglich  wurden  die 
Hilfsmittel  für  den  naturwissenschaftlichen  Unterricht  von  den  Dozenten 
selbst  auf  ihre  Kosten  beschafft.  Die  reiche  Sammlung  des  jetzigen 
Instituts  stammt  zum  Teil  von  der  Universität  Wittenberg,  zum  größten 
Teile  jedoch  von  dem  erst  vor  wenig  Jahren  gestorbenen  vorletzten 
Vertreter  des  Faches,  Geheimen  Rat  Knoblauch,  her.  Ein  besonderes 
Gebäude  für  das  Institut  wurde  schon  1823  von  der  Regierung  an- 
gewiesen; seit  1890  ist  es  in  ein  neues  großes  hinübergezogen. 
Ein  physikalisches  Laboratorium  wurde  1880  eingerichtet,  worin  im 
letzten  Semester  67  Praktikanten  arbeiteten.  Es  ist  mit  8425  Mark 
dotiert. 

3.  Das  chemische  Institut  ist  erst  1842  von  dem  physikalischen 
getrennt  und  1862  in  einem  eigenen  Hause  untergebracht.  Hatte 
früher  der  Leiter  des  chemischen  Unterrichts  die  Apparate  und 
Ingredienzien  für  das  Laboratorium  selbst  zu  liefern,  so  werden  die- 
selben jetzt  aus  Staatsmitteln  beschafft,  wie  ebenso  die  Assistenten 
besoldet.  Hierfür  ist  jetzt  die  Summe  von  15  718  Mark  ausgeworfen. 
Die  Chemie  ist  durch  zwei  Ordinarien,  einen  Extraordinarius  und  drei 
Privatdozenten  vertreten.  An  den  Arbeiten  im  Laboratorium  wurden 
in  zwei  Abteilungen  je  42  Praktikanten  im  großen,  45  im  halbtägigen 
Kursus  beschäftigt.  Im  Jahre  1900  wurde  noch  ein  besonderes 
Laboratorium  für  angewandte  Chemie  gegründet,  in  dem  4  Studierende 
arbeiten. 

4.  Der  Grund  zu  dem  jetzigen  reichen  mineralogischen 
Kabinett  wurde  schon  1787  durch  den  Ankauf  der  Privatsammlung 
eines  Bergrates  für  2500  Mark  gelegt,  dem  kürzlich  eine  bedeutende 
Schenkung  einer  anderen  Privatsammlung  hinzutrat.  Zur  Erhaltung 
und  Ergänzung  waren  zunächst  nur  50  Mark  angesetzt,  jetzt  3000  Mark, 
wovon  aber  noch  die  Hilfskräfte  zu  besolden  sind. 

5.  Das  zoologische  Institut  ist  mit  4049  Mark  dotiert.  Ein 
eigenes  Gebäude   bezog  es  1887.    Die  Sammlungen   sind   allmählich 

Das  Unterrichtnwesen  im  Deutschen  Reich.    I.  26 


402  ^'^^  einxelnen  Universitäten. 

seit   Beginn    der   Universität   zusammengebracht.      Das    zoologische 
Praktikum  wurde  von  7  Studierenden  besucht. 

6.  Dem  botanischen  Institut  wurde  schon  bei  der  Gründung 
der  Universität  ein  Stück  Land  von  U^  Morgen  überwiesen,  wovon 
aber  der  größte  Teil  verpachtet  wurde.  Für  die  Verwaltung  wurden 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  175  Mark  jährlich  angesetzt,  im  letzten 
Etat  dagegen  18  38.3  Mark.  Es  sind  dabei  tätig  ein  Ordinarius,  ein 
Extraordinarius  und  ein  Privatdozent  als  Assistent. 

7.  Das  geographische  Institut  besteht  aus  der  geographischen 
Sammlung  und  dem  Seminar  für  Erdkunde  und  ist  zugleich  mit  der 
Eröffnung  geographischer  Vorlesungen  im  Herbst  1873  gegründet, 
das  Seminar  damals  allerdings  nur  als  ein  privates  Praktikum.  Das 
ministerielle  Statut  für  das  Seminar  datiert  erst  von  1885.  Im  letzten 
Winter  zählte  es  33  Mitglieder. 

8.  Das  landwirtschaftliche  Institut  wurde  1862  gegründet 
und  hat  im  Laufe  der  Zeit  eine  außerordentliche  Erweiterung  erfahren, 
wozu,  wie  zur  Unterhaltung,  im  letzten  Jahre  162  550  Mark  zur  Ver- 
fügung standen. 

Außer  dem  Ordinarius  sind  dabei  noch  vier  Extraordinarien  und 
vier  Privatdozenten  tätig.  Die  Zahl  der  hier  studierenden  Landwirte 
betrug  im  letzten  Semester  188. 

In  dem  landwirtschaftlichen  I^boratorium  arbeiteten  25.  Außer 
diesem  Laboratorium  gehört  dazu  eine  Veterinärklinik,  ein  Pflanzen- 
garten mit  Vegetationshaus,  ein  ausgedehntes  Versuchsfeld,  ein 
Haustiergarten,  eine  Abteilung  für  Tierzucht  und  Molkereiwesen,  ein 
Versuchslaboratorium,  eine  bakteriologische  Abteilung  und  eine  solche 
für  landwirtschaftliche  Meteorologie  und  Pflanzenzüchtung,  sowie  eine 
für  landwirtschaftliche  Maschinenkunde. 

Die  medizinischen  Institute  sind,  wie  erwähnt,  erst  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  selbständig  organisiert  und  in  die  Hand  des  Staates 
übergeführt.  Bis  dahin  waren  sie  in  betreff*  des  Lehrmaterials  auf 
das  städtische  Krankenhaus  bezw.  das  Waisenhaus  angewiesen,  und 
die  sonstigen  Hilfsmitteln  mußten  von  den  Professoren  beschafft 
werden.  Erst  dem  Kanzler  v.  Ho  ff  mann  gelang  es,  die  nötigen  Mittel 
zu  beschaffen,  um  vor  allem  eine  besondere  Universitätsklinik  zu 
bauen  und  angemessen  auszustatten,  während  die  übrigen  Institute 
zunächst  in  gemieteten  Häusern  noch  recht  kümmerlich  untergebracht 
wurden. 

Eine  zweite  bedeutsame  Entwicklungsphase  für  diese  Institute 
brach  1 874  an,  als  es  gelang,  ein  passend  gelegenes  größeres  Grund- 


Die  Königl.  Preußische  Friedrichs-Universität  Halle-Wittenberg.  403 

stück  von  33  Morgen  für  430000  M.  zu  erwerben  und  außer  dieser 
Summe  3700  000  M.  von  dem  Staate  für  Neubauten  bewilligt  zu  er- 
halten, wodurch  in  der  Hauptsache  sämtliche  Anstalten  besondere 
neue  Gebäude  erhalten  konnten,  welche  den  modernen  Ansprüchen 
der  Wissenschaft  nach  allen  Richtungen  entsprechend  ausgestattet 
werden  konnten. 

Im  Jahre  1777  schenkte  der  Professor  Böhmert  sein  anato- 
misches Theater  der  Universität,  welches  er  selbst  von  seinem  Vor- 
gänger für  200  Taler  gekauft  hatte.  1789  wurde  es  in  einem  alten 
Residenzgebäude  der  früheren  geistlichen  Fürsten  Halles  unter- 
gebracht und  erst  1886  in  wesentlich  erweitertem  Maßstabe  ein- 
gerichtet. Es  sind  jetzt  jährlich  8  409  M.  für  dasselbe  ausgeworfen. 
Neben  dem  Ordinarius  fungiert  ein  Extraordinarius  als  Prosektor, 
außerdem  ein  weiterer  Extraordinarius  als  histologischer  Prosektor, 
ein  Privatdozent  und  ein  Assistent  an  dem  Institute. 

Das  pathologische  Institut  war  bis  in  die  neuere  Zeit  in  der 
unvollkommensten  Weise  als  ein  Anhängsel  des  chemischen  In- 
stitutes untergebracht  und  hat  auch  erst  Ende  der  80  er  Jahre  ein 
eigenes  Gebäude  erhalten.  In  dem  letzten  Jahre  wurden  678  Sek- 
tionen darin  ausgeführt.  Die  für  das  Institut  disponible  Summe  be- 
läuft sich  auf  5414  M.  In  dem  letzten  Jahre  wurde  als  Ergänzung 
in  demselben  Institute  ein  Unterricht  in  der  gerichtlichen  Medizin 
erteilt. 

Das  physiologische  Institut,  welches  noch  in  den  60er  Jahren 
mit  dem  anatomischen  vereinigt  und  von  demselben  Professor  ver- 
treten wurde,  ist  1872  davon  abgetrennt  und  seit  1886  in  einem  be- 
sonderen Gebäude  untergebracht.  Es  ist  mit  2844  M.  ausgestattet 
und  durch  einen  Ordinarius  und  zwei  Assistenten,  die  zugleich 
Dozenten  sind,  vertreten. 

Das  pharmakologische  Institut  ist  gleichfalls  erst  Ende  der 
80  er  Jahre  selbständig  eingerichtet  und  ausgestattet.  Es  bezieht 
jährlich  3700  M.  und  wird  von  einem  Ordinarius  und  einem  Privat- 
dozenten als  Assistenten  geleitet. 

Das  hygienische  Institut  wurde  1889  gegründet,  bezieht  jähr- 
lich 4400  M.  und  wird  von  einem  Ordinarius  geleitet,  dem  ein  Privat- 
dozent zur  Seite  steht.  Es  ist  damit  eine  städtiche  Untersuchungs- 
stelle für  Nahrungsmittel  und  für  ansteckende  Krankheiten  verbunden ; 
außerdem  findet  darin  im  September  und  Oktober  ein  hygienischer 
Fortbildungskursus  für  Verwaltungsbeamte  statt,  an  dem  im  letzten 
Jahre  30  Mitglieder  teilnahmen. 

26* 


404  I^ic  einzelnen  Universitäten. 

Die  klinischen  Institute  beziehen  jetzt  zusammen  jährlich  597  267 
Mark  und  umfassen  9  verschiedene  Anstalten. 

Wie  erwähnt,  ist  die  medizinische  Klinik  erst  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  ein  besonderes  organisiertes  staatliches  Institut  ge- 
worden, welches  im  Beginne  des  letzten  Jahrhunderts  ein  eigenes 
Gebäude  erhielt,  in  dem  aber  in  einer  besonderen  Etage  die  chirur- 
gische Klinik  gleichfalls  Platz  fand.  Schon  lange  war  der  Raum  als 
unzureichend  erkannt,  aber  erst  1886  erhielten  beide  Anstalten  ge- 
sonderte Gebäude,  denen  bald  ergänzende  Baracken  hinzugefügt 
werden  mußten.  (Es  stehen  ihr  jetzt  157  Betten,  darunter  6  Frei- 
betten, zur  Verfügung.)  In  der  medizinischen  Klinik  fungierte  ein 
Ordinarius  mit  5  Assistenten.  In  dem  letzten  Jahre  wurden  darin 
2523  Kranke  an  54  %8  Verpflegungstagen  behandelt. 

Die  medizinische  Poliklinik  ist  durch  einen  Ordinarius,  einen 
Extraordinarius  und  4  Assistenten  vertreten.  1 1  000  Krankheitsfalle 
kamen  darin  zur  Behandlung. 

In  der  chirurgischen  Klinik  sind  ein  Ordinarius,  ein  Oberarzt 
als  Extraordinarius  und  sechs  Assistenten.  Sie  verfügt  über  169  Betten, 
darunter  6  Freibetten. 

Der  gynäkologische  Unterricht  war  noch  während  des  ganzen 
18.  Jahrhunderts  mit  dem  chirurgischen  verbunden  und  wurde  von 
demselben  Dozenten  vertreten.  Erst  in  dem  Beginne  des  19.  Jahr- 
hunderts fand  die  Trennung  statt,  und  es  wurden  eigene  Räume  für 
die  Frauenklinik  eingerichtet,  zunächst  mit  100  Betten.  1886  konnte 
auch  sie  ein  neues  Gebäude  beziehen,  in  welchen  im  letzten  Jahre 
622  Geburten  stattfanden,  in  der  Poliklinik  605.  In  der  stationären 
Abteilung  für  Frauenkrankheiten  wurden  785  Frauen  aufgenommen, 
an  welchen  499  größere  Operationen  zur  Ausführung  kamen.  Eis 
fungieren  darin  1   Ordinarius  mit  4  Assistenten. 

Die  Augen-  und  Ohrenkliniken  sind  erst  1889  staatlich  ein- 
gerichtet und  in  einem  größeren  gemeinsamen  Gebäude  unter- 
gebracht. Jede  wird  j^tzt  von  einem  Ordinarius  geleitet,  dem  3 — 4 
Assistenten  zur  Seite  stehen.  In  die  Augenklinik  wurden  1097  Kranke 
aufgenommen,  5490  Kranke  behandelt  und  462  größere  Operationen 
ausgeführt. 

In  der  Ohrenklinik  standen  25  Betten  zur  Verfügung,  die  aber 
dem  Bedarfe  nicht  entsprachen.  2660  Patienten  kamen  darin  zur 
Behandlung,  wovon  267  stationär  Behandelte  waren.  Größere  Ope- 
rationen wurden  169  ausgeführt. 


Die  Könißl.  Preußische  Friedrichs-Universität  Halle-Wittenberg.  405 

In  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik,  die  einen  selb- 
ständigen Fonds  von  126600  M.  hat,  wurden  im  letzten  Jahre  1010 
Personen  mit  einem  durchschnittlichen  Bestände  von  136  Personen 
behandelt.  Der  psychiatrische  Unterricht  an  der  Universität  wurde 
bis  1883  in  der  etwas  entlegenen  Provinzial-Irrenanstalt  erteilt,  konnte 
aber  in  diesem  Jahre  in  ein  neuerrichtetes  Institut  in  der  Stadt  selbst 
verlegt  werden.  An  d^m  Unterricht  beteiligten  sich  im  Winter 
34  Auskultanten  und  25  Praktikanten  und  2  Ärzte.  Sie  wird  geleitet 
von  einem  Ordinarius,  einem  Extraordinarius  als  Oberarzt  und 
5  Assistenten. 

Die  Poliklinik  für  Hautkrankheiten  und  Syphilis  ist  erst 
vor  wenigen  Jahren  eingerichtet,  sie  steht  unter  einem  Privatdozenten, 
der  durch  einen  Assistenten  unterstützt  wird.  Etatsmäßig  sind  für 
dieselbe  nur  1800  M.  ausgeworfen,  tatsächlich  sind  ihr  aber  in  den 
letzten  Jahren  4200  M.  zugewendet.  Die  2^hl  der  im  letzten  Jahre 
Behandelten  belief  sich  auf  1404. 

Die  Poliklinik  für  Zahnkrankheiten  nahm  ihren  Anfang  1873 
und  wurde  im  letzten  Jahre  von  5783  Patienten  besucht.  Sie  wird 
von  einem  Privatdozenten  geleitet.  Neben  Vorlesungen  und  prak- 
tischer Anweisung  in  der  Behandlung  der  Kranken  findet  ein  tech- 
nischer Kursus  statt.  Die  Frequenz  der  Studierenden  belief  sich 
auf  18. 

Eine  besondere  Berücksichtigung  verdient  noch  die  Bibliothek. 
Dieselbe  war  ursprünglich  allein  auf  einen  Anteil  an  den  Inskriptions- 
und Promotionsgebühren  angewiesen,  die  zwischen  300  und  500 
Talern  schwankten.  Im  Jahre  1789  wurde  sie  mit  weiteren  500  Talern 
bedacht,  und  ihre  Einnahmen  beliefen  sich  von  1795 — 1800  auf 
824  Taler,  wovon  714  zur  Anschaffung  von  Büchern  verwendet 
werden  konnten.  Hierdurch  und  durch  Schenkungen  war  der  Bücher- 
bestand 1807  auf  13918  Werke  gebracht.  Durch  die  Verbindung 
mit  der  Universität  Wittenberg  und  die  fernere  Hinzufügung  der 
Bibliothek  des  Kriegsrats  Ponikau  erfuhr  sie  noch  im  Beginne  des 
letzten  Jahrhunderts  eine  wesentliche  Vergrößerung.  1890  zählte  sie 
1 95  000  Bände.  Außerdem  bestehen  aber  eine  ganze  Anzahl  Seminar- 
Bibliotheken,  die  z.  T.  recht  reichhaltig  sind,  und  eine  besondere 
Studenten-Bibliothek,  welche  für  alle  Fakultäten  bestimmt  ist. 

Im  Jahre  1789  wurde  die  Universitätsbibliothek  in  einem  alten 
Salinengebäude  mit  der  Anatomie  zusammen  untergebracht,  nach 
deren  Verlegung  sie  das  Gebäude  allein  okkupierte.  Im  Jahre  1882 
wurde   für  443000  M.   ein   neues   Gebäude   geschaffen,   welches,   in 


406  I^'^  einwlnen  rniversi täten. 

modernster  Weise  eingerichtet,  den  Ansprüchen  wohl  für  weitere 
hundert  Jahre  genügen  wird.  Noch  im  Jahre  1823  belief  sich  der 
Etat  auf  nur  1889  Taler;  gegenwärtig  stehen  jährlich  ca.  49000  M.  für 
sie  zur  Verfügung,  wovon  über  20  000  M.  zur  Anschaffung  und  zum 
Binden  von  Büchern  aufgewendet  werden  können.  An  der  Spitze 
der  Bibliothek  steht  jetzt  ein  besonderer  Direktor,  während  früher 
dieses  Amt  von  einem  philologischen  Professor  als  Nebenstellung 
vertreten  wurde.  Dem  Direktor  zur  Seite  stehen  5  Bibliothekare,  ein 
Assistent  und  2  Expedienten. 

Erst  1884  hat  die  Universität  eine  eigene  Turnanstalt  erhalten, 
welche  zunächst  in  einem  provisorischen  Gebäude  untergebracht 
wurde.  Im  Jahre  1894  gelang  es,  besonders  durch  die  Schenkung 
eines  Hallenser  Bürgers,  in  der  Moritzburg  eine  definitive  Turnhalle 
einzurichten.  In  demselben  Jahre  wurden  auch  eigene  Fechträume 
in  derselben  Burg  eingerichtet  und  den  Studierenden  übergeben. 
Für  beide  Institute    gewährt  der    Staat    einen    Zuschuß  von   1290  M. 

5.  Finanzielle  Verhältnisse. 

Von  besonderem  Interesse  ist  e^>,  einen  Hlick  auf  die  finanzielle  Entwicklunj; 
der  Universität  zu  werfen,  wobei  es  allerdings  nötig  ist,  den  Veränderungen  des  Geld- 
wertes genügend  Rechnung  zu  tnigen. 

IJei  der  (Gründung  der  l'niversität  waren,  abgesehen  von  einigen  ( lerechtsamen 
noch  keine  15000  M.  für  sie  disponibel,  wovon  nicht  weniger  als  93^/q  zur  Besoldung 
der  Dozenten  benutzt  wurden,  deini  man  mußte  im  Beginne  natürlich  bedeutende  Opfer 
l)ringen,  um  her\orragende  Kräfte  heranzuziehen.  Bezog  doch  der  Jurist  S  t  r  y  c  k  allein 
ein  (iehalt  von  1200  Talern,  welches  für  jene  \'erhältnisse  als  exorbitant  hoch  bezeichnet 
werden  muß. 


Sunmia  der 
Kinnahmen 
(Durch- 
schnitt) 
nach  dem 
Klal 


Summa  der 

Kinnahmen 

J  a  h  r  c  : 

(Durch- 
schnitt) 

nach  dem     i 

Klat 

_ 

__             1 

1816-1820  .     .     . 

.     .           188482 

1821-1830  .     .     . 

.     .           218  213 

1831-1840  .     .     . 

.     .           251233 

1841—1850  .     .     . 

.     .          262023 

1851-1860.     .     . 

.     .          286198 

1861-1870  .     .     . 

.     .          386  034      , 

1  a  h  1  V 


1871  —  1875 834  302 

1876-1881 1  272  74t 

1881/82-1883  86.     .     .  966289 

1886/87— 1890/91  .     .     .  1234  005 

1891/92  u.  1892/93    .     .  1325672 

1902/03 1  861  860 


Die  Königl.  Preußische  Friedrichs-Universität  Halle-Wittenberg. 


407 


Bis  zur  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  hob  sich  jene  disponible  Summe  nur  bis 
auf  «30  000  M.,  und  auch  infolge  der  gewaltigen  Reorganisation,  welche  der  Kanzler  von 
I  {offmann  in  den  80er  Jahren  des  18.  Jahrhunderts  vornahm,  stiegen  die  Gesamt- 
ausgaben nur  auf  54  300  M.,  wovon  77  ö/o  auf  Gehälter  verausgabt  wurden.  Dann  geht 
die  Steigerung  schnell  aufwärts.  Schon  1805  finden  wir  die  laufenden  Ausgaben  auf 
108000  M.,  1832  auf  218000  M.  angewachsen. 

Von  dem  Jahre  1825  an  sind  wir  in  der  I^age,  die  Kinnahmen  unserer  Universität 
detaillierter  zu  verfolgen,  wenn  sich  auch  da  noch  nicht  eine  völlig  genaue  Vergleichung 
mit  der  Gegenwart  durchführen  läUt.  Wir  übertragen  hier  die  Taler  sofort  auf  Mark 
und  geben  zunächst  die  Angaben  des  Etats,  wie  sie,  also  offiziell,  von  den  Behörden  zu- 
sammengestellt wurden  und  die  Entwicklung  freilich  etwas  summarisch  bieten,  aber  auch, 
da  es  sich  um  gleichartige  Zahlen  handelt,  die  Entwicklung  gut  verfolgen  lassen. 

Den  obigen  Angaben  stellen  wir  nun  detailliertere  gegenüber,  die  indessen  nur 
für  einzelne  Jahre  aufgeführt  sind,  welche  aber  sehr  wohl  als  typisch  angesehen  werden 
können. 

(lesamtsumme    der    Einnahmen    der    Universität: 


Aus  eigenem 

Aus  eigenem  , 

Etatsjahr : 

Vermögen 
und 

Erwerb 
(Kliniken 

Staats- 
zuschuß 

1      Sonstige 
Einnahmen 

Summe 

Stiftungen 

usw.)          j 

1 

1902/03   . 

1 

93837 

1 
550189 

1  141  492 

76342 

1861860 

1891/92   . 

79821 

380129 

939  563 

19005 

1418  518 

1875   .     . 

75255 

51874 

614499 

7246 

748874 

-      1865   .     . 

63179 

24411 

309244 

3020 

399854 

1      1845   •     . 

36900 

9534 

243228 

1808 

291470 

1825   .    . 

T\-         1,' 

16  841 

? 

U                 1-- 

209604 

9% 

227  441 

* i-_          :* 

Die  Entwicklung  der  Ausgaben  harmoniert  natürlich  in  der  Hauptsache  mit 
der  der  Einnahmen,  wir  können  daher  sogleich  zur  Betrachtung  der  Hauptkategorien 
übergehen.  Zu  scheiden  sind  vor  allem  die  persönlichen  und  sachlichen  Ausgaben.  Die 
letzteren  kamen  ursprünglich  fast  gar  nicht  in  Betracht. 

Die  erste  Ausgabenübersicht  von  1694  läßt  die  gesamte  Summe  von  5207  Taler 
völlig  in  Besoldungen  aufgehen.  1787  waren  für  persönliche  Zwecke  13513  Mark  ver- 
ausgabt. 

Gesamtsumme    der    ordentlichen  Ausgaben: 


Etatsjahr: 


1902/03 
1891/92 
1875   . 
1865   . 
1845   . 
1825   . 


Besoldungen  ,  Wohnungs-      ^..^  j^^^j^^^^ 
u.  Remuner.    geldzuschüsse  |  . 

Sammlungen 


d.  Professoren 
u.  Dozenten 


für  I^hrer 
u.  Beamte 


FürKonvikte, 
Unter- 
stützungen 
u.  Stipendien 


385260 


59275 


420  796 
317  050 
170185 
131397 
140613 


1027015 

791  377 

384371 

93786 

72  554 

47715 


140254 
120302 
%053 
67  130 
59351 
44988 


Sonstige      i 

Ver^-altungs- ! 

kosten        | 


147  223 
74255 
52512 
37  225 
37263 
42924 


408 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Außerordentliche    Ausgaben    in    den    letzten    25   Jahren: 


1878/9 

.  724700 

1885/6 

1879/80 

.  627601  1  1886/7 

1880/81 

.  495443  1  1887/8 

1881/82 

.  303710  '  1888/9 

1882/3 

.  3%954 

1889/90 

1883/4 

.  575767 

1890/1 

1884/5 

.  134488 

1891/2 

191  721 

1892/3     . 

53429 

1893/4     . 

43  500 

1894/5     . 

254  655 

1895/6     . 

260739 

18%/7     . 

420308 

1897/8     . 

374924 

1898/9    . 

.  279917 
.  250  700 
.  71246 
.  105369 
.  107110 
.  99716 
.  662  719 


1899/1900  .  381  739 
1900/01  .  .  566  174 
1901/02  .  .  372787 
1902/03  .  .  497645 
Summa  8253061 


Von  der  Gesamtsumme  von  17  884  Tlr.  kommen  nur  2260  Tlr.  auf  sachliche 
Ausgaben  für  Studienzwecke,  d.s.  11,3%. 

In  dem  Etat  von  1809  ist  die  Bibliothek  bereits  mit  2486  Tlr.  bedacht,  die  innere 
Klinik  mit  2334  Tlr.  Die  1791  von  der  inneren  Klinik  abgezweigte  chirurgische  erhält 
99  Tlr.,  die  Entbindungsanstalt  899  Tlr.,  der  botanische  Garten  331  Tlr.,  das  Obser- 
vatorium 50  V2  ^^^'*  ^^  naturhistorische  Kabinett  261  Tlr.,  das  physikalische  und 
chemische  403  Tlr.,  für  das  anatomische  Theater  sind  100  Tlr.  ausgeworfen,  für  die 
Reitbahn  284  Tlr.,  für  UniversitäLsbauten  607  Tlr.,  für  Heizung  des  Senats-Saals  25  Tlr., 
für  den  Kirchendienst  91  Tlr.,  inkl.  Bureaugelder  usw.  8224  Tlr.  für  sachliche  Aus- 
gaben von  35038  Tlr.,  also  23,5%. 

Die  gegenwärtige  Verteilung  ist  oben  bei  Erörterung  der  einzelnen  Institute  de- 
tailliert angegeben. 


J.  Conrad. 


VII.   Die  Königliche  Christian- Albrechts-Universität  Kiel. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Als  im  Jahre  1641  das  Projekt  der  Begründung  einer  Hoch- 
schule in  Kiel  zum  ersten  Male  vor  die  daselbst  versammelten  Land- 
stände gebracht  wurde,  war  als  leitendes  Motiv  angegeben:  „daß  es 
den  Ständen  und  gesamten  Einwohnern  dieser  Fürstentümer  sehr 
gedeihsam  und  ersprießlich  sein  würde,  in  den  Herzogtümern  eine 
Universität  zu  erigieren,  da  die  Länder  allerorten  sehr  verwüstet, 
und  eine  gelegene  Akademie,  wohin  die  Jugend  zur  Vollführung 
ihrer  Studien  zu  verschicken,  in  ganz  Teutschland  fast  nicht  zu  finden 
sei.'*  Die  Stände  mußten  damals  —  wo  das  Land  unter  der  Heim- 
suchung eines  furchtbaren  Krieges  litt!  —  mit  Recht  zu  dem  Schlüsse 
kommen:  „daß  solches  zwar  gedeihliche,  aber  kostbare  Werk  zu 
besserer  Zeit  und  der  Stände  weiterer  Deliberation  zu  dilatieren  sei,  weil 
die  Waffen  diesen  Fürstentümern  annoch  täglich  hintergehen  und 
keine  Spesen  ruhen  lassen."  Erst,  nachdem  sich  das  Land  einiger- 
maßen von  den  Folgen  des  dreißigjährigen  Krieges  hatte  erholen 
können,  kam  der  Plan  zur  Ausführung,  und  so  wurde  im  Oktober 
1665  die  neue  Universität  in  Kiel  durch  den  Herzog  Christian  Albrecht 
von  Holstein-Gottorp  eröffnet. 

Zunächst  schien  die  Christiana-Albertina,  für  die  16  Professoren 
gewonnen  worden  waren,  sehr  zu  reüssieren:  sie  wurde  mit 
140  Studenten  eröffnet,  und  im  ersten  Dezennium  der  Universität 
konnten  bereits  874  Immatrikulationen  stattfinden.  Aber  die  fort- 
gesetzten Kämpfe,  die  nach  Christian  Albrechts  Tode  zwischen  dem 
gottorpischen  Hause  und  Dänemark  stattfanden,  schädigten  die  Uni- 
versität aufs  schwerste  und  brachten  sie  in  solche  finanziellen  Nöte, 
daß  sogar  einmal  drei  Semester  hindurch  überhaupt  keine  Gehälter 
gezahlt  werden  konnten!  Auch  mußte  die  Gründung  dreier  Universi- 


410  J^'e  einzelnen    Universitäten. 

täten  in  Norddeutschland  dem  Zuzüge  von  Studenten  aus  anderen 
Provinzen  abträglich  sein.  So  kam  es,  daß  die  Universität  sich  Jahr- 
zehnte hindurch  auf  eine  nur  kleine  Zahl  von  Lehrern  wie  von 
Schülern  beschränkt  sah.  Zeitweise  schmolz  der  Lehrkörper  der 
Universität  so  zusammen,  daß  die  medizinische  und  die  juristische 
Fakultät,  gelegentlich  auch  die  philosophische,  nur  auf  je  einen 
einzigen  Professor  reduziert  waren!  Die  Folge  davon  war,  daß  die 
heterogensten  Fächer  —  wie  einmal  Mathematik  und  Jurisprudenz, 
ein  anderes  Mal  sogar  Geschichte,  Poesie,  Beredsamkeit,  Naturrecht, 
Politik,  Mathematik  und  Physik  —  in  einer  Hand  vereinigt  waren! 

Die  Zahl  der  Studierenden  war  ebenfalls  gesunken,  namentlich 
in  der  medizinischen  Fakultät,  so  daß  ein  Reglement  vom  Jahre  1 707 
die  Professoren  der  Medizin  vermahnt,  „wegen  Seltenheit  der  studio- 
sorum  medicinae,  soviel  möglich  daran  zu  sein,  umb  ihre  lectiones  ordi- 
narias  solcher  Gestalt  einzurichten,  daß  auch  der  andern  Fakultäten 
Studiosi  Nutzen  davon  haben  können!"  Nach  achtzigjährigem  Bestände 
der  Universität  wurden  während  eines  ganzen  Jahrzehnts,  von  1745 — 1755, 
im  ganzen  224  Studierende  immatrikuliert.  Ja,  kurz  vor  ihrem  hundert- 
jährigen Bestehen  wurden  bei  der  Universität  in  einem  Semester 
(dem  Wintersemester  1 762/63 j  —  3  Studierende  inskribiert! 

Im  letzten  Drittel  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  in  dem  Holstein 
an  Dänemark  kam,  wurden  die  finanziellen  Verhältnisse  der  Univer- 
sität besser,  die  Zahl  der  an  ihr  wirkenden  Professoren  wuchs,  und 
es  kamen  auch  mehr  Studenten,  teils  freiwillig,  teils  gezwungen  durch 
die  vom  König  Christian  VII.  im  Jahre  1768  erlassene  Verordnung: 
„daß  in  Unserem  Herzogtum  Schleswig,  im  Herzogtum  Holstein 
Unsers  Anteils,  in  Unserer  Herrschaft  Pinneberg,  Grafschaft  Rantzau 
und  in  Unserer  Stadt  Altona  die  Unterthanen,  welche  sich  den 
studiis  widmen  und  zu  solchem  Ende  auf  Akademien  begeben  wollen, 
zwei  volle  Jahre  auf  der  Christian-Albrechts-Akademie  zu  Kiel  zu 
studieren  schuldig  und  gehalten  sein  sollen  -  oder  gewärtigen 
sollen,  dal.^  sie  zu  keiner  Beförderung  in  Unsern  Herzogtümern  weder 
in  civilibus  noch  ecclesiasticis  Hoffnung  haben  sollen." 

Die  Universität  blieb  auch  unterm  dänischen  Regime  stets  eine 
Stätte  deutschen  (Geisteslebens.  Im  letzten  Drittel  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  vertraten  die  namhaftesten  der  an  ihr  wirkenden  Lehrer 
die  Ideen  der  rationalistischen  Aufklärung,  und  im  neunzehnten  Jahr- 
hundert fanden  nach  und  neben  einander  die  deutsche  klassische 
Philosophie  und  die  nationaldeutschen  ebenso  wie  die  konstitutionellen 
Ideale    in  Lehrern    der  Kieler  Hochschule  beredte  Verkünder.     Was 


Die  Königliche  Christian- Albrech ts-Universi tat  Kiel.  411 

die  Hochschule  für  das  Erwachen  und  die  Entwicklung  des  National- 
gefuhls  in  den  schleswig-holsteinischen  Landen  geleistet  hat,  bleibt 
unvergessen,  und  längst  hat  ihr  die  vaterländische  Geschichtschreibung 
für  ihren  Anteil  an  der  Erfüllung  des  Einheitstraumes  den  verdienten 
Lorbeer  gereicht.  So  hat  ihr  auch  Treitschke,  der  ihrer  in  seiner 
„deutschen  Geschichte"  oft  und  stets  rühmend  gedenkt,  mit  den 
Worten  gehuldigt:  „Der  politische  Kampf  der  Kieler  Professoren 
gegen  die  dänischen  Übergriffe  war  durchaus  berechtigt  und  heilsam: 
sie  weckten  dem  schlummernden  Volke  der  deutschen  Nordmark  das 
helle  Bewußtsein  seines  Volkstums,  und  sie  gaben,  indem  sie  das 
historische  Recht  verteidigten,  der  nationalen  Bewegung  in  Schles- 
wig-Holstein jenen  Charakter  besonnener  Mäßigung,  der  sie  so  auf- 
fallig von  den  anderen  nationalen  Erhebungen  des  Jahrhunderts 
unterscheidet;  die  Saat,  die  diese  wackeren  Kieler  Gelehrten  aus- 
gestreut, trug  in  der  Stille  ihre  Frucht,  —  freudig  wie  nie  zuvor 
schloß  sich  das  heranwachsende  Geschlecht  dem  großen  Deutsch- 
land an!"  Gegen  das  im  Jahre  1848  eingesetzte  eider-dänische 
Ministerium  hatte  Schleswig-Holstein  zu  den  Waffen  gegriffen;  nach- 
dem die  Erhebung  niedergeschlagen  war,  nahm  die  siegreiche  Reaktion 
acht  Professoren  der  Kieler  Hochschule  wegen  ihres  demonstrativ 
anti-dänischen  Verhaltens  in  den  Kriegsjahren  ihr  Amt  (1852). 

Während  der  Epoche  der  Napoleonischen  Kriege  war  der 
Besuch  der  Universität  durch  die  Studierenden  zurückgegangen:  von 
187  im  Jahre  17%  auf  106  im  Jahre  1804  und  auf  74  im  Jahre  1807. 
Aber  nachher  hob  sich  die  Frequenz  wieder,  so  daß  die  Zahl  der 
Studierenden  in  der  Regel  zwei-  bis  dreihundert  betrug.  In  den 
fünfziger  Jahren  trat  dann  wieder  ein  Rückgang  ein,  der  die  Frequenz 
auf  120 — 200  herabdrückte,  —  hauptsächlich  dadurch  verursacht,  daß 
die  Studierenden  aus  Schleswig  von  der  dänischen  Verwaltung  mit 
Erfolg  dazu  angehalten  wurden,  der  Kopenhagener  Hochschule  den 
Vorzug  vor  der  deutschen  I^ndesuniversität  zu  geben. 

Die  Annexion  durch  Preußen  konnte  hieran  zunächst  nichts 
ändern.  Denn  die  preußische  Unterrichtsverwaltung  hob  alsbald, 
getreu  ihren  weitherzigen,  gegen  lokale  Privilegierung  gerichteten 
Prinzipien,  jene  oben  erwähnte  Vorschrift  des  Bienniums  auf,  und 
so  suchten  viele  Studierenden  des  schleswig-holsteinischen  lindes 
in  größerem  Maße  als  bisher  andere  deutsche  Universitäten  auf. 

Die  preußische  Verwaltung  ließ  sich  dadurch  nicht  in  ihrem 
Streben  beirren,  der  Universität  Kiel  ihre  besondere  Fürsorge  zuteil 
werden  zu  lassen.     Schon  im   Jahre  der   Annexion  waren  neue  ^Pro- 


412  ^'^  einzelnen  Universitäten. 

fessuren  für  Augenheilkunde,  gerichtliche  Medizin,  Geschichte  und 
Landwirtschaft  begründet,  auch  das  Amt  eines  Konservators 
der  vaterländischen  Altertümer  von  Schleswig  -  Holstein  ein- 
gerichtet worden.  Und  seitdem  ist  noch  eine  große  Zahl  neuer 
Professuren  hinzugekommen.  Vor  allem  aber  sind  unter  dem 
preußischen  Regime  viele  neuen  Institute  und  Seminarien  errichtet 
und  diejenigen,  die  von  früher  her  bestanden,  angemessen  vergrößert 
und  umgestaltet  worden;  endlich  ist  1876  der  Christiana- Albertina 
in  dem  neuen  Universitätsgebäude  am  Schloßgarten  ein  würdiges 
Heim  geschaffen  worden,  das  dann  im  Jahre  1902  noch  mächtig  er- 
weitert wurde. 

Dies  System  sollte  noch  reiche  Früchte  tragen.  Denn  seit  der 
Mitte  der  siebziger  Jahre  hob  sich  wieder  langsam,  aber  sicher  die 
Frequenz  der  Kieler  Universität,  um  schließlich  Ziffern  von  einer 
Höhe  zu  erreichen,  die  die  kühnsten,  jemals  früher  gehegten  Hoff- 
nungen weit  übertrafen:  während  die  Hochschule  es  früher  niemals 
auch  nur  auf  vierhundert  immatrikulierte  Studenten  gebracht  hatte, 
zählt  sie  nun  im  Sommersemester  gegen  1 1 00  und  selbst  noch  im 
Wintersemester,  wo  die  Anziehungskraft  von  Kiel  nicht  so  groß  ist, 
über  900  Studierende.  Mit  Recht  konnte  Professor  Krümmel  in  dem 
von  ihm  bei  Gelegenheit  des  Rektoratswechsels  erstatteten  Jahres- 
bericht betonen:  wenn  die  Christiana- Albertina  sich  stetig  gehoben 
habe,  so  sei  das  in  erster  Linie  „der  Gunst  der  örtlichen  Verhältnisse 
und  der  Fürsorge  der  Staatsregierung"  zu  verdanken!  — 

An  der  Universität  Kiel  haben  von  namhafteren  Gelehrten  im 
17.  und  18.  Jahrhundert  gewirkt:  die  Theologen  Muhlius  und  Johann 
Andreas  Cramer,  die  Juristen  Andreas  Wilhelm  Cramer  und  Thibaut, 
der  Polyhistor  Morhof,  die  Philosophen  Tetens  und  Reinhold. 

Unter  der  Zahl  der  im  19.  Jahrhundert  an  der  Hochschule 
lehrenden  Dozenten  sind  hervorragend  (mit  Ausschluß  Lebender): 
die  Theologen  Twesten,  Dorner,  Lüdemann,  Klaus  Harms,  Weiß. 
Lipsius,  Friedrich  Nitzsch;  die  Juristen  v.  Feuerbach,  Welcker. 
v.  Madai,  v.  Ihering,  Planck,  Wilda,  v.  Roth,  Hinschius;  die  Medi- 
ziner G.  H.  Weber,  Pfaff,  v.  Langenbeck,  Stromeyer,  Griesinger. 
v.  Frerichs,  Panuni,  Bartels,  Kupffer,  Cohnhcim;  die  Philosophen 
Ritter,  Chalybäus,  Harms,  Steffenscn.  Pfleiderer;  die  Historiker 
Wachsnuith,  Dahlmann,  Droysen,  Waitz,  Nitzsch,  v.  Gutschmid, 
V.  Treitschke;  die  Nationalökonomen  v.  Stein  und  Han.ssen; 
die    Philologen     Olshausen,    Jahn,     Curtius,    Dillmann,    MüUenhoff, 


Die  Königliche  Christian- Albrechts-Universität  Kiel.  413 

Möbius,  Weinhold,  Ribbeck,  Rohde,  Bruns;  die  Physiker  Karsten 
und  Hertz;  der  Botaniker  Eichler;  die  Mineralogen  Zirkel  und 
V.  Lasaulx;  die  Astronomen  Peters  und  Krueger. 

Daneben  seien  noch  Wienbarg  und  Klaus  Groth  genannt,  die 
Privatdozenten  in  Kiel  gewesen  sind  und  sich  in  der  deutschen 
Literatur  —  außerhalb  des  Bereichs  der  gelehrten  Forschung  —  einen 
ehrenvollen  Platz  erworben  haben. 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig: 
6  ordentliche  Professoren  *),  1  ordentlichen  Honorarprofessor,  1  außer- 
ordentlichen Professor  und  4  Privatdozenten. 

Zu  ihr  gehören:  ein  theologisches  Seminar  (begründet  1875; 
mit  einer  jährlichen  Einnahme  von  400  M.),  ein  homiletisches  Seminar 
(begründet  1775;  mit  einer  Einnahme  von  491,20  M.)  und  ein 
katechetisches  Seminar  (begründet  1835,  —  ohne  spezielle  Dotation). 

Die  juristische  Fakultät  zählt  gegenwärtig:  6  ordentliche  Pro- 
fessoren**), 2  außerordentliche  Professoren  und  3  Privatdozenten. 

Es  besteht  ein  juristisches  Seminar  (begründet  1890;  mit  einer 
jährlichen  Einnahme  von  400  M.). 

Die  medizinische  Fakultät  zählt  gegenwärtig:  11  ordentliche 
Professoren***),  6  außerordentliche  Professoren  und  19  Privat dozenten. 

Zur  medizinischen  Fakultät  gehören  die  folgenden  Institute: 

Das  anatomische  Institut  (als  besonderes,  außerhalb  der  Universität 
belegenes  Institut  begründet  1839;  Neubau  1880;  mit  einer  Einnahme 
von  14  400  M.). 

Das  physiologische  Institut  (begründet  1853;  Neubau  1878;  mit 
einer  Einnahme  von  8550  M.). 

Das  pathologische  Institut  (begründet  1862;  Neubau  1878; 
Anbau  1887;  mit  einer  Einnahme  von  11  590  M.). 

Das  pharmakologische  Institut  (begründet  1 855 ;  eigenes  Gebäude 
[nicht  Neubau!]  seit  1881;  mit  einer  Flinnahme  von  4200  M.). 


*)  Klostennann,  v.  Schubert,  Baumgarten,  Mühlau,  Schaeder,  Titius. 
**)  Hänel,  Schloßmann,  Pappenheim,  Niemeyer,  Franlz,  Kleinfeiler. 
***)  V.  Esmarch,  Hensen,  Heller,  Völckers,  Flemming,  (Quincke,  Werlh,  Ilelferich, 
Fischer,  Siemerling,  Graf  v.  Spee. 


41  4  I^'c  einzelnen  Universitäten. 

Das  hygienische  Institut  (begründet  und  erbaut  1888,  Umbau 
1898;  mit  einer  Einnahme  von  9500  M.). 

Die  akademischen  Heilanstalten,  umfassend  die  medizinische, 
chirurgische,  Augen-  und  Frauenklinik  nebst  der  Hebammen-Lehr- 
anstalt (mit  Ausnahme  der  Augenklinik,  begründet  1788;  die  jetzigen 
medizinischen,  chirurgischen  und  geburtshilflichen  Kliniken  sind  erbaut 
im  Jahre  1862;  die  Augenklinik  ist  errichtet  im  Jahre  1868,  Neubau 
1888.  Sonst  haben  noch  die  folgenden  umfangreicheren  Neu-  und 
Erweiterungsbauten  stattgefunden:  1878  Erweiterungsbau  der  Audi- 
torienräume für  die  medizinische  und  für  die  chirurgische  Klinik,  1893 
Neubau  der  chirurgischen  Auditorienräume,  1900  Neubau  der 
medizinischen  Auditorienräume,  18%  Anbau  an  die  geburtshilfliche 
Klinik).  Die  akademischen  Heilanstalten  haben  eine  Einnahme  von 
428  085,78  M.,  wovon  jedoch  nur  1%  160,78  M.  aus  der  Universitäts- 
kasse zugeschossen  werden.  Aus  der  genannten  Summe  empfangen 
noch  Zuschüsse:  die  medizinische  Poliklinik  (als  selbständiges  Institut 
begründet  1870;  in  einem  Miethause  untergebracht;  und  die  chirur- 
gische Poliklinik  (begründet  1875;  untergebracht  im  Anschar-Schwestem- 
und  Krankenhausej. 

Die  Poliklinik  für  Ohren-,  Hals-  und  Nasenkrankheiten  (be- 
gründet 1899;  ohne  eignes  Gebäude;  mit  einer  Einnahme  von  5000  M.). 

Die  Poliklinik  für  Hautkrankheiten  (begründet  1903;  unterge- 
bracht in  gemieteten  Räumen;  mit  einer  Einnahme  von  3000  M.). 

Die  Poliklinik  für  den  zahnärztlichen  Unterricht  (begründet  1871) 
ist  Privatanstalt,  erhält  jedoch  eine  Subvention  von   1800  M. 

Die  psychiatrische  und  Nervenklinik  (begründet  1901;  Neubau 
aus  demselben  Jahre;  mit  einer  ICinnahme  von  48  050  M.). 

Für  den  Unterricht  in  der  gerichtlichen  Medizin  sind  900  M. 
jährlich  ausgesetzt,  die  vorläufig  noch  der  Verwendung  harren. 

Die  philosophische  Fakultät  zählt  gegenwärtig:  28  ordentliche 
Professoren*;,  7  außerordentliche  Professoren,  21  Privatdozenten  und 
2  Lektoren. 

Die  philosophische  Fachgruppe  wird  durch  2  ordentliche  Pro- 
fessoren   und    1     Privatdozenten    vertreten.      Ihnen     steht    zur    V^er- 


*)  Seelig,  IloiVmann,  Schirren,  Pochhammer,  Krümmcl,  Reinke,  Brandt,  Gering, 
Deussen,  Oldenberg,  Körting,  Schöne,  Hasbach,  Weber,  Milchhoefer,  Kauffmann,  Har/er, 
Vulquardsen,  C'laisen,  Lenard,  Martius,  Rodenberg,  Stäckel,  Sudhaus,  Wendland,  Holt- 
hauscn,  Matthaei. 


Die  Königliche  Christian-Albrechts-Universität  Kiel.  415 

fiigung  ein  psychologisches  Seminar  (begründet  1899;  ohne  spezielle 
Dotation). 

Die  Altertumswissenschaft  wird  durch  5  ordentliche  Professoren 
und  1  Privatdozenten  vertreten.  Ihnen  steht  zur  Verfügung:  das 
philologische  Seminar  (begründet  1810;  dotiert  mit  300  M.),  die 
Münz-  und  Kunstsammlung  sowie  das  archäologische  Skulpturen- 
museum (begründet  1843;  das  jetzige  provisorische  [Fachwerk-|Ge- 
bäude  Ist  gebaut  im  Jahre  1887;  dotiert  mit  1200  M.j. 

Die  germanische  Philologie  und  Literaturgeschichte  wird  ver- 
treten durch  2  ordentliche  Professoren  und  1  Privat dozenten.  Ihnen 
steht  zur  Verfügung  das  germanistische  Seminar  (begründet  1875;  do- 
tiert mit  300  M.). 

Die  romanisch-englische  Philologie  wird  vertreten  durch  2  ordent- 
liche Professoren  und  2  Lektoren.  Ihnen  steht  zur  Verfügung  das 
romanisch-englische  Seminar  (begründet  1885;  dotiert  mit  600  M.). 

Die  vergleichende  Sprachwissenschaft  und  die  orientalische 
Philologie  werden  vertreten  durch  2  ordentliche  Professoren  und 
1   Privatdozenten  (ohne  Seminarj. 

Die  mittlere  und  neuere  Geschichte  (nebst  den  historischen 
Hilfswissenschaften)  wird  vertreten  durch  2  ordentliche  Professoren 
und  2  Privatdozenten.  Ihnen  steht  das  historische  Seminar  zur  Ver- 
fügung (gegründet  1872;  dotiert  mit  600  M.)  sowie  das  Museum 
vaterländischer  Altertümer  (begründet  1834;  im  früheren  Universitäts- 
gebäude untergebracht,  Umbau  1877;  dotiert  mit  12  850  M.). 

Die  Kunstgeschichte  wird  durch  1  ordentlichen  Professor  ver- 
treten, dem  das  kunsthistorische  Institut  (begründet  1894;  unter- 
gebracht im  Universitätsgebäude;  dotiert  mit  500  M.)  zur  Verfügung 
steht. 

Die  Staatswissenschaften  nebst  Statistik  sowie  Geographie  werden 
vertreten  durch  3  ordentliche  Professoren,  1  außerordentlichen  Professor 
und  1  Privatdozenten.  Ihnen  stehen  zur  Verfügung:  das  staats- 
wissenschaftliche Seminar  (begründet  1899;  dotiert  mit  'MO  M.),  das 
geographische  Institut  (begründet  1891;  untergebracht  im  Seminarien- 
gebäude;  dotiert  mit  300  M.)  und  das  Museum  für  Völkerkunde 
(begründet  1886;  untergebracht  in  der  alten  Anatomie,  ohne  Neu- 
oder Umbau;  dotiert  mit  600  M.  aus  dem  Dispositionsfonds  des 
Kultusministeriums). 

Die  Mathematik  und  Astronomie  werden  vertreten  durch  3  ordent- 
liche Professoren,  2  außerordentliche  Professoren  und  2  Privatdozenten. 


416  ^i^  einzelnen  Universitäten. 

Ihnen  stehen  zur  Verfügung:  das  mathematische  Seminar  (be- 
gründet 1877;  dotiert  mit  ,'JOO  M.)  und  die  Sternwarte  (begründet  und 
erbaut  1874;  dotiert  mit  16200  M.). 

Die  Physik  wird  vertreten  durch  2  ordentliche  Professoren. 
Ihnen  steht  zur  Verfügung  das  physikalische  Institut  (begründet  1854; 
Neubau  1901;  dotiert  mit  13  320  M.). 

Die  Chemie  wird  vertreten  durch  1  ordentlichen  Professor, 
2  außerordentliche  Professoren  und  4  Privatdozenten.  Ihnen  steht 
zur  Verfügung  das  chemische  Laboratorium  (begründet  in  den 
dreißiger  Jahren.  Neubau  1878,  Umbau  1893;  dotiert  mit  24590  M.). 

Die  Mineralogie  und  Geologie  werden  vertreten  durch  1  ordent- 
lichen Professor  und  1  außerordentlichen  Professor.  Ihnen  steht  zur 
Verfügung  das  mineralogische  Museum  und  Institut  (errichtet  1854, 
Neubau  1891;  dotiert  mit  6460  M.). 

Die  Zoologie  wird  vertreten  durch  1  ordentlichen  Professor  und 
4  Privatdozenten.  Ihnen  steht  zur  Verfügung  das  Zoologische 
Institut  und  Museum  (begründet  1839,  Neubau  1879;  dotiert  mit 
10270  M.). 

Die  Botanik  wird  vertreten  durch  1  ordentlichen  Professor  und 
2  Privatdozenten.  Ihnen  steht  zur  Verfügung  der  Botanische  Garten 
nebst  Institut  (errichtet  16^)9,  Neueinrichtung  und  Neubau  1891 ;  dotiert 
mit  17  375  M.). 

Die  Landwirtschaft  nebst  Tiermedizin  wird  vertreten  durch 
1  außerordentlichen  Professor  und  2  Privatdozenten.  Ihnen  steht  zur 
Verfügung  das  landwirtschaftliche  Institut  (begründet  1873,  unter- 
gebracht in  gemieteten  Räumen;  dotiert  mit  4740  M.). 

Zur  Verfügung  der  Dozenten  und  Studierenden  der  Hochschule 
steht  die  Universitätsbibliothek,  die  schon  bei  der  Stiftung  der 
Universität  (1665)  begründet  worden  ist  (Neubau  1884).  Der  Gesamt- 
bestand der  Bibliothek  beläuft  sich  auf  234  800  Bände  separater 
Bücher,  12  117  Dissertationen-  und  Programmenbände,  2437  Bände 
Manuskripte,  zusammen  auf  249  354  Druckwerke  und  Handschriften. 
Die  Handbibliothek  umfaßt  836  Bände. 

Das  gelehrte  Personal  der  Bibliothek  besteht  aus  1  Direktor, 
1  Oberbibliothekar,  3  Bibliothekaren  und  1  Hilfsbibliothekar.  Dotiert 
ist  sie  mit  54  860  M. 

Schließlich  sei  noch  der  Lehrer  für  Künste  gedacht,  deren  es 
in  Kiel  3  gibt:   I   akademischen  Musikdirektor  für  liturgische  Übungen 


Die  Königliche  Christian-Albrechts-Universität  Kiel. 


417 


und    Harmonielehre,    1  Lehrer   der  Fechtkunst   und   1  akademischen 
Turnlehrer. 

Für  körperiiche  Übungen  steht  den  Studierenden  der  Universitäts- 
Fechtboden  zur  Verfugung.  Außerdem  ist  ihnen  durch  besondern 
Vertrag  Anteil  an  der  Turnhalle  des  Kieler  Männerturnvereins 
(von  1844)  gesichert  sowie  eine  bequeme  Benutzung  des  Tattersalls; 
schließlich  wird  auch  der  akademische  Ruderverein  durch  Subventionen 
gefördert. 


3.    Statistische  Übersichten. 


Zahl  der  Lehrer. 


1 

c.                       Ordentliche 
Semester           _,    . 

Professoren 

i 

Ordentliche 
Honorar- 
Professoren 

Außer- 
ordenüiche 
Professoren 

Privat- 
dozenten 

Lektoren 

S.  1903                 51 
S.  1878                  39 
S.  1850                  24 
S.  1820        i          18 
S.  1750                  13 

1 

0 
0 
0 
0 

16 
9 
9 
8 

1 

48 

17 

13 

4 

? 

2 
2 

3 

? 
? 

Zahl  der  immatrikulierten   Studierenden. 


Semester 


Gesamt- 
zahl 


Darunter 
Reichs- 
ausländer 


Semester 


Gesamt-      ! 
zahl  I 


Darunter 
Reichs- 
ausländer 


S.  1903 

W.  1902/3 

S.  1902 

W.  1901/2 

S.  1901 

W.  1900/1 

S.  1900 

S.  1890 

S.  1880 

S.  1870 


10% 
914 

1207 
870 

1079 
808 

1081 
640 
301 
170 


18 
7 
17 
10 
25 
13 
20 
12 
14 
5 


S.  1860 

S.  1850 

S.  1840 

S.  1830 

S.  1820 

S.  1800 

S.  1780 

S.  1760 

S.  1740 


154 
132 
237 
321 
253 
151 
187 
? 

? 


Das  Unterrichtiwesen  im  Deutschen  Reich.    I 


27 


418 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Zahl  der  Studierenden  nach  Fakultäten: 


Semester 


Evangelische 
Theologie 


S.  1903 

41 

W.  1902/3 

33 

S.  1900 

65 

S.  1895 

71 

S.  1890 

106 

S.  1880 

55 

S.  1870 

58 

S.  1860 

28 

S.  1850 

30 

Rechtswissen- 
schaft 

Medizin 

Philosophie 

344 

327 

384 

258 

326 

297 

260 

495 

261 

151 

402 

135 

74 

356 

104 

34 

99 

113 

13 

61 

38 

57 

38 

31 

46 

30 

26 

Zahl  der  sonstigen  zum  Hören  der  Vorlesungen  zugelassenen: 


S.  1903  . 
\V.  1902/3 


.  70    S.  1902  . 
.  63  j  W.  1901/2 


63  I  S.  1901  . 
78  !  \V.  1900/1 


49 
74 


Zahl  der  zugelassenen  weiblichen  Studierenden: 

Zur  Immatrikulation  wird  keine  weibliche  Person  zugelassen. 

Hörerlaubnis  hatten: 

S.  1903 23        S.  1902 13   ;     S.  1901     . 

W.  1902/3      ....     14       \V.  1901/2      ...     23   ,   W.  1900/1 


11 
22 


(Je samtsumme  der  Kinnahmen  der  Universität: 


I     Aus  eigenem 
Etatsjahr       j   Vermögen  und 
Stiftungen 


1903 
1890 
1878 
1865 
1850 


.  Aus  eigenem 

Erwerb 
(Kliniken  usw.) 


Staatszu.schuß 


15  722 
16939 
22  947 
13528/.- 
10  881  J5^" 


Iß 
10  ß 


261371 
163  549 
135614 
?      1) 
10  273  ^'  2 


943  590 

I  561  788 

478  778 

239  028/;-  I2V4/J 
137  460// 


Summe 


1220683 

742  276 

637  339 
253557^31/4/3 
158614^'  \2ß 


1)  Der  schleswig-holsteinsche  Etat  von  1865  verzeichnet  unter  diesem  Titel  keine 
Einnahmen.  Daß  .solche  dennoch  existierten,  beweisen  die  Abrechnungen  der  einzelnen 
Institute  der  Universität  aus  dem  genannten  Jahre.  Ich  habe  Grund  zur  Annahme,  daß 
sie  etwa  10  000  |i"  betrugen.  Ich  bemerke  übrigens,  daß  die  ^*  (Hamburgische  Mark) 
=  16/5  (Schillingen)  =  12  Sgr.  gewesen  ist. 


Die  Königliche  Christian-Albrechts-Universität  Kiel. 


419 


Ciesamtsumme  der  ordentlichen  Ausgaben: 


Etatsjahr 


Besol- 
dungen und 

Remune- 
rationen an 
Professoren  u. 
Dozenten 


Wohnungs- 

geldziLschiisse 

für  I^hrer  u. 

Beamte 


Für  Institute 

und 
Sammlungen 


Für  Kon- 
vikte,  Unter- 
stützungen 

und 
Stipendien 


I  Verwaltungs- 
I  und 

'        sonstige 
!        Kosten 


1903 

,319290 

50172 

701502 

5237 

48130') 

1890 

,240640 

38136 

377  682 

1737 

'296202) 

1878 

1214140 

34  212 

324783 

1737 

204353) 

1865 

|105678yi2/J 

0 

41440  jjr 

1260  JIT 

86492  ir8/J*) 

1850 

115895 /T 

0 

19389  ir 

10321  l'Aß 

1 13009^8^ 

1)  Dazu  Baukosten  64  827  und  unvorhergesehene  Ausgaben  31  525  M. 
'^)  Dazu  Baukosten  33  350  und  unvorhergesehene  Ausgaben  21111  M. 
3)  I>azu  Baukosten  17  750  und  unvorhergesehene  Ausgaben  24  282  M. 
*)  Teuerungszulagen  17685  //   I51/4  ß. 


Außerordentliche  Ausgaben  in  den  letzten  25  Jahren: 


1903: 

576670  M. 

18%: 

44500  M. 

1889: 

34000  M. 

:  1882 

230950  M. 

1902: 

597  427  ,. 

1895: 

5960  „ 

1888: 

100800  „ 

,  1881 

100000  „ 

1901: 

986050  „ 

1894: 

16  400  „ 

1887: 

157  400  „ 

1880 

34000  „ 

1900: 

821550  ,, 

1893: 

170570  „ 

1886: 

152500  „ 

1879 

119  700  „ 

1899: 

1898: 

670  800  „ 
452  250  „ 

1892: 
1891: 

19600  „ 
113800  ,, 

1885: 
1884: 

58000  „ 
142096  y. 

Summe 

:  6087  525  M. 

1897: 

289500  „ 

1890: 

75600  „ 

1883: 

117  300  „ 

Georg  Adler. 


27* 


vm.  Die  Königlich  Preußische  Albertus-Universität 
zu  Königsberg  i.  Fr. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Die  Universität  Königsberg  ist  begründet  durch  den  Markgrafen 
Albrecht,  den  letzten  Meister  des  Ritterordens  in  Preußen  und  ersten 
Herzog  des  verweltlichten  Kirchenstaats.  —  Als  Vorläufer  der  Univer- 
sität ist  das  „Partikular"  zu  betrachten,  das  Herzog  Albrecht  im  Ok- 
tober 1541  begründete,  das  als  Vorbereitungsanstalt  für  Universitäts- 
studien dienen  sollte.  Außer  den  alten  Sprachen  waren  auch 
Jurisprudenz,  Theologie  und  Medizin  Lehrgegenstände.  Die  eigent- 
liche Universität,  das  CoUegium  Albertinum,  wurde  am  17.  August  1544 
eingeweiht  und  eröffnet.  Es  sollte  in  den  fernen  Ostlanden  als  eine 
Stätte  gelehrter  Bildung  dienen,  zugleich  mit  der  Bestimmung,  die 
Lehren  der  Reformation  in  weitesten  Kreisen  zu  verbreiten.  —  Der 
Herzog  bemühte  sich  um  die  Anerkennung  durch  den  Oberlehnsherm, 
den  König  von  Polen;  am  28.  März  1560  erteilte  König  Sigismund  II. 
diese  Bestätigung.  —  Der  erste  Rektor  der  Universität  war  Georg 
Sabin  US,  der  Schwiegersohn  Melanchthons;  von  der  Universität 
Frankfurt  a.  O.,  wo  er  seit  1538  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  wirkte, 
wurde  er  durch  Herzog  Albrecht  auf  Empfehlung  Luthers  als  Rektor 
nach  Königsberg  berufen. 

Die  Mittel  zur  Erhaltung  der  neuen  Anstalt  zusammenzubringen, 
war  anfangs  mit  großen  Schwierigkeiten  verknüpft;  aus  der  herzoglichen 
Rentkammer  wurden  4000  M.  angewiesen ;  dazu  kamen  noch  Erträgnisse 
aus  der  Domäne  Fischhausen  und  der  Domäne  Thalheim.  Der 
Wunsch  des  Stifters,  daß  die  Universität  auch  von  Ausländern  zahl- 
reich besucht  werde,  ging  namentlich  im  Beginne  in  Erfüllung.  Aus 
Polen,  aus  Livland  und  Kurland,  aus  Rußland  und  Schweden  kamen 
Studierende    nach    Königsberg.      Der  Zahl    der  Studenten    nach    war 


Die  König].  Preußische  Albertus-Universität  zu  Königsberg  i.  Pr.  421 

sogar   die   größte  Blütezeit    im    17.    und  18.  Jahrhundert  —  am  An- 
fang des  18.  Jahrhunderts  waren  in  Königsberg  über  1000  Studenten, 

Die  ersten  2  Jahrhunderte  der  Universität  waren  namentlich  er- 
füllt durch  die  theologischen  Kämpfe  und  Kontroversen,  die  sich 
über  das  Gebiet  der  theologischen  Fakultät  hinaus  auf  alle  übrigen 
Fakultäten  ausdehnten.  Diese  theologischen  Streitigkeiten  gingen 
besonders  von  dem  kampflustigen  Osiander  aus,  der  1548  zum 
theologischen  Professor  in  Königsberg  ernannt  worden  war. 

Hervorzuheben  ist  aus  der  ersten  Periode  der  Geschichte  der 
Universität  der  damalige  größte  preußische  Dichter  Simon  Dach, 
der  Verfasser  des  bekannten  Volksliedes  „Ännchen  von  Tharau",  der 
\()33  zum  Professor  der  Poesie  an  der  Universität  ernannt  wurde. 

Schwere  Zeiten  kamen  über  Königsberg  in  der  Periode  des 
30jährigen  Krieges,  alles  zeigte  sich  im  Verfall,  die  Gebäude  der 
Universität,  wie  der  Geist,  der  die  Studierenden  und  Professoren  be- 
seelte. Groß6  Verbesserungen  wurden  wieder  Ende  des  17.  und  An- 
fang des  18.  Jahrhunderts  herbeigeführt.  Der  große  Kurfürst,  ebenso 
wie  Friedrich  I.,  Friedrich  Wilhelm  I.  und  Friedrich  11.  bemühten 
sich,  durch  größere  materielle  Beihilfen  das  äußere  Ansehen  der 
Universität  wieder  zu  heben. 

Zu  ihrer  höchsten  Blüte  und  zum  größten  Ansehen  gelangte  die 
Universität  Königsberg,  als  das  leuchtende  Gestirn  am  Horizont  der 
alma  mater  aufging,  das  für  alle  Zeiten  und  Völker  Licht  über  alle 
Wissensgebiete  ausstrahlte:  Immanuel  Kant.  Kant  ist  sein  ganzes 
Leben  hindurch  stets  mit  Königsberg  aufs  engste  verbunden  gewesen. 
Er  wurde  am  22.  April  1724  in  Königsberg  als  Sohn  eines  Sattlers 
geboren,  hat  an  der  Universität  Königsberg  studiert  und  sich  dort  1755 
als  Privatdozent  habilitiert.  1770  wurde  er  dort  ordentlicher  Professor 
der  Philosophie,  welche  Stellung  er  bis  zum  Jahre  1797  inne  hatte 
(er  starb  1804).  Der  Ruf  Kants,  der  der  Universität  treu  blieb,  trotz- 
dem er  ehrenvolle  Berufungen  nach  auswärts  erhielt,  zog  Studenten 
und  Gelehrten  aus  allen  Ländern  nach  Königsberg.  Neben  Kant  ist 
sein  Zeitgenosse  Joh.  Jac.  Kraus  zu  nennen,  der  im  Kantischen  Geiste 
gebildet  und  tätig  war.  Er  wirkte  von  1781 — 1807  als  Professor  der 
praktischen  Philosophie  und  der  Kameralwissenschaft.  Von  Kraus  ist 
nachhaltigste  Anregung  ausgegangen  sowohl  auf  die  Wissenschaft,  als 
auf  die  Praxis.  Er  verstand  es,  die  Gedanken  der  Kantischen  Philosophie 
zugleich  mit  den  volkswirtschaftspolitischen  Ideen  des  Adam  Smith 
dem  Verständnis  seiner  Hörer  nahezubringen.    Auf  die  Stein-Harden- 


422  ^*^  einzelnen  Universitäten. 

bergische  Reformgesetzgebung   hat   er  dadurch  indirekt  großen  Ein- 
fluß gewonnen. 

Kants  unmittelbarer  Nachfolger  auf  dem  philosophischen  Lehr- 
stuhl, Wilh.  Traugott  Krug,  wirkte  nur  von  1805 — 1808  an  der 
Universität  und  konnte  somit  keinen  großen  Einfluß  ausüben.  Umso 
mehr  verstand  es  sein  Nachfolger  J.  F.  Herbart,  in  den  weitesten 
Kreisen  anregend  zu  wirken;  zur  Durchführung  seiner  praktisch- 
pädagogischen Bestrebungen  diente  das  1810  gegründete  pädagogisch- 
didaktische Seminar.  Nach  Herbarts  Übersiedelung  nach  Göttingen 
war  das  Fach  der  Philosophie  in  glänzender  Weise  durch  Rosenkranz 
vertreten. 

Nicht  nur  in  den  Geisteswissenschaften,  auch  in  der  Natur- 
wissenschaft trat  Königsberg  in  die  vorderste  Reihe  der  deutschen 
Universitäten,  besonders  als  1810  Friedrich  Wilhelm  Bessel  zum  Pro- 
fessor der  Astronomie  ernannt  wurde;  für  Bessel  wurde  1811  eine 
Sternwarte  gebaut;  die  von  dort  ausgehenden  Untersuchungen  haben 
epochemachend  gewirkt  und  auf  die  Entwicklung  der  Astronomie 
und  Mathematik  einen  bahnbrechenden  Einfluß  ausgeübt. 

Neben  Bessel  trugen  Franz  Ernst  Neu  mann,  der  der  Alber- 
tina von  1826  bis  zu  seinem  Tode  1895  angehört  hat,  der  ausge- 
zeichnete Vertreter  der  mathematischen  Physik,  sowie  der  geniale 
Mathematiker  Jacob  Jacobi,  der  von  1827 — 1842  in  Königsberg 
wirkte  und  das  erste  mathematische  Seminar  begründete,  dazu  bei, 
den  Ruhm  Königsbergs  als  einer  der  ersten  Hochschulen  für  Mathematik 
und  Naturwissenschaften  aller  Welt  zu  verkünden.  Die  ehrenvollen 
Traditionen  der  Jacobischen  Periode  wurden  von  dem  Mathematiker 
Richelot,  der  von  1843 — 1875  das  Ordinariat  für  Mathematik  be- 
kleidete, und  Otto  Hesse,  der  von  1840—1868  als  Extraordinarius 
für  Geometrie  tätig  war,  aufrecht  erhalten. 

Vor  diesen  Meistern  der  Naturwissenschaften  war  der  1819  ver- 
storbene Professor  Karl  Gottfried  Hagen  eifrig  für  die  Verbreitung 
naturwissenschaftlicher  Kenntnisse  tätig;  er  hat  lange  Zeit  hindurch 
5  Fächer  der  Naturwissenschaft,  Zoologie,  Botanik,  Mineralogie, 
Physik  und  Chemie  mit  größtem  Erfolg  gelesen ;  durch  sein  „Lehrbuch 
der  Gartenbaukunst"  hat  er  die  wissenschaftliche  Behandlung  der 
Pharmakognosie  und  Pharmazie  mit  begründet;  er  leitete  die  Ein- 
richtung des  Botanischen  Gartens,  dessen  erster  Direktor  der  als 
Botaniker  und  Zoologe  ausgezeichnete  August  Friedrich  Schweigger 
war.  Auch  die  Medizin,  für  welche  in  damaliger  Zeit  noch  sehr 
mangelhaft  gesorgt  war.    erhielt   durch    dieses  Aufblühen  der  Natur- 


Die  König].  Preußische  Albertus-Universität  zu  Königsberg  i.  Pr.  423 

Wissenschaften  nachhaltigste  Förderung,  —  in  noch  höherem  Grade 
kam  sie  zur  Blüte,  als  im  Jahre  1814  der  ausgezeichnete  Dorpater 
Anatom  Karl  Friedrich  Burdach  zum  Professor  der  Anatomie  in 
Königsberg  ernannt  wurde;  seiner  Energie  ist  die  Errichtung  eines 
eigenen  Hauses  für  anatomische  Zwecke  zu  danken;  wesentlich  unter- 
stützt wurde  er  durch  seinen  Prosektor  Ernst  von  Baer,  der  1822 
zum  Ordinarius  für  Anatomie  und  Zoologie  ernannt  wurde.  Nach  dem 
Tode  Burdachs  wurde  seine  Professur  ein  Jahr  lang  durch  Ernst 
Brücke,  dann  aber  von  1849 — 1855  durch  Hermann  Helmholtz 
bekleidet,  eine  der  größten  Zierden  der  deutschen  Wissenschaft,  eben- 
so ausgezeichnet  als  Physiologe,  wie  als  Physiker  und  Mathematiker. 

Um  das  Fach  der  Chirurgie  hat  sich  Albrecht  Wagner  be- 
sondere Verdienste  erworben,  der  von  1858 — 1871  in  Königsberg 
lehrte.  Als  Vertreter  der  Augenheilkunde  ist  Jac.  Jacobson  zu 
nennen,  der,  seit  1859  außerordentlicher  Professor,  als  Lehrer  und 
Forscher  erfolgreich  wirkte. 

Für  die  Pflege  der  klassischen  Philologie  war  es  von  entschei- 
dender Bedeutung,  daß  1814  Ch.  Aug.  Lob  eck  zum  Ordinarius  für 
dieses  Fach  an  die  Universität  berufen  wurde.  Fast  ein  halbes  Jahr- 
hundert lang  gehörte  er  der  Albertina  an  und  er  verstand  es,  in  dieser 
Zeit  für  die  Wissenschaft  des  klassischen  Altertums  die  größte  Be- 
geisterung zu  erwecken.  Neben  Lobeck  wirkte  Karl  Lachmann  von 
1818 — 1824  als  Germanist.  Königsberg  war  eine  der  ersten  Universi- 
täten, wo  die  junge  germanistische  Wissenschaft  eine  Vertretung  er- 
hielt In  Karl  Lehrs,  der  sich  1831  an  der  Albertina  habilitierte, 
erhielt  Lobeck  einen  würdigen  Nachfolger,  der  als  Lehrer  und  Ge- 
lehrter in  hohem  Ansehen  stand. 

Unter  den  Historikern,  die  in  Königsberg  wirkten,  hat  sich  Karl 
August  Drumann  besonders  verdient  gemacht.  Von  1817  ab 
hat  er  fast  vier  Jahrzehnte  hindurch  neben  seinem  besonderen  Studien- 
gebiete, der  alten  römischen  Geschichte,  auch  die  neuere  und  neueste, 
sowie  die  allgemeine  Kulturgeschichte  in  seinen  Vorlesungen  be- 
handelt. In  späterer  Zeit  und  zwar  von  1862 — 1871  hat  der  Historiker 
Karl  Wilh.  Nitzsch  namentlich  auf  dem  Gebiet  der  Wirtschafts- 
geschichte bedeutende  Arbeiten  geliefert. 

Aus  der  juristischen  Fakultät  sei  der  Name  von  Eduard  Simson 
hervorgehoben,  der  sich  1831  in  Königsberg  habilitierte,  1833  Extra- 
ordinarius und  1836  Ordinarius  wurde.  Simson  hat  bekanntlich  im 
politischen  Leben  Deutschlands  als  Präsident  der  Nationalversammlung 
und     des     Reichstages     eine     hervorragende     Rolle     gespielt.      Von 


424  I^ie  einzelnen  Universitäten. 

1853 — 1859  lehrte    der  berühmte  Kenner  des  deutschen  Rechts  Otto 
Stobbe  an  der  Albertina. 

Hand  in  Hand  mit  der  Vermehrung  der  Lehrstühle  auf  allen 
Wissensgebieten  ging  die  Verbesserung,  Vermehrung  und  Erweiterung 
der  Gebäude,  der  Kliniken,  Laboratorien,  Seminarien  und  anderen 
Institute.  Namentlich  im  19.  Jahrhundert  wurden  reiche  Aufwen- 
dungen für  diese  Zwecke  gemacht;  selbst  in  der  kritischsten  Zeit  der 
preußischen  Geschichte,  in  den  Jahren  nach  1806,  fehlte  es  nicht  an 
Stiftungen  und  Neueinrichtungen  für  diese  Zwecke.  1806  wurde  ein 
Grundstück  für  den  Botanischen  Garten  erworben,  1809  eine  neue 
Medizinische  Klinik  eingerichtet.  1811  wurde  mit  dem  Bau  einer 
Sternwarte  begonnen.  Nimmt  man  hinzu,  daß  in  derselben  Zeit  auch 
die  Errichtung  von  Seminarien  eingeleitet  wurde,  und  zwar  des 
theologischen  (1812),  eines  philologischen  und  eines  pädago- 
gischen, daß  femer  große  Geldmittel  für  akademische  Preisaufgaben 
bereit  gestellt  wurden,  daß  die  meisten  Gehälter  erhöht  wurden,  so 
zeigt  dies,  wie  große  Opfer  damals  selbst  in  der  schweren  Zeit  für 
die  Universität  Königsberg  gebracht  wurden.  Der  Etat  der  Albertina 
für  1810/1811  war  auf  rund  34  000  Taler  gestiegen,  wozu  noch 
3714  Scheffel  Roggen  an  Naturalbezügen  kamen. 

Am  20.  Juli  1862  fand  der  Umzug  aus  dem  alten,  engen  und 
unschönen  Albertinum  auf  dem  Kneiphof  nach  dem  stattlichen  Neu- 
bau auf  Königsgarten  statt,  an  welchem  Feste  auch  der  Kronprinz 
Friedr.  Wilhelm  als  Rektor  teilnahm. 

Neue  und  erhöhte  Aufwendungen  für  Institute  usw.  fallen  nament- 
lich in  die  Periode  1871 — 1902.  Besonders  kam  dies  den  Natur- 
wissenschaften und  der  Medizin  zugute.  Der  Botanische  Garten,  das 
zoologische  Museum,  die  Sternwarte  wurden  durch  Neu-  und  Um- 
bauten vergrößert,  für  das  chemische  Laboratorium  wurde  1888  ein  Neu- 
bau errichtet,  sowohl  für  die  Zwecke  des  physikalischen,  wie  des  minera- 
logisch-geologischen Unterrichts  wurde  ein  Neubau  errichtet  (1891  bis 
1892).  Die  Zahl  der  Seminarien  wurde  vermehrt,  die  Dotationen  der 
alten  Seminarien  erhöht.  Dazu  kamen  zahlreiche  Gebäude  für  Zwecke 
des  landwirtschaftlichen  Unterrichts,  darunter  ein  agrikultur-chemisches, 
ein  landwirtschaftlich-physiologisches  und  ein  müchwirtschaftliches  Labo- 
ratorium. Die  reiche  archäologische  Sammlung,  das  Kupferstich- 
kabinett, die  staatswissenschaftliche  Bibliothek  wurden  vergrößert 
bezw.  neu  gegründet.  Die  Zahl  der  den  Unterrichtszwecken  der 
phüosophischen  Fakultät  dienenden  Institute  ist  von  11  im  Jahre  1862 
auf   21     im    Jahre    1894    gestiegen.       Außerdem     wurden     mehrere 


Die  Königl.  Preußische  Albertus-Universität  zu  Königsberg  i.  Pr.  425 

medizinische  Anstalten,  z.  B.  die  Frauenklinik,  die  augenärztliche 
Klinik  neu  errichtet  und  aus  der  jüngsten  Zeit  ist  noch  der  Neubau 
eines  chemisch-pharmazeutischen  Instituts,  ein  neu  errichtetes  hygie- 
nisches Institut  und  das  neu  angekaufte  landwirtschaftliche  Versuchs- 
gut Waldgarten  zu  erwähnen. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

Die  theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig  6  ordentliche 
Professoren*),     3    außerordentliche     Professoren,     2    Privatdozenten, 

2  Lektoren.  Es  besteht  ein  theologisches  Seminar,  gegründet  1812, 
Dotation  580  M.,  ein  litauisches  Seminar,  gegründet  1723,  Dotation 
1500  M.,  ein  polnisches  Seminar,  gegründet  1728,  Dotation  900  M.| 

Die  juristische   Fakultät    zählt   6    ordentliche    Professoren**), 

3  außerordentliche  Professoren,  1  Privatdozenten.  Ein  juristisches 
Seminar,  gegründet  1841,  Dotation  300  M. 

Die  medizinische  Fakultät  zählt  10  ordentliche  Professoren***), 
10  außerordentliche  Professoren,  21  Privatdozenten,  1  Lektor. 

Anatomisches  Institut,  gegründet  1816/17,  Bau  von  1850,  1887 
Umbau,  jährliche  Einnahme  16489  M. 

Physiologisches  Institut,  gegründet  1853,  Neubau,  jährliche  Ein- 
nahme 7530  M. 

Pathologisch-anatomisches  Institut,  gegründet  1864,  Neubau,  jähr- 
liche Einnahme  7860  M. 

Institut  für  medizinische  Chemie  und  experimentelle  Pharmakologie, 
gegründet  1878,  Neubau,  jährliche  Einnahme  6110  M. 

Hygienisches  Institut,  gegründet  1890,  Neubau,  jährliche  Ein- 
nahme 8740  M. 

Medizinische  Klinik,  gegründet  1809,  Umbau  1894,1  jährt.  Einn. 

Medizinische  Poliklinik,  gegründet  1831.  /  106365   M. 

Chirurgische  Klinik  und  Poliklinik,  gegründet  1815,  erbaut  1879, 
jährliche  Einnahme  135345  M. 

Frauenklinik  und  Poliklinik,  gegründet  1892  (geburtshilfliches 
Institut  schon  1795),  Neubau,  jährliche  Einnahme  92  328  M. 

Augenärztliche  Klinik  und  Poliklinik,  gegründet  1871,  erbaut  1877, 
jährliche  Einnahme  51  715  M. 

*)  Jacoby,  Benrath,  Domer,  Kühl,  Giesebrecht,  Stange. 
**)  Schirmer,  Giiterbock,  Gradenwitz,  v.  Blume,  Arndt,  Heymann. 
***)  Dohm,   Neumann,   Jaflfe,   Kuhnt,   Hermann,    Stieda,  Lichtheim,  Garr^,  Winter, 
Pfeiffer. 


426  ^ic  einzelnen  Universitäten. 

Poliklinik  für  Kinderkrankheiten,  gegründet  1895,  jährliche  Ein- 
nahme 1200  M. 

Klinik  für  syphilitische  Hautkrankheiten  und  Poliklinik,  gegründet 
1892,  Neubau,  jährliche  Einnahme  1800  M. 

Poliklinik  für  Nasen-,  Ohren-  und  Halskrankheiten,  gegründet  1892, 
jährliche  Einnahme  1800  M. 

Zahnärztliches  Institut,  gegründet  1892,  jährliche  Einnahme  1500  M. 

Die  philosophische  Fakultät  zählt  36  ordentliche  Professoren*), 
11  außerordentliche  Professoren,  17  Privatdozenten,  4  Lektoren. 

Zugehörige  Institute:  Mathematisch-physikalisches  Seminar,  ge- 
gründet 1834,  Dotation  640  M.;  Mathematisch-physikalisches  Labora- 
torium, gegründet  1863,  Dotation  5930  M.;  Physikalisches  Kabinett, 
gegründet  1863,  Dotation  11  320  M.;  Sternwarte,  gegründet  1810, 
Dotation  11  708  M.;  Chemisches  Laboratorium,  gegründet  1849, 
Bau  von  1888,  Dotation  16475  M.;  Pharmazeutisch-chemisches 
Laboratorium,  gegründet  1873,  seit  1888  in  dem  1857  erbauten 
früheren  chemischen  Laboratorium,  Dotation  9335  M.;  Agrikultur- 
chemisches Laboratorium,  gegründet  1875,  erbaut  1875,  Dotation 
9895  M.;  Landwirtschaftliches  Institut,  gegründet  1875,  erbaut  1875, 
Dotation  31  374  M.;  Tierklinik,  gegründet  und  erbaut  1875,  Dotation 
5494  M.;  Mineralogisch  -  geologisches  Institut,  gegründet  1892, 
Dotation  5160  M.;  Botanischer  Garten,  gegründet  1810,  Dotation 
18  255  M.;  Zoologisches  Museum,  gegründet  1818/19,  Bau  von  1831. 
Dotation  10628  M.;  Bibliothek  und  Seminar  für  Staatswissenschaften, 
Bibliothek  gegründet  1885,  Seminar  gegründet  1900,  Dotation  300  M.; 
Geographische  Sammlung,  gegründet  1893,  Dotation  300  M.; 
Historisches  Seminar,  gegründet  1 832,  Dotation  750  M. ;  Münzkabinett, 
gegründet  1719,  Dotation  150  M. ;  Kupferstichsammlung,  gegründet 
1865,  Dotation  2200  M.;  Archäologische  Sammlung,  gegründet  1878, 
Dotation  ]5'S6  M.;  Philologisches  Seminar  und  Proseminar,  gegründet 
1810,  Dotation  450  M.;  Deutsches  Seminar,  gegründet  1886,  Dotation 
»100  M.;  Romanisch-englisches  Seminar,  gegründet  1879,  Dotation 
600  M.;  Akademische  Handbibliothek,  gegründet  1833,  Dotation  3375  M. 

Allgemeine  Universitätsanstalt  ist  die  Königliche  und  Universitäts- 
bibliothek,   so    genannt    seit    1827,    von    1810—1901    im  sogenannten 

*)  Friedländer,  Schade,  Umpfenbach,  Ritthausen,  Kühl,  Wallher,  Prulz,  L<)s>en, 
Pape,  Ludwich,  IJezzenberger,  Koschwitz,  Thiele,  Hahn,  Braun,  Luerssen,  Jahn,  Baum- 
gart,  Jeep,  Volkmann,  Struve,  Roßbach,  Mügge,  Händcke,  Klinger,  Meyer,  Busse,  Diehl, 
Schönfließ,  Stutzer,  Krauske,  Kaluza,  Kachfahl,  Gerlach,  Heinze,  Brockelmann. 


Die  Königl.  Preußische  Albertus-Universität  zu  Königsberg  i.  Pr. 


427 


„Königshause",  dann  im  Neubau.  Entstanden  aus  1 .  der  sogenannten 
Schloßbibliothek,  etwa  1526  von  Herzog  Albrecht  begründet,  später 
vergrößert  durch  Schenkungen  des  Fürsten  Radziwill,  der  Pfalzgräfin 
von  Neuburg  u.  a.;  2.  der  alten  •  Universitätsbibliothek,  die  etwas 
später  als  die  erste  begründet  wurde  und  im  alten  Albertinum  unter- 
gebracht war.  Die  Vereinigung  beider  erfolgte  1827.  Berühmt  die 
sogenannte  „Silberbibliothek",  20  Werke  —  Reformationsschriften  — 
mit  in  Silber  getriebenen  Einbänden,  von  der  Gemahlin  des  Herzogs 
Albrecht  stammend.  —  Dotation  75  714  M.;  1  Direktor,  6  Bibliothekare, 
2  Expedienten,  2  Diener.  Bändezahl  am  1.  April  1903:  255  879, 
dazu  ca.  1200  Handschriften  und  ca.  200000  ungebundene  Druck- 
schriften. 

Zur    Universität   gehören    noch:    2    Musik-,    1  Fecht-,    1   Tanz-, 
1   Reitlehrer. 


!>.    Statistische  Übersichten. 

Zahl  der  Lehrer. 


Semester 


Ordentliche 
Professoren 


Ordenthche  Außer-               _  . 

,-  .      ,.  ,  t        rnvat- 

Honorar-  ordenthche  | 

Professoren  Professoren  i 


Lektoren 


I  S.  1903 
I  S.  1878 
I         S.  1850 


58 
46 
30^ 


27 
19 

7 


41 
17 
17 


Zahl  der  immatrikulierten  Studierenden.*) 


Semester 


I       S.  1903 

I  \V.  1902/3 
'       S.  1902 

'  \V.  1901/2 
I       S*.  1901 

'  W.  1900/1 
S.  1900 


Gesamt- 
zahl 


948 
977 
%7 
911 
923 
874 
878 


Darunter 
Reichs- 
ausländer 


75 
79 

59 

48 


Semester 


S.  1890 
\V.  1880/1 
W.  1870/1 
W.  1860/1 
W.  1850/1 
W.  1840 


Gesamt- 
zahl 


Darunter 
Reichs- 
ausländer 


777 
788 
494 
407 
332 
392 


17 
23 
19 
21 
5 


*)  Stärkstes  Semester  angegeben. 


428 


Die  einzelnen  Universitäten. 
Zahl  der  Studierenden  nach  Fakultäten. 


Semester 

Evangelische 
Theologie 

Rechtswissen- 
schaft 

Medizin 

Philosophie 

S.  1903 

82 

329 

1% 

341 

W.  1902/3 

85 

357 

204 

331 

S.  1900 

93 

284 

245 

256 

S.  1895 

109 

216 

242 

170 

S.  1890 

185 

156 

271 

165 

W.  1880 

83 

165 

145 

395 

W.  1870 

77 

120 

151 

146 

W.  1860 

131 

74 

101 

102 

W.  1850 

46 

13t 

59 

97 

Sonst  zum  Hören  zugelassene  Personen. 


Semester 

Weibliche         MännUche 

1 
Semester      |    Weibliche 

Männliche    \ 

S.  1903 
W.  1902/3 

S.  1902 
W.  1901/2 

33          i          63 
59                    85 

41           i          40 

41                     40 

i 

S.  1901 

W.  1900/1 

S.  1900 

21 
24 
15 

43 
51 
38 

1 

Kinnahmen  der  Universität. 


Etatsjahr 


Aus  eigenem 
Vermögen  und 
Stiftungen 
M.  I 


Aus  eigenem 
P>werb 

M. 


Staatszuschuß 
M. 


Summe 


M. 


1903 
1890 
1878 
1865 
1850 


19393,26 
41311,55 
17  686,91 
12  705,— 
20800,— 


177  398,74 

102  186^ 

44  891,09 

2  706,— 

2191,16 

Ausgaben. 


1  042  933 — 
777  908,— 
668621,— 
281  580,— 
217  830,— 


1  239  725,— 
901  405,79 
731  i99_ 

2%991,- 
240  821,26 


Etats- 
jahr 


Besoldungen  I  Wohnungs-  Für         | 

für  ^*^}^'             Institute 

_.    ^  Zuschüsse    i              , 

Professoren  ^y^  Lehrer            ^"^         i 

usw.  und  Beamte  Sammlungen 

M.  M.  M. 


Konvikte, 
Stipendien 

M. 


Venvaltungs- 

I  und  sonstige 

Kosten 

'         M.         ' 


Summe 


M. 


1903 

!  384  090- 

57  384,- 

662  762,50 

34  782,- 

100  706,50    1239  725,— 

1890 

310729,32 

42  480,— 

455  577,32 

31271,30    ' 

61  348,-      901  405,79 

1878 

297  388,36 

42  300,— 

316  531,30 

31312,54    1 

43  666,80  1    731  199,— 

1865 

'  120663,— 

15362,— 

102531,—  1 

25  761,— 

34  674,—       296  991,— 

1850 

105  807,— 

10459,13 

73  340,26 

22  659,89 

28355,—      240821^ 

Außerordentliche  Ausgabei 

in  den  letzten  25  Jahren 

:  4  616142  M. 

K.  Diehl. 

IX.  Die  Königlich  Preußische  Universität  zu  Marburg  i.  H. 


1.  Geschichtliche  Übersicht. 

Vo  r  1 866.  Die  Universität  Marburg  ist  aus  dem  Geist  der  Re- 
formation herausgeboren.  Philipp  der  Großmütige  von  Hessen  be- 
gründete sie  1527,  zwei  Jahre  nachdem  er  sich  zum  neuen  Glauben 
bekannt  hatte;  sie  sollte  ein  Werkzeug  sein,  auch  sein  Land  der  Re- 
formation zu  gewinnen  und  in  der  rechten  Lehre  zu  erhalten.  Zugleich 
mit  ihr  entstand  eine  Vorschule  (Pädagogium),  die  bis  ins  19.  Jahr- 
hundert mit  der  Universität  in  engster  Verbindung  blieb.  Eine 
Reihe  hervorragender  Kräfte  wirkten  an  der  jungen  Hochschule,  die 
Theologen  Lambertus,  Krafft,  Hyperius,  die  Juristen  Eisermann, 
Oldendorp,  später  Vultejus,  der  Mediziner  Euricius  Cordus,  an  der 
philosophischen  Fakultät  H.  von  dem  Busche,  Eobanus  Hessus,  später 
R.  Goclenius  und  Schupp. 

Die  anfangs  des  17.  Jahrhunderts  ausbrechenden  ^Streitigkeiten 
in  der  hessischen  Dynastie,  die  Bekämpfung  des  Luthertums  durch 
den  von  Landgraf  Moritz  geförderten  Calvinismus,  vor  allem  aber  die 
Gegengründung  einer  Universität  in  Gießen  unterbrachen  dann  die 
Blüte  Marburgs  jäh. 

Seit  ihrer  Erneuerung  1653  erhielt  die  Universität  den  Charakter  einer  streng  re- 
formierten Anstalt;  an  diesen  konfessionellen  Charakter  waren  auch  die  drei  weltlichen 
Fakultäten  gebunden.  Zum  erstenmal  wurde  dieser  Grundsatz  durchbrochen  zugunsten 
des  aus  I^eußen  vertriebenen  Philosophen  Cliristian  Wolff,  dessen  Wirksamkeit  von  1723 
bis  1740  eine  neue  Blütezeit  für  die  Hochschule  bedeutet. 

Erst  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts,  als  der  Geist  der  Anfklärung  die  Herr- 
schaft gewann,  fanden  lutherische  und  vereinzelt  selbst  katholische  Männer  Anstellung. 
Seit  1784  wurde  in  der  philosophischen  Fakultät  die  lutherische  Glaubenslehre  vor- 
getragen.    Aber    den    konfessionellen   Charakter    verlor   die    theologische    Fakultät    erst 


430  ^^*^  einzelnen  Universitäten. 

1821,  indem  sie  damals  unter  dem  Einfluß  der  Unionsbewegung  freiwillig  lutherische  Mit- 
glieder in  sich  aufnahm. 

Unter  den  Theologen  des  18.  Jahrhunderts  ragten  hervor  J.  Chr.  Kirchmeier 
(1723—43)  und  der  Schweizer  D.  Wyttenbach  (1756—1779),  unter  den  Philologen  der 
Begründer  des  Studiums  des  Armenischen  J.  T.  Schröder.  Unter  den  Juristen  lebt  be- 
sonders das  (ledächtnis  an  den  vielseitigen  Kanzler  Estor  (1742 — 1773)  infolge  des  Ver- 
mächtnisses seiner  schönen  Biichersammlung  an  die  Universität  fort. 

Bis  zum  Regierungsantritt  des  letzten  Landgrafen  (1785)  waren  die  medizinisch- 
naturwissenschaftlichen Fächer  wenig  entwickelt  und  ihr  Studium  sehr  vernachlässigt. 
Immerhin  hat  der  Physiker  Pap  in  kurz  in  Marburg  gelehrt  (1688 — 1695).  1761 — 1762 
war  die  medizinische  Fakultät  unbesetzt;  das  Interesse  des  Hofs  wie  der  Regierung  kon- 
zentrierte sich  damals  auf  die  Pflege  des  Collegium  Carolinum  in  Cassel,  das  sich  seit 
17(X)  mehr  und  mehr  zu  einer  medizinisch-naturwissenschaftlichen  Fachschule  ausgewachsen 
hatte.  Erst  unter  Landgraf  Wilhelm,  der  diese  höfische  Gründung  schloß  und  5  ihrer 
I^ehrkräfte,  darunter  den  Geburtshelfer  Stein,  nach  Marburg  versetzte,  begann  seit  1786 
in  kleinen  ebenfalls  dorthin  verlegten  Instituten  der  moderne  klinisch-experimentelle  l'n- 
terricht  in  diesen  Fächern.  Überhaupt  wurden  bis  zum  Ende  des  Jahrhunderts  die  Lehr- 
kräfte gegen  1763  gerade  verdoppelt  (1794  29).  Es  wirkten  in  jener  Zeit  der  Mediziner 
Baidinger,  der  Zoologe  und  Anatom  Tiedemann,  der  Philologe  Creuzer,  der 
Kameralist  Jung-Stilling  und  der    Jurist  von  Savigny  neben-  und  kurz  nacheinander. 

Aber  freilich  war  die  Ausstattung  der  Universilätsinstitute  eine  mehr  als  bescheidene. 
Erst  die  Regierung  des  Königreichs  Westfalen  (1806 — 1813)  suchte  Marburg  zu  heben, 
wozu  die  aufgehobenen  Hochschulen  von  Rinteln  und  Helmstedt  teilweise  die  Mittel  boten. 
Freilich  nach  der  Vertreibung  der  Franzosen  erkannte  der  hessische  Kurfürst  diese  Zuge- 
ständnisse erst  gamicht,  nachher  nur  teilweise  an.  Die  Fortschritte  waren  überhaupt 
während  des  folgenden  halben  Jahrhunderts  sehr  langsam,  wenn  sich  auch  von  1831  bis 
1850  der  I^ndtag  in  der  Regel  auf  die  Seite  der  Universität  stellte.  An  den  maßgebenden 
Stellen  dagegen  bestand  nur  geringes  Verständnis  für  die  Pflege  der  Wissenschaft.  Nur 
die  Anfänge  der  sonst  so  vielgetadeltcn  Hasse npflugschen  ersten  \-erwaltung  (1832  ff.)  und 
die  letzten  Jahre   des  Kurfürstentums  zeigen  etwas  größeres  P'nlgegenkommen. 

So  stieg  zwar  die  Summe  der  sämtlichen  Staatszuschüsse  für  Universitätszwecke 
(ohne  Zuschüsse  zu  Neubauten)  von  1830  17  450  bis  1832  auf  40  835  Tlr.,  aber  sie 
betrug  auch  1846/48  nur  42000  Tlr.  und  vermehrte  sich  von  da  an  weiter  viel  zu 
langsam  bis  1855/62  auf  47  497,  1863/64  auf  52  757  und  1865/66  auf  57  197  Tlr.  Denn 
gleichzeitig  mußte  ein  großer  Teil  des  Universitätsvermögens  einge/ehrt  werden. 

Die  folgende  Tabelle  zeigt  auf  Grund  von  Rechnungen  und  Akten  für  die  Zeit 
von  1807 — 1865  noch  genauer  die  Dotation  der  einzelnen  Universitätsinstitute.  Auch 
die  Entstehungszeit  der  letzteren  läßt  sich  aus  ihr  ungefähr  entnehmen. 

Anmerkungen    zur    folgenden    Tabelle. 

1.  —  zz  das  Institut  bestand  nocli  nicht»  0  —  das  Institut  bestand,  halte  aber 
noch  keinen  Staatszuschuß. 

2.  1813  (franzÖNische  Verwaltung)  und  1832  ft".  (wo  der  Staat  die  Pflicht  anzu- 
erkennen begann,  das  Defizit  der  Universitiitsfonds  zu  decken),  sind  auch  die  kleinen 
Zuschü>se  aus  letzteren  mit  enthalten.  Kür  die  übrigen  Jahre  ist  ilir  Betrag  aus  den  An- 
merkungen zu  ergehen. 

3.  1813  sind  1000  fr.  =  257^/«  Tlr.  gesetzt. 

4.  Naturalbezüge  sind  weggelassen. 

5.  Aufgenommen  sin<l  die  verwilligten  (nicht  die  wirklich  gezahlten)  Zuschüsse. 


Die  Königl.  Preußische  Universität  zu  Marburg  i.  H. 


431 


Ausgaben  des  Staats  für  die  wissenschaftlichen  Institute  der 
Universität  Marburg  in  Talern. 


Bibliothek  i)       .... 

Botanisches  Institut    .     . 

Pharmakognostischss  Institut 

Geburtshilfliches  Institut 2) 

Anatomisches  Institut*) 

Pathologisches  Institut    . 

Physiologisches  Institut  . 

Klinisches  Hospital     .     . 

Medizinische  ambulatorische 
Klinik6) 

Chirurgische  ambulat.  Klinik 

Pharmakologisches  und  toxi- 
kologisches Institut      .     . 

Chemisches  Institut    .     .     . 

Pharmazeutisch  -  chemisches 
Institut 

Mathematisch-physikalisches 
Institut 

Zootomisches  Institut  u.  Tier- 
arzneischuleAnmerkung^) 

Zoologisches  Institut  .     .     . 

Mineralogisches  Institut  .     . 

Philologisches  Seminar l^)    . 

Historisches  Seminar  .     .     . 


1807  I  1813     1815     1822  I    1832    I    1850 


1865 


0 
200 


849 
566 


400 
484 


400  I 
684  I 


1  141 
984 


600  ^ 
60  I 


1029 
309 


800 
210 


3141   I     3141 

1  013  1     1  366 

-      I       -      I         80 

1  100    3)1400  '3)1600    3)1640 


510 


1300       1448 


200 


— 

643 

555 

5)831 

1631  i 

1625 

150 

77  1 

150 

340 

600  i 

7)600 

150 

51  1 

150 

150 

400 

400 

0 

309 

150 

- 
150 

400 

1005 

283  I     200       200 


30  I     154  !    200 


0 
257 


0 
200 


I  500   I 


0 
200 


400 

600  j 
150  I 
100 
200 


0 
450 


200 
150 
200 


1548 
100  ! 
375  1 

1625  1 

')600  , 
8)800  ' 

100  I 
1000 

I 
500  I 

»)65o| 

_     \ 

10)  575  1 
75  ' 
200 
150 


1  170 


4527  13499    5065  1    9306 


12032     14425 


Anmerkungen  zu  den  Ansätzen  für  die  einzelnen  Institute. 

1)  Außerdem  aus  Universitätsfonds  41   Rtlr.  und  schwankende  Anteile  an  Gebühren 
und  Strafen. 

2)  Femer  aus  der  Universitätskasse  200  Rtlr. 

3)  Femer  Zuschüsse  der  Hebammenanstalt  mit  1832  8,  1850  160  und  1865  580  Tlr. 

4)  Dazu  aus  Universitätsmittehi  1807  und  1815  40,  1822  140  Rtlr. 

5)  Außerdem  800  Tlr.  aus  der  Universitätskasse.  Die  Zuschüsse  der  ambulatorischen 
Kliniken  sind  hier  abgerechnet. 

^)  Davon  stammen  aus  der  Kasse  des  Klinischen  Hospitals 

1822         1832  1850         1865 

bei  der  medizinischen  Klinik  40  100  100  100 

„     „   chirurgischen   Klinik  —  50  50  50 

7)  Dazu  Zuschüsse  der  Marburger  Armenverwaltung  von  je  250  Tlr. 
3j  Ferner  Zuschuß  der  Marburger  Armenverwaltung  von  50  Rtlr. 
^)  Davon  außerordentlicher  Zuschuß  200  Tlr. 
**)  Seit  der  Mitte  der  dreißiger  Jahre  aufgehoben. 

10)  Davon  außerordentlicher  Zuschuß  175  Tlr. 

11)  Femer  seit  1832  aus  Stiftungsfonds  50  Tlr. 


432  I^c  einzelnen  Universitäten. 

Nur  wenige  Institute  hatten  befriedigende  Mittel;  die  meisten  mußten  sich  auch 
mit  ungenügenden  Räumen  behelfen.  Die  Anpassung  der  firüheren  Deutschordensnieder- 
lassung um  die  altehrwürdige  Elisabethenkirche  seit  1822  ftir  die  Zwecke  des  natur- 
wissenschaftlich-medizinischen Unterrichts  erwies  sich  schon  nach  kurzer  Zeit  als  unzu- 
reichend. Das  klinische  Hospital,  zur  selben  Zeit  in  ein  Landkrankenhaus  der  Provinz 
Oberhessen  mit  etwa  40  Betten  verwandelt,  wurde  erst  in  den  letzten  Jahren  des  Kur- 
fürstentums (1858)  durch  den  Bau  einer  besonderen,  für  ihre  2^it  befriedigenden  chirur- 
gischen Klinik  entlastet.  Jetzt  standen  etwa  100  Betten  iur  innere  Medizin  und  Chinugie 
zur  Verfügung,  etwa  2  Dutzend  in  der  durch  ihre  ungesunde  Lage  berüchtigten  geburts- 
hilflichen Klinik. 

Während  zugunsten  der  letzteren  drei  Jahrzehnte  lang  vergeblich  um  einen  Neubau 
petitioniert  wurde,  erfreuten  sich  das  anatomische  und  das  physikalische  Institut  seit  1842 
geräumiger  Neubauten,  denen  freilich  die  Dotation  nicht  entsprach. 

Die  Gesamtzahl  der  Ordinariate  hat  sich  von  1806 — 1855  nicht  vermehrt  Unter 
den  Wünschen  der  Universität  in  den  bewegten  Jahren  1848/49  spielte  der  Hinweis  auf 
diese  auch  den  Studenten  fühlbaren  Lücken  eine  erhebliche  Rolle.  Das  Bedürfnis  nach 
fortschreitender  Arbeitsteilung  wurde  durch  Extraordinariate  befriedigt,  die  im  18.  Jahr- 
hundert nur  ausnahmsweise  begegnen.  Auch  das  Institut  der  Privatdozenten  ist  erst  seit 
den  20  er  Jahren  heimisch  geworden.  Erst  im  letzten  Jahrzehnt  der  kurhessischen  Zeit 
sind  neue  Ordinariate  errichtet  worden,  darunter  solche  für  Germanistik,  pharmazeutische 
Chemie  und  Pharmakologie. 

Abgesehen  von  den  Institutsverhältnissen  war  die  Lage  der  Professoren  und 
damit  auch  der  Ruf,  den  Marburg  in  kurhessischer  Zeit  genoß,  durch  drei  Umstände  un- 
günstig beeinflußt,  durch  die  schlechte  Bezahlung,  durch  die  politische  Unsicherheit 
und  durch  die  geringe  Frequenz  der  Hochschule. 

Die  Gehälter  der  ordentlichen  uud  fast  noch  mehr  die  der  außerordentlichen 
Professoren  waren  zu  jeder  Zeit  unzureichend,  denn  das  Minimalgehalt  der  ersteren  wurde 
von  1831 — 1865  allmählich  nur  von  500  auf  800  Taler,  das  der  letzteren  gar  bloß  von 
200  auf  300  Taler  erhöht.  Dazu  wurden  die  Naturaleinkünfte  mehr  und  mehr  ein- 
gezogen; die  Kollegiengelder  spielten  bei  der  kleinen  und  stagnierenden  Frequenz 
keine  Rolle. 

In  kleineren  Staaten  ist,  wenn  Residenz  und  Universität  räumlich  auseinander- 
fallen, ein  gegenseitiges  Vorurteil  die  Regel.  Beseitigt  wird  dasselbe  nur  durch  intensives 
Interesse  der  Fürsten  an  der  Wissenschaft.  Dies  fehlte  aber  leider  ganz  bei  den  letzten 
Kurfürsten.  Um  so  leichter  mußten  diese  sich  nach  den  Karlsbader  Beschlüssen  von  der 
gegen  die  geistige  und  politische  Freiheit  sich  richtenden  Bewegung  ihrer  Minister 
mitreißen  lassen. 

Nicht  so  sehr  unter  llassenpHugs  erstem  Ministerium  (1832 — 37),  das  doch  nicht 
nur  nahm,  sondern  auch  gab,  als  unter  seinen  Nachfolgern  bis  1848  sowie  besonders 
während  Hassenj^Hugs  zweiter  Minislerzcit  (1850 — 55j  lastete  ein  schwerer  Druck  auf  der 
Universität.  Der  doktrinär-pathetische  aber  dabei  zweifellos  verdiente  Vorkämpfer  für  die 
Verfassung,  der  Kechlsj)hilosoph  Jordan,  wurde  1839  eingekerkert  und  verließ  als  ge- 
brochener Mann  cr>t  nach  Jahren  das  Gefängnis.  Im  folgenden  Jahrzehnt  waren  gleich- 
zeitig drei  Professoren  wegen  angeblicher  demagogischer  Umtriebe  suspendiert,  darunter 
der  erste  Vertreter  der  Staats  Wissenschaften  von  allgemeinerer  Bedeutung  Hildebrand. 
Besetzungen  gegen  oder .  ohne  den  \  orschlag  der  Universität  mehrten  sich.  Neben 
Männern  wie  Vilmar,  der  durch  seine  Mischung  von  Orthodoxie  und  Mystizismus  auch 
auf  der  Hochschule  zweischneidig  wirkte,  verdankte  die  Universität  freilich  dieser  Praxis 
auch  Kräfte  ersten  Ranges  wie  den  jugendlichen  Bunsen. 

Wie  die  Stagnation  des  deutschen  Universitätsbesuchs  überhaupt  von  1836 — 1861, 
so  ist  auch   die  gleichzeitige  Abnahme   der   Marburger  Studierenden   mit  durch  die  poli- 


Die  König].  Preußische  Universität  zu  Marburg  i.  H.  433 

tischen  Zustände  hervorgerufen.  Aber  daneben  kamen  andere  Dinge  in  Betracht:  die 
geringe  Sorge,  die  die  Regierung  den  Instituten  widmete,  die  Zugehörigkeit  Marburgs 
zu  einem  kleinen  Territorium.  Für  Ausländer  bot  das  lündchen  und  die  kleine  primitive 
Musenstadt,  deren  landschaftliche  Reize  noch  nicht  allgemein  beachtet  waren,  nicht  die 
gleiche  Anziehung  wie  andere. 

Auch  die  jetzt  immer  mehr  zur  Regel  werdende  Absperrung  der  Territorien  gegen 
einander  in  bezug  auf  die  Vorbildung  der  Beamten,  Pfarrer  und  Lehrer,  der  auch  die 
akademischen  Grade  zum  Opfer  fielen,  hat  Marburg  mehr  geschadet  wie  genützt, 
zumal  die  Regienmg  das  Studium  außerhalb  des  Landes  durch  ihre  Bereitwilligkeit  zu 
Dispensationen  förderte.  Besonders  auffallend  ist  der  Rückgang  der  Juristen  von  109  zu 
Anfang  des  4.  Jahrzehnts  bis  auf  39  im  Durchschnitt  von  1856/66.  Immer  wieder  klagte 
Marburg,  daß  so  viele  Kurhessen  namenthch  das  benachbarte  Gießen  vorzögen.  Mehrfach 
ist  im  Schoß  der  Regierung  die  Frage  eines  Kartells  mit  Nassau,  wegen  der  Vorbildung 
seiner  bisher  in  Göttingen  studierenden  künftigen  Beamten,  ja  auch  die  Frage  der  Wieder- 
vereinigung von  Marburg  und  Gießen,  dessen  Blüte  man  besonders  mißlich  empfand, 
studiert  worden. 

V^on  Treitschke  stammt  das  wahre  Wort,  die  Universität  Marburg  habe  bis  zum 
Ende  der  kurfürstlichen  Zeit  sich  den  Ruf  erworben,  daß  sie  bedeutende  junge  Kräfte 
zu  gewinnen,  aber  nicht  zu  halten  verstehe.  Die  Schuld  daran  trugen  aber  nicht  Uni- 
versitätsverfassung oder  kollegiale  Verhältnisse,  sondern  Umstände,  die,  wie  das  Vor- 
stehende zeigt,  sich  dem  Einfluß  der  Universität  ganz  entzogen. 

Um  die  namhaftesten  I^hrer  seit  dem  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  hervorzuheben, 
so  wirkten  in  den  ersten  Jahrzehnten  der  Jurist  Weis,  der  KHniker  Bartels,  die  Theologen 
Hupfcld,Arnoldi  und  Justi,  in  den  30er  Jahren  die  Pandektisten  Puchta  (1835—38) 
und  von  Vangerow  (1833 — 40),  der  spätere  Genossenschafts-Theoretiker  V.  A.  Huber 
(1836—43),  sowie  der  Altertumsforscher  K.  Fr.  Hermann    (bis  1842). 

Die  glänzendsten  Namen  aber  waren  gerade  in  der  trübsten  2^it  in  den  40  er  und 
50er  Jahren  in  Marburg  tätig.  Um  nur  einige  anzuiiihren,  der  Kirchenhistoriker  Rettberg 
(1838-49),  der  Chemiker  Bunsen  (1839—51),  der  Historiker  von  Sybel  (1845—56), 
der  sich  dank  Freimut  und  Ruhe  rasch  das  Vertrauen  auch  des  Volkes  erwarb,  der 
Orientalist  J.  Gildemeister  (1845—59),  der  Philosoph  Zeller  (1850-62),  der  früher 
ermähnte  Nationalökonom  Hildebrand  (1840 — 52);  neben  ihm  der  junge  Knies  (1846 
bis  52).  Auch  der  Physiologe  Ludwig  hat  hier  begonnen  (1846 — 50).  Etwas  .später 
liegt  die  Wirksamkeit  des  Begründers  der  Anthropologie  Th.  Waitz  (1854 — 64)  und 
des  Chemikers  Kolbe  (1851-60). 

W'as  über  die  Kleinheit  des  Orts,  die  Enge  der  beruflichen  Tätigkeit,  die  Schwüle 
der  politischen  Atmosphäre  hinweghalf,  das  war,  wie  uns  die  Worte  der  schwärmerischen 
Kettina  von  Arnim,  des  alternden  Savigny  an  die  Marburger  juristische  Fakultät  (1850), 
die  Erinnerungen  Zellers  au  Sybel,  die  Eindrücke  des  jungen  Tyndall  neben  vielen 
anderen  bezeugen,  der  außergewöhnliche  Reiz  der  Natur  und  die  geistige  Übereinstimmung, 
die  innerhalb  der  Universität  die  einzelnen  Kreise  einigte. 

Seit  1866.  Eine  neue  Zeit  begann  mit  der  Vereinigung  Kur- 
hessens mit  Preußen.  Mit  großen  Hoffnungen  sah  die  Universität 
der  neuen  Verwaltung  entgegen.  Wurden  diese  Hoffnungen  auch 
vielleicht  zuerst  stark  auf  die  Probe  gestellt,  so  gingen  sie  doch 
allmählich  fast  alle  in  Erfüllung;  ja  die  Entwicklung  in  dieser  neuesten 
Epoche  ist,  wenn  auch  nicht  ausschließlich  infolge  der  Einverleibung 
in  den  preußischen  Staat,  über  alle  Erwartungen  hinausgegangen. 

Das  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    I.  28 


434  1^*6  einzelnen  Universitäten. 

Die  Hauptursache  dieser  Entwicklung  wird  man  allerdings  darin 
zu  erkennen  haben,  daß  die  preußische  Unterrichts-  wie  die  Finanz- 
verwaltung die  klar  vorgezeichneten,  übrigens  auch  der  Assimilierung 
der  neuen  Provinz  förderlichen  Aufgaben  systematisch  verfolgt  und 
sachgemäß  erledigt  hat. 

Wie  sie  die  Vorbedingungen  für  die  Pflege  und  Lehre  der 
Wissenschaft  in  den  vergangenen  40  Jahren  verbessert  hat,  das  kann 
hier  nur  in  einzelnen  Beziehungen  kurz  skizziert  werden. 

Äußerlich  tritt  diese  Sorge  vor  allem  ins  Auge  in  der  außer- 
ordentlichen Erweiterung  der  Gebäude  für  Universitätszwecke. 
Waren  es  vor  1866  die  Bedürfnisse  der  selbständigen  Institute,  so 
traten  nun  zunächst  die  Interessen  der  allgemeinen  Verwaltung  und  des 
nicht  in  besonderen  Instituten  erfolgenden  Unterrichts  in  den  Vorder- 
grund. Diese  Interessen  waren  bisher  bei  der  Stagnation  der  Frequenz 
mit  Recht  zurückgesetzt  worden,  was  aber  doch  eben  zur  Folge  hatte, 
daß  viele  Vorlesungen  in  der  Privatwohnung  der  Dozenten  gehalten 
werden  mußten.  Auf  den  Grundmauern  des  alten  Dominikanerklosters, 
das  1527  die  Juristenfakultät  und  das  Pädagogium  aufgenommen  hatte, 
erhob  sich  1873 — 79  in  wirkungsvoller  Lage  ein  neuer  gotischer  Uni- 
versitätsbau, dem  1886 — 91  dann  noch  ein  weiterer  Flügel  mit  Aula 
angefügt  wurde. 

Auch  für  die  Bibliothek  wurde  dank  der  neueren  Zunahme  des 
Bücherbestandes  ein  Neubau  notwendig,  der  in  mustergültiger  Weise 
1900  fertig  gestellt  wurde.  In  deren  früheren  Räumen  sind  dann  für 
die  juristische  und  philosophische  Fakultät  Seminare  geschaffen  worden, 
die  Ende  des  gleichen  Jahres  bezogen  werden  konnten.  Wegen  der 
vielen  Neu-  und  Erweiterungsbauten  der  Fachinstitute,  unter  denen 
die  Kliniken  mit  zusammen  350  Krankenbetten  weit  voran  stehen, 
muß  auf  die  Zusammenstellung  im  folgenden  Abschnitt  verwiesen  werden. 
Sie  haben  dazu  beigetragen,  das  Stadtbild  vollständig  zu  verändern.  In 
den  außerordentlichen  Ausgaben  der  letzten  Jahrzehnte  (s.  statistische 
Tabellen  am  Ende)  kommen  diese  Aufwendungen  übrigens  nicht  er- 
schöpfend zum  Ausdruck,  da  besonders  die  klinischen  Bauten  nur 
zum  kleinsten  Teil  aus  staatlichen,  zum  größten  aus  kommunal- 
ständischen Mitteln  erbaut  worden  sind.  Soweit  Marburg  1866  hinter 
anderen  kleineren  Universitäten  zurückstand,  so  sehr  rangiert  es  heute 
in  bezug  auf  Baulichkeiten  in  fast  allen  wichtigen  Fächern  auf  gleicher 
Linie  mit  der  großen  Mehrzahl  der  mittleren  Hochschulen. 

Weiter  kennzeichnet  sich  der  Geist  der  neuen  Verwaltung  da- 
durch,   daß  alle  Lücken    der    wissenschaftlichen  Arbeitsteilung 


Die  König].  Preußische  Universität  zu  Marburg  i.  H.  435 

ausgefüllt  und  ihrer  von  Wissenschaft  und  Praxis  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten geforderten  Weiterentwicklung  erfreuliche  Unterstützung  ge- 
währt worden  ist.  Das  Bedürfnis  dafür  war  besonders  groß  in  der 
medizinischen  und  philosophischen  Fakultät.  Den  neuen  Professuren 
folgten  neue  Forschungs-  und  Unterrichtsanstalten.  Auch  in  [Fächern, 
in  denen  besondere  Einrichtungen  bisher  nicht  üblich  waren,  sind 
Handbibliotheken  und  besondere  Sammlungs-  und  Seminarübungs- 
räume geschaffen  worden. 

Seit  1872  bezieht  das  theologische  Seminar  eine  Staatsdotation. 
Femer  besteht  seit  1878  ein  der  ganzen  Fakultät  gemeinschaftliches 
juristisches  Seminar  mit  besonderen  Mitteln,  seit  1885  ein  christlich 
archäologischer  Handapparat. 

In  der  medizinischen  Fakultät  wurden  errichtet  neue  Ordinariate 
für  pathologische  Anatomie  1867,  für  Augenheilkunde  1873,  für  Irren- 
heilkunde 1 877,  für  Hygiene  1 889,  femer  etatsmäßige  Extraordinariate 
Tür  Anatomie  1 870,  für  die  medizinische  Poliklinik  1 889,  für  Rhinologie 
1898,  für  gerichtliche  Medizin  1902. 

In  ungefähr  dieselbe  Zeit  fallt  die  Errichtung  besonderer  An- 
stalten für  diese  Fächer.  Außerdem  wurde  1890  ein  zahnärztliches 
Institut  begründet.  Eine  im  In-  und  Ausland  gleich  hoch  geschätzte 
Besonderheit  Marburgs,  die  an  die  Person  des  derzeitigen  Direktors 
(von  Behring)  anknüpft,  ist  das  Institut  für  Serumtherapie,  das  18% 
vom  hygienischen  Institut  abgezweigt  worden  und  dazu  bestimmt  ist, 
der  Erkenntnis  und  Bekämpfung  der  Infektionskrankheiten  neue  Wege 
zu  weisen. 

In  der  philosophischen  [Fakultät  war  besonders  dringend  die 
Einrichtung  von  Lehrstühlen  für  die  moderne  Philologie.  In  rascher 
Folge  entstanden  Ordinariate  für  vergleichende  Sprachwissenschaft 
1869,  für  abendländische  Sprachen  1870.  Die  Teilung  letzteren 
Gebiets  in  ein  anglistisches  und  ein  romanistisches  Fach  vollzog  sich 
1 884  durch  Errichtung  eines  Extraordinariats  für  ersteres.  Semitische 
Sprachen  wurden  ordentliches  Lehrfach  1885.  Der  Altertumswissen- 
schaft wuchs  1890  ein  Ordinariat  für  Archäologie  (nominell  auch  für 
Kunstgeschichte)  zu.  Die  Seminareinrichtungen  für  die  modeme 
Philologie  datieren  alle  von  1875.  Denjenigen  des  romanistisch-an- 
glistischen Seminars  wurde  1 893  ein  phonetisches  Kabinet  zur  Unter- 
suchung der  Lautbildung  beigefügt. 

In  den  letzten  10  Jahren  wurden  femer  durch  den  Etat  Extra- 
ordinariate   geschaffen    für  deutsche  Philologie   und  Litteratur  (1892). 

28* 


436  ^'c  einzelnen  Universitäten. 

klassische  Philologie  (1893),  historische  Hilfswissenschaften  (1893),  für 
die  im  folgenden  Jahr  ein  besonderes  Seminar  errichtet  wurde,  femer 
für  Staatswissenschaften  (1894)  und  vergleichende  Sprachwissenschaft 
(1901).  Verhältnismäßig  spät  (1900)  ist  ein  staatswissenschaftUches 
Seminar  mit  eigener  Dotation  begründet  worden. 

In  den  Naturwissenschaften  liegt  der  Schwerpunkt  mehr  in  der 
Vergrößerung  der  schon  vor  1866  begründeten  Anstalten.  Daneben 
aber  ist  doch  die  Entwicklung  bezeichnet  durch  die  Einführung  der 
Geographie  (1875)  und  die  Abzweigung  der  Geologie  von  der  Mine- 
ralogie (1878)  als  besondere  ordentliche  Lehrgebiete  mit  eigenen 
wissenschaftlichen  Apparaten;  femer  entstanden  etatsmäßige  Extra- 
ordinariate für  Physik  (1896)  und  für  Botanik  (18%).  1885  ist 
das  mathematische  Seminar  vom  physikalischen  Institut  losgelöst 
worden. 

Überblickt  man  diese  Entwicklung,  so  erscheint  sie  riesenhaft 
gegenüber  der  Zeit  von  1810 — 1860.  Die  Dotationen  des  Staates  im 
ganzen,  in  denen  ja  schließlich  alle  laufenden  Mehrleistungen  zum 
Ausdmck  kommen,  haben  sich  seit  1850  fast  versechsfacht,  gegen 
1865  vervierfacht.  Und  dasselbe  Bild  zeigt  sich,  wenn  die  unten  zu- 
sammengestellten Dotationen  für  die  einzelnen  Institute  mit  der 
näheren  oder  entfernteren  Vergangenheit  verglichen  werden.  Zu 
wünschen  bleibt  jedoch  eine  reichere  Ausstattung  der  kleinen  Semi- 
nare und  größere  Berücksichtigung  der  neueren  Kunstgeschichte. 

Die  persönlichen  Verhältnisse  der  Universitätslehrer  haben 
sich  ebenfalls  von  Grund  auf  gewandelt.  Allmählich,  namentlich  seit 
dem  Beginn  der  siebziger  Jahre,  sind  die  Gehalte  mit  denen  der  alt- 
preußischen Universitäten  in  ein  näheres  Verhältnis  gebracht,  d.  h. 
sehr  erheblich  erhöht  worden.  Die  Zugehörigkeit  zu  einem  großen 
Staat  brachte  in  den  Lehrkörper  frisches  Leben;  nur  wegen  der 
Kleinheit  des  Orts  haftet  der  Hochschule  der  Charak-tcr  der  Provinzial- 
Universität  an.  Mehr  noch  als  früher  mischen  sich  heute  in  ihr  im 
Gegensatz  zu  den  östlichen  preußischen  Universitäten  die  Angehörigen 
der  verschiedenen  deutschen  Stämme.  Freilich  ist  darüber  auch 
die  hessische  Eigenart  und  die  frühere  Fühlung  der  Universitätslehrer 
mit  der  Provinz  fast  ganz  geschwunden,  was  in  mancher  Beziehung 
bedauert  werden  kann. 

Und  dies  ist  auch  der  Grund,  weshalb  auch  heute  der  Personal- 
wechsel kaum  irgend  wo  so  stark  ist,  wie  in  Marburg.      Bleibt  es  so 


Die  Königl.  Preußische  Universität  zu.  Marburg  i.  H.  437 

das  Schicksal  der  Universität,  daß  ihr  immer  wieder  die  besten  Kräfte 
entzogen  werden,  so  ist  es  doch  ihr  Ehrentitel,  daß  sie  sie  fand. 
Übrigens  manche  Männer  haben  wie  früher,  so  auch  heute  den  ver- 
lockendsten Rufen  in  größere  Wirkungs-  und  vielseitigere  Gesellschafts- 
kreise die  Anmut  der  hessischen  Landschaft  und  das,  der  geistigen 
Vertiefung  förderlichere  und  intimere  Universitätsleben  in  der  Klein- 
stadt vorgezogen. 

Unter  den  Toten  der  letzten  Jahrzehnte  ragen  als  Schriftsteller 
oder  Lehrer  hervor  der  Philosoph  Albert  Lange  (f  1875),  der  Rechts- 
historiker W.  Arnold  (f  1883),  der  Anatom  N.  Lieberkühn  (f  1887), 
der  Botaniker  Wiegand  (f  1886),  der  Chirurg  W.  Roser  (f  1888), 
der  Physiologe  Nasse  (f  1879),  der  Diabetesforscher  Külz  (f  1895), 
der  Jurist  Ubbelohde  (f  1898).  Nur  vorübergehend  wirkten  hier  der 
Historiker  Pauli  (bis  1870),  der  Zoologe  Clauß  (bis  1870)  und  der 
Staatsrechtslehrer  G.  Meyer  (bis  1875). 

Auch  in  der  Frequenz  der  Universität  während  der  letzten 
Jahrzehnte  (siehe  die  Zahlen  am  Schluß)  zeigen  sich  die  guten  Früchte 
der  Zugehörigkeit  zu  einem  größeren  Ganzen.  Schon  in  den  ersten 
Jahren  nach  1866  strömten  die  Kurhessen  nach  Marburg  zurück. 
Gießen,  das  die  Stammven\'andten  immer  gerne  aufgenommen  hatte, 
verlor  augenfällig  unter  dieser  Rückkehr  natürlicher  Verhältnisse.  Die 
Zunahme  seit  der  Gründung  des  Reichs  vollends  geht  weit  über  die 
der  anderen  deutschen  oder  preußischen  Universitäten  hinaus. 
Während  1855/65  nur  ungefähr  2%  aller  deutschen  Studenten  in 
Marburg  studiert  hatten,  stieg  diese  Quote  in  den  achtziger  Jahren 
auf  3,  in  den  letzten  Jahren  auf  4  (und  in  den  Sommern  sogar  auf 
mehr)  Prozent.  Unter  den  preußischen  Universitäten  nahm  Marburg 
zu  Anfang  der  siebziger  Jahre  kaum  5,  Ende  der  achtziger  Jahre 
über  6,  heute  etwa  7  %  der  Studierenden  auf  Der  Anteil  der  Reichs- 
ausländer hat  sich  in  den  letzten  10  Jahren  ebenfalls  stark  (bis  auf 
etwa  6  %)  erhöht.  Besonders  die  theologische  Fakultät  und  einzelne 
naturwissenschaftliche  Disziplinen  ziehen  Ausländer  herbei.  Zum  Teil 
wirken  aber  auch  die  Ferienkurse  mit,  die  seit  1898  alljährlich  vor- 
zugsweise für  Ausländer  abgehalten  werden. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

I.  Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  6  ordentliche*), 
2    außerordentliche   Professoren    und    3    Privatdozenten.      Es    besteht 


*)  Ihre  Namen  sind  \V.  Herrmann,  Achelis,  Jülicher,  Rudde,  Mirbt,  J.  Weiß. 


438  Die  einzelnen  Universitäten. 

noch  heute  die  alte  Stipendiatenanstalt,  die  ihre  Mittel  im  Betrage 
von    11400    M.     (davon    fast     4000    M.    Staatszuschuß)     1902/3   an 

30  Studierende  gewährte,  und  ein  theologisches  Seminar  mit  einer 
Dotation  von  900  M.  Der  christlich-archäologische  Apparat  verfugt 
über  einen  Staatsbeitrag  von  .'WO  M. 

IL    Die    juristische    Fakultät     umfaßt    7    Ordinarien*)    und 

3  Privatdozenten.  Das  Seminar  (seit  19(X)  in  dem  Westflügel  des 
alten  Bibliothekgebäudes)  hat  seit  etwa  15  Jaliren  500  M.  Staatsdotation, 
die  eigenen  Einnahmen  aus  Gebühren  betragen  ca.  1300  M. 

in.  In  der  medizinischen  Fakultät  wirken   12  ordentliche**), 

4  außerordentliche  Professoren,  9  Privatdozenten  und  1  Lehrer.  Zahl 
und  Entwicklung  der  zu  ihr  gehörigen  Institute  ergeben  sich  aus  der 
nebenstehenden  Tabelle. 

IV.  Die  philosophische  Fakultät  zählt  26  ordentliche,***) 
1  ordentlichen  Honorarprofessor,  7  außerordentliche  Professoren, 
17  Privatdozenten  (davon  2  beurlaubt),  2  Lektoren  und  1  Musik- 
direktor. Weitere  zwei  Persönlichkeiten  sind  mit  dem  Halten  von 
Vorlesungen  betraut. 

Die  Besetzung  der  einzelnen  Fächer  und  die  diesen  zur  Verfügung 
stehenden  wissenschaftlichen  Hilfsmittel  sind  ebenfalls  Seite  440 
und  441   tabellarisch  dargestellt. 

V.  Im  ganzen  umfaßt  daher  die  Universität  zur  Zeit  51  ordent- 
liche, 1  ordentlichen  Honorar-,  13  außerordentliche  Professoren, 
32  Privatdozenten,  4  andere  Lehrer  und  2  Lektoren.  Außerdem  ist 
1  Zeichenlehrer  und  1  Fechtmeister  vorhanden,  welch  letzterer 
gleichzeitig  als  Tanzlehrer  fungiert. 

Die  Universitätsbibliothek  zählte  im  Juli  1903  etwa  200  000 
Bände  und  zirka  160  000  kleinere  Schriften  und  Dissertationen.  Die 
Staatszuschüsse  betrugen  IB78  29  352,  18%  35  260,  1W3  60  171 
Mark.      Davon    beanspruchen    die    Besoldungen    11830,    16()80    und 

31  400  Mark. 


*)  Knncccttrus,  Wt-sterkamp,  II.  O.  Lelimann,   'J'räßtT,    LeonliarcK  Antire,  Schiicking. 
**)  Mannkopf,    AhlfcUl,    Gasst-r»    Hans  Meyer,   Küster,   Tuc/.ek,   von  Hehring,  Bach, 
Schenck,  Roinberg,  Bonhofl',  AsclmtV. 

***)  Justi,  Bergmann,  X'arrentrapp,  KiÜner,  Bauer,  Zincke,  Cohen,  Th.  Fischer,  von  der 
Kopp,  Niese,  E.  Schmidt,  \'ogt,  Kayser,  M;iaß,  Birt,  von  Syhel,  Arth.  Meyer,  Heß, 
Korscheit,  Xalorp,  \ietor,  Jensen,  Richarz,  TroeUsch,  Hensel,  Elster. 


Die  Königl.  Preußische  Universität  zu  Marburg  i.  H. 


439 


Institute  der  medizinischen  Fakultät. 


Name  des  Instituts 


Daten  über 
räumliche  Er- 
weiterung (E),    ' 
Verlegung  (V),  i 

ferner  über 
Umbau  (U)  und 
f     Neubau  (N) 


Staatszuschüsse 


1878 
M. 


1890 


Nf. 


1'. 


Gesamt- 

1     ein- 

i  nähme  J) 

1903 

1903 

M.              M. 

'  Anatomisches  Institut  .  . 
I  Physiologisches  Institut 

Pathologisches  Institut  .     . 

Institut  für  Hygiene  und 
experimentelle  Therapie 

Pharmakologisches  Institut 
I  Medizinische  Klinik  .     .     . 


N  1902 
N  1888 
N  1889 

1897  V  u.  E 

11895  V,  1902  E 

1886  E  u.  N 

108  Betten 

N  1903 


'■:h 


Medizinische  Poliklinik 
Chirurgische     Klinik     und  li  1891  E,  18%  N 
Pohklinik  |l      124  Betten 

Frauenklinik In  1868,  E  1876 

und  1894 
74  Betten  5) 

Augenklinik |  N  1885,  E  1900 ' 

40  Betten       I 
Poliklinik  für  Ohren-,  Nasen- 

und  Halskrankheiten 
Zahnärztliches  Institut  .     . 
Psychiatrische  Klinik  in  der 
Landesheilanstalt 


9  465    11524      21 659    ,  — 

2  775'  11  155      14  794    I  - 

2780     9080|      9868    I  — 

i  •      ■  I 

—         2000  7)13933  — 

2880     4  200        6800  — 

ca.  23  939!  31915  5^)38333 1, 

I  I  ^  4950 

2)  ca.  17273!  15407^)50830    !l07  382 


23040'  22540 1     33  777 


61720 


I 


6990   11083  «)  15528    i  27  758 


I 


—         1800, 


2400 


—  '  —     1      —      I       1500 

N  1877         I  Errichtet  von  den  Kommunal- 

360  Betten       I   ständen  des  Reg.-Bez.  Cassel 


1)  Wo  die  Gesamteinnahme  im  wesentlichen  mit  dem  Staatszuschuß  zusammenfallt, 
ist  sie  weggelassen. 

2)  Der  Zuschuß  zum  Landkranke uhaus  und  zum  klinischen  Hospital  ist  jedem  der 
beiden  Institute  zur  Hälfte  zugerechnet.  Dadurch  erscheint  der  Zuschuß  zur  chirurgischen 
Klinik  etwas  zu  hoch. 

3)  Außerdem  aus  der  kommunalständischen  Kasse  27  811   >L 
*)  Ebendaher  17  588  M. 

^)  Femer  46  für  Hebammenschülerinnen. 
6)  Aus  der  kommunalständischen  Kasse  außerdem  2600  M. 

"*)  Das  Institut  für  experimentelle  Therapie  hat  ferner  für  besondere  Versuche 
1901—3  durchschnittlich  je  13000  M.  aus  dem  Extraordinarium  bezogen. 


440 


Die  einzelnen  Universitäten. 


BesetBung  und  wissensohaftliohe  Hilfsmittel  der  Philosoph.  Fakultät. 


Fächer 


vertreten  durch 


s 

'S 

c 

1 


I 


Wissens  chftfll. 

besondere 
Einrichtungen 


DftteD 
aber 

Tiuoilkhe 
Erweite- 

Verlegung 
(V),femer 
über  Um* 
bau  (U) 
and  Neu- 
bau (N> 


StiLitszuschüssc  ^) 
ia  Mark 


1878 


1890 


1903 


1,  Philosophie, 
Psychologie 
u^    Fadugogik 

2.  Ahertums- 
Wissenschaft, 
Atcbäolügie, 

BlteGeschichtt; 


3^)       - 
4        1^) 


I 


1.  Philologi-      V    1900  ;     1050       630 
5ches  Seminar 

und   Pro- 
I        seminAT        | 
;2.  üeminarrür,Vu,E1900'      300*)    300*) 
altelicscbichte '  ' 

3.  AiTchuüloeri-    E    1895         300       750 
sehe  und      r 
f  jippnabguU- 
SaiDinlunf^ 


630 


300*) 


750 


1 


t  — 


Seminar 
Seminar       l 
SemiiLar 


190U 
1900, 


300 
600 


300 
780  J 


300 

471 
338 


I  3.  Neuere  PhilO" 
lo^Leu.Litera- 
t  Urgeschichte 

a)  DeuLsche 

b)  Romanisclif 

c)  Englische 
!  4k  Vergleichende 

Sprachwissen- 
schaft und 
orienttUiüche 
Philologie 

5.  Mittlere    und       2  1        3^)      1. Historisches  Vu. El 900      600^)    600^)     600*), 

neuere  Seminar  j 

(ieschichte       \  2.  Seminar  für  —  —  —  357     | 

I  historische 

I  Hilfswissen- 

schaften 

V)  Die  Gesamteinnahme  weicht  auch  bei  den  naturwissenschafdichen  Instituten  nur 
unerheblich  von  den  StiuUszuschusscn  ab.  Für  außerordenthche  Fälle  sind  aus  dem  Titel 
„Insgemein"  im  Spezialetat  der  Universität  Beträge  verfügbar,  die  hier  nicht  aufgefülirt 
sind,  aber  für  ein/eine  Anstalten  durch  regelmäßige  X'ergebung  fast  die  Bedeutung  einer 
Erhöhung  des  ordentlichen  Zuschusses  gewinnen.  Im  letzten  Jahr  sind  8200  Mark  verteilt 
worden,  davon  erhielt  das  pharmazeutisch-chemische  Institut  2000  Mark. 

'-)  Davon  ein  Ordinarius  von  Vorlesungen  entbunden. 

^)  Zur  Zeit  unbesetzt. 

•^■')  Femer  ist  ein  auswärtiger  Privatdozent  mit  \'orlesungen  beauftragt. 

•*)  Das  historische  Seminar  im  ganzen  ist  mit  900  Mark  dotiert,  hiervon  sind  bei 
Ziffer  2  Va,  unter  Ziffer  5  -/^  eingesetzt. 

•*)  Außerdem  ein  Archivbeamter  mit  \orlesungen  betraut. 


Die  Königl.  preußische  Universität  zu  Marburg  i.  H. 


441 


Fächer 


I 


l 


I 


Wi^cTiäcbaftL 

besondere 
EinrtchtttngeQ 


-    1 


Daten 
über      I 
räumliche  i 
Erweire-  ] 
ning  <E)j  I 
\' criegung , 
(V),  femer: 
über  Um-  i 
bau  (UJ   j 
und  Neu- 
bau (X> 


Stoats^cu^chässc  ^ ) 
in  Murk 


1878       1890 


1903 


I    6h  Kun^t- 
j        j^chicbte 

I    7.  StaatÄwissen 

Schäften    und 
'         Statist  tik 
'    &  Geogrtpbie 

'    9-  Mathematik 
I  10.  Physik, 

x\»tronümie, 
I  physikalische 
I  (.Tiemic 

11,  Chemie, 

'         einschließlich 
I         Agrikultur- 
Chemie 

12.  Mineralogie 
ü*  Geologie 


13.  Zoolope  und 
vergleichende 
Anatomie 
'  14.  ßolanik  und 
'  PRan/en- 

I  Physiologie 

I 


1^ 


1      I    — 


—    I     1 


—    I  Sammlung  für 
j  neuere  Kunst- 
geschichte 
Seminar 


,     1      I 


11(1) 


I      '    — 


t    ;  — 


Geographi- 
sches Semin^ 

Seminar 
Physikalisches 

Institut 
I 
I 

f.  Chemif^es 
'        Institut 

I  2.  Pharmozeu- 
I    tiüch-chemi- 
i   scbes  Institut 
I  1*  Mineral  og*- 
I     pelrogmpb,. 
!       Institut. 
^  2.  Geologidch- 
I    paläontotog. 
I        Institut 
I   Zoologisches 
I        Institut 

'  1.  Botanischer 
I        Garten 

2.  Botanisches 

Institut        ' 

3.  Phoimako-  , 
gnoütLsches     ' 

Institut        [ 


—    l     300 


300       300 


V    1900 

£ 1890und 

1903 


N    1881 

E    1902 

N   1873 

E  1688  bis 

1901 
E    1904 


«) 


500 


3450^>,    7940 


1 


300 


300 


300 

500 
11885 


7695 

7650 


10616|177te 

13  0101 16990 

I 


I 

I    E  1887 

I  V    190* 

I 

^  E    1696 

■Vu.Et9ü3 


N    1875 
E    1697 


2400  I    3550  !    4178 

I 


—      !    2350  ,    2340 

I 

I 

5730  '    e030    1128S 


1  1 

13500;  16291 

90  '     390 


23  647 
390 


^)  Ursprünglich  Mathematiker.     Der  Ordinarius  ist  unter  Fach  2  aufgeführt. 

^)  Schon  bei  Fach  6  aufgeführt. 

8j  Unter  Physik  enthalten. 

^)  Auch  für  das  mathematische  Seminar. 

^^)  Femer  ein  ordentlicher  Honorarprofessor. 


442 


Die  einzelnen  Universitäten. 

3.    Statistische  Übersichten. 

Zahl  der  Lehrer.  1) 


1903 
1878 
1865 
1850 
1823 
1794 
1764 


Ordentliche 
Professoren 


I 


Außerordentliche 
Professoren 


Privat- 
dozenten 


Lektoren 


49 
42 
33 
28 
28 
29 
14 


162) 

32 

10 

16 

4 

12 

10 

1      H 

6 

4 

4 

— 

2-'^ 


1)  Im  19.  Jahrhundert  nach  den  Personalverzeichnissen,    im  18.  Jahrhundert    nach 
den  offiziellen  Adreßkalendem. 

2)  Darunter    1    ordentlicher  Honorarprofessor.     Mit  Halten    von  Vorlesungen    sind 
femer  beauftragt  1   Archivbeamter  und  1  auswärtiger  Privatdozent. 

3)  Femer  1  Lehrer  der  Zahnheilkunde,  2  Lehrer  der  Künste  und  2  Exerzitienmeister. 


Zahl  der  immatrikulierten  Studenten.^) 


Im  ganzen 


Davon 
Reichs- 
ausländer-') 


Im  ganzen 


Davon         i 
Reichs-         ' 
ausländer  2) 


s.-s. 

1903.  . 

1305  1 

51 

w.-s. 

1902/03  . 

10%  1 

45 

s.-s. 

1902.  . 

1362 

88 

w.-s. 

1901/02  . 

1054 

62 

s.-s. 

1901  .  . 

1200 

78 

w.-s. 

1900/01  . 

1047 

71 

s.-s. 

1900.  . 

1153  ! 

63 

s.-s. 

1890.  . 

941 

33 

s.-s. 

1880.  . 

587 

12 

S.-S. 

1870.  . 

418 

7 

S.-S. 

s.-s. 
s.-s. 
s.-s. 
s.-s. 
s.-s. 
w.-s. 

mn 
um 


1865  . 
1860  . 
1850  . 
1840  . 
ia31  . 
1823  . 
1807/08 
1787/92 
1760  . 
1740    . 


.  285 
.  229 
.  287 
.  287 
.  370 
.  305 
.  .  180 
über  300 
100—150 
200-250 


13 
4 
4 

1 
2 
3 

:> 


1)  Seit  1823  nach  den  Pcrsonalverzeichnissen;  vorher  schätzungsweise  nach  der 
Universitälsmatrikel. 

2)  Dabei  ist  für  die  sämtlichen  Jahre  das  Reich  im  heutigen  Bestände  zugrunde 
gelegt  und  sind  Studierende  mit  außerdeutschem  Geburtsort  oder  Heimatland  als  Aus- 
länder betrachtet. 

Weibliche  Studierende  sind  nicht  zur  Immatrikulation  zugelassen.  Vorlesungen 
hörten  mit  Genehmigung  des  Rektors:  S.S.  1903  9,  W.-S.  1902/03  20,  S.-S.  1902  4 
W.-S.  1901/02  9,  S.-S.  1901  6,  W.-S.  1900/01  6. 


Die  Königl.  preußische  Universität  zu  Marburg  i.  H. 


443 


1                 Zahl 

der     S  t  u  d  i 

e  r  e  n  d  e  n 

1)     d  e  r              1 

evangelischen     j 

Rechts- 

Medizin 

philosophischen 

Theologie 

wissenschaft  2) 

Fakultät         1 

1    s.-s. 

1903 

1         129         : 

357 

176 

643 

i    w.-s. 

1902/03 

!       94      : 

299 

164 

539      * 

1     S.-S. 

1900 

1           113           j 

371 

239 

461 

s.-s. 

1895 

1            122 

273 

245 

312 

s.-s. 

1890 

1            201 

140 

273 

327 

'     S.-S. 

1880 

74            1 

92            1 

134 

287 

s.-s. 

1870 

!             82            1 

23 

178 

135 

1     S.-S. 

1860 

1             81             1 

30 

60 

518) 

1   s.-s. 

1850 

1             " 

83            i 

57 

72 

1   s.-s. 

1823 

98 

124 

55 

15^) 

1)  Nach  den  Personalverzeichnissen.  —  '^)  Vor  1870  einschließlich  der  Kameralisten. 
3)  Ferner  7,  die  sich  ihrer  weiteren  Ausbildung  widmen.  —  *)  Dazu  noch  6  Studierende 
der  Tierarzneikunde  und  7  „Ökonomen". 

Gesamtsumme  der  Einnahmenl)  der  Universität  in  Mark. 


Aus  eigenem 

Aus  eigenem 

1 

;                        j 

Vermögen 
'             und 

Erwerb 
(Kliniken 

1                                               1 
Staatszuschuß        i 

1 

Zusammen 

Stiftungen 

usw.) 

'                                       1 

i 

1903 

92  957 

137  987 

786630 

1017  545 

1890 

95945 

78  906 

]           565799            1 

740652 

1878 

1          50547 

17  239 

1           430  376 

498163 

1865 

1          44109 

1  6292) 

1           186591 

2394513)          ' 

1850 

1        131  385 

10952) 

1           139401             1 

1 

271  985^) 

Gesamtsumm 

e  der  ordentli 

chen  Ausgaben!)  in 

Mark. 

Besoldungen    ,     Wohnungs- 
und    Kemune-  , ,        ... 

raüonen  der    '  geldzuschusse 
Professoren      i      ^dr  Lehrer 

und  Dozenten  und  Beamte 


Für  die 
Institute  und 
Sammlungen*) 


Für  Konvikte, 
Unter- 
stützungen 

und 
Stipendien 


\'erwaltungs-, 


Bau-  und 
sonstige      i 
Kosten 


1903 
1890 
1878 
1865 
1850 


311950 
258  500 
221  194 
103784 
85951 


40716 
35  232 
26  268 


517  405 

336666 

1733% 

44  584 

42240 


18687 
17681 
18091 
10213 
6080 


128  785 
92  571 
59213 
50921 
41355 


^    „       ^      ,   u     A        u     n  /  1878/79—1890/91  2204800,  jährlich  170000  M., 
Außerorden tuche  Ausgaben*)  \    .,^'„^     ^r^n        r^,.^^^^   .  »   ,.  ,    ^»/^  ,>#vrv  »» 
^         ^  l  1891/92—1903       3022  800,  jährlich  232  500  M. 

1)  1850  und  1865  nach  den  Rechnungen,  seitdem  nach  den  Staatshaushaltsetats. 
2)  Eigene  Einnahmen  der  Kliniken  und  Institute  fehlen.  —  ^)  Ohne  Kapitalrückzahlungen 
und  Ablösungen,  aber  mit  Einnahmen  aus  früheren  Jahren.  —  ■*)  1850  und  1865  ohne  die 
Bauausgaben. 

W.    T  r  o  e  1 1  s  c  h. 


X.  Die  Königliche  Universität  Münster  i.  W. 


1.  Geschichtliche  Übersicht. 

Münster  war  bereits  im  18.  Jahrhundert  der  Sitz  einer  Uni- 
versität. Sie  war  auf  Grund  der  Stiftungsbriefe  des  Papstes  Cle- 
mens XIV.  und  des  Kaisers  Joseph  IL  im  Jahre  1 773  durch  den  Kur- 
fürsten von  Köln  Maximilian  Friedrich  gegründet  worden*).  Die 
Mittel  sollten  aus  dem  Vermögen  des  Frauenstiftes  Cben\'asser  ge- 
schöpft werden,  das  von  seiner  Regel  und  Bestimmung  abgewichen 
und  der  Verweltlichung  anheim  gefallen  war  und  mit  päpstlicher  Er- 
laubnis aufgehoben  werden  sollte.  Diese  mit  Pensionen  und  Zins- 
zahlungen belasteten  Einkünfte  des  stark  verschuldeten  Frauenstiftes 
gestatteten  aber  nur  ein  langsames  Vorgehen.  Trotz  der  eifrigen 
Bemühungen  des  Ministers  und  Gencralvikars  Freiherm  von  Fürsten- 
berg, der  die  eigentliche  treibende  Kraft  war  und  nachhaltig  die 
Hochschulinteressen  vertrat,  gelang  erst  nach  sieben  Jahren  der  Vor- 
bereitung die  Konstituierung  der  Universität.  1 780  konnten  die  katho- 
lisch-theologische, die  juristische  und  philosophische  Fakultät  eröffnet 
werden.  Wegen  der  Beschränktheit  der  Mittel  mußten  die  Lehr- 
stühle der  medizinischen  Fakultät  erst  allmählich  besetzt  werden. 
Fürstenberg  war  aber  gleichwohl  unermüdlich  für  seine  Lieblings- 
stiftung tätig  und  vermochte  es  zu  erreichen,  daß  die  junge  Hoch- 
schule Anerkennenswertes  im  Kreise  ihrer  älteren  Schwestern  leistete 
und  der  Mehrzahl  der  kleinen,  damaligen  Provinzuniversitäten  eben- 
bürtig zur  Seite  stand,  ja  manche  unter  ihnen  an  wissenschaftlicher 
Bedeutung  überragte. 

Die  weitergehenden  Pläne  Fürstenbergs  wurden  durch  die  poli- 
tischen und  kriegerischen  Ereignisse,  vor  allem  durch  die  Besetzung 
des   linken    Rheinufers    durch    die    TVanzosen    und    den    mehrfachen 

*)  Pieper,    Die  alte  Lnivcrsität  Münster  1773— 1818,  Münster  1902.   gr.  S«.  98  S. 


Die  Königliche  Universität  Münster  i.  W.  445 

Wechsel  der  Regierungen  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  gehemmt. 
Als  1802  das  Münsterland   an    die   Krone   Preußen  kam,    wollte  der 
Freiherr  von  Stein  hier  eine  Universität  im  großen  Stil  für  die  West- 
provinzen   des    Königreichs    errichten.     Auch   Steins   Nachfolger   im 
Amte  als  Oberpräsident,  Freiherr    von    Vincke,    setzte    diese    Bestre- 
bungen fort.     In  der  Zeit  der  Franzosenherrschaft,  als  von    1806   bis 
1813  das  Münsterland  einen  Teil  des   Großherzogtums   Berg   bildete, 
sowie  in  den  ersten  Jahren  nach  Wiedervereinigung  mit  Preußen  seit 
1813  waren  die  Aussichten  der  Universität  Münster  durchaus  günstig. 
Als   später   die   preußische   Regierung   beabsichtigte,    in  den  neuge- 
wonnenen Gebietsteilen  Rheinlands    und    Westfalens    eine  Landesuni- 
versität  zu    gründen  und  neben  Münster  Köln    und    Bonn   in    Frage 
kamen,  schien  eine  Zeitlang  die  Wahl   auf  Münster   fallen    zu  sollen. 
Allein  in    den  Jahren  1815 — 17   wandte   sich   das    Geschick.     Immer 
mehr  trat  Bonn  in  den  Vordergrund  und  Münster  wurde  preisgegeben. 
Im  Jahre  1818   wurde    die  Rheinische  Friedrich -Wilhelms-Universität 
Bonn  errichtet,  dagegen  die  juristische  und  medizinische  Fakultät  der 
münsterländischen  Hochschule  aufgehoben.  Es  blieb  nur  die  katholisch- 
theologische und  die  philosophische  Fakultät  unter  dem  Namen  „aka- 
demische   Lehranstalt"    erhalten.      Der    Zweck    war  vornehmlich    die 
Ausbildung  junger  katholischer   Theologen.     In    zweiter    Linie    sollte 
die  Lehranstalt  der  Vorbildung  künftiger  Gymnasiallehrer  dienen,  doch 
mußten  sie  unter  allen  Umständen    zwei  Jahre    des  vorgeschriebenen 
Trienniums  auf  einer  vollständigen    Universität    zubringen.     Dagegen 
wurde  der  philosophischen  Fakultät  das  Recht,  Doktoren    zu  promo- 
vieren erst  durch  Kab.-O.  vom  23.  Juli  1844  verliehen.  Die  Besetzung 
der  Lehrstühle    beschränkte    sich    auf  eine    geringe    Zahl;    6    in  der 
katholisch-theologischen  und  5  in  der  philosophischen  Fakultät.     Seit 
1843  führte  die  Anstalt  den  Titel  „Theologische    und    philosophische 
Akademie".     1858  wurde  die  oben    erwähnte  Beschränkung   für   den 
Studiengang    künftiger    Gymnasiallehrer   aufgehoben,    sodaß    diese  in 
der  philosophischen  Fakultät  ihre  gesamte  Ausbildung  erwerben  konnten. 
Damit  war  diese  den  Schwesterfakultäten  der  andern  deutschen  Uni- 
versitäten gleichgestellt. 

Dagegen  erschien  die  Zahl  der  ordentlichen  Lehrstellen,  insbe- 
sondere in  der  philosophischen  Fakultät,  als  unzureichend  für  die  der 
Hochschule  gestellten  Aufgaben*).     Zu  den  5  Ordinariaten,  von  denen 


*)  Die  Akademie  Münster  und  ihr  katholischer  Charakter?     Preuß.  Jahrb.  Bd.  77, 
2  S.  1—16. 


446  ^e  einzelnen  Universitäten. 

je  eines  für  Philosophie,  für  klassische  Philologie,  für  Geschichte  und 
Literatur,  für  Mathematik  und  Physik  und  für  die  beschreibenden 
Naturwissenschaften  bestand,  kamen  1 858  zwei  ordentliche  Professuren 
und  1868  eine  dritte  hinzu.  Daneben  waren  noch  6  Ertraordinariate 
vorhanden.  Einen  entscheidenden  Wendepunkt  bildet  das  Jahr  1875. 
Nach  wiederholten  Vorstellungen  höheren  Orts  gelang  ein  weiterer 
Ausbau  der  Fakultät.  Es  wurden  6  neue  Ordinariate  errichtet,  bei 
denen  außer  Geschichte  und  neuerer  Philologie  besonders  Mathematik 
und  Naturwissenschaften  berücksichtigt  wurden  und  in  ähnlicher  Weise 
wurde  die  Zahl  der  Extraordinariate  vermehrt.  3  neue  Seminare  für 
Geschichte,  Mathematik  und  neuere  Philologie  wurden  begründet. 
Ein  neues  Auditoriengebäude  und  ein  chemisches  Laboratorium  wurden 
erbaut.  Ebenso  wurde  ein  archäologisches  Museum,  ein  botani- 
sches Institut,  ein  geographischer  Apparat  und  ein  Kabinett  für  mittel- 
alterliche und  neuere  Kunst  errichtet.  Die  Etats  der  Institute  wurden 
reicher  bedacht  und  auch  der  Bibliotheksfonds  wurde  erheblich  ver- 
mehrt. Dieser  Ausbau  w^ar  von  1875 — 1888  vollendet.  Auch  die 
katholisch-theologische  Fakultät  wurde  erweitert.  Die  Lehrstühle  wurden 
um  2  Ordinariate  und  3  Extraordinariate  vermehrt.  Im  Jahre  1885 
bis  1 886  ward  ein  theologisches  Seminar  in  5  Abteilungen  gegründet 

Zur  Volluniversität  fehlten  der  Akademie  Münster  noch  eine 
juristische  und  eine  medizinische  Fakultät,  die  s.  Zt.  im  Jahre  1818 
abgetrennt  worden  waren.  Von  Seiten  der  akademischen  Körper- 
schaften fehlte  es  zwar  nicht  an  wiederholten  Vorstellungen  beim 
Ministerium  in  den  50er,  6()er  und  70er  Jahren,  die  vor  allem  auf  die 
Angliederung  einer  Juristenfakultät  gerichtet  waren.  Sie  blieben  aber 
zunächst  ohne  Erfolg.  Erst  im  Jahre  1900  trat  eine  Wendung  ein, 
nachdem  die  Situation  zur  Erweiterung  besonders  günstig  geworden 
war.  Neben  dem  Wohlwollen  des  Leiters  der  Unterrichtsverwaltung 
und  dem  Entgegenkommen  der  beiden  Häuser  des  Landtags  zeigte 
sich  auch  die  Provinz  Westfalen  und  die  Stadt  Münster  zu  finanziellen 
Opfern  im  Interesse  der  Sache  bereit.  Die  vereinten  Bemühungen 
aller  Beteiligten  waren  denn  auch  von  Erfolg  gekrönt.  Durch  AUer- 
höcliste  Kab.-O.  vom  1.  Juli  1902  wurde  die  Angliederung  einer 
rechts-  und  staatswissenschaftlichen  Fakultät  an  die  bisherige  Akademie 
angeordnet  und  diese  zur  „Universität  Münster"  erhoben. 

Eine  medizinische  Fakultät  fehlt  unserer  Hochschule  zur  Zeit 
noch.  Hoffen  wir,  dai^  sie  bald  der  neu  errichteten  rechts-  und  staats- 
wissenschaftlichen Fakultät  nachfolgen  und  den  Bau  der  Alma  West- 
faliae  vollenden  möge! 


Die  Königliche  Universität  Münster  i.  W.  447 

2.  Gegenwärtiger  Zustand. 

Die  katholisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig  8  ordent- 
liche*), 3  außerordentliche  Professoren,  3  Privatdozenten  und  1  Lektor. 
Das  theologische  Seminar,  das  im  Wintersemester  1885 — 86  eröffnet 
wurde,  verfugt  über  eine  Dotation  von  900  M.  jährlich,  die  aus  den 
Dispositionsfonds  des  Oberpräsidenten  fließen. 

Die  rechts-  und  staatswissenschaftliche  Fakultät,  die  am  1.  Ok- 
tober 1902  mit  der  Erweiterung  der  bisherigen  Akademie  zur 
Universität  der  katholisch-theologischen  und  philosophisch-naturwissen- 
schaftlichen Fakultät  angegliedert  wurde,  besteht  aus  8  Ordinarien**), 
3  Extraordinarien,  2  beauftragten  Dozenten  und  1  Privatdozenten. 
Zugleich  wurde  ein  rechts-  und  staatswissenschaftliches  Seminar  mit 
einem  Einrichtungsaufwand  von  1 0  000  M.  gegründet.  Jede  der  beiden 
Abteilungen,  von  denen  die  rechtswissenschaftliche  Abteilung  die 
eigentlichen  juristischen  Fächer  und  die  staatswissenschaftliche  Ab- 
teilung die  wirtschaftlichen  Staats  Wissenschaften,  Staats-,  Verwaltungs-, 
Völker-  und  Kirchenrecht  enthält,  hat  eine  jährliche  Dotation  von 
je  600  M.  zur  Verfugung. 

Die  philosophische  und  naturwissenschaftliche  Fakultät  ist  im 
ganzen  besetzt  mit  22  Ordinarien***),  1  ordentlichen  Honorarprofessor, 
8  Extraordinarien,  1  außerordentlichen  Honorarprofessor,  8  Privat- 
dozenten und  6  Lektoren. 

Als  Fachgruppen  werden  unterschieden: 

1.  Die  philosophische  Gruppe  mit  3  Ordinarien  f)  und  1  Extra- 
ordinarius. Seit  1898  besteht  ein  philosophischer  Apparat, 
der  keine  jährliche  Dotation,  sondern  außeretatsmäßige  Zu- 
wendungen erhält. 

2.  Die  philologisch-archäologische  Gruppe  mit  2  Ordinarien  ff) 
und  2  Extraordinarien.  Das  philologische  Seminar,  das 
ursprünglich  mit  dem  pädagogisch-philologischen  Seminar  ver- 
bunden   war    und    neben    den    alten    Sprachen    Philosophie, 

*)  Hartraann,  Fell,  Mausbach,  Bludau,  Pieper,  Hüls,  Hitze,  Renz. 
**)  Waentig,  v.  Savigny,  Erman,  Krückmann,  Schreuer,  Jacobi,  v.  Heckel,  Rosenfeld. 
***)  Hittorf,  Storck,  Stahl,  Spicker,  Niehues,  Salkowski,  Killingf,  Hagemann,  Nordhoff, 
Andresen,    P>ler,    Lehmann,    Sonnenburg,    Zopf,    König,     Heydweiller,    Büß,      Adickes, 
V.  Lilienthal,  Jostes,  Meister,  Spannagel, 
f)  Spicker  f,  Hagemann,  Adickes, 
•[-j-)  Stahl,  Sonnenburg.     Die  Archäologie  wird  zxir  Zeit    von  einem    Extraordinarius 
(Koepp)   vertreten,    der   zugleich  dem  archäologischen  Museum  und  dem  archäologischen 
Apparat  vorsteht. 


448  ^^®  einzelnen  Universitäten. 

Pädagogik  und  Geschichte  als  Fächer  mitumfaßte,  ist  seit  i  854 
verselbständigt  und  in  seiner  Wirksamkeit  auf  die  klassischen 
Sprachen  beschränkt,  und  hat  einen  Etat  von  300  M.  Das 
archäologische  Museum  und  der  archäologische  Apparat,  seit 
1884  errichtet,  verfügen  zusammen  über  eine  Jahresdotation 
von  890  M. 

3.  Die  germanistisch-neuphilologische  Gruppe  mit  3  Ordinarien*), 
2  Extraordinarien,  1  Privatdozenten  und  3  Lektoren.  Sie 
war  ursprünglich  mit  der  Professur  der  lateinischen  Sprache 
vereinigt.  1868  wurde  ein  Ordinariat,  1899  ein  Extra- 
ordinariat**) für  Germanistik  und  1902  ein  Extraordinariat  für 
deutsche  Literaturgeschichte  (als  persönliches)  errichtet.  1 875 
wurde  ein  Ordinariat***)  für  romanische  Philologie  und  1892 
ein  Extraordinariat  für  Anglistik  begründet.  Ein  germanistisches 
Seminar  besteht  seit  1897  mit  einem  Etat  von  300  M.  und 
seit  1886  ein  romanistisch-anglistisches  Seminar  mit  einem 
Etat  von  600  M. 

4.  Die  Gruppe  für  vergleichende  Sprachwissenschaft  und  Sanskrit 
ist  seit  1876  mit  einem  Extraordinarius f)  für  beide  Fächer 
besetzt.     Ein  Seminar  besteht  nicht. 

5.  Die  Gruppe  für  alte,  mittlere  und  neuere  Geschichte  zählt 
4  Ordinarienff),  1  ordentlichen  Honorar-  und  1  außerordent- 
lichen Honorarprofessor fft)  und  1  Privatdozenten.  Eine  selb- 
ständige Professur  für  alte  Geschichte  besteht  seit  1863  und 
1877  (Ordinariat).  Neben  dem  Ordinariat  für  Geschichte 
wurde  1891/92  noch  ein  Extraordinariat  errichtet,  das  seit 
Erweiterung  der  Akademie  zur  Universität  (1902)  in  ein 
Ordinariat  verwandelt  wurde.  Das  gemeinschaftliche  Seminar 
(seit  1878)  hat  eine  Jahresdotation  von  600  M. 

6.  Die  kunstgeschichtliche  Gruppe  ist  mit  einem  Ordinariat *t) 
besetzt.  Als  Ersatz  des  erkrankten  Fachvertreters  wurde 
Herbst  1902  ein    außerordentlicher  Honorarprofessor    bestellt. 

*)  Storck,  Andresen,  Jostcs. 

**)  Jetzt  persönliches  Ördiiiuriat. 

***)  Andresen. 

-{■)  Streitberg. 
-}"{-)  Niehues  (alte  und  mittlere  (icschichte),  Erler,  Meister,  Spannagel. 

-j-j~{-)  Der  außerordentliche  Hünoraqirofes.sor    hat    einen    I^hrauftrag    für    neuere    Cie- 

schichte  und    ist    hauptsächlich   als  Ersatz  des  erkrankten  Ordinarius  für  Kunstgeschichte 
berufen. 

*f)  Nordhoff.     Ersatz :  Ehrenberg,  als  a.  o.  1  lonorarprofessor. 


Die  Königliche  Universität  Münster  i.  W.  449 

Es    besteht   seit    1888   ein    Kabinett  für    mittelalterliche    und 
neuere  Kunst  mit  einer  Dotation  von  300  M. 

7.  Die  mathematisch-astronomische  Gruppe  ist  mit  2  Ordinarien*), 
1  Privatdozenten  und  1  Lektor  für  Astronomie  ausgestattet. 
Das  mathematische  Seminar  zählt  2  selbständige  Abteilungen 
und  ist  jährlich  mit  300  M.  dotiert. 

8.  Die  physikalische  Gruppe  ist  mit  i  Ordinarius**)  und  1  Privat- 
dozenten besetzt.  Die  vormalige  Verbindung  von  Physik  und 
Chemie  wurde  1877  aufgelöst  und  für  beide  Fächer  je  ein 
Ordinarius  angestellt.  Das  i  853  verselbständigte  Physikalische 
Institut  verfügt  über  einen  Etat  von  6449  M. 

9.  Gruppe  für  allgemeine  und  pharmazeutische  Chemie  ist  mit 
i  Ordinarius***)  und  1  Extraordinarius  besetzt.  Für  die  1877 
von  der  Physik  losgelöste  Chemie  wurde  ein  chemisches 
Institut  gegründet,  zu  dem  1 886/87  noch  eine  pharmazeutische 
Abteilung  hinzukam.     Etat:  11  716  M. 

10.  Gruppe  der  beschreibenden  Naturwissenschaften.  Ursprüng- 
lich vereinigt,  wurden  sie  später  getrennt.  Sie  sind  heute 
durch  2  Ordinarien  f)  und  1  Extraordinarius  besetzt.  Ein 
Ordinariat  für  Mineralogie  wurde  1875  errichtet,  ein  Extra- 
ordinariat 1886;  beide  sind  heute  von  1  Ordinarius  ff)  vertreten. 
Ferner  wurde  1884/85  ein  Ordinariat  für  Botanik  und  1873 
ein  Extraordinariat  für  Zoologie  begründet.  Die  Jahres- 
dotation beträgt  für  das  naturhistorische  Museum  17150  M., 
für  den  botanischen  Garten  10  399  M.  und  für  das  botanische 
Institut  4480  M. 

11.  Geographie.  Seit  1885  von  einem  ICxtraordinarius  und  seit 
1897  von  einem  Ordinariusfft)  vertreten.  Etat  des  geographi- 
schen Apparates  300  M. 

Die  Universitätsbibliothek  hat  eine  Jahresdotation  von  54  240  M., 
wovon  19  364  M.  auf  sächliche  und  34  876  M.  auf  persönliche  Aus- 
gaben entfallen.  Mit  der  Angliederung  einer  rechts-  und  staats- 
wissenschaftlichen Fakultät  und  der  Erhebung  der  bisherigen  Akademie 


*)  Killing,  V.  Lilienthal. 
**)  Heydweiller.  Der  frühere  Fachvertreter  Hittorf  ist  seit  1889   in    den  Ruhestand 
getreten. 

**♦)  Salkowski. 

f )  Zopf,  Busz. 
tt)  Busz. 
•J-j-|*)  Lehmann . 

Das  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    I.  29 


450 


Die  einzelnen  Universitäten. 


zur  Universität  wurde  der  Bibliotheksver\valtun|j  ein  einmaliger  Fonds 
von  120  000  M.  zur  Einrichtung  einer  rechtswissenschaftlichen  und 
zur  Erweiterung  der  staatswissenschaftlichen  Bibliothek  etatsmäßig 
zur  Verfügung  gestellt.  Der  bisherigen  Bibliotheca  Paulina  wurde 
der  Titel  Universitätsbibliothek  verliehen.  Der  Bücherbestand  beläuft 
sich  auf  147  000  Bände. 


3.    Statistische  Übersichten. 

1.    Zahl  der  Lehrer: 


Ordentliche 

'               Semester 

Ordent- 
liche 
'         Pro- 
fessoren 

und  aufler- 
ordentliche 
Honorar- 
Professoren 

Außerordent- 
liche 
Professoren 

14 

Privat- 
dozenten 

12 

Lektoren 

S.-S.  1903     .     .     . 

38 

2 

6 

S.-S.  1878     ..     . 

•  1          ^7 

— 

7 

4 

— 

S.-S.  1850     ..     . 

10 

— 

2 

3 

1 

S.-S.  1844     ..     . 

•  i          11 

— 

1 

2 

1 

2.    Zahl  der  immatrikulierten  Studierenden: 


S.S.  1903  .  . 
W.-S.  1902—03 
S.S.  1902  .  . 
W.-S.  1901-02 
S.-S.  1901  .  . 
W.-S.  1900-01 
S.S.     1900   .     . 


1200 
1143 
869 
781 
793 
733 
688 


S.S.     1890 384 

S.S.     1880 271 

W.-S.  1870-71 439 

W.-S.  1860-61 529 

W.-S.  1850—51 325 

W.-S.  1844—45 224 


3.    Zahl  der  Studierenden  nach  Fakultäten: 


1 

Katholisch- 
Semester                       theologische 
Fakultät 

Rechts-  und 
staatswissen- 
schaftliche 
Fakuhät 

])hilosoi)hisch- 

nalurwissen 

schaflliche 

Fakultät 

S.-S. 

1903   ...     . 

299 

280 

621 

W.-S. 

1902—03 

346 

229 

568 

S.-S. 

1900    .     . 

325 

363 

S.-S. 

1890    .     . 

219 

— 

165 

■  S.-S. 

1880    .     . 

75 

— 

1% 

W.-S. 

1870-71 

224 

— 

215 

W.-S. 

1860—61 

;         281 

~ 

248 

W.-S. 

1850-51 

1          187 

138 

W.-S. 

1844—45 

156 

— 

82 

S.-S.  1903  .  . 
W.-S.  1902-a3 
S.S.    1902  .     . 


Die  Königliche  Universität  Münster  i.  W. 

4.    Zahl  der  zugelassenen  Hörer: 

72  W.-S.  1901-02 27 

60  S.-S.     1901 20 

30  W.-S.  1900—01 20 


451 


5.    Zahl   der  zugelassenen  weiblichen  Studierenden: 
keine. 


6.    Gesamtsumme  der  Kinnahmen: 

I  Aus  eigenem 
T>       .  t^  '    ,       ,  I        Staats-  ^ 

htatsjahre       i  vermögen  u.  i  ,    «       i        Summe 

■'  o  -r  '       Zuschuß       I 

'     Stiftungen    |  i 


1903  ...  . 

166086 

370508  , 

2036594 

1890  ...  . 

83743 

156645  i 

240388 

1878  ...  . 

70125   1 

102  439 

172564 

1865  ...  . 

51645  1 

6750 

58395 

1851  ...  . 

41832  ' 

3750 

55582 

7.    Gesamtsumme  der  Ausgaben: 


Besoldungen  ' 
'  u.  Remune-  ohnungs-     p^^  Institute  '        Unter-       ,  Verwaltungs- 

Etatsjahr  rationen  der    g^ldzuschüsse      „    g^^. 

Professoren  u.^""-^^^"-.       lungen 
Dozenten      '       ^^""^^ 


1903 
1890 
1878 
1865 
1851 


211650  ; 

133900  I 

98550  i 

38400  ' 

29388  ' 


34  224 

23052 

15984 

8  310 

2040 


I 


99028 
60299 
46752 
15789 
13  224 


Stützungen  u.  j    u.  sonstige 
Stipendien    i       Kosten 


5854 

16979 

2550   1 

6330 

2  700 

4530 

1500 

1290 

1 

930 

8.    Außerordentliche  Ausgaben  von  1878—1903:  388710  M. 

M.  V.  H  e  c  k  e  1. 


29* 


XI.   Die  Königl.  Bayerische  Ludwig -Maximilians- 
Universität  zu  München. 

1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Die  heutige  Ludwig -Maximilians -Universität  in  München  ist 
ursprünglich  in  Ingolstadt  und  zwar  von  Ludwig  dem  Reichen, 
Herzog  von  Ober-  und  Niederbayern  gegründet  worden.  Die  päpst- 
liche Bestätigungsbulle  dieser  nach  dem  Muster  der  Wiener  (mittelbar 
also  der  Pariser)  zu  errichtenden  Universität  stammt  aus  dem  Jahre  1 459, 
kriegerische  Ereignisse  verzögerten  aber  die  Eröffnung  der  Universität 
bis  zum  Jahre  1472.  Die  neugegründete  Universität  zerfiel  in  vier 
Fakultäten:  die  theologische,  die  juristische,  die  medizinische  und  die 
Artisten-  oder  philosophische  Fakultät.  Letztere  war  in  der  ersten 
Zeit  der  Ingolstädter  Universität  von  besonderer  Bedeutung  und  zer- 
fiel entsprechend  dem  damals  allerwärts  entstandenen  Gegensatz  der 
„via  antiqua"  und  „via  moderna**  einige  Zeit  hindurch  in  zwei  mit 
besonderem  Dekan  und  Konsilium  ausgestattete  Abteilungen.  Der 
Nachfolger  des  Stifters  der  Universität,  Herzog  Georg  der  Reiche, 
gründete  das  noch  heute  als  theologisches  Konvikt  bestehende  CoUe- 
gium  Georgianum,  als  eine  Art  Burse  für  ärmere  Studierende,  welche 
zuerst  Philosophie,  dann  Theologie  studieren  sollten. 

Mit  einem  Durchschnittsbestand  von  5-  bis  600  akademischen 
Bürgern  stand  die  Ingolstädter  Hochschule  in  der  Zeit  des  Huma- 
nismus den  übrigen  Hochschulen  jener  Zeit,  insbesondere  jenen  in 
deutschen  Landen  vollberechtigt  und  ebenbürtig  zur  Seite.  Damals 
lehrten  in  Ingolstadt  u.  a.  Johann  Engel,  Konrad  Celtes,  Jakob  Locher 
Philomusos,  Johann  Turmair  Aventinus,  Appianus,  Urbanus  Regius, 
für  kurze  Zeit  Reuchlin.  (Erasmus  hatte  eine  Berufung  nach  Ingolstadt 
abgeschlagen.) 

In  der  Reformationszeit  nahm  die  Universität  Ingolstadt  eine 
ausgeprägte  Stellung  als  wissenschaftliche  Gegnerin    der  Reformation 


Die  Königl.  Bayerische  Ludwig-Maximilians-Universität  zu  München.  453  * 

ein  (Ingolstadt  gegen  Wittenberg);  ihr  gehörte  Johann  v.  Eck  an, 
der  auf  Martin  Luthers  95  Thesen  mit  18  Gegenthesen  antwortete, 
woran  sich  die  Leipziger  Disputation  zwischen  Eck  und  Luther  im 
Jahre  1519  reihte. 

Von  Mitte  des  16.  bis  18.  Jahrhunderts  hatten  die  Jesuiten  einen 
maßgebenden  Einfluß  auf  die  Besetzung  der  Lehrstühle  nicht  bloß 
der  theologischen,  sondern  auch  der  philosophischen  Fakultät  ge- 
wonnen. Als  hervorragende  Namen  unter  den  Jesuiten  sind  anzu- 
führen :  Peter  Canisius,  Jakob  Gretser,  Christoph  Scheiner,  Jakob  Bälde. 
Von  den  Lehrern  der  Juristenfakultät  in  dem  17.  Jahrhundert  und 
der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  seien  erwähnt:  C.  Manz,  Chr. 
Besold,  der  kurze  Zeit  in  Ingolstadt  dozierte,  und  Chlingensperger. 
Kriegsereignisse  und  mehr  noch  die  dauernden  inneren  Streitigkeiten 
an  der  Universität  äußerten  lähmende  Einflüsse. 

Der  Beginn  der  modernen  wissenschaftlichen  Entwicklung  im 
18.  Jahrhundert  knüpft  in  Ingolstadt  an  das  Wirken  J.  A.  Ickstatts 
an,  der  vom  Kurfürsten  Max  Joseph  III.,  dessen  Lehrer  er  gewesen 
war,  im  Jahre  1746  als  „Direktor"  und  Professor  für  öffentliches  Recht 
nach  Ingolstadt  gesetzt  worden  war  „zur  besseren  Einrichtung  der 
in  große  Abnahme  verfallenen  Universität".  Zeitweise  wirkte  Lori 
unter  Ickstatt  im  gleichen  Sinne  der  Förderung  der  wissenschaftlichen 
Freiheit.  Ickstatt  scheint  auch  den  früher  schon  aufgetauchten  Ge- 
danken einer  Verlegung  der  Universität  nach  München  ernstlicher 
ins  Auge  gefaßt  zu  haben.  Die  durch  die  Aufhebung  des  Jesuiten- 
ordens (1773)  in  der  Lehrtätigkeit  der  theologischen  Fakultät  ent- 
standenen Schwierigkeiten  wurden  zunächst  durch  das  Eintreten  der 
Benediktiner  beseitigt.  Von  Ingolstädter  Lehrern  aus  dem  18.  Jahr- 
hundert seien  außer  den  oben  bereits  genannten  noch  folgende  an- 
geführt: Theologen:  Eckher,  Leitner,  Zech,  Sattler,  SchoUiner;  Juristen: 
Lippert,  Weishaupt,  Moshammer  (als  erster  Kameralist);  Mediziner: 
Obermayr,  Carl,  Leveling,  Rousseau,  Leveling  jun.;  Philosophen: 
Rhomberg,  Steigenberger,  Helfenzrieder,  Schlögel,  Mederer,  Schrank. 

Durch  das  im  Jahre  1799  bei  der  neuen  Organisation  der  Uni- 
versität ins  Leben  gerufene  Kameral-Institut  wurde  die  Grundlage  für 
die  Ent^'icklung  der  noch  heute  bestehenden  besonderen  „staats- 
wirtschaftlichen Fakultät"  geschaffen.  In  dem  Lehrplan  des  Instituts 
waren  juristische  und  naturwissenschaftliche  Disziplinen,  vor  allem 
aber  außer  Kameralwissenschaft  und  Statistik  auch  Technologie, 
Land-undForstwirtschaft  enthalten.  Im  Verlauf  der  weiteren  Entwicklung 
sind  Technologie  und  Landwirtschaft  an  die  technische  Hochschule  über- 


454  I^'e  einzelnen  Universitäten. 

gegangen,  dagegen  bildet  zur  Zeit  noch  (wie  aus  den  unten  folgenden 
Nachweisen  ersichtlich  ist)  der  forstwirtschaftliche  Hochschulunterricht 
zusammen  mit  den  Wirtschafts-  und  Sozialwissenschaften  (unter  letzteren 
insbesondere  der  Statistik)  das  Unterrichtsgebiet  der  staatswirtschaft- 
lichen Fakultät. 

Der  Thronbesteigung  des  Kurfürsten  und  späteren  Königs  von 
Bayern,  Max  Joseph,  am  16.  Februar  1799  folgte  schon  im  Jahre  18(X) 
die  Verlegung  der  Universität  aus  der  Festungsstadt  Ingolstadt  nach 
Landshut.  Im  Jahre  1802  erhielt  sie  die  Benennung:  „Ludwig- 
Maximilians-Universität";  die  im  Jahre  1804  aufgehobene  Fakultäts- 
organisation wurde  im  Jahre  1814  wieder  eingeführt.  (5  Fakultäten.) 
In  Landshut  blieb  die  Universität  nur  bis  zum  Jahre  1826;  in  diesem 
Jahre  erfolgte  nach  dem  Regierungsantritt  des  Königs  Ludwig  I.  die 
Verlegung  der  Universität  nach  München.  Von  den  Lehrern  der 
Universität  Landshut  sind  außer  einzelnen  bereits  oben  erwähnten, 
von  Ingolstadt  übernommenen  zu  nennen  insbesondere  die  Theologen : 
Sailer,  AUioli;  die  Juristen:  Anselm  v.  Feuerbach,  Gönner,  F.  K. 
V.  Savigny  und  K.  J.  A.  Mittermaier;  die  Mediziner:  Ph.  F.  Walther, 
Tiedemann,  v.  Schultes,  J.  A.  Buchner,  Reisinger:  die  Philosophen: 
Frohn,  Ast,  I.  N.  Fuchs. 

Die  Verlegung  der  Universität  nach  München  hatte  im  Lehr- 
pcrsonal  eine  Verschmelzung  der  von  Landshut  übernommenen  Lehr- 
kräfte mit  Münchner  Gelehrten,  insbesondere  aus  dem  Kreise  der 
Mitglieder  der  Akademie  der  Wissenschaften  zur  Folge.  Auch  die 
Studentenschaft  zeigte  rasches  Anwachsen.  Im  Jahre  1840  wurde 
das  neu  errichtete  Universitätsgebäude  in  Benutzung  genommen.  Auch 
unter  König  Maximilian  IL,  dem  besonderen  Förderer  der  Wissen- 
schaft und  ihrer  Vertreter,  fanden  die  Interessen  der  Universität  sorg- 
same Berücksichtigung;  namentlich  fallen  in  diese  Zeit  zahlreiche 
Berufungen  von  Lehrern  anderer  Universitäten;  auch  die  Reorgani- 
sation und  der  Umbau  wichtiger  Universitäts-Institute  fiillt  in  diese 
Zeit.  Maximilian  II.  stiftete  auch  das  Maximilianeum,  in  welchem  einer 
kleinen  Zahl  in  der  Anstalt  zusammenwohnender  befähigter  Studie- 
renden UH'sprünglich  nur  Juristen,  später  auch  Angehörigen  anderer 
Fakultäten)  bei  voller  akademischer  Freiheit  Gelegenheit  zur  Ver- 
tiefung und  Ergänzung  der  Fachbildung,  insbesondere  auch  auf  dem 
Gebiet  der  fremden  lebenden  Sprachen,  gegel)en  wird.  Auch  unter 
der  Regierung  des  Königs  Ludwig  IL,  wie  insbesondere  unter  jener  des 
Prinzregenten  Luitpold  von  Bayern  fanden  und  finden  die  Interessen 
der     Universität     sowohl     in     idealer     wie    in     materieller    Hinsicht, 


Die  Königl.  Bayerische  Ludwig-Maximilians-Universität  zu  München.  455 

namentlich  auch  im  weiteren  Ausbau  und  der  weiteren  Ausgestaltung 
mannigfacher  und  wichtiger  Universitäts-Institute  jegliche  Förderung. 
Im  Jahre  IW)8  erhielt  die  Universität  als  Schwesteranstalt  die  neu- 
gegründete Technische  Hochschule.  Für  die  Studierenden  beider 
Hochschulen  ist  durch  die  Ermöglichung  des  Besuchs  der  Vorlesungen 
auch  an  der  anderen  Hochschule  eine  wesentliche  Erweiterung  der 
Unterrichtsgelegenheit  geboten . 

Zu  vermerken  ist  die  organisatorische  Änderung,  welche  im  Jahre 
1 878  eintrat  durch  Schaffung  eines  erweiterten  forstlichen  Universitäts- 
unterrichts in  Bayern  und  Verlegung  desselben  in  die  staatswirtschaft- 
liche Fakultät  der  Universität  München,  während  die  dem  Universitäts- 
unterricht unmittelbar  vorhergehende  Stufe  des  forstlichen  Hochschul- 
unterrichts an  der  isolierten  Forstlichen  Hochschule  Aschaffenburg 
belassen  wurde. 

Auf  die  Ausgestaltung  der  Unterrichtsfächer  im  einzelnen  und 
die  Fürsorge  für  deren  —  bei  allen  wichtigen  Fächern  mehrfache  — 
Besetzung  kann  hier  nicht  eingegangen  werden,  ebenso  wenig  wie 
auf  die  Ausgestaltung  und  Weiterbildung  der  Institute,  Sammlungen 
und  Seminare,  von  denen  insbesondere  auch  die  letzteren  in  der 
neueren  Zeit  eine  große  Entwicklung  gefunden  haben.  Über  den 
dermaligen  Stand  dieser  wichtigen  Unterrichtsbehelfe  gibt  der  unten 
folgende  statistische  Teil  einen,  allerdings  sehr  knappen,  Aufschluß. 

Hier  sind  nur  noch  die  Namen  hervorragender  verstorbener 
Lehrer  der  Universität  München  aufzuführen: 

Theologische  Fakultät.  Außer  den  oben  bereits  erwähnten 
Sailer  und  Allioli  insbesondere:  J.  A.  Möhler,  J.  J.  1.  v.  DöUinger,  B. 
v.  Haneberg,  J.  Hergenröther,  V.  Thalhofer,  P.  Schegg. 

Juristische  Fakultät.  Außer  den  oben  bereits  erwähnten 
Feuerbach,  Savigny  und  Mittermaier  insbesondere:  G.  F.  Puchta, 
G.  Phillips,  G.  L.  V.  Maurer,  K.  L.  v.  Arndts,  K.  F.  v.  Dollmann, 
J.  V.  Pözl,  K.  V.  Maurer,  P.  v.  Roth,  I.  C.  Bluntschli,  A.  v.  Brinz, 
V.  V.  Holtzendorff,  B.  v.  Windscheid,  W.  v.  Planck,  H.  v.  Sicherer, 
M.  v.  Seydel,  H.  Seuffcrt. 

Staatswirtschaftliche  Fakultät.  F.  B.  W.  v.  Hermann, 
K.  E.  V.  Schafhäutl,  Fr.  Knapp,  K.  Fraas,  W.  H.  v.  Richl,  J.  A. 
R.  V.  Helferich,  K.  W.  v.  Gümbel,  J.  Lehr,  sodann  die  Forstmänner: 
Cj.  Heyer.  F.  v.  Baur,  R.  Hartig. 

Medizinische  Fakultät.  Außer  den  oben  bereits  genannten 
Walther  und  Buchner  insbesondere:  H.  Breslau,  J.  N.  v.  Ringseis, 
I.  V.  DöUinger,    L.   Oken,     K.  Th.  v.  Siebold,     F.    X.    v.    Gietl,     K. 


456  r)ie  einzelnen  Universitäten. 

V.  Pfeufer,  A.  v.  Hauner,  J.  N.  v.  Nußbaum,  J.  v.  Lindwurm, 
K.  V.  Hecker,  F.  Chr.  v.  Rothmund,  Th.  v.  Bischoff,  B.  v.  Gudden, 
L.  V.  Buhl,  A.  V.  Solbrig,  M.  J.  Oertel,  N.  Rüdinger,  M.  v.  Petten- 
kofer,  H.  v.  Ziemssen,  K.  v.  Kupffer,  Hans  Buchner,  A.  Bumm. 

Philosophische  Fakultät.  Philosophen:  F.  W.  J.  v.  Schelling, 
F.  B.  V.  Baader,  E.  v.  I^asaulx,  M.  Carriere,  J.  Frohschammer,  K. 
V.  Prantl,  J.  Huber.  —  Naturforscher:  G.  H.  v.  Schubert,  M.  Wagner. 

—  Mathematiker:  L.  Ph.  v.  Seidel.  —  Astronom:  J.  v.  Lamont.  — 
Physiker:  G.  S.  Ohm,  C.  A.  Steinheil,  J.  Ph.  G.  v.  JoUy,  E.  v.  Lommel. 

—  Chemiker:  J.  v.  Liebig.  —  Mineralogen:  J.N.Fuchs,  Fr.  v.  Kobell. 

—  Geologe  und  Paläontologe:  K.  A.  v.  Zittel.  —  Botaniker:  außer 
F.  P.  Schrank:  K.  F.  Ph.  v.  Martius,  K.  W.  Nägeli.  —  Zoologen: 
siehe  oben  in  der  medizinischen  F'akultät  v.  Siebold,  sodann :  E.  Selenka. 

—  Historiker:  K.  Mannert,  J.  J.  Görres,  C.  Zeuß,  Th.  v.  Rudhardt, 
J.  Ph.  Fallmerayer,  H.  K.  L.  v.  Sybel,  K.  A.  v.  Cornelius,  J.  Weiz- 
säcker, G.  Voigt,  E.  Kluckhohn,  F.  W.  B.  v.  Giesebrecht,  F.  A. 
V.  Löher,  F.  Stieve,  A.  Druffel  (den  Kulturhistoriker  Riehl  siehe  oben 
bei  der  staatswirtschaftlichen  Fakultät).  —  Klassische  Philologen :  außer 
F.  Ast:  F.  V.  Thiersch,  L.  v.  Spengel,  K.  Halm,  K.  Bursian,  R.  Scholl. 

—  Archäologe:  H.  v.  Brunn.  —  Orientalisten:  M.  Müller,  M.  Haug, 
E.  Trumpp.  —  Germanisten:  J.  A.  Schmeller,  J.  F.  Maßmann,  K.  Hof- 
mann (auch  Romanist),  M.  Bernays,  E.  v.  Geibel,  W.  v.  Hertz,  M. 
V.  Lexer. 

Bei  der  allseitig  reichhaltigen  Ausgestaltung  des  Münchener 
Hochschulunterrichts  ist  es  kaum  möglich,  eine  besondere  Bedeutung 
der  Universität  für  einzelne  Gebiete  speziell  hervorzuheben.  Abge- 
sehen von  der  protestantischen  Theologie  ist  der  gesamte  Kreis  der 
Geistes-  wie  der  Naturwissenschaften  in  deren  reichhaltiger  gegen- 
wärtiger Ausgliederung  in  den  Lehrkräften  der  Hochschule  und  den 
dazu  gehörigen  Untcrrichtsbehelfen  aller  Art  vollzählig  vertreten. 
Auch  die  Statistik  des  Universitätsbesuchs  nach  Fakultäten,  die  unten 
folgt,  läßt  ersehen,  daß  juristisches  Wissen,  medizinisches  Wissen  und 
weiter  philosophisches  Wissen,  dies  im  Sinne  der  Strebungen  der 
beiden  Sektionen  der  Fakultät,  heute  je  von  mehr  als  einem  Tausend 
lernbegieriger  Hörer  der  Münchener  Universität  erstrebt  wird.  (Als 
Spezialität  wäre  etwa  die  oben  bereits  er\vähnte  Einbeziehung  des 
forstlichen  Hochschulunterrichts  zu  erwähnen;  weiter  sei  —  zugleich 
zur  Erläuterung  der  unten  folgenden  Frequenznachweise  —  beigefügt, 
daß  schon  seit  dem  Jahre  183.'^  die  Pharmazeuten  mit  der  kleinen 
Matrikel    zum    medizinischen  Studium  zugelassen  sind.)     Die    eigenen 


Die  Königl.  Bayerische  Ludwig-Maximilians-Universität  zu  München.  457 

Attribute  der  Universität  wie  nicht  minder  die  sonstigen  zu  Unterrichts- 
zwecken der  Universität  zur  Verfügung  stehenden  Anstalten  —  die 
in  dem  nachfolgenden  statistischen  Teil  einzeln  aufgeführt  sind  — 
werden  fortwährend  nach  Möglichkeit  vermehrt  und  in  ihrer  Ausstattung 
verbessert.  Die  reiche  Entfaltung  des  Seminarunterrichts  hat  auch 
außerhalb  des  naturwissenschaftlichen  und  medizinischen  Studiums  zu 
einer  weitgehenden  Annäherung  von  Lehrern  und  Hörern  in  der 
Ausgestaltung  des  Unterrichtsbetriebes  geführt  und  dadurch  im 
Zusammenhange  mit  den  praktischen  Übungen,  wie  sie  in  steigendem 
Maße,  namentlich  auch  beim  juristischen  Unterricht,  neben  den 
Vorlesungen  in  das  Unterrichtsprogramm  aufgenommen  sind,  die 
Grundlagen  verstärkt,  auf  denen  die  Erreichung  sowohl  der  wissen- 
schaftlichen wie  der  praktischen  Endziele  des  Hochschulunterrichts 
sich  vollzieht. 

Dieser  Gestaltung  der  inneren,  dem  Lemtrieb  jegliche  Förderung 
bietenden  Unterrichtsverhältnisse  an  der  Universität  steht  vom 
allgemein  menschlichen  und  speziell  vom  studentischen  Gesichtspunkt 
der  Münchener  Hochschule  fördernd  und  weitere  glückliche  Entwicklung 
verheißend  der  Umstand  zur  Seite,  daß  die  Stadt  München  als 
Aufenthaltsort  ein  treflTliches  Milieu  für  ernste  Facharbeit,  ergänzendes 
allgemeines  Wissen,  veredelnde  Heranziehung  reicher  Kunsteindrücke 
und  frohes  Menschendasein  bietet.  Außer  dem  Unterrichtskreise  der 
Universität  und  den  sonstigen  Lehranstalten,  von  denen  die  poly- 
technische Hochschule  oben  genannt  ist,  und  neben  der  Beihilfe, 
welche  außer  der  Universitätsbibliothek  insbesondere  die  auch  dem 
Studenten  zugängliche  Hof-  und  Staatsbibliothek  für  literarische 
Bedürfnisse  bietet,  kommt  auch  die  mannigfaltige  Anregung  in 
Betracht,  welche  zahlreiche  wissenschaftliche  Vereinigungen  und 
Gesellschaften  der  bayerischen  Landeshauptstadt  in  einer  gerade  auch 
dem  Studenten  leicht  zugänglichen  Weise  bieten.  Wer  innerhalb 
der  studentischen  Kreise  selbst  korporativen  Anschluß  an  Kommili- 
tonen sucht,  findet  dazu  ausgiebige  und  mannigfaltige  Gelegenheit. 
Es  sind  an  der  Universität  München  nahezu  70  studentische  Kor- 
porationen vorhanden.*)    Reiche  Schätze  der  bildenden  und  treffliche 

*)  9  Korps  im  Kösener  Verband,  5  Burschenschaften,  4  I^ndsraannschafien, 
1  akademischer  (lesangverein,  4  Tumerschaften  und  Turnerverbindungen,  5  nicht  farben- 
tragende Korporationen  (V.  N.  C),  2  freie  Studentenverbindungen,  1  Verein  deutscher 
Studenten,  16 konfessionelle  Korporationen  —  12 katholische,  2  protestantische,  2  jüdische  — , 
1 7  wissenschaftliche  und  gesellige  Vereinigimgen  und  1  Münchener  freie  Studentenschaft  für 
Nichtinkorporierte.  Außerdem  besteht  ein  Allgemeiner  Verband  der  Studierenden  zur 
Förderung  der  Interessen  der  gesamten  Studentenschaft. 


458  I^*c  einzelnen  Universitäten 

Veranstaltungen  der  darstellenden  Kunst  stehen  allen  Studierenden 
zur  Verfügung,  und  die  süddeutsche  Gemütlichkeit  ist  gerade  in 
München  eine,  erwünschte  Begleiterin  des  Alltagsdaseins  des  Musen- 
sohns. Öazu  kommt,  daß  München  nicht  nur  selbst,  dank  der 
Hygiene,  jetzt  eine  „gesunde  Stadt**  ist,  sondern  auch  nerven- 
erfrischender und  herzerquickender  Nachbarschaft  sich  rühmen  darf 
in  dem  so  leicht  erreichbaren,  zumal  an  schönen  Sommertagen  so 
einladenden  bayerischen  Alpenhochland.  Mens  sana  in  corpore  sano 
zu  verwirklichen,  das  soll  hier  dem  mit  ernstem  Streben  freien  Blicks 
in  die  Lebensbahn  vorschauenden  Jünger  der  Wissenschaft  wohl  ge- 
lingen. 

Literatur  zur  Geschichte  der  Universität:  C.  Prantl,  Geschichte 
der  Ludwig-Maximilians-Universität  in  Ingolstadt,  Landshut,  München. 
Zur  Festfeier  ihres  400jährigen  Bestehens  im  Auftrage  des  akademischen 
Senats  verfaßt.  2  Bände.  München  1872.  Chr.  Kaiser.  —  Auf 
deutschen  Hochschulen  I.  Die  Ludwig-Maximilians-Universität  zu 
Ingolstadt,  Landshut  und  München  in  Vergangenheit  und  Gegenwart 
von  Max  Haushofer.  München.  Akademische  Monatshefte  1890.  — 
Die  Verlegung  der  Ludwig-Maximilians-Universität  nach  München. 
Rede  beim  Antritt  des  Rektorats  v.  K.  Th.  Heigcl.  München  1897. 
(Eine  knappe  Skizze  der  Geschichte  der  Universität  ist  enthalten  im 
Münchener  Akademischen  Taschenbuch  für  Juristen.  Studienjahr 
1903/04.  Herausgegeben  von  Th.  Ackermann.  München  1903.) 
Auch  darf  ich  nicht  unterlassen,  dem  Herrn  Bibliothekar  Dr.  Wolf 
für  gütige  Unterstützung,  insbesondere  bei  der  Bearbeitung  des 
vorstehenden  Teiles  der  Mitteilungen  über  die  Ludwig-Maximilians- 
Universität  sowie  über  die  Frequenz  Verhältnisse  im  18.  Jahrhundert 
verbindlichsten  Dank  ebenso  auszusprechen,  wie  dem  königlichen 
Universitätssekretariat  für  die  freundliche  Cbermittlun*^  des  für  den 
nachfolgenden  Teil  benutzten  statistischen  Materials. 

2.   Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer   m)3). 

Die  'katholisch)  theologische  Fakultät  zählt  gegen  wärt  ii,^ 
9    ordentliche    Professoren*;  I    außerordentlichen    Professor       - 

I    Privatdozenten. 

Es  besteht  ein  homiletisches  .Seminar,  seit   UU)4,  dotiert  mit 

*)  Alois  V.  Schmiil  —  Silberiuigl  --  Wirlhini^ller  —  Scliöntelder  —  An<lrca> 
Schnii<l  —  Hanlenhewer  —  KnöpHcr  —  At/ber^er  —  Schnitzer. 


Die  Königl.  Bayerische  T^udwig-Maximilians-Universität  zu  München.  459 

jährlich  1440  Mark  und  ein  kirchenhistorisches  Seminar,  seit  1888, 
dotiert  mit  jährlich  600  Mark. 

In  Verbindung  mit  der  Universität  steht  seit  dem  Jahre  1494 
das  CoUegium  Georgianum  als  Konvikt  für  die  Studierenden  der 
Theologie. 

Die  juristische  Fakultät  zählt  gegenwärtig  10  ordentliche 
Professoren*)  —  1  außerordentlichen  Professor  —  2  Honorar- 
professoren —  5  Privatdozenten. 

Es  besteht  ein  juristisches  Seminar  seit  1881,  dotiert  mit 
jährlich  2400  Mark. 

Die  staatswirtschaftliche  Fakultät  zählt  gegenwärtig 
10  ordentliche  Professoren**)  —  1  außerordentlichen  Professor  — 
1   Honorarprofessor  —  4  Privatdozenten. 

In  der  staatswirtschaftlichen  Fakultät  sind  vertreten  einerseits  die 
staatswissenschaftlichen  Disziplinen  (insbesondere  National- 
ökonomie, Finanzwissenschaft,  Wirtschaftsgeschichte,  Statistik)  mit 
'A  Ordinarien,  1  Honorarprofessor  und  1  Privatdozenten,  andererseits 
die  sämtlichen  in  den  forstwissenschaftlichen  Universitäts- 
unterricht einbezogenen  Fächer  mit  7  Ordinarien,  1  Extraordinarius, 
,S  Privatdozenten. 

Es  besteht  ein  staatswirtschaftliches  Seminar  seit  1891, 
dotiert  mit  jährlich  1000  Mark,  und  ein  statistisches  Seminar  seit 
I^XX),  dotiert  mit  jähriich  600  Mark. 

Als  Staatsanstalt,  welche  ohne  unmittelbar  Attribut  der  Universität 
zu  sein,  den  Unterrichtszwecken  dient,  kommt  in  Betracht  die 
Forstliche  Versuchsanstalt  mit  botanischem  Garten  (in  deren 
Baulichkeiten  die  forstlichen  Vorlesungen  stattfinden,  die  bezüglichen 
Sammlungen,  Bibliothek  usw.  untergebracht  sind)  mit  folgenden  fünf 
.Abteilungen :  forsttechnische,  chemisch-bodenkundliche,  botanische, 
zoologische  —  meteorologische  und  einem  forstlichen  Versuchsgarten 
in  Grafrath  bei  München  (Gelegenheit  zum  Unterricht  in  der  Forst- 
wissenschaft war  seit  1  KW  gegeben,  seit  1 844  war  hierzu  ein  Ordinarius 
bestimmt;  die  Erweiterung  des  forstlichen  Unterrichts  im  Jahre  1878 
ist  bereits  im  ersten  Abschnitt  erwähnt). 

Etat     der    Versuchsanstalt:     sachliche     Ausgaben     9200     Mark 


*)    V.    ßechmanii    —     Ernst     AujjiLst    von    Seufiert    —    v.     l'llmann  —  (lareis  — 
V,  Aniira  —  Ixithar  v.  Seufl'erl  —  Birkmeyer  —  Frhr.  v.  Stengel  —  Hellmann  —  Dyn)t^'. 
**)  Brentano  —  Gayer  —  Ebermayer  —  \Veber  —  Heinrich    Mayr  —  Endres  — 
Lotz  —  (leorg  v.  Mayr  —  Ramann  —  Frhr.  v.  Tubeuf. 


460  ^ic  einzelnen  Universitäten. 

(außerdem  besondere  Bewilligungen  für  spezielle  Forschungszwecke  in 
wechselnder  Höhe  ca.  3000  Mark). 

Die  medizinische  Fakultät  zählt  gegenwärtig  14  ordentliche 
Professoren*)  —  1 0  außerordentliche  Professoren  —  16  Privatdozenten 
mit  dem  Titel  und  Rang  eines  außerordentlichen  Professors  — 
3  Honorarprofessoren  —  27  Privatdozenten  —  2  Lehrer  am  zahn- 
ärztlichen Institut  (hierunter  1,  mit  Titel  und  Rang  bekleideter, 
außerordentlicher  Professor). 

Als  Attribute  der  Universität  und  sonstige  Institute  und  Samm- 
lungen des  Staates,  welche  den  medizinischen  Unterrichtszwecken 
dienen,  kommen  folgende  in  Betracht: 

a)  Universitäts-Institute  und  Sammlungen: 

Hygienisches  Institut,  seit  1873,  und  bakteriologisches  Laboratorium, 
seit  1884;  Etat  2.3  379  Mark. 

Pathologisches  Institut,  seit  1872,  Etat  20  422  Mark. 

Histologisches  Institut,  seit  1861,  Etat  6478  Mark. 

Pharmakologisches  Institut,  seit  1890,  Etat  1 1  880  Mark,  für  Dispensier- 
übungen 1900  Mark. 

Medizinisch-klinisches  Institut,  seit  1875,  Etat  27  727  Mark. 

I.  Medizinische  Klinik  1       .       ^,^ 

,,,,,...,  ^^,.  .,  >  seit  1826,  neuerlich  organisiert  1W2,  Etat 
IL  Medizinische  Klinik  )  '  b  » 

zu  I.  5276  Mark,  zu  II.  4916  Mark. 

Chirurgisch-klinisches  Institut,  seit  1837,  Etat  26245  Mark. 

Rcisingerianum  (exklusive  der  Polikliniken)  —  Realisierung  einer  von 
dem  ehemaligen  Fakultätsmitgliede  Professor  Reisinger  im  Jahre 
1855  gemachten  großen  Stiftung  für  medizinische  Unterrichts- 
zwecke —  Etat  21  377  Mark. 

Ophthalmologische  Klinik,  seit  1879,  Etat  69  978  Mark. 

Otiatrische  Klinik,  seit  18W,  Etat  4000  Mark. 

Syphilitische  Klinik,  seit   1852,  Etat  1743  Mark. 

Psychiatrische  Klinik,  Etat  586  Mark  (demnächst  in  einen  Neubau 
transferiert  mit  entsprechender  Etatserhöhung). 

Zahnärztliches  Institut,  seit  1898,  Etat  34  532  Mark. 

Laryngologische  Poliklinik,  seit  1898,  Etat   1500  Mark. 

Medizinische  Poliklinik,  seit   18(>4,  PLtat  9430  Mark. 

Pädiatrische  Poliklinik,  seit   18f>4,  PItat  3910  Mark. 

*)  V.  Külhniund  —  v.  Voit  —  v.  Winckel  —  BoUinger  —  Kvershusch  — 
Kraepelin  —  Joseph  v.  Bauer  —  v.  Angerer  —  (iniber  —  Friedrich  Müller  — 
V.  Tappeiner  —  Rückert  —  Mollier  —  Emmerich. 


Die  Königl.  Bayerische  Ludwig-Maximilians-Universität  zu  München.  461 

Otiatrische  Poliklinik,  seit  1902,  Etat  1000  Mark. 
Chirurgische  Poliklinik,  seit  1864,  Etat  17  331  Mark. 
Geburtshilfliche  Poliklinik,  seit  1864,  Etat  1029  Mark. 
Gynäkologische  Poliklinik,  seit  1868,  Etat  1490  Mark. 
IL  Gynäkologische  Klinik,  seit  1884,  Etat  2080  Mark. 
Hautpoliklinik,  seit  1902,  Etat  1000  Mark. 
Für  Zeichnungen  merkwürdiger  Fälle  1000  Mark. 
Chirurgische     Sammlung      —       Ophthalmologische     Sammlung      — 
Anatomische  Sammlung. 

b)    Institute    und    Sammlungen    usw.,    welche,    ohne    un- 
mittelbare   Attribute    der  Universität    zu    sein,    den    Unter- 
richts- und  Bildungszwecken  dienen: 
Anatomische  Anstalt  und  Sammlung  Etat  16218  Mark,  Wachspräparate 

Etat  1  029  Mark. 
Physiologisches  Institut  und  physiologische  Sammlung,  Etat  8123  Mark. 
Universitäts-Kinderklinik  und  Poliklinik  (Hauners  Spital): 

a)  Kinderklinik    \    ^       ,       ,^  „^„  ,,    , 
J^  T.  ri  i.    1  \    Dotation  42  727  Mark. 

b)  Pohkhnik        j 

Städtisches  Krankenhaus  1.  d.  Isar. 
Universitäts-Frauenklinik. 
Kreisirrenanstalt. 
Pathologisch-anatomische  Sammlung. 

Die  philosophische  Fakultät  ist  in  zwei  Sektionen  gegliedert. 

A.  Die  philosophische  Fakultät  I.  Sektion  zählt  gegen- 
wärtig 20  ordentliche  Professoren*),  5  außerordentliche  Professoren, 
2  Honorarprofessoren,  3  Privatdozenten  mit  dem  Titel  und  Rang 
eines  außerordentlichen  Professors,  26  Privatdozenten,   2  Lektoren. 

Als  Fachgruppen  kann  man  unterscheiden: 

1.  Philosophische    (Psychologie,    Pädagogik    usw.),    2    Ordinarien, 

1  Extraordinarius,  1  außerordentlicher  Professor  mit  Titel  und 
Rang,  3  Privatdozenten. 
Psychologisches  Seminar,  seit  1890  Jahresdotation  500  Mark. 

2.  Altertumswissenschaft      (griechische,      lateinische    Philologie, 

Archäologie,    alte    Geschichte).      7    Ordinarien    —   2  außer- 
ordentliche Professoren  mit  Titel  und  Rang,  1  Privatdozent. 


*)  V.  Christ,  Iwan  v.  Müller,  v.  Wölffün,  Friedrich,  Kuhn,  Breymann,  Paul, 
Frhr.  v.  Hertling,  v.  Riezler,  v.  Heigel,  Grauert,  Crusius,  Pöhlmann,  Lipps,  Hommel, 
Fuitwängler,  Schick,  Muncker,  Krumbacher,  Traube. 


462  I^j<i  einzelnen  l^iiversitäten. 

Seminar   für  klassische  Philologie,    seit  1861,    Jahresdotation 

2497  Mark. 
Archäologisches  Seminar,  seit  1 886,  Jahresdotation  1 400  Mark. 
Seminar  für  alte  Geschichte,  seit  1902,  Jahresdotation  300  Mark. 

'X  Neuere  Philologie  und  Literaturgeschichte,  germanische, 
romanische,  englische,  neugriechische,  slavische  Philologie. 
5  Ordinarien,  5  Privatdozenten. 

Seminar    für    deutsche    Philologie,    seit  I8W,    Jahresdotation 
500  Mark. 

Seminar  für  romanische  und  englische  Philologie,  seit  1874. 
Jahresdotation  5520  Mark. 

Seminar    für    mittel-    und    neugriechische  Philologie,    seit 
1896,  Jahresdotation  200  Mark. 

4.  Vergleichende      Sprachwissenschaft      und      orientalische 

Philologie.    2  Ordinarien,  1   außerordentlicher  Professor  mit 
Titel  und  Rang,  5  Privatdozenten. 

5.  Mittlere    und    neuere    Geschichte    und    historische    Hilfs- 

wissenschaften.    4  Ordinarien,  1   Extraordinarius,  8  Privat- 
dozenten. 
Historisches  Seminar,  seit   1857,  Jahresdotation   1172  Mark. 
().    Kunstgeschichte.     1   Extraordinarius,  [\  Privatdozenten. 

7.    Geographie.      Die  Professur    der  Geographie    ist    zur  Zeit   nicht 
besetzt. 
Geographisches  Seminar,   seit   189(),  Jahresdotation  5(X)  Mark. 

B.  Die  philosophische  Fakultät  II.  Sektion  zählt  gegen- 
wärtig 14  ordentliche  Professoren*),  6  außerordentliche  Professoren, 
1  Honorarprofessor,  9  Privatdozenten  mit  dem  Titel  und  Rang  eines 
außerordentlichen  Professors,  7  Privatdozenten. 

Als  Fachgruppen  kann  man  unterscheiden: 

I.  Mathematik,  Astronomie.  5  Ordinarien,  1  Flxtraordinarius, 
2  außerordentliche  Professoren  mit  Titel  und  Rang,  I  Privat- 
dozent. 


*)  Kadlkofer»  v.  /iitcl,  (iuslav  lluucr,  v.  Bac>er,  v.  Cxrolh,  Hilger,  Röntgen,  Limlt- 
inann,  Ilcrlwig,  Seeliger,  Cloebcl,  Johannes  Ranke,  VoÜ,  rringsheim. 


Die  Könifjl.  Bayerische  Ludwig-Maximilians-l'niversität  zu  München.         4  6«'^ 

Seminar:  Mathematisch-physikalisches  Seminar,    seit  185^), 

Etat  1141   Mark. 
Staatsinstitut:*)  Sternwarte,  Etat  IttOO  Mark. 
Staatssammlung:  Mathematisch-physikalische  Sammlung. 

2.  Physik.      I    Ordinarius,     1    Extraordinarius,    2    außerordentliche 

Professoren  mit  Titel  und  Rang,  1   Privatdozent. 

'  Mathematisch-physikalisches  Seminar  bezw.  Mathematisch-physi- 
kalische Sammlung  siehe  oben  zu  1.) 

Universitäts-Institut:  Physikalisches  Institut,  Neubau  1893, 
Etat  13946  Mark. 

Staatsinstitut:  Physikalisch-metronomisches  Institut. 

3.  Chemie    und    Pharmazie.      (Die  Agrikulturchemie    und  Boden- 

kunde ist  in  der  staatswirtschaftlichen  Fakultät  —  und 
zwar  durch  2  Ordinarien  —  vertreten,  und  hier  nicht  in  Be- 
tracht gezogen.)  2  Ordinarien,  3  Extraordinarien,  1  außer- 
ordentlicher Professor    mit  Titel  und  Rang,  2  Privatdozenten. 

Universitäts-Institute:  Pharmazeutisches  Institut,  seit  1827, 
Umbau  1895.     Etat  27  731  Mark. 

Pharmakognostische  Sammlung.     Etat  400  Mark. 

Staatsinstitut:  Chemisches  Laboratorium  des  königl.  General- 
Konservatoriums. 

4.  Mineralogie,    Geologie    und    Paläontologie.      2    Ordinarien, 

I   Extraordinarius,    2  außerordentliche    Professoren    mit   Titel 
und  Rang,  2  Privatdozenten. 
Universitäts-Institute :  Mineralogisches!  nstitut.  VAat  5692  Mark. 
Paläontologische  Sammlung.     Etat  69  Mark. 
Petrographischer  Unterricht.     Jahresdotation  500  Mark. 
Staatsinstitutc:  Mineralogische  Sammlung. 
Geologische  Sammlung. 
Paläontologische  Sammlung. 

5.  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie.    1  Ordinarius,  1  außer- 

ordentlicher Professor    mit  Titel  und  Rang   (außerdem  in  der 

*)  Als  „Staatsinstitute**  bzw.  „Staatssammlungen**  sind  hier  —  wie  bei  der  medi- 
zinischen Fakultät  diejenigen  Institute  und  Sammlungen  de^  Staates  aufgeführt,  welche, 
ohne  unmittelbar  Attribute  der  Universität  zu  sein,  den  Unterrichts-  und  Bildungszweclcen 
dienen. 


464  I^'e  einzelnen  Universitäten. 

Staatswirtschaftlichen  Fakultät  unter  den  Dozenten  der  Forst- 
wissenschaft ein  Extraordinarius  mit  Lehrauftrag  für  an- 
gewandte Zoologie),  1   Privatdozent. 

Universitäts  -  Institut:     Zoologisches    Institut.       Jahresdotation 
1500  Mark. 

Staats-Sammlungen:  Zoologisch-zootomische  Sammlung. 

Vergleichend  anatomische  Sammlung. 

6.  Botanik    und    Pflanzenphysiologie.      2  Ordinarien,    1    außer- 

ordentlicher Professor  mit  Titel  und  Rang.  (Außerdem  in 
der  staatswirtschaftlichen  Fakultät  unter  den  Dozenten  der 
Forstwissenschaft  1  Ordinarius  fiir  Anatomie,  Physiologie  und 
Pathologie  der  Pflanzen.) 

Universitäts -Institut:      Botanisches    Laboratorium.      Dotation 
1740  Mark. 

Staatsinstitute:  Botanisches  Museum. 
Botanischer  Garten. 
Pflanzen  physiologisch  es  Institut. 

7.  Anthropologie.     1   Ordinarius. 

Universitätsinstitut:      Anthropologisches     Institut.       Dotation 
385  Mark. 

Staatssammlungen:    Anthropologisch-prähistorische    Samm- 
lung. 

Ethnographische  Sammlung. 

(Die  Landwirtschaft,  für  die  früher  ein  Lehrstuhl  ebenso  wie 
für  Bergwesen  und  Technologie  in  der  staatswirtschaftlichen 
Fakultät  bestand,  ist  jetzt  gleich  den  beiden  anderen  hier  erwähnten 
Fächern  an  der  Universität  nicht  mehr  vertreten;  dagegen  besteht 
an  der  technischen  Hochschule  in  München  eine  landwirtschaftliche 
Abteilung.) 

Als  allgemeine  Universitätsanstalt  besteht:  die  k.  Universitäts- 
Bibliothek  München. 

Gründung  1472  mit  der  Universität  in  Ingolstadt. 

Bändezahl:  ca.  450  000  Bände  Druckschriften,  darunter  ca.  29lK) 
Inkunabeln,  ca.  2000  Handschriften,  700  Karten,  'M)0  Porträts,  IVZOO 
Münzen. 


Die  Königl.  Bayerische  Ludwig-Maximilians-Universität  zu  München.  465 

Etat:  38  831  Mark. 

Lesesäle:  ca.  200  Plätze,  Handbibliothek  zur  freien  Benutzung; 
jährlich  über  110000  Besucher. 

Ausleihzimmer:  Handbibliothek  der  meist  gebrauchten  Lehr-  und 
Handbücher,  welche  sofort  abgegeben  werden  können,  deren  gedruckter 
Katalog  1902  bereits  in  3.  Auflage  erschienen  ist. 

Benutzungszeit:  Die  Lesesäle  geöffnet  werktäglich  in  den  Stunden 
von  8 — 12,  Samstag  8 — 1  und  (ausschl.  Samstag)  nachmittag  2—6  Uhr; 
vom  1 .  August  bis  30.  September  von  8 — 1  Uhr.  Die  Bibliothek  selbst 
geöffnet  werktäglich  in  den  Stunden  von  8 — 1  Uhr  und  (ausschließlich 
Samstag)  nachmittag  von  3—6  Uhr,  vom  1.  August  bis  30.  Septbr. 
von  8—1   Uhr. 

Personal:  1  Oberbibliothekar,  Dr.  Schnorr  von  Carolsfeld, 
1  Bibliothekar,  1   Sekretär,  2  Offizianten,  5  Diener. 

Anstalten  für  körperliche  Übungen:  3  Fechtmeister,  1 
Stallmeister. 


3.    Statistische  Übersichten. 


Zahl    der    Lehrer. 


I 

!  Ordentliche 


!  Drdenthche  ,  ,.  , 

Semester     i  ,»    -  ,         nche 

'  rrofessoren  I  _.     . 

,  I  rrofessoren 


I  ]       Privat-        I 

Außerordent-    ^°^"^^"  "^'^    Honorar-       „. 

Titel  u.  Rane        I*nvat 


ilonor 
Titel  u.  Rang        __ 

.       pro-      ,    , 
eines  außer-     ^^^^^^^^      dorenten 

ordentlichen  , 

Professors  I 


Sommerl903j 

76          1 

24 

„     1878 

65 

14 

„     1850 

50          ' 

17 

.     1828 

38 

15 

1750  .... 

23*) 

29 


9  ,       64 

10  33 

8  21 

6  21 


I  Victoren 


*)  Davon  5  Theologen,  5  Juristen,  3  Mediziner  und  10  (?)  Philosophen  (die  philo- 
sophischen I^hrstühle  waren  mit  Jesuiten  besetzt).  Der  I^ektionskatalog  1780/81  ver- 
zeichnet 5  Ordinarien  in  der  theologischen  Fakultät,  5  in  der  juristischen,  5  in  der  medi- 
zinischen, 6  in  der  philosophischen;  außerdem  sind  2  I^ktoren  und  Lehrer  für  Reit-,  Fecht- 
und  Tanzkunst  vorhanden.  (.Außerordentliche  Professoren  sind  aufgeführt  1781/2:  1  Jurist, 
1   Kameralist,  1  Mediziner.) 

Das  Untern chttweten  im  Deutschen  Reich.    I.  30 


466  I->*e  einzelnen  Universitäten. 

Zahl    der  immatrikulierten    Studierenden. 


Semester 

Deutsche 

Sommer  1903 

4  439 

Winter     1902/3 

4020 

Sommer  1902 

4171 

Winter     1901/2 

3934 

Sommer  1901 

4154 

Winter    1900/01 

3938 

Sommer  1900 

3810 

Sommer  1890 

3375 

Winter     1880/81 

1765 

Bayern 

Sommer  1870 

1097 

Winter     1860/61 

1086 

Studienjahr  1849/50 

1725 

1839/40 

1  191 

1829/30 

1662 

1826/27 

♦) 

1771  ♦; 

*) 

Reichs- 
Ausländer 

Im  ganzen 

257 

4696 

259 

4279 

259 

4430 

269 

4203 

237 

4391 

246 

4184 

239 

4049 

176 

3  551 

125 

1890 

Nichtbayem 

Im  ganzen 

179 

1276 

226 

1312 

199 

1924 

149 

1340 

192 

1854 

*) 

1622 

*; 

ca.  600 

Zahl    der    als    Hörerinnen    zugelassenen    w  e  i  1)  1  i  c  li  e  ii 
Studierenden. 


Sommer  190:^  :«  Winler     1901  2 

Winter     1902/3 33  Sommer  19U1 

Sommer  1902  22  Winter     1900/1 


29 
26 
32 


Nach  Ministerial-Ent-scheidung  vom  21.  Sej)tember  1903  werden  vom  Winlersenie.'iler 
1903/4  ab  weibliche  Studierende,  welche  da-^  Reifezeugnis  eines  dcutsclicn  humanistischen 
Ciymnasiums  oder  eines  deutschen    Realg>  mnasiums  besitzen,  inimatrikulierl. 


*)  Personalverzeichnisse  liegen  für  Ingol.stadl  nicht  vor;  nur  Matrikeln»  in  denen 
nur  die  neu  immatrikulierten  Studenten  verzeichnet  »iind  und  nach  denen  der  (lesamtbestand 
an  Studierenden  nur  geschätzt  werden   kann. 

Neu  immatrikuliert  sind  für  das  Studienjahr  : 

1749.50  149  Studierende,  (lanmter  30  Theologen,  51  Juristen,  6  Mediziner,  59  Philosophen 

1750.51  149  „  „        28  „  61         „        7         „  46 
1751  52  157             „              „        25          „          39        „        7         „  75 


Hierbei  ist  jedt>ch  zu  beachten,  daÜ  aus  der  philosophischen  Fakultät,  der  jeder 
Student  zu  Anfang  seiner  Studien  zwei  Jahre  anzugehören  hatte,  später  auch  'ilieoh»gen, 
Juristen  un<l  Mediziner  hervorgingen. 


Die  Königl.  Bayerische  Ludwig-Maximilians-Universität  zu  München.  467 


Zahl    der    sonstigen    zum    Hören    der  Vorlesungen  Zugelassenen. 


Sommer  1903        241 

Winter     1902/3 214 

Sommer  1902        253 


Winter    1901/2 227 

Sommer  1901        184 

Winter     1900/1 198 


Zahl    der    Studierenden,    ausgeschieden    nach    Fakultäten. 


Seme'^ter 

c 

i 
c 

3 

Staatswissenschaft 
inkl.  Forstkandidaten 

Mediziner 
inkl.  Z^uärzte 

Philosophen 
I.  Seküon 

Philosophen 
II,  Sektion 

s 

3 

Sommer  1903 

161 

1630 

139 

1067 

921 

565 

213 

Winter 

1902/3 

155 

1390 

142 

1057 

802 

533 

200 

Sommer  1900 

159 

1383 

1% 

1220 

687 

545 

201 

Sommer 

1895 

139 

1202 

114 

1227 

432 

284 

264 

Sommer  1890 

150 

1393 

104 

1105 

302 

;     221 

276 

Winter 

1880/81 

89 

571 

120 

464 

319 

203 

124 

Sommer 

1870 

102 

462 

19 

270 

316 

36 

71 

Winter 

1860/61 

151 

469    , 

45 

179 

412 

56 

Studienjahr 

1850/51 

279 

809 

39 

212 

439 

39      ' 

(bersicht    über   die    Einnahmen    des    Universitätsfonds. 


Etatsjahr 

Aus  eigenem     ' 
Vermögen  und   ^ 

Stiftungen 
(Stiftungsmitteln) ; 

'  1 

Aus  dem 
Betrieb  der 
Universitäts- 
Attribute 
(Kliniken) 

Staatszuschuß 

Im  ganzen 

Mark 

Mark 

Mark 

Mark 

1902 

306521,77 

64  994,46 

1002216,69 

1373732,92 

1890 

264057,07 

17  887,91 

791  857,83 

1073802,81 

1878 

240853,52 

5  264,70 

485787,37 

731  905,59 

Gulden 

(lulden 

Gulden 

Gulden 

1865/66 

72011 

3  346 

62400 

137  758 

1850/51 

87  749 

3  287 

42400 

133  437 

30* 


468 

Die  einzelnen  Universitäten. 

Übersicht    über    die    ordentlichen    und    außerordentlich 

en    Aus- 

gaben    der    Universität. 

i 

1902           1890 

1878 

1865/66 

'     1 
1850/51    i 

Mark           Mark 

Mark 

Gulden 

Gulden    1 

1. 

Auf  die  Erhebung    u.  Ver- 
waltung (Besoldungen    und 

1 

sachliche  Bedürfnisse)    .     . 

26584,08   22  766,12 

19951,28 

4121 

4966 

2. 

Rektorat    und    Senat    (Be- 
soldungen der  Beamten  und 

i 

sachliche  Bedürfnisse)     .     . 

39699,23   27  378,92 

22  204,86 

7209 

6  793 

3. 

I>ehramt  (Besoldungen  und 
Remunerationen     der    Pro- 

fessoren und  Dozenten) .     . 

579766,53462112,41 

395545,96 

107  488 

59  997 

4. 

Amtskleidung  der  Professo- 
ren   und  Regieaversen    der 

Dekane 

1992,20     2  078,49 

1568,37 

378 

463 

5. 

Für    Institute    und    Samm- 
lungen (Personal-  und  Real- 

' 

exigenz) 

441101,29  383878,33 

122  033,46 

19835 

14  351 

6. 

UnterstüUungen    .... 

2413     '     1836 

1392,89 

1080 

— 

7. 

Umzugsgebühren   .... 

8728,15     3000 

— 

• 

— 

8. 

Akademische  Feierlichkeiten 

17%     '     2  018,64 

1  817,48 

995 

1  162 

9. 

Beheizung ,       Beleuchtung, 

Reinigung  und  Möblierung 

39  863,50   21588,68 

16  570,55 

6898 

5647 

10. 

Bauausgaben 

28  389,10     9863,19 

51  645,70 

1863 

1696 

11. 

Stipendien  (Reiseslipendien) 

20508,31;  14  740,31 

— 

— 

— 

12. 

Pensionen  u.  Alimentalionen 

53  037,52    42  453,70 

24  564,30 

6  883 

8698 

13. 

ÖfTentliche     Abgaben     und 

Lasten 

11554,82    10391,64 

12  141,10 

4  351 

3  928 

14. 

Auf  die  Schuldentilgung  für 

das  Universitätsgebäude 

15  360         15  360 

15360 

3853 

7  150 

15. 

Unterhalt    der  rentierlichen 
Anwesen,  öffentliche  Insten 
derselben    und    Verzinsung 
der  auf  denselben  ruhenden 

Kapitalien 

29172,99    10160 

— 

— 

— 

16. 

Besondere     und     unvorher- 

gesehene Ausijaben    . 

20  244,35    10426,89 

982,43 

5300 

— 

17. 

Für     Konvikle      und      Sti- 

Mark 

Mark 

pendien    

72  313,54    70  797,68 

64  388,46 

51  709,72 

39426,86 

G.  V.  M  a  y  r. 


XII.  Die  Königlich  Bayerische  Julius -Maximilians- 
Universität  zu  Würzburg. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Den  ersten  Versuch,  in  Würzburg  eine  Universität  zu  gründen, 
machte  der  Fürstbischof  Johann  v.  Egloffstein,  der  am  10.  Dezember 
1402  die  päpstlichen  Privilegien  hierfür  erhielt.  Die  Universität  muß 
auch  bald  nach  1402  ins  Leben  getreten  sein,  konnte  sich  aber  nur 
etwa  ein  Jahrzehnt  halten,  da  ihre  Dotation  nicht  auf  eigenes  Ver- 
mögen sich  stützte. 

Glücklicher  war  der  Fürstbischof  Julius  Echter  von  Mespel- 
brunn,  eine  wahrhafte  Herrschernatur,  der  es  im  Interesse  seines 
Hochstiftes  und  der  katholischen  Restauration  für  nötig  fand,  eine 
Universität  zu  errichten.  Am  28.  März  1575  erhielt  er  das  päpst- 
liche Privileg  und  am  11.  Mai  des  gleichen  Jahres  das  kaiserliche. 
Eine  eigentliche    Stiftungsurkunde  hat  es  indessen    niemals    gegeben. 

Die  Inauguration  der  neuen  Universität  fand  am  2.  Januar  1582 
statt.  Am  8.  Juli  1582  wurde  der  Grundstein  zu  dem  Universitäts- 
gebäude und  der  Universitätskirche  gelegt;  als  Platz  wurde  das 
ehemalige  weibliche  Ulrichskloster  und  Umgebung  gewählt. 

Die  Dotation  der  Universität  wurde  in  der  Weise  bewirkt,  daß 
zwei  Frauenklöster  Mariaburghausen  bei  Haßfurt  und  Klosterhausen 
bei  Kissingen,  die  nicht  mehr  lebensfähig  waren,  aufgehoben  und 
ihre  Güter  und  Erträgnisse  der  Hochschule  zugewiesen  wurden.  Auch 
noch  andere  Klöster  und  Stifte  wurden  zu  Beiträgen  verpflichtet. 
Bei  der  Dotierung  wurde  die  Universität  nicht  als  Gesamtheit  ge- 
dacht, sondern  in  Korporationen  aufgelöst:  die  Ausstattung  der  phi- 
losophischen und  theologischen  Fakultät  fiel  mit  der  Dotierung  des 
geistlichen  Seminars  zusammen,  die  juristische  Fakultät  und  die  medi- 
zinische erhielten  ihr  eigenes  Vermögen.  Die  Verschmelzung  dieser 
Fonds  erfolgte  erst  1726. 


470  ^^»e  einzelnen  rniversitäten. 

Für  den  Charakter  der  neuen  Hochiichule  ist  wesentlich,  daß  die  theologische 
und  philosophische  Fakultät  in  die  Flände  des  Jesuitenordens  gelegt  und  das  Gymnasium 
unmittelbar  mit  der  Universität  verbunden  wurde.  Die  Besetzung  der  Lehrstühle  in  der 
medizinischen  und  juristischen  Fakultät  konnte  erst  im  I^ufe  der  Jahre  vollzogen  w^erden. 
Ende  1588  aber  war  der  Ausbau  der  Universität  in  der  Hauptsache  beendet.  Auch  ihre 
staatsrechtliche  Grundlage  war  gesichert,  indem  das  Domkapitel,  welches  lange  Zeit  der 
neuen  Schöpfung  widerstrebt  hatte,  am  5.  Dezember  1587  sich  dazu  verstand,  den  ersten 
Statuten  seine  Zustimmung  zu  geben.  Die  Universität  war  keine  Privalstiftung  des 
Fürsten,  sondern  eine  I  ^ndesstiftung.  Es  kann  daher  auch  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, daß  die  Bestimmungen  der  Universität,  die  anfangs  klar  und  deutlich  auf  das 
Konzilium  von  Trient  gestellt  waren,  von  den  späteren  Ijmdesherren  modifiziert  werden 
konnten.  Das  Recht,  die  Statuten  den  /^itverhältnlssen  entsprechend  zu  ändern,  ist 
übrigens  ausdrücklich  vorgesehen. 

In  ihrem  Stillleben  wurde  die  Universität  im  I^ufe  des  30  jährigen  Krieges  gestört. 
Als  die  Stadt  Würzburg  von  den  Schweden  okkupiert  wurde,  löste  sich  die  Universität 
von  selbst  auf.  Die  weimarische  Zwischenregierung  trug  sich  mit  dem  Gedanken,  die- 
selbe auf  protestantischer  Grundlage  neu  aufzubauen.  Allein  die  politischen  Ereignisse 
bereiteten  ihrem  Wirken  1634-  ein  jähes  Ende.  Mit  dem  1.  Oktober  1636  beginnt 
wieder  die  Immatrikulation  nach  altem  Stile. 

Etwas  Bedeutsames  läßt  sich  aus  dem  Wirken  der  Universität  in  der  ersten  Zeit 
ihres  Bestandes  nicht  herausheben.  Höchstens  wären  die  Jesuitenpatres  .\nast.  Kircher 
(1629 — 1631)  und  Casp.  Schott  (1655 — 1666)  zu  nennen,  die  sich  mit  physikalischen  Ex- 
perimenten beschäftigten. 

Die  erste  Schmälerung  der  Machtstellung  der  Jesuiten  an  der  Universität  trat  ein, 
als  Johann  Philipp  von  Schönbom  1654  die  Direktion  des  Klerikalseminars  den  Bartho- 
lomiten  (einem  Verein  von  Weltgeistlichen  mit  gemeinsamem  I^ben)  übertrug.  Auch 
als  im  Jahre  1679  diese  im  Hochstift  aufgehoben  wurden,  kam  die  Leitung  des  geist- 
lichen Seminars  nicht  mehr  an  den  Jesuitenorden  zurück.  Der  exklusiv  katholische 
Charakter  der  Universität  lockerte  sich  weiter,  als  Friedrich  Karl  v.  Schönbom  (1729 
bis  1746)  in  einer  beachtenswerten  Studienordnung  auch  nichtkatht>lischen  christlichen 
Studierenden  den  Zugang  zur  Lniversitiit  eröffnete,  wenngleich  sie  noch  von  den  aka- 
demischen Graden  ausgeschlossen  blieben.  Solche  konnten  Protestanten  or<l  seit  1776  in 
der  Medizin  erlangen. 

Unter  Adam  Friedrich  v.  Sein.sheim  (1755 — 1779j  fing  der  Jesuilismus,  auf  dem 
unsere  Hochschule  aufgebaut  war,  noch  mehr  ins  Wanken  zu  geraten,  ja  zum  Teil 
scheinen  die  Patres  bereits  an  sich  selbst  irre  geworden  zu  sein,  wie  che  Tatsache  lie- 
weist,  daß  P.  Burghäuser  1767  Wolfsche  Philosophie  zu  lesen  begann.  Energischer 
gegen  den  Orden  vorzugehen,  wie  es  geplant  war,  erübrigte  sich,  da  dieser  1773  von 
Papst  Clemens  XI\'.  aufgehoben   wurde. 

Damit  tritt  die  Universität  in  ihre  II.  Periode.  Ks  war  jetzt  der  Boden  für 
Reformen  ge^^chutVen,  und  solche  blieben  auch  nicht  aus.  Das  merkwürdigste  Faktum 
ist,  daß  I)r.  Malernus  Keuß,  ursprünglich  Ar/t,  spater  Benediktiner  und  Professor  der 
Phihisophie,  der  sich  für  das  Kant'sche  .System  begeistert  hatte,  von  dem  Für>tbischof 
Franz  Ludwig  von  Frthal  (1777 — 1795)  ein  Stipendium  erhielt,  um  nach  Königsberg  zu 
reisen  und  sich  persönlicli  mit  Kant  in  Beziehungen  zu  setzen.  Die  Vorlesungen,  die 
dann  Reuß  in  Würzburg  über  Kanl'sche  Philosoj)hic  hielt,  landen  ungeheuren  Beifall, 
und  der  Fürstbischof  schützte  auch  den  Professor  gegen  die  .\ngritie  seiner  geschäftigen 
( legner. 

Die  .Aufklarung  drang  selbst  in  die  theoloi^ische  Fakultät  ein,  wo  wir  eine  Reihe 
fortgeschrittener  Professoren  wie  Oberthür,  Onynuis,  Berg  finden.  Die  lateinische 
Sj)rache  wurde  in  dieser  Fakultät    in  ihrer  .Anwendung    eingeengt  und  die  deutsche  kam 


Die  Königl.  Bayerische  Julius  Maximilians-Univereität  zu  Würzburg.  471 

trotz  aller  anfänglichen  Abneigung  auch  bei  den  andern  Fakultäten  immer  mehr  in 
Aufnahme.     Die    Lektionskataloge    erscheinen    seit  W.-S.  1786/87    in    deutscher  Sprache. 

1794  wurde  die  unnatürliche  Verbindung  des  Ciymnasiums  mit  der  Universität 
gelöst  und  damit  die  philosophische  Fakultät  erst  den  drei  andeni  Fakultäten  ebenbürtig 
gemacht.  Die  Professur  für  die  Profangeschichte,  die  auf  Anregung  des  bekannten  Ge- 
schichtsschreibers M.  J.  Schmidt  von  der  Kirchengeschichte  abgetrennt,  aber  noch  m  der 
theologischen  Fakultät  festgehalten  worden  war,  wurde  nun  in  die  philosophische  Fa- 
kultät übergeführt.  Die  Aufklärungstendenzen  erhielten  in  den  Würzburger  „Gelehrten 
Anzeigen"  ein  eigenes  Organ,  für  das  der  Fürstbischof  sogar  Zensurfreiheit  und  eine 
Unterstützung  aus  Universitätsmitteln  gewährte.  Die  juristische  Fakultät  zählte  einige 
tüchtige  Vertreter,  die  medizinische  wurde  mit  einer  Reihe  neuer  Attribute  bereichert, 
und  mit  den  verschiedenen  Personen  des  Geschlechts  Siebold  beginnt  ihr  Emporblühen. 
Kein  Wunder,  wenn  beim  Jubiläum  1782  Franz  Ludwig  von  Erthal  die  Genugtuung  er- 
lebte, daß  man  seine  Universität  die  beste  katholische  nach  Wien  nannte. 

Nach  dieser  kurzen  Epoche  beginnt  eine  neue  IIL,  als  das  Hochstift  1802  an 
Kurbayem  kam.  Durch  das  Religionsedikt  vom  20.  Januar  1803  wurden  „allen  christlichen 
Religionsverwandten**  in  den  fränkischen  Provinzen  gleiche  Rechte  und  gleiche  Reli- 
gionsübung zugesichert.  Dieser  Schritt  mußte  auch  die  Verfassung  der  Universität 
gänzlich  umgestalten  und  die  ausschließliche  Herrschaft  des  Katholizismus  an  der- 
selben brechen. 

Die  Universität  erhielt  an\  11.  November  1803  eine  Organisationsakte,  die  in  dem- 
selben Geiste  verfaßt  ist,  wie  die  von  Friedrich  Karl  am  9.  Mai  1803  fiir  Heidelberg 
gegebene.  Die  Fakultätverfassung  wurde  darin  aufgehoben,  die  Lehrfächer  wurden  in 
zwei  große  Gruppen:  allgemeine  und  besondere  Wissenschaften,  und  jede  wieder  in 
4  Sektionen  zerlegt.  Die  Sektionen  der  ersten  Gruppe  umfaßten  die  philosophischen 
Wissenschaften  im  engem  Sinne,  die  mathematischen  und  Naturwissenschaften,  die  Ge- 
schichtswissenschaften mit  Einschluß  der  Kulturgeschichte,  Literaturgeschichte  und  Ge- 
>chichte  der  Wissenschaften  überhaupt,  die  schönen  Künste  und  philologischen  Disziplinen, 
die  zweite  die  theologischen,  juristischen,  staalswirtschafdichen  und  medizinischen  Dis- 
ziplinen. Die  einschneidendste  Maßregel  war,  daß  die  protestantische  Theologie  in  den 
L'niversitätsorganismus  eingefügt  und,  was  für  den  Geist  jener  Zeit  bezeichnend  Ist,  mit 
der  katholischen  Theologie  zu  einer  „Sektion  der  fiir  die  Bildung  des  religiösen  Volks- 
Ichrers  erforderlichen  Kenntnisse**  vereinigt  wurde.  Die  staatwirtschaftliche  oder  kame- 
ralistische  Sektion  hatte  einen  technischen  Charakter,  sie  lunfaßte  I^ndwirtschaft,  Berg-, 
l'\)rstwissenschaft,  Technologie,  Handlungswissenschaft.  In  der  medizinischen  Sektion 
war  auch  die  Thierarzneikunde  vorgesehen.  Weiterhin  war  wichtig,  daß  das  Institut  der 
Privatdozenten  eingeführt  wurde.  Berufungen  wurden  in  großartigem  Maßstab  ein- 
geleitet:  Paulus,  Daub,  Hufeland,  Succow  und  andere  wurden  gewonnen.  Die  bedeutendste 
Akquisition  war  die  des  Philosophen  Schelling. 

Die  Universität  nahm  unter  diesem  System  einen  ungeahnten  Aufechwung;  die 
Zuhörerzahl  stieg  aufs  doppelte. 

I^eider  war  dieser  Blüte  nur  eine  kurze  Dauer  beschieden.  1806  fiel  das  ehemalige 
Hochstift  als  Großherzogtum  an  Ferdinand  von  Toskana,  damit  begann  die  IV.  Periode,  die 
Restauration.  Die  Universität  war  dem  neuen  Herrscher  sichtlich  unbequem.  Die 
engherzige  Regierung  wagte  zwar  nicht  sie  aufzuheben,  aber  sie  gab  der  Universität  am 
7.  September  1809  eine  neue  Organisationsakte.  Ihre  Tendenz  leuchtet  gleich  aus  den 
Eingangsworten  hervor,  in  denen  der  Universität  der  Charakter  einer  kathoUschen  gegeben 
wird.  Ja  die  Regierung  ging  sogar  soweit,  daß  sie  die  Universität  lediglich  ab  eine 
katholische  Stiftung  zu  konstituieren  suchte  und  auch  konsequent  sie  auf  ihre  eigenen 
Einnahmen,  unter  Ausschluß  von  Staatszuschüssen,  verwies  (§  82).  Die  Fakultätsverfassung 
wurde  wieder  hergestellt,  da  die  Mängel  der  zum  l'eil  zu  kleinen  Sektionen  zu   sehr  zu- 


472  ^*c  einzelnen  Universitäten. 

tage  traten ;  das  geistliche  dem  Bischof  unterstellte  Seminar  bildete  zugleich  die  theologische 
Fakultät.  Das  Vorschlagsrecht  der  Fakultäten  wurde  nur  wirksam,  wenn  von  Seiten  der 
Regierung  eine  ausdrückliche  Aufforderung  in  dieser  Beziehung  erging.  Das  Institut  der 
Privatdozenten  wurde  abgeschafft;  die  Professoren  waren  gehalten,  „die  Kompendien,  nach 
welchen  sie  lasen,  der  Kuratel  vorläufig  anzuzeigen";  es  war  ihnen  untersagt,  „nach 
Manuskripten  oder  eigenen  geschriebenen  Heften  zu  lesen".  Jeder  Professor  ordinarias 
sollte  in  allen  Fächern  seiner  Fakultät  bewandert  sein  und  mußte  auf  Befehl  das  eine 
oder  andere  Fach  übernehmen;  auch  hatte  er  vormittags  2  Stunden  imd  nachmittags 
wenigstens  1  Stunde  zu  dozieren;  alle  Vorlesungen  galten  als  publica. 

Minister  Wolkenstein  soll  1807  geäußert  haben,  „daß  ihm  nichts  lieber  sei,  als 
wenn  man  von  Würzbiurg  im  Ausland  gar  nicht  rede".  Dies  Ziel  wurde  hinsichtlich  der 
Universität  auch  vollkommen  erreicht.  Mit  den  kurbayerischen  Profesisoren  wanderten  auch 
die  Studenten  fort.  Im  letzten  Halbjahr  der  fürstbischöflichen  Zeit  hatte  die  Gesamtzahl 
der  Studenten  363  betragen,  in  der  bayerischen  Zeit  war  sie  im  S.-S.  1804  auf  631  und 
im  W.-S.  1804/5  sogar  auf  730  gestiegen,  in  der  großherzoglichen  Periode  waren  es  nach 
1809  noch  309,  um  zuletzt  unter  300  herunterzusinken. 

Zum  Glück  währte  die  rückschrittliche  Regierung  des  toskanlschen  Hauses  nicht 
lange.     1814  kam   zum  zweitenmal  und  dauernd  die  Universität  an  das  Haus  Witteisbach. 

In  der  Zeit  1814 — 1848,  die  als  eine  V.  Periode  gelten  kann, 
wurden  die  allergröbsten  Mißstände  der  großherzoglichen  Organisation 
beseitigt,  indem  die  für  Landshut  am  26.  Januar  1804  ergangene 
Verordnung  sinngemäß  auch  auf  Würzburg  Anwendung  fand*) ;  auch 
wurde  der  Selbstverwaltung  insofern  Rechnung  getragen,  als  anStelle  des 
unmittelbar  unter  staatlicher  Verwaltung  stehenden  Rezeptorates  durch 
Reskript  vom  30.  September  1819  ein  aus  Professoren  bestehender 
Verwaltungsausschuß  eingeführt  wurde.  Allein  zu  dem  großen  Ge- 
danken von  1803  vermochte  man  sich  doch  nicht  wieder  aufzu- 
schwingen**). Die  politische  Reaktion  ergoß  ihre  trüben  Fluten  auch 
über  die  Universitäten,  und  Würzburg  blieb  gleich  den  anderen  nicht 
verschont.  In  der  juristischen  Fakultät  allein  wurden  1821 — 1841  nicht 
weniger  als  8  mißliebig  gewordene  Professoren  ihres  Amtes  enthoben 
oder  in  Beamtenstellungen  geschoben;  das  Traurigste  war,  daß  auch 


*)  Vgl.  die  Äußerung  des  Ministers  Krhr.  v.  Cniilsheim  in  der  Sitzung  der  K.  d. 
Abg.  vom  21.  März  1890  (Stenogr.  IJer.  1kl.  V,  S.  468)  und  Seydel,  Bayer.  Staatsrecht 
VI.  Bd.  (1893)  S.  477. 

**)  Nach  der  \'erordnung  vom  18.  November  1814  bestanden  Zwangskollegien,  regel- 
mäßige Prüfungen  wurden  auferlegt,  der  Besuch  auswärtiger  Universitäten  verboten.  Die 
Satzungen  vom  26.  November  1827  beseitigten  den  Kollegienzwang  und  die  Semestral- 
prüfungen  und  gestatteten  den  Besuch  fremder  Universitäten;  allein  nach  der  Ordnung 
vom  23.  November  1832  hatten  wieder  alle  Inländer  vor  einer  Kommission  der  philo>. 
Fakultät  eine  „durchaus  unerläßliche  IVüfung  aus  den  allgemeinen  Fächeni,  d.  h.  über 
Logik,  allgemeine  Geschichte,  Philologie,  Mathematik  bis  zur  sphärischen  Trigonometrie, 
femer  über  Naturgeschichte  und  Physik  zu  bestehen,  in  ihren  Fachstudien  die  Reihenfolge 
der  einzelnen  Wissenschaften  im  wesentlichen  einzuhalten".  1849  wurde  der  Selbst- 
bestimmung der  Studenten  volle  PVeiheit  gewährt. 


Die  Königl.  Bayerische  Jiüius-Maximilians-Universität  zu  Würzburg.  473 

der  damals  genialste  Mann  unserer  Universität,  der  berühmte  Kliniker 
Schönlein,  dieser  Strömung  zum  Opfer  fiel. 

Mit  dem  Regierungsantritt  des  für  die  Wissenschaften  begeisterten 
Königs  Max  II.  hebt  eine  neue,  die  VI.  Epoche,  an;  die  volle  akade- 
mische Lehr-  und  Lemfreiheit  wurde  gewährt;  er  und  sein  Nachfolger 
Ludwig  II.  waren  aufs  ernstlichste  bestrebt,  die  Universität  zu  fördern, 
und  trotz  mancher  historisch  erklärbarer  Schwierigkeiten  ist  ihnen 
das  auch  in  hohem  Maße  gelungen.  In  den  Bahnen  dieser  edlen 
Vorgänger  bewegt  sich  auch  das  milde  Regiment  des  Prinzregenten 
Luitpold. 

In  der  äußeren  Organisation  ist  als  bemerkenswert  hervorzuheben, 
daß  am  15.  August  1822  eine  staatswirtschaftliche  Fakultät  mit  5  Pro- 
fessoren errichtet  wurde ;  dieselbe  war  nicht  lebensfähig,  da  sie  keinen 
eigenen  Grundstock  von  Studenten  hatte ;  sie  wurde  daher  am  5.  No- 
vember 1878  aufgelöst  und  mit  der  juristischen  zu  einer  rechts-  und 
staatswissenschaftlichen  Fakultät  verschmolzen.  Die  Technologie  kam 
in  die  philosophische  Fakultät,  die  übrigen  technischen  Disziplinen 
hatte  man  im  Lauf  der  Jahre  nicht  mehr  besetzt. 

Eine  tief  einschneidende  Maßregel  war  die  Teilung  der  philo- 
sophischen Fakultät  in  zwei  Sektionen:  in  eine  philologisch -histo- 
rische und  eine  naturwissenschaftlich-mathematische.  Diese  Sektionen 
sind  im  Grunde  genommen  2  Fakultäten,  da  sie  in  Promotions-,  Habili- 
tations-  und  Berufungssachen  getrennt  verhandeln  und  nur  noch  den 
Dekan  und  einige  wenige  Materien  gemeinsam  haben.  Diese  Teilung 
erfolgte  durch  Verordnung  vom  29.  September  1873. 

Im  19.  Jahrhundert  gelangten  die  medizinische  Fakultät  und  die 
Naturwissenschaften  zu  ganz  besonderer  Blüte.  Die  Neubauten  für 
die  medizinischen  und  naturwissenschaftlichen  Fächer  fallen  fast  ganz 
in  die  Regierung  Ludwigs  II.  und  des  derzeitigen  Herrschers  Prinz- 
regenten Luitpold. 

Da  auch  die  anderen  Fakultäten,  besonders  die  rechts-  und 
staatswissenschaftliche,  einen  bedeutenden  Aufschwung  erlebten,  erwies 
sich  das  alte  ehrwürdige  Universitätsgebäude  trotz  der  Auswanderung 
verschiedener  naturwissenschaftlicher  Institute  zu  klein  und  nicht  mehr 
seinen  Zwecken  genügend.  Man  entschloß  sich,  dasselbe  in  der  Haupt- 
sache der  Bibliothek  zu  überlassen,  und  am  Sanderring  erhob  sich 
ein  prächtiger  Neubau,  der  am  28.  Oktober  18%  seiner  Bestimmung 
übergeben  wurde. 


474  I^^c  einzelnen  Universitäten. 

Halten  wir  Umschau,  welche  Namen  in  der  Geschichte  der  Uni- 
versität während  der  letzten  zwei  Jahrhunderte  einen  unvergäng- 
lichen Platz  sich  erworben,  so  finden  wir,  daß  ihre  Zahl  nicht 
gering  ist*). 

Unter  den  Theologen  sind  zu  erwähnen  die  sog.  Wircebur- 
genses  (Kilber,  Seiz,  Munier,  Holtzclau,  Neubauer),  welche  die  ge- 
samten theologischen  Disziplinen  in  einem  Kursus  von  Lehrbüchern 
bearbeiteten,  die  man  gewöhnlich  Theologia  Wirceburgensis  nennt; 
sie  erschien  in  Würzburg  1766 — 1771  in  14  Bänden  und  hat  noch  in 
neuerer  Zeit  eine  'X  Auflage  erlebt  zu  Paris  in  10  Bänden  1879/80. 
Aus  der  Aufklärungsepoche  sind  zu  nennen  Fr.  Oberthür  (1773  bis 
1803,  1804 — 1809),  auch  bekannt  durch  seine  Kirchenväterausgaben, 
Ad.  Joh.  Onymus  (17&3— 1809,  1814—1824),  Franz  Berg  (1785  bis 
1806,  1811—1826**).  Unter  den  neueren  nennen  wir  den  wegen 
seines  Freimuts  gemaßregelten  Kirchenhistoriker  J.  B.  Schwab  (1840 
bis  1851),  den  Dogmätiker  Georg  Anton  Stahl  (1836—1840)  und 
den  Exegeten  Valentin  Reißmann  (1834 — 1847),  beide  später  Bi- 
schöfe von  Würzburg,  ferner  den  Kirchenhistoriker  Jos.  Hergen röth er 
(1852—1879),  seit  1879  Kardinal,  den  Apologeten  Franz  Hettinger 
(1856-1890),  den  Dogmätiker  H.Denzinger  (1849-1883),  den  neu- 
testamentlichen  Exegeten  P.  Schegg  (1868 — 1872). 

In  der  juristischen  Fakultät  traten  besonders  hervor  Joh.  Casp. 
Barthel  (1727 — 1771),  der  als  der  Begründer  einer  neuen  Schule 
unter  den  katholischen  Kanonisten  Deutschlands  gilt;  Joh.  Ad. 
Ickstatt  (1731—1740),  Prof  des  öffentl.  Rechts,  ein  in  jeder  Hinsicht 
genialer  Mann,  dessen  späterer  Wirkungskreis  München  und  Ingolstadt 
war;  J.  P.  Banniza  (1734 — 1754;,  hier  der  erste  Lehrer  des  Reichs- 
prozesses und  der  peinlichen  Rechte;  Jos.  Maria  Schneidt  (1765  bis 
1803),  Herausgeber  des  umfangreichen  Werkes  Thesaurus  juris  franco- 
nici  (10  Bde.);  G.  A.  C.  Klcinschrod  (1785—1824),  in  Würzburg 
erster  Vertreter  des  von  der  Aufklärungsphilosophie  beeinflußten 
Strafrechts;  W.  Jos.  Behr,  Publizist  (17W— 1821),  später  durch  sein 
politisches  Martyrium  genügsam  bekannt  geworden;  Gottlieb  Hufe- 
land  (1803— 18(K)),  einer  der  berühmtesten  Juristen  seiner  Zeit,  der 
auch  in  den  Staats  wirtschaftlichen  Fächern  einen  Namen  hat ;    A.  Fr. 


*)  Es  sind  nur  Ncrstorbene  berücksichtigt;  die  eingeklammerten   Zahlen    hcdeiilen 
die  Zeit  ihres  Wirkens  an  der  rniversität. 

**)  Bei  der  Reaktivierung  im  September  1811   der  Juristenfakultät    ab    Lehrer    <ler 
Universalgeschichte  zugewiesen. 


fc> 


Die  Königl.  Bayerische  Julius-Maximilians-Üniversität  zu  Würzburg.  475 

Ringelmann  (1825-1838)  und  L.  C.  H.  v.  d.  Pfordten  (18:«  bis 
1841),  beide  später  bayerische  Minister;  Carl  Edel  (1840—1890)  und 
J.  Pözl  (1843—1847),  beide  hervorragende  Parlamentarier;  C.  H. 
Hildenbrand  (1847—1871),  Rechtsphilosoph;  Ludwig  Weiß  (1851 
bis  1858),  der  spätere  Parlamentarier;  Albert  Koppen  (1864—1872), 
Hugo  Böhlau  (1882—1887). 

In  der  medizinischen  Fakultät  ragt  im  18.  Jahrhundert  hervor 
der  im  Auslande  ausgebildete  C.  C.  v.  Siebold  (f  1807j,  der  zuerst  in 
Würzburg  einen  regelrechten  anatomischen  Unterricht  mit  Präparier- 
übungen einführte  und  auf  den  die  gesamte  Reorganisation  des  medi- 
zinischen Unterrichts  zurückgeht.  Seine  ausgezeichneten  Söhne  Georg 
Christoph,  Barthel  und  Elias  schließen  sich  ihm  würdig  an.  Das 
19.  Jahrhundert  weist  die  glänzendsten  Namen  der  deutschen  Medizin 
auf.  In  der  innern  Medizin  machte  sich  N.  A.  Friedreich  (1795 
bis  1824)  als  Entdecker  der  rheumatischen  Gesichtslähmung  bekannt, 
Meister  und  Bahnbrecher  waren  aber  Lucas  Schön  lein  (1819 — 1833), 
Begründer  der  naturwissenschaftlichen  Heilmethode,  Entdecker  des 
ersten  krankmachenden  Pilzes,  des  Favuspilzes,  später  in  Berlin  Leib- 
arzt Friedrich  Wilhelms  IV,  Heinrich  Bamberger  (1854—1872), 
C.  Gerhardt  (1860—1862,  1872—1885);  ihnen  reihen  sich  noch  an 
Fr.  Rienecker  (18:^7—1883),  Alois  Geigel  (1855—1887).  Als 
Gynäkologen  gelangten  zu  großer  Berühmtheit  A.  E.  v.  Siebold 
(1798—1816),  d'Outrepont  (1816— 1846),  Fr.  Kiwisch  (1846—1852), 
W.  Scanzoni  (1850—1888),  als  Chirurgen  C.v.  Textor  (1816-1861), 
Wenzel  Linhart  (1856-1877),  H.  Maas  (1883—1886),  als  Otriatiker 
Ant.  Fr.  Freiherr  v.  Tröltsch  (1861—1890),  der  als  Begründer  der 
Ohrenheilkunde  gilt  und  auch  den  Ohrenspiegel  erfand. 

Eine  Celebrität  ersten  Ranges  war  Bemh.  Heine  (1838 — 1846), 
der  Erfinder  des  Osteotoms  und  äußerst  erfolgreicher  Forscher  auf 
dem  Gebiet  der  Regeneration  der  Knochen. 

In  der  Anatomie  wirkte  bahnbrechend  Ign.  Döllinger  (1803 
bis  1824),  in  Würzburg  der  erste  Vertreter  der  vergleichenden  Ana- 
tomie und  Begründer  einer  besonderen  zootomisch-physiologischen 
Schule,  die  für  ganz  Deutschland  maßgebend  wurde.  Von  Döl- 
linger, Pander  und  d'Alton  wurden  in  Würzburg  1816  und  in 
den  folgenden  Jahren  die  berühmten  Untersuchungen  über  die  Ent- 
wicklung des  Hühnchens  ausgeführt.  Der  Nachfolger  DöUingers 
C.  F.  Heusinger  (1824-1829)  gründete  eine  eigene  zootomische 
Anstalt  als  Universitätsinstitut. 

Die   pathologische  Anatomie,    die  zum  ersten  Mal   als  alleiniges 


476  Die  einzelnen  l'niversi täten. 

0 

Nominalfach  B.  Mohr  (1839 — 1849)  vertrat,  wurde  zur  größten  Blüte 
gebracht  von  dem  Schöpfer  der  Cellularpathologie  R.  Virchow 
(1849-1856).     Sein  Nachfolger  war  J.  Th.  A.  Förster  (1858—1865). 

Die  Physiologie,  welche  Kölliker  1865  abgab,  vertrat  als  eigenes 
Fach  zuerst  A.  v.  Bezold  (1865 — 1868)  und  nach  dessen  baldigem 
Tode  Ad.  Fick,  der  als  einer  der  bedeutendsten  Repräsentanten 
der  mechanischen  Physiologie  1868  bis  1899  hier  wirkte. 

Noch  manche  medizinische  Celebritäten  begannen  in  Würzburg 
ihre  Laufbahn,  wie  Anton  Biermer  (1856 — 1861),  Nie.  Friedreich 
(1853—1858),  Carl  Gegenbauer  (1854—1855)  u.  a. 

Auch  die  philosophische  Fakultät  weist  eine  Reihe  be- 
deutender Forscher  auf.  Unter  den  Physikern  sind  zu  nennen  R.  I. 
E.  Claus ius  (1867 — 1869),  der  ruhmreiche  Forscher  auf  dem  Gebiete 
der  Wärmetheorie,  Aug.  Kundt  (1870-1872).*) 

Von  den  Chemikern  verdient  erwähnt  zu  werden  Joh.  Jos.  Scherer 
(1842 — 1869),  der  noch  der  medizinischen  Fakultät  angehörte,  Ad. 
Strecker  (1870—1871),  der  erste  Vertreter  der  Chemie  in  der  philo- 
sophischen Fakultät,  Joh.  Wisliccnus  (1871 — 1885),  später  in 
Leipzig,  und  der  Professor  der  chemischen  Technologie  Joh.  Rud. 
Wagner  (1857—1880). 

Von  den  Zoologen  war  kurz  in  Würzburg  tätig  als  Extraordinarius 
Carl  Claus  (185^> — 1863;;  eine  zoologische  Schule  gründete  in  Würz- 
burg Gottfr.  Semper  (186()— 18</2). 

Von  den  Botanikern  sind  zwei  zu  nennen  Aug.  Schenk  (1841 
bis  1868)  und  Julius  Sachs  (1868—1897),  einer  der  genialsten  Natur- 
forscher, durch  dessen  zahlreiche  Arbeiten  die  Kxperimentalphysiologie 
der  Pflanzen  großen  Aufschwung  genommen  hat. 

Von  den  Mineralogen  sind  hervorzuheben  Lud.  Rumpf  (1830 
bis  1862)  und  Fried.  Sandbergcr  (1863—1896). 

Unter  den  Mathematikern  sind  bekannt  Stahl  aus  Jena (1804  bis 
1806)  und  Christ,  v.  Staudt  (1824—1827),  einer  der  Begründer  der 
Geometrie  der  Lage. 

Unter  den  Philologen**)  haben  einen  Namen  Peter  Richarz(1817 
bis  1835),  nachmals  Bischof  von  Speier;  E.  v.  Lasaulx  (1835 — 1844), 


♦)  Ihnen    folgten  die  noch    lebenden   Herrn.  (Quincke  (1872—1875),    Friedr.  Kohl- 
rausch (1875—1888),  Wüh.  Konr.  Röntgen  (1888—1899). 

**)  Beziehungen  zur  Würzburger  Lniversilät  hatte  auch  Franz  liopp,  der  Begründer 
der  vergleichenden  Sprachwissenschaft,  der  1820  sich  in  Würzburg  habilitieren  wollte. 
Vergl.  den  Aufsatz  von  Martin  Schanz  in  der  Beil.  z.  Allg.  Ztg.  1882  No.  154. 


Die  Königl.  Bayerische  Juliiis-Maximilians-Universität  zu  Würzburg.  477 

mystisch  angehauchter  Philologe;  Ludwig  Urlichs  1855 — 1889),  ein 
vielseitiger  Gelehrter,  der  zum  ersten  Mal  in  Würzburg  die  Philologie 
in  modemer  Auffassung  vertrat;  W.  Studemund  (18(>8 — 1870),  be- 
rühmter Palimpsestentzifferer. 

Unter  den  Historikern  ragen  als  erste  Forscher  hervor  Georg 
V.  Eckhard  (t  1730),  früher  Gehilfe  von  I^ibnitz  in  dessen  historischen 
Arbeiten;  Ign.  Mich.  Schmidt  (1771  —  1780),  Verfasser  des  Werkes 
„Geschichte  der  Deutschen".  Aus  der  neueren  Zeit  ist  F.  X.  We- 
gele  (1857—1897)  zu  nennen. 

Als  erster  namhafter  Vertreter  der  germanischen  Philologie  er- 
scheint Math.  Lexer  (1869 — 1891),  hervorragend  in  der  deutschen 
Lexikographie. 

Von  den  Philosophen  wirkten  hier  außer  dem  schon  früher  er- 
wähnten Reuß  der  berühmte  Friedr.  Schelling  (1803 — 1808),  ferner 
Joh.  Jac.  Wagner  (1803—1809,  1815—1834),  und  Franz  Hoffmann 
(1835—1881),  warmer  Anhänger  der  Baaderschen  Philosophie  und 
Herausgeber  seiner  Werke. 

Fr.  Jos.  Fröhlich,  Professor  der  Ästhetik  und  Pädagogik  (1804 
bis  1855)  gründete  ein  musikalisches  Institut,  aus  dem  die  jetzige 
königliche  Musikschule  hervorging. 

2.   Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903)*). 

Die  katholische  theologische  Fakultät  zählt  7  ordentliche**; 
Professoren,  1  außerordentlichen  (für  semitische  Sprache  und  Literatur 
seit  1 894)  und  2  Privatdozenten.  Es  besteht  ein  theologisches  Konvikt, 
dessen  Anfange  bis  1574  zurückreichen.  Sein  jährlicher  Ausgabeetat 
beträgt  rund  50  000  Mark.  Zu  den  Attributen  der  theologischen  Fa- 
kultät gehören  ein  homiletisches  Seminar  (seit  1861)  mit  601  Mark  R.,  ein 
kirchenhistorisches  Seminar  (gegründet  1884)  mit  500  Mark  R.,  ein 
Seminar  für  alt-  und  neutestamentliche  Exegese  mit  400  Mark  R., 
ein  Seminar  für  semitische  Sprachen  mit  175  Mark  R.,  ein  patristisches 
Seminar  (gegründet  188())  mit  80  Mark  R.  Jahresetat. 

Die    rechts-    und     staatswissenschaftliche     Fakultät    zählt 


*)  Bezüglich  der  Ktatssummen  der  einzelnen  im  Folgenden  vorgeführten  Institute 
wird  bemerkt,  daß  nur  die  ordentlichen  (ständigen)  Bewilligungen  berücksichtigt  sind; 
mit  R.  ist  der  Kealbedarf,  mit  P.  der  Personalbedarf  bezeichnet:  in  letzterem  ist  nicht 
das  Gehalt  des  Institutvorstandes,  wohl  aber  das  der  Assistenten,  Diener  u-sw.  enthalten; 
freie  Dienstwohnungen  sind  nicht  gerechnet. 

**)  V.  Scholz,  Kihn,  Göpfert,  Schell,  Abert,  Weber,  Merkle. 


478  ^^^^  cioxelnen  rniversi täten. 

7  Ordhiarien*).  Der  Jahresetat  des  juristischen  Seminars  beträgt 
500  M.,  der  des  nationalökonomischen  Seminars  144  M.,  wozu  jedoch 
häufige  außerordentliche  Bewilligungen  kommen**).  Die  Bibliothek 
für  die  juristischen  Übungen  wurde  1875,  die  des  nationalökonomischen 
Seminars  1878  begründet. 

Die  medizinische  Fakultät  weist  1 0 ordentliche  Professoren***), 
12  außerordentliche  Professoren,  11  Privatdozenten  auf  Bezüglich 
ihrer  Institute  mögen  folgende  kurze  Angaben  orientieren: 

Das  anatomische  Institut  beginnt  mit  dem  „anatomischen  ITieater**  im  Garten- 
haus des  Julius-Hospitals  im  ersten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts.  1853  wunle  tin  neues 
Anatomiegebäude  bezogen,  als  aber  auch  dieses  bald  zu  klein  sich  erwies,  zur  Erbauung 
eines  dritten  geschritten  und  1883  seinem  Zwecke  übergeben. 

Der  Jahresetat  beträgt  H900  Mark  R.  und  8280  Mark  l\  (1  Prosektor,  2  Assi- 
stenten, 2  Diener,  1  Hausmeister);  für  vergleichende  .\natomie,  Histologie  und  Embr}ologie 
sind  1700  Mark  R.  und  3105  Mark  P.  (1   Prosektor,  1   Kustos)  ausgeworfen. 

Das  pathologische  Institut,  1850  von  Virchow  in  dem  ehemaligen  ersten  Anatomie- 
gebäude begründet,  wurde  1853  in  das  neue  Anatomiegebäude  vt^rlegt  und  erhielt  1878 
einen  eigenen  Neubau.  Der  Jahresetat  beträgt  8033  Mark  R.  und  5910  Mark  P. 
(2  Assistenten,  2  Diener). 

Das  physiologische  Institut,  anfänglich  in  dem  zweiten  Anatomiegebäude  unter- 
gebracht, bezog  1887  einen  eigenen  Neubau.  Jahresetat  7652  Mark  R.  und  4935  Mark  P. 
(2  Assistenten,  1   Diener). 

Das  hygienische  Institut,  1888  begründet,  nachdem  1887  die  Fächer  der  Poliklinik 
und  Hygiene  getrennt  worden  waren,  ist  im  medizinischen  Kollegienhaus  (ehemalige 
2.  Anatomie)  untergebracht.  Jahresetat  3500  Mark  R.  und  4545  Mark  P.  (2  Assistenten 
und  2  Diener).  Mit  dem  Institut  ist  die  Anstalt  für  baklt.Tiol«)gischc  l'ntersuchungen  in 
(.)ber-  und  Unterfranken  und  der  Pfalz  verbunden,  welche  ohne  besojulere  l)olatioii  au'^ 
eigenen  Einnahmen  nach  besonders  genehmigtem  Tarif  den  Aufwand  bestreitet. 

Das  ])harmak()logische  Institut,  aus  dem  1872  errichteten  PrivallalH»ratorium  des 
Professors  M.  J.  Rotibach  hervorgegajigen,  besteht  seit  1875  (damals  im  boiani-;(hen 
Museum  untergebracht)  als  l'niversitätsanslalt  und  bcHndet  sich  el)ejifalls  im  medizini>chen 
Kollegienhaus.     Jahresetat  1500  Mark  R.  und  2205  Mark  P.  {1   Assistent,  1    Diener). 

Die  medizinische  Klinik,  in  ihren  Anfangen  bis  1729  zurückreichend,  aber  erst 
mit  ihrer  Verjitlanzung  ins  Ju]iiLshüsj)ital  1769  lebensfähig  geworden,  hat  1876  ein  eigene> 
(iebäude  erhalten,  das  vom  Staiit  auf  juliusspilälischem  (irund  und  Hoden  in  engem 
Anschluß  an  die  Krankenräume  erbaut  i>t.  Da  die  Krankenpriege  dem  Spital  obliegt, 
NO  genügt  für  die  medizinische  Klinik  ein  Jahresetat  von  5300  Mark  R.  (darunter 
1500  M.  für  Freibetlen,  um  klinische  Kranke,  die  da-^  Spital  nicht  zu  verpflegen  braucht, 
aufzunehmen)  und  4555  Mark  P.  (2  Assistenten,  1  Diener).  Der  Klinik  für  Ilaui- 
krankeilen  und  Syj)hili.s  sind   1003  Mark   R.  und  840  Mark   P.  l1  Assistent)  zugesprochen. 

Die  chnurgi^che  Klinik  ist  el>enfalls  im  Juliushosi)ilal  zu  Hause.  1725  wurde 
zum  erstenmal    ein    wivsenschaflüch  gebildeter  <  )berwuiularzl    angestellt,    der    prakti>eheti 

*)   v.   Ijurekhard,  ().  Sehanz,  Ma\er,  Melker,  Meurer,  PiK)ty. 
'^*)   Die  wissensehafllichen  Arbeiten  tles  iialionalökonomiNchcji    Seminars    erscheinen 
unter  tleni    Titel  „Wirtschafts-  und  X'erwaltungsstudien  herausgegeben  von  Prof.  (i.  Schan/'*. 
\erlag  (i.   IJöhnie.  Leipzig  1884f.  (i)is  jetzt  19  Bände). 

***)  V.    Rindriei^ch,     Schönborn,     v.     Leube,     llofnieier,     Kunkel,     Stohr,     Lehmaini, 
Rieger,  v.  Frey,  IleÜ.     v.  KöHiker  liest  nicht  mehr. 


Die  Königl.  Bayerische  Julius-Maximilians-Universität  zu  Würzburg.  479 

rmerricht  in  Chirurgie  ani  Krankenbett  zu  erteilen  hatte,  1779  war  diese  Stelle  mit  der 
Professur  für  Chirurgie  vereinigt  und  von  K.  K.  v.  Siebold  zu  Ansehen  gebracht  worden, 
al)er  erst  1803  ein  eigener  Saal  für  Operationen,  ein  Instrumentarium  und  einige  Zimmer 
für  Neuoperierte  im  Vorderbau  des  Spitals  eingerichtet  worden.  Im  Jahr  1890  wurde 
t'in  Neubau  hergestellt  mit  einem  modernsten  Anforderungen  entsprechenden  Operations- 
saal usw.  Für  bakteriologische  Arbeiten  ist  ein  besonderes  chirurgisches  Laboratorium 
im  medizinischen  Kollegienhaus  eingerichtet.  Der  Jahresetat  der  chirurgischen  Klinik 
beträgt  10053  Mark  R.  und  3610  Mark  P.  (2  Assistenten,  2  Koassistenten,  1   Hausmeister). 

Was  die  Frauenklinik  anlangt,  so  wiu-de  der  Grund  gelegt  von  G.  C.  Siebold,  der 
1790  als  erster  Professor  der  Geburtshilfe  ernannt  wurde  und  ein  Entbindungshaus 
errichtete.  1805  wurde  das  Juliusspital  verpflichtet,  eine  Entbindungsanstalt  mit  Klinikum 
•gegen  Entschädigung  zur  Verfügung  zu  stellen.  1857  wurde  ein  Bau  aus  Kreismittelu 
hergestellt,  der  aber  1891  an  die  Universität  überging  und  hierbei  eine  beträchdiche  Er- 
weiterung erfuhr.  1901  wurde  auch  das  nebenliegende  Gebäude  der  bisherigen  Welz'schen 
Marienstifiung  dazu  gezogen.  Der  Jahresetat  beträgt  41  800  Mark  R.,  hierunter  sind 
7000  M.  Kreisdotatiou  mit  der  Verpflichtung  der  Verpflegung  von  armen  Kreisenden, 
5143  M.  Zuschüsse  djs  Staats  zur  Hebammenschule  und  17  660  M.  Verpflegungsgelder, 
den  Rest  trägt  die  Universität;  aber  was  über  17660  M.  an  Verpflegungsgeldern  ver- 
einnahmt wird,  fallt  der  Anstalt  zu.  Der  Personalbedarf  beträgt  10  290  M.  (4  Assistenten, 
1  Oberhebamme,  1   Ven^alter,  1   Hausmeister,  1  Diener). 

Die  Augenklinik  tritt  als  Universitätsinstitut  erst  1879  auf,  indem  vorher  die  durch 
Staatsmittel  unterstützte  Privalklinik  des  Prof.  Welz,  der  als  erster  Ordinarius  an  der 
Universität  die  Augenheilkunde  vertrat,  dasselbe  ersetzte.  1901  wurde  eine  großartige 
neue  Augenheilanstalt  eröffnet,  deren  Jahresetat  28500  Mark  R.  beträgt,  darunter  sind 
5000  M.  Zuschüsse  aus  der  Welz'schen  Stiftung  und  6000  M.  Einnahmen  aus  Ver- 
l)flegsgeldern;  den  Rest  trägt  auch  hier  wieder  die  Universität,  während  der  Überschuß 
über  die  etatisierten  Verpflegsgelder  der  Anstalt  zugute  kommt.  Der  Personalbedarf 
beträgt  6010  M.  (2  Assistenten,  2  Koassistenten,  2  Diener,  1  Heizer). 

Die  psychiatrischen  Kranken  wurden  früher  im  Juliusspital  untergebracht.  Der 
klinische  Unterricht  über  Geisteskrankheiten  wurde  1834  durch  Dr.  Marcus  begonnen. 
Im  Jahre  1884  erscheint  zum  erstenmal  ein  Ordinariat  für  Psychiatrie.  1888  wurde 
außerhalb  des  Spitals  für  die  Geisteskranken  ein  Privatanwesen  adaptiert;  dann  schritt 
man  am  Schalksberg  zu  einem  umfangreichen  Neubau,  der  1893  eröffnet  wurde.  Der 
Jdhresetat  beträgt  33  950  Mark  R.  und  4640  Mark  P.  (2  Assistenten) ;  dazu  kommen 
7200  M.  Zinsen,  die  das  Institut  der  Universität  vergütet;  die  Verpflegsgelder  sind  auf 
38900  M.  etatisiert. 

Die  Poliklinik  besteht  seit  1807;  von  1820 — 1831  war  sie  nicht  Universitätsattribut. 
1832  wurde  sie  wieder  mit  der  Universität  verbunden  und  ein  eigener  Professor  hierfür 
ernannt.      Der    Etat   beträgt  4829  Mark  R.  und  3900  Mark  P.  (2  Assistenten,  1   DienerJ. 

Für  die  Oirialik,  die  seit  1864  selbständig  vertreten  ist,  wurde  1876  eine  Poli- 
klinik gegründet,  die  sich  ebenfalls  im  medizinischen  Kollegienhaus  beHndet.  Ihr  Etat 
beträgt  2200  Mark  R.  und  318  Mark  P.  (1   Assistent). 

Die  gerichtliche  Medizin  ist  seit  1803  durch  einen  Extraordinarius  an  der  Universität 
vertreten. 

Die  Geschichte  der  Medizin  wurde  18%  von  der  pathologischen  Anatomie  ab- 
getrennt und  ein  Extraordinariat  für  Geschichte  der  Medizin,  medizinische  Geographie 
und  medizinische  Statistik  geschaflen. 

Das  zahnärtliche  Institut  erscheint  1901,  ist  aber  Privatinstitut  und  der  Universität 
nur  aggregiert. 

Die  Veterinärmedizin,  durch  die  Organisationsakte  von  1803  der  medizinischen 
Fakultät  einverleibt,  erhielt  sich  bis  1869  an  der  Universität. 


480  l^ie  einzelnen  Universitäten. 

Die  philosophische  Fakultät  zählt  in  der  mathematisch-natur- 
wissenschaftlichen Sektion  7  ordentliche*)  Professoren,  3  außerordent- 
liche, 6  Privatdozenten,  in  der  philologisch-historischen  Sektion 
12  ordentliche**)  Professoren,  4  außerordentliche  und  5  Privatdozenten, 
1   Lektor. 

Wir  unterscheiden  folgende  Fachgruppen: 

1 .  In  der  Philosophie  sind  tätig  2  Ordinarien,  ein  Extraordinarius 
und  2  Privatdozenten.  Das  psychologische  Institut  wurde  1899  be- 
gründet; dasselbe  wurde  bisher  durch  außerordentliche  Bewilligungen 
erhalten,  die  allerdings  einen  ständigen  Charakter  haben  (in  Zukunft 
500  Mark  R.  pro  Jahr).  Die  Pädagogik  ist  mit  einer  Professur  für 
klassische  Philologie  verbunden. 

2.  In  der  Altertumswissenschaft  sind  tätig  a)  für  klassische 
Philologie  2  Ordinarien  und  1  Extraordinarius,  ß)  für  alte  Geschichte 
1  Ordinarius,  y)  für  Archäologie  1  Ordinarius.  Außerdem  liest  ein 
Privatdozent  Kollegien  aus  dem  Gebiet  der  mittel-  und  neugriechischen 
Philologie.  An  Seminarien  bestehen  a)  ein  Seminar  und  ein  Pro- 
seminar für  klassische  Philologie;  das  erstere  wurde  begründet  1847  von 
Professor  Reuter,  das  Proseminar  1890.  Der  Jahresetat  beträgt 
1570  Mark  R.,  ß)  ein  Seminar  für  alte  Geschichte  (seit  1877)  mit  einem 
Jahresetat  von  675  Mark  R.  y)  Für  Archäologie  besteht  das  iLsthetisch- 
archäologische  Institut,  das  1832  als  „ästhetisches  Attribut"  begründet 
wurde,  mit  einem  derzeitigen  Jahresetat  von  86  Mark  R.  und 
2880  Mark  P.  (1  Assistent,  1  Diener);  mit  diesem  Institut  ist  aber  seit 
1859  das  Wagnersche  Museum  verbunden,  welches  eine*  Jahresrente 
von  2200  Mark  für  Künstlerstipendien  und  1 1  000  Mark  für  Kunst- 
zwecke zur  Verfügung  stellt. 

'X  In  der  neueren  Philologie  und  Literaturgeschichte  besteht 
a)  je  ein  Lehrstuhl  für  romanische  und  englische  Philologie;  beide 
Fächer  waren  anfänglich  verbunden,  die  Professur  dafür  wurde  be- 
gründet 1874,  die  Trennung  erfolgte  1898,  und  die  Teilung  des  1892 
gegründeten  Seminars  1W2.  ß)  Ein  Lehrstuhl  für  deutsche  Philologie; 
das  Seminar  wurde  gegründet  1873.  Jahresetat  400  Mark  R. 
Außerdem  wirken  ein  Extraordinarius  und  ein  Privatdozent  in  diesem 
Fach  und  zwar  vornehmlich  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Literatur- 
L^eschichtc. 

*)  Kraus,  l'rym,  Ilant/sch,  IJoveri,   Beckenkamp,  Medicus,  Wien. 
**;  M.    V.    Schanz,    Jolly,    Hrenner,    Stölzle,    Külpe,    Ilenner,  Schneegans,  Wolter*. 
Förster,  Chrous-t,  Holl;  eine  Stelle  erledigt,  ein  einerierter  Professor  liest  nicht. 


Die  König].  Bayerische  Julius-Maximiliaiis-Universität  zu  VVürzburg.  481 

4.  Vergleichende  Sprachwissenschaft  und  Sanskrit  sind  zu  einer 
Lehrsparte  verbunden  und  seit  1877  durch  einen  Extraordinarius,  seit 
1886  durch  einen  Ordinarius  vertreten. 

5.  Für  mittlere  und  neuere  Geschichte  inkl.  bayerische  Geschichte 
bestehen  2  Ordinarien.  Der  Jahresetat  für  das  seit  S.-S.  1858  be- 
stehende Seminar*)  beträgt  765  Mark  R.  für  mittlere  und  neuere 
Geschichte  und  70  Mark  R.  für  historische  Hilfswissenschaften. 

6.  Eine  Vertretung  für  Kunstgeschichte  fehlt  noch,  ist  aber  be- 
antragt. 

7.  Eine  geographische  Professur,  und  zwar  zunächst  als  Extra- 
ordinariat, wurde  errichtet  1899.  Außerdem  weist  das  Personal- 
vcrzeichnis  1  Privatdozenten  auf.  Das  geographische  Institut  ist  mit 
;^00  Mark  R.  jährlich  dotiert. 

8.  In  der  Mathematik  sind  tätig  1  Ordinarius  und  2  Extra- 
ordinarien. Das  mathematische  Seminar,  gegründet  1872,  hat  einen 
Jahresetat  von  685  Mark  R.  und  1680  Mark  P.  (1  Assistent).  Das 
astronomische  Institut  ist  mit  UX)  Mark  R.  dotiert. 

9.  In  der  Physik  sind  angestellt  ein  ordentlicher  Professor 
(das  Ordinariat  besteht  seit  1749)  und  (seit  1901)  ein  Extraordinarius, 
letzterer  besonders  für  theoretische  Physik.  Außerdem  lehrt  ein  Privat- 
dozent. Das  physikalische  Institut,  das  früher  in  der  alten  Universität  sich 
befand,  wurde  1879  in  einem  Neubau  untergebracht,  der  mittlerweile 
vergrößert  wurde;  auch  besteht  seit  1881  ein  magnetisches  Ob- 
servatorium im  Institutsgarten.  Der  ordentliche  Jahresetat  beträgt 
7(X)0  Mark  R.  und  3^)60  Mark  P.  (2  Assistenten,  1   Diener). 

10.  Die  Chemie  als  besonderes  Fach  war  seit  1782  hier  ver- 
treten, aber  in  der  medizinischen  Fakultät.  1836  wurde  die  Pharmazie 
abgetrennt;  die  allgemeine  Chemie  bildete  einen  Teil  der  Physik. 
Aus  dem  klinisch-chemischen  Institut  der  medizinischen  Fakultät  ging 
1853  das  „Laboratorium  für  organische  Chemie"  hervor.  Die  Er- 
nennung eines  Extraordinarius  (Scherer)  für  „die  Lehrvorträge  der 
organischen  Chemie  in  Verbindung  mit  den  für  die  Kliniken  des 
Juliusspitals  nötigen  chemischen  Untersuchungen"  erfolgte  bereits  1842. 
1 8()7  wurde  die  allgemeine  Chemie  gänzlich  vom  Lehrstuhl  der  Physik 
getrennt.  Seit  1 870  fanden  organische  und  anorganische  Chemie  ihre 
vereinigte  Vertretung  und  zwar  in  der  philosophischen  Fakultät.  An- 
gestellt   sind    zur  Zeit  ein  Ordinarius,  ein  Extraordinarius,    außerdem 

*)  Das  am  27.  Dezember  1857  genehmigte  historische  Seminar  zerfällt  seit  1877 
in  2  selbständige  Abteilungen,  eine  für  alte  und  eine  fUr  mittlere  und  neuere  Geschichte. 

Das  Unterrichuweten  im  Deutschen  Reich.    I.  31 


482  rJie  einzelnen  Universitäten. 

sind  2  Privatdozenten  tätig.  Das  in  der  Maxstraße  1866  erbaute 
Institut  hat  sich  als  zu  klein  erwiesen;  an  seine  Stelle  trat  das  groß- 
artige am  Pleicherring,  18%  vollendete.  Der  Jahresetat  beträgt 
22  2:U  Mark  R.  und  9:M8  Mark  P.  (5  Assistenten,  3  Diener, 
1  Maschinist,  1  Heizer). 

11.  Die  Pharmazie  und  angewandte  Chemie  ist  durch  einen 
Ordinarius  vertreten.  Das  technologische  Institut,  dessen  Grundlage 
auf  das  Jahr  1828  zurückgeht,  befand  sich  bis  1887  im  alten  Uni- 
versitätsgebäude; in  diesem  Jahre  wanderte  es  in  das  medizinische 
Kollegienhaus.  Für  die  dem  Institut  angeschlossene  Untersuchungs- 
anstalt für  Nahrungs-  und  Genußmittel  ist  ein  Neubau  vorgesehen, 
der  auch  das  technologische  Institut  aufnehmen  wird.  Jahresetat  des 
technologischen  Instituts  2965  Mark  R.  und  2640  Mark  P.  (1  Assistent. 
1  Diener).  Die  Untersuchungsanstalt  erhält  sich  in  der  Hauptsache 
aus  eigenen  Einnahmen  (Gebühren  für  Untersuchungen  und  Geld- 
strafen wegen  Verfehlungen  gegen  das  Nahrungsmittelgesetz). 

12.  Die  Professur  für  Mineralogie  und  Krystallographie  ist  zur 
Zeit  noch  mit  der  für  Geologie  verbunden;  doch  ist  bereits  prinzipiell 
zugestanden,  daß  letztere  baldigst  besonders  besetzt  werden  soll.  Das 
mineralogisch-geologische  Institut  knüpft  an  das  (1803  erworbene) 
Blanksche  Naturalienkabinett  an.  Die  Trennung  der  mineralogischen 
Sammlung  von  der  zoologischen  erfolgte  1832,  nachdem  bereits  18!^) 
die  Zerlegung  der  Professur  für  Naturgeschichte  in  die  der  Zoologie 
und  Mineralogie  erfolgt  war.  1903  hat  auch  dieses  Institut  das  alte 
Universitätsgebäude  verhisscn  und  in  einem  eigenen  Neubau  Unter- 
kunft gefunden.  Der  Etat  beträgt  5500  Mark  R.  und  4545  Mark  P. 
(j   Kustos,  2  Diener). 

13.  Für  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie  besteht  ein 
Ordinariat;  außerdem  ist  in  der  Disziplin  ein  Privatdozent  tätig.  Das 
zoologisch-zootomischc  Institut  wurde  1871  gegründet.  Vorläufer 
waren  das  zoologische  Kabinett  und  das  von  dem  Vertreter  der 
Anatomie  geleitete  (seinerzeit  von  Döllinger  gegründete)  zootomische 
Institut,  das  1871  aufgelöst  wurde.  Die  1889  neugebaute  zoologisch- 
zootomische  Anstalt  stellt  nicht  sowohl  ein  zoologisches  Museum,  als 
eine  den  modernen  Ansprüchen  gemäß  eingerichtete  Forschungs-  und 
Unterrichtsanstalt  dar.  Jahresetat  7504  Mark  R.  und  3U)0  Mark  P. 
(I   Assistent,   1   Präparator,   1    Dienen. 

14.  Die  Botanik  und  Pharmakognosie  weist  einen  Ordinarius  und 
einen  Privatdozenten  auf  Der  botanische  Garten,  16%  zum  ersten- 
mal angelegt,   bildete    einen  Bestandteil    des   Juliusspitalgartens,   löste 


Die  Königl.  Bayerische  Julius-Maximilians-Universität  zu  Würzburg.  483 

aber  1855  die  Verbindung  mit  dem  Spital  und  wurde  in  die  Uni- 
versitätsattribute übergeführt.  I^nge  Zeit  mußte  sich  das  botanische 
Institut  mit  anderen  medizinischen  Anstalten  in  das  nämliche  Gebäude 
teilen.  Unter  Professor  Sachs  wurde  das  Haus  den  botanischen 
Zwecken  allein  überlassen,  durch  Aufsetzung  zweier  Stockwerke  be- 
deutend enveitert  und  1885  durch  Anbau  eines  neuen  Hörsaals 
bereichert.  Der  Garten  in  seinem  jetzigen  Bestand  mußte  infolge  der 
Entfestigung  1873  größtenteils  neu  geschaffen  werden.  Der  Jahres- 
etat beträgt  1 1  500  Mark  R.  und  4935  Mark  P.  (1  Assistent, 
I  botanischer  Gärtner,  1  Diener).  Für  die  pharmakognostische  Samm- 
lung, die  1898  aus  dem  technologischen  Institut  in  das  botanische 
überging,  sind  85  Mark  R.  ausgeworfen. 

Die  Universitätsbibliothek,  die  ihre  wertvollste  Bereicherung 
durch  die  Säkularisation  im  Jahre  1 803  aus  den  aufgelösten  Klöstern 
und  Stiften  erhielt  und  1814  durch  eine  bedeutende  Geldschenkung 
des  ehemaligen  Fürstprimas  Carl  Theodor  v.  Dalberg  gefördert  wurde, 
besteht  aus  ca.  350000  Bänden;  unter  den  Handschriften  (meist  pa- 
t ristischen  Inhalts)  befinden  sich  sehr  wertvolle.  Das  Personal  der 
Bibliothek  besteht  aus  1  Oberbibliothekar,  1  Bibliothekar,  1  Bibliotheks- 
sokretär,  1  Assistenten,  1  Funktionär  und  2  Diener.  Der  Etat  der 
l^ibliothek  beträgt  26  420  Mark  R.  darunter  5202  M.  aus  besonderem 
Stiftungsvermögen  und  4286  M.  (schwankender)  Anteil  an  den  Pro- 
motions-  und  Immatrikulationsgebühren;  die  Personalexigenz  beträgt 
21  600  M. 

Für  die  Zwecke  der  Fechtschule  stellt  die  Universität  das 
Lokal;  eine  Turn  an  st  alt  ist  in  der  neuen  Universität  eingerichtet; 
die  Studenten  haben  das  Recht,  die  Kgl.  Musikschule  behufs  Aus- 
bildung zu  besuchen,  wofür  die  Universität  an  diese  600  M.  entrichtet. 

3.  Statistische  Übersichten. 
1.  Zahl  der  Lehrer. 


Jahr             ' 
und 
Semester 

Ordentliche 
Professoren 

,  .Xußerordentliche 
Professoren 

Privatdozenten    ^ 

1 

1 
Lektoren        1 

S.  S.  1903 

44 

18 

25 

,.     1878 

40 

5 

19 

1 

„     1850 

31 

5 

6 

— 

„     1830 

27 

4 

4 

— 

\V.  S.  1785  M 

21 

8 

— 

— - 

1604  2) 

15 

— 

— 

— 

1)  Im  I^ktionskatalog  sind  8  als  P.  P.,  21   als  G.  P.  O.  bezeichnet. 
'•0  Nach  dem  ältesten  noch  erhaltenen  I^ktionskatalog. 

,31* 


484 


Die  eiazclnen  Universitäten. 


2.  Zahl  der  immatrikulierten  Studierenden. 


Jahr 

und  Gesamtzahl 

Semester     I 


Darunter 
Ausländer 
(Nicht- 
I     deutsche) 


Jahr 

und  ;   Gesamtzahl 

Semester 


Darunter 
Nichtbayern 


S.S.  1903 

1300 

54 

S.  S.  1831 

585 

184 

W.  S.  1902/3 

1306 

58 

S.S.  18171) 

478 

120 

S.S.  1902 

1  198 

64 

j  W.  S.  1816/17-?} 

504 

115 

W.  S.  1901/2 

1  194 

51 

W.S.  18153) 

276 

w 

S.S.  1901 

1  108 

45 

S.S.  1806*) 

413 

a 

W.  S.  1900/1 

1  164 

54 

iW.S.  1805/6*) 

486 

S.S.  1900 

1  126 

48 

VV.S.  1804/5*; 

730 

c 

\V.  S.  1890/1 

1544 

75 

,    S.S.  1804*) 

631 

c 

W.  S.  1880/1 

921 

62 

W.S.  18a'^/4*) 

554 

s 

W.  S.  1870/1 

673 

72 

W.S.  1802/3 

363 

157^) 

W.  S.  1860/1 

687 

51 

\V.  S.  1850/1 

657 

49 

\V.  S.  1840/1 

443 

21 

1582 

80ß) 

— 

1)  Von  den  478  Stud.  waren  84  Theologen,  134  Juristen,  168  Mediziner,  92  Philo- 
sophen.    Goldmayer,  Bey träge  usw.  1817  S.  221,  232,  235,  239,  247. 

2)  Von  den  504  Stud.  waren  84  Theologen,  150  Juristen,  172  Mediziner,  98  Wiilo- 
sophen.     Goldmayer  a.  a.  O.  S.  94,  103,  105,  108,  114. 

^)  Die  Zahl  276  für  das  Jahr  1815  gibt  Urlichs  in  seiner  Rekloratsrede  von  1886 
S.   17  an. 

*)  Die  Zahlen  pro  1802/3 — 1806  finden  sich  in  den  in  der  Universitätsbibliothek 
aufbewahrten  Manuskripten  des  Universitätssekretärs  (ieorg  Seuffert,  Die  Universität  Würz- 
burg vom  22.  November  1802  bis  1.  Februar  1806.  Bd.  II,  Fo.  66  f.  Nach  ihm  gab  es 
im  W.-S.  1802/3  68  ITieologen  (darunter  2  Ausländer),  93  Juristen  (darunter  25  Ausländer», 
168  Mediziner  (darunter  124  Ausländer),  34  Philosophen  (darunter  6  Ausländer);  im  S.-S. 
1804  97  Theologen,  252  Juristen,  25  Kameralisten,  219  Mediziner  (incl.  6  Pharmazeuten 
und  53  Chirurgen),  38  Philosophen;  im  W.-S.  1805/6  59  Theologen,  193  Juristen,  11 
Kameralisten,  126  Mediziner  und  Chirurgen,  24  Philosophen.  Den  Rückgang  im  S.-S.  1806 
erklärt  Seuffert  mit  der  Entziehung  der  für  die  Studenten  bis  dahin  bestehenden  eigenen 
Gerichtsbarkeit.  Für  die  großherzogüche  Zeit  (1806 — 14)  rechnet  Seuffert  durchschnittlich 
250—300,  danmter  etwa  20  Theologen,  70—80  Juristen,  80—100  Mediziner,  80—100 
Philosophen. 

'>)  Nicht  aus  dem  würzburgischen  Hochstift  .stammend. 

^)  Soviel  immatrikulierten  sich  im  I^uf  dc>  ersten  Jahres  an  der  Universität.  Für  da> 
17.  und  18.  Jahrhundert  kann  die  Gesamtzahl  der  Studenten  nicht  angegeben  werden.  In 
den  5  Jahren  Oktober  1612  -  September  1617  immatrikulierten  sich  5  für  Theologie,  60  fiir 
Jurisprudenz,  4  für  Medizin,  16  für  Philosophie,  112  für  Logik,  48  für  Rhetorik  und 
Poetik,  90  für  Physik,  84  machten  keine  Angabe;  das  sind  zusammen  417.  In  den  5 
Jaliren  26.  November  1766—25.  November  1771  immatrikulierten  sich  34  für  'ITieologie, 
6,3  für  Jurisjmidenz,  6  für  Medizin,  497  für  Humaniora  und  Poetik,  175  für  Logik,  42  für 
Rhetorik,  13  für  Physik,  17  machten  keine  .Angabe;  das  sind  zustimmen  847.  Darau- 
sieht  man,  daß  der  Besuch  sehr  in  die  Höhe  ging.  Die  L'nivcrsität  war  aber  von^iegend 
Gvmnasium. 


Die  König!.  Bayerische  Jiilius-Maximilians-Universität  zu  Würzburg. 


485 


3.    Zahl  der  Studierenden  der  einzelnen  Fakultäten. 


1 

1            Jahr 

!""  -■ 

1  Rechts-  und 

1 

1     Philosophische 

Fakultät 

und 

1  Katholische 

1  Staatswissen- 

Medizin 

-   — 

1 



Semester 

1    Theologie 

schaft 

I.  Sektion    1    II 

1 

.  Sektion 

S.  S.  1903 

113 

425 

437 

142 

183 

W.  S.  1902/3 

105 

410 

461 

144 

1 

186 

W.  S.  1900/1 

107 

250 

599 

136 

1 

172 

W.  S.  1895/6 

136 
148 

238 
306 

738 
907 

99 

1 

154 

W.  S.  1890/1 

183 

W.  S.  1880/1 

160 

157 

407 

197 

W.  S.  1870/1 

118 

1           81 

205 

140 

W.  S.  1860/! 

95 

134 

315 

143 

W.  S.  1850/1 

95 

195 

264 

103 

4.  Zahl  der  sonstigen  zum  Hören  der  Vorlesungen  zugelassenen  Männer. 


S.S.  1903         21 

W.  S.  1902/3 26 

S.S.  1902         18 


W.  S.  1901/2 19 

S.S.  1901  18 

W.  S.  1900/1 19 


5.  Zahl  der  zugelassenen  weiblichen  Studierenden. 


S.S.  1903         45 

W.  S.  1902/3 58 

S.S.  1902         19 


W.  S.  1901/2 41 

S.S.  1901         28 

W.  S.  1900/1 27 


Ordentliche  Kinnahmen  der  Universität. 


Etatsjahr 


Aus  eigenem 

Vermögen  und 

Stiftungen 

M. 


Aus  eigenem     j 

Erwerb  | 

(Kliniken  usw.)  I 

M.  ! 


Staatszuschufl  Summa 


M. 


M. 


1903 
1890 
1878 
1865 
1850 


342  017 
311839 
310433 
275196    ' 
211361 


79142 

47  761 

7029 

2878 

19241 


598604 

441800 

340777 

85715 

54441 


1019763 
801400 
658  239 
363  789 
285043 


486  I^ic  einzelnen  l'niversi täten. 

Ordentliche  Ausgaben. 


tatsjahr 

1=  t  = 

düngen  der 
tenten  und 
Diener             j 

.1 

II 

nstitute 
alexigenz)       ; 

onen.  Unter-    ' 
ungen,  Sti- 
en  u.Sonstig. 

rwaltungs- 
usgaben 

1 

:             1 

es 

B 

w 

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«    . 

M. 

M. 

M. 

M. 

M. 

M. 

i       -M. 

1903 

376485 

117663  i 

20572 

368  206 

81373 

55464 

1019763 

1890 

309699  1 

66  670 

34  309 

248072 

93462 

49688 

801400 

1878 

300109 

52  284 

18491 

140881 

89991 

56483 

658  239 

1865 

,    162699 

30518 

206 

74690 

51441 

44  535 

368  789 

1850 

104769 

14  883 

— 

72627 

32  999 

59765 

285  043 

Außerordentliche  Ausgaben   in    den    letzten  25  Jahren  (1878— 19a3)  4804  950  M. 

Das  Vermögen  der  Universität  betrug  Ende  1902 20  731425  M. 

Davon  ist  rentierliches:  12  155343  M.  und  zwar  a)  Immobiliarvermögen     6641486    „ 

b')  Mobiliar\*ermögen  .      5  513  857    „ 

nichtrentierliches:     8576  082  M.  und  zwar  a)  Immobiliarv-ermögen      5897240    „ 

b)  Mobiliarvermögen   .      2  678  842    „ 


Literatur*). 

Jos.  Maria  Schneid t,  Sicilinienta  (juaedam  ad  historiam  Universitalis  Wirce- 
burgensis  et  in  specie  littcraturam  facultatis  juridicae  1794 — 98.  Christ.  Bö  nicke, 
Gmndriß  einer  (Jeschichte  von  der  Universität  zu  Würzburg.  Würzburg,  I.  'Hieil  1782: 
II.  Teil  1788.  Jos.  Scherer,  Abriß  einer  Geschichte  der  beiden  ersten  Jahrhunderte 
der  Universität  Würzburg  mit  besonderer  Hinsicht  auf  die  Entwicklung  der  medizinischen 
Fakultät  (.Akademische  Monatsschrift,  Zcntralorgan  für  die  Gesamtinteressen  deutscher 
Universitäten.  Leipzig  1852  S.  4 — 22.  K.  X.  v.  Wegele,  Geschichte  der  Universität 
Würzburg,  im  .Auftrage  des  akad.  Senates  verfaßt.  1.  Teil  (ieschichtc;  II.  Teil  Urkunden- 
buch.  Würzburg  1882.  (Leider  läßt  die  .Akribie  zu  wünschen  übrig.)  J.  C  (ioldmayer, 
Beyträge  zur  neuesten  ( beschichte  der  Kgl.  l'niversilät  zu  W'ürzburg  und  zur  Berichtigung 
öffentlicher  Nachrichten  und  Urteile  über  dieselbe.  Würzburg  1817.  .A.  F.  Kingelmann, 
Beiträge  zur  Geschichte  der  Universität  Würzburg  in  den  letzten  10  Jahren,  zum  Jubel- 
feste der  treuen  Bayern  am  12.  Oktober  18^i5.  Würzburg  1835.  M.  Krück,  Die  I.iUein 
frage  an  der  Würzburger  Universität  vor  100  Jahren.  iPädagog.  Archiv  Bd.  29.  1887, 
S.  97.)  r.  X.  Wegele,  Die  Reformation  der  Universität  Würzburg.  Rektoratsrede  186^^. 
Anton  Ruland,  Series  et  vitae  prof.  s  s.  theologiae,  qui  Wirceburgi — us(|ue  in  annuni 
1834  docuerunt,  Würzburg  1835.  Jos.  Xirschl,  Universitätskirche  in  Würzburg,  im  .Vuf- 
trage  des  akad.  Senates  historisch  und  architektonisch  beschrieben.  Würzburg  189L 
C  Risch,    Zur  Geschichte  der  Juristenfakultät  an  der  Universität  Würzburg.     Rektorals- 

*)  Es  kann  hier  nur  eine  Auswahl  gegeben  werden. 


Die  Königl.  Bayerische  Julius-Maximilians-Universität  zu  Würzburg.  487 

rede  1873.  W.  Röntgen,  Die  Geschichte  der  Physik  an  der  Universität  Würzburg.  Rekto- 
ratsrede 1894.  L.  Urlichs,  Die  philosophische  Fakultät  der  Universität  Würzburg. 
Kektoratsrede  1886.  Kerl  er,  Die  Statuten  der  philosophischen  Fakultät  der  Universität 
Würzburg  in  ihrer  frühesten  Fassung.  Würzburg,  Stahel  1898.  Joh.  Bartel  v.  Siebold, 
(leschichte  und  gegenwärtige  Einrichtung  des  chinu^schen  Klinikums  im  Juliusspitale 
zu  Würzburg.  Würzburg  1814.  Alb.  v.  Kölliker,  Zur  Geschichte  der  medizinischen 
Fakultät  an  der  Universität  Würzburg.  Rektoratsrede  1871.  C.  Gerhardt,  Geschichte 
der  medizinischen  Klinik  der  Universität  Würzburg.  Rektoratsrede  1884.  Rieger, 
Die  Psychiatrie  in  Würzburg  seit  300  Jahren  (1583—1893),  Würzburg  1899.  C.  Lutz, 
Rückblick  auf  die  Entstehung  und  Entwicklung  des  Juliusspitals  in  Würzburg.  Würz- 
burg 1876.  Die  Attribute  der  Universität  Würzburg  im  Jubiläumsjahr  1882  (Alma  Julia, 
illustrierte  Chronik  ihrer  dritten  Säkularfeier.  Würzburg  1882  S.  160,  172;  die  Verfasser 
der  Geschichte  dieser  Attribute  sind  die  damaligen  Institutsvorstände.  R.  v.  Horstig, 
Die  Anstalten  der  Universität  Würzburg.  Würzburg  1892.  Das  neue  Universitäts- 
gebäude der  Kgl.  bayr.  Julius-Maximilians-Universität  zu  Würzburg,  dessen  Bau- 
geschichte und  Einweihungsfeier,  im  Namen  des  akademischen  Senats  veröffentlicht  vom 
Rektorat.     Würzburg  1897. 

Georg  Schanz. 


xm.  Die  Königlioh  Bayerische  Friedrioh-Alexanders- 
Universität  zu  Erlangen.*) 


Schon  von  jeher  war  es  ein  Lieblingswunsch  der  Markgrafen 
von  Brandenburg  gewesen,  in  ihren  Fürstentümern  eine  Hochschule 
zu  errichten.  Markgraf  Georg  der  Fromme  trug  sich  um  1529  mit 
diesem  Plan,  Markgraf  Christian  nahm  um  1644  die  Idee  wieder  auf, 
aber  erst  dem  Markgrafen  Friedrich  ist  es,  ungefähr  100  Jahre  später, 
gelungen,  sie  zu  verwirklichen.  Am  21.  März  1742  wurde  zu  Bayreuth 
die  Academia  Fridericiana,  die  kurzlebige  Vorläuferin  der  Friderico- 
Alexandrina  Erlangensis,  im  Hörsaal  des  Gymnasiums  feierlich 
eröffnet.  Am  Sonntag  Quasimodogeniti  1742  erschien  der  erste 
Lektionskatalog  für  das  ganze  Jahr  1742/43.  Nach  der  Bestimmung 
des  Stiftungsedikts  zeigten  die  Lehrer  mit  wenigen  Ausnahmen  nur 
ihre  öffentlichen  Vorlesungen  an  und  erboten  sich  zu  Privatvorlesungcn 
bloß  im  allgemeinen,  indem  sie  die  Wahl  der  Gegenstände  den 
Studierenden  überließen.  Aber  der  Bayreuther  Akademie,  einem 
Mittelding  zwischen  Gymnasium  und  Hochschule,  fehlte  es,  wie  sich 
bald  herausstellte,  an  Lebensfähigkeit,  und  schon  im  Herbst  \7A'A 
erfolgte  die  Verlegung  der  Akademie  nach  Erlangen  und  damit 
zugleich  ihre  Ausgestaltung  zur  eigentlichen  Universität.  Am 
4.  November,  den  die  Universität  bis  zum  heutigen  Tag  als  ihren 
Stiftungstag  feiert,  wurde  in  höchst  festlicher  Weise  ihre  Eröffnung 
durch     den    Markgrafen    Friedrich    und    seine    Gemahlin    Wilhelmine 


*)  An  Quellen  wurden  außer  den  l'niversilülsakten  benutzt :  Die  Universität  Erlangen 
von  1743 — 1843  (von  Engelhardt),  Erlangen  o.  ].;  E.  Sehling,  Daniel  von  Supenille. 
Das  Kanzleramt  an  der  Iniversitiit  Erlangen,  Leipzig  1893;  Personalstand  der  Friedricli- 
Alexanders-Universität  in  ihrem  ersten  Jahrhundert»  Erlangen  1843;  F.  Lammers 
Geschichte  der  Stadt  Erlangen  von  ihrem  Urspnnig  unter  den  fränkischen  Königen  bis 
zur  Abtretung  an  die  Krone  Bayern,  Erlangen  1834;  Stein  und  Müller,  Geschichte 
von  Erlangen  in  Wort  und  Bild,  Erlangen  1898. 


Die  Königl.  Bayerische  Friedrich-Alexanders-Universität  zu  Erlangen.  489 

(die  Schwester  Friedrichs  des  Großen)  vollzogen.  Für  die  Wahl 
F>langens  sprach,  neben  allgemeinen  Gründen,  insbesondere  die  Tat- 
sache, daß  hier  eine  Anstalt  bestand,  deren  Gebäude  und  Einkünfte 
man  für  die  neue  Universität  verwenden  konnte.  Es  war  dies  die 
von  dem  Freiherrn  Adam  Gros  von  Trockau  1699  gegründete 
Ritterakademie,  die  nach  einer  kurzen  Zeit  der  Blüte,  hauptsächlich 
infolge  unzureichender  Mittel,  ein  kümmerliches  Dasein  fristete. 

Der  Markgraf  hatte  sich  durch  I>ekret  vom  27.  September  1743  die  Würde  des 
Recior  magniBcentissimus  vorbehalten,  die  oberste  Leitung  aber  in  dem  Stiftungsbriefe 
einem  Direktor  übertragen,  der  immer  ein  wirklicher  Geheimrat  sein,  vom  Markgrafen 
.selbst  ernannt  und  diesem  unmittelbar  unterstellt,  von  allen  anderen  Kollegien  dagegen 
„gänzlich  separiert"  sein  sollte. 

Zum  ersten  Direktor  und  Kanzler  der  Universität  ernannte  Friedrich  den  Geheimrat 
und  Leibmedikus  Daniel  von  Superville.  Keinem  Würdigeren  konnte  das  schwierige 
Amt  übertragen  werden  als  diesem.  Er  hatte  hervorragenden,  vielleicht  entscheidenden 
Anteil  an  der  Gründung  der  Universität.  Es  war  ein  schwerer  Schlag  für  die  Universität, 
(laß  dieser  Mann  schon  im  Jahre  1748  dem  fortwährenden  Ansturm  seiner  zahlreichen 
Gegner  weichen  mußte. 

Der  Stifiungsbrief  hatte  vier  Fakultäten,  die  theologische  mit  2  ordentlichen  und 
1  oder  2  außerordentlichen  Professoren  aus  den  Philosophen,  die  juristische  mit  2,  die 
medizinische  mit  3,  die  philosophische  mit  4  Professoren  in  Aussicht  gestellt,  erforder- 
lichen Falles  aber  die  Anstellung  einer  größeren  Zahl  von  Professoren  in  allen  Fakultäten 
verheißen.  Die  Professur  der  Geschichte  sollte  ein  Professor  der  Rechte,  die  der 
orientalischen  Sprachen  ein  Theologe,  die  der  Mathematik,  der  griechischen  Sprache  und 
der  Antiquitäten  ein  Professor  der  Philosophie  versehen,  die  Professur  der  Poesie  und 
lieredsamkeit  dem  Tauglichsten,  welcher  P'akultät  er  auch  angehöre,  übertragen  werden. 
Aber  die  ersten  Anstellungen  gingen  über  diese  Bestimmungen  weit  hinaus  und  den 
Bemühungen  Supervilles  gelang  es,  größtenteils  tüchtige  Kräfte  zu  gewinnen.  Wir  finden 
schon  in  den  ersten  Jahren  3  ordentliche  und  2  außerordentliche  Professoren  der 
ITieologie,  5  ordentliche  Professoren  der  Rechte,  ebensoviele  der  Medizin  und  7  in  der 
philosophischen  Fakultät,  welch  letztere  indes  zum  Teil  auch  in  der  theologischen  und 
juristischen  Fakultät  zu  lehren  hatten. 

Die  theologische  Fakultät  war  eine  lutherische;  es  war  ihr  zur  Pflicht  gemacht, 
streng  auf  den  lutherischen  Lehrbegriff  zu  halten.  Die  sämtlichen  Professoren  taten  dies 
auch  und  bezeugten  es  durch  eifrige  Polemik  gegen  die  anderen  Konfessionen  sowohl  als 
gegen  die  Neuerungen,  die  eben  damals  im  Protestantismus  ihren  Anfang  nahmen, 
l'nter  den  ersten  ordentlichen  Professoren  der  Theologie  (Germ.  Aug.  Ellrod,  Joach. 
Ehrenfried  Pfeiffer,  Caspar  Jakob  Huth)  war  der  bedeutendste  der  Mecklenburger 
Pfeiffer;  fast  alle  Geistlichen  im  Bayreuthischen  in  den  sechziger  Jahren  des  18.  Jahr- 
hunderts waren  von  ihm  gebildet.  Unter  den  ersten  ordentlichen  Professoren  der  Rechts- 
wissenschaft (Job.  Wilh.  Gadendam,  Andr.  Elias  Roßmann,  Job.  Gottl.  Gönne, 
Karl  Ad.  Braun,  Joh.  Justus  Schierschmidt)  war  wohl  Roßmann,  ein  Schüler  der 
Hallenser  Professoren  Ludewig  und  Böhmer,  der  hervorragendste.  Die  medizinische 
Fakultät  bestand  bei  Gründung  der  Universität  aus  5  Professoren  (Joh.  Fried r.  Weiß- 
niann,  Kas.  Christ.  Schmidel,  Matth.  Georg  Pfann,  Christ.  Samuel  Gebauer, 
Joh.  Adam  Ho  ff  mann),  von  denen  sich  Schmidel  als  I^hrer  und  Gelehrter  (besonders 
im  Fache  der  Botanik)  bekannt  und  auch  nach  seinem  Austritt  als  Mitglied  der 
l'niversitätskuratel  sehr  verdient  gemacht  hat.  Von  den  7  Professoren  der  philosophischen 
Fakultät    gehörte  1  der  theologischen  Fakultät  (Ellrod),    3   der  juristischen  Fakultät    an 


490  I^ie  einzelnen  Universitäten. 

CGadenclam,  RoOmann,  Schierschmidt),  2  waren  zugleich  außerordentliche  Professoren  der 
theologischen  Fakultät  (der  Mathematiker  Georg  Wilh.  Poezinger  und  der  IVofessor 
der  Philosophie  und  orientalischen  Sprachen  Joh.  Sigm.  Krisper);  bloß  der  philo- 
sophischen Fakultät  gehörte  1  Professor  an  (der  Mathematiker  Jak.  Wilh.  Hoff  mann), 
der  aber  auch  Politik,  Geographie  und  einige  andere  Fächer  lehrte.  Das  Personal  der 
Universität  wurde  ergänzt  durch  1  Lektor  der  französischen,  1  I^ktor  der  italienischen 
Sprache,  1  I^hrer  des  Englischen.  Etwas  später  findet  sich  auch  1  I^ktor  des 
Kabbinischen  und  Hebräischen.  Die  Zahl  der  Immatrikulationen  (1743 — 1764)  stellte  sich 
während  der  Regierungszeit  Friedrichs  in  einigen  Jahren  etwas  über  100,  blieb  aber  in 
der  Regel  erheblich  unter  dieser  Ziffer.  Seminaristische  Übungen  wurden  zwar  von  einigen 
Professoren  gehalten,  so  von  Anfang  an  homiletische,  seit  1751/52  auch  katechetische,  aber 
an  staatlich  dotierten  Seminarien  und  sonstigen  Anstalten  fehlte  es,  mit  alleiniger 
Ausnahme  des  1754  in  einem  Anbau  an  das  Universilätsgebäude  eingerichteten 
„Anatomischen  Theaters"  gänzlich.  Die  Einnahmen  der  Universität,  größtenteils  Gefalle 
von  Kammergütem  und  Naturalerträge,  waren  sehr  knapp  und  zudem  schwankend, 
mehrten  sich  aber  langsam  durch  weitere  Schenkungen  des  Markgrafen  und  einige  eigene 
Einkünfte  der  Universität.  Auch  die  (jebäulichkeiten  waren  ungenügend,  weshalb  viele 
Professoren  in  ihren  eigenen  Wohnungen  lasen. 

Infolge  dieser  Verhältnisse  konnte  es  die  Universität  zu  keiner  Blüte  bringen. 
Die  Zahl  der  Inskriptionen  sank  vorübergehend  auf  48.  Ja  unter  dem  ersten  Nachfolger 
ihres  Gründers,  dem  Markgrafen  Friedrich  Christian,  scheint  man  ernstlich  deren  Auf- 
hebung ins  Auge  gefaßt  zu  haben.  Es  war  für  den  Fortbestand  der  Universität  und 
deren  Aufblühen  von  der  größten  Bedeutung,  daß  am  20.  Januar  1769  der  Markgraf 
Christian  Friedrich  Karl  Alexander  von  Ansbach  die  Regierung  der  Bayreuthi- 
schen Lande  übernahm.  Dieser,  ein  wohlwollender  Fürst,  der  durch  Sparsamkeit  die 
Mittel  gewann,  die  Schulden  des  Landes  zu  tilgen  und  dessen  Anstalten  zu  fordern, 
wurde  ihr  zweiter  Gründer,  und  mit  Recht  nennt  sie  sich  deshalb  Friderico-Alexandrina. 
Er  verfügte,  daß  ihr  Zastand  genau  untersucht  und  die  Mittel  angegeben  werden  sollten, 
die  geeignet  wären,  sie  zu  heben.  Eine  eigene  Deputation  unterrichtete  sich  durch 
Einsichtnahme  und  durch  die  Mitteilungen  der  I^hrer  von  den  bestehenden  Mängeln. 
Durch  angemessene  Verfügungen  wurden  diese  nach  und  nach  behoben.  Die  Lücken  im 
Personalstande  wurden  aiLsgefüllt,  neue  Stellen  geschaffen,  Methode  und  Eifer  der  I^hrer 
sorgfällig  überwacht,  über  die  Disziplin  geeignete  \'erordnungen  erlassen,  Institute 
gegründet,  die  Einkünfte  der  liiiversität  freigebig  vermehrt.  Aber  alle  diese  Verfügungen 
wären  kaum  von  Erfolg  gewesen,  wenn  es  dem  Markgrafen  nicht  gelungen  wäre,  tüchtige 
Lehrer  für  seine  Hochschule  zu  gewinnen,  l'nter  den  Professoren,  welche  bald  nach 
seinem  Regierungsantritte  an  die  Universität  berufen  wurden  und  zu  besonderer  Anerkennung 
gelangten,  hat  Seiler  viel  für  die  Gründung  von  Instituten  der  theologischen  Fakultät 
getan.  Die  Theologen  Hufnagel,  Hänlein,  Amnion*)  waren  von  Bedeutung  nicht  nur 
wegen  ihrer  Lehrgabe  und  Persönlichkeit,  sondern  weil  sie  die  von  ( Jöttingen  ausgehende 
Änderung  der  theologischen  Richtung  zuerst  in  Erlangen  vertraten.  Die  juristische 
Fakultät  begann  mit  der  Anstellung  des  Staatsrechtslehrers  Kl  über  und  des  Pandektisten 
(ilück  eine  ihrer  glänzendsten  Perioden.  Die  medizinische  Fakultiit  ist  eigentlich  durch 
Alexanders  Freigebigkeit  erst  gegründet  worden.  Seit  dem  Sturz  Suix"r\*illes,  der,  selbst 
Mediziner,  der  medizinischen  Fakultiit  boondere  wSorgfalt  zugewendet  hatte,  war  die>e 
vernachlüssigt  worden.  Nun  wurde  sie  durch  die  Anstellungen  tüchtiger  Kräfte,  wie 
Seh  rebers  (in  Erlangen  1769 — 1810),  unter  dem  der  botanische  Garten  er\*eiterl  und 
eine  umfassendere  Betreibung  der  Naturwissen^nchaften  angebahnt  wurde,  und  des  Chirurgen 


*)  Der  bedeutendste  von  diesen  war  Christ.  Frd.  .\mmon  (^1766 — 1849),  wirkte  in 
Erlangen  1789—1794  und  1804—1813. 


Die  Königl.  Bayerische  Friedrich- Alexanders-Universität  zu  Erlangen.  491 

und  Gynäkologen  Rudolph  des  Älteren  (in  Erlangen  1769 — 1797)  zu  neuem  Leben 
erweckt  und  mit  neuen  Instituten  ausgerüstet.  In  ähnlicher  Weise  wurde  für  das  Auf- 
blühen der  philosophischen  Fakultät  gesorgt.  Die  Verbindung  philosophischer  Disziplinen 
mit  theologischen,  juristischen  und  medizinischen  Professuren  wurde  gelöst,  die  Philo- 
sophie einem  eigenen  Lehrer  anvertraut;*)  die  Naturwissenschaften,  früher  durch  einen 
Professor  vertreten,  wurden  in  zweckmäßiger  Sonderung  verschiedenen  Professoren  über- 
tragen, die  Kameralwissenschaften  traten  in  die  Reihe  der  Universitätsdisziplinen; 
Cieschichte  und  Statistik  erhielten  eigene  Professuren,  die  Philologie  wurde  selbständig, 
ebenso  die  Mathematik  und  Physik.  Besonders  verdienstvoll  war  das  Wirken  des  Philo- 
logen G.  Chr.  HarleO  (in  Erlangen  1769 — 1815),  der  die  Stiftung  des  philolog^ischen 
Seminars  bewirkt  hatte  und  des  Historikers  Joh.  Georg  Meusel  (in  Erlangen 
1779—1820).  Unter  den  sonstigen,  während  der  Regierung  des  Markgrafen 
Friedrich  Alexander  an  der  Erlanger  Hochschule  wirkenden  Dozenten  seien  als  die 
bedeutendsten  her\'orgehoben :  der  Professor  der  Physik  und  Astronomie  Joh.  Tobias 
Mayer  (in  Erlangen  1786 — 1799),  der  Anatom  Friedr.  Heinr.  Loschge  (in  Erlangen 
1784—1840),  der  Zoologe  E.  J.  Christ.  Esper  (in  Erlangen  1782—1810)  und  der 
Philosoph  J.  Fr.  Breyer  (in  Erlangen  1770—1826). 

Die  nachhaltige  Fürsorge  des  Markgrafen  konnte  aber  nicht  verhindern,  dafl  in 
den  letzten  Jahren  seiner  Regierung  eine  bedenkliche  Abnahme  der  Universität  eintrat. 
Während  in  den  Jahren  1776 — 1783  die  Zahl  der  Immatrikulationen  immer  über  100 
(1780  132)  betrug,  begann  sie  von  da  ab  zu  schwanken  und  sank  in  einzelnen  Jahren 
bis  auf  83  und  79**).  Die  Schuld  hieran  trug  teils  die  ungeeignete  Besetzung  einzelner 
Professuren,  teils  der  Umstand,  daß  trotz  der  Fürsorge  des  Markgrafen  die  medizinischen 
Institute  und  andere  Anstalten  den  Anforderungen  nicht  genügten  oder  ganz  fehlten, 
zum  Teil  endlich  lag  sie  in  äußeren  Umständen. 

Im  Januar  1792  gingen  die  beiden  Fürstentümer  Ansbach  und  Bayreuth  an  Preußen 
über,  ohne  daß  in  den  Verhältnissen  der  Universität  zunächst  wesentliche  Änderungen 
eintraten.  Unter  den  während  der  preußischen  Herrschaft  neu  hinzugekommenen 
Professoren  verdienen  Erwähnung:  der  Professor  der  historischen  Theologie  Ph.  C. 
Marheineke  (in  Erlangen  1805—1807),  die  Mediziner  Chr.  Friedr.  Harleß  (17%  bis 
1805),  G.  Fr.  Hildebrandt  (1793—1816),  Bernh.  Nath.  Gottl.  Schreger  (1797  bis 
1825),  Ad.  Henke  (1804—1843),  die  Philosophen  Gottlieb  E.  A.  Mehmel  (1792  bis 
1840),  Joh.  Heinr.  .\bicht  (1789—1804)  und  Joh.  Gottlieb  Fichte,  der  allerdings 
nur  im  Sommersemesler  1805  der  Erlanger  Universität  angehörte,  die  Mathematiker 
K.  C.  von  Langsdorf  (1796—1804)  und  Heinr.  Aug.  Rothc  (1804—1824).  Erst  in 
den  letzten  Jahren  der  preußischen  Regierung  begann  eine  eifrige  Tätigkeit  zur  Förderung 
der  Universität,  namentlich  durch  bessere  Ausgestaltung  ihrer  Anstalten.  Die  Aufwendungen 
für  das  CoUegium  medicimi  wurden  allmählich  auf  jährlich  700  Gulden  gebracht, 
1000  Gulden  zur  Verbesserung  der  Anstalt  geschenkt;  das  homiletische  Seminar 
(Predigerseminar)  wurde  mit  80  Gulden  jährlich  dotiert,  der  Etat  des  Naturalienkabinetts 
1792  auf  100  Gulden,  später  auf  400  Gulden  erhöht  und  die  Sammlung  durch  außer- 
ordentliche Ankäufe  vermehrt.  Auch  der  Etat  des  botanischen  Instituts  erhielt  1804  eine 
bedeutende  Erhöhung.  1799  wurde  für  die  chemische  Professur  ein  Haus  gekauft,  für 
das  mathematische  Kabinett  eine  Sammlung  um  400  Gulden  erworben.  Gegen  das 
Ende  der  preußischen  Regierung  betrug  der  Etat  für  Chemie  160  Gulden,  für  Physik 
205  Gulden,  für  Mathematik  und  Maschinenlehre  160  Gulden  und  fiir  den  kameralistischen 

*)  Als  erster  Dozent  war  kein  Geringerer  als  Imm.  Kant  in  Aussicht  genommen, 
der  aber  ablehnte. 

**)  Unter  den  Immatrikulierten  nehmen  abwechselnd  die  Theologen  und  die  Juristen 
die  erste  Stelle  ein;  die  Zahl  der  Mediziner  ist  immer  gering. 


492  I^ic  einzelnen  Universitäten. 

Unterricht,  besonders  zur  Anlegung  eines  ^^ökonomischen  Gartens",  200  Gulden. 
Schließlich  wurden  der  Universität  noch  zwei  Kittergüter  seitens  des  Königs  geschenkt 
und  aus  deren  Erlös  ein  Haus  zur  Unterbringung  der  sämtlichen  physikalischen» 
mathematischen  und  chemischen  Apparate  gekauft.  Diese  Unterbringung  wurde  aber 
niemals  vollzogen,  das  Haus  vielmehr  1839  wieder  verkauft.  Der  Bau  eines  Kranken- 
hauses wurde  1803  in  Angriff  genommen,  1804  die  Errichtung  einer  chiru^schen  Klinik 
mit  500  Gulden  Jahresetat,  1806  die  Aufiführung  eines  eigenen  Anatomiegebäudes 
beschlossen.       Allein  der  ausbrechende  Krieg  machte  diesen  Projekten  ein  rasches  Ende* 

Am  23.  Februar  1806  besetzten  die  Franzosen  das  Fürstentum  Ansbach,  im 
September  1806  das  Fürstentum  Bayreuth.  Der  französische  Gouverneur  erklärte,  daß 
nach  dem  Willen  seines  Kaisers  alle  öffentlichen  Bildungsanstalten  unter  dem  Schutze 
der  Armeebehörden  stünden  und  daß  er  insbesondere  mit  alier  seiner  Macht  darüber 
wachen  wolle,  daß  der  Fortgang  der  Studien  an  der  Universität  auf  keine  Weise  gestört 
werde.  In  der  Tat  hatte  sich  die  Universität  über  harte  Maßregeln  gegen  I^ehrer  un<l 
Studierende,  wie  sie  gegen  einige  norddeutsche  Universitäten  angewendet  wurden,  nicht 
zu  beklagen.  Dagegen  litt  sie  erheblich  durch  Verkümmerung  ihrer  Einkünfte,  welche  es 
unmöglich  machte,  den  Verbesserungsplänen,  welche  die  preußische  Regierung  im  Jahre 
vor  der  Eroberung  auszuführen  angefangen  hatte,  Folge  zu  geben.  Alle  aus  dem 
Fürstentum  Ansbach  fließenden  Einkünfte  wurden  nicht  bezahlt,  auch  die  aus  preußischen 
SeehandlungsobUgationen  bisher  bezogenen  Zinsen  im  Betrage  von  1015  Gulden  kamen  in 
Wegfall,  sodaß  die  Gesamteinnahme  der  Universität  von  62  000  auf  39  000  Gulden  sank. 
Die  Folge  war,  daß  die  Besoldungen  unregelmäßig  ausgezahlt  und  die  Einnahmen  der 
Institute  durchaus  verkürzt  wurden. 

Die  mißliche  I^e,  in  welche  die  l'niversität  durch  die  französische  Okkupation 
versetzt  worden  war,  konnte  durch  die  im  Jahre  1810  erfolgte  Einverleibung  de> 
Fürstentums  BajTeuth  in  das  Königreich  Bayern  nicht  sofort  beseitigt  werden.  Aber  was 
möglich  war,  geschah  sofort  und  noch  vor  Beendigimg  der  Kriege  wurden  wenigstens 
die  dringenden  Bedürfnisse  derjenigen  I .ehrer  befriedigt,  denen  die  französische  Verwaitun'j 
Besoldungen  angewiesen  hatte,  ohne  die  erforderlichen  Mittel  bereit  zu  stellen.  Die 
Lehrstellen  wurden  vermehrt,  die  Bezüge  der  Universität  erhöht,  neue  Institute  gegründet 
und  die  alten  ausreichender  dotiert.  Fassen  wir  zunächst  die  /eil  bis  zum  lOOjährigcn 
Stiftungsfest  ins  Auge,  so  sind  folgende  für  das  l'niversitätsleben  wichtige  Vorgänge  7u 
verzeichnen:  Im  Jahre  1816  wurde  der  Gedanke  an  den  Bau  des  Krankenhauses,  der 
durch  den  Krieg  unterbrochen  worrlen  war,  wieder  aufgenommen,  und  der  Bau  unter 
rinanzieller  Beteiligung  der  Stadt  im  Winter  1823/24  vollendet.  In  dem  Krankenhau-ie 
wurde  nunmehr  die  medizinische,  die  chirurgische  und  die  geburtshilfliche  Klinik  unter- 
gebracht. 1827  wurde  eine  neue  Entbindungsanstalt  in  einem  von  der  französisch- 
reformierten Kirchengemeinde  gemieteten  Hause  eingerichtet.  Ein  Jahr  vorher  war  der 
Anatomie  das  ehemalige  Orangeriegebäude  im  Schloßgarten  zugewiesen  worden;  hier 
fanden  auch  die  Sammlungen  der  anatomischen  Anstalt,  die  inzwischen  durch  einijje 
Ankäufe  vermehrt  worden  wiiren,  Unterkunft,  Das  Naturalicnkabinett,  bis  dahin  in 
gemieteten  Räumen  notdürftig  untergebracht,  wurde  nach  Überlassung  des  alten  mark- 
gräflichen Schlosses  nebst  Zubehorungen  an  die  Universität  (1817),  zugleich  mit  der 
nihliothek  in  diesem  (im  Jahre  1826)  untergebracht.  Mit  <ler  Autstellung  eigener 
Profes>oren  für  allgemeine  Naturgeschichte  und  Mineralogie  einerseits  und  für  Zoologie 
andererseits  war  die  Trennung  der  Direktion  verbunden;  dem  Mineralogen  wurde  das 
mineralogische,  dem  Zoologen  das  zoologische  Kabinett  unterstellt.  Der  botanische 
( iarten  wurde  1825  in  den  Schloßgarten  verlegt.  Das  physikalisch-chemische  Institut  sowie 
das  mathematisch-technologische  Institut  fanden  1840  in  dem  sogenannten  Maseumsgebäude, 
der  alten  Konkordienkirche,  Aufnahme.  Auch  der  zunächst  im  I*rivatbesitz  des  Professor^ 
Martins  verbliebenen  pharmazeutisch-pharmakognostischen  Sammlung  wurden  in  diesem 
(jebäude  Räume  zugeteilt.     Endlich    wurde    in    dem  Museum  18^^   eine  g^rößere  Anzahl 


Die  Königl.  Bayerische  Friedrich-Alexanders-Universität  zu  Erlangen.  493 

öfl'entlicher  Hörsäle  eingerichtet  und  damit  den  Dozenten  die  bis  dahin  bestandene 
lästige  Auflage,  selbst  für  entsprechende  Auditorien  zu  sorgen,  abgenommen.  In  der 
theologischen  Fakultät  wurde  das  homiletische  (Prediger-)  Seminar  etwas  imigestaltet 
(1813)  und  ihm  die  während  der  französischen  Zeit  entzogene  Dotierung  wieder  zuerkannt, 
im  Jahre  1821  ein  katechetisches  Seminar  mit  200  Gulden  Personal-  und  20  Gulden 
Kcalexigenz  errichtet,  1826  ein  theologisches  Seminar  mit  einer  exegetischen  und  einer 
kirchenhistorischen  Abteilung,  1834  ein  Ephorat  gegründet.  Auch  das  philologische 
Seminar  hat   1827  eine  Umgestaltimg  erfahren. 

Unter  den  Universitätslehrern,  welche  1810—1843  in  Erlangen 
längere  oder  kürzere  Zeit  wirkten,  dürften  die  folgenden  als  die 
bedeutendsten  bezeichnet  werden:  1.  die  Theologen  Joh.  Ben. 
VViner  (1825—32),  G.  Chr.  Ad.  Harleß  (1833—45),  Herrn.  Ols- 
hausen  (1834—39),  J.  Chr.  Konr.  Hofmann  (1838—42  und  1845—77) 
für  neutestamentliche  Exegese,  J.  G.  Veit  Engelhard t  (1820 — 55) 
für  historische  Theologie,  Gottfr.  Thomasius  (1842—75)  für 
systematische  Theologie,  J.  Wilh.  Höfling  (183*3 — 52)  für  praktische 
Theologie,  der  außerordentliche  Professor  Joh.  Chr.  Gottl.  Ludw. 
Kraft  (1818—45);  2.  die  Juristen  G.  Friedr.  Puchta,  der  als  außer- 
ordentlicher Professor  1824 — 28  in  Erlangen  wirkte,  der  Staats-  und 
Kirchenrechtslehrer  Friedr.  Jul.  Stahl  (18;ö,  dann  18:H— 40); 
A.  von  Scheurl  für  Kirchenrecht  und  römisches  Recht  (1839-1881j 
3.  in  der  medizinischen  Fakultät:  der  Anatom  Gottfr.  Fleischmann 
(1818—1850),  die  Botaniker  Chr.  Gottfr.  Nees  von  Esenbeck  (1818j, 
und  Mich.  Dan.  Jos.  Koch  (1824— 49),  die  Chirurgen  Mich.  Jäger 
(1826—32  und  1834—38),  und  Ludw.  Stromeyer  (18:»— 41),  der 
Physiologe  und  Zoologe  K.  Theod.  von  Siebold,  der  Anatom  und 
Zoologe  Rud.  von  Wagner  (1832-40);  4.  in  der  philosophischen  Fakultät: 
die  klassischen  Philologen  Ludw.  Döderlein  (1819 — (k^),  Jos.  Kopp 
(1827—42),  K.  Friedr.  Nägelsbach  (1842—59),  die  Philosophen 
Friedr.  Koppen  (1827-58),  Karl  Heyder  (1839-86),  K.  Phil. 
Fischer  (1841-79).  Friedr.  W.  J.  Schelling  (1821—27  in  Erlangen, 
las  1821—23),  Ludw.  Feuerbach  (1828—32  und  1835— 36),  E.  Aug. 
von  Schaden  (1839 — 52),  die  Nationalökonomen  Karl  Heinr.  Rau 
(1818-22)  und  Benedikt  Hermann  (182:J-27),  der  Orientalist 
Friedr.  Rückert  (1826—41),  die  Mathematiker  Martin  Ohm 
(1811 — 1 7  Privatdozent  in  Erlangen).  Simon  Ohm  (Privatdozent  181 2j, 
Joh.  Wilh.  Staudt  (1818-35),  Karl  G-  Chr.  von  Staudt  (1835 
bis  18()7j,  der  Zoologe  G.  H.  Schubert  (1818—27). 

Die  Zeit  von  1843  bis  zur  Gegenwart  wird  am  besten  in  zwei 
Zeitabschnitte  zerlegt,  deren  erster  die  Jahre  1843  bis  1880  und  deren 
zweiter  die  Zeit  von  1880  bis  1903  umfaßt. 


494  I^Jc  einzelnen  Universitäten. 

In  dem  ersten  Zeitraum  muß  sich  Erlangen  mit  einer  be- 
scheidenen Anzahl  von  Studierenden  begnügen.  Eine  allmähliche 
Zunahme  derselben  von  Beginn  der  bayerischen  Herrschaft  bis  Mitte 
der  fünfziger  Jahre  ist  allerdings  unverkennbar;  aber  von  da  ab  bleibt 
die  Zahl  bis  1880/81  ziemlich  konstant  mit  Ziffern,  die  sich  (abgesehen 
von  1870/71)  zwischen  400  und  500  bewegen.  Diesem  Zustande  ent- 
spricht es,  daß  die  Zahl  der  Neubauten  in  dieser  Zeit  nicht  groß 
ist.  Dagegen  fand  eine  erhebliche  Vermehrung  der  Professuren  von 
1 5  im  Jahre  1 820  auf  42  im  Jahre  1 850  und  eine  weitere  Spezialisierung 
der  Disziplinen  statt.  Im  Jahre  1853  wurde  eine  Entbindungsanstalt 
mit  einem  Kostenaufwand  von  16000  Gulden  errichtet  und  1874  mit 
einem  weiteren  Aufwand  von  22  (KX)  Gulden  vergrößert,  1863  wurde 
auf  das  Krankenhaus  ein  Stockwerk  aufgesetzt,  1859/60  das  chemische 
I^boratorium  für  30  0*^^  Gulden  erbaut.  Ein  neues  Anatomiegebäude 
mit  35  000  Gulden  Kosten  wurde  1 86C^  vollendet ,  das  alte  dem 
zoologischen  Institut  eingeräumt.  Im  Jahre  1 877  wurde  die  chirurgische 
Klinik  mit  einem  Bauaufwand  von  35  000  M.  enveitert.  Eine  neue 
Frauenklinik  entstand  1877  für  315  340  M.;  ein  Neubau  am  chemischen 
Laboratorium,  ausgeführt  1878,  kostete  154  000  M. 

Die  außerordentliche  Zunahme  der  Zahl  der  Studierenden  seit 
dem  Beginn  der  achtziger  Jahre  (1880/81:  473,  18W/91  :  10(4)  und 
die  zunehmende  Bedeutung  des  medizinischen  und  natunvissenschaft- 
lichen  Studiums  an  der  Erlanger  Universität  veranlaßten  das  Staats- 
ministerium und  die  Volksvertretung  zur  Bewilligung  zahlreicher  und 
bedeutender  Neubauten,  zur  Gründung  neuer  Institute  und  semina- 
ristischer Einrichtungen.  In  der  Hauptsache  sei  auf  die  folgende 
Übersicht  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Universität  verwiesen; 
doch  seien  auch  hier  die  wichtigsten  Neu-  und  Umbauten  kurz  an- 
geführt. Die  Ära  der  Neubauten  begann  mit  dem  zoologischen 
Institut,  1884/85  mit  einem  Kostenaufwand  von  1(X)(M)0  M.  errichtet, 
wobei  die  bisherigen  Räume  des  zoologischen  Instituts  zu  Zwecken 
des  pharmazeutischen  Instituts  adaptiert  wurden.  Ihm  folgte  in  den 
Jahren  1886— H<)  die  Erbauung  eines  stattlichen  Kollegienhauses  im 
Kostenbetrage  von  430  (KH)  M.  mit  12  kleineren  und  größeren  Hör- 
sälen, dem  mathematischen  Institut,  7  Seminarien,  2  Professoren- 
zimmern, 1  Lesesaal,  I  Senatssaal,  1  kleineren  Sitzungszimmer,  I  Saal 
für  die  archäologischen  Sammlungen  und  I  Aula.  In  den  Jahren 
1890-  <)2  wurde  der  Augenklinik,  die  bis  dahin  in  einem  Miethause 
untergebracht  war,  ein  Neubau  mit  einem  Aufwand  von  220  (KK)  M. 
ohne    Kosten    für    Baui)latz    und    innere    Einrichtung)    errichtet,    zur 


Die  Königl.  Bayerische  Friedrich-Alexanders-Universität  zu  Erlangen.  495 

gleichen  Zeit  ein  neues  botanisches  Institut  für  1 23  000  M.  erbaut.  In 
den  Jahren  1892—94  entstanden  das  pharmakologisch-poliklinische 
Institut  mit  70  000  M.,  das  physikalische  Institut  mit  211  000  M.  und 
ein  neues  Hörsaalgebäude  für  die  Frauenklinik  mit  36  000  M.  Kosten. 
Für  das  mineralogisch  -  geologische  Institut  wurde  1894-—%  das 
Museum,  nachdem  die  Hörsäle  in  das  neue  Kollegiengebäude 
verlegt  und  die  Physik  in  dem  Neubau  untergebracht  worden 
war,  mit  einem  Aufwände  von  97000  M.  umgebaut.  In  den 
Jahren  1895—97  entstand  ein  neues  Anatomiegebäude  mit  300  000  M. 
Baukosten;  das  alte  Anatomiegebäude  wurde  seitdem  als  interimistische 
Unterkunftsstätte  für  das  pharmazeutische  Institut,  neuerdings  für  das 
physiologische  Institut  benutzt.  Im  Jahre  1898  konnte  das  hygienische 
Institut  in  einem  Anbau  des  chemischen  Laboratoriums  (Bausumme 
f)OOOOM.)  eröffnet  werden.  In  den  Jahren  1898—1901  erfolgte  der  Bau 
eines  neuen  chemischen  Instituts,  dessen  bisherige  Räume  dem 
pharmazeutischen  Institut  eingeräumt  wurden,  mit  einem  Bauaufwand 
von  312  000  M.,  1898—1901  die  Erweiterung  der  medizinischen  Klinik 
mit  31K)000  M.,  1902/03  die  Erweiterung  der  chirurgischen  Klinik 
mit  210  000  M.  und  der  Frauenklinik  mit  250  000  M.  Kosten.  Als 
letzter  Neubau,  der  eben  im  Entstehen  begriffen  ist,  sei  der  des 
pathologisch-anatomischen  Instituts  erwähnt.  Der  Erweiterung,  Ver- 
besserung und  Umgestaltung  der  Institutsbauten  parallel  ging  eine 
Erhöhung  der  Betriebsetats,  wie  dies  die  folgenden  Übersichten  auf- 
weisen. Nicht  im  gleichen  Maße  fand  das  Bedürfnis  nach  Räumlich- 
keiten für  die  Seminarien  in  der  theologischen,  juristischen  und 
philosophischen  Fakultät  Befriedigung;  zwar  hat  die  Zahl  der 
Seminarien  selbst  in  den  letzten  Jahrzehnten  erheblich  zugenommen, 
aber  vielen  derselben  fehlt  es  an  ausreichenden  und  zweckent- 
sprechenden Räumen. 

Rücksichtlich  der  Frequenz  der  einzelnen  Fakultäten  hat  sich  in 
den  letzten  drei  Jahrzehnten  eine  bemerkenswerte  Verschiebung  voll- 
zogen. Während  bis  in  die  fünfziger  Jahre  des  19.  Jahrhunderts 
die  Zahl  der  Studierenden  in  der  theologischen  und  juristischen 
Fakultät  ungefähr  im  Gleichgewicht  stand,  die  Zahl  der  Mediziner 
und  Philosophen  sich  dagegen  in  bescheidenen  Grenzen  bewegte,  hob 
sich  die  Zahl  der  Theologen  seit  den  sechziger  Jahren  zu  solcher 
Höhe,  daß  sie  nicht  selten  die  Hälfte  und  mehr  der  Gesamtzahl  der 
Studierenden  erreichte.  Seit  den  achtziger  Jahren  nehmen  die 
Studierenden  der  Rechte  und  insbesondere  der  Medizin  rasch  zu,  so 
daß  1890  die  Zahl  der  Mediziner  jene  der  Theologen  bereits  übertraf. 


496  I^'e  einzelnen    Iniversitäten. 

Die  folgenden  Jahre  weisen  einen  empfindlichen  Rückgang  der  Zahl 
der  Studierenden  der  Theologie  auf,  auch  das  medizinische  Studium 
läßt  nach,  so  daß  in  den  letzten  Jahren  die  Zahl  der  Rechtsbeflissenen 
die  der  anderen  Fakultäten  übertrifft.  Die  Studierenden  der  1 .  Sektion 
der  philosophischen  Fakultät  haben  sich  seit  den  achtziger  Jahren  in 
ungefähr  der  gleichen  Höhe  gehalten,  die  Studierenden  der  2.  Sektion 
gegen  1890  eine  beträchtliche  Zunahme  erfahren. 

Schließlich  erübrigt  es  noch  die  Namen  der  bedeutendsten  Männer, 
welche  seit  1843  an  der  hiesigen  Hochschule  längere  oder  kürzere 
Zeit  gewirkt  haben,  anzuführen.  Es  sind  dies:  1.  die  Theologen 
Frz.  Rein h.  Frank  für  systematische  Theologie  (1857—94),  Ad.  Gerh. 
von  Zezschwitz  für  praktische  Theologie  (1866 — 86),  der  reformierte 
Theologe  Joh.  H.  Aug.  Ebrard  (1842—44  Privatdozent,  1847—53 
und  1862—88);  2.  die  Juristen:  Joh.  Aug.  Roderich  Stintzing 
für  römisches  Recht  (1857—70),  der  Staatsrechtslehrer  Heinrich 
Marquardsen  (1861 — 97),  der  Germanist  und  Staatsrechtslehrer  Karl 
Friedr.  Gerber  (1847—51),  der  Rechtshistoriker  Gottfr.  Gengier 
(1843—1901);  3.  die  Mediziner:  Karl  Canstatt  für  innere  Medizin 
(1843—50),  der  Anatom  Jos.  Gerlach  (1850— %),  der  Kliniker  (innere 
Medizin)  Franz  von  Dittrich  (1850—59),  Anton  Wintrich  (1844—82;, 
der  Chirurg  Karl  Thiersch  (1854-70),  der  Kliniker  Adolf  Kußmaul 
(1859-6:^),  der  Pathologe  Friedr.  Zenker  (I8(>2— 98),  der  Kliniker 
Hugo  v.  Ziemßen  (1863 — 74),  der  Chirurg  Walter  Heineke 
(1867—1901),  der  Psychiater  Friedr.  Wilh.  Hagen  (1860—87).  der 
Gynäkologe  Karl  Schröder  (1869—76),  der  Psychiater  Anton 
Bumm  (1888 — %);  4.  in  der  philosophischen  Fakultät:  der  Historiker 
Karl  Hegel  (1855 — 1901),  der  Germanist  Rud.  von  Raumer 
(1852-76),  der  Philologe  Kd.  Wölfflin  (1874—80),  die  Physiker 
Rud.  Kohlrausch  (1857—58)  und  Friedr.  Wilh.  Hubert  Beetz 
(1858 — 68),  der  Chemiker  E.  von  Gorup-Besancz,  die  Zoologen 
J.  Fr.  Will  (1845— r*),  E.  Ehlers  (1869—74),  E.  Sclenka  (1874—95), 
die  Mathematiker  Herrn.  Hankel  (1867—68)  und  Friedr.  Pfaff 
(1869—71)  und  der  Mineraloge  Friedr.  Pfaff  (1855— 86). 

Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1<X)3j. 

1.  Die  evangelisch -theologische  Fakultät.  Sie  zählt 
()    ordentliche  Professoren*),   l   ordentlicher  Professor  der  reformierten 

*)  Zahn,  Koldc,  Caspari,  Kwald,  Lotz,  Bachmann. 


l)\e  Königl.  Bayerische  Friedrich-Alexanders-Universität  zu  Erlangen.  497 

Theologie  (extra  facultatem)*),  1  Privatdozenten,  2  Repetenten,  1    der 
Fakultät  aggregierten  Lehrer  für  Kirchenmusik. 

Es  bestehen  folgende  Seminarien  (das  Gründungsjahr  und  ihr 
aus  Staatsmitteln  fließender  Jahresetat  sind  in  Klammern   beigesetzt): 

Seminar  für  alttestamentliche  Exegese  (1884;  450  M.); 
Homiletisches  Seminar  (1745  bezw.  1805;  300  M.); 
Katechetisches  Seminar  (1751   bezw.  1809;  60  M.); 
Kirchengeschichtliches  Seminar  (1826;  530  M.); 
Seminar  für  kirchliche  Archäologie  (1886;  100  M.); 
Seminar  für  neutestamentliche  Exegese  (1884;  350  M.); 
Seminar  für  systematische  Theologie  (1874;  350  M.); 
Seminar  für  reformierte  Theologie  (1886;  100  M.); 
Institut  für  Kirchenmusik  (1854;  600  M.). 

2.  Die  juristische  Fakultät.  Ihr  Lehrkörper  besteht  aus 
5  ordentlichen  Professoren**),  1  außerordentlichen  Professor.  Das 
juristische  Seminar  (gegründet  1824)  hat  einen  Jahresetat  von  1358  M. 

3.  Die  medizinische  Fakultät.  Ihr  gehören  10  ordentliche 
Professoren***;,  5  außerordentliche  Professoren,  5  Privatdozenten  an.  Die 
Institute  und  Kliniken  sind  die  folgenden :  f)     (Tabelle  auf  Seite  498.) 

4.  Die  philosophische  Fakultät.  Die  philosophische  Fakultät 
zählt  zur  Zeit  19  ordentliche  Professoren,  7  außerordentliche,  9 
Privatdozenten.  Sie  zerfallt  in  2  Sektionen:  Die  philosophisch-histo- 
rische und  die  mathematisch-naturwissenschaftliche.  Die  erstere  zählt 
11  Ordinarien tt),  4  außerordentliche  Professoren,  4  Privatdozenten; 
die  zweite  8  Ordinarien  fff),  3  Extraordinarien,  .5  Privatdozenten. 

Als  Fachgruppen  kann  man  unterscheiden: 

a)  Philosophie:  2  Ordinarien,  1  Privatdozent; 

b)  Altertumswissenschaft    (griechische,  lateinische  Philologie,  Ar- 
chäologie,   alte    Geschichte,    Pädagogik)    mit    4    Ordinarien, 

*)  K.  Müller. 
**)  Schling,  Rehm  (nach  Straflburg  berufen,  an  dessen  •  Stelle  von  Oktober  1903  ab 
Rieker-Leipzig),  Allfeld,  Ortmann,  Binder. 

***)  Rosenthal,    v.  Strümpell    (nach    Breslau    berufen),    Penzoldt,    Gerlach,    Hauser, 
Meischer  (Oktober  1903  quiesziert),  Öller,  Gräser,  Heim,  Veit. 

f)  Bei  den  Etats  der  Institute  und  Kliniken  (1902)  sind  nur  die  aus  Staatsmitteln 
fließenden  Beträge  aufgeführt;  über  die  Kinnahmen  aus  Verpflegungsgeldem  usw. 
s.  leute  Tabelle. 

ff)  Steiimieyer,  Luchs,  Varnhagen,  Kheberg,    Falckenberg,    (ieiger,    Römer,    Fester, 
Judeicb,  Heerdegen,  Hensel. 

fff)  Gordan,  Wiedemann,  Fischer,  Nöther,  Paal,  Lenk,  Heiscbmann,  Solereder. 

Das  Unterrichts weien  im  Deutschen  Reich.    I.  32 


498 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Institute  und  Kliniken 


Anatomisches  Institut  .  .  . 
Physiologisches  Institut  .  . 
Pathologisch  -  anatomisches 

Institut 

Hygienisch  -  bakteriologisches 

Institut  3) 

Medizinische  Klinik  .     .     .     . 


Staatliche  Zuschüsse 


(Iriin- 

dungs- 

jahr 


!       I>etzter 
I Neubau  =  N  f^^^~    "  ,r— H 
Erweiterungs-     j;^^^,)     ;  .^hliche  j^ 

bau  zz  E      I    T>  j.i_r     I    T>_j.-i_i-    iSumme- 


Umbau  =:  U  , 


Bedürf- 


Bedürf-   i 
nisse 


Chirurgische  Klinik  .     . 

Gemeinschaftlicher     Etat 
medizinischen      und 
gischen  Klinik     .     . 

Frauenklinik     .... 


der 
chirur- 


1754 
1872 


N  1895-97 
U1902— 032)' 


5  790 
5730 


1854      N  1903-05       4230 


Augenklinik 

Ohrenärztliche  Klinik    .     .     . 
Pharmakologisch-poliklinisches 

Institut 

Psychiatrische  Klinik     .     . 


1897 
1803 


1823/24 


1827/53 


1873 
1888 

1890 
1854 


N  189e<) 

E  1863 
u.  1898—1900 

U  1901 
,  E  1877 
u.  1900— 1902 


E  1874 
N  1877 

E  1892—93 
1902—03 

N  1890—92 
—  ^) 

N  1892—94 


2220 
5355 


7  581 


13525») 
4  700 


4  590 
1  100 

3810 
1  140 


10043  15833 

4  287  10017 

3188  8218i 

3379  '    5599, 

34178  39533' 


33949     41530' 


15359    129884 
33863     38563 


49264  53854 

1000  2100 

8504  12314 

500  1640 


1)  Assistenten,  Diener  usw. 

2)  Seit  1903  in  einem  älteren  (Jebäude  (früher  Anatomie)  untergebracht. 

^)  Vorher  war  die  Hygiene  mit  dem  physiologischen  Institut,  die  Bakteriologie  mit 
dem  pathologisch-anatomischen  Institut  verbunden. 

*)  Anbau  an  dem  pharmazeutisch-chemischen  Institut. 

^)  Gemeinsame  Direktion,  Verwaltungs-,  Maschinen-  usw.  IVrsoiial. 

•')  In  der  chirurgischen  Klinik  untergebracht. 

")  Mit  der  Kreisirrenanstalt  in  Erlangen  verbunden. 


1  Extraordinarius.  Dafür  bestehen  folgende  Seminarien: 
Philologisches  Seminar  (gegr.  1743;  20v^5  M.),  Seminar  für 
alte  Geschichte  (gegr.  1 872 ;  258  M. ),  Archäologisches  Seminar 
(gegr.  1887;  3(K)  M.); 

c)  neuere  Philologie  und  Literaturgeschichte  (germanische,  eng- 
lische, romanische)  mit  2  Ordinarien,  1  Extraordinarius, 
1  Privatdozent.  Deutsches  Seminar  (1883;  500  M.),  Seminar 
für  romanische  und  englische  Philologie    (1885)  von  1901   ab 


Die  Königl.  Bayerische  Frie<lrich-Alcxauders-Universität  zu  Erlangen.  499 

getrennt   in    zwei  Seminare:    Romanisches   Seminar  (300  M.), 
Englisches  Seminar  (300  M.); 

d)  vergleichende  Sprachwissenschaft  (indogermanische  Sprach- 
wissenschaft), semitische  Philologie  mit  1  Ordinarius,  1  Extra- 
ordinarius; Orientalisches  Seminar  (ohne  Jahresetat); 

e)  mittlere  und  neuere  Geschichte  mit  1  Ordinarius.  Historisches 
Seminar  für  mittlere  und  neuere  Geschichte  (1872;  516  M.), 
von  18%  an  wurde  das  historische  Seminar  in  2  Abteilungen 
getrennt:  1.  Abteilung  für  alte  Geschichte  (s.o.),  2.  Abteilung 
für  mittlere  und  neuere  Geschichte; 

f)  Kunstgeschichte  (neuere):  1  Privatdozent; 

g)  Staatswissenschaften  und  Statistik,  vertreten  durch:  1  Ordinarius, 
1  Extraordinarius,  1  Privatdozent.  Staatswissenschaftliches 
Seminar  (1886;  300  M.); 

h)  Geographie:  1  Extraordinarius.  Geographisches  Seminar  (1900; 
,300  M.); 

i)  Mathematik:  2  Ordinarien.  Mathematisches  Kabinett  (1769 
176  M.),  mathematisch-physikalisches  Seminar  (1874;  2314 
Mark); 

k)  Physik:  1  Ordinarius,  1  Hxtraordinarius,  1  Privatdozent.  Physi- 
kalisches Institut  (gegr.  1828;  Neubau:  1892—1894;  3800  M. 
Personalbedarf;  6385  M.  Realbedarf,  zusammen  10185  M.); 

1)  Chemie  (Chemie,  Pharmazie  und  angewandte  Chemie,  analy- 
tische Chemie  und  chemische  Technologie):  2  Ordinarien, 
1  Extraordinarius,  3  Privatdozenten.  Chemisches  Laboratorium 
(gegr.  1857;  Neubau  1898—1901,  Personalbedarf  8575  M., 
Realbedarf  16679  M.,  zusammen  25254  M.)  Pharmazeu- 
tisches Institut  (gegr.  1850,  in  die  Räume  des  chemischen 
Instituts  verlegt  1901,  Personalbedarf  5362  M.,  Realbedarf 
10  363  M.,  zusammen  15  725  M.); 

m)  Mineralogie  und  Geologie,  vertreten  durch  1  Ordinarius, 
I  Privatdozenten.  Mineralogisch-geologisches  Institut  (gegr. 
1805,  Umbau  des  alten  Kollegienhauses  1894 — 96,  Personal- 
bedarf 2570  M.,  Realbedarf  :«42  M.,  zusammen  6412  M.); 

n)  Zoologie:  1  Ordinarius.  Zoologisches  Institut  (gegr.  1885, 
Neubau  1884/85,  Etat  9950  M.,  darunter  43:»  M.  Personal- 
bedarf, 5615  M.  Realbedarf); 

32* 


500  ^*c  einzelnen  Universitäten. 

o)  Botanik:  1  Ordinarius.  Botanischer  Garten  und  botanisches 
Institut  (gegr.  1771,  Neubau  1890—1892,  Etat  16432  M., 
darunter  588:i.M.  Personalbedarf,  10  589  M.  Realbedarf j. 

Als  allgemeine  Universitätsanstalten  kommen  in  Betracht: 

1.  Die    Universitätsbibliothek.    —    Ihren  Grundstock  bildet: 

Ein  Büchergeschenk  des  Gründers  der  Universität,  des  Markgrafen  Friedrich  von  Bayreuth, 
und  die  medizinische  Bibliothek  des  Geh.  Rats  Superville  (ca.  3000  Bände).  Dazu 
kamen:  1748  die  erste  Hälfte  der  Bibliothek  des  Klosters  Heilsbronn;  in  den  50er  Jahren 
des  18.  Jahrhunderts  die  Bibliothek  der  MarkgräHn  Friderike  Sophie  Wilhelmine  von 
Bayreuth  und  die  Neustädter  Bibliothek  des  Markgrafen  Friedrich  Christian;  in  den  60er 
und  70  er  Jahren  die  zweite  Hälfte  der  Heilsbronner  Bibliothek  und  die  Doubletten  der 
nach  Altdorf  gelangten  Trewschen  Bibliothek;  Ende  des  18.  Jahrhunderts  die  Masiussche 
Bibliothek,  die  Bibliothek  des  Klosters  S.  Jobst  bei  Bayreuth  und  ein  Teil  der  Bibliothek 
des  Klosters  Langheim  bei  Culmbach;  1805  die  .\nsbacher  Schloßbibliothek  und  die 
Schwaninger  Bibliothek;  1818  die  Altdorfer  Universitätsbibliothek  mit  ihren  Annexen, 
der  Trewschen,  Stöberlinschen  und  der  Bibliothek  der  Altdorfer  deutschen  Gesellschaft; 
später  noch  die  Bibliothek  der  letzten  MarkgräHn  Caroline  von  Ansbach  nebst  zahlreichen 
anderen  kleineren  Büchersammlungen  (aus  neuerer  Zeit  Teile  der  ehemaligen  Erlanger 
Stadtbibliothek,  der  Stintzingschen,  Gengierschen  und  Abelschen  Bibliothek).  Die 
Bibliothek  befand  sich  früher  im  alten  l'niversitätsgebäude,  seit  1825  befindet  sie  sich  in 
dem  nach  dem  Brand  von  1814  neuerbauten  Schloßgebäude,  das  sie  seit  1889  allein 
inne  hat. 

Das  Personal  der  Bibliothek  besteht  gegenwärtig  aus  1  Oberbibliothekar,  1  Biblio- 
thekar, 1   Sekretär,  1   wissenschaftlichen  Hilfsarbeiter  und  3  Dienern. 

Ihr  Etat  beträgt  zur  Zeit  ca.  32865  M.  für  Realbedarf,  18160  M.  für  Per- 
sonalbedarf. 

Der  Bücherbestand  beziflert  sich  auf  ca.  218  000  Bünde  außer  Dissertationen  und 
Programmen,  2029  Handschriften  und  2100  Inkunabeln. 

Mit  der  Bibliothek  verbunden:  1.  Münzsammlung  (ohne  Etat),  1858  an  die  Uni- 
versität gekommen  als  l^gat  des  Freiherrn  Friedrich  Valentin  Voit  von  Salzburg;  Ver- 
mehrung nur  durch  gelegentliche  Geschenke;  2.  Kupferstichsammlung  (Etat  zur  Konser- 
vierung: 172  M.,  einbegriffen  in  dem  Bibliotheksetat),  gegründet  gleichzeitig  mit  der 
Kunstsammlung  1854. 

2.  Die  Kunstsammlung,  gegründet  \Q54  mit  einem  Jahresetat 
von  640  M. 

3.  Das  akademische  Lesezimmer,   1889  gegründet. 

Die  Universität  stellt  Ix)kal,  Beleuchtung,  Heizung  und  Reinigung.  Jeder  Studie- 
rende und  Hörer  der  Universität  hat  pro  Semester  einen  Beitrag  von  2  M.  zu 
leisten.  Dazu  treten  die  Beiträge  der  Professoren  zu  6  M.  und  der  Privatdozenten  und 
Assistenten  zu  4  M.  im  Semester.  Der  Etat  des  Lesezimmers  beträgt  einschließlich  der 
Zinsen  seines  eigenen  Vermögens^  (Ersparnisse  früherer  Jahre,  im  ganzen  6500  M.) 
ca.  5100  M. 

4.  An  allgemeinen  Einrichtungen  für  Körperpflege  ist  zu  er- 
wähnen: Das  Fechtin.stitut  mit  I  Fechtlehrer,  das  Reitinstitut  mit 
1  Reitlehrer  und  der  Jugendspielplatz,  für  welchen  ein  Jahresbetrag 
von  975  M.  ausgeworfen  ist. 


Die  Königl.  Bayerische  Friedrich- Alexanders-Universität  zu  Erlangen. 


501 


3.   Statistische  Übersichten. 

Zahl   der  Lehrer. 


Semester 

Ordentliche 
Professoren 

Ordentliche 
Honorar- 
Professoren 

1  Außerordent- ! 

liehe 

Professoren 

Privat- 
dozenten 

I>ektoren 

S.  1903  .     . 

.  1          40 

_ 

13 

13 



„  1878  .     . 

33 

— 

11 

11 

— 

„  1850  .     . 

25 

2 

13 

5 

— 

„  1820  .     . 

21 

— 

4 

? 

— 

„  1750  .     . 

15 

— 

3 

> 

_ 

Zahl  der   immatrikulierten   Studierenden. 
(Die  Zahl  der  Reichs-Ausländer  ist  in  Klammem  beigefugt.) 


S.  1903       =    937  (29) 

S.  1890=1006  (39)            S 

>.  1830  =  4160 

W.  1902/03  =:    964  (26) 

„1880=    464  (18) 

,   1810            M 

S.  1902      -  1004  (29) 

„  1870  zi:    344     1) 

,  1800            1) 

W.  1901/02  =  1004  (34) 

„  1860=    501     ') 

,  1780            1) 

S.  1901       -    ^rn  (30) 

„  1850=    387     1) 

,  1760            I) 

W.  1900/01=1    %7  (31) 

„  1840=    311     M 

,  1740            ») 

S.  1900      =    974  (23) 

1)  Fehlen  Angaben. 


Zahl   der  Studierenden  der 


S.  1903  . 
W.  1902/03 

S.  1900  . 

„    1895  . 

„   1890  . 

„   1880  . 

„   1870  . 

„   1860  . 

„   1850  . 


.    evange-       Rechts- 

lischen        wissen-       Medizin 
I  Theologie       schaft 


155 
145 
178 
314 
290 
206 
163 
312 
169 


316 

301 

253 

234 

213 

47 

66 

77 

148 


201 

221 

265 

332 

339 

94 

74 

64 

46 


philoso-   I   philoso- 
phischen I  phischen     Pharma-     Zahn- 
Fakultät  1   Fakultät  '     zcuten       ärzte 
I.  Sektion  I II.  Sektion 


Fakultät  ,   Fakultät 
I.  Sektionen.  Sektion 


64 
65 
64 
58 
30 
56 
10 


131 

137 

148 

132 

59 

32 

11 


29 

19 


70 
85 
60 
57 
56 
29 
20 
19 
5 


Zahl  der  sonstigen  zum  Hören  der  Vorlesung  Zugelassenen:  S.  1903:  21, 
bis  1903:  25,   S.  1902:   29,    W.  1901/02:   13,    S.  1901:  16,    W.  1900/01:  24. 
zugelassenen  weiblichen  Studierenden  (Hörerinnen)  S.  1903:  9,  W.  1902/03:  10, 
8,  W.  1901/02:  4,  S.  1901:  4,  W.  1900  01:  2. 


6 
27 
19 


W.  1902 

Z^hl  der 
S.  1902: 


502 


Die  einzelnen  Universitäten. 
Kinnahmen  der  Universitäten   in   Mark. 


Etatsjahr 

.\us  eigenem 

Vermögen  und 

Stiftungen 

Aus  eigenem 
Erwerb  (Kli- 
niken usw.) 

Staats- 
zuschufl 

Gesamt- 
einnahmen 

1902      .     . 

60735 

252553 

912758 

1226046 

1890      .     . 

53959 

161499 

628124 

843  582 

1878      .     . 

59525 

62  597 

552  915 

675037 

1865     .     . 

52401 

12116 

223868 

288385 

1850     .     . 

42  878 

31  777 

133655 

179710 

Ordentliche    Ausgaben. 


Besoldungen 

und  Remune- 

Ruhe- 

Institute 

Ven»al- 

Etatsjahr 

rationen  der 

gehälter, 

und 

Stipendien 

tungs-  und 

Gesamt- 

Professoren 

Pensionen 

Samm- 

usw. 

sonstige 

ausgaben 

und 

usw. 

lungen 

Kosten 

Dozenten 

;   1902     .     .     . 

270075 

40146 

791799 

14066 

36343 

1  152  426 

1890     ..     . 

233015 

27  831 

526373 

11611 

,    27  617 

826  449 

1878     .     .     . 

.  1       211354 

,    24866 

378629 

10917 

26352 

652118 

1865     ..     . 

121  253 

7  168 

124  0% 

82% 

17  447 

278260 

;   1850    .     .     . 

75  4as 

15  163 

58  505 

6  939 

10462 

166  452 

Einmalige  und  außerordentliche  Ausgaben  in  dt*n  25  Jahren  1878  bis  1902  :  Kür 
Neubauten  3  807  193  M.,  sonstige  außerordentliche  Ausgaben  272  275  M.,  zusammen 
4  079468  M. 


K. 


T  h.   K  h  c  b  e  r  g. 


XIV.  Die  Königlich  Sächsische  Universität  Leipzig. 


1.    Gründung  und  erste  Entwicklung. 

Es  war  am  9.  September  1409,  ak  Papst  Alexander  V.  in  Pisa 
seine  Genehmigung  dazu  gab,  daß  Friedrich  und  Wilhelm,  die  Land- 
grafen von  Thüringen  und  Markgrafen  von  Meißen  in  Leipzig  ein 
Generalstudium  errichten  durften.  Kaum  2  Monate  später  —  am 
2.  Dezember  —  ist  dann  das  Statut  datiert,  durch  welches  die  hohen 
Stifter  ihre  Universität  mit  Privilegien  ausstatteten  und  ihre  Einrich- 
tungen anordneten. 

An  dem  Tage,  an  dem  das  Statut  verkündet  wurde,  wählten 
die  von  den  Fürsten  bereits  ernannten  Professoren,  46  an  der  Zahl, 
den  ersten  Rektor,  Johannes  von  Münsterberg,  der  nach  einer  freilich 
nicht  recht  verbürgten  Annahme  mit  der  Immatrikulation  von  22 
Studenten  seine  Tätigkeit  begonnen  haben  soll.  Groß  war  jedenfalls 
der  Zustrom  von  allen  Seiten,  denn  in  dem  ganzen  Wintersemester 
1409/10  hat  der  genannte  Rektor  369  Studenten  als  akademische 
Bürger  verpflichtet. 

Für  Lehrzwecke,  Disputationen,  Lektionen  und  andere  Schulakte 
wurden  2  Kollegien  gegründet,  die  man  Fürstenkollegien  nannte  (que 
nominabantur  collegia  principum).  Die  zu  ihrer  Aufnahme  ausersehenen 
Häuser  blieben  von  allen  Lasten,  Abgaben,  Steuern  und  ähnlichen  Be- 
schwerungen befreit.  Am  großen  Kolleg  waren  12  Magistri,  aus  jeder 
Nation  3,  tätig,  jeder  mit  30  Fl.  Jahresgehalt,  darunter  einer,  der 
Vertreter  der  Gottesgelehrsamkeit,  mit  einem  Zuschuß  von  weiteren 
30  Fl.  Am  kleinen  Kolleg  wirkten  8  Magistri,  aus  jeder  Nation  2, 
mit  jährlichen  Einkünften  von  12  Fl.  Daß  in  diesen  Gebäuden  alle 
Professoren  und  Studenten  Unterkunft  finden  sollten,  war  kaum  von 
Anfang  an  beabsichtigt,  obwohl  die  geräumigen  Gartenflächen,  die  zu 
den  Häusern  gehörten,  zu  Neubauten  die   Möglichkeit  boten.     Daher 


504  I^ie  einzelnen  Universitäten. 

entstanden  Privatbursen,  die  von  Lehrern  und  Lernenden  gemeinsam 
bewohnt  wurden,  und  später  wurde  es  den  letzteren  erlaubt,  überall 
in  der  Stadt  zu  wohnen. 

Ob  die  Universität  von  vornherein  sich  außerdem  in  4  Fakul- 
täten, jede  mit  einem  Dekan  an  der  Spitze,  gliederte,  ist  fraglich. 
Jedenfalls  fehlt  es  an  beweisenden  Dokumenten.  Immer  ist  es  nicht 
unwahrscheinlich.  Der  Dekan  vertrat  alsdann  die  lehrende  Gemeinde, 
während  dem  Rektor  die  Repräsentation  der  politischen  Gemeinde 
zufiel.  Der  Rektor  ist  der  magistratus  major,  der  Dekan  der  magi- 
stratus  minor. 

Zunächst  bewirkte  Leipzig  überhaupt  eine  stärkere  Betätigung 
des  geistigen  Lebens  in  Norddeutschland.  Das  zeigte  sich  noch  mehr, 
als  Rostock  und  Greifswald  begründet  wurden.  Die  Eröffnung  von 
Rostock  im  Jahre  1419  brachte  die  Zahl  der  Inskriptionen  in  Nord- 
deutschland auf  841,  die  von  Greifswald  im  Jahre  1456  gar  auf  1195, 
eine  bis  dahin  noch  nicht  dagewesene  Höhe.  Leipzig  büßte  jedoch 
dadurch  ein,  obwohl  nur  vorübergehend.  Die  Niedersachsen  stellten 
sich  nunmehr  nicht  in  so  großer  Anzahl  wie  bisher  in  Leipzig  ein, 
auch  Krakau  und  Kopenhagen  hemmten  den  Zuzug,  und  die  Süd- 
deutschen, die  den  Hussiten  aus  dem  Wege  gehen  wollten,  zogen 
Erfurt  vor.  So  gelang  es  Erfurt,  für  mehrere  Jahre  die  Führung  der 
norddeutschen  Hochschulen  zu  übernehmen.  Miteinander  mußten 
Leipzig  und  Erfurt  um  die  Hegemonie  kämpfen,  bis  seit  dem  Somnier- 
semester  1484  der  Wettstreit  sich  zugunsten  Leipzigs  entschied. 
Noch  einmal  wiesen  Leipzig  und  Erfurt  im  Wintersemester  1498/9^i 
eine  fast  gleiche  Zahl  von  Inskriptionen  auf,  seitdem  aber  gebührte 
Leipzig  der  Vorrang.  Als  Erfurt  sich  dann  der  Reformation  anschloß, 
trat  sogar  ein  jäher  Verfall  ein,  und  Leipzig  war  fortan  eine  Zeitlang 
die  ansehnlichste  aller  deutschen  Universitäten.  Neben  ihr  hatten 
Ingolstadt,  Rostock,  Greifswald  mehr  örtliche  Bedeutung.  Heidelberg 
zog  vorübergehend  durch  den  Kalvinismus  Fremde  aus  der  Schweiz, 
dem  südlichen  Frankreich  und  den  Niederlanden  an.  Cöln,  das 
anfangs  aus  der  Utrochter  und  Lütticher  Gegend  gut  besucht  war, 
verlor  an  Bedeutung,  als  die  niederländischen  Universitäten,  die  die 
Konkurrenz  aushalten  konnten,  emporkamen.  Marburg,  Frankfurt  a/O., 
Tübingen  und  Freiburg  waren  neben  den  genannten  die  kleinen 
Hochschulen,  die  die  Aufmerksamkeit  in  keinem  erheblichen  Maße 
auf  sich  lenkten. 

Der  Eröffnung  von  Wittenberg  sah  man  in  Leipzig  nicht  mit  freund- 
lichem Auge  entgegen.     Das  Leben  war  in  der  kleinen  fast  dorfahn- 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  505 

liehen  Stadt  billiger;  auch  sprach  man  von  „exquisiten  Legenten**, 
die  an  die  neue  Universität  berufen  werden  sollten.  Man  mußte  sich 
somit  auf  eine  Massenauswanderung  gefaßt  machen.  In  der  Tat 
kam  es  zu  einem  ähnlichen  Wettstreite  zwischen  Wittenberg  und 
Leipzig,  wie  seinerzeit  zwischen  Erfurt  und  Leipzig. 

2.  Frequenzverhältnisse. 

Am  Knde  des  16.  Jahrhunderts  erreicht  Leipzig  die  erste  Stelle  unter  allen  deutschen 
l'niversitäten  und  behält  sie  auch  während  des  17.  Jahrhunderts.  Freilich  sind  die  hier- 
über berechneten  und  veröffentlichten  Zahlen  keineswegs  einwandfrei.  Es  ist  Tatsache, 
daß  einem  an  den  Hochschulen  weitverbreiteten  Mißbrauche  zufolge  schon  Kinder,  mit- 
unter zartesten  Alters,  immatrikuliert  wurden.  Diese  erschienen  erst  sehr  viel  später  auf 
der  Hochschule  selbst  oder  kamen  wohl  überhaupt  garnicht.  Man  kann  also  aus  der 
Zahl  der  Inskribierten  nur  insofern  auf  die  wiikliche  Frequenz  schließen,  als  man  die 
(Gewißheit  hat,  daß  die  Träger  der  eingeschriebenen  Namen  wirklich  erschienen  waren. 
Diese  Gewißheit  hat  man  in  den  Fällen,  wo  bei  dem  Namen  die  Angabe  gemacht  ist, 
daß  sein  Inhaber  den  Fid  geleistet  hat. 

Es  ist  unter  diesen  Umständen  schwer  zu  sagen,  solange  noch  keine  genaueren 
Nachweise  und  Berechnungen  vorliegen,  ob  im  18.  Jahrhundert  die  Frequenz  Leipzigs 
zu-  oder  abnahm  gegen  das  vorhergehende.  Nach  allen  Inskriptionen  berechnet  (mit 
Hilfe  eines  dem  durchschnittlichen  Aufenthalte  von  1,8  Jahren  entsprechenden  Reduktions- 
faktors) ergibt  sich  eine  Frequenz 

im  Jahre  1700  von  875  Studenten, 

„  „  1720  „     720  „  , 

„  „  1740  „    709  „  , 

„  „  1760  „486 

„  „  1780  „643  „  . 

„  „  1800  „    416 

„  „  1820  „    614  „  . 

Seit  dem  Sommersemester  1830  steht  in  den  Personalverzeichnissen  ein  zuver- 
lässigeres Material  zur  Verfügung  über  die  tatsächlich  an  der  Universität  sich  aufhaltenden 
Studenten.  Die  Präsenzzahl  bewegt  sich  danach  bis  zum  Jahre  1864  an  der  Grenze  von 
1000.  Mit  dem  Jahre  1865  wird  diese  Höhe  erreicht,  seit  dem  Jahre  1871  überschritten. 
Im  einzelnen  entsteht  folgendes  Bild: 

Die  Zahl  der  immatrikulierten  Studenten  war  im 

Wintersemester  1830 1262 

1840 935 

1850 902 

1860 874 

1870 1762 

1880 3326 

1890 3458 

Zahl  der  sonstigen   zum  Hören  der  Vorlesungen  Zugelassenen: 
S.     1903 520      I      W.  1901/02  ....    399 


Sommersemester  1900        .     . 

.     3269 

Wintersemester   1900/01   .     . 

.    3586 

Sommersemester  1901        .     . 

.    3517 

Wintersemester    1901/02  .     . 

.     3748 

Sommersemester  1902        .     . 

.     3608 

Wintersemester    1902/03  .     . 

.     3764 

Sommersemester  1903        .     . 

.    3605 

W.  1902/03  ....    534 
S.     1902 439 


S.     1901 207 

W.  1900/01  ....    329 


506  r>ie  einzelnen  Universitäten. 

Auf  die  einzelnen  Fakultäten  verteilt  sich  die  Zahl  wie  folgt: 
Zahl  der  Studierenden  der 


! 

1 
evang.-theol. 

Rechts- 

1 
medizinischen 

Philosoph. 

Zahn- 

Fakultät 

wissenschaft 

1      Fakultät 

Fakultät 

heilkunde 

S.  1903     .    . 

262 

1110 

433 

1764 

36 

W.  1902/03  . 

260 

1221 

496 

1754 

33 

W.  1900   .     . 

— 

— 

— 

— 

W.  1890   .    . 

359 

981 

667 

980 

32 

,    W.  1899   .    . 

565 

1090 

913 

859 

37 

!    W.  1880   .     . 

474 

1022 

465 

1365 

— 

1    W.  1870   .     . 

407 

519 

237 

605 

— 

W.  1860   .     . 

259 

267 

194 

154 

— 

j    W.  1850   .    . 

181 

410 

210 

101 

— 

Zahl  der    zugelassenen   weiblichen    Studierenden: 
S.  1903:  58      \V.  1902/a3:  67      S.  1902:  53     W.  1901  02:  73      S.  1901:  69. 

3.  Ältere  Zustände. 

Auf  wissenschaftlichem  Gebiete  galt  die  Universität  Leipzig  gleich  Cöln  zu 
Beginn  des  16.  Jahrhunderts  als  eine  Hochburg  der  Scholastik.  „Nicht  den  Oeist  der 
Forschung  anzuregen  war  das  Ziel  des  Unterrichts.  Vielmehr  sollten  die  festgegebenen 
Thesen  der  Wissenschaft  überliefert,  schlagfertige  Kämpen  für  deren  Verteidigung  aas- 
gebildet werden."  Wohl  war  der  Humanist  Petrus  Luder  im  Jahre  1462  auf  kurze  Zeit 
in  Leipzig  erschienen,  aber  es  war  ihm  nicht  gelungen  für  seine  Richtung,  die  er  in 
hochtönenden  Phrasen  befün^ortete,  viel  Anklang  zu  finden.  .-Vuf  die  damaligen  Zustände 
von  I>eipzig  sind  die  Kpistolae  virorum  obscurorum  größtenteils  gemünzt,  die  in  Erfurt, 
wo  der  Humanismus  in  dem  „Ordo  Mutiani"  blühte,  entstanden  sind. 

Herzog  Georg  von  Sachsen  suchte  im  .\nfang  des  16.  Jahrhunderts  vergeblich 
Reformen  durchzuführen.  Sein  Nachfolger,  Herzog  Heinrich,  führte  die  Reformation  im 
ganzen  l^nde  ein,  aber  die  Hochschule  litt  doch  zunächst  darunter.  Für  sie  hatten  die 
Witlenberger  auf  Frfordern  des  Kurfürsten,  der  faktisch  auch  im  Herzogtum  herrschte, 
eine  Instruktion  ausgearbeitet;  bei  den  I^ndständen  aber  bestand  gar  kein  Interesse  für 
die  Universität.  Frsl  Kaspar  Borner,  der  15%39 — 1543  dreimal  Rektor  war  sowie  neben 
ihm  Joachim  (amerarius,  der  ihm  in  dieser  Würde  ebenfalls  dreimal  folgte,  gelang 
es  unter  Anrufung  des  hochgesinnten  I^ndesherni  Moritz  von  Sachsen  einen  entscheiden- 
den Umschwung  herbeizuführen.  Sie  erlangten  eine  überaiLs  reichliche  Dotatit>n, 
2000  Goldgulden  jährlich,  die  I^ipzig  zur  reichsten  Universität  Deutschlands  machte. 
Die  Gebäude  des  Paulinums,  eines  säkularisierten  Dominikanerklosters,  wurden  der  l'ni- 
versität  überwiesen  und  für  die  Studenten  durch  Errichtung  eines  Konvikts  gesorgt. 
Iler\()rriigende  Männer  wie  <ler  Mathematiker  Joachim  Rheticus,  der  Theologe  .\lexander 
Alesius,  der  Philosoph  Wolfgang  Meurer,  Bernhard  Ziegler  u.  a.,  von  auswärts  berufen, 
nahmen  sich  der  Ausbildung  der  wißbegierigen  Jugend  wacker  an.  Die  von  Uamerariu<« 
verfaßten  Statuten  vom  Jahre  1559  brachten  den  Abschluß  der  Reform.  Leider  hatte 
dieselbe  keinen  (lauernden  Erfolg.  Bald  war  alles  wieder  in  größter  Dürftigkeit.  Eine 
Periode  der  Stagnation,  besonders  in  den  äußeren  Einrichtungen,  hub  an,  die  bis  in^ 
19.  Jahrhundert  hineinreichte. 

Dennoch  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  während  des  18.  Jahrhunderts  viele  wackere 
liichtige,  zum  Teil  hervorragende  Gelehrte  an  der  Hoch.schule  tätig  waren.    Neue  I^hrstühle 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  I^ipzig.  507 

entstanden  für  sächsisches  Lehnrecht,  für  Natur-  und  Völkerrecht,  für  Kirchengeschichte, 
für  Ökonomie  und  Naturgeschichte,  für  arabische  Sprache  usw.,  die  mit  Männern  besetzt 
wurden,  die  sich  durch  vorzügliche  literarische  I^istungen  und  anzuerkennende  Lehr- 
talente  auszeichneten.  Unter  den  Theologen  erscheinen  der  gelehrte  Dr.  Sam. 
Deyling  (f  1756),  Joh.  (ieorg  Rosenmüller,  aus  Gießen  berufen,  der  als  Superintendent 
1815  starb,  Sam.  Fr.  Nathan  Morus  von  echt  humanistisch  und  theologischer  Gelehrsam- 
keit, Chr.  Aug.  Crusius,  ein  Gegner  der  Leibnitz-Wol fischen  Schule  (f  1775),  Joh.  Chr. 
Stemler,  Joh.  Aug.  Ernesti. 

Bei  den  Juristen  verdienen  genannt  zu  werden:  Berger,  Wemher,  Born,  Hommel 
(A'ater  und  Sohn,  ersterer  f  1781),  Fr.  Platner,  Aug.  Flor.  Rivinus,  Jo.  Gli.  Seeger, 
Jo.  Gfr.  Sammet,  der  kenntnisreiche  Rechtshistoriker  Jo.  Aug.  Bach,  der  geschätzte 
Zivilist  (ifr.  Mascov  (-[•  1760),  der  gefeierte  Staatsrechtslehrer  Jo.  Jac.  Mascov  (f  1761), 
Jo.  (ifr.  Bauer  ^f  1763). 

Unter  den  Medizinern  glänzen  der  als  Patholog  renommierte  Jo.  Ernst  Heben- 
streit (f  1757),  Chr.  Gl.  Ludwig  (t1773j,Ant.Wilh.  Platz  (f  1784),  der  Kliniker  Jo.  Kari 
Ciehler  (f  17%),  der  Anatom  Carl  Christ.  Kraase  (f  1793),  der  Anatom  und  Chirurg 
Jo.  (^ottl.  Haase  (f  1801). 

Unter  den  Mitgliedern  der  philosophischen  Fakultät  dürften  die  bekanntesten 
Jo.  Christ.  Gottsched  und  Christian  Fürchlegott  Geliert  sein.  Im  übrigen  glänzen  als 
gründliche  Altertumsforscher  noch  vor  Böhme  und  Wenk  die  beiden  Mencke,  Ludwig 
Otto  und  Burchard,  Joh.  Fr.  (^hri>t  (f  1756),  der  feinsinnige  Begründer  einer  neuen 
Richtung  und  Literarhistoriker  Chr.  Gottlieb  Jöcher  (f  1758),  der  weitgereiste  Joh.  Chr. 
Lünig  (f  1740).  Als  Humanist  erwarb  sich  Fr.  Wolfgang  Reiz  einen  berühmten  Namen 
(■[•  1790).  Ernst  Platner  tat  sich  in  zwei  Fakultäten,  als  Mediziner  und  Philosoph,  her>'or. 
Zu  den  berühmten  Mathematikern  und  Physikern  gehörten  G.  Heinsius,  Abrah.  Gotth. 
Kästner,  der  gleichzeitig  als  Epigrammendichter  bekannt  war  und  1756  nach  Göttingen 
übersiedelte,  Joh.  Heinr.  Winkler,  dessen  Forschungen  über  Elektrizität  selbst  die  Auf- 
merksamkeit Franklins  auf  sich  lenkten  (f  1770),  Joh.  Sam.  Traug.  Gehler,  Verfasser 
eines  physikalischen  Wörterbuchs  und  Karl  Fr.  Hindenburg  (f  1806). 

Trotz  alledem  behält  es  seine  Richtigkeit,  daß  bis  in  die  ersten  Jahrzehnte  des 
19.  Jahrhunderts  Leipzig  Einrichtungen  aufwies,  die  sich  mit  wenigen  und  unwesentlichen 
Änderungen  seit  dem  Anfange  des  15.  Jahrhunderts  und  etwa  nach  Einführung  der 
Kirchenverbesserung  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  erhalten  hatten.  An  Anstalten 
zur  Ausbildung  der  Studenten,  Bibliotheken,  Museen,  Instituten,  Laboratorien  war  I^ipzig 
hinter  der  Mehrzahl  der  deutschen  Universitäten  zurückgeblieben. 

4.  Neuere  Entwicklung  und  Finanzverhältnisse. 

Dem  gegenüber  begann  die  Reform  mit  dem  Reskript  von  1 784, 
das  den  Professoren  bedeutende  Zuschüsse  aus  der  Schulkasse  in  Schul- 
pforta  und  der  Rentkammer  zuwies,  wozu  die  Stände  ein  Kapital  von 
30  000  Reichstalem  im  Jahre  1 805  bewilligten  und  einige  Einkünfte  aus 
aufgehobenen  thüringischen  Ordensgütem  kamen.  Die  Fakultäts- 
institute konnten  einige  Förderung  erfahren  und  einige  akademische 
Gebäude  repariert  werden.  Indes  die  königliche  Kommission,  die 
1808  tagte,  erreichte  nichts  und  wenn  auch  bei  der  Säkularfeier  der 
Hochschule  derselben  manche  sie  begünstigende  Zuwendungen  zuteil 
wurden,  mußte  doch  die  napoleonische  Herrschaft  die  weitere  Ent- 
wicklung   hemmen.      Nach    dem    Frieden    wandte    König    Friedrich 


508  t)»e  einzelnen  Universitäten. 

August  sein  Interesse  aufs  neue  der  Universität  zu  und  1822  erschien 
ein  Gesetz  für  die  Studierenden,  wie  es  die  Kommission  von  1808 
schon  beabsichtigt  hatte.  Einschneidender  wurde  die  Verordnung 
vom  6.  Februar  1830.  Sie  beseitigte  den  Unterschied  zwischen  den 
Professuren  alter  Stiftung  (die  noch  aus  der  Zeit  der  Kurfürsten 
Moritz  und  August  stammten)  und  neuer  Stiftung  (den  seitdem  neu 
errichteten),  hob  die  Einteilung  der  Lehrer  und  Studenten  nach 
Nationen  auf  und  bestimmte,  daß  der  jedesmalige  Rektor  und  die 
vier  Fakultäten  den  Mittelpunkt  der  Universitäts- Verfassung  bilden 
sollten.  Das  Universitätsgericht  erfuhr  im  Jahre  1&S5  eine  Be- 
schränkung dahin,  daß  es  seitdem  nur  für  Zivilsachen  der  Studenten 
kompetent  wurde,  und  ein  neues  Disziplinargesetz  regelte  in  demselben 
Jahre  die  Verhältnisse  der  Studenten.  Am  4.  Dezember  18*31  wurde 
der  Grundstein  zu  einem  Universitätsgebäude  gelegt,  das  am 
3.  August  1836  feierlich  von  der  Professorenschaft  in  Besitz  genommen 
werden  konnte.  Daran  schloß  sich  im  Jahre  1844  die  Errichtung 
eines  Konviktgebäudes  mit  großen  Räumlichkeiten  sowie  eines  be- 
sonderen Auditorienhauses,  das  nach  dem  verdienten  Kasper  Bomer 
die  Benennung  Bornerianum  erhielt. 

Wurden  nun  auch  im  Laufe  der  nächsten  Jahrzehnte  verschiedene 
stattliche  Gebäude,  Institute  für  bestimmte  wissenschaftliche  Zwecke 
errichtet  —  vom  Jahre  1867  wurden  nicht  weniger  als  1 7  Lehrinstitute 
mit  einem  Gesamtaufwand  von  6575  648  M.  neu  erbaut  —  so  waren 
die  noch  erhaltenen  letzten  Reste  des  Pauliner  Klosters  baufällig 
geworden,  mußten  abgebrochen  werden  und  das  Augusteum,  das 
Hauptgebäude,  schien  dringend  eines  Umbaues  zu  bedürfen.  Durch 
Königliches  Dekret  vom  3.  Dezember  1891  wurden  die  Landstände 
um  Bewilligung  der  Mittel,  3  Mill.  M.,  angegangen,  die  bereitwilligst 
die  Vorlage  billigten  und  am  15.  Juni  1897  konnte  das  neue  Gebäude 
seiner  Bestimmung  übergeben  werden. 

Es  ist  verständlich,  daß  im  Laufe  der  Jahre  immer  gröl^ere 
Mittel  haben  flüssig  gemacht  werden  müssen,  um  dem  sich  stets 
steigernden  Bedarf  zu  genügen.  Im  Jahre  1833  erreichte  der  Etat 
der  Universität  die  Höhe  von  56  3)5  Talern,  zu  denen  Universitäts- 
kasse und  Stiftungen  30  829,  der  Staat  25  486  Taler  beisteuersten. 
Davon  wurden  ausgegeben  für  Besoldung  von  33  ordentlichen  und 
27  außerordentlichen  Professoren  und  Lektoren,  Prüfungen,  Pro- 
motionen, Präbenden  und  KoUegiaturen  usw.  26  532  Taler,  wozu  aus 
der  Staatskasse  19  777  Taler  für  Pensionen,  Gehaltszulagen,  Akzis- 
äquivalent usw.  kamen.     Die  wissenschaftlichen  Institute  kosteten  ins- 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig. 


509 


gesamt  5699  Taler,  die  Justiz  und  Verwaltung  4307  Taler.  Das  Ver- 
mögen der  Universität  wurde  in  einer  damals  von  der  medizinischen 
Fakultät  veröffentlichten  Denkschrift  auf  1  097  789  Taler  einschließlich 
Gebäude  und  Stipendien  festgestellt. 

Wie  sich  seit  dieser  Zeit  bis  auf  die  neueste  Zeit  der  Etat  ent- 
wickelt  hat,  lehren  die  nachstehenden  Zahlen. 


Kinnahmen: 

Etatsjahr 

Aus  eigenem 

Vermögen  und 

Stiftungen 

Aus  eigenem 

Krwerb 

(Kliniken  usw.) 

,    Staatszuschufl 

1 

1 

1         Summe 

1               M. 

1               2 

M. 
3 

1 

M. 

1              4~'    " 

M. 

1 

5 

1902 

1  128693 

232  888 

2008248 

3369829 

1890 

1080895 

-*) 

i         1  192073 

2272  968 

1878 

842421 

-  *) 

694673 

1537094 

1865 

559598 

-*) 

280411 

840009 

1850 

413641 

-*) 

103  047 

516688 

Ord 

entliche  Ausga 

ben: 

Ktatsjahr 

Besoldungen  u. 
Remunerat.  der    , 
Professoren  und 
Dozenten 

Für  Institute 

und 
Sammlungen 

Für  Konvikte, 
Unterstützungen 
und  Stipendien 

Verwaltungs- 
und sonstige 
Kosten 

M. 

M. 

M. 

M. 

1 

2 

3 

4 

5 

1902 

643  271 

1399  243 

609125 

676  551 

1890 

529939 

609038 
nach  Abzug  der 
eigenen  Ein- 
nahmen 

597  036 

501942 

1878 

462009 

367  718 

4:^8785 

205306 

1865 

285870 

desgl. 
131  438 

246  288 

114164 

1850 

154  ia3 

desgl. 
39073 

168512 

99830 

Außerordentliche  Ausgaben  in  den  letzten  25  Jahren  (1878/1902): 

14169174,81   M.    für    üniversitätsbauten,    wovon    1 1  337  706,57  M.  aus  der 

Staatskasse  und 
2  831  468,24  M.    aus  Universitätsmitteln  bestritten  worden  sind. 

*)  Die  eigenen  Einnahmen  (Spalte  3)  in  den  Jahren  1890,  1878,  1865   und    1850 
konnten  mangels  ausreichender  Unterlagen  nicht  genau  ermittelt    werden. 


S10 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Auch    der   den    Studenten   zugute    kommende   Stipendienfonds    ist    sehr    reichlich 
bemessen : 


o 


Fonds  bezw.  Stiftung 


Stipendien 


An-  !  Betrag 
zahl 

M. 


Gratifikationen 

und  Unter-     i     ^    . 

I     Leistuniren 
stutzungen  ^ 


An-  I    Betrag    '  An-     Betrag 
zahl  zahl 

M.  ,     M. 


I 


Königliche  Stipendien 158  25204 

Senats-Stipendien 255  40839 

Fakultäts-Stipendien,  und  zwar: 

a)  Theologische  Fakultät    .     .(  35  4  884 

b)  Juristische            „         .     .|  20  3613 

c)  Medizinische         „         .     .j;  41  7  872 

d)  Philosophische      „         .     .(|  ^0  3046 

Seminar-Stipendien I  81  6560 

Konvikt  (Stellen  und  Aufwand) 


6.  Freitischstiftungen i 

7.  '  Konvikt-Hilfskasse 

8.  Stipendien     und    Stiftungen    beim 

Frauen-Kollegium | 


30 
13 

29 
10 
46 
27 


2485  —  — 

990  —  — 

1290  —  — 

1 610  —  — 

4074  —  — 

3700  —  — 


—  —  —  —         299    49484 

Stell. 

—  —  —  —  6       1099 

I  Stiftg. 

—  —  —  —  —  104 


1 


90 


Anmerkung.  (Lber  Leipzig  vorzüglich  als  Universität  betrachtet,  1798-  — 
H.  (i.  KreuÜler,  Geschichte  cler  l'niversitat  I^ipzig  von  ihrem  L  rsprunge  bis  auf  unsere 
Zeiten,  Dessau,  1810.  —  J.  I).  Schulze,  .\briß  einer  Geschichte  der  leipziger  Universität 
im  l^ufe  des  achtzehnten  Jahrhunderts  nebst  Rückblicken  auf  die  früheren  Zeiten,  I^ipzig, 
1802.  —  l^rug.  Entwurf  zur  Wiedergcfburt  der  Universität  Leipzig,  1829.  —  lber  die 
Bedürfnisse  und  Mittel  der  Universität  Leipzig  mit  vorzüglicher  Berücksichtigung  de> 
medizinischen  Lehrfachs,  I^ij)zig,  1833.  —  Hasse,  das  Augusleum  uud  dessen  i*berg;il)e 
an  die  Universität  I^ii)zig  am  3.  August  1836,  Leipzig  s.  a.  —  Karl  Große,  Geschichte 
der  Stadt  Leipzig,  2  Bände,  Leipzig,  1842.  —  (Bülau)  Sr.  Majestät  des  Königs  Johann 
von  Sachsen  Besuch  der  Universität  Leipzig  am  4.,  5.  und  6.  August  1857  nebst  einer 
Darstellung  der  Anstalten  und  Sammlungen  der  Universität,  Leipzig,  1858.  —  Friedr. 
Zamcke,  die  urkundlichen  ()uellen  zur  (ieschichte  der  L'niversitat  l^eipzig  in  den  ersten 
150  Jahren  ihres  Bestehens,  Leijizig,  1857.  —  Derselbe,  Statutenbücher  der  Universität 
Leipzig  in  den  ersten  150  Jahren  ihres  Bestehens,  I^ipzig,  1851.  —  Derselbe,  Acta 
rectorum  univ.  studii  Lips.  inde  ab  anno  MDXXIII  usque  ad  annum  MDLVIIII,  Leipzig, 
1859,  —  K.  (i.  (iersdorf.  Die  Rektoren  der  Universität  I^eipzig  nebst  summarischer 
1  bersicht  der  Inskriptionen  vom  Jahre  der  Ciründung  bis  zur  Gegenwart  in  „Mitteilungen 
der  Deutschen  Gesellschaft  in  Leipzig.  Bd.  5,  S.  1  fg.  —  Leipzig  und  seine  Universität 
vor  hundert  Jahren  aus  den  gleichzeitigen  Aufzeichnungen  eines  I^eipziger  Studenten  jetzo 
ans  Licht  gestellt,  Leipzig,  1879.  —  Bruno  Stübel,  Irkundenbuch  der  l'niversitat  I^eipzig 
von  1409  bis  1555.  Leipzig,  1879.  —  G.  Wustmann,  Das  .Stammbuch  eines  l^eipziger 
Studenten  in  „Aus  Leipzigs  Vergangenheil*'  S.  250,  Leii)zig,  1885.  —  F.  Geß,  Die  Leip- 
ziger Universität  im  Jahre  1502  in  „Kleinere  Beiträge  zur  Gochichte"  S.  177  fg.  I^eip/ig, 
1894.  —  Cicorg  Frier,  Die  Matrikel  der  l'niversitat  I^ipzig,  3  Bände,  I^ipzig,  1895  bis 
1899.  -  F.  Fulenburg,  l  her  die  Fre(|uenz  der  deutschen  l'niversitäten  in  früherer  Zeit 
in  Conrads  Jahrbürherii  für  Nationalökonomie,  III.  Folge,  Band  13,  S.  481.  —  Friedr. 
Zamcke,  Aufsätze  und  Reden  zur  Kultur-  und  Zeitgeschichte  S.  59 — 74  und  .S.  75 — 96. — 
W.  Bruchmüller,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Universität  I^ipzig  und  Wittenberg, 
Leipzig,  1898.  —  Emil  Friedberg,  Die  l'niversitat  Leipzig  in  \'ergangenheit  und  (Gegen- 
wart, Leipzig,  1898.  —  Paul  Zinck,  Studentisches  Leben  in  I^ipzig  zur  Zeit  des  Kurfürsten 
.\ugust  (1553-1586)  in  Zeitschrift  für  Kulturgeschichte,  Bd.  6,  S.  191  fg.  und  S.  288  fg., 
Weimar,  1899.) 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  51  t 

5.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig 
9  ordentliche  Professoren*),  1  Honorarprofessor,  5  außerordentliche 
Professoren.  Unter  ihren  Mitgliedern  ragten  während  des  19.  Jahr- 
hunderts hervor:  G.  B.  Winer,  Karl  Friedr.  Aug.  Kahnis,  G.  Ch.  Ad. 
Harless,  L.  Fr.  Con.  Tischendorf,  G.  A.  L.  Baur,  Franz  Delitsch,  Chr. 
Ernst  Luthardt. 

Die  juristische  Fakultät  weistauf  9  ordentliche**;,  1  Honorar-, 
()  außerordentliche  Professoren,  3  Privatdozenten.  Unter  ihren  Mit- 
gliedern ragten  in  dem  en^^ähnten  Jahrhundert  hervor:  G.  Fr.  Puchta, 
Wilh.  Ed.  Albrecht,  K.  Georg  von  Wächter,  C.  Fr.  von  Gerber,  C. 
Fr.  Rud.  Heinze,  Otto  Stobbe,  Bemh.  Windscheid. 

Die  medizinische  Fakultät  zählt:  1 1  ordentliche***),  1  Honorar-, 
24  außerordentliche  Professoren,  26  Privatdozenten.  Ihre  bekanntesten 
Mitglieder  waren:  die  Kliniker  Joh.  Oppolzer,  C.  Aug.  Wunderlich, 
E.  L.  Wagner;  der  Gynäkologe  C.  S.  Franz  Crede,  die  Anatomen 
und  Physiologen  Fernst  Heinr.  Weber,  FA.  Fr.  Weber,  Chr.  Wilh. 
Braune,  C.  Fr.  Wilh.  Ludwig;  der  Chirurg  Karl  Thiersch,  die  Ophthal- 
mologen Chr.  G.  Th.  Ruete  und  E.  A.  Coccius;  der  Pathologe  Julius 
Cohnheim. 

Die  philosophische  Fakultät  zählt:  38  ordentliche f),  4  Ho- 
norar-, 48  außerordentliche  Professoren,  27  Privatdozenten  und  4  Lek- 
toren. Ihre  angeseheneren  Mitglieder  waren  in  der  geisteswissen- 
schaftlichen Abteilung:  die  altklassischen  Philologen  Joh.  G.  J.  Her- 
mann, Georg  Curtius,  Fr.  Ritschi,  der  Orientalist  H.  L.  Fleischer,  die 
Philosophen  Chr.  Herm.  Weiße,  L.  Strümpell  und  H.  Ahrens,  die 
Nationalökonomen  Georg  Hanssen  und  Wilh.  Röscher,  der  Geograph 
Oskar  Peschel,  der  Archäologe  Joh.  Ad.  Overbeck,  die  Germanisten 
Hildebrand,  Haupt  und  Fr.  Zarncke,  der  Historiker  W.  Wachsmuth. 
In  der  naturwissenschaftlichen  Abteilung  aber  wären  zu  nennen:  die 
Botaniker  Mettenius  und  Schwägrichen,  die  Philosophen  Drobisch  und 

*)  Fricke,  R.  Hofmann,  Brieger,  Hauck,  Rietschel,    Heinrici,  Kirn,  Kittel,  Ihmels. 
**j  Friedberg,    Binding,    Wach,    Sohm,    Degenkolb,    E.    Holder,    Strohal,    Mitteis, 
().  Mayer. 

***)  His,    F.  Hofmann,    Boehm,    Flechsig,    F.  A.   Hoffmann,    Zweifel,    Curschmann, 
Sattler,  Trendelenbiurg,  Hering,  Marchand. 

f)  Scheibner,  K.  Neumann,  Zirkel,  Fricker,  Heinze,  Wundt,  I^eskien,  Lij>sius, 
Windisch,  Wülker,  Bruns,  Wachsmuth,  Ratzel,  Brugmann,  Pfeffer,  Ostwald,  Kirchner, 
Ad.  Mayer,  Birch  -  Hirschfeld,  Lamprecht,  Sievers,  Bücher,  Schmarsow,  Volkelt,  Credner, 
Secliger,  Studniczka,  Beckmann,  Stieda,  Chun,  Köster,  O.  Holder,  Marx,  Wiener,  A.  Fischer, 
Zimmern,  DesCoudres,  Hantzsch. 


512  ^^ie  einzelnen  Universitäten. 

G.  Fechner,  die  Astronomen  A.  F.  Möbius,  C.  Isenhus,  Zollner,  die 
Zoologen  Pöppig  und  Leuckart,  die  Chemiker  Herm.  Kolbe  und  Wis- 
licenus,  der  Physiker  G.  Wiedemann  und  der  Mineralog  C.  Fr. 
Neumann. 

Das  allmähliche  Anwachsen  der  Universität  veranschaulichen  die 
Zahlen  der  jeweilig  zur  Verfügung  stehenden  Lehrkräfte  in  der  nach- 
stehenden Übersicht. 

Zahl  der  Lehrer. 


'  I  I 

Semester        j   Ordentliche         Ordentl.      ,  Außerordenll.|        Privat-  Lektoren      | 

I   Professoren        Hon -Prof.  Prof.  dozenten 


S.  1903  66  j             7  33  56  4 

S.  1878  62  9  53  43  1 

S.  1850  43  —  33  26  2 

S.  1820  33  —  20  25  4 

Der  Wandel  der  Zeiten,  der  in  diesen  Zahlen  zum  Ausdruck  kommt,  war  ein  be- 
trächtlicher. Die  philosophische  Fakultät,  ursprünglich  die  Facultas  artium,  die 
Artistenfakultät  —  erst  seit  1550  kommt  die  Bezeichnung  coUegium  philosophicum  auf  — 
bildete  die  Grundlage  des  Lehrkörpers.  Man  mußte  bei  ihr  Magister  geworden  sein, 
wenn  man  die  I^hrbefugnis,  in  welcher  Fakultät  immer,  erlangen  wollte,  was  in  älterer 
Zeit  mit  der  Erwerbung  des  akademischen  Grades  identisch  war.  Sie  hatte  seit  1558, 
nachdem  die  walzenden  Vorlesungen  —  lectiones  volventes  —  abgeschafft  waren,  9  Pro- 
fessuren: Grammatik,  Dialektik,  Rhetorik,  Mathematik  und  Astronomie,  Organi  Aristo- 
telici,  Kthik  und  Politik,  Physik,  Poetik.  Dieser  Kursus  hatte  sich,  nur  unter  anderen 
Bezeichnungen,  noch  im  Jahre  1768  erhalten,  nämlich  als:  I^tein  und  Griechisch,  Ver- 
nunfilehre,  Eloquenz,  Mathematik,  Metaphysik,  Moral  und  Politik,  Naturlehre,  Poesie  und 
Geschichte.  Es  waren  im  l^ufe  der  Jahre  die  mathematischen  Fächer  zusammengelegt 
zu  einer  Professur  und  der  Lehrauflrag  fiir  Poetik  in  2  Teile,  Poesie  und  Geschichte, 
zerlegt  worden.  Das  war  bereits  zu  Beginn  de'^  17.  Jahrhunderts  vor  sich  gegangen. 
Der  catalogus  lectionum  vom  Jahre  1777  weist  unter  den  lectiones  Philosophonnn  10 
Ordinariate,  10  Extraordinariate  und  15  Privatdozenturen  auf.  Die  außerordentlichen 
Professuren  entstanden,  indem  man  schon  seit  dem  16.  Jahrhundert  anHng,  besondere 
Lehraufträge  zu  erteilen.  Seit  dem  19.  Jahrhundert  fanden  dann  die  praktischen  und  tech- 
nischen Fächer,  die  wissenschaftlich  eine  immer  größere  Vervollkommnung  erfahren  hatten. 
Aufnahme;  ja  im  Jahre  1836,  als  es  sich  um  die  Begründung  einer  Professur  für  tech- 
nische Chemie  handelte,  wurde  lebhaft  die  Errichtung  einer  fünften,  technisch-realistischen 
l'akultäl  erwogen.  Eine  Einigung  wurde  nicht  erzielt,  aber  auch  die  anderswo  üblich  ge- 
wordene Zerreißung  der  Fakultät  in  zwei  Gruppen,  eine  geisteswissenschaftliche  und  in 
eine  naturwissenschaftliche,  abgelehnt.  Die  Astronomie  eroberte  sich  gleich  der  Natur- 
ge>chiclue  erst  im  Jahre  1812,  obwohl  doch  eine  der  ehrwürdigsten  Wissenschaften,  einen 
Sitz  in  der  Fakultät.  Die  Naturgeschichte  zerrtel  erst  seit  1845  zunächst  in  die  Pm- 
fes'iuren  für  Botanik  und  für  Mineralogie,  zu  denen  sich  zwei  Jahre  später  die  Zoologie 
gesellte.  Die  Chemie  als  besonderer  l^hrstuhl  erscheint  seit  1836  und  wurde  1865  durch 
die  Überführung  des  Lehrstuhls  für  allgemeine  Chemie  aus  der  medizinischen  Fakultät 
vf-nolKtändigl.     Eine  ordentliche  Professur  der  Nationalökonomie,  die  anfangs  aber  nt)ch 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  513 

als  solche  der  praktischen  Staatswissenschaften  und  Kameralwissenschaften  bezeichnet 
wurde,  gab  es  seit  S.-S.  1842,  eine  der  Geographie  seit  S,-S.  1871,  der  Kunstgeschichte 
seit  S.-S.  1873.  Die  Professur  für  orientalische  Sprachen  trat  1813  (seit  1899  in  2  Or- 
dinariate zerlegt),  für  deutsche  Sprache  und  Literatur  erst  1844  in  den  Kreis  der  Ordi- 
nariate, eine  für  ostasiatische  Sprachen  1849,  die  für  romanische  Sprachen  1862,  eine  für 
slavische  Sprachen  im  W.-S.  1876/77,  für  Sanskrit  im  W.-S.  1877/78,  für  die  englische 
Sprache  im  W.-S.  1880/81,  für  Äg>ptologie  seit  S.S.  1875,  die  indes  s])äter  wieder  fallen 
gelassen  ist. 

Die  medizinische  Fakultät  umfaßte  zu  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  4  Pro- 
fessuren :  Therapie,  Pathologie,  Physiologie  und  Chirurgie.  Mit  letzterer  war  die  Anatomie 
verbunden.  Als  5.  Professur  kam  die  für  allgemeine  Chemie  dazu.  Der  catalogus  scho- 
larum  von  1777  hat  5  ordentliche,  4  außerordentliche  Professuren  und  4  Privatdozenturen. 
Als  6.  Ordinarius  kam  1810  der  G>-näkolog,  als  7.  1812  der  Kliniker.  Der  Professor 
chirurgiae  Ordinarius  erreichte  erst  1824  nach  der  Trennung  von  der  .Anatomie  einen 
offiziellen  Sitz  in  der  Fakultät.  Im  Jahre  1821  kamen  die  Ordinariate  für  Psychiatrie 
und  für  gerichtliche  Medizin  (Staatsarzneikunde)  hinzu,  sodaß  die  Fakultät,  da  Physiologie 
und  Pathologie  in  einer  Hand  ruhten,  9  Professuren  aufwies.  Die  Professur  für  Augen- 
heilkunde, seit  1852,  die  Hygiene  seit  W.-S.  1878/79  und  die  für  Pharmakologie  seit 
W.-S.  1884/85  (nachdem  seit  1849/50  Pharmakologie  und  allgemeine  Therapie  in  einer  Hand 
vereinigt  gewesen  waren)  beschließen  die  F^ntwicklungsreihe. 

Bei  den  Juristen  waren  5  alte  Professuren:  Decretalium,  Codicis,  Pandectarum, 
Institutionum,  utriusque  tituU  de  verb.  sign,  et  de  regul.  jur.  Dazu  kamen  seit  1702: 
juris  saxonici,  1711  jus  naturale,  1712  jus  feudale  commune  et  saxonicum,  1775/76  eine 
Moralis  et  Polit.  Kxtraordinariate  waren  1699  noch  ganz  unbekannt.  Im  I^ktionskatalog 
von  1777  dagegen  sind  8  Ordinariate,  4  F^xtraordinariate  und  10  Privatdozenturen  nach- 
gewiesen. 

In  der  theologischen  Fakultät  hatte  man  ursprünglich  vier  der  Zahl  nach 
bezeichnete  Professoren,  von  denen  zwei  jedes  Jahr  über  das  alte,  zwei  über  das  neue 
Testament  lesen  sollten.  Die  fünfte  Professur  war  die  Hebräische,  die  1542 — 1658  von 
der  theologischen  Fakultät  getrennt  war.  Im  Jahre  kam  eine  Professio  anti(|uitat.  ecclesiasti- 
carum  hinzu.  Der  Lektionskatalog  von  1777  hat  6  ordentliche  und  1  außerordentliche 
Professur. 

Zur  Förderung  der  Studierenden  dient  das  Königliche  Konvikt,  der  „gemeine 
Tisch"  (mensa  communis).  Seine  Stiftungsurkunde  ist  am  22.  April  1544  ausgefertigt. 
Ks  werden  jetzt  semesterlich  299  Studenten  an  25  Tischen  mittags  und  abends  gespeist. 
Von  den  Plätzen  sind  132  königliche,  die  teils  vom  Ministerium,  teils  von  den  einzelnen 
Professoren  im  Auftrage  des  Ministeriums  auf  Grund  von  Meldungen  vergeben  werden. 
Vermögensausweis  und  Abiturientenzeugnis  werden  dabei  berücksichtigt. 

Ergänzt  wird  die  wohltätige  Wirksamkeit  der  eben  geschilderten  Anstalt  durch  dos 
im  Geschäftsjahr  1875/76  auf  Anregung  des  damaligen  Rektors  O verbeck  gegründete 
Institut  der  sogen.  Professorenfreitische.  Dasselbe  ba'jiert  auf  Beiträgen  der 
akademischen  Lehrer  selbst. 

Die  akademische  Lesehalle  wurde  am  1.  Oktober  1874  eröfl'net.  In  Aner- 
kennung ihrer  W'ichtigkeit,  da  die  Beiträge  der  Mitglieder  zur  Erhaltung  nicht  aus- 
reichen, hat  das  Kultusministerium  weiter  das  Defizit  des  ersten  Verwaltungsjahres  ge- 
deckt und  gewährt  fortlaufend  1200  M. 

6.  Akademische  Institute. 

(Für  die  hier  gebotene  Übersicht  wurden  benutzt  die  I^ktionsverzeichnisse  der 
Universität  seit  1777,  die  Personalverzeichnisse  seit  1830,  Nr.  1 — 144,  die  Berichte  der 
abtretenden  Rektoren,  seit  1871  gedruckt.  Ferner  aus  der  Spezialliteratur:  (Fr.  Bülau)  Sr. 

Das  Unterrichtswesen  im  Deutseben  Reich.    L  33 


514  ^ie  einzelnen  Universitäten. 

Majestät  des  Königs  Johann  von  Sachsen  Besuch  d.  Universität  I>.  nebst  einer  Darstellung 
d.  Anstalten  und  Sammlungen  d.  Universität,  1858.  —  C.  Bruhns,  Geschichte  und  Be- 
schreibung d.  L.  Sternwarte,  1861.  —  Chronik  d.  Königl.  Deutschen  Seminars  a.  d.  Uni- 
versität L.  187.1—1898,  1898.  —  P.  Flechsig,  Die  Irrenklinik  d.  Universität  L.  und  ihre 
Wirlcsamkeit,  1888.  —  Emil  Friedherg,  Die  Universität  L.  in  Vergangenheit  und  Gegen- 
wart, 1898.  —  Derselbe,  Das  Collegium  Juridicum,  1882.  —  W.  His  d.  j.,  Geschichte 
der  medizinischen  Klinik  zu  L.  mit  einem  Vorwort  von  H.  Curschmann,  1899.  —  \V.  His 
d.  ä..  Über  die  Entwicklung  des  akademischen  Unterrichts,  Rektoratsrede  am  31.  Oktober 
1882.  —  C.  Thiersch,  Alles  und  Neues  über  die  großen  Hospitäler  L.,  Rektoratsrede 
am  31.  Oktober  1876.  —  Benno  Schmidt,  Das  chirurg^sch-poliklinische  Institut,  1880.  — 
F.  Trendelenburg,  Feier  zur  Eröffnung  des  neuen  Institutsgebäudes  d,  chirurgi.schen 
Universitätsklinik  zu  L.  am  26.  Januar  1900.  —  Fr.  Zamcke,  Gesch.  d.  Einheit  der 
philosophischen  Fakultät,  Rektoratsrede  am  31.  Oktbr.  1881.  —  Die  Jahresberichte  d. 
Instituts  f.  rumänische  Sprache  zu  L.  seit  1894,  herausg.  von  G.  Weigand.  —  Die  Be- 
richte über  die  gesamten  Unterrichts-  und  Erziehungsanstalten  im  Königreich  Sachsen, 
1885,  1890,  1897,  1900.  —  Sachsen  unter  König  Albert,  ein  Volksbuch  zum 
29.  Oktober  1898.  —  Endlich  gef.  Mitteilungen  der  Herren  Kollegen  über  die  ihnen 
unterstellten  Institute,  bezüglich  des  Konvikts    von    Herrn    Professor   Dr.  M.  Heinze). 

Universitätsbibliothek.  Zu  den  teilweise  durch  Schen- 
kungen entstandenen  Bibliotheken  der  Fakultäten  und  den  Biblio- 
theken der  beiden  Kollegien  kam  seit  1544  eine  Universitätsbibliothek, 
ein  Werk  des  unermüdlichen  Kaspar  Borners.  Erst  im  Jahre  lOU) 
wurde  ein  ständiger  Bibliothekar  angestellt.  Regelmäßige  Geld- 
mittel waren  nicht  vorhanden,  wenn  von  den  aus  dem  Rektor- 
fiskus seit  1580  jährlich  fließenden  10  Gulden  abgesehen  wird. 
Dieser  Zuschuß  hörte  überdies  seit  167.'^  auf.  Dafür  aber  verpflichtete 
man  im  Jahre  1670  die  Studenten  bei  ihrer  Immatrikulation,  eine  be- 
liebige Summe  zum  Besten  der  Bibliothek  zu  zahlen,  die  umso 
geringer  auszufallen  pflegte,  als  zu  dieser  Zeit  die  Bibliothek  noch 
garnicht  zugänglich  war.  Erst  im  Jahre  1821  bewilligten  die  Stände 
jährlich  400  Taler;  im  Jahre  WSA  kamen  1500  Taler  dazu.  Im 
Jahre  1840  wurde  der  Betrag  auf  2(X)0  Taler,  im  Jahre  185!^  unter 
Zurechnung  der  in  354  Talern  bestehenden  anderweitigen  Einnahme 
auf  'Mm  Taler  erhöht.  Seit  1902/3  ist  der  Etat  a)  70  180  M.,*;  von 
denen  3680  M.  eigene  Einnahmen  sind;  b)  67  230  M. 

Ursprünglich  war  die  Büchersammlung  in  einem  der  zum 
Paulinerkloster  gehörenden  Gebäude  untergebracht.  Im  Jahre  18^ ^5 
fand  die  Überführung  der  Bibliothek  in  das  Augusteum  statt,  schon 
10  Jahre  später,  184(),  wurde  sie  in  das  Mittelgebäude  des  Pauli- 
nums  verlegt.    Um  das  Jahr  1885  gelangte   man  endlich  nach  längeren 


*)  Hei  den  Anj»abcn  über  die  Ktits  bedeutet  a)  den  .\ufwand  für  sachliche 
/wecke,  Bücher,  Papier  usw.,  b)  den  Aufwand  für  ständige  Beamte  und  Remunerationen 
für  Assistenlenleistungen.     Die  Zahlen  beziehen  sich  auf  das  Rechmnigsjahr  1902/3. 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  I^ipzig.  515 

Envägungen  zum  Ankauf  eines  Bauplatzes  im  Westen  der  Stadt  — 
heute  Beethovenstraße  6  — ,  auf  dem  dann  in  den  Jahren  1887 — 1891 
mit  einem  Bauaufwande  von  4  548  685  M.  nach  Baurat  Roßbachs 
Plänen  ein  glänzender  Renaissancepalast  erstand.  Um  1858  wurde 
der  Bestand  der  Bibliothek,  abgesehen  von  der  großen  Zahl  der 
vorhandenen  Dissertationen  auf  nahe  an  200  000  Bände  angenommen. 
Im  Jahre  1W:<  zählte  sie  etwa  500  000  Bände  und  5000  Handschriften. 

Die  Institute  der  theologischen  Fakultät: 

1.  Seminar  für  praktische  Theologie.  Dasselbe  datiert 
seit  der  ersten  Anstellung  eines  eigenen  Universitätspredigers  im 
Sommersemester  18^^.  Damals  wurde  unter  Leitung  von  Professor 
Xrehl  ein  homiletisches  Seminar  errichtet.     Dazu    gesellten    sich    seit 

184^^  liturgische  Gesangsübungen.  Als  1853  ein  zweiter  Universitäts- 
prediger angestellt  wurde,  übertrug  man  ihm  die  Leitung  eines  kate- 
chetischen Seminars,  das  im  folgenden  Jahre  seinen  Anfang  nahm. 
Im  Jahre  1857  wurden  beide  Institute  in  ein  Seminar  für  praktische 
Theologie  vereinigt.  Aus  der  pädagogischen  Gesellschaft,  die  Pro- 
fessor Rudolf  Hofmann  im  Sommersemester  1864  zum  ersten  Male 
anzeigte,  wurde  seit  Sommersemester  1868  eine  dritte  Sektion  des 
Seminars  für  praktische  Theologie:  die  pädagogische.  In  allen  drei 
Sektionen  werden  praktische  Übungen  veranstaltet.  Ein  besonderer 
Etat  ist  für  sie  nicht  vorgesehen.  Für  die  Abhaltung  der  liturgischen 
Übungen  sind  580  M.  ausgeworfen. 

2.  Kirchengeschichtliches  Seminar.  Nachdem  exegetische 
Repititorien,  Examinatorien,  Übungen  und  Gesellschaften  seit  den 
30er  Jahren  üblich  geworden  waren,  verdanken  die  weiteren  Seminare 
ihre  Entstehung  den  letzten  Jahrzehnten.  Das  kirchengeschichtliche 
wurde  im  Wintersemester  188()/87  eröffnet.  Sein  Etat  ist  ()60  M., 
von  denen  60  M.  eigene  Einnahmen  sind. 

3.  Kirchlich-archäologische  Sammlung.  Auf  Anregung 
von  Professor  Clemens  Brockhaus  eröffnet,  steht  sie  seit  Winter- 
semester 1874/75  als  christlich-archäologischer  Apparat  im  Personal- 
verzeichnis.    Ihr  Etat  ist  f)00  M. 

4.  Die  anderen  Seminare.  Ein  neutestamentlich-exe- 
getisches  Seminar  erscheint  seit  Sommersemester  1894  unter  der 
Leitung  von  Professor  Heinrici,  dann  unter  der  Direktion  der  Pro- 
fessoren Heinrici  und  Fricke,  seit  Sommersemester  1898  in  zwei 
Abteilungen,  die  erste  mit  einem  Etat  von  (WO  M.,  die  zweite  mit 
einem  Etat   a)  600  M.,    b)  200  M.     Im    nächsten    Semester   entstand 

33* 


516  I^ie  einzelnen  Universitäten. 

das  alttestamentlich- exegetische  Seminar  (Direktor:  Professor 
Kittel)  mit  einem  Etat  a)  600  M.,  b)  150  M.  Das  Seminar  für 
systematische  Theologie  wurde  eröffnet  unter  Professor  Kim,  zu- 
erst als  dogmatisches  Seminar  im  Sommersemester  18%.  Sein  Etat 
ist  150  M.    Eine  Erweiterung  desselben  ist  im  Werden  begriffen. 

5.  Theologische  Studentenbibliothek.  Sie  woirde  1875 
begründet,  hat  etwa  2700  Bände  (besonders  Lehrbücher  für  Studenten, 
die  wichtigsten  in  mehreren  Exemplaren)  und  neben  den  Beiträgen 
der  Mitglieder  (im  Semester  50  Pf)  einen  Etat  von  450  M.  sowie 
{^00  M.  aus  einem  Stipendienfonds. 

Das  Seminar  der  juristischen  Fakultät: 

Praktika,  zivilistische  und  exegetische  Übungen  wurden  von  Mit-, 
gliedern  der  Fakultät  schon  in  den  50  er  Jahren  regelmäßig  veran- 
staltet. Ein  kriminalistisches  Seminar  erscheint  seit  Winter  1874/75 
(unter  Leitung  von  Professor  Binding),  ein  zivilprozeßrechtliches  Seminar 
seit  Sommersemester  1876  (unter  Leitung  von  Professor  Osterlohi. 
Das  erstere  wuchs  seit  dem  Wintersemester  188iV84  zum  juristischen 
Seminar  aus.  Das  neue  Collegium  Juridicum  (1882  bezogen)  bedeutete 
insofern  auch  eine  Bereicherung  der  juristischen  Studien,  als  für  deren 
Jünger  durch  Seminarräume  und  Arbeitszimmer  fortan  auf  das  voll- 
kommenste gesorgt  war.  Das  Seminar  zerfallt  heute  in  4  Abteilungen, 
verfügt  über  einen  Etat:  a)  27(X)  M.,  b)  <XK)  M.  und  besitzt  eine 
stattliche  Bibliothek. 

Die  Institute  der  medizinischen   Fakultät: 

1.  Anatomisches  Institut.  Für  die  seit  1541  geschaffene 
Professur  der  Anatomie  und  Chirurgie  „nach  welscher  Weise"  räumte 
im  Jahre  1555  die  Artistenfakultät  „aus  guthem  willen  unndt  also 
precario'*  die  größere  Stube  ihres  neuen  Kollegiengebäudes,  „welche 
sie  vaporarium  consilii  nennen",  ein.  Im  Jahre  1704  kam  das  ana- 
tomische Theater  in  die  erste  Etage  eines  Gebäudes,  das  sie  mit  der 
Universitätsbibliothek  teilte,  die  den  unteren  Raum  einnahm.  Als 
der  Einsturz  dieses  Gebäudes  drohte  und  an  einen  Neubau  gedacht 
werden  mußte,  borgte  die  medizinische  Fakultät  zu  diesem  Zwecke 
im  Jahre  1817  rsOOO  Taler.  Erst  kurz  vorher  war  die  Anatomie,  bis 
dahin  eine  Privatanstalt  der  medizinischen  Professoren,  im  Jahre  1804 
als  eine  königliche  Anstalt  gestiftet  worden.  Dennoch  war  noch  im  Jahre 
1833  kein  höherer  Betrag  als  540  Taler  für  sie  ausgeworfen.  Erst 
am    126.  April    1875    konnte    das    heutige    umfangreiche    anatomische 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  I^ipzig.  517 

Institut  der  Benutzung  übergeben  werden,  das,  ausgestattet  mit  allem 
Komfort  der  Neuzeit,  einen  Bauaufwand  von  498  340  M.  verursacht 
hatte.  Ein  Er^^'eiterungsbau  für  25  710  M.  vervollständigte  im  Jahre 
1808/W  seine  Räume.     Der  Etat  ist  a)  19000  M.,  b)  14  560  M. 

2.  Physiologisches  Institut.  Die  physiologische  Chemie 
war  bis  Ostern  1856  durch  Professor  C.  G.  Lehmann  vertreten,  der 
bis  zu  seinem  Weggange  in  einem  Privatlaboratorium  in  seiner 
Wohnung  arbeitete,  das  er  aus  eigenen  Mitteln  unterhielt,  bis  er  in 
den  letzten  Jahren  einen  jährlichen  Zuschuß  von  1 50  Talern  empfing. 
Seinem  Nachfolger  Professor  Funke  gestand  das  Ministerum 
5(H1  Taler  zur  Einrichtung  eines  physiologisch-chemischen  Laboratoriums 
zu.  Durch  die  Berufung  von  C;  Ludwig  im  Sommersemester  1865 
änderte  sich  die  Sachlage,  da  ihm  ein  Institut  zugesichert  wurde. 
Er  konnte  es  am  26.  April  1869  beziehen.  Im  Studienjahr  1898/99 
wurde  das  physiologische  Institut  durch  einen  Anbau  nicht  un- 
bedeutend er^^'eitert,  für  den  79  068  M.  verausgabt  wurden.  Der  Etat 
ist:  a)  15 (KX)  M.,  b)  17  270  M. 

X  Pathologisches  Institut.  Der  seit  Sommersemester  186Ji 
als  Ordinarius  für  Pathologie  und  pathologische  Anatomie  tätige 
Professor  Ernst  Leberecht  Wagner  richtete  im  Jakobshospital 
im  Sommersemester  1867  ein  Pathologisch-anatomisches  Institut  ein. 
Bei  der  Überführung  des  Jakobshospitals  aus  dem  Ranstädter  Stein- 
wege nach  der  heutigen  Liebigstraße  im  Jahre  1871  siedelte  auch 
das  pathologisch-anatomische  Institut  über.  Unter  dem  seit  Sommer- 
semester 1878  berufenen  Professor  Julius  Cohnheim  erfuhr  es  dann 
eine  Umgestaltung  mit  einem  Bauaufwande  von  172  085  M.  und 
erhielt  die  heute  übliche  Bezeichnung.  Der  Bau  eines  Siektions- 
hauses  in  den  80  er  Jahren  und  die  Beschaffung  erweiterter  Räumlich- 
keiten für  den  gleichen  Zweck  in  den  90er  Jahren  folgten,  letztere 
mit  einem  Aufw'ande  von  17.T28  M.  Weitere  größere  Umbauten 
sind  eingeleitet.     Der  Etat  ist:  a)  11  500  M.,  b)  12  570  M. 

4.  Institut  für  gerichtliche  Medizin.  Dasselbe  besteht  seit 
Sommersemester  1900,  dem  pathologischen  Institut  angegliedert.  Der 
für  das  letztere  in  Angriff  genommene  umfassende  Neubau,  der  im 
Winter  1905/6  beendet  sein  soll,  wird  auch  ihm  zugute  kommen. 
Der  Etat  ist:  a)  1300  M.,  b)  210  M. 

5.  Pharmakologisches  Institut.  Die  Errichtung  eines 
solchen  war  dem  im  Wintersemester  1884/85  seine  Tätigkeit  als 
Professor  der  Pharmakologie  beginnenden  Rud.  Böhm  zugesagt 
worden;  das  Institut  konnte  im  Jahre  1888  seinen  stattlichen  Neubau 


518  I^^ic  einzelnen  Universitäten. 

in  der  Liebigstraße  10  beziehen.  Der  Bauaufwand  des  Gebäudes, 
das  zugleich  den  poliklinischen  Anstalten  dient,  ist  auf  430071  M. 
angegeben.     Der  Etat  ist:  a)  (>000  M.,  b)  5350  M. 

6.  Klinisches  Institut,  a)  Medizinische  Klinik.  Schon 
im  Jahre  1785  regte  Oberkonsistorialpräsident  von  Zedtwitz  gelegent- 
lich einer  Revision  der  Universität  die  Errichtung  eines  klinischen 
Instituts  an.  Erst  den  Bestrebungen  Professor  Platners  gelang  es 
seit  1797,  in  dem  städtischen  Lazarett  ein  offizielles  Unterrichts- 
institut zu  eröffiien,  das  am  29.  April  eingeweiht  w^urde.  Der  Cata- 
logus  lectionum  für  das  S.-S.  I7W  konnte  zum  ersten  Male  „exer- 
citationes  practicas  in  instituto  clinico"  bringen,  angekündigt  von  dem 
ersten  klinischen  Leiter  Christ.  Mart.  Koch.  Indes  für  die  Unter- 
haltung der  neuen  klinischen  Anstalten  —  auch  eine  chirurgische 
Klinik  war  eingeleitet  worden  —  waren  nicht  mehr  als  die  Honorare 
der  Studenten,  anfangs  jährlich  12,  seit  1810  15  Taler  zur  Verfügung 
sowie  die  Zinsen  eines  Kapitals,  das  sich  aus  diesen  Honoraren,  sofern 
sie  nicht  gleich  aufgebraucht  waren,  gebildet  hatte,  in  der  Höhe  von 
68  Talern  jährlich.  Aus  Landeskassen  wurde  nichts  beigesteuert. 
Am  15.  Januar  1833  bewilligte  das  Ministerium  die  jährliche  Summe 
von  416  Talern,  zunächst  für  die  Aufnahme  chirurgisch  instruktiver 
Kranken.  Am  29.  August  18()7  bewilligten  dann  die  Stände  der 
Stadt  einen  jährlichen  Beitrag  von  4000  Talern  zu  den  allgemeinen 
Kosten  des  Hospitals.  Als  nun  gegen  Ausgang  der  sechziger  Jahre 
der  vielgepriesene  physiologische  Neubau  zustande  gekommen  war, 
brachte  die  Einsicht  und  Tatkraft  des  Bürgermeisters  Koch  von 
Seiten  der  Stadt  die  Mittel  zur  P^rrichtung  jenes  großen  ersten 
Barackenkrankenhauses  auf,  das  bis  heute  sich  erheblich  ausgedehnt 
hat  und  wohl  die  größte  Anstalt  darstellt,  deren  Insassen  un- 
eingeschränkt dem  medizinischen  Unterricht  zur  Verfügung  stehen. 
Wunderlichs,  des  genialen  Klinikers,  Bestrebungen  um  ein  selbständiges 
Gebäude  als  Hörsaal,  konnten  erst  unter  seinem  Nachfolger  Wagner 
Erfüllung  finden.  Am  17.  Oktober  1879  konnte  ein  amphitheatralisch 
aufsteigender  Raum  für  140  Zuhörer  seiner  Bestimmung  übergeben 
werden.  Doch  reichte  er  nicht  aus,  sodai.^  ein  Erweiterungsbau  nötig 
wurde,  der  am  1.  November  1892  eingeweiht  werden  konnte.  Jetzt 
hat  das  klinische  Gebäude  im  ganzen  |()  Räume,  die  sich  bisher  als 
vollkommen  ausreichend  erwiesen  haben.  Der  letztere  Erweiterungs- 
bau kostete  55  0<M  M.,  von  den  Ständen  bewilligt.  Der  Etat  des 
ganzen  klinischen  Instituts  für  Unterrichts-  und  I^boratoriumszwecke, 
worin  die  chirurgische  Klinik,  die  Klinik  für  Hautkrankheiten  und  die 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  519 

Klinik     für    Ohren-,    Hals-,    Nasenkrankheiten    einbegriffen    sind,    ist 
a)  130  750  M.,   von  denen  VI'M  M.  eigene  Einnahmen,    b)  26100  M. 

b)  Chirurgische  Klinik.  Der  Unterricht  in  der  Chirurgie,  der 
in  älterer  Zeit  dem  Professor  der  Anatomie  oblag,  war  ursprünglich 
ganz  theoretisch.  Die  Praxis  besorgten  die  zünftigen  Wundärzte,  die, 
obwohl  ungelehrt,  zum  Teil  in  noch  heute  bemerkenswerten  Ab- 
handlungen ihre  großen  Erfahrungen  niederlegten.  In  derselben  Zeit, 
als  im  städtischen  I^zarett  ein  klinisches  Institut  eingerichtet  wurde, 
stellte  man  als  chirurgischen  Demonstrator  den  Wundarzt  Dr.  Joh. 
Gottl.  Eckoldt  an,  ein  Mitglied  der  Leipziger  Barbierinnung.  Seit 
dem  Jahre  1841  gelang  es,  die  Personalverbindung  zwischen  der 
chirurgischen  Oberarztstelle  am  Krankenhause  und  der  Professur  der 
Chirurgie  herzustellen.  Als  Thiersch  im  Jahre  1867  nach  Leipzig 
kam,  war  die  Klinik  in  einer  Häusergruppe  auf  dem  Ranstädter 
Steinweg  untergebracht.  Er  selbst  bezeichnete  dieses  alte  Lazarett 
als  eins  der  schlimmsten  Krankenhäuser.  Todesfälle  an  Pyämie, 
Septikämie  und  Hospitalbrand  waren  nur  zu  häufig.  Demgemäß  regte 
er  den  Bau  eines  neuen  Krankenhauses  an,  das  große  Barackenspital  der 
Stadt  Leipzig.  Im  Jahre  1871  konnte  dasselbe  in  Benutzung  genommen 
werden,  hat  sich  indes  ebenfalls  auf  die  Dauer  als  unzureichend 
enteisen  müssen.  Ein  neues  Institutsgebäude  mit  Hörsaal,  Ope- 
rationssaal usw.  konnte  am  26.  Januar  1900  eingeweiht  werden. 
Die  Kosten  beliefen  sich  einschließlich  innerer  Ausstattung  der  Räume 
auf  194634  M.  Der  Etat  ist  in  den  Angaben  über  den  Etat  des 
klinischen  Instituts  einbegriffen.  Darüber  hinaus  wurden  für  einen 
Operationskursus  4500  M.  (sächlich)  und  1020  M.  (für  Assistenten- 
leistungen) ausgesetzt. 

c)  Klinik  und  Poliklinik  für  Syphilis  und  Hautkrank- 
heiten. Eine  Poliklinik  für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  bestand 
als  Privatinstitut  zur  Benutzung  der  Studierenden  seit  W.-S.  1884/85. 
Im  S.-S.  1 8%  wurde  aber  bei  der  medizinischen  Fakultät  eine  außer- 
ordentliche Fachprofessur  für  Hautkrankheiten  und  Syphilis  geschaffen, 
der  bald  darnach  im  städtischen  Krankenhaus  eine  klinische  Abteilung 
als  besonderes  Universitätsinstitut  zur  Verfügung  gestellt  wurde.  Die 
baulichen  Einrichtungen  derselben  kosteten  4128  M.  Ihr  Etat  ist 
in  dem  des  klinischen  Instituts  enthalten. 

d)  Klinik  und  Poliklinik  für  Ohren-,  Nasen-  und  Hals- 
krankheiten. I^ryngologische  und  otiatrische  Polikliniken  als  Privat- 
institute für  Benutzung  der  Studierenden  reichen  bis  in  die  Mitte  der 


520  ^^ie  einzelnen  Universitäten. 

sechsziger  Jahre  zurück.  Eine  außerordentliche  Fachprofessur  für 
Ohrenheilkunde  und  verwandte  Fächer  wurde  im  S.-S.  18%  bei  der 
medizinischen  Fakultät  begründet  und  ihr  eine  besondere  Abteilung 
im  städtischen  Krankenhause  eingeräumt.  Ihr  Dirigent  ist  Professor 
Adolf  Garth.  Die  Kosten  für  die  bauliche  Einrichtung  derselben  be- 
liefen sich  auf  33  K^  M.  Ihr  Etat  ist  in  dem  der  klinischen  Institute 
einbegriffen.  Für  die  Poliklinik  und  wissenschaftliche  Zwecke  stehen 
2(>Ü0  M.,  zur  freien  Aufnahme  von  Kranken  2400  M.  zur  Verfügung; 
aus  Stiftungen  gegen  400  M.  zur  Unterstützung  armer  Kranken. 
Die  Kosten  der  stationären  Abteilung  trägt  das  Krankenhaus. 

7.  Universitäts-Frauenklinik.  Die  Errichtung  eines  gynäko- 
logischen Instituts  war  seit  dem  Jahre  1772  geplant.  Es  waren  auch 
zwei  Legate,  das  eine  von  20  OCX)  Talern,  das  andere  von  1333  Talern 
für  diesen  Zweck  vorhanden.  Aber  erst  als  es  dem  Professor  der 
Therapie  Gehler,  der  selbst  praktischer  Geburtshelfer  war,  gelang, 
seine  Verwandten,  den  Apellationsrat  K.  T.  Trier  und  dessen  Frau, 
zu  einer  Stiftung  zu  bewegen,  die  nach  dem  Tode  der  Witwe  Trier 
im  Jahre  1806  in  Kraft  trat,  kam  die  Angelegenheit  in  Fluß  und 
es  wurde  eine  Schule  für  höhere  und  niedere  Geburtshilfe  ge- 
gründet. Im  Jahre  1826  kaufte  man  auf  der  jetzigen  Dresdner 
Straße  8  ein  Grundstück  und  verlegte  das  sogenannte  Triersche 
Institut  im  Jahre  1828  dorthin.  Allmählich  wurde  auch  dieses 
neue  Gebäude  baufällig,  und  das  Ministerium  verfügte  daher  am 
24.  März  1852  den  Bau  eines  größeren  Kntbindungshauses.  In 
dem  Garten  des  bisherigen  Instituts  wurde  am  18.  Mai  1852  der 
Grundstein  gelegt  und  mit  einem  Bauaufwande  von  3()0(K)  Talern, 
zu  dem  die  Regierung  1 8  000  Taler  bewilligt  hatte  (der  Rest  stammte 
aus  dem  eigenen  Vermögen  der  Stiftung),  stellte  man  ein  stattliches 
Haus  her,  das  am  1.  August  1853  bezogen  werden  konnte.  Seit 
dem  1.  Oktober  1856  genehmigte  das  Ministerium  die  Einrichtung 
auch  einer  geburtshilflichen  und  gynäkologischen  Poliklinik,  die  mit 
ausreichenden  Mitteln  versehen  wurde.  Joergs  Nachfolger  wurde 
Crede,  der  nach  einer  langen  glänzenden  Tätigkeit  durch  den  jetzigen 
Direktor  Professor  Zweifel  im  S.-S.  1887  ersetzt  wurde.  Unter  ihm 
konnte  dem  Trierschcn  Institute  seit  dem  S.-S.  1891  ein  unvergleich- 
lich besser  ausgestattetes  Heim  in  dem  medizinischen  Viertel  be- 
reitet werden.  Dasselbe  ist  mit  einem  Bauaufwande  von  11()8  843M. 
hergesteUt  worden,  l^er  Ktat  ist  für  die  Frauenklinik:  a)  111  070  M., 
unter  denen  30  724  M.  eigene  PLinnahmen,  b)  18  430  M.  Der  Ktat 
der  Poliklinik  ist:  a)  4130  M.,  b;  12(H)  M. 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  521 

8.  Medizinisch-poliklinisches  Institut.  Ein  medizinisches 
Poliklinikum  hatte  Professor  Puchelt  schon  im  Jahre  1812  und  in 
weiterer  Ausdehnung  4  Jahre  später  errichtet.  In  den  Personalver- 
zeichnissen erscheint  das  Institut  seit  dem  S.-S.  1840  zuerst  unter 
der  Leitung  der  Professoren  Cerutti  und  Braune.  Als  dann  der 
Neubau  des  pharmakologischen  Instituts  im  Jahre  1884  beschlossen 
war,  wurde  auf  Antrag  der  medizinischen  Fakultät  genehmigt,  daß 
auf  dem  zu  diesem  Zwecke  bestimmten  Platze  in  Verbindung  mit 
ihm  auch  die  medizinische  und  chirurgische  Poliklinik,  welche  letztere 
die  Wandlungen  des  ersteren  getreulich  mitgemacht  hatte,  auf- 
genommen werden  sollten.  Für  427325  M.  wurde  der  die  drei 
Anstalten  aufnehmende  Neubau  hergerichtet.  Die  Anstalt  unterstand 
bis  W.-S.  1 885/86  dem  Professor  Strümpell  und  nach  dessen  Weggang 
dem  Professor  Friedr.  Albin  Hoffmann  seit  W.-S.  1886/87,  der  dann  im 
W.S.  1888/89  in  das  neue  Gebäude  auf  der  Nürnberger  Straße  55 
übersiedeln  konnte.  Der  Etat  dieser  Klinik,  die  imiere,  Haut-  und 
Nervenkrankheiten  umfaßt,  ist  a)  9350  M.,  von  denen  350  M.  eigene 
Einnahmen,  b)  10350  M.  Zu  ihr  gehört  eine  „Distrikts-Poliklinik", 
die  darin  besteht,  daß  der  leitende  Professor  mit  den  Studenten  die 
Kranken  in  ihren  Wohnungen  aufsucht. 

9.  Psychiatrische  und  Nervenklinik.  Im  Frühjahr  1878  be- 
auftragte das  Ministerium  den  außerordentlichen  Professor  Paul 
Flechsig,  eine  für  den  psychiatrischen  Unterricht  bestimmte  selbständige 
Irrenanstalt  („Irrenklinik**)  mit  allen  zur  Pflege  oder  Heilung  Geistes- 
kranker notwendigen  Hilfsmitteln  zu  organisieren.  Der  Bau  wurde 
im  Frühjahr  1880  begonnen  und  im  Frühjahr  1882  beendet.  Am 
2.  Mai  1882  konnte  die  Klinik  der  allgemeinen  Benutzung  zugänglich 
gemacht  werden.  Der  Bau  wurde  für  1  142  452  M.,  einschließlich 
390000  M.  für  den  Bauplatz,  hergestellt.  Im  Jahre  1889  wurde  der 
Bau  einer  Isolierbaracke  notwendig  für  36  9()6  M.  Daran  schloß  sich 
1899  ein  Enveiterungsbau  (Vermehrung  der  Krankenräume)  für 
17  128  M.  Der  Etat  ist  a)  174  512  M.,  unter  welchen  %  744  M.  eigene 
Einnahmen,  b)  55  745  M. 

10.  Chirurgisch-poliklinisches  Institut.  Ein  solches  wurde 
im  Jahre  18^10  von  dem  gerichtlichen  Stadtwundarzte  Dr.  J.  K.  W. 
Walther  und  Dr.  Carus  ins  Leben  gerufen.  Im  Personal  Verzeichnis 
aus  dem  S.-S.  1840  erscheint  zum  ersten  Male  unter  den  akademischen 
Instituten  eine  „ärztliche  und  wundärztliche  Beratungsanstalt**.  Seit 
1889  ist  es  in  dem  schon  erwähnten  Neubau  auf  der  Nürnberger 
Straße.     Das  Institut  wurde  viele  Jahre  von  Professor  Benno  Schmidt, 


522  ^'c  einzelnen  Universitäten. 

nach  dessen  Tode  seit  18%  von  Professor  Friedrich  geleitet  und  steht 
seit  1902  unter  Professor  Perthes.  Etat  a)  25  960  M.,  von  denen 
1130  M.  eigene  Einnahmen,  b)  12  880  M. 

11.  Hygienisches  Institut.  Der  Vorläufer  desselben  ist  das 
pathologisch-chemische  I^boratorium,  das  seit  Sommersemester  1870 
unter  der  Oberleitung  der  Direktoren  der  Klinik  zuerst  mit  C.  Hugo 
Huppert,  dann  seit  Wintersemester  1872/73  mit  Dr.  Franz  Hofmann 
als  Dirigenten  der  chemischen  Arbeiten  zusammen  mit  dem  patho- 
logischen Institut  auf  die  Liebigstraße  übersiedelte.  Dasselbe  bekam 
den  Namen  „Hygienisches  Institut**,  nachdem  seit  Wintersemester 
1878/79  aus  der  experimentellen  Hygiene  ein  Ordinariat  geworden 
war,  das  Franz  Hofmann  erhalten  hatte.  Im  Jahre  1885  wurde  auf 
das  Gebäude  des  pathologischen  Instituts  eine  Etage  aufgesetzt  für 
seine  Zwecke.     Sein  Etat  ist  a)  5(X)0  M.,  b)  8420  M. 

12.  Heilanstalt  für  Augenkranke.  Diese  Anstalt  wurde  im 
Jahre  1 820  von  •  Dr.  Friedr.  Phil.  Ritterich  aus  milden  Beiträgen  der 
Einwohner  Leipzigs  begründet  und  von  ihm  allein  verwaltet.  Erst 
im  Jahre  1852  wurde  die  Professur  für  Augenheilkunde  mit  Sitz 
und  Stimme  in  der  Fakultät  verbunden.  Am  1.  Mai  18^/2  trat  dann 
die  Augenheilanstalt  in  die  Reihe  der  akademischen  Lehrinstitute 
dadurch  über,  daß  kraft  einer  mit  der  Regierung  geschlossenen  Ver- 
einbarung der  Verein  zur  Unterhaltung  der  Heilanstalt  eine  Stiftung 
begründete,  die  der  Venvaltung  und  Leitung  des  Ministeriums  unter- 
stellt wurde.  Es  wurde  jetzt  ein  großer  Hörsaal  erbaut  —  Aufwand 
37  738  M.  — ,  der  mit  Beginn  des  Wintersemesters  18</2/93  in  Be- 
nutzung genommen  werden  konnte.  Der  Etat  ist  a)  ()7  475  M.,  von 
denen  21  534  M.  eigene  Einnahmen,  b)  11  <il()  M. 

13.  Zahnärztliches  Institut.  Zu  Beginn  des  Wintersemesters 
1884/85  wurde  unter  der  Leitung  von  Dr.  F.  L.  Hesse  in  Räumen 
an  der  Goethestraße  ein  zahnärztliches  Institut  eröffnet,  das  dazu 
bestimmt  war,  für  geringes  Entgelt  zahnärztliche  Hilfe  zu  leisten  und 
Studierende  in  der  Zahnheilkunde  auszubilden.  Dasselbe  basiert  ledig- 
lich auf  eigenen  Einnahmen,  die  (l<X)2)  7400  M.  waren  und  den  Bedarf 
um  3500  M.  übertrafen.  Zur  Besoldung  der  Beamten  und  Assistenten 
sind  10  450  M.  ausgeworfen.  Es  erhielt  im  Sommersemester  1889 
durch  Hinzunahme  einer  Etage  des  Hauses  Goethestraße  5  eine  Er- 
weiterung. 

14.  Poliklinik  für  orthopädische  Chirurgie.  Seit  dem 
Sonimersemester  1876  zeigte  Dr.  Schildbach  eine  „Orthopädische 
Poliklinik**  im  Paulinum  auf  der  Universitätsstraße  20  an.   Im  Sommer- 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  52»^ 

Semester  1885  trat  Dr.  Th.  KöUiker  an  seine  Stelle,  der  ihr  noch 
heute  vorsteht.  Ihr  Etat  ist:  a)  1600  M.,  von  denen  [¥)0  M.  eigene 
Kinnahmen,  b)  2000  M. 

15.  Universitäts-Kinderklinik  und  Poliklinik.  Kinderheil- 
anstalt, pädiatrische  Klinik  und  Poliklinik  bestanden  als  Privatinstitute 
zur  Benutzung  der  Studierenden  seit  1862  bei  der  Universität.  P^ine 
Universitäts-Kinderpoliklinik  tritt  seit  dem  Sommer  1890  unter  der 
Leitung  von  Prof.  Heubner  auf.  Als  Heubner  im  Sommer  1 894  einem 
Rufe  nach  Berlin  folgte,  trat  Prof.  Sohmann  mit  dem  Wintersemester 
1 894/95  an  seine  Stelle.  Nunmehr  ist  der  Kinderklinik  eine  sogenannte 
Aversionalbeihilfe  in  der  Höhe  von  20  000  M.  aus  Staatsmitteln  aus- 
geworfen und  für  den  chirurgischen  klinischen  Unterricht  im  Kinder- 
krankenhause  jährlich  ][\50  M.  sowie  zu  Besoldungen  5750  M.  aus- 
gesetzt. 

Die  Institute  der  philosophischen  Fakultät: 

1.  Indogermanisches  Institut.  Aus  der  von  Georg  Curtius 
im  Sommer  1867  begründeten  „Grammatischen  Gesellschaft",  deren 
wertvolle  Bibliothek  den  Grundstock  der  Bibliothek  der  sprachwissen- 
schaftlichen Abteilung  bildet,  ist  das  indogermanische  Institut  ent- 
standen. Es  besteht  seit  dem  Jahre  1891  und  hat  eine  sprachwissen- 
schaftliche, eine  slavistische  und  eine  sanskritistische  Abteilung,  deren 
jeder  der  Ordinarius  des  betreffenden  Fachs  vorsteht.  Der  Etat  von 
jährlich  »^00  M.  ist  zur  Anschaffung  von  Büchern  bestimmt,  die  nur 
in  den  Räumen  des  Instituts  von  Mitgliedern  benutzt  werden  dürfen. 
Jeder  Student,  der  das  Institut  benutzen  will,  hat  semesterlich  3  M. 
zu  zahlen. 

2.  Philologisches  Seminar  und  Proseminar.  Das  könig- 
liche philologische  Seminar  ist  aus  der  von  Christian  Daniel  Beck  seit 
1795  geleiteten  „Philologischen  Gesellschaft"  hervorgegangen.  Heute 
sind  die  drei  ordentlichen  Professoren  der  klassischen  Philologie  die 
gleichberechtigten  Direktoren  des  Seminars  und  Proseminars,  die  ab- 
wechselnd die  Geschäfte  führen.  Das  philologische  Proseminar  ist  durch 
Verordnung  vom  29.  April  1871  eingerichtet.  Als  erster  Direktor  des- 
selben erscheint  seit  Sommersemester  1 876  der  damalige  außerordent- 
liche Professor  Lipsius.  Das  philologische  Institut  trat,  zunächst  mit  zwei 
Abteilungen,  einer  klassisch-philologischen  und  einer  germanistischen, 
bei  Beginn  des  Wintersemesters  1881/82  ins  Leben.  Es  repräsentiert  die 
zu  dem  Seminar  gehörende  Bibliothek,  deren  Bücher  nur  in  den 
Räumen  des  Seminars   benutzt  werden    dürfen,    während   vorher   die 


524  ^^^  einzelnen  Universitäten. 

Seminarbibliothek  die  Bücher  auslieh.  Der  Etat  ist  für  das  Seminar: 
a)  3280  M.,  von  denen  180  M.  eigene  Einnahmen,  b)  200  M.  Der 
Etat  des  Proseminars:  a)  720  M..  b)  2400  M. 

3.  Archäologisches  Institut.  Im  Jahre  1KM  wurden  dem 
außerordentlichen  Professor  Weiske,  der  eine  „Antiquarische  Gesell- 
schaft" gegründet  hatte,  zur  Beschaffung  eines  archäologischen  Unter- 
richtsapparats 200  Taler  angewiesen.  Seit  dem  Sommersemester  1841 
sind  die  „Antiquarische  Gesellschaft**  und  die  „Archäologische  Samm- 
lung" als  akademische  Institute  nachgewiesen.  Zur  Anschaffung 
archäologischer  Objekte  hatte  der  Landtag  18*37  auf  3  Jahre  die  Summe 
von  200  Taler  jährlich  bewilligt.  Im  Jahre  1843  wurde  die  Sammlung 
in  den  linken  Flügel  des  Friedericianums  übergeführt.  Ihr  stärkstes 
Wachstum  fällt  in  die  mit  dem  Jahre  1847  beginnende  Verwaltung 
des  Professors  Otto  Jahn.  So  stellte  sich  1858  das  Bedürfnis  nach 
Erweiterung  der  Lokalitäten  des  Museums  heraus.  Nachdem  dann 
Professor  Joh.  Overbeck  die  Vertretung  des  Fachs  übernommen  hatte, 
kam  zur  archäologischen  Sammlung  seit  Sommersemester  1874  ein 
archäologisches  Seminar.  In  dieses  war  die  von  Overbeck  geleitete 
„Archäologische  Gesellschaft"  umgewandelt  worden.  Dem  Direktor 
wurde  jährlich  eine  gewisse  Summe  zur  Gewährung  von  Stipendien 
und  zur  Prämiierung  von  Arbeiten  zur  Verfügung  gestellt.  Zunächst 
in  der  Wohnung  des  Professors,  wurde  das  Seminar  seit  Winter- 
semester 1880/81  in  einem  Raum  des  Augusteums  untergebracht. 
Dahin  siedelte  auch  die  archäologische  Sammlung  über,  nachdem 
durch  die  Überführung  des  zoologischen  Museums  in  seine  neuen 
Räume   die   bisher  von  diesem  eingenommenen  frei  geworden  waren. 

4.  Semitistisches  Institut.  Eine  „Arabische  Gesellschaft** 
hatte  bereits  Fleischer  viele  Jahre  regelmäßig  geleitet  und  nach  ihm 
auch  Socin  seit  Sommersemester  1801.  'Das  scmitistische  Seminar 
aber  wurde  erst  mit  dem  Anfang  des  Winters  I^XK)  unter  der  Direktion 
der  Professoren  August  Fischer  und  Zimmern  ins  Leben  gerufen. 
Etat:  250  M. 

5.  Ägyptologische  Sammlung  (Museum  und  Seminar). 
I^creits  im  Jahre  1829  war  von  der  Universität  der  Antrag  gestellt 
worden  ,,zur  anschaulichen  Kenntnis  dieses  jetzt  überall  mit  so  vielem 
Lifer  betriebenen  Teils  der  Archäologie"  eine  Zahl  von  Originalalter- 
tümern zu  beschaffen.  Doch  konnte  dieser  Wunsch  aus  Mangel  an 
Mitteln  erst  später  in  geringem  Maße  erfüllt  werden.  Große  Förderung 
erfuhr  die  Sammlung  durch  Professor  Georg  Ebers,  der  im  Sommer- 
semestcr  1870  seine  Lehrtätigkeit  begann.   Seit  Wintersemester  187f>/7h 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  525 

erscheint  der  „Agyptologische  Apparat",  der  in  Sammlung  und  Seminar 
zerfiel,  als  akademisches  Institut.  Unter  Professor  Steindorff  wurde 
es  seit  1893  bedeutend  er^\'eitert  und  im  Jahre  1897  in  den  neuen 
Räumen  des  Johanneums  (das  Seminar  1900  im  Albertinum)  unter- 
gebracht.    Etat:  5(X)  M. 

6.  Deutsches  Seminar  und  Proseminar  (Germanistisches 
Institut).  Das  deutsche  Seminar  verdankt  seine  Entstehung  einer 
Anregung  des  Professors  Zamcke,  der  am  6.  August  1873  um  dessen 
Errichtung  bat.  Durch  Ministerialverfügung  vom  20.  Juli  1892  wurde 
femer  ein  Proseminar  in  mehreren  Abteilungen  für  althochdeutsch,  mittel- 
hochdeutsch, neuhochdeutsch  und  nordisch  geschaffen.  Das  Arbeits- 
zimmer des  deutschen  Seminars  wurde  Ende  Oktober  1881  eröffnet 
und  zwar  in  den  Räumen  des  klassisch-philologischen  Seminars,  zuerst 
im  Bornerianum.  Nach  mehrfachen  Umzügen  ist  das  Seminar  in  den 
Herbstferien  18%  in  die  neugeschaffenen  Räume  im  neuen  Paulinum 
verlegt.  Seit  dem  Sommersemester  1899  zerfallt  das  Seminar  in 
2  Abteilungen,  eine  ältere  und  neuere  Abteilung,  von  denen  jede 
unter  Leitung  eines  ordentlichen  Professors  steht.  Das  germanistische 
Institut  daneben  repräsentiert  die  Bibliothek  des  Seminars,  in  die  am 
9.  Juli  1898  der  5000.  Band  eingestellt  wurde.  Etat:  a)  3050  M.,  von 
denen  1300  M.  eigene  Einnahmen,  b)  3550  M. 

7.  Englisches  Seminar.  Vorläufer  sind  die  angelsächsischen 
Übungen  (Dr.  Flügel)  sowie  die  angelsächsischen  und  altenglischen 
Übungen,  die  englische  und  neuenglische  Gesellschaft,  die  Prof.  Wülker 
seit  1880  veranstaltete.  Das  Englische  Seminar  begann  seine  Tätig- 
keit im  W.-S.  1891/92.    Etat  a)  450  M.,  b)  175  M. 

8.  Romanisches  Seminar.  Eine  romanische  Gesellschaft  leitete 
Prof.  Birch-Hirschfeld  im  S.-S.  1891.  Daran  schloß  sich  im  nächsten 
Semester  das  Romanische  Seminar.     Etat:  a)  350  M.,  b)  ()75  M. 

9.  Institut  für  experimentelle  Psychologie.  Zur  Teil- 
nahme an  einer  „psychologischen  Gesellschaft**  lud  Prof.  Wundt  im 
Lektiönsverzeichnis  erstmalig  im  S.-S.  1877  ein.  „Psychophysische 
Übungen  für  Vorgerücktere"  veranstaltete  er  zum  ersten  Male  im 
S.-S.  1881.  Seit  W.-S.  1883/84  kam  dann  das  Institut  für  experi- 
mentelle Psychologie  unter  Wundts  Leitung  zustande.  Es  fand  zu- 
nächst seinen  Platz  im  Konviktsgebäude,  wurde  später  nach  dem 
Grimmaischen  Steinweg  12  übergeführt  und  gelangte  im  Jahre  1897 
in  den  neu  hergerichteten  Umbau  des  Paulinums.  Etat:  a)  2000  M.. 
b)  2100  M. 


526  ^ic  einzelnen  Universitäten. 

10.  Philosophisches  Seminar.  Prof.  Max  Heinze  kündigte 
seit  W.-S.  1875/76  philosophische  Übungen  an.  Im  Jahre  1893  wurde 
dann  unter  seiner  Leitung  ein  philosophisches  Seminar  gegründet. 
Einmalig  wurden  dem  Institut  150()  M.  bewilligt  behufs  Anschaffung 
von  Büchern.  Sein  Etat  ist  1220  M.,  von  denen  220  M.  eigene  Ein- 
nahmen sind. 

11.  Historisches  Seminar.  Unter  der  Direktion  des  Prof 
von  Noorden  wurde  ein  solches  im  S.-S.  1877  auf  der  Universitäts- 
straße 18  eröffnet.  Seit  W.-S.  1880/81  zerfiel  es  in  zwei  Abteilungen : 
die  eine  für  alte  Geschichte  stand  unter  der  Leitung  des  Prof.  Gardt- 
hausen  und  des  Dr.  Ed.  Meyer,  die  andere  für  mittlere  und  neuere 
Geschichte  unter  Leitung  der  Prof  Noorden  und  Arndt.  Während 
der  Direktion  des  Prof  Maurenbrecher  hörte  im  S.-S.  1885  diese 
Zweiteilung  auf  Doch  erschienen  neben  dem  Direktor  als  Leiter  der 
Übungen  die  Prof  Arndt,  Gardthausen  und  Ed.  Meyer.  Mit  dem 
S.-S.  1881  weist  das  Königl.  Historische  Seminar  wieder  2  Abteilungen 
auf  Die  Abteilung  A:  für  alte  Geschichte  steht  unter  Prof  Wachs- 
muth,  der  die  von  ihm  seither  geleitete  historisch-antiquarische  Gesell- 
schaft in  die  altgeschichtliche  Abteilung  des  Historischen  Seminars 
umgebildet  hatte.  In  der  Abteilung  B:  für  mittlere  und  neuere  Ge- 
schichte sind  die  3  Professoren  der  Geschichte  gleichberechtigte  Di- 
rektoren, von  denen  jeder  seine  Abteilung  selbständig  verwaltet. 
Die  teilnehmenden  Studenten  entrichten  einen  Beitrag  von  K^  M. 
(davon  10  M.  zum  Bibliothekfonds),  der  dem  Institute  zugute  kommt 
Für  zeitweilige  Benutzung  der  Bibliothek  bis  zur  Dauer  von  8  Wochen 
sind  5  M.  zu  bezahlen.  Der  Etat  ist:  a)  58:H)  M  .  von  denen  22:W  M. 
eigene  P^innahmen,  b)  3500  M. 

12.  Historisch-geographisches  Institut.  Ein  Seminar  für 
historische  Geographie  wurde  im  W.-S.  1898/99  geschaffen,  nachdem 
im  Mai  1898  eine  außerordentliche  Professur  für  dieses  Fach  ge- 
gründet war.  Daraus  wurde  im  nächsten  Semester  ein  Institut  für 
historische  Geographie  und  nach  Prof  Sieglins  Weggang  unter  der 
Leitung  des  Prof  Berger  ein  historisch-geographisches  Institut.  Etat: 
ai  870  M.,  von  denen  120  M.  eigne  Einnahmen,  b)  18(X)  M. 

\'A.  Geographisches  Seminar.  Ein  geographischer  Apparat 
stand  seit  W.-S.  1883/84  im  F>dgeschoß  des  Senatsgebäudes  für  Prof 
Freiherr  von  Richthofen  zur  Verfügung.  Die  Überführung  desselben 
in  den  dritten  Stock  des  nördlichen  Flügels  im  Vorderpaulinum  er- 
folgte im  November  1886.  Prof  Ratzel,  der  im  W.-S.  1886/87  die 
Professur  für  Geographie  übernahm,  bewirkte  die  Umbildung    in    ein 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  527 

Seminar,  das  im  Paulinum  Unterkunft  fand.     Etat:    a)  27tX)    M.,    von 
denen  1400  M.  eigene  Einnahmen,  b)  1200  M. 

14.  Münzsammlung.  Sie  ist  aus  einer  im  Jahre  1717  der 
Universität  gemachten  Schenkung  von  Bracteaten  entstanden  und  all- 
mählich angewachsen.  Seit  W.-S.  1853/54  wird  sie  als  akademisches 
Institut  unter  der  Leitung  des  Oberbibliothekars  Gersdorf  erwähnt. 
Zur  Zeit  ist  ihr  Direktor  Prof  Dr.  Ed.  Zarncke.  Ihr  Etat  ist  a)  600  M., 
b)  1200  M. 

15.  Kunsthistorisches  Institut.  Zu  Ostern  1873  trat  Anton 
Springer  die  neu  kreierte  Professur  für  mittlere  und  neuere  Kunst- 
geschichte an.  Er  erhielt  seit  S.-S.  1875  die  Mittel,  einen  kunst- 
historischen Apparat  zu  beschaffen,  der  im  Borneranium  No.  10  auf- 
gestellt wurde  und  an  den  ersten  5  Wochentagen  von  5 — 6  Uhr  für 
die  Benutzung  der  Studenten  geöffnet  war.  Bei  der  Berufung  von 
Janitschek  erfolgte  im  S.-S.  1892  die  Umwandlung  des  Apparats  in 
ein  kunsthistorisches  Seminar.  Nach  seinem  frühen  Tode  am  21.  Juni 
189,3  nahm  Prof  Schmarsow  seine  Stelle  ein,  der  dann  die  heutige 
Organisation  schuf  Sie  besteht  aus  einem  kunsthistorischen  Seminar 
und  einem  kunsthistorischen  Apparat  oder,  wie  er  jetzt  genannt  wird, 
„Lehrmittelsammlung''.     Etat:  a)  2000  M.,  b)  1200  M. 

16.  Pädagogisches  Seminar.  Ein  pädogogisches  Seminar 
wurde  seit  S.-S.  UJ69  von  den  Professoren  Masius  und  Eckstein  ge- 
leitet. An  des  letzteren  Stelle  trat,  nachdem  Masius  im  W.-S.  1885/86 
das  Institut  allein  verwaltet  hatte,  mit  dem  S.-S.  188()  Prof  Richter. 
Mit  der  Berufung  Volkelts  im  S.-S.  1894  wurde  ein  philosophisch- 
pädagogisches und  ein  praktisch-pädagogisches  Seminar  unterschieden. 
Ersterem  steht  der  Professor  der  Philosophie  und  Pädagogik  Volkelt 
vor,  in  letzterem  haben  nacheinander  praktische  Schulmänner,  die 
zugleich  Professoren  an  der  Universität  waren,  die  Leitung  gehabt. 
Etat:  a)  f)800  M.,  h)  1240  M. 

17.  Vereinigte  staatswissenschaftliche  Seminare.  Ein 
staatswissenschaftliches  Seminar  wurde  1889  von  Prof  Brentano  ins 
Leben  gerufen.  Eine  „kameralistische  Gesellschaft"  hatte  schon 
Röscher  geleitet.  An  Brentanos  Stelle  im  Seminar  trat  mit  dem 
W.-S.  1891/92  Miaskowski.  Im  S.-S.  18^12  wurde  dann  eine  Professur 
für  Statistik  und  Nationalökonomie  gegründet,  die  Karl  Bücher  er- 
hielt, dem  gleichzeitig  ein  volkswirtschaftlich-statistisches  Seminar  zur 
Verfügung  gestellt  wurde.  Dasselbe  wurde  seit  W.-S.  1894/95  um 
eine  Abteilung  für  öffentliches  Recht  erweitert.  Während  der  Er- 
krankung Miaskowskis,    der   seinem    Seminar    nicht    mehr    vorstehen 


528  r^>c  einzelnen  Universitäten. 

konnte,  wurden  im  W.-S.  1897/98  das  staatswissenschaftliche  und  das 
volkswirtschaftlich-statistische  Seminar  verschmolzen  und  stehen  nun- 
mehr unter  der  obigen  Benennung  im  Personalverzeichnis.  Ihre 
Direktoren  sind  K.  Bücher  und  K.  Fricker.  Letzterer  hält  jedoch 
keine  Vorlesungen  mehr.  Etat:  a)  4560  M.,  von  denen  ca.  1560  M. 
eigene  Einnahmen,  b)  25CX)  M.  Dazu  kommen  noch  mehrere  hundert 
Mark,  die  für  die  Abhaltung  von  sogenannten  Vorkursen  von  dem 
Ministerium  und  dem  Senat  der  Handelshochschule  bewilligt  sind. 

18.  Landwirtschaftliches  In'Stitut.  Im  S.-S.  18f)9  gründete 
das  Ministerium  ein  mit  der  Universität  verbundenes  landwirtschaft- 
liches Institut,  an  dessen  Spitze  Blomeyer  gestellt  wurde.  Durch  ihn 
wurde  im  S.-S.  1874  auf  dem  Gelände  des  Kuhturms  ein  Gebäude 
für  das  landwirtschaftlich-physiologische  Studium  errichtet,  dessen 
Leitung  Stohmann  übernahm.  Im  Jahre  1879  erstand  der  Neu- 
bau an  der  Ecke  Stephan-  und  Brüderstraße,  in  den  auch  das  agri- 
kultur-chemische  Laboratorium  unter  Leitung  von  Prof  Knop  verlegt 
wurde.  Im  W.-S.  1887/88  trat  Stohmann  an  die  Spitze  des  agrikul- 
tur-chemischen  Laboratoriums  und  vereinigte  mit  ihm  sein  landwirt- 
schaftlich-physiologisches Institut.  Die  zusammengefaßten  Anstalten 
kamen  in  das  Haus  an  der  Bürgerschule  4.  Unter  Prof  Kirchner, 
der  im  Februar  18^K)  das  Ordinariat  für  Landwirtschaft  übernahm, 
erhielt  das  Institut  einen  Pflanzengarten,  eine  Molkerei  und  einen 
Rassestall  mit  Nebcnanlagen  —  Aufwand:  W8I7  M.  — ,  sowie  ver- 
schiedene Neubauten  auf  dem  als  Versuchsfeld  für  das  Institut  einzu- 
richtenden Universitätsgute  Oberholz  —  Aufwand:  f>^2(K^  M.  —  Daran 
schlössen  sich  weitere  Bauten  in  Oberholz  —  Aufwand :  'X\  25'A  M.  — 
am  Ausgange  der  ^X)er  Jahre.  Trotz  aller  dieser  Vervollkommnungen 
machte  sich  im  Institutsgebäude  selbst  immer  mehr  Raummangel 
geltend,  zumal  nach  der  Gründung  einer  außerordentlichen  Professur 
für  landwirtschaftliches  Maschinenwesen  und  einer  neuen  außerordent- 
lichen landwirtschaftlichen  Professur.  So  kam  es  zu  einem  Neubau 
Johannes- Allee  21,  der  am  9.  Juli  1W3  feierlich  in  Benutzung  genommen 
wurde.  Etat:  i\)  .S7  2(H)  M.,  von  denen  14  110  M.  eigene  Einnahmen, 
b)  24  817  M. 

19.  V^eterinärinstitut  mit  Veterinärklinik  und  Poliklinik. 
VAnc  Vcterinärklinik  befand  sich  unter  der  Leitung  von  Prof  Zürn 
seit  W.-S.  1882/81^  bei  der  Universität.  Sie  wurde  in  ein  Veterinär- 
institut im  S.-S.  1807  umgebildet  und  in  die  Johannis-AUee  verlegt. 
Seit  dem  W.-S.  1897/08  stand  das  Veterinärinstitut  unter  der  Leitung 
von  Prof  Zürn,    die  Veterinärklinik   unter   der  von  Dr.  Klee.     Auch 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  529 

hier  hat  sich  ein  Neubau  vemotwendigt,  der  am  17.  Januar  1903  be- 
zogen werden  konnte.  Direktor  ist  Prof.  Eber.  Etat:  a)  23  940  M., 
von  denen  12975  M.  eigene  Einnahmen,  b)  18030  M. 

20.  Mathematisches  Seminar  und  Institut.  Ein  mathe- 
matisches Institut,  bestehend  aus  mathematischem  Seminar  und  Mo- 
delisammlung,  wurde  Ostern  1881  eröffnet.  Die  Direktion  des  Se- 
minars lag  gemeinschaftlich  bei  den  Professoren  Klein,  A.  Mayer  und 
von  der  Mühll,  die  der  Modellsammlung  allein  bei  Klein.  Nachdem 
Sophus  Lie  an  Stelle  Kleins  getreten  war,  unterschied  man  als  ge- 
trennte Anstalten  seit  S.-S.  1886:  1 .  ein  mathematisches  Seminar.  Ein 
ordentlicher  Professor  (Lie),  ein  Honorarprofessor  (A.  Mayer)  und  ein 
außerordentlicher  Professor  des  Fachs  (Engel)  waren  seine  Direktoren. 
Es  hatte  keine  besonderen  Räume,  sondern  wurde  in  einem  Audi- 
torium des  Augusteums  gehalten.  2.  ein  mathematisches  Institut,  das 
in  zwei  Abteilungen  zerfiel,  nämlich  I.  Lese-  und  Arbeitsräume,  Ritter- 
straße 24  und  IL  Modellsammlung,  Brüderstraße  32.  Beide  Abtei- 
lungen unterstanden  dem  Prof.  Lie.  Diese  Teilung  ist  bis  heute  bei- 
behalten worden.  Direktor  ist  Prof.  Otto  Holder.  Noch  immer  sind 
die  Räume  geteilt.  Doch  werden,  sobald  der  Neubau  des  physikali- 
schen Instituts  beendet  ist,  die  heute  von  diesem  eingenommenen 
Räume  der  Mathematik  üben\iesen.  Etat:  a)  3000  M.,  von  denen 
460  M.  eigene  Einnahmen,  b)  3410  M. 

21.  Sternwarte.  Als  während  des  17.  Jahrhunderts  an  ver- 
schiedenen Orten  Sternwarten  entstanden,  bat  auf  Grund  einer  von 
Kurfürsten  August  dem  Starken  ergangenen  Anregung  die  Universität 
im  Jahre  1711  um  den  Bau  eines  Observatorium  Mathematicum,  aber 
ohne  Erfolg.  Im  Jahre  1781  ersuchte  die  Universität,  auf  der  von 
dem  Wiener  Astronomen  Hell  vorgeschlagenen  Pleißenburg  ein  Ob- 
servatorium errichten  zu  wollen.  Fünf  Jahre  darauf  kam  die  Fürst- 
liche Genehmigung.  In  den  Jahren  1787 — 90  wurde  nun  der  Bau 
ausgeführt;  der  Landkammerrat  Karl  Fr.  Kregel  von  Stembach  ver- 
machte 1 789  seine  beträchtliche  Instrumentensammlung  und  ein  Legat 
von  2000  Talern,  von  dessen  Zinsen  ein  Observator  mit  bezahlt  werden 
sollte,  und  endlich  wurde  am  2.  Dezember  1791  Christ.  Friedr.  Rü- 
diger zum  Observator  und  Professor  extraordinarius  ernannt.  Im 
Jahre  1794  wurde  die  Warte  von  der  Universität  übernommen.  Die 
Baukosten  beliefen  sich  bis  zum  Jahre  1 800  auf  über  1 1  000  Taler, 
wozu  noch  3466  Taler  für  den  Bau  der  Wohnungen  des  Observators, 
seiner  beiden  Gehilfen  und  des  Aufwärters  kamen.  Zweitausend  Taler 
wurden  zur  Anschaffung  von  Instrumenten,  Büchern,  Globen  ausgezahlt. 

Das  Unterricbuweten  im  Deutschen  Reich.    I.  34 


530  ^'^  einzelnen  Universitäten. 

Endlich  setzten  die  Reskripte  vom  6.  Juli  1796  und    27.  Januar  1798 
für  die  laufenden  Ausgaben  der  Sternwarte  jährlich  250  Taler  aus. 

Die  Sternwarte  war  erbaut  nach  den  Prinzipien,  nach  denen  man 
im  16.,  17.  und  18.  Jahrhundert  derartige  Observatorien  erbaute. 
Nun  trat  gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  sowohl  in  den  Stern- 
warten als  in  den  Instrumenten  eine  wesentliche  Veränderung  ein. 
Je  mehr  nun  neue,  den  modernen  Anforderungen  entsprechende 
Sternwarten  in  Deutschland,  in  Altona,  München,  Hamburg,  Berlin, 
Bonn  usw.  entstanden,  desto  mehr  fühlte  man  das  Ungenügende  der 
L.  Anstalt.  Um  Professor  d' Arrest,  den  man  für  eine  russische 
Universität  zu  gewinnen  suchte,  in  Leipzig  zurückzuhalten,  gestand  das 
Ministerium  einen  Neubau  zu,  der  in  den  Jahren  1 857 — 61  zustande  kam, 
obwohl  d' Arrest  doch  im  S.-S.  1857  einem  Rufe  nach  Kopenhagen  Folge 
geleistet  hatte.  Die  Sternwarte  wurde  auf  einem  Platze  im  Johannistal, 
der  von  der  Stadt  billig  hatte  erstanden  werden  können,  für  25000 
Taler  errichtet.  Unterdessen  hatte  C.  Bruhns  am  1.  April  1860  dem 
Rufe,  der  erste  Astronom  der  neuen  Sternwarte  zu  sein,  Folge 
geleistet. 

Seitdem  haben  sich  noch  weitere  Bauten  vernotwendigt.  Auf 
dem  Areal  der  Sternwarte  wurde  eine  meteorologische  Warte  her- 
gestellt, die  ins  Eigentum  der  Universität  überging.  —  Aufwand: 
10  (KX)  M.  —  Spätere  Erweiterungsbauten  verursachten  im  Jahre 
18J54/85  35  792  M.  Baukosten;  ein  Umbau  des  Meridionalsaales 
bedang  1894  II  542  M.     Etat:   a)  50(K)  M.,  bj  9210  M. 

22.  Physikalisches  Institut.  Auf  Ansuchen  des  Professors 
Christian  Benedikt  Funk  kaufte  der  Kurfürst  im  Jahre  1785  die 
Ludwigsche  Sammlung  physikalischer  Instrumente  und  schenkte  sie 
mit  1(K)  Talern  behufs  ihrer  Ausbesserung  an  die  Universität.  Später 
kam  der  Hindenburgische  Nachlaß  hinzu,  der  1809  mit  10(X)  Talern 
bezahlt  wurde.  Dem  neuen  Professor  der  Physik,  Christian  Samuel 
Weiß,  wurden  jährlich  zur  Erhaltung  und  Vermehrung  des  physika- 
lischen Apparats  150  Taler  bewilligt.  Nach  Gilbert,  Brandes  und 
G.  Fechner  trat  Wilhelm  Weber  im  Jahre  UU3  als  ordentlicher  Pro- 
fessor der  Physik  und  Direktor  des  Kabinetts  ein.  Dieser  hat  sich 
um  die  Ausgestaltung  desselben  große  Verdienste  erworben.  Auch 
die  Errichtung  eines  magnetischen  Observatoriums  war  sein  Werk. 
Ihm  i^^clang  es,  den  Jahresetat  seit  1847  auf  500  Taler  gesteigert  zu 
seilen.  Webers  Nachfolger  wurde  im  Herbste  1849  Wilh.  Hankel. 
Er  verstand  es,  das  Kabinett  auf  einer  allen  damaligen  Anforde- 
rungen   entsprechenden    Höhe    zu    erhalten.     Seit  lange  beabsichtigt, 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  531 

jedoch  immer  wieder  verzögert,  wurde  dann  endlich  zum  Bau  eines 
eigenen  physikalischen  Instituts  geschritten.  Im  Wintersemester 
187IV74  war  es  mit  einem  Bauaufwande  von  320  400  M.  fertiggestellt; 
auch  dieses  Institut  hat  bereits  ausgedient.  Mit  der  Berufung  von 
Otto  Wiener  ist  ein  großartiger  Neubau  im  Gange. 

Ein  physikalisch-technologischer  Apparat,  dessen  Direktor  der 
außerordentliche  Professor  Marbach  war.  im  Paulinum  aufgestellt, 
bestand  seit  Wintersemester  1850/51.  Er  führte  seine  selbständige 
Existenz  so  lange,  bis  unter  Professor  Ostwald  seit  Wintersemester 
1887/88  ein  zweites  chemisches  I^boratorium  (für  physikalische 
Chemie)  eröffnet  wurde. 

23.  Die  drei  chemischen  Laboratorien.  Erst  im  Jahre 
1804  wurden  Räume  der  Pleißenburg  mit  150  Talern  Labora- 
toriumsgeldern dem  Professor  Eschenbach  überwiesen,  der  seit  dem 
Wintersemester  1784/85  das  Ordinariat  für  Chemie,  damals  noch  in 
der  medizinischen  Fakultät  als  Ersatz  für  Ridiger  erhalten  hatte. 
Dieses  Laboratorium  ging  bei  Eschenbachs  Emeritierung  an  Professor 
Erdmann  über,  der  im  Sommersemester  18(^1  den  neu  geschaffenen 
Lehrstuhl  der  technischen  Chemie  in  der  philosophischen  Fakultät 
innehatte.  Dafür  mußte  aber  wieder  Otto  Bernhard  Kühn,  der  schon 
im  Sommersemester  1827  ein  chemisches  Praktikum  (exercitationes 
chemico-practicas)  veranstaltet  hatte  und  nun  seit  dem  Sommer- 
semester 1831  Eschenbachs  Nachfolger  auf  dem  Lehrstuhle  der  all- 
gemeinen Chemie  geworden  war,  ohne  öffentliches  Laboratorium 
bleiben.  Er  mußte  sich  in  einem  von  ihm  selbst  ermieteten  Lokal 
behelfen.  Doch  empfing  er  wenigstens  von  1840  ab  300  Taler 
jährlich  als  Unterstützung  für  das  Laboratorium.  Für  Professor  Erd- 
mann wurde  dann  seit  1814  in  dem  neuerbauten  Friedericianum 
ein  chemisches  Laboratorium  eingerichtet.  In  das  von  dem 
Professor  der  technischen  Chemie  1844  aufgegebene  chemische  Labo- 
ratorium in  der  Pleißenburg  kam  jetzt  Kühn,  der  jedoch  die  Ein- 
richtungskosten aus  eigener  Tasche  zu  tragen  hatte.  Sein  Nach- 
folger, aber  nunmehr  in  der  philosophischen  Fakultät,  an  die  der 
Lehrstuhl  der  allgemeinen  Chemie  überging,  wurde  mit  dem  Winter- 
semester 1864/65  Hermann  Kolbe.  Er  mußte  sich  zuerst  auf  der  Uni- 
versitätsstraße 15  provisorisch  einrichten,  erhielt  aber  schon  1865  von 
dem  damaligen  Minister  Falkenstein  den  Auftrag,  einen  Entwurf  zu 
einem  Neubau  anzufertigen.  So  wurde  mit  einem  Aufwände  von 
über  80  000  Taler  auf  der  Liebigstraße  20  ein  Gebäude  hergerichtet,  das 
18r>8  bezogen  werden  konnte.      Im  Sommersemester  1871    übernahm 

34* 


5^^2  I^*®  einzelnen  Universitäten. 

der  neu  berufene  Professor  Gustav  Wiedemann  das  frühere  Erd- 
mannsche  Institut,  das  er  nunmehr  als  physikalisch-chemisches  Labo- 
ratorium bezeichnete.  Wiedemann  arbeitete  hier  (an  der  1.  Bürger- 
schule 3)  bis  er,  im  Sommersemester  1 887  Nachfolger  Hankels  auf  dem 
Lehrstuhle  der  Physik,  die  Direktion  des  physikalischen  Instituts 
übernahm.  An  seine  Stelle  rückte  seit  dem  Wintersemester  1887/88 
Wilh.  Ostwald  als  Dirigent  des  physikalisch-chemischen  Laboratoriums 
ein.  Ihm  wurde  zur  Erbauung  eines  besonderen  physikalisch- 
chemischen  Instituts  auf  der  Universität  gehörigem  Boden  von  den 
Ständen  1895/%  die  Summe  von  382  000  M.  bewilligt.  Der  Neubau 
konnte  am  3.  Januar  1898  bezogen  werden.  Als  dann  im  Winter- 
semester 1897/98  ein  dritter  Professor  der  Chemie,  E.  Beckmann, 
ernannt  wurde,  erhielt  er  zunächst  in  dem  Gebäude  des  landwirt- 
schaftlichen Instituts  (Brüderstraße  34)  ein  Laboratorium  für  an- 
gewandte Chemie  eingeräumt.  Bald  aber  mußte  an  einen  Neu-  und 
Umbau  gedacht  werden,  für  den  530  000  M.  ausgesetzt  sind.  Auch 
das  seit  Wintersemester  1903/04  von  Professor  Hantzsch  dirigierte 
frühere  Kolbesche  Laboratorium  erfahrt  zurzeit  einige  bauliche  Um- 
gestaltungen. Das  von  Professor  Knop  in  der  Pleißenburg  lange 
geleitete  dritte,  sogenannte  agrikulturchemische  Laboratorium  siedelte 
mit  dem  Neubau  des  landwirtschaftlichen  Instituts  in  diesen  über  und 
hörte  später  als  selbständiges  Institut  auf.  Etat  des  chemischen 
Laboratoriums:  a)  19  850  M.,  von  denen  2850  M.  eigene  Einnahmen, 
b)  14  780  M.  Etat  des  physikalisch-chemischen  Instituts  a)  19  700  M., 
von  denen  1700  M.  eigene  Einnahmen,  b)  I3  7«30M.  Etat  des 
Laboratoriums  für  angewandte  Chemie:  a)  20  750  M.,  von  denen 
1750  M.  eigene  Einnahmen,  b)  12  180  M. 

24.  Zoologisch  -  zootomisches  Institut  und  Museum. 
Im  Jahre  1834  beschloß  das  Ministerium  eine  naturgeschichtliche 
Sammlung  zu  begründen,  deren  Beaufsichtigung  Prof.  Pöppig  über- 
tragen wurde.  Seit  Januar  1838  betrug  der  Etat  laut  ständischer  Be- 
willigung jährlich  550  Taler.  Bei  Pöppigs  Tode  (1868)  hatte  die 
Sammlung  bereits  einen  über  eigentliche  Lchrzwecke  hinausgehenden 
Umfang  erreicht,  doch  fehlte  nahezu  vollständig  eine  vergleichend- 
anatomische Lehrsammlung.  Nach  der  Berufung  von  Leuckart  186^ 
wurde  zunächst  auf  deren  Beschaffung  Bedacht  genommen  und  zugleich 
ein  für  etwa  8 — 10  Arbeitsplätze  berechnetes  zoologisches  Laboratorium 
eingerichtet.  Bald  erwiesen  sich  Auditorium  und  Laboratorium  zu  klein. 
Im  Frühjahr  1880  wurde  der  Bau  eines  den  Anforderungen  der  Neu- 
zeit entsprechenden    zoologischen    Instituts    mit  einem  Aufwände  von 


Die  Königl.  Sächsische  Universität  Leipzig.  533 

374  407  M.  fertiggestellt.  Die  seit  1855/56  unter  Leitung  von  Carus 
bestehende  zootomische  Sammlung,  die  nach  vorübergehendem  Auf- 
enthalte im  landwirtschaftlichen  Institute  1890  im  Gebäude  des 
zoologischen  Instituts  einen  Platz  gefunden  hatte,  hörte  im  Winter- 
semester 1894/95  ab  besonderes  akademisches  Institut  auf.  Gegen- 
wärtiger Direktor  ist  Prof  Chun.  Etat:  a)  7369  M.,  von  denen  369  M. 
eigene  Einnahmen,  b)  10  400  M. 

25.  Botanisches  Institut  und  Botanischer  Garten.  Seit 
1542  wurde  der  Garten  des  Paulinums  der  medizinischen  Fakultät  als 
„Hortus  medicus"  zugestanden.  Sein  Terrain  wurde  im  30  jährigen 
Kriege  zu  den  Festungswerken  gezogen.  Erst  im  Jahre  1658  oder 
1684  erhielt  die  Fakultät  durch  die  Schenkung  seitens  des  Fürsten- 
hauses ein  neues  brauchbares  Grundstück,  das  gleichwohl  das  Be- 
dürfnis nur  sehr  unvollkommen  befriedigte.  Infolge  des  Legats  der 
Trierschen  Eheleute  konnte  der  botanische  Garten  von  der  innem 
Stadt  heraus  auf  das  geschenkte  Terrain  verlegt  werden.  Erst  1814 
gelang  es  dem  Professor  Schwägrichen,  einmalig  1500  Taler  und 
dann  jährlich  300  Taler  zu  erhalten.  Das  Reskript  vom  19.  Fe- 
bruar 1 827  verdoppelte  diesen  Betrag.  Seit  1 829  diente  das  Triersche 
Grundstück  lediglich  dem  botanischen  Lehrzwecke,  hatte  indes  an 
die  Entbindungsanstalt  jährlich  550  Taler  zu  zahlen.  Der  Landtag  von 
1833/34  setzte  400  Taler  jährlich  zur  Kultur  des  Botanischen  Gartens 
aus  und  bewilligte  1 1 5  Taler  als  Zinsen  für  ein  Anlehen.  Ein  aka- 
demisches Herbarium  als  akademisches  Institut  erwuchs  seit  Winter- 
semester 1855/56  aus  einer  Schenkung,  die  der  Professor  der  Botanik, 
Gustav  Kunze,  mit  seiner  überaus  reichen  Farrensammlung  gemacht 
hatte.  Seit  Wintersemester  1877/78  erscheint  ein  „Botanisches  In- 
stitut". Es  besteht  aus  dem  Neuen  Botanischen  Garten,  dem  Bota- 
nischen Laboratorium  und  dem  Akademischen  Herbarium.  Es 
war  auf  dem  an  der  heutigen  Linnestraße  belegenen  Terrain  mit 
einem  Kostenaufwande  von  665  400  M.  errichtet  worden.  Ver- 
schiedene andere  Baulichkeiten,  die  in  den  Jahren  1884 — 1899  beim 
Botanischen  Institut  ergänzungsweise  nötig  geworden  sind,  haben  einen 
Aufwand  von  62  058  M.  verursacht.  Der  Etat  des  Botanischen  In- 
stituts ist  bei  eigenen  Einnahmen  von  6  M.  jährlich:  a)  21  406  M., 
b)  11410  M.;  der  des  Herbariums:  a)  595  M.,  von  denen  315  M. 
eigene  Einnahmen,  b)  865  M. 

26.  Mineralogisches  Museum  und  Institut.  Bis  zum  letzten 
Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts  befanden  sich  die  mineralogischen 
und    geognostischen  Sammlungen    in  dem    zu    dem    ehemaligen  Uni- 


534  I^ie  einzelnen  Universitäten. 

versitätsgebäude  gehörigen  sog.  Beguinenhaus  in  der  Universitäts- 
straße, wo  sie  in  sehr  ungenügenden  und  lichtarmen  Räumen  unter- 
gebracht waren ;  sie  standen  dort  von  1 842 — 70  unter  der  Ven^^altung 
des  Professors  Karl  Friedrich  Naumann.  Als  dieser  im  Oktober  1870 
seinen  Abschied  genommen  und  Professor  Ferdinand  Zirkel  zum  Ver- 
treter der  Mineralogie  und  Geognosie  ernannt  war,  gelangte  der  Plan 
zur  Ausführung,  in  einem  neuen  Gebäude  die  Unterbringung  jener 
Sammlungen  und  die  Errichtung  eines  mineralogischen  Instituts  zu 
vereinigen.  Ostern  1874  war  nach  Übersiedlung  der  Sammlungen 
die  Einrichtung  vollendet.  —  Das  sog.  Mineralogische  Museum,  in 
den  letzten  Jahrzehnten  bei  reichlicher  bemessenen  Mitteln  erheblich 
vermehrt,  besitzt  außer  mineralogischen  auch  umfangreiche  petro- 
graphische  und  geologische  Kollektionen;  sein  Bestand  beträgt  zur- 
zeit ca.  51  000  einzelne  Nummern.  Etat:  a)  2324  M.,  von  denen 
24  M.  eigene  Einnahmen,   b)  3010  M. 

27.  Paläontologisches  Institut.  Dasselbe  wurde  im  Studien- 
jahr 1895/%  unter  Direktion  des  ordentlichen  Professors  für  historische 
Geologie  und  Paläontologie  Hermann  Credner  ins  Leben  gerufen. 
Es  hat  dank  dem  Entgegenkommen  des  Direktors  des  mineralogischen 
Instituts  und  einiger  aus-  und  inländischer  Schwesteranstalten  eine 
reichhaltige  Sammlung  vorw^eltlicher  Tiere  und  Manzen  aufzuweisen. 
Etat:   a)  1350  M.,    von  denen  150  M.    eigene  Einnahmen,  b)  800  M. 

28.  Als  Privatinstitut,  das  indes  unter  die  Institute  bei  der 
philosophischen  Fakultät  eingereiht  ist,  besteht  seit  21.  April  18^)3 
ein  Institut  für  rumänische  Sprache.  Von  der  rumänischen 
Abgeordnetenkammer  unterhalten,  bezweckt  es,  in  das  Studium  der 
rumänischen  Sprache  einzuführen  und  die  Teilnehmer  zum  vollständigen 
Lösen  von  Aufgaben  auf  dem  Gebiete  der  rumänischen  Philologie 
zu  befähigen. 

VV.    Stieda. 


XV.   Die  Königlich  Württembergische  Eberhard-Karls- 
Universität  zu  Tübingen. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Die  Eberhard-Karls-Universität  wurde  vom  Grafen,  nachherigen 
Herzog  Eberhard  im  Bart  am  3.  Juli  1477  mit  14  Lehrstellen 
gegründet.  Im  Jahre  1534  und  den  folgenden  Jahren  führte  der 
Herzog  Ulrich  bei  ihr  die  Reformation  ein.  Ihren  zweiten  Namen 
legte  der  Anstalt  Herzog  Karl  bei  (1737 — 1793),  der  nach  vergeb- 
lichen Versuchen,  sie  in  die  Höhe  zu  bringen,  die  „hohe  Karlsschule" 
in  Stuttgart  gründete,  die  namentlich  durch  ihren  großen  Schüler 
Friedrich  Schiller  bekannt  und  bis  zu  ihrer  im  Jahre  1794  erfolgten 
Aufhebung  der  Universität  eine  gefahrliche  Nebenbuhlerin  wurde. 
Die  letztere  hatte  damals  keine  200  Studenten  mehr,  fast  nur  Landes- 
kinder; ihre  Einnahmen  von  30  000  Gulden  jährlich  reichten  entfernt 
nicht  aus,  den  gewachsenen  Ansprüchen  zu  genügen,  und  ihre 
Selbständigkeit,  kraft  deren  sie  fast  unabhängig  ihr  Vermögen  ver- 
waltete, die  Stellen  besetzte,  die  Gerichtsbarkeit  über  ihre  Angehörigen 
im  weitesten  Sinne  übte  und  mit  diesen  Steuerfreiheit  genoß,  hielt 
die  Staatsregierung  ab,  ihr  zu  Hilfe  zu  kommen.  Der  erste  König 
des  durch  die  Umwälzungen  am  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  an 
Größe  verdoppelten  Staates,  Friedrich,  nahm  durch  Verfügungen  von 
1806  und  1811  der  Universität  ihre  Privilegien  und  hob  ihre 
korporative  Selbständigkeit  auf,  indem  er  die  Anstalt  dem  Kultus- 
ministerium unterstellte  und  die  Verwaltung  ihres  Vermögens  den 
Staatsfinanzbehörden  übertrug.  Während  der  nächsten  Zeit  war  die 
Regierung  zuerst  durch  die  Verfolgung  der  als  staatsgefährlich 
angesehenen  nationalen  Bestrebungen  der  Studentenschaft,  namentlich 
der   Burschenschaft,    in    Anspruch    genommen    und    dann    durch    die 


536  ^*^  einzelnen  Universitäten. 

Regelung  der  Universitätsverfassung,  die  1831  durch  eine  noch  jetzt 
gültige  Verordnung  im  wesentlichen  so  gestaltet  wurde,  wie  sie 
dermalen  an  allen  deutschen  Universitäten  geordnet  ist.  Doch  besteht 
kein  engerer  Senat,  sondern  die  unmittelbare  Leitung  der  Anstalt 
fuhrt  neben  dem  Rektor  die  Gesamtheit  der  ordentlichen  Professoren, 
und  ein  Mitglied  dieses  Senats,  mit  dem  Titel  Kanzler,  ist  mit  der 
nächsten  staatlichen  Aufsicht  betraut. 

Die  angeführten  Tatsachen  erklären,  warum  erst  in  den  dreißiger 
Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  die  Modernisierung  der  Universität 
begann,  und  insbesondere  die  häufigere  Berufung  auswärtiger  Lehr- 
kräfte. Bis  dahin  waren  diese  in  Tübingen  eine  ebenso  kleine  Minder- 
zahl wie  die  fremden  Studenten.  Die  bedeutendsten  Professoren  des 
vorigen  Jahrhunderts,  die  evangelischen  Theologen  Ferd.  Christian 
Baur,  der  Begründer  der  „Tübinger  Schule",  der  Dogmatiker  Joh. 
Tobias  Beck,  der  Orientalist  August  Di  11  mann  und  der  Kirchen- 
historiker Karl  Weizsäcker,  die  katholischen  Theologen  Joh.  Adam 
Möhler  und  Karl  Jos.  Hefele,  der  Jurist  Karl  Georg  Wächter, 
der  Kliniker  Wilhelm  Griesinger,  der  Nationalökonom  Friedrich  List, 
der  Mathematiker  und  Astronom  Joh.  Gottl.  Friedr.  Bohnenberger, 
der  Chemiker  Christian  Gmelin,  die  Brüder  Robert  und  Hugo  Mo  hl 
(der  Staatsrechtslehrer  und  der  Botaniker),  der  Dichter  und  Germanist 
Ludwig  Uhland,  der  Sanskritist  Rudolf  Roth,  der  Ästhetiker  Friedrich 
Vischer  u.  a.  m.  waren  sämtlich  in  Württemberg  geboren.  Von 
gleichwertigen  Fremden,  die  seit  den  dreißiger  Jahren  berufen  wurden, 
sind  z.  B.  zu  nennen  der  Mineralog  Friedr.  Aug.  Quenstedt,  der 
Theolog  Heinrich  Ewald,  der  Chirurg  Viktor  Bruns,  der  Kliniker 
Karl  Lieber meister,  die  Juristen  Karl  Gerber  und  Alois  Brinz  usw. 

Nachdem  im  Jahre  1B45  das  jetzige  Universitätsgebäude  und 
bald  darauf  einige  Bauten  für  Institute  errichtet  waren,  wurde  in  den 
fünfziger  Jahren  die  Verlegung  der  Universität  nach  Stuttgart  ein- 
gehend erwogen,  um  ihr  die  Vorteile  einer  großen  Stadt  zu  ver- 
schaffen. Der  Gedanke  wurde  schließlich  abgelehnt  und  nunmehr  in 
Tübingen  mit  Eifer  an  die  Errichtung  neuer  Institute  und  Kliniken 
gegangen,  der  in  den  folgenden  Jahrzehnten  glänzende  Erfolge  zeitigte. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

Die  Universität  besitzt  7  Fakultäten,  da  zwei  theologische  vor- 
handen sind,  von  der  philosophischen  eine  naturwissenschaftliche  ab- 
gezweigt ist  und  auch  eine  staatswissenschaftliche  besteht. 


Die  Königl.  Württembergische  Eberhard-Karls-Universität  zu  Tübingen.         537 

Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  dermalen  6 
ordentliche  Professoren*)  und  1  außerordentlichen  Professor.  Unter 
der  Aufsicht  der  Fakultät  steht  das  von  einem  ihrer  Mitglieder 
geleitete,  1815  gegründete  evangelische  Predigerinstitut,  dessen  jähr- 
liche Gesamtausgabe  1786  Mark  beträgt,  und  das  1903  gegründete 
theologische  Seminar. 

Mit  der  Fakultät  steht  femer  das  evangelische  Seminar,  früher 
Stipendium,  jetzt  gewöhnlich  Stift  genannt,  in  Verbindung,  das  im 
Jahre  1536  zur  Erziehung  junger  Theologen  des  Landes  gegründet 
wurde;  im  Jahre  1547  wurden  die  39  Stipendiaten  in  einem  ehemaligen 
Kloster  untergebracht  und  im  Jahre  1557  auf  100,  später  auf  150 
vermehrt.  Die  Anstalt  rekrutiert  sich  vorzugsweise  aus  den 
„niederen  Seminaren",  vier  in  ehemaligen  Klöstern  untergebrachten 
Pensionaten,  deren  Zöglinge  durch  ein  Konkursexamen  ausgewählt 
und  während  der  letzten  vier  Gymnasialjahre  auf  Staatskosten  unter- 
halten und  unterrichtet  werden.  In  das  höhere  Seminar  in  Tübingen 
werden  jetzt  jährlich  35  Zöglinge  auf  Grund  eines  Konkursexamens 
aufgenommen,  um  hier  während  vier  Studienjahren  und  ihres  Militär- 
jahres umsonst  Kost  und  Wohnung  zu  erhalten.  Durchschnittlich  sechs 
von  jedem  Jahrgang  bereiten  sich  auf  den  Beruf  als  Gymnasiallehrer, 
die  übrigen  auf  den  des  Geistlichen  vor,  indem  sie  namentlich  die 
entsprechenden  Vorlesungen  der  Universität  hören.  Die  Anstalt 
besitzt  elf  „Repetenten",  welche,  mit  den  Tutoren  bei  den  Kollegien 
der  alten  englischen  Universitäten  vergleichbar,  die  Zöglinge  beim 
Studium  beaufsichtigen  und  ihnen  auch  einigen  Unterricht  erteilen. 
Die  Leitung  der  Anstalt  liegt  in  der  Hand  von  zwei  Mitgliedern  der 
theologischen  und  einem  der  philosophischen  Fakultät.  Die  früher 
dem  evangelischen  Kirchengut  obgelegene  Unterhaltung  ist,  als  dieses 
am  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  vom  Staat  eingezogen  wurde, 
auf  diesen  übergegangen.  Der  Staat  verwendet  jetzt  auf  die  Anstalt 
jährlich  130  000  Mark.  Das  Stift  übte,  bis  in  neuerer  Zeit  die  Zahl 
der  Studierenden  der  weltlichen  Fakultäten  wuchs,  einen  starken 
Einfluß  auf  die  ganze  Universität  und  ist  der  Grund,  warum  in 
Tübingen  lange  die  theologischen  Studien    vor    den  anderen  blühten. 

Die  katholisch-theologische  Fakultät  zählt  dermalen 
6  ordentliche  Professoren.**)  Als  am  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts 
der    bis    dahin    rein    evangelische    Staat    große    katholische    Bezirke 


*)  Buder,  Cirill,  Gottschick,  Häring,  Schlatter,  Müller. 
**)  Funk,  Schanz,  BeLser,  Vetter,  Koch,  Sägmüller. 


538  Die  einzelnen  Universitäten. 

erhielt,  schuf  er  zur  Heranbildung  der  Geistlichen  für  dieselben  zuerst 
in  Ellwangen  eine  Lehranstalt  unter  dem  Namen  Universität.  Da 
diese  isoliert  nicht  gedeihen  konnte,  wurde  sie  durch  königliche 
Verordnung  vom  25.  Oktober  1817  als  theologische  Fakultät  der 
Universität  in  Tübingen  einverleibt.  Bald  darauf  wurde  an  sie  ein 
Konvikt,  das  Wilhelmsstift,  angeschlossen,  das  in  jeder  Beziehung  dem 
erwähnten  evangelischen  Seminar  nachgebildet  ist.  Die  Zöglinge 
gehen  regelmäßig  aus  zwei  niederen  Konvikten  hervor,  die  den 
erwähnten  niederen  evangelischen  Seminaren  nachgebildet  sind.  Der 
Staat  unterhält  das  Wilhelmsstift  mit  jährlich  109000  Mark. 

Die  juristische  Fakultät  besitzt  7  ordentliche  Professoren,*) 
1  ordentlichen  Honorarprofessor  und  1  Privatdozenten.  Das  bei  ihr 
seit  1875  bestehende  Seminar  ist  mit  jährlich  500  Mark  dotiert. 

Die  medizinische  Fakultät  besitzt  9  ordentliche  Professoren,**) 
3  ordentliche  Honorarprofessoren  und  12  Privatdozenten. 

Ihr  anatomisches  Institut  befindet  sich  in  einem  1835  errichteten 
und  1882  erweiterten  Gebäude  und  ist  mit  jährlich  24  000  Mark  dotiert. 

Das  infolge  der  Trennung  des  Lehrfaches  der  Physiologie  von 
dem  der  Anatomie  1853  gegründete  physiologische  Institut  war 
anfangs  im  Anatomiegebäude  untergebracht,  bis  ihm  1867  ein  eigenes 
Gebäude  errichtet  wurde.     Es  ist  mit  jährlich  7000  Mark  dotiert. 

Das  pathologisch-anatomische  Institut  ist  1874  in  einem  gleich- 
zeitig dafür  errichteten,  1892  erweiterten  Gebäude  ins  Leben  getreten 
und  jetzt  mit  jährlich  16  000  Mark  dotiert. 

Die  medizinische  Klinik  entstand  1792,  indem  im  städtischen 
Hospital  ein  Zimmer  für  klinische  Zwecke  eingeräumt  wurde.  1797 
wurde  im  Universitätslazaretthaus  eine  Klinik  mit  12  Betten  geschaffen, 
1805  ein  neues  Gebäude  dafür  errichtet.  I84f)  wurde  ein  üniversitäts- 
krankenhaus  mit  einer  medizinischen  und  einer  chirurgischen  Abteilung 
gebaut  und  das  bisher  benützte  Gebäude  der  1847  errichteten  Frauen- 
klinik überlassen.  1877  wurde  für  die  medizinische  Klinik  ein  neues 
(jebäude  erstellt  und  das  bisher  von  ihr  mitbenutzte  ganz  der 
chirurgischen  Klinik  eingeräumt.  Soeben  wurden  die  Mittel  für  eine 
beträchtliche  Erweiterung  der  medizinischen  Klinik  bereitgestellt. 
Ihre  Jahresausgabe  beträgt   107  (MH)  Mark. 


*)   Franklin,  Wenrll,  M.   Rümelin,   Ricl^^hel,  Heck,   Frank,  Beling. 
**)  Jürgen^cn,     Brun«^,     (iriit/.ner,     Baumgarten,     Froriep,      Schleich,       DöderUin, 
Wollenberg,  Krehl. 


Die  Königl.  Württembergische  Eberhard-Karls-L  niversität  zu  Tübingen.         539 

Die  chirurgische  Klinik,  an  deren  Gebäude  vor  zwei  Jahren  ein 
Flügel  angebaut  wurde,  verausgabt  jährlich  142000  Mark. 

Die  Frauenklinik  (bis  1870  nur  geburtshilfliche,  seitdem  auch 
gynäkologische  Klinik),  für  die  1890  ein  neues  Gebäude  errichtet 
wurde,  verausgabt  jährlich  120  000  Mark. 

Für  die  1875  errichtete  Augenklinik  erwarb  der  Staat  gleich- 
zeitig ein  Gebäude,  das  1885  einen  Anbau  erhielt.  Sie  verausgabt 
jährlich  61  000  Mark. 

Nachdem  schon  f  885  eine  Poliklinik  für  Ohrenkranke  eingerichtet 
worden  war,  wurde  1888  auch  eine  stationäre  Klinik  für  solche  Kranke 
in  einem  eigenen  Gebäude  eröffnet,  das  1900  erweitert  wurde.  Die 
Klinik  verausgabt  jährlich  5000  Mark. 

Die  1893  in  einem  Neubau  errichtete  Irrenklinik  verausgabt 
jährlich  143  000  Mark. 

Die  seit  1840  bestehende  medizinische  Poliklinik  verausgabt 
jährlich  19000  Mark. 

Die  allen  Kliniken  dienende  Waschanstalt  und  ihr  Elektrizitäts- 
werk verbrauchen  jährlich  XUXX)  Mark. 

Die  philosophische  Fakultät  besitzt  1 1  ordentliche  Professoren,*) 
1  ordentlichen  Honorarprofessor,  7  außerordentliche  Professoren  und 
1   Privatdozenten.     Zu  ihr  gehören  folgende  Institute: 

das  philologische  (altsprachliche)  Seminar,  gegründet  IKttJ,  mit 
jährlich  1900  Mark  dotiert; 

das  Seminar  für  neuere  Philologie  mit  einer  deutschen,  einer 
romanischen  und  einer  englischen  Abteilung,  gegründet  1867,  mit 
jährlich  2900  Mark  dotiert; 

das  archäologische  Institut,  gegründet  1798,  mit  jährlich  2000 
Mark  dotiert; 

das  kunsthistorische  Institut,  gegründet  1896,  mit  jährlich  2000 
Mark  dotiert; 

das  historische  Seminar,  gegründet  1875,  mit  jährlich  1000  Mark 
dotiert; 

das  geographij^che  Institut,  gegründet  1899,  mit  jährlich  600  Mark 
dotiert. 


*)  Sigwart,  Schwabe,  Fischer,  I^nge,  (jarbe,  Busch,    Schmid,    Seybold,    v.  Below, 
Gundermann,  Maier. 


540  D'c  einzelnen  Universitäten. 

Die  staatswissenschaftliche  (bis  1881  staatswirtschaftliche) 
Fakultät  zählt  7  ordentliche  Professoren*),  1  Privatdozenten  und  2 
Hilfslehrer.  Sie  wurde  im  Jahre  1817  ins  Leben  gerufen,  um  die 
Wirtschafts-  und  Verwaltungsbeamten  des  Staats  heranzubilden.  Ihr 
Lehrauftrag  umfaßt  nach  öfteren  Änderungen  jetzt  Nationalökonomie 
mit  Finanzwissenschaft  und  Statistik,  dann  Staats-  und  Verwaltungs- 
recht, Forstwissenschaft  und  Landwirtschaftslehre.  Ihr  staatswissen- 
schaftliches Seminar,  1875  errichtet,  ist  mit  jährlich  500  M.  dotiert; 
das  landwirtschaftliche  Institut,  1817  errichtet,  mit  1100  M.;  die  forst- 
liche Versuchsanstalt,  1881  errichtet,  mit  5000  M.;  während  für  die 
forstlichen  Unterrichtseinrichtungen  2800  M.  ausgeworfen  sind. 

Die  naturwissenschaftliche  Fakultät,  1863  errichtet,  zählt 
8  ordentliche  Professoren**),  1  ordentlichen  Honorarprofessor,  6  außer- 
ordentliche Professoren,  6  Privatdozenten  und  1  Hilfslehrer.  Bei  ihr 
bestehen  zahlreiche  Institute: 

Das  physikalische  Institut,  im  18.  Jahrhundert  entstanden,  früher 
im  Schloßgebäude  untergebracht,  befindet  sich  seit  1888  in  einem 
dafür  neu  errichteten  Gebäude.    Es  ist  mit  jährlich  10  000  M.  dotiert. 

Das  chemische  Institut  befindet  sich  seit  1846  in  einem  dafür 
damals  errichteten,  1871  erweiterten  Gebäude,  um  demnächst  in  ein 
neues  überzusiedeln.     Es  ist  mit  18000  M.  dotiert. 

Das  physiologisch-chemische  Institut  wurde  1846  im  Schloß- 
gebäude eingerichtet  und  1885  in  ein  dafür  neu  errichtetes  Gebäude 
verlegt.     Es  ist  mit  10  0(K)  M.  dotiert. 

Das  botanische  Institut  besitzt  einen  1805  eingerichteten,  18,'^5 
erweiterten  und  1886  mit  einem  neuen  großen  Gewächshaus  ausge- 
statteten botanischen  Garten  und  ein  1846  errichtetes  Hauptgebäude. 
Es  ist  mit  23  000  M.  dotiert. 

Das  geologisch-mineralogische  Institut,  seit  1857  in  dem  früheren 
Universitätsgebäude  entstanden,  konnte  1902  in  ein  dafür  neu  er- 
stelltes Gebäude  übersiedeln.     Es  ist  mit  13  000  M.  dotiert. 

Das  zoologische  Institut,  1802  errichtet,  seit  1W2  in  einem  dafür 
neu  erstellten  Gebäude,  ist  mit  14  000  M.  dotiert. 

Das  astronomische  Institut,   1 7v52  errichtet,  ist  mit  400  M.   dotiert. 

Das  mathematisch-physikalische  Institut  (Seminar),  1 8()9  errichtet, 
ist  mit  2000  M.  dotiert. 


*)  Schönhcrj^,  Jolly,  Xeiimann,  Leeniann,  Bühler,  Trie])el,  Wugiier. 
**)   Hiifiier,  lirill,  Stahl,  Vöchting,  Koken,  Blochmann,  Paschen,  Wislicenus. 


Die  König].  Württembergische  Eberhard-Karls-Universität  zu  Tübingen.         541 

Allen  Fakultäten  dient  das  1845  errichtete,  außer  Hörsälen  die 
Vervvaltungsräume  enthaltene  Universitätshaus  und  die  Biblio- 
thek. Nachdem  die  erste  Büchersammlung  1534  abgebrannt  war, 
wurde  die  jetzige  1536  begründet.  Anfanglich  im  Universitätsgebäude 
untergebracht,  wurden  ihr  1819  Räume  im  Schloßgebäude  zur  Ver- 
fügung gestellt,  das  sie  jetzt  zum  größeren  Teil  füllt.  Robert  Mohl, 
der  von  IKte— 1844  Oberbibliothekar  war,  erwarb  sich  große  Ver- 
dienste um  ihre  Er^\'eiterung  und  Organisation.  Sie  besitzt  jetzt  un- 
gefähr 500  000  Bände,  ihr  Jahresaufwand  beträgt  58  000  M. 

Für  künstlerischen  Unterricht  besitzt  die  Universität  1  Musik- 
und  1  Zeichenlehrer,  zur  Anleitung  in  Leibesübungen  sind  bei  ihr 
2  Reitlehrer,  1  Fechtmeister,  1  Turnlehrer  und  1  Tanzlehrer  ange- 
stellt. Für  das  in  besonderer  Blüte  stehende  Reitinstitut  werden 
jähriich  3800  M.,  für  dio:  Tumanstalt  2300  M.  verausgabt. 

3.    Statistische   Übersichten. 
Zahl  der  Lehrer. 


Semester 

Ordentliche 
Professoren 

Ordentliche 

Honorar- 
Professoren 

1  Außerordent- 
liche 
Professoren 

Privat- 
dozenten 

Lektoren!) 

S.  1903.     .     .     . 

54 

6 

23 

15 



„   1878.     .     .     . 

48 

— 

1           15 

8 

!   „   1850.     .     .     . 

36 

— 

1           ^2 

21 

„   1820.     .     .     . 

35 

— 

1            6 

2 

„   1750.     .     .     . 

20 

— 

1          "■ 

— 

1 

*)  Die  Lektoren  waren  regelmäßig  zugleich  Privatdozenten  oder  Professoren. 


Zahl  der  immatrikulierten   Studierenden. 


Ge-    i 

Darunter 

1    Ge-    1  Darunter 

Ge-    ; 

Semester 

samt-  ' 

Reichs- 

Semester 

1  samt- 

Reichs- 

Semester 

samt- 

zahl 
1506 

ausländer 

1    zahl 

ausländer 

zahl 

S.  1903   .     . 

i 

30 

S.  1890     . 

1 
1422 

46 

S.  1830    . 

1 
852    ' 

W.  1902/3     . 

1301   1 

31 

„   1880    . 

1  1223 

34 

„  1820    . 

709 

S.  1902   .    . 

1496  1 

43 

„  1870    . 

,     834 

— 

„  1800    . 

242    1 

W.  1901/2     . 

1371 

40 

„  1860    . 

i     713 

— 

„  1780    . 

!    229    1 

S.  1901    .    . 

1489  1 

46 

„   1850    . 

1     800 

— 

„  1760    . 

312 

W.  1900/1      . 

1350  1 

39 

„   1840    . 

1     724 

— 

1            1 

1 

1  S.  1900   .    . 

1 

1544 

40 

1 

1      1 

542 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Zahl  der  Studierenden  der 


']■ 

1 

1              r 

natur- 

staats- 

evange- 

katholi- 

Rechts- 

phlloso-  '    wissen- 

,  wissen- 

Semester 

lischen 

schen     ; 

1  phischen 

schaft- 

1   schaft- 

Theologi 

e  Theologie  • 

schaft     ' 

'   Fakultät 

liehen 

:    liehen   : 



290 

Fakultät 

fFakultät 

S.  1903  .     . 

191 

379 

207 

120 

149 

170 

W.  1902/3    . 

230 

195 

300 

181 

90 

137 

168 

S.  1900  .     . 

329 

168 

403 

279 

83 

137 

145 

„   1895  .     . 

298 

167 

279 

215 

53 

73 

156     i 

„   1890  .     . 

432 

162 

272 

262 

61 

52 

<     181 

,,  1880  .     . 

1      296 

147 

285 

175 

116 

106 

96     , 

„  1870  .    . 

261 

80 

90 

144 

102 

56 

101 

„   1860  .    . 

207 

132 

66 

146 

70 

— 

81 

„  1850  .     . 

154 

162 

205 

111 

105 

— 

63 

Zahl    der    sonstigen    zum    Hören    der    Vorlesungen    Zugelassenen:    S.   1903:    40, 
W.  1902/03:  40,  S.  1902:  28,  W.  1901/02:  37,  S.  1901:  32,  W.  1900/01:  26. 

Zahl    der   zugelassenen    weiblichen    Studierenden:    S.    1903:   5,    \V.    1902 '03:    3, 

S.  1902:  2,  W 

'.  1901/02:  2,  S.  1901 

4,  W.  1900/01:  1. 

Gesamtsumme  dei 

*  Einnahmen  der 

Universität.^) 

Etatsjahr 

Aus  eigenem 
Vermögen 

Aus  eigenem 
En^-erb  (Kli- 
niken usw.)      1 

Staats- 
zuschuß 

Summe 

19a3  .     .     . 

56  000 

201000 

1395  000 

1 

1  652  000 

18W  .     .     . 

58  000 

77  000 

926000 

1061000 

1878  .     .     . 

61000 

19000 

759000 

839  000 

1865  .     .     . 

60  000 

15000 

404  000 

479  000 

1850  .     .     . 

61000 

2000 

285  000 

348  000 

1)    Die    Zahlen    bedeuten    Mark,    auch    für    die    Zeit,    in    der    nacli    Gulden    ge- 
rechnet wurde. 

Ciesamtsumnie   der  ordentlichen   Ausgaben.*) 


Besoldungen 

,  ij  Wohnungs-  t-      t     »•»  .     l'ür  Konvikle,  ,r         i. 

,  und  Reniune-  ^  Für  Institute  V en*allungs- 

,  geld/.uschüssc  .  _i  Unterstützun- 

für  Lehrer 

und  Beamte 


25  000 


')  Die  Ausgaben  tur  Herstellung  und  Unterhaltung  von  Gebäuden  sind  nicht 
bcnicksichtigt.  Sie  werden  aus  einer  für  die  Staatsgebäude  überhaupt  bestimmten  Ktal>- 
])usition  bestritten,  soweit  datÜr  nicht  die  am  Schluß  erwähnten  außerordentlichen  Au>- 
gahen  dienen.     Außerordentliche  Ausgaben  in  den  letzten  25  Jahren:  4019000  M. 

L.  Jolly. 


Klatsjahr 

rationen  der 

Professoren 

lund  Dozenten 

1903      .     . 

469  000 

1890      .     . 

372  000 

1878      .     . 

331  000 

1855      .     . 

174  000 

1850      .     . 

115  000 

und 
immlungen 

gen  und 
Stipenflien 

und  sonstige 
Kosten 

862  000 

249  000 

47  000 

421000 

229  000 

39  000 

250000 

221000 

37  000 

136  000 

140000 

•29000 

86000 

126  000 

210C0 

XVI.   Die  Oroflherzoglich  Badische  Ruprecht-Carls- 
Universität  zu  Heidelberg. 

1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Heidelberg  ist  die  älteste  Universität  im  Gebiete  des  jetzigen 
Deutschen  Reiches.  Sie  wurde  durch  den  Kurfürsten  Ruprecht  I. 
von  der  Pfalz  mit  Genehmigung  des  Papstes  Urban  II.  gegründet.  Die 
ersten  Vorlesungen  wurden  am  19.  Oktober  138f)  gehalten,  und  schon 
in  ihrem  ersten  Jahre  zählte  die  neue  Schule  mehr  als  500  Studierende. 
Die  Geschicke  der  Universität  blieben  in  den  folgenden  Jahrhunderten 
in  enger  Abhängigkeit  von  der  allgemeinen  politischen  Lage  und  von 
der  Persönlichkeit  der  Fürsten,  die  den  Kurstuhl  inne  hatten.  So 
nahm  sie  im  16.  Jahrhundert  unter  dem  Freunde  der  Künste  und 
Wissenschaften  Kurfürst  Otto  Heinrich  einen  großartigen  Aufschwung, 
der  unter  seinen  nächsten  Nachfolgern  noch  fortdauerte;  ausgezeichnete 
Gelehrte,  u.  a.  der  große  Jurist  Donellus,  lehrten  damals  in  Heidelberg. 
Die  Kriege  des  17.  Jahrhunderts  unterbrachen  wiederholt  und  für 
lange  Zeit  ihren  Fortbestand.  Von  1M1  bis  1652  und  wiederum  von  • 
der  Zerstörung  der  Stadt  im  Jahre  1693  bis  zum  Jahre  1700  war  die 
Lehrtätigkeit  eingestellt.  Im  18.  Jahrhundert  erlangte  die  Hochschule 
ihre  frühere  Blüte  nicht  zurück  und  hatte  unter  ihren  Lehrern  keinen 
Namen  von  bedeutendem  Klange.  Als  aber  1803  die  rechtsrheinische 
Pfalz  an  Baden  fiel,  wurde  die  Universität  durch  den  Kurfürsten  Karl 
Friedrich  vollkommen  neu  begründet  sowohl  hinsichtlich  der  gesetzten 
Ziele  als  der  zur  Verfügung  gestellten  materiellen  Mittel.  Es  gelang 
sehr  bald,  ausgezeichnete  Lehrkräfte  zu  gewinnen  und  der  Anstalt 
einen  hohen  Rang  unter  den  deutschen  Universitäten  zu  verschaffen. 
Ihre  Bedeutung  während  des  ganzen  19.  Jahrhunderts  läßt  sich  durch 
die  Anführung  ihrer  hervorragendsten  Lehrer  kennzeichnen. 

In  der  theologischen  Fakultät   wirkten  in  den  ersten  Jahren  der 
Neubegründung  Daub,  Marheinecke    und    De  Wette,    von  denen  die 


544  I^*c  einzelnen  Universitäten. 

zwei  letzteren,  als  1810  die  Berliner  Universität  ins  Leben  trat,  an 
diese  berufen  wurden.  Nach  ihrem  Weggang  begann  Paulus  seine 
40  Jahre  fortgesetzte  Tätigkeit.  Um  die  Mitte  des  Jahrhunderts 
wirkte  Richard  Rothe  (1837-49  und  1854—67),  dann  Daniel 
Schenkel,  der  Kirchenhistoriker  Hundeshagen,  der  alttestamentliche 
Theologe  Hitzig,  der  Exeget  des  neuen  Testamentes  Holsten.  Be- 
sonderer Blüte  erfreute  sich  fast  während  des  ganzen  Jahrhunderts 
die  juristische  Fakultät.  Als  Pandektenlehrer  wirkten  nacheinander 
Heise,  Thibaut,  Vangerow,  Windscheid;  das  Staatsrecht  vertraten 
Männer  wie  Karl  Salomon  Zachariä,  Joh.  Ludwig  Klüber,  Robert 
von  Mohl,  Heinrich  Zöpfl,  Joh.  Casp.  Bluntschli,  Hermann  Schulze, 
Georg  Meyer.  Unter  den  Lehrern  des  deutschen  Privatrechts  sind 
Mittermaier,  der  zugleich  ein  berühmter  Strafrechtslehrer  war,  und 
Achille  Renaud  zu  nennen;  auch  der  größte  Kenner  des  Handels- 
rechts Levin  Goldschmidt  gehörte  der  Universität  15  Jahre  an.  Der 
medizinischen  Fakultät  gehörten  die  Anatomen  Henle,  Arnold,  Tiede- 
mann,  Gegenbaur,  die  Chirurgen  von  Chelius,  Otto  Weber,  Gustav 
Simon,  der  Gynäkologe  Nägele,  die  Kliniker  Pfeuffer,  Friedreich  und 
als  Professor  der  Physiologie  13  Jahre  lang  Hermann  Helmholtz  an. 
In  der  philosophischen  Fakultät  waren  die  naturwissenschaftlichen 
Fächer  zum  Teil  von  Männern  des  höchsten  Ranges  vertreten. 
Chemie  lehrten  nach  einander  Gmelin,  Bunsen,  Victor  Meyer,  Physik 
Philipp  JoUy,  Gustav  Kirchhof,  Mineralogie  v.  Leonhard,  Botanik 
Hofmeister,  Zoologie  Bronn.  Professoren  der  Philosophie  waren 
J.  F.  Fries  und  zwei  Jahre  hindurch  Hegel.  Als  Mathematiker  sind 
Hesse  und  Lazarus  Fuchs  hervorzuheben.  Die  klassische  Philologie 
wurde  gelehrt  von  Friedrich  Creuzer,  vier  Jahre  hindurch  von  August 
Boeckh,  später  von  Köchly,  Ribbeck,  Erwin  Rohde.  Von  bekannten 
Historikern  gehörten  der  Universität  an:  Friedrich  Christoph  Schlosser, 
Gervinus,  Häusser,  Wattenbach,  v.  Treitschke,  Erdmannsdörffcr, 
Winkclmann.  Als  Lehrer  der  Volkswirtschaft  wirkten  Karl  Heinrich 
Rau  und  Karl  Knies. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

Gegenwärtig  ist  die  Universität  in  5  Fakultäten  geteilt,  da  seit 
dem  Jahre  1890  die  frühere  philosophische  Fakultät  in  die  philo- 
sophische und  in  die  naturwissenschaftlich-mathematische  Fakultät 
zerlegt  worden  ist. 

1.     Die    evangelisch-theologische    Fakultät    zählt    6    ordentliche 


Die  Großherzog].  Badische  Ruprecht-Carls-Universität  zu  Heidelberg.  545 

Professoren  *),  2  außerordentliche  und  einen  Privatdozenten.  Es  be- 
stehen zwei  Seminarien:  ein  „wissenschaftliches"  und  ein  „praktisches**. 
Jenes  (seit  1895)  dient  zur  Ergänzung  der  Vorlesungen  und  wird  von 
den  Vertretern  der  verschiedenen  theoretischen  Fächer  der  Theologie 
abgehalten,  dieses  (seit  1838  als  „Predigerseminar**,  seit  1867  unter 
der  jetzigen  Bezeichnung  bestehend)  will  die  Studierenden  nach 
Absolvierung  ihrer  theoretischen  Studien,  also  frühestens  nach  sechs 
Semestern,  in  die  Praxis  des  Berufs  durch  Übungen  im  Predigen, 
Unterrichten  usw.  einführen  und  wird  von  dem  Professor  der 
praktischen  Theologie  mit  Assistenz  von  Hilfskräften,  die  teilweise 
nicht  zur  Universität  gehören,  geleitet.  Das  wissenschaftlich-theologische 
Seminar  ist  mit  2000  M.,  das  praktisch-theologische  mit  4266  M.  jähr- 
lich dotiert.  In  jenem  hat  jeder  Lehrer  das  Recht,  zwei  Stipendien 
von  zusammen  80  M.  jedes  Semester  zu  verteilen;  in  diesem  erhalten 
alle  qualifizierten  Mitglieder  jedes  Semester  ein  Stipendium. 

2.  Die  juristische  Fakultät  hat  7  ordentliche  Professoren**), 
8  außerordentliche.  Es  ist  ein  juristisches  Seminar  vorhanden,  das 
aus  dem  früheren,  1875  eingerichteten  privatrechtlichen  Seminar  ent- 
standen ist.  Hier  lehren  sämtliche  Ordinarien,  außerdem  ein  außer- 
ordentlicher Professor,  der  Bibliothekar  des  Seminars  ist.  Die  Dotation 
des  Seminars  ist  1000  M.  Ein  staatswissenschaftliches  Seminar,  das 
früher,  ehe  das  privatrechtliche  zu  einem  allgemeinen  juristischen  aus- 
gestaltet war  und  ehe  ein  volkswirtschaftliches  bestand,  eine  größere 
Wirksamkeit  hatte,  existiert  noch  fort  mit  einem  Lehrer  des  Staats- 
rechts als  Leiter  und  einer  Dotation  von  300  M. 

3.  Die  medizinische  Fakultät  hat  11  ordentliche  Professoren***), 
2  etatmäßige,  und  17  nichtetatmäßige  außerordentliche,  16  Privat- 
dozenten.   Es  bestehen  folgende  Institute: 

1.  Die  Anatomie.  Sie  war  im  18.  Jahrhundert  mit  dem  Spital 
verbunden,  wurde  1805  in  ein  besonderes  Gebäude  verlegt, 
das  dann  aber  auch  alle  naturu'issenschaftlichen  Institute  auf- 
nahm. 1838  wurde  sie  vergrößert.  1846  bis  1848  wurde  ein 
neues  Gebäude  für  sie  errichtet,  das  1876  nochmals  um- 
gebaut wurde.     Sie  ist  mit  7000  M.  jährlich  dotiert. 

2.  Das  physiologische  Institut.  Es  besteht  seit  1845.  1863 
wurde  es  in  einen  Neubau  verlegt,  der  auch  die  naturwissen- 


*)  Merx,  Hausrath,  Bassermann,  Lemme,  Tröltsch,  Deißmann. 
**)  Bekker,  Kariowa,  Schröder,  von  Lilienthal,  Buhl,  Jellinek,  Anschütz. 
***)  Arnold,  Czemy,  Leber,  Fürbringer,  Erb,  Kräpelin,  Vierordt,  KnauiT,  von  Roist- 
hom,  Koscel,  Gottlieb, 

Das  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    I.  35 


546  ^ic  einzelnen  Universitäten. 

schaftlichen  Institute  aufnahm,    erhielt  1875  einen  besonderen 
Neubau.    Dotation:  6000  M. 

3.  Das  pathologisch-anatomische  Institut.  Es  besteht  seit  1866, 
seit  1876  in  eigenem  Gebäude.    Dotation:  4600  M. 

4.  Das  pharmakologische  Institut.     Seit  1890,  Dotation  3000  M. 

5.  Das  hygienische  Institut.  Seit  1891,  in  eigenem  Gebäude, 
Dotation  2000  M. 

6.  Das  Institut  für  gerichtliche  Medizin.  Seit  1876  im  Gebäude 
für  pathologische  Anatomie,  jetzt  im  hygienischen  Institut, 
Dotation  260  M. 

7.  Das  akademische  Krankenkaus.  Die  jetzigen  Gebäulichkeiten 
sind  in  den  Jahren  1866  bis  1876  errichtet  und  wurden  1876 
bezogen.  Die  staatliche  Dotation  ist  115160  M.,  die  Ein- 
nahmen im  ganzen,  die  auch  ausgegeben  werden,  betragen 
568000  M.    Zum  Krankenhaus  gehören: 

a)  Die  medizinische  Klinik.     Sie  besteht  seit  1815. 

b)  Die  chirurgische  Klinik.  Wurde  1818  eröffnet,  nachdem 
eine  chirurgische  Ambulanz  schon  seit  1 805  bestanden  hatte. 

c)  Die  Augenklinik.  Sie  wurde  1818  zusammen  mit  der 
chirurgischen  begründet.  1867  wurde  eine  besondere 
Privatklinik  als  Universitätsaugenklinik  übernommen. 

8.  Die  Frauenklinik.  Sie  ist  das  älteste  klinische  Institut.  Die 
seit  17()6  in  Mannheim  bestehende  Entbindungsanstalt  wurde 
1805  nach  Heidelberg  verlegt  und  mit  der  Universität  ver- 
einigt. Sie  erhielt  1884  ihr  jetziges  Gebäude.  Dotation 
26  500  M.,  Gesamtbudget  86  500  M. 

9.  Irrenklinik.  1826  wurde  die  Irrenanstalt  von  Pforzheim  nach 
Heidelberg  verlegt  und  1827  die  erste  psychiatrische  Klinik, 
die  an  einer  deutschen  Universität  bestand,  errichtet.  1842 
wurde  die  Anstalt  von  Heidelberg  wegverlegt.  Erst  1878 
wurde  wieder  eine  Irrenklinik  in  eigenem  Neubau  eingerichtet. 
Sie  hat  eine  Dotation  von  48  900  M.,  im  ganzen  ein  Budget 
von  140  500  M. 

10.  Ohrenklinik.     Ein  Institut  für  Ohrenkranke  bestand  seit  1873, 
eine  Klinik  wurde  daraus  18%.     Dotation  4000  M. 

11.  Kinderklinik.   Besteht  seit  1 892  als  Universitätsinstitut.  Dotation 
4400  M. 

12.  Ambulatorische    Klinik   für    Rachen-,    Nasen-    und   Kehlkopf- 
kranke.     Seit  1892.     Dotation  2000  M. 

13.  Zahnärztliches  Institut.     Seit  1895.     Dotation  1000  M. 


Die  Großherzogl.  Badische  Ruprecht -Carls-Universität  zu  Heidelberg.  547 

14.  Medizinische  Poliklinik.     Sie  wurde   1835  begründet  und  mit 
der  stationären  medizinischen  Klinik  verbunden,  bis  sie  1856 
davon   getrennt   und    unter    einen    eigenen    Direktor   gestellt 
wurde.     Dotation  2100  M.     Es  bestehen  außerdem  Polikliniken 
in  Verbindung  mit  der  Frauenklinik  und  der  Ohrenklinik  und 
eine  Poliklinik  für  Orthopädie. 
4.    Philosophische    Fakultät    mit    16    ordentlichen    Professoren*), 
1  ordentlichen  Honorarprofessor,  3  Honorarprofessoren,    3  etatmäßigen 
und    10    nichtetatmäßigen    außerordentlichen   Professoren,     3  Privat- 
dozenten, 2  Lehrern  und  1  Lektor. 

Innerhalb  der  Fakultät  sind  die  Hauptfächer: 

a)  Philosophie  und  Pädagogik,    gelehrt  von  2  ordentlichen  Pro-* 
fessoren,  1   ordentlichen  Honorarprofessor  und  1  Lehrer. 

b)  Klassische  Philologie  mit  Archäologie  und  alter  Geschichte 
(4  ordentliche  Professoren,  1  ordentlicher  Honorarprofessor, 
1  außerordentlicher  Professor). 

Es  bestehen: 
aa)  Ein  philologisches  Seminar.  Seit  1807,  neugeordnet  1865. 
Jedes  ordentliche  Mitglied  erhält  70  M.  Stipendium  im 
Semester.  Dotation  2400  M. 
bb)  Archäologisches  Institut.  Die  Anfange  gehen  auf  das  Jahr 
1850  zurück,  seit  1866  besteht  die  jetzige  Bezeichnung, 
1869  in  ein  eigenes  Gebäude  gelegt.  Jetzt  ist  damit  eine 
Abteilung  für  alte  Geschichte  und  eine  für  neue  Kunst 
verbunden.  Dotation  für  Archäologie  und  neue  Kunst 
4150  M.,  für  alte  Geschichte  600  M. 

c)  Neuere  Philologie  (3  ordentliche  Professoren,  5  außerordent- 
liche, 1  Lektor).  Ein  Seminar  wurde  unter  der  Bezeichnung 
„Seminar  für  neuere  Sprachen**  1873  begründet,  es  heißt  seit 
1878  germanisch-romanisches  Seminar  und  hat  eine  deutsche, 
eine  französische  und  eine  englische  Abteilung.  Dotation 
1350  M. 

d)  Vergleichende  Sprachwissenschaft  und  orientalische  Philologie 
(2  ordentliche  Professoren,  2  Honorarprofessoren,  1  außer- 
ordentlicher Professor,  1  Privatdozent).  Es  besteht  ein 
„Orientalisches  Seminar**  (für  semitische  Sprachen)  seit  1897. 
Dotation  200  M. 


•)  Fischer,  Windelband,  Scholl,  Osthoff,  von  Duhn,  Braune,  Neumann,  von  Doma- 
szewski,  Marcks,  Bezold,  Weber,  Kathgen,  Thode,  Dieterich,  Hoops,  Hampe. 

35* 


548  ^^^  einzelnen  Universitäten. 

e)  Mittlere  und  neuere  Geschichte  (2  ordentliche  Professoren, 
1  Honorarprofessor,  2  außerordentliche).  Ein  historisches 
Seminar  besteht  seit  1890.     Dotation  860  M. 

f)  Geographie  (1  etatmäßiger  außerordentlicher  Professor).  Das 
Seminar  besteht  seit  1899.     Dotation  1000  M. 

g)  Neuere  Kunstgeschichte  (1  ordentlicher  Professor,  1  Privat- 
dozent). 

h)  Volkswirtschaftslehre    (2    ordentliche    Professoren,     2    außer- 
ordentliche).    Ein    volkswirtschaftliches    Seminar    besteht    seit 
1897.     Dotation  1000  M. 
i)  Landwirtschaft  (1   Lehrer). 

5.  Naturwissenschaftlich-mathematische  Fakultät.  Sie  hat  8  ordent- 
liche Professoren*),  5  Honorarprofessoren,  5  etatmäßige  und  13  nicht- 
etatmäßige außerordentliche  Professoren,  8  Privatdozenten.  Sie  hat 
folgende  Institute  und  Seminarien: 

a)  Botanisches  Institut  und  Botanischer  Garten.  Ein  botanischer 
Garten  wurde  als  einer  der  ersten  auf  deutschen  Universitäten 
schon  1593  für  den  medizinischen  Unterricht  angelegt.  Seit 
1784  wurde  der  „Ökonomische  Garten"  der  Kameral-Hohen- 
Schule  auch  für  die  Lehrzwecke  der  Universität  benutzt.  1 805 
wurde  ein  botanisches  Institut  und  ein  neuer  botanischer 
Garten  eingerichtet.  Das  jetzige  botanische  Institut  ist  seit 
1878  gebaut,  der  botanische  Garten  seit  1880  angelegt  und 
in  Benutzung.  Dotation  1 1  0(K)  M.  Die  forstbotanischen  An- 
lagen auf  dem  Schlosse,  die  1805  angelegt  wurden,  sind  eben- 
falls für  Unterrichtszwecke  bestimmt. 

b)  Zoologisches  Institut  und  Museum.  1806  wurde  eine  Samm- 
lung ausgestopfter  Tiere  angelegt,  die  aber  später  in  Privat- 
besitz überging.  1819  wurde  ein  zoologisches  Museum  ein- 
gerichtet. Seit  18%  ist  Institut  und  Museum  in  einem  eigenen 
Neubau.     Dotation  35(K)  M. 

c)  Mineralogisch-geologisches  Institut.  Seit  186,3  in  dem  für  die 
naturwissenschaftlichen  Institute  errichteten  Gebäude.  Dotation 
2700  M. 

dl  Stratigraphisch-paläontologisches Institut.  Die  paläontologischen 
Sammlungen  wurden  1863  begründet,  das  Institut  besteht 
seit  1W1.     Dotation  400  M. 


*)  Königsberger,  Quincke,  Pfitzer,  Rosenbusch,  Bütschli,  Valentiner,  Curtius,  Wolf. 


Die  Groflherzogl.  Badische  Ruprecht-Carls-Universität  zu  Heidelberg. 


549 


e)  Chemisches  Laboratorium.  Zuerst  1818  eingerichtet,  1855 
in  das  jetzige,  1889  umgebaute  Haus  gelegt.  Dotation 
18000  M. 

f)  Physikalisches  Institut.  Die  Sammlung  wurde  1 752  begründet, 
das  Laboratorium  1 846  eingerichtet.  Seit  1 863  ist  das  Institut 
in  dem  für  die  naturwissenschaftlichen  Institute  errichteten 
Gebäude.     Dotation  5500  M. 

g)  Mathematisches  Seminar.  Ein  mathematisch -physikalisches 
Seminar  wurde  1869  eingerichtet;  seit  1901  ist  daraus  ein 
mathematisches  und  ein  physikalisches  Seminar  geworden. 

h)  Physikalisches  Seminar.  Mit  dem  mathematischen  Seminar 
zusammen  900  M.  Dotation. 

Die  Universitätsbibliothek  hatte  schon  am  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts bald  nach  der  Gründung  der  Universität  einen  größeren 
Bücherschatz.  Im  Laufe  der  Zeit  wurde  sie  immer  reicher,  so  daß  sie 
am  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  eine  der  berühmtesten  Sammlungen 
der  Welt  war.  Aber  die  wertvollsten  Bestandteile  wurden  ihr  im 
30jährigen  Kriege  entführt.  Eine  neue  Bibliothek,  die  Kurfürst  Karl 
Ludwig  sammelte,  ging  im  Orleans'schen  Krieg  abermals  verloren. 
Die  jetzige  Bibliothek  wurde  im  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  unter 
Kurfürst  Johann  Wilhelm  begründet.  Eine  große  Bereicherung  erfuhr 
sie,  als  nach  den  napoleonischen  Kriegen  1816  eine  bedeutende  An- 
zahl Handschriften  der  alten  pfalzischen  Bibliothek,  die  nach  Rom 
gekommen  waren,  zurückgegeben  wurden.  Sie  enthält  jetzt  mehr  als 
:töOOOO  Bände,  über  3000  Handschriften,  2500  Urkunden  und  150000 
Dissertationen.  Beschäftigt  sind  daran:  1  Oberbibliothekar,  2  Biblio- 
thekare, 1  Kustos,  2  Hilfsarbeiter,  2  Assistenten,  3  Diener.  Dotation 
22  750  M. 

3.    Statistische    Übersichten. 

Zahl  der  Lehrer. 


Semester 

Ordentliche 
Professoren 

Honorar- 
professoren 

Außerordent- 
liche 
Professoren 

Privat- 
dozenten 

Lektoren 

1                     

Sommer  1903 

48 

10 

55 

28 

1 

1878 

42 

3 

24 

29 

- 

„        1850 

31 

1 

15 

21 

— 

„        1820 

29 

1 

11 

9 

1 

„        1804 

26 

— 

8 

3 

— 

550 


Die  einzelnen  Universitäten. 
Zahl    der    immatrikulierten    Studierenden. 


Darunter     ! 

:' 

;             Semester                (resamtzahl 

Reichs- 

Semester 

;   Gesamtzahl 

1                                        i 

ausländer 

i 

j  Sommer  1903.     .     .  !         1671 

197 

Winter  1870/71    . 

j         370 

Winter  1902/3 

i        1352 

134 

Sommer  1870 

822 

Sommer  1902  . 

'         1640 

184 

„        1860.     . 

!         600 

Winter  1901/2 

1271 

138 

Winter  1850/51    . 

!     557      ; 

Sommer  1901  . 

1464 

158 

Sommer  1850.     .     . 

522 

1  Winter  1900/01 

1280 

143 

„        1840.     . 

i         658 

i  Sommer  1900 . 

1583 

174 

Winter  1830/31    . 

887 

„        1890. 

1089 

136 

Sommer  1830  .     . 

820 

„        1880. 

j          809 

122 

„        1820.     . 

491 

Zahl   der   Studierenden    der 


I  theologischen    juristischen     medizinischen!      ^ 

I        Semester  |     phischen      i  schaftlichen 


I 


Fakultät 


Fakultät      I      Fakultät 


1 

!s.  1903     . 

62 

572 

,         311 

W.  1902/3 

52 

408 

235 

S.  1900     . 

!           52 

564 

301 

j    S.  1895     . 

73 

472 

'         275 

'■    S.  1890     . 

91 

327 

350 

1    S.  1880     . 

24 

405 

122 

S.  1870      . 

52 

460 

110 

S.  1860     . 

105 

264 

105 

linkl.CMiemik.) 

''akultät 

'      ] 

Fakultät 

359 

367 

300 

1 

357 

269 

367 

163 

269 

321 

258 

200 

126 

NicbtimmiUrikuliiTtt',    zum  Hören   der  Vorlesungen   berechtigte   Personen: 

a)  Miinner: 
S.  1903  151,  W.  1902;3  140,  S.  1902  129,  W.  1901  2  141,  S.  1901   121,  W.  1900/1   121. 

h)   Hörerinnen: 

S.  1903  62,  \V.  1902  3  42,    S.  1902  54,    W.  1901/2  27,  S.  1901  40,  W.  1900,1  21. 
l'nter  den   hnmatrikulierten  im  Sommer  1903  waren  30  Frauen. 


Jälirliche  Staatsdotation    für    die    ordentlichen  Ausgaben: 

1850   98  023  Fl.  (-  168  040  M.),  1865    135  723  Fl.  (=  232668  M.),  1878  614  267  M., 
1890  677  906  M.,  19a3  911  560  M. 


Die  Großherzogl.  Badische  Ruprecht-Carls-Universität  zu  Heidelberg.  551 

Gesamtsumme   der   Einnahmen   der  Universität: 


Aus  eigenem 

Aus  eigenem 

Erwerb  (Spor- 

Staats- 

Jahr 

tein,  Verpfle- 

Sonstiges 

Summa 

Vermögen 

gungsbeträge 

dotation 

der  Kliniken) 

M. 

M. 

M. 

M. 

M. 

1903 

14536 

612930 

911560 

26104 

1565130 

1890 

10060 

393854 

677  906 

16380 

1098200 

Von  der  Gesamtsumme  der  ordentlichen  Ausgaben  entfallen  auf: 


1903  495745 

1890  359810 


Die  außerordentlichen  Ausgaben  des  Staates  für  die  Universität  in  den  zehn  Jahren 
von  1894  bis  einschließlich  1903  betrugen  zusammen  2  792872  M. 


E.   Leser. 


XVII.   Die  Großherzoglich  Badische  Albert-Ludwigs- 
Universität  in  Preiburg  i.  B.*) 


1.  Geschichtliche  Übersicht. 

Freiburg  erinnert  in  seiner  neuesten  Entwicklung  an  das 
Wachstum  amerikanischer  Städte:  im  Sommer  1870  hatte  es  nur 
225  Studenten,  1898  wurde  der  1500.  (zufällig  ein  Amerikaner)  von  der 
Stadt  durch  ein  großes  Fest  gefeiert,  im  Sommersemester  1903  war  mit 
1  %2  immatrikulierten  Studenten  das  zweite  Tausend  fast  erreicht.  So 
ist  Freiburg  mit  raschen  Sprüngen  im  Sommersemester  an  die  fünfte 
Stelle  unter  den  deutschen  Universitäten  gerückt,  es  ist  eine  der 
beliebtesten,  wenn  nicht  die  beliebteste,  der  deutschen  Sommer- 
universitäten geworden. 

Aber  über  diesem  jüngsten  wahrhaft  modernen  sprunghaften  Auf- 
schwung liegt  bei  Freiburg  doch  zugleich  auch  noch  —  und  das  macht 
wohl  neben  der  außerordentlichen  Gunst  der  Lage  den  eigentümlichen 
pikanten  Reiz  der  Universität  ebenso  wie  der  Stadt  für  den  modernen 
jungen  Menschen  aus  —  der  Duft  einer  alten,  weltberühmten  Ver- 
gangenheit. Denn  Freiburg  gehört  zu  den  ältesten  deutschen  Universi- 
täten und  hat  vor  jenem  Tiefstand  im  Jahre  1870  wiederholt  bessere 
Zeiten  gesehen:  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  hatte  die 
Studentenzahl  —  damals  allerdings  im  Winter  —  fast  700  erreicht, 
und  schon  als  die  Universität  am  yVnfang  des  Jahrhunderts  an 
Baden  kam,  hatte  sie  mehr  Studenten  wie  1870,  obwohl  es  der 
Universität  damals  —  nach  einem  Beschluß  aus  der  Zeit  —  „nicht 
darum  zu  tun  war  viele,  sondern  nur  gute  und  wohlgesittete 
Jünglinge  zu  haben". 

*)  VeTgl.  Schreiber,  Geschichte  der  Albert-Ludwigs-Universität  zu  Freiburg  i.  B. 
3  Teile.  Freiburg  1857 — 60.  Mayer,  Hermann,  Die  Universität  zu  Freiburg  i.  B. 
1806—1852.  Alemannia  1892,  1893,  1894.  Die  Universität  Freiburg  1852—81. 
Festschrift  1881.  Bei  der  Sammlung  des  Materials  haben  mich  die  Herren  cand.  cam. 
Flamm  und  Hclbling  sowie  die  (^uästur  der  Universität  in  dankenswerter  Welse  unterstützt. 


Die  Großherzogl.  Badische  Albert-Ludwigs-Universität  in  Freiburg  i.  B.         553 

Die  Albert-Ludwigs-Universität  wurde  im  Jahre  1456  von  dem 
Erzherzog  Albrecht  von  Österreich  gegründet,  um  —  wie  der  Stifter 
selbst  in  einer  Urkunde  sagt  —  „graben  zu  helfen  den  Brunnen  des 
Lebens,  daraus  von  allen  Enden  der  Welt  unversiegbar  geschöpft 
werden  möge  erleuchtendes  Wasser  tröstlicher  und  heilsamer  Weisheit 
zur  Erlöschung  des  verderblichen  Feuers  menschlicher  Unvernunft 
und  Blindheit",  und  sie  hat  ihre  erste  und  doch  wohl  größte  Blüte  in 
der  Zeit  des  Humanismus  erreicht.  Damals  war  sie  über  ein  Jahr- 
hundert lang  ein  Brennpunkt  der  hohen  Bildung,  die  in  jener  Zeit  am 
Oberrhein  herrschte.  Es  wirkten  an  ihr  die  Juristen  Odernheim 
und  Stürzel  und  vor  allem  der  große  Zasius,  der  größte  deutsche 
Jurist  vor  Savigny  und  sein  unmittelbarer  Vorläufer  als  Begründer 
der  historischen  Methode  in  der  Jurisprudenz;  in  der  philosophischen 
Fakultät  Reisch,  Oraculum  Germaniae  genannt,  der  Verfasser  der 
weltberühmten  Margarita  Philosophica,  der  ersten  Enzyklopädie  des 
menschlichen  Wissens,  und  der  Naturwissenschaftler  Glareanus;  in 
der  theologischen  der  bekannte  Prediger  und  Vorreformator  Geiler 
von  Kaisersberg,  der  Humanist  Wimpheling,  und  Luthers 
Gegner  Eck. 

Aber  schon  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  nahm  die 
Bedeutung  der  Universität  ab,  und  mit  Berufung  der  Jesuiten 
durch  Erzherzog  Leopold  im  Jahre  1620,  welche  die  theologischen 
und  philosophischen  Lehrstühle  erhielten,  begann  ein  Tiefstand,  der 
infolge  des  30jährigen  Krieges  und  der  sonstigen  Zeitverhältnisse  bis 
in  die  zweite  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  dauerte.  Da  setzte  mit 
einer  energischen  Fürsorge  der  österreichischen  Regierung  durch  Be- 
rufung tüchtiger  Kräfte  ein  neuer  Aufschwung  ein,  und  als  die 
Universität  im  Jahre  1805,  nur  zwei  Jahre  nach  Heidelberg,  an  Baden 
fiel,  übernahm  der  Kurfürst  später  Großherzog  Karl  Friedrich  alsbald 
großherzig  die  für  das  kleine  Land  in  der  Tat  unverhältnismäßig 
große  Aufgabe,  die  beiden  Universitäten  zu  erhalten. 

Auf  die  Anregung,  eine  der  beiden  aufzuheben,  soll  er  gesagt 
haben:  „Mit  Nichten,  sie  gehören  nicht  unserm  Lande  allein,  sie  ge- 
hören der  Menschheit  an.  Fern  sei  der  Gedanke,  eine  derselben  auf- 
zuheben, wir  wollen  ihrer  sorgsam  pflegen  und  sie  in  Stand  setzen. 
Tüchtiges  zu  leisten,  damit  das  Licht  der  Wissenschaft,  der  wahren 
Aufklärung  von  ihnen  ausgehend  sich  fortan  über  Deutschland  ver- 
breiten möge."  Dies  fürstliche  Wort  haben  seine  Nachfolger  auf 
dem  badischen  Thron  redlich  eingelöst,  und  nachdem  noch  zweimal,  181 7 
und  1844,  die  Gefahr  ihrer  Aufhebung  zu  Gunsten  Heidelbergs    vor- 


554  '^*^  einzelnen  Universitäten. 

Übergegangen  war,  konnte  sich  Freiburg  seitdem  auch  in  stets 
wachsendem  Maß  der  Förderung  durch  Fürst  und  Volksvertretung 
erfreuen. 

Die  hervorragendsten  Lehrer,  welche  im  19.  Jahrhundert,  abge- 
sehen von  den  Lebenden,  hier  gewirkt  haben,  sind:  in  der  theologi- 
schen Fakultät  Dereser,  Hug,  Wetzer  (Urheber  des  bekannten 
Kirchenlexikons),  v.  Hirscher,  Staudenmayer,  Alban  Stolz  und 
Franz  Xaver  Kraus;  in  der  juristischen  die  bekannten  liberalen 
Abgeordneten  Duttlinger,  v.  Rotteck  (seit  1817  in  der  juristischen, 
vorher  in  der  philosophischen  Fakultät,  der  Verfasser  der  „Welt- 
geschichte" und  mit  Welcker  zusammen  des  „Staatslexikons",  als 
Politiker  hauptsächlich  verdient  um  die  Aufhebung  des  Zehnten  in 
Baden),  und  der  oben  genannte  Welcker,  dem  die  erste  Einführung 
der  Preßfreiheit  in  Baden  zu  danken  ist,  andererseits  als  Vertreter 
des  Klerikalismus  Büß,  dann  der  Pandektist  Warnkönig,  der 
badische  Staatsmann  Lamey  und  der  jüngst  in  Leipzig  verstorbene 
Adolf  Schmidt;  in  der  medizinischen:  Eckert,  Vater  und  Sohn, 
Schultze,  Nothnagel,  Kußmaul,  De  Bary  und  der  Chemiker 
Bau  mann;  in  der  philosophischen  der  Dichter  Jacobi,  bis  1817 
V.  Rotteck,  Schreiber  (der  Historiker  der  Stadt  und  Universität 
Freiburg),  der  Physiker  Müller  (Müller-Bouillet,  der  Verfasser  des 
bekannten  Lehrbuchs  der  Physik),  Heinrich  v.  Treitschke  und 
die  Nationalökonomen  Helferich,  Knies,  v.  Mangoldt  und 
Alphons  Thun. 

Von  ihrer  Schwesteruniversität  und  alten  Rivalin  Heidelberg  hat 
sich  Freiburg,  seit  es  mit  ihr  zusammen  dem  badischen  Staat  ange- 
hört, immer  in  doppelter  Beziehung  unterschieden:  einmal  dadurch, 
daß  hier  eine  katholische,  dort  eine  protestantische  theologische 
Fakultät  war  —  die  katholischen  Theologen  Heidelbergs  wurden  1817 
nach  Freiburg  versetzt  — ,  und  dann  dadurch,  daß  Freiburg  immer 
mehr  badische  Landesuniversität  für  die  Badener  war,  als  das  von 
altersher  internationalere  Heidelberg.  So  war  hier  das  Verhältnis  der 
Ausländer  zu  den  Inländern  am  Anfang  des  Jahrhunderts  durch- 
schnittlich wie  5:7,  in  Freiburg  dagegen  wie  2:7,  1811  sogar  wie 
2:10.  Der  jüngste  Aufschwung  hat  dies  freilich  auch  in  Freiburg 
sehr  geändert,  ist  der  große  Zuzug  doch  hauptsächlich  aus  Nord- 
deutschland und  vom  Rhein  gekommen.  Die  vier  Fakultäten  standen 
sich  damals  —  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  — 
ziemlich  gleich,  am  stärksten  aber  waren  die  theologische  und  die 
medizinische,  letztere  gerade  im  Gegensatz  zu  Heidelberg,  das  damals 


Die  Groflherzogl.  Badische  Albert-Ludwigs-Üniversität  in  Freiburg  i.  B.         555 

nur  eine  sehr  schwache  medizinische  Fakultät  hatte  und  in  erster 
Linie  die  Hohe  Schule  der  Juristen  war,  während  Freiburg  zu  einer 
solchen  der  Mediziner  auserkoren  schien.  Damab  prophezeite  ihm 
schon  der  berühmt  Phrenolog  Gall  seine  große  Zukunft.  „Es  läßt 
sich,  sagte  er  in  seinen  Vorträgen  zu  Freiburg  1807,  auch  nichts 
gegen  die  Biederkeit  der  Bewohner  und  gegen  die  unvergleichlich 
schöne  und  gesunde  Lage,  gegen  die  Wohlfeilheit  der  Lebens- 
mittel usw.  sagen.  Freiburg  scheint  daher  geeignet  zu  sein,  der 
wahre  Sitz  der  Musen  und  der  Kultur  und  vielleicht  eine  der  vorzüg- 
lichsten Universitäten  in  Deutschland  zu  werden,  besonders  wenn 
man  bedenkt,  wie  reichlich  der  Staat  verdienstvolle  Lehrer  zu  be- 
lohnen und  wie  liberal  seine  Gesinnungen  gegen  das  Fortwirken  des 
Geistes  zu  sein  pflegen." 

Glänzender,  als  Gall  es  sich  hätte  träumen  lassen,  ist  diese 
Prophezeiung  nach  dem  Niedergang  in  den  60er  und  70er  Jahren 
in  Erfüllung  gegangen,  und  bis  1895  stand  dabei  wirklich  die  medizinische 
Fakultät  bei  weitem  an  der  Spitze,  durch  den  jüngsten  Aufschwung 
aber  ist  sie  auch  hier  durch  die  rechts-  und  staatswissenschaftliche 
überflügelt  worden,  und  auch  die  philosophische  ist  —  hauptsächlich 
durch  die  Chemiker  —  ihr  nachgerückt.  Eigentümlich  für  Freiburg 
ist  der  große  Unterschied  zwischen  Sommer-  und  Wintersemester, 
erfreulichen^'eise  ist  aber  auch  im  Winter  die  Frequenz  im  Steigen. 
Sie  betrug  im  Wintersemester  1903/4  :  1331. 

2.  Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

I.  Die  katholisch-theologische  Fakultät  zählt  7  ordentliche 
Professoren^),  3  außerordentliche  Professoren  und  einen  Privatdozenten. 

Es  bestehen  5  theologische  Seminarien:  ein  kirchenhisto- 
risches, ein  archäologisches,  ein  exegetisches,  ein  homiletisches,  ein 
kanonistisches. 

Es  besteht  ein  Konvikt,  in  dem  sämtliche  badische  Theologie 
Studierende  wohnen. 

II.  Die  rechts-  und  staatswissenschaftliche  Fakultät  zählt  3 
inaktive  ordentliche  Professoren 2),  9  aktive  ordentliche  Professoren^), 
einen  außerordentlichen  Professor  und  einen  Privatdozenten. 


1)  Krieg,  Heiner,  Hoberg,  Ehrhard  (nach  Straßburg  berufen),  Rückert,  Braig,  Mayer. 

2)  Rive,  Sontag,  Gebhard. 

3)  Eisele,  Rümelin,    Rosin,    Rieh.    Schmidt,    v.  Rohland,    C.  J.  Fuchs,  v.  Schulze- 
GävemitZy  StuU,  Merkel. 


556  I^*^  einzelnen  Universitäten. 

Es  besteht  ein  juristisches  Seminar  seit  1889  und  ein  käme- 
ralistisches  seit  1871.  Das  Aversum  beider  beträgt  jährlich  je 
1000  M. 

in.  Die  medizinische  Fakultät  zählt  2  inaktive  ordentliche  Pro- 
fessoren 0,  12  aktive  ordentliche  Professoren*-^),  20  außerordentliche 
Professoren,  7  Privatdozenten. 

Anatomisches  Institut:  gegründet  im  Jahre  1620,  Neubau 
im  Jahre  1 866/67.     Aversum  6000  M.    Eigene  Einnahmen  1 550,60  M- 

Physiologisches  Institut:  Errichtung  der  Lehrkanzel  für  Phy- 
siologie im  Jahre  1774.  Im  Jahre  1821  wurde  für  physiologische  Ar- 
beiten ein  Laboratorium  mit  einem  Aversum  von  100  Gulden  einge- 
richtet in  Verbindung  mit  der  anatomischen  und  zootomischen 
Sammlung;  erst  im  Jahre  1860  wurden  Arbeitsräume  ausschließlich 
für  physiologische  Arbeiten  gewonnen.     Aversum  2500  M. 

Pathologisches  Institut:  Im  Jahre  1864  Gründung  einer 
selbständigen  pathologisch-anatomischen  Anstalt  und  zugleich  Errich- 
tung eines  eigenen  Lehrstuhls  für  diese  Disziplin.  Neubau  1887. 
Aversum  3600  M. 

Hygienisches  Institut:  Ein  ordentlicher  Professor.  Gründung 
im  Jahre  1889.  Neubau  im  Jahre  1895.    Aversum  2500  M. 

Medizinische  Klinik:  Die  Errichtung  einer  medizinischen 
Klinik  ist  aus  einem  Reskript  der  Kaiserin  Maria  Theresia  vom 
26.  Dezember  1767  herzuleiten.  In  dem  städtischen  Armenspital 
wurde  dann  allerdings  erst  im  Jahre  1776  der  klinische  Unterricht 
abgehalten.  Im  Jahre  182()  schritt  man  zum  Bau  des  neuen  großen 
städtischen  Hospitals,  das  bis  heute  wesentliche  Erweiterungen  er- 
fahren hat.     Aversum  4343  M. 

Medizinische  Poliklinik  verbunden  mitdemHildakinderhospital. 
Erstcre  wurde  am  1.  Januar  1828  eröffnet,  ebenfalls  in  einem  städti- 
schen Gebäude.     Aversum  1000  M. 

Die  Chirurgische  Klinik  war  mit  der  medizinischen  Klinik 
verbunden,  bis  sie  im  Jahre  1880  ein  eigenes  staatliches  Gebäude  er- 
hielt.    Aversum  10  000  M. 

Dermatologische  Klinik,  Abteilung  der  Chirurgischen  Klinik 
Aversum   1000  M. 

Die  Gynäkologische  Klinik  war  vom  Jahre  1829  bis  1.  April 
18()l)  zusammen  mit  der  chirurgischen    und    medizinischen    Klinik    in 

1)  Manz,  Emmingbaus. 

^)  Hegar,  Ilildebrand,  IJäumler,  Thomas,  Wiedcrsheim,  v,  Kries,  Kraskc,  /ieglcr, 
Srhottclius,  Kiliani,  Axenfeld,  Hoche. 


Die  Großherzogl.  Badische  Albert-Ludwigs-Universität  in  Freiburg  i.  B.         557 

dem  großen  städtischen  Hospital  untergebracht;  in  diesem  Jahre  (1868) 
bezog  sie  einen  großen  vom  Staat  und  der  Stadt  erstellten  Neubau; 
im  Jahre  1901  ging  ein  weiterer  großer  Neubau  seiner  Vollendung 
entgegen.     Aversum  29000  M. 

Gynäkologische  Poliklinik:  Aversum  200  M. 

Augenklinik:  Bis  zum  Jahre  1874  war  die  Augenheilkunde 
mit  der  Chirurgie  verbunden.  Im  Jahre  1 874/75  wurde  für  die  Augen- 
heilkunde ein  eigenes  Gebäude  errichtet.     Aversum  7500  M. 

Psychiatrische  Klinik:  Ein  ordentlicher  Professor,  ein  außer- 
ordentlicher Professor.  Gegründet  mit  Neubau  im  Jahre  1 884.  Aversum 
44000  M. 

Laryngo-rhinologische  Klinik:  Ein  außerordentlicher  Pro- 
fessor. Sie  hat  kein  besonderes  Gebäude,  sondern  befindet  sich  in 
einer  Mietwohnung.     Aversum  3000  M. 

Ohren-Klinik:  Ein  außerordentlicher  Professor.  Sie  befindet 
sich  wie  die  laryngo-rhinologische  Klinik  in  einer  Mietwohnung. 
Aversum  3000  M. 

IV.  Philosophische  Fakultät:  Diese  zerfällt  in  2  Abteilungen, 
eine  philologisch-historische  und  eine  mathematisch-naturwissen- 
schaftliche. Die  philosophische  Fakultät  zählt  im  ganzen  20  ordentliche 
Professoren^),  6  ordentliche  Honorarprofessoren,  16  außerordentliche 
Professoren,  11  Privatdozenten  und  4  Lektoren  bezw.  mit  Abhaltung 
von  Vorlesungen  Beauftragte. 

Fachgruppen: 

1.  Philosophie.  2  ordentliche  Professoren,  1  Extraordinarius, 
1  Lektor  (Pädagogik).  Ein  philosophisches  Seminar 
wurde  unter  Prof.  Windelband  1880  gegründet.  Aversum 
500  M.  Psychologisches  Laboratorium:  Aversum  200  M. 
Aversum  des  philosophischen  Seminars  der  theologischen 
Fakultät  200  M.;  ein  ordentlicher  Professor. 

2.  Klassische  Philologie.  Seminar  errichtet  unter  Professor 
Zell  1829.  Aversum  1400  M.  2  ordentliche  Professoren  und 
ein  Privatdozent. 

3.  Archäologie  und  neuere  Kunstgeschichte.  Münzkabinett 
(1779      gegründet)      und       archäologische      Sammlung. 


^)  B.  Schmidt,  Weismann,  Lüroth,  Hense,  v.  Simson,  A.  Dove,  Kluge,  Steinmann, 
Tbume]rsen,  Himstedt,  Baist,  Stickelberger,  Fabricius,  Puchstein,  Rickert,  Finke,  Gatter- 
mann, Wetz,  Oltmans,   Übinger. 


558  Die  einzelnen  Universitäten. 

Aversum  2000  M.    Ein  ordentlicher  Professor,  2  außerordent- 
liche Professoren. 

4.  Seminar  für  romanische  Philologie.  Begründet  im  Jahre 
1882.    Aversum  400  M.    Ein  ordentlicher  Professor. 

5.  Seminar  für  germanische  Philologie:  gegründet  W.-S. 
1873/74: 

a)  deutsche  Abteilung:  2  ordentliche  Professoren, 

b)  englische  Abteilung:  Ein  ordentlicher  Professor. 
Das  Aversum  beider  zusammen  beträgt  850  M. 

6.  Historisches  Seminar.  4  ordentliche  Professoren,  1  außer- 
ordentlicher Professor  und  2  Privatdozenten.  Das  historische 
Seminar  wurde  unter  Professor  Mendelsohn-Bartholdy  1870 
gegründet.     Aversum  800  M. 

7.  Geographisches  Institut.  Ein  Honorarprofessor.  Es 
befindet  sich  mit  dem  mathematischen,  geologischen  und 
mineralogischen  Institut  in  einem  eigens  hierzu  errichteten 
Gebäude  seit  1902.     Aversum  800  M. 

8.  Mathematisches  Seminar  und  Kabinett.  Aversum  850  M. 
Gegründet  1846.  2  ordentliche  Professoren,  ein  außerordent- 
licher Professor  und  1  Lektor.  Das  mathematische  Seminar 
befindet  sich  seit  1902  in  dem  erwähnten  Neubau. 

9.  Museum  für  Urgeschichte  und  Ethnographie.  2  ordent- 
liche Professoren,  ein  außerordentlicher  Professor.  Aversum 
700  M. 

10.  Geologisches  Institut:  Aversum  800  M.  Ein  ordentlicher 
Professor,  ein  Privatdozent.     Neubau  1902  (s.  o.). 

11.  Mineralogisches  Institut:  Ein  außerordentlicher  Professor. 
Aversum  3000  M.     Neubau  1902  (s.  o.). 

12.  Zoologisches  Institut:  Aversum  2000  M.  Ein  ordentlicher 
Professor.     Neubau  1886. 

13.  Botanischer  Garten:  Aversum  4274  M.  Ein  ordentlicher 
Professor.     Neu  angelegt  1880. 

14.  Pharmakognostisches  Institut:  Aversum  8(X)  M.  Ein 
ordentlicher  Professor.     Gegründet  1886. 

15.  Physikalisches  Institut:  Aversum  4000  M.  Ein  ordent- 
licher Professor,  ein  Privatdozent.       Neubau  1889. 

16.  Physikalisch-chemisches  Institut:  Aversum  1200  M. 
Ein  außerordentlicher  Professor.  Gegründet  1 899,  Neubau  1 902 
eröffnet. 


Die  Großherzogl.  Badische  Albert-Ludwigs-Universität  in  Freiburg  i.  B.         559 

17.  Technologisches  Institut:  Aversum  500  M.  Ein  außer- 
ordentlicher Professor.  Gegründet  1857;  befindet  sich  seit 
1880  mit  dem  Chemischen  Institut  in  einem  eigenen  Gebäude. 

18.  Chemisches  Laboratorium: 

a)  Medizinische  Abteilung:  Aversum  4500  M.  Ein  ordent- 
licher Professor,  ein  außerordentlicher  Professor  und  ein 
Privatdozent; 

b)  Philosophische  Abteilung:  Aversum  6800  M.  Ein  ordent- 
licher Professor,  3  außerordentliche  Professoren,  3  Privat- 
dozenten.    Neubau  1880. 

19.  Universitätsbibliothek:  Aversum  19000  M.  Dazukommen 
Einnahmen  aus  den  Matrikelgebühren.  Ein  Oberbibliothekar, 
2  Bibliothekare,  1  Kustos,  2  wissenschaftliche  Hilfsarbeiter. 
Neubau  vom  Jahre  18%  bis  zum  Jahre  1902. 


3.  Statistische  Übersichten. 

Zahl  der  Lehrer. 


j        Semester 


Ordentliche 
Professoren 


Ordentliche   ■       Außer- 

Honorar-     '    ordentliche 
Professoren       Professoren 


Privat- 
dozenten 


I>ektoren 


S.  1903        I 
S.  1878 
S.  1850 


47 
36 
28 


I 


42 
8 

1 


19 
6 
9 


Zahl  der  immatrikulierten  Studierenden. 


Semester 

Gesamt- 
zahl 

Darunter 
Reichs- 

i 

!      Semester 

Gesamt- 
zahl 

Darunter 
Reichs- 

ausländer 

ausländer     { 

S.  1903 

1%2 

128 

j 

S.  1900 

1766 

109 

W.  1902/3 

1271 

107 

S.  1890 

1254 

81 

S.  1902 

1861 

121 

S.  1880 

528 

35         i 

W.  1901/2 

1321 

131 

S.  1870 

225 

S.  1901 

1766 

140 

S.  1860 

302 

— 

W.  1900/1 

1218 

115 

S.  1850 

359 

1 
1 

560 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Zahl  der  Studierenden  nach  Fakultäten. 


'       Katholische      !      Rechts-  und 
Theologie        Staatswissenschaft 


Medizin  und     I      -^.,         ,  . 
,„  I      Philosophie 

Pharmazie 


S.  1903 
W.  1902/3 
S.  1900 
S.  1895 
S.  1890 
S.  1880 
S.  1870 
S.  1860 
S.  1850 


205 
190 
257 
233 
203 
47 
113 
192 
151 


791 

395 

625 

448 

305 

159 

35 

12 

67 


485 

335 

509 

512 

453 

212 

41 

49 

75 


481 

451 

375 

219 

293 

110 

36 

49 

39 


Zahl  der  sonstigen  zum  Hören  der  Vorlesungen  Zugelassenen. 


Semester               ' 

Im  ganzen 

Frauen 

S.  1903 

117 

221) 

W.  1902/3 

191 

171) 

S.  1902               i 

88 

432) 

W.  1901/2            1 

99 

523) 

S.  1901                j 

81 

384) 

1)  immatrikuliert. 

-)  davon  18  immatrikuliert. 

')      „       17 

^)               12 

(Gesamtsumme  der  Einnahmen  der  Universität  in  Mark.l) 


i    Aus  eigenem  »         • 

^  I     Aus  eigenem 

Etatsjahr  Vermögen  und   !        _.         .  „  '     Staatszuschuß 


Stiftungen 


Erwerb  2j 


Summe 


1902 

1         54289 

47  376 

713081 

814  747 

1890 

65401 

15  077 

1       436970 

1       517448 

1878 

107  747 

3  602 

195861 

307  211 

1865 

68  766  fl. 

3  398  fl. 

35  800  fl. 

107  964  fl. 

1850 

60  278  n. 

7  450  fl. 

31  325  fl. 

99053  fl. 

h  Ist-Einnahmen  und  -Ausgaben  nach  den  Angaben  der  Quästur. 
'^)  (jebühren. 


Die  Großherzogl.  Badische  Albert-Liidwigs-Universität  i.  Freiburg  i.  B.         561 
Gesamtsumme   der  ordentlichen   Ausgaben  in   Mark. 


Etatsjahr 


I     Besoldungen 
j    und  Remune- 
I         rationen 
'  der  Professoren 
'    und  Dozenten 


Wohnungsgeld- 
zuschüsse 
für  Lehrer  und 
Beamte 


Für 
Institute 
und 
Sammlungen      i 


I     Verwaltungs- 
und 
I         sonstige 
Kosten 


_L 


I 


1902 
1890 
1878 
1865 
1850 


279560 
192360 
133191 
71  514  fl. 
51  190  fl. 


77  176 
39760 
26048 


185739 
129454 
53951 
15585  fl. 
12  176  fl. 


I 


205069 
107197 

63282 

10  223  fl. 

33241  fl. 


Es  ist  begreiflich,  daß  bei  dem  rapiden  Wachstum  der  Uni- 
versität in  den  letzten  Jahrzehnten  nicht  nur  die  vielen  Neubauten 
von  Instituten  notwendig  wurden,  die  aus  der  vorliegenden  Übersicht 
ersichtlich  sind,  sondern  auch  das  Hauptkollegiengebäude  wenigstens 
im  Sommer  immer  weniger  ausreichte,  so  daß  die  frequentiertesten 
Vorlesungen  zweimal  im  städtischen  Kaufhaussaal  abgehalten  werden 
mußten.  Jetzt  ist  zwar  in  dem  früheren  Bibliotheksgebäude  gegen- 
über der  Universität  provisorisch  ein  prachtvolles  Auditorium  Maximum 
geschaffen,  aber  es  werden  bereits  die  Pläne  für  einen  Neubau  aus- 
gearbeitet. Die  Mehrzahl  der  jetzt  in  dem  alten  Hause  mit  seinem 
schönen  Hof  und  Garten  und  seinen  ruhigen  und  kühlen  Hörsälen 
Lesenden  denkt  nur  mit  Bedauern  an  den  in  einer  Reihe  von  Jahren 
bevorstehenden  Umzug  in  einen  Neubau,  der  zwar  größer  und 
prunkvoller,  aber  wahrscheinlich  weniger  praktisch  und  jedenfalls 
sehr  viel  weniger  stimmungsvoll  sein  wird.  Der  eigentümliche 
romantische  Hauch,  den  Freiburg  heute  noch  bei  seiner  modernen 
Entwicklung  hat,  wird  dadurch  jedenfalls  verloren  gehen. 

Möge  aber  auch  bei  weiterem  Aufschwung  die  Qualität  mit  d^r 
Quantität  immer  Schritt  halten,  und  möge  auch  in  einem  neuen 
Hause  immer  von  der  Freiburger  Universität  gelten,  was  ihr  letzter 
österreichischer  Rektor  Erzherzog  Karl  ihr  bei  ihrem  Übergang  an 
Baden  nachgerühmt  hat,  daß  sie  sich  immer  ausgezeichnet  habe 
„durch  gfründliche  Gelehrsamkeit  ebenso  als  durch  kluge  Mäßigung 
und  sich  nie  verleugnende  Konsequenz  bei  allen  Wechseln  der 
Opinionen  und  der  Interessen". 

Carl  Johannes  Fuchs. 


Das  Unterrichtsweaen  im  Deutschen  Reich.    I. 


36 


XVni.  Die  Großherzoglich  Hessische  Ludwigs-Universität 

zu  Gießen. 


Die  Universität  Gießen  ist  die  Landesuniversität  des  Großherzog- 
tums Hessen.  Ihren  Namen  trägt  diese  Hochschule  von  ihrem 
Stifter  Landgraf  Ludwig  V.  dem  Getreuen.  Ihre  Entstehung  (1607) 
verdankt  sie  jener  Periode  der  Gründungen  landeskirchlich- konfessio- 
neller Universitäten,  in  welcher  von  der  zweiten  Hälfte  des  16.  bis 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  in  Deutschland  und  Österreich  eine  ganze 
Reihe  von  Universitäten,  die  aufs  engste  mit  dem  Landeskirchentum 
zusammenhingen,  und  bei  denen  deswegen  anfanglich  die  theologischen 
Fakultäten  durchaus  im  Vordergrunde  standen,  ins  Leben  gerufen 
wurden.  Es  sind  diese  Stiftungen  der  Territorialherren  keineswegs 
immer  vollständige  Universitäten  im  heutigen  Sinne,  sondern  öfters 
nur  eine  Art  von  privilegierten  philosophisch-theologischen  Studien- 
anstalten in  enger  Verbindung  mit  akademischen  Gymnasien,  je  nach 
der  Größe  des  Staatsgebiets  und  den  landesherrlichen  Dotationen  um- 
fassendere Hochschulen  oder  bescheidene,  mit  wenigen  Lehrkräften 
dürftig  besetzte  Lyzeen.  Gießen  war  von  vornherein  als  Volluniversität 
gedacht  und  hat  sich  im  Gegensatz  zu  den  meisten  Gründungen  ähn- 
licher Art  aus  der  gleichen  Periode  als  solche  bis  auf  die  Gegenwart 
erhalten. 

Den  unmittelbaren  Anstoß  zur  Gründung  der  Ludoviciana  gab  der  Tod  des  I>and- 
grafen  Ludwig  IV.  (1604),  infolgedessen  seine  Linie  Hessen -Marburg  erlosch.  Bis  zur 
Gründung  der  Universität  Gießen  war  die  1527  von  Philipp  dem  Großmütigen  gestiftete 
und  mit  Einkünften  aiLs  aufgehobenen  Klöstern  und  Stiftungen  reich  dotierte  Nachbar- 
universität Marburg,  die  erste  protestantische  Anstalt  der  Art  in  Deutschland,  die  gemein- 
same Hochschule  der  hessischen  Lande.  In  dem  Testamente,  das  Ludwig  IV'.  hinterließ 
und  wonach  er  den  Beinamen  „Testator"  erhielt,  setzte  er  seine  Vettern  von  den  beiden 
Linien  Cassel  und  Darmstadt,  Landgraf  Moritz  von  Cassel  und  Ludwig  W  den  Ge- 
treuen von  Darmstadt,  zu  Erben  ein,  verfügte  aber,  daß  keiner  der  Nachfolger  in 
seinen  Ländern  die  evangelisch-lutherische  Lehre  abschaffen  dürfe.  Um  diese  TestamenLs- 
klausel  kümmerte  sich  der  junge  I^ndgraf  Moritz  von  Hessen-Cassel    nicht.     Er    schaffte 


Die  Großherzogl.  Hessische  Ludwigs-Universität  zu  Gießen.  563 

alsbald  das  Luthertum  in  seinem  Erblande  ab  und  führte  die  reformierte  Lehre  ein.  Da- 
rüber kam  es  zu  Protesten  und  Erbstreitigkeiten,  und  als  in  Marburg  1605  heftige  Reli- 
gionsstreitigkeiten und  im  Anschluß  hieran  öflfendiche  Tumulte  ausbrachen,  infolge  deren 
theologische  Professoren  und  Geistliche  entlassen  und  durch  andere  ersetzt  wurden,  bot 
Ludwig  der  Getreue  den  Vertriebenen  in  Gießen  eine  Unterkunft  und  stellte  ihnen  eine 
neue  akademische  Wirksamkeit  in  Aussicht.  Mit  finanzieller  Unterstützung  von  Ständen 
und  Stadt  wurde  1605  in  Gießen  ein  akademisches  Gymnasium  mit  einer  Frequenz  von 
ungefähr  300  Studenten  eröffnet.  Im  Jahre  1607  traf  das  kaiserliche  Privileg  von  Ru- 
dolf II.  ein,  und  nunmehr  wurde  im  selben  Jahre  unter  Anwesenheit  des  Stifters  die 
Universität  feierlich  eingeweiht.  Gießen  wird  also  in  wenigen  Jahren  sein  SOOjähriges  Uni- 
versitätsjubiläum festlich  begehen  dürfen.  In  der  ersten  Periode  1607 — 1624  dürfte  die 
Frequenz  der  zweiten  hessischen  Universität  zwischen  200  und  500  Studenten  betragen 
haben.  Bei  Ausbruch  des  30jährigen  Krieges  sollen  es  zwischen  500  und  600  Studenten 
gewesen  sein.  Sind  diese  Zahlen  richtig,  so  war  damak  Gießen  großer  als  die  meisten 
anderen  deutschen  Universitäten  und  wurde  nur  von  Leipzig  und  Jena  an  Studentenzahl 
übertrofTen.  Es  erklärt  sich  das  aus  der  Tatsache,  daß  damals  Gießen  eine  der  Haupt- 
pflegestätten des  reinen  Luthertums  war,  wodurch  auch'  die  weitere  Tatsache  ihre  Er- 
klärung findet,  daß  neun  Zehntel  der  Studenten  keine  hessischen  Landeskinder  waren  und 
zum  Teil  weither,  aus  den  Ostseeländem,  Dänemark  usw.  kamen.  Von  der  Nachbarschaft 
lieferten  am  meisten  Scholaren  Westfalen  und  Schwaben.  Auch  Braunschweig  war  stark 
vertreten.  Freilich  hat  schon  damals  die  Frequenz  fortwährend  geschwankt  und  sie  wurde 
namentlich  durch  Pestepidemien,  die  in  Gießen  fast  jedes  Jahr  auftraten,  stark  beein- 
trächtigt. 

Im  Jahre  1625  kam  Marburg  wieder  an  die  Darm.städter  Linie  und  infolgedessen 
wurde  die  Universität  Gießen  nach  Marburg  zurückverlegt,  und  erst  nachdem  Marburg 
1648  wieder  an  Hessen-Cassel  gefallen,  wurde  Crießen  1650  als  darmstädtische  und  luthe- 
rische Landesuniversität  wiedereröffnet. 

In  der  Folge  behielt  die  Universität  ihre  Hauptbedeutung  in  der 
theologischen  Fakultät.  Über  ihre  Frequenz  wie  überhaupt  über  die 
Einzelheiten  ihrer  Entwicklung  sind  wir  nur  dürftig  unterrichtet;  denn 
eine  zuverlässige  und  umfassende  Geschichte  der  Universität  gibt  es 
noch  nicht.  Jedenfalls  hat  die  Universität  Gießen  im  18.  Jahrhundert, 
namentlich  neben  Halle  und  Göttingen,  keine  führende  Rolle  gespielt 
und  hat  auch  in  dem  größten  Teil  des  19.  Jahrhunderts  vorwiegend 
den  Charakter  einer  kleineren  Landesuniversität,  freilich  mit  nicht  un- 
erheblichen Schwankungen  in  der  Anziehungskraft  der  einzelnen  Fakul- 
täten, gehabt. 

An  organisatorischen  Veränderungen  sind  folgende  zu  erwähnen: 
Der  1777  nach  Gießen  berufene  Kameralist  Johann  August  Schlett- 
wein  (17.31 — 1802),  der  bedeutendste  deutsche  Physiokrat,  setzte  es 
durch,  daß  in  Gießen  eine  besondere  „Ökonomische  Fakultät",  die 
naturwissenschaftliche  und  technologische  Fächer  neben  der  Kameral- 
und  Finanzwissenschaft  umfaßte  und  von  1777 — 1785  bestand,  ge- 
gründet wurde.  Diese  Fakultät  ist  die  erste  ihrer  Art  gewesen  und 
war  eine  Vorläuferin  der  späteren  staatswirtschaftlichen  Sonderfakul- 
täten.    Die  Kleinheit    des    hessischen  Landes    brachte    es  von    selbst 

36* 


564  ^^ie  einzelnen  Universitäten. 

mit  sich,  daß  auch  andere  Anstalten  zeit>^'eilig  oder  dauernd  mit  der 
Landesuniversität  organisch  verbunden  wurden,  die  anderswo  als  be- 
sondere Fachlehranstalten  gefuhrt  wurden.  So  wird  in  Gießen  seit 
1829  die  Forstwissenschaft  gelehrt  mit  mehreren  Professuren,  einem 
Forstinstitut  und  einem  Forstgarten.  Die  Forstprofessoren  gehören 
ebenso  wie  der  Professor  der  Landwirtschaft,  dem  ein  landwirtschaft- 
liches Institut  und  eine  landwirtschaftliche  Versuchsstation  unterstellt 
sind,  der  philosophischen  Fakultät  an.  Von  1837—1875  versah  die 
Universität  auch  die  Funktionen  einer  technischen  Hochschule  des 
Landes.  Auch  diese  Professuren  waren  in  der  philosophischen  Fakultät 
eingegliedert,  und  gleichzeitig  war  Gießen  in  jener  Zeit  die  erste 
deutsche  Hochschule,  in  welcher  die  Techniker  und  Ingenieure  mit 
technischen  Hauptfachern  ebenso  die  philosophische  Doktorwürde  er- 
werben konnten,  wie  bis  heute  die  Forstleute  in  ihrem  Fache.  Es 
war  also  den  Polytechriikern  allein  in  Gießen  im  Gegensatz  zum 
übrigen  Deutschland  die  Möglichkeit  der  Promotion  gegeben.  Nach 
der  Gründung  der  technischen  Hochschule  in  Darmstadt  ( 1 877)  schieden 
die  betrefTenden  Fächer  aus  dem  Gießener  Lehrplane  aus.  Eine  dritte 
Besonderheit  Gießens  ist  die  organische  Verbindung  der  Universität 
mit  dem  Veterinärstudium.  Die  Tierarzneikunde  war  schon  in  der 
früheren  „Ökonomischen  Fakultät"  durch  einen  besonderen  Lehrstuhl 
vertreten.  Seit  \H2\\  besteht  dort  das  Veterinärstudium  ununterbrochen, 
und  (iicßcn  ist  die  einzige  Hochschule  Deutschlands,  in  welcher  Tier- 
arzneistudentcn  zum  Dr.  med.  vet.  promoviert  werden  können.  In 
den  letzten  Jahren  sind  die  Lehrkräfte  der  Veterinärwissenschaft  so 
erheblich  vermehrt  worden,  daß  man  eine  besondere  Abteilung  der 
medizinischen  l-'akultät,  das  ,,  Veterinär-medizinische  Kollegium",  schaffen 
konnte,  und  da  gleichzeitig  und  zum  Teil  schon  früher  die 
r'requenz  des  veterinär-medizinischen  Studiums  rapide  stieg,  stellte 
sich  die  Notwendigkeit  heraus,  sämtliche  Institute  dieses  Faches  zu 
vergrößern  und  neu  zu  bauen. 

Im  übrigen  ist  GiefAen  in  dem  letzten  Jahrzehnt  an  Zuhörerzahl 
stark  gewachsen  und  in  erfolgreicher  Weise  aus  der  Zahl  der 
kleineren  in  diejenige  der  mittleren  deutschen  Universitäten  ein- 
gerückt. 

Da  es  eine  zuverlässige  Universitätschronik  nicht  gibt,  ist  es  auch 
nicht  möglich,  auch  nur  mit  annähernder  Vollständigkeit  die  wissen- 
schaftliche Entwicklung  an  der  Universität  darzustellen  und  die  nam- 
haftesten Professoren,  die  an  ihr  gelehrt  haben,  lückenlos  aufzuführen. 
In  den  ersten  Jahrhunderten  überwiegen  unter  den  berühmten  Lehrern 


Die  Großherzogl.  Hessische  Ludwigs-Universität  zu  Gießen.  565 

der  Hochschule  bei  weitem  die  Theologen.  Erwähnt  zu  werden  ver- 
dienen Balthasar  Mentzer  (1565 — 1627),  einer  von  den  aus  Marburg 
vertriebenen  Professoren,  der  hauptsächlichste  Berater  der  Regierung 
bei  der  Stiftung  und  Organisation  der  Universität,  der  Führer  der 
Gießener  Theologen  in  ihrem  die  Zeit  sehr  erregenden  dogmatischen 
Streite  mit  den  Tübingern,  dann  Joh.  Heinr.  May  (1653 — 1719),  in 
Gießen  von  1 688  bis  zu  seinem  Tode,  der  Reformator  der  Universität 
im  Sinne  des  Pietismus.  Neben  ihm  wirkte,  freilich  nur  von  1697 
bis  1698,  als  Professor  der  Geschichte  Gottfried  Arnold  (1666—1714), 
ein  pietistischer  Kirchenhistoriker  von  Ruf,  namentlich  bekannt  durch 
seine  „unparteiische  Kirchen-  und  Ketzerhistorie",  ein  Werk,  das 
heute  noch  Beachtung  genießt.  Ebenfalls  der  pietistischen  Epoche 
gehörte  Joh.  Jakob  Rambach  (1693-1735,  in  Gießen  seit  1731),  ein 
beliebter  Dichter  von  Kirchenliedern,  an.  Von  den  weiteren  Theologen 
des  18.  Jahrhunderts  sind  zwei  zu  erwähnen:  Christoph  Matthäus 
Pfaff  (1686—1760),  in  seinen  vier  letzten  Lebensjahren  in  Gießen 
wirksam,  namentlich  auf  kirchen rechtlichem  Gebiete  bekannt,  ein  Vor- 
kämpfer für  das  sog.  Kollegialsystem  im  Gegensatz  zum  Territorial- 
system, und  dann  der  berüchtigte,  aber  geistreiche  Rationalist  und 
Polemiker  Karl  Friedrich  Bahrdt  (1741—1792,  in  Gießen  1771-1775). 

Von  den  Gießener  Theologen  des  19.  Jahrhunderts  ragt  in  erster 
Linie  hervor  Karl  Aug.  Credner(1797 — 1857),  in  Gießen  bis  zu  seinem 
Tode  ein  volles  viertel  Jahrhundert  tätig.  Er  machte  sich  einen 
Namen  namentlich  auf  dem  Gebiete  der  neutestamentlichen  Wissen- 
schaft. Hervorzuheben  sind  noch  Karl  Theod.  Keim  (1825—1878),  in 
Gießen  von  1873 — 78,  der  Verfasser  der  „Geschichte  Jesu  von  Nazara", 
August  Dillmann  (1823—94),  von  1864—69  in  Gießen  alttestament- 
licher  Exeget,  namentlich  geschätzt  als  Neubegründer  der  äthiopischen 
Studien,  und  endlich  Gustav  Baur  (1816 — 89),  in  Gießen  von  1841—61 
praktischer  Theologe. 

Von  Juristen  der  Gießener  Universität  aus  ihrer  ersten  Zeit  darf 
der  erste  Kanzler  und  Rektor  Gottfried  Antoni  (1571 — 1618)  als 
hervorragender  Kenner  des  Lehenrechts  genannt  werden.  Als 
Kriminali.st  genoß  in  seiner  Zeit  ein  hohes  Ansehen  Melchior  von 
Grolman  (1668 — 1722),  femer  der  Freund  Goethes  Ludw.  Jul.  Friedr. 
Höpfner  {\74S — 97),  der  bis  zu  seinem  Tode  in  Gießen  wirkte  und 
ein  namhafter  Bearbeiter  des  Naturrechts  war.  Für  die  erste  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  kommen  der  bekannte  Pandektist  Karl  Friedr. 
Ferd.  Sintenis  (1804—68)  in  Gießen  1837—41,  der  Prozessualist 
Gustav  Ludw.  Theod.  MarezoU  (1794 — 1873),  der  seine  erste  Professur 


566  ^^'<^  einzelnen  Universitäten, 

in  Gießen  19  Jahre  lang  inne  hatte,  und  der  berühmte  Lehrer  des 
Wechselrechts  Achilles  Renaud  (1820—84),  von  1848—52  Ordinarius 
der  Gießener  Juristenfakultät,  in  Betracht.  Unter  den  Juristen  des 
letzten  halben  Jahrhunderts  ragen  hervor  der  Kriminalist,  Rechts- 
historiker und  langjährige  Kanzler  der  Universität  Joh.  Michael  Franz 
Birnbaum,  in  Gießen  von  1840  —  75,  der  in  Wien  kürzlich  verstorbene 
Rechtshistoriker  Heinrich  Siegel,  in  Gießen  von  1853 — 57,  der 
Kriminalist  Ad.  Merkel,  in  Gießen  von  1858 — 68,  dann  Hermann 
Seuffert  (18!i6 — 1902),  ebenfalls  Kriminalist,  der  ausgezeichnete  Lehrer 
des  Zivilrechts  Ernst  Wilh.  Eberh.  Eck  (1838—1901),  beide  freilich 
verhältnismäßig  nur  kurze  Zeit  in  Gießen  wirksam,  und  als  berühmtester 
von  allen  Rudolf  v.  Jhering  (1818—92),  in  dessen  überaus  erfolgreiche 
Gießener  Lehrtätigkeit  (1852—68)  die  Abfassung  seines  Haupt^^'erkes 
„Geist  des  römischen  Rechts**  fällt. 

Unter  den  Nationalökonomen  der  Gießener  Universität  ist  der 
bedeutende  Kameralist  Joh.  Aug.  Schlettwein  (1731  —  1802)  bereits 
oben  erwähnt  worden.  Ihm  an  Bedeutung  mindestens  ebenbürtig  war 
sein  zweiter  Nachfolger  Friedr.  Schmitthenner  (1796 — 1850),  der  von 
1 828  bis  zu  seinem  Tode  in  Gießen  wirkte  und  von  Staatsrechtslehren! 
und  Nationalökonomen  als  scharfsinniger  und  selbständiger  Denker 
noch  heute  hoch  bewertet  wird. 

Als  angesehene  Lehrer  der  Medizinischen  Fakultät  wirkten  in 
Gießen  der  Anatom  und  Physiologe  Theod.  Ludw.  Bischoff  1  iM4 — 55, 
t  in  München  1882,  der  Chirurg  Ad.  Wernher  (f  1883,  in  Gießen 
1856 — 78),  Heinr.  Böse  ebenfalls  Chirurg  und  Spezialschüler  von 
Langenbeck  (f  I^XHJ),  der  innere  Kliniker  Eugen  Seitz,  in  Gießen  bis 
1872,  t  1899,  und  endlich  der  Gynäkologe  Herm.  Löhlein  seit  1888 
(t  1W1). 

Unter  den  Gießener  Philologen  ragen  hervor  die  klassischen 
Philologen  Ludw.  Lange  (1859—71)  und  Ed.  Lübbert  (1865—74),  der 
Germanist  Friedr.  Ludw.  Karl  Weigand  (1849—78)  und  der  Vertreter 
der  romanischen  Sprachen  Ludw.  Lemcke  (1867—84).  In  Gießen 
dozierten  ferner  die  Zoologen  Karl  Vogt  (1847 — 50)  und  Rud.  Leuckart 
(1850  ()9,),  der  Botaniker  Herm.  Hoffmann,  in  Gießen  von  1842 — 91. 
Den  Lehrstuhl  der  Forstwissenschaft  zierten  von  1824 — 34  Joh.  Christ. 
Hundeshagen,  unter  dem  die  Forstschule  1831  mit  der  Universität 
vereinigt  wurde,  und  Karl  lleyer,  der  1835  Professor  der  Forstwissen- 
schaft wurde  und  1H5f)  in  Gießen  starb.  ALs  Forschungsreisender 
weithin  bekannt  war  Robert  von  Schlagintweit,  der  von  1863 — 85 
Dozent  an  der  Universität  war.     Aus  der  Zeit  der  Architekturabteilung 


Die  Großherzogl.  Hessische  Ludwigs-Universität  zu  Gießen.  567 

ist  Hugo  von  Ritgen,  der  1834  Professor  wurde  und  1889  in  Gießen 
starb,  der  bekannte  Wiederhersteller  der  Wartburg,  zu  erwähnen. 
Der  bei  weitem  berühmteste  Lehrer  der  Ludoviciana  war  aber 
Justus  von  Liebig.  Mit  seinem  Auftreten  setzte  eine  neue 
Epoche  der  Hochschule  ein,  und  sein  chemisches  Laboratorium,  aus 
dem  zahlreiche  Chemiker  ersten  Ranges,  wie  Fresenius  (Wiesbaden), 
Henneberg  (Göttingen),  A.  W.  Hofmann  (Berlin),  Kekule  (Bonn), 
Volhard  (Halle),  H.  Kopp  (Heidelberg)  und  Will,  hervorgegangen  sind, 
erlangte  einen  Weltruf  und  zog  Studenten  aus  allen  Kulturstaaten, 
namentlich  auch  aus  England,  Frankreich  und  Amerika,  heran. 
Liebig  lehrte  in  Gießen  von  1 824 — 52  und  siedelte  dann  nach  München 
über.  Seine  Schüler  Kopp  und  Will  haben  ebenfalls  in  Gießen  die 
Chemie  (ersterer  namentlich  die  physikalische  Seite)  erfolgreich 
vertreten. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903). 

Die  Universität  Gießen  hat  von  jeher  vier  Fakultäten  gehabt. 
Vorübergehend  —  von  1777—85  —  bestand  eine  besondere 
ökonomische  Fakultät  und  von  1830 — 51  eine  katholisch-theologische 
Fakultät,  die  dann  aufgehoben  und  durch  das  bischöfliche  Klerikal- 
seminar in  Mainz  ersetzt  wurde. 

Der  land-  und  forstwirtschaftliche  Unterricht  ist  mit  der  phüo- 
sophischen  Fakultät  verbunden,  der  veterinär-medizinische  in  Form 
einer  besonderen  Abteilung  mit  der  medizinischen  Fakultät. 

Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig 
5  ordentliche  Professoren*),  1  außerordentlichen  Professor,  1  Privat- 
dozenten und  1  Repetenten.  Es  besteht  ein  theologisches  Seminar 
mit  fünf  Unterabteilungen  und  ein  alttestamentliches  Proseminar, 
ersteres  seit  1867,  letzteres  seit  1880.  Die  jährlichen  etatsmäßigen 
Kosten  der  Seminare  betragen  rund  900  Mark.  Für  die  Leitung  der 
verschiedenen  Abteilungen  des  theologischen  Seminars  erhält  jeder 
der  fünf  Abteilungsdirektoren  eine  jährliche  Vergütung  von  130  Mark 
und  der  Leiter  des  alttestamentlichen  Proseminars  eine  solche  von 
500  Mark.  Einen  Universitätsgottesdienst  gibt  es  ebensowenig  wie  ein 
Stift  oder  Konvikt. 

Die  juristische  Fakultät  hat  5  Ordinarien**),  1  ordentlichen 
Honorarprofessor    (Kriminalist),     1    außerordentlichen    Professor    und 


*)  Stade,  Kattenbusch  (nach  Gottingen  berufen),  Krüger,  Baldensperger,  Drews. 
**)  A.  B.  Schmidt,  Leist,  Biermann,  Mittermaier,  van  Calker. 


568  ^i^  einzelnen  Universitfiten. 

1  Assistenten  zur  Unterstützung  der  Professoren  des  bürgerlichen 
Rechts  in  den  praktischen  Übungen.  Ak  Remuneration  für  diesen 
Posten  sind  jährlich  2000  Mark  ausgeworfen.  Das  juristische  Seminar, 
seit  1885  bestehend  und  mit  900  Mark  für  sachliche  Ausgaben 
dotiert,  steht  unter  der  Direktion  des  jedesmaligen  Dekans. 

Die  Medizinische  Fakultät  erscheint  in  dreierlei  Formen: 
Als  „Vereinigte  Medizinische  Fakultät",  als  „Medizinische  Fakultät 
im  engeren  Sinne"  und  als  „Veterinärmedizinisches  Kollegium".  Der 
Dekan  der  vereinigten  medizinischen  Fakultät  ist  stets  der  Dekan  der 
medizinischen  Fakultät  im  engeren  Sinne,  die  identisch  ist  mit  den 
übrigen  medizinischen  Fakultäten  der  deutschen  Universitäten.  Sie 
besteht  aus  10  Ordinarien*),  3  Extraordinarien  und  7  Privatdozenten. 
Das  veterinärmedizinische  Kollegium  besteht  aus  3  Ordinarien**), 
einem  Extraordinarius  und  einem  mit  Lehrauftrag  versehenen  Do- 
zenten. 

Die  medizinischen  Institute  sind  folgende: 

1.  Das  Anatomische  Institut  (verbunden  mit  dem  Zoolo- 
gischen Institute),  mit  8  400  M.  dotiert,  mit  einem  Pro- 
fessor und  einem  Assistenten. 

2.  Das  Physiologische  Institut  in  einem  alten  Gebäude, 
mit  3  200  M.  dotiert,  mit  einem  Assistenten. 

3.  Das  Pathologische  Institut  in  einem  neuen  Gebäude  im 
Kliniksvicrtcl,  mit  62(K)  M.  dotiert,  mit  2  Assistenten. 

4.  Das  Pharmakologische  Institut,  seit  18W  in  einem  neuen 
Gebäude,  das  41  000  M.  gekostet  hat,  dotiert  mit  4  940  M., 
mit  einem  Assistenten. 

5.  Das  Hygienische  Institut.  1898  neu  errichtet  in  einem  be- 
sonderen Gebäude,  das  183  000  M.  gekostet  hat,  mit  TlXX)  M. 
dotiert  und  mit  2  Assistenten. 

6.  Die  neuen  Klinischen  Institute: 

ii)  Medizinische  und  Frauenklinik,  neu  errichtet,  insgesamt 
einschließlich  der  Kosten  für  das  Pathologische  Institut  und 
verschiedener  Ergänzungsbauten  mit  einem  Kostenaufwande 
von  1  531  0(H)  M.  Allgemeine  jährliche  Kosten  74^)84  M. 
Die  jährlichen  Kosten  der  medizinischen  Klinik  allein  be- 
tragen   72  330    M.,    die    der    Frauenklinik   f)4  483  M.     Die 

*)  Kckbiirdt,  Riegel,  Boslroein,  Gafiky,  Vossius,  Strahl,  Sommer,  CJeppert,  Popp<?rt, 
Pfannenstielil. 

**;  Pfeiffer,  (^It,  Martin. 


Die  Großberzogl.  Hessische  Ludwigs- Universität  zu  Gießen.  569 

medizinische  Klinik  hat  4  Assistenzärzte,  davon  einer  für 
die  medizinische  Poliklinik  (1800  M.)  und  3  für  die  medi- 
zinische Klinik.  Außerdem  sind  2  Volontärärzte  und 
4  Amanuenses  vorhanden.  An  dem  Gynäkologischen  In- 
stitut sind  außer  dem  Direktor  ein  außerordentlicher  Pro- 
fessor, 3  Assistenzärzte  und  ein  Volontärarzt  tätig. 

b)  Psychiatrische  Klinik,  neu  errichtet  18% — 99  mit  einem 
Kostenaufwande  von  740000  M.;  laufende  Kosten 
125  847  M.  Die  Psychiatrische  Klinik  hat  einen  Oberarzt, 
einen  zweiten  Assistenzarzt,  2  weitere  Assistenzärzte  und 
2  Amanuenses. 

Die  innere  medizinische  Klinik,  die  Frauenklinik,  die 
psychiatrische  Klinik,  das  pathologisch-anatomische  Institut 
und  das  hygienische  Institut  mit  drei  Dienstwohnungen 
(besondere  Villen)  für  die  Direktoren  der  inneren  medizi- 
nischen, gynäkologischen  und  psychiatrischen  Klinik 
machen  ein  besonderes  Klinikviertel  aus  mit  dem  Namen: 
die  „Neuen  Kliniken".     Zu  diesem  Viertel  gehört  noch 

c)  die  klinische  Apotheke,  deren  sachliche  und  persönliche 
Kosten  15  900  M.  betragen. 

7.  Die  alten  Kliniken.  Diese  befinden  sich  vorläufig  noch  in 
einem  alten  Gebäude,  einer  früheren  Kaserne.  Ihr  Neubau 
und  die  örtliche  Vereinigung  mit  den  neuen  Kliniken,  wofür 
eine  Summe  von  1  573  000  M.  erfordert  wird,  ist  von  den 
Landständen  bereits  bewilligt,  und  der  Geländeerwerb 
(345  800  M.)  in  die  Wege  geleitet.  Die  allgemeinen  Kosten 
der  alten  Kliniken  (Chirurgische  und  Ophthalmologische 
Klinik)  betragen  40  030  M.     Die  besonderen  Kosten  für 

a)  die  chirurgische  Klinik  betragen  110  700M.,  dazukommen 
noch  die  Kosten  für  eine  zurzeit  nicht  besetzte  außer- 
ordentliche Professur  und  die  Vergütungen  für  4  Assistenz- 
ärzte, einen  Volontärarzt  und  2  Amanuenses, 

b)  die  ophthalmologische  Klinik  betragen  51  318  M.  Diese 
Klinik  hat  3  Assistenzärzte  und  2  Amanuenses. 

8.  Die  Ohrenpoliklinik;  vorläufig  in  einem  alten,  gänzlich  un- 
zulänglichen Räume  untergebracht,  mit  einem  Assistenten. 
Für  die  laufenden  Bedürfnisse  sind  2650  M.  ausgeworfen. 

9.  Die  Veterinärinstitute.  Auch  diese  Institute  werden  gegen- 
wärtig mit  einem  Kostenaufwand  von  600  000  M.  neu  gebaut 
und  sollen    bereits  im  Jahre  1904,    wenigstens  zum  Teil,  V^^- 


570  ^*^  einzelnen  Universkltcn. 

zogen  werden.  Die  Neubauten  liegen  in  nächster  Nähe  des 
neuen  klinischen  Viertels.  Die  allgemeine  Verwaltung  der 
alten  Anstalten  für  Tierheilkunde  verursacht  an  lauTenden 
Kosten  1780  M.     Die  Einzelinstitute  sind  folgende: 

a)  Anatomisches  Institut;  sachliche  Kosten  1900  M.,  dazu  die 
Kosten  für  einen  Assistenten  und  einen  Diener. 

b)  Pathologisch-anatomisches  Institut;  Kosten  für  laufende 
Bedürfnisse  1100  M.,  außerdem  persönliche  Ausgaben  für 
einen  Assistenten  und  einen  Diener. 

c)  Das  Tierspital  (chirurgische  Veterinärklinik,  medizinische 
Veterinärklinik,  veterinärmedizinische  Poliklinik  und  Lehr- 
schmiede); sachliche  Kosten  15  353  M.,  die  persönlichen 
Kosten  der  Tierklinik  für  Direktion,  Assistenz  und  In- 
stitutsbedienung betragen  7328  M. 

Den  Ausgaben  der  medizinischen  Institute  stehen  folgende  Ein- 
nahmeposten gegenüber:  a)  Pfleggelder  aus  der  medizinischen  Klinik 
41000  M.,  b)  aus  der  chirurgischen  Klinik  72  000  M.,  c)  aus  der 
ophthalmologischen  Klinik  27  000  M.,  d)  aus  der  Frauenklinik  32  000  M., 
e)  aus  der  psychiatrischen  Klinik  58000  M.,  f)  Einnahmen  der  klini- 
schen Apotheke  5400  M.,  g)  aus  dem  Tierspital  und  der  Veterinär- 
anstalt 9000  M.,  h)  aus  der  Lchrschmiede  5000  M.,  i)  aus  anderen 
Einnahmequellen  1()  730  M.,  zusammen  betragen  also  die  Einnahmen 
der  medizinischen  Institute  314  730  M.  Die  sachlichen  und  persön- 
lichen Ausgaben  dagegen  6vS2  %3  M.  Es  ergibt  sich  also  ein  Zuschuß- 
bedarf aus  der  Staatskasse  von  342  233  M. 

Die  philosophische  Fakultät  besteht  aus  23  Ordinarien*), 
einem  ordentlichen  Honorarprofessor,  6  außerordentlichen  Professoren, 
7  Privatdozenten  (zu  Beginn  des  Wintersemesters  1903/4  sind  2  weitere 
Privatdozenten  zur  Habilitation  zugelassen  worden),  2  Lektoren  und 
dem  mit  Lehrauftrag  versehenen  Universitätsmusikdirektor. 

Als  Fachgruppen  unterscheidet  man  folgende: 

1.  Philosophie  und  Pädagogik:  2  Ordinarien  und  2  Privat- 
dozenten. Es  besteht  seit  1897  ein  philosophisches  Seminar,  welches 
mit  200  M.  dotiert  ist. 

2.  Geschichte:  2  Ordinarien. 


*)  Heß,  W.  Oncken,  Siebeck,  PiLsch,  Naumann,  Behaghel,  Spengel,  Netto,  Wim- 
rnenauer,  llohlbaum,  Behrens,  Hansen,  Elbs,  Brauns,  Bethe,  Bartholomae,  Groos,  Sauer, 
Biermer,  Drude,  Wünsch,  Sievers,  (Jisevius. 


Die  Großherzogl.  Hessische  Ludwigs-Universität  zu  Gießen.  571 

Im  Etat  für  1904/5  ist  eine  weitere  Professur  (Extraordinariat) 
für  alte  Geschichte  eingesetzt.  Das  historische  Seminar,  das  aus  einer 
Abteilung  für  mittlere  Geschichte  und  aus  einer  solchen  für  Geschichte 
der  Neuzeit  besteht,  ist  im  Jahre  1873  gegründet  worden  und  ist  mit 
1000  M.  dotiert. 

3.  Klassische  Philologie:  2  Ordinarien.  Es  besteht  seit  1812 
ein  philologisches  Seminar  und  seit  1 878  ein  philologisches  Proseminar, 
letzteres  mit  einem  Assisenten  (1200  M.).  Der  Staatszuschuß  beträgt 
für  beide  Seminare  3200  M. 

4.  Neuere  Philologie:  2  Ordinarien,  1  fixtraordinarius  und 
2  Lektoren.  Es  besteht  seit  1879  ein  praktisches  Seminar  für  neuere 
PhUologie  (200  M.)  und  seit  1 886  ein  germanisch-romanisches  Seminar 
(700  M.). 

5.  Vergleichende  Sprachwissenschaft  und  orientalische 
Philologie:  1  Ordinarius  und  1  Extraordinarius.  Für  ersteres  Fach 
besteht  seit  1899  ein  sprachwissenschaftliches  Seminar,  mit  150  M. 
dotiert. 

6.  Kunstgeschichte:  1  Ordinarius  mit  einem  archäologischen 
Institut  (1000  M.)  und  einem  kunstwissenschaftlichen  Institut  (600  M.). 

7.  Staatswissenschaft  und  Statistik:  1  Ordinarius  und 
1  Privatdozent.  Seit  1900  ein  staatswissenschaftlich-statistisches  Seminar 
mit  einer  staatswissenschaftlichen  Bibliothek  (1000  M.). 

8.  Ein  musikalisches  Institut  (600  M.). 

9.  Geographie:  1  Ordinarius  mit  einem  geographischen  Institut 
(800  M.,  darunter  200  M.  für  Exkursionen). 

10.  Mathematik  und  mathematische  Physik:  2  Ordinarien, 
1  ordentlicher  (aber  besoldeter)  Honorarprofessor  und  1  Extraordinarius 
mit  einem  mathematischen  Seminar  (seit  1863),  einem  mathematischen 
Kabinett  (500  M.),  einem  mathematisch-physikalischen  Kabinett  (600  M.) 
und  einem  geodätischen  Kabinett  (300  M.).  Ein  astronomisches 
Institut  fehlt. 

11.  Landwirtschaft:  1  Ordinarius  mit  1  Assistenten.  Für  das 
landwirtschaftliche  Institut  sind  2540  M.  ausgesetzt. 

12.  Forstwissenschaft:  2  Ordinarien  und  1  Assistent;  im 
Etat  für  1904/5  ist  eine  dritte  (außerordentliche)  Professur  Für  Forst- 
wissenschaft vorgesehen.  Es  besteht  ein  Forstinstitut  (2450  M.)  und 
ein  Forstgarten  mit  einem  Forstgartenaufseher  und  einem  Gehilfen. 

13.  Mineralogie  und  Geologie:  1  Ordinarius  und  1  Assistent. 
Das  mineralogische  Institut  ist  mit  2000  M.  dotiert. 

14.  Botanik:  1  Ordinarius,  1  Assistent  (1200  M.),  1  Universitäts- 


572  I^Jc  einzelnen  UniversiUiten. 

gärtner,  1   Gartengehilfe.     Der  botanische  Garten  und  das  botanische 
Institut  sind  mit  9500  M.  dotiert.*) 

15.  Zoologie:  1  Ordinarius,  1  Extraordinarius,  2  Privatdozenten, 
1  Präparator  und  2  Assistenten.  Das  zoologische  Institut,  mit  5000  M. 
dotiert,  ist  in  demselben  Gebäude  untergebracht,  in  welchem  sich  das 
anatomische  Institut  befindet. 

16.  Chemie:  1  ordentlicher  Professor,  1  Lehrer  für  Nahrungs- 
mittelchemie und  technische  Chemie,  der  gleichzeitig  Privatdozent  ist, 
3  Assistenten  am  chemischen  Laboratorium.  Das  chemische  Labo- 
ratorium, im  Jahre  1892 — 1893  mit  einem  Kostenaufwand  von  225  000  M. 
erbaut,  ist  mit  1 1  500  M.  dotiert,  aus  welcher  Summe  2  Institutsdiener 
zu  bezahlen  sind. 

17.  Physikalische  Chemie:  1  Ordinarius  und  2  Assistenten. 
Das  physikalisch  -  chemische  Institut,  welches  tatsächlich  auch  als 
zweites  chemisches  Laboratorium  funktioniert,  nimmt  den  einen  Flügel 
des  im  Jahre  1900  mit  einem  Kostenaufwand  von  494000  M.  errich- 
teten neuen  physikalischen  Institutsgebäudes  ein.  Die  laufenden 
Kosten  für  die  gemeinschaftliche  Verwaltung  beider  Institute  betragen 
7700  M.  Für  das  physikalisch-chemische  Laboratorium  sind  fernerhin 
4550  M.,  aus  welcher  Summe  der  Diener  zu  bezahlen  ist,  vorgesehen. 

18.  Physik:  1  Ordinarius  und  1  Privatdozent,  der  gleichzeitig 
Assistent  ist  und  1  weiterer  Assistent.  Das  physikalische  Institut 
ist  für  sachliche  Ausgaben  mit  4(XK)  M.  dotiert. 


Die  Universitätsbibliothek  beruht  zum  Teil  auf  der  Senken- 
bergschen  Stiftung  und  ist,  was  die  laufenden  sachlichen  Kosten  an- 
betrifft, mit  23  2(X)  M.  dotiert.  Das  Bibliothekspersonal,  welches  an 
Besoldung  20  800  M.  in  Anspruch  nimmt,  besteht  aus  einem  Ober- 
bibliothekar als  Direktor,  3  Kustoden,  2  Assistenten,  einem  außer- 
ordentlichen Hilfsarbeiter  und  einem  Diener.  Das  neue  Universitäts- 
bibliotheksgebäude, welches  526  000  M.  gekostet  hat,  wird,  wie  schon 
an  anderer  Stelle  hervorgehoben,  im  Herbst  1904  seiner  Bestimmung 
übergeben. 

*)  Die  Institute  zu  1  — 13  bchnden  sich  mit  Ausnahme  des  kunstwissenschaftlichen 
Instituts  im  Kollegienhause;  doch  sollen  das  landwirtschaftliche  Institut  und  das  gei)- 
jjraphi^che  Institut  in  dem  1904  frei  werdenden  Hibliotheksgebaude  untergebracht  werden. 
Kben  dahin  kommt  dann  d.is  botanische  Institut,  welches  gegenwärtig  mit  dem  physio- 
loiji.schen  Institut  vereinigt  ist.  Für  den  Umbau  des  alten  ßibliotheksgebäudes  vind 
35  000  M.  ausgeworfen. 


Die  Großherzogl.  Hessische  Ludwigs-Universität  zu  Gießen.  573 

Für  die  Pflege  der  Musik  ist  ein  Universitätsmusikdirektor  ange- 
stellt. Außerdem  sind  ein  Universitätsfecht-  und  Tanzlehrer  und  ein 
Universitätsreitlehrer  vorhanden.  Eine  Turnhalle  besitzt  die  Univer- 
sität nicht. 

3.  Statistische  Übersichten*). 
Zahl    der   Lehrer. 


Semester 


S.  1903 
S.  1878 
S.  1850 


Ordentliche 
Professoren 


Ordentliche 
Honorar- 
Professoren 


46 
37 
36 


Außerordent- 
liche 
Professoren 


'       Privat- 
dozenten 


Lektoren 


12  15 

10  I  5 

15  1  9 


Zahl   der   Studierenden   der 


Semester 


gelischen 
I  Theologie 


katho-     '   Rechts- 
lischen    |    wissen- 
Theologie  i     schaft 


T 


darunter  i     i-,  .  , 

'  ...        philoso-  darunter 

Medizin   |       .  '  i  phischen  ,  Archi- 

wissen-    I  p^yjjäj  I  jgi^jyj. 


Schaft 


I 


s.  1903  ; 

W.  1902/31 
i  S.  1902  ' 
]  W.  1901/2, 
I  S.  1901  I 
W.  1900/1  j 
S.  1900  ' 
S.  1895  [ 
S.  1890  I 
S.  1885  ! 
S.  1880  I 
W.  1874/51 
S.  1870 
S.  1860  ] 
S.  1850  I 
S.  1840  I 
S.  1831 


S.  1823 


74 

62 

67 

63 

60 

61 

68 

64 

106 

105 

33 

8 

27 

56 

72 

69 

100 

88 


33 
50 
20 


198 

203 

206 

197 

206 

189 

190 

157 

% 

65 

78 

74 

65 

42 

120 

87 

139 

149 


335 

351 

333 

328 

292 

284 

264 

137 

167 

139 

79 

73 

76 

102 

97 

86 

100 

53 


169 

175 

176 

146 

134 

126 

110 

28 

40 

33 

12 

7 

13 

7 

8 

12 

6 


485 
402 
410 
409 
358 
313 
333 
210 
221 
230 
184 
185 
123 
156 
116 
112 
113 
21 


3 
21 
8 
6 
8 


Die  Zahlen  der  sonstigen  zum  Hören  der  Vorlesungen  zugelassenen  Personen  waren 
im  Sommer  1903  52,  im  Winter  1902/3  60,  im  Sommer  1902  42,  im  Winter  1901/2  49, 
im  Sommer  1901  31,  im  Winter  1900/1  69. 

Was  die  weiblichen  Besucher  der  Universität  anbetrifft,  so  unterscheidet  man 
„aufgenommene  Hospitantinnen",  die  wie  ordentliche  Hörer  behandelt  werden,  und 
„Hörerinnen",  welch  letztere  in  den  obigen  Zahlen  der  „zugelassenen  Personen"  mit 
enthalten  sind. 


*)  Gedruckte  Personalbestände  liegen  erst  seit  dem  Jahre  1823  vor.   Die  Zahlen  für 
die  weiter  zurückliegenden  Jahre  können  mit  einiger  Zuverlässigkeit  nicht  angegeben  werden. 


574 


Die  einzelnen  Universitäten. 


Zahl   der   immatrikulierten   Studierenden. 


Semester 


S.  1903 
W.  1902/3 

S.  1902 
W.  1901/2 

S.  1901 
W.  1900/1 

S.  1900 


Gesamt- 
zahl 


1092 
1018 
1016 
947 
916 
847 
855 


Darunter 
Nichtdeutsche 


53 

42 
41 
33 
24 
27 
23 


Semester 


S.  1890 

S.  1880 

S.  1870 

S.  1860 

S.  1850 

S.  1840 

S.  1830 


Gesamt- 
zahl 


590 
374 
291 
356 
438 
404 
512 


I     Darunter 
i  Nichtdeutsche 


6 

7 
14 

9 
11 

7 


Die  Zahl  der  zugelassenen  Hospitantinnen  betrug: 


Sommer  1903 
„  1902 
,.        1901 


I 


Die  Zahl  der  Hörerinnen  betrug: 

Sommer  1903 13 

1902 6 

1901 8 


Winter  1902/3 4 

„      1901/2 2 

„      1900/1 2 


Winter  1902/3 15 

„       1901/2 16 

„      1900/1 21 


Einnahmen  und  Ausgaben  der  Universität  Gießen  in  den  Jahren  1882 — 1903. 


Rfechnungs- 
1             Jahr 

Ordentliche 
Einnahmen 

Ordentliche  Ausgaben 

Persönliche         Sachliche          Zusammen 

1                           1 

Mithin 
Staatszuschuß 
i        zu  den 
'  ordentlichen 
Ausgaben 

M. 

M. 

M.          1 

M. 

1           M. 

1882/83 

156  736 

238  592 

240349 

478  941 

1       322205 

1885/86 

161356 

248310 

254  0^1      , 

502  351 

1       340  995 

1890/91 

222  224 

259482 

427  578      ! 

687  060 

464  836 

1895/96 

247  703 

314  926 

573  817 

888  743 

641  (HO 

1900/01 

316  656 

387  991      , 

737  227 

1  125  218 

808  561 

1903/04 

334  300 

443  387 

723  013 

1  166  400 

832100 

Der  Staatszuschuß  betrug  im  Jahre  1828  58 100  M.,  1864  140900  M.,  1879 
270  000  M. 

Ordentliche  und  außerordentliche  staatliche  Ausgaben  für  größere  Neu-  und  l "m- 
bauten,  ausschl.  der  Kosten  für  laufende  Unterhaltung : 


1882/8:^—1887/88    .     . 

56  533  M. 

1898/99-1900/01    .     . 

981  0%  M. 

1888/89-1890/91    .     . 

250  323    „ 

1900/01—1901/02    .     . 

490187    „ 

1891/92—1893/94    .     . 

.     1579  372    „ 

1902/03—1903/04    .     . 

.     1  880000    „ 

1894/95—1897/98    .     . 

.       725  018    „ 

Im  ganzen  also  von  1882/83  bis  1903/4:  5%2  529  M. 


M.    B  i  e  r  m  e  r. 


XIX.   Die  Großherzoglich  und  Herzoglich  Sächsische 
Gesamt-Universität  Jena. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Nach  der  Schlacht  von  Mühlberg  und  der  Kapitulation  von 
Wittenberg  stiftete  alsbald  im  Jahre  1548  der  gefangene  Kurfürst 
Johann  Friedrich  der  Großmütige  als  Ersatz  für  die  verlorene  Witten- 
berger Universität  in  Jena  ein  akademisches  Gymnasium,  das  zunächst 
nur  auf  die  pädagogischen  und  kirchlichen  Bedürfnisse  der  dem 
Fürsten  verbliebenen  Lande  berechnet  war.  Die  Eröffnung  der 
Anstalt  erfolgte  am  '19.  März  jenes  Jahres.  Erst  unter  dem  Nach- 
folger, dem  Herzog  Johann  Friedrich  dem  Mittleren,  wurde  jenes 
Gymnasium  kraft  Kaiserlichen  Privilegs  vom  15.  August  1557  zur 
vollberechtigten  Universität  erhoben  und  der  neue  Zustand  am 
2.  Februar  1558  inauguriert.  Die  Universität  ist  zurzeit  im  Besitz 
und  in  der  Verwaltung  der  vier  Erhalterstaaten,  des  Großherzogtums 
Sachsen-Weimar  und  der  drei  sächsischen  Herzogtümer. 

In  den  ersten  beiden  Jahrhunderten  war  die  Stellung  und  Bedeutung  der  Uni- 
versität durchaus  durch  die  Theologie  bestimmt.  Von  ihrer  Gründung  an  entwickelte  sie 
sich  als  der  Sitz  des  strengen  Luthertums  im  Gegensatz  zur  Melanchthonschen  Richtung. 
Im  17.  Jahrhundert  wurde  auf  ihr  die  Orthodoxie  als  System  (Gerhard)  ausgebildet, 
während  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  sie  die  Vermittlung  zwischen  Orthodoxie  imd 
Pietismus  übernahm,  um  im  18.  Jahrhundert  sich  der  historisch-kritischen  Richtung  und 
dem  Rationalismus  zuzuwenden.  Im  18.  Jahrhundert  entwickelte  sich  zugleich  die 
Philosophie  zu  hoher  Bluts.  Nachdem  erst  spät  und  mühsam  —  erst  seit  etwa  1740  — 
unter  Zurückdrängung  der  bisher  betriebenen  Aristotelischen  Studien,  die  die  moderne 
wissenschaftliche  Entwicklung  einleitende  neue  Philosophie  Eingang  gefunden  hatte, 
erreichte  die  jenaische  Philosophie  ihren  Gipfelpunkt  durch  die  rasche  Aufnahme  und 
energische  Weiterbildung  der  Ideen  Kants.  Nachdem  schon  Reinhold  lebhaft  dafür  ein- 
getreten war,  wurde  Jena  von  1794  bis  1806  durch  Fichte,  Schelling  und  Hegel  die 
Hauptstätte  der  deutschen  Spekulation. 

Als  die  namhaftesten  Lehrer  im  18.  und  19.  Jahrhundert  könnten  (unter  Ausschluß 
der  Lebenden)  genannt  werden: 


576  r^ie  einzelnen  Tniversitäteo. 

1.  In  der  theologischen  Fakultät:  J.  F.  Buddeus,  Dogmatiker  (1705— 29)*); 
J.  G.  Walch,  Kirchenhistohker  und  Herausgeber  von  Luthers  Werken  (1718 — 75); 
J.  G.  Eichhorn,  Begründer  der  literarhistorischen  Bibelkritik  (1775 — 88);  J.  J.  Gricsbadiy 
neutestamentlicher  Exeget  und  Textkritiker  (1776—1812);  H.  E.  Paulus,  neotestament- 
lieber  Exeget  (1789—1803);  U  F.  O.  Baumgarten-Crusius,  Dogmenhistoriker  (1812—43); 
K.  A.  V.  Hase,  Kirchenhistoriker  (1830—90);  L.  J.  Rückert,  neutestamentlidier  Exeget 
(1844 — 71);  K.  L.  \V.  Grimm,  neutestamentlicher  Exeget  und  Lexikograph  (1837—91); 
L.  Diestel,  alttestamentlicher  Exeget  (1867—72);  R.  A.  Upsius,  Dogmatiker  (1871— 92); 
C.  Siegfried,  alttestamentlicher  Exeget  und  I^xikograph  (1875 — 1903). 

2.  In  der  juristischen  Fakultät:  die  Pandektisten  J.  S.  Bnmnquell  (1728—35), 
J.  A.  V.  Hellfeld  (1739-82),  A.  F.  G.  Thibaut  (1802—6),  J.  Chr.  Hasse  (1811—13), 
W.  F.  G.  Francke  (1831—44),  A.  H.  E.  Danz  (1831—80),  Ed.  Fein  (1851-52), 
A.  Koppen  (1853—57);  der  Naturrechtslehrer  G.  Hufeland  (1788—1806);  die  Germanisten 
Job.  Chr.  Meyer  (1771-76)  und  Fr.  Ortloff  (1819—44),  C.  Fr.  v.  Gerber  (1844-47); 
der  Handelsrechtslehrer  Friedr.  v.  Hahn  (1847 — 79);  die  Kriminalisten  A.  v.  Feuerbach 
(1799-1802)  und  H.  Luden  (1831—80);  der  Prozessualist  CTir.  R.  D.  Martin  (1815-42) 
sowie  die  Staatsrechtslehrer  K.  E.  Schmid  (1809—10  und  1817—52),  Herrn.  Schulze 
(1848—57)  und  Georg  Meyer  (1875—89). 

3.  In  der  medizinischen  Fakultät:  F.  Chr.  v.  l^oder,  Anatom  und  Chirurg 
(1782—1803);  Emil  Huschke,  Anatom  und  Physiolog  (1820— 58);  Lorenz  Oken,  Physiolog 
und  Naturphilosoph,  Stifter  der  jährlichen  Versammlung  der  Naturforscher  und 
Ärzte  Deutschlands  (1807-16  bezw.  1828);  Carl  Gegenbaur,  Zoolog,  seit  1859 
Ordinarius  der  Anatomie  (1855-73);  v.  Ried,  Cliirurg  (1846-85,  f  1895);  die  Ph\-sio- 
logen  A.  V.  Bczold  (1859—65),  J.  Czermak  (1865—69),  \V.  Th.  Preyer  (1869—88);  die 
Gynäkologen  C.  \V.  Stark  (1837—45),  Ed.  Martin  (1846—58);  D.  G.  Kieser,  Chirurg 
und  Psychiater  (1812 — 62);  die  inneren  Kliniker  A.  Sichert  (1845 — 55),  Leubuscher,  auch 
Patholog  und  Psychiater  (1856-60),  Chle  (1860—62),  C.  Gerhard  (1862—72),  M.  RoO- 
bach  (1882-91). 

4.  In  der  i)hilosophischen  Fakultät:  die  Philosophen  K.  L.  Reinhold  (1787 — 98), 
J.  (;.  Ficht:-  (1794—99),  Fr.  \V.  J.  Schdliiig  (1800-03),  G.  Fr.  \V.  Hegel  (1805—7), 
J.  Fr.  Fries  (1816—43),  K.  Fr.  Apcli  (1840-59);  der  Pädagog  K.  W  Stoy  (1843—66 
und  1874 — 85);  die  Allphilologen  Chr.  (_i.  Schütz,  (jnizist,  auch  Latinist,  Begriindtr  der  all- 
gemeinen Literaturzeitung  (1779 — 1804),  J.  (i.  Walch**)  (1718—75»  und  dessen  .Sohn 
J.  K.  J.  Walch  (1750—78),  beide  zugleich  auch  Theologen;  II.  K.  A.  Eichstädt,  Stilist 
un<l  eintluÜreicher  Leiter  der  allgemeinen  Literaturzeitung  (1797-1848);  F.  G.  Haml, 
Grammatiker  und  Kritiker  (1817—51);  K.  W.  Goitling,  besonder>  vielseitiger  und  zugleich 
erfolgreicher  Philolog  (1821—69);  K.  L.  Nipperdey,  Latini>t  (1852—75»;  M.  Schmidt, 
(irä7.isi  (1857—87);  G.  C.  Bursian,  Kpigraphiker,  (ieograph  und  .Xrchäologe  (1879  —  84»; 
A.  von  (iut'chmid,  alter  Historiker  (1876—77);  Kud.  Scholl,  I^tinist  und  Gräzist  (1874 
bis  1876);  K.  k«>hde,  (.iräzi^t,  Kultur-  und  Literarhistoriker  (1876—78).  .\ls  Germanist 
wirkte  der  Literarhistoriker  H.  Hettner  (1851  —  55),  aU  Orientalist  H.  G.  L.  Kosegarten 
(1817—24)  und  (;.  M.  Kbers  (1865-70),  als  orientalischer  Numismatiker  J.  (;.  Stickel 
(1822—96).  Die  indogermanische  Sj)rachvergleichung  vertrat  in  her\orragender  Weise 
Aug.  Schleicher  (1857— ()8).  Als  Historiker  sind  zu  nennen  Frie<ir.  v.  Schiller  «1789 
bis  1799),  II.  luden  (1806—47),  J.  G.  Droysen  (1851—59)  und  W.  Ad.  Sc^hmidt  «1860 
l)i<  1887 1.  Für  andere  ( ii  biete  seien  irwähnt:  Fr.  G.  Schulze,  Xationalökonom  und 
l.andwirt^hafl-I.hrcr,  tler  Begriinder  des  laiidwirtschatdichen  Instituts  (1820 — 3*  umi 
18.S9- 60»;   Hruno   Hildebran<l,  NatitjnalOkonom  und  Statistiker,  Begründer  der  Jahrbücher 

*>  Dil'  eingeklammerten  /ahlen  bezeichnen  die  Zeit  der  Wirk.samkeit  an  der 
Jenaer  l  niversiiät. 

"*!   Bereits  oben  als    Theologe  genannt. 


Die  (iroßherzogl.  und  Herzogl.  Sächsische  Gesamt-Universität  Jena,  577 

für  Nationalökonomie  und  Statistik  (^1861 — 78);  S.  K.  Snell,  Mathematiker  und  Physiker 
11844—86);  Schlömilch,  Mathematiker  (1844—49);  Sohncke,  Physiker  (1883—86);  die 
Chemiker  J.  \V.  Döbereiner  (1810—49)  und  A.  (ieuther  (1863—1889);  die  Pharmazeuten 
Tl.  Wackenroder  (1828—54)  und  E.  Reichardi  (1856—91);  der  Mineralog  J.  G.  I^nz 
(1794—1832);  die  Botaniker  A.  Batsch  (1787—1802),  Ph.  J.  Schieiden  (1846—63), 
N.  Pringsheim  (1864 — 68);    der  Zoologe  (3scar  Schmidt  (1847—55). 

Auf  dem  Gebiet  der  Theologie  ist  die  Jenaische  Schule  dadurch 
charakterisiert,  daß  in  ihr  die  historisch-kritische  Richtung  bis  jetzt 
unausgesetzt  herrschend  geblieben  ist  und  durch  besonders  hervor- 
ragende Vertreter,  wie  v.  Hase  und  Lipsius,  lange  Zeit  einen  be- 
deutenden Einfluß  ausgeübt  hat.  Eine  außerordentliche  Regsamkeit 
hat  das  ganze  19.  Jahrhundert  hindurch  bis  zur  Gegenwart  das 
philosophische  Studium  unter  dem  Einfluß  hervorragender  Lehrer 
behauptet.  Einzig  in  seiner  Art  ist  die  hohe  Blüte  des  pädagogischen 
Studiums,  das,  gestützt  auf  ein  Seminar  mit  Cbungsschule,  vorbildliche 
Bedeutung  für  sich  in  Anspruch  nehmen  darf  und  nicht  nur  aus 
Deutschland,  sondern  auch  aus  dem  Auslande  zahlreiche  Hörer 
anzieht.  Auch  an  der  philosophischen  Forschung  des  1 9.  Jahrhunderts 
hat  Jena  erheblichen  und  rühmlichen  Anteil  genommen.  Der  Schwer- 
punkt liegt  jedoch  zurzeit  in. der  Pflege  der  medizinisch-naturwissen- 
schaftlichen Wissenszweige. 

Neuerdings  erfreut  sich  das  Gebiet  der  mathematisch-physi- 
kalischen und  der  chemischen  Wissenszweige  einer  besonderen  Pflege, 
namentlich  infolge  der  intensiven  und  verständnisvoUen  Förderung, 
welche  ihnen  die  Carl  Zeiß-Stiftung  zuteil  werden  läßt.  Insbesondere 
auch  hat  diese  es  unternommen,  Lehrstühle  und  Institute  für  die 
angewandte  Wissenschaft  zu  schaffen,  wie  solche  an  anderen  Uni- 
versitäten Deutschlands  mit  Ausnahme  Göttingens  zurzeit  nicht  be- 
stehen. 

Aus  der  mechanischen  Werkstatt  der  Universität  entwickelte 
sich,  seitdem  Prof.  E.  Abbe  hier  die  Theorie  des  Mikroskops  ge- 
funden hatte,  alsbald  die  weltberühmte  optische  W^erkstätte,  die  größte 
unter  allen  gleichartigen  Unternehmungen.  Von  ihr  ging  eine  Reform 
der  angewandten  Optik  aus,  indem  diese  auf  wissenschaftliche  Grund- 
lagen gestellt  und  hierdurch  zu  der  gegenwärtigen  Leistungsfähigkeit 
emporgehoben  wurde,  welche  zahlreiche  und  wichtige  Entdeckungen 
auf  medizinischem  und  naturwissenschaftlichem  Gebiete  ermöglichte. 
Dieses  Unternehmen  wurde  die  Grundlage  der  Carl  Zeiß-Stiftung, 
welche  von  so  großer  Bedeutung  für  die  fernere  Blüte  der  Universität 
geworden  ist. 

Hervorzuheben    ist   auch    die    bestehende  Verbindung    der  Uni- 

Das  Unterrichttwesen  im  Deutschen  Reich.    I.  37 


578  ^>®  einzelnen  Universitäten. 

versität  mit  dem  landwirtschaftlichen  Institut,  da  nur  wenige  Universi- 
täten Deutschlands  ähnliche  Einrichtungen  für  das  landwirtschaftliche 
Studium  besitzen,  an  den  meisten  sogar  die  Landwirtschaftslehre  über- 
haupt nicht  vertreten  ist. 

Während  ursprünglich  die  akademischen  Dozenten  in  der  Regel 
in  ihnen  eigentümlich  gehörenden  oder  gemieteten  Privaträumen  ihre 
Vorlesungen  hielten,  wurden  im  Jahre  1861  sämtliche  Vorlesungen,  die 
keines  besonderen  Apparates  bedürfen,  in  das  durch  Erwerb  und 
Umbau  eines  größeren  Privathauses  beschaffte  sogenannte  „Neue 
Kollegiengebäude"  verlegt.  In  einigen  Jahren  werden  die  Dozenten 
in  einen  1904  zu  beginnenden  Neubau  übersiedeln,  zu  dessen  Kosten 
außer  den  vier  an  der  Universität  beteiligten  Staaten  die  Carl  Zeiß- 
Stiftung,  die  Stadt  Jena  und  ein  vermögender  Privatmann  bedeutende 
Summen  beisteuern. 

Sehr  langsam  und  allmählich  entwickelte  sich  im  Laufe  des 
1 9.  Jahrhunderts  neben  den  Vorlesungen  die  Einrichtung  der  Seminarien, 
welche  zur  Abhaltung  wissenschaftlicher  und  praktischer  Übungen 
dienten.  So  entstanden  zu  Beginn  des  Jahrhunderts  die  Seminarien 
der  theologischen  Fakultät  und  das  philologische  Seminar,  um  Mitte 
des  Jahrhunderts  das  staatswissenschaftliche  und  das  pädagogische 
Seminar,  letztere  beiden  als  erste  Einrichtungen  dieser  Art  in  Deutsch- 
land. Erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  kam  die  Seminareinrichtung  zu 
allgemeinerer  Durchführung,  soweit  sie  überhaupt  anwendbar  war. 
Die  modernen  Institute  beginnen  sich  mit  wenigen  Ausnahmen  (Stern- 
warte, Mineralog.  Institut,  Botanischer  Garten),  erst  seit  Mitte  des 
19.  Jahrhunderts  zu  entwickeln,  teilweise  im  Anschluß  an  schon  vor- 
handene Sammlungen.  Erst  in  der  allerjüngsten  Zeit  erreichte  diese 
Entwicklung  ihre  volle  Höhe,  nachdrücklichst  und  umfassend  gefordert 
besonders  durch  die  reichen  Mittel,  welche  verschiedene  Privat- 
stiftungen, vor  allem  wiederum  die  Carl  Zeiß-Stiftung,  der  Universität 
zur  Verfügung  stellten.  Die  öffentlichen  Kliniken  gingen  aus  privaten 
Veranstaltungen  der  medizinischen  Professoren  zu  Ende  des  18.  und 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  hervor  und  fanden  eine  immer  voll- 
kommenere Ausgestaltung  im  Anschluß  an  die  Landeskrankenhäuser, 
die  zurzeit  einem  planmäßigen  und  allmählichen  Umbau  unterliegen. 
Die  Bibliothek  ist  dem  wachsenden  Raumbedürfnis  entsprechend 
erweitert  und  mit  moderner  Einrichtung  versehen  worden.  Manche 
Sammlungen,  welche  die  Universität  besitzt,  sind  von  hervorragendem 
Werte,  so  das  orientalische  Münzkabinett,  welches  eines  der  be- 
deutendsten ist,  die  existieren,  die  mineralogischen  und  geologischen, 


Die  Großherzogl.  und  Herzogl.  Sächsische  Gesamt-Universität  Jena.  579 

die  anthropotomischen  und  zootomischen,  sowie  die  zoologischen 
Sammlungen.  Auch  das  archäologische  und  das  germanische  Museum 
zeichnen  sich  durch  ihren  Reichtum  an  wertvollen  Gegenständen  aus. 

2.    Gegenwärtiger  Zustand  (Sommer  1903.)*) 

Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig 
5  ordentliche**),  2  außerordentliche  Professoren  und  1  Privatdozenten. 
Seit  1817  bestehen  zwei  ineinandergreifende  Anstalten:  Das  homile- 
tische und  das  katechetische  Seminar.  In  demselben  Jahre  wurde 
auch  das  theologische  Seminar  gestiftet.  Dasselbe  steht  unter  der 
ganzen  theologischen  Fakultät,  während  die  Fachabteilungen  der 
speziellen  Leitung  der  einzelnen  Fachprofessoren  unterstellt  sind.  Die 
Dotation  des  homiletischen  und  des  katechetischen  Seminars  beträgt 
1217  M.,  die  des  theologischen  Seminars  800  M.  Die  zur  Verfügung 
stehenden  Gelder  werden  teils  zu  Bücherbeschaffungen,  teils  zu  Prämien 
und  Stipendien  verw^endet. 

Die  juristische  Fakultät  weist  zurzeit  6  ordentliche***),  2 
ordentliche  Honorar-  und  2  außerordentliche  Professoren  auf,  sowie 
1  Privatdozenten.  Ein  juristisches  Seminar  wurde  1873  gegründet. 
Es  zerfällt  in  mehrere  nach  den  Lehrfächern  geschiedene  Abteilungen. 
Es  ist  dotiert  mit  der  Summe  von  600  M.,  welche  ausschließlich  zu 
Bücherankäufen  verwendet  werden. 

Die  medizinische  Fakultät  umfaßt  gegenwärtig  10  ordent- 
lichef),  2  ordentliche  Honorar-  und  7  außerordentliche  Professoren, 
sowie  9  Privatdozenten. 

Da^s  erste  anatomische  Theater  wurde  im  Jahre  1629  von  dem 
Professor  der  Anatomie  Dr.  Werner  Rolfink  errichtet;  1750  folgte 
ein  Neubau,  welcher  1784  erweitert  wurde.  Seit  1858  befindet  sich 
die  anatomische  Anstalt  in  dem  vormaligen  Bibliotheksgebäude  der 
Universität  (einem  Teil  des  ehemaligen  Pauliner-Klosters),  welches 
1890  durch  einen  Erweiterungsbau  vergrößert  wurde.  Im  Gebäude 
der  Anatomie  befindet  sich  zugleich  ein  anthropotomisches  und  zoo- 
tomisches  Museum.     Jährliche  Einnahmen:  12  250  M. 

*)  In  den  nachstehenden  Angaben  über  die  Dotationen  sind  nirgends  die  Besol- 
dungen der  Direktoren  inbegriffen,  ausgenommen  der  Etat  der  Kliniken. 

•♦)  Seyerlen,   Nippold,    Hilgenfeld,   Wendt,    Baentsch.      Mit    1.  Oktober  1903  tritt 
hinzu  der  bisherige  außerordenüiche  Professor  der  Fakultät  Thümmel. 
***)  Leist,  Thon,  Lx>ening,  Danz,  Rosenthal,  Schnitze, 
t)  Schnitze  (emeritiert),  Müller,  Gärtner,  Riedel,  Biedermann,  Binswanger,  Stintzing, 
Wagenmanny  Maurer,  Krönig. 

7n* 


580  l^'c  einzelnen  Universitäten. 

Ein  selbständiges  physiologisches  Institut  wurde  erst  im 
Jahre  1 859  in  einem  Anbau  des  Anatomiegebäudes  eingerichtet.  Seit 
1885  besitzt  dasselbe  für  physiologische  Chemie  eine  Unterabteilung 
mit  selbständigem  Vertreter.  1890  erhielt  das  Institut  ein  eigenes 
neues  Gebäude  unmittelbar  neben  der  Anatomie.  Dotation:  6350 
Mark. 

Die  Gründung  der  pathologisch-anatomischen  Anstalt  fallt 
in  das  Jahr  1864.  Zurzeit  befindet  es  sich  in  einem  dafür  im  Jahre 
1878  neu  eingerichteten,  1899  durch  einen  Anbau  erweiterten  Gebäude, 
welches  zugleich  das  pathologisch-anatomische  Museum  beherbergt. 
Dotation:  45(X)  M. 

Nachdem  im  Jahre  1885  in  den  Großherzoglichen  Landesheil- 
anstalten ein  hygienisches  Laboratorium  eingerichtet  worden  war,  ist 
seit  dem  Jahre  1887  das  zu  einem  hygienischen  Institut  erweiterte 
Laboratorium  in  einem  alten,  aber  geräumigen  Privathause  unter- 
gebracht gewesen.  Im  Oktober  1903  siedelte  das  Institut  in  ein  von 
der  Carl  Zeiß-Stiftung  eigens  für  seine  Zwecke  gebautes  prächtiges, 
mit  allen  Hilfsmitteln  eingerichtetes  Haus  über.  Mit  dem  Institut  ist 
eine  städtische  Untersuchungsstelle  für  Infektionskrankheiten,  welche 
den  Ärzten  unentgeltlich  zur  Verfügung  steht,  verbunden.  Bisherige 
Dotation:  5450  M. 

Die  öffentlichen  Kliniken  befinden  sich  in  den  Landesheil- 
iind  Pflegeanstalten,  welche  das  Großherzogtum  Sachsen -Weimar  allein 
unterhält.  Es  sind  dies  das  Medizinisch-chirurgisch-klinische 
Institut  nebst  Landkrankenhaus,  die  Frauenklinik  mit  Entbindungs- 
anstalt und  Hebammenschule  und  die  psychiatrische  Klinik  der  Landes- 
Irren-Heilanstalt. 

Das  klinische  Institut  (ambulatorische  Klinik)  ward  im  Jahre  1781 
durch  den  Geh.  Hofrat  und  Professor  der  Medizin  Stark  d,  ä.  ge- 
stiftet, im  Jahre  1788  zu  einem  öffentlichen  Institut  erhoben  und  im 
Jahre  I80()  mit  dem  von  Loder-Hufelandschen  Klinikum  vereinigt. 
Der  Bau  des  Landkrankenhauses  erfolgte  im  Jahre  1822.  Dasselbe 
wurde  durch  einen  Anbau  1852  und  eines  Absonderungshauses  fiir 
ansteckende  Krankheiten  1865,  durch  Errichtung  einer  Baracke  zu 
12  und  16  Betten  und  Hinzufiigung  umfangreicher  Gärten  1872  ver- 
größert. 

Infolge  der  vorgenommenen  Neuorganisation  ist  das  durch  An- 
bauten bedeutend  vergrößerte  frühere  Isolierhaus  samt  zwei  Baracken 
dem  Direktorium  der  medizinischen  Abteilung  (Klinik  und  Poli- 
klinik) ausschließlich  überwiesen,  die  1890  durch  den  Bau  eines  neuen 


Die  Groflhenogl.  und  Herzogl.  Sächsische  Gcsamt-Universität  Jena.  581 

Absonderungshauses  für  ansteckende  Krankheiten  und  1896  durch 
den  Anbau  einer  eigenen  Badeanstalt  und  eines  großen  Hörsaales 
abermals  erweitert  wurde.  Gegenwärtig  ist  man  daran,  die  eine 
Baracke  durch  einen  zweistöckigen  Pavillonbau  zu  ersetzen  und  die 
Badeanstalt  zu  vergrößern.  Ein  Parallelbau  an  Stelle  der  zweiten 
Baracke  ist  in  Aussicht  genommen. 

Der  chirurgischen  Abteilung  verblieb  das  früher  von  ihr 
und  der  medizinischen  Abteilung  gemeinsam  benützte  Gebäude  und 
steht  ihr  außerdem  das  die  Badeanstalt  enthaltende  Haus  zur  Ver- 
fügung. 

Die  medizinische  Poliklinik  erhielt  1900  ein  neues  eigenes 
Gebäude. 

Im  Jahre  1881  wurde  die  Augenklinik  und  -Poliklinik  von  der 
chirurgischen  Abteilung  als  nunmehr  selbständige  Abteilung  abge- 
zweigt, für  die  im  Jahre  1898  ein  Neubau  fertiggestellt  wurde. 

Für  die  Ohrenklinik  und  -Poliklinik,  welche  nach  ihrer  Er- 
richtung im  Jahre  1884  in  der  chirurgischen  Klinik,  seit  1886  in  ge- 
mieteten Räumen  außerhalb  der  Anstalten  sich  befand,  wurde  1899 
das  frühere  Männer-Irrenhaus  ausgebaut. 

Die  seit  1779  bestehende  Hebammenschule  besitzt  ein  im  Jahre 
18,'W  erbautes,  im  Jahre  1867  wesentlich  vergrößertes  Entbindungs- 
haus, dessen  Räumlichkeiten  vor  einigen  Jahren  um  mehrere  im 
früheren  Weiber-Irrenhause  befindliche  Zimmer  vermehrt  wurden.  Die 
Entbindungsanstalt  dient  zugleich  als  Frauenklinik.  1843  wurde 
die  damit  verbundene  geburtshilfliche  Poliklinik  errichtet.  Ein  Neu- 
bau steht  für  die  Frauenklinik  in  unmittelbarer  Aussicht. 

Eine  zahnärztliche  Klinik  und  Poliklinik  besteht,  aber  lediglich 
als  Privatinstitut  des  betreffenden  Dozenten. 

Anfang  des  Jahres  1899  ist  ein  neues  Verwaltungsgebäude  für 
sämtliche  vorgenannte  Anstalten  in  Gebrauch  genommen,  mit  ihm 
eine  Kochanstalt.  1903  wurde  eine  neugebaute  Dampfwaschanstalt 
dem  Betriebe  übergeben.  Bereits  1889  wurde  ein  Desinfektionsapparat 
aufgestellt. 

Der  Etat  der  Landesheilanstalten  und  Kliniken  nebst  Hebammen- 
schule bilanziert  mit  322  \'M  M.  in  Einnahme  und  Ausgabe.  Von 
den  Einnahmen  sind  56390  M.  Staatszuschuß,  10  170,80  M.  aus  der 
Universitätskasse,  2673,20  M.  aus  der  Gräfin  Bose-Stiftung. 

Die  Landes-Irren-Hcilanstalt  und  psychiatrische  Klinik 
wurde  1804  gegründet.  1879  wurde  das  unmittelbar  vor  der  Stadt 
gd^ene  neue  Irren-Heilanstaltsgebäude  bezogen.     Gegenwärtig  wird 


582  ^i^  einzelnen  Universitäten. 

ein  Neubau  zur  Aufnahme  von  nerven-  (nicht  geistes-)  kranken  Patienten 
im  Anschluß  an  die  psychiatrische  Klinik  ausgeführt.  Die  Anstalt, 
deren  Etat  sich  in  Einnahme  und  Ausgabe  auf  210408  bezw. 
207628  M.  beziffert,  bezieht  zurzeit  einen  Staatszuschuß,  und  nur 
600  M.  aus  der  Universitätskasse  (Bose-Stiftung)  zu  Zwecken  des 
klinischen  Unterrichts,  erhält  sich  somit  selbst. 

Das  pharmakologische  Institut,  gegründet  *im  Jahre  1901, 
und  anfangs  im  chemischen  Institut  untergebracht,  befindet  sich  seit 
1.  Oktober  1903  im  ehemaligen  hygienischen  Institutsgebäude. 
Dotation   2000  M. 

Die  philosophische  Fakultät  zählt  19  Ordinarien*),  6  ordent- 
liche Honorarprofessoren,  27  außerordentliche  Professoren  und  9  Privat- 
dozenten sowie  1  Lektor.  Außerdem  ist  1  Lehrer  der  Tierheilkunde 
vorhanden,  welcher  dem  Verbände  der  Universität  nicht  angehört. 

1.  Der  philosophischen  Fachgruppe  (Philosophie  und  Päda- 
gogik) gehören  an  2  Ordinarien,  1  ordentiicher  Honorarprofessor, 
3  Privatdozenten. 

Das  pädagogische  Seminar»  verbunden  mit  einer  Cbungs- 
schule,  wurde  von  Schulrat  Dr.  Stoy  im  Jahre  1843  begründet.  Die 
Anleitung  der  Seminarmitglieder  zu  praktischen  Übungen  erfolgte 
anfänglich  in  einer  Klasse  der  städtischen  Freischule,  späterhin  in 
einem  von  dem  Gründer  selbst  erbauten  Schulhause,  der  Johann 
Friedrich-Schule,  in  welcher  mehrere  Klassen  der  städtischen  Bürger- 
schule untergebracht  wurden.  Nach  Stoys  Ableben  1885  wurde  die 
Verbindung  des  Seminars  mit  der  Johann  Friedrich-Schule  aufgehoben 
und  eine  besondere  dreiklassige  Schule  eingerichtet,  in  welcher  die 
Seminarmitglieder  praktische  Unterweisung  im  Unterrichten  erhalten. 
Für  diese  Schule  ist  1898  ein  eigenes  Gebäude  errichtet  worden. 
Die  Leitung  besitzt  der  Inhaber  der  pädagogischen  Professur,  ordent- 
licher Honorarprofessor  Dr.  Rein.     Dotation  5625  M. 

2.  Altertumswissenschaft  (griechische  und  lateinische  Philo- 
logie, Archäologie,  alte  Geschichte):  3  Ordinarien,  1  (nicht  mehr 
lesender)  ordentlicher  Honorarprofessor  und  1  außerordentlicher 
Professor. 


*)  Hacckel  (Zoologie),  Delbrück  (Sanskrit  und  vergjleichende  Sprachwissenschaft i, 
Eucken  (Philosophie;,  Geizer  (alle  Geschichte),  Thomae  (Mathematik),  Liebmann  «Philo- 
sophiej,  Goetz  (klassische  Philologie),  Stahl  (Botanik),  Pierslorflf  ( Xatioiialökonomie  un«! 
Statistik),  Lorenz  (Geschichte),  Winkelmann  (Ph\sik),  Hirzel  (klassische  Philologie),  Knorr 
(Chemie),  Linck  (Mineralogie  und  Geologie),  Cloetta  (romanische  Sprachen),  Michel» 
(Germanistik),  Völlers  (orientalische  Sprachen),  Gutzmer  (Mathematik),  Edler  (l^indwirt- 
schaftslehre). 


Die  GroOherzogl.  und  Herzogl.  Sächsische  Gcsamt-Universität  Jena.  583 

Das  philologische  Seminar  wurde  gestiftet  und  zu  einer 
öffentlichen  Anstalt  erhoben  im  Jahre  1817.  Seit  1880  ist  mit  dem 
Seminar  ein  Proseminar  verbunden.  Dotation  des  Seminars  und  Pro- 
seminars 1105  M.,  die  lediglich  zu  Bücheranschaffungen  verwendet 
werden. 

Seminar  für  alte  Geschichte,  gegründet  1879.  Dotation 
75  M.  für  Bücher. 

Archäologisches  Museum,  gegründet  1845  durch  Geheimen 
Hofrat  Prof.  Dr.  Göttling.  Die  Sammlung  wurde  ununterbrochen  ver- 
größert mittels  der  Erträge  populär-wissenschaftlicher  Vorträge  Jenenser 
Professoren,  durch  Geschenke  der  Fürstlichkeiten  sowie  durch  außer- 
ordentliche Geldbewilligungen.  Dotation  (ohne  die  schwankenden 
Vorlesungseinnahmen)  1000  M. 

Verbunden  mit  dem  archäologischen  Museum  ist  seit  1871  das 
akademische  Münzkabinett,  dessen  Hauptstock  die  aus  griechischen 
und  römischen  sowie  einer  Anzahl  sächsischer  Münzen  bestehende 
Sammlung  des  1674  verstorbenen  Professors  der  Geschichte  zu  Jena 
J.  A.  Böse  bildet.  Durch  Ankäufe  wie  Geschenke  wurde  die  Samm- 
lung verschiedentlich  vergrößert.  Eine  regelmäßige  Dotation  ist  ihr 
jedoch  nicht  gewährt. 

Ein  germanisches  Museum  von  dem  verstorbenen  außer- 
ordentlichen Professor  Klopfleisch  1861  gegründet,  befindet  sich  im 
Schlosse.     Dotation  405  M. 

3.  Neuere  Philologie  und  Literaturgeschichte. 
Germanisch:  1   Ordinarius,  2  Extraordinarien. 

Das  deutsche  Seminar,  gegründet  1876,  zerfallt  seit  1886  in 
zwei  Abteilungen,  eine  sprachliche  und  eine  literaturgeschichtliche. 
Dotation  für  Bücher  300  M. 

Romanisch-englisch:  1  Ordinarius,  1  Extraordinarius,  1  Lektor. 

Das  neusprachliche  Seminar,  gegründet  1885,  besitzt  zwei 
Abteilungen,  eine  englische  und  eine  romanische.  Dotation  250  M. 
für  jede  Abteilung. 

4.  Vergleichende  Sprachwissenschaft  und  orientalische 
Philologie: 

a)  Sanskrit  und  vergleichende  Sprachwissenschaft:  1  Ordi- 
narius und  2  Extraordinarien. 

b)  Orientalische    Philologie:     1    Ordinarius,     1    ordentlicher 
Honorarprofessor,   1   Privatdozent. 

Orientalisches  Seminar:  ohne  Dotation. 


584  I^ic  einzelnen  Universitäten. 

Orientalisches  Münzkabinett,  gegründet  1842.  Die  Samm- 
lung wurde  fortwährend  durch  Ankäufe  der  Großherzoglichen  Familien- 
glieder und  sonstige  Schenkungen  vermehrt  und  umfaßt  zurzeit  1 3  WX) 
Münzen.    Dotation  250  M. 

5.  Mittlere  und  neuere  Geschichte  und  historische  Hilfs- 
wissenschaften: 1   Ordinarius,  4  Extraordinarien,  1  Privatdozent. 

Historisches  Seminar,  gegründet  1879.  Dotation  200  M.  für 
Bücher. 

().  Kunstgeschichte:  1  Extraordinarius. 

7.  Staatswissenschaften,  Statistik,  Geographie. 

a)  Staatswissenschaften    und    Statistik:    1    Ordinarius    und 
I   Extraordinarius. 

Staatswissenschaftliches  Seminar,  gegründet  1H4*J. 
Dotation   KHK)  M.,  nur  für  Bücher. 

b)  Geographie:  1  Extraordinarius. 

Das  ethnographische  Museum,  das  im  Jahre  \&ilb  von 
dem  verstorbenen  Großherzog  Carl  Alexander  durch  Über- 
lassung einer  ihm  von  den  Brüdern  Schlagintweit  verehrten 
Sammlung  begründet  und  seitdem  durch  weitere  Schenkungen 
stark  vermehrt  wurde,  befindet  sich  im  Seitengebäude  des 
Großherzoglichen  Schlosses.     Dotation  185  M. 

8.  Mathematik,       Astronomie,      mathematische     Physik. 
a;  Mathematik:  2  Ordinarien,   1   ordentlicher  Honorarprofessor. 

Das  mathematische  Institut  bezw.  Seminar,  gegründet 
1879,  besitzt  eine  wertvolle  Sammlung  mathematischer  Modelle, 
ein  mathematisches  Lesezimmer  und  einen  Zeichensaal.  Dotation 
bisher  200  M.,  vom  1.  Januar  1<X)4  ab  f)(K)  M.  Außerdem 
wurde  in  den  letzten  Jahren  ein  einmaliger  Zuschuß  der  Carl 
Zeiß-Stiftung  von  f)000  M.  verbraucht, 
bj  Astronomie:   1   Extraordinarius. 

Die  1812  errichtete  Sternwarte  wurde  1888  abgebrochen 
und  durch  einen  mit  Privatmitteln  von  Professor  Abbe  errich- 
teten, 1889  in  IkMiutzung  genommenen  Neubau  ersetzt.  Die 
unterirdischen  Anlagen,  welche  für  die  Aufstellung  eines  Zenith- 
fernrohrs  mit  Nebenapparaten  bestimmt  sind,  wurden  im 
Jahre  i^XK)  begonnen,  werden  aber  erst  im  Jahre  1<X)4  in  Betrieb 
gestellt  werden  können.  Ein  1903  begonnener  Anbau,  einen 
Hörsaal  mit  Arbeitszimmer  und  Nebenräumen  umfassend,  wird 
ebenfalls  1904  in  Benutzung  genommen  werden.  Die  Kosten 
der  unterirdischen  Anlagen   wie  des  Anbaus  werden  sämtlich 


Die  ( rroÜherzogl.  und  Herzogl.  Sächsische  Gesamt-Universität  Jena.  585 

von  der  Carl  Zeiß-Stiftung  gedeckt.  Die  Sternwarte  dient  zu- 
gleich als  meteorologisches  Institut.  Die  Dotation  aus  der  Uni- 
versitätskasse beträgt  1671  M.  jährlich.  Soweit  der  erforderliche 
Aufwand  diese  Summe  übersteigt,  wird  er  von  der  Carl  Zeiß- 
Stiftung  bestritten. 
9.  Physik,  technische  Mechanik  und  physikalische 
Chemie. 

a)  Physik:  1   Ordinarius,  2  Extraordinarien. 

Für  das  physikalische  Institut,  hervorgegangen  aus  dem 
früher  entstandenen,  einfachen  und  mangelhaft  untergebrachten 
physikalischen  Kabinett,  wurde,  nachdem  die  Professur  für  Physik 
von  der  mathematischen  Professur  abgetrennt  worden  war,  ein 
stattlicher  Neubau  errichtet,  der  1 884  fertiggestellt  wurde.  1894 
wurde  das  Institutsgebäude  aus  Mitteln  der  Carl  Zeiß-Stiftung 
durch  einen  Anbau  erweitert.  Der  Bau  der  elektrischen 
Straßenbahn,  welcher  bis  auf  50  Meter  an  das  Institut  heran- 
kam, machte  eine  Verlegung  desselben  erforderlich.  Das 
ebenfalls  aus  Mitteln  der  Carl  Zeiß-Stiftung  neuerbaute  Institut, 
das  mit  allen  Mitteln  der  Neuzeit  ausgerüstet  ist,  wurde  im 
September  19()2  bezogen.     Dotation  6600  M. 

b)  Technische  Physik:   I  txtraordinarius. 

Das  Institut  für  technische  Physik  wurde  im  Jahre 
1W1  zusammen  mit  einem  Extraordinariate  für  dieses  Fach 
begründet.  Die  Einrichtung  des  Instituts  in  einem  eigens  für 
dasselbe  errichteten  Gebäude  ist  soeben,  1903,  erfolgt.  Die 
Baukosten  trug  die  Carl  Zeiß-Stiftung,  welche  auch  die  Mittel 
für  die  Unterhaltung  der  Professur  gewährt.  Die  Einrichtungs- 
kosten wurden  aus  Privatmitteln  von  Dr.  Schott,  dem  Besitzer 
des  Jenaer  Glaswerks,  gestiftet.     Dotation  30(X)  M. 

Ein  Institut  für  Mikroskopie  wurde  1903  in  einem  für 
seine  Zwecke  eigens  hergestellten  Anbau  an  das  ehemalige 
physikalische  Institut  auf  Kosten  der  Carl  Zeiß-Stiftung  errichtet. 
Die  Unterhaltungskosten  bestreitet  die  Stiftung  ebenfalls.  Ein 
fester  Etat  besteht  zurzeit  noch  nicht. 
10.  Chemie  und  Agrikulturchemie. 
a)  Chemie:   1   Ordinarius,  2  Extraordinarien,  1   Privatdozent. 

Das  chemische  Laboratorium  wurde  im  Jahre  185f)  in 
einem  von  der  verewigten  Großherzogin  Sophie  hierfür  an- 
gekauften Privathause  errichtet  und  1858  der  Universität 
übereignet.     Seit  1890  befindet  sich  die  Anstalt  in  einem  für 


586  I^i®  einrclnen  Universitäten. 

ihre    Zwecke    errichteten    Neubau,    der   im   Jahre    1899   aus 
Mitteln    der    Carl    Zeiß-Stiftung    erweitert    wurde.     Dotation 

31  700  M. 

b)  Pharmazie  und  Nahrungsmittelchemie:  1  Extraordinarius 
und  1  Privatdozent. 

Seit  1902  besteht  ein  selbständiges  Institut  für  Pharmazie 
und  Nahrungsmittelchemie  im  Oberstock  des  freigewor- 
denen ehemaligen  physikalischen  Institutsgebäudes.  Dotation 
6000  M. 

c)  Technische  Chemie:  1  Extraordinarius. 

Das  Institut  für  technische  Chemie  wurde  im  Frühjahr 
1902  errichtet  und  ihm  der  Unterstock  des  freigewordenen 
ehemaligen  physikalischen  Institutsgebäudes  überwiesen.  Die 
Einrichtungskosten  wurden  von  Dr.  Schott  gestiftet.  Dotation 
4500  M.  aus  Mitteln  der  Carl  Zeiß-Stiftung,  welche  auch  die 
Kosten  der  Professur  trägt. 

d)  Agrikulturchemie:   1   Extraordinarius,  1  Privatdozent. 

Das  1860  gegründete  agrikulturchemische  Labora- 
torium befand  sich  bis  zum  Herbst  1901  in  den  Parterre- 
räumen des  landwirtschaftlichen  Instituts.  Alsdann  bezog  es 
einen  eigens  für  seine  Zwecke  errichteten  Neubau,  in  welchem 
auch  das  landwirtschaftliche  Laboratorium  untergebracht  ist, 
das  seit  1887  besteht.     Dotation  6550  M. 

11.  Mineralogie  und  Geologie:  1  Ordinarius  und  I  Extra- 
ordinarius, letzterer  speziell  zur  Vertretung  der  Geologie  und  Palä- 
ontologie. 

Das  mineralogische  und  geologische  Institut  verdankt 
seine  Entstehung  der  Gesellschaft  für  die  gesamte  Mineralogie,  welche, 
im  Jahre  17%  von  Goethe  und  Lenz  gestiftet,  s.  Z.  die  berühmteste 
naturwissenschaftliche  Gesellschaft  der  Erde  war.  Die  Sammlungen 
sowie  das  mit  ihnen  verbundene  Laboratorium  befinden  sich  zurzeit 
noch  in  dem  alten  großherzoglichen  Schlosse.  Mit  dem  1.  August 
1W4  wird  das  Institut  in  ein  neues  Gebäude  übersiedeln,  das  gegen- 
wärtig aus  Mitteln  der  Carl  Zeiß-Stiftung  errichtet  wird.  In  diesem 
Gebäude  werden  ausgedehnte  Einrichtungen  für  Kristallzucht  getroffen, 
die  bis  jetzt  einzig  in  ihrer  Art  sind.     Dotation  3590  M. 

12.  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie  (^Biologie-: 
1    Ordinarius,   1   Extraordinarius  und  1   Privatdozent. 

Das  zoologische  Institut  entwickelte  sich  aus  einer  zoologischen 
Sammlung,    welche  anfangs  in    einigen  Zimmern  des    mineralogischen 


Die  Großherzogl.  und  Herzog!.  Sächsische  Gesamt-Universität  Jena.         587 

Instituts,  im  alten  Schlosse,  von  1869 — 1883  aber  im  Oberstock  des 
botanischen  Instituts  aufgestellt  war.  Im  Jahre  1865  wurde  im  An- 
schluß an  die  Sammlungen  ein  Laboratorium  eingerichtet,  nachdem 
man  1 862^einc  besondere  Professur  für  Zoologie  geschaffen  hatte.  Erst 
1884  erhielt  das  Institut  ein  eigenes  neuerrichtetes  Gebäude.  Dotation 
4900  M.  Außerdem  werden  aus  der  von  Ritter-Stiftung  nach  Bedarf 
wechselnde  Zuschüsse  geleistet.  Im  Jahre  1903  betrugen  diese  6000  M. 

13.  Botanik  und  Pflanzenphysiologie:  1  Ordinarius  und 
1   Extraordinarius. 

Der  botanische  Garten  wurde  schon  1641  eingerichtet.  16(>3 
ging  er  als  solcher  wieder  ein,  um  erst  1794  seiner  Bestimmung 
zurückgegeben  zu  werden,  wobei  er  ein  Gewächshaus  erhielt.  Der 
Garten,  der  1841  wie  1875  eine  bedeutende  Vergrößerung  erfuhr, 
hat  jetzt  mehrere  Gewächshäuser,  von  denen  eines  1899  als  Warm- 
haus erbaut  wurde. 

Das  botanische  Institut  wurde  1864  in  einem  Neubau  be- 
gründet, der  neben  dem  botanischen  Garten  errichtet  wurde.  Dotation 
des  botanischen  Instituts  und  Gartens  12  369  M. 

In  dem  Gebäude  des  botanischen  Instituts  befindet  sich  zugleich 
die  1873  begründete  pharmakologische  Sammlung,  verbunden  mit 
Drogensammlung  und  Herbarium.     Dotation  60  M. 

14.  Landwirtschaft  sichre:  1  Ordinarius,  1  Extraordinarius, 
1   Lehrer  der  Tierheilkunde. 

Das  landwirtschaftliche  Institut  hat  sich  aus  einer  höheren 
landwirtschaftlichen  Privatlehranstalt  entwickelt,  welche  der  vormalige 
ordentliche  Professor  der  Nationalökonomie,  Geh.  Hofrat  Dr.  Friedrich 
Gottlob  Schulze,  1826  errichtete  und  mit  einer  Unterbrechung  von 
18.'H  bis  1839,  während  welcher  Zeit  er  Direktor  der  Königl.  Preuß. 
landwirtschaftlichen  Akademie  zu  Eldena  war,  bis  zu  seinem  1860 
erfolgten  Tode  fortführte,  worauf  sie  in  eine  weimarische  Landesanstalt 
verwandelt  wurde.  Die  Schulzesche  Anstalt,  welche  als  erste  land- 
wirtschaftliche Akademie  in  Deutschland  gegründet  wurde,  stand 
von  Anfang  an  in  engster  Verbindung  mit  der  Universität.  Das 
Institut  besitzt  eine  Apparaten-  und  Gerätesammlung  sowie  eine 
umfangreiche  Bibliothek,  welche  im  Institutsgebäude  selbst  unter- 
gebracht sind,  außerdem  einen  landwirtschaftlich-botanischen  Garten 
in  der  Stadt  und  Versuchsfelder  in  dem  eine  Stunde  von  Jena  ent- 
fernten Orte  Zwaetzen.     Dotation  9905  M. 

Das  dem  landwirtschaftlichen  Institut  angegliederte  Tierarznei- 
institut    mit    Klinik    und    Poliklinik,     das    über    einen    besonderen 


588  I^*e  einzelnen  Universitäten. 

Gebäudekomplex     verfügt,    dient    ebenfalls    zugleich     landwirtschaft- 
lichen Unterrichtszwecken.     Dotation  2918  M. 

Universitätsbibliothek. 

Der  Stock  dieser  Bibliothek  ist  im  Jahre  1548  von  Wittenberg 
nach  Jena  gebracht  und  1558  der  Universität  überlassen  worden. 
Seit  jener  Zeit  hat  dieselbe  nicht  allein  im  einzelnen,  sondern  auch 
durch  ganze  Sammlungen  sehr  bedeutenden  Zuwachs  erhalten.  Ein 
neuer  Abschnitt  in  der  Geschichte  dieser  allgemeinen  Universitäts- 
anstalt beginnt  mit  dem  Jahre  1817,  in  welchem  von  dem  Großherzog 
Carl  August  die  Jenaische  Schloßbibliothek  dazugeschlagen  und  die 
besondere  Pflege  derselben  von  dem  Staatsminister  von  Goethe  über- 
nommen wurde,  der  für  zweckmäßige  Ordnung  und  Aufstellung  zu 
sorgen  begann.  Seitdem  vergrößerte  sie  sich  weiter,  außer  durch 
Anschaffungen,  durch  zahlreiche  Gesamtankäufe,  Geschenke  und  Ver- 
mächtnisse. Bis  1 858  war  die  Bibliothek  im  alten  Universitätsgebäude 
untergebracht.  In  diesem  Jahre  siedelte  sie  in  ein  für  sie  neu  errich- 
tetes, größeres  Gebäude,  das  in  den  Jahren  1894/95  durch  einen 
Anbau  bedeutend  erweitert  wurde.  Außer  den  etwa  ^KK)  Bänden 
Handschriften  und  etwa  100  000  Dissertationen  enthält  sie  über 
200  (XX)  Bände,  die  in  etwa  832  Registrandenbänden  verzeichnet  sind. 

Das  wissenschaftliche  Personal  besteht  aus  I  Direktor,  I  Biblio- 
thekar,  I   Hilfsbibliothekar,  2  Hilfsarbeitern,    I    Hilfsarbeiterin. 

Die  Dotation  von  seiten  der  beteiligten  vier  Staaten  beträi,^t 
22  400  M.  Weitere  Zuschüsse,  die  aber  nicht  feststehen,  werden 
gelegentlich  von  der  Carl  Zeiß-Stiftung  geleistet. 

Es  ist  ferner  ein  Musikdirektor  und  ein  Fechtmeister  angestellt. 
Eine  Universitätsturnhalle  besteht  noch  nicht,  doch  sind  Turnhallen, 
die  von  den  Studierenden  benutzt  werden  können,  in  genügender 
Anzahl  vorhanden. 

'A,    Statistische   L'bersichten. 


Onlentliihr 
Semester            .,     . 

J  rotessoreii 

( )nlentliche 

llonurur- 
Professoren 

Außer- 
onlemlichc 
Profes.-soren 

,,  .                      1  .ekloren 
Pnvat- 

UlHl 

do/enien                 .  ,,  , 

S])t;/.Kulthrer 

S.S.  1902                 40 

10 

38 

20                       2 

S.-S.  1878                 29 

7 

18 

19                        1 

S.  S.   1850                 20 

10 

20 

11                        1 

W.-S.  1832/31)              23 

8 

18 

1 

19                     — 

Ij  Kür  die  vor  \\  .-S. 
nauer  nicht  mnitteln. 

ia32/33  iiegeiule 

Zeil  liilU    sich 

die  Zahl  der    I)t)/cni<':i  ge- 

Die  Oroflherzogl.  und  Herzogl.  Sächsische  Gesamt-Universität  Jena.         589 


Semester 


Gesamtzahl 


Zahl  der  immatrikulierten  Studierenden 
Darunter 


Ausländer^) 


s.-s. 

1903 

842 

w.-s. 

1902/3 

709 

s.-s. 

1902 

768 

w.-s. 

1901/2  1 

707 

s.-s. 

1901 

780 

w.-s. 

1900/1 

690 

s.-s. 

1900 

768 

s.-s. 

1890 

658 

80 
68 
73 
56 
60 
53 
71 
59 


Semester 


Gesamtzahl 


I' 


S.-S. 
S.-S. 
S.-S. 
S.-S. 
S.-S. 
S.-S. 
S.-S. 


1880 
1870 
1860 
1850 
1840 
1830 
1827 


!  W.-S.  1826/7 


^)  D.  h.  aus  außerdeutschen  Staaten. 
')  Für  die  frühere  Zeit  nicht  mehr  feststellbar. 
3)  Für   die    Zeit   vor  W.-S.    1826/7    läßt    sich    die 
haupt  nicht  ermitteln. 


Darunter 
Ausländer 


523  28 

377  3) 

479  — 

385  — 

485  — 

609  — 

617  — 

5853;  _ 


Zahl    der    Studierenden    über- 


zahl der  Studierenden  der 

evangelischen ,       Rechts-        medizinischen     philosoph.     ^ 
'    Theologie       Wissenschaft         Fakultät       i      Fakultät 


Semester 


S.-S.  1903 

50 

193 

136 

463 

W.-S.  1902/3 

37 

160 

133 

379 

S.-S.  1900 

44 

217 

190 

317 

S.-S.  1895  ; 

68 

1    185 

195 

290 

S.-S.  1890 

115 

104 

230 

209 

S..S.  1880 

91 

107 

99 

226 

S.-S.  1870 

90 

77 

79 

131 

S.-S.  1860 

117 

94 

72 

189 

S.-S.  1850 

97 

101 

72 

115 

Zahl  der  sonstigen  zum  Hören  der  Vorlesungen  Zugelassenen: 

S.-S.  1903 68         S.-S.  1895 49         S.S.  1870 25 

W.-S.  1902/3  ...  65         S.S.  1890 31  S.S.  1860 18 

S.-S.  1900 69         S.S.  1880 23         S.S.  1850 10 


Zahl  der  zugelassenen  weiblichen  Studierenden: 


S.S.  1903 23         W.-S.  1902/3  ...  18         S.S.  1902 11 


590  ^ic  einzelnen  Universitäten. 

Gesamtsumme  der  Einnahmen  der  Universität: 


1   Aus  eigenem 

1  Aus  eigenem 

Staats- 
Zuschuß 

1 

Etatsjahr 

Vermögen 
u.  Stiftungen 

Erwerb 
(Kliniken  usw.) 

M. 

M. 

M. 

M. 

1903 

201  120,86 

T 

'    359904,49 

414603,01 

1    975628,36 

1890 

113871,16 

221  575,10 

338853,94 

674300,20 

1878 

.      64365,77 

90  505,27 

2840993 

438970,43 

1865 

56  262,46 

100465,34 

169469,02 

i    326196,82 

1850 

45147,46 

41898,97 

109895,44 

!    196941,87 

Gesamtsumme  der  ordentlichen  Ausgaben: 


Etatsjahr 


1903 
1890 
1878 
1865 

1850 


Besoldungen  u. 

'  Remimerationen 

der  Professoren 

I       M.       ; 


Für  Institute 

und 
Sanmilimgen 

M. 


I  Für  Konvikte,  Verwaltungs- 
]  Unterstützungen  {  und  sonstige 
I  und  Stipendien  Kosten 

M.  M. 


391858,25 
284617,55 
201923,06 
140397,13 
107  881,89 


I 


472650,81 
306523,02 
161  222,10 
123150,71 
46663,52 


32  259,63 
31  890,14 
30238,99 
23534,36 
19138,32 


78  859,67 
51  269,49 
45586,26 
39114,62 
23258,14 


Außerordentliche  Ausgaben  in  den  letzten  25  Jahren:  2129695  M. 


J.    Pierstorff. 


XX.  Die  Oroflherzoglich  Mecklenburg-Schwerinsche 
Universität  Rostock. 


1.    Geschichtliche   Übersicht. 

Die  ersten  Schritte  zur  Gründung  der  Universität  Rostock  gehen 
bis  ins  Jahr  1418  zurück;  am  8.  September  dieses  Jahres  verwenden 
sich  die  Herzöge  Johann  IV.  und  Albrecht  V.  von  Mecklenburg  in 
Gemeinschaft  mit  dem  Bischof  Heinrich  EI.  von  Schwerin  bei  Papst 
Martin  V.  wegen  der  Errichtung  einer  Universität  in  der  Stadt  Rostock, 
zu  deren  Ausstattung  und  Erhaltung  der  Rostocker  Rat  die  nötigen 
Mittel,  bestehend  in  der  Überweisung  zweier  Kollegiengebäude  und 
einer  jährlichen  Rente  von  800  Gulden,  zu  gewähren  sich  verpflichtet 
hatte.  Die  päpstliche  Stiftungsurkunde  ist  ausgefertigt  am  1 3.  Februar  1419, 
die  feierliche  Eröffnung  fand  statt  am  12.  November  desselben  Jahres. 
Rostock  ist  somit  dem  Alter  nach  die  dritte  unter  den  noch  blühenden 
Hochschulen  des  Deutschen  Reiches  und  kann  am  12.  November  1919 
auf  ein  halbes  Jahrtausend  ihrer  Wirksamkeit  zurückblicken.  Sowohl 
nach  der  überwiegenden  Zahl  der  hierher  übersiedelnden  Lehrer,  wie 
nach  der  Fassung  der  um  1432  endgültig  festgestellten  Statuten  ist 
sie  als  eine  Tochter  der  altberühmten  Erfurter  Universität  anzusehen. 

Als  die  erste  Universität  Norddeutschlands  und  zugleich  als  die  erste  des  ganzen 
nordeuropäischen  Kontinents  war  sie  bis  zu  der  rasch  nacheinander  erfolgenden  Gründung 
der  Universitäten  Upsala  (1477)  und  Kopenhagen  (1479)  —  die  Tochteruniversität 
Greifiswald,  begründet  1456,  kam  bis  dahin  als  Wettbewerberin  wohl  nur  für  das  Herzogtum 
Pommern  ernstlich  in  Betracht  —  die  bevorzugteste  Bildungsstätte  der  an  Nord-  und 
Ostsee  gelegenen  Landschaften  und  Reiche  von  den  Niederlanden  an  bis  zum  Baltischen 
Ordensstaat;  schon  die  628  Immatrikulierten  der  ersten  zwei  Jahre  umfassen  das  ganze 
Gebiet  von  Sluis  und  Stavoren  bis  ösel,  Reval  imd  Viborg.  Am  Ende  ihres  ersten 
Jahrhunderts,  1519,  betrug  die  Zahl  der  Immatrikulationen  15938,  obwohl  es  auch  an 
Widerwärtigkeiten  aller  Art  nicht  gefehlt  hat.  Eine  theologische  Fakultät  erhielt  die 
Universität  erst  1432,  als  die  Stadt  infolge  bürgerlicher  Streitigkeiten  schon  in  der  Reichsacht 
sich  befimd,  der  dann  bald  die  Oberacht  und  der  Kirchenbann  folgten;  im  März  1437 
mußte  die  Universität  auf  Befehl   des  Baseler  Konzils  die  gebannte  Stadt    verlasset^   ^5sA 


5^.>2  I*>^  einzelnen  ruiversitäten. 

siedelte  nach  (ireifswald  über,  wo  sie  etwas  über  zwei  Jahre  verblieb,  aber  erst  1443 
konnte  sie,  und  zwar  nur  nach  schweren  Opfern,  ihre  Tätigkeit  in  Rostock  ofriziell  wieder 
aufnehmen.  Noch  ein  zweites  Mal,  in  den  Jahren  1487  und  1468,  sah  sich  die  Universität 
infolge  einer  Fehde  zwischen  den  I^ndesherren  und  der  Stadt  Rostock  genötigt,  die  Stadt 
zu  räumen  und  in  Lübeck  Schutz  zu  suchen. 

l'm  diese  Zeit,  zuerst  im  Jahre  1480,  beginnen  die  Humanisten  die  Universität 
Rostock  in  ihre  Kreise  zu  ziehen;  Riedner  und  C'eltes  scheinen  nur  vorübergehend  hier, 
bezüglich,  während  des  Exils,  in  Lübeck  geweilt  zu  haben.  Desto  bekannter  sind  dafür 
Hermann  von  dem  Busche,  der  einmal,  1493,  als  Studierender,  dann  wieder  um  1503/04 
als  Lehrender  sich  hier  aufhielt,  und  Ulrich  von  Hütten,  zu  denen  noch  die  in  Rostock 
domizilierten  Kgbert  Harlem,  Nikolaus  Marschalk,  Conrad  Pegel  u.  a.,  hinzutreten. 
Diesen  gegenüber  machte  sich  eine  eigenartige  und,  soweit  bekannt,  einzig  dastehende 
Ciegenströmung  gegen  die  humanistische  Richtung  bemerkbar,  die  her>'orgehoben  zu  werden 
verdient:  die  Einführung  der  deutschen,  und  zwar  niederdeutschen  Muttersprache  in  den 
Universitäts-  und  höheren  Schulunterricht,  wie  sie  Miigister  Heverling  an  der  Universität 
und  Magister  Dorgelo  an  der  Marienschule  übten. 

Schwere  Zeiten  kamen  über  die  Universität  infolge  der  Reformation;  1517  fanden 
noch  200  Immatrikulationen  statt,  1527  nur  10.  Die  N'erkündigung  der  evangelischen  l^ehre 
ergriff  mächtig  die  (iemüter  und  von  Rostock  gingen  als  Reformatoren  weit  ins  l^nd 
Silvester  Tcgctmeier  nach  Riga,  N'alentin  Körte  nach  Lübeck,  Herbord  von  Holle  nach 
Lüneburg,  Hans  Taußen  nach  Dänemark,  Johannes  Vischbeke  ins  Harlingerland,  Stephan 
Kempe  nach  Hamburg,  Friedrich  Hübenthal  nach  (iöttingen;  Nikolaus  Decias,  der  Dichter 
des  Liedes  „Allein  Ciott  in  der  Höh'  sei  Ehr",  studierte  von  1516  an  in  Rostock,  und 
Joachim  Slüter  entflammte  die  Herzeh  seiner  andächtigen  Zuhörer  —  aber  die  Universität 
und  (las  Domkapitel  hielten  fest  an  Rom  und  alle  Reformationsversuche  von  seiten  der 
I^ndesherren  und  des  städtischen  Rates  hatten  nicht  eher  Erfolg,  als  bis  die  letzten 
Anhänger  der  alten  Richtung  verstorben  oder  von  den  Jahren  gebeugt  zurückgetreten 
waren.  Nun  erst  war  die  Bahn  ganz  frei,  aber  leider  konnten  sich  die  I^mdesherren  und 
das  von  den  übrigen  Hansestädten  gestül/lt*  Stadtreginient  nicht  friedlich  einigen  und 
erst  1563  wurden  vlie  Rechte  und  Prtichleii  heider  Teile  durch  die  sogenannte  Forinula 
Concordiae  festgesei/l.  Die  I^indesherren  und  <lor  Kostocker  Rat  stellen  jeder  nt-un 
Professoren,  die  zusammen  dits  Konzil  bilden.  Die  l  niversilätsämter  werden  vom  städtischen 
und  vom  landesherrlichen  Kollegium  abwecliselnd  gefülirt,  Mxlaß  im  Winter- Halbjahr  der 
Rektor  und  die  Dekane  vom  rätlichen  Kollegium  gestellt  werden,  im  Sommer-Halbjahr  vom 
herzoglichen,  und  dies  im  ganzen  gut  funktionierende  Arrangement  blieb  bis  /um  Jahn- 
1760  in  Kraft.  Mehr  und  mehr  erblühte  die  nun  auf  feste  Rechtsgnmdlagen  gestellt' 
l  niversiläl;  lVr>önlichkeiten  wie  Arnold  lUirenius,  Johannes  Hrunkhorst  au»  Nimwegei., 
Adan»  Thraciger,  Johannes  Drakonites,  Laurenlius  KirchliofV,  David  ChMraeu>,  Luka^ 
H.icnieister,  Simon  Pauli,  Johannes  ('a^elius,  Eilhard  Luhinus,  Joachim  Jungiu^j  sind  nur 
ein«-  Auslese  unter  der  Schar  hervorragender  (ielehrten,  welche  der  Universität  etwa  von 
1545  an  bi>  1625  ihren  (ilan/  verliehen;  nicht  unerwähnt  mag  bleiben,  daÜ  <lie  Rosiockn 
Universität  als  erste  in  Deutschland  schon  1568  einen  botanischen  ( larlen  erhielt,  dali 
lycho  Hrahe  mehrere  Jahre  hier  studierte  und  daß  gerade  in  dieser  Perioile  auch  Schotlfii 
in  erheblicher  Zahl  die   l  nivtrsiiiit  aU   Lehrende  und  als   lycniende  frequentierten. 

Nach  der  Schlacht  bei  Luller  am  Harenberge,  25.  Aj^ril  1626,  wälzten  ^u  h  die 
geschlagenen  Dänen  durch  d;Ls  bisher  neutral  gebliebene  Mecklenburg,  ihnen  nach  dio 
Sieger,  nn<l  am  19.  Jaiuiar  1628  wurde  Wallensttin  zum  Herrn  des  I^nde>  eingoelzt. 
()|jw<»hl  <ler  l''rie<llunder  d(T  Universität  seinen  besonderen  Schulz  und  seine  be>ondero 
Fürsorge  angedeihen  ließ  —  so  wollte  er  seinen  Hofästronomen,  den  berühmten  Kepplei. 
als  Professor  in  Rostock  einsetzen,  was  jtMloch  der  Umschwung  der  Dinge  und  KeppU-r^ 
Tod  vereitelten  -  ging  tloch  infolge  der  Kriegsereignisse  die  Frequenz  sehr  erheblirh 
zurück,    bis    nach  Wallensteins  Fall    un<l    nach  der  Wiederkehr  der  vertriebenen  l-i'ul.» 


Die  GrofiheROgL  Mecklenburg-Schwerinsche  Universität  Rostock.  593 

herren  eine  bisher  noch  nicht  dagewesene  Steigerung  der  Immatrikulationen,  bis  über  4<X) 
im  Jahre  1633 — 34,  eintrat,  die  allerdings  vielmehr  eine  Folge  der  schweren  Kriegszeiten 
war,  welche  die  Landbewohner  scharenweise  in  die  Städte  und  besonders  in  das  wohl- 
bewahrte Rostock  mit  seiner  noch  besondere  Begünstigungen  besitzenden  Universität  trieben, 
als  Wissensdurst.  Als  die  Zeit  der  schwersten  Not  vorüber  war,  ging  auch  die  Frequenz 
wieder  auf  ein  gleichmäßigeres  Niveau  zurück,  dessen  tie£ster  Stand  zusammenfallt  mit 
der  Regienmgszeit  des  fast  dauernd  in  Frankreich,  später  im  Haag  sich  aufhaltenden 
Herzogs  Christian  Louis,  1658 — 92.  Sein  zeitweilig  in  Rostock  selbst  residierender 
Nachfolger  Herzog  Friedrich  Wilhelm  (1692 — 1713)  dagegen  erwies  sich  als  ein  warmer 
Freund  und  tatkräftiger  Beförderer  der  Universität,  doch  verhinderten  die  Kriegsläufe  und 
sein  vorzeitiges  Hinscheiden,  im  noch  nicht  vollendeten  38. 1/cbensjahr,  die  Durchführung 
seiner  Reformpläne,  und  sein  Bruder  und  Nachfolger  Karl  Leopold  hatte  infolge  der 
unaufhörlichen  Kämpfe  mit  seinen  Landständen,  die  schließlich  zur  Reichsexekution  und 
zur  Einsetzung  seines  Bruders  Christian  IL  Ludwig  als  Administrator  führten,  wenig 
Gelegenheit,  sich  nachhaltig  der  Universität  anzunehmen,  obgleich  er  sein  oberbischöfliches 
Amt  und  das  des  Kanzlers  der  Universität  bis  an  sein  I^bensende  fortführte. 

Unter  seiner  Regierung  begann  der  Pietismus  Spenerscher  Richtung  im  Lande  Fuß 
zu  fassen,  zunächst,  so  lange  Karl  Leopold  noch  am  Leben  war  und  so  lange  der 
Kompatron  der  Universität,  der  Rat  der  Stadt  Rostock,  auf  Seiten  der  auf  die  Orthodoxie 
eingeschworenen  theologischen  Fakultät  und  der  mit  ihr  engverbundenen  Stadtgeistlichkeit 
stand,  ohne  viel  Erfolg.  Karl  Leopold  starb  am  28.  November  1747;  mit  dem  Regierungs- 
antritt Christian  11.  Ludwigs  ging  ein  frischerer  Hauch  durch  die  Hörsäle,  vielleicht  noch 
nicht  stark  genug,  um  allen  Modergeruch  mit  einem  Male  hinweg  zu  fegen,  aber  doch  hin- 
reichend, um  frischen  Mut  und  neues  Leben  erstehen  zu  lassen.  Da  starb  am  30.  Mai  1756 
der  Herzog,  und  ihm  folgte  Herzog  Friedrich  „der  Fromme",  der  von  Ostern  1748  an  die 
Würde  eines  Rector  magniflcentissimus  der  Universität  bekleidet  hatte,  ohne  indessen  selbst 
irgendwie  in  die  Führung  der  Ämter  und  Geschäfte  einzugreifen.  Er  war  ein  aus- 
gesprochener Anhänger  der  Hallenser  und  berief  einen  entschiedenen  Vertreter  dieser 
Richtung,  den  Prediger  an  der  St.  Moritzkirchc  in  Halle,  M.  Chr.  Alb.  Döderlein,  als 
herzoglichen  Professor  der  Theologie  nach  Rostock,  ohne  auf  den  in  den  Satzungen  der 
theologischen  Fakultät  von  1564  als  obersten  Grundsatz  aufgestellten  Consensus  Doctrinae 
Rücksicht  zu  nehmen.  Damit  stieß  er  jedoch  auf  so  hartnäckigen  Widerstand,  daß  er, 
außenlem  noch  mit  der  Stadt  in  einen  Prozeß  vor  dem  Reichskaramergericht  wegen  der 
von  der  Stadt  beanspruchten  Hoheitsrechte  verwickelt,  das  ganze  herzogliche  Professoren- 
Kollegium  zu  Michaelis  1760  von  Rostock  wegnahm  und  gestützt  auf  ein  schon  zwei 
Jahre  vorher  erwirktes  kaiserliches  Patent  eine  neue  Universität  in  dem  nur  4  Meilen 
von  Rostock  entfernten  Bülzow  stiftete,  deren  erster  „Direktor**  Döderlein  i^'urde.  Trotz 
aller  Mühen  und  Aufwendungen,  trotz  mancher  her\'orragenden  I^hrkräfte  wollte  doch  die 
neue  Hochschule  nicht  in  Flor  kommen,  und  die  alte  führte  mit  einer  Handvoll  Professoren 
und  Studenten  erst  recht  ein  Schattendasein. 

Am  24.  April  1785  wurde  auch  Herzog  P'riedrich  zu  seinen  Vorgängern  versammelt. 
Nachfolger  wurde  sein  Neffe  Friedrich  Franz  I.,  der  es  sich  ganz  besonders  angelegen 
sein  ließ,  die  seit  einem  Menschenalter  Stadt  und  I.and  zerrüttenden  Streitigkeiten  zu 
friedlichem  Abschluß  zu  bringen,  und  hei  beiderseitigem  guten  Willen  kam  endlich  am 
13.  Mai  1788  der  „Gnmdgesetzliche  neue  Erb- Vertrag"  mit  der  Stadt  Rostock  zu  stände. 
Auf  Grund  dieses  Vertrages  wurde  die  Universität  Bützow  mit  allem  Zubehör,  der 
Bibliothek,  den  Sammlungen  und  sonstigen  Verleihungen  nach  Rostock  verlegt  mit  der 
Zusicherung,  daß  sie  die  einzige  im  Lande  sein,  für  ewige  Zeiten  in  Rostock  bleiben  und 
keine  Neugründung,  sondern  die  am  13.  Februar  1419  gestiftete,  am  18.  August  1560 
vom  Kaiser  bestätigte,  auf  den  christlichen  Symbolen  und  der  Augsburgischen  Konfession 
beruhende  alte  Rostockische  Akademie  bleiben  solle.  Patrone  der  Universität  sind  der 
Landesherr  und  der  Rat  der  Stadt  Rostock;    ihnen  liegt  die  Verpflichtung  ob,  die  Lehr- 

Das  Unterricht« Wesen  im  Deutschen  Reich.     I.  ^ 


594  rjie  einzelnen  Universitäten. 

Stühle  zu  besetzen  und  für  die  P2rhaltung  der  Universität  Sorge  zu  tragen,  doch  hdrt  die 
bisherige  Spaltung  in  ein  fürstliches  und  ein  rätliches  Kollegium  auf  und  die  Amtszeit 
des  Rektors  wird  auf  ein  volles  Jahr  festgesetzt.  Das  Kompatronat  der  Stadt  blieb  bei 
Bestand  bis  zum  8.  September  1827,  von  welchem  Tage  ab  der  Landesherr  alleiniger 
Patron  der  Universität  ist. 

Am  27.  April  1789  wurde  die  Universität  Bützow  geschlossen;  am  20.  Mai  trat 
der  aus  Helmstedt  berufene  Ober-Kirchen-  und  Konsistorial-Kat  D.  J.  C.  Velthusen  sein 
Amt  als  erster  Rektor  der  wieder  vereinigten  Hochschule  an;  der  Lehrkörper  bestand 
am  Ende  des  ersten  Rektorats  aus  20  Professoren,  10  Privatdozenten  und  2  T^ktoren; 
auch  Reit-,  Fecht-  und  Tanz-I^hrer  fehlten  nicht.  Die  Zahl  der  neuimmatrikulierten 
Studenten  betrug  72,  zusammen  mit  den  in  Rostock  schon  vorhandenen  und  den  %'on 
Bützow  her  übernommenen  dürfte   sie  ungcßihr  auf  140  zu  schätzen  sein. 

Von  den  im  18.  und  19.  Jahrhundert  hier  tätigen  Gelehrten  ms^ 
gedacht  werden  der  Theologen  Joh.  Fecht,  H.  Ch.  Engelcken, 
A.  J.  V.  Krakewitz,  J.  N.  Quistorp,  F.  A.  Aepinus,  J.  Hartmann, 
J.  H.  Pries,  C.  F.  A.  Fritzsche,  G.  F.  Wiggers,  O.  Krabbe,  F.  Delitzsch. 
M.  Baumgarten,  F.  A.  Philippi;  der  Juristen  Joh.  Klein,  J.  J.  Schoepfter, 
E.  J.  F.  Mantzel,  J.  P.  Schmidt,  H.  Becker,  J.  L.  Stein,  W.  V.  Wiese, 
A.  F.  Trendelenburg,  J.  Ch.  Quistorp,  A.  F.  Reinhard  (diese  3  aus 
Bützow),  A.  F.  H.  Posse,  J.  M.  Martini,  A.  D.  Weber.  C.  F.  Mühlen- 
bruch, G.  Beseler,  H.  Thöl,  Otto  Mejer,  Th.  Muther,  H.  Böhlau;  der 
Mediziner  J.  E.  Schaper,  G.  Detharding,  G.  Ch.  Detharding,  G.  Ch. 
Handtwig,  A.  Schaarschmidt,  P.  Spangenberg  (beide  zuerst  in  Bützow), 
S.  G.  Vogel,  W.  Josephi,  A.  F.  Nolde,  G.  H.  Masius,  W^ildberg, 
C.  Strcmpel,  F.  H.  Stannius,  Bergmann,  Veit,  Ackermann,  Henke, 
König,  Ponfick;  der  der  philosophischen  Fakultät  angehörigen 
J.  H.  Sibrand,  J.  C.  Wolff,  B.  H.  Rönnberg,  J.  Ch.  Eschenbach, 
W.  J.  G.  Karsten  (auch  in  Bützow),  H.  V.  l^ecker,  H.  J.  Lasius, 
Eübald  Toze,  Nik.  Tctens  (beide  in  Bützow),  O.  G.  Tychsen  (vorher 
in  Bützow),  J.  Chr.  D.  Schreber,  Fr.  Chr.  L.  Karsten,  G.  Ph.  H. 
Normann,  Heinr.  Friedr.  Linck,  J.  S.  Beck,  J.  G.  Huschke,  L.  Bach- 
mann, F.  V.  Fritzsche,  H.  G.  Floerkc,  Imm.  Huschke,  V.  A.  Huber, 
J.  Röper,  K.  Hegel,  G.  Voigt,  K.  Bartsch. 

12.  Gegenwärtiger  Zustand  der  Universität. 

I.  Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig 
5  ordentliche  Professoren*)  und  einen  F2xtraordinarius.  Sie  verfüi^ 
über  einen  jährlichen  Dispositionsfonds  von  'X^O  M. 

Das  seit  \\^4\  bestehende  homiletisch  -  katechetische  Se- 
minar, welches  wiederum  als  die  unmittelbare  Fortsetzung  des  schon 

*)  L.  Schul/e,  Nösgcn,  Hasha^en,  Wahher,  \'<»lck. 


Die  Groflheizogl.  Mecklenburg-Schwerinsche  Universität  Rostock.  595 

1789  errichteten  pädagogisch-theologischen  Seminars  zu  be- 
trachten ist,  ist  mit  einer  Dotation  von  800  M.  p.  a.  ausgestattet. 

II.  Die  juristische  Fakultät  besteht  zur  Zeit  aus  6  Ordinarien*) 
und  1  Extraordinarius.  Sie  verfügt  über  einen  Dispositionsfonds  von 
200  M.  und  über  200  M.  für  die  Bedürfnisse  des  im  Jahre  1887  ein- 
gerichteten Seminars. 

in.  Der  medizinischen  Fakultät  gehören  an  12  ordentliche 
Professoren**),  3  Extraordinarien  und  6  Privatdozenten.  Die  Fakultät 
verfügt  über  einen  Dispositionsfonds  von  180  M.  und  über  4455  M. 
für  die  der  Fakultät  überwiesenen  Institutsgebäude. 

Das  anatomische  Institut,  1878  in  das  neuerrichtete  Instituts- 
gebäude verlegt,  hat  einen  Etat  von  7720  M.;  das  in  demselben  Ge- 
bäude befindliche  physiologische  Institut  (5203  M.);  das  patho- 
logische Institut  ebenda,  1889 — 91  umgebaut  und  vergrößert 
(9069  M.);  das  Institut  für  Pharmakologie  und  physiologische 
Chemie,  ebenda  (5008  M.):  das  hygienische  Institut,  1881  ein- 
gerichtet, seit  1887  in  der  dazu  umgebauten  früheren  Frauenklinik 
(4570  M.);  das  Großherzogliche  Universitäts-Krankenhaus,  1852 
bis  1855  als  städtisches  Krankenhaus  erbaut  und  eingerichtet,  im  Laufe 
der  Zeit  mehrfach  um-  und  durchgebaut  und  bedeutend  vergrößert, 
seit  1901  an  die  Universität  übergegangen,  umfaßt  die  medizinische 
Klinik,  die  Poliklinik  und  die  chirurgische  Klinik.  Die  Ausgaben  des 
letzten  Jahres  betragen  269  000  M.,  die  Einnahmen  205  000  M.,  sodaß 
ein  Zuschuß  erfordert  wird  in  der  Höhe  von  64  000  M.  Die  Poliklinik 
für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  erforderte  400  M.  Für  die 
Frauenklinik  und  Hebammenschule  ist  1885 — 87  ein  neues  Ge- 
bäude errichtet,  der  Jahresumsatz  beträgt  rund  55000  M.  und  wird 
zur  Hälfte  von  den  Einnahmen  von  Kranken  usw.,  zur  Hälfte  durch 
Landeszuschüsse  gedeckt.  Die  damit  verbundene  Poliklinik  erhält 
einen  jährlichen  Zuschuß  von  555  M.  Der  Etat  der  Augenklinik, 
welche  1892  ein  neues  Gebäude  .erhielt,  betrug  einschließlich  der 
Poliklinik  im  letzten  Jahre  46  850  M.  an  Ausgaben,  denen  nur  36  500  M. 
an  Einnahmen  gegenüberstehen,  sodaß  ein  Zuschuß  von  10  350  M. 
erforderlich  ist.  Ähnlich  steht  es  auch  bei  der  1899  in  ein  eigenes 
neuerrichtetes  Gebäude  übergesiedelten  Klinik  für  Ohren-,  Nasen- 
und  Kehlkopfkrankheiten,  deren  Einnahmen  im  letzten  Jahre 
24  3.'«)  M.  betrugen,  die  Ausgaben  aber   30  880  M.;    erforderter   Zu- 


*)  Bemhöft,  Matthiass,  Sachsse,  K.  Lehmann,  Wachenfeld,  Hübner. 
**)  Th.  Thierfelder  (emer.),  Schatz,  A.  Thierfelder,  Nasse,  LangendoHf,  Schuchardt, 
Barfurth,  Kobert,  Martins,  Pfeiffer,  Kömer,  W.  Müller,  Peters. 


596  I^^ic  einzelnen  l'niversitäten. 

schuß  also  6550  M.  Die  18%  eröffnete,  in  naher  Verbindung  mil 
der  Universität  stehende  Landes-Irrenanstalt  Gehlsheim  bei 
Rostock  bedurfte  im  Rechnungsjahr  1902/03  bei  einer  Einnahme  von 
1 75  429  M.  und  einer  Ausgabe  von  224  420  M.  eines  Zuschusses  von 
48  690  M.  Die  psychiatrische  Klinik  (in  Gehlsheim)  erforderte 
1814  M.;  die  Poliklinik  für  Nerven-  und  Gemütskranke  (im 
Universitätsgebäude)  1450  M. 

IV.  Die  philosophische  Fakultät  zählt  13  ordentliche  Pro- 
fessoren*), 8  Extraordinarien,  6  Privatdozenten,  einen  Dozenten  der 
Musik  und  einen  Fecht-  und  Tanzlehrer.  Sie  hat  einen  Dispositions- 
fonds von  150  M.  jährlich. 

Das  klassisch-philologische  Seminar,  begründet  18^tti,  ver- 
fügt über  545  M.  jährlich;  das  deutsch-philologische  Seminar, 
begründet  1 858  als  erstes  in  Deutschland  (ein  philosophisch-ästhetisches 
Seminar,  welches  als  Vorgänger  dieses  zu  betrachten  ist,  bestand  von 
1839 — 1853),  verfügt  über  370  M.;  das  romanisch-englische  Se- 
minar, begründet  1897,  verfügt  über  280  M.;  das  historische  Se- 
minar, begründet  1865,  330  M.;  das  Münzkabinett,  1789  von  Bützow 
übernommen,  325  M.;  die  archäologische  Sammlung,  begründet 
1880,  430  M.;  das  staatswissenschaftliche  Seminar,  begründet 
1898,  500  M.;  das  mathematisch-physikalische  Seminar,  be- 
gründet 1879,  900  M.;  das  physikalische  Institut,  begründet  1875, 
4%1  M.;  das  astronomisch-metcoronomische  Observatorium 
3(X)  M.;  das  chemische  Laboratorium,  begründet  1835,  18019  M.; 
das  zoologische  Institut,  begründet  1882,  5378  M.;  das  botanische 
Institut  (mit  Herbarium;,  begründet  1882,  3921  M.;  der  botanische 
Garten,  begr.  1794,  selbständig  seit  1884,  4770  M.;  das  mineralo- 
gisch-geologische Institut,  begründet  1882,  2695  M. 

Die  Universitäts-Bibliothek,  1614  begründet,  zählt  etwa 
200  (KH)  Bände,  darunter  aber  sehr  viele  ältere  Sammelbände,  sodal.> 
sich  die  Zahl  der  einzelnen  Drucke  bedeutend  höher  stellt,  nach  all- 
gemeiner Schätzung  auf  etwa  300  (X)0.  Das  Personal  besteht  aus 
einem  Oberbibliothekar  (im  Nebenamt),  einem  ersten  und  einem  zweiten 
Bibliothekar,  einem  wissenschaftlichen  Hilfsarbeiter,  einem  Kanzlisteii 
und  dem  nötigen  Dienerpersonal.  Der  sachliche  Etat  beläuft  sich 
zur  Zeit  auf  17  200  M.,  der  persönliche  Etat  auf  15  343  M.,  die  Neben- 
ausgaben auf  3170  M. 

*)  SchirmKicIuT,  Matthicsseii,  Philippi  (Host  nicht),  Geinit/,  Körte,  Falkeiibc-r^, 
Staude,  Mich;it'li>,  ( iollhcr,  Sttlijjtr,  Krhardt,  Flhronberg,  Kern. 


Die  Groflherzogl.  Mecklenburg-Schwerinsche  Universität  Rostock.  597 

3.  Statistische  Übersichten. 
Zahl  der  Lehrer. 


Ordentliche       Außerordentliche 


Professoren 


Professoren 


Privatdozenten 


I-«ktoren 


S.  1903 
S.  1878 
S.  1850 


37 
30 
23 


11 
2 

4 


13 

7 
12 


Zahl  der  immatrikulierten  Studierenden. 


Gesamtzahl 

1 

Darunter 
Ausländer 

Gesamtzahl 

Darunter 
Ausländer 

S.  1903 

520 

14 

W. 

1900/1 

1                          1 
512         1 

14 

.     W.  1902/3 

1         547 

19 

S. 

1900 

1         495 

10 

'       S.  1902 

1         551 

17 

w. 

1890 

1         371 

9 

W.  1901/2 

1         552 

18 

w. 

1880 

;         200 

3 

S.  1901 

549 

18 

w. 

1870 

122 

1 

Zahl  der  Studierenden  der 


1    evangelischen 

Rechts- 

philosophischen 

1       Theologie        ^ 

1 

wissenschaft 

Fakultät 

S.  1903 

42 

81 

121 

276 

W.  1902/3 

36 

97 

132 

282 

W.  1900 

33 

% 

125 

258 

W.  1895 

36 

108 

98 

184 

W.  1890 

1             56 

55            , 

136 

124 

W.  1880 

1             37 

46 

41 

76 

W.  1870 

36 

42 

27 

18 

W.  1860 

30 

47 

22 

20 

W.  1850 

16 

49 

20 

17 

Zugelassene 

weibliche  Stud 
Keine. 

erende: 

Zugelassene   Hörer: 

S.   1903:    22.     W.   1902/3:    23.     S.   1902:    14.     W.   1901/2:    27.     S.   1901:    24. 
W.  190O/1 :  24. 


598  ^^  einzelnen  Universitäten. 

Gesamtsumme  der  Einnahmen  der  Universität. 


Aus  eigenem     •     Aus  eigenem 
Etatsjahr  Vermögen  und  Erwerb 

Stiftungen        ,    Kliniken  usw.    ^ 


M. 


M. 


i 


Staatszuschuß 


M. 


1903 


2580 


290770 


424  358 


Summe 


M. 


717  708 


Gesamtsumme  der  ordentlichen  Ausgaben. 


1903 


Besoldungen 
und    Re- 


munerationen 


Konvikte, 
Wohnungs-         Institute  Unter-         Verwaltungs- 

EutsjJir  derPto-  «dd"  und  Stützungen      und  sonstige 

Zuschüsse       Sammlungen  ,  und  Kosten 

Stipendien 


I  fessoren  und 
Dozenten 


J_ 


M. 


M. 


M. 


M. 


233432 


160000 


7000 


M. 

11257 


Ad.  Hofmeister. 


XXI.  Die  Kaiser  Wilhelms-Universität  zu  Strasburg. 


1.    Geschichtliche  Übersicht. 

Die  alte  Straßburger  Universität  ist  in  ihren  ersten  Anfangen 
aus  der  humanistischen  Bewegung  um  die  Wende  des  1 5.  und  1 6.  Jahr- 
hunderts hervorgegangen.  Am  1.  Juni  1566  als  Akademie  und  am 
5.  Februar  1621  als  Universität  begründet,  hat  sie  sich  als  rein  reichs- 
städtische, deutsche  und  protestantische  Lehranstalt  bis  zu  den  Stürmen 
der  Revolution  erhalten.  Sie  hat  es  im  17.  Jahrhundert,  in  der  Zeit 
also,  da  bei  den  anderen  Universitäten  im  allgemeinen  an  die  Stelle 
der  internationalen  Freizügigkeit  des  Mittelalters  eine  territoriale  Be- 
schränkung des  Universitätsgebietes  getreten  war,  zu  einer  wahrhaft 
internationalen  Bedeutung  gebracht,  indem  zu  ihr  ganz  Europa,  soweit 
die  Reformation  festen  Fuß  gefaßt  hatte,  seine  Studenten  entsandte. 
Im  18.  Jahrhundert  mehr  zu  einer  Landesuniversität  für  Elsaß  und 
Lothringen  geworden,  erfreute  sie  sich  doch  noch  eines  recht  starken 
Zuspruches  aus  Deutschland  und  dem  Auslande;  insbesondere  haben 
sich  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  18.  Jahrhunderts  die  heran- 
wachsenden Diplomaten  von  ganz  Europa  um  Professor  Koch  ver- 
sammelt, der  aus  der  Straßburger  Stadtbibliothek  auf  den  neu- 
errichteten Lehrstuhl  der  Staatswissenschaften  berufen  worden  war. 
Kein  geringerer  als  Johann  Wolfgang  Goethe  hat  zu  ihren  Schülern 
gehört,  der  am  18.  April  1771  sich  bei  ihr  einschrieb,  und  den  Koch 
und  Oberlin  für  Geschichte,  Staatsrecht  und  Redekunst  zu  erwerben 
dachten.  Durch  den  Konventsbeschluß  vom  15.  September  1793 
wurde  sie  mit  den  übrigen  Universitäten  Frankreichs  aufgehoben. 
Straßburg  erhielt  dann  bei  der  neuen  Einrichtung  des  französischen 
Unterrichtswesens  die  einzige  Akademie,  die  mit  5  Fakultäten,  einer 
protestantisch-theologischen,  juristischen,  medizinischen,  philosophischen 


600  I^ie  einzelnen  Universitäten. 

und  naturwissenschaftlichen,  ausgestattet  war,  und  bis  unmittelbar  zum 
Kriege  1870  ihre  Tätigkeit  entfaltete. 

Schon  vor  der  Kapitulation  von  Straßburg  sind  in  der  öffent- 
lichen Meinung  Deutschlands,  vor  allem  natürlich  in  den  Universitäts- 
kreisen, Stimmen  laut  geworden,  welche  die  Wiedererrichtung  einer 
großen  deutschen  Universität  auf  diesem  alten  Kulturboden  ver- 
langten. Diese  Wünsche  verkörperten  sich  in  dem  Beschlüsse  des 
deutschen  Reichstages  vom  24.  Mai  1 871 ,  wodurch  der  Reichskanzler 
aufgefordert  wurde,  die  Errichtung  einer  deutschen  Universität  in 
Straßburg  baldmöglichst  ins  Werk  zu  setzen.  Schon  Ende  Juli  1871 
beauftragte  Bismarck  unter  Zustimmung  des  Kaisers  den  früheren 
badischen  Minister  Freiherrn  von  Roggenbach,  die  Einrichtung  der 
neuen  Hochschule  vorzubereiten,  und  der  ausdrückliche  Wunsch  des 
Kanzlers,  daß  die  neue  Universität  schon  zu  Ostern  1872  ins  Leben 
trete,  konnte  erfüllt  werden :  am  1 .  Mai  1 872  wurde  die  neue  Hoch- 
schule eröffnet,  nachdem  am  20.  April  desselben  Jahres  die  ersten 
Professoren  ernannt  worden  waren,  44  ordentliche  und  13  außer- 
ordentliche, von  denen  45  am  6.  Mai  ihre  Vorlesungen  begannen, 
darunter  der  bedeutende  elsässLsche  Theologe  Eduard  Reuß,  die  ausge- 
zeichneten Mathematiker  und  Naturforscher  Christoffel,  Kundt,  De  Bar>^ 
und  Winneke.  Außerdem  erw^ies  der  berühmte  Sprachforscher  Professor 
Max  Müller  aus  Oxford  der  jungen  Straßburger  Universität  die  Auf- 
merksamkeit, im  ersten  Semester  Vorlesungen  über  die  Resultate  der 
vergleichenden  Sprachwissenschaft  an  ihr  zu  halten.  Sie  war  die 
erste  deutsche  Universität,  an  der  konsequent  das  Lehrsystem  durch- 
geführt wurde,  das  in  den  Seminarien  oder  praktischen  Übungen 
einen  gleichberechtigten  Faktor  neben  den  Vorlesungen  erblickt, 
obwohl  gerade  hierfür  die  Beschaffung  der  erforderlichen  Räume  mit 
besonderen  Schwierigkeiten  verknüpft  war.  Von  1878  bis  1884  wurde 
das  allgemeine  Kollegiengebäude  errichtet,  in  dem  die  theologischen, 
juristischen  und  staatswissenschaftlichen,  philosophischen  und  mathe- 
matischen Disziplinen  ihr  Unterkommen  gefunden  haben.  Um  das 
Kollegiengebäude  gruppieren  sich  die  Neubauten  für  die  naturwissen- 
schaftlichen Fächer,  von  denen  nur  noch  die  Pharmazie  in  den 
nächsten  Jahren  in  einem  entsprechenden  Neubau  unterzubringen  ist. 
Die  medizinischen  Anstalten  gruppieren  sich  um  das  Bürgerspital, 
etwa  15  Minuten  von  dem  Kollegiengebäude  entfernt.  Am  1.  Oktober 
1W3  ist  auch  eine  katholisch-theologische  Fakultät  an  der  Universität 
eröffnet  worden. 


Die  Kaiser  Wilhelms-Universität  zu  Straflburg.  ()01 

2.    Gegenwärtiger  Zustand. 

Die  evangelisch-theologische  Fakultät  zählt  gegenwärtig 
7  ordentliche*),  2  außerordentliche  Professoren  und  1  Privatdozenten. 
Sie  besitzt  ein  theologisches  Seminar,  das  im  einzelnen  sich  in  ein 
alttestamentliches  Seminar,  ein  neutestamentliches  Seminar,  ein  kirchen- 
geschichtliches Seminar,  ein  Seminar  für  systematische  Theologie  und 
ein  Seminar  für  praktische  Theologie  gliedert,  seit  Ostern  1874  be- 
steht und  mit  650  M.  in  den  Etat  eingesetzt  ist.  In  naher  Ver- 
bindung mit  der  Universität  steht  das  theologische  Studienstift 
Wilhelmitanum,  ein  Internat  für  Theologie-Studierende,  das  in  erster 
Linie  für  elsaß-lothringische  Landesangehörige  bestimmt  ist. 

Zur  katholisch-theologischen  Fakultät  gehören  8**)  ordent- 
liche und  1   außerordentlicher  Professor. 

Die  rechts-  nnd  staatswissenschaftliche  Fakultät  umfaßt 
10  ordentliche  Professoren  (darunter  einer  emeritiert)***),  2  außer- 
ordentliche Professoren  und  1  Privatdozenten.  Sie  besitzt  ein 
juristisches  Seminar,  von  1872  ab,  das  gegenwärtig  mit  1000  M.  im 
Etat  eingesetzt  ist,  und  ein  staatswissenschaftliches  Seminar,  von 
Herbst  1872  ab,  das  gleichfalls  1000  M.  bezieht. 

Die  medizinische  Fakultät  zählt  13  ordentliche  Professoren 
(darunter  2  emeritiert)  f)  ,  14  außerordentliche  Professoren  und 
18  Privatdozenten.  Das  anatomische  Institut  ist  in  einem  Neubau 
untergebracht,  der  von  1875  bis  1877  errichtet  wurde  und  ist  im 
Etat  mit  19300  M.  eingesetzt.  In  demselben  Gebäude  befindet  sich 
das  pathologische  Institut,  für  das  12  350  M.  festgesetzt  sind.  Das 
physiologisch-chemische  Institut  besitzt  einen  Neubau,  der  von  1882 
bis  1884  aufgeführt  wurde;  im  Jahre  1898  wurde  in  demselben 
Gebäude  auch  das  Institut  für  Hygiene  und  Bakteriologie  eingerichtet; 
das  erstere  steht  im  Etat  mit  12  300  M.,  das  letztere  mit  13  910  M. 
Das  pharmakologische  Institut  ist  in  einem  Neubau,  der  von  1885 
bis    1887    errichtet    worden    ist;    es  steht  im  Etat  mit  9850  M.     Das 


*)  Holtzmann,  Nowack,  Lobstein,  Spitta,  Smend,  Kicker,  Mayer. 
**)  AI.  Schäfer,    Ehrhard,    Eug.  Müller,    Lang,    Faulhaber,  Walter,    Zahn    und  eine 
Stelle  noch  unbesetzt. 

***)  Laband,  Schultze,  Knapp,  Lenel,  Sickel,  Sartorius  Frh.  von  Waltershausen,  van 
Calker,  von  Tuhr,  Kisch.  Laband  und  Schultze  von  der  Begründung  der  Universität  an. 
Bremer  emeritiert. 

•}•)  V.  Recklinghausen,  Schmiedeberg,  Laqueur,  Schwalbe,  Naunyn,  Fürstner, 
Madelung,  Forster,  Hofmeister,  Ewald,  Fehling.  v.  Recklinghausen,  Schmiedeberg  und 
Laqueur  von  der  Begründung  der  Universität  an.     Aubenas  und  Freund  emeritiert. 


602  ^i^  einzelnen  Universitäten. 

physiologische  Institut  besitzt  einen  Neubau,  der  von  1882  bis  1884 
errichtet  wurde  und  steht  im  Etat  mit  9710  M.  Die  medizinische 
Klinik  ist  in  einem  Neubau  untergebracht,  der  von  1898  bis  1901 
errichtet  wurde ;  für  die  medizinische  Klinik  und  Poliklinik  einschließ- 
lich der  Poliklinik  für  Zahnkrankheiten  sind  27  720  M.  vorgesehen. 
Die  chirurgische  Klinik  umfaßt  einen  Neubau,  der  von  1878  bis  1881 
errichtet  wurde  und  steht  im  Etat  mit  31  010  M.  Die  mit  46870  M. 
dotierte  Frauenklinik  befindet  sich  in  einem  Neubau,  der  von  1884 
bis  1886  errichtet  wurde;  die  Augenklinik,  für  die  3000  M.  vor- 
gesehen sind,  in  einem  Neubau,  der  von  1889  bis  1891  errichtet 
ward ;  die  mit  32  600  M.  dotierte  psychiatrische  Klinik  in  einem  Neu- 
bau, der  von  1883  bis  1886  errichtet  wurde.  Die  Klinik  für 
syphilitische  und  Hautkrankheiten  ist  im  Etat  mit  10210  M,  eingesetzt, 
die  Kinderklinik  mit  3400  M.,  die  Klinik  für  Ohrenkrankheiten  mit 
5300  M.;  diese  Kliniken  sind  in  alten  Gebäuden  untergebracht. 

Die  philosophische  Fakultät  umfaßt  zurzeit  21  ordentliche 
Professoren  (darunter  2  emeritiert)*),  3  Honorarprofessoren,  7  außer- 
ordentliche Professoren  (darunter  1  emeritiert),  5  Privatdozenten  und 
3  Lektoren. 

Als  Fachgruppen  lassen  sich  unterscheiden:  1.  die  philosophische, 
die  mit  2  Ordinarien  vertreten  ist  und  ein  Seminar  besitzt,  das  ebenso 
wie  auch  die  übrigen  Seminare  der  Fakultät  gleich  bei  Begründung 
der  Universität  ins  Leben  gerufen  wurde;  sie  befinden  sich  in  dem 
Allgemeinen  Kollegiengebäude. 

2.  Die  Altertumswissenschaft  umfaßt  4  Ordinarien  und  1  Privat- 
dozenten. Sie  besitzt  ein  philologisches  Seminar  und  ein  Institut  der 
römischen  und  griechischen  Altertumswissenschaft. 

3.  Die  neuere  Philologie  und  Literaturgeschichte  umfaßt  2  Ordi- 
narien für  die  deutsche  Philologie,  je  1  Ordinarius  für  romanische 
und  englische  Philologie  und  je  1  Lektor  der  französischen,  italienischen 
und  englischen  Sprache.  Sie  besitzt  ein  Seminar  für  deutsche  Philo- 
logie und  eines  für  romanische  und  englische  Sprachkunde. 

*)  Michaelis  (klassi.schc  Archäologie),  Nöldeke  (semilische  Sprachen),  Gerland 
(Geograi)hie),  Hübschuiann  (vergleichende  Sprachforschung),  Martin  (deutsche  Philologie), 
Gröber  (romanische  Philologie),  Ziegler  (Philosophie  und  Pädagogik),  BreOlau  (mittlere 
und  neuere  Geschichte),  Nciunann  (alte  Geschichte),  Dehio  (Kunstgeschichte),  Reitzen- 
stein  (klassische  Philologie),  Henning  (deutsche  Philologie),  Koppel  (enghsche  Philologie», 
Jacobsthal  (Musikgeschichte),  Leumann  (indische  Philologie),  Keil  (klassische  Philologie). 
Meinecke  (neuere  Geschichte),  Spahn  (neuere  Geschichte),  Bacumker  (Philosophie).  Welx^r 
und  Böhmer  emeritiert. 


Die  Kaiser  Wilhelms-Universität  zu  Straßburg.  f)03 

4.  Die  vergleichende  Sprachwissenschaft  und  die  orientalische 
Philologie  zählt  3  Ordinarien,  2  Honorarprofessoren,  2  außerordent- 
liche Professoren  und  1  Privatdozenten.  Das  egyptologische  Institut 
ist  einem  außerordentlichen  Professor  unterstellt. 

5.  Die  mittlere  und  neuere  Geschichte  und  die  historischen 
Hilfswissenschaften  umfassen  3  Ordinarien,  1  Honorarprofessor,  2  außer- 
ordentliche Professoren  und  1  Privatdozenten.  Sie  besitzt  ein  Seminar 
für  Geschichte  des  Mittelalters  und  für  historische  Hilfswissenschaften 
sowie  ein  Seminar  für  neuere  Geschichte. 

6.  Die  Kunstgeschichte  und  christliche  Archäologie  zählt  1  Ordi- 
narius, 1  außerordentlichen  Professor  und  1  Privatdozenten.  Ein  be- 
sonderer Ordinarius  ist  für  die  Musikwissenschaft  angestellt  E^ 
besteht  ein  Institut  für  Kunstgeschichte  und  altchristliche  Archäologie 
und  ein  akademischer  Musikverein. 

7.  Die  Geographie  ist  mit  einem  Ordinarius  und  einem  Privat- 
dozenten vertreten  und  besitzt  ein  Seminar.  In  Personalunion  mit  der 
Universität  steht  die  Hauptstation  für  Erdbebenforschung. 

Im  Etat  sind  vorgesehen :  601)  M.  für  das  philosophische  Seminar, 
3500  M.  für  das  philologische,  1500  M.  für  das  Institut  der  »römischen 
und  griechischen  Altertumswissenschaft,  1000  M.  für  das  Seminar  für 
deutsche  Philologie,  1500  M.  für  das  Seminar  für  romanische  und 
englische  Sprachkunde,  1200  M.  für  das  Seminar  für  Geschichte  des 
Mittelalters  und  historische  Hilfswissenschaften,  1200  M.  für  das 
Seminar  für  neuere  Geschichte,  2150  M.  für  das  kunstarchäologische 
Institut,  3400  M.  für  das  Institut  für  Kunstgeschichte  und  altchristliche 
Archäologie,  500  M.  für  das  egyptologische  Institut,  1000  M.  für  das 
geographische  Seminar  und  750  M.  für  den  akademischen  Musikverein. 

Die  mathematische  und  naturwissenschaftliche  Fakultät 
umfaßt  12  ordentliche  Professoren  (darunter  1  emeritiert)*),  11  außer- 
ordentliche Professoren  und  8  Privatdozenten. 

Als  Fachgruppen  lassen  sich  unterscheiden: 

1.  Die  Mathematik  umfaßt  2  Ordinarien,  2  außerordentliche 
Professoren  und  1  Privatdozenten.  Sie  besitzt  ein  mathematisches 
Seminar,  das  im  Allgemeinen  Kollegiengebäude  untergebracht  ist. 

•)  Benecke  (Geologie  und  Paläontologie),  Reye  (Mathematik),  Bücking  (Minera- 
logie), Goette  (Zoologie  und  vergleichende  Anatomie),  Becker  (Astronomie),  Graf  zu 
Solms-Laubach  (Botanik),  Schär  (Pharmakognosie  und  pharmazeutische  Chemie),  Weber 
(Mathematik),  Braun  (Physik),  Rose  (Chemische  Technologie),  Thiele  (Chemie),  Benecke, 
Reye  und  Graf  zu  Solms-Laubach  von  der  Begründung  der  Universität  an.  Fittig 
emeritiert. 


504  ^^^  einzelnen  Universitäten. 

2.  Die  Astronomie  umfaßt  1  Ordinarius  und  1  außerordent- 
lichen Professor.     Die    Sternwarte   wurde    erbaut  von  1878  bis  1881. 

3.  Die  Physik  umfaßt  1  Ordinarius,  2  außerordentliche  Pro- 
fessoren und  1  Privatdozenten.  Das  physikalische  Institut  wurde  er- 
baut in  den  Jahren  1878  bis  1882. 

4.  Die  Chemie  umfaßt  2  Ordinarien,  1  außerordentlichen  Pro- 
fessor und  3  Privatdozenten.  Das  chemische  Institut  wurde  erbaut 
von  1878  bis  1882. 

5.  Die  Mineralogie  und  Geologie  umfassen  2  Ordinarien  und 
2  außerordentliche  Professoren.  Die  beiden  Institute  sind  in  einem 
Gebäude  untergebracht,  das  in  den  Jahren  1887  bis  1890  gebaut 
wurde. 

6.  Die  Zoologie  umfaßt  1  Ordinarius,  1  außerordentlichen  Pro- 
fessor und  1  Privatdozenten.  Das  zoologische  Institut  ist  mit  der 
städtischen  zoologischen  Sammlung  vereinigt  und  in  einem  Ge- 
bäude untergebracht,  das  von  1890  bis  1893  gebaut  worden  ist. 

7.  Die  Botanik  umfaßt  1  Ordinarius,  1  außerordentlichen  Pro- 
fessor und  1  Privatdozenten.  Das  botanische  Institut  wurde  erbaut 
von  1880  bis  1882. 

8.  Die  Pharmazie  umfaßt  1  Ordinarius.  Das  pharmazeutische 
Institut  wird  in  einem  Neubau  untergebracht  werden,  der  bereits  ge- 
nehmigt ist. 

9.  Die  Meteorologie  ist  mit  einem  außerordentlichen  Professor 
vertreten. 

In  dem  Etat  sind  vorgesehen:  1000  M.  für  das  mathematische 
Seminar,  13  475  M.  für  das  physikalische  Institut,  28  660  M.  für  das 
chemische  Institut,  8600  M.  für  das  zoologische  Institut,  7735  M.  für  das 
mineralogische  und  petrographische  Institut,  5945  M.  für  das  geo- 
gnostisch-paläontologische  Institut,  14  990  M.  für  das  botanische  In- 
stitut, 6570  M.  für  das  pharmazeutische  Institut,  15  870  M.  für  die 
Sternwarte. 

Als  allgemeine  Universitätsanstalt  kommt  die  Universitäts-  und 
Landesbibliothek  in  Betracht,  die  im  Jahre  1871  neu  errichtet  worden 
ist.  Sie  ist  in  einem  Neubau  untergebracht,  der  von  1889  bis  1894 
gebaut  wurde,  umfaßte  am  1.  Januar  1903  über  828  000  Bände  und 
ist  mit  140  000  M.  dotiert. 

Die  Universität  unterstützt  diejenigen  studentischen  Vereine,  die 
ihrem  Hauptzwecke  nach  oder  nebenbei  körperliche  Übungen  be- 
treiben. Sie  hat  für  diese  Vereine  die  Turnhalle  der  städtischen 
Technischen  Schule  gemietet. 


Die  Kaiser  Wilhelms-Universität  zu  Strasburg. 


605 


'X    Statistische  Übersichten. 

Zahl  der  Lehrer: 


Ordentliche        Honorar-     l  Außerordenü. '       Privat- 
Professoren      Professoren   i   Professoren  j     dozenten 


S.-S.  1903         63  (6  em.)   |  3 

S.-S.  1873  50  1 


36  (1  em.)   ! 
17 


33 

4 


Lektoren 


Zahl  der  immatrikulierten  Studierenden: 


Darunter 

Darunter 

Gesamtzahl 

Reichs- 

Gesamtzahl 

Reichs- 

ausländer 

ausländer     1 

1      S.-S.  1903 

1121 

66 

1  W.-S.  1900/1 

1132 

81 

,  W.-S.  1902/3 

1193 

82 

S.S.  1900 

1145 

92 

S.-S.  1902 

1132 

79 

S.-S.  1890 

902 

111 

W.-S.  1901/2 

1133 

78 

S.-S,  1880 

781 

108 

S.-S.  1901 

1118 

79 

1 
1 

Zahl    der   Studierenden    der 

Evangelisch-     Rechts-  und    ^,  ,.  .  .    ,  Philo-  Mathem.  und  ' 

■        ,     .    -       I        „  Medizimschen :         ...         '    _  ,  .   , 

]  theologischen '        Staats-  i?  b  i  •  sophischen      Naturwschtl.  ' 

Fakultät      '  Wissenschaft  ,      Fakultät  Fakultät 


S.-S.  1903 

73 

318 

237 

216 

277 

W.-S.  1902/3 

70 

343 

259 

241 

280 

W.-S.  1900/1 

83 

333 

296 

1% 

224 

W.-S.  1895/6 

101 

295 

'         312 

118 

178 

W.-S.  1890/1 

121 

203 

329 

127 

167 

W.^.  1885/6 

85 

173 

1         210 

148 

206 

W.-S.  1880/1 

62 

184 

1          161 

181 

157 

W.-S.  1875/6 

50 

197 

1          19^ 

,          143 

% 

Zahl  der  sonstigen  zum  Hören  der  Vorlesungen  Zugelassenen: 


S.-S.  1903  ..  . 

.  .  70 

S.-S.  1902  ..  . 

.  .  76 

S..S.  1901  ..  . 

.  .  52 

W.-S.  1902/3  . 

.    198 

W.-S.  1901/2  . 

.    123 

W.-S.  1901/1    . 

.  .  66 

Zahl  der  zugelassenen  weiblichen  Studierenden: 


S.-S.  1903 30         S.S.  1902 29 

W.-S.  1902/3  ...  66    W.-S.  1901/2  ...  33 


S.-S.  1901 20 

W.-S.  1900/1  ...  16 


606 


Die  einzelnen  Universitäten. 
Gesamtsumme  der  ordentlichen  Ausgaben: 


Etatsjahr 

Besoldungen 
1          der 
Professoren 
M. 

1 
Für  Institute 

und 

Sammlungen 

1           *^^- 

Für  Unter- 
stützungen u. 
Stipendien 
M. 

Verwaltungs- 
und sonstige 
'       Kosten 

M. 

1 

1903 
1890 
1876 

523  200 
518000 
512600 

393430 
,      289250 
1     240810 

27440 
24260 
19425 

173080 

127  080 

99865 

Gesamtsumme  der  Einnahmen  der  Universität: 


Etatsjahr 


1903 
1890 
1876 


Eigene 
Einnahmen 


106400 
64  090 
47  437 


Zaschuß  vom 
Reich 


Zuschuß  vom 
Reichsland 


400000 
400000 
400000 


610  750 
494  500 
425  303 


Dr.  Hausmann. 


XXII.  Sonstige  ö£fenüiche  akademische  Anstalten. 


a)  Die  katholisch-theologischen  Lyzeen. 

I.    Das  Königliche  Lyzeum  Hosianum  zu  Braunsberg 

ist  als  eine  Fortsetzung  der  mit  dem  ehemaligen  Jesuitenkollegium 
dortselbst  verbundenen  Klassen  der  Philosophie  und  Theologie  an- 
zusehen. 

Im  Jahre  1565  wurde  durch  den  ermländischen  Bischof  Kardinal 
Stanislaus  Hosius  zu  Braunsberg  ein  Jesuitenkollegium  gegründet  und 
mit  fünf  Klassen  bis  zur  Rhetorik  eröffnet.  Drei  Jahre  später,  durch 
Urkunde  vom  6.  November  1568,  wurden  die  zwei  Klassen  der  Philo- 
sophie und  Theologie,  die  sog.  studia  superiora,  hinzugefügt  und  da- 
durch die  ganze  Stiftung  abgeschlossen  und  vollendet.  Für  die  zahl- 
reich aus  Polen,  Lithauen,  Masuren,  ja  aus  dem  protestantischen  Alt- 
preußen herbeiströmenden  Zöglinge,  welche  in  der  Stadt  ein  Unter- 
kommen nicht  finden  konnten,  wurde  im  Kollegium  ein  Konvikt  er- 
richtet. Daneben  bestand  seit  1 5f)7  ein  den  Bestimmungen  des  Trienter 
Konzils  angepaßtes  Priesterseminar,  seit  1 583  auch  ein  von  Gregor  XIII. 
gegründetes  Alumnat  zur  Heranbildung  von  Priestern  für  die  nordische 
Mission.  Alle  diese  Anstalten  standen  unter  Leitung  der  Jesuiten; 
die  Zöglinge  wurden  teils  gesondert  für  ihren  späteren  Beruf  vor- 
bereitet, teils  besuchten  sie,  insbesondere  die  befähigteren,  die  philo- 
sophisch-theologischen Klassen  des  Kollegiums.  Gerade  mit  Rücksicht 
auf  die  studia  superiora  wurde  das  Kollegium  auch  vielfach  als  Aca- 
demia  Hosiana  oder  schlechthin  als  „hohe  Schule"  bezeichnet. 

Alle  die  genannten  Anstalten  mußten  mit  der  Aufhebung  der 
Gesellschaft  Jesu  im  Jahre  1773  und  der  Publikation  des  päpstlichen 
Breve  in  Braunsberg  (1780)  ihr  Ende  erreichen,  wenn  auch  nach 
Gründung  des  sog.  königlichen  Schuleninstituts  für  Westpreußen  und 
Ermland  (5.  März  1781)   das  Kollegium    als  sog.  akademisches  Gym- 


608  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

nasium  zunächst  mit  Exjesuiten,  dann  mit  Säkularpriestem  als  Lehrern, 
das  Priesterseminar  mit  einem  Weltgeistlichen  als  Regens  noch  einige 
Zeit  zwar  in  den  alten  Formen,  aber  ohne  das  alte  Leben  ein  kümmer- 
liches Dasein  führten.  Viele  jungen  Männer  Ermlands  suchten  deshalb 
ihre  theologische  Ausbildung  in  den  Klöstern  und  Schulen  des  Aus- 
landes, besonders  in  Polen  und  Rom.  Die  Braunsberger  Schulzustände 
erwiesen  sich  sehr  bald,  zumal  nach  den  Ven\^üstungen  des  Krieges 
von  1806  und  1807,  als  unhaltbar. 

Als  dann  nach  dem  Tilsiter  Frieden  immermehr  der  Gedanke 
heranreifte,  daß  Preußen,  was  es  an  materiellem  Besitz  verloren  hatte, 
auf  dem  Gebiete  des  Geistes  wieder  einholen  und  auf  diesem  Wege 
eine  Regeneration  des  Volkes  und  Staates  herbeiführen  müsse,  wurde 
auch  eine  Restauration  der  mehr  und  mehr  absterbenden  Braunsberger 
höheren  Lehranstalten  ins  Auge  gefaßt.  So  erfolgte  im  Jahre  1811 
die  Umgestaltung  des  bisherigen  akademischen  Gymnasiums  zu  dem 
heutigen  Gymnasium,  an  welches  der  unter  den  Anregungen  und 
Einflüssen  des  sog.  Münsterschen  Kreises  aufgewachsene  treffliche 
westfälische  Gelehrte  und  Schulmann  Joh.  Heinrich  Schmülling  als 
erster  Direktor  berufen  wurde.  Auf  einen  philosophischen  und  theo- 
logischen Unterricht,  der  doch  an  dem  akademischen  Gymnasium 
noch  bestanden  hatte,  wurde  dabei  keine  Rücksicht  genommen,  ob- 
schon  die  Frage  nahe  liegen  mußte,  wo  denn  fortan  die  angehenden 
ermländischen  Geistlichen  ihre  theologische  Vorbildung  erhalten  sollten. 
Da  die  Regierung  den  Besuch  auswärtiger  Bildungsanstalten  nicht 
gern  sah,  faßte  sie  den  Gedanken,  die  ermländischen  Kandidaten  der 
Theologie  an  die  Universität  Breslau  zu  schicken,  während  hinwieder- 
um der  Fürstbischof,  Prinz  Joseph  von  Hohenzollern-Hechingen,  die 
bisherigen  Professoren  der  Theologie  und  Philosophie  so  lange  als 
möglich  in  Braunsberg  zu  halten  suchte,  in  der  Hoffnung,  daß  sich 
aus  den  noch  vorhandenen  Trümmern  der  einst  blühenden  philo- 
sophischen und  theologischen  Studien  wieder  eine  neue  und  lebens- 
fähige Anstalt  erheben  werde.  Die  Regierung  ging  auf  seinen  Plan 
nicht  ein,  und  so  fiel  dem  damaligen  Regens  des  Priesterseminars  allein 
die  unerfüllbare  Aufgabe  zu,  die  Aspiranten  des  geistlichen  Standes 
theoretisch  und  praktisch  für  ihren  künftigen  Beruf  vorzubereiten. 

Der  edle,  ideal  gesinnte  Fürstbischof,  der  geistige  Regenerator 
Ermlands,  war  indes  unablässig  tätig,  seiner  Diözese  wieder  zu  einer 
philosc)phisch-the()logischen  Lehranstalt  zu  verhelfen,  und  er  fand  Ver- 
ständnis und  Unterstützung  bei  gleich  hochsinnigen,  für  das  Unter- 
richtswesen   begeisterten    und    dabei    einflußreichen    Männern    seiner 


Die  katholisch-theologischen  I^yzeen.  509 

nächsten  Umgebung  wie  des  weiteren  Vaterlandes:  Direktor  Schmülling 
und  Kommerzienrat  Oestreich  in  Braunsberg,  Staatsrat  Heinrich 
Schmedding  in  Berlin,  Konsistorialrat  Ludwig  Nicolovius  in  Königs- 
berg, seit  1809  Staatsrat  in  Berlin.  Die  beiden  letzteren  vertraten 
die  Idee,  die  ermländischen  Studierenden  entweder  an  die  Universität 
Breslau  zu  schicken,  oder  aber  nach  Königsberg,  wo  man  eine  Art 
katholisch-theologischer  Fakultät  zu  gründen  gedachte,  aUerdings  mit 
nur  einem  oder  zwei  Professoren,  verbunden  mit  einem  Konvikt,  wo- 
für der  Kultusminister  von  Schuckmann  noch  im  Jahre  1815  die  Ge- 
bäude des  ehemaligen  Albertinum  bestimmen  wollte.  Der  Fürst- 
bischof trat  aber  entschieden  für  Braunsberg  ein;  er  sah  in  dem  aka- 
demischen Leben  eine  „Gefahr  sittlicher  Verbildung",  ohne  im  übrigen 
den  großen  Nutzen  des  Universitätsstudiums  für  die  Theologen  irgend- 
wie zu  verkennen. 

Nunmehr  faßte  Kultusminister  von  Schuckmann,  beraten  durch 
den  mit  den  preußischen  Verhältnissen  gründlich  vertrauten  Staatsrat 
Nicolovius,  den  Gedanken,  für  Westpreußen  und  Ermland  eine  gemein- 
same höhere  Lehranstalt  für  katholische  Theologie-Studierende  ins 
Leben  zu  rufen  (1811),  was  dem  Fürstbischof  natürlich  nur  angenehm 
sein  konnte. 

Nach  langem  Hin-  und  Herschwanken  entschied  man  sich  in 
Berlin  endlich  für  Braunsberg  und  zwar  nicht  für  eine  „Abrichtungs- 
anstalt,  aus  zwei  theologischen  Vorlesern  bestehend",  sondern  für  eine 
„gut  ausgestattete  theologische  und  philosophische  Fakultät, 
auf  die  Bedürfnisse  der  Provinzen  Westpreußen  und  des  nordöstlichen 
Anteils  von  Posen  mitberechnet".  Obschon  die  Westpreußen  wider- 
strebten, proponierte  ein  Immediatbericht  des  Ministers  an  den  König 
eine  philosophisch-theologische  Lehranstalt  für  Westpreußen  und 
Ermland  in  Braunsberg,  und  am  19.  Mai  1817  erfolgte  ein  dahin  lautender 
königlicher  Be.schluß  mit  der  Anweisung  von  6000  Talern  aus  dem 
Neuzeller  Säkularisationsfonds,  genau  ein  Jahr  später  die  königliche 
Kabinetsorder,  welche  jenen  Beschluß  ratifizierte.  Bald  trafen  auch 
drei  Professoren  der  Theologie  ein,  lauter  Westfalen,  von  Schmedding 
unter  Beirat  der  Münsterer  Professoren  ausgewählt:  Achterfeld,  Busse 
und  Neuhaus,  welche  die  exegetische,  historische,  systematische  und 
Pastoraltheologie  dozieren  sollten.  Sie  konnten  erst  im  November 
vor  wenigen  Zuhörern  ihre  Vorlesungen  eröffnen.  Nochmals  wurden 
jetzt  von  verschiedenen  Seiten  Versuche  gemacht,  die  junge  Pflanzung 
aufzuheben  und  dafür  in  Breslau  oder  Königsberg  ein  Äquivalent  zu 
schaffen,  bis  endlich  eine  Ministerialverfügung  vom  I.September  1821 

Das  Untcrrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    I.  ^i 


510  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

die  Sache  definitiv  zugunsten  Braunsbergs  entschied  und  die  Be- 
stimmung traf:  „Die  höhere  Lehranstalt  zu  Braunsberg,  von  ihrem 
Stifter,  dem  Kardinal  Hosius,  genannt,  \vird  in  Zukunft  aus  zwei 
Fakultäten  bestehen,  einer  theologischen  und  philosophischen  .  .  . 
Beide  Fakultäten  sollen  nach  vollständiger  Besetzung  der  Stellen  ein 
Statut  entwerfen  und  zur  Genehmigung  einreichen.  Das  Lyzeum 
führt  ein  Album  wie  die  Universitäten;  die  Studierenden  empfangen 
eine  Matrikel.  Das  Collegium  Professorum  bildet  bis  auf  weiteres 
den  Senat.  .  .  .  Der  Oberpräsident  hat  die  Oberaufsicht  über  die 
Anstalt.  Über  die  Konkurrenz  des  Bischofs  wird  nähere  Bestimmung 
erfolgen."  Durch  diese  Verfügung,  eine  Art  organisatorischen  Statuts, 
war  auch  die  Existenz  einer  eigenen  philosophischen  Fakultät  recht- 
lich begründet.  Aber  immer  noch  war  nicht  aller  Widerstand  ge- 
brochen. Von  Danzig  erhob  sich  ein  wahrer  Sturm  gegen  das 
Lyzeum,  und  dann  machte  der  Oberpräsident  von  Schön  wiederholt 
Anstrengungen,  die  Anstalt  nach  Königsberg  zu  verlegen,  immer  mit 
der  Begründung,  daß  die  UnvolLständigkeit  der  philosophischen  Fächer 
eine  gründliche  allgemeine  Bildung  den  Studierenden  in  Braunsberg 
nicht  ermögliche.  Deshalb  betrieb  auch  der  Fürstbischof  eifrig  den 
Ausbau  der  ehemaligen  Jesuitenhäuser  für  die  Zwecke  des  Lyzeums, 
weil  er  erst  dann  das  Verbleiben  desselben  in  Braunsberg  als  gesichert 
erachtete.     Der  Ausbau  war   1825  vollendet. 

Schon  in  einer  Denkschrift  von  1815  hatte  Direktor  Schmülling 
die  Frage  angeregt,  ob  die  Braunsberger  philosophische  und  theo- 
logische Fakultät  allen  übrigen  Fakultäten  des  preußischen  Staates 
gleichstehen  und  „ob  dieselben  auch  doctores  philosophiae  et  theologiae 
sollten  creieren  können". 

Zwanzig  Jahre  später  stellte  der  Fürstbischof  den  Antrag  bei 
dem  Ministerium,  es  möge  wenigstens  der  theologischen  Fakultät  das 
Promotionsrecht  verliehen  und  überhaupt  die  akademische  Bedeutung 
und  der  Charakter  der  Anstalt  definitiv  festgestellt  werden,  weil  das 
gewiß  viel  d  izu  beitragen  würde,  das  Gedeihen  derselben  zu  fördern. 
Der  Minister  erkannte  nun  zwar  unterm  2.  März  1835  die  Vollgültig- 
keit der  Studienjahre  am  Lyzeum  für  das  akademische  Triennium  an, 
hielt  jedoch  dasselbe  zur  Verleihung  akademischer  Würden  einstweilcMi 
nicht  für  geeignet.  Auch  spätere  Versuche  und  Anregungen  in  dieser 
Richtung,  so  bei  den  Verhandlungen  der  Konferenz  für  Herbeiführung 
von  Reformen  in  der  Verfassung  und  Verwaltung  der  preußischen 
Universitäten  von  1fi49,  sowie  1882  im  preußischen  Hau.se  der  Ab- 
geordneten durch  Dr.  Kolberg,  blieben  erfolglos. 


Die  katholisch-theologischen  Lyzeen.  f)  |  -j 

Die  definitive  Organisation  des  Lyzeums  erfolgte  erst  durch  das 
königliche  Statut  vom  24.  Oktober  1843,  dem  Kollegium  durch  den 
seit  1839  als  Kurator  zuständigen  Oberpräsidenten  publiziert  und  in 
Kraft  gesetzt  im  Jahre  1845.  Es  stimmt  im  wesentlichen  mit  den 
Statuten  für  die  theologische  Fakultät  in  Bonn  und  die  Akademie 
Münster  überein;  nur  soll  das  Rektorat  erst  alle  drei  Jahre  wechseln. 
„Die  zu  Braunsberg",  heißt  es  in  §  2,  „bestehende  höhere  Lehr- 
anstalt, welche  von  ihrem  ursprünglichen  Stifter,  dem  ermländischen 
Bischof  und  Kardinal  Hosius,  den  Namen  Lyzeum  Hosianum  führt, 
ist  dazu  bestimmt,  die  wissenschaftliche  und  sittlich-religiöse  Aus- 
bildung derjenigen  jungen  Männer,  welche  sich  dem  geistlichen 
Stande  der  katholischen  Kirche  Unserer  Lande  widmen  wollen,  zu 
fördern.  Sie  erstreckt  ihren  Wirkungskreis  zunächst  auf  den  Sprengel 
der  bischöflichen  Diözese  von  Ermland,  steht  jedoch  auch  den  Aspi- 
ranten des  katholisch-geistlichen  Standes  aus  den  übrigen  Teilen  der 
Provinz  Preußen  vorzugsweise  zur  Benutzung  offen." 

Auf  Grund  dieses  Statuts  stehen  die  Professoren  des  Lyzeums 
in  allem,  in  Rang,  Name,  Quieszierung  u.  dergl.  denen  der  preußischen 
Hochschulen  gleich,  was  zuletzt  noch  bei  der  allgemeinen  Gehalts- 
regulierung von  1897  und  auch  durch  ein  Ministerialreskript  vom 
7.  September  1898  anerkannt  wurde. 

Auch  nach  Erlaß  des  Statuts  ist  seitens  des  Kollegiums  unter 
sehr  dankenswertem  Entgegenkommen  der  Unterrichtsverwaltung  an 
dem  weiteren  inneren  Ausbau  des  Lyzeums  eifrig  gearbeitet  worden. 
Im  Jahre  18()4  wurde  eine  eigene  Professur  für  Moraltheologie 
gegründet,  sodaß  seitdem  die  theologische  Fakultät,  wenn  die  Pastoral- 
theologie durch  den  Regens  des  Priesterseminars  ordnungsmäßig 
besetzt  ist,  fünf,  die  philosophische  vier  Ordinariate  zählt.  Da- 
neben pflegen  immer  noch  einige,  zurzeit  drei,  Privatdozenten  tätig 
zu  sein.  Zur  theologischen  Fakultät  gehört  zur  Zeit  auch  ein  ordent- 
licher Honorarprofessor  und  zur  philosophischen  ein  Lektor  der  pol- 
nischen Sprache. 

Die  Bibliothek  besteht  erst  seit  1820.  Damals  wurden  auf 
einer  Versteigerung  zu  Greifswald  Bücher  für  das  Lyzeum  erstanden. 
Dazu  kamen  die  Restbestände  aus  dem  ehemaligen  Jesuitenkollegium, 
Werke  aus  den  Bibliotheken  der  aufgehobenen  Klöster  Wartenburg 
(1000  Bände),  Oliva,  Graudenz,  Jacobsdorf  u.  a.  Im  Jahre  1822  wurde 
ein  besonderer  Fonds  von  50  Talern  ausgeworfen,  welcher  sich  im 
Laufe  der  Zeit  bis  auf  jährlich  1800  M.  gesteigert  hat.  Zur  Aus- 
füllung fühlbarer  Lücken  wurden  wiederholt  außerordentliche  Zuschüsse 

39* 


5i2  Sonstige  öffentliche  akademische  AnstAlten. 

bewilligt,  insbesondere  für  das  Fach  der  klassischen  Philologie,  1902 
für  allgemeine  bibliothekarische  Zwecke  5300  M.  Häufig  sind  auch 
seitens  der  Unterrichtsverwaltung  höchst  wertvolle  Werke  als  Ge- 
schenke überwiesen  worden.  Die  Bibliothek  zählt  zurzeit  10593 
Nummern  in  etA^^a  21  100  Bänden. 

Von  Anfang  an  existierte  neben  der  Bibliothek  auch  ein  physi- 
kalisches Kabinett,  heute  zu  einem  naturwissenschaftlichen  Kabinett 
mit  Abteilungen  für  Astronomie,  Physik,  Chemie,  Zoologie,  Botanik 
und  Mineralogie  erweitert,  dotiert  mit  400  M. 

Ein  antik-archäologisches  Kabinett  hat  Professor  Dr.  Weißbrodt 
1880 — 81  mit  Zustimmung  des  Kollegiums  beantragt;  zunächst 
machte  er  seit  1881  Anschaffungen  auf  Grund  außerordentlicher  Be- 
willigungen, bis  im  Jahre  1889  300  M.  dauernd  in  den  Etat  eingestellt 
wurden;  durch  Jahresbeitrag  der  Stadt  seit  1898  stieg  die  Summe 
auf  400  M. ;  außerdem  haben  seit  den  90er  Jahren  Kreis  und  Provinz 
beigetragen.  Die  Sammlung  wird  bestimmungsgemäß  von  anderen 
Lehranstalten  und  dem  weiteren  Publikum  mitbenutzt. 

Seit  1883  bemühte  sich  Professor  Dr.  Dittrich  um  Ansammlung 
von  veranschaulichenden  Lehrmitteln  für  den  Unterricht  in  der  christ- 
lichen Kunstarchäologie.  Im  Jahre  1885  wurden  die  ersten  außer- 
ordentlichen Bewilligungen  gemacht;  heute  sind  für  das  christlich- 
archäologische  Kabinett  300  M.  in  den  Etat  eingestellt. 

In  den  Sommern  1893  und  1894  entstand  durch  die  Bemühungen 
des  Professors  Dr.  Niedenzu  mit  einem  Kostenaufwand  von  wenig 
mehr  als  5()(X)  M.  ein  botanischer  Garten,  zunächst  für  das  Lyzeum, 
nebenher  auch  für  die  andern  niederen  und  höheren  Braunsberger 
Lehranstalten  (Gymnasium,  Lehrerseminar,  höhere  Mädchenschulcnj 
und  zur  Belehrung  des  weiteren  Publikums,  daher  von  () — 12  und 
I — 7  Uhr  geöffnet.  Der  Garten  umfaßt  nur  Freilandkulturen  und 
zwar  eine  systematische  Abteilung  mit  etwa  2500  Arten  nach  natür- 
lichen Familien  geordnet,  Arznei-  und  Giftpflanzen,  Kulturpflanzen. 
Der  Etat  enthält  für  den  botanischen  Garten  1100  M.  mit  Einschluß 
eines  jährlichen  Zuschusses  der  Stadt  Braunsberg  von   100  M. 

Im  Jahre  I^KK)  legten  die  Professoren  Weißbrodt  und  Röhrich 
eine  Münzsammlung  an;  sie  ist  im  Etat  mit  300  M.  dotiert. 

Der  Gesamtetat  des  Lyzeums  beläuft  sich  gegenwärtig  auf  ()2  321 M., 
wovon  5()5(X)M.  auf  Gehälter  und  4  300  M.  auf  Lehrmittel   entfallen. 

Da  der  Plan,  auch  die  Studierenden  der  Theologie  aus  West- 
proußen  nach  Braunsberg  zu  ziehen,  trotzdem  schon  Fürstbischof 
Joseph    von  HohenzoUern    dies    auch    im  Interesse    des  Deutschtums 


Die  bischöflichen  Klerikalseminare. 


613 


als  zweckmäßig  empfahl  und  von  dem  Senat  des  Lyzeums  wiederholt 
daran  erinnert  wurde,  nie  zur  Ausführung  gekommen  ist,  und  somit 
das  Lyzeum  darauf  beschränkt  blieb,  den  angehenden  Geistlichen  des 
kleinen  Ermlandes  die  theologische  Bildung  zu  vermitteln,  so  war  die 
Zahl  der  Studierenden  nie  groß;  sie  stieg  in  den  60  er  Jahren 
des  vorigen  Jahrhunderts  einschließlich  der  nicht  immatrikulierten  Zu- 
hörer auf  58  und  erreichte  die  bis  jetzt  höchste  Höhe  mit  78  im 
Jahre  1899.    Der  Durchschnitt  der  fünf  letzten  Jahre  war  51. 

(Vgl.  Bender  [und  Dittrich],  Geschichte  der  phUosophischen 
und  theologischen  Studien  in  Ermland.  Festschrift  zur  50  jährigen 
Jubelfeier  des  königlichen  Lycei  Hosiani.     Braunsberg  1868.) 

F.   Dittrich. 

2.    Die  bayerischen  Lyzeen. 

Von  den  7  bayerischen  theologischen  Lyzeen  sind  6  staatliche 
Anstalten  und  nur  Eichstädt  ist  bischöflich.  In  Betreff  ihrer  Einrichtung 
wird  auf  die  Abhandlung  über  die  katholisch-theologischen  Fakultäten 
verwiesen  und  hier  nur  eine  statistische  Übersicht  beigefügt. 


Lyzeum 


Ordentliche 
Professoren 


Freising 

Passau 

Regensburg  .... 

Bamberg 

Augsburg  (aufgehoben) 

Dillingen 

Eichstädt 


Zusammen 


Außer- 
ordentliche 
I  Professoren 


I 


5 
5 
9 
4 
6 
4 
10 


43 


19 


Dozenten 

1 
1 

2 


Studierende 
(S.-S.  1900) 


134 
80 

153 
55 
12 

112 

104 


650 


b)  Die  bischöflichen  Klerikalseminare. 

Sie  haben  dieselbe  Aufgabe  wie  die  theologischen  Fakultäten 
und  sind  von  den  praktischen  Priesterseminaren,  in  die  die  jungen 
Kleriker  erst  nach  Abschluß  ihrer  wissenschaftlichen  Studien  ein- 
treten, wohl  zu  unterscheiden.  Vgl.  über  sie  die  Abhandlung  über 
die  katholisch-theologischen  Fakultäten.  Außerhalb  Preußens  be- 
stehen solche  Anstalten  nur  noch  in  Mainz  und  Metz.  Über  die 
Frequenz  der  preußischen  Klerikalseminare  gibt  die  folgende  Tabelle 
für  das  Wintersemester  1899/1900  Aufschluß. 


514  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 


Kierikalseminar 


I 

.    Fulda 


Studierende 

aus  der  Provinz  andere    ;    andere 

der  Diözese  Preußen  '  Deutsche 


Zusammen 


65  (Hessen-Nassau)  5  5  75 

Paderborn r  123  (Westfalen)  28  —  151 

Pelplin  (Diözese  Kulm)  .     .    j    103  (Westpreußen)  7  —  110 

Posen 11    94  (Posen)  19  —  113 

156  (Rheinprovinz)  4  5  165 

11  (Hessen-N;issau)  —  —  11 

12  (Hannover)  2  1  15 


Trier  .  . 
I  Limburg  . 
I    Osnabrück 


Zusammen    |i  564  65  11  640 


Was  die  staatliche  Berechtigung  dieser  Anstalten  in  Preußen 
betrifft,  so  ist  sie  jetzt  durch  Art.  2  des  Gesetzes  vom  21.  Mai  18W) 
geregelt,  der  an  die  Stelle  des  §  6  des  Gesetzes  vom  31.  Mai  1873 
getreten  ist.  Hiernach  kann  das  vorgeschriebene  dreijährige  theo- 
logische Studium  auch  an  den  zur  wissenschaftlichen  Vorbildung  der 
Geistlichen  geeigneten  Seminaren  zurückgelegt  werden.  Die  Seminare 
sind  nur  für  diejenigen  Studierenden  bestimmt,  die  dem  Sprengel 
angehören,  für  den  das  Seminar  errichtet  ist.  Jedoch  kann  der 
Kultusminister  Ausnahmen  gestatten.  Der  Lehrplan  ist  dem  Uni- 
vcrsitätslehrplan  gleichartig  zu  gestalten  und  dem  Minister  mitzuteilen. 
Zur  Anstellung  an  diesen  Anstalten  ist  die  wissenschaftliche  Be- 
fähigung erforderlich,  an  einer  deutschen  Staatsuniversität  die  Disziplin 
zu  lehren,  für  welche  die  Anstellung  erfolgt. 

o)  Die  Kaiser  Wilhelms-Akademie  fiLr  das  militärärztliche  Bildungs- 
wesen in  Berlin*). 

Anknüpfend  an  die  seit  Friedrich  Wilhelm  I.  vielfach  gemachten 
Versuche    der    Schaffung     eines     gut    vorgebildeten    militärärztlichen 

*)  ^^S}'  J-  ^^-  ^"  r*reuß,  Das  Königl.  PreuÜ.  medizinisch-chirurgische  Friedrich 
Wilhelras-Institut  (iirsprünghch  chirui^ische  Pepiniere)  zu  Beriin.  Ein  geschichtlicher 
Versuch  zum  25.  SüfUmgstage  desselben  am  2.  August  1819.  Beriin  1816.  Ungerschc 
Buchdnickerci.  —  Schickert,  Die  mililärärztlichen  Bildungsanstalten  von  ihrer  Gründung 
bis  zur  Gegenwart.  Festschrift  zur  Feier  des  100jährigen  Bestehens  des  medizinisch- 
chirurgischen Friedrich  Wilhelms  -  Instituts.  Im  Auftrage  der  Medizinalableilung  de> 
Königl.  Kriegsministeriums  nach  amtlichen  (^)uellen  bearbeitet.  Mit  31  Tafeln  und  5  Ab- 
bildungen im  Text.  Berhn  1895.  Mittler  cV  Sohn.  —  Schickert,  Die  Feier  des 
100jährigen  Bestehens  des  medizinisch-chirurgischen  Friedrich  Wilhelms-Instituts.  Im 
Auftrage  der  Kaiser  Wilhelms-Akademie  für  das  mihlärärztliche  Bildungswesen  zusammen- 


Die  Kaiser  Wilhelms- Akademie  fiir  das  militärärztliche  Bildungswesen.  51 5 

Personak  arbeitete  der  Generalchirurgus  Johann  Görcke  in  den  Jahren 
1786—1795  —  zum  Teil  im  Anschluß  an  das  Vorbild  der  medizinisch- 
chirurgischen Josephs- Akademie  in  Wien  —  den  Plan  der  „Pepiniere" 
aus,  die  am  2.  August  1795  durch  Kgl.  Kabinetsorder  ins  Leben  trat; 
unter  Benutzung  dreier  älteren  Stiftungen,  des  Theatrum  anatomicum 
(vom  Jahre  1713),  des  Collegium  medico  -  chirurgicum  (vom  Jahre 
1724)  und  der  Charite  (vom  Jahre  1726)  faßte  die  Anstalt  in  einer 
für  die  damalige  Zeit  völlig  neuen  und  bahnbrechenden  Weise  die 
Medizin  und  die  Chirurgie  in  einem  gemeinsamen  Ausbildungsplan 
zusammen;  der  Unterricht  erstreckte  sich  bis  zum  Jahre  1845  neben 
den  Berufsfachern  auch  auf  die  sogenannten  Hilfswissenschaften 
(Geschichte,  Geographie,  Mathematik,  Philosophie)  und  die  Sprach- 
wissenschaften. Durch  die  Unglücksjahre  nach  1806  in  ihrem  Bestände 
öfters  bedroht,  lief  die  Anstalt  Gefahr,  infolge  der  Begründung  der 
Berliner  Universität  im  Jahre  1810  in  Fortfall  zu  kommen;  doch 
führte  schließlich  vielmehr  Görckes  tatkräftig  geführter  Hinweis  darauf, 
daß  die  Scheidung  zwischen  Militär-  und  Zivilärzten,  wenn  auch  sicher 
nicht  in  der  wissenschaftlichen  Ausbildung,  so  doch  in  der  Erziehung 
empfehlenswert  sei,  im  Jahre  1811  zu  der  Neugründung  einer  medi- 
zinisch-chirurgischen Akademie  für  das  Militär  neben  der  weiter  fort- 
bestehenden Pepiniere.  Im  Jahre  1818  erhielt  der  neue  Teil  der  Anstalt 
den  Namen  Friedrich  Wilhelms-Institut,  im  Herbst  1 824  bezog  die  Pe- 
piniere den  umfangreichen  Neubau  in  der  Friedrichstraße,  den  sie  noch 
heute  bewohnt;  nach  etwa  30  Jahren  eifriger  Arbeit  an  dem  inneren  Aus- 
bau der  engverbundenen  Institute,  der  u.a.  der  Forderung  der  Gymnasial- 
reife (seit  1825  bezw.  1852),  der  Einführung  des  tentamen  philosophicum 
und  der  Ausdehnung  des  naturwissenschaftlichen  Unterrichtes  galt, 
erfolgte  im  Jahre  1852  die  wissenschaftliche  Gleichstellung  der  Anstalt 
mit    der    Universität.      Die    weitere    Entwicklung    brachte    noch    eine 

gestellt.  Berlin  18%.  E.  S.  Mittler  &  Sohn.  —  Erinnerungsblätter  zur  100jährigen 
Stiftungsfeier  des  medizinisch-chirurgischen  Friedrich-Wilhelms-Instituts.  Den  Festteil- 
nehmem  gewidmet.  Mit  2  Tafeln  in  Buntdruck.  Ebenda  1895  (Inhalt:  Schjeming, 
Gedenktage  aus  der  Geschichte  des  Königl.  Preuß.  Sanitätskorps;  Mehlhauscn,  Vor 
50  Jahren;  Hecker,  Aus  dem  Leben  und  Treiben  der  Studierenden  des  Friedrich- WilheluLs- 
Instituts  in  den  70er  Jahren;  Deutsch-Brecht,  Beitrag  zur  Geschichte  der  Uniformierung 
der  preußischen  Militärärzte).  —  1*.  Sperling,  Die  Ausbildung  der  Militärärzte  im  Deutschen 
Reiche  (Sonderabdruck  aus  Klinisches  Jahrbuch  V.  BerHn  1894.  J.  Springer).  —  Der 
alljährlich  gelegentlich  des  Stiftungsfestes  der  Akademie  (2.  Dezember)  vom  Subdirektor 
zu  erstattende  Jahresbericht  wird  nicht  veröffentlicht.  Für  die  vorliegenden  Mitteilungen 
hatte  die  Direktion  der  Akademie  die  Güte,  dem  Verfasser  in  entgegenkommendster 
Weise  Material  zur  Verfügung  zu  stellen,  wofür  der  letztere  nicht  verfehlt,  seinen  er- 
gebensten Dank  auch  hier  auszusprechen. 


f)1f)  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

ganze  Reihe  anderer  organisatorischer  Änderungen,  unter  denen  die 
Einführung  besonderer  Vorlesungen  über  Kriegschirurgie  und  der 
militärärztlichen  Dienstinstruktion  einerseits  sowie  die  im  Jahre  187.*^ 
erfolgte  Einführung  des  Militärdiensthalbjahres  andererseits  hier  ge- 
nannt sein  mag.  Im  Jahre  1895  erhielt  die  nunmehr  zu  einer  Einheit 
zusammengefaßte  Anstalt  aus  Anlaß  des  hundertjährigen  Bestehens 
den  Namen  „Kaiser  Wilhelms -Akademie".  Ihre  Bestimmung  geht 
nach  der  jetzt  geltenden  Formulierung  dahin,  „solche  jungen  Leute  zu 
Sanitätsoffizieren  auszubilden,  welche  durch  ihre  Befähigung  und 
sonstige  Eigenschaften  vorzugsweise  berufen  erscheinen,  allseitig  durch- 
gebildete Ärzte  von  einer  möglichst  hohen  wissenschaftlichen  wie 
technischen  Leistungsfähigkeit  zu  werden.  Ihnen  dürfen  auch  die- 
jenigen Eigenschaften  des  Mannes  und  des  Soldaten  nicht  fehlen, 
durch  welche  allein  sie  in  den  Stand  gesetzt  werden,  die  gesammelten 
ärztlichen  Kenntnisse  für  das  Wohl  des  Heeres  zur  Geltung  zu  bringen". 

Kurator  der  Akademie  ist  der  Kriegsminister;  die  Direktion  besteht 
aus  dem  Generalstabsarzt  der  Armee  als  Direktor  und  einem  General- 
arzt als  Subdirektor,  der  wissenschaftliche  Senat  hat  zum  Vorsitzenden 
den  Direktor  und  besteht  im  übrigen  aus  etatsmäßigen  und  außer- 
etatsmäßigen  Mitgliedern.  Von  wissenschaftlichen  Beamten  ist  noch  ein 
Vorstand  der  Sammlungen  sowie  ein  Vorstand  der  sanitätsstatistischen 
Abteilung  zu  nennen.  Außerdem  besteht  eine  chemisch-hygienische 
Untersuchungsstelle  zum  Unterricht  der  Studierenden  und  zur  Aus- 
führung   größerer    Aufträge   und  Arbeiten  für  das  Kriegsministeriuni. 

Die  Studierenden  hören  die  Vorlesungen  ganz  wie  die  übriixtrti 
Studierenden  der  Medizin*):  die  Plätze  werden  für  sie  bei  den  ver- 
schiedenen Fachprofessoren  belegt,  die  dafür  ein  bestimmtes  Jahres- 
honorar erhalten.  Am  Beginn  eines  jeden  Semesters  wird  den 
Studierenden  der  ihnen  für  das  Semester  vorgeschriebene  Studienplan 
in  die  Hand  gegeben.  Zur  Unterstützug  der  Universitätsvorlesungen 
und  -Übungen  erhalten  die  Studierenden  Wiederholungsunterricht 
in  Anatomie,  Physiologie,  Physik  und  Chemie,  sowie  in  Chirurgie, 
Hygiene,  Geburtshilfe,  den  Krankheiten  der  Augen  und  der  Arznei- 
mittellehre. Von  Sammlungen  stehen  ihnen  zur  Verfügung  I.  die 
Büchersammlung,    2.  die    physikalische,    3.    die    Arzneimittel-,    4.  die 

*)  Daß  sie  nicht  bei  der  Universität  immatrikuliert  werden,  beruht,  wie  die  Aut- 
nahmebestimnmngen  vom  10.  September  1901  ausdrücklich  hervorheben,  „in  der  ( jeriihl>- 
barkeit,  welche  für  die  in  die  Anstalt  Aufgenommenen  der  Mihtärbehörde  zusteht,  un«l  in 
der  Unabhängigkeit  der  Leitung  und  Aulsichl**.  ,^Die  Hausordnung  bringt,**  wie  es  ebt  nda 
weiter  heißt,  „ül)er  die  natürliche  Rücksichtnahme  hinaus  keinerlei  Zwang  mit  sich." 


Die  Kaiser  Wilhelms-Akademie  für  das  militärärztliche  Bilclungswesen.         C^i  7 

anatomische,  5.  die  kriegschirurgische,  6.  die  Instrumenten-  und  Ver- 
bandmittel-Sammlung und  7.  die  Zusammenstellung  ärztlicher  Geräte, 
Modelle  usw.  In  den  Sammlungen  2 — 7  hören  sie  regelmäßig  im 
Semester  gehaltene  Vorträge  der  Sammlungsvorstände  (Sanitätsoffiziere 
der  Akademie).  Im  6.  und  7.  Semester  erhalten  sie  französischen 
und  englischen  Sprachunterricht  durch  je  einen  Lector  der  Universität, 
im  7.  und  8.  hören  sie  Vorlesungen  über  Kriegschirurgie,  im  8.  außer- 
dem eine  Vorlesung  über  Militärgesundheitspflege,  im  Q.Semester  endlich 
erhalten    sie  Vorträge    zur    Einführung    in    das  Militär-Sanitätswesen. 

Die  Anstalt  ist  für  die  Aufnahme  von  318  Studierenden  einge- 
richtet; an  der  Aufnahme  sind  alle  deutschen  Staaten  außer  Bayern 
beteiligt.  Zu  den  Aufnahmebedingungen  gehört,  daß  das  Lebensalter 
des  Betreffenden  nicht  über  21   Jahre  beträgt. 

Die  Studierenden  erhalten  vom  Staate  als  Beihilfe  zur  Bestreitung 
des  Lebensunterhaltes  eine  monatliche  Zulage  von  .'W  M.  und  freie 
Wohnung  in  dem  Anstaltsgebäude  nebst  Zubehör,  Heizung  und  Er- 
leuchtung, bezw.  —  und  zwar  zur  Zeit  117  Studierende  —  an  Stelle 
der  freien  Wohnung  usw.  noch  eine  Wohnungsgeldentschädigung  von 
20  M.  im  Sommer,  'M  M.  im  Winter. 

Die  Aufnahmebestimmungen  vom  Jahre  1901  betonen  ausdrück- 
lich, daß  die  noch  vielfach  verbreitete  Ansicht,  die  Kaiser  Wilhelms- 
Akademie  sei  besonders  dazu  geeignet,  den  Söhnen  nicht  hinlänglich 
bemittelter  Eltern  das  Studium  der  Medizin  zu  ermöglichen,  durchaus 
irrig  und  daß  bei  der  Auswahl  unter  den  Angemeldeten  allein  die 
Notwendigkeit  maßgebend  ist,  für  den  Heeres-Sanitätsdienst  die  am 
besten  geeigneten  Kräfte  zu  gewinnen.*)  Freistellen  sind  in  der 
Anstalt  nicht  vorhanden. 

Im  Herbst  1901  erfolgte  die  erste  Aufnahme  seit  Einführung  der 
neuen  Prüfungsordnung  vom  28.  Mai  1901.  Von  diesem  Zeitpunkt 
an  gerechnet  haben  bisher  Aufnahme  in  die  Akademie  gefunden  aus 
den  Gymnasien  92,86  ^/o,  aus  den  Realgymnasien  7,U%,  aus  den 
Oberrealschulen  und  dem  Kadettenkorps  keine  der  Studierenden. 
Was  die  neuerdings  von  den  Medizinern  geforderte  praktische  Aus- 
bildung nach  beendetem  Studium  betrifft,  so  bestimmt  die  Prüfungs- 
ordnung vom  28.  Mai  1901,  daß  „für  die  aus    der   Kaiser  Wilhelms- 


*)  Wenigstens  anmerkungsweise  sei  erwähnt,  (laß  solchen  Medizinern,  die  sich, 
ohne  die  „P^pini^re"  besucht  zu  haben,  auf  eine  Reihe  von  Jahren  der  Armee  als 
Militärärzte  zur  Verfügung  stellen,  ein  Teil  ihrer  Studienkosten  nachträglich  von  der 
Heeresverwaltung  vergütet  wird;  der  dafür  vorhandene  Fonds  ist  neuerdings  von  36000 
auf  84  000  M.  erhöht  worden. 


518  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

Akademie  für  das  militärärztliche  Bildungswesen  hervorgehenden 
Unterärzte,  welche  vor  Ablegung  der  ärztlichen  Prüfung  in  das 
Charite-Krankenhaus  zu  Berlin  kommandiert  werden,  diese  Zeit  auf 
das  praktische  Jahr  angerechnet  wird". 

An  Studienhonoraren  für  die  Lehrer  an  der  Kaiser  Wilhelms- 
Akademie  sind  im  Etat  für  1903 — 4  vorgesehen:  21  feste  Honorare  zu 
600  M.  und  1  zu  450  M.  Privathonorargelder  89  200  M.  Die  Mitglieder 
des  Wissenschaftlichen  Senates,  die  nicht  aktive  Sanitätsoffiziere  sind, 
erhalten  eine  Zulage.  Der  Etat  der  Anstalt  betrug  für  das  Jahr 
190:^—1904:  Besoldungen  28  660  M.  (der  Generalstabsarzt  der  Armee 
und  Direktor,  sowie  1  Subdirektor,  1  Oberstabsarzt  und  38  Stabs- 
ärzte erhalten  ihr  Gehalt  aus  anderen  Kapiteln  des  Etats),  andere 
persönliche  Ausgaben  2^^^  870  M.,  sächliche  und  vermischte  Ausgaben 
1 47  844  M.  Der  Gesamtetat  also  41 3  374  M.  Die  Akademie  verwendet, 
neben  den  Zinsen  aus  milden  Stiftungen  zu  besonderen  Zwecken,  außer- 
dem die  Zinsen  eines  Stammkapitals  von  1 2  000  M.  zu  Unterstützungen 
an  Ärzte  der  Akademie  bei  wissenschaftlichen  Studien,  zur  Ver- 
mehrung der  Bibliothek,  Anschaffung  von  Instrumenten,  Phantomen, 
anatomischen  und  anderen  Präparaten  und  deren  Erhaltung. 

Dr.   Ziehen. 

d)  Die  Königliche  Akademie  zu  Posen. 

Die  am  4.  November  1903  durch  den  preußischen  Minister  der 
geistlichen,  Unterrichts-  und  Medizinalangelegenheiten  Dr.  Studt  er- 
öffnete Königliche  Akademie  zu  Posen  bildet  ein  Glied  jener  Kette 
von  Veranstaltungen,  welche  berufen  sind,  das  geistige  und  wirtschaftliche 
Gemeinwohl  in  den  Ostmarken  durch  wissenschaftliche  Arbeit  und  Be- 
lehrung zu  fördern.  Während  in  West-  und  Mitteldeutschland  jede  Provinz 
und  jeder  größere  Bundesstaat  sich  des  Besitzes  einer  eigenen  Universität 
erfreute,  war  der  gesamte  Osten  Deutschlands  bisher  auf  die 
beiden  Hochschulen  zu  Königsberg  und  Breslau  als  ihre  einzigen 
akademischen  Bildungsstätten  ^angewiesen.  Weder  eine  Universität 
noch  eine  andere  Hochschule  konnten  die  Provinzen  West- 
preußen und  Posen  ihr  eigen  nennen.  Doch  „wo  dem  Deutschen 
kein  geistiges  Leben  blüht,  wo  ihm  Kunst  und  Wissenschaften  fehlen, 
verkümmert  er**,  so  äußerte  der  Reichskanzler  Graf  Bülow  in  seiner 
Rede  im  preußischen  Abgeordnetenhause  am   13.  Januar   1W2. 

Diese  Erwägung  gab  den  Anlaß  zur  Begründung  der  Posener 
Akademie. 

Im  Gegensatze  zu  den  anderen  deutschen   Hochschulen    wendet 


Die  Königliche  Akademie  zu  Posen.  ()\C) 

sich  diese  Bildungsanstalt  nicht  an  die  studierende  Jugend,  sondern  an  die 
weiten  Kreise  aller  Gebildeten  und  Bildungsbedürftigen  in  der  Absicht, 
nach  allen  Seiten  hin  ermutigend,  fördernd  und  umgestaltend  auf  die 
wissenschaftliche,  künstlerische  und  technische  Entwicklung  einzuwirken. 

Ihre  Lehrtätigkeit  besteht  in  der  Abhaltung  von  Vorlesungen 
und  seminaristischen  Übungen,  die  sich  auf  alle  für  eine  der- 
artige Organisation  in  Betracht  kommenden  Gebiete  erstrecken, 
so  auf  Rechtswissenschaft  und  Volkswirtschaftslehre,  Medizin  und 
Naturwissenschaft,  Mathematik  und  Philosophie,  Geschichte  und 
Erdkunde,  Kunstgeschichte,  Literatur  und  Sprachwissenschaft, 
Handelswissenschaft  und  Landwirtschaftsieh  rc.  Daneben  sollen 
noch  für  bestimmte  Berufszweige  besondere  Fach-  und  Fortbildungs- 
kurse eingerichtet  werden,  wobei  namentlich  an  neusprachliche, 
natun\'issenschaftliche  und  hygienische  Ferienkurse  für  Oberlehrer  und 
Lehrerinnen,  an  bakteriologische  Kurse  für  Ärzte,  Zahnärzte  und  Vete- 
rinärbeamte, an  volkswirtschaftliche  und  technische  Kurse  für  Juristen 
und  Verualtungsbeamte,  an  neusprachliche  und  naturwissenschaft- 
liche Kurse  für  Offiziere  usw.  gedacht  wird. 

Nebenbei  ist  der  Akademie  noch  die  Aufgabe  zugeteilt,  die 
Deutsche  Gesellschaft  für  Kunst  und  Wissenschaft  zu  Posen,  welche 
am  12.  Oktober  1901  ihre  Tätigkeit  begann  und  die  Abhaltung  von 
wissenschaftlichen  Vorträgen  in  der  Stadt  und  Provinz  Posen  bezweckt, 
bei  der  Veranstaltung  ihrer  Wandervorträge  mit  Rat  und  Tat  zu 
unterstützen. 

Über  die  Organisation  der  Akademie,  die  Zusammensetzung  des 
Lehrkörpers  und  die  Zulassungsbedingungen  für  die  Studierenden 
geben  die  unter  dem  28.  August  1903  durch  Allerhöchste  Order 
genehmigten  Statuten  Aufschluß. 

§  1.  Die  Königliche  Akademie  zu  Posen  hat  die  Aufj^abe,  das  deutsche  Geisles- 
leben in  den  Oslmarken  durch  ihre  Lehrtätigkeit  und  ihre  wissenschaftlichen  Bestrebungen 
zu  fördern. 

Die  Lehrtätigkeit  besteht  vornehmlich  in  der  Abhaltung  von  Vorlesungen,  Vor- 
trags- sowohl  wie  Übungsvorlesungen,  daneben  aber  auch  in  der  Einrichtung  und  Leitung 
wissenschaftlicher  Fortbildungskurse  für  verschiedene  Berufszweige.  Außerdem  hat  die 
Akademie  die  Verpflichtung,  der  Gesellschaft  für  Kunst  und  Wissenschaft  in  Posen  bei 
der  Veranstaltung  von  Vorträgen  für  weitere  Kreise  mit  Rat  und  Tat  hilfreich  zur  Hand 
zu  gehen. 

§  2.  Die  Akademie  ist  eine  Veranstaltung  des  Staates  und  hat  alle  Rechte  einer 
privilegierten  Korporation.  Sie  fuhrt  ein  eigenes  Siegel  und  bedient  sich  desselben  in 
öffentlichen  Ausfertigungen. 

§  3.  Die  Akademie  steht  unter  der  Aufsicht  Unseres  Ministers  der  geistlichen, 
Unterrichts-  und  Medizinal-Angelegenheiten.  An  Ort  und  Stelle  wird  die  Aufsicht  durch 
den  Kurator  als  Organ  des  Ministers  ausgeübt.     Ihm  liegt  es   insbesondere  ob,    die  Ver- 


520  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

mögens-  und  Kassenven^altung  der  Akademie  zu •  leiten  und  dieselbe  in  allen  Rechts- 
geschäften und  Rechtsstreitigkeiten  vor  imd  außer  Gericht  zu  vertreten.  Der  ganze  Ge- 
schäftsverkehr zwischen  der  Akademie  und  dem  Minister  geht  durch  die  Hand  des 
Kurators. 

§  4.  An  der  Spitze  der  Akademie  steht  der  Rektor.  Er  hat  vorbehaltlich  der 
Bestimmung  in  §  3  die  Vertretimg  der  Akademie  wahrzunehmen  und  im  Senat  den 
Vorsitz  zu  fuhren. 

Der  Rektor  wird  vom  Senate  aus  der  Zahl  der  Professoren  auf  drei  Jahre  gewählt. 
Die  Wahl  bedarf  der  Bestätigung  durch  den  Minister. 

Im  Falle  der  Verhinderung  des  Rektors  liegt  die  Stellvertretung  dem  Prorektor  ob. 

§  5.  Zur  Erledigung  der  laufenden  Geschäfte  ist  die  Verwaltungskommission 
berufen,  die  aus  dem  Rektor,  einem  vom  Senat  jedesmal  auf  drei  Jahre  gew^ählten  Mit- 
glied und  dem  Syndikus  besteht.    Der  Syndikus  wird  von  dem  Minister  auf  Zeit  bestellt. 

Entsteht  unter  den  Mitgliedern  der  Verwaltungskommission  eine  Meinungs- 
verschiedenheit, so  ist  jedes  befugt,  die  Entscheidung  des  Senates  anzurufen. 

§  6.  Die  Verwaltung  der  gemeinsamen  Angelegenheiten  der  Akademie  liegt  dem 
Senate  ob,  der  aus  sämtlichen"  Professoren  und  dem  Syndikus  zusammengesetzt  ist.  Bei 
der  Wahl  des  Rektors,  bei  der  Feststellung  des  Lehrplanes  und  bei  Fragen,  die  sich 
auf  die  .Abänderung  der  Satzung  beziehen,  werden  zu  den  Sitzungen  des  Senates  auch 
die  Honorarprofessoren  und  die  Dozenten  als  stimmbcre(jhtigte  Mitglieder  zugezogen. 
(Erweiterter  Senat.) 

§  7.  Der  Senat  faßt  seine  Beschlüsse  mit  Stimmenmehrheit.  Bei  Stimmen- 
gleichheit gibt  die  Stimme  des  Rektors  den  Ausschlag. 

§  8.  Der  I^hrkörper  besteht  aus  den  Professoren,  den  Honorarprofessoren  und 
den  Dozenten.  Dieselben  werden  von  dem  Minister  ernannt.  V'or  der  P>neimung  eines 
Professors  ist  in  der  Regel  der  Senat  mit  seinen  gutachtlichen  Vorschlägen  zu  hören. 

Jedes  Mitglied  des  I^hrkörpers  hat,  soweit  nicht  bezüglich  seiner  besondere  Fe<t- 
set/Ainjijen  j^etroflen  sind,  an  der  lA-.hrtätigkeit  der  Akademie  in  dem  durch  den  Lehr])lan 
gegebenen  Umfange  teilzunehmen  und  an  der  Krfüliunj»  <Ier  sonstigen  Aurgal)cn  der 
.Akademie  nach  besten  Kräften  mitzuwirken. 

sj  9.  Der  Lehrplan  wird  für  jedes  Semester  auf  Cirund  der  \ Orschliijje  des  Senaten 
von  der  Verwallungskomniission  aufgestellt  und  dem  Minister  zur  (Genehmigung  vorgelegt. 

sij  10.  Über  die  Aufnahme  als  Hörer  entscheidet  die  \  erwaltung.skomnii>sion. 
Die  Zulassung  setzt  den  Nachweis  der  wissenschaftlichen  Befähigung  für  den  einjährig- 
freiwilligen  Dienst  oder  einer  anderen  gleichwertigen  Bildung  voraus;  jedoch  kann  die 
Verwaltungskommission  auch  ohne  solchen  Nachweis  Personen,  die  die  Gewähr  dafür 
bieten,    daß  sie  an  den  Vorlesungen  mit  Erfolg  teilnehmen  können,    als  Hörer    /ulav^en. 

Die  Kigenschaft  als  Hörer  wird  erworben  durch  die  vom  Rektor  vorzunehmeiule 
Einsclireibung  in  das  Album  der  Akademie;  hierbei  haben  «lie  Hörer  die  Veq)flichtuug 
zu  ül)ernehmcn,  sich  der  Ordnung  der  Akademie  zu  fügen. 

Die  Einschreibegebühr  beträgt  10  Mark,  außerdem  wird  ein  Auditorienj^eld  von 
5  Mark  für  jedes  Semester  erhoben. 

§  11.  An  den  Vorlesungen  dürfen  nur  eingeschriebene  Hörer  teilnehmen,  welche 
die  X'orlesung  angenommen  haben;  jedoch  ist  vor  der  Aiuiahme  dreimaliges  Hospitieren 
gestattet. 

Die  Zulassung  zu  den  Fortbildungskursen  setzt  »lie  Kigenschaft  als  Hörer  nicht 
voraus  und  regell  sich,  abgesehen  von  der  Trage  der  Honorarzahlung  (iij  12>,  nacli  den 
l)esonderen  Bestimmungen,  die  der  Lehrer  mit  (Genehmigung  der  \'erv\altungskommi->ion 
zu  tretfen  liat. 

§  12.  Di<'  \  Ortragsvorlesungen  rinden  unentgeltlich  statt.  Für  die  l'bung>- 
vorlesungen  und  l'ortlnldungskurse  darf  mit  Zustimmung  des  Mini.sters  Honorar  erhoben 
werden. 


Die  Königliche  Akademie  zu  Posen.  ()21 

4$  13.  Jeder  Hörer  erhält  bei  seinem  Abgange  von  der  Akademie  auf  seineu 
Antrag  gegen  Zahlung  einer  (Jebühr  von  6  Mark  ein  Abgangszeugnis,  in  welches  die 
von  ilim  angenommenen  Vorlesungen  einzutragen  sind. 

Wer  die  Akademie  vier  Semester  hindurch  besucht  hat,  ist  berechtigt,  .sich  der 
Diplomj)rüfung  nach  näherer  Bestimmung  der  Ordnung  über  diese  Prüfung  zu  unterziehen. 

§  14.  Die  Eigenschaft  als  Hörer  geht  verloren  durch  Ablauf  von  zwei  Jahren  .seit 
dem  Tage  der  Kin.schreibung,  wodurch  jedoch  eine  neue  Einschreibung  nicht  ausgeschlossen 
wird.  Wer  nicht  binnen  drei  Wochen  nach  Beginn  des  Semesters  mindestens  eine  Vor- 
lesung angenommen  hat,  kann  durch  den  Rektor  in  dem  Album  der  Akademie  gestrichen 
werden.  Außerdem  kann  die  Eigenschaft  al.»»  Hörer  wegen  Verstößen  gegen  die  Ordnung 
der  Akademie  durch  Beschluß  des  Senates  auf  Antrag  der  Verwaltungskommission 
eni/ogen  werden. 

§  15.  Die  Beamten  und  ünterbeamten  werden  auf  Vorschlag  der  Verwaltungs- 
kommission von  dem  Kurator  ernannt;  ihr  nächster  Dienstvorgesetzter  ist  der  Rektor. 

§  16.  Die  Akademie  ist  berechtigt,  durch  einstimmigen  Beschluß  des  Senates  mit 
Cienehmigung  des  Ministers  Personen,  welche  sich  um  die  Förderung  des  deutschen 
Geisteslebens  in  den  Ostmarken  hervorragend  verdient  gemacht  haben,  zu  Ehrenmitgliedern 
zu  ernennen. 

§  17.     Diese  Satzung  tritt  mit  der  ?>öffnung  der  Akademie  in  Kraft. 

Die  Stellen  des  Rektors  und  Prorektors  werden  für  die  erste  Amtsperiode,  die 
nicht  drei,  sondern  nur  zwei  Jahre  dauert,  durch  den  Minister  besetzt. 

Wie  schon  aus  diesen  Statuten  hervorgeht,  ist  die  Po.sener 
Akademie  eine  ganz  neue,  eigenartige  Erscheinung,  da  sie  die  bis- 
herigen Traditionen  des  Hochschulunterrichts,  auf  den  künftigen  Beruf 
vorzubereiten,  verläßt  und,  ohne  irgendwelche  Berechtigungen  und 
Vorteile  zu  verheißen,  nur  der  Verbreitung  wissenschaftlicher  Erkenntnis 
und  der  Pflege  des  deutschen  Idealismus  dienen  will.  Die  Zweifel, 
die  sich  anfanglich  erhoben,  ob  sich  solche  Bestrebungen  in  einer 
Stadt  von  etwa  117  000,  nur  zur  kleineren  Hälfte  deutschsprachigen 
Einwohnern,  und  innerhalb  einer  Provinz  von  nur  geringer  Bevölkerungs- 
dichtigkeit überhaupt  verwirklichen  lassen  würden,  wurden  schon  bei 
der  Eröffnung  der  Akademie  durch  die  außerordentlich  zahlreiche 
Einschreibung  von  Studierenden  zerstreut.  In  dem  ersten  jetzt  abge- 
laufenen Semester  (Winter  190(V04)  wurden  im  ganzen  1148  Zuhörer 
immatrikuliert,  sodaß  den  88,  wöchentlich  stattfindenden  Vortrags- 
stunden eine  stattliche  Zuhörerzahl  gewährleistet  war.  Wie  anderwärts, 
so  war  auch  hier  das  größte  Interesse  den  literarisch-ästhetischen 
Vorlesungen  zugewandt.  So  wurde  Professor  Kühnemanns  Faust- 
vorlesung von  482,  Professor  Schwerings  „Deutsche  Literatur- 
geschichte des  19.  Jahrhunderts"  von  355  Hörern  belegt.  Daß  aber 
auch  ein  reges  reinwissenschaftliches  Streben  in  der  Posener  Bevölkerung 
vorhanden  ist,  und  daß  man  daselbst  vor  ernster,  geistiger  Arbeit 
keineswegs  zurückschreckt,  beweist  der  Umstand,  daß  sich  zur 
„Einführung    in    die    Philosophie    durch    die    Behandlung   von    Piatos 


522  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

Staat,  Aristoteles  Metaphysik,  Spinozas  Ethik  und  Kants  Kritik  der 
reinen  Vernunft**  (Kühnemann)  336  Zuhörer,  zu  einer  Vorlesung  über 
Logik  112,  zu  Wicdenfelds  Vorträgen  über  „Deutschlands  Wirtschafts- 
entwicklung im  19.  Jahrhundert"  154  Teilnehmer  zusammenfanden. 
Den  Lehrkörper  bilden  außer  dem  Rektor  (Professor  Dr.  E.  Kühne- 
mann) und  dem  Prorektor  (Medizinalrat  Professor  Dr.  Wemicke) 
11  teils  hauptamtlich,  teils  nebenamtlich  wirkende  Professoren, 
4  Dozenten  und  11  in  Posen  ansässige  oder  auswärtige  Gelehrte, 
welche  mit  der  Abhaltung  von  Vorlesungen  beauftragt  sind. 

Der  starke  Erfolg,  den  die  Posener  Akademie  im  ersten  Semester 
ihres  Bestehens  errungen  hat,  bietet  die  beste  Gewähr  dafür,  daß  sie 
in  Verbindung  mit  den  übrigen  dort  bereits  vorhandenen  wissen- 
schaftlichen Instituten,  der  im  Jahre  1901  eröffneten  Kaiser  Wilhelm- 
Bibliothek,  dem  Kaiser  Friedrichs-Museum,  dem  hygienischen  Institut, 
für   das   wissenschaftliche  Leben    im  Osten  Deutschlands  neue  reiche 

Quellen  erschließen  wird. 

J.   Norrenberg. 

e)  Die  wissenschaftlichen  Anstalten  und  das  Vorlesnngswesen  in 

Hamburg. 

In  Hamburg  wurde  1613  das  akademische  Gymnasium  gegründet, 
welches  als  eine  Mittelanstalt  zwischen  Schule  und  Universität  die 
,, Fortsetzung  der  Ausbildung  in  den  Schul  Wissenschaften  und  Beför- 
derung einer  gründlichen,  allseitig  wissenschaftlichen  Vorbereitung  der 
von  der  Schule  Abgehenden  zur  Erlernung  der  den  Universitäten 
ausschliefMich  vorbchaltenn  Wissenschaften"  bezweckte.  Zur  Erfüllung 
dieser  Aufgabe  sollten  nach  der  „Ordnung  des  Gymnasü  von  1(>52'* 
in  demselben  „hinfürter  nebenst  dem  Rectore  noch  fünf  Professors 
bestellet,  und  von  ihnen  Mathesis,  Logica,  Metaphysica,  Physica,  Philo- 
sophia  Practica,  Studium  eloquentiae,  historiarum,  humanitatis  et  lin- 
guarum,  nachdem  einem  jeglichen  seine  Profession  zugeordnet,  ge- 
trieben, die  Theologica  aber  vom  Secundario  Lectore  im  Dohm  am 
gewöhnlichen  Orte  gelesen  werden". 

Der  Zutritt  zu  diesen  Vorlesungen  stand  bis  in  die  Mitte  des 
18.  Jahrhunderts  ausschließlich  den  am  Akademischen  Gymnasium  in- 
skribierten Gymnasiasten  offen,  wie  dementsprechend  auch  der  Inhalt 
der  Vorlesungen  ausschließlich  den  Zwecken  der  letzteren  diente. 

Das  Akademische  Gymnasium  stand  lange  Zeit  hindurch  in 
Blüte;  der  wissenschaftliche  Ruf  seiner  Professoren,  unter  denen  sich 
Männer    wie    Joachim    Jungius,    Johann    Albert    Fabricius,    Hermann 


Die  wissenschaftlichen  Anstalten  und  das  Vorlesungswescn  in  Hamburg.        f)23 

Samuel  Reimarus,  Johann  Christoph  und  Johann  Christian  Wolf,  Jo- 
hann Georg  Busch,  Johannes  Gurlitt  und  in  späterer  Zeit  C.  F.  Wurm, 
L.  K.  Aegidi  und  H.  C.  Reichenbach  befanden,  ging  weit  über  die 
Grenzen  Hamburgs  hinaus. 

Mit  den  veränderten  Verhältnissen  der  neueren  Zeit  nahm  in- 
dessen der  Besuch  der  Anstalt  mehr  und  mehr  ab,  und  die  Professoren 
des  Gymnasiums  suchten  und  fanden  neben  der  ihnen  durch  das  Ge- 
setz vorgeschriebenen  Ausbildung  der  Gymnasiasten  einen  neuen 
Wirkungskreis  in  der  Veranstaltung  öffentlicher  Vorlesungen, 
welche  dazu  bestimmt  waren,  in  weiteren  Kreisen  gemeinnützige 
Kenntnisse  zu  verbreiten  und  die  Ergebnisse  streng  wissenschaftlicher 
Forschung  auch  dem  großen  Publikum  zugänglich  zu  machen. 

Der  erste  Schritt  hierzu  wurde  getan,  indem  zu  den  eigentlichen, 
für  Gymnasiasten  bestimmten  Vorlesungen  auch  solche  Hörer  zuge- 
lassen wurden,  welche  dem  Verbände  des  Akademischen  Gymnasiums 
nicht  angehörten.  Dann  aber  folgten  auch  Vorlesungen,  welche  den 
ausgesprochenen  Zweck  hatten,  nur  den  Interessen  des  nach  Fortbil- 
dung verlangenden  größeren  Publikums  zu  dienen.  Als  der  Begründer 
dieser  Art  von  Vorlesungen  wird  in  dem  Programm  des  Akademischen 
Gymnasiums  wiederholt  Johann  Georg  Busch  genannt,  welcher  von 
1756 — 1800  die  Professur  der  Mathematik    an    der  Anstalt   innehatte. 

Die  Bemühungen  Büsch's,  dem  Akademischen  Gymnasium  eine 
neue  Sphäre  des  Lebens  durch  Verbreitung  reicherer  Kenntnisse  auch 
unter  der  Klasse  der  NichtStudierenden  zu  erobern,  zogen  gleiche 
Veranstaltungen  seiner  Kollegen  am  Akademischen  Gymnasium  nach 
sich,  und  in  den  Programmen  desselben  wird  dieser  neuen  Art  der 
Tätigkeit  allmählich  ein  größeres  Feld  von  den  Professoren  einge- 
räumt. Der  Erfolg  dieser  nach  obigen  Mitteilungen  rein  faktisch  ins 
Leben  getretenen  Vorlesungen  war  ein  so  großer,  daß  sich  auch 
später  die  Gesetzgebung  zur  formellen  Sanktionierung  derselben 
veranlaßt  sah:  Das  revidierte  Gesetz  für  das  Akademische  Gymnasium 
vom  21.  Juni  1837  machte  der  Anstalt  neben  der  bisher  schon  von 
ihr  erfüllten  Aufgabe  der  Vorbereitung  der  Gymnasiasten  für  die  Uni- 
versität ausdrücklich  auch  „die  Verbreitung  wissenschaftlicher,  sowohl 
eine  allgemeine  Bildung  befördernder,  als  in  das  praktische  Leben 
eingreifender  Kenntnisse  im  allgemeinen"  zur  Pflicht  (§  1 ).  Die  „auch 
für  Nicht-Gymnasiasten  bestimmten**  Vorlesungen  sollen  von  den  Pro- 
fessoren unentgeltlich  gehalten  werden.  Jeder  der  Professoren  hat 
jährlich  mindestens  über  einen  Gegenstand  dergleichen  Vorlesungen 
zu  halten. 


()24  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

So  wurden  aus  dem  Gebiete  der  Geschichte,  Kunstgeschichte. 
Philosophie,  Naturwissenschaften  usw.  bis  zur  Auflösung  des  Akade- 
mischen Gymnasiums  im  Jahre  1883  die  verschiedensten  öffentlichen 
Vorlesungen  gehalten,  und  zwar  nicht  nur  von  den  Professoren  des 
Akademischen  Gymnasiums,  sondern  auch  von  anderen  Gelehrten, 
von  denen  einige  sogar  ständig  mit  dem  Halten  öffentlicher  Vor- 
lesungen beauftragt  wurden. 

Während  aber  die  öffentliche  Vorlesungstätigkeit  des  Akademi- 
schen Gymnasiums  in  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  sich  in  der  er- 
freulichsten Weise  entfaltet  hatte,  zeigte  sich  um  dieselbe  Zeit  mehr 
und  mehr  an  der  immer  geringer  werdenden  Zahl  der  Gymnasiasten, 
daß  sich  die  Anstalt  als  Mittelstufe  zwischen  Gymnasium  und 
Universität  überlebt  hatte.  In  dieser  Erkenntnis  wurden  auch  die 
vakant  werdenden  Professuren  nicht  wieder  besetzt,  eine  Maßnahme, 
welche  mit  dem  Beginn  der  achtziger  Jahre  allerdings  auch  eine  sehr 
erhebliche  Abnahme  der  öffentlichen  Vorlesungstätigkeit  zur  Folge 
hatte.  Im  Jahre  1 882  befand  sich  nur  noch  der  Professor  der  Botanik 
in  Funktion.  Nach  langen  Verhandlungen  über  die  schwierige  Frage, 
ob  etwa  eine  „Wissenschaftliche  Akademie'*  oder  ein  anderes  höheres 
Bildungsinstitut  an  die  Stelle  der  in  ihrer  bisherigen  Form  nicht  mehr 
aufrecht  zu  erhaltenden  Anstalt  gesetzt  werden  könnte,  wurde  endlich 
im  Jahre  1883  die  Aufhebung  dos  Akademischen  Gymnasiums  be- 
schlossen. 

In  der  nun  folgenden  zweiten  Periode  geht  die  Führung  auf  die 
wissenschaftlichen  Anstalten  Hamburgs  über. 

Zu  diesen  Anstalten  gehörten  anfangs  die  Stadtbibliothek,  der 
Botanische  Garten,  die  Sternw^arte,  das  Chemische  Staats-Laboratorium. 
das  Physikalische  Kabinett  des  akademischen  Gymniisiums  und  das 
Naturhistorische  Museum.  Später  traten  als  selbständig  organisierte 
Institute  noch  dcLS  Museum  für  Kunst  und  Gewerbe,  die  Sammlung 
Ilam burgischer  Altertümer,  das  aus  dem  Physikalischen  Kabinett 
hervorgegangene  Physikalische  Staats-Laboratorium  sowie  das  Museum 
für  Völkerkunde  und  chxs  Botanische  Museum  und  Laboratorium  für 
Warenkunde  hinzu.  Für  diese,  der  Oberschulbehörde,  Sektion 
für  die  wissenschaftlichen  Anstalten,  unterstehenden  Institute 
traf  (las  Gesetz  vom  21.  Mai  1883  unter  anderem  folgende  Bestim- 
mungen, auf  denen  das  Vorlesungswesen  Hamburgs  in  seiner 
heutigen  Gestalt  beruht. 

, »Sämtliche  Direktoren    (der  wis.sen.schaftlichen  Anstalten)  sind 


Die  wissenschaftlichen  Anstalten  und  das  Vorlesungswescn  in  Hamburg.        525 

zur  Haltung  wissenschaftlicher,  öffentlicher  oder  nicht  öffent- 
licher Vorträge  verpflichtet." 

„Die  Oberschulbehörde  wird  ermächtigt,  auch  noch  andere 
öffentliche,  nicht  öffentliche  Vorlesungen  oder  Einzelvorträge  aus  dem 
Gebiete  der  Geschichte,  der  Philosophie,  der  Literatur,  der  Sprach- 
wissenschaften, der  Kunstgeschichte,  der  Nationalökonomie,  der  Mathe- 
matik, der  Meteorologie  und  anderer  Wissenschaften  zu  veranlassen 
und  zu  honorieren.  Für  diese  Ausgaben  wird  im  Jahresbudget  ein 
Posten  von  12000  M.  zur  Verfügung  gestellt. 

Für  die  nicht  öffentlichen  Vorträge  sowohl  der  Direktoren  als 
der  besonders  damit  beauftragten  Gelehrten  kann  von  der  Oberschul- 
behörde die  Entrichtung  eines  von  den  regelmäßigen  Zuhörern  zu 
zahlenden  Honorars  angeordnet  werden,  welches  in  der  Regel  für  die 
wöchentliche  Stunde  im  Semester  5  M.  beträgt.  Dasselbe  ist  pränu- 
merando an  näher  zu  bezeichnender  Stelle  zu  bezahlen  und  dem- 
nächst an  das  Bureau  der  Oberschulbehörde  für  die  Staatskasse  ab- 
zuliefern." 

Später  wurde  durch  die  Gehaltsgesetze  vom  30.  März  18%  und 
30.  März  1900  die  den  Direktoren  der  wissenschaftlichen  Anstalten 
auferlegte  Verpflichtung  zur  Haltung  öffentlicher  und  nicht  öffent- 
licher Vorlesungen  auch  auf  die  Assistenten  der  wissenschaftlichen 
Anstalten  ausgedehnt. 

Den  mitgeteilten  Bestimmungen  des  Gesetzes  vom  21.  Mai  1883 
gemäß  sind  in  den  Jahren  1883 — 1895  nicht  nur  von  den  Direktoren 
und  Assistenten  der  wissenschaftlichen  Anstalten,  sondern  auch  von 
einzelnen  anderen  Hamburger  Gelehrten,  insbesondere  von  dem  im 
Jahre  1887  durch  Beschluß  von  Senat  und  Bürgerschaft  zum  ständigen 
Dozenten  für  Geschichte  bestellten  Professor  Dr.  Adolf  Wohlwill, 
öffentliche  Vorlesungen  gehalten  worden. 

Der  Wunsch,  die  Zahl  der  behandelten  Wissenschaftsgebiete, 
den  Intentionen  des  Gesetzes  vom  21.  Mai  18K^  entsprechend,  zu  er- 
weitern und  die  Erkenntnis  des  Mangels  systematischer  Folge  bei 
einzelnen  der  bisherigen  Vorlesungskurse  veranlaßten  die  1.  Sektion 
der  Oberschulbehörde  (Sektion  für  die  wissenschaftlichen  Anstalten) 
im  Jahre  1895  zur  Einsetzung  einer  aus  drei  ihrer  Mitglieder  be- 
stehenden Kommission,  welcher  die  Aufgabe  gestellt  wurde,  unter 
Mitwirkung  der  Direktoren  der  wissenschaftlichen  Anstalten  das  ge- 
samte Vorlesungswesen  einer  Neuordnung  zu  unterziehen  und  all- 
jährlich die  erforderlichen  Dispositionen  für  die  Feststellung  des  Vor- 
lesungsprogrammes  selbständig  zu  treffen. 

Das  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    I.  40 


f)26  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

Mit  diesem  Jahre  beginnt  die  dritte  —  gegenwärtige  —  Periode 
des  Hamburgischen  Vorlesungswesens. 

Das  Gesetz  betreffend  die  wissenschaftlichen  Anstalten  vom 
11.  Oktober  1901  gab  der  Organisation  eine  noch  festere  Gestalt. 
Die  Direktoren  der  Anstalten  und  die  fest  angestellten  „Professoren" 
bilden  den  „Professorenkonvent  der  wissenschaftlichen  Anstalten". 
Der  Konvent  wählt  jährlich  aus  seiner  Mitte  einen  Vorsitzenden  vor- 
behaltlich der  Bestätigung  durch  die  Oberschulbehörde.  Außer  der 
Erstattung  von  Gutachten  und  Berichten  und  der  Herausgabe  eines 
„Jahrbuchs"  hat  er  auch  die  Aufgabe,  einen  der  Genehmigung  der 
Oberschulbehörde  unterliegenden  Plan  für  die  von  den  Beamten  der 
wissenschaftlichen  Anstalten  und  den  zum  Halten  von  Vorlesungen 
fest  angestellten  Gelehrten  alljähriich  zu  haltenden  Vorlesungen  und 
Übungskurse  aufzustellen.  Es  können  auch  andere  Gelehrte  zu  diesem 
Zweck  herangezogen  werden. 

Im  Wintersemester  1902/03  wurden  130  Kurse  von  106  Dozenten 
angekündigt.  1 1  der  angekündigten  Kurse  konnten  aus  verschiedenen 
Gründen,  namentlich  wegen  Verhinderung  der  Dozenten,  nicht  statt- 
finden. Gelesen  wurden  somit  119  Kurse  von  97  Dozenten.  Von 
diesen  Dozenten  waren  82  Hamburger,  4  aus  Berlin,  1  aus  Bremen, 
1  aus  Bonn,  1  aus  Freiburg  i.  B.,  3  aus  Heidelberg,  1  aus  Jena,  2 
aus  Kiel,  1   aus  Leipzig,  1   aus  München. 

Sämtliche  Vorlesungen  waren  öffentlich  mit  Ausnahme  der  Vor- 
lesungen für  Kandidaten  der  Theologie  und  des  Predigtamtes,  der 
Kurse  für  praktische  Ärzte  und  Militärärzte,  für  Schiffs-  und  Tropen- 
ärzte und  der  Kurse  an  der  pharmazeutischen  Lehranstalt. 

Der  Besuch  der  Vorlesungen  war  unentgeltlich  mit  Ausnahme 
der  im  Eppendorfer  Krankenhause  abgehaltenen  Kurse  für  praktische 
Ärzte  und  Militärärzte,  der  im  Allgemeinen  Krankenhause  St.  Georg 
abgehaltenen  Vorlesungen  und  Übungen  für  praktische  Ärzte,  soweit 
sie  von  auswärtigen  Ärzten  besucht  wurden,  der  im  Institute  für 
Schiffs-  und  Tropenkrankheiten  abgehaltenen  Vorbereitungskurse  für 
Schiffs-  und  Tropenärzte,  soweit  nicht  die  Teilnehmer  Hamburger 
Ärzte  oder  von  der  Kolonialabteilung  des  auswärtigen  Amtes  oder 
dem  Reichs-Marineamte  zu  ihrer  Ausbildung  entsandt  waren,  der 
praktischen  Übungen  im  chemischen  Staatslaboratorium  und  der  Kurse 
an  der  pharmazeutischen  Lehranstalt. 

Die  Zahl    der    vom  Publikum    gekauften  Vorlesungshefte    belief 
sich  im  Wintersemester  1902/03  auf  1737. 

Die  durch  die  Zählkarten    ermittelte  Gesamtzahl    der  Zuhörer 


Die  wissenschaftlichen  Anstalten  und  das  Vorlesungswesen  in  Hamburg.        ()27 

betrug  im  Wintersemester  1902/03  10  720.  Die  Gesamtzahl  der  Zu- 
hörer nach  der  vorgenommenen  Kopfzählung  betrug  58  428. 

Die  Vorlesungen  zerfallen  in  zwei  Gruppen,  allgemein  zugäng- 
liche, für  die  Öffentlichkeit  bestimmte  Vorlesungen  und  solche,  welche 
insbesondere  der  speziellen  Fortbildung  bestimmter  Berufskreise  dienen. 
Es  ist  für  die  Entwicklung  des  Vorlesungswesens  charakteristisch,  daß 
die  zweite  Gruppe  der  Veranstaltungen  immer  mehr  an  Bedeutung 
gewonnen  hat.  Zu  den  bereits  in  früheren  Jahren  eingerichteten 
ständigen  Praktika  in  den  fremden  Sprachen  und  den  Naturwissen- 
schaften sind  im  Berichtsjahre  Kurse  im  Aktzeichen  und  Malen, 
Kopfzeichnen  und  Stilleben-,  Pflanzen-  und  Blumenmalen  hinzu- 
gekommen. Auch  diese  Praktika,  gleichwie  die  vorerwähnten,  werden 
bis  auf  weiteres  ständig  beibehalten  werden.  Außerdem  war  im 
Jahre  1903  neu  ein  pädagogisches  Praktikum,  welches  starken  Zu- 
spruch fand  und  fortgesetzt  werden  muß.  Einen  immer  größeren 
Umfang  und  steigende  Beteiligung  weisen  die  für  praktische  Ärzte  in 
den  Krankenhäusern  abgehaltenen  Fortbildungskurse  auf,  an  welchen 
auch  auswärtige  Ärzte  sich  stark  beteiligt  haben. 

Im  Sommerhalbjahr  1903  wurden  folgende  Vorlesungen  und 
praktische  Übungen  abgehalten: 

I.  Theologie:  4  Vorlesungen  von  4  Dozenten. 

II.  Medizin  und  Hygiene.  Für  Schifis-  und  Tropenärzte:  „Einführung  in  das 
Studium  tropischer  Krankheiten,  insbesondere  Malaria,  Tropen-  und  Schiffshygiene, 
Praktische  Übungen  und  I^monstrationen". 

III.  Geschichte:   1   Vorlesung  und  eine  historische  Übung  von  1   Dozenten. 

IV.  Literatur  und  Sprachwissenschaften:  2  Vorlesungen  und  3  Übungen 
von  5  Dozenten. 

V.  Bildende  Künste:  4  Vorlesungen  von  5  Dozenten. 
\T.    Mathematik:  2  Vorlesungen  von  1  Dozenten. 

VII.  Astronomie:  2  Vorlesungen  von  2  Dozenten. 

VIII.  Physik:  3  Vorlesungen  von  3  Dozenten. 

IX.  Chemie:  4  Vorlesungen  und  5  Übungen  von  5  Dozenten. 

X.  Zoologie:  2  Vorlesungen  von  2  Dozenten. 

XI.  Botanik:  2  Vorlesungen  und  2  Übungen  von  3  Dozenten. 

XII.  Kurse  an  der  pharmazeutischen  Lehranstalt:  4  Vorlesungen  von 
3  Dozenten. 

Von  diesen  Vorlesungen  und  Übungen  wurden  abgehalten: 

1.  die  Vorlesungen  fiir  Kandidaten  der  Theologie  und  des  Predigtamtes  im  Auf- 
trage der  theologischen  Prüfungskommission; 

2.  die    Kurse    an    der   pharmazeutischen    Lehranstalt    im  Auftrage    des  Medizinal- 
kollegiums ; 

3.  alle    übrigen  V^orlesungen    und    Übungen    im   Auftrage    der    Oberschulbehörde, 
Sektion  für  die  wissenschaftlichen  Anstalten. 

Im  Winterhalbjahre  1903/4  wurden  folgende  Vorlesungen  und 
ÜbuTigen  abgehalten: 

40* 


528  Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

I.  Theologie:  7  Vorlesungen  und  1   Übung  von  5  Dozenten. 

II.  Rechts-    und    Staatswissenschaften:    11   Vorlesungen   und  1    Übung  von 
11   Dozenten. 

III.  Medizin:  40  Vorlesungen  einschließlich  der  Übungen  von  30  Dozenten. 

IV.  Philosophie:  2  Vorlesungen  und  1   Ü'ljung  von  3  Dozenten. 

V.  Geographie  und  Völkerkunde:  4  Vorlesungen  von  4  Dozenten. 

VI.  Geschichte:  8  Vorlesungen  und  1   Übung  von  7  Dozenten. 

VII.  Kriegswissenschaft:  2  Vorlesungen  von  2  Dozenten. 

VIII.  Literatur  und  Sprachwissenschaften:  11  Vorlesungen  und  5  Übungen 
von  14  Dozenten. 

IX.  Musik:  2  Vorlesungen  von  2  Dozenten. 

X.  Bildende  Künste:  10  Vorlesungen  und  Übungen  von  7  Dozenten. 

XI.  Bau  und  Ingenieurwissenschaft:  3  Vorlesungen  von  3  Dozenten. 

XII.  Mathematik:  2  V^orlesungen  von  1    Dozenten. 

XIII.  Astronomie  und  Nautik:  5  Vorlesungen  von  3  Dozenten. 

XIV.  Physik:  4  Vorlesungen  von  4  Dozenten. 

XV.  Chemie:   11    Vorlesungen  und  Übungen  von  6  Dozenten. 

XVI.  Geologie:  1    Vorlesung  von  1    Dozenten. 

XVII.  Zoologie:  3  Vorlesungen  und  2  Übungen  von  5  Dozenten. 
XVni.    Botanik:  3  Vorlesungen  von  3  Dozenten. 

XIX.  Kurse  an  der  pharmarzeutischeu  Lehranstalt:  2  Vorlesungen  von 
2  Dozenten. 

Von  diesen  Vorlesungen  und  Übungen  wurden  abgehalten: 

1.  die  Vorlesungen  für  Kandidaten  der  Theologie  und  des  Predigtamres  im  Auf- 
trage der  theologischen  Prüfungskommission; 

2.  die    in    den    Krankenhäusern    stattfindenden    Kurse    für    praktische    Arzte    uinl 
Militärärzte  im  Auftrage  des  Krankenhauskollegiums; 

3.  die    Kurse    an    der    j)harmazeutischen  Lehranstalt    im  .Auftrage    des    Me<h/iiial- 
kollegiums; 

4.  die  Vorlesungen  des  Direktors  der  Kunsthalle  im  Auftrage  der  Kommission  für 
die  Verwaltung  der  Kunsthalle; 

5.  die    X'orlesunji^en    des    Direktors    des    Zoologischen    Gartens    im    Auftrage    «ler 
Zoologischen  ( iesellschaft ; 

6.  alle    übrigen  NOrlesungen    und    t'hungen    im    Auftrage    der    Oberschuibchönle, 
Sektion  für  die  wissenschaftlichen  Anstalten. 

Alle  Vorlesungen  waren  öffentlich  und  unentgeltlich  mit  den 
oben  angegebenen  Ausnahmen.     (Nach  amtlichen  Drucksachen.; 

f)  Das  Königliche  Institut  für  experimentelle  Therapie 
in  Frankfurt  a.  M. 

Die  im  Jahre  1805  bei  dem  Kochschen  Institut  für  Infektions- 
krankheiten begründete  Kontrollstation  für  Diphtherieserum  war  am 
1.  Januar  18%  als  selbständiges  „Institut  für  Serumforschung  und 
Serumprüfung**  unter  Leitung  von  Geheimrat  Prof.  Dr.  EhrHch  organi- 
siert und  nach  Steglitz  verlegt  worden.  Durch  den  Vertrag  der  Stadt- 
gemeinde Frankfurt  a.  M.  mit  der  Königlichen  Staatsregierung  vom 
27.  Juni/5.  Juli  1898  wurde  dieses  Institut  unter  weiterer  Ausgestaltun|:[ 
seines  Arbeitsgebietes  am   1.  Oktober  18W  nach  Frank-furt  a.  M.  ver- 


Das  Königl.  Institut  für  experimentelle  Therapie  in  Frankfurt  a.  M.  629 

legt,  WO  es  seinen  Betrieb  in  einem  von  der  Stadt  zur  Verfügung  ge- 
stellten Neubau  eröffnet  hat. 

Die  Aufgaben  des  Instituts  bestehen  in  erster  Linie  in  Forschungen 
auf  dem  Gebiete  der  experimentellen  Therapie,  in  der  Ausbildung 
und  experimentellen  Prüfung  der  neueren  therapeutischen  Methoden. 
Das  Institut  gewährt  seinen  Angestellten  und,  soweit  dies  angängig  ist, 
selbständigen  Forschem  des  In-  und  Auslandes  die  Hilfsmittel  zu  wissen- 
schaftlichen Arbeiten,  die    in    den  Rahmen  dieses  Programmes  fallen. 

Eine  weitere  Hauptaufgabe  ist  die  amtliche  Kontrolle  des  Serums. 
Bisher  unterliegen  der  obligatorischen  Kontrolle  von  Seiten  des  Instituts 
das  Diphtherie-Heilserum,  das  Tetanus-Heilserum  und  das  Tuberkulin, 
der  fakultativen  Kontrolle:  Streptococcen-Heilsera,  Sera  gegen  den 
Schweine-Rotlauf,  die  Schweineseuche  und  Schweinepest  und  das 
Sobernheimsche  Milzbrandserum.  Die  hierzu  erforderlichen  Prüfungs- 
methoden sind  zum  großen  Teile  im  Institut  selbst  ausgearbeitet 
worden  und  werden  durch  fortgesetzte  Forschungen  vervollkommnet. 
Das  Institut  liefert  das  Standardserum,  welches  die  Grundlage  der 
Prüfung  des  Diphtherie-Heilserums  bildet,  an  zahlreiche  Prüfungsinstitute 
des  Auslandes. 

Als  neue  Aufgabe  für  das  Institut  ist  die  wissenschaftliche  Er- 
forschung der  Krebskrankheit  hinzugekommen.  Zu  diesem  Zweck  sind 
in  einem  kleinen  Kreise,  von\'iegend  in  Frankfurt  a.  M.,  auf  3  Jahre 
verteilte  Beträge  in  der  Gesamtsumme  von  150  000  M.  gesammelt 
worden.  Der  Grundstock  dieses  Fonds  stammt  aus  der  Theodor 
Stemschen  Stiftung,  deren  Zinsen  für  drei  Jahre  für  die  Krebsforschung 
zur  Verfügung  gestellt  worden  sind. 

Weiter  kommen  noch  hinzu  nach  einer  Sonderbestimmung  des 
Vertrages  mit  der  Stadt  Frankfurt,  Untersuchungen  bakteriologischer 
und  sero-diagnostischer  Natur,  welche  für  die  öffentlichen  Kranken- 
häuser, d.  h.  für  städtische  und  Stiftungshospitäler  unentgeltlich  aus- 
geführt werden.  Ferner  übernimmt  die  bakteriologisch-hygienische 
Abteilung  des  Instituts  kostenlos  die  bakteriologische  Ausbildung  der 
Assistenten  und  Volontäre  der  städtischen  Krankenhäuser  und  liefert 
für  die  städtischen  Krankenhäuser  die  benötigten  Bakterien-Nährböden 
unentgeltlich.  Des  ferneren  werden  hygienische  Gutachten  und  Unter- 
suchungen für  die  Stadt  Frankfurt  kostenlos  ausgeführt. 

Für  die  Ärzte  der  Stadt  Frankfurt  werden  bakteriologische  Unter- 
suchungen ausgeführt,  teils  kostenlos,  teils  gegen  Gebühren. 

Nach  dem  Vertrage  hat  die  Stadt  die  mit  einem  ersten  Kosten- 
aufwand von  1 1 7  500  M.  auf  städtischem,  an  das  Krankenhausgrund- 


530  Sonstige  öflentliche  akademische  Anstalten. 

stück  grenzenden  Terrain  erbauten  Haupt-  und  Nebengebäude  in  Dach 
und  Fach  zu  unterhalten;  im  Jahre  1900  hat  sie  freiwillig  in  Anbetracht 
der  wachsenden  wissenschaftlichen  Aufgaben  des  Instituts  und  der 
damit  verbundenen  Vergrößerung  des  Bestandes  an  Versuchstieren 
ein  zweites  Stallgebäude  für  11  100  M.  errichtet.  Die  Gebäude  ver- 
bleiben im  Eigentum  der  Stadt.  Die  Kosten  der  ersten  Institutsein- 
richtung waren  vom  Staate  bestritten.  Die  Kosten  des  Betriebes, 
welche  dem  Staate  zur  Last  fallen,  sind  auf  74  750  M.  veranschlagt 
worden,  wovon  *U000  M.  durch  Serumprüfungsgebühren  gedeckt 
werden  sollen.  Wenn  und  insoweit  in  einem  Etatsjahre  die  laufenden 
Ausgaben  des  Instituts  durch  die  Einnahmen  (Gebühren  u.  a.  m.)  nicht 
gedeckt  werden,  so  ist  der  Fehlbetrag  bis  zu  einem  Höchstbetrage 
von  10  000  M.  von  der  Stadt  Frankfurt  zuzuschießen,  während  der 
Rest  des  Fehlbetrages  dem  Staat  zur  Last  bleibt.  Der  Zuschuß 
wurde  bisher  auch  in  der  angegebenen  Höhe  geleistet.  Es  ist  ver- 
abredet, daß  die  Anstalt  nach  Möglichkeit  auch  als  Lehrinstitut  inso- 
weit dienen  soll,  als  für  eine  beschränkte  Anzahl  von  Ärzten  dort 
Kurse  abgehalten  werden.  Auch  werden  sich  der  Direktor  und  die 
wissenschaftlichen  Arbeiter  des  Instituts  (gegenwärtig  3  Mitglieder  und 
5  Assistenten)  für  weitere  Vorlesungen  und  Kurse  zur  Verfügung  stellen. 

Diese  Verabredungen  hängen  mit  dem  von  den  städtischen  Be- 
hörden getroffenen  Plan  der  Errichtung  einer  Akademie  für  praktische 
Medizin  zusammen,  für  die  auch  das  von  Prof  Dr.  Weigert  geleitete 
Senkenbergsche  pathologisch-anatomische  Institut  in  Betracht  kommt 
(s.  Abschn.  XXIII).  Die  Ausführung  dieses  Projektes  ist  durch  bedeu- 
tende Zuwendungen  von  privater  Seite  gefördert  worden,  namentlich 
durch  die  Stiftungen  der  Frau  Theodor  Stern  im  Betrage  von  500  000  M. 
zur  Begründung  eines  „Theodor  Sternschen  Medizinischen  Instituts**, 
der  Frau  Georg  Speyer  im  Betrage  von  1  Million  M.  zur  Errichtung 
eines  Zentralgebäudes  für  die  Akademie  (Georg  Speyer-Haus)  und 
wissenschaftliche  Laboratorien,  des  Herrn  Charles  Hallgarten  im  Be- 
trage von  200  000  M.  zur  Erweiterung  des  Krankenhauses  durch  ein 
therapeutisches  Institut  und  des  Herrn  Otto  Braunfels  im  Betrage  von 
150  000  M.  für  ein  Kinderhospital. 

Die  städtischen  Behörden  haben  im  Dezember  1 902  beschlossen, 
mit  einem  Gesamtaufwande  von  2^4  Mill.  Mark  das  städtische  Kranken- 
haus durch  den  Bau  weiterer  Krankenräume  und  anderer  Anlagen  um 
450  Betten  zu  vergrößern,  ein  städtisches  hygienisches  Institut  mit 
Lcbensmitteluntersuchungsstelle  zu  errichten  und  die  Begründung  der 
Akademie  in  die  Wege  zu  leiten. 


Die  Cölner  Akademie  für  prakt.  Medizin.  —  Die  Akademien  der  Wissenschaft.      5^^^ 

g)  Die  Cölner  Akademie  für  praktische  Medizin. 

Auf  Grund  einer  durch  Allerhöchsten  Erlaß  vom  13.  Januar 
l<X)4  erteilten  Ermächtigung  hat  der  Minister  der  geistlichen,  Unter- 
richts- und  Medizinalangelegenheiten  genehmigt,  daß  in  Cöln  in  Ver- 
bindung mit  den  städtischen  Krankenanstalten  eine  Akademie  für 
praktische  Medizin  errichtet  werde.  Über  den  Zweck  dieser  Anstalt 
siehe  den  Artikel  über  die  medizinische  Fakultät,  Seite  151.  Der 
Lehrkörper  besteht  aus  ordentlichen  und  außerordentlichen  Mit- 
gliedern. Die  Zahl  der  ersteren  soll  mindestens  8  und  nicht  mehr  als  12 
betragen.  Sie  bilden  den  akademischen  Rat.  Ordentliche  Mitglieder 
können  nur  Professoren  der  Universität  Bonn,  die  Kliniken  leiten,  und 
solche  Ärzte  werden,  die  bei  den  der  Akademie  zugewiesenen  Anstalten 
eine  leitende  Stellung  einnehmen.  Sie  werden  durch  den  Oberbürger- 
meister nach  Anhörung  der  Stadtverordneten-Versammlung  und  gut- 
achtlicher Befragung  des  akademischen  Rats  ernannt  und  bedürfen 
der  Bestätigung  durch  den  König.  Die  außerordentlichen  Lehrer 
heißen  Dozenten  und  erhalten  ihren  Lehrauftrag  von  dem  Kura- 
torium der  Anstalt  auf  Vorschlag  des  akademischen  Rats  und  vor- 
behaltlich der  Bestätigung  durch  den  Minister.  Hervorragende  prak- 
tische Ärzte  können  ehrenhalber  zu  Mitgliedern  des  Rates  ernannt 
werden  und  haben  dann  beratende  Stimme.  Das  die  Verwaltung 
der  Anstalt  führende  Kuratorium  besteht  aus  sieben  Mitgliedern. 

Über  die  in  Düsseldorf  zu  errichtende  Akademie  für  praktische 
Medizin  vgl.  S.  151. 

Die  Akademien  der  Wissenschaft 

sind  weder  Unterrichts-  noch  Forschungsanstalten,  haben  aber  die 
Aufgabe,  wissenschaftliche  Forschungen  anzuregen  und  materiell  zu 
unterstützen,  wissenschaftliche  Unternehmungen,  die  über  die  Kräfte 
eines  einzelnen  hinausgehen,  zu  organisieren  und  zu  fördern,  ferner 
auch  Veröffentlichungen  zu  veranstalten,  die  ihrer  großen  Kosten 
oder  ihres  geringen  Absatzes  wegen  von  privaten  Verlegern  nicht 
auf  eigene  Rechnung  übernommen  werden  würden.  Zahlreiche  ge- 
lehrte Gesellschaften  verfolgen  ebenfalls  mehr  oder  weniger  diese 
Zwecke.  Als  Akademien  werden  hier  aber  nur  diejenigen  betrachtet, 
die  als  staatliche  Institutionen  anzusehen  sind  und  vom  Staate  unter- 
halten werden  und  zugleich  auch  mit  einer  Universität  in  einer 
näheren  Beziehung  stehen,  wenigstens  dadurch,  daß  sie  sich  am  Sitz 
einer   solchen    befinden    und  daß  die  meisten  ihrer  ordentlichen  Mit- 


532  .Sonstige  öffentliche  akademische  Anstalten. 

glieder    Professoren    an    dieser    Universität   sind.      Diese    Akademien 
sind  folgende: 

1.  Die  Königlich  Preußische  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
Berlin.  Von  dieser  Ist  bereits  im  Anhange  zu  dem  Artikel  über  die 
Universität  Berlin  die  Rede  gewesen  (s.  S.  334). 

2.  Die  Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Göttingen. 
Sie  wurde  1751  gegründet  und  \9^Ki  wesentlich  umgestaltet.  Sie 
besteht  aas  einer  mathematisch-physikalischen  und  einer  philologisch- 
historischen Klasse,  von  denen  jede  15  ordentliche,  25  ausw-ärt^e 
und  75  korrespondierende  Mitglieder  hat.  Außerdem  können  Ehren- 
mitglieder gewählt  werden,  die  keiner  Klasse  angehören.  Die  ordent- 
lichen, auswärtigen  und  Ehrenmitglieder  bedürfen  der  königUchen  Be- 
stätigung.   Der  Ausgabeetat  der  Gesellschaft  beträgt  für  1903:  27  648  M. 

3.  Die  Königb'ch  Bayerische  Akademie  der  Wissenschaften  in 
München,  1759  gegründet  und  1807  er^%eitert,  hat  eine  phüosophisch- 
phUologische,  eine  mathematisch-physikalische  und  eine  historische 
Klasse.  Ihre  Mitglieder  sind  ordendiche  (gegenwärtig  44;,  außer- 
ordendiche  (9;,  auswärtige,  korrespondierende  und  Ehrenmitglieder. 
Die  ordentlichen  Mitglieder  werden  vom  König  bestätigt,  der  Präsident, 
der  zugleich  Generalkonser\ator  der  wissenschaftlichen  Sammlungen 
des  Staats  ist,  wird  vom  König  ernannt.  Der  Jahresetat  der  Akademie 
beträgt  80  062  M.  Der  früher  mit  dem  ihrigen  verbundene  Etat 
der  meteorologischen  Zentralstation  und  des  Observatoriums  auf  der 
Zugspitze  Ist  jetzt  mit  47230  M.  selbständig  ausgeschieden.  Der  Etat 
des  Generalkonservatoriums  der  staatlichen  Sammlungen  (zu  denen 
auch  viele  Universitätsinstitute  gehören;  beträgt  297  ()50  M. 

4.  Die  Königlich  Sächsische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in 
Leipzig  ist  1846  gegründet  und  steht  unter  dem  Protektorat  des 
Königs  von  Sachsen.  Sie  hat  eine  philosophisch-historische  und  eine 
mathematisch-physische  Klasse  und  zählt  gegenwärtig  55  ordendiche 
Mitglieder,  außerdem  auswärtige,  korrespondierende  und  Ehren- 
mitglieder.    Sie  erhält  einen  Staatszuschuß  von  20  000  M. 

Schließlich  sei  hierauch  die  „Leopoldinisch-Karolinische Akademie 
der  Naturforscher**  erwähnt,  eine  noch  aus  der  Zeit  des  alten  Reiches 
stammende  gelehrte  Gesellschaft,  die  von  den  Kaisem  Leopold  I 
(1672j  und  Karl  VI  große  Privilegien  erhielt.  Ihr  Sitz  ist  stets  am 
Wohnort  ihres  Präsidenten,  seit  1879  in  Halle.  Präsident  ist  gegen- 
wärtig der  Geologe  Professor  Dr.  v.  Fritsch.  Sie  ist  in  9  Fachsektionen 
geteilt    und   erhält   vom  Reiche   einen  Zuschuß   von  jährlich  4000  M. 


XXin.    Private   Anstalten   und    Stiftungen    für   höhere 

Bildung. 


Die  Universitäten  und  sonstigen  Hochschulen  geben  bestimmten 
Elementen  der  bürgerlichen  Gesellschaft,  die  für  berufliche  Zwecke 
eine  genügende  Vorbildung  nachweislich  besitzen  und  durchschnittlich 
im  jugendlichen  Alter  stehen,  die  Möglichkeit  einer  vielseitigen  wissen- 
schaftlichen Ausbildung.  Es  machen  sich  jedoch  auch  individuelle 
Bildungsbestrebungen  geltend,  die  von  Staat  und  Gemeinde  bisher 
nicht  direkt  befriedigt  werden,  deren  Förderung  jedoch  im  allgemeinen 
Interesse  geboten  erscheint.  Für  diese  Zwecke  werden  durch  Privat- 
initiative Bildungsstätten  geschaffen,  die  einen  mehr  oder  weniger 
hochschulartigen  Charakter  haben.  Sie  wollen  teils  Personen  von 
höherer  Bildung  Gelegenheit  geben,  ihre  Kenntnisse  zu  erweitern  und 
mit  den  Fortschritten  der  Wissenschaft  im  Zusammenhang  zu  bleiben, 
teils  aber  auch  weiteren  Kreisen  des  Volks  ohne  Zwang  eines  Be- 
fähigungsnachweises die  Möglichkeit  einer  wissenschaftlichen  Schulung 
in  allgemeiner  oder  Sonderbeziehung  gewähren.  Im  folgenden  sind 
einige  Mitteilungen  über  die  wichtigsten  Veranstaltungen  dieser  Art 
zusammengestellt. 

1.  Berlin. 

a)  Vereinigung  für  staatswissenschaftliche  Fortbildung. 

Die  Vereinigung  für  staatswissenschaftliche  Fortbildung  verdankt 
ihre  Entstehung  und  Begründung  in  erster  Linie  den  Bestrebungen 
für  eine  bessere  Vorbildung  der  höheren  Verwaltungsbeamten  in 
Preußen.  Wie  bereits  an  anderer  Stelle  erwähnt,  haben  die  höheren 
Verwaltungsbeamten  oft  eine  hinreichende  staatswissenschaftliche  Aus- 
bildung vermissen  lassen.  Hierüber  haben  seit  Jahrzehnten  bedeutende 
und     leitende    Männer    der    Praxis    wie    hervorragende    Universitäts- 


fx^  Private  Anstalten  und  Stiftungen  für  höhere  Bildung. 

lehrer  geklagt  und  Vorschläge  zur  Abhilfe  gemacht.  Diese  Unter- 
suchungen über  die  zweckentsprechende  Ausbildung  der  höheren 
Verwaltungsbeamten  in  Preußen  haben  zwar  zu  einem  gesetz- 
geberischen Abschluß  noch  nicht  geführt,  jedoch  ergeben,  daß  ein 
gleichartiges  Universitätsstudium  als  gemeinschaftlicher  Unterbau  der 
Ausbildung  für  die  zukünftigen  Beamten  sowohl  der  Justiz  wie  der 
Ven^'altung  als  zweckmäßig  allgemein  erachtet  wurde.  Der  für  das 
Studium  vorgeschriebene  Zeitraum  —  in  Preußen  3  Jahre  —  reicht 
jedoch  kaum  aus,  neben  der  Rechtswissenschaft  die  Aneignung  tieferer 
staatswissenschaftlicher  Kenntnisse  zu  ermöglichen ;  eingehendere 
Spezialkenntnisse  in  der  praktischen  Volks-  und  Staatswirtschaft,  im 
Etatsrecht,  in  den  Aufgaben  der  Sozialpolitik,  insbesondere  aber  ge- 
nügende Bekanntschaft  mit  der  Technik  des  wirtschaftlichen  und 
finanziellen  Getriebes,  z.  B.  des  Bank-  und  Börsenwesens,  des  Welt- 
handels, der  Verw^altung  der  Verbrauchssteuern,  des  ZoUw^esens  sind 
dem  Verwaltungsbeamten  aber  unbedingt  nötig.  Aber  abgesehen 
davon,  daß  die  Universitätszeit  für  das  eingehendere  Studium  aller 
dieser  Materien  nicht  ausreicht,  erfordert  es  eine  gew^isse,  bei  den 
Studierenden  allgemein  nicht  vorauszusetzende  und  noch  nicht  vor- 
handene Reife,  zudem  aber  gewinnen  diese  Wissenschaften  in  ihren 
Einzelheiten  ein  regeres  Interesse  erst  für  den,  welcher  mit  dem 
praktischen  Wirtschaftsleben  und  den  Aufgaben  der  wirtschaftlichen 
und  finanziellen  Verwaltung  in  Berührung  gekommen  ist,  und  dies 
gilt  besonders  von  der  systematischen  Behandlung  der  Einzelheiten 
des  Wirtschafts-,  Finanz-  und  Verwaltungsrechts. 

Diese  Erwägungen  haben  unter  Berücksichtigung  früherer, 
ähnlicher  Vorschläge  —  bereits  1B45  hat  Robert  von  Mohl  auf  die 
Begründung  einer  Anstalt  zur  Bildung  höherer  Staatsdiener  hin- 
gewiesen —  die  P>richtung  einer  Akademie,  in  erster  Linie  für  die 
Weiterbildung  der  höheren  Verwaltungsbeamtcn,  nahe  gelegt.  Eine 
prinzipielle  Beschränkung  auf  diese  Beamten  allein  erschien  nicht  an- 
gezeigt, denn  es  mußte  als  ein  allgemein  berechtigtes  Verlangen  und 
im  Interesse  der  Gesamtheit  als  notwendig  erachtet  werden,  daß  alle 
höheren  Beamten,  nicht  nur  die  der  Verwaltung,  die  wichtigsten 
1^  ragen  des  politischen  und  wirtschaftlichen  Lebens  auf  Grund  eigener, 
tieferer  wissenschaftlicher  Kenntnis  und  deshalb  weniger  vom  partei- 
politischen Standpunkt  und  einseitig  zu  beurteilen  in  der  Lage  sind 
und  so  aufklärend  zu  wirken  vermögen.  Ferner  aber  sind  ähnliche 
Klagen,  wie  bezüglich  der  höheren  Verwaltungsbeamten,  auch  betreffs 
der  Juristen  lautgeworden  und  gelegentlich  der  Juristentage  ist  nach- 


Berlin.  ftfö 

drücklich  besonders  darauf  hingewiesen  worden,  daß  die  jungen 
Juristen  den  Fragen  der  Sozialpolitik  oft  weder  genügendes  Ver- 
ständnis noch  auch  überhaupt  ausreichendes  Interesse  entgegen- 
bringen. Die  Staatswissenschaften  sind  aber  so  eng  mit  der  modernen 
Rechtspflege  verknüpft:  eine  stets  sich  mehrende  Zahl  von  Gesetzen 
verfolgt  mittelbar  oder  unmittelbar  volkswirtschaftliche  oder  sozial- 
politische Ziele,  dem  Richterspruch  unterliegen  so  häufig  wirtschaft- 
liche. Staats-  und  etatsrechtliche  Fragen,  daß  dem  Richter  wie  dem 
Staatsanwalt  die  durch  die  Staatswissenschaft  vermittelte  Keimtnis 
unentbehrlich  ist. 

Es  ist  weiter  wiederholt  darüber  Beschwerde  geführt  worden, 
daß  die  ins  Ausland  gesandten  Beamten,  insbesondere  die  Konsuln, 
nicht  genügendes  Verständnis  gegenüber  dem  Wirtschaftsleben  und 
seinen  Bedürfnissen  und  Wünschen  im  In-  und  im  Ausland  zeigen, 
und  auch  den  Beamten  selbst  erschien  eine  Weiterbildung  nach  dieser 
Richtung  auf  staatswissenschaftlicher  Grundlage  dringend  erwünscht. 

F^ndlich  haben  sowohl  die  von  der  Universität  Göttingen  im 
Wintersemester  1W1,  wie  die  seit  einer  Reihe  von  Jahren  in  ver- 
schiedenen Städten  Deutschlands  ins  Leben  gerufenen  Fortbildungs- 
kurse den  Beweis  erbracht,  daß  in  weiten  Kreisen,  besonders  auch  bei  den 
zahlreichen  meist  juristisch  vorgebildeten  Beamten  der  Kommunen 
und  Privatunternehmungen  und  bei  vielen  im  öffentlichen  Leben 
stehenden  und  wirkenden  Personen  ein  Bedürfnis  nach  staatswissen- 
schaftlicher Fortbildung  besteht.  Auf  Grund  dieser  Tatsachen  und 
En\'ägungen  haben  sich  aus  eigener  freier  Entschließung  in  hervor- 
ragenden und  teilweise  leitenden  Stellungen,  namentlich  in  den 
preußischen  Ministerien,  tätige  Männer,  welche  in  der  Praxis  auch 
den  rein  wissenschaftlichen  Bestrebungen  nicht  entfremdet  worden 
sind,  mit  einigen  Universitätslehrern  zusammengetan  und  am 
17.  Februar  1902  die  Vereinigung  für  staatswissenschaftliche  Fortbildung 
in  Berlin  begründet. 

Der  Herr  Reichskanzler  und  Ministerpräsident  Dr.  Graf  von  Bülow 
übernahm  das  Ehrenpräsidium  der  Vereinigung,  der  Herr  Minister  der 
geistlichen, Unterrichts-  und  Medizinalangelegenheiten  Dr.  Studt  nahm  die 
Wahl  als  Ehrenmitglied  an.  Die  Geschäftsführung  erfolgt  durch  drei 
Mitglieder  der  Vereinigung:  zwei  Herren  aus  der  Unterrichtsverwaltung 
im  preußischen  Kultusministerium  und  einen  Universitätslehrer.  Im 
Kultusministerium  befindet  sich  auch  die  Geschäftsstelle  der  Ver- 
einigung. Die  Vereinigung  für  staatswissenschaftliche  Fortbildung 
verfolgt    den   Zweck,  „gereiften  Personen,    weiche    im  Besitz  der  er- 


(\]()  Private  Anstalten  und  Stiftungen  fiir  höhere  Bildung. 

forderlichen  Vorbildung  sind,  durch  Veranstaltung  von  Fortbildungs- 
kursen Gelegenheit  zur  Erw'eiterung  und  Vertiefung  ihrer  Kenntnisse, 
namentlich  auf  dem  Gebiete  der  juristischen  und  wirtschaftlichen 
Staatsvvissenschaften  zu  gewähren.** 

Grade  damit,  daß  sie  die  Teilnahme  nicht  beschrankten,  glaubten 
die  Begründer  der  Vereinigung  den  ersten  und  wichtigsten  Zweck, 
die  Fortbildung  der  höheren  Ven^'altungsbeamten  wesentlich  zu  fordern. 
Denn  es  handelt  sich  hierbei  nicht  allein  um  die  Vermittlung  weiterer, 
tieferer  positiver  Kenntnisse,  es  sollte  vor  allem  auch  der  geistige 
Horizont  er^^eitert,  neue  Anregungen  sollten  gegeben  und  jedem 
einzelnen  Teilnehmer  sollte  stets  vor  Augen  geführt  werden,  wie 
vielseitige,  oft  scheinbar  entgegengesetzte  Interessen  des  Wirtschafts- 
lebens nebeneinander  im  Staate  bestehen  und  gleichberechtigte 
staatliche  Fürsorge  erwarten  und  verdienen.  In  dieser  Beziehung 
aber  erschien  grade  die  häufige  regelmäßige  Berührung,  das  Zusammen- 
arbeiten gereifterer,  ernster  Personen  aus  verschiedenen  Gesellschafts- 
und Wirtschaftskreisen  mit  verschiedener  wissenschaftlicher  und 
praktischer  Vorbildung  und  aus  den  verschiedenen  Wirtschaftsgebieten 
Preußens  und  Deutschlands  förderlich  und  sogar  notwendig.  j\us 
allen  diesen  Gründen  hielt  sich  der  Studienplan,  ohne  den  Haupt- 
zweck aus  den  Augen  zu  verlieren,  von  allzu  ängstlicher  Be- 
schränkung des  Lehrstoffs  fern.  Andererseits  war  zu  berücksichtigen, 
daß  zunächst  nur  auf  eine  freiwillige  Beteiligung  auf  Kosten  der 
einzelnen  gerechnet  werden  durfte  und  daß  deshalb  die  einzelnen 
Wissensgebiete  in  einem  Halbjahr  abschließend  zum  Vortrag 
kommen  müßten.  Trotzdem  ist  das  Zusammenfallen  mehrerer  Vor- 
lesungen auf  dieselbe  Zeit  fast  völlig  vermieden  worden. 

Ihr  Lehrziel  sucht  die  Vereinigung  durch  dreierlei  verschiedene 
Darbietungen  zu  erreichen:  einmal  durch  regelmäßige  konversatorischc 
Vorträge,  eine  mit  Erfolg  gewählte  Form,  um  das  Interesse  der 
Hörer  wachzuhalten  und  ihre  Mitarbeit  durch  Fragen  und  Diskussionen 
im  Anschluß  an  das  Gehörte  zu  fördern,  ferner  durch  Einzelvorträge 
nach  Art  der  Publica,  oft  mit  bildlichen  oder  experimentellen  Dar- 
stellungen, endlich  durch  allwöchentlich  stattfindende  Besichtigungen 
staatlicher,  kommunaler  und  privater  Anstalten  unter  sachkundiger 
Führung  und  Erläuterung. 

Daneben  endlich  ist  den  Teilnehmern  die  MögUchkeit  wissen- 
schaftlicher Betätigung  dadurch  gegeben,  daß  ihnen  die  Beteiligung 
an    seminaristischen    Übungen,    welche    einzelne    der    Mitglieder    der 


Berlin.  6:^7 

Vereinigung  an  der  Berliner  Universität  fiir  Vorgeschrittene  abhalten, 
unter  der  Zusage  besonderer  Rücksichtnahme  freisteht. 

Bei  der  Auswahl  der  Themata  für  die  konversatorischen  Vor- 
träge von  wöchentlich  et\\'a  je  2  Stunden  ist  in  erster  Linie,  wenn 
auch,  wie  erwähnt,  nicht  ausschließlich,  der  Interessenkreis  der 
Verwaltungsbeamten  berücksichtigt  worden.  Abgesehen  von  dem 
Handelsrecht,  welches  nur  im  ersten,  dem  Sommerhalbjahr  1902  be- 
handelt wurde,  sind  in  den  letzten  3  Semestern  regelmäßig  konver- 
satorische  Vorträge  aus  dem  Staatsrecht,  über  wichtige  volkswirt- 
schaftliche und  sozialpolitische,  über  finanzwirtschaftliche,  ferner  über 
agrar-  und  handelspolitische  Fragen,  Versicherungswesen  einschließlich 
der  Arbeiterversicherung,  über  Eisenbahnrecht  und  -Ver^^'altung, 
sowie  Fragen  der  praktischen  Statistik  und  der  Wohlfahrtspflege  ab- 
gehalten worden.  Nachdem  in  den  vorangegangenen  beiden  Halb- 
jahren 14  Vorträge  angekündigt  und  zustande  gekommen  waren, 
weist  der  Studienplan  des  Wintersemesters  1^J(KW)4  die  folgenden  20, 
welche  sämtlich  abgehalten  werden,  auf: 

1.  Prof.  Dr.  ().  Hintze:   Über  die  Kntstehung  des  modernen  Staats. 

2.  Prof.  Dt.  von  Martitz:    Über  die  Grundlagen  der  Reichsverfassung. 

3.  Geheimrat  Dr.  Kister:    Ober  volkswirtschaftliche  und  sozialpolitische  Fragen. 

4.  Prof.  Dr.  von  Halle:    Über  Wirtschaft  und  Technik. 

5.  (ieheimrat    Dr.    Stnitz    und    (ieheimrat    Schwarz:      Über    finanzwirtschaftliche 
Fragen  im  Anschluß  an  den  preußischen  Staatshaushaltsetat. 

6.  (.ieheimrat  Dr.  Freund:     Über  Gemeindefinanzwesen  in   rechtlicher  und  finanz- 
poHtischer  Bedeutung. 

7.  Privatdozent  Dr.  Dade:  Fragen  der  Agrarpolitik. 

8.  Oberregierungsrat  Everl  mit  dem    Regierungs-  und  (iewerberat  Flartmann  und 
dem  Gewerberat  Tschoni:    Über  Industrierecht  und  Arbeiterfrage. 

9.  Cieheimräte  Bielefeldt  und    Dr.  Bassenge:     Über    Organisation    und  Praxis  der 
deutschen  Arbeiterversichenmg. 

10.  Dr.  Jannasch,  Vorsitzender  des  /enlralvereins  für  llandelsgeographie:  Über  die 
wirtschaftsgeographische  Grundlage  der  Handelspolitik  unter  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  Handelsverträge. 

11.  Prof.  Dr.  Köbner:     Über  Verfassung  und  Verwaltung  der  deutschen  Kolonien. 

12.  Reichsbankdirektor  Dr.  von  Lumm:  Über  die  verschiedenen  ( ieschäftszweige 
der  Reichsbank  im  Vergleich  mit  anderen  Notenbanken. 

13.  Prof.  Dr.  von  Bortkiewicz:  Über  Versicherungswesen  vom  volkswirtschaftlichen 
und  sozialpolitischen  Standpunkt  mit  Ausschluß  von  Arbeiter\'ersicherung. 

14.  Wirkl.  Geh.  Ober-Reg.-Ral  Dr.  v.  d.  Leyen:  Über  Nationalökonomie  der 
Fjsenbahnen,  insbesondere  da.s  Tarifwesen. 

15.  Geheimrat  Krönig:    Über  die  Verwaltung  der  preußischen  Staatseisenbalmen. 

16.  Präsident  des  Kgl.  Preuß.  Stat.  Bureaus  Blenck  und  Mitglieder  dieser  Behörde : 
Über  Fragen  der  praktischen  Statistik. 

17.  Stadtrat  Dr.  Münsterberg:  Über  Armenpflege  und  Wohltätigkeit. 

18.  Privatdozent    Dr.  F)berstadt:    Wohnungsfirage  und  städtische    Bodenentwicklung 


538  Private  Anstalten  und  Stiftungen  für  höhere  Bildung. 

in  verwaltungstechnischer   und    sozialpolitischer   Behandlung  mit    Einbeziehung 
des  preußischen  Wohnungsgesetzentwurfs. 

19.  Dr.  V.  Erdberg:     Über  Wohlfahrtseinrichtungen,   ihre  Au%abe  und  Bedeutung 
im  sozialen  Leben. 

20.  Privatdozent  Dr.  Weyl:    Über  öffentliche  Gesundheitspflege. 

Neben  diesen  konversatorischen  Vorträgen  sollen  die  Einzel- 
vorträge über  das  Gebiet  der  Staatswissenschaften  hinaus  auch  die 
allgemeine  Bildung  fördern.  Sie  berücksichtigen  daher  neben 
wichtigen,  zu  kurzer  wi.ssenschaftlicher  Betrachtung  geeigneten  Fragen 
aus  dem  Wirtschaftsleben,  der  Sozialpolitik  und  der  Jurisprudenz,  die 
Errungenschaften  moderner  Technik,  insbesondere  der  Elektrizität 
und  auch  das  Interesse  an  der  Kunst.  So  werden  im  Winter- 
semester 1903/04  folgende  Einzelvorträge  gehalten: 

1.  l*rof.  Dr.  Schmoller:    Preußische   Wirtschafts-    und    Handelspolitik  im   17.  und 

18.  Jahrhundert. 

2.  Prof.  Dr.  Lenz:  Bismarck  und  Stein  —  eine  Parallele. 

3.  4.  5.     Prof.  Dr.  von  Halle:    Die  Entwicklung  der  englischen  Handelspolitik  im 

19.  Jahrhundert. 

6.  Graf  W.  von  .^rco:    Über  Funkentelegraphie. 

7.  Prof.  Dr.  Hintze:    Die  Industrialisierungspolitik  Friedrichs  des  Großen. 

8.  Prof.  Dr.  Schiemann:     Die  Finanzpolitik  Wyschnegradskis  und  Wittes  und  die 
gegenwärtige  wirtschaftliche  Lage  Rußlands. 

9.  Prof.  Dr.  von  Liszt:    Das    Verbrechen    in    seiner    .\bhängigkeit    von  den  wirt- 
schaftlichen Verhältnissen. 

10.   11.     Prof.  Dr.  A.  Wagner:    Über  Keichsfinanzreform. 

12.  Cieheimrat  von  Schwerin:    Einwanderungspolitik    und  Ra<senfrage    in  den   \  er- 
einigten .Staaten. 

13.  Wirkl.    (ieh.    Ober-Reg.-Rat     Dr.    ßödiker:     Die    Fortschritte    der    deutsclien 
Arbeiter\'ersicherung  in  den  letzten  15  Jahren. 

14.  Prof.    Dr.    II.   Schumacher:     Die    Bedeutung    des    osta^siatischen    Markte-    für 
Deut.schland. 

15.  Prof.  Dr.  Wolfstieg:    Die  Volksbibliotheken,    ihre    .\ufgabe,    Organisation    und 
Verwaltung. 

Die  Besichtigungen  und  Exkursionen  endlich  beschränkten  sich 
nicht  auf  Berlin  und  dessen  nächste  Umgebung;  in  ihnen  sieht  die 
Leitung  der  Vereinigung  ein  wichtiges  Mittel  für  den  Unterrichts- 
zweck, ganz  besonders  für  die  Ausdehnung  des  Gesichtskreises  und 
grade  deshalb  hat  sie  die  Mühen  und  Um.stände  auch  weiterer 
Studienfahrten,  von  denen  in  jedem  Halbjahr  bisher  etwa  zwei  statt- 
fanden, nicht  gescheut.  So  wurden  im  Sommer  1W2  die  Anlagen 
in  Staßfurt  und  die  Besitzungen  des  Amtsrats  von  Zimmermann  in 
Benkendorf  bei  Halle  a/S.,  im  Winter  1W3  die  Zeißschen  und 
Schottschen  Anstalten  in  Jena  und  die  wichtigsten  technischen  An- 
lagen des  Kriegschiffsbaus  und  der  Marine  in  Kiel  in  Augenschein 
genommen,    im  Sommer  19(K^  wurde  die  Pfingstwoche  für  eine  über- 


Berlin.  639 

% 

aus  anregende  Studienfahrt    in    die    Industriebezirke    des  Rheinlandes 
und  Westfalens  benutzt. 

Diese  vielseitigen  und  allgemein  interessierenden  Veranstaltungen 
haben,  obgleich  die  Vereinigung  selbst  und  ihre  Studienpläne  doch 
nur  engeren  Kreisen  bekannt  geworden  sind,  eine  schnell  steigende 
Teilnehmerzahl  zusammengeführt.  Im  4.  Studienhalbjahr,  dem  Winter 
1W3/04,  sind,  abgesehen  von  den  Hörern  der  Einzelvorträge, 
221   Teilnehmer  angemeldet. 

Unter  diesen  befanden  sich  Regierungsräte,  Landräte,  Re- 
gierungsassessoren und  Referendare,  Richter,  Gerichtsassessoren  und 
-Referendare,  Beamte  des  auswärtigen  Amts,  aber  auch  Offiziere, 
Schriftsteller,  Ärzte  und  andere  Personen  von  höherer  Bildung,  kurz 
es  beteiligten  sich  eben  diejenigen  Kreise,  auf  die  bei  der  Gründung 
der  Vereinigung  gerechnet  worden  ist. 

Die  größten  Besuchsziffem  wiesen  bis  zum  Winterhalbjahr  1903/04 
regelmäßig  die  Vorlesungen  über  volkswirtschaftliche  und  sozial- 
politische Fragen,  über  Handelsverkehr  und  Politik,  sowie  über 
finanzwirtschaftliche  Fragen  auf;  im  Winter  1903/04  zeigten  die  Vor- 
träge zu   10,  3,'  6  und  5  (S.  638)  die  größten  Beteiligungsziffem. 

Die  Vorlesungen  wurden  von  fast  allen  den  für  sie  einge- 
schriebenen Teilnehmern  auch  regelmäßig  und  mit  offenbarem  Inter- 
esse besucht.  Dasselbe  gilt  für  die  Exkursionen  und  Besichtigungen. 
Die  Einzelvorträge  sind  weit  über  den  Kreis  der  Teilnehmer  der 
Vereinigung  hinaus  beliebt,  die  Durchschnittsbesuchsziffer  betrug  etwa 
100,  an  einzelnen  Einzelvorträgen  nahmen  über  200  Hörer  teil. 

Die  rege  Mitarbeit  fast  aller  Teilnehmer  ist  um  so  wertvoller, 
als  die  Beteiligung  an  der  Vereinigung  auch  jetzt  noch  in  der  Haupt- 
sache eine  freiwillige  ist.  Freilich  hat  der  Minister  des  Innern  Land- 
räte und  Regierungsassessoren,  der  Staatssekretär  des  Auswärtigen 
Amts  die  hier  beschäftigten  Assessoren  zur  Teilnahme  befohlen  oder 
doch  daraufhingewiesen,  ähnliches  ist  auch  bereits  seitens  einigerBundes- 
staaten  (Mecklenburg-Schwerin  und  Sachsen)  geschehen  und  es  steht 
wohl  zu  erwarten,  daß  diesem  Beispiel  weitere  Ressorts,  vor  allem 
Preußens  und  des  Reichs,  vielleicht  auch  andere  Bundesstaaten  folgen 
werden.  Immerhin  aber  ist,  wie  gesagt,  die  Beteiligung  im  wesent- 
lichen freiwillig. 

Dies  mußte  auch  bei  der  Bemessung  der  Gebühren  berücksichtigt 
werden.  Die  Teilnehmer  haben  nach  erfolgter  Zulassung  20  M.  für 
das  Halbjahr  zu  entrichten,  hierfür  steht  ihnen  die  Teilnahme  an 
2  konversatorischen  Vorlesungen,  sowie    der    Besuch    der   sämtlichen 


640  Private  Anstalten  und  Stiftungen  ftir  höhere  Bildung. 

Einzelvorträge  und  die  Beteiligung  an  allen  Exkursionen  und  Be- 
sichtigungen zu.  Das  Honorar  für  jede  weitere  von  ihnen  belegte 
konversatorische  Vorlesung  beträgt  10  M. 

Diese  Gebührenfestsetzungen  sind  nur  dadurch  ermöglicht 
worden,  daß  die  Vorlesungen,  welche  zum  großen  Teil  von  Mit- 
gliedern der  Vereinigung  gehalten  werden,  von  diesen  wie  von  den 
übrigen  Dozenten,  wesentiich  aus  Interesse  für  die  Ziele  der  Ver- 
einigung und  daher  ohne  oder  unter  geringer  Remunerierung  über- 
nommen worden  sind;  soweit  trotzdem  Zuschüsse  erforderlich  sind, 
werden  sie  aus  hierfür  disponiblen  Fonds  der  beteiligten  Ressorts  geleistet. 

Es  darf  erw^artet  werden  —  und  diese  Hoffnung  teilen  mit  den 
Mitgliedern  der  Vereinigung  auch  die  Teilnehmer  —  daß  die  Ver- 
einigung für  staatswissenschaftliche  Fortbildung  zu  einer  dauernden, 
etatsrechtlich  selbständig  begründeten  Einrichtung  wird,  welche 
vielleicht  auch  —  gleichzeitig  mit  ihren  bewährten  Darbietungen  — 
dem  Wunsche  nicht  nur  der  zahlreichen  juristischen  Teilnehmer  nach 
Wiedereinführung  juristischer  konversatorischer  Vorlesungen  Rechnung 
trägt.  Sicherlich  aber  dürfte  die  Vereinigung,  wenn  sie  in  der  bis- 
herigen Weise  weiter  geleitet  wird  —  mag  nun  aus  ihr  die  seit 
langem  erwünschte  Verwaltungsakademie  hervorgehen  oder  mag  sie 
als  eine  Fortbildungshochschule  für  Rechts-  und  Staatswissenschaften 
weiterbestehen  —  von  größtem  Werte  sein,  nicht  nur  für  die  Ver- 
waltungsbeamten, auch  für  die  übrigen  höheren  Beamten,  insbe- 
sondere die  Juristen,  für  die  Kommunal-  und  Privatbeamten  und  end- 
lich für  weitere  Kreise.  L.   J  u  1  i  u  s  b  e  r  g. 

b)  Volkshochschule   Humboldt-Akadeipic. 

Der  Wissenschaftliche  Zentralverein  zu  Berlin,  welcher  durch 
die  Initiative  des  bekannten  Nationalökonomen  Dr.  Max  Hirsch  die 
Ausbreitung  der  Wissenschaft  insbesondere  durch  Errichtung  und 
Leitung  von  populär-wissenschaftlichen  Vorträgen  bezweckt,  schuf  die 
Humboldt-Akademie,  die  am   13.  Januar  1879  eröffnet  worden  ist. 

Dieses  Institut  will  nicht  Gelehrte  oder  Staatsdiener  erziehen, 
sondern  solchen  Personen,  welche  die  Universität  nicht  besuchen 
können  oder  bereits  verlassen  haben,  Gelegenheit  zu  einer  höheren 
wissenschaftlichen  Weiterbildung  geben.  Dieses  Ziel  sucht  sie  durch 
systematische  Vortragszyklen,  vollkommene  Lern-  und  Lehrfreiheit 
für  beide  Geschlechter,  größtmöglichste  Anschaulichkeit  des  Un- 
terrichts, sowie  dessen  eventuelle  Unentgeltlichkeit  für  Unbemittelte 
zu    erreichen.     Die    Vortragszyklen,    worunter    im    allgemeinen    auch 


Herlin.  641 

Unterrichtskurse  verstanden  werden,  umfassen  durchschnittlich  12  Stun- 
den, je  eine  an  einem  bestimmten  Wochentage  im  Quartal.  Hierfür  ist 
eine  Hörgebühr  von  3  bis  5  M.  mit  eventuellem  Kostenzuschlag  zu 
zahlen.  Der  Unterricht  wird  meistenteils  abends  erteilt;  im  Sommer 
fallt  er  aus.  Die  Abhaltung  der  Vorträge  erfolgt  im  Dorotheen- 
städtischen  Realgymnasium,  Falk-Realgymnasium.  Architektenhaus,  in 
der  Luisenstädtischen  Oberrealschule,  Sophienschule,  in  den  Königl. 
Museen,  im  Kolonialmuseum,  in  Berlin  N.O.  (Königstadt),  an  zwei 
Lehrstätten  in  Charlottenburg  und  je  einer  in  Rixdorf,  Schöneberg 
und  Potsdam.  Dem  Vorstand  des  Wissenschaftlichen  Zentralvereins 
steht  die  Wahl  der  eventuell  durch  Befähigungsnachweise  zu  legi- 
timierenden Dozenten  und  die  spezielle  Feststellung  des  Lehrplanes 
zu;  der  gesamte  Geschäftsbetrieb  konzentriert  sich  in  der  Hand  des 
Generalsekretärs.  Die  Anstalt  erfreut  sich  mannigfaltiger  Förderung 
seitens  Dritter.  Eine  mietefreie  Hergabe  von  Klassenzimmern  und 
Sälen  erfolgt  seitens  des  Magistrats,  die  Städte  Berlin  und  Charlotten- 
burg, das  Ältestenkollegium  der  Berliner  Kaufmannschaft,  sowie  per- 
sönliche und  korporative  Mitglieder  des  Zentralvereins  beteiligen  sich 
mit  Jahresbeiträgen  und  auch  das  Königl.  Provinzial-SchulkoUegium 
steht  dem  Unternehmen,  das  in  seiner  Entwicklung  eine  überraschende 
Stetigkeit  des  Fortschrittes  aufweist,  wohlwollend  gegenüber.  Die 
Humboldt-Akademie  zählte  im  Jahre  1879  20,  1902/03  54  Dozenten 
und  seit  1894  sind  auch  Damen  im  Lehrkörper.  Es  bezifferte  sich  die 
Zahl  der  Zyklen  einschließlich  Kurse  Zahl  der  Hörer 

1879        (2  Lehrquartale)  auf  45  auf  ungefähr       1  700 
1885/86  (3  „  )    „    58  auf      1  380 

1890/91  (3  „  )    „    71  „       1</>4 

1W2/03  (3  „  )    „309  „     11220 

Die  im  ersten  Quartal  1904  abgehaltenen  Vortragszyklen  er- 
streckten sich  auf  Gebiete  der  Naturwissenschaften,  Hygiene,  Philo- 
sophie, Kunstgeschichte  (bildende  Künste  und  Musik),  ausländische 
Literaturgeschichte,  Politik  und  Kulturgeschichte,  Volkswirtschafts-, 
Staats-  und  Rechtslehre.  Unterrichtskurse  zur  Erlernung  der  lateini- 
schen, griechischen,  deutschen,  englischen,  dänischen,  norwegischen, 
französischen,  italienischen,  spanischen  und  russischen  Sprache  wurden 
abgehalten  und  auch  je  ein  Samariter-  und  photographischer  Kursus 
fand  statt.  Durch  Demonstrationen  'und  Experimente,  Vorführung 
von  Zeichnungen,  Modellen,  Projektionsbildern,  sowie  durch  erläu- 
ternde Wanderungen  in  den  königl.  Museen  usw.  wird  dauernd  die 
Anschaulichkeit  des  Unterrichts  gefördert  und  die  vom  Wissenschaft- 

Das  Unterrichtswesen  im  Deutschen  Reich.    L  41 


642  Private  Anstalten  und  Stiftungen  für  höhere  Bildung. 

liehen  Zentralverein  veranstalteten  Abende  mit  anschließender  Dis- 
kussion bilden  eine,  in  mannigfacher  Richtung  wertvolle  Ergänzung 
der  Vortragszyklen. 

Die  Humboldt-Akademie  ist  aus  der  eigenen  Kraft  privater  Bil- 
dungsfreunde hervorgegangen  und  verdankt  teilweise  ihre  gegenwärtige 
Blüte  der  überaus  hingebenden  und  erfolgreichen  Tätigkeit  ihres  ersten, 
zurzeit  noch  funktionierenden  Generalsekretärs.  Dauernd  kann  sie  auf 
einen  Stamm  uneigennütziger  Lehrer  zurückblicken.  Ihre  Hörerschaft 
beschränkt  sich  von  jeher  nicht  auf  das  Weichbild  Berlins,  sondern 
wird  in  stetig  zunehmender  Zahl  durch  die  Bewohner  der  Vororte 
verstärkt;  sie  umfaßt  Prinzipale  und  Angestellte,  Handwerker  und 
Arbeiter,  höhere  und  niedere  Beamte,  Lehrer,  Lehrerinnen,  Rentiers 
usw.  und  vom  16.  Lebensjahr  aufwärts  bis  zum  Greisenalter  sind  in 
ihr  von  beiden  Geschlechtem,  mit  Vorwiegen  der  jugendlichen  Hörer 
und  weiblichen  Elemente,  alle  Altersstufen  vertreten.  So  hat  sie 
Tausenden  von  Lernenden  Anregung  und  Belehrung  verschafft,  hier- 
durch das  Volksbildungsniveau  Berlins  erhöht,  Klassengegensätze  der 
Bevölkerung  in  intellektueller  Beziehung  gemindert  und  wesentlich 
dazu  beigetragen,  eine  neue  Bildungsmethode  durch  Einrichtung  der 
systematischen  Vortragszyklen  zur  Anwendung  zu  bringen. 

c)  Verein  für  volkstümliche  Kurse  von  Berliner  Hochschul- 
lehrern*). 
Unter  dem  Namen  , »Verein  für  volkstümliche  Kurse  von  Ber- 
liner Hochschullehrern'*  hat  sich  am  11.  Juni  1899,  nachdem  bereits 
im  Laufe  des  Winters  1 898/99  diesbezügliche  Bestrebungen  erfolgreich 
eingeleitet  worden  waren,  eine  Vereinigung  mit  dem  Sitz  in  Berlin 
gebildet,  welche  die  Ergebnisse  wissenschaftlicher  Forschung  in  volks- 
tümlicher Darstellung  weiteren  Kreisen  näherzubringen  bezweckt. 
Hierfür  werden  während  des  Wintersemesters  je  2  Serien  von  volks- 
tümlichen Vortragskursen  veranstaltet.  Auch  Vorträge  aus  dem  Ge- 
biete der  Tonkunst  nebst  sich  hieran  anschließenden  musikalischen 
iXufführungcn  werden  abgehalten.  Als  Teilnehmer  dieser  Kurse 
kommen  hauptsächlich  erwachsene  Männer  und  Frauen  der  weniger 
bemittelten  Klassen  in  Betracht,  welche  keinen  sonstigen  Fortbildungs- 
unterricht nehmen,  aber  das  starke  Bedürfnis  nach  Belehrung  haben. 
Der  Verein    besteht    aus    ordentlichen    Mitgliedern    und   Protektoren. 

*)  Solche  \  olkshochschulkursc  —  antjeregl  durch  die  l'niversity  Kxlension  in  Kiij;;- 
laud  —  werden  auch  von  anderen  deutschen  Iniversitäten  aus  veranstaltet  und  e>  hat 
sich  auch  ein  Deutscher  X'olkshochschulverband  jjebildet.  Auf  die  Kinzelheiten  dioer 
Hesirel)unji;en  kann  jedoch  hier  nicht  eingegangen  werden. 


Berlin.  643 

Mitglieder  können  sämtliche  Lehrer  Berlins  und  Charlottenburgs 
werden,  die  sich  bereit  erklären,  die  Zwecke  des  Vereins  zu  fördern 
und  sich  zu  einem  von  ihnen  selbst  zu  bestimmenden  Jahresbeitrag 
im  Mindestsatz  von  5  M.  verpflichten.  Die  Leitung  des  Vereins  liegt 
in  den  Händen  des  Vorstandes  und  eines  Ausschusses.  Die  Zentral- 
stelle für  Arbeiter-Wohlfahrtsein richtungen  bildet  die  Geschäftsstelle. 
Die  Lehrkräfte  setzen  sich  aus  den  Dozenten  der  Universität,  Tech- 
nischen Hochschule,  Landwirtschaftlichen  Hochschule,  sowie  der  Berg- 
Akademie  zusammen.  Andere  Kräfte  sind  prinzipiell  nicht  ausge- 
schlossen. Die  Vorträge  finden  um  8V2  Uhr  abends  statt  und  dauern 
meist  bis  10  Uhr;  eine  Stunde  dient  dem  eigentlichen  Vortrag,  der 
Rest  der  Aussprache  mit  den  Hörern,  die  auch  durch  Benutzung  der 
Fragekasten  Gelegenheit  finden,  über  schwierige  Punkte  Aufschluß  zu 
erhalten.  Der  Preis  für  den  Vortragskursus  ist  auf  1  M.  festgesetzt; 
an  Arbeitervereinigungen  jedoch  und  an  einige  andere  Vereine 
\\'erden  Karten  zum  ermäßigten  Preise  von  60  Pf.  ausgegeben. 

Der  Verein  kann  mit  großer  Befriedigung  auf  seine  kurze 
Vergangenheit  zurückblicken.  Die  Berliner  Arbeiterschaft  bringt  ihm 
grosses  Interesse  entgegen  und  mit  geringfügigen  Ausnahmen  sind 
die  Eintrittskarten  für  sämtliche  Kurse  schon  vor  Beginn  derselben 
vergriffen.  Die  Hörer  zeichnen  sich  durch  große  Wißbegier  sowie 
durch  gespannte  Aufmerksamkeit  aus  und  geben  vielfach  der  Dankbar- 
keit, die  sie  beseelt,  mündlichen  Ausdruck.     Es  bezifferte  sich 


1898/99 

1 1899/1900 

1»00/01 

1901/02 

1902/03 

die  .Anzahl  der  Vortrags- 

-| 

kurse  auf      .... 

12 

16 

21 

21 

20 

die  Gesamtzahl   der  Teil- 

1 

1         nehmer  auf  .     .     .     . 

3497 

4489 

5464 

6129 

6947      1 

'  die  durchschnittliche  Per- 

sonenzahl  des  Einzel- 

1 

kursus  auf     .... 

290 

280 

260 

291 

347      1 

die  Beteiligung  der  Fabrik- 

1 

'         arbeiter,  Gesellen  und 

Gehilfen  aufl)    ... 

50,9  ",o 

54,3% 

54,4% 

54,5  «0 

54,8  o/,2) 

1  die  Beteiligung  der  Arbei- 

1 

terinnen    oder  P'rauen 

j 

von      Arbeitern      und 

Handwerkern  V)  auf 

13,6  0/0 

21.8  0/0 

16,8  0« 

10,70/0 

32,9  %^) 

h  Zur  Ermittlung  des  Materiales  dienen  Fragezettel,  deren  Beantwortung  freisteht; 
1902/a3  hatten  80,4  0/^  der  Teilnehmer  geantwortet.  Die  aufgeführten  Ziffern  haben 
daher  nur  relative  Gültigkeit.     (Anmerkung  ^)  und  3)  umstehend.) 

41* 


644  Private  Anstalten  und  Stiftungen  für  höhere  Bildung. 

Von  den  Teilnehmern  befanden  sich 


1 

1 

1899/19«) 

1900.t)l 

1 

isoi/oe   : 

1908/08 

1  im  Alter- 

■)  bis  zu  20 

Jahren 

8^% 

10.40/0 

8,70/0 

8,6  0/0 

1    »>       »» 

von      21—30 

„ 

42,8  •/« 

46,6  0/0 

40,00/0 

44,2  o/o 

)    >»       » 

„        31-40 

„ 

28,1  % 

26,1  % 

32,0% 

29,40/0 

1 

»»       »> 

„        41-50 

„ 

H,1  % 

11,0«/„ 

12,20/0 

11.40/0 

1 

51-60 

„ 

4.9  o/„ 

3.90/0 

4.20/0 

4.50/0 

„       „ 

über     60 

„ 

1,4% 

1.40/0 

1.30/0 

1,3"/,, 

Es  ist  somit  erwiesen,  daß  die  Besucher  der  volkstümlichen 
Kurse  anderen  Altersklassen  angehören  wie  die  Fortbildungsschüler. 
Die  von  humanitärem  Geist  beseelte  Institution  hat  sich  in  jeder 
Weise  bewährt,  sie  ist  von  hervorragender  Bedeutung  für  die 
Bildungsbestrebungen  der  Reichshauptstadt  geworden  und  wohl 
geeignet,  zur  Überbrückung  der  sozialen  Gegensätze  zu  dienen. 

d)  Die  Lessing-Hochschule 

besteht  seit  dem  Oktober  19()1  und  ist  eine  Sonderabteilung  der 
Lessing-Gcsellschaft  für  Kunst  und  Wissenschaft.  Im  Wintersemester 
1901/02  und  im  Sommersemester  1W2  wurden  von  14  Dozenten 
24  Vortragszyklen  über  Kunst,  Literatur,  Musik,  Naturgeschichte, 
Philosophie,  Medizin,  Jurisprudenz  und  technische  Wissenschaften 
abgehalten.  Die  Durchschnittsfrequenz  der  Kurse  bezifferte  sich  ungefähr 
auf  151  zahlende  Hörer;  hierzu  kam  noch  eine  große  Anzahl  von 
Teilnehmern,  die  keine  Gebühr  bezahlen,  da  die  Lessing-Hochschule 
Unbemittelten  freien  Zutritt  zu  den  Vorträgen  gestattet. 

c)  Die  Freie  Hochschule 

i.st  am  13.  Januar  1W2  eröffnet  und  verfolgt  das  Ziel,  eine  freie 
Volks-üniversität  zu  begründen.  Ihr  Arbeitsgebiet  umfaßt  die 
wichtigsten    Wissenszweige,    die    in    den  Abendstunden    der    Woche 

-)  Der  Rest  verteilte  sich  auf  IIaiidluiijTsjj;ehilfen,  .staatliche  oder  kommunale  Sul»- 
alternbeamt.\  Privatschullehrer,  X'olksschullehrer,  sclb^tändijje  Handwerker,  die  X'ertreter 
liberaler  Ijerufe,  auf  selbständijje  Kaufleutc,  ( Gymnasiasten,  Studenten,  Fabrikanten,  Kenlier<. 

•h  Der  Rest  verteilte  sich  auf  Lehrerinnen,  Schriftstellerinnen,  Malerinnen, 
Beamtinnen,  kaufmänni.schc  Gehilfinnen,  sowie  auf  Teilnehmer,  die  eine  besondejr 
Herufsstellung  nicht  angaben. 

^)  Das  diesbezüj^liche  Material  ist  gleichfalls  den  Kragezetteln  entnommen. 


Berlin.  645 

durch  Zyklen  behandelt  werden;  auch  Einzelvorträge  und  belehrende 
Rundgänge  in  dem  Berliner  Zoologischen  Garten  finden  statt.  Die 
Leitung  des  Unternehmens  ruht  in  den  Händen  eines  Direktoriums, 
dem  ein  Ehrenrat  zur  Seite  steht  und  der  finanziellen  Unterstützung 
und  Pflege  der  gesamten  Bestrebungen  dient  der  Zentralverein  der 
Freien  Hochschulen,  bei  denen  jeder  unbescholtene  Eru'achsene  gegen 
einen  Mindestjahresbeitrag  von  1  Mark  Mitglied  werden  kann.  Im 
4.  Quartal  1W2  wurden  von  16  Dozenten  16  Vortragszyklen  mit 
einer  Gesamtzahl  von  ungefähr  2tKX)  Teilnehmern  abgehalten.  Die 
Zuhörerschaft  setzt  sich  aus  Volksschullehrern  und  -Lehrerinnen, 
Industriearbeitern,  Postbeamten,  Kaufleuten  und  höher  gebildeten 
Interessenten  aller  Stände  zusammen.  Testierbücher  werden  ausgestellt 
und  Prüfungen  auf  Wunsch  der  Zuhörer  abgehalten. 

fi  Das  Victoria-Lyzeum 

ist  nur  für  weibliche  Teilnehmer  bestimmt  und  verfolgt  den  Zweck, 
nicht  nur  eine  intellektuelle  Interessengemeinschaft  der  beiden  Ge- 
schlechter herbeizuführen,  sondern  auch  die  gebildeten  Frauen  und 
Mädchen  namentlich  Berlins  für  die  höhere  Lehramtstätigkeit  vorzu- 
bereiten. Es  ist  1868  geschaffen  worden  und  begann  seine  Tätigkeit 
mit  vier  Vorlesungs-Zyklen  über  deutsche  Geschichte,  griechisch- 
römische Kulturgeschichte,  sowie  deutsche  und  französische  Literatur. 
Der  erste  Erfolg,  der  sich  ziffernmäßig  in  der  Ausgabe  von  200  Hörer- 
karten ausdrückte,  ermutigte  zur  Erweiterung  des  Programms,  sodaß 
schon  im  nächsten  Jahre  einzelne  TeUe  der  Natur>\'issenschaften  und 
Mathematik  in  den  Kreis  der  Betrachtungen  hineingezogen  werden 
konnten.  Seit  dem  Jahre  1ÄJ4  ist  das  Victoria-Lyzeum  juristische 
Person,  deren  Vermögen  von  einem  Schatzmeister  verwaltet  wird. 
Die  oberste  Leitung  ruht  in  den  Händen  eines  Kuratoriums,  das  sich 
aus  einer  Reihe  der  angesehensten  Männer  und  Frauen  Berlins 
zusammensetzt,  während  der  eigentliche  Betrieb  der  Anstalt  einer 
Direktorin  übertragen  ist.  Neben  den  Vorlesungen,  die  zurzeit  über 
Kunstlehre,  Kunstgeschichte,  Philosophie,  Religionswissenschaft,  Lite- 
ratur- und  Musikgeschichte,  sowie  über  einzelne  Zweige  der  Natur- 
wissenschaften abgehalten  werden,  bestehen  Unterrichtskurse,  die  vor- 
oder  nachmittags  erteilt  werden.  Die  ersteren  bezwecken,  jungen, 
der  Schule  entwachsenen  Mädchen  Gelegenheit  zu  geben,  die  er- 
worbenen Kenntnisse  zu  erweitem,  das  Gelernte  praktisch  zu  ver- 
werten   und    das    Verständnis    für    die    eigentlichen  Vorlesungen    zu 


(146  Private  Anstalten  und  Stiftungen  für  höhere  Bildung. 

heben.  Die  Nachmittagskurse  gewähren  eine  gründliche  Vorbereitung 
für  die  Oberlehrerinnen-Prüfung  und  die  hierbei  in  jedem  einzelnen 
Fach  zu  erörternde  Disziplin  wird  systematisch  auf  4  bis  6  Semester 
verteilt.  Im  Wintersemester  1902/03  wurden  13  Vorlesungs-Zyklen 
abgehalten,  1890  Teilnehmerkarten  ausgegeben  und  bei  den  Ober- 
lehrerinnen-Prüfungen im  Dezember  1902  und  Mai  1903  waren 
11  Schülerinnen  erfolgreich  beteiligt.  Das  Victoria-Lyzeum  hat  ein 
dem  Universitätsunterricht  einigermaßen  parallel  laufendes  Studium 
den  Frauen  Berlins  ermöglicht,  einen  großen  Einfluß  auf  den  sich 
steigernden  Wissensdrang  derselben  ausgeübt,  für  eine  höhere  Auf- 
fassung des  weiblichen  Lehrberufes  bahnbrechend  gewirkt  und  somit 
durch  den  Erfolg  seiner  Bestrebungen  den  Beweis  der  Lebens-  und 
Leistungsfähigkeit  geliefert. 

g)    Mädchen-    und    Frauengruppen    für    soziale    Hilfsarbeit 

zu    Berlin. 

1893  wurde  der  Plan  gefaßt,  das  Interesse  und  die  Hilfsbereit- 
schaft unbeschäftigter  Frauen  und  Mädchen  zu  gewinnen,  um  sie  den 
zahlreichen  in  Berlin  bestehenden  Wohltätigkeitsanstalten  als  Helfe- 
rinnen zuzuführen.  Für  diesen  Zweck  bildete  sich  ein  Komitee,  dem 
es  gelang,  eine  große  Anzahl  derartiger  Anstalten  mit  freiwilligen 
Hilfskräften  zu  belegen  und  Dozenten  zu  gewinnen,  die  eine  dies- 
bezüglich theoretische  Durchbildung  der  Frauen  durch  Abhaltung 
wissenschaftlicher  Kurse  vorzunehmen  beabsichtigten.  Die  Vereinigung 
ist  am  18.  Dezember  1893  endgültig  ins  Leben  gerufen  worden.  Die 
Mitarbeiterinnen  gliedern  sich  in  Gruppen,  jede  Gruppe  wird  durch 
eine  Vorsitzende  vertreten,  welche  die  Anleitung  zu  den  betreffenden 
Beschäftigungen  erteilt  und  für  die  Einführung  der  Helferinnen  in  die 
einzelnen  Arbeitsgebiete  sorgt.  Zuvörderst  handelt  es  sich  um  die 
öffentliche  Armen-  und  Waisenpflege,  private  Wohlfahrtseinrichtungen 
sowie  um  die  Tätigkeit  in  Blindenanstalten,  Kindergärten  und  Kinder- 
horten. Die  Vortragskurse  dienen  ausschließlich  zur  Vorbereitung 
für  diese  Tätigkeit  und  sind  stets  im  Hinblick  auf  die  spätere  praktische 
Verwertung  des  Gelernten  eingerichtet.  In  diesem  Sinne  werden 
Vorträge  über  allgemeine  volkswirtschaftliche  Fragen,  Wohlfahrtsei n- 
richtungen,  Armenpflege,  Bürgerkunde,  Verfassung  und  Verwaltung, 
Rechtsfragen,  Hygiene  und  Volksgesundheitspflege  abgehalten,  sowie 
pädagogische  Kurse  und  Kurse  in  Blindenpflege  und  Blindenschrift 
veranstaltet.     Besuche    von  Muster-    bezw.    öffentlicher    oder    privater 


Frankfurt  a.  M.  ()47 

Wohlfahrtsstätten  dienen  gleichfalls  als  Mittel  zum  Zweck  der  plan- 
mäßig eingeleiteten  Tätigkeit.  Die  Beteiligung  in  den  Gruppen  be- 
zifferte sich 

1893/94  auf  100  Mitglieder 

1898/99    „    237 

1900/01     „    2W 

1W1/02    ,.    365 

1W2/03  „  486 
Die  Vereinigung  hat  vielseitige  Wirkungen  hervorgerufen.  Der 
Wert  einer  theoretischen  und  praktischen  Ausbildung  ihrer  Mitglieder 
wird  allseitig  geschätzt  und  deren  Hilfe  von  mehr  als  60  Anstalten, 
die  sich  mit  Armen-  und  Wohlfahrtspflege  beschäftigen,  begehrt. 
Nach  dem  Berliner  Vorbilde  haben  sich  Gruppen  in  Bremen,  Hamburg, 
Lübeck,  Königsberg  und  Leipzig  gebildet,  besondere  Abteilungen  für 
soziale  Hilfsarbeit  sind  in  Leipzig,  Halle,  Cassel,  Mannheim,  Frank- 
furt a.  M.  gegründet  und  eine  Schwestervereinigung  besteht  in  Wien. 

Otto  Warschauer. 


2.  Frankfurt  a.  M. 

li)  Die  Senckenbergische  Stiftung 

zum  Besten  der  .Arzneikunde  und  Krankenpflege  wurde  17(x3  von 
dem  Arzt  Dr.  Joh.  Chr.  Senckenberg  gegründet  und  steht  unter  der 
Verwaltung  einer  Stiftungsadministration  von  8  Mitgliedern.    Sie  umfaßt: 

1.  Ein  medizinisches  Institut  nebst  einem  botanischen  Garten. 
Das  erstere  ist  der  pathologischen  Anatomie  gewidmet  und  steht 
unter  der  Leitung  des  Professors  Dr.  Weigert.  Es  werden  in  jedem 
Winter  pathologisch-anatomische  Demonstrationen  und  allgemeine 
pathologische  Vorträge  für  Arzte  gehalten  und  in  dem  Institut  ist 
fortwährend  Gelegenheit  zu  wissenschaftlichen  Arbeiten  geboten.  Im 
Jahre  1^X)2/3  arbeiteten  hier  außer  7  Frankfurter  22  auswärtige  Ärzte, 
worunter  14  aus  Deutschland,  1  aus  Österreich,  1  aus  Italien,  2  aus 
Rußland,  1  aus  der  Türkei  und  3  aus  Nordamerika.  Direktor  des 
botanischen  Gartens  ist  Professor  Dr.  Möbius,  der  im  Wintersemester 
IW2/3  über  Kryptogamen  und  im  Sommer  1^)03  über  Biologie  der 
Pflanzen  las. 

2.  Die  Senckenbergische  Bibliothek  in  einem  1 8f)()/()7  errichteten 
Gebäude,  in  dem  auch  die  Büchersammlungen  mehrerer  wissenschaft- 
licher Vereine  untergebracht  sind.     Im  Jahre  1W2/3  betrug  die  Zahl 


548  Private  Anstalten  und  Stiftungen  fUr  höhere  Bildung. 

der  Entleiher  1130,  die  der  Besucher  des  Lesezimmers  4084.  die 
Gesamtzahl  der  benutzten  Bücher  5662. 

Die  Senckenbergische  Stiftung  steht  seit   1903   unter   dem  Pro- 
tektorat Ihrer  Majestät  der  Kaiserin. 

b)  Die  Senckenbergische  naturforschende  Gesellschaft 

ist  1817  gegründet  und  ursprünglich  aus  dem  Senckenbergischen 
medizinischen  Institut  hervorgegangen,  jetzt  aber  selbständig.  Sie  hat 
zunächst  den  Charak-ter  einer  gelehrten  Gesellschaft,  die  ihre  Sitzungen 
hält  und  in  ihrem  Jahresbericht  auch  wissenschaftliche  Arbeiten  ver- 
öffentlicht. Außerdem  aber  veranstaltet  sie  regelmäßige  Vorträge 
und  praktische  Kurse  über  Zoologie,  Botanik,  Mineralogie,  Geologie 
und  Paläontologie,  wozu  ein  zoologisches  und  botanisches  Laboratorium 
und  reiche  Sammlungen  in  dem  naturhistorischen  Museum  der  Gesell- 
schaft die  Hilfsmittel  darbieten. 

c)  Der  Physikalische  Verein 

ist  ebenfalls  eine  gelehrte  Gesellschaft,  die  zugleich  Unterrichtszwecke 
verfolgt  und  Vorlesungen,  Lehrkurse  und  Übungen  veranstaltet.  Zu 
diesem  Zweck  sind  drei  Dozenten  angestellt.  Die  Gesellschaft  hat 
eine  physikalische  Abteilung,  ein  Röntgen-Institut,  eine  elek-tro- 
technische  Abteilung  mit  Lehr-  und  Untersuchungsanstalt  und  ein 
chemisches  Laboratorium,  in  dem  im  Jahre  1901/02  71  Praktikanten 
arbeiteten.  Der  Jahresbeitrag  der  Mitglieder  beträgt  20  M.  Alle 
Vorlesungen  und  Vorträge  sind  für  sie  unentgeltlich.  Zu  den 
Mittwochsvorträgen  haben  auch  die  Schüler  der  Prima  und  Ober- 
sekunda der  Frankfurter  höheren  Lehrantalten  freien  Zutritt.  In  dem 
Jahresbericht  des  Vereins  werden  auch  wissenschaftliche  Arbeiten 
veröffentlicht. 

d)  Das  Freie  Deutsche  Hochstift 

wurde  1859  auf  Betreiben  des  als  naturwissenschaftlicher  Schriftsteller 
bekannten  Dr.  O.  Volger  gegründet  und  1884  reorganisiert.  Sein 
Zweck  ist  die  Pflege  der  Wissenschaft,  Kunst  und  höheren  Bildung. 
In  jedem  Winter  werden  7—8  Lehrgänge  von  je  5  Vorträgen  gehalten, 
wozu  auch  Gelehrte  von  auswärts  berufen  werden.  Außerdem  finden 
Einzelvorlesungen  statt.  Die  Lehrgänge  sollen  „auf  Grund  wissen- 
schaftlicher Forschung  und  Beherrschung  des  Gebiets  die  Ergebnisse 
der   betreffenden  Wissenschaft    faßlich    und  geschmackvoll  vorführen. 


Dresden.  649 

sodaß  der  auf  diesem  Gebiet  nicht  fachmäßig  Gebildete  einen  Über- 
blick über  den  Stand  und  die  allgemeinen  Ergebnisse  der  Wissenschaft 
gewinnt".  Die  zu  behandelnden  Fächer  sind  Geschichte,  deutsche 
Literatur,  alte  und  neue  Sprachen,  Rechtswissenschaft,  Volkswirtschafts- 
lehre, bildende  Kunst,  auch  Naturwissenschaft,  die  aber  mehr  zurück- 
tritt. Das  Hochstift  zählt  etwa  1600  Mitglieder,  der  Mindestsatz  des 
Jahresbeitrages  ist  8  M.  außer  einem  Eintrittsgeld  von  3  M.  Das 
Vermögen  der  Anstalt  beträgt  500  000  M.,  die  Jahresausgabe  56  000  M. 
Als  besondere  Aufgabe  hat  sie  die  Unterhaltung  und  Pflege  des  ihr 
gehörenden  Goethe-Hauses  übernommen.  In  dem  „Jahrbuch**  des 
Hochstifts  werden  auch  wissenschaftliche  Arbeiten  veröffentlicht. 


3.   Dresden. 

Die  Gehestiftung 

wurde  von  dem  Großkaufmann  Franz  Ludwig  Gehe  (geb.  1810,  gtist. 
1882)  gegründet  und  mit  einem  Kapitalvermögen  von  2000000  M. 
ausgestattet.  Nach  den  letztwilligen  Verfügungen  des  Stifters  soll 
die  Anstalt  den  Zweck  haben,  1.  eine  geeignete  Vorbereitung  und 
Ausbidung  von  Männeni,  welche  sich  dem  Dienst  der  Gemeinden 
oder  einer  anderen  öffentlichen  Wirksamkeit  widmen  wollen,  zu  unter- 
stützen und  2.  Männern  von  hervorragenden  Verdiensten  um  das  öffent- 
liche Wohl  durch  Aufnahme  in  ein  zu  gründendes  „Herren-Stift*' 
oder  nach  Umständen  durch  Verleihung  von  Geldbenefizien  ein  sorgen- 
freies Alter  zu  verschaffen. 

In  erster  Linie  steht  die  Lehrtätigkeit  der  Anstalt,  die  sich  vor- 
zugsweise auf  das  Gebiet  der  Staats-  und  Volkswirtschaft  und  der 
Venvaltungslehre  erstreckt.  Sie  eröffnete  ihre  Wirksamkeit  1885  mit 
Veranstaltung  von  Vorträgen,  mit  denen  seit  1893  auch  ein  staats- 
wissenschaftliches Praktikum  nach  Art  eines  Seminars  mit  einer  be- 
schränkten Zahl  von  Teilnehmern  verbunden  ist.  Es  sind  gegenwärtig 
drei  ständige  Dozenten  angestellt,  die  größere  Vorlesungszyklen 
halten,  und  zwar  aus  dem  Gebiete  des  öffentlichen  und  privaten 
Rechts  (Professor  Dr.  Schanzej,  der  Nationalökonomie  und  Finanz- 
wissenschaft (Professor  Dr.  Wuttke)  und  der  moralischen  und  politi- 
schen Wissenschaften  (Dr.  Böttger).  Außerdem  werden  gelegentlich 
auch  andere  Gelehrte  und  Fachmänner  zur  Abhaltung  von  Vortrags- 
reihen gewonnen  und  ferner  findet  in  jedem  Winter  eine  .Anzahl  von 
Einzelvorträgen  auswärtiger  Gelehrten  statt. 


650  Private  Anstalten  und  Stiftungen  fiir  höhere  Bildung. 

Außer  in  Dresden  läßt  die  Anstalt  auch  in  Plauen  i.  V.  Vor- 
träge halten.  Der  Besuch  ist  durchweg  sehr  befriedigend.  In  Dresden 
hatten  sich  im  Winter  1902/03  1067  Hörer  für  8  Vortragsreihen  mit 
im  ganzen  73  Vorträgen  einschreiben  lassen.  Die  Zahl  der  wirklich 
Erschienenen  war  im  ganzen  6855  und  es  kamen  demnach  durch- 
schnittlich auf  jeden  Vortrag  94.  Die  1067  Eingeschriebenen  waren 
übrigens  nur  608  verschiedene  Personen,  da  viele  Hörer  sich  an 
mehreren  Vortragsreihen  beteiligen.  Die  Eingeschriebenen  gehören 
den  verschiedensten  Ständen  an.  Am  zahlreichsten  sind  die  mittleren 
Beamten  vertreten,  aber  es  nehmen  auch  höhere  Verwaltungsbeamte, 
Richter,  Ärzte,  Geistliche,  Lehrer,  Kaufleute,  Gewerbetreibende  und 
Arbeiter  teil.  Im  Winter  1901/02  war  die  Beteiligung  größer:  Die 
Zahl  der  Einschreibungen  war  1406,  die  der  Personen  939  und  auf 
jeden  der  88  Vorträge  kamen  durchschnittlich  99  Hörer. 

In  dem  staatswissenschaftlichen  Praktikum  fanden  im  Winter 
1902/03  10  Cbungsabende  statt  mit  der  durchschnittlichen  Teilnehmer- 
zahl 14.  Die  sechs  Einzelvorträge  hatten  in  dem  genannten  Winter 
insgesamt  eine  Zuhörerschaft  von  3900  Personen  und  die  durch- 
schnittliche Besuchsziffer  betrug  demnach  650. 

Alle  Vorträge  und  Übungen    werden    unentgeltlich    gehalten. 

Die  Bibliothek  bildet  eine  reichhaltige  Sammlung  von  Werken 
aus  den  von  der  Anstalt  gepflegten  wissenschaftlichen  Gebieten  und 
wird  ausgiebig  benutzt.  Die  Zahl  der  Entleiher  betrug  im  Jahre 
1902/03  (vom  1.  Juli  bis  30.  Juni)  2311,  die  der  entliehenen  Bücher 
15  077,  die  Zahl  der  Leser  in  Bibliothek  und  Lesezimmer  zusammen 
22  876. 

Was  die  Organisation  der  Stiftung  betrifft,  so  beruht  sie  jetzt 
auf  den  neuen,  vom  sächsischen  Kultus-  und  Unterrichtsministerium 
unter  dem  7.  Mai  ][){)2  bestätigten  Satzungen.  Die  Verwaltung  wird 
geführt  von  einem  Direktorium,  das  in  bestimmten  Angelegenheiten 
an  die  Beschlüsse  des  Stiftsrats  gebunden  ist,  dessen  Zusammen- 
setzung im  5  9  der  Statuten  festgesetzt  ist.  Das  Direktorium  besteht 
aus  vier  Mitgliedern  des  Stiftsrats,  nämlich  einem  Direktor,  einem 
ersten  und  einem  zweiten  stellvertretenden  Direktor,  die  vom  Stiftsrat 
aus  seiner  Mitte  auf  je  drei  Jahre  gewählt  werden,  dem  Geschäfts- 
führer und  einem  seiner  Stellvertreter.  Der  erste  Geschäftsführer. 
Professor  Pctermann,  ist  vom  Stifter  selbst  berufen  worden.  Nach 
dessen  Abgang  wird  die  Stelle  vom  Stiftsrat  besetzt.  Der  Geschäfts- 
führer ist  immer  zugleich  Mitglied  des  Stiftsrats.    Erster  Stellvertreter 


Dresden.  551 

des  Geschäftsführers  ist  der  Inhaber  des  Lehramts  für  Staats-  und 
Rechtslehre,  zweiter  der  Inhaber  des  Lehramts  für  Volkswirtschaft 
und  Statistik.  Die  Anstalt  hat  juristische  Persönlichkeit  und  steht 
unter  der  Oberaufsicht  des  Ministeriums  des  Kultus  und  öffentlichen 
Unterrichts,  das  auch  die  Aufbewahrung  des  Vermögens  der  Stiftung 
in  Händen  hat  und  die  Schlußprüfung  der  Jahresrechnungen  vor- 
nimmt 


Populärwissenschaftliche  Vorlesungen  werden  in  allen  größeren 
und  vielen  mittleren  Städten  gehalten.  Die  zu  diesem  Zweck  be- 
stehenden PLinrichtungen  können  jedoch  nicht  als  ständige  Unterrichts- 
anstalten betrachtet  werden  und  werden  daher  hier  nicht  weiter  be- 
rücksichtigt. L. 


ANHANG. 


1.  Gesamtzahl  der  Studierenden  nach  Fakultäten  auf  allen  (22) 
Universitäten  des  Deutschen  Keiohs.*) 


Semester 

Evangelisch - 

theologische 

Fakultät 

Katholisch- 
theologische 
Fakultät 

Juristische    ; 
Fakultät 

Medizinische  1 
Fakultät 

i 

Philo- 
sophische    j 
Fakultät 

1       "  1 
1  Zusammen 

1830/31  .  . 

'   4267 

1809 

4502 

2355 

2  937 

15  870 

1835  36  .  . 

2672 

%9 

3173 

2312 

2804 

11930 

1840/41  .  . 

2232 

933 

3302 

2036 

3064 

11567 

1845/46  .  . 

2063 

1  108 

3  623 

1721 

3  510 

1   12  052 

1850/51  .  . 

'   1615 

1391 

4386 

1932 

3102 

12  426 

1855/56  .  . 

1859 

1287 

3  745 

2114 

3059 

12064 

1860/61  .  . 

2550 

1269 

2  501 

2148 

3976 

12444 

1865/66  .  . 

2334 

1209 

3211 

2566 

4565 

13885 

1870  (S.)  . 

2087 

899 

3  178 

3  140 

4853 

14  157 

1870/71  .  . 

1  827 

884 

2  593 

2  600 

4350 

12  256 

1871/72  .  . 

1953 

901 

3  475 

3606 

5292 

15  227 

1875,76  .  . 

1519 

710 

4  537 

3  333 

6  525 

16  642 

1878/79  .  . 

1769 

681 

5  105 

3  535 

7  950 

19  040 

1881  82  .  . 

2  786 

706 

5  297 

4  779 

9  295 

22  86:^ 

1884/85  .  . 

4  108 

975 

4834 

7011 

9  297 

26  225 

1887  88  .  . 

4581 

1  123 

5  742 

8109 

8  521 

28  076 

1890  91  .  . 

4  190 

1232 

6  670 

8  381 

7886 

28  359 

1893/94  .  . 

3175 

1  341 

7  033 

7  620 

7  857 

27  026 

1896/97  .  . 

2  676 

1487 

7890 

7  689 

9  734 

29  467 

1899/1900  . 

2  352 

1546 

9  259 

7  433 

12244 

32  834 

1903  (S.)**) 

2  197 

1580 

11747 

6  948 

15  205 

37  677 

*)  Nach  der  Statistik  der  preußischen  Landesuniversitiiten  (I*reußischc  Statistik, 
Heft  167),  Berlin  1901.  /u  den  j)reuüischen  L'niversitiiten  ist  auch  stct'>  Münster  (bi< 
1902  Akademie)  und  Hraunsberg  gerechnet.  Die  Studierenden  der  naturwis>scn>chafilichen 
Fakultäten  und  die  der  staiitswirtschaftlichen  Fakultät  in  München  und  der  staatswissen- 
schaftiiclien  Fakultät  in  Tübingen  sind  zur  j)lnlos<.jphischen  Fakultät  gezählt. 

**;  Nach  dem  Deutschen  rniversilätskalender.  Braunsberg  mit  etwa  50  Studie- 
renden ist  hier  niclit  mitge/iihll.  —  In  den  .\ngaben  über  die  Frequenz  der  l  niversiläten 
kommen  häuHg  \'erschiedenheiten  vor,  weil  niclu  innner  die  endgültigen  Feststellungen 
den  einzelnen  Zahlen  zugrunde  gelegt  werden. 


Anhang. 


653 


Oesamtzahl  der  Dozenten  an  den  deutschen  Universitäten 
Winter  1891/92  und  Winter  1899/1900.*) 


Ordentliche     i 
Professoren 

Honorar- 
professoren    1 

Außerordenliche 
Professoren 

Privatdozenten 

Fakuhiit 

1 

Winter    Winter 

Winter    Winter 

Winter  ,  Winter 

Winter    Winter 

1891/92  1899/00  1891/92  1899/00 

1891/921899/00 

1 

1891/92  1899/00 

Evang.-theolog.    . 

103         110 

4     !       7 

26    '      33 

27           37 

Kathol.-theolog.  . 

51           62 

3             2 

10           10 

6           10 

Juristische    .... 

148         156 

8     '      12 

24           32 

42           40 

Medizinische  .  .  . 

211         224 

12      1      19     1 

177         219 

248         329 

Philosophische  .  . 

538    1     571 

37           52 

280         323 

370         419 

Zasammen  .... 

1051        1123 

64           92 

517     ,    617    j 

1    693         835 

Im  Sommer  1903  betrug  nach  dem  deutschen  Universitätskalender  die  Zahl  der 
ordentlichen  Professoren  1160,  die  der  Honorarprofessoren  (zu  denen  auch  die  lesenden 
Akademiker  gerechnet  werden)  95,  die  der  außerordentlichen  Profes.soren  701,  die  der 
Privatdozcnlen  900. 


Uebersicht*)  der  Zahl  der  Studierenden  an  den  verschiedenen 
Arten  von  Hochschulen  in  Deutschland,  1869—1899/*) 


Ende 
,        des 

j 

1       Die       1 
22  Uni-  , 

Die 
9  tech- 
nischen 

1 

Vierft) 
Forst- 

Die 
3  Berg- 

Die 5 
tierärzt- 
lichen 

r 

Die  4 
landwirt- 1 
Schaft-     ' 

\ 
Zu- 

Jahres 

1  versi täten  ' 

Hoch- 
schulen 

akademien 

akademien 

Hoch- 
schulen 

liehen 
Hoch-    ' 
schulen    i 

sammen 

1869 

13674 

2928 

261 

144 

267 

357 

17631 

1872 

15201 

4163 

317 

168 

271 

298 

20418    , 

1875 

16  726 

5449 

269 

264 

284 

269     1 

23  261 

1880 

21210 

3  377 

394 

262 

436 

1       353 

26032 

1885 

27  265 

2549 

394 

34+ 

735 

,       468     1 

31755 

1888 

29  057 

2887 

386 

343 

%2 

'       483     1 

34118 

1891 

27  398 

4209 

255 

389 

1  047 

1       694     ' 

33992 

18% 

29  476 

7  747 

330 

523 

1  140 

1070     i 

40  286 

1899 

32  834 

10412 

278 

763 

1343 

!       890 

46520 

*)  .Nach  der  „Statistik  der  preußischen  I^ndesuniversitäten"  für  1899/1900. 
**)  Von  den  Handelshochschulen  fällt  nur   die  leipziger    —    1898    gegründet    — 
in  diese  Periode.     Sic  ist  aber  hier  nicht  mit  berücksichtigt.     Auch  die  militärischen  und 
die  Kunsthochschulen  sind  ausgeschlossen.     Vgl.  Bd.  IV,  2. 

f)  In  Preußen  mit  Einschluß  von  Münster  und  Braunsberg, 
ff)  Die  Forsüehranstalt  zu    Eisenach    (mit   durchschnittlich    40 — 50  Studierenden^ 
ist  nicht  mitgerechnet. 


654  Anhang. 

4.   Oesamtsumme  der  ordentlichen  Ausgaben  für  die  deutschen 

Universitäten. 

Die  11  preußischen  Universitäten  (mit  Braunsberg)  1903.     .  14  457  994  M. 

Die  3  bayerischen  Universitäten  (1902  und  1903).      .     .     .    3  595922   „ 

Die  2  badischen  Universitäten 2  379  877    „ 

Die  übrigen  6  Universitäten 9022505    „ 


Zusammen  .29456296  M. 


Die  einmaligen  und  außerordentlichen  Ausgaben  betrugen  für  die  preußischen 
Universitäten  in  den  27  Jahren  von  1876—1902  68  942644  M.  In  einigen  Artikeln  über 
die  einzelnen  preußischen  Universitäten  sind  die  Angaben  über  die  außerordentlichen 
Aufgaben  in  einigen  Fällen  nicht  ganz  vollständig.  Sie  betrugen  in  den  Jahren  1876 
bis  1902  für  Bonn  4  7%  463  M.,  für  Göttingen   6627  166  M.,  für  Münster  1  279  668  M. 

Für  die  11  außerpreußischen  Universitäten  sind  die  außerordentlichen  Ausgaben 
ungefähr  ebenso  hoch,  wie  für  die  preußischen. 


Nachtrag.  655 


Nachtrag  zur  n.  Abteilung  XXin.  1.  Berlin. 


h)    Lehranstalt  für  die  Wissenschaft  des  Judentums. 

Gegründet  1872.  Vier  Dozenten,  die  die  Befähigung  zur  Habili- 
tation an  einer  deutschen  Universität  haben  müssen.  Die  Vorlesungen 
sind  unentgeltlich.  Aufgenommen  werden  Studierende,  die  an  der 
Universität  immatrikuliert  sind,  andere  Personen  auf  Grund  beson- 
derer Krmächtigung. 


i'us  L'nterrichtsweseu  im  Ueuttchen  Keich.     I.  42 


Verlag  von  A.  Asher  &  Co.  in  Berlin  W. 

Unter  den  Linden  13. 


Die 

Deutschen  Universitäten 

Für  die  Weltausstellung  in  Chicago  1893 
unter  Mit\virkung  zahlreicher  Universitätslehrer  herausgegeben 

von 

W.  Lexis 

ordentlichem  Professor  der  Staatswissenschaften  in  Göttingen 

2  Hände.     Band  I:   XII  und  620  Seilen,  Band  II:   VIII  und  406  Seilen 

Lex.-8.     1893.    geheftet 

Preis  24  Mark 


Die 

Deutschen  Universitäten 

und 

das  Universitätsstudium 

von 

Friedrich  Paulsen 

XII  und  575  Seiten,  gr.  8,  1902,  geheftet    Preis  8  Mark 

gebunden      „       7  Mark  20  Pf. 


Druck  von  H    8.  Hermann  in  Berlin.